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AKTES SCIENTIA VERITÄS
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L: C
St. Stanislaus*
NOVITIATE,
Brooklyn, O.
t u tt ft I e B r e
in fünf Steilen.
SJon
@er|atb @ietmann S. J. unb Sdljanneg @Bren|en S. J.
©rittet 2*il.
a»ufil<tfilietit
V
'V ^crbetfd^c SSerlagSl^anblung.
1900.
StDeignteberlalfungen in äBten, Strasburg, ailünd^en unb @t. Soutd, STlo.
( o'i)
Sn VfallIntNbt a»t tanjntit Sntilb. (gdQniiRa tii
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S»tt|il = tft|ctt!.
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©erljatb @ietmann S. J.
QffT)
antt 6 tl^ailbungen unb rntltvi fürsern aRu{II))r0(en.
^crbcrfd^c 9ScrIag§l^anbIung.
1900.
Stoeiönicberlaffungen in SDÖien, Strofeburg, lUlünd^cn unb @t. SouiS, ajlo.
Music
®a§ 9tcd^t ber Überfe^ung in frembe ©prad^en mirb öorbcl^Qltcn.
SSud^bruderet ber ^erberfc^en SSerlagSl^anblung in tSfretburg.
J.
3 tt 1) a 1 1.
0-
Q (frß» ftapitd. ^tOgemettter (S^aratter ber aRujII na^ gform unb ^luSbrutf.
Söol^Iflang, ©cfe^ unb ^lusbrutf ber S^onfunft; ^anälidfö inufxfaliy(i6er
SorniQligmuS 6. 1 — 2. S)rcifadöe Sluöbruti^tüetfc ber S^onf^jrQd^e 3 — 5. @tn=
brutf ber 9Jlufif auf ©tun unb ©eift 5—7. %\t „geifterfüttte gform" ber Sfor«
maltften; fie reid^t allein ntd^t l^tn 7—10. 5lbftraftc Slttgemcin^eit ber 3^on=
fprad^c; SJerbeutUd^ung burd^ bie Seil^Ufe onbercr fünfte 11 — 13. S)ie ©d^bnl^ctt
ber mufüaltfdöcn Sfotm für bcn Soten, für bcn SJluflfer unb bcn ajlufifgelel^rten
13—16. S)aö „et^og" ber Slonfunft; SluSbrudfSföl&tglcit in Sejug auf brei
©robe ber ©emütSbetoegunö unb in Scjug auf beren ©egenftanb 16—20. ©pifd^c
unb bramotifd^e SUlufif. Untcrgeorbnete ©egenpanbe ber muftfolifd^en S)ar=
ftellung 20 — ^22. S)cfinition ber SUlufi! im fubjeüiben unb objeftiöen ©inne
beg aOßortcg. S)ie ©d^önl^cit ors gforraalobicü ber 3:onfunft 22—25. Slä^ere
Slufgabe ber 3Jlurt!=tft^etif 25-26.
3itint(s f apttel. Xon itttb Hlang* ilonfonans uttb ^tffonan).
a) S)er mufifolifd^e 3^on unb ßlong. S)effen tocfentUd^e ©igenfd^aften,
afuftifd^ unb äftl^etifd^ betrad^tet 27 — 29. ®e]^örö= unb ©timmorgon, fubjef«
tiöe ©m^finbung unb ftofflid^eg Clement beg 3:oneg 29—33. Slonftärfe, 3'le=
fonanj unb 9Jlittönen; Unterfd^ieb jtoifd^en „l^od^ fingen" unb „l^od^ lÖinowf=
fingen" 33—35. S^onbouer; Älangforbc; ber 3flatur!Iang unb beffen 3:eiltöne
35—37. S3ebeutung ber Sflaturtonreil^ß für bie ^raftifd^e ajlufif, bie 3:onIeiter,
bie 3ntert)atte unb bie Harmonie 37—40.
b) Äonfononj unb S)iffonan3. S)iffonon8 olg Iftaul&eit beS 3iifönimen=
flangeö unb als blofee ©iöforbanj innerl^Qlb eineö ajlufüf^ftemeS ; ^ombino=
tion8=, ©unimationS= unb S)ifferen3töne 40 — 44. S)ic Slfforbe, befonberg in
ajlott; bie Untertonreil^c ; umgelegte Slfforbe auf ben ©rob il^rer Ifteinl^eit gc*
^rüft 44—48. äft^etifd^e JBebeutung ber SDiffonanj 48. 49.
Drittes lapttrl. Xonletter unb Xottarten.
a) S)ie S^onleiter, biotonifd^ unb d^romatifd^; Ouintenjirlel unb ]^ormo=
nifd^e SBertoanbtfd^aft ber 2:5ne; „glcid^fd^toebenbe 3:em:peratur" 50—53. $ra!=
tifd^e SBebeutung ber gleid^fd^toebenben , ber l^armonifd^en unb ber £luinten=
ftimmung 53—59.
b) S)ie S^onarten, junäd^ft C-S)ur. Unterfd^ieb öon S^onleiter unb S^on«
art; mel^rcre SDßege, fid^ bie ^ntftel^ung einer S^onart ju öcrbeutlid^en. S)ie
fünf= unb bie fiebenftufige 3:onart, Ic^tere in ^^tl^agoreifd^er unb in ^armonifd^er
©timmung 60—65. SBefonbere 0led^tfertigung unb ©lött'^ofteriftif ber ]^ormoni=
fd^cn C-S)ur=3:onart 65—70.
VI 3n]§alt.
c) 3)a8 C-S)ur=3:ctrad&orb aU aSoraugfcfeung aßet übrigen %omxUn, S)tc
D-Xonart bc^ ©l^oral« 70—78. S)te A- Xonart beS ©l^oralg unb unfcr A-aHott
78—86. 3)ic E-Sonart 86—91. 3)ic burä^nlid&cn Xonarten in G unb F
91 — 93. Jßcrl^ältnig bcr alten Xonarten ju ben mobernen unb Übergang in
biefc 94-97.
^\txits üapM. @eff|tf|taf|e Selettf|tung«
Slüdfblid auf bie @efd^icl§te ber Xonarten, ben altern [R^^t^muS unb bie
ältere 3Jlufift]^eorie. S)ic franjöfifd&sbelgifcl&en SBenebÜtiner unb $eter Söagner
98—101. 3)ie «Pfalmobie unb bie meliSmatifd^e aJlufif 101—104. S5er fogen.
^urfud im G^l^oral; SBagner über ben Urfprung beg ^ird^engefanged ; bad ®e*
fül^I ber Xonart unb ber 9l^^t]§muö 104—109.
@et)aertd Sforfd^ungen über hen altern Itird^engefang. Xe^t, ©runbtl^einen
unb rl^^tl^mifd^er Sau ber Slnti|)]^oneu 109—114. Sßanblungen im altern
Äird& engefange; ©uibo Don Stre^joä Slnti|)]^onar 114—118.
®et)aert§ Se^re t)on ber $er!unft ber ^ird^entonarten unb bed ^^oral»
gefangeg überl^aupt t)on ^nt. 2)ed^et)ren3 beanftanbet; bie ^ufütl^eorie bed
3lbenblanbeg in il^rem Jöerl^öltnig jur altgried^ifd^en 118—124. S)ic Oftoed&og
ber gried^ifd^en Äird^c unb bie l^cbräifd&e Xempelmufif 124—131.
/üitft(0 llapitrl. SRelobie unb Harmonie*
a) ajlelobie. Sft^etifd^e SBebeutung berfelben im affgemeinen nad^ SDßol^I«
flang unb Sinn; ©iatonif, Kontinuität unb Xonalitat ber gjlelobie 132—138.
©^romatifd^c §lu8tt)eid^ung unb ajlobulation. 3uföJnnie"'^öng bon Stimmung
unb gform in ben aJlotiben unb beren Surd^fü^rung 138—146.
b) Harmonie. Sebeutung berfelben für bie ®in^eit ber SRelobie unb bie
ajlobulation; ber ftrenge Sa^; SBerbinbung ber Harmonien 147—150. Sfel^Ier«
6afte Sfortfd^reitungcn, Oftaöen« unb Duinten|)araffelen, ber Duerftanb 150 bi8
152. ©tim'mungSaugbrucI ber Harmonie; 30^^^ ^ß^ Slfforbtöne, S)urd^gänge,
Öilfgtöne, SBorl^alte, Siß^noten, Orgelpunft; ^oI^:p]^one unb einfad^ l^armonifd^e
3)lufi! 153-157.
ätdj^ts üapM. 2)er ^iWitnui.
SDÖefen unb Slntoenbung bcöfelben in öcrfd^iebenen fünften; freier unb ge=
bunbener D^l^^t^muS; Xejt« unb aJlotibglieber im ß^^oral aU ©runblage ber
Symmetrie unb beö freien D^ll^^t^muö 158—165. S)er ftrenge Sfl^^t^mud in
mel^reren fünften l^errfd^enb unb in ber 9^atur Vertreten; 3citein^eitcn beg
iR^^t^muä, beren SSerbinbung unb 3iiföWJnenäie]^ung ; S^nfope unb irrationale
Xonbauer 165—170. SSerbinbung ber Xafte ju rl^^t^mifd^en ©liebem. S)a5
Xempo. ©eiftigc SJebeutung ber r^^t^mifd&en formen; brei ®§ara!tere beS
at^^t^muS unb ber aJlelobic 170—175.
Siebentes üapxttl ^oiah unb 3nftntmentalmuftf.
S5ie menfd^Iid^e Stimme unb i^r Xongebiet; Stimmregifter unb Stimm»
flaffen. SJerbinbung beä Stimmtoneö mit bem äöorttejte, toed&felfeitige 2lu8=
gleid^ung. S)ic reine Qnftrumentalmufif unb il^r formeffeö ©eprägc ; S5egleitung8=
mufif 176—183.
S)ie mufüalifd^en ^nftrum*" S)ie einfad^ften Saiteninftrumente mit unb
ofjne ©riprett; bie Strcj*^. te 184—188. Snftrumentc mit Klabiatur,
Snl^Qlt. VII
inöBcfonbere bod ^tanofortc 188 — 190. SOßinbinftrumente , öor attem bic Örgcl
191—197. SBIedJ», gtol^tBIott« unb ©dJIaginPrumcntc 197—202. »crtocnbung
bet mufifalifd^en Snftrumcntc im ©efang unb aufeer bem ©efang; Äon3crt=,
Öormonic» unb Ord^ePerfal 202—206.
^d^us Hapitel. 2)te Itttnftgel^ilbe bet SRufif.
1. strenget @a^» unb ^eriobenbau, äJlotb unb ©ang, gform unb ©eele
berSDMobie; S)o|)pcH)cnobcn im Ütd^lid^en Exsultet 207—217. Unregelmäßig«
feiten im f^mmctri^en f8an 217—220.
2. S)q8 Sieb mit SBorten unb o^ne äBorte ; bad S^oIIdlieb 220—224. f^ar«
monifd^e S3egleitung bed Siebes; mufüalifd^e Dflomange unb SBallabe 224 — 226.
3. HJlarfd^ unb Sanj. S3ebeutung beg [R^^tl^mud in beiben; ^[uSbrucI bet
Stimmung im %xxo. ^reiteiligleit beS ^arfd^« unb S^anaftfided eine ®runb<
form mufifalifd^er ÄompoRtionen überl^ouipt 226 — 233.
4. 2)Qg Dflecitatit) im Leitern unb im engern @tnne bei ben @ried^en, im
©l^orQl unb in ber neuern ÜJlufif feit bem 17. Sal^rl^unbert 233—238.
5. @onate unb @^mpl^onte. Unterfd^ieb bed mel^rteiligen unb beS mel^r«
facl^en SRufif ftüded ; boS ^nftrumentalfolo. 2)Qd @efe^ ber @timmung8enttt)i(I»
lung für ben Aufbau ber @onate unb ber ©^mp^onie maßgebenb. 93ebeutung
ber aGßieber^oIungen 238—244.
6. ^ol^pl^one HJlufifftücIe. Station unb Sfuge; gebunbene unb freie 3la^'
al^mung. Äftl^ctifd&c SBebeutung ber ©elbft&nbigfeit öerfd&iebener 9JleIobteftimmen
245—248.
7. Itantate unb Oratorium, ©d^toöd^ere ©inl^eit biefer ^ompofitionen.
SnnereS Söerl^ältniö bon 9flecitatiö, 3lrie unb ßi^or ju einanber. Sfortfcl&ritt Don
ber epifd^en ^ur I^rifd^en unb jur bramatifd^en S)arfteIIung. ^ol^pl^one ^l^or»
fomt)ofition, ©l^orfuge, SDlotett unb ajlabrigal 249—255.
8. S)ie SJleffc. SBebeutung biefer 3lrt öon mufifalifd^er Äompofition ; einige
3öin!e über ©cift unb Sform; bie cinfad&e ^l^oralmcffe 255—256.
9. S)ie £)ptx, IRed^tfertigung biefer ^unftgattung , fofern fie einen ibealen,
I^rifd^^bramatifd^cn 3n^alt toürbig borftcttt unb in ben Sformmitteln SJlafe l^ält.
Über bie geeignetften ©toffe, bie Söermittlung ber öerfd^iebcnortigen Steile unter«
einanber 256—263.
10. innere @nttt)i(IIung ber Sonlunft. ^nlel^nung ber HJlufi! an bie $oefie
unb bie ayiimif. ©elbftönbige ober abfolute STlufif, formalfd&öne unb ©timmungS-
mufif. Sfortfd&ritt au ben umfangrcid^en SJofal* unb 3nftrumentalftüclen. S)ie
l^öd^fte Snttoidlung bes ^udbrucfd in ber ^rogramm^üTlufi!; S3eurteilung ber
lefetern 264—270.
Kntntes fiapitel. ^ie Hirii^enmttfiL
Unterfd&ieb Don ber einfad&en religiöfen aJlufil. 3)ie ©röfec ©otteS forbert
ben Tribut bed Sobgefanged ; bie ^eilige @d^rift über bag gefungene Sob ©otted ;
bie grasig ber erften d^riftlid^en Sal^rl^unberte. ^ie Erbauung ber ©laubigen
burdj ben ©cfang geförbert 271—277.
JBegüglidJ ber ©igenfd^aftcn einer guten Äird^enmufi! ift atoifd^cn Sform unb
©eift bcrfelben ju unterfc^eiben. S)ie Äird^cntonartcn 277—280. Studfü^rlid^c
S3e]^anblung be8 ^l^oralr^^tl^muS ; l^iftorifd^e Sforfd^ungen (S^eoretiler bed Mittel«
alter«, ^Reumenlefung) unb neuere ©^ftet**'^ber ÜJlcnfuraliften , ber äqualiften
unb bed freiem IR^^tl^mud, toeld^er entf • -^ Ji fogen. oratorifd^e ober ber ein»
III
Snl^Qlt.
fad^e ©ptad^rl^^t^mud ift) 280—307. 9ll^^t^inud beg gried^ifd^en Itird^engefangeS;
^ingelncg jum Jßortrag bc8 ©l^otoß in her altern ßtrcl&c 307—311. ÜJlcIobic
unb Harmonie im ^ird^engefange ; ^ol^ann XXII. unb bad l^onsil t)on Orient;
bcr ^Jalcftrina« ©tu ; ^atmoniflcrunö be« ©l^orald 311—316. 3)ic ^nftrumcntal«
mupf in bcr Äird&e. ©cföngc in bcr ÜJluttcrfprad^c. Sfroucnftimmen in ßird^cn«
d^5ren. 2)ie augenblidltd^ geltenben SSeftimmungen über ^rd^enmufi! nad§ bem
Sfleglement t)om 3Q^re 1894 unb beren t)erbtnbenbe ^raft 316—324.
Über ben innem ©eift ber ed^ten ^trd^enmuft!. 3[ft bie SJluftl in ber
Itird^e ber l^bd^ften Seiftung faltig ober „gebunben"? 9lad§fter unb l^öd^fter
3tt)ecf ber 2nupf im ©otteö^aufe 324—328. 3ft bie Sonfunft in bcr Äirdjc
nad^ rein öftl^etifd^en ©efe|en su beurteilen? ©tellung ber ^ird^e gur {d^5nen
^nft unb indbefonbere gur SJlufil; fte loiU burd^ beren aft^ettfd^e Seiftungen
einen l^öl^ern S^^^ erreid^en. S^eruf ber Sonlunft im 9}ereine ber im ©otted»
^aufe sufammentoirfenben fünfte 328—333. ^in^elne Sforberungen ber fttrd^e
an bie in il^rem 2)ienfte arbeitenbe Tlufit. S)ad ©ebot, bem l^eiligen ^e^te
gebül^renbe IRed^nung ^u tragen unb ber liturgifd^en ^anblung ftd§ untergu-
orbnen. !S)Qd S^erbot ber „toeltlid^en" unb „tl^eotralifd^en" SJlufil. Sin^elne
anbere SSorfd^riften 333—340. ©enauere S3eftimmung bed S3egriffeg ber totlU
lid^en unb tl^eatralifd^en Sllufil 340—344. S}om SSortrage ber Itird^enmufil;
Söinfe für S)irigenten, Orgoniften unb ©änger 344—347. ^^raftifd&e unb ge«
fd^id^tlid^e S3ebeutung beg „oratorifd^en" Sll^^tl^mud. 2)ad @^ftem be8 einfad^en
©prad^gefangeS, beffen gefd^id^tlid^er unb |)rQ!tifd^er SDert 347—359. 2)er S^oIId'^
gefang in ber Itird^e; bad beutfd^e ^ird^enlieb 359—363.
91 egi fiter ©. 365—370.
SRatt brriditifie:
@. 263, 3- 8 b. u.: f^iix bie ältere SOluflf genüge ti, auB ^aberlS ®efamtaugga(e
e. 280, 3. 3 b. 0.: Cotton (ftatt: (Sotta).
femer:
äSerjet^niS ber ^bbtlbnngen.
1. Ser pfaHierenbe unb tan^enbe 2)aDib.
(3u 6. 158.) Xltelbilb.
2. SDletoaao ba fjfotU: aftufiaierenbe
Snget 6. 50
3. ^. Sauenftetn: Site l^t. CAcilia . ®. 158
4. S>er ©tammbaunt 3effe 6. 176
5. Ex chorali Ambrosiano — de Ua-
giascha — 1388 6. 271
6. (Sin Asperges unb Vidi aqaam in
9leumenf(!l^rift unb 2)e4ebren8f(|er
Überlegung 6. 805—806
Jlffgemetiteir ^^axaHtex beir ^nfi& na^ ^foxm nnb iin^bxnA.
1. 2)rei SJorjüge bcr SKufif, il^r [inncnföHiger 3tcij, il^rc tJormfd^ön^eit
unb i^re 2lu§bru(fSfä^igfcit , galten [id^ in fold^er SBeife baä ©fcid&gctoid^t,
bafe bctngcmä^ bic greunbc bcr Sonfunft gcrobeju in brci klaffen jcrfaKcn.
2)ie einen legen allen 9lad^bru(f auf ben SBol^lffang, b. 5. auf jene SBir=
fung, me% eine forgfältig getüäl^Ite Sonreil^e burd^ angenel^m tocd^felnbe
|)ö]^e, ©tärfe, 39ett)egung unb 39inbung im ©el^örfinn unb in ber innetn
finnlid&en 6mt)finbung l^eröorruft. Sie greubc am fflang unb ©picl jur
3lbft)annung , Unterhaltung unb ©rfrifd^ung ber im MtagSleben öieHeid^t
ju farg befriebigten eblern ©innlid^feit bebingt jumcift il^r Snterejfe.
3fnbere bead^ten öorjugöroeife bie tüunberöolle ©efe^möfeigfclt unb fünft=
lerifd&e ^Jolgerid^tigfeit, mit toeld^er in großem SBerfcn alle gormmittel ber
Stonlunft crfd6öt)ft toerben. 2)iefer geiftige ®enu^ be§ ffenner§ übertrifft
an SBert bei meitem jenes bfofee SBo^Ibe^agen be§ Siebl^aberS, ol^ne eS
auSjufd^Iiefeen.
@S ift aber fel^r bie grage, ob bie ^ö^ere Sebeutung ber SKufif fo
ganj in ber g r m fd^önl^eit aufgellt; öielmel^r barf mit @runb bejrocifelt
mcrben, ba^ bie SSertreter jener smeiten, ja fogar bie ber erften 2lnfid^t
jeben anbermeitigen ©el^alt unb jebe tiefere Söirfung in öoKem Smfte be=
ftreiten tooHen. SebenfaHS erlennt eine britte ßlaffe öon 5ülu[ifern unb
SKufiffreunben erft in einem ibealcn Sinn unb SBert ber Söne, im @m=
t)finbung§au§brude ber 5DicIobien unb |)armonien, in eingel^aud&ten unb auf
ben §örer übertragenen Stimmungen bie toa^re J?unftlciftung. 3a man
gel^t fo meit, ju Derfid^ern, bafe „fein S5ilb, fein SBort ba§ ßigenfte unb
Snnerfte be§ ^erjen§ au§ft)red^e toie bie 5DiufiI; il^re Snnigfeit fei uns
üergleid^Iidö, unerfe^fid^" (%^, SSifd^erS tftl^etif), mit anbcrn SBorten, fie
)t)red^e bie ßmpfinbungen Doller unb beutlid&er al§ jebe anbere ilunft au§.
2» SKan fann über 9Kufif nid^t reben, ol^ne bie eine ober bie anbere ber
genannten 9lnfd&auungen al§ mafegebenbe 9tid^tfd6nur öorau^äufe^en ; DoKenbS
muffen öfi^etifd&e Itnterfud^ungen ol^ne öorfäufige SSerftänbigung über biefen
^unft in ber 2uft fd^toeben. Dbenbrein ^at fid^ feit 6. ^ a n S l i rf § Sud^
eUtmann, äftl^etü. 3. %t\L 1
2 @rftc8 StapM.
„SBom tnu[ifaltf(% ©d^önen" (1. Stufl. 1854, 8. 3lufl. 1891) unb but(j&
bie Sefttebungcn ber SBagnerianer bcr ®egcnfa§ öon „gformoIiämuS"
unb „3bcali§mu§" in bem (Srabc gcfd^ätft, bafe bic Stuäbrudäfäl^igfeit bcr
3Wu|tf ju einer §am)tfrQge ber ^ft^etif getoorben i[t.
Sin ipanSlid aU SJcrtrcter bcr formalen S^l^coric fd^lofe fici& ^oftinSf^ an
(2)q8 mufilalifcl^ @45ne unb baS ©cfamtfunfttDcr! t)om @tQnb:pun!t .bcr formalen
tft^cttf, 1877), ferner ®. engcl (äft^ctil ber Stonfunft, 1884) unb fj. ö. C>aug=
egger (S)ic aJluftl ald Sluöbrud, 1885); bod^ laffcn bic beiben lefetcrn bic STluftf
öon einer anbcrn Äunft, nämlid^ öon bcr ^oefie ober öon bcr ÜJlimif, einen fub=
fianticllen ©el&alt erborgen. (£ine „äftl^ctif al« gformtoiffcnfd&aft" fd^ricB aiiäi 91 ob.
3immcrmQnn (1864). — S)ic ßeugnung bc8 ©efül^lggd^altcö gel^t oon bcr
^crbartfdöen ^^ilofopl^ic quS. S)od& l^at fi^, bicfcr fcrnftel^enb, aud& C>. 5lb. Äöftlin
für ben djll^etifc^en SformoliSmuS ouSgcf^rod^en („2:onfunft").
^nbererfeitS ging äBagner t)on ©d^oipcnl^auer aud, bem bie üJlufi! eine
unmittelbare äufecrung beö SÖittenS ift. SDlufil al« SluSbrucf, ald 2)Qrftcaung (bcr
©cfül^lc, ja ber obiettibcn Slnfd^auungen unb ©anblungen), baS ift ba8 ßofungöloort
SöognerS unb ber jal^lreid^cn SJerel^rer ber ^rogramm^aJluflf.
2)0 § 3lnfel^en ber SJerteibigcr biefer beiben 3Wcinungen ft)rid6t für eine
getoiffe Sered^tigung ber einen mie ber onbern. 9lber einfeitigc Übertrei=
bungen l^aben lebl^aften SBiberfprud^ l^eröorgerufen. 2lfö ©egner $an§Iid§
fei nur 91. SB. 2lmbro§ (Sie ©renjen ber 3»ufif unb ^oefie, 1855)
nod^ befonbcrS genannt; SBagnerö 9lu§fü]^rungen l^at unter anberen
m. ©d^asler (Über bromatifd&e 2Ruftf, 1883) einer fe^r fd&arfen ßritif
unlerjogen. 6ine öermitteinbc unb jur 39efeitigung öon SOlifeöerftänbnijfen
geeignete SDorftetlung ift in |). 9tiemann§ S9ud& (2ßie ^ören tt)ir 2Jlufif?
1888) niebergelcgt. 2)anad& ift bie erfte SBirfung ber SKufif eine efemen=
täre, nömfid^ eine unau§tt)ei(i^lid6e 9lötigung, bie mannigfaltigen 2:on=
bemegungen innerlid^ mitjuempfinben ; bie jmeite ift ber eigentlid^e öfH^etifd^e
©enufe an ber SRegel unb Drbnung in ben SBerfen bcr 2:onf un[l ; an britter
©teile tt)irb nun er[t bcr ßinbrud öon etmaS frei ©emoHtem unb SorgefteHtem
ntöglid^. gb. ö. ^artmann (®ie beutfd&e Stft^etif feit ßant, 1886)
nennt mit SBagner bie Sonfprad^e ein 2lu§brurf§mittel ber innern @mt)fin=
bung, bie fid& mit SBorten nid^t toiebergcben laffe, ä^ntid^ ber mimifd&en
©ebörbenjprad^e, toeld^c cbcnfaHä ettoaS für ben SJerftanb UnauSfpred^Iid^cS
fage unb fid^ borum gern mit bcr Sonfprad^e jur ßin^cit öerbinbe. 2)od^
fügt er bei, ba^ bie SKuftf burd^ i^re 9tu§brud§mittel ben ©efü^föin^alt
fo toenig erfd^öpfe tt)ie bie ®ebärben= unb SBortfprad^c, unb bcr jcbcSmalige
unauSfpred}bare SRcft unterfd^eibe biefe brei SluSbrudömeifcn be§ ©cfül^tö
öoneinanbcr; il^r gemeinfamer @mt)finbung§ge]^alt bagegen mad^e ftc jur
einl^eitlid^en SSerbinbung geeignet.
S)ie genauere S)arftcttung bc8 gform« unb 3n]^alt3toerte3 ber einzelnen mufifa»
lifd^en (Slcmcntc für bie äftl^etifd^c SJetrad^tung bleibt ben folgenbcn Slbfd^nittcn biefcs
ungemeiner df^axalttr ber üJlufil nad§ Sform unb ^udbrud. 3
S3ucl§eiS t)orBe]^aIten. 2)ie grunblegenben , allgemeinen Unterfud^ungen über äBirfung
unb Sü^efen ber SJluft! muffen aber aud bem bereite angebeuteten @runbe l^ier t)ortDeg*
genommen toerben.
3» S)ic 2Rufi! fann bem ©inne unb ©elfte nid^tö öermitteln, als toaS
burd^ Söne, burd^ jd^öne fitngcnbe ?Jormen bargejieHt, angeregt unb
angebeutet toirb. 2)enn bie ©d^ranle jeber ßunft ift ber Screid^ il^reS
eigenartigen 9lu§brudE§ mittete. 2ßa§ ber Silbl^auer in ©teinformen, ber
SJlaler in farbigen ©eflalten, ber SDid&ter in fünfterifd^ gel^obener SRebe, baS
fagt ber 5!Hufifer in SLönen, ober äße fagen nur foöiel, nid^t mel^r unb
nid^t meniger, als ber allgemeine ©egenftanb ber fd^önen ßunfl, nämlid&
baS ©d^öne, einen toirfungSöoHen 9luSbrurf in ©tein, g^arbe, SBort ober
3:on ju erhalten öermag.
2ßa§ ift alfo bie 3:onft)radöe? SBie allgemein befannt, ift fie hörbare
Semegung unb an fid^ nid&ts onbereS, toenn oud6 aKerbingS eine beftimmt
geregelte unb fünftlerifd^ öermenbete Semegung. SDiefe alfo einjig unb allein,
aber in größter 50lannigfaltigleit unb in mol^lgcorbneter 9lbioed6§lung nad^
©d^nelligfeit , ©tärfe, ^ö^e unb Klangfarbe, fomeit ber mufifalifd^e Son
es geftattet, mad^t baS 2Jlufifftürf aus.
@S loffen fid^ alfo junäd^ft getoiffe 2lrten öon l^örbaren Semegungen
teils im 3lnfd&lu6 an 9laturbetDegungen nad^bilben, teils frei barftellen.
®aS ift bie erfte ber oben ermäl^nten Seiftungen.
4^ SDie fünftlerifd^ gefd^affene Sonbemegung wirft aber aud^ auf bie
Sterben, baS ©emüt unb ben (Seift beS |)örerS merflid^ ein; fonft l^ätten
j. 39. 3:anj= unb 2Rilitörmuftf feinen S^td. S)aS ift eS , toaS mir oben
bie „Slnregung" nannten. 2Ran fage nid&t, biefe Slnregung liege bereits
au^erl^alb beS 33ereid^S ber 2:öne unb fei nur eine nad&folgenbe Sßirfung
berfelben. 2)ie SÖßirfung ift immer bod^ eine naturgemäße, ja in getoiffem
©rabe notmenbige; fomit fann bie Urfad^e berfelben als in ben 2:önen
entl^alten nid&t geleugnet merben. S)ie Jone tragen alfo in fid^ ben be=
frud^tenben ©amen, ber in baS ©emüt übertragen im SSerein mit beffen
eigener t^ötiger Kraft bie Smpfinbung, finnlid^e unb geiftige, unb bie ent=
fpred^enben Sorftellungen erjeugt. S)er Künftler feinerfeits ift burd& mufi=
falifd^e Erfahrungen befäl^igt, jenen Keim balb fo balb fo ju geftalten, um
ganj beftimmte SBirfungen im |)örer l^erborjurufen ober feine eigenen ©e=
mütsftimmungen auf il^n ju übertragen. 9lid&t unpaff enb fann man nun bie
Jone ben objeftiben 9luSbrud! ber ©mpfinbungen beS ßünftlerS ober aud^
ben SlbbrudE ber ©timmungen nennen, meld&e im Künftler menigftcnS
metl^obifd^, b. ^. ju bem 3*^^^^ t^^^ SarfteHung borl^anben unb toirflid^
finb, im §örer aber naturgemäß erregt merben. Ober red^tfertigt nid^t bie
©prad^e felbft bollfommen bie SRebemeife: „2)iefe SBorte finb ber 9luSbrud!
erregter Seibenfd^aft" unb: „3Kan tieft in biefen SBorten bie Seibenfd^aft,
1*
4 ^rfted StopiUl
toeld^c [ic eingegeben, unb bie ^flamme, meldte [ic im §örer entjünben
mußten" ? Sliemonb min natürlid^ ben 2:önen ober SBorten toirtfid^e 8eiben=
fd&Qft jufd^rcifien, fonbern nur ju berfte^en geben, bafe gcrabe biefe 3:öne
ober SBorte gemäl^It feien, um Seibenfd^aft ju offenboren unb ju erregen.
S)abci maltet iebod^ jmif^en Stönen unb SBortcn ein Unterfd^i^b ob: biefe
finb an fid^ blofe miHfürlid^e , jene aber natürlid^e 3^^^^ "^^^ ®emüt§=
bemegung; Sonbemegung unb ©emütöbemegung ftel^en im SSerl^ältniä toixh
lid&er SJermanbtfd^aft. 3ebe Seibenfd^aft , j. S. ber S^^^, U"^^ lebl^ofte
Stimmung, j. 8. Siebe ober tJur^t, rufen ja im Drgani§mu§ eine pl^^fifc^e
Semegung ^eröor; Semegung ift aber aud^ alleS in ber 2Ruftf. Sic 8e=
toegung im Drgani§mu§ bermittelt alfo bie reale SJerbinbung ber geiftigen
Stimmung mit bem mufifalifd^en Sone; um fo angemeffener lann man
ba^er t)on einer Sarpeüung ber Stimmung in 3:önen reben.
5^ Säuger bem aSerl^öItniS mirflid^er aSermanbtfd^aft ber Sonbemegung
jur SBemegung im p^^ftfd^en Organismus, jur @emüt§erregung unb jur
geiftigen 2;]^ätigteit beftel^t aud^ nod^ ba§ ber Slnalogie, b. ^. ber fid^ Don
felbft aufbrängenben ober bod& fel^r na^e liegenben 3i^nlid^f eit ; bon biefer
fagten mir oben, ba$ fie in ben Jonen blo$ angebeutet merbe. Unfere
finnlid^en ßmpfinbungen murgeln oHe in berfelben Seele, bie bem ganjen
DrgoniSmuS Seben unb Xl^ötigfeit giebt, unb berühren fid^ in biefer SBurjcI
fo nal^e, bop fie auf ©runb einer natürlid^en S^mpat^ie gemiffe SSer=
taufd^ungen • ber SBorfteHungen unb ©ebonfcn begrünben. Sie St)rod^e ift
öoH öon analog übertragenen Segriffen. D^ne ftörenbe SBiDfür reben mir
öon ber Sonleiter, al§ ob ba§ Steigen unb göHen ber Jone eine bem
5(uge fid^tbare lofale Semegung märe; bie 9?otenfd^rift fe^t biefelbe 9Ina=
logie DorauS. „Klangfarbe", „W)t)t^m\x§>" , „Spannung" finb aDeS 9lu§=
brüdEe, bie Don anbern SSerl^ältniffen übertragen finb. S)urd) fold^e 3i[^nlid&=
feiten mirb eine brittc 2lrt mufifalifd^en 2luSbrudE§, nömlid^ burd^ Slnbeutung
ober St)mboIif, ermöglid^t. SKan Derftößt aud& ^ier nid&t gegen ben St)rad&=
gebraudö, menn man bie i^rer 9latur nad^ unDoHfommene SInbeutung als
3luSbrudE bejeid&net; ift bod& bie „metap^orifd^e Slusbrudsmeife" als eine
9lrt, bie ©ebanfen, ftatt burd^ bie näd^ften 2RitteI, burd^ entlel^nte „auS=
jubrüdEen", bem Stiliften mol^Ibefannt.
3n ber S^rod^c nennt man bie Übertragung nad& ber blofeen äl^ntid^fcit
^itap^n ober 5lttcgoric, in anbern fünften ©^ml6oUf, unb man toitt burd^ biefe
Dcrfd^iebenc Benennung bie größere SJcred^ttgung ber befprod^enen, immer nod^ einiger«
magen natürlichen SSejiel^ung, im ©egenfa^e gu ber toiUfürlid^en in ber ©prad^e,
anbeuten. äöenn toir nämlid^ bom ©teigcn unb gotten ber %'6m reben, fo ift bie
Söeifc äu reben rein metopl^orifd^ ; toenn aber ber ajlupfer burd^ auffattenbeö ©tcigen
unb Sfatten ber SJletobic auf analoge Seioegungen in ber D^atur ober aucl§ in ber
©eele l^inbeutet, j. f8. auf baö @rflimmen einer §ö^e, ben Sluffd^toung beS ©emütcS,
ober baS ©egenteil, fo liegt l^ier in ber @ a d§ c ©Emboli!, b. 1^. eine entfernt in ber
ungemeiner df^axatttx ber ^luft! na^ Sform unb ^us^brud. 5
9flatur unferer ©innc begrünbetc unb infofern toenigftcnö einigermaßen reale äl^nlid^-«
feit. S5qS (Steigen ber Stimme ift mit Slnftrengung unb Spannung öerbunben;
!ör:perlicl&e Slnftrengung forbert aber aud§ baS ©rfteigen einer &ol§e, unb gciftige
©:pannung liegt in bem 5luffd§tt)ung be8 ©eiftcg.
2)ie S^mbolil ber Xöne ift toie bte ber Sfarben ettoad fd^loanfenb unb unftd^er;
aber il^r alle S^ebeutung für ben ^ugbrucf abaufpred^en , gel^t ni($t an; fonft l^ätte
nid^t s. SB. ©oetl^e eine S^mbolil ber Sfarben unb Sd^ubert eine S^mboli! ber Son>
arten gefd^rieben (in ben ,;3been ju einer äftl^etil ber S^onfunft"). @8 ift S^l^atfad^e,
baß jeber ßomponift bon Jöofalmufif fid^ gelegentlid^ ber mupfolifd^en S^mbolil
bebient, inbem er 3. f&. su feierlid^ ernften S3etrad^tungen ober @ebeten nid^t eine
leidste, ]^ü:pfenbe, fonbern eine rul^ige unb getragene SJluftf fe^t. @ä benu^t aud^
fd^on jeber S)id^ter unb Slebner bie Älangf^mbolif ber ©prad^Iaute ju feinen S^crfen.
@ine gang ungenügenbe ^udrebe ift eS, gu fagen, baß ,,fid^ auf öftl^etifd^em S3oben
berlei elementarifd^e SelBftänbigfeiten [ber ©injelflänge] unter ber ©emeinfamfeit
l^öl^erer ©efc^e neutralifleren" ; bcnn eine S^mbolif, bie ben eingelnen Elementen
ber aJlufi! eigen fein ober toerben f ann. barf im ganjen S^ontoerf bod^ nid^t geleugnet
toerben. ®er ©rab ber SJeftimmbarfeit unb ©reifbarfeit f^mbolifd^er 5lnbeutungen
ift freifid^ fel^r öerfd^ieben. Slber toiffen toir benn bie unjtoeibeutig öorl^anbenen
©efül^ISbetoegungen unfereS 3nnern immer fo beutlid^ in Söorte ju tieiben ? aJlüffen
toir fie titoa toegen il^rer fd^toierigen 3luSf|)red&barfeit einfad^ aU nid&t öorl^anben
betrad^ten? SJielmel^r finbet fid^ fogar eine 5lrt fonbentioneller S^mbolil in
allen Äünften, unb in ber ajlufif toirb man gugeben muffen, baß bie berfd^icbencn
Seiten eine öerfd^iebene ©^mbolif l^aben fönnen, bie barum nod^ nid^t ol^ne alle unb
jebe 95egrünbung ift. S)ie ©ried^en 5. 35. brücften ben l^eftigen Sd&merj mit SJorliebe
burd^ l^ol^e, toir meift burd^ tiefe S^öne auS ; jene tootten ba8 auf fd^reienbe ©d&Iud^sen,
toir bie ©ebrüdttl^eit be§ iSeibenben lautlid^ anbeuten.
6» 3laä)\)tm mir brei 9Irten be§ muftfalifd^en 2lu§brucf§ unterfd^ieben
^abcn, muffen mir ben fubjcftiben ßinbrud ber Xonfunft etmoS nöl^er bc=
trad&tcn. 3unö(i6[t mcrbcn unfcrc finnlid^cn gä^igfeiten, b. ^. biejenigen,
meldte mir mit ben 2:iercn gemein l^obcn, in Slnfprud^ genommen, nömlt^
bie ®e!^ör§ncröen , unb bamit bie innere finnlid^e SBal^rncl^mung unb @m=
pfinbung, meldte oft nod6 bie SemcgungSorgane in TOitleibcnfd^aft jiel^en.
SBie bie ffun[tfd6ön^eit überl^aupt mefentlid^ auf ©inn unb ©cift jugleid^
mirft, fo muß bie finnitd&c SBirfung bon ber mufifalifd^en ©d&ön^eit um
fo nad^brüdflid^cr au^gefogt merben, al§ bie flingenbc gorm in ber 3:onIunft
offenbar öiel mentger eine bloße Vermittlerin Don gciftigen Stnfd^auungen
unb ©ebanten ift, als bie fid^tbare Q^otm ber bilbenben J?ünfte unb baS
reijlofe SBort ber ^ocfie. Unferc 9latur bringt cö fo mit fid6, baß oft bie
©inne gerabc bort ftärler erregt merben, mo bie Beteiligung ber geiftigen
©rienntnis geringer mirb. 6ben bie§ trifft bei ber SKufif ju. @anj ein=
feitig ift e§, menn bie 3ift^etif biefem Umftanbc menig SRed&nung trägt, nod^
cinfeitiger freilid^, menn man ju öormiegenb ben bloßen pl^^fifd&en Sleröenreij
in ber 2Jlufif bead^tct. 3ene§ ift falfd&er 3beali§mu§, meld^er bom SBol^t
Hange ber 2Rufif faft ganj abfielt unb fogleid^ ju ber fogen. ©efü^lät^eorie
überspringt (SSifd^erS tftl^ctif ) ; biefcS ift bagegen falfd^er 9teali§mu§, ber
6 ^rfteS itapittl
büS ©d&allelemcnt in bcr 2:onfunft mit i^rem gangen SBefcn gu bcrttjed^fcln
fd&cint (fiid^tcntl^ol, S)cr muftfolifd^c Sttjt !). 2)q§ mirflid^c Sot^anbcnfein
einer med^anifd^en 9lert)cncrfd&üttcrung f onn man Bei 2ieren beobad&ten ; fie
erfd^eint aber aud6 in auffallenbfter SQBeifc bei reijbaren SJlenfd^ennaturen.
@rint)arjer nennt ba§ ein SKitflingen ber 9leröen: „SäJenn eine Sßiolinfaite
gejirid^en mirb, fo Hingen bie ©aiten einer baneben licgenben unberührten
©eige mit. SBie, menn ein äl^nlid^eS Slad^Ieben unferer 9lert)en Urfad^e an
ber fo großen SBirfung ber 9Ku[tf märe? Sei mir tt)enig[ten§ liegt getoife
fo ettt)a§ ju ©runbe; benn \ä) barf nur einen 2on ^ören, ol^ne nod& 50le=
lobie gu unterf d^eiben , fo gerät fd&on mein gange§ SBefen in eine gitternbe
Semegung, beren id& nid^t §en merben fann" (SBerfe XV, 121). S)ie
t)^9fifd6e ©emalt ber SKufif unb bie oft l^eilfame SReaftion be§ Organismus
^ot hierin großenteils i^ren ®runb.
7. 2luf pl^erer ©tufe fte^t jenes finnlid^e Vergnügen am ßlange,
meld^eS auf ber mufifalifd&en ßinrid&tung beS menfd&lid&en Dl^reS berul^t.
S)ie 3:öne, toic fie bie J?unft öermenbet, gefallen unb fd^meid^eln fott)o^(
eingeln für fid^ als in ben gebröud^Iid^ften SSerbinbungen , bie man fton=
fonangen nennt, unferem natürlid^en ©efü^Ie für bie ©d6allemt)finbungen
unb befriebigen bie eblerc ©innlid&feit. SBie öiele §örer, ©änger unb
©t)ieler benfen faum an weitem ©enufe! ©ange Äongertfäle fönnen auf
biefe SBeife in Stönen fd^melgen, o^ne gu a^nen, baß bie Äunft mit bem
©inncnraufdö nur infotoeit ctmaS gu tl^un l^at, als fie auf eine maßboHe
greube am SBo^IIaut il^re l^ö^ere Sßirfung grünbet. S)aS bered^tigte 2Jlaß
beS finnlid^en 5Ißol^IgefanenS an bem mufifalifd^en ffunftgenuß l^at ^elm=
1^0 !§' „Seigre bon ben 3:onemt)finbungen" red^t ins Sid^t gefteüt.
8^ 2)er afuftifd^e Steig ruft weiterhin bie innern 33emcgungen l^erbor,
bie mir inSgemein Säffefte unb Seibenfd^aften nennen. 2)iefe fönnen
gmar in gemiffem ®rabe bem finnlid^en Segel^rungSDermögen allein an=
gepren ; gemö^Iid^ ift jiebod& ber geiftige 2eil unfereS 5IßefenS fd^on merfiid^
babci interefficrt. Stein finnlid&e Erregungen fönnten übrigens aud& ^ier nur
enttoeber nad^ 9lrt fört)erlid^er Heilmittel ober als ebler ©innengenuß mol^I=
tptig toirfen. Sie ?Jrage nun, toie auS bem Sleröenreige , aud^ menn er
mehrere 5Reröen unb bie 39emcgungSfraft gugleid^ erregt, bie allgemeinen
Stimmungen als ftnnlid&=geiftige Siegungen ermad&fen, fann bie ^l^t)fioIogie
nid^t löfen. 2ßir miffen nur, mie ber ©el^örSnerD Don beftimmten 3:önen
in gang bestimmter SBcife bemegt mirb, unb baß berfelbe mit bem ®e=
^irn, mit ^erg unb Sunge, enblid^ aud& mit ben motorifd^en ^Reröen
in aSerbinbung fte^t. S)ie grflörung beS SlätfelS, fomeit eS eine Söfung
gulößt, bleibt ber ^^ilofopl^ie überlaffen.
©elbft bie f^rad^Ud^c SBcgcid&nung beS ©ebietcg, auf bem fid& leiblid^c unb
geiftige S^l^atigfcitcn begegnen, Ircugen unb bcrfd^melgen, ift fdjitoer fafelidd. 3. 3ung«
Slttgcmetnct ©l^oraücr ber SJlufil nacl^ gform unb Sludbrucf. 7
mann l^at ein bcfonbereä SJudö über boö „©emüt* öef<^nebcn, qu8 bctn toir einige
©ebantcn aud^eben. $Rut ber aJlenfd&; nid^t bog Xier, l^ot ©etnüt. 3m SDflcnfd^cn
aber fxnb finnlid^e @m|)finbun9en ober JBegicrbcn qI« foldje (g. 85. ba8 natürlid^e
aSerlangcn na(| ©peife unb S^ranf ober bie notürlid^e Söcfrtcbigunö im ©enuffe ber
^afjxim^) nod§ feine ©emütSbetoeQunQen. Sü^ol^t aber ftnb ed Sad^en unb Steinen
bei ^rtoad^fenen, ^rf^einungen, bie toir auf eine t)orQuSge^enbe 9}emunfter!enntnid
k)on einem ©ut ober Übel gurüdfül^ren. ^on bem ^ugenblide olfo, too ber @inf[u^
ber SJernunfterfenntniS auf bie JBeioegungen be8 niebem ©m^ftnbungS» unb ©trebe«
k)ermögeng bemerfbar toirb, treten ©emütiSbetoegungen unb Stimmungen auf. Sl^it
Vinxzä)t l^at äioor bie beutfd^e ^l^ilofop^ie ein eigenes ©efül^lgoermögen angenommen,
htm bie ©emütdbetoegungen eigen tt)aren. ©ie ftnb oielmel^r einfad^ bie bereinigte
Sl^ötigleit beg l^öl^ern unb bed finnlid^en ©trebeoermbgend , bie burcl^ bie oorauS»
gel^enbe geiftige unb finnlid^e SrIenntniS t>on einem geiftig^finnlid^en ©ute ober beffen
©egenteil (©d^önl^eit unb ^ä^Iid^feit mit einbegriffen) angeregt toirb.
9^ 3n ber ^Peti! öon ber @emüt§betoegung QuSjugcl^en, ift, toie
^anSlicf ganj tid^tig jagt, unt^unlid^, tocil fo bie ©runblogc ber tt)iffcn=
fd&aftlid&en Erörterung eine ju unbcfonnte nnb fd^monfenbe mürbe. SQBirb
man ober nid^t bon ben Q^ormelementen l^öl^er auffieigen bürfen unb fo in
jenes bunflerc ©ebiet einbringen fönnen? SBirb man ni(]&t bie allgemeine
33cbeutung ber 2Ru[if für ba§ ©efü^lslcben , bie oufeer 3tt)eifel fielet, bei
ber Seft)re(i^ung bon SBefen unb 2ßit!ung ber 5D?u[if betüdEftd&tigcn muffen ?
3ft praftifd^ bie 3lü(ffi(j&t auf ben ©timmungSgel^alt ber SKuftf fo gleid^=
gültig, bafe ein red^ter Srauermarfd^ aud^ jur 'S^itx eines ©iegeS öermenbbar
wäre? SDie ©d^toärmerei ber ©efül^ßöft^etifer mixt butd& bie 5Rüdötern^cit
ber tJormaliften fd^Ied^t befömpft; auf biefem SBege fönnte man aud& bie
bilbenbe ßunft in fd^önc fjormcn, man fage immcrl^in „gcifterfüDte", b. I^.
nid&t arabeSfenö^nlid^ ft)iclenbc gformcn, auflöfen, unb fd^Iiefelid^ bcrficic
audö bie ^oefie nod^ bem ?JormaIiSmuS , fo ba^ nur bie S^rm, b. ^, bie
„geijier füllte" gorm im ^anSlidtfd^en ©inne, fie bon ber ^rofa unterfd^iebe.
10^ S)od& auf jenen geifligen Snl^alt, ben aud^ bie gormaliften bcr=
langen, muffen mir ctmaS genauer eingeben. 2)ic 6mt)finbung, bon meld^cr
bie ©cfül^föäfll^etifer manii&mal ju be^aut)ten fd^einen, ba^ auf fie allein bie
5Jiufi! abjielc, fo bafe biefe im ©runbe nur bie „©ebärbe beS »ffefteS"
märe, fe^t bod^ notmenbig eine grfenntnis ber fd^önen ßunftform borauS;
benn ber ©d^ön^eitSgenu^ ift für unS immer junäd&ji eine greube an ber
fmnKd^ gefälligen ©rfd^einung. 2)ie ganje ©umme ber 3Komente alfo,
meldte bie t)]^9ftfaIifd^=t)^5fiorogifd&en Unterfud&ungen bon ^Am^ol^ als bem
©e^örfinne fd^meid^elnb miffenfd^aftUd& nad^gemiefen l^aben, mirb bem Kenner
ein ©egenftanb geiftigen ©enuffeS, inbem er bie munberboHfte ®efe§mä^ig=
!eit in ben ©rfd^etnungen mal^mimmt. 2)iefe Sefriebigung ift aber aud^
für ben uncingemeil^ten ^'6xtx nid^t ganj berloren. Dbfd^on er nid^t mit
ftlarl^eit in bie ©e^eimniffe ber 9latur ju blirfen bermag, fo ^at er bod^
irgenb eine allgemeine ginfid^t in bie ^axmonk ber Sonmelt inner=
8 Srfted Siapiitl
l^alb t^rcr felbft unb mit bcr jur Slufno^me ber 2önc cingerid^tetcn 9latur
be§ 9Jlcnfdöcn. @r Ql^nt etma§ öon bct SBciS^cit, ble im ebeljicn ©cnujfe
bcS ©inneö orbnenb maltet, unb fül^It ft^ in bicfcr Stimmung ü6cr bic
^llltöglid^felt emt)orge!^obcn. 2)ic bunflc Slflgemcin^eit in ber SBo^rnel^mung
bcr SSejiel^ungen l^ebt bie geifiige Sirfung nid&t auf. 2)er angenehme @e=
l^i)rSeinbrucf ^at ja bod^ bic ^^antafic unb bicfe ba§ gciftigc SScmu^tfein
in angemcffenC; mo^Itl^uenbc X^ötigfeit bcrfc^t. 3n unjöl^Iigen anbcrn
tJöHcn i[t ber (Senu^ beS ©d^önen mefcntlid^ eine fold^c finnlid&=geijiige
greube an ber Übercinftimmung beS [innlid& 5Ißol^rgenommencn mit bcm
©inneSorganc fclbcr, unb menn jcneg Seife l^at, aud6 an bcr fa[t unbemu^t
erfo^ten ßinl^eitlid^Ieit be§ erl^altenen ßinbrucfeS. 9Kan beute an bic ©(j&ön=
l^cit be§ StbenbpemeS , be§ SßiefcngrünS , ber 9lofcnbIütc. S)o§ Jicr bleibt
fold^en ßrfd^einungen gegenüber, meil |te bcr [innlid^cn Segierbe feine 9ial^rung
bieten, gleichgültig ; ber ©inn bc§ OJlcnfd&en l^ingegcn [teilt [id^ fofort in bj^n
2)ien[t ber Vernunft, unb bie greube beö ©inneS mirb jur g^reube be§
©elftes er^ö^t.
11, ©emiffe 9Jlomente ber 9!Kufif treten aber öiel beftimmter in§ S9e=
muptfein aud6 beö Saien. ©al^in gehört bor allem ber SR^^t^muS; jcber
|)örer bernimmt i^n beutlidö unb freut fid^ beSfelbcn. 6§ ifi aber ber
@eift unb biefer allein, meld&er ben 9l^^tl^mu§ in feinem georbneten 3Serlauf
unb in feiner ßinl^eit auffaßt. 9lun bebenfe man, toie grofe bie Sebeutung
be§ 9t^t)t]^mu§ in einer ^unft ift, meldte ber gormalift ßngel gerabeju al§
„vernünftig geglieberte 3^^^" bcfiniert. 3)en Slnteil be§ ©eifteS an bcr 2luf=
faffung be§ SRI^^tl^muS bcjeid&net berfelbe ganj rid^tig als „bie Surd^bringung
beS blofe finnlid^en ßlementS bcS hörbaren mit bcm rein gciftigen Srieb,
ba§ 5ülannigfaltigc cinl^citlidl) ju begreifen". 3ift nun aud& mand^eS, maS
man auf ben 9l^^t^mu§ jurürffü^ren fann, nid&t fo unmittelbar ma^r=
june^^men, fo bleibt bod^ immer nod6 jene inftinftiöe 9luffaffung, j. S. bcr
rl^tit^mifd^en @ntft)red^ung Don ©ä^en unb ^erioben ber Snftrumentalmufif,
red^t mol^l möglid^. St^nlid^eS läfet fid^ bon 50lelobie unb ^ormonic, 3:on=
flörfe unb SEonfd^toäd^e , 9ln}pannung unb Scrul^igung, Sonart unb 3:on=
gefd&led&t, Klangfarbe unb ben fonftigen ßigenarten bcr ©timmen ober
3nftrumentc fagen; in allem bcm erfennt jeber mit mel^r ober toeniger
Seftimmtl^eit einen öft^etifdöen 2ßert ber ?Jormen, meldte in angemeffener
2lbmed^§lung ober Sßerbinbung ba» georbnete Scben beS SonmerfeS bcm
3Serftänbni§ näl^cr bringen. 3Kit bcm Slnl^ören ber 5ülufit bcr^ölt eS fid^
äl^nlid^ lüie mit bcr Setrad^tung eines ©emölbeS: aud^ ein Ungeübter er=
^ftlt berfd^iebene ganj rid^tige ßinbrürfe, bic er teitoeife in beftimmten
SBorten auSfpred&cn , teilmeife aber nur allgemein anbcuten fann. 2)iefeS
inftinftmäfeige ©cfül^l für baS ©d^önc ift aCerbingS nid&t immer jubcr=
läffig, aber barum bod^ ebenfomenig toie bie Statur felbft, in beren an=
Ellgemetner ^fiaxatUx ber SOluft! na^ gform unb ^uSbrud. 9
gebotener Äunftanlage eS begrünbet i[t, Don öornl^ereln ber Unrid^tig»
fett ju jei^en.
12. Ungleid^ öollfommener erlennt ber 2Rufifer bie SSorjüge ber
Sorm. 6r ^at [id& ja mit ber gonjen %eä^nxt ber gorm tiertraut mad^en
muffen unb fann öon i^r tro§ aller Übung unb aller Slufmerffamfeit auf
l^öl^ere 3*^1^ ^^^ S^nj abfeilen. 3n ber S^at ift er meiften§ am tüenigften
geneigt, fid^ ben reinen gormgenu^ burd^ obftraftere SRüdft^ten öerfümmern
ju laffen. S^^^^ ^^^ Snftrumentalfompofitionen bilbet bie gfolgerici^tigteit
ber tl^ematifd^en 9lrbeit einen ^auptgegenftanb feineä 3ntereffe§ tüie feiner
99emül^ungen. SBorauf ad^tet er beim Sefen öon ^Partituren junäd&ft, tt)enn
nid&t auf ben Sortfd^ritt ber 2ReIobie, bie 9lngemeffen^eit ber Harmonie unb
ben ®ong be§ 9t^t)tl^mu§? 2ßie beurteilt er eine ©onatc ober ©timpl^onie,
tt)enn nid^t auf ©runblage il^reS formellen Saue§?
Sl&m finb bie mufifolifd^en ^formen aud^ burd&auS nid^t blo^ afuftifdfi
rid&tige unb ft)mmetrifd^ geregelte Sonöerbinbungen, nid^t blo^ Äunftarabeöfen
o^ne tiefere Sebeutung; er fül^It fie afö aii§> bem ©eifte be§ 50leifter§ ent=
fprungenc unb bon bemfelben ©eifte erfüllte formen. @ine fd^einbar tabel=
lofc ©onate eine§ Dilettanten lö^t i^n falt, toeil er barin nur ba§ ©erippe
ber gorm ol^ne belebenbe ©ecle erfennt. 2)ie redete gorm l^at immer ettooS
^adEenbes, aud^ ol^ne bafe man biefe§ iebeömal in ber SBortfprad^e au§=
jubrüdten Dermag; bie ©pielform l^ingegen giebt fid^ mel^r ober minber
beutlid^ felbft ju erfennen. SBer unterfd^iebe nid^t „SRouIaben", ;,Siorituren"
unb „JJoIoraturen" be§ ©efangeS unb infirumental au§gefül^rte „^paffagen"
ebenfo leidet öon ber SJlelobie toie bie ard^iteftonifd^en Ornamente t)on ben
©runbformen eine§ S5autoerIe§? ®er Unterfd^ieb lö$t [\ä) tüiffeufd^aftlid^
titoa fo beftimmen: 2Ba§ ol^ne toefentlid^en ©d&aben für ba§ ©anje fehlen
lann, ift leere ©pielform, bie eine felbftänbige Sebeutung nid^t beanfprud^t.
ßbcnfo fönnen nun in einem mittelmö^igen SBerte ber Sunft aud^ größere
3:eile ju leeren formen toerben, toenn fie, mie j. S. ©öufen, bie nid&t§ tragen,
leinen redeten, bollen @inn :^aben. 9?id^t o^ne ©runb unterfd&eibet alfo
|)an§IidE in ber gorm felbft bie öu^ere Slrd^iteftoni! ber Derbunbenen 6injet=
töne unb ®x\xpptn, au§ metd&en ba§ Xonftüdf beftel^t — nennen mir e§
ba§ ®erit)t)e — unb bie ju fold^er 9lrd&iteftonif verarbeiteten „Sl^emen",
auf beren mufifalifd&e ffraft unb grud^tbarfeit alleS anfommt — fagen
toir 3narf unb Seben. 2lud& ^. 21. ^öftlin barf ba^er ate gormalift t)on
einer „©ecle" ber SKufif reben, bie im „SKotiö", b. 5. im erften in^alt=
erfüllten Songebilbe, am beutlid&ften , bod^ aud^ in 9lu§fü^rung, @a^-
gefüge u. f. m. erfennbar ju 2:age trete.
13. S)er miffenfd&aftlid^e ffenner ber SJlufif toirb aufeerbem nod&
in ben ©runbelementen , meldte ber t)raftifd&c 3Jlufifer al§ gegeben t)orau§=
fe^t, in Son, ßlang, SKforb, geiter u. bgl ©toff ju äft^ctifd&em Sorm=
10 Srficd StopM.
gcnufe cntbeden; er toirb bic t)l^^fifd&c unb t)]^5fioIogifd&c ©tunblagc lon=
pruiercn, auf bcr pd^ bic 9lf lotbf olgc , SWobuIation , ©timmfül^rung, lurj,
alles baS crft erbaut, \üa§> für ben auSübcnben SWupfer getoö^nfid^ bic
©d&ön^eit ber 3:onfunft auSmad&t.
14^ @§ iji ntd^t ju öerfenncn, ba^ bei aller totffenfd^aftlid&en aSerticfung
ber SJlujitlcnntniö, alfo aud^ auf aUtn genannten ©tufen einer Haren 6in=
fid&t in ben SBert ber formen, bod^ bie juerft ermähnte bunflere Sl^nung
beSfelben nebenl^erläuft unb i^r Sled&t bel^auptet. 35enn ber ©inn ber 2on=
fprad^e lä^t fid^ niemals ol^ne 9le[t in bie SBortfprad&e übcrfe^en. @» gilt
anä) üon ber fjotm ber Xonfunji, ba$ mir einiges rafd&er empfinben als
begreifen. 2Rit anbem J?ünften ift eS öl^nlid^ bemanbt : bie ©d^önl^cit eines
gefälligen ©tileS }. 8. fann feine ©tiliftif auSerflören, bie t?ormtt)irfung
eines guten (Sebid&teS mirb feine SJletrif ganj entfd&Ieiern. 2)aS bollfontmcne
ßunftöerftänbniS öerbinbet unb öcrfd^meljt alfo bie SBerftanbeSeinfid^t in bic
93ebeutung ber formen unb beS 3n^aIteS mit ber natürlid&en, burd& Übung
geläuterten ©mpfinbung bon jenem mertöoHen 3leftc ber ilunftleiftung , ber
fid& ber begrifflid^en @rfenntniS cntjiel^t.
15^ @6en barum aber füllten bie gormaliften il^rerfeitS ben ®efü^lS=
inl^alt, meldten i^re ©egner in ber 3Wuftf finben, nidfet aus bem ©runbe tt)eg=
leugnen, meil baS ©efü^I oft in red^t bunfler ©prad^e rebet. 3ft ttid^t aud^
in ben Sü^en beS 9lngefid^teS unb in ben för|)erlid&en ®c6ärben neben
öielem Scutlid&en mand&eS SKißbcrftänblid^e ober Sßielbeutige , baS bennod^
für ben ßinbrurf nid^t berloren gel^t? ©o behält benn felbft @b. ü. ^art=
mannS SQBort eine gemiffc Sered^tigung , menn er bie Bpxaä^t ber SJZufif
gerabegu mit ber ©prad^e beS magnetifd^en 2:raumjuftanbeS öergleid^t, in
meld^er fid^ bie SRid^tigfeit bcS Snl^alteS o^ne flareS Semufetfein beS ©t)red&enben
finbe. S9ei ber 50luftf fe^Ie biefeS flare Setou^tfein, fügt er l^inju, aud& bem
§örer. ^artmann giebt aber biel ju menig }u, menn er als SBirfung ber
2Rufif nur ein bel^arrenbeS, unertlärlid^eS ©timmungSfoIorit anerfennen toill,
mie menn einige farbige Sid^ter auS bem unbemußten SSerftänbniS bcr 2:on=
fprad^c ins mad&e S9ett)ufetfein l^inüberjittcrten. 9lbgcfe^en öon bcr bcutlid&cn
ßrfaffung ber meiflen Sormcfcmente , barf aud^ ber ginbrudf beS ®cfü^ls=
inbalteS nid^t fd^Ied&tl^in unbeftimmt unb unbeftimmbar genannt werben.
2ßir l^aben biefc 3fi^age je^t ettoaS cingel^enbcr gu . befprcd&en.
16. 6in Slcquiem lä^t einen ganj anbem ßinbrud jurüdf als eine Dfter=
meffe, unb ber Unterfd^ieb ift aud^ unfd&tücr in SÖßorten auSjuft)red^en. 2)ie
Samentationen fd^eiben fid^, aud^ o^ne bic 9lad&]^ilfe beS 2:ejtcS, fd^arf genug
bon bem Exsultet beS ÄarjamStageS ab. 3wbcm mirb eine ©mpfinbung, bic
fidö nid&t in ber 2öortft)rad^c auSbrüdten, ja nid^t einmal in Segriffc f äffen
lä^t, mit Unredfet eine unbemußte genannt.
Slttgcincincr (Sl^arottcr bcr 9Jlufif nacl^ JJform unb 5(uSbrurf. H
S)cr bcgriffitd&cn Sejiimnttl^eit ber 2Bortft)rad&e mürbe tnon rid^tiger
bic obftrafterc 9ingcmcinl^cit ber Zon^pxaä^^ gegenübcrfteHen. Slbftrafter
toirb eine Scjeid&nung in bem ©robe, lüie [ie [id& öon bcr auSfd&Ite^Hd&en
Scjiel^ung auf bQ§ ©injelbing jur umfajfenben Slnmenbung auf Diele S)inge
öermanbter 9latur ergebt. S)er ©d^Jn^i^ä i^^S Sbfd^iebeä ber ©attin bei ber
Trennung bon bem ©atten tft fel^r genau beflimmt; „2lbfdöieb§fd&merj"
überhaupt ifi eine Sejeid^nung , bie auf Diele ä^nlid^e gälle )pa^t, unb
„©d^merj" fd^Ied^tl^in ift ganj umfaffenb. S)ie 2Rufif fann nur ben ©d^merj
im allgemeinen unmifeDerftänblid^ au§brü(fen ; i^r fommt alfo eine abfiraltere
Slllgemeinl^eit ber Sejeid^nung ju. Sl^re SfuSbrudStüeife braud&t aber barum
nid^t unbefiimmt ju fein, lüenn fte aud^ bie begripd^e 39eflimmt^eit be§
2Borte§ ,,@dömerj" (im SSergleid^ mit „2Be^mut", „Kummer", ,,2:rübfinn"
u. f. tt).) nid^t erreid^t. Unter Umpönben fommt mon allerbingS über
eine unfid&ere SSielbeutigfeit gor ni^t l^inauS, folange ni^t ein %tiA ober
öufeere 39ejiel^ungen ben ©inn ber 2Rufif für ba§ begrifflid^e ©rfennen enger
umgrenjen. 9Iber felbft bann, menn bie 9lntt)enbung auf fe^r Derf(3^icbene
Sterte juläffig märe — ein ^unft, auf ben bie Q^ormaliften fo großes @e=
mid^t legen — , barf nid^t fofort gefd^Ioffen merben, bafe bie 5D?ufif in Sejug
auf ben ©efü^lsinl^alt eigentlid^ unbepimmt unb d^arafterloä fei. S)enn
mie ein ©attungSbegriff in ber ©prad^c (etma „Iebenbe§ SBe[en") fel^r Der=
fd^iebene 2lrtbegriffe („2Renfd&", freier") unter ftd& l^at, fo fann bie 2Rufif,
inbem fie eine @emüt§bemegung nur in generifd&er Slllgemein^eit jum 2lu§=
brudfe bringt, bie gfä^igfeit beljalten, fe^r Derfd^iebene %e%k angemeffen jU
begleiten. Sei ben meiften Siebcm mirb mirfli^ biefelbe 3WeIobie bei in=
l^altlidö Derfd^iebenen ©txop^tn mieber^olt, brandet barum aber nid^t o^ne
aßen 2lu§brurf ju fein ; e§ ift ©aä^t be§ ilomt)oniften, bie allgemeine ®runb=
jiimmung be§ ganjen Siebes in ber SJlelobie auSjubrüdfen (man benfe j. 39.
an bie ,,8oreIei"). 2)ic einfad&e Unterfd^eibung jmifd^en fonfretem unb an=
gemeinem (ft)ecififd6em unb generifd^em) @mt)finbung§au§brude fönntc über
mand&e ©d^mierigfeitcn ^inmegl^elfen.
17» S)amit fei iebod& nid&t in 9lbrebe gefteHt, ba^ e§ oft fd^mierig ift,
über ben 2lu§brudE ber TOufif flare 9led&enfd&aft jU geben; Diel leid&ter ift
e§, i^n rid&tig, menn aud^ bunfel, ju emt)finben; ja bei ber 3nftrumental=
mufif mufe jeber 95erfud& einer genauen fprad^Iid^en Umgrenjung be§ @m=
t)finbungSge]^aIte§ fd^eitern. SSielfad^ ift e§ eben bie ©prad^c, meldte bei
ber SBiebergabe ber ©d^attirungen bc§ ®cfü^I§ Derfagt, meil fie bie innern
Stimmungen faft nur burd^ 5Rennung il^reä ®egenftanbc§, nid^t aber burd^
©arfteHung il^reS SemegungSd^arafterS fennjeid^net. 2luS ber Unau^fpred^barr
feit be§ 5Diuftfgc^aftc§ folgt alfo feine§mcg§ bie objeftiDe Unbeftimmt^eit
beäfelben. 6in anbereS 2KaI finbet übereilte, fubjeftiDe Unterfd^iebung einer
gmpfinbung ftatt, bie mit ber objeftiD auSgebrürften nur eine gemiffe ^]&n=
12 erftcd Äopitcl.
lid^feit ^Qt. 2lm tneiften 9lnlafe ju SKifeöcrftänbniS unb 3rrtum bietet cnblid^
ba§ aSorurtcU, bo^ bic 2Ru[if an unb für [id^ unb unmittclbor ben ®egen=
ftanb ber ©emütsbemegung, ftatt btefe oHein unb ollgemein, auSbrüden ntüffe.
9Kan fül^It, um nod^ einmal an obigcS Seifpiel ju erinnern, auS ber 5D?ufif
©d^merj unb Srauer beutlid^ ^erouS, fpri(j&t aber fofort t)on 9lbf^iebSfd^merj,
Ja Dom 3lbfd&ieb§fd&merj einer ©attin. Slber bie nähere 33eftimmung ber S5cr=
ankffung be§ ©ci^merjc^ miß unb !ann bie SKufil, bie nid^ts al§> l^örbare
SSetüegung i[t, nid&t geben. ®er 5Kufifer mag fid^ nod^ fo tief in bie ob=
jeftiDen Urfad&en be§ ©d^mergeS, ben er au^brüdtt, Derfenft l^aben: ba§
2)ar[tellung§mittcf feiner ilunft mirb öerfagen, folange e§ fid& um unjmei=
beutigen 9lu§brudE l^anbelt. SInbeutungen , tt)ie ba§ 9KitteI ber 3:öne fie
julä^t, g. S. bialogifiertc SBed^felflage in öerfd^iebener Sonl^öl^c unb 2:on=
ftörfe jum 51u§brudEe be§ 9lbfd^ieb§fd&merje§ Don ©attin unb ©atten, reid^en
jur öoßen Seutlid&feit nid^t au§. Sei ber SarfteKung Don 33orfteßung§=
objeften ftatt ©efü^ßbemegungen unb bei ber genauem ß^arafteriftif f)an=
beinber ^erfonen mufe fid& bal^er bie fogen. et)ifd&e ober bramatifd&e SKufif
an anbere ßünfte unb ffunftmittel (^oefie, 50limil, 9JfaIerei u. f. tn.) an=
lehnen. ®iefe SBed^fel^ilfe ber fünfte ift eine befannte St^atfad^e unb getoiB
nid^t Dertoerflid^. 3lßein fie bemeifl feineSmegS nur bie na^e aSertoanbtfd&aft
mel^rerer fi'ünfte untereinanber , fonbern ebenfofe^r bie SSebürftigfeit aßer
einjelnen. ©e^t ber 9D?aIer eine Unterfd^rift unter fein SBerl, bebient er
fidf) getüiffer ©t)mboIe (j. S. be§ ^cifigenfd^eineS) ober toä^ft er mit gleiß
fold&e ©egenftänbe, meldte bereits burd^ eine SDarfteßung in ber SBortjprad^e
genauer belannt finb (j. 35. bie ©efd^id^te be§ Derlorenen ©o^ne§ al§ 33or=
tourf JU einer SReil^e Don Silbern), fo l^offt er, bafe bcm UnDermögen be§
pnfel§ burdf) äußere SÖiittel, bie nid^t im Sereid^e feiner Äunft liegen, nadö=
gel^olfen toerbe. Überfd^riften über 3nftrumentaIIiebern , erläuternbe 5pro=
gramme, ja ber 9lnfd^Iu^ an t)oetifd^e SEejte felbft finb nid^t minber ein
3eugni§ bafür, bafe aud^ bic üKufif nid^t aBe§ barfteßt. ®efü^l§ftimmung
(S^rif ber 6mt)finbung) al^mt fie unmittelbar in Derroanbten Sonbetoegungen
nad^; jur beftimmten SSorfteßung Don 9lnfd^auung§objeften aber muffen bie
©prad^e, bie 9JlaIerei u. f. m. ergöngenb eintreten, unb too e§ fidf) um
SDarfteßung menfd^Iidf)er ^anblungen unb ßl^arattere ^anbelt, fielet i^r au§
fid& felber too^I ein Saßen unb ©tammeln, aber fein Derftänblid^er 9lu§brudf
}u ©ebote.
18^ 2Ba§ aber bie 3Kufif in i^rer aSereinjelung nid^t Dermag, ba§
leiftet aud^ in ber Serbinbung mit ber ^oefie u. f. m. im ©runbe nid^t
fie felbft, fonbern bie l^elfenbe ilunft. Einen toefentlid^en Unterfd^ieb gmifd^en
33ofaI= unb 3nfti^umentalmufif barf man alfo unter biefem ©efid^t§t)untte
nid^t mad^en. 9lid^t glüdlid^ ift bemnad^ 6ngel§ Serfud^, ba§ „SBefen"
ber 5Diufif in bie 3^orm ju fe^en unb bann ber Sofalmufif einen t)oetifd&en
Slttgcmeiner ©l^orofter bcr aJluflf m^ fjorm unb Sludbrurf. 13
©c^alt, al§ i^r toirfiid^ eigen unb jugel^örig, retten ju woHen. (SetoiB, bic
3Kufif l^at einen Snl^olt, aber ber öon bem Sejt erborgte ift nid^t il^r eigener,
e6en mit er ber SQ8ortft)rad^e angel^ört unb SluSbrurf objeftiöer SSorfteßungen,
fid^tbarer |)anblungen ober logifd^er Segriffe iji. liefen 3nl^alt begeid^net
fie nur fe^r unöoIHommen ober öielme^r gar nid^t. 3n ber %on\pxaä^t
bogegen, b. 1^. im SluSbrudfe ber ®emüt§jiimmungen burd^ fd^öne (aud^ an
fid^ äpetifd^ mertöolle) Xonformen, aber aud^ nur in biefer ©Jjrad^e, rebet
bie SRufif ganj berftänblid^ unb toirb aud^ öon feiner anbern ßunft an
©eutlid^feit übertroffen. 3infofern bürfen wir 9KenbelSfol^n glauben, toenn
er fd^reibt: „S)ie Seute beflagen fid^ gewö^nlid^, bie 5Kufif fei fo öielbeutig;
t§f fei fo jweifell^af t , tt)a§ fie fid^ babei ju benfen l^ötten, unb bie SBorte
[bcr ©t>rad&e] öerftänbe bod^ ein ieber. 9Kir gel^t e§ aber gerabe um=
gefeiert. Unb nid^t btop mit ganjen Sieben, aud^ mit einjdnen SBorten:
aud& bie fd^einen mir fo öielbeutig, fo unbeftimmt, fo mifeöerftänblid^ im
aSergleid^ ju einer redeten 5Kufif, bie einem bie ©eele erfüllt mit taufenb
beffern Singen al§ mit SBorten. S)a§ tt)aS mir eine 5Kuft{ au§fprid^t, bie
id^ liebe, finb mir »©ebanfen , nid^t ju unbeftimmt, um fie in SBorte ju
faffen, fonbern ju beftimmt. ©o finbe id& in allen SSerfud^en, biefe ©ebanfen
auSjufpred^en , ettt)a§ 9iid^tige§, aber aud^ in allen etmaS UngenügenbeS.
S)a§ ift bie ©d^ulb ber Söorte, bie eS nid^t beffer fönnen."
3JJenbetefo^n§ 9luSft)rud& berül^rt fel^r nal^e baS SBefen unb bie 6igen=
art ber 2:on!unft, unb nel^men tt)ir bie obigen Erörterungen l^inju, fo finb
tt)ir nunmel^r im ftanbe, Kl^arafter, 3lugbrudE unb 3^orm biefer ffunfl in
wenigen fünften überfd&aulid^ ju fennjeid&nen. S)ie ©d&wierigfeit be§ ®egen=
ftanbc§ toirb burd& eine SBieberl^oIung be^ ©efagten in anberer gorm öoHenb^
übertounben werben.
19» S)ie 5)Jufif l^at fotool^I eine formale al§ eine ibeale ©d&önl^eit unb
befriebigt burd^ beibe ©inn unb (Seift be§ aKenfd^en ä^^gleid^. S)er 5Ka=
terialiömuS, wetd^er tl^eoretifdö ober praftifd^ ben 9lnteil beS vernünftigen
©eifteö auSfd^Iie^t, fprid^t il^r bamit ben eigentlid^en ßunftd^arafter ab.
3lber aud& ber übertriebene 3beali§mu§, weld^er bie gormwirfung ju t)er=
fennen fd^eint, ift einfettig. S)er neuere 3^ormaIi§mu§ eines |)an§lidE unb
anberer erflärt ben ^r(i)alt ber 5Kufif nur unboHftänbig.
20* S)ie Sform, foweit fie überhaupt äft^etifd^ in Setrad^t fommt, ift
nid^t bie ©d^aübewegung , rein pi^tififd^ genommen, infofern fie burd& 2uft=
ftöfee bie 5Reröcn erregt unb erfd&üttert; aud& nid&t ber mufüalifd^e ff lang,
nur t)]^^fioIogifd& gefaxt, in feiner Sejiel^ung nömlid^ ju ber finnlid^en
SBa^rne^mung unb al§ ©egenftanb finnlid^en SBol^Igef aHenS , fonbern ber
2on unb ba§ Songewebe rüdEfid&tlid^ ber barin erfennbaren ©efe^Iid&feit
14 @rfted StapM.
unb beä ©elftes, ber i^r fein ®et)räge aufgebtüdft l^ot. 3)ie geiftige ^^9fio=
gnomie, mli^t ber Drbnung erft ben öoHen SBert öerleil^t, tüirb öon ben
Sormaliften mit Sleti^t ber Snl^Qlt, bic ©eele ber i^oxm genannt; bie nte=
d&anifti&e SRegelmäfeigfeit bagegen ^ei^t ber Sibxptx berfclben, o6f<i&on aud^
fie Don einem pnnlid&en SSermögen aDein ((Sel^ör, ^^antofie, finnliti^er 6m=
pfinbung) nid&t eigentlid^ äfH^^tifd^ aufgefaßt tocrben fann.
2t 3)er Stnteil beä ©eifteS an ber gormfd&ön^cit ber 3»ufif lann
ganj allgemeiner 5latur fein unb ftd^ nur auf baS redete SSerl^öItniS fiejielöen,
in mläjtm bie 2:ontt)ett im ganjen burd& il^rc ©eje^mäfeigfeit ju ©inn
unb ©cift beä 5Kenf(i&en unb beren ebenfo gefe^möfeiger innerer Sefd&affenl^eit
fte^t. grfenntniS unb ©enup ber geiftigen Vermögen bleiben ^ier in ber
SBal^rnel^mung unb greube be§ ©inneS unb ber ^l^antafie nod& ganj ein=
gel^üßt ; äl^nlid^ ift e§ j. S. beim erften Slnbtirf eineS SRofenbeeteS ober eines
blül^enben DbftgartenS. S)a& aber aud^ ber (Seift babei nid&t untl^ätig ift,
erlennt mon barauS, bafe baS Sier für eine fold^e Setrad&tung unb 3^reubc
fein Sntereffe jeigt, folange nid^t bie Segierbe i^re 9ied&nung finbet, bafe
im 5Kenfd&en bagegen felbft bie finnlid^e 5Ratur ju einer über bie rol^e Se=
gierbe erl^abenen Sefd^äftigung burd^ bie fieitung ber l^öl^ern 5lotur beföl^igt
tt)irb. S)iefer fnof^jenäl^nlid^ ^alb erfd^Ioffene ©d^önl^eitggenu^ bewirft jene
oft gerül^mte allgemeine Seru^igung, Sercbelung unb SSerflörung ber ©tim=
mung, toeld^e öon ber genauem 2luffaffung beS jd&önen ©egenftanbeS ober
be§ Jfunfttt)erle§ unb feiner eigenartigen Sebeutung unabhängig ift (tat^at-
tifd^e, b. 1^. läuternbe ßraft ber Jlunft in il^rer gattungsmäßigen 3in=
gemein^eit).
S)en tiefften ®runb für btcfe ©rfd^einung biirfen toir bartn finben, baft, tote
atte toaf^xt Äunft, fo aud& bie ajlufil ben motertetten ©toff burd& bie fjorm umgrcnat
unb burd& bie 5lrt ber Umgrenjung in bie (S|)]^äre geiftiger Orbnung rüdft, ä^nlid^
tote bie UmriSaeid&nung ben fRaum au einer l^öl^ern SBebeutung erl^eBt. @S mu6
übrigens bead^tet toerben, bofe bie genannte SDßirfung fd^on burd& ben äöol^Iflang ber
©injeltöne eraicit toirb, obtool^I bieje fid^ jeber nid^t gana tt)ifjcnjd&aftlid6ß« SJctro^'
tung als ©inl^eit, nid^t alö georbnete Jöiell^eit barftettt; benn toir beft^en in unferer
georbneten Statur einen natürlid^en ajlaftftab für bie öcrftanbeömäfeig nod& nid^t
begriffene, aber toirflid^ öorl^aubene Drbnung. @nblid^ nimmt bie formale (Sd&önl^cit
im 2;onn)erI einen öiel breitern Slaum ein aU g. )ö. in ber ^ocfle unb befi^t fogar
eine öiel größere (Sclbftänbigfeit aU in ben bilbenben fünften.
22. 6ine beutlid^ere ginfid^t in bie Drbnung ber SKufilformen erfd^Iießt
fid& bem ffenner. 6r berftel^t bie formalen Elemente feiner Sunft unb beren
mannigfaltige Serbinbungcn : Saft, Stempo, ^ö^e unb Stiefe, flonfonanj
unb S)iffonanj, Stongefd&Ied^t unb 5KobuIation, Harmonie unb ©timmen=
fül^rung, SKotiöentmidlung unb 2lrd&iteftonif, furj, aöe Kriterien, nad^ benen
ber formale SBcrt fleiner unb großer Sofat unb 3nftrumentaIftüdEe beurteilt
tt)irb. Dl^ne StDt\\tl wog biefe Setrad^tungStoeife einfeitig bor in ber erften
sittgemeiner df^axattti bcr aJlufif nad^ Sform unb SluSbrurf. 15
@nttt)i(flun9St>criobc ber 5Ku[tf als ftunft, unb öot aUetn in jener 3^it
al§ ttion mit ber SluSbilbung ber l^armonifd^en SKufif unb mit ber fo
fd&mierigen 2lrd&iteftonif bcS t)oIt|})^onen aKcIobiegetücbeS befd&äftigt mar.
S)ie äufeerc gformfd&önl^eit nal^m xoofjH bamalS bie Slufmerffamfeit be§ 3Kuftf=
freunbeS boHauf in 3tnft)rud&. 3)ic Xontoelt fd^eint für bie genannte Sluf=
foffung in einem tounberboHen ffolciboffot) ftr^ftaH an Är^ftaH, ©ebilbe
an ©ebilbe ju reiben, fie immer mieber ju trennen unb aufjulöfen unb
aber- unb abermal bon neuem juf ammenjufügen , nur bap !^ier nid^t ber
blinbe Qn^aU, fonbern fün[tleri)(^e Sered^nung waltet. 2)er Stl^eoretifer ber
SDlufif üertolgt benjelben SQSeg bis jur berftanbeSmäfeigen S)urd&fd&auung ber
5Kufifetemente felbft, momit er niii^t me!^r bem 3^^*^ ^^^ ^^"ft i^i^"*/
fonbern lebiglid^ bem SSebürfniffe ber SBijfenfd^aft genügt.
23. 2)ie matl^ematifti^e ©enauigfeit ber Stonberbinbungen bilbet inbeS
nur ben Siöxpzx ber gorm. 2lber wie eine forrefte Umri^jeid^nung einen
fe^r üerfti^iebenen ß^arafter l^at, je nad^bem fie bon einem 5Dleifter ober bon
einem ©d&üler angefertigt worben ift, fo fd^wierig bießeid^t aud^ l^ie unb
ba bie genaue Eingabe beS Unterfd^iebeS fein mag : |o giebt eS aud^ in ber
SRuftf eine geifterfüHte unb eine geifttofe fjorm. 3n ber 3^i^nung beS
2lnfängerS tabelt man etma bie ^ärte ber 2inien, bie 9lu§brudfSloftgfeit,
bie ©teifl^eit ber |)altung, bie übertriebene Symmetrie, baS 9D?anierierte, baS
Sl^eatralifd^e : alles gel^ler, weld&e bei boHfommener anatomifd^er 3tid^tigfeit
ber gorm möglid^ finb. Sbenfo mag eS, tro^ aller SRid^tigleit ber 2:on=
öerbinbungen , einem SJJufifftürf an toirftid^ bebeutfamen Sl^emen ober 9Jlo=
tiben, an fonfequenter unb reid^er 2)urd&fül^rung berfelben, an t)adenber
Sfraft ber 9JJelobie, an gefd^madEboßer 93egleitung, an 5Reu^eit ber grfinbung,
an ©d^önl^eit beS 2lufbaueS f eitlen, unb berartige geiler lann aud^ ber
Sormalift rügen, obfd&on er eine Überfe^ung bon (Sefül^Ien in bie Sonfprad^e
grunbfö^lid^ nid&t anerfennt. 6S l^at alfo aud& bie fjorm eine ©eele, bon
ber fie 6^ara!ter unb 2SBert erl^ält. SSBie an Slatt unb Stume, wenn fie
unfere befonbere Slufmerlfamfeit erregen, bie einfädle, bod^ gefäßige 6r=
fd&einung als SttuSbrudE innerer 3tt^^c!mö6igleit, bie |)armonie ber Seite als
2luSgeftaltung beS 9lrttt|puS gefaßt: fo erl^alten eine Sonreil^e, ein SonftüdE
il^ren SBert bon bem ©eifte, bcr fie gefd^affen ^at unb ber l^inter ber
Älangerfd^einung ju ftel^en fd^eint. 3)ie Eigenart ber großen 3Keifter beruht
nid&t jum wenigften auf biefer Sefeelung ber So^^nt, fo ba^ wenige aus
bem 3"fömmen]^ange geriffene ©ö^e ben Stempel beS ®eniuS tragen unb
juweilen ben fd^on aus anbern ©türfen befannten SJleifter fofort erraten
laffen. 3ebeS ©lement ber 5KufiI, bon fpielenben Srißern unb Sriolen bis
jur ©ajbitbung ber ©onate unb ju ber 3nftrumentation ber Oper, mufe
biencn, ber SKufif ß^arafter unb ^l^^fiognomie ju geben, unb jwar feineS=
Wegs burd^ feine afuftifd&e Eigenart aBein, fonbern ebenfofel^r burd^ ©teßung
16 <Srfted ^a))itel.
unb SSetl^ältniS im S^fo^^^n-^^nS ^'"^^ Steige, eines Songefd&Icd&teS ober
cine§ 9Hu[i!)9JiemS. 6ngel toeiji treffenb naä), ba^ ^elml^ol^' })]^^filalifd&=
pl^^fiologifd&e Sl^eoric, bie für Sinterballe unb 9l!forbe bie 9lbtt)e^r bcr
p]^t|fif(i^en Unluft als einzige Sebingung be§ ©efaHenS J^infteHt unb nur
für bie ^öl^eren 3^^^ ber 9Kuftf ben geiftigen @in^eit§trieb tt)ir!fam fein läfet,
nid^t ganj mit ber mufifalifd&en grfal^rung ftimmt (a. a. D. ©. 306 — 319).
6r l^ötte unfereS 6ra(i^tenS ju ber 2öfung ber intereffauten ^rage, warum
ber S)ominantfet)timen=9lt!orb eine 9luflöfung forbert, obmol^I er nid&t un=
reiner als ber SMoKbreiflang ift, auf 3wfömmen]^ang unb ©teHung als
beftimmenbe unb fd^Iie^Iid^ entfd&eibenbe ^Momente l^intoeifen bürfcn. ®cnn
bafe im allgemeinen nur ber 2:oni!a=S)reifIang ben ©d^lu^ bilben fann, l^at
feinen entfd&eibenben ©runb barin, bafe er gleid^fam ein ©pringborn ift
für bie Harmonie ber Xonart unb biefe barum naturgemäß aus fid& ]^crauS=
treibt unb tüieber in fid^ jurüdfnimmt, b. ^. 3lnfang unb 6nbe ber 3:on=
reil^e bilbet. Sie G-Xonart giebt ein ebenfo merfmürbigeS SBeifpiel bafür,
bafe ber 3"föJ"wieni^ang beS 9Kufifft|ftemS t)on entfd&eibenber SSebeutung
fein f ann ; biefelbe erl^eifii^t in unferem SJJufiff^fteme bie grofee ©eptime, in
ber mittelalterlid&cn ftird&enmufif bagegen bie Heine ©eptime. ®aS liegt
in ber 3luffaffung Don bem Sau ber fieiter begrünbet. Sei ben 2llten
wiegt baS Stetraci^orbr ober SSierton=©^ftem öor ; eS genügte, bie ©eptime f
auf ben ©runbton beS jmeiten Xetraii^orbS ber fieiter, nömlid^ als Quart
auf c' ju bejiel&cn. Sei unS entfd&eibet bie Sejiel^ung jur Dctaöe g' ; biefe
Sejiel^ung forbert ben Seitton fis'. S)ie rein biatonifd^e G-3:onart ber ©ried&en
unb beS 5)JitteIaIterS (^t|l)op^ri)gif(i^=3nijolt|bifd&) ift fomit toefentlid^ ber=
fd^ieben bon unferer fogen. G-Sonart, bie im ©runbe nur eine SranSpofition
ber C-©f ala ift.
24» 2)ie grage nad^ einem anbertoeitigen 3nl^alte ber 3Jlufif, als ber
biSl^er erörterte ift, mufe nid^t minber bejaht merben. 3)ie Söne finb t^rer
3?atur naä) geeignet, ^u^erungen ber innern ©timmung, Offenbarungen
eines 9lffefteS ju fein. Sejüglid^ ber uniüiHIürlid&en unb tüiHIürlid&en 9luS=
rufe, bejüglidö beS ßlangeS ber ©prad&Iaute in ber t)oetifd&en, ber oratorifd^en
unb jeber anbern Siebe ift eS eine jugeftanbene 3:^atfad^e. S)em mufifalifd^en
Jone barf ebenfomenig eine äl^nlid^e SSerwenbbarfeit lüie eine äl^nlid&e 9111=
gemeinl^eit ober S)unfel^eit ber Sejeid^nung abgefprod&en werben. S)er ®efü^lS=
auSbrudE l^at gwar ben gotmin^alt (um in ber ©prad^e ber gormaliften
ju reben) jur aSorauSfe|ung, jur ©runblage unb jum DffenbarungSorgane;
aber burd^ bie gorm, in unb mit bem in ber gorm waltenben ©eifte giebt
fid[) bie ©timmung funb. S)iefe %^ai\aä)t würbe im allgemeinen ju jeber
3eit t)on ben 5Kufi!t^eoreti!ern anerfannt. Sgl. in 9lnt. S)ed&et)renS'
Etudes musicales t. I ben wertboHen 2lb)d&nitt Ethologie des modes
musieaux.
^Ittgemeincr (S^araftcr ber ÜJlufi! na^ Sorm unb SluSbrurf. 17
6d^on bie alten (Briefen l^aben bte genaueften Unterfud^ungett über ba^ @t]§og,
b. 1^ bcn ©efül^IäouSbrucf ber OJlufif, anacfteöt „3Bar«m"r fragt [^fcubo» ?]«rifto«
teleg, „^dbm Oll^^tl^men unb ajlelobicn, bic burdj ©tlmmlautc öermittelt tocrben,
ä^nli^feit mit ben etl^ifd^en ©cmütiScrregungen , bagegen bte ©egcnfiönbc be8 ®e«
fc3^marfä, bic ^Jorben unb ©crüd^e nid^t? €ttoa barum, tocif fie SBctoegungen jtnb,
tt)te au(^ bte ^anblungen SSetoegungen ftnb? fflnn tft aber alle ^^öttgfeit Kui^ffu^
ber ©emütScrrcgung unb Urfad^c bcrfclben" (^robl. 19, 29). ®ie in ber SWelobie
liegenbe S3etoegung unterfd^eibet ^riftoteleS Don ber (Sinmirfung ber ©egenftänbe auf
bie übrigen ©inne. S3ei htm mufifolifd^en 3:one getoal^rten toir, |o l^eiftt eg, bie
mit ber genannten 5lnregung gugleid^ jttj offenbarenbe rl^^tl^mifd^e unb melobifdje
@nttoirflung, unb mit biefcr fei, auci^ toenn ein erflörenber 3^ejt fel^Ie, hk ©emütS«
bettiegung gegeben. 2)ie l^armonifd^e Orbnung, bad IRebeneinanber ber 2:5ne (dl^nlid^
bem 9lebeneinanber in ben bilbenben fünften) l^abe nid^t biefelbe S3ebeutung, bie
Seele in tptige Erregung ju öerfc^en (a. a. O. 27). 5tnberdtoo l^ebt er freilid^
aufeer biefer ftörfern Slnregung aud^ ben SluSbrucI einer „rul^igen" ober „|)affloen"
©timmung l^eröor, ber o^ne S^eifel fotool^I ber mufifalifd^en C^^rmonie als ben
bilbenben Äünften jugefd^rteben toerben mufe (a. a. D. 48).
3n htm oltcrn Äird^engefange lebte burd^auS bie flafflfd^e S^rabition fort, unb
fo bemül^te man fid^ 3. S^. ganj ernftlid^, ben ^^axaittx ber S^onarten nad§ i^rer
S3ebeutung für ben ©efül^Igaugbrud in SQi^orten genau au beftimmen. %H man im
SJerlaufe bed SJlittelalterS burd§ bie formelle 5ludbilbung ber Harmonie gana in Sin«
fprud^ genommen tourbe, trat bie betoufete 9lüdfiid^t auf ben ©efül^lijauöbrurf jurürf.
3)ennod§ betonen fd^on ©uibo öon Slre^go (Slnfang beS 11. Qal^rl^unbertS) unb fein
Kommentator, ba§ ber ©efang nad^ ber SBerfd^iebenl^eit beS S^ejteä einen öerfd^icbenen
6^l^ara!ter l^aben unb eine Derfd^iebene @timmung )um ^uSbrud bringen muffe.
SoSquin (t 1521) ift befannt toegen feiner Slnfid^t, bofe bie 3Jlufi! nid&t bloft Hingen,
fonbern aud^ baS ©emütsleben malen fönne, ja baß fie barin bie ßeiftung ber Söort«
f^rad^e ju überbieten l^abe. 5ltterbingö toagt fid^ nod& bei ^aleftrina, SBad^ u. f. to.
bie mufifalifd^e (S^arafteriftil nirgenb« fo toeit öor, boB man Qformaliften auf ftc
trcrtoeifen fönnte. SSÖag l^ingegen SSectl^oöen , Serlioa, öigjt unb SQÖagner öon ber
Sludbrudföfal^igfeit ibrcr Äunft batl^itn, ift ottgemein bclannt, unb toer toirb baron
äioeifeln, bafe fd^on $änbel im „Sllejonberfeft" unb ©a^bn in ber ^©d§o^)fung" burdj
bic aJlufif mannigfaltige Stimmungen malen toottten?
25» 3lriftoteIe§ beieid&net bie berfd^iebenen Strien, wie bie SKufi! auf
ba§ ©entüt mirlt, ^olit. 8, 7 al§ bie einfadö et^ifd^e (bie ruhige, f. oben),
bie jur 3:§at!taft ermunternbe (bic „t^ötige", f. oben) unb bic ftilb be=
gcifternbc. 3)iefe ßinteilung empficl^lt fid^ bei einer ftunft, bic burd& nid^ts
anbereä als SEonbemegung auf ba§ ©ernüt einwirft, ©d^led&tl^in jur
Sl^ättgfeit anrcgenb wirft bie 5Hufi!, wenn in il^r 5R§9t!^mu§ unb SKclobie
eine mittlere normale gntfaltung finben unb bic bewegte 5Ratur ber SRufif
mit mäßiger Äraft jum 2lu§brud bringen. ®aju ftimmt ganj gut, ba^
bic einfettige 2lu§bilbung bc§ 5R]^^t^mu§ in 3Warfd^ unb 2:anj bic ©lieber
bcS ßört)erS in Bewegung fc^t, unb ba^ bic Icbl^aft d^arafteripcrcnbe 3lrien=
melobic wie bie bewegte ^anblung ins 2)rama, auf bic SSü^nc gcl^ört (bgl.
Sriftot. ^robl. 19, 48). 2Birb bic Bewegung fe^r ^cftig unb übcrwältigcnb,
fo wirb bic Stimmung eine ^od&bcgctftertc ober gar „bafd^ifd^c". SDaS mag
eietmann, ^fl^etil. 3. Steil. 2
18 erftc« Äapitcl.
etwa bei ber 9)iifttärmufif , tne^r no^ bei @d&Iod^tgefängen toller SSöIfet
jutreffen; bie SDrel^mön^e ber 2:ür!en bermenben merltDürbigertDeife tiod^
je|t ba§ bon Slrijtotele^ für (Sefänge bie[er 9lrt bejeid&nete t)]^rt|gifd^e 2:on=
gefd^Icii^t. 6ine ganj gemäßigte Bewegung ber SR^^t^men unb 5KeIobien
pa^t ju ber ruhigen ®emüt§[timtnung ober ©mpfinbung : fo in einfad&cn
2iebem unb religiöfen ©efängen ; bie SBirfung berf elbcn ift ont e^en fittlid^
berebelnb („^Üf^ä)" int engern ©inne). Sn ber ßrjiel^ung unb für ben
ßl^Dt ber alten 2:ragöbie, ber in genteffenen antiftrot)]^i|d^en Siebern feine
ßmpfinbungen äußerte, empfiel^It ber ©tagirite biefc 3lrt ber 3Dlufif.
26» Si§^er mar bon ber 3:^atfad&e be§ ®efü^te= ober ©timmungS=
auSbruieS unb bon bem 3Kel^r ober SBeniger, b. ^. bent ©rabunterfd^ieb
in ber 5Rad^a]^mung ber feelifd^en Semegung, bie Siebe. SBeil nun babei
bon jeber anbern näl^crn SSeftimmung abgefel^en toirb, fo fd^eint fid^ für
unfere grage borerft ein S)reif ad^eS ju ergeben:
a) S3Benn bie äJlufi! bie ©eelenborgönge aud^ nidöt genauer nad^al^mt,
al§ ber lebl^afte 9l]^^t^mu§ bie innere Sl^ötigfeit, ber ent^uftaftifd^c bie toilbe
Segeifterung , • ber gemeffene bie ruhige ©timmung, fo ift bamit bod^ ber
ftrenge 3^ormaIi§mu§ fd^on auSgefd^Ioffen.
b) S)ie 9Jlufi! im 2)rama ift berart, ba^ fie burd^ lebl^aften unb
bießeid^t Icibenfd^aftlid&en G^arafter bie ^anblung angemeffen n)ieberft)icgelt,
ainb infofern rebet man mit ©runb Don einer bramatifd^en 9JJufif. ©d&a»Ier
^e^t JU totii, toenn er eine foCd^e nid^t anerlennt.
c) ®ie Slßgemeinl^eit be§ 9lu§brudE§, bon bem toir reben, mu^ am
el^eften bei ber ^nftrumentalmufif ju beobad^ten fein, tt)ä§renb beftimmtcre
©emütöbemegungen immer, ber 9lugtegung burd^ eine anbere ßunft, j. 33.
bie ^oefie, bebürfen. ^lato tabelt bie reine 3nftrumentalmufif , tt)eil fie
fc^r fd^mer er!ennen laffe, ,m^ pe njoHe'' (®ef. 2, ©. 669 d). 9Iri=
ftoteleS fagt bagegen einmal, aud& ol^ne 39Borte l^abe bie r^^t^mifd^e unb
meIobifd^e5Kufif „6t^o§\ 2In einer anbern ©tcOe (^oet. 1,2; bgl. ©d&aSler,
ßrit. ®efd&. ber ^tft^etif ©. 176) fd&reibt er borfid^tig nur bem „größten
3:eil" ber reinen SJlufi! biefelbe @igcnfd&aft ju. D^ne 3^^ifrf ft^i^tt ja in
ber reinen 3nftrumental!unft ba§ 3lbftra!t = 9D?ufifaIifd^e, bie blofee
gormfd&ön^eit eine fold^e SRotte, bafe oft ber ©timmung§au§brudE !aum S3c=
ad&tung berbient, unb bie Sed&nif mit bem in i^r unmittelbar gegebenen
geiftigen ©el^alte bovioiegt, ober gar bie inhaltsleere Qfertigfeit ber §^orm=
bilbung in erfter Sinic fid^ aufbtängt. 2)arin jeigt fid^ eine Serirrung ber
^unft, bie fd&on ju ^Iato§ S^xUn fid& einbrängte unb beffen fd^arfeS Urteil
bcranlafete.
S)en Sllten loar eS übrigen^ fo fel^r 6rnft mit bem befprod^enen oK=
gemeinen ©timmung§au§brurf , ba^ fie für bie SlbftufMngen be§felben be?
fonbere Songefd&ted^ter unb berfd&iebcne mufifalifd^e ??ormen ein für aßemal
Mgemeiner @^ara!ter ber SJlufil nad^ Oform unb ^udbrudf. 19
auÄfonberten. 9lod& il^rc fpäteften SKuftftl^eorctiler öcrful^rcn ba äJ^nlid^ ttiic
2ltijioteIeS unb bor il^m Ißlato unb anbete.
27. ©d&tpicrig tt)irb unfere groge erft, menn toit bic butd& SKufif au8=
juprägcnbcn ©timmungcn unb SBaDungcn beS ®cmütc§ nid^t mel^r \ä)kä)U
l^in naä) bem @rabc ber ©rrcgt^eit meffen, fonbem nad& beut (Scgenftanbe,
ber fie l^eröorruft , ju benennen futi^en. greubc ober ©d&merg finb nid&t
mä) ber begleitenben Sewegung aDein, fonbern nad6 ber 3lnne^mli(i&leit
ober Unonnelö^Hd&feit be§ öorfd&webenben (SegenftonbeS benannt. 3)ennod&
ftel^cn Slnnel^mlid&feit unb Unannel^mlidöfeit ju ber ®emiitsbett)egung immer
nod& in fo naiver S3ejie!^ung, bafe wenigftenS bie größten ®egenfä|e innerl^aft
bicfer ©renjen, j. 93. jubelnbeS ©ntjürfen unb brütenbe ©ti^tocrmut, nid&t
burd& biefelben mu[ifaüfd&en formen auSgebrüdft werben fönnen, bafe alfo
eine gegebene SKuftf bem einen ober anbern biefer ®cgenfä|e naturgemäß
üernjanbt ift, ober maS baSfelbe fagt, il^n me^r ober minber beutlid& auäs
ft)rid&t. ®er ©d&merg ^at alfo feinen 3:on in ber ÜRuftI, fo gut toie in
ber 3)id^tr unb 3lebefun[t; ebenfo bie .greube. $Ki^t minber Slbfd^eu unb
innige Siebe, fjurd&t unb ©el^nfud^t, iperjenSfricbc unb 3wri|fenl^eit. greilid^
wirb man beffer toijfcn, „tt)a§ [ie toill", toenn bie 9Rufif i^re bunllc ©es
fül^tefpraii^e burdö bie ^oefie in bic öerftanbcämäfeige SBortfpraci&e übers
fe^en Ift^. 2)enn ba fie fold&e ©emütsbetoegungcn bod^ niti^t gerabe als
greube, gurd&t unb ©c^nfud&t, Siebe, Seib unb ^a^, fonbern nur um
DoHpänbig afö eine beftimmte 3lrt ber Setoegung auäbrüdt, unb obcnbrein
bie ^onbetoegung nur eine größere ober geringere ^^nliii^feit mit ber ©e=
mütäbewegung l^at, fo muß bie Snftrumentalmufil eine getoiffe ©unfell^eit
übrig laffen für jeben, ber i^ren 6^arafter mit jenen beftimmtern 33ejei(i6s
nungen ju umgrenjen münfd&t. 2)iefer 2SBunfd& gel^t jtoar über bie ©renje
flrenger Sered&tigung l^inauS. 2)ie aJlufif fann unb min nid&t ben Slnlaß
ber innern Semegung, fonbern biefe felbft nad^bilben. 2)a§ ift weniger, afö
man berlangt; eS ift aber jugleid^ me!^r, afö bie ©prad^e öermag. 5)cnn
biefe Win bem Sßerftanbe nur Segriffe bon ©egenftönben , Stimmungen,
^anblungen ober 3iipönben, aber nid&t ein reales 9lbbilb ober ©egenbilb
Don ©emütsbemegungen bermitteln; fie Iciftet nur fooiel bon ber befonbem
Aufgabe ber Xonfunft, baß fie burd^ SSermittlung bon Segriffen aßerbingS
bie entfpred^enbe ©emütSerregung borbereitet unb auSnal^mSmeife burd^
ftlangmirlung unmittelbar l^erborruft. Slber wie fd^on ber JRebner burd&
SBed&fel beS ©timmtonS eine Slnleil^e bei einer afuftifd^en ff unft (ber S)efla=
matbn) mad^t, fo befd^rönlt fid^ ber aWufiler ganj barauf, burd^ a!uftifd&e
SKittel auf bie Stimmung unb jwar in biefer Sefd^rönfung befto möd&tiger
einjuwirfen. 3)ie SKufif bringt bann wirflid^, um einen SieblingSauSbrud
ber SQBagnerianer ju gebraud&en, baS „UnauSft)red^Iid^e" jum 9luSbrud, weil
bie SeiftungSfö^igfeit beS SoneS in ber genannten Sejie^ung größer ift afö
20 <^rftei$ ^o^Uel.
bie be§ SQBorteS. @ie6t bod^ aud^ jleber ntd^t SJoteingenommene gu, ba§
ber 3Kenfd& in feiner ©timtnung, in ber ©t>]^ärc be§ ©emütSlebenS bie ^in=
rei^nbe SWati^t ber 2JlufiI ftärter als bie ber ülebe ju crfal^rcn pflegt, unb
btt^ ^erfonen t)on erregbarem ©cmütc bur$ bie SLonfunft ganj üfiertoältigt
toerben, toftl^renb ©emütöarme in ber SegriffStocIt ^eimifd&er finb.
28. S)ie SHufif benötigt alfo jkeng genommen für il^re eigenartige
SBirfung ber Sei^ilfe anberer Äünfte nid&t. Stber ber 9Menfd& ift ja nid&t
blofe ©emüt, fonbern and) SSerflanb, unb obtool^I aud^ biefer in ber gorm^
fti^ön^eit ber 3Äufif einen gang toürbigen ©egenftanb feiner Sctl^ötigung
ftnbet, fo mirb ber ganje 5Kenfd^ bod& mäd&tiger ergriffen, wenn bie ®emüt3=
crregung, bie in ber 3Jlufif liegt, fi(i^ aud& nod& ber bcgrifflid&cn @rlenntni§
faßbarer barfteHt. SDaS tt)irb teitoeife burd& eine Sluffd^rift beS 3ttfttumentat
ftfideS, öoHftänbigcr bnrd^ einfü^renbe Programme, am Beften burti^ be=
gleitenbc Xejttoortc erreiii^t. 2)urd^ foI(]^e SDIittel bcfdl^igt man au4 ben
|)örer, leid&ter auf bie 3lbfid&t ber SKufif einjuge^en unb biefelbc burd^ freie
9Kittt)irfung fid&ercr ju bcrtüirflid&en. Bpxx^t fid& j. 9}. bie ©e^nfud^t im
Sejte au§, fo ftel^t eS in meiner 9Kad&t, mid& bem entfpred^enben ßinbrudfe
ber SHufil fofort oJ^^e 3^9^^^ l^injugeben unb bie in mir erregte Stimmung
nad&^elfenb ju förbern, maS jumal burd^ Icbl^afte SSorfteDung be§ in bem
Jejte bargebotcnen @egenftanbe§ crreid^t tt)irb. 5Kan fagt alfo rid&tig, ba§
nun bie 9Hufif, obfd^on in i^rem SBcfen feine anbere, bod& an SBirfung
gewonnen l^at. 3lIIerbing§ finb bie Xcjtworte, wenn fie aud^ nod^ fo gut
jur 5Wufi! pa^m, immer aud^ wiebcr ftörenb, ba jebe SerftanbeS^ätigfeit
bie (Gemütsbewegung, bie fie förbert, aud& wieber einigermaßen in i^rcm
freien SSerlaufe l^inbcrt. S)od& bon ber Sßerbinbung bon 3)lufif unb SQßort
wirb weiter unten (9lr. 215 ff.) nod^ bie Siebe fein, ^üx je^t genügt eS,
feftjufteHen, baß bie ÜKufif feine anbere wirb burd^ SSerbinbung mit anbem
fünften (^oefie, SKalerei, 3:anj, ftoftümierung) , baß aber il^re SBirfung
gefid^ert unb erl^öl^t wirb, nienn ber aSerftanb flarer fielet, „was fte Witt".
S)aS große SebürfniS nad^ fold^er ßlarl^eit fprid^t fid& in jener Dom ©tanb=
punfte ber 5!Kufif nid&t ftreng bered^tigten Semü^ung aus, ben ©efü^lSauSs
brudE ber 3Jlufif aud^ fprad^lid^ ju benennen, unb in ber uralten fi^weftcrs
lid^en SSerbinbung öon 2)id&t= unb 3:onfunfl. 2öie wenig felbft ein Seetl^oöen
burd^ bie 9JJitteI ber 3inftrumcntalmufif bie erftrebte begrifflii^e Rlarl^eit ber
bargcfteHten ßmpfinbungen erreid^te, beweifen feine ©timpl^onien unb nid&t
minber beren SluSleger (f. ©d^aSler, Über bramatifd^c 9Kuftf I, 77 ff.).
29. (Selben wir nod^ einen ©d^ritt weiter. 5Jlan fprid^t öon epifd^r
unb bramatifd^er 5Hufif, obwohl aße 3D?ufif ganj entfd^ieben ber I^rifd&en
35id^tgattung junöd^ft öerwanbt ift. 9lm wenigften Sered&tigung l^at bie
erftere Segeid^nung , folange wir eben an 5Jfufit unb nid^t aud^ fd^on an
einen poetifd^en 2:ejt beuten, ßpif ift ©rgäl^Iung unb Scfd^reibung. ®ic
Mgemeincr ©l^arafter ier aJlufif na^ fjotm unb Sluöbrurf. 21
3:öne fönnen aber toeber crjäl^Icn nod& Bcfd&reiben; bic „cpif^e" 3Kufif
Icl^nt fid& nur an einen erjäl^Icnben i>ber fiefd&teibenben Jcjt an. 3)a aber
in btcfcm aud& ®cmätöbett)egungen teite berborgen fti^Iummem, teils öorübers
ge^enb jum äuSbrudf fommen — fonft toöre ber %e%t au6} nid^t potü^ä) — ,
[o finbet bic 9Rufif barin ein öerloanbteS glement. S3e!anntlid& trifft bieS
bei et)ifd&5l^rifd&en S^Jittergattungen ber ^oepe, j. S. ber S3aflabe, am
l^ftufigfien ju. S)cr SluSbrudt ;,bramatifd&e 2Rufit" entbel^rt (tt)ie unS fd&on
SlriftoteleS belehrte) nid^t be3 ©runbeS ; benn im ®rama fpriii^t fid& ber in
fabl^after ^anblung befd^Ioffene Slffelt meiflenä au^ bcjiimmt genug ansi,
unb boS SemegungSmoment ber ^anblung ift ber Sonbeioegung öertoanbt.
®o(§ barf aus fold^cn S^S^P^^^^^ff^^ "i^t ^^^ B6fin% gcjogen merben,
afö lönne bie SKufif im ftrengen ©inne ©egenftänblid&eS , nämli(i& Singe
unb ^anblungen, barfteHen. ©ie lamt nur baS Seti)egung§= unb ©timmungs=
ntoment an benfelben mei^r ober minber beftimmt nad&al^men, nid^t aber ben
anbcrtoeitigen @e!^alt, meldten bie epifd^e ^anblung ober Sefd^reibung unb
bie bramatifd^e ^anblung einfd&Iie^cn , in Sönen berfört)em. @ine gewiffe
Sttufion, als ob mirflid^ aud& grjäl^Iung unb f)anblung burd& bie SJlufif
bargefteHt merbe, tt)irb aHerbingS erjielt, unb biefe ift für bie ein^eitlid&c
SBirlung be§ t)oetifd^=mu[iIaIifd^en ffunfttoerfcS nid^t ol^ne SQSert.
30^ @S mu^ nun nod& eine jttieifad^e, untergeorbnete SluäbrudfSform
ber SKufif nad&getragen werben, nämlid^ eine 2lrt ber Sef(i^reibung. burd^
Siad&al^mung Don 5RaturIauten unb eine änbeutung mannigfad&er objieltiDer
aScrl^öItniffe burd^ ©^mbolil. S)ie erfte gform bcS 2luSbrudf§ liegt fcl^r na^e
unb tourbe oben 5ir. 3 an erfter ©teile genannt ; fie ift bistoeilen red&t öer^
flänblid^, aber aud^ ebenfo geringmertig , ba bie 5Äad&a]^mung bie Statut
nid&t erreid&t unb barum als ©t)ielerei erfd&cint, tnenn fie nid&t toenigftenS
bem ©timmungSauSbrud untcrgeorbnet toirb. 2)arum fd&rieb Seetöoöen in
eine Partitur ber ^^^aftoralf^mpl^onie" bie 9lntt)eif ung : „SKel^r SluSbrudf ber
©mpfinbung als 9MaIerei". 5)ie ©^mbolif ber ÜRufif aber, bic fd&on oben
an fester ©teile genannt tt)urbe, bcjiel^t fid6 auf baS mc^r »illfürlid&e als
natürlidöe ober hoä) auf ein femliegenbeS SSerl^ältniS öon SLon unb ®egen=
ftanb; fie ift aus ftd& allein laum ju erraten, aufeer »enn anberswie bic
öejiel^ung ber %öm auf ettoaS nid&t ffieioegteS ijcrftänblid^ angegeben tt)irb.
2)en ©onnenaufgang lann bie 2JlufiI burd& langfameS unb feicrlid^eS ©teigcn
ber Söne unb 24)nmaffen nidftt toirflidö malen; »ei^ id& aber aus bem
2ejte, bafe ber ^^antafie beS 3KufiferS biefe 3laturerfd&einung öorfdömebte,
fo merbe id^ baS langfam tDürbige ©tcigen unb anfd&toellen ber Älönge
angemeffen pnbcn unb barin eine bercd&tigtc ©^mbolil erfennen. 3)ennod&
ift fePjuöalten, bofe bie mn[xt anä) f)\tt nid^t eigentlid^ bie räurafid&e »c=
mcgung ber ©onnc, fonbern bie ftd& gleid&fam ftetgembc ©emütsftimmung
beim Slnblidf ber auffteigenben ©onne nad&al^mt, meil nur biefe mit ben
22 <2grfte8 Stapittl
SEönen in no^er SScrtüonbtf^aft fielet uttb einigermaßen „borgefteöt" »erben
fann; bie räumlid&e Setoegung ber ©onne bogegen ffai mit ber tt)cfentlid&
jeitlid^en Sonfunft nur eine mittelbare, entfernte äC^nlid&feit. Sntmerl^in
liegt ber aSergIei(^ jtoifd^en bem Steigen ber 2:öne unb bem röumli(i6en
3lnf}eigen, tt)ic bie fpraci&Iid&en SuSbrücfe feftft bejeugen, ni^t aHjufern ab.
aSiel \ä)to'd6)tx iji bie äl^nlid&Ieit unb biel f^toieriger ju öerftc^en, wenn
tt)ir in ber ßinleitung ju ^a^bnS „3öl&reSjeiten" auä ber Stonf^mbolif
ben ;,Ü6ergang öom SäJinter jum gfräl^Hng" erfennen foßen, unb bod^ mifiä^t
fid& ^ier ber ©^mbolif nod^ 5laturna^a]^mung bei. 9Wan erfennt aus
folti^en 93eift)iclen , baß aud& bie ©timbolif in ber SDlufif nottoenbigermeifc
eine untergeorbnete 9lofle ft)ielt.
©d^Ucfecn mir bie attgcmcinc ©l^arafterifti! ber aJlufif mit einer SSegriffä»
erüärung ab.
Definition ber 2:0n!un|t.
31» Sie 9Mu[if ift biejenige Äunft, toeld&e in finnlid& axt:^
genehmen unb geijiig bebeutfamen SEonfoIgen bie ©d&önl^eit
barftellt.
ßrflärung. 3m fubjieftiöen ©innc berjie^t man unter SJlufil
bie im ßünftler tätige ober ru^enbe gertigfeit, fein inneres 8cben fünfte
gemäß in SEönen auSjufpred&en unb in bie ©ecle beS ©örerS überjuleiten.
Saju befähigen 9laturanlage , gormgemanbtl^eit unb ©efd&madf (Urteil).
2)ie befonbere Begabung, bie für bie 3KufiI tt)ie für jebc l^ö^ere ßunft er=
forbert wirb, ift junöti^ft ©ti^ärfe beS ©el^örS für ben mufifalifd&en Xon,
bie mit allgemeiner ©el^örfd&drfe für ©d&aHempfinbungen burd^auS nid&t
jufammenfäKt. 35or aßem it)eiß ein tt)irHid& ntufüaüfti&eS Üf)x bie ©d^toin^
gungSja^I be§ XoneS, iDonad^ fid^ |)ö^e unb Siefe bemißt, inftinftmäßig
abjufd^ä^en , nid&t bloß ba§ SSorl^anbenfein ber ©d^aHbetoegung f d&arf ju
unterfd^eiben. 2)en entfpred&enben inncrn ©inn nennt man mufüalifd^e
^^antafie. Seren Eigenart ift e§, baS geijJige Seben in fd&öne innere Ion-
bilber umjüfe^en, öl^nlid^ wie bie |)oetifd^e ^^antafie baburd^ gefennjcic^nel
tt)irb, baß fie für ben 3lu§brudt in ber ©prad^e öPetifd^ loirffame Silber
erjeugt. inwiefern ein reid&eS ©emütsleben jur mufifalifd^en 3lnlage ge=
l^ört, ergiebt fid^ aus ber borauSgel^enben Unterfud^ung über ben ©efül^lSs
auSbrutf in ber äJlufil. Oft begreift man unter bem SBorte „^ß^antafie"
mit Unrecht aud^ biefeS geiftig=ftnnlid&e 6mt)finbungSt)ermögen.
3ebe 9lnlage ftößt bei i^rer öußern SSetl^ätigung auf einen toibers
ftrebenben ©toff. 3)er geborne SOlufifer brandet alfo ©timmübung unb 3ns
ftrumentalted^nif , um bie innere Sonwelt ju objjeftiöieren. 6r muß fid^
außerbem bie grfai^rung öon Sa^rl^unberten p eigen machen, um bie ßunfts
sittgemeiner ß^arofter her aJlufiif na^ 3form unb 5tuSbrurf. 23
griffe bc^ 3:onft)iete jur freien aSerfügung ju l^aben, unb ba jebe ftunft eine
fociale SSeftimmung für anbere i)ai, fo fe|t i^r bie Xrabition unb ©eiüolön^»
l^eit fötoie bie S3ebingung her aSerftönblid&feit unb 3Ingemeffen^eit (j. S. bei
Solfös unb Äird&enmufif) neue, bur(§ (Sefd^id unb- Übung gu üöerwinbenbc
©d&ranfen.
2)et gebilbete ©efti^macf tneift ber Sfloturanlage toie ber ted^nlfti^en
Sertigfeit ben SBeg ju il^rer SSet^ötigung , le^rt bie rid^tige Söal^I unb ®^'
ftoßung t)on 3^orm unb Snl^alt, bie l^Qrmonifd&e SSerbinbung beiber unb
ba§ äpetif(^e ©leiti^getoid&t ber Steile; er wögt ben tiefem ®tf)alt unb
prüft ben mefobifd^en SBert ber 2:onfolgen, bejiimmt SluSbrud unb ©tif,
leitet ben innern gortfd^ritt naä^ Qmd unb 3iel be§ SJiufitoerfeS u. f. tn.
32^ 3tn objeltiben ©inne ift bie Stonlunft ber Inbegriff jener
Siegeln, naä) benen, Berufet ober unbetou^t, ba§ boHfommene SoniDerf ge=
f(i&affen worben ift, afö »dl^re Uunftleiftung erlannt »erben !ann unb be«
urteilt fein mü. 6s ift bie objeftiöe SSernünftigteit, mit beut Stempel be§
@eniu§ an ber ©tirn, bie au§ bem ed^ten Äunftwerfe ju unferem ©eifte
fprid^t unb un§ in finnlid^ gefälligen fjormen geiftige 9iormen anfd^aucn
unb genießen löpt. 35aS Sontoerf, wie jebe ßunftleiftung , unterftel^t ün=
abänberli(]&en ©efe^en, benen \\ä) au6) baS ®enie beugt, weldfee teifö bie
©igentümlid&feit be§ ©toffe§ unb SarfteIIung§mitteI§ (bc§ SoncS, ber ©timme,
ber Snftrumente) gebieterifd^ öorfd&reibt , teils baS SSer^öItniS ber 3bee jU
biefer befonbern gform mit fid^ bringt, teifö ber (Seift felbft in fid^ trögt.
@& gicbt alfo einen öon ber SBiUfür unabpngigen 5Jfopftab ber Beurteilung,
unb biefer allein mad^t bie miffeufd^afttidöe Sel^anblung ber ffunft möglid^:
9Mag baS fubieöibe dafürhalten fid& bei ber 2öert[d&ä|ung ber «iufif aud&
ftärfer als bei einer anbern ßunft öorbrängen, fo beonfprud^t bod^ immer
bie aSernunft i^r gutes Sfted^t, baS 2öerf beS menfd&tid^en ©eifteS, meld&eS
jum großen %t\l \i)x eigenes ift, ju ergrünben unb ju beurteilen; meife fie
bod^ red^t mo^l, ba& neben il^r erji red&t fein juftänbiger SRid^ter ttorl^anben
fei. SBaS foll uns baS blinbe ©efü^I, wenn eS nid^t burd& baS Sid^t ber
aSernunft geregelt unb geleitet n)irb?
S)ie „Sunft" ber 2Ruftf muß olfo baS eine SKal im fubjeltiben, baS
anbere äJlal im objeftiben ©inne genommen loerben, xoenn alle einfclilägigen
fragen t^re Säeantmortung finben foHen; eS toirb aber nid^t immer nötig
fein, bie o^ne^in fe^r, nal^eliegenben 93egriffe. auSbrüdlid& ju fonberri. S)ie
obige Definition tl^ut eS aud^ nid^t ; übrigens loicgt bie objettibe aäetrad&tung
in ber 3tfi^etil bor.
33. Sie9»ufif ift eine „fd^önerßunft; ba^er ^at fie jum ©egenftanbe
bie ©d^öni^eit ber Sontoelt. ©dfeon ber mufifalifd&e 2on felbft übertrifft
burd^ feine SJorjüge jeben anbern ©d^all; bie t^atfad^lid^ oermenbeten Söne
ober bilben eine aud& burd^ gegenfeitigeS 35er^ältniS auSgcjeid^nete Sei^e.
24 ^rfted Kapitel.
gerncr »erben bie gcfölligen fonfonontcn SnterdoDe in ^ormonie unb 3Re=
lobte beüotjugt; @änge, @ä|e; ^ertoben unb anbete Steile bed 3:onn)erted
»erben naä) ben unberänberli^en ©efc^en ber ©d&önl^eit gemä^It. 6nbli(i&
foH ber tiefere ®el^aft ©eifi unb ®emüt in angenel&mer SBcifc befd&äftigen.
6rji in jmeiter 2inic fontmt, tt)ie bei onbern fünften, ba§ blofe ßl^aratte:
riftifd^e (bie treffenbe ^lad&al^mung ber nid&t gerobe jd^önen Sfflirüid^Ieit) ober
gar baS ^äfetid^e in Setrad&t. 2)ie Siffonanjen ber 3KufiI finb an ^iä)
tt)ibertt)örtig, fönncn aber cnergifcift d^arafterifieren unb burd& Sluflöfung ben
folgenben Äonfonanjen me^r SReig geben. 9lud6 in ber 9Wufi! gilt immer
bie ftunftregel, baß fd&Ite^id& ber ©d^önl^eit aHe§ biencn joH. Übrigens
mufe in i^r baS Unfd&öne aus jtt)ci ©rünben fporfamer als etma in 5ßocfic
unb SWalcrei bermenbet »erben: »eil baS finnlid^e 9Jlomcnt in ber 5Dlu[i!
bcfonberS [tor! »irft, ber ©inn aber fd^»erer als ber ©eijl öon bem uns
mitterboren ßinbrurfe beS Unfd^önen abjulenfen iji, unb »eil boS 6^araltc=
riftifc^c in ber reinen 9Jlu[it »eniger Derfkönblid^ ift. liefen %f)at^aä)m
»irb in ber Jleujeit nid&t gebül^renb SRed&nung getragen. 5Die SDlalerei unb
bie ^oefie hingegen d&arafterifieren fe^r beftimmt, unb »cnn aud^ in erftcrer
ber ^arbenreij nod^ fo ftar! auf bie ©inne »ir!t, fo »irb bod^ bem ©eifte
ju glcidfter Qüt SSefd&äftigung genug geboten, um ben ©inn Don biefer ober
jener d^arafteriftifd&en ^ö^id^feit abjujiel^en.
34. SDie ©d&önl^eit ber Stonfunft barf in befonbercr Söeife ,JinnIid&=
geiftig'' genannt »erben, »eil mel^r als in anbern fünften ber äußere unb
innere ©inn (neben bem ©eifle) befriebigt »irb unb nur borübergel^nb bie
finnlid&e Slnnel^mlid^Ieit ber Sonberbinbungen burd& bie geiftigc Sebeutfomfeit
ber 5)ijfonanjen aufge»ogen »erben lann. Mein baS SSerl^ältniS ber beiben
Elemente ju cinanber ift tro^ ber betonten Sebeutung ber finnlid^en ©d6ön=
l^eit bod^ immer fo, bafe biefe ber 3bee, bem Sn^alt untergeorbnet bleibt.
man brüdtt bieS (in feiner ftombofitionSle^re I, 14 f.) in fd&ärffter gorm
alfo aus: „9iur bie 3bce ift ber ffunft eigenes oberfteS ®efe§; nur biefem
®efe| ift oHeS im Äunftleben erfd&eincnbe untermorfen. Sin fid^ felber iji
fd&Iet^ti^in nid&ts abfotut falfd^ ober rid^tig, fonbern alleS red&t unb not=
»enbig, fo»eit eS ber Sbee bient, unb alles falfd^ unb unjuläffig, fo»eit
nid&t. . . . aSon jeber ßunftgeftaltung !ann ber SBa^rl^eit gemäfe nur be=
Rauptet »erben, bafe fie an biefer ©teüe, unter biefen Umflänben, für bicfen
3»edE bie red&tc fei ober nid^t. ^ierauS folgt aber, baß baS Urteil nur
aus einer Prüfung ber SSer^öItniffc, auS einer Unterfud&ung , »aS biefe
2:ongeftalt befage ober entl^alte, unb »aS ber 3bee biefeS cQunft»er!eS ge^
mög fei, l^erDorgel&en fonne." demgegenüber fann aHerbingS mit gutem
Sled&te geltenb gemad^t »erben, ba^ bod^ im aKgcmeinen nid^t baS SSortoiegen
beS e^araheriftifd&en , fonbern bie SSermü^Iung bon SBo^IHang unb a3e=
beutung bie l^öd^ifte ©d&ön^eit auSmad^t. Sie d&arofteriftifd&e SKufif barf
Slttgemetncr ß^araüer ber SDiluftf nod^ fjorm unb SluSbrucf. 25
ber cinfodö fd&önen 2Rufif bcn aSorrang ntd^t ftrcitig mad^cn woHen. Se^tcrc
Bcrul^t aber feineStocgS auf ber 3"i^ü(fbrängung beS finnliti&en, fonbcrn auf
ber ööDigen ©intrad^t bes geiftigen unb ftnnüii&cn @Icmcnte§, unb baS @cfc|
biefer @intrad&t forbert öielmcl^r für bie finnlid&e gform bie il&r gcjiemenbe
aSoHfommenl^eit. ®ic gorm foH freilid^ nid&tö anbcrS afe Sluöbrudt beS
geifiigen ©e^altcS, ober aud& ein äuglci(i& gefälliger unb erfd&öpfenber 9lug=
brucf fein.
S)er Sflamc „^n^V, Jpeld^en toir ber fo umf^riebenen S^onlunft geben, ftammt
aug b^m ©riei^ifd^en unb bejet^net fle mit S^or^ug aU ^unft ber SJlufen. ^tefe
Jöeaeid^nung toar nod^ für ^lato leine eng umgrenatc, ja beaüglid^ ber reinen Sülufif
eine feiten gebroud^te (®b. aHüHer, ©efd&id^te ber S^l^eorie ber Äunft bei ben TOen
I, 87 ff.). Dl^nc Stoetfel lag eS bem ©riechen na^e, bei attcn l^öl^ern fünften
9^1§^tl^mud unb Harmonie eine bet)or5ugte RoHe sujuteilen, unb unter biefer Slüdfid^t
nannte man atte „aJlufenlünfte" ; Wdttv erl^iclt bann bicjcnige Äunft, toeld&e burd^
Sll^Qtl^mud unb Harmonie bie grdgten Sßirfungen erhielt, ben Flamen ^^ufenfunft"
gana au eigen.
35* 9ܧ weitere 3lu§fü^rung ber SJefiuition biene bie 5lngabe ber
ttjid&tigften ©injetpunfte , ü6er bie ft(i& bie folgenben Erörterungen ju öer=
breiten l^aben.
®ie äftl^etifti^e Setrad&tung befaßt fi(ä& mit ben mufilatifd&en Xönen,
fobann mit ber melobifd^en fjolge unb rl^titl^mifci^en Drbnung ber=
felben, enbliti^ mit il^rer l^armonifd^en aSerbinbung. 5Die 3:öne bieten
ber 2Rufif ben ©toff unb ba§ SKittel ber ©arfteHung; bie 2KeIobie t)rägt
ben 2:onfoIgen bie tt)efentli(j^e ??orm auf; ber 5Rl^^t!^mu§ ergänjt bie ßunft=
fd&önl^eit ber 3KeIobie, unb bie |)armonie berbielfältigt ben 9leij be§ 6injel=
tone§ tt)ie ber SKelobie. S)ie Harmonie ift nur in gewiffem ©inne, nömlid^
al§ natürlid^e unb latente Harmonie (öerpüter 3iif ^mmenflang) , ber üolI=
!ommenen 3Jlufif tt)efentli(]&. 2lte fold&e tt)irb [ie fd^on öor ber 9JJeIobie
unter bem 9iamen „mufifalifd^er Älang" bel^anbelt. S)ie ju auöbrüdEIid&em
3ufQmmcnHangc fünftlerifd^ georbneten 2:öne bagegen ergeben bie Harmonie
im gen)ö]^nlid&en ©inne be§ 2Borte§; Don biefer mu^ nad^ ber SOlelobie bie
Stebe fein. 2luf jieber ©tufc ber Äunftentmidtlung werben wir bie boppelte
Seite ber ©d^ön^cit, bie finnlid&e Slnne^müc^feit unb bie geiftige Öebeutung,
ju berüdfid&tigcn l^aben. Slöd^ft bem innern SBefen ber Sonfunft müjfen
i^re aSerjweigung in berfd^icbene 9lrten (bie mufifalifd&en ßunftgebilbe ber
ajolat unb 3nftrumental!unft) unb nebenl^er bie bebeutfamften 2Banb=
hingen ber Sonfunft in ber (Sefd^id^te (aSerfud&e jur S)arfteIIung be§ SbealS)
unfere 2lufmerf|amfeit in 2lnft)rud& nel^men.
36. 2BeId&e§ bie SSel^anblung aH biefer fünfte fein müjfe, ergiebt fid^
ou§ bem Unterfd^iebe ber 5lft]^etif ber 9Kufi! öon einer Sed^ni! ober einer
Sl^eorie ber 5Jlufi!. S)ie 5ift]^etif l^at Weber bem 3lnfänger eine t)raftifd&e
Einleitung, nod& bem gefd^ulten SOlufifer eine unmittelbare aSelel^rung über
26
elftes ÜQißiitt
bie §önb]^a6ung bcr Äunji gu bieten. 3^re 9lufgoBc ift aud^ nid^t, bie
Scfd^affenl^cit bcr mufüaBfd^en ftunft nad& aBen i^ren ßrf^cinungen unb
©cfe^en in annä^embcr aSoHjiänbigfeit barjulegen. ®ic äjil^til l^at jtd^
gefd&i(i^tU* afö Sifjenfd&aft beS ©d&öncn auf |)^iIofot)^ifd6er
©runblagc gehaltet unb foK bemnad^ in einer gegeöcncn ifunft nur bie
mefentlid^ften @<i&ön^eitSmomentc befonbcrä l^erauä^cben unb biefclben , too
mögli(]&, auf bie tiefflliegenbcn ©rünbc toiffenfd^aftlid^ jurüdffül^ren. ©al^cr
berül^rt fic fid^ aUerbingS mit ber St^eorie ber betreffenbcn ftunft fe^r nal^e,
läfet aber il^rem 3*^^*^ gemäfe mand&eS, was mcl^r materielle SJebeutung
al§ formalen ©d^önl^eitStoert l^at, beifeite, befd^äftigt fid^ bagegen mit
anberem öiel eingel^enber, toeil il^r bie innere Segrünbung unb aSerfnüpfung
ber S^atfad^en me^r gilt als bie einfädle SDarfteHung berfelben. ©o crs
flärt fid^ aud^ baS Sutüdfgrcifen nid^t nur auf bie ältere d^riftlid^e, fonbem
aud& auf bie altgried^ifd&e 9Kuftf, nid^t jum 3^^*^ l^tftorifd^er ©arfiettung,
fonbem jur |)erleitung unb ©rlöuterung mufifalifd^er ®efe§e aus einer
frühem X^eorie ober ^ßrajis ber SEonlunft. 3)ie äftl^etifd^e Se^anblung ber
9Mufif fann alfo ben ©d^cin nid^t öermeiben, teils lüdfenl^aft teils meits
fd^meifig ju fein; fie mu^ aber burd& bie ©rünblid&feit in Erörterung aß«
gemeiner 3=ragen, burd& |)]^iIofot)]^ifd&e SSertiefung, ein eigenartiges 3ntereffe
ju ermedfen fud^en.
2)ie benü^te fiitteratur mirb gelegentlid^ im 2ejte angegeben.
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©onn' unb aJlonb !Iar ! §immel, SDÖelt frol^!
S)ic|elbc ajlelobie totrb in toeitcrn fünf Strot)^en öariicrt.
Stotitti itapiUL a) a)er mufifolifd^c Zon unb Älong. 27
^weites ^apxicL
^on ititb (^fang. (^onfonans nnh Pt/IToitait).
a) ^er mufüaliffle %on ttnb ftlang.
37. SBcrben bie Scild&en eines claftifd&en fförpcrS bur(§ 93ett)egung au§
i^rer ©leid^getDidötSloge Derbrängt, fo fud&t i^rc natürli(^e fto^äfionsfraft
bie ©törung aföbalb toieber aufjul^cben; jebeS fortbetoegte leild^en le^rt
lüic ein ^enbcl bur(§ rüdläupge ©d&mingungen in ben frül^ern 3iiftönb
ber 3lu^e jurücf. 6inc fold&e fd&tt)ingcnbe Seioegung gel&t Quf alle um=
gebcnbert S^eild&en beS ßörperS felbji tnic anä^ ber 2uft über. SDoS 6Je=
famtergebni§ öieler Keinen unb rafd&en Semegungcn toirb nun aud^ bem
©el^öre bernel^mbar. ^^nlid^ mie burd^ ben einfaHenben ©tcin im SBajfer
ein §ins unb |)crfd&tt)anfen ber 2:rot)fen öerurfad^t toirb, toeld^eä \\ä) im
2luf= unb Sl6tt)ogen öon lugelförraig anjd^tocllcnbcn unb t)eriobif(§ toieber
finfcnben SBajfermaffen futtbgiebt: fo maiä^en [i(i^ ja^Ireiiifee rojd^e %ziU
betüegungen in einem Körper burd^ fiufterjd^üttcrung unserem O^re bemerfbar.
2öir bejeid^nen biefcn ©inbrud als © d& a 11 unb nennen bie ©in^eit ber in
geraber Sinie fortgcpflanjten ^Molefularbewegung ©d^aümelle, obfd^on l^ier
bie Sform ber SffieDe burd^ abtoed^felnbe SScrbid&tung unb Sßerbünnung ber
Suftfd^id^ten erfejt toirb.
33on ber fd^toingenbcn Setoegung afö Urfadöe ber ©d^aöempfinbung
fann man ftd^ augenfd^einlidö überjeugen burd& baS 2luf^üt)fett bon ©anbs
förnd&cn auf tönenb^n platten ober oon t>at)iernen JReiterd&en auf an=
gefd&Iagenen ©aiten. Um jebod^ ben ginbrud beS ©d^alleS ju erzeugen,
muffen bie ©d^toingungen eine gemiffe 3ö^I/ ©efd^toinbigfeit unb SQßeite
^aben. 3)ic ^enbelfd&mingung , bie Oer^öItniSmäpig langfam üor fid^ gel^t,
ift nur bem 3luge, bie rafd^e ©aitenfd^mingung unmittelbar oft nur bem
D^re tt)a^rnc^mbar. 2)ie ©d^aUfd^mingungen unterfd^eiben fid^ oon benen beS
fiid^teS unb ber SBärme burd^ geringere Qaffi unb größere SBeitc. S3efonbere
©d^aUcrfd&cinungen finb baS ftnoDen unb ftniftern, baS Staffeln unb SloHcn,
ba§ ©raufen unb 9taufd&en, ba§ 2ärmen unb ©d^reien u. f. lo., enblid^
ber mufifaüfd&e Ston, weld^er burd^ fd&nclle ©d^mingungen bon
ganj gleid&er 5)auer unb gorm, in iiemlid^ großer 2lnja^I
unb mäßiger ©pannungsweitc, erjeugt toirb.
38. Sßerbient fd^on jeber ©d&all, toic er aus ber ge^eimniSboHen SQSerfc
ftatt ber 5latur, als in ©cprSempfinbung umgefe^tc SWoIehifarbewegung,
l^eroorbrid^t , unfere öetounberung, fo ift ber mufüalifd^e %on gerabejuein
5Keiftertoex! ber 5Ratur, baS uns als finnbegabte aOßefen burd& 5lnne^mlid6=
teit entjüdEt unb als benfenbe aJlenfd^en burd^ eine ftaunenStoerte ®efe§=
28 3)Deited StapM.
mä^igfeit, burd^ bic qu§ ber ^Kannigfaltiglcit jol^Ircid^cr SBctocgungcn
]^crt)orbIiJcnbe fd^öne ©inl^eit, ouf bic ^^fobc bcr Äunji leitet. 3)ic leidet
fa^Iid^e Dtbnung, bie fd^öne Siegel i[t e§, totlä)t xin§ ben 3:on um fo t)iel
ongcnel^met tna^t als baS öerwonene ©cräufd^, eS mag btcfeS nod^ fo
wenig öerle^enb auf bie 9iert)en loirfen. Unfere für bie Drbnung geftimmte
9?atur Q^nt in jenem fogleid^ bie öertoanbte ©timmung, finbet anä) in ber
greifbar beftimmten §ö^e unb 3:tefe besfclben fofort ein Unter|)fanb ber
t)orau3gefe^ten 9tegel unb bringt mittefö wiffenfdgaftlid^en ©tubiumS 6i§ jur
beutlid^en 3erglieberung ber fc^mingenben Bewegung burd^. Set 2:on be=
friebtgt unfere ftnnlid&=geiftige 9iatur burd& eine beftimmtc SufStempfinbung
unb burd^ bie äberrafd^enbe Sntbedfung Don @efe^mä^tg!eit.
SBer liebte bie Söne nid^t? ©d^on bas ßinb laufd^t i^nen gern,
al^mt fic nad& ober fingt fie aus eigenem triebe, »ie ber 9Kann burdfi fie
bie greube feiner 3^efte öerboppelt. 3)urd& bic SDiufif wirb ber 9Kut be§
©olbaten entflammt, wie bie 2lnbad&t ber betenben ©emeinbc crl^öl^t. S)ic
9Rad&t ber 3:onIunft anerfennt ber 9Kenfd& auf ber niebrigften tt)ie auf ber
pd^ften ©tufe bcr fiultur. Unb wer m\i^ nid&t, ein wie großer SBrud^teil
biefer SBirfung gerabe bem Sauber ber 3:öne überl^aupt unb nid^t crft ber
auSbrudfSDoQen Slonfolge bei}umeffen ift? ©o überzeugt baS eingebome
©efül^föurteil unö üon ber innern SJortrefflid^feit beS mufifalifd&en %ont§t;
es lel^rt i^n mit ber ©timme ober auf Snffrumentcn l^erborbringen , lange
bebor wir unS t)on bem ©runbe ber ©d&önl^eitScmpfinbung 9led^enfd6aft geben
fönnen. 2)cr forfd^enbe SJerftanb aber wirb freubigfl überrafd^t, wenn er
baS ®e^eimniS beS 2:oneS burd^fd^auen lernt.
89, S)ic Slfufttf femtt ein Snftrument, auf tocld^em burd^ eine bcftimmtc 5tn»
sal^I t>on Suftftö^en ein gegebener ^on nad^gebilbet unb alfo oud^ nad^ ber 3al^t
feiner ©d^toingungen audgemeffen toirb. 3Jlan l^at ed, iool^I in bei erften Sfreube
über bie fd^öne (Sntbedtung, bie Sirene, b. f). bie be^aubernbe Sängerin genannt.
S)cr fogen. Kammerton, baö eingeftrid^cnc a (a' ober a*), toonad^ man bic Snftrumente
3u ftimmen ipficgt (einer ber l^öd^ften Sönc bc8 ScnorS unb ein mittlerer bcr l?naben=
ober Sftauenftimmen) , crtoeift fid^ fo als ein %on bon beiläufig 440 ganj gleid^en
©d^toingungen in bcr ©efunbe. 3)urd^ bie Sirene loirb gugleid^ augenfällig bar»
getl^an, hai bie ©d^toingungd^al^l bcr %bnt in gerabem Slerl^dltniffe
3U beren ^öl^c fielet, b. 1^. ba6 ein S^on um fo mci^r ©d^ioingungcn l^at, je
l^bl^er er ift.
S5ic ©d^toingungSaal^l aller Prbaren S^öne liegt nad& ?Prc^er (1876) beifdufig
jtoifdjen 14 unb 40 000, bic bcr mufifalifd^ braud^barcn cttoa jtoifd^cn 40 (Äontra«E
ober Ca) unb 5000 (d*), alfo innerhalb 7—8 Oftaocn, umfaßt Äontro*, groftc, fteinc
unb ein« bid fünfgeftrid^ene OftaDe. 2)ie mcnfd^lid^e ©ingfttmme rcid^t nur ctloa t)om
5lnfang ber großen 0!taöc bi^ in bie 2)littc ber brcigeftrid6enen, C ober q big über f*
(64—1500 ©d^tüingungcn). 3ebe ^injelftimme ift natürlid^ nod& oicl bef d^ränftcr ;
bic 3^enorftimme j. S9. ge^t burd^nittlid^ oom c ber fleincn Oftaöe bis jum g ber
eingeftrid^cntn ober bi§ jur nad^ftl^Öl^crn @tufc, bem Kammertöne. S)ic Statur fc|t
alfo für bic Äunft ein ioeifcS Tla% an, bamit burd^ bcfd^ränftc ajlittel ju bcfto
a) S)er mupfoUfd^c %on unb Älang. 29
grögeret Sefricbigung ipol^es crgielt toerbe. Sebenfaffö ift eS ' auffattenb , bafe un8
für bie SBal^rncl^mung ungleid^ me^r %bm ju ®c6ote ftcl^cn oIS für bic mufifoUfd^c
SJertocnbung; leitete toixb boburd^ bcfd^rönft, bafe Sönc öon mcl^r alö 5000 unb
meniger aU 40 @^mtngungen nur unfid^er nad^ $öl^e unb Siefe absufd^ä^en finb.
S)te ©efd^meibigfeit be§ ^JiaimaU f^at aud^ fo nod§ bie ftetige unb fld^ete @nttt)t(IIung
ber SRufif Qugenfd§etnlid§ erfd^toert.
5^ie genauem (S^^erimente, toeld^e $elm^ol| unb t)an Sd^adC (in 9totterbam)
angeftettt l^aben, ergaben, ba^ nod^ bad Subfontia^A mit 28 Sd^toingungen unb
unter ben günftigften Umftdnbcn baö @ubfontra-C toal^rjunel^inen feien. S)onn aber
l^ort nad^ ber ^iefe jebe äöal^rnel^mung eine^ mufifalifd^en ^oneg auf, obfd^on bafi
SSorl^anbcnfein tieferer 2;öne ungttcifell^aft ip; eS toirb bieg burd^ bie ben Slugen
toal^rnei^inbar geuiad^ten ©d^toingungen erliefen, tuo bog Stuge ben %on fielet, ben
ba^ SDf^x nid^t l^ört. ^ntereffant ift, bog aud^ bie Obertöne, 3. f8. Bei bem @ub»
fontra=Diß auö ber Äontro«£)!tat)c Dis unb Ais , prbar bleiben. — ?lad^ ber ^bf^t
gelten bie Stngöben über bic öcrnci^mborcn Söne toeit auSeinanber; öictteid^t finb
nur ettoa 16 000 6d^U)ingungen nod^ ol^ne äJ^ül^e aU mufifalifd^er ^on ju unter«
fd^eiben.
40. S)aö Organ ber ntufifalifd^en Sonempfinbung , baS ©el^ör, ift für biefelbc
tDunberfam eingerid^tet. ^er burd^ Ol^rmufd^el , ©e^örgang, %vommttt}'6fHt unb
ßob^rintl^ioaffer aufgenommene, öerftärfte unb fortgeleitete 2;on fd^Iägt an eine
SJlembran (membrana baeilans) , meldte in ungefäl^r 3000 Ofafern auf Derfd^iebene
©d^aßeinbrücfc abgcftimmt ju fein fd^eint unb biefe bal^er, fo gemifd&t fie aud^ ein«
treffen mögen, genau in ©ingeltöne ^erlegt (^elm^ol^). S)ie 6nben biefcr fjafern,
bie fogen. ©ortifd^en S^ogen, liegen toie Älaöicrtaften nebeneinanber , unb auf ii^nen
f))ielen bie ^öne t>on au^en. 3)ie baburd^ erzeugten 9lei3ungen |)f(an5en fid^ sum
©el^irne fort unb erregen bie äöal^rnel^mung ber S^öne unb il^rer jebegmaligen ^öl^e.
^ei mel^reren gleid^geitigen S^önen teilen fid^ bie Sfafern nad^ bereu ^erfdgiebenl^eit
in bie Aufgabe, ungefäl^r fo, loie hzi einem ^labier, in toeld^eg man Söne l^inein*
fingt, gerabe biejenigen ©aiten mitüingen, toeld^e auf biefe Söne abgeftimmt pnb,
toä^renb anbere Sönc Don anbern ©aitcn aufgenommen toerben.
S&€rgleid§t man Son» unb ßid^tempfinbung miteinanber, fo fpringt fofort bie
Der^ältnidmö^ige Unabl^ängigfeit ber erftern Don ben räumlii^en ^erl^ältniffen
bei^ S^onerregerg (beiS tönenben ©egenftanbejS) in bie ^ugen. S)ie Sid^terfd^einung,
obtool^t gleid^faKö burd^ ©d^toingungen »ermittelt, überträgt bod^ aud& bie S&i(bform
be§ pd^tbaren ©egenftanbeS auf bie ^le^l^aut beä Slugcö. S)er S^oneinbrudC l^ingegen
I5ft fid^ nod^ mcl^r oon ben objeftiDen ^crl^ältniffen beS S^onerregerö ab, um nur bie
Säctoegung felbft ju übermitteln. 2)a]^er finb toir fo geneigt, be^ufä einer mbglid&fl
objcftibcn Ergreifung beö Soneä mit bem Sluge nad^ ber S^onqueffe ju fud^en, loeld^e
un§ baä Ol^r nur nad& ber allgemeinen IHid^tung unb Sage offenbart. S)ic ©mpfin«
bung beg Sone3 ift alfo fubjeftiber unb innerlid^er, inbem bie Slufmerl*
famleit beö ^öroermögenä fid^ tocniger auf SOßal^rncl^mung beg SJingeg aufeer ung
als auf ©rfaffung beg ßinbrurfg in ung rid^tet. S)ie 3JlufiI ftel^t in einem oiel
ndl^ern Söerl^öltnig au ben ©innegemtJfinbungen alg fömtlid^c übrigen ^nfte,
»eld^e cg öielmel^r mit ben ©innegtoal^rnel^mungen, b. 1^. mit ben SJorftet-
lungen öufeerer Objefte, gu tl^un i^aben, bie toir mittelft pf^d&ifd^er ^rojeffe am
ben ©innegem:pfinbungen gewinnen. S)er bcgrifflid^ unbeftimmtere ©inbrurf (bie
bunficre ©mpfinbung) fte^t alfo, im ©egenfa^c ju ber bcftimmter umgrenaten Söal^r»
nel^mung, nid^t fo unmittelbar ju htm erfenntnigbermögen a(g öielmel^r ju bem
©efül^Ic in Söe^iel^ung. S)ic finnüd^e ©etoalt ber S^bne toirb baburd^ bebeutenb
30 3n)eited üapitel.
erl^öl^t. ^enn je mel^r bad bunflere @eful§l bte Ilare (grfenntnid überwiegt, befto
ungel^emmter unb erfd^üttember toirfen bie @tnbrücle. 2)te taglid^e Srfal^Tung lel^rt
anä), tt)ie gerabe bte Unbeftimmtl^eit ber Sonempftnbung be^figüd^ il^rer Cuelle unS
Uid^ttx erfd^tedt, toenn toir uns bebrol^t glauben, ober au^ einen gel^eimmdüoUen
Sauber ausübt, toenn U)ir unS angenel^m berül^rt fül^Ien, ol^ne red^t su fe^en, tote
bieS betoerifteOigt ioirb. (&itoa% bom S)unfel bed @ei^etmntffed l^at ber S^on immer,
toeil er feiner Duette unb feinem ganzen SBefen nad^ ber ^nfd^auung ber ^ugen,
beS Ilarften ber @inne, unb überbau))! ber unmittelbaren (Sinftd^ entrüdt ift; feine
äBirfung beftel^t sunäd^ft nur in gal^lreid^en, bereinjelten ©tögen auf unfer ©efül^U«
nerDenf^ftem.
€d ift, merlttürbtg genug, eine UnDottlommenl^eit unfereS SBal^mel^mungS»
bermbgenS, U)eld^e bem S^one erft feine äft^etifd^e S^ebeutnng giebt. S)ie UnmogIid^!eit
nämUd^ ber ^uffaffung t}erein5elter ©d^toingungen bringt eS mit fid^, ba^ ber mufi«
falifd^ braud^bare S^on erft aud bem einbeitlid^en Sinbrucle gal^Ireid^er Sd^loingungen
geU)onnen mirb^. @o tritt ber %on aud§ für ben $lfuftiler, fo med^antfd^ ftd^ ber»
felbe für il^n aud^ aud meßbaren ©d^toingungen suf ammenf e^t , bod^ ur))rö^rid^ inS
S)afein, toenn nämlid^ baS €)^x beginnt, einen (einigcrmafecn) l^effen unb öotten 3u*
fammenflang auf beftimmter S^onftufe )u t)erne]^men.
41* ^ud§ bie alten ^Qt^agoreer lannten bie S3ered^nung ber 3^5ne nad^
©d^toingungSmengen. ^aS ertoeift ^l^imud (C>armonifale @^mboIif beS ^Iter»
tum« 1, 115 ff.) ganj augenfd^einlid^. 3um JBeifpiel l^eijt eS in ben (pfeubo«)aripote«
lifd&en Problemen 19, 39, bafe „ber atoeite ßuftftofe ber Oftaöe bie «Prim" fei, unb
^orpl&^riuS (bei Wallis, Opera III, 213 sq. u. 236 sq. ber €jf orber 5luSg.) fü^rt
biefe Seigre ouf ^^t^agoraö jurüdf, ber aud& crfannt, bog toir bie biSfontinuierlid^«
momcntonen ßuftftöfee toegen ber ©d^toäd^e unfcrcS aööabrne^mungstjermögens nid^t
Oerfpürten; eS fei bie äßal^rnel^mung beS refultierenben ^oneS öl^nüd^ toie bie einer
ßinic, toenn ein üreifel mit einem toeijen ober fd^toarjen fünfte fid^ fd^nell breite,
too bann au3 ben rafd^ fid^ folgenben ^inbrücfen beS fünftes eine fontinuierlid^e
®m|)finbung entftcl^e.
42. S)ie fafebare Scfiimmtl^eit, mit mli^ex ber mufifalijd&e %on |)Iö§Iidö
Quf fcftcr unb [id^ercr ^öl^enftufe, glcid^fam als ©icgcr im gefamten Slcid&c
ber l^örbaren ßrfd^cinungen, auftritt unb o^nc SBanfen öcr^arrt, giebt il^m
feinen eigenartigen, munberfanien !^avibti unb unterfd^eibet il^n namentlid^
t)on bem unfid^cr fd^toanfenben ©predjtone. Unfer D^r mirb bemnad^ für
bie Unfäl^igfeit , einjelne ©d^mingungen ber Körper ju unterfd^eiben , burdfi
ba§ übcrrafd^enbe 6rgebni§ einer jufammenfaffenben SBal^rnel^mung ent=
fd^öbigt. ®ic erft al§ blofee Suftp^e bem 2:aftfinnc bemerlbarcn ©d&tt)ing=
ungen (nad& ^ret)er 8 — 14) tnerben, tnenn i^re 2ai)l \\ä) meiert (14 — 24),
ju einem anwerft fd^mad^en Saute, unb fdEjIie^fid^ (t)on ber Qa^ 24 an)
ju einem für jebeS normale @e^ör vernommenen ©ummtonc, ber fid^ immer
beutlid^er unb beftimmter geftaltet. 9JJit ber öollenbeten 9lu§geftaltung,
gleid^fam mit ber SSoHenbung be§ ffunftmerfeS ber 5Ratur, beginnt tt)ie
immer ba§ äftl^etifd^e SGBol^Igef allen ; ba§ SSerl^arren be§ einl^eitlid^en 2:one§
auf feiner beftimmten ^öl^enftufc bringt in un» bie ©mpfinbung be§ fertigen
9lbfd&Iuffe§ bcfinitiö jur ©eltung. S)ie fubje!tit)e ©eite ber Stonempfinbung
a) S)cr muflfolifd^c %on unb Älong. 31
tritt l^ier toiebcr beutlid^i ju %a%t, inbcm bic ©igentümlid^fcit unfcrcS ®cl^örc§
nur in ber einl^eitlic^en S^f^^^^^f^ffi^^S ^^^^^^ Jlört^erfd^tmngungen ben
tnupldifd^en Son crlennen lä^t. grfol^rung^mäfeig ift bicfcS Scmiögen
ThufiIoIi[^cr Sluffaffung bei berfd^iebencn 9Renfd&en in Derfd^icbencm ®rabc
ju finben.
,®aS SKaterial bcr 9Jlufif liegt longe md&t fo objeftiö fertig bor tok
gforbe, ©eftolten unb SBorte in ben übrigen ftünjten; eS löfet barum anä)
ber fubjeftiDen Umgeftoltung bie größte gfrei^eit unb bietet fid^ oI§ überaus
f ^miegfonten ©toff . bcr ^Bearbeitung bar. 3)ie blofee 9lad&a]^mung ,ber 9?atur,
j. 35. bcS a5ogelge[ange§, fann felbji in ben 2lnfäiigen ber.3Jlu[tI nur eine
fel^r untergeorbnetc SJoIIc gef|)ielt l^aben. 33ei ben bilbenben fünften toar
iaS ganj anbcrS, unb ^oefie unb S3aulun[t fe^en bort ein, mo fd^on be=
beutenbe SSorarbeiten geleiftet ftnb. 9Jle]^r unb niel^r leud^tet alfo aud^ ein,
tt)ie menig bie Sieije ber 5DlufiI an beut äußern ©toffe aH
lold&em l^aften, ja tüie biefer in ber lünftlerifd^en Setrad&tung faft Der?
Id^minben muffe unb baS ju il^m $in}uIommenbe beinal^e augfd^Iiepd^ t)on
SBert fei. 3)a^er ba§ SBort ©oet^cä: ,,®ie Stürbe ber Äunft crf^eint bei
ber SKufi! öieKeid^t am eminenteren, meil fie leinen ©toff l^at, ber abs
gcred^net merben müfete. ©ie ift ganj Qform unb (Sel^alt unb erl^öl^t unb
öerebelt alles, maS fie auSbrüdt," 2BaS bie 3Wufil t)on an^m aufnimmt,
beftc^t nur in jal^Ireid&en DScillationen ober med&anifd&en Suftftö^en; erft
bie eigenartige SSerfd^meljung berjelben mit ber fubjeltiDen @m|)finbung er=
geugt ben 3:on, baS nod& jel^r flüd&tige ©toffelement ber 9Ruftf, unb faft
alles SQBeiterc ift nun 2lufgabc beS orbnenben unb fid^ felbji offenbarenben
®eifteS. ®arum mirb eS bicfcm aud) leidster als in irgenb einer anbern
ftunft, ben ©toff ju formen unb il^m Sebeutung ju geben; er finbet an
bcmfelben bei meitem nid^t ben gleid^en 2öiberftanb mie an bem ©toffe ber
S9ilbncrei ober ber 9JlaIerei. SlnbererfeitS mufetc bie übergrp^c grei^eit ber
Setoegung in ber 3Jlufi! jmar mand^erlei SBege jum Qkk eiröffnen, aber
audö bie fidlere unb fefte S3etretung eines beflimmten öerjögern. 3Bie biele
©d&ttjanfungen unb SBanblungen toeift nid^t il^re ©cfd^id^te auf!
43» SJieS crlennen mir nod& Harer, menn mir baS SBefen ber 33e=
lüegung felbft, bie als unfertiges ©toffelement aufgenommen mirb, nft^er
Betrad^ten. SDie ^enbelfd^mingung ber SDloIetüIe beS SörperS unb ber Suft
ift ein JBerlaffeu ber ®Ieid^gemid6tSlage unb , nad^ me^rf ad^em |)in= unb
^erfd^manfen , eine SRüdttel^r in ben. Sftul^eäuftanb. ©ie ift eine gleid^mä^ig
getragene, gefe^mä^ig fid& auSmirtenbe Sraftbetl^ätigung , ö^nlid^ bem 3ln=
fd^meUcn unb 3^^'""^" ber SBaffermeKe. 9llfo finbet fid& bereits in bem
rittfad^flen Clement etmaS Don ber fförpergeftalt Unabl^ängigeS. 3)ie röunu
lid&e ^Bewegung ber ßört)er= ober fiuftteild^en tritt für unfere ©mpfinbung
ganj l^iiiter bie jeitlid&e, bie bem (Seifte öermanbtere, jurüd, unb fo bleibt
32 3totttc8 StapM.
für bie jtunft nur bieientge Setoegung in Geltung, toeld^e aUetn ani) ber
@eele eigen ift, bie 2:^&tig!eit nämüd^, tDeld^e ft(^ izxtlxi) qu§ betn 3uftanbe
ber Stulpe fortentmidelt unb nad) entf|)re(i^enbem ^bfd^Iu^ ju il^rem Sag::
gangSpuntte gleid^fam jurUüe^rt. S)a]^er ftimmt unter bie[em ©eftd^tspuntte
abermalg boS SBefen beS mufilalifd&en SoneS tounbcrforn ju ber natürlichen
innem Slnlage beS 2Renfd&en, unb toirb e§ Slufgabc ber 3:onfun|l, baS
6eh)cgtc Seelenleben beS SMenfd^cn ju offenbaren.
44. ®ic 3Kufi! wöd^ft um fo inniger mit ber gmpfinbung beö SWenfd&en
gufammen, atö e§ biefem mögütig ift, fie in fid^ f eiber, ol^ne irgenbti)eld^e
gntlel^nung bon au^n, ju öertoirlüd^cn. Unfer ©timmorgan ift ein
überaus öolIIommencS mufifalifd^eS Snftrument. 6S »irb burd^ bie öon ber
Sunge angeblafenen ©timmbänber §u einer 2lrt 3ungen|)fcife, ber bie 9iad&ens
unb 3Jlunb]^öl^Ie atö Slnfa^rol^r bient. 3)ie öerfd^icbene Sänge unb Spannung
ber Sönber, bie aRitfd^toingung anberer Seile unb bie ©tär!e beS SuftftromeS
beftimmen bie SSefd&affen^eit beS Jones. S)ic Stimme beS 3JlanneS ift tiefer,
fräftiger unb toürbiger ; bie ber ßnaben unb t?rauen liegt eine Dftaöe l^ö^cr,
ift fd&toäd^er, toeid&er unb gefd^meibiger. ®er ®runb für beibeS liegt in
ber Sefd^affen^eit beS Äel^lfopfeS. 3)ie l^ötfefte Stimme, ber ©islant, wirb
burd^ bie 3HtfKmme (ber 3ünglinge bon nod& nid^t reifem Sllter) mit ben
5Dlännerftimmen, Senor, Sariton unb Sa^, in fold^er SBeife vermittelt, ba$
ber Dielftimmige ©efang bie mannigfaltigen SBorjüge ber 3Jlenf(i&enftimmen
ju ^armonifd&er ßinl^eit öerbinben fann. Sergleid^en »ir nun aber bie
SeiftungSföl^igleit ber toten Snftrumente, fo föDt }tt)or ber berl^ältniSmäfeig
geringe Umfang ber menfd&Iid^en Stimme auf; allein eS offenbart fid& an
biefer ein ungleid^ größerer SSorjug: eS fprid^t auS i^r ^erj unb Seele in
auSne^menber ff lar^eit unb SQBärme ; fic fielet jenen toten SBerf jeugen beina!^
tt)ie ber lebenbe 3Kenfd^ bem leblofen Säübe gegenüber, fic bringt, aus tieferem
Säorne queüenb, aud^ tiefer in bie Seele beS ^örerS. 6S ift bie größere
Subjeftiöitöt , toeld^e il^r bie größere ftraft giebt. Salier lönnen bie er=
ftaunlid&ften ftunftproben auf 3nftrumenten baS natürlid^e SBol^Igefaflen am
reinen ©efange nid&t abfd^mäd^en. 6s obfiegt aud& l^ier bie innere ftraft in
äußerer Sefd&rönfung — eine golbene SRegel ber ed^ten ftunft, bie leiber in
ber 6nttt)idfIungSgefd^id&te ber SRufif öfter über (Bebül^r öernad^Iöjfigt tourbe.
45. 2)ie menfd^Iid^e Stimme fd&cint auf bie 3Serbinbung ber ©prad^s
laute mit bem Sone burd^ bie 5latur felbft l^ingetoiefen ju merben. ®enn
wie fd^on 2lriftoteIeS beobad&tete (^robl. 19, 10), übertrifft fic nur bann
an Sieblid^feit bie ^lötc ober Seier, menn fie burdö baS 2Bort bie ^armoni!
ber 5Munb]^ö^Ie mit in Slnfprud^ nimmt. Sprad&= unb Singorgan finb
bem SJlenfd^en bon ©ott jum natürlid&ften unb bollfommenjien 9luSbrudfe
feines Innern gegeben. 3)iefelben mirlen felbft beim Spred&tone jufammen,
inbem j. S. bie SSofale i^re SSerfd^ieben^eit nur bem berfd^ieben mittönenben
a) S)cr mufifalitd^e ^on unb Älang. 33
Sä^dUbeä^n bc§ 3Runbc§ berbonfen unb mcd&anifdö bur(i& ein SEongentifdö
Don ©timtngabeln barjiellbar jtnb (|)eIm^oI§). Scibe crgänjcn [id& toed^fct
fcitig; bic Bpxai^t brüdt bic 3been ou§, unb ber ©tngton umficibct bic=
fclbcn mit jtnnlid^cm !S^viUt. SJicfc na!^c 33e§ic]^ung geigt micbcr augcn=
fällig, bafe bie 3Jlufif näd&ft bcr ^oejtc bic fubjeltiöftc unb tnncriid&ftc ber
fd^önen ftünjic i|i ; größere Objcftibität al§ bie ^ßoefie erl^ält fie nur boburtfi,
bafe [ie ben %on oudö ouS toten 3n[trumenten l^erborlodtt , unb ba^ im
©egenfa^e jum farblofen SBorte ber Jon fd^on ofö äußerer ßlong einen
aOßert für bie ßunft l^ot. S)a8 SBort iji öorwiegcnb S3ebeutung, bcr 2:on
ift ßlang unb 33ebcutung, le^tereS nid&t ofö 33egrtffSbejeid&nung , fonbern
afe ßmpfinbungSouSbrudf.
46* 3la6) ben njcfentlid&en unb unberänberlid^en ßigenfd^aftcn be§
3:one§ fommen bie öeränberlid^en unb ttjed^fclnben in Setrod^t.
©d^on in ben ßinjelfd^wingungen, au§ meldten bcr Jon entfielet, finbet
fid&, mie bei ber abne^menben Setoegung beä ^enbels, ein Unterfd&ieb Don
©tärle unb ©d^wädjc; ba^er Hingt aud) ber boHe Jon leife ouS, tt)o=
bei oft, §. S. bei fd&mingenben ©aiten, baS 2luge bie gleid^jeitigc 2lbna^me
ber ©d^mingungsmeite roa^rnimmt, bie mit ber Slbnal^me ber Jonftörfe
jufommen^ängt. 3Ran lann ober bem Jone miUHlrlid^ einen befonbern
9iad^brud geben, ol^ne beffen mefentlid&fte ©igenfd^aft, bie beftimmte ^Sf)t,
ju beeinträchtigen. ©0 j. 35. burd^ ftärfern 9lnfd^lQg ber ßlooiertaften.
@ine gemöl^nlic^e 9Irt, ben Jon ju berjiärlen, berul^t auf ber Sie Jon an j,
b. f), bem 9Kitfd^tt)ingcn größerer fförperfläd^en mit bemjelben. 3Wan be=
nü^t baju elaftijd&e §oIjtafeln, meldte, mit einem ©d^aHerreger öerbunben,
jcben Jon öerftärlen, ober aud^ ^oljfaften, in benen au^erbem nod^ bie
eingefdjloffene Suftmenge refoniert. 3)ie Slnmenbung bei mufifalifd&en 3n=
firumenten ift belannt. ßtmaS öerfdjieben mirft bo§ 9Kittönen^ eineä
eines ffiörperS, ber einen feften ßigenton l^at, in bem gaHe, njcnn ber gleid^e
Jon in ber Stolpe angefd^fagen wirb. S)ic baburd^ l^eröorgerufene über=
rafd^cnbe JonDerftörlung (j. S. in ben „SRefonatoren") ift für bie |)]^^fi=
!ali)d)c Unterjud&ung ber Jone oon größter S3ebeutung geworben, ©d&on
oben würbe bemertt, bap unfer O^r ein überouS f unftreid^cr , auf eine
anfel^nlid^e 2lnja^I Don Jonen abgeftimmter SRcfonator ift. 6in SDlittel,
bem Jone bie Derjd^iebenften unb beliebig abwed^felnbe ©tärlegrabe §u geben,
bietet fid& in ber entfpred^enben jur ©d^aKerregung aufgewenbeten Slnftrengung.
S)iefe felbft fte^t in gefe^mä^igem SJer^ältniö ju ber ©pannweitc unb ber
©d^ncKigfeit ber ©d^wingungen , alfo ju ©reite unb ^ö^e beö Jones, fo
bap ber ^öl^ere Jon bei gleid^er Slmplitubc ftärfer an baS O^r fd&Iägt unb
* S)q8 9Jlitt5ncn gleid^ ober l^armontfd^ geftimmter ©attcit toor fd^oit ben
®rie(|en befonnt («Pf.«2lriftot., «ProBI. 19, 24, unb Arist. QuintiL, De Mus. 2,
p. 207, ed. Meibom.).
®tetmann, Öflletif. 3. Ztil. 3
34 Stoettcs StapM.
ber tiefere Son burd^ feine größere ©d^loingungärocite öerfiärft toirb. Unfer
©timmorgon ifi freilid^ fo eingerichtet, ba^ im allgemeinen bod& fotool^I bie
l^öd^ften als bie tiefften Söne einer unb berfelben Stimme am fd&toäti&ften
Hingen, njeil fie au§ öerfdiiebenen ©rünben am fd^roerften l^erborjubringen
finb, mä^renb naä) ber aRitte ju beiberfeits bie Äraft junimmt. $icr
ergiebt [xi^ alfo ein boppeÖeS ßreScenbo, baö eine öon oben unb ba§ anbere
t)on unten jur ajlitte l^in. Unter fonft gleid^en Umftönben aber fd^miüt bie
Sonftörfe mit ber %onf)'6f)t, jumal pl^^fifalifd^e aSerfud&e eine größere 6m=
pfinblid&!eit be§ Cl^reS für l^öl^ere SLöne ergeben l^aben; beäglei^en mit ber
©panntücite , bie ebenfalls eine größere 2lnjirengung er^eifd&t. Siefe, laute
Xöne maiä^en il^rer öcr^öltnismö^ig großem 91mplitube roegen ben ßinbrud
ber ^üße, toit bie l^öl^eren ben ber |)eftigfeit. S)ie 3:onftärfe l^at alfo in
ber ^ö^e einen etroaS anbern ß^arafter als in ber 3:iefe; bort erfd^eint fie
toegen befd^Ieunigter Setoegung als l^eftig anftrebenb, l^ier njegen ber großem
©d^toingungStoeite als feft unb fidler in fid& gegrünbet. S)iefe ßrgcbniffe
einer toiffenfdiaftlid^en 33etrad&tung ber Sonelemente toerben bom natürlid^en
©efü^Ie DoHauf beftötigt. 3nner^a(b ber gel^örigcn ©renjen öerftärft fid&
ber auffteigenbe (Sefang, unb ber Son leibenfd&aftlid&er Erregung liegt ^öl^er
als ber einer ruhigen ffraftäufeerung. |)inn)ieberum le^rt bod^ bie 6r=
fa^rung, ba^ eine aßju l^o^e Stimmlage im oDgemeinen ein !^t\ä)tn !örper=
lid^er ©d&toöd&e ift, toie bei ffnaben unb S^rauen; eS l^aben tbm l^öl^ere
Xöne meift Heinere SewegungSeinl^eiten , mad^en gleid^fam Heinere ©d^ritte.
SDie 2Jlännerftimme aber ift tro| ber 3:iefe megen i^rer 33reite Diel fräftiger.
93eibcrfeitS nimmt bie ©tär!e um bie ajlitte beS ©timmumfangeS ju.
Über einen td&cinbaren Söibcrfptud^ in biefen ©rfaftrungen verbreitet fid^
[^feubo=]5lriftoteIe8 ($robI. 19, 37) in folgenber Söeife: „S)ie §o^cn 2:öne
ber ©ttmmc l^aBen ben ß^l^arafter be8 Söinjigen unb bie tiefen ben beS ©rofeen (benn
bag S^iefe ift toegen feiner fjütte getöid^tig, ba8 ^ol^e aber loegen feiner ©d^mäd^tig«
feit fd^nett); toamm ift e§ benn fd^toieriger, l^ol^e 3^öne ju fingen, als tiefe? . . .
SQßäre eä ettoo nid^t boSfelbe, eine natürlid^ §o^c ©timme ju l^aben unb l^od^ fingen
8u fönnen? 3n ber S^l^at l^at atte§ ©d^toad^e barum eine l^ol^c Stimme, toeil eö
feine grofee, fonbern nur eine geringe ßuftmenge, bie fid^ aber fd^netter betoegt, in
©d^toingung öerfe^en lonn. $od& fingen bagegen ift ein Seid^en ber Äraft; benn
tüQS fid& ftarf belegt, benjegt fid& rafd^, unb infofern ift bit ^b^z ein 3eid&en ber
Äraft. ©0 l^aben alfo fd&toinbfüd^tigc ^erfonen eine ^ofjt ©timme, unb bod^ ift es
anftrengenb, §od^ l^inouf gu fingen, nid^t minber aber tief l^inob" [toegen ber großem
©ponntoeite]. @S Wußt^ toie gefagt, bie ©tdrfe Don ätoei fid^ burd^freujenben gfaf=
toren ab: t)on ber ©d^toingungStoeite , toeld^e naturgemöfe ben ftarfen, tiefen Sönen
eigen ift, unb öon ber ©efd^toinbigfeit, toeld^e ben p§ern jufommt. 5llfo finb l^ol^c
2öne nur in Jöerbinbung mit großer 5lmplitube ftarfer, unb erforbern tiefe, encrgifd^e
^öne tDegen größerer ©d^tDingungStoeite mel^r ^raft als l^ol^e, fd^toad^e ^öne.
S33ie mit ^öl^e unb Siefe ber Jone bie ©törle berfelben ju= unb ab=
nimmt, fo med^felt fie aud^ auf gleid^er §ö^enflufe nad^ ber ©tärle ber
a) 2)er mu{tfalif(^e S^on unb ^lang. 35
3:onerrc9ung ; l^ict enlfd^eibct bie ©d^toingungStocite aKcin. 6s ift ©ad&c
bes aSottragenbcn , biejcn SJorteil für ben SluSbrudf bcS SKufifftüdcS an^=
jubcutcn, iDöl^rcttb bcr Äomponifl t)or allem bic 'Zonlaqe ttadö feinen Swetfen
einjurid^ten l^at. 33eibe muffen \\i) be§ äftl^etifd^en 3Romente§, bQ§ in ber
»ol^Ibemeffenen Sonftärfe liegt, bereuet fein. S)ie ©tärle bebeutet Spannung
ber Äraft, gntfd^ieben^eit ber ©efü^föäu&erung , gfütte beS (Se^alteS ober
fiegl^afteö Streben, ©ie paart fid^ gern mit toürbigem ©rnfte mie mit un=
ruhiger Seibenfd^aft. 3)ie %on]ä)tü'&ä)t l^ingegen bringt ben 5WangeI an
Äraft ober Energie ober ©el^alt, ebenfomol^I aber bie ftiüe Siul^e be§ ®e=
müte§, bie ma^öoHe S^^^üdl^attung ber innern ©timmung, ba§ bcfd^eibene
gleiten unb klagen jum 2lu§bru(f. ©d^on bei einer einzigen langen 5iote
ober einem furjen Saufe tbut ba§ jugleid^ gefällige unb finnöoHe 3ln= unb
Slbfd&meßen beS 3:oneS oft eine fel^r glüdEIid^e SBirfung. 3n großem 2:eilen
öon 9KufiIftüdEen forbert meiften§ bie 9lngemeffen^eit be§ SßortragS nod&
bringenber af§ ba§ SebürfniS ber 9lbtt)cd^Slung , ba^ bic Jonftärfe nid&t
immer bie glcid^e fei. SBie aber bei ben menfd^Iid&en ©tintmorganen fid&
mcinnlid^e ' Sraft unb njeiblid^e S^rtl^eit fd^on öon 9?atur gegeneinanber ab=
fc&eiben, fo öerl^ölt e§ fid^ aud^ mit toten 3nftrumenten , nur ba^ fid& l^ier
eine ungel^eure SJlannigfalligfeit ber natürlid&en SEonftärfe pnbet. S)iefe für
i^re Stoedt auSjubeuten, ift ©ad^e ber Äunft. ®anj berfel^It toöre e§,
burd& ro^e ©tärfe ber 3Jlufif anbere ßigenfd^aften erfe^en ju ttJoKen.
47» 2Rit ber Sonflärfe ift bie 3:onbauer nal^e öermanbt, tot^^alb
fid& bie eine gerne jur anbern gefeilt. 2)er 9?ad^brutf, weld&er auf einen
SEon gelegt mirb, fann am einfad^flen burd) ^inauSjie^ung beSfelben t)er=
pär!t merben; bie Sönge ift ja nur bie SBieberl^olung be§ fürjeren 2:one§
o^ne 2lbfe§en ber ©timme. ßbenfo entfpridjt bie Sür^e bem fd^möd^ern
Slnfd&lage, ba in beiben fällen t)om 5iad^brud berloren gel^t. 5iaturgemä^
nimmt inbeS ber 2lccent bie eigentlid^e SRoHe ber Xonberftärfung für fid^
in Slnfprud^. Slu^erbem i)aUn Sänge unb Sürje nod& eine anbere 93e=
beutung. ©rftere mad&t, mit 9?oten o^ne 9lad^brud öerbunben, ben ®in=
brud be§ Sangfamen, ©dimerfäHigen, traurigen unb Srägen, aber aud^ be§
ßrnften, Sollen, 93e^aglid&en unb SBürbigen; le^tere medt bie SßorfteHung
öon freier Setoeglid^Ieit , Don Weiterem ©piel imb leidjter SEänbelei, unb
fann, mit 3:onftärfe öerbunben, eine rudroeife ftc^ äu^ernbe ßraft t)erftnn=
lid^en. SDie Sonbauer l^at an fid^ ebenfo öiele ®rabe mie bie 3:onflärfe,
unb im ß^oral mit freiem SRl^^t^muS bleiben, allgemein gefprod&en, beibe
gleid&ermeife bem SSortragenben nad^ 9Ma^gabe be§ 3:ejte§ unb ber 3Jlelobie
überlaffen. S)ie 3RenfuralmufiI bagegen jeid&net in ber ßompofition felbft
bie burd^ baö StaftgefeJ ftrenger geregelten S^itma^e unb 2lccente öor;
au^erbem erlaubt fie fid^ rüdfid&tlid^ beS 2:empo§ nur geringere STOobifi:
lationen. Smmerl^in bleibt bie abfolute S)auer ber SLaltnoten nod^ bem
36 3)9etteg llapttel.
monnigföltigjlcn SBcd&fcI untcrtoorfen , toenn audö bct rclotiöe SQBett burd&
bcn JR^^t^muS jiemlid^ gcbunben ift. 2)aS TO. 3RäIjclf(öc 9Ketronom i)ai
110 ©rabe. ®ie Sebcutung be§ 3cittt)ed&feß im taftmä^igcn 3l]^5t]^mu§
toitb loeitcr unten ouSfü^rlid^er Bcfprod&cn werben.
48» Unter ben untoefcntlid&en unb nied&felnben gigenjd^aften be§ ntufi=
falifd&cn 3:oneö öerbient bie Klangfarbe no(fi eine bcfonbere 3lufmerlfam=
!eit. S)er muftfalifd^e 2:on fann jmar ol^ne bejonbere garbc, b. 1^. o^ne
ftänbige Seimifd^ung unwefentlid&er Siebentöne Don berfd^iebener |)ö^enfiufe
auftreten, §. 58. bei ©ptelbofen, ©locfcnfpielen , ©laS^armonifen , weiten
gebatften Orgelregiftern ; ^ier ift audö mittelft fünjHid&er Apparate ein 3:on=
gemifd^ faum ober gar nid^t wal^rjunel^men, ©infad&e Söne Hingen an=
genel^m, weid^ unb in ber 3:iefe bumpf (ber SSofal u ift faft einfad&).
3ReiftenS l^at aber ber mufilalifd&e Son eine ganje gieil^e t)on (fd&wäd&ern)
9?ebentönen im ©eleite, bie gewö^nlidö nur burtfe ^nftrumentc (Sffefonatoren
ober Königs Slpparat ber glammcnanal^fe) beutlidfe unterfd&icben werben ; bi§=
weilen genügt ba§u eine gefpannte 2lufmerffam!eit ; fonfl aber offenbaren
fie ftd&, je nad& !^af)l unb öerpltnismä^iger ©törte, in ber befonbem
„Klangfarbe" ber ©timmen ober 3nftrumente. Klarier, SSioüne, Klarinette,
§orn, trompete, ebenfo bie öerfd^iebenen SKenfd^enftimmen, ja bie einjelnen
SSofallaute ber ©prad^e bcrbanfen ben Dbertönen (unb anbern Slebentönen)
il^ren d&arafteriftifd^en Klang bei gleid^er |)ö^e unb ©tär!e. SDie Dbertönc
entfielen auf folgenbe SBeife. ®ie Sonenegung ift nur feiten möglid^, ol^ne
baß öerfd&iebcne 3:eild6en be§ Körper^ in öerfd&iebener SBeife getroffen werben
unb i^rcrfcitS ber ßinwirfung in öerfd&iebener SBeife wiberfte^en. SSon ben
baburd^ erjeugten SBeHen werben biejenigen, bie in berwidelterem SJerl^ältniS
jur 3)imenfion be§ Körpers ftc^en, burd& il^re eigenen refleltierten SBeKen
aufgcl^oben ; bie SBeHen öon einf ad^erem SSer^ältniS l^ingegen bilben tönenbe
©d&wingungen. SDie ©d^aDbewegung ift alfo meift eine jufammengefe^te
unb entfpridöt einer berwidelten ©d& wingungS f o r m , bie öon ber 3ol^I unb
aSBeite ber ©djWingungen unterfd^ieben werben mu^. ®ie Sefc&affenl^eit ber
Körper unb bie 2lrt ber Sonenegung beftimmt 3ö^I unb ©tärfe ber 9leben=
töne. 3)ie 9Jaturtöne finb ba^er 3uftimmenffänge Dieter @injeltöne, in
weld^e fie fünftlid^ jerlegt werben !önnen. Si§ ju einem gewiffen ©rabe
unterfdieibet aud^ baS €)^x bie Seftanbteile eines jold&en SEongemifd^eS, aber
wegen ber na^en SSerbinbung ber 5lebentöne miteinanber (nad^ 3^^^ Ort
unb ©tärfe), i^reS SSerpItniffeS jum ©runbton ober il^rer ©d&wäd&e jerflie^en
fie leidet mit biefem unb miteinanber in ein ©anjeS.
49* 2)ie Dbertöne finb für alle mufifalifd^en SEöne (weld&c reget
mäßigen, periobifd&en ©c^wingungen entfpred&en) bie gleid^en; bie ^a^
il^rer ©d&wingungen ift mä) ben bon gourier unb O^m entwidfelten pl^^fi^
lalifd&en ©efefeen ein SSielfad^eS ber ©d^wingungSja^I beS tJunbamentat
a) S)cr mufifalifd^c S^on unb Älang. 37
tone§. S^olgenbe 2j)nrei^c giebt öon bem 3ntert)Qlf= unb 3^^f^ttbct!^ältni§
eine Übcrfid&t:
1 2 3 ^
4 5 6 7 8
9
10
11 12
F^ Fg C2 F2 A2 Ci Esi Fl
Gl
Ai
Hl C.
15 16 18 20
E F G A.
24 25 27 30 32
36 40 45 48 54 60
64
72
80 81
c eis d e f
g a h c' d' e'
f
g'.
. . a' a'^
S)a6 F4 tief untcrl^alb bcg SBercic^eS ber mujtlaUfd^ Broud^Baren S^önc liegt,
tnad^t für bie gegentoartigc 2frQgc tiid^tä ou«; man fonn pd^ ftatt F^ (in ber l^cr«
fömmlid^en Sfoffung) eine l^öl^ere Oftaöe besfclbcn benfen. 3inn Sfunbomentoltone ncl^men
toir F, bamtt bo« altgried^ifd^c S^etrad^orb EFGA (f. unten SRr. 53) unb bic
uioberne ^Rormalleitcr cdefgahc fofort in bie 5lugen fallen. ®ie mit ©ternd^cn
bejeid^neten S^öne ftimmen nid^t ganj genau mit ben gleid^namigen S^önen ber )pxal-
tifd^en 9Jlufif tibercin, ebenfotocnig bie ju ben übergangenen Siff^i^n (ben ^ö^ern
^imjal^lcn) geprigen. S)a8 jiDeitc a' liegt um baö fogen. f^ntonifd^e Äomma,
cttoa ben fünften S^cil eines ^albtonS, l^öl^cr als ba« erfte a'; bicfc fommatifd^e
©d^ärfung bejeid^net man mit ^, toie umgefel^rt bie gleid^toertige ^erabftimmung
mit ^. S)ic beiben Ouarten ber S^onleiter finb buri^ einen fenlred^ten ©trid^ nad& 32
öoneinanber getrennt toorben.
2)en!en njir alfo F4 al§ angeftimmten S^unbamcntalton , fo ift ber
jtoeite SEeilton (ber erfie Oberton) bie Oftaöe mit boppelt fo Dielen ©d^ming=
ungen, ber britte Seilton bic nöc^fte Quint borüber mit breimal foöielen
@d)tt)ingungen u. f. m. 3e DoKjä^Iiger bie Seiltonreil^e öorl^anben ift>
unb je regelmäßiger [id^ bie SEonftörle nad& oben l^in abftuft , befto boHer
er[d&eint ber Slang, ©d^arf mirb berfelbe burd^ ftarle Söne in ber |)ö]^e
(mie bei ben ©treid&= unb SlaSinftrumenten), milbe burd& gel^Ien ber meiften
SCetItönc (toie bei ber glöte), l^ol^I unb näfelnb, menn nur immer bie un=
geraben Dbertöne (mie bei ber Klarinette) öorl^anben finb.
©omeit l^aben namentlid^ bie Unterjudjungen t)on |)eIm]^oI| über SBefen
unb Sebeutung ber ^angfarbe Sid^t verbreitet. Slnbere SKufifgelel^rte, wie
Hauptmann, bon Öttingen, Sftiemann, Xl^imuS, 2:prling§, l^aben bie Se=
beutung ber Dbertonrei^e für bie praftifd^e 9Kufif im einjelnen erörtert,
ßinige ber benannten fe^en jur ßrflärung ber SDloKmufif nod& eine . ent=
f|)red^enbc Untertonreil^e an, beren S)ajein ol^ne ftid^l^altigen ©runb ges.
leugnet wirb , bie aber freilid^ großenteils Don ber Obertonreil^c übertönt
tüirb. SDarüber unten 3lx. 69.
50/ 3)ie 9?atur l^at burd& bie gefe^mäfeige ^^cxU^nnQ eine§ ©injet
Hanges in bie oben vorgelegte Slei^e Don Sönen. ber mufifalifd&en Äunft
bie SBege getoiefen. 2Ran fielet auf ben erften S3Iid, worin bic jögen. b i as
tontfd&e Sonreil^e. begrünbet ift. 2)ic ^rimja]^fen Don 7 an mit il^ren
SSielfad&en unb eis nebft a'^ abgered^net, finben wir in ber ganjen Stetige
38 . 3»eited StapM,
nur biatonifd^c ©tufcn, wie [ie bic SWup! t)on jc^cr mit SSorliebc an=
gcmcnbet l^ot. S)ic Übctgcl^ung bcr genannten ©tufen in unfeter 9JluftI
erllärt fid^ qu§ einem unten (5Rr. 52) anjugebenben ©runbe, gewi^ aber
aud^ an^ ber ©d&wierigfeit, bie burd^ ^öl^ere ^rimja^Ien auSgebrütften 33er=
l^ältnijfe Ilar aufjufoffen. äJlel^r al§ fünf ßinl^iten bieten bem ©el^öre
©d&wierigleit, e§ fei benn, bafe biefelben fid& in ein 33ielfad&e§ öon 2 ober
eine Kombination Don 2 unb 3 auflöfen, wie 6 in 2 • 3, 8 in 2 • 2 • 2.
2)a^er ift ja felbft baS fünfteilige 2:altma& fo feiten unb mu^, mo e§
borfommt, wo^l in 2 + 3 ober 3 + 2 einleiten geteilt werben, um er=
fa|t ju werben, ©o lommt e§, ba^ bie ben ^rimjal^Ien t)on 7 an ent=
fpred^enben Söne im 3ufammen^ange ber 2:onrei!^en für un§ etwaö Un=
angencl^meS ^aben. SDlan l^ebt fie bei Snftrumenten öfter !ünjilid& auf,
unb wo fie gegen bie erften fed^S Jeiltöne möglid^ft öerfd^winben, wie beim
g^ortepiano, bei offenen Orgelpfeifen, beim leifern ©timm= unb |)omIIang,
ba fd^eint un§ ber Son am wol^Iflingenbften unb fd^önften. 3ene Söne
empfinben wir als leidet biffonirenbe 3Jlaffe. ©d^on bie astelfad^en öon
3 unb 5 finb minber angenehm ; fobalb ba^er felbfl Gi, E, eis, d u. f. w.
fel^r beutlid^ l^erbortreten , fo erfd^einen fie un§ ate 2)iffonan jen , weil bie
3a^Ien 9, 15, 25, 27 burd& 3 (Cg) unb 5 (Ag) erft mit bem ©runbtone
öerfnüpft werben unb bcswegen fd^wieriger als ßonfonanjen aufjufaffen finb.
51* 3)ie Obertonreil^e gewöhnt ba§ C^i aud^ an bie wid&tigften mufi=
falifd^en Entert) alle, e§ folgen ber Sleil^e nad) Oftaö, Quint, Quart, gro^e
unb fleine Serj, bann ber grofee unb ber Heine ©anston Fi Gi unb Gi Ai,
cnblidö ber ^albton E F. 3)ie ©djWierigleit ber 2luffaffung ftuft fid^ er=
fal^rungSmö^ig gan§ rid^tig nad^ ber ©teKung biefer 3ntert)atle in ber 5Ratur=
tonreil^e ab, in ber fie überbieS immer fd^wöd^er l^eröortreten.
52* S)arauf Wirb aus ben @in§eltönen gerabegu bie Seit er c— c'
juf ammengeftetlt ; e§ muffen nur bie oben fd^on genannten Söne übergangen
werben; ebenfo fällt eis auS, weld^eS als ^robuft ber ^ßrimjal^l 5 fd^on
nid^t fel^r fafelid^, aber jwifd^en e unb d wegen ber jWei aufeinanber fol=
genben ^albtöne erfl red^t fd^wierig ift. 2)enn ol^ne S^^if^I ip junäd^ft
ber ©anjton, nid^t aber ein IleinereS 3nterDaK, als ßinl^eit jur Silbung
einer ftetigen 2:onrei^e anjufe^en; {ebenfalls ift mit ber golge mel^rercr
|)albtöne eine fe^r merllid&e §ärte gegeben.
2)d baS fogen. „ffomma" bei f leinen Sonbifferenjen eine anfe^nlid&e
aioDe in ber 3Jlufi! fpielt (als Unterfd^ieb beS großen unb beS Beinen @anj=
toneS, ber natürlid^en unb ber p^t^agoreifd^en Serj u. f. w.), fo fd^eint eS,
ba^ felbft bie entfernten 3:eiltöne 80 unb 81 nod& irgenbwie im 5Ratur=
gefül^le liegen.
S)le ©lala e— e' ^at jum ©runbtone junäd&ft f, weil fie ber F-Sfei^c
ber 5Raturtöne angehört ; in berfelben muffen g unb e (©ef unbe unb ©ep=
a) S)er mufifaUfd^c 2:on unb ^lang. 39
ümt), cntfpred^cnb bcm Gi unb E (9 unb 15), am wcnigftcn ins ©cl^ör
füllen , ba [ie nur mittelbar mit ber Sonifa f bcrmanbt [inb ; bie§ beftötigt
bic ßrfal^rung. 2)ie biatonifd&c Seiter mit f afö 2:onifa finbet fi(ä& bei ben
Sl^inefen, bei ben (Sried&en unb im ftird^engefang, fo fel^r auci& ber 9KangeI
ber reinen Duart, bie b ftatt h erforbert, fid^ fül^Ibar mad&te. 2Bie [id&
baju anbere ©lalen Derl^alten , mirb Str. 95 ff., 101 ff. unterfud&t toerben.
®art tt)irb aud& ber ©runb angegeben toerben, toarum man Don bem
gunbamentaltone F ausging. Übrigen^ bleiben aöe SSer^ältniffe biefelben,
menn man einen anbern gfunbamentalton toäl^lt. Segt man j. 33. C ju
@runbe, fo mup man nur aüe Sönc um eine Quint erp^en, unb el
crgiebt ftd& bann bie Seitcr g a h c d e fis g mit c als SLonif a (tro§ beS fis) ;
legt man B ju ©runbe, fo ftel^en aße SEöne eine Duint tiefer, unb bie
biatonifd^e ©fala ift bann fgabcdef mit b als Sonifa (tro§ beS e).
53* S)ie (Sried^en gingen in alter 3^^ Don aSiertonr eilten (2:etra=
d^orben) aus. @S bot il^nen nömlid^ bie 5iatur junöd^ft bie ftetige SReil^e
EFGA (15, 16, 18, 20); biefe öerboDftönbigt fid^ bann balb barauf
ju efgahc'd'e', unb fo erflärt fid^, marum man biefe Sonrei^e als
url^ellenifdö bejeid^nete. 3laä) gried^ifd^er Überlieferung h)urbe bie C!tab=
rei^e burd& SSerbopt)elung beS 3:etrad&orbS EFGA unb ßinfd^iebung bcS
©angtonS in ber 5Diitte gebilbet; fo lam eS, ba^ man in alter 3^^ ^ud^
ein S)oppel=3:etrad&orb ber gform EFGABCD o^ne ginfd&iebung t)er-
toenbete (f. SBeftp^al, ®rie*. |)armoniI, 3. 9lufl., ©. 78—90).
54» Uralt unb meit Verbreitet mar unb ift jum Steil nod^ eine §fünf=
tonreil^e a c d f g (a'). ©oüte biefe nid^t burd^ bie Obertöne A2 Ci Fi Gi (Ai)
ins Seben gerufen fein? SS braud&te nur, um biefe 2:onrei^e irgenbtoie
ju einer fletigen ju mad^en, jwifd^en Ci unb Fi ein Di eingefd&altet ju
njerben in bem glcid^en Slbftanbe Don Ci h)ie Fi Don Gi. Solange man
fid^ t)or bem aßerbingS fd&mierigern |)aIbtone E F fd)eute, blieb mol^I nid&ts
anbereS übrig. aSoHftönbig erfd&eint biefe Sonreil^e (bei Übergel^ung bon
eis) t)on ber Qi'^tx 16 an; f)\ex fte^t ber t?unbamentaIton F aud& an ber
Spije ber 9lei^e.
55. @d foH mit bem ©efagten nid^t bie etnsige Quelle ber
muftfalifd&en S^onlcitctn beaeid^nct fein. Jülon Ibnntc ja borauf l^in»
tocifcn, ha^ bic Slonftufcn beS SJlaturllanöcö bod^ für getoöl^nltd^ nid^t beutlid^
untcrfd^ctbbar fmb, fonbcrn in ein 3:on9emtfd^ 3ufommenf(ie6cn. S)ic8 fd^Iicgt
nun frciltd^ nid^t aus, bog, fobalb ettoa P C A u. f. to. ober eine ftctiöc IHetl^e tote
EFGA in gefonbeTtcn S^önen bcutlid^ erfUngt, biefe Sflcil^e üon einer bunflen
em^finbunö ber toirllid^en SBeftanbteilc bcS SJlaturllanQeS il^re aSeftätigung a(8 burd^«
aus naturgemäß unb näd^ftliegenb erl^altcn lönnc. 3m ©egentcil brängt pd^ biefe
3lnna]^mc oon fclbft auf, toeit bo8 bei jebem beliebigen 2;on an bie cntfprcd^enbe
OBcrtonrcil^e getoöl^ntc Ol^r für bic barin gegebene 3:onfoIgc bod§ irgcnb eine ©m«
^flnbung ^abcn mn^. 3nbc8 crgiebt bic öoHc SBcftöttgung üliemannS $Raj3^toet«,
40 Speltes ftapM.
baf( beim Sufammenüang irgenb toeld^er %dnt immer ber nat&r«
lii^egfunbamentalton ali ber fi&rffteüombinationdton mitüingt
(Objeftiue ejiftenj ber Untertönc in ber ©d^atttrette ©. 4 ff.)- ©(ä&on 3^artini (um
1750) toar ju bemfelben Ergebnis QtlauQi (a. a. O. @. 11 f.).
S)ic Slotur l^ilft alfo nod& bcfonberg tio(3&, 3. ». für E F G A baS öerfnü^fcnbc
95anb ju crfcnncn, inbcm ber gcmcinfamc Unterton, ein tiefere« F, gcrabcäu mit»
Hingt, ©elbft bie betou^te äöa^rnel^mung fold^er 9lebentöne ift nad^ ben Angaben
9liemannd unb anberer nid^t fo fc^toer, fobalb bie nbtige ^ufmerffamfeit unb eine
ouSgebilbetc Slbfiraftiondgabe öorl^anbcn ift. ^a6) erfterem tönt mit 12 unb 13 ber
©runbton nod^ beutlid§ mit. 5lIIein toenn a\i6) bo8 SBetouJtfein nid^t beutlid^ ift,
fo fann bo^ bie em^)finbung notlj ftar! genug fein, um eine ma^gebenbe SDöirfung
auszuüben.
■56* 2)ie Segrünbung ber |)Qrmonie in ber Dbertonrcil^e toirb fogleid^
jur ^pxai^e lontmcn. S)ic angeführten SE^atfad^en muffen übrigen^ fd&on
genügen, um barjut^un, bo^ bie %i)eoxk ber SJlufi! bie Obcrtonrci^c genau
ju berü(ffid)tigen unb na(^ i^r au6) bie natürlid^ rid^tigen SntcrbaHe ju
bemeffen l^at. SDabei !ann, toie gcfagt, befleißen, ba^ etma anberc öon
ber 9?atur gegebene 5lormen juglcid^ il^ren ßinflu^ üben. 2)a ferner
bieflunft unter Umftänben aud^ öon ber9tatur fid& entfernen
barf, fo fann biefelbe au(j& anbere Seitern unb SnteröaHe fc^affen; nur
merben biefe immer auf bie 5latur jurücfbejogcn ttjerben muffen. S)er
befprod^ene 5laturllang felbft meift übrigen^ burd& eis (25), burd& a'^ unb
alle oben au§gcfd)iebenen 2:onftufen auf neue SBegc ^in.
b) Ronfonana nnh ^iffonan).
57^ ©d&on ber ÜKat^ematifer ®u!Iib (geb. um 300 t). ^x.) giebt
bon ber ffonfonang eine gute ©rllärung: „©ie ift bie ruhige SWifdiung
jtoeier 2:öne, eines ^ö^ern unb eines tiefern, mie umgelel^rt bie 2)iffonanj
bie Unberträglid&feit jtt)eier Söne, bie fid^ nid&t bermifd^en, fonbern fd^arf
unb rau!^ in§ ®e^ör fallen" (Jan, Musici scriptores Graeci p. 149, 19;
Meibom, Antiquae musicae auctores Septem p. 8; einige fd^reiben
bie betreffenbe ©d^rift bem altern SlriftojemuS ju). Sonfonanj unb S)if=
fonanj finb teilmeife bon fubjeltiben 33ebingungen obl^änflig. 6§ tourbe
fd^on bemerft, ba^ unter ben ^artialtönen alle ungeraben bom ftebenten an,
befonberS aber bie burd^ ^rimjal^Ien bejcidöneten , bem ©e^öre nidbt red&t
faßbar finb. 3)ie „mirre" SLonmaffe aber, meldte ba§ O^x nic^t me^r
beutlid^ ju fonbern bermag, h)irft biffonant ; bie 2:öne erfd^einen aber barum
entjtoeit, meil pe fid^ nid&t orbnungSgemäfe gegcneinanber ablieben. ©0=
lange man bie Jone in biefer SBeife einjeln betrad^tet, ift alfo nur ein
(Srabunterfd^ieb jmifd^en ftonfonanj unb 2)iffonanj; e§ bleibt bie 3JJöglid6=
feit, ba^ baS O^r fid6 burd^ (Semö^nung mit ber Slaul^igleit einer leidsten
Siffonanj, mie jmifd^en bem 1. unb bem 7. SEeiltone, berfö^ne. SBaS nun
b) Äonfonana unb S)iffonan3. 41
öom SScrpItniS ber Dbertönc jum gunbamcntalton gilt, ba§ trifft üterl^oupt
bei aßen glcid^geitig crüingenbcn Gölten ju: bic Siffononj Befielt in bcr
atoul^igfeit beS Si^foi^w^^^flongcg mel^rcrcr Sönc Don Dcrloidfeltem SSerl^ältniS
bcr ©d^mingungSja^I.
58. 2)te 9lau!^ig!eit felbft beruht aber auf gegenfeitigcr Störung bcr
©runbtöne ober ber Dbertönc ober ber beim Si^f^o^^^^nllang entfle^enben
^ombinationStöne in bem 3lbflu^ ber StonmeHen.
Sei ben ©runbtönen fommen bic ©d^mebungen in Setrad^t. Qmi
ungleid^ l^o^c 2:öne l^aben unglei(j& Diele ©(j&mingungcn in ber ©e!unbe ; f o
oft nun bie ©(j&mingungömeHen beiber jufanimenf allen , entfielet eine aSer=
ftärfung ; fo oft [xä^ aber ein aBeöenberg mit einem SBcDent^ale bedt, mad)t
[id^ eine 3Serminberung bemerfbar; ba§ finb bic fogen. ©d^mebungen. Si§
ju ctma 12 ©d^mebungen in ber ©elunbe werben beutlid^ unterfd&ieben unb
finb barum nid^t unangencl^m; ba§ ift ber ©runb, marum gan§ nal^e
liegenbe, aber ftreng genommen nid^t gletd&e Söne al§ ibentifd^ gelten
lönnen. |)aben j. 35. bie glcid^jeitig angefd^Iagenen Söne x unb y 100
unb 104 ©d&toingungcn , fo fallen nur Dier berfelben (= bem Unterfd)iebe
ber ©d^mingungöjal^Ien) jufammen unb ergeben Dier aScrftär!ungen unb
aSerminberungen ober ©d^mebungen ; ba§ ®efüöl mirb burd^ biefc Heine
3a^I nid^t unangenel^m berül^rt. SSon 12 bi§ ju 30 ober 40 ©d&mebungen
entfielet aber ein toirreS, xa\it)t§t ®eröufd&, ba§ Don ber fd^einbar gefe^Iofen
§oIgc Don ftarfen unb fdimad&en Suftftöpen l^errü^rt. SWe^rt fid^ bie ga^I
ber ©d^mebungen nod) meiter, fo fliegen fie aümöl^Iidö ineinanber unb njcrben
fd&Iiepd& glcitftfam al§ ftetige 3Serflör!ung empfunben. ©ine glüdflid^e Un=
DoHfommcn^eit unfere§ D]^re§ ^ebt olfo bie Unannel^mlid&feit miebcr auf.
©0 t^ut, um ein nal^eliegcnbeS ©leid&niS ju gebraud&en, ba§ unrul^ige,
l^öufigc ^ladfern einer tJIommc bem 2luge toti), nid^t aber ba§ fd^einbar
ununterbrod^ene Sid6t einer fel&r fd^neß im Ärei§ gebre^ten ffo^Ic.
Sei fleinen SnterDaflen fann nod& bie ©rfd^üttcrung jU nal^e liegenber
©el^örf afern ä^nlid&e ©d^mebungen im O^re felbft erjeugen, ol^ne bafe ein
neuer objeftiDcr ®runb l^injuläme.
59. 2)ie genannte 6rfd&cinung ^at nun für bie 9Kuftf bie befonbere
Solge, ba^ benad^barte Stöne in mittlerer Sage, j, S. h'c", fe^r
f d^arf biffonieren (33 ©d^mebungcn) ; bei ber üeinen Serj a' c" (88 ©d&tt)c=
bungen) ift l^ingcgcn nur menig Siaul^igleit ju Derfpüren. ©e^r l^o^c üeine
SnterDaße Hingen megcn ber aflju großen 3a^l bcr ©d&mebungen unb fe^r
tiefe megen ber geringen 3^^! ber ©d&tocbungen toeniger unangenel^m. 2lber
aud^ bei gleid& Dielen ©dbrnebungen ' finb grofee ^nterDaße Dcrl^ältni^mö^ig
nid&t fo raul^, meil bie jugcl^örigcn ßortifd^en Safern J m Dl^re meiter Don=
cinanber entfernt liegen unb fid& menigcr ftören.
42 3toeite8 ^a^itel.
3)aS SrcmuKcrcn bcr ©timntc unb ber Snjirunientc (SStoIinc, 3^^^^^^
Orgel) beml^t auf tafd^cm, ober geringem %ontotä)\tl unb giebt teils burd^
geringe Slbmeid^ungen t)on ber geraben Sinie bem 3:one gleid&fam meid&ere
Umriffe, teil§ ober burd^ bie ©(^toebungen einen trüben ©l^aralter. S)er
ftomponift h)irb bei ber SBol^l ber Snterballe unb ber %onf)bi)e auf bie
©d^mebungen 9Hidffid&t ju ncl^nten l^aben, b. 1^. er wirb fein Dl^r auf biefe
geringen 2)ijfonanjen ad^ten leieren, wenn er beren ©runb DicDeid&t aud^
nid^t t^coretifd^ burd&fd&aut.
60. ^^nfid^eS iji ju fagen betreffs ber wed^felfeitigen ©törung ber
Obertöne in bem galle, wo bie ©runbtöne nod^ feine ©d&webungen ^aben.
®ie Cbertöne fallen teils auf= teils auSeinanber unb biefeS balb in großem
balb in Ileinern Snterüaflen. S3eim gi^fömmenflange jweier DItaben j. 33.
treffen bie Seiltöne ber l^ö^ern jebeSmal auf Seiltöne ber nicbern, bcrftärfcn
alfo nur ben fflang berfclben. Sbenfo Derl^ält eS fid6 mit ber Duint bcr
DItaöe, mit ber 2)o})})eloftaDe u. f. w. SOBir ^aben l^ier „abfolute", b. f),
faft ibentifd&e Äonfonanjen.
@twaS weiter treten ein gegebener ©runbton unb feine Cuint ober
Quart rüdEfid^tlid^ beS öollen SBopiangeS auSeinanber. S)er britte Oberton
Don F3 ift Fl, ber jweite Oberton t)on C2 aber Gi; eS l^armonieren aber
Fl unb Gl nid^t jufammen. gerner: C2 bilbet mit F2 eine Duart; ber
erfte Oberton öon F2 ift nun Fi; l^ier beginnt biefelbe 3)iffonanj fd&on
beim ftärlern erften Obertone.
9lel^men wir bie Serj F2 A2 , fo fte^t ber jweite Oberton bon A2,
nämlid^ E, fd&on im Snteröall eines ^albtoneS mit bem britten t)on F2.
2)iefe unb mehrere äl^nlid^e Erwägungen ergeben, ba^, wenn Duint
unb Ouart nod^ „öoHfommene" Äonfonanten Reißen bürfen, grofee Serj unb
grofee ©ejt nur me^r als „mittlere", fleine Serj unb Heine ©ejt nur als
„unöolfiommene" flonfonanjen gelten fönnen (fo ^tlmffol^).
