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Full text of "Mythologische Forschungen aus dem Nachlasse, von Wilhelm Mannhardt"

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QUELLEN UND FORSCHTJNOEN 

ZUR 

SPEACH- UND CULTURGESCHICHTE 

DER GERMANISCHEN VÖLKER. 

HERAUSGEGEBEN VON 

B. TEN BEINK, E. MARTIN, W. SCHERER. 

51. HEFT. 



MYTHOLOGISCHE FORSCHUNGEN 



AUS DEM NACHLASSE 



VON 



WILHELM MANNHARDT. 

t 

HERAUSGEGEBEN VON HERMANN PATZTG 

MIT VORREDEN 

VON 

KABL MÜLLENHOFF UND WILHELM SCHERER, 



STR ASS BURG. 
KARL J. TRÜBNER. 



L 



LONDON. 
TRÜBNER & COMP- 

1884. 



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4 



Verlag von KARL J. TRÜBNER is^ Steassbürg. 



aUELLEN UND FORSCHUNGEN 

ZUR ' 

SPRACH- UND aULTURGESOHIOHTE 

DER GERMANISCHEN VÖLKER. 

H KB AUSGEGEBEN 
VON 

BERNH. TEN BRINK, ERNST MARTIN, WILHELM SCHERER. 

"» . - - 

In dieser Sammlung soUen zunächst die an der Strassburger 
Hochschule nnternoinmenen Arbeiten, welche sich auf die Erforschung 
des weiten Sprach-, Litteratur- und Culturgebietes der germanischeu 
Völker beziehen, zusammengefasst werden. 

Die Hefte 5, 12, 20 u. 32 sind mit A u s n a h m e d e r für 
completo Serien reservirten Exemplare vergriffen und 
daher nicht mehr einzeln verkäuflich. 

Vollstäiidige Eocevriplare der Hefte 1 — 4.9 (Laden^ 
preis M» 162.70) sind Ms auf Weiteres zum herabgesetzten 
Preise von M, 80» — - zu beziehen. 

I. Geistliche Poeten der deutschen Kaiserzeit Studien von 
Wilh. Seh er er. L Zu Genesis und Exodus. M. 2. — 

II. Ungedruckte Briefe von und an Johann Georg Jacobi, mit 
(Hnem Abrisse seines Lebens und seiner Dichtung heraus- 
gegeben von Ernst Martin. M. 2. 40. 

III. Ueber die Sanctgallischen Sprachdenkmäler bis zum Tode 
Karls des Grossen. Von R. Henning. M. 4. — 

IV. Reinmar von Hagenau und Heinrich von^Rugge. Eine litterar- 
historische Untersuchung von Erich Schmidt. M. 3. 60. 

V. Die Vorreden Friedrichs des Grossen zur Histoire de mon 
teraps. Von Wi 1 heim Wiegan d. (M. 2. — ) 

VI. Strassburgs Blüte und die volkswirthschaftliche Revolution 
im XIII. Jahrhundert von Gustav Sc h ra oll er. M. 1. — 
VII. Geistliche Poeten der deutschen Kaiserzeit. Studien von 
Wilhelm Sc her er. II. Heft. Drei Sammlungen geistlicher 
Gedichte. M. 2-40. 

VIII. Ecbasis captivi, das älteste Thierepos des Mittelalters. Heraus- 
jregeben von E.rnst Voigt. M. 4. — 

IX. lieber Ulrich von Lichtenstein. Historische und litterarische 
Untersuchungen von Karl Knorr. M. 2- 40. 

X. Ueber den Stil der altgermanischen Poesie von Richard 
Heinzel. M. 1. 60. 

XL Strassburg ssur Zeit der Zunftkämpfe und die Reform seiner 
Verfassung und Verwaltung im XV. Jahrhundert von Gustav 
Schmoller. Mit einem Anhang: enthaltend die Reformation 
der Stadtordnung von 1405 und die Ordnung der Fünfzehner 
von 1433. ' M. 3. — 

XIl. Geschichte der deutschen Dichtung im, XL und XII. Jahr- 
hundert. Von Wilhelm Scherer. (M. 3. r)0.) 

nicht mehr einzeln verkäuflich. 

XIII. Die Nominalsuffixe a und ä in den germanischen Sprachen. 

Von H e i n r i c h Z i m m e r. M. 7. — 

XIV. Der Marner. Herausg. von Philipp Strauch. M, 4. — 

XV. Ueber den Mönch von Heilsbronn. Von Alb recht Wagner. 

M. 2. — 
XVI. King Hörn. Untersuchungen zur raittelenglischen Sprach- 
und Litteratnrgeschichte von Theod. Wissman n. M. 3. — 
XVII. Karl Ruckstuhl. Ein Beitrag zur Goethe-Litteratur von Lud- 
wig Hirzel. -Ml. — 
XVIII. Flandrijs. Fragmente eines mittelniederländischen Ritter- 
gedichtes. Zum ersten Male herausgegeben von Johannes 
Franck. M. 4. — 
XIX. Eilhart von Obergc Zum ersten Male . herausgegeben von 
Franz Lichtenstein. M. 14. — 
XX. Englische Alexius^Legenden aus dem XIV. und XV. Jahrh. 
Herausgegeben von J. Schippei\ I: Version 1. (M. 2*50.) 



QUELLEN UND FOESOHUNGEN 



ZUR 



SPRACH- UND CULTÜEGESCHICHTE 



DER 



GERMANISCHEN VOLKER. 



HERAUSGEGEBEN 



VON 



BERNHARD TEN BRINK, ERNST MARTIN, 

WILHELM SCHERER. 



LI. 

MYTHOLOGISCHE FORSCHUNGEN VON W. MANNHARDT. 



STRA8SBURG. 
KARL J. TRÜBNER. 



LONDON. 

TRÜBNER & COMP. 

1884. 



MYTHOLOGISCHE FORSCHUNGEN 



AUS DEM NACHLASSE 



VON 



WILHELM MANNHARDT. 



HERAUSGEGEBEN VON HERMANN PATZIG 



MIT VORREDEN 



VON 



KABL MÜLLENHOFF UND WILHELM SCHEREB, 



STRASSBÜKG. 
KARL J. TRÜBNER. 



LONDON. 
TRÜBNER & COMP. 

1884. 



Buchdrucker ei von G. Otto in Darmstadt, 



VORREDE 

VON 

KARL MÜLLENHOFF. 

Wilhelm Mannhardt und ich, er an der Eider, ich 
unweit der Eibmündung geboren, konnten uns als nacbbar- 
kinder betrachten und musten schon in ein näheres und ein 
dauerndes Verhältnis zu einander kommen, wenn der jüngere 
in die bahn des älteren einlenkte und beide in derselben 
richtung beharrten, nach meiner erinnerung und nach einem 
briefe von seiner band besuchte er mich in seinen ersten 
Semestern als Berliner student zwei mal in Kiel, im herbst 
(oder Winter) 1851 und um ostern 1852, und aus jenem briefe 
vom neunten august 1855, in dem er mich von seinem lebens- 
laufe, seitdem er mich zuletzt* besucht habe, unterrichtet und 
mir anliegt jetzt an der von ihm zur fortsetzung übernom- 
menen Zeitschrift für deutsche mythologie und sittenkunde 
mitzuwirken, ersehe ich, fast zu meiner eignen Verwunderung 
und mit röhrung, dass das Verhältnis wesentlich schon damals 
so bestand, wie es seitdem unter uns bis zu seinem tode be- 
standen hat. meine Übersiedelung nach Berlin und gleich- 
zeitig seine bemühungen hier eine feste Stellung zu gewinnen 
führten dann vom herbst 1858 bis ostern 1862 einen häufigeren 
persönlichen verkehr herbei; aber auch nach seiner rückkehr 
ins eiternhaus nach Danzig gaben seine arbeiten und weiteren 
bestrebungen immer von neuem gelegenheit nicht nur das 
alte Verhältnis wieder aufzunehmen, sondern es auch fester 
und fester zu knüpfen, ein volles menschenalter hat es ge- 



VI VORBEDE. 

währt und umfasst Mannhardts ganzes wissenschaftliches leben, 
ich muss mir auch, wenn ich dies jetzt überblicke, einen an- 
teil daran zuschreiben, der mich wie keinen andern ver- 
pflichtet das wort zu ergreifen, wenn die letzten blätter von 
seiner band es noch erheischen. 

Mannhardt erzählt selbst, in dem Vorwort zu den An- 
tiken wald- und feldkulten, Berlin 1877, s. vii f., wie früh- 
zeitig durch JGrimms Deutsche mythologie *die richtung 
seines lebens entschieden ward'; allzu frühzeitig und zu aus- 
schliesslich, muss man sagen, für seine allgemeinere wissen- 
schaftliche ausbildung. als er nach Berlin kam, war Lach- 
mann eben gestorben, und so entbehrte er der leitung des 
grossen meisters der methode, namentlich auch für seine 
deutschen studien. aber auch die guten ratschlage die er 
bald aufsuchte und die ihm gerne erteilt wurden, die red- 
lichen Vorsätze die er danach ohne zweifei fasste, die wieder- 
holten anlaufe die er auch noch später nahm, um das ihm 
fehlende sich anzueignen, — noch 1859 hörte er, selbst schon 
docent, bei mir deutsche grammatik, deren erste teile wenigstens, 
vollständig von ihm nachgeschrieben jetzt mir vorliegen! — 
vermochten wenig gegen die macht. die schon seine ganze 
i^eele an sich gezogen hatte, alle seine sprachlichen und 
sachlichen studien gewannen beziehung auf die mythologie 
und führten ihn stäts zu diesem mittelpunkte zurück' (vorw. 
aao. s. viii). bei dem mangel einer breiteren philolo- 
gischen basis muste ihm schon der versuch an der Universität 
als docent fuss zu fassen mislingen. das gelingen sowie jede 
andere Stellung, in die er eingetreten wäre, hätte mehr oder 
weniger von ihm das opfer seiner lebensaufgabe gefordert 
und selbst mehr von ihm verlangt, als in seinen schwachen 
körperlichen kräften stand, das Vaterhaus allein das ihn 
1862 aufnahm, erhielt ihn jener, und ein gütiges geschick 
Hess sie ihm auch zu einem schönen teile nicht unerfüllt. 

JGrimm hatte die Sammlung und erforschung der 
jüngsten Überlieferungen des Volkes zur ersten und wich- 
tigsten aufgäbe für die deutsche mythologie gemacht: bei 
der spärlichen und unzusammenhängenden, älteren schien sie 
fast deren einzige hoffnung zu sein, sie verwehrte keinem 



YOBBEDE. TII 

den zutritt und auc\v Mannhardt setzte bei ihr ein, um ihr 
dann für immer zu verfallen, zwar mit einer besonderen 
landschaftlichen Sammlung, wie so mancher andere, ist er 
nie hervorgetreten, selbst nicht mit der von ihm früh be- 
gonnenen Tomerellischer Volksüberlieferungen', die in wissen- 
schaftlicher Verarbeitung , nebst seiner retractierten Tübinger 
dissertation über 'Anthropogonie der Germanen er mir schon 
1855 sogar mit nennung ihres Verlegers, in nächste aussieht 
stellte, dennoch sammelte er wie einer und suchte sich 
nach allen selten in den besitz des vorhandenen materials 
zu setzen, aber ihn reizte vor allem 'die wissenschaftliche 
Verarbeitung, der gewinn der nach seiner meinung daraus 
zu ziehen war. er gehörte anfangs, wie er selbst gesteht 
(vorw. s. xiii), zu denen die, auch der mahnungen des 
alten meisters zur vorsieht ungeachtet überall in Deutsch- 
land die spuren der nordischen mythologie wiederzufinden 
meinten, bald suchte er indes nach besserer begründung. 
Wilhelm Schwartzs lehre von 1850, dass unser heutiger 
Volksglaube im allgemeinen die niedre, elementare mytho- 
logie enthalte, schien unsere Volksüberlieferung mit einem 
male auf eine andre stufe neben die nordische zu stellen, 
und Kuhns vedische entdeckungen Hessen daneben sogar den 
blick auf den gemeinsamen grund der mythologien nicht nur 
der Germanen, sondern selbst der ihnen verwandten Völker 
fallen, schon als student' sagt auch Mannhardt später ein- 
mal 'begann ich einzusehn dass es zu irrigen resultaten führen 
müsse, wenn man sich auf das Studium der Volksüberlieferungen 
eines einzelnen landes beschränke.' zur controle der deutschen 
wandte er sich daher schon 1853 und später um mitteilungen 
ins ausländ und um auch dort Sammlungen anzuregen, als 
er die fortsetzung von JWWolfs Zeitschrift übernahm war 
er seinem Vorgänger an gelehrsamkeit und wissenschaft- 
lichem geiste entschieden überlegen, so erschienen im früh- 
jahr 1858, ehe er als docent in Berlin auftrat, Jacob und 
Wilhelm Grimm gewidmet, die 'Germanischen mythen', zwei 
ansehnliche abhandlungen in deren einer zunächst der Weisung 
Kuhns, de^ andern der Schwartzs folgend, er die deutsche 



Vm YORBEDB. 

mytbologie, wie JQrimm sie begründet hatte, weiter aus- 
zubauen trachtete. 

Aber wie viel schönes und nützliches von bleibendem 
werte sie auch ergeben mögeA, wie gelangen wir auf ihrem 
und überhaupt dem von JGrimm eingeschlagenen wege an 
das erste, geschichtlich zuerst gegebene, aber auch vor allen 
anderen bedeutendste problem unserer mythoIogieP die nach- 
richten des Tacitus waren den Römern erweislich schon seit 
mehr als einem Jahrhundert bekannt, und sie setzen ein voll- 
ständig ausgebildetes religionssystem voraus: wird es möglich 
sein und wie es gelingen dass wir uns noch eine zusammen- 
hängende und wohlbegründete Vorstellung von diesem system 
und von der ganzen religiöspoetischen (oder poetisohreligiösen) 
weltansicht der Qermanen machen, die sie bei ihrem eintritt 
in den grossen Zusammenhang der Weltgeschichte besassen 
und von da aus, in welcher Verfassung immer, in die fol- 
genden Zeiten vererbten, und so dass wir zugleich damit die 
einsieht in ihre geschichtliche ausbildung gewinnen ? bei den 
rechtsaltertümern umgieng JGrimm das ähnliche historische 
problem um es auf einem umwege zu beantworten, in der 
mytbologie meinten er und seine nachfolger ebenso verfahren 
zu können: aber wie sie dabei auf dasselbe resultat fuglich 
rechnen konnten, ist nicht abzusehen, sie verkannten die 
volle bedeutung der von Tacitus erwähnten tatsachen, und 
damit auch die bedeutung des problems, und versäumten 
daher den einzigen, allerdings verborgenen und verschlungenen 
pfad zur lösung desselben aufzusuchen, um diesen zu finden, 
hätte JGrimm anhaltender bei seinem bruder und bei Lach- 
mann in die schule gehen und auch unser freund sie bei 
ihnen gründlich durchmachen müssen, ehe er sich jenem un- 
mittelbar anschloss. 

. Die geschichte der deutschen heldendichtung erforschen) 
heisst die geschichte^ unserer alten und ältesten poesie er- 
forschen, und dazu muss sich jeder getrieben fühlen der ein 
vollständiges und zusammenhängendes Verständnis von der 
inneren entwicklung der nation erwerben will, die allein in 
der geschichte ihrer poesie und litteratur sich offenbart, ich 
war von Lachmann auf das deutsche epos hingeführt, ehe 



YOBREDE. IX 

ich JGrimins mythologie in bänden hatte, ja die Einder- 
märchen und Deutschen sagen vollständig kannte, so geschah 
es dass die schleswigholsteinische Sammlung durchaus nicht 
vorwiegend im sinne der mythologie, sondern viel mehr in 
dem allgemeineren der geschichte der poesie, und um die 
lebendige überliefeiung des Volkes unmittelbar kennen zu 
lernen, zu stände kam. ich habe auch seitdem nicht aufge- 
h ort die mythologie als einen wesentlichen teil der poesie zu 
betrachten und niedere und höhere in ihrem ausdruck nicht 
anders zu unterscheiden, als gemeine alltägliche rede von 
der höheren, wohlbedachten und gewählten; ich kann es 
daher auch nicht gut heissen wenn z. b. Mannhardt (vorw. 
aao. s. XII. xv) die dichter der Eddalieder und Veda- 
hymnen als 'kunstdichter in einen gegensatz zu den 'echten* 
anschauungen des Volkes bringt und gleichsam ausserhalb 
desselben stellt. ^ die heldensage führt ihrem Ursprünge nach 
mit ihren historischen elementen in die zeiten der sogenannten 
Völkerwanderung; die mythischen bestandteile, die sich mit 
ihnen verbunden haben, sind von noch älterem datum und 
führen tiefer in das heidentum zurück, in die unmittelbare 
nähe der taciteischen nachrichten. so zeitlich, so wie eth* 
nisch und local durch jene gefestigt, aber ergeben sie mit 
diesen und den übrigen von unzweifelhaft heidnischer her- 
kunft zusammen, nicht nur die gemeinsame grundlage der 
süd- und der nordgermanischen mythologie, sondern von da 
aus auch weiter das Verhältnis beider Überlieferungen und 
damit wie ich meine, das erwünschte resultat, die gesuchte 
historische einsieht. 

Sie lässt sich freilich erst sehr allmählich, nach mancherlei 
Umschweifen gewinnen und so ziehen sich meine Untersuchungen 
in dieser richtung durch viele jähre, von dem 1847 erschie- 
nenen aufsatz über Tuisto und seine nachkommen bis zu der 
noch nicht veröffentlichten über die Frija und den halsband- 
mythus, die lange bedacht, aber erst in den nächsten monaten 
nach Mannhardts tode ausgeführt, die hauptfrage für mich 
erledigte; denn nächst dem Balder- oder Dioskuronmythus 



1 \erg]. die D^. 1, VI angeführte stelle JQrinnms und Zs. 18, 472. 



X VORREDE. 

Hess sie mir keinen zweifei an dem Zusammenhang der mythen 
mit der grössten revolution die der deutsehe geist in der 
Urzeit durchgemacht hat, dem Übergang von der Zeus- zur 
Wodansreligion und brachte zugleich ein wichtiges stuck des 
eigentümlich deutschen weltuntergangsmythus ans licht, die 
an- und aussiebten die ich auf diese Untersuchung gründete, 
muss ich indes Mannhardt wohl schon vor 1876 entwickelt 
haben, wenn er sich damals über den erfolg meiner Studien 
glaubte so aussprechen zu können, wie er es in dem vorwort 
aoo. 8. XXXVII tut. auch meine ansieht über den Sigfrids- 
mythus hat er gewis viel eher gekannt, als bis er sie anfangs 
1879 aus dem 238ten bände unsrer Zeitschrift ungefähr ent- 
nehmen konnte, als das Schicksal uns beide 1858 in Berlin 
zusammen führte, werde ich ihm am wenigsten das vorent- 
halten haben., was ich schon in der zeit und bald danach 
meinen zuhörern vortrug, und er nach und nach ungefähr 
alles erfahren haben , was ich damals von deutscher mytho- 
logie zu wissen glaubte, es trat ihm damit eine von der 
seinigen sehr verschiedene, ja derselben entgegengesetzte 
und mit ihr kaum vereinbare, streng historische auffassung 
des gegenständes und der aufgäbe der Wissenschaft entgegen, 
und zugleich ergaben sich nach der Verschiedenheit der Stand- 
punkte wesentliche differenzen der methode und der erfah- 
rungen. mit den 'Germanischen mythen' konnte ich mich 
damals selbst vielleicht weniger zurecht finden als jetzt. 

Ich entsinne mich namentlich einer Unterredung, die 
eines abends, wohl im sommer 1859 oder 60, in einem von 
mir sonst fast niemals betretenen öffentlichen garten in der 
nächsten nähe meiner wohnung unter uns statt fand, in 
meiner einwendung gegen Mannhardts auffassung eines mythus 
bediente ich mich der werte, jede sage sei an dem orte fest 
zu halten an dem man sie finde, und von ihm anfangs mis- 
verstanden gaben sie zu einer längeren, mir geläufigen er- 
örterung anlass. ich meinte, jede sage sei ein bestimmtes, 
historisches produkt, nicht nur von der seite ihres Ursprunges, 
sondern auch der ihres inhaltes betrachtet, und die anschau- 
ung, die sie enthalte und wiedergebe, sei nicht von der stelle, 
an die die Überlieferung sie setze, zu verrücken, ohne diese 



VORREDE. XI 

von ihrem Standpunkte und damit auch die historische auf- 
gäbe und den zweck der forschung zu verrücken, meine 
beraerkung richtete sich zunächst wohl gegen einen fall wie 
den, wenn Mannhardt (Germ. myth. s. 104) den biorkessel 
des meeresgottes uiEgir für das himmelsgewölbe erklärte, was 
nur ausserhalb eines anderen Zusammenhanges niöglich wäre, 
auch wenn nicht die möglichkeit, würde nach meiner ansieht 
doch jede nötigung dazu fehlen, wie er (Zs. f. myth. 2, 296 ff.), 
den Wate der Kudrun zu einer hypostase des Thor zu 
machen; und war auch der Tuistomythus ursprünglich eine 
kosmogonie und anthropogonie oder theogonie^ so würde 
doch ein wesentliches stück in der geschichte des mythus 
und in der Überlieferung selbst ausser acht gelassen, wenn man 
ihn nicht als eine ethnogonie anerkennte, so ist auch die 
von altersher gegebene beziehung des Sigfridsmythus zu 
Wodan fe^t zu halten, auch wenn wir sie vielleicht nicht ganz 
verstehen ; um seiner geschichte willen ist es jedesfalls besser 
sie ferner noch im äuge zu behalten als ihn für einen Freys- 
helden zu erklären, den Beawa dagegen nach allem andern 
für einen solchen eher, als für einen Thorshelden, trotz dem 
gemeinsamen aber auf einer sehr verschiedenen stufe stehen- 
den mythus. jede höhere gottheit namentlich erweitert das 
gebiet ihrer tätigkeit. es konnte daher derselbe mythus von 
verschiedenen göttern erzählt werden, wie umgekehrt auch 
verschiedene prädikate auf dieselben gottheiten gehäuft werden, 
und namentlich sind nordische und deutsche nur nach be- 
stimmten anzeichen und nicht ohne weiteres zu identificieren. 



Die Yorstehenden Seiten sind das letzte, was Mullenhoff geschrieben 
oder vieltnebr seiner Frau dictirt hat. Im Sommer 1883 trag er mir die 
mythologischen Aufsätze aus Mannhardts Nachlass für die Quellen und 
Forschungen an ; indem ich sie freudig acceptirte, sprach ich doch den 
Wunsch aus, er möge eine Vorrede oder Einleitung hinzufügen, wofür 
»ein Yerhältniss zu Mannhardt und ihr beiderseitiges, zum Theil so 
verschiedenartiges Verhältniss zur deutschen Mythologie das natürliche 
Thema biete. £r versprach es, und nach dem Abschlüsse des fünften 
Bandes der Altertfaumskunde, so weit er im Druck vorliegt, hat ihn 
kein anderer wissenschaftlicher Gegenstand noch so eingehend be- 
schäftigt, wie diese Vorrede. Er war, wie man sieht, im besten Zuge, 
daraus eine Art Methodologie der germanischen Mythologie zu machen. 
Die mythologischen Forschungen der Alterthumskunde kamen der Arbeit 
zu gute. Er lebte ganz in den Problemen unserer heidnischen Religions- 
gcschichte, und eben die Vorrede gab noch den Anlass, dass er mir in 
den Grundzügen seine Meinung über die Entwickelung des Halsband- 
und des Dioskurenmythus auseinandersetzte. Ich war von der Wichtig- 
keit der Sache so durchdrungen, dass ich mir sofort eine Aufzeichnung 
darüber machte. 

Sonst habe ich in meinem langen persönlichen und schriftlichen 
Verkehr gerade über mythologische Dinge verhältnissmässig wenig mit 
ihm gesprochen oder correspondirt. Die deutsche Mythologie hatte 
mich in den Anfängen meiner Studien, noch auf der Schule, mit be- 
sonderer Macht ergriffen. In der obersten Gymnasialclasse las ich mit 
Begeisterung die eben erschienenen 'Germanischen Mythen' von Mann- 
hardt; aber auf der Universität, die ich im Herbst 1858 bezog, lagen 
mir zunächst andere Pflichten ob, und nie wieder bis heute trat mir 
die Mythologie in den Vordergrund meiner wissenschaftlichen Interessen : 
nur dass ich auch für sie einen festen methodischen Standpunkt zu ge- 
winnen suchte. 

PfeiflFers geringe Meinung von Mannhardts Thätigkeit — er reihte 
ihn kurzweg unter die 'Notizensammler' ein — konnte mich in meiner 
Anhänglichkeit nicht wankend machen; eher musste eine Becension der 
'Germanischen Mythen' von Adalbert Kuhn, welche nachwies, dass 
Mannhardts Benutzung des Veda strengen Forderungen nicht genüge, 
bedenken erregen. Den Hauptstoss jedoch erhielt meine verfrühte, 



VORREDE. XIII 

yomehmlioh unter dem Einflüsse von J. W. Wolf erworbene Ansicht 
der Mythologie dnrch Mannhardt selbst. 

Als ich im April 1880 nach Berlin kam, besachte ich ihn gleich. 
Ein Empfehlungsbrief von Alfred Ludwig führte mich bei ihm ein. Er 
nahm mich sehr freundlich anf, schenkte mir ein paar Hefte seiner 
Zeitschrift für Mythologie und machte mich mit einem Kreise yon 
Freunden bekannt, der soeben festere Formen annahm und sich bald 
regelmässig Tersammelte. So sahen wir uns öfters, und einmal auf dem 
Heimwege berührten wir die Frage nach den Quellen der deutschen 
Mythologie. Ich wusste nicht anders, als dass, wie J. W. Wolf im 
Gegensätze zu Jacob Grimm gelehrt hatte, unsere Volksmärchen alt« 
germanische Mythen enthielten. Auch Mannhardt hatte sie in den 
'Germanischen Mythen' so gebraucht. Jetzt yerwies mich derselbe 
Mannhardt auf Benfeys 'Pantsohatantra' und zog darans den Schluss, 
dass die Märchen zunächst als iuternationale Kovellenstoffe zu be- 
trachten und aus den Quellen unserer Mythologie zu streichen seien. 

Um dieselbe Zeit kam das mythologische Problem auf einem 
Spaziergange mit Müllenhoff zur Sprache: Müllenhoff betonte seinen 
Gegensatz gegen Kuhn und Schwartz, indem er eine strengere Kritik 
der Yolksüberlieferung verlangte, die man als eine Quelle der Mytho- 
logie nur ansehen dürfe, wenn sich altmythologischer Gehalt beweisen 
lasse. Mannhardts mythologische Erklärung des krirogothischen Liedes 
(Zeitschrift für yergleichende Sprachforschung 6. 166), die mir grosse 
Freude gemacht hatte, yerurtheilte er kurzweg aus demselben Grunde: 
er glaubte darin das Yorurtheil zu erkennen, dass jede populäre 
Tradition mythologischer Natur sein müsse. Die Art, wie Kuhns Sagen, 
Gebräuche und Märchen aus Westfalen Bd. 1 (Leipzig 1859) S. 6 in 
einem Wirt oder Hund Alke die nahanarvalischen Dioskuren (nomen 
Alois Tac. Germ. c. 43) oder S. 225 in den Exterateinen den altindischen 
Abi wiederfanden, konnte ihm unmöglich gefallen. In der Negation 
eines so yerschnellen Verfahrens war er mit Haupt ganz einig, yon 
dem das derbe Wort umlief: *£s wird bald kein rother Hahn und kein 
stinkender Book mehr in der Welt sein, der nicht Gefahr läuft, für 
einen germanischen Gott erklärt zu werden.' Dass ich mit Haupt selbst 
je über Mythologie eingehender gesprochen hätte, wüsste ich mich 
nicht zu erinnern. Seine Interpretation der 'Germania' ging wenig 
darauf ein, und die Mythologie lag seinen Interessen überhaupt fem ; wäh- 
rend Müllenhoff sie ihrem ganzen Umfang und ihrer ganzen Methode nach 
stets im Auge behielt. Die beliebte Deutung möglichst yieler Mythen 
aus dem Gewitter hatte an Müllenhoff keinen gläubigen Anhänger ge- 
funden: yiele andere Deutungen, behauptete er, seien oft ebenso mög- 
lich ; Deutung sei überhaupt nicht so wichtig als Geschichte des Mythus. 
Wie früh er Zweifel an manchen speciellen Vergleichungen zwischen 
griechischen und indischen Mythen hegte, die Kuhn aufgestellt und 
durch zum Theil sehr unsichere, ja unmögliche Etymologien begründet 
hatte, weiss ich nicht zu sagen. In einem Collegienhefte, wornach er 



XIV VOEEEDE. 

deutsche Mythologie 18Ö1 und 1856 gelesen hat, spricht er von ganz 
ungeahnten Entdeckungen aus dem Yeda, führt zum Beispiele nicht 
blos Djaus mit seinen Verwandten (Grimm Myth. 17Ö; Kuhn Zs. 2, 231), 
sondern auch Saramä (Kuhn Zs. 6, 125) und Sarapyü (Zs. f. ygl. Sprachf. 
1, 439) mit ihren angeblichen Verwandten auf und geht Überall in 
seinen Erörterungen von den Gesichtspuncten der yergleichenden Mytho- 
logie aus, so weit sie damals gewonnen waren oder sich gewinnen 
liessen. Eine unvollendete, noch in Kiel aufgezeichnete Untersuchung 
über Hochzeitsgebräuche beginnt mit den Worten: 'Hat Jacob Grimm 
die vergleichende Mythologie zuerst von der Sprache aus wissenschaft- 
lich begründet und zugleich der Forschung den aufmerksameren regem 
Sinn eingepflanzt, das ganze Leben und Dasein alter Völker als bis 
ins kleinste von Glauben und Dichtung durchdrungen aufzufassen, so 
war es doch erst einem treuen Schüler, Adalbert Kuhn, aufbehalten, 
durch eine Reihe überraschender Entdeckungen auf dem Gebiet alt- 
indischer Mythologie die Ueberzeugung festzustellen, dass die Mythen 
der indogermanischen Völker nicht etwa blos ihren Grundzügen nach, 
sondern mit allem, mit Namen und Detail, zum guten Theil ein ebenso 
altes Erbe sind wie die Sprachen.' Später aber, weiss ich, hatte £. 
Wilkens Recension von W. Oox Mytbology of the Aryan Kations 
(London 1870) in den GGA. vom 17. Januar 1872, hinter der er 
Benfeys berathende Stimme vermuthete, seinen vollen Beifall: es war 
darin auf die Bedeuklichkeit von Identificirungen wie Erinnys und 
Saravyü, Hermeias und S^rameyas, auf die verwegene Kühnheit einer 
Deutung der indischen Pai^iis aus dem gothischen fani 'Sumpf hinge- 
wiesen und eine Erklärung des Daphne-Mythus versucht worden, welche 
im Gegensatze zu der berühmten scharfsinnigen Auffassung Max Müllers 
denselben, nach der oben S. X erhobenen Forderung, an der Stelle 
liess wo sie ihn fand. Am 19. September 1875 vollends schrieb Müllen- 
hoff an Mannhardt mit Bezug auf Zimmers Untersuchung in der Zs. 
19, 164 (vgl. Mannhardt ebenda 22, 4): 'In dem zweiten, zu Weihnachten 
erscheinenden Hefte der Zs. steht ein Aufsatz, in dem nicht nur Parjanya 
und FiÖrgyn, sondern auch V4ta und Wodan identificirt werden. Was Sie 
dazu sagen, möchte ich seiner Zeit hören. Ich glaube nicht daran und 
bin überhaupt misstrauisch, sehr misstrauisoh geworden 
gegen alle diese Combinationen der neuen, sogenannten 
vergleichenden Mythologie. Doch das ist ein langes Kapitel.' 
Müllenhoffs erste kritische Bemerkungen verstand ich nicht ganz. 
Aber seine Worte hafteten in mir, und ihr Sinn ging mir nach und 
nach auf. Wann ich seinen grundlegenden Aufsatz über Tuisto in 
Schmidts Zeitschrift gelesen habe, weiss ich nicht mehr genau; aber 
ich weiss, dass er mich sofort überzeugte und so zu sagen in meinen 
geistigen Besitz überging. Müllenhoffs Vorlesungen kamen bei Gelegen- 
heit der Germania, der Litteraturgeschichte, des Nibelungenliedes und 
der Edda auf mythologische Dinge zu sprechen; aber seine Vorlesung 
über die Edda ging, als ich sie hörte, auf speoielle mythologische 



VOREEDK. XV 

Fragen doch entfernt nicht so weit ein, wie man jetzt nach seiner 
Interpretation der Yöluspa im fünften Bande der Altertlmmskunde Ter- 
muthen könnte. Sein Cardinalsatz über den mythischen Gehalt der 
Heldensage musste jedem aufmerksamen Zuhörer geläufig werden ; seine 
Erklärung des Nibelungen-Mythus fasste ich später in einem Vortrage 
kurz zusammen, wie ich sie im Winter ]860 auf 1861 gehört hatte 
(Vorträge und Aufsätze S. 101—128); und was in meiner Schrift 'Jacob 
Grimm' (Berlin 1864) über mythologische Probleme gesagt ist, dürfte 
im ganzen und grossen als ein Niederschlag dessen angesehen werden, 
was ich unter dem Einflüsse von Benfeys Märcheuforschungcn , von 
Haupts Skepsis, und Tor allem von Müllenhofifs Kritik und positiver 
Lehre gelernt hatte. 

Die vorstehenden Erinnerungen wurden hier eingeschaltet, weil 
Müllenhoff dort wo seine Vorrede abbricht angefangen hatte , seinen 
Einfiuss auf Mannhardt zu schildern und ich diese Schilderung nicht 
anders fortsetzen konnte, als indem ich erzählte wie meine eigenen 
durch Mannhardt mitbegründeten Anschauungen einen kritischen Stoss 
erhielten, um dieselbe Zeit muss es ihm ähnlich ergangen sein. Die 
'germanischen Mythen', bei deren Erscheinen (1858) er 27 Jahre alt 
war, bezeichnen den Höhepnnot seiner früheren Manier ; auch in seiner 
'Götterwelt der deutschen und nordischen Völker' (Berlin 1860), mit 
der er Eltern und Geschwister zu Weihnachten 1859 begrüsste, hatte 
er sich davon noch nicht befreit. Dann aber muss der Umschlag, die 
Ernüchterung erfolgt sein. Wie Benfeys Pantschatantra auf ihn wirkte 
erhellt aus meiner obigen Mittheilung (S. XIII). Dass der Verkehr mit 
Haupt nicht ohne Wirkung auf ihn blieb, schliesse ich aus der Art, 
wie er ihn in Briefen an Müllenhoff erwähnt. Müllenhoffs Einfluss 
endlich mag man sich ähnlich denken, wie ich ihn erfuhr; nur dass mit 
Mannhardt wohl in breiterer Erörterung verhandelt wurde , was mir 
gegenüber oft nur den Ausgangspunct einer beiläufigen Bemerkung 
bildete. Und so gelangte er nach und nach zu jener Kritik Jacob 
Grimms und seiner gleichgesinnten Schüler, die er in der Vorrede zum 
zweiten Bande der Wald- undFeldculte zusammenfasste. Er erkannte oder 
glaubte zu erkennen, dass Jacob Grimm vorschnell alle heutige Volksüber- 
lieferung aus der heidnischen Mythologie abgeleitet, dass er mit Entleh- 
nung, mit christlichem Einfluss nicht genug gerechnet hatte, dass er 
Personifioationen mittelhochdeutscher Dichter mit Unrecht auf Mythologie 
zurückführte, dass er die Uebereinstimmung zwischen nordischer und 
deutscher Mythologie zu hoch angeschlagen, nordische Götter zu rasch 
auch den Südgermanen beigelegt, Personifioationen von Festtagen wie 
Ostaraund Berchta, spätere Gestalten des Volksglaubens wie Holda, Vor- 
stellungen wie die vom bergentrückten Kaiser ohne hinreichende Gründe 
ins germanische Heidenthum zurückgeschoben hatte. Er erkannte ferner, 
dass es unkritisch war, mit Grimms ersten Schülern auf das Zusammen- 
treffen einzelner rein äusserlicher Merkmale hin aus Sagen, Legenden 
und Märchen gleich auf nordische Gottheiten zu schliessen. Er lernte 



XVI VORREDE. 

V 

auch an yielen erst ffir aioher gehaltenen Etymologien und sonstigen 
Zusammenstellungen der Tergleicbenden Mythologen zweifeln, und ein- 
seitige, verfrühte Theorien über den Ursprung der Mythologie konnten 
ihm nicht länger imponiren. 

Hand in Hand mit der Negation des bisherigen Standpunctes 
ging das Aufraffen zu neuer positiver Thätigkeit. Er begann so um- 
fassend, systematisch und methodisch Stoff zu sammeln wie nie jemand 
vor ihm. 'Bleibenden Gewinn' sagt er in der oitirten Vorrede S. XIV 
Versprach nur eine solche Fortführung des begonnenen Riesenwerkes' 
(der Grimmschen Mythologie) 'welche zunächst einmal in dem Bau- 
material selber sich orientirte und ohne Rücksicht auf ein vorher- 
bestimmtes Resultat die Volksüberlieferungen einerseits unter sich, 
anderseits mit den zanächstliegenden verwandten Erscheinungen ver- 
glich.' Hiermit bezeichnet er das neue Programm, nach dem er arbeitete. 
Sollte nicht auch hierfür Müllenhoff das Vorbild gegeben haben ? 'Einen 
kleinen, aber schönen, von der späteren Forschung noch nicht ausge- 
nutzten Anfang in letzterer Richtung' fährt er a. a. 0. fort 'machte 
K. Müllenhoff^ indem er in der Vorrede zu seiner musterhaften Samm- 
lung schleswig-holsteinischer Sagen 1845 auf vielfache Berührungen 
mit der Poesie und Sitte des Mittelalters hinwies.' Müllenhoffs Sagen 
enthielten aber zum Schluss eine Reihe von Fragen, welche die Sammler 
Orientiren und die Sammelthätigkeit auf die entscheidenden Punote 
richten sollten. In ähnlicher Weise hatte Mannhardt schon am 14. März 
1855 ein Flugblatt ausgehen lassen, welches einen Einderliederschatz 
vorzubereiten bestimmt war. Und ebenso hat er später mittelst Flog- 
blättern für seinen Quellenschatz der Ackergebräuche gesammelt, auf 
das Deutsche und Germanische nicht mehr beschränkt, sondern alle 
Kachbarstämme umfassend und zugleich darauf bedacht, aus der 
heutigen Volksüberlieferung die antiken Feldculte zu erläutern. 

Dass mir gegen die Art, wie er seine gesammelten Schätze ver- 
werthete, noch kritische Zweifel blieben, habe ich im Anzeiger für 
deutsches Alterthum 3, 183 dargelegt. Von seiner Sammelthätigkeit 
selbst muss jeder unparteiische Beurtheiler mit uneingeschränkter An- 
erkennung, ja Bewunderung sprechen. Er hat dabei eine zielbewusste 
Sicherheit und Findigkeit, ein Organisations- und Agitationstalent be- 
wiesen, wie es gewiss innerhalb der Geisteswissenschaften noch nicht 
oft aufgeboten wurde. Die Resultate, die er erzielte, müssen uns ein 
Sporn sein, den Weg woiterzuschreiten, den er eingeschlagen hat. Was 
er für die Erntegebräuche gethan, muss fortgesetzt und auf alle Ge- 
biete des ländlichen Lebens und der volksthümlichen Sitte übertragen 
werden. ^ 

Wie sich Mannbar dts Verhältniss zu Müllenhoff entwickelte, 
nachdem der erstere Berlin verlassen, das kann ich aus den zwischen 
ihnen gewechselten Briefen ungefähr entnehmen. Aus früherer Zeit 
liegen nur drei Briefe vor. 

Zunächst einer vom 17. October 1851 , mit welchem der *stud. 



VORREDE. XVU 

germanoiogiae' Mannhardt zwei in den Liesbüttler Bergen (Gut Haneran) 
gefundene Urnenstficke nach Kiel ffir die Alterthums-Sammlung fiber- 
sendet. Er dankt darin zugleich für die ihm bei seinem Besuch im 
vorigen Monat bewiesene Freundlichkeit, um Ostern 1852 wiederholte 
er den Besuch und schrieb an seine Eltern (Gedichte von Wilhelm 
Mannhardt, Danzig 1881, 8. XV): 'Der Tag ist für mich sehr wichtig 
und lehrreich. Was mir kein Berliner Professor geben kann , hat 
Müllenhofif mir eröffnet, den Einblick in die Art der Lachmannschen 
Schule und Methodik und die nöthige Anweisung, um meinen Studien 
in dieser Hinsicht die rechte Gründlichkeit zu geben, nebst einer Menge 
bibliographischer Nachweisungen.' 

In einem weiteren Briefe vom 9. August 1855, auf den sich 
MüUenhoff oben im Eingange bezieht, fordert Mannhardt zur Mitarbeit 
an der von ihm übernommenen Zeitschrift für deutsche Mythologie auf : 
vor zwei Jahren hatte Mullenhoff aus Rficksicht auf Haupts Zeitschrift 
abgelehnt. Mannhardt wünscht, dass die berufensten Vertreter der 
strengphilologisehen Fachwissenschaft durch Mustermitthoilungen, ge- 
eignete Winke, kritische Verarbeitungen des gegebenen Materials den 
Dilettanten, die man nicht entbehren könne, den Weg zu methodischem 
Verfahren zeigen mochten. 'Wolfs Arbeiten' fährt er mit einem kleinen 
Rückblick auf die früheren Bände seiner Zeitschrift fort Hessen in vielen 
Stücken die nöthige Kritik und philologische Sachkenntniss vermissen. 
Uebercilungen wie die schon von W. Müller gerügte Erklärung der 
Mythe vom Doctor vom Eichelberge auf die Sage der Thrymsquidho, 
irischer Legendenzüge auf Wuotan dürfen nicht ferner geduldet werden, 
inhaltlosem Geschreibsel wie 'Muspilli' von Massmann werde ich die 
Aufnahme bestimmt verweigern. Dagegen gilt es an die Stelle unklarer 
Ideen und vager Vorstellungen bestimmte Begriffe zu setzen, zwischen 
den Entstehuugszeiten unserer Märchen genau zu scheiden, ihre Ab- 
stammung und die Art und Weise ihrer Verbreitung im einzelnen genau 
zu erforschen. Sagen und Kinderljeder in ihrem Entwicklungsgang und 
-lauf durch unsere und verwandte, wie fremde Litteraturen möglichst 
hoch hinauf zu verfolgen; statt des Missbrauchs der heutigen Orts- 
und Eigennamen für Sagenkunde die Mitarbeiter zu fleissiger Durch- 
forschung urkundlichen Materials in ihrem Bezirk anzuhalten; Sitten- 
und Rechtsgebrättche möglichst in den älteren Formen aufzuspüren 
und durch Alles und in Allem Leser wie Mitarbeiter zu immer ausgedehn- 
terem Verständniss und Studium der Muttersprache aufzumuntern. Soll 
mir, der ich noch Neuling bin und Haupts strenger Schule, der ich 
nach langer Sehnsucht nun entgegen eile, so sehr bedarf, das gute 
Werk gelingen, so bedarf ich die freigebige freundliche Unterstützung 
der Meister. Ausser J. Grimm, Wilhelm Grimm, A. Kuhn, Munch habe 
ich Zacher, Aufrecht und Homeyer gebeten mir gleich für das erste 
Heft ihren Beistand zu leihen' . . . Auch Mullenhoff muss zustimmend 
geantwortet haben; denn der dritte Band wird durch seinen Aufsatz 
'Nordische, englische und deutsche RäthseV eröffnet. Mullenhoff hatte 
QF. LI. II 



XVni VOEREDE. 

also den freimüthigen Tadel nicht übel genommen, mit welchem Mann- 
hardt seine Aufforderung begleitete: 'la der famosen Nibelungen- 
angelegenheit' schrieb er 'bin ich, anfangs von Holtzmanns Hand- 
schriftenansicht geblendet — (seine weiteren Aufstellungen wider- 
sprechen zu augenscheinlich allen wissenschaftlichen Thatsachen, um 
nicht von vorn herein verworfen zu werden) — durch wiederholtes 
genaueres Studium entschieden zu Lachmann bekehrt, obwohl ich nicht 
alle Gegengründe der Gegner widerlegen kann. Eine entscheidende 
Rolle spielt dabei das vielgeschmähte Gefühl; vor allem das erste Lied 
hat mir, mehr als irgend eines der späteren, die Richtigkeit des Lach- 
mannschen Verfahrens zur üeberzeugung und Gewissenssache gemacht.' 
Ihre Schrift löste viele in mir waltende Zweifel und ich bin Ihnen da- 
durch zu herzlichem Danke verpflichtet, soll ich aber o£fen sein — und 
ich weiss Sie werden mir dies nicht als Unbescheidenheit auslegen — 
so verletzte mich der leidenschaftliche Ton Ihrer Polemik, der meiner 
Ansicht nach der Würde der Wissenschaft Eintrag thut. Bei allen 
Unbesonnenheiten hat Holtzmann doch das Verdienst, die Frage neu 
angeregt und eine abermalige allgemeinere Durchprüfung der Lach- 
maunschen Kritik hervorgerufen zu haben. So wenig ich berufen bin 
Ihnen, verehrter Herr Professor, dem ich noch ganz als Schüler gegen- 
über stehen rouss, etwas derart anzudeuten, drängt mich doch die Ver- 
ehrung, die ich für Sie hege, mich gegen Sie auszusprechen, damit 
nicht etwas zwischen uns sei.' 

Nach einem undatirten Berliner Billet folgt ein Brief Mannhardts 
aus Danzig vom 11. November 18H2, worin er um Empfehlung seiner 
'pommerellischen Volksüberlieferungen' (vergl. oben 8. VII) bittet. Er 
glaubte soeben erst nach schwerem Siechthum wieder an neue Thätig- 
keit denken zu dürfen. 'Den vorigen Winter' erzählt er 'schleppte ich 
mich noch so durch ; mitten hineingestellt in den Kampf mit materiellen 
Sorgen, leiblichen Schmerzen jeder Art, Mangel an Art^'itskraft, fühlte 
ich mich ganz trostlos, auf ewig von dem hohen Ziel wissenschaftlicher' 
Beschäftigungen, dem ich in äusserster Schwachheit und mit ge- 
ringstem Erfolge bis dahin wenigstens nachgestrebt hatte, ver- 
schlagen und aller der geliebten und verehrten Männer unwerth, die 
ich als reine Muster in voller Kraft mir voranleuchten sah , unwerth 
einer amtlichen Stellung, welche ja eine Lüge und blosser Schein war, 
so lange ich nicht die Kraft besass, sie auszufüllen.'. . . Das weitere 
theile ich nicht mir. Die vorstehenden Worte sind eines der vielen 
vorhandenen Zeugnisse für Mannhardts reine wissenschaftliche Ge- 
sinnung. Wenn es je einem Menschen Ernst war mit der Sache , die 
er vertrat, wenn je ein Mensch demüthig sich beugte im Gefühl der 
Kleinheit gegenüber den grossen Zielen, die uns gesetzt sind, so war 
er es. Die unverächtliche Thätigkoit, die er in der mythologischen, in 
Kuhns Zeitschrift entwickelt hatte, die 'germanischen Mythen', die 
^Götterwelt^ umfängliche und nur unter dem höchsten Massstab unzu- 
längliche, aber an sich lobenswerthe Bücher, — er pocht nicht darauf, 



VORREDE. * XIX 

er drängt nicht um oine Anstellung, er macht nicht seine Beschützer 
verantwortlich — er thut nicht, wie viele thun würden, die wenisrer 
werth sind und geringere Ansprüche haben : er denkt nur an seino 
Unvolikommenheit und seine mögliche Vervollkommnung. 'Sie worden' 
schreibt er mit Bezug auf die erbetene Empfehlung, 'mein verehrter 
Herr Professor, der Sie meine Kräfte und Fähigkeiten so genau, wie 
wenige, kennen, sich in der Möglichkeit sehen, einzuräumen, dass 
wenigstens diese Arbeit eine solche ist, welche ich so gut wie 
jeder andere leisten kann, und dass ich sie mit wissenschaftlicher 
Besonnenheit und Nüchternheit, mit Kritik zu Ende zu 
führen bestrebt sein werde.' Und nach einer Pause von zwei Jahren 
am 17. December 1864, indem er sein langes Schweigen entschuldigt 
(Müllenhoff hatte ihm die Empfehlung geschickt, auch Jacob Grimm 
zu einer solchen bewogen) : 'Ich will und kann mich nicht vollständig 
rechtfertigen, aber in Wahrheit darf ich Sie versichern, dass ich Alles 
was Sie mir gethan und gewesen sind — und das ist sehr viel — in 
treuem Herzen trage; dass ich zumal Ihnen und Haupt die Anregung 
zu streng wissenschaftlichem Arbeiten, das Streben nach Methode, und 
bei allem Bewusstsein meiner Mängel doch auch wieder Muth und 
Selbstvertrauen danke, dass aber auch als ein unvergessener Schatz 
alle die gemüthreichen Stunden in meiner Erinnerung ruhen , die ich 
in Ihrer Familie mit durchleben durfte.* 

In eben diesem Brief, also Ende 18G4, kündigt er an, dass er 
nun ernstlich zur Ausführung eines Planes schreiten wolle Mer mich, 
wie Sie wissen, seit Jaliren bewegt, zum Beginn eines Quellenschatzes 
der Volksüberlieferung.' Auf die Sammlung der germanischen Ernte- 
gebrSuche war es abgesehen; die Unterstützung der Berliner Akademie 
ward erbeten und gewährt. So schrieb er auch mir am 13. Juni 1865, 
dass er nun endlich in die Lage versetzt sei, das Lebenswerk in Angriff 
zu nehmen, von dem er während unseres Berliner Zusammenseins 
wiederholt mit mir gesprochen habe. Ich entnehme daraus, was ich 
sonst nicht mehr wüsste, dass er schon in der Zeit von Ostern 1860 
bis Ostern 1861 oder Herbst 1861 bis Ostern 1862 seine umfassenden 
Sammlungspläne gefasst haben muss. 

Müllenhoffs Antwort auf den Brief vom 17. December 1864 er- 
folgte am 9. Februar 1865 und berichtete, dass die erbetene Empfehlung 
der Akademie in einem von ihm selbst, MüUenholf, verfassren Gut- 
achten erfolgt sei. 'War mir nach Ihrem Briefe auch Ihr Plan etwas 
nebelhaft und phantastisch, so konnte ich, nachdem ich nun Ihre Ein- 
gaben durchgesehen, meinen Entschluss leicht fassen und meine Meinung 
bald zu Papier bringen. Bei den Behörden haben Sie vielleicht durch die 
Weitläufigkeit des ganzen Projects kein gutes Vorurtheil erweckt, 
aber ich meine Ihnen durch mein Gutachten zu Hülfe gekommen zu 
sein. Dies verhält sich nach der einen Seite hin sehr skeptisch, er- 
nfichternd und ermässigend, betont aber nach der andern die Nützlich- 
keit und Nothwendigkeit der Arbeit desto nachdrücklicher. Ich habe 

II* 



XX VORREDE. 

mich an Ihren Auseinandersetzungen wahrhaft gef^eat, nur hätte ich 
sie knapper und manchmal etwas nDohteraer gewünscht. Aber mit 
einer Sammlung, wie Sie sie machen wollen, bin ich ganz einverstanden. 
Die Grundsätze, die Sie befolgen wollen, sind unzweifelhaft die rich- 
tigen, wenn auch die letzte litterarische Ausführung und die Anordnung 
oder Verarbeitung des Stoffs sich vielleicht noch anders gestaltet . . . 
Ich will nur wünschen, dass Ihre Agitation den rechten Erfolg hat. 
Nach den Erntegebräuchen müssen, wie mir scheint, Hochzeit, Geburt 
und Tod zuerst daran.' Darauf Mannhardt, freudig dankend, 11. Feb- 
ruar 1865: 'Dass in meinen Auseinandersetzungen, namentlich in einigen 
Abschnitten des Aufsatzes über den Roggenwolf manches noch schüler- 
haft breit gerathen ist, empfinde ich selbst. Auch das begreife ich 
sehr wohl, dass Ihnen vieles, was ich gesagt, sanguinisch und idealistisch 
vorkommen muss, so wie, dass ich in Anwendung der Gesetze, die ich 
als die richtigen erklinnt, noch ungeübt und nicht scharf genug bin. 
Ich habe eben meiner ganzen Geistesanlage nach eine nüchterne Be- 
trachtung der Dinge mühsam zu erkämpfen, aber ich ringe stätig 
darnach. Auf der andern Seite bildet gerade diese Schattenseite meines 
Wesens seine Stärke und mein Idealismus hilft mir im Leben Schweres 
mit Leichtigkeit tragen und in meiner Arbeit ausdauern, er gibt mir 
Wärme und üeberredungskraft und so hoffe ich soll gerade dadurch 
es mir gelingen meine Agitation — wie Sie selber es nennen — zu 
einem gedeihlichen Ziele hinauszuführen.' Diese treffende Selbst- 
charakteristik durfte hier nicht fehlen I 

Derselbe Brief thut von den Bruchstücken Meldung, die in Haupts 
Zs. 12,530 gedruckt und besprochen sind; und damit beschäftigen sich 
auch Briefe Müllenhoffs vom 18. Februar und 16. März, Briefe Mann- 
hardts vom 28. Februar, 6. März, 22. März 1860. 

Ein Schreiben Mannhardts vom 18. December I86Ö meldet, welche 
Männer ausserhalb Deutschlands für die Sammlung der Erntegebräuche 
ihm hülfreiche Hand leisten. Zum Schluss: 'Welch einen herben Ver- 
lust hat doch die Wissenschaft so plötzlich durch den Tod Barths er- 
litten. Es ist erschütternd, dass die in seinem Geiste aufgehäuften 
Früchte so langer heldenmüthiger Anstrengungen nun grossentheils 
für immer verloren sein sollen.' 

Hierauf eine lange Pause. Im Mai 1871 ein Besuch Mannhardts 
in Berlin, und am 13. October ein ausführlicher Brief, den MÜllenhoff 
am 16. October sogleich erwidert. Mannhardt spricht aus, wie sehr ihn 
das Zusammensein mit Mttllenhoff und Haupt, ihre liebreiche Theil^ 
nähme, ihre freundliche Anerkennung erquickt und ermuthigt haben: 
'Wie warm, wie innig ich Ihre Güte empfinden muss, werden Sie er- 
messen, wenn Sie sich meine ganz isolirte Lage vergegenwärtigen. Von 
der Fachpresse todtgeschwiegen, von niemandem öffentlich anerkannt, 
von keinem hier verstanden, sieht man mich Kraft, Zeit und Erspar- 
nisse anscheinend erfolglos einer vermeintlich ganz unnützen und un- 
fruchtbaren Sache widmen ~ alles das würde mich nicht anfechten. 



VORREDE, TXT 

aber ich sehe ein Matterherz täglich leiden bei dem Gedanken, dass 
ihr doch nicht ganz unbegabter Sohn es zu gar nichts in der Welt 
gebracht hat, nicht einmal za dem Einkommen eines Handwerksgesellen. 
Und ich kann ihr doch nicht helfen , denn wenn ich auch jetzt noch 
mich dazu bequemen und ffir Erwerb arbeitend ein bescheidenes aber 
bequemes und sicheres Aaskommen als Lehrer mir erringen wollte, so 
dürfte ich das nicht, da es eine Ehrensache wäre, die zwanzig Jahre 
lang getragene Fahne nicht zu verlassen. Aber bange und für Augen- 
blicke muthlos kann man unter solchen Umständen wohl einmal werden, 
und da hat Ihre liebevolle Begegnung mich auf^ neue aufgerichtet and 
zu treuem Ausharren ermuntert und meine Hoffnung neu belebt, dass 
es meiner schwachen Kraft doch noch gelingen werde ein Werk hinaus- 
zufahren, welches einigen und zwar nicht blos augenblicklichen Werth 
haben und mit der Zeit billig denkenden Beartheilern meine Lebens- 
arbeit als nicht ganz vergeblich, nichtig und inhaltsleer erscheinen 
laSHcn werde. Seit Ihre, Haupts und einiger anderer urtheilsfähiger 
Männer Zustimmung mir die innere Gewähr gibt, dass ich nicht aus 
eitler Selbstüberhebung mir einbilde auf rechtem Wege zu sein , ge- 
reicht mir umsomehr Ihr Beispiel zur Aufrichtung, der Sie Ihre grossen 
im ersten Bande der Alterthumskande niedergelegten Forschungen ein 
ganzes' Menschenalter gepflegt haben und reifen Hessen^ ohne sich aus 
dem Gerede der ungeduldigen Menge etwas zu machen.' 

Um diese Zeit hatte er angefangen, die antiken Gälte aas den 
nordeuropäischcn Gebräuchen zu erläutern, und offenbar hierfür Müllen- 
hoffs und Haupts Beifall gewonnen. Er meldet, es seien nun schon 
30 — 40 Fälle, in denen er grossentheils bis ins Einzelne hinein Ueber- 
stimmung zwischen den antiken Ackerbauoulten und den nordischen 
Bräuchen 'mit gleicher Bestimmtheit wie bei den Chthonien und bei 
dem Octoberross' nachweisen könne. Die Abhandlung über die Chthonien 
und das Octoberross waren also wohl am frühesten entstanden; über das 
letztere Thema gibt er eingehende Mittheilungen. Und am 31. Deoember 
1871 schreibt er: 'Meine bisherigen Erfahrungen bei der Ausarbeitung 
stärken meine Zuversicht, dass die nämlichen Kapitel der Mythologie, 
welche schon Creuzer, Voss, Lobeck, Preller vorzugsweise beschäftigt 
haben, der Ausgangspunct einer allmählich zur Lösung der wichtigsten 
Probleme dieser Wissenschaft führenden Entwickelung sein werden. 
Ich bin freudig gespannt (wenn auch nicht ganz ohne das Bangen, 
welches das Bewusstsein der Möglichkeit einer Selbsttäuschung bei 
jedem, der das menschliche Leben einigermassen kennt, erzeugen muss) 
auf Ihre und anderer Urtheilsfähiger Mitfreude, wenn Sie sehen, wie 
einfach und klar sich fast ausnahmslos die Thatsachen des 
Demeter- und Dionysoscultus und -Glaubens und was darum und daran 
hängt zu erklären scheinen und in ihren Analogien belegen lassen mit 
Hilfe weniger wirklichem Volksgebrauch abgewonnener Gesichtspuncte 
und blosser Zusammenstellung der echten Ueberlieferung au4 den 
Quellen ohne das Beiwerk von Buch zu Buch mitgeschleppter daran- 



XXn VORREDE. 

geknüpfter Combinstionen. Ich fühle, dass ich etwas Grösseres in die 
Welt schicken muss, was nicht blos einen ganz engen Kreis interessirt; 
die Forschung erscheint reif genug, um sich an das Licht wagen zu 
dürfen« So will ich noch durclidrungen von der Wärme, welche die 
Offenbarung eines schönen und einheitlichen Zusammenhanges mir eia- 
flösste (die dem schrittweise erlangten Ycrständniss der einzelnen Stücke 
des agrarischen Glaubens gefolgt ist) zu Papier bringen, was nach 
einigen Jahren abgeklärter, aber nicht mehr so frisch dem Leser ent- 
gegentreten würde.' Wie schade, dass ihm dies nicht gelungen ist! 

Im Mai 1871 bei Mannhardts Anwesenheit in Berlin wurde zwischen 
ihm und Müllenhoif eine Eingabe an den Cultusminister verabredet, 
durch welche dem Mythologen ein kleines fixes Jahreseinkommen ge- 
sichert werden sollte. Im August sandte Mannhardt dieso Eingabe 
ab, wie aus dem Brief vom 13. October erhellt. Darüber handeln 
MüUenhoffs Briefe vom 16. October und 25. December, welche günstigen 
Erfolg in Aussicht stellen, MüUenhoffs Brief vom 15. März 1872 und 
Mannhardts Brief vom 16. März 1872, die sich auf die erfolgte Bewilligung 
beziehen. 

In einer Nachschrift fragt Müllenhoff am 16. October: ^Kennen 
Sie Tylor Researches into the early bist, of mankind? und sein neuestes 
Werk Primitive culture? Das ist ein sehr gescheiter und sehr ver- 
ständiger Mann, von dem Sie ohne Zweifel auch für Ihren Zweck 
manches lernen und erfahreu könnten, wenn Sie mit ihm anknüpften.^ 
Mannhardt erwidert (16. Februar 1873): ^Grossen Dank sage ich Ihnen 
für den Hinweis auf Tylors primitive culture, ein Buch das im Verein 
mit Waitz Anthropologie für mich von hohem Nutzen geworden ist, 
unsere Forschungen begegnen sich auf halbem Wege und die Ergeb- 
nisse beider stimmen in erfreulicher Weise zusammen.^ Vergl. Wald- 
und Feldculte 2, XXII. In demselben Briefe meldet er, dass vr die 
Nerthus in unserem Volksgebrauch wiedergefunden zu haben glaube, 
und dies führt er am 22. Februar näher aus (vergl. Wald- und Feld- 
culte 1, 567 ff.). 

Im Laufe des Jahres 1878, vielleicht im Herbst, ist Mannhardt 
wieder in Berlin gewesen, und ein Brief vom 15. Januar 1874 knüpft 
daran an. Krankheit hatte ihn dazwischen wieder einmal muthlos ge- 
macht. Die Ergebnisse seiner Arbeit erschienen ihm als unsicher. Die 
vermeintliche Unzulänglichkeit seiner Kraft, seines Wissens und Könnens 
fiel ihm mit Centnerlast auf die Seele. Der Abgrund einer traurigen 
und trostlosen Zukunft that sich vor ihm auf. Wesentlich trugen dazu 
die wiederholten Erwägungen der Schwierigkeiten bei, die neben einer 
Reihe anscheinend unumstüsslicher und in einander greifender Erkennt- 
nisse der homerische Hymnus auf Demeter der tiefer dringenden 
Forschung entgegenstellte. 'Doch' fährt er fort 'was half das Zagen, 
die Losung hiess vorwärts und mehrere harte Knoten haben sich mir, 
glaube ich, schon befriedigend gelöst, andere werde ich stehen lassen 
müssen; aber das bietet ein Bäthsel, von welchem Standpunot man 



VOBBEDE. XXra 

auch die GeBchichte der Elensinien betrachte. Die üeberlieferung ist 
zu lückenhaft f die Quellen sind theilweise zu sehr getrübt, zu wenig 
sicher nach ihrer Herkunft scheidbar und classificirbar , um den Ver- 
such wagen zu dürfen, alles in die Reihe stellen zu wollen.' Sehr er- 
freulich und förderlich ist ihm bei diesen Studien der Umgang mit 
Eugen Plew, einem Schüler von Lehrs, der sehr glücklich in Fragen 
der griechischen Mythologie eingegriffen hat, durch seine Unter- 
suchungen über die Kentauren sich direot mit Mannhardts Forschungen 
berührte, aber schon am 16. September 1878 starb (vergl. Altprenssische 
Monatsschrift N. F. 18, 97). 

Ein Brief vom 27. Juni 1874 ist vor der Reise nach Stockholm 
zum Archäologen - Congress goächrieben. Der erste Band der Wald- 
und Feldculte war damals im Druck und ward am 30. December an 
Müllenhoff geschickt, dem er gewidmet war: ^Die Widmung möge Ihnen 
sagen' schrieb Mannhardt 'wie tief ich empfinde, was ich Ihnen Alles 
zu danken habe, und wenn mich in Furcht und Hoffnung ein Verlangen 
bewegt, so ist es dies, dass die dargebotene Gabe nicht ganz unwerth 
erscheinen möge des liebevollen und vertrauenden Eintretens für mich 
und meine Sache, dessen Sie mich gewürdigt haben, und Ihres Namens, 
mit dem sich meine Schrift an der Stirne geschmückt hat. Um mich 
Ihnen mit meiner ganzen kleinen Person vorzuführen, erlaube ich mir, 
meinen Zeilen ein Lichtbild hinzuzufügen , welches ich — das erste 
seit langen Jahren — nach meiner Rückkehr aus Stockholm für das 
von den Mitgliedern des Congresses an Hans Hildebrand gestiftete 
Album anfertigen Hess. Auch diese schwedische Reise danke ich Ihrer 
Freundschaft. Es war durch das liebenswürdige Entgegenkommen der 
schwedischen Gelehrten, ja des schwedischen Volkes eine sehr ange- 
nehme, durch herrliche Feste in der lieblichsten Natur verschönte Zeit 
die ich im Augustmonat dort verlebte.' 

Müllenhoff antwortete am 3. Januar 1875: 'Lieber, guter, theurer 
Freund ! Wie soll ich Ihnen danken ! Gestern — erst gestern — wird 
mir Ihr Packet gebracht und während ich mit tausend Dingen, wie sie 
der Jahreswechsel in meinem Haushalt mit sich bringt, beschäftigt bin, 
mir nicht auf den Tisch, sondern in irgend eine Ecke gelegt; ich 
absolvire erst meine Geschäfte, dann kommen andere. Besuche u. s. w. 
Nachmittags muss ich in die Singakademie eilen, um Adlers Vortrag 
über Erwin von Steinbach mit anzuhören , da er mich selbst als Ur- 
theiler berufen l.atte, dann hatte ich in Haupts Nachlass bei Mayer 
und Müller zu wühlen, was die ganzen Ferien über sich ver- 
schoben hatte, endlich kommen Abends Scherer, Nitzsch und eine 
Reihe junger Freunde — es war ja Sonnabend — und ich ver- 
gesse vollständig das Packet, das ich im Gewühl kaum gesehen hatte. 
Erst soeben als ich in mein Zimmer trete und mir meine erste Morgen- 
pfeife beniten will, fällt es mir in die Hände, ich sehe 'Danzig' auf- 
geklebt, nun erst ahne ich was es enthält, aber doch nicht ganz: die 
grösste Ueberraschung kam erst, als ich die Hülle abgerissen, eine 



XXIV VOBBEDE. 

tiefe herzliche Rührung, die mir das Au«;e fuuchl machte und die Arme 
ausstrecken Hess, um Sie zu fassen und Ihnen mit einem Druck zu sagen, 
was das Papier nicht vermag. Aber es treibt mich doch Ihnen gleich 
zu erzählen wie es mir mit Ihrem Geschenk ergangen ist. Haben Sie 
tausend Dank! Ich hatte in der letzten Zeit über allerlei Arbeiten Ihr 
Buch und das Erscheinen desselben fast ganz vergessen, und auch 
ohne Widmung wäre es für mich eine grosse Ueberraschung und Freude 
gewesen, üeber das Buch und seinen Inhalt kann ich Ihnen natür- 
lich noch nichts sagen, ich will Ihnen nur meine Freude darüber und 
meinen Dank aussprechen. Das weitere wird demnächst folgen, sobald 
als irgend möglich werde ich es durchlesen und Ihnen dann schreiben.' 

Dazu ist es aber doch eigentlich nicht gekommen. Mannhardt 
klagt am 21. März 187Ö, dass er über seinen ersten Band noch von 
keiner Seite etwas gehört habe, weder Zustimmung noch Ablehnung. 
Um so ernster nimmt er es mit dem zweiten Bande und anticipirt in 
bescheidener Weise das ürtheil über den ersten. Fast unvermittelt 
geht er zu einer politischen Betrachtung über: 'Mit innerster Theil- 
nahme und Spannung, mit Bangen nicht für den allerletzten Ausgang, 
wohl aber für das Schicksal unseres Volkes und der Civilisation in 
der nächsten Zukunft, folgt mein Herz den Phasen des gewaltigen 
Kampfes gegen die Römlinge, einem Kampfe, dem in stiller bescheidener 
um die nächste praktische Verwerthung noch unbekümmerter Arbeit 
geistige Hilfsmittel zuzubereiten die innerste Triebfeder ja auch meiner 
ganzen Thätigkeit ist. Wie schlagend und klar war in diesen Tagen 
Gneists Rede über die Unmöglichkeit zweier souveräner Kirchen 
im Staate und über die Verdienste des monarchischen Staates um Un- 
schädlichmachung der faulen Consequenzen des westfälischen Friedens, 
und wie hat die Gehässigkeit der Ultramontanen sofort seine Aus- 
sprifche verdreht und zur Drohung des Religionskrieges ausgebeutet!' 

Am 19. August 1875 übersendet er seine in der Zeitschrift für 
Ethnologie erschienene Abhandlung über lettische Sonnenmythen und 
äussert neue Sehnsucht, zu erfahren, was denn Müllenhoff eigentlich zu 
seinem 'Baumcultus', dem ersten Bande der Wald- und Feldculte sage. 
Müllenhoff antwortet am 19. September : 'Zu meinem grossen Leidwesen 
muss ich Ihnen das Bekenntniss, das beschämende, ablegen, dass ich 
Ihren Baumcultus noch nicht einmal ganz ausgelesen habe.' Er sei 
noch nicht über 200 Seiten hinausgekommen, bis dahin aber gefalle 
ihm die Arbeit sehr und er wünsche dem Freund alles Glück dazu. 
Steinmeyer und ich hätten ihn gebeten, das Buch im Anzeiger für 
deutsches Alterthum zu recensiren. 'Aber' fährt er fort 'ich werde mit 
den Jahren immer träger, langsamer und unproductiver, und wenn ich 
Ihr Buch besprechen soll, so müsste es von der principiellen, nicht der 
materiellen Seite sein, und die principielle Seite wird sich wohl erst 
mit dem nächsten Theile in ihrem vollen Lichte zeigen. Ihre lettischen 
Sonnenmythen habe ich noch weniger vornehmen können, aber ich 
verspreche Ihnen heilig, ich werde meine Mussestunden auf Ihren Baum- 



YOBBEDE. XXV 

cttUus und die Sonnenmythen verwenden und dann ernstlich überlegen, ob 
ich etwas vernünftiges darüber zusagen habe oder nur zu danken habe.' 
Zu Weihnachten 1875 oder Neujahr 1876 war dann Mannhardt 
wieder in Berlin und ich traf mit ihm dort zusammen. Mällenhoff und 
ich müssen einmal gemeinschaftlich seine Sonnenmythen mit ihm dis- 
cutirt haben, in welchem Sinn, ergibt Mannhardts Brief an MüllenhofF 
vom 7. Mai 1876: 'Wie e% bei solchen Streitfragen leicht zu gehen 
pflegt, Hess mich die Nothwendigkeit, mich gegen Ihre mir unerwarteten 
Bedenken hinsichtlich des Ganzen meiner lettischen Sonnenlieder zu 
rechtfertigen, nicht zu dem QestSndniss kommen, dass mir selbst bei der 
Ausdehnung, welche die Sonnenmythologie unter meinen Vergleichungen 
gewinnen wollte, nicht behaglich zu Muthe sei, dass ich dies als eine 
Art schmerzlicher Niederlage empfinde, insoferne bei Eröffnung eines 
neuen Gesiohtpunotes sofort von allen Seiten zuströmender Stoff sich 
demselben unterzuordnen drängt, also die betrübende Gefahr unver- 
meidlich erscheint, aus Allem Alles zu machen. Umsomehr habe ich, 
da es mir ja doch nur um AuffindunsT der Wahrheit zu thun ist und 
da ich auf Ihr Urtheil den höchsten Werth lege, immer und immer 
wieder Ihren und Scherers angedeuteten Widerspruch mir im Kopfe 
herumgehen lassen und den Gründen desselben nachgespürt. Indem 
ich mir aber zugleich sagte, dass Sie beide in dieser speciellen Sache 
noch nicht, wie ich, zu Hause sein noch meine Arbeit (was gewiss 
kein Vorwurf sein soll) durchstudirt haben konnten wie sie es will, 
fasste ich wieder Muth, da ich auch bei ernstester Prüfung mich über- 
zeugen zu dürfen glaubte , dass im ganzen und grossen meine Unter- 
suchung nicht unnütz, noch unwissenschaftlich geführt ist. Ich bin weit 
entfernt, alle Mythen mit Kuhn, Schwartz und M. Müller sammt ihrer 
Schule für psychische Beflexe von Naturerscheinungen zu halten, noch 
weniger ausschliesslich für himmlische (solare oder meteorische); ich 
habe gelernt die dichterische und litterarische Production als wesent- 
liche Factoren in der Ausbildung der Mythologie zu würdigen und die 
aus diesem Sachverhalt folgenden Conscquenzen zu ziehen und in An- 
wendung zu bringen. Aber andererseits halte ich für gewiss, dass ein 
Theil der älteren Mythen aus Naturpoesie hervorging, die uns nicht 
mehr unmittelbar verständlich ist, sondern durch Analogien erschlossen 
werden muss, welche noch keineswegs historische Identität zu verrathen 
brauchen, sondern nir gleiche Auffassungsart und Anlage auf ähnlicher 
Entwickelungsstufe bekunden. Unter diesen Naturmythen beziehen sich 
einige auf die Zustände und das Leben der Sonne. Die ersten Schritte 
zu ihrem Verständniss werden gefördert durch eine noch nicht durch 
kunstmässige Dichterreflexion getrübte Naturpoesie, wie die lettische, 
wo ausgesprochenermassen zum solaren Kreise gehörige mythische Per- 
sönlichkeiten zu einer grossen Anzahl poetischer Verbildlichungen in 
Beziehung gesetzt werden, für welche folgerichtig zunächst auch aus 
demselben Naturgebiet eine Deutung versucht werden muss. . . . Meine 
Methode ist hier dieselbe wie in dem Baomoultus; ioh gehe von 



XXVI VORREDE. 

einem gegebenen ganzen Goroplex von Thatsachen, deren 
Ideenkreis im allgemeinen bekannt und deutlich ist, also festen Anhalt 
ffir die Einzelerklärung bietet, aus und erläutere ihn zunächst aus sich 
selbst und durch sichere Analogien, von da fortschreitend suche ich 
Dunkleres aufzuhellen. Ich suche die einfachsten Orundvorstellungen 
und Anschauungen, die Keimzellen auf, aus deren Zusammenwuchs sich 
in sehr verschiedener Weise mythische Erzählungen bilden. Dass ich 
es lernte, wo litterarischc Tradition ins Spiel kommt, zuerst und vor 
allem historische Kritik zu Üben, sollen Sie mir hoffentlich nach Er- 
scheinen des zweiten Bandes der Feld- und Waldculte bezeugen dürfen; 
bei den andeutenden und leicht hingeworfenen Vergleichen der Dios- 
kuren- und Argonautensage ist das nicht, so wie es sollte unJ wie es 
ohne eine tiefere und umständliche Untersuchung auch nicht geschehen 
kann, in dem erwünschten Masse geschehen, und ich glaube, das ver- 
missen Sie mit Recht. . . . Jedesfalls danke ich Ihnen die Anregung 
zu verschärfter Wachsamkeit und Behutsamkeit in Bezug auf jede 
Combination, und ich danke Ihnen dies von Herzen, habe daraus auch 
schon für die Schlussredaction des zweiten Bandes Nutzen gezogen, 
der hoffentlich besser im Stande sein wird, von vorneherein Ihren Bei- 
fall zu gewinnen.' 

Diesen zweiten Band übersandte er am 6. December 1876 mit 
erneuerter Bitte um Recension. Müllenhoff aber bittet seinerseits jetzt 
10. December 1876, ihn seines, wie er sagt, voreiligen Versprechens zu 
entbinden. 'Ich bin nicht mehr leistungsfähig', meint er, 'und wenn 
ich es wäre, so habe ich bei dem ersten Bande gelernt, dass ich zu 
einer Bourtheilung Ihres Werkes mich wenig schicke ; ich komme von 
einer ganz anderen Seite an die Dinge und würde Sie nur in Hinsicht 
der Methode vornehmen können; dabei aber würde mir doch gar sehr 
fehlen, dass ich in dem Bereich des Volksglaubens und der neueren 
Volksüberlieferungen seit Jahren nicht fortgearbeitet und fortgesammelt 
habe. Sie brauchen aber diesmal ganz gewiss nicht zu sorgen, dass 
Sie nicht besprochen werden, von Seifen der classischen Philologen 
gewiss! Sie können aber eine völlig sachkundige Beiirtheilung über- 
haupt kaum erwarten, da Sie auf einem von keinem oder nur wenigen 
betretenen Wege und zum Theil mit neuem Material arbeiten. Was 
Sie gefunden und bringen, nehmen wir dankbar an und machen es uns 
nach und nach zu Nutzen. Ihr Buch wird allmählich wirken, aber er- 
warten Sie keinen raschen Erfolg. Gott gebe nur, dass Ihnen Muth 
und Kraft zum Weiterarbeiten nicht fehlen! Dass Sie nicht vergeblich 
arbeiten und wenn auch nicht schnell, doch desto nachhaltiger wirken 
werden, des können Sie gewiss sein!' Mannhardt dankt kurz in einer 
Neujahrskarte. 

Mittlerweile hatte ich die Recension für den Anzeiger über- 
nommen, auch in der Deutschen Rundschau auf Munnhardts Wirken hin- 
gewiesen; und dies, so wie eine Anfrage über brunnentrinkende Drachen, 
die ich mit Bezug auf Denkro. XXXV. 5*» an ihn richtete, führte zu 



YOBREDE. XXVn 

einer etwas lebhafteren Correspondenz zwischen un««, aus der ich nur 
folgende Sätze Mannhardts (vom 23. Juni 1877) um ihres sachlichen 
Interesses willen anführe: 'Ich sitze jetzt mitten in der Arbeit über 
den Demetercult und hoffe, dass dies die reifste meiner bisherigen Ver- 
öffentlichungen werden wird. Eine dabei gelegentlich gemachte Beob- 
achtung möchte ich Ihnen zur Prüfung mittheilen. Ist irgend einHinder- 
niss vorhanden, das räthselhafte Wort Phol im zweiten Merseb. Zauber- 
spruch für eine (des fremdklingenden Kamen» wegen angenommene) 
Schreibung statt Yol zu erklären? Nimmt man das an, so entsteht 

1) Reine Allitteration zu vuoron. 

2) Treffender Parallelismus zu Z. 4 

Vol und Wodan 
Volla und Frla 

3) Vol eine Personification dem Sinne nach wie griech. Plutos 
(Erntefülle , dann Wohlstand in Friodenszeit) , der Form nach wie der 
heilige Tumbo im Strassburger Blutsegen gebildet, als Synonym zu 
Paltar (ßaldr) 'potens' begreiflich, scharfer Gegensatz zu dem den Wohl- 
stand vernichtenden Kriege Hadu (Hödr). Wie sehr trotz alles Helden- 
thums den Altgermanen schon früh die Anerkennung . der durch die 
Haus und Hof verwüstenden Fehden bedrohten Segnungen des Friedens 
geläufig war, zeigen Formeln und Eigennamen wie freoduvebbe, Frithu- 
gairns , Frithureiks, Sigufrit. Der in Frieden genossene und geschützte 
Wohlstand ist die Grundlage alles höheren und edleren Lebens ; daher 
wird Baldr 'der Gute'. Mögen Götter und Menschen sich verschworen 
haben, ihn aufrecht zu erhalten und nicht zu versehren, der gering- 
fügigste Vorwand und Anlass genügt ihn zu morden, wenn es dem 
bösen Nachbar nicht gefällt. Da haben Sie modern ausgedrückt den 
Keim der Baidermythe. Meiner Auffassung kommt, was Weinhold Zs. 
7, 57 auseinandergesetzt hat, fast ganz nahe. Ueberlegen Sie sich die 
Sache einmal und bei Gelegenheit lassen Sie mich Ihre Meinung hören.' 
Ich will nicht unterdrücken, was ich sofort (am 27. Juni 1877) ant- 
wortete: Ihre Bemerkung über Phol brauche ich mir gar nicht zu 
überlegen. Fol statt Phol fordert die Allitteration — ich habe das 
MüUenhoff einmal oder wiederholt gesagt ; er hats nicht acceptirt > 
warum, weiss ich nicht mehr. Auch der allgemeine Gedanke über 
Frieden stimmt vollkommen mit meiner Ansicht, wie sie sich mir seit 
ein paar Jahren bei Gelegenheit der Behandlung des Nibelungonmythus 
feststellte. Hödr ist nichts andres als der Krieg. Siegfried als Schluss- 
glied des sich selbst aufreibenden Sieg- und Krieggeschlechtes scheint 
mir ein Ausfluss der Friedenssehnsucht eines im ununterbrochenen Krieg 
umhergeworfenen Volkes. Doch sind alle meine Gedanken hierüber 
noch unreif. Ich wag es auch im CoUeg nur sie anzudeuten. . . . Das 
Recht zu der ganzen Auffassung entnehme ich aus Müllenhoffs sicherer 
Behandlung der ags. Saxnot-Genealogie mit den Schlachtbegriffen. Sie 
wissen, bei Schmidt VIII, auch Zs. 11, 291 f. Ich wünschte also recht 
aehr, dasB Sie den Gedanken ausführen,' 



XXVm YORBEDE. 

Müllenhoffs Corrpspondenz mit Mannhardt ruhte nun bis in den 
Anfang des Jahres 1879, wo MüUenhoif (am 18. Januar) ihn naöh der 
mater deum der Aestier befragte und die Antwort erhielt, die er in der 
Zs. 24, 159 — 168 ihrem wesentlichen Inhalte nach abdrucken liess. 
Mannhardts Zurückffihrung der Taciteischen Nachricht auf die Eber- 
amulete der Aestier (a. a. 0. 167) eignete sich Müllenhoff vollständig an 
und nahm sie in den zweiten Band der Alterthumskunde auf, wie er 
dem Freund am 23. Februar meldet. 

Im Sommer 1879, während der Ferien, kam Mannhardt, sehr 
krank, auf der Rfiokreise aus Holstein, wo er vergeblich Erholung ge- 
sucht, durch Berlin und bat Müllenhoff wie mich, ihn im Hotel aufzu- 
suchen, weil er nur so uns sehen und sprechen könne — 'wer weiss, 
ob es nicht das letzte Mal im Leben wäre'; so schrieb er fast gleich- 
lautend an uns beide. Wir waren beide verreist und haben ihn nicht 
mehr gesehen. 

Mannhardts letzter Brief ist vom 11. October 1880 und enthält 
erst den Dank für den Druck des Aufsatzes über die mater deum der 
Aestier nebst dem Bericht über einen langen und jammervollen Krank- 
heitszustand, der ihm alles Arbeiten verbot. Jetzt aber glaubte er zur 
Wiederaufnahme seiner Thätigkeit im Stande zu sein. Müllenhoffs 
Antwort vom 18. October 1880 klingt froh theilnehmend , was Mann- 
hardt, aber ebenfalls sehr trübe, was die eigenen Verhältnisse anlangt : 
'Lieber , theurer Freund I Lassen Sie mich gleich der Freude meines 
Herzens Ausdruck geben über Ihren in diesem Augenblick eingetroffenen 
Brief! Ich kann wohl sagen und Sie werden es mir glauben, dass ich 
seit dem vorigen Frühjahr mit Ihnen gelitten habe. Jedesmal, wenn 
ich an Sie erinnert wurde und Ihrer gedachte, sei es allein für mich, 
sei es im Gespräch mit andern, befiel auch mich eine Beklemmung und 
eine schwere Last bedrückte mir das Herz. Die ist nun, Gott sei es 
gedankt ! wenn auch nicht abgewälzt , doch gelüftet und mit Ihnen em- 
pfinde ich ganz die Freude der neuen Hoffnung und des neuen Muthes, 
die Ihnen aufgegangen ist. Gott erhalte sie Ihnen und lasse es wirk- 
lich nun bald ganz besser werden, damit Sie Ihre Arbeiten wieder 
aufnehmen können. . . . Mir selbst ergeht es nicht so , wie die Leute 
glauben, die mich allezeit wegen meines Aussehens beglückwünschen. 
Die Arbeit geht mir, je länger, je mehr, immer langsamer und freud- 
loser von der Hand, dazu kommen die Hindernisse, dass ich für Dinge 
in Anspruch genommen werde, die nur von aussen an mich heran- 
gebracht werden. So sind mir die ganzen Ferien diesmal verloren 
gegangen. Und mehr und mehr verdunkeln sich mir die Augen, so 
dass es schwer hält an der alten Mahnung festzuhalten : Wirket dieweil 
es Tag ist. Doch stille davon!' 

Mannhardts Hoffnungen waren trügerisch. Er starb wenige 
Monate darnach, am 25. December 1880 im Alter von noch nicht ganz 
fünfzig Jahren. 

Müllenhoffs Befürchtungen aber waren nur zu gegründet. Das 



VORKEDE. XXIX 

Augenlicht hatte er zuletzt fast ganz eingebüBst. Es war im Werk, 
ihm eine regelmässige Unterstfitzuog bei der Alterthumskunde zu 
schaffen, die ihm jede Anstrengung der Augen erspart und ein rascheres 
Fortschreiten seines Lebenswerkes gesichert hätte, als plötzlich Er- 
scheinungen der Aphasie auftraten und er nach und nach dem Grab 
entgegengeführt wurde. Er starb am 19. Februar 1884. 

Er hatte noch für Mannhardts Nachlass gesorgt, so weit es ihm 
zukam. Das vorliegende Heft, für dessen äussere Herstellung er Herrn 
Dr. Patzig gewann, legt davon Zeugniss ab. Die handschriftlichen 
Sammlangen Mannhardts befinden sich auf der hiesigen Universitäts- 
bibliothek. Die Denkmäler der lettopreussischen Mythologie, die 
Mannhardt fast ganz ausgearbeitet hinterliess, wird Herr Bibliothekar 
Dr. Berkholz in Riga, auf dessen Mitarbeit von vornherein dabei ge- 
rechnet war, noch im Laufe dieses Jahres herausgeben. 

In der Correspondenz MüUenhoffs über Mannhardts Nachlass finde 
ich die Aeusserung : 'Hoffen wir, dass die ganze Arbeit, die uns bevor- 
steht, zu einem alle befriedigenden, frohen Ende geführt werde und 
dass es uns gelinge, dem theuren Verstorbenen noch Ein Denkmal zu 
errichten zu denen, die er sich schon selbst gesetzt hat und das zu- 
gleich auch eine Mahnung an die Zukunft ausspricht, was er ihr zu 
thun hinterlassen hat/ 

Möge vor allem von dem vorliegenden Band eine solche Wirkung 
ausgehen ! 

Welcher hohe Rang Müllenhoff unter den Mjthologen zukommt, 
zeigt neben dem fünften Band der Alterthumskunde und mehreren 
älteren Aufsätzen auch der Anfang dieser Vorrede. Welchen hohen 
Rang er seinerseits Mannhardt einräumt, erhellt aus den brieflichen 
Aeusserungen, die ich mittheilte, und könnte ich auch ohne solche 
Aeusserungen bezeugen. Mannhardts Art, die Volksüberlieferung zu 
sammeln, und der Gebrauch, den er davon machte, um antike Culte 
zu erläutern, hatte, von Meinungsverschiedenheiten im einzelnen abge- 
sehen, seinen entschiedenen Beifall. Er fing erst an, persönlich sich 
recht für ihn zu erwärmen, als er ihn in der Wissenschaft auf so gutem 
Wege sah. Wendet sich erst einmal das Interesse weiterer Kreise 
wieder den mythologischen Fragen zu, fällt von dem verbreiteten An- 
theil an den abergläubischen Meinungen der Naturvölker auch für die 
verwandten und leichter erforschbaren heimatlichen Volksüberlieferungen 
etwas ab : so wird man erkennen, dass nie jemand mit grösserem Ernst 
und grösserem Erfolg seine Kraft auf dieses Gebiet concentrirt und 
durch sein Beispiel der Zukunft grössere Aufgaben gestellt hat, als 
Wilhelm Mannhardt. 

Herr Dr. Hermann Patzig äussert sich über seine Thätigkeit, 
wie folgt: 

'Die vorliegenden Abhandlungen Mannhardts, bestimmt, den dritten 
Band seiner Wald- und Feldculte zu bilden, von dem er am 23. September 



XXX VORREDE. 

1877 schrieb, dass er frfihestens im Sommer 1878 in Druck gehen würde, 
waren mit Ausnahme des wichtigsten Kapitels V (und VI) , welches 
noch der 'Ausarbeitung' harrte, schon vor Herausgabe des zweiten 
Bandes im Grossen und Ganzen abgeschlossen, wie sie auch in dem- 
selben schon angekündigt sind (AWF. V. vergl. S. 282. 315. 344. Ueber 
die Thesmophorien findet sich im Nachlass nichts). Kap. VI sollte nach 
der ersten Anlage Unterabtheilung eines den Koremythus behandelnden 
Abschnittes werden, wie aus folgender auf einem Blatte des Nachlasses 
enthaltenen Skizze zu ersehen ist: l) Hom. Hymnus. 2) Demeter: 
a. Name. b. Wesen, c. Kornmutter, d. Demeter Erinnys. 3) Köre: 
a. Persephone. b. Kore-Mädchen. c. Kornkind und Kornmaid (Jungfer), 
e. Erichthonios. Pluto, f. Kind = Korn. g. Kornbraut und Kornbräu- 
tigam. 4) Verbindung von Demeter und Köre u. &. w. Später wurde 
es an die Vorbemerkungen zu Kap. V angereiht, schliesslich aber nebst 
einem Stücke des Bindegliedes eliminirt. In welchem Zusammenhange 
es noch verwendet werden sollte, deutet jene Notiz an. In den Kap. I — IV 
wurden die Verweisungen auf AWF., welche zum Theil schon vom 
Verfasser selbst eingetragen waren, vervollständigt, andererseits Stellen, 
welche im zweiten Bande schon vorweggenommen waren, ausgeschieden, 
Die Ueberschriften von Kap. V und VI stammen, wie Abtheilung und 
Benennung der Paragraphen des dritten und vierten Kapitels, Inhalts- 
verzeichniss und Register von dem Herausgeber. Sachliche Aende- 
rungen wurden nur im Nothfall und bei völliger Evidenz mit möglichst 
schonender Hand gewagt. Ausfüllung von Lücken und Zusätze sind 
durch eckige Klammern kenntlich gemacht; die sehr zahlreichen Richtig- 
stellungen von Namensformen und Ci taten, welche letztere bis auf wenige 
unerreichbare nachgeschlagen wurden, sowie selbstverständliche Aen- 
derungen im Ausdruck zu bezeichnen, erschien zwecklos und störend. 
Von grossem Nutzen waren die Fragmente des ersten Concepts, die 
oft gegenüber der späteren zum Theil durch Dictat- und Copisten- 
fehler entstellten Fassung das Richtige boten und, wo vorhanden, benutzt 
wurden. Etwa dennoch stehen gebliebene Fehler möge der gütige Leser 
entschuldigen. An einigen Stellen, die der Verfasser höchst wahrschein- 
lich noch geändert haben würde, war es Pflicht des Herausgebers, sich 
zu bescheiden.' 

Den Titel des Heftes habe ich nach meiner ursprünglichen Ver« 
einbarung mit Müllenhoff gewählt, der allerdings zuletzt 'Ländliche 
Bräuche diesseit und antike Culte jenseit der Alpen' wünschte, aber, 
wie ich nicht zweifle, sich zum Festhalten an der verabredeten ein- 
facheren Uebersohrift hätte bewegen lassen. 

Berlin, 19. August 1884. 

WILHELM SCHEEER, 



INHALT. 



Erstes Kapitel. 

L i t y e r s e s. 

Soitp. 

§ 1. Das Lityerseslied und die Lityersessage. Unsere Quellen 1 
Die Lityersessage Gegenstand dramatischer Behandlung. 
Deren Reste überliefert in der lexicographischen und ono- 
mastischen Litteratur. Letzte Quellen die Logographen 
und Epiker des 5. Jahrhunderts v. Chr. 

§ 2. Der Inhalt der Ueherlieferung 4 

Zwiefache Fassung der Sage. Sage vom Wettmähen bei 
PoUux, von der Halmeinhüllung und Tödtung eines Fremden 
bei Sositheus. Zurückführung sämmtlicher übrigen Berichte 
auf letzteren. Vergleich beider Fassungen. 

§ 3. Zergliederung der Lityersessage 11 

Aetiologischer Charakter der Sagen von Busiris, Syleus und 
Lityerses. Die Bildungsgesetze des ätiologischen Mythus. 
Das Lityerseslied und seine ägyptische Parallele Maneros. 
Der Königssohn Lityerses Prqjection eines gewöhnlichen 
Schnitters. Sein Drescherappetit. 

§ 4. Wettstreit und Einbinden in eine Garbe beim nordeuro- 

päischen Erntebrauch 18 

Wettkampf der Arbeiter, beim Schneiden und Binden nicht 
der Letzte zu sein und so den Alten zu bekommen, der 
Alte zu werden. Belege für das Einbinden des Schnitters, 
Binders, Dreschers des Letzten in Kornhalme, sowie für das 
seltenere ümherrollen und ßegiessen desselben mit Wasser. 
Austreibung des Yegetationsdämons aus der letzten Garbe. 
Der Korngeist ein Helfer bei der Erntearbeit. 

§ 5. Tödtung des Korngeistes im Erntehrauch 29 

Der theriomorphisch als Hase, Hund, Katze, Geiss, Hahn, 
Widder u. s. w. gedachte Getreidedämon durch den Schnitter 
oder Drescher des Letzten, der anthropomorphisch als 
Heukerl, Korl, Haberl, Wäzerl, Boer, Rugiuboba vergegen- 



XXXII INHALT. 

wärtigte Korngeigt beim Dreschen des letzten Gebundes 
getödtet. Abmälien der Kohlköpfe im Garten des Guts- 
herrn. 

§ 6. Der Fremde in Erntegebräuchen 32 

Einbinden desselben oder des Gutsherrn als Repräsentanten 
des Korngeistes in eine Garbe und symbolische Tödtung durch 
Sense öder Dreschflegel. Verschiedene Abschwächungen 
der Sitte. Der Fremde im niederländischen Brauch als 
Vertreter des seiner Habe beraubten Vegetationsdämons 
auf dem Acker eingegraben. 

§ 7. Erläuterung der Lttyersessage 50 

Der Wurf ins Wasser, ein Regenzauber, auch im nord- 
europäischen Brauche nachgewiesen. Die Sage von 
Lityerses hervorgegangen aus der ätiologischen Deutung 
in Phrygien geübter, nordeuropäischen Gebräuchen ent- 
sprechender Erntesitten. Analogien in den Mythen von 
Syleus, ßormos und Hyllos (Hylas). 

Zweites Kapitel. 

Chthonien und Buphonioii. 

Der Getreidedämon des nordeuropäischen Brauches in Rinds- 58 
gestalt, als Stier im windbewegten Getreide, als Bulle, 
Halmstier in den letzten stehengebliebenen Halmen, als 
BüfTelochse, Lümmelochse, polnischer Ochs, Kuh, Mockel 
in der letzten Garbe gegenwärtig gedacht. Tödtung eines 
Ochsen zugleich mit dem Schneiden der letzten Halme. 
Wettlauf nach dem ersten im Frühjahr geborenen Kalbe 
und Schlachten desselben am Ernteschluss. Der Drescher 
des Letzten als Mockel in Getreidestroh gewickelt, zum 
Brunnen geführt, an einen Baum gebunden, in eine Kuh- 
haut gesteckt. Tödtung eines Ochsen zugleich mit dem 
letzten Drischelschlag. Neugeburt oder Wiederbelebung 
des Dämons der Vegetation im Frühjahr als Kalb, Märzen- 
kalb, Aprilkalb, als Muhkälbchen im wogenden Kornfeld. 
Das Opfer für Demeter Chthonia zu Hermione. Bericht 
des Pausanias. Tödtung von vier Kühen durch vier 
Greisinnen mit der Sichel. Uebertreibende Darstellung 
des Aristokles und Aelian. Möglichkeit des von Pausanias 
geschilderten Herganges. Die Kühe durch die Tödtung 
mit der Sichel als Repräsentanten des Korngeistes gekenn- 
zeichnet. Die Buphonien oder Diipolien. Handlungen des 
Festes. Der Ackerstier, mit einem Mahl seiner eigenen 
Gabe geehrt, sodann getödtet, von allen Cultgenossen ver- 
zehrt, durch Ausstopfen der Haut gleichsam wiederbelebt 
ein Abbild des Getreidedämons. 



INHALT. XXXin 

Drittes Kapitel. 
Di e Lupei'calien. 

Seitr. 
§ 1. Der Schauplatz und die Handlungen des Festes .... 72 

Das Lupereal. Ziegen- und Hundsopfer. Benetzen der 

Stirn mit Blut und Lachen. Umlauf und Riemenschlag. 

Darstellung Ovids vom Ursprung der Feier nach Acilius 

und Fabius Pictor. Lithobolie. Streit zweier Hirten- 

schaaren. Die Stiftung des Brauches auf Faunus-Evander 

und auf Romulus zurückgeführt. Rückschlüsse aus Ovids 

Bericht. Aetiologische Deutung durch Butas. Der Name 

Kaeso. Die CoUegien der Cultgenossen. Aenderungen im 

Brauche seit Caesar und Augustus. Zweck der Begehung. 

Februatio. Juno Lucina als Stifterin des Brauches ange- 

seMen. Förderung der Fruchtbarkeit nicht nur der Weiber, 

sondern auch der Saaten. 

§ 2. Der Name Luperci 86 

Ableitung von lupus durch Suffix, Composition aus lupu« 
und arceo, aus lupus und hircus. 

§ 3. Der Umlauf der Böcke 91 

Bezeichnung der luperci als creppi. Analogie im Cult des 
Hermes xniofpoQo; zu Tanagra. Die Luperealien ein Fest 
zu Ehren des Faunus. Die Luperci Vertreter bocksgestal- 
tigor Dämonen. Tödtung derselben durch Restreichen der 
Stirne mit Blut, Wiederbelebung derselben durch Abwischen 
des Blutes mit Milch zur Darstellung gebracht. Das Lachen 
ein Ausdruck der Rückkehr zum Leben. 

§ 4. Der Umlauf der Wölfe 100 

Der Luperealienbrauch aus dem Comproroiss zweier Cult- 
genossenschaften , der palatinischen Quinetier und der 
quirinalisehen Fabier, hervorgegangen. Die Wachsthums- 
dKmonen im Un^lauf der einen als Böcke, in dem der 
anderen als Wölfe von der Art der hirpi Sorant zur Er- 
scheinung gebracht. Das Hundsopfer, wie aus dem Korn- 
hund des nordeuropäischen Brauches, dem römischen Robi- 
galienhund und dem Kornfuchs zu ersehen, zwar nicht 
auf einen ursprünglichen Umlauf von wolfabwehrenden 
Hunden, wohl aber auf die Tödtung eines Yegetations- 
dämons zu beziehen. Häufung von Ceremonien zur Dar- 
stellung eines Gedankens. 

§ 5. Der Schlag mit dem ^Februum 113 

Als Wachsthum fördernde Begehung aus Analogien nach- 
gewiesen, a. Fauna mit dem Myrthenzweige geschlagen. 
Der Faunamythus in den verschiedenen Ueberlieferungen. 
Das Fest der Bona Dea eine Feier zur Erhöhung der 

Fruchtbarkeit von Aeckern und Ehefrauen, b. Ruthen- 
QF. T,T. IH 



XXXIV INHALT. 

ff 

8«it6. 
schlage an Demeterfesten, c- Die caprotinischen Nonen, 

ursprünglich ein Erntefest verbunden mit gegenseitigen 
Schlägen der vor die Thore geeilten Frauen und Mägde, 
d. Pan mit Meerzwiebeln gepeitscht zur Befreiung von 
Wachsthum hindernden Mächten. e. Austreibung des 
Pharmakos an den Thargelien. or. Herausführen zweier 
Männer an dem Erntefest zu Athen, ß. Harpokrations 
Bericht eine pragmatisirende Erfindung zur Erklärung der 
Steinwürfe im thessalischen Pharmakosritus. /. Ausser- 
ordentliche Procossion der mit schwarzen und weissen 
Feigen behangenen Pharmakoi um die Stadt bei Pest oder 
Misswachs. rT. Schläge mit Meerzwiebeln u. s. w. auf das 
Zeugungsglied des jonisehen Pharmakos an den Thargelien 
oder beim Hereinbrechen von Seuche. «. Herabstürzen 
des laubgeschmückten Pharmakos zu Massilia. Sinn der 
Begehungen : Austreibung des Dämons der Unfruchtbarkeit 
und Krankheit und damit zugleich Erzeugung von Wachs- 
thumsfülle und Gesundheit. Analogie im Hungeraustreiben 
zu Chäronea. Ursprüngliche Bedeutung des Pharmakos 
erschlossen aus dem hebräischen Yersöhnungsfest , dem 
westfälischen Sommervogel, dem ägyptischen Typhonopfer, 
dem Verbrennen des Maibaums u. s. w., dem Herabstürzen 
und Verbrennen von Thieren im Oster- und Johannisfeuer, 
dem phönicischen Opfer für Moloch. Der Wachsthums- 
geist selbst darnach ursprünglich im Pharmakos gegen- 
wärtig gedacht, f. Schläge an den Delien. Schwanken 
der Ueberlieferung. Einbeissen in den Oelbaum dem Biss 
in die Stirn des Fremden in französischen Erntesitten zu 
vergleichen. Kückblick. g. Der Schlag im nordeuropäischen 
Brauche. Analogie aus Peru. Schlagen des Maikönigs, 
Pfingstschläfers und seiner Sippe. Das Umklappen im 
Hannoverischen und Hildesheimschen Brauche. Perekopp, 
Cheval Maltet. Schlagen der letzten Garbe mit Birken- 
reisern und der Pudenda des hinter den übrigen zurück- 
bleibenden Mähers. Der Schlag mit der Lebensruthe. Der 
Umzug in Vienne. 

§ 6. Ergebnisse 153 

Einreihung der Luperoalien in den grossen Kreis ver- 
wandter Begehungen. 

Viertes Kapitel* 
Das Octoberross. 

§ 1. Unsere Quellen 156 

Erwähnung des Brauches bei Timaeus, Bericht bei Festus. 
Handlungen des Festes. 



INHALT. XXXY 

Seite* 

§ 2. Der Festbrauch ein Erntefest 160 

Mars ursprünglich eine agrarische Gottheit. Tödtung des 
RoHses ob frugum eventum. Allgemeine Dankfeier zum 
Schluss der Gesammternte im römischen, griechischen, 
hebräischen, nordeuropäischen, italienischen Brauch. 

§ 3. Das Rosa ein Getreidedämon 163 

Symbolische Bedeutung der Rossopfer zu Rhodos, auf dem 
Taygetos, in der Troas, für Poseidon Hippies. Darstellung 
eines mythischen Vorgangs durch die Tödtung des October- 
rosses. Analogien dazu in der Tödtung des Getreidethiers 
am Schluss der Ernte im nordeuropäischen Brauch. Die 
letzte Garbe als Pferdekopf gestaltet. Das Kornross als 
Schimmel, Schimmelreiter, Herbstpferd u. s. w. Das dämo- 
nische Ross im windbewegten Getreide. Yoir la j^ment. 
Tödtung des Octoberrosses durch den Wurfspeer. Ana- 
logien zur Umkränzung des Rosshauptes mit Broden. 

§ 4. Der Weitlauf 170 

. Wettlauf und Wettritt im deutschen Erntebrauch, an dem 
römischen Erntefest der Consaalien, den tarentinisehen 
Spielen, den Equirien und anderen griechischen und römischen 
Agrarculten. Das Haschen des entweichenden Getreidethiers 
im Wettritt und darauf folgende Tödtung desselben. Analogie 
im hebräischen Passahfest. Aetiologische Deutung dieses 
ursprünglichen Erntefestes auf den Auszug aus Aegypten. 
Darstellung der neuen Frucht durch das junge Lamm. 
Bestreichung der Schwelle mit seinem Blut zur Vertreibung 
wachsthumhindernder Dämonen. Parallelen hierzu im römi- 
schen Hochzeitsgebrauch. Verzehrung des ganzen Thieres 
auf einmal durch die gesammte Familie wie bei der 
schwedischen Lilla jente. Auch bei dem hebräischen Feste 
vor dem Sohlachten des Erntelammes ein Umlauf mit Gerte ? 

§ 5. Die Anheftung des Pferdehauptes 180 

Analogien in der Annagelung von Kuhhörnern im Diana- 
tempel auf dem Aventin, dem Aufhängen der Erntebündel 
an den Thüren des Cerestempels, der Eiresione im Apollo- 
tempel und an Privathäusern, der verschiedenen den Korn- 
geist darstellenden Erntepuppen des nordeuropäischen 
Brauches neben der Hausthür, an dem Hausgiebel, an der 
First der Scheune. 

§ 6. Abhauen des Schwanzes 183 

Die Uebertragung des abgetrennten Schwanzstückes auf 

die Regia durch Analogien aus Nordeuropa beleuchtet. 

Das Kornthier, Hase, Katze, Hund, Fuchs, Schwein durch 

den Schnitter oder Drescher des Letzten beim Schwänze 

gefasst und desselben beraubt. Ein Schweineschwanz ins 

III* 



XXXVI INHALT. 

6fit#. 
frisch besäete Feld gesteckt, damit die Aehren wachsen. 

Das estnische Schweineschwftnzchen. Vergraben von 
Knochen auf dem Saatacker und Neugeburt des Vege- 
tationsgeistes AUS denselben. 

§ 7. Verbrennung des Blutes 189 

Die Fordicidienkälber und das deutsche März- und Aprillen- 
kalb. Die Verbrennung des Rossblutes und der Kälber- 
asche an den Palilien nach Anulogie der nordeuropäischen 
Oster-, Mai- und Johannisfeuer ein Mittel zur Erhöhung 
der Fruchtbarkeit und zur Vertreibung Misswaohs bringen- 
der Dämonen. 

§ 8. Entstehungszeit des Fesibrauches 192 

Entwickelung desselben aus der Verschmelzung der pala- 
tinischen und suburanischen Erntefeste. Kampf zweier 
Gemeinden um ein Heilthum. Der Ursprung des Festes 
vor Servius Tullius, in der ältesten Zeit Roms zu suchen. 
Stellung des Königs im römischen Erntebrauch analog der 
des Gutsherrn, Maires oder Bürgermeisters in Nordeuropa. 

§ 9. JJer mimetische Charakter des Festes 197 

Die Begehung als communale Feier anzusehen, beruhend 
auf der Wiederspiegelung gewisser Zustände des Getreides 
durch die entsprechenden Zustände beim Thierc. Mime- 
tischer Charakter fast sämmtlicher altrömischer Feste, 
sowie des Argeeropfers. 

§10. Der Sacra mentale Charakter des Festes 199 

Der Brauch des Octoberrosses , ein üeberbleibsel der 
ältesten italischen Periode reiner Naturreligion, auf 
mystische Aneignung des zum Genüsse sich darbietenden, 
verkörperten Gottes hinzielend, später zu einem Opfer des 
sich und das Seine der Gottheit hingebenden Menschen 
umgestaltet. 

Fünftes Kapitel. 
Demeter. 

§ 1. Vorbemerkungen 202 

' Ebenbilder der Elemente des griechischen Demetermythus 
noch lebendig in den im nordeuropäischen Landvolke er- 
haltenen üeberlieferungen. Litteratur über den Demeter- 
cultus. 

§ 3. Die Eleusinien und der homeridische Hymnus auf Demeter 204 
Die Culthandlungen der grossen Mysterien und der kleinen 
Eleusinien dramatische Darstellungen mit Bezug auf die 
Geschichte der Demeter und Persephone. Hinaufreichen 
der Culte in die Zeit der Königsherrschaft. Der home- 
rische Hymnus. Litteratur. V. 1 — 90 Raub der Perse- 



INHALT. XXXVII 

Seite. 

phoDe. y. 91—302 Demeter in Eleusis. Y. 302—495 Rück- 
kehr der Persephone. Entstehun^sn^eschJchte des Hymnus 
nach Wegener. Nachweis der Zusammensetzung des Hym- 
nus aus zwei verwandten Liedern, Nachbildungen eines 
dritten die Rückkehr Persephones und die Einkehr Demeters 
in Eteusis behandelnden Gedichtes. Analyse der beiden 
Lieder. Nothwendigkeit einer Trennung des theologischen 
Kerns von dem epischen Schmuck und den durch ätio- 
logische Construction aus dem Eleusinienbrauch herüber- 
genommenen Bestandtheilen. Disposition der Untersuchung. 

§ 8. Demeter die Urheberin der Culturfntcht 224 

Ursprünglich nur die Halmfrucht eine Gabe Demeters. 
/Jpj^n'iTfQo; nxT\, Unfruchtbarkeit eine Folge des Zornes 
der Göttin. Demeter durch ihre Beinamen als Spenderin 
des Getreides bezeichnet. Demeter die hülfreiche Göttin 
der Binder und Mäher. Die Getreidekönigin. Erysichthon 
und Triptolemos. Der Wirkungskreis der Göttin auch auf 
die Gartenfrüchte ausgedehnt. Brod und Getreide Demeter 
genannt. Das Mähen ein Zerschneiden der Glieder Demeters. 
Die Erstlinge der Ernte der Göttin zum Opfer gebracht. 
Von der Kornfrucht entlehnte Beinamen und Attribute 
derselben. Irrsinn eine Folge ihrer Berührung. Wohnung 
und Heimath Demeters im Saatfelde. Demeter und Jasion. 
Etymologie des letzteren Namens. Demeter Chamyne. 
Irrige Identificirung Demeters und Gaias durch die Orphiker. 
Aus dem Jasionmythus ein Beweis für die Gleichheit beider 
Göttinnen nicht abzuleiten. 

§ 4. Demeier EHnys und Demeter Melaina 244 

Thelpusische Sage von der Geburt einer Tochter und des 
Rosses Areion aus der Verbindung des in einen Hengst 
sich wandelnden Poseidon mit der als Stute weidenden 
Demeter Erinys. Phigalensischer Mythus von dem in Ross- 
gestalt die Despoina zeugenden Paare Poseidon Hippios und 
Demeter Melaina und dem Aufenthalt der letzteren schwarzes 
Gewand und ein Pferdehaupt tragenden Göttin in der Höhle 
des Berges ElaTon. Trennung der mündlichen Volkssage 
und des schriftlichen Berichtes in den Angaben des Pausa- 
nias über das Erzbild des Onatas und das alte loavov da- 
selbst. Letzteres ein Gebilde der gelehrten Exegetik, 
ersteres nicht mit Pferdekopf, vielleicht aber schon mit 
Attribut der Erinys zu denken. — Ausscheidung des Areion 
aus der Demetersage : Areion in der Dichtung keine 
mythologische Personification, sondern nur eine poetische 
Bezeichnung des Streitrosses. Erzeugung des Streitrosses 
der kykliechen Thebais durch Poseidon mit einer Erinye 



XXXVin INHALT. 

Beite . 

ZU Tilphusa in Boeotien. Durch Gleichklang der Namen 
herbeij^effihrte Verlegung seines Geburtsortes nach Tel- 
phusa (Thelpusa) in Arkadien. Ausscheidung der Erinys 
aus der Sage : Die Localisirung der Areionssage in Arkadien 
ein Grund zur Uebertragung der Rolle und des Namens 
Erinys auf die wahrscheinlich daselbst schon ursprünglich 
mit Poseidon Hippies oder Phytalmios verbunden gedachte 
(T Demeter, die Mutter der Despoina. Belege für letztere 
Verbindung. Der wachsthumspendende mit Demeter sich 
begattende Poseidon nicht aus einem vorhistorischen Gott 
der Feuchtigkeit überhaupt, sundern aus dem Wogen des 
windbewegten Getreides zu erklären. Verbindung von 
Demeter und Zephyros. Das Eintreten von Misswachs die 
Veranlassung zum Glauben an den Aufenthalt Demeters 
in der Höhle des Elai'on. — Deutungen der Sage von 
Seiten Anderer. Erklärungen von Preller, E. Gurtius, 
0. Müller, A. Kuhn, W. Sonne, Max Müller, E. Burnouf, 
A. de Gubernatis, W. Schwartz, H. D. Müller. Zurück- 
weisung der Ansichten Kuhns und seiner Nachfolger. 
Demeter, Poseidon, Areion, Despoina, die Erinyen als 
Personificationen himmlischer Naturerscheinungen nicht zu 
erweisen. Incongruenz der Mythen von Sarapyü und 
Demeter Erinys. Weitere Folgerungen über die Berech- 
tigung zweier Annahmen der vergleichenden Mythologie. 

§ 5. Der Name Demeter 281 

Demeter ein Simplex: Die von Lehrs und Sonne vorge- 
schlagene Ableitung aus Siiuoi sachlich und sprachlich, 
Leo Meyers 'Bändigerin' sachlich unhaltbar. Demeter ein 
Compositum: Berechtigung zur Annahme einer Zusammen- 
setzung mit /ufJTr^Q, Verbalcoraposition. Inhaltliche Be- 
denken gegen eine Deutung aus den Stämmen dd, djä^ 
da F. Nominalcomposition. 1) Jr^/uofiiirrjo unzutreffend in^ 
der Bedeutung. 2) ^^fa.urjr«;^ = »fa iiirrjq sprachlich und 
sachlich verfehlt. 3) Djävä mätä der historischen Demeter 
nicht entsprechend. 4) rtjur^rtjo als Mutter -Erde von y^ 
sprachlich nicht ohne Bedenken, als göttliche Mutter von 
div sachlich unhaltbar, als Feldmutter von daya sehr un- 
sicher. 5) Deutung des Namens aus ^ntj^u^rtjgy Gersten-, 
Spelt-, Kornmutter, nach Form und Inhalt begründet. Die 
Kosenamen ^/^w und Jt^^o), 

§ 6. Die nordeuropäische Korumutter 296 

Der Kornmutter Gang durchs wogende Saatfeld, die Korn- 
mutter und ihre Docken. Beziehungen der Kornblume und 
Rade zur Kornmutter. Die Kinder vor letzterer und dem 
Verlaufen ins Getreide gewarnt. Benennungen der Korn- 



INHALT. XXXIX 

Seit«. 

mutter in diesen weit verbreiteten Warnungen: Korn-, 
Roggen-, Erbsen-Mutter, Weib, Muhme. Qrossmutter, alte 
Mutter. Rüg-, iErtekjaeliling. Zytna-, Zarnamatka. Zytna-, 
Stara-, Herschbaba, eiserne Baba, Babajedza. Polevoj Djed, 
Baba Yaga. Rugiuboba, Bubba, Dzika Baba. Halb therio- 
morphische Gestalt der Kornmutter. Verwandlung in Thiere. 
Erscheinung zu oder als Ross. Die Kornmutter anthro- 
pomorphisch gedacht als weisse Frau, mit grossen, tlieer- 
geffillten, eisernen, hölzernen, schwarzen, brennenden 
Brüsten, mit Krallen u. s. w. Kinderraub und Kinder- 
tausch. Theerbuddel, eiserner Stock, Piken u. a. Attribute 
der Kornmutter. Zerstampfen der Kinder im Butterfass 
und Fahrt der Kornmutter im eisernen Mörser. Verlust 
des Augenlichts und Tod eine Folge ihres Anhauchs, Ver- 
dorren der Felder eine Wirkung ihres Zorns. Fimmelfrau, 
Heumütterchen, Hvetefrua. Namen für secale cornutum. 
Zeitweiliges Auftreten der Kornmutter in Thiergestalt als 
Libelle u. s. w. — Erscheinung der Kornmutter in den 
letzten Halmen. Die letztgebundene Garbe Kornmutter 
u. s. w. , grosse Mutter , ole Wif , Hure , die oder der Alte 
oder mit dem Namen des Nachzüglers benannt. Darstellung 
des Getreidenumens durch den Binder oder Schnitter der 
letzten Garbe und durch diese selbst. Verschiedene Be- 
kleidung und Ausschmückung letzterer als Alte, W^szäle, 
Carline, Com Lady, Byg-, Rüg- und Hvedckjeelling, Baba, 
Dziad , Rugiuboba , Imjaninnik , Shitarska zarka , Aehren- 
königin, Harvestqueen im deutschen, englischen, dänischen, 
polnischen, litauischen, russischen und bulgarischen Brauch. 
Belege für die Tödtung der Kornmutter durch den Schnitt 
der letzten Halme oder den Ausdrusch des letzten Ge- 
bundes. Die Kornmutter 'als Geberin der Getreidefrucht 
und Helferin bei der Erntearbeit durch Kuss und Nieder- 
fall geehrt. Die Begattung des Kornmanns und der Korn- 
mutter auf dem Felde nach vollbrachter Ernte zur Dar- 
stellung gebracht. Wälzen auf dem Saatacker. Analoga 
zur Kornrautter in der peruanischen Maismutter u. s. w. 
Ergebnisse. Vergleich zwischen Demeter und der nord- 
europäischen Kornmutter. 

Sechstes Kapitel. 

Kind und Korn. 

Parallelismus des Menschenlebens und des Lebens der 351 
Getreidepflanze. Ausdruck desselben in der Sprache. 
Hervortreten der Anschauung in Hochzeitsgebräuchen. 
Besprengen der Neuvermählten und Beworfen derselben 



XL INHALT. 

Bette, 
mit Reis im altindischen Brauch. Beschütten derselben 

mit Getreide und Auswerfen noch grOner Aehren bei den 
Juden. Das Brautlager auf Roggenähren und die Bestreu- 
ung des jungen Paars und der Hochzeitsgäste mit Ge- 
treide und Hopfen in Russland, mit später zur Aussaat 
verwendetem Hafer in Polen. Wasser mit Haferkdroern 
über den Stock des Bräutigams, Getreide über die Braut 
geschüttet in der Ukraine. Darreichung eines Kindes, 
Ausstreuen von Getreide und Früchten aus einem Siebe 
in Serbion, Syrmien und der Morlaohei. Getreidekdrner 
im Schuh der galizischen und lettischen Braut, Besäen der 
letzteren. — Die deutschen Hochzeitsbräuche: Die Braut 
im Aehrenkranz, üeberreichung von Glücksähren, Aehren 
in der Tasche. Die verdeckte Schüssel. In den Schuhen 
und auf dem Herzen der Braut später zur Saat gebrauchte 
Aehren. Geld durah den Bräutigam in eine Eornriter 
geworfen. Der Aehrenkranz der englischen und das Sieb 
der schottischen Braut. Aehren in den Brautstrfimpfen, 
Getreidekörner auf dem Brautlaken in Schweden. — Die 
altrSmischen Fescenninen und Ausstreuen von Mandeln 
u. 8. w. und Weizenkörnern in Rumänien. Beschütten der 
Brautleute mit Getreide in Gorsica, Sicilien und Frank- 
reich. Ueberreichen einer Schüssel voll Getreide und Aus- 
streuen desselben im französischen Brauch. Die Braut in 
der französischen Schweiz mit Aehrenkranz geschmückt 
und mit Weizen beschüttet. — Die altgriechischen xara^ 
Xvafitxra Und das Beschütten des Brautpaars sowie des Ehe- 
betts mit Früchten u. s. w. im neugriechischen Brauch. 
Ergebnisse. Die BeschQttung mit Getreide vom Urvolk 
der Indogermanen, von Griechen und Römern geübt. Die 
Bekränzung mit Aehren ehemals allgemeiner Brauch. — 
Vergleich des Menschen mit dem Getreide in Kindbetts- 
gebräuchen. Ueberreichen einer Aehre bei der Kindtaufe. 
Das Neugeborne mit Roggen beworfen und in einen Säe- 
korb gelegt im dänischen, in ein Kornsieb gesetzt, ge- 
schüttelt und mit Korn umstreut im oberägyptischen 
Brauch. Abart derselben Sitte bei den christlichen Kopten. 
Sinn des Siebes in den Hochzeitsgebräuchen Das alt- 
griechische Uxvov Uebersäen des Neugebornen und Nieder- 
legen des kranken Kindes auf das Brachfeld während des 
Säens. 



KAPITEL I. 

LITYERSES. 



§ 1. DAS LITYERSESLIED UND DIE LITYERSE88AGE. 

UNSERE QUELLEN. 