61. 3)te S}ertt)anbtfd^Qft ber ^onfonangen mit einem gegebenen ©runbtone totrb
butd^ folgenbe Überfid^t flat. ^at ber ©runbton bie 2:eilt5ne 1, 2, 3, 4, 5, 6
(f. 91r. 49), fo entfprid^t 2 bcr Oltobc, 3 ber Ouinbesimc, 4 ber S)oi)|)eIoItaoe,
5 ber folgenben großen S^erj, 6 ber au^ btefe folgenben Ouint, Xoil^t eine fleine
3:era ^5^cr ift. S)ann finb bie Seiltöne bcr €ftat)c 2, 2-2 = 4, 2-3 = 6 u. f. to.,
b. ^. ftc fallen mit adcn gerabjal^Ugen S^eiltöncn beg ©runbtonS sufammen; ebcnfo
bie ber Ouinbejimc 3 mit allen ungerabjal^Ugen. ®ie Outnt fättt auf bie 3iffer V2 ;
i^re €ftaöe ift 2 • V2 = 3, il^rc Ouinbeaimc 3 • V2 = %. i^te S)op:peIof tabc 4 • »/s = 6
u. f. to. es fallen alfo junäd^ft nur bie Siffern 3 unb 6 bcr Ouint unb ber ?Prim
aufcinanbcr, anbere aber auSeinanber. S)ie Ouart l^at bie Siffer Vs/ ^W €bcrtöne
finb 2 . *U, 3 . Vs = 4, 4 . *U, 5 • Vsr ^ ' *U = 8. S)ag »cr^altni» ift cttoa« un«
günftiger. ^06^ mel^r bei bcr großen 3:cra : V4, 2 • V4, 3 • «/^ , 4 • V4 = 5, 5 • V*/
6 . V, , . ., unb bei ber fleinen 2:cr3: Vs, 2 • V„ 3 • %, 4 • V5, 5 • «/^ = 5; bei
bcr großen ©ejt Vs (f. 9^r. 49 , C^ Aj) fjai bcr britte 3:eilton 3 • Vs = 5 , bei bcr
fleinen ©ejt Vs (A«F,) fällt erjt bcr fünfte auf ben ad^ten bcö ©runbton«: 5 • % = 8.
b) Äonfonana unb S)iffonan8. 43
62* S)ic Sttbftufung bcr ffonfonanj unb ©ijfouQnj toörc fomit eine
grabmäfeige, aritl^tnctifc]^ ju bercd^nenbe. 35a§ [titnmt aber nid&t ööllig ju
ber mufifalifci^cn ^rojiS. S)ic natürliche ©eptinte 4 : 7 (F2— Esi) unb
bic bcrminbertc ®ejime 3 : 7 (Cg — Esi), toüä^t weniger ©ci^tüebungen l^aben
qI§ bie fleine @ejt (8 : 5), finb in unfere SJlufi! überl^aupt ntd&t aufgenommen
tDorben, fonbern ftatt Es^ als Heine ©eptime öon F2 gebraud&t man eine
ettt)aS l^öl^er liegenbe (^^9 / l>- ^- ^/s • Vs ^0^ ^2 / i>. ^. bie reine Quart
ber reinen Quart, ba bie Quart, tüie ber SSergleid^ bon C2 unb F2 in
5Rr. 49 ergiebt, ba§ aSer^öItniS bon 4 : 3 ^at; ^6/9 i[t aber «^/ae, V4 nur
^Vae). 5tfö bijfonant mu^ alfo anä) baSjenige unterbau gelten, ba§ fid&
in unfer SDlufüf^flem unb in eine gegebene SEonart nid&t fügt.
®er ©runb be§ neuen ^rinjips liegt in ber ßonfequenj innerl^alb ber jum
Seil mit fünftlerifd^er gfreil^eit gemö^Iten SEonfoIgen unb il^rer Seftimmung.
5!Kan lönnte einen %on wie bic natürlid&e ©eptime [tatt biffonant biet
Icid&t beffer bi§!orbant nennen. S)enn bie größere Slaul^igfeit ber fleinen
©ejt l^inbert nid^t, bafe biefe ate unbollfommene Äonfona'nj bertoenbet toerbe ;
c§ tt)irb alfo bie natürlid^e ©eptime nid&t eigentlich atö S)iffonanj au§*=
gefd^Ioffen, fonbern afö ju unferem SWufitf^fteme ni(]&t t)affenb, afö bisforbant
übergangen unb burd^ einen Son erfe^t, meici&er gar nid^t im 5RaturfIang
entl^alten ift, aber al§ Quart jur Quart in bie t^taftifc^e SEonleiter beffer
pa^t. gbenfo ift bie Quart beS ©runbtoneS felber bon bem natürlid^en
aSer^ältniS im 9?aturIIange 11 : 8 = 99 : 72 auf 12 : 9 = 96 : 72 ^erab=
geminbert tt)orben, um in unfere Ijeutige 9lormaUeiter ju paffen. [32 — 45
be§ 9laturöange§ ift gar ein SEritonuS.] S)ie ßonfequen} ber l^armonifcj&en
3Kufi! l^at aud& erft baju gefül^rt, bie Meine Serj (6 : 5) afö ftonfonanj
anguerfennen, »eil man fie jur 33ilbung bon SttHorben nötig l^at, bie feine
5luflöfung (bie§ ift je^t bie 9lorm) mel^r julaffen; frül^er tourbe fie ju
ben S)iffonanjen gered^net.
63* 2luc^ bie reine Quart fann bislorbant toirfen, fobälb ic^ j. 8.
bei ber SSerbinbung bon c unb f, gemä^ ber fi'onfequenj ber mobemen
Harmonie, ni(]&t f, fonbern c al§> ©runbton annel^men mu^ (cfg forbert
Sluflöfung in ceg). Sffiir fallen fd^on oben, ba^ bie reine Quart eines
beliebigen ©runbtoneS im 9?atur!Iange fel^It. ©ie !ann alfo aud& nici^t afe
aus bemfelben ertoad&fenb aufgefaßt »erben; baS ift aber eben baS SBefen
unferer |)armonie, ba§ bem ©runbtone bie aus i^m ertoac^fenben , in il^m
fd&on mirflid^, toenn anä) ^iitoaä) entl^altenen 2:öne auSbrüdKid^ iiigefellt,
ober aber frembartige 2j)ne aud& als fold&c bel^anbelt toerben. @o erllört
fid^, ttjarum bie Quart, bie in feinem Swnbamentalton entl^alten ift, jmar
eine gute ftonfonanj, aber bod^ nid^t geeignet ift, in ben fonfonanten StHorb
beS ©runbtonS einjutretcn. 3in ber praftifd^en 5!Hufi! toirfen mehrere ?prin=
gipicn jufammen unb burd^f reujen fid& »ieberl^olt : ettoaS anbereS ift eS, ob
44 3^sited I^Qpitet.
jioei 3:öne unter fic^ bertoanbt finb, tote c unb f, ober ob ber eine im
onbern toie c in f, aber nid&t f in c, entl^alten ift, ob ein SEon ju einem
anbern ober ob er ju bielen SEönen eines ©tiflemS, einer SEonart pafet;
bgl. 5Rr. 56
64. @nblid& finb nod& biefiombinationStöne für ftonfonanj unb
©iffonanj bon 33ebeutung. @§ finb Xöne, toeld^e fid^ qu§ ber ©umme ober
ber S)ifferenj ber nebeneinanber befte^enben ©d^toingungen neu bilben unb
borum @ummation§= unb ©ifferenjtöne genannt toerben. ßrflingen j. 33.
c unb g (mit 128 unb 192 ©d&wingungen) nebeneinanber, fo prt man
jiemlid& ftarf e' (mit 320 ©d^tt)ingungen) , aud^ toenn fonft bie Dbertöne
f eitlen ; ba§ ergiebt ben SHIforb c g e'. S)er 35ifferen jton C (ju 64 ©d&n3ing=
ungen) ift in biefem Stalle fd^toöd^er, in ben meiften fällen aber ftärler.
S)ie Äombination§töne beeinfluffen ßonfonanj unb ©iffonanj in ber SBeife
aller 5lebentöne.
65* S)ie Seigre bon ben Sfonfonanjen l^ilft bie SSilbung ber ge=
bröud&Iid&en 2:onarfen erflören. ©ofern nämlid^ bie Stuffaffung ber S3e=
ftanbteile be§ Sin jel!lange§ , toeld^er im ©runbe bie 9iaturtonIeiter fij^on
enthält (f. 5lr. 49 u. 52), nod^ ju unbeutlid^ bleibt, tt)irb fie burd& a5er=
fud&e mit ©optJelHöngen berbeutliij^t. Sie 5Rr. 60 erwähnten Äonfonanjen
ergeben fd^on eine Tonleiter, in toeld^er bie 33ejie^ung aller %öm mit 9Iu§=
na^me bon ©efunbe unb ©eptime auf ben gleid^en ©runbton bie fd^önfte
ßinl^eit ^erfteüt, ettoa c(d)efga(h)c. 3tt)ifd&en Quart unb Duint ift
ein ©anjton gegeben, ben man nur an bie leeren ©teilen ju fe^en unb
borläufig al§ ©urd^gangSton anjufel^en braud&t, unb bie Seiter ift fertig.
[S)er S)urd&gang§ton mad&t feinen Stnfprud^, auf bem geraben Sffiege §um
3iele JU liegen, fonbern lä^t fid^ ate borübergel^enber Stritt neben ben 2Beg
auffaffen.] S)a aber bie ©elunbe unb bie ©eptime im Duint= unb 2:erjen=
SSerl^öItniS jur Duint flehen, fo finb fie burd& biefe toenigftenS mittelbar
aud& mit bem ©runbtone bertoanbt. ®ie fo entftonbene 3:onIeiter ift jtoar
megen ber reinen Quart ber SEonila nid^t ganj bie im 5laturton enthaltene
(F-) Seiter, fonbern unf ere S)urf!ala. 2lber bie[e l^ot fid& ja längft al§ bofl=
fommen braud^bar erliefen. 9lIIe fonft in ber j)taltifd&en Sölufif ber=
tt)enbeten Seitern ftimmen in ben tt)efentlid&flen fünften mit ben beiben ge=
nannten überein.
66. S)ie ßonfonanjen führen weiter ju brei= unb mel^rftimmigen
Slllorben (jtoeiftimmige 9lIforbe finb fie felbft fd&on). 3)urd& ben ©um=
mationSton entftanb uns unter ber ^anb ber 9lHorb cge' (f. 5lr. 64); ba
ftd^ aber bie Oftaben beS ginjeltoneS ol^ne cr^eblid&e 2tnberung bertaufd&en
laffen, fo mu^ aud^ c e g lonfonant fein, jumal e mit c unb g im 2:er jen=
ber^ältniS fte^t. SBir finben i^ier beflätigt, tt)aS im einfad&en 5laturIIange
gleid^f alls am erflen fid& aufbröngt ; aud^ F2 A2 Ci (f. oben 3lx. 49) ift ja
nr
)^:
r. ■
b) Äonfonana unb Siffonanj. 45
bcr reine ©urtlong, ber nur bur(ä& öorauSgel^enbe Dftaöen be§ ®runbtone§
unb bie Duint öerpärlt unb gepü^t totrb. S)er S)ifferenjton C ju cg
bilbet eine äl^nlici^e ©tü^e für ben 2l!forb c e g. 3lnbere ftombination^töne,
tt)oju namentlid^ ber tJunbamentolton ber 9?Qturrei^c (F4 für F2 A2 Ci) ge=
prt, ergeben »eitere SSerftärlungen beS S)urbrci!IangeS , »elc^er al\o bon
ber 5latur auf alle SBBeife nal^egelegt tt)irb.
67. aSiel berftetfter liegt, ju ben 3a^Ien 10, 12, 15 ge^rig, ber
SKoDbreiflang AiCE. S)er unterfte %on A lann ni(ftt ©runbton einer
SReil^e fein, in ber C borfäme ; bie tieine S^erj be§ ©runbtone^ (j. 8. F As,
ttjenn man bon F auSgel^t) lennt ber 9?atur!Iang nid^t. Dbenbrein brängt
^x6) ber näl^er liegenbe S)uraf!orb bor. Sffiiß man fid& alfo an bie bisher
beft)ro(]&ene Dbertonreil^e Italien, fo bleibt nur ein S)oppeIte§ übrig. gnt=
tt)eber ifi A ©runbton unb C unregelmäßige Vertretung für Cis (in ber
A-Sleil^e !ommt nur biefeS bor), ober C ift ©runbton unb bie linierter j
eigentlidö ein a!forbfrember SEon. 3m erften Statte bleibt ba§ |)aut)tinterball
be§ 9Hforb§, bie Duint AE, unangetaftet; baS jtt)if(3öenliegenbe C ^at
immer nod& eine fül^Ibare 93ertt)anbtfd&aft mit A (6 : 5), toäl^renb eS ju E
ba§ einfad&ere SSerl^ältniS ber großen SEerj (4 : 5) l^at. "Sie unterbaue,
na(S) toeld^en bie Duint geteilt mirb, finb biefelben tt)ie in S)ur, menn aud^
umgelegt, inbem bie fieine 3;er} boraufgel^t. S)a^er !ann ber TOoHbreiffang
immerhin ate nal^eliegenb betrad&tet merben. t^xtilxä) ermartet baS O^r
neben A afö ©runbton junäd&ft ba§ bermanbtere Cis. ©aß aber in bem
SKoHaHorb irgenb eine 3;rübung ber reinjien JJonfononj empfunben mirb,
giebt man getoö^nlid^ ju, unb bie§ betoeift felbft bie ©efd&id&te feiner 2ln=
menbung. ®enn e§ l^at febr lange gebraud&t, bebor bie |)armonifierung
be§ 3Koa burd&gefü^rt mar unb ba§ natürlid&e ©efü^l fid& mit bem 3Koa=
fd^Iuß berföl^nt l^atte. 5Dkn fonn mo^I fagen, baß bie TOoflterj aud^ j[e|t
nur au§ bem ©runbe leine Sluflöfung erforbert, meil ber ß^arafter ber
ganjen 3:onart eine ganj leife S)iffonanj in fid^ fd&Iießt, bie für gemiffe
Stimmungen gerobe al§ normal gilt. 3nfofcrn lößt fid& ber TOoüfd^Iuß
mit bem Duint= ober Serjenfd^Iuß bergleid^en ; benn aud^ l^ier ift bie bollfte
Serul^igung nidfet beabfid^tigt. S)er S)ominantaf!orb EGisH entl^ält bann
feine neue Slbtoeid^ung bon ber 5Raturrei^e, meld&e ju ©unften be§ 2eitton=
fd^Iuffeä eingefül^rt morben märe; benn bie A-SReil^e fül^rt bon felbft auf
bie große ©eptime Gis; aud& H gel^ört in biefe ülei^e (in ber eine große
%txi tiefern F-3lei^e entfpred^en E unb G).
68. 9limmt man in bem 9lfforbe ACEA afö fremben Son beS
StüorbS, fo mirb C ©runbton ber 9laturrei]^e ; biefem ift jebod^ A, bem
d ber F-Steil^e in 9?r. 49 entfpred&enb , nid^t ganj unbermanbt; e§ liegt
nur jiemlid& meit bom gunbamentaltone ab unb ftebt nid^t ganj genau
im Verhältnis ber «einen 2erj ju C (32 : 27 = 160 : 135, ftatt 6 : 5
46 3tt>eited ^apM.
= 162 : 135). Gis im SJominantafforb l^at (mic eis in ber F-Sflcil^e)
eine au(^ jiemlid^ entfernte, bur(ä& bie SEerj (5) Vermittelte aSerttjanbtfd&aft.
SJiefe jweite Sluffaffung, nad& ber C als 2:oniIa gelten mü^te, erllärt fel^r
gut ben Umf(3ölQg bon A-3Koß in C-®ur. 2:^atfö(j^Iid& toill ober in unferer
3Kufif, tt)ie aus bem 9)ioflfd&Iu6 ^erborgel^t, boS TOott gunäd&fi felbjiänbig
auftreten. 6S ift alfo ber SKforb ACE bod^ gundd&ft als ber A-SRei^e
angel^örig unb als ©teHbertreter beS 2)ura!IorbS aufjufaffen.
aaSie bie SSeranlaffung ju unferer l^armonifd&en 3KoIIIeiter in ben öltern
melobifd&en ©falen gegeben toar, tt)irb fic^ unten geigen. §ier ift nur ju
betonen, ba^ bie in ben ßauf genommene ©iffonanj nic^t fo gro^ ift, um
bie |)armonie ttjefentlid^ jU ftören. ^ai) ^t\m%(A% fommt bie temperierte
Stimmung bem SWoHafforb no(j^ ju gute, inbem biefelbe ben an fid& „fe^r
auffollenben" Unterfij^ieb im SBol^IIIange bertoifd&e. SiS auf ©eb. Sad& ge=
brau(3öte man aber im ©d^Iuffe ben 35uratIorb ober lie^ bie %tii aus, unb
nod& ^önbel unb TOojart bertoenben bismeilen ben ®urf(]^Iu^ in ber 9JloII=
tonart. ©eitbem l^at bie ©emo^nl^eit , offenbar um beS 9luSbru(fS toiHen,
ber in S)ur nid&t ju errei(3öen toöre, für ben SJIoIIfd&Iu^ entfd^ieben. S)ic
©efd&id^te betoeift alfo, bafe eS mit SKoII feine ©d&toierigfeit l^at, unb bie
|)eIm^oI^fd&en Unterfud&ungen bieten nod^ einen greifbaren ®runb mel^r
bafür: ber SombinationSton erfler Drbnung für cesg ift as, fo ba^ ein
As-S)uraf forb (as c es) fid^ beimifd^t ; ja im Duartfejtafforb tritt nod& ber
frembe Son b l^inju. 2lnbererfeitS giebt aber bod& bie mufilalifd&e ^rajiS
uns bie ©etoifel^eit, ba^ bie ©törungen ber ßonfonanj nid&t allju empfinblid^
finb, unb bieS finbet in ber SSermanbtfd&aft ber Keinen 3;erj fotool^I mit
bem ©runbtone als mit ber Duint feine 33egrünbung ; als erfte ßonfonanj
nä(3öft ber großen Serj (f. oben 5Rr. 61) ift fte jur Vertretung ber le^tem
geeignet, tt)ä^renb bie fonft bermonbtere Quart jur Duint bod^ in ein gu
biffonanteS SSer^öItniS träte.
69* S)ie 5latur l^at nod^ auf eine befonberc SBeife bem 5DloIIa!Iorb
eine @tü|e gegeben. SBie man nämlid& beim 3"föntmenIIange p^erer 2:öne
immer ben ^unbamentalton ber jugel^örigen üleil^e als ©runbbafe (f. oben
5lr. 55) l^erauSpren lann, menigftenS tt)enn niij^t einer jener Stöne als
eine £)}Xa)dt bon bemfelben i^n berbunlelt, fo fd&einen au(j^ alle anbern,
benObertönen entft)red^enben Untertöne mitjullingen. ^o^t man
(nad& SRiemann, DbjeftiDe ßjiftenj ber Untertöne ©. 9 ff.) bei genauer
afuftifd&er Unterführung ge' im SWoflftnne auf, fo überprt man ben 3^unba=
mentalton C ber ®urrei^e, ju meld&er ge' gel^ören, ebenfo bie in biefe
®unei^e ge^renben Dbertöne, j. 33. bie fonft fel^r leid&t toal^rjunel^menbe
Duintbejime bon g, nömlic^d"; ftatt beffen übertönt, folange man fd&arf
bie Sluffaffung im 2HoIIfinne feftl^ölt, ber erfte gemeinfame Ob er ton h".
S)iefer bertritt alfo je^t ben ^unbamentalton , fobalb man bie Sflei^e im
b) Äonfonona unb S)iffonan3. 47
SÄoHfinne gcorbnet benit. TOan fielet, toicöiel bie ülid^tung unfercr 2luf=
nterffamfeit auf bic SBa^rne^mung bcr 5lcbcntönc eintoirft; aber bic er=
toäl^ntc SE^atfad&c nötigt bod^ tool^I, bie ©giften} einer natft unten ftd& ent=
tt)idfelnben S^ebentonreil^e anjunel^men, toenn aud^ biefe 3:öne fo fd^toad^ finb,
ba§ fie nid&t »ie bie Dbertöne ber 35urrcil^e einjeln i^erauSgel^ört , fonbern
immer öon ben anbern 9?ebentönen übertönt »erben. 2)er SWoHbreülang
tüäre bemnad^ bem S)urbrei!Iang mefentlid^ ebenbürtig, b. 1^. ebenfo rein,
ebenfo bered^tigt, fobalb er al§ öon einem gemeinsamen Dbertöne geftü^t
aufgefaßt mürbe; nur liegt eben biefe 2luffaffung uns nid^t fo
nal^e unb bröngt fid& bie ©urtonrei^e bem D^re juerft auf,
meil bie Dbertöne öiel ftärfer ftnb unb, t)^9fiJalifd& betrad^tet, fein muffen
ate bie Untertöne. S)ie abfieigenbe (bon red^ts beginnenbe) SJloIItonreil^e ift :
12 11 10 98 7 654321
A (B) Ci Dl El (Gesi) Ai Cg Eg As E3 E4.
20 18 16 15
C D E F.
8n 80 48 45 40 36
c' c' . . . a' b c d
32 30 27 25 24
e f g (as) a.
3n biefer Steige ergiebt fid& genau an ben entfpred^enben ©teilen ein
Setrad^orb unb eine öoHftänbige Seiter (mit ber %on\la e); beibe finb in
ben 3ntert)oIIen gleid&, aber in ber 3lid&tung öerfd&ieben. Sffial^r ift übrigens,
ba^ mit biefer Senbenj ber SWoIItonleiter nod& unten in unferer l^armonifd^en
3Jlufi! nid&t auSjulommen ift. Sffiie biefe fid^ nun einmal entmicfelt ^at,
mu^ es alfo tooi)! bei ber Krflärung ber SWoIItonleiter auS ber Dberton=
reil^e fein Semenben l^aben.
70. 2luS ben ©runboHorben entmirfeln fid^ burd& Umlegung unb SSer=
bo^3t)riung einjelner 2:öne alle übrigen. S)er 2ßert berfelben ift nidfet ööHig
gleid^, meil bie ßombinationStöne öerfd&ieben finb. 3n SRoII ift bie ©ejt=
läge bie befte (b. 1^. bie an fid^ gefölligfte), bie Duartfejtlage bie fd&Ied^tefte ;
in S)ur umgelel^rt jene bie f d^Ied&tefte , biefe bie befte. 3n ©ur.rül^ren bie
geringen 3:rübungen nur öon fd^mad^en ßombinationStönen jmeiter Drb=
nung ^er. S)ie ungünftigen Sagen fönnen an ©teile eigentlid^er ©iffonanjen
}ur ©pannung ber 2:onöerI)öItniffe bienen; fo öermenbet fie oft ^aleftrina
in ben ©d^Iu^Iabenjen an ©teile unfereS ©eptimafforbeS. 3m S3a^ follen
im allgemeinen bie engern 3ntert)aIIe öermieben, in ben übrigen ©timmen
öerfd^iebene 3nterDaIIe möglid^ft Verteilt merben. ^elml^ol^ ftellt als burd&=
fd^Iagenbe ütegel auf: „2lm mo^Iflingenbften finb biejenigen S)uraf!orbe,
in meld&en ber ©runbton nad& oben, bie Duint nad& oben unb unten nidfet
über eine ©ejt oon ber 2:er} entfernt finb." S)ie Urform beS boßen 9latur=
aHorbeS C c g c' e' g' (= F4 Fg Cg Fa As Ci ; f. 5Rr. 49) ergönjt bie gnglage
burdö tiefere Dftaben bon ©runbton unb Duint, fo ba^ alfo biefe ftärfer
48 3toetted Kapitel.
burd^flingcn ; bie übrigen unten liegenben ßombinationStöne öon c'e'g'
laffen unS jene umgelel^rt nur fd^mäd&er bernel^ttien.
71* 9Ifö öoßfommen bcfriebigenber 3lIforb lann nad& allem ©efagten
nur ber 2) r e i 1 1 a n g (mit unb ol^ne SSerboppelung) gelten ; ben legten ^pioj
öerbient unter ben S)reiflöngen ber Duartfejtaflorb in TOoH. Sei ben
SKoHIIängen ift ciber bie Äonfequenj beS l^armonifti&en ©^ftemä nid&t ol^ne
ßinfluB geblieben; fte mürben fonft als leid&te ©iffonanjen gelten fönnen.
2tuS bemfelben ©runbe mürbe umgefel^rt bie Slaturfeptime ganj jurüdgefe^t
(aus ber ©fala auSgefd&Iojfen) ; fie pa^t nid^t in unfer Sttfforbf Aftern , ba§
im übrigen biel ftärfere S)iffonanjen menigftenS nid&t als unbraud^bar t)er=
mirft. 6in fonji Döflig fonfonanter 9lfIorb !ann auS öJ^nltiä^em ©runbe
burdö bie blofec Sttuffaffung im 3"ffli^nien]^angc beS ©^ftemeS gleid&fam feine
5Ratur änbern unb eine 2luflöfung erl^eifd&en ; fo meiftenS ber DuartfejtaRorb
g c' e', nämliij^ immer bann, menn er nid&t im ©inne bon C-3)ur, fonbern
im ©inne bon G-S)ur, F-S)ur ober F-3KoII gefafet mirb. 9?ad& ber 9?r. 69
borgetragenen Sl^eorie mürbe eine anbere als bie je^t gebräud^Iid&c 2luf=
fajfung ben SRoHafforben eine etmaS berfd&iebene 33ebeutung unb einen boII=
fommenern SBol^IIIang geben. 3infomett bebürfen, mie f(3^on oben
(9?r. 62) bemer!t, bie @rgebniffe ber rein afuftifd&en Unter=
fu(3öungen eine ©rgönjung.
72» 9lud& biffonante 9lfforbe l^aben je nad& ber 2luffaffung innerl^alb
ber Sonart eine berfd&iebene S3ebeutung unb 91uflöfung: facd !ann S)ur=
breiflang mit oberer ©ejt ober 3KoIIbreiHang mit Heiner ©eptime (dfac)
fein. S)urd& 3luSlaffung eines urfprünglid^en SoneS in einem biffonanten
2lf!orbe berbunfelt \\i) bie 9luffaffung, fo menn bon ghdf ber ©runbton
auSgelaffen mirb unb nun ber fogen. berminberte S)reiIIang übrigbleibt,
ber aber in bemfelfien ©inne ju nel^men ift. 2lud& mirb im einfad&en ®rei=
Hange ftatt eines feiner urfprünglid&en 3:öne ein benad^barter eingefe^t ; man
gebraud&t ftatt ceg j. 33. cdg, cef, cegis . . ., mo immer bie ur=
fprünglid^e 9luffaffung über bie 2lrt ber gortfül^rung entfc^eibet. S)a^er
mirb entmeber ber biffonante Son als ©inbringling einfad^ mieber auS=
gefto^en, ober bie fonfonanten 2:öne merben jufammen mit i^m in einen
fonfonanten Stfforb fortbemegt.
73* 5(uf jeben gfall foll bie ®iffonanj ben Übergang jur Sonfonanj
gleid&fam befd&Ieunigen unb beleben unb fo ben 3leij berfelben erl^ö^en.
®aS gilt bon SJiffonanjen jieglid&er 9lrt, fomol^I in ber Harmonie mie in
ber 5JleIobie, beren 3^1 unabfel^bar ift. 2öenn fie bon SBert fein foHen,
fo bürfen fie nur in fold&er 2ßeife ben 3ufammenflang ober ben natürlid&en
unb tonalen gortfd^ritt ber TOelobie flören, bafe baS ^rinji|) ber ffonfonanj
bejm. ber 3:onaIität um fo fiegreid)er mieber l^erbortrete. S)amit mirb nid^t
auSgefd&Ioffen , bafe bie Sluflöfung burd^ 2lufeinanberfoIge bon ®iffonanjen
b) ^onfonana unb ^iffonanj. 49
„öerjögert" »erben !önne, unb bo^ bie ©iffonanj, in ber genannten SBeife
be^anbelt, nod& eine pl^ere S3ebeutung gewinne.
74* 35ie 2luflöfung ber SJiffonanj foH, bon befonber§ Begrünbeten 9lu§=
nal^men abgefel^en, eine natürliche, b. 1^. bie nöd&filiegenbe unb erwartete fein.
3)emgemä§ fteigt ber !ünjilid& erl^öl^te unb fällt ber erniebrigte SEon. 8eiter=
eigene ®iffonanjen (meldte bon ©runbton, DItab ober anbern Slüorbtönen
um weniger afö eine 2:er} abfielen, aber bod& regelrechte SEöne ber Seiter finb)
treten meip auf bie näci&ftuntere ©tufe jurüd . SSIo^e ®urd&gang§= unb S3ßecftfel=
töne änbem an ber |)armonie weiter nici^tg, inbem fie rafd^ in eine fon=
fonante ©teßung ju ben SlHorbtönen l^inübereilen. ©onfk wirb baS 3fort=
fci^reiten ober ©tiHeftel^en be§ 9l!forbe§ felbfl burd& ben notwenbigen ®ang ber
biffonanten Söne mitbebingt. ©old^e S)iffonanjen beanfpruij^en me^r SRü(ffi(i^t=
nal^me unb werben meift ,, borbereitet", b. 1^. fie erfd&einen in bem borau§=
ge^enben 2l!!orb afö Sonfonanjen unb bel&aupten fici& bei ber Sportbewegung
ber übrigen Sttfforbtöne an i^rer ©teile, meift fogar auf bem ftar!en 3:eil beS
Saftes, bis fie nad& ^artnöcfigem SBiberftanbe gleici^fam burd& bie Übermad&t
ber einmütig fortgefci&rittenen Söne befiegt l^erabfinfen. 6ine größere gfreil^eit
ift es, wenn ber biffonante %on fteigenb ausweiij^t ober unborbereitet unb
bann meiftenS bon oben unb am beften auf bem fd^waij^en SEaftteU eintritt.
75* 2)ie ®iffonan j bient feineSwegS bloß jur SlbwecftSlung ober jur ©rl^ö^ung
beS SQBol^üIangS bnxii fontraftierenben 3ini|flang, nici^t blofe jur ©t)annung
unb aSefci^Ieunigung ber Sonbewegung, fonbern bor allem aud& als 9luSbru(f S=
mittel. 2lu(j^ in ben Stimmungen giebt eS ja ®egenfä|e, giebt eS Spannung,
SÄeibung unb Sampf ; mand&e Stimmungen, wie ©d^merj, !^oxn unb SSerjweif=
lung, finb wefentlid^ fo geartet, ba^ fie als un^armonifci^ gelten fönnen. ®ic
S^^atfacje iebod^, ba^ folij^e nid^t gerabe bie l^öd^fte ©d^ön^eit (wenn aud^ bie
lebl^aftefte Bewegung) l^aben, unb jene allgemeine Siegel ber ßunft, ba| burd^
etwaigen ©treit immer wieber SSerföl^nung ^erbeijuf ül^ren ift, weifen ben ©ebraud^
ber ©iffonanjen in gewiffe ©d^ranlen ; ber prirfelnbe 3leij ber ®iffonanjen in
ber 3Jlufi! barf ebenfowenig wie bie fd^arfen ©ewürje in ber ©peife borwiegen.
76. ®ie äft^etifd^e Sebeutung ber Siffonanjen für bie SiWufi! er^eHt
ouS bem ©efagten jur ©enüge, lä^t fid^ aber fd&on auS ber 3^rf^9ung beS
9laturfIangeS erfel^en. ®erfelbe entWIt in ben entferntem 3:önen eine fel^r
gro|e 3^^! bon ©iffonanjen, bie fid& bem ©efül^Ie in il^rer ®efamtwir!ung
aud& bemerflid& mad&en. S^^^^^xä^^ ßombinationStöne unb bie gauje üleil^e ber
erften Untertöne lommen nod& baju. 3)er fünftlid^ ^ergefteflte einfädle 3:on ift
mit ntd^ten fd^öner; er flingt wo^I milber, aber aud& leerer unb !raftIofer.
3)ie nid^t biatonifd^en ®i|fonanjen entnimmt bie 9}iufif mit üled^t bem
5RaturfIang, in weld&em bie fogen. d^romatifdfeen |)albtöne mit ber 3iffft 25
juerft auftreten. ®ie ©ried^en l^aben aud& mel^rere burd& bie ^rimjal^Ien 7
u. f. w. bejeid&nete Söne in 9lnwenbung gebrad&t.
©i et mann, äftl^etif. 3. 3;etl. 4
50 S)ntte8 ftapittl
a) 3)ie Xottleiter.
77« S)ie ©runblagen ber ^onfunft muffen auS ber pl^^fifalifd^en ©^aUtegre, ber
^luftil , erllärt toerben. ein entf^eibenbeS IS&erbtenft ^at ft^ untet biefei fftM^ä^i
^elml^oll in fetner „Seigre t)on ben ^Lonem^finbungen" nm bie SJlufil ertoorben.
^u^er meisteren anbern ©elel^rten, beren gum %til toeiter unten gebadet tottb, l^at
namentlti^ 91. S)ed^ et) retig S. J. im erfien S3anbe feiner Stades mnsicales (1898)
bie gröcbniffe ber 5t!uftil für bie 3JlufiI«äp]^etiI öertocrtet.
Unter SEonleiter öerfte^t man eine ftcttge, gcorbncte ©tufen=
folge bon SEöncn — bie tote ©projfen einer Seiter, toebcr ju nal^e
gerürft no(J^ }u toeit getrennt, ein gemeffeneS ©urd&fd&reiten be§ 3:onge6iete§
bon ber 2:iefe jur ^öl^e ober umgefel^rt geftatten. ©c^on SSitruö befiniert:
Ordinatio ascensionis vocis a Graecis systema, a nostris scala no-
minatur (De archit. 5, 4). @ine beftimmte Crbnung toirb erforbert,
bamit baS 9luf= unb 3l6fteigen bie nötige ©id^erl^eit l^obe; eine fd&arfe
3:rennung ber ©tufen, toeil beftimmte 9Ibgrenjung bem ntuftfalifd&en Xone
eigentümlid^ tft (f. oben ^Ir. 42). S)ie angemeffene Entfernung toirb an=
nä^ernb burtft ben S^Jed beS ftetigen (nid^t fprungl^aften) @teigen§ unb
burd& bie fieiftungSfäl^igfeit ber 3:onorgane (©timme ober 3nftrument) öor=
ge jeid^net ; ber ® an jton unb ber §aIbton unf erer getoöl^nlid^en 9Kufif geben
jioei ber einfad&ften 2Ha^e ah, über bie ]^inau§ im allgemeinen baS S^biel
unb guioenig beginnt.
S)ie SEonleiter gemalert einen breifad&en SSorteil: fie erleichtert bie 2lb=
f(3&ä|ung ber 3intert)aIIe eines gegebenen 3Ku[iIfiü(fe§ unb beren fa^ic^c Se=
jeid&nung; fie bient ferner ju bequemerer ©infül^rung be§ 2lnfönger§ in
baS 3:onmateriaI; enbliij^ bietet fie bie einfa(3&e ©runblage für bie mannig=
faltigen SEon arten, in benen fid^ bie lebenbige 5!Hufif betoegt, unb bie an
unb au8 il^r am leid&teften tüiffenfd&aftlid^ ertannt toerben. Unter le^terer
SRüdftd&t mu^ aud^ bie ^ftl^etil auf bie ^Tonleiter jurüd greifen , um fo bie
tiefften ©runblagen ber t^raltifiä^en 9Kufif }U er!ennen.
3)er 5Ratur!Iang fül^rte uns bereits auf bie biatonifd&e SEonreil^e unb
brei einjelne 2:onIeitern (9lr. 50 — 54). ^ier foH nun aUeS übrige bei=
gebracht toerben, toaS jur Oorläufigen Drbnung beS 2:onmatertafö unb jum
OoHen SSerftänbniS einer Oorliegenben Drbnung ju ©ebote ftel^t.
78. S)cr ße^rcr Idftt ben 2lnfönQer auf ben löeifeen S^aften be8 ^Iat)ierg t)on
c' ju c" bie „biatonifd^e" SEonleiter fpielen unb crflört i§m, ba% bicfelbe aus fünf
glcid^en ©anätöncn unb nur sioei ^albtöncn beftel^e. S)ann lel^rt er il^n, bie fd^toargen
S^aften mit ju gebraud^en, unb mad^t i^n aufmerf fam, bafe er nun jtoölf gleid^c ^alb«
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a) S)ic ZonUxttx, 51
töne gefptelt l^obe. S^erftel^t ber @4ület bte Slnfänge bed ©rted^ifci^en , fo barf ber
SWciftet il^m fagcn, baft bte crfterc ßcitcr baruin biatonifdj l^etfee, tocü fte jt(!^ foft
nur „buri^ ©an^töne" betoege; bie anbete toerbe »^romatifd^e", b. 1^. geformte, fd^at«
tiette Ißeiter genannt, n)ett bte eingelegten $albt5ne gletci^fam Sfärbungen ober ^b«
fdjattungen ber ©anatönc feien. 3m toeitern Sfortfd&ritte mag ber begabte Sel^rling
unterrichtet toerben, bag ber ^^atUntbm eigentltd^ je stoei fein müßten, ba^ s. fd.
jtoifd^en c^ unb d' fotool^I ein eis' ald ein des' einpfd^ieben toäre; benn ber fogen.
^albton faUe ftreng genommen beim ^uf- ober ^bfteigen ni^t genau in bie SJlitte,
fonbem ein toeniged unter» ober oberl^alb berfelben. S)a inbeffen auf mel^reren 3n=
ftrumenten nid^t mel^r ald ^toölf 2^5ne in einer Oltaüe angebrad^t toerben lönnten,
fo ]|abe man beim ^laoier eis' unb des', ^toei ol^nel^in fel^r nal^eliegenbe ^5ne,
aU einen ^ingelton genau in bie STlitte Don c' unb d' Derlegt.
S)iefe fünftlid^e ^inrid^tung ber ^lat)ierffata l^eigt bie „gleid^fd^toebenbe
S^emlJeratur"; fie änbert um ein geringe^ alle ©tufen stoifd^en bcn fepen 0!taö=
tbnen. SJlan l^at, ebenfalls aud ^raltifd^en ©rünben, nod^ anbere Temperaturen Der-
fud^t; bemerfenStoert ift befonberd bie ^imbergifd^e , toeld^e auger ben 0!tat)tönen
möglid^ft öiele Ouinten loegcn il^rer eigenartigen SJebeutung unöeränbert lieft, bafür
über bie Unreinl^eit ber übrigen ©tufen nodj empfinblid^cr mad^te.
79» aJlan !ann bie biatonifd^e S^onleiter tl^coretifd^ au« bem fogen. Duinten«
3irf el, b. 1^. ber fortlaufenben Ouintenreil^e öon fieben Oftaöen, entfielen laffen ; nur
ift aud^ l^ier eine fleine Ungenauigfeit gujulaffen. S5on c au8 gejäl^It, filieren gtoölf
Ouinten auf einen 3^on, ber nal^eju bie fiebente Oftabe öon c ift; bie Sleil^enfotge
geftaltet fid^ fo:
c g d a e h fis eis gis dis als eis bis.
ÜJlan brandet nur bie beiben ganj nal^etiegenben 3^öne his« unb e*^ gleid^ ju fe^en,
fo ift ber Äreig gefd^Ioffen, unb fe^t man nod^ eis = f , fo ergiebt fid^ bei Jßereini«
gung ber entfpred^enben 3^öne in einer Oftabe bie biatonifd^e S^onleiter edef gahe'.
3Jlan f ann aud^ fo fagen : 3eber näd^fte ©an^ton toirb gefunben , inbem bie stoeite
Cuint beö DorauSgel^enben um eine Oftaöe tiefer gelegt toirb; 3. f8. erholt man a,
inbem man bie ^toeite Ouint t)on g, bad a ber l^öl^em 0!tat)e, l^inabüerlegt. 3n
obiger Duintenreil^e finb aud^ fd^on alle ©rl^ö^ungen ber biatonifd^en ßeiter ein=
gefc^Ioffen; bie (Srniebrigungen unb baS reine f toerben auf ber anbern 6eite t)on c
burd^ S^erooUftänbigung ber Ouintenreil^e gefunben : fes, ees, ges des as es b f e.
9lun ftnbet man jeben ^on aud^ fo, bog man Don htm folgenben stoei Ouinten
abtoärtd unb bann eine Oltaüe auftoärt« gel^t : e' a d l^inab unb bann eine Oftaüe
l^inauf giebt d'.
S)er Ouintenjirlel ift nid^t eine müßige @rfinbung. S)ic Du int fte^t ber
Oftabe an mufifalifd^er SSebeutung am nöd^ften, unb bei ber JUlobuIation burd^freujt
ber Duintenfortfd^ritt fclbftänbig bie im übrigen gundd^ft majgeblid^e Oftaben«
orbnung, inbem bie jtoeite 3Dflobulation in Ouinten öon e auf d' übcrfpringt. S)er
CItabenjirfel allein ergäbe leine S^onleiter, fonbem bie toefentlid^ ibentifd^en S^öne
c, e', e" u. f. to. S)ie Ouinten finb baö ^Jrinjip ber 3JlannigfaItigf eit , beg 3fort=
fd^ritteS, bie Oftaben l^ingegen ba^ ber ©leid^l^eit unb beS ^bfd^luffeS; burd^ bie
SJerbinbung beiber erjielt man ©in^eit unb 5lbfd&lu6 in ber fort=
fd^reitenben ©nttoirflung beS Jßerf d^iebenen.
80. (Sinen toeitern Söeg ^u einer georbneten 6!ala ftnbet bas mufifalifd^e
©el^ör, inbem e8 bie S^öne innerl^alb einer Oftabe in il^rem gegenfeitigen Jöerl^ältni«
unmittelbar belaufd^t. S)a paffen nun e e g in auffaHenber äöeife toie ein ^lang
4*
^K-
a
52 S)ritte8 Äa^itet.
Sufammen, unb gana ebenfo g h unb baS näd^fie ^öl^ete d. 9läd^ft ben Zbnm g unb e
erfennt bai €^x leidet au(!^ f als mit c fel^r nal^e üertoanbt unb f a c aU reinen S)rei=
Hang. S)amit ip bie Oltaöe cdefgahc' gefunben : bie Iftarmonifd^e ßeitcr —
nad^ Oninten unb S^er^en georbnet; bo(^ toirb bie Ouint da um ein toenigeS 3U
ficin. @8 fott nid^t bel^auptet toetben, bie C-3)urIeiter j. fö. fei toirfli^ ouf biefcm
äBege urfprünglid^ entbecft tootben; toir mfi^ten \a fonft bad beftimmte ©efftl^l für
bie l^armonifd^en S^onüerl^altniffe an ben Slnfang ber STlufilgefd^id^te fe^en. ^ber
nod^ toeniger ift ber bur4 fieben Oftaüen gel^enbe Ouintengirfel ber betougte $lu$*
ganggpunit ber SJlufif getoefen. @d l^anbelt fld^ nur um eine na(^trögli$e tl^eore»
tifd^e S)eutung aus ©rünben, bie unbetou^t maggebUd^ getoefen fein mögen.
81. S)ie genauen SJerl^ältniffe ber brei befprod^enen biatontfd^en @falen, bie
um ein geringe^ boneinanber abtoeid^en, finb folgenbe (in ßogarit^mcn ber SBafiö 2
auSgebrüdCt) : I. ©teid^fd^toebenbe ^em^eratur ; IL Stimmung nad^ bem l^armonifd^en
SBer^ältniffe ; III. Duintenftimmung.
L IL III.
c = 0,000 000 0,000 000 0,000 000
d =0,166 666 0,169 924 0,169 924
e = 0,333 333 0,321 928 0,339 848
f = 0,416 666 0,415 038 0,415 038
g = 0,583 333 0,584 962 0,584 962
a =: 0,75 0,736 966 0,754 886
h = 0,916 666 0,906 890 0,924 810
c' = 1,000 000 1,000 000 1,000 000
[1,019 544]
des = eis I 0,083 333; eis II 0,076 813 ober 0,058 894; des II 0,093111;
eis III 0,094 734; des III 0,075 190.
S)er burd^ ^ ober \} bejeid^ncte „d^romatifd^e" ^albton ift in I bem biatoni*
fd^en (e f) gleid^ , in III ift er bie ©iffcrenj jtoifd^en bem immer gleid^en ©anjton
unb bem biatonifd^cn ^albton; in II fann ber biatonifd^e §aIbton aud^ öon bem
Ileinen Oanaton (3. SB. d e) abgercd^net toerben ; ba^er unter II S)oppeIn)erte für eis.
S)er d^romatifd^e ^albton liegt alfo in ber l^armonifd^cn Stimmung (11) tiefer
aU in ber p^tl^agoreifd^en (III) unb aud^ unterl^alb bed ^albton^ ber gleid^fd^toebenben
Temperatur; ber biatonifd^e ^albton ift in ber l^armonifd^en Stimmung größer, in
ber p^t^agoreifd^en Stimmung fleiner (0,093 111 unb 0,075 190).
5tuS biefer S^abette finb bie rclatiben Söertbcrl^ältniffe ber brei Sfalen tn aritl^=
metifd^en S)iffercnäen ber Sogaritl^men abjulefen. S)aäu nod^ einige S5emer!ungen.
@in mel^rfad^ toieberfe^renber Unterfd^ieb ift baö „f^ntonifd^e Äomma", ha^ ettoa
einem Sfünftel beS reinen ^albtoneö ober einem SIeuntel beg reinen ©anätoneg glcid^=
fommt (f. oben ^x. 49). Um biefeä ßomma, beffen ßogaritl^muö 0,017 920 ift,
übertrifft bit p^tl^agoreifd^e groje S^erj, b. 1^. bie ber duintenftimmung (III), bie
grofte S^erj ber ]§armonifd^en (II), toie oben unter e, a nnb h abjulefcn ift. S)arum
eben l^at ber p^tl^agoreifd^c ^albton um foöiel toeniger Umfang; f toirb toieber gleid^.
?lu^erbem ift bie p^tl^agoreifd^e Dftaöe nid^t ganj rein, toie in ber S^abette bie ein=
geflammerte Siffer auötoeift; man fe^t bafür ben reinen SÖßert ein unb Verteilt bie
S)ifferen3 auf bie Ouinten, fo ba^ fie für baö ©efül^l ganj öerfd^toinbet. 3n ber
l^armonifd^en Stimmung bleibt ein tl^eoretifd^er SDÖiberfprud^ jtoifd^en bem p^tl^ago«
reifd^en a (ber reinen Ouint öon d) unb bemjenigen a, toeld^eS mit d f einen S)reis
Hang bilbet; le^tereö liegt ein ftjutonifd^eg ^omma ju tief. (Sielte ben Sööert bon a
unter II unb III in ber S^abette.)
a) S)le 3:onlciter. 53
S)ie gletd^mägig temperierte @!ala tiersid^tet auf bte 9leinl^ett aller S^ntertJaUe
(aufeer bm OftaDen) , öermetbct bafür aber einen öröfecm JUlangel an irgcnb einer
6tette; bie S^ergen finb Vs Äomma ju t^o^.
82. ^aä) bem geometrifd^en, je baS S3telfad^e ber ^^toingungdgal^len an«
Seigenben S^erl^altniffe georbnet, ergiebt ftd^ ftatt ber obigen S^abeUe folgenbe:
I.
IL
III.
c — 1
c — 1
c — 1
d — 1,12 246
d - Vs - 1.125
d Vs
e — 1,25 992
e — 74 — 1,25
e «V64
f — 1,33 484
f — V, — 1,333 . . .
f ~ Vs
g — 1,49 831
g V2 1,5
g Vs
a — 1,68 179
a 7s 1,666 . . .
a "Ae
h — 1,88 775
h »/s 1,875
t "Vl28
c'— 2
c'— 2
c' 2 (eigtl. IJHH)
S)er l^albe %on au 1 ift = 1,05 946, ju II = »V^^ = 1,06666 (ber fogen.
tleine ^albton, b. 1^. ber Unterf^ieb stoifd^en ber großen unb Ileinen ^er), ift
= »/j, = 0,04166); ber ^albton au III ift = «7.« = 1,0535.
S)ie fleine S^era au 11 ift = 76# bit fleine ©e^timc b = "/g, bie fleine ©ejt 76-
(S)ie ungebräud^Iici^e natürlid^e ©eptinte ift ettoag Heiner aU "Af ti'dmlid^ V4) 3Jlan
finbet ba8 S5erl^ältni« eines S^oncS auwi öoraudgel^enben burc!^ SUluIti^Iif ation , bas
jum folgenben burd^ 2)it)ifion mit ber S)ifferena; a ®- iP ^^^ Ouint bon f = 7$ • V2
= »V, = 2 , bie Unterquint öon h = »/g : 7^ = »/g X 78 = »724 = V4. S)od^
pa^t baS ä^erl^öUnig t)on a au d nid^t genau.
83. Um ben t)ra!tif(3&cn SIBcrt ber bcrfd^iebenen Settern richtig ju be«
urteilen, ift bie ßmpfinblid&feit beS Dl^reS für Meine Unreinl^eiten ber ©tim=
ntung unb ber 3*^^^* i^^^ S^onleitern ju prüfen. 9lun ift bie S)ijferenj be§
f^ntonifd^en ßontma§ (81/80) nad^ ^tln(f)ol^ red&t gut »al^rnel^mbar; ja
nad& ßngel (^tftl^eti! ber 3:on!unft @. 293) mü^te ber ol^ne mufifalifd&eS
@epr fein, ber fie bei ungeteilter 91ufmer!famleit nid^t toal^rnel^men fönnte.
9iad^ üliemann toäre Ve — Vs i>cS f^ntonifc^en Äomnia§ al§ bie äufeerfte
(Srenje ber ©ifferenjempfinbung anjufe^en. 3)a nun in unserer ^armonifd^en
9Mufif bie SEerj in unmittelbarem 3iifömmen!Iange mit ^rim unb Duint
auftritt, fo ertoeift fid^ ba§ p^t^agoreifd^e Sonf^pem, in meld^em bie
Serj ein Äomma ^ö^er liegt, alö unbraud&bar für unfere Harmonie. S)ie
Unreinl^eit ber Dftaöe beträgt nod^ ettoaS mel^r als ein f^ntonifd^eS Äomma.
3nbem man aber c einfad^ um ebenfobiel erniebert unb bie Quinten fämtlid&
um eine ganj unmerflid^e S)ifferenj l^erabftimmt , bringt man fc in baS
reine Duintenberl^ältniS unb genügt überl^aupt bem ^rinjipe biefer fieiter,
bie bon ber Sleinl^eit ber a^erjen abfielet. 3)er obere |)aIbton toirb bem
jmifd&en e unb f gleid^gemod^t.
®ie SHIten ^aben t^atföd^Iid^ ba§ in fold^er SBeife beftimmte ©^jtem
mit SSorliebe gebrandet ; ^p^tl^agoraS, toeld^er bie SSerl^ältniffe beSfelben juerft
fcered&nete, fanb bie reine Quart, Quint unb Dftabe bereits bor, entbed!te
ejperimentett i^re 3ö^I^"ber^öItniffe unb beftimmte bie übrigen unterbaue
54 S)titted Kapitel
inxä^ aicd^nung. ^foto folgt il^m in feinem „3:imäuS" (SBeppl^al,
®tie(i&if(i&e C)otmoniI, 3. 3lufl., ©. 65 ff. 70).
®ie ]^Qrmonif(i&e ©timmung toax freiliti^ ben ©ried^en fti^on in ftül^er
3eit ni(i^t unbelannt. Sßom ^^tl^ogoreer ^xä)\)ta§f (um 400 b. ©^r.) toiffen
ttJir ou§ polemöus (^armonif 1, 13 unb 2, 14), bo^ er bie grofee
%^xi unb ben ^albton genau fo bejiimmte »ie unfete SKuftiler; ebenfo
gratoftl^eneS (um 200 D. ©l^r.) bic Heine SEerj unb ben fleinen ©anjion
(10/9). «Kein in ber biatonifti&en Seiter behielt 6rotofH^ene8 bie S9eftim=
mungen beö ^ptl^ogoroS bei. 3^m log auä) bereite bie gleid^fti^toebenbe
3:entperatur Dor ; benn fti^on 9lrifto3cenu§ (um 320 D. 6^r.) legte fte feinen
mufifoIif(i^en Unterfuti^ungen ju ©runbe (SQÖeftp^oI, ^ormonif, 1. 9lufl.,
©. 228 ff. unb 3. Slufl. ©. 50. 120). 3a 2^imu§ (C)armonifaIe @9m=
bolil) l^at ttJol^I reti^t, wenn er eS als feIbpDerftänbIi(i& betrati^tet, ba§ ben
^ptl^agoreern Don 9lnfang an ba§ mat^ematifti^e SJerl^öItniS ber reinen SEerj
befannt »ar, ba§ eS aber t)on il^nen ni(i^t auf bie populäre 5HufiI über=
tragen tt)urbe. S)er fpätere 9Wufti!er ^ptoIemäuS giebt fein Urteil über bie
ganje l^armonifd^ geftimmte Seiter ba^in ab, ba^ fte jtt)ar genau, aber für
bie SKobuIation f(i^tt)ieriger unb barum »eniger im ©ebrauti^e fei. %f)aU
[&ä)l\ä) vererbte f\ä) auf ba§ 9JlitteIaIter nur ba§ ppt^agoreifd^e 3MufiI=
f^ftem unb l^ielt ftd^ bi§ auf S^tlino, ber juerft bie ^armonifti^e 2:erj »ieber
na(i^brüdfli(i& geltenb mad^te. @§ mag inbeS mit SHeti^t angenommen toerben,
ba§ im mel^rftimmigen ©efange f(i^on frül^er untoilllürlid^ eine 9lnglei(i^ung
ber 2:erj an ^prim unb Duint [\ä) Sal^n gebrod&en l^atte.
84. 5)aS 9lnfe]^en ber ©ried&en, benen ein überaus feines ©el^ör für
3JluftI nid^t abgefprod^en »erben lann, red^tfertigt bie Vermutung, ba^ für
bie melobifd^e SWuftI (bielleid^t aud^ für eine anbere Slrt l^armonifd&er 9)Zuft!)
bie aus bem DuintenIreiS, alfo in i^rer SQÖeife aud& burd^auS natürfid^ ent=
fte^enbe Xonleiter fe^r angemeffen fein bürfte. SWerfmürbigertoeife l^aben bic
afujiifd^en SSerfud^e Don ßomu unb 3Jlercabier (1869 unb 1871) baS ®r=
gebnis gel^abt, bafe gute unb bebeutenbe ßünftler aufeer ber Harmonie bic
p^t^agoreifd^e ©timmung befolgen, ©elejenne freilid^ unb ^elml^olj fanben,
ba^ SReifter auf Sioline unb Siotoncell nur natürlid^e SnterDalle fpielten.
@S iji möglid^, ba^ bie latente Harmonie ber 3:öne je^t Don 9Keiftern aud^
in ber SKelobie als mapgeblid^ empfunben tt)irb, Don ben ©ried^en aber,
bie unfere Harmonie nid&t lannten, überl^ört mürbe. 2luSgefd^Ioffen ift aber
bie anbere 9Weinung nid^t, bafe unfer an bie ^armonifd&en Ser^ältnijfe ge=
mö^nteS O^x itoax aud^ in ber 9JleIobie leidet bie l^armonifd&en SnterDalle
beDorjugt, aber bod& nid^t feiten biefen 33ann burd^brid^t unb in eine ber
melobifd^en 3JlufiI jufagenbere 93a^n einlenft.
aSielleid^t lä^t fid^ ber ©ebraud^ ber unl^armonifd&en , im Slaturllange
nid&t enthaltenen 2erj über ©runbton unb Duart burd& folgenbe ßrmägung
a) 3)ic 2^onIctter. 55
tcti&tfcrtigcn : 3n bcr ntelobifd&en (ober bortüicgcnb ntcfobif(i&cn) SQRufil mu^tc
baS ScbfirfniS naä^ Keinen meIobif(i&cn S)iffononjen (tt)enn man 3lbtt)ei(i^ungen
bon ber l^armonifd^en Sonjiimmung fo nennen barf) ftd& ebenfofel^r geltenb
maä^en, »ie bei uns bie SlotttJenbigleit Dorüberge^enber (biel ftärferer) 9Hife=
Ilönge in ber Harmonie. 3lai^m\§>liä) ^aben bie &xitä)m burd^ manii^erlei
fleine „Serftimmungen", b. 1^. butd^ Übcrfponncn , ^Rod^Iaffen unb 3:cilen
ber SnterDaHe, il^rer SKufil 3leij ju geben berfuci^t: eS famen in il^rer
proftifd^en 9HufiI fünf berfii&iebene 2:erjen bor (in ben SSerl^ältnijfen ^Ve*»
^U, Vb, «V27, Ve), brei ©anjtöne (8/7, %, ^^/g; ber erfte mx na*
^toIemäuS 1, 16 fel^r beliebt), enblid& eine Seilte Ileinerer Snterballe. S)ie
nähere 93etra(i&tung ber Duintenftimmung ergiebt aber auä) einen innern
®runb für il^rc Srauti&baricit in ber melobifd^en 9HufiI. S)ie ©ried^en
gingen bont 3:etra(i&orb , b. 1^. bom Duartinterball ober ber S3ierton=giei]^e,
ou§. 3)a unterfd^ieb \xä) nun bie pptl^agoreifti&e 2:eilung berfelben nur burii^
bie Über^ö^ung be§ gleiten ®anjtone§. 9Kan ^at aber bie Senterfung ge=
mad^t, ba^ bie ©önger nod& ^eute geneigt finb, ben fteigenben Seitton ein
menig l^öl^er, bie faüenbe ©eptime int 5)ominantfe})tinten=9lfIorb ettoaS tiefer
ju nel^men. 5)ie ©ried^en mögen alfo toegen be§ Seitd^arafterS , ben ber
gleite 3:on ber ppt^agoreifd^en 3:erg je in einem 2:etrad&orb l^atte, bie 6r=
l^ö^ung biefeS 3:one§ nid^t ol^ne ©runb fd^ön gefunben l^aben, »eil bielleid^t
»irflid^ bicfe ©pannung in ber 3WeIobie eine bejfere SQÖirlung tl^ut afö baS
^armonifd^e Serl^ältniö ber reinen 2:erg. darüber gu urteilen, tt)irb unS
mcgen unferer @ctt)ö^nung an bie Harmonie allerbingS nid^t leidet. 6§
mad^t übrigens leinen Unterfd^ieb, ba^ bie ©ried^en meift bie borifd^e
(E-) Seiter benü|ten; benn fie fangen baS SEetrad^orb in ber Siegel in ab=
fteigenber 3lid&tung, fo bafe ber ^albton bod& ben ©d&Iup bilbete (edch,
agfe); baS ©rängen gum 3lbf(^Iufe ber Dftabe ober ber Duart ift e§
aber, tt)aS bem Seittone feinen ßl^arafter giebt (bgl. baS eben über bie faHenbe
©eptime Semerfte).
Tlan barf bie praftt|d§e Slntoenbung ber p^tl^agoreifd^en l^etter im Slltertum
niä^t bcgtoeifcin. S)tc 3c«9niffe bcr 2:]^corctifcr laffcn barüber feinen Stocifel, gu»
mal bie temperierte unb manij^erlei anbere Stimmungen red§t too^I belannt maren
unb bie ©timmung naij^ Clutntcn, toic ©cboert (Musique de l'antiquitö 1, 4) bc=
mcrft, auf aütn ?Punften bcr <£rbc fid§ finbct. Jöieaeiiä^t fommt man bcr SDßal^rl^eit
om näij^ftcn , tocnn man bcr Hunftmufif tocgcn bcr l^äufißcn ajlobulatton bie ölctd^«
mäfetfic 2:cmperatur, bcm JöoIfgQcfanö aber bie fcftc ©timmung nad§ Ouintcn gu«
fprid^t. ©0 toürbc ftd^ crflarcn, toarum man im 5DlittcIaIter nur bon bicfcr cttoaS
tDU%U, ^an toirb bal^er aud^ nid^t in ber l^ö^crn Stimmung ber 2crg eine unöcftörigc
Äünftelct erf cnncn bürfcn ; ed mufe eine in bcr mclobifdöcn JUluftf gang toirfunfigboffc
er^öl^ung gctocfen fein. 3öir fönnten alfo bie p^tl^agoreifd^c Scrj bie progrcfftb«
melobifd^e, bie ^armonifd^e l^ingcgcn bie rüdbeaügltdöc, b. 1^. auf btc ^rim gu bcaicl^cnbc,
nennen. ®etoöl^nlid§ l^cifet bicfe bie natürlid^c, tocil fic jur ?Jrim bie näd^ftlicgcnbe
löegiel^ung l^at; beffcre ©cgcnfäfec toärcn l^armomf^ unb mclobifd^ ober progrcffib.
56 2)rittc8 Kapitel.
85. SlBaS bic giciti&ntäpig temperierte Seiter onge^t, fo f)at fte
t]^eoretif(i^ eigentlitä^ gar !eine, ober proftifd^ eine bejio größere Sebeutung.
aSie bie ©rieti^en ft(i6 i^rer fii^on frü^jeitig bebient l^aben, fo be^errfii^t fie
in ber neuem 9Jlufif faft bog g^Ib. 6ine 9lbänberung ber alujHfd^ reinen
SEonbejiimmungen. ijt unerläfelid^ gettJorben bei Snftrumenten mit gebunbener
©timmung (C)otfe, fliabier, Orgel, Sloäinftrumenten mit ftlappen unb
aSentilen). ®ie moberne 9KufiIenttt)i(fIung forbert nämlitä^, bafe oHe 3)ur=
unb 3JlolI=5)reifIänge ouf allen ©tufen ber SEonleiter fid^ Doülommen gleid^en.
5)a§ ift aber bei 3nftrumenten mit fefter Intonation nur burd^ fel^r Iom=
plijierte Slpparate ju erzielen, ©o fe^te fid^ nad& me^rfad^en SSerfudöen
unglcid^er 2:emt)eratur feit 2lnfang be§ Dorigen 3aWw"t>^^t^ ^^^ ©^jtetn
ber jmölf gleid&en ^albtoninterbaKc in ber DItabe feji. 5)ie Serjen ftnb
l^ier am unreinften, nömlidö 2/3 Siomma ju l^od^ geftimmt, trüben bie
Harmonie bei langfamerem Sempo unb erzeugen fd^arfe ßombinationStöne.
SBtm tt)enigjien treten nad^ ^elml^ol^ bie 9KängeI bei jd^neKer Setoegung,
tt)eid&er Klangfarbe unb mäßiger 2:onftär!e ju 2:age. S)ie 3nftrumentalmufi!
läp bem Dl^re laum bie S^itr bie Unreinl^eit ber ©timmung toal^rjunel^men,
unb ftombinationStöne fönnen fid^ faum bemerllid^ mad&en. Slamentlid^ l^at
bie blofe augenblidflid^e 2:onerregung beim ßlabier biefe 2Bir!ung, unb öon
biefcm 3nftrumente fd&reibt fid6 bei uns bie |)errfd&aft be§ temperierten
©pftemeS l^er. S)en ^auptgetoinn l^at au§ bemfelben bie ^nftrumentalmufi!
gejogen, ba bie 3:ran§pofition unb 3Jlobulation auf ben temperierten 3n=
ftrumenten mit ber aDergröfeten grei^eit ausgeführt tt)irb. S)od^ ^at Diel=
leidet juerft ber begleitete ©efang auf ben ©ebanlen geführt, be^ufS leidöterer
StranSpofition , aufeer ben t)on je^er gebräud^üd^en SBed^feltönen h unb b
nod^ für anbere ©tufcn ©oppetoerte einjuf ül^ren , tooburd^ bie d^romatifd&e
3:onIeiter erttJud^S unb ber SBunfdö nal^egelegt mürbe, burd^ böllige ®Ieid&=
fteüung ber Stöne eine unbefd&ränfte Stei^eit ber SranSpofition unb 9!Jio=
bulation ju erjielen. 53ei ben ©ried&en ^at berfelbe 9)iufi!er, meld^er bie
breijel^n (ober jmölf) 2:ranSpofitionSffaten eingel^enb bel^anbelt, bie gleid^=
mäßige 3:emperatur feinem ganjen Sfiufiff^fteme ju ©runbe gelegt ; 2lriftojenu§
(um 420 t). K^r.) l^at in beiben S3ejie^ungen eine ä^nlid^e 53ebeutung mic
©eb. 93ad^ alS Serfaffer beS „mopemperierten ftlabierS".
86. 2)iefe Vorteile finb freilid^ aud& teuer erlauft morben. 3)enn bie
3a]§I ber alten 2:onIeitern »urbe bei un§ jum 2:eil infolge ber Slemperatur
auf jtoei l^erabgefe^t ; man badete nur me^r baran, bie 3)ur= unb bie 9)iolI=
tonart auf jeber d^romatifd^en ©tufe böllig unöeränbert ju mieberl^olen.
SDie innere Sefd^affenl^eit unb bie 2Kobutation ber ßird&entonarten cntl^ielt
aber eine grofee 3JlannigfaItigIeit bon intereffanten ©d^attierungen , toetd&e
nun burd^ bie Slemperierung bermifd^t finb. 2Bir ^aben ju ©unjien ber
C-3)ur= unb A-9Jlon=SE:onart barauf berjid^tet unb uns gemö^nt, au^er ber
a) S)ic S^onleiter. 57
6Iofecn ajerfc^ung bicfer Xonarten feinen anbern SQÖeti&fel ber 3:onart ju
fennen. ©od^ barf man nid&t öcriennen, bafe bie 9WitteI be§ 2lu§bru(fe§
auf anberem SBege au^giebigft erfejt motben finb. gerner ift bie 8e=
einträd&tigung be§ reinen SBol^IflangeS in ber Harmonie (in ber fid& an=
erfannterma^en bie S)ifferenjen ftärfer geltenb mad^en) burd^auS nid&t un=
mcrllid^. 3taä^ §eIm^oI| Hingt in ber reinen Stimmung ber ©eptimenaflorb
nod& ungeföl^r ebenfo gut tote ber einfädle 3)reiflang in ber temperierten ; in
jener ^eben fid^ aud& Äonfonanj unb S)ijfonanj Diel fd&örfer gegeneinanber
ab. 93ei ber Orgel unb beim Harmonium, toeld&e eine feör rafd&e Semegung
nid^t julaffen, toirb ber Unterfd^ieb rüdEfid&tlid^ be8 SBol^IIIangeS merllid&er;
ebenfo im Drd^eftcr, too iporn unb 2:romt)ete natürlidfee Stimmung ^aben
unb bie leeren ©aiten ber ©treid^inftrumente nad^ Duinten geftimmt finb
(gdae, für Sratfdöe unb ßeöo cgda). S)a§ Of)x ift nun freilidö für
bie Ileinen Unterfd&iebe nid&t fe^r empfinblid^, toirb aber burd^ bie ®etoö]^=
nung an bie Temperatur tool^I nod& me^r abgeftumpft. SDa§ bürfte ein
®runb mel^r fein, m§>i)alb bie mobernc 9Jlufi! toeniger ate j. 8. ber
A-Capella-®efang ^aleftrinaS auf reinen SBo^HIang, aber befto mel^r auf
pilantc ßffelte bebad^t ift. 2)a]^er toöre bon einem 53ftufigen ^nftrumente,
baS aßen 3lnforberungen ber reinen Stimmung genügen toürbe (f. $elm=
]^oI|), ober t)on bem 3X12ftufigen, baS Sliemann borfd^Iögt, ein gortfd^ritt
ber SMufif ju ertoarten, toenn bie ©d&toierigfeit ber praftifd^en ^erfteüung
unb ^anbl^abung leidster gu übertoinben toöre. 3)ie 9Ket^obe ber ©ol=
feggiften, toeld^e in ©nglanb ben ©efang auf bie natürlid&en SSerJ^öltniffe
ber Stöne grünben, l^at in SQÖirllid&feit erfreulid^e ßrfolge aufjutoeifen. 3Kan
rül^mt aud& fonji ©treid^quartettfpielern unb Duartettföngern Don feinem
©el^öre nad^, bafe fie bie reine ©timmung leidet toieberfinben unb mit großem
©lüdfc jur ©eltung bringen.
87. SSon bem fd^toad^en fünfte ber l^armonifd&en Sciter fagt S3ener=
mann (Äontrapunit ©. 15): „2)er Älang einer fold^en um ein Äomma
JU Keinen Duint [da] ift bon fo unreiner, unl^armonifd&er SQÖirfung, ba^
toir fie felbft als melobifd&en ©d^ritt in einem einftimmigen ©efange nid^t
bulben toürben, gefd^toeige benn afe 3wfontmenIIang in einer mel^rftimmigen
ajlufil." S)ie Serj df ift eben bie üeine p^tl^agoreifd^e Xerj, toeld&e ba§
SnteröaH ^^l27, nid&t Vs ^^t; fo toirb benn aud& bie Duint da um ein
öoHeS ßomma ju Hein unb ^at nid&t ba§ reine unterbau ^2- Sngel ]^in=
gegen, ber fid6 tool^I betoupt ip, bafe fotoo^I bie 3:er} d f afe bie Quint d a
um ein ganjeä f^ntonifd&eS ßomma ju Hein, unb bafe fonft bie SRein^eit ber
Duint Dor aKem unb ber Xerj toenigftenö in ber Harmonie unerlö^Iid^ ift,
flnbet bei einem Serfud&e mit einer rein gejiimmten 3:onleiter, bafe gerabe
ber Slfforb auf ber ©elunbe, aber fein anberer, bie frembartige ©timmung
gulaffe unb forbere (tft^etif ber SEonfunft ©. 304). g§ lö^t fid^ nun be=
58 ^xitteg Kapitel.
greifen, bofe i^m bte in getoiffen gegebenen %titXüoxttn etoa liegenbe
©timmung gerobe auä) jene intmetl^in nid^t oHju grofee SHi^immung ber
Harmonie ju f orbern fii^ien; ba^ aber jeber @elunben=3)rei!lang Derjiimmt
fein muffe, ol^ne bofe borouS trgenb ein ©etoinn gejogen toerben fann, Hingt
faum gloublid^. 3m Slaturflange (9?r. 49) ip bie Duint ber ©elunbe
be§ ^funbomentaltoneS rein: 27/^g unb ^Vse «• f- »). SBäre @ngel§ SBe=
obad&tung mirfliti^ ri(i6tig, fo l^ötte bie tonole Sebeutung ber ©elunbe unb
©ejt bie feltfame SQÖirfung, eine unreine Duint al§ Döüig befriebigenb er=
fd^einen ju loffen. SOBa^rfd^einlid^ \thoä) offenbart [\ä) ^ier eine ©(ä&tt)ö(i&e
ber ]^armonif(i^en Seiter. Ob man \xä) nun aber jur Beibehaltung biefer
ju l^o^en ©efunbe ober jur Slbönberung entf(i6Iie$t , auf alle gäHe bleibt
eine freie Serfe^ung ber Tonleiter auf 3nftrumenten mit einfacherem D!tab=
f^ftem auögefd^Ioffen. ®enn bie unöeränberte ©elunbe ergäbe für D-S)ur
einen unreinen 3:onif a=2lf lorb ; bie berönberte aber ift für ben S)ominant=
3lfforb jU tief, unb bie l^armonifd&en 3:erjen laffen \iä) überl^aupt nid^t
ol^ne ?tnberung ber SQÖerte transponieren. 5)ie l^armonifd&e Stimmung brängt
alfo felbft mieber jur temperierten jurüdE, folange nid^t öollfommenere 3n=
ftrumente allgemein ju ©ebote flehen. Slber aud& bann bliebe nod& bie unS
fd^on im pptl^agoreifd^en ©pfteme aufgeflogene ©d&mierigfeit bejüglid^ ber
reinen C!tabe. S)enn bei fortgefe^ter Silbung bon 2)urafforben fommt
man nie genau auf bie Dftabe beS SluSgangSpunIteö , toeil baS ^rinji|)
ber ^armonifd^en 2eiter aud^ an bie Duintenorbnung gebunben ift. S^be
fotgenbe Quint l^at jur borauSge^enben ba§ 5}er^ältni§ ^/2, bie DItabe
aber jum ©runbtone baS Serl^ältniS bon */2 ; bie f ortfd^reitenben ungeraben
unb geraben 3^^^^^^ t>icfer Srüd^e, 9 • 27 • 81 . . . (0/4 bejeid&net bie jtoeite
Quint, 27/28 bie britte u. f. ».), unb 8 • 16 • 64 • 128 . . . fönnen fid&
nirgenbmo treffen. 5Kun fann aber bie ^armonifd^e 9Kufif baS reine D!tab=
ber^ältniS nod& biel weniger entbehren als bie melobifd^e SWufif. 9lu§ ber
3)urd^freujung beSfelben mit ber Duintenorbnung erfolgt alfo ein getoiffer
SQSiberfprud^ ber SEonlunft mit fid^ felbft, ber nur burd& bie UnbolI!ommen=
^eit beS Dl^reS annö^emb gelöft »irb, Inbem biefeS auf mat^ematifdöe ®e=
nauigfeit bon bornI)erein feinen 3lnfprud^ erl^ebt. SBir fa^en früher (9?r. 40),
bafe eS eine relatibe UnboIIfommen^eit unfereS D^reS, menn aud^ eine fel^r
glüdflid&e UnboH!ommen^eit ift, »enn ton mm mufilalifd&en 2:on als (Sin=
^eit berne^men, unb bod^ beruht auf biefer Unboülommenl^eit bie ganje
9)iufif. 3t^nlid&e 93emanbtniS ^at eS nun aud& mit ber Sluffaffung getoiffer
Snterballe, junäd^ft ber Dftabe unb ber Duint. S)a^ »ir bie in einfad^en
Sa^Ienber^ältniffen (1:2, 2:3, 3:4) auSbrütfbaren Sonbiftanjen auf=
fallenb leidster als anbere erf äffen, !ann mit Sled&t eine UnbolIIommen^eit
beS ©e^öreS genannt werben. Siefe l^at jur golge, ba^ mir bie SEonlunft
mefentlidö auf Oftaben unb Duinten aufbauen; bamit finb aber jwei ftd&
a) S)tc S^onleitcr. 59
burd^Itcujcnbe ^rinjipicn gegeben. Unfere ]^atmonif(i&e 2KufiI l^at ein britteS
l^injugefügt, inbem fie ben SEerjen eine öl^nlid&e ©eltung juerfannt ^at S)ie
SSetl^ältniffe bet großen 3:erjen bur(i^!reujen [xä) ober mit benen ber Quinten
unb DItoben, fo bafe boS 3:ongebiet ou(ä& nid^t naä) großen SEerjen unb
Quinten (ober Dftaben) jufammen einjuteilen ift (V4 : ^k ober ^U, unb
nid&t ntinber ^U • 2 ober ^U ergiebt , mie oben , ba§ unoerfö^nliti^e S5er=
^ältnig bon geraben unb ungeraben S^¥^^)'
2)ie ]^armontf(i&e 9)iuft! mufe fofort nod^ weiter gelten jur Slnerfennung
ber Weinen 3:erj al§ ber großen no^eju ebenbürtig. 9lber bie Heine SEerj
liegt f(i^on niä^i mti)x ganj rein in ben Dbertönen beS ®runbtone§; bol^er
jubörberft bie ©(i^toierigfeiten ber 9MolIi^Qrmonie , »orüber mir fti^on ge=
fprod^en l^aben unb nod6 fpäter ju reben l^oben merben (3lx. 68 unb 172).
fjerner maä^t QÜerbingS bie Heine Serj mit ber großen eine Quint ou§,
allein ber imä^ bie Quint innerhalb ber reinen DItabe ^erborgerufene
SBiberfprud^ übertrögt ficö nun auf bie 2:erj; bal^er fanben tt)ir in C-S)ur
fotool^I bie Meine 2:erj df tt)ie bie Quint da unrein. Übrigen^ fül^rt bie
Slnerlennung ber Serjen bie l^armonifd^e 2Kufif t)on felbft anä^ ju ber
(toenigftenS bebingten) 3lnerlennung be§ berminberten unb be§ übermütigen
3)reiIIange§ , meiere unaugbleiblid^e ßonfequenjen be§ auf 3)reif längen [xä)
aufbauenben ©ppeme§ fd&eincn.
3loä^ einmal mu^ ^ier ba§ O^r 9iid^ter fein unb beftimmen, »ie meit
einerfeits bie tl^eoretif(i& toiitlxä) öor^anbene SEonberioanbtfd^aft nod^ ber=
ne]^mli(i^ unb juglei(i& »o^IgeföKig fein !ann, unb mie tt)eit anbererfeits bie
biffonanten ®reiflänge berioenbbar bleiben. 6ine geioiffe Slotlage, in totlä^t
bie Solfl^tid^tigfeit be8 ©^ftemeS berfe|t, mu§ ba manti&eS erflören unb ent=
fti^ulbigen, unb baS Q^r felbft gemö^nt fi(i^ an bieleS, toaS ba§ 8ebürfni§
aufnötigt unb ber (ätbxanä^ aümiSi)l\ä) fanftioniert. S)ie ßigen^eit beS Q^re§
ftecft aber aud& ben ffonfequenjen eines 5DIufi!f^ftemeS feine ©renjen; bie
9lü(ffi(3&t auf ben 2Bot)lflang barf ja bod^ ber n)ijfenf(i&aftli(iöen ftonfequenj
nid^t geopfert toerben. Übung unb ©emöl^nung tonnen inbe§ bie ©renjen
toeiter jiedfen, unb bal^er lann, »aS in einer ^eriobe ungulöffig fd^eint, in
einer anbern angemejfen fein. S)er glatte einfad&e SQSo^lüang !ann nid^t
bauernb crjielt werben ; bie 5Katur felbft ^at ben ffeim ber 3)iffonanj tt)ie
in ben mufttalifd^en Xon felber (5Rr. 76), fo aud^ in bie Tonleiter gelegt.
S)aS mirft für bie ffunft nur gebei^lid^; benn ber SQSol^lHang ol^ne SBiber=
ftreit mürbe meber bie ^röfte be§ ßünftler§ fpannen nod& an fid& auf bie
Souer befriebigen.
9luf bem afuftifd^ ©eföüigen baut allerbing§ bie ffunft auf; aber fie
barf unb mu^ barüber ^inauSge^en unb nad& allgemeinern
unb l^öfjern ©efe^en weiter arbeiten (f. oben 9ir. 56 u. 71).
60 S)ritted ^o^itef.
b) ^ie Xnnartett, sttttSdIfl C-^un
88. @inc Sonart ift ein ©^[Icm Don Söncn inncrl^alb bct
Dftabe, ba§ für ein mufilalifd&e§ ftunfttoerf bie au§reid6enbe
unb unentbel^rlid&e (Srunblage obgiebt. @ine mcl^r faci^Iid&e ®e=
finition tt)irb fid& un§ toeiter unten (5Rr. 100, 6nbe, u. 102) ergeben. S)ie
SEonleiter mirft jum Slufbau eines 2RuftIjiä(feS nur ftop(i& mit, inbem jte
eine Qfülle Don %bmn borbielet, an^ benen ber 9WupIer bie i^nt bienlid&en
auStt)ä^It. ©ie be[d6rönlt ftd& an unb für fi(i6 !eineStt)eg§ auf eine DItaDe ; Ja
eine Döüig fonfequente natürliii&e S^onleiter fönnte nur bie uncnblid^c fein, in
mlä)tx, tt)ie im Slaturflong (oben 9ir. 49) unb bei ber fortgefe^ten Duinten=
ober Serjenteilung, no(i& ganj anbere SnterDQÜe ofö in ben gebröu(i6Iid&en
Seitern mit temperierter ober fonfequent ^ormonifci^er ober ppt^ogoreifti&er
©timmung Dorfömen. S5on fold&en neuen SnterDallen »ären jiebo(i& Diele
toeber mit ber ©timme no(i& mit 3nftrumenten auäjufül^ren. 2)o8 ift ber
©runb, toeS^alb bie Äunft jum proftiftä^en ©ebraudöe Don Dorn^erein bie
SEonleitern auf eine DftaDe eingefd^ränft l^ot, obfd^on baburd^ bie l^armonifd^e
fottJol^I afö bie p^t^agoreifd^ Seiter auf bie folgeriii^tige ©urii^fü^rung il^reS
^rinjipS Derjid^tet. ©o erft ergeben \\ä) leid&t fingbare, in faßbarer Drb=
nung Derbunbene SnterDalle. S)ie ßunft mirb alfo fti^on burd^ bie Dor=
gefunbenen Serl^ältniffe genötigt, an i^re p^cre unb fd&mierigere 9lufgabc
ju gelten unb bie 9iatur ju ergänjen.
89. 2)aS einjige formale ßlement in ber 3:onIeiter ift bie georbnete
Slbftufung ber 3:onrei^e ; bief e Drbnung l^at aber auf bie ßunft nod^ feinen
unmittelbaren S3ejug; erft in[ofern bie Drbnung eine Sonrei^e ju einem
©pfteme }ufammenf(i&lic^t , toirb auS ben Derbunbenen SEönen ein erfle§
Äunftgebilbe , ba§ jtoar nod^ nid^t afö 3Kuft!ftüd gelten, aber bod& afe
formales Clement in ba§ ßunfttoerl aufgenommen »erben fann. ®ann
l^ei^t bie 2:onIeiter ober rid&tiger ein 3lu§fd&nitt au§ berfelben eine 2:onart.
S)ie tl^atföd^Iidö in Slntoenbung gefommenen Tonarten fallen mit einer ber
aufgeftellten Seitern teitoeife jufammen; fie f äffen ad^t ober nod^ weniger
3:öne JU einer ßin^eit jufammen. 6ine fefte Tonart ift ein S3Befen§=
element ber DoIIfommenen 9)Jufi!. D^ne bie ein^eitlid^ gefd^Ioffene 2:on=
art gebrid&t e§ i^r an jebem ^alt inmitten ber mannigfaltigen 53emegung,
an jebem SQSegtoeifer im gortf d&ritt , an jebem SRafe im Slufbau, an jebem
burd&greifenben ®e[e^e ber ©d^ön^eit. 2Ba§ bei einem SBerfe ber bilbenben
Äunft bie regeltreu gejogenen Umriffe, tt)a§ bei ber rebenben ßunft ber
grammatifc^e ober metrifd&e ©apau ift, baSfelbe ift für bie 3WufiI ber
eigenartige ©ang unb gall ber 3:onart. S)ie ©ebunbenl^eit ber 5JlufiI an
bie 3:onart mu^ fo Derftanben »erben, bafe 3lu§biegungen unb Übergänge
menigftenS nur im ©eifte berfelben unb unter Seitung eines ftellDertretenben
b) S)ic Tonarten, junö^ft C-S)ur. 61
neuen ©efe^eS ftattfinben bürfen. ©elbjit)erftänbli(i& ift bie praflifc^e 9»ufif,
bie fi(i6 an ber ^onb ber Statut auSbilbete, ber t^eoretifti^en @r!enntni§
einer bejiimmtcn Jonart borauSgeeilt. 9?ur fonnte tl^atfädöHd^ eine fünft-
bolle SKufil ol^ne jene eigenartige Drbnung ber 3:öne nid&t ins 2)afein
treten, gleid^Diel ob biefe gleid^ mit Setou^tfein erfannt mürbe, ober biet
mel^r trojbem, bafe fie nid&t fo erfannt mürbe.
90. S)er Umfang einer Oftabe genügt ber 3:onart, um al§ ®runb=
einl^eit beS 9Jluft!tt)erIe§ ju bienen, »eil bie jmeite Dftabe gemiffermafeen
nur eine SBieberl^oIung ift. dagegen lä^t ^iä) burti^au» nid^t behaupten,
bafe bie Tonart äße in ber Dftabe möglid^en Söne umfaffen muffe; ja
bann toäre bielme^r eine überf(i&auli(i&e ©inl^eit be§ ©^jiem§ niii^i mel^r ju
hoffen. 2Bie alfo baö ganje TOuftfgebiet ber Überf(i&auli(i&feit l^alber in
Oltaben jerfallen mufe, fo barf bie 3:onart, um als ßinl^cit erfaßt »erben
ju fönnen, nur eine befti^rönfte Slnja^I bon 3:önen innerhalb ber Dftabe
umfd^Iie^en.
91. S)ie 3fragc entfielt nun, »aS eine Jonreil^e, eine fieiter ju jener
gef(i6Ioffenen ßinl^eit mad^e. @S ift junöti^ft irgenb eine aSermanbtfd&aft
aller SEöne untereinanber. 9lber mlä^t S3ertt)anbtf(i&aft »irb erforbert, ba=
mit unfer Of)x bie ßin^eit mit 2ei(i&tigfeit unb ©enufe »a^mel^me? 9Kan
benft junöd&ft an bie SSermanbtfd^aft eines ber 3:öne mit allen übrigen.
9lber biefc ganj allein reid^t nid^t aus, benn fd&on bie S^^ ^^^ i"
toöl^Ienben ©tufen bliebe böüig unbeftimmt. S)iefe SßerttJanbtfd^aft l^at ja
nirgenbs fefte ©renjen, ja fü^rt obenbrein ju ganj tounberlid&en Slonreil^en.
5ür bie 3:onfoIge in ber 5JleIobic fann »ol^I nur bie Cbertonreil^e
(5Rr. 49) in Setrad^t fommen. 3)a Ȋre ber neue Jon fd&on ganj im
©runbton enthalten unb »ürbe als fold^er aud^ irgenbtt)ie empfunben,
toenngleid^' nid^t beutlid^ erfannt. 9lber baS @e^ör anerfennt junöd&ft
als braud^bare SSerttJanbte j. 33. bon c nur egc'; fd^on baS nöd^ftr
bermanbte b (mit bem aSer^öItniS V*; i^ t^^^ 5Raturtonrei§e 3lx. 49 ^at
Esi biefeS SSer^öItniS ju F2) tourbe in ber praftifd&en SKufif nur auS=
na^mStoei[e bermenbet ; ftatt beffen aber h (mit bem SSerl^ältniS *^/24 = ^V»)
unb ein anbereS b (mit bem SJerl^öItniS 1^/9), beffen ©ebraud^ ein anbereS
^rinjtp borausfejt. SDagu fommt bie ©efunbe d (im aSerl^öItniS bon ^/s),
bie grope ©ejt (mit bem SSer^ältniS 6/3 = «o/^g ftatt 27/^^ = si/^g) y. |. to.
gür bie l^armonifd^e 9Kufif müfete baS 5Rr. 61 befprod^cne 3ufammen=
fallen eines JeileS ber ©d^tt)ingungStt)elIen felbftönbiger Jone entfd^eibenb
fein. SSerüdffid&tigt man nun blofe bie birefte SSerioanbtfd^aft im 53ereid&c
ber erften fed^S ^artialtöne, fo finbet man bie Jonreil^e
c es e f g a c'
mit bcn S3er^öltniffen :
1 'lo 'U V3 '12 'Va 2.
62 S)rttted Aapttel.
Sine fold^e %onxt\f)t i)at aber megen ber }tt)ei ^albtöne unb ber }tt)et fleinen
^er}en in ^olä^tt Soge ntii^t genügen fönnen. ®e^t man nun gar }u ben
Pipern 2:eiltönen fort, bie \>oä) in ber menfd^Iitä&en Stimme, öon ber au§=
juge^en iji, nie fehlen, fo tt)irb bie Äeil^e ber mit c öertoanbten Söne nod&
Diel [eltfamer.
92. äBeld^eS anbere ^rin}i|) tDirb alfo )U ben genannten l^rangejogen
toerben muffen, um bie SBal^I ber 3:öne ju beftimmen? 3ebenfan§ muffen
alle 3:öne ju einem 2one in irgenbtoeld&er äfi^etifd^ brautä&baren Sejicl^ung
ftel^en; bie§ mufe bleiben. 3n i^ber ßunft giebt eS übrigens aufeer ben
bcrtoanbtfii&aftlid^en anä^ gegenfö^Iid^e Sejie^ungen. ^^nlid^eS gilt ferner
öon bem S3erl^ältni§ ber 3:öne untereinanber, bamit ber Übergang Don
einer ©tufe jur anbern mögliii^ji leid&t unb natürlid&, aber hoä) funftöoll
unb fpannenb fei; eS !ann ja nid&t immer toieber auf bie öermitteinbe
SEonüa jurüdEgegriffen toerben, ober biefe Vermittelte Sejiel^ung toürbe niii&t
fühlbar genug fein, ba mit iebem neuen Stone ftd& neue Sejie^ungen ba=
jmifd^en bröngen. ©obann ijt e§ toünfd^enStoert, ba^ bie 3:onftufen mcber
jU nal^e jufammenrüden no(i& anä^ größere Süden laffen. SBie nun au biefe
93cbingungen angemeffen erfüllt toerben fönnen, läfet fi(i& unmöglitiö öon Dom=
l^erein auSmad^en; praftifd^e ßrfal^rung t)on 3a^r]^unberten
mu^baentfd^eiben. 5)ie öft^etifd^e (Srörterung lann fidö borjugStoeife
nur mit ben ^iftorifd^ Dorüegenben 3:onf^ftcmen befaffen.
93. S)ie öltefte Seiter, toeld^e al§ funpgemöfeeS 2:onf9flem fe^r lange
gebient ^at, ift bie fünffiufige, au§ bem Duintenfpflem ertoad^fene. 3lu§
ben Quinten ges des as es b j. 93. toirb bie Seiter ges as b des' es' ; man
fann fte an ben fd^toarjen 2:aften beä ßlaöierS merfen. 2)ie SScrpItnijfe
finb natürlid^ gleid^, toenn man gab de (ober cdega ober mit f afö
©runbton fgacd) einfe|t. S)iefe Seiter finbet ober fanb fid& auf aßen
fünften ber @rbe, in 3lfrifa, Slmerifa, Dceanien, Dftafien unb SQBefteuropa.
SDie ß^inefen unb Selten bebienen fid& i^rer nod& je^t neben ber fieben=
ftufigen. 6§ ift bie oben 3lx. 54 befprod^ene mit bemjenigen 3:on al§
©runbton, auf toeld^en jtoei ©anjtöne folgen (folange toir un§ an bie
Dom 5laturIIange gegebene 9lorm l^alten). ^ier befielt ba§ SBefen ber Ston=
art lebiglid^ in bem Duinten= (unb Ouarten=) aSer^ItniS ber Söne, toeld&eS
burd& ^injuna^me einiger DftaDtöne nod^ flarer toirb: [de]gahd'e'
[g' a' h'] ; jeber 2:on mit SluSnal^me Don b (ber legten Duint im Duinten=
jirfel biefer 3:onart) l^at ^ier feine Dberquint, unb ieber mit 9Iu8na^me
be§ ©runbtoneS g feine Unterquint ober Dberquart. S)ie SSertoanbtfd&aft
aller 3:öne unter fid& unb mit bem ©runbtone toirb burd^ baS gleid&e ^rinji|)
erreid^t, ba§ ber Seiterbilbung mit fünf ©tufen be§ DuintenjirfelS g d a e b ;
bie 2lrt, toie bicfelbe fid& für ba§ ©efü^l unb in ber lebenbigen 3WeIobic
geltenb mad^t, ift Don betounbernStoerter ßinfad^l^eit: man fjört nid^tS als
b) Sie 3:onQrtcn, aunä(36ft C-S)ur. 63
Quinten, Quarten unb beren 2)ifferenj, ben großen ©anjton (^/a). SDie
Übergänge l^aben junöd&Ji nur ofe SSermittlungen ber ^oupttöne Sebeutung,
infofem \iä) bie 2erj niii^t }u einer [elbftönbigern ©eltung erl^ebt. @§ ift
übrigens ju bemerfen, bofe bie im SRaturf lange gegebene %onxt\f)z bie ]^ar=
monifd^e Serj unb bie in ber Harmonie ol^ne 2:ettH)eratur auftretenbe
Quint da aufioeift. 9Jlan nimmt afö auSgemad^t an, ba§ bie ^raji§
ftdö an bie reine Quintenftimmung gel^alten l^at. S)ie Quinten bel^errfdöen
ja bicfc Seiter allein (neben ber Oftabe, mit totlä)tx man fid^ toie im p\fQ)a=
gorei[d&en ©^ftem abpnben mufete). S)ie beibcn fiüdEen ber Seiter ma(btn
^xä) nur ate ©prung jum ©runbton ober beffen OftaDe ober beffen Quint
fül^Ibar unb toedEen ba§ 8ett)ufetfein biefer Slngelpunfte be§ ©^[temä, inbem
jebeSmal bie Quart unb bie ©eptime übergangen tt)irb. Urfprünglidö mag
bie ©d&eu bor bem ^albtonfd^ritte, ber bei ber Einfügung bon Quart unb
©eptime mitgegeben mar, SJeranlaffung getoefen fein, ba^ man nur fünf
Quintenftufen aufnahm.
94. S)aS fogen. p^tl^agoreifd^c ©^ftem mad^t einen ©d^ritt tt)eiter,
toal^rfd^einlid^ aus SebürfniS, bie Keine SLerj ju teilen. S)a8 ^rinjip bleibt
baS nämlid^e: burd& ben Quinten=9le5uS bie ßinl^eit ber 3:onart l^erjufteHen.
2)ie 3:onrei^e ift folgenbe: cdefgahc' (ober zttoa mit g als Slonila:
g a h c' d' e' fis' g'). 3:]^atfäd&Iid& l^aben bie ©ried^en ebenfalls fomo^l bie
Oftaöe als bie Quint unb Quart ju 2lngelpun!ten ber Tonart gemad&t;
aufeerbem tritt aud& bie SEerj fd^on bcutlid^ in felbftönbiger Stoße auf. 5)ie
Oltabe giebt ber 3:onart il^re ©efd&Ioffenl^eit ; Quarten unb Quinten bilben
gctt)iffcrma§cn jtoei ©tationen innerhalb ber Oftabe, unb bie Sterj als S5er=
mittlerin jtoifd^en ^rim unb Quint ba^nt baS moberne ^armonieprinjii)
an. S)ie ©timmung ber Serj ip nid^t bie beS SlaturflangeS, bie Quinten
bleiben ausnahmslos rein; le^tereS entft)rid&t fel^r gut bem ©runbprinjipe
biefer 2:onart. SQÖie oben 9lr. 53 gefagt tt)urbe, fe^te ftd& urfprünglidö bie
fogen. p^tl^agoreifd^e Seiter auS jtoei 3:etrad^orben jufammen, beren SKufter
im 5RaturfIang unter ben Sal^Ien 15—20 unb 30 ff. borliegt (f. 3h. 49).
9Kan möbelte aber jur ©etoinnung einer braud^baren Slonart bie 5latur=
tonreil^e um, inbem man bie Serj erp^te unb ben ©runbton A ftatt beS
S^unbamentaltoneS F einfül^rte. darüber weiter unten.
95. 3n ber mobernen 2Kufif tritt als ßinl^eitsbanb bie ^armonifd&e
Sufammenfaffung breier SEöne, ber S)rei!Iang, ein; bie Quintenorbnung
wirb unter bie ^errfd^aft eines ^ö^ern ®efe|eS gefteüt unb burd& biefelbe
jwar nid^t aufgel^oben, aber bod^ mobifijiert. SDaS gute Siedet beS neuern
^riujipS ift i^m wegen ber oben 5Rr. 80 unb 87 angebeuteten Übelftönbe nid^t
ju berfürjen; eine glönjenbe Sted^tfertigung beSfelbcn liegt in ben erften,
gewö^nlid^ anä) ftörfften Obertönen. 3n c j. 93. liegt für ein fdöarfeS
unb geübtes O^r beutlid^ unterfd&eibbar bie Oltabe c', bie Quint g' unb
64 S)ritted Kapitel.
bie reine 3:crj e''. 3n bcm Slfforbe cegc' jtnb alfo fd^on bier Don aä^t
Jonen gegeben. 2)ie fonft no(ä& im ßlonge c liegenben Dbertöne berfdömäl^t
freili(i& bo§ £)i)x, fobalb fie felbfiänbtg unb barum Iräftig mittönen; fomit
fönnen biefc in bcr ^armonifd&en 3JlufiI nid^t l^erangejogen »erben, ©ie »erben
\tioä) erfe^t burti^ 3:öne, meldte jtoor niti^t im ©runbflong entl^alten finb,
aber fo in bie SQSeHen beSfelben einmtinben, bafe fie bei aKer SSerfd&iebenl^eit
bo(i& audö eine fa^arc ?i^nli(i&feit ouftoeifen. SDie nöd^jifolgenbe S5ertt)anbt=
f(i^Qfi mit c l^at f ; fein jmeiter Dberton fällt mit bem britten Don c }u=
fammen; ber Sreillong Don f ift fac'. 3m jtoeiten @rabe mit c unb
bireft mit g bertoonbt finb als SEerj unb Duint eine§ »eitern S)reiffang§
h unb d'. 3luf c bejogen, fielet man fie »o^I beffer als frembartige 2)urd&=
gangStöne bon bertt)idfeltem ©d^mingungSber^öItniffe an ; d = ^/s, h fogar
= ^Vs öon c. 3)ie ftebenftufige l^armonifti^e 3:onIeiter ifi alfo boDftänbig,
»enn ba§ ju g gel^örige d' eine Dftabe ^inabberlegt »irb: cdefgah(c').
S)ie Söne f unb a fte^en nun freilid^ in bem fd^on befprod&enen feltfamen
SßerpltniS ju d ; benn »enn in ber p^tl^agoreifd&en ßeiter nur h ber Duint
entbel^rte, fo l^at in ber l^armonifd^en anä) d feine reine Duint; bagegen
pnb ^ier äße großen 3:erjen rein. 2)ie ^armonifd&e Seiter, al§ SEonart be:
trad^tet, l^at i^re »efentlii^e ©inl^eit im 3:oniIa=3lIIorb ceg, auS toeld&em
ftd& ber 2)ominantaIforb ghd al§ ©rmeiterung, gleid&fam afö „leitereigene"
TOobuIation jur Dberquint, f ortenttoidfelt ; ber Unterbominant=3lfforb entfernt
ftd^ nod& etmaS »eiter bon ber 2:oni!a, ba f nid&t im ftlange bon c ent=
Italien ift, unb fteKt gleid^fam eine leitereigene 2KobuIation im 9KolIfinne
(oben 5Rr. 69) jur Unterquint bor. 2)ie 9KolIaIforbe ber 2)urleiter finb
nur ^ilfSalforbe, am ungünftigften mir!t ber unreine d-2l!forb.
Surfen mir auf ben 9?aturflang (in 9ir. 49) jurüdf, fo finbet fid^ bie
reine Duart beS ??unbamentaItone§ in ber Dbertonrei^e nid^t. S)aS f ber
C-2)urtonart bebeutet alfo mirllid^ ben Übergang (bie leitereigene, b. 1^. bie
innere unb tDefentlid&e 3WobuIation ber Seiter) in eine anbere Slaturtonrei^e.
S)ie ©ad6e ber^ölt ftd& fo: eine bon F auSgel^enbe 5RaturtonIeiter (»ie bie
in 5Rr. 49 unter ben 3iffern 24, 27 ff.) ^at f al§ einigenben ©runbton;
bie bon C unb G auSge^enbe ergiebt bie ©runbtöne c unb g. 3)a§ SBefen
ber C-2)urIeiter lie^e fid& nun in folgenber tJormel a\x% bem Slaturllange
l^erleiten: fie ift eine Serbinbung bon brei Sreif längen , beren jeber einer
befonbern 9?aturtonrei^e angeprt, ber SKittelafforb mit c aß ©runbton
ber C-SRei^e, ber untere 2lfforb mit f al§ ©runbton ber P-9lei]§e (gleid&fam
|)iIf§tonifa), ber S)ominanta!forb mit g al§ ©runbton ber G-9tei^e. SDiefer
uneigehtlic&en „leitereigenen" 50lobulation fd^Iie^t fid& belanntlid^ bie eigent=
lid&e 50lobutation an, bon c ent»eber jur D6er= ober jur Unterbominante.
S)er DuintenfreiS fommt bier in einer neuen 3^orm jur ©eftung: f c g u. f. ». ;
bie brei ®reif länge finb aud^ baburd^ ber»anbt, ba^ fie im tJunbamentat
b) S)ic 3:onartcn, aunä^ft C-S)ur. 65
tone F4 qKc entl^alten finb. 9?ur bic 39et)orjugung be§ c olS %omla,
b. ^. afö ^etrf(i&cnbcr ©runbton ber ganzen Sonrci^c, iji ni(i&t Don bcr 3lainx
gegeben, fonbern Don ber ßunft eingefül^rt.
9iebenbei benterlen mir, ba^ bie eigentümlid&e Sebeutung be§ Dierten
SoneS in jeber biatonifc&en Dftabreil^e (f in ber au§ F4 l^erDorge^enben
OftaDrei^e c— c') Don felbft barouf fül^ren mu^te, bie Dftabe in eine
Ouort unb Duint ju teilen ober in jroei Quarten mit trennenbem ®anj=
tone, ober aiiä) jmei Quarten unmittelbar ju einem |)eptad&orb ju Derbinben
(f. oben 9?r. 53, 6nbe).
96. 2)aö 3te(J&t ber l^armonifd^en Seiter unb Xonart finbet aber feine
toeitere Seftätigung in berjenigen jTonfoIge, meld&e bie 9iatur unn)illfürii(i&
einhält, menn mir bie Slonleiter ol^ne meitere Slbfici^t auf unb ab fingen.
3eber 9JIenfd&, bem e§ niti^t an allem mufifalifd^en ®e^öre
fe^It, fingt ol^ne Diel Übung unb 9Jlü^e bie biatonifd^e Seiter
mit ben „natürlid&en", b. ^, ^armonifd^en SnterDallen:
cd e f g a h c'.
3ebe anbere Seiter l^at er^ebli^ größere ©(i&mierigleit. 33ei
ber ppt^ogoreifd^en läge ber britte 2:on e (foflte er mirllic^ beftimmt unb
rein gefungen merben) ber in ben ^artialtönen Don c gegebenen reinen
Serj ju na^e, al§ bafe er fidö o^ne eine gemiffc 3lnftrengung (meldte ja
immerl^in eine gute melobifd^e ©pannung bemir!en mag) feftl^alten liefee.
5lid^t jmar in bemfelben SJJa^e mie bei DItaDe, Duint unb Quart, aber
bod^ ganj mer!lid& Dertangt bie 5iatur an unb für fid^ bie 9leint)eit ber
Serj; ba§ ©efül^t bafür ift iebenfaHö in unferer 3^U böHig au§gebilbet.
Safe ferner eine Verlegung be§ ^albtone§ an eine anbere ©teile el^er
fünftlid) ate natürlidö ift, fann bie erfte befte ^robe fetbft mit einem guten
©änger ermeifen: bie Äird^entonarten , fofern fie eine anbere Slnorbnung
Öaben , mirb er fd&mer al§ einfädle Seitern ju fingen Dermögen. 9lur
burc& einen beftimmten ^unftgriff mirb man e§ jebem fofort ermöglid&en:
man lel^re i^n bei bem S3erfuc&e, j. 33. bie p^r^gifc&e E-Seiter ju fingen, bie
C-2)urleiter im ©inne behalten, fo jmar, bafe er leife für fic& cd fingt
ober ftd& gefungen Dorfteilt, unb jebe ©d^mierigleit bejüglid^ ber E-Seiter
fd^minbet. 3lm einfacöften unb natürtid^ften fd&reitet ja bie ©timme in
©anjtönen fort; l^inmieberum aber ift e§ unnatürlid^, mä) jmei ©anjtönen
mit bem fd&on im SJlittelalter Derpönten Sritonug ftatt ber reinen Quart
einen Dorlöufigen 2lbfd&lufe ju mad^en. 2ln biefe§ erfte S^etrad&orb fd&licfet
fid^ nun naturgemäß ein jmeite§: f — b; bod& tritt l^ier unter ber ftarfen
9lnjie]§ung ber DftaD ebenfo leidet h ftatt b ein, fo bafe eS ben 2ln=
fd^ein ^at, al§ feien bie Sletrac^orbe cf unb gc burd& ben ©anjton fg
©ietmann, Äft^etil, 3. Seil. 5
66 drittes Aapitel.
mitcinanbcr öcrbunben toorben. 5Kan fann oud& fagen, bQ^ bie nai) f
untDtllfürlid^ cintretenbe ^aufc ctft g al§ SlnfangSton be§ neuen 3:etrad&orb§
erfi^einen lä^t.
S)Q]^er barf man bieKeid^t niä^t of)m (Srunb bel^oupten, ba^ bie
natürlid&fte 3:onart fid^ auf bcm rein geftimmten C-S)ur=
tetrad&orb aufbaut. 2)ie C-2)urIeiter ift nid^tö anbere§ als jtoei fold&c
SEetrad&orbe, bie aber ^armonifd^ aufgefaßt »erben al§ ber aufgerollte S)rci=
Hang be§ ©runbtoneS, mit 2)urd&ganggtönen , toeld^e felbji lieber bie auf=
gerollten ®reif länge ber nöd&ften Sertoanbten beS ©runbtoneS, ber Dber=
unb Unterquint, [inb. 53e}üglid6 ber melobifd^en 50lufif bleibt freili(i& mal^r,
ba^ bie ©efd&id&te für bie p^t^agoreifti^e Seiter entfd^ieben l^at. Slber biefe
2:^atfad6e mu^ tool^I, mie oben auSgefül^rt »urbe, barau§ erflärt tnerben,
ba$ bie 9iatur felbft ^ier ju einem p^ern 3^^^^ ^on ber größten 6in=
fad^^eit abjutt)eid&en 9lnlap gab.
97. 6g ift tntcreffant, ju bcobaij^tcn, toic unfcrc Statur auf alle Sfällc öom
©runbtonc gunaij^ft ouf bcn QTofeen ©onjton fü^rt, bann aber für bie Harmonie
unb bie einfadöfte S^onleitcr auf ben fletnen ©anjton, ber bie l^armonifd^e %tx^ t)er=
t)ottftänbtöt , für bie melobifd^e JDlupI l^ingcgen biefelbe Statur — bcnn unter i^rer
Leitung finb bodö au^ bie ©rieben gur p^tl^agoreifd^en ©!ala gefommen — ben
energifd^cn Sfortfd^ritt gur Ouart bejie^ungdioeife jur Oftaöe toitt.
S)er ©runb, toarum in ber 3DI e I o b i e bie Of toöc fd^irfüd^er nur in eine Cluart
unb Cutnt ober gtoei Cuarten mit bem ©angton aU JßerbinbungSbrürfe, unter Über«
gel^ung ber reinen Serj, gerlegt toirb, löfet fidö öietteic^t barin erlennen, ba% bei
einer Leitern S^rlegung burdö ^armonifc^e S^ergen bie (Sin^eit ber S^onart toeniger
em^funben njürbe, toci^renb bie l^armonifd^e llJlufif in ben S)reiflangen immer ein
öoraüglid^eä SJlittel l^at, bie @in^eit ber 2^onart l^eröorjul^eben.
98. S)ie l^armonifdöe Sonreil^e cdefgahc' bel^errfd&t t^atfödölid^ je^t
afö C-S)urtonart ba§ Selb ber 2Kuft!; alle anbern %öm, felbft b, unb
alle anbern SSerbinbungen jU 3:onleitern, j. 93. unfer SKoU: AHcdefga
(ober nod6 burd^ fis unb gis mobifijiert) , fe^en mir al§ lünftlid&e an, bie
nid&t junöd&ft liegen, fonbern ju einem befonbern 3^^dfe herangezogen tourben.
®en)ife mit SRed&t. 3)enn toie immer bie J^eorie, gemöfe bem oben ©efagten,
fid& ben 35au ber C-2)urleiter beuten mag, bie erfte 9Kuftf ^ai bon Ston=
leitern unb 2:onarten eigentlid^ nid&t§ getoufet, fie liefe fid& burd^ ba§ ® e ^ ö r
unb ©efü^l leiten, fie folgte ber 5latur al§ einziger tJül^rerin, ging alfo
t)on ber in C-2)ur öorliegenben Drbnung ber 2:öne au§. ©elbftberftönblid^
foH bamit nid^t gefagt fein, man fei urft)rünglid& gerabe bon ber Xon=
ftufe C ausgegangen ober l^abe überhaupt öor aller praftifd&en SJlupI eine
2:onleiter unb Slonart förmlidö aufgeteilt, ©obann gel^t au§ obiger ®ar=
ftellung l^erbor, bafe, abgefe^en bon bem Vorteil ber gefd^loffenen Dltabrci^e,
ba§ ^eptad&orb, in bem ber SerbinbungSton ber Jetrad&orbe fep unb nid&t
burd& ben l^arten SritonuS ber Übergang jur Cftabe boHjogen ift, »o^l eine
b) S)ie S^pnartcn, junäd^ft C-S)ur. 67
gleitä^c SScrcti^tigung mit bcr C-2)urletter ^ot. Ob tl^atfä(i&Iid& ioä) in alter
Seit bic bem 3KDß bcttDQnbtcn Seitern bieKeid&t toeiter verbreitet toaren, joH
fpöter unterfu(iöt merben (9lr. 109). 3ln bicfer ©teBe ^oben mir ouSfd&Iiefe=
lid) bic grope 5Katürli(i&feit ber ©urtonart ju befpred^en. S)aS Ergebnis
aus bem ©efagten ift furj foIgenbeS.
(Srfa^rung unb ©cfd^id^te fo gut toie bie miffenfti&aftlid&e Slfuftif lehren,
ba^ DItabe, Duint unb Duart eines beliebigen ©runbtoneS, ben tt)ir c
nennen mögen, mit großer Seid^tigfeit aufgefaßt unb ^erborgebrad^t merben ;
es finb fd^led^tl^in Äonfonanjen (beS ©runbtoneS), bie auf leiner 6nttt)idE=
lungSftufe ber Sonlunji mifefannt »erben fonnten. S)ie Quart fiel entmeber
bireft ins ©el^ör »egen ber mirflid&en Sermanbtfd&aft mit c (oben 3tx. 60 f.)
unb als natürlid^er 9tu^et)un!t nad^ jmei borl^ergel^enben ©anjtönen, »obon
eben bie Siebe »ar, ober ergab fid^ als S)ifferenj ber DÖabe unb Quint.
SDen großen ©anjton jioif d&en Duart unb Duint mit bem SSerl^öItniS ^/s
l^at bie Slatur bamit ebenfalls unberänberlid^ beftimmt. ©afe aber ber
gleid&e 2:on in ber S)urleiter unb überhaupt in ber biatonifdöen Stonreil^e
nur gerabe an ganj beftimmten ©teilen (aufeer jioifd&en f unb g aud&
jtt)ifd&en c unb d, a unb h) flehen mu^, ift nid^t ebenfo unjttJeifel^aft ju
erlennen. 3nbeS barf man mit gutem (Srunbe bel^aupten, bafe eS erfa]^rungS=
unb bernunftgemäfe ä^gl^id^ ift, loenn man bie reine gro^e 3:eri, befte^enb
aus bem großen unb bem fleinen ©anjtone, als baS nöd^ftliegenbe unterbau
nad^ ber DItabe, Duint unb Quart bejeid&net. SBirb bod^ aud& im 9iatur=
Hange bie grofee Xerj aus bem grofeen unb bem fleinen ©anjtone, nid&t
aus jttJei großen ® an jtönen gebilbet (f. oben 5Rr. 49 F : G : A = 8 : 9 : 10).
hiermit ift aber aud& bie untere Sage beS großen ©anjtoneS in ben über
c unb f fid& er^ebenben 2:etrad6orben gegeben. 2öaS nun ben großen ®anj=
ton jtt)ifd^en a unb h angelet, fo erflärt er fid6 too^l auS bem ©treben
beS SeittoneS nad& c'. 3)ie im 3?atur!Iange jtDifd&en ben SW^^ 24 unb
48 gebilbete Seiter mag für alle genannten Snterballe eine ©tü^e abgeben.
9lud& ^armonifdö finb c, d unb e (bei ber angegebenen ©timmung) burd^
G eng berbunben; ebenfo f, g unb a burd^ c. 3"^^^'^^^ ermeift fid& aber
fomol^l in ber 3Jlelobie als in ber Harmonie ber 2:ritonuS f— h als un=
bequem : in ber 9KeIobie, toenn auf h nid&t fof ort c' folgt, toeit baS h bann
anfd^einenb feine Segrünbung berliert — unb bann toirb man bie C-2)ur=
leiter minber natürlid^ unb baS |)eptad&orb ol^ne ben aSerbinbungSton f g
natürlid&er finben; in ber Harmonie aber fü^rt h leidet ju berbotenen
parallelen, gerner ift bie p^tl^agoreifd&e 2;er} oben als für bie SWelobie
bered&tigt erliefen Sorben (9lr. 84); fie liegt freilid^ im 3?atur!Iange erft
jtoifd^en 64 unb 81 (f. 3lx, 49); aber aud^ unfer h erfd&eint nid&t fd^on
unter 11, fonbern erft unter 45. 3)aS p^t^agoreifd&e e unb h ergeben einen
entfd&ieben beffern Seitton als unfer h, loeil ber ^albton fleiner toirb.
68 Stritte« Rapxttl.
99. SQßir bürfcn für bic meijicn 3*^^*^ ^o" öllcn Untctfd&icbcn ber
^annontf(i&cn, bcr p^tl^agorcifd^cn unb ber temperierten ©timntung ganj ab=
feigen. 3n ber proftifii&en 3JlufiI bebienen toir unS ja beS gleiii^mäfeig
tentpcrtcrten fliobiers neben bem nid^t temperierten ^om unb ben <Bttdä^=
inftrumenten mit p^tl^agoreifci&er Stimmung ber ^leeren" ©aitcn. 93ci ben
2lßen beftanben bic Stimmungen a\i6) nebeneinanber. 3ene feinern Unter=
f(i^iebe, obioo^I nid^t ol^ne SBebeutung, bürfen ho6) nid&t überfci^ä^t »erben,
unb für ba§ SBefen ber melobifti&cn 3:onart, um bie e§ \\ä) f)kx junöd&jt
l^anbelt, finb fie nid&t entfd^eibenb. SQÖid&tig ift nur bie Sage beS ipaIbtone§.
3n biefer Sejiel^ung !ann aber jeben ber erfte bejie SSerfud^ barüber
belel^ren, ba^ bei auffteigenber Seiter bie 3lnorbnung ber ©urleiter bie natur=
gemö^ejie ift. SQÖä^renb e§ nömlici^ felbp einem guten ©önger, ber nidbt
gerabe 9Jlufifer ift, tro| ber 9lufmer!famleit auf bie ©ad&e jiemlidö fd^toer
töirb, eine Seiter tou e f g a h c' d' e' ju fingen, fo lann anä) ber ungeübtere,
töenn er nid&t tontaub ift, bie C-®urIeiter leidet fingen ober fingen lernen.
©eSgleid^en bemegt fid^ jeber o^ne ©d&toierigleit auf einer lünftlid^en Seiter,
ber fid^ junäd^ft bie S)urleiter, b. ^. bie Slaturleiter, im ©eifte borfteHt.
2)iefe SCl^atfad&e fd&eint unleugbar unb lä^t fid^ jeben 9lugenblidf nachprüfen.
5Kur ba§ h beS jmeiten 3:etrad&orb§ mad^t ©d^mierigfeit , toenn e§ bon c'
getrennt mirb, fo bafe Slonöerbinbungen mie faghac' leidet Qfe^Ier ber=
anlaffen, unb barum fagten mir oben, bafe me^r ba§ Surtetrad^orb al§
gerabe bie burd& einen ©angton getrennte, jur DItaöe berboHftönbigte
boppelte SSicrtonrei^e ben SSorjug ber 9latürlid^!eit l^at. 2)ie 3:onfoIge
faghac' ift gerabe barum fd&mierig, toeil beim 2luffteigen bon f au§ bie
©timmc auf bie reine Duart b !ommen unb ein f-3:etrad^orb abfd^lie^en
toill, cS fei benn, bafe entmeber f al§ 2l6fd^Iu^ eine§ untern S:etrad^orbg
empfunben mirb ober ein foIgenbe§ c' ben Seitton h nahelegt. (Serabe biefe
eine ©d^tt)ierig!eit ber C-SDurleiter giebt alfo einen 93etDei§ mel^r für bie
3?atürlid&!eit be§ ®urtetrad&orb§.
100. 3)a§ ift es alfo ^auptfäd^lid^ , toa% bie C-3)urIeiter jur einfad&=
ften unb natürtid^ften mad^t, ba^ ber ^albton jebeSmal an ber ©teile liegt,
meld&e bem ©e^öre am meiften ju[agt. S)ie Semegung ber ©timme beim
9lbfingen berfelben unb bemcntfpred&enb aud& ber ®ang einer in C-®ur
gefegten 50lelobie mirb eben nid^t bon ber gerabeften Sinie !ünftKdö abgelenft,
trögt alfo felbft ben ß^araftcr ber 5RatürIid^!eit , Seid^tigfeit unb 3^rei^eit.
3)aju !ommt, bafe unter SSorauSfe^ung ber reinen großen 2:erj bie ]§armo=
nifd&en Serl^öltniffe benfelben ß^arafter annehmen unb alle 3:öne ber Dftabe
teils in tounberbarem ßinllange berbinben (cegc), teils burd^ bie nöd^ft=
liegenben ©egenfä^e (2Wforbe ber Dber= unb Unterbominante : ghd', f ac')
gegeneinanber fpannen, ol^ne fie ju entjmeien (benn g unb f finb mit c ber=
manbt). S)a]^er gemährt benn DMobie unb Harmonie bie reinftc 33efriebigung,
b) S)ie 3:onartcn, ^maä)^ C-S)ur. 69
in t)l^^fifd&cr Scjiel^ung burdö bcn uttgctrübtcn , l^cllcn unb boKcn ftlang,
in äji^ctifd&cr Scjicl^ung burd& Ebenmaß, gin^cHigfcit unb Sfricblid^fcit,
tt)oncbcn ftdö jielbcwu^te gntfd&icbcnl^cit unb ungcl^emmtc ÄraftfüHe glücflidö
entoidEeln lönncn. ®ic C-®urtonart giebt bcr reinen Sbealitöt ol^ne
Seintifd&ung wiberftreitenber 3Romentc SluSbrucf. 3n ber SluSweid&ung, bor=
übergel^enb ober baucrnb, lönnen unb muffen tt)ir aUerbtngS t)orjug§tt)cife
bie 50littel finben, gcmifd&te ©cfül^Ie unb nid&t ibeatfrieblid^e SBetl^ältniffc
mufilalifd^ barjujieHen. S)o(]& enthält bie Seiter felbft neben brei großen
anä) brei Heine unb einen berminbcrten ©reillang, weld&e in ber ]^armoni=
fd&en 5!Jlufif bemfelbcn 3^^*^ bienen fönncn. ®aju lommt ber ®ominant=
fet)timen=2lf!orb, weld&er jur ein^eitlid&en S^fonimenfaffung unb 6^aralteri=
fierung ber SEonrei^e unb jur SJlobuIation borjüglid^ geeignet iji. tJür bie
Variation bieten fidö au^erbem nod& bie Umlel^rungen ber Slllorbe bar ; anä)
finben fid& für unboKftänbigen unb boUftönbigen 2lb[d&Iu^ bie geeignetften
2i)nmittel. ®ie 3JlobuIation in anberc (Sebiete, bie freilid^ fid& mel^r burd&
bie blo^e |)ö^e ober Siefe al§> burd& anbere SSerfd&iebenl^eiten fennjeid^net,
wirb burdö bie 5WIorbe ber Dber= unb Unterbominonte angebahnt. Slid^t
ein alleiniges, aber bod& ein »ol^IbegrünbeteS 3teä)i ^at alfo bie C-S)urleiter
in ieber 3lrt bon 3KufiI. SSBaS fie auSbrücft, freie 6nttt)i(flung , rüftigeS
©treben unb ^eKe 3=reube, gel^ört ju benjenigen ©timmungen, ibeld&c bie
JJunft mit 3SorIiebe auSjuprögen fud^t. SBol^I war eS bor aKem nur ba§
SebürfniS, weld^eS glei(!6ieitig mit ber @nttt)i(flung unferer Harmonie bie
9iaturleiter ju fo auSgebel^nter |)errfd^aft brachte, aber e§ liegen bod^ in il^r
felbft aud& entfpred^enbe 3Sorjüge, tt)eld&c fie berfelben tt)ürbig mad&cn.
3ur SSeranfd&auIid^ung ber C-®urIeiter biene fd&on l^ier ein Seifpiel
au§ ber flird&enmufif be§ 5IRitteIaIter§, bie unS in bem folgenbcn 3lbfd&nitte
nä^er befd&öftigen tt)irb, nömlid^ an§> bem Vesperale ber autl^entifd^en
(KegenSburger) 3luSgabe bie 3lnti|)]^on Alma Redemptoris (XI. bejtt).
Xni. ober jonifd^er i?ird&cnton) :
maRedempto-ris ma-ter,
quae per - vi-a coe - li por - ta ma - nes etc.
®ie Seid&tigfeit ungel^emmter Semegung fpiegelt fid& barin, ba^ bie ganje
Dftabrei^e jubelnb burd&Iaufen wirb. ®ie beiben ^aupttetrad&orbe g — c'
unb c— f treten beftimmt l^erbor. ®ie SEöne beS ®runbbreillange§ (ceg)
werben befonbcr§ beborjugt; mit il^nen treffen anä) bie gtu]§et)unlte ber
SJlelobic jufammen; Slnfang unb ©d&Iu^ bilbet bie SEonila. 2)iefe 3:onart
fon nad& ben 2:]^eoreti!ern ber SSorjeit eigentlid& am l^ö duften bon aßen
liegen, fo ba^ bie 2:oni!a nid&t c, fonbem c' wäre; fie wirb aber jeben=
70
S)ritte« ÄQpitcI.
falls für 5!Jlänncrftimmcn eine DItat) tiefer gefegt. — @in anbere§ Scifpiel
ift ba§ Alleluja mit bem jugel^örigen aSer§ im ©rabuale be§ 15. 9luguji;
ferner bie ganje Missa soUemnis.
3n d^arafteriftifdö tieferer Sage (XII. ober XIV. ßird&enton) bewegt
fid^ folgenbe SRelobie ; c§ ift bie plagole gform beSfelben SoneS : eine Quart
tiefer mit berfelben Sonüa (c) — Sefperale, Jlntipl^on Ave Regina ber
ßomplet :
A - ve Re-gi-na coe-lo - rum,A - ve Do-mina An-ge-lo - mm, Sal - veradix,
sal-ve por-ta, Ex qua mun-do lux est or • ta. GaudeVirgo glo-ri - o - saetc.
§ier umft)ielt bie 3JleIobie bie Stonila unb bcipegt fid^ ebenfo leidet unb
frei jtt)ifd&en G unb g tt)ie oben jtt)if(i6en c unb c'. 2)ie SEöne be§ ®rei=
Ilange§ ceg lieben ftd& bebeutfam l&erauS.
S)a§ Setrad^orbf^flem ift e§ öorncl^mli(i& , tt)eld&e§ bem C-®ur ber
Äir(i6enmufil einen öon unferem C-2)ur abipeid&enben ß^aralter giebt ; baju
lommt bie fd&Iid&te ßontinuierIid&!eit ber 5IReIobie, tceld^e alle irgenbmie auf=
faüenben 2:onintcröaKe bermeibet.
3für bie Beurteilung be§ 3Q3efen§ einer Tonart ergiebt fid& un§ l^ier
ber ®runbfa§, ba^ bie Dftaörcil^e burd& bie 3:öne cine^ ®rei=
flangeS il^re gefd&Ioffene ©in^eit erl^ält; e§ ift gut, wenn fid&
biefelben bem ®cfüt)Ie aufbrängen unb ba^er an ben meinen ^eröorfted^enben
fünften erfd&einen: ju Slnfang unb am ©d&Iuffe ber ganjcn SJielobie, am
@nbe ber großem ober Heinern Slbfd&nitte, cnblidö afö erfte ober legte Söne
ber 3:etrad&orbe (^ier cdef, gahc'). S)cr ©runbton eines in fold^er 33ßeife
bor^errfd&enben S)rei!Iange§ toirb Sonifa genannt; au§ i^r entmidfeln jt(i&
SEerj, Duint unb DItab, fie bcftimmt bie 2:etrad&orbe, in benen bie SJlelobie
ftd& am liebften auf unb ab bemegt. S)ie 2:etrad&orbe felbft unterfd&eiben,
mie mir fogleid^ feigen mcrben, jebe Stonart bon aflen anbern, möl^renb bie
Scfd&affen^eit be§ SDreiflangeS nur jmci klaffen bon Tonarten, bie S)ur=
unb bie 5IRoIItonarten, ju unterf(i&eiben bermag.
SDer XL unb ber XII. Rird^enton l^eißen jufommen aud& „ionifd&e"
Sonart (in ber t)lagalcn gorm „^ijpojonifd^"; bei ben ©ried^en ^ie^ bie
C-Seiter bie I^bijd^e).
* *
c) 2)ad C-2)urtetra$orb a(g ISorouSfetung atter Prigen Xi^narten.
101. 9Ran mirb l^ier bieKeid&t fofort auf bie fpöte ßntflel^ung ber j|e§t
gebröud^Iid^en SJurleiter l^inmeifen. ®ie ©ried^en Ratten mä) ber l^errfd^enben
Slnfid^t feine Seiter mit ber Stonila c, unb bie bon jenen überlommene
c) S)a8 C-S)urtetrQd^üxb aH SSorouSfe^unö Quer übrigen Tonarten. 71
mtttelQltcrlid&c 9JiufiI foll eine fold^e anfangt aud& nid&t gelonnt l^oben.
6r[t feit bcm 10. gal^r^unbert geminnt naä^ ©cöaert (Histoire de la
musique de Tantiquite) bte C-Scitcr unter bem ßinfluffe bcr |)armonie
eine SScbcutung, burd^ toeld&c i^te je^tge M^errfd&aft borbereitet mirb. ©olcä^e
SlnfdÖQuungen finb aKerbingS nid&t untr)iberft)re$Iid& ; aber mir bürfen l^ier
baöon abfeilen. 9?ur Dom ©urtetrad&orb, toeld^eS aus jtoei auffteigenbcn
©anjtönen unb einem nad^folgenben |)aIbtone gebilbet mirb, öerfud&en mir
nad&jumeifen, ba^ e§ bei ber Silbung aud& ber anbern 2:pnarten jur a5orau§=
fe^ung biente. ®a§ ift ber ^ernpunlt, auf ben e§ anfommt.
®te gried&ifd^en SEl^eoretüer ber 9Jiufi!, meld&e bic Se^rmeifter ber mittele
alterlid&en SKufilgelel^rten gemorben finb, reben beftönbig bon Setrad^orben,
möl^renb unfere l^armonifd&e 3Kufi!, meldte immer mieber bon einem Jetrad^orb
in§ anberc übergreift, bte Dttableiter biel beutlid^er als ein ©anjeS erfd^einen
lö^t. ®ie ^armonifd^en 9?erl^öltniffc ber Surleiter laffen mir aber borläufig
beifeite unb betrod&ten bie Setrad&orbe für fid^ unb in il^rer bloß äufeerlid^en
aSerbinbung ju DItableitern.
©d^on §ter unb me^t nod^ toctter unten fönnte bte ^intocifung auf bie ©xiedften
SScbenlen erregen. (&& ift toatir, über bie gried^ifd^e aJlufif finb toir anä) burd^ bie
gforfd^ungcn öon S5ödft|, JJorfel, fjortloge, Seffermann, SÖßeftpl^al unb ©eüoert nod^
immer nid^t ausgiebig genug unterrid^tet. @§ mag aud^ fein, ba^ bie ©runblagen
ber ^ird^enmelobien, öor allem bie ?PfaImtöne, bem jübifd^en 2^empelgefange ent=
nommen tourben, obfd^on an unb für fld^ baS gried^ifd^c 9tecitatiö tt)ot|l benjelben
S)ienft toie bie l^ebräifd^en ?PfaImtöne l^dttc leiften fönnen. @8 ift anbererfeitd aud^
nid^t unmöglid^, bo6 bie 3uben felber in ber fpdtern 3eit !eine anbere aJlufil aU
bie gried^ift^e gehabt l^aben. ©id^er ift, bog ftd6 ba§ lUlittelalter bei ber Slntoenbung
ber gried^ifd^en S^l^eoric auf bie Äird^enmufif, inSbefonbere rüdffid^tlid^ ber Slonarten,
Siemtid^ befriebigt fanb; e§ gentigt, auf bie gebrdudt)lid6ften mittelalterlid^en aJlufi!=
büd^er l^in^utoeifen, nämlic^ bie Nuptiae Philologiae et Mercurii be« ajlarcianuö
(Eaptlla, ein um 470 n. (S>fjx, gefd^riebeneS Söerf, toeld^eS nod& im 10. 3a^T^unbert
aU ©d^ulbud^ für lUlufif gebrandet tourbe. S)aneben biente big ing 14. Sa^r^unbert
bie Musica beg Soöt^iuS, bie ftd^ gang enge an bte gried^ifd^ = römifd^e Über=
lieferung anfd^Iie^t. 3n ber ^rage, bie unS augenblidflid^ bejdööftigt , fommt nur
ber Umftanb in SBetrad^t, bag bie 9Jlelobien bed ©rcgortanifd^en ß^oralö toentgftenS
baS S^etrad^orbftiftem gar nid^t öcrfennen laffen. SOßir gelten erft weiter unten
(9^r. 140 ff.) auf bie fjrage ein, in toeld^em gefd^id^tlid^en SSerl^öItntffe bic mittel*
alterlid^e 50luftf ju ber altgried^ifd^en geftanben • ^abe.
Sei ber Unterfud^ung ber Tonarten legen toir junäd^ft ben trabitionellen Xejt
ber offijiellen (9iegenöburger) Sluögabe ju ©runbe. ®iefe allein l^at, toenigftenä für
S)eutfd^Ianb, itnmittelbar praüifd^e Sebeutung. ©aju !ommt, bafe ber ältere ©l^oral,
tote i^n bie Senebiftiner t)on 6oIeöme8 l^erauggegeben ^aben, aUerbingä ben im
11. unb 12. Sal^r^unbert attentl^alben gebräud^Iid^en Siejt barfteHt, aber in wenigen
^änben ift unb rürffid^tlid^ ber Urf^rünglid^feit noc§ mand^en Stoeifeln 3flaum läfet.
©eöaert f)at in feiner M^lop^e dans le chant de l'Eglise latine (1895) in Säegug
auf bic 2lntipf)onen bie gorfd^ung bereite toeiter ^inaufgefül^rt unb ift ju mand^en
abtocid^enben @rgebniffen gelangt. S)ie neueften S^eumenftubien aber fjaben in Jßer»
binbung mit bem genauem ©tubium ber 9Jlufi!tf)eoretifer bcS 9JlitteIaIterS über bie
72 S)ritteö üapitcl.
DfH^^tl^muSfrage ein gana neued Sid^t t)erBreitet. 2)te totd^ttgften @rgeBntffe her ge»
Icl^rtcn Sforfd^ung werben tociter unten (9h. 129 ff.) furg mitgeteilt loerben.
102. 6§ tDUtbe oben (5lr. 96) «argeficHt , bafe bic C-®urIeitcr in
mel^rfQd&cr |)infid6t eine fd&led&t^in naturgemäße %onaxt abgiebt. ©ie ift
aber felbft nur ein SluSfd&nitt au^, ber %onxeii)t be§ 9?aturfIangeS. Seginnt
man nun öon einer anbern biatonifd&en ©tufe au§ eine öl&nlid&c Seiter tcie
bie bon c auSgcl^enbe, fo finbet man balb, baß bic Drbnung ber ®anj=
unb ^albtönc in je einer aSiertonrei^e eine berfd&iebene ift. tJöngt man
j. 39. mit d an, fo lautet ba§ crfte SEetrad&orb defg; ber |)aIbton Hegt
in ber TOitte. Ober anber§ au§gebrüdft: bei f ^at man l^ier ba§ ©efü^I,
bafe ba§ natürlid^e 2:etrad6orb ju @nbe gel^t. (5§ ift leid&t unb burd^aus
natürlidb, bon c bi§ f, aber nid&t o^ne einige ©d^mierigleit, bon d biatonifd&
(b. 1^. ju f, nid^t fis) auf jujteigen , e§ fei benn, baß man fid& ba§ natür=
lid&e Stetrad&orb c — f borfteflt, alfo f al§ abfd&Iießenb bctrad&tet. SBill man
nun t^atfäd&(id& auf d eine biatonifd^e Dftabiciter aufbauen, fo muß man
def als unboÜftänbigcS Stetrad^orb anfeilen, in meld^em f für baS natür=
lid^e ©efül^l überrafd&enb unb infofern d^arafteriftifdö erfd&eint. S)er
mittlere 3:eU einer fold^en D-2citer fann ftdö al§ regelmäßiges Setrad&orb
geftalten, ba§ ftd& über f erl^ebt, alfo fgab. 5)ie Duint bon f ift aber
c'; es fann ba^er bie[cS als Dberbominantc feiner[eitS einen maßgeblid&en
Einfluß gewinnen ; eS jie^t bann g an fid& unb bilbet ein neues 3:etrad&orb
gahc', tt)eI(]&eS bon f burd& einen ©anjton getrennt ift.
3n getotffcr C>infid&t muffen tt)ir l^ier unb tociter unten b unb h als 2^auf(j^=
toertc einer unb bcrfelben S^onftufe bcl^onbeln, mit anbern SBortcn, :|)raftifd^ öorau§=
fc^en, ha^ fotool^I b als h ber biatonift^en Sonrcil^e angel^örcn. ©d^on bie ©rieij^en
l^aben fo toenig ber reinen Ouint bon e toic ber reinen Ouart öon f entbel^ren
tooffen unb baf)er fotootjl b als h in i^re 9lorma(Ietter aufgenommen, ©ic unter=
fd^tebcn alfo öerbunbenc Sctrad^orbe , loie c d e f g a b , too f beiben Jßiertonrcil^en
angehört, unb unüerBunbene, toic c def gab c^ too ein ©anjton, fg, ätotfd^entritt
unb g auf c' 3U bejiel^en ift. S)er 2^on B gcl^ört aber als Unterqutnt bon f fo gut
3ur O u i n t e n r c t ]& e toic h als Dberquint bon e. ®S ift S^l^atfad^c, ha^ bic ©ricd^en
beibc als glei(36berc(36tigt aufgenommen l^aben, obtool^I fie bie unter B unb über h
liegenben Ouinten, g. S5. Es unb fis^ bcrfd^mal^t ^aben; ebenfo ber ©l^oral. Silier
Söal^rfd^einlid^feit nad^ l^aben bie Sllten bie Ouintcnreil^e, nad^ ber fie bie biatonifd^e
ßeiter bilbeten, balb mit B balb mit f begonnen. S)ie ©ried^cn red^neten nämlid^
ben Umfang ber für geübte ©oloftimmcn fangbaren S)op:peIoftaö oon B bis b', bie
affgemetn fingbare einfädle £)Itaö bon f bis f C^toUm,, ^armontl 2, 11; AHstid,
1. c. p. 24, ed. Meib.; bgl. barüber SGßcft:p5aI, §armonif ber ©ried^en, 1. 2luf[.,
189 ff.). 50lan nimmt an, baß bie ©timmung bei ben ©ried^en eine fleine Serj
tiefer toar, ba^ alfo tf)r B unb f toie unfer G unb d Hangen. 2ßie bem aud^ fein
mag, fie red^ncten nun einmal B unb f als ©runbtöne; oon B auS ergiebt bie
Ouintcnorbnung bie ©f ala cdefgabc', t)on f auS c d e f g a h c^
S)ie Silbung ber Sionleitcr nad^ bem Ouintenjirfel bebeutet natürlid^ nur
tljcoretifd^ baS S)urd^laufen ber ganzen Ouintcnrei^c. SJraftifd^ nimmt man DftaD,
K
IV
I
If
; I
S)tc D-3:onart bc8 ßl^oralö. 73
Outnt unb OuQxt beS ©xunbtoneS ald unmittelbar gegeben an ; inbem man alfo ettoa
I c, f, g, c' 3U ©runbe legt, finbct man bon g bie Untcrquatt d, bon biefem bie
Dberqutnt a, bann öon a ouS in gletd^er SOßeife e unb h. lUlan fann aber tl^eorcttfdft
aud& fo borgeljen : B, b, f, c, g, d, a, e ; fo erl^ölt man bit btatoniWe ßetter mit b.
Slud& im Dlaturllange (f. Dir. 49) brandet man nur mit B4 ftatt F4 ju beginnen , fo
fteffen fid& äffe 3:öne, mitl^in aud^ bie ganjc Seiter gtoifd^cn 24 unb 48, eine Ouint
tiefer, b. 1^. eS tritt b in biefclbe ein.
®a8 untere c lattn in bcr D-2citer ba§ unöollftänbige 3:etrad&orb
ju cdef crgönjen. ®amit ftcl^en tpit plö^Iid^ bor ber reinen C-®urIetter,
in toelä)tx jtt)ci boKftänbige Setrad^orbe burd& ben SSermittlungSton f g ju
einer l^öl^ern ßinl^eit berfnüpft finb. ®ie D-Seiter lann alfo jWei (i&arafte=
riftifcä^ berfd&iebene ©eftalten annehmen:
(c)defgabc'D', ober mit SSerbinbungSton
(c)def gahc'd'.
Ob bie festere ^forrn ober bie erfterc ju ©runbe liege, wirb man au§
bem b ober h ber SJlelobie, au§ ber SSe^ie^ung ber oberflen 3:öne auf f
ober g unb etma noä) au§ ber flörten ober fd&tüäd&ern 33etonung bon c'
erfennen. SBeil d SEonila ift (in ber ftird&enmufil l^ei^t bie 3:oniIa „finale")/
fann e§ nid&t ausbleiben, bafe aud^ ba§ Setrad^orb d — g unb bie Duint a
]^ineinft)ielen unb beitragen, bie 2:onart fotüo^I bermidelter al§ d&arafterboKer
ju geftalten. Ob [ie babei nod^ fafelid^ genug unb öftl^etifdö mertboß bleibe,
mufe bie praltifd^e 9lntt)enbung leieren, ßntne^men mir ein ganj !urje§
93eifpiel ber D-3:onart, bie aud& bie borifd^c genannt tt)irb, au§ bem
öraduale Romanum (ber autl^entifd&en 3lu§gabe), bie ©ommunio:
yi-de - runt o - mnes fi - nes ter - rae sa-lu - ta-re De - i no - stri.
S)er 5lnfang unb ber ©d&Iu^ d^aralterifieren burd& ben (beim ©ingen
l^erbor ju^ebenben) SSßed^felllang ber Stonüa (Spinale) mit f bie SEonart ; f ift
ja berjenige 2:on, weld&er ba§ unboßftönbige 2:etrad&orb abfd^IieBt; ba§
3nterbaK d — f aber fennieid^net bie befonbere l^ier beliebte Unboßflänbigfeit,
b. 1^. bie ßrfe^ung be§ ganjen 3:etrad&orb8 burd^ bie Heine S^erj, fo itoax,
bafe ber unterfte 2j)n berfelben ©runbton ber Tonart tüirb. S)ie 3KeIobie
beginnt unb fd&Iiefet mit d, um ba§ ©efül^I ber SEonüa ju fid&ern. Slud^
baS erfte g gel^ört jur SEonila als 5lbfd&lu^ beS über il^r liegenben 3:etrad&orb§.
5)ic %onxta ftrebt immer nad& ber Quart lüegen be§ Sletrad^orbfijftemeS,
frcilidö aud& nad6 ber Duint wegen ber na^cn 3Scrmanbtfd&aft. ©ofort be=
rü^rt bie SKelobie fobann bei ber ätüciten 9?ote über ba§ untere c, um
fidö nun in ber natürlid^en (S)ur=) fieiter bi§ jur oberften ©tufe auf=
jufd^tt)ingen ; babei merben f unb be|fen SEerj unb Duint betont (5IRobulation
bon 9)ion nad^ SDur). 3"nöd&ft wirb nun in berfelben d&araltcriftifd^en
39ßeife (mit |)albfdölu^ auf ber S)ominante) ju f l^erobgeleitet unb ju b,
74 S)nttes Ra\>xiil
ber oberften 9?ote be§ P - 3:etra(i&orb§ , mteber emt)or. @in bermittelnbc^
3tt)ifd&enft)tel l^ebt f unb beffcn Setj nod^ einmal l^eröor, um bann bon
leitetet, bte aud^ Quint ber SEonifa i[t, ju bie[er jurücfju festen unb nad^
bem aBed&fcIHang mit f in i^r ju fd&Iie^en. 6in h !ommt l^ier gar nid&t
unb überl^aupt in ber D-Tonart beS 6^oroI§ feiten bor. b bröngt nad^
unten, h gel^ört ju einem folgenbcn ober öor^ergel&enben c'. b toirb barum
nid&t borgejeid^nct , meil bic ftrenge 3tegel aKerbing§ h erforbern toürbe.
S)ie§ finbet [id^ aud& j. 93. im ^ijmnuS Ave maris Stella (Vesperale).
3n biefem t?aKe mufe f g als SSermittlungSton ätoifd&en bem unüollftänbigen
2:etrad&orb unb bem ^öl^ern boüflönbigen gahc' aufgefaßt toerben; bte
9JleIobie be§ genannten §^mnu§ berührt benu aud& fofort g, fü^rt bi§ ^ur
|)ö^e be§ (S)ur=) 3:etrad^orbS (c'), ja bi§ jur Duint bon g hinauf unb
mieber bi§ ju g ^erab; gegen @nbe erfd&eint ba§ untere C-SEetrad^orb unb
ber aufgelöfte S)reifIong ceg:
I ,(. ^ >^ ^ ^ ^tfl>^jg_^_j^g^^-f^^ n T^^j_^w^J|
A-ve maris stel-la, De-i ma-ter al - ma, Atque semperVir-go, Felix coeli porta.
33i§tt)eilen finbet fid^ h unb b nebeneinanber, j. 93. SSefperale, |)^mnu§
lesu Redemptor, 9lntit)]^on Apertis thesauris. 93efannt ift ba§ Salve
Regina (a. a. €)., erfte SBeife). (5» beginnt in ber Dominante a unb
beioegt fid& anfangt jmifd&en biefer unb ber Sonüa d, aber mit fid&tlid&er
SSorliebe anä) bi§ jum untern c Ijinab; neben bem Jetrad&orb d— g er=
flingt barum oft anä) c— f ober bie ganje Duintenreil^e c — g, mie mir
oben g — c' unb g — d' fanben. 3lud& biefe Sonrei^e über g erfd^eint im
9SerIaufe ber DJlelobic toieberl^olt, toed&felt aber mit f— b (ögl. a. a. C bie
jmeite 93}eife). 3lu§ aßem biSl^er ©efagten erflären fid6 bie l^äufigen 3n=
tonationen a ober g ober f ober namentlid^ c, loeld&eS gern ju d, f, g, a
l^inaufleitet. S)ie d^aralteriftifd^en Jone d f a (c, g) be^errfd^en bie 5JleIobie
unb bicnen aud^ ju |)aI6fd&Iüffen einjelner 3:eile.
@§ ift flar, ba^ je nad^ bem 93ormiegen t)on d, a, g, c ober i, be=
fonberS ju Slnfang, ber K^araÜer ber 9KeIobie eigenartiger toirb; bie
Sonifa giebt fid^ öfter erft fpät ju erfennen. Safür aber, ba^ toirflid^ d
im Kl^orale afö Sonifa gilt, fprid^t bor aßem ba§ 9Sormiegen ber „3fle=
percuffion" t)on a unb d, j. 93. in ber jiemlid^ häufigen 6ingang§formeI
g c d d a b a (f. aud& bie obigen Seif^)iele). Überhaupt fielet man in ben
meiften ©ingangSformeln be§ I. %om% ba§ Öeftreben, möglid&ft balb t)on
d au§ a ju erreid^en (bie Sonifa fud&t bie S)ominante).
103. 5!Jlan unterfd&cibet, toie fd^on bejüglid^ bc§ Souifd^en angebeutet
mürbe, in ber flird^enmufil eine bot)|)eIte 5JleIobiefü^rung , eine aut^entifd^e
unb eine plagale, eigentlidC) plagiale (gried^. adi^evnxrj = §aut)tton unb
S)ic D-3:onart beS ei^orolS. 75
nXayia = 9?ebcnton), je ttad^bcm bic 3ReIobic fid^ öotjugömcifc obcrl^olb bcr
Sonifa l^ält ober um bicfclbe ^crumbetüegt. S)ic ^ßlagaltonart reid&t meift
ctttc Duart tiefer l^erab unb nur eine Duint l^öl^er hinauf. ®Qnad& änbert
ft(36 bie Sage ber Dominante. 3Q3ä]§renb nämlid^ in ber aut^entifd^cn t?orm
ber Äird&entöne, tt)ie bei un§, bie Duint al§ S)ominante gilt, liegt bie
Sontinante in ben 9?ebenformen eine Sterj tiefer. (3n ben Tonarten bon
E, Gr unb H jeigen fid& 5lbtt)eid&ungen öon bicfer Siegel; f. unten). 3n
ber beft)ro(ä&enen D-Seiter bient bei autl^cntifd^er 5!JleIobiefü^rung bie S)omi=
nante a baju, ba§ ÖJefül^l ber ^aupttonart ju befeftigen. S)agcgcn ^at bie
©eitenform jur ©ominante f , moburd^ baS C-Setrod^orb fd^örfer gefenn=
jeid&net tt)irb. S)ie angeführten 33eift)iele gel^ören ber aut^entifd)en tJorm
an. S)ie Sßlagalform l^at ungeföl^r biefelbe aSorliebe für b (Vesperale,
bie Antt. maiores: Sapientia u. f. m.), mcniger für h bejtt). H
(a. a. D. Ant. ad Magn.: Magnum haereditatis) ; e§ tüirb meiftenS
gefliffentlid^ überfprungen ; beibeS finbet fid6 nebeneinanbcr im Libera nad&
ber S^otenmeffe, tcenn man onbcr§ l^ier bie Pagalform anerfennen mill.
a ift nid^t mel^r fo l^öufig, tüeil nid&t mel^r ©ominonte, bagegen f unb ba§
untere c, tt)eld&e§ ba§ SEetrad^orb öeröollfiänbigt , l^aufiger. S)od& tritt bie
Duint nid^t aKe 5Red&te an bie Serj ab ; baS untere A menigftenö fpielt in
ber plagalen D-2:onart eine bebeutenbe 9*oIIe, unb aud^ ba§ obere madC)t
ftd& wiebcrl^olt auf fühlbare SSBeife geltenb. — A, f unb c finb beliebte
Intonationen. 3ll§ Seift)iel biene foIgenbeS Ofifertorium:
1^ ^ W w I ^ i « ^iB^P^Ei==l^^:pj»|^!F ^^
%
Toi - li - te por - tas, prin - ci - pes, ve - stras : et e - le - va - mi - ni
por-tae ae - ter - na - les, et in-tro-i - bit Rex glo - - - ri-ae.
®er auffaHenb häufige Übergang in C-, G- ober F-SJur, an toeld^en
tt)ir erinnert l^aben, beioeift jur ©enüge, bafe bie S)urtetrad^orbe aud& nad^
Stnberung be§ toefcntlid&en 6^ara!ter§ ber Sonart il^ren ©influfe behalten.
2luf ba§ ©leid^e ift bei ben folgenben SEonarten ju ad&ten.
Über bie Unter fd^etbung ber aut^enttfd^cn unb ber ^piogaltonorten, ferner über
bte beibcn S)oTnxnQnten beö ©l^orals mögen f)ier nod^ einige SJemerfungen om $ta^e
fein. S)tc ^Benennung „:|)lQgar' befagt felbft, bo^ e8 fi(36 nur um eine S^ebenform,
eine JBariante ber ^au^ttonart l^anbelt. 3n ber %\)^i ift ber innere Slufbau bcr
ßcttcr, bte tonartlid^c SJeateliung auf bie gletd^e Sonifa ober finale, beiben Sformen
gcmetnfam : im I. tote im IL 3!one f)Qt d biefelbe ^unttton toie in unferem D-9Jtott.
Sl'lur bie Soge ber lUlelobie ift in ber ^lagalform eine tiefere. Sl^eoretifd^ fenn»
jcid&net fie ftcift boburd^, bofe bte obere O u a r t nad^ unten öerlegt totrb : bte outl^en«
tifd^c 3:;onart ^at bte burd6 einen ©anaton getrennten S^etrod^orbe d— g unb a— d^
bogegen bie ^logole bic ocrbunbenen S^etrad^orbe A — d unb d— g, tooäu bann nad^
oben nod^ bic Oftabc a fommt. S)te beiben 3formcn finb:
76 S)ritted aapM,
Slut^entif* = I. 3:on. ^la^al = IL 3:on.
d S^onifa = Sfinale; a S)ominante. (a u.) f S)omtnQnte, d S^onifa = Sftnale.
S)tc Ouint über bct S^onüa Bleibt olfo unöeranbert ; über biefe gel^t bic ?piagaIform
feiten ^inauS ; bod^ !ommt eS biStDetlen t}or, tote oudg umgelel^rt, ba^ bie autl^entifd^e
Sform nod^ einen Si^on unter bie %omta fjinabgelit. S)ie gonäe Unterfd^cibung ber beiben
SJarianten berührt ba8 SOßefcn ber S^onort ebenfotoenig tt)ie bie f)öf)ere ober tiefere Sage
einiger SDlelobietöne in ber neuern ^Ülufi!. Dbenbrein fjalten fid^ anö) bie ©l^oralmelo»
bien nid^t immer im Umfang einer biefer tioxmtn; fo betoegt fid^ 3. S3. in ber oben
ertoal^nten erften SGßeife beS Salve Regina ber eine Slbfd^nitt im Umfang beS L, anberc
in ber niebrigern Sage beS II. S^oneS, toH^alb benn aud^ bie Segeid^nung L— II. %on
beigefügt ift. SGßenn bie 50lelobie nur einen geringen Umfang l^at, toirb bie Unter*
fd^eibung fef)r fd^toierig. 9Jtan fann fid^ ba auf bie 3) m i n a n t e berufen ; aber ba
entftel^t toieberum bic Sfrage, tooran bie 3)ominante beS ©fiorats ju erfennen fei.
3n ber l^eutigen 9Dllufift)raji8 gilt immer bie Ouint über ber S^onifa aU £)ber»
bominante; außcrbem ift bic Duart ber S^onüa ober bic Unterquint als Untcr=
bominante öon S3ebeutung. S3on lefeterer rebet man im d^oxal nur unter ber S3c=
jeid^nung „Sd^lußton beö über ber S^onifa fid^ er^ebenben S^etrad^orbg", unb aU
fold^er l^at 3. S5. in ber D-3^onart g feine befonbcre SBebeutung. 3n ber autl)cn»
tifdften Sform ber ©l^oraltonarten gilt meiftenS ebenf oHS bie Dbcrquint als S)ominante ;
fic bebeutet junad^ft, toie in jeber guten aJlufü, bic J^öd^fte @tufc bcä toefentlid^en
S)rei!langS ber S^onart. 3« ber rein mclobifd^en 50luflf tritt aber biefe JBebeutung
nid^t fo beftimmt l^eröor; man Ijilft ba burd^ ben „aufgelöften S)rei!Iang", b. l). bic
unmittelbare Slufeinanberfolge ber brei 3^önc beS S)reiflang8, g. 85. dfa, in ber
SJlelobie nad^ (in tttoa^ freierer Sfoi^w in bem obigen S5eif:|)iel über principes —
et eleva — Rex gloriae); au^erbem nod^ burd^ ben öftern 5lnfd^Iag eben biefer
Xöne, fo ba6 fic fld^ bod^ bem ©el)öre nad^brüdtlid^ ein|)rögen.
Unter ber S)ominante t)erftel)t man im ß^oral benjenigen 3^on über ber S^onifa,
toeld^er fid^ am meiften bemerflid^ mad^t. 3n ber autl^entifd^en Si^onart ift c8 natur=
gemäft bie Ouint, aU berjcnige Son, toeld^er unter ben ficben öerfd^iebenen S^önen
ber £)ftat)e"bef S^onifa am näd^ften öertoanbt ift; burd^fd^nittlid^ betoegt fid^ ja aud^
bie ^Dlelobie gerabe un^ biefen 3^on l^erum, ftcigt gu il^m unb über il)n empor unb
burd^ i^n toieber ^erab. S)ie plagale Sonort fjingegen betoegt fid^ mel^r gu beiben
Seiten ber S^onifa, ftcigt mand^mal nid^t einmal big gur Oberquint l)inauf; ba liegt
benn nid^tS näl^er, aU ha^ bie Dberterg in bie Slolle ber S)ominante eintritt. 3)er
SÖßed^fel ber Dominante liegt alfo barin begrünbet, baft bie l^ird^enmufi! im großen
unb gangen ben Unterfd^ieb, tocld^cr bie S^on^ö^c ber aut^entifd^en unb ber ^)lagalen
S^onarten beftimmt, als ©efe^ ber ^Dlelobiefü^rung anerfennt. Sei ber aJlannig»
faltigfcit ber 9Jlelobien ift cS inbeS nid^t gu öertounbern , toenn l^ic unb ba toebcr
ber Umfang nod& bie 3)ominante ein ungtoeibcutigeS Äcnngeid^en ber autl^entifd^cn
ober plagalcn S^onart abgiebt. ^nSbefonbere lann bie Dberquart (Unterbominantc)
als ^öfiepunlt beS S^etrad^orbS über ber 2^oni!a auSna^mStoeife ftd^ ebenfo ftarf ober
ftörfer geltenb maä^tn als Ouint ober S^erg, unb le|tcre in ber autl^entifd^en fjorm
fo ftarl ober jtdrfer als bie Ouint ©old^e ©d^manfungen ober Unregelmäjigfeiten
finb g. 23. gu beobad^ten im Vesperale, Ant. ad Magn. : Ante me, unb in ber fol«
genben Ant. 1, ebenfo in ber Olntip^on Ecce puer unb in ben beiben unmittelbar
folgcnben. S3ei ben plagalen Tonarten muß aud^, loic oben gefagt tourbe, nid^t
S)ic D-3:onart bcä ©l^orolS.
77
üBcrfcl^eit toerben, boft bie Ouint bet 3^oni!a oft in ber untern DItaöc bie il^r gu»
fommenbe Stoffe fortaufpielen fd^cint, toic j. S5. obtgcS SBeifptel (Tollite portas) nad^«
brürfltd^ mit ber Ouint einfe^t.
JJlcbenbei fei BemerÜ, ba^ Quc^ bie Unterfc^eibung einer ^auipttonort öon jeber
anbern burd^ einaelne fold^er äußern ^enn^eid^en nid^t immer ermöglid^t toirb.
Slomentlid^ läftt ber Einfang einer SJlelobie biStocilen über bie S^onüa im 3tt)cifel,
toag in ber l^ormonifd^en 3JluftI feiten ber gfoff ift. 3Jlit ber ©C^Iufenote ber SJlelobic
tcrl^dlt eg pd^ ungefähr loie in ber l^eutigen aJlufif, fo boft eö eine SluSnofimc Bleibt,
toenn bie 3JleIobie nid^t mit ber S^onifa, fonbern mit ber Ouint ober gar mit ber
Xzx^ berfelben fd^Iieftt. S)od^ ift fogar bie SSermifd^ung atocier ^aupttonarten nid^t
ganj auSgefc^Ioffcn. @in befonnteö S3eifpiel bofür liegt öor in ber SJefperontipl^on
Nos qui Vivimus unb bem jugel^brigen ?PfaImtone:
Temp. Pasch,
Nos qui vi - vimus, be-ne-di-cimus Do-mino. AI - le - lu-ja, Al-le-lu-ja, AUelu-ja.
i2 y^— ^— .
^g»^
l=iF=it=t^
In ex-i-tu Is-ra-el de Aegypto, * do-mus lacobde po-pu-lo bar-ba-ro.
S)ic 2lnti:p]^on beginnt loie jal^Ircid^e 50lelobien ber D-S^onort (3. S5. Ant. ad
Magn. : Vos ascendite) , enbigt aber in g ; baö Alleluja ftel^t offenbar in g (S)reis
Hang ghd); ber ?PfaIm fd^Iögt bann toieber in bie D-3^onart um {mit b unb S)o=
minante a, nimmt aber balb nad^ ber 50litte bh S)ominante g an unb fd^liefet in d.
3Jlan nennt biefc ©ingtoeife ben tonus irregularis. 3)ie Ouart ber S^onifa l^at fid^
fo felbftänbig gemad^t, baß fie bie S^onart felbft inä SOßanfen bringt.
Slm fid^erften erlennt man bu S^onart fotoie ben Untcrfd^ieb ber autl^entifd^en
unb ber plagalen fjorm aug getoiffen ttipifd^cn SDlelobieformen, in benen ber toefent«
lid^c S)reiflang (unb bamit bie Dominante) fotoie bie l^öl^ere ober tiefere Sage ber
ajlclobic bargeftefft ftnb. fjür ben I. 3^on giebt ^iel in feiner „C^^rmonicle^re"
folgenbe Formeln an:
3:on I.
^^^^^^^
S)iefe Sfotmeln enthalten fogar nod^ äffe in jtoeitcr ßinie lenn^eid^nenben S^öne,
nomlid^ geb. gür ben IL 3^on notiert $iel:
Son
n. ß p IW V^ f^ ^i Vf-^
^ier erfd^eint bie Ouint a in tieferer Sage alg A; c tritt ebcnfaffö ftarf l^eröor.
SDie D-Tonart unterfd^eibet [id& naä) bem ©efagten bon ber C-S)ur=
tonart fe^r cr^eblid^ (ögl. ju bem obigen Salve Regina bie btitte SSBcife),
bcfonberS burd& größere SKannigfaltigfeit ber 3iif^i""^ßnfc|ung unb burd^
bie SScbcutung ber Meinen Serj df, bie an unfer 9Jion erinnert. ®a§
S)orifd&e unb ^Qpoborifd^e , b. ij, ber I. unb 11. Äir(!^enton, [inb in ber
Jiefe burdö bie Heine Sterj etmoS gebunben unb mäßigen naäi ber |)ö]^e
burdö b ben freien ^Infl- 2)ie ©ebunbenl^eit gilt be[onber§ öon 3JJeIobien,
bie fid^ gonj in tiefer Sage Italien; ©loria unb ^folmüer^ bemegen fid)
78 S)rittcö RapiUl
ungehemmt unb laffen bie Sebcutung ber ©ominantc unb gctoiffer d^araltc=
rtjiif(i&en 2:öne leidet burd&fü^Ien.
104. ©d^Iiefecn tt)ir gleid^ bie A-2eiter (bie äolifd^e SEonart) an,
weil fic ber D-2eiter im ß^oral faft jum aSertoed^feln ä^nlid^ ift unb beibe
jufammen bie grllärung unferer 5Rontonart an bie §anb geben.
33aut man auf a eine biatonifd&e Seiter auf, fo bleiben für ba§ erfte
S^etrad&orb mieberum nur jmei 2:öne, bereu S^erjinterbaK, a — c', bie d6araf=
teriftifd^e göJ^bung ber 5JleIobie öorne^mlid^ begrünben tt)irb. Oberhalb er=
l^ebt fid^ bie C-2)urtonrei^e , ju ber aud& bie SJeröoßftönbigung beS untern
3:etrad^orb§ burd^ g fel^r gut pafet. ©teigt bie 5KeIobie nod^ tiefer bt§
ju f l^inab, fo ift e§ ganj im ®eifte be§ alten 3:etrad&orbf^ftem§, auf bem=
felben eine neue SSiertonreil^e mit b auf jubauen, bie bann bon bem C-2:etra=
d^orb burd^ ben ©renjton b c' getrennt bleibt. S)ie 2eiter nimmt alfo,
ganj ä^nlic^ mie bei D, eine bo:ppeIte ©eftalt an:
(g) a h c' d' e' f g' a' ober
(f g) a b c' d' e' f g' a'.
®od^ fönt l^ier h ober b jmifd&en bie d^arafteriftifd^en 2:öne, unb nad&
oben toa^rt bie C-Seiter immer il^ren reinen gl^arafter; ba§ änbert ciniger=
maBen ba§ ®et)räge be§ (aud& bem h nid^t abl^olben) tolifd&en; e§ !ann
nad& ber 3:iefe fe^r t)ertt)idelt unb gebrüdtt erfd&einen (burd^ bie Heine SEerj
unb ba§ b), in ber |)ö^e aber frei unb ^ell erüingen. 3lte Seifpiel biene ba§
©rabuale ber Stotenmeffe:
MfeC=:Q^rf ;^i^^==^ g: ^ S - J jj i »j^ ^ ^^^ =:^
s:
Re - qui - em ae - ter - nam do - na e - - is Do - mi - ne
et lux per - pe - tu - a lu - ce - at e - - is. AJ. In me-mo - ri - a
ae - ter - - na e - - rit iu - stus ab au-di-ti - o - ne ma - - la
non ti-me - - bit.
5)ie Tonart toirb anfangt, im SSerlauf unb am ©d&Iu^ tnxä) bie Serj
a — c' beutlid^ ausgeprägt. S)a§ abfteigenbe (S)ur=)2:etrad&orb c'— g tritt
öfter auf, einmal (gleic^fam bemütig flel^enb) ba§ tiefere, abfteigenbe 3:etra=
d&orb b— f. S)er 3luffdömung jur lid^ten |)ö]^e tciH nid&t fiegreid^ burd&=
bringen, fomeit bie Sitte ge^t. 6rft ba§ Semufetfein ber gr^örung l^ölt
bie 9KeIobie bei In memoria u. f. tt). in ber ^öfjt unb trägt fie jum
©d&Iuffe beö C-Setrad^orbö hinauf, bi§ fie bei mala fid& lieber fen!t, um
nad& abermaligem Sluffd&munge jur 2:onifa ^u faHen. 2)er üerfd^iebene
ß^arafter ber obern unb untern Stufen ber Seiter ift unfd^toer ju empfinben.
S)tc A-Slonart beä ©^oralg. A-^üloff. 79
S)Q§ borliegcttbe Scifpiel gcl^ört ber })Ia9aIen t?orm be§ ^ioUfd&cn, bcm
X. SEone an (anberc groben Grad. : Ostende — A summo — Domine
Deus virtutum — Hodie); bie aut^cntifd&c S^ül^rung ber 9JleIobte bröngt
btcfclbc ju l^od& hinauf unb lommt barum feiten, im offijiellen ß^oral gar
nid^t t)or. @§ berfiecfen fid& tDol^I bie meijien öolifd^en 3JJeIobten ber aut]^en=
tifd^en tJorm unter benjenigen borifd&en, bencn h fe^It. S)ie S)onitnante bc§
^lQgaIif(j&cn ift c^ ber 2lngel})unlt ber gongen SJielobie. S)cr Son f ift
ber SEonart unentbel^rlt(i&, tüenn [ie nid&t mit bcm ©orifd^en in ber 3:onfoIge
jufammenfaßen foß. ®ieS ift bei ber |)armonifierung ju bead&tcn.
105. 3Iud6 unfer 5Roß erl^ebt ficft auf a unb ift l^iftorifd^ an^ bem
^olifd&en ermad^fen. S)ie mobeme Sel^anblung beSfelben nähert e§ burd^
bie grofee ©et)time unb ben S)ominantaI!orb nod& mel^r bem ®ur ; bie 9Jio=
bulation nad^ F liegt il^m nid&t fel^r nal^e. Sie Slbänberung tüurbe burdö
bie @nttt)idflung ber ^armonifd^en SKufil notmenbig, l^at aber aud& erl^eblid^e
5Rad&teiIe im ©efolge. S)a ber 5KoKd6arafter je^t ju fe^r öertüifd&t ift, fo
fud^t man bei ber abftcigenben 5KeIobie bie urfprünglid^e ©eftalt tDiebcr=
l^er jufteHen ; bei ber auffteigenben er^ö^t man bogegen gern aud^ f ju fis,
um bem ettt)a§ fd^tceren ©d&ritt ber übermäßigen ©elunbe auöjutüeid^en ;
aber bie S^onrei^e a h c' d' e' fis' gis' a' !ann megen ber öier ftd^ folgenben
©anjtöne ebenfotüenig natürlid^ unb gefällig l^eißen al§ biefe anbere:
a h c' d' e' f gis' a'. J?urj, bie 5Jloßtonart ^at in unfercr 9Jluft! einen
fd&tt)ad&en ^nnli, bem burd^ bie eingefül^rtcn 3^WtergeftaIten nid^t auf=
gel^olfen mirb. @tma§ beffer läge bie ©ad&e, menn mon mit 3Karj bie
^armonifd&e t?orm aBein gelten ließe unb g ober fis nur al% 5)urdögang§=
noten gebraud^te unb ben ettt)a§ garten ©efunbenfd&ritt bermiebe. 9lber
aud& für bie l^armonifd^e gform läßt fid& nid&t fo faft bie ©d&önl^eit aß ba§
33ebürfni§ jur Sed^tfertigung anfül^ren. (Sei ber melobifd^en 93e^anblung
ift ein foId&cS über]^aut)t lool^l nid&t öorl^anben.)
3in ber Harmonie l&at bie f leine Sterj, toeil nid&t fie, fonbern bie
große im ©runbton enthalten ift, einen aud& nod^ burd^ falfd^e ßom=
bination§töne getrübten, ettoaS unreinen fflang. ©al^er fonnte bie §armo=
nifation ber S)urleiter fd&on im 16. Sa^r^unbert jiemlid& abgefd^loffen werben,
wä^renb man erft anfangt be§ 18. 3a^r]^.unbert§ (|)änbeO tpagte, burd^toeg bie
9JloBter5 am ©d&Iuß ju gebraud^en, obmo^I biefelbe in ber SJlelobie ber
Äird&enmufif ftet§ eine überaus l^äufige @rfd&einung gemefen toar. Seit jener
Seit ]§at man fid6 aber gemö^nt, ben 9Jioßa!forb gleid^fam als eine Variante
be§ ®uraItorbe§ ju bertoenben, unb finbet mit 9tedC)t, baß getriffe ©tim=
mungen burd^ benfelben treffenb angebeutet merben (bgl oben 9tr. 68 f.).
@§ toax einfad^ eine 5iottt)enbigf eit , neben bem reinen, farb= unb fd6atten=
lofen ®ur tt)enigften§ eine ber altern gemifd&ten Sonarten für bie ^ar=
monifd&e 3Jlufif ^u retten. S)a§ ©emeinfame in ben bon C-SE)ur meiteft
80 drittes Äopitel.
abliegenben Tonarten mar aber bie (j^aroüeröolle fleinc Xcrj. ©o ift alfo
tl^Qt[äd&Iid& unfcr 3KoII entftanbcn, ba§ ift feine innere unb äufeere 5Red&fc=
fcrtigung,
mxä^i öößig glücfüd^ fd&eint unS ber SSerfud^, Urft)rung unb ^axd^^x
unfere§ 3KoK au§ abfteigenben 2:eiltönen, bie ben J^ormonifd&en Dbertönen
in entgegenge)e|tem ©inne genau entft)rä(j&en, ju erflören (3arIino, Sartini,
|)au|)tmann, ö. Dttingen, 3fliemann u. a.). 6§ tüirb be^aut)tet, biefe Unters
tönt feien an platten in ber 2:^at nad^jutüeifen , e§ tönten j. 33. in unb
mit c nid&t nur aufmärtS e, g, c, jonbern mä) abit)ärt§ As, F unb C.
©id^er finb biefe %bm (beren SSorl^anbenfein mir aKerbing§ gern anerfennen)
äufeerft \ä)tüaä) unb bieKeid&t !aunt jur aügenteincn 3lnerfennung ^u bringen.
S)a§ ift aber n\ä)t bie ^auptfad^e ; fonbern e§ f ep ber praftifd&e 9?ad^tt)ei§,
ba^ eine ^armonifd&e SJlufi! auf ber ©runblage bie[er 3lnfc^auung, bcm=
gemäfe im 5)rei!Iangc cesg ber Ie|te 2:on ^anpU unb ©tammton, bie
übrigen au§ il^m entiüidelte Xeiltöne mären, über^au})t möglid^ fei (f. oben
5ir. 69). SJlit unferer |)armonieIe]^re ift ha% neue ©^ftem ol^ne S^^if^^
unvereinbar, unb e§ l^at öorläufig mol^I nur ben SBert einer t^eoretijd&en
©pefulation bel^ufS befferer 9ted&tfertigung be§ 9Koßa!Iorb§ unb jur @r-
Ilärung ber abfteigenben 2:enbenj, meldte mir unmiHÜlrlidö au§ einer SKoIIs
melobie l^erauSfül^Ien. 9Sießei(i&t genügt ju bie[er ßrflärung \zhoi) bie 6rs
innerung, ba^ in unferem 3JJoII mie aud^ in ben öljnlid^en altern Tonarten
ba§ ß^aralteriftifd^e im untern, nid^t im obern Steile ber Seiter ju fud&en
ift. S)a§ ergiebt fid& au§ obiger 3)arfteßung. ©obann liegt bie 3Koß-
tonart al§ ^araßele ju S)ur aßerbingS tiefer, unb meift bie d&ara!teriftifd^e
Heine Serj gemä^ ber Sntftel^ung be§ 9Jlofl auf ba§ gleid^e SSer^öItniS l^in ;
benn ba§ d unb a be§ 5)orifd&en unb 5loIifd&en fteßt fid) in ber SWelobie
meiftenö nur mie eine gelegentlidCie 9lbftufung be§ f ober c bar (f. ba§
obige SSeifpiel).
106. Sei ber |)armonifierung ber borifd^en unb ber äolifd^en
Tonart ift bie eigenartige 3"i^"^^^"f^l^^9 ^^^ Leiter mo^I ju bead^ten.
S)a^ beibe Tonarten unter fid^ gans nal^e oermanbt finb, braudfet laum
ermähnt ju merben. 3m übrigen l^at aber bie 5!JlobuIation fid& nad& 5)ur
JU menben, meil oberl^alb f unb c bie Seitern ftd& an^ boBftönbigen 2:etra=
d&orben mie in 5)ur aufbauen. S)urartigen ß^arafter l^aben aber unter
ben alten Jonarten bie au§ F, G unb C, t)on benen fofort bie 9tebe fein
mirb. 3^1 i^M^tt menbet fid& alfo bie SKobuIation. Unfer 9Jlofl l^at nad&
oben gleid^faßS üormiegenb ©urd^aralter, ob man nun ben S)ominanta!Iorb
gerabeju aß bon ®ur entlel^nt ober al§ an§> WoU naturnotmenbig ]§erbor=
mad^fenb betrad^tet. 9lur ber ©d^Iufe felbft mu^ mie bie Jonila jo aud&
bie eigenartige Dioß^armonie mieber l^ören laffen. ßinen fel^r mefentlid^en
Unter[döieb begrünbet eg aber, bap unfer 5!JlufiIi^ftem bie grofee ©et)timc
S)ic A-3:onart be8 ©l^oral«. A-ÜJloff. 81
notlocnbig maä)t, jene alten Settern aber bie Heine ©eptime l^abcn. ®aS
ifi ein ipauptpunft , »eld&er bie |)armonifation beS Sl^orafö erfd&wert: ein
boHfommencr , burdö ®ominantaIIorb ober ©ontinantfcptimenaHorb mit
großer 3:erj öermittelter ©d&Iu^ ift nid&t möglidö, ol^ne bafe bie ©cptimen
eis unb gis in bie Xonarten Don d unb a eingefe^t merben. £ieg l^aben
fid^ ältere ^armoniler benn aud& erlaubt; aber eS ift ein Eingriff, toeld^cr
nur baburdö entfd^ulbigt »erben mod&te, ba^ bie bome^mIid& d^arafteriftifd^en
Xöne beiber %onaxitn (bon ber ^rim abgefe^en) 3:erj unb ©ejrt (S)or. f
unb h, äol. c' unb f) [inb unb jomit baS SBefen ber Xonarten aUerbingS
nid&t angetapet tt)urbe. 3n ber ^lagalform jümmt ber Umftanb nid&t boII=
fommen jur SSefd&affenl^cit unferer Harmonie, ba^ bie Ouint gegen bie
d^aralteriftifd^e Xerj, bie nun anä^ Dominante »irb, ju fe^r jurücftritt.
5Kod& ein 5ßunft ift bon Sebeutung : toenn anä^ baä ©efül^I für bie Ouint,
loeld&e in ein jmeiteS Xetrad&orb übergreift, ben alten Xonarten burd&auS
nid^t fremb ift, tt)ie bie Dominante ber autl^entifd&en Scitern unb bie 2Äe=
lobiefü^rung jur ©enüge erlennen laffen, fo »erben im allgemeinen bod& bie
Xetrad^orbe biel fd&örfcr gegeneinanber abgefonbert, aI8 e§ bei uns ber §fan
ift. S)a nun bie ^armonifd&e Se^anblung biefe ©d&ranle nieberrei^t unb
bie ginl^eit ber Oftabe ftärfer betont, fo ergiebt [xä) ein SBiberftreit jmifdöen
ben ^rincipien ber Harmonie unb bem ^an ber alten SKelobien. SDie boII=
lommene SluSgleid^ung aKer wiberftrebenben Elemente ift nid&t tt)o^l möglid^.
^ebenfalls ergiebt fld& ein ganj neues ©^ftem ber SRobuIation, ein anberer
aSerwanbtfd^aftSlreiS ber Xonarten. S)ie Siegel für bie mobeme
5!JlobuIation ift bie S5ertt)anbtfS&aft ber obern Ouint unb Ouart (Dbcr=
unb Unterbominantc) nebft ber parallele (Xerj). S)a5 fommt nun wol^I
anä) alles in ber öltern 5!Jlufi! jur ©eltung (j. 33. wenn ®orifd& unb
^olifd^ »ed&feln ober in beiben bie obere Xerj ber Xonifa lange !^e\t gleid&=
fam als neue Xonila auftritt), aber bod^ in anberer SBeife.
^^nlid^feit unb 3Serfd&icbenl^eit wirb burd& folgenbe grlöuterung Har
»erben. S3ei bem mobemen SJloH liegt ber Übergang in C-®ur junäd&ft;
mir nennen bies barum bie ^araHeltonart ju A-2JloK. ®ie ©ntftel^ung
beS 5!JloH erllört, mie jutreffenb biefe 33ejeid&nung ift. ®enn entmeber
ift ber 5!JloKbreiIIang nur ein ©teKbertreter beS ©urbreiflangS jum S^edEe
eines befonbern SluSbrudfS, ober eS liegt eine Umfel^rung beSfelben bor,
mobei bie abfteigenben ^artialtöne ftatt ber auffteigenben gelten; ieben=
faßS giebt ber biatonif^e (Sl^aralter j. 33. beS C-S)ur unb beS reinen
A-9RoII einen ©runbjug ber aSermanbtfd&aft ab. 33ei ben alten Xonarten
in D unb A bilben au^erbem f unb c' ben Slbfd^Iu^ eines Xctrad&orbS
unb ben S3eginn einer neuen Xonreil^e, meldte burd^ bie 3SoIIftönbigfeit beS
folgenben natürlid&en Xetrad&orbS einen anbern, unb jmar einen fetten,
freien, burft^nlid&en ©l^arafter er^ött. SDer Übergang bon ber D- unb
eietmann, äfll^etif. 3. 3;eil. 6
82 3)ntte8 Äa^tlcl.
A-8eiter in bie F- unb C-Seitcr ift fomit in ber 3iifömmenfe|ung bcr
Tonleiter fd&on gegeben ; eS ift gleid^fam eine mefentlid&e, Icitereigcne
2ÄobuIation. SJian lann nun freilidö toebcr in ber 3ReIobie nod6 in ber
Harmonie einen jeben Übergriff auS ber einen S^onreil^e in bie anbere eine
SRobuIation nennen, loenn j. 93. naä^ ober mit a bie Duint e ertönt,
bie einem anbern Setrad^orb ongel^ört ; ober wenn bauernb nur 2:öne Don
c' aufwärts öemommen werben, empfinbet man felbft in ber 5DleIobie etwas
ber aRobuIation ^^nlid&eS ; bie ^armonifd&e Sel^anblung wirb biefen ginbrudf
öerftörfen, inbem fie burd&weg C-2)ur erftingen Wfet. 6ine anerfannte ge=
läufige 2luSweid&ung beS 2toIifd6en (in ber l^armonifd^en SBcl^anblung) ift
ba^er bie nad^ C, ebenfo beS ®ori)d&en bie nad^ F. ®a^er aud^ im
©orifd^en baS l^öufige b, weld&eS baS F-SEetrad&orb abf(i6Iie^t. SBir fallen
aber, bafe ebm baburd^ ®orifd& unb älolifd^ bie gleid^e 3:onreil^e erhalten.
2lu8 biefem ©runbe tritt alfo im S)orifd&en gern f g als aSermittlungSton
ein, um nadö G überjugel^en, wo bann gahc' baS neue 2:etrad&orb bilbet:
alfo ift bie 9RobuIation nad6 ö ganj erwünfd^t. 3ft & erreid^t, fo fann
man anä) auf beffen ©ebiet bauernb übertreten. SJian lommt alfo beim
©orifd&en naturgemäß hnxä) F, G ju C, ober bireft Don D ju bem nad& F
transponierten . C, bei D-aRoH aber burdö F jum unt)erfe|ten C. ®ie Sln=
f(i&auungen ber 5!JlufiIer gelten im übrigen etwas auSeinanber. ©inb bod6 anä)
bie ©efe^e ber SKobufierung unfereS SKoK fd&wanfenb genug. @inen jwingen=
ben SInlafe jur 9RobuIation bietet bie ß^oralmelobie überl^aupt nur, wenn
b eintritt, ober wenn ein 5!JleIobieton ju ber näd^ft entf^jred&enben mobernen Seitcr,
bie wir borausfe^en, nid&t pa^t ober wenigftenS fo entfd^ieben in ein anbereS
2:etrad&orb übergetreten wirb, baß eS baS ©epräge ber ganjen ©teile änbert.
©anj gleid& gefd&iel^t im S)orifd&en unb in unferem D-SJioK ber Über=
gang jur Duint A, obwohl berfelbe im 2)orifd&en auä^ burd& ©infü^rung
beS b, felbft ol^ne SSerfe^ung ber SEonüa, möglid& ift. tJaffen wir baS
Slolifd^e für fid& inS 9luge, fo läßt eS außer ber 3JlobuIation nadö C, bcr
parallele bon A, bie naä) G unb F ju (f. 3tx. 104). 9Man wirb aber
nadö G unb F niiit burd^ baS Duintenberl^ältniS, fonbern bloß burd^ ben
berfd^iebenen ®ang ber SKelobie gefül^rt (burd& SEetrad^orbwed&fel).
@in weiterer Unterfd&ieb, bem mobernen 2)lufiff^ftem gegenüber, berul^t
barauf, baß bie fieitern bon F unb G in ber altern 5!JlufiI nid^t genau
baSfelbe bebeuten wie bei unS; bie F-2eiter ber Äird^enmufif wirb aller=
bingS burdö b einer transponierten C-2eiter, alfo unferer F-Seiter gleid^;
aber d&ara!teriflifd6 bleibt für bie F-fieiter beS ß^oralS ein h. S)ie G-2eiter
beS Sl^oralS ^inwieberum ^at f ftatt fis; fonft fiele fie mit ber C-2eiter
rücffid^tlidö ber Stonfolge jufammen (f. unten).
Übrigens fd^eint eS im allgemeinen jutreffenber , wenn man bei ber
reinen 5!JleIobie nid^t ol^ne befonbern ®runb bon Übergängen in eine anbere
S)ie A-2:onart bcS ©^oiols. A-3Jloa. 83
2:onart , fonbcrn nur bom Übergang in ein anbereS 3:etrad&orb rebet. . 2)a=
mit föllt bie 5lötigung fort, bie neue 3:onreil^e mit bem Flamen einer 2:on=
ort ju bejcid^nen; ber Übergang ju G- tt)iK bann nur befagen, ba^. ba§
neue 2:etrad&orb g jum ©runbton l^abe, unb e§ lann nun biefeS aKcrbing§
ju einer 6-2eiter, aber anä) ju einer C-2eiter gel^ören. 3infofern läfet ftd&
jagen, ba^ bie aRcIobie faft nur ben Übergang auS einem unboKftänbigen
Setrad^orb, df j. ©., in baS natürlid&e lennt, tt)ie e§ in ber C-Seiter jtt)ei=
mal borlommt.
S5ie tnobcrne @rpf)ung ober ©tnicbrigung cinjclner 3^öne unb bie SJetfe^ung
ber ßanäcn Setter auf eine onbere ©tufe mitten in ber 3JleIobte tritt öicl feltener
auf, fo ha^ im gcfcöricbcncn (Sl^oral lein anbercr d^romatifd^cr 2^on
aU b crf(5cint, unb felbft bicS toirb tool^I beffcr aU ber biatomfd^en S^onreil^e an=
ÖCl^öriQ betrad^tet (f. oben Dir. 102).
SDßie t)on unfercm C-S)ur gcfagt tourbc, eS ertoad^fc auS ber SDflifd^ung breicr
im Duintenberl^ältniffe ftel^enber 3flaturflängc, unb fo erflärc fid^ baS JBcrl^ältntS öon
S^onifa«, Oberbominanten» unb Unterbominantcn=SlfIorb (^x. 95): fo bebeutet jenes
b in ber gried^ifd^en unb mittelalterlid^en SJlufil bie Slerfe^ung bed S^etrad^orbg
nad^ F unb in bie entf:pred&enbc S^laturtonreil^e B. äl^nltd^ tcrl^ält eg pd^ mit allen
ertoäl&ntcn S5erfe^ungen ber S^etrad^orbe; ber ©runbton bejcid^net eine 91atur=
tonreil^e, in toeld^er er felbft an ber ©teile beS c ftel^en toürbc (f. ^x. 49).
107. ©d^toiertger ijl e8, d unb a aU Sonifen ber befiprod^enen £) f t a ö rcil^en
ju rcd&tfertigen , ba pe, in ben Jlaturllang (an ©tcffc bed F 91r. 49) eingefe^t, bie
^onreil^en d e fis gis a h eis d unb a h eis dis e fls gis a ergeben. S)iefe Sfteil^en
ftnben in ben OfunbamentaltÖnen D4 unb A« il^r einigenbeg S^anb. ©obalb toir aber
bie biatonifd^e D- unb A-ßeiter betrad^ten, toirb bie @inf)eit öermifet. Um biefelbc
had^jutoeifcn, muffen toir in anberer SOßeife auf ben Slaturflang aurüdRel^rcn.
3m 9?atur!Iang (5ir. 49) bilbetc fid& au§ ben Dbertönen bon P4 bie
biatonifd&e Seiter cdefgahc'; biefe mu^ junäd^ji al§ bie })lagale S)ar=
fteüung einer F-3:onart angefel^en werben, b. ]§. ber einigcnbe ©runbton
ber 3lei]§e ift f, meil ein F4 al§ tJunbamentalton bie ganje Sflcil^e au§ fid^
l^erbortrcibt. Slber bei C-5)ur l^aben mir fd^on gefunben, bafe e§ nad&
aller mufilalifd&en ©rfal^rung genügenb ift, tpenn nur bie biatonifd^e Drb=
nung eingel^alten tüirb, gleid&biel ob f ober c bie JRoIIe ber 3:oniIa übcr=
nimmt. 9Kit anbern 3Q3orten: jum SQßefen einer guten 3:onart
reid^t e§ au§, tpenn aße 3:öne ber Seiter ber biatoni[(ä&en 3:onrei^e be§=
felben tJwnbamentaltonS angel^ören; eben l^ierin finbet bie 2onart il^re ge=
nügenbe ßinl^eit. 5)er ! leine 2)reiKang [tört babei nid^t (f. oben 9?r. 67 ff.).
5lun ergeben fid& fofort fieben biatonifd^e Tonarten, inbem mir bie
fieben ©tufen ber Dftabe ber Sieil^e nad& jum 9tu§gangö|)un!te nel^men (bie
bierte ©tufe al§ 2:onifa ift l^erborgel^oben) :
cdefgahc'
d e f g a h c' d'
e f g a h c' d' e'
84 2)ritte3 StapittX,
f g a h c' d' e' f
g a h c' d' e' f g'
a h c' d' e' f gf a' h'
h c' d' e' f g' a' h'.
2)a§ [inb alle rein biatonifd^en Xomxkn, bie möglid^ [inb. 2)te ©ried&en
]^a6en aUe 6enü|t (menn [i(^ aud^ an bie 9el^anblung berfeI6en berfd^iebene
fragen !nüt)fen); ebenfo l^at bie ftird^cnmuftl menigfienS fed&§, in bcr
Stl^eorie aber jcbenfalls aud^ alle pcbcn Tonarten anerlannt (morübcr unten
3tx. 120 ff. nüd& etmaS SBeitereö gefaßt toirb).
®ie %on\la A unb D iji bamit gered&tf ertigt , obgleid^ junöd^ft nur
für bie ^lagalform ber 2:ünart; aber biefe ifl ja bon ber aut^entifd&en
Sonart nur untoefentlid^ berfd&ieben. Dbenbrein erfd^eint bod^ fd&Iie^Iid&
jeber einjelne Ion einmal al§ 3:onifa, unb mir lönnen in ber Drbnung
ber ftird&entonarten ber SReil^e mä) D, E, F, G, A, H, C jum 3tnfang§tün
unb }ugleid& jur 2:oni!a einer Tonart ntad&en: defgahc'd' u. f. xo.
2)ie meinen biefer Tonarten finb bon unfern gmei 3:ongefd&Ied&tem
unb beren Jranäpofitionen berfd^ieben, unb l^ierauä erllört fid^ bie ©d&tDierig=
feit ber |)armomfierung.
108* SDBaS ben allgemeinen öfl^etifd^en ß^arafter ber beft)rod&enen
3KolItonarten angelet, fo l^at berfelbe in ber gigenart be§ Saue§, fobann in
ber Sefd^affenl^eit be§ barauf gegrtinbeten, teiltoeife aber frei getoä^Iten
50lelobiegange§ unb ettoa nod& in ber |)armonifation§fä^igfeit feinen ®runb.
©elbfiberftänblid^ iji e§ redfet fd&mierig, bie i^rer Statur nad^ fd&manfenben
©nbrüdfe ber Stonarten auf befiimmte Segriffe jurüdfgufü^ren. SBir l^aben
inbcffen bon ben ©ried^en, bon mittelalterlid^en J^eoretilern , enblid& bon
Slutoritöten aus ber ©egentoart (3Raxi, ©ebaert, ftommüner, 2)ed6ebren§)
einleud^tenbe Sefd&reibungen be§ einer jeben Jonart eigenen 5lu§brudfS.
Pfaffen toir ba§ l^ierl^er ©el^örige furj jufammen, inbem mir jugleid^ einige
gefd^id&tlid^e J^atfad^en jur griäuterung l^eranjiel^en.
3um äolifd^en (IX. unb X. SEon, griedfe. ^^poborifd^) gehören im
©l^oral aud& biele TOelobien be§ S)orifd^en (b. i). bc§ I. unb 11. SToneä);
benn fo oft l^ier h fe^It ober regelmö^ig burd^ b erfe^t mirb, bürfen ober
muffen mir ein auf bie ^ö^ere Quart gefe§te§ A annel^men. 9lad^ ©ebaert
(Histoire I, 143) ift aud& bie aJloHIeiter ber meiften eurot)äifd&en SSöIIer
eine A-Seiter mit fe^Ienber ©ejt, b. 1^. bon ber D-Seiter in ber Sonfolge
nid^t berfd^ieben. 3JlolI mar aber fomo^I bei anbern SSöIfern, namentlid^ ben
©ried^en, al§ bei un§ big in§ 18. Sa^rl^unbert hinein ba§ beliebtefte ftlang=
gefd&Ied&t. S)arau§ ergiebt ftd&, ba^ ba§ tolifd^e (bejm. ba§ S)orifd&e)
fid^ ben allermeiften Stimmungen anbequemt. SDBir finben,
mie ba§ emfte Slequiem (oben 9lr. 104), fo aud& ba§ öfterlidfee Haec dies
S)ie A-2:onart beg ©ftorals. A-JUlott. 85
'dolV\ä^ 9cfc|t; ia in bem erftcrn allein feigen toir fd^on ©cgenfö^c ber
©timmung öerförpert, unb in bem Haec dies ifl e§ nid&t anber§. ®ie
Heine %tii, ba§ nad& f l^inunterbrängenbe b, überl^oupt bie tiefere Sage
eines XeileS ber 3KeIübie l^at ettoaS Sw^ö^^^öltenbeä in bem Oftergefange,
tttoa^ ®ebrücfte§ in ber Xotenmeffe, bagegen ber obere 2eil ber Seiter
immer etma§ ^elleS unb gfreubigeä. Dl^ne S^^^^if^I 5^6^" S^empo, ab-
folute Xonpl^e, SJI^^tl^muS unb Segleitung jur näl^ern Sefiimmung be§
6l^ara!terS no4 na^jul^elf en ; jtnb biefe ja bo4 toenigfienS bis ju einem
getoiffen ©rabe frei gelaffen. Slber bie f)auptfa(i&e bleibt bie Sef^affenl^eit
ber 3:onart. S)a§ SRötfel il^rer SSertoenbung am Djicrtage er^eifd&t alfo
burd^auS eine Söfung. ©ie bürfte in folgenbem liegen. 2)ie !^ixxüäf)ah
tung ber ^freube am Cftertage erllärt fid^ barauS, ba^ bie Djierfeier in
ber alten ffird&e ganj ben 5Jeugetauften angepaßt mürbe, für bie nid&t
jtoar bie 33u^e, aber bod^ eine ma^bolle Surüdl^altung nod^ eine SQSoci&e
lang, nämlid^ bis jum folgenben ©amstag, bauern foHte. ©al^er auf Dftern
jtoar nidfet mel^r baS ©rabuale mit bem JraltuS, ber immer einen ent=
fd^ieben büftern @^l^ara!ter l^at, aber aud^ tiod^ nid^t baS Melujia o ^ n e baS
in mäßigem @rnji gel^altene ©rabuale gefungen tourbe. 2lm ©amStag ber
Dftertood^e erfd^eint bagegen baS Haec dies mit 3llleluia in G gefegt,
b. f). in freiem, l^eßem ®ur (Str. 113). Übrigens tritt aud& auf Dflern
tocnigftenS im „35erS" ein Sluffd^mung jur buräl^nlid^en obern f)ölfte ber
öolifd^en Xonart ein. Slatürlid^ tragen ju ber eigenartigen S5Bir!ung ber
3WeIobie beS SRequiem unb beS Haec dies bie Xejctmorte unb bie mit=
gebrad^te ©timmung baS 3^rige bei.
®aS 3toIifd^e l^at alfo nad& unten einen trüben, toel^mütigen SluSbrudf,
jumal es nur in plagaler aJlelobielage erfd^eint unb immer an ber Keinen
©ejt fefl^ält. S)ie SBeid^^eit unb ©ebrüdft^eit bcS fflangeS !ann eS iebod&
burd^ 2luffteigen jur ^öl^e fiegreidfe überminben.
2Bo baS ®orifd^e mit bem d^aratteriftifd^en h auftritt, mirb eS burd&
feine gro^e ©ejt ju C ^inübergef ü^rt ; F, C unb G wetteifern nun, il^m
einen ließen, freubigen Ston jU geben. S)ie ©ebunben^eit nad^ unten ifl
minber eng als im 3toIifd^en, mo ftd^ nod& ein gebrüdfteS b jmifd^en a
unb c einbrängen !ann; bie f leine 2:erj mad^t barum im ©orifdfeen me^r
nur ben @inbrud£ beS ©anften], menn man mill, beS @Iegifd&en. S)ie
elegifd&e ©timmung fte^t aber oft ber ma^boHen unb eben megen beS bei=
gemifd&ten 6mpeS erfi red^t innigen ??reube na^e. SlHeS 50lollartige l^at
ben 6^ara!ter beS 3Serf d&Ieierten , gleid^ bem 9MorgennebeI , öon bem man
nid&t mit 33eflimmtl^eit fagen lann, ob er als büftere ^üße baS SEageSlid^t
berbedfen toirb ober bon bem Haren ©onnenfha^I mirb übermunben merben.
®ie iünftlerifd^e Sluffaffung menfd^Iid&er ©timmungen, meldte bon einer
fold&en ©runbanfd^auung auSgel^t, mu^ fel^r frud^tbar fein. ®ie ©ried^en
86 J^rittcg Siapittl.
erflärten bal^cr eine mollä^nlici&e Seiter, nämlid^ bie E-SEonart (na^ grie=
ä)V{ä)tx Xerminologie ba§ 2)otifci&e), für ed^t ]^encmfd^=nationQl unb ienTi=
jeid^neten il^re SDBirfung atö etl^ifd^ unb beru^igenb, feierli(i& unb fräftig
(ögl. SQBeftp^al, f)armoniI, 1. Slufl., @. 353). Sttrifiotele^ fprid&t bem
3loIif(^en bie fd^mäd^Iid^e »löge gerobeju ah (^robl. 19, 48). 3Karr
legt bemfelBen, toie eS in ber altem |)armünifierung erfd&eint, einen füllen,
toel^mütigen, leibenben ©^oralter bei, beffen Jrübe nur burd& bie pufigen
|)albfci&lüffe auf ber Dominante mit großem 3)reiIIang oufgel^ellt unb
gemilbert toerbe (ftom))o[ition§Ie]6re , 6. Slufl., I, 421). S)a§ öermanbte
2)orif4e be§ (Sf)oxa% bie D-2j)nart, gilt bem ftarbinal Sona afö fruci&tbar,
ma^boH, ernft ober gar ftreng. ®ie f^öne ß^arafteriftil P. ftornmüllerä 0. S. B.
lautet toie folgt: „SDiefe Slonart ifl ber äolifd^en, meli^e [xä) auf il^rer Guint
aufbaut, am näd^flen bertoanbt unb meicj^t in fie l^öufig auS: megen ber
glei(^en ß^aralterifiüen F unb H, meld^er festere SEon öfters in B öer=
manbelt toerben mu^, berbinbet e§ ftd^ aud^ mit ber mijol^bifd^en [G] ; naä)
bem 3onif(^en, toeli^eS feltener anllingt, brängt bie grofee ©ejct H, unb
ba§ S^bifd&e, auf il^rer %tti grünbenb, fielet il^r aud^ fe^r na^e. S)a biefe
lonart in i^rer autl^entifd^en Slrt fel^r nad& ber Duint jkebt unb biefe§
3nteröaII oft gleidfe anfangs unb in ber 3Jlitte pren lä^t, geminnt il^r
6^ara!ter, ber toegen beS toeid&en SDreiflangS etmaS trübe erfd&eint, einen
Sluffd^tDung, jumal aud^ bie l^eüern, freubigern SDrettlänge beS bcrtoanbten
SKijoI^bifd^en unb Sonifd^en (G- unb C-3:onart) i^n tröftenb, erl^eitemb,
ermutigenb mad^en. Slamentüdfe ber I. Son fd^reitet toürbeboH unb ernft,
reid^ an SJlelobie ba^in unb ift ber malere Xon für feierlid&e, freubigemfle
Slnbadfet; barum finbet er fo häufige 2Inmenbung fotool^I bei ernftcn afö
bei freubigen ©reigniffen. ®er TL. , borifd^ pla^al , fprid&t gemä^ feiner
tiefern Sage, unb ba er fd&on in ber Keinen SEerj ober ber finale feine
Dominante erreid^t, öielme^r tiefe Srauer, ©d^merj gepaart mit @ott=
öertrauen unb anä) Verlangen nad& ben l^immlifd^en Singen aii§f."
109. S)a§ SQBefentlid&fte ber gegebenen g^araltcriftil be§ I., n., X. flird&en=
toneS unb beS mobernen 3JloII trifft aud& beim III. unb IV. ftird&entonc,
bem fogen. ^ß^r^gifdfeen (bei ben ©ried^en S)orifd&) ju. 6§ l^at bie tJinale e.
3Kan barf bemgemä^ aud& e für bie 2:oni!a galten, unb fo toirb burd&
bie Weine 2:eri e g eine boDe 5i[]^nlid&!eit mit ber D- unb ber A-Seiter l^er=
geftellt. 5lber bie Dominanten paffen nid&t, fie finb nid^t bie Duint unb
bie 2:eri öon e, fonbern c' (III. 2:on) unb a (IV.). 6§ ift nid^t leidet,
ben ©runb anjugeben, toarum gerabe biefe beiben 2:öne ftatt ber Duint
unb 2:eri bon e eintreten, ©etoölönlid^ nimmt man an, ba^ h barum ber=
mieben toorben fei, meil eS mit b ju l^äufig bertaufd^t mürbe. 2lber gerabe
baS ^^r^gifd&e ^at gar nid&t oft b, unb ber britte 2:on, um ben cS fid&
l^anbelt, laum jemals. 2)aS h toirb aud^ gar nid^t ängftlid^ bermieben,
S)ic E-3:onart bcg 6:]^oraI«. 87
nid^t einmal am ©d&Iufe emjelner ^Kclobieabfd&nttte. @elbfi baS Gloria ad
introitum, bcr ^falmton unb baS ^Kagnificat, in bencn bic SJominanten
c unb a am beflimmtcftcn [\ä) geltenb maci&en, lieben bod& aud^ h immer
nüd& fiar! I^erbor. @S mufe alfo in bem autl^entifd^en Xone nur eine un*
miHIürlid^e Slnjiel^ung be§ c' fein, toel^e bie 3KeIobie burdfe Überführung
in baS reine ^elle 2)ur glcid^fam ftegreici^ emporl^ebt; aber eS mirb, toie
gefagt, bafür geforgt, ba^ h nid^t ju fel^r jurüdftritt, unb burd^ befonberS
häufigen ©ebraud^ ber Serj ber Sonila mirb baS ©efül^I ber 2:onart lebhaft
im Semu^tfein erhalten. SDBenn man öon ben eben angeführten gfällen, in
benen c' unb a atö Dominanten fid& nadfebrüdflid^ aufbröngen, abpelzt, ifi
e§ oft fogar fd^toer, fie al§ jold^e anjuer!ennen. 9?id&t feiten l^errfd&t im
britten 2on a entfd^iebener al§ c' unb im bierten 2one g entfd&iebener
als a.
®aran aber, bafe e unb nid^t etma a ober c' bie SRoHe ber SEonUa
ft)ielt, lä^t bie 9lrt, wie bie Söne beS E-S)rei!Iang§ gebraud&t toerben,
nid&t itoeifeln.
SDBenn in ber ^lagalform a ftatt g 2)ominante ift, fo mag feine
©teDung afö oberfier Son be§ E-2:etrad&orb§ barauf eingemirft ^aben.
®ic E-Sonart mirb burd^ bie 35erfd^iebung ber Dominanten jiemlid^ ber=
loidfelt. @§ finb übrigens im Saufe ber 3^^* w^^t ^ßi^ E-Sonart me^rfad^e
Serünberungen bor fid& gegangen; namentlid^ toar bie Dominante beS
m. 2:one§ JU |)ucbalbs 3cit nod& ba§ regelmäßige h, toofür erfl im
10. ober 11. Sal^r^unbert c' eintrat. Die Steigung, für gh lieber gc'
einiufejen, läßt ftdfe übrigens aud& bei ber G-, D- unb A-Sonart beobad&ten;
fie l^at il^ren gemeinfd&aftlid^en ®runb tool^I in bem Einfluß beS immer im
©efül^Ie liegenben Dur=2:etrad6orbS , ba§ nad^ borauSgel^enbem g burd& c'
abgefdfeloffen wirb. 3laä) unten l^in entft)rid&t bie anbere ©rfdfeeinung, baß
c fo gern jur SSerboUftänbigung beS unter f liegenben Setrad&orbS ]^eran=
gejogen wirb, unb jmar ebenfalls in berf d&iebenen Tonarten ; für ben IV. 2:on
fei beifpielSl^alber auf ben |)9mnuS Quodcumque in orbe l^ingetoiefen.
3n beiben ^fällen toirb baburd^ ber SWoHd^aralter borübergel^enb bertt)ifd&t,
fo baß man beulen fönnte, man l^abe eS mit C- ober G-Dur ju tl^un.
SlnbererfeitS lönnte jutoeilen bie Dominante a afö eigentlid&e 3:oniIa er=
fd^einen. 2lber äße 3*beifel muffen fd&toeigcn, menn man in ©teilen, wie
bie folgenbe ift, bie SloIIe bon egh beobad&tet (aus bem SntroituS Dum
clamarem).
fc fic^J^ _x J M g -^_ ^r:^ j-rn i^
jui est an - te sae - cu - la et ma - net in ae - ter-num : iac - ta
CO - gi - ta-tum tu - um in Do - mi - no et ip - se te e - nu - tri - et.
88
S)rttted fta|)itel.
@o fe^r l^ier aud^ bie S^ominante a no(^ il^re Geltung bel^äli, fo ent=
f(i&icbcn brängt fid^ ber SJrciflang Don e ouf, beffcn Zorn alle grdfecm 2lb=
f^nitte fd^Itefeen : erft g, bann e, bann h unb enblidfe toiebcr e ; g crfd&cint
aud^ ebenfo oft als bie S)ominanie a; anbererfeitö lä^t fid^ bom 2)rei![ang
ju a nur ^ic unb ba nodfe c' ^ören. 3iiwt Überfluß bergicid&e man f)ucbalbs
5Kujierbeift)ieI für ben III. 2:on (Commemoratio, bei ©erbcrt I, 214).
Glo-ri - a Pa - tri ... et nunc et semper et in sae - cu - la sae - cu-lo - mm. A - men.
Qni de ter-ra est, de ter-ra lo-qui-tnr etc.
f)ier ift offenbar h Dominante patt bcS fpätern c'. 3n bem Seifpicl
beS IV. SoneS bei |)ucbalb maä^t fi(i& a afö Dominante biel beutlid^er
bemerfbar, aber eg unb h treten nid&t ganj jurüd:
Glo-ri-a. . . et nunc et sem-per et in saecu-la sae- cu-lo -rum. A-men.
^
0-mnes au - tem vos fra-tres e-stis.
S)ie ^rim, Sierj unb Duint ber 2i)nart l^ört man ju Slnfang unb
am @nbe be§ ©loria; bann finlt bie 3KeIobic in baö C-3:etrad&orb ^inab,
tote fonfl fo oft. SQBir finben alfo l^ier eine 9JlobuIation nad^ c, aber nidfet
naci& a, unb beim III. Xone nadfe g, befonber§ toenn aufeer h nod& d' er=
Hingt ; ja bie Dominante c' felbft fd&eint ebenfo bie ^ö^e be§ G-3:etra(i&orb§,
toie bie 2)ominante a bie beö E-2:etrad&orb8, unb nidfets anbereS p bebeuten.
Slbgefel^en bon bem &alle, too bie 5!ReIobie in einfa^e aiecitation
übergel^t (im ©loria, ^falmberS u. ä.) ift bie Dominante laum ju erlennen,
ttJäl^renb ber aufgelöfie ®rei!Iang bie aJlelobie bel^errf^t; fo anä) in ben
Qformeln be§ ni. unb IV. 3:one§, ju benen ^ucbalb bie SQBörter Noeano
u. f. m. fe^t ; iu boüftönbigerer Kenntnis ber ft^mierigen t)l^r5gif4en 2:on=
art laffen mir fie folgen:
No-e -a - a-no-e - a - ne
3m erften Slbfd&nitt l^errfi^t h, g, e ; im jtoeiten g, h, d ; im britten
mirb abermals in eine 2)urleiter mobuliert (f, a, c!), um alsbalb wieber
mit h, g, e jur E-3:onart iurüdEjufe^ren. i)a^ fici& c' fonberlid^ bemerlftd^
maä^tt, läfet fid^ nid^t fagen.
No
a
2)ie E-^onart bed (S:^oral8.
89
®aS h erf^eint ^ier allerbingS toegen ber tiefen Sage ber 5)ieIobie ni^t,
aber g befio öfter, a aber nur einmal als oberfle ©tufe beS E-Setrad^orbö.
S)ie bon ^iel aufgefül^rten g^ormeln, in benen c' afö ft)ätcrer ©ten=
Vertreter für h angufel^en iji, pnb folgenbe:
iii.
^^^^^^^
110. SBir geben nod^ einige 5ßtoBen, juerft ben 3ntroituS Intret
oratio mea (III. Jon):
in - cli - na au - rem tu - am ad pre - cem me - am Do
mi - ne.
Ps. Do-mi-neDe-us sa-lu-tisme-ae: in di - e cla-mavi, etnoc-te co-ram te.
®ie 2KeIobie erl^ebt fidfe Don ber 2:oniIa (e) fofort gu g unb betoegt pd^
im Stetra^orb gc' mit gelegentli^er ßr^ebung jur Guint bon g in ber
erpen f)älfte bc§ SntroituS ; ber .^albf^Iufe mirb auf h gemad&t, eine lürjere
^aufe auf g. SSon c', baS bis je^t fel^r pari ^erbortrat, fällt fobann bie
aRelobie unb ^ält pci& jmif^en a unb e (im 2:etrad&orb ber 3:oni!a) unb
fd&Iie^t, nad& einem borüberge^enben Slufflug ju c', in e. S)ie erpe ^ölfte
beS SntroituS ip ein geller 2lufruf ju (Sott, bie jtoeite ein pill bertrauenbeS
Sielten. 3m ^falmberS feiert baS flate Stufen mieber, unb biefer ©l^aralter
ip um fo auSgefprod^ener , je mel^r bie Dominante allein ^errfd^t unb j[e
mel^r bie SBorte ber Stimmung gerabe biefe Stidfetung geben. ®aS pd& nod&
anfd&Iie^enbe Gloria ^at ben glcid^en 9JleIobiegang toie ber ^falmberS; für
bie l^elle G-Jonreil^e bepimmen bort bie SlBorte ben muplalifd&en ©l^aralter
näl^er al§ ben beS freubigen SobpreifeS. ®urd& bie abfdfeliefeenbe aBieber=
l^olung beS 3ntroitu§ bollenbet pd& ber ©nttoidlungSfreiS für bie mupla=
lifdfeen Q^ormcn unb bie in i^nen auSgefungenen Stimmungen.
®ie ^lagalf orm (IV. 2:on) mag ber folgenbe |)9mnu§ beranfd&aulid&en :
^^i^a|^-3^j3^E3EE5
m
^
=>Fir=«
m
1F=1=^
Cre-a-toralme si-de-rum, Aetema lux cre-denti-um, le-suRedemptor o-mnium,
In-ten-de vo-tis sup-pli-cum.