Der regsame Geist der Griechen hat schon frühe den 
Festliedern der fremden Nationen, mit welchen sie in Berüh- 
rung kamen , Aufmerksamkeit zugewandt. Wie man dem 
Linosgesang der Phoeniker, dem Maneros Aegyptens Theil- 
nahme schenkte, trug man sich mindestens schon zur Zeit 
des Sokrates mit einer Sage, welche den Ursprung des 
Lityerses, eines von den Landleuten in Phrygien bei der 
Ernte gesungenen Liedes aus dem Andenken an den Tod 
eines gleichnamigen Königsaohnes erklärte. In zwei Passungen 
umlaufend wurde diese Sage ein beliebter und mehr als zwei 
Jahrhunderte (sicher von Pherekrates 420 v. Chr. oder Strattis 
396 v. Chr. bis Sositheos 280 v. Chr.) vorhaltender Stoff der 
Komödie und des Satyrspiels. Möglicherweise hatte bereits 
Euripides (480—406) in seinen Ssgtarai die Fabel als Satyr- 
spiel behandelt. Es war eine Folge solclier oftmaligen Be- 
arbeitung derselben und der allgemeinen Bekanntschaft mit 
ihr, dass 'Lityerses' oder Lied des Lityerses' mit 
der Zeit als jeder individuellen Beziehung entkleideter sprich- 
wörtlicher Ausdruck für einen beim Kornschnitt und Dreschen 
angestimmten Gesang überhaupt verwandt werden konnte, 
dergleichen auch unter Griechen, wie bei andern Völkern 

QF. LI. 1 



2 KAPITEL I. 

des Alterthums üblich warJ Der Untergang der alten Litteratur 
hat in erster Reihe jene Dramen mitbetroffen; das Verdienst 
einige dürftige Bruchstücke daraus und den Inhalt der in 
ihnen behandelten Sage gerottet zu haben, gebührt den 
grossen onomatologischen und lexicologischen Sammelwerken 
des spätesten Alterthums und der byzantinischen Periode (Pollux; 
190 p. Chr., Atheuäus 200 p. Chr., Hesych 400 p. Chr., 
Photius 891 p. Chr., Suidas 970? p. Chr.). Die Kunde, welche 
sie von Buch zu Buch durch eine lange Reihe im allgemeinen 
bekannter, für diesen einzelnen Fall im besonderen schwerlich 
jemals ganz nachweisbarer Zwischenglieder vermittelt haben, 
gründet sich ihrem Ursprünge nach auf die von den älteren 
alexandrinischen Gelehrten vcrfassten Commentare zu den 
Komikern und Tragikern und nahm ihren Weg einerseits 



^ So brauchte ihn vielleicht schon Menander (306 v. Chr.) im 
KaQx>i^oviog (Meineke Fragm. com. IV 146). Vergl. Photius, Suid. a. v. 
^iTVf^atjg. 

aSovra /liTVfQntjv an^ a^larov T^tog. 

Theokrit (272 v. Chr.) lässt id. X 41 ff. den Schnitter Milon seinen 
Uebeschmachtenden Genossen Battos verspotten, indem derselbe dem 
Sehnsachtsliede des letzteren das Muster eines Gesanges entgegenhält, 
wie er sich für den rüstig schaffenden Schnitter gezieme, 'Sprüche 
des gottlichen Lityerses' {&aaai Srj xtxi ravTa ra TW ^ftcö ^irvf'oaa), 
Inhalt ist eine Lobpreisung der Demeter, eine Mahnung zu fleissiger 
Arbeit und ein Aufruf an den Schaffner des Herrenhofes den von dem 
anstrengenden Tagewerk mitgenommenen Arbeitern die ^sehnte Mahl- 
zeit gut und reichlich aueizurichten. In dem Liede des Milon giebt 
Theokrit vermuthlich die Nachbildung eines wirklich gesungenen Yolkh- 
liedes, aber eines griechischen, aus welchem sicherlich nicht — wie 
Kämmel (Heracleotioa, Plauen 1869 S. 23) dies thut — irgend ein 
Schluss auf Form und Inhalt des phrygisohen Lityersesliedes gewagt 
werden darf. Den Brauch griechischer Schnitter, bei ihrer Arbeit oder 
bei ihrem Feste zu singen, bezeugt auch Longus (Hirtengesch. lY 38) 
in der Beschreibung einer ländlichen Lustbarkeit: 'Hier war alles, 
wie natürlich in solcher Gesellschaft, dörflich und landgemäss. Einer 
sang wie Schnitter singen (o /ubv rjSev oux aSoum &f^CL,oyTfg)^ ein anderer 
ahmte die spottende Kurzweil der Kelternden nach.' Ein ägyptisches 
Drescherlied 'Tretet von selbst, ihr Rinder, tretet von selbst, tretet 
von selbst die Kornhalme; die Ernte gehört eurem Herrn' flndet sich 
in hieroglyphischer Schrift nebeu der Darstellung einor Droschtenne, 
Roseliini monum. civili I 312. 



LITYBBSEÖ. 6 

durch die aus diesen gezogenen Olossare zu den genannten 
Dichtungsgattungen (z. B. Didymos); aus diesen stammt un- 
zweifelhaft ein Teil der Notizen bei Hesych, Photius und 
Suidas, sowie in den Theokritscholien; für einen anderen 
Theil der Angaben in den letzteren und bei den Lexicographen 
sowie für Tzetzes rauss die gemeinsame Quelle in einem davon 
verschiedenenErzeugniss jenos erklärenden Schriftthums gesucht 
werden. Andererseits gerieth die Traditon jener ältesten Com- 
mentare in die Litteratur der Onomastica, welche eigenthüm- 
liche Benennubgen für bestimmte Lebensverhältnisse zusammen- 
stellten. ^ Unter diesen gab es zahlreiche Schriften, welche 
von Musik, ^ andere, welche von Mahlzeiten handelten.^ In 
beide Schriftgattungen fand der Name des Lityerses Auf- 
nahme, in die eine unter den Synonymen für Hymnen und 
Oden, in die andere als Beispiel für starke Esslust. Aus 
Athenäus XIY 9 if. (p. 618 ff.) ersieht man, dass Zusammen- 
stellungen der ersteren Art schon von Aristoxenos tisqI /Äovaixfjg 
(320 V. Chr.), Semos von Dolos nsgi natuviov, Aristophanes 
von Byzanz I4rrta, Xt^, (200 v. Chr.), Tryphon ntgi ovo/naauov 
gemacht waren, sie fanden sich vielleicht auch in der larooia 
&iargi}Cfj des Königs Juba, des Zeitgenossen Ciceros, welche 
eine Hauptquelle für Pollux (190 n. Chr.) gewesen zu sein 
scheint. * Aus diesem Schriftthum stammt die Erwähnung des 
Lityerses bei einem ApoUodor (Schol. Theoer. X 45), bei 
Pollux I 38 IV 54 und bei Athenäus XIV 10. Aus 
*den Exempelsammlungen von gesegnetem Appetit' in den 
Schriften über SsTnra^ deren Anfänge (vgl. Tryphon) eben- 
falls in das alexandrinische Zeitalter hinaufreichen, floss, was 
Athenäus (200 n. Chr.) Deipnos. X 8 und Aelian (200 n. Chr.) 
Var. bist. I 27 vom Lityerses aussagen. Anderswoher als von 
den genannten Autoren kommt uns keine Nachricht über den 
uns beschäftigenden Gegenstand zu; mithin sind die 
Dramendichter des fünften bis dritten Jähr- 
hunderts V. Chr. und ihre ältesten Erklärer die 

* Althnus de J. PoUiicis fontibus Berol. 1874. S. 8 ff. 
« Althaus a. a. 0. S. 11 ff. 
> Althaus a. a. 0. S. 13 ff. 
« Althaus a. a. O. S. 36 ff. 

1* 



4 KAPITEL I. 

wahre und einzige (weiterbin in mannigfachen 
Kanälen abgeleitete) Quelle, wober die Kennt- 
niss von dem Vorhandensein des Lityersesliedes 
und von der an dasselbe geknüpften Sage uns 
zuströmt. J ene Männer aber haben die Erzählung augen- 
scheinlich weder selbst erfunden, noch aus dem Yolksmunde 
geschöpft, sondern bereits in der schriftlichen Aufzeichnung 
eines gelesenen Autors oder in mehreren der Art vorgefunden. 
Man wird nicht irre gehen, wenn man dabei an die Logo- 
graphen denkt, z. B. an Charon von Lampsacus (480 v. Chr.), 
der in seinen ycrlasig öfter derartige Sagen vorbrachte, ^ an 
Xanthus, den Zeitgenossen desselben aus Lydien, der in 
seinen *lydischen Geschichten' mehrmals auch phrygische 
Sagen mittheilt und vielfach auf Gebräuche zu reden kommt, 
oder an den Halicarnassier Panyasis (um 468 v. Chr.), dessen 
Heraklee einen Reichthum romantischer Abenteuer der Amphi- 
tryoniden in fernen Landen umspannte. Diese Schriftsteller 
konnten sehr wohl ihre Mittheilung mündlichen Erzählungen 
entnommen haben. 



S 2. DER INHALT DER ÜBERLIEFERUNG. 

Sehen wir uns nach dieser vorläufigen Zurechtfinduug 
in den Quellen den Inhalt derselben an. Zunächt geben 
wir die Fassung der Sage bei Pollux IV 54 in freier > 
Wiedererzählung. Lityerses war ein Lied der Phryger, 
welches bei der Ernte und auf den Dreschplätzen in klagen- 
dem Tone gesungen wurde. Es hatte den Namen von einem 
Sohne des Phrygerkönigs Midas, Lityerses. Dieser forderte 
zu einem Wettstreit im Mähen heraus. Wer dabei schwach 
wurde und mit dem andern nicht Strich halten konnte, verlor 
die Wette und war dann der Gnade und Ungnade des Siegers 
unterworfen. Lityerses pflegte in diesem Falle den Unter- 
legenen auszupeitschen. Einst aber stiess er auf einen Mäher, 
der stärker und gewaltthätiger war, als er; er unterlag und 



» Vergl. Müller Fragm. hist. Gr. I 35, 12. 13. AWF. IG. 



LITYEitSES. 5 

zahlte mit dem Leben. Zur Tröstung seines Yaters Midas 
sang man das Lityerseslied. ^ 

Poilux allein stellt das Ereigniss in dieser Weise dar, 
alle übrigen Berichterstatter folgen einer in mehreren Stücken 
abweichenden Tradition. Midas hatte einen Bastard, Lity- 
erses, der am Sommertag saumselig das Korn mähte, dafür 
aber eine fabelhafte Esslust bewährte. Kam ein Fremder 
aufs Erntefeld oder ging er nur vorbei, so lud er 
ihn ein sein Gast zu sein, bewirthete ihn überreichlich mit 
Trank und Speise, dann aber zwang er ihn (es scheint zum 
Entgelt dafür) mit ihm in Gemeinschaft zu mähen und dabei 
band er ihn in eine Garbe ein und schlug ihm 
das Haupt ab. Einst aber kam ein Stärkerer, kein Ge- 
ringerer als Herakles, über ihn und bereitete ihm das Schicksal, 
das er andern bereitet. Das älteste Zeugniss für diese Tra- 
dition gewährt ein Bruchstück aus *den Guten* des Phere- 
krates. Dem Komiker bot natürlich die nimmermüde Esslust 
des Lityerses willkommenen Anlass zu scherzen. 

loh esse, wenn man grade mich zu essen zwingt, 

Des Tags knapp fünfthalb Scheffel Speise. B. Knapp? Fürwahr 

Du issest wie ein Sperling, wenn des Tags du nur 

Die Zehrung für ein grosses Kriegsschiff zu dir nimmst. ^ 

Sositheus aus Alexandrien in Troas, ein zeitweilig auch für 
die attische Bühne thätiger alexandrinischer Dichter aus dem 
Reigen jenes Siebengestirns, das unter Ptolemäus Philadelphos 
der tragischen Muse eine Zeit der Nachblüte verschaffte und 
von den dankbaren Nachkommen den klassischen Tragikern 
der älteren Zeit als eine devrega rdiitg an die Seite gestellt 



* Poll. onom. IV 54 Bekk. ol S'^aöror Mldov nalSa (^iTu^Qarjv) elrat 
Ze'yovaiVy elg $Qiv Sh aßiijrov nQoxaloiijuevor fjiaariySnai Toug iydiSovrag ' ßiAiore^tp 
Se a^fjrtj neQineaorra ^dvarov naS'Siv [oi Se ''H^axXia rov an oxrei- 
vavra avrov Xey ovacy], "HtSero Se 6 &Q^rog nsQi rag aXwq nat 
To &e.Qog eni Äl{Sov nagajuvd'^^. 

'^ Athen. X 415 b. Totovrog iari, xai o TiaQa 4*(Qex^rH fj ^TQaTTiSi 
er Ayad^olg, n(qt oh qtrjatv * 

"'Eyta xarsaS'iu) juoXig irjc tjju^Qog 

TTfV^"' t^jutjuf'Si^v, eav ßia^tojuai. B. juoXig; 

tag oliyomrog tjod-^ o^', og xaread^Ceig 

rijfg tifjiiqag fjiax^ug rqi-^QOvg airCa* 



6 KAPITEL I. 

wurde, erneuerte das Satyrspiel in alterthümlichem Geiste. 
Auch den Lityerses hatte er zum Vorwurfe einer derartigen 
Dichtung gemacht, aus welcher im Anhange der anonymen 
Schrift eines alten Grammatikers über Weiber, die im Kriege 
sich auszeichneten, zwei Fragmente erhalten sind. ^ Das 
erste derselben lag Tzetzes (Chil. II 40 v. 596 flF.) vor, der 
daraus 6 Verse mittheilt, 3 andere citirt Athenäus X p. 415 c. 
Die beiden Bruchstücke ^ lauten: 

I. 

Es ist Eolainai dieses Mannes Heimatort, 

Des alten Midas Stammburg, der ein Konig war 

Mit Eselsohren und die liebe Einfalt selbst. 

Sein Sohn ist der da, ihm als Bankert angeschmiert. 

Wer dessen Mutter, weiss nur die, die ihn gebar. 6 

Dreimal am kurzen Tag verschlingt an Schwarzbrod er 

Drei volle Esellasten, und er trinkt zugleich, 

Indem ein Anker oben er nennt das Oxhoftfass. 

Gar wenig im Vergleich zu dem, was er verschlingt, 

Schafft er. Die Schwaden mäht er, an dem einen Tag jedoch 10 



* lieber diese Schrift s. Westermann Paradoxogr. 1839 p. XLI. 

^ Dieselben wurden zuerst von Casaubonus aufgefunden and in 
der ersten Ausgabe seiner Lectiones Theocriticae 1584 (angehängt an 
J. Grispini Bucol. poet.) cap. IX p. 389 nach der Handschr. mit Hinzu- 
fügung einiger Emendationen mitgetheilt. Die späteren Ausgaben (Lect. 
Theoer. ex offic. Commel. 1592 c. XII u. s. w.) brachten den Versuch 
weiterer Textherstellung. Nach der ersten Ausgabe ist die handschriftl. 
Üeberlieferung wieder abgedruckt bei Eichstädt, de dramate satyrico, 
imprimis de Sosithei Litjersa. Lips. 1793 p. 134 ff. Aufs neue gab 
Heeren (Biblioth. d. a. Litterat. u. Kunst VI Göttingen 1789) nach dem- 
selben Codex, wie Casaubonus (s. darüb. Nauck trag. Graec. p. 640 
Anm.*) den handschr. Text heraus. Die ganze Schrift des Anonymus 
fand Aufnahme in Mythogr. p. 346, 16 Westermann und Paradoxogr. 
p. 220 Westermann. Nachdem verschiedene Philologen, nächst Casau- 
bonus z. B. Dalecamp (Annot. in Athen. 1. X p. 767), J. St. Amand 
(Theocriti Wartoniani add. et corr. To. II p. 325), Eichstädt a. a. O. 
p. 136 ff. sich mit geringerem Glück an der Herstellung der Verderb- 
nisse versucht, erfuhr dieselbe bedeutende Förderung durch G. Her- 
mann (Opusc. acad. I 54 ff.) Nauck (trag. Graec. fragm. 639 ff.). Von 
litterarhistorischem Standpuncte beleuchteten die Fragmente des 
Sositheos Eichstädt a. a. O., G. Hermann a. a. 0. Welcker die 
griech. Tragödie III 1256. Bernhardy Litteraturgesch. 1872 II S 73. 



LITYERSES. 1 

Und kam ein Fremder, oder ging er nur vorbei. 

Gab er ihm Speise, ja er stopfte ganz ihn voll, 

Und mehr noch schenkte Tränk er ein, wie es im Aust 

Ja Brauch ist; nicht missgönnt's den Todgeweihten er. 15 

Dann aufs Gefild ihn führend, das Mäanders Strom 

Mit reicher Nahrung ffir das Korn bewässerte, 

Haut mit geschärfter Sichel er den Weizen ab, 

Der manneshoch emporsohoss. Doch den Fremden wälzt 

Er sammt der Garb^ um, schlägt sodann das Haupt ihm ab, 20 

Und lacht des dummen Schnitters, den zu Gast er lud. 

IL 

A. Sein Leichnam wurde bei dem Fuss, dem Disous gleich 
In des Mäanders Flnth geworfen; der ihn warf — 

B. War wer? A. Wer anders sonst als Herakles?* 



* uiiTvfQatii AliSov vloq vo&oq^ ov 6 'HQaxX^s areilev ovra xttx6\tvov * 
ijvciyxa^e yaq rot;; ^evovq avv9eq£^eiv avita^ tlra eutoj^tar anexetpaXi^e^ ra Sh 
atouara fxvjui^er ty rolg S^ayf^aaiv tog ntxQaXfXoyia/ncrtav, loroQft ravTa xorra 
jUBQog 2taa(ßiog (1. StaaCd'Sog) ey /^aqtrtSt Xiytov ovTwg * 

I. 

1 TOVTfp KeXaival naxfiig^ uqj^aCa nohg 

MlSov y^QOVTog, oarig tax ^^tar ovov 

ijvaaae xa\ vovv (ptarog evtjd'ovg ayav. 

ovrog S' IxeCvov naig^ Trarqi TiXaarog roS'og^ 
5 fivjrqog S^onoCag tj vfxova^ snCararai^ 

Ma9-ei fikv äqrovg rgeig oXoug xav^rjXfovg 

r^g Tfjg ßQu^eCag ij^s^ag^ nCvfi S afia 

xaXwr juerqtjjrjv rov Sexa^qfo^or ni&or» 

e^ya^erai S^sXa^qa n^og ra ai,T(u^ 
10 oyfiovg d-e^BVy r^ fAUf. S^fv fj/a^Qa 

da(vval t' ^ftmjg awrCS'rjai.v elg r^Xog. 

)(tarav ng eX^fi ^tivog ^ naQtlitjy 

ipayelv T* iStoxBV ev xaXtag r' €}(OQTaaev 

V. 1. Tovrto Nauck. oure ol cod. aiS' al Hermann. V. 3. ^rog 
evsiSovi cod. (ptOTog fvrj&ovg. Arnald. V. 4> nfQtnXaarog Cod. na^nXaarog 
Tzetz. narqt nXaoTog Hermann. V. 6. agrovg cod. Tzetz. aoTovg Athen. — 
oXovg Tzetz. orovg cod« cf. Meineckii Exercit. in Athen. Spec. 2 p. 19. 
V. 9. oiiia cod. (poQTia Tzetz. V. 10. oy/uov &fqi^€i cod. oyjuovg ^€q(^tav Her- 
mann. V. 11. daivvai reßintjg cod. diovvaov o/u7ivfi Hermann. Die Ver- 
derbniss der Lesart scheint unheilbar. Y. 12. ^rog cod. V. 13. xai 
m^o^raaev Cod. xaXmg r* s^^OQxaatv Nauck. elra xanej^o^raatr Hermann. 



8 KAPITEL I. 

Den Fragmenten der Dichtung gehen einige Prosazeilen 
voran, welche nur in flüchtigster und dürftigster Weise den 
Hauptinhalt des Dramas wiedergeben. Dennoch sind sie 
uns werthvoll, weil sie in einigen Stücken die erhaltenen 
Verse ergänzen und erläutern. Wir erfahren daraus, dass 
Lityerses, nachdem er die Fremden bewirthet, sie nöthigte mit 
ihm aufs Feld zu gehen und ihm bei der Erntearbeit zu 
helfen. Hieraus erst wird die letzte Zeile des ersten Bruch- 
stücks {ysXüiv &€QiaT^v u. s. w.) verständlich und zugleich 
klar, dass nach Y. 15 einige Verse ausgefallen sein müssen, 
in welchen von 4er AuflForderung zur Mithilfe die Rede war. 
Der Unhold schnitt dem erzwungenen Helfer zugleich mit 
dem mannshohen Weizen, den er mähte, den Kopf ab, und 
rollte ihn mitsammt Garbe {ögay/Lian avxtS icvklaac) d. h. in 
derselben umher, in sie eingebunden schaffte er den 
Leichnam fort. Wohin, das deutet der Umstand an, dass 
er zur Verübung der That an das Ufer des Mäander sich 
begibt. Diese Handlung wird doch irgend ein greifbares 



xai rav noroo nqovrfivsv tag av ev &fQei. 
15 nliov ' tpS'ovfiv yaq rolg d-arov/ueyoig oxrsh 

tneiT* aytay ilg Xjia AlautvSgov qoaig 

xaqnsvfiaTiay agSevra SaxpiXBi noru) 

Tov avSqofiifixt] nv^ov ^xovtjuevi] 

aQTiri d'SQ^si ' rar le'ror Sh dqayfiari, 
20 avral xvXCaag xgarog oq<pav6v q>^qBt 

yeXtav d^sqiattjv tag avovv ^^Cöziagy» 

V, 15. wxrsi cod. V. 16. htiaraT^v oXdtja cod. eTiiaxonSy Sh neSia 
Hermann, enetr^ aywy dg Xfja Nauck. V. 16. xagirBv/uartoy COd. xtjnsu- 
ftaTtav Hermann. V, 17. ^oyrjfiByt] aqnrj cod. V. 21. y€Q(ov cod. yeXtay 
Oasaub. ^qtoTijaty cod. ^qCanatv Oasaub. 

II. 

'Ort S ane&ayey v<p* ^HgaxXsovg g>fjai Xeyujy • 
ui» d'avmv fisv ilg MaCaydqov fQqitprj noSog 

äaneq aoXog ng » tjy S o Staxsvaag ayfjQ — 
B, Tig St] ; ji» nv&oi' av ' rCg ya^ ay^' 'if^axXeovg ; 

V. 1. ovy cod. elg Eichstädt. V. 2. aoipog rtg taansQ diaxog • rjv <J'o* 
hfXBvaag ay^Q COd. aoXog ri; taanfQ d(axog Casaab. wansQ aoXog rig Hermann. 
V. 3. nv&io cod. r£g Sij*, nv&ot av Hermann. TiQvv^vog ng Nauck. 



LITYERSES. 9 

Motiv gehabt haben. Wenn aber vermutbet werden darf, 
dass Herakies an Lityerses wiederholte, was dieser an den 
Fremden zu verüben pflegte, so muss ersterer die von den 
Halmen umhüllten Körper ebenfalls in den Strom geworfen 
haben. Das Drama des Sositheos führte den Doppelnamen 
Lityerses oder Daphnis \ woraus wohl nicht mit Unrecht ge- 
schlossen ist, dass der Dichter die seit Stesichorus in der 
Poesie beliebte Figur des schönen und guten Hirten Daf^hnis^ 
in die Handlung verflocht, indem er ihn durch den Unhold 
getödtet werden oder in Lebensgefahr kommen, aber durch 
Herakles gerächt oder gerettet werden li^ss. Es scheint, 
dass er das- Schicksal des Daphnis als eine Strafe für die 
Untreue desselben an seiner öeliebten Thalia darstellte. ^ Auf 
welche Weise aber die Verbindung beider Sa^enstoffe be- 
werkstelligt war, lässt sich nicht mehr erkennen. 

Ob Sositheus eigener Eingebung folgte, indem er dem 
grausamen Schlemmer die Figur des guten Daphnis als 
Gegensatz gegenüberstellte^ oder ob er dafür schon ein 
älteres Vorbild hatte, wissen wir ebenso wenig. Doch ist 
letzteres nicht unwahrscheinlich, da der Dichtkunst seiner 
Zeit die schöpferische Ejraft schon in hohem Grade abging. 
Schwerlich aber hat er an dem durch das attische Theater 
überlieferten Charakter und der Fabel des Helden etwas 
Wesentliches geändert. 

Von der bei dem Anonymus vorangeschickten Inhalts- 
angabe des Sositheanischen Lityerses ist die Erzählung des 
Schol. Theoer. X 41 nur in einzelnen Ausdrücken ver- 
schieden. Mit Bestimmtheit lässt sich erkennen, dass leztere 
aus ersterer und den beiden Fragmenten geflossen sein muss. 
Es wird nichts mehr, nichts sachlich Verschiedenes berichtet. 



^ Athen, a. a. 0. Xe'yei 3's mqt avrov ^wal^eog o T^ayfoStonotog fv 
SqajuaTi /JafpviSi r^ uiirviqact ovTtog, 

2 VgK Preller Gr. Myth. » I 594. 

^ Vgl. Schol. Theoer. VIII argum. 2mti&eog Se Xf'yei^ dd(pviv y^öfiBvov^ 
vtp^ ov vixtjd'rjvai MevaXxav Ilavoq xai Nv/utptav XQiVixrrtav, ya/urj9-rjvai Sh avTtü 
SaXetav* cf. Sohol. Theo er. VIII 93. ^Inrogovai yd^ avTor dyant^d-fjrai 
vno rivog vu/utptjg^ 7V 2(aaC9-€oci SaXsiav xaXft, naQaxeXBuaajusrtjg Sf avrtü aXXf] 
ywaixi firj o/utXelv^ ^ij riiQ^oai rtjv na^alveaiv avT^g. 



10 KAPITEL I. 

obarakteristische Ausdrücke wie svw/mv sind beibehalten.^ 
Auf dieselbe Quelle gehen durch ein gemeinsames Mittelglied, 
welches sich durch die Ausdrücke aweiXsi {avveiXwv)^ ro aXXo 
{Xotnov) aio/Lia aufs engste an das Theocritscholion anschloss, 
die Angaben des Photius und Suidas über Lityerses zurück^ 
auch Hesych verräth den nämlichen Ursprung. Die kleinen 
Zusätze oder Abänderungen, welche die genannten Schrift- 
steil ef sich erlauben (sandgag a. jjdfv a. b. ögsnavio b. wq aQtoxov 
d-SQtarrjvSi.^ haben daher keinen selbständigen Werth und müssen 
bei einer sachlichen Benutzung unberücksichtigt bleiben.^ 

Wir gelangen somit zu dem die Untersuchung wesent- 
lich vereinfachenden Ergebnisse dass alle aus dem Alterthum 
überlieferten Erzählungen vom Eönigssohne Lityerses auf 
zwei Sagen zurückgehen, deren eine allein PoUux aufbewahrt, 
während die übrigen sämmthch aus dem Drama des Sositheos 
geflossen sind. Beide Fabeln sind zu verschieden, als dass 
es gelingen könnte auch die Darstellung des Onomastikons 
aus dem Argument der Dichtung des alexandrinischen Tra- 
gikers abzuleiten. Beim Pollux ist Lityerses der Sohn, 
nicht ein Bastard des Midas; es fehlt die Erwähnung der 
Fremden, jedermann — so scheint es — wird zum Wett- 
kampf herausgefordert; es fehlt die Einladung zum Mahle; 
Lityerses schlägt nicht seinem Mitschnitter das Haupt ab, 



^ Der Anfang des ScholionS ^ovrog Sh o u^rvf^of^g r^xct KfXaivaq 

ist dem ersten Verse des Fragments Wovrta KeXaival -nar^li entnommen. 
^ a) Schol. Theoer. X 41. '"laroqCa, ovrog Sh o ^rviqatji wxfi, 
KeXaiydg rtjq 4*Qvy(aq^ vtog Tvyydvwy vo&og rou MlSov. />a>pyo( oe «y, Tovg 
TraQiovTag rioy ^f'vtoy f uto^cjv j t^yayxaCf S'SQiXfiy /^fT aoroV' Eira Fanf'Qag 
inorifivwv avrtav rag x€<pa?.ag, ro Xoinov am/ua fv rotg S^ay^aai avysiltay 
^Sey. ^HqaxXijg Sh vare^oy rovroy dnoxjsiyagj B^qiyjsy elg rdy MaiavSqoy noraftoy, 
'^'09'ey xai yvv ol ^sqtfiraX xard 4*^vyiay adovaiv avrov iyxta/unä^oyreg tag a^ioroy 
&FQi(JTtjy. b) Photius. ijy ^h ovrog MCSov vtog vo&og ' olxüiv Sh fy KsXaiyaig 
Ttjg ^qi/ylag rovg TraQiovrag tjyayxal^ey avy avtas &€QCCeiy. Eltu aTioxonrtav 
rag x€(paXdg tm Sqejraytp ro Xoinoy atSfia rotg Sqdy/uamy sysiXtav jjSev, Ayjiq^d'ij 
Se vno "^HqaxXtovg, c) Photius. MCSov Se ^y o uiirvfQnrjg yd&og vtog ' xaToixcaV 
Sh Fv KsXatvaig rovg naQtoyrag v7io6F)(6/nevog i)ydyxaLfy /uer avrov S'FqCl^Ftv ' 
flra dnoxdnrtay rag xetpaXdg ro aXXo Oüi/ua owsCXfi fv roTg Sgay/uaffiy ' an^-9'aye 
Se vno ^HqaxXdovg» Flg rijui^y Sf rov ][tC3ov B-Fqiartxog v/uyog ftt* avrto avytre^tj, 
d) Suidas. Mit dem vorigen wörtlich übereinstimmend, e) Hesych. J^art 
Se o uiirviqaag MCSov vod'og vtog dStxtararog, 



LITTBE8E8. 1 1 

noch bindet er ihn in eine Garbe ein. Der Beweggrund, aus 
welchem letzterer seine Mithilfe zusagt, ist hier die Leiden- 
schaft einer freiwillig eingegangenen Wette, bei der sich der 
Sieger mit öeisselhieben bezahlt macht, dort der Zwang, sich 
für genossene Bewirthung dankbar zu zeigen. Beim Sositheos 
ist der Ueberwältiger des Lityerses Herakles, in der Erzäh- 
lung, die FoUux auszüglich mittheilt, ein namenloser Schnitter. 
Unverkennbar also liegen entweder zwei gleich in der ersten 
Conception verschiedene Sagen über den nämlichen Gegen- 
stand vor, oder die eine ist die Epitome einer ganz freien 
von Grund aus umgestaltenden und jedenfalls hinter dem 
alexandrinischen Zeitalter zurückliegenden dichterischen Be- 
arbeitung der ursprünglichen Ueberlieferung. In diesem Falle 
müsste gefragt werden, welcher von beiden Becensionen der 
Preis der Echtheit gebühre. Wir kommen auf diese Mög- 
lichkeiten zurück; unter ihnen mit Irrthum ausschliessender 
Sicherheit zu entscheiden gebricht es an Mitteln. 



§ 3. . ZERGLIEDERUNG DER LITYERSES8AGE. 

Dem prüfenden Beobachter der Lityersessage fallt so- 
fort die Verwandtschaft der bei Sositheos gegebenen Legende 
mit mehreren anderen Erzählungen aus dem Sagenkreise des 
Herakles in die Augen. Schon Pherekydes, dessen Dar- 
stellung das Schol. Apoll. Rhod. IV 1396 (vgl. Pherecyd. 
Pragm. p. 132. 139 Sturz) und ApoUodor II 5, 11 erhalten 
haben, kannte das Märchen von Busiris, das in knappster 
Form, jedoch um einen Zug gegen die Passung jener ältesten 
Aufzeichnung vermehrt, Agathen von Samos so wieder giebt: 
Busiris, Poseidons Sohn von Anippe der Tochter des Neilos, 
opferte die Vorübergehenden unter dem trügerisch en 
Scheine gastfreundlicher Aufnahme. Ueber ihn kam 
jedoch die Vergeltung für seine Mordthaten. Denn Herakles 
griff ihn an und tödtete ihn mit der Keule. ^ Nach Apollodor 



^ A^athon v. Samos bei Plutarch Par. min. c. 38 (Müller fragm. 
bist. Graec. IV 291). Bd^ai^ig, nalg IloaeiStorog xai Idvlnntj^ Tiyc NfUov^ 



12 KAPITEL I. 

(a. a. 0.) war dem Busiris ein Sehersprach zu Theil geworden, 
ein neunjähriger Misswachs, der Aegypten betraf, 
werde aufhören, wenn er alljährlich einen Fremden am 
Altare des Zeus opfere. Ein ähnliches Abenteuer bestand 
Herakles in Lydien. Den Syleus, welcher die vorübergehenden 
Fremden den Weinberg umzugraben zwang, tödtete er sammt 
dessen Tochter Xenodike, indem er die Weinstöcke mit der 
Wurzel ausriss. ^ 

In diesen Parallelen finden wir den ganzen Rahmen der 
Lityersesfabel wieder, die Nöthigung des Fremden zur Arbeit, 
die heuchlerische Einladung desselben zum Oastmahl, seinen 
Tod und die Rache für letzteren durch Herakles. Die XJeber- 
einstimmungen sind so gross, dass unmöglich diese Erzählungen 
unabhängig von einander entstanden sein können, vielmehr 
die eine derselben die andere beeinflusst oder allen dreien 
das nämliche Schema als Vorbild gedient haben muss. Welche 
von ihnen den Vorrang des Alters und der Ursprünglich keit 
behauptet, müssen wir fürs erste dahingestellt sein lassen. 
Der litterarischen Beglaubigung nach spricht jedoch die Busiris- 
sage diesen Vorzug an und es ist wohl denkbar,. dass sie das 
Muster für ihre kleinasiatischen Schwestern abgab, wenn- 
gleich sie ihre später sprichwörtliche Berühmtheit wohl erst 
der Bearbeitung durch Euripides verdankte. 

Diese Wahrnehmungen, so augenscheinlich sie sind, 
führen jedoch noch keinesweges zu einem erschöpfenden 
Verständniss der genannten Erzählungen. Denn ebenso gewiss, 
als dass bei ihnen die Uebertragung eines fertigen Modells 
im Spiele war, darf behauptet werden, dass alle drei zu der 
Klasse derjenigen Mythen gehören, welche man mit dem 
Namen der ätiologischen belegt hat, weil sie zur Erklärung 
des Ursprungs irgend einer Erscheinung, eines Zustandes, 
eines Gebrauchs erdichtet sind. Indem dieselben den Versuch 



Tovg naqiovraq vnovXtp (piXo^svla xard^vs ' juer^X&e S^avtoy ij rar 
rerelevTr^xoTioy v€/ueai,g. ''HqaxXvji y^Q emre&ftg rto qonahp Sisj^Qtjaaro, 

* Apollod. II 6, 3. 2vX€a Ss iv AvXidi (]. uiuS^^) rovg naqtovra g 
\evovg axanrsiv arayxdl^ovTa^ avv ralg ^^^aig rag a/undXovg oxaipag /uera rvjg 
^vyctT^og SevoSixtjg anixrttivs. • 



LITYER8B8. 13 

enthalten, mehreren einzelnen umständen oder Zügen der 
zu erklärenden Erscheinung oder Handlung eine genetische 
Deutung zu geben, gewähren sie ein mehr oder minder der 
Wirklichkeit sieb annäherndes Spiegelbild dieser Erscheinung 
oder dieses Gebrauches selbst, welches vielfach so deutlich 
ist, dass man daraus dieselben reconsiruiren kann, wenn sie 
selbst aus dem Gedächtnisse entschwanden (vergl. AWF. 
229. 339 ff.). Erregt eine auffallende Yolkssitte die Neubegier 
und weckt das Forschen nach ihrem Grund und Ursprünge, 
so ist es für ein ungeübtes Nachdenken am natürlichsten, 
sich den öfter und mit Kegelmässigkeit sich wiederholenden 
Vorgang als die zur Erinnerung geübte-Erneuerung 
eines in der Yergangenheit liegenden erst- 
maligen Geschehens vorzustellen, und bald wird 
die Phantasie geschäftig sein, die hervorragendsten Momente 
desselben oft in sehr willkürlicher Weise, Ordnung und Reihen- 
folge durch Unterschiebung irgendwoher entlehnter Motive 
zu einer Geschichte zu verknüpfen. Ein Beispiel gewähre 
die bereits AWF. 216 erwähnte rumänische Legende, von 
der mir R. Köhler eine um ein Jahrhundert ältere deutsche 
Variante mittheilt ^ Zur Erklärung der alljährlich geübten 
Volkssitte, am Tage Jacobi und Philippi (1. Mai) Mai- 
bäume vor die Hausthür zu setzen, wird der Kalender- 
tag in den beiden Heiligen Philippus und Jacobus personificirt 
(vergl. AWF. 185) und das Modell der Erzählung einem 
novellistischen Motiv entnommen, wonach jemand Nachts bei 
einer strafbaren Handlung ertappt und der Wiedererkennung 



^ 'Woher es komme, dass man am 1. Maytag pflegt Mayen in 
Kirchen und vor die Häuser zu setzen'. — 'Andere sagen, nachdem 
der Apostel Philippus zu Hierapolis das Evangelium geprediget, da 
haben die ungläubigen Heyden das Haus, da er eingekehret, mit grfinen 
Reisern bezeichnet, weil sie willens gewesen, ihn des Morgens zu fiber- 
fallen und umzubringen. Aber durch Gottes sonderbare Schickung seyn 
über die Nacht alle Häuser in der ganzen Stadt mit dergleichen Zweigen 
besetzt gefunden worden, dass sie also das Haus nicht mehr finden und 
▼on den andern unterscheiden können'. J. A. Plener neue und Ycr« 
mehrte Acerra Philologica. Frankf. u. Lpzg. 1743. S. 726, Historie 67 
des 5 Hunderts. 



14 KAPITEL I. 

halber mit einem Zeichen (Abschneiden der Haarlocke^ ^ 
Kreuz auf der Schulter, Kreidestrich an seinerThür^) 
kenntlich gemacht vielen andern dasselbe Zeichen zufügte 
und sich so dem ihm zugedachten Tode entzog. So entstand 
die Legende: als die Juden Jacobus enthauptet hatten und 
mit Philippus das Gleiche thun wollten, wurde ihr Vorhaben 
zu Schanden, weil der vor der Thür des Hauses, in 
dem man ihn gefangen hielt, als Erkennungszeichen 
aufgepflanzte Baum Tags darauf vor allen Thüren Jerusalems 
gefunden wurde. Die Elemente, aus denen diese Erzählung 
zusammengesetzt ist, lassen sich deutlich unterscheiden. Die 
Aufpflanzung des Baumes, der zu erklärende Umstand, 
gehört dem Volksgebrauch an, die Ursache der Auf- 
pflanzung, das Erkennungszeichen, dem Modell; dass 
der Baum vor den Thüren steht und zwar vor allen 
Thüren, ist ebensowohl ein Zug der wirklichen Volkssitte^ 
die hierin mit der zum Vorbilde dienenden Erzählung zu- 
sammentraf; endlich begegneten sich die Todesgefahr 
des Helden der letzteren und des h. Philippus in der kirch- 
lichen Legende. Die Uebereinstimmung mehrerer Stücke des 
Volksgebrauchs und einer gewissen Erzählung übte mithin 
eine gegenseitige Anziehungskraft aus und führte die Ver- 
schmelzung beider zu einem neuen Gebilde herbei, in welchem 
mehrere Züge, die beim ersten Anblick einfach der Novelle 
entlehnt zu sein scheinen, zugleich Acte der Volkssitte 
poetisch vergegcDwärtigen, eine Angabe aber, dass nämlich 
das Erkennungszeichen ein Baum war, die letztere noch als 



* Vergl. die Geschichte des Agilulf bei Paul. Diao. hisfc. Langob. 

III 30. 

» Vergl. die von R. Köhler (Orient und Oocident II 303 ff.) zu- 
sammengestellten Versionen der Rhampsinitsage. In einem dieser 
Märchen vom Meisterdiebe (a. a. 0. 309. Zingerle K. u. H. M. a. Süd- 
deatsehland S. 300) wird die Hausthür mit Rötheistrichen gezeichnet. 
Hiezn weist mir Dr. R. Köhler von neuerdings hinzugekommenen 
Versionen noch folgende nach: Oyprisches Märchen im Jahrb. f. roman. 
u. engl. Litter. XI 367 flf. (Hausthür mit Fett bestrichen), bretonisches 
M. in der Melusine, Revue de Mythologie. Paris 1877 I 17 ff. (Kreuz 
an die Thür gemacht), sicilianisches M. bei Pitr^ Fiabe e Novelle no. 
159 (Kreuz an die Thür gemacht). 



UTYERSES. 15 

prävalirendes Element in der Oedankenmischung erkennen 
lässt. Wir werden nicht fehlgreifen, wenn wir das nämliche 
Bildungsgesetz auch als den bestimmenden Factor in der 
Entstehung der Lityersessage nachzuweisen den Versuch 
machen. 

Die Busirissage war die ätiologische Deutung einer 
alljährlich zur Abwendung von Misswachs, d. h. für glück- 
liche Ernte geübten gottesdienstlichen Feier, wobei es dahin- 
gestellt bleiben mag, ob bei dieser Gelegenheit ein Fremder 
wirklich oder nur scheinbar getödtet wurde. König Busiris, 
Sohn des Nil, d. h. der Eponymus der Stadt Busiris im 
Delta (koptisch Busiri, Pusiri, arab. Abusir) drückt nur das 
geographische Local der Opferhandlung aus. Die Geschichte 
des Syleus sollte gewisse Gebräuche bei Umgrabung des 
Weinbergs erläutern. Davon weiter unten. Die Lityerses- 
fabel gab einem Erntebrauch pragmatische Erklärung. 
Das Wort Lityerses bezeichnete zuerst ein Lied, ^ und erst 
später wurde daraus der Name einer Person, welche er- 
funden wurde, um auf sie die Urheberschaft des Liedes und 
der mit der Absingung desselben verbundenen Bräuche des 
Erntefestes zurückzuführen. Denn unzweifelhaft vollzog sich 
hier der nämliche psychische Vorgang, welcher aus dem 
Refrain des phönikischon Winzerliedes *ai lenu' den Sänger 
Lines, aus dem mariandynischeu Schnittergesange Borimos 

* Vergl. o. S. 2 anm. 1 den Vers Menanders. Ferner: a) Pollux 

I 38. al Sf ng d^poug rpSai xoivto; ^ufy Traiavfg, vjuyoi * Idioi Sh AqTf'jui^to; 
vuvoq o ovTnyyo;, ^AiroXXiovog o natdv, ajutpoTf'Qwy nqoaodta* ^tovuoou Si^v- 
Qa/ußo;, di.ur]Tqoq lovlog^ Xlvog Sf xai XiTviqaijg attaTravetar tßSai xa\ 
vfiogyHor- b) Pollux IV 54. Boi^t/uog 3e Ma^iavSuycäv yeoDQywi' ^n^a^ 
tog Alyunriioy /nayeqwg xai liruegaag 'i'^vytov. alV Alyunrioig juey 6 Muy'fqwg 
yfiOQyiag sv^STr/g, MovatSy jua&tjrij?, Aixv'fqaag St 'Pov'^ly. c) Apollodor 
im Schol. TheoCP. X 41. roviov Ss (ptjmv ^AnoXXoSto^og wS/jv flyai ^^^lartay^ 
Ztytoy oiria * xa^aneq pv jukr &Q)jyotg läXBjuog^ iy Sf ouvoig XovXog^ ajp' vay 
xat rag toSag avrag xaXovaiv, ovrio xat rcJv ^f^iarcSv taStj AvTie^aaq, 
d) Athen. XIV 10 (619 a). ly Sk ^f^iarwv foStj Xirve^arjg xaXeirai. e) Hesych. 
AiTusQaag laSJjg sirJog. f) Photius lex. AiTveqaav loStjv rtra, ijy aSovaty 
ot &€QCi^oyTfg tag inlarj/uov Ttya ypyovora rtoy naXaiiav rov AiTVBqaav ayaxaXoC" 
juivoi ... ^ de wStj ßaqßttqog* *Pqvyfs yaq aurtjv ^Sov * oi S$ avXfjattag yfyog» 
Es ist klar, dass alle diese Noten auf verschiedenen Wegen aus einer 
und derselben ältesten flössen. 



16 KAPITEL I. 

und aus dem ägyptischen Ernteliede Maneros (s. darüber 
unten) Eönigssöhne gleichen Namens entstehen liess. 

Das yerwandtschaftliche Yerhältniss des Lityerses zu 
Midas drückt nichts anderes als die nationale Zugehörigkeit 
der im Mythos gedeuteten Sitte zu Phrygien aus. Midas 
und Qordius Messen ja abwechselnd alle phrygischen Herrscher. 
Der mythische ürkönig ersteren Namens 'der alte Midas' ge- 
staltete sich gleichsam zum Warzeichen des Landes. Die 
genealogische Anknüpfung des Lityerses an ihn als unter- 
geschobenen Bastards von einer unbekannten Mutter erscheint 
zudem so lose, jedes innere Band zwischen beiden fehlt so 
gänzlich, dass die reilectirende Natur dieses Sagenzuges so- 
fort einleuchtet. Der Urheber desselben fühlte — wie man 
deutlich warnimmt — , wie unziemlich es gewesen wäre, den 
Schnitter als einen echten Sohn des Herrschers zu be- 
zeichnen. In dem allen verräth sich die Hand eines den 
Phrygern fremd gegenüber stehenden Beobachters, eines 
Griechen, der über die phrygische Volkssitte Betrachtungen 
anstellte. Geradeso wird Bormos bei Eallistratos nach der 
Sage der Hellenen in Herakleia der Sohn des Titias und 
Bruder des Mariandynos und Priolas genannt d. h. der 
Eponymen des Volkes der Mariandyner und seiner Städte 
Tition und Priola. ^ Maneros aber heisst ebenfalls nach der 
unter den hellenischen Ansiedlern Unterägyptens aufgenom- 
menen Tradition das einzige Kind des ältesten Königs von 
Aegypten.2 

Die Analogie des Maneros hilft uns zu einem weiteren 
Schritt im Verständniss der Lityersessage. Der Maneros 
war ein ägyptisclies Klagelied, das gleich dem Lines von 
den Griechen nach einem Refrain benannt sein mochte. 
Brugsch vermuthet darin die in mehreren Schriftstücken, z. B. 
dem Klagesange der Isis im Todtenbuch vorkommende Formel 
m&ä-ne-hra kehre wieder I'^ Ein solches Klagelied ward bei 
verschiedenen Gelegenheiten gehört, unter anderem sangen 



« Vergl. Müller Fragm. bist, öraeo. IV 353 flF. 

2 Herod. II 79. 

3 Adonisklage und Linoslied S. 24. 



LITYERSE8. 1 7 

es die Feldarbeiter ^ , weshalb Maneros für einen Sänger 
(^Movaüiv iLiad7]Tfjg) und zugleich für den Erfinder des 
Ackerbaus {Mavegcog ystogylag svQsvfjg) gehalten wurde. 
Dieses Klagelied bei der Feldarbeit war offenbar identisch 
mit dem von Diodor. I 14 erwähnten, welches während der 
Ernte bei Einbringung der zuerst abgeschnittenen 
Garben in Scene gesetzt wurde (sn ydg xodvvv xara 
rov d-€Qi(Tf.i6v rovg TtQoirovg afirjd- ivraq arä/vg d-twag 
TOvg avd'Qionovg üonrsG&at nXrjnlov rov dgay fxar og), 
wobei man unter anderen auch die Isis anrief (vergLAWF. 262). 
Der Maneros soll aber sowohl dem bei der Weinlese ge- 
suDgenen Lines ^ als den Ernteliedern Borimos und Lityerses 
gleichartig gewesen sein.^ Wir dürfen deshalb mit Wahr- 
scheinlichkeit yermuthen, dass auch die letzteren nicht irgend- 
wann während der Arbeit sondern nur bei einem einzelnen 
hervorragenden oder festlichen Acte oder Momente des Ernte- 
werkes angestimmt wurden. 

Wie Maneros wird Lityerses als Erfinder des Ackerbaus 
gedacht. Entkleiden wir den Helden der Sage seiner ange- 
nommenen Prinzenrolle, so bleibt der blosse Feldarbeiter 
zurück, freilich ein riesiger, hochansehnlicher, weil — so 
meinte man — nur ein solcher den Anstoss zur dauernden 
Uebung der im Erntebrauch zur Sitte gewordenen Handlung 
gegeben haben konnte. Immerhin war diese Figur doch nur 
die Projection eines gewöhnlichen Schnitters^ und wir sind 
berechtigt in ihrem Charakter und ihrem Thun trotz oder 
neben der auf .sie übertragenen Formel der Busirissage noch 
Spuren poetischer Gegenbilder des einen oder anderen Mo- 
mentes der Erntevorgänge, wie sie im gemeinen Leben sich 
vollzogen, zu vermuthen. Unsere Annahme bewährt sich so- 
fort durch die Vielgefrässigkeit des Lityerses, da diese 
Eigenschaft, welche übrigens in den uns erhaltenen Be- 
arbeitungen der Fabel durch den Griffel der Komiker vollends 
ins Riesige und Ungeheuerliche ausgemalt erscheint, nur die 



' y^w^iyfüy ^tyjua- obon 8. 15. 

2 Herod. II 79. 

' Vergl. weiter unten das Zeugniss den Nymphis. 
QF. LT. ^ 



18 KAPITEL I. 

Esslust abbildet, die in allen Zeiten und Zonen die unaus- 
bleibliche Folge kraftverzehrender Erntearbeit gewesen ist. 
Sollten dann nicht in der ätiologischen Legende auch noch 
andere Vorgänge beim Erntebrauch zu entdecken sein, Vor- 
gänge, welche einerseits mit der Absingung des Lityerses- 
liedes zeitlich zusammenfielen und andererseits Coincidenz- 
puncte mit gewissen Zügen des Busirismythus hatten? Der 
augenfälligste Zug in letzterem war doch die Tödtung eines 
Fremden. Wird nicht gerade diese die Anknüpfung an die 
Volkssitte bewirkt haben? Die ganz eigenthümliche Art, wie 
Lityerses seine Opfer behandelt, lenkt unsere Aufmerksam- 
keit auf sich. Wir glauben es in hohem Grade wahrschein- 
lich machen zu. können, dass die scheinbare Enthauptung 
eines Fremden, die Einbindung in eine Garbe, vielleicht auch 
das Umherrollen in derselben und der Wurf in das Wasser 
der phrygischen Erntesitte angehörten, und dass dieser Complex 
von Handlungen das Tertium comparationis bildete, welches 
zu der Combination mit dem Rahmen der Busirissage den 
Anlass bot. Um unsere Behauptung zu beweisen, führen 
wir den Leser auf nordeuropäische Ernfeefelder und beob- 
achten mit ihm einige Bräuche, welche sich daselbst alljähr- 
lich bei gewissen Gelegenheiten abspielen. 



§ 4. WETTSTREIT UND EINBINDEN IN EINE GARBE BEIM 
NORDEÜROPAISCHEN ERNTEBRAUCH. 

Ein wichtiger und festlicher Tag für die Landleute ist 
der Tag des Ernteschlusses. Ihn beschliesst ein festliches 
Mahl, bei welchem derjenige Arbeiter, welcher die letzten 
Halme schnitt oder die letzte Garbe band, eine doppelte 
Portion erhält. Naht sich der Schnitt einer Fruchtart 
oder der ganzen Ernte dem Ende, so beginnt ein lebhafter 
Wettstreit zwischen den, Arbeitern, um nicht die letzten Halme 
schneiden oder die letzte Garbe binden zu müssen. Dieser 
Wettstreit gestaltet sich etwas verschieden, je nachdem das 
Korn von Schnittern mit der Sichel geschnitten oder von 
Mähern mit der Sense gehauen, ob es gleich hinter der 



LITYERSES. 19 

Sichel oder Sense gebunden oder erst in Schwaden hingelegt 
und später gebunden wird. Man glaubte, dass entweder 
derjenige, welcher die letzten Halme schneidet, oder der- 
jenige, welcher die letzte Garbe, das letzte Gebund bindet, 
das Numen des Getreidefeldes gefangen habe, 
das vor den Erntearbeitern sich immer weiter zurückzieht 
und nun in den letzten Halmen zum Yorschein kommt. 
Dieses Wesen wird bald in Thiergestalt^ bald in Menschen- 
gestalt, weiblich oder männlich gedacht und heisst in letzterem 
Falle der alte Grossvater oder Erntemann, Boggen- 
mann, Weizenmann, Kartoffelmann u. s. w. je nach der ein- 
geernteten Frucht, de gute Mann u. s. w. Aus den zu- 
letzt geschnittenen Halmen wird ein Bild desselben verfertigt, 
d. h. der Schnitter (Hauer) oder Binder (Binderin) muss aus 
ihnen eine, oft mit Kleidern, Kopfbedeckung und mächtigen 
Geschlechtstheilen «fusgerüstete Figur machen und dem Guts- 
herrn nach Hause bringen. Demjenigen, der die letzten 
Halnae haut oder schneidet, ruft man an vielen Orten zu : 
'Du hast den Alt®'^ und musst ihn behalten.' 
Derselbe Ruf wiederholt sich hinsichthch derjenigen Person 
(Knecht oder Magd), welche die letzte Garbe bindet. Die 
Anfertigung des Alten d. h. der denselben darstellenden Korn- 
puppe geschieht aber nur einmal^ entweder vom Schnitter 
oder vom Binder. Hier eine Schilderung des Hergangs aus 
der Umgegeiid von Danzig. Ist vom Wintergetreide nur 
noch die letzte Reihe zu binden, so werden die Schwaden der- 
artig abgezählt, dass jede Harkerin^ die auch zugleich bindet, 
ein Schwad bekommt. Die Mäher, der Herr, die Kinder 
u. s. w. treten als Zuschauer des Wettkampfs hinzu. 
Die Männer prüfen die gleiche Länge der Schwaden. Ist 
eine Dorffiedel zu bekommen, so ertönt diese. Die 
Grossmagd ruft: 'Greifet den Alten!' Alle Weiber 
binden nun mit Aufbietung aller Kräfte ihre Schwade, welche 
oft 6 — 8 Garben enthält, zu Ende und die Zuschauer passen 
genau auf, welche Binderin bei der Arbeit schwach wird, 
so dass sie mit den Uebrigen nicht Strich halten kann und 
somit die letzte Garbe bindet. Die Unterliegende muss 
*den Alten', dem man die Gestalt eines Mannes gibt. 



20 KAPITEL I. 

zum Herrenhofe tragen und ihn dem Gutsherrn mit den 
Worten überreichen: Hier bring ich den Alten/ 
Nun folgt ein Mahl, bei welchem 'der Alte' mit an den 
Tisch gesetzt, durch Vorlegen einer reichlichen Portion und des 
Erntekuchens (Austkuckel) sowie mit fleissigem Zutrinken 
geehrt wird. Da er natürlich selbst nichts verzehrt, so be- 
dient sich seine Trägerin des ihm zugedachten Antheils. Dann 
wird auf dem Hofe »ein ländlicher Ball eröffnet, bei welchem 
sämmtliche Leute um die Kornpuppe einen Kreis schliessen 
und dieselbe umtanzen. Oder innerhalb des Kreises tanzt 
wiederum die Binderin des Letzten als die Erste längere 
Zeit mit dem Alten — einen anderen Tänzer darf sie während 
des ganzen übrigen Abends nicht haben — ; darauf machen 
alle anderen Arbeiterinnen und Arbeiter einmal mit der 
Puppe die Runde. Auf die Binderin des Letzten aber geht 
selbst der Name der Kornfigur über und bis zur nächsten 
Ernte muss sie noch oftmals, wenn sie sich blicken lässt, 
den Spottruf *da kommt der Alt^' hinter sich ver- 
nehmen. 

Aus Aschbach in Oberfranken schildert Panzer II 217 
die Sitte folgendermassen : "Jetzt woUn mer den Altn 
nausjogng sagen die Schnitter des Gutsherrn oder eines 
grossen Bauern, wenn die Frucht aller Aecker des Hofes 
geschnitten ist. Nun nehmen alle zugleich einen 
kleinen Fleck, auf welchem die Frucht noch steht, in 
Angriff; jeder eilt, so viel er kann, mit seinem 
Theile fertig zu werden. Wer die letzte Handvoll, oder 
den letzten Halm schneidet, dem rufen sie jubelnd zu: *Du 
hast 'n Altn!' Bisweilen wird dem Schnitter oder der 
Schnitterin eine schwarze Maske vor das Gesicht ge- 
bunden, jener in Woibskleider, diese in Mannskleider gesteckt, 
und dann getanzt. Bei der Mahlzeit gehört dem Alten noch 
einmal so viel, als den andern. Ebenso wird es beim Atts- 
dreschen gehalten, wo der 'den Altn hat', welcher zuletzt 
mit der Drischel auf die Tenne schlägt. ^ 

Nicht selten jedoch wird der Schnitter oder die Binderin 



* Ganzer Beitr. z. d. Myth. II 217. 



LITTERSES. 21 

oder an ihrer Stelle irgend eine andere Person selbst in 
die letzten Halme eingebunden und stellt so den-» 
selben immanenten Korngeist nicht nur in todtem Abbilde, 
sondern in lebendiger dramatischer Vergegenwärtigung dar. 
Die folgenden Zeugnisse werden ausreichen, um die Ver- 
breitung der Sitte klarzustellen. 

1. Wer die letzten Halme schneidet oder bindet, wird 
das ganze Jahr hindurch faul sein. Man ruft ihm zu: 
*Hest de Olle, motst em behoUe!' Aus der letzten Garbe 
verfertigen sämmtliche Personen den Alten in Menschen- 
gestalt, der auf dem letzten Puder eingefahren wird. Nach 
Beendigung der Ernte wird ein Junge ganz in Stroh 
eingewickelt. Derselbe muss mit allen anwesenden Per- 
sonen einen Tanz unternehmen. Grammattenbrück Kr. Dtsch. 
Crone Rgbz. Marienwerder. 

2. Nach Beendigung der Mahd des Roggens oder auch 
des Sommerkorns wird aus den letzten Garben eine mensch- 
liche Gestalt geformt und an Stelle des Gesichtes mit einer 
bunt bemalten Maske versehen. Diejenige von den Nach- 
harkerinnen, welche zuletzt mit Binden fertig wurde, muss 
diese Figur, den Alten, der Gutsherrschaft überbringen. 
Auch pflegen sich dabei ein Mann und eine 
Frau in Stroh einzuwickeln und Tänze aufzu- 
führen. Bornzin Kr. Stolpe Rgbz. Cöslin, Pommern. 

3. Wer die letzte Garbe bindet, *hat den Alten* 
und muss die am Ernteschluss verfertigte mit Blumen und 
Bändern verzierte Kornpuppe, 'den Alten*, vor die Thür 
des Bauerwirths tragen. Oft wird auch statt d-essen 
ein Mensch mit Stroh bebunden und stellt 
dann den Alten dar. Gr. Linichen Kr. Dramburg Rgbz. 
Cöslin. 

4. Der Binderin der letzten Garbe ruft man zu: 'Du 
hast den Alten und musst ihn behalten.* Der 
Alte ist ein grosses mit Blumen und Bändern reichlich ge- 
ziertes Gebund, das mit einem Menschen Aehnlichkeit hat. 
Es wird auf der Harke befestigt, zuweilen auch auf ein 
Pferd geschnallt und so unter Musikbegleitung ins 



22 KAPITEL I. 



• 



Dorf gebracht. Bei Ueberbringung des Alten spricht die 
Binderin : 

Hie, lewe Herr, is der ülle, 

He kann sik nich lenger im Feld uphulle, 

He kann sik nich lenger verhehle, 

He matt sik int Dörp rinquäle. 

Die Herren warde so gütig sin 

TJn schenke dem Ulle 'n bat. 

Vor ungefähr 40 Jahren wickelte man auch die 
betreffende Binderin ganz in Erbsstroh und 
führte sie unter Musikbegeitung nach dem herrschaft- 
lichen Hofe. Dort tanzte man mit derselben, bis das Erbs- 
stroh abfiel. Der Herr spendet den Arbeitern Geld und eine 
reichliche Mahlzeit. Auch wer die letzte Garbe 
drischt, 'hat den Alten. Kloxin bei Pyritz Rgbz. Stettin. 

5. Beim Einfahren des letzten Fuders Weizen oder Roggen 
findet ein förmlicher Wettlauf unter den Mägden statt, 
weil keine die letzte sein und *d e r Alte* benannt werden 
will. Diejenige, welche schliesslich diesen Namen davon- 
trägt d.h. die letzte Garbe aufladet, wird ganz in Korn- 
halme gewickelt, mit Blumen garnirt, erhält 
als Kopfputz einen Helm von Stroh und Blumen 
und trägt an der Spitze eines feierlichen Aufzuges unter 
Gesang die Erntekrone zum Gutsherrn, dem sie dieselbe 
über den Kopf hebt, wobei sie eine lange Litanei guter 
Wünsche abbetet. Diese Procedur wiederholt sich unter 
Ueberreichung kleinerer Kronen an die Herrin, den Ver- 
walter und alle zur Gutsherrschaft gehörigen Anwesenden. 
Ist dies Geschäft vorüber, so beginnt der Tanz, bei dem 
'der Alte' abermals besondere Vorrechte geniesst. Er 
tanzt vor und hat die Freiheit, sich seine Partner durch das 
ganze Haus zusammenzusuchen. Es ist gewiss ermassen eine 
Ehre mit ihm zu tanzen. Erst, wenn seine Tanzlust be- 
friedigt ist, wird der Tanz allgemeiner und die Herrschaft, 
deren Weggang er jeden Augenblick verhindern darf, kann 
sich zurückziehen. Kremzow und Beplin Kr. Saazig Rgbz. 
Stettin. 

6. Nur bei der Roggenernte ruft man der Binderin des 



LITYEBSES. 23 

Letzten zu: 'Du hast den Alteu/ Die Tagelöhner bewickeln 
mit der letzten Roggengarbe auf dem Felde 
eine Frau und zwar so, dass nur der Kopf frei 
gelassen wird. Vor das Gesicht hängt man ihr einen 
weissen Schleier, damit sie nicht erkannt werde. Die Haare 
werden ebenfalls mit einer aus Getreide gefertigten und mit 
vielen Bändern und Blumen geschmückten Mütze bedeckt. 
Diese Frau heisst der Erntemann. Der Erntemann wird 
vom Felde mit Musik heimgeholt und muss zur Belustigung 
der Arbeiter vor dem letzten Fuder Roggen hertanzen bis 
vor die Wohnung des Gutsherrn , wo er beschenkt und 
wieder enthüllt wird. Blankenfelde bei Mittenwalde Kr. 
Teltow Rgbz. Potsdam. 

7. Wer die letzte Garbe bindet, hat den Alten. Ge- 
wöhnlich wird durch die List der Mädchen ein junger 
Bursch hineingebunden und muss sich durch ein 
Lösegeld wieder befreien. Beim Dreschen empfängt der- 
jenige, welcher den letzten Drischelschlag macht, den Namen 
'der Alte. Es folgt ein Fest, bei welchem *der Alte' den 
ersten Trunk Bier erhält. Oelsen bei Friedland Kr. Lübben 
Rgbz. IVankfurt. 

8. Derjenige Mäher, welcher die letzten Komhalme 
schneidet, wird oftmals mit Kornhalmen bebunden und zwar 
so, dass man kaum zu unterscheiden vermag, ob ein Mann 
in den Halmen sitze oder nichts Der so bebundene und 
bewickelte Arbeiter wird von einem anderen rüstigen Arbeiter 
auf die Schulter genommen und unter freudigem Zujauchzen 
aller Mäher und Mädchen auf dem Felde umhergetragen, 
wobei fast immer der Getragene von den Harkenstielen der 
Mädchen arg zugedeckt wird. Sobald man ihn wieder auf 
die Erde setzt, muss er etwas zum Besten geben, in der 
Regel Schnaps. Der Magd, welche die letzte Garbe bindet, 
setzt man eine aus Getreidehalmen verfertigte Krone auf, 
und der Vormäher tanzt mit ihr um die aufgestellte Garbe, 
die mitunter mit Tüchern und Bändern verziert wird. Gommern 
bei Magdeburg. 

9. Beim Harken und Binden wird diejenige Person, 
welche das letzte Gebund hatte, mit Haferähreu um- 



24 KAPITEL I. 

bunden und als Hafermann ausgerufen, worauf man 
um sie herumtanzt. Neuhausen bei Alsleben Saalkr. Rgbz. 
Merseburg. 

10. Der Aufseher der Erntearbeiter wird ins letzte 
Gebund eingebunden. Zarnowanz Kr. Oppeln, Schlesien. 

11. Auch zu Hermsdorf und Leiserdorf bei Qoldberg 
in Schlesien ward noch vor ca. 30 Jahren die Abraffemagd 
zur letzten Garbe regelmässig in dieselbe hineingebunden. 

12. Beim Binden der Garben legt eine Person das Seil 
unter das Bund, eine andere bindet zu. Kann der Um- 
schläger nicht vor dem Binder wegkommen, so schlägt 
letzterer ein Seil um ersteren und bindet ihn mit in ein 
Bund. Amelungshausen bei Lüneburg. 

13. Auf das letzte Fuder wurde ein mit Blumen 
und Aehren bebundener Knecht gesetzt. Im Hofe 
hielt er eine Anrede und musste dann mit allen Mädchen 
der Reihe nach so lange tanzen, bis alle Blumen und Aehren 
von ihm abgefallen waren. Auf der Geest bei Tendern Rgbz. 
Schleswig. 

14. Beim Erntefest trägt eine vorher bestimmte Person 
einen Kranz von den zuletzt abgeschnittenen Aehren auf dem 
Kopf, ihr Leib wird in Kornhalme eingehüllt. 
Im Dorfe angekommen wird sie über und über mit Wasser 
begossen, Udvarhely, Siebenbürgen. 

15. Aus den letzten Halmen verfertigen die Schnitter 
ein Bund kleiner als die übrigen und binden den Hauer des 
Letzten hinein, damit er Bier gebe. Solör, Norwegen. 

16. In die erste Garbe bindet man den Hauswirth 
hinein. Brie, Seine et Marne, Isle de France. 

17. Vor 50 Jahren wurde noch ein Mann, der 'der 
Alte hiess, in die letzte Garbe eingebunden. Man 
Hess ihn auf der letzten Fuhre Platz nehmen und führte ihn 
unter Jüchen und Singen auf derselben zum Hofe, 
kullerte (wälzte) ihn da rund um die Scheune herum 
und begoss ihn mit Wasser. Dingelstedt bei Heiligenstadt 
Rgbz. Erfurt. 

18. Wer den letzten Schlag mit dem Dreschflegel macht. 



LITYERBES. 26 

wird in Stroh gebunden und auf der Tenne umhergerollt Nörd- 
lingen im Ries. 

19.- Wer- beim Ausdrusch den letzten Drischelschlag 
macht, bekommt den Alten. Muth willige Drescher 
binden ihn in eine Schied Stroh und tragen ihn dem Nach- 
bar, zu, der noch nicht ausgedroschen hat. Bza. Kemnath, 
Oberpfalz. 

20. Beim Ausdreschen des letzten Bundes wird der, 
welcher die letzte Garbe hinauswirft, mit einem Stroh- 
bande gefangen, in ein Bund Stroh gebunden, und 
heisst der Alte. Gotteszell Bza. Viechtach, Niederbaiern. 

21. Wer den letzten Drischelschlag macht, heisst Stadel- 
henne, wird in Korn gebunden, gewälzt und muss sich 
dreimal um die Scheuer führen lassen. Korneu bürg, Ober- 
österreich. 

22. Wenn die letzten 3 — 4 Mandeln auf dem Felde 
stehen, bindet man einen für diesen Zweck bereit ge- 
haltenen Affen (eines umherziehenden Savoyarden) in 
Aehren ein und hetzt ihn mit lautem Geschrei um die 
letzten Mandeln herum. Ist kein Affe zu haben, so wird 
ein Mensch in Stroh eingebunden und demselben an Stelle 
des Schwanzes ein Strohwisch in den Hintern gesteckt. Nun 
gilt diesem die Jagd. Abends laufen abermals mehrere in 
Stroh gehüllte Männer um die letzten Garben herum. Sie 
halten einen Teller brennenden Spiritus vor sich, was ihren 
Gesichtern ein gespensterhaftes Aussehen gibt. Wischers- 
dorf bei Linz. 

Dieselbe Sitte begegnet vielfach auch da, wo der Korn- 
geist als Weib (die Alte, Kornmutter u. s. w.) oder als 
dämonisches Thier gedacht ist. Ich verweise u. a. auf die 
gelegentlich von mir schon vorgebrachten Beispiele, wonach 
z. B. der Erntebock (AWF. 164), der Kornwolf (AWP. 
821), der Kornkater (AWP. 173) durch Menschen, die in 
Kornhalme gehüllt sind, dargestellt werden. 

In allen diesen Fällen liegt die Vorstellung zu Grunde, 
dass der Dämon des Getreides, der Alte der Vegetation, aus 
den zuletzt geschnittenen oder gedroschenen Aehren heraus- 
getrieben während des Winters in der Scheuer sein Leben 



26 KAPITEL I. 

fortführe. Mit der neuen Aussaat geht er dann 
wieder zu Felde, um aufs neue als belebende 
Kraft im auf spriessendeu Korne wirksam zu 
sein. Diesen Gedanken drückt sehr deutlieh ein Gebrauch 
aus, mit welchem der czechische Bauer in mehreren Ortschaften 
des Klattauer Kreises (Chudenic, Kozomysl, Strejßkowic u.s. w.) 
den Beginn des Ackerns (voraßky) feiert. Die jungen 
Leute versammeln sich zu dieser Festlichkeit an einem vor- 
herbestimmten Orte, hüllen einen aus ihrer Mitte 
vom Kopf bis zu den Füssen in langes Roggen- 
oder Weizenstroh, stülpen ihm eine aus Stroh 
geflochtene Mütze auf den Kopf, binden ihm 
eine Larve vor oder machen ihm das Gesiebt 
schwarz (vergl. o. 8. 20 und BK. Register: Schwärzung des 
Gesichts) und führen ihn dann mit Musik und Tanz 
durch das ganze Dorf. In jedem Hause tanzen sie ent- 
weder im Hof oder auch in der Wohnstube mit dem Stroh- 
mann und den Mädchen, die im Gehöfte wohnen, singend 
herum, worauf sie sich mit einigen Geldstücken und Naturalien 
(Eiern u. s. w.) belohnt vom Herrn und der Frau vom Hause 
mit einem langen Glüpkwunsch verabschieden, um dann im 
Wirthshause bei einem gemeinsamen Mahle (vergl. BK. 585) 
die gesammten Gaben zu verzehren. In der Ansprache, 
welche mit dem Wunsche beginnt, Gott der Herr möge dem 
Bauer und der Bäuerin in diesem Sommer viel Getreide auf 
den Feldern, viele Mandeln in den Scheuern, viele hundert 
Scheffel auf dem Schüttboden, viel Gras auf den Wiesen, 
viel Vieh in den Ställen u. s. w. bescheeren, ist u. a. auch 
gesagt; 'Gras und Stroh für's Vieh möge noch 
höher wachsen, als die Mütze dieses Stroh- 
manns ist'. 1 Vergl. den Walber BK. 312. 

Ich will hiebei im Vorübergehen einer eigenthümlichen 
Modification der in Rede stehenden Gebräuche erwähnen. 
Der in der letzten Garbe gefangene Geist des Kornfeldes 
wird zuweilen als unsichtbarer Helfer bei der 



1 Krolmus Staroceske powesti II 350—352. Reinsberg-Dürings- 
felu Böhm. Festkalender 98. 



LITYERSES. 27 

Erntearbeit aufgeführt. In Brie (Seine et Marne) 
werfen die jungen Leute dem Nachbar, der noch nicht ans- 
gedroschen hat, wenn sie mit ihrer Arbeit endigten , einen 
Strohmann auf die Tenne, verfertigt ays einem mit Halmen 
umwundenen Holzkreuz unter roher Andeutung des Kopfes, 
und sagen, der solle ihm beim Dreschen helfen. 
Geradeso wirft man im Erzherzogthum Oesterreich dem Nach- 
bar, der mit dem Dreschen noch nicht fertig wurde, den L e o b - 
mann oder Labe- Mann (von lab, lässig, lau, untüchtig), 
eine mit Lumpen bekleidete Strohpuppe, der ein Dresch- 
flegel oder eine Drischel an einem Bande von der 
Schulter hängt, auf die Tenne und sagt, er solle dreschen 
helfen. Der Ueberbringer ruft u. a. : 

Leutl, nemt's *n Leoblmann, 
Der recht sdkrisch dreschen kann. 
Ja der drischt für zöha (zehn), 
Habt's ÖS engd Ijoba not gsehä. 
Und was noch das Bössa wä (wäre), 
Er braucht not yil zum Essen ä (auch). 
S^ Tagrs sibn Loabl Brod is gnue, 
Neun Pfund Sau fleisch a dazue, 
Drei Mass Brantwein oder Most 
Is d leichte Dreacherkost. 

In der Umgegend von Neubrandenburg (Mecklenburg) 
ruft man bei Beendigung des Bindens : *Wi will'n nu mal 
den Ollen grlpen!' Dann macht man die Schwaden 
von gleicher Länge. Alle fangen auf ein gegebenes Zeichen 
wetteifernd zu gleicher Zeit zu binden an. Wer die letzte 
Garbe macht, hat eine menschliche Figur aus mehreren Garben 
herzustellen, der durchgesteckte Stöcke die nöthige Haltung 
geben und deren Ausschmückung durch Laub, Blumen, 
Bänder und oft auch Kleidungsstücke vollendet wird. Die 
Binderin, welche den Ollen krigt', 'bringt ihn auch an', 
d. h. sie trägt ihn zum Herrenhause und sagt: 

Guden Dag! Guden Dag int Herrenhus! 
Ick bring den Ollen iit'n Feld to Hüs. 
He hett harkt un bun'n (gebunden), 
He hett Sieg gewun'n. 
Ich bitte für mich um ein Glas Wein, 
Für meine Gesellschaft um Branntewein. 



28 KAPITEL I. 

Ist in Döverden , Amt Verden , Prov. Hannover das 
Bfaken und Schiepen (letztes Reinigen des Flachses) vorbei, 
so machen die Mädchen aus dem Schaf (Abfall) einen 
Schewekerl, eine menschliche Figur, stecken ihr einen 
Brief mit Spottversen in die Hand und stellen sie vor die 
Thür dos Nachbars, der noch nicht fertig ist. Der Brief lautet: 

Gufcen Abend, Frau Mutter! 

Was macht Euer Hund? 

Ist Eure Katze noch g^esund? 

Was machen die Mädchen, 

Dass sie nicht besser haben gebrakt? 

Was machen Eure Knaben, 

Dass sie nicht besser haben gehakt^? 

Ich bin der Mann, 

Der alles kann. 

Ich kann fünfhundert Bund baken, 

Fünfzig Boten braken, 

Dreissig Boten schlepen und häkeln (hecheln), 

Und das alles in einem Tag, 

Dazu gebrauch ich meine Macht; 

Dazu muss ich haben 84 Sohweinesohinken 

und einen Anker Wein zu trinken, 

Neunzig Gänse, die'gebraten, 

Und zwölf Hühner, die gesaton, 

Und ein Anker Branntewein 

Muss auch bei der Mahlzeit sein. 

Zuweilen wird der Drescher des Letzten als 'der Alte' 
selbst in Stroh gewickelt, ein Dreschflegel ihm 
zur Seite gesteckt. So wird er zum Nachbar ge- 
tragen, wird dort mit Wasser begossen und muss 
dreschen helfen (z. B. Witschenau bei Linz). Zu Stoll- 
feld in Oberfranken liess man auf jedem Acker, wenn die 
Frucht abgeschnitten war, mehrere Halme mit ihren Aehren 
stehen, band sie mit Gräsern, Blumen und abgeschnittenen 
Aehren zu einem Busch zusammen und füllte den Zwischen- 
raum bis zum Boden mit Aehren. Das nannte man das 
Sankt Mäha Städala (des heiligen Mähers Scheune). 2. In 
der Umgegend des KyfFhäusers machen die Drescher am 

^ baken, mit dem hölzernen Sohlegel den Flachs weich klopfen. 
« Vergl. Panzer Beitr. z. d. Myth. II 217. 



^ITTEBSES. 29. 

Fastenabend (um welche Zeit das Dreschen zu Ende geht) 
eine Puppe, ein Männchen darstellend, welches Dreschflegel, 
Harke, Scheffel und Hetzen trägt, stellen es auf den Tisch 
und sammeln Gaben dafür ein.^ Wie der männliche Korn- 
dämon als Mäher d. h. als behilflich beim Mähen oder als 
Geber des Kornschnitts aufgeführt wird, feiert man — wie 
wir später sehen werden — auch den weiblichen Korngeist 
bald als Schnitterin, bald als D r e s c h e r i n. Auf 
Westerland-Föhr Rgbz. Schleswig schreckt man die Kinder 
vom Verlaufen ins Kornfeld mit der Rede ab *da sitze 
der Rogslader drin ; im Bza. Wallersdbif, Niederbaiern, 
sagt man in gleicher Absicht: *Der Erbsenschlägel 
komm t.' 



§ 5. TÖDTUNG DES KORNGEISTES IM ERNTEBRAÜCH. 

Während die vorstehenden Bräuche deutlich die Vor- 
stellung enthalten, dass der Korngeist in den letzten Halmen 
der Ernte fortlebe und im Gehöfte des Bauern überwintere, 
laufen daneben wohl erkennbare Reste einer anderen An- 
schauung her, wonach derselbe mit dem Reifen des Getreides 
an Altersschwäche sterbe oder durch die Sense oder 
Sichel des Schnitters den Tod finde und dann 
im nächsten Jahre wiedergeboren werde. Schon 
der Name *der Alte' d. h. der altgewordene Korndämon 
bewährt diese Anschauung als die ursprünglichere. Sehr 
klar tritt sie in manchen Formen des Erntebrauches hervor, 
wo der Dämon in Thiergestalt als Hase, Hund, Katze, Geiss, 
Widder u. s. w. gedacht ist. Werden die letzten Halme 
des Erntefeldes geschnitten, in die sich der Geist, wie man 
glaubte, zurückgezogen hatte, so heisst es, *der Schnitter 
schneide der Geiss den Hals ab' (Rheinprovinz, 
AWF. 166), oder er 'tödtet den Hasen (vielfach in 
Deutschland, Schweden, den Niederlanden, Frankreich, Italien); 
es wird Branntwein dabei ausgetheilt und dieser als das 
Blut des getödteten Hasen (Hareblod) bezeichnet 



^ Kuhn Nordd. Sag. 370 n. 7. 



30 KAPITEL U 

(Norwegen). In Lothringen heisst es von dem Schnitter der 
letzten Halme: 11 tue le chien de la moisson'. (Yergl. 
Correspondenzbl. d. deutschen anthropolog. Gesellsch. 1877 
S. 15). Langsames Grasmähen wird als Schindung des 
Bocks an Stelle schneller schmerzloser Tödtung bezeichnet. 
(AWP. 171). Auch wenn die letzte Lage Korn ge- 
droschen wird, kommt der Dämon zum Vorschein; dann 
wird *der Dreschhund derschlagn (Tirol, Corre- 
spondenzbl. a. a. 0.). Zuweilen stellen lebende Thiere im 
Erntebrauch den beim Kornschneiden oder Ausdrusch ge- 
tödteten Dämon dar. Die Schnitter setzen in die letzten 
Halme, welche geschnitten werden sollen, einen Hahn hinein, 
verfolgen ihn haschend bis über den Acker oder 
graben ihn bis an den Hals in die Erde und 
schlagen ihm in beiden Fällen mit der Sichel 
oder Sense den Kopf ab. (Deutschland, Ungarn, Polen, 
Picardie. Korndäm. S. 15 ff.). Zu Udvarhely in Sieben- 
bürgen binden die Szecler einen lebendigen Hahn 
in die letzte Garbe hinein. Einer sticht ihn dann 
mit einem Bratspiess darin zu Tode. Den Leichnam 
balgt man aus und streut Haut und Federn des- 
selben mit den Körnern der letzten Garbe, in 
welche der Hahn eingebunden war, bei der 
Frühlingsaussaat in das Saatfeld. Hier ist auf das 
deutlichste die Anschauung ausgedrückt, dass der in der 
letzten Garbe immanente dämonische Getreidehahn bei dem 
Kornschnitt getö dt et, in den aufspriessenden Körnern der 
neuen Aussaat wieder auflebe. (Korndäm. S. 15). Ebenso 
versucht man ein Schwein mit Sicheln zu Tode zu werfen 
(Picardie), oder man gräbt einen Widder bis an den Kopf 
in die Erde und tödtet ihn mit der Sense (Böhmen). Anders- 
wo legt man beim Dreschen der letzten Getreideschütte eine 
lebendige Katze unter das Korn und erschlägt 
sie mit dem Dreschflegel (Bourgogne, Bretagne. 
AWF. 174). 

Nicht ganz so häufig tritt die in Rede stehende Vor- 
stellung noch bei denjenigen Formen des Brauches hervor, in 
denen der Korngeist anthropomorphisch aufgefasst wird. In 



LITYERSES. 31 

Norwegen (Oersteos Sogn, Voldens Praßstegjeld, Bomsdals 
Amt, Bergens Stift) sagt man am Schluss der Heuernte, 
da 88 man den Heukerl todtgeschlagen habe (at 
man har slaaet Slaattekallen ihjel). Im Bza. Bogen, Nieder- 
baiern, bat derjenige, welcher den letzten Drischelschlag that, 
'den Korl (d. i. Kornerl), Haberl, Wazerl (je nach 
der Fruchtart Korn, Hafer oder Weizen) erschlagen. 
In Laar, Amt Neuenhaus, Grfschft. Bentheim, Pr. Hannover, 
ist es gebräuchlich, dass die Drescher, wenn sie mit ihrer 
Arbeit Abends aufhören, mit den Flegeln einige Male zu- 
gleich zuschlagen. Das heisst 'den Boer dod slän. 
Den schlagendeten Beweis für die Vorstellung von Tödtung 
des Korngeistes liefert der litauische Erntebrauch, da in ihm 
der Schnitter der letzten Halmp darauf angerufen wird, er 
haue der Rugifiboba (der Roggenalten) den Kopf 
ab', wovon er hinfort der Roggenweibtödter heisst. 

Zur Erklärung der Redensart *den Bauer todt- 
schlagen' muss erwähnt werden, dass mehrfach der Bauer 
oder die Bäuerin statt des Schnitters, der Binderin oder 
des Dreschers der letzten Garbe im Volksgebrauch den Alten 
oder die Kornmutter vertreten oder darstellen. Vergl. z. B. 
BK. 612. Es darf daher gefragt werden, ob Korndäm. 8. 5 
die in Deutschland, Dänemark und Polen verbreitete Sitte 
ganz richtig gedeutet ist, dass die Schnitter nach dem Ab- 
mähen der letzten Halme zu Hofe ziehen, ihre Sensen 
streichen (wetzen), sich scheltend darüber beklagen, dass 
sie mchts mehr zu mähen haben, und wenn der Gutsherr 
nicht mit einem Geldgeschenk oder Trünke sich löst, alle 
Kohlköpfe im Garten mit ihren Sensen oder Sicheln abmähen. 
Die Kohlköpfe bedeuten augenscheinlich die Häupter der 
Familienmitglieder, wie denn ein absterbender Kohlkopf im 
Garten den Tod eines Familiengliedes anzeigen soll. Ich 
deutete die Sitte dahin, dass der Bauerwirth als intellectueller 
Urheber der Tödtung des Korndämons mit den Seinigen von 
Rechts wegen selbst dem Tode verfallen sei und sich durch 
eine Mordsühne davon loskaufen müsse, widrigenfalls die 
Tödtung an ihm und seiner Familie symbolisch vollzogen 
' werde. Doch könnte es nun zweifelhaft erscheinen, ob nicht 



32 KAPITEL I. 

vielmehr er selbst den Eorndämon vertreten, jener Brauch 
eine Darstellung des Hinsterbens der Eornpsyche sein sollte. 



§ 6. DER FREMDE IN ERNTEGEBRAUCHEN. 

Zu dieser Frage berechtigen in Sonderheit auch die nach- 
stehenden Bräuche, in denen der Qutsherr, die Gutsherrin 
oder ein Fremder, wenn sie zum ersten Male das Erntefeld 
oder den Dreschplatz besuchen, für Repräsentanten oder für 
die sichtbare Erscheinung des entweichenden (der Gestalt 
nach ja unbekannten) Getreidegeistes genommen und mit 
einer symbolischen Handlung begrüsst werden, welche un- 
verkennbar die Absicht enthielt, dadurch die Erscheinung, 
die Fesselung oder die mit dem Kornschnitt (bezw. Aus- 
drusch) vollzogene Tödtung des Dämons darzustellen. 

Wenn während der Erntearbeit der Gutsherr oder ein 
Gast desselben das Kornfeld oder die Dreschtenne zum ersten 
Male besucht, oder wenn ein Fremder zufällig vorüber- 
geht, so bindet man ihn mit einem Bande aus Aehren, bis 
er mit einem Trinkgelde sich löst. Diese Sitte findet sich 
ganz allgemein in ganz Deutschland mit der Massgabe, dass 
vielerwärts dieselbe nicht an dem Grundeigenthümer, sondern 
nur an Fremden vollzogen wird. Mehrfach jedoch sind 
noch kleine Abänderungen derselben erhalten, welche in 
ihr die abgeblasste Form eines früher ausdrucksvolleren 
Brauches erkennen lassen. Man kann die folgenden Fälle 
unterscheiden: 

a) In Oberbaiern schmücken die Schnitter dem 
Gutsherrn, wenn er aufs Feld kommt, das Haupt mit 
Aehren. 

b) Beim Flachsbrechen wird ebendaselbst derjenigen 
Person, welche zufällig des Weges vorüberkommt, 
der Agen (Spreu) gestreut; sie muss sich mit einem 
Geschenke lösen. Hier liegt die Vorstellung zu Grunde, 
dass der Betroffene aus den Flachsknotten herauskomme. 

c) Fremde Personen, die während der Ernte mit 
den Herrschaften aufs Feld kommen, werden mit einem 



LITYER8E8. 33 

Getreidebande gebunden und lösen sich mit einem Geld- 
geschenk. Die Operation erfolgt stillschweigend mit 
einer Art Ueberrumpelung. (Kronenhof, Danziger Neh- 
rung). Kommt der Gutsherr oder ein Fremder am ersten 
oder letzten (besonders an diesem) Tage der Ernte aufs 
Feld, so wird er von der Vorharkerin mit einem Kornbande 
gebunden (Kr. Neustadt Rgbz. Danzig). Beim Schneiden, 
Dreschen, Flachsbrechen werden Bekannte und Fremde, die 
hinzukommen, mit einem Bande aus Kornhalmen gebunden, 
vorüberfahrende Fuhrleute angehalten und ebenso be- 
handelt (Umgegend von Celle). Nur Fremde werden ge- 
bunden, indem eine Schnitterin aus einer Handvoll Achren 
ein Seil macht und dies dem Fremden um den Arm 
bindet, als bände sie eine Garbe'. Sie spricht dabei: 

Hier komm^ ich mit nieinom Kränzelein, 
Damit Rollen Sie gebunden sein. 
Solionken Sie eine Gabe gross oder klein; 
Damit will ich zufrieden sein. 

(Reinbek, Holstein). *I d' Halm' nehme', in die Halme 
nehmen, ist am Züricher See eine fast überall noch übliche 
Sitte. Die Schnitter umfangen den herankommenden oder 
vorübergehenden Hausherrn mit einem Btischel Halmen. 
Ebenso wird der vorübergehende Fremde unversehens 
mit einer Schlinge von Halmen aufgehalten, oder man 
bindet ihm einen Halm an den Rockknopf und hält ihn so 
lange fest, bis er sich loskauft (Canton Zürich). Kommt 
der Herr zum ersten Male beim Dreschen in den Stadel, so 
gehen die Arbeiter darauf aus, ihn mit einem Kornbande zu 
fangen und festzuhalten, bis er sich mit Bier löst. Dieser 
Gebrauch heisst: Es ist des Herrn Bruder (die Meinung ist: 
der Korngeist als alter ego des Herrn) gestorben (Hasling, 
Niederbaiern). 

d) Die Anlegung des Kornseiles an den Arm ist das 
gewöhnliche. Zuweilen wird aber auch der Fuss oder das 
Knie umschnürt, oder nur ein Halmsträhn vor die Füsse 
gelegt. Im Kreise Marienburg Rgbz. Danzig z. B. legt 
man dem Gutseigner oder Fremden ein Kornband ums 

QF. LI. 3 



34 KAPITEL I. 

Knie; im Kr. Pr. Stargardt Rgbz. DaDzig wirft oder legt 
da8 älteste Mitglied des Arbeiterpersonals ihm eine Hand- 
voll Aehren oder ein Kornseil vor die Fiisse. — Man 
bindet dem Fremden ein Strohseil ums Bein (Achim Landdr. 
Stade, Lehrte Landdr. Lüneburg). Professor B. Qaidoz 
beobachtete das Nämliche in Irland. Tendant Tete de 1867 
je me trouvais dans un but d'etude dans la petite ville de 
Kenmare, comte de Kerry. J'etais entre en me promenant 
dans un pre, qu'on fauchait, quand un des faucheurs me 
jeta une poignee de foin sur les pieds. La personne, 
qui m'accompagnait, me dit, que suivant To^^inion du pays 
j'etais prisonnier et que je devais, pour me delivrer, une 
gratification aux moissonneurs.' 

e) Zuweilen wird der Hals umschnürt. Kommt der 
Herr aufs Erntefeld und ist er ledig, so binden ihn die 
hübschesten Mädchen mit einem Kornbande am Halse 
(Gegend von Krakau, Galizien). Beim Flachsbrecheln findet 
das sogenannte Kragein statt. Sieht eine Brechlerin ein 
Mannsbild vorübergehen, so läuft sie hinzu und fährt ihm, 
wenn er niederen Standes ist, um den Hals. Ist er vor- 
nehm, so legt sie Flachs in einem Kranze ihm auf den Weg 
und lässt ihn sich vom Kragein loskaufen (Pusterthal, 
Tirol). 1 Geht -jemand an den Brechlerinnen vorbei, so 
schleichen oder springen sie mit einem Reisten (Bündel) 
Flachs, soviel sie eben auf einmal brechein, hinzu und 
schnüren ihm damit den Hals, bis er verspricht Brannt- 
wein zu zahlen. Auch wird der Yorübergehende häufig mit 
'Graten beworfen (Unterinnthal; Zillerthal).- 

f) Statt des ümschnürens von Arm, Bein oder Hals 
wird ein Korn- oder Flachsbündel bloss vorgehalten. Im 
Stifte Hildesheira legt man dem Gutsherrn beim Kornschneiden 
einige Halme um den Arm; beim Flachsbrechen hält man 
dem zufällig vorbeikommenden Fremden eine Riste 
Flachs mit den Worten vor: 



^ Li. V. Hörmann : Der heber gat in litun. 40 n. 94. 
2 Hürmann a. a. O. 51 n. 157. 



LITYERSES Bf) 

Sei hewwet sik vergangen, 

Dram weret Sei gefangen. 

Schenken Sei mi 'n Glas Ber oder Win, 

Dann sult Sei wedder erlöset stn. 

Wenn Flachs oder Hanf im Freien gebrochen wird und ein 
'Herr' an den Arbeiterinnen vorbeikomrat, hält ihm eine 
eine Handvoll Hanf schüttelnd und ausbreitend ent- 
gegen, indem sie ruft: 

Hier schöttli meini Aegla (Aegne), 
Den Herrn nem i gfanga. 
Gfanga müesset Sie sei, 
Bis Sie langet in Sack nei. 

(Würtemberg).^ 

g) Das Halmbüschel ist offenbar nur die Abschwächung 
einer ganzen Garbe. Zu Linden bei Hannover hält man 
nicht dem Outsherrn, wohl aber Fremden, die das Erntefeld 
besuchen, oder vorüber passirenden Reisenden eine ganze 
Garbe vor; sie müssen sich lösen. 'Als ich vor mehreren 
Jahren zwischen Edagsen und Springen an einem Kornfelde 
vorbeikam, wurde mir von mehreren Binderinnen eine 
Garbe vorgehalten.' Beim Flachsbrechen binden die 
Frauen dem Fremden eine Riste um den Arm oder, was 
feiner ist, sie bringen ihm einen Teller, auf dem ein Flachs- 
ring mit Blumen verziert liegt; beim Schneiden streicht 
man die Sichel und legt ihm eine Garbe zu 
Füssen. (Rechtenfleth im Stcdingor Lande, und fast all- 
gemein im Herzogthum Bremen und Verden). 

h) Das Vorhalten der Garbe war aber sicher wieder- 
um nur Abschwächung ^es Einbin dens in dieselbe, das 
noch mehrfach erhalten ist. Wer aufs Feld kommt, Herr 
oder Fremder, wird in eine Garbe (Bond d. i. Bundt, Neg, 
Knippe af Kornstraa) gebunden und muss sieh mit Trink- 
geld lösen (Solör, Norwegen). In der Gegend von Soest 
wird der Gutsherr, wenn er zum ersten Male zum Flachs- 
braken kommt, ganz mit Flachs bewickelt. Vorüber- 
gehende werden ebenfalls von den Brechlerinnen umringt, 



' Meier Sagen a. Schwaben 446 n. 16i. 

3* 



36 KAPITEL I. 

in Flachs eingebunden und müssen Schnaps zahlen 
(Witschenau, Unterinntbal).^ Fremde werden mit Stroh- 
bändern eingefangen und an eine Garbe gebun- 
den, bis sie sich lösen (Nördlingen im Ries). Dies An- 
binden an eine Garbe ist auch eine Art der Darstellung des 
Korndäraons. Vergl.BK.612. — Wennjemand, der nicht 
zum Hofe gehört, aber doch so bekannt ist, dass man 
einen Spass mit ihm wagen darf, am Erntefelde vorbei- 
geht, machen die Schnitter Jagd auf ihn. Können sie 
ihn erhaschen, so binden sie ihn in eine Garbe ein und 
beissen ihm einer nach dem andern in die Stirn, indem sie 
ausrufen: 'Tu porteras la clef du champ/2 (Brie, Seine et 
Marne, Isle de France). Letzterer Ausruf wird genau das- 
selbe sagen, was sonst "du hast die letzte Garbe geschnitten 
oder gebunden', *du hast den Alten', du bist der Alte'. 
Der Fremde wird also hier geradezu als *d er Alte' charak- 
terisirt. 

i) Ein zarterer Ausdruck für jenes Umschnüren der 
Füsse mit Kornhalmen oder das Vorlegen von Aehren vor 



* Hörmann a. a. 0. 40 n. 92. 

- Wer den letzten Wagen Heu nach Hftuse fährt, muss den 
Wiesenschlüssel mit nach Hause bringen. Derselbe wird von 
Weidenholz so gross wie möglich gefertigt und dann am Heubauni 
bpfestigf. (OberwuUstädt Kr. Friedberg, Oberiiessen). Bei der aus 
Schweden und Esthen gemischten Bevölkerung von Birkaas auf der 
hisel Nuckö in Esthland wird beim Schneiden oder Mähen des letzten 
Kornstücks ein grosser Wetteifer rege, indem jeder strebt zuerst 
fertig zu werden, indem er ausruft: *Ich will nicht den Schlüssel 
haben' (ja wil ent häwa ligguln) d. i^ den Schluss machen. Auch 
die Binderinnen beeilen sich, nicht 'den Schlüssel zu haben'. 
Im Rgbz. Oppeln, Oberschlesien, muss derjenige, welcher beim Schluss 
des Ausdreschens aller Früchte den letzten Drischelschlag 
m a c h t e , zu dem Nachbar, der noch nicht fertig wurde, einen mit ünrath 
gefüllten Topf oder einen alten Schlüssel tragen und mit den 
Worten auf die Dreschdiele werfen : *Hier habt ihr den Schlüssel! 
Ein andermal fördert euch besser!' Wird er dabei erwischt, so bindet 
man ihm ein Büschel Stroh auf den Rücken. — Beim Schluss des Aus- 
dreschens wird dem Nachbar, der noch nicht fertig ist, ein aus Stroh 
gefertigter Schlüssel auf die Tenne geworfen. Bza. Sulzbach, 
Oberpfalz. 



LITTEBSES. 37 

dieselben ist die abgeleitete Weise, mit eiDem Halmbüschel 
oder Plachswisch die Püsse, Stiefel, Schuhe zu bestreichen 
oder abzuwischen. In der Umgegend von Soest werden dem 
Fremden mit einem Kornseile die Füsse zusammen- 
gebunden oder die Stiefel geputzt. Dasselbe geschieht 
allgemein in Westfalen, in der Bheinprovinz und in mehreren 
anderen deutschen Landschaften. An die Stelle der Korn- 
halme ist dann häufig ein Halstuch, eine Schürze oder die 
ehrerbietig vom Kopf gezogene Mütze getreten. Man spricht 
dabei : 

Dem Horrn za Ehren, mir zu Nutzen, 
Werd' ich dem Herrn die Stiefel patzen. 

Indien het koorn op het land word gedorsoht op een 
zeit, bestaat in Zeeland de gewoonte, vr eemden, die daarbij 
komen, de voeten af te vegen ten einde een drink- 
geld te krijgen.' Ausser den Fremden, die vorbeigehen, 
werden auch dem Mädchen, das am ersten Erntetage das 
Frühstück aufs Feld bringt, also gleichfalls einer nicht zum 
Erntepersonal gehörigen Person, die Schuhe mit einem Stroh- 
wisch gekehrt, und sie muss Getränk zahlen (Kr. Moers) 
Beim Hanf brechen nehmen die Mädchen den Vorübergehenden 
die Mütze vom Kopf oder putzen ihnen die Stiefel mit Alsen, 
Abfällen vom Hanf (Kr. Saarlouis). ^ 

k) Das Schuhabwischen ist zuweilen verbunden mit dem 
Beissen in den Zeh (vergl. o. S. 36 das Beissen in die 
Stirn). Wenn die Küchenmagd den Boggenmähern zum 
ersten Male das Frühstück bringt, beisst ihr jeder Arbeiter 
in die Zehen (Grafsch. Limburg; Herscheid Kr. Altena 5 
Apierbeck Kr. Dortmund). Wenn die Magd zum ersten Male mit 
dem Essen zu den Schnittern aufs Feld kommt, droht ihr der 
Baumeister (Oberknecht) mit dem Sensenschärfer die 
Zehen zu haaren. Sie kann sich davon durch Branntwein 
lösen (Kr. Hamm Rgbz. Arnsberg). Fremden^ die das A e h r e n - 
feld oder die Dreschtenne besuchen, wischt man die 



1 Kommt bei der Hopfenernte in Eent der Besucher des Guts- 
herrn zum ersten Male aufs Feld, wird ihm mit Hopfenblältern über die 
Stiefel gewischt, wofür ein Trinkgeld erwartet wird. [A d. H.] 



38 KAPITEL I. 

Schuhe mit einem Aehrenbüschel und beisst sie 
in die Zehen (Kr. Meschede). Wahrscheinlich weil um 
die Pastnachtzeit das Dreachen auf den Bauerhöfen zu Ende 
ging, finden sich die vorstehenden Gebräuche zuweilen auf 
Fastnacht und Ostern übertragen. Die Knechte wischen 
den Mägden, die Mägde den Knechten die Schuhe ab, oder 
beide Geschlechter beissen sich gegenseitig in die 
Zehen (Assinghausen, Zs. f. D. Myth. I 396). Am Fasten- 
montag bürsten die Mägde den Knechten die Füsse, 
Tag's darauf schneiden die Knechte den Mägden die Socken 
von den Strümpfen und beissen ihnen dabei wohl auch 
in die Zehen (Alten-Hundem), während in der Grafschaft 
Mark am Fastnachtmontag die Mannsleute von den Weibs- 
leuten, am Dienstag die letzteren von den ersteren in die 
Zehen gebissen werden (Kuhn Westf. Sag. II 128 n. 388). 
In Yorkshire in England rauben die jungen Leute den 
Mädchen , am Ostermontag die Mädchen den Burschen 
die Schuhe oder Schuhschnallen, falls sie nicht mit einer 
Gabe sich lösen (Kuhn a. a. O.). Die Uebertragung vom 
Schluss der Dreschzeit auf Fastnacht entspricht genau der 
Uebertragung des Hahnschiagens vom Schluss des Dreschens 
auf dieselbe Zeit (vergl. Korndäm. S. 16). 

1) Vielfach sehen wir einen wohlbegründeten Unterschied 
gemacht, insofern dann die beschriebenen Gebräuche nur von 
den Garbenbindern (bezw. Binderinnen) ausgeübt werden, 
während die Hauer und Schnitter sich mit ihren Sensen 
an dem Besucher zu thun machen. Die Schnitter treten mit 
ihren Sensen zu dem Herrn oder dem vorübergehenden 
Fremden und bitten sich ein Trinkgeld aus (Gr. Tessin, 
Mecklenburg). Wenn der Gutsherr zum ersten Male auf das 
zu schneidende Getreidefeld kommt, stecken die Arbeiter 
zwei Sensen kreuzweise in die Erde und lassen ihn 
nicht herein, er muss sich loskaufen (Stockerau unt. d. Mann- 
hartsberge, Oesterreich). Die polnischen Emtearbeiter in der 
Prov. Preussen gehen um den Besucher herum oder legen 
ihm ihr Werkzeug vor die Füsse. Wenn der Haus- 
herr oder die Hausfrau zum ersten Male die Mäher auf dem 
Felde besuchen, tritt der vorderste Mäher vor, legt ihnen 



LITYERSBS. 39 

die Sense vor die Füsse und sagt mit entblösstem 
Haupte einen Spruch (Fühlen bei Rinteln Prov. Hessen). 
Dem zum ersten Male das Erntefeld besuchenden Herrn wird 
ein Pruchtseil um den Arm gewunden und eine 
Sense um die Beine gehalten (Goldbeck bei Rinteln). 
Vollständiger noch ist der Gebrauch z. B. in Parchenburg 
Grfsch. Schaumburg Pr. Hessen. Wenn ein Fremder auf 
dem abzumähenden Erntefelde erscheint, wird demselben von 
den Schnittern die Sense vorgelegt. Er muss die Sense über- 
schreiten und ein Trinkgeld geben. Man sagt; 

Mein Herr, Sie haben sich vergangen ; 
Mit meiner Sense sein Sie gefangen. 
Durch eine Kanne Bier oder Wein 
Sollen Sie erlöset sein. 

Kommt der Gutsherr aufs Feld, so wird ihm der rechte 
Arm mit einem Kornbande an eine in die Erde gesteckte 
Sense gebunden (Kr. Stryi, Galizien). Sowohl der Guts- 
herr als der Fremde werden beim Besuch des Kornfeldes 
entweder mit einem Kornbande oder mit einem Geräth, das 
bei der geernteten Frucht gebraucht wird, gefesselt, beim 
Roggenschnitt also mit Roggenhalmen gebunden oder 
*in die Sense genommen', bei der Heumahd mit einem 
Heubande geschnürt oder mit der Harke festge- 
halten (Grfsch. Schaumburg Pr. Hessen). 

In Pommern und Mecklenburg zerfällt die Ceremonie 
noch reinlich in 2 Acte. Die Schnitter (Hauer) machen 
Anstalt, den Besucher wie das abzumähende Getreide zu be- 
handeln, die Binderinnen vollziehen an ihm das Werk des 
Garbenbindens. Am Morgen des Tages, an welchem ange- 
hauen ist, wird der Gutsherr, die Gutsfrau oder ein Fremder, 
sobald er aufs Feld kommt oder vorübergeht, von den Mähern 
empfangen, indem sie, das Gesicht dem Ankommenden zuge- 
wandt, die lautschallenden Sensen mit dem Streichbrett 
(Sträks) im Takto streichen (d. h. schärfen, wetzen), als 
ob sie sich zum Abmähen der Halme zurecht machen. Darauf 
tritt die Vorbinderin mit einem Bande hinzu und schlingt 
ihm dasselbe um den linken Arm. Er muss sich mit Geld 

» 

lösen (Mecklenburg - Strelitz). Sobald der Herr oder eine 



40 KAPITEL I. 

andere Standesperson aufs Feld kommt oder vorübergeht, 
hält die ganze Arbeiterschaar in ihrem Geschäfte inne und 
rückt — die Männer mit ihren Sensen voran — auf den 
Besucher zu. Am Puncto des Zusammentreffens reihen sich 
Männer und Frauen hintereinander zur Front auf, indess die 
ersteren ihre Sensen mit den Bäumen (Schäften) in die Erde 
stecken (wie es beim Wetzen zu geschehen pflegt) , ihre 
Kopfbedeckungen abnehmen und oben aufhängen. Der Vor- 
hauer tritt vor und sagt einen Spruch. Nach Beendigung 
desselben streicht er mitsammt seiner Abtheilung 
mittels des Sträkes recht kräftig im Tacte die 
Sense, worauf ein jeder wieder sein Haupt bedeckt. Jetzt 
treten zwei Binderinnen vor. Die eine bindet den Herrn 
(bezw. den Fremden) mit Aehren oder mit einem Seiden- 
bande; die andere hält eine gereimte Anrede (Fürstenthum 
Ratzeburg). Statt des Bandes aus Halmen benutzen die 
Binderinnen mehrfach schöne, oft mit Blumen und Aehren 
geschmückte Seidenbänder. Hier einige der von den Schnittern 
und den Binderinnen gebrauchten Spräche. In Gr. Silbe 
Kr. Saazig, Pommern, verlegt man jedem Vorübergehenden 
oder Vorüberfahrenden mit einem Kornseil den Weg; die 
Schnitter schliessen um den Ankommenden einen Kreis und 
streichen die Sensen, der Vorhauer spricht: 

Die Männer sind gewogen^ 
Die Sensen sind gebosren; 
Das Korn ist gross und klein. 
Der Herr mass bemähet sein. 

Zum Schluss wird das Sensenstreichen wiederholt. In Ramin 
bei Grombow Kr. Randow Rgbz. Stettin heisst es in der 
Anrede an den im Kreise der Schnitterstehenden Ankömmling: 

Wir wollen den Herrn bestreichen 

Mit unserm blanken Schwert, 

"Womit man Felder und Wiesen scheert; 

Wir scheeren Grafen und Fürsten. 

Arbeitsleute thut's oftmals dürsten; 

Schenkt der Herr Bier und Branntewein, 

So kann der Spass bald beendet sein. 

Ist dieser Wunsch nicht recht, 

Ist doch der Streich ein Schwerterrecht. 



LITYERSES. 41 



Die Binderin sagt z. B.: 



oder: 



Ich sah den Herrn kommen, 

loh habe rair^s Yorgenommen, 

Ich werde Sie binden 

Mit lieblichen Dingen, 

Mit lieblichen Sachen, 

Viel Compclmente kann ich nicht machen. 

Ich werde Sie binden fein und fest; 

Sie werden sich losen aufs allerbest.^ 

Dem Herrn to £r, 
Mi to'n Stopke Ber. 



Zuweilen besorgen die Schnitter zugleich das Streichen 
und das Binden des Fremden. So geht z. B. zu Sckorczyn 
Kr. Karthaus Rgbz. Danzig der Vorhauer um die zu bin- 
dende Person im Kreise herum und spricht, indem er die 
Sense in die Erde stützt: 

Dies ist der Tag, den Gott gemacht, 

An dem ich binden und schnüren mag. 

Ich schnüre nicht zu hart und fest. 

Bester Herr, verzeihen Sie recht, 

Warum dass ich Sie bitten möcht\ 

Ich bitte um einen Reichsthaler fein. 

Wenh's nicht ein Thaler kann sein, 

Bitt* ich um eine Flasche Branntewein. 

Dass nun wirklich das Streichen der Sensen die 
Vorbereitung zum Mähen bedeutet, dürfte aus folgender 
Variante der vorstehenden Sitten hervorgehen. Kommt 
jemand aufs Erntefeld, so wird er gefragt, ob er einen 



^ Zu Dammsdorf Rgb. Potsdam bindet sie den Fremden mit 
einem blauen Bande und spricht: 

Wir haben yernommen, 

Dass der Herr ist angekommen. 

Wir wollen ihn binden 

Mit lieblichen Winden, 

Mit lieblichem Lachen. 

Viel Complimente kann ich nicht machen. 

Hierauf folgt eine Flasche Wein, 

Eine gebratene Gans und ein halbes Schwein, 

Darfiber wird der Herr nicht böse sein. [A. d. H.] 



42 KAPITEL I. 

Lustigen bestellen wolle. Bejaht er, so mähen die Ar- 
beiter unter Jolen undSchreien einige Schwaden 
und fordern dann ein Trinkgeld (Echem Landdr. Lüneburg). 
Das Schnüren und Binden ist vom Erntebrauch auch auf 
andere Gelegenheiten, z. B. den Hausbau, übergegangen, 
dort aber nicht ursprünglich, wie ich anderswo eingehend 
beweisen werde. 

m) Ganz entsprechende Gebräuche wiederholen sich auf 
der Dreschdiele. Kommt ein Fremder zur Tenne, so sagt 
man: *Skael 'k de e Plaildans lire? Soll ich dich den Plegel- 
tanz lehren? Antwortet er jaT, so legen sie ihm die 
Arme des Dreschflegels um den Hals (als wäre er 
eine Korngarbe) und drücken zu, dass ihm fast die Luft 
vergeht (Wiedingharde, Amt Tondern^ Schleswig). In den 
Kirchspielen Töcksmark und Oestervallskog in Wermland 
schlingt man Halmbänder um den Fremden, der 
ein Erntefeld besucht. Kommt ein solcher auf die Tenne, 
während gedroschen wird, so heisst es, man wolle ihn das 
Tennenlied lehren (at lära honom Lovisan)'; man legt ihm 
den Dreschflegel um den Hals und ein Halm- 
band um den Leib. Einer fremden Frau, welche auf die 
Tenne kommt, legt man den Dreschflegel um den Leib und 
einen Halmkranz um den Hals , man setzt ihr eine Krone 
von Kornhalmen auf den Kopf und ruft aus: 'Se Sädesfrun! 
Se, sä ser Sädestösan ut ! Sieh ! sieh die Kornfrau ! Sieh, so 
sieht die Kornjungfer aus!' Hier wird der besuchende Freunde 
wiederum auf die klarste und unzweideutigste Weise als der 
Repräsentant des Korngeistes bezeichnet, 

n) Noch nicht verständlich sind mir folgende Bräuche. 
Im Osnabrückischen werden zur Ernte kommende 
Fremde mehrmals an Kopf und Füssen in die 
Höhe gehoben. Man nennt das 'upbören (Kuhn Nordd. 
Sag. 400 n. 111). Derselbe Gebrauch lässt sich in Schottland 
nachweisen.^ Kommt jemand auf ein Erntefeld, so suchen 



1 The Edinburgh Courant gives the following report of an 
extraordinary scene, whioh took place on Tuesday week after the trial 
of reaping machines, at Carberry Mains: 'After the oompetition, 
a scene occurred on the public road leading to the fields, which may be 



LITYER8E8. 43 

ihn vier handfeste Jungfrauen (oder Frauen) unversehens 
zu ergreifen, zwei am Kopfe, zwei an den Beinen. Sie 
halten ihn in wagerechter Stellung, und eine fünfte kriecht 
unter ihm durch und gibt ihm einen Kuss, worauf er nach 
Erlegung eines Lösegeldes unter Gelächter ' entlassen wird. 
Die Sitte heisst wandeln (Kr. Simmern Rgbz. Coblenz). 
An der Saar im Hochwald und Hundsrück werden die Kaulen 
zum Flachsbrechen gewohnheitsmässig an öffentlichen Wegen 
oder Strassen angelegt. Jeder Vorübergehende, wenn nicht 
besondere Rücksichten es verbieten, wird von den *Brecher- 
schen' angehalten und mit einer Handvoll gebrechten Flachses 
über die Stiefel gewischt. Glaubt man sich das er- 
lauben zu dürfen, so wird der Vorbeigehende von ein paar 



common etiough in the district, but which in the eyes of a stranger 
must have certainly appeared very ridiculous. About thirty or forty 
of the female workera employed as *lifters' in the competition 
assembled together, and, in the roost good-humoured, but determinod 
manner, seized hold of several farmers as they left the field, and hoisted 
them on their Shoulders in the most ludiorous manner. These amazons 
went about the matter in the coolest way possible, and they did not 
confine their attention to the farmers, but one young landed proprietor 
they once and again surrounded and heaved shoulderhigh. A portly- 
looking f armer, not less than 20 stone, suspecting that he was to be 
made an object of attack, ran off as fast as he was able. He was 
foUowed by the females, who soon o?ertook him, not, howeyer, before 
he had stumbled and fallen to the ground. After having raised him 
up, and satisfied themselves that their victim was none the worse of 
bis fall, the 'lifters' coolly removed his hat and placed it on the roadside, 
seized him by the Shoulders and legs, and dandled him about 
like a plaything. They then released him, placed his hat on his head, 
and having expressed a hope that he had sustained no injury by his 
fall they let him go. Another farmer was chased for a considerable 
distance, but being lighter of foot than his neighbour, he escaped. 
Some of the victiras purchased their ransom by throwing money to 
their captors, while others submitted to the ordeal rather than pay the 
black-mail. This continued tili all who ventured to run the gauntlet 
had left the place. The custom — which is, no doubt, looked upon as 
fun by the females — is followed, we understand, in some parts of 
Fife and the North; and if we mistake not, there is a reference in 
Chambers's 'Book of Days^ to a similar practice in some districts of 
England/ [vergl. das. Sept. 24]. 



44 KAPITEL I. 

jungen Mädchen oder Frauen gehowanzelt', wobei das 
jüngste Mädchen (Frau) dem so Belästigten auf jede Backe 
einen Kuss gibt. Gibt er darauf kein Trinkgeld, so er- 
giessen sich über ihn reichliche Schimpfreden, und gezerrt, 
mit riss- und fetzen weisen Spuren auf dem ßücken geht er 
davon. 

o) Im Liineburgischen üb erh äufen die Schnitter vor- 
übergehende Fremde mit den schmutzigsten Schimpf- 
wörtern, bis dieselben ein Trinkgeld geben. Beim Rappsaat- 
dreschen wird der Vorübergehende ebenfalls gewaltig ausge- 
schimpft (Ostfriesland, Oldenburg ; vergl. Kuhn Nordd. Sag. 399 
n.^111. Strackerjan Abergl. a. Oldenb. II 79 n. 365). In Ditmar- 
schen rufen die Schnitter, in Schleswig (Eiderstedt, Husum, 
Tendern) die ßappsaatdrescher vorübergehendenFrem- 
den das Wort 'Hör bück!' nach (vergl. AWF. 170). Aus 
Calabrien berichtet Craven : 1 returned to Gerace by one of 
those moonlights, which are known only in these latitudes, and 
which no pen or pencil can pourtray. My path lay along 
some cornfield, in which the natives were em- 
ployed in the last labours of the harvest, and I 
was not a little surprised to find myself saluted with 
a volley of oppröbrious epithets and abusive 
language, uttered in the most threatening voice and 
accompanied by the most insulting gestures. This extra- 
ordinary custom is of the most remote antiquity and ob- 
served towards all strangers during the harvest 
and vintage seasons; those, who are apprised of it, 
will keep their temper as well as their presence of mind, 
as the loss of either would not only serve as a signal for 
louder invectives, but prolong a contest, in which success 
would beas hopeless as undesirable'.^ 

Halten wir noch einmal kurze Rückschau auf die 
vorgeführten Gebräuche, so zeigt sich, dass der vorüber- 
gehendeFremdein denselben ganz die Rolle spielt, welche 
sonst demjenigen, welcher die letzten Halme schnitt, oder den 



* A Tour through the southern Provinoes of the Kingdom of 
Naples. By the Hon. Richard Keppel Craven. London 1821 p. 287. 



LITYERSES. 45 

letzten Drischelschlag machte, zugewiesen wird, d. h. er stellt 
den entweichenden Dämon des Getreides dar. Als solcher 
wird er durch den Namen Sädesfru (o. S. 42), durch die 
Rede, er trage den Schlüssel des Feldes (o. S. 36), durch 
die Bezeichnung als Bruder d. h. als mythischer Doppel- 
gänger des Herrn (o. 8. 33) ausdrücklich bezeichnet Er 
wird durch plötzlichen Ueberfall gehascht, in die Garbe 
eingebunden, am Halse mit einem Dreschflegel 
gekniffen (will sagen, aus dem Korne herausgedroschen), 
in die Sense genommen (wie die Halme, in denen der Korn- 
geist immanent ist). Er wird symbolisch mit dem Getreide 
zugleich geschnitten (bemäht, o. S. 40); sobald er sich zeigt, 
schärft man die Sensen zum Schnitt (o. 8. 39), man bindet 
ihn an eine Sense an (o. S. 39), lässt ihn eine solche 
überschreiten (sie sollte ja eigentlich durch ihn hin- 
durchgehn), oder legt sie an den Hals oder vor die 
P ü 8 8 e (weil das Getreide entweder oben unter den Aehren 
oder unten am Boden abgeschnitten wurde). An ihm wird 
mit der Sense 'Schwerterrecht' geübt (o. S. 40), vor 
ihm werden einige Schwaden wirklich gemäht (o. S. 42). 
Alle diese Handlungen drücken den Gedanken aus, dass er 
gleich den Halmen gemäht, getödtet werden müsste und das 
Trinkgeld, mit dem er sich von der Vollziehung dieses Actes 
loskauft, ergibt sich als ein als Hauptlösung gezahltes Sühn- 
geld. Ursprünglich muss der Brauch sich auf unbekannte 
Fremde bezogen haben, welche unvermuthet am Erntefelde 
vorbeikamen, so dass in ihnen der unsichtbare Dämon des 
Ackerfeldes leibhaft aufzutauchen den Anschein hatte. 

Wie die Schnitter ihrerseits, behandeln die Binder 
und Drescher ebenfalls den Fremden ganz nach Art der 
von ihnen bearbeiteten Garbe. Der Schmuck des Kopfes 
mit einem Aehrenkranze, das Vorhalten eines Korn- oder 
Flachsbündels ist deutlich Abschwächung der Einhüllung 
in ein solches (o. S. 35); das Streuen der Flachsspreu be- 
zeichnet den Fremden als den aus den Hülsen entsprungenen 
Korngeist. Ob aber das Umbinden des Armes, des Leibes 
oder der Knie mit einem einfachen Strohband ursprünglich 
auch nur ein jüngerer Ersatz der vollständigen Umwickelung 



46 KAPITEL I. 

mit Kornähren oder Stroh, oder ob es eine Nachbildung der 
Umschnürung der Garbe mit Strohseilen gewesen ist, wage 
ich noch nicht zu entscheiden. Die Abwischung der 
Schuhe mit einem Halmsträhn ist wieder nur Abschwächung 
der Fesselung beider Füssc mit einem solchen. Dass vor- 
zugsweise die Fusse damit bedacht wurden, mag eine 
Uebertragung von der durch Vorhalten der Sense bewerk- 
stelligten symbolischen Darstellung des den Fuss der Halme 
treffenden Kornschnitts sein. Das Einbeissen in Stirn 
und Zehen war vielleicht ebenfalls eine symbolische Dar- 
stellung des Einbeissens der Sense oder Sichel in den Körper 
des Korngeistes ;^ es hat dieselbe aber, da der letztere zu- 
gleich xar' i^o/ijv als zeugerisch gedacht wird, eine Umdeu- 
tung in erotischem Sinne erfahren, und diese nämliche Be- 
ziehung macht sich in den Sitton des üpbörens, Wandelnsj 
Howanzelns (o. S. 42 ff.) geltend. Als Dämon der Fruchtbar- 
keit wird der Korngeist bezw. der ihn darstellende Fremde 
denn auch beim Vorübergehen mit allerlei auf derbe Liebes- 
lust bezüglichen Beiworten angerufen. Eingehende Nach- 
forschungen werden ohne Zweifel herausstellen, dass auch 
der calabrische Brauch inmitten einer Reihe von Gebräuchen 
steht, w^elche ihm die angegebene Bedeutung zuweisen. 

Die geschilderte Repräsentation des Korngeistes durch 
den Fremden läuft häufig an denselben Orten neben der 
anderen Darstellung desselben durch die aus der letzten Garbe 
gefertigte Kornpuppe oder durch den Schnitter bezw. Binder 
der letzten Garbe her. Ein derartiger Pleonasmus gehört 
aber zu den auf dem Gebiet der Volkssitte, zumal des Ernte- 
brauches, ganz gewöhnlich auftretenden Erscheinungen. Ver- 
schiedene Varianten oder Modificationen einer und derselben 
Sitte oder mehrere nächst verwandte Gebräuche, die sich 
auf irgend einen bestimmten Zeitpunct beziehen, treffen von 



1 Schwerlich darf an eine alte Opfersitte gedacht werden von 
der Art der folgenden in Benny. Daselbst wird alle drei Jahre die 
schönste Jungfrau geopfert; der Priester, welcher di,e Kriegsgefangenen 
zum Opfer schlachtet, beisst aus dem Kacken derselben ein 
Stück ab. Die Glieder werden zerschnitten, in einem Kessel gekocht 
und zum Essen vertheilt. 