3n ber ^lagalform mirb e§ leid&t, burd^ baS frü^jeitige Slnfd&Iagen beS
untern c in baS natürlid&e C - 3:etrad&orb einjulenlen. 50lan bemerfe bie
SBetocgung burdfe ben C-2)reiIIang ; e§ tritt nur nad^ oben nod^ bie Duint a
90
2)ritted Siapitil.
^inju, um in boS E-2;etrad^orb einjufül^rcn (agfe); an bcn |)au})tftcnen
fd&Ite^t bie TOcIobic mit e, momit fie anä) Begonnen f)at; 3lebenf(i6Iüffe auf
g unb c. 3e öfter übrigens in ber plagalen toie in ber autl^entif^en Qform
ba§ ©cmitonium e f angefci&Iagcn mirb, unb je meniger g unb c bor^errf(i6cn,
befto mcniger l^ell unb befio gebrücfter toirb ber 9lu8brucf ber 9JleIobie.
111. S)ie S)o|)|)eIfeitig!eit beS 6^aralter§, bie mir im ©orif^en unb 3i[oIi=
fd&en fanben, mlä)t jum SluSbrucf entgegengefe^ter Stimmungen befähigt, ifl
anä^ bem ^l^r^gif^en eigen. 3nbem [i(i& ba§ l^errlid&e Praeconium paschale
faft ganj jtDifd^en g unb c' ober d' bemegt, erllingt e§ frei unb öoü (f. 3lx, 281).
SZBenn man l^ingegen an bie .fleine ©efunbe unb bie Heine Jerj beult, fo fielet
man leid&t, mie aud^ me^mütige SSuggefänge, befonberS in ber pagalform
be§ ^p^r^gifd&en, auftreten lönnen; fo in bem folgenben Djfertorium:
Do - mi-ne, fac me - cum mise-ri - cor - di - am tu - am propter no-meu tu - um :
a.
qui - a SU - a - vis est mi - se - ri - cor - - di - a tu
9?ebenbei bead^tc man, toie toenig ^ier a fid^ al§ 2)ominante geltenb
mad^t, miebicl e^er g, f ober d al§ fold^e angefel^en toerben müßten. S)ie
fogen. 2)ominanten [inb eben toefentlid^ nur für bie SRecitation auf einem
Sone bon Scbeutung, für bie 9)teIobie bielmel^r bie Söne beS 3:oniIa=
2)rei!IangeS, unb jtoar bie 3:erj faum toeniger al% bie Duint. @S ift ein
meit verbreiteter 3rrtum, ju glauben, bie TOebiantc berbanle i^re Slnerlennung
erft ber ^armonifd&en 9Kufif. S)a§ gilt nid^t einmal bon ber Beinen 2:er§,
mie bie bisherigen 33eif|)icle bemeifen.
112. S)ie ©riedfeen fa^en bie E-Stonart, toie gefagt, als bie nationale an.
®ie Se^anblung beS e als Sonifa, beS g als SJlebiante unb beS h als
Dominante föllt in ber folgenben ^robe fofort in bie 5lugen; toir geben
mit geringer 3inberung bie 2:ranSffri|)tion in mobcrne 9loten auS Jan,
Musici scriptores Graeci, berfe^en aber bie SJlelobie auS ber I^bifdfeen
(bejto. borifd^en) 3:ranS^)o[itionSfIaIa in bie Seiter ol^ne Jßorjeid&en. 3)er
^^mnuS ftammt bon 50lefomebeS aus ber !^t\t |)abrianS.
jQtjmnits auf ^tim.
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S)ie 6- «nb P-Sonart beä ß^oralä.
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ya-vu -Tai 8e Te aoi v6-oc eu-ju-vric Tto -Xu - oi- jxo-va x6-apiov e - Xi(j - awv.
113, 2Bir lommen nun ju benjenigen Tonarten, meldte [td^ unfercm
2)urgcfd&Ic(^te nähern, ol^nc [id^, tüic ba§ Sonifdfee (C-®ur), fafl mit i^m
ju ibentifijicren. ®ie aut^entifd^e tJorm be§ aJltjoI^bifd^en (ber VII. ßird&cn=
ton mit ber Jonifa G) befielet junäd^ft mic unferc C- ober G-Seiter au§
jtoei natürlid^en Stetrad^orben ; nur finb biefe nic^t mie Bei ung burd& einen
©anjton c' d' getrennt, unb e§ mu^ ba^er f (nid&t fis) aufgenommen toerben
(j. 9?r. 107). ©el^r l^äufig betoegt fid^ bie 9JieIobic in bem aufgelöflen
®reiflange g h d' (ober d g h) ; aber bon unferer SBeife öerfd^ieben i[l, ba^
fid^ gern c' neben ober an ©teile bon h einbrängt ; eS ^at in ber ßird&en=
tonart, al§ ©d^Iujston be§ G-SEetrad^orbS , eine fa[t ebenfo d^aralteriftifd&e
Sebeutung al§ h unb fommt nod& pufiger bor. ®a§ untere SEetrad^orb
fann aber burd^ b gleid&fam auf F ^erabgefe^t toerben, unb b c' toirb nun
jum Jßerbinbung^tone jtoeier Xetrad^orbe : mir l^aben unfere F-Seiter bor
un§. ®er Slnfang in ber Quint d' (ober d) ift ^äufig, berjenige in ber
Serj h nid^t feiten; aud^ c' toirb bereingelt fo gebrandet.
31I§ S3eift)iel fei ^ier auägefd^rieben ba§ ©rabuale Benedictus Dominus:
fe>=z:r->*hF-r^^=#==l^^ia£fe^^S»4=^
Be - ne - die - tus Do - mi - nus
E
quifa-cit mi-ra-bi - li - a mag-na so - lus a sae
De - US Is - - ra - el,
cu-lo.
92 3)rittc8 StapiUl
©el^r Icl^rreid^ ifl unter anberem bic befaimte ©cquenj Lauda Sion,
tüelci&c [xä) iuglcid^ in bcr ^ö^ern Sage beS VII. unb in bcr tiefem be§
Vin. %om§f bemegt. S)ie Duint etfd&eint in ber tiefern unb in ber l^ö^ern
Sage (d unb d'), bie Jerj mirb öfter jur SSemteibung be§ SritonuS 5U b
ermeii^t, bie |)aut)tmobuIation ift aber bie in ba§ Setrad^orb bon c' (c' — f ).
®er bortoiegenb frif (^e unb ^eße %on mirb nur hmä) b gebänH)ft ; ba§ oft
tt)ieberfe^renbe f g, befonber§ am ©(^luffe ber 9tbfd&nitte, ift im aSergIei(^e
ju unferem G-®ur d&arafteriftifd^.
3n ber ^lagalform entfernt fidfe ba§ ^Dlijol^bif^e toieber etma§ toeiter
bon unferem 2)ur; c' tt)irb Dominante unb überwiegt nun entfd&ieben 2er j
unb Duint ber Sonifa ; auci& ba§ F-Setrad^orb gewinnt an ßinflu^, bal^er
auci& ber 2lnfang in f nid&t feiten; b unb h finben [xä) oft nebeneinanber.
9luS bem ©rabuale ftel^e ^ier ba§ Haec dies bom ©amStag naci& Dfiern:
AI - le - lu - ja. Haec di - es, quam fe - cit Do - mi-nus :
ex-sul-te - - mus et lae-te-mur in e - - a.
2Ban bead&te, ba^ a mo^I mel^r 3te(^t l^ätte, S)ominante ju l^eißen, al§
c'; aber bie SRecitation beS Gloria u. f. m. gefd&ie^t allerbing§ auf biefem
Xone, ber l^ier mieber SSertreter für h ift, ttjeld^cS inbe§«al§ 3Kebiante jmif^en
g unb d' me^rfad^ erfd^eint, audö einen Slbfd^nitt fd^Iie^t unb einen anbem
beginnt. Wart fönnte mit gutem SRed&te biefe 9KeIobie, in ber ba§ obere
Stetrad^orb c' f nid&t ^erabberlcgt ift, bem aut^entifd^en Sone jujäl^Ien, aber
bann fielet e§ mit ber |)äufigleit ber Dominante d' nod^ ungünftiger.
114t. ©e^r ä^nlid& unferem S)ur ift ber I^bifd^e ßird&enton. 6r
baut fid^ über F auf, unb toenn er, toaS fel^r ^öufig ift, b ftatt h auf=
nimmt, fo ge^t er rürffid^tlid& ber SEonfoIge ganj in unfere nad^ F berfe^te
C-Seiter über. SBirb aber h gebrandet, fo !ann man bieS al§ eine 9lrt
SÄobuIation nad& C erflären. 2)ie ^äufigfeit be§ aufgelöften S)reiflang§ f ac'
unb bie ungel^emmte S^ei^eit, mit ttjeld^er bie SJlelobie bie ganje £)lt(it)t
burd&Iäuft, erinnern fel^r an ben oben befd^riebenen ß^arafter be§ 3onifd&en.
S)ie F-SEonart finbet fid^ in einem unb bemfelben 9laturflange (f. 9?r. 49),
unb infofern ^at fie nid&t einmal eine leitereigene SÄobuIation ; bie auf=
fteigenbe Setoegung toirb^ um fo freier. 3n ber ^lagalform berliert ba§
obere c' feine aü^errfd^enbe 33ebeutung, toeil a Dominante mirb; aber ba§
untere c erfd^eint nun um fo häufiger, fo baB bon c big b (ober über h
bi§ d) ttjieber bie freicfte 35ett)egung ermöglid&t tt)irb. SBenn ber ^fortfd^ritt
bom untern c jum obern ftattfinbet, fo l^at man nad^ 5luffaffung ber 9llten
in f g ben JßerbinbungSton jtt)cier Setrad^orbe ju erfennen, toie bei ber
C-8eiter. S)a§ obere 3:etrad&orb ift gc'; e§ fonbert fid& felbftänbig ab,
S)ie G- unb F-3:onQrt beS a:^orQl8. 93
tüä^rcnb c§ in ber unmittelbaren SSerbinbung b liebt (bgl. bie Ant. ad
Magn. : quam suavis est). 2Bie olfo in C-S)ur (f. baS Alma Redemp-
toris oben 9?r. 100) ber SritonuS f h oft gar leinen Slnfto^ erregt, fo iji
e§ anä^ ^ier. ©elegcntlid^ fei barauf aufmerffam gemad&t, ba^ ber %xU
tonuS menigjienS unter ben ertoö^nten aSerl^öltnijfen über]^au|)t jiattl^aft
ift (bgl. für bie borif^e Sonart Ant. ad Magn. : Exi cito, ba§ ©rabuale
Sacerdotes ; für bie |)]^r5gifd&c ben brüten SSerS be§ Exsultet, ben bierten
be§ Te loseph celebrent; für bie miirol^bifd^c baS ©rabuale Qui sedes
[über et veni], ba§ Dffertorium Si ambulavero, bie ßommunio Omnes
gentes). @tma§ berbedt finbet fid^ ber Übergang bon f ju h unb um=
gefeiert fel^r oft. ®ie Q^urd&t bor bem JritonuS iji aud^ nid&t allein f^ulb
an ber @rfe§ung beS h burd^ b ; an ja^Ireid&en ©teilen trifft ba§ nid&t ju,
loie gleid^ bei bem borle^ten b ber folgenben $robe im Stejt unb in bem
eben genannten Exi cito, gfreilid^ "^at b immer tbenigfien^ eine berftedtte
Scjiel^ung ju f, nämlid^ al§ l^öd^fter Jon eine§ F-2:etrad&orb§ ; b giebt alfo
aDerbingö ber 3JleIobie, bie fid& in bem G-2:etrad^orb betoegte, eine faüenbe,
nad& f l^inneigenbe SRid^tung. S§ ift aber b bem ßl^oral bon alters l^er
eigen, obtool^I il^m bieüeidfet nur burd& bie griedöifd&e S^eorie bon ben 2WufiI=
geleierten aufgenötigt, ©eine öftl^etifdöe 93ebeutung entfprid)t ber ermäl^nten
faHenben Scnbenj. 9lebenbei fei bemerft, ba^ in bem obigen griedfeifd^en
§5mnu§ auf §eIiog (in ber E-Sonart) ber 3:ritonu§ mehrmals auffleigenb
unb abfteigenb erfd^eint. Übrigen^ ift berfelbe fd^on im 5RaturIIange ent=
galten (f. 5nr. 49 unter ben 3iffern 32 ff.).
9lfö ^robe flel^e ^ier ein ©rabuale im VI. mit einem ^falmberS im
V. 2:one:
E^^^^^^^ ^fe^' ^n^T^l^Aij^^
Pro-pe est Do-mi-nus o - nini-bus in-vo-can-ti-bus e - - um,
o - mni-bus qui in - vo-cant e - - um in ve-ri - ta - - tem.
^. Laudem Do - mi - ni lo - que-tur os me - um: et be - ne di - cat
mnis ca - ro no - men sanc-tum e - - - ins.
115. Über ben ßl^aralter ber F- unb 6-2eiter im aßgcmeinen ift ju
bem über C-®ur Str. 100 ©efagten nur toenig l^injUjufügen. 3n ber
F-Seiter ^at h bie S3ebeutung eines ^luffd^mungS in ba§ ©ebiet ber Duint c';
bagegen entbehrt bie 6-Seiter beS ß^oraI§ ber fraftboHen ©pannung, meldte
ein 3Serbinbung§ton jibifd&en beiben 3:etrad&orben ^erborrufen mürbe; fie ift
auf bie SDlobuIation in bie Quart eingerid^tet, toeld^e toieber c' ift. S3eibe
94 S)ritted StapM,
Xonarten paf\tn in bicfer ©cftolt ju unfercr Harmonie nid&t, [teilen aber
ben S)urci&aro!ter in jtDet bejeid^nenben Q^ormcn bar.
116. S)ie alten Sonarten (bie C-2eitcr anSgenommen) nel^men fi(^ mie
leife ©d&attierungen ber bei un§ gebröud^Ud&en S)ur= unb SWoHtonart au§.
S§ ift nidfet ju beftreiten, ba^ bie bcränberte Sage ber ^albtöne einen unter=
fd^iebenen 9lu§brucf giebt unb ben (Sang ber TOelobie mefentlid& beeinflußt.
2)ie d&arafteriftifd^en 3:öne unb 3:ongru|)|)en merben anbere unb treten in
ein neues SSer^ältniS ju einanber. ®a§ Setrad&orbf^ftem unb bie 5Reigung,
in recitatiber SBeife ober in eigentli^er älecitation eine Dominante nod^
«igen§ jur ©eltung ju bringen, enbUd^ ein jumal ju 5(nfang ber SJlelobien
fd&mäd^er toirfenbeS ©efü^^I für bie Stonila unb beren ©reiflang tragen ba§
ädrige baju bei, bie Sigenart beS &)oxal§t ju beftimmen. S)ie altgried&ifd&e
SJlufif, meldte auf bie Slömer überging, mar in biefer Sejie^ung bertoanbt, ob fie
nun auf bie ^ird&enmufif einen tiefer gel^enben ©influfe gel^abt l^at ober nidfet.
Unfer C-S)ur l^nt aüe Unterfd&iebe ber einen 3leil^e alter SEonarten t)er=
f^Iungen, ftatt \xä) bloß neben il^nen geltenb ju maii^en; bamit finb aber
bie jarten Unterfd^iebe jtnifd^en ben burftl^nlidfeen Seitern berf^tounben. ®od&
muß aner!annt merbcn, bafe aÜerbingS bie ßonfequenj unferer |)armonie
in ber G-Sonart notmenbig ben Seitton fis erl^eif^t unb in ber F-SEonart
bie übermäßige Cinaxt berf^mä^t. S)iefe ©rfd^einung ^ängt, toie gejagt,
mit ber in ®ur jum boHfommenften 9tu§brud gelangten Seftimmtl^eit unb
gfrei^eit beS gfortfd^ritteS unb Slbfd^IuffeS jufammen. 3ebe ber alten 2:on=
arten tt)irb mie burd^ einen !SW^ ^" ^^^^ ^oll^^ Steilheit beS natürlid^en
gortfd&ritte§ gehemmt unb ju ftrenger SWaß^altung genötigt. 9lur ba§
3onifd6e tnirft ben 309^ ^6. «nb felbft ber offijieße römif^e ß^oral an=
er!ennt burd^ bie Slufnal^me jonifd^er SWelobien, ja fd&on burd^ ba§ fo l^äufige
b im S^bifd^en bie Sered^tigung ber boHen Slaturfrei^eit. S3ereit§ ben ®ried&en
mar eine Seiter, mie unfer S)ur ift, gar nid&t unbefannt; aber eS fd&eint, baß
fie aud& l^ier toie bei anbern flünflen bor aüem bon ber ftrengen Sud^t ba§
^eil ertoarteten unb barum bie E-Seiter al§ ed^t l^eHenifd^ beborjugten.
9lud^ jene anbere ßigenart be§ gried&ifd&en ßunftfinneS, überall auf
bie feinften, un§ oft fleinlid^ erfd^einenben 2lu§brudf§mittel 33ebad&t ju nel^men,
erfennt man in ben alten SEonarten mieber. Übrigen^ ^aben mir gefeiten,
mie burd& SerboHftönbigung ber natürlid&en 2:etrad^orbe bie 9?aturleiter
(C-®ur) borübergel^enb mieber^ergefteDt mürbe. 9Inbererfeit§ l^aben mir i)tuU
jutage in ber |)armonie neue SKittel jur S)arfteIIung einer jeben ©d&attierung
ber @mpfinbung.
3ene 2Kaß]^aItung in ber Jonbemegung , meldte in ben alten Seitem
JU Sage tritt, mußte bem fird^Iid&en ©inne jufagen, mä^renb bie außer=
ürd^Iid^e SWufif bie entfeffelte S^rei^eit begierig ergriff unb nid^t feiten aud&
ju fünftlerifd^er 9WaßIofig!eit mißbraud^te.
Umgeftoltung ber Tonarten. 95
®a3 ©d&idfal bcr alten 50lolltöne i|l ein ül^nlid^eS gemefen. 3l\i^t nur
würben 2)orifd& unb 3blifd& öcrfd&moljen , fonbern beiben aud& burd^ bie
j^armonifd&e Sel^anblung ein bößig neues ©epröge aufgebrüdft. S)ennod&
muffen toir jagen, ba^ bie Strübungen unb Unregelmä^igfeiten unfereS 9)Zoß
einen großen Sieil ber in S)ur nid&t entl^altenen ©timmungSauSbrücfe ganj
gut miebergeben. 3)aS übrige ntu^ bie Harmonie erfe^en. Sine genaue
Slbfd&ä^ung beS SQBerteö ber äüern unb bcr neuern Tonarten bürfte jd&on
be§tt)egen fitoierig fein, meil eS bo4 borjüglid^ auf bie 2lrt ber |)anb=
l^abung, auf bie SRelobiebilbung felbft antommi. Sie Jlird^e l^ält mit g^ug
unb Sedfet an bem urfprünglid^ überlieferten unb altbemöl^rten ©efange fcft,
o^ne bie neuere SBeife ju bermerfen; benn fomo^I Sonarten wie 9ÄeIobien
beS (Ei)oxal% finb t^atfäd^Iid^ bem 3^^^^ ^^^ ^ird^engefangeS boHfommen
entft)re(iöenb, »dl^renb in ben rl^^tl^mif^en SSemegungen, dferomatif^en 9lus=
locid&ungen, lünfilid&en SKobuIationen unb melobifd^en g^ortfd&reitungen ber
mobemen 3KufiI öieleS bem ©otteSl^aufe minber* angemejfen ip ober bod&
ftärfer an profane 9läume erinnert.
117. S)ie obigen Erörterungen l^aben bereits jenes öftl^ctif^e Clement
bcS ©l^oralS berül^rt, toel^eS bie 2luSbübung ber neuern SÄufif angebal^nt
l^at. @S ift baS in il^m fd&Iummernbe ®efe§ ber |)armonie. 3Son ber
DItaben=, Quinten^ unb Quartenorbnung beS StonmaterialS brandet nidfet
mieber bie SRebe }u fein. Slber aud& bie gro^e Serj — unb barauf
lommt eS l^ier toefentlid^ an — madfet fidfe im ßl^oral neben ber Guart unb
Quint fel^r meröid^ geltenb ; ber aufgelöfle gro^e 2)reiflang finbet pd^ l^äufig.
SllleS bieS iel^rt, toie bie ^robe Str. 112 beweifi, audfe in ber gried^ifd&en
^Dlufi! toieber. Slu^erbem ift bemcrlenStoert bie Beliebtheit einer Steperluffion,
loeldöe bie fleine Serg als dfearalteriftifd^eS 3nterball ertönen lä^t. S)ie
l^armonifd^e Sebeutung audfe biefer 3:erj lag alfo im ©efül^Ie ber Sllten.
Seibe Serjen brandeten nur im toirllid&en S^f^mmenllange mit ^rim unb
Duint jur Slntoenbung ju fommen, fo toar bie ©runblage für bie moberne
SWufifenttoidflung gegeben. 9lufeerbem Hingt baS ©efü^I öon bem ®ur=
tetradfeorb als grunblegenb überall burd& unb öerbinben fid& SJur^ unb 3KolI=
breülänge (in aufgelöfter Sorm) nid&t feiten.
118. SBir bürfen nun, Don unferem ©tanbpunfte auf bie alte 5!Kufif
jurüiblidfenb , bie Sel^auptung bon 9?r. 100 toieber^olcn, bafe baS innerfte
SBefen ber ©l^oraltonarten fo gut toie baS unfereS ®ur unb SWoII auf einem
2)ur= ober 50loßbreiflange berul^e, ber aus einer Stonifa unb ben beiben näd&ft=
öertoanbten l^armonifd&en SEönen, nämlid^ ber %exi unb ber Duint, befielt ;
mit anbern SQBorten: eine DItableiter erl^ölt baburd^ ben SBert
einer mufüalifd^ braud&baren Sonart, bafe in il^r ein harter
ober toeid&er 2)reiIIang um alle 9JleIobietöne baS S3anb ber
ßinl^eit fd&Iingt. S)ie jtoifd&en ben brei Sönen beS 35reitIangeS unb
96 drittes ftapittl
ber Dftabe ctngefd^oBenen %önt jtnb SBermittlungStöne , toeld&e burd^ btos
tonifd&e SReil^enfoIgc ober eine anbete Sejtel^ung mit jenen biet öerBunbcn
fein muffen. Unfere SJurtonart mit großer 2:erj ifi bie einfad&jie ®runbs
form, in ber baS gin^eitsprinji}) ber Jonart fe^r glücflid^ jum SluSbruc!
lommt. Sitte anbern Jonarten pnb nidfet f^Ied^tl^in natürlid^, fonbcrn ent=
l&alten eine lünfilid&e (jugleid^ aber lünftlerifi toertbotte) Stbtoeid&ung t)on
ber Slaturleiter. SBaS toir in C-®ur gerabegu atö Slusmei^ung unb Ieitcr=
frembe Slbänberung bcjei^nen, baS ip in ben übrigen anerlannten 3:on=
arten als älegel f eftgeftettt morben ; eS ftnb fo juf agen toefentlid&e, nid&t toxU-
fürlid&e 9ÄobuIationen. SJland&e fünfilid&e Variationen ber C-2)urIciter l^aben
nämlid^ einen foI(i^en SQBert für ben öftl^etif^en SluSbrud, bafe bie reget
mäßige SDBieberl^oIung berfelben beliebt tourbe. ®a5 fd^eint unö bie bcjie
@rflärung für ia% ©ntfiel^en ber abtoei^enben Seitern gu fein.
5lnnä]^ernb gleid^e Sebeutung mit ber C-2)urtonIeiter ffaitn bie Jon*
arten bon F unb G. S)ic erflere l^at als eine im 3laturflange bereits ge=
gebene SEonrei^e fogar eine größere 3latürlid&leit ; aber bei ber ))raftif(i&en
|)anb]^abung bieten fi(i& einige ©^mierigfeiten. ©d^on baS Jetrad^orbf^flem
ber altern 3JlufiI lie^ bie reine Quart über ber Sonüa bermiffen, toeSl^alb
bei ben @rie(^en ein b ftatt h menigflenS jum !^mdt ber 9)lDbuIation ge=
braud&t unb im ß^oral einfad^ als Jaufd^mert eingefül^rt tourbe; bie ^ar=
monifd&e aJlufil !ann bottenbs ol^ne eine reine Quart über ber Jonüa gar
ni^t auSfommen. Somit toirb bie natürlid&fte Jonrei^e bod& tbatföd^Iidö
ju einer unboDfommenen Jon a r t ; jum Segriffe einer boDIommenen Jonart
gel^ört nömlid^ an6) bieS, ba^ fie für bie toe^felnben Sebürfniffe ber melobifd&s
^armonif(^en ftom|)ofition feine erl^ebli^en ©d&toierigfeiten biete. 9li(i&tS=
befiomeniger betoeifl ber nid&t feltene ®ebraud& ber F- Jonart in ber meIo=
bifd^en SWufif, ba^ bie entftel^enben ©d&toierigfeiten leineStoegS unüber=
toinblid^ finb.
S)oS aJlijoI^bifd&e ber 5ttlten (bie G- Jonart) bariiert bie OS)urIeiter
burdö Unterbrüdung beS SSerbinbungStoneS ber beiben Jetrad^orbe ; man
fönnte bieS als leitereigene 9KobuIation in bie Quart, alfo auS ber G-2eiter
in bie C-2eiter, anfe^en.
®aS 3)orif4e fe§t um beS befonbern äft^etifd&en SluSbrucfS toitten ftatt
ber großen bie Heine Jcrj ein, aber nur unmittelbar über ber Jonila unb
über ber Quint, mäl^renb über ber Quart bielfad^ unb eigentlid^ regelmöfeig
bie gro^e Jerj gh bleibt, bie ben Unterfd^ieb bon bem fel^r äl^nlid^ ge=
ftalteten Slolifd^ (mit fleiner ©ejt) barftettt. S)ie Heine Jerj belommt einen
eigenartigen SZBert burd^ bie ftißfd&toeigenbe 3SergIeid&ung mit ber bon bem
natürlid)en ©efü^Ie ertoarteten großen Jerj. Unfer 9Wott ift borjüglid^ um
beS bottfommenen ©d&IuffeS toitten abermals umgeftaltet toorben, erhält aber
burd^ ben großen SDreiflang ber Dominante eine eigentümlid&e gförbung.
Umgeflaltung ber Zonaxttn.
97
S)er ®e6rau4 be§ b in allen ftird&entonarten min ttxoa§f mel^r Bebauten
als bei unS eine einfad&e SluStoeid^ung , »aS fid^ barauS Har ergiebt, bafe
eS cincrfeits ber einjige, anbererfeits ein fo ungemein beliebter (j^romatiftier
%on ip. SBir fjaitn fd&on oben (Str. 102) mal^rf^einli^ gemad^t, ba^ eS
gemiffemta^en fein d&romatifd^er 2:ün ifi, fonbem ba^ bie biatonifd^c Seiter
Don ^auS aus fo gut b mie h juläfet; b gel^ört ber biatonifd&en Seiter
eines anbern gunbamentaltöneS an, ju bcm bie übrigen Stöne ber 0!tab=
leiter, in meld&e eS eingefd^oben toirb, gleid&faKS gel^ören lönnen. 3" i>5cfftt
fügt eS pd^ alfo ebenfo gut toie h.
3u aßen genannten Slbmei^ungen bon ber (getüiffemiafeen) als SRorm
öorauSgefe^ten C-S)urleiter lommen nun nod^ bie Heinen Variationen ber
|)^t]^agoreif(i&en ober ber temperierten ©timmung, öon benen 5Rr. 81 ff. bie
3lebe toar. Unter einer gejd&idtten ffünftler^anb iann bieS aKeS nun jum
äpl^etifd&en 9luSbrucf ber Stimmung, cbenfo gut mie pariere 34)nbiponanjen,
öertoertet toerben.
3)ie le^te Stufe ber C-3)urIeiter , nömlid^ h, lönnte »ol^I auä) als
3:oni!a einer neuen Tonart biencn ; ba träte aber aufeer bem SritonuS über f,
loeld&er allerbingS geringere ©d&mierigfeit l^ätte, nod& bie öerminberte Ouint
hf in bie 2:onIeiter ein. Slid^tSbepotoeniger ip il^re Slntoenbung nid&t un=
erl^ört, unb aud& einjelne Sl^eoretifer beS SKittelalterS nal^men t^atfö^Iid^
jtoei R"%Dnattm als XI. unb XII. Xon an unb teilten ben beiben C-SJ:on=
arten bie Siff^^n XIII unb XIV ju. ©lareanS „SJobefad^orbon" beutet
aber fd^on burciö feinen 3:itel auf nur jmölf Stonarten, unb im ofpjieHen
©l^oral pnbet [xä) leine 9ÄeIobie einer H-8eiter.
}ßüpnittcts 4)ine|lfid)es Citlt.
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SfünfPupge Sciter, tote in ber ®onfuciu8«§^mnc oben @. 26; bie D-2:onart tft
^ter ebenfo au8gef|)ro(^en xon bort bie A-^onart.
«ietmann, tjtl^etif. 3. Seit.
98 S&ierted StapM.
119» 9lu§ ber 9Wuftfgcf(^id&te berühren mir ^icr nur einige toenige
%f)at\aä)tn, totli)t SQBefen unb SBert ber muftfalifd^en 2:onarten in§ Sid&t
fteflen; au^erbem mirb un§ ber SH^^t^muS beS ß^orotö befd^äftigen unb
ftl^nlid^e äPetifd^e (Slemente ber 2Kuftf , bie [xä^ eben borbieten ; ber ®e[td^t§=
|)un!t, unter toeld&em mir bie ®efd&id&tc be§ 6^oraI§, inäbefonbere ber 2:on=
arten, bi§ in bie ölteften 3^^*^^^ ^^"" ^^^ ^o^ f^ Püd&tig, berfolgen,
bleibt ber äfH^etifd^e. SSon ben ßl^oraltonarten ober bürfen mir an^ f)\tx
ttuSgel^en, meil fie im 9ÄitteH)unItc ber altern 3Mu[i!gefci&i(^te [teilen.
35a§ ©tubium ber 2:onarten mic überl^aupt be§ altern ©l^orals fe^t
einen juberläffigen Sejct borauS. SBa§ nun unfern offijießen SEejt anlangt,
fo l^ei^t er nur barum autl^entif d^ , meil er ber bon ber ffird^e für ben
liturgifd^en ©otte^bienfi borgefd&riebene i|l unb im mefentlid^en allerbing§
bon bem alten nid^t abmeldet. 2Bir miffen aber, bag im Saufe ber Seit
fomo^I in anbern ^punlten mie inSbefonbere in ben Tonarten ber ßird^en=
gefönge er^eblid^e Stnberungen eingetreten ftnb. 3)ie Unterfud&ung be§ öltem
3uflanbe§ ^at gegenmörtig !einen unmittelbar |)ra!tif d^en , aber immer nod^
einen tl^eoretifd&en SBert.
®ie f ranjöfif d^ = belgifd&en Senebiftiner l^aben baS aSerbienjl, fid6
eingel^enb mit ber miffenfd^aftlid&en |)erftel(ung beS ©regorianifd&en ßl^orafö
befd^äftigt ju ^aben. SSor alten ift ®om ^otl^ier ju nennen mit feiner
ß^oralfd^ule Les Mälodies grögoriennes unb bem au^ jmanjigjö^rigem
©tubium ber älteflen ^onbfd&riften ^erborgegangenen Liber gradualis.
©obann fommt ba§ großartig angelegte SBerl Paleographie musicale in
Setrad&t, an bem S)om SÄocquereau einen ^erborragcnben 9lntcU l^at.
2)ie ßrgebniffe bie[er tJorfd^ungen l^at ^eter SBagner in feiner „@in=
fü^rung in bie gregorianifd^en SJlelobien'' Ina<)j) jufammengefafet unb f^fte=
matifd& ausgebaut.
120. S)er le^tere befd^öftigt fid^ nid&t jum menigflen mit bem ©^fteme
ber alten 2:onarten. 6r finbet im Liber gradualis äße fieben Tonarten,
meldfee in ber biatonifd&en Jonleiter möglid^ finb, alfo neben D, E, F unb
G aud& A, C unb fogar H. S)a§ folgenbe S3eif})iel aud^ für bie H-Xonart
mirb fid& in ber %i)at nid^t abmeifen loffen:
Tol-li-te ho - sti-as et in-tro-i - - te in a - - tri-a e - - ius:
ho.
^-»- ^ — ^'^^ — i r- , ir^ ==^=^iP^^g== ^^— ^-^ ^
a - do - ra - te Do - mi - num in au - la sanc - ta e - - ius.
2)ic 3:ottifa unb beten Xerj wirb na(i&brü(flid& betont, toenn aiiä^ in
ben mittlem Slbfd&nitten na^ c' a f mobullert toirb. S)a§ Xetxaä^oxt über h
wirb gleid^ ju 9lnfang auf unb ab Vorgetragen. @§ fann feine @(i&tt)ierig=
feit maä^m, ba^ bie üemtinberte Duint f nid^t erfd&eint. 2)ie S5erglei(J6ung
mit ber Communio ber offijießen 2fu§ga6c jeigt, bofe bie 3MeIobie toefentlic^
butd^auS biefelbe geblieben, aber bereinfad^t unb nad& e ttan§t)oniert ift.
®ie 9lu]^et)unfte finb ettoaS beffer auf ber SCerg^ ber Stonifa, ber oberjien
©tufe be§ 3:onifa=3:etra(i&orb§ unb mieber auf ber 3:onita angebrad^t;
fiatt ber Quint tritt, ttjie fonft, in ber E-5Eonart c' ein. 3n ä^nlid&er
aSJeife erfd&eint ba§ ©rabuale ToUite hostias ber autl^entifd^en 9lu§gabe
(V. 3:on mit b) im Liber gradualis nod& al§ C-Stonart.
S3efanntlid& fpred&en aud& bie 3Rufift]^eoretifer beS 9KitteIaIter§ tr)ieber=
l^olt t)on anbern afö ben getpöl^nlid&en bier g^lnalen D, E, F unb G, unb
jwar, toie e§ fd^eint, in brei Quöllen : ttjenn bie SDlelobie transponiert, toenn
ber ©d^IuB in ber 3:er} ober Duint ber 3:onifa gemad^t ober nad^ bem
3ld&ttonf5ftem über^aut)t unregelmäßig ift. Sei ber 3:ran8t)ofition tüerben
itad^ Kot ton (Musica c. 14) ftatt ber ^finales bie 9lffine§ eingefejt. @o
fönnen tran§})oniert merben bie Sonarten D unb A, E unb H, F unb C.
@uibo t)on (5arilocu§ in feinen Regulae de arte musica (Coussemaker,
Scriptores 11, 150 sqq.) läßt, abgefel^en öon biefen 3:ran§t)ofitionen, aud&
fonft bei ber D- unb E-Stonart a ate ©onfinale ju unb fagt einfad^, bafe
bie untern fed&§ SEöne aud& in ber Duint fd^Iiefeen bürfen, ja bieg fei bei
bem VI. Stone ba§ ©ettJöl^nlid&e. 3)a§ Tonale S. Bernardi unb %ibiu§
bon 3ömora reben ungefähr ebenfo (Gerbert, Script. 11, 266 sqq. 387).
@uibo bon 9lrejjo felbft fagt furjttjeg, bie Modi I. 11. III. enbeten in ber
^lagalform biStoeilen auf a, h, c (Gerbert 1. c. p. 13); er bejeid&net
fold&e ©d&Iüffe für gettjiffe gäKe al§ unbermeiblid^ , offenbar ttjeil fid& bie
^Melobien fonft nid&t in ba§ Softem fügen, fo bafe er alfo bie gfinalen a h c
gerabeju afö regelred&t fanttioniert. S)aS ©rabuale ToUite portas l^at,
tt)ie in ber offiziellen, fo aud^ in ber ^ot^ierfd&en 3Iu§gabe a als ^finale,
unb menn ber (Suibo bon 9lrejjo jugefd&riebene Tractatus correctorius
bagegen eifert, fo bctoeift bieg eben bod&, baß bie SWelobie fd&on bamal§
in a gelungen tourbc. 3)erfeI6e ©uibo bon SIrejjo fprid&t nod& bon anbern
©tüdfen mit ben Spinalen a unb c (Gerbert 1. c. p. 52 sqq.). Unregel=
mäfeigleiten in ben ^finalen merben über]^aut)t nid&t feiten namhaft gcmad&t,
j. SS. bei Gerbert I. c. I, 52. 231 unb Coussemaker 1. c. II, 95. 105.
aSor allem le^rreid^ finb bie 2öorte 9lurelian§ bon Sft^ome (um 850):
einige ©önger l^ätten iti)auptü, ba^ gemiffe 3Intip^onen fid& nid&t in bie
ad^t Stonarten einreil^en liefen, unb barum l^abe ffarl ber ©ro^e bier neue
5töne eingeführt, unb aud6 bie ©ried&en l^ötten fie alsbalb fid& jugeeignet;
CS fei aber biefe Steuerung unnötig, ba fid& jene 9lntip]^onen immer auf bie
7*
M
100
fßinm StapM,
übrigen jurädfü^ren liegen. 99tg bo^in l^ätte fid^ ja auc^ fotool^I bte
römifd^e toie bie gried&ifd^e ftirific in 2fnti|)]^onen, SRefponforien, Offertorien
unb Äommuniotten an bcn alten 2:onartcn genügen laffcn (Gerbert L c.
I, 41 sq.). 9lu§ biefen unb anbern S^wflniffen ber alten ©d&riftfteDer er=
fte^t man, ba| baS Sld^ttonf^ßem fd^on im 9. Sal^tl^unbert aUer^anb ©d^kDierig=
leiten bot, unb bag man ftd^ gegen bie Slnnal^me neuer 2:onarten für bcn
älteften ß^oral nid&t alljufel^r Pröuben barf. 3freilid& ergiebt fid& au3 ben=
felben S^wö^^iff^"/ ^^fe wian fid& auä) nid^t fd&meid&eln barf, in bcm Liber
gradualis t)on ^otl^ier bie einjig urft)rünglid&e SeSart ber ^eiligen ®e=
fange ju befi|en; man toirb l^ier nur ber DueDe um ein bebeutcnbeS
näl^er gefül^rt.
S)ieS festere gilt »ie bon ben Tonarten fo aud& bon ber 3ö^l unb
aSerteilung ber5loten einer gegebenen IKelobie; bcnn bie amtlid^e SluS=
gäbe ^at be!anntlid& eine SRebuÖion ber langen 5IKeli§men borgenommen unb
eine ettoaS üerfd&icbene 5Rotent)erteilung öorgejogen. 2Ran braud&t nur einige
©tid&})roben anjufteHen, um fofort bie größere ßiufad^l^eit ber fird^lid&en
SluSgabe unb ben ©runbfa^ als maggebenb ju erfenncn, in ber 5Roten=
Verteilung bem natürlid&en SBortaccent einen großem Sinflufe ju gefiatten.
SnSbefonbere ftnb bie e^ebem fo beliebten SWeliSmen ber tonlofen ßnbfilben
aus bem hoppdtm angeführten ©runbe bebeutenb eingefd&ränit Sorben. SBir
greifen aufS ©eratemo^l ein 93eifpiel ^erauS; bie Kommunio Unam petii
l^at bei ^ot^ier unb bei Ruftet folgenben Slnfang:
^oti^icr.
ü-nam pe - ti - i
«Puftct.
n n II»- iip — . PI
a Do - mi-no
hanc
re - - - qui - ram.
^Ac
♦=ft
Ä^
^fc^^*5fc=ftt
U - nam pe - ti - i a Do - mi - no hanc re - - qui - - ram.
S)ie Stonart unb ber ®ang ber ajlelobie ift bciberfeits Völlig gleid^; aber
tt)ie merflidö finb nid&t bie ©itben no, hanc unb re entlaftet »orben!
S)a§ S^d ber Paleographie ttjirb im vierten ffapitel be3 I. SSanbeS
(©. 29) ba^in beftimmt, ba6 bie urfprünglid&e SeSart be§ gregorianifd&en
©efangeS l^ergefieHt unb bann bor allem bie Siegeln be§ Vortrages, ber
SR^^t^muS im meiteflen Sinne be§ SöorteS, ermittelt »erben foDe. S)ie
erfte Slufgabe galten bie Herausgeber unb SBagner mit il^nen burd^ ben
abbrudf ber ^anbf Triften beS 11. unb 12. 3a^r^unbertS für gelöft. aWit
bem jttjeiten fünfte, nämlid& mit ber SRl^^t^muSfrage ober ber Seftimmung
beS StonmerteS, ber Sonberbinbung unb ber ©lieberung ber SDlelobie, be=
fd&äftigen fie fid& ganj bortoiegenb. ©ie ge^en bon ber rid&tigen 9lnfd^auung
aus, ba^ bie SJlelobie erft burd& ben SRl^^t^muS belebt wirb unb inSbcfonbere
^te Pal^ographie musicale üBer bie ^falmobie. IQl
QUd& bcm ß^oralüortrag ntd^ts fo großen ßintrög tl^ut toie ein Slbfingcn
o^m toal^rl^aft fünftlerifd^c SR^^t^mtficrung. S)amit toirb feinc§tDeg§ an bcn
3:aftr]^^tl^tnu§ bcr mobcrnen SWuftf ober ber mtttclaltcritd&cn 3McnfuraImufit
gcbod&t, fonbcrn an einen jugleid^ freien unb bod& bur(^ gctoiffe ®runb=
regeln georbneten SR^^tl^muS. &% ift ein 2lccent= unb nid&t ein Duatttität§=
rl^tjtl^muS, für ben nid&t eigentlid^ bie SDauer ber flöten, fonbern bie 3lbftufung
bcS 3ctu§ ober ber 3Iten ma^ge6Ii(^ ift.
121. SDie ©rl^ö^ung unb ©(i&ärfung einer SBortfilbe burd^ bcn 9(ccent,
fotüie bie naturgemäß fiift ergebenbe Slbfd&ttJäd&ung unb ©enfung ber nid&t
betonten ©ilben, 6efonber§ am ©d&Iuffe ber SBorte, ber ©abteile unb be§
©a^e§, alfo ber Sfflorts unb ©ajton ober ber tonifd&e unb ber oratorifd&e
9(ccent, bebingen baS rl^^tl^mifd^^melobifd^e Clement in ber ^pxaä)z, ffein
2Bunber, tocnn ber freie Sft^^tl^muS ber Iir(i&Iid&en SSofalmupf fid& an ben
ttjed^felnben ©ang ber Stimme beim ©t)red&en bejto. feierlid&en SRecitieren
eines SBorttejteS anfd^Iofe. Sei ber ^falmobie faßt bie)e§ in bie 9Iugen.
3)ic ambropanifd&e ^falmobie l^at nur einen öariierten ©d^Iufe ; aße§ übrige
toirb auf einem 2:one recitiert. 3)ie ^falmtöne beS gregorianif(^en ßl^orafö
toeifcn bagegen Initium, Tenor, Mediatio unb Finis auf. 2)ie SSerjierung
beS 2fnfang§ finbet nur bei ber feierli(i&en Intonation ftatt; e§ tft aber
Döllig angemeffen, baß bie ©timme ftdö au§ ber Siefe ftufentoeife jur
Dominante, bem 2:enor, ergebt. S)ie 9Jlebiatio entl^ölt eine ©r^ebung über
bie Dominante unb fteßt baburd^ ben |)ö]^et)unlt ber 9JleIobie bar; eine gern
bomit öerbunbene ©enfung maä^t bie Srl^ebung nod^ »irifamer. S)er 3=ini§
fül^rt geiDöl^nlidö bem ©runbtonc ber SConart mieber entgegen, üon toeld^em
baS Snitium emporfül^rte ; Steigen unb fjaßen, Spannung unb fiöfung, bie
©runbelemente ber ©d&önl^eit ber mufifalifd^en Semegung finben bemnad^
in ben ^falmtöncn il^ren SluSbrudf. 5D?an fann in ber ÜJlebiatio unb im
SfiniS eine 5lad&bilbung ber ©timmbcmegung in ber 9Kitte unb am ©d&Iuffe
eine§ gef})ro(i&enen @a§e§ fe^en; C^ebung unb ©enfung bcr SJlelobie be=
gleiten in angemeffener SBeife ben Sffled&fel jmifd^en bem SBortton unb ber
folgenben tonlofen ©übe ober jioifd&en je jmei SBortacccnten unb bcn }u=
gel^örigen ©enfungen. 3)a§ 3nitium tritt bagegen fd&on me^r ober toeniger
in ®egenfa§ jur natürlid&en Betonung bc§ SejteS.
122. 2)ie ^falmöbie bc§ 3ntroitu§ unb ber Sftefponforien ^at ben=
felben melobifd&en ®ang in berjiertercr ©cftalt, j. 33. (3ntroitu§ In-
vocabit me):
Qui ha - bi - tat in ad - iu - to - ri - o AI - tis - si - mi,
^m^^^m
in pro-tec - ti - o - ne De - i coe-li com - mo - ra - bi - tur.
102 SJiertc« ^apittl
S)er aSerS beginnt mit bcr SEonila g, crl^cbt fid^ jur S)ominonte c', bcnü^t
bic SWebiatio, um 3:crj unb Duint ^ören ju laffen, unb bcDorjugt bei ber
©d^Iu^fobenj bie ^prim, fo ba^ mon im SSerloufe ber 5WeIobie neben ber
Dominante ber ülecitation bic d&aralterijiififien Xöne ber SEonart beutlid^
bernimmt; anä^ im britten unb öierten Xone wirb ©orgc getrogen, bafe
gegen 6nbe ober in ber IKitte SEerj unb Quint öon e berührt toerben,
unb bnS nämli(i&e mieber^olt fi(i& bei bem folgenben ©loria (j 8. beim '
3ntroitu§ De necessitatibus ober Cum aanctificatus fuero).
3)er ^falmberS beS 3ntroituS f)at für jeben Son feine fefke 3Kobu=
lation, fo bafe eine unb biefelbe fid^ in etma jmanjig t)erf(]&iebenen SKefe::
eingängen angetoenbet finbet (SBogner o. a. O. ©. 263 ff.). S)er 9leci=
tation ift e§ eigentümli(]& , bafe, mie ber SSerSbau bc§ StejteS, au(i& bie
SWelobie fid& befiänbig mieberl^olt (nai) bem SSorbilbe beS SWetrumS in ber
recitatiöcn epifd&en ^oefie).
123, 6ine äl^nlid&e Übertragung einer ©runbmelobie ouf Diele SEejte
finbet bei bcn 3:ractuS, ©robualien unb 9lßeluia ftatt; man xtä^mt anä)
biefe ju ben pfalmobifd&en ©tüden, meil jmar nid&t bie IKebiatio, aber
bod& ba§ 3nitium, ber ^iniS unb teitoeife aud^ ber 2>nor beutlid^ ju bes
obad&ten finb (Pal^ogr. HI, 25; bgl. 31 ss.), 2lfö aKufterbeifpiel bient
baS ©rabuale lustus ut palma; man fann e§ in bcr autl^entifd&en 3luS=
gäbe leid&t nad&fe^en; eS fielet l^ier mefentlid^ in gleid&er ©eftalt unb aud^
in berfelben A-SEonart, Ȋl^renb im 9. 3al^rl^unbert nad& bem 3^^pi^
be§ 9lurelian biefe SJlelobie in bem IV. 2:one ftanb. SWan lann in
biefer Sompofition ad&t ©ä|e ober ^ßerioben unterf d&eiben , wie anä^ nod&
burdö bie fenfred^ten ©trid&e ber amtlid&en 9lu§gabe angebeutet mirb. 3n
ber neuem Raffung ift bie Dominante ober ber Xenor etmaS meniger
beutlid^ erfennbar; bie SSerteilung ber berfiiriten 3Jleli§men auf bie 2:on=
filben jeugt aber t)on bem Streben, ber natürlid^en 2)efIamation be§ XejteS
nä^er ju lommen. 3n ber Raffung ber Paleographie fann man leidster
eine Dominante erfennen ; aber fie med&felt nad& ben 5ßerioben unb entf<)rid&t
alfo bod^ nid^t red&t ber Dominante ber ^falmtöne, toie aud& bie S^^^^Q^M
in ad&t ^erioben eine freie Sel^anblung erfennen läfet. 3lu^er ben betonten
©üben ^aben mehrere ©nbfüben lange 3KeUSmen: in bem SBorte Libani
^at.bie ©d&lupbe fiebenje^n, bie ©übe ba fünf, bie 9lnfang§filbe nur
eine 5Rote; in ber amtlid&en 9lu§gabe bagegen finb bie Serl^ältniffe ganj
anbere unb natürlid^er. 9lu§ ben genannten Umftönben bürfte man tool^I
ben ©d^Iufe jie^en^ ba^ fold&e SKelobien bod& tooi)l beffer nid&t ben pfal=
mobifd&en beigeja^It merben. 3mmer^in ift bie gntbedtung 9KocquereauS
t)on ber Slnmenbung fo mand^er berartigen SJlelobien auf eine ganje Seilte
üerfd^iebener Sejte für bie äft^etifd^e Beurteilung bcS 6^oraI§ öon ?3e=
beutung. SBir merben balb (5lr. 135) feigen, bafe öon ben Slntipl^onen
gleid^faH^ nad^jumeifen ift , toie au§ einem gegebenen meIobi[d^en 'SSftma
eine lange Steige üon Slnttp^onen gebilbet »erben. Sie 9KuftI berbanft
il^ren SReij oft gerobe bem Umftanbc, ba^ ber $örer jugleid^ teils 3ltvitl^
teils SHbelannteS Dernimmt; baS leitete berfte^t er beffer unb berfolgt er
mit befto größerer gfreube in feiner gfortentttidlung ju neuen melobifd&en
©ebilben. ©d^on in ben arifiotelifd^en Problemen l^eifet e§: ein öorl^er
fd^on belannter ®efang gefalle barum beffer, tt)eil bie Sul&örer nun ben
©änger urteilcnb unb f^mpatl^ifierenb begleiten (^robl. 19, 40). 5IKan
mufe fid& alfo pten, barin fofort ein 3lrmut3}eugmS ber iJird^cnmufi! ju
feigen. @in SeugniS il^rer ßinfad&l^eit ift eS allerbingS; aber ift eS nid^t
oft gerabe baS @infad^e, maS fid^, toenn eS anberg innern SBert l^at, am
toenigften abnäht?
124* ®icPaleographie erfennt nur in Slntipl^onen, SRefponforicn u. f. tt).
bie freie, nid&t t)faImobifd^e g^orm bc§ gregorianifd&cn ®efange§ unb »in
obenbrein aud& ^ier 3nitium, 2:enor unb Äabenj, alfo bie ©runblinien ber
^falmobie, mieberfinben ; aUeS, maS man ba an toeßenförmiger Semegung
in ben 2Relobien getoa^re, berul^e ebenfalls auf ben beiben 3:e|taccenten,
bem SBortton unb bem oratorifd&en ober @a|tone. ®od& »irb jugegeben,
bap ftd& bie einfad&e Sinie ber ^pfalmmobulation oft öermifd&e; bann aber
bleibt aud& nid^tS anbereS me^r übrig als jene nottoenbige Semegung nad&
oben unb unten, meldte bie IKelobie Don il^rem 9IuSgangS})unIte, ber regel-
red^t in ber 2:iefe liegt, ju il^rem f)öl^epunlt ober ju bem 5ßun!te ber
ftärfften Slnfpannung unb Don ba abttärts bis jum natürlid^n Slul^epunftc
burd&Iöuft. 2Jlan barf bann allerbingS immer nod& auf bie ^ionabftufung
ber gemöl^nüd&en ober ber gel^obenen SRebe öermeifen ; aber aud& jebe anbere,
nid&t auf einen beftimmten jEejt gefegte SRelobie »irb eine ä^nlid^e 33e=
megungSUnie befd^reiben.
125. Sffiid&tiger ift bie S3emerfung ber Palöographie, bafe bie ftärler t)er=
jierten 2WeIobien fid^ aud& toeiter bon bem natürlid&en SBorttonc ju entfernen
t)flegen. S)ieS ift in unferem offijiellen ?KeIobietejte toeniger als in bem
altern, meldten bie Senebiftiner l^ergefteDt l^aben, ju beobad&ten. 3)icfe 9lb=
meid^ung ber mufifalifd^en ^Betonung t)on ber natürlid^en lö^t fid^ unfd^mer
begreifen. ®ie SJlufil ^at immer eine geteiffe ^reil^eit in ber 33e^anblung
beS 3:ejteS beanfprud&t , unb bie langen 9MeüSmen auf unbetonten ©üben,
jumal auf ben @nbfilben eines mufilalifd^en ©a^eS, entl^ölt nid^t nur baS
^ßotl^ierfd&e ©rabuale, fonbern fte finb bereits in ben Sleumenbüd&ern beS
9. ober 10. 3a^r!^unbertS augenfd&einHd& ju fe^en. 6ine jtoeite grage ift
eS freilid^, ob toir barin eine befonbere ©d&önl^eit ober aber nid&tS als eine
©igcnl^eit jener 3^it i« erfennen l^aben. @S lommt ba ber (Sefd&mad
öerfd&iebener SSölIer mit in Setrad&t: in einem einzelnen gfalle lann eine
fold^e rein mufifalifd&e Verbrämung beS SejteS gut ober fd&Ied&t angebrad^t
104 fßitxtt^ StapM.
fein, ©egcn bte Slnpreifung bcrfelben burd^ bie Paleographie unb burd&
SBogncr läfet ftd& ba§ ^tinjii) geltcnb mad^en, bafe bie SSoIaltnuftf M im
attgemcittcn eng on ben SEcjt anfd^Iic^cn muffe, um iftrcn ß^arolter rein
ju httoaffxtn; cbenfo fprid&t bagcgen bie SEI^atf ad^e , bafe nid^t nur bie Ur=
lieber ber Medicaea, au3 meld^er bie römifd^e ^u^gabe gefloffen ift, geglaubt
ffäbzn, [xäf öiel ftrenger an ben %zii l^alten ju muffen, fonbcm bafe fd&on
im 10. Sa^rl^unbcrt bie ©equenjen an bie ©teße ber (SnbmeliSmen gefegt
»orben finb, unb ba^ ©uibo bon Slrejjo eS unfd&ön finbet, tt)enn bie 9Re=
lobic in einen getoiffen 2Biberfl3rud& gegen bie SEejiBetonung trete. SDlan
»irb baS eine »ie ba3 anbere ber fid& entgegenfte^enben ^rinji|)ien nid&t
}U fel^r betonen bürfen: fotool^I ber 3:cjt »ie bie SRelobie Bel^au|)ten in
ber SSoIalmupI eine getoiffe ©elbfiänbigfeit ; ift bie 2ReIobie baS erfie, fo
mirb ber 2)id^ter beS %tite^ fid^ nid^t immer f^inlid^ an bie rl^^tl^mifd^en
aSerl^ältniffe ber SRelobie l^alten; ift aber ber SEejt ba§ erftc, fo toirb fid^
bie betoeglid^ere SWufit nod& öicl toeniger an aße 2:onöerl^äItniffe ber ©t)rad&e
binben. 3)ie ßnbmeliSmen fönnen als mufüaßfd&er jubilus, in »eld^em
bie burd^ ben ®ang ber 2:ejttDorte einigermaßen bel^inberte Stimmung am
©d&Iuffc fid& frei auSpngt, red&t »o^I begriffen »erben, unb toenn ettoa
auf bie jmeitc ®\lbe bon Dominus me^r Sloten lommen als auf bie erfie,
fo finb ä^nlid^e S)inge in ber t)rofanen 93lufil nid&t feiten unb l^aben in
ber Sefd&affenl^eit ber beabfid&tigten 34)ngrut)pen il^ren mufüalifd&en ©runb ;
SebürfniS nad& Slbmed&Slung unb äl^nlid&e Umftänbe fönnen nid^t minber
il^re ©eltung beanfprud^en. StmaS gelünftelt ift aber benno(^ bie äted^tr
fertigung ber 2ReIiSmen auf ganj tonlofen ©üben in ber Paleographie;
es fön ba mal^rfd^einlid^ gemad^t merben, baß gerabe bie tonlofen ©Üben
jur Slufnal^me längerer 3lotengru|)t)en geeigneter feien als bie fd^arf betonten.
126* @S muß ttjunberne^men, mie biefelben ©elel^rten, »eld&e rüdE=
fid^tlid^ ber SWeliSmen baS Sted&t ber 5IKuft! in übertriebener SOöeife betonen,
bod& bei gemiffen Gelegenheiten unfereS 33ebän!enS ben ßinfluß beS SBort=
unb ©a^accenteS auf bie ßntmirflung beS ürd&Iid&en ©efangeS nod& eins
feitiger l^erborl^eben. S)ie Sfnfid^t, baß ber ßird^engefang aus ber einfad&ften
^falmobie gerabeju l^erborgemad&fen fei unb barum eigentlid^ überaD nod&
©|)uren biefeS feines UrfprungeS an ftd& trage, !ann faum größern 2öert
als ben einer geiftreid^ üerteibigten |)^t)ot^efe in 3lnf})rud^ nel^men. S)a^er
ift benn aud& bie ©reite, in ber bie Se^re öom fogen. flurfus, b. 1^. öon
ben aus bem Sejtr^^ti^muS ermad&fenen mufifalifd&en ffabenjen, auSgefül^rt
mirb (im IV. Sanbc ber Paleographie), nid&t bem mirflid&en SBerte
biefer S^eorie entf})red&enb. ©old&e Sabenjen merben fid^ für bie recitatiöe
SRufif bon felbft ergeben, ober infofern fie bod& ein eigenartiges ®e|)räge
annehmen, entfte^t »ieber bie 3^rage, ob fie nid&t mel^r äft^etifd^en als
l^iftorifd^en ß^aralter ^aben; wenn fie alfo ju einem fid&ern Äennjeid&en
S)cr „ÄurfuS". 105
für bie ©ntftcl^ungöjeit ber cinjcinen Seile bcS ß^oral§ gemod&t »erben
foHen, fo erl^eben fid^ aßer^onb Scbenfen. 3m 11. 3o^^unbert toax ja
bieSe^re bon biefen befonber§ mol^ltfingenben ©a|fd&Iüffcn fe^r auSgebilbet;
aud& im SÜtertum unb ju 9lnfang be§ SRitteloIterS rebete man in ber
gil^etoril t)iel bon beriet Äünfien, aber tannman nun fd&on einfad^ folgern,
bap bie fe^r melobiöfen fflaufeln ber ^räfation, be§ Exultet u. f. to.
il^rcn Urft)rung in jener öltefien ^eriobe l^aben, »eil erft im 14. 3a!^r=
l^unbert »ieber mel^r öom fturfu§ gefd^rieben »irb? @§ ift bod& leid&t, in
ber erftcn beften beutfd&en ^rofa bie in ber Pal^qgraphie aufgefleDten fta=
bcnjen auf jeber ©eite nad&ju»eif en ; bafe ftd& aber bie recitotiöc 5IKu[if,
it rmf)x [ie eben recitatib ift, befto e^er biefelben aneignet, fann nid&t »unber=
nel^men. 6in Seifpiel bietet gleid^ baS erfte älecitatib ber „@(i&öt)fung" ;
3nitium, Slenor unb 3fini§ finb ba unberfennbar, unb }»eimal »irb gleid&
anfong§ ber Cursus planus, ber eine |)auptft)ccie§ im SJMttelalter bilbete,
ange»enbet.
127. SDie gnhoidlung be§ ß^oralr^^t^muä au§ bem Slccente ber. Iatei=
nifd&en ©t)rad&e unb bem barauf berul^nben ßurfu§ fül&rt nun befonberS
aOBagner auf eine eigentümlid&e Slnfid&t bon ber |)er!unft beö fird^Iid&en aHufif=
f9ftem§. ©el^r annehmbar ift freilid^ bie S^i^üdffü^rung ber gregorianif(i&en
^falmobie unb 5Dlufif über]^au|)t auf bie ältere ambrofianifd&e. 3)ie 5Roten=
l^anbfd&riften ber le^tem reid&en g»ar ebenfo»enig über baS 11. Sal^rl^unbert
hinaus ; bie f)aut)tquelle bilbet nämlid^ bie bon Äienle 0. S. B. in ben
„©tubien unb SWitteilungen aus bem S3enebi!tincr= unb bem 6iftercienfer=
Orben" 1884 I, 346, H, 56 unb 340 befprod&ene, bem 11. 3a§r=
l^unbert jugefd&riebene |)anbfd&rift. 9lu§ ber SSergleid&ung ber borl^anbenen
Sölelobien beS mailänbifci^en älituS lä^t fid^ aber mit ^ilfe einiger gcfd&id&t=
lid&en Slod^rid&ten bie 9lnfid&t geroinnen, ba^ bie ambrofianifd&en ©efänge
ben römifd^en afö SSorlage unb Quefle bienten. 3)e8 ©emeinfamen ift im
©runbe nid&t biel; bon ben 38 5!Jle&gefängen ber römifd&en 3lbbent§Iiturgie
l^aben nur elf Sejiel^ungen ju ben mailänbifd&en unb nod& »eniger (bei
gleid^em Sejte) faft übereinftimmenbe 9KeIobien; bie römifd^en jetd&nen ftd&
burd^ Änapt)]^cit unb melobifd&e ©d&önl^eit bor ber altern 3^orm aus. SWan
fd&Iie^t jebod^ alfo: S)er 1^1. ©regor »ar fid&er im »efentlid&en nur Drbner
unb Überarbeiter älterer Vorlagen, ba fein Siograp)^ nur berid&tet: Anti-
phonarium centonem compilavit, b. f). er l^at bie antit)^onarifd6e ©amm=
lung angelegt. S)ie mailänbifd^e Siturgie ober »enigftenS ber mailänbifd^e
©efang genofe aber bamals bei »eitem bie größte Serül^mtl^eit im 9lbenb=
lanbe. Qfolgltd^ »irb ©regor eben auä ber ntailänbifd&en fiiturgie entlel^nt
l^aben, »a3 im römifd^en ß^oral auf biefelbe ]^in»eift. ©omit bürfte fid&
ergeben, bafe bie übereinftimmenben 3Welobien über baS 9. ^al^r^unbert,
»0 iebenfalls bie in boHer S3Iütc ftel^cnbe römifd&e ßiturgie nid^tS me^r
106 Viertes Ha^itcl.
ouS 9Railanb entlehnte, l^inaufreid&en. S)ie unöeränbertc grl^altung il^rcr
ölteßen Spornt Bleibt freilid^ bobei immer nod^ ftaglid^; finb bod^ auä) be= B(
jüglid^ be§ gregorianifd^cn 3lntit)^onatS jwifd^en bem 9. unb 11. 3o]^r= \i
^unbert fo mand&e aOSonblungen nadögemiefcn loorben (f. unten 9ir. 131 ff.). -^
128. Stuf bic §frage: SBo^er bie ambrofionifd^en ©efänge? antwortet "n
nun SBagner a. a. O. @. 11 ff.: fie fiommten in il^rer ©runblage nid&t d
aus ber jübifd&en ^falmobie, toeil biefe nid^t btatonifd^ gemefen fei, unb Ji
aus bemfelben ©runb au(^ nid&t aus ber gried&ifd&en IKufil. 3)iefer ©runb
ip freilid& ettoaS fcitfam, ba toir gar nid&t bered&tigt finb, baran ju [l
jweifeln, bafe baS Slecitatit) foteo^I bei bcn alten Hebräern »ie bei ben fti
©ried&en biatonifd& toar. Sfber aOöagner fagt femer, fd^on bie ßinfad&l^eit iti
ber ambrofianifd^en ^falmobic toeife barauf ^in, bafe pe nid^t an ein aus= i
gebilbeteS SWufiff^ftem anfnttpfe, fonbern bielmel^r felbft ein „Slnfang" fei. ti
2)ie lateinifd&e ^falmobie fei organifd() aus bem d^riftli^en fluItuS ermad&fen; \
erft aDmö^Iid^ l^abe fid&, paraßel mit ber anfangs fo unboßfommenen 9loten= \
fd&rift, bie eigcntlid&e SRelobie enttoidtelt; bie melobifd&e Sinie ber pfal= i
mobifd^en ©efttnge l^abe fid& ebenfo aus ben Slccentöerl^ältniffcn ber lateinifd&en
9luSft)rad&e »ie bie Xonfd^rift aus ben Sfccentjeid&en ^erborgebUbct. §für
bie 2lntit)^onen unb bic 9teft)onforien jie^t er nod& ben t)rofanen SSoHS«
gefang l^eran, meld&er inbeS mit bem gried^ifd^=römifd&en ffunftgefange gar
nid&ts gemein l&abe. ®ried&ifd&=b%antinifd&e ßinflüffe »erben nid&t gerabe auS=
gefd&loffen; aber fie foHen in jener boHStümlid&en ffird&enmufif aufgegangen
fein. SBagner »eid^t mit biefer ^toxit, toie eS fd&eint, nid&t toenig bon
ber Palöographie musicale ab, obtool^I er baS ^rinjip, ba^ alle Sölelobie
fd61iefelid& in ber ^falmobie unb meiter in ben einfad^en SSccenten ber nas
türlid^en S^ejtrecitation ffeim unb SBurjcl l^abe, fid^ ganj ju eigen mad^t.
3n ber Palöographie »erben nur l^ie unb ba Semcrfungen über bie Se=
teiligung beS SSoIfeS am Sird&engefange gemad&t, j. 33. »enn ber 2lDeIujia=
(Sefang bem aSoüe jugemiefen mirb. 9lud& bieS ift faum bered&tigt; benn »ie
f ann baS neumenreid&e 3lßelujia SSoBSgef ang ge»efen fein ? 3ebenf aüS fehlen
aße 9lad&rid&ten barüber, ba^ baS SSoIt in ber JJird&e et»aS anbereS als
^Pfalmen, ^t)mntn unb einjelne 9lnt»orten ober SBieber^oIungen gefungen
l^abe. SBagner fprid&t benn aud& nur Don ben Elementen ber flird&enmufti
unb Don ber älteften geit i^rer @nt»idlung. 3lBein fobiel »ir urteilen
fönnen, gel^t bie öerjierte SOlelobie öon je^er neben ber einfad&en l^er. 3n
ber ambrofianifd&en Siturgie l^aben bic auSgebel^nten 9KeIiSmen eine ebenfo
alte Autorität für fid^, »ie bie bürftige 5ßfaImobie, an »eld&e SSBagner an=
fnüpft; ebenfo ift eS mit ber gregorianifd^en 9MufiI. 3laä) ber Pal^ographie
fclbft ge^en bie lomplijierten 9}leIobien, ja baS ganjc mittelalterlid&e 24)n=
f^ftem auf bie 3^i* ©regorS beS ®ro^en, ober, »enn biefer nur Drbner
ber ©efönge »ar, in eine nod^ frühere 3^it jurüdf.
I $et. 2Dßagner niJtx Viv^piun^ unb SCßert beg ß^oralg. 107
r
rcr 3mmer fd&eint in ber Slnfd&auung fomo^l ber Paleographie öl»
5c= aaSagnerS bic ftluft jtoifd&en bcn einfaci^en unb bcn tcid& öcrjierten SWcIobtcn
}x= nid&t überbrüdEt ju mcrbcn. SBarum fe|t man niä^i einfad^ jlpci (SefangSs
.). it)ptn an, bcn recitatiöen unb ben mclobifdöcn , toeld&e ft<i& leiblid^ auS=
:et j einanber^altcn unb auf eine unb biefelbe DueHe jurüdfü^ren laffcn, unb
)t I ätnar entocber auf bie gried()ifd&e ober auf bie l^ebräifd&e SDlufif trabition ?
b ®ie neue Slnfid^t ^at jebenfaDS nid^t ntcl^r für fid& al§ bic ältere.
b 129, Söagncr »irb fogar bal^in gebrängt, baS ©efül^I einer bcftimmtcn
i 2:onart ber altern ^eii ganj abjuf^jred^cn ; offenbar foK bie ©ntftel^ung ber
Itrd&Iid&en SWelobien au§ bem aSolfögefange hixxä) xfjxtn rubimentären G^aralter
in biefer unb jener Sejiel^ung toa^rfd&einüd&er gemad^t merben. „5Ratur=
probuWe »ie bie äßeften |)faImobifd&en SBeifen entjie^en fid^ einer S9e=
ttad^tung unter bem ®efid^t§t)un!te be§ Xonj^flemS", fo Reifet e» bei aOöagner
(©. 144), unb fd^Iiefelidö fogar: „6ine TOelobie ift um fo gregorianifd&er, je
»eniger fie bie Sonifa beborjugt, unb um fo moberner, je mel^r fic fid&
auf bie 2onifa ftü^t" (@. 192). ,S)ie Sonifa fann aud& innerhalb ber
9JlcIobie einige Sebeutung beft^en, mu^ e§ aber nid&t" (a. a. O.); //Wc
50ielobie ift üoKflänbig unb in jebem 2lugenblidte frei — üon ber 3:onaIität — ,
fie entmicfelt fid& afö lauterer mufifalifd^er 2lu§brudE. SBenn fie innerl^alb
i^reS Saufe§ eine ©tü^e nötig l^at, fo ttjeife fie eine fold&e ju finben: fie
mirb i^r aber nid^t burd^ bie Xonifa geboten. S)ie Xonifa l^at nur bic
Sebeutung eine§ 3iel|)unfte§, an teeld&em bie 9KcIobie il^rcn 2auf bollcnbet.
9lm ©d&Iuffe fud&t bie 9}leIobie einen %on, an ben fie fid& anflammern
unb rul^ig abfd^Iie^cn fann; biefer Xon ift bie Xonifa" (@. 158). S)iefc
öetrad&tung ber ©ad&c ^ängt mit ber praftifd&en aSerfennung beä SBerte^
ber ß^oraltonarten äufammen, bie in ber Paleographie auffällt. 3)ort
toirb nämlid^ immer toieber nur öon ber Sebeutung beS Dil^^t^muS gefprod&en,
afö ob bie tonartlid&e ßin^eit ganj o^ne äftl^etifd&e Sebeutung märe. SBagner
f|)rid&t bie geringe 2Reinung üon bem SBerte ber 6^oraItonarten unb (»a^
bomit jufammen^ängt) ber mittelalterlid&en SE^eoretifer, meldte fo biel babon
teben, nur etteaS beutlid&er aus. 3n ber %f)at, »eld^en äftl^etifd^en Sßert
fann eine Xonifa nod& befi^en, bie auf bie ©eftaltung ber SWelobie gar
feinen ßinflu^ ju üben brandet, fonbern il^r nur ben ©d&Iu^punft beife^t?
9Äan fie^t überl^au|)t nid^t, ttjoju fie nüd& biene, aU ben 9Jlufifer ju be=
^inbern, ber gerabc in biefem Sone fd&Iiefeen mufe; ein ©lud nur für i^n,
ba§ bie Söal^I be§ ©d&Iu^unfteö aud& im legten 2lugenbfid nod6 feiner
freien SBiflfür übcriaffen bleibt. SBenn irgenbmo, fo mu^ man ^ier bie
2lbftd&t SBa-gner§ erfennen, mit allem, tt)a§ man bisher über ß^oraltonarten
gebadet l^at, ju bred^en. Unb bod& belehrt ein flüd^tiger aSfid auf bie übcr=
miegenbe 3Me]^rja^l ber ß^oralmelobien, ba^ bic Xonifa einen entfd^eibenben
ßinflufe auf ben (Sang ber SWcIobic l^at, meld^cr an bie SBebeutung berfelbcn
108 »ierteö Äa|)itcl. "
in bcr ]^armoTtif(i&en SWuftI btittgenb gemal^nt. @(]&on oben tji bo§ an
einer SRei^e Don 5KeIobien gejcigt »orben; tt)lc fel^r aber aud& bie einfac^öen
2lntit)^onen unter bcren ©influfe [teilen, toirb fid& aföbalb jelgcn. 5Rur bei
bcn auSgeft)rod6en recitotiöen ©tüden tritt öfter bie 3:onifa in ben ^inter=
grunb ; ba trifft benn aud& ju , maS SBagner bon ber ©teDbertretung ber=
felben burd^ bie Dominante ausführt, tt)ennglei(^ »ir audji bei ber ^falmobie
bie Stimmung auf eine Stonif a ni^t ganj verleugnen möd&ten, nod^ weniger
bei ber ^räfation ober bem Exsultet. UnS toiD bebünfen, ba| in SBagnerö
fßnä^ einer Überfd&ä^ung ber ßl^oralmelobien, jumal in ber ©eftalt, toie fie
uns ^otl^icrS ©rabuale bietet, eine unbeabfid&tigte ßntmertung jur ©eite gel^e.
läO* 3Hl(f[id&tIi(]& bcS SR^^tl^muS unb ber öertoanbten SSorjüge beS
ßborafö l^abcn bie Senebiftiner unb im 9Inf(i^Iufe an fie SBagner fid^ große
SScrbienfle ertoorben. @ie erfannten, ba^ bie gregorianifd&e SWufif nad&
3:ongru})pen fortfd&reitct, bie beim SSortrage ni(^t auSeinanbergeriffen »erben
bürfen, unb bafe e§ fomit bon großer SOBidfetigfeit ift, bie urfprünglid^e
©eftalt berfelben ju befi^en, um ben altem ß^oral öfH^etifd^ ju beurteilen.
®cr ül^^t^mug ift bie Drbnung in ber Semegung, nämlid^ eine burd& ^^ivin^
unb ©enfung, beren SSerl^ältniffe ju einanber, beren SBieberfel^r unb burd&
f^mmetrifd^c, jum Seil aud& b^namifd^e ©üeberung me^rfad&er Steile erjielte
fd^öne ©inl^eit. 2)iefe Drbnung erfreut afö SluSbrurf eines bernünftigen
©efe^eS ben ©eifi me^r als ben ©inn; fie ift feineSmegS rein äufeerlid^,
fonbern löfet aud& bcn mufifalifd^en ©ebanfen (bie ©timmung) fotool^I im
allgemeinen toie in ben einjelnen 9Wotit)en erfennen. 3rgenb ein SRI^^t^muS
finbet ftd& bal^er in jeber guten SKelobie; er l^ilft beren ©inn berfiänb=
lid&er beftimmen.
3)er freie SRl^titl^muS im (Si)oxal läfet feinen fo engen S^^^i i^f ^^^
ettoa aße Stöne ober aße 3:ongru|)t)cn gleid&en Sauertoert l^ötten; nod&
tt)eniger braud^en bie ©ö^e (S)iftin!tionen) ober bie ©a^glieber (membra)
ein gleid^eS 3ßit"^öfe auSjufüflen. 3n aßem bem »altet itoar eine l)er=
nünftige, aber feine med^anifd^ beftimmbare SRegel. Sfflagner tl^at red^t baran,
bem ail^^tl^muS eine auSgebel^nte ©tubie ju toibmen (©. 208 — 252). @in=
gc^enb erörtert er bie fie^re ©uiboS öon 9lrejjo, bie man o^ne @runb unb
in offenem SBiberfprud^e mit bem 2:ejt auf metrifd&e f)t|mnen ober gar auf
Snftrumentalftüdfe belogen ^at (dgl. barüber unten 3lx. 381). SBagner
erörtert bie ®ru})t)en= ober 5ReumenbiIbung unb bie il^re ©d&önl^eit bebingenben
aSerl^ältniffe ber ^t^nlid&feit unb ßinl^eit in ber 9JlannigfaItigfeit. 5t^nIid&eS
gilt öon ber ^ufammenfe^ung ber ®rut)t)en ju ^crioben (S)iftinftionen)
unb t)on ber Sebeutung beS Tenors, »eld&er l^ier eine bie 5!JlelobiegIiebcr
trennenbe ^aufe bejeid^net ; ferner bon ber ©eftaltung beS 9lflelujia unb bcS
SubiluS. SBieber^oIung unb Slad^al^mung , bie oft als mufifalifd^er Sfteim
5U betrad&ten finb, fpielen eine toid&tige 9ioBe. ®ie 9Kotit)=9tr6eit mirb in
@eöQertg M^lopee. 109
fel^r irttereffantcr SBeifc bargelcgt, @inc befonbcre Sctrad&tung tütrb bcn
©eftoltcn beö mtf)x\ai) toiebcrfcl^rcnben ft^ric unb 9lgnuS gctoibmct. ®tc
genaue 3lu§Ie9ung üieler SKcIobien unter fold&cn ©efid^tspunften mufe jeben
t)on bcm äfH^ettfd&en SBerte ber ß^orolgefönge ü6erjeugen. @ine Ü6erf(i^ä^ung
ber r^^tl^mifd&en ©d&önl^ett bürfte nur barin ju cricnncn fein, menn eS
fd^llie^lidö l^ei^t: „SWan toirb jugeben, bafe bie gregorianifd&e St^^tl^mil an
»ebcutung für bie 9)leIobie felbft bie TOelobif bei meiteni übertrifft." ©e^r
begrünbet ift bagegen bie Älage, ba^ ber K^oralrl^^t^muö ju menig erlannt
werbe; bie ßrlenntnis beSfelben mü^te in ber 3:^at ben gefälligen SSortrag
toefentlid^ erleici^tern.
131* 3)ie gelehrten 3forf(i&ungen ber Senebiftiner pnb bon ©ebaert
in ber Melopde antique dans le chant de TEgliae latine (1895) er=
gänjt »orben. Ratten jene bie Dorguibonifd&e Sitteratur (bie ©d&riften
9turelian§ bon 3t^ome unb SRegino^ Don ^rüm, f)ucbalb§ Enchiriadis
unb bie Commemoratio be§ ^feubo = ^ucbaIb) unberüdffid&tigt gelaffen,
fo fud&t ©ebaert jur StuSfüKung biefer Südfe ba§ öltcre 3lnti})^onarium,
toeld^eS gerobe gegen @nbe beS 10. Sa^r^unbertä bebeutenbe ^tnberungen
in ben tonalen SSerl^öÖniffen erfuhr, tt)ieber^erjufleßen. Sei ben genannten
©d&riftfteDern finben fi(]& nöntUd^ ja]^Irei(i&e Stntipl^nen bes Officium^ mit
unjtoeibeutiger 9lngabe ber SnterDaKe, junt Steil fogar in iopptltn SBeife
Derjeid&net , toö^renb bie reici^er auSgefül^rten unb üerjierten IKelobien ber
3left)onforien unb ber SKe^gefönge (3ntroituS, ©rabuale u. f. ».) uns nur
in ber rätfeJ^aften 3leumenf(i&rift überliefert finb. 3)a§ Ergebnis ber Unter=
fud&ung mar junä(i&ft bie ßrfenntnis, ba^ öiele ajlelobien ber guibonif(i&en
f)anb}d&riften bereits ni(]&t me^r in ber urf|)rünglid&en Jonart ftel^en : fo l^at
felbft baS 9Wufierbeif|)ieI ber Palöographie : lustus ut palma florebit,
mit ber ganjen ßlaffe ber gleid&en mufifalifd&en fJorm, im 11. Sal^rl^unbert
aHerbingS bem IL, aber im 9. bem IV. Xone angehört, wie aus Slurelian
bei Gerbert 1. c. I, 46 ju erfe^en ift. ®om ^ot^ierS ©rabuale enthält
nid&t toeniger als 27 9lntip]^onen jur Kommunion auf 123 bei SRegino,
meld&e in eine anbere 3:onart übergegangen finb {Gevaert 1. c. p. viii).
132. S)ie beiben ^aut)tgrünbe ber nad& üleginoS '^txi borgenommenen
Sßeränberungen waren 1. baS ©treben, bie SluSfül^rung beS ©efangeS ju
erlei(i&tern ; man fd&affte alfo ben in ber 2:.onfolge fid& ergebenben Triton, bie
falfd^e Duint unb baS SnterbaH ber ©ejt ^erauS; 2. baS ©treben, jioei
melobifd&c SJfotibe ju oerf(^iebenen ^Tonarten ju öerf(iömeljen. 6in SWotib
toirb biStoeilen nur im 9luSgang einer anbern Sonart angepaßt ; ein anbereS
SWal toirb eS auf anbere Sonftufen öerfe^t, tt)oburd& bann (ausbrücflid^ ober
latent) eine ?inberung ber SnterbaHe gegeben ift. S)ie SSermeibung beS
110
SStetted üapittl
Xriton gtcbt fd&on ©uibo öoit Slrcjjo al§ ©runb an, toe^^alb ber III. 3:on
feine ©otninante getoec^felt ^öbe; toie bem oitd^ immer fein mag, fidber ift,
bafe Don 70 3lnttt)l^onen biefet 2:onött bei Slegino nur ein paax underänbert
geblieben finb; j. 93. ^at bie folgenbe Äntipl^on bei erften 9lofturn§ ber
Sungfröuen blop in ber offijießen Slu^gobe (Antiphonarium Romanum)
bie S)ominante httoa^xtt
Haec est, quae ne - sei - vit to - rum in de - lic - to : ha - be -bit fni-ctum
in re - spe - cti - o -ne a - ni - ma-rum san-cta-rum.
6§ tt)e(i&feln bie Tonarten t]^atfö(i&üd6 in biefer Sffleife, bafe ber III. Son
in bcn I., ber I. in ben VIII., ber VII. in ben V., ber VI. in ben VIII.
übergebt; bie 5}erbinbung berfd&iebener 9Äotibe fül^rt nod& anbere Über=
gänge ^erbei.
133. Stber anä) fd&on bor SRegino Ratten mä) beffen eigenem 3c«piff^
mand^e Jlntipl^onen ö^nlid&e Umtoanblungen au§ öl^nlid&en ©rünben erfal^ren.
2)er in. SEon ging in ben I., ber I. in ben VI. ober IV., ber III. in
ben VII. ober VIII., ber V. in ben 11. über. 3q mä^ äturelian öon SKeome
f)at bie folgenbe IKelobie fid& quS bem III. in bcn L, ben VIII. unb ben VI.
berirrt: ber ©(i^lufe be^ S^emaS Malos male perdet öerftnbert fid& ol^ne
^nberung be§ übrigen 3:eile§ in folgenbcr SBeife:
III. pfe
3<t=M
fructum tem - po - ri - bus su - is
I.
VI.
VIII.
$
^5
fructum tem - po - ri - bus su - is
w w >^
fructum tem - po - ri - bus su - is
fructum tem - po - ri - bus su - is.
5Rad& aiegino unb 9lurelinn waren im 9. Sa^rl^unbert bie fjformen
in. VI. VIII bereits im ©ebraud^e für ben gegebenen 3:ejt; bie 5Jle=
lobie felbft entartete aber anä) noä), auf anbere 3:ejte angetoanbt, in ben
I. Son (Gevaert 1. c. p. 217 s. 353 ss.).
9lufeerbem ift eS ©eDaert nod& gelungen, bon einigen toenigen 3lnti=
p^onen nad^jumeifen , bafe fte fid^ bereits in öiel frül^erer S^xt geänbert
^aben. S)a§ ®cfamtergebni§ feiner Unterfud&ungen lautet nun bal^in, bafe
bon ben 951 Slntipl^onen bei 9tegino unb beffen 3^itgenoffen ungefftl^r 280
irgenb loeld&e Umgeftaltung erfahren l^aben ; ^/ö babon f onnte er mit @td^er=
©runbtl^emcn bcS ^ird^engcfangcs. 111
J^cit in i^rer frühem gorm toiebcr^crftcflen. 6r fül^rt un§ fo baS 5B€r=
jeid^niö bct Slrtäp^onen t)or ?lugen, tt)ic fie nod^ aDcr SBo^rfd&ctnfid&feit
um 800 in ®cbraud& »arcn. fjür bic ältere ^etiobe bleiben toir ol^ne
9ta^rid^t. @ebaert maä^t toa^x]ä)txnlxä), boß fid^ baS Antiphonarium officii
bardö bie ßinfad&l^eit feiner SDlelobien al§ bcm Antiphonarium missarum
öoraufliegenb ertoeift; bod& biefe mie au(i& bie onbere Q^rage, ob »irflid^
©regor bcr ©rofee bie befinitibe römifd&e ©ammlung beronftaltet l^obe, laffen
»ir l^ier afö auSfd&IicPici^ ber 5IKufifgefd&id&te ange^örig beifeite.
134» ©tatt bejfen »oüen mir eine Slnja^I äftl^etifd^er grgebniffe ber
Sorf(^ungen be§ großen belgifd&en 9KufifgeIe^rten uns ju eigen ma(i&en. 2)a§
SBefen einer Sonart offenbart ftd^ in ber ^öufigen SBieberle^r ber Quint
unb Scr j beä ®runbtöne§, toie bei ben ©ried&en, fo anä^ im Äird^engefonge ;
es ift ein Irrtum, »enn man glaubt, bie SKebiante l^obe e^bem nod& nid^t
eine fo l^erborragenbe S3ebeutung gel^abt. ®ie autl^ntifd^en ffiird&entonarten
ffoben mit ben ^lagalformen bie %k\ä)^ Qfinolc, mäl^renb bei ben ©ried&en
bie brci tiefern Dftabicitern auf D^ C, H, beren Duart unter ber Duint
lag, bod& mit bem tiefften Stone ber ßeiter fd&Ioffen (bgl. Gevaert I. c.
p, 12 s.). 9Mit 9led6t betont ©eüaert überall bie Säebeutung einer feften
3;onart fomol^I für bie gried^ifd&e afö für bie ürd&lidöe 9D?ufif. 6r fragt
ba^er aud& bei ben einfad&en 2lniit)]^onen bor allem nad& ber bie 2KeIobie
be:^errf(j&enben Sonila. ®iefc ift e§ in ber %f)at, bic burd^ ba§ ©cfül^I
bcr ©inl^cit unb ©efd&Ioffcn^eit baS SScrgnügen bebingt, mcId&cS eine fefte
Tonart ben aufeinanber folgenbcn Slöncn giebt, nad^ bcm SBorte be§ 9lri=
ftoteleS: „3ebe SSereinigung unb 3^fömmenfügung mehrerer 3)inge ift l)er=
fd&ieben je nad& ber 9lrt ber aSerbinbung; fo betrad^tet man bie 2luf=
einanberfolge berfelben %'önt al% oerfd&icben, ie nad&bem fie in ber
borifd&en ober ber |)^r5gifd&cn Sonart fte^en." Unb mieberum: „3n jebem
3)inge, meld^eS auS mcl^rcren Seilen jufammengefc^t ift unb eine ßinl^cit
bilbet, mufe ein |)errfd&enbe§ unb ein 39e^errfd&teS unterfd^ieben »erben.
3)iefe§ $rin}i<) tljut fid& in ber gangen 9iatur !unb unb bornel^mlid^. bei
ben lebenben aOöefen; aber aud& bei ben leblofen giebt e§ ein Clement, ba§
bic anbern glei^fam bel^crrfd&t, j. S. in einer mufifalifd&en 2:on=
art" (ißolit. 1, 5; 3, 3).
135, 3"^ aSerftärfung beS äft^etifd^en 6inbrudE§ bienen im Uturgifd^en
©efange bic oft mieberfe^renben 2:^emen ober SOlotide, ttjeld&e bie rafd^e
9luffaffung bcr Sonart unb bcr SKcIobie ermöglid&en. 6§ finb mclobifd&e
^l^rafcn in befd^ränKer Slnjal^I, mcld&e toegen beS trcffenbcn StuSbrudES, ben
fie bcr Stimmung im Slal^men einer beftimmten Sonart geben, beliebt ge=
morben finb unb nun toie bic ge6röudt)Iid&en 3lcben§arten in bcr ©prad&e
immer micber bermenbct merben unb immer mieber gefallen, ja in gemiffen
©renjen eine ftärfere SDßirfung tl^un als neue grfinbungen, fei e§, tocil fie
112 Jöicrtc« StapiUL
mirllidö 6efonbcr§ 9lücIKd& crfunbcn finb, fei e§, mit jtc ote bcfonntc gfül^rcr,
olS toaste „Scitmotibc" bic Sluffaffung erlcid&tcm. 3)ic 2fitcn fanntcn in
ber ^unfi ü6erl^QU|)t bag öngflltd^e Streben, immer unb überall neu unb
originell ju fein, nid^t in ber Sffleife, tt)ie eS bei unS l^errfd^t. ^aiVi lommt
no(!& ein anberer ©runb. 3n ber rein melobif^en SWufil mirb mie in ber
SBortfJjrad&e . bie 3luf f affung boburd^ erfd^toert, ba^ bie Elemente eines @a|e§
aQe erft nad^einanber folgen unb ftd^ aHmäi^Iid^ }u einem ®Qn}en }ufammen=
fe^en ; in ber ^armonif d^en SKufif genügt bagegen ber eine ober anbere 2l!f orb
gur ßinfül^rung in bie 3:onolität. ©d^on @uibo öon 9lrejjo bemerft bal^er,
ba^ man beim liturgifd&en ©efange nid&t gleid& anfangs toiffe, maS folge,
fonbern erft am ©d^Iuffe burd^ einen SJüdEblid ber SHbfd&nitt ober bie ^^rafe
ööDig flar merbe; ebenbarum, fo fügt er l^inju, ift bie ^finale Don fold&er
Säebeutung (Microl. bei Gerbert 1. c. 11, 12). ©old&e Sl^emen finbcn
mir als „5lomen" bei bcn aöen &xkä)m, bei anbern SSöIfern unter anberem
9iamen. ©eoaert jül^It im gangen Tonarius beS SRegino nur 47 fold&er
t^pifd&en fjormen. S)iefelben beginnen mit bem ©runbtone ber Sonart ober
ber SWebiantc ober ber Quint, bie inbeS nod& einen Jon als SSorfd&Iag
(gleid&f am 9luftalt) julaffen ; fie f d&Iie^en mit bem ©runbtone. S)ie ^formel
beS anfangs ftrebt jur Duint tmpox ober ju beren Dftabe l^inab; jeber
2KobuS ^at feine d&arafteriftifd&en Anfänge unb ©d&Iüffe. SRüdEftd^tlid^ ber
Snterdaße beobad&tet ©ebaert, bafe ber ©prung ber Quart unb Quint ntc^t
überall juläffig ift, fonbern bie aufjteigenbe Duint j. S. nur über bem
©runbtone ber 2:onart öorfommt, mo pe bann fel^r bcjeid^nenb toirft. ®er
in Heinere SnterbaDe aufgelöfte Sriton fei im 9. 3ctWw"*>c^t "öd& jiemlid^
l^öufig, merbe aber mit ber Slnnä^erung an bie (Segenmart immer feltener.
136» Über ben r^^tl^mifd^ien 33au ber 9lntit)l^onen toirb folgenbes
bemerft. S)ic einf ad&ften enthalten nid^ts als eben baS 5Kotit) ; fie l^aben bie
Sänge eines mäßigen SSerfeS ober beS einfad^ften mufifalifd&en ©a^eS. S)ie
2Relobie burd&löuft (etma bis jur Dominante) eine lurje ©tredEe in auf= ober
abfteigenber Sinie, bod& nid&t ol^ne ben Sleij einer gemiffen ©pannung. S)en
%t]ct giebt oft ein falber ^falmderS ab ; bod& ba jum ©ingen etmaS mel^r
3eit als jum 9?ecitieren beS 3:ejteS erforbert mirb, fo finbet fid& aud& eine
fold&e furje 9}lelobie öfters nod& in jmei mufilalifd&e „9lbfd&nitte" geteilt;
fie werben in ben Süd&ern burd& eine nid&t burd&gcl^enbc fenired&te Sinie
bejeid^net unb im Vortrage burdö eine ganj !urje 5ßaufe getrennt. 2lu(^
eine Dreiteilung biefer 9lrt fommt öor. 3mmer mirb erforbert, bafe ber
mufilalifd^e ©ebanfe irgenb toeld^e gntmidtlung geige unb burd& ben ®anj=
fd&lu§ auf ber Sonifa abgerunbet fei.
SDie 2:eilung ber SWelobie in mel^rere ©lieber mufe eintreten, fo oft fie
ein menig unifangreid&er mirb ober fid& öon ber f^Habifd&en SRecitation meiter
entfernt. S)ie gemö^nlid&e gorm ber 9lntip^onen ift alfo biefe, ba^ eine
3lu8geftaltung bcr Sternen. 113
3WcIobic, ju einem gonjen 5ßfaltnt)er§ ober einem ebenfo umfortgreid^en SEejte
gefegt, beutlic^ mehrere SEeile mit merllici^er ©elbftönbigfeit unterfd&eiben
läfet; biefe 3:eile lönncn felbft mieber in Heinere ©lieber jerf allen, unb Jebe
etoaS feierlichere 9JleIobie erlaubt fidö gern über einigen Stejtfüben eine
gigur öon brei unb mel^r 3:önen. Sll§ S3eif|)iel biene bie a3ef|)eranti|)!^on
magnum bcr offijiellen 9lu§ga6e; fte ift annäl^ernb gleic]^ bem alten
Sejte Bei älegino:
magnum pi - e - ta - tis o-pus : mors mortu - a tunc est,
in lig - no quando mor-tu - a vi - ta fu - it, al - le - lu - ia.
S)ie metrifd&e gform, ba§ S)iftid&on be§ Se^cteS, ift fd^on siemli(]& frei
be^anbelt; bafür aber folgt bie ©lieberung ber 3KeIobie bem ©inne befto
treuer : ber 9lu§ruf ju Slnfang »irb be§ gröfeern 5Rad&bru(fS l^alber al§ öoII=
ftönbiger @a| bel^anbclt, burd& einen ^albfd&Iufe auf ber Duint geteilt, aber
in ber 3:onifa gefd^Ioffcn. 2)ie brei übrigen 9lbf(J6nitte (bem ©inne nadö
bie Segrünbung beS obigen 2luSrufeö) ge^en auf bie 9Webiante unb bie
Quint, ba§ britte 3KaI auf bie Xonila au§; baS «aeluja ift eine ©(i&Iufe=
Verlängerung.
S)ie größten Slntipl^onen, befonberS jum Magnificat unb Benedictus,
^abcn nod& umfangrei(]&ere S^ejte unb eine fünftli(]&er geglicberte, reid&er ber«
jierte 9KeIobie; fie nähern \iä^ ben ornamentierten 2ReIobien ber SWeffe, mie
aud& umgelel^rt biefe mand&mal eine einfa(j&e melobifd^e ©truftur aufmeifen
(bgl. bie S5ßagnerf(|ien SluSfü^rungen oben 9?r. 130).
®aS 93er^öltni§ ber ©runbtl^emen jur fertigen 9JleIobie ift foIgenbe§.
Slbgefel^en bon ben allereinfad&flen Slntip^onen, tt)irb ba§ 2:^ema toieberl^olt,
ertoeitert, et)ifobifd& bereid^ert, meliömatifc^ berjiert, burd& SBedöfelbon b
unb h, ber autl^entifd^en unb plagalen tS^xm, weiter au§gefü]^rt, furj, auf
eine freie Söeife umgeftaltet, fo ba^ bie ©rfinbungSgabe be§ fiomponiften
ben il^r gebül^renben ©<)ielraum geminnt. 3n aßem biefcm bürfen »ir
mieberum an bie ftiliftifd&e ©eftaltung ber @prad&e erinnern: ein gefd&idEter
©tilift toirb bie geläufigen SRebetoenbungen ber ©prad&e teils unberönbert
an geeigneter ©teße »ieber^olen, teilö gefd^idt umgeftalten, neuen ©ebanfen
aud& neue SBBenbungen anpaffen u. f. tt). ©d&on ^oraj fielet bie ffunft be§
©d^reibenS in bem bcrftönbigen 9lnfd&luffe an bie getoö^nlid&e ©|)rad&e beg
SebenS in SSerbinbung mit ber mafeboKen 9?eufd&affung ber ©prad&e unb
rät bem SDid^ter bie umfid&tige, felbftänbige 9?ad&a^mung al§ ben fid&erften
SBeg an. 3ti ber ajlufif ^aben bie alten ©riechen fid& an ben gleid&en
®runbfa§ gel^alten, unb biefer ift e§ aud6, toelc^er bie ftomponiften ber
liturgifd^en Sejte geleitet fjat 3n ben frühem Saljrl^unberten mürbe ba=
«ietmann, ^ftl^etü. 8. %til. 8
114 mtttti Stapxitl
butdö baS Schalten bcr ©cfänge tro^ bcr unbollfommcnen Jlotenfd^rift bc=
beutcnb crlei(i&tert.
137. ©cbacrt giebt fd&liefelid& fein Urteil über bcn !ünftlerifd&en SBert
beS Antiphonarium officii ob ; biefeS mu^ un§ bei ber Sebeutung, tt)eld&e
ber grofec SKujifgelel^rte auä) aß ^)rQftif(i&er TOuftler ^at, tüillfommen fein.
@r fü^rt fein Urteil ein mit benSQßortcn: „TOelobien bon meiftenS geringem
Umfange, o^ne ben JReij eines regelmäßigen JR^^t^muö unb einer 3nftru=
mentalbeglettung, TOelobien ferner, toeld&e ettoa 30 ©runbtl^emen nad& feften
5Dlet^oben ber Sariotion immer unb immer wieber^olen : ba§ finb bie ®e=
fange, toeld&e uns einjig unb QUein bef(i&äftigt l^aben. 3ft nun aber eine
fo bürftige SKufif, ein fo einfa(i&e§ ©^ftem ber Äom^)ofition ju »a^r^Qft
öft^ctifd&en ©d&öpfungen QU§rei(i&enb getoefen?" ©eboert ftel^t nid&t an, biefc
grage mit einem entfd&iebenen 3a ju beantworten. ®iefe ©efönge fie^t er
als eine lebenbige DueHe be§ ed&ten äpetifd&en ©enuffeS an. 6r ftaunt
über bie außerorbentitd&e SebenSfraft, bie naä) fo bielen Sa^r^unberten aud&
ben Jlenner ber mobernen SKufif no(i& fräftig anrege unb ben ^eute oft
auSgef^)rod&enen ©a^ Sügen ftrafe, ba§ bie SBirfungen ber SJlufif Don einer
9lrt 5!Robe bebingt feien. 3)ie ßird^enmufif biete nid&t jenen Sleid&tum padenber
@m^)finbungen , Silber unb 3been unb überwältige nid&t toie bie reid&erc
pol^pl^one ^ölufif burd& befonberS neue unb mäd&tige Sinbrüdfe; fie finbe
aber in ber fd&lid&ten SDlelobie, in ber toenigftenS latenten Harmonie unb
einem elementaren Sl^^t^muS ber f^mmetrifd&en ©lieberung bie 3Jlittel, einen
bef(i&eibenen Sleij auszuüben unb getoiffe einfädle ©efü^le, toie fie jum
©otteSbienfte paffen, jum treffenben 9luSbrucf ju bringen. S)en einen 93orjug
l^abe aber biefe 9lrt SKufif borauS, baß fie fi(i& nid&t abnü^e; bie 3^^*
fd&eine auf biefelbe feine TOad&t mel^r ju ^aben. ©ebaert belegt aud& bie
jarte SKalerei beS ©timmungSauSbrudfS mit anfd^aulid^en groben. ©d&ließ=
Ii(ä& l^ebt er nod& ^erbor, baß jumeilen ganje ©ruppen bon Sttntip^onen \iä^
ju einer ^ö^ern ßinl^eit öerbinben.
138* ^ier ift nun ber Ort, bie ^xa^z über bie Urfprünglid&feit beS
bon ben gelehrten Senebiltinern l^ergeftellten alten ßl^oralS genauer inS Sluge
ju faffen. ©ebaert fü^rt unS rüdfid&tlid& ber 2lntip^onen bis inS 9. 3a^r=
^unbert, alfo ungefähr 200 3a^re weiter jurücf. 3ugleid& legt er burd& augen=
fd&einlid&e Semeife !lar, baß bie Drbnung ber 5)ielobien nad& SEonarten üom
9. — 11. 3a^r^unbert eine bebeutenbe SBanblung erfahren ^at; bamit l^ängen
aber nid&t feiten ^tnberungen in ber SeSart jufammen. S)ie alten ©d&rift=
fteller bejeugen beibeS anä^ auSbrüdflid^. 3)er Slüdffd&luß bon bem SS:ejt=
beftanbe beS 11. Sa^r^unbertS auf ben beS 9. unb weiter jurücf war alfo
nid&t böHig bered&tigt. ®ie SKet^obe ber 3^orf(ä^ung felbft wirb baburd^ ein
wenig in 5Dlitleibenf(^aft gejogen; eS genügte n\ä)i, jumal ba Icid&t mel^r
gefd^e^en fonnte, nur bie guibonifd^en ^anbfd^riften ju bergleidöen.
aöÖanMungcn im altem (Sl^oral. 115
®ic Paldographie musicale unb SBogncr legen freilidfe ben 9!Kufif=
fd&riftftellern beS iKitteloIterS, tt)el(i&e als cinjige tDettete Duelle übrig bleiben,
eine fel^r geringe SBebeutung bei. 3fllein ba fonn man i^nen unmöglidö
Siedet geben, gfaji alle jene ©d&riftfteHer toaren tro| il^rer SBelefen^eit unb,
»enn man tüiü, Befangenheit in ben ftom^)enbien ber altgried&ifd&en S^eorie
(S3oet]^iu§ unb 9Karcianug 6a^)e^a) ober be§ b^jantinifd&en SKufüf^fiemS
juglet(j^ })raftifd&e SWufüIel^rer , bie leineStoegS ins ©laue l^inein über ben
ffiird&engefang :pl^iIof o^)l^ierten , fonbem i^re SEl^eorten ganj crttjili(ä^ auf ben
!ir(]ÖIi(ä&en ©efang anmenbeten unb teitoeife aud^ an^ ber ^rajiS l^erjuleiten
bemüht toaren. @S ift burd^auö unbered&tigt, i^re S^ugniffe fo ju entwerten,
njie es neuerbingS gefd&el^en ift.
6S fei iebod& bemerft, bafe aud& ©ebaert jugiebt, bie bon i^m unter=
fud&ten 9lntij)l^onen Ratten im allgemeinen i^ren meIobif(i&en ©ang nid&t
gcänbert, »eil bie 5Reumett jtoar nid&t bie genauen Snterbqlle bcjeid&neten,
aber bod^ ein Silb bon bem Steigen unb göllen ber TOelobie gaben
(Mölop. p. 187). 9Kan !ann baS aud& l^eute nod& burd& 93ergleid&ung
ber 9leumenbü(i&er fonftatieren. S)ie SluSgabe ber SSenebütiner ftimmt mit
benfelben offenbar biel genauer afö bie 9ieuauSgabe beS 16. Sa^rl^unberts
überein. SSiel ©runb jum Streite gegen ben bon ber ffird&e abo^)tierten
2:e^ ^atte freilid^ bie Pal^ographie barum nod& ni(ä^t. Stuf aDc ^äHc ftanb
baS bom 1^1. ©regor ausgeübte Sicd&t, bie ßl^oralbüd&er ju rebibieren, ju
önbern unb ju ergönjen, aud& jebcm feiner 5la(i&folger ju. SBenn er felbft
bie ambropanifd&en SDlelobien er^eblid& bcriürjte unb ftettentoeife melobifd&er
geftaltete, fo l^aben bie SKeifter bcS 16. Sal^rl^unbertS im 3luftrage beS
^apfteS ebenbaSfelbe getl^an. 3a bei ber SSergIei(i&uttg beS fogen. gregori=
anifd&en ßl^oralS mit bem offiziellen !ann man ebenfo gut bem le|tem ben
großem fomol^I ^)raftifd&en als äft^etifd^en SBert juf^)red&en; benn mem mill
man eS berübeln, ber bie langen SJleliSmen, befonberS auf tonlofen Silben,
für minber f(ä^ön unb biegen ber ©d&mierig!eit beS Vortrags anä) für minber
praftifdö erüärt, unb ber baS ©efül^l für bie 2:onifa in ber neuern 3te=
baftion erl^eblidö beffer ausgeprägt finbet?
139. S)od& nod& mel^r : ift eS benn fo fid&er, bafe feit ©regor bem ©rofeen
bis ins 9. Sal^r^unbert nid&t nod& biel tiefer greifenbe ^tnberungen
an ben 3Jlelobien borgenommen toorben finb? SBie gefagt, »irb bie
allgemeine melobifd&e ßinie beS Liber gradualis atlerbingS burd& bie
9ieumenbüd&er beftätigt; aber mie ial^lreid&e ^Ibmeid&ungen bon ber SBeife,
mie bie 9leumen urfprünglid& ju lefen maren, finb babei nod& benfbar!
®ie Unfid&eip^eit in ber Sefung ber 9leumen mirb ja bon ben Sd&riftfteDern
fo oft unb fo nad&brüdflidö borauSgefe^t ober betont, bafe eS SBilHür ift,
baneben nod& eine fol(^e ^bentitöt ber 5leumen= unb ber ^lotenbüd^er ju
bel^aupten, toie bie[e nötig ift, um ben ß^oral ber notierten Sudler im
116 S5icrteg Äapitel.
ftrcngcn ©innc al§ „gregorianifdö" bcjcid^mn ju fönnen. 2)ic foft t)oII=
!ommenc Übcrcinftimmung bcr öorlicgcnben Übertragung bcr Neunten in
bQ§ guibonifd&c 5lotenf9jicm bei bcn 1200 bon bcn Scncbiftincm öcrglid&encn
^Qnbfd&riften re(ä^tfertigt baS nod& ni(ä^t. Um nid^t babon gu rcbcn, bafe
bic ©runbfä^c, meld&c man in bcr Paleographie bei 2(ufnal^me ober 9lu§=
fd&eibung bon Varianten befolgt l^at, nid&t fo Ilar borliegen, toxt eS bie
^)^iIoIogif(]&e Äritif forbert, fo bemeiji bieüeid^t gerabe ber behauptete TOangel
er^eblid&er Varianten in einer fold&en 5!Kenge bon |)anbf d&riften , bafe aße
auö einer Quelle gefloffen finb, unb bafe bemna(i& aud^ nur eine 91 rt,
bie %eumen ju lefen, ber ganjen Übertragung ju ©runbe liegt. 3)a§ ift
nad& ben aSerl^ältniffen !eine§meg§ unmaJ^rfd&einlid^. Son ©uibo bem 9lre=
tiner rü^rt bie ffunft l^er, bie %eumen ebenfo einfad^ toie unjmeibeutig
auf unb jmifdöen ben bier Sinien ju notieren. 9iatürlid& bemühten fid^
feine ©d^üler unb tjreunbe fel^r eifrig um eine 9lbfd&rift be§ bon il^m on=
gefertigten ©jempIareS. @S toor ja bie felbftänbige Umfe^ung ber alten
2:onfd&rift in bie neue feine leidste ^aä^t; ©uibo aber ^atte in ber SKufil
eine meit über bie näd&fte Umgebung l^inau§ge^enbe 9Iutoritöt. ®a^er mirb
man fid^, fomeit fein Slnfel^en reid&te, einfad^ an feine SSorlage gel^alten l^aben.
©ud^en mir biefe S5orau§fe§ungen näl^er ju begrünben. 9Son ber
©d^mierigfeit , bie 5leumen rid^tig ju lefen, fagt ©uibo felbft (menn aud^
Dielleid^t mit einiger Übertreibung): ©önger unb ©d^üler bon ©ängern
fönnten ol^neSe^rer in l^unbert Salären nid^t einmal eine einjige 9lnti=
t)]^on rid^tig fingen lernen; e§ ftimme aud& feiner mel^r mit bem anbern
überein; ber berfd^iebenen Slntipl^onare gebe e§ nid^t jmei ober menige,
fonbern jiebc Sird^e l^abe toieber il^r befonbereS. Slnbcre, fo fä^rt er fort,
änberten biele§ nad& ©utbünfen; man muffe e§ alfo aud& il^m nid&t ber=
Übeln, menn er mit ganj geringen ^tnberungen ben allgemein gebraud&ten
(Sefang in einer 5lotenfd&rift , bie iebe§ Sinb lernen fönne, borlege. @o
boHfommen immer bie 9ieumen gefd^rieben feien, fie blieben blinb unb tDert=
Io§ o^ne bie Seil^ilfe ber Sud&ftaben unb garblinien (De ignoto cantu,
bei Gerbert II, 34 sqq.). Son biefem 3^"9"i^ *^^^f ^^^ immerhin
biele§ al§ übertrieben abminbern; bie eine Il^atfad^e mirb bod& nimmer
tt)iberlegt: bie %eumen toaren überaus fd&mer ju lefen, biefe
©d^mierigfeit fül^rte ju großer SSermirrung in ber ^raji§
beS ®efange§ unb in ben SEejten ber Süd&er, unb e§ ift
(Suibo felbft nid&t o^ne einige Eingriffe in bie i^m jugöng=
lid&e Xrabition bie |)erftenung feine§ Slntipl^onarS möglid^
gemef en. 2)abei ergiebt fid& au§ ®uibo§ 2öorten, bafe er felbft burd^auS nid&t
au§ ben Sudlern allein, fonbern ebenfofel^r aii^ ber münblid&en Über^
(icferung unb auf (Srunb feinet mufifalifd^en Urteife bie Smeifel löfte.
Me§ bie§ fagt fein S^itgenoffe 3o]^anne§ ßotton nod^ beutlid&er: „3eber
Unfid^crl^ett bcr Überlieferung. 117
fingt berartigc 5leumcn naä^ feinem ©utbünfen ^ö^cr ober tiefer; tt)o bu
eine Heine jTerj ober eine DuQrt antoenbeft, fe^t ein anberer eine grofee
SEerj ober eine Duint an, unb i[t nod& ein britter babei, fo meidet er bon
bciben ab. S)er eine fagt: 9Jlagifter 2;rubo iiat m\ä) unterliefen; ber
anbere entgegnet : ^ä) f^aht öon SWagifter 2ll6inu§ gelernt ; ber britte barauf :
5lber TOagifter ©alomon fingt fürtoa^r ganj anberS. Um nid&t meitfd&meifig
ju fein: feiten ftimmen brei in einem ©efange überein, ge=
fd^toeige benn taufenb. S)enn ba ftd& natürlid^ jeber auf feinen 9Jla=
gifter beruft, fo ergeben fid& fo biele Slrten ju fingen, al§> fie^rer in ber
SBelt finb (bei Gerbeti II, 257 sqq.). 9ii(ä&t Diel bcffer ftanb e§ bereite
im 10. Sal^rl^unbert. 3)ie erfte SBefpred^ung ber 5Reumen, bie un§ be=
gegnet, nömlid^ in ber Musica enchiriadis, ift eine ßlage. §ucbalb, ber
SSerfaffer biefer ©(i&rift, l^at eigene 3^^^^^^ nämlidö bie fogen. S)afia=5loten,
crfunben, um bie Snterballe ber 5Reumenfdörift unjmeibeutig ju fixieren;
biefe fei nämlid&, fo fagt er, ein burd&auS unfid&erer gü^rer; j. 8. fcl^e
man freilid^, ob ein Son fteige ober falle, aber ob um einen, jtoet ober
brei Sonfd^ritte , ba§ fönne man nur burd& münblid^e Untertoeifung lernen
(Gerbefi I, 117).
S)iefe 3^"9"iffc muffen genügen jum Setoeife, ba^ a\xä) ©uibo felbft
ol^ne bie lebenbige jErabition nid^ts ju ftanbe gebrad&t l^aben toürbe. 3n=
»ietoeit alfo feine Überfe^ung im einjelnen rüdffid&tlidö ber 3nterbaDe
ben utfprünglid&en Slcjt miebergab, lönnen toir nid^t toiffen. ©ein Slnfe^en
mirb uns too^I einige Sürgfd&aft geben, bafe er mit Umfid&t unb ßinfid^t
öerfud^t ^at, ben beften Ufu§ ber Qtxt, b. 1^. bie beglaubigtfte 9lrt, ben
ßl^oral ju fingen, fomeit fie il^m crreid^bar »ar, ^erjuftellen; aber ein
jloeiter ober britter Überfe^er ber gleid&en ober einer frühem 3^it l^ätte mit
berfelben ginfid^t unb SSorfid&t arbeiten unb bod& einen in bielfad^er |)infid^t
berfd^iebenen ©efangStejt l^erftetten lönnen, jumal menn er einer ganj anbern
@d&ule angehörte. SBir muffen gerabe au§ ber Übercinftimmung ber gui=
bonifd&en Slotenbüd^er ben ©dfelu^ jiel^en, bafe un§ eben nur feine Siecenfion
borliegt, bie auf böllige Übereinftimmung mit bem Original ber !ird^=
lid^en SJlelobicn leinen 9lnfprud& mad&en !ann.
aBa§ ben anbern ^unft anlangt, nämlid^ bie öufeere SBal^rfdöeinlid^feit
biefer 2lnfid&t bon ber ^erfunft aller notierten ßl^oraltejte au§ ber gui=
bonifd&en ©d&ule, fo mirb biefe abermals burd^ ®uiboS eigenen Serid^t be=
leud^tet. 3m ©riefe an feinen gteunb 2Kid&ael erjä^It er, mie ber 9fuf
bon feiner neuen fiel^rmetl^obe unb bcren Erfolgen ben ^a})ft 3o^ann XIX.
beranla^te, il^n nad^ Slom einjulaben. |)ier legte ©uibo fein 9lnttp^onar
bor, in tt)eld&em ber ^apft „tt)ic in einem SQßunbertoerle blätterte". @r
rul^te fogar nid&t, bis er einen SSerS nad^ biefer SDlet^obe gefungcn ^atte;
benn er !onnte laum glauben, toaS er bon ber ficid^tigfeit berfelben ^atte
118 »icrteä Äa^itcl.
fagcn öötcn. ®uibo toax tücgen ffran!^eit genötigt, 3iom attfogIeid& »ieber
}u öcrlQJfcn, mupte aber bem ^apft be^ufä mciterer Untcrmcifungcn in Storn
feine SRücfle^r öerfprcd&en (Gerbert, Script. II, 43). Somit tt)ar bereits in
9lom ber günftigfte S9oben unb bie ^öd^fie gmpfe^Iung für baS gro^c Unter=
nehmen gefunben. 6S gewann um fo mel^r ^freunbe, »eil i^r Urheber längft
megen ber ginfad^^eit unb ^)roftifd&en Älorl^eit feiner muftfalifd^en ©(i&riften
»eit unb breit boS gröfetc Slnfe^cn genofe. ftaum ein mufifalifd&er ©(ä&rift=
ftetter fonb ju feiner unb in ber nad&folgenben 3^*^ einen fo ausgebreiteten
unb bauemben Siul^m tüie er; bie mid^tigften ßntbectungen mürben mit
feinem 9iamen in SSerbinbung gebrad^t unb er fd^liejsKd^ al§ ,,@rfinber ber
3JluftI" gefeiert. 2)a baS gemo^nte ©ingen nad^ 9ieumenbüd&ern öielerorts
nod& lange in Übung blieb, fo toax 3^^* 9cnu3; bafe bie 2lbfd&riften feines
2(nti^)^onar» fid& über bie SBelt öerbreiteten. SBenn unS alfo bie faft böllige
Sbentität ber nad& ©uibofd^er SJlet^obe angefertigten ^anbfd^riften nötigt,
auf einen Sttrd&et^puS jurüdfjuge^en , fo fte^t biefem ©d&luffe aud^ fein
äujsercS ^inberniS im SBege.
Sei ber Beurteilung ber Urfprünglid^feit beS SejteS mu^ weiter nod^
bead&tet »erben, bap felbft neumierte ^anbfd^riften ber reid^ öerjierten &)oxaU
melobien uns crji auS bem 9. 3al^r§unbert erhalten finb. ®ic Sel^auptung,
fd&on ber 1^1. ©regor l^abe fid^ ber auSgebilbeten 5leumenfd&rift bebient,
ift nod^ nidbt genügenb erloiefen. gleifd&er fprid&t fid& in feinen „5ieumen=
ftubien" aUerbingS für bcn (Sebraud^ ber 5ieumen burd& (Sregor auS; er
öerpel^t aber bie altern einfad&en 5Reumen; lange Solalifen ^)rägen nad^
i^m im ©egenteil einer 9lbfd&rift beS gregorianifd&en Slutograpl^S „ben
6^ara!ter ber Unurfprünglid&feit unloeigerlidö auf" (I, 17). ^ebenfalls
muffen toir aud^ auS einem anbern ©runbe bie 3al^r!^unberte Don (Sregor
bem ©rofeen bis ju ber 3^^ f ^^ ^ie auSgebilbete 5leumenfd&rift unS bor=
liegt, nod^ befonberS in Slei^nung bringen, menn tt)ir uns ein Urteil
barüber bilben moHen, ob ber 5iotentejt beS 11. SoW^^^^^*^ ^^^ grofeer
SBa^rfd^einlid&feit als ber urfprünglid^e angefel^en »erben fönnc. S)enn mit
biefer 9lnna!^me mirb für ben Sird^engefang in jener alten !^M eine lln=
öeränberlid^feit angefe^t, meldte er nad^mcislid^ Dom 9. bis 11. Sal^r^unbert
unb in allen nad&folgenben 3^^^^ nid^t gehabt l^at. 6s ift alfo nid^t mol^t
getrau, fo entfd^ieben Don „grcgorianifd^en" SKelobien im ftrcngen ©inne
beS SBorteS ju reben faft o^ne irgcnb einen anbern SemeiS, als bie Über=
einftimmung ber ölteften 5Roten]^anbfdöriften nad^ ©uibofd^er 3Jlet^obe.
Äel^ren mir nun ju ©cbaert jurüdE, fo bleibt nod^ ju ermähnen, meldte
Slnfd&auung biefer (Sele^rte fid^ Don ben (S^oralton arten gebilbet l^at.
@r gel^t in ber Melop^e bon ber gried^ifcö=römifd&en 9Jiufif aus, bie er in
feinem großem SBerfc bel^anbelt ^atte, unb fud^t bie Tonarten, meldte bie
meltlid^e ßitöaröbie in ben altem d&riftlid^en 3a^r^unberten jur 2lnmenbung
S)cd&eörenä über bcn lltf|)run8 bcä ßird^enöcfangeS. 119
bxaä)k, in bcm |)^mncn= unb 5lntip^onenfd&a^c bcr ßird&c micbcr ju finbcn.
Sic 2:onarten nun, meldte er für bic ßitl^aröbcn feftftellt, finb folgenbc:
jubörberft eine E- unb eine 6-2:onart mit E unb G qI§ Slonifen unb
Linolen, fo mie tt)ir fie oben befd&rieben l^aben. ®ie G-2:onQrt l^at Qud&
eine plagale tJorm unb läfet ben ©ci&Iu^ Quf ber ^ölebiante [tQtt Quf bem
©runbtonc ju. 6ine onbere ©|)ielart fd^Iie^t auf ber Quint, aber in ber
untern t)lagalen Sage. @ine weitere F-2:onart l^at ebenfalls ben ©d^Iu^
auf ber Duint in ber tiefern Sage. S^aju !ommt eine regelred^te, au=
tl^entifd^e A-2:onart toie bie oben 5Rr. 104 befd^riebene. 2llfo SConarten mit
D ober C ober H al§ Slonifa tt)erben nid^t anerfannt.
140* (Segen biefe 3:^eorie erl^ebt fid^ mit großer @ntfd&ieben^eit 91 nt.
2)ed&et)renS S. J. im erften Sanbe feiner Etudes musicales p. 426 ss.
©eine 2lu§einanberfe^ung mit bem großen ßenner ber 2Rufi! be§ 9llter=
tum§ belocift nur »ieber, tt)ie öielbeutig bie Stngaben ber ©ried^en finb
unb immer bleiben merben. 3Jlan mufe geflel^en, felbft bie ©runblage ber
in SRebe jie^enben SEonartenle^re ©eöaertS, nömlid^ feine 9lnfd&auung öon
bcr gried&ifd&=römifd^en ßitl^aröbie, mirb öon S)ed&ei)renS bebenflid^ er[d^üttert
(1. c. p. 427—448); tt)ir ge^en an biefer ©teHe nid^t meiter barauf ein. @inc
jtoeite SluScinanbcrfe^ung ift bon größerer SBid^tigleit. ©cbaert ^at mit
großem 5lad^brudE bic mefentlid^e SSerfd^ieben^cit ber mufüalifd&en ©trultur
ber aintip^onen unb §^mnen einerfeitS unb ber meliSmatifd^en aiefponforien
unb TOe^gefänge anberer[eit§ berteibigt: bie erftern foHen fd^on au§ bem
4. ober 5. 3a§r^unbert batieren unb bem gried^ifd&en SJiufiff^ftem , mie eö
fidö in Stauen überliefert ^at, angel^örcn. Sie anbere ©ruppe ber ßird^en=
gefänge ^abe oricntalifd^eS ®epräge unb fei erft im 7. Sal^r^unbert burd& bie
gried&ifd^=f9^if^^" ^äpfte nad^ Italien gebrad^t morben; nur auf biefe paffe
'ba^ 2ld^ttonf^ftem ober bie Dltoed^oS. 6ine fold^e Unterfd&eibung nad^ ber
Seit unb bem Orte be§ UrfprungS mirb bon 3)ed^ebren§ beflritten unb bie
©cfamt^eit ber Sird^engefänge auf ein unb baSfelbe ©^ftem unb eine unb
biefelbc Quelle jurüdEgcfül^rt. ^ölit biefer Streitfrage befd&äftigt fid^ Deche-
vrens 1. c. p. 449 — 472. Sie ©tid^mörter finb: Slonarten ber 6it^a=
röben ober ©^ftem ber Dftoed^o» — gried&ifd^=römifd^e ober aber gried&ifdö=
f^rifd^c 9Jiufif; mie bie Ic^tere loeiter^in nö^er ju beftimmen fei, barüber
fprid&t fid^ ©ebaert nid^t au§, Sed^ebrenS erllärt fie furjtoeg für bie ber
jübifd^en Sempelmufi! entftammenbe altd^rifllid^e 2Kufif.
©cbaert toeift bic ©d^mierigfeiten auf, meldte bie Slntip^onen unb ^t)m=
neu bem 9ld^ttonft)fteme bieten, unb löfl fie burd^ Slnpaffung an baS bon
i^m aufgefteHte ©tiftem ber ßit^aröbie. Sei ben meiften Tonarten l^at bie
3bentifijierung in ber 2:^at feine ©d^toierigfeit; aber fd^on biefe Uber=
/
120 »icttcd ßa|)itcl.
trogung f)ai bod& bQ§ SJlifelid^c, bafe jt(i& jmei Sonortcn ber ßit^aröbic in
beti txxä)t\(S)tn SKcIobicn nid^t borfinbcn, nämlid^ bic mit bcr Scitcr auf C
unb auf D (mic nämlidö ©cöacrt bicfc auffaßt, qIS auf ber Duint fij&liefeenbe
Sonarten) ; bafür mu^ er aber Don ber F-Seiter, bie fid^ bei ben ßit^aröben
nid^t öorfinbet, im ß^oral fogar jmci Varianten annel^men. 3für ben
fed^ften 2:on ferner, ber faft immer mit b auftrete, glaubt 2)ed&et)ren§, bafe
eine C-3:onart angenommen tt)erben muffe, ©eine tt)eitern ©inmenbungen
finb folgenbe: 1. ©ebaert unterbrüdft ben erften Äird^enton; bagegen aber
n)irb mit SRed^t barauf ^ingett)iefen , ba^ mand&e 3KeIobien be§ jtt)eiten
SoneS offenfunbig, anberc tt)enigften§ cinfd&Iie^Iid^ ein h enthalten unb
barum eine ^ranSpofition nad& A nid^t julaffen, toeil fid^ fo ein fis ergäbe;
©eöaert nimmt biefen d^romotifd&en Son einfad^ in feine A-2eiter auf, ob=
mo^t ber ®ang ber SKelobie, gemöfe bem Setrad^orbf^jieme , !aum erlaubt,
an eine 9lu§meid&ung , bie fogar jiemlid^ pufig fein mü^te, ju beulen;
bie SranSpofition ber SKelobien beS erften Sird^entoneö ift alfo nid^t gered&t=
fertigt. 2. S3eim jmeiten 5tone nimmt ©eüaert eine ^ranSpofition nad^ F
unb einen 2:er}enfd&lu^ an; allein bann erfd&eint in mand^en göHen bie
Sonila in ben TOelobien !aum ober gar nid^t, maS ©ebaert auf lünftlid&e
SBeife erttört, umgefe^rt aber fallen bei ber 95orauSfe§ung ber ^)lagaIen
G-2:onart (D— d) aße Sd&tt)ierig!eiten tt)eg. 3. 3n bem öierten SEon erfennt
©eöaert eine G-Seiter mit bem ©d^Iu^ auf ber 3)iebiante. ^ier giebt i^m
fein ©egner SRed^t für einen Seil ber 9JieIobien, ju benen j. S. baS belannte
Creator (ober Conditor) alme siderum ju jöl^len ift, bie i^rer ganjen
©tru!tur nad& einer 2)urtonart angehören, alfo G (ober aud^ C) jum
(Srunbtone l^aben, möl^renb fie im ßird^engefang in E ftel^en; ber ©d^lufe
auf ber TOebiante ift ^ier nid^t ju leugnen, gür anbere SKelobien beS
britten 2:one§ mi\i aber ®ed^ebrenö an% bem S3au ber 3KeIobie nad&, ba^
fie aUerbingä jur E-SJ:onart ju jaulen finb. 4. Sei ben befprod^enen 3:on=
arten tt)eift nun S)ed^et)ren§ nod^ mieber bcfonber§ nad&, ba& bie fßzxi}älU
niffe bei ben (Srabualmelobien , meldte einem anbern SJlufiff^fteme jugeteilt
»erben, gar nid^t anber§ liegen. S)aSfeIbe gilt bon einjelnen Unregelmä^ig=
feiten, bie beiberfeitS anerfannt merben muffen; fie fallen aber at§ üer=
einjelte ©rfd^einungen nid&t in§ ©emid^t. ©omit erfd&eint ber lang erfe^nte
unb enblid^ öon bem belgijd&en 5Jlufifgele!^rten angetretene SemeiS für bie
gried^ifd&e |)er!unft be§ ürd^Iid^en SKufiff^ftemS im 9lbenblanbe, aße§ in
aßem genommen, bod^ nid^t annel^mbar. @§ fragt fid^, mie SDed^ebren^
felbft mit ber S^eorie ber DftoedE)o§ ol^ne älüdbejie^ung auf bie alten
©ried^en jured^tfomme, unb meldte TOittel er finbe, um für getoiffe un=
leugbare ©d^mierigfeiten ber Sld^ttonlel^re eine befriebigenbe Söfung ju geben.
141. 6§ ift belannt, 'ba^ im SJiittelalter bie Überjeugung l^errfd^tc,
ba» ©Aftern ber Sird^enmufif fei bon ben alten ©ried^en überfommen; ber
S)c(i^cörcn8 üBcr ben Urf prang bcä IHrd&enöefangeg. 121
®o^)^)elftrom bcr abcnb= unb morgcnlänbifd^en Überlieferung tüurbe beiber=
feit§ naä) ©ried&cnlanb iurüdfgeleitet. 39oet^iu§ unb 5!Kardanu§ ©QpeDa
njurben bo^cr gctt)ö^nli(ä^ als Sel^rbüd^er in ben ©d^ulen gebraud&t unb ge=
noffen unbebingteS Slnfel^en. 9Kan mar fi(^ !aum red^t bemüht, ein mie
großer Untcrfd^ieb jtt)if(i&en bem oltgried^ifii&en SEonf^ftcm unb bem ber
DItoed&oS fei ; unb nxä^i t)iel anber§ f d^cincn felbft l^eute mand^e ju benfen.
S3oet^iu§ legte ju biefer 9lnfd&auung ben (Srunb, inbem er ba§ grie=
ä)\]ä^t Stonartenf^ftem eingcl^enb öortrug unb jtt)ar bie 3^^! ber gried&ifd&cn
©falen nidfet tt)ie ©affiobor auf 15, nod& auf 7, fonbern auf 8 feftfe^te. @§
fd&eint, ba^ er bereits eine Jlenntnis öon ben ad^t Sfird^entonarten ^atte
unb bei ben (Sried^en bie 2:^eorie bafür fud^te. S3ei 5!Rigne finb feiner
%abeUe fogar bie %amen ^ßrotuS, ®euteruS u. f. m. beigefd&rieben ; im SEejte
ift baöon freilidö nid&t bie 9iebc, unb ber SBoIfenbütteler ßobej, meldten
^aul in feiner Ausgabe unb grHörung beS Soet^iuS facfimiliert ^at, lä^t
biefe Sejeid^nungen fort; aber nur in jener SSorauSfid^t läfet fid^ erflören,
tt)ie ber geleierte 3Kann auS polemäus ad&t SEonarten ^erauSlefen lonnte,
ba biefer burd^auS nur fieben 2^önc anerfennt unb blo^ ncbenl^er ber 9ld&t=
jal^l gebenft. aSerjei^lid&er mar ber Srrtum, menn er nid^t erfannte, ba^
ber ©ried&e gar nid&t öon 2:onarten, fonbern öon 2ran§pofition§f!aIen rebet,
unb menn er bemgemä^ bie Flamen ber gried^ifd^en 3:ran§pofttion§fIaIen
auf bie lird^Iid&en Slonarten übertrug. 2)er feltfame 3i:ttum ift geblieben;
bie Tonart, meldte im ©ried^ifd&en bie |)^r5gifdöe ^ie^, mirb im 3JlitteIaIter
bie borifd^c genannt, bie borifd&e ber ©ricd^en Reifet bie p^r^gifd^e u. f. m.,
nur mcU man 2:onarten unb SEranSpofitionSffalen öermed^felte. Unter ben
gried^ifd^en Slonarten maren übrigens aud^ bie öon A, H unb C, fo ba^
bie ©leid&ftettung aüfeitig öerfe^tt mar {Boeth, , De Musica lib. IV,
c. 14 sqq.).
5Rot!er Sabeo mieberl^olt im 11. Sa^rl^unbert biefelben 9lamen; baneben
aber fagt er, bafe nur öier 2:onftufen bie SJlelobien fd&Iiefeen fönnten unb
eine finale je jmci Sönen gemeinfam fei, maS nur öom ©^fteme ber
DItoedboS gilt (De Musica, in ben beiben Kapiteln De octo tonis unb
De octo modis, bei Gerbert h c. I, 96. 98). 6in ö^nlid&er, öiefleid^t burd&
bie 2lnnal^mc einer Interpolation ju erflörenber SBiberfprud^ liegt bei 2lu=
relian bon Sle'ome' öor, menn man Kapitel 5 unb 6 mit ^(tpitel 8—20
öergleid&t. 3)ed^eörenS mad^t ma^rfd^einlid^ , ba^ aud& bie Unterfd^eibung
t)on ^lagaltönen, fomo^l bei ben abenblänbifd^en als aud^ bie etmaS öer=
fd&icbene bei ben morgenlänbifd^en ©Triften, fid^ auf biefelbe SSermed^Slung
bcr SLonarten unb ber SlranSpofitionSffalen jurüdtfü^ren laffe (I, 384 s.).
@S fd^eint in ber 2:^at, ba^ biefe Unterfd^eibung nid^t urfprünglid^ ift;
Diele SJlelobien fdEimanfen ja jmifdöen beiben gotmen, mie fd^on §ucbalb
in ber Harmonica Institutio bemerft {Migne, PP. lat. CXXXII, 944).
122 SHertc« Äa^jitel.
SBicberl^oIt reben bie S^coretilcr (j. 33. ßotton, bei Gerbert 1. c. II, 241 sq.)
anä) Don öicr altern ober ^oupttöncn.
S)ie 2Jiu[ift]^eorie be§ 2(benbIanbeS toax alfo gried^ifdö, aber t)on
mand^erlei Irrtümern entfteüt. ßiner ber ^auptfäd^Iid&fteu mar bie tt)ill=
lürlid^c SJermed&älung be§ h mit b, tt)eld&e für ben obem Seil ber Seitern
(bie Heine DItaöe) aDgemein jugeftanben »urbe; einige bel^nten fie aud&
ouf bie grofee Ottatyt au§. S)ie beliebige Slnmenbung Don b ftatt h jer=
jiörte in mand^en t^äUm ben ß^orofter ber 2:onart ; )o oft j. S. im fiebenten
ober ad&ten lone fid^ regelmäßig ein b finbet, ^aben »ir, wie fd&on 2Rar=
d&etti Don ^abua rid&tig bemerlt, bie öofliommene 5i[^nlid^!eit mit bem erften
unb jmeiten 2:one (bei Gerbert III, 114). 9Kan ^atte benn mö) immer
bog ©efü^l, baß b nid&t red&t an feinem 5pia|e fei; ®uibo bon Slrejjo
giebt einen SBeg an, tt)ie man e§ „ganj üermeiben" lönnc (bei Gerbert II, 8).
Über ben Urfprung biefe§ einzigen d&romatifd&en 3:one§ mußte man nid^ts
anbereS, aß baß er „bi^toeilen unentbel^rlid^ fei" (Gerbert 11, 234).
SBarum aber lein anberer d^romatifd&er 2:on? 9Kan mürbe geantwortet
l^aben : loegen beä Sritonu^, meld&er entfielt, fo oft bie Sonfolge bon f ju h
ober umge!e^rt in ber 3Jlelobie borfommt. ®a§ mar aber nid^t ber ©runb,
meSl^alb bei ben ©ried^en neben h ein b gebraud&t mürbe, unb in unferem
C-S)ur läßt fidö bod& ber SritonuS leidet umgeben. 3n ältefter geit ^attc
man übrigens menig 2lbneigung gegen beufelben.
142. Um bie aSermirrung, meld&e burd& bie ßenntniä ber gried&ifd&en
Sl^eorie in baö 2:onf^ftem be§ SJlittelalterS gebrad&t mürbe, ju beranfci^au=
lid^en, genügt ein flüd^tiger SlüdEblidE. 35ie SJlufift^eorie ber @ried&en ge^t
auf 5pi)t^agoraS jurüdt, beffen ©d^ule nod^ in ber fpäteften Qeit bebeutenbe
aSertreter jaulte, unter anbern ben gelet}rten 5ptolemäu§. 3nt (Srunbe be=
folgte biefe ©d^ule bie miffenfd^aftlid^ befle 9Jiet^obe, inbem fie fid& eng an
bie grgebniffe ber 9lfuftif anfd^loß. 2Bir ^aben nun menigftenS bier alte
3eugniffe bafür, baß anfangt nur brei 3:onarten, nämlid& bie bon C,
D unb E, anerfannt mürben. S)a ferner bon ^^t^agoraS bcrid^tet mirb,
baß er in ber fleinen Dftabe neben b aud^ h in feine 9lormalleiter bon
jmei Dftaben aufnahm, fo lann, meil bie (Sried^en nod& feincrlei ©d&eu
bor bem SritonuS l^atten, nur angenommen merben, baß ^^t^agoraS feine
brei Sonartftt in bie obere Quart transponieren moHte; jugleid^ muß er,
um aud^ eine 2:onleiter auf H ju erhalten, bie 2:etrad^orbe ber E-Seiter
umgelegt ^aben.
©0 biel ift fidler, baß man frü^jeitig mit fiebcn Xon arten auf
ben fiebcn berfd^iebenen ©tufen ber DItabe rechnete. ®ic SSegriffe bon 2:on=
art unb 2ranSpofitionSf!ala mürben bamit fd&on teilmeife jufammengemorfen.
3)od^ miffen mir nid^t, baß man jemals mill!ürlid& b unb h bertoufd&t
ptte, fonbern eine F-8eiter j. S. ^atte nur bann b, menn eine mirflid^e
ajlufift^coric bcä Slbenblanbcg.
123
3HobuIotion jiattfanb, fonft regclrcd^t i^r h. S)qS ©Aftern bcr 2)ot)t)cIo!taöc
Bel^iclt man bei, transponierte aber in ber öon SlriftibeS Duinttlianu§ (bei
Meibom, Musicae auctores p. 18) befd^riebenen SDßeife aQc 24)narten auf
ben 3Jlittetton ber S)o^)t)elIeiter, b. 1^. auf baS Heine a, ba man mit bem
großen A ju jä^Ien begann. Unter Beibehaltung ber abfoluten ^of)e Der»
fd^ob man aber für bie SE^eorie bie 5lormaI=S)oppcIIeiter , fo ba^ fid& (im
aSiolinfd&lüffel gefd^rteben) folgenbes ©^ftem ber SLranSpofition^flalen ergab,
innerl^alb beren man bon ber ©tufe beä a auS, tt)ie e§ auf ber 3lormaI=
leiter ol^ne Sorjeid^en fte^t, fieben öerfd^iebene SEonarten ablefen !ann.
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®ie an ber ©eite beigefd^riebenen 9iamen ber gried&if(ä^en Sonarten
übertrug nun' ba§ 9JlitteIaIter auf bie ganje 2)oppelIeiter unb fomit auf
bie Äird^entöne, je nad^bem fie öon biefem ober jenem SlnfangStone ber Seiter
aufzeigen. Sorifd^e lonart nannte man alfo nid^t ben 9lu§fd&nitt ber mit
D beginnenben 2:ran§pofition§ffaIa , aI[o bie auf bie ^ö^e be§ urfprüng=
lid&en a (ber erften ©oppeloftaöe) öerfe^te E-Seiter, fonbern biejcnige Äird6en=
tonart, toeld^e fid^ rein biatonifd^ auf D aufbaut. ®ie aSorjeid^nung ber
®oppelIeiter mürbe gar nid&t bead^tet. ©obann mürbe nid^t öiel gefragt,
ob mirflid& alle Äird^entonarten jene 9Infang§töne ber S)oppeIoftaben ju
©runbtönen (SEonifen) ^aben. ©enug, man mürbe fo leiblid^ mit ber 9ln=
menbung ber gried^ifd^en Se^re auf bie d^riftlid^e SJlufi! fertig. 9lur mar
für einen ad^ten Jtird^enton nod^ fein ^la^ gefunben; allein 99oet^iu§,
124 Stierte« Äa^ttcl.
befyen SabeDc eben jcne^ p^tl^agorcifd&e ©d^cma bcr 3:ranä|)ofiti0nSfIaIcn
toicbcrgicbt , (ober bcr ®emäl^r§mann beS Soet^iuS) erinnerte fid&, ba^
^tolemöus irgcnbtoo itriä^k, e§ l^ötten einige aä^t %öm angenommen, unb
bamit tarn man aufS fd&önpe auS: ber ad&tc SLon (b. 1^. ein |)^permijo=
I^bif (i& ober 1^ ö ^ e r e § 2Jli jol^bif d^ auf a), ben 5ptoIemäu8 D e r to i r f t , »eil
er nur bie SQßiebcr^oIung ber crften SlranSpofitionSflala (A) in ber l^öl^em
DItabe fei, mu^te ben 9iamen für ben tiefften, ganj öerfd&iebenen ßir(i&en=
ton, eine plagale D-Tonart (auf A), abgeben. 9ln ben obigen ©!alen
erfiel^t man, bafe biefe neue l^^poborifd^e ßird^entonart fid^ auf A, nid^t auf
a ergebt, mö^renb baS gried&ifd^e ^^poborifdö auf a ftdö aufbaut. 2)ic
ganje Drbnung ber ©falen nad& ber |)ö]^e ift gerabeju^ umgefcl^rt.
35a§ fird&Iid&e 3KijoI^bifd& ift bie ^öd&fte, ba§ gried&ijd&e bie tieffte Tonart (H).
2)ie ©ried&en f(i^ritten übrigen^ ju jtoölf unb fünfjel^n SEran§|)ofitionen fort,
bis poIemäuS auf bie alte ©iebenjal^l ber ^^t^agoreer jurüdEfam. Sin i^n
fonnte nun 39oet^iu§ anfnüpfen, unb ber ©d&ein, alö befinbe man fid^ mit
bem Sld^ttonf^ftem genau im ©eleife ber gried&ifd&en 3:^eoretif er , täufd&te
lange. Unb bod& f})rad& nod& fo mand^eä Slnbere gegen bie 3bentitöt ber
altgried&ifd&en unb ber d^riftlid&en 3Jlufif. 3)ie plagole gorm ber Sonarten
mar ben ©ried^en nid^t befannt; bie ©pur, meld&e ©ebaert bei ^toIemäu§,
aber aud^ nur bei i^m entbedt ju ^aben fd^ien, l^at i^n getäufd^t (Decke-
vrens 1. c. I, 840 s.). 3)ie gried^ifd^e 9Jlufif mar ferner eine f^ßabifd&e
unb feine meli§matijd&e ; min man ober bie 9KeIi§men al§ eine erft f^)äter
aufgefommene 5Jlanier anfe^en, fo mirb man bod^ mit ©ebaert eine orien=
talifd&e Dueße bafür anfe^en muffen. 5lodö me^r: ber 3l]^^t^mu§ be§
6^orafö, mie er fid^ im Orient erhalten l^at, meift nid&t nad& ©ried^enlanb
äurüdf (Dechevrens 1. c. 11, 269 ss. , befonberS 280 s.); ber freie
3i^t)t^mu§ beS abenblänbifd&en gl^orafö ift üoDenb» anberer 9latur al§ ber
be§ 2lltertum§. Sie gried^ifd&e SKufif l^atte aud& eine ganj onbere 5loten=
fc^rift; biejcnige, in meld^er ber ältefte ßl^oral gefd^rieben ift, meift burd^
i^ren frembartigen ß^arafter unb i^re auffattenbc SSermanbtfd^aft mit ber
d&riftlid^en 5lotenfd6rift be§ Orients nad^ 9lfien. 6S bleibt fomit für bie
l^erfömmlid^e 9lnfid^t bon ber organifd&en ©ntmidflung ber ßird^enmufif aus
ber gried&ifd&=römi|d&en fein anberer SemeiS übrig olS eine gemiffe äußere
SBal^rfd^einlid^feit unb bie Slnfnüpfung ber mittelalterlid^en 3:^eoretifer an
bie gried&ifd&en. S)iefe ©rünbe fönnen aber, feit aud& ber ©eboertfd&e,
mit aßen TOitteln ber ©ele^rfamfeit gemad^te aSerfud^ jur ÜberbrüdEung ber
Äluft jmijd&en bem gried^ifd&en 9lltertum unb bem iKittelalter als nid&t ge=
lungen ju betrad^ten ift, faum auSreid&en.
143» 6s fragt fid^ nur, ob etmaS ffleffereS an bie ©tcße gefegt merbcn
fönne. S)ed&ebrenS beabfid^tigt in ber Sl^at mit ber einge^enben SBiber=
legung ©ebaertS (beffen gelehrte ^o^fd^ungen i^m übrigens teilmeife als
2öiffenfd^aftlid^eg «Softem bcr (S^oroltonortcn. 125
©tunblage für feine tüeitern ©tubien gebient l^aben) nid&t^ onbercS als ben
Slad^meiS, ba^ bte fird^lid^en 3KeIobien fämtlid^ au§ einer unb berfelbcn
Dueßc ftantmen, unb bafe btefe in bcr l^ebräifd^en Sempelmufif ju fut^en
fei. SDem erften fünfte mirb laum ju miberfpretä&en fein; benn bic ein=
l^eitlid&e tonale ©runblage ber fogen. einfad&cn unb ber meliSmatifd^en 9JleIo=
bien bürfte genügenb no^getoiefen fein, unb bie SSerjierungen ber le^tern
finb in ben 5lnti|)]öonen jum SenebictuS unb jum 3Kagnifi!ot, wenn anä^
nid^t in berfelben 9lu§be^nung, bereits ju finben — fünf ober fed^S %oten
auf einer ®ilbt finb ba nid&t§ UngetDö^nlid&eS. D^nc^in ^at e§ jo aße
SBa^rfd&einlid^feit für fidö, ba^ öon Slnfang an bie tirdölidöe fiiturgie unb
fomit anä) ber ju berfelben gehörige ©efang mefentlidö ein^eitlid^ mar, tooju
no6) fommt, bafe bie ©cfangStrabition beS Orientes nid^t erft im 6. bis
8. Sa^r^unbert, fonbern bereits jur Seit bcS 1^1. 9lmbrofiuS in baS 2Ibenb=
lanb ^erübcrgeleitet tt)urbe ; meiter l^inauf aber läfet fid& bie lird&Iid&e TOufif
über]^au^)t ni(i&t mel^r öerfolgen.
SBie ift nun aber baS 9(d&ttonf^ftcm, bie orientalifd&e Dftoed&oS, eigentlid^
aufjufaffen, ba bie gried^ifd^c Äird^e bod^ etmaS anbcrc Stonarten als bie
abenblänbifd^e gebrandet? ®ie moberne 2:^eorie ber ©ried^en, bie 3laä)'
rid^ten, tt)eld^e unS über bie ältere ^rajiS erhalten finb, unb baS ©Aftern
beS SlbenblanbeS finb l^ier miteinanbcr ju bergleid&en , unb bann nod^ ein=
mal bic S^age ju fteßen, ob bie fo ergänzte Sl^eorie ber öxtcotj^oq auS bcr
griedöifd^en gefloffen ober aus einer anbern DucQe l^crjuleiten fei.
S)ic ©ried^en bebienen fid^ in bcr SE^coric beS ffird&engcfangcS einer
©oppclleiter, mcld&e mie bie beS 2IbenbIanbeS mit ber altgried&ifd^en ftimmt,
aber cbcnfaQs in ber Slicfc ein 6 jufc^t; baS gefd&a^ (toie So^anncS ßotton
bei Gerbert 1. c. 11, 233 fagt) auS 3?ot, tocil bie Pagalform beS erften
SoneS bismcilen bis Gr l^inabrcid^t. S)ic Cftoed&oS fanb in ber gried^ifd^cn
Xl^eoric, ber man fid& natürlidö aud^ im 9JiorgenIanbc aufd^Iofe, ^icr micbcr
eine ©d&toicrigfcit. S)odö biefe ift o^ne tiefere Sebeutung. ©tcpl^anus
SampabariuS bejeugt nun (in feiner neugried&ifd& gefd&riebencn ß^oralfd&ulc)
bcjüglidö ber 2:onarten, bap bie ,,9][Iten" bicr autl^cntifd&c auf d, e, f unb g
aufbauten , bie cntfpred&cnbcn ^lagatleitern aber auf 6, A, H unb c (bie
^lagaltöne liegen bei ben (Sried^cn eine Duint, nid^t eine Duart tiefer).
2ln einer anbern ©tcHc fagt bcrfclbe ©d&riftftellcr , bie alten aut^entifd^en
Söne feien bic öon f, g, a unb h, bic Pagaltönc bie öon H, C, D unb E.
3)iefc Drbnung befielet ungefähr aud^ jc^t, nur ba^ man, toie bcr 2am=
pabar beifügt, baS aßju l^ol^e a unb h n)icbcr nad^ d unb e l^erabgcfc^t
^at. 6S finben fidE) aud^ in ber neugricd^ifd^cn SL^eorie 5lad&rid^tcn über
bie fieben 2:onartcn bcr alten ©riedEien unb bie ad^t beS Soetl^iuS; aber
bic Dftocd^oS in ber obigen gorm blieb ^errfd^enb. 9llS ßlcmente ber
Tonart merben naml^aft gemad^t : ber SlnfangSton, bic Jonfolge ber fieiter.
126
^ierted Stapiid.
bie d&ata!teriftif(^cn Sonftufcn, tt)cl(ä^c bie 5IKcIobic öorjugsmeifc tragen, unb
bic ginole, toeld&c bcn ©efong glct(ä^fain be^ertf(i&c. 9lbet bei allein bent
l^aben fid& bei ben Steugtied^en fo Diele ^rttüntet in Sl^eoric unb ^rajiö,
tt)eld&e bent ©influ^ ber türüfd&en TOujtf unb ber aögtieiä^ifd^cn SEI^eorie gu=
ge)(^rieben toerben, eingef d&Ii(i6en , bafe bie reine Sl^corie ber OItoed&o§ erfl
tt)ieber]^erju[tenen ift. @8 ergiebt fxä^ bann etwa foIgenbcS {Dechevrens
1. c. I, 474 SS.) :
144. SE^atfäd&Ii* ftnb eS, aUe ©^jielarten mitgejä^It, 15 Seitern, auf
»eitlen aße biatonifd^cn ÜKelobien beS gried&if(i&en unb be§ römifd&en Äird&en=
gefangeS fi(ä^ aufbauen; fie bilben bier aut^cntifd^e unb bier plagale SJ4)n=
arten, bon benen bie erftern ben tiefften Son, bie anbern bie Oberquint
ober =quart jur Sonita l^aben. 3eber %on ^ai eine boppclte 3^omt, je
nad^bem enttoeber h ober b in bie fieiter aufgenommen toirb; bie pagal=
form be§ britten 2:one§ ber E-2:onart ^ai natürlid& nur h, unb aud& bie
aut^entifd&e gorm ber G-2:onart berfd^mä^t e§, bie grofee Sterj ber 24)=
nifa in bie Heine ju bermanbeln. ®afür aber tritt nod^ eine autl^entifd^e
Tonart bon C — c (ober c — cO ein, bem Flamen nad^ afö eine britte ^Iagal=
form bon ber F-3:onart. ©o ergeben fid^ alfo im ganjen 15 Seitern.
®ie Seitern mit b ftnb, menn ba§ b al§ leitereigen ober roefentlid^ gelten
foH, blofee SLran^pofitionen ; fie gel^ören a!uftifd& ju einer anbern 5laturrei^e
ber Söne mit bem gunbamentalton B ^att F (f. 5Rr. 102). galten
mir un§ alfo an ba§ einfädle ©^ftem ber a\i§f bem tjunbamentalton F fid6
ergebenben biatonifd&en Steil^e, fo muffen bon ben 15 Seitem fünf ab=
gejogen merben. Um nun ju ermitteln, miebiel eigentlid^e SEonarten ftd&
in ben jel^n übrigen bergen, mu^ man ben ©runbfa^ feft^alten, bafe bie
fflefd&affen^eit ber 2:etrad^orbe bejm. bie Stellung ber |)albtöne ben tt)efent=
lid&en Unterfd^ieb ber 2:onarten auSmad^t. 2)ie 3JlöglidE)!eiten ber 2:etrad^orb=
SSerbinbungen aßer rein biatonifd^en Seitern (ol^ne b) finb aber balb be=
ftimmt. Sejeid&nen mir bie ^etrad^orbe mit I, II, III, IV , je nad&bem ber
^albton bie britte, bic jmeite, bie erfte ©teße einnimmt ober ganj fe^lt,
fo finb folgenbe 5)iöglid&fciten üorl^anben:
I + I, n + II, m + III, ferner I + II, II + m, enblid^ bie
einjig möglid^e SBerbinbung bon IV , nämlid^ IV + I. ®a§ finb fed&§
cigentlid^e Slonarten, meldte burd^ Umfe^rung ber Setrad^orbe nod^ fed&§
Pagalformen bilben. S)ie Slonarten be§ Dftoed^oS mie überl^aupt bie
natürlid&en biatonifd&en 2:onarten ftnb alfo bie folgenben:
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®ic abftraftc 2:i^coric fönnte ju feinem anbern Ergebnis lommen, ob=
gefeiten ettoa nod^ bon einer H-Xonott, toorüber fogleid^. SBenn xoxx aber
an baS b beS ßird^engefangeS jurücfbenlen, fo ergicbt fid^ ungcjmungen, ba§
ftd& oft bie Stonarten öon C unb A (bejto. c unb a) im ßird&cngefange
Derftedt unter einer onbem Xonart öorfinben muffen. 3n ber 2:]^at t)er=
birgt fid^ unter ber F-2:onart mit leitereigenem b ein 2eil ber SKelobien
ber C-Xonart (oben I); ferner unter ber D-SEonart mit burd^gefü^rtem b
teilmeife bie tron§|)onierte A-5lonart (oben V).
S)ie altgried^ijd^e H-Xonart nimmt eine gauj befonbere ©teßung ein;
fie ^at jmif^en ben Xetrad^orben feinen aSerbinbungäton unb barum feine
reine Quint ber 2:onifa. ©ofern fid^ im ftird&engefang äl^nlid&e SKelobien
finben, bie fid^ auf ber 2:onifa H (ober h) aufbauen, fo bilben fie eine
Stonart für fid^; fie fonnten fid^ aber Ieid()t unter ber plagalen gorm ber
E-SEonart berbergen (f. 5ir. 118, gnbe, unb 120).
145. SDieS ift baS ©ijftem ber ß^oraltonarten , tt)ie c§ ®ed&ebren§
fd^arf finnig ermittelt ^^t g§ mieber^olt ftd& nun für i^n bie Srage : SBo^er
ftammt e§? S)en altgried^ifd^en Urfprung glaubt er auS ben oben au§=
geführten ©rünben abioeifcn ju muffen, ©id^er iji bie J^eüenifd^e .^erfunft
nid^t ermiefen, unb um biefelbe äber^au|)t annehmen ju fönnen, märe ieben=
falls eine fold^e SSeränberung ber alten fieben 2:onarten unb ber SE^eorie
bcrfelben borauSjufe^en, ba^ ein ganj neues Softem barauS getoorben fein
müfete. 3)ie Stl^nlid^feit , meldte nod^ übrig bliebe, märe nid^t größer, al§
fie jmifd^en jmei unabl^ängig entjtanbenen biatonifd^en TOufiff^ftemen not=
menbig fid^ finben müfete. ©0 fiat benn 2)ed^et)renS bie fd^on früher bon
anbern auSgefprod^ene unb aud^ bon ben franjöfifd^en Senebiftinern me^r=
fad^ bertretene 2lnfid^t mieber geltenb gemadEit: bie SBiege beS ßird^en=
gefangen, aud^ nad^ feiner mufifalifd^en ©runblage, fei in Serien unb
^aläftina, in 9lntiod&ien unb Serufalem ju fud^en.
3ur Seftötigung laffen pdf) in ber 3:^at mand^e ©rünbe anfül^ren.
S)ie 5ieugried&en fd^reiben bie tl^eoretifd^e geftflellung ber Dftoed^oS bem
128 aSierteö StapiUl
^I. 3o^Qnnc§ 2)amQ§ccnu§ ju. SBq§ baS 9l6enblanb bcm ^l. ©rcgor unb
bem 1^1. 9lmbrofiuS jufammcn öcrbanft, baS rü^mt ba§ 5ßorgcnlQnb bon
jenem aßetn, bo^ er nämltd^ nid&t nur Orbner unb götberer bc§ fir(^li(i&cn
©efangeS, fonbern Qudö felbft ein fr^iä^tborer Sonbtd^ter gewefen |ei, bop
er ferner bie 5leumenf(i6rift grofeenteilä erfunben ober bod^ berbeffert l^abe
(^QpQbo^JuIoS, (Sefd&id&te ber Äird&enmufü, neugried^ifd^ [Sitten 1890],
©. 154 ff.). S)er orientolifd^en Srabition ftimntt aud& ©erb er t bei (De
cantu et musica sacra II, 5 sqq.). SDßenn tt)ir nun bie reforntQtorif(^e
SBßirffamfeit be§ ^eiligen in ber Äird^enmuftf ber ^anpt^aä^t nad& als ge=
geben ju ©runbe legen, fo erflärt fid^ auf§ be|ie ber Sluffd^toung , toeld^er
in ber S^eorie unb wol^I auä) in ber ^rojiS be§ abenblänbifd^en ß^orafö
feit bent 8. ^ol^rl^unbert eintrat. 3o^annc§ bon 3)anta§!uö tt)irb feine
3:i^ätig!eit bor ber SKittc bc§ 8. Sal^rl^unbertS abgef(]&Ioffen l^aben. Bä^on
fange aber mar ber SSerlcl^r jtoifd&en ber Sird&e be§ 2HorgenIanbe§ unb ber
römif d&en fc^r rege; bor 715 maren fieben ^äpjie nad^ ber SReil^e ©^rer
ober ©ried^en bon ^er!unft, unb mieberum maren eS ©regor HL unb
3ad&aria§, benen bie 3:^ätig!eit be§ 3o^anne§ 3)amaScenu§ nid^t unbelannt
fein fonnte. ©cbaert glaubt biefen ^äpften oricntalifd&er Slbfunft fogar ba§
ganje SBer! ber 9leorganifation be§ abenbtänbifd&en ©efangeS jufd&reiben ju
lönnen; bafe aber, menn je jubor, fo gemi^ unter biefen ber orientalifd^e
©nflufe fid& geltenb mad^en ntu^te, ift einleud^tcnb. 2:]^atfäd&Iid& lommt
fd&on im 8. 3a^r^unbert bie Sl^eorie ber Cttoed^oS mit ber 5leumenfd&rift
unb ber reid^cn mcIiSmatifd^en SWufif bon 9iom nad^ @t. ©allen unb in
ba§ ganje granlenreid^. Sllcuin, ber berül^mte ^freunb ffarlS beS ©ro^en,
ift ber erftc, meld&er bie ad^t 2:onarten unb beren Unterfd&eibung in autöen=
tifd^e unb plagale borträgt. S)ie neue 2:^eorie gel^t nun neben ber alt=
gried&ifd^en l^er, o^ne bafe fid& biefe auf bie ®auer behaupten fann. 3)ie
5leugried^en berbrängen i^re SSäter aß Se^rer beS 9lbenbIanbeS.
S)ie S^rage brängt fid& auf: 2Bar eS aud& eine ganj neue aWufit,
meld&e mit ber neuen S^eorie in§ Slbenblanb lam ? ®abonfinbenmir
feine aud& nur entfernte Slnbeutung, mäl^renb man fidfe in ber
SB^eorie beftönbig auf bie ©ried^en beruft unb bie Sejeid&nungen ^rotuS,
S)euteru§ u. f. m. mie aud& bie gried^ifd^en Benennungen bieler 5leumen=
jeid^en gang unb gäbe merben. Slurelian bon 3ieome im 9. Sa^rl^unbert
berid&tet, ta^ bie ©ried^en fid& für bie grfinber be§ ©^ftemS ber ad&t
Tonarten erüärten (ma§ nid^t beftritten mirb), ba^ aber fd^on Äarl ber ©ro^e
ben aScrfud^ mad^te, baSfelbe ju ergänzen, meil bie borl^anbenen ©e=
fange fid^ nid&t aHmeg in biefe§ ©^ftem einfügen moDten; e§ fei aber
biefe Steuerung unnötig, ba jur ^exi ber SSäter in ber orientalifdöen
unb occibentalifd&en JJirdbe Slntip^onen, SRefponforien, Cffertorien unb
Kommunionen ftet§ nad& ben altem ad&t Jonen gefungen morben feien (bei
^erlunft beS Sl^ttonf^ftemd. 129
Oerbert, Script. I, 41 sqq.), SluS bicfer ©teile gel^t ni^t einmal ^cr=
bor, bafe bie Sl^orie ber ad&t lonarten bamols im ftrengcn ©irnie.neu,
fonbem nur, bafe fie ber gried&ifd&en ftird&e bor ber ^tit ftorls bc§ ©rofeen
entlcl^nt fei ; bon ben 2)ieIobien mirb entfd&ieben bel^au|)tet, [ie feien feit un^
borbenflid&en Seiten beiben ftird&en gemeinfom ge»efcn unb liefeen fid& leidet
unter ben bereits übüd&en Tonarten unterbringen. Diefe SWelobien finb
aber bie reid& berjierten, »el^e nad^ bem Scuflttiff^ ^^^ ©t. ©allifd&en ^anb»
fd&riften bamal§ im granfenlanbe gebröud^Iid^ waren, ©ie finb alfo ni4t
etwa bor !urgem eingeführt ober entfianben. 9lurelian fül^rt alle 3Rt^
gefängc, SntroituS, ©rabuale u. f. w. auf bie ülteften S^^^ iurüdf, o^nc
bag er ftd^ einer bebeutenben ^nberung in ben liturgifd^en befangen bewußt
märe; er fafet bie berjierten 9Mc|gefänge alle unter bem 5ttamen ber Sintis
pl^onen unb ber 3left)onfionen jufammen (Oerbert 1. c. p. 59 sqq.). 5Diefe
Sluffaffung loirb jKlIfd&iDeigcnb aud^ fonft überall borauögcfe|t ; fo unter
anberem in ber Regula S. Benedicti unb in ben Instituta Patrmn (bei
Gerbert 1. c. I).
@inen 2ltt^aItS|)unIt für baS l^o^e Sllter ber berjierten ©efönge bieten
ferner bie SWelobien beS ambrofianifd^en 3Ktu8. ftienle befj)rid^t an ber oben
3lx. 127 angcfül^rten ©teile einge^enb eine anfd&einenb aus bem 11. 3a^r=
^unbert ftammenbe |)anbfd&rift ber mailönbifd&en fiiturgie unb giebt 5ßrobcn
bon ben im allgemeinen nod^ reid^er aß bie römifd^en ^elobien berjierten
fogen. ambrofianifd&en ©efängen. 9Han !ann faum jiDeifeln, bafe ber größte
2:eil berfelben in bie Qtit bor ber römifd^en Reform, meld&e ©regor bem ©rofeen
jugefd^rieben toirb, l^inaufreid&t. Unb bod& finb biefe ©efönge reid&er mit
3MeIiSmen berjiert als bie gregorianifd^en.
3Kan l^at bemnad& gar leinen ©runb, bie meliSmatifd&e 3Rufif für fel^r
jung ju ertlören, jumal aud& bie iübifd&e Siturgie ber d&riftlid&en S^^U ^ic
armenifdöe unb bie mal^rfd&einlid^ uralte fot)tifd^e meliSmatifdö ift, fomeit mir
fie nur berfolgen lönncn. 9lIIe Ulad^rid&ten fpred&en im ©egenteil für bie
Slnnal^me, ba^ ber Äird^engefang im Slbenblanbc mic im 9MorgenIattbe eine
burd^auS ä^nlid^e gnttoidflung burd^gemad^t l^at; nur fo ift eS erllörlid^,
mie tro^ ber SSerfd&iebenl^eit ber meiften Sejte unb ber 5DieIobien im eins
jelnen bod^ ber allgemeine @^ara!ter unb bie mefentlid^e ©runblage beS
SRufilf^ftemS , bem fie angel^ören, fo ä^nlid^ finb. S)a bie Verleitung ber
ürd^lid^cn SJlufil aus ber altgried^ifd^en nun fomo^I rütffid&tUd& beS ©^ftemS
tt)ie rüdEftd&tlid^ beS allgemeinen ©e|)rägeS faft unüberminblid&e ©d&mierigs
feiten l^at, unb bod^ eine ein^citlid&e Duelle für bie orientalifd&e h)ie bie
occibentalifd^e ftird&e anjunel^men ift, fo loirb bie S^^ödtfül^rung auf ben
3:empelgefang ber alten 3uben immer nod& baS meifte für fid^ l^aben.
146. 2Kan fud&t gemöl^nlidö bie Äird&enmufif auf bie f^Habifd&e 9ie=
citation ber ^falmen ober auf ben ebenfalls f^ßabifd&en ^^mnengefang jUs
eittmann, ^ftl^etit. 3. SEeil. 9
130 ahertes Äa^itet.
rfttfjuleiten , um fo eine Srücfe ju ber altgric^ifd^cn 5Dlufif jii fd&Iagen.
SBetüiefcn aber ift ber j^IIabif ^c ß^arof ter ber g a n j e n ftird&enmufif in ben
früWtßtt 3a^r]^unberten leineSmegS; es liegen uns Don ber eigcntlidö mcIo=
bifd&en 5Rufif ju profoifd&en Seiten gar leine 9lad&rid&ten öor bis ju bem
Sluftreten ber üp|)igften 2ReliSmatil in ben IReumcnl^anbfd&riften feit bem
9, ober 10. 3a^r^unbert unb in ben ft)ätem Stoten^anbfd^riften, befonberS
aus bem mailönbifd^en SRituS. €S jie^t audö gar nid&ts ber Slnnal^me im
SBege, ba^ ber ffeim ber meliSmatifd^en Wufil in ben jübif^en 3:emt)elgefängen
gegeben mar. Der t)rofaif(i&e Slejt ber 5Dlefegebetc muptc \\ä) ober, nöd&ft
ben ^falmtejten, benen fie ju einem großen Seil entlel^nt waren, öiel el^er
jur muftfalifd&en SBel^onblung barbieten als frei gebid&tete f)^mnen, mie fie
j. S. ber 1^1. 9lmbrofiuS, ber 1^1. 6t)^räm ober anbere Sid^ter fd^ufen. 9ladö
®et)aert fd^log ber rMifd^e älituS nod& im 11. ^al^r^unbert fold^e @efänge
aus. @S fd&einen jubcm fomol^I im Orient loie im Occibent bie ^örctifer
erft ben 5lnlaR jum ^^mnengefange ber ftird^e gegeben }u l^aben. Den
Äern beS ffird&engefangeS bilbet bagegen Don jel^er bie ^falmobie, unb mit
i^r l^öngen in erfter Sinie gufammen bie 3Kefegefänge, 3ntroituS, ®ra=
buale u. f. m.
SBir ^aben freilidö über le^tere leine nähern 5ßad&ridötcn ; aber fie finb
iDol^I unter ber Sejeidönung „^falmen" mitjuöcrftel^en, wie gemife mand&mal
fogar bie ^^mnen. SBenn ber 1^1. 9luguftin fagt, ba^ bie Sonatiften „i^re
trun!ene Seibenfd&aft in ^falmen ausfingen, bie ber aWenf^engcift gebid&tet
l^abe", fo öerfte^t er fid&cr lieber artige ®efänge. ©ein eigener „^falm''
gegen bie Donatiften bürfte feiner metrif(]&en (r^^t^mifd&en) unb ftrot)l^if(]&en
Qform wegen (weld&e aüerbingS ni^t bie Ilaffifd&e ift), ferner wegen bcS
reimartigen SSerSfd&IuffeS (auf e) fo gut ben ^^mnen wie ben ^falmen ju=
gejault werben. SDodö fei bem, wie il^m wofle, bie mufilalifd&e 3lbfingung
Don ^rofatejten neben ben eigentli(]&en ^falmen ober ber reidö berjierte aSor=
trag Don einjelnen ^falmDerfen ift wenigftenS ebenfo wal^rfd^einlid^ wie ber
litürgifd&e @ebraud& ber ^^mnen. Die SWelobien ber ^falmen unb ber
Ö^mnen finb unS audö nid&t in altern ^anbfd&riften als bie meliSmatifd&en
SHe^gefönge erhalten. 3)ie SBa^rfd^einlid&Ieit aber, bap im jübifd&en 3:empcl=
gefänge jur Szxt ß^rifti nid&t nur ^falmen, fonbern aud^ anberartige mufi=
fafifd&e ©tüdfe im ©ebraud&e waren, ift ebenfo grofe ober Dielme^r Diel größer
als bie anbere, ba^ bei ben ©ried&en unb SRömern ©efönge mit 5ßrofa=
tejten Dorlamen. Äurj, ba wir nun einmal über ben ölteften ftird^engefang
nii&tS ©enauereS wiffen unb unS burci^ SBal^rfd&cinlid&feitSgrünbe leiten tajfen
muffen, fo ift immerhin bie Slnfici^t Don ber |)erfunft beS ftirci^engefangeS
aus ber jübifci^en Sempelmufif nod^ am beften begrünbet. ®ie 2H)oftel unb
bie erften ßl^riften nal^men eine S^iÜ^^Ö ^^^ ^m jübifd&en ©otteSbienfte
teil, wie baS 5Reue 3:eftament wieberl^olt berid&tet. Sßenn aber ferner bie
^erlunft beg SCd^ttonf^ftemd.
131
orientalifd&e Überlieferung als an ber Drganifation be§ ßirdöengcfangeS be=
fonbcrS beteiligt ©^rien unb nö^er bic ©tabt Slntiod&ten nennt, fo
rotjfen wir au§ ber 9l|)ojicIgef(j&i^tc , bafe Slntio^ien nöd&ji Scrufalem bie
crjie bebeutcnbe ^cimpötte ber ©laubigen mürbe, unb ba^ bie bortige ®e=
meinbc öon 3uben gegrünbet mar unb bod& öorjugSmeife aus f)eibend&rijicn
fid^ jufamntenfejte. 9Han lann fid& leidet beulen, mie in einer fold&en ®c=
metnbe ber liturgifd&e ©efang fid& gejialtctc: bie |)cibcn brad&tcn nid^tS mit,
trmS i^neti l^ätte bicnen lönncn, bie 3uben bagegen fonnten o^ne meitcreS
bic gemo^nten religiösen ©efönge in bie ßird&e mit l^erübernc^men. 5ßi(i&t§
crgiebt ftd& alfo einfad&er, als bafe auS bem ©runbftodte ber SKcIobien, mie
pe in ben Synagogen gebröud^Iid^ maren, bie liturgifd&en ©efönge ber ftird^e,
mie rüdffid&tlidö ber Seite fo aud^ rüdfid&tlid& ber SWcIobien, rafd&er ober
langfamer, je nad& ben Umftänbcn, ftd^ l^erausbilbeten. ©oH ber ftird&en=
gefang burd&auS anfangs f^IIabifd^er 9latur gemefcn fein, ol^nc ba$ aud6
nur ein SHIeluia mit meliSmatifd&er 9Jerjicrung im ©cbraud&e mar, fo mag
man fortfahren, bieS ol^ne eigentlid&e 33egrünbung ju be^aul)ten ; aber bann
ftel^t mcnigftenS ber Slnnal^me nid&ts im SBege, bafe fid& bie meliSmatifd&cn
©cfänge aus ben f^llabifd&en SWelobien ber Synagoge unb beS %tmpü^
entmidfelten. 9Man fönntc nun aUerbingS nod& öermuten, ba^ bie jübifd^c
5Kuftf jur 3cit, als baS ß^riftentum in bie SBelt trat, fd&on ^elleni=
fiert mar. S)aS löfet fid6 l^ören; aber Semeife giebt cS audfe bafür nid&t,
unb immer fd&eint ber fo Derfd^iebene Kl^arafter ber d^riftlid&en SJlufif el^cr
für baS ©egenteil ju ft)red6en.
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S)tefe altgrted^if^en SJtelobien finb aus SEßeft^jl^alS „©riei^if^et fiatmoni!''
@. 219 unb 233 ber 3. unb @. 347 ber 1. 3(uf(age entlehnt. Sie eifte Mt in ber
na$ D tianätionierten A-£onart, bie jtoeite in bet H-Slonart (bgl. oben @. 98),
bie brüte ffat bie Xonita F unb fci^Iteftt in ber Slerj (»gl. oben @. 120).
182 gfünfte« Äapitel.
a) aRelobie.
147. 3)ic SWclobic ift eine ,äfH^etif(i& roirf fame golge öon Jonen. SBie
üfceraH in bct aKufil, fo !ommt e§ au(36 l^ier auf ben t)]^ij[if(J^cn SBol^BIang
unb ben geiftigen ginbrud sugleid^ an. Septem bilbet bic |)auptfa(J6e,
meSl^alb unter Umftänben bie aluftifd&c Slnne^mlid&feit beS fflange§ ber S9e=
beutung beäfelben teitoeife geot)fert loirb. 3m aßgemcinen iji aber bo(3& bie
öji^ctifd&e SQBirlung eine fomol^l geiftig al§ finnlid^ angenel^me.
Sie melobifd&e ©dftön^eit beruht auf bem ©efamteinbrurfe einer 3:on=
reil^e. SKel&rere 2:öne berfd^iebener ober audö teitoeife glcid&er §ö^e nömlidö
bilben, menn [ic fünftlcrifd^ georbnet finb, sufammen eine ©inl^eit, unb toxi
f äffen fie al§ ein bctoegteS (SanjeS auf, fo gut wie bie ßörperbctoegungen
im Jange. 3)amit tritt nun ein ncue§ öft^etifd&e^ 9Koment, unb jtoar in
ber 2Mufif baS aßertoid&tigfte, in ßraft. ®a§felbe mufe bon bem Sßerte ber
einjelnen mufilalifd^en SEöne unb anä) üom Sll^^t^muS, b. 1^. bem gcorbneten
Seitber^ältniffe ber Sonfolgen, allerbingS nid&t getrennt, aber bod^ begrifflid^
unterf(|ieben locrben. 2)enn ber S^^t^muS tritt oft genug, loie j. SB. beim
Slrommelfd^lag , ol^ne OJlelobie auf. St^nlid^eS ift öon ber Xonbauer unb
ber 3:onftärIe ju f agen ; bie 5DleIobie ^at beibeS, aber i^r SQBefen beftel^t hoä)
in bem too^Igeorbneten ©teigen unb gfallen unb Sel^arren ber Söne. 3^re
©d^ön^eit liegt alfo in ber 9lbfoIge ber Söne felbft, in bem SSer^öltniffe,
in ben Snterballen unb beren 39ebeutung, fei e§ an yxä), fei
e§ in ber (allerbingö t^atfäd&Ii(iö nad^ 3^^t unb ©tärle ge=
regelten) SSerbinbung berfelben.
148. 9(m leid&teften ift natüriid^ ber ©runb be§ l)^^fifd&en aBo^IIIangeS
unb ber |)^^fioIogifd&en SBirfung einer Sonreil^e ju ermitteln. Die @r=
fal^rung läfet ia fofort gemiffe Xonfotgen al» naturgemäß unb anbere afö
ungemöl^nlid^ ober frembartig erfd^einen; aßju große Snteröafle, befonberö
mehrere nad&einanber , ober aßju fleine (SSierteltöne unb mel^rere ^albtöne
in ununterbrod&ener Solge) miberftreben fd&on megen ber ©d^mierigfeit bem
unmittelbaren Slaturgefü^Ie. S)a§ Urteil über Slbmed&Slung ober 6intönig=
feit unterfte^t bem aßgemeinen ©efe^e aßer fünfte. 6nblid& fann ber ©rab
ber Äonfonanj unb Siffonanj gerabeju pl^^fitalifdö beftimmt merben. SBir
meinen bie melobifd^e ßonfonanj unb 3)iffonanj, infofern aud^ in ber 9Ke=
lobie j. 39. bie- reine Quart bem ©efü^Ie beffer jufagt afö bie übermößige.
3)enn in ber TOelobie mxli eine öon i^r unjertrennlid^e berftedte Harmonie
jur Slnnel^mlid^feit ber SLonfoIge mefentlid^ mit, ba^er benn aud^ ba§ tonale
a) aOflelobie. 133
SScrl^ältniS f^on für ben S3ßo^IfIang Don entfcä&cibenbcr S3ebeutung iji. 3)äS
Ol^r emt)finbet bie Sonolitöt unb freut fid6 i^rer, obfdöon c§ eigcntfid^ bem
(Seifte jufommt, über bie in berfelben au§9et)rä9te ßinl^eit ju urteilen. 3nS=
befonbcre ma^t \\ä^ bie gorbcrung beS Dl^reS am ©d&Iuffe ber ^erioben,
©ä^e unb ©ü^glieber geltenb. ©odö aßeS, tt)a§ über ben SQBo^HIang einer
2RcIobie gu fagen ifi, lom entmeber f^on in ben Slbfd&nitten öor, in benen
öon bem mufifalifd^en 3:on unb ftlang (bon ben 9lebentönen) , öon fton=
fonanj unb S)iffonanj unb Don ber aluftifci^en ©runblage ber SEonleitcrn
ge^anbelt tt)urbe, ober inirb im folgenben einf(i&liefelid& mitbel^onbelt werben.
®enn ber ©eifi bermag über bie ©ci^önl^eit ber Xonfolgen nur unter SBer^
mittlung be§ D^reS ju urteilen.
149* S)a§ geiftige Urteil bejiel^t nid^t nur in ber bewußten @r!enntniS
be§ SBol^HIongeS, obtool^I bicfe fid& öor aKcm barbietet, fonbem erftredt fici&
ani) auf bie Scbcutung ber Sonfolgen.
®a§ fidö mit ber finnlid&en SBal^me^mung bcS ftlangeS naturgemäß
no<6 aSorfteHungen öerbinbcn, meld&e jU bem ©el^örgfinne in feiner unmittct
baren Sejiel^ung ftel^en, lel^rt ja unjiDeibeutig fd&on bie ^pxaä^t, SQBir reben
öom ©teigen unb Sauen ber Söne unb miffen bie SEonfti^iritte faum anbete
JU bejeid^nen. 2Bir ^aben alfo »enigftenS ein bunlleS ©efü^I baöon, ba^
eine größere lebenbige Äraft baju gel^ört, bie fd&neHern ©d&mingungen ^öl^erer
3:öne l^eröor jubringen, unb beulen uns bar um ben Übergang ju einem Sone
öon f(]&neöern ©d^toingungen al§ ein hinauftreiben beS 2:one8. ©omit ber=
binben mir mit bem 9luf jieigcn ber $DleIobie an% gutem ©runbe über^aut)t
bie 3bee ber ©teigerung ober Slnfpannung einer Äraft. Sie TOelobie ift
un§ mefentlidö bie Semegung biefer JJraft bon einem gegebenen 9tu§gangS=
punite bi» gu einem 9iu^et)unfte ; baS gaßen ber Söne ift bie Slblenfung
ber ftraft an^ il^rer 9ii(i&tung unb bie allmöl^lid&e ©rfd&öpfung berfelben.
®ie ©emütsbemcgungen empfinben mir aber gang äl^nlid^ al§ bie 2ln= unb
3Jbfpannung einer innern ßraft, unb barum l^at bie Sonfunft bon je^er
afö SluSbrucf be§ bemegten Snnern gegolten. ®a§ eben ift eS bor allem,
ma§ mir unter bem geiftigen ©ehalte ber OJlufi! berfte^en, baß fie baS be=
megte Bp'xel ber 5lffelte in Sönen nad&bilbet.
150» 35on untergeorbneter Scbeutung, meil minber geiftboß, ift bie
9lad&al^mung einer |)]&t)fifci&en ftraft in il^rer 3:^ätigleit, gumal biefe ^ta^:^
al^mung ben ©d^ein ermedt, al% moße bie ftunji mit ber SRatur auf bem
eigenen (Sebiete ber le^tern wetteifern, o^ne bagu befähigt gu fein. S)ie
Slad&al^mung beä ©turmeä ober be§ ®onner§ unb über^aut)t bie 5Ratur=
nad&a^mung burdö Söne berfel^It alfo i^ren 3^^^*, menn fie me^r ate ein
nebenfäd^Ud&eS ©picl fein miß unb eine boßfommene Xreue ber Stad&bilbung
anftrebt. S)aS ©piel gur |)auptfaci&e gu mad&en, berbietet bie ^öl^ere unb
bod6 . berl^ältniSmä&ig leidet gu löfenbe Aufgabe ber ßunft ; ber S3erfud& aber,
134 gfünftcs Äa|)itcl.
mit bcr Slotur ju tocttcifcm, mufe baron fd&citcrn, bofe bic aWittel bct ?Ißufif
nid&t ouSreid&cn. 3. 8. lann fic mit i^rcn bcpimmt abfe^enbcn 34)nftufcn
(9lr. 77) baS ftctigc ©raufen beS ©türmet nie boHIommcn barftellen.
Sli^t Diel gIü(Hi(]&cr iji bic aJlufif, menn fie iuxä) blofe finnbilb=
lid&e Jlnbcutung anbere SSet^ältniffc batftellcn min, j. S. baS röumlid&c
^ol^e unb 3:icfc, ßangfornc unb ©d&ncllc, ober gar abjiralte Serl^öltniffe,
toie ©rl^abenl^eit unb 9HebrigIeit, SBürbe unb ©emeinl^eit, SJlut unb 3feig=
l^eit. SBenn ein begleitenber %tict bie bürftigen Slnbeutungen Derftönblidö
mad&t, fo iji ba§ Semül^en beS ftünjMerS anjuerfcnnen, 2:e|t unb SRelobie
in möglid&ft nal^c Scjiel^ung ju fe|en; aber man öerjeil^t e§ il^m aud^ l^icr
nid^t, »enn er bie 9lcbenfa(iöe jur ^aulJtfad&e ju mad&en fd&eint (dgl. über
Slatumad&al^mung unb ©^mboUI 9lr. 30).
151* 3nt ganjen liegt eS offen öor 9lugen, bafe SSerftnberungen in ber
SEonl^ö^e jum ß^arafter beS eigentlichen Snl^alteS in Sejicl^ung ftel^en. JRies
manb loirb ja bcl^aupten, ba^ jcbe SJlelobie ju jebem Xejte paffe, toaS
bod^ mit Steigt gejagt merben lönnte, »enn nid^t ein me^r ober minber
bcftimmter Sluäbrudf unb 6l^ara!ter einer guten SKelobie eigen toäre. 3^
einer „gehobenen", b. 6. feierlid^en ober frol^en Stimmung pa^t aud& eine
gel^obene Stimme, ein l^ö^erer Son. „3:iefer" @rnP ober „tiefe" Slieber^
gefd&Iagenl^eit fprid^t fidb in tieferer Tonlage angemejfen au§. 2)em „2luf=
fd&lDung" ber greube entfpred&cn naturgemäß grope Slonfd&ritte naä) ber
^öl^e, j. 33. bie ©ejt. Slud^ ba§ „2luff(i&Iu(i&jen" be§ ©d&merjeS lann fo
angebeutet »erben. 3)ie fid6 „fteigembe" ®emüt§ftimmung öerfe^t oft ba§
mufilalifd^e 3MotiD auf eine anbere ^ö^cftufe. 3[n d&romatifd&en 3:onfd&ritten
malt fidö nid&t feiten ©d^merj, Seflemmung, Sronie u. bgl., überhaupt eine
©celenftimmung, bie ber 2lu§tt)ci(i&ung be§ IDlelobietoneS näl^er ober ferner ent=
fprid&t. 3)od& eä ifi unnötig, eine ©ad&e toeiter auSjufül^ren, bie im ^rinjip
ganj unleugbar iji, »enn aud^ im einzelnen baS SJerl^öltniS öon SKelobie
unb Stimmung nid^t fo genau beftimmt »erben fann.
152. Slußer bem ©timmungSauSbrudfe bietet eine gute SWelobie bem
©eifte nodö mand^erlei Stoff ju angenehmer Sefd^öftigung, j. 33. bie ®efe|=
möfeigleit ber Sonfolgen, bie ^Kotibbariationen, bie Sa^glieberungen. Sa^in
gehört baä meifte, »a§ im erften 2lbfd&nitte beS oorliegenben 33ud&e§ über
ben 9Iu§brudf ber 9KufiI gefagt »orben iji. Die Sd^önl^eit ber SKelobie
er»öd&ft nun avi§> ber Summe aßer jener SSorjüge, »eld^e Sinn unb @eift
jugleidö, ober »enn man fo »iß, ben ®eift in unb burd& bie finnlid&e 2Ba]^r=
nel^mung erfreut unb ergö|t. 6in »ürbiger Snl^alt in »ürbigcr 9luffajfung,
umlleibet mit aßen SReijen beS SQBo^IIaute^, ober eigentlid^, ganj auSgefialtet
im reijenben aBol^llaute mufüalifd^er 2:onfoIgen: ba§ ift bie gute SWelobie.
Um nun biefen aßgemeinen ßl^arafter unb bie @efe^e ber 9Kelobie
nä^er ju beftimmen, »oßen »ir aßeg »eiter nod& ju Sagenbe unter üift
a) ÜJlelobie. 135
@efi(36t8punften jufammenfaffen : ©iatonü, ßonttnuität, S^onalttftt. unb 9Jcr=
^ältni§ bcr gorm jum (Sebanicn.
153. 3)lc bur$ bie cinf ad^cn SBud&ftabcn Bejcid&netc b i a t o n i f d^ e Setter
n)irb als ©runblagc ber SJlujtt öon ber 5ftatut unb Don ber ©efdöid&te auf
bic mannigfa^fte SBeife nahegelegt (f. 5Rt. 77 ff. 88 ff.), ©ie ift bettt
Dl^re leidet f aRlid^ unb angenel^m. 3n bet Snftrumentalmufi! lomntt eS
öor, ba^ ganje DItaöen burd^Iaufen ober bafe grofee Seile berfelBen ju au8=
gebe^nten 3KeIobien verarbeitet »erben: ©el^r oft finben frd& biatonifd^e
Qfortfd&reitungen in ber SBeife, bafe ein ober nxel^rere gebraud&te Siöne fid&
micberl^olen : ^ -lii^'j^ *^— f^^ . 6ine freie Variation ber biatonifd^en
Seiter (bicSmal tran8|)onierteö C-3)ur) Benü^t SSectl^oöen (I. ©a^ bcS ©treid&=
quartetts in F-2)ur, op. 59, n. 1) al§ aWotiö für ein ©tüdt bon bem
l^unbertfad&en Sn^alte.
^Pfe=^ p£^E^ U-_^l ^^ =^^=3 ^
-JSi
(^ud $iel, ^armontelel^re.)
3)ie S)iatoniI galt atö ftrengeS ©efefe im gregorianifd&en ©l^oral unb
über^aut)t in bcr SRufil be§ $DlitteIaIter§ (öon eingelnen grl^dl^ungen au§
befonbern ©rünben unb bem SBed^fel bon b mit h abgefel^en). Sil^nlidö
hielten e§ bie (Sried^en aufeer in ber Äunftmufil ber 9Sirtuofen. S3orüber=
ge^enbe 9KobuIationen finben fid6 inbeS aud& im großen belpl^ifd&en ^äan
in jiemlid&er Slnjal^I {Gevaert, Melopee p. .398 s.).
9lud^ l^eute nod& barf als SRegel aufgejieDt »erben, bafe junäd^ft für
bie einfädle Siebmclobie unb ben föl^orgefang bie S^romatif (2lu8»eid&ung
in leiterfrcmbc Söne) [id6 im allgemeinen »eniger eignet. SBol^l lann fie
auSna]^m§»eife ben 3luSbrurf fel^r glüdHid^ öerftörlen , aber fie »irb balb
als gefud&te ftünftlid^feit em<)funben. 3e »eniger atfo in einem 5Dlufi!ftüde
bie ftunft ber gotm ftatt beS natürlid&en SluSbrudfS jur ©eltung lommen
foll, um fo mel^r mufe bie 6^romatiI jurüdttreten. ©ie t)a^t beffer jum
SnftrumentalfW als jum 6^ara!ter ber Solalmuft!, beffer ju fe^r be»eg=
tid&en 3nftrumenten (Sioline, fl^laöier) als ju benen Don langfamerer S3e=
»egung ober befd&räniterem Tonumfänge (Orgel, 3:rom|)ete). Unter ben
©attungen ber SSofalmufi! mag ct»a bie Slrie bon bcrfelben auSgebe^nten
®ebraud& mad&en. S)iatonif unb ß^romatil ber^alten ftd^ beinahe »ie ein
gcmeffener @ang unb ein ppfenbcr Sanj. S)aS aSor^errfd^en ber immer
»ieber aus ber geraben Sftid&tung abbicgenben ßl^romatif ift überhaupt nid^t
jum Seflen ber ftunft. ©ie erfd^toert »ie ben SBortrag fo baS aSerftönbniS
unb bient oft nur als aufeeröft^ctifd&eS Sfteigmittel. S)aS ^unftpi be=
f riebigt auf bie SDauer bod& »eniger als baS Äunji»ert; jenem fe^tt au|er
bcr gtnfatt nur }u oft nod& ber ©e^alt.
136 gfünfte« ftapiUl.
154. SJie ftontinuität ber 3KcIobte bcrul&t auf bem äußern 3«=
fammcn^ang ber Söne. ^n gto^c 3nteröallc, bic benfclbcn jerrci^en, f^abcn
tneijien^ a\x6) bot tnnem ßinl^ett ber Welobie unb erzeugen für ©ejong
unb ©piel unnötige @4»ierig!eiten. ©efd^idte SluSna^men finb oft quö=
brudfSDoII unb befiättgen burd^ il^re Seltenl^eit bie Siegel. 2intert)ane, mel^e
über ben Umfang ber reinen Cuint l^inauSgel^en, mürben in ber praftif^en
2Rufif beS ÜKittelalterS unb bis 5um 17. Sö^rfiunbert borfi(]&tig gebraud&t,
bie Heine ©ejt nur fteigenb, ebenfo bie feltene grofee ©e|t, no(i^ l^ol^ere
SntcrDaHe unb bie ©cptimen gar nid&t, bie Dftaüe öortoiegenb nur auf=
fteigenb (Sellermann, 3)er ifontrapunft). Sladö ben JReften ber gried^i=
fd&cn aSoIalmufif ju urteilen, l^ielt fid^ biefelbe ungefäl^r in benfefben ©renjen
(fteigenbe unb fallenbe Oltabe, faüenbe gro^e ©ejt im bclpl^ifd^en ^äan;
f. Jan, Musici script. Graeci p. 435. 439), unb nod& ^eute bürfte fi^
biefe Siegel im ©efange, befonberS im G^oralgefange, bemäl^ren. 3Jon Heinern
biatonif(]&en Snteröallen i^aben bie öerminberte Duint unb ber SritonuS
(bie übermütige Duart) er^eblid&e ©d&mierigleit unb pnb alfo feltener ju
bermenben. TOe^rere (aber ungleid^e) Serjen bürfen übereinanber fielen.
33ci anbern SnterdaHen ift grofee Sorfid&t nötig, menn fie nad&einanber ge=
brauci^t »erben f ollen, ßl^romatifd&e Snteröalle finb oft fd^mer, j. 95. bie
übermütige ©elunbe f gis im l^armonifd&cn A-ÜRoH ober ber ^albton d des
in C-3)ur.
SHJie bie ®emftt§ftimmung ft(3& für getoöl^nlid^ ftetig betoegt, fo forbert
audö bie OJlelobie Kontinuität, wenn nid&t mirflid^ eine ft)rungl^afte gort=
betoegung ber ©timmung angebeutet toerben foK. SJoHIommene ©tetigfcit
beS ©teigcnS unb ^^aUenS loürbe natürlid^ burd& ßintönigleit ermüben.
SBeci^felnbe gortfci^reitungen in ©etunben, Serjen, gelegentlid&en Quarten unb
Quinten ergeben leid&te unb gefäßige 5Kelobien. SDie natürlid&fte Slid&tung
ber 3Jlelobic in einem Heinern 3:ongebilbe (einer ^eriobe) ift 9luffd&tt)ung
au§ ber 3:iefe, bann SSermeilen in ber ^ö^e unb toieberum Siüdfel^r gur
jLiefe; oft jebo(3& ift ber 3lnfang in ber ^öl^e angemeffener , toeil beh)egter.
3)ic ^falmtöne geben eine einfädle ©runbform ber OJlelobiebetocgung an,
meldte mit einer ©runbform anberer fünfte übereinjiimmt ; man beule an
bie ^eriobe in ber giebefunft unb an ben 99ogen in ber 9lrd&iteftur.
S)ie SHuSbe^nung einer fold^en (3:eil=) SWelobie als lontinuierlid^er
Steige mirb annöl^crnb burd& bie gorberung ber Überfid^tlid^Ieit beftimmt
(etma 8—16 SaHe; babei ift baS 3;emt)o ju berüdffid&tigen). S)aS Stb=
fteigen jum @nbe malt glcid^fam bie grla^mung ber ßraft nad& ber 9ln=
f^annung. 3)ie TOelobie foH aber nid^t |)Iö^Iid& abfallen, fonbern aflmäl^Iid6
abfteigen. ©e^r gern gel^t einem fd&Iic^enben @elunben= ober S^crjenfd&ritt
nod& ein anbereS Heines SnterDaß öorauS. @ine SJerjögcrung ber 33ett)egung
ift gegen ßnbe oft gut angebrad&t. Sine gute (2ieb=) SJlelobie brandet
a) «nielobic. 137
nidöt immer oHc 2:öne bcr DftoDleiter ; fd&on grlcd^ifd^e 3:^eoretiIcr rühmten
an alten üMeiftem, baß fic pd& nur weniger Jone bebienten (^Iutard&,
Wn]. 19). D^ne Smeifel bleibt bie tBertoenbung tt)eniger döarafteriftifd&en
3:öne bie |)auptfa(^e. Überlabung mit 9flebentönen , befonber§ aber mit
Siertönen, fd&abet mand&mal bem 9lu§brücfe ber OJlelobie (obmo^I Diel auf
bie ?lrt be§ a5ortrag§ anfommt), j. ©.:
m
:^ W ß ^^^i 3Ti
©ol(i&e SSerjierungen l^aben gett)ö^nlid& nur ted&nif(]&en SBert, ftimmen
barum öicf e§er jum ©l^aralter ber ^njirumentalmufi! unb fül^ren nur ju oft
§u inl^altäleeren ^fotmeln. 5Rid&t feiten aber Reifen fie bie Kontinuität ]^er=
jhBen unb finb bi^ ju einem getoiffen ®rabe fel^r natürlid^.
155» 35ie SLonalität giebt iebem Sone burd^ bie Sejiel^ung auf einen
(Sruttbton unb ©runbalforb eine ganj neue 99ebeutung. ©ie \ißt^i alfo
bie ©lalatöne ju einer ßinl^eit jufammen, überträgt jebem einzelnen eine
beftimmte 9loIIe jur SarfteHung ber SKelobie als cine§ m^ berfci&iebenen
3ntert)aIIen jufammengefe^ten ©anjen unb lä^t bie unterbaue in il^rer S3e=
beutung unb Sßerbinbung erft boHenbS begreifen. Die 3)iatonif bejiel^t aDe
3:öne einer ,,8eiter'' auf einen entfernten ,,gunbamentaIton" (f. 9flr. 50),
bie Sonalität l^ingegen eine „Sonart" auf eine in il^r gelegene „SEonila".
3Ba§ foebcn bon ber Äontinuitöt ber 3ReIobie gefagt mürbe, ^ai teitmeife
feinen innern (Srunb in ber Sonalität ; fo j. 99. bie ^öufigfeit unb Sei(i&tig=
feit bc§ QuinteninterbaÜS, bie Säeborjugung be§ D!tab= bor bem ©eptimen=
interbaB.
S)ie SEonalitöt beruht auf bem im ©efe^e ber Dbertöne begrönbeten
©reillang (f. 9lr. 66). SDie C-3)ur-3:onart borau§gefe^t, bitben ceg(c')
eine erfte Sin^eit, ben 3:oniIa=2lI!orb. S)ie SSermanbtfd^aft erlennt ba§ Gfyc
ou(i& in ber 9!)teIobie, ba mit einem angefd&lagenen ßinjeltone bie ^artialtöne
tl^atfftij&li^, menn aud^ leife, mittönen. S)urd& SBermittlung bon g fd&Iiefeen
fid^ als entferntere SSermanbte an c an hd'(d), meil ghd' ein reiner
©rciflang ift; ebenfo bcrbinben fid^ FAc (fac'). @o tt)irb c baS ber=
mittelnbe 33anb, baS alle SEöne ber Oftabe ju einer ©nl^eit jufammenfd^liefet.
S)iefe aSerl^ältniffe muffen nun in ber 9Äelobie fo jum 9luS=
brui fommen, bafe bie tonale ßinl^eit beutlid& l^erbortrete.
®a]^er f|)ielen in jeber guten SJlelobie 3:onifa, Dominante unb ©ubbomi=
nante {tixoa c, g unb f) bie entfd&eibenbe SüoBe, geben ben juge^örigen
3>rjen unb Quinten (für d' tritt d ein) i^re fefte Sebeutung unb orbnen,
wenn aud^ nid^t augf t^liefelid^ , bie SHobulationen. 2)ie Unterfd^iebe ber
2i)ttPimmung bcrbienen babei bcad^tet ju werben (f. 5Kr. 83 ff.) ; a\x6) finb
bie SBerl^ältniffe nid&t böltig gleid^ in ®ur unb ^Jloll, in ben alten unb
138 Sünfteg Äa^itcl.
mobcrnen Xonarten, lüie fd&on früher auSgcfül^rt mürbe (9lr. 113 ff.). Sie
auSbrücflid&e Harmonie in ber j^armonifd^en 9Kufif ^ot natürlid^ ftrengerc ®e=
fe^e alö bie latente Harmonie in ber reinen 5!)?eIobie; eS ^anbelt fid& afier
in ber 2:onaIität n5e)entlid& um ein ^ormonifd&eS ^rinjip.
156^ 9lud& d&romatifd^e Söne treten in S3ejie^ung jur tonalen Drbmitig
unb toerben al§ SluSmeid^ungen mit beftimmter 33ebeutung Derftänblid^.
©d&iüierige biatoni[(ä^e ober d^roniatifiä^e 3nterDafle »erben burcä^ baS ©efü^I
ber Xonalität leiiä^ter, j. S. ber SritonuS, »enn ba§ ^aut)tinterball ber
Duint nad&folgt; j. S3. ^at in F-Sur fhc' meniger ©d^mierigleit, ba man
h aU Seitton jur Duint c' bejto. jur neuen 3:onart C-SDur emt)finbet.
Sn C-S)ur fü^rt h al§ große ©et)time jur Dltabe über. 3)iefe ©et)time,
toeld^e am allerfernften ber SLonifa öerttjanbt ift, brängt eben »egien
mangeinber SSermanbtfd&aft um fo ftärfer jum Übergang in bie Dltabe.
®er 3:on mirb gleid^fotn unl^altbar burd& bie gro^e 5ßä]^e ber öofifornmenen
Äonfonanj. @in Seitton ift bal^er um fo beffer, je nnöerloanbter er felbft,
je öermanbter bie näd&fte Äonfonanj ift unb je nä^er \iä) beibe fte^ett-
©d&mäd&ere Seittöne finb e öor f in C-S)ur, g öor as in 3JloU; bagegen
bcffer d dor es in 2)toII (meil d geringere S3ertt)anbtfd&aft mit c l^at unb
beS^alb gleid&fam minber feft in ^xä) beruht) unb des mit h in bem
alterirten 3)ominant=@eptimen=3lHorb desf gh, ber fid^ in ben 3:onifa=9l!forb
cesgc auflöft (^elm^ol^). ©o leitet ein jeber ou^erorbentlid&ermeife er=
l^ö^te ober erniebrigte 2^on in ben nöd&ften ©falaton über. S)cr Seitton
(in bief em allgemeinem ©inne be§ 2Borte§ ) mecf t eben bie ©rmartuitg
eines ganj beftimmten 3:oneS. OJlan barf alfo in jenem nid&t flehen bleiben,
fonbern muß bei regelrechtem gortfd^ritt in biefen übergel^en, cntmeber um
ju fd&Iie^en, menn e§ bie SEonifa (Dftaöe) ift, ober in bie 3:onart ber Unter=
terj ju mobulieren, ober übcr^aut)t bie S)iffonanj miebcr aufjul^eben. S3pn
ben Seittönen ber ©f ala l^at bemnad^ bie gro^e ©et)time , meldte in bie
DItabc fteigt, bie größte äft^etifd^e 33ebeutung unb Reifet mit SJorjug Seitton,
note sensible, subsemitonium modi. 3n ber E-Seiter ber ©ried^en fanb
fidö abtt)ärt§ berfelbe Seitton F. »on biejem fagt 2lriftoteIe§ (^robl. 19,
3. 4), er fei fd&merer ju fingen, aber öon il^m au§ eile bie ©timme fd^nell
unb leidet nad^ E hinüber. SDie Heine ©eptime ber Dominante, f in
C-3)ur, mirb baburd^, ba^ fie im 9lIforbc felbft biffoniert, jum Seittone nadö e,
mie benn überhaupt bie nid&t blofe latente, fonbern auäbrüdElidfee |)armonie
an öielen neuen Srfd^einungen bie Xonalitöt jur 9lnfd&aüung bringt; benn
bei ber ^armonifd&en OKuftl l^aben nid^t blo^ leiterfrembe ober ber %on\tü
\ef)x tt)enig berioanbte Söne (tt)ie bie große ©eptime), fonbern aud^ fold&e,
bie in einen gegebenen 2llforb nid^t gaffen, fortbröngenbe ^raft, um. bie
3Jlelobie ju beleben (bgl. über bie fd&ärfenbe unb treibenbe ßraft aßer
®iffonanjen oben 5Rr. 73).
a) gjlelobte. 139
167» 5Die fünftlidö cingefül^ttcn, ber 3:()nQUtöt frcmben Söne (Seittönc
im aUgemetncn ©tnne, b. 1^. burdö )t ober> alteriertc ©falatöne) ntad&en
iftrigen^ Icid&t bcu ©nbrucf bc§ SBeid&cn unb SQBeincrlid&cn. 2!)o§ liegt
teiltoeifc fiä^on in ber 5Ratur bc§ ^aIbtonc§ an fid^ bcgrünbet ; ba^cr ©uibo
öon Slrcjjo fagt, bic r-3:onart fteige (in ber autl^cntifd^en t^oxm) !aum bi§
gu e l^inab ,,tt)cgen ber UnöoIHommcnl^cit bc§ |)aIbtone§" (Gerbert, Script.
n, 13). S)ic ©rl^öl^ung ber ©et)time aud^ in benjenigen Tonarten, beren Seiter
eine fleine Beptxmt f)aüt (j. 39. in ber G-Sonart), mürbe inbejfen aßmä^lidö
öorl^enfd^enb. S)ie ^armonifd&e $DlufiI nämlid^, bie nur jur C-Seiter boII=
fommen pa^k, füllte immer ftärler ba§ 39ebürfni§ be§ fogen. öoUfommenen
@d&Iujfc§. ©0 löften [idö bie übrigen Tonleitern teils in Jene teite in
unfere 5KoßtonIeiter mit großer ©ej)time auf. ^Jrül^er l^atte man in ber
aWelobie feine au§gef|)rod6cne Steigung ju Seittönen,, unb nod^ jie|t meiben
bie gpen unb oft aud& fonft ba§ 33oII§Iicb bie fünftlid^e ©rl^öl^ung ber 3:öne.
168^ ®ie Sonalitöt unb fomit bie ©in^eit ber 9J?eIobie tritt beutlid^
^cröor , loenn bie oben angebeuteten l^armonif d^en SSerl^öItniffe burd& bie
golge bejm. SBieber^olung ber Slöne red^t fühlbar merben unb alle ©J)annung
ober S)iffonanj fid&, fo tt)ie ba§ Dl^r eS ermartet, in Harmonie unb ^uf)t
auflöft. S)ie SLonüa mu| al§ „^auptHang" em|)funben merben, nöd&ft il^r
in ber ^öf)t bie Dominante als „l^cnfd&cnber" %on unb bie 9Kebiante als
,;9KittIer" jmifd^en beiben. gu Stnfang unb am @d&Iuß fte^t angemeffen
bie 2:onifa ; bie auS i^r ermad^fenbe unb in fie jurüdtfe^renbe Welobie läfet
möglid^ft oft Quint unb 3:erj an bejeid^nenber ©teile ober aud^ einen
biefer 9Kforbtöne im ^albft^lufe erflingen. 3m (Sl^oral ift eS bcfonberS
auffaHenb, mie ftarl bie Dominante (l^ier entioeber Quint ober icrj) unb
i^r SScrl^öltniS jur finale, b. 1^. SLonHa, l^erbortritt (älepertuffion !). ©e^r
oft crfd^eint jiebod& im ßl^oral ju 2lnfang bie Duint, ja oft ein anberer
Son, fo bafe borläufig bic biatonifd&e ßinl^eit genügen mu^, bie fid6 bann
fpöter jur tonalen ßin^eit nöl^er beftimmt, mie bie genaue SSebeutung eines
SBorteS crft burd& bic ßnbung !Iar mirb. „öeim 33eginn beS ©efangeS",
l^ei^t eS fd^on bei Öuibo bon Slrejjo, „tt)ei| man nod^ nid^t, maS folgt, am
©d&Iu^ bagegen überfd^aut man baS SSorauf gel^cnbe ; barum adelten mir am
bcften auf ben ©d&Iu^ton" (Gerbert 11, 12). 3lud& am ©d^Iu^ bermenbete
ber • altgried&ifd&e unb ber mittelalterlid^e ©efang ^ie unb ba bie Quint
ober bie 3:crj, bie mit ber ^Jinale in l^armonifd&em SSerl^ältniS fte^t. Sn
ber mobernen 50lufif finb 2lnf ang unb ©d&lu^ biel regelmäßiger ; im aSoIlS=
liebe unb in ber altern l^armonifd^en 3JJufi! aber fommen bie unboII!ommenen
©anjfd&Iüffe nid^t feiten bor (S3elege bei ^t\ip^a\, ^armonil unb 5öieIo=
t)öie n [3. 2lufl.], ©. IX ff.). 3)aS burd^fd&Iagenbe 5KitteI , bie SEonart ju
crfennen, bleibt alfo bo$ baS ^errfd^enbe SScrpItniS ber 9JleIobietöne ju
cinanbcr; man fe^e, meld&er (aufgelöfte) 2)reiflang öfter mieberfe^rt, in meldten
140 gfftnfte« ÄalJitcI.
Söncn bic Slbf^nitte bcr JRcIobie am ^äufigfien fii^lic^en, toeld&e 3:önc fonji
nod^ am öfteften mieberfe^ren , meldte 3j)nt)er6mbungen bie WotiDe ober
©ängc bilbcn. ©o galt fdöon el^ebcm (Gerbert 1. c.) bie Siegel/ ba^ „genaue
©efönge ben ©a|fd&Iu6 meiftenS in bet finale mad&en"; ebcnfo l^attc nton
bejiimmte ^fötnteln jur |)anb, beten 3:ötte in i^rer Serbinbung bie 3:onad
d&arafterifieren (L c. p. 42); aud^ in ber SKelobie j[eber 3:onort lehren
fold^e jiereot9|)C gorineln toiebcr. ®te j^arntonifd^e SKufil fül^rt nod& leid&ter
unb fidlerer in bie S^onartcn ein.
159. ®ie 2:onaIität giebt alfo bem natürlid&en ©efü^Ic für gin^eit
unb 3wf<tntnien]^ang, tt)cld&e§ fid& fd&on in ber S^orbcrung ber S)iatonif unb
ber Kontinuität auSfpradö, eine nod& ^öl^ere 99efriebigung. ©ie ifl jeber
guten 2ReIobie mefentlid^. 5iid&t jerprt, fonbcrn el^er befeftigt tt)irb fte
burd& öorüberge^enbe leiterfrembe 2:öne als d^romatifd&e S)urd&gängc. ©o=
lange biefe bie SEonalität nid&t ins ©d&toanlen bringen, geioä^ren fie biet
nte^r ben Vorteil, bic Seioegung burd^ SluSfüHung größerer Sntcrballe
ftetiger unb burd& bie erregte ©pannung lebl^after, bie l^armonifd&cu 2:öne
felbp aber, tt)eld&e folgen, reijboHer ju mad^en.
SBic bie gro^e ©et)time bie DItaöe anfünbigt, fo ertocdft jeber crl^öbte
3;on baS ©efül^I, als foffe bcr nödöft l^ö^erc 3:on bie 93ebeutung bcr Stonila
erl^altcn. 2)a bicS nun nid^t bie urfprünglid^e Sonüa i[t, fo crmartet man
SBcd^fel bcr 3:onart, b. ^. 5KobuIation. 35ie ©rniebrigung eines Jones
mirlt in ä^nlid&er SBcife; man toirb j. 93., toenn a in as berttanbelt toirb,
baS bann nad& g bröngt, auf eine Stonart geführt, in ber as unb g t)or=
fommt, alfo Es-S)ur mit bcm 2:oniIa=S)reiIlang esgb, ober C-aWoH mit
bem 2:oniIa=5)reiIIang cesg; g mirb alfo SEcrj ober Duint beS ^aupU
breiflangS. S)ic SWobulation ift entmebcr nur flüd^tig, fo ba^ in ber neuen
Sonart leine felbftönbigcn ©ebilbe (©ö|c, ^ßerioben) auftreten, fonbern nur
in einem ober toenigen %öx\m (ober ?Ifforben) ber Übergang betocrlftelligt,
bann aber in bic urfprfinglid&e 3:onart jurüdfgegangen mirb. S)er SQBert
bicfcr püd&tigcn „SluSmeid^ung" befielet nid^t nur in bcm Sieijc ber Slcu^cit
unb 3l6med^Slung , fonbern aud& in bcm bamit öcrbunbenen eigenartigen
2luSbrudf, mcnn anberS nid^t bic tcd^nifd^c gorm ©elbftjtt)cdE ift. 33ci ber
eigcntlid^cn (anbauernben) SKobulation mirb bic |)aupttottart fallen gelaffen
unb il^r eine jmeite als na^cju ebenbürtig an bic ©cite geftcDt; eS mirb
nid&t blo| ein ©d^ritt neben ben 2Bcg getrau, •fonbern ein neuer SBcg be=
treten, ©o gcfd^icl^t cS j. S. im 9Kittelfa^e ber ©onate. 5Run fd^cint aber
bic ginl^citlid^fcit ber Stonform bcS ©tüdEcS in ©cfal^r ju fommen. ®eS=
l^alb unterfte^t ber Übergang in frcmbe Slonartcn gemiffcn äji^ctifd&en Siegeln.
160* ®er Übergang foll nid^t fprung^aft, fonbern fd&rittiocife bor fid&
gelten. SEBcnn überl^aubt h)ir!famc Scittönc als Vorbereitung erforbcrt pnb
unb in C-2)ur alfo für gctool^nlid^ nid^t baS leitereigene e, mol^l abet baS
a) 9)Mobic. 141
Iciterfrcmbe b als Slnüinbigung bon 'F-^nt gelten mirb (ob]ä)on e als
©cptime ber neuen Sonart xtä)t mo^I braud&bar ifi), fo ertoeift fidö audö
nid&t jeber »irffame Seitton fofort fd^on afö geeignet, ®enn beS bejfern
3ufammenl^angS n)egen foQ man, Don {mecfgemä^en ^uSnal^men abgefel^en,
in bic näd^jiöertoanbten, nid&t aber |)Iö|fi(l& in gang ferne Tonarten mobu=
Heren, h)eU im Upmi gaDe bie ßrinncrung an bie urj^jrünglici&e 3:onart
ganj auSgelöfd^t toürbe. SOBoDte man g. SB. bon C-®ur nad& E-®ur über=
gel^n, fo mürben bie d^aralterijiifd&en 3:öne beS erjiern mit einem ©daläge
aufgel^oben: 2:oniIa, 3)ominantc, ©ubbominante , an beren ©teile eis, gis
unb fis treten ; nur burd^ e unb h wäre in ber Harmonie ber 3uf onimen-
^ang nod& fühlbar ju madjien. dagegen l^aben (x-3)ur unb F-2)ur, bie
3:onartcn ber Dominante unb ber ©ubbominante, nur je einen 34)n, ber fidö
in C-3)ur nid^t toieberftnbet ; ebenfo A-$DloII. bic ,»^araIIeItonart". 3n
entferntere Sonarten überjugcl^en , i[t aud^ barum nid^t ratfam, meil bic
3flüdle^r benfelben unbefriebigenben @inbrudf mad^cn loürbe. 3)enn eine
foId6e aiüdKcl^r ift erforbert, bamit ber @ang ber Wobulation nid&t afö 916::
irrung, fonbern als gefd^Ioffene SreiSbetoegung erfd^cine. 3n großem ftom=
t)ofitioncn fann man allerbingS biele Sonartcn burd^Iaufen, ba man Qext
f)at, fomo^I icbc ju il^rem Sfted&te fommcn ju laffen, als aud^ o^ne ©|)rünge
wieber gurüdjufe^rcn ; in fleinern erjeugt ju öiel 3KobuIation Unrul^c unb
Unpd^erl^eit. @S wirft ermübenb, wenn eine Tonart ju rafd^ abget^an
wirb unb bann bicHeid^t mel^rmalS erfd^eint. Sie eben erwöl^nte pd^tigc
SluSWeid&ung ift bagegen oft gut angebrad^t; fie giebt fid& als fold&e gleid^
gu erlennen, belebt bie 5!Kclobie, befeftigt (als üereingeltc 2luSna]öme) bie
urft)rünglid&e Stonart unb bient unter anberem gum Übergang in entfernte
%'6ne, 6S ift fclbftrebenb, bafe alle aufgcftelltcn Siegeln nid^t unöerbrüd^Iid^
finb, unb bafe Icinerlei SWed^aniSmuS ber Äunft gu gute fommt.
161. ®ie gjlobulation ift ein trepd&eS ^mittel, baS SSer^ältniS ber
SEcile ober ©lieber eines mufilalifd^en ©angen untereinanber gugleid^ gu
fonbern unb gu öerbinben. @S ^at g. 8. ein crfter Seil C-3)ur, ein gweiter
ö-®ur, ein britter wicber C-2)ur. Ober ein erfteS ©lieb ^at A-aJioß, fd^Iiefet
aber in C-3)ur, unb ein gweiteS ©lieb len!t -nad^ A-5KolI gurüdf. ^icr malt
fid& eine geregelte SewegungSart, bie guerft fteigt unb bann faßt, waS gang
naturgemäß ift. ®ie umgefe^rtc 5!KobulationSart (im 9Warfd&!): G-3)ur,
C-®ur, G-35ur, ober C-3)ur, A-9Roll, C-SDur, weld&e Drbnung nid&t feiten
gut berwenbbar ift, finnbilbet l^erabfinlenbe unb wieber auffteigenbc S9e=
wegung. 3n einem größern SBcrle wirb bem 2luf= unb 2lbwogen ber
Stimmung in 3)ur etwa folgenbe 2KobulationSorbnung entft)red()cn :
C-3)ur, [D-2)ur,] G-S)ur;
E-mn, A-5Ron, B-moü;
r-S)ur, [G-S)ur,] C-S)ur. .
142
^fünftes Sta};nttl.
2)ic cingeHümmcttcn Sottattcn finb hoppdit Duintfd&ritte bcr 9Jh)bu=
lation, meldte ber erften ©teigetung, bte nad^folgt, baS Sugfel^en eines t)or=
läufigen (Seit) ©d&Iuffeö geben mögen. Sie ^aralleltonart E-5IRon fdölicfet
\a), tt)ie erfi$tlid&, natutgemdfe an; ebenfo angemeffcn gel^t D-2JloD bem
F-5)ur Doran. A-3Kon ift jmifd&en beiben eingefd^ben (ntd&t ju C-S)ur
gefteUt), um bie 3RoIImobulQtionen {ufammenjubringen unb naä) Quinten
}u orbnen. SBit entnehmen biefeS mo^Ibegtfinbete SRobuIattDnSfd^ema ber
Äomj)ofitionSle^re bon SRarj, ber für aWoH bie folgcnbe 9leil^e öorfd&lägt:
A-3Kon, C-S)ur, G-2)ur, E-aRoH;
r-®ur, D-aHoH, A-9Koa.
^ier »äre inbeS ber etmoS l^arte Übergang ber einen aieil^e jur anbem
burd^ flüd^tige ^obulationcn gu erleid()tern. 3n beiben 3RobulQtion3orb=
nungen finbet fid^ 9teid^tum, ^Ibmed^glung unb fletiger tJ^ortfd^ritt.
162. 3)ie SWobulotion giebt fid& in ber 2ReIobie nid&t immer burd&
Icitcrfrembe Söne ju erlennen. Sl^r aSor^Anbenfein lonn aber mit ©id&er=
bcit angenommen merben unb mad&t fid^ felbft bei einfad^en Siebcm furo
Ol^r geltenb, menn etma ein ganzes 9)(elobiegIieb fid^ al§ eine auf ber
Dberbominante aufgebaute Steigerung bcS 9Jorau§ge^enben ober burd& ent=
fd&icbeneö ^erabfinlen jur Unterbominante afö auf i^r rul^enbe tiefere 2lb=
ftufung bcr 3BeIobie ju erfennen gtebt. ®a§ folgenbe 2ieb jerlegt fid& in
3X4 Safte:
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^C? ä 1^
3ö:
S
t
^
i
»
Söir ht^Un an btd^, ^ei*Ianb, $err unb ®ott,
3u * ge « gen l^ier in bie « fem |>immel8=brot !
Pf
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s
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f)eHtg, ^ei'Iig, f|et - lig! S>u al'Iein bift l^ei'Iig!
-*^r
t
t
:Z
©ei 9c=^rie»fen of>«nc@nb* in bem l^eirgcn @a»f ra«ment l
eö mobuliert aber offenbar ba§ ganjc mittlere drittel nad^ ber. Dber=
bominante, toa§> fofort au§ bem Sreiflange ber Dominante flar mirb,
ttjenn aud^ erft im britten Saft ba§ gis erfd&eint. 2)ie l^armonifd&e S3e=
gleitung mirb alfo mit bem erfien „|)eilig" bie Sominanttonart öorauS^
fe|en unb ben 3)reiflang bon a anfd&Iagen, loü^renb gleidö ju 9tnfang be§
Sieben unb ebenfo ju 3lnfang be§ britten SeileS bcr ®reiflang öon d am
^la^e ift. 3)urd& bie Harmonie alfo getoinnt bie SRobuIation erft il^re
t)oße Seftimmtl^cit unb tritt i^re 53ebcutung im SScrpltniS jum 53au ber
ganjcn SJJelobic tn§ ^cUftc Sid^t. 3le|t finnbilbet bte SJlobulation jur Dber=
bominante beutlid^ bie ßrl^ebung be§ ©emütcS, toeld^e ber Seit be§ ganjcn
^KittcIgliebeS au§ft)rid^t.
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a) üneloMc. 143
163. @S bleibt nod& bcr iDid^tigftc tjöltor einet guten TOelobie, näm=
Iid& ber 3wf^tnmen]^ang jmifd&en ©cbanlen (©timmung) unb Spornt, ju
fßt erörtern, ^ier lönnte man nun eine SKuSeinanberfe^ung barüber erwarten,
meld^eS ber ©inn, ble geiftige Sebeutung einer jeben melobifd^en Formel
fei.' i Mein eö leud&tet ein, baR fd^on bie S^¥ i^^^fc^ S^ormeln unübcrfd^au=
bar iji, unb baß bie natürlid^e ffiielbeutigleit bcrfelben fid^ ber genauen
SSejiimmung burdö bie mcnfd&Iid&e ©praci^e cntjiel^t (bgl. baS 3lx. 27 ®e=
l^' jagte). SßieleS läfet fi(j& e^er füllen al§> auSft)re(i&en. gür benjenigen, beut
bie Statur baS (SefüW bafür gegeben f)at, toirb bie Übung im ^ören,
©Ingen unb ©t)ielen unb bie Slufmerffamleit auf ben 2lu§bru(f Derfd^iebener
^> tJotmeln unter gleid&en ober öerfc^iebenen Umftönben bie bejie fiel^rerin fein.
ö 3m ganjen ftimmen bod& bie Senner, ja aße 5Dlenfd^en über ben SQBcrt
ber glüdtlid&ftcn SKelobiegönge überein. @8 ift bamit mie mit ben ®efl(i&tS=
1 gügen be§ ÜRenfd^en. ©o unmöglidö eS iji, über bie ßlemente SRed&enfdbaft
•' ju geben, aus benen fid^ ber (SefamtauSbrud jufammenfc^t, über ba§ aSor=
^ ^anbenfein unb bie SBirfung beS (entern lann gar lein S^^^if^l f^in. SDod^
r laffen- fid^ aud& einige beftimmte SBinle über baS ffierl^ältniS bon 3^orm unb
^ifüli ber 90lelobie geben. 3Sor allem finb als melobifd^ minbermertig
(jumal in bcr SSoIalmufil) fold^e ted^nifd^e gormein anjufel^en, tteldfee
t gar nid&t einmal in crfter Sinie als 3luSbrudt innerer ©timmung, fonbern
öielme^r al§ ^robe ber ©ing= unb ©|)ielfertigleit ober al§ 35eranfdE)au=
lid^ung ber gntmidflungöfftl^igleit einer gegebenen ©runbform ober ber
fiejpungSföl^igleit eines SuftrumenteS beabfid&tigt merben. 5Rur ein fd&Ied&ter
©efd&madf lann in fold&en Seiftungen bie eigentlid^e §aut)taufgabe ber ÜRufil
erlennen. @benfo»enig barf bie 3:onmaIerei baS auSfd&lie^lid^e Sntereffe
beS .3Kufi!erS aud& nur auf !ürjere 3^^^ ^^ 9lnfprud^ nel^men. 3)aS 9)ie=
löbif^e ber 5DlufiI mirb ferner abgefd^mäd&t , fo oft bie JRüdfid^t auf ben
%^ici i^x Dinge aufnötigt, mofür fie eigentlid& nid^t gemad^t ift. ©o fann
fi(j im aiecitatib unb in ber bramatifd^en 5Dlufif il^re melobifd^e ©d&ön^eit
megen ber Unterorbnung unter ben %t]ct meift ober bod& oftmals nid^t
enlKoidfeln.
^ 164. 5)ie SWelobie oerliert fobann mit ber gin^eit i^re ff raft , toenn
fie nid&t aus einer ©runbftimmung ^erbortt)öd&ft. SHJie ein Saum fid&
aus ber SHJurjel jum ©tammc unb ju Stt^^iS^^r Slättern unb 99Iüten
oirganlfdö fortentmidfelt, fo mu^ aud& in einer OJlelobie gortfd^ritt unb 3^^=
fammenl^ang bon 9lnfang bis ju Snbe bemerfbar fein. Slid^ts barf aus
' bern 3:onc fallen, ber baS ©anje, als ©timmungSbilb betrad^tet, befeelen
foH,:fo menig mie in einem ©emälbe mel^r als ein einjiger ©runbton fein
lann. 9Kelobie unb SSilb jerfplittern fi^ fonft in Seile o^ne redfitcn 3^^=
fammenl^alt. 3e größer ein 9)iufiIftüdE ift, befto mannigfaltiger bürfen bie
Steile fein, aber eS muffen organifd^e Seile bleiben, bie fid& einer ©timmungS=
144 gfünftej^ ÄapitcL
einl^eit fo gut mte einer 2:onalität3em]^eit unterorbnen. ä^erfd^iebene @rabe
ber ßinl^cit muffen jo fieilidö l^icr wie überall anerlannt »erben.
165* 3)ie einl^eitUd&t S5erfnü))fun9 fe^t bie äl^nlid&Ieit ber SDiotiöe
unb bie [tetige ©urd&fül^tung öorauö. TOotiö (%f)tma) nennt man eine
einl^eitlid^e SSerbinbung menign 3:öne (etma Don bem Umfange eines ober
jmeier 2:a!te), bie fd&on cineit muftfaltf(i&en ©inn ober (Sebanfen ergicW,
eine ©runbform, meld&e für ben ©l^araifter ber 9HeIobie, für ben Sfufbau
beg ©tücfed maBgebenb mirb. (&% toieber^olt , entmidfelt unb manbelt ftd^
in mannigfaltigen unb bod& Dermanbten ^eftalten. 3)ie 2)urd^fü^rung biefer
Umgeftaltung mu^ ben Siegeln ber tonafen @in^eit (f. oben) entf^ued^enb
fein, unb auä^ bie 93ermtttlung aOer @)Iieber, mie bie erße 9)totit)fonn,
bleibt bal^er in bem Stal^men ber Sionart, beS St^^tJ^muS u. f. m. etn=
gefd^Ioffen. Sie ISßal^I ber überaus }a^Ire($en äRöglid^feiten ber Ummanb:t
lung unb Sinbung mirb aber fd^Iie^lid^ hHxi^ baS Urteil ber finnlid^sgeifligen
Smpfinbung beftimmt. 2)iefe miQ» t)on begrünbeten StuSna^men abgefc^en,
bie @tetig!eit einer mol^IÜingenben unb auSbru(fdt)onen SntmidEIung.
3)ie t$^orberung ber @in]^itli$!eit ge^t mefentlid^ Dom (Seifte au§ ; bem
C^re tommt nur ein inftin!tiDe§ Urteil barüber gu, unb gmar gerabe in{o=
fem, al§t ber SBo^BIang bem geiftigen Sluäbrudfe bient. 3)ie ^ier in Srage
ftel^nbe ßin^eit ift bie ^öd^fte; aber fd^on bie @in^eit ber 24)nalität »irb
alä fold^e oom ®eifte erfaßt; ber ©inn nimmt nur an bem ©cfü^le für
biefelbe teil, folange er unter ber fieitung be§ ©eifteS ftel^.
166. 6nblid& tommen »ir auf ben ^unft, too mir bie g ei füge
S3ebeutung bcS @ingelmotiö§ ju unterfu(|en ^aben. SBaS ift eS,
baS biefe bcftimmte gformel für biefe beftimmte ©timmung, biefen ^@e=
banfen" geeignet mad&t? 9latürlid& ift eS bie ©efamt^eit ber aluftifcfien
gigenf d^often , meld&e ber tJormel eigen finb; benn fie allein bienen ber
©timmung als 9BitteI beS SluSbrurfeS. 6r fragt fid^ nut: mo ift bo§
Sanb, baS beibe ber!nüpft? Sluf biefe grage ift junäd^ft ju antworten,
ba^ ba§ m u f i f a I i f d& e 3: a l e n t eben in ber gföl^igf eit befteljt, ba8 Snnetc
in 2:önen auSjufpred^en. SKaturanlage beföl^igt ja aud& in erfter Sinie
jur r^etorifd&en , jur poetifd^en unb jcber fünftlerifd^en Offenbarung .bcS
Snnern. Söer fann aber genau beftimmen, morin bie Eigenart biefer 3ln=
läge befielet? 3n ber muftlalifd&en ^^antafie ol^ne 3tt)eifel, baS SBott
fo öerftanbcn, mic es bei ben Slft^etifern berftanben ju merben pflegt,
b. 1^. als ®eftaItungS!raft, als bie befonbcre 3fä^ig!eit, ©ebanfen unb 6m=
pfinbungen in SBorten, 3:önen u. f. m. ju berlörpern. 3eber 9Kenfd& l^t
an ber mufifalifd^en fo gut mie an ber poetifd^en Slnlagc feinen, menn aud&
geringen Slnteil ; aber nur ber geborene 9)lufiler beft^t fie (nad^ entfpred^enber
3luSbiIbung) in i^rer SoIIfommen^eit. ©ie fe|t, mie ade Äünftleranlagen,
ein reid^eS ©emütSfeben unb eine gro^e S^einl^eit beS in SKitt^ötigfeit
a) SDflcIobic. 145
gcjogenen ©inncS, ^ier bcS mufifolifd^en ©el^öreS, öorouS. 2)arauf Bcrul^t
Qlfo ber SBcrt cme§ guten mujtlaltfd^en SRottoä, ba^ eine ©emütSBewegung,
bie als fold&c jtdö burd^ ülcinl^cit unb Sebeutung ouSjeid&net, unter Sßet=
ntittlung einer geftaltungStüd^tigen ^l^antafte unb eines feinen @e]^örS, einen
übenofd&enb treffenben SluSbrut! in Ionen gefunben ^at. ©ubjeftib, b. f). für
bie SBeurteilung ber tünfKerifd^en Slnloge, ift bor ollem bie glücöidöe 3^^=
fammenftimmung (Harmonie) beS ©eifligcn unb ©innlid^en entfd&eibenb ;
für boS ftunflttjerf aber, »ie e§ fertig borliegt, fommt bie liefe unb Sc=
beutung beS Snl^alteS, nämlid^ ber auSgefprod^enen @emütsftintmung , unb
ber ^öl^ere @rab beS afuftifd^en SBol^IflangeS nod^ ganj befonberS in Setrad^t.
@S lann ein SKcnfd^ in ungemöl^nlid&em ®rabe bie gallig Wt befi^en, fein
SnnereS in ftunflformen ju offenbaren ; ifl aber baä 3nnere arm unb leer,
fo l^at er bod^ nid^t fo biel in bie gformen }u tl^un , bag eS bei anbern
bauernbeS 3nterejfe »etft. 3n einem gegebenen SfaHe, tt)o eä fid^ um eine
beflimmte SRelobie ober ein 5Kotib l^anbelt, bemunbert man baS ©efd^idt,
ün^ttn Sfflol^IIIang unb innere 93ebeutung ber SEöne unter Sfflo^rung
ber aflgemeinen ftunftgefc^e (über Sinl^eit, Sfbloed&Slung u. f. ».) unb ber
befonbern ted&nifd&en SRufilregeln }U berbinben. 5)aS 9lac^empfinben ber burd&
fold^e 9BitteI auSgejtalteten ©d&ön^eit ifl ber bom J?ünjMer gebotene @d^ön=
l^eitSgenufe.
167. S)ie ©eflaltungSftaft beS mufüalifd^en Talentes tritt nun aber
nid&t fd^on baburd^ in I^ötigfeit, bafe bie geiflig=flnnlid&en S^ä^igleiten eine
angeborene Steigung unb Seid&tigfeit mitbringen, bie innern SSorgänge
gerabe in SjJnen ju offenbaren; fonbcrn eS mufe nod& bie Säeobad&tungSs
gäbe bcrmitteln. 2)enn jene erften Slufeerungcn ber filnfUerifd&en 2lnlage,
meld&e ber reffeltierenbcn Seobad&tung borauSge^en, ^aben nod& nid^t bie
nötige Steife. @S belaufd^t aber ber geborene J?ünftler mit angeborenem
3ntereffe bie erften ^robulte ber 5Ratur an fxä) unb anberen; ber SDtupfer
I)ört bie 2öne unb lonrei^en, »eld&e ein unioilHärlid^er SluSbrud ber
Stimmung finb, ober »eld&e berfud&Stocife auf Snftrumenten ^erborgebrad&t
werben. @r toirb me^r als ein anberer überrafd^t burd& ben SBo^Iflang
getöiffer lonberbinbungen unb geioal^rt ben ge^eimniSboHen Sufammenl^ang
mit ben ©emütsbemegungen. S)amit ift ber @d&Iüffel gegeben, ber il^m
baS Sleid^ ber frei unb beioufet fd^affenben ßunft auffd^Iie^t. 6s tritt bie
„9lad&a]^mung", »ic SlriftoteleS fid^ auSbrütft, b. 1^. bie freie unb bewußte
9Jad^biIbung beS Seobad^teten, an bie ©tefle ber erften ungenügenben ^ro=
buftionen unb SScrfud^e. 3)iefelbe ift nid^ts tocniger als eine blo^e SBieber=
^olung, fie ift eine umfd^affenbe Sbealifierung , ein 2öer! beS ©eifteS, ber
a^nlid&e 2:onrei^en jum 9IuSbrudt ä^nlid^er Stimmungen frei !&erborbringt.
3)urd^ Übung mad&t er fid& nun aümäl^lid^ bie Elemente ber 2;on=
fprad^e böllig ju eigen; er mei^, maS biefe unb jene lonberbinbung bem
«ietmann, tftkttif. 3. Xiit. 10
146 gfünfte« Äa^itcl.
Oijxt unb loaS fic bcm ©ciftc bebeute, in ber SBcifc, toic ber SWalcr (^db
inftin!tmä|ig , l^alb üat bett)u|t) bie SBebeutung biefeg ober j|ene§ ^infel=
ftrid&eS Icnnt. Ob baS im einjclncn burd^ SBorte ju erflären fei, borauf
fommt e§ nid&t an. gs ift Qud& feaftberpänblid^ , bafe in ber 3eit ber
fd&on entmicfelten ftunji ber junge J?ünfHer burd^ fiel^re unb SSorbilber fel^r
rafd^ geförbert tt)irb unb fd^on frü^ ben 3lufbau eines großem ftunft=
tt)er!e? jum ©egenftanbe feines ©tubiums mod&cn fann.
äBorin nun bie berührte SSermanbtfd^aft be§ JtlangeS unb ber
©tiramung im aüerle^ten ©runbe berul^c, ip eigentlid^ eine pf^d^ologtfd&e
gfrage. 3n ßürje lö^t fid^ ctwo biefe Slnttoort geben: bie innere ©tim=
mung fpielt — um gleid& einen mufif alifd&en SluSbrud ju gebraud^en —
ituf bemfelben Slerbenf^pem wie bie äupere ©d&allbett)egung beS SEoneS.
äBo beibe fid^ begegnen unb }u bem gleid^en @inbrudfe Derbinben, ba offen^:
bort fid& 3i[^nlid&Ieit unb 3}er»anbtfd&aft. 2)ie Sleröen finb bie Vermittler
jmifd&en ®eift unb Son; fie nehmen geijiige unb finnlid&e ßinmirlungen
auf; fie fe^en jene in biefe unb biefe in jene um, fomeit eS beren 9iatur
gefiatten mag. 2)en Umtaufd^ mirb man etwo mit ber Slrbeit eines S)oI=
metfd&erS bergleid&en bürfen, ber jtoei grunbberfd&iebene Sbiome in ftd& auf=
nimmt unb baS SSerftönbniS nod& ^üben unb brüben bermittelt.
S)od^ fold^e pf^d^ologifd^e ^fragen begegnen unS auf aQeit Gebieten,
ol^ne bafe lüir immer eine erfd&öpfenbe Söfung Verlangen. Wan fann fid^
alfo.in ber mufilalifd^en ftunfHe^re um fo e^er mit bem „2BaS" begnügen,
o^ne nad^ bem „SBie" .ju fragen. 3Kan brandet nid^t allju genou ju er=
forfd&en, maS jeber 2:onIomt)Iej ober SRelobiegong bebcute; genug, ba& er
ettoaS bebeutet unb auSfprid&t, fei e§ für fid^ allein, als natürlid&er 3luS=
brudt beffen, maS in ber ©eele öorgel^t, fei es in tünftlerifd^er SSerbinbung
mit anbern unb mit Slccent, Xempo unb ül^^t^muS. 2)iefer ©inn ober
2in^alt toirb aud^ bon jebem empfänglid^en @emttte im allgemeinen rid^tig
aufgefaßt, »enn aud& eine @r!Iärung bar]iiber in ber ©prad^e oft nid^t ge=
fingen mag, unb baS Urteil im einjelnen je nad6 ber einfeitigen Seöor=
jugung biefeS ober jenes ©eftd^tSpunfteS mand^mal unftd&er ^in unb l&er
fd&toanit. SBer toirb bei einem gemalten SilbniS, beffen SBebeutung im ganjen
unjtpeifel^aft ift, nadft ber Sebeutung eines jcbcn pnfelftrid&eS fragen, unb
wer ift nid&t tiberjeugt, ba^ bie SKalerei geiftige 3üge treffcnb ju öer!örpern
berftel^e, »enn aud^ bie Urteile über ein gegebenes Silb auSeinanbergel^en ?
2)ie aKufif fiellt fid^ nur infofern anberS, ajS fie innere SSorgänge beS ®e=
mütSlebenS barfleüt, bte in ber ©prad^e nod& öiel weniger boßlommen ju
befd^reiben finb, wie wir bieS früher eingel^enb auSeinanbergefe^t l^aben. —
®er rl^^tl^mifd&e ©l^aralter ber 5KeIobie unb bie bcfonbere Eigenart ber aSoIat
mufti, inSbefonbere ber fird&Kd&en, wirb weiter unten befprod^en werben.
b) Harmonie. 147
b) ^annottie.
168* 3)ic SWcIobie ift bie cigentfi(i&c ©ecle bcr SRufü, tocid&c ol^nc fic
tiid^t bcjie^cn tann, burd^ fie allcjn aber bie öoßc SBürbe einer ßunft ju
tDQ^ren öermag. 35ie ©rted&cn l^atten nur eine fpörlid&e ^axmonk, beren
Scfd^üffcnl^eit nid^t mel^r genau ju ermitteln ift; bie Orientalen lieben bi§
l^eute bie |)armonie nid^t. 3Iud^ f^at Slriftoteleg n)o^I red^t, h)enn er
{^robl. 19, 27) nur ber 9HeIobie ben eigentUd^en ©timmungSauSbrud! bei=
legt unb i^n ber ^aimonit, infofern fie ofö reineS 9iebeneinanbcr ber SEöne
aufgefaßt wirb, abfprid^t. 3uni 2lu8brudEe ber Stimmung gel^ört eben Se=
toegung unb gortfd&ritt ; bie Sortbewegung in ber Harmonie ijt aber nid&t§
onbereS al§ bie melobifd^e Semegung mel^rerer Stimmen. 2)er erfte 2lnfa^
be§ ©timmung§au§brudfe§ liegt natürlid^ fd^on im ginjeltonc unb öiel au§=
ge|)rögter in ber ftel^enben ^axmomt.
®od& ^aben wir fd^on oben barauf ^ingemiefen, baß bie SKelobie i^rer=
feits im allgemeinen an ba§ ^armonifd^e 33er^öltni§ ber 3:onftufen gebunben
ift ; bie 3:onaIität berul^t »efentlid^ barauf. ©omit l^at fid& tl^atfäd&Iid^ au§
ber bie 9KeIobie tragenben berpüten unb Ijalbbewu^ten Harmonie bie an§ii
brürflid&e aSielftimmigfeit naturgemöß entmirfelt. 'SDer erftc SSorjug ber Harmonie
bepelzt alfo aud& barin, ba$ fie bie innern SSerl^ältniffc ber ©lala bcutlid&er
jum S3c»u|tjein bringt unb bie ©falatöne ju einer ftraffern ßinl^eit ju=
fammenfd&Iiefet. 2)er einzige 2)ominant=©et)timen=2lIforb fennjeid^net fd^on mit
©id^er^eit.bie 2:onart unb feine äluflöjung aud^ nod^ baS Xongefd^Ied^t ; \a
in biefen jtoei 3lIforben »erben alle Söne ber fieiter bi§ auf einen (a in
03)ur) JU ®e^ör gebrad^t. SDarum ift benn aud& biefeS 2lI!orbpaar in ber
j^armonifd^en 3KufiI jo beliebt; e§ bient bor allem al§ |)auptfd&Iufe. 3n
ä^nlid&er SBeife aber wirb jeber 9HeIobieton, ob er im ©anjfd^Iufe ober im
^albfd&lu| ober an einer beliebigen anbern ©teile fte^en mag, burd& bie
Harmonie nad& feinen tonalen aSer^ältniffen beutlid^er beftimmt. gefte 2:ona=
lität, ftraffc ginl^eit unb ©id^er^eit ber ^JortentwidEIung jeid^net alfo bie
Harmonie au§ ; fie ift ©tü|e unb S3anb ber SBelobie unb lann, infofern fie
in biefer felbft wurjelt, aud& il^re entwitfelte Slüte ober reife 3^rud&t genannt
toerben. (5)ie latente Harmonie barf al§ SBurjel ber 9KeIobie gelten.)
169* 6ine befonbere SBebeutung ^at bie Harmonie für bie 9KobuIa=
iion. ©ie beutet biefe öiel beftimmter an, fül^rt fie fidlerer weiter unb in
ba§ alte ©eleife wieber jurüd!. 5)enn bie Stellung eines 3:one§ in einem
öorauSge^enben 9lIIorbc unb in einem folgenben fann rüdfid^tlid^ bcr 3:on=
art fo genau bejeidbnet unb burd& einen gemeinfamen Xon bie aSerbinbung
beiber 3l!forbe fo fül^Ibar gemad^t werben, ba^ ber Übergang in eine neue
Sonart ebenfo unberfennbar wie gut bermittelt erfd&eint. SSom tonifd&en
2)reiflange ceg lann man fofort in ben S)ominant=©eptimen=2lIIorb einer
10*
148 gfünftc« ÄQ^itcI.
beliebigen SEonart (au^er Es, E unb Fis) übergel^en, fo bofe beiben SHIforben
immer ein 2on gemeinfam bleibt; bie SHuflöfung ergiebt bann fofort bie
neue 2)urs ober TOoDtonart. ^^nlid&e, bod^ »efentlid^ öermanbte, gong
trcp(i&e WiÜtl jur SKobuIotion giebt eS in ber Harmonie fe^ öiele, bie
teitoeife aUerbingS bie SSermittlung eine§ britten 3lIIorbe§ erl^eifd^en. S)er
öerminberte ©eptimenafforb mit encrgifd&er ©trebefroft, ber öerminbertc ®rci=
Hang mit milberer ©iffonanj, ber fonfononte S)reiflang in ®ur unb 2RoII
ergeben Übergänge, bie je nad^ bem ßl^arafter beö SWufifftüdeS ober ber
betreffenben ©teile rafd^ unb angemeffen jum 3^^^ filieren. S)ie SEed&nil
biefcr aWobuIationen, toeld&e bie fd&on oben {3lx. 161) befprod^enc Orbnung
einl^alten, finbct man gut bargelegt in pels „^armonielel^re". 9lur auf
einjelne ^unlte, »eld^e für bie üforbfolgen in ber SWobuIation »ie über=
f)a\xpt in ber l&armonifd&en SRufil gu bead^ten ftnb, »ollen toir nod& ein SBort
beifügen; über 9latur unb ßl^aralter ber ßinjelalforbe ift fd&on 3lx. 66 ff.
ba§ 3lötige gefagt morben.
170* 2)ie naturgemäße @ntmi(flung ber Sonberl^ältniffe , ber „reine"
ober „ftrenge" ©a^ muß bie ©runblage ber l^armonifd&en Äompofition
bleiben. 2)amit l^ängt bie billige S^orberung jufammen, baß auf ben a!u=
ftifd^en SBol^Ifiang, bie redete Sßermittlung ber ©lieber, bie ßin^eit unb 6in=
fod&l^eit be§ ©anjen bie gebül^rcnbe Südtfid&t genommen merbe. S)ic 2lb=
h)cid&ung öon ben einfad&en ®efe|en artet leid&t in Überfünjielung au§,
toeld^e ben ßcim be§ 3Serberben§ in fid& trägt, ©ie foll nur, unb jtoar
fel^r maßöofl, ba eintreten, »o ber 9lu§brurf, bem ftets bie 3^orm ju bienen
l^at, eine 9lu§na]^me forbert. SBie e§ unnötige Beengung ift, ben (Seift in
bie Seffeln rein med&anifd&er ober ^ergebrad^ter Segeln ju jtoingen, fo jeigt
fid& bod^ ber geiftboüe 5Dleifter jumeift in ber Vernünftigen ©elbpbefd^rän=
lung, b. ^. in ber Unterorbnung unter bie öon ber Slatur felber unb ben
einfad&fien Äunftregeln gegebenen (Sefe^e. 3)em ©eifke finb ja, fobalb er
an§> fid^ heraustritt, um fein innere^ Sebcn fünftleri[d^ ju offenbaren, in
ben SRitteln ber Äunftgeftaltung ©d^ranfen gefegt, benen er ftd& im all=
gemeinen burd^auS anbequemen muß, toznn fein SBerl befriebigenb toirfen
foII. ®iefe (Srmägung bürfte in bem öfter mit ^eftigfeit gefül^rten ©treite
für bie iftegel unb für bie gfreil^eit eine Vernünftige ßntfd&eibung ermöglid&en.
171* S)ie |)armonien (SHÜorbe) muffen mo^l berbunben
fein. 3)ie ©emeinfamfeit eine§ SoneS ift gemöl^nlid^ fomol^I ein 5!KitteI
mie ein ßennjeid^en ber redeten Solge. 3m ©runbe aber öerl^alten fid&
3lfforbe tt)ie 5!KeIobietönc : bie Sonalität bilbet i^r inneres S3anb. SDBenn
nur ber 2:onifa=9lfforb bem ©efü^Ie nid^t entfd&minbet , fo wirb bie 3^ort=
fd^reitung nidöt öermerflid^ fein, ©ie mirb eS aber leid&t burd& ©prünge,
j. 33. t)om Slfforb ber Dberbominante auf ben ber Unterbominante, ba ^ier
ber öermitteinbe 2:onifa=9lfforb öermißt mirb. S)aSfeIbe gilt natürlid^ aud&
,b) ^atmonte. 149
üon ber unöermütciten 9KobuIotion öon ber Dberbominantc jur Untcrbotnw
nantc. S)amit ift aber ni(i&t gcfagt, ba^ biefe ober öl^nliti^e minber öcr=
mittcltß Übergänge immer einen unbefriebigenben ßinbrudf mad&cn. SIBa§
nad& bem ftrengften ©efe^e ober, wenn man fo mU, nad^ ber ©d&ablone
ber %i)toxxe minber gut ift, entfpri(i^t an biefer unb jener ©teile ganj ben
bercd&tigten 2lbfid&ten be§ ÄünftlerS. 9Ban barf barau§ nur nid&t fd&Iie^en,
es entbel^re bic allgemeine 3lorm eine§ vernünftigen ©runbes. 6§ wirb
freilid^ ftißfd&meigenb öorauSgefe^t , ba^ fie immer aud& vernünftig an=
getoenbet merbe.
9lo(i& eine äl^nlidbe Semerfung über bie unentbel^rlid&en ^araßelbreif länge
ju ben |)auptbreiflöngen ber Tonart.
®ie 3)MaIIorbe in ber S)urleiter, alfo in C-2)ur dfa, egh, ace,
gel^ören enttoeber jum erften ober jum jmeiten 3:one be§ 3l!forbe§ (alfo
f» g> c), fo bafe bie Duint fel^It unb ein frember, leidet biffonierenber 2^on
beigefügt ift; bal^er finb menigftenS bie beiben erften ^arallelbreiflänge nur
fd&madö mit c öcrmanbt unb finben beSWegen etwas feltenere SSerwenbung.
®a§ ©efej ber 3^ortf(i&reitung läfet [xä) bemnad& fo au§fpred&en: Sie
SlHorbe foKen möglid^ft beutlid^ il^re eigene ©teßung in ber Xonart be=
ieiä^ntn, fo ba| man fielet, wie fie an% bem 3:oniIa=9lfforb l^eröorgel^en unb
wieber in benfelben jurücf leieren ; barum.ift e§ au(]& fd^on ju 2lnfang eineg
©türfeS fel^r wünfd&enswert, baß au§ ben 2llIorben bie Sonart !Iar werbe.
172. ^elm^olj (Xonempfinbungen @. 407) übt unter biefer 3tücf=
fid^t eine nid&t unbegrünbete JJritif an ^aleftrinaS Stabat mater. ,3ö§
wir in fold^en SBeifpielen bermiffen, ift erjienS, bafe ber üforb ber Sonüa
nid^t gleid^ im 2lnfange bie l^erbortretenbe ätoHe ft)ielt, bie il^m irt ber mo=
bemen 9KufiI jufommt. 3n biefer l^at ber tonifd^e 9lIforb ebenbiefelbc l^er;:
öonagenbe unb öerbinbenbe 33ebeutung, wie unter ben Xönen ber .Xonleiter
bie Sonila. Qtotxkn^ öermiffen wir überhaupt ba§ ©efül&I für bie 9Jer=
wanbtfd&aft ber oufeinanberfolgenben 9KIorbe, weld^eS bewirft, ba^ in ber
aicgel bie moberne 5Kufif nur Slflorbe aufeinanber folgen lä^t, weld&e burd^
einen gemeinfamen Ston miteinanber berbunben finb." gfreilid^ bleibt ju
erwögen, bafe ba§ ©tüd borifd^ (im analogen D-9Äott) gefd^riebenjft; be=
lanntlid^ war bie je^ige ^armonifierung be§ 9KolI erft im SBerben. ^alejirina
meibet ben öoßen SWoIIbreillang gern unb fe^t bafür ben unöoUftönbigen ol^ne
Xerj, ober, wie ^ier gleid^ ju 3lnfang unb am ©dö^Iuffe, auf ber Dominante
unb ouf ber Xonifa, ben 2)urbreif lang ; bie ficine Xerj gilt il^m al§ minber
befriebigenb. |)eIm^oI| felbft fagt inbeS im allgemeinen öon ^aleftrina;
„6r war ein ©d^üfcr be§ ßlaube ©oubimel . . i, öon bem l^armonifd^e
Bearbeitungen ber franjöfifd^en ^falmen ausgeführt finb, bie oon ber mo=
bemen 9lrt unb SBeife nid^t fel^r t)iel abweid^en, namentUd^ wo fie pd^ in
35 ur bewegen" (a. a. O. ©.406). . gwi^^J« if* unferc SMoHl^armoni?
150 gfünftcä StapM.
mcniglienä t^coretifd^ nod^ nid&t fo böflig in§ reine gcbrad&t, ba| ein ganj
[t(iÖeteS Urteil mögli^ »äre (9lr. 67 ff.)« ©obalb bie Heine lerj in bie
^ormonie oufgenommen mirb, läfet pß eine boppelte 2luffaffung ju: enfc
»eber gilt fie mir!Iid& afe irgenbmie fremb, unb bann mufe fie bemgemäfe,
b. ]^. ate nilä&t ööllig bef riebigenb , bel^anbelt merben; ober aber [ie »irb
jiellbertretenb für bie grofee Serj jugelaffen. 2)ie öltere iffieife ber ^armoni=
fterung !^ielt [td& an bie erftere Sluffaffung unb erl^öl^te toenigfienS fel^r ge^^
toöl^nlid^ bie Serj, wenn [ie nid^t auSgelaffen würbe. Sefet l^at man |t(j&
mit ber Srübung felbft be§ ©d&IufeaflorbeS burd^ bie üeine 2:erj gemöl&nt
(3tt. 68). S)a8 ©efül^I für bie 9latur]^armonie fprid^t fxä) aber nod^ be=
fonber§ in ber regelmäßigen erften SWobuIation nad^ ber SJurparaßele auS;
benn im ®runbe muß ja tooU a c e ein 2)uraHorb öon c fein mit beigefügter
Unterter j. Übrigens mobulicrt aud& ^aleftrina im Stabat Mater ftar! nad&
r-2)ur, weil bie Serwanbtfd&aft t)on D-TOoK mit F-S)ur fd&on in ber aWe::
lobie beutlid^ l^eröortritt. 3)ie S^^il^eiitiS^eit beS 9KolIa!IorbeS lann nid&t
öerfe^Icn, eine getüiffe Unfid^erl^eit in bie S3e^anblung besfclben ju bringen
(9ir. 67. 68). ^m Slfforbe ber S)ominante muß in ber mobcrnen 2Rufi!
bie lerj Seitton fein, alfo erpl^t werben, unb fo öerwenbet fie fd&on ^ale=
ftrina; im 3;oniIa=3lIforb l^ingegen muß fie entWeber bleiben, bamit ber
aWoIId&aralter nid&t öerwif d^t werbe , ober man muß fie weglaffen , woburd^
ber 2lfIorb unboßftönbig wirb unb feinen 6^ara!ter berliert. 2)ie Heine lerj
!ann alfo a!uftifd& nur afö eine wenn aud& fe^r milbe 2)iffonan} be§ Sll=
lorbeS gelten, unb fo mußten bie SDloHtonarten in ber ^armonifd&en 9)lufif
nod^ ftär!er getrübt werben, afö fie e§ in ber rein melobifd&en fd&on gewefen
waren. S)aS bient natürlid^ wieber afö eigenartige^ 9KitteI beS 3lu§brud!S
unb ift infofern lein Übel.
173. 90§ fe^Ierl^afte ^Jortfd^reitungen gelten DItaöen= unb
Duintcnfolgen unb fold^e, bei benen ein Duerftanb auftritt. Qtoti in DI=
taoen gel^enbe ©timmen finb gleid&fam für eine einjige ju galten; folange
alfo bie beutlid^e ©onberung nid^t befonbcrS beabfid&tigt wirb, !önncn 0!=
taöenfolgen nid&t auffallen. 2)iefelbcn finben fid& beim unifonen 3SoIfö=
gefange, wo §frauen unb ßnaben naturgemäß bie ^ö^ere D!tat)e fingen;
auf ber 2Ragabi§ ber ©ried^en, einem l^arfcnä^nßd&en Snftrumente, fpielte
man in Dftaölonfonanjen ; bie gewöl^nlid^e aSerboppelung eines SHIIorbtoneS
jcigt biefelbe ©rfd&einung.
174. Sei ben Quinten berl^ält fid^ bie ©ad&c anbcrS. „SBarum", fo
fragt «riftoteleS (^robl. 19, 17), „fingt man feine Quinten? ©efd&ie^t
CS etwa barum, weil ^ier bie eine ßonfonanj ber anbern nidbt gleid& ift
wie bei ben DItaöen?" SHIS bie mittelalterlid^e Harmonie nod& im SBerbcn
war (bis inS 11. Sal^rl^unbert) , fang man freilid^ fold&e Äonfonanjen in
fortlaufenber äleil^e, weil man junäd^ft nur auf ben SBo^IIIang ber ©injet
b) Harmonie. 151
alforbc, ni(j&t aber auf bcn gortfd^ritt berfelbcn ad&tctc. ^tnt cntbel^rett ja
nid&t bcö ]^armomf(]&cn 9lct}e§, fonbcrn nur ber 2lbtt)ed^8lung. S)ie Duint
(al§ S)UDbectmc) tüic bic Serj (aß ©ct)tbccime) liegt ja fd&on im Älange
eines jcben 2one§ ; barum finb beibe in ben 3Mi^uren ber Orgel als 5üII=
töne aud^ §eute nod^ neben ©runbton unb CItaben juläfftg. S)a8 SSerböt
einer golge bon OÖaöen ober Quinten berul^t alfo niiä^t auf bem mi|=
ßebigen Klange öon @injelf onfonanjen , fonbem auf einer beftintmten S^ors
berung an bic öoHIommenc SEonfoIge, 93ei ber ^ottfd&rcitung in DItaöen,
wenn fie nur gelegentlid^ gebrandet werben, öerßert fid& bie eine ©timme
beinal^e in ber anbern, unb ber 2}erlufl biefer ©elbftänbigfeit ift @runb
genug, bie gortfd^reitung felbft unfd^ön ju finben, jumal ba bie anbere
©timme nun plö^Iid^ t)erbop))eIt erfd^eint. Oft wirb aber im Ord^efler ober
anbern fKmmreid&en ßompofüionen nid^ts als bie aSerftärfung einer ©timmc^
befonberS ber 5KeIobie unb ber Sa^ftimme gegen anbere burd^ DItat)beglei=
tung gerabeju beabfid&tigt, unb bieS lann burd^auS jmedtbienlid^ fein, ferner
tritt jumeilen ber 3^aII ein, ba^ eben jenes 2lufge^en einer ©timme in bie
anbere für einen 2lugenblid Slu^e unb ^rieben angemeffen auSbrüdEt. Seid&t
intonierenbc unb fd^nett ber^attenbe Snftrumentc laffen Sonparallelen nid^t
fo unangenehm empfinben wie anbere. DItaöen in öerfd&iebenen ÄIangi=
färben behalten burd^ . bie ftlangöerfd^icbcn^eit nod& einen gewiffen Sfteij,
unb im giiföwi^^nöange öieler Xönc fallen bie |)arallelen 3^ortfd^reitungen
weniger auf. ©o erfd&einen benn aud& tl^atföd^Iid^ Dftaöenfolgen in ben
SBerlen ber größten SDleifter. 93ei ben Duintenfolgen wirfen mel^rere Um=
ftänbe jufammen, fie balb unerträglid^ , balb erträglid^er }u mad^en.
golgt eine Duint auf bie anbere, fo fd^eint bie obere ©timmc in ber 2)o=
minantsSonart ju begleiten, woburd^ bic 2:onaIitöt inS ©d^wanfen !ommt.
©iefe üble SBirfung wirb baburd& öerftftrft, ba^ beim 3^ortfd^reiten j. 33.
um eine ©elunbe hinauf ober l^inab ganj berfelbe (unöollftänbige) 35rei=
Hang um eine ©tufe öerfe^t unb fo abermals baS ©cfül^I einer 3:onarten=
mifd^ung ge werft wirb. SBaju lommt, ba^ baS Snterbafl ber Duint näd^ft
ber Dftaöc am wenigften d^aralterijtifd& ift; aud& bic Quinten ftel^en fid^
nod& }u nal^e, um als felbpnbige ©timmen ju genügen. SBenn fie alfo
nad^ 2lrijioteleS barum nid&t nebencinanber gelten bürfen, weil nid^t bie eine
cinf ad& bie SBieber^oIung ber anbern ift, fo lann man aud& umgefe^rt fagen :
weil bie Quinten ju öl^nlid^ finb, gewäl^ren fie nid^t ben boßen 3leij anberer
gwar fonfonanter, aber jugleid^ ftärler fonjertierenber 3nteroafle, @nblid&
ift es ber Harmonie eigen, ben obern unb ben untern Seil ber Tonleiter
fttaff juf ammenjufd^Iie^en ; Quintenfolgen aber beginnen bic beiben SSetra-
d&orbe wicber auSeinanber jU reiben. 3)iefc Übelftänbc lönnen jebod^ in öiel=
ftimmigen Harmonien oft gcmilbert werben, wenn j. 33. bie Sonalitöt fonft=
wie feft gcfid^ert, burd& Scrjenfortfd&ritt bie Quintenbreif länge wenigftenS
152 gfünftcS Äa^itel.
unter [\ä) fcft öcrbunbcn, burd^ mclobifd&c SSorteilc bic cntjianbcncn 5lttd^=
teile Quf gemogen , bie Quinten hnxi) \S)xt j^armonifiä^e Umgebung öerbedt,
hvLxä^ 3lccentIoftgIeit abgefd^mäd^t toetbcn u. f. tu.
175* 5Kan lann nid&t eintüenben, bafe iebe e i n f a d& e Quint ober jeber
OItoö= unb ßinllang folgerid&tig Verworfen werben muffe. 5)enn burdö
biefe mirb einerfeit§ bie Xonolität befeftigt, anbcrerfeit§ bie ®inmütig!eit ber
Stimmen an geeigneter ©teile bargefteüt, j. 33. am ©d^Iuffe ber 5ßerioben
ober ©ä^e. 2)cnn baS 3iifömmentreffen unb ber ^arattelismus ber ©timmen
^at feine gute ©^mbolif; nur tt)enn ber parallele @ang übel ongebrad&t
toirb, ergeugt er gerabeju fjel^ler ober »enigftenS SKattigleit ber Harmonie.
176. SJiefer allgemeine ©runbfa^ gilt aud^ öon Duarten=, 2:£rjen=,
@ejten= unb ©epttmcn^^arallelen. 2)ie ©nförmigleit unb Seerl^eit ber ^ar=
monie ift l^ier jtoar nid^t fo leidet ju befürd&ten, befonberS bei ben beliebten
3:ei^en=^arallelen. ®ie SnteröaDe finb ja fd^on meiflen§ nid^t ööKig gleid&,
tt)eil bie eine ©timme um einen l^alben , bie anbere um einen gangen 2:on
fortfd&reitet, ober bie ertoartete Söfung (bei SEritonuS, fleiner Quinte, ©ep=
time) bringt einen neuen 5Reij mit fid&. 2)a§ mid^tigfte ift aber, ba| alle
anbern Sortfd&reitungen toeber fo ibentifdbe SBieberl^olungen nod& fo prcnb
für bie 2:onalitöt finb wie bie C!tat)= ober Duintenfolgen. 3)ennod& !ann,
toenn bie Slufeenftimmen o^ne ®runb ^jaraHel gelten, eine ßintönigleit ent=
fte^en, toeld^e minbeften§ ebenfo forgfältig ju öermeiben ift toie bie fogcn.
,,öerftedften" DItaöen unb Quinten, »eld&e oft befprod&en morben finb unb
entfielen foßen, wenn überfprungene SnteröaÜe in ©cbanfen ausgefüllt
werben. 9Kan fcl^e barüber 6. 3fr. älid^ter, Sel^rbud^ ber |)armonie
(8. 3luft.) ©. 145 ff.
177. 3)er „Querftanb" ift eine äl^nlid&e ©törung ber Harmonie wie
bie Quintenfolge. 6r beftel^t barin, ba| bie d&romatifd&e 3Seränbcrung eines
SEoneS mit bem unöeränberten 2:one juf ammentrifft , aber in öerfd&iebenen
(unb 3t!forben) : ^~^^ ^-^— . S)ie ©timmen miberfpred^en einanber
in ber Tonart (bie eine l^at e, bic anbere es), unb eine berfelben fd^eint
falfd^ JU fein. Sägen beibe in berfelben ©timme, fo erfennte man foglcid^
bie 3lbfid6t, auSjuwcid&en , unb wartete nur auf bie Söfung ber ®iffonanj,
beS SBiberfprud&eS gegen bie Sonart : A \J^ A ^ , S)er Querftanb wirb
meift öermieben, wenn bie ©timmen in natürlid&fter SBcife fortgefül^rt werben,
unb wenn er tro^bem erfd^cint, fo fällt er nid^t a\§> eine Unrid^tigfeit auf.
©d&arfe 33 e tonung weift ebenfalls auf bie bewußte Slbfid^t, alfo im aU-
gemeinen auf bie 3lid&tig!eit l^in. S)enn biefe wie jebe anbere Siffonanj
fann ja einem Vernünftigen Smit bienen.
©timmen
b) Harmonie. 153
178, Oben belel^rte unS SfrijiotcIeS barüber, bafe im 3"fömmenHan9c
bcr Xöne feine ©timmung gemalt merbe. SDamit fielet nid&t in SBiber=
fprud^, menn bei ber ^axmonit nid&t minber oI§ bei ber 2WcIobie auf ben
beabfid&tigten SluSbrurf l^ingewiefen wirb. S)enn bie SBcmegung ber 2lf=
lorbe gel^ört im ©runbe jur 5KeIobie, unb auf ben Segriff ber Setoegung
ftü^t ftdö ber ©tagirite. 3Son einem einzigen SKelobietone mirb man ja
aud^ nid^t fagen, ba^ er eigentlid^ fd^on ©timmung auSbrädEe. ^en ^n=
fang baju mad&t er aDerbingS. 2)a§ öermitfeltere aSer^ältniS mel^rerer !on=
fonanter unb befonberS biffonanter 3lIIorbtöne aber giebt fd&on eine breitere
(Srunblage für ben ©timmungäauSbrudt ab, unb fo mirb eine fortfd&reitenbe
Harmonie in öorjüglid^em ®rabe geeignet fein, Stimmungen ju f9mboIi=
fieren. Salier gehört biefeS aud^ ju i^rer toefentlid^en 3lufgabe. ßorrefte,
mo^I öerbunbene, aber ftimmungSleere Slllorbfolgen genügen afö fold&e nidftt.
3)aS 3ntereffe für bie Harmonie barf nid&t einmal öorl^errfd&en ; benn fie l^at
für gemö^nlid^ ber ÜKelobie unb bamit bem 2lu§brudEe bcr ©timmung fid&
unterjuorbnen. 6§ ift aud& öerfe^lt, »enn fie bie SKelobie belafiet, il^ren ®ang
l^emmt. 3:ro^ be§ SBed&feK in ber Slllorblage nämlid&, ber fo öiel toie möglidb
angeflrebt merben fofl, toirft bie jebcm einjelnen SKelobietone untergelegte öollc
Harmonie fel^r oft lö^menb unb erbrütfenb. ©o mirb e§ beim oft nötig 0ber
bienlid^ fein, bie S^i)l ber 3(Iforbtöne ober ba§ ^rinjip ber fletigen ^Begleitung
eines leben ^elobietoneS ju befc^ränten unb toomöglid^ nod^ burd^ anbere
SRittel mieber für mel^r 8eid&tigfeit, grei^eit unb Seben ber TOelobie ju forgen.
179. S)ie aSierja^I ber 3lfforbtöne fann ate baS nöd&pegenbe
90la^ einer öollen Harmonie betrad&tet werben. 2)rei öerfd&iebene ]^armo=
nifd^e 2eiltöne liegen in jebem %om, au^erbem aber mehrere 33erbop|)eIungen.
2)er 3l!!orb ift aber bie auSeinanbergelegte Slaturl^armonie (3lt. 66). älfo
gehören jum boDen Slllorbe junöd&ft ©runbton, Serj unb Duint. 3)er
SBorteil irgenb einer Sßerboppelung jur ^eröorl^ebung beä §au))taHorbtone§
ift leidet erfid&tlidö, j, 33. menn im ©d&Iu^afforbe bie Sonila im Sa^ unb
in ber ÜKelobie ftel^t. 3""ö^ji iP bie SSerboppelung be§ (SrunbtoncS in
ber 9latur]^armonie gegeben, erft nad& berfelben bie ber Duint ober ber SEerj.
35iefe Drbnung mufe im allgemeinen 9torm bleiben bei SKnmenbung öon
(einfad&en ober mel^rfad&en) 3SerboppeIungen.
2)ie SSierjHmmiglcit entfprid&t auc^ ben öier d&arafteriftifd^en ©timmlagen:
Safe, SEenor, 2llt, ©opran, unb wirb nod^ befonberS burd^ ben fo wid&tigen
2)ominant=©et)timcn=9l!forb nahegelegt. @§ fei nebenl^er bemerft, ba^ in
biefem SEerj unb ©eptime als Seittöne nid^t berboppelt werben, weil burd^
regelred^te Sluflöfungen Oftabfolgen entfiänbcn; ebenfo berl^ält e§ ftd& mit
aflen ©iffonanjen, beren 3luflöfung ia nur eine beftimmte fein fann. 9lud&
bie %txi eines jeben 9lfforbeS wirb als untergcorbneter Xeil im 2)reif(ang
nur berboppelt, wenn fie fiarf l^erbortreten foH.
154 gfünfte« Äa^itcl.
ßinc größere ©timmcnjal^I al§ biet tnad^t ben ßinbrucf be§ 9lufeer=
orbcntlid&cn unb ^räd^tigen ; bei bcr 3nftrumcntalmu[il f ommt bic iffiirf ung
ber Klangfarben nod^ ^inju. 2)te natürlid&c ©rjeugung ber |)annonietöne lel^rt,
ma» aud^ in ber ^ta^ig gemöl^nlid^ eingehalten toirb, ba^ bie tiefen stimmen
»eitcr auSeinonber unb bie ^ol^en nä^er jufammen liegen müjfen; fie feiert
ferner, toaS toid^tiger ifl, bie Sebeutung beä ©runbtoneS in jebem Slfforb
unb be§ nid^t immer auSgebrüdften ^JunbamentalbaffeS für bie rid&ttge 3luf=
faffung ber i^armonie. S)od& !ann man auS Slüdffid&t auf ben engern
3ufammenfd^Iu^ ber Stimmen bie Drbnung ber Slatur^armonie , bie auf
baS fd^möd^ere Klingen unb allmdl^Iid&e 93erIIingen ber Obertöne angelegt ift,
unmögKd& überall einl^alten. 3)ie Serj j. SB. finbet il^ren natürlid&ften ^la^
afö aSebiante jwifd^en ^rim unb Duint. 3nt ganjen Iä|t fid& nur fagen,
ba| meite ^armonielagen allerbing§ baS flare hervortreten, enge Sagen aber
baS fefte Sufümmentoirfen ber Stimmen fül^Ibarer mad^en.
180* 6ine ßntlaftung ber 2ReIobie bon bem SHorbgetoid^t ju bieler
SEöne finbet fd&on jur bloßen Slbmed^felung in großen Äompofitionen ftatt,
inbem öielftimmige ©tütfe burd& breiftimmige unterbrod&en merben; bod& ers
gänjt man gern ben ©efang burd^ Klarier ober Orgel. SKel^r ßinfad^^eit
unb 8cid&tig!eit giebt bie 3lu§lajfung einer ©timme ben öolfötümlid^en
Siebern, in benen aiiä) nod& ber Safe mit menigen 9?oten »ed&felt, bie übrigen
©timmcn aber gern in S^erjenparaßelen gelten. Sei bem jtoeiftimmigen @a|e
fann man bie Begleitung nid^t »ol^l entbehren ; er iji aber red&t boHätümlii^,
eben »eil bie SJtelobie entlaftet mirb. ©elbft ber einftimmige (Sefang l^at
burd^ ben allgemeinen ©ebraud^ ber |)armonie feineSmegS feinen 9tei} t)er=
loren unb bleibt für SKaffengefang baS einjig SKngemeffene. 3ltim ben
l^armonifd^en 3nftrumenten behaupten mehrere anbere für baS ©olofpiel nod^
i^ren 9tang.
181* 9luf anbere SBeife !ommt man ber 2ReIobie ju f)ilfe unb giebt
felbft ber Harmonie größere ©pannung mittels ber ©urc^günge, §ilfä=
töne unb SSor^alte. S)ie§ finb f ömtlid^ 9KeIobietöne (in einer beliebigen
©timme), bie fid^ ber §feffel ber |)armonie entjiel^en, aber fofort »ieber in
berfelben, als ber fiegenben Kraft, untergcl^en.
6in „Surd^gang" finbet ftatt, »enn bie SKclobie, bie gortbemegung
beS 2lfIorbeS nid&t ermartenb, fid^ weiter bewegt, um nad^ einer ober mel^reren
biffonanten ©teflungen »ieber in eine fonfonantc einjutreten. ©o fann über
bem liegenbleibenben 3:oniIa=S)rciIlang bie ganje Tonleiter in ber Oftabe fid&
fortbewegen. 9Han fielet ^ier augenfällig, wie ber Snl^alt beS SreülangeS nur
einfadö Ju einer fontinuierlid&en SEonrei^e abgetoitfelt wirb; pd&tige Siffonanjen
wed^feln regelmäßig mit Konfonanjen ; ber Slllorb nimmt baS auS t^m ^erbor=
getriebene jebeSmal toieber in ftd& auf. 3n biefer SBeife fann jiebeS SnteröaD
eines fonfonanten SlfforbeS auSgefüHt »erben unb aud& über jeben beliebigen
b) Harmonie. 155
3lIIorb ein biffonantcr %on al§ ©tellbertreter einer ftonfonanj l^intDegeilcn
(SBcd^felnote). 6^romatif(i^e S)ur(j&güngc biffonieren juglet(j& mit ber Xonart
unb reijen parier jur Söfung be§ 2Bibcr[prud&e§ ; »eil fte immer in ben
Ileinfien 3nteröaIIen abmeid^en, fo ift il^nen aud^ ein ganj befonberer, j. S.
oft ein fd^merjlid&er 2lu§bru(! eigen.
S)ie fogen. §ilf§töne ftnb ^armoniefrembe 2:öne, bie eine lonjiufe
l^inauf ober l^inab ben 2(fforb öcrlüffen unb bann in bic borige Sage, gleid&fam
rafd& erlal^menb, jurütffel^ren ; bie SJüdKel^r giebt bem Sttiforbe neue ©d^önl^eit.
S)er 33 r 1^ a 1 1 ift ein 9lI!orbton, ber liegen bleibt (auSgcl^alten toirb),
naci&bem f(J&on ein neuer 3lRorb eingetreten ift, mit meld^em er biffoniert.
@r forbert, wie äße Siffonanjen , 3luflöfung in. ben erwarteten, }u bem
jtoeiten Slflorb paffenben Jon; feine @igentümlid^!eit befte^t barin, ba§ er
bie 9l!Iorbe burd^ ba§ |)ereinjie]^en be§ einen in ben anbern enger t)erlnü|)ft.
S)er SSorl^alt tritt. in einer beliebigen Stimme auf, gel^t öon oben ober unten
(burd^ ©teigen unb fallen um eine grofee ober fleine ©e!unbe) in ben fon=
fonanten Son über.
3ine biefe jur ?Jigurierung ber 5!Kelobie, öornel^mlid^ in ber Oberjiimme,
bienenben SKebentöne, ju benen man aud^ aSorfd&lftge unb Srißer red&nen
!ann, geben ber SWelobie me^r Semegung unb greil^eit. ©ie finb aber weit
entfernt, ber Harmonie ju fd^aben, folange fte mafeöbn bermenbet werben;
im anbern tJ^alle berberben fie burd& lilnftlid^e^ Säciwerl aud^ bie SBirfung
ber wefentlid^en SKelobietöne. S)er eigentlid&e ©runb, weld^er bie ]^armonie=
fremben Xöne red&tf ertigt , liegt in il^rer @igenfd&aft, nid^t nur bie 2lHorbe
mannigfaltiger ju geftalten, fonbern namentlidb in bie 33ewegung berfelben
unb bamit in bie Bewegung ber SKelobie einer ober mel^rerer Stimmen ein
freieres unb frifd^ere§ Seben ju bringen. Ol^ne fie würbe ber ftets gleid^=
mäßige görtfd^ritt bon einer fonfonanten (5DreiIlang3=) Harmonie jur anbern
ermübenb unb erfd^laffenb wirfen. S)od& giebt eS aud^ eine ©iffonanj, weld^e
!eine§wegS ben gfortfd^ritt ber Xonentwidlung beförbert, fonbern gerabe um=
gefeiert afö ^alteton jur Serubigung ber 9lfIorbbewegung öerwenbet wirb.
@§ ift ber fogen. „Drgelpunit", in ber ölteften 9lrt mel^rftimmigen @e=
fanget (organum) eine SKote bon unbcftimmt langer S)auer, über weld^er
fid& bie übrigen ©timmen fortbewegten. 2)erfelbe wirb nod^ je^t bornel^mlid^
gegen @nbe eines ©tütfeS ober Seiles als Präger ber legten Sllforbrei^e,
einer reid^en, bewegten Sonmaffe, gebrandet; inbem er anfangs lonfoniert,
bann biffoniert unb fd^lie^lid^ wieber lonfoniert, ^ält er äße über il^m
fte^enben SlHorbe gleid^fam am 3ögri, geftattet i^ncn jwar bie le^te freie S9e=
tt>^gung, jiel^t fie aber bod& fiegreid^ wieber in bie 6nbfonfonanj jurüdf. 2)ie
3Serwenbung beS DrgelpunfteS ift inbeffen nid^t an ben ©d&lu^ eines Seiles
unb nid^t einmal an bie Sa^immcn gebunben. @r mad^t einen analogen
ßinbrudf, fagt Sliemann im „9KufiIte|iIon", wie ber Duartfejt=3lf!orb, mit
156 afünftc« Äa^itel.
bem er ju Beginnen t)flcgt, menn in biefem Cuart unb ©ejt al§ aSorl^alte
öon 2:erj unb Duint gelten. 2Ran lann i^n aud& mit bem 3)ominant=
@et)timen=2lIIorb öergleid^en.
182. SiS^ec mar öon berjienigen Harmonie bie ülebe, bie in einer
^errf d&enben aKelobiejiimme il^ren eigentlid&en 3tt)e(f l^at ; bie übrigen Stimmen
^aben jwar i^re eigene ^ottbemegung , orbnen biefe aber ber ^auptftimme
unter unb beanfprud&en nur ein geringe^ 9Kofe felbfiänbiger ©eltung. 3)ie
^au))tfiimme iji je^t gemöl^nlid^ bie Dberjtimme, frül^er fel&r oft eine ber
5DlitteI jiimmen , bei ben ©ried&en regelmäßig bie Unterfiimme. 3lun lann
aber unbefd&abet ber Äonfonanj (ober toirifamen 2)iffonanj) ber Slfforbe
bie felbfiänbige ^Bewegung ber Stimmen größer unb immer größer merben.
SDie ©timmfül^rung tt)irb baburd^ aßerbingS erftj&ioert, unb baS ©timm=
gemebe aud^ für bie 9luffaffung öerioidtelter. 2)aS Seftrcben, auf biefe SBeife
jieber ©injelftimme einen, möglid&ft großen SBert ju geben, l^errfd^te in ber
altern SRufil bor, toaS fd^on getoiffe beliebte J^ompofitionen, mie ber ftanon
unb bie S^uge, bei benen bie[elbe 3KeIobie in öerfc^icbenen Stimmen erfd^eint,
jur ©enüge bemeifen. @§ toax bamafö bie ^eriobe ber „Jjol^p Ikonen"
9KufiI, be§ „lontrapunftifd&en" ober „fonjertierenben" ©tileS,
in tt)eld&em iebe Stimme um ben melobifd^en SSorrang „ftreitet" unb im
ftrengen Sinne „biete" (poly-) felbftänbige Stimmen, bie eine „gegenüber"
(contra) ber anbcrn, il^ren eigenen 2Beg gelten. 5)ie 9llten öernad&Iäffigten
barüber natürlid^ nid^t bie ßonfonanj ber glejd^jeitigen Söne, toaren oielme^r
ängftlid&er afö mir in ber aSermeibung bon ©iffonanjen. SKber fie öer=
menbeten nid^t gleid&e Sorge auf ben 3"föwnten]^ang ber Slllorbe unter ftd^.
9lfö ^ortfd^reitung ber |)armonie galt i^nen bie S^ortfd^reitung ber melobifd^
gefegten Stimmen ol^ne SSerle^ung beS 3Bo]^I!Iange§. Später (nad^ 1600)
mürbe e§ umgcfel^rt allgemein, bie 9lIIorbe möglid^ft natürlid^, eng unb mo^t
Ilingenb (o^nc Sd^äbigung einer einjigen |)auptmeIobie) ju öerbinben. 2)ie
ftcreot^pen güßftimmen ber italienifd&en Oper, bie einfad^ baS 33er]^ältni§
eines 9JIeIobietone§ jur Slaturl^armonie beutlid^ auSfpred&en, bcjeid^ncn bie
fonfcquente ßntmidflung be§ „l^armonifd^en" ^rinjipä. S)od& befielet ber
malere SBert beSfelbcn in einer fold&en 3tnmenbung, boß burd^ Säinbung ber
2lfforbe unb beutlid^e Sejic^ung ouf bie 3:onifa bie Harmonie jugleid^ mit
ber SJIelobie in ein fefte§ bon ber 2:onaIität jufammengel^alteneS Softem
gebrad^t mirb. Snt ^Mittelalter tonnten menigftenS S^eoretifer (felbft Öuibo
bon 9lrejjo) bon ber fontrapunftifd^en 33erbinbung mel^rerer 3KeIobien in
berfd^iebenen Tonarten reben! 9lod& bei ^aleftrina tritt bie tonale ßinl^eit
fd^mädber ^erbor. S)iefelbe mar aud^ nid^t im boHften 2Raße burd^fü^rbar,
e§ fei benn bei auöfd^Iießlidöer SHnmenbung ber moberncn jmei SEonarten
(2:ongcfd^Ied^ter). ®ie alten Sonarten laffen eine ftraffe SSerfettung ber
Sfalatöne burd^ mol^l berbunbene S)reiflänge im Sinne ber neuern 3Kufi!
b) f)Qtmomc. 157
nid^t immer ju, ol^ne bicfclbe ober glaubt bic „l^armonifd^e" SUlufil il^r Ic^tc^
3iel nid^t ju crrei(j&cn. ©ic muß bafür bic größte ©clbftänbigfeit ber
©timmen opfern, ßin neues ^rinjip olfo ift jur §errfd^aft gefommcn,
mit befonbern SSorjügen unb ©d^tüäiä^en. SHbcr boS alte ^rinjip ifi barum
bod^ nid^t al§ ein gou} abU)eid^enbe§ unb fernliegenbeS ju betrachten. @§
fott fcinc§tt)eg§ gejagt fein, ba& bie guten olten Äompofitionen nid&t ein=
l^eitlid^ feien ober ba^ eS je^t feine öielftimmige 5Kufi! im jirengen ©innc
gebe; eS l^anbelt fid& nur um ein SDlel^r ober SEBeniger auf beiben ©citen.
183, ^k mobcrne ©armoniclcl^xe pa^t nid^t gona gu ben Äird^cntonarten, an
bcnen bic fontrapunltifd^e Slielftimuiigfcit pd^ l^craugbilbctc. @8 toot bamols bic
SBicIftimmiglcit, toie gcfagt, ein ©ctocbc f clbpönbigcr , aber in fonfonantcn 3ntcr=
öallcn sufammcngcorbnctcr ©timmen. 3c|t toitt man, baft bic Slfforbe ftd^ aug«
einanbcr cnttoitfcin unb nid^t blofe nebcncinanbcr gcftettt feien. Um bag gu crmög=
lid^cn, mußten nid^t nur bic Stimmen an ©clbftänbiglcit Verlieren, fonbcrn aud^ bie
überlieferten 3^onartcn umgeftaltct toerben. S)ic bcibcn S^l^corien bcr ^ontrQ<)un!tif
unb bcr mobcrncn Harmonie ftnb big ic|t nod^ nid^t gans t)cretmgt; man bcl^onbelt
bic ßel^rc öom Äontra|)unftc nod^ rein l^iftorifd^, ol^nc barauf bic ®cfc|c bcr ©ar«
moniclcl^re ansuiDcnbcn. ^Rad^bcm bicfc aber einmal naturgemäß ftd^ audgcftaltct
l^at, Ibnntc man tool^I aud^ surütfgrcifcnb bie S^l^eoric bc8 ÄontrapunftcS öerbcffcrn,
ol^nc bie Äird^cntonarten anjutaftcn. 3n biefcm 3ö5etfc müßte aber bic latente ©ar«
monic berfelben gu ©runbc gelegt unb bic tocfcntlid^c ©inl^eit affer S^onartcn flar=
geftcfft toerbcn. S)ic obige Slbl^anblung über ben Sufammenl^ang ber biatonifd^cn
ßcitem (bcfonbcrS 9lr. 101 ff.) foffte ein barauf absielcnbcr crftcr S5erfud§ fein,
SBcId^er Strt bic Harmonie bcr alten ©riedjcn toar, ift nid^t mel^r gu ermitteln,
©clcgcntlid^c Syiotigcn loffcn crfcnncn, boß bcr ©cfang ftcts unifon toar, baß berfclbe
aber öielfad^ öon einer abtocid^enbcn (unb atoar l^bl^cr licgcnbcn) Snftrumcntalftimme
begleitet tourbc. 5lud^ jtoei abtocid^enbe Snftrumcntalftimmen lourben öerbunbcn;
naä) Söcftpl^al, ©armonil (3. Stuft.) ©. 37 ff. müßte aud^ eine inftrumentalc
^ol^pl^onic ongenommen tocrben. 5ln bic ©teffc unfercr f)armonic traten aber meift
tJcrfd^iebcnc Äünfte ober Mnftcleicn in bcr SDflcIobic. S)a8 fogcn. d^romatifd^c
Älanggcfd^lcd^t öertocnbctc gtoei aufcinanberfolgcnbc ©albtönc im S^etrad^orb, j. S5.
e f ges a, bag e nl^ a r m o n i f d^ e jerlegtc einen f)aIbton, j. f8, e f, in aioei Söiertcl»
töne. Stußcrbcm bcbienten fid^ bic ©ried^cn nod^ öerfd^iebener SJlcffungcn beS ©ang»
unb C)aIbtonc8 , um Slbtocd^Slung unb ^uSbrudf in bic $0lclobic ju bringet. S)ag
aSebürfniö fd^cint aud^ bic Orientalen auf il^rc eigenartige ©l^romatif unb ^armonif
gefül^rt su l^abcn. S)ic neuem ©ried^en l^abcn eine öon bcr altl^cffcnifd^cn öcr«
fd^iebene ©l^romatil, bic ftc inbeS toenig öerftänbig antocnben. ä^nlid§ ftc^t eä mit
ben S^ürfen, Slrabcrn, 5lrmcniern unb ben Suben gctoiffcr ßänber. S5ci hen nid§t
biatonifd^en C>albtönen forbert bic ßunft eine regelrcd^tc 5luflöfung, bamit fic eine
Jüirtlid^ äftl^ctifd^e SBirfung t^un. ^Drittel« ober »icrteltöne finb über^au^Jt fd^toer
au fingen ; bic rid^tigc 3lrt il^rcr lünftlerifd^en SJertoenbung ift nod§ nid^t t)öffig auf«
gcflärt; aU furje Söorf daläge ober S)urd§gänge mögen fic eine S5ebcutung l^abcn. S)ie
altgried^ifd^c ®§romatif unb ©nl^armonif ioar im 3. Sal^rl^unbert n. 6^^r. nid^t- mel^r
im ©ebraud^c. 3m ÜJlittelalter finben fid^ einäclnc 8:puren bei ben 2:^eoretifcrn.
JBci ung toirb in ftiftcmatifd^er SDßeife nur nod^ bie übermäßige ©cfunbe in ber l^ar«
monifd^cn aJlofftonIciter öerioenbet.
158 Seifte« S^apM,
^ ex ^^ift^mn^.
SDßir mufeten bic f)armome öon bct Sülelobie obfonbent, obfd^on bie leitete
ol^ne bie latenten ]^armontf$en SSegiel^ungen ber Seitertdne aufeinanber feinen SS^ert
l^aben !ann. @o ift nun oud^ bie gefonberte S3el^QnbIung beS Sfll^^tl^muS uneildg«
Ii($, obf($on tl^atfäd^Iid^ eine gute SJlelobie unb eine gute ^nttuicflung ber Harmonie
ixgenbtoeld^e rl^^t^mifd^e Orbnung einfd^liefet. „3)er 9l^^t^mu8", fogt ^Iciftuiann
(^anblejilon ber S^onfunft), „erfd&eint aU bie britte SJlad&t, bie mit SDlelobie unb
Harmonie bog muftfaUfd^e Äunfttoerf erftel^en läftt/
184, 2)ic ©ried^en l^atten einen fel^r cntwidfelten ©inn für rl^^tl^miftiöe
©d^önl^eit ; auf ®mnb ber gried^ifd^en St^eorie l^anbeln ba^er am grünblid&ften
über biefen ©egenftanb SBeftpl^al, S^eorie ber ntupfd^en fünfte ber
^ellenen I (3. 2tufl.) unb Gevaert, Histoire et theorie de la musique de
Tantiquite.
3t^5t^niu§ tft nad^ bem SBortlaut ,,9lbflu^" ber S^it^^^^png ; nur
uneigentlid^ bcjtel^en wir benfelbcn a\xä) auf Slaumberpltniffe, }. S. auf bic
©lieberung bon Sauteilen. 2)rei fd^öne Äünfte berufen auf ber Scitbemegung :
^oefte, SJlufif unb SEanj. Sn biefen öon je^er gern öerbunbenen fünften
(f. ba§ Sitelbilb: ®er ))fanjerenbc unb tanjenbe 3)at)ib) nennen tüir Sft^^tl^muö
t)ie fd&öne, b. 1^. äftl^etifd^ tüirlfame Orbnung ber S^itteile. gür bie SKufif
ergiebt fid^ un§ alfo bie Definition: gefällige unb auSbrucfSöoIIe
Slbfolge ber 2:önc unter bloßer 3lü(ffi(ä&t ber S^it^etüegung.
2)a§ 3luf= unb Slbfteigen ber melobifd&en Scmegung ift mit bem SR^^tl^muS
nid^t gegeben, lann aber felbft ol^ne biefen niiä^t befriebigen. 2lud& ein t)olI=
fommencS ©leid^mafe ber Setoegung ift nid&t »efentlid^, fonbern nur eine leidet
tt)a]^rne]^mbare, ba§ ©emüt anf))redöenbe ©Iteberung; e§ bedft ftd& ba^er ber
ai^^t^muS nid&t mit bem poetifd^en 9Betrum ober mufifalifd^en 2:alte, fo ba$
eine Htufilalifd^e ,,^^antaf{e" ol^ne feften Xalt bo(ä& fe^r rl^^tl^mifd^ fein !ann.
185. 5Ber äft^etifd^e Sffiert beä 3l^^t§mu§ liegt in ber buriä^ i^n fühlbar
gemad^ten ©eje^mö^igfeit ber S^itfolge in Keinen ober großen SKelobieglicbem
unb felbft in ben Raufen. 2)ie ©efe^mä^igleit umfaßt aud& gbenmä^igfeit
(Symmetrie), (Sefd^Ioffen^eit unb gin^eit. 2)ie beftimmtc ©lieberung unb
ber 2lbfd^Iufe be§ 9l^^t^mu§ ermögliiä^en erft bem ©eifte, ben ©egenftanb ju
überfd^auen, al§ bottenbcteS ®anje jufammenjuf äffen unb in bemfelben ein
3lbbilb feines eigenen organif(ä^=ein]^eitIi(]&en SöefenS unb feiner ©d^öpfungcn,
nämlid^ ber Don ©efe^ unb Orbnung be^errfd^ten ©cbanfen unb 6mt)fin=
bungen, ju erfennen.
SDa§ 5KitteI, bic ©efe^mä^igfeit ju erjielen, beftel^t l^icr, tt)o e§ fi(i&
junäd&ft um materielle Seitteild^en l^anbelt, in einer bcftimmtcn SCbjöl^Iung;
S)er 9l^^t^mud. 159
bcr SH^^tl^tnuS ift olfo ein Qai)Unt)tx^<nx%, locId^cS bann aüerbing^
bicncn ntu^, l^ö^erc gciftigc äJcrl^öItniffc faßbar ju mai^tn. 2)ie menfd^Iid&e
©timmc öcrmag nun auf l^öd^ji einfädle unb juglcid^ fc^r wirffamc SBeifc
bie 3lbmcffung ber 3^ittcild&cn ju !cnnjeid6ncn, inbem fie nömlid^ ben 2:on
ober Slad&btud je na6) ber beabfidfetigten ®rut)l)ierung öcränbcrt. 2)q§ ift
ber rl^tit^mifd&e 9lccent unb bie 9lbjiufung mel^rerer Slccente in einer längern
SÜeil&e. 3)lan öerfte^e aber nid^t bie ntelobifd^c |)ebung unb ©enfung ber
©timmc, bie man, wo bont 9H^i|t]^mu§ bie Siebe ift, ni(j&t bcrücffid^tigt,
fonbern lebiglid^ eine SSerfd^örfung ober aSerjiärfung beS SoneS. 3nt SrommeU
fd^Iag ift feine SWelobie, too^I aber 5R]^i|t^ntuS, inbem getoiffe @xu\>\>tn öon
Sinjelfd^Iägen burd^ ^eroorl^ebung eines berfelben ju einer beutlid^ toaf)x^
nel^mbaren ßinl^eit öerbunben werben. 9Warfd& unb Sanj, bie wenig SWelobie
aufweifen, finb biejenigen SKufüftüdfe , weld&e ben JRl^^tl^muä am fd&ärffken
l^ören laffen. Sei ber 9Karfd&= unb Snnjbewcgung bc§ Si'6xptx§> wirb ein
r^^tl^mifd^cS ®efe| burd^ baS jiörfere 3(uftreten eines gu^eS bargefiellt. 2)ie
^anbbewegung giebt beim 2:a!tfd^Iag abwed^felnb großem unb fd^wöd^ern
Stad^brudt. tJoHenbe 2Baffertrol)fen fteHen bagegen einen ganj unboHIommenen
ail^^t^muS bar, weil bie wed^felnbe SSerftärlung bem faHenben Siropfen abgebt
unb barum bie aüerbingS bor^anbene Drbnung bod^ jur unüberfd^aulid&en,
gewifferma^en jur unenblid^en wirb.
186* 9lm näd&ften ift neben ben genannten unb ä^nlid&en ftört)er=
bewegungen bcm mufifalifd^en JRI^^t^muS ber fprad^Iid^e öerwanbt. 3n ben
folgenben ©ö^cn aus ©oetl^eS „Se^rbrief ber flunft" empfinbet man gleid^
bie rl^litl^mifd&e ©lieberung: „2)ie ffunft ift lang, baS fieben furj, baS
Urteil fd&wierig, bie ©elegenl^eit flüd^tig, |)anbeln ift leidet, 2)enlen fd&wer,
nad^ bem ©ebad&ten l^anbeln unbequem." 3m crften ©a|e liegt ein ^aupt=
accent auf ber legten SBorttonfilbe eines jeben Slbf d^nitteS , ein merflid^er
Slcbenaccent gel^t Dörfer ; im jWeiten ©a|e ift eS umgelel^rt. SJöHige ©leid&^eit
ber ©abteile ift, wie man fielet, ju einem geföDigen S^^tl^muS ber ^rofa
nid&t nötig; bie angcfül^rte ©teile weift fid^erlidö fd&on bie ^öd&fte julöffige
©leid&^eit auf; wollte man nod& weiter ge^en, fo würbe ber ©d^ein beS
©emad&ten baS SBol^IgcfaKen aib|d&wäd^en. 3n ber ^oefie l^ingegen finbet
jebermann ben ftrengern SR^^tl^muS angemeffen. ©o oerl^ält eS fid^ aud&
in ber SKufil. ©iejenigen ©attungen, weld^e auf bie fj^orm mel^r (Sewid&t
legen — bal^in gel^ört faft alle Snfkrumentalmufi! — , })rögen ben SRl^^t^muS
genau unb fdftarf auS; eS giebt aber anbere, weld&e nid&t bis inS einzelne
f^mmetrifdö finb, fonbern nur in großem 2lbfd^nitten einen freien, fd^wödöern
JRl^lltl^muS burd&fü^ren. 3n biefer le^tern Sßeife wirb oft baS älecitatiD
be^anbelt, unb eS wirb baburd^ erflärlidö, ba^ aud^ ber recitatioartige
gregorianifd^e ®efang unS mit ungebunbenem 9l]^t)t^muS überliefert worben
ifi. S)em ßird&engefang wiberftrebt jebenfalls bie aßju fd^roffe ^erborle^rung
160 6e(^ftei^ ^apM.
bet rJ^titl^mifd^cn fjortn; fic toärc ju flcinlid^, ju äu^crlid^ unb fogar jct=
prcucnb. 9Kan p|t fid^ auf biefcn nämlid^cn ®runb, loenn man ber bi6=
lifd^en ^ßocfic nut einen gewiffcn 5paraIIcIiSntu§ bet ©lieber juertennt unb
ein fttengeS SSer^ma^ afö unangemcffen abf})rici&t. 6S frogt fid^ ober, ob
man nid^t beffer tl^äte^ fid^ mit ber fj^orberung ju begnügen, c§ muffe in
ber ^eiligen 2)id&t= unb Sonfunft baS formelle ®Icid&mafe nid&t ju fel^r in
ben aSorbergrunb treten. Sgl. unten 3tx. 378 ff.
187. 2)ie tJreil^eit be§ ungebunbenen S^^tl^muS befielet ntd^t fo fel^r
barin, ba^ bie SHccente, toeld&e bie ©lieber marfieren, fid^ abfd^ttJäd^en, fonbern
borjügüdö barin, ba^ bie Don benfelben regierten unb gleid^fam getragenen
3eitteild&en tool^I in befd&ränfter , aber nid&t in genau beftimmtet Slnja^I
mieberlel^ren. Qu lang barf ba§ unter einem 2lccent ftel^enbe ®Iieb nid^t fein,
mei( bie ßraft ber ©timme naturgemöp abnimmt unb jelbft ein l^injugefügter
fd^mäd^erer 5Rebenaccent bod& nid^t meiter au§reid&t als ber Sltemjug, in bem
man begonnen l^at; mit bem neuen Sltemjug tritt naturgemäß ein jweiter
§au})taccent ein. S)er freie SRI^^t^muS nun mißt innerhalb biefer ©renjen
bie 3ö^I ber S^Wt^il^^n nid^t ängfküd^ ai imb fe|t für biefe Xeild^en fein
mat^ematifdö genaues ßinl^eitSmaß an. Slccent unb 3lccentIofig!eit in ge=
fälligem SBed^fel innerl^alb eine§ beliebig geteilten, nid^t ju umfangreid&en
3eitraume§ mad&t ben freien SR^^tl^muS au§; Saltgleid&l^eit unb beftimmteS
Jonmaß finb i^m fremb, unb felbft ben 9lccent l^ebt er in ber Segel minber
fd^arf l^erbor. 2lud6 ber ©timmungSge^alt , meld^er im freien Sitl^^tl^muS
(j. S. in einer Drget ober ßfabier})]^antarte) auägebrücft toirb, bleibt in
ununterbrod&enem gluß, ol^ne burd& fo beengenbe Siegeln ber Äunjl fid^ be=
l&errfd^en unb l^emmen ju laffen. 6§ bewegt fid& bemnad^ in taltfreien
3Jlufilftüdfen bie 5Ratur ungejtoungen mie etwa in gel^obener ^rofa im Sßergleidö
jur ^oefie ; bie Sorm geminnt entttjeber ööDig freies ©piel (in ber ^l^antafie)
ober aber loirb Dom Snl^alt überwogen. 2)aS le^terc gefd&iel^t nid^t un=
angemeffen beim einfad&en Sird^engefang , wie berfelbe unter bem Flamen
beS ß^oralS in ber fatl^olifd^en ^ird&e in Übung ift. S)er JRl^litl^muS biefeS
©efangcS öerbient junäd&ft in§ 3luge gefaßt ju werben. SSgl. u. a. Witt,
Musica Sacra (1881) n. 8 u. 9; SBeber, Über ©prad&gefang ; Lhoumeau,
Rhythme, execution et accompagnement du chant gregorien (1892).
188. Sßie äße anbere DJiufil ^at ber Poral feinen SR^^t^muS, b. %
feinen in mäßigen Slbftänben wieber^olten gefälligen unb auSbrudfSboIIen
SBed^fel Don Jonftärfe unb Sonfd&wöd^e. 9lid&t einmal bie })rofaifd&e üiebe
fönnte o^ne §ert)or^ebung eines SlöorteS in einem ©a|e unb ©abteile, einer
Silbe in einem SBorte äft^etifd&en SBert l^aben ober aud^ nur leidet t)er=
ftänblid^ fein. 2)urd& Sonfteigung unb Jonfall, b. 1^. SKelobie aßein !ann
bie ajJufif eine ä^nlid^e geföKig wieberfel^renbe Betonung unb Jonlofigfeit
nid^t erjielen. 6s muß, wie in ber Siebe, ber 9lad6brutf ^injufommen.
S)cr [Rl^^tl^muS. 161
3n neuerer geit l^ot man [i(j& mit bcr nähern Scjiimmung be§ 2Beci&feI§
ber Sonjiärfc in ber ©l^otalmelobie angelegentlid^ bcfd^öftigt. 35ielc§ bleibt
bei biefen 93erfud^cn bem perfönlid^en ßrmeffen überlaffen; allein eine gute
3al^I ber gemad^ten Seobad&tungen tragen bie &mäf)x il^rer Sitid^tigfeit in
fid& felber.
189^ SKan iji barüber einig, ba^ ber gregorianifd^e g^oral eine Sßolat
muftl im firengjicn ©inne ifi, b. 1^. ba§ bie SWufil fid^ bem natürlid&en
SSortrag be§ SEejteS red&t na^c anfd^Iie^t. 2)er 2: e j t a c c e n t unb mit il^m
ber oratortfd^e JR^^tl^muS beS 3:ejte§ giebt alfo fidler eine ber 9lormen
ab, naä) loeldien ber freie mufilalifd&e Slccent beurteilt werben mu^. Sei
metrifd&en 2:ejten wirb natürlid^ ber poetifd&e Sl^^t^muS feinen ©nflufe
üben, unb jwar öerfd&iebentlid^ , ie nad^bem bie SSerfe nad^ ber Ilafpfd^en
Quantität ober nad^ bem öoHStümlid^en unb mobernen 2lccent (befonberS
in ben ©equenjen) gcmeffen finb.
190. ®aB inbeffen bie 2Kufif be§ 6§oraI§ nid^t auäfd&Iiepd^, ja nid&t
einmal immer Dorwiegenb Dom 3:ej:tr]^5t^mu§ beftimmt wirb, ba§ mu^ ber
erfie Slitf auf bie ^Rotengruppen be§ ß^orafö unb auf bie Dielen ber natür=
lid^en S)e!Iamation wiberfpred&enben SKelobiefd^ritte unb Betonungen leieren \
S)ie SKufif ^at, wenn fic überijaupt SKelobie fein foK, il^ren befonbern, mit
ben DJlotibgliebern auf§ engfte Derlnüpften unb burd& allgemeine ßunft=
gefe^e nod& nä^er beftimmten mufüalifd&en SRl^^t^muS. S)iefer ip ju=
näd^fi entfd^eibenb, wirb aber freilid^ im ß^oral burd^ bie 9lüdtfid&t auf ben
%tit in feiner 3lu§gefialtung Diel ftörler mitbebingt, al§ e§ in ber mobernen
3So!aImufif ber tJaK ju fein t>flegt. @ine gute ÜKelobic befielt au§ gewiffen
auSbrutf^boKen 3:onformeIn (Sl^emen, 2)lotiben, gefd^Ioffenen Jongruppen)
unb au§ beren SSerbinbung, Umwanbfung ober einl^eitlid^en SluSgeftaltung.
®iefe 2:onforme(n nennen wir 9Jle(obiegIieber mit 9tüdfid(|t auf bie Son^ö^e;
fic ftellen aber rüdtfid^tlid^ bcr 2onftärfc aud& ben Sl^^tl^muS in feiner ebclften
unb öoßfommenften ©eftalt bar. 3eber ÜKufifer wirb jugeben, bafe ein
fogcn. 3JlotiD, unb wäre eS nod^ fo Hein, o^nc SBedöfcl ber Sonfiärfe feine
©inl^cit, feinen ©inn ^at, ober bod&, Saß einem cigcntlid^ melobifd&en 9J?otiD,
baS auf me^r al§ formellen Sßert S vprtidd mad^t, ber JRl^^tl^muS burd&auS
wcfcntlidö ift. ©old&e „3i^\)ti)mtn" "beficr gorm finb Don einem ®leid&=
maß ber ©lieber unabl^ängig unb fol h aud^ in ber 9JlenfuraImufil burddaug
nidöt immer mit ber iaftcinteilung 5Uinmmen. ©ic befielen au§ einer SRei^c
Don 9ioten, weld&e rüdtfid&tlid^ ber 2:otiftärfc fo gut wie rüdfjtd&tlid& il^rer
* %nä) m ß^l^oral beö 10. Sal^rl^unbertc flnbeit toir bereits bie S3etonung
Domlne, Samuel, sapientia, accipiet, accept .b.'Hfe , b. )&. man mü^te nod) hem
ftrengen ^rinai^ beS „(S^rad^öcfangeS" qu« ber aJlelobic '.;uf biefe SSetonung ^üt^tn
(obige »eif^tele bei Coussemaker, Scriptores II, 188 •. »gL beS »nfofferd »«
l^anblungen in Musica sacra 1896, n. 11 et 18.
«ietmann, ttfll^etil. 3. SCeU. II
162 ©ei^fted RapM.
©tcßung in bct Tonleiter eine med&felfeitige SBejie^ung aufeinanber l^abcn
unb barum einen ein^citlid^cn ©inbrud auf O^r unb ©emüt mod^en, einen
äfH^etifd&en SQSert befommen. 3n ber reinen 3n[trumentalmuftf tritt bie
5)leIobie unb bannt anä) biefe 2lrt beS SR^^tl^ntuS gegen bie formelle ©eite
ber SWufif in ©d&atten; ber ß^orol bagegen f)at feine Sebeutung gerabc
im natürlid^en 2luSbru(f ber ©timmung mittels ber SWelobie unb ber r^l|t]§=
mifd^en SKelobieglieber.
3n ben öltern unb wieberum in ben neueften ßj^oralbüd^em begegnet
man nun fowol^I ©ingelnoten als ^lotengruppen , unb bie festem foDen
offenbar eine l^öl^ere ßinl^eit öorftellen. ©omit filiert unS bie 9lotenfci&rift
be§ ©l^oralS fd^on auf bie ©pur r]^l|t]&mif(i&er aWotibe. ©emiffe Slotengruppen
l^aben aud^ bon alters l^er befonbere Flamen: podatus, clivis, climacus,
torculus u. f. tt). 2)iefe bem 9luge fid& aufbrftngenbe toed^felfeitige Sejiel^ung
getoiffer 9loten ift aber nidöt fofort ibentifd^ mit bem Si^^tl^muS. S)enn bie
Sejie^ung mu^ erft burdö ben 3tccent genauer beftimmt, unb eS mttjfen bie
aUeinflel^enben 5Roten ben ©ruppen angeglicbert toerben. ^oä) ein Scifpiel
mirb bie ©ad^e am beftcn öeranfd^aulid&en.
ajlob. 7.
A-sper-gesme, Do-mi-ne, his-so-po, et mun-da-bor:
la-va - bis-me, et su-per ni-vem de - al-ba-bor.
2)ie erfte SEonreil^e, bie fid& bis jur Duint ber S^onifa auffd^mingt,
mirb bem ©el^ör in einl^eitlid&em , gebunbenem SSortrag am befien jufagen;
biefer mu^ alfo öom Äomponiften beabfid^tigt fein. S)ie fleinern ©ruppen,
ttjeld^e audd öon ben 2:ejtfilben benimmt loerben, fönnen nur als fdöwad^e
3i]&l|t^menteile gelten, bie aber bod& SBed&fel ber ^ionftärle aufttjeifen. Offenbar
tt)irb befonberS bie erfte 9lote über ber jtoeiten ©Übe, toeld&e ©tamm= unb
Sonfübe beS SöorteS ift, einen ftarlen 2lccent erl^alten, bem bie näd^ften
jtoei faKenben 9loten untergeorbnet ab. 3)er Statur ber SKcIobie nad&
!ommt auf me ebenfalls ein ftarfer, wf)l ber ftärifte 9tccent, jumal l^ier
bie Intonation fd^Iie^t. Über ber e n Slote ber ©üben a unb ges wirb
man mit einem geringern 5Rad^brua jocrtoeüen. 3)ie gang tonlofen Sloten
finb fügtid^ anä^ etloaS rafd^er ju f/iigen. 3)urd& alles biefeS entftel^t bann
eine ongcneljme unb jugleid^ meIobte= unb finngemä^e 2lbjiufung ber 24)n=
ftärfe innerhalb beS ganjen 9)leiebregIiebeS ; baS ift eben ber at^^t^muS.
Sias Sempo n)irb man fo nehmen, bap baS ©lieb ober ber ©aj etma bie
Seit eines SltemjugeS in 9liifprud^ nimmt. 5Rid6t ganj unmal^rfd^einlid^
bütfte baSfelbe (mie metfl bie ©ä|e ber 3nftrumentalmufil) nod^ in jttjei
ungefähr gleid^e atbfdbniite gerlegt »erben, fo ba& bie erften fünf 5Roten
S)cr ^W^mu^. 163
gleid^fam einen %ati unb bic übrigen btei ebenfalls einen %att ausfüllten;
bte 9lote über me mü^te bann jiemli(i& gebel^nt unb nod^ eine ^aufc 3U=
gegeben »erben. SBirb man leugnen lönnen, ba$ ber 93ortrag gemäfe biefer
9lnttieifung ongenteffen unb toirllid^ fd^ön wäre? @o lange wir am freien
üt^^tl^muS fejll^alten, braud^t e§ eine matl^ematifd^e ©leid^^eit nid^t; ba§
O^r felbft wirb fie nid^t verlangen, wenn e§ fie nid&t crmartet. @o ift c§
in ber r^^tl^mifd&en ^rofa aud&.
191* 3n biefem ©inne bürfen mir bem ©runbfa^ ^ot^ier§ bei=
fiimmcn, „bafe ber gregorianifd^e (Sefang nad& 9leumen (b. 1^. Slotengruppen)
fortfd&reitet". ^ot^ier ^at in ben Melodies gregoriennes bcn Sil&^t^muS
in jiemltd^er Strenge nad&jumeifen gefud^t; man »irb fid& im einjelnen
barüber nid&t einigen, menn nid&t ber 9lad&mei§ eine§ öößig beftimmten
9l^5t^mu§ au§ ben alten 5Rotenjcid&en, ebenfalls 9ieumen genannt, gelingen
min. Slßein irgenb einen (etmaS freiem) 9i^^t^mu§ foDte jebem ©änger
ba§ mufifalifd^c ©efül^I nahelegen, unb jmar einen auf bie Slotenjal^I, bie
2KeIobiebemegung, ßabenjen, Raufen unb Sejtgeftaltung gegrünbeten 9l^^t]^=
mu§, ber fid& ber mobernen ßinieilung nad6 @ä|en unb 9tbfd&nitten (faft
mit ben SKotioen jufammenfallenb) unb enblid^ felbft ber Safteinteilung
nöl^ert. 2lu§ fold&en ©ö^en ergeben fid& bann biefleid&t l^öufig burd^ 3^=
fammenfe^ung ^erioben unb ©oppelperioben. a?gl. bie öeifpiele 9lr. 279 ff.
3n ber ^ofge ber r^^tl^mifd^en SJJotiDe, ob fie nun matl^ematifd^ gleid^e
Sänge l^aben ober nidfet, entbedtt man ferner (fo leidet ober fo fd^mer mie
in ber mobernen 9Kufit) bie fd^önften Sßerl^ältniffe, burd^ SBieber^oIung, 9lb=
manblung, S3erfe|ung, Umfel^rung u. f. m. ber Heinften ©lieber au§get)rägt.
S)a§ erfte 9)lotiö feiert unöerönbert mieber ju 9lnfang ber ^araßel5eile, alfo
genau bort, mo ba§ f^mmetrifd&e ®efü^I e§ erwartet. S)en ©d^Iu^ ber
^araDeljeilen bilbet wieber eine ganj gleid^e 5Rotengru})t)e. 2)ic jiebe§mal
in ber SWitte ftel^enbe ®xnppt ift aud^ annöl^ernb gleid^, fteigt nad& jwei
SSorfd&IagSnoten au§ ber Dltaoe (Septime) ab unb wirb am ©d^Iuffc beinahe
umgefel^rt, um wieber auf ben gleiddcn 2:on (bie Duint) ju fommen. 2)aS
d (re), womit baS britte ©lieb beginnt, !ann wo^I aud^ jum jweiten ©liebe
gejogen werben, fo ba^ l^ier gleid^fam SSerfd^Icifung jweier ©lieber ftattfinbet.
®ann fpringt bie ä^nlid^feit beS SRittelgliebeS mit bem 9lnfang§gliebe in
bie 2lugen. 3ebesmal im britten ©liebe wirb baS 9Kotit) umgclel^rt unb
föDt öon ber Duint jur Sonila, wä^renb eS jucrft t)on ber SEonüa jur
-Duint aufjiieg. 9Kan fielet leidet, bic 2KögIid&Ieit ift nid&t einmal auS=
gefdöloffen, bafe im urfprünglid^en Sejte, wenn er nid&t bebeutenb öerfd^ieben
lautete, bie fed&§ ©lieber aud^ ber 3)auer nad^ ööKig gleid& waren unb
iebe§ etwa in jwei gleid&e 2:a!te jerfiel.
192. 3ebenf aKS liegt l^ier eine gro^e ^eriobe bor, bic aus jwei ©ä^en
mit brei annöl^ernb gleid^en Slbfd^nitten jufammengefe^t ift. Sn ben zweimal
11*
164 @e(^fted ßa^itel.
brct ^Hbfd^nitten Ic^rt baSfcIbc SWotib mit feinen Sßeränberungen in öoDfommen
f^mmcttifd^et Dtbnung fo ttjieber, bafe bie SWelobie in jebem ber Poppet
jeilen öon ber 2:onifa jut Dftaöe (ober @c})time) auf= unb toieber jur
3:onifa obfteigt. 9Jiit biefem Sortfd&ritt jur ^eriobe §aben toir ben JRl^^tl^ntuS
in feiner öoUen ©ntoidEIung unb 9lntt)enbung öorgefü^rt. 3)aS 3QßefentIi(!&e
in einem einfod^cn rl^^tl^mifd^en ©liebe ober ©a^e iji bie SBel^errfd&ung aller
Jeiie burd^ einen einjigen 9lccent. Seim jufommengefe^ten ©o|c (^ier öon
btei ©liebern) öerlicrt ber 9Icccnt feine SlHeinl^errf d^aft ; ba§ 9luf= unb 916=
fieigen ber ÜKelobic ftellt bie l^öl^ere @in^eit ber innerlid^ Dertoonbten unb
mo^I l)rot)ortionierten Seile l^er. Sei ber ^eriobe finben ton fd^on mel^r
eine blofee S3eiorbnung felbftänbiger ©ä|e, obwohl nid^t olle Slbl^ängigfeit
unb Sejie^ung jtoifd&en benfelben fel^Ien barf. 3n bem öorliegenben Seifpiel
meift bie jtoeite geile nad& %txi unb 5!KeIobie ben fd^önften ^poraMiSmuS
auf; ber ©d&Iufereim be§ SEcjteö unb bie ööHig entfpred&enbe grammatifd^e
tSform be§ 9tnfang§ finben i^r 9lb6ilb in ber 9KeIobie.
193. 3ln biefer ©tefle fd&idtt e§ fid&, ein Sßort über ben ber SKelobie,
b. 1^. ber 2:onabftufung al§ fold&er, eigenen SR^^t^muS nad^jutragen.
5)ag 3luf= unb SÄbfteigen ber 3:öne toirb befanntlid^ burd^ bie @d(|tr)ingung§=
iaf)l berfelben bcbingt, fo ba$ j. S. ein 2on afö Dttaö eines anbern auf=
gefaßt toirb, menn er genau bie boppelte 3a^l ber ©d^ioingungen l^at.
Unfere ßmpfinbung biefeS ©ad&üerl^ältniffeS ift nur im ßnbergebnis Ilar;
im einjelnen finb mir aber nid&t im ftanbe, un§ Don ber ©d&ttJingungSjal^I
unb beren oKmä^Iid^er Vergrößerung ober SSerüeincrung eine beftimmte
SorficKung ju mad&en. ^a felbft ba§ (SnbergebniS tt)irb un§ nur bejüglid^
einer befd^ränften Slnjal^I öon SEonftufen in mittlerer ^ö^e ganj beutlid^.
2)rittel= ober SJierteltöne fdftä^en mir nur äußerft fd^toer ab, ebenfo größere
SnterbaKe mit bem bermitfelten SSerl^ältniS ber ^rimjal^Ien (oben 3lr. 50),
enblidö fe^r tiefe obcr.fel^r l^o^e SLöne überhaupt, ©oioeit aber unfer S}er=
mögen ber 2onfd^ä|ung reid^t, entf})rid&t eS ber orit^metifd^en aSer]^äItni§=
ja^I ber ©d6tt)ingung. 3)er melobifd&e gortfd^ritt gefd&ie^t alfo nid^t minber
nod& aritl^metifd&en SSerl^öItniffen, loie bie getoö^nlid^ fo genannte rl^^tl^mifd^e
Semegung. S)ie SKelobie ift ein poteujierter SRl^^tl^muS ber
Sonbetoegung. S)iefer Segriff erleid^tert un§ bie 9luffaffung ber me=
lobifd^en Sunftgefe^e. SSor allem ^at bie ßonfonanj i^ren SBol^IIlang tjon
ber ßinfad&l^eit be§ SSerl^öItniffeä ber ©d&mingungSjal^Ien, genau fo mie ber
9i^Qt^mu§ feine ©d&önl^eit öon bem öl^nlid^en Serl^öItniS (eid^t überfd&au=
lid&er S^^ßin^eiten ber Semegung. 3m Mittelalter war e§ geläufiger als
l^eutjutage, bie SnterdaHe nad& Serl^öItniSja^len ju unterf d&eiben ; ja (Suibo
don Slrejjo bebiente fid^ fogar ber SSer^ältniSjol^len, toomit man bie 3nter=
baue bejeid^nete, um baran bie Saftderl^ältniffe Hör ju madden. SKan
folgte aud6 barin ben ©ried^en. 9lrifiotele§ befiniert bie Äonfonanj atö ein
j(]6öne§ 3a^lcnt)et^ältm§ rüdf fi(]&tfid& ber §ö^e unb 2icfc (3tt)cite 9Ina(^t II, 2),
unb fd&on ^ort)^t}tiu§ (in polcm. |)arm. , 9lu§g. t)on SBaßiS ©. 219)
jagt, ba^ nod^ ben ^^tl^agorcern ,,ba§ gejialtcnbc ^prinjit) ber SJlcIobic unb
bc§ Sft^^tl^muS im ©runbe ba§ gicid&e fei" unb bafe jeber, bet ba§ ^ö^ere
ül§ ein ©d^neHere^ unb boS SEiefere al§ ein 2angfamcrc§ auffoffe, genötigt
fei , aüe mclobifd&e SEonotbnung für ein f^mmetrifd^eS SJcrl^öItniö Don Se=
tocgung unb bcn .Söol^Iflang ber 3nterDaHe für ein 3a^IenDer^öltni§ ju
crüären (©. Sl^imuö, ^armonifale ©pmöolif I, 2; ferner SBcftpl^al,
Si^^t^mi! [3. 9tufI.J, bef. @. 149 ff.).
194» @S mirb nun eine ntelobifd^c gonncl einem r^^t^mifd&en 3:ofte
entfjjrcd^en unb burd^ einen 2lccentunterf(j&icb ber Seile, tt)ic bicfer, il^re
©in^eit erhalten muffen. @tto'6i)nl\ä^ , aber fetneStoegS immer faBen bie
SRotiöe ber 5DleIobie unb i^re .Setonung mit ben blatten unb beren ftarfen
ober fd^mod&en Seilen jufammen (f. unten 3lx. 274 ff.). S)ie formelle
©d&önl^cit ber SWotiDe berul^t auf bem angenel^men ^af)knt)ttf)<m% xf)xtx
Sefianbteile , bie formelle ©(j&önl^eit be§ 9Jlotil)tt)ed&fel§ in ber glüdflid^en
SScrbinbung unb SScrmifd^ung be§ ^rinjipö ber ßinl^eit mit bem ber 5Dlannigj
faltig!eit. 3Qßa§ ©uibo öon Slrejjo bejüglid^ be§ Safttoeij&fete (unb teilr
tt)eife anä) be§ 9Jlotit)tr)e(i&feI§) fo trefflid^ auSgefül^rt ^at, barf ^ier in 6r=
innerung gebrad&t merben (f. 5Rr. 381 f.). S)ie innere ©eftaltung ber
melobifd^en SKotiüe toirb im großen unb gangen ber Saftart entfprec^en,
unb fo f(j&lie^Ii(j& bie SBirfung ber DJlelobie auf O^x unb ©emüt ate ber
SBirfung be» äl^^t^muS na^e Dertpanbt erfddeinen. S)a aber ber Sll^^tl^muS
\xä) Diel äu^erlid^er unb offener ber 6rtenntni§ barbietet, bie 3al^lent)erl^ält=
niffe in ber 5WeIobie hingegen mel^r Derfd&Ieiert unb in ©el^eimniS gepKt finb,
fo ift bie Slöirfung be§ SRl^tl^mu^ med&anifd^er , bie ber 9Kelobie bagegen
gemütboßer. 3ener a^mt t)ortt)iegenb bie Äörperbemegung na$, biefe erl^ebt
fi(]& ju unmittelbarerer Slad^a^mung ber ©eelenbetoegungen. SDic 3JieIobie
fann ftd^ felbjl genügen o^ne ben gebunbenen, ftrengen Sft^^t^muS, obtool^I
fie fid& naturgemäß mit bemfelben derbinbet, bamit loie in ber Sefddaffen^eit
ber Söne, fo aui) in i^rer 2)auer eine mat^ematifdd genaue Drbnung ob=
xoaltt. S)er SR^^t^muS o^ne SKelobie (ober einen anbern Sul^alt) fann
nid^t lange befriebigen. klimmt man ben St^^t^mu^ in feinem »eitern
©inne, fo ift berfelbe tjon ber 5!JleIobie baruni untrennbar, meil ein me=
lobifd^eS 5Jlotib, um aU gefd&Ioffene ©in^eit ju erfd&einen, eine bem x^\)ii)=
mifd^en , Saftaccent öermanbte, jebod^ öon anbern ©efe^en abl^ängige Be-
tonung erl^eifd&t.
195» 2)er ftrengeSR^^tl^muS enthält nid^t nur ba§ »efentlidöe
Moment be§ S^^tl^muS, nömlidö bie |)eröor^ebung einzelner 3^itteild&en
t)or anbern unb bie baburd^ erjielte angenel^me unb auSbrudfööoKe ®Iie=
fcerung ber S^xi, fonbern mißt bie S)auer ber fleinften Seile unb orbnet
166 ©ed^fteS ^apM,
bicjclben in ööllig glci(i&cn ©nippen jufammcn. S5ic ungcfiunbcne Sitl^^t^mi!
!cnnt nur SBcd^fetoitfung öon $c6ung unb ©enlung unb freie ®Iie=
berung fott)o§I int ©rofecn mie im ÄIcinen; bie taltmöfeige Sl^pt^mif läfet
accentuierte unb nid&t occentuierte S^itteile in matl^ematifd^em (SJIeid^nta^ bcr
Meinten ©ruppcn (ber Softe) abtoeij&feln , obfd^on für größere ©ruppen
(@ä|e unb ^erioben) einige tJreil^cit gewal^rt ttJtrb. ®ic feffellofe S3e=
toegung fann ju Unbejiimmtl^eit unb 2luSbrucf Slofigfeit , bie jirenge Siegel
gu 2Ile(j&Qni§mu§ unb ©(j&ablone fül^ren; bort !ann ober ani) ®ebon!e
unb Stimmung [xä) ungc^inbert entfolten, l^ier bie tJorm il^re ^bä)^tn
SJ:riump^c feiern; brttben moltet mel^r bie 9lotur, l^icr bie Äunftfertigfeit.
2)ie ®efd^i(i&te ber ffunft l^ot bem ftrengen JR^^tl^muS entfd^ieben ben SSor=
jug gegeben. @S fd^eint, bo^ lein ou^gebilbeteS SKufiff^ftem ben freien
Sll^ptl^muS, e§ fei benn nur ou§no]^m§tt)eife , in 9lntt)enbung gebrod^t l^ot;
benn felbft ber toftfrei überlieferte Äird^engefong l^ot njol^I urfprünglidd eine
fefte Sonmeffung gelobt.
196. S)er mufifofifd^e SH^^tl^muS l^ot fid^, mie eS fd^eint, junäd^ft on
ben ©prod&rl^ljt^muS ongefd^Ioffen, inbem ettoo jttjei ©prod^filben öon gleid^em
ober ungleid^em SBerte in folgenber Söeife mufüolifd^ borgefteKt mürben:
J •' ober J J^; bei weiterer 31u§bilbung jog mon bonn biefe einfod&en
©ruppen jufommen J unb J., öerboppcite il^re S5ouer of unb J. ober jcr=
legte bie einjelnen Seftonbteile, moburd& fid^ gonj neue lomplijiertere ©ebilbe
ergoben, j. S3. Sj JTTä J J /• = ^ r ober onberfeitS J JT^ jTl = J.-
S5urd^ eine fold&e Sßoriotion ber einfod^en metrifd&en gorm tritt bo§ tf)\)Ü)'
mifd&e Seben erft in eine felbftönbigcre Sil^ötigleit. S)ie 9)letril ber olten
(quontitierenben) ©prod&en mor infolge ber Sluflöfung longer ©Üben in
ßürjen bereits bemegter oß bie ber neuern (occentuierenben) , bei mcld&en
bie occentuierten unb tonlofen ©üben nid^t einmol eine beftimmte 3:on=
mejfung öorouSfc^en. 2)er burd& Unterobteilung ber SKctro entftel^enbe nod^
bemegtcre mufifolifd&e 9H^^t^mu§ fü^rt öfter jU eigenen Slccenten, bie öon
ben notürlid^en Slccenten ber fprod^Iid&en SWetro obmeid&en. SWetrum unb
aH^^tl^muS finb bemnod^ öerf d&ieben ; ber le^tere, mcnn mir i^n oI§ ouS
bem 9Ketrum ermod&fen betrod&ten, ift eine gorientmitflung, eine ©tcigcrung
bc§ erftcrn.
Snbeffen iji bie fprod&Iid&e ül^^tl^mif mol^I oud^ erft öon SEonj unb
SKorfd^ übertrogen morbcn. S)enn bei ber !örperlid&en Semegung, meldde
mel^rere jufommen ouSfül^ren, mirb bo§ 99ebürfni§ ftrenger Segelmöpigfeit
juerft empfunben, unb muffen jur ßrjielung berfelben in einem furjen
Seitroum 5Kad&brudf unb 9tbfd&möd^ung gefe^mö^ig med^feln. ©o mirb beim
SWorfd^ieren unb beim Stonjen einem burd^ Slod^brudf ouSgejeid^neten ©d&ritt
ber onberc ©d&ritt ober mehrere nod^folgenbe Semegungen untcrgeorbnet ;
S)er 9fl§^tl^muS. 167
bic 2BicberfcI)t beS gleichen 9la(ä&bru(f§ jcigt nun bcn 93eginn eines jtDetten
kaltes an, bct in bem ganj glcid^en Seittaum berlöuft.
197* S)ic 2:^eorie erfennt aber aud^ Bei ben Rörperbeioegungen , ba^
ber 5R]&5t]^ntu§ berfclbcn ntd^t »efcntlid^, fonbern im ©runbe ein gemctn=
fd6aftlid&e§ glentent breiet fünfte, nämlid^ ber Drd&efttf (2:on jf unft) , ber
®id&t!unji unb ber 3KufiI, ift, ein ßlement, beffen fie in i^rer tjollfommenen
©ntmicKung nici&t ober fount antraten fönncn. ®er 9H^i)t]^mu§ berl^ält fid^
tt)ie bie gorm, tt)el(j^e ben jiojflid&cn SctoegungSelementen ber brei fünfte,
bem Sanjfd^ritte, ben SBorten unb bcn SEönen, ein befonbereS Äunjiget)räge
aufbrürft. S)a§ Setoegte toirb burd^ bic r^^tl^mifd&e 2lrt ber Semcgung
erft äpetifd^ boKloertig. S)iefelbe Sebcutung ^at natürlid^ aud^ ber freie
aS^^t^muS für ben il^m untergeorbneten ©tojf; bod^ toir feigen an biefer
©tcßc babon ah unb fpred^en nur bom %alixij\)tt}mn^, ®iefen aber be=
^anbeln toir in feiner 9lntt)enbung auf bie 3Kuftf; aßein in Dielen i^aütn
tt)irb bic ©arftellung burd^ Seifpielc an% ber (poetifd&en) 9Mctri! crleid^tcrt.
198* 2)er Sl^^tl^muS, al§ bie beftimmte Drbnung ber Setoegung nad&
Icid&t erfaßbaren Slbfd&nitten, finbet ftd& außerl^alb ber ffunft im 3:rot)fenfan,
im ^utefd&Iag, in ber ^enbelbctDcgung u. f. m. , nid&t aber im 9laufd&en
be§ 2Baffer§, im Sraufen be§ ©turmeS, in ber geitteilung nad& ©tunbcn,
Sagen, ^o^reSjcitcn u. f. m. , toeil unferc „meffcnben" ©inne, nämli(^
2tuge, Ofjx unb ©efül^I too^I in jenen, nid^t aber in biefcn, ßrfd^einungen
bic Drbnung in ber Seitteilung erlennen. ®er 5!Jlenfd& fleflt ben 9latur=
rl^^tl^muS aud6 an fid^ fclber bar, j. S. im gemeffenen ®ange, unb a^mt
il^n in§befonbcrc in ber ßunft nad^, inbcm er irgenbmie burd^ ^erdorl^cbung
eines 3eitteiId&enS ber SÖcmegung ficinerc gleid^e Slbfd^nittc bem ©innc fafe=
bar mad^t. @ine ftarlc ober betonte ^äi unb eine fd^toad^c ober unbetonte,
bcibc t)on nid^t aüju großer, fonbern leidet fa^arer ®auer, bilben ben
Sl^^tl^muS ; ftatt ber unbetonten 3:eile !önnen, loie beim fjaßen ber S^robfen,
aud6 Raufen eintreten. S)aS beutlid^e 9lbmeffen beS Sil^^t^muS cr^eifd^t,
toic bei aßcm Steffen unb S'^W^f ^'^^ 3lnfe^ung einer gciteiril^eit ; bie
9iömer nannten bcmgemäfe ben Sll^pt^muS gerabcju „3a^Imafe" (numerus).
S)ie Seitcin^eit ober ^rimärjeit |)flegt bei uns je nad^ bem Siembo (ober
einer nal^e öcrnjanbten SKldffid^t) als Sßiertel, Sld^tel ober ©ed^jel^ntel be=
jeid^net ju toerben; bie ju einem Ileinften rl^b*^^if^^^ ©anjen bereinigten
^rimärjcitcn jä^It man als 2 ober 3 ober ein SSielfad^eS t)on biefen,
j. 33. bebeutet | einen aus brei möfeig betoegten ^rimärjeiten beftcl^enben
2:alt, I einen langfamern, j\- einen rafd^ern Saft t)on gleid^diel ^rimär=
jeiten. 9IIS Sielfad^eS crfd^einen |=, |=, V=2:aft. S3ei getoiffen SH^^tl^men
ift nur bic 53eäeid^nungStt)eife eine derfd&iebene. SBeitcre S^^^^i^W^ t^^*^^
mel^r auSnal^mStocifc, namentlid^ in Snftrumentalftürfen, ein ; eS l^abcn fogar
j. 33. im |=3:a!t bie ©cd^jcl^ntel eigentlid^ fd&on omamentalen Kl^arafter.
168 6ed^fteg Stapiitl
©inigetmafeen trifft bic einfad&c 3^^* ^^^ 2Ilufif, bcfonbcr§ im ©cjonge, mit
bcr furjcn ©prad^filbe jufammcn.
S)iefe genaue Sonmeffung toax geiüi^ in bcr erften 5Diuftlt)eriobe un=
befannt unb tüurbe tt)a]^rf(i^einli(ä& burd^ SEonj unb SKarfd^, bann burd^
ben natürlid^en ©inn für Symmetrie l^erbeigefü^rt. Sei ben ©ricd^en mar
ba§ ftrenge 2:onma^ SebenSelcment ber SEonfunft; in bcr Slütcjcit t)er=
einigten fic gern bic brci r^^t^mifci^cn ftünfte, ^ocfic, 3Rn\it unb SEanj, iu
einer gemcinfd&aftlid^cn Seiftung; crft in bcr römifd^cn ^eriobc lam, toxt
CS fd^cint, ©efang ober ©piel ol^nc [trengcS 2Ka^ bor.
199. 3in bcr 5Kufil ift nid^t jebe SSerbinbung bcr ßlcmcnte broud&bar,
fo tDcnig mie in bcr @})rad^c. 3Qßa§ einen öftl^ctifd^cn ßinbrud mad&cn foD,
mufe bcm O^re leidet fa^ar unb angcnel^m fein. Unfercm ©efül^Ie miU
nur ber jtt)ci= ober brcitciligc Sl^^tl^muS (unb beffen a?ielfad&e§, aud& 3X3)
jufagen; in ber gried&ifd&=römifd&cn 9Ku[il tourbc mand^mal, mie nod^ l^eutc
bei ben 33a§len unb Rinnen, ber fünfteilige (3 4-2), bisweilen fogar bcr
ficbcntcilige (4 + 3) gebraud&t. S)ie 2:ür!en bebienen fid^ bc§ fünf=, fieben=
unb neunteiligen (5 + 4). S)aS menfd&lid&e O^x jöl^It junöd^ft "^ur jmei
über brci ßinl^citcn ; f d^on bicr fd^eint cS für gcmö^nlid^ in 2 X 2 ju jcr=
legen; tDcnn c§ nod^ mel^r 3:eile ein^eitlid& erf äffen miß, fo bleibt il^m gar
fein anbereS ÜKittcI, unb aud^ bicS toirb immer fd^mieriger.
2lnbcrcrfeitS barf bic S^^ ^^^ ^rimärjciten nid&t ju gering fein, um
ben ©inbrudf eines ©anjen ju mad^cn. @in cinjigeS Clement flellt nod&
fein r^^t^mifd&eS, b. f), ftarl unb fd^mad^ bctoegtcS ©cbilbe bar. 2)od^ aud&
jmei nid&t bei rafd&em %tmpo; benn fic finb ju flüddtig, laffen fid^ alfo
fd^mer gefonbert auffaffen. @o l^aben mir faum einen |=2:alt, nur feiten
einen t\; ganj cbenfo bilbeten bei ben ®ried&en in ber beften !^zxt itoti
!urjc ©üben mc^r auSnal^mSmcife einen Sufe ober 3:alt (unfer 9ld&tcl cnt=
fprid^t ctma einer furjen ©übe). SBenn mir i ober | fd^reiben, fo bleibt
freilidö baS SSerpItniS baSfelbe, aber eS mirb ein gcmcffener, gcmid^tigcr
SSortrag t)orauSgefe|t, obgleid^ nid^t gerabe eine iiopptli ober öierfad^ Iang=
famere Semegung. 3)er ©ebraud^ bcr berfd^iebenen 5Rotcn mürbe burd& fon=
fequente SSorjeid^nungen, mic moderato, presto, largo, cntbcl^rlid^.
200. S)er 3:aft mirb nid^t aKcin burd& bic 2af)l ber ^rimärjcitcn
beftimmt, eS mufe i^m nod^ ein befonberer Slccent älclicf unb ©inl^cit geben.
2)aS balt^Iifd&c unb ba§ ana|)öftifd^e SWetrum l^abcn je bier Scit^i^^^i*^^»
aber bie berfd^iebene Sage beS 3lccenteS mad^t auS bcnfelben berfd&iebenc
rl^^tl^mifd^e ©ebilbc: <)K)vkj unb uuuu (ober -^uu unb w^), ©rji
burd^ ben 5Kad^brudf eines 3:altteiIeS mirb bcm ©cfül^Ie bie cinl^eitlid^e 3u=
fammenfaffung möglid^, mie bie einl^citlid^e 3Iuffaffung eines SBorteS burd^
benSBortton. ®er ftarle ober fd&mere 2:aftteil, ber mit größerem 5Rad&brurf
l^crbortretcn foH, mirb in ber mufifalifd^cn Sluffül^rung burd^ ben 9licbcr=
3)er gfl^^t^muö. 169
fd^lag bcr §anb (bc§ SaftftodfeS) angezeigt, bei bcn 2lüen au$ loo^I burd&
l^örbarcS ©d^naljcn ber 3^ingcr ober gar burd^ 3luffe§en be§ 3fwBc§. 9Son
leitetet ©ctDol^n^eit lomtnt ber SluSbrud ;,3Jer§fup" in ber 9Jletril unb bei
ben ©ried^en „?5ufe"=3:aft fotoie ,,3:^ejt§", b. 1^. 9licbcrfe|ung bc§ gu^eS öom
ftarfen Saftteil; bei unS toirb utngefe^rt bie Hebung („SlrfiS") fei eS beS
3ufee§, fei e§ bcr f)anb (ate biejenige SctDegimg, loeld&e mel^r ßraft=
anjirengung broud^t) auf bie Sonfilbe be§ SScrfeS unb ben ftarlen Saftteil
angetoenbct. ®aS ^ää^zn für ben gintritt be§felben in ber ©d^rift mar
bei ben ©ried^en öielfad^ ein ^unft, bei un§ bcr Saftftrid^. 9Kit bem ftarfen
Seil beginnt bei un§ ber Saft, toeil er fid& ba erft ftörfer bemerfbar mad^t,
b. 1^. tt)ir fe^en bcmgentäfe bie Saftftrid&e; aber im ©runbe föngt ber
9l]^t)t]^mu§ mit bcr erften 9lote an, unb v\!fv ^ai einen anbern ßl^arafter
afö 6\j{j.
201. ®ie ben Saft bilbenben ^rimärjeiten fönnen bcrfd^iebentlid^ ju=
fammengejogen (unb geteilt) loerben (f. 9ir. 196). S5abci fann ber fd&mad^e
Saftteil ganj in bem öerlängerten ftarlen aufgeben, j. 8. j. = J^ J^ J^
ober J J^- ©tatt ber SScrlängerung tritt oft eine ^aufe ein , aber anwerft
feiten, tt)ie leidet begreiflid^, innerl^alb eines Sejttt)orte§ in ber SSofalmufit.
Semcrfen§tt)ert ifl bie bei 3"fömmenjie^ungen oft öorfommenbe SSerbunflung
be§ Saf taccenteS , inbem bie 9lote, toeld&e i^n tragen foB, bie beutlid&e
|)erDor]^ebung nid&t gcftattet. @§ mirb nämüd^ burd^ ©^nfot)e bie acccn=
tuierte 9lotc mit ber borl^ergel^enben , nid&t accentuierten juf ammengcjogen ;
f ür ) - I I - tt^i^t^ gßf^^t (J J ^^d J j J unb baburd^ ber
|)au})tton unmirffam gemad^t. ®a jtoei Söne nad^ bem ^auptton ein
9iebcnton einjutreten Jjflegt, »eld^er ^ier auf baS SSiertel öor (ber erjien unb)
ber legten l&alben 9lote faßen mü^te, fo tt)irb aud^ biefcr aufgel^obcn burd^
folgenbe ©d&reibart (J J)cf J J ober in 5Koten :
©^n!o))e ftatt
:^
— f-
ZE
-^ f-
S)er 9lebenton aBein mirb bertoifd^t, fo oft in breiteiligen Saften bie
9?ote, loeld^e ben 5Rebenton ^at, mit ber ganj tonlofcn jufammengcjogen
tt)irb; j. S. 0- ftatt liwu, mo ba§ le^te 2ld&tel ben 9lebenaccent ^at.
©iefelbe gform fte^t aud6 für -^u, mo ein 9lebenaccent fel^It. 3)iefe 6r=
fddeinung, meldte ber S^nfope na^e öermanbt ift, loeil ber |)auptaccent burd^
ba§ aKi^oer^öItniS ber Sonbauer abgefd^ioäd^t tt)irb, fommt bei un§ nid&t
feiten öor ; e§ finbet fid^ aber and) fdfton unter ben menigen Seif^jielen grie=
d&ifd&er 3nftrumentalmufit S" J J. öl§ |=Saft bel^anbelt, fo bafe ber ^anpU
accent auf ba§ Std^tel fommt (SBcftp^al, äl^^t^mif, 3. Slufl. ©. 129).
1
170 ©cd^fteS Ä(4)itcl.
5)cr befanntc gricd&ifd&c S)od&miu§ l&at (nad& bcm notierten Fragment bc§
euripibeif(ä&en G^oreä unb nad^ 2Iti[tibe§ Duintilianu§, ed. Meibom
p. 39) bie t^^t^mifd&e Betonung li- -'- u-. ©5nfot)ierung l^ot ferner ftatt,
wenn ftatt vi u u u mit SBerfd&iebung be§ 5Rebcntone§ auf boS le^tc Std&tel
}j-\j eingefe^t toirb. 3iitt)eilen toirb bie 2:aftart felbft burd& eine tt)ieber=
^olte ©Qnfope jtocifel^aft, tt)ie benn aud& eine toirflid&e Verlegung be§ S^aiipU
accente§ öorübergtl^enb angetoenbet mirb, fo baß bann bie befannten 3ßi<ä&en
fz, sf . . . bei ben r]^5t]ömif(i& eigentlid^ tonlofen Saftteilcn fielen. 3n
aDem bem erlennt man ein freiere^ ©piel be§ 2lccente§, ba§ bcr 9Ibme(3&§=
lung falber juläfftg ift, aber oud^ ^öl^ere ©rünbe i^ai, toorüber toeiter unten.
202. Unregelmäfeigfeiten anberer 9Irt ruft bie irrationale lon^
baucr l^eröor. darunter tjerftel^t man eine bem ftrengen SLoftma^ tt)iber=
fpred&enbe Verlängerung. 3m ©efang mirb biefelbe mon(ä&maI burd^ ben
2:ejt öeranlapt. ©onft jeigt tDoi)l anä) „tempo rubato" t)eränberte§ 3^i*=
ma$ an ober fte^t über 3?oten, Raufen (ober 3:aftftrid&en) eine germatc
(|)altejei(ä&en). 3n ber gried&ifd&en SSoIalmufil mürbe fe^r l^öufig -^ v ober
u^ fo gemeffen, bag bie ßürje um bie |)(ilfte gebe^nt mürbe, u. bgl. S9ei
un§ ift ö]^nlid&e§ nur gebräud&Iid^, mo bie 3:aftart auf löngere 3cit mirHid^
gemed^felt mirb.
203. S)er Saft ift ein Heinfter SR^^tl^mu^; burd^ 3ufammenfe|ung
bilbet man längere rl^^t^mifd&e ©lieber. ®abei bcmal^ren bie 6injel=
tafte i^re öolle Unab^ängigfeit, ober fie treten in ein med&felfeitigeS a5er]^ält=
ni§ ber Über= unb Unterorbnung, mie fonft bie Seile eine§ einzigen SalteS.
5lur über bie le^tere 2Irt ber Saltöerbinbung , meldte eigentlid^ neue, er=
meiterte Safte entfielen läßt, ift l^ier ein SBort ju fagen. 3)enn bie blope
9?ebeneinanberfte[Iung ber Safte ergiebt feinen anbern SRl^^t^muö al§ ben
ber Symmetrie, nämlid^ ber Slbfd&nitte, ©ä^e, ^erioben unb Seile; öon
biefer mirb aber jugleid^ mit ben fertigen ßunftgebilben , beren ©lieberung
fie barfteflt, bie 9tebe fein (5Rr. 274 ff.). 2Inber§ öer^ält e§ fi(ä&, mcnn
ä. 53. ein |=Saft mit einem anbern ^=Saft ju einer r^^tl^mifd&en Sin^eit
Derbunben mirb, fo ba^ bie erften f inxä) einen ftärfern 9lccent fid& bie
übrigen | unterorbnen. ©o entfielet mirfli(| ein neuer Saft öon bem
boppelten Umfang mit |)ebung unb ©enfung, ober richtiger mit einer ftärfern
unb einer fd&mäd&em |)ebung, in meld&en aße |)ebungen unb ©enfungen,
alle ^auptr unb 3?ebentöne ber einfad&en Safte aufgellen. 6in fold&er
Soppeltaft ift bei rafd&erem Sempo natürlid^ leidster auf juf äffen; bal^er
fommt ber J=Saft fd&on feltener, ber -| mieber feltener, ber V ^^^ ^öufig,
bcr V föum öor. S)a§ Saftf(|Iagen bereinfad&t fid& in äufammengefe^ten
Saften, fo bafe fd^on im neunteiligen bie ginl^eit be§ ®anjen nur mel^r
burd^ meitere§ 9lu§]^oIen beim erften ©d&Iag angebeutet mirb, nid&t aber fo,
bop man bie 3lbftufung ber 9Iccente erfennt (bei f : ftärffter 9Iccent, fd^mädöfler,
2)cr Sfll&^tlömuS. 171
ftarfer; bei ^^^: ftärfftcr, fd^lDäd^ercr, fiorfcr, fd&tüäd&fter, ober in genau um=
gelehrter Drbnung). S)a bcr Unterfd&icb J)raftifd& nid^t crJ^cbltd^ ifi, fo
toexbtn bicrtaltigc ©lieber jutoeilen aDerbingS afö ein %alt, öfter aber al§
jtt)et S)o|)))eItaIte ober aud^ al§ bier ginjcltafte be^anbclt, unb aDe§ ba§
fanb fi(| ^i^on bei ben ®rie(j^en bor. ©lieber bon fünf ober fed&§ Saften, bie
afö ßinl^eit, b. 1^. mic ein juiammengefe^tcr Saft auf juf äffen finb, toaren im
9lltertum nid^t feiten unb finben fid& ou(| bei 9?euern ; aßein man bel^anbelt
bod^ (mie bie 3:aftftrid&c bereifen) bic fjünfjal^t meift ni(|t als ©inl^eit,
fonbern al§ fünf felbftänbige 3:afte, unb bie ©e^Sjal^I aß breifad&e gin^eit
bon je jtoei 3:aften.
3)er Unterf^ieb ber rJ^^tl^mifd^en 3:eile wirb alfo junäd^ft beim S)iri=
gieren bertt)ifd&t, inbem e§ al§ fd^toierig gilt, bier ober gar mcl^r al§ bier
f)auptbett)egungen be§ 5Knne§ (mit ben l^injulommenben 9lebenbctt)egungen
ber f)anbgelenfe allein) bcutlid^ auSjufül^ren. infolge babon berjid&tet man
aut^ in bcr ©d^rift bielfad^ auf bic 5)arfteKung ber t)ö^ern r^^tl^mifd^cn
ßin^eit. 9lber mie man längere SJerfe bielfac^ mit befter SBirfung unter
einen §aut)taccent fteKt, fo bleiben für ba§ feinere mufilalifd&e ^ören unb
befonberS für bic innere 3luffaffung ber ^l^antafie bie l^öl^ern Safteinl^eiten
befielen. S^fammengcfe^te Stalte bon fteben bi§ jc^n Sinjeltaften fommen
nur im 9lecitatib bor unb bal^nen bie böHige 3luflöfung be§ ai^^t^muS an.
204. S)a§ Wa^ ber ^Bewegung ol^ne Slüdffic^t auf bie ©liebcrung in
Safte unb ©lieber beftimmt baS Sempo, melc^eS ber ^^rimörjeit i^re Qb=
folutc ®auer juweift, ba§ SSerl^ältniS bon |)ebung unb ©enfung aber nid^t
beränbert. ' 9la^eliegenb ift bie 3lnfe^ung eine§ breifad^en 2:em))o§, nämlid^
eines mittlem, gleid&)am normalen unb geföö^nlid^en , eines fd&nellern unb
eines langsamem. S)iefe brei 3lbftufungen ertoöl^nt beifpielStoeifc |)ucbqlb
(9. 3a^r^. ; bgl. 5Wr. 384). 3lud^ in ber 9JlenfuraImufif legte man einen
mittlem 3cittoert (integer valor) ju ©runbe, ju mli)em man bie „S)imi=
nution" unb bie „9lugmentation" in ein beftimmteS iBerl^ältniS fe^te. Unfere
berfc^iebenen 9lotettgattungen bebeuteten nod& bei 3. ©. 39ad& bie Sejiel^ung
auf ein 2)urd^f^nittStem))o (SBeftp^al, äl^^t^mif, 3. 9lufl. ©. 80), feitbem
aber etmaS unbeftimmter nur baS ungefähre 9!KaB beS lebenbigen 3luSbrudfS.
Siic feit 1600 aufgefommene Segeid^nung beS %tmpo§f burd& SBorte gel^t
ebenfalls bon ber 5)reiteilung auS, meldte burd^ largo, moderato, presto
angejeigt »erben mag. @in ^al^rl^unbert fpäter fam ber genaue Saftmeffer
(^Metronom) auf. 9!Kan mi^t je|t nad& bem 9!JläI}eIfd&en 5DJetronom, unb
bie JBorjcid&nung of = 100 bebeutet: „bie l^albe 5iote fo lang mie ber ^enbel=
fd&Iag, menn baS ©emid^t auf 100 fielet", ober 100 ^olbe 9?oten in ber SKinute.
205* 6S erübrigt nun nod& , über bie geijtige Sebeutung ber rl)^t§=
mifd&en fjormen ju )pred^en. Um an baS eben ©efogte anjufnüt)fen , fo
172 ©cd^fted aapM.
crfcnnt mon ]i)on aus bcm ©trcbcn naä^ genauer 3^Wbeftimmun8 ba§
©eioid&t, meldöeS ber 5!Kufifer auf bie 2lrt ber öeioegung legt @m alU
grie(|ifd&cr 3:^cotetifer f|)rid&t ftd& bereits mit großem 9lad&brudE über bie
SQßirfung beS SRl^^tl^muS aus. ,,S)ie SKelobie", fo fagt er, „ift ol^ne eigene
Äraft unb fefte ©efialt; [ie öerl^ält fid^ toit ein Stoff, ber entgegengcfe^te
ßinbrücfe aufnimmt. ®cr Sl^^t^muS ift baS gcftaltenbe unb orbnenbe
5ßrinji|) ber S3emegung. ... 2)ic unterfd&iebslofe SEonbemegung benimmt
ber melobifd&en STonformel ben 5luSbrucf unb fül^rt bie ©eele auf unfit^ere
Salinen ; bie rl^^tl^mifd&e ©lieberung l^ingegen ftellt bie SBebeutung ber 2KeIo=
bie erft Mar l^erauS unb bringt bie ©eele in eine, jmar an bie ©liebcrung
gebunbene, aber lool^Igeorbnete Setoegung" (Aristid. Quint, ed. Meibom
p. 31. 43). Sllfo bie !Iarc Drbnung, meld&e bie 3^W6^*i3^9U^9 ^^^^ i>^w
aHl^^tl^muS erl^ölt, ermöglid&t erft ber 5ÜieIobie ben toefcntlid&en ©inbrutf auf
ben ©eift. 5Kä^er beftimmt ftd& aber ber ßiribrutf naä) ber SBefd&affcnl^it
beS ai^^tl^muS. 5)er allgemeine ®ang beSfelben, baS 3:em:po, giebt ber
SKelobie aud^ ben aügemeinften 6§ara!ter als SluSbrud beS mel^r ober
weniger bewegten SebenS. 9lafd&eS S;empo beutet auf geifiige Semeglid&Ieit,
Snergie, SBörme, langfamcS %tmpo auf aiul^e, SBürbe, @rnft ber geiftigen
Serfaffung; baS Übertriebene erinnert beiberfeits an entf|)red&enbe gel^Ier
ber inncrn ©rregung ober Stimmung. SBei SKufifmerfen frül^erer 3a]^r=
l^unberte ift eS für bie bejtoecfte SBirfung entf(i&eibenb , toie man baS für
uns ju unbeflimmt angebeutete Sem|)o inter|)retiert. Siemann fagt barüber
(im „5!JlufifIeyifon"): ;rSei Übertragungen bon 5!Jlufifmerfen beS 16. 3a]^r=
ÖunbertS mu^ man bie 5iotenmertc wenigpenS auf bie |)älfte, bei benen
beS 14. — 15. 3a^r]^unbertS auf ben vierten 2eil, unb bei nod^ öltern
auf ben aci&ten 2eil rebucieren, menn man ein ungefö^r riiä&tigeS Silb gc=
minnen toiü."
206. 53ejügli(| ber Stellung öon |)ebung unb ©enfung lä^t \iä) im
allgemeinen ben mit bem fiarfen SCaftteil einfe^enben Sl^^tl^men eine ber=
^ältniSmä^ig größere Stulpe unb öeftimmtl^eit juerfennen, wö^renb ber an=
l^ebenbe fd^mad&e SCaftteil irgenbmeld&e Slufregung unb eine erft werbenbe
Stimmung anjeigt. 3)enn menn ber 3laäibxnd, ber d^aralterifiifiä&e ©aupt^
teil beS aH^^tl^muS öorauSge^t, fo erhält ber ©örer juerft einen an S^ftigWt
unb Sntfd^icbcn^eit erinnernben Sinbrucf.
S)er gerabe 3:aft fliegt rul^ig unb mürbig, aber !räftig bal^in, weil
^ebung unb Senfung gleid^e ®auer l^aben. ßintönigfeit toirb baburd^
ni(^t erjeugt, meil ber ftarfe SCaftteil bur(| ben 3ion ein Übergetoid^t unb
bamit ben 9luSbru(f ber ^raft erhält. S9ei bem breiteiligen %aU ift eS
faji umgefel^rt; immer bleibt ^ier bie S)auer t)on 3IrfiS unb 2:]^efiS öer=
fd&ieben, aber in ber reinen breiteiligen SarfteKung gleid&en bie unbetonte
ätoeite 5Rote unb bie fd&mad^betonte britte jufammen baS 2:onübergett)id&t ber
2)cr 0l]^^t]^mug. 173
erflcn tcillücifc »lebet au§. 3:reffenb fagt ©ngel (5lft]^ctil ber 2onfunft
©. 43 ff.): „®et gerabe unb ungerabe Stoft fpottet [loeil einer öon betben
geioöp toerben muH j[ebe§ SSerfud&S, ein mufifolifd^ ©d&öneS ju fd&affen,
boS über unb aufeer aOem SSeftimmten unb 6^araltertjiifd&en fielet, unb
eben bamit ift ber Übergang jum 9luSbru(f§boDen — anä) o^ne ba§ er=
Härenbe 2Bort — bereite öorbereitet , jum SLeil fogar fd&on gefegt. . . .
3ebe§ SLonPüdE ift enhneber entfd&ieben ober mxä) bermittelnb, fd&toer ober
Icid&t, männlid^ ober toeiblid^, ernft ober l^eiter fd&on burd& ben 3:Qft; unb
öon ber Kombination mit anbern Elementen ber 3:onIunft l^ängt eö ab, ob
baS, tt)a§ in ber Eigenart be§ SalteS liegt, nun noc^ weiter gefteigert ober
gemilbcrt unb eingefd&rönit »irb. . . . [S)enn freilid&] untcrfd&eiben alle
anbern Elemente, mit benen bie STonfunfl arbeitet, fid^ in äl^nlid&er SIBeife,
ttjoburt^ bann allerbingS bie 3MögIid&feit geboten toirb, bie ®runbbeftim=
mungen fo mannigfaltig ju fd&attieren, bafe aud^ ber ungerabe %di energifd&,
ber gerabe milb unb m\ä) erfd&einen !ann." 5)er breiteilige 3:alt be!ommt
burd^ bie Ungleid&mä^igfeit feine§ 35aue§ mel^r öeben, unb bieS Seben offen=
bart [id& bei rafd&erem 5J:em|)o afö f|)ielenbe Seid^tigleit ber Semegung, bei
langfamerem %tmpo als erregtes ©treben. S)er gerabe 3:aft geloinnt burd^
Sluftaft an Seben, ber ungerabe loirb burd& ^ßaarung ju ©ipobicn ober
Setrapobien ruhiger. S)er breiteilige SLaft (junäd&ft |, |) mar urjprünglid^
nur öolf Stümlidö , mürbe aber jpäter in ber Äunft fel^r beliebt. @S gab
aber bei ben ®rie(|en ani) einen fünf= unb einen fiebenteiligcn Sll^^t^muS,
meld&er megen ber Ungerabl^eit feines 53aueS unb inSbefonbere megen feiner
öermidfelten »erpltnijfe (2:3, 3:4) alS 9luSbrud ber erregteren ©tim=
mungen galt. ®asfelbe trifft ju, menn fi(^ ber fünfjeitige 2:aft nod& ^eute
finbet, j. 33. in „^rinj ßugeniuS". 93ismeilen crfd&eint berfelbe gerabeju
als 3:aftmed&fel jmifd&en | unb i ; Saltmed^fel ober bebeutet felbftberftänblidö
©timmungsmed&fel. Sbenfo liegt in bem inationalen 3:aftber]^äItniS (9?r. 202),
in unferem tempo rubato (Segnung patl^etifd^er ©üben auf Soften anberer),
in ber ©^nfope unb äl^nlid^en 2lccentberf(|iebungen unb felbft in ben un=
gemö^nlid&en S^itt^i^^" ^^^ 2rioIen u. f. m. eine Unregelmöfeigfeit , mcld&c
irgenbmie einen 2luSbrui geftörter Drbnung mit fid^ bringt. ®ic SRüdfid&t
auf bie erftrebte SBirfung lann bie 2lbmeid&ung bon ber SRegel boHfommen
rechtfertigen; benn felbft bie na^Iäffigere 33e]^anblung beS SRl^^t^muS im
Slecitatib !ann ber ©ad^e unb bem SluSbrutf bienen, obfc^on bie ©ried&en
biefcr Steilheit ftd& entl^alten ^aben.
207» Sbenfomenig ift bie 9Irt, mie ber Zaii unter SJeibel^altung beS
attgemeinen 6l^ara!terS gegliebert mirb, für ben 2luSbrui gleid&gültig. S)ie
aus lauter furjen ober fogar fürjeften 9loten beftel^enben Satte erfd^einen
als eilig, jum %nl leibenfd&aftlidö ; Qxtxnokn ^aben etmaS ©efäüigeS ober
SänbeInbeS. Sauter Söngen finb Iangfam=feierlid& ober fd&merfäHig. 93ei
174 ©cd^ftcd Äapitcl.
bcn ®ricd&en bicntcn 3:afte toic — , (biefcr aud& in boppelt Iattg= 1
famcrcm 3:cmpo) öornc^mlidö al^ SKafe rcligiöfer ©cföngc. ®ap ou(i& ]^cut= J
jutagc bcr Äird&cngcfang ein bcrl^ältniSmä^ig Iangfantc§ Ztmpo unb cinfad&e I
3:aftglicbcrung liebt, toirb niemanb bejtoeifeln. 2lu§ anbcrem ©runbe gilt
t)on 2:rauergeföngen ba^felbc. ©alt^Iifd&c unb anapöpifd^e Sll^tl^men (-^ u ^^
uw-^) ^aben l^inmi^berum einen gemifd^ten ßl^aralter, leitete aber ungleid^
mel^r grregt^eit. 2lm 2)o(i&miu§ (f. 3lr. 201), ber tDa!^rf(]&einItd& mit ge=
be^nter ©d&Iu^note, alfo neunjeitig §u faffen ift, erfennt man leid&t ben auf-
regenben unb jugleid^ f)öi)\l mannigfaltigen ßl^araöer, fobalb man beben!t,
baB jebe lange ©übe in jtoei !urje aufgelöft unb bie furjen gelegentlid^
unregelmäßig (irrational) gebe^nt werben burften. 5Rid6t biel ruhiger finb
in öfterer SSieberl^olung Sl^^t^men toie u -^ -, u u -^ - ober -^ u u ^ u. f. m.^
ber le^termäl^nte barum, weil immer ein fiarfer 5Kebenton mit bem ©au|>t=
ton eines anbern 2:afte§ jufammenfommt.
208. S)ie jufammengefe^ten Sa!te fte^en unter einem ^auptaccent, ber
eine größere 5Rotenrei^e ein^eitli(ä& berbinbet. 3n ber gefd&loffenen ©inl^cit
unb ber gefälligen 2lbftufung be§ 3:one8 liegt alfo ba§ ©^araöeriftifd&c.
„2)er ai^^tl^mu» liebt einen ©efä^rtcn", fagt man; ©oppeltafte genügen
junäd&ft biefer 3^orberung, bal^er j. S. |=2aft fo häufig. Sine jtoeite aScr=
boppelung ergiebt bie neue öiertahige ßin^eit. S)o(| aud^ brei ober jtDei=
mal brei 2:a!te finb nod^ fafelid^. Sei 3- ©. S3cid& finbet fidft in biffer
^infid^t bie größte 5!Jlannigf altigf eit ; „tf> finb bie nömlid&en ©efe^e beS
9l^t|t^mu§, bie nämlid&en bi§ in bie auffaKenbften ßinjcll^eiten, nai) totlä^m
bie S)id&terfomponiften ber ©ried&en i^re SBerfe geftalteten" (SBeftpl^al).
3m mefentlid^en blieben aber aud& fpäter biefelben ®efc|e maßgebenb, unb
ba roeber ein 93ad& noi) ein 9Jlojart nod& ein Seet^oöen t)on ber gried&ifd&en
SJlufif unb bem großen 3:^eoretifer 2lrifiojenu§ biel getoußt ^aben, fo er=
toeifen fid& jene nur bei ben ©ried^en flar formulierten ®efe|e als in ber
5latur felbft begrünbete.
209. Um fo el^er bürfen mir unS aud& bie griedfeifd^e 2:^eorie bon brei
befonbern ß^arafteren beS Sll&^tl^muS unb ber 5!Jlelobie aneignen, beren 9ln=
menbung auf bie moberne DJiufil SBeftp^al (äl^^t^mi!, 3. Sttufl. ©. 263)
burd& Seifpiele beranfd&aulid&t. 5Rad& ^feubo=6u!lib (Meib. p. 21) gicBt
e§ eine ^erjermeiternbe, eine eng befd&ränfenbe unb eine beru^igenbe 9Jiufil.
S)ie erfle „biaftaltifd&e" ©attung ift ber SluSbrudE gefunber ßraft, eblen
©trebenS, männlid&er Srl^ebung ber ©eele. S)ie jmeite, „f^ftaltifd&e" ©attung
erfd&eint meljr gebrüdft, meid^, fentimental, meiblid^. ßnblid^ bewirft bie
„^ef^d^aftifd^e" ©attung, baß bie ©eele fid& beS innern griebenS unb rui^iger
Stimmungen erfreut. 3tt biefer legten ^errfd^t ber paarige unb getragene
W)t)ii)m\i§i ; ju i^r gepren |)9mnen, ^äane, @n!omien, ©iegeägefönge, tpie
ä- 93. bie ^inbarfd^en , unb überl^aupt feierlid^e ßljorgefänge. ©erabe um«
2)er ^t^^Ü^vmi.
175
einfc:
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ingleii
gekört [iimmen ber fünfteilige Soft, bem fojufagcn ba§ ®Ici(]&gett)i(ä&t fel^It,
unb aUe erregten Sl^^t^men jur biaftaltifd&en 5!Rufif; in jufammengefe^ten
Saften liegt l^ier ber §auptaccent mel^r bem 6nbe ju. 9IIIe franfl^aftc S9ei=
niif(|ung bleibt aber biefem ßl^arafter fern ; er pa^t ju ben erregten unb
bod& mürbigen ß^orgefängen beS ernften 2)rama§. 2)ie f^ftaltifd^e ©attung
liebt ba§ einfad^ bcmegte Sll^^tl^mengefd&Ied&t, junäi^fi |=SJ:aft, inbetn |=3:oft
fd^on er^eblid^ fröftiger mirft. 6rotif(i&c Sieber, ßlagegefönge , 9Konobien
im S)rama, ß^öre in ber ßomöbie, po|)uIäre SBeifen [teilen biefen mittlem
©l^arafter bar. ©elbftt)crftönblid& finb berartige Unterfd^eibungen nur im
großen unb gangen jutreffenb; inSbefonbere ift bemerlenSmerf, t'a^ un§ ber
fünfteilige Saft faft ööllig abgel^t.
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S)tc folgenbc ^robe gried^tfd^er ©l^romatif im fünfteiligen Zattt ift
aus einem belpl^ifd^en @oIogefange beg at^enifd^en ^id^terS ^leod^areg (2. ^af^x^
l^unbert t). ©l^r.)-
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<yaav xpixst^ XP^'^ ' ^ ^' <i - du^poug xi- ^a -pig 5ß -voi-aiu d- va -fxiX-m-rat,
S)ic (borifd^c) E-3:onart ift auf ber ^l^r^gifd^en 3:rang))ofition8ffaIa
öon h auä fotool^I nad& bem „öerbunbenen" al« na(i^ bem „unöerbunbenen" ©^ftemc
abjulefcn (f. oben ©. 123); toir l^aben bie 2JlcIobic mit S)cd&ct)ren8 (fitud. music.
I, 398 s.) eine Duint tiefer gefefet. SDßo ber ©efang biatonifd^ bleibt, ift alfo bic
Seiter bie biatonifd^e t)on e aug, fo bag aber h\xt^ b in bas t)erbunbene Setrad^orb
mobuliert toerbcn fann (ögl. ben Slbfd^nitt unten <S. 206). S)ie d^romatifd^en 5lb=
fd^nittc ]^abcn (f. oben @. 157) bie ßeiter ef gesahcdese, mit b aber efgesab
cesde. 2)ad gis unfeteS @tüdEe§, eine Ouint l^ö^er dis ober es, ftnbet fid^ aU
aOßed^ feiton ber E-Sonart nur in ber borifd^en S^ranöpofitiongffala (oben (S. 123),
in meldte alfo audgeioid^en loirb.
176 ©icbentcS ftapittL
S'lad^bcm bic tocfcntlid^cn Elemente her QJluflf Befprod&cn flnb, mu6 öor bcr
SBcl^anblung Beftimmtcr mufüalifd^er Äunftgcbtlbc (Süluftfftüdc) nod& öon bcr SJcr=
fd^tcbcnl^cit ber Organe ober SDßcrfseugc bic Olcbc fein, bcren fid^ bic S^onfunft aur
S)arftettung il^rer ©ti^öt)fungen l&ebicnt.
210. Sie mcnfd6Kd^e ©timmc, ba§ öon bcr 5iatur junäd&ft bargebotene
SEßerfgeug, ift fo eigenartig, bafe [ie fid& ju aKen übrigen SJlufifinftrumcnten
in einen gemiffen ©egenfat^ jteHt. 3ebermann unterfd^eibet ©efang unb
S|)iel, unb biefe geläufigen Sejeid^nungcn (i&aralterifieren jd&on ebenjo lurj
afö rid&tig jmei 9Irten bon SKufif. S§ ift aber Ie^rreid&, auf ben Unter=
fd&ieb ettt)a§ näl^er einjugel^en, SBir fpred&en juerft bon ber für Singjtimmen
allein gefd&riebenen SKufif, bann bon bem allgemeinen ßl^arafter ber au6er=
l^alb beS 9Kenjd&en üegenben Snfirumente, inbem mir bie SQßirfung aßer al§
Sinl^eit jufammenf äffen , unb an britter ©teile bon berjenigen aSofalmufil,
in mcld^er ber ©efang burciö inftrumentale ^Begleitung untcrftü^t mirb ; enbli(ä&
fd&Iie|en mir bie ß^aralteriftif bcr einjelnen Snflrumente an.
211. ®cr menf(ä^Iid6e ©timmton ift ber fecIenboKfte in ber ganjen
9latur (f. oben 5Rr. 44). Salier fommt e§ bem (Sefange bor allem ju, in
melobifd&en 9Kotiben unb beren S)ur(ä&fü]^rungen innere ©eelenfttmmungen
auSjufingen. ©afe er baju in Serbinbung mit bem bcrbeutlii^cnben SBorte
aud^ borjüglid^ geeignet fei, liegt auf ber |)anb. 9lid&t alfo ba§ ©piel
mit formen, fonbern ber 2lu§bru(f eine§ 3n^alte§ ift feine näd&fte Slufgabe.
SaSic ber Sejt ben ®cban!en au§fpri(|t, fo foK ber ©efang ba§ im 2Bort
fd&möd^cr au^gebrücftc ©efü^lSmomcnt jur ©eltung bringen. S)ann mirb
bem ©eifte jener boKc ©enufe geboten, ber burd& anbere 5!MttteI ber 9Kufif
ni(|t errcid&t merben fann. ßlarl^eit ber SrfenntniS alfo unb SZBörmc ber
ßmpfinbung ju crjcugcn, baju bereinigen [\ä) Siebe unb Son.
212. 5)er ©efang ift feiner 9latur naä) bcrl^ältniSmä^ig cinfad^,
fd^on meil er unmittelbar aus ber lebenbigen Smpfinbung quillt. 2)a§ meit
|)ergc^oIte unb Erlernte liebt bic ßünftlid&feit, baS Urfprünglid&e bie fdölidfete
©nfad^l^eit. 2)aju jiimmt benn aud^ eine gemiffe 53efd^rän!t]^eit ber 3SofaI=
mufif, bie burd^ ben Sejt nod& in i^rer Semegung gehemmt mirb. ©ie
l^at alfo felbftbcrftänblid^ um fo me^r ben fd^Iid&ten 2luSbrui bon ©tim=
mungen ju erftreben unb ftd& in ben Sahnen 5U l^alten, meldte bie 3latur
il^r junäd&ft borgcjcid^net l^at. S)er Sll^^tl^muS berträgt feine Üeinlid^c 3er=
teilung, fein ju rafd&e§ 3:empo, feine häufige 2lccentberfd&iebung. ®ic SKelobie
bebient fid& fparfam ber reid&ern giguration, ber d^romatifd^en SLonfoIgen,
ber fd^mierigern Snterballe (übermäßigen ©efunbe ober Quart j. S.), ber
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Jöofal« unb Qnftrumentalmuflf. 177
längern Saufe. 5)ic iparmonte jiel^t burd&auS bie näd&ftliegenben SlHorbe
unb SDlobuIationen öor. SBie Umfang unb S3ett)egltd&f eit , fo l^aben anä^
©törfe unb Sauer ber Jone il^re ©renjen. 2)ic ju fel^r angeftrengtc ©timtnc
wirb nid&t nur mübe, fonbern au(^ unangenehm unb nimmt ©d^aben. 9luf
ben mafeboHen SSerbraud^ beS Sltemä l^aben bie ©änger fd&on beS^alb gu
ad^ten, »eil fonft leid&t ber ganje Vortrag leibet.
3InbererfeitS mufe bod& öerptet werben, bafe nid&t bie lüirflid^ bor^
l^anbenen SKittel ber Stimme unbenu^t bleiben unb bie Öeiftung ote bürftig
etfd&eine. @in mäßiger Umfang genügt inbeS bei ed&t melobifd&er 33ertöenbung
ber Stöne; barauf foD alfo ba§ 2lugenmerl be§ ßomponipen gerid&tet fein.
213. 3ebe Stimme bewegt fid& in einem mittlem SLongebiet mit
9lu§bauer unb SBol^IIaut; aud& bie S)eutlid&feit ber 5luSfprad&e ift l^ier am
größten. S3on biejer SOtittc auS fieigt fie biatonifd^ ober in leid&ten 3nter=
öaKen jur ^öl^e l^inauf unb in bie Siefe l^inab. Sliid^ bie ©eelcnftimmungen,
wenn fie fid& naturgemäß offenbaren, lieben e§, bon d&arafteriftifd&en 9lu§=
nal^men abgefel^en, rul^ig einjufe^en unb ftufenweife ju einer gewiffen ^öl^e
ober 2iefe [x6) fortjubewegen, ol^ne ^ier fel^r lang ju öerweilen.
S)ie SBrujitöne ber männlid&en Stimme finb boller, fräftiger unb
befcelter afö bie auf t)artieller ©d&wingung ber ©timmbänber berul^enben
3falfett=, ri\^d=, ßopf= unb SJogeltöne (bie legten gleid^fam ein nod^ ]^ö^ere§
„Segiper" öon wenig gefangartiger Klangfarbe).
5lu6er ben Stimmlagen unb Slegiftern fommen bie bier @timm=
flaffen fowol^l für bie 9MeIobie afö für bie |)armonie nod& befonberS in
»etrad&t. SKar j giebt (in ber „ftom|)orttion§Ie^re" HI [5. 9lufI.J, @. 358)
ben Umfang ber klaffen fo an:
Sopran: c'— b"; 9Kitte ber Stimme: g' — d"
3IIt: g-d"; „ „ ,. d'-h'
2:enor: c — a'; „ „ „ a — e'
Safe: F— e'; d— h.
3n ber 9Kitte jwifd&en Sopran unb 2Üt liegt ber 3Jlejjof opran ; ber
Sariton ift eine ^o^e Sa^flimme. 2Rarj' treffenbe* ßl^ralterijiif lautet:
„3iebe Stimmflaffe bietet burd& i^ren befonbern Umfang, burd^ bie eigen=
tümlid&e Sage il^rer SKitteltöne u. f. w. , burdft ben ^ierburd^ unterjiü^ten
g^arafter i^reS ftlangeö unb i^rer ganjen SQßeife bem ftomponiften ba§,
worauf jule^t in ber Äunft aDeS an!ommt: fie lieben i^n au§ bem 3in=
gemeinen, Slbftraften, Unbeftimmten in bas ©ebiet ber beftimmten SQßal^r^eit,
be§ SnbibibueKen unb Köö^^oft^tifiifd&en , unb jwar in großartiger SHJeife,
frei bon aDem fleinlid^ unb eng ^erfönlid&en. @S finb l^ier nid&t einjelne
3Jlenfd^en mit ben S^föDifl^f^i^^n unb Sefonberl^eiten , bie aw jebem l^aften,
fonbern eS finb in großem Stil, in großartiger 2luffaffung bie bebeutungö=
«iettnann, tjtl^etir. 3. %t{\, 12
178 Siebentes StapxUt
boDcn ©egcnfä^c, bic fid& in bct Slatur beS aJlcnfd&en l^crauSfteDen : bcr
S)i8f ant unb Sllt tociblid&, bcr icnor unb Sq| männlid^ — ber ® i § I a n t
j|ugenbUd&, jungfröulid^ , ju frol^er leidster SetDegung, aud^ }u ]^ei|er meib::
lid^cr Scibcnfd&oftüd^fcit geneigt — ber 21 1 1 me^r matronenl^af t, crnfter unb
inniger, weid&er elegifd^er Stül^rung, tiefer ßlage unb Xraucr feine SQßeifen
barbietenb — ber 3:enor jünglingSmäfeig, balb für fd&meljenbe 3nnigleit,
balb für glü^enbc Seibenfc^aft enegt — ber Sa| niännK(i& reifer, bon
fernig nad^l^altenber ßraft, iDürbig unb ru^ig, aber gemaltfamer 2(u§brüd&e
ber Seibenfd&aft fällig — bie j^ol^cn Stimmen, ®islant unb 2:enor,
geller, betoeglid&er, bie tief en ©timmen, 2fit unb SBafe, bunller, rul^igcr."
SSon f)änbel rü^mt berfelbe 9Rufif gelehrte , ba^ er eS berjianben, biefc
©timmen objeftib mie bromalifd&e ©efialten je nad6 i^rer Eigenart auf=
treten ju laffen, unb ba| er baburd& „öier lebcnSboDe, frei bewegte, innig
unb cigentümlid^ befeelte 5ßerfönlid&!eiten getoann, beren SBedöfelrebe unb
©egenfpiel fd&on ote 3luSbrucf frifd&er unb gefunb felbftänbiger SBefen
anjie^t, wenn felbft ba§, maS fie eben miteinanber ju berfel^ren l^aben, bon
minberer 2lnjie^ungSfraft märe".
214. ©döon bie ®ric(i&en l^aben über bie „SJefonberl^eiten ber ©timme"
genaue Unterfud&ungen angefteüt; fie braii&ten aber bie ©timmunterfd^iebc
in Sejiel^ung ju ben oben (9lr. 209) bcf:pro(i&cnen ©l^arafteren beS äll^^t^muS.
©ie fud&ten juerft eine für äße ©timmflaffen fangbare „mittlere" Xonregion
JU finben. gül^ren mir bie (eine Heine SCerj tiefer jie^enbe) gried^ifd^e
©timmung auf bie unjrige }urüdf, fo beftimmten fie als allgemein fangbare
Dftabe d — d', als bie nod& bequemere älegion aber e— h (für 9D?änner=
ftimmen, SBafe unb Senor, für Sllt unb 2)iSlant eine Dftabe ^öber). ®iefc
SLonrei^e ift, menn mir uns erinnern, mie 3Karj bie mittlere Sflegion ber
©timmflaffen angiebt, aflerbingS für aDe fel^r bequem. Sie mittlere ©timm=
region ift aber bie rul^igfte, unb fo miefen bie ®ried&en biefelbe ber ]^ef9=
d&aftifd&en 3)lufifgattung ju. 9lad& oben fd^Iie^t ftd& bie „l^ol^e" ©timmregion
an bon h — e', baS bequemftc Songebiet beS SenorS (unb beS ©ot)ranS in
bcr ^ö^cm Dftabe). ®en ^ol^cn ©timmen fd&ien bie f^ftaltifd&c aMufif=
gattung angcmeffen. @ine nod& meiter l^inaufrcid&enbe Sonregion mirb jmar
genannt, bürfte aber mo^I ol^ne grofec praftifd^e Sebeutung geblieben fein,
©agegen fejte man nod& für bie tiefen ©timmen unb bie biaftaltifd&e SKufif
ein eigenes ©ebiet an: bon G— -d. |)ier iji in ber St^at nur ber Sa|
^eimifdö unb in ber l^öl^em Dftabe ber 9llt. „©o muffen mir ben alten
9lngabcn jufolge ben ©a^ aufftetten, bag jum tragifd&en ßl^or Saffiften
genommen mürben, mäl^renb bie meifien I^rifd^en ßl^öre aus Saffiften unb
3:enorifien gemifd&t maren unb mäl^renb ber 5KomoSgefang [ber gemöl^nlid&e
funftboH geglieberte ©ologefang] unb bie tragifd&e SKonobie [2lrie] bem
3:enorfönger angemeffen mar" (SBeftp^al, ^armonif u. aJlelopöie [1. 9lufl.]
Sofal'.unb Snflrumentalinufi!. 179
@. 211). ®aS afle§ fielet in ÜbcremjHraniung mit bct ©emo^nl^eit bcr
mobernen 5Üiufil unb ber oben öon 3Jlarj gegebenen ßl^aralterifii!. 3lnx
»urben bie SKännerftimmen im 9lltertum gonj bortoiegenb, grauenftimmen
gar nid&t bcrtoenbet.
216* 93ci ber aSerbinbung be§ ©timmtoneS mit einem fprod&Iid^en Siebte
iji jtoar eine beiberjeitige @infd&rän!ung rü(l[td&tlid& ber freien Semegung
unöermeiblid^ ; aber ber 35unb ber SKufif mit ber ©prad&e (junöd&ft ber
poctifd^en) lommt bod& beiben ju gute. ®ie Stimme jelbft geminnt im
allgemeinen bur(ä& bie ©pra^Iaute an SBo^KIang (oben 9ir. 45). 3eben=
falls iji fie ol^ne biefelben ganj unfäl^lg, auf bie Sauer ju befriebigen,
tt)eil fic nid^t nur mit ber ©prad&e geiflig |)ö]^ereS ju leiften tjermag, fon=
bern aud6 für fid& allein in afuftifd&er ipinfid&t atö ein bürftigeS 2Rufiforgan
erfd&eint. S3ci ber Bpxaä^t nun ifi ber Slnfa^ ber ©timme fd&örfer; bie
^Parjialtöne , toeld&c in großer 3^^! unb guter SSerteilung öorl^anben finb,
»erben bod^, bietteid&t infolge bcr ©etool^nl^eit , meift toie ein ein^eitlid&er
Jon aufgefaßt. 2)er ©änger l^at eS in ber ©emalt, burd& berfd&iebene
©teDung ber 5IKunbl^öl^Ie bie Klangfarbe etiüaS ju öeränbem. SBefonbere
Sonöerjiärlungen loerben nod^ burd& gegenfeitige 2lnnd^erung ber Söl^nrei^en,
3urildfjie^ung ber Sippen, |)ebung beS fte^IfopfeS unb gewijfe SKuSlet
anjircngungen erreid&t. 2lIIju ftarfe Söne erjeugen leidet greDe Dbcrtöne.
216. 3?on ben ©pradfelauten finb bem mufi!alifd&en 3:one befanntlid^
bie aSofale öerlDanbt, unb jtoar a für bie mittlere, e unb i für bie obere,
o unb u für bie untere ©timmlage. @ine ganj leid&te Sofalberönberung
behufs großem SBol^HIangeS löfet fid& j[ebod& bie ©prad&e gefallen. ®ie 3Kit^
lauter mad&en ^rl^eblid&e ©d&toierigfeit , ba fie au§ ©eräufd^en, nid&t an%
kombinierten Obertönen befielen; l^ier mu| bie 3JlufiI fd&on borftd^tiger ju
SBerfe ge^en, um nid&t ber ©prad&e ©emalt anjut^un, fo loenig aud& bie
bcutlid&e Slrtifulation übertrieben toerben barf. SBort unb Son foüen mög=
ßdöft ineinanber fliegen, feines bon beiben einfeitig l^errfd&en toollen. ®er
<Sefang berebelt baS SQßort, unb biefeS berbeutlid&t ben Xon, inbem ein jebeS
nid&t jmar bem anbern fid& aufopfert, aber bod& anbequemt.
S)ie 3?ofaIe »erben burd^ bie berfd&iebene ©teDung ber SKunbl^öl^Ie
erjeugt. S33ä]^renb nun in ber SRebe etoa beim u ber ^ßarjialtbn f, burd&
toeld&cn eben bie Klangfarbe beS u ^erborgebrad&t mirb, bem fe^r große
©d&manfungen erlaubenben ©runbtone fid& möglid&ft angleid&t unb unter=
orbnet, iji beim ©efange baS Umgefel^rte ber tSaU : ber SKelobieton ^at nidftt
eine fd^manfenbe, fonbern eine feft abgemeffene %onf)oijt unb jmingt ben
SefiimmungSton (ober bie S3eftimmungStöne) beS SSofaIcS, etma jenes f bei
ü, bon feiner älein^eit etmaS preiSjugeben. ©al^er fann bie 3IuSfprad&e ber
aSöfale nid&t immer ganj bie normale fein. @S läßt inbeS aud& biefeS u
©d^manlungen bon etma einer Dftabe nad& o ^in ju, ol^ne ganj in biefeS
12*
180 6tebented SiapM.
üfictjugcl^CTt. ®ic ftonfonanten, öon bencn nur bic lüeid&cn unb tönenbcn
minbcr ftörcnb finb, mirb bcr ©ängcr, fomeit nur immer ftottl^aft \% naä)
bcr bcm mu[i!ali|d&cn O^rc jufogcnbcn ©citc umbiegen. SBie biele gelegen^
lid&e Ungcnouigfeiten ber 9luSfprad&e mufe fid^ übrigens nid&t fogar bie gc=
loöl^nlid&e Siebe gefallen laffen? Slid^tSbeftomeniger ift auf eine eble 9lu§=
fprad&e immer mit Sorgfalt ju ad&ten. •
217* ®em matl^ematifd&en Sl^^tl^muS ber 2»ufif fügt ftd& abermals bic
Stebe nid^t ganj ; fie mu^ fid^ alfo aud^ ^ier mit jener Dergleichen : mand^e
©übe tt)irb ein mcnig (ober gar erl^eblid^) länger ober fürjer gcfprod^en
merben, »irb einen 2lccent annehmen ober berlieren u. bgl. ; ber muftfalif d&c
Sl^^tl^muS feinerfeits muß fid^ bon ber ©prad&e Heinere Störungen gefallen
laffen. 5Kod() toeniger !ann bic ÜMelobiebemegung bem melobifd&en Songangc
ober SLonfaDe ber gefprod&enen Siebe genau ange|)afet »erben. @S iji alfo
ein 9luSglcid& ber bciberfeitigen Slnfprüd&e burd&auS erforbert. ®er ftom=
ponift unb ber ©änger l&aben bie 3Inforberungen ber ©prad&e ju berü(f=
fid^tigen, ol^ne fid^ benfelben DöQig unterjuorbnen. @^er l^at fid^ bie @|)rad^e
in i^rem SLone bem eblern lonc ber SRufif unterjuorbnen. ^intoieberum
^aben ©inn unb ©timmungSge^alt beS SEejteS ein öoßeS Sled&t, bon ber
5!JluftI in erjier Sinie bead&tet ju toerben. Unöerfennbar ge^t ja ber SKufif
bie berftanbeSmäfeige ©eutlid&feit beS 9IuSbruiS, ber ^pxaä^t l^ingegen ber
melobifd&e SQßol^naut unb ber Sleid&tum beS Sil^^t^muS ah. SQßa§ anberS
mad&t mufilalifd&e ftomt)ofitionen bon bem Umfange eines Oratoriums unb
einer Oper ol^ne 3:ejte ungenießbar als bie unbeftimmte SHIgemeinl^ett , fo=
jufagen ßinerlei^eit i^reS 2luSbrudfS ? 9lnbererfeitS ift bie melobifd&e 2)ürftig=
feit unb rl^^tl^mifd&e 2lrmut ber Siebe offenfunbig.
218. ®ie ibeale fjorbcrung an bie SSofalmuftf lautet alfo: @S muffen
SBort unb 2on burd& baS, maS fie gemeinfam l^aben, ober burd^ tocd^fet
fettige 9lnbequemung unb burd^ bie eigentümlid&en SSorjüge, »eld^e ein iebeS
bem anbern mitjuteilen bermog, ju einer boHIommenen ©inl^eit berbunben
ft)erben. 2)ie[er fjorberung fann ein SJlufifer, ber felber jugleid^ mit bem
3:ejtc bie 9KeIobie fd&afft, bem beibe jufammen aus boüer ©eele flrömen,
am leid&tcjten genügen. 33et ben ©ried&en moren ©id^ter unb Äomponiften
feine berfd&iebenen ^ßerfonen; ö^nlid&eS ift rüiftd&tlid& ber S^rif ber 9Minne=
fönger ju fagen. 3ebenfaflS forbert bie ßomt)ofition ein grünblid&eS ©tubium
beS borliegenben 2:ejteS unb bie 2lnpaf[ung eines 3:ejteS an eine gegebene
3KeIobie genauefteS SSerftönbniS berfelben.
219* 9?id&t jeber Stejt ift ber mufifalifd^en ffompofition mect ober aud&
nur fällig. ®erfelbe muß nad& Snl^cilt unb go^nt (ober minbeftenS burdö
eines bon bciben) auf jener ^öl^e jiel^en, auf ber fid& bie ebfe unb ed&te
fiunft betoegt. 6S ift aud& unerlößlid&, bafe er genug eigentlid^en ©tim=
mungSgel^alt biete, um ber mufifalifd&en Sel^anblung entgegenjufommen. 3n
fQotaU jinb 3nftrumcntalmufll. 181
jiüeitcif Sinie ctiücift ft(i& ber 2lü§brucf tl^fttißcn ©ttcbcnS ate geeignet, eine
mufüalifci&e Sbealifierung oufjune^men. Slofee 93orftelIungcn ber 6mbilbungl=
ftaft toibetftteben berfelben jiärfer, am ftärfften aber berflanbeSmäfeige 8e=
griffe. Saturn läfet ^xä) getabeju ber ®runbfa| aufteilen: 3ie geban!en=
reidöer unb t)^antaficboBer ein 3:ejt ift, befto weniger pn^t er für bie 3KufiI ;
teitoeife gilt ba^ aud& bon bramatifd^ betuegten ©teDcn. SRan mu^ natür=
Ii(i& biefen ©runbfa^ nid^t fo berfte^en, al§ ob inl^altsleere , unbebeutenbe
3:ejte üorjujie^en tüären; im ©egenteil, aber bem ©^arafter ber 9)lufi! ift
junöci^ft nur ein 2;ejt bon l^rif(i^em Sn^alte angemeffeu (bgl. 3lx. 29).
220. 3^1^ (Sefange tritt bie reine 3n[trumentalmufif in einen greif=
baren ®egenfa|. 2)a§ Organ ber SEonerjeugung liegt bei il^r aufecr bem
3Jlenf(i&en, ift an ftd^ unbefeelt, ol^ne Seben unb SBärme. Sie bient eben=
be§]^alb biel weniger jum unmittelbaren unb natürlid^ften SluSbrucf beS be=
legten Snnem unb fci^eint t)iel me^r ein objeftibe^. „©piel" beS tönenben
©toffe§ als ein grgufe ber ©eele im ßlange ju fein. 2)ie SBärme be§
©cmüteS er!altet, inbem ber TOufifer biefelbe auf ba§ Snftrument überträgt.
®iefeö fielet auä), toa§ jarte 93iegfam!eit angebt, bei weitem nid^t fo böHig
tt)ie baS ©timmorgan in feiner (Setoalt. SluS biefen ©rünben bleibt e§ ein
cigentümlid&er SSorjug ber Solalmufif, bie 6mt)finbungen be§ ^erjen^ am
natürliti^jien , reinften unb ebelften au§ jufpred&en ; l^at fie baju auä) nur
ft)ärli(i&e ^Mittel, fo fommt bod&, alle§ in aBem genommen, bem jarten SBol^t
laute, ber fatten Klangfarbe unb bem gemütboHen 2lu§brucf ber mcnf(i&Iid&en
©timme nici&ts glei(i^.
221. SDie Snftrumentalmufif l^at alfo il^re ©tärfe nid^t in bem meIo=
bifd^en ©el^alte, fonbern in bem SReid^tume ber formellen 9ÄitteI.
S)ie intereffanten Klangfarben, bie bem 2)lenfd&en fremb ftnb, »etfen gerabe
barum feine 2lufmer!famleit. gbenfo reijenb ift bie g^iguration, bie §ar=
monie, bie ©d&alHraft unb 9lu§bauer biefer unb jener ^nftrumente. S)em=
gcmöfe finb biefelben auf bie Entfaltung fold&er äußern aSorjüge in erfter
Sinie angeioiefen ; e§ foH il^re fieiftungSfö^igleit unb jugleid^ bie Sirtuofitöt
be§ ©pielerö ju 2:age treten. aHl^^tl^mifc^e , l^armonifd^e unb melobifd&e
SSariationen ober Kombinationen merben toeniger bie ©mpfinbung al§ bie
^^antafie befd^äftigen. 9lud^ etmaS 5Serflanbe§mäfeige§ liegt in ber fon=
fequenten ©urd&fü^rung eine§ oft bürftigen 9Wotibe§ burd^ ade feine mög=
lid&en ©eftaltungen , in jenem fd^arffinnigen ©piele mit ber rl^^tl^mifd&en
unb l^armonifd^en ©lieberung, mit ä^nlic^feiten ober SBerfd&ieben^eiten aller
. 3lrt, mit Slaturnad^al^mung u. bgl. Kann man alfo bie Sofalmufi! (j. 93.
bie altgried&ifd&e) eine berftanbeämöfeige nennen, infofern fie gebanlenboB ift
,tt)ie ber 2ejt, fo mufe bod& bie 3nftrumentalmufif megen be§ ©pieleö mit
182 ^ithtntti Stapxttl
äußern, fojufagen fIetnH(i^en Spönnen erft xtä)i DerßanbeSmöltg l^et^en. @ie
%lt\ä)i hierin ber ^xä)\tMnx, BefonbetS ben tei$ omomeniierten Gattungen
berfelben, toäl^renb bie 93o!aItnufiI bejägli^ ber runben formen unb ber
ruhigen SBürbe nid^t tninber als toegen il^ter loetJ^ftltnidmäligen ^rmut ber
^la^i! gu berglei^en i% 2)er SRalerei ftnb beibe ä^nli^, biefe tuegen be§
lu^brudfs unb be§ @runbtoned, jene toegen ber gefialtenreid^en ^uSfÜ^rung
unb ber gorbenprod^t.
222* SJie 3njirumente entfalten il^re üolle SBirIfomfeit erji im aScrein.
SBenigftenS ftnb ütele berfelben gar gu einfeitig, um ft$ geltenb ju mad^en.
3m Drd&efter aber ^at jeber ©til unb j[ebcr ©timmungSiretS feinen Vertreter,
einige Snprumente ftel^en ber menfd&Iid^en ©timme na^e, anbcre entfernen
^ä) ftufenmä^ig, toieber anbere treten il^r gleid&fam entgegen. 9Ke^rcrc
fd&aren ftd^ gern in ©ruppen jufommcn, bcncn anbere ©ruppen gegenüber«
fte^en. $eh)eglid^!eit unb ruhige jhaftenttDidEIung, runbe g^ttUe unb bur$=
bringenbe ©d^ärfe, ^lötenton unb ^ofaunenQang, ©timmen tsie aus ©rabeS«
tiefen unb ^tl^erl^öl^en , lurj alle ©egcnffi^e finben fid^ jufammen. f)ier
fann bie 9MufiI aBc il^re formeDen SWittel erfd^öpfen.
223. 3)od^ entbehrt bie änftrumentalmufi! burd^auS nid^t einer l^öl^em
S9ebeutung; nur l^aftet biefelbe bortoiegenb an ber gorm. 2)er SBol^IHang
ber SEöne erl^ebt bereits über bie ^rofa beS MtagSlebenS, fe^t bie ber Stnn^
bcrtoanbten SSermÄgen beS 9Menfd^en, ^l^antafie unb ©emüt, in 3:i^ätigleit.
9MeIobie unb f)armonie nel^men burd& i^ren S^nUt jebeS f)erj unb fomit
au$ unben)u|t ben ©eijt gefangen. 9Iud^ in ber 3nftrumentalmufil ift
enblid^ n^al^rer @mpfinbungdauSbrudE , toenn aud^ für ben begripilbenben
aSerftanb gang berfd^Ieiert. 5Der begleitenbe 2;ejt leijiet ja aud^ in ber
aSoIalmupI nid^tS anbereS, afö bafe er ben ©d&Ieier lüftet; l^incintragen
lönnte er ben @mpfinbung§gel^alt in gang leere tiotmm unmöglid^.
2)aS ©ebürfnis, bie abftralte Unbeftimmt^it ber TOuftI, in fid& be=
trad&tet, gu übertoinben, l^at gu ftberfd^riften unb Programmen gefül^rt, um
babur^ ber ^^antafie unb ber Smpfinbung tt)enig|ienS bie Siid^tung gu be=
geid^nen. Sine toeit beffere Stad^l^ilfe ift bie mdglid^ft melobifd^e ©eftaltung
ber 3nfh:umentalmufil, g. 53. im Sieb ol^ne Sffiorte unb fel^r oft im fpätem
SSerlaufe einer ©onate. 6ine üorfid^tige ©ebietSüberfd^reitung näl^ert al§=
bann bie beiben ©d^mejierfünfte, TOufil unb ^oefie, einanber.
2)a| beibe üon §auS aus aufeinanber angettiefen ftnb, le^rt bie @e=
fd&id&te. Sie reine SnjirumentalmuftI lam berl^öItniSmä^ig fpät gu gieren
fotool^I im Slltertum »ie in ber d&riftlid&en 3^ii- ®ß^ ©runb biefer 6r=
fd^einung liegt barin, bafe bie 2)id&tlun|i in ber gform, bie reine URufil im
3n^alt gu wenig 3teig bietet. 33ei SSeet^oben lä^t fid& leid&t baS ©eftreben
beobad^ten, baS ©piel aDmäl^Iid^ gefangartig gu gehalten. @r ge^t Don
©ebilben auS, meld&c wenig ©mpfinbungSgel^alt in fid& gu fd^Iiefeen fd&einen,
^otaU unb ^nftrumentalmufit
183
gcftollct fie abct fo au§, bofe man glaubt, fic müßten in ©efangeStoorte
münben.
224* S)atauS löfet [xä) auä) begreifen, wie überl^aupt bie 3n[ltumental=
ntufif fo gern jur (Einleitung beS ©efangeS gebtau(i^t ttirb: fic maä)t
Stimmung, natürlici^ ganj aßgemeine, in üielcr C)infi(i&t no(i& inbifferente,
aber auf aDe iS'dUt gel^obene ©timmung. ^oä) anä) auöleitenb unb ber=
öoBftänbigenb berl^ält fid& bie 3«ftrumentalmufil. ^ier !ommt il^r bie arien=
mäßige SBofalmupl entgegen, toelci&e baburci^, bafe pe i^rer[eit§ bie ©renjen
überfci&reitet, in ba^ Slaci^bargebiet l^inübcrfü^rt.
225. 2)ie ®egleitungömufil ip eine britte 2lrt bcr 9lnnä^rung.
5Die 3nftrumentalmufil mirlt l^ier nur in ber SBeife mit, ba^ jie fid& burd&=
au§ unterorbnet. @ine ©ingpimme l^errfd^t unb mirb bon ber Begleitung
nur getragen unb gel^oben. S)ie ©rieti^en begleiteten unifon, in ber Oüat)t
unb fonft in ftonfonanjen unb S)iffonan jen ; ioä) ip baS bon i^nen befolgte
©^Pem nidöt mel^r flarjupeDen. 3)ie ©ingpimme lag immer unten, nid^t
oben. 2Iu§ ben ganj berein jelten 9lotiien fonnte ©ebaert (Mus. de Tantiq.
I, 368) unter SBenu^ung bon au§brücflid& bejeugten SlHorben bie borifd&e
E-8eiter in folgenber SBeife l^armoniperen :
^
•7g°^~ a
U
SL
ober für bie t)lagale gform:
m
p
:=A
\
V-
m
I t
l
22t=rö
^
g=w-f¥ =f
feä
-Ä — ö-
I
Sgl. über biefe S^^eipimmigfeit ber gried&ifd&en 3KupI SBeppl^al,
Harmonie unb 5KeIopöie (3. 9lufl.) ©. 31 p.; über bie bon ©ebaert bejmeifelte
SBielpimmigfeit ebenb. ©. 37 p. 3n ber d^riftlici^en 3rit ging bie Harmonie
unter, um ganj neu toieber entbecft ju loerben. 9lad& einer langen ^eriobe
be§ fontrapun!tif(i^en SBofaU ober a capella-©til§, loäl^renb melc^er ^eriobe
inbe§ bolfömäfeiger ©ologcfang mit Segleitung im ®ebrou(i& blieb, lam mit
1600 bie moberne Snftrumentalbegleitung auf; pe bepanb in ber ^armonifd&en
UnterPü^ung einer 2)lonobie, atfo in einem }iemli(i& einfaci&en 2lIforbfpiel
jur ©ingpimme. ©eit jener 3rit entmidelte pd& nun allmäl^tid^ bie moberne
3nprumentalmup! unb errang \\i^ enbtid^ eine felbftänbige ©eltung. 9lud&
bie @rie(i^en l^atten fd&on ein SSirluofenfpiel auf 9lulo§ unb S^ra.
©obiel mag über ben ß^aralter ber Snftrumentalmupf im allgemeinen
genügen ; loir gelten ju ber genauem ßl^arafteripil ber einjelnen 3npru=
mente über.
184 ©tebenteS i^apiitl
3)ic Unterabteilungen ber ©aiteninftrumente ergeben ftd^ ou8 ber d^araf=
tertftif$en ^rt unb äBeife, bie hatten p betoegen: mittele ber bloßen f>anb (unb
etttia eines {(einen 3nftrumenteS), mittele beS SBogend ober mittels einer lllat)iatur.
I.
226. S)ie älteficn unb einfati^ftcn ©aitcninftrumente entbel^ren nici^t
nur ber ÄlaDiatut, fonbctn anä) cinc§ jur SSerfürjung bicncnben ©tiprctteS ;
bic ©oitcn loutben auä) nici&t mit bem Sogen gejititi&en, fonbctn mit bcn
gingctn ober einem ©töbci^en „gejupft" ober „geriffen". 6in ^auptinftrument
ber ©rieci^en toar bie Sei er (lyra, chelys, testudo, (pöpfxiy^^ xH^aptg)
mit fieben ober ad^t Qltiä) langen ©armfaiten (mä) ber ®Iütejett mel^r).
Seim ©pielen l^atte man fie fo jmifd^en ben ^önben, bafe bie tiefere (bicfere)
©aite naä) Qu^en gerid&tet toar, unb fe^te nun mit ber freien linfen §anb
bie eine f)(llfte ber ©aiten, mit ber gleiti^faDS freien redeten ^anb (ober
mittete be§ @täb(j&en§) bie übrigen ©aiten in Setoegung. (3)er 3tefonanj=
boben reici^te nici&t fo »eit l^inauf.) ®ie Seier tarn in ber ©(i^ule unb bei
bielen religiöfen unb bürgerlicä^en ©elegenl^eiten jur Slntoenbung. 2)ie alte
gTit^er (cithara) toax eine ettt)a§ boDfommenere Sttrt Don Seier für ben !ünft=
lerifd&en Sffiettftreit.
©agegen bermarf baS überaus jarte ©d&ön^eit§gefül^I be§ §ellenen in
ber Öffentlid&Wt ben ©ebrauci^ ber bielfaitigen Snftrumente; man lie^ pe
nur ettoa bei ©aftmäl^Iern bon ©Hoben fpielen. 3)ie greigeborenen l^atten
itoax, tt)ie SttriftoteleS fagt, jur !^ext ber ^erferfriege neben ber ^flöte aud&
bie anbern Snftrumente ber Sarbaren aufgenommen, gaben aber beibe, »eil
fie „nur bie ©innli(i&!eit in ben Sul^örern aufregen" ober ,,einc befonbere
t?ingerfertig!eit erf orbern", ttieber auf (^ol. 8, 6). S)iefe§ Urteil ber ©ried^en
Hingt un§ tt)ie ein SBBort au§ einer fremben SBelt, giebt aber bod& }u beulen.
227* Sei un§ nimmt bie nal^e berioanbte §arfe im Drd^efter nur
einen ganj untergeorbneten ^la^ ein unb ift bod& ungleid^ Ieiftung§föl^iger.
SDie ^ebal^arfe (1720) unb bie ©oppelpebal^arfe (1820) laffen fogar bie
leid&tefte d&romatifd^e Umftimmung ber %'6m ju, wftl^renb in alter unb
ältefter S^it bie ^arfe fid^ bon ber Seier nur burd& bie ungleid&e Sänge
unb etma bie Saf)l ber ©aiten, alfo nur unmefentüd^ unterfd^ieb. ©ie
finbet fid& in ber einfad&ern ©eftalt fd^on bei ben ^tg^ptern. 2Jlan fe^t
borauS, bafe fie aud& Don ben »f)ebräern gebrandet würbe ; fid&er toax fie im
9)littelalter unb teitoeife bi§ l^eute ein SieblingSinftrument ber norbifd&en
aSöIIer. ®iefe mod^ten in bem feinen, bebenben Son ber fd&mirrenben ©aite
ettt)a§ ©eifterl^afteS finben, tt)a§ jum ß^aralter ber norbifd^en SaDaben
ftimmte. 9lud& ba§ ^f alter i um, tt)eld^e§ toieber ber gried^ifd^en Seier
näl^er jianb, aber ja^Ireid^e ©aiten ^atte, l^ielten 3KaIer unb ©id^ter für
toürbig, bei l^immlifd&en Äonjerten ju bienen. Sei ben ©ried&en finben ttir
©aiteninftrumcnte. 185
ein brcicdfiges ^falterium (Slriftot., ^ol. 19, 23), offenbar bie ä99p=
tifci^e |)Qrfc.
. S)en dü)txx\ä)tn ©aitenlJfang ^ai baS ganje Slltertum für bie ^öl^ern
Stoecfe ber ff unft bem grobem, tt)ennglei(i& bcr SOlenfd^enjiimme näl^er liegenben
SEon ber tJIöte unb anberer SJIa^organe üorgejogen. @in befonberer 3ieij
liegt fci^on gerabe in bem (Segenfa^e jtt)if(i&en bem bünnen, fd&mirrenben 2;on
ber ©ailen unb bem üoDen, gemütreici^en ©timmtone, yjtan fonb jubem
in bem ©dtentone etmoö geiftig @rl^ebenbe§, ben 9lu§bru(f ebler unb ma^-
öoDer Stimmungen; „aUt bac(i&antifd&e ober öl^nlid&e (Semütsbetoegung ]^in=
gegen fprici&t ft(J& borjugsmeife burci^ bie gflöte auö" (Slriftot., ^ol. 8, 7).
228. ff lang unb ©piel beränbert \xä) , wenn bie ©Qiten ouf bur(j&=
gel^enbem SRefonanjboben über einem ® r i f f b r e 1 1 auSgefpannt toerben ^
@in boppelfeitige^ ©piel ttirb j[e|t unmögli(i&, aber biefelbe ©oite !ann burci^
ben 3fingerbru(f beliebig ber!ürjt unb ber 2:on baburci^ mannigfad^ berönbert
tt)erben. @o ergeben ]\ä) Soutc, ©uitarre, S^Ü)ex unb i^re Slbarten (2:i^eorbe,
5!KanboItne u. f. tt).). SJlan üertoeci&felt oft Seier unb Saute; aber biefe
l^at ein ©riffbrett, jene nid&t. S)ie Saute lam au§ bem Orient unb mürbe
burci^ bie 9lraber naä) ©panien gebrad&t. ©te mar balb ein überaus be=
liebteS Snftrument ber §au§= unb Ord^eftermufi! mit Quart=2:erjenftimmung
ber |)auptfaiten (A d g h e' d' ober A d f a ^' f ') unb mit befonbern ®afe=
faiten. 2)lan bearbeitete fpöter anä) größere SBerfe auSjugSmeife für bie
]^armonif(i& gefpielte Saute, ©ie l^atte einen meid^en, cinfci&meici&elnben 2:on
unb mürbe erft feit bem @nbe be§ 17. 3a]^rl^unbert§ burci^ SSioIine unb
fflabid^orb berbrängt.
229. 2)ie ©uitarre ift urfprünglid^ eine öereinfaci^te Saute mit
flaci&em jiatt gemölbtem ff aften unb menigern ©aiten ; fie erlebte ju 9lnf ang
biefeä Sal^rl^unbertS, nad&bem man eine untere Quart E l^injugefügt l^atte,
no(ä& eine neue, furje 93Iütejeit. 3Jlan befpannt bie ©uitarre je^t getn mit
^etaDfaiten (unb aixä) oft in größerer 3ö^0- DaSfelbe gefi^iel^t mit ben
^elobief aiten unb ben meiften SJa^f aiten bcr heutigen !^xtf)tx. S)ie fünf
^elobiefaiten l^aben bie ©timmung c g d' a' c". 2)a§ 3nfirument l^at l^eute
im ganjen bis }u 40 ©aiten. 33ei ber ©treicä&jitl^er lönnen einige l^ö^er
liegenbe ©aiten mit einem Sogen geftrid^en merben, mäl^renb baneben bod^
ber ^öfd^enring jum gleiten gebraud&t mirb. 2)er SBogenftrid^ l^at bie
SBirlung, bie ©aiten in fräftige, bauernbe, ber ©timmung be§ ©pieleS
* S)ag ©runbprinaip liegt f^on in bem 3Jlonod^orb ober Ranon ber ©rieben
t)or, toctd^e burd^ med^anifd^e S^cilung ber Saitcnflangc bie %onf^bfjt mafeen, ol^ne
ha^ 3nftrument toeiter für bie aJluflf au öertoerten; benfelbcn S)tenft leiftete ba§
ÜJlonod^orb in ben aJlufifübungen beS SOtittelalterS (Musicus omnes cantilenae voces
in monochordo insinuat. Gerbert, Script. I, 252).
186 . ^xibtnUü ^apiitl
ft(i^ kiä^i anjd&miegenbe ©d^toingungen }U Derfe|en. 3)og S^Pf^ ^^^ ©aiten
Iciftet unter bicfen 9lü(ffi(i&tcn unglcici^ weniger. 5DoS bcred^tigt jur Utttcr=
fci&eibung jtöeiet d&oralterifHfci&er ©tujjpcn.
n.
230. 2)enf elben Itbetgang bon ber Saute jum @trei(i^inftrumente
nimmt man für bie fd&on im 7. Sal^r^unbert ertööl^nte leltx^ä^t ß^rotta
(SRotte, crwth) an. t^üx ba§ 10. Sa^rl^unbcrt ifi bie Umtoanblung nad&s
loeisbar. Die altbeutfd^e Qfiebel, burci^ gctoölbten ©d&aBIajien unter=
fd&ieben, lam gu ä^nliti^er ^Beliebtheit. Slnbere 9iamen für bie altem @treid^=
inftrumente [inb : 9lebeca , 9lubeba, 53ieDe, SSioIe, ®eige. @ie finb aDe in
unfere SDi^fantgeige (Sioline), 9lltgeige (SSratfd&e, SSioIa), SEenorgeige (53ioIon=
ceßo) unb Safegeige (Rontrabafe, ftontraüiolon) aufgegangen, ba fxä) bie
93auart biefer 3n[trumente für einen fonoren unb eblen Älang am günjiig=
ften ermiefen ^at.
231. ®ic aSioIine giebt für il^re aSertoanbten bie 9lorm ab. S)ie
je^ige ©eftalt ber SSioIine lam um 1600 in Slufnal^me (9lmati=®eigen).
2)er l^ol^Ie, mit ©döaKlöd&ern berfel^ene Äaften befielet aus üerfd&iebcnen
^öljcrn, beren Sefcä&affen^eit unb SSer^öltniffe bie ©d&önl^eit be§ %om^ be=
bingen. Sie ßinmirlung be§ ^oljeS unb ber 93auart im einjelnen ift fo
fein unb jart, bafe fie [id& einer ganj genauen tt)iffenf(i&aftli(i^en ^tx^lxtit^
rung unb S3eftimmung entjiel^t. @o j. 93. gewinnen bie ©eigen belanntlid&
mit bem 9llter an SJortrcfflid^feit ober ge^en nad& fe^r langer 3^W lüiebcr
jurüd; fo l^aben bie ©d&aKlöd&er merfmürbigermeife bie r-®eftalt u. bgl.
2)er ®mt)ftnbnd&feit ber SSioIine entfprid^t il^re ^errlici^e ftlangioirlung. „S)ie
®eige ift'', mie e§ in SöHnerS „33ud& ber ßrfinbungen" l^eifet, „ein bur(i&=
geiftigteS 3nftrument, ein Organismus, loie il^n belebte SBBefen l^abcn; fie
l^at ßörper, Sleröen unb ©eele; jebeS bcrfelben l^ängt bon bem anbern ab,
feines läfet. fid^ t)on bem anbern lostrennen unb für ftd& auf feinen beleben=
ben ©influfe bemeffen." 2)ie ie|ige Stimmung ber Dier „leeren", b. f). frei
f(i^tt)ingenben ©aiten ift bon linfs mä) red^tS gd'a'e" (nad^ Duinten);
ber SingerbrudE über bem ©riffbrett ermöglid&t aber bie beliebige (Srl^ö^ung
beS SoneS unb baS ©pielen in natürlid&en (ftatt temperierten) SnterbaDen.
232. 3)ie ettoaS größere 93ratfd&e l^at unten eine ©aite mel^r unb
oben eine toeniger. 3)aS nod& größere SSioloncello ^at bie Stimmung
C G d a. S)ie 33 a fe g e i g e l^at einen nod& gröfeern Äörper unb fel^r birfe
©aiten mit ber Duartenftimmung EAdg (aber eine Dftabe tiefer, b. 1^.
in ber ßontra=D!tat)e beginnenb).
233. S)en fiauten gegenüber ^at baS SBogeninftrument biel größere
greil^eit unb Setoeglid^feit , um bie berfd&iebenften Söne mit mannigfaltiger
ßl^aralteriftil barjufteHen. 3m Drd&efter erfe^t eS burd^ baS ^iigicato
©trci^inftxumcntc. 187
(3tt)icten bcr ©atten mit ben gftngcrn) , tüentgftcnS annäl^emb , anä^ nodö
bic ßigenatt bcr Sauten. 2)urd& boS 5Iö9coIcttft>tcIcn (leifc Scrül^rung 6e=
ftimmter ^unltc; olfo 2:cHung bcr ©aitcn) tüirb ein mcl^rfod&cS @rIKngen
bcr ju ben Seifen bcr ©aiten gehörigen 'Obertöne crjielt; eS lann ba6ei
eine ©oite au$ juerft burci^ fcflen ®rucf üerfürjt tcerben. S)ie fo ent=
ftel^enben 3:öne finb flötenartig (ba^er i^r 5Rame) unb fe^r fein, gleici&fam
öergcijiigt. SluSna^mSmeife werben bic ©aiten anä) nod^ mit bem ®ogen=
ftabc (eol legno) in öciücgung gefegt, was einen raul^en, fci^wtrrenben 3:on
ergiebt. 2Jie ßeiftungSfö^igfeit bcr Sogeninftrumente gc^t enbli^ baraus ]^er=
öor, bafe il^r Tonumfang überaus grofe ift; bic in getoöl^nlid^cr SBeife er=
jeugten Söne reid&en bei bcr 33ioIine bon g bis d'" unb nod^ l^ö^er.
S)cr Sogen erlaubt baS rafd&e ©reifen bcr berfd&iebenfien Snterballe
in beliebiger ©d&ncDigfeit unb mannigfad&er Sonfiärfe ; bie flüd&tigflen unb
gebcl^nteflen SEöne in staccato ober in allerengfter Sinbung pelzen bem
©t)ieler ju ©ebote. 2)a]&er ift ein überaus boHfornmener 3luSbru(f bcr
©timmung mögli(i&, obfd&on bcr ßiniclton natürlid^ öiel toeniger ©ecfe unb
SebenStraft als bcr Son bcr SlaSinftrumcnte l^at. 2)ie ®eigc l^at etwas
©(i^arfeS, ©(i&neibigeS, maS t)on jal^Ircici^en unb flarfen Dbertöncn ^errül^rt.
9KeIobif(i6ier ift j. 53. bie fjlöte, aber anä) fraftlofer unb kerer. ®er fanfte
unb melobifd&e SluSbrucf fe^It bem ©treid^inprumente inbeS burii^auS nid&t
ganj, wenn anä) bie tcd&nifci&e gertigfeit bei bcr aSioline entfd&ieben borwiegt.
234. ®aS 9l!forbft)ieI geftatten bie geringe Qaf)! bcr ©aitcn unb ber
S3ogenftri(i& nur in gewiffen ©rcnjcn („S)ot)t)eIgriffe" unb burd& rafd^efte
SBogcnfül^rung erjielte fd^einbarc SWc^rftimmigleit) ; bal^er ift jur ©rreid^ung
ber eigenartigen SQBirlung ber ©eigen bie Serjid&tfeiflung auf bie Harmonie
ratfam. ©od^ berbinben fid& bie üier §au^3tarten mitcinanber jur fd&önften
l^armonifd&cn ßeipung. 9?äd&ft bem ftlabier, mit beffen l^armonifd&cm 6^a=
rafter unb Klangfarbe eS in ©egenfa^ fielet, erfreut fid& bie @eige ber
größten SSerbreitung.
2)er ©treid&erd&or fpielt im Drd&eper bie erfte SRoDe; baju trägt nid^t
am wenigflen bie rl^^tl^mifd&e ©d&ärfe bcS ©eigenfpiefes bei; ^aud^ tritt
immer ber ©runbton fel^r fröftig l^erbor, inbeS bie näd^pen Dbertönc
fd&wöd^er finb. 2)a]^er eignet fid& bie ©eige aud& jur Segfeitung ber ©timmen
unb anberer Hangreid^er 3Jlufiforgane , fowie jur gfül^rung bcr 3JleIobie.
3)ie ©d&Iagfraft beS ©treid&crd&orS (wenn er nur gegen bic größere ©d&an=
Iraft ber 93IaSinjirumente gel^örig bcrflörft, b. 1^. mel^rfad^ befe^t wirb) ift
burd&fd^Iagenb. ©eine aSielfeitigfeit, gin^eitlid&feit unb, wo eS not t^ut, feine
jarte geinl^eit wirb nid&t übertroffen.
235. Über bic inbibibucHcn Unterfd^iebe ber ©treid^organe ift ju merlen :
S)ie 2)iSfantgeige jeid^net fid& burd& ©d&örfe ber l^ol^en Sönc, burd^ 53eweg=
lid^fcit, gflu^ unb bcrl^öltnismäfeige ^cBigfeit ber feid^t enegbaren bünnen
X
188 ©iebentei Stapxitl
©oiten ouS. @ic f)at ein glänjenbcS Siflureniocr!, ober entbel^rt anä) ni^t
eines d^atalterüotten ©timmungSauSbtucfS. ©el^t üiel fommt für bie @d&ön=
l^eit beS SinjeltoneS auf bie gef^idtte ©oflenfü^rung an; baS „ftra^en"
önbcrt bie ©d&toingungäform ber SEöne unb beleibigt fo ba§ D^r. Äein
SSorjug ber 33ioIine ip bie geringe gütte unb eine getoiffe f)eiferfeit be§
^oneS; ba§ gerabe Gegenteil jeici^net bie fd^öne ^enfd^enftintme aus. 3)ie
33ratf d&e ffat mel^r ftraf t, Srnp unb SBel^mut ; baS aSioIonceDo mel^r Sieb=
lid^Ieit unb (3emütli(i^!eit, aber feine ^ellig!eit unb, tt)ie bie Sratf(i^e, etoaS
9löfeInbeS; ba§ püicato unb gflageolett nia^t fid^ auf bem SStoIonceHo
fe^r gut. 2)er Aontraba^ ft)ri$t teegen ber bidfen ©aiien fd^teer an, iß
tiefernft unb erfd^ütternb. 3)ie Unterfd^iebe ber ©treid^organe werben er^öl^t,
toenn man bie i^nen allen mel^r ober minbcr gemeinfamen SSorjüge getrennt
gur ©eltung bringen Iä|t. S)a§ ^ijjicato einer ©timme j. 93. lann in
fd&önen ©egenfa^ treten }u bem coli' arco ber anbern. 3"fömmenjiel^ung
ber ©timmen ol^ne ©d&loäd&ung unb ber SBed&fel ber „©trid&arten" jur
Slbftufung öon ©tärle unb ©ebunbenl^eit fann gleid&faߧ benu^t werben,
um einen d^aralterifüfdöen 9luSbrudt ju gewinnen. 3)urd& 2)ämj)fung (con
Sordino) mad^t man ben 2:on eine§ SBogeninftrumenteS bumpf unb elegifd^
u. f. tt). 3)ie j[e|ige Drganifation be§ ©treid&quartettS unb ©treid&erd6ore§
ftammt bon ^a^bn.