LITYERSES. 47 

verschiedenen Seiten her zusammen und werden, miteinander 
vermischt oder einfach nebeneinander gestellt^ zu einem neuen 
Ganzen vereinigt. lieber diese Erscheinung s. unten. 

Sollte noch irgend ein Zweifel übrig geblieben sein, 
dass der Fremde in diesen Gebräuchen den Pflanzengeist 
darstelle, so wird derselbe völlig schwinden, sobald wir die 
folgende von Dr. jur. Leonhard von Ysselsteyn aufgezeichnete 
niederländische Sitte in ihrem Zusammenhange haben ver- 
stehen lernen. In Zeeland besteht bei der Ernte der Erapp- 
wurzeln die folgende Gewohnheit. Wenn jemand an einem 
Felde vorbeigeht, worauf Krappgräber (meekrapdel- 
vers) beschäftigt sind \ und er hat die Verwegenheit ihnen zu- 
zurufen 'Erootspillers!' (turbationem, noxam portendentes),^ 
so machen zwei der Flinksten, die im voraus dazu bestimmt 
sind, auf ihn Jagd, ohne dass ihm ein anderer zu Hilfe 
kommen darf. Bemeistern dieselben sich seiner, so bringen 
sie ihn auf das Krappfeld und graben ihn unter Spott- 
rufen zum mindesten bis an den Unterleib in eine 
Grube ein, woraus er sich loskaufen muss. Auch besteht 



^ Nachdem die Krapppflanze (rabia tinctorum) zwei Sommer und 
einen Winter in der Erde gesteckt hat, wird im Herbste (September oder 
October) das gelblich gewordene Kraut abgeschnitten und darauf die 
den rothen Farbstoff enthaltende Wurzel ausgegraben. Hierbei 
ist darauf zu sehen, die Wurzeln alle ganz und unverletzt herauszu- 
bekommen, weshalb die Beete ganz und fleissig umgewühlt werden 
müssen. lieber diese Bestellung und Ernte des Krappfeldcs s. L. Einsle 
die Farbepflanzen. Weimar 1852. S. 2 ff., G. C. Käst, Prakt. An- 
weisung zum Anbau der Krapp- und Röthewurzeln. Quedlinburg u. 
Leipzig 1838. S. 3 ff. 

^ Das Wort Krootspiller scheint auf den ersten Anschein 
zusammengesetzt aus kroot, karoot, franz. carotte (rothe Rübe, Mohr- 
rübe) und spiller, Vergeuder, Zerstörer. Man roüsste annehmen, dass 
der Brauch ursprünglich beim Ausnehmen der rothen Rüben oder Runkel- 
rüben geübt und von dort mit dem Schimpfwort auf die den rothen 
Farbstoff enthaltenden Wurzeln der Rubia tinctorum übertragen 
sei. So würde Ro th würz el zerstör er in obigem Zusammenhang 
einen sehr treffenden Sinn geben. Da aber die Krappwurzel (mee- 
krap) und rothe Rübe (kroot) so unähnlich sind, dass schwer abzu- 
sehen ist, wie jemals die erstere mit dem Namen der letzteren be- 
zeichnet sein sollte, da kroot in obenstehender Ueberlieferung nicht die 



48 KAPITEL I. 

hiebei die höchst unsaubere Gewohnheit, dass die Wurzel- 
gräber vor dem Eingegrabenen ihre Nothdurft ver- 
richten (hun gevoeg doen). 

Zur Erklärung dieses auf den ersten Ansehein sehr 
sonderbaren Brauches ist es erforderlich, dass ich ausser den 
bisher besprochenen Auffassungen noch einer weiteren Er- 
wähnung thue, wonach der Dämon der Kulturfrucht nicht so- 
wohl als derselben- immanent, sondern vielmehr als Eigen - 
thümer derselben angesehen wird, so dass die Aberntung des 
Feldes ihn seines Besitzes beraubt und zum armen Manne 
macht (vergl. Korndäm. S. 7 ff. 31. 32. AWF. 170). Er 
wird deshalb mehrfach als 'der arme Mann oder 'die 
arme Frau charakterisirfc. So bleibt in Merkers und 
Tiefenort bei Eisenach eine kleine Garbe Tür die arme 
alte Frau' auf dem Acker stehen; in Marksuhl bei Eisenach 
aber heisst die in Menschengestalt geformte letzte Garbe 
selbst 'die arme Frau', zu Alt Lest Kr. Liegnitz der 
Binder der letzten Garbe 'Bettelmann. In Flensborgsgaard 
bei Roeskilde auf Seeland wird die letzte Garbe von alt- 



Rübe bezeichnen kann, und keine andere Pflanze, als diese, kroot heisst 
oder je geheiasen hat, so wird es wahrscheinlich, dass kroot hier kein 
Pflanzenname, sondern etwas anderes ist. Ich pflichte daher Professor 
M. de Vries bei, dass das fragliche Scheltwort eine dialektische Neben- 
form von Krootspoller darstelle. Derselbe hatte die Güte in einem 
Briefe die sprachliche Richtigkeit seiner Deutung durch folgende Mit- 
theilungen zu begründen. Nhd. Krot, krod, Belästigung, Bedrängung, 
Beschwerde, Schädigung (turbatio, vexatio, noxa, dolor), vergl. Grimm 
DWB. V 2412—2414, ist in den Formen cFoet, croot, crot 
auch im Nl., namentlich im Mn). ein in derselben Bedeutung wie im 
Nhd. gewöhnliches Wort, z. B. iemand oroet ende hinder dcen (creare 
alicui moicstias et noxam). In Zeeland, namentlich in der Gegend von 
Axel, wo der verstorbene Aufzeichner obigen Gebrauches, Herr von 
Ysselstein, wohnte, wird das scharfe e mundartlich in i geändert (De 
Jager, Archief voor Nederl. Taalk. II 64). Man sagt bringen, 
kitting, ridderen für reinnl. brengen, ketting, redderen, mithin 
auch Spillen für spellen (sagen, ankündigen). Wie man sagt kwaad 
spellen, Uebel ankündigen, storm spellen, Sturm verkündigen, können 
krootspillers im Axelschen Dialekte recht eigentlich die Schä- 
digung, Belästigung ansagenden (tioxam portendentes) 
bedeuten. 



LITTER8ES. 49 

modischen Bauern zuweilen durch ein Band, welches einen 
Kopf bildet, in eine rohe Menschengestalt verwandelt und 
Rugstötter (Boggenbettler) benannt. Im südlichen Schonen 
heisst die letzte Korngarbe, welche gebunden wird, 
Städaren, Stätaren (Bettler): man macht sie grösser als 
die andern und stellt sie mitten auf den Garbenhaufen. An 
einigen Stellen wird sie vom Binder des Letzten mit 
Kleidungsstücken ausgerüstet. Derselbe sitzt am Jul- 
abend am Ende des Tisches und erhält grössere Portionen 
als die übrigen. Neben ihm sitzt wieder ein bekleideter 
Strohmann, der 'Städare.*^ Im Kreise Olmütz in Mähren 
heisst die letzte Garbe Zebrak (Bettler), ein altes Weib 
erhält sie, das damit auf einem Fuss nach Hause hinken 
muss (vergl. die lahme Geiss. AWF. 165). Auch im Kr. 
Hradisch in Mähren heisst Zebrak (Bettler) die letzte Garbe; 
sie wird kleiner gemacht als die übrigen. 

Bei solcher Auffassung ist es erklärlich, dass der vor- 
übergehende Fremde, als Repräsentant des Fruchtgeistes sieh 
geberdend, den Erntearbeitern zuruft: Schadenverkünder!' 
Sie berauben ihn ja diebisch seines Eigenthums, das Erscheinen 
auf dem Erntefelde verkündet ihm die grösstmögliche Ver- 
wirrung und Schädigung, seine mit Nothwendigkeit eintretende 
gänzliche Armuth. Ihnen liegt aber daran, ihn auf dem Acker, 
der Stätte seiner Wirksamkeit festzuhaltcD , damit er den 
Ernteertrag nicht wieder aus der Vorrathskammer entführe 
(Korndäm. S. 8). Deshalb graben sie ihn daselbst in die 
Erde ein. Geradeso wird der Repräsentant des dämonischen 
Getreidehahns auf dem Erntefelde bis an den Hals in die 
Erde gegraben (Korndäm. 15. 16). Damit aber der Raub 
trotzdem unbelästigt geschehen könne, verrichten die Arbeiter 
jene unflätige Ceremonie, welche in vollkommenster Weise 
die Probe auf unsere Deutung macht. Es ist bekanntlich 
eine alte abergläubische Diebsregel, am Orte der That 
seine Nothdurft zu verrichten; so lange der Koth warm ist, 
bleiben die Räuber ungestört. Man findet die Beweise, dass 



^ Rietz Ordbok ofver Svenska AllmogespräkeL Lund 18G7 8. v. 
Stätarc, und sonstige hss. Mittheilungen von Propst Rietz. 

QF. LI. 4 



50 KAPITEL I. 

dieses Verfahren geübt wurde, nicht selten vor. ^ Ich selbst 
erinnere mich z. B. eines Falles in Berlin aus dem Jahre 
1860 und eines anderen in Danzig aus dem Jahre 1876. 



§ 7. ERLÄUTERUNG DER LITYER8ESSAGE. 

Wir sind nunmehr ausgerüstet den unterbrochenen Faden 
unserer Untersuchungen über Lityerses wieder aufzunehmen. 
Die vorstehenden Blätter lehrten uns, dass der Schnitter der 
letzten Halme, der Binder der letzten Garbe, der Gutsherr 
oder ein Fremder als Repräsentant der Kornseele einer 
Ceremonie mit den Erntewerkzeugen unterworfen 
wird, welche seine Tödtung, Enthauptung u. s. w. 
bildlich darstellt, dass man ihn in eine Garbe ein- 
bindet, mitunter in derselben umherwälzt (o. 8. 24). 
Hiezutritt, dass an ihm zuweilen ein Regenzauber ver- 
übt wird, indem man ihn mit Wasser begiesst, damit die 
Saat des nächsten Jahres nicht an Trockenheit zu Grunde 
gehe (o. S. 24). Diese Sitte nimmt auch die Form an, 
dass die in Halme gehüllte oder mit einem Kornbande 
bebundene Person zu einem Flusse geführt und 
in diesen hineingeworfen wird (vergl, BK. 21.4. 
215). So werden in Tirol demjenigen, welcher den letzten 
Drischelschlag machte, Kornhülsen hinter den Hals 
gesteckt, und man würgt ihn mit einem Stroh- 
kranze. Ist er von grosser Statur, so meint man, dass im 
nächsten Jahre das Stroh sehr hoch wachsen werde. Man 
bindet ihn auf einen Graten und wirft ihn schliesslich 
in den Innstrom (Volders). In Kärnten werden auf 
der Tenne sowohl dem Drescher, welcher den letzten Schlag 
that, als derjenigen Person, welche die letzte Garbe auflöste, 
die Hände und Füsse mit einem Strohbande zu- 
sammengebunden und ein Kranz von Stroh auf 
den Kopf gesetzt. Dann bindet man beide, die Gesichter 
gegen einander gekehrt (vergl. BK. 481), auf einen Schlitten, 



> Wutrke Deutscher Volksabergl. 2 % 400. Toppen Aberffl. a. 
ManuiPii 2 S. 57. 



LITYEUSES. 51 

fährt sie schreiend durch das ganze Dorf bis zum Bache, 
und wirft sie hinein. Auch bei den Bulgaren wird die 
aus der letzten Garbe verfertigte Puppe (Shitarskaja naoma, 
Getreidemutter}, nachdem sie durchs Dorf getragen, in den 
Fluss geworfen, um reichlichen Regen oder Thau auf 
die künftige Aussaat herabzulocken. 

Die Uebereinstimmungen dieser Bräuche mit der Lity- 
ersessage sind so gross, dass es schwer sein müsste dem 
Schlüsse auszuweichen, ganz ähnliche Erntesitten seien in 
Phrygien zu Hause gewesen. Ein am Erntefeld vorüber- 
gehender Fremder wurde mit der Sichel angefallen, schein- 
bar zu tödten versucht, in eine Garbe eingebunden, in der- 
selben umhergerollt und schliesslich in einen Bach oder Fluss 
geworfen. Dies geschah unzweifelhaft au einem vor den 
übrigen ausgezeichneten Tage der Ernte, dem Tage des 
Erntefestes, der durch Absingung eines feierlichen Ernte- 
liedes und wohl auch durch eine reichlichere Mahlzeit aus- 
gezeichnet war, an der man dem von dem Brauche betroffenen 
Wanderer einen Ehrenantheil gegönnt haben mag. Der Beweg- 
grund zu diesem Brauche kann kein anderer gewesen sein 
als die Vorstellung, dass beim Kornschnitt das Numen des 
Getreides getödtet werde. Wollte man sich Rechenschaft 
geben, wie diese Bräuche entstanden seien, so ergab sich zu- 
nächst die Vermuthung, dass einst wirklich Fremde von den 
Schnittern und Bindern getödtet, in eine Garbe eingebunden, 
ins Wasser geworfen wurden. Da aber schwerlich um Un- 
bekannte soviel Aufhebens gemacht war, dass ihr Gedächtniss 
in stets erneuter Darstellung fortlebte, musste einen Grossen 
diese Todesart betroffen haben. Zur pragmatischen Ver- 
bindung dieser Elemente bot sich bequem das Schema der 
Busirissage dar, die einen König auf dieselbe Art umkommen 
liess, wie er zuvor alljährlich Fremde ums Leben gebracht, 
und welche ausserdem wohl in der einen oder anderen ihrer 
Fassungen (o. S. 11 ff.) auch noch durch das 'Gastmahl', 
zu dem jener seine Opfer gleissnerisch einlud, einen Anklang 
an das der Absingung des Lityersesliedcs folgende Fest- 
mahl gewährte. Es versteht sich, dass diese Combination 
nur in einem Geiste entstehen konnte, welchem die Busiris- 



52 KAPITEL I. 

sage (oder eine Variante derselben) beim Anblicke des 
Brauches sofort gegenwärtig war; d. h. ein Hellene oder 
hellenisch gebildeter Phryger ist der Urheber der Lityerses- 
sage gewesen. Dass Lityerses den Fremden zur Mitarbeit 
zwang, gehört wahrscheinlich der weiteren Motivirung des 
Vorfalles an. Sollte sich jedoch hinter diesem Zuge eine 
Thatsache verstecken, so dürfte vergleichsweise entweder an 
die 0. S. 21 ff. angezogenen Vorstellungen, oder an eine dem 
folgenden Brauche entsprechende Form der Erntesitte zu 
denken sein. Zu Hünxe im Cleveschen gibt man dem 
Fremden das Arbeitsgeräth (die Sense u. s. w.) in die Hand, 
um damit einen Versuch zu machen, to versüken. Hat er 
dies gethan, so wischt man ihm die Füsse ab (o. S. 37). 
Da das mythische Urbild der an den verschiedensten Orten 
des Landes alljährlich vollzogenen Erntehandlung in der 
Königsburg Kelainai localisirt wurde, zog dies folgerichtig 
auch die bestimmte Bezeichnung des Mäanders als des Flusses 
nach sich, in welchen die in Garben eingebundenen Fremd- 
linge geworfen wurden. 

Trotz der genauen Uebereinstimmung der Lityersessage 
mit mehreren Actionen des nordeui'opäischen Erntebrauchs 
bleibt es — da der Lage der Sache nach ein jedem Zweifel 
entrückter Beweis nicht erbracht werden kann — zwar Hypo- 
these, dass die letzteren auch in Phrygien geübt und die 
Veranlassung der Sage gewesen seien. Aber diese Hypothese 
nimmt den höchsten Grad der Wahrscheinlichkeit für sich in 
Anspruch. Niemand wird unsere den Sachverhalt auf eine 
einfache Weise erklärende Lösung des Problems eine kühne 
oder gewagte nennen dürfen, nachdem wir bereits in den 
Maibäumen und Sonnwendfeuern dem heutigen Nordeuropa 
und dem kleinasiatischen Alterthum gemeinsame Typen sicher 
erwiesen haben, ^ und die Ueberzeugung von der Richtigkeit 
unserer Aufstellung muss noch wachsen, wenn es sich heraus- 
stellt, dass die Analyse einiger anderer Ackergebräuche Kleiu- 
asiens das Vorhandensein mehrerer der für Phrygien in An- 



» Vergl. AWF. Kap. 4 u. 0. Zs. f. D. A. 22, 7. 



LITYEBSES. 53 

Spruch genommenen Gebräuche auch für nah benachbarte 
Landschaften bestätigt. 

Die Syleussage (o. S. 12) hat mit der Lityersessage 
dies gemeinsam, dass sie nach dem Muster der Busirisformel 
gebildet ist. Aber auch bei ihr drängt sich dem Forscher 
sofort die Frage auf, welches die Veranlassung sein konnte 
die letztere in dieser individuellen Weise auszubilden. Wir 
antworten, dass augenscheinlich ein Volksbrauch zu Grunde 
lag, den die Arbeiter beim Umgraben des Weinbergs übten. 
In demselben spielte die üble Behandlung eines vorbeigehenden 
Fremden die Hauptrolle, und dieser Umstand wurde der Magnet, 
welcher die Sagformel herbeizog. Den Brauch selbst vermag 
ich freilich aus Asien nicht zu belegen, wohl aber aus Europa. 
Schon jene niederländische Sitte beim Wurzelausgraben (o. S. 
47) bietet ein Beispiel, sodann vergleicht sich die mit den 
beleidigendsten Gesten verbundene Beschimpfung der während 
der Weinlese am Weinberg vorübergehenden Fremdlinge 
(o. S. 44). Noch mehr, wir wissen aus dem Zeugniss der 
Alten, dass die Winzer das Schneiteln der Weinstöcke vor 
Ankunft des Kuckucks, des Frühlingsboten, der im Volks- 
glauben und Volksbrauch als ein persönliches Wesen, als eine 
Art Frühlingsdämon aufgefasst wird, ^ besorgt haben sollten. 
Verspäteten sich nun ihrer welche und wurden nach dieser 
Zeit von einem vorübergehenden Wanderer beider 
genannten Arbeit betroffen, so guchzte dieser spottend wie 
ein Kuckuck und wurde in Erwiderung dessen von ihnen 
mit den schmutzigsten Schimpfwörtern offenbar erotischer Art 
(vergl. Horbuck o. 8. 44) überschüttet. ^ Ganz analog dem 



^ Vergl. meinen Aufsatz über den Euckaok Zs. f. D. Myth. UI 
209 ff. 

2 Plinius H. N. XVIII 26, 66: In hoc temporis intervallo (zwi- 
schen der Frühlings Tag- und Nachtgleiohe und dem Frühaufgang der 
Plejaden) XV diebus primis agricolae rapienda sunt, quibus peragendis 
ante aequinoctium non suffecerit, cum sciat inde natam exprobrationem 
foedam putantium vites per imitationem cantus alitis temporariae, quam 
cuculum vocant. Dedecus enim habetur opprobriumque meritum, f al c e m 
ab illa volucre in vite deprehendi, ut ob id petulantiae sales 
etiam cum primo vere ludantur; auspicio tarnen detestabiles vidontur. 



54 KAPITEL I. 

Lityersesbrauch und der Krappgräbersitte geberdete der Fremde 
sich hier als den Frühlingsdämon, den Kuckuck, der die ver- 
späteten Arbeiter überraschte, und musste sich dabei die 
Vorwürfe gefallen lassen, die seiner angenommenen Rolle 
entsprachen.^ Der Kuckuck galt ja als Ehebrecher. Ver- 
muthlich wurde der Spötter, wenn er sich fangen Hess, derb 
durchgeprügelt. Aehnlicher Brauch wird beim Umgraben 
der Weinstöcke bestanden haben und der Ertappte mag zur 
Mitarbeit gezwungen sein. Doch ist letztere Annahme kaum 
nöthig. 



Adeo minima quaeque iii agro naturalibus trahunrur argumentis. Yergl. 
ferner Horat. Sat. I 7, 28 : 

Tum Praenestinus aalso multoque fluenti 
Expressa arbusto regerit convicia, d u r u s 
Yindemiator et iiivictus, cui saepe viator 
Oessisset magna compellans voce cuuulum. 

Dazu Porphyr: Nam solcnt levia rustici circa viam arbusta vindü- 
miantes a viatoribus cuculi appeliari, cum illi provooati tantam verborum 
amaritudinem in eos effundunt, ut viatores illis cedaiit, contenti tantuin 
eo8 cuculos iterum atque iterum appellare. S. auch Auson. IHyll. X 
(Mosella) 161: 

Sumrais quippe iugis tendentis in ultima clivi 

Conseritur viridi fluvialis margo Lyaeo 

Laeta operum plebes, festin antesque coloni 

Yertice nunc summo properant, nunc deiuge dorso 

Certantes stolidis olamoribus ; inde viator 

Riparum subiecta terens, hinc navita labens 

Probra canunt soris cultoribus. Adstrepit illis 

Et rupes et silva tremens et concavus amnis. 

Man gewahrt hier deutlich den uralten Ursprung der gegenseitigen 
Neckreden und Schimpfworte, welche noch heutzutage die an Tübingen 
auf dem Neckar YorbeifahreiidenHolzflösser des Schwarzwaldes (Jockeles) 
und die am Ufer weilenden SUidenton sich zuzurufen pflegen. 

1 Man bemerke übrigens auch die unverkennbare Qleichartigkeit 
dieser Sitte, mit dem Brauche, denjenigen, welcher sich mit der Ernte 
oder dem Dreschen verspätet, durch Hinwerfen einer den Getreide- 
dämon (den Alten, Kornwolf, Korn bock u. s. w.) darstellenden Stroh- 
puppe und Ausstossung der dieser KoUe entsprechenden thierischen oder 
menschlichen Laute zu verhöhnen. 



LItYERSES. 55 

In einem anderen Zuge, in der Hinabstürzung 
ins Wasser begegnet sich die Lityersessage mit den Sagen 
von B r m o 8 und H y 1 1 o s. Die erstere war die ätiologische 
Erklärung eines mit der Absingung des Liedes Bormos ver- 
bundenen Erntegebrauchs der Mariandyner, einer den Griechen 
in Herakleia am Pontes dienstbaren Völkerschaft. Nymphis, 
der älteste Zeuge um 250 v. Chr., berichtete sie im ersten 
Buche seiner Schrift über Herakleia folgendermassen. ^ Die 
Mariandyner singen gewisse Lieder, in welchen sie einen 
Bormos anrufen, der in grauer Vorzeit lebte. Er war der 
Sohn eines reichen und angesehenen Mannes und über- 
traf an Schönheit und Jugendblüte alle anderen Jünglinge. 
Als er einst, da er beim Kornschnitt die Arbeiter be- 
aufsichtigte, zum Wasser ging, um seinen Schnittern 
einen Trunk zu holen, verschwand er plötzlich (ßov- 
kofis^ov ds ToTg O'SQi^ovai öovyai niblv y.al ßadi^opca t(p* vdwQ 
d(paviad'ijput). Nun suchen ihn die Landeseinwohuer mit 
Elagegesang und Anrufungen unter Musikbegleitung. Das 
Bormoslied war eins mit dem Maneros der Aegypter. Wie 
in Aegypten wurde auch wohl hier nXrjoiov rov dgayf^aroq ge- 
sungen (o. S. 17); der Name Bormos mag, wie Maneros, 
Lines, Mamurius aus dem Refrain des Liedes entsprungen 
sein. Das Verschwinden des Jünglings im Wasser 
erklärt sich am einfachsten, wenn wir nach den Analogien 
0. S. 24. 50 (vergl. den Adonis AWF. 280. 283. 287 ff. und 
Attis AWF. 295) annehmen, dass dieser Zug die eigen- 
thümliche Deutung eines Gebrauches war, wonach zugleich 
mit der Absingung des Bormosgesanges der Gutsherr oder 
der Aufseher der Arbeiter oder eine Puppe im Wasser ver- 
schwand, d. h. in einen Bach geworfen wurde. Bei 
Hesych ist das Verschwinden des Bormos oder Mariandynos 
im Wasser' als ein Raub durch die Najaden aufgefasst 
(^BioQ/Liov ' Sqtjvov Ini Baig/Liov vv/LUpoXi^nTOv Maoiavövvov), 

Jüngere Sagen erzählen, er sei auf der Jagd zur Zeit der 
Erüte umgekommen. 2 

* Athenäeus XIV p. 619 f. Müller Fragm. bist. Graeo. III 13. 
- Yergl. die kritische Zusammenstellung der Zeugnisse bei Kämmel 
Heracleotica S. 12—16. 






56 KAPITEL I. 

Eine genaue Analogie hiezu gewährt der mysische Mythos 
von Hylas, den schon Kinaithon (Schol. Apoll. Rhod. I 1357) 
in Verbindung mit Herakles brachte. Als er, um Wasser zu 
holen, sich zur Quelle niederbeugte, umschlangen ihn die 
Nymphen und zogen ihn zu sich hinab. Den verschwundenen 
Liebling suchte Herakles, laut nach Hylas rufend. Am 
Askaniossee bei Prusias, ehedem Kios, in Bithynien bestand 
noch spät ein Pest, bei dem der Priester an der Quelle, wo 
Hylas versunken sein sollte, ein Opfer darbrachte, worauf die 
Festtheilnehmer durch Wald und Berg schweiften und um den 
Hylassee zogen^ indem sie fortwährend den Namen des Ent- 
schwundenen hören Hessen. ^ Dieses Fest späterer Tage ist 
vielleicht durch die Sage veranlasst oder beeinflusst, diese 
selbst aber unzweifelhaft aus einem der Bormossitte ähnlichen 
Gebrauche entstanden. 

Schlugen unsere Auseinandersetzungen nicht fehl, so 
kann es nicht zweifelhaft bleiben, dass die von Sositheus 
bewahrte Form der Lityersessage eine alte und echte Tradition 
enthält. Wie steht es um die von PoUux berichtete Version? 
(o. S. 4). Möglicherweise gibt sie den Inhalt einer die 
ältere Sage willkürlich abändernden griechischen Dichtung 
wieder? Bedenkt man jedoch, wie unwahrscheinlich es ist, 
dass ein jüngerer Dichter die Gestalt des Herakles, wenn er 
sie bei seinen Vorgängern vorfand, wieder habe fahren lassen, 
um zu einer weit einfacheren feldmässigen Gestalt der Er- 
zählung zu gelangen, so wird man viel eher geneigt sein, 
der anderen Möglichkeit den Vorzug zu geben, dass die Er- 
zählung bei Pollux eine der Sositheanischen parallel laufende, 
gleich in der Anlage verschiedene Variante der Lityerses- 
fabel war, welche, nach einem ähnlichen Schema wie die 
andere Fassung concipirt , jene etwas abweichende Form des 
Erntebrauchs zum Ausgange nahm, wonach nicht der vor- 
übergehende Fremde, sondern der im Wettmähen beim Korn- 
schnitt erlahmende Arbeiter, der sich vom anderen ins Schwad 
hauen lässt, den Korngeist darstellt (vergl. AWF. 166). Ich 
werde unten zu zeigen haben, dass in Oldenburg noch im 



1 Karamel a. a. ü. S. 25. 20, 



LITTERSES. 57 

17. Jahrh. demjenigen, welcher sich ins Schwad hauen Hess, 
die Genitalien mit einem Strauche gepeitscht wutden. 
Nach gleicher Formel gebildete ätiologische Sagendeutungen 
verschiedener Umstände oder Eigenschaften der näm- 
lichen Handlung oder des nämlichen Gegenstandes sind nicht 
beispiellos (vergl. u. a. die eng verwandten Sagen zur Er- 
klärung der schwarzen Farbe und des vermeintlichen Durstes 
des Raben. Zs. f. D. A. 22, 16). Und kein Hinderniss steht, 
soviel ich sehe, der Annahme im Wege, dass zwei auf die 
angegebene Weise verschiedene, sonst aber verwandte Sagen 
über Lityerses durch die Logographen überliefert seien. 



KAPITEL II. 

CHTHONIEN UND EUPHONIEN. 



Vielen Erntegebräuchen Nordeuropas liegt eine weit ver- 
breitete Vorstellung zu Grunde, welche im Schneiden des 
Getreides den Tod eines geisterhaften, die Vegetation hervor- 
bringenden, thiergestaltigen Wesens erkennen wollte, dessen 
Leben an das Leben der Pflanzen geknüpft sei (o. 8. 29. 30). 
Aus der Analogie dieser Volksbräuche erklären sich, wie 
es mir scheint, die griechischen Culte der Chthonien 
und Euphonien als Nachbildungen der Tödtung des Ge- 
treidethiers in der Ernte. Die Gestalt des Rindes für den 
Dämon des Pfianzenwuchses ist auf das Deutlichste aus nord- 
europäischem Volksbrauch nachweisbar. Geht der Wind durchs 
Getreide, so sagt man: 'der Stier läuft im Korn, wot 
po zboiu chodzi' (Conitz, Westpreussen) ; steht das Korn 
irgendwo sehr dicht und stark, so liegt der Sülle im 
Korn' (Kr. Ueiligenbeil , Ostpreussen). Erlahmt ein Ernte- 
arbeiter vor Anstrengung, so dass ihm das Kreuz steif wird, 
so *stiess ihn der Eulle' (Kr. Graudenz); in franz. 
Lothringen (Verdun) heisst es: 'II a le taureau', d. h. 
er ist unversehens auf das im Kornfelde sich aufhaltende 
göttliche Wesen gestossen, dessen profane Eerührung mit 
Lähmung straft. Eleiben beim Hauen des letzten Eeetes 
unwillkürlich einige Halme stehen, so ergreift sie der Vor- 
hauer und ruft: 'Bulle! Eulle!' (Kr. Darkehmen, Ost- 
preussen). Im Amte Rosenheim in Oberbaiern dagegen wird 



CHTHONIEN UND BUPHONIEN. 59 

demjenigen Bauer, welcher in Vollendung seiner Ernte zurück- 
bleibt, während die Nachbarn schon zu Ende sind, ein so- 
genannter 'Halmstier* auf den Acker gesetzt. Halme 
heissen die Stengel des Getreides, welche nach dem Schneiden 
mit der Sichel noch auf dem Felde stehen bleiben. Diese 
werden zur Nachtzeit abgemäht, und aus ihnen wird mittels 
eines Gerüstes von hölzernen Pfählen ein sehr grosser 
Stier geformt, den man mit Laubwerk und Blumen ziert 
und mit einem Zettel behängt, auf welchem der Eigenthümer 
des Ackers in Knüttelversen lächerlich gemacht wird. Im 
Kreise Bunzlau gibt man der letzten Garbe zuweilen Thier- 
gestalt, indem man aus alter Leinwand einen Ochsen mit 
Hörnern formt, mit Hede ausstopft und mit Aehren bewickelt. 
Diese Figur heisst der Alte ( Stary). Im Leitmeritzer Kreise 
in Böhmen heisst die in Menschengestalt geformte letzte 
Garbe 'Büffelochse' und an andern Orten desselben 
Kreises der letzte Schwaden 'Lümmelochse' (vergl. das Zeit- 
wort limmen, lom, gelummen, brummen Schmeller BW.^ 1 1473), 
'polnischer Ochse' (polsky wfil), während in der Schweiz 
(Thurgau) die letzte Garbe, falls sie gross ist, Kuh genannt 
wird. Durch ganz Schwaben nennt man das letzte Gebund 
auf dem Acker oder einige Halme, die man mit einem Maien 
geschmückt stehen lässt , ' M o c k e 1 ' (Kuh) , der Schnitter 
der letzten Halme *hat' oder 'bekommt die MockeT, 
oder wird selbst 'M o c k e 1' (Getreidemockel, Hafermockel, je 
nach der Kornart) genannt und bei der Sichelhenke mit den 
besten Küchlein, einem Erntetrunke und einem Ehrenstrausse 
bedacht. Da die Kornkuh anthropopathisch gedacht wurde, 
wird die Mockel vielfach auch durch eine aus Haberähren, 
Halmen, Gerste und Kornblumen gemachte menschliche (weib- 
liche) Figur dargestellt und derjenigen Person (Knecht oder 
Magd), welche die letzte Handvoll schoitt, auf den Bücken 
gebunden. Sie muss die Mockel in den Bauerhof tragen. 
Auch wer den letzten Schnitt beim Mähen macht, heisst Heu- 
mockel. ^ In der Schweiz erhält der Schnitter des letzten 



1 Panzer Beitr. z. D. Myth. II 234 n. 426 flF. Meier Schwab. Sa?. 
440 n. 1dl ff. Mock, Mockel heisst in Schwaben Kuh: ebds. 445 



60 KAPITEL U. 

Aehrenbüschels den Titel 'Erdmochel' (Canton St. Gallen), 
'Schnittermucher, 'Weizen- 'Korn*- 'Hafermucher 
(Ganton Zürich, Schaffhausen), oder 'Kornstier' (Thur- 
gau) und ist Zielscheibe aller schlechten Spässe. Der letzte 
Acker, der geschnitten wird, aber heisst 'Muchelacker' 
(Zürich). Ist man in Pouilly bei Dijon im Begriff die letzten 
Aehren zu schneiden, so führt man einen mit Bändern, 
Blumen und Aehren um Hals und Rücken verzierten Ochsen 
herbei und geleitet ihn um alle vier Seiten des Ackers herum, 
indem die ganze Schnitterschaar hinter ihm her und um ihn 
tanzt. Endlich schneidet jemand als Teufel verkleidet die 
letzten Halme und tödtet sodann den Stier, dessen Fleisch 
theils zur Erntemahlzeit verzehrt, theils in gepökeltem 
Zustande bis zu dem Tage verwahrt wird, wann die Prüh- 
lingsaussaat des nächsten Jahres beginnt. Bei 
Pont k Mousson und anderswo wird am Tage der Beendigung 
des Kornschnittes, bei Luneville am Sonntag nachher, Abends 
ein mit Blumen und Aehren geschmücktes Kalb und zwar 
das erste, welches in der Wirthschaft im Frühjahr 
geboren wurde, um alle vier Seiten des Bauerhofes drei- 
mal mit einem Köder herumgelockt, oder von Männern mit 
Ochsenstöcken getrieben, oder von der Bäuerin selbst an einem 
Strick geführt. Alle Schnitter mit ihren Geräthschaften folgen. 
Dann lässt man es frei laufen, die Schnitter laufen 
hinterher und greifen danach, und wer es hascht, 
heisst *roi de veau. Endlich wird es feierlich getödtet, bei 
Lun6ville von dem im Dorfe wohnenden Handelsjuden. Beim 
Ausdreschen des letzten Gebundes ruft man zwölf mal 
hintereinander: 'Nous tuons le taureau!' (Auxerre); 
ebenso heisst es in der Umgegend von Bordeaux, wo ein 
Fleischer unmittelbar nach dem Kornschnitt einen Ochsen auf 
dem Acker schlachtet, vom Drescher des Letzten: 'H a tue 
le taureau!' Bei Stallupönen (Provinz Preussen) ermahnen 
sich die Drescher, wenn eine auffallend starke Lage Getreide 



n. 162, Birlinger Wörterbüchlein zum YolkstliQmlichen aus Schwaben, 
Freiburg 1862 S. 67; mauchli in der Schweiz Zuchtstier. Der Stamm 
ist mog = skr. mug sonare, lat. mOg-io brülle, lit. moial Zuruf an 
Kühe und Kälber. Nesselmann Wörterbuch der Littauischen Sprache 413. 



CHTHONIEN UND EUPHONIEN. 61 

« 

kommt: 'Hau god {klopp deeg), de Farr liggt unde.'^ Wer 
beim Bappsaatdreschen in eine Ecke des Segels die Schoten 
harkt 5 heisst *de HörnbulT (Oldenburg). Auch beim 
Dreschen wird als 'MockeT (Kuh) bezeichnet, wer den 
letzten Flegelschlag fallen Hess, und zwar je nach der Frucht 
als 'Gerstenmockel, Hafermockel, ErbsenmockeT. 
Derselbe wird ganz in G'etreidestroh eingeflochten, bekommt 
über den Kopf einen Stock, der zwei Hörner darstellt, und 
wird von zwei Burschen an Stricken zum Brunnen geführt, 
damit er saufen solle. Unterwegs muss er beständig muh! 
muh!' sohreien ( Wurmlingen). ^ Im Canton Schaifhausen 
heisst derjenige, der die letzte Schütte drischt, 'MucheT, 
im Thurgau 'Kornstier', im Canton Zürich 'Drescher- 
mucheT. Er hat in letzterer Gegend nach dem Schluss- 
schmause die übrigen eine Zeitlang zechfrei zu halten. 
Er wird in Stroh gewickelt und an einen Baum 



1 H. Frischbier Preussische Sprichwörter^ Berl. 186Ö n. 
Iö08. Das Volk erklärt die Sitte durch folgenden ätiologischen 
Mythus. Ein Pfarrer liess Getreide dreschen und wollte sich über- 
zeugen, ob die Drescher auch tüchtig aufschlügen. Zu dem Zwecke 
legte er sich unter das auf der Tenne ausgebreitete Getreide. Die 
Drescher erhielten davon Kunde, kamen dem Pfarrer schnell nahe, und 
der eine rief: Hau gdd u. s- w. — Farr, Farre, d. i. unversohnittener 
Ochse, wird von Lucher gewöhnlich von dem jungen in frischer Kraft 
stehenden Opferthier gebraucht: 2. Mos. 24, 5. 29, 1. Ps. 69, 32; sonst 
vom Zuchtstier: 'Wann das Kalb nit essen wil, das ist ein Zeichen, 
das der varr, der es gemacht hat, keine liebe zu der mutter hat. 
"Welche von iren küen frische butter winters vnd sommers wil haben, 
die soll sie leyten wann sie werben wollen dreymal umb den varren, 
und lasse sie ihm beriechen ohn anrüren'. Des Spinnrocken Evangelien 
Köln 1568. In Preussen war im 16. Jahrh. die Form Pfarr, aus der 
sicK/die Entstehung des vorstehenden Märchens noch deutlicher ergibt, 
gelaufig: 'Das sie von der Zeit an des geschlachten Stiers oder 
Pfarren ungefehr in sechs oder sieben Jahren keine Fische fahen 
kondten.' Lucas David Preussische Chronik ed. Hennig I 120. Auch 
schon mhd. stand neben var stm. plur. varre (Genesis in Graffs 
Diutisca III 84) das härtere p farre swm. (Konr. v. Wirzb. Troj. 
Kr. Ö8 b. phar Hofmann Sumerlaten 48). 

2 Meier 444 n. 162. vergl. 445 n. 163. Birlinger Volksthüm- 
liches aus Schwaben II 426 n. 381. 427 n. 383 ff. Panzer II 233 n. 
427. 



62 KAPITEL II. 

des Baumgartens gebunden. In der Kreisdirecfcion 
Dresden (Ressnitz bei Grossenhain) heisst derjenige, der den 
letzten Drischelschlag macht, 'Hu m seh* (Hummel, Zucht- 
stier). Er muss einen Strohmann machen und dem Nachbarn 
vors Fenster stellen. Wird er dabei erwischt, so bindet man 
ihm denselben auf den Rücken. Bei Arad in Ungarn wird 
der Drescher, welcher den letzten Schlag that, in Stroh und 
eine Kuhhaut mit Hörnern eingehüllt, als 'Teufel' 
bezeichnet, und umhergetrieben. Bei Chambery ist die letzte 
Garbe *la gerbe du jeune boeuf, alle Schnitter 
halten danach einen Wettlauf. Wer sich während 
der Ernte mit einer Sichel schneidet, hat 'la blessure du 
boeuf. Derjenige, welcher beim Kornschnitt den 
letzten Sensenhieb machte, hat das Amt, sobald beim 
Dreschen, wie man sich in Bezug auf den letzten Drischel- 
schlag ausdrückt *der Ochse getödtet ist', zum 
Dreschermahl einen wirklichen Ochsen zu schlachten. Es 
wird deshalb zu jeüer Ernteverrichtung jedesmal ein starker 
und zum Metzgen geschickter Mann auserwählt. 

Das Rind der Vegetation, welches im Hochsommer 
stirbt, wird durch einen gleichartigen Dämon des neuen 
Jahres abgelöst, der entweder als in der Erntezeit neugezeugt 
oder geboren, oder als überwintert, während der Wintersonnen- 
wende auf Augenblicke zum Vorschein kommend und im Früh- 
jahr wieder ins Feld gehend gedacht wurde. Darum sagt 
man von der (die Kornkuh darstellenden) Binderin, wenn sie 
ihrem Vorhauer nicht zu folgen vermag: 'Sie bullt', 'sie 
muss bullen,' er hat ihr einen Bullen gemacht'. 
Die Knechte rufen ihr zu: *Mäk dat Heck to, de Bull 
kummt!' und ahmen das Gebrüll eines Bullen 
nach (Kr. Pr. Holland, Heiligenbeil, Königsberg, Labiau, 
Morungen). Ebenso heisst es bei gleichen Gelegenheiten in 
Puy-de-D6me : 11 fait le veau'. Aus Berry setze ich die 
Mittheilung von Laisnel de la Salle hieher: 'Lorsqu'un lieur 
de gerbes ne peut pas enserrer avec lien trop court les 
javelles, que Ton a disposees en tas pour les mettre en gerbes, 
il rejette le ble qu'il trouve de trop et se met ä contre- 
faire le beuglement d'une vache. Cela veut dire. 



CHTHONIEN UND EUPHONIEN. 63 

que la gerbe a fait un veau, et cet avertissement, qui ne 
manque jamais d'exciter Fhilarite des travailleurs, suffit pour 
qu'aussitot Tun des javeleurs vienne recueillir 1 e v e a u , qu'il 
porte sur l'une des gerbes, qui n'ont pas encore et6 liees/^ 
Derjenigen, die bei der Arbeit zuerst ermattet, ruft man zu : 
*Se het'n Kalf smeten' (Kr. Greifswald). Dieses Kalb 
sieht die Phantasie im Frühling auf Wiesen und Saat- 
feldern sein Wesen treiben. In Oesterreich warnt man die 
Kinder vor dem 'Märzenkalb' da draussen, es ist riesig 
gross und hat zwei Köpfe ;''^ in Saulgau (Schwaben) rufen die 
Kleinen als Aprilscherz; 'April kalb mit deinen sieben 
Stangen,^ dies Jahr will ich dich wieder fangen!'^ Auch in 
Vorarlberg heisst der in den April Geschickte 'Apr ella- 
kalb.' '* Ebenso macht man in Schlesien neckend zum 
*Aprilochsen, Maiochsen'. In der sprossenden 
Saat soll sich das Muhkälbchen' sehen lassen und die 
Kinder stossen; in dem vom Winde wallenden Kornfeld geht 
es herum' (Oesterreich, Neusiedl, Viertel unterm Mannharts- 
berge). Es ist klar, dass dieses Kalb des neuen Jahres das- 
selbe Wesen war, welches später in dem Kornschnitt getödtet 
gedacht wurde, weswegen mehrfach ein Kalb oder geradezu 
das erste im Lenz geborene Kalb, wie im französischen 
Erntebrauch, dasselbe nachbildete (o. S. 60). In den Buss- 
büchern finden wir schon bei den Franken eine Darstellung 
des Kornkalbes, eine Neujahrsmaskerade vitulum facere' 
verboten, und noch heute laufen in Polen verkleidete Bursche 
als Auerochsen umher. Und mit hinreichender Sicherheit 
lässt es sich erweisen, dass die verschiedenen zu Fastnacht, 
Maitag, Pfingsten und St. Johannis von Bauern, Hirten und 
den Gilden der Milchmädchen und Metzger veranstalteten 
Umzüge in Deutschland , Frankreich, England , in welchen 



1 LaLsnei de la Salle, croyances et legendes du centre de la 
Fraiioo. Paris 1875. II 135. 

. 2 Landsteiner, Roste dos Heidenthums in Niederösterreich 66. 

' Soll wahrscheinlich bedeuten: nachdem du die sieben Winter- 
nionäte gefangen, eingekerkert warst. 

♦ Birlinger 11 93 n. 122. 

^ Vonbun Beiträge zur deutschen Mythologie 8. 110, 



64 KAPITEL II. 

Bursche, ganz in Grün gehüllt, oder hinten mit einem 
Ealbsschwanze versehen, oder lebende Thiere (Kühe, 
Stiere), die mit Blumen, Bändern und grünem Buschwerk 
geschmückt sind, unter dem Namen Aprilochse, Fastnachts- 
ochse, Pfingstmocke, bunte Kuh, boeuf gras, boeuf violet 
u. 8. w. umhergeführt werden, den stier- oder kuhgestalteten 
Geist des Pflanzenwachsthums darzustellen bestimmt waren. 
In Mosheim (Schwaben) wurde das Santo Hans Segensfeuer 
(Mittsommerfeuer) von einem Mooskuh (der erste Com- 
positionstheil rührt wohl vom Ortsnamen her) genannten, ganz 
in grünes Laub und Reisig eingehüllten Burschen 
ausgetreten (vergl. BK. 524). 

Hiermit vergleichen sich ungezwungen altgriechische 
Sitten. Einer der ältesten Culte in Griechenland war der- 
jenige der Demeter Chthonia zu Hermione im ehemaligen 
Dryoperlande, wobei zur Erntezeit {O^eQog) eine mit einer Art 
von Hyakinthen, den Sinnbildern des Hinsterbens der Vege- 
tation, geschmückte Procession vier Kühe in den Tempel der 
Göttin geleitete, welche dort von vier alten Priesterinnen 
mit einer Kornsichel (JptTrai'or) getödtet wurden.^ Die eine 



* Paus. II XKXV, 4. X^ovia S^ ovv tj &€6g re avrrj xaZdrai, xai 
XS-ovia eoQTfjv xara J^roq ayovai tÜQa SeQOvg ' ayovdi Sh ovtio; ' ijyovvTai 
/uhr avTOi( r^g nojunvjg o't re Uqslg tSv &ftov xai ötioi rag hrfzeiovg agj^ag 
f^ovaiv, fTToyrair Sf xai yuvaixfg xai avS,^g, ToTg Se xai naunv fxi ooai 
xa9€aTijxfv ^Srj Ttjv d'eov Ti/uav Tij no^nfj * ooroi ievxtjy fod-rjra xa\ fm Talg 
xegHxlaig ^^ovtn are^avovg ' nkixovrai Se ol arftpavoi o<piaiv fx tov nyS-org, 
o xaXovaiv ol ravrji xoa juoaarS aXoy ^ va x ly 9'oy f /n o\ Soxfiy oyia 
xa\ //fy^^ft xa\ XQ^f ' ^^^f'^* ^^ ot xai ra f7i\ rtj) d-qtjvtp yqa/njuara» 
rdig 8b Ttjy nojuntjy n^/unovaiy BJtoyrai TfXiiay f| ayiXtjg ßovy äyovrfg 
difiXtjjufJiiytjy Jnj/uoTg re xat vßQi^ovaay fri vtto ay^iortjrog ' fXaaavrtg Se 
TTqog Toy yaoy ol /ufy ^ato q)eQfa9'ai Tijy ßovy ng to le^oy ay^xay fx rwv 
dBOfitay-, %T(Q0i Sk äyanenTajufyag ^)[oyT€g retog rag S'uqag^ firtiSay rtjy ßovy 
iSiaaiy eyrog tov yaoVy TTQOfjed'eaay rag &VQag ' TfoaoQeg Sh fySoy vnoXemo/uByai 
ygasg avrai rtjy ßovy flo\y al xtxTBQyal^ojueyai * Sq en aytp yoQ ^Tig ay 
Tv^Ui Ttjy (pu^vyya vTrirf/uBTrjgßoog' /uira Sh al d-VQai re i]yo{)[9'tjaay^ 
xoti TTQOüfXavyovaiy oig InirtTaxTai ßovy SevTBQoy xai TQtrtjv btti ravTij , xai 
aXXijv TBTaQTijy. xaxBQyal^oyTal tb St} Ttaaag xara ravra al ygoBg^ xai toSb aXXo 
TTQoaxBirai Tjf &vafif &av/ua ' fjp' ^y rtva yaq ay nsaij twv nXBv'igioy 
ij 71 QcSrrj ßovg^ ayayxij TCBOsTy xa\ naaag ' Suata /uhr Sgurat 
T Ol g ^Eqju loyBvai roy bI q tj /u bv oy TQonoy. ttqo Sb tov vaov yvraixwy 



CHTHONIEN UND BUPHONIEK. 65 

dieser vier Kühe wurde, augenscheinlich in Erneuerung alter 
Sitte, von den nach dem ersten messenischen Kriege aus der 
argolischen Dryopis nach Messenien verpflanzten Asinäern 
geliefert.^ Curtius Annahme hat daher Wahrscheinlichkeit, 
dass die drei übrigen ebenfalls Städte, Glieder einer ehe- 
maligen dryopischen Tetrapolis vertraten -, die freilich jenseits 
unserer historischen Kunde liegt. Dann reichte der hermio- 
nische Erntebrauch in die ferne Vorzeit der dorischen Wan- 
derungen zurück, vielleicht noch weiter, wenn die Ansiedelung 
in vier Städten nur eine Copie einer noch älteren Tetrapolis 
in der dyropischen Urheimath am Oeta war; vor der poli- 
tischen und sacralen Einigung der vier Bundesstädte aber 
muss eine noch ältere Gestalt des Brauches bestanden haben, 
wonach jeder Gau für sich in der Tödtung der Kuh mit der 
Sichel ein Heilthum suchte. Der an Ort und Stelle aus 
Hörensagen geschöpfte Bericht des Pausanias gibt den Ein- 
druck wieder, den die draussen vor dem Tempel zurück- 
bleibende Yolksgemeinde von dem gottesdienstlichen Brauche 
empfing, dessen Einzelheiten im Naos sich ihren Blicken ent- 
zogen. Die Schilderung des Festzuges selbst und alles dessen, 
was vor den Thüren des Heiligthums geschah, dürfen wir 
als ziemlich genau und erschöpfend betrachten, der von keinem 
Manne geschaute Yorgang im Innern kam sicherlich nur un- 
vollständig und durch die Phantasie der abergläubig ehrfürch- 
tigen Menge mit einem Nimbus umgeben zu des Periegeten 
Kenntniss. Die von Aelian de nat. an. XI 4 angeführten Yerse 



^qovoi Ti flatVi f^^ tor at y^ati ara/uerova^v elsflaS'^rai, xa& exaoTtpf rtav 
ßowv^ xai ayaljuara ovx ayav aQ^alOj ^Ad'rjva xai ^tjui^rtjq, ovro Sf o aeßovaiv 
f7n nXfov ^ TaXXa^ eyw /uer ovx «Moy, ov /utjv ovS'e uvrjQ uiXog, ovrt |«vo( 
ovre '^ßo/utayfiay avitav ' /uorai Se onoiov rC sariv^ at vpaf; Xariaaay, 

^ B5okh 0. J. G. I n. 1193. Die Asinäer erbieten sich (ivf4noju- 
ntveiy xai aytiy ßovv^ ontoi <payf^ ^^ Siort ray rt avyytveiav xai gnliay 
^f'Xft, fTil nXtXov TTQoayety, Die Gemeinde Yon Hermione beschliesst, 

StoTt a7ToSf;(fTai a noXii; ynXog>Q6y(ag rav re ^ualay^ ay fiiXXtt aytiy u noXi^ 

T^v^Aaivaltay ra ^a/uarqi r^ X9-ov(^, ixal ) * xaraaraoaL Se xai Sea^o^ 

Soxoy^ Sang vnodilerai Tta^ayivofiiyovi rov g avy&vrag enl ray ^vaiay 
TÖSy {rra^^ a/u/ut ?) Xd'oytltav, 

2 E. Curtius Peloponnesos II 4Ö6. 467. 
QP. LI. - ö 



66 KAPITEL n. 

des Aristokles, welcher Paradoxa in poetischer Form, viel- 
leicht auch eine Schrift über die Demeter Hermione (Demeter 
Chthonia) verfasste, ^ machen die offenbar in der Ferne sei 
es aus mündlicher Kunde sei es aus litterarischer Quelle (viel- 
leicht einer Schrift n^gl aoQTwv) entnommene auffallige That- 
sache der Tödtung des Rindes durch ein schwaches greises 
Weib vollends zu einem von der Göttin gewirkten, die Macht 
derselben bezeugenden Wunder. Den Stier, den zehn Männer 
nicht von der Stelle bringen, führt eine einzige Greisin am 
Ohre zum Altar; er folgt ihr, wie das Kind der Mutter. 
Aus dem Segenspruche über Hermione darf nicht gefolgert 
werden, dass Aristokles ein Localinteresse hatte; er preist 
die Stätte, weil sie seine Göttin verherrlicht. Aelian ver- 
grössert des Dichters Angabe sogar dahin, die grössten Stiere 
böten sich selbst zum Opfer an. Gewährt somit auf einen 
sachlichen Werth zurückgeführt der Hymnus des Aristokles 
ein unabhängiges Zeugniss für die Opferung der Rinder durch 
die Priesterinnen, so erheben sich gegen die Art und Weise, 
wie Pausanias dieselbe geschehen lässt, nicht unerhebliche 
Bedenken, deren Erwägung zu dem Schlüsse führt, dass er 
unvollständig unterrichtet war. War es möglich , dass alte 
schwache Frauen mit unfehlbarer Sicherheit die im Tempel 
frei umherschweifende Kuh erlegten, ein Amt, welches für 
einen Matador eine Aufgabe wäre P Widerspricht doch die 
Bauart und Einrichtung des griechischen Tempels ganz und 
gar dem freien Herumlaufen der Thiere , so wie der Auf- 
stellung eines Brandaltares für blutige Opfer im Naos oder 
der Cella. Auf diesen Punct hat bereits Bötticher Tektonik 
der Hellenen (1852) II 386. 407 aufmerksam gemacht. Was 
nun das zuerst ausgesprochene Bedenken betrifft, so ver- 
sicherten mich jüdische Söhächter, welche die Tödtung der 
Rinder noch heutd vermittelst eines Schnitts durch die Kehle 
mit einem grossen Messer vollziehen, dass diese nicht grosse 
Kraft erfordernde Operation sehr wohl von einer alten Frau 
würde verrichtet werden können, vorausgesetzt, dass das 
Thier nicht frei herumschweife, sondern gehörig festgelegt 

» Müller Fragra. bist Graec. IV 331. 



CHTHONIElf UND BÜPHONIEN. 67 

sei. Bei dem grossen Opferfeste zu Baroda in Indien trennt 
der Guikowar (König) alljährlich vor dfem Altar einem mäch- 
tigen Büffel mit einem einzigen Schwertstreich den Kopf vom 
Rumpfe, aber man muss sich das Thier dabei festgehalten 
denken. (Vergl. Globus XX 1871 n. 15 S. 228), Waren 
also in Hermione ausser den Priesterinnen keine Opferdiener 
zugegen, welche die Kuh einfingen und etwa wie im Tempel 
zu Jerusalem mit am Boden befindlichen Haken festlegten, 
so muss es eine Vorrichtung gegeben haben, welche ohnedem 
denselben Zweck erfüllte. Was für eine Vorrichtung dies 
war, können wir nicht ausmachen. Steht indess eine Ver- 
muthung frei, so möchte ich auf eine Einrichtung rathen von 
derselben Art, wie sie heute in grossen Schweineschlächtereien 
in Anwendung gebracht wird. Man denke sich für gewöhn- 
lich entfernte, nur für die Cereraonie des Chthonienopfers 
hinter der Thüre des Naos errichtete sich nach innen zu 
immer mehr verengende hölzerne Schranken, zwischen denen 
das Thier beim weiteren Hineingehen plötzlich festgeklemmt 
stand und worin es etwa durch eine über seinen Rücken 
gelegte Klappe noch mehr festgelegt wurde. War nun der 
tödtliche Schnitt geschehen, so mochte die eine zum Auf- und 
Zumachen eingerichtete Seite der Barriere zurückgeschlagen 
werden, und so konnte es veranstaltet sein, dass, wie Pausanias 
erzählt, alle vier Kühe nach einer Seite hinfielen. 
Bötticher möchte annehmen, es sei (wie das von einigen 
andern Tempeln nachweisbar ist) ausnahmsweise in einem 
Seitenbau des Tempels eine besondere Opferküche (culina) 
angebracht gewesen, in der das Opfer stattgefunden habe; dem 
aber widersprechen die von Pausanias erwähnten Thatsachen, 
wonach wir uns die Tödtung nahe am Eingange des Naos und 
in diesem selbst vorgenommen vorstellen müssen. Ich schliesse 
daraus, dass das Hermionische Opfer zu der seltenen Art der 
anvga (Hermann Gottesd. Alterth. § 25, 6. § 67, 8) gehörte, 
mithin einen Brandaltar nicht erforderte und so von dem ge- 
wöhnlichen Opferritual einer jüngeren Zeit auffallend abwich. 
Ergab sich uns auf diese Weise die Schilderung des Pausanias 
als der Hauptsache nach glaubwürdig, wenngleich in ein- 
zelnen Stücken theils lückenhaft, theils durch den Wunder- 

5* 



68 KAPITEL II. 

glauben des Volkes übertrieben, so ist kein Grund den 
durchaus charakteristischen Zug, dass die Tödtung der Kühe 
mit einer Sichel geschah, für unthatsächlich zu halten, da 
niemand das Interesse haben konnte diesen Umstand zu er- 
finden. Diese Erlegung der Kuh mit der Sichel (der 
Cultus pflegt überall , wenn auch die Ideen unverständlich 
wurden, wie in andern Formen, so in der Gestalt der Ge- 
räthe conservativ zu sein) macht es fast unzweifelhaft, dass 
der Hermionische Brauch kein gewöhnliches Opfer war, 
sondern wie das Köpfen des Hahns und des Widders mit 
diesem Erntewerkzeuge (o. S. 30) und wie die französische 
Sitte der Hinschlachtung des Stiers auf dem Erntefelde auf- 
zufassen sein wird. ^ 

Unterstützt wird diese Annahme durch eine andere 
gottesdienstliche Handlung, die Diipolien oder Buphonien in 
Athen. Anfangs Juli d. h. in der Zeit, wann in Attika das 
Dreschen zu Ende geht, wurde der Altar des Zeus Polieus 
mit Weizen und Gerste und heiligem Brode, wohl aus dem 
frischen Getreide, bestreut. 2 Als Wirkung des Festes er- 
wartete man das Ausbleiben von Dürre und Hungersnoth; 
dies spricht sich in dem Glauben aus, dass es zur Abwehr 



1 So berührt sich unsere Erklärung mit den im Grunde doch 
weit verschiedenen einiger früheren Forscher. Vergl. Oreuzer Symbolik 
lY 287: *E8 ist auch die Sichel, unter der die reife Ernte fällt, und 
die Sichel, womit im Vateiiande des Perseus (zu Hermione) die Priester- 
innen den müden Jnhresstier im Tempel der Ceres und Proserpina 
würgen. Es ist das Bild des Segens und des Todes, mag es Sichel, 
Krummschwert oder Dolch sein und heissen ; immer bleibt es das Bild 
des Sphneidens und Trennens, der Aehre von der mütterlichen Erde, 
des Leibes von der Seele.' Rinck Relig. d. Hellen. II 137: *Wir können 
schliessen, dass es (das Opfer an den Chthonien) ein symbolisches 
Ernten der Erde, ein Dankopfer für die Getreideernte war.* Wie weit 
meine Auffassung bei gleichen Ausgangspuncten sich von derjenigen 
von W. Schwartz entfernt, beweist kaum etwas schlagender als seine 
Deutung des Oultus der Demeter Ghthonia (Urspr. d. Mytb. S. 185): 
'In diesem Gebrauch sind die vier alten Frauen nur Stellvertreterinnen 
der Demeter, der Gewitteralten (!), welche mit des Regenbogens Sichel 
die himmlischen Kühe (Wolken) schlachtet.' 

2 Die Belegstellen bei Meursius Graecia feriata in Gronov. Thes. 
Graec. antiqu. VI! 742 ff. 



CHTHONIEN UKD BUPHOBIEN. 69 

dieser Missstände {av/j-tuiv ds xare/ovnov xal i^etvrj^ axagniitg 
ysvo/Lidvfjg) zuerst eingeführt sei ; ^anz genau dasselbe erhoffte 
man von den Ceremonien des Erntefestes der Thargelien. 
Die Aufstellung des ausgestopften Scheinbildes (das an jene 
deutschen Bilder des Halmthiers. Bacchus u. s. w. erinnert), 
aber wurde noch in späterer Zeit ganz bewusst aufgefasst 
als eine Wiederbelebung deg Getödteten. Die Hungers- 
noth sollte aufhören, heisst es in der ätiologischen Stiftungs- 
legende 'tov t€ fpovea Ti^KOQtjau/iievMy xai roV Tfd'vewra avaarij' 
advTiov iv Tjn^Q anc-d-avs &vaia\ und von der Ausführung der 
jährlichen Festhandlung: Vt^v /luv i^oodv rov ßoog Qa^avtig xou> 
XOQT.M vnoywooavTBg i'^avdoTTjauVy s/ovru ravTov oneo yud 
X>Mv Bö/E a/tjjiia^ xtti nooai^fv^av ägovgov log SQya^Ofiivrti,' Auf 
einen ehernen Opfertisoh wurden Kuchen und Gerstenbrot, 
vermuthlich von den ersten Früchten des Ausdrusches, herum 
yielleicht einstmals Garben oder Aehren ausgebreitet. Dann 
fährten Mitglieder einer bestimmten Priesterfamilie, der 
KivTQidöai (Stachler), mehrere zur Ackerarbeit gebrauchte 
Kinder herbei und trieben sie rings um den Altar. Das- 
jenige, welches zuerst auf den Altar zuging und von dem 
Hingelegten frass , anderes mit den Füssen trat {ini 
TTJg TQani^Tjg fvagyMg xsifxivwv , Itva roTg d'soig xavva d-voi, 
rdSv ßoMv vig sioiCJv dit* sgyov rd /lisv xarstpays, rd de aws^ 
ndtTjasv)^ wurde auf folgende ceremonielle Weise von den 
Mitgliedern erblicher Friestergeschlechter getödtet. Jung- 
frauen, Hydrophoren genannt, brachten Wasser herbei, mit 
dem die Beilschärfer das heilige Beil zurichteten, ein anderer 
Priester reichte dem Butypos oder Buphonos, der aus der 
Familie der Butaden oder Sopatriden stammte, die blanke 
Waffe, und dieser tödtete das Thier. Der Daitros (Zertheiler), 
wieder aus einer andern Familie, häutete es ab, zerlegte es 
und richtete das Fleisch zu, von dem alle assen. 
Dann stopfte man das Fell des Rindes mit Heu aus und 
jochte das lebensähnliche Scheinbild an einen 
Pflug. Im Prytaneum aber wurde gegen alle Theilnehmer 
des Opfers die Klage auf Mord angestellt; einer schob die 
Schuld auf den anderen, bis zuletzt das Beil, welches sich 
nicht verantworten konnte, verurtheilt und ins Meer geworfen 



70 • KAPITEL n. 

wurde. ^ Schon Mommseo erkannte in den Buphonien ein 
Dreschfest. 2 Nicht aber die Tödtung des Ackerstiers als 
solchen hatte die Cultushandlung zum Gegenstande; denn 
selbst aus dem Yerbote bei Todesstrafe irgend jemanden 
durch Tödtung seines zum Feldwerk dienenden Ochsen auf 
das empfindlichste in seinem Eigenthum zu schädigen, würde 
der Ursprung derselben nicht leicht begreiflich zu machen 
sein, während jede Schwierigkeit sich löst, wenn man an 
eine Nachbildung der beim Dreschen geschehenen Tödtung 
des Getreidethiers (der Ackerstier stellte nur symbolisch den 
Getreidestier dar, wie in Deutschland die vor den ersten 
Pflug gespannten Rinder als Begenzauber mit Wasser be- 
gossen werden, BE. 332), mithin aneine Parallele zu dem vor- 
hin aus Chambery (o. S. 62) beigebrachten Drescherbrauch 
denkt. Ganz wie wir das bei dem von Lityerses getödteten 
Fremden gesehen haben, wird der Eornstier mit einem 
Mahle aus seiner eigenen Gabe geehrt, ehe er stirbt; dass 
er Korn und Kuchen vom Altar nehmen darf, bezeichnet ihn 
als eine Art göttlichen Wesens, ja man könnte vielleicht 
nicht ohne Wahrscheinlichkeit auf die o. S. 58 und ausführ- 
licher unter Lityerses erläuterte Vorstellung zurückgreifen, 
dass der Getreidewuchs dem Vegetationsdämon gehörte, von 
ihm selbst sich zur Speise bereitet sei, von dem Menschen 
ihm geraubt werde, so dass das Zuschreiten des Thiers auf 
die Opfergaben, um sie als sein Eigenthum in Anspruch zu 
nehmen, gerade dieses unter den anderen als die Verkörperung 
des Eorngeistes erkennen Hess. Wie man auf den Gedanken 
gekommen sein sollte, dem Zeus das arbeitende Zugthier 
etwa als die werthvollste Habe zu bringen, und dann doch 
dieses Opfer als Frevel zu betrachten, ist nicht ersichtlich. 
Nahe dagegen lag es, die der Meinung nach jährlich sich 
vollziehende^ Passion eines göttlichen Wesens dramatisch dar- 
zustellen ; die Hinschlachtung musste dem frommen Gemüthe 
des Naturmenschen freilich als eine Todsünde erscheinen, die. 



1 Porphyrius de abstinentia ed. Hercher II c. 29. 30, vergl. c. 10. 
Weitere Belegstellen bei Meursius a. a. 0. 

2 Heortologie S. 13 Anna., 454. 



CHTHONIBN UND EUPHONIEN. • 71 

aus dem unabweisbaren Interesse der Selbsterhaltung be- 
gangen und von segensreichen Folgen begleitet, dennoch 
einer Sühne bedurfte. Das Mahl, von welchem die Theil- 
nahme aller ausdrücklich hervorgehoben, wird {iysvaavro 
Tov ßoog ndvT€g), scheint eine besondere Bedeutung gehabt 
zu haben. Da unsere Schnitter- und Dreschermahle vielfach 
nach dem vermeintlich in der letzten Garbe gefangenen 
theriomorphen Korndämon *Hahn, Hase, Wolf, chien de la 
moisson u. s. w. benannt sind, auch mancherorts noch die 
entsprechenden Thiere dazu aufgetragen werden, liegt der 
später auch noch aus andern Spuren zu begründende Schluss 
nahe, dass man familienweise oder genossenschaftsweise 
unter Theilnahme aller Mitglieder das den Yege- 
tationsgeist repräsentirende Thier, die Yersinnlichung des 
dem eingeernteten Getreide innewohnenden !Numens, zu ver- 
speisen pflegte, um seiner Wachsthumskraft theilhaftig zu 
werden. So sehen wir auch o. 8. 62 den Kornstier zum 
Schnitter- oder Dreschermahl verzehrt. Darf derselbe Ge- 
danke dem Festmahl bei den Euphonien untergelegt werden, 
so drückt nun vollends die sinnliche Wiederbelebung des 
Rindes das Wiederaufstehen des Kornstieres im Getreide- 
wuchs des nächsten Jahres aus. Vergl. AWF. 197 die 
Wiederbelebung des Julbocks, o. S. 60 das jüngste Kalb 
der Commune und die Verzehrung des als Vertreter des 
Eornstieres getödteten Rindes halb zum Erntefest, halb bei 
der Frühlingsaussaat. 



KAPITEL m. 

DIE LUPERCALIEN, 



S 1. DER SCHAUPLATZ UND DIE HANDLUNGEN DES FESTES. 

Das Frühlingsfest der Luperealien war eine Begehung, 
welche in italischer Urzeit entstanden in derjenigen Form, 
die sie in den frühesten Tagen Roms erhalten hatte, ziem- 
lich unverändert daselbst geübt blieb, das Königthum und 
die Republik, ja die Einführung des Christenthums über- 
dauerte und erst im Jahre 496 n. Chr. den Anstrengungen 
des dagegen mit Mahnung umd Verbot ankämpfenden Papstes 
Gelasius ^rlag. ^ 

Aus den Schilderungen der Schriftsteller des unter- 
gehenden Freistaats und des beginnenden Kaiserreichs lernei 
wir das Fest kennen, wie es damals bestand. Der Schau- 
platz desselben war die Roma quadrata, d. h. die auf den 
Palatin gelegene früheste Altstadt Roms. Am unteren Ab- 
hänge des Berges, wo der Weg zum Circus vorbeifühne, 
lag das Lupercal, eine dem Faunus geheiligte Grotte, ^ 



^ Ueber die Luperoalien und was damit zusammenhängt vergl. 
Härtung Rom. Myth. II 176 ff. Schwegler Rom. Gesch. I 57. 111. 115. 
228. 237. 276. 351. 352. 356 ff. 360 ff 363. 372. 386. 390 ff 412. 422. 
425. 476. 533. III 259. 274. Mommaen Rom. Gesch. I 1865 S. 50 ff. 
Preller Rom. Myth. Aufl. 1. 111. 243 ff. 247. 318. 342 ff. 369 ff. 660. 
Beckcr-Marquardt Handb. d. R. A. IV 1856 S. 400 ff. Büdinger in 
N. Jahrb. f. Phil. u. Pädagogik LXXV 201. 

' Dionys. Halicar n. I 32« 5: vüv /usr oOr av/untnojUa/uevav rto 
jefihfH T«y 7r/|pt$ ^(a^Ccoy^ SuaedeaaroQ ydyovtv fj na},ma rov ronov ^vaif» 



DIE LUPEBCALIEN. 73 

aus welcher ein Quell hervorsprudelte, unmittelbar daneben eine 
geweihte Umfriedigung (rß^fvog)^ und innerhalb derselben, ehe- 
dem von einem Feigenbaume (ficus Ruminalis) beschattet, eine 
kleine Kapelle (sacellum) der diva Rumina (von ruma, Mutter- 
brust, abgeleiteter Indigitalname einer Göttin, welche um das 
Gedeihen der Säuglinge angerufen wurde); ^ Zur Zeit des 
Augustus lag die Höhle mit der Quelle mitten im Häusermeere 
der Weltstadt,^ der Feigenbaum war bereits nicht mehr vor- 
handen, ^ doch die Sage behauptete, einst habe hier der Tiber- 
fluss den Fuss des Berges bespült und ein dichter schatten- 
reicher Hain die Grotte umgeben, der dem Faunus heilig war 
und einen Altar desselben enthielt.^ An dieser Stelle seien die 
Zwillinge Romulus und Remus ans Land getrieben und unter 
dem Feigenbaum,^ oder in der Grotte^ von der Wölfin ge- 



rjv Se To a^^alovy tag Z^y^^^ anrflaiov vno r*» Xofptp fidya^ S^v/u^ 
laaUo xartjqf^tg^ xai xqtjvCd t^ vno ratg nivQatg l/ußv^ioi^ rjrt n^at^s rißr 
XQ^ftrtSr vantj^ nuxrote xai fttydXoii ^^'vß^eaiv Pniaxioi, Ir^a ßta/uov IS^v^ 
aa^evoi rto &tfp rijv nar^iov &va(av tntriXtaav (die Arkader dem Pan 
Lykaios), ^v /j^^qt, rov xa&^^^af ^qovov 'Pta/ualoi 9vova(,v iv 
^^yt- tpfft^ovag^tpi juera ^t i/tttq Covq t gon d Sy ovSiv Ttav rirt 
Yivoftivtay ueraxi^ovyrfg, Nenerdings glaubte ein Engländer Parker 
die Laperoalgrotte wieder aufgefunden zu haben. Gori bemfihte sich 
(Bull, di Gorresp. aroheol. di Roma 1867 S. 104 ff.) diese Gonjectnr 
zu erhärten, dagegen wies (a. a. 0. 157 ff.) Ciconetti mit schlagenden 
Gründen nach, dass das betreffende Felslooh nichts anderes, als eines 
der vielen unterirdischen Quellenhäuser oder Wasserkammern sei, 
welche das alte Rom aus gesundheitlichen oder topographischen RQck- 
sichten herstellte. 

* Dionys. I 79. 

' Plutarcb. Rom. 4: t^v n &rjX^v QoV^av tovojua^ov ol naZaioi xai 
&f6p Tiva rrji fxT^o<p^i rav vtjnCutv htijufXeiaS'ai Soxovaav ovo/ud^ovat. ^Pov/uiXiav 
xai &vovntv avTij vr^tpaha^ xai ydXa roig tt^oig inianevSovatv, Vergl, Varro 
de re rust. II 11, 5. Varro bei Non. 167. Plutarch. Qu. Rom. 57. 
Seh wegler Rom. Gesch. I 392. 421. 

• Dionys. I 79 : t6 juer ovy uXaog oux in Sia/u^vfi ' to ^e avrqov^ }\ 
ov f Xißdg ixS^SoTaij T(f HaXavrUp Ttqogtpxodoßitjfiivov SeixruTai xard r^r fni 
Tov InnoSgo/uoy y^QOuaar oSov, 

♦ Schwegler I 392. 
5 Dionys. I 32. 79. 

« LiY. I 4. Plutarch. Rom. 3 ff. 
7 Verg. Aen. VIII 630, 



74 KAPITEL m. 

säugt worden. Das Yorhandenseiii dieser Sage schon vor 
Fabius Pictor und Ennius beweist das i. J. 296 v. Chr. von 
den beiden Aedilen Qu. und Gn. Ogulnius unter dem Feigen- 
baum aufgestellte eherne Standbild der Wölfin mit den 
beiden Zwillingen, welches wohlbehalten noch jetzt auf dem 
Capitole verwahrt wird.^ Oberhalb der Grotte stand eine 
sorgsam in Stand gehaltene Stroh hütte, die casa Komuli 
(aedes Romuli, tugurium Faustuli), in welcher die Pontifices 
von Zeit zu Zeit gottesdienstliche Handlungen vornahmen. 
Hier sollte Romulus von Faustulus erzogen sein.^ An diese 
heiligen Stätten ^ knüpfte sieh der alljährlich am 15. Februar^ 
begangene Brauch der Luperealien, der Umlauf der Luperci, 
an welchem seit Alters zwei nach den Fabiern und den 
Quinctiern benannte Genossenschaften (Luperci Fabiani und 
Quinctiliani) activen Antheil nahmen.^ Ein erstes Haupt- 
stück der Feierlichkeit war ein Opfer von Ziegen, angeblich 
für Faunus, ^ vor dem Standbilde der Wölfin und der Höhle 
Lupereal. Auch ein Hund wurde getödtet.'' Vorher mag 
das Fest noch durch eine andere gottesdienstliche Handlung 
inaugurirt sein; denn der Flamen Dialis war doch wohl 
schwerlich als blosser Zuschauer zugegen,® der keine Ziege 
und keinen Hund berühren durfte.^ Für jene Opferhand- 
lungen mit Ziegen und Hund, wie es scheint, bereiteten die 
Yestalinnen aus dem Mehl der im Mai des vergangenen 



^ Liv. X 23. Dionys. I 79. Urliohs de lupa aenea OapitoüBa. 
Rhein. Mus. NF. IV 1846 S. 519 ff. 

2 Schwegler I 393. Jordan im Hermes 1873 8. 195. 

' Plut. Rom. 21 '. Kai yaq ogj^o^fvovg r^g TreQtrJ^o^tjq Tovg ^ovniq- 
xovq OQMuev hfTfuS'iv onov rov *'Piajuvlov fxred^rjvai, Xtyouöiv* 

^ Cal. Maff. et Farnes. Mommsen Inscr. Rom. 6749. 

^ Faviani et Quintiliani appellabantur Luperci a Favio et Quintilio 
praepositis suis. Paulus Diac. 87 y. Faviani ; Yergl. Festas s. y. Quinc- 
tiliani. 

^ Plut. Rom. 21: Ta Se S^<a/ueya rrjv alr{av noiel Suaronaaror* 
a<paTTovai yaQ alyag. Ovid. Fast. II 361: Oornipedi Fauno caesa de 
more capella. 

■^ Plut. a. a. O : ^iSiov Sh t!js co^t^s t6 xai xvva Svetv TOvg Aovniqxovg» 

3 Oy. Fast. II 282: Flamen ad haeo prisco more Dialis erat. 
9 Plut. Quaest. Rom. 111. < 



DIE LÜPBRCALISK. 75 

Jahres gepflückten ersten Aehren der Ernte frische mola 
salsa. ^ Sodann führte man zwei Jünglinge 7on patricischem 
Oeschlechte, vermuthlich aus jedem der beiden CoUegien 
einen, herzu, denen einige mit dem vom Ziegenblut gerötheten 
Messer die Stirne berührten, andere das Blut mit Wolle, die 
in Milch getaucht war, sogleich wieder abwischten. Wenn 
dies geschehen war, mussten die Jünglinge lachen.^ Sodann 
umgürteten sie sich mit Fellen der so eben geschlachteten 
ßöcko und schnitten andere derselben in Streifen, worauf 
sie nach abgehaltenem Opferschmause — im übrigen nackt 
wie die griechischen Ringer — durch die Strassen liefen, 
indem sie die Begegnenden mit den Riemen schlugen.^ Eine 
schwierige Frage ist es, ob man aus der Schilderung des 
Ovid (Fast. II 359 — 880) noch weitere sich hieran schliessende 
Züge der Festfeier herauslesen dürfe. Als Romulus und 
Remus einst der Sitte gemäss dem Faunus eine Ziege zum 
Opfer geschlachtet hatten, belustigten sie und ihr beider- 
seitiges Hirtengefolge sich nach Ablegung ihrer Gewänder 
im Strahle der Mittagsonne (medias sole tenente vias) 
mit Speer- und Steinwürfen, während die Priester die 
Eingeweide an Spiessen brieten und das Opfermahl be- 
reiteten. Da meldet ein Bote, dass Räuber die Rinder fort- 
treiben. In zwei verschiedenen Haufen eilen die Gesellen 



1 Serv. zu Verg. Buool. VIII 82. 

^ Plut. Rom 21: elra fiHQaxCtav Svolv utto yevovg ngoaa/S'e'yTtav 
uvToig y Ol jufv ji^ay fjiiv ji ju a^aC Qt^ rov /u er la n uv & lyy ar ovaiv ^ 
'fT€Qoi r) a TT. o ju arrov aiv ev&vg ¥qiov ß f ß Qey/u € y or yaXaxTi 
TT^oa^fgovreg, FeXav Sh Sfi ra ufiqdxut /uira rtjv anojua'^iy, 

' Plat. a. a. 0: *߻r <fe rovrov ra Si^fiara rtav ulydy xarart" 
uovreg diaS'eovniv iv tt e^i^iJ a/uaai yvjupoi toi i nxvreoi rov 
} fATiod ta y Ttaioyres' Dionys. I 80: i^rtxa f/g^v rovg nf^i ro JlaXaynoy 
olxovvrag rtav yitay €x rov ^vxaiov reS'uxorag ntQitX&eiy dgojuto t/;v xtautjv 
yujuyoviy vns^tao/uBvovg rtjv alSta raig SogaTg t u) y yfod'vrwv. 
Plat. Gaes. 61: rav S^euytywy vtaytaxtav xai aQj^ovrtay noX).o\ Sta&fovaiv 
ava'r^y noXtv yvfAvoi. Yal. Max. 112, 9: Facto Baorificio caesisqne 
capris, epularum hilaritate ac Tino largiore proveoti, divisa 
pastorali turba, cinoti pellibus immolataram hostiarum, iocaotes 
obvios petiverunt. Ov. Fast. II 361: Cornipedi Faano caesa de 
more capella venit ad exiguas turba vocata dapes. Ebds. 
379: Posito velamine currunt. 



76 KAPITEL IIL 

beider Brüder, unbekleidet, wie sie sind, den Räubern nach. 
Remus mit seinen Fabiern in schnellem Laufe (occursu) das 
Ziel erreichend kehrt zuerst siegreich zurück und bemächtigt 
sich der an den Spiessen steckenden Mahlzeit, Romulus und 
seine Quinctier kommen zu spät und gehen leer aus. 'Fama 
manet facti: posito velamine currunt, et memorem famam, 
quod bene cessit habet/ Das ist eine in sich abgeschlossene 
Dichtung über den Ursprung der Luperealien (sie ist wahr- 
scheinlich aus der Geschichte des C. Acilius um 160 v. Chr. 

— Yergl. Plutarch Rom. 21 — entlehnt), verschieden von 
der V. 423 ff. benutzten, nach welcher Juno Lucina die 
Stiftung des Cultus veranlasst (diese entstammt wohl einem 
jüngeren Antiquar). Benutzt ist die Erzählung des Fabius 
Pictor (vergl. Dionys. Hai. I 79): In Abwesenheit des 
Romulus brach ein Theil der Hirten des Numitor in die 
Ställe der Römer ein, und, als Remus mit den Seinigen 
diese verfolgte, stürzten die übrigen aus einem Hinterhalte 
hervor, umringten ihn unter Steinwürfen und führten 
ihn gefangen nach Alba Longa; Romulus eilt dann mit 
seiner Scbaar auf verschiedenen Wegen dorthin, errett<|t den 
Bruder und Grossvater und gelangt zur Anerkennung seiner 
königlichen Abkunft. Es ist das einfach dieselbe Geschichte, 
welche von der Jugend des Cyrus und unvollständiger von 
Miletos und Kydon^ erzählt wird, nur episch ausgesponnen 
und durch Hinzutritt einer zweiten Figur, des Remus, modi- 
ficirt. Diese Legende gewährte aber die allgemeine Situation 

— den Streit zwischen den Hirten des Numitor und den 
Schaaren der beiden Brüder — , welche mehrere Schriftsteller 
verwandten 1 um — abweichend von der Tradition, dass 
Faunus-Evander der Stifter des Luperealien cults gewesen sei 
(u. 8. w.) — Romulus zum Urheber desselben zu machen 
und durch eine historische. Begebenheit seine Gebräuche zu 
deuten. Ein gewisser Butas (Plut. Rom. 21, vergl. Val. Max. 
II 2, 9) macht zum Anlass dieser Stiftung die Siegesfreude 
über die Eroberung von Alba Longa; andere (z. B. Aelius 
Tubero, Ciceros Schwager, vergl. Dionys. Hai. I 79, Livius 



1 Yergl. W, Koscher Apollon und Hars. 8. 79< 



DIE LUPEROALIEN. 77 

I 5) vereinigten die Ableitung des Festes von Evander und 
von Romulua mit Fabius Pictor so, dass sie die Hirten des 
Numitor den Remas bei der Feier des Lupercaltenfestes ge- 
fangen nehmen lassen. Wenn der in der Familie der 
Äcilier um 760 v. Chr. begegnende Name Eaeso (Mommsen 
C. J. L. I S. 5B0. a. U. 604) das Anzeichen einer näheren Bezie- 
hung dieses Geschlechtes zum Lupercalienculte wäre (s. unten)^ 
so müsste es um so wahrscheinlicher sein, dass der gleich- 
zeitige G. Acilius aus genauer Kunde der Festgebräuche 
heraus seinen Bericht über den Ursprung des Festes modelte. 
Man könnte versucht sein daraus einen Ruckschluss auf fol* 
gende Stücke des Brauches selbst zu machen: 1. Das Opfer 
fand zur Mittagszeit statt. 2. Hieran schioss sich zunächst 
ein Scheinkampf und eine Lithobolie. 3. Die beiden 
Luperealgenossenschaften laufen in Intervallen und getrennten 
Haufen, jede für sich. 4. Am Opfermahle haben nur die 
Fabier Theil, nicht die Quinctier. Wieweit aber diese Con- 
jectur zutrifft, muss unentschieden bleiben. Der Kampf und 
die Lithobolie scheint doch der zu den Luperealien in keiner 
Beziehung stehenden Erzählung des Fabius Pictor ent- 
nommen. Hinsichtlich der Ausschliessung der Quinctier vom 
Opferschmause aber äussert Härtung Rom. Myth. II 181 die 
unbewiesene und unwahrscheinliche, aber ebenso wenig mit 
sicheren Gründen zu widerlegende Vermuthung, hier sei dem 
Schriftsteller eine Verwechselung mit dem bekannten Ver- 
hältniss der Potitier und Pinarier im Gultus des Hercules an 
der Ära Maxima begegnet. 

Die Gollegien der Luperci waren ursprünglich wohl 
Gentilgenossenschaften , später wurden auch Mitglieder 
anderer Geschlechter in das Collegium aufgenommen, doch 
mussten nun wahrscheinlich wenigstens jene beiden mit dem 
Messer berührten Jünglinge der eine ein Fabier, der andere 
ein Quinctier sein. Sie waren die Anführer der umlaufenden 
Schaar, spielten eine auszeichnende Rolle und trugen vielleicht 
xar' iio/7Jv den Namen Lupercus als Ehrentitel auf ein 
Jahr, bis mit dem iB^este des neuen Jahres ein anderer 
Lupercus an ihre Stelle trat, geradeso wie in deutschen 
Städten der den Mai als Repräsentant des Frühlingsgenius 



78 KAPITEL m. 

einreitende Maigraf Namen und Würde ein Jahr lang be* 
hielt, und wie Schnitter oder Binder der letzten Halme ein 
ganzes Jahr lang Wolf, Bock, Hahn u. s. w. genannt 
werden. Diese Sätze gründen sich auf die nachstehenden 
Thatsachen. In einem von Plutarch (Rom. 21) bewahrten 
Auszuge aus Butas, einem Griechen, der nach dem Muster 
des Eallimachus den Ursprung auffallender römischer Ge- 
bräuche aus alten Sagen zu erklären suchte, heisst es, das 
Luperealienfest werde zur Erinnerung daran gefeiert, dass 
Bomulus und Remus nach Besiegung des Amulius voll 
Freude nach dem Orte gelaufen seien, wo sie die 
Wölfin einst gesäugt habe; wie Romulus und Remus 
damals mit dem Schwerte in der Hand von Alba Longa 
fortgerannt seien, liefen jetzt die edelen Jünglinge (tqs/siv 
Tovg dno yevovg) die Begegnenden schlagend, und das blutige 
Schlachtmesser werde ihrer Stirn genähert als Sinnbild der 
Todesgefahr, in der jene einst geschwebt hätten, die milch- 
getränkte Wolle als Andeutung der Nahrung, die sie von 
der Wölfin empfangen. Diese ätiologische Deutung setzt 
voraus, dass jene beiden Jünglinge, die Plutarch in seinem 
Auszuge aus Butas mit denselben Worten (dno ysvovq) als 
besonders vornehm aus der Zahl der übrigen hervorhebt, 
wo nicht die alleinigen Läufer, so doch die Anführer des 
Laufes waren; sie war unmöglich, wenn dieselben bei dem 
Umlaufe eine passive oder untergeordnete Rolle spielten. ^ 
Uebrigens hat schon Härtung (II S. 178) eingesehen, dass 
die mit dem Opferblut bestrichenen Jünglinge wahrschein- 
lich die beiderseitigen Führer waren. Dies macht nun auch 
noch ein anderer Umstand glaublich. Paulus Diaconus nämlich, 
der durch Festus und Verrius Flaccus anf Varro zurück- 
geht, leitet den Namen der Luperci Fabiani und Quinctiliani 
a Favio et Quintilio praepositis suis' ab, offenbar, weil 
der Regel nach je ein Fabier und ein Quinctier^, deren es 



1 Vergl. auch Val. Max. II % 9. 

^ Die Schriftsteller brauchen die Formen Lupercus Quinctilius 
und Quinctilianus ; auf Inschriften dagegen ist der Name Quinctialis 
geschrieben. Mommsen R. G. I 53 wies nach, dass letztere Form die 
ältere und richtige sei, so dass die zu den ältesten römischen Oe- 



DIE LUPSRCALIEN. 79 

immerbin noch mehrere in der Genossenschaft geben mochte, 
während die übrigen auch anderen Geschlechtern angehörten, 
ihr Anführer sein musste. Nun hat aber Mommsen (Rom. 
Forsch. I Berl. 1864 S. 17. 29) bereits auf die Thatsache 
hingewiesen, dass der Yomame K a e s o als patricischer sich 
lediglich bei den Fabiern und Quinctiern finde, und ver« 
muthet, derselbe möge mit dem Lupercalienbrauche zu- 
sammenhängen und auf das dabei vorkommende Riemen- 
schlagen zurückgehen. Die vom Participium Pass. herge- 
nommene Form Eaeso konnte aber wohl schwerlich den 
Schlagenden bedeuten, sondern ist, wie von nasus Naso, der 
eine (grosse) Nase hat, von caesa Hieb (vergl. caesum Ein- 
schnitt, Komma) in der Bedeutung einen Hieb habend ab- 
geleitet, indem man die Berührung der Stirn mit dem Opfer- 
messer als einen symbolischen Hieb oder Schnitt ausdeutete 
oder wirklich einst in Milderung roherer Sitte an Stelle 
eines Hauteinschnitts treten Hess. Mithin wird Mommsens 
Ausführung dahin zu modificiren sein , dass Mitglieder der- 
selben Geschlechter, welche die Praepositi stellten, auch der 
dem Mahle und Umlauf voraufgehenden Ceremonie unter- 
lagen und einen daher rührenden Beinamen zum Vornamen 
machten. Zwar mögen jene beiden patricischen Geschlechter 
schon frühe sich genöthigt gesehen haben in gewissen Fällen 
die Ehre mit Mitgliedern einer anderen Familie zu theilen ; 
schon in den Jahren 450 und 399 v. Chr. weisen die Con< 
sularfasten den Yornamen Kaeso in der Familie der Duilier 
auf, um 150 in derjenigen der Äcilier; kurz vor (nach?) 
Caesar gelangt sogar ein Freigelassener, der durch Heirath 
mit einer Erbtochter des altadeligen Geschlechtes der Geganier 
zu Reichthum und Würden emporsteigt, zur Stellung des 
'magister Lupercorum' (Mommsen C. J. L. I n. 805), 
ungefähr um dieselbe Zeit ein mit dem Bürgerrecht be- 
schenkter Peregrine zu demselben Ehrenamt (Mommsen 



schlechtem gehörigen Quinctier, nicht die jüngere Familie der 
Quinctilier, den Genossenschaften den Namen gahen, deren ursprüng- 
lich alleinige Inhaber, deren spätere Vorsteher sie nach obenstehender 
Ausein andersetzang waren. 



80 KAPITEL lU. 

C. J. L. I S. 206. 186. Henzen n. 6010). Wenn die In- 
Schriften Orelli 2256. 4920 echt sein sollten, in denen von 
einer mehrmaligen Uebernahme des Luperkenamtes die Bede 
zu sein scheint (die erste Inschrift ist jedoch der Fälschung 
verdächtig, bei der zweiten die Auslegung unsicher), so wäre 
dieser Wechsel des Amtes mit der Ständigkeit der Sodalitas 
doch wohl am besten durch die Annahme zu vereinigen, dass 
von dem Praepositus oder Magister als Lupercus xar^ ^^o/^v 
die Bede war, und dass dieser aus der Zahl der Mitglieder des 
im übrigen ständigen Collegiums alljährlich durch eine be- 
sondere Neuwahl hervorging. Hierauf leitet aber auch eine 
unzweifelhaft echte Inschrift aus späterer Zeit (Orelli 2253, 
vergl. Mommsen a. a. 0. S. 206), auf welcher ein freige- 
lassener Unterbeamter (Yiator Aed. PI. ; Accensus Cos.) sich 
Lupercus Quinctialis vetus nennt, schwerlich, wie 
Orelli wollte, zum Unterschiede vom Collegium der Luperci 
Julii, sondern als Lupercus des alten Jahres im Gegensatz 
zu dem schon erwählten Lupercus des neuen Jahrft (Lupercus 
designatus, Orelli 2251). Genau in dem nämlichen Sinn 
braucht Livius III 64 tribuni veteres für die Tribunen des 
zuletzt vergangenen Jahres. Sei nun diese Auffassung richtig, 
oder müsste den Zeugnissen entnommen werden, dass die 
neuernannten Luperci vor dem Eintritt ins Collegium (?) 
bis zur wirklichen Einführung designati, nach dem Austritt 
aus der Genossenschaft aber noch als ehemalige Luperci 
(Luperci veteres, vergl. anciens magistrats) bezeichnet wurden, 
jedenfalls machten ausser den beiden Anführern viele Jüng- 
linge aus guten Familien, zum Theil noch zarten Alters, nur 
mit einem Schurze bekleidet und in neuerer Zeit nach dem 
Muster griechischer Gymnasten mit Oel gesalbt als Mitglieder 
jener beiden CoUegien den Umlauf mit. Caesar stiftete und 
dotirte i. J. 44 v. Chr. noch eine dritte Genossenschaft, die 
ihm zu Ehren den Namen der Luperci Juliani trug. Auch 
sie hatte einen Anführer. Als solcher fungirte der damalige 
Consul M. Antonius, der bei dem Umlauf Caesar die Krone 
bot. Die Verflechtung mit der neubegründeten Monarchie 
brachte während der Bürgerkriege das ganze Institut der 
Luperealien in Misscredit und Abgang, bis die Bestauration 



DIE LUPEBCAIilEN. 81 

unter Augustufi dasselbe in der yon Caesar reformirten Form^ 
und Ausstattung wiederherstellte und mit neuem Glänze be- 
lebte; nur wurde ein reiferes Alter zum Eintritt in das 
CoUeg zum Beding gemacht.^ Der Umlauf der Luperci um- 
schrieb den Umkreis der palatinischen Altstadt,^ seit Caesar 
dehnte sich derselbe auch noch auf andere Strassen und 
Plätze aus/ von einer erwartungsvollen und der Segnungen 
des heiligen Umgangs begierigen Menge dicht umdrängt 
(gregibus humanis cinctum)^ es scheint, dass unter anderen 
auch die equites equo publice daselbst Aufstellung genommen 
hatten.^ Unter Scherzen, lasciven Redensarten und Gesängen"^, 
in denen hauptsächlich der Lebenswandel be- 
kannter Personen durchgehechelt und ver- 
spottet wurde*^, schlugen die Luperci mit den aus Fellen 
der geopferten Ziegen geschnittenen Hautstreifen alle, die 



1 Becker-Marqaardt IV 406, Anm. 2778. Cic. Phil. XIII lö, 31. 
Cic. ad Caes. jun. 1. II bei Nonius S. 187. Monum. Anoyr. IV 2. 

2 Sueton. Octaviao. 31 : Lupercalibus vetuit currere imberbes. 

' Yarro de L. L. YI 34: quod tum februatur popalus, id est 
Lupercis nudis lustratur antiquom oppidam P alatinum gregibus 
hamanis ciiictum. Augustin. de C. D. XYIII 12: Nam et Lnpercorum 
per sacram viam ascensum atque desccnsum sie interpretantur. Diooys. 
I 80: jtf^itXSstr 3Q0/utf rtjv uta/jijv, 

^ Plut. Caes. 61: dia^iovtfiv ava Tflv noXiv, Plut. Ant. 12: ^6^ 
fttv yuQ ^ T(Sv uiuxaCav noqTij PtaualoL^y )jv y^ovnfQxaha xaXovoi,^ Kaiaaq 3f 
xfxoa/uijuhvoi hi^fjTi ^qiajußtXfi xa\ xad't^^tfrof vne^ ßtj/iaTOi fv ayoq^ Toof 

Sta^f'oyTag f^faro. Es sind die Rostra aedis Diri Julii gemeint bei der 
Regia in der Nähe des Oastortempels. Yergl. Jordan im Hermes 1873 
8. 276 fif. 

* Yarro a. a. 0. 

« Becker-Marquardt lY 405, Anm. 2776. 

7 Qelasins advers. Andromachum (ßaronii annales ecciesiast. 
Antverp. 1596 YI .^)14, v. J. 496): *Dicite, inquam, Lupercaliorum 
patroni et revera divinitatis ludibria et cantilenarum turpium 
defensores, disrni magistri vesaniae et qui non sine causa sana 
oapita non habetis, digni hac religione, quae obscoenitatum et 
flagitiorum Tocibus celebratur, videriHs ipsi, quid vobis 
salutis impendat, quae tantam moribus labom perniciemque proponit. 

^ Gelasius a. a. 0.: Nee est, quod dicatis, potius haec agendo et 
faoinora uniusouiusque vulgando deterreri a talibus oommissis 
animos. et pudore refrenari , ne de bis publica Toce oantetur; 
QP. LI. 6 



82 KAPITEL m. 

ihnen in den Weg kamen,* besonders aber Frauen-,^ 
diese vornehmlich boten ihnen entweder den Bücken oder 
beide Hände dar, um darauf den segnenden Schlag zu em- 
pfangen.^ Die Wirkung dieser Ceremonie, beziehungsweise 
sie selbst pflegte man mit den Worten februare,^ 
februatio zu bezeichnen. Ausdrücken, die in den Ponti- 
ficalbüchern mit purgare, lustrare, xa&atQsiv^ umschrieben 
wurden, wie denn auch die Hautstreifen selbst februa^. 



quando (sicut ille ait) non tarn deterrere, quam admonere animos haec 
ludibria videantur et sicat ille dixit 

iram atque animos a crimine sumunt. 

Eo impudentiores effecti, quo crimine publicato expositaque 
▼ erecandia nihil superest omnino quod pudeat nee habet quod metuatur 
publicari, sed jam se fiducialiter exerat, qualis in propatulo non per 
coercitionem sed potius per quandam laetitiam et celebri- 
tatem norain um decantata est quaelibet illa persona. 
Vergl. Nicol. Damasc. in Feder Excerpta e cod. Esourial. S. 146: 
jufra Sh ravra fogrtj sv rrj ^Pci/urj iyFVSTO ^Biutavo^^ ^ovTxeqxaXia xalelrui^ 
fv fi ftjqnioC re ojuou no/uTTfvovoi xai V€ot yvjuvol aXrjXi/ufÄivoi re xai Si€(^(oau€yoij 
Tovg T€ vTravTwvTag xaraxSQTOjuovvTeg xai rvnrovTfg alysloiq So^ait, 

* Pluf. A.nton. 12: Siad'iovai — axvrsai XaaCoig xaS-ixvovjufvoi jutra 
naiSiag rmr evrvY/ccyovTwv. Plut. Oaes. 61: diaS-eovait^ ava rvjV 
noX'.v yvuvoi axuTsai XaaCoig rovg e tunoS tav hii naiSia xa\ ysXiOTi Tratovre;. 

Varro o. a. O: tum (Lupercalibus) februatur populus. 

> Paulus Diac. 57: Mos enim erat Romanis in Lupercalibus nudos 
discurrere et pellibus obvias quasque femin as ferire. 

' Ov. Fast. II 443: sua terg'a maritae pellibus exsectis per- 
cutienda dabant. Plut. Caes. 61: noXXal Sh xai rtav h tUh ywaixwv 
InCTtjSig vnavTwaai n ag €^ o ua iv laane^ iv StdaaxdXov Tta ^fiQS ratg 
nXvjyalg. Juvenal. II 142: Steriles moriuntur — , nee prodest agili 
palmas praebere Luperco. 

^ Paulus Diac. 85: Lupercalia, quo die mulieres februabantur a 
lupercis. Varro a. .a. 0. 

* Lyd. de mens. IV 20: fpfßoovaqs to xaS'aQaira TTorTKpixaXux 
ßißXitt xaXfl. Varro de L. L. VI 13: Februum Sabini purgamentum, et 
in sacris nostris verbum; nam et Lupercalia februatio, ut in Antiquitatum 
libris demonstravi. Ov. Fast. II 19: Februa Romani dixore piamina 
patres. Dionys. I 80: -zovro Ss xaS'agjuor nva rtav xwjutjrcSiy Trar^iof 
idvvaro^ tag xat vvv ?:ri dqarau 

* Servius zu Verg. A.en. VIII 343: Nam pellem ipsam capri 
veteres februum yocabant. Paulus Diac. a. a. 0: Qaaecumque deniqud 



DI£ LUP£RCALI£N. 83 

der Tag des Festes dies februatus, der noch durch eine 
andere Februation (an den Kaienden) ausgezeichnete Monat 
desselben Februarius sc. mensis genannt isi^ Die 
Reinigung bezog sich zwar auch auf das sittliche Gebiet^, 
jedoch vorzugsweise auf das Leibesleben. Ovid sagt Fast. II 29 
▼om Ausdrucke februum redend ausdrücklich: 'Denique quod- 
cumque est, quo corpora nostra piantur, hoc apud intonsos 
nomen habebat avos. Worin das Wesen dieser Reinigung 
bestand, ersieht man daraus, dass das christliche Rom an 
der Feier der Luperealien mit äusserster Zähigkeit festhielt, 
weil der Volksglaube behauptete , dass die Feier der 
Luperealien Pest und böse Krankheiten ver- 
nichte und fern halte, Gesundheit und Leben 
der Landeseinwohner wahre, die Unterlassung des 
Festes Seuchen herbeiziehe oder wachrufe.^ Mithin ist die 



purgamenti causa in quibusque sacrificiis adhibentur, februa appel- 
lantur. Id vero, quod purgatur, dicitur februa tum. 

* Plut. Rom. 21: Tu rJi ^ovJifqxalut T(p fiiV XQ^^V ^o^ftfv av flrai 

xad'ücQaior uv ng eq/u^vtCattty xai rtjv ^j/tfqav fnHvrjv ro nahxiov sjedXouv 
4»fßqaTtir, Yerg). Plut. Quaest. Rom. 68. Varro a. a. O: Rex quom 
ferias menstruas Nonis FebruarÜB edicit , hunc diem februatum 
•ppellat. Paulus Diac. a. a. 0: Februarius mensis dictus, quod tum* 
id est extreme mense anni, populus februaretur, id est lustraretur 
ac purgaretur — is quoque dies Februatus appellabatur. 

^ Ov. Fast, n 35: Omne nefas omnemque mali purgamina 
causam credebHUt nostri tollere posse senes. 

' Papst Gelasius in seiner Epistel adrersus Andromachum Sena- 
torem (den Bruder des magister officiorum Faustus) caeterosque 
Romanos, qui Lupercalia secundum pristinum morem colenda con- 
stituebant, führt den Römern den Widerspruch zu Gemüth, den sie be- 
gehen, indem sie den alten Brauch festhalten, den sie nicht mehr in 
Person, sondern durch schlechtes Gesindel ausfuhren lassen: 8i 
magna sunt, si divina, si salutifera, si in bis vitae vestrae 
pendet integritas, cur tos pudet per yos ipsos talia cele- 
brare? (Baronius a. a. O.). Vergl. ebds. S. 512: Quomodo autem 
non in hanc partem recidit, qui cum se Christianum videri velit et 
profiteatur et dicat, palam tarnen publiceque praedieare non horreat, 
non refugiat, non pavescat, ideo morbos gigni, quia daemonia 
non colantur et deo Februar io non libeturP Gelasius sucht 
die Nichtigkeit dieses Glaubens zu erweisen, indem er einmal darauf 
hinweist, dass trotz der in Rom stets gefeierten Luperealien Livius 

6* 



84 KAPITEL m. 

Reinigung zu verstehen im Sinne der Vernichtung aller dem 
Wachsthura und Gedeihen des Körpers schädlichen und 
hinderlichen Stoffe (omnem mali causam) oder vielmehr 
dämonischen Mächte (Krankheitsgeister), welche nach der 
Anschauung des Altert hums gerne als Schmarotzer dem 
Leibe einwohnend gedacht werden. Es ist wohl deutlich, 
welches Interesse jedermann daran hatte von den heiligen 
Hautstreifen berührt zu werden, insofern er davon Gesund- 
heit und Wohlsein für das ganze Jahr zu erlangen hoffte. 
In Bezug auf das weibliche Geschlecht äusserte sich diese 
Wirkung vermeintlich besonders darin, dass Ehefrauen von 
allen verderblichen Einflüssen befreit wurden , welche sie 
hinderten Mütter zu werden, weshalb vorzugsweise solche 
Frauen^ die bisher verschlossenen Leibes geblieben waren, 
das Heilthum der Luperealien suchten. ^ Selbst Jungfrauen 
unterzogen sich dem Brauche, um im Falle der Yermählung 
dem Gatten die Fähigkeit erwünschter Familienvermehrung 
zuzubringen. 2 So sehr trat unter allen erhofften Heil- 
wirkungen des Festes die Beziehung auf den Kindersegen 
in den Vordergrund, dass die Schriftsteller grossentheils ihrer 
allein gedenken, und dass die theologische Speculation ge- 



sehr viele und verheerende Seuchen zu versseiohnen gehabt habe ; dass 
zu seiner Zeit Efrurien, die Aemilia menschenleer geworden seien, ob- 
wohl in der Hauptstadt die Luperealien noch fortbestünden, in Campanien 
aber dieselbe Entvölkerung herrsche, die doch nimmürroehr durch Auf- 
hebung der Luperealien hervorgerufen sein könne, da solche hier nie- 
mals bestanden. Als kürzlich Kaiser Anthemius (467—473) nach Rom 
kam, seien die Luperealien gefeiert, und dennoch eine furchtbare Pest 
ausgebrochen. Andererseits wisse Livius nichts davon, dass das Luper- 
oalienfest zur Abwehr von Krankheiten gestiftet sei, sondern 
nach ihm gehe dasselbe nur die Fruchtbarkeit der Weiber an. 

^ Ov. Fast. II 423 ff : Nupta quid exspectas? Non tu pollentibus 
herbis, neo prece, neo raagico carmine mater eris. Excipe foecundae 
patienter verbera dextrae. Jam socer optatum nomen habebit avi. 
Plut. Rom. 21: jit S'fv ^IvxC^ yvvaixs; ov (pfvyouai To TiaCea^ai vojuCovaai 
TTQOf evT oxCav xai xvtjaiv avvfQyfiv* . 

2 Serv. zu Verg. Aen. VIII 343: Nonnulli propter sterilita- 
tem hoc sacrum dicunt a Romulo constitutum ideoque et puellae de 
loro capri caeduntur, ut careant sterilitate et feoundae sint. 



DIE LUPBBGALIEN. 85 

schäftig war, aus ihr als dem Hauptstück und Mittelpunct 
der Begehungen den Urheber des Brauches zu errathen. 
Die nächste Yermuthung richtete sich naturgemäss auf die 
Geberin des Eheglücks und eines giücklichen Wochen- 
bettes, Juno Lucina,^ und es entstand daher die ätiologische 
Sage, da die Ahnmütter der Römer, die geraubten Sabine- 
rinnen, unfruchtbar blieben, habe Juno in ihrem heiligen 
Haine an den Esquilien die Mahnung vernehmen lassen: 
'Italidas matres sacer hircus inito!' Durch Stiftung 
des Luperealienbrauches sei diese Weisung erfüllt, worauf 
mit Lucinas Hilfe die Weiber schwanger wurden. ^ Diese 
historische Combination hatte eine weitere zur Folge. Da 
es nämlich in Rom wohlbekannt war^, dass die Juno Sospita 
(Sispita) in Lanuvium, auch eine Göttin der Fruchtbarkeit, 
nach Röscher eine ursprüngliche Mondgöttin, welche als 
Vorsteherin der menstrua purgatio der Frauen auch Yebrulis, 
februalis, februata war,'' mit einem Ziegenfell bekleidet dar- 
gestellt wurde, "* leitete man auch den Schurz der Luperci 
von Juno ab und bezeichnete denselben als 'Gewand der 
Juno* (amiculum Junonis).^ Da aber nach Ausweis der 
Eolossalstatue der Sospita (Museo Pio Clementino II 21 = 
Clarac pl. 418, 731) das amiculum Junonis — der Nebris 
ähnlich — aus einem über die Schulter geschlagenen, dem 
Gewände aufliegenden und über den Rücken herabhängenden 
Ziegenfelle bestand, dessen Kopf zugleich als Helm diente, 
dessen Füsse über der Brust in Knoten geschlagen waren, 
während das Bocksfell der Luperci die Lenden umgürtete 
(o. S. 75), mithin dem Bocksfellschurz der Satyrn auf der 
hellenischen Bühne ähnlich war, so ist es wahrscheinlich, dass 



« Preller Rom. Myth. 242—245. W. Röscher Juno und Hera 
Leipzig 187Ö, S. 16 S. 

2 Ov, Fast. II 429 ff. 

« Preller Rom. Myth. 247. 

i W. Rosoher Juno und Hera S. 21. 35. 

^ Paul. Diac. a. a. 0: Februarius mensis dictus — vel a Junone 
Februata, quam alii Febr ualem, Romani Februlim vocant, quod 
ipsi eo monse sacra fiebant eiusque feriae erant Luperoalia, quo die 
mulieres februabantur a lupercis amioulo Junonis. 



86 KAPITEL m. 

ein engerer historischer Zusammenhang zwischen beiden 
Insignien nicht bestand, mithin die Betheiligung der Juno 
bei den Luperealien der theologischen Gelehrsamkeit und 
keineswegs dem alten Volksglauben angehörte. Dieser 
wusste dagegen noch von anderen Verhältnissen, in welchen 
sich die Segenskraft des Brauches wirksam zeigte. Der Um- 
zug der Luperci theilte seine heilbringende Wirkung dem 
gesammten Umkreise, dem Boden mit, den der Lauf be- 
rührte ^ oder umschrieb, ja er hob angeblich, wie die Un- 
fruchtbarkeit der berührten Frauen, so in Roms Umgegend 
die Unfruchtbarkeit der Aecker auf^ und brachte erwünschtes 
Wachsthum.3 



§ 2. DER NAME LUPERCI. 

Wir beginnen unsere sachliche Erörterung des Luper- 
calienbrauches mit der Untersuchung über die Bedeutung 
•des Namens, da eine solche, falls sie zu einem reinen Er- 
gebniss geführt werden könnte, Aufschluss über die Grund- 
bedeutung des Festes geben müsste. Leider aber kommt 
eine gewissenhafte Erwägung der sachlichen und lautlichen 
Verhältnisse nicht darüber hinaus, unter mehreren Möglich- 
keiten das Wahrscheinlichere herauszufinden und vorläufig 
als wahr anzunehmen. Der nächste Gedanke richtet sich 



i Ov. Fast. II 31 : Secta quia pelle Luperci omne solam lustrant. 

^ Gelasius, der aus dem Livius herausgelesen hat, in älterer 
Zeit hätten die Luperealien nur den Zweck gehabt, die Fruchtbarkeit 
der Frauen zu erwecken, polemisirt a. a. O. S. 513. 514 gegen die 
(jedenfalls aus uralter Zeit überlieferte, von ihm mit Unrecht ffir 
modern gehaltene) ü eher z eng ung seiner Zeitgenossen, das 
Fest äussere Einfluss auf das Gedeihen der Ackerbe- 
stellung in Roms Umgegend: Üt sterilitas sit continuata terrarum, 
Lupercalia sublata fecerunt, an nostrorum merita peccatorum? Sterilitas 
certe feminarum debuit provenire, propter quam auferendam Lupercalia 
instituta iactantur, non sterilitas terrarum, propter quam Luper- 
calia non sunt instituta. 

* Lydus de mens. IV 20: Idi'vaiog Se fr tm ne^l /aijviay <i>(ß^ovov 
rov xaTa^&oytov elvai r^ Govaxtov tpfovrj Xkyti^ xat ^f^antvea&ai, n^og rSv 



DI£ LUPEBCALIEK« 87 

auf die Analogie von Luperci mit den ähnlich klingenden 
Worten wie nover-ca, *alter-cu8 (Stammwort zum Verbum 
altercor), Mamer-cus, *pater-cu8 (Simplex von Paterc-ulus 
vergl. pater-nus). Alle diese Worte enthalten das Suffix 
-CO, im übrigen aber sehr verschiedene Stämme. Mamercus, 
patercus gehen auf die Substantivformen Ma-mert-, pa-tr- 
zurück, al-ter-cus (der andersauftretende, Gegner), nov-er-ca 
(die neuere sc. Mutter) sind durch das Gomparativsuffix -ter 
-er von den Adjectiveh alius, novus abgeleitet. Gleiche 
comparative Bildungen sind hester-nus, äeter-nus, hodier-nus, 
noctur-nus. (Zs. f. vgl. Spr. III 166. XV 159). Lupercus 
würde diesen Analogien zu Folge entweder auf ein Substantiv 
oder ein Adjectiv luper zurückführen, das nach keiner 
Analogie von lupus Wolf abgeleitet sein könnte, sondern 
im ersteren Fall etwa wie puer (Würz, pu zeugen) unmittel- 
bar von einem Yerbalstamm lup-, in letzterem als Comparativ- 
form von einem Adjectiv lupus gebildet sein müsste. Beide 
Formen finden sich nicht allein nicht vor, sondern es fehlt 
auch jede Spur ihres einstigen Daseins in irgend einem ver- 
dunkelten oder halbverschollenen Sprachrest. Zwar ein nahe- 
liegendes Seitenstück scheint uns die völlige Ableugnung 
einer Erklärung des in Rede stehenden Wortes auf dem 
bisher eingeschlagenen Wege zu verbieten : die beiden Familien 
der Potitier und Pinarier^ welche nahe bei dem Lupercal den 
Dienst des Sancus-Hercules an der Ära Maxima versahen, 
hiessen Cupenci. Ein cupen-is oder cupen-us, woher dieses 
Wort (gleich juven-ca von.juvenis) abgeleitet sein muss, ist 
ebenso unerhört als luperus; beide Formen könnten mit 
einander untergegangen sein; aber im höchsten Grade ver- 
dächtig und, wie ich glaube, entscheidend ist es, dass weder 
für die Wurzel noch für das Suffix von lupercus ein 
passendes Analogen im italischen Sprachgebiet aufzufinden ist. 
Geben wir den Versuch auf, luperci aus lupus Wolf 
mit mehreren suffixalen Elementen zu erklären, so bietet sich 
die zweite Möglichkeit, das Wort als Zusammensetzung auf- 
zufassen. Schon die Alten deuteten es als W o 1 f s a b w e hr e r 
von lupus und arceo. Diese Ableitung empfiehlt sich aus 
lautlichen Gründen in hohem Grade. Nach der Analogie 



88 • KAPITEL m. 

vieler anderer zusammengesetzter Wörter (publieola, agricola, 
carnivoTus u. s. w.), deren zweiter Gompositionstheil den ent- 
sprechenden Yerbis theils coordinirt ist, theils als Stamm- 
wort zu Grunde liegt (vergl. aedi-tuus, alti-sonus, quadri- 
-jugus, ossi-fragus neben tueor tuor, sonare, tonare, 
jüngere, frangere), kann auch lup-ercus regelrecht aus lapus 
und -arcus neben arceo gebildet sein. Ein genaues Ana- 
logen gewährt multi-vidus neben video. Die Schwächung 
des e aus a entspricht der entschiedenen Yorljebe des latei- 
nischen r für diesen Laut. So gut mithin die Uebersetzung 
von luperci durch Wolfsabwehrer aus sprachlichen 
Gründen sich rechtfertigen liesse, so wenig passend erscheint 
sie, wenn man den Ritus der Luperealien mit der Fackel 
sachlicher Kritik beleuchtet. Denn'Wolfsabwehrer* konnten 
die Umläufer doch nur in dem Falle sich nennen, wenn ihre 
Begehung ausschliesslich oder ganz vorwiegend einen pasto: 
ralen Zweck, das Gedeihen der Heerden u. s. w. verfolgte. 
Nichts aber davon ist bemerkbar; Menschen werden ge- 
schlagen, nicht Thiere, die Aecker sollen fruchtbar werden; 
und wenn wir auch etwa annehmen dürfen, dass in älterer 
Zeit neben Menschen und Pflanzen die Heerde als Object 
der Heilswirkungen nicht vergessen ward, so stand dieselbe 
doch auch damals nicht in vorderster Reihe; denn um die 
Mauern der ältesten palatinischen Stadt, um den 
Wohnsitz der Menschen, nicht um die Grenzen der Vieh- 
weide und der Saatäcker geschah der segenheischende Umzug. 
Zwar Härtung vermuthet, dass die Luperci, als die palatinische 
Stadt noch klein war, ins Freie hinaus zu den Heerden und 
ihren Hütern gelaufen seien, und führt dafür öfters Varros 
Worte , die Stadt sei von Menschen heerden (gregibus 
humanis) umstellt (o. S. 81), sodann die Sage an, dass 
Romulus und Remus den Brauch zum Andenken an eine 
Errettung ihrer Heerden aus Räuberhänden gestiftet (o. S. 
75). Aber erster er Grund ist völlig nichtig, und auch die 
Errettung der Heerde fliesst aus der älteren Gestalt der 
Sage vom Romulus, wie Fabius Pictor sie kennt (o S. 76), 
welche durch ihre Uebereinstimmung mit der Geschichte des 
Oyrus als mythisch, nicht ätiologisch siph erweist, Gleich- 



DIE LX^ERClIilEN. 89 

wohl dürfte auch so nooh gefragt werden, ob nicht etwa die 
Abwehr von Wölfen in figürlichem Sinne, das heisst von 
bösen Dämonen, die Krankheit und Misswachs verursachen, 
gemeint sei. Die Spuren einer diese Auffassung begünstigend^i 
Anschauung, welche als Kehrseite derjenigen von den Hirpi 
Sorani' sehr wohl möglich wäre, sind indessen sehr schwach^, 
und schon die Anknüpfung der Sage von den Kindern Romulus 
und Remus und der säugenden Wölfin an das Lupercal 
spricht wenigstens dafür, dass das noch lebendige Sprach- 
gefühl einer ziemlich frühen Zeit von der Zusammensetzung 
des Wortes luperci aus lupus und arceo nichts wissen wollte. 

^ Vergl. dass der W^erwolf im Kornfeld drin sitzt, nach anderen 
in einem solchen keine Macht über den Menschen hat u. s. w. Roggen- 
wolf « 44. 

* Im romischen Hoohzeitsbrauch bestrich die NeuvermAhlte 
Schwelle und Thürpfosten mit Wolfsfett, damit die Geister der Un- 
fruchtbarkeit nicht Einlass fänden , 'ne quid mali medicamenti in- 
ferretur', Masurius bei Plin. H. N. XXVIII 9, 37. Vergl. Sery. zu Verg. 
Aen. IV 4d8. Auch der Rachen diente gegen Bezaoberung. 'Venefioiis 
rostrnra lupi resistere inveteratum aiunt, ob idque villarum portis, 
praefigunt/ Plin. H. N. XXVIII 10, 44. Das muss vielleicht so auf- 
gefasst werden wie das folgende von Plinius empfohlene zauberische 
Abwehrmitte], als ein Vertreiben des Aehnlichen durch das Aehnliche. 
Plin. H. N. XXVIII 20, 81: Lupos in agrum non accedere, si capti 
unius pedibus infractis cultroque adacto paulatim sanguis circa 
fines agri spargatur atque ipse defodiatur in eo loco, exquo coeperit 
trahi. Die Seele des vergrabenen Wolfs scheucht andere Wölfe zurück, 
wenn sie etwa auf den mit dessen Blut umschriebenen Aeckern arbeitende 
Hausthiere anfallen wollen. Anders in dem von Plinius ebds. angeführten 
Zauber: 'Aut si vomerem, quo primus sulcus eo anno in agro ductus sit, 
excnssum aratro focus larnm, quo familia con venit, absamat ; ac lupum nulH 
aniroali nociturum in eo loco quam diu id fiat.' Hier soll die im Feuer 
des Larenaltars rothglühende Pflugschaar an jeder Stelle der gezogenen 
Furche den darüber schreitenden Wolf verbrennen. In diesen von 
Plinius erwähnten Beispielen ist aber nur vom wirklichen Wolfe die 
Rede; und aus verwandten, doch nicht ganz zutrefifenden Analogien, 
wie diese, dass bei Viehseuchen der nordeuropäische Bauer ein Stück 
(Kuh, Schaf, Schwein oder Pferd) von der Art der krankgewordenen 
Thiere auf der Dorfgrenze vergräbt oder mit einem solchen Thiere 
eine Furche ums Dorf zieht, damit der in gleicher Thiergestalt gedachte 
Krankheitsgeist nicht hereinkomme, ist es keineswegs erlaubt, die That- 
Sache zu schliessen, dass die Römer die Krankheits- und Misswaoha- 
g^eister in Wolfgestalt gedacht hätten. 



90 KAPITEL in. 

Unter diesen Umständen glaube ich die von Schwegler R. 6. 
I 361 empfohlene Deutung lupercus, Wolfsbock* vorziehen 
zu sollen, da dieselbe sprachlichen wie sachlichen Anforde- 
rungen gleichmässig sich zu fügen scheint.^ Lup-erci gilt 
mir demnach entweder als Dvandvacompositum lupi-erci d. i. 
lupi hirci 'Wölfe und Böcke' oder als Karmadh&raya lupt-erci 
'Wolfsböcke (vergl. *Werwolf, Xvxdvd^Qconog). Äehnlich sind 
die Bildungen su-ove-taur-ilia, opi-cons-ivia, welchen Lup-erc- 
-alia, der ISeLme des Festes, ziemlich genau entspricht. Lat. 
hircus Bock, sabin. fircus, lebte in der römischen Lingua 
rustica in der dialectischen Form ircus,^ geradeso wie lat. 
arena, harena sab. fasena; oedus aedus, hoedus, haedus, 
faedus, sab. fedus; ariolus, hariolus, fariolus; olus, helus und 
holus, folus; ordeum, hordeum, fordeum; eres, heres; erus, 
herus neben einander stehen. ^ Die indogerm. Grundform lautete 
bharka oder gharka, die altlateinische hercus (vergl. herba 
neben fibra, herus neben hira), woraus schon frühe ercus 
durch Verflüchtigung des Anlauts entstehen mochte. Lupi-erci 
aber musste durch Elision des ersten Vocals zu luperci werden, 
wie magnianimus, unianimis zu magnanimus, unanimis. Oder 
falls die Schwächung des rauhen h in den Spiritus lenis 
für die Entstehungszeit der Luperealien noch nicht annehm- 
bar sein sollte, so kann die Zusammenziehuog von lupi-herci 
zu lup-erci gegenüber Beispielen wie ne-hilum (ne-filum) 
= nihil, nil, ne-hemo = nemo, ihimus (ifimus) = imus, 
prae-hibeo = praebeo, pre-hendo = prendo schwerlich einem 
Bedenken unterliegen. Wenn diese Etymologie richtig ist, 
so müssen die Luperci die Bedeutung von Böcken und 
Wölfen irgendwie in sich vereinigt haben. 



» [Vergl. H. Jordan, kri^ Beitrg. 164. Anm. d. Hrgb.] 
' Quinotil. Institut. I 5, 19: Apud nos potest qiiaeri, an in soripto 
Sit Vitium, si h littera est, non nota. Cuius quidem ratio niutata cum 
temporibus est saepius ; parcissime ea v e t e r e s usi etiam in vooalibus, 
oum aedos ircosque dicebant. Aus Hirquitali, irquitalli, T^aYt^orresy 
pueri primum ad Tirilitatem accedentes (Oensor. de die nat. 14,7. Paul. 
Diao. 101. 105) lassen sieh die beiden Formen irquusund hirquus 
Bock entnehmen. 

' Oorssen, Ausspr. I. Lpzg. 1858 S. 47. Ascoli in Zs. f. vgl. 
8pr. XVII 338 ff., 349 ff. 



DIE LUPEEGAIilEN. 91 



§ 3. DER UMLAUF DER BÖCKE. 



Yom gemeinen Volke wurden sie geradezu als Böcke, 
creppi bezeichnet.^ Es liegt freilich die Yermuthung nahe, 
diese Benennung sei lediglich eine spottweise Metonymie für 
die Bekleidung mit dem Zie^enfellschurz gewesen, und 
letzterer nichts anderes als die uralte Tracht der Landsleute 
in der römischen Campagna. Wer wüsste nicht, dass noch 
heute etwa vom oberen Tiber zwischen Terni und Civita 
Castellana bis zum Abfall der Yolskerberge und dem Liris 
bei Hirten und Bauern ganz allgemein Felle von Zicklein 
schurzartig, also nur vorn, anstatt der* Hosen, die beiden 
Beine bedecken P Reicht dieser Anzug bis in die altrömische 
Zeit hinauf? Wäre die Bedeutung Wolfsabwehrer doch die 
richtige, und hätten die Luperci aus sacralem Interesse eben 
nur archaistisch die Kleidung von Hirten in dem stabil ge* 
wordenen Brauche der Urzeit beibehalten? Die Möglichkeit 
einer bejahenden Antwort auf diese Fragen ist nicht abzu- 
leugnen. Doch entscheidet für mich die nachstehende Er- 
wägung zu Gunsten des Oegentheils. Zwar wird mehrfach 
von den Alten auf den hirtenmässigen Charakter der ganzen 
Luperealienfeier angespielt (Becker-Marquardt lY 402^ Anm. 
2741), nicht aber die Tracht der Luperci als diejenige der 
Bauern bezeichnet, und selbst, wenn es nur zufällig sein 
sollte, dass die auf antiken Denkmälern dargestellte Kleidung 
römischer Bauerh (Weiss Kostümkunde II lOlK Fig. 420. 
421) weder mit der oben beschriebenen heutigen Bauern- 
tracht noch mit dem die Scham umgürtenden Schurzfell der 
Luperci übereinkommt,^ so hätte das Aussehen der letzteren, 
wenn es einfach dasjenige der häufig genug die Stadt be- 
suchenden Landleute copirte, zu alltäglich erscheinen müssen, 
um zu verwunderndem Witze zu reizen. Auch würden 



* Paul. Diac. 57: Groppos, id est lapercos, dicebant a 
crepitu pellicularum , quem faciant verberantes. Yergl. ebds. 48: 
Gaprae dictae, quod omne virgaltum carpanf, siye a crepitu crarum. 
ünde et crepas cas prisoi dixerunt. 

' Doch stimmt der nebrisartige Umwarf Fig. 420 (Mioali Monum. d. 
antioh. pop. ital. GXIV) zum amicalum Janonis o. S. 85. 



92 KAPITEL ni. 

dann nicht die bekleidenden Booksfelle von den soeben zum 
Opfer geschlachteten Thieren hergenommen sein. OflPenbar 
yerräth dieser Umstand die Absicht, eine religiöse Idee auf 
symbolische Weise zum Ausdruck zu bringen. Zunächst 
wird die üeberlegung durch einen griechischen Brauch ge- 
fesselt, bei welchem, ebenfalls an einem jährlichen Naturfest, 
zur Zeit der Sommersonnenwende, die in Procession daher- 
ziehenden jungen Männer mit den zottigen Fliessen frisch- 
geschlachteter Schafe umgürtet waren. Dicaearch (Müller 
Prgm. bist, graec. II 262) : 'jBtt' äxgag ds r^ci rov ogovc 
xoovfpijq anrjkaiov iavi t6 xakovjLuvov Xsigcoviov^ xal dioq aHvuiov 
is^v, a(p^ o aard xvvog dvaroXi^v xard to dx/Liaiararov 
'Aav/iia dvaßaivovöi tmv nbXiTWv ol intcpavsaraTOi %ul zeug 
T]Xtxi(ug aKfid^owsg ^ sniXsyß'evvsg enl rov hgicog^ ivsKwofiivoi 
xflßäia ToinoKa xmm, Ueber die Anschauungen, aus welchen 
dieser Brauch hervorging, sind wir des Näheren nicht 
unterrichtet. Wenn aber Welcker und Preller ^ mit Recht 
denselben dem Cultus des Hermes x^ifxpogog zu Tanagra in 
Boeotien vergleichen, bei welchem behufs Fernhaltung der 
Pest der schönste Ephebe auf seiner Schulter ein Bocklamm 
um die Stadt trug,^ so erhellt, dass jene in die frischen 
Felle gehüllten Männer Widder vertraten, also selbst 
Schafböcke darstellen sollten. Wie sie nun so ihrerseits den 
Lupi Sorani zur Seite treten, erinnert der Ephebe von 
Tanagra an viele deutsche und französische Darstellungen 
des Getreidedämons (Roggenschwein u. s. w.), worin dieses 
mythische Wesen in der Weise vergegenwärtigt wird, dass 
man dem Binder oder Drescher des Letzten die es abbildende 
Kornpuppe auf den Rücken bindet. Die thiergestaltige 
Kornpuppe und der sie auf dem Rücken tragende Mensch 
zusammen stellen hier den theriomorphischen Qetreidegeist 
mit menschenähnlichem Bewusstsein dar (vergl. BK. 612). So 
mochten auch im Brauche von Tanagra Lamm und Bursche 



1 Preller Gr. Myth. l^ 322. Welcker Gr. Götterlehre I 209, 
vergl. II 438. 

^ Pausan. IX 22, 2. Das unverstandene ältere Naturfest wird 
man erst später an den guten Hirten Hermes (Welcker II 438) ge- 
knüpft haben. 



^' 



DIE LUPEBCilLIEK. 93 

gemeinsam einen Begriff ausdrücken, ein dämonisches 
Wesen mit Thiergestalt und Menschenbewusstsein vergegen* 
wärtigen. Ganz ähnlich beweist jene der Juno in den Mund 
gelegte Mahnung Italidas matres sacer hircus inito' 
(o. S. 85), offenbar eine alte Formel, in Verbindung mit der 
Notiz über den Glauben an einen Gott Inuus^ oder Lupercus 
und die Darstellung des letzteren in einem Cultbild, dass 
man das befruchtende Biemenschlagen, ja die ganze Action 
der Luperci, als die dramatische Vergegenwärtigung der That 
eines dämonischen Bockes oder vielmehr eines bocksgestaltigen 
Gottes, bezw. einer Schaar bocksartiger Geister betraciitete, 
deren Repräsentanten die Umläufer seien. Selbst dann, wenn 
dieser Dämon oder Gott nichts anderes wäre als eine jener 
in der römischen Religion so beliebten Personificationen einer 
bedeutungsvollen Handlung, eine Vergöttlichung des be- 
fruchtenden Riemenschiagens, so wird durch sein Dasein 
immerhin soviel bewiesen, dass die Benennung creppi die 
Luperci als Repräsentanten eines oder mehrerer bocksge- 
staltiger Dämonen bezeichnen sollte. 

Es lässt sich aber — so scheint mir — nach- 
weisen, dass die Auffassung der Luperci als creppi auf 
Ueberlieferung beruhen und mindestens bis in das sechste 
Jahrhundert der Stadt, ja bis in die Entstehungszeit 
der Luperealien zurückreichen müsse. Seit dem Auftreten 
einer römischen Geschichtsschreibung begegnen wir der Er- 
zählung, der Aboriginerkönig Faunus, der Sohn des Mars, 
habe einer vom Arkadier Evander geführten griechischen 



i Liv. 16: Jam tum in Palatino monte Luperoal hoc fuisse ludicrum 
ferunt. Ibi Evandrum — solorane adlatum exAroadia instituisse, ut nudi 
iuvenes Lycaeum Pana venerantes per lusum atque lasciviam curreront, 
quem Ro man! deinde vocaverant Inuum. Justin, bist. XLIII 1: 
Post hunc tertio loco regnasse Faun um ferunf, sub quo Euander ab 
Arcadiae urbe Pallanteo in Italiarn cum mediocri turba popularium venit; 
cui Faunus et agros et montera, quem ille postea Palatium appellavit, 
benigne assignavit. In huius (Palatini) radicibus teraplum Ljcaeo, quem 
Graeci Pana, Romani Lupercum appellantf constituit; ipsum 
Dei simulacrum nudum caprina pelle amictum est, quo 
habitu nunc Bomae Lupercalibus decurritur. Die Statue 
biess also Lupercus. 



94 KAPITEL m. 

Colonie den palatinischen Berg zur AnsiedeluDg überwiesen. 
Derselbe legte darauf eine kleine Stadt an, errichtete daselbst 
den Altar eines einheimischen Gottes, des Pan Lycaeus an 
der Stätte des davon sogenannten Lupercal und führte nach 
dem Vorbilde seiner Heimath die gottesdienstliche Begehung 
der Luperealien ein. ^ Man hat längst erkannt, dass Evander 
nur eine griechische Uebersetzung des lateinischen Faunus 
und die Erzählung nichts anderes als eine der zahlreichen 
historischen Combinationen war, einfach entstanden aus der 
Ueberzeugung , der Luperealienbrauch müsse griechischen 
Ursprungs sein, weil der arkadische Cult der Lykaia in 
der Nähe eines Heiligthums des Pan dasselbe zu sein schien.^ 
Es Hesse sich denken, dass dem unkritischen Eifer des ersten 
Urhebers dieser Combination die blosse Aehnlichkeit der Namen 
Avuata und Lupercalia und das den Kunstdarstellungen des 
Pan ähnliche Aussehen der Luperci als Yergleichspuncte ge- 
nügt hätten, um darauf den Schluss zu gründen *das Fest 
ist eine Begehung zu Ehren Pans und zwar des Pan Lycaeus.' 
Die Angabe Ovids, dass die Feier dem Faunus geweiht sei,^ 
würde dann eine nur gelehrte Uebersetzung des durch blosse 
Conjectur hereingebrachten griechischen Gottes ins Römische 
sein ; Jupiter, dessen Flamen dem Opfer assistirte, wäre viel- 
leicht der wahre Eigner der Sacra, und Juno, seine Gattin, 
— was wir o. 8. 86 abwiesen — mit Recht als Antheil- 
haberin an denselben genannt. Das ist nun aber nicht der 
Fall; Faunus war wirklich der Gott, welchem zu Ehren die 
Begehung angestellt wurde. Denn der Umstand, dass man 
die Einführung des Cults dem Evander (d. i. der gütige, 
also Faunus, nicht Pan) zuschrieb, dass man Faunus 
zum Verleiher d. i. ursprünglichen Eigenthümer des Grund 
und Bodens der Festfeier machte, beweist unumstösslich das 

^ Dionys. I 31. 32. L. Oincias Alimentus (210 y. Chr.) und 
Cassius Hemina (146 y. Chr.) sprachen sich so über den Ursprang der 
Luperealien aas nach Servius zu Yerg. Georg. I 10, vergl. Merkel Oy. 
Fast. S. CCII. 

2 Schwegler I 351. 3ö4 ff. 

3 Vergl. Oy. Fast. V 101: Semicaper, coleris oinctufcis, Paane« 
Laperois. II 268: Fauni sacra bicornis eunt. II 361: Cornipodi Fauno 
caesa de more capella. 



DIE LXJPBRCilLIEK. 96 

thatsächlicbe Yorbandensein der Beziehungen des Faunus zum 
Brauche bereits Tor der Epoche, in welcher die Neigung zur 
Herleitung römischer Institute aus Hellas erwachte. Auch 
lässt sich noch deutlich die Reihenfolge der Entwickelungs- 
momente der landläufigen Tradition erkennen. Zuerst schrieb 
man dem Faunus selbst die Stiftung seines Cultus zu nach 
einem gewöhnlichen psychologischen Hergang, wie Hercules 
die Verehrung dieser Gottheit an der Ära Maxima, Demeter 
die Weihen in Eleusis, Jahve den mosaischen Gottesdienst 
eingeführt haben sollte. Die Identificirung der Luperealien 
mit den Lycäen führte zur Herleitung des Cults aus Griechen- 
land und zur Umtaufe des Faunus in Evander; da aber 
Faunus fortdauernd im lebendigen Gottesdienst der Luper- 
ealien genannt wurde, trat euhemeristische Umwandlung des« 
selben in einen vergötterten Aboriginerkönig und Urheber 
der Schenkung des Lupercal an Evander ein. Dem Faunus 
also war der Cult gehörig, ihm eignete der Altar in der 
Grotte; das Fest des Faunus in insula, zwei Tage vor 
den Luperealien, an den Idus^ bewährt, dass ihm zu 
diesem Zeitpunct eine Feier gebührte^ während der dem 
Jupiter und der Juno Sospita gewidmete Gottesdienst schon 
an den Kaienden des Februar stattgefunden hatte: ^ ein 
neuer Grund zu dem Urtheile, dass die ihrem Ursprünge 
nach grundverschiedene Juno nur durch gelehrte Conjectur 
mit den Luperealien in YerbinSung gebracht, oder, falls sie 
wirklich neben Jupiter daran Antheil hatte, erst spät und 
nachträglich wegen Aehnlichkeit gewisser mit ihrem Cult 
verknüpfter Ideen und Symbole da hineingezogen sei. Nun- 
mehr werden wir auch über das Lupercus genannte und wie 
die Luperci gekleidete Götterbild im Lupercal urtheilen 
müssen, dass es den Faunus darstellte, sei es als luporum 
exactor wie Silvanus, oder als das göttliche Urbild 
der Luperci, den Lupercus xar' i^ox^jv, Erstere Deutung 
hat dieselben Gründe gegen sich, welche uns verwehren 
wollten, die Luperci als Wolfsabwehrer zu fassen; wäre die 
0. S. 88 abgewiesene Etymologie aus lupus und arceo in 

4 Ov. Fast. II 19a 

2 Ov. Fast. II 55. Preller Rom. Myth. 247. 



96 KAPITEL ni. 

dieaer neuen Modification, dass der Name Luperci vom 
Lupercus, dem wolfabtreibenden Ootte, ausgehe, dennoch an- 
zunehmen, so würden die ersteren unmittelbar als Verviel- 
fältigungen des Faunus, als Nachahmer der mythischen Fauni 
sich kundgeben. Ist dagegen Lupercus die auf Faunus und 
sein Cultbild vermuthlich erst in den letzten Jahrhunderten, 
seit dem Aufkommen der euhemeristischen Deutung der 
Cultstiftung , als Beiname übertragene Personification des 
Luperkenumlaufs (o. S. 90), so bleibt auch dann noch der 
Sache nach im wesentlichen dasselbe Yerhältniss bestehen, 
und das Ergebniss steht fest: vor dem Eintritt der 
gelehrten Epoche, in noch rein nationaler Zeit 
galten die Luperci als Fauni, sie sollten der 
gläubigen Volks gemeinde anthropopathische 
bocksgestaltige Dämonen in leiblicher Versinn- 
lichung vorführen. Die Benennung creppi ruckt mit 
Wahrscheinlichkeit in höheres Alterthum hinauf und erhält 
eine tiefere Bedeutung. 

Durch einige Züge des Luperealienbrauches selbst ge- 
winnen diese Schlussfolgerungen, wie es scheint, nicht allein 
Bestätigung, sondern auch den Stempel der bis in die An- 
fänge des Cultus hinaufreichenden ürsprünglichkeit. Mit 
dem vom Blute der Böcke, aus deren Haut die Umhüllung 
und die P^eitschen der Luperci geschnitten wurden, gerötheten 
Schlachtmesser berührte man den beiden edeln Jünglingen, 
welche die Anführer des Luperkenzuges bildeten, die Stirn e, 
wischte sofort das Blut mit in Milch getauchter Wolle 
wieder ab, worauf die Jünglinge lachen mussten und nun 
wohl als Luperci xar tio/TJv in die Bocksfelle eingekleidet 
wurden (o. S. 75). Welchen Sinn hatte diese auffallende 
CeremonieP Die älteren Forscher haben fast einstimmig die 
Berührung der Stirne mit dem blutigen Messer als Ueber- 
bleibsel eines ehemaligen Menschenopfers aufgefasst ^ und in 
der That leidet es wohl keinen Zweifel, dass dieser Ritus symr 
bolisch andeuten sollte, auch die beiden Jünglinge müssten 



1 BÖttigfer kl. Si]ir. I 103. Sch^vegler I 363. Becker -Marquar dt 
IV 405. 



DIE LUPERCALI£K. 97 

eigentlich geschlachtet werden. Damit aber erklärt sich noch 
nicht, warum das Messer vorher in Bocksblut getaucht 
war, warum nicht eine einfache Stirnritzung genügte. Fragen 
wir einmal bei ähnlichen Gebräuchen anderer Völker an. 
Wenn bei den Yorubas ein Thier für einen Kranken geopfert 
wird, sprengt der Priester das Blut an die Wand und be- 
streicht damit die Stirn des Patienten, in der Meinung, 
auf diese Weise das Leben des Opferthieres auf ihn 
zu übertragen.^ In Griechenland bestand eine uralte und 
rohe Weise einen Meuchelmord zu sühnen (ß^tkaaxea&ui njv 
ioXiHpoviav) darin, dass der Mörder dem Ermordeten die zer- 
stückten Glieder unter die Achseln legte, dessen Blut kostete 
und ausspie und endlich das blutige Schwert am 
Haupte des Erschlagenen abstrich.^ Folgen wir der 
einen oder der andern Analogie, so scheint jedesmal eine 
ideelle Identität der getödteten Böcke und der mit dem 
blutigen Messer bestrichenen Jünglinge angezeigt; im einen 
Falle wäre durch die Ceremonie ausgesprochen, dass das in 
den Böcken waltende Numen auf sie übertragen werde, den 
gleichen Gedanken verkörpert die Umschürzung mit den 
Häuten der eben getödteten Thiere; im andern wäre ebenfalls 
ausgedrückt, dass sie und die Böcke eins seien ; mit letzteren 
gelten auch sie als getödtet und die Mörder wischen nun an 
ihrer, als der eigentlich Gemordeten Stirn die blutige Waffe 
ab, um sich von der Schuld und ihren Folgen zu reinigen. 
Wie verträgt sich damit die Auffassung der Luperci als 
Faune? Was hatte die Abwischung des Blutes mit Milch 
zu bedeuten? Diese Fragen scheinen sich zur Zufriedenheit 
zu lösen^ sobald man den folgenden Gedankenzusammenhang 
gelten lässt. 

Die in Bocksfelle gekleideten Luperci stellten Faune 
d. h. nach AWF. 200 Yegetationsböcke dar und zwar die in die 
Natur einziehenden Wachsthumsgenien des nach der Winter- 



1 Hoffmann bei Bastian Beitr. z. yergl. Psychologie 1868 
8. 96. 

» Schol. Apoll. Rhod. IV 478. Hermann Gottesd. Alterth. 

§ 23, 2a 

QF. LI. 7 



98 Kil»IT£L m. 

zeit zu neuem Leben erwachten Frühlings, geradeso wie 
der Julbock und die Habergeiss zu Weihnachten und die 
Habergeiss zu Fastnacht. Wie nun, wenn man im ältesten 
Italien, wie es zuweilen im Norden geschah (AWF. 197), den 
Yegetationsbock bei der Ernte oder durch den Winter ge- 
tödtet sich vorstellte? Dann musste der im Frühling wieder 
einziehende Dämon als der zu neuem Leben auferstandene, 
wiedergeborene aufgefasst werden, geradeso wie beim Dresch- 
fest der Buphonien (o. S. 69) der Tödtung des Stieres die 
Darstellung seiner Wiederbelebung folgte. War dies der 
Fall, so blieb der noch unbeholfenen Darstellungskunst 
schwerlich ein anderes Mittel diesen Gedanken zu versinn- 
lichen, als indem man zuvor den Tod und dann das Wieder- 
aufleben des Bockes sichtbar werden Hess. Wir vermutheteu 
AWF. 197, dass dies der Grund war, weshalb im Julspiele 
der Julbock erst todt zur Erde fällt und nachher wieder auf- 
springt. Hier offenbart sich uns nun der Grund, weshalb 
die Schlachtung der Bocke und die Blutbenetzung der Luperci 
der Einkleidung derselben in die frischen Bockshäute und 
ihrem Umlaufe voranging. 

Der altrömische Ritus der Luperealien begnügte sich 
nicht mit einem blossen auf die Erde Fallen zum Ausdruck des 
vorhergangenen Ersterbens des Yegetationsdämons, sondern 
bezeichnete dieses durch die Doppelceremonie der wirklichen 
Tödtung der Böcke und der symbolischen der beiden Jüng- 
linge. Die Yegetationsböcke (Fauni) dachte man sich ja als 
anthropopathische Geister. Deshalb waren sie im Luperken- 
umlauf als Werböcke {j^ayavd^Qtanoi) durch Bekleidung des 
menschlichen Körpers mit der noch frischen Bockshaut 
nachgebildet. Für den Act der Tödtung, dem ein Wieder- 
aufleben folgen sollte, musste jedoch diese Art der Dar- 
stellung des Werbocks mit einer anderen vertauscht werden, 
welche dem antiken Bewusstsein ebenso nahe lag, indem man 
nämlich den einen Begriff durch zwei Figuren, Bock und 
Mensch, ausdrückte« Genau so wird das dem Baume in- 
wohnende IN^umen, die Dryade, häufig durch eine neben dem 
Baume stehende Nymphe gegeben, genau so der die letzte 
Garbe beseelende Eorngeist (Eornmutter u. s. w.) bald durch 



DIE LtJPERCALlEK. dO 

Einbindung eines Menschen in die letzte Garbe, bald durch 
eine neben derselben her auf dem nämlichen Saatlaken zur 
Dreschdiele getragene Frau, genau so endlich auch im Frühlings- 
brauch der Yegetationsdämon durch den Maibaum und einen 
in grünes Laub gehüllten Mann zugleich vergegenwärtigt 
(vergl. Bk. 605. 611. 612). Die Böcke und die beiden Jüng- 
linge repräsentiren mithin für den ersten Theil des Luper- 
calienbrauchs den einen Begriff der Wachsthumsböcke. An 
den Böcken ward die Tödtung wirklich vollzogen, an den 
Jünglingen nur symbolisch, indem sie durch Berührung ihrer 
Stirn mit dem blutigen Messer als getödtet und gesühnt be- 
zeichnet wurden. Oder vertrat in unserem Brauche die Be- 
rührung mit dem nämlichen Messer, durch das die Böcke ge- 
fallen waren, ganz einfach eine frühere Ritzung der Stirn 
(vergl. 0. S. 79 den Namen Kaeso) als Andeutung der 
Tödtung? 

So blieb es nun möglich, dass an den jungen Leuten 
die Wiedergeburt zur Anschauung gebracht werden konnte. 
Ich vermuthe, dass dies durch das Abwischen der blutigen 
Stirn mit Milch, der ersten Nahrung des Säuglings sinn- 
bildlich angedeutet worden ist. Diese Auffassung scheint 
nicht wenig durch den weiteren Zug unterstützt zu werden, 
dass nach der Abwischung die zuvor als todt, nun als wieder- 
auflebend gedachten Jünglinge lachen mussten. Der Tod 
macht ernst und stumm, die Manen hiessen daher taciti, 
silentes, die Unterwelt 'Orcus quietalis und die Laren- 
mutter 'Dea Tacita, Dea Muta'. * Die nordeuropäische 
Sage spricht den Todten, auch wenn sie Menschen ihrer Er- 
scheinung würdigen, die Fähigkeit lachen zu können ab, 
und wer eine Geistererscheinung gehabt hat, soll nie wieder 
lachen können. *De resurgentibus dicitur, quod ridere 
non soleant' (Caesarius Heisterbac. Dial. I 32). In dem 
alten Gedichte von Ulrich von Würtemberg heisst es von 
der geisterhaften Frau, die ihm erscheint: 

Der ritter sah die frau an, 
yil s^r er zweifeln began, 



1 Preller Böm. Myth. 454. 455. 459. 

7* 



100 KAPITEL m. 

ob Hi icht lachen wolte, 
des si nicht tuen wolte. ^ 

'Die Geister in Gesellschaft der Frau Holda im Yenusberg 
dürfen nicht lachen. Der Wechselbalg d. i. eine Seele, 
die nicht in ToUe Menscbennatur eingedrungen ist, bleibt 
stumm; gelingt es ihn zum Lachen zu bringen, so liegt statt 
seiner ein YoUgebildetes Menschenkind in der Wiege. Lachen 
ist also ein symbolischer Zug für das Eingehen der Seele 
in menschliches Wesen, menschliche Gestalt und Empfindung.'^ 
Sofern es erlaubt ist hier wie in so vielen anderen Stücken 
der Superstition an eine Uebereinstimmung des altitalischen 
und nordischen Yolksglaubens zu denken, so berechtigen 
diese Worte, welche ich im Jahre 1858 niederschrieb, hin- 
längUcb zu der Behauptung, dass das Lachen der beiden 
Jünglinge als das Gegentheil vom Tode, als eine Symbolik 
ihrer Wiedergeburt aufgefasst werden kann. Nun sind sie 
wieder auf dem Platze, nun mögen sie zur Activität aus- 
gerüstet ihren segensreichen Umlauf beginnen. 



§ 4. DER UMLAUF DER WÖLFE. 

Wäre somit die Benennung der XJmläufer als Böcke 
gerechtfertigt, so bleibt nun übrig unsere Auffassung des 
Namens Luperci als Zusammenziehung von Lupi-herci auch 
für den ersten Compositionstheil sachlich zu begründen. Wir 
schliesseQ uns dabei an eine Auseinandersetzung Mommsens 
an.^ Das servianische Rom war die Vereinigung zweier 
selbständiger Communen, deren eine auf dem Quirinal ihren 
Mittelpunct hatte. Bei der Verbindung beider flössen ge- 
wisse sociale Listitute, welche in jedem dieser Gemeinwesen 
gesondert bestanden hatten, der Art zusammen, dass sie sich 
anähnlichten und einem neuen gemeinsamen Zwecke dienten, 
dabei aber doch noch als Theile des Ganzen fortdauerten. So 



1 Schambach n. MQller Niedere. Sag. S. 380. 

2 Mannhardt Germ. Mythen S. 309. Vergl. S. 276. 278. 279. 
280. 282. 303. 314. 

» Rom. Gesch. ♦ I Ö3. 



DIE LUPEBGALIEN. 101 

gab es im späteren Born zwei Collegien der Salier, eines der pala- 
tinischen, eines der collinischen (quirinalischen) Altstadt ange* 
hörig. Nicht anders verhielt es sich, sagt Mommsen, mit den Ge- 
nossenschaften der Wölfe (so übersetzt er Luperci). Neben den 
quinctischen Wölfen vom Palatin hat es eine fabische Wolfsgilde 
gegeben, welche ihrHeiligthum wahrscheinlich auf dem Quirinal 
gehabt hat. Denn dort brachten sie noch in später Zeit ihr 
Geschlechtsopfer (solemne Fabiae gentis in colle Quirinali) 
dar. 1 Folgen wir dieser Spur^ so hätte bei den Bergrömern 
des Palatin wie bei den Hügelrömern des Quirinal für sich 
im wesentlichen derselbe Frühlingsbrauch bestanden, dessen 
Begehung dort den Quinctiern, hier den Fabiern oblag. Bei 
oder nach Vereinigung beider Städte wurden beide Culte zu 
einem einzigen an dem nämlichen Orte gefeierten verschmolzen ; 
das Luperealienfest auf dem Quirinal ging ein, und die Fabier 
fuhren nur fort, ihre eigenen Geutilsacra auf der alten Stelle 
zu begehen. Für die Richtigkeit dieser Entwickelung spricht 
die Möglichkeit, von ihr aus zu einer annehmbaren Erklärung 
der Ursprünge des Lupercalienbrauchs zu gelangen. Falls 
dieser nämlich aus dem Compromiss zweier verwandter, aber 
doch in einigen Stücken verschiedener Culte besteht, bei 
welchem natürlich jede Seite etwas von dem ihrigen auf- 
geben musste, so liegt doch die Yermuthung auf der Hand, 
dass die Läufer in dem einen Cultus Böcke, in dem anderen 
Wölfe darstellten, und zwar (den herci = Fauni entsprechend) 
solche Wölfe, wie wir in den hirpi Sorani (AWF. 318 ff.) 
kennen gelernt haben. Haftete der Umlauf von Lupi' an der 
Grotte auf dem Palatin, so war es ebenso natürlich die Sage 
von der Pflege des Romulus durch die Wölfin an dieselbe Stätte 
zu knüpfen, als es widersinnig gewesen wäre, dieselbe an einem 
Versammlungsort von 'Wolfsabwehrern* zu localisiren. Diese 
Anknüpfung muss aber schon vor der Vereinigung der pala- 
tinischen und collinischen Gemeinde stattgefunden haben, da 
es doch wahrscheinlich ist, dass die ganze schattenhafte Ge- 
stalt des Remus, die nur eine spätere Verdoppelung des Ro- 



t Liv. V 46. 52. 




102 KAPITEL m. 

malus sein kann, ^ deswegen hinzugenommen ist, weil nun- 
mehr an die durch den einen königlichen Säugling geheiligte 
Stätte sich die gottesdienstliche Function zweier rivali- 
sirender Geschlechter knüpfte; die Quinctier aber nannten 
sich fortdauernd die Schaar des Komulus. Wenn sie sich 
gleichwohl dazu bequemten, mit der Zeit den Ritus der Fabier 
als gemeinsamen auch für sich anzunehmen und denselben bei 
der Opfermahlzeit vielleicht einen Vorzug zu lassen (o. S. 77), 
so hing da« ganz augenscheinlich mit praktischen Rücksichten 
zusammen, insofern die Darstellung von Wölfen auf Schwierig- 
keiten stossen mochte, wenn man etwa dazu die Felle, natür* 
lieh nicht an Ort und Stelle geopferter, aber kürzlich erlegter 
Thiere in Anwendung brachte. 

Eine Modification der zuletzt vorgetragenen Entwicke- 
lung würde sich ergeben, wenn Preuner Recht hätte, dass 
Lupercus den Hund, das wol^sabwehrende Hausthier, be- 
zeichne und dass in dem bei den Luperealien dargebrachten 
Hundeopfer der Beweis für ältere Ansprüche des Hundes an 
Stelle des erst später für diesen in die Sage eingetretenen 
Wolfes erhalten sei.^ Statt der Wölfin hätte dann den Ro- 
mulus, wie den Eyros bei den Persem, eine Hündin gesäugt, 
aus Hundsfellen hätte die Umhüllung der Palatinischen Gilde 
bestanden, bis die Vereinigung mit den Hirci des Quirinal 
zur Verschmelzung in der Weise führte, dass von den Berg- 
römern als Name der Umläufer die Bezeichnung Luperci und 
die Hundeopfer, von den Hügelrömern der ganze übrige 
Ritus als gemeinsam angenommen wurden. 

Auch als Parallelen zu den Böcken 'Greppi', falls diese 



1 Die genau entsprechenden Sagen von Gyrus, Miletos, Kydon, 
(yergL ferner das Kind der Genoyefasage, Sigfrit in der Thidrekssaga, 
Schwanritter, Wolfdietrich u. s. w.) wissen nur von Einern ausgesetzten 
und durch ein Thier (Wolf, Hirschkuh u. s. w.) gesäugten Kinde. 
Yergl. Rosober ApoUon und Mars S. 79. J. Zacher Genovefa, Kgbg. 1860. 
S. 15, 21, 27-39. 

^ A. Preuner Hestia - Yesta S. 389 Anm. 3. *I)ie Lupa war yiel- 
mehr ursprünglich eine Luperca d. i. Hündin', denn 'Lupercus ist der 
Wolfsab wehrer — welches andere Thier aber ist so zu bezeichnen als 
der *Hund ?' Dazu stimmt die Notiz bei Plut. Rom. 21 vom Hundeopfer. 



DIE LUPEBCAUSN. 103 

wirklich Faune, Yegetationsgeister , darstellen, würden die 
*Hunde* ebensowohl passend sein, als 'Wölfe*. Wenigstens in 
deutscher und französischer Yolksüberlieferung erscheint auch 
der Hund als eine der vielen Gestalten des Korngeistes. Wir 
können nicht umhin wenigstens in knappster Andeutung die 
wichtigsten Zeugnisse dafür zusammen zu stellen.^ Hund 
heisst der Wind in der altnordischen Skaldensprache, in 
Yolksräthseln und in den Sagen von der wilden Jagd. Geht 
der Wind im Korne, so sagt man 'de Hunne jagen sik' 
(Rüxleben bei Nordhausen). Hat sich das Getreide vom 
Winde nach allen Seiten gelagert, so heisst man das Toll- 
hundsnest' (Badbergen bei Osnabrück). Kinder sollen 
nicht ins Kornfeld gehen , um Aehren oder Kornblumen . zu 
pflücken, 'der grosse Hund ist da,' 'der tolle Hund 
sitzt drin,' 'die Rüden sitzen da' (Prov. Sachsen, 
Kgr. Sachsen, Braunschweig, Westfalen, Rheinprovinz, Alt- 
mark, Ditmarschen, Rgbz. Breslau). Ebenso bei den Wasser- 
polaken, Rgbz. Oppeln: 'Wielki pies tam jest, co ci^ uksj^si. 
Auch in Frankreich hört man in gleicher Beziehung: 'Le 
chien rage vous mangera'. Bemerkt man Korn- 
blumen im Felde, so drückt man in der holländischen Pro- 
vinz Zeeland diese Beobachtung so aus: 'De dolle honden 
loopen in het koorn'; die Blumen sind also gleichsam 
als sichtbare Verkörperungen des Korndämons gedacht; ähn- 
lich verhält es sich mit der JBenennung Hundebrod, 
Rüenbrod für das Mutterkorn (secale cornutum) in West- 
falen. In Schwaben und Neuburg warnt man die Kinder 
vor dem Heupudel, der im Kornfeld drinsitze, um Fulda 
vor dem Schottebätz (Schotenhund) im Erbsenfelde, bei 
Aurich in Ostfriesland vor den Kiddelhunden (Kitzel- 
hunden), welche die Kleinen, sobald sie ins Korn laufen, zu 
Tode kitzeln. Die Namen der tolle d. h. wüthende Hund 
und Kitzelhund gehen offenbar auf den im Korne hausenden 
Wind oder Wirbelwind (vergl. Bk. 87. 89. 139 AWF. 155. 318). 



^ Vergl. Mannhardt Roggenwolf und Roggenhund. ^ S. 3 ff. 11. 
14. '27. 28 ff. L. T. HdrnianQ : Der heber gät in litun. S. 28 ff. 



1 



104 KAPITEL m. 

Wird beim Pflügen der Pflug zu hoch gehoben, so dass das 
Eisen den Boden nicht fasst, so sagt man (Heiligenstadt 
Rgbz. Erfurt): 'Das hat der Hund gemacht!' d. i. das 
hat der im Acker weilende Eomhund bewirkt; und 'den 
Hundestrich eggen*, d. i. eggen wo und wie der Hund 
springt, heisst es, wenn man mit der Egge die einzelnen 
Beete auf- und abgefahren ist und den Acker nun auch nach 
seiner Breite im Zickzack durchzieht (Grottkau in Schlesien). 
Bei Meseritz in Posen sieht die Phantasie des Yolkes Abends 
einen schwarzen Hund durchs Getreide streichen als Vor- 
bedeutung guter Ernte und besonders voller Aehren ; denselben 
Hund scheint auch die samländische Sage zu kennen. ^ Bei 
der Getreideernte kommt der Eornhund sodann in den zu- 
letzt abgeschnittenen Halmen zum Yorschein ; deshalb heisst 
es vom Schnitter derselben 'den Letzten btten de 
Hunne' (Rgbz. Magdeburg). Numen und Nomen des Dä- 
mons gehen auf den Binder der letzten Garbe über; derselbe 
wird als Schutemops (Schotenmops) oder Wßssbeller 
(Weizenhund) bezeichnet (Gegend von Jauer und Striegau in 
Schlesien). Bei Lindau a, Bodensee bezeichnet man das 
letzte Korn , das auf dem A/;ker zu schneiden ist , als die 
Hundsfud (muliebria caniculae) d. i. als den Mutterschoss, 
aus welchem das neue Korn des künftigen Jahres wieder her- 
vorgehen wird. Am lebendigsten prägen den Glauben an 
den Eornhund Erntesitten des nordöstlichen Frankreichs aus. 
Wenn ein Erntearbeiter krank wird oder ermüdet und faul 
ist, mithin dem Yorhauer entweder nicht folgen kann oder 
will, so spottet man: 'Un chien blanc passait' (Neuf- 
chäteau, Yosges), 'le chien blanc est pass6 pr^s de 
lui' (Henamenil bei Luneville), 'le chien blanc de 
Blazy est pass^*, *il a la chienne blanche' (Lot-et- 
Garonne), 'la chienne blanche l'a mordu, la cagne 
(Hündin) Ta mordu' (Auxerre), 'il fait du chien' (Basses- 
Pyr6nees). Weiss heisst der Hund, weil der Franzose die 
Farbe des reifenden Getreides so auffasst, 'les bles commen- 
cent a blanchir'. Der mit Blumen und den letzten Aehren 



i J^eusoh Sagen cle9 SamUnds. Ks;hg. 1863 S. 50 n. 45. 



DIE LUPBBCAI.TEN. 105 

des Feldes umwandene Baumzweig (bouquet, branche de la 
moisson), welcher auf der letzten Fuhre eingeführt und 
meistens über der Scheuer oder dem Schornstein des Wohn- 
hauses aufgesteckt wird (BE. 203—207), heisst metonymisch 
von dem in ihn geflüchteten Dämon chien de la moisson 
(Marne, Yosges), chien d'aoüt (Yonne). Das Mahl am 
Abend des Emteschlusses erhält ebendaher den Namen chien 
de la moisson (Umgegend von Nancy, Vitry-le-Frangois), 
chien d'aoüt (^pernay). Baumzweig und Mahl bekommen 
auch den Namen le tue-chien de la moisson (Umgegend 
von Lun^ville; Neufch&teau, Yosges); man sagt, wenn der 
Bauerwirth das Festmahl nicht ausrichte^ werde man ihm den 
Hofhund tödten (Metz). Bei Auxerre hört man auch le 
chien peau de balle (Hund Schlaubenfell), also Hund, 
der in der Hülse (balle) der Feldfrucht drinsteckt, im Kerne 
der Frucht sein Leben und Wesen hat. Der Eornhund stirbt 
beim Schneiden oder Dreschen des Oetreides. Bei St. Die 
(Yosges) rufen die Schnitter, im Begriff das Letzte zu ernten : 
'Tuez le chien! Tuez le chien!' und der grüne Strauss 
auf dem letzten Wagen heisst dann chien. 'On va tuer 
le chien' lautet die gewöhnliche Phrase für den Schluss des 
Getreideschnitts (Umgeg. von Yerdnn); je nach der Frucht- 
art sagt man: 'Nous voulons tuer le chien du bl6, le chien 
du seigle, le chien des pommes de terre' (Epinal). In Puy- 
de-Döme wird die letzte Garbe la cagne, Betze, Hündin, 
um Lons-le-Saulnier (Jura) cu-ii-chien, Hintertheil des 
Hundes benannt. Kehren wir in die deutsche Heimath zurück, 
so heisst in Schlesien (Rgbz. Breslau, Liegnitz u. s. w.) der 
bei der Ernte zum Nachharken gebrauchte Rechen wieder ^ 
metonymiisch von dem im liegen gebliebenen Korne versteckten 
Dämon 'der faule Hund', faul wohl deshalb, weil jener 
sich nicht beeilt hat, aus dem Getreide herauszukommen. So 
gefangen lebt der Kornhund nunmehr in der Scheune fort, 
um beim Dreschen aufs neue zum Yorschein zu kommen. 
Bei Dux in Tirol heisst den letzten Drischelschlag thun 'den 
Hund derschlagn',^ der Drescher, welcher diesen Schlag 



1 Frommann Die deutschen Mundarten Y 372. 



106 KAPITEL m. 

führt, in der Gegend von Ahnebergen a. d. Aller bei Stade 
je nach der Fruchtart Eornmops, Boggenmops, Weizen- 
mops. Zu Yorchdorf in Oberösterreich bezeichnet man ihn 
als Stadlpudl (Scheunpudel) und gibt ihm beim Mahle den 
grössten Krapfen (Pudlkrapfl); in Oldenburg ist beim Raps- 
dreschen entweder Strükpudel derjenige, der das Stroh 
bei Seite schaffen muss (Burhave), oder Strohpudel 
(Strakerjan Abergl. u. Sag. a. Oldenb. II 79) die lustige 
Person, welche sich anstrengen muss, die Gesellschaft zu er- 
heitern. Bei Schmalkalden Er. Schleusingen Rgbz. Erfurt 
heisst die Mahlzeit beim Schlüsse des gesammten Ausdrusches 
die Feier des Dreschhundes. In bair. Schwaben muss 
derjenige, der den letzten Streich mit dem Flegel macht, 
'die Hundsfod (Hundsfud) vertragen* d. h. einen in Stroh 
gewickelten Stein oder eine aus der letzten Garbe gefertigte 
Eompuppe dem Nachbar, der noch nicht fertig ist, auf die 
Tenne werfen. Ganz dasselbe geschieht in der Oberlausitz 
und Markgrafschaft Meissen mit der Scheunbetze (Scheun- 
hündin), welche durch einen mit Obst, Getreide u. dergl. 
gefüllten Topf dargestellt wird. In Frankreich heisst zuweilen, 
wenngleich seltener, auch das Dreschermahl, wie die Sichel- 
henke tuer le chien (Henam6nil bei Luneville). Dieselben 
Vorstellungen kehren beim Heuschnitt wieder. Das Ende 
desselben heisst 'on tue le chien* (l^pinal), der letzte 
Schwaden, der gemäht wird, chien de la fenaison (Ch&- 
teau Salins), der Baumzweig von Erle, Pappel oder Dom, 
der das letzte Heufuder schmückt *c'est le chien du 
f oin*, das Mahl nach Beendigung der Mahd wird ebenfalls 
chien genannt (i^pinal). In Tirol sind es vorzugsweise die 
Mähergebräuche, in denen der Vegetationshund eine Rolle 
spielt. Wenn die Roderin oder Worperin beim Heuausbreiten 
ihrem Mäher nicht nachkommt, wird ihr *der Hund ge- 
macht' oder *der Hund aufgegeigt*, indem man mit 
dem Wetzstein dreimal über die Sense streicht und einen 
schrillen Ton hervorlockt. Dasselbe geschieht, sobald die 
Mäher mit dem Mähen fertig sind. Das Zusammenrechen 
des beim Heuharken liegen gebliebenen Grases heisst näm- 
lich *Hundrechen', weil der Hund sich darin versteckt 



DIE LUPBBCALISK. 107 

bat, und sobald die Mäber ibr Werk Tollendet haben, macben 
sie den nacbharkenden Mädcben einen Hund. Aucb die 
Heuschober werden Hund genannt. Wenn 'der Hund' die 
Heuschober umwirft, wirft man ein Messer hinein, wie gewöhn- 
lich in den Wirbelwind (vergl. BE. 132), der Eomhund ist 
also hier als im Schober entführenden Windwirbel sein Leben^ 
äussernd gedacht. Die aargauische Schelte Rebhund für 
den Teufel und die Redensart heulen wie ein Trübel- 
hund (Traubenhund)^ machen wahrscheinlich, dass man auch 
im Weinberge ein dem Heuhunde, Eornhunde ähnliches 
Wesen waltend glaubte. 

Jene Benennung des Eornhundes als des weissen wegen 
der bleichen Farbe des reifenden Getreides muss jedem Eenner 
der römischen Alterthümer sofort den Gebrauch ins Gedacht- 
niss rufen, damit die Früchte zur Reife gelangten (ut fruges 
fiavescentes ad maturitatem perducerentur) und die rothen 
Rostpilze dieselben nicht überwucherten und verdürben, in der 
Zeit, wann sich der Eem des Getreides in der Hülse bildet 
und aus derselben hervorschiesst (dies- priusquam frumenta 
vaginis exeant et antequam in vaginas perveniant) - nach 
den commentarii pontifieum an keinem bestimmten Tage, nach 
späterer priesterlicher Festsetzung jedesmal am 25. April — 
säugende Hündchen (lactentes catuli) von röth- 
1 icher Farbe (rutilae canes, id est non procul a rubro 
colore) vor dem Hundsthore (porta catularia) in Rom zu 
Ehren des Mars (bezw. Quirinus), des Abwenders der Halm- 
schäden und Gebers fröhlichen Wachsthums, so wie des 
Robigus oder der Robigo zu opfern.^ Hier sind die 
säugenden Hündchen offenbar animalische Gegenbilder 
des soeben in die Aehren schiessenden Getreides, die r o t h e 
Farbe die der rostbefallenen Halme. Dieser Auffassung 
entgegen steht die von Ovid, Ateius Capito, Plinius u. a. 
ausgesprochene, offenbar aus einer und der nämlichen litte- 



^ Boohholz Scbweizersagen aus dem Aargau II 211. 

2 Paulus Diao. 45 Oolumella X 342. Plinius H. N. XVUI 3, 3. 
Ateius Capito bei Festus 285. O7. Fast. lY 901 ff. Yergl. Preller 
Born. Myth. 437. 302. 379. Panzer Beitr. z. D. Myth. n 516--523. 



108 KAPITEL m. 

rarischen Quelle stammende Meinung, der Hundstem, der 
Ende April mit der Sonne (akronychisch) untergeht, verur- 
Sache den Rost, und als Ebenbild dieses siderischen Hundes 
werde an den Bobigalien der Hund getödtet (. . . canis 
occidit, sidus et per se vehemens et cui praeoccidete 
'caniculam necesse sit). ' Qewisse griechische Sagen (Preller 
Gr. Myth. ^ I 551) gereichen ihr zu scheinbarer Unterstützung. 
Gleichwohl ist sie schwerlich etwas anderes als das Ergebniss 
gelehrter Grübelei von Seiten eines Schriftstellers der nach- 
varronischen Zeit, etwa - eines Nigidius Figulus, Santra, 
Veranius oder Trebatius Testa. . Denn weder die commentarii 
pontificum (Plin. H. N. XVIII 3, 3) noch ihr genauer Kenner 
Varro (ebds. XVIII 29, 69) brachten das augurium canarium\ 
soviel wir sehen können, mit dem Sirius in Verbindung, auch 
Hess Varro den Rost aus Feuchtigkeit nicht aus Hitze ent- 
stehen (Serv. zu Verg. Georg. I 151). ^ Auch eine andere Ana- 
logie reicht nicht aus, die Deutung des Robigalienhundes auf 
ein Symbol oder Abbild des Ilundsterns zu bestätigen, da 
ihre Auffassung selbst noch zweifelhaft ist. Bekanntlich liess 
man in Rom am 19. April an den Gerealien Füchse mit 
angebundenen Fackeln im Circus umherlaufen^; in Carseoli 
rannten Füchse in Getreidehalme und Gräser, die 
man in Brand gesteckt hatte, eingewickelt, als Abbilder 
eines dämonischen brQunend durch die reifenden Kornfelder 
laufenden Fuchses. '^ Möglicherweise ist dieser Brauch durch 
Vermittelung der sibyllinischen Bücher kleinasiatischem 
Demetercul tus entlehnt,^ wofür die XJebereinstimmung 



* Plin. H. N. XVIII 29, 69. 

2 Das auguriuin canarium oder 'canarium sacrificium' (Ateius 
Gapito bei Festus 285), wobei die *exta canis' zur Auspication dienten, 
wird also doch wohl ein *augurium ex quadrnpedibus' (Festus 261). 
nicht ein *Opfer zur Abwehr des Hundsternes' gewesjn sein. Vergl. 
Becker-Marquardt lY 361. 

» Preller Rom. Myth. 436 ff. 

♦ Die gründlich verdorbenen Verse Ov. Fast. IV 709 ff. lehren 
soviel, dass von einem Gebrauche zu Carseoli die Rede ist, dessen 
Einzelheiten man aus der vorhergehenden pragm atisirenden Legende 
zu entnehmen berechtigt ist. 

» Preller a. a. 0. 434 ff. 



DIE LUPERCALIEN. 109 

ndt der Legende des ebräischen Sonnenheros Simson spricht, 
der den Philistern mit Hilfe von Füchsen, denen er Fackeln 
an die Schwänze gebunden, die Saaten versengt;^ doch kann 
er auch bei Einrichtung der cerealischen Spiele einem italischen 
Gottesdienste entnommen sein. In beiden Fällen wird an 
eine einfache Personification der Sonne oder des Sirius nicht 
gedacht werden dürfen, so lange der Fuchs oder Schakal 
als Metapher oder astronomisches Bild eines diese]: Gestirne 
weder in europäischem, noch in vorderasiatischem Glauben 
nachgewiesen ist. Die nächsten Analogien des Brauches 
werden wir vielmehr in den Hirpi Sorani und in den in 
Frankreich im Osterfeuer verbrannten Füchsen (BE. 515) zu 
suchen haben, denen sich ein der Vorstellung nach unsichtbar 
das Osterfeuer umkreisender Fuchs zugesellt.^ (Vergl. 
auch weiter unten die Gloso). 



1 Steinthal, Zs. f. Yölkerpsych. II 134. 

* Diese Fachte aber sind doch sühwerlich trennbar von den Oe- 
treidefQchsen , die als Nebenformen der Kornhunde zu erweisen die 
folgenden vorzugsweise aus der französischen lieber! ief er ung gewählten 
Belege ausreichen. Wenn der Wind im Korne Wellen schlägt, 'geht 
der Fuchs durchs Korn' (Nördliiigen im Ries), 'ziehen die 
Füchse durchs Korn' (Usingen, Nassau). Man warnt die Kinder 
▼or dem Verlaufen ins Getreidefeld, da steckt der Fuchs drin (Steinau, 
Kurhessen; Orfsch. Rayensberg, Westfalen). Wenn's ans Schneiden 
der letzten ^alme geht, ruft man dem Schnitter zu: 'De Voss sitt drin, 
holt em fast!' (Campe bei Stade). 'Passt auf, ob der Fuchs heraus 
kommt!' (D^p. de la MoRelle) *Vous attraperez le renardi' (Bour- 
bonnais). — Wird jemand beim Sohneiden des Getreides krank oder 
verwundet, so heisst es: 'II a le renardi* (Loire-inf^rieure). 'II a 
tu^ le renardi' (C6te-d*or). Beim Schneiden des Letzten lassen die 
Arbeiter eine HandToll Korn stehen und werfen danach mit den 
Sicheln. Wer sie trifft, heisst le renardi Zwei junge Mädchen 
schmQcken demselben die Mutze mit Blumen. Abends findet ein grosses 
Tanzvergnfigen statt, bei welchem er mit allen Tänzerinnen die Runde 
macht, sodann ein Festessen, das ebenfalls r e n ar d genannt wird : *Noa8 
avons mang6 le renard', wir haben das £rntemahl genossen (Louhans, 
Sa6ne-et-Loire). Die letzte Gharbe heisst Fuchs (Canton Zürich). Man 
ruft, in der letzten Garbe sitze der Fuchs drin, verfertigt ans weissem 
Zenge, einigen Aehren des letzten Korns und bunten Bändern eine 
Thiergestalt, 'le renard', und wirft sie dem Nachbar, der seine Ernte 
noch nicht beendigt hat, ins Haus. (Bourgogne^ Ain). Aneh beim 



HO KAPITEL m. 

Yerhalte es sich nun mit dem Hunde der Robigalien 
und dem Fuchse der Cerealischen Spiele so oder anders, 
jedesfalls dürfen wir — um auf die Luperealien und Preuners 
Yermuthung zurückzukommen — aus dem Erörterten den 
8chlu8s ziehen, dass in der That Hunde ebensogut wie 
Wölfe im Luperkenumlauf hätten figuriren dürfen. Schwer- 
lich aber wird irgend jemand zugeben, dass die poetische 
Metapher Wolfsabwehrer für dieselben im Volks- 
b rauche irgendwie wahrscheinlich sei, und aus diesem 
Qrunde ist Preuners o. S. 102 vorgetragene Ansicht sammt 
ihren Consequenzen zurückzuweisen. Dagegen erhellt aus 
unseren Zusammenstellungen unzweifelhaft, dass das Hunde- 
opfer, ohne in der Form des Umlaufs übereinstimmend zu 
sein, sehr wohl als eine auf die Vegetation bezügliche Früh- 
lingsbegehung aus demselben Gedankenkreise hervorgegangen 
sein kann wie die übrigen Ceremonien des Luperealienfestes. 
Mehr lässt sich nicht sagen, da uns jede Einzelheit des 
Brauches entgeht. 

Nach unserer Ansicht wären also die Luperealien wahr- 
scheinlich die Vereinigung und Vermischung zweier 'den Ein- 
zug von Vegetationsgeistern (Fauni, Lupi) darstellender Um- 
läufe, denen sich als eine verwandte Begehung das Hundsopfer 
anschloss. Ganz analoge Verschmelzungen derartiger Umläufe 



Dresohen heisst die letzte Garbe lo renard (Sa6ne«et-Loire) , man 
sagt: 'Neos battons le renard!' (Lot), uod bei Zabero setzt man dem 
Nachbar, der mit dem Schluss des Ausdrusches im Rückstande ist, 
einen ausgestopften Fuchs vor die Thfir der Tenne. Einen 
todten Fuchs trugen die Knaben in Holstein (als Repräsentanten des 
wieder einziehenden Wachstfaumsgeistes) im Frfihling yon Haus zu 
Haus (Schütze Holsteinisches Idiotikon III 16d), in Westfalen, wie 
es scheint, einen lebendigen Fuchs, dem der Schwanz abgehauen 
war, und sammelten dafür Eier ein (Woeste Yolksüberl. in der Graf- 
schaft Mark S. 27). Man hatte die Redensart *he schraiet as'n Pingstfoss-; 
map nannte den am Pfingsttage zuletzt austreibenden Hirten Maifoss, 
Pingstfoss d. i» Maifuchs, Pfingstfuchs und steckte ihn in den 
Teich (Regenzauber I), wenn man ihn erreichen konnte (Woeste a« a. O. 
BK. 391). Um's Osterfeuer tanzt man mit dem Rufe: 'Ktk 
dt nit um, dat Fössken dat kümmt' (Kuhn Westf. Sag. II 135 
n. 405», vergl. 136 n. 405*»). 



DIE LÜPEBCililEK. 111 

lernten wir A.WP. 188. 321 im Fastnacht-, Weihnacht- und 
Erntebrauch kennen, indem Kornhammel und Eornwolf, und 
wieder Eornwolf, Erbsenbär und Hafergeiss in eins rannen der 
Art, dass von dem einen Brauche der Name, von dem anderen 
der Ritus in demYerschmelzungsproducte übrig blieb. Das neben- 
einander Auftreten so verschiedener Formen desselben Brauches 
erweist sich in Nordeuropa als Regel. AWF. 184 ff. sahen 
wir, wie verschiedene theriomorphische und anthropomorphische 
Gestalten des Yegetationsdämons (Elapperbock , Erbsenbär, 
Schimmelreiter, Niclas u. s. w. von verschiedenen Seiten 
herkommend auf einander stiessen und nun neben einander 
herliefen oder in eine Gestalt zusammen flössen. Der 
Bauer hat die entschiedene Neigung, seine an be3tLmmte 
wiederkehrende Vorgänge im Jahreslauf oder an bestimmte 
Kalendertage gebundenen Feste durch neue von den Nach- 
barn abgesehene Begehungen zu bereichern, und so ent- 
steht leicht eine Häufung von Ceremonien, 
welche im Grunde einen und denselben Ge- 
danken ausdrücken. Es sei erlaubt aus vielen Tausen- 
den von Beispielen, die sich darbieten, noch einige wenige 
zur Erläuterung unserer Behauptung namhaft zu machen. 
In dem grossartigen Frühlingsfest, das nur alle 7 Jahre zu 
Hollstadt im fränkischen Saalgrunde am 1 3. Februar, also in 
derselben Zeit wie die Luperealien gefeiert wird,^ kommen 
u. a. zur Aufführung die folgenden mythischen Repräsen- 
tationen des wiederkehrenden Frühlings: 

1) Umzug des Pfluges durch 6 junge Mädchen und der 
Rübenschleife durch 4 junge Mädchen (vergl. BK. 
553-564). 

2) Kampf der mit Wurzelbärten ausgerüsteten Alten mit 
der Jugendwehr. 

3) a. Englische Reiter (Schimmelreiter). 

b. Kameel, von einem mit Laken behangenen Burschen 
dargestellt und von einem in Stroh gehüllten Manne 
geführt (vergl. BK. 335). 

c. Erbsenbär in Erbsenstroh gehüllt. 



1 Leipziger Illustrirte Zeitung Tom 2. Febr. 1873. 



112 KAPITEL m. 

d. Jäger (d. i. grüner oder wilder Mann) ganz in Buchen- 
blatter gehüllt (vergl. BK". 316 ff* 333 ff.). 

e. Hansel und Gretei auf dem Schleifrad durch lebende 
Figuren dargestellt (vergl. BK. 429 ff. 464). 

f. Baum mit der Wurzel dicht behangen mit Obst und 
Menschenfiguren aus Kuchenteig (vergl. BK. 156. 166). 

Alle unter 3 a— f aufgeführten Figuren sind nur einzeln 
nach und nach von verschiedenen Seiten zusammen gekommene 
Varianten desselben Inhalts. Die Erntegebräuche zeigen den 
entsprechenden Vorgang fast Ort bei Ort. Ich greife aufs 
Qerathewohl den Bestand einiger beliebiger Orte heraus. 
Der erste sei ein gewisses Dorf der Gironde in der Nähe 
von Bordeaux. Die letzte Garbe heisst hier la mere nach 
der vermeintlich darin weilenden Kornmutter. Ist sie ver- 
fertigt, so führt man einen mit Bändern und Blumen ge- 
schmückten Ochsen rings ums Feld und tödtet ihn dann 
(Kornstier). Beim Dreschen sagt man von demjenigen, der 
das Letzte gedroschen hat: 11 a tue le taureau.' Nach 
Beendigung des Dreschens endlich pflegt man eine Katze 
todtzuschlagen, deren Fell als Heilmittel über den Kamin 
aufgehängt wird (Kornkater). — Im Bezirk Traunstein (Ober- 
baiem) sitzt in der letzten Hafergarbe die Haberg ei ss. 
Wer aber die letzte Hand voll Roggen oder Weizen schneidet, 
hat die Sau, und heisst Sautreiber (Kornsau). Wer 
das letzte Büschel Flachs erntet, dem ruft man zu: 'Darin 
sitzt die Braut'. — Bei: Lindau a. d. Isar heisst derjenige, 
der den letzten Drischelschlag machte, der Alte. Man sagt, 
er hat den oder die Alte. Beim Korndreschen aber wird 
er auch Kornschwtn, bei der Gerste Gratenbär, beim 
Hafer Haferbär genannt, während man die Kinder vom 
Verlaufen in ein Getreidefeld mit der Bede zurückschreckt: 
*Der Kornmann fängt dich* und, wenn der Wind im 
Korne wogt,'sagt: 'Die Kornmänner gehen'. 

Dieselbe Erscheinung kehrt überall, z. B. auch im 
skandinavischen Frühlings- und Erntebrauch wieder, und wir 
lernen daraus, dass es ganz in der Natur solcher Traditionen 
lag, wenn in Rom und seiner najben Umgebung verschieden 



DIE LUPERCALIEN. 113 

gestaltete Vegetationsdämonen wie Böcke (Pauni, creppi) 
Wölfe (Hirpi Sorani), Rosse (vergl. unten Octoberross), Hunde 
aufeinander stiessen und bei gegebener Gelegenheit in einander 
aufgingen. Unzweifelhaft gewinnt die von uns aufgestellte 
Deutung des Luperealienbrauches als mimische Darstellung 
eines Umlaufs von Vegetationsgeistern, die mithin schon 
durch ihre Gegenwart die Geister der Unfruchtbarkeit, des 
Misswachses vertreiben, durch vorstehende Bemerkungen eine 
weitere Stütze. Wir vergessen aber keinesweges, dass unsere 
ganze Entwickelung in einigen Stücken auf Hypothese be- 
ruht, welche thatsächlich zu erweisen die Lückenhaftigkeit 
des uns erhaltenen Materiales verhindert. Indem wir der 
Deutung des Namens Luperci aus lupi-herci den Vorzug 
geben, weil dieselbe scheinbar am besten dazu geeignet ist, 
zu einer befriedigenden Erklärung sämmtlicher Momente des 
Brauches zu fähren, verhehlen wir uns nicht, dass ein Irrthum 
möglich und dass die Berechtigung einer andern Auffassung 
keineswegs unbedingt abzuweisen ist, wonach die Umläufer 
einfach als Menschen, also in keiner angenommenen Rolle 
fungirend durch die von ihnen vorgenommene Ceremonie die 
dem Wachsthum schädlichen Geister zu vertreiben suchten. 



§ 6. DER SCHLAG MIT DEM FEBRUUM. 

Ist es begreiflich, dass man wähnen mochte, die von 
den ebenbildlichen Vertretern der Wachsthumsdämonen aus- 
strömende Kraft und Lebensfülle erzeuge jene Unversehrtheit 
des leiblichen und vielleicht auch gemüthlichen Lebens 
(integritas vitae), welche als Wirkung des Luperealien- 
brauches erwartet wurde, so wird aus diesem Grundgedanken 
heraus noch keinesweges ersichtlich, warum die Umlaufenden 
nicht durch unmittelbare Berührung mit ihrem Körper, wie 
es doch sonst der Anschauung des Alterthums entsprach,^ 
die üebertragung des Segens bewirkten, sondern durch die 



* Vergl. z. B. Tac. liisK IV 81 mit dem bei den Hi-ilungs- 
wundern Jesu zu Ta^e tretenden Volkaglauben. 

QF. LI. b 



114 KAPtTüL m. 

YermitteluDg von Schlägen mit dem Februum, jenem Streifen 
von Ziegenhaut, der zugleich mit der Bekleidung der Luperci 
aus den Fellen der Opferthiere geschnitten war. Erinnern 
wir unS) dass diese Schläge vorzugsweise auf bestimmte 
Eörpertheile , die beiden Handflächen (palmae) und 
den Bücken (tergum) ertheilt wurden (o. S. 66). Ist es 
nicht zu vermuthen, dass auch dieser Theil der Ceremonie 
traditionell, dass er keinesweges bedeutungslos, sondern im 
Zusammenhange alter Beligionsanschauung sinnvoll gewesen 
seiP Freilich, wenn wir der Autorität Lobecks glauben dürften, 
wäre diese Vermuthung weit abzuweisen. 'Lupercorum quoque 
verbera — sagt er Aglaoph. I 681 — vim quandam signi- 
ficandi et foecundandi habere creditum ; neque id illis succen- 
seam, quibus mos et consuetudo et natura quodammodo ipsa sie 
praescripserat , ut quidquid tempore et loco sacro fieret, id 
ex aliqua probabili ratione et iusta de causa fieri crederent. 
Quamquam si animum a consuetudine avocare, si ceteram 
huius agrestis et pastoritü instituti licentiam ante oculos 
ponere, si denique secum considerare voluissent, quid homines 
a quotidianis negotiis feriati sibi indulgere soleant, non 
latuisset eos, totam rem a lusu et lascivia profectam esse . 
Lobeck weist darauf hin, dass jeder Clown die rohe Menge 
durch spasshafte Schläge ergötze und dass seine Peitsche 
(marotte) den Februa der Luperci ziemlich entsprechend sei. 
Wir werden weiterhin sehen, was es mit derselben auf sich 
hat. Einstweilen aber verhindert uns die ernste Absichtlich- 
keit der Ceremonie sowohl als eine Anzahl gewichtiger und 
-- wie es scheint — hinreichend aufklärender Parallelen dem 
grossen Eönigsbetger Philologen zu folgen, der mehrfach die 
schwache Kehrseite seiner hohen Verdienste um den äusseren 
Bestand und die Geschichte der XJeberlieferung in vulgär- 
rationalistischer Yerkennung des tieferen Ideengehalts antiker 
Cultushändlungen zur Schau trägt. Wir treten vielmehr in 
den Versuch ein, auch diese Schläge als ein wesentliches und 
sinnvolles Stück des Brauches zu begründen. 



DIE LUPBBCALIEN. 115 

a. Fauna mit dem Myrthenzweige geschlagen. 

Zunächst begegnet uns eine Analogie im Mythus des 
Faunus selbst, den die Luperci — falls unsere obige Aus- 
einandersetzung nicht fehlschlug — copirten, oder vielmehr 
in einer mit ihm in Verbindung gesetzten Cultushandlung, 
beim Dienste der mit ihm als Schwester oder Qattin ver- 
bundenen Fauna oder Bona Dea. Im Geheimdienste dieser 
Göttin, der nur von Weibern begangen wurde, scheint es 
Brauch gewesen zu sein Frauen mit einem 
Myrthenzweige der Fruchtbarkeit halber zu 
schlagen. Die Thatsacheo, auf welche diese Behauptung 
^ich gründet, sind folgende. 

Cornelius Labeo, ein Schriftsteller frühestens des 
augusteischen Zeitalters, berichtet nach älteren Gewährs- 
männern, am 1. Mai werde der Mala unter dem Namen der 
Bona Dea ein Fest gefeiert. Diese sei die Erde, wie man 
aus dem geheimen Theil ihres Gottesdienstes entnehmen 
könne; die officielle Quelle der Pontificalbücher erkläre 
Bona Dea, Fauna, Ops und Fatua für identisch. Die gute 
Göttin sei sie genannt, weil sie aller zum Lebensunterhalt 
dienenden Güter Grund und Urheberin sei. ^ Ihr werde ein 
trächtiges Mutter seh wein geopfert, wie der Ceres und 
Tellus im JiCnuar nach Beendigung der Aussaat. Man ver- 
glich sie deshalb mit Proserpina oder der ehthonischen 
Hekate. In ihr Heiligthum brachte man, zum Ausschmücken 
des geweihten Raumes, Kräuter und Gewächse aller Art, 
welche nachher dem Volke als heilkräftig mitgo- 
theilt wurden (ähnlich wie der norddeutsche Bauer sich 
um die grünen Zweige aus der Umhüllung des Schossmeiers 
reisst. Vergl. BK. 348 flf.). Nur dieMyrthe zu solchem 



^ Maorobius Saturn. I 12,21: Auotor est Oornelius Labeo, hufc 
Maiae, id est terrae, aedem Kalendis Maus dedicatam sub nomine 
Bonae Deae, et eandem esse Bonam Deam et terram ex ipso ritu oc- 
cultiorc sacrorum doceri posse confirmat : hanc eandem Bonam Deatn 
Faunamque et Opern et Fatuam pontificum Itbris indigitari: Bonam, 
quod omnium nobis ad Tictum bonorum causa est 

8* 



116 KAPITEL III. 

Zwecke in den Tempel zu bringen, war verpönt.^ 
Mit Beziehung auf diese heilkräftigen Pflanzen und weil die 
Frauen im geheimen Räume des Ileiligthums nach Ent- 
fernung jedes Mannes gottesdienstliche Bräuche verrichteten, 
so dass die verehrte Göttin Männerhasserin zu sein schien, 
stellte man die letztere mit Medea zusammen.^ Griechen 
und griechisch schreibende Römer (wie Butas, Sextus 
Clodius u. 8. w.) bezeichneten sie daher als dsog yvvatxsia,^ 
Auch Varros Angabe, die gute Göttin, des Pannus Tochter, 
sei so züchtig gewesen, dass sie ihr Lebelang niemals die 
Frauengemächer verlassen, und dass ausser ihrem Gemahl 
kein Mann sie gesehen noch ihren Namen gehört habe, ist 
nichts als eine Conjectur zur Erklärung des Weiberfestes. ^ 
Einige aber erzählten, sie war die Tochter des Faunus; der 
Vater erglühte in Liebe zu ihr und züchtigte sie, da , 
sie seinem Ansinnen widerstrebte, mit einem 
Myrthenzweige. Selbst mit List berauscht beharrte sie 
bei ihrem Widerstände, bis Faunus in die Gestalt einer 
Schlange verwandelt der eigenen Tochter beiwohnte.^ Als 
Zeugen für die Wahrheit dieser Erzählung führte man an 
die Scheu Myrthenzweige im Tempel der Göttin (zur Aus- 
schmückung?) zu verwenden, eine Libation von Wein unter 
falschem Namen, indem dabei der Krug Honigfass, der Wein 
Milch genannt wurde, endlich eine Anzahl zahmer Tempel- 
schlangen, welche im Heiligthum herumkrochen/» Der Zug 



* Flut, quaest. Rom. 20. 

^ Macrobius I 12, 26: Quidam Medoam putant, qnod in aedem 
eius omne ^cnus herbarum sit, ex quibus antisHtes dant plerumque 
melicinas, et quod templam eiu8 virum introire non liceat; propter 
iniuriam, quam ab ingrato viro Jasone perpcssa est. 

' Macrobius a. a. 0. 

♦ V^arro bei Macrobius I 12» 27, bei Lactant. Div. Inst. I 27, 10. 
^ Macrobius I 12, 24: Ne'c non eandem Fauni filiara dicunt, 

obstitisseque voluntati patri.4 in amorem suum lapsi, ut et virga 
myrtea ab oo verberaretur, cum desiderio patris nee vino 
ab eodem pressa cessisset: transfigurasse se tamen in sorpentcm pater 
creditnr et coisse cum filia. 

^ Macrobius I 12, 25: Herum omnium haec proferuntur indicia, 
quod virgam myrteam in templo haberi nefas sit, quod super -caput eius 



DIE LÜPBBCALIEN. '117 

der Yermählung der Qöttin mit Faunus war auch wohl in 
anderen Relationen dieser Oeschichte bewahrt, in denen sie 
als Waldnymphe (Fauna?) bezeichnet gewesen zu sein 
scheint. ^ Noch andere auf dieselbe Urquelle zurückgehende 
Berichte erwähnen auch die Schläge mit dem Myrthenzweige, 
deuten dieselben aber als eine verdiente Züchtigung.. Sextus 
Glodius, ein Zeitgenosse Ciceros, also beträchtlich älter als 
Labeo, erzählte, Bona dea sei die Gattin des Faunus ge- 
wesen; einst vergass sie die weibliche Scham und königliche 
Würde so sehr, dass sie sich in Wein berauschte. Da 
schlug er sie mit Myrthenzweigen so sehr, dass 
sie starb. Von Reue und Sehnsucht gefoltert, vergötterte 
er sie später. Daher trage man in ihrem Dienste eine ver- 
hüllte Amphora mit Wein auf. Vermuthlich stammt diese 
auch von Plutarch bewahrte Version aus dessen hauptsäch- 
lichstem (sei es mittelbaren oder unmittelbaren) Gewährs- 
mann Yarro, der jedesfalls die Fauna als Eheweib kannte. ^ 



extendatur vitis, qua mazime eam pater decipere tentavit, quod vinum 
in templum eius non 8uo nomine soleat inferri, sed vas, in quo vinum 
inditum est, mellariuin nominetur et vinum lac nunoupetur, serpentcsque 
in templo eius nee terrentes neo timentes indifferenter appareant. 

^ Plut. Oaes. 9: "ß^rrt Sh '^Ptojuaioig &eo;n J^y ^AyaS'tjv oro/ud^oooiv^ 
tiantQ 'RXXt^yfg rwaixilav ' xat 4>Qvyfi /uer oixnov/uevoi JMCSa fifjTiqa rou 
/SaaiZiio; ysvfa^ai, (paaC^ Ptojutxtoi ^h vujufptjy /J^uaSa 4>auy(o awoixijaaaav, 

^ Laetant. Div. Inst. 122, 11: Sex. Clodius in eo libro, quem graece 
scripsitf refert Fauni hano u x o r e m fuisse, quao quia contra morem 
decusque regium clam vini ollam ebiberat et ebria facta 
erat, virgis myrteis a viro usque ad mortem caesa. Postea 
vero cum cum facti sui poeniteret, et desiderium eius ferre non posset, 
divinum illi honorem detulisse. Idcirco in sacris eius obvolutam vitii 
amphoram poni. A.rnob. adv. nat. V 18, der dieselbe Stelle auszieht, 
macht als des S. Clodius nächste Quelle Butas geltend : Faunam igitur 
Fatuam, Bona quae dicitur Dea, transeamus: quam myrteis oaes am 
virgis, quod marito nesciente seriam meri ebiberit 
plenam, Sextus Clodius indicat sexto de Diis Graeco: signumque 
monstrari, quod cum ei diuinam rem mulieres faciunt, vini amphora 
oonstituatur obtecta; necmyrteas fas sit inferre verbenas, 
siout sui^ scribit in causalibus Butas (vergl. Plut. Quaest. Rom. 20). 
Laetant. a. a. 0.: Eandem Yarro scribit tantae pudicitiae fuisse, ut 
nemo eam, quoad vixerit, praeter virum suum mas viderit, neo 



118 KAPITBL m. 

Es ist deutlich, dass in der That die Geschichte erfunden 
wurde, um gewisse auffällige Stücke des Cultus zu recht- 
fertigen; gewiss aber kannte derjenige, auf dessen Nieder- 
schrift alle uns erhaltenen Varianten der Fabel zurückgehen, 
die ursprünglichen Motive derselben nicht mehr oder nicht 
vollständig; offenbar sollten theilweis andere, als die von 
ihm angegebenen umstände und Bräuche durch das Histör- 
chen begründet werden. So sollte nicht das Vorhandensein 
eines anders benannten Weinnapfes, sondern der Umstand, 
dass die Frauen aus einem solchen, also gleichsam heim- 
lich tranken, und dann im Rausch und bakchischer 
Verzückung, aber auch jetzt noch fortdauernd ohne männ- 
liche Zuschauer einen Tanz aufführten, durch die Erzählung 
von dem heimlichen Weingenuss der Fauna erklärt 
werden. Ergibt sich von diesem Qesichtspuncte aus die 
der Zeit nach ältere Aufzeichnung Varros auch als die dem 
Gedankengehalt nach begründetere Version, so erhellt zu- 
gleich, dass die Form der Sage bei Cornelius Labeo eine den 
Tempelschlangen zu Liebe geschehene Erweiterung und Um- 
deutung nach dem Muster der Geschichte des Dionysos- 
Zagreus (Fauna , Tochter des Faunus , vom Vater in 
Schlangongestalt bewältigt) gewesen sein müsse. Wie kam 
man nun dazu der Erzählung vom Rausche der Fauna die 
Fabel von der Züchtigung mit der Myrthenruthe folgen zu 
lassen? Den wahren Grund, weswegen der Tempelschmuck 
keine Myrthenzweige enthalten durfte, hat Plutarch bereits 
erkannt, V/eil die Myrthe eine der Venus heilige Pflanze 
ist.*^ Wir haben uns nämlich das Fest der Bona Dea sehr 
ähnlich den griechischen Thesmophorien zu denken; es wird 
eine auf Keuschheit und Enthaltsamkeit gerichtete Vorbe- 
reitung voraufgegangen sein und der erste Haupttheil der 
Cereraonien auf Reinigung (Lustration) für das Eheleben ab- 
gezielt haben, bis zum Schlüsse die Feier auch hier in sym- 
bolische Gebräuche ausgelaufen sein wird, w^clche eine 



nomen eius audierit. Idcirco illi mulieres in operto saoritfcant, et 
Bonam Deam nominant. 
1 Qaaest. Kom. 4^0, 



DIE LUPERGALIEN. 119 

Erfüllung der höchsten Wünsche ehrsamer Gattinnen herbei- 
zuführen bezweckten. Jenem ersten Theile des Festes ent- 
sprach es, dass die Yestalinnen daran Äntheil nahmen, und 
dass jedes aphrodisische Symbol der Ausschmückung des 
gottesdienstlichen Raumes fern blieb. Es ist nicht leicht ab- 
zusehen, wie man auf den Einfall gerathen konnte, die Ab- 
wesenheit der Myrthe im Ausputz des gottesdienstlichen 
Raumes, den wir uns nach Art der Ausschmückung unserer 
Kirchen und Häuser mit grünen Maien auf Maitag oder zu 
Pfingsten werden zu denken haben , mit dem Weitigenuss 
der Frauen in ureächlichen Zusammenhang zu bringen und 
von einer Züchtigung abzuleiten. Dagegen spricht alles 
dafür, dass am Schlüsse des Festes das Bild der Göttin 
wirklich geschlagen wurde, oder dass die festfeiernden 
Frauen einander gegensei'tig mit Myrthenruthen 
schlugen. Danü war es natürlich, die unverständlich ge- 
wordene Cercmonie als einen Strafact für das vorhergegangene 
Bakchanal aufzufassen. Die einmal entstandene pragmatische 
Legende hatte zur Folge, dass nun auch der Mangel der 
Myrthe in der Ausschmückung aus dem gleichen Zusammen- 
hange gedeutet wurde; weil aber die Geremonie des Schiagens 
zu den grösseren Geheimnissen (ritus occultior) des Cultus 
gehörte, blieb sie bei Weitererzählungen der Legende uner- 
wähnt. Da die Zusammenstellung und Gleichsetzung der 
Bona Dea mit Tellus, Fauna und Ops, sowie mit der Maia, 
der Personification des Maimonats,^ da das Opfer des träch- 
tigen Schweines, endlich das Weiberfest in der That be- 
stätigen, dass die Göttin wesentlich eine Göttin der Frauen 
und der weiblichen Empfängniss, wie der in den Schoss der 
Erde geborgenen Pfanzonkeime war, so dürfen wir mit 
Wahrscheinlichkeit vermuthen , dass an jene im geheimen 

' Ihr wurde am 1. Mai zusammea mit Voloanua geopferl", wes- 
hiilb BIO Maia Voloani hiess. Preltor (Rom. Myth. 80^2) nennt sie 'eine 
fördernde und segnende Qöttiii der Flur, mit welcher sich im Monate 
Mai die belebende und beseelende Kraft des Feuers verbindet, um 
alle Blüte und Frucht des Sommers zu erzeugen'. Vielleicht aber ent- 
sprang ihrd Verschmelzung mit Bona Dea nur dem nämlichen Ta^e 
der Verehrung. 



120 KAPITEL UI. 

(in operto) er^heilten Schläge mit dem aphrodisischen Myrthen- 
zweige sich Ideen der Fruchtbarkeit angeschlossen haben, 
geradeso wie an die von den Luperken zu Ehren des Faunus 
oder als Faunusvertretern ausgetheilten Schläge mit dem 
Februum. Es war ein Zauber, um die Fruchtbarkeit der 
Aecker sowie der römischen Ehefrauen zu bewirken. Von 
der wirklichen Uebung im Cultus wird gelten dürfen, was 
Preller in Bezug auf die daraus abgeleitete Fabel sagt: 'Die 
Myrthenzweige, mit welchen Faunus die Fauna streicht, 
waren sicher ursprünglich nur ein Bild der Befruchtung, 
welche im Friihlinge von dem schöpferischen und zauberischen 
Geiste der Berge und Wälder ausgeht und in der jungfräulichen 
Erde den Trieb zu allem Wachsthum erweckt/^ AusPlutarch 
(Quaest. Rom. 20) ist zu schlicssen, dass der besprochene 
Ritus bei der in der Nacht vom 3 — 4. Deceraber in dem 
Hause des Staatsoberhauptes stattfindenden Frauenfeier nur 
einen Tag vor dem winterlichen Faunusfeste 
(5. Dez.) 2 statt hatte. Ob dieselbe Ceremonie an dem 
anderen Feiertage der Bona Dea, am 1. Mai, sich wieder- 
holte, bleibt ungewiss, die griechischen Namen Damium 
für das geheime Opfer zu Ehren der Bona dea, Damia für 
die Göttin und Damiatrix für die Priesterin (Paulus Diac. 68) 
weisen übrigens auf Gebräuche eines Demeterfestes als Bei- 
mischung oder Grundlage des Cultus der Bona Dea. 



b. Ruthenschläge an Demeterfesten. 

Hesych. III 121 bewahrt die Nachricht, dass an einem 
Demeterfeste die Festgenossen einander mit einem Geflecht 
aus Bast oder Baumrinde schlugen. 'Mogortov ' h (fXom 
n\iyf,iüL riy w STvntov dXXrjXovq roig ^f]iLif]Tgloig, Was für ein 
Demeterföst dies war und wo es begangen wurde, ist nichi? 
mehr ersichtlich; doch verwandt scheint eine Ceremonie im 



1 Rom. Myth. 340. 

2 Ob etwa erst daher Faunus in den Cult der Bona Dea herein- 
gezogen, sie selbst mit Fauna identificirt wurde? 



DIE LÜPERCALIEN. 121 

Culte der eleusinischen Demeter zu Pheneos in Arkadien. 
Hier war in einem runden Aufsatz auf dem Petroma d. h. 
der aus zwei grossen Steinplatten bestehenden heiligen Lade, in 
der das Jahr hindurch der heilige Codex der Mysterienordnung 
verwahrt wurde, auch eine Maske der Demeter Kidaria 
(Epitheton von niiagig Haube, königliche Kopfbinde, priester- 
licher Kopfschmuck hergenommen) verschlossen. Diese Maske 
legte der Priester bei der Feier der grossen Mysterien an 
und schlug dann, in der Bolle der Göttin handelnd, 
die Menschen (oder die Erde) mit Gerten.^ Es kann 
doch kaum zweifelhaft sein, dass dieser Act Fruchtbarkeit 
des Ackers wie des Menschen zu bewirken bestimmt war. 
Wenn die Lesart, welche den Schlag auf die Erde fallen lässt, 
die richtige sein sollte, so stellt sich dazu ganz genau der 
hebräische Erntebrauch des Laubhüttenfestes, mit dem Zweig- 
bündel auf die Erde zu schlagen (vergl. BK. 283). 



c. Die Caprotinischen Nonen. 

Gegenseitiges Schlagen, wie an den von Hesych er- 
wähnten Demetrien begegnet uns in Rom am 7. Juli bei der 
Feier der caprotinischen Nonen, welche — wie Schwegler 
sagte **^ — als Fest weiblicher Fruchtbarkeit, die durch Rei- 
nigung von Befleckung und Abwendung verderblicher Ein- 
flüsse erreicht werden sollte, nach Sinn und Abzweckung den 
Luperealien auf das nächste verwandt wären'. Die Frauen 
und Mägde Roms zogen an jenem Tage in Schaaren und 
mit fluchtähnlicher Eile zum Ziegensumpfe auf dem Mars- 
felde hinaus und brachten hier unter einem wilden Feigen- 
baum (caprificus) Opfer dar, wozu sie sich statt der Milch 
des Baumsaftes bedienten. Dann lagerten sie sich zum 



* Pausan. VIII 15, 3: Kai } jrC9-tj.ua sn avTtp ntQKpf^f'g sanv, f^ov 
fVTos ^Jjj/u^TQOs TiQoaianov KiSuQtag» rovro o leQfvg ntQi&f'/utvog t6 /rgoaunov 
fv Tfi fifCi^ovi xaXov/dfvij TfieTtj ^nßSovg xard Xoyov S tj riva rov^ 
sm^^d-oytov; (Var. v/iox^orCoug) naitt,' 

» Rgm. Gesch, I 532, 533. 



122 KAPITEL m. 

Schmause, von den Aesten des Feigenbaumes beschattet. Die 
Mägde, bräutlich geschmückt, gingen mit allerlei Neckreden 
um die entgegen Kommenden herum, dann schlugen sie 
sich gegenseitig und warfen sich mit Steinen.^ Diese 
Gebräuche geschahen zu Ehren der Tutula (Tutela oder 
Philotis) , der ätiologischen Sage nach einer Magd dieses 
Namens, welche mit anderen Sklavinnen in Festkleidung dem 
drängenden Feinde ausgeliefert diesen (eine andere Judith) 
durch Wein und Liebeslust bethört und dann im Rausche 
den Römern verrathen hatte. Tutula ist die einfache Form 
von Tutulina oder Tutilina, wie die römische Göttin hiess, 
welche dem Einfahren und Einheimsen des geschnittenen Ge- 
treides vorstand, '-^ und der 7. Juli war zugleich der Tag für 
das erste der beiden dem Consus d. h. dem Gotte der Prucht- 
bergung im Circus begangenen Erntefeste. Mithin war das 
Fest der caprotinischen Nonen ein später pragmatisch in ein 
geschichtliches Erinnerungsfest umgedeutetes Erntefest, aus 
dessen Wesen auch floss, dass die Mägde einen Feiertag 
hatten, sich vor dem Thore auf den Stoppelfeldern vergnügten. 
Die Verspottung der Vorübergehenden ist ein weit ver- 
breiteter Erntebrauch, (o. S. 32 ff.), ebenso das Steinwerfen 
(s. unten); auch das Schlagen muss eine dazu gehörige 
Sitte gewesen sein, welche wahrscheinlich gleichzeitig auf die 
Idee vegetabilischer und menschlich-weiblicher Fruchtbarkeit 
sich bezog. Denn dies scheint der Grund, weshalb man auch 
hier wie bei den Luperealien die Ehegöttin Juno hereinzog, 
von der wir übrigens wissen, dass ihr an den Nonen des Juni 
auch sonst in Latium unter einem wilden Feigenbaum (capri- 



* Plut. Rom. 29, B : jit Sh ^f^anaivCSsg aysC^ovat nefiuovaai xai naC- 
Cowaiy, flra nXrjYalq xa\ ßoXalg XOtav ^^äivjai nQog aXXyjXaq* 
Plut. Cara. 33, 6: "Eneira xexoojutjjueym XajunQiSg at ^e^anaiviSe; nfQuaat, 
natiovtiat Skx axw/u/uartoy flg rovg anavxwvTa;. rivtrat. Sh x at f*^X^ 
T ig avTcclg TT QO g a XXtj Xag. 

* Tertullian. de spectac. 8 vom Circus: Oolumoas Sessias (1. Seias) a 
sementationibus, Messias a messibus, Tutulinas a tutelis fructüiun 
sustinent. Augustio. de 0. D. IV 8: Frumeotis vero collectis atque re- 
conditis, ut tute servarentur, deam Tiitilinam praeposuerunt. 



DIE LUPFRCALIEN. 123 

ficus) und mit Anwendung einer Ruthe desselben gottesdienst- 
liche Gebräuche von den "Weibern verrichtet wurden, * woher 
sie Juno caprotina genannt war.^ 



d. Pan mit Meerzwiebeln gepeitscht. 

Wie Fauna oder ihre Repräsentantinnen mit Myrthen, 
wurde Pan mit Meerzwiebeln geschlagen. An einem be- 
stimmten Feste, aber auch ausser der 2ieit jedesmal dann, 
wenn die Jagd unergiebig war, peitschten die Arkader 
Paus Bild mit Meerzwiebeln,^ Dieser Brauch ist 
weder mit Härtung als ein Zeichen geringer Achtung^ auf- 
zufassen, noch mit Stark^ nach den Scholien als eine Demon- 
stration gegen den Geiz der Choragen und die Ungunst des 
Gottes, aber auch nicht mit Welcker^ als Analogen zur Be- 
strafung der Madonna durch den spanischen Bauer oder des 
Fetisch durch den Neger, wenn ihm die Jagd nichts einge- 
tragen. Die Meerzwiebel ,(<^^^'^^«) g^lt den Alten als ein 
vorzügliches Mittel, um unreine und schädliche Mächte zu 
vertreiben: zu diesem Zwecke hängte man sie an der Thür- 



1 Varro de L. L. YI 18. Preller Köm. Myth. 256. 

' caprotious von oaprotuB aus caper, vrie aejj^rotus aus aeger, 
Zs. f. vgl. 8pr. XVI 112. 

• Theoor. VII 108: Kj^v /übt ravT* t^Sfit^ co Ilav ^CXe, fivj tC tv 
naiSeg ^Ji^xaSixot axiXZaiaiv vno nXevqnq re xai eS/uovg ravCxa /aaarCaSoifv, 
ore XQea tvt^o nageir^, — Dazu Schol. ed. Kiesling 8. 919: ^Eo^rtj tpaair hreleiTo 
er Ttj ^jiqxaSiif^ fv tj ot TraiSeg rov Ilava axClXa^g eivnrovt ort ol /o^i^/ot 
XcTCToy Uqtiov ^9'vovy xdi /uij Ixavov roig ea&£ouavv, ^AXXtag ' ot ui^xaSeg in"! 
&rj^€tv iliovTBg^ el /u'ey tv^tj^Cag ^Tv^or, IrC/uiav rov Uava ' tl Se rovrarrtov^ 
axiZZatg elg avrov na^torour , na^oaov taqitav rrjg ^tjqag fmaraTH» Movvarog 
Si ifffjatv foqrvjv jlqxaSix tjv tivai^ iv ij ot üaCovfg rov Uava 
axiXXaig ßaXXovai, Xloi Sfy örav ot '/^oqrjyov Xenrov teqstov ^i/aoxrt, xat, 
fitj txavov jj roig fO&Covai. ^t,o (ptjai • xq^a rtrr&a naqeif}» 

♦ Gr. Myth. U 199. 

^ Bei Hermann Qottesd. Altertb.2 § 51, 41. 
« Gr. Götterlehre H 662. 



124 KAPITEL in. 

schwelle auf, ^ räucherte mit ihnen bei Lustrationen^ oder 
trug sie umher. ^ Durch die Schläge mit dieser Pflanze 
sollte der jetzt gleichsam besessene (verzauberte) Gott, der 
sonst Nahrungsfülle aller Art an Weide und Wild verlieh, 
von den schädlichen Mächten und Einflüssen der Unfrucht- 
barkeit durch Vertreibung derselben befreit und activ in 
den Stand gesetzt werden, künftig mehr und besser zu 
produciren. 



e. Austreibung des Pharmakos an den 

Thargelien. 

Ein Analogen dieser den Misswachs austreibenden 
Schläge treffen wir bei dem Erntefeste der Thargelien dem 
Pharmakos ertheilt. Die merkwürdige Uebereinstimmung 
mit einem deutschen Brauche, welche sich weiterhin heraus- 
stellen wird, möge ein etwas ausführlicheres Eingehen auf 
diese Sache rechtfertigen. Wir lernen die griechische Sitte 
aus verschiedenen localen Formen kennen. 

a) Der alexandrinische Grammatiker Harpokration (Anf. 
d. 2. Jh. n. Chr.) berichtet nach älteren Quellen, dass man 
ehedem in Athen am Erntefeste der Thargelien zwei 
Männer hinausführte als Reinigungs Werkzeuge (xa^aocrm) 
für die Stadt, einen für die Männer, den anderen für die 
Weiber. Man nannte sie (paQ/ncbcol.^ Eine Bewahrheitung 
dieser Notiz scheint die Aeusserung des Diogenes Laertios 
(II 5,23) zu gewähren: QagyfjXiwvog sy.Trj, ots y.ad-aigovaiv I4&7j' 



1 Plin. H. N. XX 9, 39: Pythagoras scillam in limine quoque 
ianuae suspensam raalorum medicamentorum introitum pellere tradit. 
Vergl. Diosoorides de ra. in. II 202: ejTi Je xa\ aXelKpdqfiaxoy oXtj nqo 
rtav S-UQioy xQejuajufVfj, 

2 Luoian. Necyom. 7: /dt^Sioiq xa\ axlXXfj nsqu^Yviat, Hermann 
Gottesd. Alterth.2 § 23, 12. 

' In Thcophrasts Charakteren reinigt sich der Abergläubige 
durch Umtragen einer Meerzwiebel. 

♦ Harpokrat. S. y.gfa^^axogl ^vo avS^ag uiS-fjvtiOir ii^^yovi xa&uQOux 
eaojufvovs Ttjg noXfwg^ er rolg SaQytjXCoig^ %va juihv vn'e^ röir avSqiav^ 
%va Se vntQ rtav yvvaixtov. 



DIE LUPERCALIEN. 125 

vuioi T^v noUv, Was man mit den beiden Männern vor- 
nahm, wird nicht gesagt. 

ß) Wie aus dem Verfolg des Harpokrationischen Textes 
hervorgeht, wurde der Brauch auch an anderen Orten am 
Erntefeste geübt. Harpokration, und ihm nachsprechend 
Suidas^ fuhrt nämlich aus dem ersten Buche des Istros 
(3. Jh. V. Chr.) über die Epiphanien des Apollo die Erzäh- 
lung an, ein gewisser Pharmakos habe die heiligen Schalen 
des Apollo gestohlen, sei vom Gefolge des Achilleus ergriffen 
und gesteinigt worden, und davon sei der Ritus in den 
Thargelien eine Nachahmung.^ Die Logende kennzeichnet 
sich sofort als pragmatisirende Erfindung, mithin muss ihr 
Ursprung und der Brauch, den sie erklären sollte, in einer 
Landschaft gesucht werden, die im Leben des Achilleus eine 
Rolle spielte (Thessalien, Skyros u. s. w.)^, und zwar endigte 
in dieser Gegend die Hinausführung des Pharmakos — denn 
es scheint hier nur einer gewesen zu sein — damit, dass er 
mit Steinen beworfen wurde. Dass Harpokration 
hier nicht ungehörig die Thargelien eingemischt hat^ ergibt 
sich aus der Legende selbst, da nur ein apollinisches Fest 
dazu Veranlassung geben konnte als Object des Diebstahls 
heilige Schalen des Gottes zu nennen. 

y) Ausser der jährlichen Feier am Erntefeste fand die 
Pharmakenprocession statt, so oft Hunger, Seuche oder 
ein grosser sittlicher Schade die Stadt oder den Staat heim- 
suchte, um den Ort vom Krankheitsstoffe zu befreien. Auch 
dafür haben wir aus Athen Zeugnisse. Nach Helladius hielt 
man bei solcher Gelegenheit einen Umgang mit zweien 
Menschen, von denen der eine die Männer, der andere 
die Frauen vertrat. Ersterer trug einen Kranz von 
schwarzen Feigen um den Hals, letzterer einen 
solchen von weissen. Man nannte diese li&yitQ avßu%yot 



* Harpokration a. a. O: 'Ort Se Svo/ua xvqiov lanv o 4^aQuax6;^ 
ifQag Sh (piaXai rov l/inoXitoyog xZf'yjas, xai aXou^ vno rcav TrfQi rov ui^dXt'u 
xareXfvaS'tjt xai ra roTg QaQyrjXioig ayoufva rovriav ano/mfjtjfiaTCt lariv^ ^/atQog 
fy TT^taTfp Tiav uinoXXwvog hrupaveitov fiQtjxey* 

' Yergl. A. Mommsen Heortologie S. 421 Anm : 'Da Achill der 
Entdecker ist, so bezieht sich die Legende nicht auf Athen'. 



126 KAPITBL m. 

(Yar. avfißax/ot). Der Brauch hatte die Absieht pestartige 
Krankheiten abzuwehren und kam auf in Folge der Ermor- 
dung des Kreters Androgeos, der eine pestartige Seuche 
folgte.^ — Sowohl Aristophanes als Lysias spielen auf diese 
Sitte als auf eine vergangene aber noch wohlbekannte an. 
Man nahm Yorbrecher oder die allerverächtlichsten Menschen 
dazu und begleitete den Pharmakos mit Yerwünschungen.^ 
Die Scholienlitteratur bewahrt noch verschiedene andere 
Notizen, die sich theils auf Athen, theils auf andere Städte 
beziehen. Wir lernen daraus, dass auch bei grosser 
Dürre und Misswachs der Brauch geübt wurde, 
dass man die Pharmakon schliesslich tödtete, und dass 
man ganz verarmte und von der Natur vernachlässigte, zu 
allem anderen unbrauchbare Personen (Idioten), die auf 
öffentliche Kosten ernährt wurden d. h. doch wohl als Armen- 
häusler dem Gemeinwesen zur Last fielen, dazu ersehen 
hatte. ^ Der Pharmakos war mit einem eigenthümlichen 
Ausputz versehen* (vergl. die Peigenschnur). An manchen. 



« Helladius bei Phot. Bibl. c. 279, 8. 534 : "Ort ?»os ^r h U^^rm; 

gMQjuaxovg ayav ffvoi ror juey vnSQ avS^uiv^ tov Sf vnsQ yuyauetav, tiqo; tov 
xad^aqßjoy ayofikvovi • nai o /uhy Ttar avSq^y /ufXaCvaq la^aSag rreoi tov T^^rjXov 
tlx^i Xfvxag S are^ogf avßax^oi S4 ^ijatv (oyo^a^oyro * t6 Se »aS'ciqaiov rovro 
XoiUiXviV voatoy anoTQoniaajuot tjv ^ laßov rrjv a^X^^ *^' l/iyS^oytfO tov 
KqfjTog^ ou Tt&ytjxoTog ev Talg ji^tjVMg na^yo/utog Tijy Xoifuxijy tvoatjaav ol 
lÄS^fjvaioi, voaoy^ xai IxottTH to sS'og ati xaS-aC^eiy Ttjv noXiv ToTg ipa^/uaxoh. 

' Aristo ph. Ran. 731 ff. : xa\ novvjqdtg xax novtjqäv ilg anavTa XQ(^/uf9a 
VfJTaTo^g atpiy/uiyoiaiv, oioiv rj noXig nqo tov ovSf (paq/uaxolmv flxjj QuSito; 
f/^jyfTorr' er. Lys. orat. 6, 54: Nvy o()y x^tj vojuC^hv ti jutaqovfii'vovg xni 
anaXXaTTOjut'youg ldySox0ov Tijy noXiv xaB'a^qtiv xat anoSiono/tneTa^at xai 
^aq/aaxov anonifiTxtiy xai aXtTtjq^ov anaXXaTTeaS'aty tag l?v TovToey ovTog FtfTir* 

' Scnol. ZU Arist. Ran. 730: <paq/naxoXai^ xaS'aQjuaat,* Tovg ydq pavXov; 
xai naqa Trjg tpvatiag' fniftovXtvofiBVovg €lg anaXXayrjy a v ^ fi o v ^ Xi /i ov ^ 
Tivo; Twv Toiovrcay s9-uov^ ovg fxdXovy xaS^dqjuaTa. Schol. ZU Arist. Equit. 1136 1 
/Jtj/noaCovg Sh Tovg Xfyo/u^yovg gnxq/uaxovg^ o%n€q xa&a£Qovai Tag noXng tk 
favTujy (poytp* ^ Tovg Srj/noaCa xa\ vno Ttjg noXeiag Tqttpo/nivovg ' J^Tqiffov 
yaq Tiyag jl$-ijvaioi Xiav aytyytig xai dxqtjOTOvg xai er xaiq^ avjuqtoqag Tivoi 
fjteX^ovaijg t^ noXei^ Xoi/uov XJyta ij toiovtou Ttrog^ f9'wyy TovTovg %vexa tov 
xaS'aq&tjvai, tov /uiaa/uarog^ ovg xok enwro/ua^oy xa&aq/uaTa, 

^ Suidas 8. y. xaS-aq/ual *Yntq Si xaS'aqfiov nohtag avjiqovv Ioto- 
XiOfiivoy Tiyuf or fxdXour xa&aqfia* 



DIE LVPBBCAUEK. 127 

Orten gab es nur einen Pharmakos, an anderen det*en zwei, 
und zwar einen Mann und ein Weib, die man rings um 
die Stadt herumführte, wie die Luperci um die Stadt 
liefen. ^ 

J) Den kleinasiatischen Brauch aus der Gegend von 
Ephesus und Elazomenai lernen wir etwas ausführlicher aus 
den politischen Versen kennen, in welchen Tzetzes den 
Inhalt älterer Schollen zum Hipponax zusammengedrängt, 
und denen er einige Choliamben dieses alten um 550 v. Chr. 
blühenden Satyrikers selbst eingestreut hat. Die derb natura- 
listischen Schmähverse dieses Dichters entnehmen ihre Bilder 
und Vergleiche vielfach den realen Thatsachen des bürger- 
lichen und bäuerlichen Lebens und werden dadurch für die 
Eenntniss der Zustände seines entlegenen Zeitalters von un- 
schätzbarem Werthe. Aus diesen Quellen nun ergibt sich 
als jonische Sitte Folgendes. Auch hier fand der Brauch, 
wie es scheint, sowohl am Thargelienfeste statt, als 
auch wenn Seuche oder Hungersnoth hereinbrach; den miss- 
gestalteton Cretin führten sie zum Opfer hinaus.^ Vielleicht 
Hess man ihn vorher eine Zeit lang hungern, wenigstens er- 
wähnt eines der hipponaktischen Fragmente, in dem gleich 
darauf vom Pharmakos die Rede ist, 'dass er von Hunger 
dürr sei' {Xiiuil ysvfjrai '^f]Q6c)- Sobald die Ceremonie be- 
ginnen sollte, brachte man ihn auf den passenden Platz, 



1 Hesych. S. V. ^aQfiaxoCl ^f'aQ/uaxoi na&a^xyjqioi n t ^ixa^aiqovrfg 
ja; ndlfig^ artjQ xat yvvrj. 

« Tzetzes Chil. V 726 ff: 

O tpaojuaxog, ro xa9'aQ/ua^ roiovror tjv ro nuXai. 
*Av avjutpoQa xaHlaßt noXiv ^eo/urjv(a^ 
EXt ovv Xoiuo;, elrf Xijuo;, ftre xai ßXdßo; alXo^ 
T(ov navTtav ajuoQfporeqov ^yov tag nqog &vaCav, 
Elg xaS'aQjuor xai gfqQjuaxov ndXftag r^g vonooatjg» 

Yergl. ferner die weiterhin angefahrten Fragmente des Hipponax mit 
dem nachstehenden (37), welches bezeugt, dass der Dichter vom 
Pharmakos am Thargelienfeste gesprochen hatte : 

Ta^yijXiotatv fy^vror nqd ^^juctxov. 



128 KAPITEL III. 

dort reichte man ihm zu esseD, gab ihm mit der Hand (in 
den Mund?) Feigen, Gerstenbrod, Käse, auch gekochte 
Speisen. Dann begann das Treiben, am Zielpunct erwartete 
ihn eine schaulustige Menge. ^ Jetzt wurde er zu Boden 
geworfen und mit Meerzwiebeln, Zweigen der wilden 
Feige und anderen wild wachsenden Pflanzen 
siebenmal auf sein Zeugungsglied geschlagen. 
Die Feigenzweige hatten noch ihren Blätterschmuck {d^gia) 
und bildeten das Hauptstück der Schlagruthe.^ Denn die 
Weise, die man zur Flöte beim Hinausführen sang^ ofiPenbar 
schon da die Feigenruthen in der Hand haltend und mit 
ihnen schlagend, war xgaöirjg v6f.iog genannt und der <pagi^iax6c 
hiess überhaupt yigaörjoirtiq,^ Schliesslich wurde derselbe auf 



* Tzetzes a. a. 731: 

Hi TOTTov Sh rov TTOOfKpoQor nrtjnayrfi rijy 9-ucsCav 
TUQOV T€ SovTfi Ttj ^fQt Xix\ /ua^ttv xut In^aSai. 

Hippon. Frgm. 6. 7: 

/Ih S^avTOV tg tpaQjuaxov }jmotf}naa9^ai 
xcKPf] TraQtta^^tlv Ic^aSag Tf xai fia^av 
xat Tvqov^ oiov fod^Covöt tpaq/uaKol» 
Hesycb. 8. V. tpaQjuaxtj : (paq/jaxn tJX^^Q^i ^^ rjroCjuiti^ov roig xa9-atQovni Tai Tiöitt; 

2 Tzetzes a. a. 0. 733: 

fnTaxtg ya^ qan Caayj fq fXfXvov fg t6 n^og 
axiXXmg avxalq ayqCaig re xai äXloig r^v ay^wv. 
Hippon. Frgm. 4: 

IToXiv xaS'a^QHV xat xqdSijm ßaXXtaS^au 

Frgm. 5: 

BaXXovTfg fv Xfi/utort (var. ^fijutovi) xa\ ^aniLovTfg 
xqaSfiai xai axiXXtjaiv laanfQ tpaQuaxov, 

Frgm. 8: 

ITaXat yaq uvrov TTQoaSfj^ovrai ^aaxovTfg [hss. avTovg\ 
XQtxSag e^ovrec, tag ^j^ovai (paQucxoig' [hss. fj^oFTor;] 
Frgm. 9. U: 

uiifjtp yfvtjTai l*]qog^ ^v 3e t to & v ju a 
^aQjuaxog u/9'Hg enraxi; ^amaS'ftr], 
tag ol ftfv ayf'i BovnaXtp xurt^qtjrTo. 

Vergl. Anecd. Oxon. III 8. 366: &uju6g t6 ao^ev al'Jolov. Wir brauchen 
dafür ähnlich den Euphemismus ^Lebon'. 

' Hesycb, S. V. XQoSCtjg vojuog : vdjuov Tiva fnauXovai roig ixnfitnofj^i^ig 
tpaqjuaxoTc, xoaSaig xai d'^Coig fni^aßSi^o/ufvoig, 9. V. x^S>i<f(Tvjg \ xqaSvjaCiijg^ 
qfuQjuaxog o raig xQaSaig ßaXXo/uevog* 



DIE LUPEROALIEN. ' 129 

einem Scheiterhaufen von Waldhölzern verbrannt und seine 
Asche ins Meer gestreut. ^ 

e) Dem jonischen Brauche reihe sich endlich der doch 
wohl aus der phokäischen Heimath mitgebrachte von Massilia 
an. In heiligen Gewändern und mit Blättern und Baum- 
zweigen geschmückt wurde hier nach eiuer Pest ein Armer, 
der ein ganzes Jahr auf öffentliche Kosten gelebt hatte, unter 
dem Wunsch, dass auf ihn die Uebel der Stadt fallen möchten, 
zum Thore hinaus getrieben. 

Ueberschauen wir diese Bräuche im Zusammenhang, so 
dürfte soviel klar sein. Die jährliche Entsendung eines 
Pharmakos am Erntefeste der Thargelien, dem sechsten 
Tage des Monats Thargelion, der unserem Mai entspricht, 
und die ausserordentliche bei Pest, Hunger oder Miss- 
wachs gehören genau so zusammen wie bei uns die jährliche 
Entzündung der Sonnwendfeuer (BK. 500 — 518) und die ausser- 
gewöhnliche des Nothfeuers (BK. 518>-521). In beiden Fällen 
bedeutet die Hinausführung des Pharmakos aus der Ortschaft 
einerseits die Austreibung des Dämons der Unfruchtbarkeit 
(des Misswachses, der Krankheit), der entweder durch den 
Hinausgeführten dargestellt oder demselben gleichsam auf- 
gepackt gedacht ist, und damit andererseits zugleich die 
positive Erzeugung von WachsthumsfüUe, Gedeihen, Gesund- 
heit. Das zeigt recht klar die Analogie eines noch zur Zeit 
Plutarchs in dessen Vaterstadt Chaeronea geübten Brauches. 
Verbunden mit einem Opfer, das im Rathhause auf dem 
Staatsherde vom Archen, in jedem Bürgerhause vom Familien- 
vater dargebracht wurde, schlug man einen Sklaven mit Stäben 
von Keuschlamm (agnus castus) und trieb ihn zur Thür hinaus 
mit den Worten ^Hinaus Hungersnoth (oder Dämon des 



* Tzetzes a. a. O. 735: 

T^'Xo; nvqi xaTf'xator iv lülotg To7g ayQ^oi? 

xixi 7 0V auodov fi; &uXacsoav hoqaivov H; ayf'juov?» 

> Petron. fragm. I: Massilienses quotiens pestilentia laborabant, 
UDUS se ex pauperibus oiTerebat nlendas anno integro publicis sumptibua 
et purioribus cibis : hie postea ornatus verbenis et vestibus sacris 
circninduoebatur per totara civitatem cum execrationibus, 
ut in ipsum reciderent mala totius civitatis, et sie praecipitabatur. 
QF. LI. 9 



130 KAPITEL lU. 

Hungers, Bulimos), herein KahrungsfüUe (oder Dämon des 
Getreidesegens, Plutos) und Gesundheit (oder Göttin der Ge- 
sundheit, Hygieia). Das nannte man Hungeraustreiben. ^ Da 
sowohl der Gegensatz zur Hungersnoth in diesem Gebrauche 
als die sonst im Cultus bewahrte ursprüngliche Bedeutung 
von nXovToc, es gewiss machen, dass unter letzterem Worte 
der Kornsegen zu verstehen ist, werden wir annehmen dürfen, 
dass der in Kode stehende Ritus auch entweder am Ernte- 
feste oder übertragen im ersten Frühjahr mit Bezug auf die 
künftige Ernte dargebracht wurde. In oder mit dem Hinaus- 
getriebenen also wurde der Geist der Unfruchtbarkeit (Krank- 
heit u. s. w.) ausgewiesen 2, geradeso wie im nord- 
europäischen Brauche (BK. 22—23) die Krankheitsgeister in 
den Wald, die Steinbrüche, das Wasser verwiesen werden. 
Zugleich aber ward derselbe mit den dämonenvertreibenden 
Pflanzen Meerzwiebel (o. 8. 128), Peige^ oder Keuschlamm ^ 
auf die Seiten, ja sogar die Pudenda geschlagen, um die 
Fortzeugung und Weiterverbreitung des Uebels zu verhindern. 
Auch die Verbrennung und Steinigung dienten dem- 
selben Zwecke der Vernichtung des bösen Geistes. Wenn 
aber in der That die Hinausführung des Pharmakos beim 
Erntefest und bei besonders gefahrbringenden Fällen von Miss- 
wachs oder Seuche zusammengehören, wird der Ritus beide Male 
ursprünglich derselbe gewesen sein; es haben die später nur 
bei jenen ausserordentlichen Gelegenheiten aus vermeintlich 
dringlicher Nothwendigkeit vom Triebe der Selbsterhaltung 



* Plut. Sympos. VI 8» 1 : Quata tCs iari, nar^io;^ tJv o /ufv uQ^tav }m 
Ttjg xoivtjg iar^ag Soa, roiv d^aXXwv fxaaro; in oXxov ' xaXeTrai Sh BovX(/u ov 
i^s'Xaa ig* xai Ttoy olxsTcoy ^ra rvnroyTfg ayy^vflttj ^aßSoig Sia 
d'VQiov ^^fXavrovcTiv FmXeyovrfc j ^ß^to BovXiuov, eato Sh IIXoutov xai ^Yyietav. 
fßjo) f'hy BovXijuor ?nia fie IlXov^vyifiav. M. Haupt, Herrn. VI 259]. 

2 Man hatte für solche Hinwegschaffung der schädlichen Stoffe 
und Dämonen die technischen Ausdrücke anoSiono/umTad^ui, ^ dnoSio- 
no/intjaig, Hermann Gottesd. Alterth. ^ § 23, 25. 

s Bötticher Baumcultus der Hellenen S. 440. Vergl. Eustath. 
zu rj 116: avxtj fy xad'aQuoig» 

^ Das Eeuschlamm, eine Art Weide dem Steohdorn ähnlich 
sollte ebensowohl Schlangen als geschlechtliche Begierden vertreiben. 
(Aelian de nat. an. IX 26). 



DIE LÜPERCALIEN. 131 

und vom Egoismus aufrecht erhalteneu Bräuche der Steinigung 
oder Verbrennung oder beide vereint auch bei dem Thar^elien- 
fest bestanden, und die Umkränzung des Pharmakos mit 
grünem Gezweig sowohl wie die Schläge mit den Feigen- 
büschen werden wir ebenfalls mit Eecht dem alten Erntefeste 
zuweisen. In jüngerer Zeit war dann wahrscheinlich bei dem 
Erntefeste eine Milderung der alten Sitte eingetreten, welche 
die schlimmsten Eohheiten beseitigte oder doch durch sym- 
bolische Handlungen ersetzte. 

Erwägen wir aber die in Rede stehenden Bräuche noch 
einmal, so stossen Anzeichen auf, welche in sehr hohem 
Qrade wahrscheinlich machen, dass die angegebene Auffassung 
derselben nicht die ursprüngliche war, dass eine einmalige 
oder wiederholte Umdeutung ihres Inhalts, gleichsam eine 
Metempsychose derselben stattgefunden hatte. 

Ein Cultact, welcher einerseits mit der Fortsendung 
{dnoöionofinr^aig) des Pharmakos, andererseits mit der Hunger- 
austreibung in Chaeronea in Parallele steht, ist der hebräische 
Ritus des Yersöhnungsfestes , zwei Böcke einen für Jahve, 
den andern für Hazazel zu erlosen, und letzteren mit allen 
Sünden und Befleckungen der Gemeinde beladen in die Wüste 
hinauszutreiben. ^ Hier liegt, wie bereits Ewald ^, Bunsen^, 
Pfleiderer* u. A. erkannt haben, eine ethische Umdeutung 
einer vormosaischen Begehung im Sinne der Jahvereligion vor : 
Hazazel, von hazal weggehen abgeleitet, also dnono/nnaiog, 
wie auch die LXX übersetzen, sei ganz in Analogie der 
finsteren Geister der Dürre und Unreinheit in den Natur- 
religionen zu denken. Wenn aber Hazazel denjenigen aus- 
sagt, den man weit von sich weist, so war mit diesem Namen 
der die Uebel tragende Bock selbst bezeichnet, und die Port- 
sendung zum Hazazel hin' ist erst eine spätere Bildung ganz 
so, wie AWF. 170 die letzte Garbe, welche ursprünglich den 
Halmbock enthielt oder repräsentirte , für den Bock stehen 



< 3 Mos. 16. 

« Alterth. d. Volkes Israel» S. 402. 
s Die Bibel I 198. 

* Die Religion, ihr Wesen und ihre Geschichte II S. 298. 

9* 



132 KAPITEL m. 

blieb. Es lässt sich aber daraus abnehmen, dass ursprüng- 
lich der Bock den Dämon des Misswachses, der Krankheit 
u. 8. w. selbst bedeutete, ehe er in die Gestalten des mit 
Uebeln beladenen Thiers und des in der Wüste befindlichen 
Geistes Hazazel auseinanderfiel, zugleich dass der für Jahve 
erloste andere Bock im Gegensatz den Dämon der Gesund- 
heit und WachsthumsfüUe bedeutete. Während der erstere 
als eine theriomorphe Variante dem ausgetriebenen anthro- 
pomorphen Pharmakos und dem Sklaven des Chäronenser 
Brauches entspricht, fasst der zweite die in Haus und Stadt 
hereingerufenen Segensgötter Plutos und Hygieia ebenfalls 
in sichtbarer Verkörperung durch eine mythische Gestalt 
zusammen. Und wenn auch im Mosaismus aus einander gerissen 
und um 5 Tage von einander getrennt, haben das Versöhnungs- 
fest und das herbstliche Erntefest (Laubhüttenfest) — wie eben- 
falls Pfleiderer bereits erkannte* — einst als Vorfeier und 
Feier oder vielmehr als zwei Acte eines und desselben Festes 
zusammen gehört. Die griechischen Bräuche stellen nur den 
mit den Uebeln beladenen Averruncandus sichtlich dar und 
setzen mit dessen Austreibung und Vernichtung die Einkehr 
der Segensfülle als unmittelbare Folge voraus. Doch dürfen 
wir der hebräischen Analogie mit grösster Wahrscheinlichkeit 
dies entnehmen, dass auch bei den Griechen eine Auffassung 
vorausging, wonach der Pharmakos selbst den bösen Dämon 
darstellte. Dass er mit den Uebeln beladen wurde, macht 
den Eindruck einer schon rationalisirenden Deutung. Wenn 
er von Hause aus nur der Depositär der Uebel war, wie kam 
man dazu sein Zeugungsglied unschädlich zu machen? 

Der Pan, welcher in Arkadien mit Meerzwiebeln ge- 
schlagen wurde, war aber nicht der böse Geist, der vernichtet, 
sondern der Nahrungsgeber, der von den Dämonen der Un- 
fruchtbarkeit befreit werden sollte, die ihm gewissermassen 
schmarotzirend anhaften, wie die Krankheitsgeister dem Baume 
(BK. 12 — 26) oder dem durch die letzte Garbe dargestellten 
Getreidedämon (BK. 278). Wir werden unten beim Delischen 
Erntefest ein zweites Beispiel für dasselbe Verhältniss wahr- 



1 a. a. O. 297. 



DIB LUPERCALIBN. 133 

zunehmen Gelegenheit haben. Halten wir diese Formen des 
Brauches mit dem Pharmakosritus zusammen, beachten wir, 
dass anderswo — wie sich zeigen wird — im hellenischen 
Agrarcult die Steinigung, weit entfernt ein Symbol der Ver- 
nichtung SU sein, vielmehr ein Zauber war, um die Schwere 
der künftigen Halmfrüchte zu bewerkstelligen, ziehen wir 
endlich in Betracht, dass das Schlagen der Genitalien mit den 
Meerzwiebeln eher auf ein Austreiben der schadenden Mächte 
aus denselben, als auf eine Yernichtung hinweist: so wird 
die Frage berechtigt erscheinen, ob wir nicht in der Aus- 
treibung des Pharmakos die Umdeutung einer Herumführung 
des in der Ernte zum Vorschein kommenden Wachsthums- 
geistes, des Segenspenders, vor uns haben, welche eo ipso 
die Mächte der Unfruchtbarkeit und Krankheit verscheucht, 
wobei aber noch besonders symbolisch die Fortschreckung 
derselben durch den Schlag mit den zauberverjagenden 
Pflanzen zur Darstellung gebracht wurde. 

Eine derartige Umdeutung lässt sich an mancherlei 
Analogien beobachten. In Westfalen klopfen am St. Peters- 
tage (22. Febr.) der Schweinehirt oder die Knaben des Hauses 
mit Hämmern an alle Thürpfosten mit dem Kufe: 
'Heraus! Heraus, Sonnenvogel! (oder Sommervogel), 
heraus jede Maus, heraus alles Unglück aus diesem Haus!* 
'Heraus aus Schoppen, Scheuern, Kellern, Mauern!' Dem 
Sommervogel wird Haus und Hof, Land und Sand, Laub 
und Gras verboten: er soll in die Steinklippe gehen, darin 
zu sitzen, in die Steinkaule darin zu verfaulen, in den Klausen- 
stein und dort zerbrechen Hals und Bein. — Man vermeint 
damit den Winter zum Weichen zu bringen und für das 
künftige Jahr die Kröten, Schlangen und Molche aus Haus, 
Ställen und Gehöft, die 'Mollen von den Milchnäpfen zu ver- 
treiben, die am nämlichen Tage aufs Nest gesetzten Hühner 
vor schlechtem Eierlegen, die Kühe vor Krankheit zu be- 
wahren. Erfolgt die Austreibung des Sommervogels nicht, 
so machen alle genannten Uebel sich bemerkbar.^ Es ist 

1 Kuhn We8tf. Sag. II 119— 122 n. 366-374. Woeste Volks- 
überl. in der Grafschaft Mark S« 24. Montanus Die deutaohen Yolks- 
feste S. 21. 