III.
236. Sie ©rel^Ieicr (SSettlerleier , Organistrum, aud& SBieBe) ift eine
9lrt ®eige mit Ä l a b i a t u r , wirb aber burd& ein 3tab in Bewegung gefegt,
©ie ift, tüa§f Sttniage unb 53eliebt]^eit anlangt, ein alter SSorläufer unfereS
j{Iabier§. SDod^ l^atte fd^on früher aud^ bie Orgel eine ber neuentbetften
l^armonifd&en SKufil unentbel^rlid^e 3:aftatur. 6S treten fobann bas ßlabi=
d&orb unb ba§ Älabic^mbel auf, weld&e fid^, wie eS fd&cint, an baS 3)Jono=
döorb unb baö ^adfbrett (g^mbel) anfd^Ioffen. SBäl^renb bei biefem le^tern
bie ©aiten mit einem Klöppel gcfd^Iagen würben, benu^te man nun einen
f)ebelarra, beffen borbcreS 6nbe (bie 3:afte, clavis) niebergebrüdft würbe
unb eine am anbern @nbe befinblid&e TOetaDjunge gegen bie ©aiten trieb.
SDie S^¥ i^c^ ©aiten war anfangt nod^ geringer afö bie 3^^! ^^^ SEaften,
fo bafe ber ©teg be§ 5Konod&orbg beibcl^alten werben mufete. S3eim ßlat)i=
c^mbel fiel ber ©teg weg, unb man üerwenbete 3tabenliele gur Srregung
ber ie einer SEafle entfpred^enben ©aiten. ®erül^mt würben bie „Äiciflüger',
beren flügelartiger 33au einen ftar!en Son mit lieblid&cr Stefonanj bebingte.
9Inbere S^ormen l^iefeen SSirginal, fflabic^t^erium unb ©pinett. 3ta(S) SSirbung
l^atte ba§ ßlabid&orb fd&on 23 Unter= unb 15 Dbertajien. Sie rafd&c
SBeiterbilbung unb bie @rfe|ung ber gfeberliele unb ber gungenförmtgen
„Sangenten" burdö §ömmerd&en führte auf bie je^t gebräud&lid^en 3:aften=
?Jtanoforte. 189
infhcumente, locld^c bcm ßlabid&otb gegenüber bie ftarfen 9lccente be§ fflat)i=
ct)mbtl% toaf)xm, aber im (Segenfa^e ju biefem gef(i^metbiger im %om unb
tüeci&fcIüoBcr in ber 2lccentf(i^attierung [inb.
237. 5DaS ^ionoforte i[t genau, tt)o§ fein anberer 5Rame „§ammer=
Ilaüicr" (eigentn(i& f)ammerIIat)i(i&orb) befagt, nömlid^ ein Snftrument, bei
lüeld&em man burd& SEaftenbrucf ^ömmerd^en gegen ©aiten treibt unb fo
mufilalifd&e 2;öne über einem SRefonanjboben erjeugt. SBon biefer 9Jled&ani!
unb t)on ber Sefd&affenl^eit beS 2JlateriaI§ l&ängt bie Eigenart ber 2Bir!ung
ab, 9lur geringe Unterfd^iebc ergeben fid& au§ ber Sauart, wie fie f)tuU
jutage nad& ben Sänbem berfci&ieben ift; me^r nebenföd^Iici^ ift anä) bie
äußere ©eftalt, ob bieredfig unb ttjagereci&t (Safettlabier) , ob breiecfig ju=
Qt]p\^t ®IügeI) ober aufred&t Jiel^enb (^ianino). S)ie toefentUci&e, auf ben
^abuaner ßl^rifiofori (f 1731) unb ben ©ad^fen ©ilbermann (f 1753)
jurücfgel^enbe ßinrici^tung erjielt burd^ ^ammeranfd&Iag an SWetaBfaiten
(ougenblicflid^eö Sutäd^ä^mUtn beS f)ammer§ unb 2)ämpfung ber ©aiten
bei niebergelaffener 2afte) einen fd^arfen, jebod^ in feinem ©tär!egrabe bom
©t)ieler abl^ängigen Ston. 2)er ©aitenton felbft meidet infolge ber befonbern
Srt ber ^erborbringung bon bem ber @treid6= unb SReifeinftrumente erl^eblid^
ab. 2)en geigenartigen 3nftrumenten gegenüber ift bie Sinbung ber Xöne
unboflfommener , inbem fid& ber eine gegen ben anbern fd&arf abliebt; fie
^aflen ineinanber ol^ne bie SDämpfung, biefe aber unterbrid^t ben energifd^en
SKetaBton t)Iö|Iid6 unb rudfioeife. @ben barum toirb el fd&mer, gefangmöfeig
unb feelenboB ju fpielen, maS toieberum jur ^folge ^at, bafe ber reine
3nftrumentald&ara!ter jiörler l^erbortritt unb bie ted&nifd^c g^ertigfeit !^erau§=
forbert. 9fleid&tum unb 93ett)eglid&leit bc§ ©t)iele§ muffen bei einem 3in=
ftrument,. ba§ an Qa^l ber felbftönbig braud^baren Söne eigentlid^ fogar
bie Orgel übertrifft, fotool^I ben aWangel an Äraft al§> ben an feelenboflem
SluSbrudE, befonbern in ben l^öl^ern Sonregionen , erfe^en. 2)cr §ammer=
anfd&Iag gliebert burd^ bie nur momentan auftretenbe bofle Xonftärle fel^r
fd&arf ben SRI^^t^muS, intoniert fd^arf unb beftimmt unb ergiebt einen ober=
tonreid^en ßlang. ®urd& ba§ ^ßebal toirb bie ©ömpfung aBer ©aiten auf=
gel^oben; bie SEöne l^aBen feöftig nad& unb Hingen teümeife ineinanber.
©obalb e§ gelingen toirb, bie Dämpfung ganj beliebig ju ^anbl^aben unb
ju berteilen, mirb ba§ ßlabierfpiel an Steij nid^t toenig gewinnen. — ®a§
®eräufd&,bei ber Begegnung harter Körper mirb burd& 2:ud&=, Seber= ober
3^il}=ltberäug berl^inbert. — S)ie un^armonifd^en Dbertöne (7, 9 u. f. m.)
entfernt man burd^ bie ffonftrultion.
®iefe ßigenfd&aften mad^en ba§ 3nftrument jur Segleitung be§ ®e=
fange§ ober anberer 3nftrumente geeignet. Sänge birigierte man am ^iano=
forte ba§ Drd^efter. 3e^t ift c§ fd^on toegen ber einfad&en 93auart, ber
ßeid^tigleit be§ ©piele§ unb beS pröd^tigen ÄlangeS ba§ beliebtefte 3in=
190 Siebentes l^opitel.
ftruinent ber ftammermufif . Sic giei|infirumente (Soutc, 3^^^^^^ C^^rfc u. f. to.)
^abm i^tti megen ber bcrl^öltnismäfeigcn ©d^ioäci&e i^teS 3:oneS unb f onjiigcr
3)ürftig!eit lro§ il^rcr cl^emaligen Söefiebt^eit cbcnfogut tot\ä)tn muffen tüic
bie giebel mit il^ren SScriüanbten.
238. S)tc TOedöanif ber 3:aftatur^ mlä^t bie leici&teftc ^anbl^abung
ertn5gli(i^t, ntad^t ba§ ^orte))iani) QU(i^ ju einem ^armonif^en 2inftru=
mente, unb bicfcr SSorjug ift für bie weite 33crbreitung beSfelben tool^I ber
entfci&eibenbfte getoefen. ^üi bie ^ol^pl^onie im ftrengern ©inne Iftfet t§
^ä) faum ücrtoenben, toeil eS bie Stimmen ni(i^t genugfam fonbert, tt)cü
oBe %Dm ber Harmonie an ©törfe unb Ofarbe ju äi^nlid^ finb unb weil
e§ für ben 6rnft ber ^ol^p^onic einen ju leici&ten unb flüci&tigen fflong
f)al 3)a]^er fjaim fclbft TOeifter ber ^ol^pl^onie , tüie @eb. Sad& unb
öeetl^oben , fid^ mit SBotliebe Quf ben brei= unb jmeipimmigen ©o^ (in
Sugenform) befd&rönft. 2l6er ein ßlabierauSjug auS t)oI^p^onen 3nftru=
mentalftüden leiftet hoä) biefelben unfd&ä^baren S)ienfic wie auf bem ©ebictc
ber a)klcrei bie SSeruielf ältigungslünftc : bie onbeutenbe SBiebergobe beS
loefentlic^en 3n^alteS eine§ Drci^eperwerfeS burdö itt)ei= ober bier^änbigcS
ftlabierfpiel ober mel^rerer fflobiere jugleid^ giebt o^ne bcfonbern Sluftoanb
Don Selb unb SKül^e immerl^in eine SSorfteBung don bem ©timmgewebe,
wenn aud& nid&t don ben Klangfarben eines großen SBoIat ober 3nftrumen=
tatoerleS.
239. ©otoenig alfo ba§ ^ianoforte mit anbern 2)lufi!inftrumenten
in il^ren befonbern SSorjügen toetteifern fann — man beule an SBalbl^om,
SSioIoncefl unb Drgel — , fo behauptet e§ ioä) burd^ feine ©(i&lagiraft,
5ßräcifion, 33ett)eglid&!eit (^figuration) unb Harmonie jufammen eine bebor=
jugte ©teflung in ber 3Jlufif. S)iefe ©teBung mad&t e§ aixä) t)erftänbli(i&,
bafe e§ nicj^t nur in ber aflgemeinen (Sntwicflung ber mobernen TOufif eine
gro^e 9loBe gefpielt, fonbern fogar feiner temperierten ©timmung ben auS=
gebe^ntefien ginflufe berfd&afft ^at. 3)ie ^Jlängel berfelben fü^It eS felbji
am toenigflen, ba feine leid^tfü^ige Semegung in SSerbinbung mit ber öoB=
tönenben Harmonie fogar über biel ftärfere ©iffonanjen ^inwegträgt.
6ine ganj na^e Sejiel^ung l^at ba§ ^ianoforte, baö afle SSorjüge, auS=
genommen eine toud^tige ffraft unb einen gemütstiefen @rnfl, ju bereinigen
fd^eint, jur ©onate, jur freien ^^antafie (@tube, Variation) unb jur Unter=
l^altungSmufif. ©elbft ber SKangel an Snnerlid^feit fd&eint unter gefd&idtten
Rauben jur 9lnregung einer crgänjenben ^l^antafietl^ötigfeit mitjutoirlen.
6§ gleid&t barin einem geiftreid&en , aber mel^r unterl^altenben al§ toiffen=
fd^aftlid^en Sud^e, baS für ben Dilettanten belel^renb, bem 2Kann ber SBiffen=
fd^aft nid&t unmiKfommen unb in jebcm ©alon gern gefeiten ift.
j
aDöinbinftrumentc. 191
S)er df^araittt ber Sötnbinfttumente ift ein fel^r t)erf d^iebener , ie nat^«
htm bie betoegenbe Suft burd^ eine tnet^anift^e ober eine organifd^e ^aft (butd^ ^n«
blafen) augefftl^rt toirb.
240. 6in ganj neues ^rittjip liegt l^iet ju (Srunbe. @§ mirb nid&t
ein ©oitentott burd& Slnfiö&Iag be§ Singerg ober eines SBerfseugeS ]^erbor=
gerufen, fonbcrn ein IünjHt(i& erregter SBinbftrom erjeugt in einer Slö^re
ober einer 3Hnge ober SuwG^^PMf^ ^"^^ tntermittierenbe (regelmäßig unter=
brod&ene) Suftftöfee bie 3:öne. ©cä&on baS meufd^Iid^e ©timmorgan ift eine
3ungent)f eif e , bei ber bie ßunge ben Slafebalg, bie Suftröl)re baS SBinb=
ro^r, ber oberfte Xeil beS ftel^Hot)feS bie S^W ^ntl^ölt. SlDcin ^ier toirft
bie Slotur, niti^t bie ftunp ; böiger fonbert man bie Stimme üon ben mufi=
falifdöen Snftrumenteh ai. ®ei ber fogen. ^ols^arfe fpielt ber SBinb frei
mit ben ©aiten ; auä) fte jä^It man nid&t ju ben SQBinbinftrumenten. ®aS=
felbe gilt bom Slnemod^orb, bei toelci^em ein Habierö^nlicä&eS ©aiteninftrument
mittels Slafebälge gefpielt mirb. SBefentli(i& ift eS alfo ber Unterfd&ieb beS
2i)ncS im (Segcnfa^ jum ©aitenton, ber baS SBinbinftrument lennjeid&net ;
bie ©igenart beS XoneS aber l^ängt öom S^onerreger unb bom 2:onträger,
SQBinb unb pfeife ober 3KetaB}unge, jugleid^ ab, 6ine gemiffe ^l^nlid&feit
mit bem ^anä) ber menfd&Ii(i&en Stimme fpringt in bie Sttugen; aber ber
med&anifd^ erjeu^te Suftftrom in ber einen ©attung unb überhaupt bie aSer=
l^öltniffe ber Suftfäule unb bie 2lrt ber @rfd&ütterung bel^aupten eine bon
ber SBiBIür beS ©pielerS toenigftenS teitoeife unabhängige ©ettung. (®aS
3KateriaI ber ^feifenwönbe ift, mie man j[e|t toeife, für bie Klangfarbe im
allgemeinen gleid&gültig.) 3:^atfä(!&Iid& »eid^t ber 2on jmar bom bünnen,
fd^arfen ©aitenton toeit ab, rüdt aber aud^ bem ©timmton nici&t fe^r nal^e.
2)er TOufil !ommt eS ju gute, baß ©timme, ©aiten= unb SBinbinftrument
fo toefentlid^ berfd&iebene Klangfarbe unb SeiflungSfäl^igfeit l^aben. 2)er
fd^neibenbe Son eines Kinberpfeifci&enS unb ber ^idtelflöte ober beS 8lageo=
lettS erinnert nod^ am meiften burd^ ©d^ärfe, aber nid^t burd& gütte beS
ÄlangeS an bie ©aiteninftrumente.
241. 8ippen= ober g^Iötenpfeifen ergeben bie einfad^ften SBinbinftru=
mentc. Sie Suftfäule ber pfeife (fo Reifet in ber 9llufti! bie 9lö^re) wirb
baburd^ bemegt unb jum SEönen gebrad&t, baß SQBinbpße, bie burd& einen
©palt eintreten, an jener reibenb borübergel^en ; eS fd&toingt nun bie 2uft=
faule in ber betberfeitig offenen pfeife ungefähr »ie ein beibcrfeits freier
©tab, in ber einfeitig „geberften'' pfeife ibie ein einfeitig eingellemmter
©tab. ®er 2:on ift im festem fjafle eine Dftab tiefer, toeil bie Suftfäule
je^t nid&t in ber TOitte, fonbern am @nbe refleftiert, alfo ben boppelten
2Beg mad&en muß. S)enn je lürjer bie Suftfäule, befto l^ö^er ber 2;on.
9lud& feitioärts angebrad&te Söd&er berlürjen bie Suftfäule unb erl^ö^en ben
S^on. S)en ©ried&en biente fotool^l bie einfad&e Q^löte (©^rinj, fistula) als
192 Siebentes ßa^itel.
bie mit einem TOunbfiücf betfc^ene „©d^itabelflötc" (9lulo§, tibia) al§ mufi=
falifci^cS 3nftrument. S)ie leitete 2lrt ift ft)öter mit bct ®ä)almd ju Oboe,
Klarinette u. f. »., alfo ju 5Ro]^rblatt= ober Sungeninftrumenten, umgeformt
tt)orben. S)ie einfädle glöte l^at ate ,,DuerfIöte" üom 15.— 17. 3a^r=
l^unbert eine grofee Sebeutung gcmonnen; ju biefer ©attung gel^ört aud^
bie eine D!tat) ^öl&er gefiimmte ^icfelflöte.
®ei 3wn9^"t>f^if^n öffnen unb fd&Iie^en ein 3to]^r= ober 9JielalI6Iatt
abloeci&felnb bie Stö^re unb erregen burdö bie t)eriobifd& einbringenben Suft=
fiöfee ben Son (ä^nlt(i& toie bei ber ©irene, f. 9?r. 39). S)iefe fojufogen
l^alb „gebecften" pfeifen l^aben tiefere 3:öne als bie offenen 8it)|)ent)f eif en ;
anä) baS TOitfd&mingen ber 3wngen l^at @influ| auf bie Sonl^öl^e. ®a§
Harmonium l^at freifd^mebenbe 3i^"9^n, ttjeld^e ben 2;on beftimmen. @in
Sungeninftrument ift anä) ba§ ©timmorgan (f. oben). ®ie ©led&infirumentc
finb glei(!&fam S^t^flß^PMf^^^ ol^ne 3""9^i^# ^^ ^^^ 2\pptn be§ S3IäferS ben
S)ienft membranöfer 3""9^" t^i^n«
S)ie folgenbe 6^ara!terifti! ber ©injelinftrumenle fci&Iie^t fid& bomel^mlici^
an man' „ffompofitionöle^re'' IV. 53b. an.
I.
242. 2)ie Orgel ift SBinb:^ unb Sapeninjirument juglcidö, infofern
einem ^feifenwerf med^anifd^ t)erbi(J&tete Suft burci^ Siaftenbrud jugefü^rt
wirb. S^^ 9lnblafen bient alfo eine elementare ©etoalt, jum @t)ielen aber
genügt ber gingerbrudf. 3m aflgemeinen läfet fi^ barum fagen, bafe fid^
bie aSorjüge ber Safteninftrumente mit größter Xonfraft ber SSIöfer üer=
binben. 2)a aber bie ©tärle be§ SuftbrudeS burii^ bie Öffnung ber SSentile
mittels SEaftenbrucf nid&t beeinflußt toirb, fo ift ein 2ln= unb 9l6f(i&tt)eIIen
ober eine merflid^e ^erborl^ebung ber ginjeltöne ntd&t möglid^. S)rei 2)inge
geben bemnaci^ ber Orgel i^ren eigenartigen ©l^arafter: ber 9lnf(i&Iag, bie
©tärfe unb bie Unöeränberlid^Ieit beS SoneS.
243. ®er Sttnfd^Iag iji toie beim Älabier, unb baS l^armonifci&e
©piel alfo öon felbft gegeben. 3)te Orgel eignet fid& ju boHer Segleitung
beS ©efangeS ober be§ Orcä&efterfpielS ; bod^ l^at il^re ^aitbl^abung loegen
ber ungelenfern 2Jled&anif nid&t biefelbe 8eid^ttg!eit loie baS ßlabier, bafür
aber »ieber größere gcierlid&Ieit. ©d^on barauS erllört fid^, warum fie jur
Unterftüjung beS getragenen 6^or= unb ©emeinbegefangeS in ber ßird^e
fel^r angemeffen bermenbet toirb. 3für ba§ pol^pl^one ©piel ber ßinjet
regifter ift i^re^armonie an unb für fid& ju gebrängt unb feft gefd^Ioffen,
toie beim Älabier. 9lIIein e§ lommt il^r bod& bie große 2)lannigfältig!eit
unb 3^üDe i^rer 2:öne ju ftatten. ©d^on bie äußere ginrid&tung toeift
barauf l^in : bie große !^af)l ber pfeifen, bie 2—4 2:aftenrei]^en, bie 9legifter=
jüge (ettoa feit bem 12. 3aW«ni>«^t), ba§ ^ebal (bieHeid&t feit 1300),
ßrgcir 193
bismcilcn fogat äiüci ^cbalc, cnblid^ bie Siopptln, totlä^t bie ^Honualc
unter fid^ ober mit bem ^ebal bcrbtnben. ©obonn tritt an bie ©teflc be§
jur ^ol^pl^onie tninber touglici&en, IIinH}ernben ßlobicrtoncS ein fröftiger
unb bod& milber ^feifenton.
244. S)a§ 2Bi(i&tigjie ift bie gerobeju poI^^3]^one 3latux ber Drgelregiflcr.
©inb biefe bo(i& au§ aUm erbenfbarcn Slrtcn ber SlaSinftrumente jufammen^
gefegt unb für f\ä) oKein ein leid&t ju regierenbeS Drti&eficr. @o läfet \iä^
i. 33. im breiftimmigen @a$ für jmei 5KanuaIe unb ^ebal ein fd^öner
SQBettftreit breier Klangfarben crjielen („DrgeÖrio"). 9tn ben pol^pl^onen
ßl^arafter ber Drgel erinnert, um auf eine ßinjeE^eit l&inäutoeifen , fcä&on
ber in jeber 2lrt ber ^ol^pl^onie fo beliebte ;,DrgeI|)unIt". S)ie ©timmung
ber ©emeinbe finbet anä^ erji in ber ^ol^pl^onie il^ren boKften 9lu§brucf,
gumal }a bie ginjelmelobie bei ber gleid&en SEonftörfe ju menig rl^^tl^mifci^en
SReij ]§at; bagegen entfprid&t bie fjuge ganj bem ßl^aralter ber Orgel.
©ine getüiffe ä^nlid&feit ber ginjelregijier mit ber Klangfarbe ber t)er=
fd^iebenen felbftönbigen 3nflrumente ift in ber SE^at nid^t ju berlennen. ®ie
3ungenpfeifen öl^neln ben 53Ied^= unb |)oIiinftrumenten (au^er ben glötcn)
unb ber 5Jlenfd&enftimme ; bie Sippenpfeifen begreifen unter [td& bie 5Iölen=
fiimmen unb bie an ©treid^inftrumente erinnernben Klangfarben, „©omie
ber SEon ber Sabialpfeifen ba§ ©el^eimniSboKe, 2Bürbige unb ©rnft^afte in
ftd& Vereint unb überhaupt ba§ gunbaraent unb bie 2)lauern be§ Drget
tone§ bilbet, fo ift ber Son ber SRo^rioerle [Sungenpfeifen] gemifferma^en
ber 5pu§ ober 9(nftrid& berfelben; er ift aufmunternb unb freunblid^, er
öerlei^t bem Drgelton erft ben redeten ©lanj, benimmt i^m baö 5Katte unb
©üftere unb umgiebt i^n fojufagen mit bem Q^eftHeibe ber SBonne unb
greube'' (©ei bei, 2)ie Drgel unb i^r S9au).
2)iefe Unterfdfeiebe merben burd^ bie berfd^iebene SJauart erjielt. @ine
^feifengruppe („©timme"), in ber ba§ gro^e C einer offenen pfeife öon
8 gufe entfprid&t, gilt al§ normal rüdfftd&tlid& ber ©rö^e (für ba§ SJianual ;
für ba§ ^ebal ift 16 gu^ 5iormaIma6); fte giebt ben 2:on in berienigen
Dftaö, meldte burd^ bie niebergebrüdfte Safte tt)ie auf bem Klabier an=
gejeigt wirb; bie „^rinjipalpfeifen" barunter ^aben jugleidö bie 9lormaI=
toeite, alfo aud^ bie geioöl^nlid^e Iräftige, jmifd&en ber toeid^en unb ber
fd^arfen bie 9Kitte ^altenbe Intonation. SDie 5iormaI= unb in§befonbere
bie ad^tfü^igen ^rinjipalftimmen finb ba^er immer bor aKen anbern ber=
treten. 3)ie Slbmeid^ungen in ber ©eftalt unb bie SSerfd^ieben^eit in ber
aSerbinbung ber ^pfeifen finb bie Urfad&en ber befonbern Klangfarben; ber
blofee Söngenuntcrfd^ieb gleid&gebauter ^Pfeifen bebingt bie SSerfd&ieben^eit
ber Xonl^ö^e. S)ie Bereinigung ber „©timmen" erzeugt jenen unnad&=
al^mlid^en Drgelflang, toelc^er jur SJlajeftät unb ^eiligfcit be§ Drte§
unb JU ber !^armonifd^en SKifd^ung ber tiefften ©eelenftimmungen fo gut pa^t.
©ietmann, tft^etif. 3. Steil. 13
194 ^iibttiM StapxUL
245. Sie @tär!e bed Otgelllange^ beruht auf ber elementaren Straft
beg benoenbeten fiuftftxome§ unb auf ber ätegiftrierung , tozlä^t le^tere }Us
gleid& bic ßlangfarbe benimmt, ffier SConumfang eines jjeben 3icgifterS
umfaßt bie d^romatifci^e ©fala ber ganjen Älabiatur (41/2 Dftaben, bom
großen C bid jum breigeflri^enen d'") unb be§ ^ebatö (2V4 Dftaben,
Don ftontra=C bt§ d); jebcr Son entfpriti^t aber nur einer pfeife, bei bcn
ad&tfüfeigen ^rinjipaljiimmen in normaler ^öl^e unb ©törle. 9Ran !ann ju=
näd&ji bie fe(!6je^nfü|ige ^ebalfiimme afö 99a^ l^injunel^men. Qm aSerflörlung
bienen bie Oftabpimmen, bcren „^ußton" in gerabem SScrl^ältniS ab- ober
junimmt, j. 33. für baS SHanual baS 4, 2 ober 1 Su6=giegifter (bei gröfecrn
Sffierlen aud& ein 16= ober 32fü|igcS). ©0 ergiebt fi(i& ein Umfang öon
ad&t Dftaben, obfci^on bie ]^öd6ften unb tieften %öm ju felbftänbigcr 35et=
ttjenbung unbrauii^bar »ftren. 3lu^er ben „©runbjiimmen" giebt e§ nun
loeiter nod& berftörlcnbc „^ilföftimmen", »eld^e Quinten ober SEerjen ]^inju=
fügen, unb „3Kijturen", b. f). in SreillanglinterbaDen (nad^ ben natürlici^cn
?lIiquottönen , ögl. 3lt, 49) abge|iimmte, §u einer unb berfelben SEafte
gel^örige SJegiffer.
246* ®ie ^rinäipttlftimmen ber Drgel finb cinjeln ettoaS „leer", »eil
pe neben bem boDen ©runbton nur \i)tDai)t Dbertöne, ,,gebe(fte" pfeifen
f oft ganj einfädle Xöne oernel^mcn laffen ; aber ba§ ift für bie §auptflang=
maffe ber Orgel bei il^rer fonftigen SonfüHe fe^r toiHfommen unb giebt il^r
einen milben Ston ; aufeerbem lann burci^ bie SRegifter ber befonbem ßlang=
färben abgel^olfen »erben, ©(i&arf angeblafcne enge pfeifen laffen geigen=
artig eine 3lei^e ^armonifd&er Dbertöne erllingen, fegeiförmige fel^r ftarf
ben 5. bis 7. Dberton, mie baS ©emSl^orn, bic @pi|= unb SBcibenflöte.
@o mirb e§ bem gefd&idten ©pieler ein leidstes, ber an fid^ med&anifd^en
<5tärfe unb 2:onfülIe beS DrgelllangeS aud& eine ^farbenfättigung ju geben,
mie es bei feinem anbern 3nftrumente möglid& ift. ®S toirb inbeS bie
rid&tigc SBal^I, 53erbinbung unb Slbmed&Slung ber 9legifter öorauSgefe^t. 6§
liegt auf ber §anb, »ie bie genannten gigenfd&aften ben ©ebraud^ ber
Orgel in großem ßird^en empfehlen ^.
247. 2)ie Unberftnberlid^feit ber Xonftärfe ift bei ber Orgel fo ju
t)crfte!^en, ba^ eine beliebige 2lbftufung berfelben unb bamit eine §erbor=
l^ebung beS JR^^t^muS nid^t in ber SBiHfür be§ ©pieterS liegt, alfo bie
IWittel beS fubjeftiöcn „2lu§brucfS" auf baS geringfte aWafe befd&rönft fmb.
iSm angefd^Iagener Son bauert unberönbert fort, bis bie Jafte frei toirb,
l^ört aber bann aud& plö^Iid^ ol^ne 9lad&^aII auf; ebenfo ift eS mit ben
©timmen unb ©timmöerbinbungen, bie fd&roff einfe^en unb toieber fd&toeigen.
2)er ®cbraud^ ber öerfd^iebenen ßlabiaturen unb SRegifler ermöglid^t aller=
* übet bie ^unft ber Sflegiftrierung ögl. @. ö. 5Bcrra, Orgelbu*.
Orgel. 195
bmg§ im ganjcn einen fcl^r mannigfaltigen Übergang öom ^iano §um Sporte
unb t)on einet ©(i&attierung jur anbern, fo bafe nid&t ol^ne ©runb fd&on
el^ebem ein ©t. ©aKet Wbnä) öon ber Dtgel rül^mcn lonnte, [ie l^abe bcn
©onner in i^tcn großen pfeifen, in i^ren Ileinen bie @ef(j&tt)ä|iglcit ber
fieier ober ben füfeen SEon einer ß^mbel. Slber ol^ne SSerönberung ber äußern
SKittel lann ber blofee 3fingßtbru(f leinen erl^eblici^en SBeci^fel ber @tör!e
ober be§ SlccenteS betoirfen ; in bicfer Sejiel^ung unterftel^t ba§ fflabicr unb
felbfl ba§ Harmonium öiel unmittelbarer bem SBiDen be§ ©pielerS. SDic
Drgel l^at alfo toenigcr Stimmung, Seben, Q^rei^cit unb Qflufef iumal auä)
bie SEaften ol^nc bie neuern „pneumatifd^en ^ebel" fid^ fci&toerer niebers
brüden laffen. S)od& finbet fid^ in möglid&ft gebunbcncm ©piel unb liegen=
bleibenber Harmonie, in leidstem 2;cmpott)ed&feI jur ffennjeid^nung ber 9Jlo=
tibe, in ben SHeijen ber ^ol^p^onie, in bem SBed^fcI öon ßinftimmigfeit
unb 5D?e^rjiimmigfeit unb öor allem in einem toürbigen ©el^alte bie W>^^t
gegen biefe SKängel toie nid^t minber gegen bie fül^Ibare ©d^merföDigfeit
beS riefigen 2Kedöani§mu§ einer großen Orgel
248. 3w9l^i^ ft^^ett ben SJlöngeln entfpred&enbe gro^e SSorjüge jur
©eite. toeld&e für bie 3^^^^ ^^^ fird&Iid^en SKufif fel^r bienlid^ finb. ®ie
Drgel giebt fid& ju eitlem g^ormfpiel, ju jerftreuenben föffeftftürfen, jur fub=
ieltiüen ^erborl^ebung patl^elifd^er ober fentimcntaler Stimmungen nid^t ^er.
©ie ift obieftib unmanbelbar, fojufagen bogmatifd^. ©ie loiH ßrnft, älul^e
unb 9Ka6, ober brüdft, ftärfer al§ jebeS Ord^efter, bie mäd&tigen ®mpfin=
bungen einer begeifterten 3Jlenge in erhabenem ^atl^oS au§. 2Bie eine
©timme au§ ber anbern SBelt fd^ioebt fie in objeltiöer 9tu^e, aber in ]^imm=
lifd&er SBürbe unb SJlajeftät al§> ©^mp^onie ber Snftrumente, ein ©^mbol
^öd&fter Harmonie, über bem betenben unb fingenben SSoIfe, fie fprid&t nur
gro^e ©ebanfen au», toürbig ber ®otte§tt)orte , bie fie begleitet, ©ie ift
ba^er mit SSorjug ba§ Snftrument ber Äird&enmufif.
Äurj t)or ber d^riftlid^en 3eit (2. Qal^rl^unbert ö. ®^r.) tourbc bie Söafferorgel
8U Sllejanbrien crfunben. S)er f)l. Sluöuftin f:prid^t fd^on öon ber SDöinborgel. S)ie
öon Äaifer ^onftontin ßoiprontjmu« an $i:ptn unb Äarl ben ©rofeen gefd^cnften
Orgeln tourbcn fidler in Äird^en aufgeftettt. ?Papft ^ol^onn VIII. erbot f\^ um 873
üon SBiWof Slrno öon Sfreifing eine Orgel. 9[n ber fjolgejett tarn bicfclbe rafd§ in
5lufna]^me unb toor, obfd^on nod^ f8au unb ©picl jicmlid^ ungclenf, ein Uturgifd^cd
3nftrument boS ganje aJlittelalter l^tnburd^. S)ie SluSbilbung beg OrgeIf|)ieIS unb
beS ÄontrapunfteS bebingen fld^ toed^felfeitig. @ett bem 3JlitteIatter folgte eine Jöer«
befjerung ber Sffled^anif auf bie anbere. Qmmer aBcr biente bie Orgel bem ©ottcä«
bicnfle, in ber fat^olifd^en Äird^e öortoiegenb gur löegleitung be8 ©efangcS; im pro«
teftantifd^en ©ottcöl^aufe tourbe il^r eine nod^ bcöorgugtere 9lottc jugeteilt, unb
©eb. föaä) tourbe ber größte Orgclfpicier S)eutfd^Ianb8. Über SJliProud^ ber Orgel
l^atte man atterbingS ju öerfd^iebcnen Seiten ju flogen, imb ju Slnfong biefeS Sfal^r«
l^unbertS sog au(^ in biefer S^e^iel^ung bie S}ertoeItIid^ung in bie ^irt^e ein. S)od^
feit fünf aal^rjel^nten ift man mc^r unb mel^r auf bie ernftere ältere SDöeifc unb
13*
196 ©iebented ftopittl
latl^olifd^erfeitd tndbefonbere auf ben $alefirina«@til invfSidqtqanqini , um in btefem
Getfie bad l^eute fo f^o^ üerüoIKommnete ^nfirument ben religiöfen 3^^^^" toteber
btcnftbttr au mad^cn. Slld 3cuftni* f^t ben rein fünjllerifd&en aOßert lann feine 2luf«
nal^me ins Ord^efter bec großen Aonaertfäle angefel^en toerben.
249. S)er firdfeUdöe Organift wirb fid6 (um bie fd^öne SWal^nung
P. ßotnmünctS im „Sep!on ber litdölidöen Xonlunji" ju loicbet^olen) an
bic S3Borte be§ ftarbinotö 33ona Italien : „5)a§ Orgclfpiel mu$ fo emft unb
gemeffen fein, ba^ e§ nid^t ba§ ganje ©ernUt burd^ feine ^nne^mlid^feit
abjiel^c unb jerjireue, fonbem mel^r SScranlaffung unb ©elegen^eit biete,
bem ©innc ber ©efongworte (wenn bie Orgel ben ©efong begleitet) nad&=
jubcnfen unb fidft ben ©efü^Ien ber Sttnbadftt ^injugeben"; er loirb fidft be=
mü^en, in feine ftunft fidft immer me^r gu bertiefen, ben lirdfelidfeen ©inn
bei ben l^ciligen |)QnbIungen inniger }U erfaffen, fein ©picl als ein SBerf
ber ^nbad^t unb ber Srbauung }u betrad^ten unb alleS fern }U galten,
mag baS |)au§ @otte3 entmei^en lönnte. @r mirb fidg an Seift, SRotibe,
Xonarten be§ ß^orols audft in SSor=, 9lad6= unb S^if^^^fpi^I^^ möglid^ft
anfd&Iie^en unb fid& guter Drgelftüdfe ofö SSorlage bebienen, j. S. ^iel,
64 ©tüde in ben alten ftirdftentonarten für Orgel ober |)ormonium (bgl.
aud& ben ßatalog beS ßäcilienbereinö). ?IKittelmä^ige ©pieler lönnen »eber
felbfterfunbene SWotibe bearbeiten nod& fid& [in freien 3:onIombinationen
(^^antafien) mit S^ren beioegen. 35aS SQBid&tigfte ift bie Übung in gefd&idften
ßinfpielungen unb Übergängen. Sttudft gute Drganiften »erben nidftt regeU
mäfeig inU)roDifieren , fo loenig mie bie§ einem guten ^rebiger julommt.
35ie Segleitung beS ©efangeS foHte man für geloö^nlid^ ebenfomenig ganj
ber Eingebung be§ SlugenblidS überlaffen. ®ie Orgel barf ben ©efang
nid&t böHig jubedEen ober erbrüdfen, mufe il^n aber boH unb würbig tragen
unb fiü^en.
250. 35ie SSorfd^riften ber ßird&e unb lird^lid^ gefinnter SJlönner ftimmen
mit ben 3lnforberungen ber ßunft, bie fid^ auf bie Sefd&affen^eit unb bie
©efd&id&te ber Orgel grünben, auf§ genauefte jufammen. 5iur toenn aUeS
Opernl^afte bem Orgelfpiel fern bleibt, menn ba§ Übertönen be§ ®efange§
unb ätoedlofer Särm ebenfo forglid^ bermieben toirb loie ungefd&idfte§ 2lb=
irren bom (Seifte ber liturgifd&cn geier unb aufbringlid&e ßunftproben, lann
bie Orgel aud& ben anbern 3nftrumenten gegenüber il^re gl^renrolle magren.
®enn loenn aud^ bic ftrenge 9lu§fd^lie^lid^Ieit , mit meld^cr ba§ Caeremo-
niale Episcoporum I, 28, 11 bie Orgel allein borfd^reibt, gemilbert toorben
ift 1, fo bleibt bod^ bie Orgel ba§ ürd^lid^e ^nftrument in ganj bcborjugtem
» »öl. S e n e b i f t ä XIV. ©nc^flif a an bic Sifd^öfe bcS Äird^enftaate« ; flegle»
ment für bie ßitd^enmufif öom ^af^xt 1894. (Sntl^alt bie ©nc^flifa nid^t« aU eine
S)ulbunö onberer Qnftrumente , fo fielet bie Söcftimmunö beö IReglement« bod^ öiel
me^r einer eigentlicä^en ©utl^eifeung gleid^. S)QrQu8 folgt jebod^ feineStoegS , bafe bie
ajicd&inftrumcntc. 197
©Inne, unb felbjt SHidft. SOBagncr i)at fid^ öom ©tahbpunft ber ßunjt/ in
rid&tiger Scurteilung bcr ©igcnort btefc§ 3nftrumcnteS , cntfd&icben bafür
au§gefprod&cn , ba^ c§ berufen fei, jum ffird^engefong bie Segleitung ju
geben, »eil e§ „auf ba§ finnrei(i&fte eine grofee SJlannigfaltigleit tonlid&en
9lu§bru(f§ bereinigt, feiner 9lQtur nad& ober öirtuofe SBerjierung im SSortrog
auSf(i&Iie^t, unb nid&t burdft finnlid^e 9lcije eine öufeerlid^ ftörenbe 9lufnterf=
fomleit auf ftd^ gu giel^en öemtag" (SBagner, ®ef. ©d^riften II, 337).
251» 6in Safteninftrument , ba§ burd^ ©pietoeife, Äraft unb fSioijh
laut einer Ileinen Drger gleid&t , ift ba§ |)armonium, eine neuere Um=
bilbung ber ^^^S^armonilo. ®S finbet in Ileinen ffird&cn, ©efangslolalen
u. f. tt). ]&öuflge SSeriüenbung. SSor ber Orgel l^at eS bie 2lu§brudfSfö^ig=
leit öorauS. S)a bie TOed&anil beSfelben aus freifd^lüingenben 3iii^9^^ (V^^^
einem ^ommeriüerfe) beftel^t, fo treten alle 9lebentöne fc^r öemel^mli(i& auf,
tt)a§ ben ®ebraud& biffononter 3(Iforbe erfd&iüert, für aluftifdfte Unterfud^ungen
aber gerabe »illlommen ift. S)ie „amerifanifd&en Orgeln" fteHen bie l^öd^fte
Snttt)idflung beS |)annoniumS bar; il^r ©piel ift fanfter unb lann bod6
ebenfo au§brudSöolI fein.
n.
252. S)ie Snftrumente, »eld&e „S^^^fl^^^Pf^if^^^ ^^^^ S^^i^^" P^^/
fa^t man gelDö^nlid^ nad& bem SMaterial, au§ »eld^em fie befielen (TOefpng),
unter bem Flamen „SIed&inftrumentc" gufammen. SJaburd^ unterfdfteibet
man fie öon ben näd&ftbcriüanbten , mit SRo^rblättern {S^nqtn) berfel^enen
unb nur auSnal^m^meife aus SOletaH gefertigten, »eld^e afö „^oljinftrumente"
bejeid&nct iDcrben (Oboe, Älarinctte u. f. tt).).
^örner, trompeten unb ^ojaunen ttjerben burd^ ein 2WunbfHid an=
geblafcn; bie Sippenftellung , nid^t bie blofee ©tärle be§ SlafenS, beftimmt
bie %oni)'6f)t (anberS bei glöten unb Snftrumenten mit S^^^fl^^)- Sßne
l^aben aber nid&t tt)ie bie ^oljinftrumente Sonlöd&er jur SSerlürjung unb
finb barum gunädftft barauf befd^rönft, bie Xöne ber Slaturffala
(f. 9lr. 49) l^eröorjubringen , öon tt)eld&en einige jubem fd&tt)er ober gar
nid^t barjuftellen finb.
253. S)aS ^orn ober SOBalb^orn (eine größere gorm ift ba§ S ö g b=
l^orn) giebt bie 9laturtöne im ©ed^jel^nfu^ton, b. f). eine Oltabe tiefer afö
bie ad&tfü^ige trompete, ober afö ber meift öerttienbete SSioIinfd^Iüffel anjcigt.
l^äufige 5lntocnbung anberer Snftrumentc, öiettcid^t gar aKcr ol^nc Unterfcä^icb ober
einiger ol^nc Orgclbegleitung, gebilligt tocrbe. ©benfotoenig toirb baburd^ bie 2;^at»
fad^c umgcftofeen, bafe bie Orgel ni$t jum beftcn in bie Ord^eftcrmup! pa^t unb
bai toeber btefe nod^ jene burd^ bit S3erBinbung geloinnt, ba bie unt)eränberltd|e
@tar!e ber Orgel bie übrigen 3nftrumente übertönt unb il^re ftarre Objeftiöität
fidft gegen btn feelentoUen ^ugbrud jener ungünftig abliebt.
198 i^iebented itapittl.
Scfanntlid^ ftimtncn bic ju ben S^^I^n 11, 13 unb 14 gel^örigen 5Ratur=
töne nidöt rein ju unfcretn ajlufif f^ficme , ein Untftonb, bem burd^ bie 9lrt
beS 9lnbIafenS nur jum Seil abgel^olfen toerbcn lann. 2Kan l^at |)örner
Don öerfd^iebenen formen unb öerfd&ieben Ilingenber Stimmung; eS toirb
aber immer in C-5)ur notiert unb ftiUfdftmeigenb transponiert.
S)er Slaturton beS ^orne§ ift fanft, runb unb boll, im ^iano gart
öerl^üHt, aber im gortifftmo bem nidftt fd&metternben Srompetentone ä^nlid&,
icbodö toeniger fdftarf unb burd&bringenb. 9latürB(l& ergeben erft jmei |)ömer
eine |)armonic ; öon bem einen benu^t man in ber Siegel bie l^öd&fien Xöne,
gu beren leid^terer |)erDorbringung nodft ein befonbereö aWunbftüdf bienlid^
ift, bon bem anbern öorjugSmeife bie tiefern. Über bie ga^I bon jtoeimal
jtt)ei |)örnem glei(i&er ober berfij&iebencr Stimmung ge^t man im Drd&ejier
meift nidftt ^inauS, bamit nidftt ein 3uftrument bon fo tiefem unb teiltoeife
bumpfem Älange allgu fe^r bormiege. |)ornfoIi [inb i^reö tief gcmütlici&en
ßl^arafterS toegen fe^r beliebt.
254 S)ie trompete, ein Snftrument bon geftredfterer S3Binbung
afö baS §orn, loirb ebenfalls be^ufS großem Sonreici&tumS in berfd&iebener
Sönge mit nid^t ganj gleid&er iflangfarbe l^ergeftellt ; and^ ^ier mirb immer
in C-S)ur gefd&rieben unb transponiert. ®er 3:on ift ^eH, fd&arf, l^allenb,
tl^ut aber feine äBirlung bornel^mlid^ im Vereine mit anbern Klangfarben,
weniger für fid^ allein. 9lIIe 9lbftufungen ber ©tär!e fielen ju ©ebote.
®ie SfuSprägung beS SHI^^t^muS burd& fd^neHe 3:onfoIgen, |)erbor^ebung ber
d&arafteriftifd&en unterbaue einer 3:onart, nid&t fo fe^r l^ingegen melobifd&e
SRannigfaltigfeit !ommt ber trompete ju, bie ein berufentS 30lelobie=3nftru=
ment, aber nur in engen ©renjen, genannt merben barf. ©e^r toirffam
ip bie S3Bieber]^oIung beS gleid&en S^oneS in rafd&em Sempo, »obei ber
93Iöfer getoiffe Äonfonanten (t, r, I) mittönen lä^t; baS ift ber „©d&metter=
ton" ober, rl^^t^mifiert, ber „Sungenfdftlag". 3^^ ot)er jtoeimal jtoei ober,
beS SreiflangeS falber, brci trompeten toerben am ^äufigften gebraud&t.
SJlärfd^e, ganfaren, ßriegS- unb ©d^Iad&tenmotibe paffen jur Sigenart beS
3nftrumenteS.
255» S)ie ^ßofaune, eigcntlid^ eine größere unb toeitere trompete,
erfd&eint in ben Ilaffifd&en SBerlen als S3aB=, 2:enor= unb Slltftimme o^ne
befonbere (bon ber Montage unab^öngige) ßlangberfd&iebcnl&eit. S)er ©aj
!ann gerabe bei bloßer S)reiftimmigfeit eigenortig geftaltct werben, toie benn
aud^ ber ß^araftcr ber ^ofoune, oblool^l bem ber 3:rompete äl^nlid&, fid&
bod^ tt)ieber fd^arf gegen alle anbern 5!Jlufiforgane abliebt. SBir bringen
benfelben gern mit ber SSorfteKung beS SBeltgerid&teS in aSerbinbung. ©rofes
artigfeit im brö^nenben Sorte mie im fd^aurigen ^ono ftid^t l^erbor. 3)ie
fd^arfe Si^^t^mi! ber 3:rompete fel^It; bafür tritt eine gemeffene, mürbige
Harmonie ein, fobalb mehrere jufammentoirfen. Sangfame, burd& bie 30läd^
S3Ie(|tnftrumente. 199
tigfeit bcS Snftrumentcö gebotene Setücgung, eine getoiffe 3)uni})f^eit be§
%om% befonberS in ben tiefern fingen iinb gefättigte gülle madfeen jufammen
ben ginbrud ernjier, etl^abener 9feierli(i&!eit.
256. 5!Jlan i)ai nun bie genannten Snjirumente burd^ eigene f&onxä)-
tungen Beföl^igt, eine öoKftänbige d^romatifdöe SEonleiter borjuftellen. S)ie
^Pofaune ^at boju regelmäßig i^re „3üge", b. 1^. StuSjüge be§ Slo^reS,
ba§ au§ ineinanbergefd&obenen 3:eilen bepe^t. Seber ber fed6§ 3ügc ber=
änbert bie ©timmung um einen ^dbton. ©o fann bie ^JJofaune mittelji
il^rer fieben „^ßofitionen" toä^renb be§ ©pieleS i^re ©timmung änbern,
mä^renb bie trompete, wie tüir fie eben befd^rieben l^aben, bie§ nur burd^
aSertaufc^ung, j. S. ber C-3:rompete mit ber B-Xxompttt, erreid^t,
9lud& für |)orn unb Xrompete ^at man bie fe^r bequemen ,,aSentiIe"
jum Offnen unb Slbfd&Iießen eines XeileS erf unben ; fd^on frül^er öerloenbete
man „klappen". ®aburd& gel^t aber öiel öon ber urfprünglid^en ßlang=
färbe öerloren. S)a§felbe gilt teitoeife bon bem „©topfen" (©daließen beS
©d^aübed^erö) mittelft ber |)anb, toa^ beim |)om fe^r ^äufig jur 3lntt)en=
bung lommt.
257. S)ie aSoßftönbigfeit ber SEonrei^en ift übrigens bei ^oxn, 5J:rom=
püz unb ^ofaune nid^t loefentlid^, ja laum ertoünfd&t. ©ie finb teils wegen
ber aHju fd&arfen Klangfarbe (bie 3:rompete), teils toegen ber geioaltigen
©d&aHIraft (3:rompete unb ^ofaune), teils toegen beS d^aralteriftifd^en XoneS
(^ofaune unb §orn) beffer nur in befd^ränltem 30laße ju bermenben: in
ben ^auptinterbaHen , in öoHfommenen Äonfonanjen, jur 9Serftär!ung unb
§füllung, ium SBiber^aDen unb «uS^aKen. Sür bie SKelobie ift bie fflang=
färbe, »enigftenS auf längere 3eit, nid&t liebartig genug ; ted^nifd^e ©d&tt)ierig=
feiten l^inbern eine figurenreid^e 53ett)eglid&!eit , unb ber SOletaHton ift ju
iDud^tig unb mel^r ju ©tößen unb gelegentlid&em Singreifen geeignet. S)ie
9llten gebraud^ten i^re tuba (= gerabe ©alpinj), bucina (= frumme
©alpinj), baS cornu (= ßeraS, im SKittelaltcr Dlifant, ungefähr baS
ie^ige Sllpl^orn) unb ben lituus (ungefähr unfer ^oft^orn) toefentlid^ nur
ju militärifd^en ©ignalen (SSeget. 3, 5). Unfere 3eit läuft ©efa^r, ben
militärifd&en , ju energifd^en gfernrufen paffenben 6^ara!ter ju fe^r ju
öerfennen.
258. 9lm redeten Orte !önnen aber biefe 9Rufiforgane in i^rer je^t
fo boHfommenen ©eftalt allerbingS aud& feelenöoHe ßmpfinbungen !räftig
auSfi)red&en , fd^on barum, weil biefe unmittelbar l^incingefprod&en werben;
ber SluSbrudf d&ara!terifiert fid& burd& ergreifenbe Kraft unb ijoi)t Sbealitöt.
SDcr weid&ere ^ornllang l)ebt fid& aud& gut ab gegen ben fd&ärfern 5E:rom=
petenllang, wie bie glötenftimmen ber Orgel gegen bie gungenregifter (gio]^r=
werfe) ; bie Sentilinfirumcnte teilen fid& auf biefelbe SBeife in jwei ©ruppen.
©0 ergeben fid& bie fd^önften Kontrafte. S)aS §orn fprid^t juweilen treu=
200 ©icbcntcS Äa^itel.
l^erjig an lüic bic Q^Iötc ober greift tief in§ ©emüt. S)ie 3:rompete bcfunbet
5!Kut unb ©dfttoung, erjäl^It bon ftampf unb ©ieg. Sie ^ofoune nimmt
eine öermittelnbe Stellung ein, tief unb breit, öoß ^o^eit unb ^rod^t. 3m
16. unb 17. Sal^rl^unbert bicnten ^ofaunen fel^r getoö^nlid^ beim ®otte§=
bicnfte jur Unterftü^ung ber ©ingjiimmen Iontrapun!tif(i6er äBerfe. Stn
öHgemeinen bürfte e§ ober rid&tiger fein, loenn bie Sled^inftrumente, befon=
berS gemiffe 9lrten ber SSentilinftrumente , j. S. SSentillornett , 3=IügeI5orn,
2:uba, Somborbon, in bie großem profanen Solale ober gerabeju in§ g^reie
öertoiefen »erben, too fie i^re Eigenart glüdlid&er entfalten. Überhaupt aber
tt)irb burd^ bie fid^ immer me^renbe 3ö^I ber SIed&organe unb bie mafelofe
aSertoenbung il^rer ©(ä&allfraft auf Äoften be§ meIobif(^en unb geijiigen ®e=
l^alteS bie ifunp ber SOlufif nid&t geförbert; ba§ finnlidö ^adenbe unb 6r=
fd^ütternbe ift mit bem öft]^etif(i& gr^ebenben Ieine§tt)eg§ glcid^bebeutenb.
m.
259* SieSftol^rblattinftrumente „l^aben einen mel^r ober toeniger
toeid^en, glatten, luftartigen, ber menfd&Iid^en Stimme äl^nlid&en ftlang, finb
mit |)ilfe öon Jonlöd&ern unb Rlapptn einer jiemlid^ ober ganj öolIftän=
bigen 2:onrei^e mäd^tig, lönnen nur einen Xon auf einmal l^eröorbringen,
biefen aber in reid^en Stbftufungen öon gorte unb ^iano, in aHmö^Iid&em
2ln= unb Slbfd&weßen (»orin fie ben ©treid&inftrumenten meit überlegen finb)
unb in langem Slnl^alten" (SMarj). 6S fel^It ber fogen. SWetaUflang mit
feinen 9Sor= unb Stadtteilen ; ber Qanä) ber menfd&lid&en ©timme mit feiner
Snnerlid^feit unb SQBärme Hingt um fo beutlid&er burd^, je mel^r bie elemen=
tare (Scwalt be§ Suftftrome§ burd& bie Vermittlung ber Sangen, unb jwar
ber toeid^ern Jfto^rblatt jungen, gemilbert toirb. ®er 3:on ift runb. Doli unb
lieblid^, ftreift aber anS ffraft= unb ß^arafterlofe, »eil bie ©d&ärfung burd&
Dbertöne nid^t in bem SOlafee toie bei ber menfd&lid^en ©timme ober gar
bei ben öled^organen öorl^anben ift. Slber ber !lare, melobifd^e glu^ mad&t
bie Sto^rinftrumente fingl^aft unb felbft für ia^ ^umoriftifd&e (Senre nid&t
ungeeignet. ®er allgemeine ßl^arafter erleibet aber eine inbiöibuelle Um=
geftaltung, je nad^bem j. S. mit einem Slatt (Klarinette) ober mit ®oppel=
blatt (Dboe, Sagott) angeblafen toirb; bismeilen fommen aud& metallene
©d^allbed&er jur Slntoenbung.
260* ®ie Klarinette l^errfd&t in biefer Snftrumentengruppe, inbem
fie fid&, allgemein gefpro^en, für jebe Intention be§ ©pielerS unb ßom=
poniften im Drd&efter unb im ©olo loillig barbietet. ®od& tönt fie nid^t
auf allen 3:onftufen gleid^ ftar! unb in gleid&er Sonfarbe; aud& toeid&en bie
brei ©timmungSarten (in C, B unb A) merHid^ boneinanber ab. Slber
bie ^anblid^feit unb gügfamleit ber Klarinette ermöglid^t bem SMeifier,
burd& ad^t 2:onlöd&er unb bierjel^n Klappen mel^r al§ brei Dftaben (bi§ c"")
IRol^rblatt« unb ©(^^laßinprumcntc. 201
ööKig ju bcJ^errfd^cn, bie fiauncn bcS SnftrumenteS ju übctiüinbcn unb in
langfamcr ober fd^neHcr Seiocgung, in Sprüngen, Söufen ober SCriHcrn,
öom fünften ^anä^t bis ju onfeJ&nlid&er ©törle ernfte unb leid&te Seifen
erllingen ju loffen. Sin TOilbe glei(i&t bie ßlorincttc bcnt §om, an §cllig=
leit in ben l^ö^ern Stegionen ber Q^Iöte; bie tiefern 3:öne finb eigenartig
geJ^eimniSboH unb gebämpft, bie l^öd^ften fd&arf, aUe jiemlid^ gefüllt.
261, ßinen befd^ränftern Umfang ^at bie Oboe, ein im übrigen
ebenfalls fe^r beir)egIi(J&eS Snftrument, bod^ fpröber, lörniger, fd^ärfer al§>
bie Klarinette, gleid&fam i^re ernftere ©d^toefter. S)aS „Snglifd&l^orn" ftel^t
eine Duint tiefer.
262. ®a8 Sag Ott fte^t fe^r tief: ßontra=B bi§ c'\ baS Kontra,
fagott nod& eine DItaöe tiefer. S)cr Klang ift in ber Sefe öoller unb
rauher, in ber 2Witte ftiHer unb fanfter, in ber ^Sifjt gebrüdfter unb ge=
t)refeter. S)ie SSerbinbung mit ber Klarinette liegt nal^c toegen ber fid& gIüdEIid&
ergftnjenben 3:onIagen (bie teitoeife ineinanber greifen) unb toegen ber
3Sertt)anbtfd&aft be§ meid^en unb runben Klanges.
IV.
263« 3^ bß^ §oI}inftrumenten geprig unb ben aHo^rblattinjirumenten
nal^e öerioanbt ift bie (Duer=) g I ö t e. ©ie mirb burd^ unmittelbares 9ln=
blafen, nid^t mittelji einer 3""9ß angefpielt; bie berfd&iebenen Xöne (c' bis
c"") »erben burd& Öffnen unb ©d&Iiefeen öon 14 SEonlöd&ern unb burd&
„Überblafen", b. f). Überfd^Iagen in bie Dbertöne, l^eröorgebrad&t. SJlan
^at öcrfd^iebene Strten öon t?Iöten, öon benen inSbefonbere bie „grofee"'unb
bie eine Dftaöe l^öl^ere „Heine" im (Sebraud&e finb. ©ie finb nod^ bett)eg=
lid^er als bie SSioIine, minber grell in ber ^ö^e unb fd&mäd&er als bie
Klarinette, aufeerbem infolge ber loenigen unb fd^ioad^en Dbertöne farblofer
unb leerer, nid^t gemütöoll tt)ie baS |)orn, aber leid&t, Reiter ober linblid^.
264. ©eringere Sebeutung l^aben bie ©d&Iaginftrumente. 9lid&t
abgejiimmte, blofe rl^^tl^mifd^e fiärminftrumente jur aSerftörfung finb bie
3:rommeI (grofee, 3ti>U=, 2WiIitär=), ber bröl^nenbe 3: am t am, baS ^eHe
3:riangel, bie l^allenben unb üirrenben Sedfen, bie Happernben ^a-
pagnetten u. f. ». Slbgeftimmt finb baS ©lodenfpiel, baS ©ta^t
fpiel ober ©lodenl^ra (mit Klöppeln gefd&Iagene ©ta^Iftäbe) unb bie
tt)id&tigere ^aufe. 30lan baut biefe mit einem ©pielraum ber ©timmung
jloifd&en F unb c unb jmifd&en B unb f („grofee" unb „Heine"). Sebe
l^at an unb für fid& nur einen Son; bie Umftimmung gefd^iel^t je^t ol^ne
Slufentl^alt mittelft ber „30lafd&ine" ; meiftenS gebraud&t man äloei ober brei
Raufen, »eld^e auf bie tt)id()tigften 3(!torbtöne geftimmt finb. S)er Son !ann
202 @iebented ftapittt
Dom leifepcu ^iano jum brö^nenbcn gforte geftcigcrt »erben; rl^^t^mif^e
giguten unb S3Birbe( finb wie bei ber Trommel fe^r leid&t. Sie ^aufe
toirft in aSerbinbung mit trompete, ^ofaune, ^orn u. f. w. überaus
265^ S3Bir ^aben weiterhin bie Serwenbung ber Snftrumente
ins 9luge ju faffen, o^ne iebod^ auf bie ginjel^eiten ber 3:ed&nil einjugcl^en.
„3n ber aSerbinbung öon (Sefang unb Snjirumcnt ober Ord&cftcr ift
ber erftere baS |)crrfdöenbe unb aSeftimmenbe , baS festere ha% fid& Unter=
orbnenbe unb golgenbe" (2)1 arj, ßompofitionSle^re IV, 455). ®iefer
©runbfa^ berul^t auf bem eigenen SSorjuge ber SSofalmufif, inx(i) ben Ieben§=
öollen ©timmton mc^r als jebe anbere bem SKenfd^en in bie ©cele gu
greifen unb burd^ baS SBort ben aSerftanb ju befriebigen. 6S barf alfo
baS ©piel ber 3njirumente, jumal loenn i^rer mehrere ober gar ein öoHeS
Drd&eper jugleid^ t^ätig ift, bie ©efangpartie »eber bur(J& ©d&allfraft er=
brüden nod& burd^ asirtuofität überbieten. ®er 3Küffen= unb ß^orgefang
gemattet natürlidö me^r als ber Sinjelgefang ; aber eS muffen bie ©önger
nid&t burdft bie 53egleitung ju ungehöriger 9lnftrcngung genötigt toerben.
6S ift and) ein großer Unterfd^ieb, ob bie fd&aUftarfen SSIed&inftrumente, bie
fd&arfen ©aitcn= ober bie fanftern |)oIjinftrumente mittüirlen. 35ie fd^aHenben
Sled^organe f)abtn am beften eine tiefere Sage als bie Stimme, aSioline unb
Slöte ftören aud^ in ^ö^erer Sage nid&t leidet. Oft ift eS gut, bafe bie
ftörlern Snjirumente nur auf einjelnen fünften einfe^en. iSm baS Sieb
unb liebartige ober aud^ mel^r recitatiöe ßompofitionen eignet fi^ jur a3e=
gleitung ein ^armonifd^eS Snftrument, j. S. ßlaöier ober Orgel. Qu ben
lünftlid&ern ©d^öpfungen, wie 2lrie, 2)uett, gehört bie Entfaltung mannig=
fad^er ßräfte. ®ie |)aiiptroße bei ber SSegleitung beS (SefangeS fpielt un=
ftreitig baS ©treid^quartett, wo eS ju ©ebote ftcl^t ; eS fontrafticrt günftiger
als bie S9IaSorgane mit ber Stimme, Hingt feelenöoHer als baS fflaöier
ober als |)oIj= ober Sieifeinftrumente, jcid^net fid& enblid^ burd& @d&miegfam=
!cit unb einbringlid^e ß^arafteriftif auS.
266. Sei pol^p^onem ©efange nimmt baS Snftrumentenfpiel eine nur
biencnbe unb förbernbe ©tellung ein, [onft aud& eine wefentlid^ ergänjenbc.
3n jenem gaße enthält ja ber ©efang eigentlid& fd^on ben gangen ©el^alt
beS ©a^eS, in biefem bleibt bie |)armonie ju beröoBftänbigen , fei eS, bafe
ber ÖJefang nur eine ober wenige ©timmcn l^atte ober bod^ nid&t bie ge=
wünfd&te beutlid^e ß^arafteriftil ber ©timmen barftellte. 3lxi)t feiten wirb
einer ©ingflimme ein „obligates" Snftrument beigegeben, baS mit jener
als jweite ^auptpimme (im 6inf lange, in ber D!taöe ober felbpänbig)
lonjertieren joH. ©owol^I l&ier als bei ber einfad&en Segleitung mu^ man
SlcTtocnbung ber Snfttumcntc. 203
bcad^tcn, ba^ jcbe ©timmlage il^re eigenen aSerioanbtcn unter ben 3nftru=
ntenten f)aU S)te erfte asioline, Oboe, Klarinette, glöte gelten angemeffen
mit bem ©opran, bie jweite aSioIine u. {. ». mit bem 9llt, Srotfd^e, erfteS
gagott unb aSioIonceß mit bem Senor, jtoeiteS Sagott, Kontrafagott unb
Äontrabafe, ebenfo mieber baS aSioIonceH mit bem S9a&. 3(ud& ift bea(J&ten8=
toert, ba^ bie fd^ärfern ^nftrumente beim Konjertieren Iei(j&t ju greß gegen
bie meiiä&e 9)ienf(i&en|ilimme abjied&en, ha^ bie fd^afllräfttgen nur ju 5D!änner=
ftimmen paffen. Kurj, ber ß^arofter beS ju Dertt)enbenben SnftrumenteS
mu^ in ber Serbinbung mit bem ©efonge boppelt forgfältig erloogen werben.
S)ie ^Aufgabe »irb um fo f(^tt)ieriger, je mel^r Snftrumente im Drd^efter jU
©ebote fte^en.
267* ©elbft afö Segleiter beS ©efangeS muffen bie Snftrumente i^re
eigenartigen aSorjüge jur ©eltung bringen. SDurd^ il^re Semeglid^feit geben
fie bem ©efange mel^r Slufe, bur(ä& i^re SRl^^t^mif formellen 9ieij, bur(ä&
il^ren Älong intercffante gfärbung, burd^ i^re Q^üKe unb ^raii&t Sebeutung
unb SBürbe. @in gute§ 3Mafe freier Seioegung ift il^nen barum immer ju
geftatten. SefonbcrS felbftänbig toixUn fie in Einleitungen, SlDifii&enfpielen
unb @(i&Iüffen, too fie eigentli(i& nur jum Snl^alt be§ ©efangeS eine all=
gemeine ©ejiel^ung fefi^alten.
268* S3BirIen bie Snftrumente ol^ne ©efang miteinanber, fo tritt i^r
inbibibueller 6^ara!ter nod^ anfprud&SboDer l^erbor; benn nun gilt unein=
gefd&rönit bie formeße ©eite, monad^ mir ja ganje (Sattungen ber 5!Jluft!,
j, S3. ßlat)ier= ober SIed&muftf, unterfiä&eiben. 93ei ber aSerbinbung faßt
bie 3lü(ffi(J&t auf einfädle ober me^rfad^e „Sefe^ung" eines 3nftrumente§,
bie nur berftärft, o^ne bie Slangfarbe ju änbern, am »enigften in§ ©etoid^t.
Untergeorbnet finb aud& blo^ „begleitenbe", b. ^. nid&t felbftänbig »irfenbe,
nid^t melobiefü^renbe 3nftrumente. 3tai) ber 2af)l ber „^rinjipalftimmen"
unterfd&eibet man (mie bei ber ftrengen ^oltjp^onie ber aSofalmufi!) bie
6inftimmig!eit unb SWel^rftimmigfeit. ®a§ 3nftrumentalfoIo l^at bisioeilen
nur ben gtoedf, bie Seiftung§fä^ig!eit be§ 3nftrumente§ unb bc§ SünftlerS
funbjut^un; bei bem formeßen ß^arafter beS ©piele§ im ©egenfa^e jum
©efange ftnb fold&e fiunftftüde nid&t fo unnatürlid^ mie bei le^terem. SBirllid^
ftfU^etifd&cn SBert l^at baS ©olo, menn bie 2lufmer!fam!eit borne^mlid^ auf
ben ßftaralter be§ 3nftrumente§ unb bie il^m berioanbte unb in i^m am
befien au§jubrüdenbe Stimmung gerid&tet bleibt. S)ie begleitenben §füß=
ober 9H})ienftimmen fönnen aud& bon anberer Klangfarbe fein; ein KIabier=
folo }. S3. loirb bon einem ©treid^inftrumente begleitet, ba§ ben 2on beffer
auSl^ält unb aud& fonft ergänjenb eintritt, ginige Snftrumente, toie gflötc,
^ofaune, Qfagott, ftnb für fid^ aßcin loenig befriebigenb.
269* ®er mel^rflimmige @a| ift gleid^artig ober gemifd^t. Srftere
9lrt peBt ba§ ©treid^quartett bar, weld^eS burd& bie SSetoeglid&feit, ©d()örfe.
204 ©iebented StQ}p\ttl.
©cifHgleit bcS SoneS einer burd&fci&Iagenben SBirtung fällig tüirb. Sleid&er
©e^alt, lunftöoHe S)urd^fü^rung beSfetten mä^ aUcn ©eiten, ©elbjiänbigleit
unb ßintrad&t unb t)affenbeS Sncinanbergreifen ber ©timmen finb bic 3?or=
jüge, tüelcj&e ber ©treid&erci&or barjufteDen f)at. 5)ie ©onatenfomt iji bafür
aUegel geiDorbcn. Seltener tt)irb ein nteJ^rftimmiger @a| öon SIaSinjiru=
menten angetoenbet (in Oratorien, Opern, ©^mpl^onien). ©eine S3BirIung
ift n)eniger ibeal a(3 realiftifd^, anfprec^enb für bag @emüt, jumeilen an
boS Äomifd^e ftreifenb. 3n ber gorm ber ©tüde ift grofee 5!KannigfaIttg=
feit : %ani, 30larfd6, Äonbo, aSoriation, ©onate u. f. xo. — 3taä) ber 2ln=
ja^I ber öerbunbenen gleid^artigen Snftrumente unterfdfteibet man 3)uoS,
3:rio§ (bei SSofaljtüdcn mit mehreren pol^p^on gefegten ©timmen rebet man
t)on SJuetten, Xerjetten ; bie Sejeici&nungen Duortett, Ouintett u. f. tt). pnb
gemeinfam).
270« 3m gemifd^ten mel^rjiimmigen ©aje ^at bie Kombination ber
3n|trumcnte i^re ©d&lüierigleit , ja i^r SKifelid^eS. S)enn inbem ju ber
gSerfci&ieben^eit ber Klangfarbe bie ©elbpnbigleit ber SBetoegung lommt,
»irb es fd^mer, bie ßinl^eit feftjul^alten. ©o ift e§ mit ber aSerbinbung
beS ßlaöierS unb ber ©treid&inftrumente, mel^r aber nodft, menn bie S9Iöfcr
(SBalbl^orn, Klarinette, Oboe) l^injutreten. Mein gefd&idte 33c]^anblung lann
bem Älaöier im SSereine mit anbern 3njirumenten einen erftaunlid^en 3:on=
reid^tum jum SluSbrud gemif(j&ter ober med^jelnber ©timmungen entlodfen.
SWe größten ?IKeifter ber neuern 2WujtI fojufagen fidbm l^ierin bebcutenbe
Seijiungen aufjumeifen, inSbefonbere in ber fo öielfeitigen, für (Snfemblefa^
fo geeigneten ©onatenform. ^i^nlid^eS gilt bon ber aSerbinbung ber SIaS=
unb ©treid^inftrumente, bie d&orloeife cinanber gegenübertreten unb fid& baS
©leid^gemid^t Italien.
271« S)er ßonjertfa^ iji eine 9lrt ^robeleiftung eines ober mel^rerer
ftd& ablöfenber Snfhrumente imb ber SSirtuofität i^rer ©pieler. SWan fud&t
eine glänjenbe SJegleitung l^injujufügen , bamit fid^ baS ^aut)tinflrument
xti}t borteill^aft l^erauS^ebe. ©onatenform ift baS ©eloö^nlid&e, in meld&er
bie Stipienftimmen bie Sinicitung, bcn ©d&Iu^ unb bie SSegleitung über=
nel^men, an einigen l^eröorfted&enben fünften aber ber ^prinjipalflimme baS
aOBort ganj übcriaffen. SWc^rere fonjertierenbe Snjirumente fud^en unb
fliel^en ftd& toed&f elmeife , bis fie fid& jubelnb einigen. S)ie größten SWeiper
l^aben biefer SOlufil einen ^ö^ern, nid&t blo^ formellen SBert ju geben ber?
ftanben.
272^ ®ie C)örmoniemufi! fd&lDädftt bie ©clbftönbigleit ber 3nftru=
mente ju gunften ber ©efamtwirlung »iebcr ab. 6in ßl^or auS 53IaS=
Organen, öerftärft burd& ©d^Iaginftrumente , miß burd^ ein ®emifd& t)er=
fd^iebener Klangfarben unb bcfonberS burd& bie 3:otaIftärfe ber immer mel^r=
fadö befe^ten Organe maffenbetoegenbe ©cfü^Ie öerförpern. S)ie ßinl^eit bcS
SBcrtocnbunö ber Snprumcnte. 205
ganjen ß^oreS iji ie\iä)ttt, feine aSoIfSmäfeigfctt mit bem natutQliftifd&en
ßlonge unb bcr toeitl^in fd^allenben Sonftörfc ber Slftfcr fd^on gegeben.
SDemgcmäfe lä^t man bie 2WeIobie hinter bie |)Qrmomc jurüdftreten unb ba§
©timmgemebe fxi) möglid^ft natürlid^ gepalten, um eine Iomt)aIte ßl^ormufi!
ju erjielcn. trompeten unb ^ofaunen , . alle in bcr TOel^rjal^I bertoenbet
unb burd^ Raulen unterflü^t, geben fd&on einen mäd^tigen herein, ber burdfe
einmütiges 3wf^ntmenmirlen ober hutä) ©onberung in Parteien feine 9luf=
gäbe löfen fanu. 3)ie aSentilinjirumente bienen baju, einen öoKern ßl^or
barjuftellen, in loeld^cm |)orn= unb ^rompetenflang , an fid^ ettoaS ju t)er=
fd^ieben, fd&ön öerbunben merben, wie 3=Iöten= unb Jftol^rtüerle auf ber Drgel.
3u ben ^olgblaSinftrumenten , Klarinetten unb t?ögottcn (am beften ^rin=
}i|)alffarinette, jiüei begleitenbe iflarinetten unb jiüei S^agotte), ferner Oboen
unb glöten, treten megcn ber gemütlid&en SQBeid^^eit i^reS ßlangeS gern bie
|)örner. 9lun l^aben toir in ber legten ßlaffe (bortoiegenb ^oljinftrumente)
bie ^o^e Sonregion befonbcrS vertreten, in ber SIed&mufif mel^r bie 2WitteI=
läge; Kontrafagott, ^ofaune, tiefe§ §orn, Sombarbon, So^tuba, S9a6=
Ilarinette unb ^ßaule finb für bie tieffte Sage. S)ie |)armoniemuftf erreidftt
burdö i^re SKannigf altigleit , loaS bem ©treid&quartett fd&on infolge feiner
Seweglidfefeit ju ©ebote jie^t; fie ift aber öollstümlicber unb für 3:ön}e,
SOlärfd&c, gugcn unb anbere öerfd^iebene Kompofitionen fe^r braud^bar.
SJabei finb fofgenbe fünfte nod& befonberS bead^tenSloert : a) S)ie $armonie=
mufil mirft am günftigften burd& furje, d^aralteröoHe ©tüdfe; b) bie ©orge
für ba§ ©leidögetoid^t ber Klaffen unb Jonlagen ber beteiligten Organe,
für bie gegenfeitige Srgänjung unb 9lu§gleid&ung ber ßigenfd&aften ift un=
erlöfelid^; c) gülle unb Kraft erloartet man bei ber Harmonie ebenfofel^r
toie 93ett)eglid&feit bei ben ©treidöinftrumenten.
S)er 2lbtt)ed&§Iung l^alber toenbet man 3^M<ä&^"fä^^ » i- 53- ^^^ Ii^^=
artiges Jrio an, ober lö^t einjelne Stimmen gleid^fam al% groben l|erau8=
treten. ®a§ ift eine Siüdfel^r ju ben öorauSge^enben 9lrten ber einfad^en
ober gemifd()ten Snftrumentalfompofitionen, bie me^r ben ß^arafter öon me^r=
ftimmigen ©olofö^en l^aben.
273* 35en allftimmigen ©a^ Reifet man mit 33orjug Ord&efterfa^.
3n biefem nimmt bie Snftrumentalmufif i^re 9Rittel jufammen, mäl^It auS
allen Gattungen bon Organen geeignete aSertreter, orbnet fie in fd^önen
®ru})pen unb lägt fie balb Ilaffenmeife , balb bereinjelt, balb jufammen
toirfen. Über bie berfd^iebenen ©tellungen ber ß^öre ju einanber f. 901 arj,
KompofttionSle^re IV, 370 ff. ©o entfielet ein Sonmerf größten ©tileS,
baS alle ©^afl!räfte unb Klangfarben, ben ein= unb me^r^immigen ©a^
in ficb fd^liefet.
3ur 2)arfteIIung einer ted^nifd^en Totalität werben namentlid^ bie
@treid&= unb anbere ©aiteninftrumente (Ktabicr, §arfe) l^erangejogen ; fie
206
©ieBented ^a^ttel.
bilben foflar ben Äcrn be§ Dr(i&cfter8 unb polten bcr Äraft ber SJWfcr
burd^ 9luSbru(f unb ©d&ärfe boS ®Icld6gett)id&t. 9lm bcftcn bel^oltcn pc bic
fil^renbe SHoHe. Sm „berftärften" Drd&cjicr freüid^ werben fie batouS burd^
bie jd^aflftarlcn SlaSinftrumente berbrängt. Umgclel^rt betool^rt baS ,,ein=
fadfte" Ord^efter grofee SKöfeigung, inbem eS nur bic ^auptgattungen, nid^t
ober bie Unterarten befe^t unb auf bie ©d&Iaginfhruntente , trompeten unb
^Pofounen berjid^tet. S)a§ „bolle" Ordfeefler l^ält bie 5Witte. SSon ben neu
l^injugelommenen ©timmen gepren ber tiefen SEonlage SSioIoncell unb Jfontra=
ba^, bcr mittlem 35ratfd6e unb jtoeite SSioIine, ber l^ol^en bie erfte aSto=
line an.
3m (Scgenfa|e jur ^armomcmujtl läßt baS Drdöefter ben einzelnen
Stimmen mcl^r Spielraum, bomit jebc JMongfarbe unb SConjiörfe unb j|ebcr
SetücgungSt^puS ju feinem 9ted&tc lomme, Sletobie unb Harmonie in allen
©cftalten erfd^cincn unb tücnigftenS bie Iröftigern Stimmungen fid^ öoll
ausleben lönnen. S)ennod& bleibt e§ mal^r, bafe baS Drd&cftcr fd&on megen
feiner 2Kaffe ftd& bem (Scfü^lSauSbrudE nid^t fo im einjclnen anfd&miegt ; ba|
feine ftompofttion eine fünfilid&e, nid&t mie bcr 6^or eine organifd^c x% unb
bafe beim Drd&efter leid&t au^eräft^etifdöe 3^^^*^/ bie 9tüdfftd^t auf rein ftnn=
lid&e aOBirlungcn, bie ©ud^t, burd^ bie gform ju 'glän5en, ba§ ungefunbc
©treben nad^ ©rofeartigfeit ol^ne ent|pred^enben ©cl^alt, fid& gcitenb mad&cn.
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©in biatomfd^er 5lBf(3^mtt auS bem belpl^if^en $äan, au8 toel^em oBen ©. 175
ber unmittelbar ftd^ anfij^iUe^enbe (^romatifd^e %t\l auSgel^oben tourbc. ^tcr ift nur
einmal in baS „öerbunbene" Sletrad^orb mobuliert toorben. 9Jlan Beacä^te, toic ber
S^ritonuä auf unb ab mel^rmalö jur Slntoenbung fommt.
Sld^teg ^a^JttcI. 1. ©a^« unb ?periobcnBau. 207
ple ^nftitiitte her ^nfifi.
1. ©tretige ®a4> unb ^etiobeni^Ubttitg. nntegelmSfttgfeiten.
274^ Sic äfl^etifd^e »etrad&tung Bcfd&öftigt [id^ überhaupt mit ben 96=
fälligen unb au^brutf SöoÜen , ©inn unb ©ernüt jugleid^ erfrcucnbcn 2:on=
folgen. 3l\ä)t alle aber !önnen aud^ fd&on afö fertige Sunftgebilbe gelten,
©elbftönbigen Sffiert ^at juerft ber melobifd&c ©a^, b. ^. bie (üeinfte) Iunft=
öoll geglieberte unb abgefd&Ioffene Sonrei^e.
®er @ntir)i(flung§feim ju biefem erften eiri^eitlid^en ©anjen liegt in
einem (einfad&en ober mel^rfad^en) SMotiöe, einem „©ebonlen'', ober beffer
einer ©timmung beS ®emüte§, lüeliä&c \\6^ in einer fd&önen Sonform au§=
i)rägt, barin fortlebt unb auf D^r unb ©emüt beS §örer8 forttoirft. ®e=
toö^nlid^ füllt bas SOlotiö einen Xalt au§ ; burd& SBieber^oIung, Seränberung
unb 3wfömmenfe^ung bon SWotiöen entfielet ein 3:onganje§. golgenbe SRei^e
toeift ba§ gleid^e SKotiö breimal auf t)erfd()iebener ^öl^enftufe toieberl^olt unb
einmal leidet öerönbert auf:
50ltt toa§ Sraucrn, toaS S5c=bau«ern, mit toaSQual in i]^=rcm ©inn . . .
®ie ©timmung feierlid&er 3:rauer fe^t, gleid()fam fd^Iud&jenb, in ber
Oberquint ein, beloegt fid^ bann langfam, loie bie fd^merern Stotenjeid&en
anbeuten, in abne^menber ©tärfe unb ^öfjt, mit geringer ^tufd^loellung
unb ©teigerung an jmei fünften, bie Sonftufen l^inab unb fommt in
ber Unterterj vorläufig jur Siu^e. — 3n ber feierlid^en 6ntIaffung§formeI
ber 3Keffe tüieberl^olt fid^ ein SDoppelmotiD mit einer freiem Variation
afö ©d&Iufe:
I--tee e e e Mis-saest.
§ier ift e§ bie ©timmung be§ ^^PiubelS, loeld&e fid^ auffingt, inbem
fie bon ber Oftab c' ^erab über eine mittlere 9lu^eftufe jur ^rim c fäHt,
fid^ nod^ einmal ebenfo fröftig auffd&loingt unb bann nad& einer neuen
fd&mä^ern ©teigung auStönt. Sie g^itbeiüegung loirb naturgemäß eine
frifd&e 30lunter!eit jum 9tu§bru(f bringen muffen, tüdijt in ber 6^oraI)d^rift
freilid^ nid&t meiter angebeutet mirb. @ine Salteinteilung lennt ber grego=
rianifd^e ®e[ang nid^t, lüeift aber bod^ eine einigermaßen ö^nlid^e rl^^t^s
mifdöe SCeilung auf. 2Iud& in ber menfurierten 3Kufi! ift ba§ 3Kotib nid^t
ftreng an bie Saltmaße gebunben, e§ umfaßt befonberS häufig einen Sluftalt
208
n^tt» ^a))itel.
mit. ©0 in bem folgcnbcn 3SoIMebc, tocldftcä auS bloßer SBiebcrl^oIung
unb Slbtoanblung jmeier ?IKotiöc ertoäd&ft : 6nbc bcS jioeiten %attt% beginnt
ba§ jiDcitc, im SluSgong fe^r ö^nli(i&c SOlotiö, baS bann jtocimQl öcränbert
unb bQ§ brittc 5DiaI unbetftnbert »icbctlcl^tt.
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i:
aJlor*gen»rot! aJlor»gen«rot! Icudjtcp mit sura frü-l^cn
i:
Sob ? S^alb tDtrb bie S^rontpe > te Bla « fen, bann mni td^
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mein ßc^ben laf » f en, id^ unb man=d&cr Äa«mc«rQb!
S)ie Stimmung ift eine gebömpfte, mit fejier ßntfd^Ioffenl^eit gepaarte
brauet; baS boppelte 3Kotit) fd^neDt auS ber Jiefe rafd& ju mäßiger ^öl^c
empor, rul^t bort mit merHid^em 3lad6brudf unb fenft [id^ beru^igenb l^erab ;
in ben SQBieber^oIungen beS jmeiten befd^Ieunigt fid& ber (Sang jum 3lu§=
brud ber 3:obeSnä^e, prögt aber jule^t loieber bie rul^ige ©efa^t^eit
angemeffen au§.
S)er ^ö^ern ßunft genügt ein minjiger 3:altteil afö 3Kotiö. 9Kan öer=
gleid^e au§ Seet^oöen:
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®ie burd& SQBorte nid()t öerbeutlid^te ©timmung lennjeid^net fidfe bod&
gleidö al§ eine unabgefd&loffene , nod^ gel^emmte, aber auf mannigfa(i&em
SQBege jur ßnttüidlung brängenbe. 35ie unterbred^enbe ^aufe unb bie Um=
fel^rung be§ 9Kotit)§, foloie bie in ber aSofalmufil nid&t juläffige ungett)ö]^n=
lid^e Steigung unb ©enfung finb bebeutfam. Übrigen^ l^at in§befonbere bie
Snftrumentalmufif bie öerfd^iebenften 3KitteI, fomo^I in ber SWelobie mie im
9i^9t^mu§ unb in ber Harmonie, ba§ 9)lotit) (ober bie öerbunbenen 3Kotibe)
au§= unb umjugeftalten. Umgefel^rt meife bie nod& ro^e 9)iufif ber 5iatur=
t)öller oft nur enbloS biefelbe einfädle ^Kufifpl^rafe ju mieber^olen.
275. ®od& ein melobifd^er „®ang" ober „ßauf" erhält aud& bei ber
SBieberl^oIung ober Variation nid^t alSbalb ben 9Bert eines abgerunbeten,
burd^ fid& felbft genügenben SongebilbeS , er ift fein Äunftmerf für fid&,
obtt)o]^I ate Seftanbteil größerer ßompofitionen jur SSinbung unb Überleitung
bermenbbar. 6§ ift alfo genauer feftjufteßen , toeld^e äftl^etifd^ wirlfamen
1. <Bai^' unb ^ettobenbau. 209
III.' SSorjüge bcr meIobif(i&c ®ang bereits ^at unb melij&e i^m ju einem fertigen
r ßunftgebilbe noä) fehlen.
en 6r l^at — bie SBieber^olungen be§ 5Wotib§ eingefdfeloffen — bor aflem
Sin^eit ber lonart, felbft bann, loenn, »ie in bem Seetl^oöenfd&en
3Rotiö, leiterfrembe 3:öne (auf funftgemä^c SQBeife) eingeführt loerben. 2lufeer=
bem jeigt fid^ im aßgemeinen teils eine d&arQlteripifd6e ^erbor^ebung
geiüiffer Xonflufen, teils ©tetigfeit beS 9luf= ober SlbfteigenS; boS
genannte ©ebilbe ber feineren Snftrumentallimp geftaltet fi(3& jtoar freier,
aber feineSwegS minfürli(ä& unb bieS tro^ ber Unterbred&ungen unb ber
©prünge in anbere Dftaben. SebenfoüS mufe irgenbmie bie 3ufammen=
ge^örigfeit, golgerid^tigfeit unb ©cbunben^eit ber Xonrei^e bem ©efül&I leid&t
fa^ar fein. @S offenbart ft(3& »eiterl^in iebeSmal ein eigenartiges Streben
in bcr 3ii(i&tung ber lonentmidtlung , im SR^^tl^muS unb in ber 9lrt, baS
2Rotit) }u tt)ieber]^oIen ; ebenbarin aber fprid^t fid^ bie befonbere ©timmung
aus, mli)t baS 3:onbilb gefd^affen ^at, gleid^öicl ob biefe burd& SBorte un=
jmeibeutig bejeid^net ober burd^ bie Umftänbe (beim Ite) genügenb an=
gebeutet, ober (bei Seetl^oöen) in einer getoiffen begrifflid&en Unbejiimmt^eit
ober 5D!e]^rbeutigfeit belaffen ift. S)ie (t)ariierenben) SQBieberl^oIungcn beS
9KotiöS laffen ©inn für flare ©lieberung (©^mmetrie), für fd&öne
3!KannigfaItigfeit unb lid&tboUe S)eutlid61eit erfennen. 9luS aßem
crgiebt fid& ein anfpred^enbeS, bebeutungSboHeS, baS Äunftintereffe toedfenbeS
2:onbiIb.
9?ur eines ift mit bem ©efagten nid&t fofort gegeben: ber ju einem
fclbftänbigen ffunftioerf erforberlid&e Slbfd^lufe. ®iefer nun »irb ganj
äufeerlidö fd&on burdö Umfang unb SR^^t^muS ber Sonrei^e ^erbeigefül^rt.
35enn unfer r^^t^mifd&eS ©efü^l jöl^It in ber 9tegel bis ju öier fleinften
@in^eiten, e^e eine eigentlid^e SRu^e öebürfnis toirb unb eine neue S^^li^ng
anhebt; ganj natürlid^ jerfäHt aber bie öierglieberige Steige mieber in jwei
unb jtoei ©lieber (oft mit einem merflid()en Stul^epunlte) , ba baS S'ä^Un
naä) ßin^eiten o^ne 9leij, bagegen bie ^Paarung ber ©lieber bon r^^t]^=
mifd^em SQBert ift. 3n ber 3nflrumentalmuftf , loeld^e auf ftrengfte 3tl^^t^=
\ mierung angemiefen ift, fann bal^er gerabeju als Siegel, menn aud& burd&auS
nid&t als unberbrüd^lid^e Siegel feftgeftellt toerben, ha^ ber ©a^ aus öier
„jEaften" befielen unb in jloei „2lbfd&nitte" jerfaHen folle; biefe fe^en fid^
meift mieber aus jtoei (ibentifd&en, äl^nlid^en ober öerfd^iebenen) „5!Jiotiöen",
bie fid& alfo mit ßinjeltalten bedfen, jufammen; ja bie r^^t^mifd^e 2:eitung
erftredft fid& juloeilen (mie oben bei Seet^oöen) fogar auf bie Xaftein^eiten
■ felbft. 9lber aud& bie aSofalmufil l^ölt im allgemeinen an ber r^^tl^mifd&en
Teilung feft, toie bie obigen öeifpiele leieren; fie folgt barin ber l^rifd^en
^oefte, toeld&e i^re SSerfe om ^öufigften aus bier aSerSfü^en ober aud& aus
jtoei gufepaaren bilbet. ®er nid^t metrifd&e ß^oraltejt forbert bod& eine
etetmann, äfi^etif. 3. 3:eil. 14
210 3ld&tcd Äapitcl.
ö^nliciö gcgiicbcrte TOcIobic (ögl ba§ Ite), locnn ein (fleincrcS) tnujtfalif$c§
®anje§ ju gegolten iji. — ßin mi^tige^ SKittcl jur ^Rarüctung bc§ 316=
f(i&luffcS bietet bie aWelobiefü^rung. Sie »iii^tung ber Semegung in
aScrbinbung mit bem ©efü^I ber %onaxt lä^t meift Uxi^t etfennen, tüo bic
rl^^tl^niifd^en ßinfd^nitte unb mo ber mentgftenS borlSufige 9[6[(^Iu^ feine
©teile ^at; audfe bie Raufen fönncn öfter als SBegtüeifer bienen. Wlan
prüfe barauf bie Scifpiele. ®en entfd^iebenften SRu^epunlt bejeidftnet bie
Slüdle^r einer ettt)Q§ längeren 3:onreil^e jum ©runbton, wie in bem britten
Seifpiele jtoeimol, in bem öierten einmal. ®er ^armonifii^c ®anj=
fd&Iu$ »irft nod^ über jeugenber , unb als Seftanbteile ber tonif(i&en §ar=
monie l^aben S^erj unb Duint eine ä^nlid^e ßraft. 3n 9?r. 2 wirb eine
ganje ©lala (ber 11. Jon) burii^Iöufen, unb jmar fdfton in jebem ®oppeI=
motiöe: ä^nlid^ in ben jwei erjien haften öon 9lr. 4 unb im erften 2lb=
fdftnitt beS jweiten 3:eile§, wö^renb bie jmeiten Slbfci&nitte beiber Seile bi§
jur SonÜa ober be^ufö SBeiterIcitung beS 3:on|iü(fe§ jum ©ubfemitonium
berfelben fallen. 3n 3h. 1 brängt ber Sl^^t^muS bis ju ber 3:oniIa ber
^araüetSWoIItonart l^erab; man wirb olfo aiiä) ^ier baS ©efül^I l^aben,
ba$ ber ©a^ ju @nbe gel^t unb eine umgele^rte ?IKeIobierid&tung beginnen
mufe. 5lu(i& ^ilft ^ier gur Sejeid&nung beS @(i&IujfeS ber SluSgang auf bie
(9leben=) Sonfilbe beS 2:afteS unb baS angel^oltene lempo biefer ©übe;
benn für gett)ö]^nli(ä& forbert ber 2l6f(i^Iu^ einer längeren Sonrei^e eine burd^
9la(ä&bru(! unb 3^itbauer (ober folgenbe ^aufe) nod^ befonberS gefennjei(i6nete
©(i^Iufenote. 93eim SSortrag wirb bie ßin^eit unb 2lbgef(i^Ioffen^eit eines
©a^eS, wie feine ©lieberung, fein ©inn unb SBert burciö ben im SR^^t^muS
enthaltenen Sttccent in mannigfad&er Slbflufung, teilweife ani^ burd^ Heine
URobififationen beS SempoS nod^ fd&ärfer auSgeprögt.
276» @rft ber fo befd^riebene „@a^" !ann im öoßen ©inne eine
„SJlelobie" genannt werben unb bilbet als fold^e ben wefentitd&fien S3eftanb=
teil eines jeben mufüalifd^en ^unftwerfeS. 35iefe 33ebeutung erhält er, wie
aus bem ©efagten ju entnel^men ift, burd& SBorjüge ber gorm unb beS
3 nl^ altes. 3^^^ S^rm gehört öor allem ber 3t^^t^muS, b. ^. Saftmafe,
3:a!t= unb ©a|=9lccent, 2:empo, äBed&fel, ©lieberung. ©obann bie Sonalitöt,
öermögc weldber bie aScr^öltniffe einer beftimmtcn Tonart ftetS burd^Ilingen,
bie lonreil^e auS einem ©runbton ober beffen naiven aSerwanbten (j. S. ber
Quint) erwäd&p, bie d^araftcriftifd^en ^nteröalle unb SRul^epunfte, befonberS
ber ©d&tufe, eine ebenfo gefe^möfeige als natürlid&e unb leid&t berftänblid&e
Säejie^ung erl^alten, enblid^ aud& bie Harmonie in feftc ©renjen gewiefcn
wirb, ©rofeenteils aus ben berül^rten ßigenfd&aftcn einer guten 2Welobie
crblül^t ferner i^re ßinl^eitlidöfeit. ®od& wirft baju nid&t wenig mit bie
metobifd&e unb l^armonifd&e Sinbung unb Vermittlung, ober umgelel^rt baS
(i^arafteriftifd^e Übertreten auf entferntere 3:onftufen, weld&eS oft baS ©efül^l
1. @a^« unb ^ertobcnbau. 211
ber Tonart lebl^oft criocdtt (f. jtt)ctte§ SKotid in „^Borgenrot"), wnb bic be=
^arrlid&c ßigcnort bcr auf= unb abflelgenben ober fci^ioanfenbcn 9Kelobic.
®cr Untcrfd&icb einer 5JlcIobicfiimme Don einer blofeen Scgleitftimme grünbet
fid& auf ben ein^eitlid^ gebunbenen gortfd&ritt ber 3ReIobie, auf bie gefällige
Sejiel^ung alter ©lieber einer 3:onrei^e (infofern fie einanber nad&folgen);
bie Segleitffintnte ^ebt nur bie gleid&jeitige ^auptftintme toirffanier l^erbor.
aSiel fd&toieriger finb bie aSorjüge be§ 3n^alte§ einer guten SWcIobie
in SBorten auSjubrücfen. ^eine 9lnatomie ber gorm entbedt unmittelbar
bie ©eele be§ Runfttoerfö, fo underfennbare ©puren biefe§ aud& Dom SBirlen
berfelben an fid& trftgt. Wie jene äufeem ©d&önl^eiten finb jebo(J& für bie
fi'unft nur Don SBert, toenn fie nid&t al§> blofee @igenfd&aften toter ffiftnge,
fonbern afe SluSatmungen eines organifd&en unb geiftigen 8eben§ erfd&einen.
2)orum ^at aud& ber feelenöoHe aSortrag, ber über bie med&anifd^e ^ert)or=
bringung ber 3:öne ^inau§ge^t, für bie 2Bir!ung eines 3Rufiftt)er!e§ ent=
fd&eibenbe Sebeutung, e§ müfete benn bie ^l^antafie (beim 5iotenIefen) ben
Vortrag auf eine l^ö^ere SQSeife erfe^en. 2lber felbft abgefel^en don ber @r=
gönjung, toeld^e baS objeftiü nod& fo fertige 2öer! üom lebenbigen SSortrag
crtoartet, erjielt e§ überhaupt feine SBirfung einjig unb allein burd^ ibeefle
33efeelung ber Jongebilbe. SBie ber menfd&Iid&e 8eib o^ne bie ©eele jum
Seid&nam, fo mirb eine Sonreil^e, tt)eld&e man fi(ö o^ne allen Snl^olt ben!t,
gum eitlen ©ellingel. S^eilitft mirb, fo lange bie gorm obigen 9lnforberungen
genügt, bie ©eele nie ganj ausgetrieben, fonbern nur jurüdtgebröngt toerben
lönnen. 9lber foH bie üoHe 2Bürbe ber ßunfi gemeiert bleiben, fo mu^
©efü^I unb ©eifi aus ben Sönen fpred&en, nid^t in irgenb tt)eld&er, fonbern
in ^erüorped&enber SQßeife, eS mu^ bie ft^öne 3^orm 3luSflu6 beS fd^önen
(SebanfenS unb mit i^m gleid&fam einS fein, mie ber gluß mit feiner DueHe,
ober beffer, toie ber 8eib mit ber i^n burd^bringenben ©eele.
277, SBol^er alfo bie fd&öne ©eele ber 2:onfunft? ©ie ift bor altem
eine ©d&öpfung ber 5iatur. S)ie Songebilbe, toeld&e bie 5Ratur nidfet t)er=
leugnen, ^aben )d&on in i^rem Sntftel^en einen ß^aralter aufgeprägt, ber
entmeber felbft ©d&önl^eit ober ein SBegtoeifer jur ©d&ön^eit ift. ©d&on
bie biatonifd&e Seiter (toir beulen junötftft an bie ^ur=2onIeiter) lann als
melobifd&er ©a§ mit allen erforberlid^en Sigenfd&aften in feimartigem 2lnfa|
betrad&tet toerben. SDafe felbft bie auSgebilbete ftunft fie nid&t oerfd^mö^t,
mag man auS ben ©falenlöufen im 9lnbante ber Ouoertüre unb im ©d(|Iu&=
äjox beS erften finale im ^on 3uan erfe^en ; auS üier biatonifd^ abfteigenben
Stönen erloäd&ft aud^ ber erfte ©a^ in Seet^ooenS D-3)ur=©onate Op. 10.
9latürlid& muß bie 3:onIeiter r^^t^miftft Vorgetragen, alfo in Saite unb biefe
roieber in ftar! unb fd&madö betonte Seile jerlegt toerben. ©o aber ergiebt
fid& ein burd^ ftrenge Sonalität, begeid^nenben Slnfang unb ©d^lufe unb
ununterbrod^ene Sonöerbinbung gefd^loffeneS , in jmei Setrad&orben to6f)U
14*
212 2l(|tcd Stapitel
güebertcS ©anjeS, ba§ auf bcr gcrabcfien, öon bcr Slatur juttäd&ft öorgejeid&r
neten Sinie an^ bem ©runbton bi§ ju bcffcn SBteberfcl^r in ber Oftab
jielbetDufet aufzeigt. S)iefc§ fräftige ©rängen jur DftQD, tt)cld^c§ . f d^on in
bcn J^armonifd^cn Dbertöncn beS ®runbton§ gegeben i[t unb burd& bie bif=
fonierenben Stoifd&entöne gefd^ärft mirb, berleil^t bann au(i& biefer 3:onrei^e
6^ara!ter unb 2[u§brucf unb maä)i fie jur ßunbgebung einer entfpred^enben
©emütsftimmung geeignet. (Sine leitete ?tnberung bc§ 9lö^t^mu§ giebt
SKannigfaltigfeit unb änberl einigermaßen ben StuSbrucf, toenn man j. 33. ber
üierten unb ad^ten ©tufe eine ^albe 9löte, ber jipeiten unb brüten, [omic
ber fed^ften unb fiebenten ©tufe je nur ein 3l(i&tel, ber erften unb fünften
ein aSiertel juteilt, ober baS fo entfJe^enbe jmeitaltige 3Wotiö in ber 3Rittc
no(^ einmal üon d, bann üon e aus einftftaltet.
278» 9lad& fold^en einfad&jien 5laturmuftern geftaltet nun bie Äunfl
(b. ^. Säered^nung unb Übung) i§re taufeubfad^en neuen ©ebilbe. ©ie ^at
ben gegebenen Sonrei^en unb ben leidet fid6 barbietenben SSariationcn ben
eigenartigen ©inn unb bie 33ejie^ung jum ©emüte abgelaufd^t unb öerfu^t
teils in entlegeneren Kombinationen 9luSbrurf unb S3ebeutung ju erforfd^en,
teils aus fid^ felbft ^erauS für bie ©timmungen beS ^erjenS überein=
[timmenbe Sonrei^en ju fd&affen. 6in ganj neues ©ebiet eröffnet fid& il^r
in ber SWobuIation (Übergang in anbere Tonarten) unb in ber ^armonifd&en
ffonfonanj unb 3)iffonanj.
Über aüe Übung unb 93ered(inung, ja über alle Säeobacbtung bcr 5latur
gcl^t nun aber bie Stauung unb ber 3:reff beS ©enieS, baS feine beften
@rfinbungcn nid&t ber SQSiffenfd&aft üerbanit unb feine SBerfe öon i^r aud&
nid^t l^aarüein jerglicbert unb get)rüft miffen toid. 3infofern öerl^ölt fid6 bie
2:§eorie empfangenb unb lemenb; i^re S^ötigleit fe§t bie ©d(|öt)fungen beS
©enieS öorauS. @S bejiel^t fid^ übrigens bie geniale Kunfterfinbung ebenfo=
fe^r ober nod^ mel^r auf bie 3)urdöfü^rung beS SRotidS, als auf hm erften
SBurf. 3n bem Slbfd^nitt über 5JieIobie mürbe ein etmaS tieferes Einbringen
in bie SBerfflatt beS ®enieS üerfu^t (5Rr. 166 f.).
279» Obmo^l ber ©a§ als baS erfte burd^ einen beflimmten 9lbfd^Iufe
abgegrenzte 5Jiufifganje eine gemiffe ©elbftänbig!eit ^at, fo fann er bodb
ebenfomenig mie ein einfad^er SSerS in ber 5ßoefie mirüid^ für fid^ allein
ein Äunftmerl auSmad^en ; eS muffen jum aßerminbeften jmei ©ö^e, mie in
ber ©id^tfunft jioei 93erfe, fid^ ju einer ^eriobe b. i). einem ein^eitlid^
gefd^Ioffenen SDoppelfa^ berbinben, unb cS muß, mie bort etma bie gleid^e
3al^l ber SerSfüfee, ber Sieim unb ber ©inn, fo l^ier irgenb ein Sanb
bie beiben ßinjelgebilbe berlnüpfen. gubörberft tritt meift aud& i^ier bie
gleid^e %atiiaf)l auf, meldte auS ber äußern ©timmetrie i^re innerlid& bin=
bcnbe Kraft fd^öpft. 2)er normale Umfang einer ^eriobe beträgt bemgemäß
jmeimal bier Safte. @S mup aber aud^ fonft me^rfad^e Übereinftimmung
1. ©a^« unb ^criobcnbau. 213
ober Sejic^ung beiber ©ö^e aufeinanbcr obtoQltcn; cS mufe ©leid&l^ett ober
Ül^nlidöleit ober bciie^ung§reid&er ©egettfa^ in "üJtoi'vo, %(dt= unb ©a|^=
r^^tl^muS, 3:onart, ©Iteberung uttb 2lu§bru(f (©ebanleu) l^errfd&etr. ®q§
nöd&ftltegenbe, bon ber 9latur borgebotene SKufter einer ^eriobe tft bie Quf=
unb Qbpeigenbe Tonleiter; nel^men toir etmo folgenbe, leid&t oariierte
A-5Jlonreiter :
3n ben erften oier 3:alten fd^mingt fid^ bie 9)ieIobie, nid&t ol^ne einiget
©d&toanlen unb SHJiegen bi§ jur 0!tad emt)or, bertoeilt bort, ocrfud^t bann
nodö einen ©d^ritt l^inauf, fäüt ober alöbalb in fold^er SBeife jum ®runb=
ton jurüd, ba^ bie jtoeite 2:onrei§e im ganjen ein ben SRotiden nad^ fel^r
äf)nl\6)t§t, ber JRid^tung nad^ entgegengefe§te§ 3:onbilb borfteüt. ®q3 Slingen
ber Quffteigenben Steige fommt in ber ^ö^e nur oorübergcl^enb jur 3tu^e;
ber 3ug nad& ber 2:iefe jurüdf ift nid&t gonj überlounben, unb bie erneute
9lnftrengung, toeiter ju fteigen, mu^ bemfelben erliegen. 2öie in bem emt)or=
gemorfenen unb Dom ßigengetoid^t toieber ^erabgejogenen ©teine offenbort
fid^ in ber auf= unb abfteigenben boppelten Slonrei^e ber ßampf entgegen=
gefegter Gräfte bis jum entfd^iebenen ©iege ber ©runbfraft. @§ uer^ält
fidö öl^nlidö bei jeber Semegung in ber Statur: fie ift eine ©pannung Don
ntel^r ober minber gemaltfamer Sefd&affen^eit unb fteßt in i^rem Sortgange
©ieg unb 9lieberlage einer in bie getoö^nlid&e ©leid^gemid^tSlage eingreifenben
ßraft bar. ^er ©runbton ift bie atul^elage, au§ loeld^er ber Ston l^inau§=
getrieben wirb, um naä) einiger ©d^ioingung unb ©d^mebung in biefelbe
jurüdfjufinlen.
280* ©elbftrebenb ftettt fid& in ber ^eriobe ba§ aSer^öltniS öon ©o§
unb (Segenfa^ nid^t immer fo einfad^ unb beutüd^ bar. 9Jlan beule nur
an ben öl^nlid^en ^eriobenbau in ber ©prad^e; mie mannigfad^ !ann ba
nid&t, ol^ne ©törung ber mefentlid^en ßinl^eit beS ganjen SaueS, baS 33er=
^ältni§ ber entfpred^enben |)auptglieber fein, unb mie oerft^ieben fann ber
9Bert be§ ©a^ganjen fein? ©emife märe e§ im fd&önften ©tile ein un-
erträglid&er g^el^Ier, wenn bie eine ^eriobe mit ber anbern in püanten JReijen
wetteifern moKte. ®ie 9Wufif ift nun allerbingS ganj unb gar auf ^crioben=
flil, toie auf f^mmetrifd^e Silbungen überhaupt angemiefen, aber fie toirb
um fo me^r barauf Sebad^t nehmen muffen, bie 6intönig!eit ju oermeiben.
gfolgenbe SBinfe mögen ba§ ©efagte toeiter bcrbeutlid^en. 3)er 5lad&=
fa§ einer ^eriobe lann in ber Sonrid^tung, in ber ©lieberung, im JR^^t^muS
ober im ©inne bem SSorberfaJ burd^ 2i[^nlid(|!eit ober SSerfd^iebenl^eit ent=
fpred&en, menn nur bie 3ufammengeprigfeit unb gegenfeitige ©rgönjung
afö äft^etifdö mertdoll empfunben mirb. ®er fd^önfte unb ftrengfte ^aranelis=
214 ^(|ted StapM.
tnu§ totrb tote in ber ©ptad^periobe burd^ gefd^örfte Spannung im
aSorberf a|^e , bic gebicterifdö eine 8ö[ung fotool^l rüdtfid&tlidö bcr gorm al§
bc§ 3n1^oItcS unb bc§ Sortrag§töne§ et^cifd&l, herbeigeführt. @ine !urje
Stu^e, gleid&fam ein Sltemfd&öpfen , mufe beibc 3:eile trennen, ba beibc in
mond&cr f)tnfid^t an^ ©clbftänbigfeit 9lnfprud& mod^en; aflein ber erftere
tt)irb bod^ tt)ieber in eine 9lrt Unterorbnung treten, meil fonft für eine 6r=
gänjung unb Sörberung burd& ben 5Rad(ifa| fein Siaum niel^r bliebe. 3e
pörfer alfo bie Sufammenge^örigfeit betont mirb, bcffo mel^r oerliert ber
SSorberfa^ an unab^öngiger @eltung, unb getoinnt bogegen ba§ ©anje an
©in^eit unb ©efd^Ioffenfteit. 2)ie fd&roffe (Segen) ö|Iid& feit be§ 9lad(i=
fa|e§, neben ber nie ganj ju oertoifd^enben ^ij^nlidöleit , loirb ba§ ®efü^I
ber engen med&felfeitigen Sejiel^ung am leid^teften erjeugen. 3)ie blofee @r=
gönjung mirlt nid&t fo merllid&, um gerabe baS ^eriobifd&e empfinben
ju laffen; fie l^at felbft toieber mand&erlei Slbftufungen unb finft bi§ jur
einfad^cn ^Äl^nlid&feit nac^ Snl^alt unb 3form ^erab. 5Rod& fd&mäd&er
tritt bie periobifd^e ©trultur ju 2age, menn bie ?i^nlid61eit ftd^ auf nid&t§
afö auf einen Jeil ber ^orm bejiel^t, tt)ie titoa jioei SSerfe in ber ^oefte
burd^ baS blo^e 5Ketrum unb ben ßnbreim oerbunben fein mögen. @nblid&
ift in ber ?!Mufif, megen il^rcr Steigung ju SBieberl^oIungen, fogar bie 3ben=
tität oon 33orber= unb 9lad&fa§ nod& juläfftg. 5!Ran mirb aber ^ier bor
allem, unb aud& fonft meiften§, erft bic ganje ^eriobe mit bem ©runbton,
bagegen bie Oorbere ^älfte etma mit ber Dberbominante fd&lie^en; biefe
l^at ja in ber 2:onIeiter allerbing^ eine Sejiel^ung jur 2:oni!a unb nimmt
infofern an ber abfd^Iießenbcn Statur berfelben teil, treibt aber anbererfeit§
bie SWelobie al§ nid(|t fertig meiter.
®ie ^eriobenbilbung ift jum Smedt be§ mufifalifd&en 9Serffänbniffe§ in
allen SKuftfftüdfen erforberIid&, 3wr ©d&ön^eit be§ 2:ontt)erIeS gehört anä} eine
anfe^nlid^e !^af)l ooHenbeter ^erioben bcr erpen 2lrt, in bcnen ftraffe @e=
fd&lojfen^cit beS S)obpeIfa|c§ unb loedöfelfeitige Scbingtl^cit ber ginjclfö^c bem
äußern unb innern ©inne fid& aufbröngcn, ta^f äiingen ber ©egenfö^e fd&arf
JU Sage tritt, grl^ebung unb ©ipfelung, ©teigung unb ©cnfung unoerfennbar
finb. SBic ber f^mmetrifd^ auf= unb abffeigenbe Sogen bie fd^önfte ®runb=
form ber 2lrd&iteftur ift, tocil fie nid&t b!ofe ba§ Sluge in angenehmem
SBed^fel unb fontinuicrlid^em gfortfd^ritt au§ bcr ^orijontallinie empor unb
toieber in biefelbc jurüdtf ül^rt , fonbern auf einer mirllidöcn ©pannung ber
Äröfte beruht unb ben ^md größerer 2:ragbarleit tt)ir!Iid& erfüllt : f o f effclt
bie befte ^ßeriobe nid^t blofe burd^ gcföHige 33ciorbnung unb formelle 9{egel=
mö^igfeit ber ©lieber, fonbern fü^rt burd& r^^tl)mifd&e unb fad&Iid&e Über=
unb Unterorbnung, ©rl^cbung, gortfd&ritt unb 2lbfd^lu6, Semegung unb
Sftul^e, ©trcben unb ©egenftreben bie @inbilbung§fraft jur SJorjtcIIung oon
33ilb unb ©egenbilb, 5luf= unb 2lu§bau, gtage unb Stnttoort u. bgl, baS
1. ©0^* unb ^criobenbau. 215
©emüt ober in bie ©timmung bcr grtoartung unb SSefricbigung , be§ @t=
jittcrnö unb SluSbcbenS, bcr pcnbclartigen Sluöfd^toingung unb aümäl^üdöen
Serul^igung bcr ©cfül^Ic, cnblid& bcn SScrftanb jur ©rfoffung ober 3t]^nung
bcr 3bcc unb, naä^ Umftönbcn, mo nämlidö bic 3Wufif praltifd^cn 3^^^*^^
bient, ben SBiKcn jur Kräftigung be§ ©trcbcnS. S)icfc Scbcutung fommt
natürlid^ bcr ^criobc nur infofern ju, al§ ganje 2Bufi!tt)crfe au§ ^erioben
gcbilbet toerben unb ba§ ^rinji^) ber ^eriobcnbilbung anä) auf bic 3"=
fammcnorbnung il^rcr größeren Seile 3lnit)cnbung finbet. ©aüon weiter unten.
281» 3für ben 5lugenblicf berüdffitfttigen mir nur noc^ bie ^Bereinigung
einer Heinern 3flt)I ^o^ ^erioben ju einem neuen ©anjen. SBie jtoci ©ö|e
baburd^ jur ^eriobe merben, bafe fie formell unb in^altlidb oufeinanber
bcjogen unb aneinanber gefettet merben , fo crmögliciöt ein . äl^nlici^cS 9Ser=
feieren bic Silbung cinl^citlid^ gcfd&Ioffener S)opt)eH)crioben. ^^ormcll
liegt es nol^e, bcn ^albfd&Iufe in bie 9)itlte ju legen, um ber crflen 9lb=
teilung (od&t Jaften) i^re ganj felbjiönbigc ©cltung ju bencl^mcn unb bic
tJortfül^rung jum t)orau§ anjubeulen. ®cr ®anjfd&Iufe toirb bis jum 6nbe
berfd&oben toerben. tJür bic ©onberung ber @ö|c bleiben j|e§t nur bic=
fclben ober unuolüommenere ©d^Iüffc. 3n ber ätoeiten ^eriobe fielet
man oft ganj baöon ai unb bcfd^Ieunigt fo ben (Sang berfelben; in ber
erften ift bagegen ber 3)eutlid&fett megen ein unboKfommener ©anjfddlufe
(bie Serj in bcr Dberftimme ober eine flüd^tigc SSerü^rung ber ®omi=
nante u. f. m.) gut angebrad^t. S)od^ giebt e§ awä) anbere 3JlittcI, j, 33. bie
^Kotiöbilbung unb 5)icIobicfü^rung, um eine 2)ot)peIperiobe al§ unab^öngigeS
©anjeS unb i^re ^älften alS bejogene 3:eilganjc erfd^cinen ju laffen. 3)ie
©d^Iüffe finb alfo nic&t an unabänberlid^c 5Rormen gebunben unb erfd^cinen
g. 93. im einfad^en K^oralgefange erft red^t in freier ©cftalt, obtool^I aud^
^ier, mie baS folgenbe 93eift)iel auS bem Praeconium paschale t)cran=
fd&aulidöcn mag, Siegel unb ®efc| obtoaltet.
rJli=i1lft E^gEg;^gEE ^I*ZTZJ^ l^f^EJfa:^^=«=i^
-H-Ä-
Ex-sul-tet iam an-ge-li-ca turba coe-lo-rum: ex-sul-tent di-vi-na my-ste-ri-a:
^^-^^^f ^ F^^-^^t^^fc^^ ^qrz ^-^ ^ r^
et pro tan - ti Re-gis vi - cto-ri -a tu - ba in - so - net sa - lu - ta - ris.
3)ie p^r^gifd^c Sonart (III) l^at jur gfinalen ba§ l^ier am ©d^Iufe er=
fd&einenbe e; bie Dominante ift c, auf ber fid^ bie 9)ieIobie ju bcmegen
ftrebt, fo lange bie ©pannung in ber ^'6^t arü)'dli ; a ift oberfter Son be§
E-Setrad&orbS unb bient jum Slbfd^Iufe ber Seile. 3Jlün fönnte bie erften
jtt)ei 2:onfomt)Icje (©ä^e) für ganj unabl^öngig l^alten, locnn nid^t bie
2BeIobie mit „et pro tanti" nad^ einem legten ^öd^ften 5luffd(|tt)unge fid6
öon ber SDominante, bie fjjötcr nur nod^ einmal Uorübcrgel^enb crrcid^t toirb,
216 2l*tcS ÄQ^itel.
cntfd&icben obiüärts jur ^finalen loenbetc. ©o entfielet ol[o mirffid^ eine
S)opt)eH)eriobe auS jtDct ©alpaorcn, bte bei oKer äl^nlid&Ieit (burc^ Um=
fang, Sonalität unb 2:ejtlt)orte gefennjeid^net) bod& ein nterüid^ gegenfä^Iid^cS
33erpltni§ l^aben. 5)er ©runb, bie obigen dier %omtif)m als ©ä§e, nid&t
ofö blo^e ©änge ju betrod&ten, liegt in ber 2lu§be]^nung , bie etma einem
9ltemjuge cnlft)rid&l, in bem breifad^en ©d&lufe auf gleid&em 3:one unb enblidö
in ber Teilung be§ SejteS. ©iefelbe S)oppeIt)eriobe fel^t fofort nod^ jmeir
mal mieber; nur ift baS jmeite SDlal ber erfte ©a| fo öerlürjt, bafe er
nid&t big ju a föttt, fonbern mit fd&öner Slbtoed^^lung auf ber ©omindnte
fd^Iiefet. S)ie§ gefd&iel^t au(i& in ben beiben folgenben ©oppelperioben, beren
jloeite |)ölfte aber eine anbere SBcnbung nimmt; bie erfte 3)opt)eI|)eriobe
fügen mir bei:
Qua-propter a - stantes vos, fra-tres ca-ris-si-mi, ad tarn mi-ram
hu - ius san-cti lu - mi - nis cla-ri - ta - tem, u - na mecuiu quae-so,
De-i o - mni-po-ten-tis mi-se-ri-cor-di -am in- vo -ca - te.
9Kan fielet, mie einl^eitlid^ ba§ ganje ©tüd t)on fünf 3)ot)peIperioben
bur(^ SBieber^oIung unb leidste 2lbänberung ber SWotiöe geftaltet ift. 2)ie
SKotibe felbft unb bie ganje 9JJeIobie berbanfen i^re ^rad^t unb SBirfung
bem jubelnben Sluffd^mung bi§ jur 2)ominante unb ber abfd&Uefeenben ©en=
!ung }ur ^Jinalen §inab, bem fräftigen SSer^arren auf ber S)ominante unb
ber gefd^idften 3Intt)enbung be§ ^albf(öluffe§, enblid^ ber t)röd&tigen Sr^ebung
über bie Dominante, meldte mie ein 3ubelau§ruf Hingt, fotoo^I innerhalb
beö erflen ©a^e§ als namentlid^ ju Slnfang be§ britten. 9In eine bemerfcn§=
merte ßleinigfeit fei l^ier nod(i erinnert : e§ fc^eint am angemeffenften, menn
bie ^öd^fte ©}3annung ber ^eriobe nid^t gerabe am ©(^lu^ be§ S5orberfa|e§
fonbern erft ju 5lnfang be§ 3lad^fa§e§ eintritt, bamit bie fiöfung ber (Bpan=
nung befto me§r Slad^brud erhalte (oben in ber 9Jloflf!aIa ^aben mir bie
jmeite ^älfte abfid^tlid^ ebenfo geftaltet). SDem 3n^alte nad^ foH eine af)n=
lid^e ©t)annung unb Söfung erfeunbar fein, unb in ber %f)ai finbet fidö,
ba^ in ben meiften göHen bie 9?ote ber l^öd^flen ©t)annung auf einen ]^odö=
betonten 33egriff föflt (befonber§ ben Segriff ber ®efamtl)eit, bann beö
Sid&te§ — e§ finbet ja tUn bie Sid^tmeil^e ftatt — ; auf bie Sinbepartifel
et nur jur (Einleitung eines nad^brüdflitft betonten ©ebanfenö, ma§ ja audö
in ber gemö^nlid^en Siebe gebröuc^Iid^ ift).
282, Da» Dorliegenbe Seift)iel jeigt, mie ein löngereS 2:onftüd au§
regelmäßigen S)oppeIperioben geftaltet merben fann. ^ortfd^ritt unb 33inbung
1. ©Q^» unb ^criobcnbau. Unrcgclmafeigfcitcn. 217
borf ober tro|^ aller SBicberl^oIung nid^t fel^Icn, obfd^on ^^nlid&feit bcr
©ttmmung (unb bcr 2Botit)c) in SJerbinbung mit bent gleidfecn Sil^tit^niuS
am meijicn baju beitragen, eine ßinl^eit im ganjen erfennen ju loffen.
©e^r bejeid&ncnb tritt mit ber öierten ®o|)peIt)eriobe in ©cbonfe unb
Sorm eine SBenbung ein: bi§ bal^in locrben ^immel, @rbc, ßird&c in
fofi gicid&er SBeife jum 3ubel aufgerufen; je|t crgel^t (quapropter) bie
2lufforberung jum ©ebete, beffcn bemütige Stimmung burd& baS 3^e^Ien
be§ 9luf[d&tt)ung§ im legten (5a§e (misericordiam) gemalt ju toerben
]ä)tini; aiiä) fold&e ftleinigfeiten öerfcl^Ien nid^t, bie SBirfung beS ©anjcn
}u erl^öl^en.
Sie ^ot)t)eIperiobe entfpridjrt ber 3^orm nad& ber öierjeiligen ©tropl^e
in ber ^oefie. %nä) bie t)oetif(3&e Sleimftenung l^at il^r 6ntft)re(3&enbeS im
mufifalif(i&en Sil^^t^muS, j. 33. bie ftreujung ber 3ieime (ab ab) in ^eineS
„3d& meife nid^t, tt)aS fott eS bebeuten", tt)eld&e§ ©ild&er in jtoei 3)ot)pe(=
pcrioben ju je jmei Saften !omt)oniert ^ai, bem Sil^^tl^muS nad& greifbar
in folgenber ©ntfpredöung : ab ab cd cd. 3)ie SSoIfSmeife „5Korgenrot"
(5ir. 274) lann äl^nlid^ aufgefaßt merben: ab ab, ba offenbar ber britte
3:aft bem legten entft)rid^t ; nur ift bann a unb a nad^ Umfang unb 9Ko=
tiben nid^t gleid&. Slid^tiger märe mol^I aacbbc (a = 1 2:aft). S)ic
poetifd&e gorm ift noc& etmaS anber§: aa bb c (a jebe^mal ju uier Hebungen
gered^nct) ; c ift ein blofeer 2ln^ang o^ne 9leimentft)redöung. 2lud& ba§ festere
finbet fid^ al§ „©d^lufeermeiterung" in ber 9Jlufif, j. S9. in „§eil bir im
©iegerfranj'S t^^ff^n 9l^t|t]^mu§ in ^oefie unb 9Kufi! bie Drbnung a ac bbbd
aufmeift; l^ier ^aben mir jmei ifolierte, menn aud^ ä^nlid^e ©Heber c unb
d, ein anbereS mieber^olt fid^ breimal.
6§ ergiebt fid(i ber ©d^Iufe, bo^ ber mufilalifd^e 3i^t|tl^mu§ nid^t nur
eine fe^r öerfd^iebene Stellung ber ©lieber unb med^felnbe 3^^! ber fid^ ent=
ft)redöenben Seile, fonbern aud^ ifolierte ©lieber julä^t (t)gl. bie abmeid^enben
9luggänge ber 3Jlotit)rei^en oben 3lx. 274). 9?id&t minber red&tfertigt fid^
gelegentlid^ in ber SJlufi! fo gut mie in ber ^oefie bie ungleid^e Sänge ber
©lieber, ja felbfi ber fid6 entfpred^enben ©lie'ber. 9Kojart§ 9Irie „S)ieS
33ilbni§" in ber „3auberflöte" mirb fo ju orbnen fein:
2 2
1—1
1
3 3.
SSor mir liegt ein alte§ fi^ird^enlieb : „SBie leud^tet fd^ön ber 9Jiorgen=
ficrn", in meld&em ber %tii folgenbe, bon ber 9JJufit treu nad^gebilbete
Stnorbnung f)ai (bie 3«^l *" ber ßlammer foH bie Sal^I ber metrifd^en
&üpe eines jeben ©lieber anzeigen):
218
fS.i)tti üapiUl.
a (4) b (4) c (3) — abc
d (1) d
e (2) e
f (2) f (4).
^oä) ift ju mer!en, bafe bie SKufil toegen i^ret ftrengern ©gmmetrie
(iMieber bon unpaariger ^altja^I, innerhalb berer eine Einteilung in gleid^e
^bf(]^nitte nid^t meiter ntöglid^ ift, }u bermeiben fud^t, ba!^er bie SSofalmuft!
Sßerfe mit brei Hebungen gern in juei 3;a!te jufammenjie^t ober ju t)ier
Jotten auSbel^nt. Übrigens finben fid^ aud^ brei=, fünf= ober gar fieben=
taftige ©lieber; ja e§ !önnen üier unb fünf 2;ofte fid& entfpred^en (5 teilt
fi* meift bon felbfi in 2 + 3), j. 58. bei Seet^oben :
m
'^
-^-
-g^
-^
*
^
®ott ift mein Sieb ! @r ift ber ®ott ber 6tär»f e ;
V-
X
£
^el^t ift fein 9lom* unb grofe finb fei = ne 3öer=f e u. f. to.
283» 2)ie Sfrei^eit be§ SRl^^t^muö toirb alfo öfter jiir offenbaren Un=
rcgelmööiflfcit , bei ber @ntft)redöung ber ©lieber mic bei ber SOSiebcrl^olung
beS 9Wotib§. "^yxxa Seil, mie bei ber ©d&lufebcrlängerung, entfielt bie 316=
meid^ung bon ber äujsern 3tegel <}^x^ bem innern 3)range ber 6mt)finbung,
jum Seil au§ untergeorbneten ©rünbcn ber 9l6mcd&§Iung , ber ®Iieber=
bermittlung , ber Vorbereitung, ©o toeifcn bcnn bie ^erioben nid^t nur
9In^önge, fonbern aud^ ßinfd^iebfel unb ßinleitungen ouf, ebenfo bie ©ö^e
ganj abmeid^enbe SRotibe ober 2BotibteiIc; bie ©^mmctrie betocgter ©tücfe
mirb mand^mol um ber 6^ara!teriflil miDen unterbrod^en. ßurj, Qud& bie
ftrenge JRegelniä&igfeit ift nid^t um i^rer felbft miHen bn, unb ber 3}Jciper
oerle^t bie äußere JRegel um einer l^ö^ern Siegel toißen, loeld^e i^m ba§
betoegte @emüt üorjeid^net. 6ine häufige 3^orm, meiere nad(i bem ©efagten
nl§ unregelmäßig erfd^einen muß, fid^ aber in jiemlid^ einfad&cn SWufüftürfen
finbet unb barum fd^on §ier ermähnt toerben möge, berul^t auf ber S)rei=
teiligleit. SBenn nömlid^ ber jtoeite Seil eines f^mmetrifd^en ©anjcn (äu=
näd^fi einer S)opt)eI}3eriobe) entmeber fid^ ju meit bom ß^aralter beS erften
entfernt ober bie SBörme beS 9lffelte§ o^ne 9{aft meiter treibt, fo mieber^olt
man oft (tocnigftenS annä^ernb) ben erften ; ber ©anjfd^luß fte§t bann nad&
biefer SBieber^olung ober aud^ nad^ bem jmeiten Seile.
2l6er bie 9Kufi! barf o^nel^in nid^t in fo enge ©d^ranfen gemiefen
toerben, baß i^r nur immer bie befte unb boHIommenfte Scifiung geftattet
bleibt. S)a ift fd^on jtbifd^en üoll enttoidelter ^Welobie unb anbern Son=
gongen ju unterfd^eiben , toeld^e jtoar an fid^ ju loenig bebeuten, aber als
3ierat, toie bie Ornamentil an bie Sautoerfe, an bie 5WeIobie fid^ anlehnen.
Unregclmäfeigf citen. 219
3)al^in gehören SJorfd^Iäge, b. ^. ungciä^It blcibenbe, fe^r pd&tigc 5lotcn,
fjigurcn, b. 1^. bic 3tuflöfungcn bcr 2BeIobtetöTic in rafd&e 2:onrcil^en mit
öerfd&icbencn |)ö^eftufcn (öorau§gefe^t , bafe fte tuegen i^rer Stafd^^eit nid&t
mc^r tt)ic üollc 9HeIobictöne mirfen ober gar teilmcifc biffonicren), gonj lurje
X^cmcn (2Botit)e) ber 3nftrumentoIinufif, bie nur ofö Äeime funftrcid^cr
©ntmidtlung 33cad^tung öerbicnen, 3trpcggio§ (anfddlag ber 9lIIorbtöne öor
bcm 3u)ammen!Iange); ferner bie aus S^SW^^n befiel^enben aSor=, 3iad&= unb
3tt)if d&enft)iele , enblid^ befti&Ieunigte Söufe, bie ju tt)enig SBed^fel unb 6^a=
rafter \)abtn unb fo i^re felbftänbige (Geltung uerlieren. 9lIIe§ bieg ^at ju
fe^r nur formellen SBert o^ne tiefern ©e^alt, iji ©d^mud unb @|)iel unb
mel^r ober weniger unregelmäßig. SJland^mal finben loir aud^ bie 3JleIobie
faft ganj bcr Harmonie unb bem 3t§9tl^mu§ untergcorbnet : abermafö ein
unregelmäßigeö SSerl^öltniS, ba§ aber nid^t fofort fd&on berioerfIid& ift. 3n
ben Stimmungen fehlen ja aud& bie Störungen nid^t, unb bie ßunft ber=
trägt red^t gut einen gemiffen ®rab realiftifd^er 5Rad^a^mung, toenn fie aud&
borübergeöenb hinter bem l^öd^ften unb reinften Sbeale jurüdEbleibt. SBie in
ber $Ratur j. 8. an einer ^flanje nid^t bloß 33Iüte unb grud^t üon SBert
finb, fonbern mit biefen aud(i Slatt unb ©tamm, SSeröftelung unb 3enen=
gemebc, fo mirb man in ber ©efamt^eit mufifalifd^er fieiftungen ober in
jebem großen ^Wufifmerfe neben ber flaren, ibealen, fpred&enben SJlelobie,
tt)eld&e ben marmen Srguß be§ ®emüte§ in reinfter gorm jum 9lu§brudt
bringt, aud^ ber freiem Semegung, ber minber Haren Sonöerfd^Iingung, ben
tedönifd&en ßunflftüdten unb bem fd^einbar regellofen @rguß fein Sied&t ju=
gejie^en. S)ie SSolalmufil f ann freilid^ leidet barauf berjid^ten unb muß eS
großenteils, toeU i^re ©tär!e auf ber Don @mt)finbung geföttigten SKelobie
beruht; bic notmenbige ^ürje i^rer ^indt lößt aud^ für anbereä feinen
Siaum. ©agegen fe^It ber Snftrumentalmufif bie öoKe SBörme beS 9lu§=
brudfä ; il^r fte^t aber anbererfeitS ein erftaunlid^ meiteS gelb offen, um ben
ganjcn 9leid6tum ber Sonmelt teils mit d&arafteriftifd^em 3luSbrudt, teils jum
gmedfe beS geiftreid^cn ©pieleS geltenb ju mad^en. ©ie greift ba^er biS=
meilen fogar SRotide auf (f. oben Seet^oben), toeld^e fd^on loegen i^rer
SBinjigfeit menig Don SJlelobie an.fid^ l^aben unb fid^ erft fpäter ju ru^ig
fd^önen 2:ongöngen unb Dollen 5)ieIobien mit Harem 9luSbrudt auSgeftalten.
3n ber „^^antafie" fpielt bie ßunft gerabeju mit ber Sormlofigfeit ; bie=
felbe ift ein mufilalifd^er 3)it^t)rambuS, in bem bie erregte SSorftellung unb
Smpfinbung feine anbere Siegel als bie freigemoßte anerfennt.
284. 2luf einem fe^r berfd^iebenen SBege bringt 3legeIIoftgfeit in bie
3Kufif ein burd^ eine 9lrt ber SSerbinbung mit bem SBorte: ^ier toirb baS
@efe^ ber einen ßunft bem ®efe^e ber anbern teitoeife geopfert. @S liegt
in ber 3latur ber ©prad^e begrünbet, bie Segriffe, unb jtoar gefonbert unb
Dcreinjclt, burd^ ben logifdfien Slccent aflein l^eröorge^oben, bem SJerftönbniS
220 5ld^tcg Üa^itcl.
nä^cr ju bringen. SBcnn fid& nun bie 9Kufif mefcntlid^ nur bic ltntcr=
ftü^ung bcr 3tebc burd& mufifalifd&e 2:öne jur Slufgobc mad&t, fo gel^t bct
gflufe ber 5D?dobie, bic 3iegelmäfeigfeit be§ SeitmofeeS, bic f^mmctrifd&c ®Iic=
bcrung u. f. m. öcriorcn. ®§ l^errfd&t ein Qnbcre§ ®efe| im ©icnfte bc§
95erftanbe§ unb nid&t me^r ba§ rein mufilalifd&c im 3)icnjie bcS D^rc§ unb
bcr ©mpfinbung: fo im aiecitatib, im 5JleIobrama unb im cigentlid^en
2:onbrQmQ.
2. 2)a8 Sieb.
285» D^ne i^re ©elbftänbigleit mcr!Iid& ju beeintröd&tigen unb ju
größtem ®cminn für i^rc Serjtönblidöleit unb @inbrudt§fä]^ig!eit üerbinbet
bic 5Jiu[if fid^ mit bcr Sprache im Siebe, b. 1^. ber einfadöjien, bie
©cfamtpimmung eines I^rifd^cn ©cmütö ju[lanbe§ an^=
prögenben SJlelobic, fei e§, baß biefe mirllidde Siebmorte bcr I^rifd^cn
^oefie begleitet, fei e§>, bap ftc o^nc SBorte naä) 2t rt be§ poctifd&en Siebes
bie Stimmung jum 9lu§brudt bringt. 3)ie Gattung ber ^oefic, loeld^e im
engem ©inne Sieb genannt mirb, giebt in furjcn ©tropfen unb fd^Iid^tcr
fjorm ein rein I^rifd^cS ©timmungSbilb. @§ ift t)or allen anbem SDi(^=
tungSarten geeignet unb öon öauS au§ beftimmt, burd^ eine cntfpredöenbe,
jmar einfädle, aber ganj in marmc (ämpfinbung getaud^tc 3Jlufi! gel^obcn
unb t)er!Iört ju merben. 5lIfo reinfte S^rif öerbinbet fid^ l^icr mit rcinfler
5Mobie ; beibe treten in befd^eibenem Umfange ol^ne @r!ünftclung auf, l^altcn
fidö in ben ©d^ranfen rcgelred^tcr tJorm unb ftreben nid^t bielc ©injet
tt)ir!ungen, fonbern mel^r eine ©efamtmirfung auf baS ®emüt an. ©d&on
ta^ cd^tc Sieb be§ 3)id^ter§ jcidönct fid& ja nid^t burd^ ©cbanfenfüße im
einjelnen, fonbern bielme^r burd^ ben marmen ^aud^ einer ^errfd^enben 6m=
pfinbung an^; bie 5Jiufif aber mirb, um il^re cigentümlid^c SBirfung nid^t
abjufd^mäd^en, erft red^t nur bic ©runbftimmung im allgemeinen burd^ eine
fold^e 5!KeIobie wiebergeben, meldte me^r über ganjen SSerfen ju f darneben
als am Snl^alt ber Sinjelmorte ju l^aftcn fd^eint, ober aber fie mirb ba§
eine unb anbere SBort aufgreifen, in mcld^em bie ©runbftimmung fid^ l)or=
ne^mlidö berförpert, um biefe burdö SBiebcrl^oIungen erft red^t üoH auSju=
fingen. 3n ber aSoIIStücife „^Korgenrot" (f. 5Rr. 274) folgt bie SWcIobie
nid^t merüid^ ber natürlid^en SSetonung ber SBorte unb mad^t fid^ Dom
poetifd^cn 3l]^t)t^muS jiemlid^ frei; aber baS 33angcn eines fonft mutigen
^erjenS fü^It man gut burd^ , unb bie aBieber^oIung beS ganjcn gmeiten
2:eiIeS ift auf bie ßinprägung ber ©runbftimmung bered^net. @nger fd^Iiegt
fid^ bie 5!KeIobie an ben 2Bortaccent an in bem bcfanntcn „Unter allen
SaJipfeln", unb fobalb ber fd^ilbernbe Seil beS SicbeS in ben 2luSbrud reiner
S^rif übergebt, greift bie aWufi! baS „SBarte nur" unb baS „93albe" auf,
um beren 3n^alt burd^ öftere SBicber^oIung tiefer einjuprägen. S)aS oben
2. S)a8 ßicb. 221
crioä^nte Exsultet bc§ ßird&cnge[angeg l^ot gleid&follö ben 6§ara!ter eines
Siebes, jebod& mit med^felnber SKelobie in feinen Seilen. 2Bie frei unb
leid&t fd&toebt ^ier ber %on über bem SBorte unb trägt bie oHgemeine @tim=
mung aufmörts!
286. 33eim „Sieb o^ne 2Borte" toia [elbjkebenb bie 3n|irumental=
mufi! ni^t mit ber ®i*lfunfi rücffid^tlic^ ber »eftimmt^eit be§ ®efü^fe=
auSbrudteS toelteifern, fie mujs fogor ben ©d^ein bat)on bei biefem Übergriff
in ein frembeS ©ebiet möglid&ft öermeiben. (Sie foH nur bie Eigenart bcS
„Siebes jum SBorte" felbftönbig toirfen loffen. S)iefc ift offenbar eine
SRealität für fid^, meldte ber 2:ejt too^I üerbeutlid^en, aber meber burd& feinen
3utritt ft^affen nod^ burdö feine ©ntfernung öernid&tcn lann. 9lu§brud unb
ba^er aud& @inn unb ßmpfinbung liegen fd^on in ben Sönen an fid^, fonft
fönnten biefe ben Sinbrud ber 2:e|ttt)orte burd& il^ren Zutritt unmöglid^
förbern ; benn loaS in ber Urfad&e nid&t enthalten märe, !önute in ber 2Bir=
fung nid&t empfunben merben. S)aS unbeftimmbare „ßtmaS" übrigens, maS
mir bie S^ril ber Söne nennen motten, ift bod^ feiner Statur nad& etmas
ma^r^aft 93eftimmteS mie jebeS objeltiöe ©ein ; mir fönnen eS öietteid^t nid&t
bcgrifflid^ als bieS unb jenes t)on ber ©prad^e benannte ©efül^I umgrenjen,
maS in ben Jonen lebt unb in uns erregt mirb, aber gar mand^eS lebt
im bunfeln ©runbe beS ©emüteS, mofür man feinen Flamen meife. ßurj,
baS „Sieb o^ne SBorte" mirft genau ebenfo mie baS „Sieb jum SBorte",
nur bafe mir auf biefeS bie Seftimmt^eit ber ©prad^e übertragen; mit Un=
red^t, menn mir bamit bie fpejififd^e, mit JRed&t, menn mir bie generifd&e
33eftimmt]^eit bejeid^nen motten. SBaS mir im SluSbrudt ber 9KufiI j. 33.
Srauer nennen, ift eigentlid^ nid^t genau fo Diel als Trauer, cS ift ober
ein 2luSbrurf, ber als äuperung ber Srauer fe^r geeignet, als ^tu^erung
einer anbern Smpfinbung aber (fofern nur beibe fid^ nid^t auSfd^Iießen)
ebenfattS öermenbbar ift; ober in einem 33ilbe öeranfd^aulid^t, eS ift ein
StmaS, baS gleid^fam aus grauer gfeme auf mein 3luge einen me^rbeutigen,
barum aber bod^ leinen unma^ren ober an fid^ unbeflimmten ßinbrurf mad&t.
S)arum bleibt nur bie grage, ob baS inftrumentale ßunftlieb o^ne bie
©rgänjung burd& bie ^oefie nod^ äft^etifd^en JReij genug beft^e, um als
ffunftfc^öpfung für fid^ ju gelten. 9Kan mirb biefe Sfrage bejal^en muffen,
menn nur 3KeIobie, Harmonie unb SH^^t^muS öorjüglid&en SBert \)Cihm unb
nid^t blo^ ans O^r fd&Iagen, fonbem in bie Seele bringen — ober man
mufe Otter Snftrumentalmufif i^re 33ebeutung abfpred^en. ^ie 3nftrumente
entbehren ja gemi^ ber botten SebenSmärme, bie aus ber lebenbigen ©timme
Öaud&t, aber eine gemiffe ©timmungSmärme fprid^t bod& aus i^ncn, naä)=
bem fie ber ffünftler ^ineingeftrömt bat, unb in atten genannten SSejie^ungen
fönnen fie über bie SeiftungSfäl^igfeit ber ©timme ^inauS eigenartige aQ8ir=
fungen erjeugen. 2)iefe SBirfungen muffen olfo aud^ angeftrebt merben, um
222 ^^tti StapM,
bcn 3t6gang bcr poetifd^cn Sieije ju crfejen: bic SWufil foü btc beim „fiicb
nai) SQBorten" teiltoeifc geopferte grei^it toiebet jurücfne^mett unb an^f-
beuten, im übrigen ober biefelben 33orjüge ber Siebmelobie anftreben.
287» Um nun überl^oupt burc^ eine Qnfprud&§lo[e unb furjc SWcIobie,
fei e§ mit ober ol^ne %tii, ben 2Beg jum f)erjen ju finben, tt)irb oor aflem
ein fcine§ ©efü^I für bie einfod&ften 5KitteI ber 9Rufi! erforbcrt.
S)ie eigenartige Sebeutung ber 2:onfd&rilte unb Jonreil^en (?!Motit)e), be§
Softes unb 3:empo§, beS SEongefd^Ied&teS unb ber 9tu8mcid&ung mufe bem
Siebfe^er um fo mel^r gelöufig fein, oß er fidö ber auSgefud&ten ffünfteicien,
ber fd&roeren unb fernliegenbcn Übergönge, felbft ber l^armonifd&en SonfüIIe
im allgemeinen ju enlfd^Iogen unb mel^r auf bie SJBirfung beS einfoc^en
3Jle(obietone8 unter aüfeitig fd^lid^ten SSerl^ältniffen ju oertrauen l^at. ^ier,
toenn irgenbtoo, l^errfd&t ber reine 3beali§mu§ ber ?!Mufif, ber nur ba§ Sefie
juläfet unb nid^t burd& ungemö^nlid&e 3KitteI SeifaD gu erfd&Ieid&en ober
3RöngeI jujubeden braud&t; e« l^errfd^t bie 5iatur mcl^r aß bie erlernte
ßunft. Darum ifl bie befte ©d^ule be§ Siebfe^erS bie Selaufd^ung bcr un=
mittelbarflen Sonäufeerungen unb beren SBirfung auf unbeeinflußte ^örer.
@r f(i&öpfe fobann au§ bem 93orn toal&rer unb abgetlörter @mpfin=
bung. ©emod&te ©efü^le erjeugen l^o^Ie SKelobien; gärenber Unreife fel^It
bie Ilare ©id^er^eit, burd& bie allein ba§ Sieb bie ^erjen trifft. S)ie fub=
jeftiöe Smpfinbung mufe gleid&fam objeftiüiert »erben, bamit fte oon perfön=
lid&er ßinfeitigleit frei unb geeignet werbe, Don anbem nod^empfunben ju
njerben. ©o mirb ba§ fiieb, o^ne ju oiel Don ber natürlid^en SBörme ju
berlieren, bod& burd^ bie ffunft jum 9tu§brudE be§ ©emeingefü^IeS umgeftaltet.
2)a§ fid^erl il^m öor allen anbem 3RuftIgebiIben burd&fd&lagenbe unb bauernbe
SBirfung. ®ie SKelobie felbft mirb baburd& jenes allgemeine ©epröge er=
Iialten, baS nid^t ben @inbrurf jebeS üereinjelten unb untcrgeorbneten ®e=
füljISmomenteS geigt, fonbern 2lbbilb ber ©runbftimmung, ber alleS belebenbcn
Seele beS Siebes ift; fte mirb baburd^ fomol^I für ben wec^felnben Snl^alt
öerfd^iebener ©tropl^en paffenb, als aud^ für mannigfaltig geartete ^örer
leidet faßlid^. 3n biefer Mgcmeinl^eit foK nun aber baS Sieb treffenbe
ßl^aralterifti! eines beftimmten ^nl^oIteS, ber SErauer ober ber &reube,
beS 9KuteS ober beS S^Qtn§f, furg, eben ber ßmpfinbung fein, bie baS
©anje trögt, nid^t titoQ ein farblofeS, mel^r auf SluSbübung ber mufi!ali=
fd^en &orm jielenbeS Spiel. 3a baS Sieb brandet feineStoegS auf ben engen
JlreiS allgemein menfd&Iid&er ©efül^le mie bie genannten befd&rönÖ ju toerben ;
es liebt fogar bie 9Infnüpfung an 3cWen unb ©efegen^eiten, ©efdöidfeten unb
Sagen; bie 6§arafterifiil mirb in Seft=, ftriegS= unb SiegeSliebern , in
nationalen ©efängen unb lolalen SHJeifen nur um fo anjie^enber. S)od&
muß es immer leid&t möglid^ fein, fid^ in bie SSorauSfe^ungen l^ineinjubenfcn
unb =jufü^Ien.
^
2. S)aS ßicb. 223
288, ©c^en mit ntel^r au^ ba§ ^u^etlid^c ber Sotm, fo iji 6ef(^ei=
bener Slnfd^Iufe an bie %tittooxit, too foI(i&e botitegen, burd^auS er=
forberlid^. (Einiger ©t)iclrauni mufe ja gctoi^ ber SWufif bleiben, menn [ie
il^re öoHe SQßirfung ausüben foD. Slber ba§ Sieb erl^ält feinen eigenartigen
SReij bon bem fd^mefterliti&en 3ufcintntenge]^en jroeier fünfte, bie fid^ gegen=
jeitig ergänzen, berbeutli(i&en unb berflären. SBaS bie ©id^tung au§ft)ri(^t,
ijQi bie 5Kufif in eine ^öl^ere ©pl^öre ju trogen, barin gel^t in biefem 3^alle
i^r Seruf auf. SSer^mafe, ©ßeberung, Setonung, feI6ft J?Iang ber ®injel=
morte unb beS Sieimeö barf il^r nid^t gleid^gültig fein, fo fel^r aud^ SBieber=
gäbe ber ©runbftimmung bie ^auptfad^e bleibt, ©onft mirb ber ffomponift
ba§ SBer! bc§ ®id&ter§ jerftören ; jene Singe ftnb ja eben beffen Äunftmittel ;
fie ftnb aud& in fic^ fd^on toefentlid^ mufifalifd^, muffen alfo in 2:önen unb
Sl^^tl^men irgenbmie nad^gebilbet werben, um mit bot)peIter ßraft ju mirfen.
3)er beutfd&en @}3rad^e fehlen bie SKittel, einem gegebenen 3Ser§mafee ab=
medöfeinbe St^^t^men ju geben; ba l^elfe bie SWufi! ol^ne S^^Pörung be§
5!JJetrum§ nad^, j, S. burd^ mannigfaltige SarfteHung be§ 3:rod&äug, J J^f
J J äf 0.ä ä ^' f • tt>- ®iß ]^^^ ^ine getoiffe ©teif^eit be§ |)oetifd^en
9t^^t^mu§ burdd finngemäfee Sefd^Ieunigung auf ju^eben, inbem fie j. 93. üier
|)oetifdöe Saite in jmei bemegtere juf ammen jie^t , ober burd& Jjaffenbe SScr^
jögerung (bier unb fünf Safte ftatt brei ober bier). 3n§befonbere fte^t e§ il^r
äu, ba§ 9Wittel ber SBieber^oIung au§giebig ju bermenben, mag namentlich am
©d^luffe angemeffen fein !ann. ©ie bilbe ba§ Steimberpitniö burd^ 2:oniIa=
unb 5Dominantfd&Iup unb aOSed^fel ber 3Kotibe nad^, unb mo bie ^oefie ber=
fagt, trete fie mit il^ren 5)JlitteIn ^elfenb ein, ^inbere j. 93. ba§ 9lu§einanber=
fallen reimlofer ©trot)]^en ober ad^t jeiliger , in ber 9Mitte nid&t gebunbener
©ebilbe burd^ 33ermeibung bölligen 2lb|d^Iuffe§ , b. 1^. burd^ 33ilbung guter
2)opt)eIperioben. 9ludö burd^ fe^r mafebollen (Sebraud^ ber Q^igurierung unb
ber SJlobuIation lann bie ^oefie unterftü^t werben. SSon fold^en ®runb=
fä^en ^aben fid^ gr. ©d^ubert, ©d&umann unb ^BenbeKfol^n leiten laffen.
289» ferner ift ba§ Sieb für ben ® e f a n g beftimmt unb banad^ ein=
jurid&tcn. 3tud^ beö^alb iji in meli§matifd&en 33erjierungen unb äl^nlid^en
fünften, in 5R]^^t]^mu§ unb Harmonie 3Rafe ju galten unb auf leidste 2:reff=
barfeit ber unterbaue ju ad^ten. 3)er Tonumfang überfd^reitet am beften
bie D!tabe nid^t meit ober befd^rönlt fid^ nod^ mel^r; baS italienifdbe Sieb
lann l^ier afö 9Jiufter bienen.
S)a§ „Sieb ol^ne SBorte" ^at fid^ ber äußern gfeffel bes Sejte^ ent=
fdfelagen, fd^altet alfo in formeller 93ejie]^ung freier unb läßt bie 3nfirumente
in il^rer eigenen ©t)rad&e 5»aturgef ül}le , fotoeit, fo fd^Iid&t unb fo fd^ön fie
e§ bermögen, auSfpred^en. 2)urd^ lange Übung am SBorttejte, tt)eld&e überall
ber felbffänbigen 3nftrumental!unft boraufgel^t, ^at bie 51!Kufif il^re eigenen
224 3ld&te8 Äapitel.
flräftc bi§ ju bem ©tobe gebilbet unb geftäl^It, ba^ fic nunmehr bcr @tfi|c
entratcn lann; in bcrfelbcn ©d^ulc ^at ba§ O^r be§ §örcr§ gelernt, bie
5JlcIobie alg unabhängige ftunftfd^öpfung ju toürbigen. ®q§ 3njtrumental=
lieb geprt einer eigenartigen ©tufe ber ßunjt an. @§ ^at in ber 3:i^at
au(i& l^eute nod^ SHül^e, fid^ bie gebü^renbe ©eltung ju üerfd^affen , bo e»
ber beliebten @efang§meIobie ju na^e unb bem öereid&c ber enttoidelten
SnfirumentoIIunft nod^ ju fem fte^t. 3)enna(l& ma^rt e§ mit genügenbcr
Sreuc ben 6^ara!ter unb bie SSorjüge be§ Siebes, um afö ©pielart be§[elben
ju gelten; nur barf man außer bem inftrumentalen ©piel, baö me^r for=
meUe äteije bietet al§ bie getDö^nlid^e Siebmelobie, nid^t aud^ nod^ nad^ ber
©eite beS 6mpfinbungSauSbrud!e§ entyt)redöcnbe tJorberungen [teilen; benn
biefer ift unb bleibt, toie fd^on bie oft nötig befunbenen 2luffd^riften fj. 93.
„^erbftgefü^I") bemeifen, an fid^ fel^r unbefiimmt unb unbeftimmbar.
290, 2luf ber entgegengefe^ten ©eite fte^t neben bem muftergültigen
ftunjHiebe baS freie aSollSlieb, barf aber troj einiger ^Wängel eine un=
gleid^ größere 93ebeutung beanfpruc^en. SBir öerftel^en l^ier nid^t t)oIf§tüm=
lid^e Sieber, b. 1^. inS SSoII gebrungene unb freubig aufgenommene ßunft=
lieber, fonbern fold^e Sieber, bie oor ober außer ber gefd&ulten ßunftt]^ätig=
feit au§ ber SWaffe bc§ aSoIfeS ^crauStoad&fen. SQBir finben fold^e bei allen
SSöIfern, meldte ba§ poetifd^e SßoIISlieb auSgebilbet l^aben, beöor ober o^ne
bafe fie in ber bcmufeten ßunfi etmaö 35emerfenStt)erte§ geleiftet l^atten, unb
nod^ neben ber Jlunftmufi!, feitbem biefe fid6 enttoidfelt l^atte. S)iefe Sieber
fielen rüdfid^tlid^ be§ SluSbrudtcS nid^t jurüdt; Unmittelbarfeit, SBörmc,
ßraft ober Snnigfeit, ßlar^eit unb grifd^c jeid^nen fie auS. 3^re gorm
aDcin ift frei bi§ jur Ungebunben^eit , ol^ne ftrengeS ßbenma^ unb öfter
ol^ne fefle SEonalität, ol^nc SSermittlung ber ©lieber unb gfeid^md^ige 95ot(=
enbung aller 2:eile. S)ie ©orge für ba§ ©injelne toirb feid^t bem fröftigen
©efül^teergu^ geopfert, Heinere genfer merben nid^t bead^tct, menn nur baS
®anje mirffam ift. 2Ba§ man leieren unb fernen fann, barin l^at ba§
3SoI!§Iieb feine ©tärfe nid^t; aber baS innerfte ©el^eimniS ber mäd^tigen
SBirlung ift il^m befto beffer befannt. 2)a§ ßunftlieb felbft mu^ eS il^m
ablaufd&en unb befi^t e§ nie fo ööllig unb mufe ju anbern SJlitteln al§
6rfa| be§ 9JJangeI§ feine Suflud^t nel^men. 3)a§ S3effe, nämlidb naide 3:reue
unb ibeafe Sinfad^^eit, fommt i^m immer Oon bort, wie bie öerfegte
^^flanje am beften gebeizt, toenn man i^r ein ©türf be§ 90?utterboben§ mit=
giebt. 2)a§ SSoH§Iieb ift ganj 3n^alt unb ©timmung, ba§ ÄunfHieb ^at
mel^r ©til unb ©lätte in ber Sorm.
29U 5Der ®rab ber formellen SSoKenbung be§ Siebes entfd&eibet tt)efent=
üd& bie grage bejiiglid^ bcr l^armonifd&en 35egleitung; bod^ fommt
bie 35e)d^affen§eit beS Snl^alteS unb bie Seftimmung be§ Siebes mit in 33e=
trad&t. S)aS gefungene Sieb ift als l^rifd^er 3luSbrurf ber ßmpfinbung, bie
2. S)a8 ßicb. 225
ju einer leid&t mittcilbaren Mgemcinl^cit abgcHärt morbcn, junäd^ft für ben
©injctoortrag ober unifonen ©cfang öicler bcftimmt. S)ic SWelobie, auf
bcren d&arafteriftifd^er ©d^önl^eit bcr SBcrt be§ Siebes üor oHem beruht,
lotnmt fo entfd&ieben jur ©eltung. ®ie injirumenlale SSegleitung aber, toeld&e
bcr SJBirfung ber doHen SKenfc&enftimme einigen Eintrag tl^ut, l^at bod6 an6^
tDiebcr i^re eigenen SReije, befonberS menn ber ©efang einer großem Sal^I
Don ©timmen burd^ ein J^amtonifd&eS Snfirument getragen toirb. 3e inbi=
bibueller bie Siebftimmung ift, befto e^er mill eS monobifd^ t)orgetragen njerben
unb bulbet l^öd^fienS eine fel^r befd&eibene inftrumentale Begleitung. 3tber
au(i& fonft foHen bie 3n[lrumente fidö bcm ®e[ange unb bie Segleitftimmen
ber 3Relobie gebül^renb unterorbnen. 5iatürli(i& finb j. S. S3unbe§= unb
©eleKfddaftSlieber feine SKonobien unb lieben t)ielnie]^r l^armonifd^e aSiet
ftimmigfeit beS ®efange§ unb ber Segleitung. 3um ©efeflyd^aftsliebe pa^t
abmed&f elnber , bramatifierenber aSortrag. gür 3Raffen beftimmte ©efänge
pnb häftig unb einfad& ju galten, tt)ie in ber 2BeIobie, fo aud^ in ber
mufifalifd^en Begleitung, bie jebod^ in ben 3tt>U^ßnfpieIen um fo freier unb
leid&ter fid& betoegen barf, als ber 3Jlaffengefang getrogen unb fd&mer er=
fd^eint. ®a§ l^öl^ere ffunftlieb belunbet aud& burc^ öielftimmigen ©a^, ber
[xä) ju polt)pf)omx SKannigfaltigfeit ergeben fann, unb burd& entft)red&enbe
Segleitung feinen Urfprung. S)a§ „Sieb ol^ne 2Borte" enblid^ bringt bie
SWittel ber 3nftruntentalmufi! in einem 9)la^e jur Slnmenbung, ba§ nur eben
nod& mit bem Siebd&aralter bereinbar ift. @§ !ann ber f)armonie nid^t
entbel^ren; aud^ loöre ber Vortrag auf einem ber 9Henfd^enftimme ju ö]^n=
lid^en einftimmigen Snftrumente, j. S. ber glöte, fd^on eben barum un=
geeignet; ju grofee 2t§nlid&leit mit bem gefungenen Siebe nad^ irgenb einer
©eite toirb jum 5lad^teil beS 3nftrumentaIIiebe§ gereid^en, ba§ bon t)orn=
l^erein nad^ bem Vermögen be§ unbefeelten SBerljeugeS für fid^ aßein be=
trod&tet unb nid^t mit ber boülommenern ©attung berglid^en merben miß.
— @injelne§ über bie |)armonifierung beS Siebes f. meiter unten.
292. 3""^ ©d^Iuffe ift ^ier no^ beS burd&Iom|)onierten Siebes
JU gebenfen. @S ^at feinen Flamen babon, bafe ein ftrot)]^ifd& geglieberteS
Sieb nid^t eine unb biefelbe SJlelobie toieber^olt, fonbem in einjelnen ober
in aUm ©trot)^en berfd^ieben be^anbelt loirb. S)en Übergang bilbet eine
größere SRannigfaltigfeit in ber blofeen Segleitung, tooburd^ baS Sieb in
feinen berfd^icbenen ©tro|)]^en bieiförmig, beioegt unb malerifd& ju werben
beginnt, ©ie !ann beim ßunftliebe angemeffen fein, fd^on um beS formeflen
SReijeS loiKen. ©obann bei ber SRomanje, ber e|)ifdö4t|rif(öen Sriöl^Iung,
toeld^e im ganjen ol^ne l^eftige Erregung bleibt, aber baS locd^felnbe ©|)iel
ber ©timmung bei med^felnbcn ßreigniffen in bariierter Segleitung leife
burd^IIingen lä^t. S)ie Snftrumentalromanje ergebt fid& o^ne tiefe ßrregung
in fd&Iid^ten Sontteifen, bie jebod^ immer etioaS bon e|)ifd(ier geierlid^feit
«ietmann, ttft^etif. 3. s:eil. 15
226 ^$teS l^o^itel.
bettjal^rcn unb bei licbartigcr ©tro})^cnteiIung bie leifcn SBoIIungen bc§ ®e=
müte§ toic Icitä^tcS SBeKcngcftöufcI auf ruhiger 2Ba|fcrpä(J&c crfenncn laffcn.
®ic 33a Habe ^at mc^r bramatifd&c Unruhe, mcl^r 6^araftcrif[il im cin=
jcinen, mc^r 2Bc(J&fcI unb ®cgenfö|li(j^leit in bcn Seilen. 3)ie SKufif lann
baöon 9lnlafe nel^men, ben ^ortfd&ritt ber ©timmungen, i^ren ßampf unb
®egcnfa§ burd^ SSarücrung ber SWcIobic in einigen ober allen ©tropl^cn
beftimmter auSju})rägen. @o entfielt bie burd&Iomponierte S3allabe, ttield^e
fi(i& t)ome^mli(J^ für monobifd&cn Sottrag eignet ; wirb fte bon einer SKengc
gefungen, fo wirb ber jatte SBeiä^fcI be§ 9lu§btucfeS erfii^wert, unb e§ äußert
fid^ ntel^r bie Ergriffenheit bcS ^ublifumS, baS ben bargefteHten ©cenen
beitool^nt, al§ ber an i^nen unmittelbar beteiligten ^erfonen. Sie Sallabe
barf freier mobuliercn, Stt^ifc^cnfpielc einlegen n. f. tt). unb filiert öom ein=
fad&en fiiebtone ju bem betoegtern unb ttjcd&fetoollen größerer ifom|)ofitionen
l^inüber unb ba^nt eine neue ©attung ber 5Kufif, nämlid^ bie bramatift^e,
an. 91I§ SJleifter in ber mufifalifij^en SaKabe fei genannt S. Sömc, in ber
rein inftrumentalen gotm berfelben gr. ßl^opin.
®a§ Sieb t)ertt)irfli(j&t am beften bie reine SWelobic. Salier bcbienen
anä^ größere 3nftrumentaIIom|)ofitionen ft(ä6 nod^ oft be§ Siebes niiä^t nur ju
loiniommenen aflii]^e|)unlten , fonbern wegen be§ innem 2Bertc§ eines cin=
fatalen, flaren, warmen ®efü^I§au§bru(fe§. ®ie umfangreid&ern ßunftformen
ftnb fclbft erft aus bem Siebe, burd& Variation, ^iguration, 5Ra(ä6a]^mung,
^ntoenbung auf e|)ifd^e unb bramatif(ä6e ©toffe, enblid^ buriä^ blofee inftru=
mentale gortbilbung entfianben. S)aS Sieb felbfi bröngt ba^in, bie engen
©(j^ranlen ber reinen S^rif ju burij^bred^en unb fi^ (j^arafterifiifij^et, mannig=
faltiger, objeftiöer ju gefialten.
9läl^ereS über bie befonbere ©attung be§ ßird^enliebeS f. weiter
unten.
®a§ ei^orlieb unb bie 9lrie werben 5Rr. 344 f. unb 9tr. 342 f.
jur <Bpxaä)e fommcn.
3. 3Rarf4 unb tan.
293. 3fli(3&. SBagner fagt nid&t mit Unretj&t {„Optt unb SDrama"),
ia^ „bie Sonlunft i^re formen bem S^anje unb bem Siebe berbanfe". 3)aS
Sieb ift bie (Srunbform aller 3WcIobie; 3Karfd^ unb Sanj geigen bie ein=
faij^fte ©efialt beS Sll^^t^muS. 3war erforbert aud^ baS Sieb eine t^^t]^=
mifd^e ©lieberung, aber reiner unb mäd^tiger erfd^eint biefelbe in ber ßörpcr?
bewegung unb berjenigen SKufifgattung , weld&e nur biefe ju begleiten ju=
nädöft beftimmt ift.
®ie SKufif fann ben Sftl^^tl^muS , b. 1^. eine lünfilerifd^ geregelte 3^^*=
bewegung, nid^t entbel^ren. S)enn bie Crbnung als SJlutter ber ßinl^eii ift
(Srunbbcbingung |eber ßunft; bie Sonfunft aber erwartet öon ber ^t\U
3. 3Jlarf$ unb 3:anä. 227
orbnung bor allem tl^r 5Kq^ unb ®efe^. S)arin lommt fte mit bcr ^oeftc
übcretn, bic fi(j& gleid&fallS in bcr S^tt bctoegt unb bic SRl^^t^mif in a5er§=
unb ©tro|)l^enbau walten Iä|t. ®ic bilbenöen ßünfie weifen ein ö^nlid^eS
®efe^ auf in ben röumlid^en ^ro})ortionen.
294. ®er SKarft^ al§ 5!nufilflü(f ift bie mufifalifd^e 3laä^ixU
bung cine§ beutli(36 fül^Ibaren S9ett)egung§gefe^cS mcnf(ä&=
Ii(3&er ©(abritte. 9li(j^t j[ebe Bewegung, au(j^ nid&t ber cinfaiä^e menf(%=
lid^e ®ang eignet fid^ für bie mufilalifd&e ®arfteflung; e§ mu^ ba§ ®efe§
bcr SetDcgung fd&arf au§ge})rögt fein, um für fi(j^ allein äfH^etif(J^c§ Sntcreffe
ju crtoeden. 3)er ©olbatenfd^ritt tft e§ junäiä^ft, bei tDeI(3&em aus mtf)t'
fatalem ©runbc baS S^itoafe fi(ä6 auffaKenb Ienntli(ä6 maiä^t; ein ©eitenftüd
boju bittet ber feierlid^e ©(abritt bei gemiffen öffentli^en 9lufjügen. 5Jlan
unterf(]^eibet SJlilitärmörf (3&e , geftmörfiä^e unb 2:rauermärf(j&e. 5Run fann
aber bie ^Regelung unb fogar bie Belebung bc§ Stl^^tl^muS fd&on buriä^ ben
blofeen 3:rommeIf(^Iag erhielt merben. 2BaS unterfd&eibet alfo ben muftla=
lifiä^en 2Karf(i&? SSor allem ber SBol^IIIang ber mufilalifd&en Söne, ttield&er
bur(j^ ein neues äfl^etif(3&e§ 3Woment ben ©eift anregt, wäl^renb bcr rohere
Srommetoirbel bortoiegenb auf bie ©inne mirft. 3)ie ^ö^ere ßunft ^at pd^
boKenbg über ben nöd&ftcn |)raftif(ä&en 3tt)e(f erlauben jur melobif^cn ®ar=
pellung bon ©timmungen unb 3been. ©ie fd&afft aufecrbem bort, tt)o fie
frei fiä^altet, l^öl^ere 9la^bilbungen ber im toirllitä^en Seben borlommenben
aSärfd^e, inbem fie j. 39. auf ber 93ü]^ne ben feicrlid^en ®ang mand^mal
burd^ ben SKarfd^rö^tl^muS über bie SBirllid^feit l^inauS^ebt; fo l^anbelt ja
anä^ bic ®i^tfunft, wenn fie bie geioöl^nlid&c 9tebe rl^^tl^mifd^ gcftaltct, unb
bic 3Wuftf felbft, wenn fie in ber £)ptx mand&eS ganj gegen bie ®ctt)o]^n=
l^citcn bc§ fiefienS fingen lä^t. 3leligiöfc 9luf pge finb für eine fold&e Sbea=
lificrung, bie fie über bie SlKtöglid^Icit crl^ebt, befonberS geeignet.
295. 6inc marfd^artige 3Kufif wirb e§ lool^I bon jie^cr gegeben l^abcn.
ftein ßlcmcnt ber in bcr ^exi fid& betoegenben ßunft liegt fo tief in ber
menfd6Iid^cn 5Ratur bcgrünbet toie ber SRl^^tl^muS. 3)cr gried^ifd^cn ßunft
]^at biefer fein ®et)r.äge ganj unberfennbar aufgebrüdft. Salier finben mir
ein eigenes 3:aftmafe, baS auSnal^mSloS für ben 3Warfd^t^|)uS in ^oefie unb
SKufil beftimmt toat. 6S ift ber 9Ina|)äft u u _^. 3tt)ei Safte mit einem
ftöricrn unb einem fd&ioöd&crn 9lcccnt entft)red&cn bem med^felnbcn Sluftretcn
bc§ redeten unb be» linfen ??ufeeS. ®ic ©ä^c bilbetc man bicrtaltig. Unter
ben ft)artanifd&en SJlarfd&mcifen beS 3:5rtäuS finben fid^ aud^ ad^ttaltigc
^Pcrioben; eS fd^eint, ba^ bier ^erioben eine ©tropfe bilbcten. S)ieS ift
aud^ bic ©runbform unferer 3Karfd^mcIobien : biertciligc ©ö^e in gcrabem
Salt, bie burd^ 3Serbot)peIungcn ju ^erioben unb großem (Scbilben auS=
gcftaltct werben. S)iefc ©licbcrung mürbe bann aud& auf baS einfädle ßicb
angcmcnbet, wobei man ütoa ©d&iffcriieber als natürlid&fie Vermittlung
15*
228 ^^ted l^a^itel.
beulen lann, unb beJ^errfiä^t faft ganj unfere Snjirumentalmufil, ju toüä^tx
ber mefentfid^ r^^t^mifd&e 2Katf(J^ eine nal^e Sejiel^ung ^at. ®a§ 3:emt)o
lann angemeffen um baS ®o})peIte befd&Ieuuigt toerben (ba bie S3erbot)peIuug
jtoeier ßiu^eiten im SBefeu ber ©^rittbemegung liegt), über]^ou|)t aber naä^
ben Umftänben med&felu. Unfere ^arobemörftä^e jöl^Ien 75, bie ®ef(j^toinb=
mörfd&e 108 unb bie ©turmmörfiä^e 120 ©(abritte in ber SKinute. 3m
allgemeinen ift Ülofd^^eit beS %mpo% jur fd^orfen 9lu§|)rögung be§ U^\)ti)=
mu§ geeigneter. 9luS bemfelben ©runbe pa^m für ben 2Warf(i& beffer bie
ftörlern SlaSinjirumente ; ebenfo ba§ l^arte Songefd&Ieiä&t »egen ber entfd&ie=
benen Seftimmt^eit, mit ber feine SnterbaKe ins ©el^ör foflen. 6inen 3Sor=
teil f)at aUerbingS baS Älabier mit ben Slöfern gemein: bie f^roffe 9lb=
fe^ung ber Söne gegeneinanber ; auSbrucfSöoK ift anä) beffen feflgebrungene
SSielftimmigleit. 3)a§ ßlabierftüd giebt ein jmar abgefd&tt)öd&te§ , aber bod^
toirffameS unb barum fe^r beliebtes Slbbilb beS inftrumentierten 9)iarf(i&eS
(feit ßouperin, um 1700, in (Scbrauij^). ®ie 2Kontonart pa^t für ben bc=
fonbern ß^arafter beS 3:rauermarf^eS. ®ie melobifiä^e ©eftalt beS 2Karf(J&e§
mufe fe^r einfad& fein, fo ba^ bie 2KeIobie gegen ben 9t^^tl^muS, bie 2:on=
Variation gegen bie 3:onftärIe (ben 9lccent) jurüdtritt; mieberl^olter rafiä^er
Slnfd^Iag beS gleiiä^en SoneS unb (j^ara!tcriflifd&e SnterbaKe finb um fo
beliebter, je me^r an ber bolfstümlid^en altern gorm feftgel^alten mirb.
9lud& bie Harmonie mufe auf eine f^Iagenbe SBirlung bereiä^net fein. S)ie
auSgebilbete ßunftform bejtoetft unb errei^t im SKarfiä^e bie entft)re(i&enbe
3^üIIe unb ßraft jur ©efamtmirfung auf bie in Setoegung ju fe^enben
SDlaffen bur^ 9lntt)cnbung ber ^armoniemufif ober beS berftärlten Drd^efter»
(5Rr. 272 f).
296. ®er ältere 33au biefer 2lrt bon SKufifftücfen f(3&Iiefet fi(j&, wie [xä)
foeben ergab, an bie mefentliiä^e Smeiteiligleit beS SDlarfiä^rl^^tl^muS an, b. ^.
es mirb niiä^t nur ber ©a^ (bier 3:afte) bur^ SSerbo})|)eIung jur 5ßeriobe
geflaltet, fonbern au^ bie 5ßeriobe toieber ju einer anbem in (Segenfa| ge=
ixaä)i. 9lber 9Keifter wie ^änbel, ©lud, 93ect^oben, ©d&umann unb
anbere l^aben bie S)reitciligleit jum ®efe^ erl^oben. S^ ben jWei normalen
2:eilen, welij^e baS SEaftma^ beS SKarfd^eS als foId^cS berlört)ern, fommt
als Steigerung unb Slbfd^Iu^ ein Srio, baS wieberum zweiteilig ju fein
t)flegt (5Rr. 302. 304). 6s fte^t jwar in naiver rl^^t^mif^er »erwanbtfd&aft
JU ben beibcn erften Steilen, ^ebt fid^ aber teils öu^erli^ burd^ S35ed&fel ber
Sonart, reid&ere tJiguration, poI^t)]^one (Segenbewegung, ©reiftimmigleit im
®egenfa|e jur borausge^enben gweiftimmigfeit (biefeS e^ebem ftrenge ®efe|
gab i^m ben 5Ramen), teils innerlid^ burd& ftärfern 9luSbrudE ber bie bewegten
2Waffen befeelenben Stimmungen in getragener, breiter auSgefialteter 2KeIobie
gegen bie r^^tl^mifd^ belebtem, aber wenig liebmö^igen, borwiegenb nur bie
Bewegung barfteHenbcn erften Seile ab. ®urd& SBieberl^oIung biefer feiert
3. SD^lorW unb Zan^. 229
bann boS 5Kufiftt)cr! ju bcm 9lnf ang bcr ©ntoicflung jurüd ; bcr ftreis ijl
gef(3&Iojfcn. 3m Sicginn ^at bie ©timmung bem SictuegungSgefc^c toetd&cn
muffen, aber fie fij^lummerte bod^ im Stl^^tl^muS; bann mad&te fie fi(j^ in
ber liebmäfeigcn SWelobie frei; ba aber burd^ biefe ber SWarfd&iä&aralter t)er=
bunfelt tt)irb, fo tritt eine rüdläufige Setoegung ein. ®a§ 33ebürfni§, einer
©timmung 9lu§bru(f ju geben, belunbet bie 9JlufiI alfo ani) im SWarfd^e;
fie XüiU fi^ mit bem f^mä^ern 9lu§brud berfelben, o^ne bcn aud^ bie erften
Seile leinen l^ö^ern SBert l^ötten, nid^t einmal begnügen. SBeld^e 9lrten ber
Stimmung bon ben 3:önen getragen unb übertragen werben, jeigt fid^ bei
biefer SWufilgattung um fo offenbarer, je nö^ere Siejie^ung fie jur röum=
lid^en SJetoegung ^at. @S tritt red^t greifbar ju 3:age, »eld&e SBirlung ber
3:rauer=, 3^eft= ober ffriegSmarfdö auf bie ©emüter ^at unb l^aben mufe.
aSon ber SBirlung aber fd&Iiefet man mit JRed^t auf ben entf})red6enben 3n=
l^alt ber 2KufiI unb auf bie Stimmung, aix^f loeld^er biefe l^erborgegangen ijl :
Trauer, Subel, SobeSmut u. bgl.
297. 2Ba§ bie breiteilige 9lnlage betrifft, fo finbet fid^ biefe, fo gut
tt)ie bie r^^tl^mif^e ©lieberung, beim Siebe lieber, g^reilid^ !ann nur in
ber S^eorie bon einer eigentlid&en Übertragung bie 9tcbe fein; in 2BirfIid&=
feit werben Sieb, 5)iarfd^ unb Sanj ungefäl^r gleid^jeitig entftanben fein.
3Kit ber „Übertragung" l^at e§ aber infofern feine JRi^tigleit, al§ ba§ rl^^tl^^
mifd^e Clement, mcil mehreren ^fünften gemeinfam, üon ber mclobifd^en
3KufiI anber^tool^er entlehnt wirb, wä^renb eS ber 5!Karfd&mufif in ganj
anberem ©inne wefentli^ ift. @benfo fäHt l^ier bie ©ntwidlung be§ 2Kufif=
ftäde§ öom r^^tl^mifd&en jum melobif^en ßl^aralter im jlrio biel mel^r in
bie 9lugen; wir glauben ju feigen, wie bie SIKelobie au§ bem 3ll^^t^mu§
geboren wirb. ®arum fd^eint unS alfo ba§ Sieb nid&t ganj ol^ne ©runb
einer ft)ätem @ntwidlung§ftufe ber 3WufiI anjugel^ören.
298. 9lber ba§ wefentli^ r^^t^mifd&e SKufilftüdE ift bod& wo^I urft)rüng=
Iid& f elbft 3Warf d& I i e b gewefen ober beanf})rud&te nur al§> foId&eS litterarifd^e
33ebeutung. ®iefe§ ältefte Sieb fd&Io^ ol^ne S^i^eifel 9t^^tl^mu§, SJlelobie unb
SBorttejt einl^eitlid^ in fid^; bie ©onberung ^at, fobiel fid& ermitteln löfet,
erft f})äter ftattgefunben , inbem jiebe§ ber brei Elemente eine größere ©elb=
ftönbigleit beanft)rud^te. ®a nun bie 3WeIobie red&t eigentlid^ bie ©eele ber
2KufiI ift, fo lonnten wir mit gutem JRed&te afö 9lormaIform ba§ Sieb an
bie ©|)i|e fteHen unb alle übrigen 2WufiIftüde, in benen entweber ber 9tl^^t^=
mu§ ober baS SBort ein Übergewid^t über bie SIKelobie gewinnt, folgen laffen.
®a§ Sieb lann aud& bei bem geringften Umfange unb ber bef^eibenften
(Slieberung öft^etifd&en SBert ^aben. S)ennod6 liegt aud& in il^m felbft ein
Srieb jur gortentwidflung. ®enn bie gmpfinbung lann in ben engflen
©d&ranfen fid^ nid^t immer genugt^un unb beranla^t bei ®urd&bred&ung
berfelben junä^ft Unregelmä^ig!eiten (Erweiterungen ober 9ln^önge, wie
230 Sld&tc« StQpM.
fold&c ou(% in 9Härf(J^cn borlommen) , bonn aber ba§ |)crt)ortretcn cincS
(j^otalteriftif^en ©cgcnbilbcS beö juerji gejci^ncten ©timmung§bUbc§. 5)ie
Sforberung fünftlerifd^cr ®cf(ä6Ioffen]^cit fül^rt bonn bic tüdfläufigc Ärci§=
Bewegung ^erbci. 3)iefc Icnnjei^net alfo toeitauS bie meiften ßunftgebilbe
bcr 5!nufi!.
299. ®a§ %ani^üd jiel^t bem SWarfd&e fo nal^e, bafe nur bie Untcr=
f(i&icbc bciber lurj angebeutet ju merben braud&en. 3ene§ al^mt nid&t ben
flimmeren, einförmigen Slnfd&ritt großer 9Waffen, fonbem ben l^ü^fenben, me^r=
geftaltigen 3:anjf(j^ritt einer Ileinern 2lnja^I bon ^erfonen naiä^. 6§ fommt
ni^t nte^r fo fel&r auf ßraftenttoitflung an; bie Sietoegung ift leiiä^ter unb
liebt burij^aus öebo^ nid^t auSf^Iie^Iidö) ben ungeraben (ft)ringenben) Saft:
9lid&t§beflott)eniger bleibt im ganjen bod^ ber r^^t^mifd&=b^namif(j&e ßl^arafter
be§ 2Karfd&c§: 2Kafe unb SEaft muffen jur Siegelung ber ftört)erbetoegung
flar unb fd&arf au§ge})rägt merben. Sie gröpcte 3MannigfaItigIeit beS 3:anj=
rl^^t^muS ergoßt ba§ Sluge mel^r unb forbert, jumal aud& megen bc§ jartem
(51^aralter§, ftatt ber ©d^Iaginftrumente (SErommel, SEamtam) jur ^Begleitung
um fo el^er ©efang (3:anälieb!) ober 3!nftrumentalmufif. S)cr 3:anj läpt
feiner 9latur naiä^ eine Sergeiftigung e^er ju. 3Jon bornl^erein liebt er bal^er
unter ben Snflrumenten biejenigen, meliä^e burdb ben jmar fd^arfen, aber
bod& feinen ©aitenton ben @eifl anregen. S)er 3:anj lä^t aber aud6 bie
bramatifd^e unb fogar bie f^mbolifd^e SarfleKung ju; bie ffunftleiftung
fd&eint fie fogar ju forbern. S)aS fül^rt un§ über ben einfad^en 9lu§brudf
einer torifd^en Stimmung l^inaug.
300. ®er 3:ani unter Segleitung öon ©efang unb ©piel, loel^eS
festere fo gut mie beim 5Diarfd^e unentbc^rlid^ ift, gehört ol^ne S^^eifel ju
ben natürlid^flen ^lufeerungen ber innern ©timmung. 3)ie altern Sänje
ftanben al§ Steil^entänje, bie f^ritttoeife fortfd^reitenb unb nid&t fprungmeife
fid& brel^enb (toie bie 3lunbtänje) ausgefül^rt mürben, ber 3Marfd&bemegung
fel^r nal^e. S)iefer 2lrt finb ba§ beJannte 3Kenuett unb bie ebenfo befannte
^ßolonaife. 9leben biefen ^abtn SBaljer unb 2KajurIa unb einige anbere
9lationaItän}e fünftlcrifd^e 9lu§bilbung gefunben. S)ie SKufif ift junöd^ft an
bie ail^^t^men unb bie Randfiguren gebunben, l^at alfo jur (Srunbform ge=
mö^nlid^ jmci breiteilige S^afte, bie in gleid&er ober öl^nli^er fjorm mieberfe^ren.
SBieber jmei 3:a!te, mie beim SDlarfd^, obmol^I einer ju genügen fd&eint; benn
bie Äunft miH flatt ungeteilter ®infa^^eit überaß ßinl^eit in ber SHe^rl^eit.
S)a§ 3:an}neb lann nur ein fel^r einfa^ geglieberteS 25ol!§Iieb fein; ber
beliebte Stefrain !onnte am längftcn no^ ben 3:än5ern felbft überlajfen
merben. 3)ie 3!nftrumental!unfi brängt nun unauf^altfam ju meiterer ®Iie=
berung : 2 X 2 Saite bilben erft ein äft^etifd&eS ®anje§, einen ©a^. ®er
©a^ aber forbert einen ©egenfa^; alfo geftaltet fid& bon felbft bie 5ßeriobe
au§ a^t Saiten. SBieberum erfd^eint nun bie ^eriobe erft al§ ganj t)oII=
3. 2Jlarfd& unb Slong. 231
enbetc ©runbform (fic cntfpri(i&t ja crft bcm auSgebilbcten, b. ^. jufQmmcn=
gefegten ©a§e ber Bpiaä^t, ber gleid^faHS ^ßeriobc l^cifet); bälget bröngt bic
ßunft boju, aus jtoci ^eriobcn jtoei irgetibtoic cntft)re(3&enbe SEcilc ju gc=
platten. ®iefe§ ©^cma l^at f^on ber Äinbcrtanj:
„$ültr ift eine ©anö geftol^Ien, bod ift mir nid^t lieB;
Sßer bie ®onS geftol^Ien l^at, baS ift ber ©änfebieb*;
nur wirb l^ier ber ad&tc SEalt bcibcr SJcrfc burd& eine ^aufc crfc^t. SBirb
6ci ber jmeiten 5ßcriobc ber SRunbtanj in umgefel^rter 9lid&tung ausgeführt,
fo bilbet fie ju ber crflcn bei aUcr ^tl^nliiJ&Ieit bo(J& anä) einen ®egenfa|.
®ie 2Welobie ift ein treues Slbbilb ber rl^^tl^miftä^en 9Inorbnung.
301. S)a aber bie Srettciligleit bic beliebteflc ©lieberung ber boII=
lommencn Äunft ift (9lr. 296), fo toirb baS 3:rio angefügt, in bem afle
melobifd&en unb l^armonifij&en 2KitteI ber 3Wufif jum SluSbrud ber ©tim=
mung aufgeboten merben. S)cr 3:anä l^at in ber Eigenart ber Seioegung
unb bcS ungeraben 3:afteS eine bortreffli^e ^anbl^abe, buriä^ 9lccent= unb
fjigurentoetj^fel bie Stimmung in il^rer ©ntwitflung unb il^rer 3^= unb 9lb=
nai&me ju ergreifen. 3nbem nun baS 3:rio bur^ ben mieberl^olten Seil
cingetal^mt toirb, bleibt bie ®reiteilig!eit beS ganjen SDlufiftoerleS in anberer
SBeife erl^alten; baS Sl^^tl^mifij^e ber SEangbemegung tritt toieber in fein
DoHeS JRed&t ein. ®aS ©timmungSbilb, meift SluSbrudf Weiterer Q^rcube ober
loeJ^mütigcr SErauer, toirb alfo im 3:rio bormiegcnb mclobifd^ gejeid^nct, fann
aber anä) \ä^on in bem rl^^tl^mifd^en 2KotiDc unb beffen bielgeftaltiger SBiebet;:
fc^r auSget)rägt toerben @r. ©(36ubert, 6]^o})in u. a.).
302. S)er SEanjrl^^tl^muS unterfd^eibet fid^ Dom 3Marfd&r]^t)t]^muS burd^
unglei(i& größere ®ef^meibig!eit bel^ufs 3)arfteHung innerer Sorgönge; unb
eben barum ift eS eine grobe Entartung, toenn StuSbrud! unb ©rajic ber
rollen Sufi, ju ftam|)fen unb ju lärmen, geopfert toirb unb bie 5Kufi! fid^
}ur Sfötberung berfelben ^ergiebt. ©d^on bie ©ried^en emt)fanben frü^jeitig
baS ScbürfniS, baS 3:anjlieb ed&t lünftlerif^ ju oeröären. ©taatSmänncr
unb felbft ^pi^ilofopl^en l^ieltcn eS nid^t unter i^rer SBürbc, ftd& mit biefer
tjfrage ju bcfd^öftigen. 9Jlarfd& unb %ani würben unumgängliiä^e SiIbungS=
mittel ber 3ugenb, beibe fanben aber anä) 9lufna^me in baS Äunftbrama.
6§ gab SBaffentänje unb gfefttäuje. 6inc befonbere Sebeutung gewannen
leitete, wenn il^r Snl^alt unb i^re Seftimmung religiöfer 9latur waren.
®ic bon alters l^er mit SEanj oerbunbene 5Kimi! fül^rte weiter jur S)arftel=
lung bon m^tl^ologifd&en ©toffen, alfo au^ ju ^albbramatifd&er ajlufil=
begleitung. 3Son ba aus lam man ju feierlid^en ß^orreigen, bie burdö
Aufnahme in baS Programm bürgerü^cr unb religiöfer S^ftß itnb ^alb=
religiöfer 3:]^eaterborfteHungen brei ffünfle in glei^er SBeife ju ^ol^er 3JoH=
enbung brad&ten: Dr^eftil, ^oefie unb 5Kufi!. 9Jlerfwürbig ift, wie pato
barauf bringt, bafe 3:anj unb ©efang in feinem 3!bealftaate eine feflgeregelte,
232 Sl*te8 Ä<4)itcl.
borf^rtftSmöfeigc gorm unb eine rcligiöfe SBci^e crl^alten. ®r fd&Iägt fogat
bor, e§ fofltcn emfte ®i^ter unb 2Ku[tIer burd6 STu^wal^I unb jettgcmö^e
Umgeftoltung eine offizielle ©ammlung guter alter ©efönge unb STönje ber=
anflQlten (®ef. 7, 799. 802).
303. 5Kit biel ^ö^erem emfte tourbe felbfiberftönblid^ ber religiöfe unb
^albreligiöfe SEonj bei ben Suben ge|)flegt. 3)at)ib tt)irb mäj Erlegung be§
©oliatl^ unter 3:an j unb 5KuftI gefeiert ; bie SBorte beS SanjIiebeS ober ein
®oppetoer§ beSfelben lautete: „©aul fd&Iug ber S^inbe taufenb, unb Sabib
fd^Iug ge^ntaufenb" (rl^^t^mifd^ mol^I fo ju meffen: u jl u -l u jl _l ||
V j- Kj j- KJ j- -L.), SllS ßönig tanjt ®abib fingenb bor ber 93unbe§Iabe
(f. 1 ßön. 18, 6 f. 1 5ßar. 15, 27 ff.). ®a§ ß^riftentum ^at ^eilige
3:änje nid&t bcrf^mäl&t; in Spanien unb in ben ft)anifd&en Kolonien finb
foI(3&e bei ^rojeffionen unb fonft an S^efttagen no(ä6 in Übung. 6in nterfe
mürbigeS grbftüd an% bem frühem SJltttelalter ift bie gc^ternad^er @pring=
projefpon, meld&e nad^ ber alten Sanjmeife nod& anjä^rlid^ gehalten mirb.
©ie ift ober tourbe in t^rem SSerlaufe eine f^mbolifij^e geier be§ 6l^riften=
tum§. 6ine foI(ä6e ober ä^nlid&e ©^mbolil !ann natürlid^ bie 3MuftI nur
inbirelt barfteKen, b. 1^. in ßiebern, nad^ beren Sejte fie il^re SBeifen d&araf=
teriftifd^ geflaltet ; aber ba§ ift nur eine fcl^r entfernte Säejiel^ung unb !aum
nennenSioert.
304. ®ie Scbeutung ber SanjpdEe für bie gntioidlung ber SKufif
befielet junäd^ft, toie beim 3D?arfd&e, in ber SSoIIIontmenl^eit beS 9t^^t^ntu§
unb in ber mit bem Srio gegebenen jufammengefej^ten gorm. Sie
ftrenge Stegelmö^igfeit be§ Saftes unb be§ 6inf^nitte§ nad^ jebem ©a§e
unb ieber ^eriobe, femer ber leidet melobifd^en SewegungSeinl^eit ift fe^r
geeignet, ben (Sang unb glufe ber 3MuftI ju regeln. ®arum übten befonber§
ältere 2Keifier i^re ©d^üler burdö %ani\tMt fomol^I in bem med&anifd^cn
Seile ber Äunft aß aud^ in bem auSbrutfSboIIen Vortrage unb gemöl^ntm
fie an eine W\f)t mannigfaltiger 5Kotibe. ®a§ Srio fü^rt juerft entfd^ieben
über bie einfad^fte (Srunbform ber 2Kufif (@a|= unb ^ßeriobenbau) ^inau§
äu jener 5Ke^rteiIigfeit, toeld^e auf entfd&iebenem (Segenfa^e unb beffen aa3ieber=
auflöfung bcrul^t.
305. 3n ber „©uite" (Partie) berbanb man (feit bem 16. unb
17. 3al)r^unbert) Sönjc berfd&iebenen 6I)araIter§ ju einem (Sangen mit
funftgemöfeen Überleitungen. Sn^alt unb ©lieberung tourben nun rcid^er
(©eb. Sad&), unb bie 9lu§brudt§mittel beS boKen Drd^efterS lonnten ]^eran=
gejogen merben (3^r. Sad&ner).
3)te ©onate unb bie Oper l^aben ben @influfe ber SanjpdEe erfal^ren
(ba§ SKenuett!); ber 3nftrumentalftil l^at ftd^ nid^t jum toenigfien an ber
©uite fo großartig ^erauSgcbilbet, unb Sanjftüdfe ju mimifd&en SJorfteHungen
(SaHette) l^aben bem aJlufifbrama nod^ ganj befonberS borgearbeitet. 3)ie
4. S)a8 9lecitatit). 233
Ic^tc Sltt toa^xt ni(j^t mc^r bie ©trengc be§ St^^tl^muS unb bie ßtnl^cit bcr
5Kotit)c, toetl fic einer tDed&felüoHen ©cene fid^ anfd&Iiefet. SSor allem mirb
aber bei allen pantomtntif^en SarftcKungen bie SBürbe ber ifunft gcföl^rbet.
4. ^aS 9lecitatit).
306. Sluper bem Sieb, SDlarfd^ unb Xanj mu^ al§ heitere ©runbform
bcr SWujtf, toegcn i^rer Sebeutung für ba§ Srama unb ben ßiriä^engefang,
bie recitattbc 2Kufif ober ber @t)rc(j^gefang angefel^en merben. ®§ ift (im
aDgemeinjicn ©inne) bicjenige ©attung, in ber fid^ Stl^^tl^mus, 5!KeIobie
unb Harmonie einer gel^obenen 3ftebe böllig anbequemen, fo
bafe bie eigenen ®efe|e ber 5!Kufif ftd& bem ©efe^e be§ SflebebortrageS bienenb
unterorbnen. SBie bei 2Karf^ unb 3:anj ba§ mel^reren ffünflen gemein=
fame ®efe^ be§ [trengen 3^it^^6c^ ^i^ muftlalifiä^c tJormbilbung teils be=
fd^rönlt teils be^enf^t, fo beanf|)rud^t im JRebegefang ein ganj frembeS
®efe| benfelben ßinflufe; jenes !ann nid^t ol^ne ©runb eine @clbftbefd&rön=
lung ber 3WufiI jur öoKIommenen ©urd^bilbung eines il^rer ßlementc (beS
aHl^^t^muS) genannt werben, toäl^renb in bem le^tern tJötte alle Gräfte ber
SWufil jur Unterfiü^ung ber Stebe bienen unb il^re felbftönbige Sntmidflung
o-pfcrn muffen. Sm Siebe geben 2Kuftf unb Sejt ungefäl^r einen gleid&en
3:eil i^rer ©elbftönbigleit auf, wenn anberS ein ganj rid&tigcS SJer^öItniS
obtoalten foH; meber bie eine nod^ bie anbere Sunfi tritt fd&Ied&t^in in eine
bienenbe ©tellung. S)a^ aber anä) ein SSerpItniS ber Ungleid&^eit ni^t
an unb für [xä) ein berfe^rteS ift, bereift eben baS aftecitatib , baS fi^ ju
aßen Stxkn neben bem Siebe itijanptä ^at.
307. 3n iebcr 3lebe finbet fid^ mc^felnbe Sonftörle, Sonbauer unb
SLon^öl^e; aUcS bieS ift nad^ Söllern unb 3nbibibuen berfd^ieben. @ine
auffaHenbe Slbtueid^ung bon bem, maS gemö^nlid^ gel}ört mirb, nennt man
ein „©ingen". S)ie gehobene Siebe lä^t gern ein bemühtes, auf ben rcbne=
rifd&en unb öfl^etifd^en ßinbrud bered^neteS „©ingen" bemel^men; aud^ ein
getbiffer |)rofaifd&er Sll^^t^muS ftellt ftd& nid^t feiten ein. ffommen nun ju
Äunftjttjedfen nod^ rein mufifalifd&e Söne (f. 5Rr. 38) in Slntoenbung unb
werben biefelben, mit etwas melobifd&er gförbung, juglei^ in bie ®efe|e ber
SEonalität (unb Harmonie) eingefd&Ioffen, fo entfielet baS eigentlid&e Stecitatib,
baS man in 9loten fe^en, fpielcn unb l^armonifd^ begleiten lann. 3n biefer
2lrt trugen bei ben ®ried&en bie öltern ©id^ter fowol^I e|)ifd&e wie jambifd^e
©ebid^te bor. Sie d^rifilid^e ßird^e bebiente ftd^ bon 9lnfang an einer ä]^n=
lid&en SJortragSweife, fei eS ba^ fie biefelbe bon ben ©ried&en ober anbcrS=
Wolter entlehnte. 9la^ ^dmi)ol^ (3:onemt)finbung ©. 393) finb bie aSor=
tragSjeid^en ber gried^ifd^en ßird^e bem bemotifd&en ^Ip^aM ber 9tg^t)tcr
entlel^nt. 2lnbere glauben, baS ürd^Iid&e Stecitatib fei ein ßrbftüd ber |)ebräer,
bie ol^ne 3ti)eifel bie ^falmobie als ©pred&gcfang bel^anbelt l^aben unb
234 ^4ted ^a^itel.
bereu ältefle Sibell^anbfd&riftcn fiä^on ba§ befannte ©Aftern ber Sejetonjeid^en
entl^alten. Unfer btaniatifd&e§ Stecitatto tourbe um 1600 unter augbrä(f=
U^er Berufung auf bie ©ried&en uub auf bie mufilolifd^cu 9lnIIöngc im
Stebcüortrage unb jum S^^edfe beS natürlid^en SluSbrudeS beS 2Bortfinnc§
unb ber in bemfelbeu ft^ äufeernbeu 6m})finbuug gefd&affen unb raf(i& fort=
gebilbet, bon 9lnfang an anä) l^armoniftä^ begleitet (^eri, 5Kontet)erbe u. a.).
308. S)er ©})re(i&gefang betoegt fid& in bem ganjen toeiten ©piel=
räume, ber bie eigentliiä^ rl^^tl^mif^e unb melobifd^e SDlufil trennt öon jenen
ffabenjen unb anbern l^albmuftlalifd^en ©lementen, meldte mir befonberS in
ber affeJtboIIen ober gejierten 9tebe unb lieber jumeift beim ©ebraud^e bon
Snterjef tionen , Siebefiguren unb am ©a^fd^Iuffe beobad^ten. 3m Sir(ä^en=
gefange bilbet inbe§ ber 3:on, in meltä^em bie (Spiflel borgetragen wirb, gu
bem 5präfation§tone einen auffallenben ßontraft. ©benfo lann e§ ni(i&t§
35erf(j^iebenere§ geben al§ einen SBagnerfd^en ©pre(ä6gefang unb ein Stecitatib
au§ bem 2lnfang be§ 17. Sö^tl^unbertS unb enbliiä^ eine altgried&if(i&e ®e=
IlamationSmufif. Sicfe le^tcre ^ielt ba§ SJietrum ein, f annte aber feine
ober nur eine fe^r bürftige Harmonie; unfer meIobramatifd6er 3Sor=
trag bürfte im übrigen auf berfelben ©tufe ber aSerf^meljung bon SQßorten
unb jtönen ftel^en, b. ^. ^ier wie bort bel^ält ber S)eflamation§ton nod^ eine
faft boflftänbige ©elbflönbigfeit, ol^ne felbft jum eigentlid^ mufifalifd^en 2:one
ju werben, ©o ganj mad&te man im 17. Sctl^tl^unbert bie SRufil bem
SBorte nid&t bien^bar; bie auSgebilbete Harmonie unb bie SematJ^Iöffigung
be§ S^it'^öfe^^ i>^^ ^oefie filierten auf neue SBege. 5!Kan gab ber 9tebe
felbft mufilalifd&e SEöne, unb biefe fe^en wir immer borauS, wenn wir bon
„Stecitatib" ft)red&en. 3lid&t§beftoweniger werben wir am beften mit bem
Slecitatib anä) ben melobramatifd^en Vortrag bel^anbeln, weil ftd^ bei biefem
bie 3nftrumentalftimme nid^t biel anberS ber^ält. Salb überwu^erte bie
3:onfunft ben SBortinl^alt , ein SWipraud^, bem fd^on ©ludf entgegenwirfte.
SBagner f(imt)fte nod^ entfd^iebener bagegen, geftattete aber bod^ ben 3nftru=
menten fel^r gro^e ^xd^dt unb fud^te anä) burd^ feine „Seitmotibe" ba§
mufifalifd^e (Sefe^ ber einl^eitli^en 5KeIobie irgenbwie jur (Seltung ju bringen.
SBie weit er ft^ |)raltif^ bon bem gried&ifd&en Srama, auf weld^eS aud^ er
fid^ berief, entfernte, fd&eint il^m felbft nid^t böUig Ilar geworben ju fein.
309. '^an mö^te glauben, bafe nur ein bot)pelter Sffieg bem SRecitatib
als fol^em jur SSollenbung offen fte^t : entweber mu^ cS fid^ ben t)oetifd6en
©efe^en einer metrifd^en 9tebe böHig unterorbnen, ober einen freien Slejt
nur fpielenb umfcänjcn. SBenn wirllid^ ber ©t)red&gefang in wefentlid^
anberer SBcife ftd& gcftalten foU al§ baö Sieb, in wcld^em ^oefie unb 5!Kufif
JU gleid^en Steilen an ber Äunftleiftung mitwirfen, fo mu^ e§ bamit boller
©ruft fein, bafe nur ber gd^altboHe Sejt burd& bie SReije ber S^öne gefälliger
berüinbct unb fünftlerif^ gehoben werbe, bie 9Jiufif felber aber ni^t nebenl^er
4. ^a& IRccttattö. 235
ober aufbringlt(j^ il^rc befonbcrn SJotjügc gcitenb tnad&c. SBirb bicfc Siegel
nid&t eingehalten, fo entfielt entmeber eine S^itt^^flöttung, ber bie ßinl^eit
gebtid&t, ober ein rein I^rif(ä6e§ Sieb, ober aber Snjkunientalttiujtl, mlä^t
ben 3:ejt nur als Saflaft mitf(j^lept)t. 3)ie 3Muftf mufe ftd& alfo freimifltg
befii^ränlen. 3m eigentlid^en SRecitatiö fann jte freiliij^ fo menig wie in 3:anj
unb 5Karf(J^ baS ^öd&fte leiften; bie Snflrumentalmufil mufe ja fogar bie
^efydn be§ SiebtejteS abtoerfen, um jur l^öd^flen SJoIHommenl^eit ju gelangen.
aSerfiJ^iebene StoHen forbern t)erf(3&iebene fieiftungen Don bem, ber fte \pkli;
toer ben ®iener mad&t, mu^ il^n ganj fpielen, ober er berbirbt ba§ ®iM,
310. 3m Ülecitatit) bcrji^tet alfo bie 3WufiI auf fonfequente t]^ema=
tifd&e Söi^tbilbung unb bie baburiä^ gu ergielenbe ßin^eit, auf jene ftrenge
©lieberung, wellige in bem rl^^t^mifd^en Xaftmafee berul^t ober au§ biefem
l^erauS fi(j& entoidfelt, enblid^ auf eine flicfeenbe SKelobie. @ie n)iH nur ben
SEejt unterftü^en, jwar nW unmittelbar beffen ©ebanfeninl^alt fd^ärfer auS=
t)rägen, \oa% ü)x nid&t mögli(ä6 ift, fonbern junä^ft nur ben bie ®eban!en
begleitenben @mt)finbung§ge]^alt, foioeit e§ ol^ne merffiij^e ßinbufee be§ })oeti=
fiä&en Vortrages , ber feierliiä^en ®eflamation , gef^el^en fann , ju feinem
gebül^renben SHeiä^te berl^elfen unb buriä^ ben !ßanbtx ber %bm bie ganje
Sftebe berflären.
S)iefe allgemeine 3bealifierung ber Siebe ift beim 3lecitatib eine ^aixpU
aufgäbe, ba ja borauSgcfe^t ttiirb, bafe ber ©timmungSgel^alt be§ SEejteS
nid&t bie rein I^rifiä^e ßiebform erl^eif^e. ®enno(J& wirb 3n^alt, tJö^wi unb
Swedf ber SHebe balb mel^r balb weniger SKelobie erforbern. ©o giebt e^
alfo berfij^iebene 9lrten be§ recitatiüen SSortrageS.
311. Sie unterfle ©tufe ber ßrl^ebung über ben 2:on ber bloßen
S)eIIamation finbet fi(j^, wie wir fallen, beim meIobramatif(3&en SSortragc.
2)iefer wirb auf ben ©ricd^en 9lrd6iIo^u§ jurüdEgef ül^rt , ber feine 3cimben
teilweife in mufilaltf ^em 2:one r e c i t i e r t e , teilweife ju einer 3nftrumental=
ftimme einfad^ bellamierte. Sie le^tere 9lrt nal^m bie grieiä^if^e 3:ragöbic
auf (2BefH)^aI, ®rie(^ifd^e 3t^^t^mi! [3. 9lufl.] ©. 53 ff.). 2rrifloteIe§
(^oet. 19, 6) erllört fid6 aus bem aa3iberft)rud&e jwifd^en ber 3nftrumental=
ftimme unb bem gel^obenen 3)eIIamation§tone , ber ^ier nod& feine ©ing=
ftimme ift, ben leibenfd&aftlid&en unb barum tragif^en 6^ara!ter eines folgen
SSortrageS. Seet^oben l^at mit guter SBirfung bie meIobramatif(3&e SDlufif in
ber ©^lufefcene beS ©oetl^efd^en „ggmont" fo berwenbet. ©anj ö^nlid^ ift
bie fterlerfcene im „g^ibelio" be^anbelt.
312. 9IIS wirfli^eS Stecitatib benft fid& ©ebaert aus überjeugenben
©rünben im grieiä^ifiä^en Srama bie Slnapöfte borgetragen. SBaJ^rftä^einlid^
wirb unfer recitativo secco am bcften bamit bergli^en werben, weil eS
bie einfad^fte in ber Dper gebröud^lid&e 9lrt ift: (Seneralbafebeglcitung auf
einem 2:afteninflrumente. S)er oben erwö^nte 9lntiIod&uS wenbete beim eigent=
236 ^^tes itapiUl
lid^cn 3lccitatit) mä^i unifonc, fonbcrn f)ütxopf)one ^Begleitung an, b. f). er
fügte bem ©timmtone Slüorbtöne be§ 3njirumente§ bei. Unfer recitativo
accompagnato (oblige) l^at Dr(3&ejierbegleitung unb taltmö^ig aufgeführte
a3or=, 3tt>if^cn= unb 5Ra(3&f|)ieIe.
313. ®er lirij^lid&e ©t)re(j&gefang bient niiä^t bramotifiä^en Sieden unb
^ot barum feinen befonbern ßl^aralter; felbji bie SBejei^nung „Stecitatib''
wirb il^m nur in einem oflgemeinern ©inne, nid&t afö ted&nifd&er 9lame
beigelegt. @r !ennt nid&t bie bramatifd&e Unruhe, brandet ni^t ttjed&felboDen
©cenen ju folgen, niij^t ftärlere Seibenf^aften unb beren })Iö^Iid&e SluSbrüii^e
barjuftellen. Sarum ift er jtoar einförmiger, aber au(ä& ftetiger unb eben=
mäßiger unb ^ai nid&t nötig, um be§ befonbern 5lu§bru(fe§ miHen ben
melobifd^en ®ang ber SDlufil, infofem ein fold^er bejtoedt toirb, beftänbig
ju unterbred&en. ®er ^totd be§ lird^Iic^en ©efangeS l^ält il^n allerbing§ in
ftrenger 3^^^^, in fel^r engen ©d^ranlen ; ber Sejt xo\U l^errfd&en unb man(ä&=
mal fogar nur buriä^ ben mufifalifd&en 3:on ol^ne nennen§tt)erten melobifd&en
2Be(J&feI unterftü^t werben, derartig ift im römifd&en ®e[ang ber Vortrag
Don @t)iftel, @t)angelium unb Drationen. Sie SBorte foKen ^ier beutlid^,
aber im ©cfangtone borgetragen werben, welliger bem l^eiligen Snl^alte als
ibealifierte gorm bortreffli^ entfprid&t. 9li^t biel mel^r SWelobie ^aben bie
^falmentöne; aber bie ©|)annung jtoif^en ber Dominante unb anbern ä^aiah
teriftif(ä6en 2:önen einer beftimmten SEonart unb einige baju paffenbe melobifd^e
SBenbungen ^eben bie ^falmobie bod^ weit über ben 8eItion§ton mit feinen
einfaij^en ßabenjen l^inauS unb mad^en fte für l^armonifiä^e Segleitung unb
!ontrapunItif(j^e Bearbeitung geeignet. S)er SSortrag entfernt \xä) in bem=
felben 2Kafee weiter bom einfa(ä6en Bpxtä)- ober ®eIIamation»tone ber ge=
l^obenen ober aud& ber melobramatifiä^ begleiteten 9tebe; bie SDlelobie gewinnt
eine etwas freiere Bewegung, fud&t weniger ba§ ©})re(j^en nad&jual^men afö
ba§ ®ef|)ro(3&ene jur ©cltung ju bringen unb mag jur ßennjeid&nung biefc§
Unterfd^iebeS lieber ©|)rad&= als ©t)re(j&gefang genannt werben, weil aUerbingS
bie ©t)rad&e (ber %tit) nod^ immer einen entfd^eibenben ßinflufe auf ben 95or=
trag ausübt. ®ie ß^oralmelobie jum Gloria, Credo, Te Deum u. f. w.