134 KAPITEL m. 

nun klar, dass nach der jetzigen Auffassung dieser Brauch die 
Hinwegtreibung aller bösen (zum Theil in Thiergestalt gedachten) 
Geister des Winters und der Krankheit aus Haus und Hofstatt 
in die wüsten Steinbrüche (BK. 16. 22. 23) bedeutet, ebenso 
deutlich aber lehrt der Name Sonnenvogel, Sommer- 
vogel, dass die ursprüngliche Absicht dahin ging, denv\rährend 
des Winters in das Haus geflüchteten Genius des Sommers 
wieder ins Freie zu locken. Den sicheren Beweis dafür gewährt 
der einer ätiologischen Legende nach zur Erheiterung nach 
einer Pest eingeführte Brauch am Donnerstag vor Pastnacht 
zu Qrosselfingen in Hohenzollern-Hechingen. Auf einer hohen 
Stange am Rande der Brücke wird ein Nest mit einer leben- 
den Taube, dem Sommervogel angebracht, von den Masken 
des Pastnachtszuges (Butzen) umlagert und von Dienern mit 
langen Ruthen gegen Räuber vertheidigt, denen es 
dennoch endlich gelingt, den Vogel zu stehlen. Die Butzen 
und das Volk brechen in ein lautes Klagegeheul aus: 'Der 
Sommervogel ist gestohlen, jetzt wirds ja 
nimmer Sommer', bis die Diebe eingeholt sind und in 
den Dorfbrunnen geworfen' werden (Regenzauber). 
Die wiedereroberte und auf ihre Stelle gebrachte Taube aber 
erhält, nachdem in reimweisen Wechselreden festgestellt ist, 
dass dies der rechte und echte Sommervogel sei, durch 
den Narrenvogt feierlich die Preiheit. ^ Diesem Sommer- 
vogel oder Sonnenvogel, der, nachdem er von den Winter- 
dämonen geraubt war, frei in die Prühlingsnatur hinausfliegt, 
parallel läuft eine Gestalt des Vegetationsdämons, der in den 
Maitags- und Pfingstgebräuchen seinen Einzug ins Land hal- 
tende, in grünes Laub gehüllte Wasservogel. 

Noch ein anderes Beispiel von diametral entgegen- 
gesetzter Auffassung eines und desselben Brauches ist das 
folgende. 2 Die Aegypter pflegten nach Manetho in der Stadt 
Eileithyia an einem bestimmten Tage während der Hundstage 
rothköpfige Menschen zu verbrennen, welche man typhonische 
nannte^, offenbar Abbilder des bösen rothköpfigen Gottes 

1 Birlinger Volksthüml. a* Schwaben II 40 ff. 

2 [Vergl. hierzu AWF. 307. Haupt Zs. 22, 7 ff.]. 
» Plut. de Ib. et Osir, 73, Diod. I 88. 



DIE LÜPEBGALIEN. 135 

Typhon, des Aussenders der Gluthwinde und Vernichtere alles 
vegetativen Lebens. Das vergleicht sich also der Verbren- 
nung des Pharmakos nach der herrschenden Auffassung, wo- 
mit andererseits die andere ägyptische Sitte stimmt bei ver- 
derblichem Gluthwinde, der Seuchen und Misswachs im 
tiebermass herbeiführt, eines von den heiligen Thieren bei 
stiller Nacht heimlich herauszuführen und anfangs mit 
Drohungen zu schrecken, falls aber die Landplage anhält, 
gleichsam als Strafe für den bösen Geist zu schlachten.^ 
Auch der slavische Brauch bei dem zur Abwehr der Pest 
oder Viehseuche angestellten Pflugumziehen ein den Krank- 
heitsgeist darstellendes Thier (Hund, Katze, Hahn) ins Feuer 
zu werfen (BK. 562) kommt damit überein; nicht minder 
begegnet dieselbe Auffassung, wo die in unseren Sonnwend- 
feuern verbrannte Figur Tod, Hexe, Judas, Winter benannt 
ist (BK. 179. 497. 505. 522) oder wo man Holzreiser in die 
Flammen wirft mit dem Ausruf: *Das Unkraut ins Feuer, 
den Flachs aufs Feld!* (BK. 180). Wenn man dagegen bei 
den Syrern im Heiligthume der grossen Göttin zu Hierapolis 
genau entsprechend der Verbrennung des Maibaums im Sonn- 
wendfeuer (BK. 177 — 180) zu Frühlingsanfang lebendige 
Ziegen und Schafe und andere Hausthiere nebst Vögeln, 
Kleiderstoffen und goldenen und silbernen Gegenständen an 
Bäumen, die eigens zu diesem Zwecke anderswo abgehauen 
im Vorhofe des Tempels aufgerichtet waren, aufhing und 
dann nach feierlicher Procession der Heiligthümer aller selbst 
von fern her zum Feste herbeigeströmten Völkerschaften um 
die (gleich unserem Sommer BK. 157, Maibaum BK. 169 
und Erntemai BK. 202. 203. 208 geschmückten) Bäume 
Holzstösse aufschichtete und in Brand setzte, ^ so ist auch 
hier an der Identität mit dem Maifeuer, Osterfeuer, Johannis- 
feuer nicht zu zweifeln, zugleich aber gewiss, dass die an 
den Bäumen verbrannten Thiere ebenso wenig die schädlichen 
Mächte darstellen wie die ganz parallel an den Erntemai 
in Frankreich lebend oder todt gebundenen oder gehängten 



1 Plut. a. a. O. 

2 LuciaD. de Syria dea 49. 



136 KAPITEL UI. 

Abbilder des Yegetationsdämons Hahn, Taube u. s. w. (BE. 
206).* Wie im syrischen Kitas mehrere Bäume aufgerichtet 
werden statt des in Europa gewöhnlichen einen, wurden 



^ Ohne dass sich bei dem gegenwärtigen Stande der Forschung 
schon die Bedeutung der nachstehenden Bräuche präcise angeben 
Hesse — weshalb ich noch auf eine Erläuterung verzichte — ergeben 
sich dieselben als unzweifelhaft identische Begehungen in Aegypten, 
Griechenland und Nordeuropa. Die Einwohner von Eopto stürzten an 
einem gewissen Feste als Abbild des eselköpfigen Tjphon einen Esel 
von einer Höhe herab (Plut. de Is. et Os. 30), ein altsemitischer Brauch, 
von dem auch bei den Hebräern Spuren übrig sind (Movers Phönicier 
I 365). In Leukas wurde der Pharmakos nicht verbrannt, sondern an 
einem Apollofest von einer Felsspitze ins Meer gestürzt. Die Zeit 
hatte diese grausame Sitte längst gemildert, man verwandte dazu ver- 
urtheilte Verbrecher, band ihnen Federn unter und fing sie unten auf 
(Strabo X 2 p. 452). Hiermit vergleiche man nun die folgenden 
deutschen Sitten. Die Attendorner in Westfalen haben einer Katze 
Blasen unter die Füsse gebunden und sie vom Thurme heruntergestürzt, 
darum heissen sie Eattenfillers (Katzen seh in der), Kuhn, Westf. Sug. 
I 162. Die Bewohner des Dorfes Au im Aargau haben den Uebernaroen 
Katzen, weil sie ein solches Thier bei ihrem Kirchenbau vom Thurme warfen 
(Zs. f. d. Myth. II 239. Rochholz Schweizersagen a. d. Aargau II 289). 
In Wahrheit sind die Angaben ätiologische Sagen für die Gewohnheit 
jährlich an einem andern Tage oder bei der Kirchweih eine Katze 
vom Thurme zu werfen. Dies beweist die von Wolf Beitr. z. d. Myth. 
I 186 ausführlich belegte Sitte zu Ypern an Christi Himmel fahrts- 
tage oder an Mariae Himmelfahrt (15. August), dem Kirchweih- 
tage von Tpern — eine Zeit lang scheint es auch am dritten Mittwoch 
der Fastenzeit geschehen zu sein — von einem der höchsten Kirch- 
oder Festungsthürme drei oder mehrere lebendige Katzen herab zu 
werfen. Man nannte dies 'Katten smyten'. Bis z. J. 1785 wurde zu 
Kosel in Oberschlesien jährlich zu Jacobi (25. Juli), also zur Erntezeit 
ein Ziegenbock mit vergoldeten Hörnern und buntbebändert durch die 
Aeltesten der Fleischerzunft von einem Thurme der Stadtmauer unter 
dem Jubel der zuschauenden Yolksmasse in die Tiefe gestürzt und 
unten vollends abgestochen (Tiede Merkwürdigkeiten Schlesiens 1801 
S. 125). In der Oberpfalz stürzt man um Aegidi (1. Sept.) einen Bock 
lobend vom Dache (Schönwerth a. d. Oberpfalz I 343). Bei Jiöin 
(Böhmen) schmückt man zur Kirchweih den schönsten Bock oder Widder 
mit Kränzen und Bändern, nach dem Hochamt führt man ihn mit Musik 
ins Wirthshaus, dann stürzt man ihn vom Kirchthurm wegen guter 
Ernte im nächsten Jahr. Und so vielfach in Böhmen, Mähren, Ungarn. 
Oft ist der Bock mit Goldpapier geschmückt, oft auch wird er von 
einem Gerüste statt vom Kirchthum herabgestossen. 



DIE LÜPERCALIBN. 137 

z. B. in Delmenhorst zwei, zu Thann im Elsass sogar drei 
Maibäume verbrannt (BK. 178. 179), eine nur des Pompes 
halber beliebte Vervielfältigung. Parallel der Verbrennung 
des die dvpafug avl^ijTiHtj ausdrückenden Maibaums besitzen 
wir in der Mooskuh, dem Loupvert (AWF. 323 fif.), dem Erbsen- 
bär (BK. 499) u. 8. w., wie es scheint, sichere Belege dafür, 
dass die wirkliche Verbrennung gewisser Thiere oder die 
scheinbare als Thiere maskirter oder benannter Menschen die 
Passage des Wachsthumsgeistes durch die Gluth der Sonnen- 
hitze, und nicht die Vernichtung des schädlichen Dämons des 
Misswachses, der Seuche, der Dürre, des übermässigen Sonnen- 
brandes bedeutete, wobei immerhin noch die Frage offen 
bleiben mag, ob die im Osterfeuer und Johannisfeuer ver- 
brannten Katzen und Füchse die Kornkatzen (AWF. 1 72 ff.) und 
Kornfüchse (o. S. 108), oder vielmehr deren dämonische Gegen- 
sätze darstellten (vergl. BK. 515). Auch die durch die Sonn- 
wendfeuer und ISiothfeuer getriebenen Heerden, die durch 
dieselben in grosser Anzahl springenden Dorfleute, Braut- 
paare, die hindurch getragenen Kinder u. s. w. können nicht 
die schadenden Dämonen abbilden, sondern höchstens die 
Beinigung von den in sie eingedrungenen und eindringenden 
bösen zehrenden Geistern des Misswachses und der Krankheit 
durch Vernichtung derselben im Feuer zu bewirken suchen 
(BK. 608); aber verschiedene Gründe sprechen dafür, dass 
auch hier die Menschen und Thiere ursprünglich vielfach in 
Nachahmung der Wachsthumsgeister agirend gedacht worden 
seien (BK. 492. 516. 521 ff. 608). Die Betrachtung der 
hiermit und mit den römischen Palilien und Hirpi Sorani un- 
zweifelhaft identischen semitischen Bräuche in Phoenikien, 
Syrien, Moab, Rhodos, Kypern, Karthago, an einem bestimmten 
Tage des Jahres oder bei ausserordentlichen Unglücksfällen 
(Misswachs, Seuche, Kriegsnoth) Kinder (Säuglinge oder 
Epheben), zumal die einzigen Sprossen ihrer Eltern, zuweilen 
auch Erwachsene, dem El (Kronos) oder Moloch entweder 
lebend oder nach vorheriger Tödtung durch Hin- und Her- 
weben durch die Flammen zu verbrennen, oder in grösserer 
Schaar, Männer, Weiber und Kinder, über entzündete Scheiter- 
haufen zu springen und Säuglinge mit hindurch zu tragen, führt 



138 KAPITEL III. 

auf dasselbe Resultat. Es liegt im Gebiet des Cultus ein 
auch auf dem Felde der Dogmengeschichte wohl bekannter 
Vorgang, die Verschiebung eines fertigen und in der Form 
gewissermassen starr gewordenen Gedankenproductes durch 
mehrere Stufen anders gearteter Auffassungen vor, vielleicht 
könnten wir auch sagen, die Erfüllung des seiner ursprüng- 
lichen Seele beraubten Leibes gewisser Gebräuche mit einem 
neuen Geiste. Davon später. Aus diesen Thatsachen erhellt 
jedesfalls soviel mit Sicherheit : auch die Hinausführung des 
Pharmakos am Erntefeste und bei Landplagen kann die auch 
im Ritual ausgeprägte Umdeutung einer älteren Auffassung 
sein, wonach der Wachsthumsgeist in effigie herumgeführt^ 
durch Behang mit Feigen und durch das Schlagen mit den 
belaubten Feigengerten auf den übrigen Körper, mit den Meer- 
zwiebeln slg ro nsog von den wachsthumhindernden Mächten 
befreit und zur Herstellung der Gesundheit und zur Procreation 
im nächsten Jahre fähig gemacht werden sollte. 



f. Schläge an den Delien. 

Als modificirter Abkömmling einfacher Erntefestsitte 
ist auch der folgende an den delischen Thargelien (vergl. 
AWF. 233—237) geübte Brauch zu betrachten, der eine 
beachtenswerthe Analogie zum Schlagen des Panbildes mit 
Meerzwiebeln oder zu dem gegenseitigen Schlagen an den 
Demetrien bietet. Es erzählt nämlich der Scholiast zu Kalli- 
machos Hymn. in Del. 316 ff., man sei dabei um den 
Altar desApollon herumgelaufen und habe den- 
selben mit einer Geissei geschlagen. ^ Wenn nun 
aber Hesychs offenbar aus derselben Quelle wie die Notiz 
des Scholiasten stammende Darstellung behauptet,^ man 



* Ev /dr^Xta nfQt tov ßtauov tov uinoXXtarog eS^og ^v TQB^fir xai rvn<- 
reiv TOV ßojjuov rov AnoXlwvog fiaanyi* 

* /JrjXiaxoq ßw/Aog ' To TiFQirQS^etv xvxXta tov fv jJijly /Sta/uov xat 
TVTCTtad'ai, "jöjplaTo tovtov S^ofvg )^aqiTi Ttjq ano rov uiaßv^ivd'ov tpvy^i 
^TVTtrea&ai cod. Tvnieiv M. Schmidt]. 



DIE LUPERCALIEK. 139 

habe sieb gescblagen, so ist nicht mehr auszumachen, 
auf welcher Seite die Wahrheit liegt. Denn im Unklaren 
über diesen Punct lässt uns auch die Erzählung des Ealli- 
machos a. a. 0: 'Kein SchifF geht an Delos vorüber, ehe 
dass man sich um den Altar des Apollo unter Schlägen 
(vno nXrjyaiatv) springend gewunden und in den heiligen Stamm 
des Oelbaums bei zurückgewandten Händen eingebissen. 
Dies hat die Nymphe Delos zu Spiel und Scherz dem heran- 
wachsenden Apollo ersonnen/ Es ist sehr wohl denkbar, 
dass ursprünglich das Bild des Apollo, als des Erntegebers 
aus dem gleichen Grunde wie Pan geschlagen wurde, dass 
man aber hernach, weil diese Handlung zu unehrerbietig schien, 
den Brauch vom Qottesbilde auf den Altar übertrug. Die 
Schiffer, welche ausserhalb der Erntezeit dieselbe Ceremonie 
bei jedesmaliger Vorüberfahrt wiederholten, waren augen- 
scheinlich Eaufleute, auf gemeinen Gewinn bedachte Krämer, 
welche in Nachahmung des Erntebrauchs Handelssegen von 
dem Gotte gleichsam zu erpressen versuchten.^ Diese Ab- 
zweigung des Thargelienritus kann erst aufgekommen sein, 
seit das einst in keuscher Stille daliegende Delos eine Haupt- 
zwischenstation des Handels zwischen Athen und Kleinasien 
geworden war, wo die meisten Kauffahrteischiffe anlegten. 
Ebenso gut aber war es möglich, dass die Tanzenden wie bei 
den Demeterfesten sich gegenseitig schlugen. Was das Ein- 
beissen in den neben dem Apolloaltar stehenden Oelbaum, 
den Leto bei der Geburt umfasst haben soll, bedeute, weiss 
ich nicht, nur vermuthen kann ich, dass auch hier eine Ueber- 
tragung vom Gottesbilde auf den Baum vorliegt. Dann 
aber vergleicht sich wieder der o. S. 36 erwähnte französische 
Emtebrauch, in welchem der aus den letzten Halmen 
der Ernte hervorspringende Getreidedämon durch einen 
vorübergehenden Fremden vertreten wird. Bei Dieppe 
nämlich machen die Arbeiter Jagd auf die nicht zum Hofe 
gehörige Person, welche zufällig am Emtefelde vorübergeht, 



1 Yergl. Bötticher Baumcultus d. Hell. S. 115. Jahn zn Persius 
Bat. lY 47—49, der den metaphorischen Sinn von puteal flagellare 
ans ähnlichem Brauche erklärt. 



140 KAPITEL III. 

binden den Erhaschten in eine Garbe ein und 
beissen ihn in die Stirn. Man ruft ihm zu : Tu porteras 
la elef du champ.' Es liegt unserer Aufgabe fern vorzu- 
führen, wie das alte Erntefest der delischen Thargelien zu- 
nächst während der altjonischen Periode in das Geburtsfest 
ApoUons, sodann etwa zur Zeit des Kimon im Interesse der 
Athener in ein Erinnerungsfest an des Theseus sagenberühmten 
Zug nach Kreta umgedeutet worden ist, so dass nun auch 
der y^Qavog genannte, kunstvoll verschlungene Tanz, welcher 
an den Umlauf mit den oben erwähnten Schlägen sich an- 
schloss, für eine Nachahmung der Befreiung aus dem Labyrinth 
erklärt zu werden pflegte. ^ 

Eine kurze Rückschau auf die Ergebnisse unserer Zu- 
sammenstellungen zeigt uns bei verschiedenen agrarischen 
und besonders Erntefesten des Alterthums (Demetrien, Capro- 
tinischen Nonen, Thargelien u. s. w.) die Oeremonie des 
Schiagens mit grün belaubten Zweigen oder anderen Pflanzen 
(Myrthen, Feigenzweigen, Weidenzweigen, Meerzwiebeln, Peit- 
schen aus Baumrinde). Geschlagen wurden Götter oder 
Dämonen bezw. deren menschliche Darsteller (Fauna-Maia, 
Pan, Apollo, Pharmakos, Bulimos) und Menschen; Schläger 
waren ebenfalls Götter (Pannus, Demeter, Tutula-Tutulina) 
oder die Festfeiernden. Die Körpertheile , auf welche die 
Schläge trafen, werden gemeinhin nicht genauer bezeichnet, 
der Pharmakos ward elg t6 nioq geschlagen. Die Absicht 
des Brauches ging dahin, die Geister des Misswachses und 
der Krankheit auszutreiben und dadurch reichlichen Ertrag 
und Gesundheit hervorzurufen. 



g. Der Schlag im nordeuropäischen Brauche. 

Treffen nun schon diese Gebräuche mit dem Riemen- 
schlag der Luperci in der Meinung zusammen, dadurch die 
Seuche und Unfruchtbarkeit prophylaktisch zu entfernen, so 



1 Theophrast. bei Athen. X 424 f. Plut. Thes. 21. PoH. onom. 
IV 101. Hermann Gottesd. Alterth.'«* § 29, 17. 



DIE LUPERCALIEN. 141 

macht eine lange Reihe namentlich nordeuropäischer Be- 
gehungen die Sache noch weit klarer. Zuvor eine Analogie 
aus Peru. Am Pituafeste zurZeit desHerbstäquinoc- 
tiums wurden vor dem Erscheinen des neuen Mondlichts 
alle Götterbilder auf einen Platz gebracht, und das Volk 
geisselte sich mit dem Kufe, dass alles Böse 
fortgehen solle; zugleich wusch man sich in einem 
Flusse, um jegliches Uebel zu entfernen. Auch ass man 
Brod, das mit dem Blute der geopferten Lamas oder funf- 
bis sechsjähriger Rinder versetzt war oder rieb den Körper 
damit ein. ^ 

Im nordeuropäischen Volksbrauch kommen aber zu- 
nächst diejenigen Begehungen in Betracht, wonach die Dar- 
steller des anthropomorphisch oder theriomorphisch gedachton 
Wachsthumsgeistes entweder selbst mit einer Ruthe geschlagen 
werden oder die ihnen Begegnenden mit einer solchen peitschen. 
In der Grafschaft Teklenburg peitscht man den als Tfingst- 
blume' in Tannenreiser oder Pfriemenkraut gehüllten Burschen 
durchs Dorf (BK. 319), in Thüringen den in Tannen- und 
Birkenzweige gekleideten Pfingstschläfer (BK. 321), Bei 
Längenschwalbach (Nassau) treibt man am 2. Pfingsttag den 
mit Farrenkraut und Schotenklee bebundenen Schnak mit 
langen Ruthen durch den ganzen Ort, während er selbst 
einen dicken Knotenstock trägt (BK. 324). Mit Ruthen 
wurde das Regenmädchen in den Fluss gejagt (BK. 331). 
Der mit Adlerfarrnkraut bedeckte 'Ole i skrymta in Schweden 
trägt wieder den langen Stab (BK. 387) und der in Linden- 
laub versteckte Schossmeier schlägt mit langem Stecken 
um sich (BK. 441). Auch der böhmische mit Blumen, Baum- 
r.inde und Farrenkraut umwundene Maikönig trägt wieder 
statt des Scepters eine lange Hagedornruthe, wird aber 
selbst im Kreise herumgejagt (BK. 343), oder er führt ein 
belaubtes Bäumchen als Scepter, wird aus der Mailaube 



^ Desjardins le Perou avant la cooquete espagnole. Paris 1858. 
S. UH nach Ariaga Extirpacion de la idolatria de los Indios del Peru. 
Lima 16*21. J. Acosta Hist. natural y moral de las Indias. Sevilla 
1590 V 27. Rivero y Tschudi Anteguedades Peraanas. Viena 1851 
189. Waitz Anthropologie IV 465. 



142 KAPITEL lU. 

gejagt, verfolgt und eingefangen mit Haselruthen ge- 
peitscht (BK. 354). Der grüne Wolf im Johannisfest- 
brauch von Jumiäges schlägt mit einer grossen Ruthe 
und wird selbst gejagt (AWF. 324). Die Jul bocke, der 
Bullkater, also Darsteller theriomorphischer Vegetations- 
dämonen schlagen mit Ruthen, ebenso St. Kiklas, Knecht 
Ruprecht u. s. w. (AWF. 174. 187. 194). Vergl. auch BK, 
365 ff. 

Dass und wie die theriomorphen Wachsthurasgeister 
Schläge austheilend dargestellt wurden, will ich noch durch 
zwei weitere Beispiele erhärten, welche ihr Verständniss 
durch den im folgenden Kapitel 'das Octoberross* gelieferten 
Nachweis erhalten, dass die zum Maitag, bei der Ernte und 
zu Weihnachten auftretende Maske des Schimmels oder 
Schimmelreiters ebenfalls eine Yersinnlichung des Yegetations- 
dämons war. Zu Yardegötzen bei Jeinsen im Amte Calen- 
berg Pr. Hannover nämlich treten am ersten Pfingstfeier- 
tage folgende Masken auf: 1) der Hedemöpel, ein ganz mit 
Hede bewickelter Bauerbursch, vor dem Gesicht eine pappene 
Gesichtslarve mit von Ziegelmehl rothgeförbten Wangen, 
2) der Laubfrosch, an Leib und Gliedern von oben bis 
unten mit dicht belaubten Zweiglein und grünen 
Blättern bewickelt und mit einem mächtigen 
P hailos ausgerüstet, der aber in Gegenwart von Honora- 
tioren abgeschnallt wird. Beide kämpfen darum, wer 3) die 
Greitje, einen in abgetragene Frauenkleider gesteckten 
Kameraden zur Tänzerin haben soll, indes vier andere 
Bursche festlich gekleidet aber ohne Maske mit riesigen 
Peitschen von langer Schnur (Schwöppen) den seit Wochen 
schulgerecht eingeübten vierschlägigen Dreschertact klappen. 
Haben Hedemöpel (der Yer treter des Yegetationsalten vom 
vergangenen Jahre, BK. 428) und 'Looffr osch*, der Dar- 
steller des im Frühling wieder einziehenden Wachsthums- 
geistes mit ihren plumpen Füssen zum *ümmeklappen' 
den Tact stampfend, ihren Streit nach einiger Zeit mit dem 
Siege des letzteren, und der Yertreibung des ersteren be- 
endigt, so umarmt Laubfrosch die Greitje und tanzt zu all- 
gemeinem Jubel mit ihr unter Küssen und oft sehr indecenten 



DIE LUPERCAUEK. 143 

Pantomimen (vergl. BK. 424. 434). 4) Die vierte Maske 
des Aufzugs ist der 'Perekopp' (Pferdekopf). Ein Bauer- 
bursch hat einen grossen Vierscheffelsack vom Kopfe herab 
über den Körper gezogen, an beiden Seiten sind grosse 
Löcher, aus welchen die Arme frei hervorragen, doch so, 
dass er sie nach Belieben in den Sack zurückziehen kann. 
Ueber seinem Kopf ragt ein an den Sack befestigter wirk- 
licher, vom Schindanger geborgter Knochenpferdekopf 
ohne Unterkiefer hervor. An den Zähnen dieses Pferdekopfs 
ist ein gewaltiges, tief herabhängendes Bündel frischer Brenn- 
nesseln (urtica urens) befestigt. Im Sacke, in welchem Augen- 
löcher angebracht sind, hat der Bursche auch eine Stange, 
mit welcher er den über seinem Kopfe ruhenden Pferdekopf 
dirigirt; schiebt er die Stange aufwärts, so erhebt sich der 
Pferdekopf riesig und bedroht die Nahestehenden 
mit der Brennnessel. Während nun Looffroisch und 
Greitje (vergl. BK. 429) tanzen, mischt sich Perekopp unter 
die Zuschauer und sucht sie, zumal Frauen und Kinder, mit 
dem von seinen grässlichen Zähnen lang herabhangenden 
Nesselbusch ins Gesicht zu schlagen, indem er bei 
grösseren Leuten das Rosshaupt mit der unsichtbaren Stange 
in die Höhe hebt. ^ Dieser Brauch ist die locale Abwand- 
lung und Vervollständigung der von K. Seifart aus dem 
Hildesheimischen beschriebenen Sitte des 'Umklappen'. Fünf 
bis sechs Bursche führen den Laubkönig am zweiten 
Pfingsttage von Hof zu Hof, ganz mit jungen Birkenreisern 
umkleidet, so dass man nichts ausser den Füssen sieht, ge- 
krönt mit einem ungeheuren ihn bedeutend vergrössemden 
Kopfputz von Birkenzweigen; in der Hand führt er 
einen langen Hakenstock, mit dem er auf seinem 
Wege Kinder und Hunde zu fangen sucht. Die 
'Umklappers', mit langen Sträussen von Bauschgold und 
fla'tternden Bändern an den Hüten geschmückt, stellen sich 
mit langen Peitschen in kleiner Entfernung vom Bauerhause 
auf und klatschen tactmässig in genau beobachtetem Rhythmus. 
Dann betet der Vorklapper einen Reim, in dem er bittet dem 



^ Hannoversches Tageblatt, 2. Mai 1875. 



144 KAPITEL III. 

Könige Eier zu schenken, der vom Pfingstanger kommend 
in Jahr und Tag nichts gehabt habe. ^ In beiden Orten soll 
das 'Umklappen' unzweifelhaft die bösen Geister vertreiben; 
die Manipulation des Laubkönigs in Hildesheim war den 
vorhin angeführten Analogien zufolge ursprünglich ein 
Schlagen; es hatte sicher denselben Zweck, doch mag 
mehr die positive Seite des Brauchs, die Verleihung von 
Wachsthumskraft dadurch ausgedrückt sein. Im Brauch von 
Vardegötzen gesellt sich als zweiter Ausdruck derselben Idee 
dem Laubfrosch der Perekop (das Vegetationsross) zu, und 
überkommt dieser die Rolle des Schiagens allein. Denn dass 
der Darsteller des Vegetationsrosses auch wo er unabhängig 
auftrat, mit der Ruthe schlagend eingeführt wurde, lässt die 
nachstehende französische Ceremonie noch deutlich erkennen, 
wo der Widerspruch dieser Vorstellung mit der theriomorphen 
Gestalt in der Praxis freilich auf andere Weise, als in Varde- 
götzen, nämlich so ausgeglichen wird, dass dem Rosse 
zwei Männer mit der Ruthe voraufgingen. Indem 
Kirchspiel St. 8umine-de-Coutais (Loire inferieure, Bretagne) 
bewahrten die Kirchenvorsteher des alten Jahres ein höl- 
zernes Pferd (cheval Mallet), das so eingerichtet war, dass 
ein Mensch durch eine Oeffnung hineinschlüpfen und es in 
Bewegung setzen konnte. Am Sonntag vor Pfingsten holten 
die am Gründonnerstag nach alter Sitte ^ gewählten neuen 
Kirchenväter (marguilliers) es von seinem Aufbewahrungs- 
orte ab und trugen es zum Allerältesten (chez le plus 
ancien), begleitet von neun Verwandten oder Freunden in 
bunten pelzverbrämten und mit den Lilien des französischen 
und bretagnischen Wappens bestickten Dalmatiken. Der 
Träger des Rosses war ähnHch geschmückt, ihm vor- 
auf schritten zwei Gerichtsdiener, in der Hand eine blumen- 
umwundene Gerte (tenant chacun ä la main droite une hagueUe 
ornSe defleurs comme la verge sacrSe des Druidesjj hinter den 
Bütteln einer jener neun Begleiter mit einem fünf Fuss langen 



^ Seifart Sagen u. 8. w. aus Hildesheim. II 1860 S. 141. 
* F. Richelet nouveau dlctionnaire Frangois. Qen^?e 1710 8. v, 
marguiUier. 



DIE LUPERO ALIEN. 145 

Stabe an beiden Enden mit Eisen beschlagen.^ Hinter dem 
Bosse folgten zwei andere Personen, die während des ganzen 
Zuges mit Schwertern auf einander schlugen (ferraillaient), die 
Musik bestand aus dem Beste der neun Begleiter. Beim 
Allerältesten blieb das Pferd bis Pfingsten. Am Pfingstheilig- 
abend verfügten sich die Eirchenvorsteher mit den Gemeinde- 
bütteln in einen benachbarten Wald, hieben eine Eiche und 
brachten sie mit Musik auf den Platz vor der Kirche. Am 
Pfingsttag nach der ersten Messe holte die oben beschriebene 
Gesellschaft das Boss und brachte es in den Eirchenstuhl 
des Gutsherrn (Seigneur). Dann schritt man zur Aufrichtung 
des Maibaums. Nach der grossen Messe holte man das Boss 
auf den Platz und bewegte es tanzend dreimal um den 
Maibaum. Die Notablen speisten bei einem der Kirchen- 
väter. Nach der Vesper machte das Pferd wiederum neun- 
mal die Bunde um die Eiche und umfing sie zu dreien Malen. 
(Le cheval faisait encore neuf fois le tour du ebene, qu'il 
embrassait aussi ä trois reprises). Während dessen stimmte 
der Bätonnier ein in jedem Jahre neu verfertigtes Lied mit 
99 Couplets an, in welchem die Ereignisse und 
Skandalgeschichten der Gemeinde während des 
vergangenen Jahres durchgehechelt wurden. Das 
Original kam ins Gemeindearchiv, eine Abschrift in die 
chambre des comptes zu Nantes. Jetzt endlich trug man 
das Boss zu einem der Kirchenvorsteher, wo es bis zum 
nächsten Jahre verblieb. ^ 

Wenn die vorstehenden Gebräuche entweder das gött- 
liche Wesen mit der Schlagruthe ausgerüstet zeigen oder 
es selbst mit ihr geschlagen werden lassen , wenn die 
dem Maikönig und seiner Verwandtschaft ertheilten Schläge 
noch insbesondere an den vermuthlich auf Gebrauch beruhenden 
Mythus von der durch Faunus mit der Myrthe geschlagenen 



^ Das ist der B4tonnior, *celui, qui a en garde le b&ton d^une 
confrairie et qui le porte ou le suit aux processions.* Richelet s. v. 
bätonnier. Man sieht, er ist erst später zwischen Buthenträger und 
Boss eingeschoben. 

2 A. de Nore coutumes, mythes et traditions des provinces de 
Franee. Paris et Lyon 1846 S. 203 ff. 

QF. LI. 10 



146 KAPITEL m. 

Fauna-Mäia erinnera, so stellt sich dazu der aus Deutschland 
und Russland nachzuweisende Erntebrauch, die mit Frauen- 
kleidern als Kornmutter, also als der im Getreide wohnende 
Wachsthumsgeist, ausgeschmückte letzte Garbe mit einem 
Birkenquast zu schlagen, damit im nächsten Jahre die 
dem Gedeihen der Peldfrucht schädlichen Thiere vernichtet 
seien (BK. 277. 278). Hiermit aber stimmt wieder eine 
höchst merkwürdige Sitte, über welche uns das handschrift- 
liche Trotocollum criminale der Oldenburgischen Cantzley 1661 
fcl. 150' Auskunft gibt. Es heisst daselbst: Ike Borchers 
zur Ovelgunne, welcher als Vormeyer statt des 
Sohnes dem Vatter seine Virilia jedoch dem her- 
kommen und gewonheit nach, wan einer dem 
andern ins Spat (1. Schwat) mehet, derogestalt 
hart angegriffen und mit einem Strauch casti- 
giret, dass er nach ablauf vieler wochen todes 
verfahren, ist ad speciale mandatum Illustrissimi 
auff 5 Wochen nach dem Ellenser damb condem- 
niret' Den Hergang haben wir uns so zu denken. Das 
Erntefeld bezw. die zu mähende Wiese wird in eine Anzahl 
gleicher Stücke abgetheilt und jedes einem Mäher zur Be- 
arbeitung übergeben; alle arbeiten gleich schnell; wer zurück- 
bleibt, so dass sein Hintermann eher fertig wird und ihn nun 
überholt, ihm ins Schwad mäht, gilt als vom Korngeiste 
(Kornthier, Kornalten), der seine Beraubung nicht leiden 
will, geschwächt (gestossen, untergekriegt); man erkennt 
daraus die Stelle, wo letzterer sich aufhält, und identificirt 
weiterhin den schwachen Mäher, dem der Dämon unsichtbar 
sich anheftet, durch eine Art Metonymie mit diesem (vergl. 
0. S. 56). Ein alter Mann hatte aus Altersschwäche nicht 
Strich halten können, sein hinter ihm mähender Sohn hatte 
ihm ins Schwad gehauen und sollte nun dem Herkommen 
gemäss ihm als dem Yertreter des Dämons die 
Pudenda mit grünem Strauche schlagen. Da das 
die kindliche Ehrerbietung und Liebe nicht zuliess, war der 
Yormäher für ihn eingetreten und hatte das Amt zu ernsthaft 
verwaltet, so dass der Geschlagene nachhaltigen Schaden 
davon nahm. Die Schläge auf das Zeugungsglied des Korn- 



DIE LtJPERCALlEN. 147 

geistes, was konnten sie nach ursprünglicher Absicht anders 
bezwecken, als aus demselben alle XJebel, Krankheiten, Miss- 
wachs-Ursachen oder -Verursacher auszutreiben , ^ damit er 
zu neuer, reiner und gesunder Zeugung des nächstjährigen 
Pflanzenwuchses gerüstet sei P Mehrere Spuren machen wahr- 
scheinlich, dass es neben anderen eine Auffassung gab, 
wonach solche gleich nach der Ernte auf dem Acker vor 
sich ging. 2 Wem leuchtete nun nicht die nahe Verwandt- 



^ Dies war offenbar nach allen Analogien der Sinn der Begehung, 
nicht etwa die obscoene Absicht der Keizang, welche dem Brauche zu 
Grande liegt, durch welchen bei Petronius Oenothea dem Encolpius die 
verlorene Manneskraft wiederzugeben ('illud tarn rigidum reddidero 
quam cornu*) verspricht : 'nasturcii sucum cum habrotouo miscetperfusisqae 
inguinibus meis viridis urtioaefascemcomprehendit omniaque 
infra umbilicum ooepit lenta manu caedere/ Auch in neuerer Zeit 
suchten Wüstlinge die erstorbene Lust durch Schläge zu beleben: Jo. 
Picus de Mirandola(t 1496) erzählt Disput, in Astrol. 1. III c. XXVII 
von einem ihm bekannten Menschen prodigiosae libidinis, der 'saevientes 
ita piagas desiderat'. Andere Beispiele geben: Jo. Henr. Meibom de 
flagrorum usu in re Veneria et lumborum renumque officio. Liigd. 
Bat. 1643. Hieron. Brückner (f 1693) de divortio propter coitum 
flagris provocandum in 'Decisiones matrimoniales' c. 24. Gottl. Richter 
de medicina plagosa. Bezug auf den Brauch nimmt eine Satire auf 
gewisse Akademien der Wissenschaften: 'Dissertation sur Tusage de 
battre sa mattresse' in den Mömoires de l'Acad^mie k Troyes. T. II 
Paris 1746. 8^ S. 40— 145, davon eine deutsche Bearbeitung: 'Qebrauch 
der Alten ihre Geliebten zu schlagen. Berlin 1765' (Neuer Abdr. 
Stuttg. 1856). Oder wäre auch das von Petronius erwähnte Exercitium 
der von der Wollust missbrauchte Sprossling älterer Begehungen von 
der oben im Text beschriebenen Art gewesen? 

2 Vergl. o. S. 62 die Binderin 'bullt', das Brautlae:er auf dem 
Ackerfelde BK. 480 ff. Der mecklenburgische Drost H. theiite mir als 
ein wunderliches Zeugniss unglaublicher Rohheit mit, in seiner Jugend 
vor 40 — 50 Jahren sei es noch in seiner Vaterstadt Güstrow Brauch 
gewesen, dass nach Beendigung der Kartoffelernte auf dem Felde 
selbst, wo die letzte Kartoffel aus^^enommen war, die älteste 
Arbeiterin den ältesten Arbeiter ergriff, und alle Weiber 
um die beiden einen Kreis schlössen, worauf 'vetula vetuli protracta 
genitalia digito titillabat'. Der älteste Knecht vertritt hier offenbar 
den so oft als 'der Alte' bezeichneten Getreidedämon (Korndäm. 
S. 24), die Kartoffelernte ist, wie ebenfalls auch sonst mehrfach, als 
letzte der Jahresernten an die Stelle der Getreideernte getreten. 

10* 



148 - KAPITEL m. 

Schaft zwischen dem o. S. 128 beigebrachten Thargelien- 
brauche und dem im gräflich Oldenburgischen Criminal- 
protokoU überlieferteu Erntebrauch ein, sei der erstere nun 
aus Umdeutung der Umführung des Getreidedämons er- 
wachsen, habe er ursprünglich vielleicht die Austreibung des 
Getreidealten, des heurigen Korngeistes, bedeutet, oder sei 
er von vorne herein als Kehrseite der Einführung des Wachs- 
thumsgenius, als Entfernung des Misswachsdämons gedacht. 
Immer bleiben jene griechische Sitte und diese deutsche nach 
Form und Inhalt durch das Verwandtschaftsband eines und 
desselben Ideenkreises verbunden und nur durch Verschiebung 
der Gesichtspuncte getrennt. Wie aber das Schlagen oder 



Diese Analogie dürfte nun auch das Folgende aus der Sphäre der 
plumpen Gemeinheit herausheben und als Ueberlebsel einer einst sinn- 
volleren Tradition erscheinen lassen. Auf vielen mecklenburgischen 
Bauerhofen wird am Abend des Erntesohlusses eine Wanne mit Stachel- 
beeren, Johannistrauben und Kirschen und darüber mit Wasser gefüllt, 
die Oberfläche aber mit Bauerrosen und tüchtigen Sträussen Brenn- 
nesseln bedeckt. Dieses Wasser müssen die heimkehrenden Mäher und 
Binderinnen als Waschwasser benutzen und die Früchte vom Grande 
heraufholen, ohne sich zu verbrennen. Dies nennt man 'das bunte 
Wasser'. Die Analogie des bulgarischen Brauches, das Regonmädchen 
mit einem Kübel Wasser zu begiessen, in welchem Blumen schwimmen 
(BK. 329. 331) erweist das bunte Wasser als einen Regenzauber zum 
Gedeihen der Frühfrüchtc des künftigen Jahres. Die 'Kerls' und 
'Dirnen' bemühen sich gegenseitig einander zu brennen. Vielfach nun 
soll es dabei vor 10 Jahren noch Brauch gewesen sein , dass die 
Knechte den Mägden mit den Brcnnnesselbüschen unter den Rock zu 
fahren suchten, dass letztere kreischend davonflohen und verfolgt 
wurden. Wagte nun ein Bursche sich in der Hitze der Jagd liinter 
einem geliebten Gegenstand zu weit vor, gelang es ihn in einen Hinter- 
halt hinter der Scheune oder im Stallwinkel zu locken, so sah er sich 
plötzlich von 3 — 5 handfesten Dirnen umringt und 'untergekriegt', und 
trotz alles Sträubens und Stossens verecundia eius detecta et 
ingenti urticarum nodo arctissime circumdata et coo- 
perta est. Wie sehr das Gefühl sich wehrt, dergleichen Dinge ans 
Licht zu ziehen, glaubte ich dennoch nach langem Erwägen auch diese 
Züge des Volkslebens dem wissenschaftlichen Forscher nicht vorent- 
halten zu dürfen, da wichtige Vorstellungen und Handlungen der 
Vorzeit (vergl. z. B. unten Demeter und Jasion) daher Aufklärung zu 
erhalten scheinen. 



DIE LUPEBGALIEN. 149 

das Begiessen der Getreidealten in Form der als Weib aus- 
gekleideten letzten Garbe auf die Fruchtbarkeit des nächsten 
Jahres einwirken sollte, könnten die dem ausgetriebenen 
Jahresalten Mamurius Yeturius (AWF. 266. 297) ertheilten 
Schläge einen gleichen Zweck verfolgen, falls nicht dies den 
Unterschied bildet, dass das in der letzten Garbe waltende 
Numen eben als Stamm für die neue Aussaat (BE. 213) 
dazu geeignet erschien. 

Mit dem Schlagen und Geschlagenwerden des Maikonigs, 
Pfingstschläfers und seiner Sippe aufs nächste verwandt ist 
auch die lange Reihe jener Gebräuche, welche ich BE. 251 
— 303 unter dem Namen 'Schlag mit der Lebensruthe zu- 
sammengestellt und erläutert habe. Auf Fastnacht, Ostern, 
Maitag, Weihnachten schlagen beide Geschlechter sich gegen- 
seitig, wie die Weiber an den Demetrien (o. 8. 120 ff.), capro- 
tinischen Nonen, vielleicht auch am Feste der Bona Dea, und 
die Männer an den delischen Thargelien (P), oder man schlägt 
alle Begegnenden oder sämmtliche Hausgenossen mit frisch- 
belaubten Zweigen oder Bündeln aus solchen (vergl. die 
Myrthe am Feste der Bona Dea, die Feigenzweige an den 
Thargelien o. S. 1 19. 128), mit grünen Tannenreisern, Rosmarin- 
stengeln, Brennnesseln (BE. 264 vergl. o. S. 143. 148), mit 
ganzen Bäumchen, (Maibaum, Sommer, Quieke) oder mit 
bluraenstengelartigen Peitschen aus bunten Lederstreifen (vergl. 
das fiogoTTov der Demetrien o. S. 120). An die Osterpeitschen 
u. s. w. waren oder sind zuweilen Euchen (BE. 269), 
Wickelkindchen oder schnäbelnde Täubchen gebunden. Vor- 
zugsweise wird aber auf das Schlagen der erwachsenen 
Mädchen und Ehefrauen durch die Männer 
Gewicht gelegt. Geschlagen werden die Hand, Finger, 
Fingerspitzen, oder die F ü s s e (Waden), oder der Rücken, 
oder mehrere dieser Eörpertheile zusammen. Mit den sämmt- 
liehen Gliedern der Familie zugleich, oder ohne diese für 
sich schlägt man auch die. Hausthiere und die Obst- 
bäume im Garten. Der Zweck der Ceremonie ist, die 
Geister der Unfruchtbarkeit und des Misswachses, die in 
Gestalt von Insecten, Maulwürfen u. s. w. im Thier- und 
Menschenleibe oder im Acker hausen, zu vertreiben, Gesund- 



150 KAPITEL ni. 

heit und langes Leben der Menschen und des Viehes, Frucht- 
barkeit des Flachs- und Maisfeldes, derWeiber, 
Eühe und Obstbäume zu erzeugen. Während des 
Schiagens ruft man: *Da hast du Glück!* (BK. 252) oder 
'Krankheit in den Wald! Gesundheit in die Gebeine!' (BK. 
257) oder 'Unglück heraus, Glück herein !* (BK. 274). Das 
ist genau jenes '"JB?ö> ßovXif^ov, eaco Se nXovrov}! des Hunger- 
austreibens in Chaeronea (o. S. 130), wie auch in beiden Ge- 
bräuchen die Schlagruthe von einer Weidenart stimmt. 
Das Schlagen geschieht in den Häusern oder während eines Um- 
gangs durchs Dorf, der mehrfach zu einem Umlauf sich ge- 
staltet (BK. 264. 268 ff. 276). Dieser Umlauf geht unmerklich in 
pine andere Form über, wobei in der Weihnachtszeit, zu Neujahr, 
oder Fastnacht auf dem Hofe oder über die Felder 
umhergelaufen wird, indem man durch andere Mittel als 
durch das Schlagen, nämlich mit Peitschengeknall (vergl. dazu 
das Umklappen o. S. 1 42), durch Schellengeläut, oder durch 
Fackeln die Unfruchtbarkeit zu vertreiben, das Gedeihen der 
Menschen hervorzurufen, das Korn zu wecken sucht (BK. 
534 ff. 540 — 548). Aber auch bei diesen Begehungen ist 
eine Erinnerung an das Schlagen noch vielfach erhalten, 
ja die Peitsche, mit der geknallt wird, ist wohl nur eine 
Variation der Schlagruthe, neben der sich dieselbe zuweilen 
auch noch in anderer Gestalt erhielt. Die bei Tübingen den 
ganzen Tag vor Weihnachten mit Kuhglocken läutend durch 
das Dorf laufenden und lärmenden Knaben tragen 
lange Stecken (BK. 543). Bei Hall in Tirol läuft am 
Donnerstag vor Fastnacht der Hudler und schlägt die ihm 
einer nach dem anderen vorlaufenden Bauern so lange mit 
seiner bretzelbehangenen Peitsche unter die Füsse» 
bis er sie eingeholt hat (BK. 269). In anderen tirolischen 
Orten laufen viele Huttier, in ihrer Mitte ein künstliches 
Boss mit seinem Reiter (vergl. o. S. 143 ff.) führend; sie tragen 
kothige Besen und Peitschen, mit denen sie knallen 
und die Zuschauer abkehren. Das geschieht, damit 
Flachs und Mais gedeihe; je mehr Huttier gehen, desto 
besser schlägt die Ernte aus (BK. 541). Auch die Perchten 
laufen in den Alpen stürmisch springend und hüpfend, 



DIE LUPEBCALIEN. 151 

in wilder Lust tobend und rasend, mit knallenden Peitschen 
oder langen Stecken bewaffnet von Haus zu Haus, von 
Ort zu Ort, oft nur acht bis zehn, oft in der Zahl von drei- 
hundert; je mehr ihrer laufen, desto besser ist es; unter- 
bleibt ihr Umzug, so missräth das Eorn (BE. 542 ff.)* ^^^ 
Besen, gleich dem Zweigbündel der Lebensruthen (er ist 
zuweilen kothig aus Anspielung an den vom Regen durch- 
weichten Boden; Regenzauber) und die Peitsche sihd 
Differenzirungen einer und derselben Grundform (vergl. BE. 
364 ff.). Bei allen diesen Umzügen sind die Umläufer wunder- 
lich vermummt, und ich habe bereits darauf hingewiesen, dass 
die Umläufe der Schodüwel, Hans wurste u. s. w. zu Fast- 
nacht und Weihnachten nichts anderes als die vorhin er- 
wähnten Sitten sind. Die Hanswürste unserer Yolksgebräuche 
tragen eine lange Britsche, einen eigenthümhch gestalteten 
Eolben, womit sie schlagen, von ihnen offenbar (und 
nicht umgekehrt) haben die Hofnarren des Mittelalters ihre 
Narrenpeitsche oder Eeule entlehnt, an deren Spitze eine 
weibliche Puppe, marotted. h. Mariechen genannt, schwebte, 
geradeso wie zuweilen ein Wickelkind an der Osterruthe 
(BE. 254) und unzweifelhaft aus denselben Gründen. 

Noch einen verwandten Umlauf aus Yienne bei Lyon, 
bei dem freilich jede Spur des Schiagens verschwunden 
ist, kann ich mich nicht enthalten nach Charvet, histoire de 
la sainte 6glise de Yienne S. 599 hieher zu setzen: 'On 
celebrait k Yienne tous les ans le premier jour de Mai 
une feto appel6e la cer6monie des Noircis. . . . L'archevdque, 
le chapitre, l'Abbe de St. Pierre et celui de St. Andre nom- 
maient chacun un homme, qui se noircissait tout le corps 
pour courir les rues dans un etat de nudit6 
depuis le matin jusques apres le dtner. Alors ils 
rentraient dans T Archevech6, oü les gar^onsboulangers 
et meuniers devaient se trouver assembles k cheval et en 
armes. Cette troupe mettait pied k terre en arrivant et 
attendait le roi, que l'ArchevSque avait le droit de choisir 
et de lui donner. Le roi sortait da la salle de TArchevSchä, 
et lorsqu^il etait au bas de l'escalier, les quatre Noirois 
s'approchaient de lui, et lui baisaient les pieds. 



162 KAPITEL lU. 

II montait ensuite k cheval avec tout son oortege, 
les quatre Noircis marchaient k la tete, on defilait 
gravement un k un vers la maison de rAumöne, appelee 
l'höpital de St. Paul. Quand on etait k la porte, qui 
devait se trouver ferm6e, un des gardes du roi heurtait et 
demandait St. Paul. Quelqu'un de la maison lui r6pon- 
dait: il dit ses heures. Le garde heurtait une seconde fois 
et on lui repliquait: il monte k cheval. Au troisiöme coup 
on ouvrait la porte en disant: vees le ci tout pret, c'est-i- 
dire voyez-le ici tout prfit. Dans ce moment St. Paul 
paraissait k cheval, v6tu en ermite, portant en 
bandouliere un petit baril de vin dela mesure de quatre 
pots, un painblanc, un jambon cuit et devant lui une 
coupe pleine de cendres pour en jeter dans les yeux de 
ceux qu'il rencontrerait en chemin. Le recteur de Thopital 
remettait St. Paul entre les mains du roi, qui jurait sur les 
saints Evangiles de le conduire et de le ramener sain et sauf; 
il lui donnait pour le garder deux soldats de sa troupe, dont 
il se rendait caution par un acte, que son greffier delivrait 
au recteur. On allait ensuite a l'abbaye des Dam es de 
St. Andre prendre une reine, que l'abbesse avait eu 
sein de choisir et de parer. De lä cette cour ridicule allait 
faire le tour de laville.' Nach M. Mermetaine, ancienne 
chronique de Vienne, beseitigte Erzbischof Pierre de Villars 
(1626 — 1662) die c6remonie des Noircis. Die Theilnahme der 
Müller und Bäcker bewährt, dass wir es hier mit einem 
kirchlich umgestalteten agrarischen auf die künftige Ernte 
bezüglichen Brauche zu thun haben; ein Maikönig und 
eine Maikönigin halten in deren Gesellschaft den feier- 
lichen Umzug; Wein, Brod, Schinken als Symbole 
jeglicher Art Ertragsfülle werden mitgeführt. Warum aber 
war das Cultbild des heiligen Paulus Eremita mit im 
Zuge? Erinnern wir uns der im Mittelalter sehr beliebten 
Legende, dass der heilige Antonius auf dem Wege zu ihm 
in der Wüste, gleichsam vor seiner Thür, einem Satyr be- 
gegnete, der oben Mensch unten Bock war, und dass ein 
Babe ihm täglich Brod brachte,^ so liegt es nicht fern zu 

^ Jaoobus a Vora^ine Legenda aurea c XV S. 95 Graesse. 



DIE LÜPEBCALIEK. 153 

vermathen, dass, wie anderswo den Maikönig der Schimmel* 
reiter begleitete, hier ehedem ein wilder Mann im Zuge war, 
der an den Heiligen des in der Stadt begründeten Armen* 
hauses erinnerte und darum aus religiösen Rücksichten durch 
diesen ersetzt wurde, um so mehr, da auch die in Procession 
mitgefübrten Sinnbilder der Kahrungsfülle auf des letzteren 
Geschichte gedeutet und ihm als Träger anvertraut werden 
konnten. Doch sei dem, wie ihm wolle, jedesfalls war 
hier mit dem Umzüge des Maikönigspaares das Auf- 
treten Ton halbnackten Männern mit berussten Ge- 
sichtern verbunden, dergleichen wir auch sonst vielfach in 
den Frühlingsspielen als Pfingstlümmel, wilder Mann, Kamin- 
feger, schwarzer Teufel, Mohrenkönig (BK. 321 ff. 336. 349. 
352. 365) — Differenzirungen des Maikönigs — (BK. 365), und 
auch in den Fastnachtumläufen (BK. 545. 546) begegnen. Und 
zwar sehen wir diese schwarzen Männer einen ekstatischen 
Umlauf vollfuhren, gerade wie in den Fastnachtbegehungen 
(BK. 544); in beiden Fällen fühlten sich schon die älteren 
Gelehrten gedrungen, auf die Aehnlichkeit mit dem 
Umlaufe der Luperci hinzuweisen. 'Ge scandaleux usage 
— sagt Charvet — n'avait que trop de rapport avec les 
anciennes Lupereales.' 'Nit seer vngleich den heydnischen 
Luperealischen festen' nennt Sebastian Franck den Fastnacht- 
umlauf (BK. 544). 



§ 6. ERGEBNISSE. 

Am Schlüsse eines reichhaltigen Zeugenverhöres sind 
wir in der Lage die Ahnung dieses Schriftstellers auf das 
Vollkommenste zu bestätigen. Wenn wir nämlich berechtigt 
sind — und dies halte ich für hinlänglich erwiesen — die 
vorstehenden griechischen, römischen und nordeuropäischen 
Bräuche für einen grossen Kreis einander verwandter Be- 
gehungen zu erklären, von denen die eine dieses, die andere 
jenes Stück alter Tradition fester hielt oder deutlicher aus- 
prägte, so dürfen wir unbedenklich auch die Luperealien dem- 
selben einfügen. Denn alle einzelnen Acte und Vorstellungen, 



n 



154 KAPITEL m. 

welche bei diesen zu einem einheitlichen Oanzen zusammen- 
wuchsen, finden in jenem sich wieder. Frauen und Mädchen 
und andere Begegnende werden geschlagen, sowohl um der 
weiblichen Fruchtbarkeit halber, als um die Dämonen der 
Krankheit und des Misswachses aus Menschen und Pflanzen 
zu entfernen (o. S. 83. 86) Die Schläge der Luperci treffen 
vorzugsweise Hand und Bücken, wie die Prügel mit der 
Osterruthe und ihrer Sippe (o. S. 82. 114). Das Februum wird 
in enthusiastischem Laufe geschwungen, wie die ent- 
sprechenden Schlagwerkzeuge vieler hier einschlägiger nord- 
europäischer Bräuche (o. S. 81). Die Zeit der Begehung 
ist der Beginn des Frühlings, wie Fastnacht, Ostern, 
Maitag so vielfach im Norden; zu diesem Zeitpunct stehen 
die anderen Termine, das Erntefest und Mittwinter (Weih- 
nachten) in ideeller Beziehung. Bald sind es Menschen, 
welche sich gegenseitig stäupen, bald wird ein göttliches 
Wesen (Fauna, Pan, Apollo, Maikönig u. s. w.) geschlagen; 
oft aber sehen wir auch die Schläge gerade von dem Numen 
des Wachsthums (Fa^inus, Demeter, Maikönig, berussten Fast- 
nachtumläufern u. s. w.) ausgehen, und zwar nicht selten 
von einer durch Menschen dargestellten theriomorphen 
Incarnation desselben (Kornkater, Julbock, Yegetationsross 
AWF. 174. 193. 0. S. 143 ff.). Dem letzten der genannten Fälle 
entspricht genau der Umlauf der Luperci, wenn dieselben als 
Lupi et hirci aufzufassen sind, dem ersten, falls sie als Wolfs- 
abwehrer zu denken wären. Zwar das Material des Februums 
der Luperci weicht von den grünen Zweigen, Meerzwiebeln, 
Ruthenbündeln der verglichenen Bräuche ab; wie aber jene 
grünen Ruthen gleichsam Verjüngungen oder Theile des 
Maibaums darstellen, in denen die Kraft des Ganzen, des 
Yegetationsgeistes , der Baumseele lebt (BK. 303), so wird 
in den Hautriemen der geopferten, Wachsthumsböcke reprä- 
sentirenden Ziegen das Numen derselben lebendig gefühlt 
sein, so dass auch in diesem Puncto die römische Sitte zwar 
kein photographisohes Conterfey der nordeuropäischen, grie- 
chischen und italienischen Yerwandten, wohl aber eine 
schlagende Parallele zu diesen darbietet. Die deutschen und 
französischen Bräuche zeigen die Uebergangsformen, durch 



DIE LUPEBCALIEK. 155 

welche die römischen Begehungen am Feste der Bona dea 
(o. S. 115) und Gaprotinischen Nonen (o. S. 121), vielleicht 
auch der Mamuralien (AWF. 266. 297), die griechischen 
an den Demetrien(o. S. 120), Thargelien (o. S. 124), Kameen 
(AWF. 254), Delien (o. S. 138) und am Pansfest (o. S. 
123) mit den Schlägen der Luperci sich vermitteln. Sie 
regen auf das Lebendigste «die Yermuthung an, dass- die 
Austreibung des Pharmakos (o. S. 124), des ßovXiinog 
(o. S. 129. 130), die Wettläufe an Earneen und Oscho- 
phorien (AWF. 253 ff.), die Flucht an den Poplifugien 
(o. S. 121), der nordeuropäische Umzug mit dem Eom- 
dämon am Erntefest, im Frühjahr und zu Weihnachten, 
die Umläufe auf Fastnacht, Maitag u. s. w. auf eine 
und dieselbe, in der Folge nach Form und Auf- 
fassung gemodelte und verschieden gewandte 
Grundform zurückgehen mögen, von deren lenzlicher 
Sprossform uns die Luperealien ein unter besonderen histo- 
rischen Yerhältnissen in Roms frühester Jugend erwachsenes 
eigen geartetes Exemplar vor Augen führen. Ihr stehen 
gewisse Ausgestaltungen unseres Maifestes (o. S. 145 ff.) so- 
wie die Bräuche des Fudelns, Schmackosterns, Pfefferns am 
nächsten, deren Geschichte — insoweit sie die Anlehnung 
an christliche Ideen und Feste und ihre Verbreitung von 
einer Landschaft zur anderen betrifft — zwar noch manche 
dunkele Stelle aufzeigt (BK. 281 ff. 292 ff. 297 ff.), aber 
ihrem Anfange nach nunmehr mit vollster Sicherheit als ins 
höchste Alterthum hiuaufreichend sich ausweist. 



KAPITEL IV. 

DAS OCTOBERROSS. 



§ 1. UNSERE QUELLEN. 

Die erste Kunde über das Opfer des Octoberrosses, 
einen der bemerkenswerthesten Gultusgebräuche aus dem 
ältesten Born, ist uns in einem Fragmente des Timaeus, 
eines Zeitgenossen des Pyrrbus,^ das nächste Zeugniss erst 
in einer mehr als 200 Jahre späteren Aufzeichnung erhalten, 
welche jedoch nicht mehr unmittelbar, sondern nur in einem 
doppelten Auszuge bei Festus und seinem Epitomator Paulus, 
sowie bei Plutarch uns vorliegt. Bei Festus, beziehungs- 
weise in des Verrius Flaccus unter Tiberius verfasster Schrift 
de verborum significatione , welche der lexicalischen Arbeit 
des Festus zu Grunde liegt, ist das ältere Original in die 
Artikel October equus und Panibus zersplittert; aus derselben 
oder einer verwandten Quelle, einer anderen Schrift desselben ^ 
Autors, stammen: Suburam, Suburanam tribum, Mamilia 
turris , Mamilia. ^ Das Excerpt des Plutarch in seinen 



* Polybius XII 4**: xal fx^v ev roTg ntq\ ITvqqov naXir tptjaX {Ti/uaio^ 
Tovi *Pbi}jua{oug Sri vvv vnofiytj/na noiov/uerov^ r^q xara to ^ihor antalfCaq st 
^fiiqci Tive xaraxorri^^siv Innov jvoXe juiar^v tcqo Ttjq noXetai er t^ 
Ka/uTup xaXovfievUj Sid ro rtjq Tqotaq rijv clXtoaiv Si,a rov XnTtoy ysvsa&fxi 
Tov SouQiOV TTQoaaYOQtuo/usvoy^ noayjua ndvrtay nmSaquaSiaraTov» 

« Feati fragm. e cod. Farn. L. XIII Qu. IX 28. 8. 178 0. Müllor: 
October equas appeUatar, qui in caropo Martio mense Oct. immolatur qaod 



DAS OCTOBEBBOSB. 157 

romischen Fragen ist einheitlich, aber dürftiger. * Da Verrius 
Flaccus neben Juba und anderen Gelehrten des Augusteischen 
Zeitalters, welche die Lehre des gelehrtesten aller römischen 

annis (1. quotannis) Marti, bigarum yictrieam dezterior. de ouius 
capite non levis conteiitio solebat esseinter Subura- 
nenses et Sacrayienses, ut hi in regiae pariete, illi ad 
turriro Mamiliam id figerent; eiusdemque oodatanta oe- 
le ri täte per fertur in regiam,ut exeasanguis destillet in 
focum partioipandae rei divinae gratia, quem hostiae loco qaidam Marti 
bellico deo sacrari dicunt, non ut vulgus putat, quia velut supplioiuin de 
60 sumatur, quod Romani Ilio sunt oriundi et Troiani ita effigie in equi 
(1. effigie lignea equi) sint capti. Multis autem gentibus equnm 
hostiarum numero haberi testimonio sunt Lacedaemonii, qui in monte 
Taygeto equum ventis immolant, ibidemque adolent, at eorum flatn 
oinis eius per finea quam latissime differatur. Et Sallentini, apud quos 
Menzanae Jovi dicatus vivos conicitur in ignem et Rhodi, qui quod 
annis (1. quotannis) quadrigas soIi consecratas in mare iaciunt, quod 
is tali curriculo fertur circumvehi mnndum. Pauli Diac. exoerpta e 
Fest. L. XIU S. 179 0. Müller: October equus appellabatur, qui 
in campo Martio monse Octobri Marti immolabatnr. De cuius capite 
magna erat contentio inter Suburanenses et Sacravienses , ut hi io 
regiae pariete, illi ad turrim Mamiliam id figerent. Cuius cauda, ut 
ex ea sanguis in focum destillaret, magna celeritate perferebatur in 
regiam. Paul. Diac. 220: Panibus redimibant caput equi immolati 
idibus Octobribus in campo Martio, quia id sacrificinm fiebat ob frngum 
eventum, et equus potius quam bos immolabatur, quod hio belle, bos 
frugibus pariendis est aptus. Paul. Diac. 131: Mamiliorum familia 
a lifamilia Telegoni filia, quam Tusculi procreaverat, est appellata. 
Mamilia turris intra Suburae regionem a Mamilio nomen aocepit. Festi 
Schedae ap. Laetum L. XII. Qu. VIII 12. S. 130 0. Müller: Mamiliorum 
familia progenita sit (1. fertur) a Mamilia Telegoni filia, quam Tusculi 
procreavit, quando id oppidum ipse condidisset. Festi fragm. e cod. 
Farn. L. XVIII Qu. XIV, 14 S. 309 0. Müller: Suburam Verrius 
alio libro a' pago Succusano diotam ait: hoc vero maxime probat 
eorum auctoritate (l* auctoritatera)) qui aiunt, ita appellatam et regionem 
urbis et tribum a stativo praesidio, quod solitum sit suocurrere Exquilis, 
infestantibus eam partem urbis Oavinis (1. Gabinis). Festi fragm* 
e cod. Farn. L. XVIII Qu. XIV S. 302 0. Müller: Suburanam tribum 
olim succisanam (1. Succusanam) appellatam esae jpuia'Ht ex nomine .... 
m imam illam quoque .... 5uc-cu8anam dictam .... mt-ratum esse .... 
pagi Sucousa-nt, in quo milites exercerentur. 

* Plut. quaest. Rom. 97: zfia t{ ralg J^xs/uß^laii elSoU Inno- 
Sqo/uiag ytvofiivijq o yuc^aag Seli.og t^^og ^Aqn S'utTai^ xa\ rrjv /uhv ovqav 
dnoxöy^ag rig snl rtjr Ptjytiyar xaXov/aiytjv xofiil^ei. xm tov ßtajuoy alfiaaatt^ 



158 KAPITEL IV. 

Antiquare, des M. Terentius Yarro, überarbeiteten, nach- 
gewiesenermassen einer der Hauptgewährsmänner Plutarchs 
in dieser Schrift gewesen ist, wird aus seinem Buche die 
Notiz unmittelbar übernommen sein. Sollte es sich aber 
anders verhalten, das Ergebniss bleibt insofern dasselbe, als 
in jedem Falle mit höchster Wahrscheinlichkeit Varro, dessen 
Werke auch für Verrius Flaccus die vorzüglichste Quelle 
bildeten, als Urheber der in Rede stehenden Nachricht zu 
bezeichnen ist.^ Ob dieser noch durchaus lebendige Sitte 
der Gegenwart verzeichnete, oder, wie es nach Festus 
scheinen könnte, zwischen noch fortgeübten und zwischen 
in Abgang gekommenen Stücken des alten Gebrauches unter- 
schied, wird sich kaum mehr mit Sicherheit ausmachen lassen. 
Nach Varro also fand am 15. October alljährlich auf dem 
Marsfelde ein Wettrennen statt, das rechte Pferd des sieg- 
reichen Zweigespanns wurde dem Mars für heilig erklärt; 
dann fiel es (nach Timäus durch einen Jagdspiess) wahr- 
scheinlich an dem alten Altare des Mars in der Mitte des 
Marsfeldes ^ wegen des glücklichen Ausfalls der Ernte (ob 
frugum eventum) als Opfer, worauf man den Kopf voll- 
ständig abhieb und mit einem Kranze vonBroden 
schmückte. Der Leib des Bosses mag auf der Ära des 



ntQi St Ttji xitpaX^i ol jukv ano Trjq ifQag, oSov Zfyojuivtjgy ol Se ano rtji 
JSißovQijs xataßavreg Sta/ua^ovrai ; noTtqov^ tag svioi Xeyovaiv^ Ktittw r^y TgoCav 
ijXtaxeyai rofiß^orrtg^ Xnnoy xolal^ovoiyi are S^ xai yeyovoTfg Tgtowy aylaa 
TixvcL fitjLtiy/ufva naiai jiaxtviav \ ^ ort S'u/noBiSsg xai noXffAixoy xat uQ^ioy 
o tnnog tari^ ra Sh ngoatpilrj /ualLora xai nqoaipoqa S'uovat roTg ^eoh^ 6 St 
yixrjoag d'vtrat St,a to vixrjg xai xqaroug olxtioy tlyat Tov S-toy \ ^H juaXXov 
ort TOV &tov aruaifioy ro tqyoy iartf xni ytxSaiy ol /uevoyTtg ty Ta^ti rovg 
fit] fiivovrug aXXa ^tvyovrag^ xai xoXat^trai ro Taj^og tag StiXCag itpoStoy^ 
xai juay&ayovai av/ußoXiKiag^ ort atattjQioy ovx toTt Tolg tptvyovai] 

* Vergl. Thilo De Varrone Plutarchi quaest. Rom. aactore prae- 
oipuo. Bonn 1863; H. Peter Die Quellen Plutarohs in den Biographien 
der Römer. Welches der zahlreichen Werke Yarros (die Antiquitates 
rernm divin., die Aetia oder die Libri rerum urban.) die Stelle enthielt^ 
mtig zweifelhaft bleiben. 

2 lieber diesen s. Fest. s. v. Opima S. 189. Liv. XXXV 10, 
XL 45. J. A. Ambrosoh Studien und Andeutungen im Gebiet des alt- 
römischen Bodens S. 154. Preller Regionen der Stadt Rom S. 171 ff., 
Rom. Myth. 311. 



DAS OGTOBEKKOSS. 169 

Marsfeldes yerbrannt sein. ^ Um den Besitz des ab- 
geschlagenen Hauptes hatte sich in früherer 
Zeit sofort zwischen Einwohnern zweier Quar- 
tiere der römischen Altstadt, der Sacra via und 
der Subura ein hitziger Kampf erhoben, bei dem 
es oft genug blutige Köpfe geben mochte. Be- 
hielten die Sacravienser die Oberhand, so hefteten sie 
das Rosshaupt an die Wand des alten Königs- 
hauses (regia Numae), wo auch die heiligen Speere des 
Mars bewahrt wurden und in dessen unmittelbarer Nähe 
das Heiligthum der Yesta mit dem römischen Gemeinde- 
herde sich befand. Siegten die Suburaner, so brachten sie 
es an dem mamilischen Thurme in ihrem Stadttheile an. Der 
Schwanz (coda) wurde ebenfalls abgehauen und 
in so eiligem Lauf zur Regia getragen, dass 
daraus noch das warme Blut auf den Focus, den 
Herd derselben (oder auf einen Altar in der- 
selben?), tropfen konnte. Das geschah wohl noch 
zur Zeit des Augustus, da es nach einigen Andeutungen des 
Ovid und Properz wahrscheinlich ist, dass das dem October- 
rosse (equus curtus) entströmte aufgefangene und geronnene 
Blut am 21. April von den Yestalinnen mit der 
Asche der 6 Tage vorher am Fordicidienfeste 
zu Ehren der Tellus verbrannten ungeborenen 
Kälber vermischt und dem Volke zur Benutzung 
bei den Gebräuchen des Palilienfestes aus- 
getheilt wurde. ^ Der Gebrauch bestand fort bis ins 



^ Ambrosoh a. a. 0. 156. 

2 Ovid Fast. lY 731 bei Sohilderung des Palilienfestes: 
I, peto virginea, populus, suffimen ab ara. 
Yesta dabit. Yestae munere purus eris. 
Sanguis equi sufiFimen erit vitulique favilla, • 

Tertia res durae culmen inane fabae. 
Propertius Y 1, 19 schildert die einfachen Sitten der alten guten Zeit, 
Jahr am Jahr feierte man mit Anzündang von Heu die Palilien, 
einen SQhnegebrauoh der Art, wie er sich noch jetzt mit dem um ein 
Glied verkürzten Rosse erneut: 

Annuaque aocenso celebrare Palilia foeno, 
Qualia nunc curto lustra novantur equo. 



160 KAPITEL IT. 

4. Jahrhundert.^ Irre ich nicht, so wird sich hinreichend 
erweisen lassen: 

1) der Festbrauch des Octoberrosses war ein Erntefest, 
welches 

2) vielleicht die Tödtung eines rossgestaltigen Getreide- 
dämons beim Eornschnitt darstellte. 

3) Der Wettlauf, 

4) die Anheftung des Hauptes am Stadthause, . 

5) (die Uebertragung des Schwanzes auf den Focus in 
der Regia), 

6) die Verwendung des Blutes beim Palilienfeste sind 
einzelne Züge, deren jeder für sich Analogien in 
nordeuropäischen Erntefesten findet. 

7) Das Fest ist älter als das Servianische Rom; 

8) es theilt den mimetischen Charakter mit den meisten 
übrigen gottesdienstlichen Gebräuchen des ältesten 
Roms ; 

9) der religiöse Inhalt der Cultushandlung war kein 
sacrificieller, sondern ein sacramentaler. 



§ % DER FESTBBAÜCH EIN ERNTEFEST. 

Mars war in ältesten Zeiten noch nicht ausschliesslich 
der Gott des Krieges, sondern im Gegentheil ebenso sehr ein 
Gott des Ackerbaues und der Befruchtung; so erscheint er 
gerade in den ursprünglichsten Gülten, im Gottesdienste der 
Salier, bei den ländlichen Ambarvalien, im Liede der Arval- 
brüder. Zu erwünschtem Yerständniss dieser auffälligen 
Thatsache verhilft Roschers Hypothese, dass Mars von 
Hause ein Sonnengott war, der als solcher auch auf das 



« 

1 Im Kalender des Philocalus vom Jahre 354 n. Chr. heisst es: 
Id. Octobr. equus adNixas fit'C. J. L. I S. 352. Yergl. dasu 
S: 404. Der Altar auf dem Marsfelde stand nämlioh in der Nähe eines 
Bildwerkes von Störchen mit zusammengesteckten Schnäbeln, oiconiae 
nizae. (Preller Regionen der Stadt Rom S. 173 ff. Preuner Hestia- 
Yesta 312). Es war also der Oult noch in der Constantinidchen Zeit 
erhalten. 



DAS OCTOBERROSS. 161 

'Wachsthum der Pflanzen segnenden oder schadenden Einfluss 
übte. Wurde ihm das Ross im October ob f rüg um 
e Yen tum geschlachtet, so war das, nachdem man im Juli 
und August den Uaupttheil der Ernte beendigt hatte, zu- 
gleich ein Erntedankfest für die glückliche Bergung sämmt- 
licher Früchte ^ und eine Begehung, welche für die kommende 
Ernte den günstigen Erfolg sichern sollte. Es darf nicht 
befremden, dass schon im Mai vor und bei Einerntung der 
allerersten Dinkelähren die gottesdienstlichen Begehungen der 
Ambarvalien (Opfer der Dea Dia u. s. w.) und des Abschnitts 
der zum heiligen Opfermahl dienenden Fruchthalme durch 
die Yestalinnen, darauf aber am 7. Juli, 21. und 25. August 
nach YoUbringung des Getreideschnitts die den Gottheiten 
der Bergung des Erntesegens (Consus d. i. Condius)^ und 
des Fruchtreichthums (Ops)^ geweihten Feste der Consualia 
und Opiconsivia dem Octoberfest voraufgegangen waren, und 
dass ihm im Mittwinter (15. u. 19. Dec), 'wo der Segen. der 
Speicher vor allem ofifenbar wird', das der Augustfeier genau 
entsprechende Doppelfest der Consualien und Opalien mit 
sinniger Einschaltung eines Feiertages für den Gott der 
neuen Aussaat (Saeturnus, Saturnus) folgte. Genau so be- 
gingen nämlich die Griechen im Mai das Fest der Ernte- 
erstlinge, die Thargelien, etwa Ende August das Fest der 
vollbrachten Einbringung und des Dreschens, die Thalysia, 
und im October das Erntedankfest für die Korn-, Obst- und 
Weinernte, die Pyanepsien und Oschophorien. Gerade so 
auch feierten die Ebräer drei Erntefeste, das Fest des 
Anfangs der Gerstenernte (das Passah) auf der Grenze 



1 Einzelne Fruchtarten, z. B. Hirse (milium) und wälscher Fench 
(panicum), wurden nach Columeila erst im September eingebracht, die 
Weinlese fand zu Ende dieses Monats und im Anfange des folgenden statt. 

2 Mommsen R. G. I* 164. C. J. L. I S. 400. Zs. f. vgl. Spr. 
XYI 109. 2. Vergl. Horat. Ep. II 1, 140. Mit djem Opfer ad aram 
Consi am 7. Juli fiel das Erntefest der caprotinischen Nonen zusammen. 

' Mommsen R. G. I* 164. Ich weiche darin von Mommsen ab, 
dass ich Ops in der Bedeutung Reichthum (vergl. copia d. i. co-opia) 
fasse, also eine Parallele der deutschen Falla, griech. /iJijmjttj^ ^O/invCa^ 
in ihr sehe. 

QF. LI* 11 



162 KAPITEL lY. 

zwischen März und April, das Fest des Abschlusses der 
Weizenernte (das Pest der Wochen, Pfingstfest) sieben 
Wochen später, endlich im Herbst nach Einsammlung auch 
des Obst- und Traubensegens das Fest der Laubhütten 
(vergl. 2 Mos. 23, 14 — 17). Gerade so endlich begeht in 
Nordeuropa der Landmann im Juli oder August, unmittelbar 
nach Beendigung des Schnitts oder der Einbringung jeder 
Eornart sein Erntefest, bei dem es nicht an symbolischen 
Bezügen auf die neue Aussaat fehlt, wie wenn die letzte 
Garbe (der Wolf, die Kornmutter u. s. w.) mit Wasser 
begossen wird, damit das Getreide im nächsten Jahre viel 
Regen habe,^ oder wenn die letzte Binderin sich der 
Ceremonie des Umpflügens unterwerfen muss, indem sie sich 
auf den Boden legt und beim Fusse dreimal im Kreise um- 
gedreht wird. Und trotzdem findet seit alter Zeit nachweis- 
bar im October oder November, wenn schon seit Monatsfrist 
die neue Aussaat begonnen hat, mit dem kirchlichen Ernte- 
dankfest, Michaelis, Martini oder der Kirchweihe verbunden, 
noch einmal ein populäres, von sinnbildlichen Gebräuchen 
erfülltes Erntefest hinter allen Fruchtarten statt. Im 
Albanergebirge (Frascati, Marino, Albano u. s. w.) ist der 
October noch jetzt eine Festzeit, in welcher die Einwohner 
von der Arbeit des Jahres sich erholend im Freien 
schmausen und zechen, was der Italiener sonst nie zu 
thun pflegt. Durch die Fr üchte und den Wein, welche 
dabei überall im Vordergründe stehen, kennzeichnet sich die 
Feier gegenüber der Frühlingsfeier des Carneval als Ernte- 
und Winzer feier. Da gibt es in jedem Oertchen min- 
destens sonntäglich Pferderennen, Glückspiele, Illumi- 
nationen und Feuerwerk. Die Weiber legen ihre rothen 
Mieder an, schlagen das brennend weisse Schleiertuch kunst- 
voll um das braune Haupt, schmücken sich mit Korallen- 
schnüren, Goldbehang und schweren Haarnadeln, indess die 
Männer in ihre Mäntel gehüllt die Osterien füllen. Wie ich 
sehe, hat auch schon W. Röscher das altrömische Octoberfest 
als herbstliches Erntedankfest erkannt und zugleich darauf 

* Vergl. BK 214 ff. 



DAS OCTOBERROSS. 163 

hingewiesen, dass es in dieser Eigenschaft den an der Grenze 
des Sommers nnd Winters gefeierten Pyanepsien in Athen 
und Kyzikos entspreche,^ welchen ebenfalls bei Gelegenheit 
des Erntebeginns ein anderes Fest, das der Thargelien 
gegenübersteht. 



§ 8. DAS ROSS EIN GETREIDEDAMON. 

Unter den Opfern der Alten wie aller Völker kann 
man zweierlei Richtungen unterscheiden. Die einen waren 
die Darbietung eines zum Selbst des Menschen gehörigen 
materiellen Eigenthums an die Gottheit, damit sie davon als 
einem Genussmittel Gebrauch mache, die anderen, bei geschicht- 
lich gewordenen Völkern selteneren, sind Symbole der Gottheit 
selbst und vergegenwärtigen Vorgänge in dieser in mythischer 
Auffassung. Von dieser Art waren die Rossopfer, welche 
Varro mit Zurückweisung der durch das Beispiel griechischer 
Gelehrter gangbar gewordenen Meinung, das Opfer des 
Octoberrosses sei ein Strafact für die Eroberung von Troja, 
der vermeintlichen Metropolis Roms, durch das hölzerne Pferd, 
als Parallelen herbeizieht. Die Rhodier warfen jährlich dem 
Helios ein Viergespann ins Meer, eine Nachbildung der 
Reise des Sonnengottes; die Lakedämonier schlachteten auf 
dem Gipfel des Taygetos den Winden, die sie wollten auf- 
hören machen, Pferde; denn die Stürme wurden als Rosse 
appercipirt. In Troas versenkte man in den Skamandros 
lebendige Rosse, um die Wellen zu besänftigen, welche eben- 
falls oftmals als Rosse gedacht sind. Auch dem Poseidon 
Hippios stürzte man lebendige Pferde, die Abbilder der als 
Rosse appercipirten windbewegten Wogen, in die Fluth. So 
nun glaube ich auch die Tödtung des Octoberrosses ihrer 
ursprünglichen Bedeutung nach als die Darstellung eines 
mythischen Vorgangs auffassen zu sollen, als die Tödtung 
des in Rossgestalt gedachten Eorndämons. Diese Behauptung 



* W. Röscher Apollon und Mars S. 67, vergl. S. 61 Anm. 120, 
AWF. 215. 214—258. 

11* 



164 KAPITEL IV. 

stützt sich auf die Yermuthung, dass der römische Cult, 
obgleich er ein grosses Staatsopfer war, ^ aus einem einfachen 
allgemeiner geübten Erntebrauch hervorgegangen sein werde, 
und dass ebenso wie bei den Hirpi Sorani (AWP. 318 ff.) 
unter Umständen die noch einfacheren Typen der nord- 
europäischen Bräuche als Führer zum Yerständniss dienen 
können. Die das Tödten oder Enthaupten des Getreidethiers 
betreffenden Bräuche sind o. S. 29 ff. bereits in gedrängtester 
Kürze skizzirt. Nur auf Folgendes will ich aufmerksam 
machen. Ein noch in lebendigem Brauche erhaltenes Seiten- 
stück zu dem in Frage stehenden altrömischen Cultus erkenne 
ich in der A WF. 1 66 beigebrachten Erntesitte aus der 
Dauphine, in der man nur statt der Geiss ein Ross einzu- 
stellen nöthig hat, um sofort eine überraschende TJeber- 
einstimmung wahrzunehmen. Vor Beendigung des Korn- 
schnitts schmückt man eine lebendige Ziege mit 
Blumen und Bändern und lässt sie in das Feld 
laufen. Die Kornschnitter laufen hinterher und suchen 
sie zu haschen. Ist sie gefangen, so schneidet der 
Bauer ihr den Kopf ab, indess die Bäuerin sie festhält. 
Theile ihres Körpers werden ein Jahr lang bis zum 
nächsten Ernteschluss als Heilthümer aufbewahrt. In manchen 
deutschen und französischen Gegenden wird der Hahn , das 
Abbild des Getreidedämons, auf dem Erntefelde selbst in den 
letzten Halmen oder der letzten Garbe einer einzelnen 
Fruchtart mit Sense oder Sichel getödtet, in anderen fährt 
man ihn im September oder October nach Beendigung des 
gesaramten Erntegeschäfts auf ein Stoppelfeld, gräbt ihn 
bis an den Hals in die Erde und schlägt ihm mit der Sense 
den Kopf ab.^ Wie die Enthauptung des Hahns ist die- 
jenige eines bis an den Hals in die Erde gegrabenen Hammels 
oder Widders u. dgl. häufig vom letzten Tage des Getreide- 



* Vergl. Plin.H.N.XKVIII, 9, 40: Damiiatur (fei) equinum, tantum 
inter venena ; ideo flamini Sacrorum (d. i. der Flamen Dialis, der kein 
Pferd besteigen durfte) equuin tangere non licet, cum Romae pub- 
licis sacris (nämlich am Octoberfest) equusetiam immoletur. 

8 Korndäm. 13. 16. o. S. 30. 



DAS OCTOBERROSS. 165 

Schnitts auf das allgemeine Erntefest im October, die Kirmes 
u. s. w. übertragen. ^ 

Die Auffassung des Getreidedämons als Ross ist in 
Deutschland einigerinassen verdunkelt. Bei Lehrte ver- 
fertigte ehedem der Binder der letzten Garbe aus derselben 
eine Erntepuppe in Gestalt eines- Pferdekopfes. Es ist 
aber aller Grund, anzunehmen, dass die vorzugsweise von 
den Mähern bei der Ernte verfertigte, sodann auch zu Martini, 
Weihnachten, Fastnacht, Maitag (in der Umgebung des Mai- 
baums) und bei Hochzeiten allein oder in Gesellschaft des 
Klapperbocks, Erntebärs u. s. w. auftretende Figur des so- 
genannten Schimmels oder Schimmelreiters, Fast- 
nachtspferdes, Herbstpferdes, Adventspferdes, engl. Wooden- 
horse, Hobbyhorse, franz. Chevalet, Cheval Mallet, analog dem 
Erbsenbär, der Habergeiss (AWF. 183), der Kornkatze 
(AWF. 172) u. a. , nichts anderes sei als das Kornross, 
Yegetationsross, nicht aber eine Darstellung Wodans, 
wie man nach Kuhns Vorgang^ jetzt allgemein 
annimmt. In manchen Orten Norddeutschlands nämlich 
wird beim Erntefest ein riesiges Pf er d dargestellt, indem 
man einem jungen Burschen Siebe vor die Brust oder auf 
den Rücken bindet, über diese Siebe werden dann weisse 
Betttücher gebreitet, so dass das Ganze kenntlich genug 
einen Reiter auf weissem Pferde darstellt. Die so gebildete 
Gestalt heisst gewöhnlich kurzweg der Schimmel oder das 



^ Bei der Ernte in Italien war es grosstentheils Sitte die Aohren 
oben an den Halmen abzuhauen und in einen an ein gabelförmiis^es 
Geräth (mergites) gebundenen Korb fallen zu lassen. Daher erklärt 
sich das bei Livius XXII 1 berichtete Prodigium, dass den Mähenden 
blutige Aehren in den Korb fielen (et Antii metentibus cruentas 
in corbem spicas ceeidisse), daher der Ausdruck succiditur 
Verg. Georg. I 297: at rubicunda Ceres medio succiditur aestu, 
yergl. 347: falcem supponat aristis. Der Halm wurde gleichsam ge- 
köpft. Dies erscheint yerglichen mit der orientalischen (Eorndäm. 
35) als die älteste Ernteweise. In anderen Gegenden, und mehrfach auch 
um Born schnitt man dagegen die Aehren mit der Linken gefasst in 
der Mitte des Halms mit Sicheln ab und trug sie in Körben auf die 
Tenne, s. Voss zu Verg. Georg. I 297. 

» Mark. Forschungen I 117—120. Haupt Zs. 5, 472 ff. 



166 KAPITEL IV. 

Herbstpferd. Zuweilen ziehen die Knechte mit Musik durch 
das Dorf und machen vor jedem Hofe Halt, um sich Brod, 
Eier, Wurst und Speck zu einem gemeinschaftlichen Mahl 
zu erbitten. Die Hauptfigur in diesem Zuge ist einer d€ir 
Knechte, der auf einer hohen Stange den Schädel des 
Pferdes trägt, unter welchem ein langes Laken befestigt ist, 
das den Träger der Stange verhüllt. Ein zweiter Knecht 
geht nebenan und führt den so Verhüllten an einem Stricke. 
Gewöhnlich tritt der Schimmel mit noch anderen überall 
wiederkehrenden Gestalten auf. Dazu gehört (namentlich in 
den Fastnachts-, Maitags- und Weihnachtsgebräuchen) der so- 
genannte Erbsenbär, ein vollständig in Erbsstroh ein- 
gehüllter junger Bursche, der gewöhnlich an einer eisernen 
Kette geleitet wird. Dieser Erbsenbär oder Roggenbär 
ist unzweifelhaft eine der vielen Gestalten des Korn- 
dämons. Denn nicht allein warnt man vielfach in Deutsch- 
land die Kinder, sich im Korn zu verlaufen, da sitze der 
Bär darin, in Schweden sagt man, wenn der Wind im Korn 
geht: 'Da laufen die Kornbären/ Im Kreise Platow (West- 
preussen) wird d i e letzte Garbe in der rohen Gestalt 
eines Bären gemacht und unter Schelten und Brummen 
zum jüngsten Bauer gebracht. In Niederösterreich sagt man, 
wer zuletzt mit der Ernte fertig wird, bekommt den Bären 
ins Haus. Wer den letzten Schnitt bei der Korn- und 
Erbsenernte machte, bezw. wer die letzten Erbsen, d. h. über- 
haupt das letzte Getreide ausdrischt , wird in verschiedenen 
Landschaften in Roggen- bezw. Erbsenstroh eingewickelt und 
als Roggenbär, Strohbär, Erb senbär gabensammelnd 
zum Theil auf allen Vieren durchs Dorf geführt. Dabei tritt 
die Form des Erbsenbären so hervor, dass mehrfach, z. B. 
in Trebbow bei Strelitz der nach vollbrachter Roggenemte 
umhergeführte Bär auch in Erbsenstroh gehüllt ist. ^ Dieser 
in Korn gehüllte Mann stellt nach zahlreichen Analogien un- 
zweifelhaft den dem Korn bezw. der Hülsenfrucht ein- 
wohnenden Vegetationsdämon dar. Wenn er ausser der 
Ernte- und Dreschzeit auch in den Maskeraden zu Fastnacht, 



♦ Vergl, Kopodäm, 4, 



DAS OCTOBEBBOSS. 167 

Ostern, Pfingsten und Weihnachten auftritt, so ist das eine 
erst secundäre Rolle, sein Auftreten hat hier den Sinn einer 
Darstellung des wieder ins Land einziehenden Wachs- 
thumsgeistes. Wenn nun mit ihm verbunden der 
Schimmel dargestellt wird, so darf für diesen 
eine gleichartige Bedeutung in Anspruch ge- 
nommen werden. Dieser Beweis festigt sich, sobald man 
zugeben mag, dass es uns gelungen sei, in einer dritten, 
vierten und fünften Figur der Frühlings- und Mittwinter- 
umzüge, in dem oft neben Schimmelreiter und Erbsenbär 
auftretenden Elapperbock, der Habergeiss, dem Jul-. 
bock so wie in dem Bullkater (AWF. 174) und dem Knecht 
Kuprecht (AWF. 184. 187) ebenfalls eine Darstellung des 
Korndämons darzuthun. Auch dieses muss hervorgehoben 
werden, dass der Schimmelreiter (Hobbyhorse, Cheval 
Mallet) in Deutschland, Frankreich und England in der 
Umgebung, gleichsam als Doppelgänger des Maibaums und 
des Laubmahns auftritt. Doch wir kehren von unserer 
Abschweifung zu weiteren Spuren des Kornrosses im Yolks- 
brauch zurück. Zwischen Kalw und Stuttgart sagt 
man, wenn der Wind im Korn/e Wellen schlägt: 
Da läuft das Pferd'. Sehr deutlich ist das Komross in 
einer Tradition aus der Umgegend von Lille erhalten. Das 
jüfngste Ross der Forme muss in der Scheune mit dem 
Fuss auf ein Kreuz von Buchsbaum treten, auf welches die 
erste Garbe (la croix du cheval) gelegt wird. Ermüdet 
jemand während der Ernte, so hat er *la fatigue du 
chevaT. Die letzten Halme umtanzen die Schnitter mit 
dem Ausruf: 'Voilä le reste du cheval*. Die daraus gefertigte 
Garbe gibt man dem jüngsten Pferde der Commune 
zu fressen, nachdem man ihm ein Kreuz auf die Stirne ge- 
macht hat. Dieses jüngste Pferd der Commune stellt sicht- 
lich den Korngeist des nächsten Jahres, das Korn füllen 
dar, auf welches das Numen des alten Kornrosses über- 
gehen soll. Vom Drescher des letzten Gebundes heisst es: 
*I1 bat le chevaT. Hierzu gesellt sich nun die interessante 
Mittheilung von Laisnel de la Salle aus Berry : 'Un peu avant 
rheure du m^dion — c'est ainsi que nous appelons le repas du 



168 KAPITEL IV. 

milieu du jour, qui se prend ordinairement hors de la 
maison ä Tendroit meme oü se trouvent les ouvriers — les 
moissonneurs sont dans Tusage de se coucher sur le sillon et 
de dormir pendant quelque temps. Ils appellent cela 'voir 
la j'ment' (jument), 'C'est temps de voir la j'ment*, allons 
voir la j'ment', disent-ils. C'est habituellement le roi (Vor- 
sclinitter), qui donne le signal de cette sieste en plaiu air. 
S'il tarde trop ä le donner, Tun des moissonneurs se met k 
contrefaire le hennissement d'un cheval; aussitot 
les autres travailleurs repondent par un cris semblable, et tout 
.le monde va voir la j'ment/ Wie in Catalonien und 
Portugal jumento Pferd heisst, bezeichnet jument, 
j'ment in Berry ohne Unterschied des Geschlechtes die 
kleinen Pferde der Landesart: votre j'ment c'est un cheval 
entier/i Zur Sitte, das Pferd zu sehen vergl. den nor- 
wegischen Brauch 'den Herrgottsbock sehen A.WF. 162. Dieses 
Eornpferd des franzosischen und deutschen Erntebrauchs in 
dem altrömischen Octoberross zu suchen, berechtigt einerseits 
der bis zu einiger Wahrscheinlichkeit geführte Nachweis alt- 
italischer theriomorpher Vegetationsdämonen (vergl. Hirpi 
Sorani, AWP. 333), und andererseits die Wahrnehmung, dass 
alle einzelnen Stücke des in Rede stehenden römischen Ernte- 
cultus auch in unseren Erntegebräuchen sich wiederfinden und 
hier theils mit Nothwendigkeit auf die Idee des Wachsthums- 
geistes zurückführen, theils mit dieser auf das engste ver- 
bunden sind. Das Beisammensein aller dieser Stücke, und 
die Möglichkeit dasselbe auf befriedigende Weise aus unserer 
Hypothese zu erklären, ist es, was uns für dieselbe das 
Prädicat der Wahrscheinlichkeit in Anspruch nehmen lässt. 
Das Pferd gehörte nicht zu den gewöhnlichen Opfer- 
thieren des römischen Volkes ; weil das Beispiel des October- 
rosses als solches allein stand, und man instinctiv fühlen 
mochte, dass darin eine besondere Art gottesdienstlicher Be- 
gehungen stecke, fand die Deutung eines Ausländers für 
diesen aussergewöhnlichen Vorgang so gläubige Aufnahme. 



1 Laisnel de la Salle oroyances et legendes du centre de la 
France 11 133. 



DAS OCTOBERROSS. 169 

Wenn dem Timäus zu trauen ist, so war auch die Tödtung 
abweichend von dem gewöhnlichen Ritus, nach welchem die 
victima oder hostia mit dem Hammer (malleus) oder Beil 
(securis) darniedergestreckt wurde, ^ das Octoberross fiel durch 
einen Wurfspeer. Nun ist aber dies ein so eigenthümlicher 
Zug, dass man schwer absieht, was die Berichterstatter ver- 
anlasst haben könnte, denselben zu erfinden, während es im 
Gegentheil klar ist, dass diese Form des Brauches um so 
eher dazu führen konnte das Octoberross mit dem hölzernen 
Pferde zu combiniren, wenn man aus der kleinen Ilias an 
den Lanzenstich des Laokoon sich erinnerte. Dass unsere 
sonstigen Quellen nicht davon wissen, darf nicht auffallen, 
da die einzige ausführliche Beschreibung des Brauches durch 
Varro nicht einmal vollständig erhalten ist und diese Einzel- 
heit leicht übergehen konnte. Auch an sich erscheint diese 
Opferungsweise nicht unwahrscheinlich, da die Tödtung von 
Pferden auch jetzt noch nicht durch Schnitt, sondern Stich 
ausgeführt wird.^ 

DieUmkränzung desRosshauptes mitBroden, 
denSymbolen des Erntesegens, sollte unzweifel- 
haft kein blosser Schmuck sein, sondern das da- 
mit behangene Ross als ein Wesen oder ais einen 
Gegenstand bezeichnen, an welchem die Kraft 
haftete, Pruchtfülle zu schaffen; sonst würde 
sich darum kein Kampf zweier Stadttheile er- 
hoben haben. Treffend vergleicht sich die Bekränzung 
des Halmbockes mit Kuchen (AWP. 168), des Hudelers 
mit Semmeln (BK. 269). Am 9. Juni, wann das erste frische 
Korn in die Mühle, das erste frische Mehl in den Backofen 



1 Becker-Marquardt IV 469. Henzen Acta Fr. Arv. 93. 

2 Ein griechisches Seitenstück bietet das Ritual des im Monat 
Aphrodisios (September-October) zu Salamis auf Cypern vollzogenen 
Menschenopfers im gemeinsamen Heiligthum der Athena, der Agraulos 
und des Diomedes, Porphyr, de abstin. II 54: 'O Sk aq>ayia(^ojutyog vno 
Ttav Ffpyjßtav ayousvozi t^W n igted" e i r or ßto/u or. fneira o Ugeos 
avTor ^oyx?] enaie xara tov oto ju a ^ ov xai ovTtog avrcv «Tri Tt]v 

rtja^eXöav nvqav cSXoxavTi^iv, Im italischen Gultus wurde am Feste der 
faliskischen Juno nach einer Ziege mit Wurfspiessen geschosasn. Ovid, 
Amor. III 13, 21. 



170 KAPITEL IV. 

kam, bekränzten in Rom die Bäcker ihre Mühlen und ihre 
die Mühle ziehenden Esel mit Blumen, und eine Procession 
schritt zur Yesta ad Janum, voran mit Blumen und mit 
Broden behangene Mühlesel, hinterher Matronen, 
welche unbeschuht auf einfachen Schüsseln eine aus dem 
frischen Mehl bereitete Speise dartrugen. ^ Die Einführung 
von Mühlen, die durch Esel getrieben wurden, an Stelle der 
Mörser (pilae) und Handmühlen gehört einer verhältniss- 
mässig sehr jungen Zeit an, so alt auch der Esel als Last- 
thier in Italien sein mag. Es ist leicht zu vermuthen, dass 
die Bäcker, deren Zunft 174 v. Chr. entstand, als sie ihr 
Fest einrichteten, mit alten häuslichen Gebräuchen Züge der 
älteren Erntefeste verbanden, aus denen die ümkränzung des 
Thieres mit Broden zu entlehnen und auf die vierbeinigen 
Gehilfen ihrer Arbeit zu übertragen, für sie nahe genug lag. 



§ 4. DER WETTLAUF. 

Das Wettfahren auf dem Marsfelde entspricht der Sitte 
in Chambery nach der 'jeune boeuf genannten letzten 
Garbe einen Wettlauf anzustellen. So laufen die Ernte- 
arbeiter an manchen Orten hinter dem in die letzten 
Halme gesetzten Hahn, dem Erntehahn her und nennen 
diese Sitte das Hahngreifen. ^ In manchen französischen Orten 
wird beim Erntefest das mit Blumen und Aehren 
geschmückte Kalb oder Zicklein, das zumMahle 
geschlachtet werden soll, von allen Schnittern 
mit ihren Werkzeugen verfolgt. In Schwaben findet 
an dem als Erntefest gefeierten Bartholomäustage auf einem 



1 Vergl. Becker-Marquardt IV 290. Preuner Hestia-Vesta 24a 
Preller Rom. Myth. 543. Lyd. de mens. IV 59: ^Ey ravrij rij ^/ucq^ ita^val^or 
ol aQTonoLoi .. . ovoi ds forfi(payio,u6voi tjyovvxo Jtjg no/unrji. 

Ov. Fast. VI 310: Fert missos Veatae pura patella cibos; 

Eeco coronatis panis dependet asellis, 
Et velant scabras florida serta molas. 

Prop. V 1, 21: Vesta coronatis pauper ]g^audebat asellis. 

2 Vergl. KorDdäm. 13. 



DAS OCTOBfIRROSS. 171 

Stoppelfelde ein Wettlauf der Burschen und Mädchen 
mit unbeschuhten Füssen nach einem bekränzten 
Hammel statt. Dieser Gebrauch heisst der Schäferlauf. In 
Besdau bei Luckau stellen Knechte und Mägde am Erntefest 
besonders einen Wettlauf nach einem grossen Kuchen 
an. Dem Wettlauf oder Wettritt bei der Ernte entspricht 
ein gleicher Yorgang im Frühlingsgebrauche. Bei Sangers- 
hausen wird am 2. Pfingsttage ein Wettreiten nach einem 
aufgestellten Hut und dann ein Tanz veranstaltet, wobei ge«- 
wöhnlich der Schimmelreiter auftritt, dessen englische 
und französische Ebenbilder, das Hobby horse und Gheval 
Mallet, zur nämlichen Zeit den so eben aufgesteckten Mai- 
bäum umtanzen. In deutschen Gegenden hat dann vielfach 
Wettlauf oder Wettritt nach dem aufgerichteten und mit 
einem Kranze behangenen Maibaum statt, ein Brauch, dem 
allem Anscheine nach die Vorstellung des wetteifernden 
Frühlingseinzuges der Yegetationsdämonen zu Grunde liegt, 
wie ich anderswo ausführlich darlegte.^ Im Harze nimmt 
nun das Pfingstreiten die folgende Gestalt an: Die Pferde 
•haben bunte Bänder an Köpfen und Schwänzen, die Knechte 
an Mützen und Schultern. Auf einem Anger ist dann ein 
Kranz aufgesteckt, und danach jagen die Knechte mit 
ihren Pferden. Dem Pferde, das die Stelle zuerst 
erreicht, wird der Kranz um den Hals gehängt.^ 
Der Wettritt geht auch über in eine zu Ostern, Himmelfahrt 
oder Pfingsten abgehaltene berittene Flurprocession um alle 
Saatfelder, wobei als Sieger gilt, wer das schönste Ross hat. 
In Oesterr. Schlesien wird zu Ostern in den einzelnen Höfen 
das schönste Handpferd (das Pferd, das rechts 
angespannt wird, vergl. bigarum victricum dexterior 
o. 8. 157) von den Mägden mit Bändern und Kränzen 
geschmückt. Nach der Vesper reiten die Bursche auf den 
geputzten Pferden längs der Grenze so lange hin, bis sie 
zum Gehöfte eines Bauern vom benachbarten Dorfe kommen; 
dort reiten sie dreimal unter Absingung österlicher Lieder 



» liK. 382—397. 
' BK. 387. 



172 KAPITEL IV. 

im Dorfe herum. ' Doch nicht allein in Nordeuropa war das 
Erntefest mit Wettlauf oder Wettritt verbunden. In Rom 
gingen die Circusspiele von demselben aus. Die älteste 
Bennbahn, der Circus maximus, ist schon in der Eönigszeit 
zur Feier der Consualien angelegt worden. Dieselben galten 
dem Erntegotte Consus (o. S. 161), welchem ein bei den 
unteren Meten des Circus ^ belegener, das ganze Jahr mit 
Erde beschütteter Altar geweiht war, den man an seinen 
Pesttagen aufdeckte. Hier opferte am 7. Juli der Pontifex 
maximus, am 21. August der Flamen Quirinalis und die 
Vestalinnen als Erstlingsgaben (anao/ai\ Dionys. Hai. II 31), 
die Garben der diesjährigen Ernte im Feuer; und auf drei 
Säulen mit davorstehenden Altären, den Dämonen (dii certi) 
der Saat, Ernte und Aufbewahrung der Früchte geweiht, 
sah man, wie es scheint, die Standbilder je drei gleichartiger 
Gottheiten, Seia, Segesta u. s. w.^ Zu Ehren des Consus 
und bei aufgedecktem Altare desselben fanden an den Con- 
sualien Wettläufe von Pferden und Wagenrennen mit Rossen 
und Maulthieren statt; diese Hausthiere rasteten dann von 
jeder Arbeit und waren mit Blumen umkränzt,* wie die 
Esel an den Vestalien, die Zugstiere an dem Saatfeste (feriae 
Sementinae). ^ Die Spiele sollten die nämlichen sein, bei 



1 BK. 398. 

2 ad primas metas. Schwegler Rom. Gösch. I 473 Anm. 6. 

» Vergl. Plin. H. N. XVIII 2. Tertullian. de spectac. 8. Härtung 
Rel. d. Rom. II 131. Schwegler 1 476. Preller Rom. Mytli. 591 Anm. l ; 
593 Anm. 2. Rossbach Rom. Ehe 331 ff. 

* Dion. Hai. II 31 : Tijy Se rore vno 'Pto/uuXov xa9'ifQta9'etaay eo^rjv 
#rt xai elg fjub äyoyrfg '^Pta/ucctoi disteXovv KtovaovaXia xaXoovregi fv f] /3(0/lios 
TS vnoyeiog IS^v/uevog rraoa r^ /ufyCaro) rtav InnoS^oucoVy nBQiattaipilatjg rtjg 
yrjg , &vatai; re xai v n e ^nvQOi g a n ag^ aXg yfqaiQBTai , xa\ S qo ft o c 
%7i7i(av t,BvxT<Zv TB X a\ aC,€v XT tav fn IT f Xeirai* xaXelrai Se o ^€og, 
(p raura IniXBloZaiy KtSvnog vno *^Ptajuat(av, I 33: Kai rrjv BOQTtjv InnoxQareia 
fi%v vn ^QxaSaty, KwyaouaXia Se vno 'PtauaCtov Xeyo/ueya xareari^aavrot ev 
rj noQa PtajuaCoig f | eS'ovg eXivvovaiy e^ytay 'Innoi xai oQeTg, xai are^oyr at 
rag xe^aXdg avS-eai. Paul- Diac. 148: Mulis celebrantur ludi in Circo 
maximo Consualibus, quia id genus quadrupedum primum putatur 
coeptum currai vehiculoque adiungi. 

5 Ov. Fast. I 663. 



DAS OCTOBERROSS. 173 

denen Romulus die sabinischen Jungfrauen raubte. Es ist 
für gewiss anzunehmen, dass das Zeitalter der Tarquinier, 
als es zuerst eine ständige Rennbahn für das Fest anlegte,^ 
Wettlauf und Wettrennen nicht erst erfand, sondern nur nach 
dem Muster griechischer Spiele reformirte; in der ländlichen 
Consualienfeier, die neben der städtischen fortdauerte, war 
gleichfalls von Spielen die Rede ; - Wettlauf der ' Menschen 
oder Corsorennen der Rosse nach oder von dem mit der 
ersten oder letzten Garbe des Feldes bedeckten Altar des 
Consus wird die ursprüngliche Form des Brauches gewesen 
sein. Den Raub der Sabinerinnen hat man längst als ätio- 
logische Erklärung der römischen Hochzeitsgebräuche erkannt ; 
wenn der Glaube den Ursprung der letzteren an die Gon- 
sualien knüpfte, so muss dieses Erntefest eine Beziehung auf 
die Eheschliessung enthalten haben. Das ist nun aber bei 
der entsprechenden deutschen Erntefeier in hervorragendem 
Grade der Fall; wer die letzte Garbe bindet, soll im nächsten 
Jahre heirathen, selbst dann, wenn der Name der aus 
den letzten Halmen bereiteten Erntepuppe lehrt, dass man 
einen theriomorphen Wachsthumsdämon gegenwärtig denkt; 
die letzte Garbe muss von einer Braut gebunden werden; 
oft heisst sie selbst Braut, die Binderin wird als Weizen- 
braut, Haferbraut ausgeschmückt u. s. w. Eine Abart der 
Consualien sind die Tarentinischen Spiele, zur Abwendung 
einer Seuche gestiftet.^ Sie verhalten sich zu dem Ernte- 
brauch der Consualien, wie die Uinausführung des Pharmakos 
bei einer Epidemie zum Pharmakos am Erntefeste der Thar- 
gelien ; und in gleichem Sinne sind auch andere bei Pest und 
Misswachs begründete Rennspiele zu beurtheilen, welche 
Schwegler I 475 aufzählt. Wie die Consualien aller Wahr- 
scheinlichkeit nach ursprünglich ein Wettritt oder Corsolauf 
waren, urtheilte schon Preller (Rom. Myth. 318), dass die am 
27. März und 14. März zu Ehren des Mars auf dem Mars- 



* Schwegler I 476. 

2 Varro bei Nonius S. 13: Cernuus: . . . . a quo ille Yersus vetos 
est ia carminibus: Sibi pastores ludos faciunt ooriis eonsualia. 
8 Preller Rom. Myth. 469 fif. 



/ 



174 KAPITBL IV. 

felde begangenen Equirien m älterer Zeit vielleicht ein Wett- 
rennen gewesen sein mögen, wie es noch jetzt beim Carneval 
zu Rom im Corso gehalten wird, ^ später aber ein Wettfahren, 
wie die circensischen Uebungen/ Diese Begehungen ent- 
sprechen den vorhin erwähnten Wettläufen und Wettritten 
zu Puss und Pferde beim deutschen Oster-, Maitag- und 
Pfingstfest,^ wie die Wettrennen an den Consualien am 
15. December unserem Ste£Pansritt (BK. 402 ff.) entsprechen. 
Für das Erntefest im October auf dem Marsfelde schöpfen 
wir aus diesen Analogien die Berechtigung zu der Annahme, 
dass man wohl ursprünglich beritten hinter dem einen mit 
Broden behangenen Rosse herjagte, welches das entweichende 
Getreidethier darstellte, es zu haschen suchte und vielleicht 
mit dem Speerwurf erlegte, ehe man ihm den Kopf abhieb. 
Das Eindringen der griechischen Rennspiele vervielfältigte 
dieses Thier und verwandelte die Jagd nach demselben in 
einen Wettlauf der vor den Wagen gespannten Renner; 
als Rest der alten Sitte blieb die Tödtung durch einen Speer, 
vorausgesetzt, dass die befremdliche Notiz des Tiraäus auf 
einer Thatsache beruht. Oder man liess eine Anzahl Pferde 
als Darsteller einer Mehrheit der entfliehenden Kornrosse 
Corso rennen und zeichnete das zuerst am Mal ankommende 
als Repräsentanten des Dämons xar' i^o/^jv aus. 

Für die vorgetragene Ansicht fällt möglicherweise der 
Volksbrauch im Albanergebirge ins Gewicht, da Pferde- 
rennen die Hauptlustbarkeit der o. S. 162 erwähnten 
October feste ausmachen. Dabei bringen die einzelnen 
Bauern ihre Pferde zur Concurrenz und schmücken sie mit 
Rauschgold, bunten Bändern und kleinen Stachel- 
schellen. Ohne Reiter rennen die Rosse den Corso ent- 



* Es verlohnt sich einmal eingehender zu untersuchen , ob der 
bekannte Corsolauf der Rosse beim Carneval, Eirchweihen u. s. w. 
nicht ursprünglich aus verwandter, bis ins Mittelalter geretteter Sitte 
italienischer Dörfer und Städte hervorging. In Rom gab Pabst Paul II , 
ein Venetianer, im J. 1468 zuerst die Gorsorennschauspiele zum Besten, 
wobei an jedem Carnevalstage Pferde, Esel, BüflFel, Greise, Jünglinge, 
Kinder und Juden liefen. Gregorovius Wanderjahre in Italien* I 78. 

2 Schon A. Kuhn urtheilte so (Haupt Zs. 5, 493); nur hatte er 
nicht daraus die Identität des Mars und Wodan folgern sollen. 



DAS OCTOBERROSS. 175 

lang; das zuerst ans Ziel gelangte erhält einen Preis. In 
jedem Falle, selbst wenn diese Sitte in ihrer gegenwärtigen 
Form nicht bei Rom gewachsen, sondern im Mittelalter aus 
dem Städtegebrauch Vielleicht anderer Qegenden aufs Land 
exportirt sein sollte, bezeugt sie, die doch ihrem Ursprünge 
nach jedesfalls ländlich war, die Verbindung des noch nicht 
zur Wettfahrt gewordenen Wettlaufes mit der Herbstfeien 

Uebrigens kehrt ein Umlauf, Wettlauf oder Pferde- 
rennen auch sonst, und in Rom fast ausschliesslich im Cultus 
der agrarischen Gottheiten wieder, vergl. die Luperealien, 
Hirpi Sorani, Robigalien-, und auch die durch die sibyilinischen 
Bucher empfohlenen nach kleioasiatisch-griechischem Muster 
eingerichteten (?) Gottesdienste der Cerealien und Floralien ^ 
waren mit solchen verbunden. In Griechenland gewähren 
der Wettlauf der Staphylodromoi an den Earneen, der Wett* 
lauf bei den Oschophoricn, das Xakyidixov ditay^ia an den 
Thesmophorien u. s. w. Beispiele (AWF. 254 flf.). 

Es sei mir verstattet noch eine Yermuthung vorzutragen, 
welche — wenn sie begründet ist — diesen Typus auch im 
semitischen Yorderasien für sehr alte Zeit heimisch zeigt. 
Das ebräische Passahfest verbindet die Ideen eines Natur- 
festes mit der Erinnerung an die geschichtliche Thatsache 
des Auszuges der Israeliten aus Aegypten. Baur und Ewald^ 
haben längst erkannt, dass die Feier die jahvistische Um- 
deutung eines vormosaischen Erntefestes sei, zu dessen 
Gebräuchen ein Yersöhnungs- oder Reinigungsopfer gehörte, 
und neuere Theologen wie Pfleiderer^ stimmen bei. Die 
bisher im Dunkel gebliebene Ursache, weswegen die histo- 
rische Tradition von der Flucht vor den Aegyptern an den 
Agrarcult anknüpfte, wird klar, sobald wir die uns schon 
bekannten Typen europäischer Erntefeste zu Rathe ziehen. 
Der ältere Ritus des Passahfestes war folgender.^ Am 14. 



1 Becker-Hnrquardt IV 324. 494. 

2 Baar, Tabing. Zeitschr. f. Theolog. 1832. I 40 ff. Ewald, Zs. 
f. Kunde d. Morgenl. III 422 ff. Alterth. des Volkes Israel • 466. 

' Pfleiderer die Religion, ihr Wesen und ihre Geschichte II 296. 
^ Hierüber vorgl. den Artikel 'Passah' in Herzogs Realencyclopädie 
für Protestant. Thool.2 XI. S. 263. 



176 KAPITEL IV. 

des 'Aehrenmonats' (Abib, später Nisam, zwischen März 
und April) schlachtete der Hausvater eine Ziege oder Lamm, 
mit deren Blute er Schwelle und Pfosten des Hauses be- 
strich, wie es hiess, zur Erinnerung daran, dass der Würg- 
engel des Herrn, der alle ägyptische Erstgeburt von Menschen 
und Thieren schlug (Seuche) , an den so bezeichneten Woh- 
nungen vorübergegangen sei. Daher hiess das ganze Fest 
Pesach d. h. Verschonung. Aus späterer Zeit, als die Lämmer 
im Tempel zu Jerusalem geschlachtet wurden — es geschah 
dies seit Hiskia — ist im Talmud der Zug überliefert, dass 
man dem Passahlamm den Schwanz abriss und mit dem 
Fette den Priestern übergab, die ihn einer dem anderen 
reichten, bis er zum Altar gelangte, wo er eingesalzen ins 
Feuer geworfen wurde. Das mag ein alter, ehemals am 
Hausaltare geübter Ritus sein. Nach Einbruch der Nacht, 
also, da der Beginn des Tages vom Abend an gerechnet 
wurde, am 15. verzehrte der Hausvater mit seiner Familie 
das Lamm oder das Böcklein mit Eilfertigkeit im auf- 
geschürzten Rock, Schuhe an den Füssen und einen Stab in 
den Händen. ^ Von der Mahlzeit durfte nichts übrig bleiben, 
alle Ueberbleibsel mussten verbrannt werden. Am 16. folgte 
sodann die Darbringung der Erstlinge des Erntesegens. Eine 
Garbe der soeben reif gewordenen Gerstenähren wurde gelinde 
am Feuer geröstet, zerstossen und als Speisopfer dargebracht, 
ausserdem eine ungedroschene Garbe über den Opferaltar 
hin- und hergeschwenkt (gewoben), mehrere andere Garben 
fielen den Priestern zu. Jetzt erst galt die Ernte für er- 
öffnet (xal TOTf Xomov s^tavt näat Kai löia i^egii^eiv Joseph. 
Autiqu. ni 10, 5), und niemand durfte vorher neues Brod, 
geröstete Aehren oder zerstossene Körner der neuen Frucht 
kosten (3. Mos. 23. 14). Sieben Tage hindurch vom 14—21. 
musste die jüdische Familie süsse (ungesäuerte) Brode essen, 
den Beschluss machte eine grosse Sabbathfeier. Mit dieser 
Erntefeier verband sich zugleich die Ueberzeugung und aus 
ihm wird abgeleitet das Gebot, dass alle Erstgeburt dem 
Herrn und seinen Priestern gehöre. Jedes erstgeborene 



1 2. Mos. 12. 11. 



DAS OCTOBERROSS. 177 

Hausthier wurde letzteren übergeben, die Erstgeburt des 
Menschen und der unreinen Thiere mit Geld gelöst.^ Man 
hat vermuthet, dass das Passahfest nur die äusserliche Ver- 
einigung zweier getreonter Feste, eines historischen Er- 
innerungsfestes (Passahlamm, Fest der süssen Brode zum 
Andenken an die Freude der ersten Tage der Befreiung) 
und der Erntefeier sei. Dagegen machten schon Baur und 
Ewald, obwohl sie einen ins Einzelne gehenden Beweis noch 
nicht zu liefern vermochten, geltend, dass sowohl die 
ungesäuerten Brode ursprünglich in vormosaischer Zeit zum 
Erntefeste gehört haben müssen, als auch das Yersöhnungs- 
opfer unzweifelhaft schon von Anfang an mit der Frühlings- 
feier verbunden war. Ist dem so, so muss das ganze Natur- 
fest erst in jener Zeit, als die semitischen Religionen den 
Fortschritt aus einem beschränkten Polytheismus zur Hervor- 
hebung eines Hauptgottes machten, an den als Nationalgott 
das ganze historische Leben des Volkes geknöpft wurde 
(Eamosch in Moab, Assur in Ninive) — ein Process, der im 
ebräischen Jahve allein mit dem wirklichen Monotheismus 
endete — ätiologisch im Sinne der geschichtlichen Er- 
innerung an. den Auszug ausgedeutet sein, und es liegt nahe, 
dass in die sagenhafte Geschichte des letzteren Züge auf- 
genommen wurden, welche auf blosser Combination aus den 
nicht mehr verstandenen älteren Festgebräueben beruhten. 
Genau so wurden das athenische Früherntefest der Thargelien 
und das herbstliche Dankft^st der Pyanepsien in historische 
Feste zur Erinnerung an Theseus umgedeutet (AWF. 229 ff.). 
Die letzte ägyptische Plage ist die ätiologische Erklärung 
des Glaubens, dass das Bestreichen der Schwelle mit dem 
Blute des Em t e opf er thi er s Epidemien verhindere, daher 
der Name ^Verschonung. Gerade so wird bei den Ambarvalien 
Mars um Abwendung von Pest und Misswachs angerufen, 
gerade so der Pharmakos sowohl an den Thargelien als zur 



1 Vergl. 2. Mos. 12, 1-28. 13, 1-17. 23, 15. 34, 2ß. 3. Mob. 

23, 10-25. 27, 26. 4. Mose 9, 1—5. 18, 15-19. 28, 16-25. 5. Mos. 

16, 1—8. Jos. 5, 11. 2. Chron. 30, 15—18. 35, 6. Esra 6, 20. Jo- 
seph. Antiqu. III 10, 5. IX 13, 3. 

QF. LI. 12 



178 KAPITEL IV. 

Pestzeit hinausgeführt; gerade so soll der Erntebraueh der 
Eiresione bald Misswachs, bald Pest beseitigen, und 
wehren die Hirpi Sorani, Johannes- und Nothfeuer Miss wachs 
von den Feldern, Krankheit und allgemeines Sterben von 
Menschen und Thieren ab. Wie der israelitische Hausvater 
mit dem Blute des Erntebocks, bestrich in der römischen 
Hochzeitsfeier, die mit dem Cultus der agrarischen Gottheiten 
aufs engste zusammenhing, ^ die Braut die Thürpfosten mit 
dem Fette des Schweins, des Thieres der Ceres und Tellus, 
oder des Wolfs, damit die der Fruchtbarkeit schadenden 
Geister keinen Einfluss aufs Haus hätten. 2 Wie bei 
den Hirpi Sorani, Palilien, Sonnwendfeuern, Luperealien, 
Schmackostern, Ambarvalien u. s. w. die cerealische, mensch- 
liche und thierische Fruchtbarkeit als Einheit gefasst war, 
verband sich mit der ebräischen Pesachfeier die Ueber- 
zeugung , dass mit den -Erstlingen der geernteten Gersten- 
ähren auch die Erstgeburt des Viehes und der Menschen 
dem Herrn gebühre und eigentlich dem Tode verfallen sei. Vor 
Zeiten mochten, wie bei den verwandten semitischen Völkern, 
so auch bei den Hebräern erstgeborene Kinder als mensch- 
liche Gegenbilder der Ernteerstlinge wirklich geopfert sein. 
Ein Zug in der deutschen Erntefeier, dass der Bauerwirth 
bei Beendigung des Getreideschnitts sein und seiner Familie 
Häupter als dem Tode verfallen (was durch Abhauung der 
Kohlköpfe in seinem Garten angezeigt wird) lösen muss, 
dürfte vielleicht besser aus dem nämlichen Gedanken erklärt 
werden, als — wie ich es ehedem (Korndäm. S. 5) that — aus 
der Schuld, die er sich als intellectueller Urheber der Tödtung 
des Getreidedämons zugezogen.^ Das höchstens einjährige 
Passahlamm oder Zicklein (2. Mose 12, 5), ein so junges 
Thier der neuen Frucht entsprechend,^ enthielt die Kräfte 



* Rossbach Rom. Ehe 257 ff. 301 ff. 310 ff. 331 ff. 334 ff. 

2 Rossbach a. a. 0. 356. 

8 [Vergl. jedoch o. S. 31. 32.] 

♦Nach Maimonidos (bei Bunsen Bibel I 142), kochten die 
Sabier (Babylonier) zur Zeit des E insammelns der 
Früchte ein Böcklein in Milch, um Segen für ihre Feld er 
zu erflehen; diese Sitte muss auch bei anderen Israel benachbarten 



DAS OCTOBERROSS. 179 

des Wachsthums in sich, darum konnte sein Blut zur Ver- 
treibung der Wachsthum hindernden, Seuche bringenden 
Dämonen dienen. Es musste unzerstückt mit heilen Gliedern 
gebraten, familienweise ganz und gar und auf einmal ver- 
zehrt werden, weil von den Kräften, die es in sich barg 
und auf die Geniessenden übertrug, nichts verloren gehen 
sollte. Eine Parallele gewährt jener Brodmann am Erntemai, 
den man im Bourbonnais isst (BK. 205. 218), noch mehr die 
in Wermland von der Hausmutter in Gestalt eines kleinen 
Mädchens aus dem Eorn der letzten Garbe geformte Brod- 
puppe (Lilla jente), welche unter die ganze Haus- 
gen ossenschaft zum Genüsse vertheilt wird. 
Wenn also alle diese Stücke des ebräischen Passahbrauches 
Seitenstücken im europäischen Erntebrauch begegnen, ist es 
nicht mehr als wahrscheinlich, dass dem Schlachten des 
Passahlammes auch ein Umlauf mit der Gerte 
voraufging, wie derTödtung des Octoberpferdes 
das Wettrennen? Und musste in jener Zeit, als die 
Jahvereligion ihrer selbst bewusst geworden anfing das 
ganze Leben des Einzelnen und der Gesammtheit, die Yolks- 
geschiclite und alle aus früheren Perioden ererbten Institu- 
tionen auf Gott den Heiligen und Ewigen als ihren einzigen 
Mittelpunct zu beziehen, nicht dieser ganz unverständlich 
gewordene Umlauf von selbst zur Combination mit jener auf 
den Ursprung des nationalen Lebens und der wahren Religion 
bezüglichen und bedeutsamsten historischen Erinnerung ein- 
laden, in welcher eine eilige Flucht die Hauptrolle 
spielte? Selbstverständlich griff jetzt die Auffassung der 
Schürzung zum Laufe als Reiseanzug, der Gerte als 
Reisestab Platz. Mit der Zeit aber kam dieses ganze Stück 



Semiten geherrscht haben , da darauf das Verbot 2. Mos. 23, 19 sich 
bezieht: *Die Erstlinge von der ersten Frucht deines Bodens sollst du 
bringen in das Haus deines Gottes, des Ewigen; du sollst nicht koche n 
das Böcklein in seiner Milch.' Dieses noch saugende, in 
der Milch seiner Matter gekochte Bocklein ist ein un- 
verkennbares mythisches Aeq ui valen t f ür die eben ge- 
borene Frucht des neuen Jahres. Vergl. das Kornkind, 
Korndäm. S. 28 ff. 

12* 



180 KAPITEL IV. 

des Passahbrauches, das 2. Mos. 12 für die ältere Zeit 
bestimmt voraussetzt, in Abgang. 

§ 5. DIE ANHEFTUNG DES PFERDEHAUPTES. 

Die Anheftung des Pferdehauptes an der Regia, in 
welcher sich der Staatsherd des römischen Volkes befand, 
vergleicht sich zunächst der Annagelung von Kuhhörnern, 
vielleicht eines ganzen gehörnten Schädels in der Vorhalle 
(vestibulum) des Dianatempels auf dem Aventin, des Bundes- 
heiligthums der latinischen Eidgenossenschaft.^ Die wider- 
sprechende Auffassung unserer auf eine einzige Quelle 
zurückgehenden Berichterstatter lässt uns im Zweifel, ob die 
Uebertragung an das Tempelgebäude an regelmässig wieder- 
kehrenden Festtagen statt hatte, oder ob das Anathema stätig 
seinen Platz behauptete; nur so viel geht aus der davon 
umlaufenden Sage hervor, dass der Glaube daran, als an 
ein Amulet, die Obmacht Roms knüpfte, also die Idee der 
Macht und Herrschaft damit verband. In jenem ersteren 
Falle dürfte auch hier vielleicht an ein ehemaliges Erntefest 
gedacht werden. Hiefür spricht einmal die Zeit des Pest- 
opfers der Göttin (13. Aug. Id. Aug.), welche mit derjenigen 
der Consualien (21. 25. Aug.) und des Weinlesebeginns 
(Vinalia rustica 19. Aug.) nahe zusammenfällt, und in welcher 
selbst noch 7 n. Chr. am 10. Aug. ein Feiertag für Ceres 
und Ops neu gestiftet wurde ; sodann der Umstand, dass die 
Sklaven an diesem Tage feierten und dass sie im Tempel 
der Diana Aventina ein Asyl hatten (vergl. AWP. 329), 
endlich das bei Umdeutung der altlatinischen (schon im 
Namen mit der Dea Dia verwandten) Göttin in die griechische 
Artemis 2 angenommene Cultbild der ephesischen Artemis, der 

1 Liv. I 45. Flui. Quaest. Rom. 4. Becker- Mar quardt IV 306. 
Preller Rom. Myth. 283. Härtung Rel. d. Rom. II 209. Schwegler 
I 706 ff. 730 ff 

2 Auch dieser (als der saatfördernden Mondgöttin?) weihten die 
Aetoler und andere Griechen die '^alvma yowtp altarji II. IX 534. Vergl. 
Catull 34, 17: Tu cursu dea menstrno 

Metiens iter annuum 
Rustica agricolae bonis 
Tecta frugibuB exples. 



DAS OCTOBERROSS. 181 

vielbrüstigen , nährenden und zeitigenden Göttin des Erden- 
lebens, der Vegetation und der Thiere und Mensehen'. Falls 
aber derselbe Rindschädel dauernd stationirt blieb, fällt die 
nähere Analogie zu dem Haupte des Oetoberrosses hinweg, 
ohne dass sich bei dem Mangel eingehenderer Details Be- 
stimmteres über die zu Grunde liegende Idee sagen lässt; 
verschiedene Möglichkeiten zu erörtern, wäre leicht, aber 
unfruchtbar. Dagegen bietet der sonstige nordeuro- 
päische, griechische und römische Erntebrauch 
zu der Aufhängung des mit Broden umkränzten Rosshauptes 
ein Seitenstück, welches durchaus geeignet scheint die Be- 
deutung desselben zu erläutern, zumal wenn man sich ver- 
gegenwärtigt, dass zuweilen schon in Polen und Deutschland, 
häufiger in Frankreich (vergl. z. B. Kornbock AWF. 166. 
169, Kornkatze AWF. 173. 174, Kornstier o. S. 58 ff.) die 
den Korngeist darstellende Getreidepuppe durch ein lebendes 
Thier ersetzt wird. Die Italer hingen ein Erntebündel aus 
Aehren geflochten an den Thüren des Cerestempels 
oder, an der Thüre des eigenen Hauses auf. TibuU I 1, 15: 

Flava Geres, tibi sit nostro de rure Corona 
Spicea, qaae templi pendeat ante fores. 

Beim Erntefeste der Thargelien oder Pyanepsien pflanzte 
der Grieche einen mit den Erstlingen der Ernte, Aehren und 
Baumfrüchten behangenen Lorbeerzweig, Eiresione genannt, 
vor die Thüre des Apollotempels oder vor die Thüre des 
Privathauses auf, und hier verblieb dieser Strauss das ganze 
Jahr hindurch bis zur nächsten Ernte. Dasselbe geschah 
anderswo an dem der römischen Octoberfeier entsprechenden 
Ernteschlussfest der Pyanepsien (AWF. 214 ff.). Am 
ganzen Mittel- und Niederrhein und in fast ganz Frankreich 
schmückt noch jetzt ein der Eiresione entsprechender, mit 
Bändern und Backwerk behangener Baumzweig, der häufig 
nach einem Thiere le chien de la moisson, le coq 
u. s. w. heisst, das letzte Fuder der Ernte und wird auf 
dem Giebel der Scheune oder am Schornstein des 
Wohnhauses angebracht, wo er ein Jahr hindurch 
verbleibt. Im übrigen Deutschland ganz ähnlich.^ In der 

1 Vergl. BK. 203 ff. 



182 KAPITEL IV. 

Oberpfalz nagelt man die drei zuerst geschnittenen Aehren 
an die Hausthür, im Odenwald und dem ehemaligen Kur- 
hessen den Erntekranz an das Scheunenthor, gewöhnlich 
erhält er seinen Platz in der Stube oder auf dem Haus- 
flur. Drei Aehren und Erntekranz sind jedoch nur ein- 
fachere Gestaltungen der aus der letzten Garbe gefertigten 
Erntepuppe, welche nach dem Eorndämon Wolf, Bock, 
Roggensau u. s. ^.v. benannt ist und ihn darstellt; diese 
wird für Augenblicke unter die Herdkappe getragen, 
meistens aber auf der Vordiele, zur Seite der Hausthür, an 
dem Hausgiebel, oder auf dem Dache des Herren- 
hauses, bezw. auf derPirst derScheuer befestigt und 
dort gelassen, bis nach Jahresfrist eine neue Puppe die alte 
ersetzt.^ So geschieht es z. B. mit den aus Holz oder Pappe 
verfertigten Abbildern des Aarhahns, Brauthahns, Erntehahns 
oder Herbsthahns.2 In einigen Orten der Rheinprovinz nagelt 
man dem Schnitter der letzten Halme den Cadaverirgend 
eines kleinen Thieres an dieWand seines Hauses.* 
Der Komgeist ist in weiterer Bedeutung ein Dämon der 
Fruchtbarkeit und des Gedeihens im allgemeinen. An der 
First, auf dem Dache, zur Seite der Thüre oder auf der 
Hausflur sollte er als segenbringender und schadenabwehrender 
Schutzgeist in effigie verweilen. So scheint es sich auch zu 
erklären, dass man aus Holz geschnittene Hähne oder 
Pferdeköpfe, welchen häufig das Ornament eines Blüthen- 
zweiges zugestellt ist, den Giebel deutscher, russischer, pol- 
nischer Bauerhäuser schmücken sieht. ^ Das Anheften 
des mitBroden bekränzten Pferdehauptes an der 
Regia entspricht mithin genau der Aufhängung 
des Kranzes an der Thür des Cerestempels, wie 
der Aufrichtung der nach dem Getreidethier 
benannten Erntepuppen, Baumzweige u. s. w. auf 



1 Vergl. Korndäm. 7. 

2 Vergl. Korndäm. 14. 

3 Vergl. Korndäm. 19. 

♦ Vergl. Chr. Petersen 'Die Pferdekopfe auf den Bauerhäaaern' in 
Jahrb. f. Schleswigholst. Landesk. III 1860. S. 208—345. Separatausg. 
Kiel 1860. Korndäm. 14. 



DAS OCTOBERROSS. 183 

dem Giebel der Scheuer oder neben de'r Thür 
des Hauses. Dabei gleicht das mit Broden behangene 
Rosshaupt noch um so mehr der mit Kuchen (niovsg ägrot) 
behangenen Eiresione und ihren europäischen Verwandten, 
als auch Zeit und Zweck der Octoberfeier mit derjenigen 
der Pyanepsien übereinkommen. In Frankreich wird mit- 
unter ein Unterschied gemacht. Die letzte Garbe der Ernte 
oder ein aus derselben verfertigtes Kreuz wird vielfach auf 
dem Giebel oder über der Thüre der Kornscheuer befestigt, 
während der mit Aehren und bunten Bändern geschmückte 
Baumzweig (le bouquet), welcher beim Einfahren in der 
Mitte der letzten Garbe steckt, für das ganze kommende 
Jahr denPlatz über dem Rauchfange des Herren- 
hauses einnimmt. 



% 6. DAS ABHAUEN DES SCHWANZES. 

Der abgehauene Schwanz wurde so schnellen Laufes 
vom Marsfelde zum Königshause des Numa neben dem 
Tempel der Vesta getragen, dass das noch warme Blut auf 
einen zu diesem Zwecke aufgestellten tragbaren Altar (focus) 
tropfen konnte.^ Mit Blut Tempel und Altar zu röthen, 
war ein vielen heidnischen Völkern gemeinsamer Ritus, die 
Darbringung des Schwanzstückes im römischen Opferbrauch 
nicht ungewöhnlich. Die kunstreich zerschnittenen Eingeweide 
des Opferthiers (exta prosecta, prosiciae) pflegte man näm- 
lich, gewöhnlich gekocht, auf den Altar zu legen (exta 
porrigere, dare, reddere), und ihnen als Zulagen (augmenta) 
von sonstigen Körpertheilen das Netz, das Euter und den 
Schweif, jedes für sich, hinzuzufügen. ^ In unserem Falle 



1 lieber den Untersohied von ara und focus vergl. Marini Atti 
de' fratelli Arvali 311. Henzen Acta Fr. Arv. 93. Preuner Heatia-Vesta 
S. 25S Anm. 3. 

2 Vergl. Marini a. a. 0. 583. Henzen a. a. 0. 94. Das 
Schwanzstück der verschiedenen Thiere wurde in der sacralen Sprache 
sogar verschieden bezeichnet, vom Binde hiess es plasea, von kleineren 
Thieren (Schwein, Lamm u. s. w.) offa penita. — Arnob. adv. nat. 
YII 24: Offa autem penita est cum particula visceris caada pecoris 



184 ' KAPITEL IV. 

erscheint das Ernteopfer nun gleichsam getheilt ; die Haupt- 
handlung, die Darbringung der Eingeweide, ging auf dem 
Altare des Marsfeldes vor sich ; der Focus in der Begia er- 
hielt participandae rei divinae gratia die eine der Beigaben. 
So wurde die Begehung unzweifelhaft in der Zeit des Yarro 
aufgefasst; aber hatte sie von je her diesen Sinn? Auffallend 
bleibt doch diese alleinige Uebertragung des Schwanzes. 
Qalt es damit dem alten Eönigshause ein 'Heilthum' 
zuzuwenden, so lässt schon dieser Umstand vermuthen, dass 
der Rossschweif in älterer Zeit bedeutsamer hervortrat, und 
es darf die Frage aufgeworfen werden, ob die ursprünglichen 
Festordner das Schwanzstück absichtslos oder aus blossen 
Zweckmässigkeitsgründen wählten, oder ob dasselbe einen 
bestimmten Gedanken symbolisch verkörpern sollte, wie die 
dreissig am 15. April aus Mutterschoss geschnittenen For- 
dicidienkälber, die Sinnbilder der keimenden Früchte, welche 
(doch wohl in einen Raum eben der nämlichen Regia) zu 
der ältesten Vestalin gebracht und von ihr zu Asche ver- 
brannt wurden, nachdem die Eingeweide der Mutterkühe auf 
den dreissig Curienherden geopfert waren. Haben vielleicht 
ehedem die Vestalinnen die Asche des Pferdeschwanzes 
ebenso bis zu den Palilien bewahrt, wie sie es mit der Asche 
der Fordicidienkälber und dem Blute des Octoberrosses 
machten? Oder wurde nur der obere Fleisohballen ver- 
brannt, die langen Haare des Schweifes aber — ein passendes 
Symbol der langen Halme — in der Regia aufgehängt? Wir 
sind heute nicht mehr im Stande diese Frage zu entscheiden; 



amputata .... BoYis oauda est plasea siligine et sanguine delibuta. 
Ebds. 25* Quod si omnes has partes, quas prosioias dicitis, aocipere 
di amant, suntque Ulis gratae yel Yoluptatis alicuius vel duloedinis sensu, 
quid intercedit, quid prohibet, nt non semel haec omnia totis cum 
animantibuB inferatis? Quae causa, quae ratio est, ut oaro strebula 
separatim , ruma , c a u d a et plasea separatim , hirae solae , Omentum 
solum augmentorum adioiatur in causam? Fest. S. 242: Poenitam offam 
Kaeyius appellat absegmen carnis cum coda: antiqui autem offam 
Tooabant abscisum globi forma, ut manu glomeratam pultem. Fest. 
S. 230: Penem antiqui codam Tocabant. a qua antiquitate etiam nunc 
offa porcjna cum cauda in oenis purjs offa penita vocntur. 



DAS OCTOBERROSS. 185 

wir müssen unser Nichtwissen eingestehen und uns dabei 
beruhigen. 

Gleichwohl enthalte ich mich nicht eine Reihe von 
nordeuropäischen Bräuchen namhaft zu machen, welche einen 
Fingerzeig geben können, aud welchem Gedankenkreis e 
heraus die Wahl des Schwanzstückes hervorgegangen sein 
könnte, falls in ihr eine symbolische Bedeutung gesucht 
werden müsste.. Wir begegnen nämlich in Nordeuropa der 
Vorstellung, dass der Schnitter oder Drescher des Letzten 
das entweichende geisterhafte Eornthier (Getreidehase, chien 
d'aoüt, Eornkatze, Hafergeiss u. s. w.) beim Schwänze 
ergreife. Man soll dann Acht geben, dass 'der Hase' nicht 
weglaufe, wer gut springt, kann ihn noch beim Schwänze 
fassen (Cherbourg). Wer die letzten Halme schneidet^ 
*haut dem Hasen den Schwanz ab' (Aurich). Man 
ruft beim Abmähen der letzten Ecke des Ackers: 'Nous 
tenons le chat par la queue' oder 'C'est le cu ä 
chien\ Der Schnitter der letzten Halme bezw. der Drescher 
des letzten Gebundes 'hat das Haferschwänzle', 'den 
Weizenschwänz', 'den ZageT, zusammengezogen 'Z&V 
oder 'Z6r (Schlesien) 'ZolT (Baiern), oder wird selbst so 
genannt. Heisst die letzte Garbe so, so pflegt in ihr wohl 
ein grüner Zweig zu stecken. In Zobten a/Bober wird 
sie als 'Ort ding' (v. Ort, Spitze, Ecke) bezeichnet. Auch 
'in Venetien heisst, wer den letzten Streich mit dem Dresch- 
flegel führt, 'Coda'. Bei Buss Rgbz. Gumbinnen lässt man 
beim Hauen einen Busch Aehren, Zagel genannt, stehen. 
Alle Arbeiter drängen sich danach, einer nach dem anderen 
ihn anzufassen. Gegen einige Flaschen Branntwein erkauft 
sich endlich der Bauer das Recht, ihn in eigener Person ab- 
schneiden zu dürfen, um dadurch den iJrntesegen für 
das kommende Jahr zu erhalten. Bei Trier ruft man 
die vorderste der in der Reihe der Schnitter arbeitenden 
Personen Torschnitter', die hinterste 'Schwanzträger'. 
Diese schneidet die letzten Halme, oder, wie man sich aus- 
drückt, *er schneidet der Geiss den Hals ab*. Wenn 
in Westfalen im Frühjahr ein Fuchs mit abgehauenem 
Schwänze umhergeführt wurde, so mochte derselbe 



186 KAPITEL IV. 

den im Herbste des Schwanzes beraubten Dämon dar- 
stellen (o. S. 110; vergl. equus curtus o. S. 159). In mehreren 
Orten Oberösterreichs heisst derjenige, der den letzten Drischel- 
schlag machte, (als Vertreter der Roggensau) 'Saufud'. Er 
empfängt beim Dreschermahl von dem Schweinebraten, 
der auf den Tisch kommt, das Seh weif stück d. h. das 
Stück mit dem Schwänze. Um Alengon in der Normandie 
bringt man, sobald der letzte Drischelschlag gefallen ist, der 
Bäuerin einen Strohmann, der ihr sein Herz anbietet. Sie 
dankt und bietet zum Gegengeschenk einen Widder oder 
Hammel. Derselbe wird sofort geschlachtet und zum 
Dreschermahl zubereitet, den Schwanz (queue) aber 
haut man zuvor ab, trägt ihn zum Herde, brät 
ihn besonders und theilt ihn in so viele Stücke, 
als junge Mädchen in der Gesellschaft sind. 
Jeder von ihnen präsentirt man ihr Stück mit vielem Ge- 
lächter. Wenn hier der Schwanz des den Getreide widder 
darstellenden Thieres offenbar im Sinne künftiger Frucht- 
barkeit mitgetheilt wird,^ so zeigt uns eine andere Sitte 
dieses Glied im Frühjahr wieder auftauchend. Man muss 
die Vorstellung gehabt haben, dass aus dem abgehauenen 
Schweife des theriomorphischen Vegetationsdämons sich im 
Lenze das ganze göttliche Thier wieder ergänze. Zu Neuautz 
in Kurland kocht die Wirthin, wenn zum ersten Mal 
im Jahr Gerste gesäet wird, einen Schweine- 
rücken sammt dem Schwänze und bringt ihn aufs Feld 
hinaus. Dort isst der Sämann davon, den Schwanz aber 



^ Hierzu vergleiche man die Hchwäbische Hochzeitsitte: Im Günz- 
thal wird das Hochzeitsmahl durch einen Scherz nicht gerade feiner 
Art geschlossen; es servirt nämlich der Hochzeitlader der Braut die 
sogenannte verdeckte Speise, die Eranzjungfer, das 'G'spiel', hebt den 
Deckel ab, und die überraschte Neuvermählte findet in der Schüssel 
nichts als das Schweifchen des gebratenen Schweins, das 
sogenannte Sauvvedele, ein JGEumor, der ein längst bekannter ist, doch 
stets mit allgemeinem Jubel aufgenommen wird. Bavaria II 2, 1863, 
829. Im Vogtlande erhielt bei Hochzeiten die Braut den hinteren Theil 
des Schweines sammt dem ganzen Schwänze, an den ein grüoes 
Sträusschen gebunden war. Köhler Volksbrauch im Voigtlande S. 237. 
Vergl. offa ponita o. S. 183. 



DAS OCTOBERROSS. 187 

schlägt er ab und steckt ihn in den Feldrain, dann 
sollen die Aehren so lang wachsen, als der 
Schwanz. Wessen dieser Schwanz sei, werden wir sofort 
verstehen, wenn wir erfahren, dass auch im nahen Estland 
der schweingestaltige Dämon des Kornfeldes bekannt ist, der 
in Deutschland die Roggensau heisst. Dem Ernter der letzten 
Garbe ruft man nämlich zu : *Erhat das Boggenschwein 
auf'demRücken*.* Den Schwanz dieses Roggenschweines 
denkt man sich bei der Aussaat wieder ins Feld gesteckt, 
und es springt aus der Gesammtheit der Halme ergänzt und 
belebt aus der Erde hervor; die nach der Ernte stehen ge- 
bliebenen Aehren sind abermals sein Schwanz. In einem 
estnischen Schnitterlied e^ entschuldigen sich die Arbeiter, 
dass sie noch einige Halme stehen Hessen: 

Herr des Hauses, o Herrelein, 

Frau des Hauses, o Fräuelein, 

Wollt nicht werden wirren Sinnes, 

Nicht das liebe Herz verleid' euch% 

Stehn noch Aehren auf dem Acker, 

Auf dem Felde Sohweinesohwänzohen u. s. w. 

Der Herausgeber bemerkt ausdrücklich, dass sich die 
sechste Zeile auf die vereinzelt stehen gebliebenen 
Aehren beziehe. Aus Deutschland ist mir dieselbe Sitte 
in etwas anderer Form bekannt geworden. So aus dem 
Amt Salza bei Meiningen. Am Schweine, heisst es hier, be- 
findet sich ein Knochen, 'der Jud auf der Wanne* genannt. 
Das Stück Fleisch wird Fastnachts gekocht, der Knochen 
aber unter Asche gemengt, welche die Nachbarn am Peters- 
tage (22. Februar) einander gegenseitig als Geschenk gebracht 
haben, und sodann unter den Saatlein gemengt. In 
ganz Hessen, im l^einingischen u. s. w. isst man am Ascher- 
mittwoch oder zu Lichtmess Erbsensuppe mit gedörrten 



^ Die letzte Garbe nennt man auf Oesel 'ruggi orrikas\ Rog^en- 
eber, und dem, der das Glück hat dieselbe zu ernten, ruft man zu: 
'Ruggi orrikas selgas, das Roggenschwein auf dem Rucken.' Holzmayer 
Osiliana S. 107.. 

2 Neus ehstnische Volkslieder S. 218. 



188 KAPITEL IV. 

Schweinerippen. Die abgegessenen Rippen sammelt 
man und hängt sie am Stubenboden auf bis zur Aussaat. 
Alsdann werden sie in das besäete Feld gesteckt 
oder in den zur Aussaat bestimmten Leinsamen ; das soll ein 
untrügliches Mittel gegen Erdflöhe und Maulwürfe, mit einem 
Worte gegen die Verkümmerung des Getreides sein und 
bewirken, dass der Flachs gut und hoch wachse. Statt der 
Rippen steckt der Sämann wohl auch ein Stück Speck in 
den Samensack. In vielen Orten Weissrusslands singt man 
zur Osterzeit Gesänge zu Ehren der Jungfrau, des heiligen 
George und St. Nicolas, sowie des Propheten Elias, und 
besorgt Esswaaren, die mit grünen Zweigen geschmückt sind. 
Unter den Fleischspeisen spielt allgemein ein geröstetes 
Lamm oder Spanferkel eine Rolle, dessen Gebeine 
hinterwärts auf die Felder geworfen werden, 
um die Kornähren vor Hagel zu schützen, oder im 
Hause aufbewahrt werden, um in der Zeit der Sommer- 
stürme als Mittel gegen den Blitz verbrannt zu werden.^ 
In Eleinrussland vergraben die Bauern am Georgstage 
geheiligte Knochen, um die Saaten vor Hagel und Stürmen 
zu bewahren. In Oesterr. Schlesien umreiten die Bauern 
am Pfingstmontag mit Gebet die Aecker, dadurch soll 
die Saat fruchtbar werden. Wer das schönste 
Pferd hat, ist König. Dieser muss ein schwarzes Schaf 
braten lassen. Jeder Bauer nimmt von dem Schafe 
einen Knochen und steckt ihn am anderen 
Morgen vor Sonnenaufgang in die Saaten, damit 
dieselben gedeihen. ^ Hat ein Obstbaum wenig getragen, so 
legt man in Böhmen einen Knochen von einem todten 
Thiere auf seine Aeste, dann schämt er sich und bringt 
reichliche Frucht,^ während man im Lauenburgischen zu 
gleichem Zweck sogar Eingeweide von geschlachteten Thieren 
in den Obstbäumen aufhängt.^ In der Mark Brandenburg 



^ Afanasief Poetische Anschauangen der Slaven von der Natur 
I 705. Vergl. Ralston The songs of the Russian people S. 220. 

2 Yernaleken Mythen und Bräuche des Volkes in Oesterreich S.306. 
^ Reinsberg-Düringsfeld Festkalender a. Böhmen S. 138. 
♦ Jahrb. f. Schleswigholst. Landesk. VI 1863 S. 397. 



DAS OCTOBERROSS. 189 

wird zu Ostern oder Pfingsten ein Wettlauf nach einer 
mit Knochen behängten Tanne gehalten,^ welche, wie der 
Maibaum überhaupt, zu den Yeranschaulichungen des im 
Frühjahre wiederkehrenden Vegetationsgeistes gehört. Allen 
den vorgetragenen Bräuchen liegt die Vorstellung zu 
Grunde, dass ein Rest, ein übrig gebliebener Theil- des Qe- 
treidethiers dazu dienen solle, dieses selbst in der neuen 
Vegetation wieder zu gebären. Knochen, Rippe, Schwanz 
u. s. w. stellen symbolisch die gleichnamigen Glieder des 
thiergcstaltigen Vegetationsdämons, das Blut den innersten 
Sitz seines Lebens,^ seine Seele dar, und man glaubte, dass 
von ihnen aus das in der Pflanze lebende Numen des neuen 
Jahres wieder emporwächst. Durch diese Beispiele werden 
die abgehauenen Glieder, Haupt und Schwanz des October- 
pferdes aus der Isolirung herausgehoben und als einzelne 
Ausgestaltungen einer allgemeiner verbreiteten Vorstellung 
begreiflich. 



§ 7. DIE VERBRENNUNG DBS BLUTES. 

Die auf den letzten Seiten mitgetheiltcn und erläuterten 
Gebräuche werden jedesfalls dazu dienen einen weiteren Zug 
der Octoberfeier verständlich zu machen. Das aufgefangene 
Blut des Rosses wurde in geronnenem Zustande über Winter 
im Penus Vestae bis zum Palilienfeste aufbewahrt. Am 
16. April (Fordicidienfest) opferten die Pontifices der Tellus 
trächtige Kühe (fordae), einige auf dem Capitol und je 
eine in jeder der dreissig Gurion, welche als Versamm- 
lungsorte der ältesten Unterabtheilungen des römischen 
Volkes dienten; die noch ungeborenen Kälber entriss 
man den Leibern der Mütter, und die Vestalis maxima 
verbrannte sie, um ihre Asche zur Lustration bei den 

* Kuhn Mark. Sag. S. 324. Nordd. Sag. S. 379 n. 53. Vergl. 
BK. 383. 

* Vergl. Verg. Georg II 484. Serv. zu Verg. Aen. III 67: Sanguis 
enim velut animae possessio est, unde exsangues mortui appellantur. 
Ders. zu Verg. Aen. V 78: Sanguinis, in quo est sedes animae. 



190 KAPITEL IV. 

Palilien zu verwenden;^ ganz ähnlich wie in China beim 
Frühlingsfest in den der Erde geweihten Tempeln das mehr 
als lebensgrosse Abbild einer Kuh aus Thon umhergetragen 
und schliesslich zerbrochen wird, um eine Unzahl kleiner 
irdener Kühe aus seinem Leibe hervorgehen zu lassen, 
welche unter das Volk als Bürgschaften des Jahressegens 
ausgetheilt werden.^ Vergleicht man das deutsche März- 
kalb, April lenkalb (o. S. 63), so ist die symbolische 
Bedeutung der ungeborenen Kälber des Fordicidienfestes hin- 
reichend klar. Die Asche dieser Kälber wurde sechs 
Tage darauf am Palilienfeste mit dem Blute desOctober- 
rosses und zwischen Schwefel und Bohnenstroh gemischt 
von den Vestalinnen den Festgenossen des staatlichen 
Palilienfeuers — denn ausserdem zündeten auch Private ihre 
besonderen Feuer an — ausgetheilt. Ob nicht ehedem auch 
die Asche des Schwanzes einen Theil der Mischung aus- 
gemacht haben und nur weil sie wegen ihrer Winzigkeit 
gegen die Asche jener dreissig Kälber nicht aufkam, mit der 
Zeit fortgelassen oder auch nur unerwähnt geblieben sein mag? 
Mit aus dem Kiesel geschlagenen Funken wurde das Stroh 
entflammt, und Menschen und Vieh sprangen dreimal durch 
die Flammen zu Ehren der Weidegöttin Pales, welche man 
anrief, das Gras fröhlich wachsen, Heerde und Hirten ger 
deihen zu lassen und fruchtbar zu machen. Das römische 
Palilienfeuer entsprach, wie AWF.309 ff. ausgeführt ist,^ genau 
den nordeuropäischen Oster-, Mai- und Johannisfeuern, welche 
zu dem doppelten Zweck entzündet werden, um einerseits 



1 üvid. Fast. IV 633: 

Nunc gravidum pecus est, gravidae quoque semine terrae. 

Telluri plenae victima plena datur. 

Pars cadit arce Jovis, ter denas curia vaccas 

Accipit et largo sparsa cruore madet. 

Ast ubi visceribus vi tu los rapuere ministri, 

Sectaque fumosis exta de4ere focis, 

Igne cremat vitulos, quae natu maxima virgo, 

Luce Palis populos purget ut ille cinis. 
* Du Halde Description de la Chine. Paris 1735. Barrow 
Travels in China. London 1804. Huc Lempire Chinois. Paris 18Ö4. 
« [Vergl. auch Haupt Zs. 22, 7 ff.]. 



DAS OCTOBßRROSS. 191 

Menschen und Vieh gesund und fruchtbar zu machen und 
um andererseits das Getreidewachsthum zu fördern 

• 

Durch das Verbrennen einzeln er Theile der denVegetationsdämon 
nachbildenden Thiere sollte das Numen dieser Dämonen auf die 
Vegetation des neuen Jahres übergehen und zugleich Menschen 
und Thiere mit Lebens- und Zeugungskraft begaben. Zudem 
aber sollte es durch seine Tugend die Wirksamkeit des alles 
Unreine und Schädliche austreibenden Schwefels unterstützen. 
Diese Doppelkraft positiv Wachsthum zu fördern, negativ 
die Mächte des Misswachses zu verjagen, schrieb man z. B. 
auch dem Phallus des Liber zu, der in Lavinium auf einem 
Wagen durch die Strassen und Dorfwege gefahren und von 
den ehrbarsten Matronen mit Kränzen geschmückt wurde. 
'Sic vjidelicet Liber deus placandus fuerat proventibus semin um, 
sie ab agris fascinatio repellenda.' ^ Ich erinnere, dass nach 

1 Augustin. de C. D. VII 21. Bei Worbis (Provinz Sachsen) ziehen 
die Schäfer am fetten Donnerstag vor Fastnacht von Haus zu Haus, 
festlich geschmückt, oft eine Fuchsfellmätze mit rothen Bändern auf 
dem Kopfe, einer trägt eine lange hölzerne, ebenfalls bebänderte Gaffel 
zum Aufhängen der eingesammelten Würste. Dieser Umgang, der oft 
bis Fastnacht dauei^t, heisst: 'Der Rehschwanz geht herum.' 
Zuletzt wird der Ertrag der Sammlung gemeinsam verschmaust. 
(H. Waldmann Eichsfeldische Gebr. u. Sag. 1864. S. 13 Anm.). Jetzt 
wird ausser der Gaffel nichts anderes im Umzüge aufgeführt, ehedem 
aber muss entweder ein abgehauener, noch blutiger Schwanz (da es 
ein Schäferumgang ist und die Gaben hauptsächlich von den Schaf- 
haltern eingesammelt werden, doch wohl eines Widders oder Hammels) 
oder das männliche Glied eines Widders, euphemistisch als Schwanz 
bezeichnet, feierlich urahergetragen sein, dessen Gegenwart den Heerden 
Wachsthum bringen sollte und deshalb den Grund zur Darreichung von 
Geschenken abgab. Dies ergibt der Name Rehschwanz, welcher, 
da Rehe keine merkbaren Schwänze haben, aus mhd. re, ahd. hrSo, 
goth. hraiv, cadaver (vergl. bair. Rehbrett, Leichenbrett, mhd. r^-wunt, 
an blutiger, todtlicher Wunde siechend, rö-roup, mit Verwundung ver- 
bundener Strassenraub), griech. xQfaq (blutiges) Fleisch, lat. caro, cruor, 
skr. kravis rohes Fleisch, also als abgehauener, blutiger Schwanz, oder 
aus mhd. rsehe, steif (bair. raeh), also als Ithyphallus erklärt werden 
muss [vergl. BK. 40 Anm. 4]. Solche Bitturagänge im Frühling sind in allen 
deutschen Landen in sehr mannigfachen Formen yerbreitei, ihnen liegt 
— so viel ich feststellen konnte — der Gedanke einer Umführung des 
aus der Ferne nun wiederkehrenden oder vom Tode erstehenden Wachs- 
thumsgeistes als Heilthura für Feldflur, 'Dorf und Haus zu Grunde. 



192 KAPITEL IV. 

dem schon erwähnten Moinioger Brauche diePetersasche 
und der Schweinoknochen zugleich in den Saatlein ge- 
steckt werden. Eine reiche Fülle von Analogien würde 
(wenn ich mich nicht gedrungen fühlte, die knappste An- 
deutung nicht zu überschreiten) das Gesagte zum vollen Yer- 
ständniss bringen und durch Erläuterung der Bedeutung der 
Feuer selbst tiefer begründen. Nur dies sei noch gestattet 
anzuführen, dass wie im Frühjahr Menschen und Yieh in 
Rom mit dem Blut des Octoberpferdes und der Asche der 
Fordicidienkälber geräuchert wurden , um die Kraft der 
Wachsthumsgeister in sich aufzunehmen, so im Norden, wenn 
zum ersten Male der Pflug ins Feld geht, häufig dem Pflüger 
und seinem Ochsen ein Kuchen zu essen gegeben wird, 
welcher aus den Körnern der letzten Garbe verfertigt Namen 
und Gestalt eines thiergestaltigen Korndämons (Eber, Bock 
u. s. w.) trägt. 



§ 8. ENTSTEHUNGSZEIT DES FESTBRAUCHES. 

In ihrer überlieferten Form ist die Sitte des October- 
rosses sichtlich damals entstanden, als die bis dahin selb- 
ständige Vorstadt Subura (vergl. pagus Succusanus o. 8. 157) 
in den Communalverband des ältesten Roms hineingezogen 
wurde. Deutlich erscheint sie als die städtische Verschönerung 
(vergl. das Wettrennen) eines allgemeinen ländlichen Ernte- 
brauchs, welcher, ursprünglich wohl auf den einzelnen Bauer- 
bof und dessen Mittelpunct bezüglich, von den die palatinische 
Altstadt bewohnenden Ackerbürgern sowohl als von den 
Paganen der Subura als eine jährliche Feier der Ortschaft 
geübt und an ihr beiderseitiges Gemeindehaus sammt dem 
Gemeindeherde geknüpft war. Als die Erweiterung des 
Weichbildes der bereits über die engen Marken des Palatiums 
hinausgeschrittenen und über die nächsten Thäler und Hügel 
verbreiteten palatinischen Landstadt, deren geistlichen und 
weltlichen Mittelpunct die Begia ausmachte,^ durch die Subura 



^ YergL J. A. Ambrosch Studien und Andeutungen im Gebiet 
de8 nltromischen Bodens und Cultus I 1839 S. 157: 'Erwägt man, dass 



DAS OCTOBERROSS. 193 

stattfand, verstanden sich die Suburaner zwar dazu, die beiden 
Festfeiern zu vereinigen, statt zweier Rosse nur eines tödten 
zu lassen und die beiden wichtigen Heiligthümer, die Coda 
und das Blut des in allem Wachsthum wirkenden Geistes, 
dem Opferfeuer in der Regia und der Hut der Yestalinnen 
anzuvertrauen, aber in dem Kampfe um das Haupt wollten 
sie die Möglichkeit wahren, wenigstens einen Theil der seg- 
nenden Kräfte sich ganz besonders anzueignen und zu sichern. 
Die Yermuthung liegt nicht fern, dass der Mamilische Thurm 
das alte Gemeindehaus des pagus Suburanus gewesen sei.* 
Da schon geraume Zeit vor Servius TuUius die Subura, 
wenngleich relativ später als die übrigen Glieder hinzu- 
getreten, einen Theil desjenigen Stadtverbandes ausmachte, 
welcher in dem Siebenhügelfest (Septimontium) seinen Aus- 
druck fand,2 so muss, wie auch Preuner^ und Th. Mommsen* 



in diesem königlichen Opferhaase ohne Zweifel die höchBten Gottheiten 
von Rom und Latium verehrt wurden, dass diese Verehrung dem Ober- 
haupte der Stadt selbst und später den ihn vertretenden Würden- 
trägern oblag, dass sich mithin hier bei den heiligsten Unterpfändern 
des öffentlichen Wohles die weltlichen und geistlichen Oberhäupter 
des Staates der Versöhnung der göttlichen Mächte widmeten, so kann 
man schwerlich umhin, in der Regia das Centrum des ältesten Oultus 
der Stadt Rom zu erkennen/ — Die Regia war mithin gleichsam das 
Lararium der gesammten städtischen Verbindung und des römischen 
Volkes überhaupt, dessen weltlicher und geistlicher Repräsentant, der 
König, und die aus seiner geistlichen Machtfulle hervorgegangenen 
Priester den Staat als solchen, das Gemeinwohl aller, vor dem Concilium 
seiner Götter vertraten. 

1 Ambrosch a. a. O. S. 10 A.nm. 43 denkt an ein altes Heiligthum 
des Mars. 

2 Ambrosch a. a. O. S. 155. Schwegler Born. Gesch. I 490 
Anm. 8. Becker Handb. d. röm. Alterth. I 1'22 ff. Festus S. 348 s. v. 
Septimontio. 

8 Hestia-Vesta S. 253. 

♦ Röm. Gesch.* I S. 51. 62. Ich weiss nicht, ob Mommsens Aeusse- 
rung *£& waren die beiden Hälften der Altstadt, die hier in gleich- 
berechtigtem Wetteifer mit einander rangen' so aufgefaast werden muss, 
als ob er meinte, dass der Gegensatz der schon mit einander ver- 
bundenen Quartiere die Sitte hervorgebracht hätte. In diesem Falle 
würden zwei Rosse vorhanden sein, die entweder gemeinsam geopfert 
wurden (vergl. die Chthonien o. S. 65, die Fordicidien AWF. 814, o. S. 190, 
QF. LI. 13 



194 KAPITEL IV, 

annehmen, die Ceremonie des Octoberrosses geradezu in die 
frühesten Tage Borns hinaufreichen, ja noch weit höher hinauf, 
da wir allen Qrund haben, einem Erntebrauch, der in der 
römischen Altstadt noch eigenen Ackerbetrieb voraussetzt 
und in einer Vorstadt ebenfalls geübt wird, eine weitere 
Verbreitung in Latium und somit bedeutend früheren Ursprung 
zuzutrauen. Diese Bestimmung des Alters der Ceremonie als 
jedenfalls mindestens hinter die Vereinigung der coUinischen 
und palatinischen Stadt zurückreichend gewährt einen neuen 
Grund, die von uns versuchte Deutung des Octoberrosses 
für richtig zu halten. Damals und bis zum Ende der Königs- 



die Argeer AWF. 268) oder sich gegenseitig den Rang streitig machten. 
Letzteres geht mit grosser Wahrscheinlichkeit aus Analogien, wie die 
folgenden hervor, welche gleichzeitig die psychologische Grundlage 
klarlegen , auf der auch der Streit um das Haupt des Octoberrosses 
beruht. Die beiden Kirchspiele des Dorfes Grossen-Gottern bei Langen- 
salza kleiden jedes für sich zu Pfingsten einen Sohossmeier in grünes 
Laub (als Repräsentanten des Vegetationsdämons) und fähren denselben 
um; begegnen sich die Parteien, so kommt es zur Prägelei, und jede 
von beiden sucht der anderen die Fahne zu rauben (BE. 441). Im 
Frickthal (Aargau) suchen die Buben des oberen und diejenigen des 
unteren Dorfes sich gegenseitig ihre Pfingsthutten, d. h. die mit Laub- 
und Baumzweigen umwundenen Gestelle, in denen der Pfiagstbutz steckt, 
zu rauben und auf dem Brunnenstocke ihres eigenen Dorftheiles auf- 
zupflanzen, ihre eigene Pfingsthätte dagegen auf dem Hauptbrunnen 
des Dorfes aufzustellen und dort kämpfend zu behaupten (BK. 323). 
In Granada werden in dem grossen und sehr bekannten Orte Antequera 
zwei verschiedene Christus verehrt, C b r i s t u s el de arriba (von oben) 
und Christus el deabajo (von unten). Diese scheiden den Ort 
seit langen Zeiten in zwei feindliche Parteien. Christus el de arriba 
hat seinen Sitz in der Kirche des oberen Dorfes, sein feindlicher Bruder 
den seinen in der Kirche unten am Berge. Der Streit um den Vorrang 
eines dieser Christusse hält noch heute die Bewohner des oberen und 
unteren Dorfes in Feindschaft aus einander. Die Schliessung eines Ehe- 
bändnisses zwischen Angehörigen der feindlichen Parteien gehört zur 
Unmöglichkeit. Hält einer der Christusse seinen Einzug, so pflanzen 
die Anhänger des anderen stets in Menge sich auf, um den Rivalen zu 
verspotten, auch wohl mit Koth und Steinen zu bewerfen. Trifft es 
sich, dass beide zugleich ausgehen, so kommt es um den Vortritt zu 
blutigen Thätliohkeiten, bis der eine oder der andere in seine Kirche 
zurückgedrängt worden ist. — Die Erwägung dieser Analogien macht 
deutlich, dass der Römische Brauch , welcher nur ein Ross kennt und 



DAS 0CT0BERR08S. 195 

herrschaft war nämlich der Schauplatz des Brauches, das 
Marsfeld, noch Feldmark (rus), mit Getreide bebautes Acker- 
land; hier lagen die dem König in seiner priesterlichen Eigen- 
schaft zustehenden Eorndomänen, deren Anbau die Commune 
besorgte, und die von Pächtern bebauten Gründe der geistlichen 
Institute;' auf den Eornäckern des Königs also ging die 
Verfolgung des Rosses und seine Enthauptung vor sieb. Es 
wird anfangs jedesmal, wo die letztere geschah, bald auf 

neben dem Streite am das Haupt die gemeinsame Ueberbringung des 
Schweifes auf den Staatsherd enthält, wahrscheinlich auf einem Com- 
promiss beruht, der zwar auch zwischen den in einer Commune schon 
vorhandenen rivalisirenden Ortstheilen denkbar ist (auch die mit ihrem 
Schossmeier abgesondert für sieb umziehenden Dorfhälften in Grossen- 
Gottern bei Langensalza hatten am Sonntag nachher einen gemein- 
samen Saatgang), aber doch viel naturlicher in den Zeitpunct der Ver- 
einigung zweier ehedem getrennter Gemeinwesen verlegt wird. Der 
römische Brauch hat vielleicht noch grössere Aehnlichkeit mit dem nach- 
stehenden mittelalterlichen. Im 14. Jahrh. bestand in der Bretagne am 
13. Mai folgender Brauch. Mehr als zweitausend Personen begaben sich zur 
Kapelle des b. ScrvatiuS', um von demselben eine gesegnete 
Ernte zu erflehen. Die Pilger erhoben alle zugleich ein ver- 
worrenes Gerufe, die einen baten um gelbes, die anderen um schwarzes 
Korn, zu gleicher Zeit bemächtigten sie sich der Standarte des Heiligen 
mit dessen Bilde und gingen dann, diese an der Spitze, bis zu einem 
Bache, der die Bisthümer Yannes und Quimper trennte. Dort fand 
ein gewaltiger Kampf statt zwischen den Bewohnern 
beider Territorien, welche beiderseits sich die Fahne 
anzueignen suchten. Diese wurde natürlich dadurch zerfetzt; 
jeder suchte ein Stück derselben zu erhaschen und be- 
festigte dieses dann an seinen Erntewagen oder an eine 
Stelle in der Scheune. Auch hier ist eine Vereinigung beider 
Territorien, wenn auch nur zeitweise auf der Pilgerfahrt zum Zwecke 
des gemeinsamen Bittganges eingetreten, daher der gemeinsame Raub 
der Standarte; an der Territorialgrenzo trennen sich die Interessen, 
der Kampf beginnt. 

1 Vergl. Ambroach a. a. O. S. 200—204. Als die Tarquinier 
vertrieben wurden, blieb dieser der Krone gehörige Complex von Aeckern 
geweihtes Land und wurde nicht, wie die Privatgüter der vertriebenen 
Königsfamilie unter die Plebs vertheilt. Das auf demselben gewachsene 
Getreide warf man, um sowohl dem verhassten Herrscher den Gonuss 
zu entziehen, als es selbst profanem Gebrauch zu entheben, in den 
Tiberfluss. Vergl. noch Schwegler Rom. Gesch. I 739 Anm. 2. II 45 
Anm. 2. 

13* 



196 KAPITEL IV. 

diesem, bald auf jenem Stoppelfelde ein kunstloser Feld- 
altar von Rasen und Felsstücken errichtet sein, bis man 
den Brauch gewohnheitsmässig auf eine bestimmte Stelle 
fixirte und hier endlich einen festen Opferherd herstellte. 
Nun war es natürlich, das betreflfende Feld von dem darauf 
vorgenommenen Erntebrauch als campus Martius zu bezeichneu, 
ein Name, der demnächst eine ausgedehntere Anwendung auf 
das ganze Terrain bis zum mens Capitolinus fand. 

Ist die Annahme richtig, dass das Opfer des October- 
pferdcs ursprünglich den Beschluss sämmtlicher Erntearbeiten 
auf den Kronländereien, dem ager publicus populi Romani, 
ausmachte, so erscheint der König, dem man das Haupt an 
die Wand seines Hauses heftete, und auf dessen Herd man 
den Schweif überbrachte, genau in der Stellung des Guts- 
herrn^ im deutschen, französischen, slavischen Erntebrauch, 
dem man die den Korngeist darstellende Erntepuppe oder 
das ihn versinnlichende Thier (Hahn u. s. w.^) auf den 
Giebel, auf die Vordiele, unter die Herdkappe trägt. Zu- 
nächst sollte er und sein Haus an dem Segen des Opfer- 
brauch^ auf dem Marsfelde theilnehmen. Zugleich aber galt 
der letztere als eine für die ganze Gemeinde heilbringende 
Begehung (sacrum publicum o. S. 164), der Altar im Königs- 
hause mithin vertrat als focus publicus diejenigen der anderen 
(patricischen) Hausväter mit. Die Gemeinde hatte ihre be- 
sonderen Erntefeste aufgegeben und feierte ein gemeinsames 
auf den Feldern des Oberhauptes und in der Regia. Dass 
in dem von den Vestalinnen gehüteten Herde der aedes Vestae 
neben dem Königshause ein besonderer Staatsherd für eine 
Reihe der heiligsten Begehungen entstand, hebt die Richtig- 
keit dieser Bemerkungen nicht auf. So ging die Stellung 
des Königs zu dem Brauche über in Analogie derjenigen, 
welche im nordeuropäischen Frühlings- und Erntebrauch der 
Maire, Schulze, Bürgermeister mancher Orte einnimmt, wenn 
vor seinem Hause der Maibaum aufgepflanzt, ihm die letzte 



^ Gerade so wie der ßaadsug im homerischen Erntobraiich. II. 
X VIII 550 ff. 

2 Korndäm. 14. 



DAS 0GT0BBRR08S. 197 

Garbe überbracht wird als dem Oberhaupt und Vertreter der 
gemeinsamen festfeiernden Dorfschaft (BK. 167. 205). Unser 
Erntefest zu Michaelis oder bei der Eirchweih ist auch ein 
Fest der gesammten Dorfschaft. Und so konnte auch in 
Latium die Erntefeier des Octobers schon als communale von 
den ältesten Ansiedlern des römischen Stadtgrundes mit- 
gebracht sein. 



§ 9. DER MIMBTISCHE CHARAKTER DES FESTES. 

Diese letztere Yermuthung wird empfohlen durch eine 
Keibe verwandter agrarischer Gebräuche, deren Betrachtung 
uns gleichzeitig den Vortheil gewährt noch weiter zu zeigen, 
dass die Deutung des Octoberrosses als Darstellung oder 
Gegenbild eines mythisch aufgefassten Naturvorgangs dem 
Charakter der ältesten römischen Religion durchaus ange- 
messen erscheint. Die gesammten Gaugenossen (pagani) 
feierten im Januar nach Beendigung der Wintersaat ein Pest 
ihres aus mehreren Dörfern bestehenden Communalverbandes, 
wobei Tellus und Ceres mit Spelt (far) und mit den 
Eingeweiden eines trächtigen Mutterschweins 
lustrirt wurden.^ Schoss dann drei Monate später die junge 
Saat in Aehren, so folgten am 1 5. April dieFordicidien (o.S. 189). 
Beide Feste hatten mit einander und mit dem Brauche des 
Octoberrosses zunächst dies gemeinsam, dass sie die agrarische 
Feier als Sache einer communalen Gesammtheit begingen, bei 
den Paganalien des ländlichen Gemeindeverbands des pagus, bei 
den Fordicidien der ältesten Unterabtheilungen der römischen 
Gemeinde, deren jede sich den besonderen Segen des jungen 
Jahresrindes aneignen, dabei aber das zusiammenschliessende 



1 Ovid. Fast. I 667: 

Yillice, da requiem terrae semente peracta, 

Da requiem, terram qui coluere, viris. 

Pagus agat festum, pagum lustrate, coloni, 

Et date paganis annua liba foois. 

Placentur frugum matres Tellusque Ceresque 

Farre suo gravid ae visceribusque suis. 



198 KAPITEL IV. 

Band des Staates in der gemeinsamen Verbrennung der Kälber 
durch die älteste Yestalin zum Ausdruck gebracht haben 
wollte. Demnächst suchten die Begeher aller dieser Feste 
in der Feier eine Lustration d. h. eine Reinigung von allen 
schädlichen, Gesundheit und Gedeihen hindernden Mächten und 
Einflüssen (o. S. 190. 191). Endlich kommen diese Gebräuche 
alle darin überein, dass sie mime tischer Natur sind. Denn 
die viscera gravidae suis d. h. der noch ganz unentwickelte 
Keim des im Frühling zur Geburt bestimmten jungen 
Schweinchens nach eben geborgener Saat im Januar, und 
ein Vierteljahr später, wann die neue Frucht in der Äehre 
zu schwellen beginnt (gravida seges, Verg. Georg. I 319) 
das schon ausgebildete Kalb, das den Mutterleib brechen will) 
sind sie nicht deutlich auf dem Vergleiche der Entwickelung 
thierischen Lebens mit dem Pflanzenleben beruhende poetische 
oder vielmehr mythische Bilder oder Spiegelungen gewisser 
Zustände des Getreides durch die entsprechenden Zustände bei 
Thieren? Wie die Lustratio pagorum und die Fordicidien waren 
fast sämmtliche anderen Feste der ältesten römischen Religion 
mimetischer Art. So brachten die Luperealien (o. S. 72 flf.) Faune, 
die Palilien (AWP. 309 flf.) das kornzeitigende Sonnenfeuer, die 
Aquilicien ^ den (dem Donnerstein nachrauschenden P) erflehten 
Regen, der Umzug der Salier mit den Ancilien und Mamurius 
den siegreichen Einzug der Genien des Frühlings und Neu- 
jahrs zur Darstellung. Die genannten Feiern begegnen noch 
vorhandenen analogen Begehungen im nordeuropäischen Volks- 
gebrauch, ^^ sie alle stehen mit dem Priesterpersonal der Regia 
in Verbindung; an den Luperealien und Palilien haben die 
Vestalinnen Antheil, am Aquaelicium und den Mamuralien 
die Pontifices, an letzteren vor allen anderen die Salier, die 
Geweihten des Mars. Mithin liegt es sehr nahe eine Analogie 
zu einem noch fortlebenden Naturfeste auch in einem weiteren 
von den Pontifices und den Vestalinnen begangenen gottes- 



* Vergl. Preller Rom. Myth. 173. 313. Becker-Marquardt 4. 199. 

•DerSalierumzug ist kürzlich als ein mit dem Tanze der 
Kureten und dem Sohwerttanze der Germanen übereinkommender 
Frühlingsbrauoh nachgewiesen von K, M^Henhoff XJt'bcr den Schwert- 
tanz. Berlin 1871. S. 6 ff. 



DAS OOTOBERROSS. 199 

dienstlichen G-ebrauche zu suchen, der, gleichfalls mimisch und 
auf das Heil der Qemeinde bezüglich, sich nach Art und 
Wesen demjenigen des Octoberrosses als durchaus gleich- 
artig zur Seite stellt. Ich meine das Argeeropfer. Qelang 
der AWF. 265—273 versuchte Nachweis, dass dasselbe die 
Bestattung und Wassertauche des in der sommerlichen Hitze 
dahingestorbenen Yegetationsdämons nachbildete, dass 
die bei demselben als Vertreter von vierundzwanzig Bezirken 
ins Wasser geworfenen vierundzwanzig Binsenmännern unseren 
Ffingstbutzen u. s. w. vergleichbar sind, so hat auch die vor- 
getragene Auffassung des Octoberrosses durch eine neue Ana- 
logie an innerer Wahrscheinlichkeit gewonnen, und es wird 
nicht mehr bezweifelt werden können, dass dieselbe mit dem 
Wesen der ältesten, zumal der an die Regia geknüpften 
römischen Gebräuche wohl übereinstimmt. 



§ 10. DER SACRAMENTALB CHARAKTER DES FESTES. 

Der hauptstädtische Pöbel späterer Zeit übte im Wett- 
streit um das Haupt des Octoberpferdes nur ein ergötzliches 
Spiel, den ältesten Ackerbürgern des Palatin und der Subura 
war es heiliger Ernst damit. Uns Modernen wird es schwer, 
uns in ihre weit von der unserigen abstehende Weltanschauung 
zu versetzen ; ihr Cultus, der uns fälschlich ganz entleert von 
sittlichen Ideen, völlig beherrscht von den Illusionen einer 
bildlichen NaturaufiPassung erscheinen will, lässt unser Gefühl 
kalt, weil viel Reflexion dazu gehört, um das Gemüth heraus 
zu finden, das darin seine Frömmigkeit bethätigte und einen 
zwar rohen und unvollkommenen Versuch, aber doch immerhin 
einen Versuch machte, einem ewigen Bedürfniss des Menschen- 
herzens Genüge zu thun und in der Gottheit eine Lösung zu 
finden des Zwiespaltes zwischen Endlichem und Unendlichem, 
zwischen Freiheit und Abhängigkeit. Wer jedoch tiefer 
blickt, wird in dem Brauch des Octoberrosses zwar nicht die 
sittlichen Ideale des Christenthums, ja noch nicht einmal die 
feinen geistigen Beziehungen der römischen Staatsreligion in 
den Blüthezeiten der Republik wahrnehmen, er wird aber 



200 KAPITEL IV. 

in der gemeinsamen Anstrengung der Bürger, den Segen des 
Wachsthums für die weitere und engere Gemeinde zu ge- 
winnen, in diesem Heraustreten über die engsten Schranken 
der Selbstheit ein ethisches Moment von nicht zu unter- 
schätzender Bedeutung erkennen. Aber auch abgesehen von 
dieser Bethätigung einer elementaren Sittlichkeit ist die Sitte 
des Octoberpferdes einmal wahre und echte Religion im eigent- 
lichen Sinne gewesen. Die religiöse Orundstimmung, welche 
sich darin ofiPenbart, ist die nämliche, welche bei Qermanen, 
Griechen, Römern und manchen anderen Völkern als die auf 
der ältesten Entwickelungsstufe des Cultus vorwiegende er- 
scheint. Sie verhält sich zu dem später vorwaltenden Opfer- 
dienst wie im Gebiete der OfFenbarungsreligion der Katholicis- 
mus zum Protestantismus. Sie bevorzugt von den beiden 
übrigen auch in jedem einzelnen Culturact verbundenen 
Richtungen jedes Cultus die eine, die mystische Aneignung 
des zum Genüsse sich darbietenden Gottes^ und lässt dagegen die 
Selbsthingabe an das Göttliche zurücktreten; man würde ihr 
Wesen daher nicht mit Unrecht als sacramental bezeichnen 
können. Mochte hier der reine Glanz des göttlichen Antlitzes 
noch so sehr getrübt sein durch die Hülle eines der Natur 
entnommenen Phantasiebildes, es war doch der Yater alles 
Lebens, den die nach Vereinigung sich sehnende Brust seiner 
altitalischen Kinder ^uch in der puerilen Vorstellung des 
Getreiderosaes suchte. Das nämliche Bedürfniss, durch un- 
mittelbare, sichtbare und leibliche Verkörperung und Ver- 
gegenwärtigung das Göttliche sich nahe zu rücken und seiner 
segnenden Einwirkung sich desto gewisser zu versichern, 
dieses Bedürfniss, welches die Darstellung des rossgestaltigen 
Gottes der Fruchtbarkeit durch die Bräuche des October- 
pferdes hervorbrachte, fand auf unendlich höherer Stufe auch 
Befriedigung in den christlichen Sacramenten der Taufe und 
des Abendmahls so wie in dem Streben des mittelalterlichen 
Eatholicismus, die heilige Geschichte der Geburt, Kreuzigung 
und Auferstehung dramatisch oder in Werken der bildenden 



1 Vergl. E. Pfleiderer Die Religion, ihr Wesen und ihre Ge- 
schichte J 146' 



DAS OGTOBERROSS. 201 

Kunst darzustellen. Das spätere zu Abstractionen hinneigende 
Götterwesen der Bömer lässt sich gegenüber der ältesten 
italischen der reinen Naturreligion angehörigen Periode mit 
ihrer sinnlichen Oestaltungsfülle, von welcher der Brauch des 
Octoberrosses ein TJeberbleibsel ist, nicht uneben dem 
Protestantismus vergleichen. Nun tritt der Mensch als das 
religiöse Subject in den Vordergrund, und damit wandeln 
sich die Motive und Auffassungen der aus Pietät fortgeübten 
Ceremonien. Jetzt erscheint die Nachbildung des Natur- 
Yorganges zu sacramentalen ^wecken (die Tödtung des Ge- 
treiderosses, die Mitverbrennung des Blutes im Palilienfeuer) 
als ein Opfer und als Mittel der Lustration. Der Gott 
(Eornpferd) und das Gottesblut sind als solche nicht mehr 
verständlich, ihre Abbilder, die äusseren Zeichen der Gnaden- 
wirkung (das Octoberross, dessen Haupt, Schwanz und Blut) 
gelten daher auf neuem Standpuncte als Darbringungen an 
einen in jüngerer Zeit an die Stelle der theriomorphischen 
Eorndämonen getretenen Gott der Fruchtbarkeit, Mars, und 
als Werkzeuge der Reinigung des Menschen von Krankheit 
und allen Uebeln, welche sein Gedeihen und Wachsthum 
aufhalten und hindern. Wie hoch aber muss im altitalischen 
Glauben die Figur des Getreiderosses hinaufreichen, wenn 
Mars in den allerältesten Traditionen der Römer bereits 
im letzten Stadium seiner Laufbahn als Ackerbaugott an- 
gekommen ist! 



KAPITEL V. 

DEMETER. 



§ 1. VORBEMERKUNGEN. 

'Nirgend wird bei uns das geheimnissvolle Verhältniss 
des Saatkorns zu Demeter, durch deren tiefe Trauer um die 
Tochter Hungersnoth unter den Menschen auszubrechen droht, 
noch ähnliches erzählt*, konnte J. Grimm in der Deutschen 
Mythologie 1845 (S. 286) nach den bis dahin eröffneten 
Quellen mit Recht sagen. Wenn jetzt glückliche Funde und 
auf Grund derselben angestellte und ausdauernd fortgesetzte 
Beobachtungen dazu einladen, den schönen, laut zum Herzen 
sprechenden Mythus von der schmerzensreichen Mutter Demeter 
und ihrem holden Kinde, der eine so wichtige Rolle in der 
Poesie und Religionsgeschichte der Griechen gespielt hat, 
sowie die sonstigen Dienste und Legenden der Göttin gerade 
aus den Volksüberlieferungen der Deutschen und ihrer Nachbar- 
völker verständlich zu machen, so liegt mir von vorne herein 
die Absicht ferne, genau dieselbe Sage als fertiges Product 
in originalen Schöpfungen ausserhalb Hellas nachzuweisen. 
Ein unter Einwirkung bestimmter localer und geschichtlicher 
Verhältnisse gezeitigtes Gewächs des griechischen Bodens gilt 
sie mir weder für ein Lehngut aus der Fremde noch für ein 
Erbtheil aus ferner indoeuropäischer Vergangenheit. Aber 
in ihren Urelementen erkenne ich auch anderswo vorkommende 
Typen, und die sprechenden Ebenbilder der organischen Be- 
standtheile. Keime oder Zellen, in welche dieses individuelle. 



DEMBTEB. 203 

« 

€omplicirte und aus mehreren Theilen zusammen gewachsene 
Gebilde des hellenischen Mythus bei zergliedernder Betrach- 
tung sich auflöst, unternehme ich unter dem uralte Tradition 
festhaltenden nordeuropäischen Landvolke noch in frischen 
lebenden Exemplaren aufzuzeigen, und zwar in solcher Fülle 
und Yollständigkeit, dass von ihnen aus durch Analogieschluss 
eine klarere und sicherere Einsicht als bisher in die Entstehung 
und Grundbedeutung der in Rede stehenden Sage und Gottes- 
verehrung möglich wird. Selbst wenn eine geschichtliche 
Verwandtschaft zwischen diesen Elementen nicht vorhanden 
sein sollte, erscheint die psychische so gross, dass wechsel- 
seitig die einen den anderen zur Aufhellung gereichen. Jede 
Besprechung der Demeterreligion, um welche in Verbindung 
mit den mystischen Weihen des Dionysos Decennien hindurch 
die ernste Arbeit der grössten Mythenforscher unseres Jahr- 
hunderts sich mit Vorliebe bewegt hat,^ wird nicht umhin 

^ Fr. Creuzer Dionysus. Heidelberg 1809. Ders. Symbolik und 
Mythologie der alten Volker, besonders der Griechen. Darmstadt 1810 
—12. 4 Bde. Ausg. 3. 1837—42. Gegen ihn J.H.Voss Antisymbolik. 
Stuttg. 1824—26, 2. Bde. Ders. Hymnus an Demeter. Heidelberg 1826. 
Oh. A. Lob eck Akademische Abhandlungen de morte Bacchi, de 
mysteriis Eleusiniis atque Orphicis etc. seit 1810; als Abschluss sieben- 
un dz wanzigj ähriger Forschungen: Aglaophamus sive de theologiae 
mysticae Graecorum causis. Regiomontii Prassorum 1829, 2 Bde. Sein 
Nachfolger E. Lehrs Populäre Aufsätze aus dem Alterthum, vorzugs- 
weise zur Ethik und Religion der Griechen. Ausg. 2. Leipzig 1875. 
S. 275—300. 315-320. 327>~333. K. 0. Müller Eleusinien in Ersch 
und Gruber's Encyklopädie I Sect. 33 8. 268—296. F. G. Welcker 
Der Kaub der Eora und Demeter die Stifterin des Ackerbaus, in Zs. f. 
Gesch. u. Ausleg. der alten Kunst 1 1—135. Ders. Gr. Götterlehre. Göttg. 
1857—62. 1239. 385—392.11467-571. L. Preller Demeter und Perse- 
phone, ein Cyclus mytholog. Untersuchungen. Hamburg 1837. Der«. De 
via Sacra Eleusinia Disp. L II. Dorpat 1841 (Ausgew. Aufs. hrsg. Ton 
R.Köhler S. 117—135). Ders. Eleusinia in Pauly's Real-Encyclopädie 
III 83—109. Ders. Gr. Mythol. 1854. Aufl. 3. bes. v. E. Plew. Berlin 1872—75. 
I 618—662. E. Gerhard Ueber den Bilderkreis von Eleusis I— III 
in den Abhdlg. der Berl. Akad. 1862-64. (Ges. akad. Abh. II 374 ff. 
466 ff.) C. Strube Studien über den Bilderkreis von Eleusis. 1870. 
Supplement dazu hrsg. von H. Brunn. Leipzig 1872. A. Mommsen 
Heortologie. Leipzig 1864. S. 64—75. 222—269.287-302. R.Foerster 
Der Raub und die Rückkehr der Persephoue. Stuttg. 1874. A. Kuhn 
QaranytL-E^ivvvg. Zs. f. vgl. Spr. I 439 -470. 



204 KAPITEL V. 

können auf den sogenannten homerischen Hymnus ein Haupt« 
gewiohj; zu legen, in welchem für uns das älteste umfangreichere 
Zeugniss über den Mythus der beiden Göttinnen und ihren 
Cultus in Eleusis niedergelegt ist. Ueber diese Dichtung 
und über den eleusischen Götterdienst, wie er zur Blüthezeit 
des historischen Griechenlands bestand, sollen daher in Fol- 
gendem einige einleitende Erörterungen der weiteren Unter- 
suchung vorausgesandt werden. 



§ 2. DIE ELEÜSINIEN UND DER HOMERIDISCHE HYMNUS 

AUF DEMETER. 

Vier Stunden von Athen an der Salamis gegenüber- 
liegenden Meeresbucht, auf vorspringendem Hügel zwischen 
zweien fruchtbaren Ebenen, der kleineren rarischen nord- 
westlich und der grösseren thriasischen im Osten,^ liegen 
die spärlichen Trümmer des Demeterheiligthums von Ele usis^, 
zwischen denen die Hütten des Dörfchens Levsina sich ein- 
genistet haben. Fanatische Mönche im Gefolge Alarichs haben 
im J. 396 n. Chr. die heiligen Gebäude zerstört, ^ welche, 
auf Perikles Geheiss von Iktinos errichtet, später mehrfach 
restaurirt und vergrössert,* acht Jahrhunderte hindurch jähr- 
lich viele Tausende zur Feier der grossen Mysterien ver- 
sammelten und durch die Beseligung, welche die edelsten 
Geister Griechenlands aus den daselbst empfangenen Weihen 
schöpften, zu einer Stätte wurden, die einen der erhabensten 
Plätze in der Entwickelungsgeschichte der Menschheit ein- 
nimmt. Der eleusische Gült war damals dreien Hauptgott- 



* Vergl. W. Vischer Erinnerungen und Eindrücke aus Griechen- 
land. Basel 1857 S. 93—102. Bursian Geographie von Griechenland. 
Leipzig 1862 S. 326 ff. 

* Ycrgl. Unedited Antiquities of Attica. London 1817, hrsg. von 
der Gesellschaft der Dilettanti. Deutsche Bearbeitung Darmstadt 1829. 
0. Müller Eleusinien S. 285 ff. Für die eleusinisohen Inschriften 
vergl. Fr. Lenormant Rechcrches arch^ologiques k Eleusis. Recueil 
dMnsoriptions. Paris 1862. 

* Vergl. Eunap. Vit. Soph. S. Ö2. 63 Boissonnade. 

* Vergl. Preller Eleusinia 8. 87—89. 



DEMETER. 205 

heiten gewidmet, der Demeter, ihrer Tochter Köre oder 
Persephone und dem Jakchos, den man mit Dionysos 
identificirte. Die Priesterthümer befanden sich erblich in den 
Händen bestimmter Familien. Als Oberpriester fungirte der 
Hierophant (ifpo^avrj;^), der die Vorzeigung der heiligen 
Symbole, die ösT^tg xiSv isqiSv, das (palvBiv rd hga verwaltete, 
aus dem Geschlechte der Eumolpiden. Die Würde des 
Daduchen, des Fackelhalters {ßadov/oq) ruhte in histo- 
rischer Zeit auf der Familie des Kallias und Hipponikos, 
welche vom mythischen Triptolemos ihren Stammbaum 
ableitete, später traten die Lykomiden an ihre Stelle. Das 
Amt des Herolds (isgoArjov^) stand einer sowohl mit den 
Daduchen als Eumolpiden verschwägerten Familie zu, deren 
Ahnentafel mit dem 6ötterboten Hermes und dem attischen 
Urkönige Kekrops anhub. Das vierte Qrossamt war das des 
Epibomios, des Altaristen. Ausser diesen Hauptpriestern, 
denen sich Ministranten geringerer Art zugesellten, gab es 
Priesterinnen; jedem männlichen Hauptfunctionär entsprach 
wahrscheinlich eine weibliche Functionärin. Auch ein Kind, 
Knabe oder Mädchen {nalq drp^ eoviac) verrichtete unter 
priesterlicher Leitung gewisse Sühngebräuche. Der Archen 
ßaadsvg von Athen und vier Epimeleten führten die Ober- 
aufsicht über den ganzen Cultus. ^ Der Gottesdienst zerfiel 
in einen öffentlichen Theil {navrjyvgig) und in einen geheimen, 
die Mysterien, zu denen zwar in älterer Zeit jeder unbe- 
scholtene Athener mit reiner Hand und reinem Herzen, 
später jeder unbescholtene Hellene Zutritt hatte, ^ aber erst 
nachdem er, angeleitet von einem der Pflichten und Bräuche 
Kundigen, der sich seiner als Führer (jtivaraywyo;) annahm, 
gradweise eingeweiht war. Als Regel darf man annehmen, 
dass mit wenigen Ausnahmen jeder Athener die Einweihung 



f Ver^I. Meursius Elousinia in Gronov. Thesaur. Graec. Antiqu. 
Vol. VII S. 13S— 143. Preller Eleusinia 89-92. 0. Müller Eleusinien 
275 — 278. Hermann Gottesd. Alterth. 2 % 55, 20 — 28. Mommsen 
Heort. 233—243. Preller Gr. Myth. « I 647. 

2 Mann, Weib, Kind, Sklave fanden Zalass. Vergl. Lobeck 
Aglaopham. 14—21. G. W. Nitzsch de Eleusiniorura ratione publica. 
Kil. 1842. 12—17. 19—21. O. Muller Eleusinien 282. 



206 KAPITEL V. 

gesucht hatte und von Zeit zu Zeit zur Befriedigung seines 
religiösen Bedürfnisses die Feier mitmachte. Der erste Grad 
hiess der der Mysten, wie auch säramtliche Eingeweihte ge- 
nannt werden, der zweite derjenige der Epopten (Schauer). 
Die den Eingeweihte^ zu Theil werdenden Offenbarungen 
bestanden theils in Worten (Xby6f,i6va) und Gesängen, theils 
und vorzüglich in Handlungen {dgco/Lisva, ogyia)^ die mehr- 
fach mit Reden und Gesang begleitet waren, i und diese 
wieder einerseits in der dramatischen Vorführung heiliger 
Geschichten, andererseits in der Vorzeigung heiliger 
Symbole. Zur Anschauung der letzteren selbst, in denen 
unmittelbar die Gottheit gegenwärtig geglaubt wurde, ge- 
langten wohl nur die Epopten des letzten Grades, und das 
wird es gewesen sein, was man im Gegensatz zu den sonstigen 
oif/stg als Autopsie bezeichnete. ^ Das Ganze der Begehungen, 
von denen man reiches Glück diesseits und ein bevorzugtes 
Loos nach dem Tode erwartete, galt für so ehrwürdig und 
heilig, dass es gottlos erschien Uneingeweihten die näheren 
Details mitzutheilen ; solche Profanation hätte die Gnaden- 
wirkung vernichtet. Daher der Name Mysten d. h. die 
Schweigenden. "H rs xgvrl/ig tj /nvarix?] rwv Isqiuv gs/livotioisI 
t6 dsiov. Strab. VII 467. 

Während des Monats Authesterion (Februar - März) 
wurden in Athen und zwar ausserhalb der Stadtmauer in 
der Vorstadt Agrae, wo die Höhen sich zur Flussrinne 
des Ilissos herabsenken, als Vorbereitung oder Vorweihe 
(ngoxdd'aQntg aat ngociyi'svntg twv /LisyaXwv) die kleinen 
Eleusinien {^EXtvaivia rd /nr/.Qdj rd /Liixgd /LtvaTTJgia, rd ev 
^'Aygag) begangen. Das Eleusinion daselbst umfasste neben 
anderen Stücken einen Tempel der Demeter und ihrer 
Tochter und einen zweiten des Triptolemos, vor dem eine Bild- 
säule des Epimenides aufgestellt war (Pausan. I 14). Die 



* Daher die Ausdrücke bttI rolg SQwjuivoi; hysiy, fTiaSeir loTg Sq(0' 
/uiroie, ra Sqta/ufytx xni Tu Xfyo/ufya, Q-. W. Nitzsch de Eleusiniorum 
actione et argumento. Kil. 1846. 13—15. 

2 Vergl. Psellus Expos. Orac. Chald. (Migne Pair. CXXII 1136): 

jivTO\p(a Farh'y brav aurog o TfXoujUfyog ra S^na (ptora oqS» 



DEMETER. 207 

Feier daselbst Hess angeblich Persophone-Kore gegen Demeter 
mehr in den Vordergrund treten und beschäftigte sich ausser- 
dem mit den Schicksalen des Dionysos. Als niedere, un« 
zweifelhaft erst später hinzugetretene Mysteriendämonen der 
Weihen in Agrae lernen wir Herakles und die Dioskuren 
kennen.^ Wie sonst die grossen Mysterien in Eleusis den 
kleinen in Athen entgegengesetzt werden , stellt Plutarch 
Demetr. 26 die kleinen den epoptischen gegenüber: Torf 
J' ovv ava^tvyvvwv sig rüg ji&tjvag syQat//€v, ort ßovXsrai noQa* 
ysv6/Li€vög sv&vg fjLvrj&fjvai ncd rfjv Tfkfv^v anaaav dno rctiv 
/LiiKQüiv äx9^ ^^^ inonTiKUßv naoaXaßetv, rovxo S* ov dsfiiTOv fjv 
ovo 6 ytyovog ngorsgov .... inu'mvsvov äs roikd/toroy dno rcov 
fxsydhiov iviavvov diaXslnovveg» In der Kegel wurde nur der- 
jenige, der die Weihen der kleinen Mysterien genommen 
hatte, nach Ablauf eines halben Jahres zu den grossen zu- 
gelassen, und auch hier gelangte man noch nicht sofort, 
sondern erst bei wiederholtem Besuche nach mindestens ein- 
jährigem Zwischenraum zum Anschauen der höchsten und 
verborgensten Heiligthümer, zur Autopsie.^ Die grossen 
Mysterien (^/uvavrJQta rd f.uyaka) wurden alljährlich im Boe- 
dromion (September- October) 10 — 12 Tage gefeiert Ihren 
Beginn machte mehrere Tage vor dem 20. Boedromion (am 
14. oder 15.) die Versammlung der unter dem Geleite eines 
Qottesfriedens herbeigeströmten Fremden (a/t^p/iog); am 16. 
folgten Waschungen der Personen und Opferthiere im Meer 
{SiXaös itvarat)^ und am 17. und 18. andere vorbereitende 
Opfer und Begehungen. Am 20., nach Mommsen schon am 
19. JS^achmittags setzte sich von einer danach Jakcheion 
genannten Oertlichkeit aus der grosse Festzug nach Eleusis 
in Bewegung, welcher als nif.iTisiv, i^dyuv, i'^skavvsiv s^ daTScjg 



^ O. Müller Eleusinien 278. Preller Eleusinia 94. Hermann 
Gottesd. Alterth. 2 § 58, 25—30. Nitzsch de Eleusin. act. S. 20. Strube 
Bilderkr. v. Eleusis 49 ff. Mommsen Heort. 373 ff. iPreller Gr. Myth.» 
I 649. 

2 Harpokr. S. v. fTrtonTfvxoTtor l ol juvtj^errfg py ^EX^voivi fv t^ 
SsvT^ga /uvtjasi fTTonrfvfuv XfyovTai. Seneca nat. quaest. VII 31: Eleusis 
servat, quod ostendat revisentibus. Yergl.Hermann Oottesd. Alterth. 
S 55, 30. Schömann Gr. Alterth. s II 385. Preller Gr.Myth. » I 6Ö2. 



208 KAPITEL V. 

^Ekfvatvdis Tov "lax/ov bezeichnet wurde und von dem eigen- 
artigen Rufe oder Qesange benannt war, der sich fortwährend 
aus den Kehlen der Wallfahrer vernehmen Hess. Die Mysten, 
durch Reinigungen und Fasten vorbereitet, waren mit 
Eppich und in Frucht stehenden Myrthenzweigen bekränzt und 
trugen Fackeln und Getreidegar ben.^ In dem Anführer 
des Zuges haben wir unzweifelhaft den mehrfach als Mitglied 
des Priesterpersonals genannten Jakchagogos^zu erkennen. 
Die Procession zog stets die heilige Strasse (isQa odog)^ auf 
der sie mehrere Stationen zur Rast und Vollziehung heiliger 
Bräuche machte, z. B. an der Brücke über den Kephisos, 
wo die ytifv^iöfÄol genannten Neckereien und Verhöh- 
nungen sich abspielten. Spät Abends kam man in Eleusis 
an, wo in dieser und der folgenden Nacht auf den rosen- 
bedeckten blumigen Auen des thriasischen Gefildes, zumal 
am Brunnen Kallichoros (Schönreigen), Umläufe mit 
hochgeschwungenen Fackeln stattfanden, woran 
selbst Greise, die Alterslast abschüttelnd, Theil nahmen. 
Auch hier ertönte der Jakchosruf, und der Gott Jakchos 
selbst wurde in andeutenden Schilderungen dieser Scene mit 
poetischer Hyperbel als den Tanz führend gepriesen, wie er 
mit der Fackel voranleuchtend den Schwärm der Mysten zur 
Göttin geleitet, oder wie er die ganze Nacht schlaflos, 
das Dunkel zum Tage erhellend, Fackelglanz schaut; der 
Mond und der sternbedeckte Aether sammt den Nymphen 
scheinen den im Wirbel fortgerissenen Mysten mitzutanzen 
und die goldbekränzte Eora und ihre hochehrwürdige Mutter 
zu feiern.^ lieber die durch Thoatermaschinen unterstützten 
dramatischen Aufführungen und die Vorweisungen der Sym- 
bole, welche sodann die bei so grosser Besuchermenge, trotz- 
dem das Anaktoron sechstausend Personen auf einmal fasste. 



^ Himerius Orat. VII 2: Idtrixos juiv yctq ro/uog *BlfvinvaSe <ptai 
fivatai qttQHv xfXfun xa\ 3 ^ay/uara, tj/u^'qou ßCov yvtaqiauara. 

» Poll. Onom. I 35. Bockh C. I. G. I S. 470 n. 481, 11. Hermann 
Gottesd. Alterth. § 55, 27. Mommsen Heort. S. 254. 

s AriBtoph. Ran. 324 ff. Euripid. Jon 1074 ff. O. Müller 
Eleuainien 280. 



DEMETER. 209 

der Natar der Sache nach nur abtheilungsweise zugelassenen 
Epopten in den folgenden Nächten zu schauen bekamen, er- 
halten wir nur Andeutungen, zumal aus späterer Zeit, als 
zum Christenthum bekehrte Heiden ihr Schweigen brachen. 
Hervorzuheben sind der Genuss des Eykeon, eines Misch- 
trankes von Wasser, Mehl und Polei, der das Fasten 
endigte, Herumirren in äusserster Finstemiss und die 
Offenbarung der höchsten und verborgensten Heiligthümer 
unter plötzlichem Aufleuchten des strahlendsten Lichtes. Den 
Beschluss der mystischen Feier machte die Ausgiessung 
mehrereir Gefässe (Plemochoen), wobei man zuerst zum 
Himmel, dann zur Erde blickend die feierlichen Worte aus- 
rief: "Ye! Kvsl (regne! gebäre!). 

Erst nach Beendigung dieser nächtlichen Weihen trat 
der öffentliche Theil des Festes in seine Hechte. Er bestand 
— wie wir zu beweisen versuchen wollen — aus einem 
Scheinkampf mit Waffen, aus gymnastischen Wettkämpfen, 
deren Eampfpreis, ein Mass Gerste, wohl vom heiligen 
rarischen Felde war, und einer als Steinwerfen (Litho- 
bolie) bezeichneten Begehung. 

Alle diese.Handlungen standen in engerem oder 
weiterem Bezüge auf Demeter und ihre Tochter, so 
wie deren Geschichte, den Baub der Jungfrau durch 
den Unterweltsgott und ihre periodische Wieder- 
vereinigung mit der in ängstlichem Suchen nach 
ihr umherirrenden Mutter. 

Der prächtige und als Kunstwerk bewunderungswürdige 
Bau des Iktinos war jedoch nicht der erste Tempelcomplex 
in Eleusis; schon vor ihm bestand eine umfangreiche ältere 
Anlage, welche von König Kleomenes von Sparta, später im 
Ferserkriege stark beschädigt wurde. Schon damals waren 
die Weihen gesucht ; am Jakchoszug nahmen viele Tausende 
Theil; Demaratus (Herodot VHI 65) sah eine Staubwolke 
wie von Dreissigtausend. Die Gründung des Oultus selbst 
verliert sich ins Dunkel der vorhistorischen Zeit. Bereits ein 
von Hesiod benutzter Epiker combinirte die heilige Tempel- 
Bchlange der eleusinischen Demeter mit dem aus Salamis von 

QF. LL 14 



210 KAPITEL V. 

Eurylochos vertriebenen Drachen des Kychreus. ^ Und als 
die Eodriden oder Neliden aus Athen nach Ephesos aus- 
wanderten, um die Königswürde nicht mit anderen Eupatriden 
zu theilen, nahmen sie den Titel ßaaiXng und den Yorsitz 
der dort begründeten Eleusinien als Vorrecht ihres Ge- 
schlechtes mit. Es müssen also bereits zur Zeit der Eönigs- 
herrschaft die eleusinischen Demeterorgien bestanden haben, 
wenn gleich sie im Verlaufe einer fast anderthalb Jahr- 
tausende umfassenden Geschichte nothwendig manchen Ver- 
änderungen unterlagen. 

Das älteste und zugleich einzige umfangreichere Zeug- 
niss über den Mythus, welcher den Hauptinhalt des Gottes- 
dienstes ausmachte, gewährt uns der i. J. 1780 in Moskau 
entdeckte Hymnus auf Demeter,^ der im jonischen Dialekt 
mit vielen untermischten Atticismen gedichtet, durch zahl- 
reiche aus Homer, zumal der Odyssee, und Hesiod entlehnte 
Verse, Worte, Redewendungen, Situationen^ sich als nach- 
hesiodeisch, durch den Hauch epischer Alterthümlichkeit und 



1 Strabo IX 393. Vorgl. Pausan. I 36, 1. Steph. Byz. 8. v. 
Kvx^iioi nayog Plut. Thes. 10, Solon 9. 

* Hauptsiiohlichste Editionen und Commentationen: Hörnen 
Hymnus in Cererem nunc primum editus a Davide Ruhnkonio. 
Accedunt duae Epp. criticae. Lugd. Bat. 1782. Recensuit et illustr. 
Mitscherlich. Lips. 1787. Hom. Hymni et epigr. ed. G. Hermann. 
Berlin 1806. Fr. Franke Hom. Hymni Lips. 1828. Uebersetzt und 
erläutert von J. H. Voss. Heidelb. 1826. Hymni Hom. recens. adnot. 
subjunx. A. Baumeister Lips. 1860. S. 53—69. 274—335. Neueste 
kritische Ausg. mit Facsimile der jetzt in Leiden befind!. Hs. des 
14. Jh.: Hymnus Oereris Homericus ed. F. Buch ol er Lips. 1869. 
Fr. Creuzer Briefe über Homer u. Hesiod. Heidelb. 1817. Sym- 
bolik IV 250 ff. L. Preller Dem. u. Perseph. S. 56 ff. ö. Bern- 
hardy Grundriss der griech. Literatur. Dritte Bearb. Halle 1867. 
II 1, 234. 0. Müller Gesch. d. griech. Literatur« Breslau 1857. 
I 134. G. Gera SS de hymno in Cererem Homerico. Diss. inang. 
Berol. 1872. 0. Gutsche Quaestiones de Homerico hymno in 
Cererem. Dies, inaug. Halis Sax. 1872. A. Guttmann de hymnor. 
Homeric. historia critioa. Diss. inaug. Gryphiswald. 1869. S. 31 — 36. 
Der homerische Hymnus auf Demeter (kritische Untersuchung) von Ph. 
Wegeuer. Philologus XXXV (1876) 227—254. 

» Voss a. a. O. zu Vers 19. 44. 205. 308. 407. 440. 454. 497. 
Gutsche S. 15—21. Vergl. Baumeister und Bucheler a. a. 0. 



PEjtETBR. 211 

Originalität als jedesfalls vorsolonisch ^ zu erkennen gibt, im 
Alterthum aber fälschlich dem Homer zugeschrieben wurde.^ 
Die häufigen Beziehungen auf eleusinische Localstätten und 
Festgebräuche machen gewiss, dass der Hymnus in Attika 
yon einem in die Mysterien Eingeweihten verfertigt ist und 
die heilige Legende (tfQog Xoyog) darstellt, wie sie sich zur 
Erklärung heiliger Oertlichkeiten, Aemter und Handlungen^ 
und zwar durch wiederholte epische Behandlung und den 
zur Bevorzugung des Lobes einzelner Funotionäre einge« 
nommenen Standpunct in den Einzelheiten mit dichterischer 
Freiheit mehrfach variirt, allmählig ausgebildet hatte. Wir 
wissen noch von mehreren solcher Hymnen, deren einer, dem 
unserigen nahe verwandt, im Interesse der Eumolpiden ge- 
dichtet war und dem alten Sänger Pamphos zugeschrieben 
wurde; noch nach dem Jahre 204 v. Chr. entstand ein 
anderer, um den Ruhm der damals zur Daduchie gelangten 
Lykomiden zu erheben; für seinen Verfasser gab man den 
fabelhaften Dichter Musaeus aus. Der Inhalt des homeridischen 
Hymnus lässt sich in Kürze folgendermassen angeben. 



V. 1 — 90. Raub der Persephone. 

V. 1 — 21. Der Demeter Tochter, das blühende Mädchen 
mit den Blumenaugen (^KaXvxaimg kovqtj)^ spielt mit den 
Okeaninen auf blumenreicher Wiese, wo Rosen, Narcissen 
und Hyacinthen blühen. Nach Zeus Rathschluss dem 



1 Buhnken Yorr. S. X. Preller Bern. u. Perseph. 66.115. Gutsohe 
22 ff. Zu den Zeichen des Alterthums darf aber nicht die Nichterwähnunfs: 
der Athener im Hymnus gerechnet werden ; denn sicher ist der Hymnus 
jQnger als das Aufhören des Eönigthums in Athen, das bereits den 
Vorsitz der eleusischen Sacra besass (o. S. 210), und die aus Herodot 
I 30 gefolgerte Fortdauer der staatlichen Selbständigkeit von Eleusis 
bis kurz Yor Solon richtig, da an dieser Stelle von einem gegen die 
Stadtnachbarn (in Megara) bei Eleusis geführten Kampfe, nicht von 
einem Kampfe gegen die Eleusinier als Stadtnachbarn, noch weniger 
Yon dem durchaus mythischen sogenannten eleusinischen Kriege die 
Rede ist. Yergl. H. Stein zu Herodot a. a. 

2 Pausan. II 14, 2. IV 30, 3. I 38, 3. 

14* 



212 KAPITEL V. 

Ai'dooeus willfährig lässt Gäa trügerisch eine hundert- 
doldige Narcisse aufspriessen, von deren Balsamduft 
Himmel, Erde und salzige Meerfiuth lacht. Indem die Jung- 
frau beide Hände danach ausstreckt, gähnt weit über das 
Feld von Nysa das Erdreich auf, und des Zeus yielnamiger 
Bruder (Aidoneus, Polydegmon, Polydektes) fährt mit un- 
sterblichen Rossen heraus, ergreift und entführt auf goldenem 
Wagen die Jammernde, die mit hell gellendem Laute ihren 
Vater Kronion um Schutz anruft. V. 22 — 27. Keiner der 
Götter und Menschen hörte den Laut der zum Yater Rufenden, 
nur Hekate vernahm ihn in ihrer Höhle Geklüft. V. 28. 
Zeus aber sass fem von den Göttern im vielumflehten Tempel 
von den Menschenkindern Opfer empfangend. V. 30 — 37. 
So entführte sie der Oheim und so lange sie noch Erde, 
Himmel und Meer schaute und leuchtende Sonnenstrahlen, 
so lange täuschte die Hoffnung gerettet zu werden ihren 
Sinn. V. 38. Vom Widerhall des unsterblichen Rufes tönen 
die Gipfel der Berge und die Tiefen der Meerfluth, und die 
Mutter vernimmt ihn. Schmerz durchdringt ihre Seele. Sie 
zerreisst den Schleier, hüllt die Schultern in schwarzes Gewand 
und eilt, wie ein Vogel, suchend über Land und Meer. Kein 
Gott noch Mensch will ihr wahre Kunde geben. V. 47—89. 
Neun Tage schon hat sie die Erde durchschweift, Fackeln in 
dm Händen schmngend, sie hat nicht Trank noch Speise ge- 
nommen, kein Bad hat sie erquickt Da begegnet ihr Hekate, 
Lichtglanz in den Händen erhebend, und redet sie, Botschaft 
bringend, an: 'Wer doch raubte Persephone dir, dein Herz 
betrübend? Denn ich hörte den Ruf, doch sah ich's nicht 
mit Augen. Der allsehende Helios aber vermöchte dir wohl 
die Wahrheit zu sagen*. ^ Demeter stürmt, ohne eine Antwort 
abzuwarten, mit Hekate zum Sonnengott, der ihr den Antheil 
des Zeus an der That verräth, den Räuber namhaft macht 
und sie vergeblich auffordert, um der Ehre einer solchen 
Verschwägerung willen den Gram fahren zu lassen. 



^ Die Hs. gibt von dem letzteren Satz nur ein verderbtes Stuok. 
Ich ergänze mit Ilgen, Hermann, Baumeister, Gemms: aol S^iaxa Xf'ym 
vrjjusqrea narra ^HiZiofy og narr' e^o^^ xai narr eTiaxovH* 



DEMETER. 218 

V. 91—303. Demeter in Eleusis. 

Y. 91 — 168. Zürnend entfernt sich Demeter aus der 
Mitte der Olympier, nimmt das Aussehen einer alten Frau 
an und wandert nach Eleusis, wo sie sich am Jungfrauen- 
brunnen niederlässt. Wie die anderen Mädchen kommen 
auch 'die Tochter des Königs Eeleos hierher, Wasser zu 
schöpfen. Demeter erzählt ihnen, wie sie Seeräubern ent- 
schlüpft sei, die sie von Kreta entführt hätten; sie wünscht 
sich ein Unterkommen als Kinderwärterin oder Schaffnerin im 
fürstlichen Hause. Y. 169 — 189. Die Jungfrauen gehen, kehren 
aber bald nach eingeholter Erlaubniss ihrer Mutter Metaneira 
zurück — 'wie Hindinnen oder junge ELälbchen springend, 
mit aufgehobenem Kleidersaum und im Fluge wehendem 
Haar stürmten sie daher — , um die Alte als Pflegerin ihres 
erst kürzlich geborenen Bruders Demophoon ins Haus zu 
laden. Metaneira sass mit dem blühenden Kinde im Schosse 
an dem Pfosten des Saales, als Demeter die Schwelle der 
fürstlichen Wohnung betrat. Göttlicher Schimmer erfüllte 
den Eingang, und der Göttin Haupt rührte an die Decke des 
Gemaches. Y. 190-211. Die Fürstin, bleich vor 
Staunen und vor Entsetzen, bot ihr den eigenen 
kostbaren Sessel, den Demeter aber nicht 
annahm; sondern stumm und ohne zu lachen 
(^ayiXaarog) sass sie in Gram verschmachtend auf 
niedrigem Stuhle und nahm weder Speise noch 
Trank, bis die Dienerin Jambe durch allerlei 
muthwillige Reden und Scherze sie zum Lachen 
brachte und sie bewog den aus Wasser, Polei 
undMehl gemischten Kykeontrank zu geniessen, 
der ihr hinfort jährlich bei ihren Festen gefiel. 
So empfing ihr Geweihtes zuerst die erhabene 
Deo.i 



^ Die Verse 190—211 sind, wie bereits Preller (Dem. u. Perseph. 
92—96), demnächst Gemms (31 — 34) erkannt haben (vergl. Wegener. Phil. 
XXXY. 238), ein späteres Einschiebsel nach dem Muster eines Liedes, 
welches die geschilderte Handlung in eine ganz andere Situation, wahr- 
scheinlich nach dem lachlosen Steine {ner^a ayeXaaioq) verlegte. Per 



214 KAl»ITEL V. 

Y. 212. Jetzo begann Metaneira: 'Gegrüsst seist du mir 
(jfae^fc), Weib, du dünkst mir von edelen Eltern entstammt. 
Aber was Götter verleihen, müssen wir mit Zwang dulden, so 
sehr wir trauern/ V. 224. So die Unglückliche tröstend übergibt 
sie ihr den Demophoon zur Pflege, und Demeter verspricht 
ihn sorgfältig aufzuziehen. Auph werde er, so hoffe sie, 
nicht an der durch die Bosheit der Amme ihm beigebrachten 
Behexung oder Zauberwurzel zu Grunde gehen. Denn sie 
wisse ein entgegenwirkendes Heilkraut, viel kräftiger als die 
Verderbwurz. V. 230, Unter den Händen der Göttin gedieh 
der Enabe wunderbar. Sie pflegte ihn wie ein Götterkind. 
Des Tages salbte sie ihn oftmals mit Ambrosia, liebliche 
Kraft ihm einhauchend und sanft im Schosse ihn haltend, 
y. 289. Nachts dann barg^ sie in Glathen des Herdes ihn, 

ähnlich dem Glimmbrand, 
Heimlich vor Vater und Matter. 

Diese wunderten sich, wie er so herrlich erwuchs. 
Einmal belauscht die neugierige Mutter sie aus ihrer Kammer. 
Da sieht sie das Kind in den Flammen und schreit laut auf. 
So unterbricht sie die Pflegerin, die nun von ihrem Geschäfte 
lässt und von Lichtglanz umflossen in ihrer wahren Gestalt 
als Göttin sich enthüllt, ihren Namen offenbart und die 
thörichten Menschen schilt, welche sie verhindert dem Kinde 
Unsterblichkeit und nie alternde Jugend zu schenken. Jetzt 
entrinne Demophoon dem Tode unmöglich, aber unvergäng- 
liche Ehre werde ihm zu Theil werden, weil er auf ihrem 
Schosse gesessen und in ihren Armen geschlummert: 

y . 265. In Abschnitten der Zeit bei der Jahre rollendem 

Umlauf 
Werden Eleu sis Söhne für ihn in jeg Hoher Zukunft 
Gegen einander Krieg voll führen und sohreoklichen 

Sohlaohtruf.i 

Gruss ;^at^ff Y. 213 schliesst sich natfirlioh an den Eintritt der zur Er- 
scheinung einer fremden Dienstfrau entstellten Demeter, hinter welcher 
Metaneira ein durch Sohicksalschläge hart betroffenes Weib edler 
Abkunft, keinesweges die Göttin yermuthet. Ueber Baumeisters Ein- 
wendungen hinsichtlich x^i^e s. Gemms 32 ff. 

UalSfg EJxvaivCtav nolB/uov xa\ ipvXoniv alvr^v 



DEMETER. 216 

Nachdem Demeter das Eind auf den Boden gesetzt, 
gebietet sie, ihr einengrossen Tempel und Altar 
oberhalb des Eallichorosbrunnens auf vorragen' 
dem Hügelzu erbauen, dann werde sie selber 
die Orgien weisen, wie in der Zukunft ihr Herz 
nach heiligem Brauche gesühnt werden solle. 
Dies sagend geht sie davon. Der Fürstin Metaneira wanken 
die Knie, sprachlos und stumm vergisst sie den Kleinen auf- 
zuheben. V. 284. Die Schwestern aber vernehmen seine 
klägliche Stimme; aus den Betten springend machen sie sich 
mit dem Kinde zu thun als zärtliche Ammen und Pflege- 
rinnen, die eine eilt die Mutter zu wecken und aus ihrer 
Kammer herbeizurufen. Y. 292. Die ganze Nacht hin- 
durch (navvvxiai) sühnten sie nun die gepriesene 
Göttin. Am Morgen erzählten sie alles dem Keleos, der 
sofort eine Volksversammlung berief und mit deren Zu- 
stimmung Altar und Tempel erbaute. Den Bau hob Segen 
der Gottheit; Demeter aber nahm darin ihren Sitz. 



V. 303—495. Rückkehr der Persephone. 

Fem von ^en Himmlischen verweilt daselbst die Göttin, 
sich in Gram um die Tochter verzehrend. Ein schreckliches 
Jahr schafft sie dem Menschengeschlecht, keine Saat geht 
auf, Hungersnoth droht die Sterblichen dahinzuraffen und 
die Götter der Opfer zu berauben. Da sendet Zeus die Iris 
ab, um die Göttin zum Olymp zurückzurufen. Sie weigert 
die Bückkehr und droht selbst dann, als alle Olympier ihr 
einer nach dem anderen bittend und Ehren verheissend ge- 
naht, niemals wieder die Feldfrucht emporzutreiben, bevor 
sie mit Augen ihr holdes Mägdlein wiedergesehen. Jetzt 
erhält Hermes den Auftrag, mit schmeichelnden Worten den 
Ai'des zu bestimmen und aus den Tiefen des Erdreichs 
Persephone ans Licht heraufzuholen, die noch immer unmuth- 
voll und gegen den Rath der Unsterblichen antobend neben 
dem Herrscher der Unteren auf dem Lager sitzt. Hermes 
verkündet ihm in herrischem Tone den Willen des Zeus, er 



216 KAPITEL V. 

gehorcht sogleich; überlegen lächelnd (offenbar in der be- 
stimmten Yoraussetzang, doiss er der Gatte der Persephone 
bleiben werde) heisst er sie gehen und fügt hinzu: 'Kein 
unwürdiger Gemahl wird dir äer Bruder des Zeus sein, 
dort (in der Unterwelt) wirst du machtvoll über alles Lebende 
herrschen und Ehren empfangen.' Dann steckt er ihr einen 
süssen Granatkern heimlich in den Mund. 

Mutter und Tochter feiern ein rührendes Wiedersehen. 
Jene fragt, ob Persephone beim Aides irgend welche Speise 
gekostet. Wo nicht, so könne sie immer bei ihr und Eronion 
bleiben : 

y. 398. Hast du gekostet jedoch, umkehrest du, dass in dem Erdsohlund 
Eüufiig ein Drittel der Zeit vom kreisenden Jahre du wohnest, 
Doch zwei Theile bei mir und den anderen himmlischen Göttern. 
Wann mit Blumen die Er dMn des duftenden Lenzes 

Erneurung 
Tausendfältig erblüht, alsdann aus dem nächt- 
lichen Dunkel 
Steigst du empor, ein Wunder den Gottern und 

sterblichen Menschen. 

Persephone gesteht vom G-ranatkern gekostet zu haben 
und schliesst daran eine Erzählung des Hergangs ihrer Ent- 
führung. 

Rheia von Zeus abgeordnet, um ihre Tochter Demeter 
endlich zu den Göttern heimzuholen und der Jungfrau an- 
zukündigen, dass sie ein Drittel des Jahres ins Dunkel des 
Erebos hinabsteigen, zwei Drittel bei ihm und den anderen 
Unsterblichen weilen soll, lässt sich auf dem rarischen 
Felde zur Erde nieder, der Segensflur, die, jetzt unfrucht- 
bar, nun bald wieder von den üppigsten Aehren wimmeln 
sollte. Ihrem Gebote fügt sich die schönumkränzte Demeter; 
schnell lässt sie die Frucht der Aecker keimen und üppig 
aufschiessen. Y. 473. Und zu den Recht sprechenden Fürsten 
von Eleusis sich wendend weist sie dem Triptolemos, 
Polyxeinos, Diokles, Eumolpos und Eeleos die 
Dienstordnung der Ueiligthümer (ßgTjafioavvtjv tsgwv) 
und lehrt sie die Orgien (nal €niq)gadsv ogyta itakd). Selig, 
wer diese schaute! Wer nicht eingeweiht, ihrer nicht th eilhaft 
wurde, hat niemals gleiches Loos, auch nicht wenn er gestorben 



DEMETES. 217 

im Dunkel der Unterwelt weilt! Nachdem die erhabene Göttin 
dieses alles gelehrt, wandelten Demeter und Persephone zum 
Olympos, wo sie hehr und hochehrwürdig beim donnerfrohen 
Kronion hausen. Glücklich, wen Sie holdgesinnt liebhaben, 
Plutos ist ihm Herdgenosse! Y. 490. Der Dichter schliesst 
mit der Bitte um anmuthiges Leben als Sangeslohn von 
beiden Göttinnen von Eleusis, welche auch Faros und Antron 
als Herrscherinnen inne haben. 

Die Arbeit der Kritik an dem Gedichte ist noch nicht 
zum Abschlüsse gekommen. Nachdem jedoch durch die 
Untersuchungen früherer Forscher, namentlich Prellers, zahl- 
reiche Widersprüche und Yermischungen verschiedener mit 
einander unvereinbarer poetischer und psychologischer Motive 
in demselben nachgewiesen und durch die von einem con- 
servativen Standpuncte ausgebenden Einwürfe Baumeisters 
vergeblich geleugnet sind, haben neuerdings die eindringenden 
und scharfsinnigen Erörterungen Wegeners zu nachstehenden 
Ergebnissen geführt, deren in den Hauptsachen überzeugende 
Begründung der Leser unseres Buches an Ort und Stelle 
nachlesen muss. 

Der sogenannte homerische Hymnus an Demeter (H) 
ist die Flickarbeit eines Rhapsoden, welcher aus zwei ein- 
ander ganz ähnlichen und verwandten Liedern (A und B), 
die vermuthlich selbständige Nachbildungen eines älteren 
dritten (C) waren, derart eine neue Dichtung machte, dass 
er abwechselnd bald aus dem einen bald aus dem anderen 
ziemlich wörtlich entlehnte und die widersprechenden Motive 
und Situationen beider zu vermitteln oder zu verhüllen suchte, 
ohne dabei glücklich zu sein. Auch jenes dritte ältere 
Lied (C), die Grundlage der Redactionen A und B, muss 
bereits aus zwei für sich stehenden Gedichten, einer Erzäh- 
lung des Raubes und der Wiederkehr der Persephone (D) 
und einer Schilderung von der Einkehr der Demeter in 
Eleusis (E) in der Weise zusammengeflickt gewesen sein, 
dass letztere in die Mitte der ersteren ziemlich mechanisch 
eingeschachtelt wurde. Noch in A und B hoben sich die 
Nachdichtungen dieses eingeschobenen Mittelstückes (I und II) 
von dem übrigen Texte deutlich ab;' ebenso lassen sio sich 



218 KAPITEL V. 

in H unterscheiden. Es ist jedoch in dieser uns vorliegenden 
Bearbeitung nicht mehr erkennbar, welcher Recension (A 
oder B) I und welcher II zuzurechnen sei. Wir ziehen 
in unserer Inhaltsangabe Wegeners I zu B, II zu A. 

A. Zeus ist mitschuldig der That. Seinem Willen gemäss 
lässt Gäa trügerisch den wunderbaren Narkissos aufspriessen, 
den Persephone zu pflücken kommt. An dieser Stelle klafft 
plötzlich ein Erdspalt auf. Durch denselben springt Aidoneus 
hervor und entrafft die Ahnungslose, die einmal laut auf- 
schreit, in sein darunter in der Erdtiefe liegendes Reich. In 
ihrer Höhle sitzend hört Hekate den lauten Aufschrei der 
Jungfrau und sieht sie an sich vorüber hinabfahren. Sie eilt 
dies der Demeter zu melden {ayyBXiovaa), Diese tritt vor 
den Thron des Zeus und fordert die Rückgabe des Mädchens. 
Der Göttervater aber weist sie ab und sucht sie durch die 
Vorhaltung zu besänftigen, der Herrscher der Unterwelt sei 
für Persephone kein unwürdiger Gatte. Auf alle Götter und 
Menschen zürnend sucht nun Demeter jeglichen Getreide- 
wuchs zu vernichten. Den Olympos meidend geht sie zu 
Städten und Aeckern der Menschen. (II. Nahe bei Bleusis 
lässt sie sich am Wege nieder in Gestalt eines kräftigen 
jugendlichen Weibes voll Schönheit und Hoheit. Hier treffen 
sie die Töchter des Eeleos Demo, Eleisidike, Eallidike, 
Kallithoe, ohne sie als Göttin zu erkennen* Ihnen erzählt 
sie das Märchen, wie sie für den Sklavenmarkt aus Kreta 
geraubt, aber den Räubern entschlüpft sei. Auf der Töchter 
Bericht ruft Metaneira sie zu sich. Himmlischer Glanz erfüllt 
bei der Göttin Eintritt den Palast, die menschliche Wohnung 
vermag ihre Gestalt kaum zu fassen, so dass die Königin 
voll Furcht und Scheu vom Herrensitze weicht. Ehrfürchtig 
begrüsst sie die Fremde und bietet derselben eine hohe Be- 
lohnung, wenn sie ihren spätgeborenen Säugling Demophoon 
von einer Krankheit befreie, welche die Bosheit der Amme 
ihm angezaubert. Die Göttin verspricht die Heilung und 
nimmt den Knaben an ihren duftenden Busen. In der Nacht 
darauf lauscht die Mutter hinter der Thür und wird gewahr, 
wie Demeter ihr Kind ins Feuer legt. Erschreckt schreit sie 
auf; die Göttin aber lässt das Knäblein fahren, offenbart ihren 



DBMSTEB. 219 

Namen und ihre Würde und gebietet, ihr einen Tempel zu 
bauen und Orgien einzurichten, deren Ordnung sie den herbei- 
gerufenen Fürsten von Eleusis Keleos, Triptolemos, Diokles, 
Eumolpos, Polyxeinos weist.) A. In den Tempel von Eleusis 
zieht Demeter sich zurück und verweilt dort ein ganzes Jahr. 
Ueber die Erde kommt vollständiger Misswachs. Durch Ver- 
nichtung der Feldfrucht beabsichtigt sie die Götter zu zwingen. 
Zeus lenkt ein und entsendet nach einander Iris und alle 
übrigen Götter, um Demeter zur Rückkehr zu bewegen. 
Vergebens. Schliesslich muss Bheia, der Göttin leibliche 
Mutter, den letzten Versuch machen; Zeus hat soviel nach- 
gegeben, dass Persephone nur ein Drittel des Jahres in der 
Unterwelt und zwei Drittel bei ihr und den Oberen weilen 
soll. Jetzt lässt die Zürnende sich erweichen, Mutter und 
Tochter feiern ein frohes Wiedersehn,. und die Erde deckt 
sich aufs neue mit Blüten und Früchten. 

B. Auf blunuger Aue am Okeanus liest Persephone in 
Gesellschaft der Okeaninen Blumen. Da eilt ohne Vor- 
wisfien des Zeus, der in einem fernen Tempel Opfer 
empfangt, Ai'des, dessen Beich hier (anders als in A)^ als 
ein Land jenseits des Okeanos gedacht ist, auf einem Wagen 
herbei und entführt die Jungfrau. Die Fahrt nimmt längere 
Zeit in Anspruch und geht über Land und Meer. Die Geraubte 
lässt wiederholte Hilferufe an ihren Vater ertönen. Ai'des 
sucht sie mit ihrem Geschicke auszusöhnen, indem er ihr 
vorstellt, dass sie als Königin der Todten grosser Ehren ge- 
messen werde; und wohlkundig der Beschlüsse des Fatums 
steckt er ihr, um sie sicher an sich zu fesseln, heimlich den 
Granatkem in den Mund. Demeter, als sie die Tochter ver- 
misst, zerreisst ihren Schleier, hüllt die Schultern in dunkles 
Trauergewand und durchirrt suchend und fragend neun Tage 
lang sowohl trockenes Land als Gewässer. Da weder der 
Gespielinnen eine, noch irgend jemand unter den Göttern 
und Menschen ihr über den Verbleib ihres Kindes Auskunft 



1 A lehnt sich an die in der Dias gewöhnliche Vorstellung von 
der Lage des Todtenreiohes, B. an die Odyssee an. 



220 KAPITEL y. 

geben will, begibt sie sich endlich zum allsehenden Helios 
und fleht ihn um Mitleid an. Er erbarmt sich und nennt ihr 
unter Bezeigung seiner Achtung den Räuber. (I. Nahe bei 
Eleusis am Jungfrauenbrunnen macht Demeter Rast, in die 
Gestalt einer hochbetagten Greisin gewandelt. Hier finden 
sie die Keleostöchter Praxithea (?), Saisara, Pammerope, 
Diogeneia, denen sie den Wunsch ausspricht in einem vor- 
nehmen Hause Dienste zu nehmen. Zu Metaneira berufen 
wird sie von dieser als Wärterin Demophoons angeworben, 
dessen Erziehung sie zu übernehmen verspricht. Längere 
Zeit weilt sie im Eönigshause; unter ihrer Pflege gedeiht 
das Kind ohne irdische Speise. Nachts hält sie ihn heimlich 
ins Feuer. Doch eine der Schwestern (Praxithea?) beobachtet 
einmal dabei die Göttin und schreit auf, und nun offenbart 
sich die letztere in ihrer wahren Gestalt und Eigenschaft und 
gebietet die Errichtung der Orgien. Während die Lauscherin 
vor Staunen und Erschrecken ob der Erscheinung eine Zeit 
lang ohne Bewegung verharrt, hören die anderen Schwestern 
das Weinen des Brüderchens und springen aus den Betten. 
Die eine geht die Mutter zu wecken, die zweite hebt den 
Kleinen von der Erde auf und hegt ihn in ihren Armen, die 
dritte bereitet ein Bad. Demeter verschwindet, nachdem sie 
den Eeleostöchtem die Einrichtung der Orgien gewiesen hat. 
Die ganze Nacht sühnen sie dann die unsterb- 
liche Göttin. Morgens aber berufen sie die eleusinischen 
Fürsten, und diese errichten den Tempel.) B. Demeter ver^ 
birgt sich grollend in demselben. Zeus entsendet den Hermes, 
der Aides wegen seiner eigenmächtigen That mit rauhen 
Worten anherrscht und ihm den Befehl ausrichtet, Persephone 
herauszugeben. Dieser weigert sich nicht im Bewusstsein 
seiner Schuld, aber er lächelt überlegen, da er weiss, dass 
nach dem Genüsse der unterweltlichen Speise die Gattin durch 
den Willen des Fatums wenigstens für ein^n Theil jedes 
Jahres ihm gesichert ist. Hermes führt die Tochter der 
Mutter zu, auf deren Frage sich herausstellt, dass sie vom 
Granatkern gekostet hat und somit nur acht Monate auf der 
Oberwelt verweilen darf, vier Monate in den Hades hinab 
steigen muss. 



BEHETEB. 221 

Das Lied D erwähnte die Einsetzung der Mysterien 
nicht, der Tempel sammt seiner Festordnung wurde , wie es 
scheint, als bereits bestehend gedacht ; in ihn zog sich Demeter 
den Göttern grollend zurück. Bei der Vereinigung von D 
und E wurde es nöthig den Qründungsact auf die Zeit nach 
der Wiederkehr der Persephone zu verlegen, es wurde des« 
halb die in E gegebene Schilderung desselben in zwei Hälften 
zerspalten und der eine Theil an das Ende von D geschoben. 
Die Erzählung in H. v. 272—274 v. 292-300 v. 474—484 
enthält eine Combination der verschieden gefassten Darstel- 
lungen dieser Begebenheit in A + 11 und B + I. Der Ver- 
fasser von H verwandte ausserdem v. 192—206 für seine 
Schilderung des Empfangs der Demeter bei Metaneira das 
Bruchstück eines ganz fremden, sowohl von A + 11 wie von 
B 4- I unabhängigen Liedes, welches zum Zwecke der ätio- 
logischen Erklärung gewisser Cultusgebräuche der Eleusinien 
oder Thesmophorien zwar die Einkehr der Göttin in Attika 
mit Beziehung auf die Fabel vom Raube der Persephone, 
aber eine ganz andere Situation als die hier vorliegende aus- 
malte. Endlich weist Wegener nach, dass die Feuerweihe 
des Demophoon und was damit zusammenhängt in C einem 
bei ApoUodor auszüglich erhaltenen Achilleusliede entlehnt 
sein muss. 

Obwohl ich nicht in allen Stücken Wegener zu folgen 
im Stande bin und in Bezug auf mehrere wichtige Puncte 
weiterhin meine abweichende Ansicht begründen werde, bin 
ich bei wiederholter Prüfung, je tiefer ich in seine Aus- 
führungen eindrang, desto mehr zur Ueberzeugung gekommen, 
dass die von ihm aufgestellte Hypothese besser als alle 
früheren Versuche der Gelehrten im Stande sei, die Com- 
position des Hymnus H aufzuhellen und die in demselben 
aufstossenden Widersprüche begreiflich zu machen. Ist dies 
kein Irrthum, so stellt sich uns das lebendige Bild einer Epik 
dar, welche an Ort und Stelle geschäftig war und immer 
von neuem die Einbildungskraft aufbot, die Geschichte des 
Ursprungs der eleusinischen Cultushandlungen glaubhaft zu 
erzählen. Hierbei schlössen sich die Späteren naturgemäsa 
an die Früheren an, sie nahmen von den Schöpfungen der- 



222 KAPITEL y. 

selben aaf, verwarfen oder setzten hinzu, was ihnen gut 
dünkte ; es bildete sich eine gewisse Tradition, aber — wenn 
auch dem Kerne des eigentlichen Mysteriendogmas unzweifel- 
haft eine grössere Schonung zu Theil ward, und nur am 
Beiwerk gerüttelt werden durfte — so war doch bei der Ab- 
wesenheit einer kanonischen die Erzählung ein für allemal 
fixirenden heiligen Schrift der Ausmalung der Einzelheiten 
ein weiter Spielraum geboten. Vollends aber blieben die 
mannigfachen Legenden, mit welchen Sängermund und in 
ungebundener Rede vorgetragene Sage die heiligen Gebräuche 
und die Nebenfiguren des Cultus zu erklären und geschicht- 
lich zu verknüpfen immer wieder versuchte, bis zur Erfindung 
neuer poetischer Figuren hin verschiebbar und nur mit jenem 
Einflüsse ausgerüstet, welchen eine im Kampf um das Dasein 
zu allgemeinerer Anerkennung gelangte und den subjectiven 
Eindruck innerer Wahrheit gewährende poetische Darstellung 
des Sachverhaltes auf die Ueberzeugung der Menge und das 
Werk der Nachfolger gewinnt. Mehrere Jahrhunderte hin- 
durch müssen in dieser Weise epische Kunst und mündliche 
Sage während allmählich sich ändernder Geschmacksrichtung 
in Gestaltung und Umgestaltung der hieratischen Legenden 
thätig gewesen sein. Als Anzeichen dieser Verhältnisse will 
ich hier nur die Genealogie des Triptolemos erwähnen. 
Diesen Dämon, dem auf dem rarischen Felde geopfert wurde, 
macht unser Homeride zu einem Nebenfürsten des Keleos, 
andere epische Lieder spätestens aus dem 6. Jahrb., aus denen 
die ältesten Kunstdarstellungen des Triptolemos schöpften,^ 
zu einem Sohne desselben, Panyasis, Zeitgenosse der Perser- 
kriege, zum Sohne des Eleusin, der Tragiker Choirilos um 
524 V. Chr. zum Spross des Baros, mit welchen Namens- 
verschiedenheiten auch Modificationen der Fabel zusammen- 
hingen. Deutlich aber lag solchen und ähnlichen Verände- 
rungen der Fabel nicht eine Veränderung der sacralen 
Institutionen zu Grunde, sondern die freie Concurrenz der 
das Wachsthum, Absterben und Wiederemeuem der Legende 
bestimmenden poetischen Schöpfungen. 



* Vergl. Strube Stadien Über den Bilderkreia yon Eleusis 8. 2 ff. 