^at fd^on biel reid^em melobifd^en SQBecöfel, o^ne bod& mel^r ju fein als eine freie
Sejtrecitation mit allgemeinem SluSbrudf ber ©runbftimmung. Sie metrifd&en
^^mnen l^aben einen öl^nlid^en SSortrag, ber ftd& aud& baburd^ als Stecitation
fenntlid^ mad&t, ba^ in ber Siegel jebe ©übe nur einen einjigen 3:on erl^ölt.
Sie ^räfationen, baS Pater noster, baS faft ganj liebmöfeige Exsultet
unb einiges anbere finb bie pd&ften fieiflungen beS ©|)rad&ge[angeS ; pe
geben burd^ überaus einfädle melobifd&e SKittel, ol^ne bie geringfle 33eein=
trödötigung beS aBortberftönbniffeS bem 9tecitatib bie ^ö^fie tJeierlid&feit unb
I^rifd&e SSerllärung, bie in biefer 3Wufi!gattung erreid&bar fd&eint. ©e^r nal^e
ftel^en bie fiamentationen , bie ber wel^mütigen ©timmung einen ebenfo an=
4. S)a8 9lccitatiö. 237
getncffenen SluSbrudf geben. 5lud& Äompofitionen tuie boS Salve Regina,
Regina coeli bel^alten immer no(J& ettoaS bom rccitatiöen ß^otaftcr: fo
natürli^ unb Iröftig tritt ba§ SBort nid&t fo faft neben ber SHelobie, oI§
bon biefet nur emporgetragen in bößiger ©elbftönbigfeit l^erbor.
314. S)er gregorianifd&e ©l^oral trägt über^out)t nid&t ba§ ®et)röge be§
ßiebeS, noä) weniger ber bramotifd^en ober gar ber blo^ r^^tl^mifd^en SKufü.
Sie SKa^l^altung in 3:önen jiemt fo fel^r bem ©ottcSl^aufe , unb ba§ Ilare
SSerftänbniS be§ SBorttejteS toirb fo entfd&ieben burd& beffen |)eiUgfeit unb
burd^ ben 3^^* ^^^ Selel^rung unb ßrbauung geforbert, bafe ber @t)rad&=
gefang in ber ffird&e bie beborjugte Stangfteflung einnimmt. SBenn aber
baS profane SRecitatib biel mel^r bramatif(3&e Sebenbigfeit unb ßl^aralteriftif
im einjelnen enttoidelt unb oft in größerem Umfange bie ffröfte ber 3:on=
lunft bef(ä6öftigt, fo wenbet ber ürd&liij^e ©praiä^gefang bem SBortfinne unb
bem aflgemeinen @timmung§ge^alte feine ganje ©orge gu unb toirb baburd^
finniger unb nid&t feiten melobifd&er. S)ie Steigerung beSfelben filiert in
ben fiiebjiil l^inüber, möl^renb bie Steigerung beS profanen 9tecitatib§ bie
2lrie crjeugt, aber aud& bie SBenbung nel^men fann ju einer in fid^ felbft
}tt)iefpältigen 9lrt ber 2Kufif, inbem i^r ftatt beS melobifd^en 9luSbrudEe§ ein
i^r frember bramatifd^er Stccent aufgenötigt toirb. Sei bem gregorianif^en
ß^oral l^inttjieberum lann mand&mal nur ein gefd^idter Vortrag bie ©efa^r
ber au§brud§Iofen ßintönigfeit bermeiben, j. 93. beim Vortrag ber Sefungen,
ber ^falmen unb bieler anbern mclobiearmen ßl^oraltejte. Sic Sebeutung
beS 3!n]^alte§ l^ilft iebod& nid^t menig jur Überioinbung ber ©d^toierigfeit,
toä^renb ba§ bramatifd^e 3lecitatib oft biete Slbgefd^madttl^eiten burd^ bie
mufilalifd^e Segleitung nid^tsfagenber Sejtmorte ju Sage förbert.
gür ben @pred& gefang unb in mobifijiertcr gorm für jeben ©prad&=
gefang laffen fi^ einige ®efid&t§punlte beftimmen, ttjcld^e ffomponiften,
©pieler unb ©änger bor 9lugen behalten müjfen. 2Kan fann bie 5!KeIobie
in möglid&ft genaue Übereinftimmung mit bem melobieartigen ©prad^tone
bringen, inbem man ben Ie|tern in feinem ©teigen unb Ratten einigermaßen
nad^bilbet, alfo bie ©^lufelabenj, ben 9Bort= unb ©a^acccnt unb ben orato=
rifd^en Stl^^tl^muS burd& bie meIobi[d&e ©d&Iußform, baS ©teigen eines SoneS,
bie ©d^toere be§ ftarfen Bauteiles, bie Sonbauer, bie ©pannung ber bi§
jur Dominante ober ^öl^er ftd^ erl^ebenben Sonreil^e, enblid^ burd& Überein=
ftimmung ber 2KeIobie= unb S^cjteinfd^nitte , beS S3cn)egung§= unb 3:empo=
toed&fefö, fomeit al§ bie 3Wufif eS geftattet, in ben 3:önen mieberfpiegelt.
©emäß ber fpätern ßntmidflung ber latcinifd&cn ©prad&e unb bem gegen=
toärtigen S^P^^i^^ ^^^^ meiften neuern ©prad^en ergiebt fi^ nun für ben
lirdölid&en toie profanen ©pred&gefang, baß bie 3lüdfid6t auf bie ©ilbenbauer
gegenüber bem 2lccent fe^r jurüdftreten muß, ja baß fie gar nid^t fonberlid^
in Setrad&t f ommt ; tüenn g. 35. nur ber §auptaccent ber 5KeIobie mit bem
238 Sld^tcg Äo^jitcl.
^au})taccent bc§ %e]ck% jufammentrijft, fo fann c§ fcl^r gefällig Hingen, toenn
auf einet unbetonten, furjen ©übe äße äbftufungen beSfelben in meisteren
befonbern 9loten ft^ üereinigen. @§ ift aber fiber]&au})t, felbft für ben Iir(3^=
Ii(3&en ©cfang, jumal ben bielftimmigen, ber SWelobte ein gutes SKa^ freier
SemegUng ju geftatten. ®er ©a| : „©ingc bie ©})ra(3&nteIobie, mit bu ben
Sejt liefeji", ift jiarf, fel^r flarl einjufd&rönlen , anä^ wenn bom SSortrage
beS ß^orafö bie JRebe ift; bie Siegel, obfd&on an fid& bortreff Ii(% , erleibet
öfter in ben einfaij^flen ©tüden ja^Ireid&e SKuSnal^men. SDlufif unb ©prad^e
!önnen unmögli(3& ganj gleiten ©efe^en unterworfen werben. 9lud6 bie
beutli(3&e 9lu§ft)ra$e beS %t]ck% beim ©t)re(j^gefange fann übertrieben werben ;
©ingen ift nid^t ein einfad&e» ©t)re(3&en, bie 2Kufif forbert bon ber ©prad&e
unerbittlid^ einige S^geftönbuiffe.
5. Sonate unb Swp^onU.
dlb. 9lid^t ntel^r eigentlid^e ©runbformen , fonbem abgeleitete größere
Songebilbe treten un§ ^ier entgegen, ©ie btirfen fi(j& aber unmittelbar an
jene anf(3&Iiefeen , weil fie tro^ ber 3wfammenfe^ung au§ mehreren f(i&on
jiemli(j& au^gefül^rten ©tüden bo(J^ eine gefd^Ioffene ©inl^eit aufweifen unb
im übrigen 2Kufter reiner 3nftrumentalmufil, b. 1^. in feiner SBeife ®efang=
ftücfe finb. Sei ber 9lu§bilbung ber neuern Snflrumentalmufif (im 17. 3a^r=
^unbert) war „©onate" gerabeju bie gemeinfame 33ejeid&nung für aKe nid^t
gefungenen 3:onftüde. ©ie war alfo unb blieb aud^ feitbem, toa% ber 9lame
befagt, ein „fflangftüd", wirft bemgemöp aud& mel^r burd^ bie Klangfarbe
unb bie 2eiftung§fä]^i gleit bc§ 3nftrumente§ aß burd& bie bem „©ingpd"
eigentümlid&e SBärme beS 6mpfinbung§au§brude§. (Segen 6nbe be§ 17. 3al^r=
^unbertS (bei ßorelli) war fie eine Sufammenfe^ung au§ mel^reren berwanbten,
aber burdö baS %tmpo berfd^iebenen Snftrumentalftüden. S)er 9lr. 305
erwähnte Stanjc^IIug (bie ©uite) war ö^nlid& geftaltet. 3laä) ^^. 6. S3ad&
unb 3of. ^a^bn bilbete fid^ eine ganj einl^eitlid&e, eigenartige gform l^erauS,
weld&e für größere ^nflrumentalflüde überl^aupt muftergültig würbe. S)em=
nad^ ift nun bie ©onate (im engern ©inne) ein mel^rfad^eS 3nftru=
mentalfoloftüd bon lontrafticrenbem Sewegung§gange unb
©timmungSgel^alte.
316» 33on ben borau^gel^enben Songebilben unterfd^cibet fid^ bie ©onate
burd^ Umfang, SluSfü^rung unb Sebcutung. S)a§ befagt ni^t einen blofeen
(Srabunterfd&ieb, fonbem eine ganj neue 9lrt bc§ 3lufbaueS. Seiber fel^It ^ier,
wie fo oft in ber SJlufiltl^eorie, eine fefte, fofort berftönblid^e 2lu§brudE§ weife.
©0 lange bon ben ßlementargebilben ber 9)iufif bie 3lebe ift, entlel^nt man
bie Sejeid^nung ber SKelobieglieber ben ©a|gebtlbcn. Wart fprid^t bon ©a§
(meift bier 3:aften) unb bon ^erioben ober S)ot)t)elperioben. ße^tere bilben
5. ©onatc unb <Bt)mpfjdmt. 239
fdöon fcl^r l^öufig bte ©tunbform einer ganjen Äom})ofttion , eines 9WuftI=
ftü(fe§. 2Bir fallen aber fd&on beim Sonj unb Wax]ä), bofe fie burd^
toeitere innere ©ntwidlung mehrteilig merben lönnen. ®iefer 9luSbru(f
Icnnjeid^net tl^ren S3au al§ ftreng einl^citlid^, inbem ja bie ©lieber nid^t für
fi(i&, fonbcrn nur als „Xetle" gelten foHen. ®ie ©onate gel^t nun meiter
unb mai)t ein „mel^rteiligeS ©türf" wieber jum Scftanbteile eines großem
©anjen; baS ift eS, ttiaS toir ein „mel^rfod^eS ©tüd" nennen ttjoflen, b. ^.
ein immer nod6 einl^eitliiä^eS ©tüd, beffen ©lieber aber bie ©eftalt me]^r=
teiltger ®i&dt l^aben. 3)iefe ©lieber nennt man nun abermals ©ö^e, um
anjubeuten, ba^ fie bod^ eine bergleidbStoeife gro^e ©elbftänbigleit beanf})ru(3&en.
3)ie ©onate gleid&t alfo einer aus mehreren ^anpi fö^en lunftöoll gcbilbeten
^eriobe; fie befielet auS einem SSorber= ober |)au})tfa^e, einem 2Rittel= ober
©eitenfa^e unb einem ©d^lufefa^e ; biStoeilen tritt nod^ ein gmifd^enfa^ l^inju.
2)as oben bei Sanj unb 5)iarfd^ erflärte gntmidElungSgefe^ (9tr. 296 f.)
gilt aud^ für bie ®rei= ober SWel^rteilung ber ©onate : ©egenfa|, ©pannung
unb Söfung. ®er S^fammenl^ang ber ©ä^e toirb ettoaS loderer, bod& ni^t
fo, ba^ mel^r ein äufecreS als ein inneres S3anb fie jufammen^ielte. SBir
werben im Oratorium unb in ber Oper nod& umfangreid^ere SKufüftüdfe
fcnnen lernen, beren ßin^eit aber me^r eine äußere, bem ©toffe entlehnte
ift; bie ßinl^eit ber ©onate mufe bagegen nod& als eine organifd^e, burd^auS
Dolllommene begeid^net merben.
317. ®as „©olo" bebeutet in ber Snftrumentalmuft! bie Sptigleit
nur eines 3nftrumentcS ober toenigftenS baS Vorwiegen beSfelben, fo bafe
nur eine Klangfarbe ^errfd^t unb jcbe anbere l^öd&ftenS als ©d^attierung
bient. ®aS eine (l^errfd^enbe) Snftrument !ann aud& mel^rfad^ befe|t fein.
SBir Derpel^en unter ©onate im engern ©inne, toie eS aud^ gemö^nli^ ge=
fd^iel^t, bie 3WufiI für ein in fold&er SBeife bereinjelteS Snftrument. ®erart
ift bie um 1700 burdb 3iDl^. ffül^nau in 9lufna^me gebrad^te ßlat)ier=
fonate. ®aS ftrcnge ©olo toirb au^ als eine 3nftrumentalftimme be=
jeid^net, toenn man nömlid^ im ©egenfa^e jum öoKen Dr^efler, b. 1^. jur
Mftimmigfeit, öon einem ein= ober me^rftimmigen ©olopdEe f|)rid&t. ®iefem
@t)rad&gebraud&e gemä^ f äffen mir l^ier ©onate als einftimmigeS ©olo auf;
bie gformen ber me^rflimmigen Snftrumentalmufif finb bereits oben 9lr. 268 ff.
angebeutet toorben.
SBenn in ber Definition Dom ©timmungSgcl^alte bie 3lebe ift, fo foK
bamit nid^t geläugnet toerben, ba^ über]^aut)t beim Snftrumentenft)iele baS
Älingen eine bebeutenbe 3lolle beanfprud^t, baS 9lusfingen einer ©timmung
ober jurüdtritt.
318. Slllein bie ©onate barf bod& nid^t mit einem SSirtuofenfpicl ju-
fammengemorfen »erben, bei metd^em bie fieiftungSfä^igfeit bcS SnftrumenteS
unb beS ßünfilerS in erfter 2inie glönjen fall. ®aS einftimmige 3nftru=
240 ^4ted ^a^ttel.
mentalfpicl , als bem mcl^rtciligcn „Siebe ol^ne 33Borte" nod^ am nöii&jien
öermanbt, ift ganj geeignet, burd& 2empo, S^^tl^tnuS unb mcIobi|(i&e ®änge
einer t)etfönli(j^en ©timmung be§ ©})ieler§ 2lu§bru(f ju geben, borau§gefe|t,
bafe biefelbe bem ß^aralter be§ 3njirumente§ entfprid&t unb bemgemöfe be=
l^anbelt mirb. SWeifter tuie Seetl^oben, 2ifjt, S3erIio} maren gang überjeugt,
tt)ie allgemein befannt, bap ber 2lu§bru(f toarmer 6m})finbung aud^ bem
toten 3njirumente eingel^aud^t werben lönne; unb menn [ie bieHeid&t bie
Seiftunggföl^igleit ber 3njirumentalmujt! überfd&ö^ten, fo lann man bod^ el&er
gegen mi^berftönbliiä^e älufeerungen ober gegen gcfud^te Deutungen iörer SOBerle
afö gegen bie ©a^e felbji eivoa^i 25crnünftige§ fagen ; icbenfallä barf e§ al§
getöife gelten, ba^ bie ©egner einer foliä^en 2ln[d&auung il^rerfeits mi6=
berflönblitj^e ^tu^erungen nid^t bermeiben lönnen unb meiftenS in anberer
tJaffung biefelbe SBal^rl^eit jugeben. @§ lann nun in gorm ber ©onate
ein reifes ©efül^föleben, getragen Don einer lebhaften mupfalif^en ^^antafte,
entmeber berioanbte ©timmungSbilber jeid^nen ober ben aSerlauf einer ein=
jigen ©timmung me^r bramatifd^ barftellen.
319. 3e beffer ftd& bie ©timmung in ba§ äußere gormenft)ieI ber
3nftrumentalmu[il fügt, alfo je me^r bunten SBe^fel unb rafd&e Setoegung,
je mel^r toiberftreitenbe (biffonierenbe) 6nttt)idlung§ftufen, je mel^r objeftiben
gortfd^ritt (ftatt warmer Snnigleit) fie aufweift, befto el^er werben bie be=
weglid^en, leidet in ®egenfa| ju bringenben unb nur mittelbar au§brudf§=
fälligen fflönge jum @d^o ber ©emütsbewegungen werben. S)a§ Älabier
ftel^t freilid^ rüdEftd^tlid^ feines IIim|)ernben ßl^arafter» ber warmen @mpfin=
bung fel^r fem, aber bur^ bie SWannigfaltigfeit ber 3:onbewegung unb bie
fd^öne tJüHe ber Harmonie fd^idEt fid^ biefeS beliebtejie 3nftrument ber ßammer=
muft! bod^ am beften jur leidsten, jeben 9lugenblid ju reprobujierenben
©arfteHung ber bewegten, bon ben klügeln ber ^l^antafie getragenen @m=
t)finbung. 3:ritt bie ^^antafie me^r jurüd unb wirb bafür bie 6m^)finbung
wörmer, fo wirb baS ßieb m bie ©teKe treten unb bie gemütbolle ©timmc
ba§ blo^e ßlangorgan in ©d&atten fleUcn; wiegt bagegen jene ganj bor,
fo wirb ein bered^tigteS SSirtuofentum mit freiem Sonfombinationen unb
ganj flüd&tigen ©timmungSanflöngen ]pitlm, alle fd&Iummernbcn ßräfte bes
3inftrumenteS wedfen unb fie einer bewunberungSWürbigen 2:ed&nil bienftbar
mad&en. S)en ©d^wöd&en beS SlabierS !ann burd^ ein fid& unterorbnenbeS
SJioIininftrument ober bie glöte abgel^olfen Werben; beibe l^alten bie S^öne
aus, laffen fie an= unb abfd^weüen, bringen überhaupt einen ergönjenben
ßl^arafter mit. SBcnn fie feinen 9lnfprud& auf ©elbftänbigfeit ma^en, fo
berwifd&en fie aud^ ben ©oloftil nid&t, bem fie nur gröfeere tJüfle geben;
blofee Segleitftimmen unb 25erbot)t)eIung eines 3inflrumenteS ^)flcgt man
nämlid^ bei ber Unterfd^eibung ber @in= ober 9Ke^rftimmigIeit eines 3n=
ftrumentalflüdfeS nid^t ju berüdEfid&tigen.
5. @onate unb @^m^]^ome. 241
320. ®er SIBcd^fel ber ©timmung fotbert eine aSerfd^iebenl^eit ber 95e=
iDcgung, unb umgefel^rt; bei ber 3n[trumentQlmu[tf !ann man mit JÄed^t
jagen, bafe bie SemegungSatt bie j^errfd^enbe Waä)t fei, unb barum finben
tt)ir bei ber ©onate ein SemegungSgefe^ , baS für bie SBa^I ber barjuftet
lenben Stimmungen entfd^eibenb mirb, ba§ ®efe| be§ JlontrafteS t)on
Erregung, Seru^igung unb neuer Erregung. ®aS ifl einfad&
ein formelles ©efe^ ber 3nftrumentalmufif , meld^eS ftd^ mit feinem ©efe^e
ber ßunft überl^aupt ober ber ®emüt§bemegungen boKftönbig becft. ®ie
93ofaImufif fann ebenfogut bon ber Sful^e gur SSemegung fortfd^reiten unb
bann toieber jur JRul^e jurüdffel^ren. S)ie ©emütsbeioegung felbfl nimmt
fidler biefen Verlauf. SBarum ift bieS bei ber Snftrumentalmuftf ber 2lu8=
nal^mefaH, ba§ anbere aber burd^auS bie Sfegel? ®er eigenartige SSorjug
ber meiften Hingenben SKufiforgane befielet in ber Semeglid^teit ; bieS gilt
jumal t)om fliabier. dagegen l^at bie ©timme eine langfamere, anfangö
oft fogar bel^inberte SSemegung. Sßäl^renb biefe fofort Snl^alt mitbringt
(lüenigftenS im begleitcnben Sejte), !ann ein 3nftrumcnt nid^t fo rafd^ einen
gcnügenben 3n^alt offenbaren. Scfd^Ieunigte Semegung mufe bemnad^ al§
rcgelred^t unb natürlid^ für 3nftrumente mic ba§ Plädier, bie aSioIine u. f. to.
bcjeid^net toerben. ®amit ergiebt fid^ jenes anfd&einenb unregelmäßige S3c=
njegungSgefe^ be§ lebl^aften 33eginne§ unb Sd^IuffeS. ©ogar menn au§=
na^mSmeife rul^ig begonnen mirb, fd^Iießt man nid^t fo. 2)iefcm muß bie
©timmung fid& fügen, ober dielme^r, eS muß ber SKuftfer bie ©timmung
im rid&tigen 3lugcnblicfe ergreifen unb fo fortführen, mie eS baS ted^nifd&e
®efe| ber ßunfl nötig mad&t. ®aS l^at feine ©d^mierigfeit , ba ja feine
ßunft bie augenblicflidö nod^ gärenbe ©mpfinbung au§ bloßem 5Katurbcbürfni§,
fonbern bie fd&on abgeflärte, mintürlid^ mieber erneuerte ©emütsftimmung
mit fünftlerifd^cr fjreil^eit äußert. 6S berfteljt fid^ aber, baß ber d&arafte=
riftifd^e 9luSbrudE nid^t fo faft im ßinjelnen als im ©anjen ju fud&cn ift,
ba im ©ingeinen baS ted^nifd^e ®efe| öiel me^r als im Siebe maßgebenb
tt)irb; bie immer etmaS bunflen ©efü^lSäußerungen bleiben mie 2:rauben
unter üppigem SBeinlaub teilmeife derftedEt, geben aber bod^, überaß burd^=
fd&immernb, bem ©angen ß^arafter unb SBert.
321. 3m erregten ^auptfa^e (AUegro) berfe^t fid^ ber Äünftler mitten
in baS frifd&e SBaKen, SBogen ober ©türmen einer äftl^etifd^ bebeutenben
gmpfinbung, fei fie ©d^merj beS 9lbfd&iebeS ober Subel ber greube ober
ßampf ber Seibenfd^aft. 6r fe|t fräftig ein mit toirfungSboKen klängen,
bie baS innere Seben auf einem ^ö^epunfte feiner 3:^ätigfeit, fojufagen im
©iebepunfte, abjubilben geeignet finb. 3m SKittelfa^e (Adagio, menn nid^t
gang fo rul^ig, Andante) ebbt bie glut unb ebnet fid& ber SBafferfpiegel,
baS ©raufen beS ©turmeS ift borüber, eS fd&einen Suft unb |)immel fid^
gu flären. 3*u^ige ^i^Pönblid^teit, ©ammlung beS ©emüteS, gemäßigte
eietmann, Jtft^ettf. 3. Ztit. 16
242 Sld^teS ÄQpiteL
Srcubc ober berul^igter ©(i^mcrj fpreti^cn au§ ben 2:öncn. ©od^ bie SBinb§=
braut crmad^t t)on neuem, dielleid^t l^eftiger als juöor, unb menn ftc aud^
gegen ©nbc beS ©d^Iufefa^cS (gfinale) öerl^ältniSmäfeig rul^iger toirb, fo bleibt
bod^ bie Semegung ber SQBaffer nod^ immer lebl^aft — ba§ tröumerifd^e SQBeben
ber toinbftiHen gflöd&c erfd^eint bem Slugc nid^t. S)aS ifl bie Eigenart ber
©onate : frifd^cS Seben unb Streben, SBonne unb 3ubel, Dual unb ftam|)f
in SEönen abjubilben. SBoHen mir ber S)id^tfunft einen SSergleidö entlegnen,
fo fönnen mir fagen, bafe bie ©onate nid^t ber rul^igen ©rgöl^Iung unb
©d^ilberung be§ ßpoS, aber aud^ nid^t ber innig »armen ©timmung8=
äufeerung ber ß^rif, fonbem ber lebhaften Sül^nen^anblung mit il^rem in
raufd^enbe 99ett)egung unb l^eftigen SBiberfkeit umgefe^ten ©eelenleben ent=
fprid^t. SDie ©onate ifl bramatifd^er al§ baS Sieb, aber aud^ äu^erlid^cr
unb geräuf d^boller , meil [ie ba§ innere Seben ber ©eelc in ©aitenflang
umfe^t.
322» 2Ba§ bi? (Seftalt ber einjelnen ©ä^e angelet, fo gilt im aU=
gemeinen, mie fd&on angebeutet, ba^ fie mel^rere, am geioö^nlid^ften mieberum
brei, Steile l^aben nad^ 3lrt be§ breiteiligen Sieb=, 9Karfd6= unb 3:anjftüdEeS.
SDie Dreiteilung ift ja eine öft^etifd^e (Srunbform, meldte entmeber jmei
äufeerfte ©lieber gegen ein umfd^IoffeneS ober ein le^teS gegen jmei t)orau§=
ge^enbe in ßontraft bringt. Sejeid^nenb für bie ©onate unb muftergültig
für bie meiften gröfeern 3nftrumentaIftüdEe ift bie fjorm be§ erften ©a|c§,
meldte barum mit 9lu§jeid^nung „©onatenform" l^eifet: jtt)ei ober brei
3:]^emcn unb beren freie ßrioeiterung (Bearbeitung) mit einer
mel^r ober minber genauen SBieber^oIung ber S^emen unb
SJlobuIation in ben mittlem Seilen be§ ganjen ©a^eS. 3n
biefen Seilen felbft mirb jum brittenmal eine nid^t ganj unöl^nlidöe (Slie=
berung beliebt, obmo^I mand^erlei ©d&toanfungen überl^aupt möglid^ bleiben.
Sie gorm ber ©onate ift alfo:
©a^ + ©a§ + ©a^,
bie be§ erften ©a^e§:
Seil + Seil + Seil,
unb biefe Seile finb toieber gegliebert.
323, 5Ke]^men mir alä 33eift)iel eine ©onate 9Kojart§, bie leidet jur
^anb ift, um an bem erften ©a^e bie f^mmetrifd^en unb überl^aupt bie
äftl^etifd&en (Sefe^e ju beranfd^aulid^en (95oI!§au§gabe bon ^eter§ II, 19,
C-S)ur). aSier Sa!te, je jmei unb jmei fid& entfpred&enb, gelten einer fieben=
taftigen ^eriobe, beren ^älften fid) ent|t)red&en , als Einleitung borauS;
ebenfo folgen bier Safte, mie oben gegliebert, auf bie ^eriobe (ba§ erfte
S^ema). 2Üfo l^aben mir, nad^ ber Saftjal^l gemeffen:
4 + 7 + 4.
5. 6onate unb @^m^]§onte. 243
S)ic Sai)l 7 jiott 8 fann ^ier (imb fonp oft) qu§ einer Sltt bon „gScr=
fd^Ietfung" ertlätt mcrben, inbem ber folgenbc ©a| fid& an ©teile be§ ati^ten
5£afte§ cinbröngt, tooburd^ befd^Ieunigte Semegung angejeigt mirb. Die ein=
Icttenben öier Safte f dalagen baS bie ganjc ©onate be^errfd^enbe 5Dlotit) an ;
CS fte^t barum gleid^ jmeimal unberänbcrt. 6S feiert teifö in ben 2Bieber=
l^olungen an ber beborjugten ©teBe micber, teils Hingt eS in mand^en anbern
5£onformen an, l^ier j. S3. befonberS beutlid^ im biertaKigen ©a^e be§ jmeiten
Xfftma^. S)ic meiter folgenbcn brei 3:aftc [inb blofee Überleitung jum jmeiten
%^tma, baS in ber Dominante ftc^t unb fd^on im legten ber brei 2:a!te
(im 18., bon 3lnfang gejöl^It) befd^Ieunigenb einfe^t. ^ier finben mir
8 + 4
mit brei Saften ate Übergang ju einem abfd6Iie|enben britten ©liebe, einem
britten Sl^ema, toeld^eS auS
8 + 12 + 5 (= 2 + 3)
jufammengefe^t iji. Der erftc ©a^teil (bis Saft 58 einfd&Iie^Iid^) meift
alfo eine präd^tige ©lieberung auf, bie ber Seilung beS ©a§e§ unb ber
Drbnung ber ©ö^e nid^t übel entfpridöt. Die S^emen finb f^mmetrifd^
gebilbete ^erioben bon berfd^iebener Saftsal^I (4, 8, 12, etmaS unreget
mö^ig 7 unb 5) ; fie loerben burd^ ÜbergangSfä^e auS brei Saften getrennt.
Der ganje Seil mirb toieberl^olt.
324» Der jtoeite Seil löfet ber gfreil^eit aud& il^r JRed^t toerben. Die
^l^antafie fpielt o^ne t)eriobifd^en Sau ber ©lieber mit SKotiben berfd^iebener
^rt, jum Seil aus bem erften Seile, berfe|t unb bariiert biefelben, immer
nod^ in ber Dominante, bis Saft 79 einfd^Iie^Iid&. Daran fd&Iie^t fid^ eine
breiftimmige , ettoaS unregelmäßig gebaute ^eriobe (Srio) mit einem Über=
gange jum britten Seile, ber mit Saft 88 einfe^t.
6S feiert im ganjen ber erfte Seil lieber. Deffen* jmeiteS ©lieb ober
Sl^ema bertaufd^t aber bom fünften Safte an bie Dominanttonart mieber
mit ber urfprünglid&en, momit berfd^iebene ^nberungen bcrbunben finb. Die
©d^Iufeberlängerung beS britten ©liebeS (Sl^emaS) bel^nt fid^ bon fünf auf
je^n Safte aus. Der jtoeite unb brittc Seil mirb nun toieberl^olt.
5Kid^tS fann einfad&er fein als eine fold^e Slnlage. DaS ^auptgemid^t
liegt im erften ©liebe; baS jioeite ift eine 5lrt äuStoeid^ung bon ber Sal^n
ftrcnger ©efe^mäßigfeit, oft aud& in biele berfd&iebene Sonarten; baS britte
©a^glieb lenft lieber jurüdE. 9lIfo ©efe^ unb grei^eit, gnttoidflung unb
bod^ feine SluSfd^loeifung, SJiell^eit unb ßin^eit. Die SBieber^oIungen liegen
im SQBefen ber 5!Kuftf, inSbefonbere ber 3nftrumentalmufif, begrünbet; biefe
fid&ert baburd& ben ©timmungSeinbrudf, ber fonft gegenüber bem ^ormintereffe
nid^t auffommen fönnte.
326» 3n ben beiben anbern ©ä^en ber ©onatc l^at fid^ feine fo fefte
gorm l^erauSgebilbet , aber mand^eS ift bod^ öl^nlid^ geftaftet. 3- 23. toirb
16*
244 ^^ted ^QpM.
im 3lnbante bcr angcgogenen ©onote bcr erfte %txl (8 + 12 + 4 3:afte)
naä^ einer 3tt)if(ä&en|)artie toieberl^olt ; beim brittcn ©a^e finbct biefclbe
asieberl^olung fiatt, aber etoa öon ber SWitte an mit flarfer änberung.
S5on obmeidöenbcn gormen mögen folgenbe ermähnt merben. ®ie
X. ©onate in ber angcfül^rten ©ommlung (@. 114) beginnt mit einem
SlHegro, ^ai an jiueiter ©teBe eine ^ßolonaife, »eiter ein 9lnbante mit jel^n
SSariationen be§ %ffzma%, fobann ein ^bagio, bem jule^t ein ^Qegro folgt.
®ie IX. ©onote (©. 108) befielet au§ einem 9lbagio (alfo l^ier einmal ein
rul^iger 9lnfang), jtoei 5Dlenuetto8 unb einem Ällegro. 9ln britter ©teile
fommt nid^t feiten ein ©a|f in SRonboform t)or (j. 33. ©. 13. 100. 199
a. a. D.), ober eö folgt (toie ©. 36 a. a. O.) nod^ ein vierter ©a|. SDa§
SRonbo (= Sfunbgefang) l^at feinen Flamen t)on ber refrainartigen 2Bieber=
!e^r eines muftfalifd^en %i)tma^, unb jmar eines ^aupttl^emaS , bem nod^
anbere i^emen jur ©eite treten. 6S entftanb au§ inftrumentalen SSaria=
tionen öon 2ieb= ober ßl^oralmelobien , inbem ba§ Stl^ema nad^ jeber
aSariation mieberl^olt tourbe (befonberS burd^ ©ouperin auSgebilbet). 6§
l^at l^eitern ß^arafter unb ettoaS fnap}) SreffenbeS in Raffung unb 9Sor=
trag, tooburd^ e§ fid^ bem ©d^erjo nöl^ert, baS mit bem leid^tbemegten
SRenuett med^felt.
326» S)ie ©^mjjl^onie ift eine Drd&efierfonate ; i^re Seile finb:
SlHegrof a| in ©onatenf orm (aud6 mit Einleitung) ; langf amer ©a| als ab=
gefür jte ©onate ober Slonbo ober liebartig ; ©d^erjo ronbo= ober liebförmig
ober fugiert, bafür aud6 SKenuett; baS finale toieber ©onate, Slonbo ober
3?uge. ®iefe gorm erleibet natürlid^ aud6 9lbönberungen , toeld^e mit ber
gntiüidflung ber ©timmung jufammenl^angen. S)ie 9Iu§fül&rung gel^t natur=
gemäfe inS (Srope unb 95reite, ba bie mitmirfenben Gräfte möd^tig unb
dielfeitig finb. Q^afbenprad^t unb t)ol9t)^one (f. 5Kr. 328) 3nbibibualifierung
finb bie eigentümlid^en SSorjüge ber ©attung. SBie ^atjlbn, SKojart unb
35eet]^oben bie ©^mp^onie gehaltet l^aben, ift fie ein ©tüdE öon reiner, ein=
l^eitlid&er unb boBenbeter gorm, bie ßntmidEIung eines ober mel^rerer 2:^emen
in allen möglichen ©teKungen unb ©eftalten, bie feinfte unb größte 3nftru=
mentalmufif. 2)ie neuern ©^mpl^onien arbeiten ba^in, eine Überleitung jur
S)id^tfunft ]^er jufteüen , um ber ©attung ftatt beS formalen SQBerteS aud&
einen beutlid^ beftimmbaren 3n^alt ju geben, ©ie finb „^rogramm=9Kufif".
327. 3n Äürje fei l^ier nod6 ber Dubertüre gebadet, bie ber ©^m=
Päonie na^e bermanbt ift. ©ie gehört aud^ ju ben großem Ord^efterftüdEen
unb f)at oft ©onaten= ober ©onatinenform. 9IIS Einleitung ju ©d&aufpiel,
Oratorium, Oper u. f. m. mad^t fie ©timmung für bie bramatifd^e f)anb=
lung unb bie größere ajlufitleiftung, Sie ©timmung, in meldte fie ein=
fül^rt, ift alfo bramatifd^J^rifdö unb forbert loegen ber S3ebeutung beS ein=
juleitenben 9lfteS bie ©arfteßungSmittel beS Drd^efterS.
6. <PoI^t)]^onc 3Jluri!ftütfc. 245
6* ^ol^t^l^one SlufiffHidre.
328. ®te befonbcrc Slufgabc ber SKufif, eine tnöglid^ft gtofec ©cI6=
ftänbigfcit l^armontf{i6 dctbunbencr ©timmen ju toal^rcn, »trb im Äontra=
pnnlit gelöft, unb in bic[cr funftbollen ©attung l^aben fid6 ftanon unb
Sfuge ofö eigenartig gebaute aWupfpic ^erauSgebilbet.
S)er ff anon l^at feinen Flamen öon ber [trengen „3legcr', nad^ melci&cr
eine gegebene SKelobte burd^ blofec ©timmennad^al^mung ]^ar=
monifiert mirb.
SKel^rere Stimmen tragen in gleid^er ober öcrfd&iebcner %orif)bf)t bie=
felbe 5Df elobie bor, inbcm jebe folgenbe um einen beftimmten Slbfd&nitt (einen
l^alben, ganjen ober mel^rere 2:afte) nad^ ber borauSgel^cuben mit bem X^ema
anl^ebt unb fd^einbar unbefiimmert um bie anbcre il^ren SBeg dorangel^t.
S)abei [inb aud& blofee SSegleit ftimmen , Heine 9KobuIationen unb Unreget
mäfeigfeiten in bem 2:^ema, alles iebod^ ol^ne Störung ber ^armoniegefe^e
unb be§ ßl^arafterS möglid&ft boBfommener 5iad6al&mung , gemattet. S)ie
lünfHerifdöe 9l6runbung be§ ©tüdEeS forbert am ©d&Iujfe eine angemejfcne
Bereinigung ber ©timmen; ber fogen. unenblid^c ffanon, mie baS ®efeB=
fd^aftsfpiel „O mie mo^I i[t mir am 3lbenb!" ift eben ein ©t)iel unb !ann
als fold&es einfad^ abgebrod^en merben.
329. S)er ffanon leibet, als ftrengjie gorm mufifalifd^cr Slad^al^mung,
an einer gemiffcn ßünftlid^feit , gintönigfcit unb ©teif^eit. ©otool^I im
öorigen al§ in frül^ern ^al^rl^unberten ^at man biefe 3Kuftfform ju aller=
l^anb ff unftftüdfen bermenbet , bie um fo meniger auf baS @emüt mirfen,
je mel^r ber falte aSerftanb fie bemunbern mag. 9Kan erfanb neue, ber=
toidfeltere tJormen, in benen bie 9KeIobie bei ber SBieberl^oIung ftdö in
anberem Xempo (bopjjelt fo rafd& ober boppelt fo langfam) in ®egen= ober
gar SRüdfbetoegung barfteflte, in ju fünftlid^e 3lbftönbc Dom „Sü^rer'' ge=
brad&t, burd& berfd^iebene Stonarten gefül^rt, mit einer anbcm, ebenfalls ju
imitierenben 5DleIobie berbunben mürbe u. f. m.
Safe aber aKe Übelfiänbe bermieben merben fönnen, l^aben fomol^I
neuere 5!Keijier („SDon 'Snan" Dubertüre, „gfibelio" I. 2ltt) als namentlid^
bie altern ffontrajjunftiften , j. 33. Subm. SSittoria (im Agnus Dei ber
Missa quarti toni), gejeigt. 9lm gemö^nlid^ften fteKen nur jtoei ©timmen,
feien eS bie obern ober mittlere ober gemifd&te, einen ffanon im ©nflange,
in ber Dftabe, aud& in ber Duart ober Duint bar, unb bie übrigen gelten
in freier 95egleitung ober fugenäl^nlid^er 9lad&a^mung nebenl^er. SJlit einem
mürbigen, fünfftimmigen ffanon biefer 5lrt fd^Iiefet j. 33. ^aleftrina bie
5Dleffe Veni sponsa Christi. @in inl^altSreid^er SBorttejct l^ilft immer, ben
SinbrudE eines blofeen ffunftfpieleS ju bermifd&en. SSgl. über bie fanonifd^e
ffunft ber 5»ieberlänber STmbroS, ®efd&. ber aWufif 33b. HI.
246 ^^teS ^apiitl
330. ®cr Jlanon ift bann ganj angcmcffcn, tocnn eine unb biefelbc
©timmung diele gicid&mäfeig ergreift unb ein reger SBetteifer bie (SIeid^=
gcftimmten antreibt, einanber gleid&fam in bie Äebe faßenb bie gemeinsamen
©efül^Ie jugleidö l^armonifd^ unb bod^ möglid6[l gefonbert unb felBftönbig ju
öu^ern. Sei furjen ^erjenöergüffcn, (Srüpen unb ©ebeten, bie naturgcmöfe
eine öftere SBieberl^oIung forbern, unb im §falle, ba^ pe eine 9Kenge be=
megen, eine bunte SSerfd&Iingung ber Stimmen o^ne gegenfeitige Störung
julajfen, bietet fid^ ba§ j)ol9t)]^one 3:ongett)ebe be§ ßanonS mit bem immer
toieber, aber in einer anbern ©timme neu einfe|enben %f)tma al% bie redete
Äunftform bar, bie bei präd^tiger unb getragener Durd^fül^rung ber Sßürbe
eines erl^abenen ®egenftanbe§ .too^I entfprid&t. ®aS 2:^ema foKte jiet§ ein=
fad6 unb fel^r melobifd^ fein, bamit eS fid6 bei ber SBieber^oIung nid^t ju
frül^ abnü^c unb in feinem fd^Iid&ten Siebmerte ein ®egcngett)id&t gegen ben
fünfllid^en 9luf6au be§ 9Kufitftüdfe§ abgebe. SDer f^mmetrifd^e @a|= unb
^eriobenbau beS 3:]^ema§, ba§ ja eine fertige 5DfeIobie fein min, mu| burd^
ben @infa| ber ©timmen l^erborgel^oben toerben; bod^ ift ber ßinfa^ !urj
öor einem 9lbfd&nitte geeignet, ben 6ifer be§ SQBettftreiteS ju deranfd^aulid^en.
®ie Verteilung be§ ftanonS auf einen fül^renben unb einen refponbierenben
®^or (mit ^Bereinigung in bem abfd^Iiefeenben Slnl^ange) ift Don guter SBirfung.
331. 2lud& bie Sfuge beruht auf fontrapunftifd^er ©elbftänbigfeit unb
gegenfeitiger 5Rad^al^mung ber ©timmen. SDer 5Rame tourbe urfprünglidö
Dom Äanon (als bem burd& bie ftrenge „Segel" georbneten ©tüdEe) gebrandet
unb erft fpäter auf eine freiere unb barum lebcnSfräftigere gorm angetoanbt,
meld&c ben ftrengen ftanon aÜmäJ^Iid^ in eine 3lu§nal^mefteKung jurüdf=
gebrängt l^at. SDie Sebeutung beS 5Kamen§ (bie „Sflud^t") pafet auf beibe;
benn obtool^I iebe ©timme in ftrenger Seiorbnung an bie anbere gefettet
bleibt, fo mirb burd& ben ungleid^geitigen Eintritt berfelben bod^ ber ©d^ein
ertoedEt, al§ tooKte eine jebe bie anbere „fliegen", b. 1^. ftd& jur ©rreid^ung
größerer ©elbftänbigfeit öon il^r trennen unb il^ren eigenen SBeg verfolgen.
SDie 3fuge nun, mie fie fid& als muftergültige gorm geftaltet l^at, ift ein
5!Kufifftüdf, ba§ ein %f)tma abmed^felnb in ie einer ©timme
unter pol^pl^oner Segleitung Dorfül^rt.
332* Snm Unterfd^iebe bom ffanon fei junöd&fl l^erborgel^oben : 1. S)aS
%f)tma tt)irb jebeSmal nur öon einer ©timme vorgetragen, bie e§ erft nad&
bem Slbfd^Iujfe an eine anbere abgiebt. 9lIfo meniger ©ebunben^eit al§ im
Äanon unb obligate, aber freie pol^pl^one Segleitung, bie am beften bem
3:i^ema oertoanbt bleibt; bie grfinbungSgabe be§ 9Jlufifer§ toirb ]^erauS=
geforbert, ftatt ber nadften Jiad^al^mung eine mannigfaltige Umbilbung unb
ganj felbftänbige grgönjung be§ X^emaS al§ Segleitjiimme jU dermenben.
2. ®ie Seantmortung be§ St^emaS (ber „©efä^rte" be§ „gfü^rerS") fle^t
im DuinteninteroaB, ober eS maltet jtoifd&en beiben ba§ „tonale" Serl^öItniS
6. «Pol^pl^one JUlufüftütfe. 247
t)on Oftabe unb Dominante, fo bafe, mcnn mit leitetet begonnen toirb, bie
Slnlloort in ber Quart erfolgt. Seibe Slrten finben \\6^ j. 33. bei ©eb. 35ad&.
3)ie erftere, öon öltcrn 9Keifiem borgcjogene fjotm, [teKt bie Slad^Ql^mung
öoDfomntener bar, bie Ic^tere läfet bie SLonalität beutlid^er entpfinben. @S
lann aber ni(]&t tool^I bcrmiebcn toerben, ba§ entmeber eine SSerbunflung ber
Tonart burdö genaue 6ntft)red&ung ber Snterbaflenfd^ritte ober eine erl^eblid&e
^tnberung ber SKelobie burd^ SSeöorjugung be§ 95erl^öltniffe§ t)on Sonila
unb SDominante berurfad^t toirb. (9lur in bem einen tScXit, menn ber
Sül^ter im ©ed^Stonfreife c— a bleibt, !ann ber ©eföl^rte o^ne alle aSer=
önberung in bem ^tiaä^oxh g— e eine genau entfpred&enbe Slntmort bringen.)
aWan fud^t alfo tro§ Heiner Unregelmftfeigteiten bciben SlüdEfid&ten geredet ju
»erben. S)aburd& mirb bie §fuge gu einer fd^toierigen Seijiung, geminnt
ober aud^ an !ün[tlerifd^em Sßerte. S)ie Stonalität giebt il^r eine l^ö^ere
©inl^eit, unb baS SerpItniS ber Duint jur 2:onifa unb jur DItabe giebt
biefer ginl^eit bie fejie ©tü^e. 3. SBöl^renb ber flanon eine abgefd^Ioffene
SKelobie gum S^ema toäl^It, meldte nun jebe ©timme für [id& auSjufü^ren
beftrebt ift, löfet bie §fuge bie 5DfeIobic anfangs nod& unfertig, unb jebe
©timme fd^eint bie SKelobie nur barum auf jugreif en , um ben redeten 9lb=
fd^Iu^ erft ju fud^en. 3)a§ 3:^cma gel^t, aud& o^ne äußern 5Ru]^et)un!t, ol^ne
Äabenj, bon Stimme ju ©timme; bie 9Kuftf ftrömt mie ein ftet§ an=
toad^fenber (Sie^ad^ raftlos boran. @§ enttoidfelt [id& alfo mel^r 2eben unb
©treben in ber ^vlq^; iebe ©timme arbeitet an bem 2lufbau be§ ©tüdfeS
in ganj eigenartiger fjrei^eit mit. (Segen @nbe fd^eint ba§ (Sefud^te gefunben
ober tt)cnig[ten§ bem 39ebürfni§ genügt ju fein , unb fo ergiebt fid^ ber be=
friebigenbe ©d^Iufe, etma mit einem Drgeljjunfte, über toeld^em ba§ S^^ema
frei bariiert toirb.
333. 6§ !ann bie guge ein= ober mel^reremal burd^ alle ©timmen
„burd^gefü^rt" loerben; bor einer neuen S)urd^fü^rung tritt bann angemeffen
ein freies cpifobifd^eS ©t)iel ein, unb bie neue ©urd^fü^rung felbft liebt, ber
Slbmed^Slung falber, bie ajlobulation in anbere 3:onarten, Umfel^rung ber
^Reihenfolge bon Sül^rer unb ©efä^rten, leidet beränberte ^nterbaüberl^ältniffe
jmifd^en beiben u. bgl.
SSiSmeilen finb ber S^emen mehrere, bie bann nad^ ber Seilte burd6=
geführt toerben ; ober e§ nimmt bie 5Rad&a^mung aud^ ben ©egenfa^, loeld^er
baS 2:^ema (als „ßontrafubjett") begleitete, mit auf. S)ie auf fold^e SBeife
bcrbielfältigte guge ^ei&t getoöl^nlid^ „S)ot)t)eIfuge". ©egen 6nbe bereinigen
fid^ bie Sl^emen jum boKen Slbfd^Iufe. §ier (mie aud^ fd&on in ber einfad^en
9^uge) finbet fid& oft eine mel^rfad^e „ßngfül^rung", inbem eine 5Kad&a^mung
bor Seenbigung einer anbern einfe^t unb teilmeife gleid&jeitig mit il^r fortgel^t.
334^ S)ie gfuge (toie ber flanon) eignet fid& junäd&ft für SSoIalmufif
unb inSbefonbere toieber für flird&engefang (^aleftrinaS SKotetten). |)ier
248 ^i^ted ^QpM.
bietet fid^ am erften ein ge^altboKer Bpmä^ ober ein finnbolle^ ®ebet oI»
Scjt bor, toeld^er bur(J6 dielfad&e S3ßicberl^oIung faum au§gefungen wirb.
Sic einmal angefd^Iagene ©timmung gel^t nun in gefteigerter SSegeiperung
burd^ alle Seilten nid&t nur be§ ®]^ore§, fonbcrn aud^ bc§ burd^ i^n t)cr=
tretenen 2JoI!eS. Äommt fo bie (Srunbeinl^eit beS ©tüdfe§ nad&brürflid^ jur
©eltung unb baS geiftigc ©treben ber einzelnen toic ber ganjen 3Kaf[e jur
boBen ßntfaltung, fo fcl^It e§ bod^ ebenfotoenig an öielgeftaltiger 2Rannig=
faltigfeit mie an gefättigter güHe ber Harmonie. S)ie ^n^e f)at, tomn fie
gefd&idft bel^anbell toirb, nid^ts ?Dled^anifd^e§ mel^r an pd^, ba in il&r (Sefe|
unb t^tei^eit fid^ baS ©letd^getoid^t galten, ©ie ip im fonjertierenben ©til
ber aSoIalmuftf iebenfalls bie boHfommenfte ßeiftung, ein ^rüfftein be§
mufifalifd&en ®enie§. ^ft^etifd& mirffam erfd^eint namentlid& bie boBc ©elb=
[tänbigleit ber metteifemben Stimmen neben ber fd^önen ©inmütigfeit il^rcr
mannigfaltigen Semü^ungen, um ben enbgültig beften 9Iu8brudE ber ®runb=
ftimmung ju finben. 3n ber äufeern gform fd^afft bie StüdEfid&t auf bie
ßrgänjung ber Oftabe ein mol^IgeföKigeS tonaleS Ser^öItniS al§ äußeres
6in^eit§banb jtt)ifd&cn Sl^ema unb 9lntir)ort.
336^ 2)rei 3^e^Ier muffen bei ber fjuge forgfältig dermieben toerben:
ba^ bie (Sinl^eit, jumal bei bielen SBieber^oIungen , nid^t jur @intönigfeit
merbe ; bafe anbererfeitS tk §frei]^eit nid^t bie d^arafteriftifd^e Haltung biefer
ßunftform gefä^rbe, unb ba^ enblid^ ber Snl^alt reid^ genug fei, um ftd&
nid^t bor ber !^t\i abjunü^en. 93ejüglid& ber fird^Iid&en SSertoenbung barf
tt)o^I nod^ beigefügt merben, ba^ bie 3:ed^nif ber 3^uge gegen ben @timmung§=
au^brudf befd^eiben jurüdEtreten mu^ ; fonft !önnte ber (Sinbrudf entftel^en, an
meldten bie S3ejeid&nung ,,5ü^rer" unb bie ganje gntmidEIung ber guge
erinnert, al§ fe^e man ben ©d^menfungen unb SBenbungen militärifdöer
Übungen ju. S3ei fonftiger SJermenbung tooßen mir fd^on el^er ben fid&
freujenben Semegungen, Sßerfettungen unb SSerfd^Iingungen ber Stimmen eine
größere 5(ufmerffam!eit fd^enfen. ©elbftberftänblid^ brängt [xi^ bei ber 3n=
ftrumentalfuge ba§ Sed^nifd&e in ben SSorbergrunb.
S)urdö Variationen ber flrengen ©efe^e entftel^en teifö nod6 fünftlid^ere,
teils freiere gformen, teils nur fugenäl^nlid^e ©ö^e. SlKe biefe l^aben il^ren
SBert bon bem Sntereffe, meld^eS bie SBieberl^oIung, 9lad^al^mung unb !ontra=
t)unftifd^e SJermidtlung in ber ^Hufif ermedEen. SDie 5«9^ ^^^^ ba^er fe^r
gliidtlidö im 5ÖJitteIfa^e größerer ffompofitionen bermenbet, um einerfeits bie
im erften Seile erregte ©t)annung bor ber 3luflöfung auf ben ^ö^ej)un!t
ju führen, anbererfeits um burd^ ein fünftlid^ereS ©timmgemebe ber 9Kittc
be§ ©tüdEeS einen befonbern JReij ju geben.
Über ba§ Sed^nifd^e ber gfuge bgl. Seil er mann, ©er ftontra«
t)unft.
7. Kantate unb Cratorium. 249
7. (Kantate ttttb €ratoriitm*
336. SBei bcr nun folgcnbcn Sefprcd^ung bcr großem SSofoImcrlc bietet
^xä) t)on felbft Gelegenheit, einiger bi§ je^t übergangener cinfad&er formen
lurj 6rtt)ä]^nung ju tl^un. 3)er flate ÜbcrblidE über bie toefcntlid^fien 9Wu[iI=
formen toäre burd^ Sluffül^rung aKer dermanbten ©ebilbe ju fel^r erfdömert
tüorben. ®arum toirb alfo t)on 9lric, ©l^or u. f. tt). erfi in SSerbinbung
mit ben umfangreid^ern Sonmerfen Kantate, Oratorium, Oper unb 5Dlejfe
bie SRebe fein.
S)ie ftantatc ift ein äufammengefe^teS ©ingftücf bon toeä^^tU
öoller, öorioicgenb l^rifd^er ßnttoidflung mit 3ttfttumental=
Begleitung.
SQBir l^aben mel^rgliebrige, mehrteilige unb me^rfad^e 3)lufif=
fiüde unterfd^ieben (oben 3lx. 316); aber äße bis auf biefen ^unft bel^anbelten
toicfen eine innere, organifd^e ©inl^eit auf. @ie entftel^en burd^ natürlid^e
©ntfaltung, nid^t burdö 3iifö^"^^«fügung. S)ie ftantate eröffnet bagcgen
bie Steige berjenigen 2Ber!e, meldten jtoar nid^t iebe innere ©timmungScinl^eit
abgel^t, aber bod& jugleid^ augenfd^einlid& eine jufftHigc Sielgeftaltigfcit bc§
©toffeS i^r (Sepröge aufgebrüdEt l^at.
337. S)ie SPantate berbient an erfter ©teDe be^anbelt ju toerbcn, loeil
fie ben I^rifd^en K^arafter ber SKufi! bormiegenb jur ©eltung bringt, ©ie
ip gerabeju au§ ber Siebform l^eroorgctoadöfen , bie ftc jur ein= unb mel^r=
ftimmigen 9lrie unb jum ©l^orgefang enttoidEelt l^at. 9Rit bcr meitem
2lu8be]&nung eines foI(^en SiebftüdteS l^ing tool^I erft bie ginfül^rung eines
ftreng gefonberten 3lecitatib§ jufammen. r^üx bie tl^eoretifd&e Setrad^tung
löfet man freilid^ bequemer aus ber Sftecitation eines mel^r erjöl^Ienben 2:e3cteS
bie 9lrie mit I^rifd&em Sn^alt l^erborblül^en unb fielet in bcm Kl^orlieb bie
öolle reife gfrud^t. SDiefe Jr)x\\ä^t gntmidtlung" ifl jebenfaKS für bie 93e=
urteilung beS ßunftmerteS bon entfd^eibenber Sebeutung, ba auf il^r bie
unentbel^rlidöe innere @in!^eit beS SBerfeS berul^t. S)ie öufeere 2Ineinanber=
reil^ung berfd^iebenartiger mufifalifd^er (unb }30ßtif(^er) ©ebilbe toürbe aBein
no(^ feine genügcnbe ßunfteinl^eit bcgrünben. 5Kur fo biel fann jugeftanben
»erben, bafe baS ©anjc nid&t böllig aus einem ®uß jU fein braudbt; fonft
tüürbe bie ßinl^eit gerabeju eine organifd^e fein unb loie jeber Organismus
nur einen 3:^puS auftt)eifen. ©e^r berfd^ieben geartet, bom ©toff bebingt,
an einen ganj ftetigen 3=ottfd^ritt nid^t gebunben, fügen fid^ in ber Kantate
bie Sl^eile etmaS lodfer, aber bod& feineSmegS miHfürlid^ aneinanber. S)aS
aiecitatib jeigt fd&on an, bafe bie I^rifd&c gnttoidtlung ftd^ an eine fremb=
artige ©runblage anlehnt. S)ie JRecitation ift ja junäd&ft eine et)ifd&e, b. f).
eQöl^Ienbc ;inb befd&reibenbe gorm. S)ic Kantate fnüpft eben an ein Ereignis
an, baS im Stejte flüd^tig berührt loirb, unb im Sejte liegt alfo eigentlid^
250 ^<^ted Aat)ttel.
baS (Spx^ä^t, nur dcronlafet bicS aud& ben bcfonbetn 9Jlu[ift)ortrag , iDcId&cn
man al§ epifdö bcjcid^nen fann. ©anj leidet toirb inbc§ im SLcjt toic in
bcr 9Jluftf (unb jtoar l^icr im SSecitatiö unb in ber 3lrie) anä^ ber bra=
matiftiöe Ston geftrcift. SDer ©toff ber Äantate ober toenigftenä bic 33e=
l^anblung bcsfelbcn fd^toanft olfo bon Ber ßpil burdö bie S^rif jum ©rama
l^inüber.
338. ©asfclbe finben mir beim Oratorium unb bei ber Optt in
anberer SBeifc mieber. 3)ie ftantate, fomeit man fie überhaupt al§ be=
fonbcre 3)id^t= unb 9Kufitgattung unterfd^eibet, mirb burd^ baS entfd^iebenfte
Sormicgen bcr ß^rif unb bamit burd& fürjcrn Umfang gelennjcid^net. Men
breien gemein ift aud^, bafe fie SSofalmerfe mit reid^er Snftrumentalbegleitung
pnb. S)ie 2:ontoer!e ber reinen SJlufif fönncn nämlid^, menn fie nod6 übcr^
fd^aulid^ bleiben unb ntd^t fojufagen an% ben ^ugen gelten foQen, einen
fel^r befd&eibenen Umfang nid&t überfd^reiten ; eS brandet fe^r balb eine be=
beutenbe ©pannfraft beS ©eifteS, um fie als ©anjeS jü begreifen. @in ju^
fammenpngenber Ste^ erleid^tert bagegen ber ?Dlufif bie meitere Slu§bel^nung
il^rer SBerfe unb giebt für fel^r berfd^iebenartige ©ebilbe ber Sonfunft einen
gaben ab, an meld^cm fie fid& jiemlid^ ein^eitlid& aufreil^n fönnen. 5)ic
ginl^eit ber ®runb jHmmung , bie natürlid&en Übergänge öon einer mufila=
lifd^en gform jur anbern unb bie Sejteinl^eit mirfen alfo tl^atfäd^Iid^ äu=
fammen, bem großem SKufitmerfe feinen ^alt gu geben. ®ie 3nftrumenlat
bcgieitung, je nad& S3cbeutung unb Umfang me^r ober toeniger reid&, giebt
nun naturgemöfe einem auSgebe^ntern BiMt größere ^rad&t. S)iefelbe gilt
in ber funftboH auSgebilbeten ßantate, bie man je^t gemö^nlid^ unter bem
5Kamen berftel^t , al§ unerlö^Iid^ , ^ält fid^ aber felbftt)erftänblid6 bei bcr
Äammerfantatc in berl^öltniömäfeig befd^eibcnen ©rcnjcn. SJlit bem SQBefen
bicfer ßunftform ift fie ftrcng genommen ebenfomcnig mie bie 9lottt)enbig=
feit ber ©l^öre gegeben.
339. S)er ©til ber ff antäte barf nid&t allju lünftlid^ fein; fie foH
nid^t auf bie ^^antafie, fonbern auf ba§ ®emüt toirfcn. (Sl^cr Inappe
ßürjc als epifd^e Breite, el&er gefü^toolle Setrad&tung al§ bramatifd^eS ßeben,
lurj, ber I^rifd^c Ston ift i^r eigen, babei aber mel^rfad&er Sfflcd&fel unb eine
beutlidö erfennbare ©ntmidflung ber Stimmung. 6in religiöfer unb f)x^o-
rifd^er ©to[f eignet fid^ am beften; bod^ aud^ märd^en^aftc unb ibeeQc
©toffe in aßegorifd^er (Semanbung finb mit ®IM öermenbet »orben.
340. 9Kit ber ff antäte junäd^ft bertoanbt ift baS Oratorium. 2)en
Segriff beSfelben, mie ben ber ff antäte, fönnen mir nid^t allein nad& bem
©prad^gebraud^e beftimmen, meil er burd^ biefen nid^t genau umgrengt »irb.
Ol^ne j|ebod6 bem ©prad&gebraud^ ju miberfpred^en , bürfen mir baS Dra=
torium, gum Unterfd^ieb bon ff antäte unb Opex, befinieren afö ein gu=
fammengefc^teS SSofalftürf bon med^felboller, bormicgenb
7. ÄantQtc unb Oratorium. 251
I^rifd&=epif(^er ©nttoidlung mit fcl^r teid&er 3njirutncntal=
Begleitung. Sen einjigcn Unterf(]&ieb bon ber flontate feiert toir alfo in
ben I^rifd6 = e})ifd6cn 6^orafter unb baS, toa% bamit in näd&ftcr Scrbinbung
jiel^t. Dbtool^I ber I^rifd^e 3:on anä^ ^ier baö ©tili olS ©anjeS be^errfd&t
unb es ju einem toirflid^en ©ingfiücf mad^t, fo mirb bod^ bcr epifti^en @r=
jäl^Iung ober ©d^ilberung ein fo breiter Slaum geftottet, bo^ ber Verlauf
einer ^anblung ober eines 6reignijfe§ jiemlid& ouSgiebig, toenngleid^ immer
mit einigermaßen I^rifd&er Q^ärbung, bor Slugen gefieKt mirb. ®er epifti^s
l\)iV\ä)t Son fül^rt aber leid&t in ben bramatifd^en l^inüber. SDenn toenn
]ä)on bei ber ßantate bie toed^felnben S^ormen be§ SflccitatibS unb ber 9lrie
nid&t nur öufecrlidö an bie Optx erinnern, fonbern autiö fd&on mirllid^ eine
leid&te bramatifd^e tJörbung erl^alten, fo baß man eine geioiffe 9lrt ber
Kantate gerabcju al§ ,,It)tif(i^e ©cene" bejeid&net l^at, fo toirlt beim Dra=
torium nod^ bie ©runblage einer reid&en |)anblung baju mit, eine me^r
ober toenigcr bramatifd^e Se^anblung ju beranfoffen. @S fel^It inbeS immer
bie tt)irflicbe 9lad&a^mung ber ^anblung, unb bie ßl^araltere, bie bielleid&t
in ber grgäl^Iung fd^arf genug ausgeprägt finb, treten bod& nid^t ju energifd^er
Xl^at aus fid^ l^erauS; fie fommen über bie med^felfcitige SluSfprad^e ptx^
fönlid^er ßmpfinbungen nid&t l^inauS, gelten bon I^rifd&en SKonoIogen nid^t
ju tt)irHid& bramatifd^en Dialogen über.
341» 5!Kit ber breitern epifd^en ©runblage bel^nt fid^ aud& ber Umfang
toeitcr auS. ®ie Snftrumentalmufif mad^t ftd& ftörfer geltenb als bei ber
ftantate, fo fel^r aud^ fd^on bei biefer jene Unterorbnung berfelben unter
ben ©efang, bie mir bei Sieb unb Sallabe finben, einer großem Q^reil^eit
Pa| mad^t.
6in religiöfer ©toff (^dnbelS ,,9KefftaS'0 ober bod& ein gebanfentiefer
©egenftanb (|)a9bnS „©d&öt)fung" unb „3al^reSjeiten'0 iji fd^on beS^alb
ermünfd^t, loeil bie mangeinbe ^anblung burd^ ben innern SBert ber ®e=
banfen unb ©timmungen am bejien erfe|t mirb. 3lud& gefd^id^tlidö ift baS
Oratorium, mie bie ßantate, aus religiöfen ©cfängen l^erborgegangen. ®er
Kantate entfpred&en am meiften bie einfad^en Sßed&felgefänge, in benen balb
ber bogmatifd^e ©ebanfenin^alt, balb ber I^rifd^e ©timmungSauSbrudf über=
toog; erjierer fprid^t fid^ am beften in recitatiber, biefer in^iebform auS.
SSerbanb man beibe gormen in einem umfangrcidöcm ©tüdte, fo ergab fid6
bie ßantate. S^rif d^= e }) i f d& unb l^albbramatifd^ maren bie SK^fterien ober
geifilid&en ©d^aufpiele. Sieß man bei biefen bie äußere ^anblung faKen,
fo entftanb baS Oratorium, mie anbererfeits burdö fd^ärfere SluSbilbung ber
C)anblung baS funftgcmäße S)rama. Sn ben „Oratorien" beS ^I. ^^ilit)t)
9leri loanbte man bon 2lnfang an ben stilo rappresentativo , b. 1^. ben
bramatifd&=recitatiben ©efang an, ebenfo bie reid^c 3nfttumentalbegleitung ;
erft feit ©ariffimi (um 1650) fiel alle ©anblung meg.
252 ^*te8 Äapitcl.
342. Äantatc unb Oratorium ^aben ben 3Qtä)\tl bcrfd^iebencr mufifa=
lifd^er formen mitcinonber gemein. SSom SSccitatiö toax ft^on qu§=
fü^rli* bie SRebe (3lx. 306 ff.). Sie Sir ie ftc^t bem ©ololicbc fe^r na^e,
^at aber eine bramatifd^c Härtung unb Orti^efterbcgleitung. @ie fommt
qIS einjelneS ftonjertfiüdE ober getoöl^nlid^er al§ Steil bon ftantote, £)xa=
torium unb Oper jur Slntoenbung unb fann mit SSorjug ein „©ing=
jiüdE" l^ifeen, toeil [ie pd^ inl^altlitiö unb tcd&nifd6 jugleid^ afö eine auS^
gcjeid&nete fieijiung barfteüt. ®ie cigentlid^c 93rabourarie mit i^rer Über=
fünftclung ift aÜerbingS mel^r ein @ffe!tftü(f; aber neben bem einfad&en
Siebe l^at bie 5lrie al§ ftunftlieb eine boKe Sered&tigung. ®a§ einfad&e Sieb
bringt eine allgemeine Stimmung in öerl^ältniSmäfeig rul^igem %ont jum
SluSbrudf; eine genauere ftennjeidönung ber ©timmungSunterf d^iebc , 8e=
lonung dieler einzelnen ^ö^epunfte ber @m})finbung, leibenfd&aftüci&er SBed^fel
mit aflfeitiger 2lu§fü^rung finb i^m nid&t cigentümlid^. ©erobc biefe @igcn=
fd&aften jei(]&nen bie 9lrie au§. S)ie l&eftige ganj perfönlid^e Erregung \pxxä)t
fid6 in berfelben inbiöibueß, d^arafterboH unb in einer getoijfen Sreite aM.
343* S)arum pa^i fte ganj bortrepdö baju, ben I^rifti^en 3n^alt einer
beioegten |)anblung breiter barjulegen unb einer l^od&grabigen Stimmung
mufüafifd^en 5lu§bru(f ju geben. 3m S)rama ift fie gleid&fam ein mufi!a=
lifd^er 9KonoIog, erregter, px&ä^t\Qtx unb breiter als baS Sieb unb bem=
entfpred^enb aud& nid^t blofe bon einem (ober etma nod6 einem jmeiten) 3n=
ftrumente begleitet. ©elbflberftftnblid6 !ann l^ier bie ©renje nid^t burd^auä
genau beJHmmt toerbcn, unb im meitem ©inne mag man jebeS Sieb t)on
red^t inbibibueßer ßl^arafterifti! unb tl^eatralifd^em SluSbrudE eine Slrie nennen.
SDenn bieg ift freilid^ bei ber Slrie ba§ SlKeriDefentlid&fie unb mad^t pe für
bie ffird&e, in ber ©emeingefül^I in möglid&ft toürbiger gorm auSgcfprod&en
toerben foH, loenig geeignet. (S)aS Oratorium felbft l^at laum Slufnal^me in
fat^olifd^e Äird&en gefunben.)
3n ber altem 3^orm ber großen Slrie (bon ©carlatti bis auf ®ludf)
fpiegelt fid6 il^re Eigenart fe^r beutlid^ ab. 3n jioei ^auptteilen lommt ein
Sßettftreit berfd&iebener Stimmungen burd^ berfd^iebenen Sftl^^tl&muS unb ber?
fd^iebene Sel^anblungSart jur S)arfteKung. S)er britte Xeil ift ein S)a=
capOf fo baf bie bei 9Karfd& unb Xanj bereits gemürbigte S)reiteiligleit
toieberfel^rt. S)aS Sl^ema beS erften Steiles loirb juerfi rafd^ abgefungcn,
bann eingel^enb jergliebert unb burd& SQßieberl^olungen eingeprägt. ®er jmeite
2:eil enthält eine einfädle Slnmenbung beS erften unb berläuft barum fd&neHer,
fud^t aber burd& neue SQBenbungen, aSeränberung beS 3^iti"ö|^ unb ber
%onaxt JU toirfen. ®ie l^alb erfd^öpfte @mpfinbung fd&eint fid& ju beruhigen,
um bann im britten Steil in bie lebl^aft med^felnbe Semegung bcS crftcn
mieber einjulenfen. S)ie Snftrumente fügen ein inl^altSreid^eS SSor=, 3^)*!^^«=
unb 9lad&fpiel (Sflitornell) l&inju, füKen einjelne lurje ^ßaufen innerl^alb ber
7. ÄantQtc unb Orotortum. 253
3:cile aus unb geben aud& fonft tool^I bcr Stimme großem 5Rad&bru(f.
5RatürIid& mu^ baS aDcS unb muffen befonberS bie SBieberl^oIungett bem
©timmung§ge]^Qlt ööllig angemeffen fein. 9ine fünfte ber 3nftrumente unb
ber ©timme, toit au^ ber toed^feldoBen ©lieberung unb 9JlobuIation, nu|en
fid& xa\ä) ab, toenn fie mel^r ber ßitelfeit ate ber ©o(^e bienen. ®arum
fonnte Qud& bie befd^riebene gform nid^t unt)erbrä{i6Iid&e§ ®efe$ fein, ©erabe
bcr Slrie, ote 2tu§bru(f einer bramoti|d& lebl^aften unb ju aUfeitiger 6nt=
faltung brängenben Stimmung, !ommt Sreil^eit bcr Scmcgung ju. ©al^er
^aben mannigfaltigere formen ber 9lrie in neuerer 3^it 2lufna^me gefunben.
344, S)er ©l^or fpielt im Oratorium eine beborjugte 3lolIe, aß 9Iu§=
brud ber ©efamtftimmung einer SKenge. ©d^on bie ©toffe, *bie fi^ für
biefc 9Jlufifgattung eignen, bringen e§ mit [\ä), bafe ganje 3Kaffen i^ren
ßinbrudt bei einem 6reigni§ funbgeben. SDaS fann nun nid&t beffer afö
burdö ?Dlajfengefang gefd^e^en. S)er (Segenjianb bcS 6^orIiebc§ ift junäd&p
baS unb nur ba§, toaS gemeinfam unb laut auSgufingen öiele fidö gebrängt
füllen. ©tiHc SSetrad^tungen eignen fid& baju gar nid^t, toenn aud^ mand6=
mal bie blofee Sfüße be§ ßlangeS ben ffomponiften herleitet, bie gorm bcS
6^orIiebe§ ftatt ber be§ ©ologefangeS anjumenben. 6S mirb aber beim
ßl^orüeb entmcber nur eine ein^eitlidöe ©timmung t)ie(er jum 9IuSbrutf ge=
brad^t, ober auf bie tro^ ber allgemeinen ßin^eit öor^anbene Serfd&icbenbeit
ber ©timmung 3lüdtfid^t genommen. 3m erften gfaße ifl bie ßomt)ofition
monop^on, b. i. bie jtoeite, brittc u. f. to. ©timme mad^t fid& nid^t felb=
ftänbig geltenb, fonbcrn mel^r al§ Segleitftimme. ©er Unterfdbieb löfet ftd&
aud6 fo auSfpredöcn ; 2)a§ eine 9KaI bilbet ber ganje ©l^or nur eine ^erfon,
rcbet mie auS einem SKunbe, ba§ anbere 9JlaI rniK jebe ©timme als 3nbi=
bibuum i^r eigenes SOßort fül^ren, toenn aud^ ol^ne 9luf]^ebung ber 6in!^eit
beS ©anjen. 3eneS monopl^one ß^orlieb erfd&eint als 3bealifiernng
beS aSoIfSgefangeS. SDer ß^or gilt als «uSfd^u^ ber 3Jtenge, ber bc=
rufen unb beföl^igt ift, burd^ baS 3ufammenflingen aßer Tonlagen bie fräf=
tige ©nl^eit ber gmpfinbung in funftöoKerer t?orm barjufteKen. S)er 3n!^alt
mufe populärer, b. 1^. mirfüd^ allgemeiner 9latur fein, bamit er eine 30!eugc
ergreifen !önne, unb bon einiger Scbeutung, bamit ber 9luftt)anb an ftunft=
mittein gered^tfertigt fei. 2)ie gc^ffnng beS SejteS liebt Sfürje unb ffraft.
3n 3KeIobie unb JR^^t^muS foH einfad&e 5«atürlid&feit mit 2Bürbe bereinigt
fein, in ber Harmonie g^ülle unb SBed&fel. Smifd^enfpiele geben für Ieb=
^aftere 3)lotibe 3laum.
345. 2)ie getoöl^nlid^e 3a^I ber ©timmen ift bier, bie baS ©ebiet ber
SSofalmufü, 3V2 DHaben, angemeffen unter fid& teilen. S)urd& a?erboppe=
lung einer ober mel^rerer ©timmen loirb ber ßl^aralter beS ß^oreS etmaS
beränbert, je nad^bem l^eßere ober bumpfere ©timmen me^rfad^ bertreten
finb. 3w SBed&felgefängen bienen 2)oppeId^öre. 5lud^ Sefd^ränfung ber
254 ^i^ied S^apiitl
©titnmcnja!^! finbct nid&t nur aus praftifd^en ©rünben, fonbern au^ ju
bcfonbcrn äfll^ctifd^cn 3*^^^^^" P^tt; bie ftlongfornbination berficrt an fJüDc,
aber anä) ber (Sefang an ©d^tocrc, obfd^on bie Segleitung bod6 immer bie
Stimmen jal^I berboKftänbigen toirb. SBaS bcn Vortrag anlangt , fo muß
ber 6^or nod6 me^r afö ein ©olofänger 3lu§fpro(i^e , melobifd&e Setocgung
unb ©timmflärfe fo einjurid&tcn fud^en, bafe SBort unb Son jum einl^eitr
lid^en 9lu§bru(f be§ (SebanfenS unb ber gmpfinbung toerben; bei ber S3er=
einigung dieler ©timmen finb Heine ©ifferenjen überl^aupt nid^t ju t)er=
meiben, um fo forgfältiger ift möglid^fle SScrfd^meljung berfelben anjuftrcben.
346. SflüdEfid^tlid^ ber pol^p^onen G^orfompofition brängt fid& t)or aQcm
bie 3^orberung auf, ba& ber Sejt einer bielfeitigen 9lu§geftaltung föl^ig fei.
SDer ©ebanfe mu^ eine S^tglieberung unb gortentmidflung julaffen. 2)iefe
tt)irb ja tUn hnxä) ba§ ftonjertieren ber Stimmen neben= unb gegencinanbcr,
baS freilid^ nie fo in bie Srcite ge^t mie bei ber ^n^t, berftnnbilbet. 3cbe
berfelben ge^t i^ren eigenen @ang, um baburd^ Seilgebanfen, parallele 6m=
pfinbungen bcfto toirffamer ju d&aralterifieren. S^ biefem 3^^^^^ toeid^en
9JleIobie, SRl^^tl^muS unb Harmonie öoneinanber ab. S)ie ©trultur beS
ß^oreS, ber nun me^r al§ ß^orlieb ift, toirb alfo bcrtoidEelter unb funft=
t)oKer. SDie 3SoIaImufif erreid^t i^ren |)ö]^epunlt, man lann fagen: bie
9Kufif überl^aupt, infofern an ©tüdEe bon gefd^Ioffenfter ßinl^eit unb nid^t
m ftompofitionen bon freierer 3^ügung gebadet toirb.
6ine befonbere 2lrt ber poIt)p^onen fö^orfompofttion ift bie ß^orfuge,
meldte ben 9lr. 331 ff. aufgefteüten ©efe^en folgt, ©el^r beliebt toar eS
ftetS, fd&on recipierte ff ird^engef änge , junöd^ft ben gregorianifd&en ßl^oral,
bann aud^ ffird^enlieber in ber 9Jlutterfprad&e (bei ben ^roteftanten ebcn=
fafl§ ß^oräle genannt) jU einer fö^orfompofition ju ergänjen ober ju öer=
arbeiten. 3m 15., 16. unb nod& im 17. Sal^rl^unbert tourben bier ober
gemö^nlid^ mel^r ©timmen in ftrenger ©elbftönbigfeit ju einem beir)unberung§=
mürbigen SSoKflange berbunben. @§ mar ba§ bie 33lüte be§ A cappella-
(SefangeS. 3loä) Sad& unb |)änbel fd^ufen fold^e SBerfe im großen pol9=
pl^onen ©til. Slümäl^lid^ aber jog man fid^ mieber auf bier „obligate"
^auptftimmen jurüdE. ©tatt ber großen Slnlage erftrebte man mel^r ®eföllig=
!eit unb 9ieij in 9Kelobie, |)armonie unb obligat geworbener 3nftrumen=
tierung. SBenn mand^e SJleifter beö öltern ©tile§ mafeloS maren in bem
fontrapunttifd^en 2lufbau, fo mürben bie fpötern mand&mal unürd^lid^ unb
opernl^aft.
347. 2!)ie ß^orfompofitionen bemegen fid& balb in ber ftrengern
gform ber Slad^al^mung, balb in liebmößiger ^orm, balb in buntgemifd^ter
„giguration". 2ll§ d^arafteriftifd^e ©attung mag nod& bie SJlotette ]^erbor=
gcl^oben merben, 2lud& fie mifd^t berfd^iebene formen: 3lecitatib, ffanon,
guge, S)uett (teilmeife aud& Snftrumentalfö^e). 2)ie ftrengere 9Kotettc ber=
8. S)ie aJlcffc. 255
arbeitet aber aKe ju einer ©inl^eit, nid^t fo t)öKig, toic bie ©onatc il^re
^ouptgebanfen berfettet ober bog 3*onbo auf einen ^auptfa^ jurüdfe^rt,
aber hoä) fo mit, bafe burd& äl^nlid^e Sinbungen, Überleitungen, aBieber=
l^olungen, ajlobulationen , Spannungen unb Steigerungen mit C)ilfe beö
3:ejte§ äße Seile fid^ jufammenfd^Iie^en. SDiefer 3:ejt i[t ein l^ciliger, aber
frei getoäl^Iter, meiftenS lateinifd^e ©d^riftioorte. ©erfelbe mu^ eine Slnja^I
tn]^alt§reid&er ©lieber entl^alten, meldte eine felbjiänbige, aber fel^r gebrungenc
SScarbeitung julaffen, fo bafe ein ©anjeS mufilalifd&er ßomt)orttionen t)on
Icmigem ©el^alt unb nid^t ju toeitem Umfange ermöd^ft. SDer Kl^araÜer
ber 5Dlotettc ift I^rifd^er, fubjeftider al§ ß^oralfigurationen , Saugen u. bgl.
3)tefelbc t^oxm mit toeltlidöem 3:e|t unb ß^arafter l^at baö fontrapunftifd^
burd&gearbeitete 9KabrigaI (urfprünglid^ ein boIfStümlid^eS Sieb).
a 2)le SReffe-
348. ßl^orgefänge aKer 9lrt bereinigt bie feierlid^e DJleffe. S)ie
liturgifd^e ^anblung be§ D|)fer§ unb ber als ginl^eit gebad&te %tii, toeld^er
bei bemfelben jur 3lntt)enbung fommt, giebt ben milllommenen göben, an
tüeld&en junöd^ft bie einfädle ß^oralmufif bie mannigfaltigften ffomt)ofitionen
anreiht: 3ntroituS, ß^rie, ©loria u. f. m. 6§ fönnen aber, mit 9lu§=
Ttal^me be§ bon ^riefter unb Sebiten ©efungenen, aKe Xejte aud^ mit allen
aJlitteln ber 3:onIunft (in Unterorbnung unter bie Siturgie) auSgefül^rt
werben. 2)ie gigentümlid^feiten beS 3lecitatib§, ber ^falmobie, be§ Siebes,
ber SigwJ^cition, ber fjugc unb 9Kotette unb anberer fird^Iid^er Äompofitionen
fd&Iie^t bie „9Keffe" in fid& ober fann fie in il^ren 33ereid& jie^en. ©ie
cntpit jugleid^ epifd^e, I^rifd^e unb bramatifd^e Elemente unb burd^Iäuft ben
ganjen toeiten ßreiS erl^abenfter, religiöfer Stimmungen. S)er geheiligte unb
burd^ bie bilbenben Sfünfte auSgeftattete ftird^enraum, ber bebeutungSboße
3titu§ am Slltare unb bie 2lnbad&t ber ©emcinbe finb ber bejmedtten 2Bir=
lung fo günftig als möglid^. Sein SBunber, bafe e^ebem ein SDlufifer nur
burd& eine 9Keffe feine boHenbete SDleifterfd&aft befunben fonnte; nirgenbtoo
fanb er einen großem ©egenftanb, nirgenbtoo fobiel Spielraum, baS mufi=
lalifd^e Talent nad^ allen Seiten ju entfalten, nirgenbtoo eine fd&önere ®e=
legenl^eit, bie gäl^igfeit jum 2lufbau eines bielteiligen unb möglic^ft organifdö
cnttoidEelten SQBerfeS ju beloäl^ren.
349. SDa über ben ß^arafter ber Äird^enmufil im allgemeinen im
legten 9Ibfd&nitt beS borliegenben Sud&eS einge^enber ju fpred^en ift, fo feien
l^ier nur in aßer ßürje bie l^auptfäd^Iid^ften SKnforberungen an eine 9Keffe
naml^aft gemad^t; fie fönnen auf ö^nlid^e ßompofitionen , j. 39. für bie
liturgifd&e SSefper (^falmen, |)^mnen, SDlagnififat), für bie gfeier ber l^eiligen
SBod^e (Samentationen, Smproperien u. f. id.), leidet übertragen toerben.
256 ^4ted ftaipittl
a) Su^ö^j^ tt^i^^ ^"8^^ Snfd&Iuß an bcn %tit, bcn ©inn unb bic
f)anblung ber Siturgic erforbcrt. g^l^Icr^aft pnb bic 3:c3rtjcnctfeung ober
3:e£tftnberung , bte Sbfd^tDetfung t)om 3n^alt, bag lange Sufl^alten ber
|)anblung. &tVjt unb äBUIe ber ^ird^e, nid^t baä |>erfönli(i^e Urteil, ifi
ma^gebüd^.
b) 3)er ürd^Iid^e @eifit l^at [xä) }um Xeil im gregortanifd^en &)oxal
t)er!ör|)ert ; SWafel^altung in ber SeriDenbung ber mufüalifd^en 3KitteI unb
im SluSbrucf aller Stimmungen ift aber eine feiner l^erüorfied&enbften ©igcn^
fd^aften. 9ln ß^oralmotiöe fd^Iiefeen fid^ bte freien ftompofittonen am
beften an; t)om ©cifte beS ©l^orafö bürfen fie fid& nid^t entfernen.
c) S)a3 altertümlid^ @e|>röge beS @^oral3 fotDie bie anfprud^Slofe (Sin=
fad^^eit feiner 2ÄeIobten !ann nur bem §um ^rgcmiffe fein, ber nid^t bead&tet,
bafe ber ©efang eben baburd^ anä) toieber an SBürbe unb 9lngcmeffen$eit
getoinnt. ®a ber ^riefter am 9lltare ß^oral fingt, altel^riDürbige (Sebete
f|)rid&t unb aUe feine 3Serrid^tungen in altertümlid&en ©etoanben unb ganj
immeltlid^cr SSJeife dornimmt, fo bicnen eben bie „altersgrauen" 9KeIobien
beS gregorianifd^cn ß^oralS ba5U, ben einl^eitlid^en Son §u ftd^ern. S)ie SIn=
gemeffen^eit ift einer i^er großen Sorjüge. ®ie einfädle ßl^oralmeffe, gut
dorgetragen, l^at eine gan5 eigenartige ©d^ön^eit.
d) 2lnbad&t§doDc§ 3)urd&Ieben be§ offijieHen 2:ejte§ allein fann ben
Som^3oniften toie teilmeife aud& ben ©änger 5U i^rer 9lufgabe ganj be=
fähigen. @rft bann mirb aDe§ tSfrembartige unb Ungejiemenbe fernbleiben.
e) S)ie 9Keffe ift al§ @anje§ §u beulen, nid^t al§> eine lofe SSer=
fnüpfung don ©injelftüicn. @§ mu^ barum Steigerung unb bramatifd&e
gntroidflung erfennbar fein. 2Bic fd^on ber S^oral ben liturgifd^en %tict je
nad& feiner Stellung unb 33eftimmung derfd^ieben be^anbelt, fe^t 5ß. SBagner
(@infü^rung in bie gregorianifc^en 3JleIobien @. 290 ff.) gut auSeinanber.
„9?ur fold^e Jejte", fagt er, „lönnen einer unb berfelben melobifdben Um=
fleibung teil^aft toerben, bie bie gleid^e liturgifd^e 5RangftcDung befi|en.
(Sine 3ntroitu§meIobie toirb nur für 3ntroitu§tejte , eine ©rabualmelobic
nur für ©rabualtejte, eine 5lIIeIuiameIobie nur für 5lllelujiatejte, eine ßom=
munionmelobie nur für Äommuniontejte dcrmenbet." 3im ganjen »enigftenS
müßte bie§ burd&au§ aud^ in ben großen ßom^3ofitionen angeftrebt »erben.
f) 2iner Sird^engefang foH einen ernften ®runb ^aben, ®emut unb
©elbftbe^errfd^ung an ben Sag legen, aber bod& feineSmegS eine linblid&e
tJrö^lid&feit auSfd&Iie^en : exsultate Domino cum tremore (Ps. 2, 11).
9. 2)ie Qptx.
350. SBä^renb ba§ Oratorium ber aRufif gar nid^t entraten lann,
bleibt ba§ ®ramo feiner 9?atur nad^ don berfelben unabhängig. S)ie auS=
9. ^tc Optx. 257
fü^rlid^ dorgeftelltc |)anblung ift (in 35crbinbung mit Äoftüm unb ®eIora=
tion) offenbar an unb für fid^ geeignet, ©eifi unb (Semüt ööHig gefangen
ju nel^men. S)icfe SrtDögung giebt aber nod6 leineStoegS ba§ Siedet, bie
5IRufiI t)om ®rama au^äufd^Iiefeen. ®a§ öü^nenfiüi ^at leine ^ö^ere 5tuf=
gäbe, afö bie i n n e r n Striebf ebern ber au§5ug§tDeife bargefieHten |)anblung,
ben ßampf ber SWeinungen unb fieibenfd&aften, ben SBed^fel ber Stimmungen
je nad^ @rfoIg unb 2Ki^erfoIg jum 9lu§brui ju bringen unb aud6 ben Qn-
fd^auer in ba§ ©etriebe ber feelifd^en ©mpfinbungen l^ereinjujiel^en. Un=
derfennbar fd^Iummert alfo im ®rama fe^r diel ed^te fi^rif, unb biefe fann
ober dielme^r mu6 aud^ ju Sage treten. Sie ©ried^en fonberten biefelbe
teils für bie ©^orgefönge don ber |)anblung ab, bel^anbelten fie alfo al§
eine i^r entfeimenbe 33Iüte, teils aber liefen fie bie Sü^nenl^anblung fclbft
auf getoiffen fünften ftd^ in öül^nengefänge ober SBed^felgefänge jwifd^en
©d^aufpieler unb S^or auflöfen. ©ie gingen nod^ einen ©d^ritt weiter unb
liefen bie immer ibcal gel^altenen unb I^rifd^ gefärbten Dialoge ber Jragöbie
melobramatifdö begleiten, ©ie hielten nid^t o^ne ©runb bafür, bafe eine
3Sorftettung , bie in fid^ fd&on me^r ergreifenb auf ba§ ®emüt als unter=
^altenb auf bie ©inne »irfte, baburd^ an tragifd^em ©inbrudEe gewinnen
muffe. 21I§ man nun jur S^xt ber aienaiffance, in bemühter Slad^al^mung
beS ®ried&entum§, ba§ SWuftfbrama fd^uf, ging man fo »eit, bie Siebe bis
jum förmlid^en ©efang ju fteigern unb bie moberne Snftrumentalmufi! ftar!
mittt)irlen ju laffen; »al^rfd^einlid^ toax man im guten ©lauben, aud^ bie
©ried^en Ratten aUe derfügbaren 9JlitteI gebrandet, um ein eigentlid&eS 9Jluftf=
brama 5U fd^affen, alfo felbft bie ®e!Iamation in ®efang umgefe^t.
351. ®iefe neue ©attung beS ©ramaS ]§at bie 5lft^etif unter ben
9W u f i f tt)er!en einzureiben; fie ift dortoiegenb I^rifc^rmufifalifd^. ©al^er
wirb aud^ folgenbe 2)efinition jutreffen: 3)ie Oper ift ein jufammcn=
gefegtes SSofalftüdE don »ed&feldoller It)rifd^=bramatifd&er
SnttoidEIung mit Drd^efterbegleitung. &ani rid&tig fagt St. Sito
in feiner 5)lft]^etif : „®ie D:per (©ingfpiel) ift ein l^rifd&=bramatifd^e§ ©ebid^t,
baS fid^ in ber 9luffü^rung (burd^auS) mit 3Jluftf derbinbet, tt)eld&e in il^rem
Söefen It)rifd& ift. ®er 3)ialog mu^ ba^er eine fortwä^renbe leibenfd&aftlid&e
33ett)egung ^aben, unb bie ©ituation gleid&fam don felbft in 9Jlufif übcr=
gelten. S)ie D:per l^at ba^er nid^t fotoo^I eine ^anblung dom 3lnfange bis
jum @nbe mit i^ren mannigfaltigen aSermiilungen dorjuftetten, fonbern diet
mel^r bie ©efü^Ie, toeld^e bie ^anblung begleiten. S)arum ift aber bie Oper
nid^t o^ne ^anblung; nur tt)irb ber Sortgang, bie SSertoidEIung unb 3luf=
löfung ber ^anblung nid&t (fo faft) unmittelbar unb an fid^ felbft, fonbern
mittelft beS ©efü^lS bargefteßt, in tt)eId&eS bie babei beteiligten ^erfonen
derfe^t toerben. 3n bem SQßed^fel ber ©efül^Ie aber, mlä)t bie bei einer
^anblung intercffierten ^erfonen äußern, fteHt fid^ unS baS 33ilb ber |)anb=
©ietmann, teet«. 8. 3:eil. 17
258 3l$ted itapM.
lung, i^r Sortgong, i^re 35ertt)i(flung unb 9luflöfung auf eine unjweibeutigc
SBeife bar, ®er D|)ernbid6ter mufe, bem S)eforation§maIer gleid^, ba§ ganjc
©emälbe, nad^ rid^tiger S^xä^nnnq , in jiarfen, fräfttgen 3tigen J^intoerfen,
unb bie TOufif [teilt nun ba§ ®anje fo in rid^tigeS 2id6t unb gehörige ^er=
fpeltibe, ba^ aUeS lebenbig l^erbortritt unb fid^ einjelne, toilllürlidö fd^einenbe
^infelftrid^e ju fül^n ^erauöfd^reitenben ©eftalten vereinen. S)er Operntejt
fei nur ber ßarton, nid^t ba§ Silb felbft. 2)ie plaftifd^e ©eftaltung be§
©^afefpearefd^en S)rama§ ntu^ man afö ben bireftefien ©egenfa^ ber Oper
betrad^ten unb fid& baran bie berfd^iebenen 2luffaffung§tDeifcn ber beibcn
Äunfigattungen Ilarmad&en." g^ür bie Oper »äre in ber %i)at ber fein
auSgcftaltenbe, ber realiftifd^e unb unrul^ig jum 3^^ bröngenbe ©til ©^afc=
f^3eare§ gar nid^t angemeffen. ®ie Oper taud^t brantatifd^ betoegte ©cenen
ganj in 2^ri! unb 2KufiI unb üerlei^t il^nen baburd^ eine ibcale SBürbc,
aber aud^ eine fe^r öerfürjte Soffung unb öer^öItniSmäfeige Stulpe. S)er
2ejt ift nun für bie S)efIamation nid^t me^r red^t geeignet, bie |)anblung
für bie 9lnfd&auung nid^t mel^r ftetig genug, bie 9Kimif öerliert an S9e=
beutung unb ba§ ©tüdE an ©cbanfenreid^tum unb t^atlräftigen SBiIIen§=
öufeerungen, um bem ©emüte befto me^r 9la]§rung 5U bieten. 2)ie S)e!oration
wirb naturgemäß ^^omp^after, ber Stanj gefeilt fid^ öieHeid^t ju ben übrigen
felbftönbiger »irfenben fünften nod^ l^inju, ber ß^arafter ber 3ufammen=
fe^ung unter ©d^toöd&ung ber organifd^en ginl^eit tritt ftörfer l^erdor.
352, S)ennod^ liegt eS nid&t im SBefen eine§ fold^en 2Berfe§, fonbern
in ben 5Jlißbräud&en, »enn e§ ben 3lnforberungen magrer ßunft nid^t gered&t
tt)irb. Stejte ol^ne I^rifd&en ©el^alt, bielfac^ gar o^ne poetifd&e ©prad^e, laffen
ftd& natürlid^ nid^t fingen. 2Qßenn ©efang ober 2Kuft! ben Sejt unöerftönblid^
mad^en, fo l^ört ba§ ^au^^tintereffe an bem t?ortfd^ritt ber |)anblung öon
felbft auf. ßitle ©d^aufteDungen auf ber Sü^ne, anmutige 33etDegungen
Dber Jftnje, !^aviitx ber 9KaIerei unb 33eleud&tung , SffeftftüdEd^en be§ @e=
fangeS ober Snfirumentallärm fönnen niemals eine ibeale Sefe ber bar=
gefteHten ^anblung erfe^en. gufammenl^ang , ©tetigfeit ber Überleitung,
^in^eit be§ @an5en finb ja unerläßlid^e gforberungen ber ßunft. 5Rid^t biel=
fd^id^tige 9KannigfaItigfeit alfo, fonbern einl^eitlid^e ©ebiegenl^eit giebt ber
©efamtleiftung fo bieler Gräfte ben äft^etifd^en 2Qßert. @efd&iilid&Ieit§t)roben
ber ©önger unb 9Jluftfer foDen nid&t bie einfädle 9KeIobie erftidEen, bie
aiüdEfid&tna^me auf bie ©affluft ber SWenge nid&t ju ftnnlofem (Se^^rönge
führen, bie ©d^ablone ber 2lrien, ®uette, ß^öre, 2lufjüge, Ungewitter,
©d^Iad&ten, ßiebeSfcenen u. bgl. nid^t ba§ gange ©tüdE au§ ben gugen bringen.
5)ie ginlegung bon 9Irien ju ungelegener !^t\i, j. S. tDO ©efa^r im S}er=
juge ift, bie 2lbftngung üon 6inlabung§larten unb ä^nlic&en SlUtäglid^feiten,
bie 9?ad&a^mung don Vorgängen in ber 9latur (j. 33. S)onner, ©türm) burd&
bie 2Kufif, enblid& Unnatur in ieber ©efialt, »ie fie in Opern an ber 3:age§=
9. S)tc O^cr. 259
otbnung finb, encgen ben UntDillcn bc§ ernftcn 3uf^«wctS. ©clbfi 5Rid&arb
SQßagncr nennt bälget einmal bie Optx „baS 3laxxzn^an^ für allen SBal^n=
finn ber SBelt" unb „einen unbefd^teiblid^ fonfufen SBed^felbalg".
353* 35ie fflagen über bie Ungereimtl^eiten biefer ffunftgattung ftnb
in ber X^at fel^r allgemein, unb bie unerl^eblid^fte berfelben ifi, ba^ fte il^ren
ganjen (Segenfianb über bie gewöl^nlid^e 2Qßir!Iid6feit , ja SBa^rfd^einliiä^feit
etl^ebt. 3n biefer Sejie^ung lö^t fie fid^, unfere§ @rad^ten§, fe^r »o^I red&t=
fertigen. 3ft eS etwa im beflamierten ®rama bem fieben mel^r entf^^red^enb,
bafe bie ^erfonen befiänbig in SSerjen reben? SBir mürben ja ol^ne S^^if^I
benjenigen für närrifd^ galten, ber e§ im fieben berfud^en mottte. SBarum
foDte benn bie ßunft nid&t aud& jum ©ingen ber SSerfe fortfd^reiten fönnen,
tt)enn nur ber 3n^alt fid& burdö ibealen SBert gleid^ ^od&
über bie aOßirüid&feiterl^ebt? @§ giebt mirflid^ bialogifierenbe SSoIf§=
unb ßunfilieber, mand^e Sattaben in biefer tJorm miberftreben offenbor nid^t
ber mufüalifd^en ffompofition, unb im gried^ifd^en S)rama mar eS ganj ge=
tt)ö^nlid^, ba^ 6^or unb ©d^aufpieler fid^ in SBed^felgefängen antmorteten.
5lber in bem aOßiberfprud^ jmifd^en Snl^alt unb ©efang, in ber ^ol^Il^eit ber
äußern ©d^auftellung, in ber miHfürlid^en 35errenfung ber ßunftform eines
großen SBerfeS, in ber 3Serfd^menbung ber beften ßunftmittel für bie @itel=
leit unb ben ©innenü^el unb in äJ^nlid^en großen SSerfünbigungen gegen
bie gefunbe 3Sernunft liegt ber ®runb, marum bie Opzx ben SSerein ber
ßünfte, ^oefie, 5Wufi!, TOmil, 5!RaIerei, baju SE:ana= unb 53au!unft, ftatt
ju üer^errlid^en, e^er entmürbigt unb beräd^tlidö mad^t.
354. aOßaS ber Oper am meiften not t^ut, ift aKafel^altung. 33i§
auf unfere 2:age meift man gern auf ba§ gried^ifd^e ®rama al§ ©runbform
ber Oper ^in. S)iefe beiben fielen aber tro§ aller äupern ^l^nlid^Ieit in
i^rem innern (Seift fid^ fo fd^roff aß möglid^ gegenüber. Sei ben ©ried^en
^errfd&te auf baS entfdöiebenfte bie ®id^t!unft t)or, bie gntmidEIung ber §onb=
hing mar bie ^auptfad^e; bei un§ überfd^reitet bie 9Kuftf ma|Io§ i^re
©d&ranfen, unb foHte fie etma nid^t genügen, bie ^anblung ju erbrüdfen,
fo tl^ut bie ©aufelei ber ®eIoration unb ber öermanbten S^eaterfünfte ba§
übrige. Sei ben ©pielern mar im 2lltertum bie gan5e 2lufmerlfam!eit auf
bie ©ad6e gerid^tet; in unferer Oper merben ©änger unb 9Jluftfer gerabeju
^erauSgef orbert , an einem gleid^gültigen 2:ejte t^re fünfte ju erproben.
Unter fold&en SSerl^öItniffen ge^t aller ©inn für 3n^alt, 2Qßert unb ®efe^
be§ ®ramaS berloren. SBie foHte ba nid^t baS ©anje in ©efd^madEIofigfeit
ausarten, mo ba§ 9Ka| fel^It für eine gefunbe Beurteilung be§ 6in5elnen?
355* ©obann forbert bie Oper einen mürbigen unb mirflid^ I^rifd^en
%zit 3)ie erbörmlid^en ^fabeln, baju in ber ^erlömmlid^en 3#"feii^9/
finb e§ nid&t jum menigften, meld&e ben 9lufmanb an ßunftmitteln al§ ai=
gefd^madtt, unb bie poefielofen Sejte finb e§, meld&e mand^e ©teilen bei bem
17*
260 ^^tt» ftapittl.
mufifalifd^cn Vortrage als ünbifd^ crfdöcincn laffcn. ®afe aber bic gfabcl
ibccnticf unb bie Sluäfül^rung »a^tl^aft :poctifd^ fei, genügt nod^ nid^t. 6S
mufe ber Dpcrnbidöter bcn I^rifd^en SEon beS Oratoriums mit einer Bebeut=
famen @nttt)i(Hung ber ^anblung ju öerbinben toiffen. ®arin liegt eine
ungel^eure ©d6tt)ierigleit. ®ie S^rif bemegt fid^ in ber ibealen innern SBelt,
bie |)anblung t)erfe^t unS bagegen ganj in bie öu^ere reale, ©efd^iel^t ba§
unvermittelt, fo fann eS nur ftörenb »irfen. @ine eigentlid^e 3Sermifd&ung
föirb nur möglid^, menn bie Spri! bramatifd^ unb bie ^anblung I^rifd^
tDirb. ®ie fiöfung ber erftern 2lufgabe liegt fd^on t)or in ber ed^ten 2lrie,
meldte (mie etma Sül^nengefönge im gried^ifd^en Srama) au§ ber ^anblung
^ert)orn)äd^jt ober bie f)anblung aus fid^ heraustreibt, jugleid^ aber aud^
ftatt allgemeiner Stimmungen perfönlid^ gefärbte, d^arafteriftifd^e, 5ur %f)ai
brängenbe gmpfinbungen barfteHt. ®ie SIrie erforbert barum aud^ eine
eigene 2lrt ber 2Äufi!, bie ganj inbibibueHer SuSbrudE ifi unb baburd^ bcm
SHecitatit) nöl^er fte^t, fo bafe ber Übergang t)on biefem burd& baS 9lriofo
5ur Slrie gan5 natürlid^ erfd^eint. @S !ann nun aber aud^ umgefe^rt aus
ber 9lrie jum 5Recitatit) 5urüigegangen »erben, unb aus biefem ober öielmel^r
mit biefem ergiebt fid6 ber Übertritt in bie ©rfd&einungStoelt olöne ©prung.
9iur mufe bie ^anblung il^rerfeits fid& angleid^en, fie mufe ben eil=
fertigen ®ang, bie öertoiielte ©^^annung, bie realijiifd^e 9?atürlid&leit unb
^eftigfcit unb fogar ben ftraffen 3"föniw^^nl^öng o|)fern, burdö ben fie \\d)
im gefprod^enen 3)rama auSjeid&net. ©ie mufe flijjenl^aft in ber Sfniagc,
gemütdoH in il^rem S^arafter, gelodert in ber Fügung i^rer Jeile, fel^r ge=
mäßigten ©d&ritteS in ber Entfaltung unb öiel me!^r innerlid^ als äu|erlid&
betoegt fein. Unfer gef^^rod&eneS 33ü!^nenftüi ^at meift öiel äußere Setoegtr
l^eit, fo fel^r felbft in i^m bie Xptigfeit unb ber ffampf ber ©eifter bic
^auptfad^e bleibt. Sie Oper müfete 5unäd^fi auf ben bramatifd64^rifd&cn
S^araftcr beS gried^ifd^en ©ramaS, aber bann nod& einen ©d^ritt weiter jur
fipril jurüdEge^en. 3)ie |)anblung bürfte für ben ®efIamationSt)ortrag fd&on
nid&t mel^r geeignet fein, ol^ne jebod^ aDc toaffxt Si^Ift^^^iS^^i*/ ©pannung,
ßinl^eit 5U berlieren. ©ic toürbe boburd^ fo toenig jum Unbing tt)ie mand^e
Siebtejte burdö Slnpaffung an bie aRufil, j. 33. burd^ fel^r l^öufigen ®e=
braudö bon 3nterj[eItionen unb SQßieberl^oIungen , toie fie in gefprod&cner
aiebe unjtt)edEmö^ig fein mürben, unb namentlid& burd^ ben fingenben Son,
ben balb ber jögerten , balb befdöleunigten , oft jerriffenen mufüalifdöen 3Sor=
trag aufhören, ^oefie ju fein, ^oefie unb SWufit fönnen fid^ nid^t ju einer
pl^ern ßin^eit berbinben ol^ne beiberfeitige Opfer; burd^ ein foId^eS aber
lann gonj mo^I aud& bie bramatifd^e 5ßoefte fid& mit ber It)rifd^en unb burdö
biefe mit ber Stonlunft berbinben. ®aS 3^wgniS beS unmittelbaren ©d&ön=
l^eitSgcfü^IeS befiötigt aud&, ba^ einzelne SEeile bon 3Kufttbramen juglcidö
als ß^ril unb als bramatifd^e (man fage immerhin, menn eS fein mufe, als
9. S)tc O^cr. 261
]^ a I b bramotif d^c) |)anblun8 eine gute 2Qßirf ung tl^un. 3ufammengcfc|t
ip frcilid^ bic Dpcr anä) unter biefem ©efid^tspunlte ; aber tüte man ba§
Oratorium tro§ feines jufammengefe^ten „Qwitterd&arafterS" gelten lä^t, fo
tt)irb man bie Slufgabe ber Oper nid^t öon öornl^erein in baS ©ebtet ber
Unmöglid^feiten t)ertt)eifen bürfen. ®a§ gefprod^ene ®rama felbji roax nid^t
nur bei ben ©ried^en unb im SKittelalter , fonbcrn ift aud6 je^t nod6 eine
jufammengefe^te Sunfiform, bie in ben S^ortfd&ritt einer gegenwärtigen §anb=
lung I^rifd^e unb epifd^e Elemente mifd&t.
356. ®em gefd^ilbertcn ß^arafter ber Optx im SScrgleid^e unb im
©egenfa^e ju bem gemö^nlid^en 5)rama bürfte nun ein »unberbarer , ein
mörd^en^after ober ein tief ergreif enber Stoff entfpred^en. Sic fi^rif afö
^oefie ber Innenwelt entrüdft über bie ßrfd^einung ber aütäglid^en 2Birf=
lid^feit ^inauS in eine l^ö^ere, fd^önere SBelt, unb aud^ bie ber Oper
eigene ^rad^t berfe^t ganj natürlid^ in ba§ SReid^ ber ^l^antafie. @o mod^te
Sßagner red^t l^aben, toenn er feine ©toffe ber ©age entnal^m, pe in§
3Jlärd^en]§afte unb SBunberbare ^inüberfül^rte. ^üx bie redete Vertiefung
eines fold^en ©toffeS muß atlerbingS gan5 befonberS ©orge getragen »erben ;
e§ mufe unter märd^enl^aflem ©^3iele fid& ein mäd^tiger (Sebanfenemft t)er=
bergen. ®ic ©ralfage bürfte in biefer S3ejie]§ung, roenn man i^ren innerften
ßern, ba§ ©entralgel^eimniS beS ßtjriftentumS, »irflidö ernft nimmt, allen
SBünfd^en be§ Opernbid&terS entgegenlommen. S)a nun über^au^^t t)iele§
Übernatürlid^e bie feenl^afte ^rad^t ber D:pernbarfteIIung julä^t, ja bis ju
einem gett)iffen ®rabe erl^eifd&t, fo fönnten ©toffe, n)ie fie für baS Dra=
torium gewählt ju »erben t^fl^fl^tt, oft red&t gut aud^ für bie Oper bienen ;
cS mü^te nur eine baS SernereigniS umgebenbe ^anblung gefunben toerben.
2Qßir fagen, bie ^anblung muffe baS ÄemereigniS umgeben; baburd^
nömlid^ wirb fidfe bie Opernl^anblung (obfd^on eine anbere Slnorbnung
nid&t auSgefc^loffen ift) gang füglid^ Don ber gett)ö]^nlid6en bramatifd^en
f)anblung unterfd&eiben laffen, ba^ bicfe fid& ju einem gnbergebniffe auf
langen, oft fid^ öergmeigenben unb freujenben SBegen fortbett)egt, jene ba=
gegen fid^ um einen 2KitteIpunft in engem Sreife leidet überfd^aulid^ !^erum=
bewegen foD. ®ie St)rif ber Oper tt)iberftrebt ber OrtSberänberung , meil
biefe ju mit in baS ©ebiet ber äußern S^ötigfeit ^ineinfül^rt ; unter SBal^rung
ber OrtSein^eit mirb fid& aber, »ie fd^on beim ®rama ber ©ried^en, bie
Semegung ber ^anblung um einen 9KitteIpunft ergeben. 3e I^rifd&er unfere
Oper ift, befto e^er mui toa§> als ^anblung bargefteHt ttiirb, nal^e um baS
©entrum freifen als ben 33rennpunft, in toeld^em aDeS 3)ramatifd^e fid^ ju
It|rifd&em ^^uer ent5Ünbet. 33eifpielStt)eife !ann eine |)anblung, bie t)or=
tt)iegenb in ergreifenber öerid^terftattung an einen unb benfelben Ort beftel^t,
fid& l^ier ol^ne ©d&mierigfeit in 2t)ril auflöfen. S)aS fie^t freilid^ toie eine
cinjige gro|e ©cene auS, nid&t tt)ie ein tt)eitt)er}tt)eigteS ©^afefpearefd&eS
262 5l*tc8 ftapiUl
Sül^ncnjiücf; aber e§ fann bod& gonj bramatifd^ fein. SBcnigftcnS lann ber
btomatifd^e ßl^arafter eine§ fpanifd^cn Sluto auf bicfe SBeifc ganj iDol^I cr=
jielt tDcrben. Ungered^tfcrtigt wäre bie SInforberung an eine 2Äifd&gattung,
tt)ie bie Optx e3 bod^ fein »iD, benfelben bramatifd^en SBert, b. f), bie=
felbe 53ett)eglid6feit unb benfelben gforlfd^ritt, aufjutt)eifen tt)ie baS gefprod^ene
3)rania. SBenn oben ein tief ergreifenber ©toff nod^ auSbrüdlid^ em|)fo^Ien
tt)urbe, fo beruht ba§ auf bem Itirifd^en SBerte beSfelben, ber i^n für bie
mufüalifd&c ®arftettung geeignet mad^t unb baS SSebürfniS naä^ einer be=
toegtcrn |)anblung nid^t fo ftar! empfinben läfet.
357» ©e^r t)iel lommt auf bie natürlid^e Vermittlung bon SHecitatib,
9lrie unb 6^or unb auf bie 3Sermeibung ber @intönig!eit in ber Verteilung
unb SInlage berfelben an, bamit nid^t ber ©d&ein eine§ fteifen ^uppenfpieK
entfiel^e; gerabe bie auSgefud^tefie ftunft l^at fid6 am forgfältigften öor
mobifd^em Äleiberfd^nitte §u lauten.
9luf ben 2lu§brudf »al^rer @m^3finbung foHten bie au^fül^renben
Gräfte in ber Optx öiel mel^r afö auf bie 3tugen= unb Dl^rentoeibe Sebad&t
nel^men. Sie Oper ift ein Sögling ber §öfc unb fd^Ieppt immer nod& eitle
^runfüebe, ftleiberftolj, ©efattfud^t unb fieid^tfertigfeit mit ebenfoöiel f)erj=
lofigfeit unb |)o^I^eit mit fid^ unb ruft, »ie e3 oft fd^einen toxU, nur baju
aUe fd^önen fünfte auf, um red^t öiel Särm um nid^t§ ju mad^en. S)cr
©önger öerfd^nörfelt unb verbrämt bis 5ur Unfenntlid^feit bie SWelobie, bie
2:^eaterfünftler blenben bie 2lugen, bie 3nfirumente betöuben bie D^ren,
bamit ber rul^ige @enu^ an ber einfad^en Sunftfd^önl^eit nid^t auffommc.
Unb ein foId&eS 3)rama mad^t barauf Slnfprud^, ba§ innerfie (Semüt tiefer
jU ergreifen al§ eine cd^te Sragöbie!
aiid^arb SBagnerö 5Reform ^at öiel ©d^ablone unb falfd&eö ^at^oS ent=
fernt, ber ^oefie eine felbftänbigere ©teile toicbergetoonnen unb neue 5!RitteI
beS bramatifd&en 2lu§brud!§ gefd^affen. 3)ie auSgefud&tefte ©cenerie unb
eine blenbenbc Snftrumentation treiben bie SBirlung ouf bie ©inne fo
]§od^ afö möglid^. 3)ie 3w^üibrängung ber reinen S^rif (ber 9trie) mu^
aber al§ ebenfo großer S^el^ler angefe^en toerben als bie bafür eingefül^rte
übertriebene gjpreffion unb bie n)eitge^enbe 35ertt)enbung ber ß^romatif.
S)ie 5!Kufi! ift au§ i^rer natürlid^en SRoIle, burdö melobifd&e ©d^ön^eit auf
ba§ ®emüt jugleid^ möd^tig unb lieblid^ einjutoirlen , ^inauSgetoorfen unb
in eine anbere SRoHe, nämlid^ bie einer ibeenöerlünbenben ©pred^erin, ^intm-
gebrängt »orben. ®iefe blofee 3bealifterung beS gefprod^enen 3)ramaS legt
ber 9Kufif ju grofee Opfer auf ol^ne 5lu§fid&t, ben 3ö3erf ju er=
reid^en. 3)enn bei ber opernmä^igen S3ern)enbung ber 9Kufit im ®rama
fonn biefeS niemals bie fpejififd^ bramatifd^e 2Bir!ung in t^rer aSolIfommen=
!^eit erjielen, weil eS notn)enbigertt)eife bafür ju Iprifd^ »erben mu^, toeil
bie TOufi! ben rafd&en ®ang ber |)anblung jU fe^r öerjögert, »eil ber 3:e^
9. S)tc €^er. 263
niä^t in ungcprtcr S)cutlid&fcit oufgcfa^t tocrbcn fann unb überl^aupt bcr
©eifi ju bicifcitig in ^Infprud^ genommen »irb. ®orum mu| olfo in muft=
lalifd^er Sprif, b. i). in ber 9lrie, ein @rfa§ gefunben unb über^ou^^t bog
5!JiufiIbrama Dom ©prcd&brama fd^atf gefonbert tt)erbcn.
368^ ®ie Dpet bejeidfenet ben |)ö^et)unft ber 3Jluftf in Sejug auf
ben ©pielraum, ben fie jur ©ntfaltung aller mufüalifd^en 9KitteI gett)ö]^rt,
unb bor aßcm in Sejug auf bie Unterftü^ung, totlä)t [ie bon anbern fünften
crföl^rt. 5lber fie bejeid^net aud^ bie fflip:pe, an tt)el(3^er bie 5!Rufif fiä^eitert.
3um Seweife für biefe 2:^atfa(]^e fönnen bie unficten SQßanblungen ber
Oper felbft bienen, ba immer ein ©til ben anbern al% unjulänglid^ ober
bielmel^r al§ »iberfinnig befömpft. 2BeI(3^e UmtDöIjungen l^aben nid^t flatt=
gefunben, tt)enn man nur an ßoccini, SWonteöerbe, ©carlatti, SuH^, @l\id,
^iccini, Seetftoben, SSJagner beult! ®en ©runb, marum bie Oper eine
fo rafdö bertoelfenbe ©d^ön^eit ^at, bafe jebe ©ejialt berfelben nur einen 2:ag
lang ju feffeln bermag, finbet P. Sungmann (tft^etif H [3. Slufl.], 528)
mit gutem ®runbe in i^rem 2KangeI an ©eiftigleit unb fiauterfeit. „31W bem
©ebilbe, ba§ in ber 6rbe murjelt/' fagt er treffenb, „gehört bie Unfterblid&=
feit, fie ift bie 9Jfitgift be§ ®eifte§. ®a§ fenfitioe Clement in ber menfd^Iid^en
Statur entflammt biefer @rbe, barum ift eS l^inföHig unb öertoeSlidö ; unb
gleidö il^m altert fiä^neU unb berblül^t unb ftirbt balb ba§ ^robult jeber Sunft,
bie, ftatt bem ©eifte ju bienen, bie 9Kagb be§ iSki\ä)t§) toirb : bie burd^ p^one=
tifd&e ßunftftüdEe bie ©ebanfenlofigfeit in ©rftaunen 5U fe|en, burd& ungereimte
giftionen unb 2lbenteuerüd&!eiten bie ^^ontafie ju bergnügen, burd^ prad^tboüe
©cenerien unb lujuriöfe Sofiümierung baS 9luge ju blenben, burd^ üppige
5IReIobien unb berfül^rerifd^e 9{]§t)t^men bie ©innlid^feit ju feffeln, burd^ g^ibo-
litöten unb f d^Iüpf rige 5Rei je ber Süfternl^eit 9ia]^rung ju bieten bemüht ift. "
^n einem äöerle b)ie bog üorliegenbe lönnen ju ben grögern ^unftgeBilben
nid&t gut befonbere groben l^etgefügt tocrben. @ä fei l^ier nur beifpiels^olber an
bieg unb jcneg erinnert, ajlon fe^e bie Iloffiyd^e 3lric quo ^at)bni „©$5pfung":
„3Jlit Söürb' unb ^o^eit angeti^an", mit bem öorauSge^enben Stecitatit) ; ferner Don
bem gemäßigten dlomantifer SJlenbelSfol^n au3 bem „SliaS" had Serjett „^ibe
bcinc Slugcn auf ju ben Sergen" mit bem einleitenben 9lecitatiö ; enblid^ aud
SDÖ agners „ßol^engrin" ben S)oppeId§or „SDÖeld^ ein feltfam äöunber", too ber
bromatifd^c ^u8brud unb bie ebenfo bromatifd^e ©timmenöerteilung SBeod^tung öer«
bient. 3für bie ilird^enmufif genüge e8, au8 ber ©efamtauSgaBe bcr SCßerfe ^ale«
ftrina« auf bie ßamentationen im 25. SBanbe, @. 16. 82 unb 204—209, unb auf
baS ajlabrigal «Soave" im 28. Sanbc, ©. 231 gu öertoeifen.
S)ie Sluggeftaltung ber 9Jlufif in ben biSl^er bei^anbelten feften fjormen ift Don
3Jlarj in feiner „i^ompoptiongle^re", öon Ä. ßöftlin in »ifd^erg ,MfjttiV unb
öon ©. 5lb. Äöftlin in feiner „Sonfunft", bie Oper in %^. ©d^mib, „S)q8 Äunft«
toerf ber 3ufunft unb fein IDleifter IRid^arb SOßagner", be^anbelt toorben. S)ie neuern
Söanblungcn ber aJlufif, öon benen ettoad toeiter unten bie SRebe fein toirb, finbcn fidj
in bcr öortrefflid^en „äftl^etif bcr 3:onfunft'' öon ^ennig fadftgemäß befprod^en.
264 Slö^tcä itapM,
10. 3nntxt ^ntmitnung ber Xonlunft.
359» SBir ^abcn bcn ßrcis bcr gcbröudöHd^fien formen burd&Iaufcn,
in bcnen bic 2:onIun[t il^re ©cbanfen öerlörpcrt. 2Bir burftcn bic 8ieb=
form an bie ©pi^c ftcUcn, nid^t als ob l^icrin bie 5!Kufi! il^rc cigentüntlid^fie
©cftalt annähme; öiclmel^r tüirb fic im Siebe burd& ben geringen Umfang
ber menfd6Iid6en ©timme unb bie uncrlöfelid&e 5lnbequemung an bie %eiU
»orte üer^inbert, ben ganjen Sieid^tum il^rer formellen SKittel ju t)ertt)erten.
Slber ni(]öt§befiott)eniger ift bie 33oIaImufif natürlid^er al§ bie reine 3JlufiI.
SBort unb ©timmton [inb öon ber 9?atur al§ bo§ näiä^fte unb geeignetfle
SBerfjeug jum 2lu§brurf bon ©ebanfen unb Stimmungen gegeben. S)er
33o!aI im SQßorte unb ber mufüalifdöe Jon finb in i^rem Urfprung nol^c
derwanbt, öerfd^meljen im ©efangSton böüig miteinanber, entwideln fid&,
inbem fie in ber ^txi Derlaufen, in gleid^er SJid^tung unb ergänjen jur Dffen=
barung be§ Snnern bie SBirfung jmeicr fünfte ju ber fd&önften ®efamt=
mirlung (oben 9lr. 45. 245 ff.). 2)ie SJid^tfunft mup i^rerfeit§ fid6 ber
3Rufi! anbequemen, mnn ber 33unb beiber öoHfommen natürlid^ fein foll;
fie mup einen möglid^ft I^rifd^en ©l^arafter annel^men unb i^rcn Sfteid&tum
an ©ebonten unb ^l^antafiedorfteKungen einfd&ränien. ®a§ Sieb finbet fid&
JU jeber !^tii, bei allen aSöüern unb allen SSoIfSflaffen Vertreten ; e§ ift ein
faft untt)iniürlid&er 2lu»bru(f ber erregten Stimmung.
®anj natürlid& ift aud6, toaS ©efd^id&te unb ©rfa^rung bcftötigen, bie
SSerbinbung ber 2Kufif mit ber SJlimü; bod^ lommt in 2:anj, SaHett unb
^Pantomime für gett)ö!^nlid& ein üotter öft^etifd&er ©e^alt bcr SEonfunft nid^t
jur ßrfd^einung. ®ie Sebeutung be§ mufilalifd^en SanjeS liegt bielmel^r
in ber 3lu§bilbung beS r^^tl^mifd&en Elementes, tt)ie beim 5!Rarfd6e. 9lnfä|e
üon ajlelobie finben fid^ freilid^ befonberS im Jrio. @rft mnn im 2:an5=
liebe unb im Sü^nenfpiel fid^ aud^ bie ^oefie jugefeHt, lönnen l^öl^ere
SBirfungen erjielt werben (oben 9lr. 302). 3lud& unfere 3^^ !^at in ben
fpötern SQßerfen SB agner § bie böUige 33erfd&meljung Don ^oefie, 9)limif
unb 5Wuft! glüdHidö derfud^t. S)ie ^IKimi! fte^t in biefer aSerfdfemeljung t^at=
fäd^Iidö gana im 33anne beS mufifalifd^en 3}^t)t]^mu§, ringt fid^ aber ju an=
fc^einenber ©elbftänbigfeit burd^, fo bafe fie bod& ganj aud^ bem poetifd^en
SBorte bienftbar bleibt ; bic 9Kufi! aber erl^ält nun don bcn beiben ©dött)efter=
Üinftcn bic 3^ö^igfcit ju einem burd&auS inbidibucHen 5lu§brudEe.
SE)ie Unfä^igleit bcr Jonfunft, begripd^ beftimmte SSorftcIIungcn ju
txtüzdm, lic^ bicfclbe anfangs bic ©tü|e einer anbern Äunft auffud&en ; il^re
t?ö^igleit aber, burd& bie lebhafte Erregung ber 9?crdcn auf bie innere @m=
pfinbung unb baS ®cmüt ju tt)irlen, lie^ bic ©d&tt)efter!ünfte ^intoieberum
i^rc Scil^ilfc beanfprud&cn. 2BaS aber bie 9Kufi! in SSerbinbung mit ben=
fclben Iciftct, loaS in bcr ®e[amtmirfung rcd^t eigcntlid& i^r SBcr! ift, baju
10. Snnere ©nttoidHung bcr 2^onfunft. 265
bleibt fic immer nod^ im fionbe, tDcnn fie anö) auf eigene tJüpe geflellt toirb.
S)a§ ift ber ®tunb, warum eine fclbfiänbige, „abfolute" 9Ku[i! möglich
ift. ©ie behält al8 fold&e i^ren ausgeprägten Stl^^t^muS unb i^re melobifd^e
©d^ön^eit mitfamt bem in beiben liegenben 9lu§bru(f. ©obann tt)irb fie
gattj frei in ber Entfaltung aller formellen SJMttel. S)a§ le^te al§ baS neu
^injufommenbe lennjeid^net öor aflem bie abfolute ober reine SWufif; e§
mad^t mit bem SR^^tl^muS bie grormalfd&önl^eit ber Jonlunfi aus. ®ie §form=
elemente muffen inbeffen, toenn etmaS äft^etifd^ SBertöoBeS erjielt n)erben foll,
bod^ irgenb einen, für bie 3SerftanbeSauffaffung aUerbingS fe^r abfiralten
3nl^alt l^aben, b. 1^. nid^t nur ftnulid^ angcnel^m fein, fonbern aud6 ba§
®c|)räge be§ ®eifte§ tragen (oben 5Rr. 10 ff., 19 ff.); bie Sonrei^e mufe
in bebeutfamen, auf ba§ ®emüt toirlenben SKotiöen fid^ entmidEeln (oben
%r. 274 f.), fid^ ferner in ©ä^e unb ^erioben gliebern (5Rr. 274 ff.);
ba§u fommen nod6 bie anbern SSorjüge berg^orm: ber georbnete Sau eines
gröfeern ®anjen, bie tl^ematifd^e 35urd6fü]^rung, bie S3ertt)enbung ber Drnar
mente, bcr ©iffonangen, ber Harmonie unb 9KobuIation. ®en ^xif)ali ber
Snftrumentalmufi! bilbet alfo itid^t 5um »enigften bie oft bis ju einem
tuunberbaren ©rabe gefteigerte ®efe|mä^igfeit. ®aS ift i^r in befonberer
SBeife eigentümlid^, toeil fie biefelbe am ungel^emmteften burd^fü^rt unb burd^
biefelbe @rfa| bieten mu^ für ben ©enu^, toeld&en fonft neben ber 9Jlufi!
Ttodö bie |)oetifd6en Stejttoorte gewähren. 2)od& ift eS nid^t ganj rid&tig, tt)enn
^anSlirf fagt, ber Sn^alt ber abfoluten 3Rufif fei gar nid^ts anbereS als
„tönenb belegte gformen". 6r miH tool^I felbft nur foöiel fagen, ba^ bie
SEonfunft jur S)arfteIIung fonfreter ©efü^le nid^t fö^ig fei. 9lud& bieS »öre
beffer fo auSjubrüdfen : bie Stonfunft ftettt bie ®efü^ls= ober ©emütSregungen
in generifd^er StUgemeinl^eit bar, infofern bie fpejififdöe unb inbiDibueüe
ffleftimmt^eit ber innern Siegungen, toie fie bie SJlufif aßerbingS aud^ nad^bilbet,
in ber ©prad&c nur einen generifd&en 2luSbrudE finbet (9?r. 16 f. , 27 f.).
3)er erwäl^nte allgemeine ©timmungSge^alt , tt)cld&er in ber guten gorm
immer fd^on enthalten ift, erfaßt bei ber reinen 9)iufif jeber ßaie fo gut »ie
ber Äenner; felbft eine inftinftiöe ginfid^t in bie ©efe^möfeiglcit ber ^orm
barf i^m nid^t abgefprod^en toerben. ®ie Ilare ginfid^t in bie 3:ed^ni! t)er=
mittelt aber bem SJlufiler einen großem ©enufe an ber abfoluten 3Jlufi!.
360. ®S l^öngt t)on bem SBillen unb Talent beS ßomponiften ai,
meldfeeS t)on ben beiben SWomenten, bie mir in bcr reinen 9Jlufi! untcr=
fd&icben l^aben, baS ©efe^ ber §form ober ber 2luSbrudE ber ©timmung,
ftärfcr betont »erben foUc. SScr^arrt ber Äünftler junäd^ft me^r in ber
obieftiben greube am Klange unb an bcr folgerid^tigcn fflangcnttoidHung,
imb läfet er bie ©timmung nur leife burd&jittem, fo ergiebt fid6 bie format
fd&öneSßufil im befonbern ©inne, in ber bie reijcnbe ^otm, »ic ölötter
bie S^ud^t, ben ©timmungSge^alt umpttt unb beinahe berbirgt; aber bie
266 ^^^^^ ftapittl
5orm l^ättc nid^t fo i)6i)t Sfteijc, Mit bielmc^r ein eitles ©eüingel, toenn
fie nid^t geiftig befeelt toöre. 9Dlo5att§ HebenStDürbige Slrt !ann biefe
©attung üetanfd&aulid^en. C)ingegen »irb man bei Seet^ot)en§ ©^m=
pl^onien nid^t uml^in formen, eine gelDiffe 5lufbringlid&!eit beS 3nl^alte§ bur(!^=
jufül^Ien; bie gorm beginnt i^re öoHe, felbjiänbige ober bielmel^r über=
toiegenbe ©eltung einjubü^en; tt)ir ^aben eS im eigentlidfeen ©inne mit
inftrumentaler ©timmung§mufi! ju t^un. ®er Äom|)oni[t ringt mit
ben t?ormmitteIn nad^ bestimmter 3^i^«"«9 t)er Sett)egung§Iinicn feiner
!eine§tt)eg§ allgemeinen ©timmung unb bemüht fid^, ben 3:önen einen ge=
nauern SluSbrudE abjunötigen. ®a^ benfelben eine getoiffe ®ttoalt anget^an
tt)irb, ^ört man ^erauS; aber e§ ftnb bod^ in ber 3:^at nntcr ben un=
jöl^Iigen Kombinationen ber %öm in Sejug auf ben SIuSbrudE unabfcl^bar
t)iele Serfc^iebenl^eiten. Äein SBunber alfo, bafe ber 5!Rei[ter ber aRufif eine
immer beutlid^ere ©prad^e öerlei^en fann. 9lie freilid^ toirb fie eine begrifflid&e
S)eutlid&!eit erreid^en; nie tt)irb fie bie (Segenftönbe ber ©emütäbewegungen
f enntlidö mad^en ; aber fie toirb bod^ me^r unb me!^r ben ßrei§ ber gattung§=
mäßigen 9lßgemeinl^eit verengern unb fubjettibe, gelegentlid^e ©timmungcn
burd^ ungemöl^nlid^e ©rregung, auffaHenbe 3lu§tt)eid&ungen unb 5!KobuIationen,
fireitenbe Sionberbinbungen , ©törungen ber ©t|mmetrie u. bgl. nid&t bar=
aufteilen, aber bod^ anjubeuten fud^en.
9lad6bem nun bie 2:on!unft juerft an bem fiiebe (in 35erbinbung mit
3Jlarfd& unb 2:anj), fobann in ben (Srunbformen ber Snftrumentaipde
(fonatenöl^nlic&en ©ebilben) il^re Kräfte gefd^ult l^at, tt)irb fie jur rafd^en 3ort=
enttt)idElung geeignet, ©ie ge^t al§ SSofalmufi! ju Sl^or unb SIrie über, toagt
audö epifd&en unb bramatifd&en SluSbrudE anbeiitungStoeife nad^jubilben unb
fd^afft enblidö Kantaten, Oratorien unb ^alb= ober ganjmufifalifd^c
®ramen. 3njtt)ifd&en ift bie Snftrumentalmufi! burdö bie fefte ©eftaltung ber
eigentlid&en © o n a t e er[iar!t, l^at eine güHe bon Klangfarben fid& bienftbar
gemad&t unb t)ertt)enbet fie in ber ©t) m:p Ironie, inbem fie biefelben jugleid^
ber aSofalmufi! für i^re umfangreid&en Kompofitionen ju ©ebote fteHt.
®ie au§gebilbete S3ofaI=3nftrumentaImufif feiert nun in SSerbinbung
mit anbern Künften i^ren pd^fien 2:riunit)^ in ber feierlid^en „SWeffe"
unb auf profanem ©ebiete in ber Oper. Sie 2:onIunft fann ^ier einer=
feit§ aUe il^re 2)littel ju einer burd^auS boHfommcnen Seiftung ausbeuten,
barf aber anbererfeits nid&t gerabe eine fü^renbe 5RoIIe beanfprud^en. ®enn
im aSerein ber Kaufte gilt junäd&ft baS ®efe^, ba| alle fid& bem ®anjen
unterorbnen unb in biefen ©renjen nad& il^rem beften Vermögen arbeiten,
©obann fommt bie öerfd^iebene Slangftellung ber Künfie in Setrad^t, bie
[\ä) mä) il^rem aSermögen jum 2lu§brui be§ menfd^Iid&en 3nnern ju be=
meffen ^at. ®enn wenn aud^ bie ©arftellung ber Slufeentnelt eine »id&tige
2lufgabe ber Kunft im allgemeinen auSmad^t, fo fielet bod^ bie fünftlerifd^e
10. 3nnerc ßnttotdttung ber S^onfunft. 267
Offenbarung beS 3nnern an unb für fid& p^cr unb gicbt ba^cr fclbft bcr
5!WaIcrct unb Silbncrei i^rcn l^öd^ftcn SBcrt. S)ic objcltiöc Sctrad^tung cr=
gicbt nun, bafe im Scrcin bcr ftünftc ®id&t= unb Jonlunft in i^rcr 3Ser=
binbung bcn crfien Sftang bcl^auptcn, bic anbcrn aber teitocife in eine bicncnbe
©tcHung treten muffen. 3m 5Rangftreite ber 5!Rufi! mit ber SJid^tlunft toirb
il^rerfeits bie 9Kufit fic^ ber ©d^wefterfunft nid^t öorbrängen bürfen. ©ie
l^at ja freilidö in i^ren finnlid&en SReijen einen l^o^en Sorjug ; aber bie ©rö^e
be§ ®e]^alte§ unb bie ^^febarfeit beSfelben in ber lünftlerifd^en SarfteHung
entfd^eibet bod^ fc^Iiefefic^ ju ©unften ber ©id^tfunft. ®a8 l^at man benn
aud& in ber le^tem Qtxt rüdEfid^tlid^ be§ 9Kufi!brama§ tl^coretifd^ offen an=
erlannt ; aber e§ l^at in bemfelben toeber bie ^oefie fidö beS Vorranges red^t
tDürbig gejeigt, nod& bie 5!Kuft! il^re fü^renbe 5RoIIe aufrid^tig abtreten tooUm.
2lud& in ber ßird^enmufi! fommt man me^r unb mel^r t)on ber 5lnfd^auung
jurürf, al§ ob bie SKufil im ®otte§]^aufe aHl^errfd^enb fei; fie fann e§ in
ber %i)at um fo toeniger fein, al§ bie Bereinigung ber Äünfte in ber ffird^e
ben ^3ra!tifd^en 3^^* ber Erbauung mitjuerfüHen l^at. S)ie rid^tige 53e=
urteilung beS @efamtfunfttt)erfe§ mufe alfo öom ©tanbt)unfte be3 ©anjen,
bcS ©efamtjtoedEeS, auöge^en unb bie 2eiftung§fäl^igfeit ber einjelnen ßünfte
für bie ®efamttt)ir!ung aller t)rüfen.
361. ®ie ^o^e ®nttt)idElung be§ 5lu§bruieS in ber aKufi! unb baS
Seftreben, in biefer Sejiel^ung mit ber ^oefie 5U wetteifern, l^at Slnlafe ge=
geben, bie feften g^ormen ber mufifalifd^en ßunftgebilbe, »ie fie oben erflärt
toorben finb, ju burd&bred^en , unb toir muffen jum ©d&Iuffe aud& biefer
Sftid^tung geredet werben. Beginnen wir mit ber 2lnerf ennung , baß bie
ftunft in i^rer ftetigen SortentwidEIung oHerbingS nid^t in bie ©d^ablonen
weniger S^ormen 5U bannen ift. @S bleibt aiaum für mannigfad^en 3rort=
fd^ritt, unb nid^t aUeö 9?eue ift berbäd^tig ; wenn cS aud^ einige 3cit braud&t,
bis bie ©ewö^nung eine beffere ©inftd^t Vermittelt, fo barf bod^ bie ®egen=
wart unb Sulunft nid^t fd^Ied^tl^in nur nad^ ben 9Kuftern ber Vergangenheit
beurteilt werben. ®ie Sll^nung öon etwa§ §ö^erem unb 33efferem wirb immer
wieber ju neuer Segeifterung brängen unb biefe jur Surd^bred^ung ber alten
^formen fül^ren, um eine freiere gntwidEIung be§ 3n^alte§ ju ermöglid&en.
@S ^anbelt fid^ ^ier um bie „romantifd&e" 9Hd&tung ber 5!Kufif, weld^e
großenteils mit ber „9?eubeutfd^en ©d&ule" unb ber „^rogrammmufif" iu=
fammenfällt. S)ie ©egenfö^e finb, wie in ber fiitteratur, fflaffici§mu§ unb
SRomantif. ©rfterer betont bie ginl^eit be§ 3n]^altc§ unb ber Sorm, ^ölt
fid& aus 2ld^tung öor ber gform an beftimmt erlannte, fefte ©eftaltungen
ber ffunftgebilbe unb fd^reitet nur fel^r öorfid^tig ju neuen gformen fort,
bie Wieberum alsbaib ben ©tem|)el beS tJ^rtigen unb Slbgefd^Ioffenen er=
galten. S)ie neuen, nid&t immer rcd^t Haren 9l^nungen ber Sftomantifer ba=
gegen fd^affen fid^ in freiem SDrange bisher nid^t gebraud^te 9tuSbrudESmittel.
268 ^4ted ^o^itel.
@ine untul^igc ©äriing, ein taficnbcS ©ud^cn, eine ^intanftcllung ber
t^otm }u ©unfien be§ 3n]^oIte§ mod^cn fid& ober ju gleid^er Szxt fühlbar.
2)ie ,,^rogranintntufi!" l^at il^ren 9?amen Don einem gang bejiimmten S}or=
fteüungSfreife , toelc^er programmmö^ig ber ntufüalift^en ÄompofitiDn jur
Bearbeitung borliegt; e§ toirb babet bie SluSbrucföfäl^igleit ber Jonfunp,
gett)iffermapcn im SBettftreit mit ber S)id^tfunft, auf§ pdfefte geweigert. 2)ie
3beentt)elt ber 5Romantif, wie toir fie ou§ ber Sitterotur fennen, [tc^t na=
türlidö in nöd^fier S3ern)anbtfd6oft mit ber SKufif unb mu^, mit 93egei[terung
ergriffen, für biefelbe frud^tbar toerben. S)a§ Streben nad6 immer fd^ärferem
2lusbrudf be§ mufüalifd^en ®ebanlen§ unb bie 9tnle^nung an bie ^oefie
läßt ebenfalls einen gortfd^ritt pffen. 91I§ Älaffüer in bem erüörten ©inne
gelten nod& |)apbn unb SKojart, gu ben 5Romantifern bagcgen jäl^tt
man SQßeber, ©d&ubert, ©d^umann, weiterhin S3erIioj, fiifjt unb
2B agner. ®er allgemeinere 9?ame „5Romantifer" lönnte tDol^I nod& mand^en
frühem beigelegt werben ; aber crft mit unb nad& Seetl^oben (oben 5Kr. 360)
ftnb bie Siomantifer jugleid^ ^rogrammiften unb brängen ungeftümcr in neue
Salinen. 5KamentIid^ l^aben bie jule^t genannten brei 9Jlcifter unb il^re 9?ad6=
al^mer bie §form ber alten ©^mp^onie unb5lrie entfd^iebener burdöbrod&en,
@bcn biefe neuere 5Rid&tung befd&äftigt un§ an biefer ©teile öorne^mlid^. S)ie
alte unb bie neue ©d^ule fte^en fid6 nun in folgenber SBeife entgegen:
®ie f ormalfd^öne 5!Kufif entbel^rt nid^t jeglid^en ®e!^aIteS ; benn bie @r=
fd^einung ift bod^ immer @rfd&einung irgenbweld&en SBefenö, unb barum ift
bie mirflidö formalfd&öne 9Kuft! feine reine ©pielerei, fonbern eine eigent=
lid^e Äunfi. 9tber ber Snpit ber g^orm ift nid&t berart, bafe man i^n an
einem beftimmten S)inge ber 2QßirfIid6feit ju fud^en Deranlafet toirb. S)a§
ift junäd&fi bie abfolute 9Kufi! im engern ©inne, bei ber bem
ßomponiften felber nid&t bie ©egenftänbe ber Slufd^auungSloelt, fonbern nur
bie tJormen ber Sonmelt mit jenem "^nijali öorfd&webcn , ben bie gformen
felbft mitbringen. @§ fann aber aud^ ber gfafl eintreten, unb er ift in ben
©^mppnien eine§ Seetpben berwirHid&t , ba^ ber ßomponift burd^ be=
ftimmte eingelne aSorfteDungen unb gmpfinbungen angeregt unb begeiftcrt,
nur ju bem S^tdt bie mufüalifd^en formen benü^t, um in benfelben feine
©timmung ju berförpern. 3ft er eine ftarfe Snbibibualitftt unb mit mufifa=
lifd&er ©nergie auSgerüftet, fo loirb er e§ jumege bringen, ba| aud& ber
|)örer gewahr mirb, e§ l^anble ftd& ^ier nid&t um jene objeftibe greube an
ben fd^önen gformen allein, fonbern um eine lebpfte perfönlid&e ©timmung,
um ein ©treiten unb Siingen ber ©eele, ba§ fid^ in Sönen beräu^ern toiH.
Sie allgemeine Siid^tung ber Gemütsbewegung wirb beutlid^ erlennbar fein,
ob grrcube ober Seib, S3efriebigung ober Unrul^e, Stieben ober ©treit ge=
fd^ilbert werben foH. ©ogar mand^e Umftönbe wirb man jiemlid^ fid&er
erraten, j. 33. ba^ eine freubige Begrünung ober ein wehmütiger Slbfd&icb
10. 3nncrc enttoidttutiQ bcr 3:onfunfi. 269
bcm ffom^3om[tcn borgcfd^iDcbt ^abc. 9Wan fatin boS©timmung§ntufif
mit unauSgcfprod^enem Programme nennen (oben 5Rr. 360). 2Bic
es aber 5!KuftIer giebt, toeld^e äße blo^ formale SWufif atö eitle ©pielerei
Dermerfen, fo »ollen anbete umgefe^tt t)on einer fold^en ©timmungSmuftf
nid&ts ttiffen. S)ie ^rogrammifien nun bauen auf ber Sßöglid^feit berfelben
i^r ganje§ SBirfen auf. ©ie finb aud^ öollfommen im Siedete, wenn fie
ben Sleröenreijen , bie ber (Sefang (unb in ö^nlid^er SQßeife auä) bie 3n=
ftrumentalmufi!) im Äom|)oniften unb im |)örer l^erborruft, eine teils natür=
lxä)t teils f^mbolifc^c Sejie^ung jufd^reiben ju ben ©eelenftimmungen unb
fogar ju ben SSorftellungen, burd^ toeld&e biefe bebingt werben. SBir l^aben
bicfen ^untt in ber Einleitung ju biefem Sud^e auSfül^rlid^ befproc&en. ©ie
finb nur im Irrtum, toenn fie bie SeiftungSfä^igfeit bcr 3Jlufi! überfd^ä^en,
toenn fie nid^t erfennen, ba^ fie mit einem tJ^^e auf ein frembeS ®ebiet,
nämlidö baS ber ^oefie, übertreten, unb ba^ bie jur grreid^ung i^reS Q\r)tit§>
angetoanbten TOittel, jumal bie 9luflö[ung mand^cr ßunftformen, für bie 9)iufi!
felbft öer^ängniSboH »erben fönnen. 6S fann nid^t leidet eine Sunft mit einer
anbern auf beren eigenfiem ©ebiet ungcftraft in bie ©d&ranfen treten unb bie
cinfad&ern Seiftungen auf bem eigenen ©ebiete gleid^fam als ungenügenb t)er=
leugnen. Sic mi^fannte „abfolute" 3Jlufi! enthält in i^rcm 9?amen felbft
eine gute 5Red^tfertigung : fie ift bie 9Jlufif für fid^ allein genommen, o^ne
Sejie^ung jur ^oefie unb bamit aud& ju einem (meift t)oetifd&en) Programm.
3)aS Programm fteHt bagegen bie 9JlufiI als abl^ängig don ber ^oefie l^in.
„Slbfolute aRufif" unb „^rogtammmufi!" finb in ber %^ai bejeic^nenbe
©egenfä^e. 6s ift aber gleid^ berle^rt, bie innere S3ejie^ung ber SKufif
jur ^oefie für tt)efentlid& ju erllären unb fie als nid^t bor^anben §u t)er=
leugnen. SEJ^atföd^lid^ rufen, toie bie ^rogrammiften borauSfe^en, bie elenien=
taten SBirtungen ber 9Kufi! ganj ä^nlid^e grfd^ütterungen in unfetem 5Rert)en=
f^ftem unb bamit in unferer feelifd&en Serfaffung l^erDor »ie bie @eniütS=
bewegungen, unb finb barum fö^ig, biefe ^erborjurufen unb umgefel^rt bon
il&ncn ^erborgerufen ju »erben. S)ie ©timmungSmufif in bem oben ge=
fd^ilberten ©inne ift nur bem ®rabe nad^ bon ber ^rogrammmufif unter=
fd&ieben, unb aud6 bie äftl^etifd^e SBirlung ber abfoluten 9JlufiI im engern
©inne bleibt nid^t o^ne ginfluft auf bie ©timmung beS |)örerS, »ie fie
aud6 nur aus einer ©timmung beS ßomponiften ^erborgegangen ift. S)er
©egenftanb ber Gemütsbewegung ift nur in ben brei göHen teils ber=
fc^ieben teils me^r ober »eniger beftimmt; in ber formalfd^önen 2)lufif ift
es ber »efentlid^e 3n^alt ber mufifalifd^en S^orm, befonberS beS „TOotibS", baS
fd&on burd^ feinen 5Ramen auf eine ©emütSerregung ju beuten fd&eint ; fonft
iji es bie Stimmung, »eld&e burdb etioaS anbereS als bie SSorfteKung einer
Xonreil^e angeregt »urbe. 5)ie ^rogrammmufi! tritt am »eiteften auS bem
©ebiete ber reinen 9Kufi! l^erauS, inbem fie für einen in ben SEönen als
270 5ld6tc8 Ä(4)ttcl.
fold&cn nid^t enthaltenen 3nl^alt ein befonbercS aufmcrffameS Sntereffe forbert.
S)ie Sofalmufif lenft allerbingS bie Slufmerlfamleit noc^ toeiter ab, iebod^
mit ben großen Vorteilen, »eld^e bie 2t|ri! beS SejteS gemährt, tool^ingegen
bie ^rogrammmufil ju fel^r bie ^^antafie= unb a5er[ianbe§t^ätigleit bes
^örerS, oft in ganj ermübenber SOßeife, in Slnfprud^ nimmt. 2lm toemgjien
grfolg ]&at biefelbe in ber eigentltd^en 3laturfcötlberung burd& Söne,
fobalb biefe ein me!^r als nebenföd^lid^eS Snteteffe beanfprud^t; ettoaS ganj
anbetet ift baS 3JlaIen inbiöibualifiertet Stimmungen als ba§ förmlid&e Se=
fdöreiben ru^enber ©egenftänbe, was ber 9)lufil am »enigficn jufommt.
@S barf aber nid^t geleugnet »erben, bafe toir ben ^rogrammiften eine gro^e
Sereid^erung ber mufifalifd^en SuSbrudESmittel öerbanfen. Dbenbrein fann
e§ nur Don 9?u^en fein, wenn bie SJlufil aud^ nad^ biefer ©eite ^in i^re
fträfte einmal aufS öu^erfte anftrengt, Slaturflönge ftiliftert »iebergiebt,
fianbfd^aften flimmuugSöoü malt, ßl^araftere unb ©cenen fd^ilbert ober äu=
fammenl^öngenbe Sichtungen ausbeutet; nur mufe fie nid^t auf biefer Sal^n
ber^arren, fonbem auf i^r eigenes ©ebiet unb in bie natürlid&e ©tellung
im aSerein ber fünfte jurürffel^ren.
3m einjelnen mag über biefe SRid^tung ber 5!Kufi! nod& folgenbeS bc=
merlt n)crben. ©ie oerfc^mä^t, menigftenS in i^ren neucften Vertretern, jene
©in^eit ber fjform, toeld^e »ir bei ben altern ffomponiften finben unb toeld&e
man ctma mit bem 5Ramen ber 9Ird^iteItoni! benennen fann. ©ie glaubt,
biefelbe fei burd^ ben Slnl^alt, toeld^en baS Programm getoä^rt, überflüffig
getoorben. Dbenbrein fd^eint il^r biefelbe bie gfreil^eit ber ftompofition gu
^emmen. @in ßern öon SBal^r^eit ift in biefcn Behauptungen getoife aud&
anjuerfenneu. 6S wirb aber nun an bie ©teile ber innern gin^eit ber
SRufil bie frembe ber ^oefie gefegt. 3iii>^^ f)abtn au^er Seet^oden bod&
aud& oft genug nod& Serliog unb fiifjt gejeigt, ba^ innerl^alb ber alten
©d&ranfen ber 3^^* ^^^ ^rogrammmufil in ^o^cm ®rab gu erreid^en ift.
SBarum muffen benn bie fogen. „f^mp^onifd&en ©id^tungen" bie georbnete
3:eilung ber ffompofition grunbfä|Iicl^ berf d^mö^en ? SOßarum mu^ baS bürf=
tige „SeitmotiD", b. 1^. eine bei ä^nlid^en Sl^aratteren unb Sagen tt)ieber=
lel^renbe mufifalifd^e ^!^rafc bie tl^ematifd^e ©inl^eit erfe^en ober öerbunfeln?
SBenn ferner bie alte Äontrapunfti! mit ben feften g^ormen öon Imitation,
ßanon, gruge allerbingS ettoaS eng (ScbunbeneS unb bie fpötere ©a^= unb
^eriobenbilbung unb =teilung etmaS SWed&anifd^eS l^at, müfe barum 3tegel=
lofigleit an beren ©teHe treten? @ine gefunbe, organifd^e ©lieberung ber
Äompofition mad^t fie bod^ jebenfallS überfid^tlid^er als bie fid^ immer »iebet
burd^freujenben , oft melobiearmcn ober unfertigen fieitmotibe mit ben fort=
mä^renben 2:rugfdölüffen. ßnblid^ bleibt eS bod^ immer toa^r, ba^ fid^
„in ber 33efd6rönfung ber 2Keifter geigt".
Vreben bei aiii(»fl«iilfi%eii SIdmIS.
twiCtur, v«£»li-ttur mcmorl'». ym^i-ctiÄf 4^**l ^ mfjfv* 1
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S'lcuntcS Äapitcl. S)ie Äird^cnmujxf. 271
Neuntes ^apiieU
S)cr ©CQcnftanb bictcS ÄQpitcIä bringt cä mit pd^, bo§ mand^cä bcrül^rt toixb,
toaS bcr äftl^cttf an unb für f\ö) frcmb ift. @8 flnbcn aber bod^ Qud^ folgcnbc
aftl^ctitd^e Sfraöcn tl&re erlcbigimg: SCßic loffen pd^ bie Sforbcrungcn ber Äunft mit
htm Stocde bcr Erbauung öcrcinigcn? Söie imtcrfd^cibet pd^ bie religiöfc aJlupf
öon ber toeltlid^en? SDßeld^e ©tettung l^at bie Äird^e als Sfteunbin ber jd^önen
Äünfte in ben öerfd^iebenen 3citßn i^^ 5Ulupf unb beren SCßanblungen eingenommen?
SBßcId^e öfi]§eti|d^e SSegrünbung l^abcn bie einjelnen fird^lid^en S5orfd^riften über aJlupf ?
362* 2)cr rcligtöfe ©toff unb bie jelbfiöerftänblid&cn tJorbcrungcn
bcSfelben lommcn beim Äirdöcngcfangc nid^t aDcin in Setrad^t. 2)erfelbe
iji ja, im ©egcnfa^e jum religiösen Siebe in ber allgemeinern SBortbebeutung,
aud^ ein 2:eil beS ®otte§bienfte§ , eine gemeinfd&af Üid6e , öffentlidöe ßult=
^anblung, toeld^e öon ber ganjen (Semeinbe ober öon einjelncn im Flamen
aller öorgenommen tt)irb. 2lufeer ber ifird^e mag jeber fingen, mie i^m
ba§ |)erj eS eingiebt; er mag ba aud& beim religiöfen Siebe öortt)iegenb
öpctifd&e ftatt erbaulid^e Stoedte öerfolgen unb bemgemö^ Stejt unb SKelobie
frei mäl^Ien. Snnerl^alb beS (Sotteäl^aufeS bagegen tritt man [otool^I (Sott
felbft aß feinen SDlitd^riften in einer fel^r eigenartigen SBeife gegenüber. SJlan
!ommt, um bie befonbere ®egentt)art beS Sfllerl^öd&jten burdö 3lfte ber un=
mittelbaren (SotteSöerel^rung anjuerfennen unb fid& gegenfeitig in frommer
Slnbad^t ju erbauen.
S)ie ))erfönlid&en ifultafte fd^Iie^en fid& femer an ben onijiellen
©otteSbienft an, tt)ie i^n bie Äird^e unb il^re beöoDmöd&tigtcn S)iener
angeorbnet l^aben, abgalten unb amtSl^alber übermad^en. 6s tt)irb öorauS=
gefegt, ba^ babei bie (Semeinbe in anfel^nlid^er Sßertretung fid^ jufammen=
finbe unb gemeinfd&aftlidö Slnteil nel^me. S)ie näd^fte 2lufgabe ber 33er=
fammlung ift alfo, bie frommen Stimmungen, tt)eld6e ber ^eiligfeit be§ Drte§,
ber Äultl^anblung unb il^rer Seftimmung gemö^ finb unb allen gemeinsam
fein foflen, unter Seitung berßird^e fid^tbar unb öernel^mlidö an ben
Xag ju legen. 3laä) biefen 33orau§fe|ungen ift aud& bcr ©efang ju be=
urteilen.
363. S)erfelbe l^at öiel weniger als jeber anbere (Sefang feinen legten
3tt)cdt in fid& felber, als ©egenftanb be§ öftl^etifd^en SßergnügenS, ber
auSfd&Iie^Iid6en i?unftfreube. 6in foId^eS SBol^Igcfaflen fann unb fofl in
feinem Siedete öerbleiben, aber e§ lann unb foH bod6 auf einen l^öl^ern Qtoei,
nämlidö bie SSerl^errlid^ung ®otte§ unb bie 2lnbad&t ber ©laubigen, beftimmt
unb tt)irlfam l^ingelenft werben. 6§ ift fogar unjtoeifel^aft — mie auf=
foHenb aud& immer auf ben erften SJIidf biefe Sel^auptung erfd&eincn mag — ,
272 Slcunte« itapittl
bafe ein SBcrf ber ionlunft, mic einer joben anbern Äunft (j. 33. ber S3e=
rebfamfeit ober ber 9trd&itef tur) , öon feinem ifunftmert einen 3:eil bem
praltifd&en gmedfe o))fern barf, fobalb biefer e8 ju erl^eifd^en jd^cint. 6§
öerliert bann freiließ nad6 ben ettt)a§ einfeitigen S3egrif[en ber mobernen
äftl^etil an Äunjlmert, nidfit immer aber jugleic^ an ©efamttoert. 2Kan lann
nidöt fagen, ba^ bie funftöoflfte, l^eilige ober profane, 2Kufif unter oflen unb
jeben Umftänben bie jmedfbienlid&jle fei.
364» 2)od6 feigen mir junäd&P badon ab ; benn aflerbingS liegt c§ nW
in ber 5latur einer öoflfommenen Äunp begrünbet, bei ber Unterorbnung unter
ben religiöfen Qroed in i^ren 3lnf orberungen beeinträdfitigt ju merben. 3) i e
Äirdöe mill aud6 nid^t, bo^ bie ilunft i^r burd^ ©elbftentmürbigung
biene, fonbern öielme^r, ba^ fie nad6 bem IBoHma^ i^rer ffröfte jur fSförbe=
rung ^ö^erer Qmde beifteuere. ®abei ift nid^t au§gefd&Ioffen, ba^ bi^mcilcn
nur ein Seil i^rer SKittel in 2lnf))rud^ genommen mirb. @ie mirb baburd^
nidöt entmürbigt ; leil^t fie bod^ biefe SKittel o^ne SBiberftreben aud6 anbcm,
j. 33. ))atriotifd^en Smedfen. ßeine ffunft mill unb brandet ja überall mit
bem Stufmanb aller ffräfte ju toirfen. ®a^er ift eg feine iperobfe^ung ber
SKufif, menn fie j. 33. im fieftionSton ber ffirdfie einmol eine fe^r befd^eibene
©tellung einnimmt. 5lid6t öiel anberS öer^ält fie fid& im 2KeIobrama unb
im einfadöften SRecitatiö ber Oper. 2lber bie ffird^e geftattet il^r tt)irKtd^
eine öoHe unb glänjenbe Entfaltung, mo biefelbe ben l^öl^ern 3^^*^"
förberlid^ ift.
2Ber rnoHtc fo t^örid&t fein, ben 3^^* ^^^ 9tnbadf|t unb bie l^öd^fte
ffunftleiftung für undereinbar ju galten? S)enn maS immer banad^ an=
getrau ift, öon ber Slnbad^t abiulenlen, fei e§ im 9l^^t^muS, fei eS in ber
3KeIobie, fei e§ im 2lufbau, in ber Snftrumentierung ober im SSortrag eine§
SHufitoerfeS, gehört ganj gemip nid^t jum SBefen ber ed^ten unb t)ofl=
f ommenen 3Kufif, 5lur f odiel ift ma^r : nic^t in allen i^ren (Seftalten, mol^I
aber in biefer unb jener, fann bie ed^tefte unb öoflfommenfte Sfunft beitragen,
®otte§ ßl^re unb bie Slnbad^t ber ©laubigen ju förbern. 2Bie fie baju be=
föl^igt tt)erbe, mollen mir beg nöl^ern feigen.
365* S)ie ^ird^e ift ber Ort ber ©otteSöere^rung. 5»un fü^rt aber
fd^on ba§ natürlid&e33ebürfni§ beS 9)lenfd&en barauf, ®ott aud& burd^
©efang ju öerel^ren. 5lid&t nur mifl unb foH er bem ©d^öpfer mit allen
feinen gö^igfeiten ^ulbigen, fonbern er fielet aud6 ein, mie cbel gerabe bie
göl&igfcit beg ©efangeg unb mie geeignet biefelbe ift, ben öollfommenjien
2lu§brudf ber religiöfen ßmpfinbung, bog ©ebet, unter einer SRücffidöt nod^ ju
berflören. 2)arum opfert er gern bie SKü^e auf, bie e§ il^m mac^t, um bag
fprad&Iid^e 2Bort in lieblid^ftem SBo^Iflang bor ©otteg £)^x ju bringen. 6r
finbet aud& balb, mie er fid^ felbft baburd^ bie ^flid&t ber ^ulbigung l)er=
fü^t unb erleidötert. S)amit mirb ja ber ©d^möd^e feiner 5latur, bie im
®ic ßir(3^cntnu|tf. 273
fortgefc^ten (Scbetc Icid&t crmübet, aufgel^olfen. 2)te fromme Stimmung
fclber fteigert fid&, tüenn fie frifc^ unb laut auSgefungen mirb. SBaS nun
Dom ©efange gilt, finbet teitoeife aud6 2lntt)enbung auf ben ®ebraud& ber
Snftrumente.
366. Salier empfie^ ober befiehlt bie ip eilige ©d^rift bie S3er=
l^ctrlid&ung ©otteg burd& 2Rufif: „greifet ®ott mit bem Sieb ber 2ipp^\\
unb mit Sit^erllang, unb fpred&et im ^reislleb : 3lfle SBerfe beS |)errn finb
gut unb öoßfommen" (6ccli. 39, 20 f.). .©eib öoH be§ ^eiligen (SeifteS
unb rebet miteinanber in ^falmen unb |)^mnen unb geijilici^en Siebern,
inbem i^r finget unb iubelt (eigentlich: pfallieret) bem |)errtt in euern
^erjcn unb 2)anl faget immerbar für afle§ im 9?amen unfereS |)errn 3efu
ei^rifti" (6t)^. 5, 19 f.). S)er Slpoftel empfiehlt ^ier in ben mannigfad&ften
aOßenbungen ben ]^eiligen®efang, bejeid^net beffen tt)e[entlid6en 3 n ^ a 1 1,
nömlicö bie öon @ott in 6^riftu§ unb um (S^rijti miflen un§ ermiefenen
Söo^Itl^aten , unb forbert, ba^ berfelbe au§ jubelnbem |)er}en unb aug
Eingebung be§|)eiligen ®eifte§ jur Erbauung öieler ^eröorftröme.
S)iefe SBorte be§ apoftelä, tt)eld6e faft in gleid&er gorm ^ol. 3, 16
tt)ieberfe^ren , laffen fid& freilid^ oud6 auf blo^ gefprod^ene unb nur nad^
3:on unb S^affung liebartige ©ebete bejiel^en. 2lflein bie Häufung ber an
mufifalifd^en Vortrag erinnernben 2lu§brü(fe bemeifl jum toenigften ben ganj
mufilalifd^en ß^arafter biefer ^eiligen S^rü. S)ie übereinftlmmenben %t]cU
toorte an beiben genannten ©teilen „^falmen, ^^mnen unb geiftlic^e
Sieber" finb anfdöeinenb Don brei beftimmt unterfd^iebenen 2lrten ju t)er=
ftel^en, öon ben eigentlid^en ^falmen, öon ben anbermeitigen I^rifd^en ®e=
fangen, bercn 3:ejte im 9llten ober 3ttntn Seftamente vorliegen, unb öon
ben auf Eingebung beS |)eiligen ©eifteS improöifierten Siebern. ÜJJan fönnte
nod& fagen, eS ^anble fid6 nur um bie l^äuSlid^e, menn auc^ gemeinfd&aft=
lic^e ©rbauung, nid&t um eine liturgifd&e Äult^anblung. 3ebenfalls aber
bejie^en fid^ bie „^falmen", meldte 1 Äor. 14, 26 ermähnt merben, auf
bie öffentlid&en SSerfammlungen, unb bie Siebmorte, meldte ber i)l 3o^anne§
im |)immel§tem|)el fingen lä^t, finb entmeber ein bringenb ma^nenbeS SSor=
biÖ) ober nid^ts al§ ein @d6o beffen, maS auf ber @rbc bereits ebenfo mirt
fam tt)ie angemeffen ertönte (ögl. ßirdöenmufif. 3o^bud& 1878, ©. 13 f.).
Übrigens mu^te auf ©runb ber öom ^eiligen ©eifte eingegebenen unb
med^felmeife lunbgegebenen Sicbmorte fid^ (jumal bei ben 9llten) ein reci=
tatiöer unb fogar ein melobifd^er SSortrag, mie eS fd^eint, öon felbft ergeben,
fobalb biefelben in häufigen ©ebraud^ lamen. ®enn fo forberte es il^r
erl^abener ß^aralter, unb eS ift ganj unb gar nid^t abjufe^en, marum ber
^eilige ©eift nid^t jur 3SerfIärung biefer Sieber mittelft beS melobifc^en
SSortrageS anregen, ober marum bie ifird&e benfelben, fei eS in |)ribaten,
fei eS in offijiellen SSerfammlungen l^inbern foQte. @ab bod^, um nid&t
eietmann, tftl^eti!. 3. SeU. 18
274 Sleunteü Aopitel.
QXi bic J^eibnifd^cn Cpfergcfängc ju erinnern, ber altteftamentlidfic
^falmcngefang ba§ nal^eliegenbe SSorbUb (ögl. 2 5ßar. 5, 12 jf. unb
fddon 2 9Kof. 15 , 1 ff. unb 20 f.). S)arunt iji eS aud& !eme§tt)cg§ un=
mol^rf ci&einlid^ , ba^ ber ^eilanb naci^ bcm legten 9tbcnbmQ^Ie bie ®anle§=
l^^mne (9Katt]^. 26 , 30) mit feinen Süttgern tt)irllid^ gcfungen ^abe ; man
mü^te benn annehmen, ha§> ©ingcn ber ^falmen fei bei fold&en ®elegen=
l^eiten nic^t mel^r im ©ebrouc^ gemefen.
sp^ilo (1. Sal^rl^unbert n. 6^r.) fd^ilbert unS fe^r eingel^enb, toxt bie
S^erapeuten ^g^ptenS bei il^rem gfreubenmal^I mannigfad^e ©efänge, teils
^falmen miö ber ©dfirift, teils anbere ßieber „in fcierlid^en Sl^^tl^men"
monobifdö mit c^orifd^en Slefponforien auSfül^rten (S3om befd&aulid&en Sebcn).
367* 2)emgemö& werben minbeftenS bie 3ubend6riften , fomeit nid&t
(innere SBer^ältniffe eS bertoe^rten, ben ©efang jur aSerl^errlid&ung ©otteS
öermenbet l^abcn. ©ufebiuS fü^rt bie SBorte ^l^iloS in feiner ifird&en=
gefd^idfete (E, 17) auSbrüdtli* als 3eugniS für bie „bis je^t in ber Äird^e
befolgten Seftimmungen" an. 3n biefem @inne toirb man eS benn aud&
auslegen, menn XertuDian fagt, bofe bie ©Triften „unter ^falmen unb
f)^mnen", unb teilmeife abtoed&felnb, i^r ©ebet „jum Slltare ©otteS" bringen
(öom ©ebete, fiap. 27 unb 28) ; toenn er femer fagt, bafe ^liniuS ermittelt
l^abe, bie ß^riften !ämen öor 3:ageSanbrud& jufammen, um ß^riftuS burd&
ein Sieb ju öer^errlid&en (Stpolog. 2 »canere Christo", 5ßIiniuS l^attc
Epist. X, 95 baS 2Bort Carmen gebraucht); toenn enblid^ berfelbe (öon
ber ©cele, 9) toenigftenS Dom ©ottesbienft ber SDlontaniften berichtet, ha%
babei „bie ©d^rift gelefen unb bie ^falmen gefungen tourben''. 3n ben
Stpoftolifd&en ßonftitutionen (11, 57) toirb öorgefd^rieben , bafe bie ^ßfalmen
®at)ibs beim ©ottesbienft öon einem einzelnen gefungen, ba^ bom SSoII aber
refponbiert werben fofle, unb bieS öeraufd^aulidfit uns mol^I ben l^errfd^enben
©ebraud^ beS 3. Sal^rl^unbertS. 3nt 4. ^al^r^unbert liefe ber ^I. 2lt]^a=
nafiuS oQerbingS bie spfalmen mit ganj geringem Xonmed^fel vortragen
(SluguftinuS, 33e!. 10, 33); er felbfl nennt biefen SSortrag, bei bem
baS 95oIf litaneimäfeig refponbierte, gerabeju ein „Sefen" (SSerteibigung feiner
gludöt, 24). ®ie canones Apostolorum l^ingegen fpred^en fd^on öon einer
ßlaffe liturgifdfier. ©önger, unb ber 1^1. |)ieron5muS ermahnt bei
©rfiärung öon &p^, 5, 19 bie jungen Seute, toeld^e baS „2lmt" ^aben,
in ber ffird^e bie ^falmen öorjutragen , alle tl^eatralifd&en SBeifen fem ju
Italien : „©o finge ber S)iener ©otteS, bafe nid^t bie ©timme beS ©ängerS,
fonbern bie SQßorte beS S^ejteS gefallen, unb ber böfe ©eift ©auls auS benen,
bie er in 33efi^ l^at, ausgetrieben merbe unb nidfit etwa in jene fa^re, bie
aus bem |)aufe ©otteS eine SSoIfSbü^ne mad^en.''
368» SDlan barf alfo tool^I öorauSfe^en, bafe ber l^eilige ©efang, unb
insbefonbere aud& ber gemeinfd&aftlid^e unb öffentlid&e, nad& bem SSorbilb beS
S)ie Äirftentnufif. 275
5lltcn 8unbc§ unter a))oftoIiWcr ^Anleitung ctngefül^rt würbe. 3)crmod^ ift
eine au^erorbentlid^c JWafel^altung unb SSorfid&t bcr crftcn d^rijilid&cn SoJ^r«
l^unbertc, im SSergleid^ mit bem ©ebrouc^ ber ©^nagoge, unöcriennbor.
®ic befd^cibenen SSer^öItniffc, bie äußern ©efa^ren, in bcncn bamalS bic
Äirdöc fid& bctücgtc, unb ber beabfid^tigte SBiberfprud^i gegen bie l^eibnifc^en
SJiifebräud&e erllären biefelbe nod^ nid^t jur ©enüge, jumal wenn man bes
beult, ba^ bie in ber ©^nagoge fo beliebte Snftrumentalmufi! öon ber Äird^e
ganj unb gar au^gefd^Ioffen blieb (ögl. unten 9?r. 398). Dl^ne 3tt>^if^I
fül^Itc bic 6rjHing§Iird&c einen öor^errfd^enben 2)rang, ®ott buc^ftäblidfi „im
©cifte unb in ber Sffia^r^cit" ju biencn, ol^ne jene äußern JWittel ber 2ln=
bad^t, meiere bie ©inne parier anregen, in 2(ntt)enbung ju bringen.
©lemenS öon 2IIejanbrien öertritt jmar (um 200, ©trom. 6, 11) fel^r
entfd^ieben ben ©runbfa^, ba^ bie ßünjte ber ©riedfien, unb unter biefen
aud^ bie 3JJufif, bem ß^riftcntume bicnpbar ju mad&en feien. @r befd&ränit
bieg aber ba^in, ba^ man fid& nur fo toeit mit benfelben befc^äftigen bürfe,
al§ fie maleren 5lu^en bringen, einen ©d&mudt ber Xugenb bilben unb jur
„toa^ren SffieiS^eit'' be^ilflid& feien, ©o fönne alfo j. 33. bie SKuftI bei
©aftmä^Iern jur gr^ebung be§ ©eijieS über bie ©innlid^feit unb jur fdfiufc
bigen ©anfjogung für (SotteS Sffio^Itl^aten bertoenbet »erben. 2lfö über=
flüfpg muffe aber öermorfen loerben jebe entnerdenbc unb überlünftelte 2)tuftl,
alle§ SBeinerlid^e , 2tu§gelaffene unb ©innlid^e, enblid^ alles, tt)a§ an ben
rafenben Säacd^uSbienft erinnere. 2lnberStt)o (5ßöbag. 2, 4) rid^itct er fel^r
ftrengc ben häufigeren (Scbraud^ ber mufilalifd^en Suftrumente, unb ol^ne
bic SSermenbung berjelben im 2llten 33unbe ju leugnen ober aud& für bic
©egenmart (j. 99. bei ©aftmä^Iem) burd^aug ju öerbieten, rcbet er bod6
einer geiftigen 9)lufif, bie leine S:öne unb Snftrumcnte braud^e, cntfd^icbcn
ba§ SBort. @r fagt einmal ausbrüdtlid^ : „SBir bebicnen un§ nur eines
cinjigen 3uftrumente§, ©ott ju e^ren. 2lls foId^cS bient uns baS ,93BortS bcr
©Ott beS gtiebcnS; mir bebürfen nid^t mel^r beS 5ßfaItcriumS , ber 2:rom=
petc, ber ^aufe unb bcr 3?Iöte." SOßeiterc 9Sorfd(|riftcn bcS ßlcmenö finb:
©cbrod&ene, fläglid^e Sl^^tl^mcn, meldte bic gute ©ittc öerberben, unb übcr=
l^aupt alles, maS 3lugc unb £)f)x überreijc unb öcrmeid^Iidöc , foHc t)cr=
micben merben; ftatt erfd^Iaffenber 5JleIobien, bic burd^ lünftlid&c Ston^
beugungen jur SBeid&Iid&feit unb SluSgelaffcnl^cit fül^rtcn, foHten crnfte unb
ma^öoHc fiieber bem trunfenen Übermute öorbeugcn. ß^romatifd^c 5!Kc=
lobicn min er ber fred^en, gedten, bul^Icrifd^cn SDlufil äugcmiefen feigen.
2)ic fSfärbung bicfcr 3*ebc erllärt fid^ auS bem gered&tcn UnmiÜen über
eine 2(rt bcr mcltlid^en SHufü, bic fid& ganj in ben 2)icnft bcr ©innlid^Icit
ftcQte; aber fic jeugt aud& öon bcr geiftigen ifraft einer 2dt, meld&e, öon
ben ©d^mingcn bcS |)ciligen ©eiftcS munberbar cntporgcl^obcn, feines irbifd&cn
Suft^aud&cS ju i^rem tJIugc benötigte.
18*
276 flimnM Ao^itel.
Spätere 3al^r]^unbcrte l^ottcn fd&on mel^r mit ber menftiftli^en ©d&toä^c
ju red^nen. Da^er mufete bte ftirdfientnufil, mie fo mand&e Übungen bcr
frü^jten Seiten, attmä^Iid^ öon jener Strenge ablaffen. Sluf anbere Unts
ftänbe, toeld^e bie freiere ßntttjiilung ber d6rijili(!6en, inSbefonbere ber fird^=
fidlen 5Dlufif begünjtigtcn , braudfien »ir ^ier nid^t einjugel^en. ®ie ftird^c
bequemt fid^ ia überall bort ben beränberten aSer^ältniffen an, mo eine »eife
Slad&fid&t ben l^ö^ern 3tt>edEen ju gute lommt. Der großem ®^re ©otteS
orbnet fie bie übrigen ätüdtfid&ten unter.
369. gforbert aber bie ©rö&e unb ber SBiDe ©otteS ben Sribut cine§
tt)ürbigen Sobgef ange§, fo ifi bie SKufif nid&t minber jur Erbauung be§
3Kenfd6en beftimmt unb geeignet, unb jtoar fotoo^I jur ßrbauung beffen,
»eld&er bie ©efül^Ie beS ^erjeng in mufilalifdfien Xönen ausfprid^t, afö be§
^orerS, in beffen ^erj biefelben auf biefe SBeife übertragen toerben. 3)ic
laute unb befonbers bie öjfentlid&e Äunbgebung frommer ßmpfinbimgen
tt)irlt auf ben ©änger jurürf; feine Mnbad^t fteigert fid& mie bie ®Iut be§
auSbred^enben tJßuerS. 9Kan bebient fic^ jur 2lnfad^ung ber 2tnbad6t§glut
mit Äed^t fd&öner ©ebctSformeln. SBerben aber biefe nod^ burc^ 3Wufif
berflärt, fo l^aben pe eine biel größere Äraft, bie innern 5(ffefte anjuregen.
2)enn bie SDlufif ift ben innern Stimmungen ungleidft me^r bertoanbt al§
bie [d^önpen SBorte. ©efang erfreut unb tröftet baS |)erj, toe^rt bem tiber=
brufe unb ber 3:räg^eit, erl^ebt unb läutert bie Seele, gicbt ©efd^modE am
^eiligen unb ertoetft l^immlifd^e ©efinnung. ®enn „bie ^falmobie", fagt
ber 1^1. ©regor öon 9la jianj (40. SRebe), „ift ein Sorfpiel be§ f)9mnen=
gefangen in ber ^immlifdfien |)ennd&feit". SBir fönnen un§ in ber SEI^at
ben Subel ber Seligen nid&t o^ne ©efang öorfteKen, fogar nid^t ol^ne reine
SKuftI, b. f), eine fold^e, bie nur menige ober leine SBorte nötig ^at, um
ben 3ubel ber Seele auäju^aud&en unb bie ©lut ber Siebe ju fteigern
(Offb. 5, 9 ff.; 14, 2 f.).
370. ®icfe Sffiirfungen erfährt in fid& aud& ber ^örer. Sie öu^erfte
Sd&toermut Sauls mirb burd^ ®adibs iparfcnfpiel gebannt (1 Äön. 16, 14 ff.).
3n großer SErübfal tröftet fidfi bie ß^ripengemeinbe ju TOailanb burd& t)er=
boppelten ßifer im SSoIfSgefange, unb „Diele, ja faft aUe ©emeinben in ber
toeiten SBelt l^aben ben 33raud& nad^geal^mt". So berid&tet ber ^I. 2luguftin
(Sefcnntn. 9, 7) unb legt don fid& felbft baS ®eftänbni§ ab: „SQBie mufete
id^ »einen, o ©ott, bei beinen ^reiSgcföngen unb fiiebern, ttjenn bie füfe=
tönenben ftlönge beiner ftird^e mid6 l^ef tig bemegten ! 3ene ff länge ftrömten
in mein O^r; eS träufelte, tt)ie Pfftg geworben, bcine Sffia^r^eit mir in§
§erj ; e§ entjünbete fid^ barob aßbalb bie ©lut ber Slnbad^t, e§ floffen bie
^v&mn, unb mir mar fo wol^I babei'' (a. a. D. 9, 6). 6r pnbct, ba^
„alle Stimmungen, fo öetfd^ieben fie pnb, il^re eigene SBeife in Stimme
unb fflängen l^aben unb auf ©runb einer geheimen aSermanbtfdöaft burd&
S)ie ÄiriJ^enmufl!. 277
biefelben angeregt tDerben". @r fügt freilid^ ^^tnju, ba^ e§ i^m jumeilen
begegne, me^r auf bie ©d^önl^eit bec Älänge als auf ben 3n^alt beS ®e=
fangeS ju ad^ten, unb baS fei Dom Übel. ®a gel^e er tüo^I aud& ttt=
tüitiUd^ fo totxt, nad& @rlenntni§ jenes Q^el^IerS ben funpöollen ffird&en=
gefang ganj ju bemerfen unb ein ganj einfad^eS Slecitatiö öorjujie^en.
2inein er giebt alsbann in SBorten, bie aller Se^erjigung mert finb, bo§
Heilmittel für baS Übel an: e§ folle nur immer bie finnlid&e 6m=
pfinbung ber SSernunftt^ötigleit fid& unterorbnen unb nid^t
aus ber SfoIIe ber Segleiterin fid^ in bie einer gül^rerin ein=
b rängen (a. a. D. 10, 83).
371. ®iefeS le^te 2Bort unb anberc fd^on oben angefül^rtc äu^erungen
ber Äird&enfd^riftfteHer bol^nen unS ben S33eg jur genauem Seftimmung ber
©igenfd^aften einer funftöoDen unb jugleid^ erboulic^en Äird^enmufil.
©itiige, bie mel^r ted^nifd^er 5latur finb, betreffen bie %onaxt, ben Sl^^t^muS,
ben ®ang ber SDlelobie, bie 39efd&af[en^eit ber Harmonie, ben (Sebraud^ ber
3nftrumente unb einjelne öertoanbte ®inge. SefonberS aber ift eS ber
3n]^alt, ber allgemeine ®eift unb Son, bie bemütige Unterorbnung unter
3tDedf unb ß^arafter beS ©otteSbienfteS , tt)aS bie lirdölid&e SKufif Don ber
tocitlid&en unterfd^eiben foK. ®er liturgifd&e ©efang ift mufilalifd^er 2luS=
brudt beS liturgifd^en StejteS. 3)er eigentlid^e ß^oralgefang mU ganj
unb gar nid^tS anbereS, als bie öon ©ott unb ber ßird^e geheiligten SBorte
beS aWefebudöeS, beS SrebierS, beS ^ontififale u. f. m. lieben unb öerflören.
3)ie großen Sonfe^er ber fpötern Seit aber nahmen ben „cantus firmus"
jur ©runblage für ben Slufbau me^rftimmiger ßompofitionen , ober ent=
lel^nten bem ßl^orale il^re SKotiöe, ober bid&teten bei ben feltenern freien
©dfiöpfungen im (Seifte beSfelben. S)iefe ©runbregel mu^ aud^ ^eute mafe=
gebenb bleiben. SSerftümmelung beS offiziellen JejteS unb SBilHür in Se=
l^anblung beSfelben, ja fogar allju gro^e ©ubjeftiditöt im 2luSbrudf finb
t)ertt)erflid&. S)od& gelten mir juerft auf baS gotmeQe nä^er ein.
372. 2)ie d&riftlid&e Snufif überfam auS bem Altertum eine Slnja^I
Tonarten, meld&e fid& auf bie biatonifd^e ©fala, b. f). bie 5laturleiter
grünbeten; bie d&romatifd&en unb en^armonifd^en , b. f). bie mit !ünftlid(ien
§alb= unb SJiertelStönen gebilbeten Sonrei^en lie^ baS g^riftentum, menigflenS
im Slbenblanbe, fallen; bie le^te 3lrt l^atte eS laum nod^ fennen gelernt.
S)ie biatonifd^e 2Rufif galt fd^on bei ben ©riedöen als bie einfad&fte unb
natürlid&fte , fröftigfte unb mürbigfte; fie mürbe im SßollSgef ang , in ber
3:ragöbte unb in ß^orliebern mand^erlei 2(rt gebrandet. 2)ie d^romatifdfie
unb en^armonifd^e 9Kufif bagegcn blieben auf bie 3Konobien unb ben 3n=
ftrumentalpil befd^rön«. MeS Promatifd^e galt als ))at^etifd&, Ieiben=
fd&aftlid^, baS ßnl^armonifd^e aber als baS 2luSgefud&tefte in ber Äunft=
mufü. 3n bem ©efagten liegen nun fd^on ©rünbe genug, meS^alb baS
278 9leunteS itoipM.
SHittelaltcr ftd^ an bic S)iatomf l^iclt unb meS^alb bicfclbc in bcr Äird^en^
muftf nod^ ^eute burd^aug Dorjujie^en ift.
S)ie Hird^e trat in ber 3Jluft! tool^l sunäd^ft bad @rbe bed Oriente an, nämltd^
bed l^ebröif (^en ^Itertumd ; l^öd^ftend für bie erft geraume S^^^ na^ ben $f almen auf»
genommenen ^^mnen mit üafftfd^em SJletrum möd^ten toir einen Hinflug ber l^eHeni»
fd^en ^ujt! nic^t beftretten. äBir I5nnen aber ©eüaertd Slnfd^auungen Don htm
altgried^ifd^cn Urf:|)runö ber Äird^entonarten nit^t beiftimmcn (f. oben S'lr. 140 ff.)f
ebenfotoenig 21. SJlöl^IerS Stuäfül^rungen (S)ie gricd^ifd^e, grie(^if(^«r5mifd^e unb
altd^riftlid^=lateinifd^e 50lufi!, 1898). Sin unferer ©tctte fann man bie Sfrage bal^in«
gepeilt fein laffen.
373. 3)ie rein biatonifd^en Sonarten (au^er C) fügen fid& nid^t ganj
in unfer ^armonief^ftem ; an ftd& aber toibcrftrcbcn fic ber ^armonificrung
nici^t, toie j. 33. auS ^iels ,;§armonieIc]^re" ju crfe^en iji. 3nt übrigen
l^aben fie ben aSorjug eine§ fe^r mannigfaltigen 2luSbru(fe§ o^ne 9lu§=
mcid^ung unb allju fünjilic^e ^Robulation (bie @infc|ung cine§ b ftatt h
ift öieQeid&t nid^t urfprünglid^ unb öon bcr gried&ifd^en 2Rufift]^eoric, xoxt man
fic im 3KittcIaIter Icl^rte, dcranla^t morbcn). Unfer mobcmeö ©^flem l^at auf
bie feinen Untcrfd^icbc ber alten Tonarten SJerjici^t geleitet, um bie 24)nalität
fd^ärfer au§juprägen. 2)amit ge^t eine ftraf[e ©cfd^Ioffcn^cit |)anb in |)anb,
meld&e bie 9lufmerffam!eit ftärfer auf bie 3form Icnft, ^txoa fo tt)ie tt)ir e§ au§
anbern ©rünben beim ßefen unb ©ingen einiger Äirci^en^^mnen mit einem
!ünftlid6en SSerSmape em|)finben (j. 33. bei ber fappl^ifd^en ober aäflepiabeifd&en
©tropfe). 2)aS ift bei ber ff irci^enmufi! im allgemeinen meniger günftig ; e§
foH ja in i^r bie Q^orm möglid^ft befd&eiben hinter ben Snl^alt jurüdtreten.
®ie ginförmigleit unferer beiben iongcfd&Iec^ter mitfamt il^rer reget
mäßigen SKobuIation maci^t tt)ieber 9lu§= unb Slbmeid^ungen nötig, bie leid&t
mit ber ßinfad^l^eit be§ ßird^enftiß ftreiten.
„Sic Sieffinnigfeit be§ alten @^ftem§'\ fagt aud^ 3War j (ffompof. I),
„U^t fid& nid^t öerlenncn, unb in mel^r afö einem fünfte muffen toir il^m
feinere Unterf d^eibungen , treffenbere ßl^arafteriftif jugefte^en." @r bcjiel^t
biefe 3Sorjüge auf bie befonbern 3^^^^^ ^^^ M t»^^ SKufücr aud6 je^t
nod^ (tt)ie SJeetl^oöen im I^bifd^ gefd^riebenen Quatuor Op. 132) öorfe^en
!önne; ba paffe benn eine ber alten Tonarten öielleid&t auSnel^menb gut.
SBcnn berfelbe ©clel^rte aber meint, biefe Ratten bod& nottoenbig in unferem
©^ftem als bem ber „^ö^ern unb allgemeinern SQßal^r^cit" aufgeben muffen,
fo barf man iebenfalls ^injufügen, ba^ nur bie befonbern Q^orberungen
unfereS §armonief^fiemS biefeS 3lufge]^en notmenbig, b. f). bie alten 34)n=
arten toeniger braud^bar mad^te. @o urteilte fd^on |)eIm^oI$, ber in unferem
3KufiIf^ftem nur einen befonbern, aber nid^t ben einzigen SBcg jur l)oII=
fommenen 9lu§geftaltung ber Sonfunft erfannte.
@anj unrid^tig ift bie jumeilen auSgefprod^cne 9lnfid&t, als ob bie
ffird^entonarten blo^c Sonreil^en o^ne tonale ßinl^cit feien, ober als ob
3)ie Äitd^cnmufl!. 279
tDenigftenS ba§ öord^riftlid^c 2lltcrtum noc^ lein ©efü^I für bic l^ertfd^cnbc
Sonifa gehabt ^ättc (fiel^c oben 5lr. 134). 5lur fo Diel tft tDOl^r, bafe bie
^aimom bic (Stnl^cit bcr Dftad öicl ftörfer betont.
374. ©clbft mä) 2lu§bilbung beS neuen ©^ftemS bel^ielten inbcffen
grofec SDieifter für bie Äird^enmufif aud& bie ßirci^entöne bei. 3)WgIid&fte
Slnnöl^rung an bie 2tlten burd& 3Sermeibung bc§ ß^romatifd&en ift fo=
jufagen unerläfelic^, menn nid^t ber (Seift beS trabitioneHen Äirci&engefangeg
mit ber Q^orm geopfert merben foK. 9lber bie Slbmeid&ungen ber alten 3:on=
arten öon ben mobernen l^aben aud^ in fid6 il^r gute§ SReci^t. ,,68 ^errfd^t
in ben alten Sonarten ein innerer, ber ffird^e gemö^er 2lnftanb, eine SQBürbe,
bie in ben beiben neuern ®ur= unb ^RoHtonartcn allein nid^t ju erreid^en
ift." S)iefe SQßorte ©uljerS, ber übrigens in unfercm S)ur unb 3KoII nid&t
minber al§ 9)larj bie öolllommenften 3:onarten erlennt, bürften fid& barau§
begrünben laffcn, ba^ einerfeits SWoII ju öiel d^romatifd^en (Sl^arafter l^at,
ba^ aber anbererjeitö beni 2)ur jener Qanm fel^It, ber ben alten 2:onarten
burcö bie Sage ber |)albtöne angelegt mirb unb i^rer Sett)egung ben ©^a=
rafter be§ SKa^öoflen giebt. 5lur bie C-Sonart, in i^rer eigentlid^en Sage
ober in ber SranSpofition nad^ P (mit b), entfprad^ ganj unferem ®ur.
aSgl. über bie einjelnen Sonarten be§ alten ©^ftemS oben 5Rr. 101 f[., 120
unb 143 ff.
S)ic gcfd^id^tlid^e Srorft^unö crtocift für ben öltern ®]^oraI oud^ bic überrafd^cnbc
(Srfd^einung einer ma^üoUen (S^l^romatif, über bie aUerbingS no<^ nic^t t)iel @id^ereg
ermittelt toorben ift. ©d^on SJet^cörcnS bcrül^rt lurj jene ^Ulobulation beg öreöoriantfd^en
©efanged, toeld&e burt^ ^ unb }t l^erbeigefül^rt toirb, unb Dertoeift auf brei Seifpielc
biefer Slrt (fitudes musicales, vol. I, p. 304). 3ünQft l^at biefen ©egenftanb 3QCob8=
tl^al mit großer Umfid^t unb muftcrgültiger ßlarl^ett bel^anbelt: „S)ie d^romatifd^c
Sllteration im liturgifd^en ©efang ber obcnblänbifd^en Rix^t". S)ic ©ad^e ift überaus
fd^toierig au8 ben 50lelobietejten obauleiten, toeil bie dltefte ©eflalt berfelben in mand^en
©injell^eiten btö jur Unfenntlit^feit öerönbert »orben ift. S)ie ^Ulufiftl^eoretifer aber
fpred^en nid^t l^äufig öon ber d^romatifd^en 5llteration unb finb überbies nid^t leidet
gu erflären. 3acoböt]^aI l^at auf eng umgrenztem ©cbiete feine Oforfd^ung angeftettt
unb bQ8 S}orfommen zim^ Es unb eineö Fis ftar nad^getoiefen. ©o oft freilid^ in
ben 9JleIobietejten ber d^romatifd^e S^on (ber aH fold^er in ber SRotcnfd^rift nid^t be«
jeid^net tDar) burd^ änberung berS^onftufen entfernt tt)urbe, ift aug fold^en
S^ejten natürlid^ nid^ts mel^r gu erfd^Iiefeen. Slber ein onbereö 9JlaI l^alf man fid^
mit ber 3^ron§pofition; benn banf einem neben H beliebig anjutoenbenben B
genügte bie S^ranöpofition, um bie ®l^romatif fd^einbar ju öertoifd^en. Sluf äl^nlid^e
Söeife fallen »tr oben SJed^eörenS bog B aus allen ©l^orolmelobien au8|d^eiben. 3um
SJeifpiel : toenn in ber D-ßeiter ein Es öorl^anben toar, fo brandete man nur nad^ A ju
transponieren; fo öertrat B ben S^on Es unb H ben Son E, unb bie SJlelobic l^atte
nid^ts 5luffaÄenbeS mel^r. S)ie F-ßciter öerfe^te man jur Entfernung eine« B nad^ C.
Sfanb fid^ ein Fis in ber G- ober E-8eiter, fo öerfd^toanb eS bei ber 2!ran8pofttion
nad^ C unb A. S)ie ©l^romatif loirb aber entbedt burd^ Jöergleid^ung älterer
S^onorien, »eld^e bie urfprünglid^e S^onart angeben, unb burd^ SSeobod^tung bcS
©angeS ber 3JteIobie fotoie ber d^arafteriftifd^en ^abenjen.
280 Jlmnit» Aapitel.
9Bad bte Se^re ber X^eoxetilet anlangt, fo begeugen biefe aufs beftintnüepe ba§
9}orIomnien d^romatifd^er Xöne. f&tvno t)on 9leid^enau billigt aud^ bie 2:ran3^ofition
gur Ouint ober Ouart (Gerbert 1. c. II, 75 sqq.), ©otta ocrtoirft biefelbc in Oicicn
Sfättcn, tocil Re oft nur burd^ Unöcrftanb bcr ©angcr öeranlafet fei {Gerbert L c. II,
248 sq.). ^ag aud^ anbere d^romatifd^e %öm auger B, Es unb Fis gur Sntoenbung
tarnen, ift an fi^ toa^rf^einlit^ unb Don ^otton (1. c. p. 261) bezeugt; bei folt^en
fonnte feine 2^rand))ofltion aushelfen.
Ülid^t nur biefe ©d&riftftetter beS 11. Sa^rlftunbertö, fonbern fd^on ^ucbalb (cttoa
um 900) ergö^It und t)on ber 6^^romatif bed 6^^oraId. S)iefelbe ftnbet nad^ i^m
enttoeber in berfelben 9leume ober bei ber ^Ibtoec^Slung Derfd^iebener Stimmen ftatt
(illnd in eadem nenma, hoc yero in praecinendo et respondendo. Gerbert 1. c. I.
17^ sqq.). 3nbeffen bürfte ^ier bie Auslegung 3acobdt^aU eine, loenn aud^ unloefent^
lid^e C^infd^ränlung gulaffen. „2)iefelbe 9leume" l^eigt im eigentli^en unb geloö^n»
lid^en @inne „badfelbe Ülotengeid^en", ^öd^ftend „berfelbe S^alt". $ucbalb fagt alfo,
ed trete bie d^romatif^e S)iffonang („^bfonie") ein, menn in einer STlelobie irgenb
ein 2!on erlftö^t ober ernicbrigt toerbe unb fo bie $!JlobuIation in ein „anbcreS
3:etrad^orb'' ftottfinbe. 91U ©egcnfa^ ergicbt fid^ nun bie JDiffonanj an fid^ t)er=
fd^iebener SIcumen. S)iefe tritt nur bann ein, toenn 2^on r e i ^ e n beim Sßorfingcn
unb Slnttoortcn, 3ntonieren unb €infc^en u.f.to. in ein biffononteö SBcrl^ältnid fommen;
benn in einer unb berfelben S^onrei^c liegt bie S)iffonanj bo«5 immer im Söiberfjjruc^
eines eingelnen S^oneS mit ben übrigen. ^aS eine ^al alfo ift ein S^on toirllic^
ober fd^einbar falfd^, boö anbere 9JlaI ift bie ßage einer ätocitcn JReil^e öon S^önen
unrid^tig ober bod^ unregelmäßig. S)ie fo im erften Sfalle entftel^enben, in baS be=
treffenbe S^ctrod^orb nid^t :|)Qffenbcn ©atbtöne toerben „biätoeilen abfid^tlid^ ben ®e=
fangen eingefügt" (1. c. p. 176). S9ei aufeinanber folgcnbcn S^onrci^en „muß ber t)cr=
ftanbige länger loiffen, too bie gtoeite fld^ übereinftimmenb angufd^Iießen l^abe unb
too bieS nic^t crforbert toerbc" (1. c. p. 177). @« ift ja flar, bafe oft gioifd&en gtoei
3:onreiben ein bcftimmteS tonaleö SSerl^öItniä unerläftlid^ ift, tote beim @infe^cn nad^
ber Intonation, oft aber badfelbe nid^t öon großem SSelang crfd^eint, 3. f8, tocnn eine
Slntipl^on bcr Sßcfpcr ber anbern folgt, oft aud^ jicmlid^ gleid^gültig toirb, 3. f8. toenn
ein felbftänbigcö ajlufifftüdf nod^ einem anbern gefungen toirb.
3m attgemeincu bürfte eS fd^toer l^altcn, biefe flar ertoicfene ©l^romatif be§
alten ©^oralä alö nid^t urfprünglid^ anäufcl^cn. S). ©aiffer (Revue b^nedictine
1897, ^x. 11 unb 12) fd^cint biefer Slnfid^t gu fein. 3n bcr Sl^ot fül^rcn bie Duetten
für ben alten ®^oroI un« übcrl^aupt bireft nid&t über ba§ neunte ober ad^te 3ö^t=
l^unbcrt l^inouf. @S banbclt fid^ inbcg nid^t ttroa um ganj öcreinjelte @rfd^cinungcn
ber ©l^romatif, unb bie S^l^corctifcr toagcn gar nid^t, bicfelbe grunbfä^Iid^ ju öer«
tocrfcn. 3lttcm Slnfd^cin nad^ toirb bie fo lebl^aft getoorbcnc ©rforfd^ung beä frül^em
Äird^engcfongeS bie l^crgebrad^ten Slnfd&auungcn nod^ in mand^en anbern fünften
berid^tigen, unb gegen biefe gcfd^id^tlid^en Untcrfud^ungen ift toal^rlid^ nid^tS ein«
jutoenben.
375. S)er gi^^t^muS ift bie ©eelc bcr SKelobie; bal^er l^ängt ber
ßl^arafter ber ffird^enmufil fo nal^c mit bem ail&ljtl^Tnuä (einfd^Iie^Iid^ %alt
unb Stempo) jufammen. 6§ fül)lt ja jeber, baß j. 39. 2:onj= unb 9Marfd^=
tDeifen jum ßrnft be§ ©otteö^aufeS nic^t pa^tn. 9Iber au6) t)erti)icfeltc
Saftöer^ältniffe , aDju l^aftige 23ett)egung ober aßju fd^arfc 9lcceutuicrung,
gerlegung ber Safte in bie Ileinften Särud^teile, auffaHenbe Äünftlid^Ieit in
3)ie mrd^enraufi!. 281
bcr f^mmetrifd^en ©licbcrung, alles ba§ ift in bcr St\iä)t ju aufbringlid^
unb ju jcrjlrcucnb. 2lud^ foH bic Snftrumentalmufif bcm (Scfang, bcr
burd^auS bormicgen ntufe, il^ren 3?ormaU§mu§ nid^t aufnötigen ; baS gefd^ä^e
nur auf Soften beS SluSbrudfS unb felbjt be§ gSerftänbniffeS. ®ie 3nfiru=
mente felbp foflen, fott)eit e§ ju il^rem (S^arafter ftimmt, ftatt formaler
ftünfte ba§ 2KeIobifd&c bortoalten laffen. SBenn fd^on bie ©ricdfien mit
SSorliebc bie fd^mcrfien Sf^^t^men (©ponbeen unb SDloIoffer, unb )
ju 3:em|)eniebern öertoenbeten, mie öiel me^r ©runb ^at bic d^riftlidöc 3Kufif,
eine cmfte SBürbc öor bem 9lntli§ beS ^errn ju bcmal^ren? tJ^^cilid^ ift
nid^t ju öcrgeffcn, ba^ bic wa^re Sfteligion bcn ©cift bcr Siebe unb Si\nh=
lid^Ieit atmet, alfo aud^ bcr SRufil jene Semeglidöleit , tt)cld^e mit bcr ei)X=
erbictigen Stu^c unb ©emeffen^eit bereinbar iji, nid^t bcrmc^rt. 9Kan fann
burd& fd&Ieppenbc fiangfamfeit aud6, ftatt gteube im ^errn, geredeten Über=
brufe erregen. SDer ©^rift lommt nidfit nur in bie ßird&e, um [eine ©ünben
JU bereuen unb 33u^))falmen ju beten, fonbern aud^ um ©otteS Sob ju
fingen unb pd^ ber ^eiligen ©el^eimniffe ju freuen. 6§ ift ferner fein
SBiberfprudö, menn nad^ geiten unb Stationen ber ßird^engefang einen t)er=
fd^iebenen ßl^aralter annimmt. S)er !^md ber Erbauung, bie teitoeife bon
wcd^felnben Umftänben abl^ängt, red^tfertigt manche SBanblungen, ja ent=
fd^ulbigt fogar gemiffe aSerirrungen be§ (Sefd6madte§. ®er S)cutfd&e fofl bem
S^ranjofen, ober umgefe^rt, feinen (Sefd&madf nid^t fo einfad^^in aufnötigen.
3m aflgemelnen bürfen mir in gemiffen (Srenjen fd^on ein menig Don bem
mand&erorts beliebten übergroßen ßrnfte ablaffen. ®a c§ fid& aber aner=
bingg nid^t bloß um bie fubjeftiöe ßrbauung ^anbelt, fo muß immer ba§
an fid6 SSoIIfommenere al§ objeltibe 9lorm borfd^meben unb al§> 3beal an=
geftrebt tocrben. 5lid&tg !ann Ja ju gut fein, nid^ts ju ^cilig, nid^t« ju
ntaßbon unb mürbig, menn bie @^re ®otte§ in 3?rage fommt; nid&t§ aber
aud^ JU l^erjlid^, Iinblid& frol^ unb jutraulic^ in bem mufifalifd^en 2luSbrudE
ber reinen Siebe ju ®ott, jum ßrlöfer unb ju ben |)eiligen, inSbefonbere
JU berjenigen, bie ©otteg unb unfere 3)lutter jugleid^ ift.
376. |)ier ift ber Ort, über ben eigenartigen 5R]^^t^mu§ beS gre=
gorianifd^en (Sl^oralS, bcS alten einftimmigen ffird^engefangeä, ein Sßort ju
fagcn. @§ märe ganj unmürbig, bie l^eiligen 3KeIobien med^anifd^ 9lote
um 9lote abjufingen, o^ne jene 33efeelung, meiere ber rl^^t^mifd^ie ®ang,
b. f). bcr abgemcffcnc ©d^ritt, bie finngemäße gufammenfaffung fleincrer
3:eile ju größern ßin^eiten unb bie Untcrfd^iebe bon ^ebung unb ©cn!ung
bem (Sefange mitteilen. SBenn alfo aud& mit SRcd^t gcforbcrt mirb, baß
alles tSoxmak in ber Äird^cnmufif meniger grell l^erbortrete , unb SBerle,
bie burd^auS nad^ ber mobernen ^armonie= unb ffompofitionSle^re gefertigt
finb, im (SotteS^aufe nur geminnen, menn baS genaue S:em|)o, ber ftrenge
iait, bie f^mmetrifd^e ©lieberung ber Seile, obfc^on als orbnenbeS ^ßrinji})
282 9leunted Stapiitl
toitffam, bo$ bie Sufmertfamleit be§ Ol^reS ni^t a0}ufel^r auf f\(b {teilen :
fo mu^ ni^tdbejiotoeniger bie SReinung abgetoiefen meiben, al§ ob ber
9t^9t^mu§, and) in feiner jirengpen §fonn, mit ber ßinfad&l^eit unb 5Ratür=
lic^Ieit beg urfprflnglid^en unb ed^ten ^ird^engefongeg int SBiberfprud^ flönbe.
®ie »efentlid&Pe 3tufgabe ber 3:af tcinteilung , »eld&e in ber genauen Sc=
jeid^nung be§ einl^eitlid^en 3eitmafee§ unb ber gefd^örften 3^itteile befielt,
fann bo(6 nid^t in SBiberfprud^ lommen mit einem angemeffencn muftfo=
lifd&en Vortrag, toeld^e^ aud& immer ber Sn^alt unb bie Sejtimmung ber
ftompofition fein mag. S)ie Äird^en^^mnen beS 1^1. SlmbrofiuS toaxtn ol^ne
3tt)eifel, tt)ie metrifd^ in ber ©prad^e, fo audfi taftmö^ig in ber SKupI.
2)aran smeifelt benn aud^ l^eutjutage niemanb mel^r.
377. aSom 3lccitatit) ber !ird&Iid6en ^folmobie lonnte freiließ l^öd^penS
Initium, Mediatio unb Finis (f. oben 3lx, 121 ff.) in bie enge Saftform
gefd^Ioffen »erben. 9lid&t afö ebenfo felbflberftänblid^ foKte man e§ ^inflellen,
bafe bie melobifd&em ftompofitionen be§ ^rofaifd^cn ßl^oralö leinen feflen
3:alt Ratten. 2Bo märe aud6 bie greifbare Scgrünbung für eine fold^e 33^=
l^auptung ? @igentlid^ lann für biefelbe nid^t§ anbereS al§ bie Überlieferung
ber legten 3a^r^unberte angerufen merben. @o unrid&tig e§ ift, bafe o^ne
ftrengen %aÜ leinerlei 3KufiI möglid^ fei (bgl. unfere 9lecitatibe unb ^^an=
tafien), fo menig trifft bie Se^auptung ju, erft baS 8ebürfni§ ber |)ar=
monie f)aht benfelben eingeführt, unb er fei im ©runbe im Äird^engefang
ein Übel.
2Rit Siedet betont man, befonberS feit ^otl^ier 0. S. B. feine mert=
öollen S^orfd^ungen beröffentlid^t f)at, junäd&fl bie 9lotmenbigfeit irgenb
einer rl^^tl^mifd^en ©lieberung beS ß^orals. SEaft unb 9t^9t^mu§ pnb
aber trennbar (5lr. 186). Se^terer ifl ber 3KeIobie mefentlidö, i^r geijtigeä
@inl^eit§banb , mö^renb bie blofee 9lotenfoIge o^ne r^^tl^mifd^eS ®efe| bie
9KeIobie nur jerftüdfelt, nid^t jufammcnf a^t , bie Saftein^eit allein aber [xä)
als teils ju Heinlid^; teils ju gebunben crmeift. 21IS ©egengemid&t gegen
bie gintönigfeit ber Saltgleid^^eit finben fid& in ber SKenfuralmufi! meiftenS
nod& felbftänbige SRl^^t^men (SWotiöe), meldte mit ben Stalten nid^t immer
übereinftimmen. 9lud^ bie Sflotengruppen beS (Sl^oralS, bie mufifalifd&en 3lu]^e=
))unlte (Sonüa , Dominante , 3:etj . . .) unb öor allem bie S:ejtabf d^nitte
meifen ben SQßeg jur rl^^tl^mifd&en 2:eilung, meld&e bann burd& angemeffene,
teils burd^ ben Sejt teils burd^ ben ®ang ber 3DlcIobie nal^e gelegte 3lccente
^erborgel^oben wirb. S)er SJortrag mirb erft baburd^ pnngemöfe unb mo^t
Ilingenb, bafe bie Sft^^tl^men ber ßompofition in SHelobie unb Sejt ju il^rem
Siedete fommen. Seifpiele finb 3lx. 190. 274. 281 gegeben morben. 2)iefer
feelenöofle Vortrag, ber fodiel als möglid^ ben natürlid^en ©pred^ton unb
jugleid^ ben auf teilmeife anbem ©efe^en berul^enben (Sang ber SKcIobie
jum aiuSbrudf bringt, fe^t bann notmenbig aud& bie einzelnen 5loten bielfad^
a)ic Hird^cnmufif. 283
in ba§ a3cr^ältni§ bcr Ungleid^^eit, fo fcl^r aud&, ganj aDgcmcin gcfprod^cn,
ein jiemlid& gicid&mafeigcr SSortrag bcm getragenen ß^arafter be§ ß^orafö
gejiemen mag. gnblid^ mirb nun aud^ ba§ Sempo be§ gangen ©tücfeS,
wirb Sinbung unb 2:rennung ber 2:eile, mirb ba§ 9Ka^ ber 3:onftärfe öon
einer geiftigen 9tegel beftimmt unb alle§ nted&anifd^e 2lbleiern öerbannt werben
muffen. 2)ie Q^reil^eit ber Semegung geftattet aber bem ©önger, bie 9ln=
bad^t beS eigenen |)er}en§ ben 2:önen fo einjul^aud&en , ba^ ber |)örer faft
auf bie Äunftformen felbft öergifet. »gl. oben 5Rr. 184 ff.
378. S)ie meiftcn Srtcunbc bc3 fird^Iid^cn ©cfanöeS beönügcn fid^ gern mit
einem fold^cn taftfreien Sll^^tl^mug, toeil er ben Slnforberungen ber Äunft genüge,
einen ungejiDungenen, tejtgema^en Söortrag begünftige unb ber Söürbe beS ©otteSl^auteä
beffcr entf^ret^e als eine matl^ematifd^ bered^nete S5auer ber <Bxlf)tn unb ein t)ott=
tommeneä €bcnmQ§ ber Slbld^nitte. P. 3ungmann S. J. »iÄ fogar, man fotte btn
gebunbcnen ober fünftUd^en Sll^^tl^muö lieber alä „ted^nift^en" Sll^^tl^muö bejeid^nen ;
benn eigentlid^e Ihtnft betoäl^re ber Sänger »eit mel^r bei ber „natürlichen" 9Jlufif
aU bei ber menfurierten; mit ber ^lufnal^me ber le^tern |ei einer Slbirrung öon ber
eigentlid^en 5lufgabe ber aJlufif ber SCßeg eröffnet (Äft^etif 9lr. 505 f.). S^td^t toenige
toerben fogen, eä fei eine bare Unmöglid^feit, ben öorliegenben ß^l^oral in bie Sreffcln
beö 3:aftma§e8 ju jtoängen; jebenfaÄö muffe er baburd^ unenblid^ Verlieren.
Übrigens toeife man ja aud^, ha^ fd^on in JJrancoS Musica, bie um 1200 gc=
fd^rieben tourbc, bie flaren SÖßorte au Icfen finb: „Qn ber musica plana tt)irb fein
S)auerma6 beS 2!oneö bead^tet" (In plana musica non attenditur talis mensura,
b. f). habitudo quantitatem, longitudinem et brevitatem manifestans. Gerbert
1. c. III, 2). 9^a^ Sfranco fagt aud^ aJlard^ettuö öon ^abua gegen @nbe beä brei»
jel^nten Sal^rl^unbertS im Lucidarium musicae planae: „Musica plana ift jeber ©efang,
ber ol^ne «SeitmoS unb beftimmtcn 9lotentt)ert gefd^rieben unb gefungen toirb, ben
öielmel^r jeber nad^ feinem ©utbünfen notiert unb Vorträgt " (Musica plana dicitur
quilibet cantus, qui absque temporis mensura et limitatione notularum figuratur
et cantatur, sed ut libet cuicumque proferenti, et signat et profert. Gerbert 1. c.
111, 69). S)arin unterfd^eibet fid^ ja eben ber gregorianifd^e Äird^engefang öon ber
SDtenfutalmufif, loie fie etnja feit ber SD^itte beS atoölften Sal^rl^unbertö fid^ enttoicfelte.
SQßic toor eö aud^ nur mögtid^, ha^ baS einmal öorl^anbene Saftmafe in einer fojufagen
täglid^ geübten 9Jlufif Verloren ging?
SDßol^l ift aud ^ieron^mus öon SJläl^ren Befannt, bafe um bie $Ulttte be3 brei«
jel^ntcn Qal^rl^unbertö oon einigen bie S^afteinteilung auf ben ©l^oral angetoenbet
tourbe. Slber man glaubt, eS fei bu^ au3 bem ©influfe ber 9Jlenfuralmufif ju er=
flaren, unb biefer felbft fei baö Saftmafe lebiglid^ burd^ baä S3ebürfni3 ber ^ol^:pl)onie
an bie $anb gegeben. S}on bem, toai ftd^ in altern S^l^eoretifern dlinlid^es flnbet,
fagt P. ßornmüller 0. S. B.: „@g gereid^te ber SJlufif bie blo§ auf matl^ematifd^c
S5ered^nungen gegrünbete S^onlel^re, mit ^tuöfd^liejung beS 3tt)eiten bered^tigten ©d^iebä«
rid^terä über Söol^lflang, nämlid^ beg Ol^reä, unb ba3 3urüdfget)en auf bie 9Jlufif«
tl^eorie ber ©ried^en, an ber man immer feftl^ielt, nid^t jum Sinken; man trug bie
matl^emotifd^en SSerl^ältniffe auf alles 9Jlöglid^e über: auf bie Einteilung beS 2^ejte8
unb ber 9Jlelobie in 5lbfd^nitte, auf bie S5erbinbung ber ^nteröatte, auf bie 9^oten=
jal^l ber ^ufammengefül^rten S^eumen ober 9^otengruppen , auf bereu entfpred^enben
Einfangs« unb ©d^lu^ton unb bie Söerlängerung ber Söne" (ßejifon ber fird^lid^en
S^onfunft u. b. Söß. „Äird^enmufif"). 5lnbere fud^en fid^ mit ben S^ejten fo gut toie
284 9leunted Stapitd.
möQlid^ Qbaufinbcn, j. SB. ^Jotl^icr im „@xtqoxxani]^m ©l^oral", 10. aap. (überjc^t bon
P. Äicnle 0. S. B.). ©benfo $etcr SBogncr, einfü^rung in bic gregorianifc^cn 2JlcIobieit
©. 208 ff. ^otl^icr, Söogner unb nid&t sum tocnigftcn P. ßl^oumcQU (q. b. Äongr. bcx
SJlifponäre öon bcr ®cf. 2Jlar.) in bem SBud^c Rhythme, ex^cution et accompagnement
du chant grögorien I^Qben pd^ um ben fd^oncn SBortrag bc8 grcgorianifd^cn ©l^oralö
große SJcrbicnftc ertoorben; ein freies dfü^ctifdöcö äJerl^dltniö in ber Slotensal^I, in
ben Raufen unb in ber burd^ 3lcccntuierung MtUtn melobifdjen SBetoegung gilt il^ncn
aU oberfteS unb ungefäl^r auäi aU einsigeS @efe^ beS 9lf)^tl^mu§. S^eaüglid^ ber
^^rnncn mit metrifd&cm %tii unb f^ttabifd^er ü)leIobie giebt man gern ben taft=
mäßigen Sll^^tl^muä ju {Janssens, Le rhythme du chant gr^gorien p. 21 s.).
379. 3nbeffcn rul^en bic löeftrcbungen nid^t, für ben ©l^orol im ganjcn prengcrc
©efe^e nad^aumeifen , unb man fann hit S3ered^tigung biefer Strömung nid^t tool^l
leugnen. @S fielet bod^ einer fdgönen ^ugflud^t fel^r dl^nlid^, menn man bag (Sbenmaß
beS ^alteg aU l^inbernbe 6d^ranle bed angemeffenen ^ufSbrudtg unb nid^t aU förbembed
Äunftmittel beö Sl^^tl^muö l^inftettt. fjreilid^ muß bcr 3:aft nid&t med^anifd^ l^crOor«
gehoben toerbcn, im fird^Iid&en ©efang nod^ toeniger ol8 im toeltUd^en; ober ift bcnn
ber Salt in ber HJlufif ^aleftrinaS nid^tS aU ein prenbcr SRotbel^elf ber öielftimmigen
Äompojition, unb toarcn bie einftimmigen ombroftonifd^en ^^rnnen barum öcrfe^It, toeil
fic metrifd^en S^ejt unb. taftmäßige SJlelobie f)otten? äöcnn aber toirfUd^ ber offiaiette
%eit beS römifd^en (S^l^oralS an mand^en ©teilen unmöglid^ ein gleidgmäßiged Sfan«
bieten s"Iäßt, ^aben tt)ir benn gcnügenben ®runb, an bie Urf:prünglid&feit jeber ein*
aelnenSlotc ju glauben ? ®ie l^iftorifd^e fjrage bleibt alfo offen, toie ber 9lf)^t]^muS
üon bem Url^cber ber ©l^oralmelobicn gebadet tourbe. Übrigens fanb bie ^ol^pl^one
OJlufif oon jcl^er loenig ©d^toierigfeit borin, ben cantus firmus in boS S^aftmoß
einzufügen.
SlnbcrerfeitS pnb bic SluSjid^ten oud^ nid^t fel^r Ocriorfenb, loeld^e unS foebcn
ÜJlard^cttuS bot, baß „iebcr nun nod^ feinem ©utbünfen oorträgt". @S ift immer
mißlid^, toenn ber Oll^^tl^muS nid^t fd^riftlid^ fijicrt ift unb einen fo freien ©^iel=
roum l^ot toie im ©l^orol, unb loenn bie Sl^eoretifer fclbft nidjt über bie crficn
©runbfä^c beS SSortrogS einig finb. 3anffenä 0. S. B. unterfd^eibet in ber ertod^nten
5lbl^onbIung brei Äloffen Don S^l^coretif ern : bie ä q u o I i ft e n , tocld^e mat^ematifd^e
©leid^l^eit ber S^onbouer toollcn unb nur bie ßnbfilbcn ber Slbfd^nittc ouSnel^men;
ferner bie 5lnl^ängcr beS orotorifd^en Otl^^tl^muS (^otf)ier unb bie mciften JBene»
biftiner), toelc^e burd^ moßöollc ^eröorl^ebung beS logifd^en unb bc8 potf)ctifd&en
^ccenteS unb burd^ S^erüdtfid^tigung ber ^ebeutung jleber Silbe in il^rer f^rod^Iid^en
unb jeber 9lote in il^ier melobifd^en unb rl^^tl^mifd^en Stellung eine möglid^ft on-
gemeffene mufifolifd^e S)efIomQtion bejtoedten; enblid^ bie SJlcnfuroIiften, Oon
benen SonffenS eine onfel^nlid^e ^a^l noml^oft mod^t.
380. SlfferbingS ift juaugeftcl^en , boß eine ©rflärung für boS SJerfd^loinben
beS Softes axS ber Äird^enmufif fld^ nid^t fofort borbietet. SonffenS (S. 19) er=
ioöl^nt ein ^onuffri^t beS neunten ober jel^nten ^ol^rl^unbertS, in toeld^em bie ^ar»
monifotlon bie ©leid^toertigfeit aller 9loten ber 6^1^oraImeIobie betoeift. @r mod^t
bies gegen bie äJlenfuroIiften geltenb. S}ieIIeid^t löft fid^ inbeffen bie Sd^ioierigfeit
burd^ folgenbe @rn)ägung: bie Harmonie ging anfangs einen fo longfomen, fd^)oer=
föKigen Sd^ritt, boß an einen variierten Soft nid^t gebadet tocrben fonnte; bie
3DflcnfuroImufif finben toir erft im atoölften 3af)r]^unbcrt ouSgebilbet. SDßenn nun
einige tooHen, baß erft nod^ Sal^r^unberten öuS bem S3cbürfnis bcS mel^rftimmigen
©efongeS fid^ bie Softmupf ergeben l^obe, fo fonn oictteid^t mit bem gleid^cn Sfled^te
ongenommen toerben, boß bos S3ebürfniS ber frül^eften ^ormonie boS aufgeben beS
3)ic Äird&cnmufif. 285
t)orgefunbeneit Saltmaged üeranlagte. @g läge bann gioifdgen ben Slnfängen ber
Harmonie unb ber Sludgefitaltung ber äJlenfuralinuflt eine 3^^^ ^^^ SSertoirrung , in
loeldger tro| beS SOßiberftrebend ber altem S^^eoretifer (^ucbalb bis ©uibo) ber tafU
mägige S}ortrag bed 6)]^oral8 in S}erQeffenl^eit fontmt, bid er naä) ^udbilbung ber
äJlenfuralmufl! ftd^ fteEentoeife toieber l^ert)ormaQt , ol^ne jebod^, tro^ einiger ^n-
fhrengung, bie alte ^errfd^aft toieber gu erobern.
(2Eö Idfet pd^ biefe SBorauiJfcJung auS 5lribo ©d&olapif u8 (3Jiitte be« elften Sal^r«
l^unbertg) gerabeju als rid^tiö nod&toeifen. (©. Gerbert 1. c. II, 227.) S)icfcr erläutert
bie2Borte®uiboS Oon Slrejao (Microl. c. 15. Jf/^n« CXLI, 394; GerbeHh c.^.lb).
® u i b fd^rieb : „2)a nun bie 9leumen (^a!te) balb burdg äßieberl^olung eines ^oneS,
balb burd^ SBerbinbung jtoeier ober ntel^rerer Söne cntftel^en, fo ift mit größter
Sorgfalt eine foldje SJerteilung ber 91eumcn oorjufel^en, bafe fic, fei es in ber 3c^^^
ber 9flotcn, fei eS im Jßerl^öltnis ber S^öne (ber S)aucr), cinanber tool^l cntfprcd^en,
inbem fie halb gleid^en ©au l^aben, balb ätoci ober brei 9^eumengliebcr für ein un«
aufammengefe^teS eintreten unb fonft tool^I aud^ ein Jßerl^ältniS oon 2 : 3 ober 3 : 4
unter ben ©liebem obtoaltet" (Summopere caveatur talis neumarum distributio,
ut cum nenmae eiusdem soni repercnssione, tum duorum ant plurium connexione
fiant, semper tarnen aut in numero vocam aut in ratione tonorum (^ribo lieft
gerabeju tenorum) neumae alterutrum conferantur atque respondeant, nunc aequae
aeqnis, nunc duplae vel triplae simplicibus atque alias coUatione sesqnialtera
vel sesquitertia). Slribo erflätt nun: (Sbcnmafe) in ber 3o^I ^cr ^öne, j. 33. bei
glcid^en Sfleumen, toenn fid^ jioei unb jtoei S^öne entf^3red&cn ober brei unb brei; im
SJerl^dltniS beS SBielfad^en, loenn jtoei einem, öier gtoei, brei toieber einem S^one cnt=
fpred^en; ober aber im JßerWItniS ber S:onbauer. S)auer l^eißt baS S^itmafe beS
3^oneS; fie beanf:prud&t bei gleid^en SReumen im SJerfiältniS oon oier ju jtoei S^önen
für bie um bie ^älfte ffeinere 3toeiäa]^I ein um ebenfooiel längeres Slnl^alten berfclben.
S)a]^er finben toir in beiben altern Slnti^l^onarien oft bie SBud^ftaben c. t. m., toeld^e
aScfdJIeunigung , SJergögerung unb mittlere ©efd^toinbigfeit anjeigen. Jßor alters
toar es eine angelegentlidge @orge nid^t nur ber S^onbid^ter, fonbern aud^ inSbefonbere
ber ©änger, bafe jeber nad^ rid^tigcm ©benmafe unb SJerl^ältniS lomponierte unb fang.
S)iefc Äunft ift nun geraume 3cit auSgeftorben, ja begraben. $eut»
autoge genügt eS, einige füfte Älänge au erbenfen; auf bie füfecre SGÖonne, bie auS
ber ebenmäjigfeit ftiefet, toirb nid^t mel^r gead^tet" (In numero vocum, ut in [neumis]
aequis duae duabus, tres tribus conferantur ; in duplis duae uni, quatuor duabus,
triplae simplis ; aut in ratione tononim. Tenor dicitur mora vocis, qui in aequis
est, si quatuor vocibus duae comparantui* et quantum sit numerus duarum minor,
tantum earum mora sit maior. Unde in antiquioribus antiphonariis ntrisque
c. t. m. reperimus pei*saepe, quae celeritatem, tarditatem, mediocritatem innuunt.
Antiquitus fuit magna circumspectio non solum cantus inventoribos, sed etiam
ipsis cantoribus, ut quilibet proportionaliter et invenirent et canerent. Quae
consideratio iam dudum obiit, immo sepulta est. Nunc tantum sufficit, ut aliquid
dnlcisonum comminiscamur , non attendentes dulciorem collationis iubilationem).
»gl. tlriboS »eifpiele a. a. O. ©. 216. $ier fprid^t ein ©d^riftftetter, ber oor ber
ouSgcbilbcten aJtenfuralmupf fd^rieb, oon einer auSgeftorbenen unb begrabenen Äunft
beS ftrengften rl^^tl^mifd^en »erl^ältniffeS. aJlit IXnred^t toirb alfo baS Sluftommen
biefer Äunft, bie Jlcumen nad^ matl^ematifd^en SBer^ältniflen gu lonftruieren, ber
3DflenfuraImupf auf bie Slcd^nung gefegt. S)ie SBefd^affenl^eit beS eben bon 3anffen8
angefül^rten Organum toeift unS, toie fd^on gefugt, auf eine anbere Ouette. S)a6
übrigen« Slribo oon einem eigentlid^en Xaftmafe rebet, ift unleugbar. @r erllärt
286 IReunted (tapiid,
nid^td anbeted, ali tote bte 9leumen nadg 3^^^^^ ^^^^ S)Quer bei 3^öne in ein fd^öneS
Slerl^ältnid gebrad^t werben foKen, fotool^l in ber Koin|)ofition aU im ä^orttage; bie
beigelegten 3<^^lsnt)erl6ältniffe laffen feinen Stti^fsl 3", ba^ bie S^erl^ältnidmagigfeit
ald eine matl^ematifd^ genaue gu nel^men ift. ^ie „9leume^ ift ein %alt; benn fte
befielet aus einer ober menigen flöten. 2)ie S^afte muffen aber gleid^toertig fein. (^^
ift smar junäd^ft nur t)on ber fd^önen SUlannigfaltigfeit im S9au ber 9leumen, Don
ber „S^erteilung" ober 3ufammenorbnung beftimmter, fleiner 9loten!om:pIe£e bie 9lebe,
toeldge burd^ baä St^^^^^n^^^^^^tniS ber 9loten ober burd^ beren 2)auert)er]^altnig erhielt
löirb. S)a fid^ aber bie 3o^Icnber§äItniffe Don 1:1, 1:2, 2:3, 3:4 fd^Icd^tl^in in
jeber Xonreil^e ftnben unb an ftd^ gar leinen aftl^etifd^en äöert l^aben, fo ift ol^ne
atten 3toeifel an S^'^^cnöerl^dltniffe glcid^er 9^otenfom|)Ieje gu benfen; benn bicfc
ergeben 3DflannigfaItigf eit in ber ©inl^eit, b. 1^. toal^re ©d^ön^eit. Sfcrner : bie S)ouer=
t)er^altniffe ber 2^5ne finb ebenfo mannigfaltig unb mat^ematifd^ geregelt, toad auf
bie genauefte Xonmeffung ^intoeift. @obann toixh in bem einen für bie S)auer»
t)erl^altniffe angefül^rten S3eifpiel Xaftgleid^l^eit ^ergefteKt. 3Bir ^aben bemnad^
einen Haren SSetoeiö oor und, bafe ein S^bcoretifer in ber jtoeiten ^älfte beS elften
^al^rl^unbertg ben taftmägigen SSortrag bed Q^f^oiaU t^erlangt, benfelben teiltoeife aus
ben ^anbfd^riften l^eraudlieft unb btefelbe Sl^eorie bem etload altern @uibo Don
Strejjo jufd^reibt. ^ot er tocnigftenS f)ierin unred^t? S)od ift toirllidj nid^t ab'
gufel^en. @uibod SBorte finb faum minber beutlid^ ald bie beS (Srflärerg. @r t)er«
langt mit größtem Slad^brudt, bag burd^ ^inl^altung gang be»
ftimmter matl^ematif d^cr Jßerl^ältniffe eine fdjöne fjolge ber
9^cumen l^ergeftellt tocrbc. S)ie mat^ematifd^en Proportionen ftel^en ja Ilar
angegeben: 1 : 1, 1 : 2, 1 : 3, 2 : 3, 3 : 4; biefe aber fönncn auf nid^tä anbereö Der«
nünftigcrtoeife belogen toerben aU auf bie öerfd^iebene ©truftur gicid&toertigcr
91eumen, unb fo crflärt fie Slribo. S^m folgenben toirb bie Slnfid^t ©uiboä unb
SlriboS nod^ öiel offenborer.
381. P. ÄorrnnüIIer, ber im „©äcilienfalenber" 1884, @. 36 ff. ba8 gange
15. ßopitel ®uibo8 überfejt, mad^t gu ben angegogenen Sößorten biefe Slnmerfung:
„eine fold^e rl^^tl^mifd^e Slbgemcffenl^eit für bie fleinfien Partien toirb bod^ niemanb
jejt nod^ für ben ©l^oralgefang ertoünfd^Iid^ finben: bei metrifd^en ©efangen gel^t fie
an, unb für 3nftrumentaIfompofition erfd^eint fie nottoenbig unb mad^t fie erft oer«
ftdnblid^, inbem fie ben S^alt einigermaften erfc^t." 2öie toenn man @rnft bamit
mad^tc, bie öon P. Äorumüttcr gugcftanbenc Älarl^eit ber SDÖorte auf ben ©^oral
überl^aupt angutoenben unb für bicfen baS ftrcnge 3^a!tma6 in 3lnf:prud& gu ncl^mcn?
2öir fönncn toirflid^ nid^t anbcrS ; unb feigen unö genötigt , feiner SluSlegung gu
toiberf:prcd^en. S)ie obigen Söortc unb anbere ebenfo beftimmt auf taftmäfeigc Drb«
nung l^inbeutcnbe foffen fid^ ouf bie 3nftrumentalmufif begiel^en, nid^t auf bm
©efang, ober bod^ nur auf metrifd^e ^^mnen. ^ber baiS mad^en bie bagu gemad^ten
S3emerfungen nid^t einmal toal^rfd^einlid^ ; man fel^e a. a. £). felber nad^. @g toare
fel^r auffattenb, toenn fo unoermittclt öon Snftrumentalmufif unb gtoar an ben
nad^brurfgöottften ©teilen nur oon biefer bie Iftebe toäre. 2öo fprid^t einer jener alten
3^ftcoretifer je öorgugStoeifc öon Snftrumentalmufif ? S)a8 eingige in bem Äapitcl
angefül^rte S^cif:piel l^at benn aud^ profaifd^e S^cjttoorte untergefdjrieben. Söenn es
ferner l^eifet: „toic ber toifebegierige ßcfer bei SlmbrofiuS finben fann", fo toirb ba^
gctoife nur auf ©efonggtoeifen gelten, toeld^e ®uibo SlmbrofiuS gufd^ricb, nid^t aber
auf 3nftrumentalmufif, bon ber mit feinem äöorte augbrü(flid& bie Iftebe ift. Über»
f^anpt braud^t ber l^od^öercl^rte ©elcl^rte nad^ unferer 3Jleinung „gelinbe ©etoalt",
um ben taftmagigen Oll^^tl^mud beS profaifd^en 6^1^oraId toeggubeuten. ^ribo fommt
S)ie Äird^cnmufil. 287
es %ax ntd^t in ben @tnn, Unterfdgetbungen au machen, fonbern er Bel^anbelt toie
©uibo galt) aUgemetn bte üxd^Ii^e SJluft!, alfo junäd^ft unb jumeift bie SJlelobien
<)rofaifd^er ©cfangtcjic.
S)oc^ ba brängt fid^ eine @c^tDierig!eit auf: @uibo berlangt im 15. ^a:pitel
aud^, bo^ bie @ä^e gleid^ feien (more versuum distinctiones aequales sint); für
ben inncrn S3qu berfclben (toie ber SReumen) forbert er ntöglid^ft grofec ^Ulonuig«
faltigfcit , gefielet jcbod^ , bo^ eine getoiffe Älaffe öon ©efängen nod^ Slrt ber
„^rofen" bie aJlcnnigfaltigfcit ber Sflcumen unb ©djc nid^t ouftoeife. @r nennt bicfe
©efdnge „gleid^foin ^jrofoifd^e" unb ftellt benfelbcn bie „metrifd^en" entgegen, ©e«
toö^nlidj üerftel^t man nun unter ben „profaifd^cn" bie 3DfleIobien mit ^rofatejt. @an^
mit Unred^t. Söielmel^r finb bie „metrifd^en" nad^ ber rid^tigen SluSlegung 3lribo8
(a. 0. €.) „forgfältig geftaltete" (bene procurati), b. 1^. bei aller ©Icid^l^eit bod^
gel^örig oariierte; benn f)ier fo gut toic öorl^cr unb nad^l^er ift nur Don ber nötigen
3JlannigfaItigfcit im S3au ber ©ö^c (unb 9^eumen) bie 9lebe. S)ie ©leid^l^eit aber
löirb allgemein geforbert.
@g ift aud^ aus ©uibog SDÖorten leid&t crfennbar, ba er öon ben ^^rofaifd^en"
©efdngen fagt: „man mad^e fid^ bei bicfen feine 6orgc, toenn aud^ ftettentoeife fid^
balb größere balb fleincre Slbfd^nittc [Srieumen] unb <Sä^e nad^ 9lrt ber ^ofen
ol^ne SJerfd^iebenl^eit finben" (in quibus non est curae, si aliae maiores
aliae minores partes et distinctiones per loca sine discretione inveniantor more
prosanim). S)anad^ bürfte P. lEornmütterg anbcrc SJermutung (a. a. €).) , ©uibo
f<)red^e ^ öietteid^t Ooratiglid^ öon mctrifd^cn ^^mnen, ju berid^tigen fein. Slud^
5lribo (a. a. €. <B. 227 f. u. 216) gicbt nur »eif^icle öon SJlelobien mit ^rofatejt.
S)ie a^enennung ber „metrifd^en" ©efönge rcd^tfertigt ©uibo fclbft alfo: „Söir
fingen oft fo, bafe ed fd^cint, toir ffanbierten SScrfc nad^ 9}er8fü6en, toic toir e8 tl^un,
toenn toir toirllid^ metrifd^e Zettt fingen.'' S)iefe SBortc ftnb öfter mifeöcrftanben
toorbcn. ©ie bebeutcn nid^t mel^r unb nid^t toeniger, aU bafe gang f^mmetrifd^e
©efänge il^ren funftöoffcn a3au in auffattenber 9Döcife ^cröortreten laffcn. „3Jlan
rnui nur forgen/' fo fäl^rt ©uibo fort, „bafe nid^t aubiel a^eifilbigc 91eumen l^inter»
einanber folgen ol^nc Söeimifd^ung üon brei« unb öicrfilbigen ; öielmcl^r toie bie
I^rifd^en S)id&ter balb biefe balb jene fjü^c aufammenfügen [3. f8. bie folgcnben:
u v~, , v\jvy) im ana:päftifd^cn 3Jletrum unb äl^nlid^ bei iambifd^en, baft^«
lifd^en u. f. to.; bie aJlupf ift aber nod^ freier, fagt ©uibo, unb baS Dl^r merft bie
gute Orbnung, fclbft el^e ber Jßcrftanb fie begreift]: fo öcrbinbcn aud^ bie Äom^o=
niften gcfc^möftig öerfd^icbene unb toed^fclnbe 9^cumen." ®ie metrifd^en ©efänge finb
nad^ biefen Söorten nid^t 3JlcIobien mit metrifd^em 3:ejtc, fonbern fold^c, beren fel^r
fünftlid^er Söau eine Slrt öerömäfeigen SJortrageä crforbert, toie bicfer jtd^ Don felbft
ergiebt, „toenn toir toirflid^ metrifd^e %eiU fingen". 2lu8 bem ©egenfa^ ber legten
Söorte gel)t übrigens beutlid^ l^eröor, ba^ öorl^er gerabcju nur an „metrifd^e" SJlelo^^
bien mit ^rofatejt gebadet tourbe. 3n htm ganjen Sööerfe l^at ©uibo faft nur
a^eifpicle berfelben Sltt.
382. S)iefer an ben metrifd^en ©ang Oon Jßerfen erinnernbe SSortrag toirb
•ff
bann nod() toeiter erläutert rürffid^tlid^ ber nötigen 3Jlannigfaltigfeit bei aKer 2ll)n«
lid^Ieit ber 9^eumen unb @ä^e. 3mmcr aber toirb bie ftrenge SJletrif ber S)id^ter
für ben mufifalifd^en diW^mm alg 3Jlufter l^ingeftettt. S)ie 3lb^anblung ©uiboS im
15. Äapitel ift über^au:pt faft nid^tö als eine ©urd&fül^rung biefeä Jßcrgleid^eS. ®ie
ajlenfuraliften bürfen fid^ alfo mit gutem ^tä)tt auf ben SSerglcid^ berufen, jumal
toir benfelben bei meisteren anbern 5lutoren finben. S)ie SSemerfung, ©uibo fage, eS
trete „gleid^fam" ein ©fanbieren öon SJerfen gu 3^age, es fei alfo bod^ nur öon einem
288 ^tmit» it(^M.
freiem oratorifd^en ^ll^^tl^muS bie IRebe, toitt in her Zf^at nid^td bebeuten. 2)enn
freilid^ ift bie SJlettit ber 2)i(^tfunft nid^t ibentifd^ mit ber SH^^tl^mif ber Sonfunft,
es l^anbelt ftcl^ alfo um einen SSergleicl^ stoeier t)erf(^iebener , aber fel^r berloanbter
S)inge; aber bie ^rt, tok ©uibo beibe bergleid^t, ift böttig !Iar. S)en oratorif^en
9ll^^t]^mug l^ingegen, toeld^en man im ÜJlittelalter beffer aU l^eutgutage aus ^riftoteleS,
(S^icero unb Ouintilian tannte, ftnbe id^ nur einmal bei ^ribo (a. a. £).) auf bie
ÜJlufit angeloenbet, unb ^toax nur auf bie Symmetrie ber @ä^e, bie ja au(| l^eut^
gutage nid^t ebenfo ftrcng bcforßt toirb toie bie ber 3^aftc. ^uSfd^lieftlid^ auf bie
@ä^e begiel^t ftd^ aud^ bei ^ribo (@. 216) bie &gerung, bag in forgfoltigen ^elo»
bien bie S)iftin{tionen „faft" gleid^ed äJlag i^aben. äBarum gingen bie cdUtn S^l^eo»
retüer nid^t radtfid^tlid^ bed freien Stl^^tl^muS überl^au^t bon ber $rofa au§? 9liti^t
bm alten alfo, fonbern ben neuen Sl^eoretifem ift bie Seigre t)on bem freien SH^^tl^»
mud in ber aJlufif eigentümlid^. ^iefe Seigre ift in ^otl^ierg unb ^ienleS ^uSfül^rung
jlberaud ftnnreid^ unb aud^ praftifd^ braud^bar, folange nid^t ein ftrenger ^a!t für
ben ^f)oxal ertoiefen toirb. Slbcr auf bie älteften S^l^eoretifer fotttc man fid^ bafür
nid^t berufen. 5(udi bie alten ©ried^en unb Slömer f orbern, felbft too fie nur bon
ber |)rofaifd^en 9lebe l^anbeln, bod^ ettoag mel^r rüdffid^tlid^ bed genauen @ilbent)er-
l^ältniffeö, als öielc bem ^fjoxal gugeftel^en möd^ten. 3ene trennen übcrl^aupt ben
9tl^^tl^muS nie gang üon ber ^raftifd^en @i(benmeffung. (Cicero fagt an ber Üafftfd^en
@telle Or. c. 56: @g giebt leine anbern IRl^^tl^men atd bie :^oetifd^en.
S)ementf^red^enb l^eigt eS fogar in bem @^iIogud su ©uiboS Slbl^anblung De ignoto
cantu, ein 3^on, ber fld^ nid&t in eine beftimmte 3^onart unb ein bcfti^mteö
Xonma^ füge, fei gar fein muflfalifd^er ^on. (Musicus motus continet quali-
tatem et quantitatem; quod si desierit qualitatem quantitatemqae habere, iam
non musicns motus erit. Qualitas autem motus est, utrum sit protus vel den-
terus vel quilibet alias modus ; qnantitas autem, utrumnam sit duplus, sesquialter
aut sesquitei'tius. Qualitas in modorum speciebus , quantitas in magnitudine
praescribitur motuum. Gerbert II, 39.) Ober lä^t fid^ bie quantitas anberS
erf lören ?
383. S)a8 3Jla6 ber SRoten (voces) im Söerl^ältniS p einanber beftimmt ©uibo
fo: „@S giebt 91otcn öon boppelter unb l^alber unb fd^toebenber S)auer, b. 1^. bon
berfd^icbenem Seitmafe, toobci oft ein bem 9lotenbud^ftaben beigefügter liegenber ©trid^
bie Sänge bebeutet" (aliae voces ab aliis morulam duplo longiorem vel duplo bre-
viorem aut tremulam habent, i. e. varium tenorem, quem longum aliquotiens
virgula plana apposita significat), b. 1^. bog Söerl^dltniS ift toie J J <5.« SDßaS tre-
mula, b. 1^. ^jitternbe", fd^toebenbe S)auer bebeutet, ift nid^t fofort flar, S)ie SRoten=
aal^loerl^ältniffe ber 9^cumen [3:afte] gab er oben aU: 1:1, 1:2, 1:3, 2:3
3:4 an ; bicfe finb mit obigem ©d^ema fämtlid^ baräuftetten :
11 I I I I I J Ij I I I INI
S)o]^er fd^eint bie „fd^toebcnbc S)auer" fid^ auf 3icrnoten ju bejiel^en, beren 3ßitbauer
unfid^er fd^toebt unb fd^toanlt unb barum nid^t befonberS in iRedgnung lommen !ann.
Slribo giebt ©. 215 ber tremula in ber S^^at ben SJlamen einer Drnamentncume,
nämlid^ beS OuiliSma, unb fagt, biefe mit 3ternoten öerfel^ene 9^eume fei cnttoeber
bon langer ober Don furjer S)auer, je nad^bem fie ein ©trid^Iein bei fid^ l^abe ober
nid^t. 3nbeffen ift eS bod^ nid^t toal^rfd^einlid^ , ba^ eine eingelne Dmamentnote,
bie f:päter tremula l^iefe, gemeint fei, fonbern öielmel^r eine beliebige. Ober toal^r«
fd^einlid^cr ift blofe eine fd^toanfenbe S)auer gemeint unb toirb biefe burdj ben
SufaJ „Don öerfd^iebener S)auer, toobei oft ..." naiver erläutert.
S)tc Äird^cnmuflf. 289
S)ic (grfläruns ber Sßortc ©uibod bei 3lvibo (a. a. O. ©. 215) iringl fcltforn;
ba et tciliocife öon „Raufen" fprid^t. 2ßcnn „^aufc" für „S)aucr" ftcl^cn fönntc,
mären feine Sößorte in fid& flor unb bie notürlid^ftc ©rflärung bcg ©uibofd^cn 3^cjte«.
€8 fd^eint in fl&ixlii^ttxi, bofe er ben S^ifd^enraum öom Slnfd^Iogen beg erften S^oneö
big ju bem be8 jtoeiten „^aufc" (silentium) nannte. 31. a. €. ©. 216 (unb fd^on
bei Cicero) bebeutet 3toifc§enraum (intervallum) offenbar „S^onbauer". ©benfo be«
beutet bei ^ucbalb „3tt)ifdöen|)aufe" atoifd^en atoei gefungenen ^falmöerfen (inter-
capedo) nid^ts anbereS aU bad Slnl^alten ber legten Bübt beS erften S}erfeS. (Com-
mem. brev. lurg öor bem ©d^Iuffe.) ©uibo rebct öon eigentlid^en Raufen gar nid^t.
(5r fagt nur, bai „©üben", 9fleumen unb ©aje burdj Slnl^alten (tenor) bei ber
legten 9lote gelennjeid^net toerben. S)arunter pnb aber gundd^ft nur jene öerl^ältnis»
md^ig geringen Raufen ^u Derftel^en, toeld^e man unloittlürlid^ madgt, toenn man
3Jlelobicn öortrdgt, beren Safteinteilung mit ben S^ejteinfd^nitten möglid^ft übercin=
ftimmt. CES fann aber ebenfogut bie lefete ©übe ein toenig öerldngert toerben,
fotoeit ed nid^t nötig toirb, 3ltem su fd^opfen. 3lun ift eben an fold^en ©teEen aud^
eine eigentlid^e Saft:^aufe am $Ia^e, fo bag iened 3lnl^alten aUerbingg aud^ biefe
mitbebeutcn toirb. S)a8 „Slnl^alten" (tenor) toirb einmal nur auf bie lejte ©übe
begogen, bann aber toieber üon ber S)auer ber tremula unb toieberum t)on ber S)auer
ber ganzen 9^cume gebrandet. Jßgl. über bie ©ajteüung, bie ^aufe unb ben tenor
bie fd^önc 3lu8einonberfe^ung öon Engelbert uS (De Musica c. 38 — 43, bei Gerhert
II, 365 sqq.) 3m ©püoguS gu Reg. de ign. cantu fielet bie bemerf enStoerte S)efinition :
Tenor est mora nniuscuiusque vocis, quam ut tempus grammatici in syllabis
brevibus et longioribus superscribunt. Sebcnfattg fonftatiert 5lribo aud^ an biefer
©teile mit ©uibo, ba^ ber rid^tige S^ortrag ein genaues Unterfd^eiben Don langen
unb furgenS^oten öorauäfe^e. SBic toirb man ba^ toegbeuten? S^ei ^ucbalb,
ber aud^ nod^ feine ^aufe crtodl^nt, ift biefelbe ol^ne Stocifel unter ber Jßerldngerung
ber ©d^Iuftnote eines ©liebeS mitguoerftel^en. fjür ben S^aft ift eS gleid^gftltig , ob
man paupert ober bie 9^ote l^inauSgie^t.
©otool^I ©uibo als 3lribo erinnern an bie S^eumenfd^rift als OJlittel, ßdngen
unb Bürgen gu unterfd^eiben. S3eibe fagcn, bie tremula fei lang, toenn ein ©trid&=
lein beigefügt fei. ©uibo fagt, bie 5lbfd^nittc toürben im Jßortrag unb in ber
©d^rift als fold^c abgegrengt (compresse et notatur et exprimitur); ferner ein
Sflitarbanbo , baS trcffenb mit ber allmd^Iid^en Jßergögerung in ber SSetoegung eines
laufcnbcn ^ferbeS öcrglid^en toirb, fei an ber 9^otenfd^rift abgulefen, unb mel^rere ber
öorgenannten Söer^dltniffe toaren ol^ne 3lnbcutung in ber ©d&rift getoiß nid^t erfenn«
bar. Übrigens Idfet bie folgenbe ©teffc in ©uibos De ignoto cantu feinen 3toeifel,
bafe bie S^eumenfd^rift bie mannigfad^ften Jßcrl^dltniffe bcutlid^ öeranfd^aulid^te : „SQÖie
bie Söne öerfd^melgen fönnen unb ob fie öcrbunben ober gefonbert gu fingen,
toeld^e öon langer unb fd^toonfenber unb fürgefter S)auer feien, unb toie bie 3Dflelobie
fid^ in ©dfee teile, enblid^ ob bie folgenbe 91ote tiefer ober l^öl^er alS bie öorauS»
gel^enbe ober auf gleid^er ©tufe ftel^c: baS toirb leidet münblid^ an ber befonbern
gform ber 3^cumcn gegeigt, öorausgefe^t , baft fie mit gel^öriger ©orgfalt ge«
fd^rieben finb" (Quomodo autem liquescant voces et an adhaerenter vel discrete
sonent, quaeve sint morosae et tremulae et subitaneae, vel quomodo cantilena
distinctionibus dividatur, et an vox sequens ad praecedentem gravier vel acutior
vel aequisona sit, facili colloquio in ipsa neumarum figura monstratur, si, ut
debent, ex industria coraponantur. Migne CXLI, 416; Gerhert II, 37). 3lribo
öertoeift überall auf bie SSüd^er, inbem er nur bie 2:ejttoortc, nid^t bie 9loten auf«
fül^rt, um bie mat^cmatifd^en Söerl^dltniffe ber Olei^e nad^ gu öeranfd^auUd^en (a. a. €.),
©tctmantt, tftl^etif. 8. %t\X, 19
290 Sflcuntcd ÄapiteL
in „betben öltem ^ntt|)l^onQrien'' ftnbet er gut S^ejetd^nung her „fd^nellen, lang»
famen unb mittlem SJetoegung" bie S3u(^ftoben c. t. m. Beigefe^t unb fagt, bag
))otmal8 Kom^oniften unb (Sänger gleid§ genau fd^ rieben unb bortrugen.
®uibo erinnert enblid^ an baS ^altfd^Iagen : „fo bag gleid^fam nad^ Sler^fügen
bie SJlelobie taftiert toerbe" (ut quasi metricis pedibus cantilena plaudatur).
fBtxtotiUn mir nodg einen ^ugenblidC bei einem altern S^i^d^nt'ffsn ®uibod:
»erno, SBenebiftinerabt au fftcid^cnau (feit 1008). er fagt (GerheH II, 77; Migne
CXLII, 1114): „@d ift aud^ mit aller Sorgfalt barauf su adgten, too bie ^öne eine
gefe^mögige llftrse l^aben unb too il^nen eine längere S)auer gujumeffen ift, bamit
man nid^t eilfertig unb ganj Iura vortrage, tt)o bie S^orfdgrift ber SJleifter einen
längern unb gebel^ntern SBortrag angefe^t l^at. 3ene aber öerbienen fein ®e^ör.
toeld^e bel^aupten, eS l^abe feinen ®runb, toenn toir beim ©efang nad^ angemeffener
S^ered^nung ben ^5nen balb eine f&rgere, balb eine längere 3^itbauer geben." €in
Sfel^Ier in ber metrif d^en ?Jrof obie, l^eifet e8 toeiter, loerbe fd^arf gerügt ; toarum table
man eS benn in ber !Dlufif nid^t, toenn hcA S^itmag t)erle^t ioerbe? ^l^r fomme
bie gefe^mä^ige ^bmeffung unb too^lflingenbe ^bjäl^lung ber ^öne gerabe eigen»
tümlid^ l\x (ad quam ipsa rationabilis vocum dimensio et numerositas pertinet,
^orte aug Augustinus, De musica II, 1). S^erno l^oi gang redgt, toenn er mit
^uguftin ber !Dluftf nod^ üor ber S)id^tfunft ben genauen Sl^^tl^muö gueignet; toirb
berfelbe bod^ aud^ beutgutoge beim mufifalifd^en S}ortrag unb ©piel beutlid^er aU
beim ßefen oon ©ebid&ten gel^ört. „2ßie ölfo in einem ©ebid^te" , fo fäl^rt SBemo
fort; „ber S^erd baburd^ entftebt, bag bie Sfüge genau abgemeffen toerben, fo btibet
man einen ©efang burd^ angemeffene, übereinftimmenbe, aus Sängen unb Hürgen be=
ftcbenbe S^onfolgen, unb ed toirb bann, toie beim $e|ometcr, toenn er gefejmäfeig
fid^ fortbetoegt, bie ©eele fd^on burd^ ben SDÖo^lflang attein erfreut" (Idcirco ut in
metro certa pedum dimensione contexitur versus, ita apta et concordabili bre-
vium, longorum sonorum copulatione componitur cantus, et velut in hezametro,
si legitime currit, ipso sono animus delectatur). äBirb toobl je einer eine ©prad^e
fül^ren toie SBemo, toenn er nidjt« aU ben objeftit) toenig beftimmten oratorifc^en
^ll^^tl^mus empfehlen toill? S3erno rebet fel^r nadgbrüdflid^ ))on ber genauen 3lb=
meffung ber ^onbaucr, tjergleid^t biefclbe nid^t ettoa fo im Söorbeigel^en , fonbern in
allem @mfte unb augfül^rlid^ mit ber ©ilbenmeffung ber S)id&ter unb meint mit
Sluguftin unb offenbar in beffen ©inne, biefe Slrt beä Sflb^t^muä fei ber a/lufif nodfe
mebr cigentümlid^ als ber ^oefle. 3lllerbingö muft er fid^ toie 5lribo gegen bie SJeräd^ter
biefer Äunftfertigfeit toel^rcn unb fid^ auf bie (fd^riftlid^ fixierte) Autorität ber
3Jleifter berufen. S)er firenge IRl^^tl^mug fam alfo affmäl^Iid^ aufter ©ebraud^, M
5lribo toar er fd^on jiemlid^ oergefjen, unb ©uibo giebt gu tjerftel^en, bafe bie JBüd^er
nid^t immer forreft gefd^riebcn toaren.
384. ©el^en toir nun nod^ ein Sal^rl^unbert toeiter gurücf, fo begegnen toir
einem anbern l(|öd&ft getoid^tigen Saugen. Um 900 fd^reibt ^ucbalb (»enebiftincr«
mbnd^ toie SBerno unb ©uibo) über ben Sl^^t^muS bc8 Äird&engefanged in einer
äöeife, bie jebermann Oon bcm taftmäfeigcn Jßortrag überjeugcn müfete, toenn man
eine fold^e Sluölegung nid^t oon ooml^erein für auggcfd^loffen hielte. 9Bir übcrfe^en
möglid^ft toörtlid^ unter Söeglaffung einige« Unerl^eblid^en (Musica enchiriadis pars I,
Migne CXXXII, 993 sq., Gerbert I, 182 sq.; Brevis commemoratio , Migne
CXXXII, 1039 sqq., GerbeH I, 226 sq.) :
„S)er rb^tl^mifd&e Vortrag einer jcben -^««- enchir,
9Jlelobie ift oon größter löcbeutung. ©d Imprimis videndum, ut numerose
gehört bagu bie Slufmerffamfeit auf bie quodlibet melum promatur, — Quid est
^ie l!ird§enmufif.
291
längere unb fürsere ^onbauer. SSHe man
namli^ bie S^^^^^^^'^ ^^^ futjen unb
langen Silben bead^tet, fo fielet man aud^
auf gebel^nte unb lurge ^5ne, bamit bie
langen unb furjen in gefe^maftigem S5er=
l^ältnid pfammenfttmmen unb bie ÜJlelobie
pd6 löie nad^ JöerSfüfeen toftartig betoege.
SBöol^Ian, fingen toir einmal jur Übung,
id^ finge öor unb tattierc bie fJüBCr bu
fingft nad^. [Sfolgt mit überfd^xiebenen
Sfloten: Ego sum via, veritas et vita,
alleluja, alleluja.] 3n biefen brei ®Ite=
bem finbet fid^ nur an le^ter Stelle eine
ßdnge, fonft ifk atted Iura. S)a8 l^eifet
alfo rl^^tl^mifd^ fingen : langen unb furzen
S^önen bie gel^örige S)auer jumeffen unb
ni d^t an getoiffen ©teilen mel^r bel^nen ober
fürjen, aU fein mu6, fonbcrn bie Stimme
an bad ®efe^ bed SfanbierenS binben,
bamit eine 3DfleIobie in bem gleid^en Sem^o
enbige, in bem fie begonnen. Söitt man
jeboc^ SUtoeilen ber ^btoedgglung l^alber
an ber 3^i^^öwer ettoad änbem, namlid^
fie gu Anfang ober am @nbe mel^r bel^nen
ober mel^r oerlürgen, {o l^at bai im fSn^
l^ältnid t)on 1:2, b. ^. in ber äöeife gu
gefd^el^en, bafe man bop^jelt jo langfam
ober bo:p^eIt fo rafd^ fingt. . . . S^el^mcn
toir aljo bie ju fingcnbe 3DfleIobie einmal
rafd^er unb einmal langfamer, fo ba^ bie
Sonbauer, toeld^e lang ift begüglid^ ber
öorgunel^menben äJerfürgung, nunmcl^r f urj
toerbe im S}ergletd^e gu il^rer S}erlänge»
rung. Singen toir Je^t ; erft bog fd^nettere
2^em:^o , bann bad langfame unb bann
toieber boS fd^nette. [Sfolgt berfelbe 3:ejt
brcimal, aber, toie eö natürlid^ ift, mit
benfelben 91oten, ha ja ^ucbalbg 9^oten»
geid^cn auöfd^Iieftlid^ melobifd^c unb feine
rl^^tl^mifd^e S3ebeutung l^aben.] 2)iefe(S
3a^I= unb Söol^HIanggöerl^ältniS fommt
jebem funftgered^ten ©efange gu, unb bas
giebt i^m öor allem Söürbe unb Sd^ön«
l^eit, man mag getragen ober gang fd^neff
fingen, allein ober mit anbern. 3lud6 beim
SDßed^felgefange unb Slefponbieren mu^ burc§
baöfelbc fd^önc 3Dfla6öer]^äItnig eine Über-
einftimmung im £empo fo gut toie in
ber S^onl^öl^e gctoal^rt bleiben. — Sluf
nomerose canere ? — üt attendator, ubi
prodactioribns , ubi brevioribus momlis
utendum sit. Quatenas uti, quae syllabae
breves, quae sint longae attenditur, ita
qui soni producti quique correpti esse
debeant, ut ea quae diu ad ea quae non
diu legitime concurrant, et velati me-
tricis pedibus cantilena plaudatur. Age
canamus exercitii usu: plaudam pedes
ego in praecinendo, tu sequendo imita-
bere. Ego sum via, veritas et vita, AUe-
luia, alleluia, Solae in tribus membris
oltimae longae, reliqoae breves sunt.
Sic itaque numerose est canere, longis
brevibusque sonis ratas morulas metiri
nee per loca contrahere magis quam
opoi'tet, sed infra scandendi legem vo-
cem continere, ut possit melom ea finiri
mora, qua coepit. Verum si aliquotiens
causa variationis mutare moram velis,
1. e. circa initium aut finem protensio-
rem vel incitatiorem cursum facere,
duplo id feceris, i. e. ut productam mo-
ram in duplo correptiorem seu correp-
tam immutes duplo longiore. . . . Suma-
mus melum , quod vis canere , nunc
correptius, nunc productius, ita ut mo-
rulae, quae nunc sunt productae correptis
suis, nunc item fiant pro correptis ad
eas quae fuerint productiores se. Cana-
mus modo; prima sit mora correptior,
subiungatur producta, tunc coiTepta
iterum. Ego sum etc. Haec igitur
numerositatis ratio doctam semper can-
tionem decet et hac maxima sui digni-
tate omatur, sive tractim sive cursim
canatur, sive ab uno seu a pluribus. . . .
Item in altemando seu respondendo per
eandem numerositatem non minus morae
concordia servanda est quam sonorum.
— Quomodo per moras oportet, ut can-
tiones concordent? — Concordabiiis can-
tionum copulatio quaUter per propriam
quorumque sonorum sedem eveniat,
supra monstratum est; morarum vero
19*
292
9leunted Stapiitl
toel^e SGÖcife ift btc8 a" etrcid^en? — 2Bic
bie ®efönge angemeffen t^erbunben toerben
burd^ bte gel^örige @tufenfoIge oUet %bm,
ift oben audeinanbergefe^t ; angemeffene
S)auer))erl^ältniffe aber ergeben fldg, toenn
ha^ S^ad^folgenbe entmeber in gleid^er S^on«
bouer Äbereinflimmung jcigt ober au8
gutem ®runbe ein stoeimal langfamereg
ober gtoeimal rafd^ereS S^empo l^at. . . .
SJlan tann baS 2:em|)0 einer SJlelobie leidet»
Iid§ aus il^rer ®eftalt erfennen, ob fte
nämlid^ in fdgtoeren ober leidsten 9leumen
Qbgefaftt ifl."
„2)aS ©leid^mag ift offenbar für oHe
6d^önl^eit, fei ed, bag fte k)om O^re, fei
ed, ba^ fte oom Singe toal^rgenommen
toirb, ein äöefenSelement ; fo l^at ed ®ott
gesollt, ber nad^ äJlag unb ©etoidgt, nad^
ber S^W' cilleS georbnet l^at. ®ie ©törung
bed ©leid^mageg foll alfo bie l^eiligen ©e»
fange nidgt entfteüen, man foII nid^t gu
3eiten eine einzelne S^eume ober einen 2^on
ungel^örtg üerfd^Icppen ober oerfürjen, nid^t
3. S3. in einem refponbiercnben ©efange
ober in anbcm au8 9^ad§Iaffig!cit eine
S}er35gerung im S^ergleidge gum ä^orl^er^
gel^enben eintreten laffen. (Sbenfo foHen
bie einzelnen furjen 91oten nid^t länger
gebogen toerben, aU Büx^tn gulommt.
Slielmel^r foII alled Sänge gleid^ lang, alled
Äurge gleid^ lurj fein, oon bcn ©ä^en
[unb ^erioben] abgefel^en, auf toeld^e jebod^
mit äl^nlid^er ©orge in ber 3JlufiI ju
ad^ten ift. Slffe«, toaö lang ift, foK ju
bem, toag fürs ift, burd^ eine gefe^mägige
S)auer ein fd^öneS S^'^'^cnöerl^öltnig ein=
l^alten unb jeber ©efang aU ©anseS oon
5lnfang bi« ju @nbe in bem gleid^en 3:em:po
Oorgetragcn toerben. S)od& ift ju bemerfen,
bog, toenn in einem ©efange oon fd^ncllem
%tmpo gegen @nbc ober jutoeilen am Sin«
fang eine SJergögerung eintreten ober ein
©efang in langfamem ^empo gegen @nbe
rafd^er gefungen toerben fott, bod^ immer
bie SDerlöngerung nad^ äJlaggabe ber ^ürje
unb bie SSefd^lcunigung nad^ SJerl^ältniS
ber ßänge bered^net toerbe, bamit fein 3«=
öicl ober 3uö)enig, fonbern immer baS
Söed^feloerl^dltniS oon 1 : 2 l^eraugf omme. . . .
concordia fit, si id, quod subiungendum
est, aut aeqiuüi mora respondeat, sen
pro competenti causa duplo longiore
mora aut duplo breviore. . . . Hoc melum
celerius cantari convenit, illud vero mo-
rosius pronuntiatum fit suavius. Quod
mox dinosci valet ex ipsa factura meli,
utrum sit levibus gravibusve neumis
composita.
Brev. commemor.
Aequitate plane pulchritudinem om-
nem nee minus quae auditu, quam qnae
visu percipitur, Deus auctor constare
instituit, quia in mensura et pondere,
in numero cuncta disposuit. Inaequali-
tas ergo cantionis cantica sacra non
vitiet, non per momenta neuma quae-
libet aut sonus indecenter protendatur
aut contrahatur, non per incuriam in
uno cantu, v. gr. responsorii, vel caete-
rorum segnius quam prius contrahi in-
cipiatur. Item brevia quaeque impedi-
tiora non sint, quam conveniat brevibus.
Verum omnia longa aequaiiter longa,
brevium sit par brevitas, exceptis di-
stinctionibus , quae simili cautela in
cantu obsei*yandae sunt. Omnia quae
diu ad ea quae non diu legitimis inter
se morulis numerose concurrant, et can-
tus quilibet totus eodem celeritatis teuere
a fine usque ad finem peragatur. Hac
tamen ratione servata, dum in canta,
qui raptim canitur, circa finem aut ali-
quando circa initium longiori mora me-
los protendendum est, aut cantus, qni
morose canitur modis celerioribus finien-
dus, ut pro modo brevitatis prolixitas
prolongetur et secundum moras longi-
tudinis momenta formentur brevia, ut
nee maiore nee minore, sed semper
unum alterum duplo superet. . . . Quae
canendi aequitas rh3rthmus graece, la-
S)te IHr^enmuftl.
293
S)iefed ©lei^tnag im Singen l^eigt grie-
d^tfd^ IRl^^t^muS, lateinifi^ 3<i^^w<^6f ^^^^
ja jcbc ajlelobic toie ein mctrifd^er %ttt
forgfditig obgemcffen (,menfuricrt*) tocr^^
ben tnufe.*
tine dicitur numerus, quod ceiie omne
melos more metri diligenter mensuran-
dum sit.
385» ^ucbalb gebrandet alfo unter ausbrüdlid^er Sdegtel^ung auf bag ^oetifd^e
S5crdma6 für baö ®Icid&ma§ im ©efangöortrog ha^ Sßort ^aJlcnfuricrung". @r fc|t
nod^ gleid^ bei, man folle ben Unaben beim ©efang ben ^l^^tl^mug mit bem gfuge
ober mit ber $anb ober fonfttoie angeben. ?Jot^ier Ih^tlt über baä angcblid^c %alU
fd^Iagen ber tllten („S)er gregorianifd^c ©l^oral" Äa^. 10); aber tocnn nid^t fd^on
oben plaudam pedes fo ^u f äffen toäre, fo ftel^t l^ier bod^ beuttid^ genug: aliqua
pedum manaumve vel qualibet alia percussione numerum instruere. P. ^anffenä
meint (Le rhythme du chant grögorien p. 20) , ba8 t)on ^ucbalb jum Xe^te Ego
sum u. f. tt). ©efagte be))7eife nid^tS für bie ^qualiften, toeil man a\x& einem S^eifpiele,
in bem aUerbingg nur je bie le^te 6ilbe eineg ^bfd^nitted lang unb alle übrigen
gleid^ fur^ feien, feine aEgemeine Sdglugfolgerung jiel^en bürfe. S)agegen betoeife
bie ©teile gegen bie 3JlenfuraIiften. S)ie8 ße^tere ift toum rid^tig. @rftcn8 l^eifet
eg nid^t, bie lejte „©übe" fei lang, öiclmel^r ift bie lejte „SFlotc" (morula) lang; ber
langen ©üben ftnben ftd^ t)iel mel^r. 2)ag ergiebt ftd^ j. ^. baraug, bag bas erfte
Sltteluia fieben (bei ber SDßieberl^oIung bc8 SBcif^jieB fed^g) S^otengeid^en l^at, alfo ouf
brei ober jtoei ©ilben beSfelben jtoei 9^oten fommen. 3toeiten8 laffen fid^ bie
9loten gang gut in £a!te bringen. [9}gl. über ben melobifd^en SBert ber ^ucbalbfdgen
3eid^en P. Äornmütter, „Sa^rbud^" 1886, ©. 12.]
E - go sum vi - a ve - ri - tas et vi - ta. AI - le-
lu - ia, al-le-lu - ia, al - le - lu - ia, al-le-lu - ia.
2)ie gtoeite ©d^Iu^form ift eine SSariante, in ber t)ielletdgt an ber ©teile beS
Ihreugd^enS nad^ bem e ein d auggefallen ift; ober eS toürben auf bie ©übe le gtoei
3^öne c h gu red^nen unb bann am (£nbe feine Söerlöngerung angufejen fein. SJlit
bicfer aJlenfurierung toirb ben Slnbeutungen ^ucbalbs bottc IRed^nung getragen.
S)ie brei ©lieber ber äJlelobie ftnb freüid^ nid^t gleid^, bag forbert er aber aud^
nid^t. @r fagt, in ben 9leumen unb Singeltönen (neuma aut sonus) fei ein
beftimmte« SBerl^dltniö ftreng burd^gufül^ren, in ben ©ä^en nur einigermaßen. 2Bir
fönnen übrigend gtoei ©ä^e (distinctiones) unterfd^eiben : ber erfte gel^t bis gum
Sltteluia unb l^at fieben Safte, ber IReft entpit beren fed^g. ©trenger finb toir l^eut«
gutage in ber ©^mmetrie ber ©a^e audg nid^t. S)ie beiben erften ©lieber (membra)
ftnb fa^äl^nlidge Unterabteilungen t)on brei unb t)ier Saften. 9lad^ unferer Sermino*
logie befielet alfo bie ^elobie aud gloei annöl^emb gleid^en ^erioben unb bie erfte
toieber aud gtoei ©fiebern t)on ungeföl^r gleid^er ^udbel^nung ; bie ©lieber ber gioeiten
ftnb oerfdglungen.
aOßie bie befprod^ene ©teile mit bem ©^ftem öon ©olcömeS Vereinbar fei, ifl
nid^t abgufel^en. S)er oratorifd^e Sll^^tl^muS bringt eS bod^ nidgt mit fidg, baß bie
gong tonlofen festen €>itb^n (rid^tiger „91oten") ber brei ©lieber gebel^nt toerben;
toarum nid^t t)ielme^r bie t)orIe^ten, toa^ nodg einen t)emünftigen ©inn l^otte ? Ober
foU gerabe bad ben fünftlerifd^ gemeffenen SSortrag f enngeidgnen , bag er in getoiffen
294 9leunte§ StopM.
Slbftänben eine (Snbfllbe, bte für ben ®ebanlen fel^r gleid^gültig ift, ^inaui^siel^e uttb
Stoar genau immer auf bie boppzUi Sänge, fonft aber butdgaud feine mel^r bel^ne aU
eine anbete? 3ft bag ettoa gar bte Seigre ber ©ried^en unb 0lömer, an bte man fo
gern erinnert? S}iet el^er mögen ft($ bie ^qualiften auf ba^ t)on ^ucbalb ben&^te
SBcifpiel berufen. Slttein es ip eben bod^ nur eine« unter öielen, bie möglid^ertDeife
ganj anberer 5trt toaren. a)er näd^ftc 3toedf, auf ben aud^ ba8 ^öd^ft einfädle 5floten=
f^ftem ^ucbalbö (ol^ne jcglid^e rl^^tl^mifd^e 5lnbeutung) bered^net ifl, öcranlaftte i^n
lool^I, eine ber einfad^ften ÜJlelobien su tD&l^Ien. ^m übrigen fagt er ettoag ganj
anbered, aU toaS bie Squaliften unb bie ^nl^änger beS freien Sll^^tl^muS UJoHen:
lange unb furge ^'iihm toed^fcln nad^ 2lrt ber ffanbierten SBerfe; es beftel^t gteifd^cn
il^nen ein gonj ftrcngeS ÜJlafeöerl^altnig, ba8 fclbft bei bem au^erorbentlid^cn 9flitar=
banbo ober ^cceleranbo su beobad^ten ift ; baS Sem:po eines ©efangeS toirb burd^ bte
©eflalt ber 3^eumenfd&rift bejeid&net; für 91eume unb (ginjelton giebt eS ein feftes
SBerl^ältniS , nur für längere 5lbfd^nitte (©a^e, ?Jerioben: distinctiones) ein an=
näl^ernbeS ; öon Slnfang bis gu ®nbe fott (im ollgemeinen) jebc SJlelobie [ol^nc 9lücE«
fid^t auf ben Sejt] in gleid^em Sem:po abgefungen toerben ; fclbft beim Slef^onbieren
gilt baS ftrenge ®efe^ beS gleid^fd^toebenben ^ll^^tl^muS (bie aeqoitas), furg $ucbalb§
ajiufif ift nad^ 5trt mctrifd^cr S^ejte genau „menfuriert".
S)ie Squaliften l^abcn entfd^icben toeniger @d&toierig!eit oIS bie Söerteibiger beS
freien Sll^^tl^muS, fid^ mit C^ucbalb obäufinben. Slber fic fottten bod^ bebenfen, bafe
fein bcfonnener ©d^riftftetter fo Diel SOßorte öerfd^toenben toirb, ber nur fagen toitt:
man l^ebe feine SFlote öor ber anbern l^eröor, nur beftne man bie lejte eines jeben
^bfd^nitteS. Unb toaxnm genau auf bie bop:peIte Sänge? ©utbo miE bod^, baS ^n-
l^alten (tenor) ber legten 6ilbe foHe üerfd^ieben fein, je nadg ber ^uSbel^nung
beS Slbfd^nitteS. SGßaS foll eS l^eiften, toenn ^ucbalb fagt, ba§ 3^eumen unb 6ingel=
tone bie ftrengen Proportionen genauer auftocifcn als ©ä^c ober Slbfd^nitte? SDßaS
für eine SJlupf aber fommt l^crauS, loenn man mit äufeer^er ©enauigfeit @ilbe für
@ilbe gleid^ lang be^nt? 3|t baS auSbrudfSöoK unb finngemäfe? 2öo in atter aOBelt
l^at eine fold^e !Dlufif fid^ naturgemäß l^erauSgebilbct ? ©uibo fagt beftimmt, toenig«
ftenS an gtoci ©teilen, baß bie 91eumen bie gange 9Jlannigfaltigfeit ber flaffifd^en
Jßcrsfüße auftoeifen; ebenfo Slribo ©. 216.
^ucbalb rebet t)on einem breifad^en ^empo, aber nid^t auSbrüdlid^ t)on einem
breifad^en ©ilbenloert (longa, brevis unb semibrevis), fonbern nur Don langen unb
furgen^ilben; eS erinnert aber bie S)rei]^eit beS Tempos aUerbingS an eine S)reil^eit
beS ^otennierteS , ober niol^er fommt jene gerabe fo geregelte Unterfd^eibung beS
3^empoS? ©uibo fe^te, too er öon ber 3"föwimenorbnung ber ^Jleumen fprad^, einen
breifad^cn SRotentoert öorauS. (©iel^e oben 91r. 383.) Übrigens ftel^en aud^ bie brei
Jlotentoerte im SBerl^ältniS öon 1 : 2 untereinanber.
Über Ornamente erfal^ren toir oon ^ucbalb nid^ts. Ob ©uibo nodg t>on geit-
lofen 3w«^ttoten fprid^t, ift nid^t außer Stoeifel. Slribo fd^Iießt pd^ an ©itibo an.
386. S)iefe ßebrc ber altern S^l^eoretifer, toeld^e mit einem funftöottem Söortrag
beS (Sl^oralS, als man l^eute anerfennen loiU, aus täglid^er ^rfal^rung ober burd^ na^e
Ihtnbe befannt toaren unb toieberl^olt auf bie (Sl^oralbüd^er t)em}eifen, bered^tigt nun
t)oIIauf gu bem S^erfudg, ben urfprünglid^en iRl^^tl^muS auS ber 9leumenfd^rift felbft
gu erfennen. ^ie fird^Iidge ©infü^rung eines beftimmten @^]^oraIte^eS ftel^t ber
ardgäologifd^en Sforfd^ung natürlid^ nid^t im SBege, Solange biefe fidg, ber fird^Ud^en
Slutorität gegenüber, in ben ©d^ranfen ber S&efd^eiben^eit unb beS ©e»
S)te Hird^enmufi!. 295
1^ or f am ö l^alt. Tlan botf e8 alfo toittfommcn Reiften, tocnn P. 3lnton S)cd^cö=«
renS S. J. nid^ts ©ertnöereS ald eine f^ftemotifd^c SJcutung bcr 9^eumcn öcrfud^t.
tiefer ©elcl^rte gc^t fd^on in feinem SSud^c Du ryihme dans rhymnographie
latine auf ben Sfll^tl^mu« beö öregorionifd^en ©efange« ein unb fteUt aw^ä^^P feft,
bafe btc 9leumen, ob fie einfod^ ober sufammcngefe^t finb, brci, öier unb bis a« o^t
ocrfd^iebenc gformen anncl^mcn. 3«^ SBetoeife, boft l^icr nid^t ettoa ©d^rcibexlaune
ober 3Jlobelöittfür toaltet, toirb auf fold^e SJlelobien öertoiefen, bie fid^ toiebetl^olen,
biStocilen an ganj entfernten ©teilen, unb bod^ eine genaue Übereinftimmung in
jenen mannigfaltigen formen i^qtn. S)a8fclbe gilt bon öcrfd^iebenen ^anbfd^rift»
liid^en S3üd^em, s. S3. bon ben burc^ bie S3enebiftiner bon @oIeSmeS unb P. Sam«
bittotte S. J. l^erauSgegebenen ananuffxipten bon @t. ©äffen (S^r. 339 unb 359). —
SBßcitcr erinnert er an bie bon 6)ouffema!er (Hist. de Tharmonie I, 3, eh. 7) an=
fd^oulidj ertoiefene S^ftotfad^c, bo6 bie 3ßi<Sctt ber fpätern muftlalifd^en 91otation,
namlid^ bcr Ouabrotfd^rift, fid^ ouS ber 3^eumenfd^rift ©d^ritt für <Sd&ritt enttoidfelt
l^aben. Sltterbingd gel^t ©ouffemafer fobann ol^ne redeten S^etoeiS über bie nal^e«
liegenbe gfolgerung l^inioeg, bag bie 9leumen eBenfotool^I toie bie au3 il^nen um»
gcfd^riebene Ouabratfd^rift aud^ bie S^onbauer bejeid^nen. Solan l^ält ed eben für
felbftberftänbUdg, bag baS bisher IXnerlbeiSlid^e audg nid^t bor^anben geloefen. 9lun
tritt aber S)ed&cbrens mit einer S)eutung ber SReumen ^erbor, bie an objeftiber Säe«
fttmmt^eit nid^t aKaubiel s^ tbünfd^en übrig lagt unb fangbare SJlelobien mit ftrengem
^aftmag ergiebt. ^ie brei erften S3&nbe ber Stades musicales befd^öftigen fid^
größtenteils mit bem gregorianifd^en 6^6oraI, ber atoeite mit ber S^l^^tl^muSfrage, auf
toeldge fi4 aud^ bie S)o{umente bes britten ^anbeS beaie^en; in bem legten ftnben
fid^ 30 bottftdnbige SJleffen auS hm ^Jleumen überfe^t.
387. ^natbifdgen bieten fid^ autn S^ergleid^ unb a^^ 9lad^prüfung Ostar
SIcifd&crS SReumenftubien bar: 1. S^eil. Über Urfprung unb ©ntaifferung ber
Sfleumen (ßei^^aig/ Sft. gleifd^er, 1895; bgl. P. ÄornmütterS Äritil, 9Jlufif. Sal^rb.
1895, 6. 101 ff.), IL Xeil. 3)aS altd^riftlid^e Sflecitatib unb bie Sntaifferung bcr
9fleumen (1897). $ier toerben in bcr grünblid^ften Söeife bie S^cumenaeid^en auf
il^re urfprüngUd^e fjorm unb S3ebeutung aurürfgefü^rt unb (im arbeiten Steile) mel^rere
einfädle ^eumente^te entaiffert. äöäl^renb S)ed^ebrenS ftd^ an bie frönfifd^en IRcumen
^alt unb lebiglid^ bie ^erfteUung beS alten S^l^^tl^muS berfud^t, beatbcdft gfleifdger bie
Auslegung bcr italicnifd^en 9lcumen nad^ äJlelobic unb Sll^^t^muS augleid^. @r gel^t
überaus umfid^tig au äöerle; leiber ift aber baS borgclegtc Material lux ^cumen»
Icfung nod^ fo toenig umfangreidj, baft ein Urteil über bie attfeitige iftid^tigfeit beS
@rgebniffeS bis je^t nid^t gegeben, fonbcrn nur bie ©rünblid^feit ber aJlet^obe an=
erfannt toerben !ann.
^IS äJtitbetbcrber um ben ^lul^m bcr Sleumenbeutung. tritt nod^ ©eorg ^ou*
barb auf , ' aunäd^ft mit L'art dit gr^gorien d'apr^s la notation neumatique (1897),
toeiter in Le rythme du chant dit gr^gorien d'apres la notation neumatique
(Paris, Fischbacher, 1898), enbUd^ in bem Appendice baau (ebcnbo 1899). S)iefeS
2öerl ift im III. unb IV, SLeil befonberS lel^rreid^. 6ein Jßerfaffer bc«
funbet fid^ überatt als praftifd^en ajlufifer bon feinem ^aftc. Slud^
§oubarb befd^ränft fid^ ouf baS fränfifd^c 91eumenf^ftem unb auf bie rl^^tl^mifd^e
Seite beSfelben; beaüglid^ ber 3Jlelobie giebt er nur mand^e Slnl^altSpunfte.
388* Um nun auf P. S)ed^cbrcnS aurüdfaufommen, mit beffen Softem allein toir
uns an biefer ©teile cingcl^enber befaffen tootten, fo !ann bie l^iftorifc^e ©runblage
beSfelben nid^t genug betont tberben. ^ed^ebrens giebt ab)ar nid^t bie ©efd^id^te ber
Scidjen als fold^er, bie burd^auS bon fjlcifd^cr entlel^nt toerben mufe, fonbern bie
296 S^eimted Rapiitl
tritifd^e ©efd^i^te bed Sll^^t^mud na4 ben muftlaltfd^en ©(^rififtellern bed SnUtel«
alters. SlBer btefe tft auc^ gerabe t)on augnel^menber SJebeutung, unb S)e(^et)renS l^at
fld§ burd^ fonftiged btelfeitigeS 6tubium beS 9ll^^tl^mu8 für feine Aufgabe befäl^igt.
Sn ber Xl^at lä^t fid^ bem ^att^tergebnid feiner biegbea&glid^en Sfotfd^ung ntd^t
langer ti)iberf:pre(^en. 3li^t nur bie S^^atfacl^e, bai ber (S^oral einmal menfuriert
toar, tnug l^tnfort aU ertoiefen gelten, fonbern toir lennen nunmel^r aud^ bie 3citf
loann, unb bie IXrfad^e, toarum ber ftrenge Stl^^tl^mus t)erIoren ging. Um bied ^u
beftreiten, mügte man entloeber ben ^l^eoretifern beS äJlittelalterd aUe Kenntnis bed
:pra!tifd^en Aird^engefanged abfpred^en ober ben sal^Ireidgen 3^ugniffen berfelben eine
gan^ neue S)eutung geben. @d ift aber fd^toer abgufel^en, toie bad eine ober Da§
anbere möglid^ fei. ^ier entfd^eiben nid^t l^ergebrad^te S}orurteiIe, bag unbeftimmte
©efül^I ober bad allgemeine 3)afür]^alten, fonbern nur greifbare S^etoeife. fjerner ift
flar bargetl^an, ha^ bie Jleumen gerobc eine S^onfd^rift ju oorioiegenb rl^^t^mifd^en
Sioedfen toaren, alfo aud^ fid^erlid^ ben Sftl^^tl^mus in erfter ßinie gum 5(u8brurf brad^tcn.
SJlit k)otIem 9led^te betont S)ed^et)rend biefe iRefuItate aU burd^auS feftftel^enb , fo
anfprud^äloS er immer bie oon il^m öerfud^te tluSlegung ber S'leumenfd&rift öorlegt.
S)ie gcfd^id^tlid^c fjrage bel^anbelt in bemfelben @inne Artigarum, Le rythme
des mölodies gr^goriennes (1899). S)agegen le^nt $. 9liemann in feiner „®e»
fdjid^te ber SJlufiftl^eorie" (1898) toenigfteng fjleifd^er« Sficfultote aHju furjer ^anb ab.
S)ie fritifd^c ©id^tung ber alten 3eM9«if|e über ben Sl^^t^muö unb über ben
©l^oral übcrl^aupt getoäl^rt nod^ ben bcfonbcrn SJorteil, ba^ bie tttßai f:^ätern 3^]^eo=
retifer (nad^ Slribo, @nbe bc8 11. 3a^t]^Mnbertg) öon nun an nid^t mel^r unterfd^icbö=
loS ober cinfod^ nad^ ber S^itfolge, fonbern nur nad^ il^rem toirflid^en öer]^dltni8=
mäftiöcn Söertc citiert toerben bürfen. S)enn ber Söerfatt beS Sll^^tl^muS erfolgte
nid^t in allen Sönbern glcid^ fd^nett, toie aud^ bie mel^rftimmige aJiupf, bie il^n
l^erbeifü^rte, nid^t überatt eine gleid^ rafd^e (£nttoi(flung nal^m.
ücnnaeid^nenb ip für bie ©tubien bcS P. S)cd&eOrenä bie oorldufige S3efd&ran!ung
auf bie 9^eumenbüd&er ber ©t. ©allen er ©d^ule. @S frogt fid^, ob auf biefem
Söege baiS 3ißl toirflid^ erreid^bar fei. SBelanntlid^ ftel^en bie franfifd^en SFleumcn im
allgemeinen auf gleid^er ^öl^e, fo ba§ in il^ncn bie aJlelobie, b. ^. bas ©tcigen unb
Sfatten ber S^önc, ganj unöottfommen ongebeutct toirb. S)e8]^alb bcfd^ränlt fid^ benn
aud^ S)ed^et)renjS oon oornl^erein auf bie (Srflärung beg IRl^^tl^muS unb entlehnt
ben ^anbfd^riften mit ßinien, loeld^e burd^auö nid^t bie älteften finb, bie SJlelobie.
SBemcrfenöioert ift, toaS er begüglid^ bicfer ^anbfd^riften urteilt. @r erloäl^nt neben
ben neuern auf biefelben geftü^ten SluSgaben eine Sfleil^e oon ^anbfd^riften ber ^arifer
9lationalbibliotl^ef unb fäl^rt aldbann fort: „Übercinftimmung ift nid^t immer oor«
l^atiben ; bie Slbioeid^ungen finb fogar oft jicmlid^ bebeutenb, unb eS fommt öor, bafe
leine biefer [aufgefül^rten] SJcrfioncn ben 9leumen ber altern ^anbfd^riften entf:pridjt.
3m allgemeinen ftel^en bie Ausgabe oon iReimg unb (Sambrai unb bie oon
©oleSmeg, toeld^e mel^r bem bcrül^mten ©robuale Oon SJlontpellier folgen, mit ber
9^eumenfd^rift in genauerer Übereinftimmung. S)od^ giebt eg Sluönal^men, biStoeilen
Siemlid^ erl^eblid^e." 6o giebt er benn gu, bafe ber melobifd^e S^cjt nod^ einer
IfteOifion beborf; i^m fommt eg junad^ft auf bog rl^^tl^mifd^e 6^ftem an, S)ie
melobifd^e ^erftellung beS ©l^oralg loürbe oud^ in gang neue Sfragen bcjüglid^ ber
©l^romotif beSfelben, ber i^retl^alben Oorgenommenen S^ranSpofitionen unb @men=
botionen Oertoidteln.
389* @ine ©erftellung Oon Sfll^^tl^mug unb ÜJlelobie fd^eint fjleifd^er gu
berf^red^en. 3n italifd^en ^onbfd^riften finbet man nämlid^ bie 3Jlelobie burd^
6teigen unb Raffen ber ^Jleumen mitbegeid^net. Slufeerbem ift ja Italien bie ^eimat
S)tc Ätrd^enmuflf. 297
bcr SRcumenfd&rift, unb toitt Sficifdjcr aud^ fold^c 9JlQnuf!rU)tc gcfunbcn l^abcn, tocld^c
älter ftnb aU bie Don frdnfifd^en S^eumatoren. Sluö biefcn ©rtinben erflätt eg
fjleifd^cr als öerfel^It, tocnn man bic @t. ©ottener 3^eumcnbüd^cr jur ©runblagc ber
Sforfd^ung tttad^t.
©egen bicfc Sluffoffung Iä§t ftd^ bod^ einige« cintoenben. gfleifd^er gicbt eine
^Jrobe QuS ber befonntcn Slmiotiner S3ibel=$anbfdörift ju fjloreng, toeld^c nad^ il^m
„mit ©id^er^eit um baS Sal^r 700" gu öerlegcn ift unb ba8 öltejte S)enfmal ber
latcintfd^en S^eumotion entl^ält. Sluf %nla% bicfeiJ S)cn!mal8 bemerft er jebod^ felbft
(SReumenftubicn II, 14): „S^od^molS betone id&, baft für eine ftreng=toiffenfd^aftlid^e
©ntgifferung bei bicfen 3eid&en baS Slugenma^, bog fid^ auf bie räumlid^e Slnorbnung
ber Scid^en öerläjt, nid^t oudreid^t. ©elbft um ao^rl^unberte fpätere SReumationcn
öerfal^ren in bcr räumlid^en ©tettung ber 3cid^en nod^ giemlid^ forglos, unb bic
SEoufcnbe Don fränüfd^en 9^cumenbenfmälem öeraid&ten im ©runbc überl^au^jt auf
eine fold&c." ©benfo l^eifet eä ©. 122 rürffidötlid^ ber UrbinQg=©anbfd^rift im Jßatilan
(aus bem 10. — 11. 3a]^r]^unbert) : „aJieift freiließ ift bie räumlid^e ?lnorbnung eine
berart nad^Iäffige, baft mon biefe ^Icumotionen ol^ne toeitcre Unterfud^ung nid^t lefen
!ann." Söenn fid^ nun gleifd^cr bod^ auf bie fogen. ©d^Iüffelncumen unb bie ©rup:pen=
neumen pü^t, fo giebt er bei ben erftern felbft eine erl^eblid^c Unfid^erl^cit ju; bei
bcn ©rup:pen aber, bie fid^ aud^ in fränfifd^en Söüd^em finbcn, Ic§rt bic Sragc
toieber, ob $ö]§e unb Siefe genau bejeid^net feien. Übrigens fel^c man, mit tücld^en
SÖebenfen Äornmütter in ber citierten Äritif 6. 108 bie ße^re öon bem ©ritppcn«
ncuma aufnimmt. S)ie „toid^tigfte unb juöerläfflgpc" ©d^Iüffelneume aber (II, 127)
ift bod^ tDofjii nur ba^ Seid^en ber vox liquescens, nad^ bem auSbrürflid^en 3ßugni8
©uiboS (Disc. art. mus. c. 15; Gerbert II, 17). ©otücit unS alfo {Jleifd^er bisher
unterrid^tct, ift c8 mit ber SBeftimmung ber Jlflelobie aus S^eumenl^anbfd^riften über=
l^aupt übel beftettt, unb mu6 lool^I öornel^mlid^ bie ^anbfd^rift öon SJlontpcttier , in
ber bie Gelobte jugleid^ mit ^ud^ftaben bejeid^net toirb, unb biefe ober jene äl^nlid^e,
als ©runblagc bienen (]. oben bie Söorte S)cd^cörenS über biefe ^anbfd^rift).
Sfleijd^er legt ©eioid^t barauf, bafe bie fränfifd^en 9^eumen il^ren Urfprung bod^
fd§Iie6Iid& auS 3talien herleiten. SltterbingS; aber aud^ bireft aus 9flom, unb bas
§auptintereffe fnüpft fid^ tfitn an bie {Jrage, toie man ben ßl^oral in IRom gefungen
l^abe. 5ltte 3cugniffe unb fonftigen Slnaeid^cn betoeifen, ha% bie erften 9^eumen«
l^anbfd^riftcn unter Äarl bem ©roften ober frül^er, alfo um 800 öon Slom sum
fjranlenlanb famen, unb ba§ man in @t. ©äffen fid^ mit l^öd^fter ©etoiffenl^aftigfcit
an bic überlieferte ßeSart l^ielt. Ob fld^ tool^I biefelbe Streue in @r§altung ber
S^rabition für 3talien, bas oon fo öielen ©türmen l^eimgefud^t tourbe, toie für baS
jal^r^unbertelang fo frieblid^e @t. ©äffen nad^toeifen läfet? 3JlerItoürbig fd^eint
uns gerabe bic SBcfd^affcnl^cit ber ßamentationSmcIobie, toie fie Sfleifd^er (II, 15) aus
ber obengenannten ^Florentiner (um 700) fotoic (6. 29) aus einer nea:poIitanifc6en
^anbfd^rift (9. ^al^rl^unbert) öorlegt; biefelbe ift in biefen Oueffen red^t öerfd^ieben
unb ftimmt toeniger mit ber trabitioneff römifd^en bes fogen. autl^entifd^en S^ejtcS
überein als bie ber fränüfd^en SReumen bei ©erbert (De cantu I, 530). Söenn aber in
©t. ©äffen biefe ÜJlelobie ber römifd^en al^nlid^cr ift, als jene beiben unter fid^ ober
im S5ergleid6 jur römifd^en, f^rid^t bas nid^t p ©unften ber 6t. ©affener 9^eumen?
Sluf äffe Sfäffe jeid^nen biefe fid^ burd^ forgfältige S5eftimmung beS [Rl^^tl^muS um fo
me^r aus, je toeniger fie ber SJlelobie 9fled6nung tragen, ©omit tl^ut S)ed^et)renS
gang rcd^t baran, tomn erfürfeinen3toc(fbiefo fd^ön gefd&riebenen, fo jal^Ireid^en
unb teiltoeifc fo alten ^anbfd^riftcn ber ©d^ulc öon ©t. ©äffen gu ©runbe legt.
S)ic afolgejeit toirb leieren, ob Sfleifd^er für bie ^erfteffung ber 3JleIobie fd^bnere
298 9leunted itopittl
(grfolge eraicit. Slber fd^on ®uibo Don Slregao fagt, öiettci(!6t mit einiger Übcr=
treibung, t)on ben italifd^en 9leumen, bag bie meiften „©anglel^rer unb il^re ©d^üler,
menn fte audg täglit^ l^unbert 3a^re lang fangen, ol^ne gfül^rer nid^t einmal eine
furje 5lnti^]^on lernen fönnten* (De ign. cant., init.). — Söciterl^in ift gu bemerfen,
ba% bie fränlifd^en unb italifd^en (Iongobarbif($en) 9leumen allerbingd üertoanbt,
aber bo($ aud^ grünblid^ t^erfd^ieben finb, |o bag bie S}ermutung nid^t fotoeit abliegt,
in 9lom fei ein anbered @^flem in ©ebraudg geioefen aU im übrigen Italien, unb
biefed fei bann nadg 6t. ©allen Derpflangt toorben. Sfreilid^ m>en ftd^ bann tool^I
aud^ 9leumen italifd^er ^erfunft finben, bie ben fränüfd^en näl^er ßänben. Sfleifd^er
fd^eint jebenfaEd bie ©d^toierigfeit, bie in ber (Sigentilmlid^feit ber fränfifdgen 9leumen»
fd^rift liegt, gu forgloS auf bie Seite gu fd^ieben. @r meint (II, 64), 0lomanud l^abe
ftd^ für feine IReife nadg 2)eutfd^Ianb ein $anbesent0lar bed gregorianifd^en ©efangeS
in einer ftor! oerfürgtcn Xonfd^rift angefertigt ; benn er l^abc fld^ auf fein ©ebädjtnis
t)erlaffen bürfen. @ine fold^e S^erfürgung [teilen bie 9leumen t)on @t. ©allen ^öd^ftenä
in gtoei fünften bar: in ber SSerfaumung ber 3ReIobiebegeid^nung unb teiltoeife in
ber ^leinl^eit ber S^id^^n* allein toenn ed glaublid^ fd^eint, baB t)on 9lom nur ein
eingigeS, fo t)er!ürgted @£emplar inS Sfranfenlanb !am, auS bem bann alle ^ntipl^onare
nörblid^ Don ben ^I^en abgefd^rieben tt)orben, fo lägt fid^ bod^ faum glauben, bag
toeber IRomanuS nod^ $etrud nod^ ein anberer ber ind f^ranfenlanb gefommenen
Sänger ed ti)ieber umfd^rieb, ba bod^ bad SJebürfnid eined möglid^ft DoHfommenen
unb leidet lesbaren ^e^ted für bie beutfd^en Sd^üler fel^r grog fein mugte. $at aber
IRomanud bie römifd^e S^onfdgrift nad^ St. ©allen gebrad^t ober bort toieberl^ergefteEt,
fo mug tool^I bie fogen. franfifd^e gform bie ed^t römifdge fein. Übrigend ftettt ftd^
t^Ieifd^er bie Umfe^ung einer ^onfd^rift in eine fo üerfd^iebene unb eine rl^^tl^mifd^
fo t)iel t)oHftönbigere gar fo leidet üor. S^effer mürbe er bie toeitere ^^i^otl^efe
l^ingufügen, bag bie Dorliegenbe St. ©aKener ^onfdgrift ftd^ burd^ allmäl^tid^e
SBeranberungcn in St. ©allen felbft l^erauSgebilbet l^abc. SBon einer frül&ern 5lrt
ber SReumenfd^rift toeig inbe« Sd^ubinger „S)ic Sdngcrfdjule St. ©atteng" nid^t« gu
berid^ten ; Dielmel^r toeift bei i^m alles barauf l^in, bag ber urf|)rünglid^e SJlelobiete^t
aud^ rüdtftd^tlid^ ber Sd^rift unt)erönbert erl^alten blieb. S}on 9lomanud felbft
rührten ja aud^ bie gugefe^ten S3ud^ftaben l^er, meldte bie S3eftimmung l^atten, ben
S}ortrag genauer gu regeln, unb toeld^e eine (Sigentümlid^feit ber aud feiner Sd^ule
l^eroorgegangcnen ^anbfd^riftcn bilben. (&d ift ja möglid^, bafe unö toeitere Jlad^
rid^ten nur gufäffig abgelten; aber bamit laftt fld^ in fold^en trogen nid^tg onfongen.
erfel^arb IV. (t 1036) ht^aupttt jebenfall«, bafe boö eigenpnbig gefd^riebene Sinti«
^l^onar bed IRomanud nod^ in St. ©allen üorl^anben fei unb in gtoeifell^aften
Sfällen gu IRatc gegogen toerbc. 3)ie l entere a3emer!ung l^at ol^ne Stoeifel
großes ©etoid^t, toenn aud& ba8 3llter ber C>onbfd^rift mit ©runb begtoeifelt toirb
(Pertz, Mon. Germ. II, 103).
390. Über bie SBefd^affenl^eit ber neumierten ^anbfd^riften giebt ^t^et)^
reng folgcnbermafeen 9led^cnfd^aft. ©ntfpred^enb bem Ergebnis au8 bem Stubium
ber Sd&riftftctter, ift bie Sfleumation ber SBüd^er auS ber crften Seit, nämlid^ au« bem
9. unb 10. Sal^rl^unbert, rürffid^tlid^ beS IRl^^tl^muS, am öollf ommenften ; feit bicfer
Seit öerliercn fid^ mel^r unb mel^r bie cigcntlid& r^t^mifd^en Seid^en, bis gegen @nbe
beS 15. 3a^r]^unbert« nur nod^ bie fa^le S&egcid&nung ber S^onl^ö^e burd^ ßinien mit
rl^^tl^mifd^ inbifferentcn Seid^en übrig bleibt. St. ©aßen ftanb überall, bi« nad^
englonb unb bis nad& tHom ^in, im pd^ften 3lnfe]^en. Tlan toa^rte bort faft eifer»
füd^tig bie alte ©eftalt ber ©l^orbüd^er, fo bafe man nid^t nur baS bequeme ßinien«
f^ftem öerfd^mäl^tc, fonbern aud^ bem mel^rftimmigen ©efange bel^arrlid^ ben 3ugang
2)ic ßit^cntnufif. 299
öerfd^Io^. Äctitc ^anb^rift mit bcm gutboniyd^cn Öinienf^ftcm flnbct fid^ in @t. ©ottert
öor, btc öor bem 16. Sal^rl^unbert gcfd^ticbcn »ärc unb fid^ nxä^t burtj i^tcn gangen
(^l^aralter al§ anber^ttool^er ftammenb lunbgdbe. S3ig gum (Snbe bed 18. Sal^r»
IftunbcrtS bebientc man fid^ nod^ ber IReumcnfiguren, toclt^c in ben gcbrudftcn SBüd^crn
langft t)erfd^tt)unben toaten. @S ift fogat nod^ ein psalterium novissimum mo-
nasticum mit 9leumenfd^rift üorl^anben, baS big gut ^uf^ebung ber ^btei im ©ebraud^
toar. S^rojbem Ilagt nid^t nur in 9leid^enau 5lbt S3emo ft^on im 11. 3o^r5unbert
über ^erfdumung bes fR^^t^muS, ber bo($ in ben alten S3üd^ern begeid^net fei,
fonbern in ©t. ©allen fclbft bezeugen bic ^anbfd^riftcn ben otterbings langsamen,
aber immer »euer um jtd^ greif enben Söerfatt. 3m (9.,) 10. unb felbft im 11. Sol^r«
l^unbert ift bie 9}ottftänbig!eit unb Übereinflimmung ber S^fnmenfd^rift betounbernö»
toert. Wit bie gal^Ireid^en ^anuflripte finb in ber fjorm beiS ülomanug, toenn aud^
einige ol^ne bie fogen. 9%omanu3=S^ud§ftaben gefd^rieben. S)ie rl^^tl^mifd^en S^it^^n
ftnben fid^ l^ier in fel^r großer Qal^I. S)ed§eöreng mod^t an bicfer ©teile (©. 227 f.
bc8 jtoeitcn Sanbeö) bic guten alten C)anbf d^riften , über ein S)u^enb, nambaft unb
üertoeift gur S}eranfd^auUd§ung beg attmäl^Ud^en S^erfaUd auf bie p^otot^pifd^en
S^abellen. S)ie JBefd^affcnl^eit ber ©anbfd^riften beftdtigt alfo burd^auä bag 3euöni^
ber S^l^coretiler beS ^Dlittelalterö bejüglid^ beä 9l]^t)t]^mu8 unb feineg SJerfatteg. SBeibe
Sufammen n)eifen bem 9leumenforfd§er bm ^eg, totlä^m er ein^ufd^logen l^at, um
baS ©el^eimnid ber alten ^onfd^rift gu entfd^Ieiern.
S)ed^et)renS läftt alfo bie itolifd^e (ober longobarbifd^c), bic :proöen9aUfd^e unb
fponifd^e Sfieumenfd^rift gonj beifeite unb öertieft fid§ in bie fränfifd^e. Ob bieg
ber beffere 2öeg fei, mu§ bie 3«f"ttft cnbgüttig entfd^eiben. ©enug, an gutem
Material fel^It ed il^m nid^t, um im günftigen f^atte ben ^^l^oratrl^^tl^mu^ beg 9. unb
10. 3a]^r]^unbertS »ieber aufaufinben. 3m Söorüberge^en fei baran erinnert, baft
biefeS Siü auf ]^iftorifd^»tt)iffcnfd^aftIid^cm ©ebiete liegt, baft bic gonge Sfragc laum
eine ober öielmel^r gor feine unmittelbar :praftifd^e SBebeutung l^at , unb bafe feineö«
fattS eine minber fird^lid^e S^enbenj fid^ babinter Verbirgt. OJtan fotttc bod^ immer
tool^I unterfd^eiben jtoifd^cn gefd^id^tltd^en Unter fud^ungen , jjraftifd^en 5lbfid^ten unb
unlird^Ud^er ©efinnung.
Söir böben nun bie brei^igSöleffen in S)ed^eörengfd^er Übcrfe^ung t)or unS,
Suerft in genouefter SBicbergobc ber über bem liturgifd^en %tih ftcl^enben Sfieumen«
fd^rift, fobann in leidster Slccommobation an ben mobernen ©efd^marf , loobci benn
aud^ ber latente l^ol^ere S^l^^tl^mud in ^bfd^nitten unb Sä|en burd^ bie neuern
SöortrogSgeid^en mitbejeid^net ift. SBeld^e S^ebcutung !ommt bicfer Söeröffentlid^ung
gu? ©ed^eörcnö l^offt, bo§ man biefeg OJtaterial olö genügenb cr!ennen tocrbe, um
bic S)urd^fübrborfcit feiner ^Dlctl^obc bargutl^un. $l^otot^:pifd^e groben finb
bem brittcn S3anbc in entfprcd^enber ^Injol^I beigegeben; ja eine Söcroffentlid^ung
ganger C^^nbfd^riften ift öorbercitet.
@g frogt fid§ nun, toeld^er Slrt bic ajlufif ift, tocld^e bie neue 3lu8lcgung gu
2^agc bringt. I^onn man fie fd^öner nennen olö ben nid^t menfurierten ©^orol?
S)icfe Sfrage gu bejol^en l^ält fd^tocr. ©otoobi bic 3t«notcn toie bic longen aJlcliS»
men, felbft auf f^irad^lid^ unbetonten ©ilbcn, finb faum olö ©d&önl^citen gu cmpfinbcn;
äl^nlid&cö toirb man geneigt fein über ben 3:aft ober öiclmel^r über bog Söcrl^ältnig
ber 3:a!ticrung gum %ttt gu fogen. 2öie loeit toir bei fold^cn Urteilen t)on bcm
neuern 3Jlufif gefd^marf , Don ber ©ctool^nl^cit ober ber tl^atfäd^lid^cn 5luffaffung bc§
ei^orolg in S)cutfd^lonb , beeinflußt loerbcn, Idfet ftd^ fd^toer fogen. 3luf olle gfdlle
muffen toir un8, um un8 mit biefen SJlcffcn ouSguföl^nen , im ©cifte einen itolie=
nifd^en ©oliften öorftetten, ber mit größter ©cfd^meibigfcit bc8 Organ« eine ünblid^
300 fflmnm Äa^itel.
fromme Suft an f:^ielenbem ©efong, jebod^ ol^ne alle o^ernl^afte (l^ttellett, üerbtnbet.
äßir muffen fobann t)oraugfeten , bag bad 9. ober 10. ^al^rl^unbert nid^t qani fo,
mie bad 19. ^al^rl^unbert, badete unb fül^Ite, bag jene 3^^^ bie !Dlanier l^atte, bte
SJlelobie anmutig ^u üerfd^nDrteln unb fid^ in SJleliSmen gu ergeben, gerabe fo toie
bie ^enfuralmuft! beS 17. ^a^rl^unbertd tl^re Ofreube am Hongertieren t)teler @ttmmen
unb an enblofen SOßteberl^olungen ^atte, unb aud^ unfere 3cit nid^t o^ne ä^nlid^e
Sieb^abereten ift. Übrigen^ ))erbient S3ead§tung, bag bie toeit einfad^em SDlelobien
ber $^mnen unb ©equengen für unfern ©efd^madC nid^td ^uffaQenbed l^aben. SHele
^oben ftnben fid^ fd^on im erften SSanb ber £tades masicales.
allein muffen n)ir benn nottvenbig ben äftlftetifd^en @tanb|)unlt an eine
SJlufil anlegen, bie aud einer ganj anbem mufifalifd^en SBelt und )um erftenmal
entgegentritt, unb bie^S gtoar auf bem $a:^ier? @d genügt t)or ber C>anb, toenn toir
bie üorliegenbe ^uftt aU fingbar unb nid^t fd^Ied^tl^in untoürbig anerlennen bürfen
— fingbar für gefd^ulte (S^öre bejto. tüd^tige ©olofänger — , nid^t untoürbig, toenn
tt)ir und in bie ©efangSart ber romanifd^en S$ölfer l^ineinbenfen. äBeber unfere ge=
n)ö]^nlid^en , oft bürftig eingeübten ^ird§end§5re nodg unfere beutfd^e S$orIiebe für
einen ganj getragenen llird^engefang bürfen ben allein entfd^eibenben ^agftab ah'
geben. 6ö l^anbelt fid^, furj gefogt, öorlaufig um eine ^iftorif d^e, nid^t eine öfll^etifd^e
iJrage. S)ie Omamentneumen unb bie bigtoeilen enblofen aJleliSmen, aud^ auf ton=
lofen ©üben , pnb ol^nel^in eine feftfte^enbe S^l^atfad^e für jene 3citen. S)a8
9leue in ber t)on S)ed^et)ren8 gegebenen S)eutung begiel^t fid^ n)efentlid^ nur auf bie
ajlenfurierung , unb aud^ mit S^egug auf biefe lann bag SJorl^anbenfein irgenb
eines ftrengen 9^^^t^mud nad^ ben gefd^id^tüd^en 36ugniffen o^ne SöiHfür nid^t
mel^r begioeifelt toerben. S)ie8 ift aber aud& ein äpl^etifd^ loid^tige« (Ergebnis, unb
t)ie£[eid^t brandet eS aud^ nur bie Übertoinbung anerzogener S$orurteiIe, um ben l^ol^en
äBert ber im altern 6^1^oral t)orIiegenben beioeglid^en Sl^ofalmufil an^uerfennen.
$ier fei nun mit einem SOßorte ouf C>oubarbs SluSlegung öerroiefen. 2lud§
^oubarb befdgrän!t ftd^ auf ben fRl^^t^mug beS (S^l^oralS, n)ie berfelbe auS ber
fränlifd^en Sleumation ttieberl^erauftetten ift. 6r lommt ju toefentlid^ anbern
ßrgebniffen. 9flur barin ftimmt er mit S)ed6el)ren3 unb Sfleifd^cr überein, ba§ ber
Sflld^tl^muS auf gang gleid^en 3^itein]^eiten , bie er inbeS nid^t gerabe aU ^afte be=
seidenen toitt, berul^e ; toeiterl^in aber fe^t er eine gang freie SBcloegung beSfelben in
engem 5lnfd&Iuft an ben Slejt öorauS. Söol^I treffen atte brei (Jotfd^et nod& in
mand^en ©injell^eiten jufammen , fei e8 infolge ber ©oiben j- ber <Baä)t , fei eö mel^r
burd^ Sufatt; aber im ganzen gejen ^oubarb unb S)ed^eOrenS fo toeit ouSeinanber,
baft on eine ^Vermittlung nid^t ju benfen ift. S)ie SBegrünbung ber beiberfeitigen
5lu§Iegung mu^ entfd^eiben. S)ie ©d^ule ber franjöfifd&en SBenebiftiner, gegen loeld^e
fid^ ^oubarb btrelt toenbet, toirb fid^ auf ben SBibcrfprud^ ber beiben ©^fteme ftüjen,
um beibe miteinanber abjulel^nen. Sfleifd^er feinerfeitg fielet, fooiel bis je^t erfid&tlid^
ift, S)ed^el)renS nal^e; aber bie SJerfd^iebenl^eit ber italifd^en 9fleumenfd^rift geftattet
bei ben toenigen groben ganj einfad^er (nid^t mcUsmatifd^er) 3JleIobien nod& fein
gana beftimmteS Urteil, (ir nimmt einen ta!tmagigen ^l§t)t]^muS beS ^^l^oraleS an.
391. 3«t Beurteilung ber genannten ©^fteme lönnen öorläufig nur einige
fünfte l^eröorgel^oben toerben. S)ie Äriti! muft ftd^ t)or attem über bie erften
SJorauSfcJungen bei ber 9teumenforfd^ung Ilar fein. S)ie oben berül^rte Sfrage,
ob bie fränüfd^en ober t)ielme]^r bie italifd^en ^anbfd^riften sur ©runblage bienen
muffen, ift bereits öon einiger JBebeutung; auf alle fjätte mu§ eine gctoiffe a}er=
fd^iebenlieit berfelben nid^t überfeinen unb, bei Söertoertung ber alten ScwQniffC'
immer barauf gead^tet toerben, ob ber citierte ©d^riftftetter bie eine ober bie anberc
S)ic ßiriä&enmufif. 301
Sfleumenfd^rift öor fid^ l^attc. Sliid§ btcSfcttö ber Mlptn beftcl^cn SJcrf^iebcn^eitcn
bcr ©$rift, 5. SB. totrb in mand^cn ^anbfd^rtftcn ber $unlt QUd^ ifoltert, b. 1^. aU
einsigc« S^onaeid^cn einet ©übe öerloenbet, toal^renb anbete in biefem Sfattc eine fleine
ßinie auftoeijen. @elbftöetftänblid^ ift, baft man etft on ha& SSot^anbenfein eineg
ftrengen Sll^^t^mud glauben m\i% el^e man il^n auffud^t. 2)iefe Sftage lann nun nad^
bem Don S)e(^et)ten3 gefammelten ^atetial entjd^ieben toetben. ^bet auc^, n)enn
man fie bejal^t, ftcttt fi$ glcid^ eine anbete, ebenfo fd^toictige ein: toie öiel ®tunb=
toctte entl^ält bie ncumatifd^e 2^onfd^tift unb butd^ toeld^e 3cid&cn toitb jeber ber=
felbcn beftimmt? ^oubarb unb Sfleifd^ct gelten Don bet Übetgeugung ouS, bo6 bie
SÖßette bet Sfteumcnfiguten übet ben einzelnen ©üben türffid^tlid& bet 3citbauet
glcid^ feien unb bie ^auet beg cinjetnen S^oneS baöon abl^ange, ob ein 3eid&en attein
ftel^e obet gu einet ©tuppe t)on 2, 3, 4, 5 gel^öte. ^id^ts ift alsbann einfädlet als
bie (Sl^otalmelobie gu tl^^tl^mifieten.
©oubatb, um Don il^m juetft ju teben, öettoal^tt pd^ bagegen; t>a% man oom
ntobetnen %aU im (Sl^otal tebe; et öetftel^t nämlid^ untet mesure lebiglid^ einen
jufammengefe^ten %att unb nimmt füt ben ©l^otal nut ben einfad^en %ait,
ben tl^^tl^mifd^en „(Juft'' , gemäft bet alten 3luSbtuii8tt)eife , in Slnf:ptud§. S)iefet
rfSfuft" ^ot 3toat im Sufammenl^ang nid^t einen matüetten 5lccent, fonbetn nut toenn
et ein längeteS $0leIobiegUeb öon unbeftimmtem Umfang beginnt; abet man fd^Iug
bod^ hm %aU ju jebem „Srufe" mit C>f^"«Ö ""^ @enfung. S)abei fann fotool^l bie
Hebung toie bie @en!ung in mel^rete, immet gleid^e 3^5ne aufgelöft toetben, je nad^
bet 30^1 bet 3cid&cn, bie übet einet ©übe fielen. $at man biefe Stiä)tn öot fid^,
bie enttoebet einzeln obet gtu^jpiett etfd^einen, fo l^at man nut ben gtuppietten einen
fold^en SÖßett ju geben, baft fie äufammen bem einjeln ftel^enben an S)auet gleid^fommen.
§abc id^ alfo ein ein^etneg 3ßi'^en unb gleid^ batauf fünf, fo notiete id^ s J ä ~J 4 4 »
5
beibeg gufammen ftettt (nad^ ©oubatb) jtoei S^leumen, b. 1^. jtoei einfädle Statte bat.
S)ie 3cid^en etl^alten bemnad^ il^ten S)auettoett lebiglid^ öon bet ©tettung; nut ein
forte, piano, ritenuto unb äl^nlid^e Slüancen (auftet einigen melobifd^en S^e^ie^iungen)
toetben butd^ bie befonberc fjotm bet Sfid&en angebeutet, lütan !ann nun ben OH^^tl^mug,
toeld^et eigentlid^ immet gleid^attig ift, türffid^tUd^ beö ©efamttoetteg , bod^ nod^ alö
jtoei*, bteiteüig obet gemifd^t bejeid^nen, je nad^bem bie SIeumen fid^ öottoiegenb ju
3toei, ju btei obet in gemifd^tet Sfotm gtu^jipieten. Cf. Houdard, Le rythme du
chant gr^gorien, befonbetö ©. 159 — 177.
9lid^t ganj fo einfad^ ift bie 9ll§^tl^mifierung nad^ gleifd^etö OJtetl^obe. 5lud^
et fe^t bie getoöl^nlid^en Sfteumen obet 9fleumengtu:p:|3en aU etfte ©inl^eit an — als
a ftatt J, toaS abet toenig Untetfd^ieb mad^t — , oetbinbet iebod& immet jtoei gu
einem 2^a!te ; aud^ bieg öetfd^Iägt toenig, nut baft bie ^timdt^eiten immet in $aat«
jal^I öotl^anben fein muffen. SOßid^tiget ift, ba^ et bod^ aud^ butd^ bie ©d^tift be=
jeid^nete lange S^öne !ennt; biefe füllen einen ganjen S^aft. ©ie beftimmen offenbat
bie S^afteinteüung fd^on butd^ il^ten unöeränbetUd^en SBett. 3m übt igen abet
beftimmt aud^ bei Sfleifd^et bie ®tu|):pietung ben SOßett bet ©injelneume; es fönnen
alfo bis 8U fünf 3eid^en einen l^alben 2^a!t auSmad^en. fjleifd^et untetfd^eibet einen
tegelted^ten |« unb i=2^a!t i(Sf ^f a 4) , f. Sfleifd^et, SIeumenftubien II, 123 ff.
$0lan fielet, toie Sfleifd^et butd^ bie Slnnal^me utfptünglid^ langet Sei^^e« fid^ einen
bepimmten 2Beg bet Sfll^^tl^mifietung öotfd^teibt, auf totlä)tm et ju einem eigentlid^en
%aitt in unfetem ©inne, ja fofott aud^ ju atoei S^aftatten fommt. S)ennod^ bleibt
bie Einteilung eines gegebenen mufüalifd^en S^ejteS l^öd^ft einfad^, fobalb man,
toie es Sfleifd^et tl^ut , in einet getoöl^nlid^en ©equenj S^afte toie ai 4^ I J ö»' I
302 Ütcuntc« Äo^jitel.
J J J I J ^^ J. ' JT^ ^ 3"^ö6t unb ft(3& ntd^t barart ftöftt, bofe baö Jölufterncuma
eines „Xro^mä'' in einer anbem 2:ü!tart fte^t al8 bcr 3:ro<)u8 felBft (II, 123 ff.).
(£ö fragt fid^, ©oubarb gegenüber, ob Sflcifiä^er unb ©cd^cörenS mit 9led&t
SReumengciiä^en, bie einen langen 3^on fd^on burd^ i^re ©eftalt anzeigen, üoraudfc^en.
^an toirb bieS burd^aud zugeben muffen. 2)enn ©uibo t)on ^reajo fagt auSbrüdlid^,
\io!^ getoiffc Sfieumcn burd^ ein beigefügtes ©trid^lein bie S^ebeutung eine« langen
SloneS crl^alten, unb 5lribo (in Sfreifing) beftatigt c8. S)er ®ebraud& eines ©trid^IcinS
als Sängeaeid^en aufter^alb ber SJluftf finbet fid^, toie gfleifd^er (I, 62 ff.) auSfüJirt,
fd^on bei ©ried^en unb 3nbern. Sflcifd^er teilt banod^ bie 9leumen gerabcgu in jtoci
grofec Älaffen (II, 105 ff.). Sfreilid^ nötigt i^n bie 2:a!tmeffung , j. $8. oben im
öierten Spalte, bie ßänge aud^ als \ ftatt \ ju nehmen. {Jür ^oubarb bebeutet baS
©tric^Iein nur eine Slüance: sostenuto ritenuix) totale (6. 19). 5lttein bie 5llten
betonen bie ßänge als eine genau bered^nete. S)a]^er fagt aud^ {Jleifd^er (II, 117),
ba§ man ßdngen unb ßürjen „aritl^metifd^ genau gcgeneinanber abmaft". Über«
]^au|)t ift nur eine fold^e matl^ematifd&c Slonmeffung, nid^t aber bie a^ejcid^nung ber
S^üancen bes SJortragS, toie forte, piano, ritenuto in ben ©d^riftftettcm genügenb
bejeugt. S)ieS ift nun eben ber ^unft, toeld^er ©oubarb auf gana anbere Söcge
fütirt als bie beiben anbem Sforfd^er.
(£in weiterer $unft läfet aud^ biefe nid^t sufammengel^en , obtool^I eine SBer«
cinigung nid^t auSgefd^Ioffen fd^eint. fjleifd^er nimmt lange unb furjc 3:öne an (^' J);
aufterbem aber nid^t eine burd^ bie ©d^rift begeid^nete S)op:peIfüräe, fonbern eine 9lei^c
ganj furjer S^öne, toeld^e bei 9fieumengru:t):pen burd^ Stellung beS ©efamttoerteS ent»
pe^en : bie ^albc Slote löft fid^ in 2 ober brei Jßiertel, in öier ober fünf Sld^tel auf
(ä? = JJ = JJJ = 4m = iTTTl^' 9^ad& feiner S)arfteaung brandet
3 6
er ^tx \itxi italifd^en SIeumen mit ber S^eilung nid^t toeiter ju gelten, unb fo bleibt
feine SJlelobic immer nod^ fingbar. ^oubarb bagegen l^at bei ben fränf ifd^en Sleumen
einen ©runbtoert in fleben, ja ad^t Steile ju jerlegen, tooburd^ bie SJlelobie für alle
mittelmäßigen Gräfte offenbar unpngbar toirb. @r räumt baS aud^ felbft ein, ol^ne
barum an feiner 5luSlegung irre gu loerben; er fd^reibt öielme^r: „ßS ift anjuerfennen,
'ti^'^ bie Äunft beS gregorianifd^en ©l^orals im Äeim bie italifd^e Söofalmufi! in
itirer reinftcn Sform ift." S)ed^eörenS ftettt bagegen nid^t eben l^o^e 3lnforberungen
an einen geübten ©änger. S)ie Ornamentnoten freilid^ erfd^einen bei il^m in fe^r
fünftlid^er fjorm; aber er traut fid^ itiretl^alben überl^aupt feine ganj pd^ere 3luS«
legung ju, toäl^renb C>oubarb biefelben möglid&ft einfad^ beutet unb gleifd^er fie nur
fura befprid^t (II, 114 ff.) unb bloß burd^ ein 3ci<|cn bemerflid^ mad^t. 3](|r aa]^I=
reid^eS SSorfommen geben übrigens alle als fid&ere S^j^ötfad^e ju. O^ne Slocifel ftanb
es aud^ frei, bie 3ieJ^noten beim ©ingen ju übergel^en, ba ©uibo fogar öon ben
notae liquescentes fagt, baß man bieS immerl^ip leidet auS^ufü^renbe portamento
aud^ übergel^en lönne, unb 3um Überffuß beifügt, baß in äl^nlid^en fünften ein
SJlitteltoeg gloifd&en bem 3uöiel unb bem Sutoenig anjuraten fei (Disc. art. inus. c. 15.).
S)ie Sfranfen, öon benen ber OJtönd^ öon Slngouleme fagt, fie tiätten bie 3iei^oten nur
fd^toer l^eröorgebrad^t, toerben fid^ fo gel^olfen l^aben.
Slber ift nun jenes ^rinji:!) lootil fieser begrünbet: \io!^ eine 91eumengru|):pc ober
eine @in5elneume, bie xx^x\, über einer ©übe finbet, immer bie 3eit öon einem SJicrtel
ober einer falben beanfprud^e? S)amit fd^eint bod^ bie S}orfd^rift @uiboS unoer«
einbar: „S^iStoeilen l^abe eine ©Übe eine ober mehrere S^ieumen, bisweilen öcrteile fid^
eine S^eumc auf mel^rere ©ilben" (Disc. art. mus. c. 15). Unter „9leumc" toirb
getoöl^nlid^, unb gerabe an biefer ©tette, ein beftimmteS S)auermaß (baS eines S^afteS)
S)ie l^trÄcnmufil. 308
mitöcxftanben. $tcr fd^rctbt nun ©uibo öcrabcju öor, ed fottc nid^t immer jcbcr
©übe bic fcftc S)aucr einer Üteumc gegeben toerben. @ö gibt alfo ©üben mit einem
©ru^^enneuma k)on mel^reren Spalten, unb eS gibt ^alte, bie fid^ auf mel^rere
Silben (nad^ 2lribo bis ju fünf; Gerbert II, 276) Verteilen, b. 1^. auS bcr Sa^I ber
3«d^cn, bie über einer ©übe ftel^en, barf man nid^t cinfad^ auf bic S)auer
ber ^öne fd^Iiegen, mit anbern äBorten, man mug bie S^onbauer auS ber gform
bex S^id^stt unb nur nebenl^er bielleid^t auS il^rem ä^er^öItniiS gu einanber fd^Iiegen.
3n biefed S^erl^ältnig gel^ört bann getoig aud^ il^re ®ru|)pierung , aber biefe aKetn
rcid^t nid^t l^in, um bic ßänge bcr S^önc ^u meffen. S)aö 3"föwmenfd&reibcn ober
Streunen ber 3cid&en bebeutet nad^ §ucbalb unb ©uibo (Gerbert I, 118; II, 36),
ob fle gefonbert ober gebunben ^u fingen finb, aber bamit nod^ nid^t,
ob fte lange ober furje S5ne angetgen; loenn aud^ bad le^tere bamit in einigem
SufommenlÖange ftcl^t. 9lud^ melben ung bic ©d^riftftetter öon fo furjen S^önen, tt)ie
§oubarb unb Sfleifd^cr fie annel^men, nid^tä, tool^t aber, baft brei S^onloerte
burd^ bic öerfd^iebene fjform ber Sflcumcn angezeigt toerben.
Oft ift attcrbingä nur allgemein öon langen unb lurjen ©üben bic IRcbe. Slbei
Stribo fogt auö eigener Slnfd^auung , boft einige Sudler burd^ bie SBud^ftabcn c t m
eine fd&ncttc (cito) ober öcrlangfamtc (tractim) ober mittlere (mediocriter) S^onbauer
angeben, unb gtoar fprid^t er öon einem arit^imetifd^ genauen SBerl^ältniffe (1:2;
Gerbert 1. c. II, 227). 3toei f^iäterc ©d^riftftettcr , tocld^c ftd^ am engften an bic
ältere 3:rabition anfd^Iiefecn, uämlid^ SBalt^cr Obington (1. C)älfte beö 13. 3a]^r»
l^unbertö in ©nglanb) unb ^ol^ann ^otfi^ (©nbe beS 14. Sa^rl^unbertd in 5DlitteI«
italien) fejen brei ©runbtoerte für bie ©l^oralnoten an , toeld^e fie mit ber longa,
ber brevis unb ber semibrevis ber Jülenfuralmufi! ibentifiaieren. S^lun fallt aud&
Sid^t auf jtoei ©teilen ©uibog, too er neben langen unb furzen JRcumen bie voces
tremulae ertoäl^nt, öon benen er an ber einen ©teile fagt, ba6 fte burd^ ein (Strid^lein
bie bo:p:pelte ^auer erl^alten !önnen. äBie immer bog äöort tremula 5U überfe^en
ift, fo öiel muft einleud^ten, bafe bie fo benannte JReume an fid^ toeber lang nod^
Iura, fonbern mitteljeUig ift. JBeibe ©teilen finben fid^ im 3Jlufi!alifd^en Sal^rbud^
1895, ©. 55 unb 56 befprod&en; id^ Italic aud^ an bcr bort öorgcfd^lagenen Über»
fc^ung (bie allerbingS nebenfäd^lid^ ift) feft : tremula = dubia, anceps, b. 1^. fd^toan«
Icnb, mittclaeitig. S)ag SÖßort fd^eint nur nod& einmal öoräufommcn, bort, too ^ucbalb
fagt, baft bie ^Icumenjeid^en crfcnnen laffen, toclc^e S^öne lang unb too eine vox
tremula fei {Gerbert 1. c. I, 118).
9laturgema6 toirb unter ben Sfleumcngeid^cn bie fürjefte S)auer burd^ einen
^Punft beaeid^net toerben. S)ie ailenfuralmufif öcrtoenbcte ben $un!t fotool^l für bic
brevis toie für bic semibrevis, für biefe in ettoaö anberer ©cftalt. 3n italifd^en
unb einigen fränfifd^en 9lcumenbüd^cm fd^eint auf öl^nlid^c SOßeife ber ^unft fotool^l
ftatt bed ©rat)i§ (3eid§en beg abfteigenben ^oncS) ald aud^ jur S3cseid^nung eincd
fürgern %omi gebraud^t au feiri; baä ftimmt a" ^^^ ©efd^id^tc biefer S^i(i)tn
(Sflcif d^er a. a. £). I, 87; II, 31 u. f. to.). (&i giebt aud§ frönfifd^e 91cumcnbüd&er,
in toeld^cn ber ^unft nie allein auf einer ©ilbc erfd^cint, toad tool^l auf ben auS=
fd^licfelid^en ©cbraud^ inx Söcaeid^nung bcr semibrevis l^intocift. 3n bcr S^^at Icfcn toir
bei ^ucbalb, ba% „^unttt" unb „©trid^lcin" alä 3ciö&en JvLX^tx" unb „langer S^öne"
bienen, fobalb man aufter bcr SJlclobie aud^ ben Sll^^tl^mug notieren toill {Coussemaker,
Script. II, 75), unb nad^ ©uibo ift ber $un!t neben bcr gctoöl^nlid^cn 9lcumc ein
3eid&cn für ben nod^flingcnbcn furaen 3^on bcr vox liquescens {Gerbert 1. c. II, 17).
392. S)ic Slnnal^mc biefer brei ©runbtoerte beaeid^nct nun bem P. S)c«
d^cörcnd bie 9^id^tung, tocld^c bie 9lcumcnbeutung cinaufd^lagen l^abc. 9leuc gfragen
304
92eunted Kapitel.
Don teilioeife etnf($neibenber SSebeutung erl^eben ftd^ allerbingd aud^ bann nod^,
namentlich btefe, lote su Oerfol^ren fei, toenn bie HBeseid^nung ber Sönge Oerfäumt toitb.
S)enn bie 9lomanudbud^ftaben loetben auä) in mand^en franlifd^en ^anbfd^riften gang
toeggelaff en , unb rüdftd^tlid^ beS Strid^Ieinö f($eint ha^ ©uibo ebenfalls angubeuten,
ba nac§ il^m gut HBegeid^nung ber Sänge „gutoeilen" bad ©trid^Iein beigefe^t toirb
(longum tenorem aliquotiens litterae virgola plana opposita significat). 2)a]^er
gilt aud^ bei ^e^eOrend nid^t jebed 3ci<^^n überall gleid^; er giebt barüber
genauere fRed^enfd^aft im gioeiten SBanbe ber Etudes @. 380 ff.; be(SgIeid§en über
bie 6e^ung t)on ^aufegeid^en, toeld^e in ben 9leumenbüd§ern fel^Ien. 2)od^ e§ toürbe
ung SU loeit fül^ren unb nu^Iod fein, toollten toir nod§ Weitere ©runblinien gu giel^en
Oerfud^en, auf benen fid^ bie 92eumenbeutung ju belegen ^abe. 2)ie üritil mug erft
bie obigen Sfragen erlebigen. S)aö fe^t aber, toie nun tool^I flar genug fein bürfte,
bie genaue fte Erörterung ber üon !om:t)etenten S^l^eoretilern beS
SD^ittelalterd gegebenen äBinfe aliS unerlaglid^e S3ebingung OorauS.
S)ie Sflefultate ber oorliegenben SIeumenlefung betoeifen ja beutlid^, bafe bie Üteumen,
für fid^ allein betrad^tet, gang oerfd^iebene ^uSlegungSf^fteme ermbglid^en, unb be=
toeifen bie bringenbe SRottoenbigfeit, atte anbern gu ©ebote fte^enben ÜJlittel forgfältig
gu benü^en. Of^eifd^er ^at bal^er aud^ gur ©eloinnung einer objeltioen ©runblage
ben mül^feligen äBeg burd^ bie Urgefd^id^te ber S^^^^^r 2)ed§et)reng burd^ bie ©efd^idgte
beS Sfll^^tömuS genommen, unb felbft ^oubarb, ber toie feiner betont, bie S^id^en
müßten felber f:pred&en, fud^t fid^ bod^ mit ben 3e«gniffen ber bitten abgufinben.
©eine abtoeid^cnbe SluSlegung berfelben barf nid^t überfeinen toerben.
'©d^einbar giebt bit S)iöergcng ber ©^ftemc toenig SluSfid^t auf Erfolg; in ber
S^l^at aber ift nid^tS ber SDÖal^rJieit bienlid^er, aU baft brei unabl^ängige gforfd^er, oon
benen feiner ben anbern oud^ nur crtoälfint, gleid^ bie ÜJlöglid^feiten ber 5lu8legung
«
fogufagen erfd^opfen. $0lan fann nun, toenn man toirflid^ atte brei prt unb aud§
bie ©egengrünbe ber ©d^ulc oon ©oleSmeS in il^rem l^iftorifd^en SOßerte :prüft, t)er=
l^ättniSmäfeig fidler urteilen. @ä mögen nur atte ßritifer umfld^tig gu Söerfe gelten
unb greifbare S^ctoeiSmomente, nid^t ^jerfönlid^e löicbl^abereien gelten laffen unb fclbfi
geltenb mad^en. S)er ©d^reiber biefer Seiten ftettt fid^ nad^ Prüfung beg biä jc^t
Oorliegenben ajlateriaB auf bie ©eite S)ednet)ren8'.
2Bir geben nod^ tin paar ^Proben, tote biefer ©elel^rte ben altern Etioral l&erftettt,
gtoci mit ben S^leumen über ben 9^oten. 1. Slribo giebt al8 SJlufter einer „tool^^
beforgten", „metrifd^en" aJlelobie bie Slntipl^on gum SJlagnificat ber erften SJefper be§
^fingftfonntageä, bie nod^ giemlid^ unoeränbert im offigietten SJefperale fte^t unb in il^rcr
f^mmetrifd^en ©lieberung nad^ je gtoei 3:aften nod^ immer beutlid^ empfunben toirb:
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I. Non vos re-lin-quam or - pha - nos; AI - le - lu - ia;
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II. Va - do et ve - ni - ad vos ; al - le - lu - ia ;
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III. Et gau - de - bit cor ve - strum ; al - le - lu - ia.
S)ie Kird^enmuftf.
305
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®iettnann, ftftl^etif. 3. 2:eil.
20
306
9leunted Kapitel.
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S5cmerfcndtt)crt ift, baft bie oricntalifd^en [Riten ebcnfattiJ einen menfurierten
iRl^^tl^mu« auftoeifen. SQßir »otten l^ier nur furj auf bie löiturgie ber grie^ifd^cn
Kird^e t)ertDeifen. 6(^lQgen toir ettoa 6te:p]^anojS Sampobariod' lße^rbu(!§ bed grie»
$ifd&en Äird^engefangeg auf (in jtoeiter Sluflage erfd^ienen gu Äonftantinopel 1890),
fo ftnben toir ba, bag aud^ bei ben unmetrifd^en Kird^engefangen an einen taftfreien
Sl^ortrag gar nid^t gebadet tt)irb. 2)ad l!a)}itel „Über S^it unb S^itbetoegung", b. 1^.
2^aft unb %tmpo (©. 24 ff.), giebt bie genaueften SBorfd^riften über 3!onmeffung.
(£8 fd^Iiefet mit ber Sfrage, ob man überl^aupt ol^ne S^iteinl^eit fingen fönnc. S)ie
^nttoort lautet: „^urd^aud nid^t, n)eil aUed, toag gur ^uftf geprt, unb jebe 9Jle<
lobie anerfanntermagen ftd^ in ber S^it betoegt ; unb ba nid^td o^ne 3eitma^ beftel^t,
fo ift bieö bie @eele ber SJlufif." S)iefe Seit ober Seitmeffung toirb aber befinicrt
als „5lbmeffung ber Söetoegung beö S^ctoegten, b. 1^. 9Jla6 ber tool^Igeorbneten S5e«
megung eines KbrperS nad§ C>cbung unb @enfung." ©enauer lägt ftd^ ber %att nid^t
befd^reiben. 2)aS ^aftfd^lagen aber ift nad^ Step^anoS ,,bie georbnete C^ebung unb
@en!ung ber ^anh, toeld^e babei bas Knie fd^Iägt; bie ^zxt, toeld^e man braud^t für
bie erfte Senlung ober ben IRieberfd^Iag ber $anb bis gur ooHenbeten ^rl^ebung,
too ftc bie ätoeite ©enfung beginnt, l^eifet eine Seiteinl^eit". S)iefe pd^ft einfädle
^anbbeioegung bebeutet jebod^ nid^t einen ebenfo einfad^en 9^l^^t]()muS, ettoa ben ein>
S)ie Äird^cnmufiL 307
förmigen i'%att, öicltncl^r toerbcn an einem anbern Orte (@. 18 ff.) mit ben 3«(ä§cn
für bie ^onmeffung fe^t t)etf(!§iebene Kaltformen erllört. ^i$t nur lönnen C>ebung
unb @en!ung toieber geteilt werben, fonbern aud^ t)on ungletd^em Söerte fein. @d
gtcBt einen gtoei«, brei«, öier« unb fogar einen fünfteiligen %att; bcr le^te lann in
brct, öier ober fünf Sloten bargeftcttt toerben. Öfter toirb ein 3^on aud^ mel^rere
Spalte angel^alten. ^id^t minber genau werben bie Raufen unb bad. Keutpo ber
gangen 9JleIobie gemeffen.
2)er gried^ifd§e Ihrd^engefang toeift burd^ feine @igenartig!eit auf eine ältere
Überlieferung ^urüd^. S)er Kaltrl^^t^mud beSfelBen Derbient alfo S3erüdCft(^tigung bei
bcr fjrage, ob ber gregorianifd^e (Sl^oral einmal menfuriert toar. Ol^ne S^cifel liegt
ja nid^t nur ber ftärifte, fonbern nal^e^u ber einzige ©runb für bie ^nnal^me eines
freien ^tl^^tl^muS in ber Krabition bed ^benblanbed. S)iefe mug aber an S^etoeiS»
traft cr^eblid^ öcrlieren, toenn il^r bie S^rabition beg ÜJlorgenlanbes tt)iberfprid§t.
@o toirb nämlid^ bie taftfreie SDdufif be« cantus planus nod^ mel^r ifotiert, al8 fie
eS fdgon ift, unb man fann mit immer toad^fenbem fRed^te fagen, bag in aller SS^elt
fein auSgebilbete« aJluflff^ftem su finben fei, baS nid§t ein einl^eitlid^eg Scitmaft ald
©runbgefe^ anerfennt. gfreie fRecitatiüe u. bgl. bilben nur bie ^udnal^me üon ber
Siegel. S)ann mad^t fid§ aber aud^ bie öon öielen betonte äftl^etifd^e (Jorberung
toiebcr entfd^iebener geltenb, baft bie aJlufi! al8 fd^öne Äunft auf jene ©efe^mä^tßfcit
in ber 3s^tteilung nod^ toeniger üerjid^ten fönne als bie $oefte auf bad SJletrum,
toeld^eS in biefer l^unft bie IRegel bilbet. „S)er S^aftr^^tl^muS", fagt ber SantpabarioS,
„ift bie ©cele ber SJlufif.'' S)er jejt im gregorianif d^en ©efange geltenbc freie
Sll^^tl^muö l^at in ber S^l^at nid^t barin feine SBebeutung, bafe er frei, b. 1^. ungcbunben
ift, fonbern barin, ba6 er bem ftrengen S^aftrl^^tl^muS einigermaften na^efommt.
SHegellofigfeit öerringert ben SBert eine« Äunfttoerf eS , ©efe^ma^igfeit er^öl^t il^n,
öorauSgefe^t, baft jene toirflid^ Unfid^erl^eit erzeugt unb bicfe ©intönigfeit ober 3luf«
bringlid^feit öermeibet. 9lun ift aber bie fjrei^eit beä (Sl^oralrl^^tl^muS berart, bafe
ber SJortrag beSfelben ettoaS unfid^er l^in unb l^er fd^toanft, toeSl^alb nid^t nur bie
einzelnen, toenn aud^ nod^ fo tüd^tigen ©änger, fonbern fogar bie aufgeftellten ©^fteme
beä rl^^tl^mifd^en JBortrageS erl^eblid^ öoneinanber abtoeid^en. S)a8 fd^eint einer fonft
öon fo ftrengen ©efejen geregelten Äunft nur Eintrag p tl^un. 5lnbererfcit8 betoeift
bie ©efd^id^te, baft man in anbern aJlufifft)ftemen ftetö auf ftrenge 3citglieberung
als ein toefentlid^eS Clement öollfommener ©d^önl^eit gel^alten l^at. @omit fann es
nien;anben öertoclfirt fein, ben 9^ad^toeis eines ftrengern Sfll^^tl^muS für ben urf^jrüng«
lid^en 6)l^oralgefang gu toünfd^en unb ju erftreben. Ob ber DoUe 9lad§toeiS gelingt,
toirb bie 3eit leieren.
$0lit ©tep^anoS bem Sampabar ftimmt 2:i^eoboroS ^^ofaeuS in feinem äl^n«
lid^en ^anbbud^ beS l^ird^engefangeS öoUfommen überein. 92ad^ il)m ift bie 3sitein]^eit
„eine 2lbmeffung ber Setoegung beS SBetoegtcn", „ein tool^lgeorbnetes 9Jla§ ber SJe«
toegung eines Äor^jerS nad^ ^thnn^ unb ©enfung".
3ur Söeftätigung bes ftrengen Sfl^^tl^muS im gried§ifd^en l^ird^engefange wollen
toir nod^ eine ©teile auS einer gried^ifd^en aJlufifgefd^id^te (beS ?PapabopuloS , er«
fd^ienen gu Sitten 1890) überfe^en, toeil auS bcrfelben awö^^id^ ^eröorgel|t, baft bie
©d^reib» unb SluSbrudfStoeifc ber Orientalen bejüglid^ beS Sll^^tl^muS öon ber unfrigcn
öcrfd^ieben ift. Unfere 3:aflftrid^e fennen fie nid^t unb bebiencn ftd^ gur 3ettmejfung
beim Söortrage nur bcs einförmigen 2luf= unb S^lieberfd^lageS ber ^anb; enblid^ be»
l^anbeln fie ben [Rl^^tl^muS übcrl^au:pt ettoaS freier. 3n einer SJergleid^ung ber „curo«
Wifd^en'' mit ber (gried^ifd&=) „fird^lid^en" 9Jlujtf fagt alfo «Pa|)abo^ulo8 (@. 502 ff.) :
vS)ie 3cit, b. 1^. bie rft^t^mifd^e 3eitorbnung ber 3Jlelobte, toirb in ber fird^lid^en
20*
808 9leunteS ^a^itel.
SDilufl! [nur] burd^ bcn Slicbcxfd^Iag bcr $anb öemcffcn, mit anbertt SÖßortcn: Unfcrc
ÜJtufi! ^at in i^ren Gefangen leinen genau beaeid^neten Sll^^tl^mud, erfe^t jebod^ ben
|(!§einbaxen , aber ni$t aud^ t^atfäd^Itd^en Sllangel beS [R^^t^mud burd^ bie lange
unb furije S^itf bie )u Anfang eineiS jeben ®efanged angegeben ober t)oraudgefett
toirb. 3n ber euro^äifd^en ^ufll bagegen mirb bie 3sit mit groger ©enauiglett
bejeid^net, inbem bort bie SDlelobie in 2^a!te ^txU^t koirb, bie balb gerabe, Mb
ungerabe finb. Slbcr bie 3eit ift in ben fird^Iid^cn ©efängen toirflid^ mitentl^alten,
toeiSl^alb bie Iird§Iid^e SJlufil aud ftd^ felbft nid^t nur bie 3^^^ unb ben 9l^^tl^mud
gu regeln, fonbem aud^ beibe mit toiffenfd^aftlid^er ®enauigleit, ol^ne bie geringfte
änberung ber Gelobte, gu begeid^nen im fianbe ift/ %U loeitere Erläuterung biene
folgenbe ©teile bed gleid^en üBud^eö (6. 169) : „2)ie muftfalifd^en 3eid^en beuten eine
ober mel^rere 3citcin]§eitcn an. 3)ie 3citcin]^eit, toeld^e bie @eele ber STlelobie ift,
toirb gemeffen burd§ ^uf» unb Slteberfd^Iag ber $anb. Sßöl^renb beS ©efanged fd^Iägt
ber Huftier ben ^alt. fBon bem einen bid gum anbem 9lieberfd^lag t)erf[ie§t eine
3citein]^eit. ©oöiel 3eitein§eiten , foöiel ©d^Idge. 3ft eine 3^^cin]fieit auf jtoei
^lotengeid^en gu berteilen, fo fe^t man über baS gtoeite nod^ baS S^i^^n ber S3e»
fd^Ieunigung u. f. to. 3ft eine löngere 3)e]^nung nötig, toerben [ebenfalls] bie S)auer«
geid^en, U)eld§e bie erforberlid^e 2)e^nung angeben, barüber ober baneben gef daneben/
$a:pabo|)ulod fe^t Doraud, bog bie 3si4sn für ^onl^öl^e unb S^onbauer k)on iel^er
nebeneinanber l^ergingen; ton ber ©infül^rung eine« neuen SWenfuralf^ftemeö in bie
gried^ifd^e Äird^enmufif toeift er nid^t«.
S)ie für eine ftrenge ^onmeffung in einer entlegenen 3eit beigebrad^ten 2ßa]^r=
fd^cinlid^Ieitögrünbe beanf:prud^en nid^t unmittelbar eine :praftifdSc, fonbem gu»
näd^ft eine tl^eoretifd^e löebeutung. gfreilid^ ift ja bie ÄenntniS bcg öltern ©l^oralg
nid^t o^nc otten Sößert für bie ^Beurteilung be8 Don berlürd^e borgefd^riebcnen ; benn
biefer bedt ftd^ bod^ im großen unb gangen mit bem altfird^Iid^en. ^ber ba« ift ja
felbftberftänblid^, ba§ man leine S^aftmeffung in unfern ß^l^oralgefang einfül^rcn !ann,
unb bofe, toenn biefelbe el^ebem in Übung getoefen fein fottte, ber SSiegfott berfelbcn
bog Söefen ber gregorianifd^en ÜJlelobien nod^ nid^t geänbert l^at. aJlelobic unb
Sll^^tl^mug finb gtoar nal^e berbunben, ober eine gegebene Jülelobic lann in üerfd^ie»
benem [Rl^^tlfimuö , befonberä in gebunbenem unb freiem SR^^t^mu«, Vorgetragen
toerben.
393. aJlan fragt untoitt!ürlid§, toann unb toie ber S^oral bie ftrenge Slonmeffung
verloren l^abe. Über bie 3cit finb oben 9lr. 387 ff. bie gu ©ebote ftel^enben 3cw9ttiffe
Vorgelegt, über bie Slrt unb SOßeife aber mog l^ier ein üareS 3fwsniö beigebrad^t
toerben. S3ei ©ouffemafer (Script. II, 75) fielet in ben Sfragmenten ber fogen.
^ucbalbfd^en Musica enchiriadis begüglid^ ber ©d^reibtoeife eines mit :|3rimitit)cr
^Begleitung Verfel^enen ©l^oralftücfeS bie intereffante SBemer!ung: Sane pnnctos ac
virgulas ad distinctionem ponimus sonorum brevium ac longorum, quamvis huius
generis melos tarn grave esse oporteat tamqae morosum, ut rhythmica ratio vix
in eo servari queat. — „SDÖir fc^en atterbingö fünfte unb ©trid^Iein gur Unter«
fd^eibung bcr lurgen unb ber langen S^ioten (%bnt) bei; aber ein ©efang biefer 5lrt
mufe fo toürbeöott (fd^toer) unb fo langfam (gbgernb) Oorgetrogen toerben, bafe ein
rl^^tl^mifd^ed ä^erl^ältniS barin laum eingel^alten toerben fann."
$ier toirb gefogt, bafe im 10. ober im Slnfang be« 11. Sa^rl^unbertö bie ßürge
ober Sänge bcr 3:öne burd^ fünfte unb ©trid^Icin aud^ in bcr 9lotenfd^rift begeid^nct
tourbe. ©obann fid%t eg, baft bieä beinal^e gtocdflog fei im Organum, b. 1^. in jener
älteftcn, einfad^ftcn C>öif»ioniftcrung, toeil bie langfome SBctoegung berfelbcn bie 6in-
l^altung bcr rl^^tl^mifd^cn SBcr^ältniffe faum gcftattc. S)ie IRJi^tl^mif jencg altem
2)ie Utrd^enmuftl. 309
^f^ßxaU alfo, bte auf bei Unterfd^eibung einer tetfd^iebenen, genau getneffenen ^on^
bauet beruhte, tourbe burd^ bie (l^tnfü^Tung ber Harmonie gefäl^rbet.
9Uit ber @tnl^altung ber S^i^^^tl^^Itniffe fiel benn aud^ bie HBegeit^nung ber-
felben. SOßie gefagt, ftnben fid^ in alten ^anbfd^riften ben ^lotengeid^en anä) mand^erlei
SBudgftaben beigefd^rieben , toeld^e teiltoeife 2)auerseid^en toaren. S)iefe „Slomanud*
bud^ftaben" felftlen in f:pätem ^onbfd^riften ; fd^on ein ©d^riftftetter beä 11. 3a]&r-
l^unberlS flagt barüber unb fügt bei, bag bie ^unft, nad^ rid^tigen S^erl^altniffen su
fd^reiben unb su fingen, geraume 3cit auSgeftorben, ja begroben fei.
^ber mit ben 2)auer3eid^en lamen nod^ t)iele anbere S^ortragdgeid^en in SBeg«
fatt, bie grofeentcilä r^^tl^mifd&er Slotur toaren unb l^ier Söerüdffid^tigung öerbienen.
9Jlan ift ja barüber einig, ba^ einzelne ^eumen nid^ti^ aU eine beftimmte ©ingtoeife
bebeuteten, bie in ber f^ätern 9lotenfd^rift nid^t mel^r auSgebrüdCt tourbe. 3n biefer
SJorauSfe^ung erllärt ftd^ erft bie augerorbentlid^e ^annigfaltigleit ber toefentUd^
ibentifd^en S^id^en, toeld^e leineStoegS auf Sd^reiberlaune berufen, fonbern ftd^ bei
2Bieber](|olung eines SD^ufilftüifed in berfelben ^anbfd^rift, ja in terfd^iebenen ^anb»
fd^riften treulid^ mieberl^olen. Slud^ bad 9lätfel mand^er fRomanuSbud^ftaben toürbe fid^
toof)l auflöfen, toenn toir über bie SSortragStoeifen ber ^Iten genauer unterrid^tet n)ären.
®uibo öon Slrejäo f:prid^t üom 3crf(ie6en ober Sriüffigtoerben ber 3:öne unb
bel^au^tet, ba^ bieS in guten S^üd§em burd^ einen $un!t begeid^net toerbe. S}on biefer
Srfd^einung rebet n)o]^I aud^ S^eba ber @]^rtt)ürbtge , loenn er fagt, eine ^udfprad^e
toie interefectae ftatt interfectae l^öre mon „oft bon fel^r guten @ängem" in ber
^ird^e. ^ad^ ®uibo3 S3erid^t mürbe ferner gur SBegeid^nung beg ^ad^brudts l^aufig
ein Slccent über bie Ütote gefti^ricben. S)erfelbe ©d^riftftetter mad&t nod^ mel^rerc
anbere ßinaetl^eiten naml^aft, tooburd^ ber rid^tige SBortrag aud^ in ber ©d^rift be*
geid^net mixht, @oId^e S^ortragSgeid^en gingen f:päter Derloren, tooxan toal^rfd^einlid^
baS Sluffommen ber Harmonie groftenteils fd^ulb loar. Se^t loar nämlid^ bie Stuf«
merifamleit, ftatt auf bie fleinen rl|^tl|mifd^en ©igentümlid^feiten ber SJlelobic, me^r
auf ben Su]ammtnilan% ber ^^öne gerid^tet.
SJietteid^t erflärt fid^ au8 biefem Umpanbe bie ?lrmut beg abenblänbifd^en
Äird&engefangeö an SBortragägeid^en. Sölerftoürbig ift jebenfattö bie grofte 3^^! ber=
felben in bem gried^ifd^en üird^engefange. 3n biefem giebt eS nad^ ©te^jl^anoS'
Sel^rbud^ au^er ga^Ireid^en 3^^^^^ gur Angabe einer genauen ^onbauer nod^ fed^g
jcitlofe SöortrogSaeid^en , toeld^e nur eine befonbere ©ingtoeife anbeuten. 3n ^apa»
bo|)uIoö* $0lufifgefd^id^te aber finben fid^ nod^ breiftig, f^Jäter aufeer ©ebraud^ ge»
lommene 3ei'^cn biefer 3lrt. OJtan fann in biefem S^leid^tum bcS gried^ifd^en ßird^en«
gefangen einen jener ©rünbe erfennen, toedl^alb baS ^orgenlanb ftd^ im großen unb
gangen mit bem t)ietftimmigen ©efang bed ^benblanbeS nod^ nid^t befreunben fann.
S)er genannte ^a:pabo:puIog meint fogar, bie Slbcnblänber näl^men notgcbrungen gur
Harmonie it)re 3uP"<^t/ tt)eil il^re ajlufi! „beä 8fleid^tum3 unb ber aJlannigfaltigfeit
bes gried^ifd^en ©efangeä entbel^re." 3ene l^aben ja, fo erflärt er, nid^t bie grofee
30^1 ber gried^ifd^en S^onarten, fonbern nur il|r S)ur unb SJloIl; fte lennen nur
gange unb l^albe unb bagu unter fid^ ööllig gleid^e, aber leine drittel«« unb Jöiertelä«
töne; enblid§ feien ifir alle jene $0lobifi!ationen beg SJortragS unbefannt. — S)ie
Iftuffen l^aben nad^ be ©aftro feit ber Slnnal^me ber abenblänbifd^en Slotenfd^rift bie
3eid^en für SluSbrut! unb gfarbung beä SBortragg fallen laffen unb nehmen allmäl^lid^
unfer gangeS moberned ^Dlufilf^ftem herüber.
2öir fül^rcn bieö aUeS nur gu bem S^^dz an, um e8 oud^ für ben altern
abenbldnbifd^en Äird^engefang toal^rfd^einlid^ gu raad^en, baft berfelbe ein auögebilbeted,
in ber Slotenfd^rift fixiertes ©Aftern für einen gefälligen SJortrag gel^abt l^abcn mufe.
310 9lcuntc« Äa^ttcl.
2)iefe8 iDurbe aufgegeben, aU bie neuen Steige her {»armonte einen reid^en Srfa^
bafür gu bieten t)tx]pvaä^m. 3ur üBeftätigung biene nod^ foIgenbeS:
Slmbrod beutet in feinet SDluftfgefd^id^te an, bag erft 3oSquin erfannte, bie
SJlufif lonne unb muffe aud^ inbit)ibuellen Hudbrucf l^aben ; bo($ toebet er nod^ fein
größerer @d^üler ^aleftrina l^&tten aud biefet (Sntbecfung großen 9lu^en gebogen:
für getoöl^nlid^ feien fie nur barauf bebad^t getoefen, ol^ne befonbere 9lücfftd|t auf ben
^e£t eine fd§5ne unb mol^lflingenbe 9Jlufif gu fd^affen. S)iefeg Urteil trifft nur bei
ben altern 3Berten $alefhinad gu. SSHe fommt ed aber, ha% fd^on ©uibo unb ber
ältere ^ucbalb fo entfd^ieben ben ®efü]§ldau8brud( ber 9JluftI betonten, unb bod§ erfi
^odquin toieber barauf gurücffant? Offenbar iDurbe ba9 mufilalifd^e ^ntereffe jal^r^^
^unbertelang burd^ gana anbere 2)inge, ndmlid^ burd^ bie fünfte ber Harmonie,
üoHfiänbig in 91nf:^rud^ genommen, ä^om 3ufammenllang ber ^öne fagt aber fd^on
^[riftoteleS, ba^ er, für jid§ allein genommen, bed ©efü^Uaudbrucfd entbel^re.
S)ie feinften S3emerlungen über ^om^ofition unb S3ortrag bed S^l^orald entl^alten
über^au:^t jene altern S^l^eoretiler , obtool^I aud^ fte leineStoegd eine abgerunbete
STluflllel^re gefd^rieben l^aben. S)afür eine $robe aud ©uibo, toeld^e aeigt, mit toie
großer Sorgfalt man atte S^erl^ältniffe nad^ ben gforberungen ber llunft abtoog. 2)er
S}erfaffer ]§at fid^ mit ber genauen S^onmeffung im Itird^engefang befd^öftigt, unb
ge^t nun bagu über, ben mannigfaltigen S3au gleid^ langer mufitalifd^er @ä^e ju
bef:^red§en :
„(&& muffen bie @a^e nod^ ^rt ber ä^erfe (in ber ^id^tfunft) gleid^e Sdnge
^aben ; fie lonnen fid^ biStoeilen unt>eränbert toieberl^olen, ober burd^ eine, toenn aud^
Heine änberung t)ariiert loerben, unb toenn mel^rere t)erbo:p:pelt finb, fo foHen fte nid^t
aU^vi k)erfd^iebene Steile ^aben unb ftd^ bidtoeilen nur burd^ eine t)erfd§iebene Slon»
fortfd^reitung unterfd^eiben, ober ftd^ im ^uf« unb ^bfteigen äl^nlid^ bleiben. €benfo
ift ed gut, loenn bie toieberle^renben ^eumen auf bemfelben 3Bege, auf bem fie ge*
lommen finb, aurüdCf eieren unb biefelbe S^onreil^e burd^laufen; ober aber, toenn eine
9leume ftd^ in einem beftimmten Umfang unb in einer beftimmten Slid^tung fpringenb
t)on oben fortbewegt, fo toirb eine anbere angemeffen in umgelel^rter IRid^tung aud
ber S^iefe in äl^nlid^er äßeife auffteigen: fotoie bad S^ilb im Brunnen bem ^ngeftd^t
beffen, ber l^inobfd^out, gegcnfd^lid^ cntfjjrid^t. Sferncr l&obe balb eine S^ejtfilbe eine
ober aud^ mel^rere ^eumen für fid^ allein, balb l^intoieberum oerteile fid§ eine 9leume
auf mel^rere Silben. SJlan lann aud^ baburd^ ^btoed^dlung in bie 9leumen bringen,
bag man balb mit bem gleid^en ^on beginnt, balb mit Xönen, toeld^e rücffid^tlid^ ber
^öl^e ober ^iefe oerfd^ieben finb. Sferner mögen bie ollermeiften Sa^e im ^au^tton,
b. t}. in ber Sfinale, ober toenn man toill, in einem öertoanbten S^one (in einer
^ffinale) enbigen; eS lann biäioeilen berfelbe Xon, n)eld^er alle 9leumen sufammen,
ober mel^rere ©ä^e fd^licfet, biefelben aud^ beginnen, toie bieg ber aufmerffamc ßefcr
bei 2lmbrofiug beobad^ten fann. @g gicbt ja freilid^ aud^, fojufagen, :t)rofaifd§e ®e=
fange, bei benen man eS unbead^tet lägt, koenn fid^ aud^ fteOentoeife balb größere,
balb Heinere 5lbfd^nitte unb ©d^e nod^ 3lrt ber ^rofen o^ne JBerfd^iebenl^eit finbcn.
3d^ f:pred^e aber Don metrifd^en ©efdngen, toeil loir oft fo fingen, bag ed fd^eint,
mix flanbierten S$erfe nad^ S}erdfü^en, loie in ben SfdUen, koo toir loirflid^ metrifd^e
^e^te fingen. SDlan mu^ babei nur ©orge tragen, bag nid^t au Diel a^^ifilbige
S^ieumcn Ifiintereitianber folgen ol^ne S^cimif d^ung öon brei« unb öierfilbigcn ; öielmcl^r
toie bie l^rifd^en S)id^ter balb bicfe, balb jene Sfüfte aufammenfügen , fo öerbinben
aud^ bie ^om:poniften gefe^mdgig oerfd^iebene unb toed^felnbe ^eumen. S)ie gefe^«
mdftige Söcrft^bcnlieit befte^t aber barin: Sleumen unb ©d^e toerben fo maftöott
tariicrt, baft bod^ 9lcume unb SReume, ©aj unb ©a^ pd^ immer dl^nlid^ bleiben unb
S)tc Äird^cnmufif. 311
f ^mmetrifd^ entf:^red^en ; mit anbern äBorten, e§ bleibt ®Ui^i:}t\t in bex Ungteid^l^eit,
na^ ^rt bed UebenSioürbigen ^mbroftud. S)ie &]()nlid^!eit ber ^elobien mit S}etfen
ift übriöcnä jiemlid^ burd^gtclfertb : bie Slcumcn mt]pxt^tn bcn SJerSfüften, bic
inufüalifd^crt ©ä^c bcn Söcrfen, inbcm ja bie S^eumen fx(5 in baftqlifd^cm, fponbeifiä^cm
unb iambtfd^cm ÜJlaftc bctocgcn, bic ©ä^c aber biet, fünf ober fe^s 3Jla6c cntl^alten.
S)Qau fommt nod^ öietcä anbete. ..." (®uibo an ber ©. 285 ertoäl^nten ©teile.)
©uibo ift mit feinen feinfinnigen SSemerlungen nod^ nid&t gu (£nbe: aber bas
folgenbe ift o^ne längere (Srüärung nid^t tooW öerpänblid^ , unb baä ©efagte mag
genügen, um bie ©rünblid^feit feiner Unterfud^ungen gu öeranfd^aulid^en. Tili äl^n»
lid^er ©enauigfeit bel^anbelte ^ucbalb (oben 91r. 384) fd§on frül^er baS 3:empo be§
SSortraged, unb beibe ^ufammen baS S)auerberl^&Itni$ ber S^öne.
%n bie äft^etifd^e äöürbigung beg Derfd^iebenen SinbrucfeS üerfd^iebener S^on»
arten, ber toir fo oft bei ben Sllten begegnen, fei l^icr nebenJier nod^matg erinnert.
Über bie objeftiöe ©runblage fold^er Untcrfd^iebe f. ^ttiniQ, S)ie ©l^arafteriftif
ber S^onorten.
394. ®ie ^Kelobie be§ ß^orate ifl ber^ältniSmä^ig einfad&, unb fo
foHte e§ aUe ßird&enmufif fein. 3n ber ©egenwart ®otte§ bürfen gcwiffc
@d^ran!en ber ß^rerbietigfcit unb ©cmeffen^cit nid^t überfd^rittcn tocrben.
2)enn toenn anä^ bic 5JieIobie Sluäbrud ber Stimmung ifl unb alle tt)a^r=
§aft frommen Stimmungen ein öoIIe§ Siedet ju ^aben fd^eincn, fid& in ber
Bixä^t JU öu^ern, fo ma6)t un§ bod^ f(]&on im gett)ö^nlid&en Seben bic
@egentt)art einer angcfe^cnen ^erfon eine getoiffe Surüd^altung unb ©clbft=
bc^enfd&ung jur ^flid^t. Scibenf(]&aftlid^c ober aflju unruhige @efü^te=
öufeerung, fei eS unmäßiger ©d&merj, fei e§ ungebunbcner 3ubel, finb alfo
in ber ftird^c ' nid&t angemcffcn, jumal fic unter einer buntgcmifd&tcn 3Kenge
leidet fd^Iimmcre ^Jlifebröud^e im ©cfolge ^abcn. 3Bic man bom ^rcbiger
auf ber Sanjcl erwartet, ba^ er bei aller Seb^aftiglcit ber 5lffe!te fowo^I
ber 9?ö^e be§ ^enn al% ber ©d^toäd&c ber Snfjü^xtx eingcbenl bleibe unb
[x6) au§ bciben ©rünben j. S. auffaücnbcr ©d^erjc, ©ebärben unb @timm=
biegungen enthalte ; cbenfo tt)irb bcm ©öngcr ober Spieler jwar eine erregte
|)erjcn§ergie$ung leincSwegS berwel^rt, aber ein gefunbeS religiöfe§ ©cfü^I
unb eine befonnene Überlegung werben benno(]& getoiffc unübcrfd&reitbare
(Srenjen ancrfcnnen muffen.
395. 3loi) weniger pa^t im allgemeinen für bic ßird^e, was gcrabcju
bramatifd^cn Ston ^at ober wa§ mc^r blofec gorm afö ßmpfinbungSauSbrucf
ift. Slrienmäfeigc Bewegung, t^catralifd&cS Sluäpngcn eine§ erregten Slffeltc§
im ©olo, gcfd&raubtc Stimmführung, ungewö^nlid^e 2KeIobieft)rünge, ferner
alle jene ßünfte, wcld&e bie ßitellcit be§ SSortrogcnbcn rcijen unb weld&c
mit 5Ramen wie Koloraturen, ^affagen, gioulaben, ^iotituren, fiäufe, Drna=
mente, 9Sor= unb 9iad&fd&Iäge, 2:riKer . . . bejeid&net werben, finb mit großer
aSorfid&t anjuwenben. 5Jian(]&maI freilid^ fommt e§ mc^r auf bic 9luS=
fü^rung al§ auf bie ©ad&e an; ©änger bon ^rofeffion werben a\xä^ funft=
reid&ern, fd&wierigern 5ReIobien ben ©d^cin ber 5RatürIid&leit geben fönnen.
312 !rieunte« ^apM.
©ine getDiffc ßünftlid^fcit barf ani) fid^erfid^, folangc bic @ltcllcit fcmblcibt
unb bic Slnbad^t bcr ©etneinbc ni(i&t gcftört wirb, jur (Sf)xt ®ottc§ rcci&t
tüo^I aufgewcnbet tocrbcn unb lann aföbann bcm tüal^rcn 9lu§bru(f förbcrlid^
fein. Oft cntfd^cibct oUcin bcr ©eift, auS tocld^em eine mufilalifd^c Sfomtel
ober oud^ eine Mofee SBerjierung ^erborgegangen ift, wenn nur aui) ber
Vortrag bon bemfelben ®eiftc befeclt ift. @ine uneingefd^rdnfte Verurteilung
biefer unb jener ßinjel^eit muß ba^er nid^t ju leidet au§gefj)ro^en werben ;
e§ finb öorjugsweife nur gröbere ÜJlifebröu^e unb ganj eitle 2Jlanieren
ber tt)eltü(i&en SWufif, weld^e ber Äird^enmufil unbebingt ju öerbieten finb.
gfreilid^ ift man in unferer ^txt nur alljufel^r geneigt, oHe gformfünfte, felbft
wenn fie beut gefunben Urteil ^ol^nfjjred&en, otö wirllid&e SBorjüge ber 3Rufif
onjuerfennen , unb onbererfeits , inbem man eben an fold&e Äünjie ober
Äünfteleien benft, öon ber Äird&enmufif jtiHfd&weigenb öorauSjufe^en , i^r
feien öon uornl^erein bie gflügel fo Inapp bcf(i&nitten , bafe pe baS C^öcä&fte
ni(]&t wagen bürfe. SDarin Hegt aber mel^r afö ein 3rrtum. — Über bie
© p r a d^ melobie be§ ßlftorafö f. oben 9?r. 306 ff.
396. S3ejügli(i& ber |)armonie liefee fi(]& öieleS öon bem ©efagten
wieber^olen; ©efud^t^eit, Überlabung, leereS S^ormenfpiel u. bgl. pa^m
f(i&Ied&t jur befd&eibenen 3Bürbe, weld^e bie 9lnba(i&tftimmung mit fid& bringt.
SBenn man freilid^ bie Unbel^olfenl^eit ber frül^eften Harmonie (10. bi§
12. Söl^rl^unbert) unb bie UnöoDfommenl^eit ber öltem 2JlenfuraImufil (bi§
jum 15. 3a]^r]^unbert) in S3etrad&t jiel^t, an bie fünfte ber ffontrat)un!tiI
auf il^rcr |)ö^e (Imitation, Ianon= ober fugenartige 3let)etition, Umfel^rungen
beS Sl^emaS, improöifierten SDiöfant, mel^rfad&cn ffontrapunft u. f. w.) ober
an bie ben cantus firmus erbrüdenbe, in fid& felbft f(i|Werfänige SSiet
ftimmigfeit ber fpötern 3^^* t)enft, fo mufe man wo^I jugeben, ba^ in ber
Äird^e öiele§ gebulbet würbe, folange e§ bom redeten ©eifte unb bom Sifer,
ju ®otte§ 6^re ba§ Äunftboflfte ju leiften, eingegeben würbe, ytiä^t ju
überfe^en ift, ba^ in ber langen 6ntwidHung5]3eriobe fogar ber ©timmung§=
auSbrudf l^inter ben gormfünften naturgemöfe ftarf jurüdfblieb. S3emerfen§=
wert finb aber anbererfeit§ bie gelegentlid^en 5Ra^nungen unb SSorfd&riften
ber Äird&e fowol^I über bie melobifdtie SReiner^altung be§ Äird&engefange§
wie über bie Slrt ber juläfftgen ^armonificrung. SBir geben jur ^robe
einen Sriafe bon ^öd&fter ©tefle. ^apft 3o^ann XXn. (14. Sa^r^unbert)
trat ben 9Kipräud^en in folgenber SBeifc entgegen (Extravag. Comm. III,
tit. 1): „®ie Weifen Sorfd^riften ber l^eiligen SSäter forbern, bafe bei bem
fiobpreiö, weld&en bie SDiener ber Äird^e ®ott als fd&ulbige |)ulbigung bar=
bringen, eines jeben ®eift fid^ wadtifam erweife, bie ^pxaö^t nid&t ftraudtile
unb in bcfd^eibener SBürbe bie licblid^en SJielobien ber ©önger erflingen.
®enn es Reifet: STuS i^rem SKunbe ertönte fü^er aBo^IIaut (6ccli. 47). 3n
SBirflid^feit tönt füfeer aBo^IIaut bon ben 8it)t)en ber ©öngcr, wenn fie
S)ie Äird^cnmuflf. 313
(Sott in i^r |)erj aufnehmen, wä^rcnb fic bic SBortc auöfpred&cn, unb toenn
fie bic Slnbad^t gegen il^n neu entfad&cn. 3)enn barauf jielt ja baS ®ebot
be§ fird&lid&en ©cfangeS, bie Slnbod&t ber ©laubigen ju beleben ; baju merben
bie 5Rad&t= unb Stagjeiten unb bic fcieriid&en Steffen unau§gefcjt öon ÄIcru§
unb fSolt in cmftct ©emeffen^eit unb jiufcnmöpigcr Seftimmt^eit gefungen,
bamit fic eben burd^ biefc Seflimmt^cit gefallen unb burd^ biefe SBürbe cr=
freuen. Slbcr einige 3öglinge ber neuem ©^ule finb nur öngfHidö auf
boS S^itwiö^ beba(i&t unb immer begierig, in figurierten SSerjierungen i^re
eigenen ftatt ber überlieferten 5Rotcn ju fingen, unb jerftücleln bie fir^Ii^e
SJlelobic in 9loten bon üiertgröfetem unb öon aUerf leinftem 3ßi*tt)ert unb
unterbred&en fic mit ^i^i^tönen. 2Jlitten in bie 2KeIobien nömlidö fügen fie
©(j&Iud&jer ein, fd^manfenbe ^araHeltönc, ja nid^t feiten meltüd^e SBcifen als
britte unb al» 5Jiotett=©timme. @o fe^en fie fi(i& bi§tt)eilcn fogar über ba§
ju ©runbe liegenbe Slntipl^onar ober ©rabuale gonj ^inweg, öergeffen ba§
Sunbament; auf bem fie bauen, unterfd^eiben unb !ennen fd&Iiefelid^ bie
3:onarten nid^t mel^r, fonbern mif(iien unb ücrmirren bie|elben. ®er ®runb
liegt in jener Überlabung mit 5Rebentönen, unter toeld&en bie befd^eiben unb
mafeüoD jicigenbcn ober faßenben 2:öne beS einfa(iien 6^oraI§, an benen
man aud^ bie Tonarten unterfd^eibet , öerbedft merben. 3)ie ©änger eilen
ol&ne SRaft, fie beraufd&en ba§ O^x, ftatt e§ mol^It^ötig ju erregen, fie mad&en
burd^ ©ebörben ba§ ©cfungene nad6, öerad^ten bie 3lnbad^t, bie fie erftreben
foDten, unb be!unben nur ben Seid^tfinn, ben fie meiben foHten. Senn
nidöt o^ne ©runb fagt fd^on Soet^iuä: ®er leid^tfertige ©inn finbet ent=
toebcr felbft an leid^tfertigen ©efängen Suft unb gfreube, ober er wirb burd^
öfteres Sln^ören berfelben öerweid&Iid^t unb üöflig entneröt.
SDiefcn ^Kifebraud^ alfo ^aben 2Bir unb Unfere »ruber längft al§> ftraf=
bar erlannt, unb beeilen Un§, il^n ju entfernen, burd^auS ab jufteKen unb
aus ber ßird^e ©otteS mirffam ju öerbannen. 2)a^cr befehlen SBir nad&
bem eigenen Siate Unfercr Srüber auf baS ftrengfte: eS foD niemanb in
3u!unft foId&eS ober ä^nlid^eS bei ben genannten gotteSbienftlid&en aSer=
rid&tungcn, inSbefonbere beim fanonifd^en ©tunbengebet ober bei ber geier
ber l^ciligen 2Keffe, mieber ju üerfud&cn fid& erlül^nen. (ßS folgt bie Sln=
bro^ung ber ©träfe.) |)iermit beabfid&tigen SBir jebod^ nid^t ju öerbieten,
bafe jumeilen, namentlidö an gfefttagen ober bei feicrlid^en
9Keffen unb fonft bei ben ermähnten Dffijien, eine fon=
fonante 5ReIobie in ber DItaü, Ouint, Ouart u. bgl. jum
einfad&en g^oral ^injutrete, jebod^ fo, bafe ber le^tere in feiner
9iein^eit unb aSoUftänbigfeit crl^alten bleibe, unb bei biefem SSerfal^ren ber
eble ßl^aralter ber ÜDlufif feine ginbu^e crleibe. SBir bermel^rcn ba§ t)or=
jüglid^ barum nid^t, weil eine fold&e |)armonifierung baS D^r ergoßt, bie
SKnbad&t werft unb ber Slräg^eit im Sofie ©otteS öorbeugt."
314 9leunte8 Aa^itel.
397. ®aS Jfonjil Don Orient mufete gleidöfaflä bie Qfrage bcr ftird^cn=
ntufi! in (Srloägung jie^en. @§ fieftimmtc (Sess. XXII, De observandis etc.):
„aSon bcr flirre foll alle ?!MuftI fem Wcifien, bie in ©piel ober ©efang
eine Seimifti^ung Don Üt)t)igleit unb 3Bofluft ffat" 3m übrigen toiU e§,
ba^ bie 9lft)iranten beS ^rieftertumS frü^jeitig im @efang unteüoiefen wer-
ben (Sess. XXIU, cap. 18) ; eS erneuerte alfo bie uralte <Bitte, meldte nad^
^iftorifti^en 3^iigniffen bis auf ^apft ©ilöefter I. (314) jurüdgel^t unb öon
fo öielen ^ßöpften unb einflufereid&en S9ifd6öfen ber altern 3^'* S^Pfl^fit tourbe,
fid^ beS jlird^engefangeS mit befonberer Sorge anjunel^men. 3)em ]äion hoi^
bereiteten Serbot aller figurierten 3Jlufif toiberflanb ber ßaifer tJerbinanb HI.,
äbrigenS nad^ bem @inne eines XeileS ober ber SOle^r^a^I ber ^onjilSüater
{PaUavicino, Hist. Conc. Trident. in, 249). 5)arauf^in aber fe|te
^iuS IV. 1564 eine ftommiffion öon ßarbinälen jur Siegelung ber SRufi!
ein. 3)iefe fanb in bem ©til eines genialen 3^itfl^"offen bie SBünfd&e ber
ßonjilSöätcr genügenb öermirfliti^t. ®ie SReffe ^aleftrinaS Papae Marcelli
galt feitbem als ^Dtufter eines ebenfo reinen unb ^ol^en h)ie einfad^en unb
frommen t)oI^t)]^onen ffird^cnftils. Sticht aUe feine SJleffen freUid& (über 90
an ber S^l&O erfüllen nad^ bem Urteil öon Äennem bie l^öd^ften 9lnforbe=
rungen. Sieben pnb über »eltlid&e SJlotiöe fomponiert, »aS gemife in ber
3eit, ba fold&e im Umlauf »aren, nid&t o^nc aUe Störung blieb, ©onft
aber ift eben ber Slnfd^Iufe an bie 3Jlotiöe unb ben ®eift beS ß^orals ein
^eröorftedöenber 3wg feiner SJlejfen. ^aleprinaS befie SJlufil fliegt aud& fonft
mit bem (Seifle ber lat^olifd^en fiiturgie in eins jufammen. 5)aS belunbcn
feine ßomt)ofitionen ju ben |)^mnen unb jum SJlagnificat, }u ben Samen=
tationen unb ^ntproperien, enblid^ bie Motetten jum |)o^en(iebe. S)ie ^od^=
fd^toebenbe SBürbe paart fid6 bei il^m mit jarter SRilbe, bie ^fülle ber ^01^=
pl^onie mand^mal mit ber 2)urd&fid^tigfeit ber |)omot)^onie , baS Sd^meben
über bem %tit nid^t feiten mit ber beutlid^ften ^uSfprad^e, SbealiSmuS
mit einem 3lnflug öon realifKfd&er Tonmalerei unb ßlangioirlung (in ben
5)iotetten, meldte bem SSoIlSüeb naiver ftel^cn), enblid& allgemein mufifalifc^e
SSerflärung bcS Snl^alteS oft genug mit d&aralteriftifdöem ?ttuSbrudE ber iebeS=
maligen ©runbftimmung unb felbft ber ßinjelfft^e. 3« ^Ilem bem beföl^igten
i^n feine ganj ungemöl^nlid&e |)errfd^aft über bie ^orm, fein ebler, öornel^mer
unb ebenfo ftarfer mie milber Sinn, öor allem aber fein liebeöoBeS ßingel^en
auf ben ®eift ber ffird&e.
^aleftrinaS 5!Jiufi! l^at no(^ einige befonberc SSorjüge, meiere fie gleid^=
faßs für bie ffird^e paffenb mad&en. ©ein Stil ift nid^t fo faft einfad^
fd^ön, als öielmel^r ol^nc ^txbfjtxt ergaben, nid^t leibenfd&aftlic^ ober bra=
matifdö (felbft nid^t in ben StüdEen jum |)o]^enIieb) , fonbem öoll ftiHer
^o^eit unb l^immlifd^er 9lu^e, bod^ ol^ne fd^Ieppenbe Srägl^eit; er betoegt
fidö öorl^errfdöenb biatonifc^ mit mafeöoKen Sttbrneicfeungen ; er ift taltmäfeig
3)ic Ätrd^enmuftf. 315
unb tJ^^tl^mifd^ gcorbnct, aber ol^ne jene rcgelmöfeige Slbmcjfung unb ®ficbe=
rung , SRobuIicrung unb ftontrafticrung, tocld&c bic gorm jiärf et empfinben
Kfet; er ift üerJ^ältniSmöfeig ittd&t überlaben, bie ©timmen^öufung liebt er
nid&t (2 — SfKmmig). gfür unsere ^tit maä^t auä^ ein äußerer Umftanb bie
9Hu|t! ^aleftrinaS unb ber il^m nad^ ®ei[t unb 3^it näl^erjte^enben 3Jleijier
für bie ßirti^e fel&r braud^bar. 3ener ©til Hingt nämliti^ »ic ein frembcä
3biom, tt)ic bie ©timnte einer anbern SBelt in bie (Segenmart l^erein. 3)arum
erinnert fie am toenigjien an ben Äoniertfaal; fie befi^t ja bei aßer S5oIIfommen=
l^eit bo4 nid^t alle bie Sieblingglünfte ber mobernen 5!Jiufif (be§ §armonie=
gett)ebe§, ber ©l^romatil, ber SRobuIationen unb Klangfarben). 3)er ©otteäbienft
l^at aber t)on jel^er bem aßju SJlobernen, meil eS ntinber e^rmürbig unb gleiti&=
fam ju aHtäglid^ ift, baS gute 9Hte üorgejogen ; baS offenbart fid^ fc^on in ber
©prad^e beS ÄuIteS unb ber l^eiligen Süii^er bei ben derfti^iebenften SSöIfern.
9?atürli(i& braud&t ber ©til eine§ ^aleftrina ober ber näd&jiöermanbte
eines Orlanbo bi Sajfo unb SSittoria nid&t afö baS einjige unb l^öd^ftc 3beal
ber ntel^rftimmigen ffird&enmufif ju gelten. 3ln unb für fid^ l^at unfere
3cit unb jebe anbere ein öoBcS 3le<i^t, il^ren abtocid^enben, barum aber nod^
nid&t fofort grunbderfel^rten ©efd&madf, »enigftenS in gemiffen ©rcujen, aud^
im Heiligtum jur ©eltung ju bringen. ®ic 9KufiI ber ©egenmart ift
l^armonifd^ unb melobifd^ t)on ber 9Kufif be§ 16. unb 17. ^al^rl^unberts
toeit öerfd&ieben; ^a\)hn, TOojart unb Seet^oöen finb 3:räger einer organi=
fd&en 9Rufi!enttt)idEIung unb eines 3fortf<i&ritte§ getocfen. Slad^ ben ©efe^en
alfo, meldte folti^e SKeifter ber SEonlunft gegeben l^aben, !ann pd&er eine
burd&auS toürbige, neue ßird&enmufif fid^ geftalten. 3lu(i& bie fontra|)unftifd^e
Äunft ber ^frül^ern »ar einmal neu unb fül^rte ju großen 9Kifebräu(i&cn,
ja toäre ol^ne 3^^^!^^ ^^^ @rnfte frül^erer Sal^rl^unberte ein Ärgernis ge=
»efen. S5er ©cift ber ffird^e unb fo aud^ ber (Seift ber ed^ten ffird&en=
mufif bleibt im SBefen berfelbe ; aber bie 9lu§brudf§mittel ber ff unft änbern
fid^, unb bie @efe|e ber ffird^e bequemen ficfe ben üerönberten SSerl^ältnijfen
an. ®ie einfeitige Strenge, meld&e bie fird^lid^en Sorfd&riften überbietet unb
bic jeittoeilig öon ber Seobad^tung entbinbenbc Umftänbe nid^t genügenb an=
erlennt, fd&abet nur unb ruft bebauerlid&en ©treit ^erbor.
Über bie 5lrt, ben ß^oral ju l^armonifieren , fei folgenbes bemcrft.
®ie ^armonifierung ^at barum i^re ©d&toierigfeiten, meil bie alten Seitern
meift beS fieittoneS entbehren; baju lommen nodö einjcine anbere ©rünbe,
j. 35. baS geilen ber reinen Duart in ber F-Seiter. 3ebod& fielet bie |)ar=
monie fd^on besiegen nid&t im 2Biberfprud6e mit ben fird&Iid^en Stonarten,
toeil bicfe eine oerftedfte |)armonic jur SSorauSfe^ung ^aben (3lr. 117).
3l^rc tonale ßin^eit ift eben toefentlid^ bom 3laturIIange unb öom 3Ser=
l^öltnis ber 2:onifa jur Duint unb 3:erj abl^ängig. 5)ie |)armonie unter=
p^t ben ©efang, üerftärft baS ©efü^I ber Stonart unb beS 3ufammen=
316 9leunted Rapittl.
l^angcS ber Xöm unb ift an§> öu^crn ©rünben ^cutjutagc fd&toer ju ent=
beeren. ®ennod& lajfcn fid^ lüol^I nur bic f^IIabifd&en SJlelobien tüte baS
ffird&cnlicb bc^anbeln, fo nömli^, bafe jebcr 3:on mit einer befonbern
|)onnonie öcrfe^en mirb. S5ie Sctoegfid&feit unb ber freie Sll^^tl^muS beS
6^oraI§ löfet bie Sciafiung mit fortgelegten 9lKorben nid&t ju. ©el^r ju
emt)fe]^Ien ift, bie Segleitung möglid^ft auf bie 3:öne ber betreffenben 2;onart
}U befd^ränfen, obtoo^I eine mafeöoKe ß^romati! erfa^rungSgemöfe toenig
ftört unb auä) feinen innem (Srunb gegen fid^ ^at %f)at[ää)lxä) f)abtn bie
ffontrQt)unftiften biefelbe nid^t gemieben; ja fd^on bie ©riechen bebientcn
fid^ bijfonierenber, alfo gemife aud& d&romatifcfeer Segleittöne. @S Vjt toid^tig,
bie d&arofteriftifd&en 2:öne jeber Stonart, j. 93. in öielen gällen h ober, jum
Unterfd^iebe t)on ber mobernen 3MufiI, bie gro^e ©eptime, l^öufiger al§
3Kforbtöne ju gebrond&en. gfür boS ßinjelne fei auf ^iefö |)armonieIe]^re
(4. aufl.) ©. 216 ff. 230 ff. öertt)iefen.
6in öorjüglid^eS SSerbienft für bie Reform beS Äird^engefange§ gebührt
bem „ßäcilienberein" unb ben in feinem ©inne mirfenben Q^itf^i^iftcn, fomic
bem al§ 9la tgeber bienenben „3Serein§fataIoge". S)er Übereifer öon biefem
unb jenem 3ln^önger biefer entfc^ieben lird^Iid&en Slid^tung barf bem SSerein
nid^t jur Saft gelegt »erben.
398. SBie bie Jfird^enmuftl in Sl^^t^muS, SKelobie unb Harmonie bie
eble ßinfad^^eit unb 9?atürlid&f eit , im @cgenfa§ ju allem ©emad^ten unb
ßrlünftelten , liebt, fo öerleugnet fie biefelbe Steigung unb 3lbneigung aud^
gegenüber ber^nftrumentalmufil nid^t . 9?un ift aber bie Snftrumentat
ftimme im S5ergleid& jur organifd&en TOenfd&enfiimme meniger natürlid&, meil
äufeerlid^er, ift mel^r erfünftelt, meil unbefeelt. 5)en ft)arfamen @ebraud& ber
toten 9KuftImerIäeuge bei ben erften ©Triften l^aben tt)ir fd&on oben 9lr. 368
!ennen gelernt. g§ fam erft fpät eine anbere ©itte auf, maS gemi^ teit
tt)eife barin feinen (Srunb öatte, toeil man ein für grofee 9läume t)ertDenb=
bares unb bod& toürbigeS 3nftrument nid^t fanb. S)ie jit^erartigen ober
flötenöl^nlid^en waren jU fd&tt)ad&, bie 2:romt)eten unb |)Örner aber ju tt)elt=
lidö, unb bie SSeröoHIommnung ber Orgel, meldte fd^Iie^Iid& aUtn SBünfd^en
genügen foßte, brandete üiele ^al^r^unberte. 9lid^t t)or ber jmeiten |)älfte
be§ 8. 3a]^r]^unbert§ famen ffird^enorgeln im 3lbenblanbe l^äufiger öor.
SKand^erortä fel^Iten fie nod& öiel länger ; ber Slorben betoieS früher afö ber
©üben eine SSorliebe für biefe§ nod& immer ettt)a§ unl^anblid&e Snftrument.
S3i§ in§ 16. Sal^r^unbert biente e§ aud^ nur al§ befd^eibene ©tü^e be§
@efange§, ein Sorjug, ben e§ übrigens mit feinem anbern Snftrumcnte
teilte. 5)ann »anbte man bie Orgel teils jur ^füHung unb |)ebung öon
©l^orgeföngen, teils jU Einleitungen unb 3tt)ifd^enft)ielen an. 95ielfad& itoi-
ad^tete man aud^ bie Siegel, bei ber l^eiligen SJleffe nur ben ®efang, bei
anbern gotteSbienftlid^en t^mxn aber baS ©t)iel äujulaffen.
3)ie Äird^enmufif. 317
399. S)ic fortfii^rcitcnbc ©etoö^nung an bie freier entfaltete ftunfi ber
Äirdöenmufi! erbeut auS ber SBergleid^ung bejfen, toa% Klemenö öon Sllejanbrien
unb ber 1^1. Sluguftin (f. oben 9?r. 368 u. 370), unb »aS ber ^I. Sl^omaS,
fobann ©uarej unb SBenebift XIV. alä äliti^tfd^nur auffteßen. 3)er eng=
lifd&e Seigrer entnimmt an§f 9luguftin ba§ 3^"9i^iS fö^ i>ic ^eilfame SBirfung
be§ ®efange3, unb jmar fo, ba^ er bie Segrünbung t)or}ug§h)etfe au3 ber
ntenfd6Ii(3&en Bä^Mä^e l^erleitet (S. th. 2, 2, q. 91, a. 2 c). hieben bem
cinfad&en ©efange läpt er bei ben er^abenften ©egenftdnben audö ben mel^r^
fHmmigen, ja ba§ „jubilieren" ol^ne SQäortc ju, »obei er getoife an baS
langgebel^nte Smeluja beult (In Ps. 32, 3). S)ie mufifalifd^en ^nftrumente
bagegen »erben nad^ i^m Don ber ßird^e nid^t gebrandet, b. f). tool^I nid^t
regelmäßig unb aßgemein gebrau(j^t (S. th. 2, 2, q. 91, a. 2 ad 4 unb
In Ps. 32, 3). ®o(i6 fd&reibt er bei ber ßl^arafterifti! ber 3nftrumente
auSbrücflid^ ber Orgel bie begeifternbe SBirf ung ju (rapere in celsitudinem) ;
im ©egenfa^ baju legt er bie einfad&e Sefeftigung einer guten Stimmung
(instituere in quadam rectitudine et animi firmitate) ber §flöte unb
ber 3:rom|)ete bei, ferner bie monnige ßrl^eiterung (dulcedinem et iucundi-
tatem) bem ?ßfalterium unb ber Sitl^er (In Ps. 32, 2). 3)er l^eilige Seigrer
lann fidö für feine ©trenge rücffid^tlid^ ber 3nftrumente an beiben ©teilen
auf 3lriftoteleS' ^olit. 8, 6 berufen, ©uarej bemeift nun (De religione
tract. IV, 1. 1, c. 8), baß man auS ben ' angeführten SBorten: „bie muft=
lalifd^en Snftrumente", nid&t fd&ließen bürfe, bie Orgel fei jur 3^W beS
^I. %f)oma§> in ber Rird^e nid^t im ©ebraud^ getoefen; e§ mürben öielmel^r
biefe SBorte öon einigen ausfd^ließlid^ auf anberartige 3nftrumente bejogen.
5)iefe Auslegung bürfte in ber 2:^at unöermerflid^ fein, ba bie „3nftrumente"
öfter ber Orgel gerabeju entgegengefteüt merben (f. unten 3lr. 402 unb
Caerem. Episc. I, 28, 1 et 11). 6§ bleibt aber ju beider jigen, baß
Sol^ann XXn. in bem oben Gitterten S)efrete t)on einer 3nftrumeutalmuftl
überl^aupt gar nid&t rebet, unb bejüglid^ be§ mel^rftimmigen ®efange§ it)enig=
ften§ nid&t milber al§ St^omaS urteilt.
33i8 ju ©uarej' 3eit ^atte fi* freilid^ bieleä geänbert. 6r fleflt feft,
baß ber ©ebrauc^ öon 3nftrumenten faft in ber ganjen (3&rift=
lid^en SBelt entmeber gebilligt ober gebulbet merbe, unb menn man fiti^
an einigen Orten, g. S. in ber pä|)ftlid&en üaptUe, berfelben niti^t bebiene,
fo ^alte man fie bod& bort dielleid^t nur für minber mürbig ober ents
bcl^rlid^. 3ln unb für fiti^ ftel^e bem allgemeinern (Sebraud^e !ein innerer
®runb im SBege, unb baS Srienter ffonjil ermäl^ne fie, ol^ne fie ju der=
»erfen. 3lur müjfe man ben SmedE aßer ürd&lid&en SJlufif im 9luge behalten
unb namentlid^ mit 6rnft unb SKaß ju SBerle ge^en; für gemö^nlid^ foßc
baä @t)iel ber Orgel „ober eines anbern 3njtrumente§" — ©uarej be=
l^anbelt gefliffentlidö bie grage o^ne ßinfd&rönlung — bon Ilar öerftänblid^em
318 9lettntefS RoSpittl
©efang begleitet toerben; bod^ fei eS aud^ red^t, toenn man 3^if^^fPi^I^
toä^renb beS @efangeS ober ber l^eiligen ^effe anmenbe, fofem baburc^
nid^t bog Offizium }u lange l^inauSgejogen ober bie 3:eile beSfelben ju tueit
auSeinanbergeriffen toürben. ©erfelbe ©d^riftfteller fprid^t ftd6 entfd&ieben
für bie Srlaubtl^eit beS me^rftimmigen @efangeg, aud^ toäl^renb ber
liturgifd^en gfeier, auS; biefer gebe bem @otte3bienfte ^nfel^en unb äBürbe
unb förbere bie ©^rerbietigleit unb ^nbad^t ber Gläubigen, toenngleid^ mand^eg
nid^t eben beutlid^ derftanben toerbe.
2)ie SBörme, mit toeld^er Suarej biefe @ä|e t)ertritt, mürbe, audb menn
er es nid^t au§brüdlid^ fagte, bod^ erfennen laffen, ba^ er nod^ mit entgegen^
gefegten ^nfid^ten ju red^nen f)at
400. Senebift XIV. »ägt forgfältig bie teiltoeife jtd^ toiberfpredöenben
3eugniffe l^eiliger unb gelehrter 3Jlänner gegeneinanber ab (De ecclesiastico
cultu, 19. Febr. 1749). S^atf äd^Iidö fei ber ©ebraudö beS
3figuralgefange§ fotoie ber Orgel „unb anberer SRufife
inprumente" toä^renb beS liturgifd^en ©otteäbienfteS allers
bing§ in ber ^ird^e nod^ nid^t allgemein, aber fd^on meit
Derbreitet. ^u3 ben Don bem geleierten ^apfte beigebrad^ten 3^ugniffen
erl^eüt, ba^ mand^e fid^ ftärfer gegen anbere 2injtrumente al% gegen bie
Orgel öertoa^rten, ba^ öiele bem g^iguralgefang eine größere finnlidöe aBir=
lung jufderieben, unb bafe enblid^ ber fdöHdöte ßj^oral überall unb
immer als ed^t lird^Iidb angefel^en »urbe. — 5)ie ©efd^id^te ber
jtird^enmufi! unb bie grfal^rung leieren, ba^ bie grdbften ^i^bräud^e mit
ber Snftrumentalmufil ftd^ einfteßten. SBirflid^ SerüdEfid^tigung berbient alfo
ber 9tat, fie bort, too pe nid^t in ©ebraudö ifi, nid^t einzuführen unb bort
abjufd^affen, tt)o fie in Ermangelung geeigneter Gräfte ungenügenb gel^anbs
l^abt toirb. ©rofee SRufiler, tt)ie felbft Seet^oben, 5!Jienbeföfo^n unb SBagner,
^aben ficfe nid&t dorteiE^aft für bie Snftrumentalmufi! in ber Rird^e auS=
gefprod^en. ©ennod^ fofl man eine fold^e 3njirumentalmufil , beren crfie
©efe^e auf »eife 9Kafe^aItung unb Unterorbnung unter bie Siturgie lauten,
niemals für unlird^Iid^ erllären. — 3mmer öerurteilte man einftimmig aßeS
3:]eeatralifdec unb überl^aupt baS eigentlid^ SBeltlid^e in ber ftird^enmufil.
3Son befiimmten ©efangftüden bejeidönet Scnebilt XIV. fobann als öerboten
freiere Jfom|)ofitionen über einen nid^t jumOffijium gehörigen, mand^*
mal fogar in ber SJlutterfprad&e abgefaßten %t^, obfd^on ©uarej fie
(1. c. c. 13, n. 16) öerteibigt l^abc. Scjüglid^ ber 9lrt, ju fingen, tt)irb
mit befonberem Sladebrud aSerftänblid^Icit beSSEejteS derlangt, bamit
nid&t aßeS in bem Äunftgcnufe ober in bem finnlid^en Sffio^Ibe^agen , ftatt
in ber geiftigcn Erhebung ju @ott, aufgebe. 3)ie 3nftrumente teilt Sencbilt
in jtoei ftlaffen; gut feien außer ber Orgel fold^e, meldte bienten, ben
©efang ju tragen unb ju derftärlen, öertoerflid^ aber Raufen,
S)ie Äird^enmufi!. 319
Soflb^örner, 3:romt)ctcn u. f. to., toeil fie an§ 2;^catcr erinnerten. 3n=
jkuntentaünufil o^nc ®efang, al§ gSor=, 3ttJtfd&en= ober 5Rad^fpieIe bei ber
SJlejfe ober ber aSeft)er, »irb mit ©uarcj' SBorten gebilligt, menn toeifcS
3Ra^ unb mürbtger SInftanb getoa^rt bleiben unb namentlid^ ber (Sf)ataUtx
ber bctreffenben Qtxt be§ Jf irti^cnjal^reä , j. 99. ber SeibenSmod^e , nid^t t)er=
le^t merbe.
401. SBir ergönjen biefcn ^iftorifd&en Überblidt mit ber 99emcrlung,
ba| fj r a u e n flimmen bi§ auf bie neuern 3^'^^^ ^on ben ffirti^end&örcn,
»eld&c ja burdö i^rcn ©efang an ber liturgifd^en geier als folti^er teilnel^men,
auSgefti^Iojyen blieben. ®a^er j. 33. nod^ baä Kölner ^ßroöinäialfonjil 1862,
pars n, c. 20 bie 3:eilna^mc ber grauen burd^auS Verbietet.
402. @S erübrigt noti^, bie augenblidliti^ gültigen 93eftimmungen t)or=
jufül^ren, bamit fotool^I rüdftd^tlid^ ber ertoö^nten ßinselfragen al% einer
onbem, bie in unfern Sagen brennenb geworben ift, namentlidj aber aixä)
rüdfidötlid^ be§ lird&Iid^en ®eifte§, öon »cld^cm bie gotteSbienpd&e 9Kufif
unb bie Sluöfül^rung berfelben befeelt fein mu^, fid^ jeber eine mögliti^ji be=
fKmmte, nad^ teiner ©cite au§fd6»eifenbe ^Meinung bilben fönne.
@§ liegt ein (junäd&ft für 3talien ausgegebenes, aber ganj im ®eifte
anberer, allgemein binbenber ©efe^e gehaltenes) Sleglcment für bie flir(^en=
mufi! (Regolamento per la musica sacra) t)om 21. 3uli 1894 t)or, in
mel(i6em bie Slitenfongregation nad& umfid^tigfter Information unb reifüdöftcr
@rtt)ägung eine Slnja^I ganj beftimmter SSorfti^riften fomol^I über ben ßl^oral
als über jebe anbere 2lrt julöffiger 5!JiuftI giebt; fic lauten in ber guten
Übcrfe^ung ber Musica sacra (7. 3luguji 1894) toie folgt; nur finb bie
©tidötoorte ber Überfid&tlid&Ieit l^alber im ©rurfe ^erborge^oben unb einjelne
3ufä§e in ftlammcm beigefügt Sorben. (SSgl. unten 9lr. 426, 6nbe.)
I. 3:eii.
jXUgenmne Htgeln über liu brt htr(t)U(t)en ^nxxfijtnnqtn ]u vnwtnttntt JUnfth.
1. 3ebe mufüalifd&c ffomt)ofition, mcld&e t)om ©eifte ber l^eiligen
^anblung, bie Don il^r begleitet toirb, burd&brungen ift, betoegt, menn
fie in frommer 3Beife ber 99ebeutung beS StituS unb ber SBorte
entfpridöt, bie ©löubigen jur 3lnba(i&t unb ift bemnad^ »ürbig bcS |)aufeS
©otteS.
2. 3)iefe ßigenfd&aft ^at ber gregorianifti^e ß^oral, ben bie
ßird^e als il^r »irlliti^eS Eigentum bctrati^tet unb beSl^alb ganj allein in
ben bon il^r approbierten liturgifdöen Süd&ern aboptiert.
3. ©otoo^I ber pol^pl^onc als aud^ ber d&romatifd^e ©efang
fönnen }u ben tird&lid&en 3Serrid&tungen paffen, »enn fie bie oben angeführten
gigenfd&aften befi^en.
320 9leunted üapittl
4. 2in ber ))ol9t)^onen ©ttigattung totrb alg überaus toürbig be3
®ottcS^aufc§ bie SKufi! beS ^icrluigi auS ^alcftrina unb feiner
guten Slad&al^mer anerfannt. 3lu(3& »irb l^infidötlid^ ber döromatifti^en SWufif
jene be§ ©otteSbienfteg toärbtg erad^tet, toeld^e big auf unfere ^age don
anerlanntcn SReiftern üerfd^iebener ttoHenifd&er unb auStDär=
tiger©d^ulen unb befonberS öon römif<i^en 5DleiJiem, beren Romt)ofitionen
öfters burci^ bie juftänbige Slutoritöt als mal^r^aft tird^Iic^ gelobt
mürben, überliefert toorben ift.
5. ®a tt)o^I befannt ift, bafe eine Äontt)ofition , aud^ bie befte, beS
poÜ)}i>^omn ©tils burd& eine fd^Ied^te 2luSfü^rung unt)affenb »erben
fann, fo bebiene man [xä) in biefem QfaBc bei ben ftreng liturgifd&en 3Ser=
rid^tungen beS gregorianifd&en ©efangeS.
6. ®ie mit Orgel begleitete SKufil mu^ im allgemeinen bcm gc=
bunbenen, ^armonif(^en unb emften ßl^aratter biefeS 3nftrumente§ entft)red^en.
®ie inftrumentale Segleitung [bie burd^ anbcre 3nftrumente auS=
geführte] foB ben (Sefang in befd&eibener 3Beife unterftü^en, nid^t aber il^n
erbrüden. Sei ben S5or= unb S^if^^nfpi^l^n follen fomol^I bie Orgel als
bie [anbern] 3inftrumente immer ben ^eiligen ßl^aralter bemal^ren, ent=
f|)red&enb bem (Seifte ber fjunftion.
7. Sei ben ©efängen toä^renb ber feicrlid^en, ftreng liturgifd^en aSer=
rid^tungen mufe bie Stitualfprad^e gemäp werben ; bie frei gemäl^Iten
[b. ^. ber freien 2ßabl überlaffenen] SEejte ne^me man aus ber ^eiligen
©d^rift, bem Offijium ober auS §^mnen unb (Sebeten, bie öon ber ffird^e
beftötigt finb.
8. Sei ben übrigen ^funftionen fann mon fid6 ber ^Jlutterfprad^e
bebienen, ne^me aber bie SBorte auS anbäd^tigen unb betätigten ©d^riften.
9. ©trenge verboten ift in ber ffird^e jebe meltlid^ angelegte
®efangS= ober Snftrumentalmufif, befonberS menn fie öon if)ea:^
tralifd^en ^JKotiben, Sariationen unb Sleminifcenjen beeinflußt ift.
10. !^\xx aOßal^rung ber ben liturgifd^en SBorten gebül^renben ©^rfurd&t
unb jur Sermeibung übermäßiger SluSbel^nung ber l^eiligen |)anblung ift
ieber (Sefang öerboten, bei bem aud& nur in ganj geringer SBeife bie SB orte
auSgelaffen ober finnloS öerfe^t ober ungebü^rlid^ tt)ieber=
l^olt toerben.
11. 6s ift verboten, jene ©abteile, meldte notmenbigertoeife unter
fid^ oerbunben finb, in gönjlid^ boneinanber getrennte ©tüde abjuteilen.
12. S)aS 3mt)robifieren ober fogenannte ^^antafieren auf ber
Orgel ift jebem verboten, ber eS nid&t entfpred^enb , b. 1^. nid^t in ber
SBeife öerftel^t, baß fomol^I bie Siegeln ber muftlalifd^en ffunft als aud^
anbererfeits bie 2lnbad^t unb bie ©ammlung ber ©löubigen Serüdfid&=
tigung finben.
S)ic Äird&enmufif. 321
IL 3:eil.
:Xitiiidfhn0rit ^nr £Mnm^ Urs Btnbrams Her llitd^»tmii|tk ititli jttr 6ffriti9ttn0
^tt illi|übra3i(t)f.
1. 3)a bie ftir(3&enmuftf ein 3:eil bcr Siturgie i[t, fo toitb ben ^o(i&=
toürbigjien Sifd&öfcn em\)\o^Un, ber[clben befonbcre gürforge juju=
tocnben unb SScranloffung ju paffcnbcn SBorfti^riften ju nel^men, bcfonber§
bei Gelegenheit ber S)iöce[an= unb ^probinjialfijnoben, immer jeboc^ in Über=
einftimmung mit gegenmörtiger 9lnorbnung. S5ie2Kitmtrfung berSaien
ift juläffig; iebo(^ ftnb biefelben öon ben betreffenben Sifd&öfen ju über=
machen unb t)on il^nen abhängig, ^an fonn toeber 35 er eine bilben nod^
aSerfammlungen abholten o^ne bie auSbrüdflid^e 3"Pinintung ber Iird^=
lid^en 3Iutoritöt, toeld&e für bie S)iöcefe ber Sifti&of, für bie ^roöinj ber
SWetropolit mit feinen ©uffraganen ift. ®ie 3«itfdötiften über Äir(i&en=
mufif fönnen niti^t ol^ne SJrudgenel^migung beö juftänbigen Sifd^ofeS t)er=
öffentlid^t tt)erben. Sebmebe S)i§fuffioJ^ ober bie fünfte ber gegen=
märtigen Slnorbnung ift gönälitiö verboten; in ben anbern bie Äird&enmufi!
betreffenben ©egenftönben ift fie ithoä) geftattet, xomn nur 1) bie ®efe|e
ber d&riftliti^en Siebe beadbtet werben unb 2) feiner fid^ jum 5!Jieifter unb
Kid&ter anberer aufmirft.
2. 5)ie l^od&mürbigflen Sifd^öfe werben genau barauf bringen, ba^ bie
steriler i^rer aSerpflid^tung nad^fommen, ben ß^oral, tt)ie er ft(3& befonberö
in ben Dom ^eiligen ©tu^le Qt)probierten S3üdöcrn üorfinbet, ju ftubieren.
33ßa§ bonn bie übrigen Gattungen ber 9)Zufif, befonber§ ba§ Drgelfpiel an-
belangt, fo werben fie ben ßlerifern feine SSerpfliti^tung auferlegen, um
biefelben niti^t Don ben ernftern ©tubien, benen biefe befonbereS 3lugen=
merl fd&enfen muffen, abjul^alten. SBenn. jebo(J^ einige berfelben in biefer
Gattung beS ©tubiumS bereits unterri(j^tet finb unb baju befonbcre 9?ei=
gung jeigen, merben fie il&nen erlauben fönnen, fid& in benfelben ju t)er=
öoDfommnen.
3. S)ie l^odömürbigfien 33ifd&öfe foHen fel^r barüber xoaä^m, bafe il^re
Pfarrer unb Äird^enöorftänbe feine mufif alifd&en 3luffü^rungen geftatten,
meldte ben 3Sorfd&riften ber gegenmörtigen 2lnorbnung entgegenfte^en ; naci&
i^rem ßrmejfen unb ibrer ftlug^eit fönnen fie fid& aud^ ber fanonifd^en
©trafen gegen bie Unge^orfamen bebienen^.
* £)hiQi^ ^Reglement tourbc m^ 1899 bcr Jöerfammlung fftbamerifanifd&et
a3ifd§öfe in 0lom aur a3cratung öorgelegt. ©ute f81X^n über bie bel^anbelten
©egenftänbe finb: ^. ßrutfd^e!, S)ie ^ird^cnmufif nac^ bem Söittcn bcr äix^t,
unb Inama-Less, La musica ecclesiastica secundo la voluntä della Chiesa, fo=
tt)ic aud§ ©elbft, S)cr fatl^olifd^e Äird§cngcfang , unb Krabbe!, ^rinaipicn bcr
^ird^enmufi!.
Oietmann, äftl^etil. 3. %vL 21
322 9laittte8 Bttpittl
403. Sejüglid^ \olä)tx Seftimmungcn gelten folgenbe SRegeln:
g§ fielet für ben Äatl^olifen Qu^er 3ttJeifeI, ba^ bie fird^Iid&e Slutoritöt
unb nid^t ba§ ^riüaturteil ber ©laubigen ju beftintmen ijat, tt)a§ im
ffird^enbienft, jumol in ber eigentlichen Siturgie, ju Sled&t befielen follc.
3nbem nun bie l^öti^fte fird^Iiti^c 3lutoritöt öon biefcr SefugniS au§ guten
©rünben t^atfäti^lid^ ©ebraud^ gemad&t i)at, [inb unter anberem ouc^ bie
t)on i^r ongeorbneten Süd&er, baS Sredier, ba§ 5IRifyaIe unb getoijye @e=
fongbüd&er mit bem Stempel ber Slut^enticitöt, b. 1^. ber einjig competenten
3lutorifation, berfel^en morben, unb genau fo tt)eit tt)ie eine jebe 9lnorbnung
einem aßunfd^e ober einem Sefe^Ie gleid&Iommt, iji fie mit fti^ulbiger 6^r=
furd^t onjune^men ober ju befolgen.
®ie offijießen (bei tS^uhx. Ruftet in SRegenSburg, 3lem 2)or! unb
ßincinnoti auggegebenen) ßl^oralbüd^er finb:
I. S)a§ Antiphonariura Romanura, ba§ offijielle ©Vorgebet betreffenb ;
l^ierju gehört aud^ ba§ Vesperale Romanum unb ba» Officium hebdo-
madae sanctae.
IL S)a§ Graduale Romanura, bie SHe^gefänge, aud6 j. 33. bie
^affion, ent^altenb.
in. S)a§ Pontificale Romanum (2Bei]^eritu§).
IV. S)a§ Rituale Romanum (für ^rojeffionen , 33egräbniffe , ©cg=
nungen).
Sejüglid^ ber 3lut]^enticität unb beS beobpd^tigten ®rabe§ ber 3Ser=
})flid^tung biefer SSüd^er liegen me^rfod^e @ntfd&eibungen öor, bie le^te öom
7. 3uli 1894, meld&e ^apft Seo XIH. „genehmigt, beftätigt unb ju üer^
öffentlid^en befol^Ien l&at". ©ie ift für alle binbenb. ^ier werben namentlid^
bejüglid^ ber Slut^enticität bie Seftimmungen ^iu§' IX. öom 30. SJlai 1873
(Srede „Qui choricis**) unb 2eo§ XTTT. öom 15. 3lot)ember 1878 (Srede
„Sacrorura concentuum**) unb bo§ S)elret ber SRitentongregation öom
26. 2lpri( 1883 öon neuem eingefd^ärft unb bie SSerpflid&tung jur 6in=
fül^rung ber „fird&Iid&en 6^oraIbüd&er", mie fie ebenfo !urj afö treffenb
Reißen, nod& einmal genau umgrenjt: „3in Sejug auf bie einjelnen ßird&en
geftattete t^xtx^txi, einen gefe^möfeig eingefül^rten unb bi§ bal^in üblid^en
©efang nod& meiter^in beijubel^alten, glaubte biefelbe l^eilige Kongregation
ba§ S)efret il^rer @i|ung Dom 10. Slpril 1883 mieber^olen unb einfd&ärfen
JU foHen. 3n biefem forberte fie nad^brürflid&ft ade fird^Iid&en Dberl^irten
unb anbern Pfleger be§ Sird^engefangeS auf, bie öorgenannte 9lu§gabe jum
3it)erfe ber Sinl^eitlidöleit be§ (Sefange§ in ber l^eiligen Siturgie in 2luf=
nal^me ju bringen, ol^ne j[ebod& bamit, ganj in ©emäfe^eit be§ umftd^tigen
unb tt)eifen SJerfal^renS be§ 9lpoftoIifd&en ©tul^Ie§, ben einjelnen Äird&en eine
S)ic ßird^cnmuflf. 323
SScrt)fIid^tung aufäuericgcn'' (quamvis illam editionem singulis ecclesiis
non imponeret).
91I§ objelttocr ©runb, meldtet bic bcrcitmifligc 9lnnal^mc bc§ gegebenen
bringenben SlateS empfiehlt, mirb in biefem unb onbern . ßrloffen bie er=
jiteBte ßin^eit aflcr Str(3&en mit ber römifdöen angefül^rt. 3n biefer ©inl^eit
liegt ©e^orfom , Siebe unb grbauung ju gleid&er Q^it / ©e^orfam gegen
gtom, Siebe ju ben ©d^mefterfird&en unb Erbauung für oKe ©laubigen.
404. 2luf einen anbern (Srunb toirb weniger ouSbrüdflid^ l^ingcmiefen.
@r liegt in ber SSortrepd^feit be§ römifd&en ßl^orate. S)ie grunblegenb'en
aSerbienfte ber erften ßonH)onifien, ©ammler unb Drbner, bie 33emü^ungeit
(Sregorg XIH., ^aul§ V. unb in unferer 3eit ^iu§' IX. unb 2eo§ XIII.
fotoie bie oftmalige ßin^olung be§ ©utad^tcnS öon ßennern, aße biefe Um=
flänbe fpred&en für bie öerl^öltni^möfeige SSortreffliti^Ieit be§ römifti^en 6§oraI=
tcjteä. @S fommt inbeS ber ürd^Iid^en 3lutoritöt nid^t in ben ©inn, öon
einer fti^Ied&tl^in beften 3:ejtform ober gar Don ööKig unangetajieter Ur=
fprünglid&Ieit be§ gregorianifd^en @efange§ ju fpred^en, fo toenig »ie ettoa
für bie „autl^entifd^e" SSuIgata fold&e 2lnft)rüd&e erl^oben merben. Übrigen^
bürgt für einen ^ol^en ®rab t)on Urft)rünglid^feit ba§ 3lnfe]^en @regor§
be§ ©rofeen in ber Äird^e, ber beftänbige t)raftifd6c ©ebraud^ be§ 6^oraI=
gefangen unb bie belannte Se^arrlid&Ieit SRomS in ber geft^altung be§ 9llt=
betoöl^rten; für ben lünftlerifd^en SBert ber Reform genügt bic Berufung
auf einen 9Keifter me ^ßaleftrina (fofern eben bie ^eftfteßung be§ 9loten=
te^e§ fein SBerf ift) unb einige mufilalifd^ l^od^gebilbete geitgenoffen begfelben.
5)er ^iftorifd^en gorfd&ung ift natürlid& bie 3lu§fid&t nid&t benommen,
intereffantc ginjel^eiten rüdfid&tüd^ ber älteften ©eftalt unb ber 6nttt)idflung
be§ römifd^en ß^oraI§ an§ Sid&t ju förbern, ja gcrabeju bebeutenbe 6nt=
bedungen ju mad^en. Sbenfo mag man mel^r ober minber neue öft^etifdöe
9lnfd&auungen auffteHen, tt)ie ber ß^oral ju beurteilen unb borjutragen fei.
3lur mufe bie fdbulbige ß^rfurd^t gegen bie 3lnorbnungen unb 6injeIbor=
fd&riften ber firdölidfeen 2lutoritöt nid^t berieft, muffen aud& leine aufbring=
lid^en, unreifen aSorfd^löge ju praftifd^en Ünberungen gemad^t merben.
^orfd&ung unb Sl^eorie be§ ß^orafö ftnb banf ben raftlofen Semül^ungen
ber ©öl^ne be§ 1^1. S3enebift unb fo üieler anbern ©iferer für toürbige
ßird&enmufi! fe^r toeit f ortgefd^ritten , aber bod6 nod^ meit entfernt, ab=
gefd&Ioffen ju fein. @§ überftürjt ja, mie eine SBeHe bie anbere, fo nod^
immer bie eine 3lnfd^auung bie anbere in unftetem SBed&fel; man benfe
an bie Sefung ber 5Reumen, an bic &rage, ob freier St^^tl^muS ober 2:a!t=
ma^, an bic Ornamente ber 5öieIobie, an bie etmaige, ^eutjutage nid^t
immer ju umgel^enbe Begleitung u. f. m. 3)a§ Antiphonarium S. Galli,
cntbedft bon SambiKotte S. J., tt)irb ^öd&ftenS in§ 9., ba§ gKanuffrit)t bon
SKontpeüier ]^öd&ften§ \n% 11. Sa^rl^unbert gel^ören. SBann mirb man fid^
21*
324 9leunied ftapittl
alfo über ben cd^ten SMujtftcjt beS 7. 3a^tl^«nberfö einigen? 3n biefe
fd^toanlenbe Semegung mu^ man bie lirci^Iid^e ^ra^iS nid^t l^eretniie^en
toollen, jumal biefe felbft auf fe^r guter fünftlerifd&er unb trabitioneHcr
®runblage rul^t, unb i^re ^toeid^ung t)on ber urfpränglid&en , man fage
aud^ Don ber lünftlerifd^ t)oII!ommenften ®e^alt, i^re gute Segrünbung in
äugem Untßönben finbet. SSergleid^e man bo(4 nur einmal bie Sntoidlung
ber lird^Iid^en @prad^e. 2)en übereifrigen ^l^ilologen, ber bag liturgifd^e
Satein mitfamt ber trabitioneHen 9(ugfprad^e beSfelben nad^ @)icero§ ober
aud^ SertuIIianS ober f)ieron9mu3^ Sprad^e unb ^luSfprad^e meiftern moHte,
mürbe man fid^erlid^ menig berüdffid^tigen. 2)ie jiird^e ift an bie genaue
gorm unb ben genauen Vortrag ber 9Kufif ®regor§ (ber felbft getoi^ nidöt
in aßen fünften ber ambroftanifdöen ober überl^aupt einer öltern ftird6en=
mufif fid^ anfd^Iofe) ganj unb gar nid&t gebunben. 9lu(6 barf man nid^t
einfadö^in iebe fpäterc ^nberung al§ ®ct)rat)ation bcieidöncn. S)er lange,
finnlofe ftamt)f gegen bie ßntfd^eibungen SRomS, öorne^mlid^ in granfreidö,
l&at in ber 3:^at nur bie Seibeufd^aftlid^Ieit unb nid^t minber bie UntDiffen=
fd^aftlid^Ieit öieler offenbar gemad^t (ögl. Abbe Lans, Dix ans apres le
Decret „Romanorum Pontificum**).