DEMETER. 223 

Aus dem Gesagten ergibt sich als eine Forderung an 
die mythologische Forschung, in der Erzählung unseres Hymnus 
vier Elemente zu sondern: 1) den theologischen Kern des 
Mythus von Demeter und Eore; 2) dessen rein episches 
Beiwerk; 3) die Cultusgebräuche , welche zur Zeit der Ab- 
fassung unseres Liedes in Eleusis vorhanden waren; 4) Um- 
stände und Namen, welche zur Erklärung dieser Gebräuche 
ersonnen sind. Es wäre ein verhängnissvoUer Irrthum, in 
der ganzen Fabel Tom Raube, wie sie Torliegt, die harmo- 
nische Entfaltung eines einheitlichen Grundgedankens zu er- 
kennen, sei derselbe von philosophischem oder naturpoetischem 
Inhalt; neben manchem auf freier Erdichtung oder der Nach- 
ahmung anders woher geholter Motive beruhenden Schmucke 
werden wir auch in ihr weitreichende Einflüsse des ätiologischen 
Mythus auf Einzelheiten voraussetzen dürfen. Und in der 
That, als Anspielungen auf die gottesdienstlichen Einrichtungen 
und tiandlungen in Eleusis wird unsere Untersuchung theils 
mit Sicherheit, theils mit Wahrscheinlichkeit die nachfolgenden 
Stücke erweisen 1) die Namen Triptolemos, Polyxeinos, 
Eumolpus, Diokles; 2) die Keleiden, ihren Lauf und ihre 
Orgien sammt dem Namen Metaneira, 3) Jambe und ihre 
Scherze ; 4) das Fasten ; 5) die neuntägige Dauer des Herum- 
irrens; 6) den Fackellauf der Demeter H v. 48 ff.; 7) den 
Kykeon v. 210; 8) die Feuer weihe des Demophoon v. 239 ff.; 
9) den Kampf zu seinem Gedächtniss zwischen den Eleusiniern 
265 ff.; 10) die Seligpreisung der Epopten v. 480; 11) die 
ndwvxig V. 292; 12) die Narkissos v. 8; 13) die Hervor- 
hebung des rarischen Feldes v. 450; vielleicht auch 14) das 
Aufschreien {id^tiv) der Persephone v. 81 und 15) den Aus- 
druck ayiXmvoq v. 200. Wir werden, wenn diese Nach- 
weisung zutrifft, dadurch umgekehrt zwar bei weitem nicht 
vollständig, aber doch in sehr wesentlichen Theilen über den 
Bestand der sacralen Institutionen zur Zeit der Abfassung 
des Hymnus unterrichtet, und dieser Umstand im Verein mit 
dem anderen, dass er für uns die erste genauere, bei einer die 
Anwüchse ausscheidenden Kritik eine ältere einfachere Form 
noch erreichbar machende Aufzeichnung des eigentlichen 
Mysterienmythus enthält, verleiht demselben den hohen Werth 



224 KAPITEL V. 

einer unmittelbaren, zuverlässigen und inhaltreichen Urkunde 
ersten Banges für den eleusischen Mysterienglauben und 
Mysteriendienst aus yerhältnissmässig früher Zeit. ^ Yon ihm 
aus, als einem festen Standpuncte, dürfen Schlüsse auf die 
Entwickelung vorwärts und rückwärts gewagt, ja es darf mit 
einiger Hoffnung des Gelingens, da im Cultus und in Yer- 
bindung mit demselben reiner und ungetrübter als in einer 
sich selbst überlassenen Epik das Alterthum sich zu erhalten 
pflegt, eine Untersuchung über die Anfange der Demeter- 
mythologie unternommen werden. Dieser Untersuchung er- 
wächst eine naturgemässe Gliederung aus den beiden Gruppen, 
in welche der Stoff des Hymnus zerfällt. Wir wenden uns 
demnach zunächst der Betrachtung des Mythus vom Baube 
und der Bückkehr der Persephone und den damit zusammen- 
hängenden Heiligthümern, sodann den von der Einkehr der 
Göttin handelnden hieratischen Legenden zu, und richten den 
ersteren Theil so ein, dass wir zunächst Demeter, demnächst 
Köre für sich, endlich die Verbindung beider Göttinnen be- 
sprechen und zusehen, was sich einerseits aus Homer und den 
anderen ältesten litterarisohen und sprachlichen Denkmälern 
so wie aus dem Cultus, andererseits aus der kritischen Zer- 
gliederung des pseudohomerischen Hymnus über ihr Wesen 
ergibt, 

§ 3. DEMETER DIE URHEBERIN DER CULTÜRPRUOHT. 

Bei Homer und Hesiod und dem Dichter des homerischen 
Hymnus ist Demeter eine von Gaia unterschiedene Göttin, 
welche ausschliesslich im Wachsthum der Halmfrucht ihre 
Wirksamkeit entfaltet. Erst in jüngerer Zeit wird ihr Walten 
auch auf andere Fruchtarten ausgedehnt. Es bringt Gewinn 
zu beobachten, in welchen Formen die angegebene Vorstellung 



1 Yergl. 0. Mailers Ausspruch (Gr. Literaturg.^ I 128): Die 
alte heilige Sage der Eleusinier liegt hier in ihrer reinen und unver* 
fälschten Gestalt vor uns, insoweit sie in einer dem geläuterten Ge- 
schmack zusagenden Weise in epischer Form sich darstellen Hess. 
Daraus kann man auf die hohe Wichtigkeit des Hymnus für die 
Qesohiohte der griechischen Religion sohliessen. 



DEMETER. 225 

sich äussert. Das älteste Zeugniss für die Göttin gewährt die 
bei Homer und Hesiod beliebte Formel J rj fiTjx sQoq dxrij 
(Substantivirung des Adj. verb. v. äysiv^)^ durch welche ^ das 
Getreide als der Schatz, die Gabe, der Gegenstand bezeichnet 
wird, den Demeter mitbringt, mit sich führt oder 
herbeiführt. Es wird damit ein Miteinandersein, ein gleich- 
zeitiges Gegenwärtigsein beider, der Göttin und der Pflanze, 
ausgesagt. Bei späteren Schriftstellern heisst das Getreide 



1 Yergl. Götiling zu Hes. Sc. Her. 290, der wegen des Gebrauchs 
von axTij für das ungedroschene Getreide (Hes. O. e. D. 466) die yom 
Scholiasten zu II. XI 631 herrührende Ableitung und Deutung auf das 
'geschrotene' Korn (Mehl, Graupe) aus ayrvm zurückweist. Entschiedener 
noch wird in /jrj/urjreqoi axTtj dieser Yerbalstamm durch sein Digamma 
(Curtius Grundz. ♦ 530, vergl. II. XVI 769) ausgeschlossen. Der Gleich- 
klang mit axT^ Küste, auch einem Yerbaladjectiy, kann nur zufällig 
sein, da dessen Grundbedeutung 'das Zugespitzte' Würz, ak für J. axr^ 
nicht passt, es müsste denn letzteres Wort ursprünglich die Aehren 
als Spitzen der Halme bezeichnen. Schon Homer verwendet aynv viel- 
fach für das Mitbringen, mit sich Führen lebloser Gegenstände [ninXovi^ 
xfifMriha^ ^Qi^^aza, Od. XIV 885. II. XI 632. NiUpoi; XaCXana ayeij die 
Wolke bringt den Sturm mit, II. IV 278. 

• uirSgi Si x* ovx flifii /uf'yaq Tila/utarioc JÜag^ 
og &vr]TOi r' fXti xai iSoi /Jrjfi^rtQog axr^v, 

II. XIII 321. 
II. XXI 76. 

— — — — — — — ßCoi; 

(ogaiogy rov yaXa fp^qfi, ^vjfÄijTf^oq axr rjv, 

Hes. 0. e. D. 32. 

Auf dem Schilde des Herakles Frjv ßa^v X^iov. olye ^iv fjftwv 

ßgiS-o/ufva aTa^vtar^ togfi ^j^ /urjreQog axrtjy. 

Hes. Sc. Her. 288. 

jdutoai S^ fTTOT^vvety ^rj ftijrf q og Isqov äxTi^r 
3ivf/utri fvT av nQtOTa g>arij a&erog SlqCwrog^ 
^taqta fy iuail xai eürgoxaXtj) fv aXtaij» 

Hes. O. e. D. 697. 

fit fjia)^ ontnTfvovTag IvTQOj^aXtp ly aXta^ 

ßdXlfiv, Hes. 0. e. D. 805. 

QF. LI. 15 



228 KAPITEL V. 

die *Frucht der Demeter' (^J^f.i7jTQog xagnoc).^ Aus 
ihr hat es seinen Ursprung, bald wird es als ihr Geschenk, 
bald als ihr Erzeugniss aufgefasst. Sie lässt die Saaten 
spriessen, Aehren ansetzen und zur Reife bringen. Ehe der 
Pflug in die Erde geht, soll der Landmann die Göttin des 
Getreidesegens und den auf die Erde wirkenden Zeus (Zeus 
Chthonios) ''^ anrufen, dass die reifen Aehren schwer werden 
mögen. Der Dichter des hom. Hymnus bezeichnet es v. 469 
als das Amt der Göttin den Menschen die lebenerhaltende 
Frucht wachsen zu lassen (xagnov äe^s (psQsaßtov avd-Qüinoiotv). 
Vergl. V. 471: 

Schnell aufspriessen Hess sie die Frucht hoohschoUiger Aeoker, 
Und g;anz ward von Gespross und üppiger Blüte das Erdreich 
SohwervoU. • 

Wenn sie zürnt, so versteckt sie das Saat- 
korn in der Erde, und nichts geht auf. v. 305: 

Aber ein grausliches Jahr auf der nahrungsprossenden Erde 
Schuf sie dem Menschengeschlecht, ein entsetzliches, keinerlei Samen 
Keimte der Grund; so barg ihn die sohönumkränzte Demeter. 
Eitel durchzogen das Feld mit gebogenem Pfluge die Binder, 
Eitel verstreuete man viel gelbliche Gerst^ in die Saatflur. ^ 



1 JfjjufjT^og xa^nog. Herod. I 198. IV 198. Xenoph. Hellen. VI 3, 6. 
/jijfji^r^ioi xa^7To(» Aelian. de nat. an. 17, 16. jdrj/urjrqiaxoi xaqnoi Geopon. 
I 12, 36. Paroemiogr. gr. I app. IV 20. 

« Vergl. Lehrs Populäre Aufsätze« 298. Hes. O. e. D. 465: 
Ev^fo&ai Sh /Ja ^&oviip^ ^tj/urjre^i ^^ayvjjj 
FxreXs'a ßQ'l&Biv /IrjjurjTsqoi Uqov axrtjv^ 
aq^^OfiSvoq tu nqwr OQorovm 

So sagt noch Theokrit in Nachahmung eines Schnitterliedes Id. X 42: 

/Ja/uaTt^ noXvxaontj noXvara^^u^ rovto ro Xaov 
eveqyov r' Blrj xai xa^n^^oy om juaXxara, 

' Alyja Sh xaqnov av^xfy aqovqntav eqißmXtav^ 
naaa de ^vXXoiaiv n xai av9eoiy ev^ta ^9'toy 

* jilyoTOTOv S^tyiavfov fnt ^S'oya rtovXoßoret^ay 
7f oC^a* ay&^wnoig xai xovraroy * ovJd ri yar« 
aniqft* aytfi, xqvnrfv ytxQ Fvardtpavoq jdijfjitjTijQ ' 
TioXXa Sh xa/u7TvX^ äqorqa /udrijv ßofg flXxoy a^ovQaifj 
noXXov Sh xQi Xfvxov fttaaioy fjunfüf yc^fl* 



J 



DEMETER. 227 

Das Segensgefilde Barion war damals nicht fruchtbar, 

sondern geruhig 
Stand\s nun, nirgend begrünt; denn es hüllte die gelbliche Gerst' ein 
Durch der Demeter Beschluss. * 

Auf die genannten Thätigkeiten der Göttin beziehen 
sich mehrere Beinamen, welche das Leben der Getreide- 
pflanze auf allen seinen Entwickelungsstufen begleiten. Als 
Anesidora (vom Emporwachsenlassen, avievai^ der Früchte) 
wurde Demeter zu Phlya in Attika verehrt (Pausan. I 31, 2). 
Vergl. die wohl mit dem Gedanken an avayaiv den von dvdoaco ab- 
geleiteten Eigennamen auf avd^ (Fick Die griechischen Personen- 
namens. 11) nachgebildete Form Jii^aJt () f/i()tt, 7j ävdy ovaa 
xat avistoa rovg xagnovg tx yijg ^t]f.i/JT?]Q, Hesych. Als Wachs- 
thumsgeberin hiess sie av^tdaXrjg^ als Erzeugerin des frischen 
Grüns der jungen Halme XXorjipoQoq (Schol. Aristoph. Lysistr. 
835), XXoon^aQTioq, Davon ist der Cultname Chloe, unter 
dem Demeter in Athen mit Ge Eourotrophos gemeinsam in 
einem besonderen Heiligthume verehrt wurde, ^ als Lieb- 
kosungswort abgeleitet, geradeso wie z. B. IsQOQf XoiQog u. a. 
als Hypokorismata von zweistämmigen YoUnamen anzusehen 
sind. Dann bildet und nährt sie die Aehren und wird da- 
durch Kagnonoiog (Eurip. Rhes. 964)^ ara/vrjcpogog und 
(fsgioray^vg (vergl. xagnorpogog ßaaiXsia Arist. Ran. 382). 
KaQno(f)6gog war auch Cultname der Göttin auf Lesbosund 
zu Tegea (C. J. G. n. 2175. 2177. Pausan. VIII 53, 3). In 
Syrakus ward sie als 2ir(d (d. h. aiTocpogog) verehrt, Polemo 
bei Athen. III 73. 109 a. Sie heisst auch TroXvmgnog viele 
Früchte gebend (Theokr. Id. X 42). In Bezug auf eine 
einzelne Getreideart drücken denselben Gedanken aus (piXonvgog^ 
(Philipp. Thessal. Anth. Palat. VI 36), nvgofogog (Eur. Phoen. 
694). Nur eine andere Wendung dieser Begriffe ist die Angabe, 
dass Demeter die zur Kornreife günstige Zeit herbeiführe 
(z/. wgi](pogog dyXanöcogog Hymn. 54. 192. 492), dass die 



1 V. 451 : aUa %xr]lov 
fAirf,xn nava^vXXov ' ^xsv9-€ (VaQa xqi Xsuxov 
jutjSsai ^ t] fÄ 1JTQ o<; X a XXiatpvQ ov» 

2 Semos bei Athen. XIV 10. 618 d. Aristoph. Lysistr. 835. 
Pausan. I 22, 3. 

15* 



228 KAPITEL V. 

furchendurchwandelnden Hören ihr gesellt seien (Zenas, 
Anth. Pakt. VI 98). 

Es gab Volkslieder, welche sichtlich dem Gebrauche des 
wirklichen Lebens gedient haben. Sie enthielten, wohl als 
wiederkehrenden Refrain, einen Anruf an Demeter, der ent- 
weder den Dank für Gewährung grosser (aus mehreren Garben 
zusammengefügter) und schöner Erntebündel {y,aXol ovXot, 
LovXoi) oder die Bitte um solche Gabe aussprach, oder die 
Göttin selbst als icaXXiovXog, als Inhaberin schöner Garben 
pries. Daher bekamen durch Metonymie solche Gesänge 
selbst den Namen ovXoi, /trjfirjVQiovXoi {^Jt^/litJtqovXoi}^ xaXXiovXoi, 
Das Fragment eines wahrscheinlich späten Dichters enthält 
die emphatische Aufforderung: 

'Lass /reichlich ertönen den IJlosgesang, den Ulosgesang, den Julos- 

gesang*.* 

Semos geht in seiner Schrift über Dank- und Loblieder 
soweit, ohne Einschränkung den Namen ovXoi oder lovXoi auf 
alle Hymnen zu Ehren der Demeter auszudehnen ; schwerlich 
mit Recht. Obschon die ansprechende zuerst von J. Grimm - 
aufgestellte Vermuthung des Beweises entbehrt, dass die 
Namen D emeterg ehund (^JrjiLi7]TQlovXog)^ Schöngebund 
(yiaXXiovXog) oder abgekürzt schlechthin Bund (ovXog)^ ehe 
sie auf die Lieder übertragen wurden, xar' s^o/tjv einem 
einzelnen, bestimmten, durch Schmuck ausgezeichneten, mit 
Feierlichkeit besonders geehrten Garbenbündel zugekommen 
seien, zeugen die angeführten Thatsachen jedes- 
falls für eine vorzugsweis enge Verbindung der 
Begriffe Demeter und Erntegarbe. Dafür spricht 
auch der Beiname der Göttin ^vXai d. i. wohl lovXo(p6Qoq 



* Athenäus XIV 10. 618 d: ^ijjuog tJV d^Xiog iv rta nsQi naidyvav 
q)vja{* Ta dqayfiaiix riav xqi&mv aura xa9^ avru TrqogtjyoQfvov aftaXaq* auva- 
d-ooiad-iVTtt tfe xdi ix noXlwy filav y^vo/usva diojjijv ovXovg xixi lovXovg * xai 
rrjv ^jrj/utjrqa ot8 /uhy XXotjv^ or)> Sf lovXta, ano rtay rtfg /fijjurjrqog Bv^tj/uaray 
Tovg TS xaQTiovg xa\ rovg vjuyovg rovg elg rfjy &soy ovXovg xaXovai xa\ lovXoug* 
SvjjurjT^ovXoi xa\ xaXXlovXoi. xai ^HXsTaroy ovXoy ovXov Vft, XovXoy 'ifi» 

2 Haupt Zs. 7, 393. Was Grimm hier sonst noch über iouXo; 
und ^tj/u^Tfjq '*IovX(o sagt, mischt ganz heterogene Dinge durcheinander 
ut^d ist in allen Theilen unhaltbar. 



DEMETEB. 229 

(vergl. 2iraf)j welchem ein spätes a/itaXXotpogog beiNonnus (Dion. 
26, 244) sich anschliesst. Unter Demeters Fürsorge steht deshalb 
das Geschäft des Mähens. ^Enoy/uiog Ji]f.irirrjQ, ^Jfjfifjrfjg ilj 
6(pOQog Tov d-SQOvg (Anth. Palat. VI 258. Said. s. v. oyfiog) 
d. i. ij inl TfJüv oy/Licav, Vergl. den Pan iTmvyMkiog^ den 
Apollon und Hermes im^i^Xiog, Ja eine, freilich in älteren 
Quellen nicht nachweisbare, Vorstellung gab der Göttin 
selbst die Sichel in die Hand. ^ Mit der geschnittenen 
Frucht füllt sie ihren Verehrern die Vorrathskammer (Hille)^ 
oder die Dreschplätze^ und sorgt dafür, dass daselbst der 



1 Das Yon Welcker Gr. Götterlehre II 469 aufgeführte Epitheton der 
Dem. SgtTraroqfoQog 'weiss ich nicht za belegen ; aber z. B. in dem yoo Albri- 
cius de Deor. imagg. 23 (Preller Dem. u. Perseph. 313 Anm. 80) ange- 
führten Bilde 'in manu sinistra Ger es tenebatfaloem messoriam 
et baculum ad terendum frumentum; a quo etiam latere erant duo 
agricolae, quorum unus motebat et alius frumentum baculo triturabat.' 
Aus dieser Vorstellung leiteten sich etymologische Localsagen 
ab, welche gewisse aus der sichelförmigen geographischen Gestalt ent- 
sprungene Namen yod Oertlichkeiten zu deuten suchten. So von 
Drepanon oder Drepana (Trapani) in Sioilien : 'Quidam Drepana dictum 
Tolunt a f alce Oereris, quam ibi, cum filiam suam Proserpinam quaereret, 
amisit. Serv. zu Verg. Aen. III 707. Den alten Namen Drepane für die 
sichelartig gebogene lusel Korkyra führte die Sage darauf zurück, 
dass Demeter dort eine Sichel weggeworfen oder yersteckt habe, 
welche Hephästos ihr schenkte, um den Titanen das Mähen zu lehren 
oder selbst die Früchte zu schneiden {alrvjaajuevijv S^t'navov na^^ ^Htpa^arov 
Tovg TtTccyag StSd^ai &egC^€iv, Schol. Apoll. Rhod. IV 983. Uaße naq 
*Hg>aCaTov rs/uysiv rovq ara^^vag. Tzetz. zu Lycophr. 869. Schwarz, der 
diese Erzählungen für seiue Hypothese, Demeters Sichel sei der Blitz, 
verwerthet (Urspr. d. Myth. S. 135j, verkennt ihren rein ätiologischen 
Charakter; aber auch bei völliger Anerkennung desselben bleibt als 
Substrat dieser unseren localen Riesensagen ähnlichen. Geschichten der 
Glaube bestehen, dass Demeter sich der Sichel als eines Werkzeugs 
bediente. Alles übrige ist willkürliche Erfindung und kein Natur- 
mythus, am wenigsten ein meteorischer. 

2 'ßpyft^fi;, Il€Qat]y SXov yevog^ otpQa ae Zi^og 
i^&aCQti'i g>tXe7] Se a' }var€(pavog drjtirjrtjq 

Hesiod 0. e. D. 299. 

' EvaltaaCa ' ^tjjui^r»]^^ ou usyaXag rag aXtog ttoisI xai nXtj^ol* 
Hesych. Btajua Trag da jitar go g aXipdJog, ag ent awgtS avrtg (yo) nalai/ui 
^(ya nrvor. Theokr. Id. VII 155. di^/uijrrjg awgirig, Hymn, Orph, 39, 5, 



230 KAPITEL V. 

Kern reinlich aus Hülse und Spreu zu Tage komme. ^ Die 
Spenderin der Brodfrucht wurde im weiteren Ausbau dieses 
Vorstellungskreises als die grosse Göttin^ Getreidekönigin y 
schöngelockte Herrscherin (/«f/a ^77 S^tog^ svnXoKajLiog avuaaa 
IL XIV 326. y.aQ7io(p6Qo<; ßaaiXtia Aristoph. Ran. 382), als 
die alle sättigende, lebenerhaltende Ernährerin (noXvipogßrj Hes. 
Theog. 912, noXvtQocpog Kallim.hymn. VI 2, (psQetTßiog Antiphan. 
Agr. frg. 1, ^(ooöorsiQo)^ und umgekehrt unstillbarer Hunger 
und Hungersnoth als die Wirkung ihres Zornes aufgefasst. 
Wir sehen letzteres Motiv - hineingetragen in die Sage von 
Erysichthon, den Demeter mit Heisshunger gestraft haben 
soll, weil er einen heiligen Baum ihres Haines geschädigt. 
Ich glaube jedoch AWF. 12 ff. wahrscheinlich gemacht zu 
haben, dass der Kern dieser Erzählung eine reine Dryaden- 
sage war, in welcher Demeter noch keine Rolle spielte. ^ 
Andererseits war es natürlich, die fürsorgende Göttin zum 
Vorbild, zur Helferin, Vorsteherin aller Verrichtungen des 
Landmanns, diese zu einem auf sie bezüglichen, ihr geheiligten 
Werke (ß^ya J^inTJrsQot^, Hesiod 0. e. D. 393) zu machen. 
JafiuTQiQHv war auf Kypros ein Ausdruck für ernten (Hesych). 
Der schon in früher Zeit regsame Rationalismus bildete diesen 
Glauben dahin um, dass Demeter zuerst die Anpflanzung und 
Behandlung der Halmfrüchte, das Mahlen und Brodbacken 
erfunden und den Menschen gelehrt habe.^ In dieser 
Ueberzeugung wurzelt die attische Triptolemoslegende. 

Eine andere Weiterbildung des ursprünglichen Gedanken- 



* II. V 499: 

avdqwv XixjuMvrtav, ot€ ts ^avS^^ ^ rj jui^rtjg 

xQivji FTteiyousvoJV ave/utav xa^no v t e xa) ä/ rag. 

Verß:l. die ^ffjjufjrtjQ Xixjuaitj^ welche nach einem Gedichte des Zonas 
aus Sardes (Anth. Palat. VI 98. 8uid. s. v. hxCvtog) in Verbindung mit 
den 'furchendurch wandelnden' Hören Ernteopfer empfängt. AWF. 248. 

2 Damit widerlegt sich, was Bötticher, Baumcultus der Hellenen 
S. 50, und Overbeck, Gr. Kunstmyth. IIl (II 4) 409, aus der Erysichthon- 
sage über die Verehrung der Demeter in Gestalt eines Baatnes ge- 
folgert haben. 

' 9, die Belege bei Preller Dem. u. Perseph. 326. Anm. 34. 



DEMETEE. 231 

vorraths der Demetermythe bestand in der Ausdehnung des 
Machtgebietes der Göttin auf die Gartenfrüchte. Die Gemüse- 
kräuter {Xd/ava, oanQia, ysÖQona) hiessen drjf,n^TQia anfQjLiava^^ 
und die Pheneaten wollten die Hülsenfrüchte (ooriQia) mit 
Ausnahme der den grossen Göttinnen zu Eleusis verhassten 
Bohnen aus der Hand der Demeter erhalten haben. ^ Dass 
die Aecker häufig mit Obstbäumen (II. IX 541 ff.) ein- 
gefriedigt wurden, war ein Anlass mehr, auch die letzteren 
in den Wirkungskreis der Göttin hineinzuziehen. Bei Kalli- 
machus bringt sie auch die rothbackigen Aepfel, wie sie die 
Aehre reift und den Ackerstier, den Gehilfen des Menschen 
bei den geweihten Arbeiten, nährt. ^ In Selinus und Megara 
verehrte man eine Demeter /LtaXocpoQog,^ Schliesslich wird 
der gesammte Fruchtsegen aller Jahreszeiten {oigia Od. IX 131, 
vergl. logatog) der Gegenstand ihrer Pflege. Auf Münzen von 
Smyrna aus der Zeit Domitians tritt in diesem Sinne eine 
Demeter wgia auf.^ Doch bleibt die Verallgemeinerung des 
Wesens der Ackerbaugöttin, welche schon wegen der Jugend 
des Gemüse- und Obstbaus in Griechenland^ die Vermuthung 
der Unursprünglichkeit gegen sich hat, immer vereinzelt und 
erklärt sich im einzelnen Falle mehrfach aus rein localen 
Gründen; so der Anspruch der Phytaliden, aus Demeters 
Hand die erste Feige erhalten zu haben (Pausan. I 37, 2), 



* Galenus zu Hippokr. de acut. morb. XVTI: ZItov 3e ova/ua^ovaty 
ol av&Q(07T0t juuliora jukr Toug ifvqovg^ fjStj Ss xai rag xQiS'ag TovFoig nqogvifäovai 
xai Tag ^fiag* f/ii nXe'ov Se IxrHvovrsg rrjv n^ogtjyoQCav xai ra jdtj /u^rqia 
xalov jtttva an f^/uara nvYxaraXsyovoiy ipaxovg StjXovoii, xa\ xvajuovg xai 
9'fqjuovg^ xa\ Za&v^ovg^ iiv/uov t€ . . , . xai oaa raXZa roiavja. 

2 Pausan. VIII 15, 1. Vergl. Preller Dem. u. Perseph. 319. 
' Eallim. Hymn. in Cer. 136: 

^ Der Oult zu Megara hat in Folge der yolksetymologischen 
Umdedtung von juaXa Aepfel in /uaXa Schafe nieder zu einer ätiologischen 
Legende Ursache gegeben. Vergl. Pausan. I 44, 4. Sauppe Götting. 
Nachr. 1871. 607 ff. Preller Dem. u. Perseph. 321 Anm. Plew zu Preller 
Gr. Myth. I 633. 

5 Ballet Zs. f. Numism. IV 315 ff. 

6 Vergl. Hehn Kulturpflanzen und Hausthiere ^ 61. 204, 269, 329. 



232 KAPITEL V. 

aus dem überwiegenden Ansehen der Göttin des benachbarten 
Eleusis. I 

Noch in mannigfachen Bildungsproducten gewähren Sitte 
und Sprache Anzeichen dafür, dass die Beschränkung der 
Demetergaben auf die Halmfrucht das Ursprüngliche war. 
Wo eine Flur durch guten Kornwuchs in eigenthümlicher 
Weise sich auszeichnete, gewahrte das gläubige Auge ein 
besonderes Walten der Göttin, und man grenzte ihr gerne 
daselbst einen heiligen Bezirk (re/uevog) ab, in dem sich 
anfangs wohl nur ein schmuckloser Altar, hernach vielfach 
ein Tempel erhob. So in der späthomerischen Zeit in dem 
nach seinen Weizenfeldern benannten Pyrasos in der thessa- 
lischen Phthiotis (II. II 695), so in Eleusis am rarischen 
Gefilde. Das getreidereiche Thasos hiess ^rj^TjTsgog axrrj 
(Dionys. Perieg. 523. Etym. M. 820, 40). Den heiligen 
Bezirk schmückte bald ein schattiger Hain, der nachmals 
bei wenigen Demeterheiligthümern fehlte. — Nur auf die 
Brodfrucht erstreckt sich die metonymische Uebertragung 
des Namens der Spenderin auf das Geschenkte. Wie man 
Bakchos, Dionysos für Wein sagte, ward Demeter zu einem 
Namen des Getreides^ oder des Brodes.^ Ein ungenannter 
Dichter, vermuthlich ein sehr junger archaisirender aus der 
alexandrinischen Periode, führte diese Metapher in einer Weise 
fort, welche den Anschein erwecken könnte , als ob er den 
Nachhall einer alten und volksthümlichen Vorstellung ver- 
werthe. Er erwähnt des Kornschnitjis mit den Worten: 

Wenn die Jünglinge dann Demeters Glieder zerschneiden.' 

Die einzelnen Wortformen entsprechen altepischem Gebrauch, 
der ganze Vers aber macht den Eindruck des Gesuchten und 
Gekünstelten, und Plutarch bringt das Citat als ein Beispiel 

* Vergl. das Orakel bei Herodot VII 142: 

"Hnov axiSva/uevt^g /JtjfA^TSQog tj awLOvarjg, ^ 

2 Oppian. Halieut. III 463. . 

' Plut. de Is. et Osir. 66: Tfoitjrijg ds ng fni rtav &e^i^6vTujy • 
/J^juog OT all^t^oi iül tj /n i^ t € q a xcaXoTojufvaiy» 
Es ist wohl sicher anzunehmen, dass Plutarch den Vers nicht aus dem 
Originale, sondern aus der gelegentlichen Anführung eines Grammatikers 
oder Lexicographen schöpfte. 



DEMETER. 233 

für rationalistische Religionszerstörung. Eine besonnene Kritik 
wird sich daher durch die vollere Personification nicht beirren 
lassen und es vorziehen, bis auf Weiteres den Gedanken an 
eine aus einem älteren Zeitalter der Dichtkunst herrührende 
Reliquie abzuweisen, welche — wenn als solche erwiesen — 
freilich von hoher Bedeutsamkeit würde. 

Die Erstlinge der Ernte brachte man am Ernte- 
feste z. B. auf Kos der Geberin des Getreidesegens zum 
Genüsse dar.^ Ein Gedicht der Anthologie führt einen kleinen 
Landmann, einen griechischen Kolonisten, vor Augen, der 
selbst im fremden Lande (Lydien) den heimischen Yäter- 
brauch fortübt, der Demeter LikmaiS nach dem Ausdrusch 
den ihr gebührenden Antheil von der Ernte (jioigav 
dXmixa) auf einen hölzernen Dreifuss zu stellen.^ An einigen 
Stätten fand auch jene abgeleitete Vorstellung, dass Demeter 
den gesammten Fruchtsegen des Jahres gewähre, im Cultus 
Ausdruck. Der 'schwarzen Demeter feierten die Einwohner 
von Phigalia jährlich ein communales Erntedankfest nach 
Einsammlung aller Früchte des Jahres, wobei sie Obst und 
Weintrauben nebst Honigwaben und ungereinigter Schafwolle 
auf den vor ihrer Höhle stehenden Altar legten und als 
Spende Oel darüber gössen. Den heiligen Dienst versah eine 
Priesterin und jedesmal der Jüngste von den drei aus der 
Bürgerschaft erwählten Hierothyten. Ausserdem brachten 
Private auch wohl ausserhalb des bestimmten Tages Früchte 
als Gaben dar.^ Vor die Bildsäule im Heiligthum der 
Demeter Mykalessia (in Boeotien), dessen Hüter der idäische 
Daktyl Herakles sein sollte, trug man von allen 
Früchten, welche zur Zeit der Obsternte zu 
reifen pflegen {poa h oncoga nerfvasv Tj yij (pBQ8iv)\ es 
ging die Rede, sie hielten sich das ganze Jahr hindurch 



^ Theokr. Id. VII 3 in der SchÜderung^ eines vermathlioh auf 

der Insel Kos wirklich erlebten Erntefestes : r^ ^^70? yaq ertv^e GaXvaia, 

— Y. 31 : ce S^oSog aSe SaXvaiag ' ^ yctq eraiQoi avigeq tunenlta ^a/ua'vfoi, 

Salra r fXevm oX/Sto a tt a^^ouevot ' judXa yaq o<piat nCovi juer^fp a 

'Saifitev fvxQi&ov avfnX^qtaaev aXtaav, 

^ Zonas aus Sardes. Anth. Palat. VI 98. Yergl. AWF. 248. 
3 Pausan. VIII 42, 5. 



234 KAPITEL V. 

frisch (Pausan. IX 19, 4). Der Daktyl Herakles als Genosse 
der Demeter gibt einen Anhalt, um mit einer gewissen Wahr- 
scheinlichkeit die Einrichtung dieser Form des mykalessischen 
Gottesdienstes frühestens in den Anfang des sechsten Jahr- 
hunderts d. h. in die Zeit des Epimenides und Selon zu setzen. ^ 
Demeter ist freilich schon in der ältesten Poesie in 
idealer Menschengestalt gedacht und daher mit denselben 
epischen Beiwörtern ausgestattet, welche auch anderen Göttinnen 
zustehen,*"' aber der Tafelrunde der Olympier gehört sie bei 
Homer noch nicht an. Wenn gleich dann später der Homeride 
auch sie, der Analogie aller übrigen Götter folgend, im 
Olympos zu Hause sein lässt, bleibt für alle Folgezeit ihr 
Auftreten ein derartiges, dass deutlich das Gefühl durch- 
bricht, sie habe eigentlich im Saatfeld selbst ihre Stätte, ent- 
falte in diesem gleichsam als immanente Macht ihr Wesen und 
ihre Wirksamkeit. K. Lehrs, einer der feinfühligsten Beobachter 
griechischer Anschauung, bestätigt diesen Eindruck, indem er 
(Populäre Aufsätze 290) Demeter eine Göttin nennt, a 1 s d e r e n 
gewöhnlichen Wohnplatz man sich dieErde dachte.' 
Er sagt, dass 'Demeter, wiewohl eine hohe olympische Göttin, 
doch als Getreidegöttin, ihrer Gabe und ihrem Amte gemäss, 
als vorzugsweise auf der Erde hausend und schaltend in der 
Phantasie stand,' auf den Feldern, und der Felder sich freuend.' 
Es ist daher erklärlich, dass von den Zuständen des Getreides 
einige poetische Bilder entlehnt werden, um die Gestalt oder 
den Namen der Göttin damit zu schmücken. Das Beiwort 
goldgelb, blond (Jai'^og), in der epischen Poesie nicht 
selten von den Haaren hervorragender Helden und Helden- 
frauen (Menelaos, Achilleus, Meleager, Odysseus, Agamede) 
gebraucht , enthält in seiner Anwendung auf Demeter (II. 



1 Vergl. Strube Studien über den Bilderkreis von Eleosis S. 51 if. 

2 gie ist von lieblicher Gestalt {nvlutj^arov nSo^ h^^ovaa Hymn. 315); 
Locken umwallen ihr Haupt (iönZoxajuog Od. V l!25. xaUijrXoxa/iog 
IL XIV 3*26. iioxouogKyvetn.291, 315) wie das der Eos, Athene, Artemis, 
der Nymphen u. s. w. Ihre 'Sfirn schmückt ein Kranz (xaliiare'qiaro? 
Hymn. 251. 295. iöarnpavog Hes. 0. e. D. 300. Hymn. 224) gleich der 
Aphrodite Od. VIII 267. Ihre schonen Fasse werden hervorgehoben 
{xaX),ia(pvqo<; Hymn. 453). 



DEMETER. 235 

V 500. Hymn. in Cer. 302), d. h. deren Haupthaar, wohl eine 
Anspielung (nichts anderes) auf die goldene Farbe der 
reifen Aehren, wie in seiner Verwendung für den /Qvooxof^irjq 
Phoibos ApoUon auf die Sonnenstrahlen. A ehrenbekränzt 
{ara/yoaxirpavoq) heisst die Göttin in einem Epigramm des 
Philippus V. Thessalonich (Anth. Palat. VI 104) 1. Jh. n. Chr., 
gewissen Bildwerken entsprechend, in denen sie mit einem 
Kranze von Aehren auf dem Haupte, ^ oder mit einer ähren- 
gefüllten Patera,'^ häufiger noch mit einem Aehrenbüschel oder 
mit Aehren und Mohnköpfen in der Hand'"^ dargestellt 
wird. Aus der archaischen Periode und der älteren Blüte- 
zeit der griechischen Kunst sind uns freilich sichere Beispiele 
dieser Attribute nicht erhalten;^ doch dass sie damals noch 
nicht vorhanden gewesen wären, kann nicht mit Bestimmtheit 
behauptet werden, da uns über eine ganze Reihe alter Demeter- 
bilder jede genauere Angabe fehlt. Wie dem aber auch sei, 
unzweifelhaft schlössen die ersten Erfinder dieser Darstellungen 
an die in den Culten gehegten und bewahrten Vorstellungen 
von der Göttin sich an (vergl. Overbeck Gr. Kunstmyth. IH 438). 
Die Zugesellung des Mohns zur reifen Aehre verräth die 
frische Natürlichkeit einer poesievollen lebendigen Anschauung^ 

1 So auf dem archaisirenden Relief eines Altars in der Villa 
Colonna zu Rom. Overbeok Gr. Kunstmyth. III (II 4) 4!20, /), in 
der Mehrzahl der auf Bildwerke der Blütezeit zurQckgehenden Münzen 
(Overb. a. a. 0. 4Ö4), auf Gemmen (Overb. 4n5), Reliefs und Terra- 
ootten (Overb. 513). 

2 Bronzestatuette von Strawberry-Hill. (Overb. 459. 460). 

» Statuen (Overb. Atlas XIV 22. 23. 24), Reliefs und Terracotten 
(Overb. 514) und Münze von Perinth (Overb. 454, Münztafel YII 8). 
Vergl. Theokr. Id. VII 156: cf de yfXdaoai S^ayuara xai /udxtavag fv 
djutpoT^^aiaiv ^^oiaa* Dazu Schol, : ttjv dijjurjrqa (ptjüi jutj fiovov d<fra/vq 
dXld xai fitjxtavai s^ftv» 

^ Bcachtungswerth ist jedoch ein sehr alterthümliohes Agalma 
auf Münzen des Demetrius III, hinter dessen Schultern zu beiden 
Seiten des Kopfes Aehren emporragen. Overb. 414. 

'^ Vergl. P. G. Welcker Tagebuch einer griechischen Reise. Berlin 
1865. Bd. II S. 16: 'Wir schritten (in der Nähe des Piräus, Anfangs 
Mai) durch hohen Roggen und Gerste, zum Theil stark durch- 
wachsen von der hochrot hen Mohnblüthe, die so häufig im 
Peloponnes vorkommt und die Stelle unserer Gy^anen einzuiiebmeQ 



^ 



236 KAPITEL V. 

und steht weit ab von bloss symbolischer Ausprägung des 
abstracten Begriffes Getreidegöttin. Ganz anderer Art, eine 
gelehrte Allegorie, war das bei den Orphikern beliebte Beiwort 
der Demeter aTa/vo7i},6KaiLiog ährenlockig, Aehren als Locken 
tragend, veranlasst durch die von den Dichtern jenes Schlages 
mit Bewusstsein geübte Identificirung der Demeter mit G^ 
und den althergebrachten poetischen Vergleich der Halme 
mit den Haaren der Erde (vergl. z. B. Hymn. in Cer. 454 vom 
rarischen Felde: fxsXXsv TiOjLiTJanv dara/vsaatv). Wenn aber 
Pindar Ol. VI 94 von der rothfüssigen (g)oivix67ieCa)^ 
Demeter redet, so führt er uns wiederum in lebendigster 
Anschaulichkeit ein poetisches Bild der Göttin vor die 
Seele, wie sie leise über das wallende Kornfeld 
wandelnd in die Spitzen der reifen Aehren 



scheint.' Wälirend Demeter Mohn und Aehren mit einander in der 
Hand trägt, weil beide mit einander auf dem Acker wachsen, und wahr- 
scheinlich in solcher Situation das Feld durchschreitond vor dem 
inneren Auge der Gläubigen stand, ehe ein Künstler auf den Einfall 
gcrieth, sie so abzubilden, suchte und fand die Gelehrsamkeit späterer 
Zeit andere ErklärungsgrQnde für diese Darstellung und legte dieselben 
in mehreren pragmatischen Legenden nieder. Eine derselben deutete 
mit volksetymologischem Missrerständniss den aus einem ganz fern- 
liegenden Wortstamm (W. mak, ju^xo? Länge) entsprungenen Namen 
des nachmaligen Sikyon, Mäkon (Strabo YIII 6, 25. Sohol. Hes. theog. 
Ö35) daher, tlass Demeter hier zuerst die Mohnfrucht auf- 
gefunden habe. Af^xtart^ n^tjrai^ ort ivrauS-a ev^e rov Tjy? fujxtavoq 
xaqnov rj Jtj/urjrtjq, Etym. M. 583. 56. Zwei andere Sagen, die 
Servius zu Verg. Georg. I 212 anführt, verrathen attischen Ursprung: 
Cerealepapaver:... vel quod Geres usa est qo ad oblivionem doloris ; 
nam ob raptum Proserpinae vigiliis gustato eo acta est in soporem; 
vel quia M y c o n em (1. Meconem) Athenicnsem dilexerit Geres et trans- 
figuratum in papaverem tutelae suae iusserit reservari, vel quia pani 
aspergatur. 

1 4>oivt,l bedeutet in dieser Zusammensetzung nicht sowohl die 
Purpurfarbe, als ein helleres Roth, gelbroth (vergl. rubicunda Geres. 
Verg. Georg. I 297), wie denn z. B. Pindar das Wort namentlich für 
das Licht der Flamme verwendet (Zavg (poivixoarsqonaq Ol. IX 6, tpXol 
tpoCviaaa Pyth. I 24, vergl. (poiyil nvqog nvoa Eur. Troad. 832). Homer 
bezeichnet so u- a. dasDunkelgelb des Ldwenfelles, des Schakals u. s. w. 
Von Pindar dürfte der Ausdruck rpotvixo- für die Farbe der reifen 
Aehren hauptsächlich aus metrischen Rücksichten gewählt sein. 



DEMETER. 237 

kaum merklich mit den Füssen eintaucht, so 
dass diesevon röthlichem Schimmer umflossen 
werden. Nachgebildet hat der Dichter der Form nach das 
Wort dem homerischen dgyvoons^a silberfüssig für die Wasser- 
muhme Thetis, unter deren Füssen die Wellen des Meeres 
silbern aufschäumen ; wie gut er letzteres Epitheton versteht, 
lehrt die Anwendung, welche er Pyth. IX 9 davon auf Aphrodite 
macht, die schaumgeborene, aus dem Meere aufsteigende 
(avaövo/Lisvr], nsXayla, d-aXaaaia, novvia, Welcker Gr. Götter- 
lehre II 705 ff. Preller Gr. Myth. I 281 flF.). Wir dürfen 
daraus schliessen, dass ihm die Naturpoesie des Vorgangs, 
für den er den Ausdruck q^otvmons^a erfand, als eine Analogie 
zum Auftreten der Nereide noch unmittelbar und mit voller 
Bestimmtheit im Bewusstsein stand. 

Auch eine vorsichtige Forschung wird die Möglichkeit 
vereinzelter Spuren sehr alter in der übrigen Litteratur ver- 
lorener oder niemals verzeichneter populärer Anschauungen 
und Redewendungen in Bezug auf die Göttin selbst bei später 
Bezeugung anerkennen dürfen. Eine solche Spur gewährt 
unzweifelhaft das Wort 'Jrjurjr^ioXTjnroq (1. Ji^fxi^vQoXi^nroq) 
ce r er osus', welches Labbaeus in seiner Collection griechisch- 
lateinischer Glossare aus wir wissen nicht mehr welcher Quelle 
erhalten hat (Festus 54. XXXIV 0. Müller). Dieser Ausdruck 
— falls er nicht erst als Uebersetzung von Cererosus erfunden 
ist — bezeugt die noch ganz elementare VolksvÄrstellung, 
dass die Nähe oder die Berührung der Göttin, 
wie diejenige der Nymphen^ und der Geister^ 
Krankheit, Irrsinn bewirke.^ Sie hat das unmittel- 



1 Vergl. vujutpo/lfjnTog. AWF. 36. 

2 Vergl. den Nachweis von E. Rohde (Gr. Roman 8. 387), dass 
gleich unserem *Elfenschlage* (Grimm Myth. 429) der Schlag eines Ge- 
spenstes in den ephesisohen Geschichten des Xenophon v. Ephesusdie Ugd 
yoaog ZU wege bringe, und dass auch Hippokrates I S. Ö93 (Kühn) die 
stpoSog )7^cJ<ür (Verstorbener) als Ursache derselben Krankheit nenne. 

' Denselben Sinn haben die Int. Worte cererosus, cerritus 
d.h. ein von Ceres bethör t er, gestörter, mit Irrsinn geschlagener 
Mensch, welche zu Ceres sich verhalten, wie lymphatus, larvatus zu 
lympha und larva, fulguritus auritus vestitus zu fulgur auris vestis 



238 KAPITEL V. 

bare Zusammentreffen der Demeter mit den ^Ergriffenen' 
in Feld und Flur zur Voraussetzung und verräth dadurch 
antiken Charakter; auch ist ja bekannt, wie vielfach selbst 
in die jüngsten Ausläufer der griechischen Lexicologie Notizen 
von höchster Alterthümlichkeit sich gerettet haben* 

Wir kommen zu der ältesten mythischen Erzählung über 
Demeter, welche /Uns überliefert ist, zugleich der einzigen, 
von der Homers Gedichte Kunde geben. Sie liefert nicht 
allein den vollgiltigen Beweis, dass Demeter von Hause aus 
nicht im Olympos, wohl aber im Saatfeld heimisch war, 
sondern sie bezeugt auch eine Auffassung, nach welcher 
dieselbe nicht sowohl Spenderin, als vielmehr Erzeugerin, 
Hervorbringerin der Kornfrucht , des Getreidesegens 
war. In der Odyssee V 125 ff. beklagt sich Kalypso und 
führt mehrere Beispiele dafür an, dass die Götter die Liebes- 
bündnisse der Göttinnen mit sterblichen Helden beneiden und 
hindern : 

A.18 mit ^asion einst die schöngelockte Demeter 

Eigenem Muth willfahrend auf dreimal geackertem Saatfeld 

Ruht^ in Liebi; gesellt, nicht lang unkundig der That war 

Zeus, der jenen erschlug mit geschleuderter Flamme des Blitzes.^ 

Hier wird auf eine weiter verbreitete Sage angespielt, deren 
Inhalt durch diese kurze Andeutung nicht erschöpft wurde 
und in anderen Erzeugnissen des epischen Gesanges ausführ- 
licher dai^elegt war. Ein solches Stück altepischer Poesie 
benutzte augenscheinlich noch der Verfasser der hesiodischen 
Theogonie in dem die Ursprünge der Heroen behandelnden 
Theile des Gedichtes. Aus demselben entnahm er den Stoff 
und theilweise den Ausdruck der Verse 969 — 971 : 



(vergl. Oorssen Beitr. z. ital. Sprachk. Lpzg. 1876. S. 241). Nonius 
S. 31: Cerriti et Larvati, male sani etaut Cercris ira aut larvarura 
incursatione animo vexati. Vergl. Serv. zu Verg. Aen. VII 377. Glossar. 
Labb. (Fe8tu8 54 O. Müller): ceritus (1. cerritus) na^ejujuav^g^ na^futpd^axTog» 
Paulus Diac. Ö4: cerritus furiosus. 

' *Slg S' onoT /aaliovi VvTtXoxa/uoi; /^fjjurjTrj^^ 

V €1(0 fn T Qi 71 o Xtp' ovSh St]v tjfv änvarog 
Zfvg^ oq fiiv xar^neipve ßftXoiv a^y^Ti xfQavyto. 



DEMETER. 239 

Siehe Demeter gebar, die heilige Göttin, den Plutos, 
Als mit Jasios sie auf dreimal geackertem Brachfeld 
Traulicher Liebe gepflegt in Kretas fruchtbarem Eiland. ^ 

Die folgenden schleppend angehängten und durch Ana- 
koluthie als Flickwerk gekennzeichneteij VV. 972—974: 

Ihn, der ein heilsamer geht durch Land und Meeresgewässer 
Bings, den Begegnenden aber und wem in die Händ^ er gelangt ist, 
Den umhäuft er mit Gut und gewährt ihm Fülle des Beichthums. * 

halte ich für den späteren Zusatz eines Interpolators, welcher 
den Plutos der vorgetragenen Fabel, den Dämon der Frucht- 
fülle, nicht zu unterscheiden wusste von dem Plutos der 
jüngeren Dichtung, der Personification des durch Handel, zu- 
nächst Kornhandel, erworbenen Kapitalreichthums. ^ Homer 
und Hesiod bieten uns zwei Varianten derselben Sage, keine 
gewährt die älteste und echte Fassung; doch scheint dieser 
die hesiodische Erzählung näher zu stehen, als die homerische. 
Schon in der Urform wird Plutos, der Sohn, enthalten gewesen 
sein ; ohne ihn, um dessen willen die Verbindung der Eltern 
gedichtet wurde, würde der Sage die Pointe fehlen. Das 
dreimal gewendete Brachland ist der zur Saatbestellung fertig 
gemachte Acker (jyij tqIq agodstaa^ tj xvqIcoq tqIc nenoXTjjtuvT]), 
Die Alten umbrachen den Boden im Frühjahr, sobald er 
etwas abgetrocknet war, zum ersten Male, damit er der Sonne 
zugänglich werde. Zur Vertreibung des Unkrauts wurde im 
Sommer eine zweite Umpflügung vorgenommen, zur Saat- 
bestellung im Herbst folgte die dritte Bearbeitung. Theophrast 



laaC(p ij^tdi fjiyfXa fgarrj g)iXoTtjri, 

veno fvt T Qtn oXt*y KgrJTtjg fv nCovi ^tffjua. 
2 EaS'Xov, hg ela fni ytjv Tf xat evQ^'a viara &aXaaaijg 

naaav ' tw Sh tu^ovtl xat ou »' ^g ;^fr^flr5 Vx/yrort, 

TovS a(pvHov ^&ijxe^ noXvv te ot tanuafv oXßov, 
' Aehnlich urtheilte schon Schömann (Die Hesiodische Theog. S.279) : 
'Wenn aber Plutos sein (des Jasion) und der Demeter Sohn heisst, so 
denken wir dabei am natürlichsten zunächst an den durch den Segen des 
Ackerbaus gewonnenen Reichthum. Die Yerse 972—974 fassen aber 
den Begriff in weiterem Umfange und verrathen, dass es dem Dichter 
nicht darum zu thun gewesen sei, sich strenge nur an den ursprüng- 
lichen Sinn zu halten.' 



240 KAPITEL V. 

(bist, plant. VII 1) unterscheidet demgemäss den aQovog /sifxtQiv6<;^ 
ngoTog &fQtv6g und a^^oro^ rgirog o (.isxaiv rovriov, Palladius setzt 
an: Jan. 3. agros proscindere, Juni 1. iterare, Sept. 1. tertiäre.^ 
Auf dem Boden des Ackers also umarmt Demeter zur Zeit, 
wann die Saat in die Erde geht, einen Dämon Jasios oder Jasion. 
Diese beiden Namensformen verhalten sich wie Ti/udaiog zu 
Tif.iuaiiov^ JSfixfjaiog zu Nixrjoiiov, d. h. die zweite ist eine 
hypokoristische Weiterbildung der ersten, und diese wiederum 
entweder die Koseform eines verlorenen Vollnamens bezw. 
nach Analogie einer solchen (vergl. TtjuTjatd^sog, Ti/LiuotTrohg^ 
Niy.rjöiöiy.og) gebildet, oder sie ist die Substantivirung eines 
Adjectivs nach Art von Avniog, Das Etymon liegt noch 
nicht hinlänglich klar: Uvai und Ido^iai versagen (s. Düntzer 
Zs. f. vgl. Spr. XIV 201 ff.) ; am wahrscheinlichsten darf an 
luivo) erregen, beleb e.n, erfrischen, wärmen,- erfreuen 
gedacht werden trotz des von Düntzer a. a. 0. dagegen 
geltend gemachten sprachlichen Bedenkens, ^ so dass Jasios 
in irgend einer Weise und in irgend welcher Schattirung der 
Bedeutung den Begriff des Erregers, Belebers aus- 
drückt. Dieses Paares Sprössling ist Plutos, der Dämon 
der Ernte fülle (AWP. 244 ff.), über den ich mich weiter 
unten ausführlicher auslassen werde. Die Sage muss, ihrer 
Conception nach, hinter Homer und Hesiods Quelle zurück- 
reichen, da beide aus dem Dämon Jasios schon missyerständ- 
lich einen Sterblichen machen,^ Hesiod, indem er ihn einen 
Heros nennt, Homer, indem bei ihm die Fabel in dem Tode 
desselben durch den Blitzstrahl des Zeus weiter gesponnen 
ist. Wer dieses Motiv zuerst einführte, mag von der Ueber- 
zeugung ausgegangen sein, dass ein Mensch, der mit Göttern 
geruht, sterben müsse* (vergl. Semele). Bewahrt die hesio- 
dische Passung die ältere Namensform Jasios, so könnte die 



1 Vergl. Thaer im Philol. XXIX (1870) 592. 

2 Verj^l. Pott, Za. f. vgl. Spr. VI 336 IX 204. Pick Gr. 
Personenn. S. 38. WB. d. indog. 8pr.» II 33. 

3 Vergl. Welcker Gr. Götterlehre I 693: 'Mythisch sind alle drei 
(Endymion, Orion, Jasion) zu Sterblichen geworden. Zuerst oder an sich 
ist auch Jasion nur ein Gedanke.* 

♦ Welcker a. ix O. 



DEMETER. 241 

Localisimng auf Kreta in ihr ein in der ältesten Mythen- 
gestalt noch nicht enthaltener Zug gewesen sein, ^ war es» aber 
nicht nothwendig. Die Sage von der Buhlschaft der Demeter 
in den Furchen des Ackerfeldes gab ohne Zweifel zur Er- 
richtung eines Heiligthumes der Demeter Chamyne in Olympia 
Veranlassung, deren Bedeutung zu Pausanias Zeit längst ver- 
gessen war, so dass die abenteuerlichsten Periegetenfabeln 
über diesen Namen in Umlauf kamen (Pausan. VI 21, 1). 
Wie die dargelegten Eigenschaften der Demeter im Keime 
noch eine Reihe anderer Ideen in sich schliessen, die im 
Cultus zu fruchtbarer Entwickelung gelangten, wird weiterhin 
auszuführen sein. Dahin gehört die Beziehung auf das Leben, 
das Wachsthum und die Fortpflanzung der Menschen, der 
Charakter der Mütterlichkeit und der Einfluss auf die Ver- 
edelung und Sittigung der Lebensweise. 

Die Göttin Gaia (G^) war eine kosmogonische Potenz, 
der Erdboden als die Urmutter und Nähramme alles Lebendigen 
(ndvrcov /nTjrrjQ^ nuftjufjtfiQa)^ Demeter ausschliesslich Herbei- 
führerin, Urheberin oder Gebärerin der Culturfrucht. Erst 
dem theologischen Systeme der Orphiker war es aufbehalten 
beide gleichzustellen, und viele Philosophen und Dichter der 
späteren Zeit folgten ihnen in dieser Combination nach.^ 
Diese Identificirung lag bei vernünftelnder Deutung sehr nahe, 
da die Gaben, welche Demeter spendet, einen Theil der 
Güter ausmachen, welche Gaia gewährt, weshalb uns bei 
beiden zum Theil dieselben Beiwörter begegnen (avrjatömga, 
7iokvrf6{}ß'f], ayXaoKaQTTog^ svxagnog, (pegiffßiog^ xagnotfiogag — xao- 
novg dvisi). Es hat sich deshalb unter unseren Mythenforschern 



^ Alle übrigen Sagen von Jasion, namentlich die Verflechtung 
desselben in die Tradition von Samothrake und Troja haben lediglich 
die homerisch-hesiodischen Andeutungen zum Ausgangspunct. 

2 Preller Dem. u. Peraeph. 30 — 35. Muir Original Sanskrit 
Texts V. 24—29. Lobeck Aglaoph. 537. Theodoret. Therap. III 771: 

^iijfjUjTQa rrjv yi\v xai ^ÖQtpfv; xat äX7.oi ngofiovo^L^ova i* Orph. bei Diod. 
Sic. I 12: ^ 

Eurip. Bakch. 275: 

fri S fiortv^ övofia S onoTfgov ßovXn xaZei. 
QF. LI. 16 



242 KAPITEL V. 

« 

die IJeberzeugung als die herrschende Bahn gebrochen, ob- 
wohl das griechische Nationalbewusstsein in der älteren Zeit 
zwischen Demeter und Ge einen Unterschied machte, sei die 
erstere ihrer Grundidee nach doch nichts anderes als der 
zur Göttin erhobene productive Erdboden, nur 
in engerem Sinne als Ackerland gedacht. Und 
dieser Auffassung scheint für den ersten Blick nicht allein 
eine indische Analogie, ^ sondern noch mehr die Jasionsage 
Unterstützung zu gewähren. Denn für jenes Wesen, welches 
im Zeitpuncte der Saatausstreuung den Lebenskeim der Ernte- 
fülle (Plutos) in sich aufnimmt, drängt sich die Deutung auf 
das Ackerfeld selbst unwillkürlich auf. Doch nicht immer 
deckt sich die zunächstliegende Auslegung einer Tradition 
mit deren wirklichem oder ursprünglichem Gedankeninhalt, 
und einer tiefer gehenden Betrachtung oflFenbart sich oft ein 
ganz anders gearteter Zusammenhang. Es muss daher er- 
innert werden, dass die Deutung der Göttin auf das JSfumen 
der Ackerkrume nicht die einzige ist, welche die Jasionsage 
zulässt. Ge und Sita machen die Saat aus dem Boden auf- 
gehen und werden ausschliesslich dadurch zu Nahrungs- 
spenderinnen, während es für Demeter charakteristisch ist, 
dass sie (schon bei Homer IL V 500) in allen einzelnen 
Phasen der Entwickelung und des Schicksals der Getreide- 

* Neben PrithiTi der Allrautter Erde = G^ (auch wie diese mit 
dem Himmel verbunden, Rigv. VI 51 : Dyaush pitah Pf ithivi mätar = Zfv 
TiaTfQ Frj Tf /utjsq) kennt der Veda eine Göttin SttÄ d. i. die Acker- 
furche. Mit Ausnahme etwa der leuchtenden Morgenröthe tritt uns 
keine andere Gottheit des Yeda in einer so plastischen Gestalt, als eine 
so äusserst lebendige Personification entgegen. Sie heisst schwarz- 
äugig, braun, an allen Gliedern strahlend, mit Lotos und Aehren und 
mit goldenem Kranze geschmückt, die herrliche, gütige, goldene Ge- 
mahlin des Regengottes Parjanya oder des Donnerers Indra. Die 
tennumkränzte Urvarä (das Saatfeld) heisst ihre Schwester. In Dank 
und Liebe weiht der Fromme nahrungwünschend ihr Lobpreisung und 
Opfer. Sie ist die reiche ('du bist Reichthum'); man ruft sie an, 
mit Nahrung herbeizukommen. Ihre älteste Erwähnung ' enthält das 
Lied Rigv. IV 57, 6. 7. Grassmanns Uebers. I S. 637 n. 353: 'O reiche 
Furche, sei du uns nahe, wir verehren dich, damit du uns segensreich, 
damit du uns fruchtreich seiest. Es möge Indra in die Furche hinein- 
greifen.' 



DEMETER. 243 

pflanze des Amtes zu warten hat. So erscheint sie zwar 
auf dem Saatfelde und inmitten desselben hausend und 
wirkend, aber nicht in dem Erdreich, unter der Oberfläche 
desselben. Dieser feststehende, durchgehende und ein- 
greifende Charakterzug verlegt die Thätigkeit der Demeter 
in einen ganz anderen Schwerpunct, so dass man Bedenken 
tragen muss, unbedingt und zweifellos ihn aus einfacher 
Weiterbildung und Verschiebung des Begriffes der produc- 
tiven Erdgöttin abzuleiten, sondern berechtigt sein wird, die 
Frage aufzuwerfen, ob er nicht vielmehr als Anzeichen eines 
nicht nur quantitativ sondern auch qualitativ verschiedenen 
Begriffsinhalts zu gelten hÄbe. Wer könnte leugnen, dass 
die in Rede stehenden Machtbeweise so wie alle übrigen 
überlieferten Wesenszüge der Göttin, ihr Einfluss auf das 
Wachsen, Blühen, Reifen sammt den daraus abgeleiteten 
Hilfsleistungen bei der Erntearbeit, sich befriedigend erklären 
würden, wenn es ihre ursprüngliche Bestimmung war, das 
Lebensprincip, die causa efficiens, der cetealischen Vegetation 
auszudrücken ? ^ Auf der Vorstufe ihrer geschichtlichen Er- 
scheinung die immanente Psyche des Halmenvolks, wäre nach 
dieser AuflFassung Demeter nächstdem zur Beherrscherin und 
Vorsteherin ihres Naturgebietes und der darauf bezüglichen 
menschlichen Verrichtungen geworden, sie wäre Hervor- 
bringerin, Erzeugerin der Früchte als Personification der in 
den Pflanzen innewaltenden Triebkraft. Vermählt sich nicht 
diese bereits, wenn das Korn in die Erde gesenkt wird, mit 
den von aussen kommenden belebenden Einflüssen, um 
endUch als Kind das neue Korn, den Erntesegen, zu gebären? 
So fügt sich auch dieser Vorstellung ungezwungen der Jasion- 
mythus, den wir durch nichts genöthigt sind derb realistisch 
zu deuten. Welche von beiden Möglichkeiten die annehm- 
barere sei, lässt sich — wenn überhaupt — so doch an 
dieser Stelle noch nicht endgiltig entscheiden. Allein das 
älteste historische Zeugniss, jene Formel JTjfirjrsQog a^xrj 



1 Dies war u. a. auch die Auffassung Ovids (Fast. I 673): 
Officium commune Ceres et Terra tuentur: 
Haec praobet causam f r ug ib us , illa locum. 

16* 



244 KAPITEL V. 

(o. S. 225 ff.) spricht zu GuDsten der zuletzt vorgetragenen 
Annahme und schliesst seinerseits die den Schössling von 
sich weg emporsendende, in ihren Tiefen ruhig verharrende 
Erdgöttin aus, da auf diese die Auffassung nicht zutrifft, dass 
Demeter das oben im Lichte spriessende, wachsende, reifende 
Getreide mit sich bringt, Führ erin und Begleiterin 
desselben auf seinem Werdegange ist. 



§ 4. DEMETER ERINYS UND DEMETER MELAINA. 

Ein ansehnlicher Theil der* neueren Mythologen hat 
geglaubt, die älteste Gestalt der Demeter, eine weit ältere 
als die homerische, in zweien arkadischen Localsagen nach- 
weisen zu können. Letztere sind sogar das Fundament eines 
grossen Baues und der Ausgangspunct einer wissenschaft- 
lichen Richtung geworden, welche seit einem Vierteljalir- 
hundert die Geister beherrscht, und sie haben dadurch für 
die Forschung eine Bedeutsamkeit gewonnen, die sie ihrem 
inneren Werthe nach nicht beanspruchen können. Dieser 
Umstand nöthigt uns, ihnen eine ausführlichere Erörterung 
zu widmen, als unter anderen Umständen gerechtfertigt ge- 
wesen wäre. Es wird dabei unseres Amtes sein, eine längst 
gefundene, aber halb verschüttete Wahrheit ans Licht zu 
ziehen, von Irrthümern zu reinigen und vollends klar zu 
stellen. 

In der Nähe der Stadt Thelpusa in Arkadien mündet 
am linken Ufer des Ladonflusses ein kleiner Bach, an welchem 
einst die Stadt Onka gelegen sein sollte, neben der ein 
nach derselben benannter Hain, Onkeion, die Heiligthümer 
des Apollon Onkaiatas und der Demeter mit dem 
Beinamen Erinys umschloss.^ Von demselben erzählt 
Pausanias VIII 25 die folgende Sage. König Onkos habe 
hier geherrscht, ein Sohn Apollons. Als Demeter umher- 
irrte, ihre Tochter zu suchen, sei Poseidon ihr begehrlich 
genaht. Da verwandelte sie sich in ein Ross und ging mit 

^ E. Gurtius Peloponnesos I 371. 



DEMETER. 245 

den Stuten des Onkos auf die Weide. Poseidon aber, den 
Betrug erkennend, verfolgte sie und begattete sich mit ihr 
als Hengst. Anfangs ereiferte sich Demeter über das Ge- 
schehene, hernach aber liess sie den Zorn fahren und es 
gefiel ihr sich im Laden zu baden. Wegen des Zornes er- 
hielt sie den Beinamen Erinys; denn zürnen heisst bei den 
Arkadern sqivveiv^ vom Bade aber nannte man sie Lusia. 
Vom Poseidon gebar sie eine Tochter, deren Namen die 
Thelpusäer Uneingeweihten nicht sagen dürfen, und das 
Ross Areion. Deswegen sei Poseidon bei ihnen zuerst 
Hippies benannt worden. 

Diese Sage ist in Wahrheit von den Thelpusäern Jahr- 
hunderte hindurch geglaubt worden. Das beweisen zunächst 
einige Silbermünzen, die einen Demeterkopf mit Ohrgehäng 
und Halsband und schlangen artig gelockten Haaren^ auf dem 
Revers ein springendes Ross mit der Ueberschrift EPIQN 
und der Unterschrift 0.^ zeigen. 2 Jener Kopf war unzweifel- 
haft eine Nachbildung des Bildnisses der Demeter Erinys, 
welches Pausanias in der Cella ihres Tempels sah. Dasselbe 
war gleich demjenigen der Lusia von Holz und trug in der 
Rechten die cista mystica, in der Linken eine Fackel. Beide 
Statuen hatten jedoch Gesicht, Hände und Püsse aus parischem 
Marmor. Schon Kalliraachus kannte die Sage von der Geburt 
einer Tochter und wahrscheinlich auch des Rosses Areion 
durch Demeter Erinys. ^ 

Gleichzeitig mit Kallimachus nennt auch Lykophron 



^ Auf einem Exemplare (in der Sammlung des Herrn Six zu 
Amsterdam) Sei 

2 Theodor Bergk in Gerhard arch. Ztg. Sept. 1847 Beil. 36 und 
Bulletino deir Inst. 1848 S. 136 erkannte zuerst in dem springenden 
Rosse den Areion {EPISIIV), in dem Q die Anfangsbuchstaben von 
Qelnovaa, Mehrfach (z. B. von Curtius Peloponn. I 396) angezweifelt 
ist diese Deutung neuerdings siegreich bewährt durch Imhoof- Blumer 
in Sallet Zs. f. Numism. I 125—133. 

' TzetzeS zu Lycophr. 1225: drjfdtirtjQ "EQivvvq TijuaTai, tag xa\ 

Ttiv fUv o y suTTF^fi^fv ^E^iwi TdqMoaatij 
(1. TfXtpovaaaCfi). Vergl. Schneider Callimachea II S. 456 (Fr. 207) u. 

S, 0$, 



246 KAPITEL V. 

• 

(Alex. 153. 1040. 1225) den Poseidon und die Demeter 
Erinys als Eltern des Areion. Bereits 150 Jahre früher 
wusste Antimachus, der ältere Zeitgenosse des Piaton, 
davon, und noch vor ihm muss die Localsage, litterarisch 
fixirt, in irgend eine Bearbeitung des thebaischen Sagen- 
kreises Aufnahme gefunden haben, da der zu Kolophon in 
Lydien wohnhafte Dichter nicht der Erfinder oder der Auf- 
zeichner dieser Geschichte aus mündlicher Ueberlieferung 
war, sondern dieselbe gleich dem übrigen Stoff seiner Thebais 
aus schriftlicher Quelle schöpfte, deren seiner Vernunft an- 
stössige Angabe von der Geburt des Rosses durch Demeter ^ 
er auf rationalistische Weise durch vaterlose Geburt aus der 
Erde beseitigen zu müssen glaubte. ^ 

Eine nah verwandte Sage hatten die Phigalenser. Dreissig 
Stadien von Phigalia lag der BergElai'on; in diesem befand 
sich eine Höhle, welche der schwarzenDemeter (Demeter 
melaina) eignete. Vor der Höhle stand inmitten eines von 
einer Quelle durchrieselten Eichenhaines ein Altar, die 
Stätte eines jährlich im Herbst begangenen Erntedankopfers 
(o. S. 233). Von dieser Demeter erzählten die Orts- 
einwohner eb enfalls, dass Poseidon ihr nach- 



* Daas sein Gewährsmann diese Angabe machte, geht aus der 
Bezeichnung des Locals als ^dt-Hov der Demeter Erinys herTor. 
Diese Verbindung zweier Gottinnen zu einem Begriffe war also schon 
vorhanden; Da Arjeion, wie wir sehen werden, als Sohn der Erinys 
nach Thelpusa kam und noch nach Antimachus als Sohn der Demeter- 
Erinys allgemein galt, muss er schon vor ihm in letzterer Eigen- 
schaft bekannt gewesen sein. Preller ist daher im Irrthum, wenn er 
Dem. u. Perseph. S. 150 Antimachus den ältesten Zeugen, 8. 156 den Er- 
finder der Sage von der Geburt des Areion in Thelpusa nennt und 
erst nach seiner Zeit aus der von ihm als Mutter des Rosses eingeführten 
Ge die Demeter Erinys durch Missverständniss entstehen lässt. 

2 Die beiden von Pausanias VIII 25, 5; 3 aufbewahrten Frag- 
mente der Thebais des Antimachus lauten : 

a. ^ASQrjoTog TaXaio vioz KQrjS^tjidSao 
TT^iOTUfTog ^avaiav fuacvfTfO ^Zaafy 'innoj, 

KaiQov TS xqamvov xixi ji^sCov a S eXn o vaai ov j 
Tov ^ä T ]AnoXX(avog a^eSor äXasog ^Oyxucoio 
avTij yal av€0(ax€y af'ßag- &VfjTol(tiv ISeaSai* 

b. zf tj iu)jT ^ o g To&i (paaXv ^Eqivv o q ilyai sSs&Xov. 



DEMETER. 247 

gestellt und sich mit ihr in Rossgestalt begattet 
habe. Beider Kind sei die Göttin, welche von den Arkadern 
Despoina genannt werde. Von der Geburt eines Rosses 
wussten sie nichts. Theils aus Unwillen über ihre Ver- 
gewaltigung, theils aus Schmerz über den Raub der Perse- 
phone habe Demeter ein schwarzes Gewand an- 
gelegt und sich in jene Höhle zurückgezogen. 
Sie sei darin lange Zeit verborgen geblieben, da verging jede 
Frucht der Erde und die Menschen starben vor Hunger, bis 
Pan zufällig auf dem Berge jagend das Versteck der Göttin 
entdeckte und sie darin auf einem Felsstücke sitzend 
antraf, in ein schwarzes Gewand gehüllt und 
statt des menschlichen Hauptes einen Pferde- 
kopf tragend; worauf Zeus durch die Moiren sie zur Be- 
sänftigung ihres Zornes bewog. Aus diesem Grunde hätten 
die Phigalenser die Höhle geweiht und ein Bild von ihr auf- 
gestellt, welches sie darstellte gerade so, wie Pan sie ge- 
funden. In der einen Hand habe sie eine Taube, in der 
anderen einen Delphin gehalten, und Schlangen und andere 
Thiere seien an das mit langer Mähne versehene Rosshaupt 
angefügt gewesen. Die Göttin hiess 'die Schwarze', weil 
sie ein schwarzes Gewand trug. (Pausan. VIII 42, 2. 3). 
So lauteten zur Zeit des Antoninus Pius die mündliche 
Volkssage 1 über den Ursprung des Cultus der Demeter 

^ Michaelis und Conze haben beim Besuch von Phigalia an der 
Hand des Pausanias die Hohle im Ela'ion wieder aufgefunden und 
schildern ihren schauerlichen Eindruck. Die Stelle des Demeterheilig- 
fchums nimmt heutzutage eine kleine Kapelle der Madonna ein , an 
deren Feste die Einwohner der Umgegend wie vor Alters zur Feier 
zusammenströmen. Man erzählt, am gegenüber liegenden Ufer der Neda 
sei ein hochheiliges Bild der Mutter Gottes gewesen. Als aber einst 
im Schlosse ein Bruder sich in seine Schwester verliebte, ver- 
liess die 'h. Jungfrau' aus Abscheu die Burg und schlug ihren Sitz in 
der erwähnten Grotte auf. (Annali delP Institute di corr. arch. 1861 
S. 59). Die fteminiscenz an den Dienst der Göttin und den Incest 
mit dem Bruder (Poseidon) ist offenbar, nur ward die Frevelthat von 
dem verehrten Wesen auf ein fingirtes Liebespaar übertragen; aber 
fraglich bleibt es, ob der neue Cult und die neue Sage in ununter- 
brochener Folge die Tradition des Alterthums fortsetzen, oder irgend- 
Yf^nn geübten gelehrten Einflüssen ihre Entstehung verdanken. 



248 KAPITEL V. 

Melaina und die Aussagen über die damals gangbaren Yor- 
stellungen von der letzteren, welche Pausanias von den 
phigalischen Bauern erfuhr, als er nach zweien aus einer 
schriftlichen Quelle ihm bekannten Bildern der Demeter, 
einem angeblich vor undenklichen Zeiten untergegangenen 
Sohnitzwerk und einer späteren Erzstatue aus der äginetischen 
Schule sich erkundigte. Den litterarischen Bericht, den 
Pausanias seinen Fragen zu Grunde legte, ^ hat er uns eben- 
falls aufbewahrt. Derselbe stammt allem Anscheine nach 
aus einem (periegetischen?) Werke der alexandrinischen 
Periode und gibt augenscheinlich die Legende wieder, welche 
zur Zeit des Verfassers von den Exegeten zu Phigalia, halb- 
gelehrten Leuten, über die Entstehung der Statue von Onatas 
Hand und des Herbstopfers der Bürgerschaft (o. S. 233. 246) 
vorgetragen wurde. Ein erstes Bruchstück dieses Berichtes 
ist Pausan. VIII 5, 5 in die arkadische Königsgeschichte ver- 
woben. Unter des Phialos, des Eponymen von Phigalia, 
(mundartlich Phialia)2 Sohne Simos ging das alte Schnitz- 
bild der Demeter Melaina zu Phigalia durch Feuer zu Grunde, 
zum Omen, dass derselbe bald sein Leben verlieren werde. 
Hierauf bezieht sich der von der mündlichen zur schriftlichen 
Quelle des Pausanias überleitende Satz VIII 42, 3 : 'Tovto f^av 
df] ro '^oavov xrA. Wessen Werk nun dieses Schnitzbild war und 
auf welche Weise es die Flamme (rj (pXo^ mit best. Artikel) 
verzehrte, erinnern sie (die von Pausanias danach befragten 
Phigalier) sich nicht mehr.* Und dann fährt VIII 42, 4 bis roiT 
Mfjöov der Auszug aus dem litterarischen Gewährsmann fort ; 
Als das alte Schnitz bild dahin war, weihten die 



* Auf den Unterschied der mündlichen Quelle des Pausanias von 
der schriftliehen zuerst mit treffenden Gründen hinofewieaen zu haben, ist 
das Verdienst E. Petersens (Kritische Bemerkungen zur Geschichte der 
griechischen Kunst. Plön 1871). Schon die äussere Form (rein historische 
Darstellung in directer Rede) scheidet die Mittheilungen aus dem Buch 
von denjenigen aus dem Volksmund (xara ravra o^iair ol <i>iYalHi 
vofilt^ovaiv — Xeyovaiy — (paair ot 4>iyaZfTg — ^alv — mit folgender in- 
directer Bede). 

2 Oder Phialeia. Curtius Peloponnesos I 343 n. 37. Bursian 
Geographie von Griechenland H 251. 



DEMETER. 249 

Phigalier kein anderes und vernachlässigten auch grossen- 
theils die Fest- und Opfergebräuche, bis endlich Unfrucht- 
barkeit über das Land kam und die Pythia, bei der sie 
Hilfe suchten, ihnen den Rath gab, die Höhle, in der 
sich die rossvermählte Demeter versteckte, 
(tnnoXs/ovQ ^rjovg xqvtitiJoiov ävvQOv) aufs neue mit gött- 
lichen Ehren zu schmücken und die zürnende Göttin durch 
Opferspenden des ganzen Volkes (navdfjfioiQ XoißaTq) zu ver- 
söhnen.^ Jetzt bestellte man bei dem äginetischen Bildhauer 
Onatas^ eine Erzstatue, welche dieser theils nach einer Zeich- 
nung des älteren Oultbildes, theils nach einem Traumgesichte 
vollendete, und die Göttin wurde weit mehr als früher in 
Ehren gehalten. 

Vornehmlich um das Kunstwerk des Onatas zu sehen, 
besuchte Pausanias auf seiner Wanderung Phigalia; kein 
Lebender entsann sich der Existenz desselben; nur ein hoch- 
betagter Greis wusste zu sagen, dass drei Menschenalter vor 
ihm ein Fclsstück von der Decke der Höhle herabgefallen 
sei, und er hatte gehört oder er vermuthete nur, ohne 
damit das einstige Vorhandensein bezeugen zu wollen, dass 
dadurch das von dem Fragesteller erwähnte Bildwerk zer- 
trümmert und verschüttet sei. Die Beschaffenheit des Ge- 
steins überzeugte zwar Pausanias sowie die neueren Reisenden 
Michaelis und Conze durch den Augenschein von der Mög- 
lichkeit oder Wahrscheinlichkeit eines derartigen Hergangs. 
Dennoch ist die Aussage jenes Greises schwerlich als histo- 
risches Zeugniss verwendbar. Für die Existenz eines dem 
iftlten Aegineten zugeschriebenen Erzbildes in der Diadochen- 
zeit besitzen wir dagegen in dem litterarischen Gewährsmann 
des Pausanias einen Bürgen, dessen Glaubwürdigkeit nichts 
dadurch verliert, dass er der einzige ist. Für sich betrachtet 
— wie billig ist — geben seine Worte keinerlei Aufschluss 
über die Gestalt, welche der Künstler der Göttin verlieh, 
nur soviel geht aus der Combination oder Tradition, dass 



* Der Orakelspruch verräth sich durch Ton und Sprache als 
arohaisirendes Machwerk alexaudrinischer Gelehrsamkeit. 
^ Des Sophokles Zeitg^enossen um 460 v. Chr. 



250 KAPITEL V. 

Onatas ein uraltes Cultbild — über dessen Aussehen uns der 
Autor ebenso wenig eine nähere Andeutung gewährt — zum 
Muster nahm, wohl mit Sicherheit hervor, dass seine Dar- 
stellung ein archaisches Gepräge trug und an die hie und 
da erhaltenen Götterbilder erinnerte. Nach allen kunst- 
geschichtlichen Analogien aber muss man die Form des Erz- 
bildes als rein anthropopathisch ohne Zusatz thierischer Glied- 
massen voraussetzen. 

Wenn die Einwohner von Phigalia auf die Anfragen des 
Pausanias einerseits leugneten, jemals etwas von dem Kunst- 
werk des Onatas gehört zu haben, andererseits aber erzählten, 
Demeter habe mit einem Pferdekopf ausgerüstet in der Höhle 
auf einem Steine gesessen und sei so in einem Götterbilde 
(Agalma) dargestellt gewesen, das zu unbekannter Zeit und 
auf unbekannte Weise sein Ende fand, so ist es klar, dass 
sie in der Thatsache des ehemaligen Vorhandenseins einer 
Bildsäule eine dunkle Erinnerung eben an die Statue des 
Onatas (nicht an das der gelehrten Mythologie angehörige 
^oavov der Urzeit) festhielten, dass sie aber die Einzelheiten 
der Beschreibung grösstentheils aus den näheren Umständen 
entnahmen, mit welchen die fruchtbare und leicht entzünd- 
liche Einbildungskraft des Volkes die Sage von der Vermäh- 
lung des Poseidon Hippies mit Demeter und von dem Ver- 
borgensein der letzteren in der Grotte ausgeschmückt hatte, ^ 
während es andererseits nicht mehr als wahrscheinlich ist, 
dass sich auch einzelne Erinnerungen an die von Onatas 
gewählte Darstellung der Göttin mit dem aus der Sage 
fliessenden Phantasiebilde derselben verwirrten und verweben.^ 
Das erstere Element werden wir in dem Semitheriomorphismus 
des Götterbildes, das letztere in den demselben beigelegten 
Attributen Taube und Delphin, vielleicht auch in den nur 
ganz äusserlich dem Pferdekopf angefügten Schlangen und 
anderen Thieren vermuthen dürfen. Denn diese stören die 
Harmonie der poetischen Conception, jene verrathen sich als 
Bestandtheile einer beschreibenden Schilderung und lassen 



1 Petersen a. a. O. 39.40. verbeck Gr. Kunstmyth. III (U4- 411 

2 Petersen a, s^, 0. 41, Qverbeck a. a, O, 



DEMETER. 251 

sich am besten erklären, wenn sie aus der wirklichen An- 
schauung einer objectiven Vorlage entstanden sind. Der 
Delphin war ein allbekanntes Attribut des Poseidon, die 
Taube der Vogel Aphroditens. Auf der schönen Kamee 
des Tryphon (Miliin Myth. Gal. D. A. Taf. XLI 198) tragen 
Eros und Psyche auf dem Gange zum Brautbett je eine 
Taube gerade so in der Hand, wie hier Demeter; Buhlerinnen 
weihten ihrer Göttin marmorne Tauben als Votivbilder. So 
mochte Onatas an seinem durchweg menschlichen Demeter- 
bilde durch Vereinigung dieses Fisches und dieses Vogels 
in den Händen der Göttin symbolisch die Sage von der 
Buhlschaft derselben mit Poseidon zum Ausdruck bringen, 
ohne die Gesetze der Schönheit zu verletzen. Den Schlangen 
aber, die dem Pferdekopf fremdartig sind, könnte die Er- 
innerung an eine Darstellung zu Grunde liegen, welche den 
Kopf des Erzbildes der Göttin zu Phigalia, ähnlich wie den 
der thelpusischen Demeter, von Schlangen oder schlangen- 
artigen Haaren umlockt zeigte. In diesem Falle müsste man 
freilich annehmen, dass der Künstler seine Demeter als 
Erinys darstellen wollte, dass die Sage von Phigalia eine 
Sprossform der thelpusischen war und zu seiner Zeit noch 
deutliche Spuren davon aufwies, endlich dass Onatas — falls 
die üeberlieferung wirklich ein Recht hatte, ihn als Urheber 
des Erzbildes zu bezeichnen — sich auffallend schnell beeilt 
hatte, die so eben durch Aeschylus Eumeniden aufgebrachte 
theatralische Charaktermaske der Erinyen ins Plastische zu 
übertragen. Wie dem nun auch sei, Pausanias hatte von 
den so eben besprochenen Verhältnissen keine Ahnung; er 
machte den Schluss, ein Götterbild so geartet wie das von 
seinen Fragebeantwortern geschilderte könne nur ein Schnitz- 
bild gewesen sein, er identificirte es demnach mit dem tinter 
Simos verbrannten ^oavov seiner schriftlichen Quelle und 
machte aus dem äyak/Lia ein ayak^a ^vkov, 

Nennen wir die Volkssage A, die Exegetenfabel des 
schriftlichen Berichtes B. Bei dem Vergleiche beider er- 
gibt sich, dass die wesentlichen Bestandtheile der ersteren 
schon damals im Volksglauben vorhanden gewesen sein 
müssen, als die letztere aufkam, da die Bezeichnung 



252 KAPITEL V. 

Phigalias als 'Verbergungshöhle der rossver- 
mählten Demeter (Tropus des Theils für das Ganze) 
auf sie als auf eine allbekannte Sache anspielt und zugleich 
den Cult dieser Göttin als die charakteristische Merkwürdig- 
keit der Ortschaft erscheinen lässt. Doch auch noch andere 
Züge, z. B. der Misswachs als Folge der Flucht in die Grotte 
und Ursache der Einrichtung des Gottesdienstes, müssen 
noth wendig zum Bestände der alten Sage gehört haben. So 
wird offenbar, dass B im Ganzen jünger war als A, und 
das Motiv der Unfruchtbarkeit als Anlass zur Weihung des 
Götterbildes daher entlehnte. Nachdem wir bisher die äussere 
Beglaubigung der Zeugnisse für die beiden Demetersagen 
von Thelpusa und Phigalia in Betracht gezogen haben, 
darf nunmehr in die Prüfung ihres Inhalts eingetreten werden. 
Dieser Untersuchung, welcher zuerst L. Preller in seinem 
Buche Demeter und Persephone Hamburg 1837 S. 149 — 171 
die Fackel angezündet hat, ersteht ein sicherer Gewinn bei 
der Beachtung gewisser Thatsachen aus der geschichtlichen 
Entwickelung des griechischen Epos. 

Das Epos, wo immer es sich entfaltete, liebt es dem 
ritterlichen Haupthelden als treuen Begleiter ein Ross bei- 
zugesellen, welches, als Abkömmlung oder als Geschenk 
übernatürlicher Mächte mit Wunderkräften ausgerüstet, seinem 
Besitzer ungewöhnliche Thaten vollbringen hilft. Des Peleus 
und Achilleus unsterbliche Rosse waren eine Gabe Poseidons 
(vergl. AWF. 100 ff.) und Geburten einer Harpyie. Auch 
Adrastos, der Anführer der Sieben, welche den Zug gegen 
Theben unternahmen, musste ein solches Ross führen; die 
vorhomerische Dichtung hatte dasselbe einfach als Eriegs- 
ross, Streithengst, Areion (Kosenamen von Areios, 
dem Ares geweiht) bezeichnet (vergl. Preller Griech. Myth. 
I^ 484) und ganz unbestimmt göttlichen Ursprung ihm zu- 
geschrieben,^ falls nicht schon damals derselbe, der Sage von 



1 II. XXIII 346: 






DEMETER. 253 

den Rossen des Peleus entsprechend, näher dahin bestimmt 
wurde, dass Poseidon Hippios und eine Harpyie die Eltern 
des Areion gewesen seien. * Poseidon tritt in dieser Genealogie 
als Vater auf, weil die Rosse seine Schöpfung sind, die Winds- 
braut als Mutter soll die Schnelligkeit des Heldenrosses mo- 
tiviren. In dieser Eigenschaft rettete nach der alten Thebais 
Areion den Adrastos, als dieser von Theben fliehen musste, 

'Hüllend in Trauer den Leib, auf dem dunkelgemähnten Areion'. ^ 

Hesiod eignete sich die Figur des Areion aus den Liedern 
des thebaischen Sagenkreises an und stattete den Herakles 
damit aus, der bei ihm in Thessalien Im Haine des paga- 
säischen Apollon sich dieses Heldenrosses gegen Kyknos 
bedient. (Sc. Her. v. 120). Die kyklischen Bearbeitungen 
der Thebais nahmen in der Genealogie des Areion eine kleine 
Veränderung vor, indem sie ihn von Poseidon und einer 
der Erinyen erzeugt sein Hessen,^ um nachdrücklich her- 
vorzuheben, dass er im Dienste der Eachegött innen stehe, 
welche das Haus des Labdakos dem Untergange geweiht 
haben. "* Indem nun zugleich die Dichtung Hesiods heran- 
gezogen und dieErinys der Adrastossage mit der Tilphossischen 
Erinys, welche den Drachen des Kadmos zeugte, combinirt 
wurde, nahm die Sage des Areion in der kyklischen Thebais 
folgende Gestalt an. (Schol. zu II. XXIII 346: r^ iorooicx naod 
toTq xvKhxoTg): Poseidon zeugte mit der Erinys an der 



* Vergl. Schol. Vict. zu II. XXIII 346: Ol Sh vfc^Tfgoi (d. h. die 
vorkyklischen Bearbeiter der Thebais, s. Preller Dem. u. Perseph. 155 

Anm. 29) IJoasidwyog xat A^nviaq avrov yevsaXoyova^v» 

2 Pansan. VIII 25, 5: ^Ev Sf ri} 9fjßaiSi^ w; ^M^aarog ^tuyfv ix 

Stfßwv' 

Ei/uara XvyQct (pf'^tav avv ^jiqfCovi xvavo^atTij. 

» Schol. Vict. zu 11. XXIII 346. S. 613 Bekk : Ol Sh er r^ nvxhp 

IToofidurog xal ^Eqivvos {jiqfCova yerfaloyoiiaiv), Hosych. 8. v. *AqOavl 
^uioCüry^ o %7ino<;^ Uoasidiovog vlog xat juiag TtSv Eiqiyvtov» 

♦ Vergl. auch Welcker Gr. Götterlehre II 491. 492: Die Tilphos- 
siflche Erinys kann als die dämonische Erinys nach ihrer umfassenden 
Bedeutung gar wohl auf die Eigenschaft des Arion, Helden im Flug 
zur Rache zu tragen, bezogen werden. 



254 KAPITEL V. 

Quelle Tilphusa nahe bei Onchestos in Böotien das 
Ross AreioD, welches zunächst in den Besitz des Eopreus, 
d. i. des Viehhofbesitzers (vergl. xongog in der Bedeutung 
Viehstall, Misthof II. XVIII 575. Od. X 411), Königs von 
Haliartos, der Nachbarstadt von Onchestos, gelangte, 
von diesem an Herakles und endlich in dritter Hand an 
Adrastos kam. 

Adrastos war ein peloponnesischer Fürst. Was Wunder, 
dass der Gleichklang des böotischen Ortsnamens Tilphusa 
und Onchestos mit den arkadischen Tolphusa (Thel- 
pusa) und Onka (o. S. 244) die Einwohner der letzteren 
Gegend zu der Meinung veranlasste, der Schauplatz der Be- 
gebenheit sei eigentlich bei ihnen zu suchen , der Areion sei 
im Ilaine Onkeion von der Erinys geboren; Onkos 
d. h. der Eponymus des Onkeion sei der erste Eigenthümer 
des Heldenrosses gewesen; von ihm erbat es Herakles, um 
es als Streithengst auf dem Eroberungszuge nach Elis 
zu gebrauchen; Herakles aber schenkte es an Adrast! 
(Pausan. VIII 25, 5. Vergl. Antimachus o. S. 246). Man 
sieht hier die epische Ueberlieferung der kyklischen Thebais 
so zu sagen . wörtlich auf das fremde Local übertragen. Der 
thelpusische Areion war also genau derselbe wie der Areion 
Homers und Hesiods, d. h. ein Gebilde dichterischer 
Kunst und keineswegs eine echte mythische Personification, 
mithin weit verschieden von dem Blitz und Donner tragenden 
Pegasos, der, auch ein Sprosse Poseidons, aus dem Haupte 
der Gorgo hervorsprang. 

Im Haine Onkeion lag ein angesehenes Demeter- 
heiligthum. Augenscheinlich gab dieser Umstand den Anlass, 
die Erinys der nunmehr daselbst localisirten Areionsage mit 
der Demeter zu verschmelzen. Ueber den Hergang und die 
nächsten Antriebe zu dieser Verschmelzung sind wir nicht 
unterrichtet. Es gibt mehrere Möglichkeiten, zwischen denen 
der Zustand der Ueberlieferung eine sichere Entscheidung 
kaum gestattet. Am nächsten liegt die Annahme, dass man 
einfach auf den Gedanken gerieth, das Wunderross werde, 
da es im heiligen Bezirk der Demeter geboren sei, auch eine 
Geburt der Cultgöttin gewesen sein, und dass man von 



DEMETER. 255 

diesem Yordersatze aus auf Einheit der letzteren mit der 
Erinys weiter schloss. Wie leicht eine Verschmelzung zweier 
ganz heterogener mythischer Wesen in Folge bloss localer 
Identität ihres Cultorts vor sich ging, zeigt unwiderleglich 
das später noch zu besprechende Zusammenfliessen des 
Poseidon und des Erichthonios zur Göttergestalt des Poseidon- 
Erechtheus. Vielleicht war die Sage, dass Demeter bei der 
Begattung mit Poseidon die Gestalt einer Erinys angenommen 
habe,^ ein Ueberbleibsel aus dem ersten Stadium ^^s Ver- 
schmelzungsprocesses, der Revers des Satzes, die dem Bosse 
beiwohnende Erinys war wohl die Göttin des Haines selbst; 
dass Demeter Erinys Rossgestalt annahm, wäre dann eine 
jüngere Verunstaltung des Mythus. Doch bemerkt schon 
Rosenberg ^ mit Recht, dass darin ebenso gut ein euhe- 
meristischer Deutungsversuch der voll ausgebildeten Sage 
von Thelpusa stecken könne. So wenig die Möglichkeit 
wird bestritten werden können, dass die Identificirung 
der beiden Göttinnen auf die angegebene Weise sich voll- 
zog, bleibt es doch schwer begreiflich, wie im fünften oder 
sechsten Jahrhundert — und früher werden wir die Ver- 
pflanzung der Arionlegende von Böotien nach Thelpusa kaum 
ansetzen dürfen — der bereits hochentwickelte Schönheits- 
sinn und das sittliche Gefühl der Griechen den Gedanken 
hätte aufkommen lassen, dass eine Göttin vom ethischen 
Gehalt der Demeter sich durch Vermählung mit einem Thiere 
befleckte, wenn nicht noch irgend ein ganz besonderer Um- 
stand das Ineinanderfliessen der Furie und der Getreidegöttin 
begünstigte. Dagegen würde eine ausreichende psychologische 
Basis nachgewiesen sein, sobald es sich herausstellte, dass 
die Thierverwandlung und der Bund der Demeter mit dem 
thiergestalteten Gotte nicht eine Neuschöpfung, sondern Con- 
servirung einer in älterer Zeit entstandenen Ueberlieferung 
gewesen sei, mit anderen Worten, dass schon in der localen 
Demeterlegende mehrere Stücke vorhanden waren, welche 

* Tzetzes zu Lycophr. Alex. 153: (Jtjfi^r^^') ''Egivui. o/uona&fiioa 
/uiyyvTai IToaeiSäJvi, Apollodor. III 6, 8: Tourov {jov IAq^ovo) }x IToofi' 
Swyog ^yeyyt^af ^rjftiivtjq elxaa & eiaa ^Egtvv'i xarct rtjv awovaCav, 

2 Rosenberg Die Erinyon. Berlin 1874. S. 26. 



256 KAPITEL V. 

mit der Tradition von der Erinys als Mutter des Areion zu- 
sammentrafen und die Attraction derselben bewirkten , dass 
also hier der nämliche Vorgang sich abspielte, den wir hin- 
sichtlich der Vereinigung der Vorstellungen von Wodans 
wilder Jagd und Gabriels englischer Jagd BK. S. 251 und 
hinsichtlich anderer Volksüberlieferungen o. 8. 111 beob- 
achteten. Mehrere Anzeichen scheinen in der That dafür 
zu sprechen, dass bereits vor der Entlehnung der Areion- 
sage Demeter zu Poseidon Hippies in vertrautem Ver- 
hättniss stehend, vielleicht sogar in Rossgestalt demselben 
sich hingebend gedacht war. 

Die im Onkeion zu Thelpusa mit mystischen (wie es 
den Anschein hat, zu einer gewissen Zeit unter dem Einfluss 
der attischen Eleusinien in einigen Stücken reformirten) * 
Gebräuchen verehrte Tochter der Demeter Erinys stammte 
nicht aus der Areionsage, war also dem älteren Cultus an 
dieser Stätte entnommen und bereits der Demeter gesellt, 
ehe diese mit der Erinys zusammenwuchs. Man unterschied 
sie, das Kind des Poseidon, von der Kore-Persephone, dem 
Zeuskinde.- Es ist nicht abzuleugnen, diese Unterscheidung 
könnte erst in Folge ihrer Geburtslegende aufgenommen und 
letztere (die Vaterschaft des Poseidon mit eingeschlossen) 



1 Den Einfluss von Eleusis zeigt die Fackel in der Hand der 
Demeter, wenn nicht dieselbe, was unwahrscheinlich, ein Erbtheil der 
mit der Getreidegöttin verschmolzenen Erinys war, vielleicht auch die 
mystische Kiste in ihrer Linken (vergl. 0. Jahn, Hermes III 328. 
Preller Dem. u. Perseph. 144 ff.). Die auffallende Aehnlichkeit in der 
Darstellung der Demeter und Despoina von Damophons Hand (um 
370 V. Ohr.) im Despoinaheiligthum bei Akakesion (Pausan. VIII 37) lässt 
vermuthen, dass auch die Statuen der Demeter Erinys und Demeter 
Lusia in Thelpusa etwa zur nämlichen Zeit in Folge einer damals ^ge- 
schehenen Erneuerung ihres Cultus mit Hereinziehung eleusinischer 
Elemente gefertigt seien. 

' Diese Ansicht fand u. a. auch darin Ausdruck, dass man es 
fQr angezeigt gehalten hatte, in nächster Nachbarschaft des Onkeion 
noch einen besonderen der Demeter Eleusinia, der Koro und dem 
Dionysos nach attischem Ritus eingerichteten Mysteriendienst einzu- 
führen (Pausan. YIII 25, 2), dessen Stiftung unzweifelhaft in eine 
jüngere Periode fällt als diejenige der (unreformirten) Mysterien der 
Demeter Erinys. 



DEMETER. 257 

in allen Theilen ein Product der Verschmelzung ihrer Mutter 
mit der Erinys gewesen sein. Aber noch an mehr als 
einem anderen Orte hatte man vom Poseidonskinde und von 
der Verbindung der Getreidegöttin mit dem Boss-Poseidon 
zu sagen. 1) In Phigalia wusste man nichts von der Erinys, 
nichts vom Areion, aber die ross verwandelte Demeter hatte 
sich mit Poseidon Hippies vermählt, und ihre Tochter hiess 
nicht Eore, sondern Despoina. 2) Auf dem Berge Alesion 
bei Mantineia zog sich ein Hain der Demeter die Höhen 
hinauf, und am südlichen Vorsprunge desselben lag das uralte 
Heiligthum des Poseidon Hippies. (Pausan. VIII 10, 2. 
Vergl. Curtius Peloponn. I 240. 268). 3) Zwischen der 
Akropolis von Lykosura und dem Berge Akakesion breitete 
sich terrassenförmig ein — wie Curtius (Peloponn. I 296) 
urtheilt — durch die Frönmiigkeit der ihrem ältesten Glauben 
treuen Pelasgerstämme wohlerhaltenos grosses Heiligthum 
der Despoina aus, die daselbst sowohl mit sonstigem Opfer- 
dienst als mit Mysterien nach Art der Thesmophorien 
geehrt wurde. Diese Göttin, sagt Pausanias VIII 37, 6, ver- 
ehren die Arkader mehr als andere Götter; sie ist nach 
ihrer Sage die Tochter des Poseidon und der 
Demeter und heisst allgemein Despoina, hat aber 
auch noch einen eigentlichen Namen, der nur den Ein- 
geweihten bekannt ist. Sie wird unterschieden von Eore, 
der Tochter der Demeter und des Zeus, deren besonderer 
Name Persephone ist. Man brachte ihr — gerade so wie 
in Phigalia ihrer Mutter — Früchte von allen veredelten 
Bäumen in den Tempel, nur nicht von der Granate. Der 
letztere Umstand beweist, dass sie im Grunde des Wesens 
doch mit Eore-Persephone identisch war und dass auch hier 
Einfluss der eleusinischen Legende sich bemerkbar machte. 
Vor dem Haupttempel standen die Altäre der Demeter, der 
Despoina und der Göttermutter, im Inneren die mit Sessel 
und Fussbank aus einem Stein gearbeitete Gruppe der 
Demeter und Despoina, letztere mit Scepter und cista 
mystica; ihr zur Seite stand der Titan Anytos. Alles dies 
sind Beweise, dass auch hier eine Reformation des Cultus 
und zwar mit starker Beimischung: orphischer Tbeologeme 

QF. LI. 17 



258 KAPITEL V. 

Platz gegriffen hatte. Oberhalb des Tempels lag am Ab- 
hänge des Burghügels das für die Mysterienfeier bestimmte 
Megaron der beiden Göttinnen, auf noch höherer Terrasse 
ein mit einer Steinmauer umhegter Hain der Despoina, und 
eine höchste Erhebung trug den Altar des 
Poseidon als des Vaters der Despoina. 4) An der 
von diesem heiligen Bezirk der Despoina nach dem Demeter- 
heiligthum zu Andania führenden Landstrasse lag auf dem 
Kamme des Grenzgebirges zwischen Arkadien und Messenien 
als 'eine Station des heiligen Weges, der die pelasgischen 
Cultusstätten der grossen Göttinnen zu beiden Seiten des 
Gebirges mit einander verband' (Gurtius Peloponn. II 135), 
das Hermaion 'Despoina' mit den Bildsäulen der Demeter 
und ihrer Tochter Despoina (Pausan. VIII 35, 2). 5) Endlich 
auch in der Altis zu Olympia sah man nahe dem Hippodrom 
und dem Altare des Poseidon Hippies einen Altar der 
Despoina (Pausan. V 15, 3. 4). 6) In Troizen grenzte der 
Tempel des Poseidon Phytalmios, dem die Erstlinge 
der Früchte dargebracht wurden (c5 xai aagncSv 
dnaQxovvai) an ein Heiligthum der Demeter Thesmo- 
phoros, das von Poseidons Sohn Althepos gegründet sein 
sollte (Pausan. II 32, 7. Plut. Thes. 6).i 7) Plutarch be- 
zeugt Sympos. IV 4, 3 irgend woher gemeinschaftliche Ver- 
ehrung des Poseidon und der Demeter in einem Tempel; 
er erklärt diese Thatsache irrig daher, dass Salz, das 
Product der Meerfluth, und Brod die nothwendigsten Nah- 
rungsmittel seien. 8) Als den Ackerbau schützende Götter 
nennt derselbe Schriftsteller neben einander Zeus Hyetios, 
Poseidon Phytalmios und Demeter Proerosia (Sept. 
sap. conv. 15). Letztere ist die in Athen am Feste der 
Proerosien, das* mit den Pyanepsien zusammenfiel (AWF. 



1 Poseidons Priester hiessen hier wie in dem FilialcuU Ton 
Halikarnass Idv^eddai, und als Sohn des Gottes wird Anthas genannt ; 
Welcker Gr. Götterlehre II 684 meint aus dem Grunde, weil dieser Poseidon 
einst den Beinamen Blütenbringer (Antheus = Anthophoros) gefuhrt 
haben möge. Wahrscheinlicher jedoch sind diese Benennungen Reflexe 
des alten Gaunamens Antheia, wie neben Poseidonias die Landschaft 
um Troizen ursprünglich hiess (vergl. Curtius Peloponn. II 433. 438). 



DEMETER. 259 

239), angerufene Demeter. Ein Priester des Poseidon 
Phytalmios in Athen (Jhgsvg IloaBtSdjivog (pvTaXf.iiov) wird duroh 
eine Sesselinsehrift bezeugt (Bulletino deir Inst. 1862. 114). 

10) Mit diesem Gotte war wohl ursprünglich identisch der 
Poseidon, welcher im Gau Lakiadai an der Brücke über den 
Kephissos auf dem heiligen *Wege nach Eleusis das legi 
(Tvxfj genannte Heiligthum mit Athene, Demeter, Köre 
und dem fruchtreifenden Zephyros theilte. Das Priester- 
thum daselbst verwaltete das Geschlecht der Phytaliden, 
das nach ätiologischer Sage auf einen Heros Phytalos, den- 
selben, welcher angeblich aus Demeters Hand die erste Feige 
empfing, seinen Stammbaum zurückführte und am Erntedank- 
fest der Pyanepsien und Oschophorien das Opfer für Aigeus 
im Theseion besorgte.^ Der wahre Sachverhalt dürfte wohl 
dieser gewesen sein, dass hier Poseidon selbst einmal den 
Beinamen Phytalos führte und nach ihm die Familie der 
Phytaliden sich nannte, wie die Asklepiaden nach Asklepios, 
und dass eben dieselbe am Erntedankfest dem Poseidon 
Aigeus ein Opfer brachte, welches nachmals bei der TJm- 
deutung des alten Naturfestes in historischem Sinne (AWP. 
253) auf Theseus und seinen Vater Aigeus bezogen wurde. 

11) Mit der in Eleusis unter sehr alterthümlichen Bräuchen 
snl avyxoiLiiöfj xagudSv zu Ehren der Demeter, der Köre und 
des Dionysos begangenen Feier der Haloen war ein Aufzug 
zu Ehren des Poseidon (JloasiSMvoc nofiTirf) verbunden. ^ 

12) Nach Ahrens entsprach der samische vom Poseidon 
TavQsioq benannte Monat TavQsiwv dem attischen Metageitnion 
d. i. August, ebenso der böotische nach Poseidon 'Innodgofiiog 
benannte 'InnodQo/uiog (Rh. Mus. NF. 17, 332) sowie der nach 
Poseidon "Inmog benannte Monat 'Inmciv von Eretria dem 
Thargelion d. i. Juni (Ahrens a. a. 0. 342), und der ge- 
nannte Forscher sucht den Grund dieser Benennungen wohl 
mit Recht darin, *dass die Verehrung des Poseidon Taureios 



* Pausan. I 37, 1. Plut. Thes. 23. Vergl. 0. Müller Prolegg. 
z. e. wissensch. Myth. 272. A. Mommsen Heort. 284. 

^ Bekker Anekd. Gr. I 8. 385. Lexioograph Pausanias bei 
Eustathias zu II. IX 530. 

17* 



260 KAPITEL V. 

und Hippodromios diesen als den mit Demeter eng 
verbundenen Erntegott fasste/ 

Aus vorstehenden Zusammenstellungen geht Folgendes 
hervor. Aus vier Orten in und bei dem wegen seiner Ab- 
geschlossenheit an sehr alterthümlichen Ueberlieferungen 
reichen Berglande Arkadien (Phigalia, Mantineia, Lykosura; 
Olympia) wird die Verbindung des Poseidon Hippies mit 
Demeter ausdrücklich bezeugt; die allgemeine Bemerkung des 
Pausanias (o. S. 257) lässt diesen Götterverein auch noch für 
andere Orte, mindestens für das Hermaion 'Despoina (o. 8. 258) 
mit grosser Wahrscheinlichkeit vermuthen. Glaubt man in 
einem dieser Fälle die Sage von der thelpusischen Demeter 
Erinys und ihrem Bunde mit Poseidon als Ausgangspunet 
annehmen zu müssen, so ist man genöthigt es in allen zu 
thun, und umgekehrt, gibt man zu, dass die Vermählung des 
Poseidon Hippies mit Demeter in den genannten Orten ein 
von Thelpusa unabhängiger Glaubenssatz war, so hat man 
Grund, den entsprechenden Theil der thelpusischen Sage eben- 
falls für gemein und älter als die importirte Areionsage zu halten. 
Doch mit Ausnahme einer schon an sich sehr zweifelhaften 
und wenig beglaubigten Nebensache in der Ueberlleferung 
von Phigalia, welche aus der Erzählung von Demeter Erinys 
abgeleitet werden könnte (o. S. 257), zeigt sich nirgends eine 
Spur von dieser, nirgends tritt eine Erinnerung an die Furie, 
nirgends eine solche an das Boss Areion hervor. Wenn man 
diese Thatsache aus der Unterstellung erklären wollte, dass 
die genannten Sagenzüge bei der Weiterverbreitung der 
thelpusischen Tradition in irgend einem Mittelgliede aus- 
gestossen wurden, so würde es doch auffällig bleiben, dass 
man gerade die einzigen Stücke traf, welche sich nur aus 
der Areionlegende ableiten lassen. Spricht das Fehlen der- 
selben nicht vielmehr für die Selbständigkeit der arkadischen 
Poseidon-Demetersage? Nun kommt hinzu, dass auch Eorinth, 
Attika und andere griechische Landschaften dieselbe Götter- 
Verbindung in einer anderen Form, als Vereinigung der 
Demeter mit Poseidon Phytalmios, aufweisen, und dies in so 
alten gottesdienstlichen Gebräuchen, dass die später des 
näheren zu erwägende Frage aufgeworfen werden muss, ob 



DEMETER. 261 

nicht Poseidon als Yater der Eore dem Zeus als Erzeuger 
derselben vorangegangen und erst durch letzteren aus dieser 
Position verdrängt, nur in spärlichen Ueberlebseln der Sprache 
und des Gultus haften geblieben sei. Wie dem auch sei, 
jedesfalls ist man berechtigt, die Annahme für nicht unwahr- 
scheinlich zu erachten, dass bei Joniern die Qemeinschaft 
der Demeter mit Poseidon Phytalmios, bei Arkadern ihre 
Yermählung mit dem Hippies und die Erzeugung einer 
Tochter ein Gegenstand des Qiaubens war, ehe die Loca- 
lisirung der Areionsage in Thelpusa stattfand. Im wesent- 
lichen richtig äusserte sich darüber schon Rosenberg:^ 'Ein- 
wandernde Böotier (dies ist falsch, vielmehr epische Gedichte) 
haben die Sage von der Geburt des Areion nach Arkadien ge- 
bracht und dort mit dem Gultus des Poseidon ver- 
knüpft, ^der seinerseits wieder mit der Demeter 
in Verbindung stand', d. h. der Poseidon Hippies des 
Yolksglaubens und des älteren Gultus von Thelpusa, der 
Yater der Despoina, floss mit dem gleichnamigen Gotte der 
daselbst localisirten epischen Ueberlieferung, dem Vater des 
Areion, in eins zusammen, und die Verschmelzung zog die 
Identificirung der beiden Göttinnen Demeter und Erinys und 
die Geschwisterschaft der Kinder nach sich. 

Die salzige Meerfluth nährt keine Pflanzen. Wenn nun 
dennoch Poseidon mit der Getreidegöttin sich verbindet und 
als Phytalmios Wachsthum spendet, so glaubt man diese 
Vorstellung durch die Hypothese erklären zu sollen, der 
Meergott sei in weiterem Sinne als Gott der Feuchtigkeit 
überhaupt aufgefasst worden. Aber diese Auffassung^ 
(in soweit sie uns in historischer Zeit bei den Griechen be- 
gegnet) gehört lediglich der an Phytalmios geübten Deutelei 
später Grammatiker an; kein giltiges Zeugniss belegt sie, 
und weder der Umstand, dass Poseidon in einzelnen Loca- 
litäten als indi/nviog und xf)rjvov/og HafFbildungen oder Quellen 
in Meeresnähe beschützt, noch der andere, dass er wohl ein- 

* Die Erinyen 8. 30. 

2 Cornutus de nat. deor. cp. 22: U^wtov fihv ovv (pvrdX^toy avrov 
pntavouaaav^ fnsiSrj rov tpvsa&ai, ja }.x ytjq yivofitva r^ \v avT^ SfjZov6T\ 
Ix/ua^ 7t a^airio g fcrnv. 



262 KAPITEL V. 

mal dichterisch an Okeanos Stelle tritt und Aussender, Be- 
sitzer, Führer der Quellen genannt wird, ^ insofern diese den 
Lauf zum Meere nehmen, darf als Beweis dafür geltend ge- 
macht werden. War also Poseidon, so lange wir ihn auf 
griechischem Boden verfolgen können, immer nur der 
Gott des Meeres, so ist damit nicht ausgeschlossen, dass er 
in vorhistorischer Entwickelungsstufe eine andere Be- 
deutung hatte (s. unten), und es darf die Möglichkeit 
nicht unbedingt abgeleugnet werden, seine Beziehung als 
Phytalmios sei ein Ueberrest aus einer solchen. Zunächst 
aber müssen wir doch zusehen, ob nicht eine genügende Er- 
klärung vom Boden der hellenischen Auffassung sich auf- 
finden lasse. Der Leser wolle darauf hin die nachstehende 
Hypothese prüfen, welche zugleich den Vortheil gewälirt, 
hinreichend klar zu machen, weshalb der Fruchtbarkeit 
zeugende Poseidon in Arkadien als Uippios verehrt wurde. 
Nicht der unerweisliche Gott des feuchten Elements, 
sondern Poseidon der Meergott, der Herr der Winde und 
Wogen, dürfte nach meiner Ansicht vermittelst einer ein- 
fachen poetischen Naturanschauung zum Beförderer der Vege- 
tation geworden sein. Das vom Winde wellenförmig bewegte 
Saatfeld bietet eine sprechende Aehnlichkeit mit dem bewegten 
Meere. Unser Volk sagt 'das Korn wogt', *dat Körn 
bülgt' (schlägt Wellen). Aus II. XX 220 ff. lernen wir, 
dass die Griechen diese Erscheinung mit gleichem Auge sahen. 
Die sechsunddreissigtausend vom Boreas erzeugten Füllen des 
Erichthonios (des Getreidedämons, wovon weiterhin ausführ- 
licher die Rede sein wird) sind ein mythisches Bild der über 
das wogende, an unzähligen Stellen zugleich sich bewegende 
Kornfeld hinhüpfenden Windhauche (vergl. die auf der Wiese 
am Okeanos als Ross weidende Windsbraut — Harpyie — 
Podarge (II. XVI 149 ff.). Wie der schwäbische Bauer zwischen 
Stuttgart und Kalw noch heute beim Anblick des wogenden 
Kornfeldes ausruft Da läuft das Pferd' (o.S. 167), haben 
vorhomerische Griechen bei gleicher Gelegenheit augenschein- 
lich gesagt: ^Exet&i &sovai ^nnot. Wenn es nun U. XX 



1 Weloker Gr. Qötterlehre II 683. Preller Gr. Myth, » I 479. 



DEMETER. 263 

226 von diesen Rossen faeisst, 'so oft sie über dies getreide- 
tragende Ackerfeld {^si^cagog ägovQo) sprangen, flogen sie 
über die Spitzen der Halme dahin, ohne sie zu 
knicken; sprangen sie über den weiten Rücken des Meeres, 
so liefen sie hoch auf den Wogen der rauschenden Salzfluth', so 
sind damit das wallende Meer und das wallende Kornfeld in die 
engste Parallele gestellt, und es wird ersichtlich, wie gleichartig 
der Eindruck war, den der Wellenschlag beider auf den 
Beschauer hervorbrachte. Wie leicht konnte es da geschehen, 
dass man, die Gleichartigkeit dieser Bewegung, nicht die 
Verschiedenheit des Elements ins Auge fassend, neben der 
Phrase 'da laufen die Rosse über das Feld' zu der Redeweise 
und demnächst zu dem Glauben gelangte 'Poseidon geht 
durchs Getreide'. Und da nicht allein die das Korn- 
feld bewegenden Winde, sondern auch bald die über die 
Meereswellen stürmenden Hauche, bald die galoppirenden 
schaumbedeckten Meereswogen selbst (die dem Italiener 
cayalloni, cavalli del mare heissen) ^ Rossen verglichen 
werden, mit denen Poseidon fährt, deren Schöpfer er ist, 
und von denen er Hippies heisst,^ so liegt auf der Hand, 
dass diese Vorstellungen durch Vereinigung sich in die neue 
umsetzen konnten, Poseidon als Hippies oder Poseidon in 
Rossgestalt laufe durch das Saatfeld und erzeuge mit Demeter 

1 Cavalli del mare da^ venti agitati si 89llevano (Guido 
Giudice). Rosse des Meeres von Winden aufgeregt erheben sich. — 
E per la lizza del ceruleo smalto i cavalli del mare urtansi in giostra 
(Redi Ditirambi 42). Und auf der Rennbahn des bläulichen Schmelzes 
stoasen die Meeresrosse im Turnier zusammen. — se mai forse insieme 
urtar due tuoni Da Levante a Ponente in cielo, o in mare Onde, 
altrimenti dette c a y a 1 1 o n i (Berni Orl. Innam. 16. 10). Oder wenn 
etwa zwei Gewitter von Osten und Westen am Himmel zusammen stiessen, 
oder auf dem Meere Wogen, die man auch Rosse nennt. — Pu6 il mare 
ora con bonaccia lusingare altrui e talvolta con tempestosi nembi ed 
altissimi caralloni orrido molto e spaventoso di venire (Boez. 
Varchi 2 p. 2). Vergl. Weloker Gr. Gotterlehre 1 638. F. Brinkmann 
Metaphern. Bonn 1878 I 298. 

^ II. XIII 27. Dass Poseidon Hippies eine schon vorhomerische 
Gestalt ist, ^eht aus der Sage hervor, dass er dem Peleus Rosse als 
Geschenk gibt (AWF. 100 ff. II. XXIII 276 ff.), dem Zeus die Rosse 
ausspannt (II. 7111440), deq Aptijocbos Pferdekunst lehrt (II. XXIII 307). 



264 KAPITEL y. 

den Erntesegen , bezw. die beiden feierten als Rosse die 
wogenden Halme durchlaufend ihre Yermählung. In Schlesien 
sagt der Bauer, schwerlich in Folge volksthümlich gewordener 
Gelehrsamkeit, wenn der Wind zur Blütezeit des Qetreides 
Wellen schlägt, 'd* Holma pare sich* (die Halme paaren 
sich), in Böhmen 'das Eorn heirathet', in der Umgegend 
von Leipzig 'das Eorn feiert Hochzeit'. Man betrachtet 
diese Erscheinung als Anzeichen eines fruchtbaren Jahres. 
Da hätten wir nun den Kern der arkadischen Sage. 

Andererseits konnte sich aus dem über das wallende 
Kornfeld dahinfahrenden, Fruchtbarkeit wirkenden Poseidon * 
leicht die Yorstellung des Erntegottes entwickeln, wie sie 
beim Taureios und Hippodromios (o. S. 259) zu Tage tritt. 
Auch der Phytalmios war, dies zeigt der Cultus, Ernte gott; 
man brachte ihm nach Heimführung aller Fruchtarten Opfer, 
betrachtete ihn also doch wohl als Förderer auch des Weins 
und der Baumfrüchte. ^ Das stin^mt scheinbar wenig zu dem 
angenommenen Ausgangspuncte des Mythologems, aber ebenso 
wenig zur herkömmlichen Deutung, und die Yerschiedenheit 
darf nicht befremden, da leibliche und geistige (sprachliche, 
mythische u. s. w.) Gebilde häufig im Fortgange ihres 
Lebensprocesses etwas ganz anderes werden, als sie ursprüng- 
lich waren, und ihren Anfängen gar unähnlich sehen. Ein 
Best der ursprünglichen Auffassung scheint im Heiligthum 
an der Kephissosbrücke in der cultlichen Verbindung des 
Poseidon und der Demeter mit Zephyros noch hervor- 
zutreten, dem die Griechen vorzugsweise die Kraft des Zeugens 
und Reifens der Früchte beimassen (o. S. 259). '^^ 

Um es noch einmal bestimmt auszusprechen, meine auf 
den vorstehenden Blättern begründete Ueberzeugung geht 
dahin: Die thelpusische Mythe von Demeter Erinys ist 
unwidersprechlich ein Verschmelzungsproduct epischer Ueber- 
lieferung mit dem localen Demetercult. Ob die auf Demeter, 
Poseidon Hippies und Despoina bezüglichen Sagen und 
Gottesdienste anderer arkadischer Orte aus Thelpusa ab- 
stammten, sind wir nicht mehr im Stande mit Sicherheit zu 

* Vergl. auch Hesych: nqoTQvyaia fo^ii^ diovvaov xai JToae^Smvog, 
? lipscher Hermes der Wipd^ott 1878 8. 72. 



DEMETER. 265 

entscheiden; wahrscheinlicher jedoch waren sie selbständig 
und boten Abwandlungen einer Grundform dar, welche auch 
den einheimischen und älteren Bestandtheil der thelpusischen 
Sage ausmachte. Als probabel stelle ich die Hypothese auf, 
dass der Glaube an die Vereinigung des Poseidon und der 
Demeter aus der Anschauung des wogenden Kornfeldes 
hervorging. 