406. ®er ®eift ber Äird&e mufe in aßen benjenigen ^ßunften, über
meldte leinerlei beftimmtc SSorfd&riften beftel^cn, in erjier Sinie leitenb fein;
lünftlerifdöe ober miffenfd^aftlid^e 9lüdffid&ten lommen erft an jmeiter ©teße
}u bem i^nen gebül^renben SJlafee öon Siedet unb ßinflu^.
9?iemanb mirb beranla^t, ben trabitioneßen ©l^oral in allem unb
jcbem al§ unübertroffen unb unübertrefflid^ ju bemunbern.
@§ genügt, bafe man Die aSorfd^rift ber Äird^e als gut unb meifc anericnnt
unb mit liebeDoflcr |)ingebung befolgt. 2öa§ nott^ut, ift femer, ben ß^oral
in feiner Eigenart ju ftubieren unb feine maleren Sorjüge jur ©eltung ju
bringen. 5)a feine beengenben ®cfe§e ben SSortrag bcftimmen, fo ift e§
um fo mid^tiger, cinfad^ fd^ön unb feelenooß ju fingen, ben l^eiligen %e]ci
mit SBürbe unb 2lnbad^t ju recitieren unb bie ©timmung bcSfelben mit
ber 9KcIobie DöBig ju öerfd^meljcn. *
406. ©el^en mir j|e^t auf SBefen unb ©eift ber ßird&enmufil ettooS
naiver ein.
3toei äuperjie ©tanbpunitc finb in ber Beurteilung berfelben
JU Dermciben: man mu^ fie nid&t in ber SBeife Don ber mobernen ftunfts
mufif abfonbern, bafe fie afö gebunben unb unDolIfommen erfd&eint,
unb nid&t in fold&cr SBeife mit berfelben gleid^fteßen, ba^ fie ju einer t)rofan=
äftl^etifd^en, einer rein l^ebonifd&cn Äunft ^erabgemürbigt mirb.
g§ giebt fd&einbar mo^tooßcnbe Seurteilcr ber ffird&enmufif, toeld&e i^r
bie DoBfte Sered&tigung jucrfennen, beim ©otteSbienfte bie ßrbauung ber
©laubigen ju förbern, il^r aud& einen eigenartigen l^eiligen ß^arafter beilegen.
S)ic ftird^cnmufif. 325
ja bercittoillig jugcbcn, bafe bic ^errfid^ftc 9Hufif „mobetncn'' ©tils tto^ be§
rcligiöfcn 2:c^c§ oft tocnig für bie ffird^c geeignet fei. ©olc^e Jfritiler
fd&Iiefeen fogar bie ßirti^enfompofitionen eines 5!Jiojart, ^a^bn unb Seetl^oöen
t)om ©otteS^aufe an§>, Sie glauben, bafe biefelben tocgen il^reS fubjeftiöen,
rcalipifd&en unb toeltlid&en 9lnftriti&§, »egcn il^rer unruhigen, anft)ru(i&St)oIIen,
ü|)t)igen unb lärmenben 3lrt nid^t fonberlid^ jur @rbauung ber öcrfantntelten
5Kengc, fonbern me^r jur Srgö^ung eines Sonjertt)ubIiIumS geeignet feien.
Stl^nlid&eS jagt man aud^ Don ben großartigen SBerlen eines ©eb. ^aä).
3)ie „alte" Sird^enmufi! eines ^aleftrina foB für bie Rirti^e in ©eltung
bleiben; felbft eine neuere ^Rad&a^mung berfelben fei toenig ju empfehlen.
Mein alle biefe Sufl^ftönbnijfe ^aben eine 3lnfid^t don ber flird^cnmufil jur
SorauSfe^ung , meldte biefer leineSioegS jur 6^re gcreiti^t. SJlan benft fi(36
ben Äird&enftil als einen überaus bürftigen, gebunbenen ©til, ber eben=
barum für bie ffircfte geeignet fei, ben fogen. mobernen ©til bagegen als
ben burdb eine angemeffenc fjreü^eit jur abfoluten aSoßfommen^eit enttoidelten
©tu, ber ebenbar um im ©ottcSl^aufe nidöt am Pa§e fei. S)ie „3llten",
fo fagt man, traten im (Seifte il^rer ^txt, maS fie öermod^ten ; fie derbienen
audö l^eute nod& unfere Semunberung ; allein fie ftanben immer unter bem
„3tt)cinge" ber !ird[|li(j^en SSorfd^riften unb ©emo^n^eiten unb fül^Iten fid^
nur beSl^alb meniger be^inbert, toeil bie SJlufil ber 3ßit bie realipifdöe Süße
beS 3luSbrudES, über bie mx je^t Verfügen, nod& nid&t lanntc. 3e§t aber
ifi, tt)ie es l^eifet, bie S^i* für neue lird^Iid^e ßom|)ofitionen Vorüber; tooju
alfo ben befreiten ^arabieSbogel , bie großartig entmidfelte neuere 9Kufi!,
tt)ieber in ben engen ßöfig fperren, hinter baS ©itter all ber 9lüdftd6ten
unb 33orfd&riften, toeld^e bie Sßer^Itnijfe beS ©otteSl^aufeS unb beS religiöfen
ßultes aßerbingS nottoenbig madöen? ©d&on bie ßunft eines Sad^ ift „öiel
ju groß", als baß fie nid&t bie ©eele ganj erfüßen unb ben ßinbrudE ber
ßult^anblung abfd&mäd^en foßte. ^freier unb gebunbener ©til, baS
finb hie ©tidömörter, mit benen biefe 3lnfid6t ben Unterfd^ieb Don ürd^Iid&er
unb profaner (bäio. einfad& religiöfer, aber nid^t ftreng lird^Iid&er) SJlufif
auSbrüdft.
407* §ier liegt aber ein praftifd^er unb jugleid^ tl^eoretifd^er Strtum
ju ©runbe: man beurteilt tl^otfäd^lidö bie Äird&enmufil einfeitig unb un=
gered&t, menn man meint, fie fei notmenbig unb mefentlid^ unöoßlommen,
unb man ge^t babei Don bem öerfel^rten ®runbfa| aus, ber 3^^^ ^^^
©rbauung laffe überl^aupt bie ßird^enmufif nid&t jur aSon=
fommenl^eit gelangen.
Selanntlid^ ift eS nid^t fo leidet, ja eine malere unb anfel^nlid^c ßunft,
ein cinfad^eS Sieb fürs 3SoIt ju mad&en, baS burd^f dalägt ; toorauS nid^t
ettoa folgt, baß ein foId^eS SoHsKeb bloß burd^ 3lnt)affung an ben ro^em
©inn ber SJlenge burd&fd^Iagenb »erbe, fonbern in ber treffenben ©infad^l^eit
326 9leunted ftcöpiitl.
fclbft, bei tiefem ©el^alte, liegt baS ©cl^eimnis beS 6rfoIgc§. ®ur(i6 eine
öl^nlid&e Setrad&tung gelangt mon jur riti^tigen Beurteilung bcr ßird&en=
mufil. S)iefe mup öor ollen anbern 3lrten bet SJlufi! bie grofee 3Kenge
anregen unb tief in ben Sufen greifen, unb ba^ fie bie§ unter günjügcn
Umfiänbcn aud^ »irllidö t^ut, ungleidö ftärfer atö eine SBagnerfti^e Oper, ift
unjtoeifcE^aft. SBol^I ift baS aud^ eine SBirfung ber erhabenen ftultl^anblung ;
aber man mu^ fid^ lauten öor bem 3trtum, als gel^e bie ^eilige ^anblung
)o einfad^ neben ber 9RufiI l^er; nein, fie erfüllt biefelbc gonj mit i^rem
©ciftc. 5)ie ©d&önl^eit ber SRufif befielt ja feineSmegS — toie bie§ ^anUxd
ettoaS einfeitig bel^auptet ^at — in ber bloßen gorm. S)ie 2;öne l^abcn
nur äftl^etifd^en SBert als 9luSbrudf eineS Snl^alteS, unb bei ber SSofalmufil
giebt bie im 2:ejt auSgefprod^enc Stimmung ben ©el^alt aud& für bie SWcIobie
ai; ber %tii aber ft)rid6t nun »ieber bie ber liturgifdöen ^anblung an=
gcmeffenc Stimmung auS. 3Jlan ift alfo !aum bcred^tigt, bie 9lü]^rung,
meldte j. 33. ben 1^1. 3luguftin bei ber einfad^en ambropanifd^en 9WeIobie
erfaßte, fofort auf 5Rcd6nung beS S^ejtcS ju fe^cn. 9lugujiin felbft fd^reibt
fie befanntlid^ ben fü^en 3:önen ju unb überlegt in allem @mfte, ob er fid&
biefer SBirlung ber SKufif nod^ fürber l^ingeben fofle ober ob eS öoßlommencr
fei, eine reinere ©eifteSfreube ju fud^en (f. oben 9lr. 370). 3lid6t als ob
bie ambropanifd^e ^falmobie bereits eine öollenbete Äunftleiftung getoefen
märe; aber eS ift bod& für ben Söert ber 5!Jiup! t)on burd^fd&Iogenbcr S9e=
beutung, »ie pe cS öerfte^e, burd& bie 3:öne ben SBeg jum |)erjcn ju
pnben. SBenn ein cinfad^eS ftird&enlieb Parier ergreift, als ein funftreid&eS
9Kotctt, fo barf aud& ein Üp^etiler nid^t anpeilen, jenem ben SSorjug ju
geben. 2BaS liegt an aller gormfdöön^eit , menn bie einfad^fte SHupI ol^ne
aßen ^runl mid& ben mal^rpen ©d&ön^eitSgenu^ im innerpen ^erjen em=
ppnben löfet? S)aS mag ja bie SBirfung beS an bie l^eilige |)anblung pd^
anfd&üe^enben 2:ejteS genannt werben; aber ber 3!n^alt bcS S^ejteS ip in
bie 9KeIobie aufgenommen unb lommt erp burd^ pe jur üoKcn ©eltung.
iSti)ii pe, fo bleibt bie SBirfung aus.
3Man barf alfo nid&t ben überfd&mänglid^en Sleid&tum ber mobemen
9)Zupf an SKitteln beS 3luSbrudfS einfeitig geltenb mad^en jum SBemeifc, bafe
bie Rird&enmupl feine ed^te Sunp fei, toeil eS il^r an 2)ntteln beS 3luS=
brudts fel^Ie. ßbenfogut lönnte man umgefel^rt ber t)rofanen SRupI ben
ß^arafter einer ed^ten Äunp abft)red&en, meil eS i^r an bem redbten Sinl^alt
fe^Ie. Seibe Se]^au|)tungen pnb einfeitig, unb eS ip nid^t leid&t }u fagen,
ob bicfe me^r als jene. Snl^alt unb 2luSbrudfSmitteI pnb beiberfeits t)er=
fd&ieben verteilt ; ba aber für bie 2Bertfd6ä|ung ber ßunp ber Snl^alt fd&merer
ins ®eit)id&t faßt als bie gorm, fo lann red&t mol^I ein lirdfelid&eS SRupfc
püdE mit befd^cibener gormf d^ön^eit , aber mäd^tigem ©efül^lSauSbrudf , eine
formpräd^tige \)xo\am ffompoption übertreffen.
S)ic Äird^enmujif. 327
Stellen mir einen aSergIcici&. 6icero, bcr größte rl^etorifd&e ^ormlünjilcr
bcr SRömer, rät, bie feinften ffunftformen nid&t gcrabe bort onjumenben, tt)o
man eigentlid^ ba§ ©emüt ergreifen motte (Siebner ßap. 62). 5lu(i& C)oraj
fagt in feiner ®i(i6tfunji (SS. 95 ff.), bie Sragöbie lege i^r ^Qt^o§ ah (bie
„anbert^albfüfeigen" SBorte!), fo oft fie ba§ ^erj rühren motte. SBie möre
es alfo, menn bie tQirti^enmufif gerabc megen il^reS tiefl^rifd&en ßl^aratterS
bie Qu^gefudöteften, mel^r äu^erliti^ bie ^pi^antafie aufregenben ober bie ©inne
fi^clnben ftunftntittel nid&t benötigte, ja öerfd^mäl^te? 2Ba§ l^inbert
un§, ju biefen SJlitteln bie !ünftli(i6ern unb gugleid^ lärmenben 3nftrumentoI=
leifiungen, bie übcrmud&emben ©iffononjen , ben üt)t)igen SRl^^t^muS ju
red^nen? S)er tiefgefül^Ite 2lffeft mitt mögli(!()ft naturgemäß, im engern
©inne biefeS SBorteS, erregt merben; natürlid^er ift aber bie SSofalmufif,
bie ffonfonanj ber Slltorbe, ber mäfeig bemegtc unb mäpig meti^felnbe ^ifftfi^^^
mu§. S)ie mand^mal gering gefd^ä^te biotonifd^e Tonleiter ift fogar bie
einjige eigentlid&e 3laturleiter, mie bie neuere 3ßuftif fd&Iagenb nad&meift.
408, 9lber, fo fagt mon, e§ läuft in ber ffird&enmufil bod^ immer
auf bie Erbauung unb bie Slnbad^t ^inau§, nid^t auf ben ffunftgenufe al§
fold&en ; ba ift SKaß^altung unb Sefd&eibenl^eit, aber feine ffunft unb ©d^ön^eit,
baS |)eri erfreut ftd^ oietteid&t, aber ba§ D^r muß fid& langmeilen. ©emiß,
bie ßrbauung ift le^ter unb l^öd^fter 3^^*^ ö^^^ näd&fter Qmd ift bie
mufilalifti^e 2lu§|)rägung be§ im Sejt unb in ber Siturgie bargebotenen
©d^ön^eitSgel^alteS. ®iefer ift, attgemein gefprod^en, oielmal reid&er al§ ber
eines DperntexteS ober einer Sül^nenauffü^rung. S5aS burd& t?orm!ünfle
atter 3lrt öermö^nte Dl^r mag fid& an bie befd&eibene, aber ftimmungSbotte
fftrd&enmufil nid^t fofort gemö^nen ; fie mag il^m gar etmaS finblid^ unbeholfen
fd&einen. ©o lönnte aud^ ein moberner Sattettänjer ftd^ leid&t bie Slnftd^t
bilben, ber gried^ifd^e Sragöbe auf feinem Äotl^urn ^abe bod6 eine finbifd&
fd^merf ättige Semegung gehabt, unb er ^ätte bamit ja niti^t ganj unred^t ; aber
inbem er über ber einen ©eite ber alten Sragöbie atte anbern überfielt,
fommt feine 2lnmaßung in bem abfättigen Urteil über bie 2llten an ben
2ag. 5!Jian fott bie ^rofanmufif nid^t berunglimpfen ; aber nod& meniger
bie Äird^enmufif, oon ber bod^ fo oft bel^auptet mirb, fie fei in ben ßinber=
fd^u^en fterfen geblieben. ®er S3Bunberbau ber ed^ten ^ol9|)^onie, mie er
bei mand&en ber 2llten entjüdft, mag ber leidsten Semegung einigermaßen
entbehren, aber bod& fidler nid^t einer großartigen Äraft unb SBürbe. S5ie
^oI^t>]^onie, b. 1^. ba§ lunftreid&e ©emebe t)ieler na^eju felbftänbiger, ma]^r=
Öaft melobifd^er ©timmen, ift jubem ein fe^r geeigneter 3lu§brucf für bie
große 9Kaffen burd^mogenben unb bod& ben einjelnen oott unb ganj be=
^errfd^enben 3lnbad^t§gefü]^Ie. S)ie ßonjertmufif, infofern fie einen ©egenfa^
jur Äirdfeenmufil bilbet, mirft t)iel ju fe^r auf bie Dberfläd^e, menn id&
mid6 fo auSbrüdfen barf, unferer ©eele, bie ba^er nid^t eigentlid^ erfüttt,
328 9leunteiS Siapittl
fonbcrn me^r bcfd^äftigt unb angeregt, tote anä) ba§ Slerdenf^ftem gereijt
unb mand^mal baS Of)x betäubt toirb. 3Q3eit entfernt, bic cd^te ^rofan=
mufif in i^rcn großartigen Setftungen l^erabfe^en ju toollen, möd&ten ttir
^ier nur bie große (Sinfeittgleit betonen, bie in unfcrer fJ^age unb äbcr=
]^aut)t in ber äft^ctifd^en Setrad^tung ber SKufil mitfpielt. ®ie neuere t>ro=
fane 2Kufif l^at i^re eigenartigen SJorjüge ganj in ber gform unb in jenem
realiflifd^en ©efü^IäauSbrud, ber in ber Äird&e ntinber am ^la^e ifl. 3in
^rinjip öerbient bie innerliti^ere ftird^enmufil entfd^ieben ben SSorjug ; don
ber „abfoluten" SSoßfomntenl^eit beS neuern 3MufiI[tilS foßte man beffer
immer mit ber @infd6ränlung reben, biefeS 2ob fei auf bie SluSbcutung
aller ^ormmittel unb auf bie fubjeftibe 9lu§bru(fSfä^igfeit ju bejiel^n. Ttm
lönnte ber neuern ^rofanmupl Iei(3&t aud^ nod^ öon einer anbern ©eite
beilommen : fie l^at fid^ nömlid^ bem Seben fo fe^r entfrembet, baß fic il^ren
luItureHen ßinfluß ju einem großen Seile eingebüßt l^at. 3lad& Äralifö
treffenber ßl^araöeriftif ift unfere SWufil ßonjertmufti, bie alte aber gerabeju
2eben§mufif. 3n ber Sl^at barf bie festere ben SRu^m, 5!Jiufif für§ fieben,
3Mufi! für bie große SKaffe beS 3SoKe§ ju fein unb fe^r reellen ©influß auf
©eift unb |)erj ju üben, too^t für fid^ in Slnfprud^ nel^men. 3)en 3iuf)m,
bie öoBenbetere ^formlunft ju fein, mag fie bafür getroft an bie meltlidöe
SJlufif abtreten, tt)eld&e einem auäerlefencn ^ßublifum einen öerfeinerten ffunft=
genuß, mel^r für D^r unb ^^antafie als für |)eri unb ©eele, ju bereiten
bie reid^Iid^ften 9KitteI l^at. Übrigen^ toirb meiften§ ol^ne (Srunb t)orau§=
gefegt, bie S^ortfd^ritte ber neuem SJlufil bürften ber ffird&enmufil nid^t aud&
ju gute lommen. 3Qßenn einmal lieber ein 5!Jieifter tt)ie ^alcftrina erfd^iene,
fo mürbe er im (Seifte be§ großen ^erluigi, ober beffer im ©eifte be§
liturgifd&en SejteS unb be§ !at]^oIifd^en flulte§, im ©eifte ber
ßird^e alle grrungenfd^aften ber Sleujeit al§ „spolia Aegypti** inS |)eilig=
tum retten. ®abei ftänbe il^m feine !ird6Itd&e SSorfd^rift l^inbemb im SOßege.
409* ©anj im ©egenfa^ ju ber beft)rod6enen 2lnfid^t miß eine anbere,
nid^t minber verbreitete, gerabe bie neuere 2Kuftl in bie ffird^e eingeführt
miffen — fomeit ba§ nur immer bie aSerl^ättniffe erlauben mögen. 3um
Seil iji ba§ 6ifer für bie SBürbe ber ilird^enmufif felber, ber man aßen
©lanj ber ^ßrofanmufil fid&ern möd&te; leiber aber mand&mal mißöerftanbcner
ßifer, menn man nämlid& bie malere 3lufgabe ber SJluftl im ©otteS^aufe
öerlennt, bie ©teßung ber Äird^e jur fdöönen ßunft nidöt red^t mürbigt,
i^re ©efe|e löftig finbet unb eine uneingefd&rönfte Entfaltung ber
ßird^enmufil al% beren unerläßlid&fte 2eben§bebingung anfielt. 3)a§ fül^rt
un§ oor bie entf d&eibenbe ^frage : 3ft bie ßunft in ber Äird^e Iebig=
lid^ nad& äft^etifd&en ©efe^en ju beurteilen?
®iefe t?tage fd&eint mo^I mand&em überflüffig, ber überzeugt ift, baß
in bem ©otte§]^au§ bie fiird&e unb nid&t ber Sünftler ju befehlen l^at ; öiet
3)te Äird^cnmuft!. 329
leidet and) mand^etn anbem, ber ^ä) fagt, toenn bie ^ixä)z bie fci^öne ^unft
in i^ren 2)ienft }te^e, fo tnäffe fte biefelbe anä) naä) ben ®efe|en ber jtunft
frei f d&atten laff en. 2)er erftere ® runbf q§ iji iebenf aKS unbeftreitbar. 2)ie
ftird^e ift ^enin im ®otttSf)a\i% unb mu^ am beften toiffen, »aS fte bort
braud^en ober bulben tann. Übrigen^ ift ber lat^olifci^en Si\xä)t eine ^b=
neigung gegen bie Sd^önl^eit unb bie fci^öne jlunft mal^rlid^ nid^t t)or=
}un)erfen; fie toar immer unb äberall barauf bebad^t, bie ßr^abenl^eit unb
Siebüd&!eit ber übematürlid^en SQßa^rl^eiten bem 9$oIIe in finnlid^ anjiel^enben
S^ormen näl^er ju bringen, unb nid^t minber bie %S)ai]aä)tn, bon benen bie
^eilige ©d^rift unb bie ©efd^id^te ber ^eiligen berid^ten, jur Setounbcrung
unb Erbauung in anfd&aulid^er @eftalt }u t)ergegenn)örtigen. @3 !Qnn bQ§
nid&t einmal anbcrS fein, folange bie 9ieIigion ben S3eruf f)at, ben ftnnlid&=
geiftigen SKenfd&en ganj Qud6 ftnnlid6=geiftig für fid^ ober bielme^r für (Sott
in Slnfprud^ ju nel^men. SQßie baS innere religiöfe Seben beS einjelnen
fid& in SBort unb %^ai, feine toärmften gmpfinbungen in poetifd^ gehobener
©prad^e unb in @efang auSjufpred^en unb aud}ule6en fud^en, fo brdngt
aud& ba§ innere ßeben ber ßirdöe nad^ einer gemiffen SSeröu^erlid^ung , in
ber e§ fidö »ürbig offenbare unb au§ ber e§ felbft »ieber neue 5Ra^rung
f*öj)fe.
S)er fromme S5if(^of ©ailer fprad^ biefen ©ebanlen in folgenber 2Beife
au§: ,,®ie Steligion, al§ baS innere Seben, l^at einen unaustilgbaren 3n=
flinft, fid6 }U offenbaren, fid& anfd^aubar, ^örbar, genießbar }u mad^en, ftd6
in einen 2eib }u geftalten, in bem fte gefeiten, gehört, gefül^It, genoffen
»erben !ann; benn fie ift eine gflamme au§ ber l^öl^ern, ewigen SBelt, bie
im ©emüte lebenb unb toebenb fid& unmöglidö l^alten lann, fonbern ftd6
offenbaren mufe, fid^ außer ftd& beioegen mufe, bie empfönglid^en (Semüter
ergreifen, burd^bringen, fid^ gleid^mad^en unb mit fid6 bereinigen mu^. ®ie
eine »a^re Steligion ^at alfo einen unenblid^en Strieb, fid^ ju offenbaren,
fic^ öufeerlidö barjuftellen, ^at einen unenblid&en Jrieb in fid^, entjünbbare
©emüter ju entjünben unb mit bem geuer i^re§ ®eifte§ ju taufen."
S)ie berufene |)elferin babei ift nun aber bie flunft. S)enn biefe l^at
bie 2lufgabe, aKeS ©eiftige unb @ble in fd&öne formen ju Ileiben unb ju
gleid^er 3^W ^^^ ii^b ©inn ber 5!Renfd&en gefangen ju nehmen, um beibe
jU beglüdEen unb ju berebeln. 2Ba§ fann ber ^irt^e alfo »ilHommener fein,
ate bie 2RitteI ber fd^önen ßunft jur 3Jerfügung ju l^aben, fo oft fie für
ba§ C^öd^fle ertoärmen unb begeiftem, ba§ Übernatürlid^e ber fd^toad^en
gfaffungäfraft ber 5!Kenge anpaffen, aKe Vermögen be§ SWenfd^en für ben
3)ienft be§ |)errn meinen unb bet^ötigen »ifl. W\i toeld^em aBoJ^tooIIen mu^
fie nid^t allen ftünfien entgegenf dmmen 1
©elbft 21. SB. ©d^Iegel i)at in fd&önen ©tanjen gefd&ilbert, toie bie
Sird^e bie mit bem berfaKenben |)eibentum ebenfalls berfaflenen fünfte ju
330 3flcunte8 Kapitel.
neuem fiebcn rief unb i^nen jtoar nid^t eigentUdö neue ©efe^e, aber neue
©toffe unb einen neuen @eift gab ; toie fie junöd^ft ber 9lr(i6iteltur bie 2luf=
gäbe fteHt, naä) alten ©runbgefe^en einen fd^önern (SotteStempel aufjuriij&ten,
toie fie fid^ fobann an bie 3:onIunfi »enbet mit ben SSortcn:
Unb fold^ (^tb'dxi crfüttcnb au burd^bringen,
Sßölb» avL^ 50lun! bcr 3:öne rcid^cn f8au,
SJcrl^dltniö au8 JBcr^dltnig Ia6 cntf|)ringcn,
©efonbert, tot^^dnh, bod^ vereint genau,
äöte attc ©pl^ären rein aufammenflinöcn,
^06) jebe üugel aud fr^ftaU'nem S3ku
3n einem %on: |o mu^t bu in ©etoittcrn
S)cr Harmonie bie ©eclcn tief crfcl^üttern.
2)cr ^immcl toirb bir eine §cirgc Icil^'n
3ur Sfü^rerin t)ou bcincn öotten d^bxtn;
@3 tt)irb bcr ßicbcr öiclüerfd^lung'nen Slcil^'n
S)urd^ neue Äunft ß^dcilia l^olb bcfd^toören.
S)cr 5!Jlen|cl^en ©timmen tragcnb im Jöcrcin,
3öirb il^rem S)rutf au8 bcn metatt'nen Stöl^ren
ein fü^er 3öinb bcö äöol^IIautä atmenb ftcigen
Unb fid^ mit jenem lieben ober neigen.
3n ö^nlid^er SBeife fommt oKen fd^önen fünften bie el^renboHe 6in=
labung au§ bem 30?unbe ber l^el^ren Königin ju. SBerben fie fi(i6 ba eng=
l^erjiger 93eforgni§ Eingeben unb nid^t bielme^r ber fü^en !^\i\)n\\(t^i , bie
lo^nenbften Slufgaben jugeteilt ju erl^alten? 2Birb in§befonbere bie 9Rufit
ben Äonjertfaal bem @otte§^aufe borjiel^en ? §ier finbet fie bod^ bie toürbigften
©egenftönbe, finbet aud& ein fid^ereS, tool^Igeftimmte^ ^ublüum. S)er Sejt
ber Siturgie unb anberer ©ebete ift ol^ne 3Ser§ unb 9ieim meiften§ |)oetifd&er
afö ein Dperntejt, unb erft red&t finb bie barin niebergelegten Stimmungen
biel ebler unb inniger, biel abgellörter unb lauterer; fie tnerben öon ber
l^eiligen ^anblung getragen, bon mehreren anbern fünften (S3au!unft, 3KaIerei
unb 33ilbnerei) unterftü^t, burd^ bie begleitenben ©ebete be§ onbäc^tig ge=
fammelten SSoIIeS getoeil^t, SBeld^eö Dpern^au§ tnöre eine aud^ nur l^alb
fo günftige ©tötte für bie ibeale Sonfunft?
@in befonberer ©egen fann ber ^eiligen TOufi! aud& nid&t fel^Ien. 9lfö
aJiofeS bie ©tiftS^ütte baute, mürbigte fid& ®ott felbft, bie ^ünftler namentlid^
ju berufen unb i^nen feinen ©eift mitjuteilen, bamit fie ju jeglidöem 2öer!e
tauglid^er mürben; ebenfo inft)iriert ©ott ein bon bem SSoIIe 3§rael ju
fingenbe§ Sieb. 5 9Kof. 81, 19. 30 lefen toir: „©0 fd&reibet eud& nun
biefeS Sieb unb leieret e§ bie ©ö^ne 3§raete, bafe fie e§ im ©ebäd^tniffe
behalten unb mit bem 5!Kunbe abfingen, unb eS fei mir baS Sieb jum
3eugniS unter ben ©binnen 3§rael§ . . . ; alfo rebete SKofeS , ba bie ganje
©emeinbe 3SraeI§ e§ l^örte, bie SBorte biefeS Siebe§ unb fprad^ fie bi§ jum
@nbe." S)e§ 3Jlofe§ Sobgefang: Audite coeli, quae loquor folgt bann
\
S)ic Ätrd^cnmufi!. 331
im 32. ftap., 1—43. S)a§ Sob ®ottc§ anä) in ber 9^orm bon Sieb unb
©cfang ftc^t alfo unter bem befonbcrn ©egen ©otteS.
410* S)ie 9Kufi! toirb offenbar gel^oben unb getoeil^t burd^ ben gintritt
in ben unmittelbaren S)ienft beS Slller^öd&jien. 9lud& l^ier l^ei^t (Sott bienen
toa^rl^aft l^enfd&en. S)ie 2)Zu[i! mu^ fid^ um fo l^ö^er geeiert fül^Ien, jie
bcöorjugter bie Stellung ift, bie i^r im SDienfte (Sotte§ ongetoiefen mirb:
fie barf bei ber l^eiligen |)anblung unmittelbar mittoirlen; folool^I ^riefter
afö Soll fenben einen 2:eil i^rer »ärmften (Sebete in ber gorm be§ (Se=
fanget jum |)immel, unb ber ßl^or bringt als auSerlefene SBertretung ber
(Semeinbe anbere (Sebete bor ©otteS 2lngeftd&t. S)a§ 9lmt ber fingenben
ßngel bei ber ^xxppt be§ |)errn gel^t bei ber 9Ke^feier auf bie ©önger über.
SBö^renb Saulunft, 9KaIerei unb Silbnerei an ber Siturgie felbft leinen
Sttnteil ^aben, ift ber (Sefang beftimmt, ben SBei^raud&buft be§ ®ebete§ unb
be§ ^el^ren Opfert bor (SotteS %i)xon ju bringen unb in ber Slö^e be§
irbifd&en 2lltare§ einen SSorgefd^madE ber ©efönge bor bem l^immlifd^en %f)xont
ju geben. 6§ ^ei^t in ber ©el^eimen Offenbarung: „Unb fie fangen ein
neue§ Sieb unb fprat^en : SBürbig bifl bu, §err, ju nel^men baS S3ud& unb
ju löfen feine ©iegel." 5, 9. „©ie fangen baS Sieb 2RofiS, be§ ßned^teä
®otte§, unb ba» Sieb be§ Samme§, unb fpraci^en: ®ro^ unb tounberbar
finb beine SBerfe, ^err, aflmöd^tiger (Sott, geredet unb toa^rl^aftig finb
beine SBege, flönig ber gmigfeiten. SBer foHte bid& nid^t fürd^ten, ^err,
unb beinen Flamen t)reifen? S)u allein bift ja l^eilig: afle SBößer toerben
lontmen unb bor bir anbeten; benn beine (Serid^te finb offenbar geworben."
15, 3. 4.
@ine fold&e Seborjugung ber DJlufil in ber ßird^e fie^t nun ganj unb
gar nid^t banad^ au§, als fofle fie in i^ren natürlid^en SRed^ten gefrönft
werben. 3n ber %i)ai, toenn bie S)arfteIIung ber ©d^önl^eit in 2:önen 9luf=
gäbe ber 5!Kufi! ift — toaS lann bie JJird^e aud^ nur anbereS bon il^r er=
toarten? Sie Selel^rung be§ SSoIfeS toirb burd^ ben SSortrag unb bie @r=
llörung ber SBal^r^eit beforgt; ber SBifle toirb jur Übung be§ ©uten burd&
©ebote unb emfte SKal^nungen au§ bem SWunbe beS $ßriefter§ angetrieben,
fo ba^ faum ettoaS anbereS für bie 2Rufif ju t^un übrig bleibt, afö burd&
bie ©d^ön^eit ber 2:öne ba§ (Semüt ju erregen unb ju ermörmen. SBarum
aud^ lä^t bie ßird^e nid^t lieber alle (SebetSte^e beutlid^ unb toürbig fpred^en,
fonbem toenigftenS teitoeife fingen, al§ bamit bie eigentümlid^e ©d^önl^eit
ber Sonfprad^e jur ©eltung fomme? S)ie SBorte würben o^ne ®efang.beut=
lid&er unb großenteils aud& nad^brüdlid^er borgetragen unb außerbem nod^
3eit für anbereS gewonnen werben fönnen. Stein, baS ift unjtoeifell^aft :
bie Äird^e bejtoedt bei ber aSertoenbung ber 5Jluftf nid^t fo fe^r bie 33e=
le^rung be§ aSerftanbeS unb bie Seftimmung be§ SBiflenS, al§ bielmel^r bie
freubige, genußreid^e SInregung ber ^^antafie unb be§ (SemüteS, b. i). eine
332 9leunted StapM.
äftl^ctift^c SBirfung. ^xt^tx Qtozd ifi fidler ber unmittelbare unb n&ä^\it;
bcnn jur Bloßen SSele^rung ift bte Slbfingung eines 2:ejte§ nid&t bn§ natür=
litä^e 2RitteI, unb jur Iröftigen 95ejiimmung beS SBiUenS eine fd&öne ßunft=
leiftung nit^t baS geeignetjie SBerfjeug.
3lud^ ber SQßeiSl^eit ber flird&e bilrfen tt)ir e§ too^I jutrauen, baß fic
bie Äunfi ju fold^en Seijiungen l^eronjie^t, mlä^t bem Vermögen, ber SBürbc
unb ber Bered^tigten Steigung berfelben entfpre(i6en. SBenn alfo unb in=
toietoeit bie Sttufgabe ber ßunft in einer fd^önen Seiftung aufgebt, tt}irb il^r
baju in bem ®otte§l^aufe bollauf ©elegen^eit geboten »erben, o^nc bofe
^emmenbe SBorfd&riften il^r bie ©d^önl^eit be§ S3BerIe§ berfümmem.
41L S)ie 2:§eorie, mä^ ber bie ßunft gar feine anbere nöd&fte Sluf«
gäbe l^at, aß ein ft^öneä SBerf ju fci&Qffen, ift allerbing§ nid&t fo eintt}anb=
frei, tt)ie bieS meiften§ angenommen toirb; fd&on im borigen Sal^rl^unbert
^at [ie ^e^benreid^ in feinem „Softem ber ^fil^eti!" angegriffen; in neuefter
Seit ift nid^t nur P. Sungmann fel^r ftreng mit i^r in§ (Serid&t gegangen,
fonbcrn aud& Saumgart ber^ält fid^ il^r gegenüber able^ncnb in feinem l)or=
trefflid&en „|)anbbu(ä& ber $ßoetiI". 3m aflgemeinen finb bennod^ bie neuem
^Äft^etifer barin einig, bafe bie fd^öne ßunft feine anbere toefentlid^c Säuf=
gäbe ^abz, als fd^öne Seijiungen l^erborjubringen. 9Kan fann fid& aud&
babei beruhigen, infofem öon nid&ts anberem als bon ber nä duften unb
unmittelbaren, nid^t bon ber mittelbaren unb ^öd^ften 2lufgabc bie
Siebe ift. 9Kit biefer @infd&ränfung mag man immerl^in fagen, bie ßunft
fei fid& ©elbftjtoedE unb unterfte^e feinen anbern als il^ren eigenen (Sefe^en.
SRid^tig berftanben, l^at eS bemgemö^ eine getoiffe Sered^tigung, ju be=
f)a\xpttn, bie ßunft unterftel^e aud& in ber ßird^e nur i^ren eigenen ©cfe^en,
unb bie ßird^e muffe il^r nid^t bertoe^ren, fid^ bei ber ^erfteHung ber ftunft=
toerfe bon ben (Sefe^en ber ©d^önl^eit leiten ju laffen.
6S lö^t fid^ inbeS, tt)ie gefagt, fd^on bom ©tanbpunft ber 2:^eorie
mand&eS eintoenben, »aS l^ier nid^t berührt ju »erben brandet ; fobann aber
mu| jebe ßunft, fo oft fie in baS toirfUd^e 8 eben eintritt, ftd& gett)ijfen
3lnforberungen ber SBerl^ältniffe unb Sebürfnijfe fügen unb fann infolge
babon nid^t immer unb überaß bie reine ©d^ön^eit jur S)arfteIIung bringen
— ganj abgefe^en bon ben ©d^ranfen, bie i^r bie 2:ed&nif felber fe^t.
aßenn eine ßird^e gebaut »erben foH, fo finbet eS jeber natürlid^, ba^ au^er
bem 93aumeifter nod6 anbere ein 2Bort mitreben, bie i^n in gar mand^er
^infid^t einfd^rönfen. SKid^elangelo unb SRap^ael l^atten bei ber SluSfü^rung
i^rer lo^nenbften 9lufgaben fid^ nad& ben Umftänben unb bor allem nadfe
ben SBünfd&en il^rer 3luftraggeber ju rid^ten. ©oH alfo bie 9Kuftf allein,
unb jtt)ar nod^ gar im (SotteS^aufe , mit böllig fd^ranfenlofer ^reil^eit
fc^alten? ®arf fie gleid^ laute ßlage fül^ren, »enn i^r einmal »irflid^ }u
©unften eines l^öl^ern 3tt)edeS ein Cpfer abgeforbert »irb, »enn fie nid^t
2)ie lürd^enmuft!. 333
alle i^re 3R\M jum ^udbrude ber ©d&önl^eit t)ertt)enben !ann, menn ba§
ftunftmerl, unter bem einfeitigen ®e[td&tö})un!te ber mobemen Speti! Be=
ttad^tet, ntci^t bie pci^fle SSoHenbung auftoeift, bafür aber \i(b beffer in ba§
®anje beS liturgifdöen ®otte§bienfiteö einfügt? Qfür biefen l^at bod^ bie 2Rufit
nid^t aHein ba§ Programm aufjujiellen.
3iel&en toir einen 95ergleid&. gilr bie (Sefamtmirlung eines S5ül^nen=
PcfeS ift eg t)on größter ^ebeutung, ba^ aUe babei t^ötigen Jtänfte unb
Äräfte jufammenmirten ; »aS mürbe man fagen, toenn bie Äunft ber S)e!D=
ration ober ber jtopmierung, bie allenfalls ganj entbel^rlici^ finb, ba§ ent-
fd^eibenbe SBort führen »ollten? @ine äl^nlid^e Stellung nimmt bie SKufi!
in ber Äirci^e, bei bem liturgifd^en S)rama ber feierlici^en SDleffe, ein. ©ie
^at fi(i6 alfo bem ©anjen unter juorbnen unb ftd^ mit bem grfolge ju Be=
gnügcn, ben fie in unb mit bem ©angen erjielt. 6ine fold^e Unterorbnung
unter ba§ ©anje ift feine ßnttoürbigung , menn fie fid^, tt)ie in unferem
galle, reici^Iidö lo^nt ; fie ift unerlä^lid^, toenn fo bcrfd&iebene flröfte fid& ju
einer gemeinf(i&aftli(i6en Seiftung bereinigen.
S)od^ feigen tt)ir Don aflem anbern ab; fragen toir nur, ob benn ber
SRufi! im (SotteS^aufe nid^t jenes SRafe bon gfrei^eit Bleibe, bejfen fie ju
einer rein äft^etiftä^en, fd^Ied&t^in boflenbeten Seiftung Bebarf. SBeld^e
Sefci^rönfungen legt i^r benn bie ßird^e toirflidö auf? @ie Beftimmt i^r
ben allgemeinen ©egenftanb, inbem fie j. S3. berlangt, bafe fie fid^ an
ben liturgif(i6en 2:ejt ^alte. äl^nlid^eS mu^ fid& jebe Äunft gefallen laffen.
3)er Saumeiftcr; ber 2RaIer toerben oft an eine Beftimmte 3lufgaBe getoiefen,
aBer biefe öufeere 33ef(i^rönfung fann bod& für einen ed^ten iJünftler fein
eigentlid^eS |)inbernis Bebeuten. 3a, ber Dpernfomponift ift bieKeid&t üBel
BefteHt, »enn er fid^ entfd^Iiefeen mu^, einen red()t mittelmäßigen 2:ejt in
5Kufif ju fejen ; aBer ber liturgifd&e Sejt ift finn= unb ftimmungSboH. 3n
öielen Quöllen Bleißt jubem ber ßird^enmufif bie SBa^I eines mürbigen 2:ejteS
üBerlaffen; oB er aBer mürbig fei ober nid^t, barüBer fann ber ßomponift
fidö eBen|o leidet 3luSfunft berfd&affen, fofern er fie fud^t, mie über bie 9ln=
gemeffenl^eit unb Sraud^Barfeit anberer Xtiie, bie er nid&t für ben fird^=
lid^en ©cBraud^ BearBeitet.
412* S)ie Äird^e forbert meiter, baß ber Sejt nad6 feinem Sn^alte
unb in feinem (Seifte jur ©eltung fomme. 3ft biefe gorberung nid^t an
jeben flomponiften bon SBoIalmufif ju fteKen? ®enn eS fann bod^ nur ein
2RißBraud& genannt unb l^öd&ftenS Bei mertlofen Seiten entfd^ulbigt merben,
toenn man fie Bloß als ßleiberftodt Bel^anbelt, ben man mit BelieBigen Bunten
©ad^en Behängen barf. SBie bie 2Borte beS 3:ejtcS in ber bernünftigertoeife
ju erioartenben SBerftänblid^feit geioa^rt merben muffen, fo barf bor allem
nur jene ©timmung, toeld^ie ber STejt in ftd^ unb im Suf^^tmenl^ang mit
ber ^eiligen ^anblung enthält, jum 2luSbrutf fommen. ®em ftünftler BleiBt
334 9leunte3 l!a|)itel.
aber in bciben SScjicl^ungcn ein mciter ©Kielraum übrig. 2luf bic a5cr=
ftönblid&Icit bcr SSßortc brandet bcr lomponicrcnbc ßünfticr ober ber au§=
fül^renbe ©änger aixi) in ber ftirci^e nid&t mit fold^er ?tngftli(ä&!cit ju
ad^ten, ba^ baruntcr bic 2RujtI (als aSofalmufi! gefaxt) leiben müfete.
SBenigftenS fielet e§ ber ^I. 3:^omaS nid&t als ein großes Übel an, tnenn
itgenb einmal bie SBorte nici^t bcrffanben »erben : auf ben ßintourf nömlid^,
baß baS Singen beS 3:ejteS beffen 95er[tönbni5 erfd^tocre, giebt er furj bie
Slnttoort; bafe »man bod& immer toijfe, e§ mcrbe jum Sobe ©otteS gefangen,
unb ba§ genüge jur (ärtoetfung ber ^ntatbt" (S. th. 2, 2, q. 91, a. 2
ad 5). 5RatürIid& foK jeber ©änger unb flomponift bie nötige g^rfurd^t
öor einem fo l^eiligen 3:ejte mitbringen; ber 1^1. %i)oma^ toiH gemi^ nur
betonen, bafe bie SRufif nid&t borum fci&on il^ren !^md öerfe^Ie, »eil fie
biätoeilen ben %tit weniger berpänblid^ maö^e. S)ie Äird&e
felbft toiH, ba^ beim ^oä^amt lateinifc^ gcfungen »erbe, unb bod& öerjiel^t
bie grofee SKe^rga^I ber ©laubigen bie SBorte nici^t. änbererfeits betont
Senebift XIV. bie beutlid^e 2lu§fprad^e bc§ ^eiligen %t^ auf baS na(ä&=
brütflid&fte.
©d^tt)er mag eS ben ftomponiften einer 5!Reffe anlommen, fid& ber
^anblung am 2lltare unterjuorbnen. 2lIIein eS toirb bod^ too^I }u einem
fd^önen Gloria nid&t unerlä^Iid^ fein, eS enbIo§ auSjube^nen, jumal bie
ma^Iofe SBicberl^oIung ber 3:ejttDorte, bieHeic^t gar mit g^^^^ifei^^^S ^^^
3ufammen^ang§ ober ^erbor^ebung ber unbebeutenbften SBorte, bistoeilen
an§ Säd^erlid&e grenjt für ben, ber nid^t auSfd&üefelid^ an bie 5!KeIobie ben!t.
®a§ gange §od&amt braud&t fo »enig »ie bie ^rebigt, um gut ju fein,
jtoei ©tunben ju bauern.
®od& bie fjorberungen an ben SKufiler »erben immer peinlid^er. S)a
foK gerabe baS bermieben »erben, »a§ ber 9Kufif fonft befonbere
Sieije Derlei^t: ein rafc^ereä 2:empo, ein be»egterer 9H^^t^mu§, eine burd&
©iffonanjcn aUer 9lrt [id& jur flonfonanj fiegreidö ent»idelnbe 5!ReIobie, bie
au§brudE§boIIfte Serlörperung ber ßmpfinbung, bie auSgefud^teften Seiftungen
ber 3nftrumente, »enn überhaupt aufeer ber Orgel bie anbern 3nflrumente
nic^t grunbföjlid^ au^gcfd^Ioffen »erben, ober enblid^ gar ber A-cappella-
©efang ate baS einjige 3beal gelten foH. S)a§ finb bie borjüglid^flen ©d&red=
bilber, in bencn beforgte ©emüter bie „Sebormunbung" ber ^unft burd^
bie ßird^e berlörpert glauben.
9Kan mufe aber genau jufe^en, »ie »cit eS fid^ in allen berartigen
$ßun!ten »ir!lid& um SSorfd^riftcn ber flird&e, ober aber um blofee 2lu§=
legungen berfelben l^anbelt; bie lejtern finb »ieberum berfd^iebener 9lrt. 3n
bem Siegolamento bon 1894 »irb gur felben 3^it jebe S)i§fuffion über bie
Ilaren SJorf d^rif ten ber fird^lid^en Se^örbe berboten unb — in anbern
bie ^irc^enmufif betreffenben 5ßunften babor ge»arnt, bie ©efe^e ber d^rift=
S)ie Üttd^etnsuft!. 335
Ii(i6cn Siebe ju öerle^en unb \\(b jum 9Keijier unb Sfüd^ter cmbcter auf=
jutoerfen (f. oben bo§ SReglement Dom Solare 1894).
®ie Ätr(i6e fd&reibt jimäd^ft unb bor allem bor, ba^ ber Ätr(i6engefQng
ben redeten @cift l^abe: „3ebe mufilalifd^e ßom|)ofition, toeld^e bont ©elfte
ber ]^ eiligen ^anblung, bie bon i^r begleitet toirb, burci^brungen ift,
bett}egt, tt)enn fie in frommer SBeife ber 33ebeutung be§ 3iitu3 unb
ber SB r t e entft)ri(j^t, bie ©laubigen jur Slnbad^t unb ift bemnad^ toürbig
bc3 ^Qufe§ ®otte§." S)er ©inn biefer SBorte wirb auS bem ©egenfa^e
Öar: „Strenge berboten ift in ber J?ir(i^e jebe totltUäi angelegte ®efang§=
ober 3nftrumentalmufi!, befonber§ menn fie bon t^eatralifd^en 2Kotiben,
Variationen unb Steminifcenjen beeinflußt ift." Dbmo^I biefeS 9ieglement
}unä(i&ft für Stauen ausgegeben »orben ift, fo finb bod& bie grunblegenben
Seftimmungen au(i6 fonft oft genug toieberl^olt toorben (toaS man in
ftrutfd&efö „ftird&enmufi! nad& bem SBiKen ber ßird&e" @. 84 ff. nad&fe^en
fann), unb berfte^en ft(i^ eigentlid^ bon felbft. 3Kit gutem SBiHen erlennt
man leici^t, bafe ein enger Slnfd^lufe ber SKuft! an bie priefferlic^en 3Ser=
rid^tungen unb ©ebete, unb ein ©eift, ber bem 9ütare unb bem ©otteS^aufe
jiemt, bon ber ^ird&e geforbert, bagegen ba§, toaS nur aufeerl^alb beS ©otte§=
^aufeS pa^t ober \üa% ju auffaKenb an baS profane erinnert, auSgefd&Ioffen
mirb. ®em muß getoiß anS^ jebe ^ft^etil beiflimmen, mlä^t nid^t bie 2ln=
gemejfen^cit als ©runberforbernis aller ßunftleiflungen unb ben einfad^ften
gefunben ©efd^madf berleugnen toxU. SBa§ fid^ in bie ©efamtftimmung an
^eiliger ©tätte nid&t einfügt, toa§> nid^t bie ©el^eimniffe beS 9ßtareS unb
ben ©eift ber liturgifd^en &tbete alä entfd^eibenbe 9iorm anerlennt, mag an
fid6 nod^ fo tunffboK fein ober fd^cinen, e§ ift eben ^ier ungel^örig, gefd&mad=
toibrig unb aud^ ä ft ^ e t i f d& bertoerf lid^. SBenn eS anberStoo paffenb fd^eint,
fo mag man eS bort jur 2luffü^rung bringen ; aber beim ©otteSbienfte muß
bagegen bie ftunft felbft als gegen eine i^ren ©runbgefe^en tt)iberfpred^enbe
Seiftung ©infprud^ ergeben. ®ie flunft toirb alfo burd^ bie genannten
©efe^e ber ftird^e feineStoegS be^inbert, fonbern nur beranlaßt, fid& i^rer
wahren Stuf gäbe beutlid&er beioußt ju »erben, fid6 in eine ^ö^ere ©pl^äre
etnporjufd&loingen unb mit ber 2Ruftf ber gngel ju wetteifern. MerbingS
ift biefem ©efang, ber etmaS ^immlifd^eS in feinem ßl^aralter l^at, ein be=
fonberer ©til eigen, ber nid^t nad& loeltlid^em 9Kaße gemeffen toerben barf.
S)a§ üKaterial aber unb bie innern ©efe^e ber 9Kufif bleiben biefelben;
nur ber bon einem ganj ^eiligen Sejte unb bem unmittelbaren ßird&en= unb
3lltarbienfte beftimmte ©eift ift ein anberer. SDiefen ©eift muß man fennen
unb in fid^ aufnehmen unb ber meltlid&en ©etool^n^eiten unb Erinnerungen
fid6 entfd^lagen, um an ber ed^ten ^ird^enmufil ©efd^madE ju finben.
413* SBenn man bie 2Kuftf nid^t als eine bloße gformlunft anfielt,
fonbern jugiebt, baß bie gorm burd^auS bom Sn^alte beftimmt werben muß.
336 9leunted Ho^itel.
bamit ein tä^tt^ jtunfhoett entflel^e, fo fann eg leine @d&n)iertg!ett l^aben,
bie Sorberungen ber ftirci^e an bie ßirci&enmufif öernänfttg, ja fclbjt=
Derftönblid^ ju finben. ^liemanb ermartet, ba^ ein @oite3]^QU§ in bentfelben
©tue gebaut werbe, mie ein Sffiol^nl^auS ; man würbe eS ungereimt nennen,
wenn ber SJlaler bie ftirci^enwänbe mit weltlid&en ©cenen, wie fie in einem
@tabtl^au§ am ^JJla^e fein mögen, ober gar mit Äarilaturen, mit 33Jirt§=
^au§biß)ern u. bgl. bebecfen wollte; man würbe ben fat^olifci^en ^riefter
au§ bem %tmpd jagen, ber im feinjien 3lnjug eines 3BeItmanne§ o^ne
l^eilige ©ewänber an ben 9lltar träte. 3eber fü^lt, ba| aße§ ba§ nid^t
nur auf unbernünftige SBeife gegen ein bereci^tigteö ^erlommen, fonbern audfe
gegen aUe Erwartung ber anbäd^tigen @emeinbe unb gegen ben @eift, ber
an ber l^eiligen ©tötte l^errfci^en fofl, auf baS gröblid^fte oerfticfee. Sege
man nun benfelben SKa^ftab an bie Äird^enmufif, unb man wirb o^ne SKül^e
einfel^en, wie begrünbet bie !ird&li(i6en aSorfd^riften im allgemeinen wie im
befonbern finb.
SRe^rfad&e SSerbote pnb gegen alleS „SBeltlicJ^e" unb „3:^eatralifd^c"
geridötet. Offenbar wirb baburd^ baS ouSgefd^Ioffen, waS nur für bie SBelt
unb ba§ 3:]^eater \)a^t ©olange man aber leine SDlufil ol^ne 3:c3:t unb
feine 30?ufil für ben flonjertfaal mad&t, fonbern Solalmufif für bie Sird&e,
fo lange ifi bie Slnpaffung berfelben an bie SBorte ber fiiturgie unb an bie
SSerl^öltniffe ber ßird&e eine S^orberung ber gefunben SSernunft unb barum
anä) ber oerftänbigen ßunftt^eorie. a)iit 3ttä)t fagt Senebilt XIV. (De
eccl. cultu § 6, 19. Febr. 1749), eS bebürfe feiner langen Siebe unb
SeweiSfül^rung , um ju jeigen, bafe bie Sü^nenmufif bon ber ftird&e fem=
ju^olten fei. 6r wieberl^olt jur Seftätigung bie SRa^nung be§ ^l. |)ieron9=
mus an bie jungen ©änger, ®ott nid&t mit „gefd^mierten ßel^Ien" wie
©d^aufpieler , fonbern me^r mit bem ^erjen afö mit ber Stimme Sob ju
fingen; er fü^rt ferner ben ^l %i)oma§,, ben 1^1. 9iicetiuS, ba§ ftonjil oon
Solebo au§ bem Saläre 1566 unb mehrere gelehrte ©d^riftfteDer ate Sengen
für biefe einleud^tenbe SBa^r^cit an. S3ei biefer ©elegenl^eit verwirft er au(J
unter anberem bie 5JlcIobien bon befannten Äriegä= unb 8iebe§Iiebern. S)a§
gteglement ber fRitu^fongrcgation Dom Saläre 1894 fd^Iie^t in Slrtifel 9 eben=
fall§ SKotiOe unb SReminifcenjen be§ S^eaterS ober be§ ffonjertfaaleS au§
unb erflört inSlrtifel 10 bie @^rfurd^t oor ben liturgifc^en SBorten ate
^auptbebingung : „2Ran forge bafür, bafe bie liturgifc^en gunftionen (ber
TOufif falber) nid&t ju lange bauern, bermeibe jebe 2:ejtberftenung ober
rberftümmelung , aber aud& jebe ungehörige SOBieber^oIung." SDiefe a3eftim=
mungen fd^einen infofern ftrenger, aU fic alleS, toa^ an bie SBelt unb ba§
Sweater erinnert, au^fd^lie^en. ©ie berufen aber auf ganj bemfelbcn
^rinjip: e§ ift barum unjuläffig, weil e§ eine gro^e ©törung ber in ber
ßirdbe ^errfd&enben 2lnbac^tSftimmung unauSbleiblid^ im ©efolge ^at; cS
S)ic Äird^cnmufi!. 337
ift eine arge SDiffonanj in ber ftird&enmufü, aui^ toenn man biefe nur t)om
lünftlerifd^cn ©tanbpunit aus toürbigcn toiK. 2Ber toürbe e§ nid^t als
iääitxlxä^m 5!Ri&griff betraci^ten, loenn in einer ganj »eltlid&en Oper un=
ermartet bte Iir(i6Ii(i6e ^röfation eingelegt würbe; »ie !ann man e§ benn
funftgemäfe finben, »enn jmtfci&en ben ^eiligjien ©efttngen im ©otteS^aufe
bie ajlelobie eineä toeltlid^en 3:an}eS, eines belannten 95ol!SliebeS ober einer
9?ationaI^^mne ertönt? SDaS gehört eben nid^t ^in, ift gefc^madttoibrig unb
jeugt t)on einem abgeftumpften ftunftgefü^I. @S ift alfo tt)irlli(i& auc^ eine
gforberung ber ftunft, tt)aS ber j^od&tnärbige 39t|(i6of Seonl^arb bon S3afel in
feinen SSerorbnungen über Äird^cnmufif an bie @})i|e flellt: „®ie ffirc^en=
mufi! I^at einen ^eiligen S^^edE, nämlid^ bie Serl^errlid&ung ©otteS unb bie
(grbauung ber ©laubigen. 6S gel^ören nid&t jur Äird^enmuft! alle jene
formen, tneld^e biefen "boppzlUn S^td nid&t l^aben. ©al^er finb für bte
Äird&e Verboten : SKörfd^e, Stange, Sufd^e, Dpern=, ftonjert= unb ©alonftütfe,
Sieber mit toeltlid^en 3:ejten ober meltlid^e SKelobien mit unterlegtem, geift=
lid&em Jejte." S)ie jtoei ©rünbe, toarum eine fold^e ÜJiufil nid^t gebulbet
merben lann, finb: bie SSefd^affenl^eit fold^er ©tüdfe unb bie burd^ fie ber-
anla^te 3^tfti^euung. 9HIerbing§ ^aben burd^auS nid&t aUt loeltlid&en 5!Rotibe
unb SKelobien toeltlid^er ftompofitionen an fid& einen unlird&Iid^en ß^arafter ;
mie märe baS bei ber ©leid&^eit beS SEonmaterialS unb ber gemeinfamen
©runbgefe^c ber mufifalifd^en Äunft aud^ nur ju ermarten? aber ebenfo
mal^r ift eS, ba6 bie meltlid^e 2Rufif in il^rer heutigen ©eftalt öielfad^ ein
fo realiftifd^eS ©epröge trögt ober fo einfeitig bie fjormfd^önl^eit l^eröorlel^rt
ober fo eigenmäd^tig ^errfd^t über ben SBortte^t unb über aHeS, maS fonft
)xä) nod^ neben i^r geltenb mad&en min, mie eS in ber bon ben ibealftcn
Stimmungen getragenen, bon bem er^abenften 3nl^alt erfüllten unb mit ber
Siturgie unablöSlid^ berbunbenen JJird^enmufil unjulöffig ift, eS fei benn,
ba^ biefelbe bon einem böüig berle^rten ©tanbpuntt aus betrad^tet mirb.
Sn frühem Sal^r^unberten lagen bie ©ad^en mefentlid^ anberS ; bamals mar
jmifd^en ber flird&en= unb ^JJrof anmufil leine fo m e i t e ßluft, meil bie le^tere
feinen fo grunbberfd^iebenen @til auSgebilbet ^atte. ^eute aber finbet bie
fiird^e biel mel^r Slnlafe, ben ©til ber ^rofanmufil als fold&en nid^t ju bem
irrigen ju mad^en.
3lber eS mag ja fein, bafe aud& ^eute getoiffe meltlid^e 9KeIobien, fie
mögen nun ber a3oIfS= ober ber Äunftmufil entlehnt fein, in fid^ felbft feinen
mit bem ©otteS^aufe in SQBiberfprud^ fte^enben ß^arafter jeigen; eS bleibt
bann immer nod^ bie ftörenbe ßrinnerung an bie SBelt unb bie 3^^-
ftreuung, unb biefe fd^abet nid&t nur ber ©rbauung, fonbern beeintröd^tigt
ebenfomol^I baS innere SBefen ber flird^enmuftf, fo gut mie bie aufbringfid&e
Erinnerung an befannte Srauermärfd^e ben ß^arafter einer ©iegeSl^^mne.
aSon einer ungefd^mäd^ten gin^eit ber mufifaüfd^en Stimmung fann nid^t
338 SHeuntfg Äa^itel.
tttel^r bic Siebe fein. SBer tüürbe e§ nici^t tabcin, wenn bei bem Xraucr=
gotteSbienft für einen öecftorbenen SDlufifet baS Drd^efter ein „©tumm
f(i^Iäft ber ©änger" jum beften gäbe? Sn berfelben aHid^tung liegen ober
aUe aufbringlid^cn Srinnerungen an votlüxi^e SDlcIobien unb 2e^e bei firdö=
Ii(i^en gunftioncn. Dbenbrein fann ein 2RuftIet [xä^ über baS SSerbot fold&cr
gntlel^nungen au§ ber ^rofanmufi! nid^t beflagen, o^ne feine Slrniut an
mufilaüfd^en SRotiöen, 5DleIobien unb ftompofitionen befferer 9lrt offen
lunbjugeben,
414* 5Die übrigen pofitiöen ober negativen SSorfci^riften ber lird^Iid^cn
Slutoritöt tl^un ber flunft, tt)enn biefe il^r Sntereffc red&t Derjiel&en toill,
ebenfott)enig ©intrag. TOel^rfat^ mürbe, mt au% bem erloäl^nten ©d^reibcn
SenebiftS XIV. ju erfel^en ifl, bie f(^ärfjie Iird&Ii(i^e SKifebilligung au§=
gefprotj^en, toenn man ben 6^ara!ter ber öerfd^iebenen Seiten be§
Äird&en Jahres in ber 2RufiI nid^t bead&tete. 3)ie S^W^n beS SlbbenteS,
ber Saften, bie l^eilige SBod^e u. f. tt). forbern eine anbere SKufi! al§ bie
SBei^na(i^t§= ober Oftergeit. S)a§ ift toieber eine einfädle Siegel ber ©d&i(fli(^=
feit, ber fici^ feine ftunft entjie^en barf. 3n bemfelben ©einreiben mirb
ber 2Kiprau(i6 aKju üppiger 5!ReIobien, bei benen ber 2:ejt, unb
lörmenber Snftrumentation, bei ber bie ©efangftimme nidbt mel^r
jur ©eltung fomme , getabelt. SBenn bie 3nftrumente , ^ei^t e§ toeiter, be=
flönbig ertönten unb i^r ©piel l^öd^ftenS bon „SErillem" unb „©(^ludbjern"
unterbrod^en tt)ürbe, fo fei baS jtoedttoibrig unb burd^auS bertoerflid^. 2luf=
faüenbe, bie 9leugier reijenbe unb bie Slnbad^t ftörenbe ÄunftftüdEe »erben
mit ben 2Borten be§ 3)rejcIiuS mißbilligt: „2ltt biefer ©teile möget il^r
SKufifer e§ mir nid^t berübeln, loenn id& fage, baß l^eutjutage in unfern
ffird^en eine neue 9lrt bon 9Kuftf ^errfd^t, bie in jer^adtten, tanjenben unb
feine§toeg§ jur Slnbad^t ftimmenben SBeifen fein 2Raß fennt, bie }u @d&au=
fpielen unb STanjbergnügungcn beffer paßt als jum ©otteSl^aufe. SQßir l^afd^en
nad6 aUerl^anb Äunftftüdten unb berlieren barüber ben frühem @ifer be§
betenben ©efangeS. 2Ba§ ift anö^ biefe aüerjüngfie ppfenbc Särt ju
fingen anberS ate eine ßomöbie, unb tt)a§ finb bie ©önger anber§ als
©d^aufpieler : balb tritt einer bor, balb jtoei, balb aUe jufammen unb fül^ren
melobifd^e S^^iegefpröd&e auf, bis bann mieber einer triumpl^ierenb aus bem
SBettftreit l^erborge^t, um toieberum anbern ^laj ju mad^en." 6S liegt
auf ber |)anb, tt)ie bieS ßonjertieren alle 9lufmerffamfeit allein auf fic^
jie^t, mie eS bie ©inne reijt unb bie |)erjenSanbad^t auffangt, ja bie ganje
©eele raubt, bie bod^ beim 9lltare unb ben ^eiligen gfunftionen fein foHtc.
S)aS ift, nur bom ©tanbpunfte ber ßunft betrad&tet, ebenfobiel, als menn
in einem Sü^nenfpiel eine entfd^ieben untergeorbncte ^erfon fd^ließlidö aUeS
Sntereffe allein auf fid^ jöge; jeber mürbe ba entmebcr ben unberflönbigen
S)id^ter ober ben anmaßenben ©pieler tabeln. ®aS ©efül^I für bie (Sinl^eit
S)ie Äird^enmufif. 339
bcr ^unjilcijhing , für ©d^i(fU(i&fctt unb 9tngemcffenl^cit mü^tc ba gerabcju
crftorben fein.
SBir finb mit bcn Bcftimmtcn SBorfd^riftcn ber ftird&e über bie Äir$en=
tnufif fo ixemüi) §u @nbe unb l^oben nitä^ts gefunben, tüofür nit^t bon bem
bloßen ©tanbpunite bcr iJunft bie burd^f(i^Iagcnbften ©rünbc geltenb
Qtmai)t tücrben lönnen, SBirb man ettoa fragen, toarum benn bie !ir(i^=
lid^en Sel^örben nid^t ebenfaK§ äftl^etifd^e ©rünbe für il^re SSerorbnungen
anfül^ren, fonbern immer nur ben bobpelten S^^ecf bcS ßir(^engefange§,
nämltd^ bie SSerl^errlid^ung ®otte§ unb bie (Srbauung ber ©laubigen in ben
ffiorbergrunb fleHen? 9lnttDort: S)aö gefd^ie^t fd^on beSmegen nid&t, meil e§
ben firc^Iid&en Obern übel onfte^t, fid^ auf ben einfeitigen äf%tifd^en @tanb=
punft ju fteßen, al§ ob im ©otteS^aufe feine ^ö^em afö äft^etifd^e 9iütf=
ftd^ten ju bead^ten mören. ®er 2KuftI fommt nur eine Seitoirfung ju in
jenem ®ef amteinbrutf , meldten ber S^rift beim feierlid^en ©otteSbienftc an
^eiliger ©tötte empfängt. ®ie fiiturgie mu^ bon einem aKgemeinern afö
bem lünfllerifd^en ©tanbpunit auS geioürbigt »erben, too benn bie mit=
mirfcnben Äröfte je nad& i^rer 93ebeutung für baS ©ange beurteilt
»erben. 9luf biefem ©tanbpunft ftel^t bie fird^Iid^e ©efe^gebung, unb e§
märe i^rer unmürbig, auf einen tiefern ^erabjufteigen. S)cr allgemeine
3toedE aber, ju bem bie ©laubigen fid^ im ©otteSl^aufe bcrfammeln, !ann
fein anberer fein, afö ©ott in befonberer 2Beife ju ber^errlid^en unb fid^ unb
anberc ju erbauen — ober aber c§ mü^te bie bernünftige Drbnung gerabeju
auf ben Uopf gefteHt toerben.
5ffi. 9lmbro§ fd^rieb: „5Daö grofee ©efamtfunftmerf, biefen mäd^tig äu=
fammenflingenben 9lfforb, in meld^em bie einj^elnen ftünfte bie S^öne bilben,
brandet man nid^t erft mit Siid^arb SBagner al» ,ßunffmerf ber Sufunft*
JU bejeid^nen, menn man e§ nid^t mit SBagner im 3:^eater, fonbern menn
man eS in ber JJird&e fud^t. ®ie fat^olifd^e ßird^e befi^t in ber feierlid^
^eiligen ^rad^t i^re§ ©otteSbienjie§ biefeS ©efamtfunftmerf feit 3al^r=
l^unberten." ®aran foKte man fid^ erinnern, menn man bie ©teHung ber
SRufif im ©otte§]^aufe beftimmen mifl. @ie bilbet nur eine ßraft in einem
aSereine bieler Gräfte, benen fie fid^ fo anpaffen mu^, mie e§ SBagner
tt)enigften§ t^eoretifd^ bon allen auf ber Dpernbü^ne jufammenmirfenben
ftünften berlangt ^at, bon benen fie aber i^rerfeits aud& ju einer ganj neuen
großartigen SQBirfung emporgetragen mirb. ©ie muß bienen al§ (Sinjelfraft
in einem großen ©^fteme ; aber fie barf fid^ bamit tröften, baß ©ott bienen
l^errfd^ien ift. ©ie bient nid&t ate ©flabin, fonbern fo, mie e§ i^rer SBürbe
gemäß ift; fie muß fid& einf darauf en, mie jebe Äunfl, menn fie mit fonfreten
Ser^ältniffen ju red^nen f)ai, unb in§befonbere , menn fie fid^ mit anbern
fträften ju einer ©efamtmirfung berbinben rniH. SBa§ fie aber baburd^ an
grei^eit berliert, geminnt fie boppelt unb breifad^ an SBürbe unb 2Birffam=
22*
340 9leunted RapM.
!cit. @§ loirb i^r rin Snl^alt %e\x(btxt, tt)ie [ie i^n nirgcnbs finbct, unb
fic barf aHc SKittcI aniocnben, tocld^c bicfen Sn^alt in angcmcffcnet SBcifc
}um 9lu§bru(f bringen ; nur mufe [ie bobei auf bie 3ufammenftimmung bcr
aOlufit mit ber liturgifd^en ©anblung forgfältig ad&ten, einmal meil ber 3n=
l^alt ber 3:cjtc an^ ba§ innigftc mit berfclben berbunben ift, fobann aber
aud&, tüeil im ©otteSl^aufc nid^t eine etnfeitig mufüalif d^e , fonbcrn eine gc=
meinfd&aftlid&c mufifalifd&=nturgifd&e Qfeier beabfid^tigt tt)irb.
415. S)o(i6 tönt nid^t immer nod& ba§ @d&o ber Srage natä^: SBa§
i[t benn eigentlid& „mM(b'\ toaS ift „tl^eatralifd^"? S)a liegt aHerbingS
bie grofee @(i6tt)ierig!eii, toeld&e fid^ meber in ber Jl^eorie noä^ in ber ^rajis
ie boKfommen Iö|en läfet. 6§ lann nid&t fel^Ien, bap fid& ^ier ber |)erfön=
lic^e ©efd&madE, jener nömlicfi, über ben „nid&t ju bi§t)utieren iji", cin=
mifd&e. 6in getoiffer Spielraum mu& jebenfaKS frei gelaffen werben; e§
barf nid^t jeber berlangen, ba& ein anberer genau fo empfinbe »ie er felbft.
S)ie grage fann nur fein: ©inb nid&t getoijfe 3ln]^alt§|)un!te ju gewinnen,
um aud6 in untergeorbneten Singen bem Urteil eine größere ©id^erl^eit ju
geben? SBir antworten junöd^ft, ba^ eine ftattlid&e 3ftei^e fold^er greif=
baren Unterfd&iebe jwifd&en weltlid^er unb fird^Iid^er 5!RufiI in obigem be=
jeid^net worben ift, inSbefonbere bort, wo bon ben 2:onarten, ber 2Rc=
lobie, ber Harmonie, bon bem 3i^^t§mu§ unb Sempo bie SJebe war.
2Ran mu^ nur nid&t glauben, ba^ bie Unfird&Kd^Ieit einer 5!KeIobie fid^
gleidö in ben erfien beften jwei 3:aften berrate: bafür ift ber ©timmungS=
au§brutf ber 5Jlufif ju allgemein, ju bielbcutig unb ber pcrfönlid^e ©efdömadf
bcr ^Beurteiler ju fd^wanfcnb. ©obann ift feftjul^alten, bafe bie Unlird^lid^=
feit red^t biele (Srabe ^at; e§ wirb ebcnfo leidet fein, in einem bebeutenben
2Ber!e ber ürd^Iid^en Sonfunft bie§ unb jenes auSjul^eben, tDa% nai) bcr
ftrengften 9luffaffung minber !ird&Iid& ift, wie eS jebem ftritiler wenig 5Kü§c
mad^t, au§ einem großem ©ebid^te ober au§ einem wiffenfd&aftlid&en S3ud^c
biefe unb jene minber gelungene ober aud& gönjUdö mißlungene ©teile au§=
jul^eben. S)ie SBirfung beS ©aujcn muß für ein Urteil über ba§ ©anje
bie 9iorm abgeben.
416. »ieUeid&t läßt fid^ bie grage: SBaS ift ■ weltlid^ , toa% ift t^ca=
tralifdö? au§ einigen äußern 3^^^^" ^od& beffer ofö auö bem SBefen bcr
©ad^e er!ennen. @in fold^eS ^S^xä^^n wäre e§, wenn ein normal geftimmter
3u^örer nid^t mel^r beten lönnte. 9tatürlid& ^anbelt e§ fid^ l^icr nid^t
barum, ob man nebenl^er nod^ au§ einem S3ud&e beten fönne; benn wenn
aud& ber (Sefang ober baS ©piel gelegentlid^ ein fold^eS ®ebet ftörte, fo
wöre ba§ nod^ fein Unglüdf: bie TOufif wiH nur im aflgemeinen ba§ ^erj
jum |)immel ergeben unb aß SSofalmufil jugleid^ burd& i^ren 2:ejt wirfen.
könnte man aber aud& bei ber ungeteilten 3lufmerlfamfeit auf bie 5!Ruftf
unb beren 2:ejt nid^t me^r an ®ott, fonbern müßte man an bie äußern
S)tc Äird^cnmujt!. 341
gortnlünfte ber ©änger unb ©ptcicr bcnfen, fo maci^tcn bicfc t^rc ©a(i^c
f(3&le(i6t, fo gut tt)ic icncr ^rebiger, tocld^cr bie Slufmcrlfamfcit t)on bcr
ernften SBal&rl^cit, bic er Vorträgt, bielmcl^r auf feine ^erfon unb feine 3lrt
be§ SSortragS ablenit. SBftl^renb ber liturgifd^en ^anblung barf bie 2luf=
merlfamfeit anä) mö^t bauernb Don ber l^eiligen aSerrid&tung am Sttitare
cibgejogen merben.
Sine \6^ki)tz 5!Kuftf ift ferner biejenige, »eld^e mel^r boS SEro mutet
feil unb bie sterben ate ba§ |)erj erfd&ilttert, el^er in bie ©lieber fäl^rt
ofö in bie ©eele bringt. 5)er ©inn, bie ^l^antafie unb ba§ ©efül^I foll
ja il^ren Slnteil an bem muftfaliftä^en ©enuffe ^aben, aber ben Söloenanteil
am loenigften in ber flird^e. S)a§ „©d^toelgen in 3:önen" jiemt nimmer=
mel^r ber gotteSbienftlid^en t^mx,
Sei aßen „örabourjiüdEcn" toerben beibe Umftönbe jufammen-
treffen, bafe ber rein formefle (Senu^ bie ©inne unb bie ^l^antafie üBer=
miegenb befd&äftigt unb ben (Seift Don (Sott unb 9Ütar abjie^t. ®ie auö=
fü^renben 3WufiIer »erben bann felbft am toenigften mit ber betenben ®e=
meinbe unb bem ^riefter in 2lnbad^t berbunben fein, fonbern pd&ftenS an
ben SSeifaK ber S^ijö^ex beulen, ober fie merben, toie 2lrienfönger , nur
il^re eigene 8uft ausfingen, ftatt ©ott bem |)errn in S)emut unb Sl^rfurd^t
}u l^ulbigen.
®er trod ene 9Ked&aniSmu§, toiebiel äu^erlid^e ü?unftf ertigleit fid^ in
bemfelben aud^ offenbaren mag, ift für bie Äird^e ju leer. Sie g^orm mu^
ganj t)on ber ©timmung erfüllt fein; benn menn ba§ |)erj nid^t gefättigt
mirb, fo ift mon für nid^tä in§ ©otteSl^auS gelommen. diejenigen mufifa=
lifd^en ^formen alfo, meldte am menigften ©timmung enthalten, taugen für bie
Äird&enmufil aud^ am toenigften. Salier lommt e§, bafe man ben lünftlid^en
9H^^t]^mu§ in ber Sird&e fo leidet entbehren fann unb burd^ benfelben nid^t
feiten geftört toirb. Sl^nlid^eS ift t)on ber Sonftärle ju fagen. ©e^r be=
fd^Ieunigter unb Ileinlid^ jer^adfter Si^^t^muS, auffaKenb toed^felnbe ober
nert)enreijenbe ©^namil finb gtoedEtoibrig. 9lud& bie Harmonie mu^, mil
ftimmungSörmer, gegen bie SJfelobie befd^eiben jurüdtreten. Sei me]^rftim=
miger 5Kufif ift barum bie pol^p^one ßompofition ber einfad^ ^armonifd^en
tjorjujie^en, S)aS fpejififd^ Snftrumentale , tooju j. 33. bie ÄlaOierfünfte
auf ber Orgel gepren, ift minber geeignet. Siafd^e fiöufer, fid^ l^öufenbe
®urd6gang§noten, d^romatifd^e fünfte, unt)erbunbeneS ©piel, ba§ „©dalagen"
ber Orgel ftatt beS rul^igen 9iieberbrüdEen§ ber 2:aften, furj aßeS, toaS el^er
fünftlid^ unb Ileinlid^ al§ mürbig unb getragen, foHte mit großer SSorfid&t
bertoenbet merben.
®aS |)eitere unb Saud^jenbe ift toeniger juläffig al§ ba§ 5reu=
bige; benn mag immer eine me^r ober toeniger leid^tfertige ©timmung §er=
borruft, faft jum Sad^en reijt, toirb in ber SKufif nod^ jerftreuenber tt)irfen
342 SRcunte« Äo^itcl.
als öl^nlid^e Singe in bcr ^rcbigt. 6S bxantbi naä) bicfer ©citc gar ntd^t
öicl, um alle Slnbaifit an^ bem |)erjen ju öetbannen.
®ic ©entimentalitöt foKte burd^ bie 9Ku[i! nid&t bcförbert »erben.
2)te 2lnba(i6t fei tt)o^I gelegentlid^ jart unb loeid^, aber nid^t franf^aft
füfelit^, gefü^lSfelig unb berf(i^tt)ommen ; fo auci^ bie religiöfe 30?ufil. ©ie
bringe gefunbe unb tl^atlräftige ©efül^Ie jum SluSbrud, anä) ba, tt)o fte
innig unb rül^renb tt)irb.
®ennod& foH pe mel^r auf I^rifd^e afö auf bramatif(i^e ©timmungcn
abjielen. ®ie 3lnba(i6t lennt niti^t baS, toaS man bramatifd^e Seibenfd&aft
unb ftürmifci^en Sl^atenbrang nennt ; fte bietet nur bie Itirifd^e aSorbebingung
jum Iräftigen |)anbeln. 6§ ip antb ber SKufi! f eiber wenig angemeffen,
menn fie au§ ber Iijrifd^en Stimmung in bie bramatifd&c SSemegung über=
ft^Iögt. ©ie tl^ut ba§ meijien§ nur bur(ä& aSerjiärlung il^rer finnliti^en SQBir=
fungen, nid&t burd& grl^öl^ung be§ fünftlerifd&en 2Berte§, fo j. 35. bei ber
3KUitär= ober 39ü^nenmufif , bie mel^r aufrcgenb unb jerftreuenb (bie Sllten
Ratten gefagt: entl^ufiaftifd^ unb bacd&antifd^) al§ too^It^uenb unb erl^ebenb
auf bie innerfte SSerfaffung ber ©eele cintoirlen.
SBir bürfen l^ier tDdf)l an bie Unterfud&ungen erinnern, toeld&e 9lri=
ftoteleS über ben eriie^li^en ß^araftcr ber 9Kufi! anftettt ($ßolitif, Sap. 8).
6b. 5!Küner fafet bie Slnfid^t be§ ©tagiriten in folgenbe ©ä^e jufammen:
„S)ie rein et^ifd^en Harmonien, bie ftraft, üKa^ unb Haltung auäjeidönet;
finb allein unbebingt ju empfehlen, unb ^ier bel^auptct ben erften 9tang bie
borifd&e, bie i^re nal^e SSertoanbtfd&aft mit ben et^ifd^en Sugenben aud^ ba=
burd^ befunbet, ba^ fie tt)ie jene gerabe bie redete 5!Ritte jtt)ifd&en ben S|=
tremen ^ält. 5Rur biefe Harmonien finb ba^er al§ loirflid^e 33ilbungömittel
ju betrad^ten, unb nur 2:onftüdEe Don biefem ß^aratter !önnen ber Sngenb,
um fie felbft einjuüben unb aufzuführen, übergeben »erben. ®ani anber§
berpit e§ fid& mit ben praftifd^en (jur 2:i&at brängenben) unb entl^ufiaftifd&en
|)armonien. Siegt in i^rer 9iatur, toie mir un§ bereits überjeugt ^aben, burd&=
aus ettoaS Seibenfd&aftlid&eS unb 2lufregenbeS, fo fann ein ßinlernen fold^er
ajlelobien, eine 2luffü^rung folc^er 5!Kuft! burd^ bie ^ngenb o^ne bie größte
©efa^r für beren fittlid^eS Seben burc^auS nid&t ftattfinben. " ^lato urteilt
in biefer unb äl&nlid&en S^agen nod& ftrenger als 2lriftoteIeS. SBenn nun
aber bie ^eibnifd&en ^ß&ilofop^en in ber 3ugenberjie&ung nur eine beftimmte
2lrt ber SKuftf, biejenige nämlid&, »eld&e „bie red&te ÜMitte jtoifd&en ben
©jtremen ^ält" unb nid&t „Ieibenfd&aftlid& unb aufregenb" ift, für guläffig
erad&ten, foKten toir barin nid&t einen Ringer jeig erfennen, bafe in ber d&rift=
lid&en ßird&e nod& biel toeniger jebe 2lrt ber 9Kufif jtoetfgemöfe fei, unb
foHten toir es nid&t als ein greifbares SKerfmal ber Unbraud&barfeit einer
5!RufiI für bas ®otteSI&auS anfel&en, toenn fie nad& irgenb einer ©eite ju
fel&r nad& bem „%trem" neigt unb inSbefonbere ju fe^r 2luSbrudE ber auf^
2)ie Äirc^enmufif. 343
geregten ,,2eibenf(^aft" tft? ©oHten mir nitä^t toenigfienS etmaS nod^benflid^
unb tüöl^lerifdö toerbcn, fobalb c§ fit^ um eine 5Jlufif l^anbelt, bie unmittelbar
üor bcm 2lntli§ be§ ]^ö(i^[len ^ernt unb jur religiöfen ©rbauung einer an-
bäd&tigen ©emeinbe oufgefül^rt toirb?
ßinfeitig ^erbortretenbe ©ubjettibität ^öngt mit ber 8eibenf(^Qft=
lid^Ieit nal^e jufammen ; fie mod^t fid^ baburd^ !enntlid&, ba| ber Äom^jonift,
©önger ober ©pieler o^ne SJütffid&t auf bie Umftönbe unb bie 3u^örer nur
feine |)erfönlid^e @rregt^eit in 2:önen auSflrömt. ®er 5!KufiIer übernimmt
e§ aber, in ber ßirdöe im 9iamen aller ju fingen ; er mufe olf o bielmel^r
biejenigen Stimmungen jum 2lu§brudt bringen, toeld&e bie ganje ©emeinbe
belegen ober betoegen follen, nid^t aber Stimmungen auffingen, beren Se=
fd&affen^eit ober beren (Srab fidler nid^t allgemein geteilt toerben. ©old^e
mürben mo^l bie 3lufmer!famleit auf ben 9Jlufifer, aber nid^t auf bie ©ad^e
lenlen, ©etoijfe allgemeine ©runbftimmungen berbienen e§ aud& biel me^r
als inbibibueüe ©emütSregungen, bem d^riftlid&en 3JoIte nal^egelegt jU merben.
2)ie aflju perfönlid^en mirb e§ meiftenS nid&t einmal berftel^en unb um fo
getoiffer bei ber blofeen Slufmerffamleit auf bie gform flehen bleiben. 9Kan
öergleid^e nur einmal bie Slufgabe eineä geftrebnerö mit berjenigen be§
3)iufiler§ in ber ßird^e: jener foll bod6 bormiegenb bie allgemeine t?^P=
jiimmung auSfpred&en unb feine fubjeltibe grregt^eit Dor allem barin be=
funben, ha^ er fid& bon ber aflgemeinen ©timmung am ftörtften ergriffen
jeigt. 2Bir lommen aud^ l^ier toieber ju bem Ergebnis, ba^ nid&t fo fel^r
baS 2lu§gefud&te, @r!ünftelte unb Äleinlid^c, fonbern baS 9iatürlid^e, (Semein=
gültige unb inl^altlid^ 33ebeutenbe ju bem ebenfo einfad^en mie großartigen,
auf ^oä) unb nieber, gelehrt unb ungele^rt bered^neten ©otteSbienfte im rid&=
tigen SBerpltniffe ftel^t.
417. Unter „meltlid^" unb „t^eatralifd^" mirb alfo in unferer gfrage
nic^t etma afle§ ba§ berftanben, maS man aud^ in ber SBelt unb im Stl^eater
l^ört; benn bie 2:onIunft ift in i^rer toefentlid&en ©rfd^einung überall gleid&
unb toeber meltlid^ nod^ geiftlid^, meber t^eatralifd^ nod() fird^Iid^; fonbern
e§ l^anbelt fid& um jene unmefentlid^en unb jufölligen ßigenfd^aften eine§
mufüalifd&en ß^unfttoerfeS , bie bon ber Sunft al% fold&er nid&t bebingt
mcrben. S)a ^eipt un§ nun meltlid^ biejenige 9lrt ber 5!KufiI, toeld^e tro|
anbermeitiger Sßorjüge bie Bereinigung be§ SßerftanbeS unb $erjen§ mit
®ott unb mit ber liturgifd^en |)anblung el^er ftört al§ förbert; ebenfo gilt
uns als t^eatralifd^, maS feiner Statur unb ben Umftönben nad^ nid^t jum
©otteSl^aufe unb einer religiöfen Sßerf ammlung , fonbern jum Sfonjertfaale
unb }um 2:^eater pa^t 3nS ftonjert unb ins Stl^eater ge^t man, um fid&
JU unterhalten, fid^ an ber ßunft, befonberS aber an ber Äunftfertigfeit
}u ergoßen ober fid& ebenbarin meiterjubilben ; man rniH bie SlUtagSforgen
bergeffen, ben ©eift für neue 3lnftrengung tauglid^er mad^en unb in „ge=
344 9leunted Stapitel
l&obcncr ©timmung" l^eimfcl^ren. @§ iji ein feltener gall, tücnn itgcnb eine
ftttli^e ober tcligiöfe Qfötbetung erjielt tt)irb. aSon ber eigentlichen 6r=
bauung unb 9lnbo^t tt)irb man ba dottenbs faum reben bürfen. S)iefc ift
nun umgcfe^rt ber eigentlid^c 3^^^*/ »eSl^alb man bie ftird^c befugt ober
befuc^en foH: toie foHte alfo nic^t auc^ bie ftir^enmuftf einen eigenartigen
unb im allgemeinen rec^t »o^I fenntli^en ß^arafter annehmen?
418. 9?i^t jum minbejien l^öngt bie 3Birfung ber 2KufiI aud^ in ber
flird^c t)om Vortrage ab, SSieleS tt)irb unlird&Iid^ nur bur^ bie 3lrt
unb SBeife, mie c§ ju ©el^ör gebraci&t mirb; bie Äompofttion bleibt ja iu=
nö^ft ein toter Sud^ftobe, unb felbft unter ßinl^altung ber aKgemeinen SBor=
trog§iei(^en fann man ben 3:ejt unb bie 9?oten fo unb anber§ befeelen unb
geltenb ma^en. ®ie§ fü^rt unS auf einige pofitioe Segeln, toeld^e bei ber
Sluffü^rung ürd^Iid^er 9Wufifftü(fe bienlid^ fein mögen. S)ie näd^fte 3luf=
gäbe fäHt bem Dirigenten ju. 6r mufe t)or oKem felbft tl^eoretifd^ unb
praftifd^ in ber Jlird^cnmufif genügenb bemanbert fein, auc^ im Äontra=
punit, mcnn er mel^rftimmige ©ot^en jur 3luffü]^rung bringen toill. S)ie
SBal^I ber ©tütfe entfd^eibet fobann jumcift ben @rfoIg; am beften tt)ö]&It
er nic^t ju fd^ioere, aber ftimmung^öoHe flompofttioncn e(i&t lird^Iid^en @c=
präge§, bamit er fid^ SKül^e, SSerbrufe unb Jloften erfpare. SSiel toeniger
liegt baron, ba^ man oft med^Sle, al§ boran, ba^ man wenige ©tüdfc boII=
lommen bel^errfd^e. S)ie 2KuftI l^ot baS Eigenartige, erft bei mieberl^olter
9luffü^rung ganj öerftanbcn ju merben ; mie bie SBieberfel^r einzelner 9Rotit)c
innerl^alb eines ©tüdfc§, fo ift bie SBiebcrfcl^r berfelben ©tüdfe oft genug
ba§ fid^erfte 2KitteI, um jU gefallen. S)er Dirigent mu^ nur bie 5Diü^c
nid&t fd&cuen, ba§ fd^on ©etoo^ntc fo einjuüben, bafe e§ mie neu erfd^eine. —
Den einfad&cn ß^oral lobe er nid&t allein mit SBorten, fonbern bringe il^n
prattifd^ ju @^ren. Doju braud&t e§ aber mel^r ©tubium unb Übung, al§
e§ auf ben erften 33Iid fdöeint. ©crabe bie öerl^ältni^möfeigc Sinfad^^eit ber
gregorianifd^en 2KufiI unb bie iSxti^dt, »eld&e fie bem SSortragenben gc=
ftattet, fann i^m jur SSerfud^ung werben, bie ©ad^e leid&t jU nel^men. —
Die ürd^Iid^en SSorfd^riften rüdfid^tlidö be§ ®efange§ muffen i^m al§ unber=
brüc^Iid^c 5Rorm gelten, felbftberftänblic^ in Unterorbnung unter bie nöd^ftc
geiftlid^e Slutorität, mit beren 3iiPi^"^"^9 ^Kein ein gebei^Iid^eS SSBirfen
möglich ift. 3^^ ^^^ 9lu§übung feine§ 3lmte§ bringe er aufeer ber geprigen
Siebe jU bemfelben bie ffenntni§ ber Unterrid^tSmct^obe mit unb jene @^r=
furd&t unb 3lnbad&t, bie er feinen ©ängern einflößen will.
419. Der Drganift l^at eine ö^nlid&e beborjugte ©teKung; er foK
ben ©efang tragen unb unterftü|en, foH burd& geeignete SSor=, 3^i)^^"=
unb 9iad^fpiele bie ber jcbeämaligen 3^cier entfpred&enbe ©timmung ]^erdor=
rufen, unterl^alten unb förbern Reifen. Den ©efang barf er nid^t über=
tönen, fonbern im allgemeinen nur mit fanften Slegiftern begleiten; fonft
S)ic Äird^cnmufif. 345
fd^rcicn ©änger unb aSoIf unb toirb ber SEejt ni^t me^r öerjianbcn. 3n
bcr ©tärtc bcS ©|)ielc8 liegt bcffcn ©c^önl^cit toal^rlit^ nic^t. S)o^ foH
bic ©töric bcS ©})ielc§ bcr 3^^! ^^^ ©ängcr entfpred^en. — @m fort=
gefegtes ernJieS ©tubium unb forgfältige SSorbcreitung lönncn i^m fcinc§=
falls ctlaffen mcrbcn. ©efd^itf im SCranSponiercn unb SKobuIiercn gehört
ju bcn elementaren ^orberungen, bie an i^n ju [teilen finb. Sei ber Se=
gleitung ermartet man angemeffenc 9lbtt)cd&§Iung ; baS 3:riof|)ieI ifi eine be=
fonbere S^ttbt, ®ie freien Orgelftütfe muffen noc^ forgfältiger al§ ber
©efang auf bie }u erjicienbe ©efamtflimmung eingerid^tet fein. — 3m aU-
gemeinen ift c§ burd^auä abjuraten, ba^ ein ©pieler, ber fein großer SKeifter
ift, au§ bem Äopfe fpiele; tt)a§ !ann babei »ol^I l^erauölommen ? @r ber=
forge fid^ alfo gel^örige 3SorIagen unb ^alte [xä) baran. @§ bleibt i^m bei
ben Überleitungen nod^ Gelegenheit genug, feine grfinbungSgabe ju befunben,
aber er öerfdöone ba§ ^ublifum mit feinen jufammenl^anglofen aSerfuc^en,
in benen meift faum ettoaS don SWelobie ober felbft bon einem folgerid^tigen
3fortfc^ritt in ber Harmonie ju entbetfen ift. S)ie Vorbereitung follte berart
fein, bafe fein ganjeS ©piel toäl^renb berfelben &eier eine einl^eitlid^e ©tim=
mung jum SluSbrutf bringe. — S)ie ©igenart ber Orgel mu| felbjiber=
ftänblid^ in ber getragenen SBürbe unb in bcr ©cbunben^eit bc§ ©pieleS
(legato) jur ©eltung lommen. S)ic Stcgiftrierung crforbert großes ©cfd^icf
unb min mit Sebod^t überlegt fein. 5ür bic reine ©timmung be§ 3n=
ftrumente§ ift burd^ jcitige JRebifion ©orge ju tragen ; e§ ift fel^r münfd6en§=
toert, ba^ ber Organift felbft einige ÄenntniS bon bcr Äonftruftion ber
Orgel l^abe, bamit er nid^t immer auf bcn Orgelbauer jU martcn braud^e.
SSg(. bie „SBinfe für Organiften" in ber SreSlaucr unb bcr amerüanifd^cn
„ßöcilia" anfangt be§ 3a^rgang§ 1899.
420* 9lud& ber ©änger barf feine Slufgabc, bie ganjc ©cmeinbe ju
erbauen, nid^t leidet ncl^mcn. S)en läftigcn SSorübungen jur @rlemung einer
reinen unb eblcn 3Bort= unb %on\pxa(i)e, foioie jur unmittelbaren 95or=
bercitung ber einjclncn Seiftungen untcrjicl^c er fid& au§ Siebe jU ®ott unb
ben 3Kitmenfd&cn, unb fd^öj^e fid^ glüdtlid^, einer fo naiven 9JlitroirIung beim
fird^Iid&en ©otteSbienfte gewürbigt ju loerben. 3m einjclncn ift ju tt)ünfd&cn,
baB er ben Xcjt unter ber SKelobic nic^t berlümmern laffe; bic SSofale foDcn
Dofl unb rein ertlingen, bie ffonfonanten Icife, bod^ bcrnel^mlid^ bor unb
nad^ benfclben. 9Iud6 bie Sipl^tl^ongc muffen mit il^rem eigcntümlid^en Saute
angefd&Iagen werben, »enn biefer aud^ erft beim 2lu§tönen berbottftönbigt
tt)irb. 3Wan fd&reibt gemö^nlid^ bie Stegcl bor: ©inge, mie bu fprid^ft, unb:
finge bei ©ipl^tl^ongen juerft bcn SSo!aI, mit welchem fte beginnen. 33eibe
Stegein finb braud^bar, menn fie rid^tig bcrftanben merben. 2)ie eble 2lu§=
fprad^c bcr gctoöl^nlidöen Siebe ift aKerbingS aud& für ben ©önger mafe=
gebenb, foroeit e§ mit bem reinen mufilalifd^en 3:onc fid^ ber=
346 9leunted Kapitel.
einigen lä^t. 3e mel^r bcr ®ef ang f^Kabif d^en ßl^aratter annimmt, bcfto
leitetet »erben [id^ ®efang= unb ©pred^ton bereinigen ; je felbjiänbiger aber
bie 9)ieIobie unb |)armonie fi(i& entfaltet, befto me^r mirb ber %tit l^intcr
berfelben jurücftreten, ol^ne bofe er jebod^ fein gutes Siedet einfad^ preisgäbe.
Sei Diphthongen ift bie genannte Ötegel aud& nid^t in ber SQßeife ju übcr=
treiben, bafe man j. 33. eu, au ober ei genau in feine jmei Seftanbteile
auflöft unb erft e unb a gefonbert erflingen läfet. — ??alfd^e ©ilben=
trennung, lonfonantifd&e aSorfd^löge dor 3So!aIen finb ju öermeiben (im
ß^oral n-amen, me-i-us), cbenfo SSerftümmelungen (saec'la) unb aHcS,
tt)a§ bie SluSfprad^e al§ unrid^tig ober feltfam erfc^einen läfet. ©efang unb
SejtauSfprad&e muffen fid& alfo möglid&ft unmerllid^ ein menig aneinanber
angleichen, um gur ©inl^eit gu öerfd^meljen. — ®ementfprec^enb finb ferner
bie ©üben eines SBorteS, bie SBorte eines ©a^teilcS einl^eitlic^ unb ge=
bunben öorjutragen unb bie Raufen gel^örigen DrteS anjubringen (nid^t
Crucifixus — etiam pro nobis). S)a fid^ nun ber ßomponiji not=
gebrungen einige greil^eit in ber Sel^anblung beS SEejteS erlaubt, unb bie
2:onfunft ein ebenfo gutes 3ted&t auf i^re ©elbftänbigteit l^at mie bie ©prad^e,
fo toirb ber ©änger bie entfte^enben Sifferengen tl^unlid^ji auSjugleid^en
fud^en. — S)ie gute SluSfprad^e unb Betonung, bie rid^tige 3Bort= unb
©a^teilung »erben nod^ burd^ bie Slädtfid^t auf baS muftfalifd^e 9JlotiD unb
bie Saftmeffung, toenn eine fold&e borliegt, enblid^ burd& bie borgcfd&riebene
Sonbauer, %oriS)oi)t unb 3:onjiärIe erfc^toert. SlUe biefe 3)inge moDen be=
rüdtfid&tigt unb, mo nötig, miteinanber berfö^nt werben, fo ba^ ber ©änger
oft eine überaus fd&ioierige Slufgabe ju löfen l^at. "iDlan toirb il^m gern
einige 5Rad^ftd^t angebeil^en laffen, eS aber nid^t berjeil^en, menn er fid^ gar
nid^t bie 9)iü^e giebt, aud^ ben 9lnforberungcn beS SejteS in angemeffener
SBeife ju genügen; ^ängt bod& bie SBirfung ber 9Wuftf auf ben ©cift ju
einem fel^r gropen 2eile bom ©inne ber 2:ejttt)orte ab. — S)ie 9lbfid&t beS
Jlomponiften fann burd& bie befannten SSortragSjeid^en nid^t bis in aKe
©ingel^eiten beftimmt »erben; ©ad^c beS berftänbigen ©ängerS ift eS, nad^
feiner ©infid&t unb feinem mufifalifd^en ©efü^Ie eine ßrgänjung eintreten ju
laffen. 5lid&t minber ^at er bei bem SSorgcfd^riebenen immer nod^ ju übcr=
legen, roie ber ffomponift bie S^xä^en, j. 95. t^oxk ober gottifftmo, 2HIegro
unb 9lnbante im gegebenen gaKe interpretiert miffen miK. Seim ©^oral
ift toeber 3:alt nod& 2:empo nod^ 2:onftär!e angebeutet; eS brandet bemnad^
um fo mcl^r ©tubium, um baS SRed^te auS bem Sejtfinne, ben 9WeIobie=
motiben unb 5Rotengruppen l^erauSjulefen. — ©el^r übel tl^ut ber ©änger,
toenn er, ftatt bie mittlere 2:onpärIe anjutoenben, fid& ol^ne ©runb me^r
anftrengt; ebenfo berbirbt eS ©efang unb ©timme, toenn i^m jugemutet
toirb, in einer anbern ©timmlage als ber natürlid^en ju fingen. — S)er
©änger mu^ ettoaS fül^Ien, toenn er bie 5Roten abfingt; fonft fönnen aße
S)ic Äird^cnmufil. 347
übrigen Äünfte tüenig frommen. S)a§ gilt in befonberer SQßeife t)om ßird&en=
fänger; er mufe in ber ©timmung bcS 3:agc§ mie bcS SejteS, jicbenfallS
aber in ber oKgemeinen ©ebetöftimmung fingen. S)ana(i& mirb fid& bei
bcm freien 6I)oraIgefQng JRl^^tl^muS unb 3:empo, bie ^eröor^ebung ber
]^auptfäc6Iic^fien ©inntoorte, ber ^eiligen Slomen u. f. ». rid^ten. @r bleibe
aber immer re^t natürlid^, affeftiere nid^t, aud^ nid^t j. 99. burci^ @taccato=
aSortrag. — 9llg ßinjcl^eit fei ^erdorge^oben , ba^ bie 9lotengruppen
in ftrengftem legato öorjutragen ftnb. S)abei gilt inbe§ bie alte Siegel:
man foHe in längern Slotengruppen bie Heine SltmungSpaufe wie bie größere
SDcl^nung^paufe fo anbringen, ba^ nic6t mit bem ©d&Iufe einer fleinern 2:eil=
gruppe jugleid^ eine ©übe fd&Iiefee; benn man tt)ürbe bann ba§ ®efüt)I
einer S^^^^^ifeung beS 2Borttejte§ l^aben. 9D?an fängt alfo j. 33. im feierlichen
Ite missa est eine neue ©Übe ftctS inmitten einer Xeügruppe bon 5Roten an.
421. ©erabe beim S^oral ift bie 3lrt be§ aSortrag§ fo wenig bon
bom^erein beftimmt, bafe mel^rere boneinanber abmeid^enbe ©^fteme auf=
gefteßt werben lonnten unb aud^ gegenwärtig in Übung finb. ®inige§ l^ier
@infd^Iägige tnurbe fd&on oben 5Rr. 379 ff. berührt. 3^^^ l^i^f^^ ©^fteme
erforbern eine längere 93efpred&ung.
3)ie 39enebiltiner bon ©oIe§me§ l^aben einen boDfommenern
9l]^5t^mu§ bc§ gregorianifd^en ßl^orate, al§ ben fonft gebröud^Iid^cn , nad6=
jumeifen gefud^t. ©ie beginnen mit bem Sinflufe be§ Sejtaccente^ , gelten
bann aber meit über benfelben ^inau§. S)aS neue ©^ftem !nüpft fid& bor=
jugSroeife an ben 5Ramen be§ P. ^ot^ier, ber e§ unter anberem in feinem
|)anbbud& über ben „(Sregorianifd^en ß^oral" (frj. Melodies gregoriennes),
überfe^t bon Slmbr. ßienle 0. S. B. 1881, niebergelegt ^at. Sl^m
folgen S. 3anffen§ 0. S. B. in ber 9lb^anblung „Le Rhythme du
chant gregorien" 1891, ^ßet. SBagner in ber „ßinfü^rung in bie ®rego=
rianifd^en 3KeIobien" 1895 unb, mit ßrmeiterung unb Vertiefung ber
S^orfd^ungen ^ot^ier§, 2t nt. fi^oumeau (de la Compagnie de Marie)
in „Rhythme, exe'cution et accompagnement du chant gregorien"
1892. 3Han lann biefe§ ba§ ©^ftem be§ oratorifc^en Sll^^tl^muS
nennen. SlUcrbingö fd^Iie^t, wie gefagt, ba§felbe nid&t au§, ba^ aud& bie
grammatifd&e Setonung ber %tiitooxie ben 9?ad&brudE unb bie S)auer ber
9)leIobietöne beeinfluffe. „5)er SBert ber gl^oralnoten", fagt ^ot^ier in bem
angeführten Sud^e ©. 146, „ift nid^t unberänberlid^ unb abfolut, fonbern
mirb burd^ i^r 2Ser]^äItni§ jum SCejt ober burd& il^re ©tellung in ber meIo=
bifd^en ^l^rafe mitbeftimmt. " SIber, mie fd^on bie legten SBorte befagen,
wirb nod^ auf einen anbern S^altor ©emid^t gelegt. 6§ l^ei^t fogar fd^lie^Iid^
(a. a. D. ©. 160): „Sie ^Wufü be^nt unb !ürjt bie ©üben nur nad^
il&ren eigenen ©efc^en." 5)ie auSbrüdtlid^e Betonung ber melobifd&en
^l^rafe ift ba§ 5Reue, unb maS bie genannten ©emä^r^mönner mit 3Sorjug
348 ffttnnUd üapittL
afö Sil^^t^mu^ bejcid^nen, gel^ört t)icl »cnigcr bcm 3:cyt al§ bcr 3KcIobic
aDcin on, unb bcjiel^t in ber too^IgcföHigcn unb befonberS in bcr f9m=
mcttifd^cn ®rup|)ietung ber 9WeIobictönc (9ir. 130). S)iefe tt)irb
jumcift nid^t burd^ ben untcrftel^cnben (|)royaif(i&en) Sejt unmittelbar bebingt,
fonbcrn auS ber l^öl^ern ftunftprofa entlel^nt unb übertragen. S)er Iunft=
gemäße rebncrifd^e ©til ber alten ©ried^en unb JRömer nämlid^ »urbe in
feiner Slütejeit ber Sll^^tl^mil ber poetifd^en ©prad^e nad&gebilbet, unb biefe
oratorifd^e SH^^t^mil finbet man nun im gregorianifd^en ©ejange tt)ieber.
Um ba§ borjüglid^fte SRefuItat ber raftlofen Semül^ungen gleid& an
einem möglid^ft einf ad^en Seifpiele ju beranfd^aulid&en : fo jerföHt ba§ fcier=
lid&e Ite missa est offenbar in brei mufifalifd^e ©ruppen, bon benen bie
jmeite bie treue SBieberl^oIung ber er[ten ift unb bie britte einen angemeffenen
9lbfd^Iufe bilbet. @S laffen fid^ aber bie erften nod^ einmal teilen unb er=
geben je jmei Slbfd^nitte, meldte fid^ ebenfo boneinanber abfonbern, wie bie
le^te ©ruppe bon ben erften. 6ine fold&e ©lieberung ber 5KeIobie in jiemlid^
gleid^e, f^mmetrifd^ [id^ entfpred^enbe 2:eile ^at mit ben 3:ejttt)orten menig
ju fd^affen, lann aber mit aSerl^öItniffen ber ^oefie berglid^en merben. Um
ba§ Ilarjuftellen, braud^t man fid& nur folgenber, fofort berftönblid^er 2lu§=
brudStoeife ju bebienen: 2)ie SKelobie be§ feierlid&en Ite missa est ift
gleid^fam eine mufifalifd^e ©tropl^e unb befte^t au§ jtoei gleid^en, burd^ einen
ginfd^nitt geteilten Qt\kn mit einem ©d&lufeberfe. SBoHtc man bie Sprache
ber Sll^etoril nad^al^men, fo tonnte man fagen : 2Bir ^aben e§ mit einer bor=
trefflid^ gebauten ^eriobe ju tl^un, beren SSorberfa^ [td^ in jtoei Heinere Steile
gliebert unb burd^ einen Wohlproportionierten 9iad6fa^ abgerunbet tt)irb. ©er
funftreid&en ©lieberung entfprid^t nun aber im ganjen unb in aüen Steilen
ber geföKig betoegte unb ein^eitlid^ gebunbene ©ang ber 9)ieIobie. 3)ie
fleinften 9lbfd^nitte finb ben 2:aften ber mobernen 5Jlufit nid^t unöl^nlid^;
fie l^aben einen guten ober ftarten unb einen fd&Ied&ten ober fd^tpad^en 93e=
ftanbteil, finb aber nid&t bon böllig gleid&em Umfange. S)ie Betonung unb
bie Verteilung ber 3:ejtfilben ift jtoar nid^tS weniger al§ toiKtürlid^, boc^
tt)irb bie bolle Statürlid^feit be§ ©prad^gefangeS burd^ bie !^ai)l ber 5Roten
gel^emmt ; anbererfeit§ aber mai)i fid^ in ber 2KeIobie eine ganj neue funft=
gemäße Sll^^t^mil geltenb.
S)iefe Seranfd&aulid^ung be§ ©5ftem§ an einem na^eliegenben S9eifpiel
ift nid&t ben genannten ©d&riftftellern entnommen, bürfte aber bod& il^ren
3lnfd6auungen burd^au^ gemä$ fein. 33Ber wirb alfo leugnen tPoKen, ba§
e§ bem ürd&Iid^en ©efange jur ßl^re gereid^te, menn man in möglidöft meitem
Umfange ein fo fd6öne§ ßbenmafe ber ©lieberung unter gebül^renber 3türf=
fid&t auf bie 3:ejtunterlage nad^miefe. @benma| gilt ja bod^ al§ ein $aupt=
borjug aller Kunft. S)ie feinfte unb fünftlid^fte 2)urd&fü]^rung be§ genannten
^rinjip^ aber, in SSerbinbung mit genauefter 3lbtt)ögung be§ burt^ ©^m=
2)ie Itird^enmufil. 349
metrie unb Slejt jufammen gcforbetten ail^^tl&muS ber %öm, bilbet baS
@9jiem be§ „orototifc^cn W)tiif)mu%'\ Srep^e 99ctf|)icle lann man bei
^otl^iersÄicnle, SBagncr unb bcfonberS bei Sl^oumcau finbcn. Unter doller
9lncrtennung alfo ber fci&önen Krfolgc, mel^c bie Qforf jungen ber fran=
jöftfc^en 33enebittiner erjielt l^aben, foffen l^ier nur nod^ einige @rtt)ägungen,
toeld&e fic^ teitoeife ju bef^eibenen Sebenfen ^eftalten, borgelegt werben.
422. S)en tJorf^ungen ber 33enebi!tiner mufe ein ^ol^eS ard^äologifd&es
aSerbienft juerfannt merben. 3)iefelben [tü^en [id^ auf ^lotenl^anbfd^riften
aus bem 11. unb 12. Sal^rl^unbert, meldte burd^ i^re Übereinftimmung be=
toeifen, ba$ in jener 3«it ber ßl^oralgefang in ben öerfc^iebenften 2:eilen ber
d^riftlid^en SBelt rürffid^tlid^ ber ^Welobie ibentifd^ mar. Man folgert barauS,
ba| biefclben |)anbfc^riften getreue 9lbfd&riften ber 5leumenbüd^er barftellen
unb burc^ biefe auf ©regor ben ®ro|en jurüdfreid&en, ©d^lu^folgerungen,
»eld^e nid^t unanfed^tbar unb auc6 nid&t unangefod&ten finb.
3lu§ biefer Überjeugung ber an ber „Paleographie musicale" ar=
beitenben SKänner ergiebt fid& bie parle 39etonung be§ SBerteS aDer ßinjet
Reiten, meldte jenen ^anbfd^riften entnommen finb, fotoie ba§ 33eftreben, ben
ard^öologifd&en gorfd^ungen eine unmittelbare S9ebeutung für ben praftifd&en
ftird^engefang ber ©egentpart beijutegen, unb enblid^ ber inbirefte Siamp\
gegen bie offizielle 9luSgabe ber „Cantus ecclesiastici" . 6ine ^Jlöfeigung
in aßen biefen Sejiel^ungen mürbe manchem aSBiberfprud^ unb ©treit t)or=
beugen (bgl. bie 9lu§fü]^rungen P. ßornmüKer§ 0. S. B. im „ßird^en=
mufifalifd&en Sa^rbud^" 1890, ©. 82 ff. unb 1896, ©. 84 ff.). Um nur
einen 5ßun!t namhaft ju mad&en, fo lönnte man baS Sob, mit bem bie
langen 9JleIi§men über ber Snbfilbe im altern ß^oral ouSgejeid^net merben,
tt)enigften§ mit gteid^em 9led&te ju ©unften ber Medicaea auSfpred^en, aber
aus bem entgegengefe^en ©runbe, meil fie nämlid^ jene Eigenart frül^erer
Seiten meggefd^nitten ^at. @S ift toirllid^ nid^t red^t eintcud^tenb, warum
es äftl^etifdö fd^öner fein foß, bie le^te, meift tonlofe 3:ejtfilbe mit enblofen
9lotengru|)pen ju belaften, als ftatt beffen bie dorauSgel^cnben 2:onfitben, bie
jugleid^ ©inn unb Stimmung beS 2:ejteS tragen, l^erborjul^cben.
9lu^erbem wäre bie toirtlid^e, obje!tide ©d&ön^eit ber alten 3KeIobien
auc^ in ber etwas berctnberten fpötern Raffung, bie ja ebenfalls bon 9Jleiftern
l^errül^rt, großenteils nid&t fd&wer jU entbedfen, wenn man barauf bie gleid^e
3Kü6e bermenbcte. 2BaS bie lunftboKe ©lieberung unb Symmetrie angebt,
fo ift fie j. 39. gleid^ am Asperges augenfd^einüd^ nad^juweifcn.
A - sper-ges me, Do - mi-ne, hys - so - po, et naun - da • bor :
^ - i g-H^^ U^^!^ f„=g=^ i^3 S^-y^ -
La-va - bis me, et su-per ni-vem de - al - ba-bor.
350 S^cuntcd Äapitcl.
SBic fd^ön bic bcibcn S^Ü^n bc§ 3:ejtcS in SBort, ©tnn unb ©timntung
fici^ entfprcd&cn, liegt auf ber ^anb. S)emgemäfe ift nun aud^ bic 9JicIobie
ju 3lnfang unb am @nbc glcid^, nur in ber 5Jlittc ctmaö abtocid^cnb. 9lud^
bic 2:c5tn)orte bciber ©ä^c meieren in bct 9Kitte nad^ &omt unb gramnta=
tifd&cr Raffung ctmaS ab, tt)ä]^renb fie im crftcn Steile fcl^t ül^nlid^ flingen
unb im legten fogar einen 3teim bilben. 3eber ber beiben muftlalifd&cn
©ä^e jerlegt fid& aber in brei fofort erlennbare Stbfd^nitte, Don bencn ber
Ie|te bie Umfel^r beS erften ift, fo ba^ bic anfangs auf jieigenbc ?iKeIobic in
bem mittlem Slbfd^nitte il^ren ^öl^cpunö erreid&t unb bann biefelbe ©tufen=
leiter tt)ieber abfteigt. S3Bic lann bie ©^mmetrie, überl^aupt ber ©a^bau,
fd^öner fein, al§ toenn bie 2KeIobie eine berartige SSogenform befd&rcibt!
aSgl. ba§ oben 5Rr. 190 ju berfelben 2KeIobie Semcrlte.
SBoDten mir nun, wie bie Slnl^änger be§ oratorifd^en SRI^^tl^muS, befonbcrS
ai^oumeau, nod& lünftlid^ere ©lieberungen berfud^en, fo lönnten tt)ir fagcn,
bap bic „in 5Reumen fortfd^reitenbc" 3JteIobie in jcbem 3lbfd^nittc gleid^fam
öier 3:aftc bilbct, bie jroar nid&t matl^cmatifcö , aber bod& fcl^r annä^emb
glcid^ finb : fobalb man ben rafd^ern ober langfamcrn aSortrag jugleid^ tejt=
gemö^ unb taftgemöfe geftaltct. 3:altgemä^, inbcm man jebem taftöl^nlid^cn
Heinften Seile (menn er nid^t etma blop au§ einer ©übe beftel^t) eine bcul=
lid^e ^ebung unb ©enfung juteilt. SSBenn an j»ei ©teilen (bei et) bic
5lotengrut)pe toeniger angemeffen fd^eint, fo lann man, wie c§ in ber
„ Pal^ographie musicale" öfter gefd^ie^t, an ba§ gelcgcntlid^e Überwiegen
ber SKcIobie über ben SEejt erinnern, ober c§ fogar an unb für fid& fd^ön
finben, ba| bic mit et eingeleitete SBirfung beS göttlid^cn ©egenS auf biefe
SBcife I^rifd^ angefünbigt toerbe. aSgl. übrigens bie nad^ S)ed^ebren§' Slnfid^t
aut^entifd^c Sll^^t^mificrung oben ©. 305.
P. ^potl^icr gc^t mit feinen Sorfd^riften nod^ bicl mcl^r inS cinjclnc.
3ur Seftimmung bc§ 5lotenn)erte§ unb ber 3lbftufung bc§ Vortrags giebt
er (©regor. ßl^oral ©. 151 f.) bicrje^n SRcgcIn für jioei geilen tt)ie bie
obigen. 5Kod& mcl^r. 6r ^ält eS für äft^etifc^ fd^ön, menn im erjicn 3:eil
ber Pater noster-2KeIobic bic 9iotcngrupt)cn , toeld^e ber ©licbcrung be§
2:ejte§ entfpred^en, folgenbe S^^I^^^^i^^öItniffc bilben : 4:6; 5:5; 4:5;
2:6; 5:5. Slber tt)em woHtc man c§ berübcin , ber barin nid^tS mcl^r
erfennte, als tt)aS fid& me^r ober minber überaK finbet, nid^t aber ein ®cfe|
bon irgenbtocld^em äft^ctifd^cn SBert?
P. fi^oumeau nimmt jur ^erftellung feiner Sll^^tl^mcnglieber ober freien
%alk an beliebiger ©tefle eine, jtoci ober brei Sorfd^IagSfilben al§ 6in=
leitung ; er fe^t ferner borauS, ba^ ber 5licbcrfd^Iag feines S^oraIta!tcS immer
nur eine ©Übe l^abc : fold&c unb öl^nlid&c S)ingc finb f el^r fubjcitiber 9latur.
©0 lommt eS benn, ba| tro§ taufenb feiner 99eobad^tungen für ben pxah
tifd^cn ®cbraud& nid^t aüjubicl gewonnen ift, inbem ber eine bic aufgcfteKten
3)ie Äird^enmufif. 351
Äcgeln ju !omt)Iliicrt finbet, bcr anbete fie bejtpeifelt, ber britte fie burd)
neue Siegeln eigener ßrfinbung erfe^en tPtrb. 3)amit foH ni^t gefagt fein,
man merbe unter Seobad^tung ber ^Jletl^obc bon ^ot^ier unb fi^oumeau ben
(Sffotal nit^t fd^ön Vortragen; aber ganj fidlere, allgemein brau(i^=
bare 5lonnen beS SSortragS finb bamit nid^t gegeben.
423» S)aä ©Aftern be§ „oratorifd^en Sl^^tl^muS" im ßl^oral wirb mit
großer gwbcrpd^t in§ 2WitteIaIter unb in§ SlÖertum jurüdEgeleitet. 3Son ben
®ried&en unb SRömern fagt man jroar nid^t, fie l^ätten einen ber Äebefunft
entlehnten Sll^^tl^muS auf eine 9lrt i^reS ®efange§, ettoa ba§ JRecitatit), an-
gcioanbt. S)at)on toiffen tt)ir ja nid&ts. 9lber man glaubt, ber meift nid^t
me^r poetifd^e, fonbem ganj unb gar profaifd^e SEejt beS ßl^orals l^abe c§
ber diriftlid^en SBelt nal^egelegt, ben äll^Qtl^muS au§ ber 9l^etorenfd|ule }u
borgen. 5)a§ toöre red|t roo^l benfbar, »enn bie lird^lid^en ©efangStcjtc
»irflidi Äunftprofa mären; je^t hingegen ijt eö diel roal^rft^einlid^er , bafe
bie alte ©efangSpraji^ mit il^rem bon ^aufe au§ mufitalifd&en Sl^^tl^muS
beibel^alten tourbe.
©obann baut fid^ ber oratorifd^e Äl^^tl^mug bei ben 9llten, nömlidfe
bei 2lriftotele§ (Ä^et. 3, 8), ßicero (bef. Orator § 147 sqq.) unb Duin=
tilian (Inst. Or. 9, 4, 45 sqq.) mefentlid^ auf bem S^^tl^muS ber ^oefie
auf; er befielet in einem (freilid^ nid^t regelmäßigen, aber bod^) gefölligen
SQßed^fel t)on langen unb furjen ©ilben. 3m ß^oralrl^^tl^muS ttjoflen
^otl^ier unb feine Slnpnger lange unb lurje ©ilben, nad^ ftrengem 9Kafee
gemeffen, nid^t gelten laffen. 3)amit aber mirb bie Berufung auf jene
atl^etoren l^inföüig. 9lnbere al§ bie poetifc^en SR^^t^men i^rer Seit erfennen
biefelben nid^t an ; fie reben nur t)on balt^lifd^en, trod^öifd^en, päonifd^en unb
öl^nlidien SKaßeinl^eiten, b. 1^. bon äl^^t^men biefer 3lrt - u u, - u, - u u u
u. f. tt)., bon frei toed&felnben i, |, | u. f. m. Saften. SBollte man aber
fagen, e§ fei fpäter (im 4. 3a]^r^unbert) baS 9lccentfljftem aufgefommen, fo
lönnen un§ jene Slutoren, bie e§ nod^ nid^t fannten, über ben Slccentrl^^t^muS
aud^ nid|t§ leieren.
3Iufeerbem müßte ber S9ett)ei§ geliefert toerben, baß man in biefer
fpötern Seit nid^t bon ber ^oefie, fonbem bon ber JRebelunft ausging. 5Run
l^at es aUerbingS öfter ben SKnfd^ein, al§ tooHe man auö ßicero (unb biet
leidet fonft no^ einem Ä^etor) nur bie f^mmetrifd&e ©lieberung ber SRebe
afö 3nufter für ben ßl^oralrl^^tl^muS entlel^nen. 9lber nid^t bie Symmetrie
ber 3tebeteile, fonbem bie SEonmeffung ift jenem in ber JR^^tl^muSfrage ba§
erfte unb toefentlid^fte (Orator §§ 179—203), meä^alb er aud6 auSbrüdfli*
erflftrt, baß ber oratorifd^e JRl^^t^muS ber tRebe nid^t eigentümlid^ , fonbem
aus ber ^oefie l^erübergenommen fei (§§ 186, 188, 190 sqq.), unb baß
bie Sid^tfunji felbft i^ren SR^^t^muS oft nur burd^ bie 3RuftI ju ©e^ör
bringe (§ 183 sq.). S)aS ift eben baS SRid^tige: ber äl^^t^muS tt)irb auS
352 3ltmM ^apiitU
ber 9Ku[if auf bic ^oefte unb don biefcr auf bie ftunjircbe übertragen.
3cnc neuem ©elel^rten f^einen baS ri^tige SSer^öItniS gerabeju umjulcl^ren.
flaum beffer fielet eä mit ber Berufung auf bie mittelalterlichen 2Kufit=
f^riftfteller. S)iefe reben nur ganj dereinjelt don bcm oratorifc^cn 3H^9tf|=
mu§, mit bem bie ©lieberung ber SMelobie St^nlic^feit f)ahz. Sagegen be=
tonen [ie fe^r ftarf bie äl^nlid^fcit ber rl^^tl^mifci&en Sonmeffung mit ber
<)oetif(j&en ©ilbenmeffung. ©ie geben genaue matl^ematifd^e SScrl^ältniffe für
Stönc unb r^^tl^mifdie ©lieber an, unb jmar unter jietcr Siütffid&t auf bie
Ser^öltniffe ber S3erSfü|e. SSBenn man nid&t über einige ber beutlid^ften
3eugniffe mit ©tiHf^meigen l^inmegginge unb anbere ganj gemaltfam um=
beutete, fo lönnte man unmöglich mit fol^er ©id&erl^eit bei bcn mittclalter=
lidien 9lutoren bie genauejic SConmeffung wegleugnen, ^ot^ier fpricä^t (im
©regor. ©I^oral ©. 164) bon bem Slretiner ©uibo, berfc^ioeigt aber ganj,
bafe berfelbe gleid) ju 9lnfang bor ben SBorten, bic ^otl^ier an jioctter
©teKe citiert, gefagt: „@§ ift notmenbig, ba| ber ©efang gleici&f am nac^
SSerSfüfeen taftiert, unb 5loten bon bot)})eIter ober falber ober fd^toebenber
S)auer, b. i). bon berfd&iebenem 3^itmafe unterfd^ieben werben, wobei oft ein
bem Slotcnbud^ftaben beigefejter liegenber ©tric^ bie fiänge bebeutet." ßbenfo
übergebt er bie SBSorte, weld^e gleid^ mä) ben bon i^m juerft angefül^rten
ftel^en: „bie SIeumen l^ötten bau ball^Iifd^eö , bolb fponbeift^eS , balb jam=
bifd&eS S)auermafe." 3c^ bermiffe aud^ bie anbere ©teKe ©uiboS, wo eS
Reifet, ba^ „Söne bon langer, fd&webenber unb lürjefter 2)auer an ber
©eftalt ber 5Reumen abjulefen feien" (AI. reg. de ign. cantu). 3l\ä)i
anberS berfä^rt SBagncr („©nfül^rung" ©. 215 ff.), weil er wol^l bon
boml^erein jenen ©teilen leinen SBert beilegte, ebenfo SanffenS (Le Rhythme
p. 14 s.); Sl^oumeau beruft fid^ („Rhythme, execution" p. 94 ss.)
einfach auf ^ot^ier. Slber bie ^tu^erungen ber alten SE^eoretiter lönnen
nid^t o^ne weiteres ignoriert werben.
Unberl^ältniSmäfeigeS ©ewid&t wirb bon ^ßot^ier unb in ber „Paleo-
graphie musicale** auf ba§ „SKnl^alten ber legten 9lote" (tenor ultimae
vocis bei ©uibo) gelegt. 3" ^^ gewaltfamen Umbeutungen gehört nun
aber bie flete Sejie^ung be§ SBorteS „Sln^alten" ouf bie le^te ©ilbe, aud&
wo biefer 3"föfe f^^It. 3)a^er wirb bie ©teile bei ©uibo : „9luc^ foH lein
langer S^on auf gewiffe lurje ©üben, unb lein lurjer auf lange fallen"
(nee tenor longus in quibusdam brevibus syllabis aut brevis in
longis sit) bon ^ot^ier 1. c. p. 166 fo wiebergegeben: „6S foK leine
gro^e ^ßaufe auf einen furjen melobifd^en @aj (eigentlid^ ©übe) folgen."
9Iber bie jweite C>ölfte be§ ©a^eö ift bann jiebenfallä unüberfe^bar ; benn
e§ l^at leinen ©inn: e§ foü nid^t eine Heine ^aufe auf lange ©üben
folgen, ba bie mufüalifd^en „^xlbm" ®uibo§, bie üeinften aKcIobie=
glieber, immer lurj pnb, nömlid^ au§ 1, 2 ober 3 5Koten befielen. SSiet
2)ie Itird^enmufil. 353
mel^r ft)ri^t ®uibo an bicfcr ©leHc »iebcr t)on langen unb furjen 90?elobic=
tönen ; ber tenor ift nämlid^, toxt im ßpiloguS ju ben Reg. de ign. cantu
befiniert toirb, ^bie S)auer etne§ jeben Stoncö, ml6)t bic ©rammattfer als
3eit über furjcn unb längern ©Üben bejeit^nen" (tenor est mora unius-
cuiusque vocis, quam ut tempus grammatici in syllabis brevibus
et longioribus superscribunt). S)er öon ^otl^ter ebenfaDS angebogene
Slribo rebet auc^ dorn Unterjd^ieb langer unb furjer ©üben, ferner 93erno
bon tReid&enau, enblid^ j^on f)ucbalb. Se^terer fe|t baS SBefen beS Si^^tl^muä
gleid^ im erften ®a^e, ber bom SR^^tl^muS l^anbelt, in ben Unterfci^ieb langer
unb f ur jer ^Welobietönc , bie im aSer^ältniS bon 1:2 [teilen , unb bemerlt
enblidö, eS fei „burd^auS jebc aWelobie mä) 3lrt beS SSerSma^eS forgfältig
abjumeffen." S)emgemä^ fci&eint eS ganj ungereci&tfertigt, bafe man bie ältere
Seit mit bem ©Aftern be§ „oratorifd&en Si^^t^muS" in SSerbinbung bringt.
S)arau§ folgt aUerbingS nid^t, ba^ eS leinen »ijfenfd^aftlid&en SQßert
l^abe. Sro^ feiner aSorjüge aber entbehrt eS einer ööKig pd&ern Segrünbung.
3iemli(i& bertoidelt unb . f^iüanfenb in ftd^ felbft , gegrünbet auf ^anb=
fc^riften bon fraglid&er SKutorität bejüglidi be§ SR^^tl^muS (wenn nid^t auc^
begüglid^ ber 9JleIobie, infofern jia burd^auS bie gregorianifdie ©runbform an=
geftrebt toirb), don ben mittelalterlid^en S^eoretilern minbefienS nid&t beftätigt,
l^at e§ nur ben 2öert einer tt)iffenfd^aftlid&en f)^pot^efe, meldte möglid&ermeife
burd) bie lieber in gflu^ ge!ommenen 5Reumenfkubien balb umgefto^en wirb.
Slud^ ift bie ard&äologifd&e gforfd&ung ber nPaleographie** bereits t)on ©eboert
in ber „-Melopöe" in einem toid^tigen fünfte überholt morben.
424» S)ic gett)ö^nlid&jie %^tom beS K^oraldortragS ift bie beS ©t)rad^=
gefangeS, aud& ©^3rcd|gefang ober ©efangSfprad&e genannt. 6s fragt
fid^ alfo, meld&e S9ebeutung bie möglid&fte Slnnäl^erung an bie 3:onbett)egung
ber ©prad^e für ben mufifalifd&en äl^^tl^muS, b. ^. für baS angenel^m
ttjec^felnbc f)erbor= unb SurüdEtreten eines SoneS bor bem anbern unb für
bic ein^eitlid&e 3i^fötnmcnfaffung muftlalifd^er ©abteile unb ©ä^e, furj für
bie georbnete 3^^*tcil""9 i^ ©efange l^ot» S)er ©prad&gefang mod&t %oxx,
2:onfalI unb ©lieberung ber profaifc^en Siebe jum ^auptgefe^ beS rl^^tl^s
mifc^en SSortragS; benn bie ©efe^c ber geiüöl^nlid^en Siebe finb nad^ biefer
Sl^corie aud& bei ber mufitalifd&en ffompofition ma^gebenb gewefen. 6S
tüirb alfo eine möglid^ft tejtgemä^e Slejitation berlangt, meldte inbeS
nid^t ju einer blofe melobramatifd^en ®e!Iamation ]^crabfin!t, fonbern nur
bic 2KeIobie bem Sejte unterorbnet. S)er SBert ber 9loten ift bemnac^ nid^t
genau beftimmbar; bie derfd^iebene ©eftalt bcrfclben bebeutet meniger baS
S)auermo^, als bie Stbftufungen beS SlccenteS, beS 5Jlad6brudfS. 2)er Sll^^t^muS
beS ©prad^gefangeS ift alfo berjenige beS meift profaifd&en SejteS.
3n ber Siebe befielt nun aber baS rl^^tl^mifd^e Clement dornel^mlid^
im SBort= unb ©a^ton. S)arauS folgt, ba| bie bei ber natürlid^en
etetmann, tfll^ett!. 8. Zeit. 23
354 fftmnm Stapittl
Sluöfprad^e l^eröortretenbcn ©üben aud^ int ßl^otalgcfang einen fc^örfem 3:ott
crl^alten. 3n Sctbinbung mit bcm Sfad^brutf tt)irb nun anä) bie l^ö^ere
Sonloge unb bie Verlängerung ber Betreffenben 9loten jur r^^t^mifd&en
^eröorl^ebung geeignet.
6§ finbet [ic^ ferner in ber <)rof aif d^^n ©prad^e ein m e I o b i f d^ ^W^=
mifdieS (Sltmmt, eine 3lrt fdiarf accentuicrten ®efange§, meldier befonberS
am @nbe ber ©ä^e, aber auc^ fonft an öerfdiicbenen ©teDen \iä) geltenb
maä)t ©el^r i^äufig }. f8. Derlöuft bie 99etonung eine§ fd^ön gebauten
©a^e§ ober einer ^eriobe gleid^fam in einer SBogenform, inbcm ber ©})rad&=
ton mäfeig tief anfe^t, bann ctma bis jur 2Kitte [teigt unb enblid^ jiufen=
mäßig tt)ieber l^erabfinft. S)ie ®emegung toirb l^ier burd^ baö georbnete
©teigen unb ^fallen ber SEöne in SSerbinbung mit bem 9tccente annä^erung§=
meife gemeffen. 3n ben ^folmtönen iji bicfer SR^^t^muä am einfad&ften
ouSgeprögt, unb obtoo^ ani) öerfd^iebene anbere gronncn in ber natürlichen
©prad^betonung burd^au§ nid^t feiten finb, fo l&at man bod^ nid^t ol^ne ®runb
bie ^falmobie, meldte übrigens in ältefter 3^it weniger 3KobuIation auf=
toeifi, t)or allem wegen ber Sabenj als bie ©runbform be§ lirc^Iid&en Bpiaä^-
gefangeS angefe^en.
3ln britter ©tcüe lommt für ben SRI^^tl^muS bie finngcmöfee unb jugleic^
loo^IgeföDige ©a^g liebe rung in 99etrad&t. ®icfe lö^t burd^ angemeffene,
oft f^mmetrifd^ hjieberfel^renbe 3lu^epun!te in SBerbinbung mit gett)iffen SE:on=
biegungen Drbnung unb gbenmaß erfennen. 3n ben offijiellen ß^orat
büd&ern bienen als S^i^^n für bie (Slieberung ber SWelobie fenfred^te Sinien,
meldte geringere ober größere Raufen, unöoMommencn ober öolllommencn
2lbfd6Iufe bebeuten. 3n ber ^fingftpröfation j. 8. geflaltet fic6 ber ^aupU
teil Don Qui ascendens an ju brei mufitalifdien ^^erioben, toeld&c fid& burd6
gleid^en ©d&Iu^ in ber Sonita (finale) bemerfbar mad&en. 3)ie beiben erjien
l^aben je jmci, bie britte brei ©ö§e. SSorauS ge^t eine ^ßcriobe bon bier
9}erfen. S)ie ©äj^e, meldte bie ^eriobc nid^t abfd&Iiefeen, enbigen in ber
©efunbe (3:on über ber ^finale), meld&e, toit ani) bie Spinale, burd^ eine
eigenartige SBenbung ber SKelobie öorbercitet mirb. S)a§ Exultet beS Äar=
famStagS jerfäflt bis jum Per Dominum in dier mufifalifd&e ©tropl^en,
bon benen groet unb jtoei fid^ melobifd^ bodtommen entfpred&en. 3ebe ©tropfe
ent^ölt bier ©ä^e, bie fid& mieber melobifd^ in jiocimal jmei ©ä^e fd^eiben.
Sie ©d^Iüffe ber ©ä|e unb ^erioben finb in ä^nlid^er SBeife d^aralteriftifd^
tt)ie bei ber ^röfation. SBir fe^en l^ier alfo in ber SKelobie eine fc^önc
©^mmetrie burd&gefü^rt, bie i^re ©runblage in ber finngemöfeen (Slieberung
beS 3:ejteS l^at unb biefe auf baS toirifamfte unb l^errlic^fte l^erbortretcn löfet.
3um JR^^t^muS gel^ört anä) bie SSerbinbung ber 9ioten gu Ileincrn
einl^eitlid&cn ©ruppen; fie finb befonberS geeignet, bie Sebeutung unb
©timmung ber toid&tigften 3:ejttüorte jum 3IuSbrurf ju bringen. Senn baS
S)ie l!ird§cnmujxf. 355
©^jicrn be§ ©ptad^gefangcö er^elfd^t oud^ Slusprägung bon ©inn unb
©timmung bcr Sffiortc. Smmer aber maltet ein freies, nid&t ein ftrenge§
®efe|. @rft bei mirflid^ metrtfd&en Siebten gel^t ber gebunbcne SH^^tl^mul
mel^r ober minber in bie ?iKeIobie über.
2ln ber ^röfation unb am Exultet feigen mir übrigens leici^t, mie
meit ber SRI^t)t]^muS ber SWelobie ben ber ©()rad&e an ©ci^önl^eit übertrifft,
@S finb eben mit ber SKannigfaÖigfeit ber melobifd&en Semegung aud^ für
ben ail^^t^muS gon§ neue 9WitteI gegeben. 3)aS Steigen unb gfaHen ber
Söne, bie TOotiöbilbung , bie lunftgemöfee gntmicHung u. bgl. l^ötten ol^ne
ergenen r^^tl^mifd^en gtufe menig SSBert. ©d^on l^ierauS gel^t nun aber
l^erbor, bafe bie aufgehellten ©runbgefe^e be§ ©prad&gefangeS nid^t allju
eng ju nel^men finb. 6§ mufe beim mufitalifd^en Sßortrag nici^t blofe auf
ben Sffi^^tl^muS ber ©prad^e, fonbem aud^ auf ben eigenen Sl^^tl^mUS ber
SWelobie 3tüdffid&t genommen merben ; benn eigentlid^e 5DleIobie l^at bod^ aud&
ber ß^oral. ^ebenfalls muft man nur fo meit unb fo lang bie ndtürlid&e
2)eHamation ber 2:ejtmorte nad&a^men, als e§ eben bie SKelobie geftattet.
©in med^anifdieS ©predien ber SEöne, nur geeignet, ben %tit beutlid^ ]^ert)or=
ju^eben, genügt ni^t. 6§ fd&abet feineSmegS, mcnn bie S)eutlid^!eit ber
SluSfprad^e ju ©unften eines gebunbenen unb boKern Vortrags ber SJlelobie
ein SBenigeS einbüßt, ^rofaifd&e S)cut(id&feit ermartet man beim Sefen,
beim ©ingen bcS ß^orals bagegcn miß man nid^t nur öerftel^en, fonbern
aud^ einen eblen unb l^eiligen ©enufe l^aben, unb bieS jmar in erjier ßinie.
9lid&t ganj rid&tig fagt man, bap ein ©efang, beffen 3:e5t man nid&t t)er=
ftel^e, nid&t erbaue. 3)ann bürfte man bor bem Solle über]^aut)t nid&t lateinifd^
fingen. 3)od& eS l^anbelt fid& Ja in unferer 3rrage nid^t um böKige llnbeutlidö=
feit; es mufe nur betont merben, ba^ nid^t bie größte SJeutlid^feit allein
jmedfentfpred^enb fei.
425. 5!Man barf fid& nad& bem ©efagten nid^t munbern, menn bie
3MeIobie aud^ im ©l^oral mand&mal nid^t jur natürlid^en ÄuSfprad^e pa^i
unb l^ie unb ba mo^I aud^ i^ren ganj eigenen SBeg gel^t. S)aS feierlid^e
Ite missa est ift gemife nid^t jur 9luSprögung ber Sejrtmorte fomponiert;
bie 2JleIobie benu^t bie SBorte nur als juföKige Unterlage. Sliemanb mirb
halber aud^ nur annäl^ernb fo fpred&en, mie gefüngen mirb. 3m ©efange
finbet l^ier eine ©timmung SluSbrutf, bie ja mo^I entfernt mit bem ©inn
ober bielme^r ber ©teKung ber SBorte gujammen^ängt, aber bod& i^ren fprad^s
lid&en SluSbrudf barin nid^t finbet. ®ie iubili unb bie langen 5lotengruppen
überl^aupt fönnen nid^t fo gefüngen merben, mie man bie SBortfilben ol^ne
biefe 5Roten fpred^en mürbe. SDaS finb aber nid^t etma afleinftel^enbc 9luS=
nal^men. Überhaupt ftimmt baS ©teigen unb Stauen ber %önt unb bie
SSerteilung berfelben auf bie 3:ejtfilben oft nid^t fonbcrlid^, mand&mal aud^
fel^r fd^fed&t mit ber natürlid&en SÄuSfprad^e überein. 3a, ber ©ang ber
23*
356 9leunte8 StapiitU
ganjcn SKelobie iji jum 3^^* ^^^^^ SSBtebergoBc bcr Sonabjiufung cinc§
f|)ra(i&Iid^ctt ©oJcS ober einer ^eriobe nid^t feiten ganj ungeeignet, dagegen
fd^fint bie (Slieberung ber aWelobie in 9lbfd^nittc immer unb überaß fid^ an
ben %tit anjuf d^Iie^en ; eine fold^e ®(ieberung fonnte \a aud^ Diel leidster
o^nt ©d^aben ber 9KeIobie burc^gefül^rt tt)erben. Slber im übrigen ift feji=
jul^alten, bap bie beiben öerbunbenen Äünfte, bie SKuftI unb bie Bpxaä^t,
leinesmegä gleid^e ©efe^e l^aben unb fomit nur burd^ einen geiüiffen 2lu§=
g I e i d^ ber beiberfeitigcn gorberungen in einen 33unb treten lönnen. 3Kand^=
mal lann, mie bei allem ©efang, bie Slbtoeid^ung öon ber notttrlid^en S9e=
tonung in ber 2KeIobie fogar fd^ön fein.
2)ie ungefünftelte ßinfad^l^cit beS ß^oralgefangeS loirb ja getoil einen
engern 3lnfd&Iu^ an ben 3:ejt jur gfolge l^aben afö beim meltlicöen (Sefang
erforberlid) ift; bie SBürbe unb f)eiligfcit be§ SCcjteS orbnet ftd6 gern
auc^ bie 2WeIobie unter, unb ber 3^^^ ^^^ ©rbauung »irb burdö beut=
lid^e f)ert)or]^ebung ber SBorte entfd^ieben geförbert. Slber bei ftlaöifc^em
9lnfd&Iufe an bie SBorte lann bie 2KeIobic fic^ laum entfalten, unb bamit
öerliert fie jenen Äcij, burd^ toelc^en fie ben 3nl^alt bcS ganjen SEejte^
(nidbt blofe ber ßinjeltoorte) erji red^t au§})rägt unb berflärt. S)cnn nic6t
fo fel^r ba§ Sinjeltoort be§ Xe|te§ miQ mufifaßfd^ gel^oben, al3 Dielme^r
bie in ganjcn ©ä^en ober 9lbfc^nitten liegenbe Stimmung loiebergegeben
»erben, unb l^ierdon ift jum großem 2:eil aud^ bie Erbauung abl^ängig.
@g lol^nt fic^ laum ber Sßü^e, an bie auffaüenben ^bmeid^ungen ber
©l^oralmelobie bon bem 2:e£tr]^^t^muS ju erinnern, bie fid& überaß finben.
©reifen mir auf§ ©eratetoo^l bie ^fingftmeffe l^erauS. 3)aS offizielle öra-
duale ßomanum ^at glcid& im 3ntroitu8 auf bcr erften ©übe öon habet,
bann auf ber legten bon exsurgat eine fel^r auffaHenbe Betonung. S)afe
ba§ Alleluja fein einfad^er ©prad^gefang ift, leud^tet don felbft ein. ©tatt
terra müßte in bem folgenben SScrfe renovabis ftörfer l^erdorgel&obcn »erben,
toenn ber ©e^olt ber ßinjetoorte auöge^3rägt »erben follte. ©clbft in ber
einfad&en 5JleIobie be§ ^t)mnu§ erl^alten bie ©d^Iufeftlben t)on emitte, dator,
optime offenbar mel^r ®ett)ic^t atö i^nen in ber natürlid&en 9lu§f|)rad^e ju=
fommt, ja einen aud^ bem SKetrum tt)iberft)red^enbcn 9lccent. Sa§ »ar im
öltern ß^oral ganj ebenfo; j. 39. finbet man bei (^feubo=)^ucbaIb , einem
©d^riftftellcr be§ 10. 3a]^r^unbert§ , intdllige unb seculi gcrabe nur auf
ber lurjen ©übe mit jtoei 9loten öerfe^en, unb jtoar ift bie 9?otenderteiIung
jmeimal unjioeibeutig gegeben (Enchir. c. 8; Gerbert 1. c. I, 158).
3Kan »irb in ben meiften berartigen ti'&Hm nid^t fagen lönnen, ba| für
bie 2lb»cid^ungen ber mufüolifd^en Betonung ein befonberer 2tnla| öor=
l^anben fei; »ie leid&t l^ätten fie fid^ nid^t öermeiben laffen! — SBoHte man
aber fold^e ©rfd^einungen ate jufäKig unb geringfügig bejeid^nen, fo be»eip
bod^ bie überaus l^äufige SBieberfe^r berfelben melobifd&en gformeln, 2ineluj[a=
S)ic Äird^cnmufif. 357
tt)pen, Subili, f)5mnen= unb ©cquenjtnclobicn u. f. to., tüie [te teifö in
bcr offijicHen 3lu§gabc fid^ finbcn, teils e^cbem im ®ebxa\xä) waren, bo^
man fid^ burd^auS nid^t äng[tlid& an Beftimmte SEejttoortc unb beten ©inn
banb, fonbern fid^ einer wefentlid^ gleid&en 5!ReIobie unter ben berfd&iebenjien
SScrpItniffen bebiente. Sei ben pfalmobifd&en |)t)mnen= unb ©equenj=9D?eIobien
ift jtoar ber %on, aber nid^t ber ©inn be§ SBorteS, t)on großem ©influfe;
fonft fe^It bie Übcrcinfiimmung anä) bc§ SBorttoneS mit ber SWelobie um
fo l^öufiger, je öfter el^ebcm bie langem 5Kotengrut)pen auf tonlofe ©üben,
befonbcrS auf bie ©nbfilben fielen. @§ tt)irb babei ber I^rifd^e 3n]^alt be§
©a^eS t)iel mcl^r al§ beS 6injeItt)orte§ burd^ bie DJlelobie öerflört unb jener
felbft mel^r in generifd^er SlUgemeinl^eit al§ in inbiöibuellcr Seftimmtl^eit au§=
gebrürft. Über bie flereot^pen 3^ormeIn bc§ (öltern) ßl^oralS, biefe don ben
franjöfifd&en Senebütinern unb t)on ©eöoert (in ber Melopee dans le
chant de TEglise latine) fo red^t in§ Sid^t gefegte X^atfad^e lann man
aud^ SBagner, ßinfül^tung in bie gregorianifd&en SKelobien n. 2:eil, üap, 5
öergleid^en. @ö fd&cint alfo, bafe bie ftomponiften unb Drbner beS ß^orafö
bocö Diel weniger an ben ftrengen ©prad^gc[ang gebadet l^aben, al§ man
c§ nad6 ber heutigen Betonung biefe§ ^rinjipeS bermuten lönntc.
426. 3n ber S^at reben aud& bie ölteften ^Kufilfd&riftftefler be§ 5KitteI=
alters, obwol^I fie faft immer bie 3So!üImu[i! mit ^rofatejten bor 9lugen
l^aben, auffaüenb wenig bon bem ßinflufe beS fprad^Iid&en 9tl}5t]^mu§. 3)er
angefe^enfte bon i^nen, nömlid^ ©uibo bon 9lrejjo, fagt aflerbingS
(Disc. art. mus. c. 15), e§ foüten „bie 9lbfd&nitte unb ©ö^e ber 2KeIobie
mit benen beS SCejteS jufammcnf allen , unb ein langer Son nid^t ju ge=
wijfen lurjen ©üben unb ein !urjer SEon nid^t ju einer langen ©übe ge=
l^ören." S)aS Hingt ganj ju ©unflen ber S^eorie be§ ©prad&gefangeS.
@§ ift bieS aber eine red&t bereinjelte SSorfd&rift. 3lud& bleibt ju erwögen,
bafe ®uibo, inbem er Segeln für ben fiomponiften giebt, borauSfe^t, bafe
biefem „lange unb lurje 2iine" ju (Sebote fte^en unb nur bie SBal^I jwifd^en
beiben burd^ bie ©prad&e beftimmt wirb. 9Ban unterfd&ieb alfo wirllid^
5Rotcn bon berfd^iebenem SBerte, bercn 3lnwcnbung auf lange unb !urje
©üben überlegt fein woHte. SDaS ift aber etwa§ anbereS, al§ wenn bie
5!JleIobie an fid^ feine langen unb lurgen ©üben ^at unb nur eine gewiffe
unwißlürlid^e SScrlöngerung ober Sßerlürjung burd^ bie rid^tige SQßortbetonung
l^erbeigefü^rt wirb. SSon bem ftärfern ober fd&wäd^ern „Slad^brudE" ]^in=
gegen (ein SBort, baS beffer afö SSerlängerung unb SBerfürjung auf ben
©prad^gefang pa^t) fagt (Suibo, bafe berfelbc oft burd^ eigene 9lccente über
ben 5Rotett angezeigt werbe. 6§ beftel^t alfo b aneben nod& eine eigentlid^e
Xonmeffung. Übrigens brid^t berfelbe ©d^riftfteKer bem aufgefteüten ^rinjip
felbft bie ©pi^e ab, inbem er fagt, eS fei bod6 „feiten barauf befonbere
©orge ju berwenben". Sn ber ^at lann faft nur bie borle^te ©übe.
358 9leunted SiopM.
locnn fic lurj ift, in grcHcu SBiberft)ru(if> mit bcr SKelobie treten ; bie übrigen
©üben toiberftreben toeber ber Verlängerung noc^ ber SSerWrjung aßjufcl^r.
Witt auä) bie lur^e t)orIe|te lögt oft bie SSerlängerung p; ö^nßd^eS finbet
ftc^ la aixi) in unfern einfod^ften Siebern überaus ^öufig. S)ttrum fprtd^
tool^I ouc^ ©uibo mit Slbfid^t nur t)on „gett)iffen" furjen ©üben.
S)er 3lretiner rebet an berfelben ©teile don ,Jc^tt)eren 3?eumen" unb
be]^aut)tet anberSWo, bofe man bie ßänge ber SEöne an ber ©eftalt ber 2:on=
jeic^en ablefen lönnc (Ign. cant. reg. al.). ®en einfad^en ©runbfa^ f)\n=
gegen, man foflc ben äll^^tl^muS beä mufjlalifd&en 3Sortrag§ nai^ bcm 3:ejt
beftimmen, fteßt er nirgenbS auf. 3)ie soni liquescentes fe|en fogar oft
eine unbolltommene StuSfprad^e, etwa uberitas jiatt ubertas, öorauS. ©d&on
im 8. Sal^r^unbert bejeugt biefe ßrfd&einung Seba ber gl^rtoürbigc (De
arte metrica 14, Migne 90, 168). Slud^ S3emo don Sleici&enou derwcift
(im ^rologus) für bie rid^tige Unterfd^eibung langer unb lurjer Sloten auf
bie S^^^^^t ^^^ P^ ^i^ Eliten gefd&rieben l^aben, nic^t auf bie jEejtworte.
S)ie Sßerfcnnung ber gefcä^riebencn langen unb lurjcn Sleumen ift il^m ein
ebenfo fd^Iimmer ober no(i& fd^limmercr tJel^Ier atö ein geiler ber 2lu§=
^pxa6)t, jener toirb aber nid&t aus biefcm, fonbcrn aus ber SSerlennung bcr
9leumen l^ergeleitet. S)er ältere (^feubo=) |)ucbatb betont (Mus. enchir. I)
fel^r fd&arf, bag man lange unb !urje 5Roten unterfd^eiben foHe; aber in
bem don il^m angefül^rten Seifpiel finb eS gerabe brei ©d^Iugnoten über
tonlofen ©ilben, bie er als bie einjigen Sängen fenngeid^net. 5)er a3Bort=
accent mad^t alfo teine 9ioten lang, ©elbft baS 2:empo eines (SeJangeS
foK man nad^ ^ucbalb an ben fd^roeren ober leichten 9ieumen ber ßompo=
fttion erlennen. 6nblid^ märe es unbegreiflid^, toie bie älteften ©d^riftfteHcr
bie mat^ematifd^ genaue SConmeffung fo ftreng f orbern lönnen, wenn nur
bie natürlid^e S)e!Iamation <)rofaifd^er Sejttoorte maggebenb fein foHte.
©omit bürfte fid& als Ergebnis unferer 33etrad^tung foIgenbeS ]§eraus=
ftellen. ©o angemeffen bie für ben ©prad^gefang meiftenS gegebenen a8or=
fd&riften finb, wenn fie mit Sßorfid&t angcmenbet unb nad^ feiner ©eite übcr=
trieben loerben, ebenfomenig finb fie bie einjige 3?orm beS rl^^t^mifdicn
aSortragS. äled^t entfprec^enb derlangt ®I. ©alomon (13. Sa^rl^unbert ;
Scient. art. mus. c. 21) nur für ben f^ßabifd^en ©cfang bie ftreng gram=
matifd^e Betonung, loäl^renb fonft l^äufig „ber Sud^ftabe bem ©efange bienen
muffe unb festerer dor^errfd^c". S)ie 2:^eorie don ber Slßl^errfd^aft eines
derftänblidö unb derftänbig recitierten SEejteS erfreut fic^ wirllid^ nid&t ein=
mal eines ^ol^cn SllterS. S)iefelbe bürfte auc^ auf bie lird^Iid&e 9KufiI ber
erften d^riftlid&en ^a^rl^unberte beffer paffen als auf ben gregorianifd^cn
ß^oral. S)er 1^1. 9(uguftin menigftenS ergäl^It dom ^I. Sltl^anafiuS , ba^
biefer bie ^falmen faft im Scfeton dortragen lieg (Conf. 10, 33). S)aS
pimmt doBfommen ju bcr don ber @rftIingSfird&e gegenüber ben fd^önen
S)ie ^rd^enmuftl. 359
fünften überl^aupt beobad^teten Surüd^altung. 3nbe§ fie^t man bod^ au3
StugufKn, bofe bcr f)l SlmbrofiuS in SJlailanb eine anbete, fe^r ergrcifenbe
©angeSmeife eingeführt l^atte ober begünftigtc unb förberte. ®ie|e öers
breitete [id^, tt)ie beigefügt toirb, bolb über bie ganje 2BeIt. 2BeId&e SBanb^
langen feitbem ben tird^Iid^en @efang umgeftaltet ^aben, barüber liegt teil^
toeife nod^ tiefet 3)untel. ^ejüglid^ be§ ät^Qt^muS aber ift |)raltif(i^ tooffl
bie S^eorie eined gemüßigten ©prad^gefangeS bie braud^barfte, »ö^renb bie
mijfcnfd&aftlid&e Unterfud&ung über ben altern ß^oral auf er^eblid^ abweid&enbe
^(nfd^auungen fü^rt. ^(§ ^anbbud^ empfiehlt fid^ Haberl, Magister choralis.
^0^ ein paar Stnjel^etten , beren gfil^ettfd^e S3egrünbung auf ber ^anb litqt,
feien f|ier naml^aft gemad^t.
^lod^ bcm Caerem. episc. (Ed. typica 1886) I, 28 finb an atten ©onn» unb
gfeiertogen bie Oxgel unb mit 3uftimmung beS S3ifd^ofd anbete ^tnftrumente sul^i^ffig
(n. 1 et 1 1), bod^ nid^t an ben Sonntagen ber ^boentS» unb t^aften^ett mit aUeiniget
^uSnal^me ber Sonntage Gaadete unb Laetare (n. 2). S)te bloge S3egleitung bed
©cfange« burd^ bie Orgel ift felbft an ben Sferialtagen biefer Seiten toälftrenb ber
9?leffe toie aud^ in ber 2!otenmeffe geftattet; verboten ift bie Orgel beim Si^oten*
offtgium, fte toirb nid^t getoünfd^t an ben genannten Sferialtagen im Offizium
(n. 2. 13). S)ad @Ioria am ©rünbonnerdtag unb am üarfamStag toie oud^ bie Sfeft»
tage toäl&renb ber SDßod^e toerben feicrlid^ gel&alten. 3« ber ^affion^aeit ift nur grc«
gorianifc^er ober pol^pl^oner ©efang ftatt^aft (abgefe^en üon bem über ben ®rün«
bonnerätag unb ÄarfamStag ©efagten, ibid. II, 20, n. 4). — S)ad ©rebo ift immer
gans burd^jufingen , fonft barf man in angemeffener ^btoed^Slung ^eile l^om K^rie,
@Ioria, ©rabuale, Si^raltuS, Sanitud, ^gnuS, SJlagnificat, üon $^mnen unb Santica
burd^ Orgelfpiel mit IRecitation ober Soloöortrag erfe^en. JBor», 9^ad|« unb S^if^cu«
fpiele finb erlaubt, bo(^ foU toäl^renb ber Sßanblung bie Orgel fid^ mäßigen; gleid^
nad^ ber Söanblung mag ein SQlotett gefungen toerben (ibid. I, 28, n. 6. 9. 10). —
S)er Slltargcfang toirb beffer nid^t begleitet. — SQßäl^renb be8 eigentlid^ liturgift^en
©ottedbienfteg ift bie lateinifd^e IRitualfprad^e aUein guläfftg; bad gilt aud^ üon ber
Missa cantata, bem „Slmt"; in biefem ©inne erging ein Söefd^eib ber fftitenlongre«
gation ben 31. Januar 1896 an einen Pfarrer in ©arbinien unter ^intoei« auf
^rt. 7 unb 8 bed Eegolamento (oben 6. 320) ; für mehrere 2)iöcefen ^olenS tourbe
mit SSerufung auf obigen SSefd^eib ben 25. 3uni 1898 ebenfo geanttoortet (Sflieg. S5I.
für lat^. Äirt^enmufil 1896, ©. 35; 1898, ©. 97). — Einlagen nad^ bem Offer«
torium ober SSenebiltun) empfel^len ft(^ toenig ; benn fte l^alten leidet ben ^riefter auf
unb l^inbern bei ©ängern unb Söetern bie Slufmerlfamlcit auf bie ^anblung am
Slltare, bie gerabe bei biefen Steilen bcr JUleffe fo toid^tig ift. ©igentlid^ litur-
gif^e %titt, toie bad Te Deum, bürfen nid^t in ber S^olidfprad^e gefungen toerben.
3toifc|en bem Tantum ergo unb bem Segen barf nid^td eingefd^oben, fonft aber aud^
oor aufgefegtem §od^toürbigften in ber SWutterfprad^e gefungen toerben. Hut^ l^inbert
nid^tö, in ßefemeffen ober nad^ beenbigter Iiturgifd|er geicr beutfd^ ju fingen. —
S)ie eben erfd^ienene 9leuaudga6e ber Decreta aathentica ber fRitenlongregation ent«
l^< toieber bad ^elret Qaod sanctas Augustinus t)om 7. 3uli 1894 (oben S. 322)
unb ba8 [Reglement oom 21. 3ua 1894 (©. 319 ff.).
427* S)aS fd&on oben 5Rr. 367 über ben SSoIfSgefang in ber
ßird^e 9lngebeutete bebarf nod^ einer toeitem SluSfü^rung unb Slntocnbung
360 9leunte8 S^apM,
auf bie ©egentoart. 9lad^ bem 3^wgniS be§ SlltertutnS xoax in bcn erjicn
d^riftlid&cn 3a^t:^unbcrtcn bic %t\lnai)mt be§ SSoIfeS am liturgifd^en ©efang
cbenfo rege unb erl^ebenb, tote tna^bott unb cingefd&ränft. 3)aS SSolf ant=
toortete, tt)ie je^t ber 6^or, bem ^tieftet toä^renb ber l^eiligen SWeffe (ögl.
©elbft, 6äcilien!alenber 1883, ©. 14 ff.); aud^ beim ^falmengefang (ber
bei ber Opferfeier nur eine ft)arfame 9Intt)cnbung fanb) wieberl^olte eS Seile
ber borgefungenen SSerje, in 5pfalm 135 j. S. bie ganje jmeite ^älfte ober
bie ben ^falmen angefügten ßlaufeln (Constit. Apost. U, 57, baju bei
Migne, PP. gr. I, 727 sq. in ber 9lnmerlung bie S3elegftellen). S)ie ^^mnen
tt)urben bieHeid^t abtoed&felnb, ettta mie je^t ba§ Te Deum, ober aud^ (j. 33.
baS Veni Creator) ganj üom SSoIfe gefungen. gebenfaHS fe|t ber bom
^I. Sluguftin (S3elenntn. 9, 7) ertoä^nte, tjom 1^1. 3lmbrofiu§ au§ bem
Orient ^erübergenommene ^falmen= unb ^^mnengefang eine regere S9e=
teiligung ber ganjen ©emeinbe üorau§. daneben beftanben frü^jeitig ober
immer aixä) ©ängerd&öre, bie fpöter in ©ängerfd&ulen gebilbet tourben. S)er
©efang toar iebod& burd^auS nid&t bortoiegenb Solf^gef ang ; biefer beftanb
tt)efentli(l6 nur au§ Sftefponforien , fo ba^ bie Unterorbnung ber ©emeinbe
aixäj öu^erKiJö l^eröortrat. 3in biefer ©eftalt mu^te aber ber gemeinfdöaft=
lid^e ©efang bei feinem engen 9lnfc!&Iu^ an bie liturgifiä^en Qfunftionen be§
^riefterS ein möd^tiger ^ebel ed&ter Slnbad&t fein. 2)er ^I. 9luguftin fagt
a. a. O., ba^ ber burd^ 9lmbrofiu§ au§ bem Orient entlel^nte erweiterte
©emeinbegejang ben ^totd l^atte, bem Ueberbrufe unb ber ßrfd^Iaffung t)or=
jubeugen, unb ba^ er balb faft über ba§ ganje 9Korgen= unb 9lbenblanb
üerbreitet war.
3ur S^it ©regorS be§ ©rofeen tritt ber ©efang ber ge[d&ulten ßpre
ftärfer ^erbor (ügl. ©d&onnefelb, Äird&enmufüal. Sa^rb. 1879, ©. 57 ff.).
S)ie meiften ©tüdte be§ gregorianifd&en (Sf)oxal^ tonnten au§ me^rfad&cn
©rünben nic!&t auf ben gemeinfamen ©efang aller bered^net fein. ®ie
5tnberung ber ^rajiS, bie felbflöcrftänblidö ber fird^Iid&en Slutoritöt öor=
bel^alten bleibt, l^atte fid^ ol^ne g^^^f^I I^nge juöor eingeleitet; fie erfd&eint
nid^t fo grofe, wenn man bie frül^ere 53eteiligung bcg 3SoI!e§ nid&t über=
treibt unb in 3lnfd&Iag bringt, bafe bie allgemeine Kenntnis be§ @d&rift=
Iatein§ fid^ im fed&ften Sa^u^i^^rt ^^\^ öcrior, unb anbercrfeitS, bafe aud&
feitbem bie Sftefponforien nur bejd&ränft, aber nid&t abgefd&afft waren. Eine
aOßieberaufnal^me ber alten ^raji§ gur 33elebung ber ©emeinfdöaft be§ 35oIfe§
mit bem ^riefter, allgemeinere ginfül^rung ber liturgifd&en lateinifd&en f8z\ptt
u. bgl. liegt aud& je^t, geeignete ^ilfsbüd^er borauSgefe^t , nid^t aufeer bem
S3ereid6 ber 5DlögIid6!eit ober ßrlaubt^eit. 3n ber griedE)ifd&=unierten Sird&e
ift ba§ aiefponbieren beS ganjen 23oI!e§ nod& ^eute in ©ebraud^. 3SgI. über
bic einfd&Iägigen fragen unb mand&e§ Serwanbte ©d&Ied&t, ©efd^id^te ber
Äird&enmufif, unb 3afob, Sie ßunft im Sienfte ber ßird&e.
S)ic mx^mmvL^l 361
428. 3tai)itm bic latcinifd&c giitualf^roij^c bctn SSoIfc einmal ööflig
frcmb getDorbcn lüor, lag bie ßinfül^rung öon ©efängcn in bcr 2Kuttcr=
\px(i6)t na^c. Unjulöffig [inb bicjclben bi§ l^eute in bcm [treng Iiturgi|(l6cn
©otteSbicnftc (f. oben 5«r. 426). ®a§ gWitfingen beS antoefenben SSoIfeS
ift ia nid&t mefentlid^ unb bic anbö(!&tige Seilnal^mc l^öngt nid&t baöon aDein
ab, jebenfaHS mufe bie lüeife SSorfd&rift ber Äird&e un§ ©efe^ fein. 2lber
aus bem SRefponforiengefang ber öltern Q^xt entoitfelte fid^ bod& balb für
bic ni(3^t liturgifd^cn Slnbad^ten ein SSoIfSgefang in ber 5Muttcrft)rad&e, unb
bie§ itoax öor ädern unter bcn 3SöIfern beutfd^en ©tamme§. 9lu§ bem
9. Sö^t^unbert ^aben mir nod& ba§ befannte ^etru§=Sieb Unsar trohtin
hat farsalt. Sefonber§ mürben lateinifd^c ^^mncn überfe^t; bann an^
meltlid^e Sieber umgebid&tet. 2)ie häufigen 53ittfa^rten unb bie geiftlidöen
©d^auf|)iele beförberten ben ©ebraudö beutfd&er (Sefönge, unb feit ber @r=
finbung ber 93u(i&bru(fer!unft ftanb i^rer aDgemeinfien SSerbreitung, menigften§
burd^ fliegenbe Slötter, nid&tS mel)r im SBegc. ©elbft Sutl^er unb 9Ke=
landöt^on bejeugen ben fel^r gemöl^nlid^en ®ebraud& berfelben in ber t)or=
rcformatorif(i&en !^nt Söö^renb aber in ber fatl^olifd&en ßird&e nur nad^
bem ©rabuale (in SSerbinbung mit ber ©equenj), öor unb nac!& ber ^rebigt,
fonp aber nur aufeer^alb be§ liturgifd&en ®otte§bienfte§ beutfd^ gefungen
mürbe ober gefungen merbcn foDte, bemöd^tigten bie ^roteftanten fid& be§
ßird&enliebe§ jum @rfa§ für bie lird^Iidöe fiiturgie unb al§ 93JitteI, ba§
SSoIf befto leidster für bie neue Sc^re ju geminnen. S)a§ bot einen meitern
9lnla6, marum feit^er aud6 bie latl^olifd&en ©efangbüd&er fid& meierten, gür
ben eigentlid^en (SotteSbienft fann e§ iebod& bis nad& ber 5Jlitte be» 18. 3a^r=
l^unberts als SluSna^me gelten, menn ©efänge in ber 5!Kutterf<)rad&e öor=
^errfd^ten. S)ie aber feitbem an ©teile ber liturgifd^en ^od&ämter in 3Iuf=
nal^me ge!ommenen beutfd^en ©ingmeffen maren menig bem (Seifte unb
SBiUen ber allgemeinen ßird^e gemäfe. S)ie im fjortfd^ritt begriffene SReform
beS Äird&enliebeS befd&räntt eS benn aud& mel^r unb mel^r mieber auf bie
il^m gebül^renbe ©teHung. a?gl. 33 ö um f er, „ßird&enlieb'' im fatl^olifd^en
Äird^enlejifon ; ©d^onnefelb, Äird^enmufilal. 3a^rb. 1882, ©. 21 ff.).
429. S)er SSoIISgefang ift ein mäd^tiger ^ebel ber 9lnbad&t unb er=
Ind&tert ber ©emeinbe inSbefonbcre aud& baS S)urd^Ieben ber frommen
(^Stimmungen, meldte baS med^felnbe flird^enjal^r nal^elegt. Ober emad&en
idd&t biefe fd&on bei ber bloßen Erinnerung an gemiffe Sieber ber 2lbt)entS=,
'iBei^nad6tS=, §aften= ober Dfterjeit? SBaS mären bie meiften SSoIfSanbad^ten
für baS fromme ®efü^I Don 3:aufenben, menn man baöon ben SSoüSgefang
ganj ausfdölöffe? Unb mer lönnte mol^I für ben SJiaffengefpng einer fromm
geftimmten ©emeinbe ööHig unem<)finblid6 fein? S)arum ift eS eine angenel^me
^pid^t beS Pfarrers, für bie Siegelung beS SSoüSgefangeS entmeber per=
fönlid^ ober burd& anbere (Seiftlid^e unb Seigrer ©orge ju tragen.
362
ffleunted S^apiitL
430. Um ber 6r6auung unb ber Äunft jugleid^ ju genügen, mup
baS Äird&enlieb in einfadöer ©t)ra(i^= unb konform ben ©louben unb bie
Siebe ausprägen unb öerllären. S)aS Sieb ifi ein ^auptmittel ber Se=
le^rung, wenn eS bie reine SBal^r^eit in leid&tfafelid^er ©prad&e öortrögt;
es förbert aber oud^ ben finblid^ frommen ©inn, mnn eS »arme 6m=
pfinbung in fd^öner unb leid&ter SKelobie ausbtücft. ®a§ ßird^enlieb foH
tt)eniger tiefe ©ebonlen als ©timmungen entl^alten, beibc nid&t ju fubjeftiö
unb gefud^t, bamit eS leid&t in ©inn unb ^erj ber SJlenge eingel^e. ®eift=
unb faftloS, tt)ie baS aus ber 9Iuf flörungS jeit , fofl eS nod& tt)eniger fein.
aSoB Äraft finb nad& Stejt unb SKelobie Diele alte Sieber, um beren ©amm=
lung unb ßmpfc^Iung fid& SKeifter, Sääumfer, S)rebeS unb anbere großes
aSerbienft erworben l^aben. Oft ift inbeS eine SWobernifierung beS SejteS
ratfam unb bei ber ganzen Sleform beS ßird&engejangeS fd^onenbe Siüeffid&t
auf bie Umjiänbe ebenfo nötig wie gefunbe ^rinjipien. 6S ift gut, bo^
aud^ Sieber im l^eutigen 2JJufiffliI, wenn fie tauglid^ finb, ju ß^ren lommen
aSgl. ©d&onnefelb, ßird^enmufifal. Sa^rb. 1880, ©. 31 ff.
©d&liefeen wir mit einem nad^ Sejt unb SJlelobie gleid^ fd^wungboHen
unb ftäftigcn Siebe.
Ä. ^adt S. J.
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fj'rn f f
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1. S)er Äön'ö« Äö*nig fei gelobt, ©c« lobt, bu^crr ber @§ * ren! Ob
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aud^ bcrSd^toatmber fjein = bc tobt,S)cin9flcid^tnu^c«toiö Xoa^ » rcn;S)ic
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ä&elt bei>gel^t, S)ein Stul^tn 6e-ftel^t Unb toüb fid^ e > totg mel^ - ren.
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S)ie l^ird^enmufü.
363
2. O eto'ö« Später, bir fei ^rciS,
S)u §crr oB ottcn S)in9en,
S)ir bicnt bcr gonsc ©rbcnfrcig
3m großen unb öcringen;
Söad bir gcföKt,
2)urd§ alle Sßelt
SWu6 ftd^'8 im Söerl öottBringen.
3. ©ei QUd^ gelobt, bu l^eirger ^f)xx%
^uf beined ^aterd ^^rone;
i&d bri^t bo(^ leine maä^t nod^ IGift
S^on beinern ^au^t bie ürone;
fReic^ß mit ber ^anb
fBon SJleer ju Sanb,
3ur fernpen ^immelSjone.
4. ©ei ung gegrüßt, §err ^eiPger ©eijt,
S)er bu im Sol^ne tl^ronefl,
S)er bu bag S3ab bed SebenS toei^ft
Unb ftebenfaltig lol^neft;
(Sin ©nabenbanb,
@in SiebeSbranb,
S)u in uns toeilft unb tool^neft.
5. S)u Pd^fter Ä5nig, ftarfer ©ott,
©d^irm und mit beinen Rauben ;
©ieb uns bem gfeinbe nid^t sum 6))ott,
$ilf unfern Sammer toenben!
S)er (Sngel ©d^ar,
Söie SSIifee flar,
Söott hn au C^i'ff ii"S fenben.
6. S)u bift allein in oHer «Rot,
2luf ben toir fd^au'n unb trauen;
2)enn ofjne bid^ ift aUeg Sob,
IRot, 2!ob unb S^obeSgrauen.
S)u bift allein
S)er 5Jel8, ber ©tein,
Sluf bem toir ftel^'n unb bauen.
Sejt öon ®. 3Jl. S)rei)e8 S. J.
§acp- ttttb ^(imettreöt(ier.
(^e giffem bettoetfeti auf 9luminetti im Se^te. S)ie $au))iftel[en über einen ®egenflanb finb bnrd^
Sfeitfd^Tift beT Siff^nt l^erborgel^oben tooTben.)
mWvii, mupfalifd^er 275.
Slbfolute ajlufil 359 ff.
«cccitt 121. 185. 307 ; üöI. Äurfug, Bpxa^-
qcfang, „Orotorifc^cr'' IRl^^t^mu«.
Sld^ttonftpcm UO. 143 ff.
^bagio 321.
Äöibiu« öon göiiiota 120.
aif orbc 66 ff. ; Qa^ ber ^IKorbtönc 179 ;
biffonantc Sl. 72 ; Stufröfung 62. 72 ff.
Sricuin 145.
Uüeqxo 321.
Slltftimmc 213.
SlmbroS 2. 393. 414.
Umbrofianifd^c Äird&cnmufil 127. 143. 376.
407. 426; ^robc berfclben üor 362.
^mt, bog gefungene 426, @nbe.
Slntiod^ien, beffen Söebcutunö für btc ältere
Äird^enmurtl 146.
toltfd^e Sonott 104 ff.
tquQliften 379. 385.
^xä^t)iai 83.
Slribo St^olaftthig 380 ff. 391 f.
Slrie 342, 416.
Slrifttbed Ouintilianud 46. 102. 142.
201. 205.
Slrtftotele« 24 ff. 46. 108. 134. 156.
168. 174. 193. 226 f. 416. 423.
StxiftoienuS 85.
Slrpcööio 283.
5lrfi« unb 3:]^efig 200.
Slrtigarum 888.
äft^ctil ber SDflufif, il^re Sluffiabe 35; i^r
©tonb^unlt 409. 411 ff.
^t^anofiug 426.
Sluguftin 370. 427.
Slurelion öon mom^ 120. 131. 133. 145.
SluSbrudf, äWctifdöcr in ber 3Jlupf 1. 3 ff.
15 ff. 24 ff. 75. 108. 163. 166. 178.
276. 359 ff. 393.
Slutl^cittift^e (offlaieffe) SluSgabe beg gre^
gorionifd^eit (S^l^orald 101. 403; autl^.
%omxi 103.
b im ei^oror 102. 114; ögl. 3:ritonu8.
»od^, ©eb. 24. 85. 208. 406.
SBaHabe, mufifalifd^e 292.
fdaxiion unb S5a6 213.
S5a6geige 232. 235.
S3aumgart 411.
»aumfer 428. 430.
S3eba, ber (Sl^rtoürbige 393. 426.
SSeetl^oüen 24. 30. 282. 296. 301. 360.
SSegleitungömufil 225. 265 ff. 290 ff. 298.
360.
SBeffermann 87. 154. 335.
Söcnebilt XIV. 400. 412.
»cnebiftiner , franaöflfd^^belgift^c 119 ff.
404. 421 ff.
SBerHoa 24. 361.
^cmorb, ber 1^1., beffen S^onoriuS 120.
Söerno üon Sleid^enou 374. 383.
»efd&reibung in ber 3JlufiI 3. 30. 150. 361.
SBctoegung in ber Sülufif 3 f. 25 f. 43.
IBIe^inftrumente 252.
SSomi^iu« 101. 138. 141 ff.
f8ona 249.
SSrotf^c 232. 235.
($;äciUent)eretn 397, @nbc.
Caeremoniale episcopoinim 426.
©affiobor 141.
C-S)urtetrQd^orb al8 JBorauSfc^ung affer
fiebenftufigen S^onleitern 101 ff.
C-S)urtonQrt in Ij^tl^ogoreifd^er unb in
l^artnonifd^er ©timmung 94 ff.
©l^arofteriflift^e, baS, in ber S^onfunft 33 f.
©l^inerifd^canufif: bic F-3:onQrt berfelben
52; bie fünfftufige ßeiter 93; groben
36. 118.
©l^opin 292. 301.
©l^or 344 ff.
©l^orol, ber gregorianifd^e , in offlsieffer
unb in ]^iftorifd6=Iritif(5cr ©eftalt 101,
@nbe; bie üor^üglid^ften ^udgaben beS
lefetern 388; bie C>anbfd^riften 389 f.;
„Qut^entifd^e" 3:ejtbüd&er 403; Urfprüng-
lid^feit beg errei^baren ölteften Sejtcd
138 f. , ögl. 388 f. 392 ; Söanblungen
im altern ^. 131 ff.; ältefte 3:onfd^rift
f. 9leumen; ambrofianift^er ©1^. 127.
366
@a($" unb 9lamenregifter.
143. 145; $roBe bedfelBen 861, @nbe;
groben auö bem 6)]^ora( bed 9. unb
10. ^a^r^unbertS 109. 133; aud bem
^otl^terfd^en ©rabuale 120; S^onarteit
beS 6^1^. naä^ äßagner 120, nad^ @eDaett
189, @nbe. nad^ ^e(]^et)rend 140 f. 143 ff.«
im offiatcttcn 6^. 100 ff.; (Sl^romotif
bed (^4. 106, @nbe. 374 ; freier IR^^tfi»
mud bed 66. 187 ff. 130. 136. 424 ff.;
öftf)ettfd§er SBert bed 6^. 137. 349. 404;
^armonifierung beS 6^1^. 106. 397, ®nbe.
— S^qI. Äird^enmupl, „Oratorifc^er"
Ol^^t^muö.
6)]^oxqI, ber ))roteftantifd^e 346.
^^^romatifd^e %bm unb S^onreil^en 78. 81.
159. 183. 374; ^robc artgricd^ifd^er
(^^romati! 209.
(S^f^toita 230.
€:icero über ben ^i)t)thmni ber fUebe 382.
423.
(S^IemenS t)on ^lejcanbrien 368.
€ornu 84.
©otton 120. 139. 143. 374.
€:ouffcmafcr 386. 393.
t)cd^et)ren8 24. 77. 140 ff. 386 ff.
2)efIamQtiongmuftI 308. 811.
S)eleaenne 84.
SDioftoItifd^c ai^^t^men 209.
S)iQtonil 59. 78. 153. 372 f.
S)ifferenitöne 64. 66.
SDirigent 418.
S)i«fant 213.
S^tffonanj 57 ff. 72 ff.; aU blofee S)i«-
lorbonj 62.
S)od^miu8 207.
S)ominQntafforb 168 f.
S^ominonte 158. 160; im ©l^oral 103.
S)oppeIpcriobc 281.
3)orif(5e Slonart 102; bei ben ©ried^en
84. 109. 112.
SJromatifc^e 3JlufiI 358 ff.
SDre^Ieier 236.
S)reiflQn9 71. 169; aufgelöfter bei ben
©ried^en unb im (llioxai 112. 134. 158.
S^reitetlung be§ 3Jlarjd^e8 u. f. to. 296 f.
301. 316. 320 ff.
S^reoeg 430.
S)rejeliu8 über ßird^enmufil 414.
S)uett unb S)uo 269.
S)urdf)fü6rung in ber Sfuge 333.
S^urd^gong 181.
©urtetxQd^orb, beffen SSebcutung 101.
einbrurf, fubjcftioer, ber JUlufif 6 ff.
©infod^e Xöne 48.
einbeit in ber JUlelobie 164; in ber §Qr=
monie 168. 171.
<£nger, ©uft. 2. 11. 23. 83. 87.
@n|armonifd&e OJlufi! 188.
epifd^c SOflup! 837. 340.
(Sratofttiened 83.
Mfio»" ber ailufif 24; Dgl. SludbrudE.
eullib 57. 209.
Exsultet 281.
Fagott 262.
gfidter 351.
gficber 230.
Figuren 283.
gfinole, ba8 321 ; bie 102 u. ö.
^lageolettdne 233.
Sleifd^cr 139. 387 ff. 891.
gflöte 226 f. 268.
gflötenpfeifen 241.
gform 1. 10 ff. 19 ff.
^ormaüSmuS 2. 10 ff.
gformolfd&bne 2Jluflf 283. 360.
gforifd^ritt, fe^Ier^ofter 173 f.
gfronco t)on ^öln 878.
?Juge 8:U ff.
Sfü^rer in Kanon unb Sfuge 329. 832.
^unbamentalton 49. 95.
gfünfteiliger Salt 199 ; »eif^iele 209. 278.
günftonrei^e ober fünfftupge ßeiter 54.
98; üJlelobien berfelben 36. 118.
5Ju6, rlj^tl^mifd^er 200.
C^ang ober !ßauf 275. 283. 416.
©efäbrte, ber, in ber Sfuge 832.
©efü^löin^alt ber ajiuft!, f. $lu8brud.
©e^ördorgan 40.
©eige 280 ff.
©eiftigcS ÜJloment in ber ajlufif , f. 5lu8brudf.
©emüt 8.
©ente, mufiloUfd^eg 166. 278.
©efamtfunftmerl 414.
©efang 210 ff.; ögl. »ofolmufil.
©cfangd^dre 867. 427.
©cooert 84. 101. 109. 131 ff. 140 ff. 184.
225. 425.
©lud 296. 358.
©regor ber ®r. unb bie Äird^cnmufi! 127;
©eoaertS ^Infid^t 145.
©ried^tfdfie ÜJluftf , bie, unb ber Äird^en»
gefang 101. 140 ff.; %^zom ber gr. SDt.
im 3lbenblanbe 141 ff.; Sonarten unb
3:rQn8j)oritionen ber gr. ajl. 112. 142.
146, ©nbe; ©l^romotil unb ©n^ormonif
1^3, enbe; SSeifpiel ber ß^romati!
unb ber 3JlobuIation 209; Harmonie
ber gr. 9Jl. 183. 225; ÜJluftfgattungen
209; 3Jlufff ber gried&ifd^en Äird^e, f.
Oftoed^oä; 3:Qftmeftung berfelben 292,
@nbe.
©rted&ifd^c ^ä^fte 145.
©ried^ifd^eg ^rama 350. 354.
©rittJ)Qr5er 6.
©uibo bon 5lreaao 24. 120. 132. 135. 139.
157. 380 ff. 391. 426.
©uibo oon ^ariloeuS 120.
©uitarre 229.
Sa^' unb 9lamenregtfter.
367
i^aberl 358. 426.
^adbxtii 236.
|)Ql6ton, bcffen aJlcffung 81 f.; Sage in
bcr Tonleiter 96. 102; €^axa!ter 157.
^anbel 24. 213. 341.
C)ongIicf 2. 9. 12. 359.
§arfe 227.
^ormonic 56. 62 f. 168 ff* ; in ber Äird^cn«
muflf 106. 183. 396. 397, (£nbc; bei
btn ©ried^cn 183. 225; ber^üttte ^aT=
monie in ben alten Tonarten 117 f.
^ormoniefa^ 272.
C)armonifd^e Xonletter 80 ff. 87. 95. 98.
Harmonium 251.
|)axtmQnn, @b. t). 2. 15.
^au^tmann 49.
$)Q^bn 24. 30. 235. 341. 358. 361.
§elm]§oI^ 7. 23. 39 f, 45. 49. 60. 68 f.
71. 77. 84 f. 156. 172.
f>enni9 358, ©nbe; 398, gnbc.
|)ef^d^aftifd6e Ol^^tftnicnQattunö 209.
|>teron^mu3, ber 1^1. 367. 413.
|)ieron^mug Don äJläl^ren 378.
C>irfStönc 181.
|)om 253.
|)oftin«l^ 2.
Ijouborb 387. 390, (Snbe. 391.
©ucbQlb 109. 131. 374. 384 f. 391, ©nbe.
426.
§^mnen 146.
|>^permtjroI^bifd^e 21ranS))ofttiondf!aIa ber
®ried§en 142.
^^^oborift^e Slonart ber ©ricd^en 108.
Sofob 427.
SofobSt^Ql 374.
San 57. 112. 154.
3onffen8 0. S. B. 378 ff. 385. 421.
^bealiötnuS unb gformaltgmug 2 ff.
3ne)Qlt bcr aJlnpf, f. 5lu8brurf.
3nftinftiöe3luffaffun9beraJlufil 10. 14.21.
änftrumcntolmufi! , ottgemeiner ©ftorofter
220 ff.; aU ^egleitunQ beS ©cfangeg
225. 265 ff. 285. 290 ff. 360; reine
3 268 ff. 286 360 f.
^nftrumente ber aJlnfil 226 ff.; in ber
Äird^e 398 ff.
SnteröQtte 51. 135. 154.
3of)Qnn XXII. 396.
äoftanned S)QmaöcenuS 145.
3oäquin 24. 393.
arrationale Statte 202. 207.
Sunömann, 3of. 8. 358. 378. 411.
Äanon 328 ff.
Äantote 386 ff.
^arl b. ®r. 145.
Äienle 0. S. B. 127. 145. 421 ff.
Äircifienmufif , attöemeiner S^arafter ber«
felben 362 ff. 369 f.; in ben erftcn
d^rifllid^cn »a^rl^unberten 366 ff. 371;
getoid^tige Stimmen über ü. auS t)er»
fd^iebenen Seiten, f. (Stiemend t)on Ulf
Sanbrien, ^uguftin, ^ieron^muS, 21^o>
mag k)on ^quin, Slo^ann XXII., Suarej,
Söenebilt XIV.; bic IRitencongregation
im 3<i]^re 1894 402 ; bai Caeremoniale
episcoporam unb bie neuefie ^u^gobe ber
S)ef rete 426 ; bie Ä. ift einer fd^Ied^tl^in
t)oIIIommenen Seiftung fällig 407 ff. 411,
@nbe; Stellung ber ^ird^e gu il^r 409 f.;
toeld^e Säefd^ränfung bie ^ird^e auflegt
411 ff.; „toeltlid^c" unb „t^eotralifd&e" Ä.
413. 415 f.; ^. unb ^ongertmuHl 408 ;
einfeitig ^äft^etifd^e" SSeurteilung ber Ä.
409. 411 ff.; 2:onartcn ber Ä., f. Son«
arten ; SDlelobie ber Ä. 394 f. ; 4>tttmonic
396 ff. ; gfl^^t^mud 375 ff. ; ^nftrumcnte
in ber Ä. 398 ff.; S)irigent, Orgonift
unb ©angcr 418 ff. »gl. ß^oral.
ülang unb Klangfarbe 37 ff. 48. 221 f.
Klarinette 260.
Klaoiatur, KIat)id^oxb, KIat)ic^mbeI unb
ßlaoier 236 ff.
Kombinationätöne 64. 70.
Komma, f^ntonifd^eS 49. 52. 81.
Äonfonanj 57 ff.
Kontinuität ber 2JleIobie 154.
Kontrabaß 230. 232. 235.
Kontrapun{tifd^e ober ^ol^^l^one äJlufif
182. 328 ff. 344 ff. 396 ff. 408.
Konaextterenbex Söluflfftil 182.
Konaertfa^ 271.
Kornmütter 0. S. B. 108. 249. 381. 387.
422.
Köftlin, §. 5lb. 2. 12. 358.
Köftlin, Karl, f. öifd^er.
Kralif 408.
Krutfdöel 412.
Kunft unb Sflatur 56. 71. 87, (£nbe. 88
277 f.; ögl. Statur.
Kunftgebilbc ber aJlufir 274.
Kunfttoerl bcr 3"Iunft 414, ©nbe.
„Kurfug" 126 f.
Äaufe 275. 283. 416.
ßaute 228.
Jßeier 226.
ßeitmotio 361, @nbe; in einem befonbern
©inne 135.
ßeitton 156 f.
ßl^oumeau 187. 378. 421 ff.
ßicb 285 ff.; ß. ol&ne äöortc 286. 289;
burd^tom^oniertcö ß. 292 ; SJoIfölieb 290.
ßippenpfcife 241. 244.
ßiSjt 24. 861.
ßöroc, K. 292.
ß^bifd^c Sonart 114; im gried^ifd^cn Sinne
142.
TOabrigal 347.
gjlalerci in ber aJlupf 3. 30. 1^0. 361.
368
@a(^« unb S^amenregifter.
anard^etti t>on $abua 141. 378.
aJlarcianuS a:a^ella 101. 138. Ul.
2Jlarfd6 293 ff.
3Jlarj 34. 161. 241 ff. 259. 358. 373 u.
a. a. D.
gjlebiantc 111, (£nbc. 158; f. 2:crs.
Tiixhom 57 u. o. a. O.
3JlcIi8men 125. 145.
2JleIobic 147 ff.; S)iatomf bcrfelben 153;
Äontinuität 154 ; Sonarität 155 ; ÜJl. in
ber l^ird^eninufil 394; d^romatif^ unb
en^armonifd^ t)ersierte Sil. 183 ; änelobie
unb Harmonie 178. 180 f.
ajlclobramotifcl^er »orttog 308. 311.
gOflenbeldfo^n 18. 288. 358.
3Jlenfuraa^cn 379.
aKcnfuralmufil unb mosica plana 378.
SDlcrtobier 84.
ajlcffc 348 f.
„anctrifd^c" ©cfduöc 881 ff. 392 (ein »ci=
fpicl QU8 Slribo ©d&olafttlu«).
3Jlctronom 204.
Missa cantata 426, @nbe.
3Jlittönen 46.
ajli£oI^bifd^c 2:onart 113; bei ben ©ricd^cn
142.
2Jlocqucreau 0. S. B. 119.
ajlobulation 159 ff. 169; in ber altem
ajluftf 106; bei htn orten ©ried^en 142.
209,(£nbe; „Icttereiöene" 3JlobulQtion 95.
ajlö^ler, 51. 872.
motlUx^ 67 ff.
2Jloatonort 105.
anonod^orb 228, 2lnm.
3Jlotette 347.
3Jlotioe 165 ff. 274; ögl. 135 ff.
mo^axt 323. 360 f.
ajluetter, «b. 34. 416.
SDlufif , Definition 31 ff. ; »etoegung in
ber 2Jl. 3 f. 43; »ctocöungSörabc 25 f.;
anoteriol ber aJl. 42 ; ©egenponb 27 ff. ;
Söirlung 4. 6—8. 10 ff.; fubjettiöc«
aJloment in ber aJlufil 40. 58 f. ; ob«
ftrofte Siaöcmcinl^eit bcd mufifolifd^en
SluSbrucfd 16 ff.; SDl. unb S^rad^e 45.
215 ff.; aJl. unb anberc ^nftc über-
haupt 17 f. 28. 359. 360, ©nbe; innere
(gnttoidflung ber ajl. 359 ff.; formal«
fd^önc unb Stimmungämufll 360; rD=
mantift^c unb ?)rogrammmufil 361;
näd^fte unb Pd^fte Aufgabe ber m.
411. 414, (£nbe; ögl. Söofal« unb 3n=
ftrumentalmuril, ©l^oral« unb Äird^en«
mufil.
aJlufiMifd^e Slnlage 81. 166. 278.
ajlufift^eorctif er , ältere 141 ff. 378 ff.;
Sftiemanng a3ud§ über biefelben 388.
«Qtur unb Äunft 56. 71. 87, ©nbe. 88.
277 f.
aiaturtonleiter 49 ff. 95.
Sriebentöne 48 ff.
ajeröcnreij 4. 6.
ateubeutfd^e @d^ule 361.
aieumen old 9lDtenaeid§en 139. 386; longo»
barbifd^e unb römtfd^e ffi. 389; al8
aiotengruppen 190 f. 380. 391, 3)litte;
groben ber aieumeufd^rift 392.
aieuntenforfd^ung 386 ff. ; ©runblinienbasu
392.
9lonien ber ©ried^en 135.
aiotfer Sabeo 141.
jCbcrtöne 48 ff. 60. 91 ; ügl. 69.
Obligated 3nftrument 266.
Oboe 261.
Ol^r aU Organ ber ^onempfinbung 40.
Oftaö 41. 79. 90.
0!toed^oS, f. ^d^ttonf^ftem.
Oper 350 ff.
„Oratorifd&er^ IRl^^t^mu« in ber ÜJhifll
379. 3«2. 885. 421 ff.
Oratorium 340 ff.
Ord^eftcrfa^ 273.
Organift 419.
Orgel 242 ff.
Orgclpunit 273.
Orientalifd&e 3Jlufil 183.
Ornamentnoten 154. 283. 390 f. ; bgl. bie
aicumenproben 392.
Ouöertüre 327.
Palöographie masicale 119 ff. 138 ff.
422 f.
^aleftrina 24. 172. 358. 397.
^apabopuroS 145. 392 f.
$aufe 264.
?Jaufc im örtern ©^oral 383.
5Jeriobe 279 ff.; ögl. 283 f.
^^lantafie, muplalifd&e 31. 166.
^Ör^gift^e Xonart 109 f.; im ©inne ber
©rieben 142.
ipianoforte 237 ff.
^iel 103. 109. 153. 169. 249. 373.
^iaaicato 233.
Pagale Xonarten 103; bei ben ©ried|en (?)
142.
^iQto 26. 83. 302. 416.
?)Iutard^ 154.
^ol^pftonie 182. 328.
«Porpö^riu« 193.
^ofaune 255.
?Jot^icr 119 f. 181. 182. 377 f. 421 ff.
5)re^er 39. 42.
^rimäraeit beS mft^tftmu« 198.
^rogrammmupf 223 f. 361.
^falmobie 121 ff.
?Jfaltei-ium 227.
^tolemaus 83. 102. 142. 193.
^^tgagoraö 142.
^^tl^agoreifd^e Xonleiter 94 ; über bie Xera
berfelben 83 f. ; ögl. Ouintcnftimmung.
6ad§* unb 9lamenregifter.
369
jOuort 52. 63. 65. 95 f.; ögl. SlritonuS.
Oucrftote 241.
öucrftanb 177.
Dulitt 79; bic O. da 87.
Ouintcnfolgeit 174.
Ouintenfd^Iuft 158.
Quintenftimmung 79. 81 ff. 97.
Ouintilion 423.
Stade, ü. 480.
gflccitatiö 306 ff. 337. 342.
Sflcöino öon ^rüm 131 ff.
fftcfllcmcnt für Äird^mmuftl 402. 412 f.
9lei6inftrumentc 226 f. 237.
üleifemonn 184 (SJorbcmerfung).
IRcIigiöfc aJlupI 362.
[Refonanj 46.
IR^^tömu« 11. 184 ff.; ftrcnger 8^^. 195 ff. ;
freier ^^., Bcfonberg in bcr Äird^enmufif
120 ff. 187 ff. 375 ff. 424; f^mmetrifd^er
9l§. 130. 136. 192. 279 ff. 421 f. »gl-
metrifd^e ©efange unb oratorifd^er IR^^t^«
muS. 9fl§. bcr Motiöölicber 190 ff.;
3^]^. im 6teiQcn «nb Rotten ber 2:önc
193; gciftigc SBebentunQ bc« ffü^. 205;
Sloltrl^^tl^mug im altem Äirt^engefana
378 ff.
IRid&ter, <£. gfr. 176.
aiiemann, ^. 2. 49. 55. 69. 83. 86. 205.
388.
9litencongregQtion 402. 426.
9lo^rblQttinftrumentc 259.
fRomontifd^c aJlufif 361.
9lomonuS=a5ud^ftaben 389 ff.
fRomonae, mupfalifd^c 292.
fRonbo 325.
[Rotte 230.
@aiteninftrumcnte 226 ff.
©alomon, (£. 426.
©dnger 420.
Sanft ©äffen, bte aJlnfil bafclbft 388 ff.
©a|= unb ^criobcnbau in ber aJlufif 274 ff. ;
©. ber ©onate 316 ff.; 3nftrumentalf.
268 ff.; ftrenger S. 170.
@atfd&ru6 168. 275. 281; 2:rugfd§Iu6 in
ber ^rogrammmufif 361, <£nbe.
©d&adf, öan 39.
©d&aa 37.
©d^aSler, 311. 2. 26. 28.
©d&crso 325.
©d^Iaginffrumente 264.
©d^Ied&t 427.
©d^legcl, 51. SB., über baS »er^ärtni« öon
S^eligion unb Äunft 409.
©d^Iufe 168. 275 ; unöottfommenc ©d^Iüffe
158.
©d&mib, 2:1^. 358.
©d^nabelftöte 241.
©d&ön^eit in bcr 3:onIunft 33 ; ögl. SDßo^I«
Hang, ©efefe, Sform, ^ugbrudC.
eietmann, Stfl^etif. 8. Xtü.
©d^onnefelb 427 f.
©d^openl^auer 2.
6d|rift, bie C>^iHge, über ©efang unb ©piel
409 f.
©d&ubert, gfr. 288. 301.
©d^umonn, SRob. 288. 296.
©dfetoebungen ber S^önc 58 ff.
©eibel 244.
©erbft 427.
©eptime, bie natürlid^e 62. 71; bie ftei«
genbe unb bic faüenbc ©. 84; ©.«^florb
über ber S)ominante 168 f.
©iebenteiliger Saft 199.
©innlid^c SDßirfung ber 3Jlufif 1. 4. 6. 7.
©irenc alö ofuffifd^eg 3nftrument 39.
©olo in ber 3nftrumentalmufif 317.
©onate 315 ff.; ©timmungöenttoidttung in
bcr ©. 318 ff.
©^rad&« ober ©pred^gefang 306 ff. 424 ff.
©taccato 233.
©tcp^anoS Sam^abariod 143. 892.
©timmorgan 44 f. ; ©timmton 211 ; ©timm»
regifter unb ©timmflaffcn 213 f.
©timmung ber 3nftrumcnte 78 ff. 99.
©timmung8mu|if 360; ögl. Sludbrud.
©toff ber 3Rufif 41.
©treid^inftrumentc 230 ff.
©uarca über Äird^enmufif 399.
©ubbominante 93. 95. 103. 160.
©uitc 305.
©ulaer 374.
©ummationStone 64. 66.
©^mbolif in ber 2Jlufif 5. 30. 150.
©^mmetric 279 ff.; ögl. [R^^tl^mud.
©tjmplöonie 326.
©^nfo^c 201.
©^rien, bie Sßiege beS altem Kird^en»
gefangen 145 f.
©^ftaltif^e [Rl^^t^mcngattung 209.
t:Qft 198 ff.; 8ufammengefc|ter Z. 203;
geraber unb ungeraber %. 206; t)gl.
9l^^t^mug.
3:aftmeffer 204.
Sana 299. 302 f.
3Lartini 55.
Sed^nif unb 3n!)alt 163.
Seiltöne 48 ff.
Seilung, rl^^tl^mifd^c, 275.
Scmperatur, glcid^ft^tocbcnbc 78. 81 f.
85 f.; ogl. Sonftimmung.
%m\io 204. 375.
Senor 213; tenor im ©inne beS 9JlitteI=
alter« 383.
Sera, bie grofee 80, bie fleine 62. 67 ff.;
bie p^tl^agoreifd^c 83 f.; Seraenfd^Iufe
140. 158; ein »eifpicl 146, ©nbc; bic
S. fd^on bei ben ©ried^en als toal^re
„3Jlebiante" 112. 134. 146, (£nbc.
Setrad&orb 49. 53. 84. 101; öcrbunben
ober unDcrbunben 102.
24
370
@Qd§> unb Tlamenregifter.
Sletrad^orbtocd^fel aU „Icitetctgenc" 9Jlo«
bulation 95. 106.
Xejt unb SWelobie 215 ff. 284 ff. 288.
Sl^eattaUfd^e Idtd^enmufl! 413. 415 f.
3:^emen (3Dlotii)e) in ber ©onatc 322 ff. ;
in ber Sfuge 331 ff.; im ^^l^otal 135.
190 ff.; t)öl. aJlotibc.
2:f|efi8 unb ^rftS 200.
5£^imud 41. 49. 83. 193.
Zf^omai k)on Hquin über Kird^enmufil 412 ;
über 3nftrumentc 399.
3!on, mufHoIifd^er 37 ff. ; einfad^er %. 48.
Xonalitdt 155 ff.; im ©l^oral 134; f. ben
9lad^to)eid bei ben einjelnen S^onarten
100 ff., befonberS 109 ff.
Tonart, SÖßefen 88. 118; t^coretif^e ©r-
llärunö ber biotonift^en %, 91 ff.; bie
(ginl^cit ber S'^aturtonreil^e Ö^n^öt 107;
C-S)ur 99 f.; A-2Jloa 105; bie alten
biotonifd^cn Slonorlen, oufeer C-S)ur:
D-Xonoft 102 ff. 106; E 109 ff.; F
114 f.; G 113. 115; A 104. 106; H
107. 118. 120. 144, (£nbe; bie 2:onQrten
beg ©fioralg 99 ff. 372 ff., nad^ ©eöaert
139, enbe, f., na* SDßagncr 120 , nad^
S)ed6eören8 140 ff. 143 ff. (bie Oftocd&o«
bcrötied^ifd^en Äird^e) ; bie altöried^ifd^cn
%. 112. 142. 146, ©nbe; Ubergonö ber
alten S^onartcn in bie neuem 116 ff.;
ößl. über e^romatil 159. 183. 374.
^onbauer 47.
3:onifa, aud^ im Äird^engefang 129. 134.
155 ff.; Slfforb ber 3:. 109. 112. 171.
2:onIeiter 52 f. 65. 77 ff.; ögt. 2:onftim=
mung.
Slonmarerei 3. 30. 150. 361.
2:onmcffung, oluftifd^e 81 f.
2:onftörfe 46.
2:onftimmung , natürlid^e (l^armonifd^e),
p^tl^Qgoreifd^e (nad^ Ouinten) unb tem=
^ericrte 81 ff.
2:ran«pofition im ©l^oral 120.
3:ran8pojitionöffa(cn ber ©ricd^en 141 f.
Slrcmulieren 59.
3:ricnt, bad Äonsil b. %x. über Äird^en=
mup! 397.
3:rio269. 296. 302. 304. 324; Orgeltrio
244. 419.
Sritonu« 114. 132. 156; bei ben ©ried^cn
112 f. 273, ©nbe.
ZxomptU 254.
Itmlegung ber $l{{orbe 70.
Unbeftimmtl^eit beg mufifalifd^en $ludbruds
16 ff.
Unterbominonte ober Oberquart 93. 95.
103. 160.
Untertöne 69.
»entilinftrumente 256 ff.
»crein ber fünfte 353. 360. 414 f.
Jöiertonreil^e 49. 53; ögl. SCetrad^orb.
SJioIinc 231. 235.
»ioIonccKo 232. 235.
»ifd&er, Z^, (ber »anb über üJlufil in
».'« äft^etilifl oon Ä. Äöftlin) 1.6. 358.
»itruö 77.
fSolaU, mufilalifd^e 9latur berfelben 45.
48. 216.
»ofalmupl 210 ff. 215 ff. 288. 412. 421 ff.
55oIIögefong, religiöfcr 427.
aSoriöIieb 290.
»orljalt 181.
»ogncr, SRid^arb 2. 24. 250. 293. 352.
356 ff. 361.
Söagner, Steter 119 ff. 122. 127 f. 130.
138 f. 378. 421 ff. 425.
SDßalbl^orn, 253.
SDÖeber, „Über S^rod^gefang" 187.
Söeltlid^e Äird&enmufil 413. 415 f.
Söeft^^al 53. 83. 102. 146 , (£nbe. 158.
184. 225 u. ö.
SDÖinbinftrument 240 ff.
SDßirtung ber aJlufi! 1. 4. 6 f . ; ögl. 5lu8brudf.
SQßitt 187.
SQßo^Iflang ber aJlupf 1. 7.
f;eiteinl^eit, rl^^tl^mifd^e 198.
iernoten 154.
Simmermann, IRob. 2.
Sitl^cr 226. 229.
SöKner, „f&n^ ber ©rfinbungcn" 231.
Sungen^feifen 241. 244.
Stoecf ber ^ird^enmufi! 411 ff.
erfd^tenen unb burd^ aUe SSud^l^anblungen ^u Bejtel^en:
^ u n ft I e fi r c
in fünf
teilen*
»on ©er^crb ©ietmcnn S. J. unb 3o|ctttteg ©örenfen S. J.
(grfter Seil: «ttßemeine Sji^eti! Don ®. ©ictmonn S. J. TOit 11 ?lb«
bilbungcn. gr. S«. (VI u. 340 ©.) i¥. 4.20 ; geb. in ^olbfranj M. 6.
dritter Seil: »lttfi!»5fi[ftftetit SSon ®. ©ietmann S. J. mn 6 3lb«
bilbungen unb Dielen fürjern 9Hufifproben. gr. 8^. (VIII u. 370 @.)
S)ie meitern Seile »erben entgolten:
IL ^oetü, öon ®. ©ietmann.
IV. Malerei, Silbnerei unb fc!&mü(fenbe ffunft, öon 3f. ©örenfen.
V. Speti! ber Saufunft, bon ©. ©ietmann.
Qcber SCeil toirb cingcin obgegeben.
S)ie ajerfaffer fte^en auf bem ©tanbpunfte be§ döriftliii&en 3beali§mu§,
§aben e§ fi(!6 aber angelegen fein lajfen, ba§ ©ute, too e§ fici^ immer barbot,
fennen ju lernen, ju mürbigen unb ju öermerten. Sei aller ©elbftänbigfeit
anertenncn fie gern bie Sebeutung aud& ber gegnerifiä^en Qforf d&ungen , um
auf benfelben nad^ beftem SSermögen meiterjubauen. ©al^er werben neben
^lato, 2lriftoteIe§ unb Stomas bon Slquin aud& ,3Sifd&er, Karriere, ©c!&a§Ier
unb ^artmann mit gleid^er Sorgfalt benu^t. 5i^nlid&e§ gilt bon ben be=
beutenbcrn ?lutoritäten auf ben einjelnen ©ebieten ber 3tft^etif.
3für bie 93e^anblung unb Seurteilung be§ ©toffeS l^aben nid&t bie au§=
getretenen ^fabe ber ^opuIär=^ft^etif bie 5Rid&tung gewiefen, fonbern eS wirb
ber 3Serfud^ gemad&t, naä^ burc!&au§ realiftifdber SJletl^obe ju l^ol^en unb
freien Slnfd&auungen aufjufteigen, weld^e eine umfajfenbe unb ioä) praltifd^e
ffunftbetraiä^tung ju förbern geeignet fd&ienen.
S)en begrünbeten 3=orberungen beS 9leali§mu§ wirb aud^ in ber ©ad^e
SRed&nung getragen; namentlid^ wirb ber geiftig = finnli(fte ß^arafter ber
©d^önl^eit unb ber fd&önen ^unft nad^brüdflid^ betont.
S)ie SSoUftönbigfeit in ber ^el^anblung be§ @toffe§ würbe infoweit an=
geftrebt, al§ e§ ber mäßige Umfang be§ gangen SBerfeS gemattete; bod& ift
auf grgänjung ber bi^l^erigen Bearbeitungen im großen unb fleinen, j. 39.
burd^ bie Verwertung ber neuern S^orfd^ungen auf bem treibe ber gried^ifd^en
unb mittelalterlid&en 9Huftf fowie ber mufifaüfd&en Slfuftif, gebül^renbe 9lüdf=
fid^t genommen worben.
S)a§ 53eftreben ber SSerf affer ging bor allem ba^in, mit Übergel^ung
beffen, toa^ nur für bie @injeIforfd&ung SBert l^at, afleS, wa§ für weitere
Greife wiffenSwert fd^ien, in überfid&tlid&er Drbnung unb in einfad^er, Ilarer
©l)tad6e borjulegen unb babei burd& fd&ärfere t?affung im einzelnen, genaue
SegriffSbeftimmungen unb ft)ftematifc^en 3lufbau ber S)oftrin bie <)l^iIofo|)^ifd&e
Seftimmt^eit wenigftenS bon ferne nad&jual^men.
3?id^t feiten fanb fid& ©elegen^eit, tiefge^enbe Sntümer, weld&e fid^
burd^ mand&e ^tftl^etifen ^inburd^ jiel^en , ju berid^tigen, fo fe^r auä) jebe
J