Doch die Sage von Phigalia erheischt noch eine be- 
sondere Betrachtung. Sie enthält einen Zug, der — soviel 
wir wissen -^ an keinem anderen Orte mit der Vermählung 
des Poseidon und der Demeter verbunden war, und gerade 
an ihn knüpft sich die Stiftung des Gultus. Die Göttin ver- 
barg sich zürnend in eine Höhle, und Misswachs befiel das 
ganze Land. Eines der Lieder aber, aus denen der home- 
rische Hymnus zusammengeschweisst ist, (A), enthielt ein ganz 
ähnliches Motiv. Demeter, ob des Raubes der Tochter den 
Göttern grollend, zieht sich in ihren Tempel zu Eleusis 
zurück, und alles Wachsthum auf Erden hört auf (o. S. 219). 
An eine Entlehnung der einen Erzählung aus der anderen ist 
nicht zu denken, es bleibt nur übrig ein gemeinsames Urbild 
vorauszusetzen, dem die phigalische Tradition unverkennbar 
näher steht als die dichterische Schilderung; diese macht 
den Eindruck der Abschwächung und Nachahmung, jene den 
einer ziemUch getreuen Copie des Originals, das wir vermuth- 
lich erhalten, sobald wir die Sache umkehren und als Glauben 
der Vorzeit annehmen: so oft Misswachs das Land 
verwüstet, weilt Demeter mit ihrer Wirksam- 
keit nicht in den Getreidefeldern, sondern von 
der Erde verschwunden hält sie sich zürnend in 
irgend einer dunkeln Felsspalte versteckt. Dann 
ist sie selbst die nächtige (jukaiva). Bei einem wirk- 
lichen Ereigniss dieser Art wird die Grotte im Elaion für 
das bestimmte Local des Vorgangs angesehen, und zur Ab- 
wendung des Uebels die Stätte des herbstlichen Erntefestes 
dorthin verlegt sein. Ist dies richtig, so kam die andere 
an sich vielleicht ebenso alte Sage, dass Poseidon Hippies 
mit der Göttin buhlte, erst später hinzu und wurde dazu 
verwandt, um den Zorn und die schwarze Gewandung der 



266 KAPITEL V. 

Demeter zu motiviren, wobei man die ursprüngliche und 
einfache Naturbeziehung beider Mythen verkennend durch 
ethische Umdeutung ' den Zusammenhang zwischen ihnen her- 
stellte. Auch wer umgekehrt wie wir die Vermählung des 
Meergottes mit der Getreidegöttin für das primäre, das Ver- 
schwinden der Demeter in die Berghöhle für das secundäre 
Element der Legende von Phigalia erklären wollte, würde 
zugestehen müssen, dass letzteres nicht ein beliebiger Aus- 
wuchs des ersteren gewesen sei, sondern ein von demselben 
ursprünglich unabhängiger Anwuchs, ein mythisches Gebilde 
von selbständigem Werthe. Für die Frage nach der Grund- 
bedeutung unserer Göttin lässt sich aus demselben ein aber- 
maliges und verhältnissmässig altes Zeugniss dafür entnehmen, 
dass Demeter, indem sie ihre Wirksamkeit 
übt, im Lichte der Oberwelt, über dem Erd- 
boden weilt, dass sie nicht aus der Erdtiefe 
heraufihren Segen spendet. An ihre Gegenwart 
ist also das Leben der Pflanze gebunden; ist sie nicht da, 
so vergeht diese. 

Die grundlegenden Untersuchungen Prellers über 
Demeter Erinys und Demeter Melaina (Demeter und 
Persephone. Hamburg 1837), denen unsere Erörterungen in 
den meisten Hauptstücken sich anschliessen, haben in den 
seitdem verflossenen vier Jahrzehnten keinesweges die Be- 
achtung und Nachfolge gefunden, welche sie verdienen. 
E. Curtius (Peloponn. I 372) z. B. deutet das im Onkeion von 
Thelpusa geborene Wunderross Areion noch ganz in Forch- 
haramers Sinne als einen durch Gebirgswasser angeschwellten 
Zufluss des Ladonstromes. Obwohl ihm Prellers Buch nicht un- 
bekannt geblieben war (vergl. Herabkunft des Feuers S. 98 
mit S. 29) und er selbst aus dem Pausanias das Material 
anführt, aus welchem unwiderleglich der wahre Charakter 
der Demeter Erinys als eines ziemlich jungen Mischungs- 
productes verschiedener Sagenelemente hervorgeht, unternahm 
A. Kuhn i. J. 1851 den mit grossem Beifall aufgenommenen 
Versuch, diese Göttin als eine Gestalt der proethnischen 
indogermanischen Vorzeit zu erweisen (Zs. f. vgl. Spr. 
I 439 -470, vgl. Zs. f. D. Myth. III 373 ff. 382). Im letzten 



DEMETER. 267 

Grunde beruht seine Arbeit auf 0. Müllers Hypothese (Die 
Eumeniden des Aeschylos 8. 168 ff.), nach welcher Demeter 
Erinys ein uralter einheitlicher religiöser Begriff gewesen sein 
sollte, aus dem sich erst später die Erinyen als selbständige 
Gottheiten losgelöst hätten. Sein Hauptargument beruht auf 
der durchaus irrigen Identificirung der thelpusischen Demeter 
mit der thilphossischen Erinys, mit welcher Ares den Drachen 
des Eadmos erzeugte.^ Letztere müsse ^ine Person mit 
Demeter sein, da diese nach einem Scholiasten (Schol. zu Eurip. 
Phoen. 694) Theben gegründet habe. Einige weitere hin- 
fällige Gründe kommen hinzu. Diese bereits von G. Hermann 
(Opusc. VI 2. S. 200) bestrittene Entwickelung hat in allen 
Einzelheiten eine gründliche und treffende Widerlegung durch 
A. Bosenberg (Die Erinyen. Berlin 1874 S. 31 ff.) gefunden. 
Von 0. Müllers Ergebnissen ausgehend glaubte A. Kuhn 
die sprachliche Einheit des Namens Erinys mit dem skr. 
Adjectiv saranyus eilig, schnell' nachweisen zu können, 
welches in den Veden als Name eines göttlichen Wesens 
verwandt wird, und er schloss daraus ohne Umstände auf 
historische Einheit weiter. Obwohl die Gleichung nicht völlig 
regelrechter Lautvertretung gemäss, und somit — weil auf 
Ausnahmen aufgebaut — nicht unbedenklich ist, erscheint 
sie zum mindesten als sprachlich möglich. (S. Curtius Grundz.'^ 
8. 346). Verschiedene Lieder enthalten den Mythus, Saranyü, 
Tvashtars, des Bildners, Tochter, habe vom Vivasvat das 
Zwillingspaar Yama und Yami geboren. Darauf sei sie 
in Rossgestalt entflohen, Vivasvat folgte ihr 
ebenfalls in ein Ross verwandelt nach und 
erzeugte mit ihr die beiden Reiter, dieA^vins 
d. h. die indischen Dioskuren. Aus der Bedeutung 'eilen d' 
erschloss Kuhn nach Roths Vorgange (Zs. d. D. morgenl. 
Gesellsch. IV 425) für Saranyü hypothetisch den Begriff 

1 Sohol. zu Soph. Anti^. 126. üeber die tilphossische Erinys sahen 
bereits Preller Dem. u. Perseph. S. 164 Anm. 48 und H. D. Muller Myth. 
d. Gr. St. U 2, 325 das Richtige. Dagegen erklärten sich Kampe 
(Erinnyes. Dissert. Berol. 1831), Prusinowski (de Erinyum religione. 
Dissert. Berol. 1844), K. F. Hermann Gottesd. Alterth. § 14, 11. 
Quaestt. Oedipod. S. 90 ff. für Einheit der Erinys und Demeter. 



268 KAPITEL T. 

der personificirten eilend dahin jagenden Sturm- 
und Wetterwolke. Durch völlig unsichere , zum Theil 
sehr gekünstelte Auslegung der darauf bezüglichen Yeden- 
stellen erklärt er sodann Ylvasvat ebenso für die Sonne, 
insofern dieselbe sich hinter den Wolkenwassern verbirgt, 
die in den Yeden häufig als Frauen, als Götterfrauen, als 
das Lied des Donners webend, und, wenn sie regenlos am 
Himmel hängen, als Däsapatnis d. h. als Herrinnen oder 
Gemahlinnen des bösen Feindes, des Dämons Yritra, bezeichnet 
werden. Yama (d. i. der Zwilling, geminus), der Herrscher 
der Todten, soll der Blitz sein, da ihn einige Commentatoren 
des Yeda mit dem Feuergott Agni identiticiren wollen, der 
seinerseits zuweilen als himmlisches Blitzfeuer, als aus 
der Wolke geboren, als Sohn der Wasser gefasst und als 
Koss poetisch verbildlicht wird. Sei Yama der Blitz, meint 
Kuhn, so müsse Yami, die Zwillingsschwester, der Donner, 
zugleich aber auch das Wolkenwasser und somit unter Um- 
ständen Däsapatnt sein. Die beiden Agvins sollen denselben 
Gedanken noch einmal ausdrücken und ursprünglich mit 
Agni und Indra zusammen fallen. Auf diesen zerbrechlichen 
und gekünstelten Unterbau stützt nun der berühmte Sprach- 
forscher die folgende Deutung des Mythus. 'Yivasvat (oder 
Savitar), der Gott der in den Wolken verhüllten Zeugekraft 
der Sonne, vermählt sich mit der stürmenden Wetterwolke, 
Saranyü, und zeugt Yama d. h. den Blitz, der zugleich 
König der Todten ist, und die Yami, die bis dahin Däsapatnt 
war, d. h. das mit Donnerhall niederfahrende Wolken wasser, 
den Regen. Nachdem der Gewittersturm vorüber und die 
Finsterniss, welche die einzelne Wolke verbarg, verschwunden 
ist, umarmt Savitar die nun zum fliehen den Wolken- 
ross sich gestaltende Göttin noch einmal. Er 
strahlt, noch verhüllt, feurig und mit goldenem Arm und 
zeugt so Agnis, er zerreisst endlich den hochzeitlichen Schleier 
und Indra, der blaue Himmel^ ist geboren.' Es Hesse siöh 
leicht aus Kuhns eigenen Yordersätzen nachweisen, dass diese 
Deutung des Mythus aus falschen Schlüssen besteht. Doch 
das würde hier zu weit fuhren, da für unsere Untersuchung 
picht der GedaQkßniohalt d$r indischen Sage an und für 



DEMETER. 269 

sich, sondern nur der Umstand von Wichtigkeit ist, dass 
Kuhn wegen der von ihm angenommenen Einheit der Saranyü 
und Erinys einerseits und der Erinys und Demeter anderer- 
seits und wegen der in der indischen und der griechischen 
Erzählung übereinstimmenden Rossverwandlung eines sich 
begattenden Götterpaares die historische Identität der helle- 
nischen und der vedischen Mythe schlechthin behauptet. In 
Folge dieser Identificirung, der sich noch diejenige von 
Dcspoina mit jenem 'Däsapatnf zugesellt, glaubt er sich 
berechtigt den meisten Personen des griechischen Mythus 
eine ganz andere Grundbedeutung zuzusprechen, als die- 
jenige, welche sie in geschichtlicher Zeit verrathen. Poseidon 
wird ihm zu dem im Gewitter gebietenden Lichtgotte (Zs. 
f. vgl. Spr. I 457), Despoina zur Regengöttin, das ßoss 
Areion (^weil der Pegasos, der des Zeus Blitz und Donner 
trägt, auch eine Schöpfung des Poseidon genannt wird) zum 
Blitze, Demeter ist ihm die Geuntterwolke. Den Inhalt der 
Mythen von Thelpusa und Phigalia fasst er (Zs. f. D. Myth. 
III 373) mit folgenden Worten zusammen: Der Grundgedanke 
derselben ist, dass der Gott, der ursprünglich nur im Luft- 
meere waltet, also der Gott des Luftmeers Poseidon, sich 
mit der finsteren Wetterwolke, Demeter, ver- 
mählte. Die Sprösslinge dieser Ehe sind das Blitz und 
Donner tragende Ross (Pegasos oder) Areion und die Eore 
oder Despoina, wobei ich bemerke, dass im indischen wie 
griechischen Mythos die beiden Eltern ebenfalls in Ross- 
gestalt erscheinen. Es sind eben die auf Sturmes- 
flügeln dahersch webenden Wetterwolken, die 
der Phantasie als Wolkenrosse erscheinen, die 
unter Blitz und Donner ihre segensreiche Vermählung feiern 
und die Frucht und Leben bringende Tochter Despoina, den 
Gewitterregen, in den Schoss der lechzenden Erde hinab- 
senden. Hier raubt sie, wie die griechische Darstellung den 
Mythus fortsetzt, der Gott, der in der Unterwelt gebietet, 
und führt sie in seine Hallen , von wo sie ihren Segen in 
tausend Keimen emporspriessen lässt, hier weilt sie in den 
unterirdischen Quellen während der einen Hälfte des Jahres, 
um beim Beginn der andern in luftigen Nebeln emporzu- 



270 KAPITEL V. 

steigen, bis der ewig wiederkehreDde Jahreslauf sie wieder 
hinabführt in die Arme ihres finsteren Gatten/ Kuhn will 
bei dieser Deutung den Begriff der Demeter als Göttin der 
Fruchtbarkeit festgehalten wissen, aber die Quelle der Frucht- 
barkeit soll eine andere sein, als nach der landläufigen Auf- 
fassung (Zs. f. vgl. Spr. I 455). Zur Stütze seiner Ansicht 
bringt er bei, dass Demeter im homerischen Hymnus eine 
Fackel in der Hand tragend und mit einem schwarzen Ge- 
wand bekleidet daherstürme; das sei eine deutliche Personi- 
fication der blitzsprühenden Wetterwolke. Wir kommen 
weiter uaten auf die Stichhaltigkeit seiner einzelnen Argu- 
mente zurück. 

Kuhns Deutung übte eine fast berauschende Wirkung. 
Namhafte Linguisten, z. B. Delbrück (Zs. f. Völkerpsych. 
m 292. 295), Steinthal (Mythos und Religion S. 12. 13), und 
einzelne klassische Philologen, z. B. E. Petersen (Kritische 
Bemerkungen zur ältesten Geschichte der griechischen 
Kunst S. 38) schlössen sich derselben an und spannen sie 
weiter aus oder suchten sie in Nebensachen zu modificiren. 
So erklärt W. Sonne Poseidons Amt als Meergott für 
secundär; in älterer Zeit war er der im "Wolkenmeer wal- 
tende Helios. Helios - Poseidon - Phytalmios nun, der in 
der Sintfluth herrscht über Wolken, Wind und Sturm, (Zs. 
f. vgl. Spr. X 130. 181 ff.) zeugt mit der aus einem Attribut 
der Erinys selbständig gewordenen und zur Göttin des ur- 
baren Bodens, der agrarischen Siedelung, des Ackerbaus um- 
gebildeten Demeter (a. a. 0. 133) das Ross Areion d. h. die Sonne 
als Ross gedacht und dieDespoina d. h. den Mond (a.a.O. 134). 

Max Müller stimmt mit Kuhn zwar in der Identificirung 
der Saranyü mit Demeter - Erinys überein, aber, von der 
Theorie eines solaren Substrats aller Mythologie ausgehend, 
zeigt er, dass die Vedenlieder weder irgend einen Beweis 
noch auch nur irgend einen Anhalt für Kuhns Auffassung 
der Saranyü als Wetterwolke darbieten, und er sucht nun 
seinerseits darzuthun, dass sie der Ushas (d. h. der Abend- 
und Morgenröthe) gleichstehe. Saranyü heirathet den Vivasvat, 
d. h. die Morgenröthe umarmt den Himmel, und gebiert die 
Zwillinge (Yama und Yamt), d. b. Nacht und Tag, und die 



DEMETER. 271 

als Rosskinder oder Reiter gedachten Agvinen d. h. Morgen 
und Abend (Lectures on the science of language. 2. Ser. S. 556. 
Vorl. üb. d. Wissensch. d. Spr. bearb. v. Böttger. 2. Ser. S. 446 flf. 
468). 'Mit der Legende, nach der Saranyü und Vivasvat 
die Gestalt Yon Pferden annehmen, kann einfach eine Er- 
klärung des Namens ihrer Kinder, der Agvins, beabsichtigt 
sein (a. a. 0. S. 446). Die Begründung dieser Resultate 
möge man in Müllers Buche selbst nachsehen. Erinys (die 
Rachegöttin) = Saranyü war die Morgenröthe, welche alles 
nächtige Wesen verfolgt. 'Wenn der Name Erinys bisweilen 
auf Demeter bezogen wird, so geschieht dies, weil die griech. 
D66 die vedische Dyävä war und also Döm^t^r, Dyäva mätar, 
die Morgenröthe, die Mutter, entsprechend dem Dyaush pitar, 
dem Himmel, dem Vater. Erinya-Demeter wurde wie Saranyü 
in eine Stute verwandelt, sie wurde von Poseidon als Hengst 
verfolgt, und zwei Kinder wurden geboren, eine Tochter 
(Despoina) und Areion. Poseidon würde sich, wenn er die 
aus der See aufsteigende Sonne ausdrückte, dem Varuna 
nähern, welcher an einer Vedastelle der Vater des Rosses 
oder des Yama genannt wurde (a. a. 0. 474). 

M.Müller fand Nachfolge in E. Burnouf, der (La legende 
Athenienne, etude de mythologie comparöe. Paris 1872 c. 4 
S. 132. 133) in der Erörterung des Poseidonmythus (gestützt 
auf die vereinzelte Angabe eines vedischen Liedes, nach 
welcher es von der Morgenröthe heisst, dass sie wie ein 
glänzendes Ross erscheine) die Erinys mit Ushas identificirt. 
Die Vereinigung der Demeter Erinys = Ushas mit Poseidon, 
welcher ihm als Regengott = Parjanya gilt, ist ihm die 
Vereinigung des himmlischen Lichtes mit dem 
Gott des Himmelsoceans, aus welcher das 
Sonnenross entspringt.' A. de Gubernatis (Die 
Thiere in der indogerm. Myth. S. 269) entscheidet nicht 
zwischen Kuhns und M. Müllers Deutung : 'Mag Saranyü die 
Wolke oder die Aurora sein, wir haben in ihr auf alle Fälle 
eine Stute zu sehen, welche die Sonne, der Sonnenheld oder 
Sonnenhengst begattet, um die Zwillingshelden (die A^vins) zu 
zeugen, die aus diesem Grunde auch die beiden Söhne der Stute 
heissen.* L. Myriantheus aber (Die Agvins. München 1876) 



272 KAPITEL y. 

behauptet ä. 56 und zeigt nach erneuter Untersuchung aller 
einschlägigen Lieder, dass sich aus keiner Stelle des Rigveda 
der Beweis weder für die Erklärung Kuhns noch für die- 
jenige M. Möllers erbringen lasse, dass die von denselben an- 
gezogenen Yerse die aus ihnen hergeleiteten Folgerungen nicht 
gestatten. Er selbst deutet Saranyü als die Nacht (^017 
vi;$), die bei der ersten Berührung mit Vivasvat d. h. dem 
leuchtenden Himmel die Zwillinge Yama und Yamt d. h. 
die Abenddämmerung, bei der zweiten Begegnung die 
Agvins d.h. die Repräsentanten der Morgendämmerung 
zeugt. Ais Personification der Abenddämmerung ist Yama 
Todesgott (a. a. O. 56. 65. 62 S.). 

Durch Kuhn angeregt und voreingenommen gelangte 
W. Schwartz von seinem Standpuncte aus nahezu zu den- 
selben Ergebnissen, wie dieser. Demeter ist nach ihm nur 
fälschlich für eine Erdgottheit gehalten, sie ist vielmehr 
die Gewitteralte (Urspr. d. Myth. 67), die alte 
Qewittergöttin, die in Winterstüruien herrscht 
(^Urspr. 178). Als solche ist sie cpoiviKons^a (o. 8. 236), Ttvavo- 
nsnXog (Urspr. 167. 217. 164), schwingt sie Fackeln d. h.' 
Blitze, ist ihr der Drache d. h. der Blitz gesellt (Urspr. 38. 
75. Poet, ^aturansch. I 188), streut sie Samen d. h. Blitz- 
funken (Urspr. 139. 174). Der Regenbogen ohne Blitze, 
welcher während des Winters im Süden sich zeigt, gab Yer- 
anlassung ihr eine Sichel (0. S. 229) beizulegen (Urspr. 135 
140. Naturansch. 228). Im Blitzfeuer hegt sie den Demophoon, 
der Aufschrei der sie belauschenden Mutter ist der Donner- 
hai 1 (Urspr. 122. 123). Die Erinyen sind Öewittergeburten mit 
Schlangenhaaren d. h. Blitzen (Urspr. 246) ; Demeter Erinys 
ist Ausdruck des grollenden Donners (Urspr. 162), 
identisch mit Styx, der entsetzlichen Wassergöttin des Ge- 
wittergusses (Urspr. 71). Alä solche vermählt sie sich mit 
Poseidon d. h. dem der dunkeln Wolke nachjagenden Sturm- 
gott, der den Dreizack d. h. den Blitz (trisulcum Jovis telum) 
schwingt, und dessen Terrain ursprünglich der Himmel war 
(Urspr. 127 Nat. 242). Somit hat die Mythe von Thelpusa 
folgenden Gedankengehalt. Tom Sturmgott Poseidon ver- 
folgt, kommt Demeter ^Eoiwvq^ die schwarze Gewitterwolke, 



DEMETER. 273 

grollend dahergejagt.' Plötzlich erschallt Donnerlaut, der wie 
das Dröhnen von galoppirenden Pferden tönt, und BUtzfunken 
: sprühen, die wie das Sprühen ihrer Hufe erscheinen, d. h. 
in mythische Anschauung umgesetzt : die himmlischen Wesen 
haben sich in Rosse verwandelt, und Despoina, die jugend- 
liche Gewittergöttin des Sommers, und Areion, das sommer- 
liche Donnerross, sind ihre Geburten (XJrspr. 169). Der 
Pferdekopf der Demeter Melaina zu Phigalia soll den Ge- 
witterkopf d. h. die Gewitterwolke in der Auffassung als ein 
uiJgeh eurer Kopf (Gorgonenhaupt) darstellen (Urspr. 169). 
Im Mythus von Jasion (o. S. 238 ff.) dagegen deutet 
Schwartz die Demeter als die im Gewitter sich 
vermählende Sonnengöttin (Nat. 217). 

Mit der Yorbemerkung, dass er nicht zu den principiellen 
Gegnern der vergleichenden Mythologie gezählt zu werden 
wünsche, sprach sich H.D.Müller (Myth. d. Gr. Stämme II 2 Göt- 
tingen 1869) dahin aus, dass Kuhns (und seiner Nachfolger) 
mythologische Ansichten durch und durcb falsch seien (S. 245). 
Er übt daran (S. 226—248) eine Kritik, welche des Treffenden 
viel enthält und u. a. den Nachweis liefert, dass Kuhn selbst 
die Thatsachen, mit denen er operirt, und deren Vereinigung 
nicht selten durch blosse Vermuthung herstellt. Diese Aus- 
einandersetzung berührt S. 238 — 244 auch unseren Demeter- 
mythus. Es werden sodann S. 245 sehr richtige Principien 
für die mythologische Forschung theoretisch ausgesprochen; 
sobald aber H. D. Müller dazu schreitet, dieselben selbst in 
Anwendung zu bringen, leidet er kläglich Schiffbruch und 
verfällt in einen durchaus unwissenschaftlichen Synkretismus. 
Indem er nämlich S. 287 aus der Angabe ApoUodors, Jo sowohl 
als Demeter seien von Aegyptern Isis genannt worden, die 
Identität der beiden ersteren folgert, gewinnt er das Ergeb- 
niss, dass Demeter die Bedeutung einer Mond- 
und Erdgottheit in sich vereinigte, dass Europa 
und Pasiphae Hypostasen derselben, dass Hermes als ihr 
ursprünglicher Gemahl gedacht war. Die Mythe von Thel- 
pusa erklärt er, ohne im einzelnen ihren Ursprung aufzu- 
hellen, für eine aus localen Einflüssen hervorgegangene 
Combination eines schon jüngeren Zeitalters (S. 414). 

QP^ LI. 18 



274 KAPITEL V. 

Man sieht wohl , die Ergebnisse der auf vorstehenden 
Blättern genannten Forscher breiten eine bunte Musterkarte 
überraschender Hypothesen vor unseren Blicken aus. Dem 
einen ist Demeter die Sturmwolke, dem anderen Gewitter- 
alte, Sonnengöttin, Erd- und Mondgöttin, Morgenröthe oder 
Nacht; Poseidon das Luftmeer, Sturragott, aus dem Luft- 
meer aufsteigende oder im Gewölk verborgene Sonne, Regen- 
gott; Despoina Hegen, Donner oder Mond; das Boss 
Areion Blitz, Sonne oder sommerliches Donnerross; die 
Erinys Wetterwolke oder Morgenröthe. Bei aller Ab- 
weichung unter einander haben jedoch alle diese Deutungen 
das Gemeinsame, dass sie als den Ausgangspunct jeder- dieser 
Gottheiten die Personification einer himmlischen Naturer- 
scheinung setzen, eine spätere Localisirung derselben auf die 
Erde und damit eine Verschiebung ihrer ursprünglichen Wirk- 
samkeit annehmen, und dass sie die in historischer Zeit gang- 
baren Mythen und Legenden sämmtlich oder der Haupt- 
masse nach für Ausgestaltungen jener später verdunkelten 
Grundideen erklären. An und für sich liegt jaun eine der- 
artige Entwickelung nicht ausserhalb des Bereiches der Mög- 
lichkeit. Die Aufstellung einer Getreidegöttin, die ursprüng- 
lich Wolkengöttin, eines Meergotts, der einst Herr des Luft- 
meeres war, verliert den Schein des Widersinnigen, sobald 
man sich erinnert, dass Regen- und Gewittergottheiten nicht 
selten als Geber der vegetabilischen Fruchtbarkeit gefeiert 
werden, und dass der vedische Gott des allumfassenden 
Himmels Varuna, welcher in den Wassern des Luft- 
meeres, von ihnen als 'Schwestern und Gattinnen' umgeben, 
wohnt und, indem er ihre Wasser auf die Erde hinabströmen 
lässt, zum Spender des Regens und Schöpfer der 
Ströme wird, ^ bei den späteren Indern lediglich die 
irdischen Gewässer, insonderheit den Ocean be- 
herrscht. 2 Wie Poseidon seinen goldenen Palast in der Tiefe 
des Meeres hat, heisst es von Varuna (Ath. Veda VH 83, 1): 
*In die Wasser (Himmels wasser) ist dein goldenes Haus 
gebaut'. Und selbst zu dem Poseidon Hippies besteht eine 

1 A. Hillebrandt Varupa und Mitra. Breslau 1877 S. 4-7. 83—88. 

2 Wollheim da Fonseca Myth. d. alt. Indiens. Berl. 1856 S. 100 ff. 



DEMETER. 275 

gewisse Analogie, insofern die Sonne als ein dem Yaruna 
gehöriges, in der Mitte der Wasser geborenes Boss, dem- 
nächst Varuna selbst als der Schützer und Oberherr der Ein- 
hufer bezeichnet wird.i Wer nun aber diese mythologischen 
Thatsachen als Analogien zur Demeter- und Poseidonsage 
verwenden wollte, müsste zuvor entweder als unumstössliches 
Axiom nachgewiesen haben, das Substrat sämmtlicher 
Gottheiten seien himmlische Naturphänomene gewesen 
(dies ist aber so wenig der Fall, dass selbst in den Yeden 
zahlreiche Götter angetroffen werden, welche ihre Wirksam- 
keit ausschliesslich auf der Erde entfalten, z. B. Prithivt die 
Erdgöttin, Sita die Furche, o. 8. 242, Arany&nt die Wald- 
frau, Eshetrasyapati der Feldesherr, Västoshpati der Woh- 
nungsherr), oder er müsste dargethan haben, dass die von 
beiden Gottheiten überlieferten Mythen aus dem in geschicht- 
licher Zeit von ihnen vertretenen physischen oder ethischen 
Ideenkreise sich nicht hinreichend, dagegen befriedigend nur 
aus der Hypothese jenes meteorischen Amtsgebietes erklären 
lassen. In Betreff der Demeter ist das nun ganz und gar 
nicht der Fall. Kein einziger Zug gibt uns irgendwie ge- 
gründeten Anlass, ihr Leben auf dem Terrain des Wolken- 
himmels statt auf der Erde sich abspielen zu lassen. Denn 
das Einzige, was man mit Schein dafür angeführt hat, der 
eilende Lauf, das schwarze Gewand und die Fackel der 
suchenden Göttin, das Feuer, in dem sie den jungen Demo- 
phoon hegt, begreift sich — wie wir sehen werden — theils 
aus ätiologischer Sage, theils als epische Ausschmückung und 
ergibt sich bei kritischer Untersuchung mit Nothwendigkeit 
als jüngeres Beiwerk, keinesweges als alter Bestand- 
theil der ursprünglichen Vorstellung. Eine befriedigende Er- 
klärung aus den wirklich bezeugten Bildungen einer 
dem Zeitalter der Aufzeichnung näher stehenden Epoche 
darf aber im allgemeinen schon von vorne herein eine grössere 
Wahrscheinlichkeit beanspruchen, als das Zurückgehen auf 
die Erinnerung an eine durch blosse Vermuthung hergestellte, 
seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden vergessene oder ver- 



1 Hillebrandt a. a. O. 34. 

18* 



276 KAPITEL V. 

dunkelte Urbedeutung. Und zugegeben, dass nntet Um- 
ständen der Blitz eine Fackel, ein Feuer, die Wolke 
ein dunkles Gewand genannt werden konnte, so ist doch 
weder jede Fackel, jedes Feuer in der Poesie oder Mythologie 
metaphorisch zu nehmen, und, wo dies am Platze ist, wird 
nicht jedesmal Gewitterleuchten verbildlicht. Was gibt 
denn nun irgend welche Berechtigung, diese Dinge in dem 
Demetermythus gerade in jenem Sinne zu deuten? Wenig 
anders steht es mit Poseidon. Einige Züge seines Wesens 
lassen die Möglichkeit eines himmlischen Ausgangspunctes 
seiner Gestalt zu, aber sie sind zu vereinzelt und zu unsicher, 
um eine solche Annahme zur Wahrscheinlichkeit zu erheben; 
das Meiste, was zu Gunsten derselben vorgebracht ist, schlägt 
völlig fehl. Man muss Kuhn (Zs. f. vgl. Spr. I 456) zu- 
geben, dass die Doppelbedeutung Poseidons als Meergott und 
Phytalmios aus der Hypothese, er sei ursprünglich Gott 
der Himmelsgewässer gewesen, eine annehmbare Er- 
klärung fände, ^ aber nothwendig ist diese Annahme nicht 
(o. 8. 262). Dass Poseidon Stürme erregt, Wasser und 
Land zu Zeiten in Nebel, Wolken und Finsterniss hüllt, be- 
greift sich vollständig aus einer hyperbolischen Schilderung 
seines Waltens in den wechselnden Zuständen der irdischen 
See, und es ist einfach nicht richtig, dass sich das nur aus 
jener umfassenderen Yorstellung von ihm herleiten lasse. 
Sein goldener Palast, seine goldene Rüstung und goldene 
Geissei, die Goldmähnen seiner Rosse, sollen treffender auf 
den aus der Fluth sich erhebenden Sonnengott bezw. im 
Gewitter gebietenden Lichtgott passen. In der That dem 
Himmelsgott Yaruna eignet ein goldenes Haus inmitten der 
Wasser (o. S. 274); aber liegt es nicht mindestens ebenso 
nahe, dass der Dichter der durch und durch anthropomor- 
phischen Schilderung II. XTTI 17 ff. in jenen Beiwörtern, 
statt uralte Erinnerungen unbewusst festzuhalten, die vom 
Meeresleben entlehnten Metaphern von dem Gesichtspunct 



1 Nur darf roan in keinem Falle Yiyasvat, den Himmel, eine 
andere Benennung des YaruQa, mit Savitar, dem Sonnengott, einfach 
identificiren, wie Kuhn thut. 



DEMETER. 277 

aus weiter bildete, dass den Besitzthümern der Götter nur 
das Gold als das kostbarste Material gemäss seiP Noch 
weniger zeigt sich Poseidon, insofern er Schöpfer des Rosses 
ist, entschieden als der in den Wolken gebietende Licht- 
gott', da das Ross nicht allein Naturbild Einmal der Sonne 
oder der Sonnenstrahlen der Morgenröthe, ein andermal der 
Winde, noch anders der Wolken, sondern auch der wind- 
bewegten Meereswelle (o. S. 263) war. Zwar Pegasos, der 
nach Hesiod dem Zeus Blitz und Donner trägt, heisst erzeugt 
vom Poseidon, aber dies doch nur durch Analogieschluss aus 
dem Grunde, weil derselbe schon einmal als Erzeuger der 
Rosse formelhaft feststand. Aus gleicher Ursache ist er der 
Yater des Areion, der doch ganz und gar nichts mit irgend 
welcher Naturerscheinung zu thun hat, von Kuhn aber durch 
völlig unberechtigte Identificirung mit Pegasos zum Wolken- 
ross oder Blitzross gestempelt wird.^ 

Die Despoina meint Kuhn als Personification des 
Regens dadurch zu erweisen, dass er diesen Namen etymo- 
logisch dem indischen Worte däsapatnt gleichsetzt (d. i. 
Herrin oder Gebieterin des Feindes oder des Sklaven, oder 
den Feind zum Gebieter habend), welches im Veda als Bei- 
wort der vom Dämon Vritra * gefangenen Wolkenwasser, 
Wasserfrauen, verwandt wird. Allein gesetzt auch diese 
Etymologie wäre richtig, was Curtius (Grundz. * 284) leugnet, 
so ist doch augenscheinlich der griechische Name erst in der 
jüngeren Bedeutungsentwickelung 'Herrin, Hausfrau' in den 
Mythus eingetreten und daher ungeeignet, eine ältere Natur- 
bedeutung zu bezeugen. 

Von den Erinyen enthält die ältere griechische Poesie 
keinen Zug, der uns bestimmen müsste, sie Yür eine besondere 
Form der Demeter und Köre zu halten (Kuhn, Zs. f. vgl. 
Spr. I 455), noch weniger gibt sie einen Anhalt für die 



1 Zs. f. vgl. Spr. I 460. 463. Zs. f. D. Myth. III 373: 'Die 
Sprösslinge dieser Ehe (des Poseidon und der Demeter-Erinys) sind das 
Blitz und Donner tragende Ross (Pegasos oder) Areion und die Kord 
oder Despoina*. Man bemerke, wie Kuhn seiner Hypothese zu Liebe 
hier die Thatsachen verändert. Weder trägt Areion Blitz und Donner, 
noch ist die Eore Tochter der Demeter-Erinys. 



278 KAPITEL V. 

Unterstellung, dass dieselben von Hause aus etwas anderes 
waren als Personificationen der ethischen Idee, die eilenden 
(ra/Hai) Bächerinnen des Naturwidrigen zu sein.^ Dieser 
Begriff könnte immerhin in die höchste Urzeit des Hellenen- 
stammes zurückreichen, ohne aus einer physischen Yorgestalt 
erwachsen zu sein. Für die Vorstellungen von der den 
rächenden Strahl sendenden Gewitterwolke, sowie für die 
sachliche Identität mit der indischen Göttin Saranyüs gewährt 
weder das homerische Beiwort ^sgoipoTvig d. i. schnell durch 
die Luft herbeieilend ein Zeugniss, noch der Name Erinys, 
selbst wenn dieser sprachlich mit dem vedischen Adjectiv 
saranyüs schnell (St. sar, vergl. oq/litj Eile) sich decken 
sollte (vergl. o. S. 267). Wie könnten vollends die von 
Aeschylus in seiner Darstellung der Eumeniden noch nicht 
verwendeten, erst seit der Zeit des Euripides in die Poesie 
eingeführten Fackeln^ die den Frevler treffenden Blitze 
(Kuhn, Zs. f. vgl. Spr. I 455) bezeichnen? 

Wenn alle diese von Kuhn beigebrachten Gründe theils 
durchaus hinfallig sind, theils durchaus nicht hinreichen, um 
für irgend eine der in Bede stehenden Gottheiten eine 
meteorische Grundbedeutung zu erweisen, so fragt es sich, 
ob die Uebereinstimmung der griechischen Sage von Demeter- 
Erinys und der indischen Sage von Saranyüs (die übrigens 
zum Ausgangspunct einer vergleichenden Mythenstudie wenig 
geeignet erscheint, so lange ihre Hauptfiguren noch den 
Gegenstand der heterogensten Auslegungen von Seiten der 
Vedenkenner bilden) so vollständig und durchschlagend ist, 
dass daraus für die handelnden Personen der arkadischen 
Mythe dieselbe Bedeutung wie für diejenigen der indischen 
mit zwingender Nothwendigkeit gefolgert werden müsste. 
Kuhn glaubt dies. Bei Lichte besehen verflüchtigt sich die 
gerühmte Congruenz jedoch in eine sehr entfernte Aehnlich- 
keit eines einzelnen Zuges, der Verwandlung zweier Götter 
in Bossgestalt, und daneben allenfalls noch in eine rein 
äusserliche und zufällige Berührung (durch Verwendung der- 

* Rosenberg Erinypn S, 1 ff. 
2 Roseqberg a, a. O. 12—14. 



DEMETER. 279 

selben Wortstämme) in den Eigennamen SaranyAs und Erinys. 
Alles übrige deckt sich nicht. Das wird noch einleuchtender, 
sobald man die Sage von Thelpusa der kritisch historischen 
Betrachtung unterwirft und die beiden rein äusserlich an 
einander gewachsenen Bestandtheile, den Demetermythus und 
die Areionlegende, von einander sondert (o. 8. 252 ff.). Dann 
bleibt als Object der Vergleichung eine zwiefache Sage be- 
stehen. Die eine lautet dahin, dass die Erinys mit 
Poseidon Hippies das Boss Areion zeugte. Aus 
ihr kann, da von Demeter keine Rede ist, über das Wesen 
dieser Göttin nichts entnommen werden, selbst wenn Identität 
mit der indischen Sage vorhanden wäre. Zum Ueberfluss 
aber darf mit unumstösslicher Gewissheit behauptet werden, 
dass in ihr die handelnden Figuren nur die Rachegöttin, den 
Meergott in setner Eigenschaft als Rosserzeuger und das 
Schlachtross als Freund der Helden bedeuten, während die 
angebUch entsprechenden Personen des vedischen Mythus 
Saranyüs, jedesfalls Personification eines himmlischen Natur- 
phänomens, Yivasvat, der Himmel, und die Agvins, die 
ersten Lichterscheinungen des Morgens, von Grund aus ver- 
schieden sind. 

Sind wir im Recht, als zweiten Grundbestandtheil der 
thelpusischen Sage die arkadische Ueberlieferung aufzustellen, 
Demeter zeugte mit Poseidon Hippies die Des- 
poina (o. S. 260. 261), so gestaltet sich damit die Sache 
um nichts besser zu Gunsten der Kuhnschen Hypothese. Denn 
mit der Erinys fehlt hier das Verbindungsglied, welches 
zum indischen Mythus hinüberführt. Als einzige flüchtige 
Aehnlichkeit bleibt bestehen, dass Despoina, die Tochter der 
Demeter, Königin des Todtenreiches, Yami, die Tochter der 
Saranyüs, Zwillingsschwester des Herrn der Verstorbenen ist. 
Beide Mythenwesen aber sind grundverschieden, und ihre von 
Kuhn versuchte Vermittelung durch die Identificirung der 
Namen Despoina und Däsapatni ist auch sachlich verfehlt, 
da der Yami niemals im Veda der Begriff und Name der 
Däsapatnt zuertheilt wird. Alles in allem genommen, 
die Saranyusmythe und die Sage von Demeter- 
Erinys sind incongruent, und die eine kann 



280 KAPITEL V. 

keinen Erklärungsgrund für die andere und für 
die darin auftretenden mythischen Persönlich- 
keiten abgeben. 

Mit Kuhns Ausführungen ist auch den auf gleichem 
Grunde ruhenden Deutungen von Max Müller, Schwartz u. a., 
die im wesentlichen nur durch abweichende Auffassung der 
Saranyüs von einander verschieden sind, der Boden entzogen. 
Ich halte mich daher für berechtigt, mit der grössten Be- 
stimmtheit den Satz auszusprechen, dass bisher noch 
jeder einzige Versuch gescheitert ist, als 
Grundbedeutung für Demeter die Personifi- 
cation eines am Himmel spielenden Natur- 
Yorganges, sei es der Wolke, der Sonne, der 
Morgenröthe oder des Mondes nachzuweisen- 

Dieses negative Ergebniss ist nicht allein für unsere 
vorliegende Untersuchung von Wichtigkeit, sondern hat eine 
allgemeinere Bedeutung. Wer die Entwickelung der ver- 
gleichenden Mythologie von Arbeit zu Arbeit miterlebt hat, 
erinnert sich, dass gerade Kuhns Aufsätze über Hermeias- 
Särameyas (Haupt Zs. 6, 117) und über S&ranyü - Erinys, 
indem ihre Ergebnisse von ihm und anderen als erwiesen 
betrachtet wurden, die in den letzten Jahrzehnten zum Ge- 
meingut eines grossen Theiles der Forscher gewordene Ueber- 
zeugung begründet haben, einmal, dass so zu sagen alle 
Mythen arischer Völker in den Veden ihre Prototypen fänden, 
andererseits, dass mit geringen Ausnahmen die gesammte 
Mythologie in ein auf die Erde übertragenes Spiegelbild des 
gegenseitigen Verhaltens coelestischer Naturmächte sich auf- 
löse. W^nn nun die erste Grundlage unhaltbar war, wie 
wir für Saranyüs dargethan zu haben glauben, W. Röscher 
(Hermes der Windgott S. 9 ff.) für Hermes-Särameyas erwiesen 
hat, so zeigt es sich, dass ein grosser Theil der Voraussetzungen 
hinfällig wird, auf denen Zug um Zug sich das System weiter 
auferbaute. Zwar bin ich überzeugt, dass die von den neu- 
gewonnenen Gesichtspuncten ausgehende Untersuchung in 
mehreren Fällen, wo sie auf wirklich analoge und congruente 
Erscheinungen (z. B. die Dioskuren und Agvins) traf, brauch- 
bo^re und werthvoUe Ergebnisse geliefert und ein auf anderem 



DEMETER. 281 

Wege nicht erreichbares Yerständniss ermittelt hat; aber ak 
allgemein giltig bewahrheiten sich die beiden oben ge- 
nannten Sätze nicht, und als durchstehendes heuristisches 
Princip — dies müssen die vorstehenden Erörterungen jedem 
Unbefangenen klar machen — dürfen sie nicht verwendet 
werden. 

S 5. DER NAME DEMETER. 

Nachdem sich im vorigen Abschnitt alle übrigen Hypo- 
thesen über die Urgestalt der Demeter als verfehlte heraus- 
gestellt haben, sieht sich die Forschung auf die Wahl 
zwischen den beiden Bedeutungen der Erdgöttin und der 
Pflanzenseele zurückgewiesen. Unsere Untersuchung wendet 
sich zunächst dem Namen der Göttin zu. Gewährt etwa 
dieser die Auskunft, welche die litterarischen Denkmäler ver- 
sagen P Schon die alten Grammatiker haben sich lebhaft mit 
der Etymologie des Wortes Demeter beschäftigt und den 
Kreis der denkbaren Erklärungen erschöpft — in der grossen 
Schatzkammer des Etymologicum Magnum sind dieselben 
unter Jtj/Li^rtjQ und Jtjoj gesammelt — ; die Neueren 
schlössen sich nach Gutdünken der einen oder der anderen 
an, brachten jedoch kaum eine weitere hinzu; auch die 
wissenschaftliche Sprachforschung muss sich begnügen, eine 
jede derselben auf ihren Werth zu prüfen und die Fülle der 
Einfälle auf einige wenige annehmbare Möglichkeiten ein- 
zuschränken. 

Schon beim Eintritt in die Erörterung erhebt sich die 
Vorfrage, ob ^rjf^ijrTjg als einfaches oder als zusammen- 
gesetztes Wort zu betrachten sei. Der ersteren Ansicht 
huldigen Leo Meyer,^ Sonne^ und, wie es scheint, K. Lehrs.^ 
Die beiden letzteren legen 'i-^/nog als Etymon zu Grunde und 
übersetzen *Demosgöttin' (Lehrs) oder 'Stifterin, Beschützerin 
des Demos, der agrarischen Siedelung (Sonne). Aber der 



1 BemerkuDgen zur ältesten Geschichte der griechischen Mytho- 
logie. Göttingen 1857. S. 57. 

» Zs. f. vgl. Sprachf. X 133. 

' Populäre Aufsätze aus dem Alterthum* S. 97. 



282 KAPITEL V. 

Begriff des 'Agrarischen* ist dem Worte fremd, d^^og heisst 
die Yolksgemeinde und das von derselben bewohnte Gebiet. 
Letzteres kann unter Umständen zwar als zum Ackerbau 
geeignet («v jiiovi ötj/lim) bezeichnet werden. Doch wie stimmt 
die Bedeutung 'Gaugöttin, Göttin der Landschaft' mit den 
§ 3 entwickelten Verrichtungen der Demeter? Diesem sach- 
lichen Bedenken stehen weit grössere sprachliche zur Seite. 
Lehrs geht ihnen aus dem Wege, indem er die unverständ- 
lich gewordene Ableitung unberücksichtigt lässt, Sonne lässt 
an den Stamm J^^ao unmittelbar das Suffix tar, tär ange- 
hängt sein, welches bekanntlich Nomina agentis bildet, deren 
eine Gruppe die uralten Verwandtschaftswörter na-rr^Q (St. 
7ia-xeQ\ iLttj»T7]Q (St. f.iri'T£Q), &vyd-T7]Q (St. d-vya'TfQ\ eIvol' 
'TSQsg (St. eiva'T6Q, Würz, yam vergl. skr. yan-tar, lat. jani- 
-tri-ces) umfasst, während eine zweite Klasse die grosse 
Sippschaft der Masculina auf -'tloq^ -trjQ (St. toq^ rrjg) und 
die Feminina auf -vstQu (St. r^^) in sich schliesst. Die 
Verlängerung des Themas Jtj/ho-tsq zu ^TJ/nTj-reg soll nach 
Sonne durch den Dactylus geboten sein (vergl. eXatprj-ßoXo 
oocpui'TSQo), Er vergisst aber, dass das in Rede stehende 
Suffix tar nur mit Verbalstämmen, niemals mit Substantiven 
sich verbindet. Von dij/Liog könnte der Name unserer Göttin 
daher nur durch Vermittelung eines denominativen Verbums 
Ö7]fj,(iü) oder ^ij/new abgeleitet sein, wie z. B. xocrjutj'TrJQ durch 
das Zwischenglied xoa/Liko von xoa/Liog^ evva-TtjQ, svvärwQ durch 
evvdo) von svvrj. Dann aber müsste zfTj/urjTTjQ^ /Jjj/LiijrwQ oder 
Jrjf^TJ'Tstga erwartet werden, und die Bedeutung wäre 'volk- 
bildend, .eine Gemeinde hervorbringend', keinesweges ein dem 
Wesen der Getreidegöttin entsprechender Begriff. Leo Meyer 
wird — wie es nicht anders zu erwarten steht — den sprach- 
lichen Anforderungen besser gerecht, indem er Jrjf^TJvfjQ durch 
Uebergang des anlautenden y zu d aus einer hypothetischen 
indogerm. Urform Yämä-tar von Wurzel yam bändigen zu- 
sammenhalten (= dam , damyämi aus djamyämi , griech. 
da/Lt urspr. djafi^ Ja^-ccw, ödgMvrjfu ^ lat. dom, domare, goth. 
tam-jan zähmen, Zs. f. vgl. Spr. XI 12—14. Curtius Grundz.^ 
608) nach Analogie von skr. jämä-tar Schwiegersohn aus 
Wurzel jam = griech. ya/Lcscj hervorgehn lässt. Den Begriff 



DEMETBR. 283 

Bändigerin sucht er durch die Unterstellung zu rechtfertigen, 
dass Demeter als Erdgöttin mit dem indischen Unterwelts- 
gotte Yama zusammenhange. Ist es aber schon misslich, 
die Entstehung des Wortes Demeter geradezu bis in jene 
urälteste Periode hinaufzurücken , in welcher die Ver- 
wandtschaftsworte sich ausbildeten, so widerspricht Meyers 
Etymologie in sachlicher Hinsicht allen überlieferten That- 
sachen, da Demeter niemals Todtengöttin , Yama niemals 
TJnterweltsgott war, und der Name des letzteren zwar 
aus yam zusammen halten entsprang, aber diesen Begriff 
nicht unmittelbar, sondern in der abgeleiteten Bedeutung 
Zwilling, lat. geminus, enthält. Eher könnte die Getreide* 
göttin 'Bändigerin heissen als 'die Bezähmerin wilder^ Sitten*, 
wenn nicht diese Idee, welche wir historisch erst lange nach 
Homer zur Entfaltung gelangen sehen, gar zu weit abstünde 
von den Anschauungen der Frühzeit, in der die Genesis der 
sprachlichen Bezeichnung und des Begriffes der Göttin jedes- 
falls gesucht werden muss. 

Misslingt es den Namen Demeter als einfaches Wort 
zu deuten, so tritt die Auffassung desselben als Compositum 
in ihr Recht ein. Dieselbe hat denn auch von jeher bei der 
überwiegenden Mehrzahl der Forscher Beifall gefunden, indem 
man übereinstimmend für den zweiten Theil der Zusammen- 
setzung das von selbst und zwar aus dem ganzen Sprach- 
schatz allein sich darbietende Yerwandtschafts- 
wort iü^T7]Q erklärte. Ein entscheidender Beweis 
dafür liegt in der genauen Uebereinstimmung 
der Declinationsformen von /^ijt^^ und Jrj/LiTJTrjQ. 
Nach Analogie des historischen Sprachgebrauchs müsste man 
freilich ^Tj'juTJviJOQ oder ^rj-jufjTsiQa statt ^f^-jLi-tjvfjQ erwarten. 
Denn nur die Nomina actoris auf -ttj^ (St. tjjq) bewahren 
in der Zusammensetzung ihr ?; (vergl. u/LcaXkodsTrjgsg. U. 
XVIII 554). Die Verwandtschafts Wörter auf -ttjq (St. tsq) 
pflegen dagegen im zweiten Compositionstheil die Form -rcop 
(St. toq) anzunehmen, oder werden durch Hinzufügung eines 
neuen Suffixes zu -vsQog, 'TS()ia (rgog, Tei()a) ^ weiter gebildet. 
Die gleiche Wandelung des JB-Stammes in den 0-Stamm tritt 

* Verofl. fitjT^o-ndrtoQ II. XI 224. nafifii^TUQ , bei Späteren natoo^ 



284 KAPITEL y. 

bei einigen Wörtern auf r^yp (St. t6q\ tjq (St. ig), rjv (8t, sv\ 
ag und OQ (St. ar) ein. ^ Doch ist die Regel nicht bei allen 
Wörtern der gleichen Endungen durchgedrungen.^ Ehe sie 
sich bildete, muss es aber einen hinter dem historischen 
nicht weit zurückliegenden Sprachzustand gegeben haben, in 
welchem die verschiedenen Spaltungen des Suffixes -tar, 
{roQ, TfjQ, t6q) noch gleichwerthig neben einander gebraucht 
wurden.^ Wie nun die Formen mit paragogischer Endung 
^emaTVQOq (d. i. dsi^noLTSQ-o^, sv'narBQ'Bia oder ^AXd^-avdg-og 
(d. i. ^Aksl^-avsQ'Og)^^ dwidvetga^ ßatriavsiQa (d. i. avri'avsg^ia 
ßcDTi'avsQua) u. s. w. erkennen lassen, dass die Worte nariJQy 
aviiQ ehedem auch noch in der Zusammensetzung zwischen 
den Stämmen narog, dvog und narB^, avsg schwankten, darf 
ein Gleiches für jnfjrTjg gefolgert werden; ja der Vocativ 
övo'fj,7jT6g Od, XXni 97 gewährt dafür den that- 
sächlichen Beweis. Der Name jJfj'/nTJTfjg ist demnach 
entstanden, ehe die Umfärbung von f^'fjrjjg zu f^^rtog in der 
Composition alleinherrschend wurde, und widerstand später, 
durch den Rost des Alters und hieratischen Gebrauch ge- 
heiligt und geschützt, der Analogie der allmählich sich fest- 
setzenden Regel, welcher die entsprechenden Appellativa und 
Eigennamen anheimfielen. Schwieriger als der zweite Gom- 
positionstheil ist das erste Glied der Zusammensetzung zu 
erkennen. Ist es verbal oder nominal? 

Wie u. a. von At/w, rXdia Av^avSgoq^ TXrjnoXefxoq^ 
xXyi-d-vfjLoq^ konnte von einem der Verbalstämme da, djdj oder 
dav Jrj'fifJTTjg gebildet werden. Aus jedem derselben hat 

Grundz.^ 601) nvtfiju^Tfi^a. 

* So bei avtjg {ßv-f]ViaQy TzoXv'oiytoQ U. 8. W,, Idlel-avSg'OQ d. i, Idiel- 
'uveQ-og U. 8. W.) yaa-Ti^Q {nqoyaaTtaq) ^ 9>Qfjy (öw^o^wv, noXvtpqüyy) ^ xreaQ 
(^7iolvxT(OQ)f xsQaq {^Sixsqtaq^ QtvoxfQiüg^ alyoxfqwq), 

* Vergl. Xaaiav/tjv , noXvavxt,v neben noXvifqtav — noXvd arijq ^ 
fvaarrJQ, svaa i f qoq^ evdar eiqa neben nqoyaaTiiJQ — alyoxsqag neben 
cuyoxeqtae. 

3 So erweist yevsTti^a neben yeri-Ttog und yever^e das einstige Vor- 
handensein von yivixsq Nom. ysvsTijQy svvaJfiqa neben €vvaT(aq und evvaxriQ 

das Vorhandensein von ivvarsQ Nom. ivvärtjQ u. s. w. 

* Anders freilich urtheilt über diese Form ö. Meyer, Curtius 

3tnd. V 87. 



DEMETER. 285 

man die Deutung versucht. 1) d4 geben: G-ebemutter, 
Nahrungsspenderin.^ 2) da zertheilen, da-l-o^ucu, skr. dä-mi, 
djä-mi (Würz, da): Schneide-, Zertheilungsmutter, ent- 
weder a) weil Demeter als Vorsteherin des Ackerbaus dem 
Pflüger die Erdschollen zertheilt, oder b) weil ihr Herz beim 
Raube der Tochter zerrissen wurde. ^ 3) da wissen, Jt/co finde, 
bezw. 4) djä suchen, homer. ^i-^tj-f^ai d. i. M-ä^/nai (Curtius 
Grundz. ^ 610): Suchemutter oder Findemutter, sei 
es a) mit Bezug auf die Aufsuchung der Eore oder b) wegen 
der Erfindung des Ackerbaus.^ 5) daF zünde an, öa-i-ta 
{Ö8'dri'a\ dazu SaXoQ Peuerbrand, da-t-q Fackel, irj-i'-oq iöri'iov 
nvQY: Zündemutter, weil die Göttin Fackeln in Händen 
trägt. 

Gegen alle diese Etymologien erhebt sich der Einwand, 

* ./Itjju^TijQ fiky g>a(vfTai, xara rtjv Soaiv rtji IStad^i^ StSovaa tag /ui^TtjQy 
Jtjii^rriq x€x).rja^ai. Plato Kratyl. p. 404 B. Welcker Demeter die Stif- 
terin des Ackerbaus, Zs. für Gesch. u. Ausleg. d. alt. Kunst I 122. 
Yergl. Ignarra zu Hymn. in 0er. 122. Schelling Ueber die Gottheiten 
Yon Samothrake Anm. 29. 48. 

2 Der Urheber dieser Etymologie hatte seiner Conjectur zu Liebe 
Jri(o bezw. /IfifAriTrjQ geschrieben; Ghoeroboskos nahm das für Ueber- 
lieferung. Etym. Magn. S. 263 Gaisford : ^r^ut : ^ JrjfiriTrjQ xal 3iag)0Qflrat 
(OS (prja\v o T€;(vixdg (der Grammatiker Choiroboskos). OlSe yaQ 7 naQaSoaig 
t6 ^ra /urr« rov lioTce xai ^coQig rov Icara .... El Sh ^#t ro tfora, XeytTat 
oTi y'eyovB naqa ro SaC(a ro xomm^ xara TQonijv ^Itarixijv rov äX<pa slg tjra, 
Kai yaq ^ jdijfijjrtiq yrj Itfzty ' ri yri Sh diaxonrtrcu ey r^ aQorQiaa&ai. 
Ebendas. S. 265: dtjfujrijQ ri » » » rj naqa ro SieXeir rijv yijv xdi rsjdvBiy ev 
rji aQOTQtdaei» Ebendas. S. 264: ^H on XvTtovfxevij Sid rtjv d-vyarsqa 
eSa^sro rrjv yjvx^v. Ein Späterer vormischte mit dieser Ableitung 
diejenige von d-tfiog feindlich, Stjiota^ Sjiom feindlich behandeln, verwüsten, 
zerreissen. dijta^ tj ön noXXijy eJtjtoae yriv, rovrsari Stixo^e, C^ovaa rrjv 
^vyarfqa. — Der Ableitung von driiog^ Stjidw stimmte von Neueren Dilthey 
zu. (Jen. Literaturz. 1874 S. 578). 

' Etym. Magn. S, 265: /fijju^rijQ , . » fj naqd ro ^/f«, ro evQiaxtt)» 
Ebendas. S. 263: jdijta . . . Xeyei {d rf^yixog^j ort fori naqd ro Sr^to ro 
arjfiaivov ro euQ^axto ' xdi rivCxa nfQiriQ^^ro elg l^tjrfjatv rrig ^vyarqdg avrtfg^ xar^ 
€vq)ijiiiafi6v ^Xeyov nayreg z^ijffig, rovrsarir evqjivfeig. rj enei^tj avrij ftptvqs rov 
olrov. Vergl. ebendas. s. v. ^Ir^eig, — Dieser Etymologie trat bei J. H. 
Yoss, Hymne an Demeter S. 23. 

* Etym. Magn. S. 265: rj naqd ro SaCca^ rd xaCta* lafinaSov^og yaq 
17 -S-edg» Ebendas. S. 268: ^tjto» tj itaqd rd SatdOf rd xa^to, ort fierd XafiTidStav 
k^^re^ rrfV -d-vyar^qa* 



286 KAPITEL V. 

dass JfjfitJTTjQ als Yerbalcomposition aufgefasst weit eher 
'die Mutter gebend, theilend, suchend, anzündend' als 
die (Nahrung) gebende, (die Erde) theilende, (das 
Korn) erfindende, (ihr Kind) suchende Mutter' be- 
deuten würde, da die Zusammensetzungen mit verbalem Yor- 
dergliede überwiegend Abhängigkeitscomposita waren, in denen 
der Nominalstamm des zweiten Gliedes als Object des ersteren 
gefasst wurde (z. B. rkrj-noks/Liog Krieg erduldend, Xv'av^Qog 
Männer-lÖsend , ixs-O'viLiog , i/S'g)QU}v Verstand habend). Da 
jedoch, freilich in ganz vereinzelten und meistentheils spät 
bezeugten Fällen, auch attributive und determinative Com- 
posita auf gleiche Weise gebildet uns entgegentreten (z. B. 
tXti'&v^oc Duldemuth d. h. duldender Muth, zu erschliessen 
aus dem gleichlautenden Bahuvpihi Duldemuth habend, egn- 
'dxav&a Kriechakanth, kriechender Akanth, fulX-slgriv, ^bXX- 
'S(pf]ßog werdender Jüngling), die ja doch zum Theil auf 
ältere Yorbilder zurückgehen könnten, lässt sich wenigstens 
nicht mit vollkommener Gewissheit aus allgemeinen sprach- 
lichen Gründen die Unmöglichkeit der in Rede stehenden 
Deutungen behaupten. Die Ableitung aus da geben wird 
aber im besonderen durch den Umstand ausgeschlossen, dass 
diese Wurzel im Griechischen nur in der Form Jo, dw {öl- 
-Jw^«, doigov, Soaig u. s. w.) erscheint. (Jd-vog Darlehn ist mit 
Fick Wörterb. d. indogerm. Spr. II 118. 120 gegen Curtius 
Grundz. * 236 zu da zutheilen zu stellen). Auf einen vorgrie- 
chischen Ursprung des Wortes Jri'-i.irjvriQ (vor Yerdumpfung 
des a von Ja geben) zurückzugreifen, würde nur erlaubt sein, 
wenn dafür bestimmte Anhaltspuncte sich darböten, und keine 
andere passende Erklärung aus dem Griechischen selbst sich 
auffinden Hesse. Alle übrigen auf Yerbalzusammensetzung 
gerichteten Etymologien erweisen sich — abgesehen davon, 
dass ihrer mehrere (Zertheilungsmutter, Zündemutter u. s.w.) 
nur mit Gewalt dem untergelegten Sinne (Pflügerin, Fackel- 
trägerin u. s. w.) sich fügen — von Seiten des begrifflichen 
Inhalts als unannehmbar, zum Theil geradezu als albern, da 
sie sämmtlich von je einem einzelnen und untergeordneten 
Momente in der Wirksamkeit oder der Legende der Göttin 
ausgehen, welcher weder im Ganzen und Grossen das Wesen 



DEMETER. 287 

derselben ausdrückt, noch von so hervorragender Wichtigkeit 
ist, dass er, etwa ursprünglich das Etymon eines Beiwortes 
ausmachend, die Kraft in sich hätte tragen mögen, dasselbe 
in siegreichem Daseinskampfe zum Hauptnamen zu erheben. 
Dies bedarf keiner weiteren Ausführung. Oder wird man 
glauben, die homerische Fruchtspenderin, die den Eornsegen 
erzeugende und zu Wachsthum und Reife führende Qöttin, 
hätte jemals anders als in ganz besonderer Beziehung suchende 
Mutter, Fackelträgerin, Pflügerin u. s. w. genannt werden 
können? 

Nun bleibt nur die Nominalcomposition übrig; auch sie 
ist auf verschiedene Weise zu begründen versucht worden. 

1) ^7j/LirjTf]Q soll Abkürzung von Jrif.io-f^7iTriQ sein. * 
Lautlich ist diese Ableitung untadelhaft, da nach Ficks Nach- 
weis in der Wortzusammensetzung von zweien mit gleichem 
Gonsonanten anlautenden Sylben die erste häufig ausgeworfen 
wird (vergl. KaXa-f-iivd-f] aus xukaf.io-f.uy 9 rj , rJuXa-ftTJ^fjg aus 
nakafAO-firjörjq ^ xaQd-dfiwvov aus xagdaffa/ucopov. Zs. f. vgl. 
Spr. XXII 99). Sachlich aber entscheiden gegen sie dieselben 
Gründe wie gegen die Etymologie Jt^/urj-rr^Q (o. S. 282). 

2) Schömann zu Aesch. Prometh. S. 313 und zu Cicero 
de nat. deor. II 26 lässt ^rjftfJT?]^ aus ^sa fiTJrijo = &ed l^^V^VQ 
entsteheo. Hierüber genügt es auf den Nachweis von Curtius 
Grundz,'* 506, dass die Formen Jf'og, J^&a oder dsogy dm für 
&€6q^ &sd ungriechisch waren, so wie überhaupt auf die Ge- 
schichte des Wortes &f6g (Curtius a. a. 0. 503-510) zu 
verweisen, üebrigens würde ein solches d^ea-firjTfjg entweder 
Mutter der Götter (wie &€0'fi7jTcoQ) oder, sei es dass blosse 
Zusammenrückung stattfand, wie in ' legd-nokig , 'hgd-Trvrva, 
oder sei es nach Analogie der spät bezeugten Bildungen kvx- 
'dvd-Qconogj ds'avd-Qconog, &6'av6gia^ dso-Tavgog, die Mutter, 
welche Göttin ist, bedeuten. Weder das eine noch das 
andere gewährt einen passenden Sinn. 

3) Von der nämlichen Wurzel, nämlich div glänzen, 
leuchten, leiten Max Müller (Vorles. üb. d. Wissensch. d. Spr. 

* Etym. Magn. S. 265 1 ^ijfju^Tf^^ . , . fj Sf^fio-fiiiTt^Q^ xard avyxonijv, 
Verg]. Etym. Gud. S. 140. 141. Gregor. Corintb. Schäfer S. 752 (Bast); 



288 KAPITEL V. 

Sfer. II Leipzig 1866 S. 474. Zs. f. vgl. Spr. XIX 43) und 
Grassmann (Zs. f. vgl. Spr. XVI 161) den Namen ab, indem 
sie ihn einem skr. Dyävä mätä, die Form Jrjd (deren 
hypokoristische Natur sie dabei ausser Acht lassen) unmittel- 
bar Dy&v& gleichstellen, einer vom Stamme dyav abgeleiteten, 
aus dem Plural und Dual von dyäus Himmel (dyävas, dyäv&) 
hypothetisch erschlossenen Bildung. Einfacher ist es, die im 
Accusativ dy&m erhaltene Form der Wurzel div zur Ver- 
gleichung heranzuziehen, welche in dem homerischen Accu- 
sativ Zijv d. i. Jjrjv = Jia ihr Seitenstück hat und von 
Ahrens (Philolog. XXIII 207) "und Curtius (Grundz.* 601, 
605) mit Meineke, Ameis und Fritzsche auch in den Formeln 
ov Mv (Theokr. Id. IV 17. VII 39) und yttT Ja, doX da, 
äXfv a da bei attischen Tragikern und Komikern erkannt 
worden ist. Hierzu stellt Ahrens (a. o. O. 208) vermuthungs- 
weise noch die Glosse des Hesychius 'Siav . . . rov oigavov 
FlkQöail indem er sie in 'öiäv . . . rov ovQavov {wq /Hol) nigocu 
berichtigt und ergänzt. Den Nominativen /:fiäg, ^ac, Zfjg 
würde ein jonisches Jijg und ein Femininum Jia^ Ja oder 
^^ entsprechen. In letzterem will Ahrens den einfachen 
'dem männlichen Jag == Zsvg correspondirenden Namen der 
Demeter erkennen, indem Zeus und Demeter nach uraltem 
Glauben als ein zusammengehöriges Paar galten. ^ Jtj'/LfjjrijQ 
wäre also ein aus ursprünglicher Zusammenrückung ent* 
standenes Compositum, ein weibliches Seitenstück zum epiro- 
tischen Jl'ndrvQ'og. Seine Bedeutung könnte neben dem 
'Himmelvater' oder 'Vaterhimmer keine andere sein als 
'Himmelmutter' d. i. 'Mutter im Himmel* oder 
'Mutter HimmeT. 

Denn dass dem Nomen Zrjg, Jijg^ Jij ein anderer Be- 
griffsinhalt als der des .männlichen oder weiblichen Zeus, 
etwa der in mehreren anderen Ableitungen der Wurzel div 
hervortretende allgemeinere Sinn 'göttliches Wesen' zu- 



^ Aehnlich hatte schon ein orphisohor Dichter (bei Proklus zu 
Platons Eratyl. p. 96. Lobeck Aglaoph. S. 537) JijtiTirij^ für di6g /uriTt^Q 
erklärt und diese Gonjectur durch Identifioirung der Göttin mit Bhea 
gerechtfertigt. 



DEMKTKR. 289 

stehe, ist ganz und gar unerweislich und durch keine That- 
sache belegbar. Nun wäre es ja an und für sich nicht 
geradezu unmöglich, dass der leuchtende Himmel als die Ge- 
wächse erzeugende Potenz gedacht wäre, und man könnte 
demnach, da auch kein sprachliches Bedenken entgegensteht, 
diese Etymologie billigen, wenn in den historischen Zeug- 
nissen für Demeter irgend eine bestimmte Spür dieser Auf- 
fassung sich nachweisen Hesse. Das ist aber nicht der Fall, 
und mit A. Kuhns und M. Müllers Hypothesen (o. S. 280) 
fällt jeder vermeintliche Anhalt dafür zu Boden. Es ist klar, 
dass die Begriffe Erdgöttin und Eornpsyche eine weit 
näher liegende und zutreifendere Erklärung für die über- 
lieferten Vorstellungen darbieten, und sofern einer derselben 
auf befriedigende und überzeugende Weise mit den Sprach- 
gesetzen in Einklang zu bringen sein sollte, wird eine 
methodische Forschung nicht umhin können , die Deutung 
aus Jrj Himmel als sachlich unhaltbar abzulehnen. 

4) Die Annahme griechischer Dichter und Philosophen, 
zumal der Orphiker und Stoiker, Demeter sei ihrem Wesen 
nach gleich Ge, führte dahin, auch etymologisch in dem 
Namen derselben den Begriff Mutter-Erde oder Erd- 
mutter zu suchen. Viele neuere Forscher schlugen den- 
selben Weg ein.^ Zur Begründung dieser Ansicht stellte 
man die Hypothese auf, das anlautende r in rt]f.ii\T7}o 
habe sich in J verwandelt. 2 In der That wird in 
einigen griechischen Wörtern ein wurzelhaftes y durch J 
vertreten, indem zunächst der G-Laut sich zu j verflüchtigte 
und dann durch Vorschlag eines d zu Sj wurde, woraus 
schliesslich entweder t oder d sich entwickelte (Curtius 
Grundz. ^ 483—485). Indessen beschränkt sich dieser Vor- 
gang auf äusserst wenige Fälle, und er wird fast überall 
durch den eigenthümlichen Umstand gekennzeichnet, dass 



^ Suidas: ^tjfi^i^n foriv fj yij^ olovei Ffj^utjrtjo ng ouoie. Voriil. Mena- 
ftius zu Diog. Laert. VII 147. Diod. Sic. I V2, HI i)± Sext. Emp. adv. 
dojijniat. [II 189. Tzefzes zii Urs. O, ot D. 32. Philo «le vitii contomidativa § 1. 

2 Efym. Magn. S. 265, 53: drjii^rtjQ ^ naQa to yJJ' xn) TO jui'jTtji) 

rqyit^TrjQ TIC ovna ' xai TQOTt^ Tov F fig d. Ebendas. 8. 264, 10: //jy/«» . . . 
^ yr]w Ti; iarCt xccia TQOrr>jV tov yauua €ig Sfira» 

QF. LI. 19 



290 KAPITEL V. 

entweder dem ursprünglichen Guttural ein Nasal folgt oder 
dass in mundartlichen Nebenformen den mit dem Guttural 
oder Dental anlautenden Formen eine dritte mit anlautendem 
Labial zur Seite steht. Der Mangel beider Kennzeichen bei 
yij und Jrj/LifJTrjQ macht ein verwandtschaftliches Verhältniss 
dieser Wörter von vorne herein unwahrscheinlich. Es fragt 
sich daher, ob irgend ein anderer deutlicher Fingerzeig vor- 
handen sei, der uns nöthigen müsste, die in Rede stehende 
Lautumwandlung anzunehmen. Als scheinbare Stütze dafür 
boten sich jene AusrufForraeln (psv Ja, olot Ja, aktv a Ja 
(Aesch. Prom. 568) dar , indem man darin Ja auf die Erde 
deutete in Folge zweier, offenbar auf dieselbe Quelle zurück- 
gehender Scholien zu der letztgenannten Stelle des Prometheus, 
wonach Ja eine dorische Nebenform von yä gewesen wäre.' 
Ahrens gelangte aber (Dial. Dor. 80) bei sorgfältiger 
Untersuchung der mundartlichen Verhältnisse zu dem Philol. 
XXIII 207 von ihm wiederholten, von Curtius (Grundz.^ S. 
484) durch einfache Verweisung auf ihn gebilligten Ergeb- 
niss, dass Ja keine dorische Dialektform für ya gewesen sein 
könne (numquam igitur Dores da dixerunt pro yij') und nahm, 
ebenfalls unter Zustimmung von Curtius, an, dass jene Formeln 
nicht den Bögriff der Erde, sondern einen mundartlichen 
Namen des Zeus enthalten (o. S. 288). Ist dies richtig, so 
fällt auch jeder zwingende Grund fort, /Jrj-fijjrrjQ durch 
Dentalismus aus rtj-jnfjrrjQ entstanden zu denken, und es 
bleibt eine leere Möglichkeit bestehen, welche durch die 
sprachlichen Analogien wenig empfohlen wird. 

Stehen ^a und Fd aber auch in keinem etymologischen 
Zusammenhange, so könnte ersteres doch — meint Ahrens 
a. a. 0. — ein alter, nur kein stammverwandter, sondern ein 
aus der Wurzel div abgeleiteter Name der letzteren gewesen 
sein. Er denkt dabei an die allgemeine Bedeutung 'gött- 
liches Wesen', so dass in dem Namen Damater die E r d - 
göttin als 'die göttliche Mutter' bezeichnet wäre. 

* Etym. Ma^n. S. 60, 8: ^AXtvaSa , . . ot ya^ /JwQifTg rtjv ytjv Sar 
Xe'yovm xai Slay (Pauw vermuthet xat Saiavi Schleusner xar iSuxy^ Ahrens 
SfiV Xf-'yovai xai dav), Schol. Med. ZU Aesch. Prom. 568: /Jm^nlq r^v yi(v 

S^v xai 3av (pamv (yav xai Sav Meineke). 



DEMETER. 291 

Gegen diese Ansicht trifft zu, was wir bereits o. S, 289 aus- 
einandergesetzt haben. Vielleicht fühlte sich jemand ver- 
sucht, dieselbe in .der modificirten Gestalt aufzunehmen, ein 
Götterpaar Jäq und Ja d. i. Zeu^ und Zeus-in (vergl. Zeus 
und Dione) sei, nachdem es den Späteren unverständlich 
geworden, in Zeus und die Erdgöttin umgedeutet^ und daher 
die auf Gelehrsamkeit beruhende Angabe *Jd irgendwo 
= ya entsprungen. Das möchte sein, aber wer dürfte zu- 
geben, dass diese secundäre Bezeichnung der Ge in dem ur- 
alten Namen der Demeter enthalten sei? Ein von Wurzel 
div hergeleitetes Appellativ Ja, Erde, kannte die lebende 
Sprache offenbar nicht. 

Mit dieser Erkenntniss ist die Notiz der Scholiasten 
noch keinesweges beseitigt. Konnte nicht das von ihnen 
bezeugte Wort wirklich vorhanden sein, weder aus y?j noch 
aus Wurzel div entstanden, sondern aus einem dritten Stamme 
gebildet? 'Eine Glosse Hesychs, Jrjyi^ * xat amna^ die n)an 
Jrj yrj • xal aiiona zu lesen pflegt, scheint ein weiteres Zeug- 
niss dafür abzulegen. Der Beiname Poseidons 'Evooi-öac bei 
Pindar Pyth. IV 33 [173] fügt sich, zu troai'/dcov und twoai-yatog 
gehalten, gut der Erkärung als Compositum von da == y/j. 
In dem altbaktrischen daya, Feld, böte sich nach A. Bezzen- 
bergers gütigst mir mitgetheilter Ansicht ein passendes Etymon 
dar, aus dessen griechischem Aequivalent durch Contraction 
öd geworden sein könnte. Demeter bedeutete demnach *die 
Peldmutter'. Diese Etymologie befriedigt anscheinend 
sowohl die sprachlichen als die sachlichen Forderungen; gleich- 
wohl muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass ihre 
Voraussetzungen auf einem sehr unsicheren Boden stehen. 
Zunächst ist es zweifellos , dass die Scholien zu Aeschylus 
keine wirkliche Gewähr für das Vorhandensein eines 
Appellativums Ja im Sinne von y^ gewähren, so lange dieses 
Wort aus keinem Schriftwerk belegt ist, da sehr wohl ein 
Grammatiker, der Da-mater und Ga-mater gleichsetzte, aus 
ersterem ein dorisches da Erde folgern, ein Nachfolger 
diese conjecturelle Form für Ueberlieferung halten konnte. 
Gleichartigen Ursprungs war wohl auch die sicher verderbte 
Glosse Hesychs, wenn sie in ihrer reinen Gestalt überhaupt 

19* 



292 KAPITEL V. 

hierher gehörte. So bleibt nur das aTia^ Xsyo/Luvov svvoal- 
'dug als ein bei seiner Einzigkeit nicht unverdächtiges Zeug- 
niss bestehen. Ist denn die handschriftliche Ueberlieferung 
echt, könnte nicht einfach ein Abschreiberirrthum für hwom-yät; 
vorliegen? Endlich auch die Vergleichung von eran. daya, 
das in keiner anderen arischen Sprache eine Correspondenz hat, 
erscheint nicht gatiz unbedenklich. Ihm würde ein griechisches 
öuTa entsprechen, für dessen Contraction zu öä man sich nicht 
auf die Analogie von iin und yd neben ^taTa und yaXoi, würde 
berufen dürfen. Denn nicht aus den letzteren Formen, er- 
weiterten jüngeren Ableitungen der Nominalstämme f.ia und 
yaF (wie yQuTa von yga vergl. yga^vc)^ sondern aus den ein- 
facheren fiaa und y^Fa entstanden die ersteren durch Zu- 
sammenziehung. 

5) Während demnach auch die Versuche, dem Namen 
Demeter die Bedeutung Erdmutter, Mutter Erde oder 
Peldmutter zuzuweisen, zu Ergebnissen führten, gegen 
welche sehr gewichtige Einwürfe geltend gemacht werden 
müssen, begegnet diejenige Combination, welche wir im Begriff 
sind an letzter Stelle liier vorzutragen, von keiner Seite her 
ernstlichen Schwierigkeiten. Ein alter Grammatiker führt 
zur Erläuterung des Namens Jrjd ein kretisches Wort dtjol 
Gerste an.^ Preller (Dem. u. Perseph.817. 368) erklärte es, ohne 
jedoch in eine nähere Untersuchung einzutreten , für nicht 
unwahrscheinlich, dass daher, und zwar durch die Kretenser, 
Demeter ihren Namen erhalten habe, wenn nur das Wort 
Ö7](xi sicherer wäre. Auch Förster (Raub und Rückkehr der 
Persephone S. 10 Anm. 9) stimmte bei, obwohl beide die Ety- 
mologie aus Ja, Erde, vorzogen. «Neuerdings aber hat der 
letztere (Jahrb. f. class. Phil. 22. 1876 S. 809) die Ableitung 
von ()?;«/ aufgegeben, *da in diesem nur die kretische Form 
von Ksiui zu erkennen ist/ 

Das Etymologicum Magnum schöpft vielfach aus alten und 
zuverlässigen Grammatikern. Dem W^orte dtjai zu misstrauen, 
liegt kein Grund vor, da es nicht (wie tV^, Erde, vermöge 
sachlicher Gleichsetzung mit lij /tirjrf^o) aus ^Tj^ufjvtjg durch 

1 Etym Magn. S. 264, 1*2: 'H drjw th/qu ra? Stjdg ' ovt(o yuQ /tr^cu 
TiQOiayoqfvovTai vno KorjTiov al X(}t9-ai. 



DEMETER. 293 

reine Conjectur erschlossen sein kann. Vielmehr lässt es 
sich auf sprachgeschichtlichem Wege als eine dorische Form 
von Cfidy ff« vollkommen rechtfertigen. Es setzt nämlich 
dieses jonisch-attische Wort, welches bekanntlich dem skr. 
yava Gerste, altbaktr. yava Peldfrucht, lit. javas Getreide- 
korn, javai (Plur.) Getreide entspricht, eine griechische Grund- 
form öjsFd mit Vorschlag von d vor j voraus (Curtius 
Grundz.^ S. 609), woher durch Verschmelzung von dj sich 
^sFn^ durch Ausstossung von j ösFd entwickeln musste. 
Vergl. ^t]VHv = dor. JaraV; l^vyov^ skr. yugam = lakon. övyov, 
Jon. lavut = djavM aeol. öamo (Curtius 8. 619). Bei Aus- 
fall des Digamma blieb entweder dsd übrig, oder es trat 
Ersatzdehnung ein, welche im Dorischen e zw. tj wandelt. So 
ist örial als regelrechte Form erweisbar. Läge sie unmittel- 
bar dem Götternamen zu Grunde, so müsste derselbe dor. 
Jr,'f,iarriQ lauten. ^ Anders im jonischen Dialekte. Hier fand 
sich statt des erblassten Digamma ein diphthougbildendes i 
ein, über dessen Ursprung Curtius S. 563. 564 zu vergleichen 
steht. In einer Nebenform fiel es spurlos aus, so dass tirid 
neben ff« steht. Nichts hindert jedoch auch hier ein ösid 
oder d td anzunehmen, da z. B. die Partikel ör, (Curtius S. 620) 
und drjT(üßf]v für dtrjroliLiTjy (Hyperbolos bei Herodian. 
Curtius S. 606) Beispiele des aus dj entstandenen an- 
lautenden J gewähren. Contrahirt mussten jene Formen dij 
ergeben. (Vergl. vst/fj, oot], y.rJQ, yrj aus rti/nx, ogeix, Y.iaQ^ 
yia, Curtius S. 176; EQ/Lirg aus Eg/Lisiag , Egfisag, Fick 
Gr. Personenn. S. XXXVII ff.). Dagegen lautete die 
Zusammenziehung von m bei den Doriern ä, woher dem 
jonisch-attischen yfj entsprechend yd, dem jonischen 'EQ/ntjQ 
correspondirend Eg/Liäg gesprochen wurde. Nach Analogie 
der homerischen Composita TTatQo-Tiuaiyyfjvog, dTjf.to-yeQcov^ 
dXo'OvövTj Vaterbruder, Volksältester oder Aeltester im 
Volke, Meerestochter, fifjToO'TTdrtog Vater der Mutter, tvyd- 
-dea/iiog Riemen am Joche, dy.f.io-dbrov Untergestell am Amboss, 
wurde ein *J6i7]-iLifJTr^Q^ *Jsr]'f.(tjT7j{),*^€tä'/Lir]T't]0y*Jtä' 
'fiTjTTjg gebildet, dessen Compositionsvocal zu beurtheilen ist 

» In fxciTtj^ ist a gesetzmässige Lange des Stammes ^s, ^ Ver- 
längerun«;: des € von -Tf^, 



294 KAPITEL V. 

wie in den homerischen Formen ßovXTj-fpoQog, yunj-o/og, jnoigrj' 
-ysvTJg^ l4Xxd-&oog (vergl. ^Xxa'/iitvrjg), Die Contraction muöste 
nach der oben angezogenen Regel J/j'/Litjrrjg lauten, gerade 
so wie aus ysä-yfvijg oder ystj-ysyi^g yrj-yfVTJg geworden ist, 
und wie die Formen y^j-^s/rig, yrj'/noQog (}or. yä-fio^og, yTJ-TTorog 
dor. ycc'TTOTog, yTj-nsöov, yrj-Xoipog für yevj-Xotpog (d. i. ysa-Xorpog), 
ysw'/noQog und ytiO'/uoQog, ysio-nsdov u. s. w. eintreten. Neben 
dem kretischen J^a aus ösFd darf mit völligem Ausfall des 
Digamma ohne Ersatzdehnung ein mit dem jonischen über- 
einstimmendes 6ea in anderen dofischen Dialekten erwartet 
werden, welches als Nebenform selbst auf Kreta bestanden 
haben kann und durch das Mittelglied Jiä'^djTjQ mit Noth- 
wendigkeit auf Ja-f-iarriQ führt. Möglicherweise aber ist erst 
der fertige Name Jri'f,irjT7jQ, wenn er etwa zuerst von Joniern 
zu Doriern gelangte, beim Vordringen des damit verbundenen 
Cultus nach falscher Analogie in die dorische Form Ja'/tidrrjQ 
umgesetzt, wie nach richtiger ni^veX-onsia in flävsX-on?], 

Dass im homerischen Dialekt nach unserer Annahme 
yava zugleich in den Formen l^fiu und drj- (in Jr^-firirtio) 
erscheint, kann keinen Einwand gegen die so eben darge- 
legte Etymologie begründen. Denn ein derartiges Neben- 
einander verschiedener Reflexe desselben Grundworts findet 
nicht selten statt. Vergl. z. B. bei Homer drjXog (d. i. djtjXog 
aus öiFriXog) neben aQi-tTjXog (aus dQl'djfjXog\ Curtius S. 603. 
604; bei Attikern äogudg neben ^OQxdg (d. i. öjoQxdg mit 
parasitischem j*) , Curtius 8. 133. 645; bei Homer TJiavgsg 
neben rscaageg^ in Rom Ep-ona, Pferdegöttin, neben equus 
u. s. w. 

Treffen diese Erörterungen zu, so bedeutet Demeter 
die Kornmutter' oder 'die im Korne waltendeMutter*. 
Ebenso gut, wie man von einer Meerestochter {aXo-avörtj 
Od. IV 404 II. XX 207) sprach, konnte von einer Korn- 
mutter geredet werden, und diese Benennung steht auf 
einem Boden mit den Namen der Natur mädchen {vvf.i(pai\ 
der Wasser muhme (Thetis, vergl. AWF. 207. Haupt Zs. 
22, 3) und der Meeres alten (Tethys, ebendas.). Noch eine 
jüngere Zeit bildete die Composita aTa/V'/,i7]T(jDQ Aehrenmutter, 
Mutter der Aehren (Isis), in dem Epigramm eines Ungenannten 



DEMETER. 295 

(Anth. Planud. 269) und ai^tjQo-^ifjzcüQ^ Mutter des Eisens 
d. 1. die Erde, bei Aesch. Prom. 301. 

Die griechischen Vollnamen wurden fast durchgehend 
zu Kosenamen mit Anhängung neuer Suffixe in der Art ver- 
kürzt, dass von den beiden Wortstämmen, aus denen sie zu- 
sammengesetzt sind, entweder der erste und der Anlaut 
des zweiten oder nur der eine (erste oder zweite) übrig blieb 
(Fick Gr. Personenn. S. V u. LXIII). Beides geschah mit 
dem Namen Demeter. Wie aus Ep-aphrodit-os Ep-aphr-äs, 
aus Eury-sthen-es Eury-sth-eus, aus Mene-sthen-es Mene- 
-sth-eus, Mene-sth-es und Fem. Mene-sth-6, aus Mene-strat-os. 
Mene-st-äs, aus Mene-strat-e Mene-st-o, aus Niko-med-es 
Niko-m-äs wurden, ging aus De-meter der Kosename De-m-6 
hervor. Andererseits wurde dieser Name mit völliger Auf- 
gabe des zweiten Compositionstheils zu De- 6, wie Mene- 
-sthen-es zu Men-6n und Men-es, Niko-med-es u. s. w. zu 
Nik-eus, Nik-ias, Fem. Nik-6. Vergl. Fick a. a. 0. XXII. 

Jtjco ist also mit nichten aus dem im ersten Theile von 
Jf]'lutjr7]Q enthaltenen Nominalstamm unmittelbar abgeleitet, 
sondern eine Verkürzung, welche den Vollnamen voraussetzt. 
Es war der in Eleusis beliebte Schmeichelname der Göttin. 
Als solcher v. 47. 211 im homeridischen Hymnus zweimal ge- 
nannt, begegnet er uns mehrfach bei den Tragikern. Sophokles 
Ant. 1121 nennt die th riasische Ebene ^Eksvaiviag Jrjovq xoXnot 
(vergl. Eurip. Suppl. 290. Hei. 1343). Aristophanes (Plut. 515), 
die Orphiker, mehrere Dichter in der Anthologie (VII 209. 
IX 19, 21) u. s. w. reden von zlrjovg xagnog^ avkai^ aHrrj. 

Das zweite Hypokorisma ^tj/Li-co scheint seltener in 
Gebrauch gewesen zu sein , geht aber mit Sicherheit als 
eleusinische Benennung der Demeter aus der Notiz des Suidas 
hervor: '^rjuoj .... iteviasv rj Baßo) (1. Bavßoi) ttjv ^7j/Licd\^ 



* Vergl. Lobeck Agiaophamos S. 822. — Nach dem oben Aus- 
geführten ist die Richtiges und Unrichtiges mischende Betrachtung des 
Choiroboskos zu beurtheilen, Etym. Magn. 264, 1 : Tives Se tpacivy wg Uya 6 
Tf^vixoq^ ort vnoxoQianxov hirtv ano tov /drj/urjjrjQ /drjib ^ ayvoovvreg tov 
a^ijjuaTiajuov rmv ToiovTtav vnoxoQiOTixwy * ra yaQ rotavra vTioxo^iarixa -d-f'Xec 
<pvXdTi€iV TO avjutpcovov Tiji SfVTfQag av^laßrjq tcdv ISitay nqvarorvntav ^ o\ov 



296 KAPITEL V. 

§ 6. DIE NORDEUROPÄISCHE KORNMUTTER. 

Wenn der Wind im Frühling zur Blütezeit das Korn 
wellenartig bewegt, sagt mim : Da kommt die Kornmutter 
(Kr. Behrent Rgbz. Danzig). Die Korn fr au läuft übers 
Feld (Amt Salder Herzogth. Braunschweig). Das Korn- 
weib 1 äu f t (Sebexen Fürstenth. Grubenhagen Pr. Hannover). 
Die Kornmutter (Roggenmutter) geht durchs Korn 
(Hessen, vergl. Mülhause Die Urreligion des deutschen Volkes 
S. 285, Böhmen: Kr. Saaz). Da ist die Kornmutter durchge- 
gangen (Kaaden Kr. Saaz Böhmen). Die Kornmutter geht i in 
Korn (Gegend von Wetzlar Rgbz. Coblenz). Die Kornmutter 
geht übers Korn(Nas8au,vergl.KehreinVolks8itteimHerzogth. 
Nassau S. 280). Die Kornmutter ist zornig (Niederung Kr. 
Tilsit). Die Kornmutter geht durchs Feld spazieren 
und sucht Nahrung (Barby Kr. Kalbe Pr. Sachsen). Die 
Kornmutter wohnt im Korn (Kr. Chodziesen Pr. Posen). Die 
Kornweiber laufen durch das Feld mit einem Tragkorb, in 
welchen sie verirrte Kinder stecken (Amt Greene Herzogth. 
Braunschweig). Auch in Schweden (Wermland) sagt man, 
wenn der Wind im Korne wogt: 'Kornmora (oder Käramor) 
er ute och knallar'. Kornmutter (oder Klagemutter) ist draussen 
und [zieht dahin]. ^ 

Im Amte Arnstein a/Eine im Mansfelder Gebirgskreis 
Pr. Sachsen bezeichnet man die bei heissen Soramertagen 
über Wege und Getreide hinwalzenden kleinen Wind- 
tromben mit der Redensart 'die Kornmutter (oder 
Kornmuhme) geht mit ihren Doggen'.- Es ist zweifel- 
haft, ob Hunde (Doggen) oder Töchter (Docken? Tocken?) 
zu verstehen sind, falls die Bemerkung des Berichterstatters 
nicht auf einem Irrthum beruht, dass in der Mundart der 
Gegend 'Doggen' ^ auch Töchter bedeute. Die Kornmutter 
stellt sich hiernach ganz zu der fahrenden Mutter oder 
fahrenden Frau , welche im Wirbelwind dem wilden Heer 

' YxpinvXrj YiptOy JSiSo^f'a RlSta ' d ovv /^tjfjtjirjq^ ^riuw ta(r€ihv ftvai ' aU. ovx 
ennv vnoxoqiarixov, 

^ [knalla: ga sakta, drifva omkring. Rietz. Oder ist gnälla, heulen, 
gemeint, von dem Aasen die Form knella anführt ?]^ [1. Fassung: Docken]. 



DEMETER. 297 

oder dem Gewitter voranHiegt (BK. 82 ff. 85. 105 ff. 112. 
115. 122 ff. 128. 137 ff 149 ff. AWP. 92 ff.). 

Wenn kleine Kinder ins grüne Saatfeld gehen wollen, 
um blaue Kornblumen (niederd. Tremsen) oder rothe 
Klatschrosen zu pflücken, warnt man sie vor der im Felde 
hausenden Kornmutter, woher dieselbe bei Osnabrück 
Tremsemutter genannt wird (Myth.^ 394); ja man über- 
trägt metonymisch den Namen des Dämons auf die Blume 
selbst. 1 Diese heisst z. B. zu Reichenberg im Danziger 
Werder Eoggenm u tter, offenbar weil die Kornfrau zeit- 
weilig in ihrer Gestalt sichtbar werdend gedacht wurde, 
geradeso wie Mummel d. h. muomila ein Name jener weissen 
Wasserlilie (Nymphaea albula) ist, in deren Hülle die Wasser- 
muhme (Nixe) aus der Tiefe taucht (Myfch.'* 405). Vergl. 
die analogen Metaphern Ziegenbock d. i. Kornbock (AWF. 
159) und doUe Hund d. h. Roggenhund für die Kornblume 
(Correspondenzbl. für Anthropologie 18 [77 8. 16? AWF. 319]). 
Analog dem westfälischen Namen Tremsemutter ist der braun- 
schweigische R a a 1 w if d. h. Radelweib. Der Raden oder Radel 
(nd. Rade, Ralen, Rae, Rael). auch Kornnelke genannt, ist 
bekanntlich jenes besonders auf Roggenfeldern häufige Un- 
kraut (Agrostemma githago L.), welches fleischfarben, weiss 
und roth blüht, und dessen Blumen mit hohlen Nelken einige 
Aehnlichkeit haben. 

Es bringt reichen Gewinn, den Wortlaut dieser War- 
nungen in weiterem Umkreise zu verfolgen. Man sagt also: 
'Die Roggenmutter (Roggemoder) kommt'! 'Die Kornmutter 
(Kornmoder) sitzt im Korn und holt euch, Kinder! Häufig 
werden noch einige nähere Angaben über ihr Aussehen und 
ihre Verrichtungen hinzugefügt. Ebenso warnt man davor, 
in ein Erbsenfeld zu gehen, um Schoten abzupflücken, indem 
man mit der Erbsenmutter (Erftemöder, Arftemoder: z.B. 
Kr. Gardelegen Pr. Sachsen; Arfkenmör: Dinklage in Olden- 
burg, vergl. Strackerjan Abergl. a. Oldenburg I § 260 8. 422) 
droht. Auch in Norwegen (Modum in Ringerike) sitzt 
die jErtemor (Erbsenmutter) in den Erbsen. 



^ Wer Kornblumen sucht, trifft auf die 'Kornmutter'. Haselau bei Elbiog. 



298 KAPITEL V. 

Die Namensformen Kornmutter, Roggen m u 1 1 e r, 
Erbsen m u 1 1 e r sind in der in Rede stehenden Warnung 
durch ganz Deutschland verbreitet (Pi*. Preussen, Pommern, 
Schlesien, Rgbz. Bromberg, Hannover, Waldeck, Rgbz. Aachen, 
Hessen, Nassau, Elsass ^ u. s. w.). Strichweise tritt dafür die 
Bezeichnung Roggenwif ^ Kornwif ein (Kr. Stuhm Rgbz. 
Marien Werder; Kr. Stargard Rgbz. Dauzig; Kr. Oschersleben, 
Kr. Halberstadt, Kr. Wernigerode u. s. w. Pr. Sachsen; 
Celle, Lüneburg, Stade Pr. Hannover u. s. w.). Das Korn- 
w ei bei ist draussen! Das Korn wei bei fängt euch weg! (Um- 
gegend von Zwickau) ; Erbsenweib, Arftenwif (Mecklen- 
burg; Lehrte, Lüneburg in Hannover) ;Bohnenweib (Lehrte). 

RoggenmwAme, Kor umuhme heisst es Kr. Pr. Eylau; 
Zossen Kr. Teltow, Kr. Havelland Pr. Brandenburg; Stendal, 
Gardelegen Pr. Sachsen; Dannenberg bei Lüneburg. Dafür 
treten auch die folgenden Formen ein: Roggenmäume 
(Orangen bei Neustettin), Roggenmäumeke, Koren- 
mäumeke (Göttingen und Grubenhagen Hannover), Roggen- 
mäune (Hinterpommern; Kr. Stargard Rgbz. Stettin; Kr. 
Magdeburg), Roggenmöne, Roggenmön, Roggenmö 
(Kr.Deutsch-CroneRgbz. Marien werder;Kr.Gnesen, Kr. Obornik 
Pr. Posen ; Kr. Pyritz, Kr. Greiffenhagen Pr. Pommern ; Greifen- 
berg Pr. Brandenburg; Kr. Gardelegen, Kr. Jerichow I u. II, 
Kr. Stendal Pr. Sachsen ; vergl. auch Dähiiert Plattdeutsches 
Wörterbuch. Stralsund 1781: Roggen - Möme) , Roggen- 
müene, Kommune, Roggenmüne (Kr. Teltow, Nieder- 
barnim, Jericho wII,Salzwedel),Roggenmiane (Kr. Jericho wl), 
Roggenmiene (Kr. Teltow, Zauche, Osthavelland, Kalbe), 
Kornmühre (Kr. Jerichow II), Kornbiene (Kr. Kalbe), 
Kornmoje (Kr. Wolmirstedt). Ebenso kennt man die Arfte- 
mön (Kr. Salzwedel) oder Arftenmöne (Altmark, Mittel- 
mark), Arfkenmöme (Osterburg Rgbz. Magdeburg). 

Statt Kornmutter oder Kornmuhme hört man auch: 
Die Grossmutter sitzt im Roggen' (z. B. Dingwalde bei Creutz- 
burg Pr. Preussen) oder:'DiealteMutter sitzt im Korn (Amt 
Ahlden bei Lüneburg). — In Dänemark lautet die Warnung 
an die Kinder, die sich ins Kornfeld verlaufen wollen: 'Rug- 

1 Stöbers Alsada 1856 S. 133 n. 8. 



DEMETER. 299 

kjfierling' kommer og tager jer'. Die ßoggenalte 
kommt und nimmt euch (Ringstedamt, Frederikssund Själland). 
Ebenso ruft man beiSlagelse: 'Skynd dig ud, dreng,nu kommer 
jErtekjflßllingenr Spute dich, Junge, jetzt kommt das alte 
Erbsenweib! Im Amte Aarhus (Jylland) heisst es einfach: 
'En Kone sitter i Korn'. Eine Frau sitzt im Korn. In 
Schweden (Elmhult Knäredssocken) : 'Ärtekärringen tar er!* 
Die Erhsenalte nimmt euch! — Den Slaven ist der nämliche 
Brauch geläufig. Die Kassuben und die Polen in der Provinz 
Preussen warnen die Kinder vor der Zytnamatka Korn- 
mutter, die im Korne sitze (Quaschin bei Oliva; Rekau, 
Sellistrau Rgbz. Danzig; Orteisburg), ebenso die Czechen 
(Böhmen, z. B. Kr. Czaslau). Bei Putzig sagen die Kassuben 
dafür auch Rzanamatka Roggenmuttcr oder Zarnamatka 
Handmühlenmutter (zarna = got. quairnus). Oefter 
noch hört man Zytnabab'a Kornalte, z. B. 'Zytnababa 
siedzi w zycie i zadusza dzieci, ktorzy takowe depcf,. Die 
Kornalte sitzt im Korn und erwürgt die Kinder, welche es 
zertreten* (Kr. Qraudenz, Kr. Marienwerder, Kr. Pr. Stargard, 
Kr. Goldapp). Ebenso in Pr. Posen, Oberschlesien und Galizien 
(Kr. Tarnow), z. B.; 'Zytnia baba w zycie, ktora male dzieci 
zezyra, die Kornalte ist im Korn, welche die kleinen Kinder 
frisst' (Kr. Brieg Rgbz. Breslau). Oder man sagt nur Baba 
(Alte, Grossmutter) oder Starababa (die Uralte) bezw. 
halbverdeutscht Herschbaba (Hirsebaba) , Kornbaba 
(Kr. Pr. Stargard, Kr. Osterode, Kr. Ortelsburg, Kr. Ragnit, 
Kr. Goldapp, Kr. Wehlau Pr. Preussen; Rgbz. Bromberg; 
Rgbz. Posen; Rgbz. Oppeln; Rgbz. Breslau), z. B.: *Baba 
idzie, die Alte kommt!' 'Nie chodz tam, bo tam baba jest!' 
'Baba siedzie w zycie' (Namslau Rgbz. Breslau). Auch in 
G.alizien z. B. Kr. Krakau heisst es: 'Die Stara Baba kommt!' 
und die Kleinrussen sagen , wenn sie nicht erlauben wollen, 
Schoten auf den Erbsenfeldern abzureissen oder in Feld und 
Garten zu laufen: *Da sitzt die eiserne Baba*.^ Ebenso 
heisst es in der Ukraine: 'Die eiserne Baba sitzt im 



* Ejserling, spr. keelling, altes Weib. 

2 Afauasieff Poetische Naturan.schauungen der Russen III 591. 



300 KAPITEL V. 

Korne'; und auch die Serben drohen bei dieser Gelegen- 
heit mit der Baba, die Zähne gleich Nägeln habe. Die 
Masuren in den preussischen Kreisen Goldapp, Johannisburg, 
Lyk, Sensburg, Lötzen, Oletzko gebrauchen neben dem in 
deutscher Rede angewendeten Kornmutter, Kornweib, 
wenn sie sich polnisch ausdrücken, abwechselnd mit Baba 
oder Zytnamatka oder (und zwar meistens) allein die Be- 
zeichnung Babaj^dza, BabaJ^za. In grossrussischen 
Landschaften (z. B. Kr. Poschechonje Gouv. Jaroslaw) be- 
gegnet dieselbe Redensart, indem man die Kinder vom Herum- 
laufen in x^eckern und Gärten durch die Warnung entweder 
vor dem Polevoj Djed (Feldgrossvater) oder vor der 
'BabaYaga mit den Knochenbeinen, den grossen 
Brüsten und der Hakennase' abschreckt.^ — Die 
Litauer sagen wiederum , die Rugiuboba (Roggenalte) 
sitze im Korn (Kr. Ragnit). 'Die Rugiuboba kommt!' (Umgeg. 
V. Tilsit). 'Vaikai n'eikit i rugius, jeib jus Rugiuboba ne- 
sugautu'! Kinder geht nicht in^s Korn, dass euch die Rugiu- 
boba nicht ergreife! (allgemein in Pr. Litauen). Oder man 
sagt bloss: 'Da sitzt die Boba (Mehlauken Kr. Labiau). Auch 
die Letten bei Doblen in Kurland warnen 'labbibas laukd essut 
b u b ba, buddelis [bubbulis?], kas bernus aisneffifat', im Getreide- 
feld sei eine Bubba, ein Popanz, der die Kinder forttrage. 
Bubba scheint lautliche Entartung von baba, altes Weib. In 
Galizien endlich (Kr. Stry um Tarnopol) heisst die Korn- 
mutter auch Dzika Baba, Deka Baba, d. i. die alte wilde 
Frau. 

Soviel von den in der Warnung auftretenden Namen. 
Häufig, wie bereits erwähnt, werden nähere Umstände zur 
Charakteristik des Gespenstes hinzugefügt. Sehen wir ein- 
mal zu, was daraus zu gewinnen ist. Nach manchen Ueber- 
lieferungen ist die Kornmutter noch halb theriomorphisch 
gedacht. Sie kann verschiedene Gestalten annehmen und sich 
in Thiere, z.B. eine Schildkröte, verwandeln (Käsemark 
Danziger Werder). ^ Sie soll ein schlangenartiges Thier sein. 



^ Afanasieff Poetische Naturanschauungen der Russen III 591* 
* Gerade so heisst es in Mähren von der wilden Frau Yeätice 



DEMETER. 301 

welches beisst (Kaimusen bei Garnsee Kr. Graudenz). Die 
Babaj^dza sitzt in Gestalt eines Wolfes im Korn und 
wird von kleinen Hündchen begleitet, welche die Kinder 
aufsuchen und so lange festhalten, bis sie selbst herzukommt 
und dieselben an ihre eisernen Brüste drückt (Schimonken 
* zwischen Rhein und Arys Kr. Sensburg Rgbz. Königsberg). 
Die Stara Babka, welche im (letreide sitzt, hat den Leib 
eines Menschen und den Kopf eines Thieros, meistens eines 
Frosches, zuweilen erscheint sie zu Pferde mit dem 
Kopf eines Löwen (Umgegend von Krakau). Im Kornfelde 
sitzt der Stary Dziad (alte Grossvater). Er bat drei 
Köpfe mit langen Barten, hinten aber einen bronnenden 
Schwanz, und sticht die Kinder mit brennenden Lanzen. 
Oder man sagt, die Stara Baba sei darin; sie hat auch 
einen dreifachen, aber bartlosen Kopf und bren- 
nende Brüste. Der Name Baba und eine der vorstehen- 
den ähnliche Beschreibung ihrer Gestalt bricht seihst in Süd- 
deutschland zuweilen hervor. Nach der Mittheilung des Herrn 
Stadtpfarrers Thiem in Kupferberg Bza. Stadtsteinach in 
Oberfranken hatte man daselbst folgendes Sprüchlein, um die 
Kinder vom Verlaufen ins Getreidefeld zurückzuhalten: 

O bloibe von dem FeMe fern, 
Es sitzt die nlte Bähe drin; 
Sie hütet das Getreide fjern, 
Lnsst ungestraft nichts fürderziehn. 
Sie hat ein feurig's Aug(?n licht, 
Kind, hüte dich und frevle nicht. 

In der Nacht erscheint die Baba immer zu Pferde, und 
um ihren Kopf sind mehrere Lichter zu sehen 
(Kr. Krakau). Die Babaj^dza reitet um Mitternacht auf 
einem Pferde oder Hunde, und um ihren Kopf leuchten 
mehrere Lichter (Kr. Sambor Galizien). Wenn auf einem 
Flecke Acker oder auf der ganzen Dorfflur das Getreide 
nicht gedeiht, oder der Hagel einschlägt, so sagt man : 'Da ist 
die Babaj^dza durchgegangen'. Sie ist ein Weib mit einem 
Froschkopf, die zuweilen auch auf einem Pferd gesehen wird. 

(eigentl. Wahrsa^jerin), sie könne die Gestnlr jedes Thiers annehmen. 
Grohmann Aberglauben und Gebränche aus Böhmen in Beiträge z. Gesch. 
Böhmens 112 S. 14 n 64. 



302 KAPITEL V. 

Sieht man sie Nachts, so gewahrt man Funken um ihren 
Kopf fliegen (Kr. Bochnia Galizien). Die Kornmutter 
reitet im Getreidefeld auf einem Pferde herum und 
drückt die Kinder an ihr eisernes Herz (Strengein Kirchsp. 
Kutten Kr. Angerburg). Die Kornmutter jagt die Kinder im 
Korne, bis sie todt hinstürzen. Sie läuft so schnell^ tvie das 
schnellste Pferd (Pillkallen Pr. Ostpreussen). 

Erwägt man, dass der Masure bei einem Wirbelwinde, 
der so stark ist, dass er die Erde mit aufwühlt, zu sagen 
pflegt da fliegt ein Pferd durch die Wolken',^ so 
erkennt man leicht, dass die Schilderung der Kornmutter, 
Babaj^dza u. s. w. als zu Rosse dahineilend oder selbst wie 
ein Ross laufend diejenige Lebensäusserung derselben vor 
Augen stellt, welche o. S. 296 mit der Redensart 'die Korn- 
mutter geht mit ihren Doggen bezeichnet wurde. Auch die 
Wolf-, Frosch- und Löwengestalt der Kornmutter (o. S. 301) 
mögen durch den Vergleich des Heulens, Quakens, Brüllens 
mit dem Naturlaute des Sturmes und Wirbelwindes (dem 
Raren), '^ die Lichterscheinungen um ihren Kopf durch die 
elektrischen Entladungen der Trombe veranlasst sein. Unter 
diesen Umständen lag die Verbindung der beiden Korndämonen 
Roggenwolf und Kornmutter sehr nahe. Sie tritt hervor, 
wenn zu Langwalde Kr. Rastenburg Pr. Preussen die Kinder 
damit geängstigt werden , man wolle sie zu der Kornmutter 
bringen, welche sie ins Korn schleppe, wo sie nimmer her- 
ausfänden oder wo sie von den Wölfen, den Kindern 
der Kornmutter, gefressen würden. Ebenso heisst -es 
zu Gross-Berndten Kr. Nordhausen Pr. Sachsen, der Korn- 
wolf oder der Kornbär sei der Sohn der Korn- 
mutter. Zu Pilsting bei Landau Nieder bayern schüchtert 
man die Kinder mit den Worten ein: Der Korn wolf kommt'. 
Früher soll man gesagt haben, der Kornwolf sei der Sohn 
der Kornmutter. 

Gewöhnlich jedoch wird die Kornmutter anthropomor- 
phisch gedacht. Eine weisse Frau sitzt im Korne (Nörd- 



1 Toppen Aberglauben aus Masuren. « S. 34. AWF. 9j ff. 
» S. Maniihardt Roggenwolf und Roggenhund.» S. 16 — 1'8 



DEMETER. 303 

lingen im Ries). Das Korenwif hat rothe Augen und 
schwarze Nase , sie trägt eineweisseHaubeund hat 
ein weisses Laken umgethan (HoltensenHannover).^ Die 
Dzika Baba im Kreise Stry (o. S. 300) ist weiss angezogen, 
und Vater und Mutter setzen sich in weisser Kleidung 
ins Feld, um sie vorzustellen. Auch mit der Babaj^dza wurde 
ein Berichterstatter von seiner Amme geschreckt, indem die- 
selbe ein weisses Tuchumden Kopfnahm (Kr. Bochnia 
Qalizien). Bei Jerichow Pr. Sachsen setzt sich eine 
Person mit einem weissenTuche verhüllt in eine 
Furche des Ackerfeldes, um die Kinder wirklich an 
die Roggenmöne glauben zu machen , und taucht plötzlich 
. vor ihren Augen auf. In Gross-Steinheim Kr. Offenbach Pr. 
Starkenburg in Hessen-Darmstadt belegen grössere Kin- 
der ihr Gesicht mit Blättern der Klatschrose und 
mit kleinem Feldmohn (Papaver dubium) und nehmen 
einen Büschel Feldmohn in die Hand. So lassen sie 
sich in der Furche eines Ackerfeldes sehen, um den 
kleineren Kindern Furcht einzujagen. Ein Erwachsener hebt 
diese in die Höhe und zeigt ihnen 'die Kornmutter' oder 
das 'Kornweibchen'. Zu Kaaden Kr. Saaz in Böhmen aber 
beschreibt man die Kornmutter: sie habe ein rothes Ge- 
wand und eine blaue Mütze, auf welcher ein 
Stern ist (Anspielung auf den rothen Mohn und die blauen 
Kornblumen im Ackerfelde) , in der Hand trage sie eine 
Peitsche oder ein Scepter. Im Kr. Jerichow II zeigt man 
den Kindern öfter aus der Ferne eine menschlich gestaltete 
Vogelscheuche im Weizen- oder Gerstenfelde als 'Kornmöne', 
ebenso bei Pilkallen Pr. Ostpreussen als ' K o r n m u 1 1 e r '. In 
Gross-Skirlack Rgbz.Gumbinnen beschreibt man die Kornmutter 
als eine hohe Frau, welche auch fliegen kann. 

Ganz allgemein schreibt man der Kornmutter, Baba, 
Babaj^dza, Baba Yaga, Rugiuboba u. s. w. g r o s s c B r ü s t e mit 
eisernenBrustwarzenzu. Diese Brüste sind nach Aussage 
der Leute in Petereitschen Kr. Pilkallen Pr. Ostpreussen so 
lang, das» siedamit dem widerspenstigen Kinde 



1 Schambach und MüHer Nieders. Sag. S. H) n 104, 2. 



304 KAPITEL V. 

um die Ohren schlägt. Auch von der Dzika Baba 
heisst es im Kr. Tarnopol, sie sitze ganz schwarz und nackt, 
mitBrüsten, die sie über die Achseln schlage, im 
Getreide, und nehme die Kinder mit in ihre Grube oder ihr 
Loch, worin sie unter der Erde wohne. Dieser Zug ist wohl 
eine von den langen Brüsten der wilden Weiber und 
der als Wirbelwinde dem Sturm oder Gewitter voran fah- 
renden Frauen (BK. 88. 108. 117. 123. 128. 137. 138. 
147. 445. 611) hergenommene Uebertragung, veranlasst da- 
durch, dass die Kornmutter ihr Leben mehrfach im Wind- 
hauch und Wirbelwind äussert (o. 8. 296. 302). Eines anderen 
Ursprungs aber scheinen die übrigen Aussagen über die 
Brüste der Kornmutter. Von den tsern Titten' heisst 
dieselbe in den Kreisen Neuhaldensleben und Wolmirstedt 
sehr häufig 'dat Tittewtf. Die Brustwarzen sind so 
scharf, dass sie wie Flachshecheln stechen (Judschen 
bei Gumbinnen); und daher rührt ein Name, den die Ge- 
treidemutter bei Verden führt, 'Häkelmöm*; häkeln 
ist nämlich hecheln, Flachs hecheln. Da man zu Harsefeld 
bei Stade sagt 'die Kornmutter steche die Kinder 
mit den Halmen', vermuthe ich^ dass diese spitzen, 
stechenden Brustwarzen die langen spröden Spitzen oder 
Borsten, die Grannen, Acholn oder Gracheln an den Getreide- 
ähren bedeuten, und dass die Benennung eisern nur eine 
metaphorische Bezeichnung ihren stechenden Eigenschaften 
sei. Dieses Bild scheint weiter ausgeführt, wenn es (Tilsiter 
Niederung) heisst, die Kornmutter sitze mit nacktem 
Hintern (den glatten, unbekleideten Halmen?) und eisernen 
Brüsten im Korn. Nur selten (im südlichen und nordwest- 
lichen Theile des Wester waldes), hört man, dass die Kinder 
der Korn mutter hölzerne Memmen saugen müssen;^ 
häufiger spricht man (in der Altmark, im Lüneburgischen 
und den Kreisen Gardelegen, Salzwedel, Oschersleben Pr. 
Sachsen) von der swarten Titte der Kornmöme, und daher 
wird sie auch Kr. Wolmirstedt dat swarte Titten wif, 
d. i. das Weib mit den schwarzen Brustwarzen, genannt. Ich 



1 Kehrein Yolkssitte im Herzogthum Nassau S. 280: Memme« 



DEMETER. 305 

vermuthe, dass bei dieser Auffassung an die schW&rzen Pilze 
des Mutterkorns (s. weiter unten) als an die schwarzen Saug- 
warzen der Kornfrau gedacht ist. Zuweilen, z. B. bei Pil- 
kallen in Ostpreussen, in Neuhaldensleben, in Niederösterreich 
unter dem Manhardsberge, in Qalizien u. s. w. nennt man die 
eisernen Brüste der Kornmutter, Stara Baba u. s. w. 
'glühend', 'brennend', *gluh'. Insofern dabei nicht 
die Lichterscheinungen der Trombe im Spiele sind (o. S. 302), 
könnte das vielleicht auf die röthliche Farbe der reifen Aehren 
gehen (vergl. rubicunda Ceres, rubra flamma). 

An diese Brüste legt die Kornmutter die Kleinen und 
lässt sie daran saugen, worauf sie sogleich sterben. Dies 
ist die allgemein durchstehende Angabe. Offenbar Aus- 
schmückungen und Ausläufer und zwar nur missverständliche 
dieses Zuges sind es, wenn vereinzelt hie und da gesagt 
wird, dass die Kinder saugen müssen, bis Blut kommt, dass 
das Kornweib die Kinder mit eisernen Zangen kneife oder 
ihnen die Beine ausreisse oder sie fresse, oder in einen Sack 
oder Tragkorb stecke und forttrage. Sie heisst daher bei 
Soldin in der Neumark 'die Alte mit der Karen (Tragkorb). 
Auch dichtet man in Folge dieser Vorstellungen der Korn- 
mutter krallenartige Finger an. Zu Niedane Kr. Batibor 
erwürgt die Kornbaba mit furchtbaren Krallen 
(pazurami) , zu Oonobitz Kr. Cilly in Steyermark tödtet 
das Kornweibel oder die Kornmutter mit ihren bren- 
nenden Fingern und Brüsten die Kleinen, brät und 
isst sie. Und bei Marburg in Steyermark sagt man, die 
Kornmutter (Weizenmutter, Erbsen mutter), ein Weib ganz 
grau angezogen und mit Krallen an den Händen greife 
die Kinder und gebe sie ihrem brennenden Horn- 
vieh zu fressen. Auch heisst es, wenn jemand im Hause 
plötzlich stirbt, die Kornmutter habe ihn mit ihren Krallen 
angerührt. Aehnlich zu St. Polten Kr. über dem Wiener 
Walde. Die Kornmutter führt die ins Korn verlaufenen 
Kinder weg und erdrückt sie. Am Charfreitag sollen 
deren Seelen um Mitternacht im Hause der Eltern umgehen. 
Zuweilen aber wird das Ergreifen der Kinder ganz nach der 
Weise der gewöhnlichen Elbensagen zu einer Vertauschung 

QP. LI. 20 



806 KAPITEL V. 

mit Wechselbälgen, Bei Saalfeld (Sachsen-Meiningen) zwang 
einmal ein Edelmann eine Sechswöchnerin, Garben auf dem 
Felde mitzubinden. . Sie legte ihr Kind auf den Acker. Ueber 
eine Weile kam die Roggenmutter, und der Edelmann 
sah, me dieselbe das Kind vertauschte. Der Wechselbalg 
schrie, der Edelmann liess ihn schreien. Da kam die Boggen- 
mutter wieder, brachte das rechte Kind und holte das ihrige 
zurück. Der Herr aber erlaubte der Sechs Wöchnerin nach 
Hause zu gehen. ^ 

Im Kornfeld sich verirren ist für kleine Kinder in Wahr- 
heit gefährHch und war es ehedem noch weit mehr, als vor 
der Separation des Gemeindebesitzes die Kornflur jedes Dorfes 
eine weite, unabsehbare, zusammenhängende Fläche ausmachte.^ 
Es erklärt sich daher auf ganz einfache und natürUche Weise, 
weshalb man den Kleinen die Kornmutter so schreckhaft als 
möglich ausmalte. Geschah dies nun ganz nach Analogie 
der verschiedenen Ausgestaltungen des Glaubens, dass die 
Waldgeister (Dive zeny, Fanggen, Langtüttin, Seligen, 
Eis, Salvanel, Ljeschie) Kinder stehlen,^ so fragt man 
sich, ob dabei Uebertragung bezw. Aneignung eines fertigen 
Musters im Spiele war, oder ob eine gemeinsame Idee einen 
gleichmässigen Ausdruck fand. Letztere könnte — wenn sie 
vorhanden war — nur in dem jetzt stark verdunkelten 
Glauben gesucht werden, dass die Waldgeister und die 

* Prätorius Neue Weltbeschreibung 8. 138. Grimra D. Sa^:. 2 I 
S. 127 n. 90. 

* Vorgestern Abend vorraisste eine Familie auf dem Rück- 
wege Yon Panckow nach Berlin plötzlich ein dreijähriges Kind, das 
bisher hinter den Eltern gegangen war. Es wurde sofort auf dem 
ganzen Wege gesucht, ohne dass sich eine Spur zeigte. Da rieth ein 
dazu kommender Herr, doch im Getreide längs des Weges nachzusehen , 
indem er daran erinnerte, wie schon einmal ein Kind sich dort ins 
Getreide verirrt und erst beim Abmähen des Feldes todt aufge- 
funden war. Man befolgte diesen Rath, traf auch bald auf Spuren 
im nahen Feld und fand glücklich das Kind, welches weinend im Ge- 
treide sass. Neue preussische (Kreuz-) Zeitung 7. Juli 18G5 no. 156. 

* Wilde Weiber, Fanggen u. s. w. laufen Kindern nach und 
bieten ihnen ihre langen Brüste dar. BK. 88. 108. Fanggen, Selige, 
Eis, SaWegn stehlen bezw. fressen oder vertauschen Kinder. BK. 89. 
90. 108. 113. 126. 



DEMETER. 307 

Eornmutter die in früher Jugend sterbenden Kinder wieder 
dorthin zurückholen, wo ihre Seelen vor der Geburt geweilt,^ 
in den Wald, ins Saatfeld (vergl. AWF. 124). Die zurück- 
gekehrten werden wieder zu grünen Aehren. Bestand etwa 
dieser Glaube, so musste er auf die Warnung vor dem Ver- 
laufen lebender Kinder ins Getreidefeld Einfluss üben. Mög- 
licherweise ist auf eine derartige Vorstellung ganz speciell die 
Drohung bei Kenia Bez. Ebeleben Unterherrschaft Sonders- 
hausen zurückzuführen: 'Die Roggenmuhme bindet 
euch grüne Kränze, färbt euch die Haare grün 
und bindet euch an.' 2 

Sei dem nun, wie ihm wolle, mit grösserer Sicherheit 
scheint es möglich, die folgenden Aussagen auf ihren sach- 
lichen Kern zu bringen. Die eisernen Brüste der Bugiuboba 
sind mit Theer g e f ü 1 1 1 ( Wilkischken Kr. Tilsit). Die 
Boggenmöne lässt die Kinder ihre 's warte Titte' 
saugen, oder sie gibt ihnen eine Theerstulle d. h. eine 
mit Theer beschmierte Brodschnitte zu essen (Kr. Garde- 
legen, Salzwedel, Stendal und sonst in der Altraark). Die 
ßoggenmöen hateineTheerbuddel und beschmiert 
die Kinder ganz mit Theer (Rogasen Kr. Obornik 
Rgbz. Posen). Wir sahen schon (o. S. 305), dass unter den 
schwarzen Brustwarzen, wo solche erwähnt werden, 
unverkennbar die Pilze des Mutterkorns gemeint seien. Da 
nun letzteres auch als Mutterbrod (Kr. Teltow Rgbz. 
Potsdam; Jerichow II, Wanzleben, Calbe Rgbz. Magdeburg; 

1 Kinder kommen aus Bäumen. Mannhardt Germ. Myth. 668 ff. 
Das Kornfeld als Ursprungsort der Seelen zu denken , lag bei dem 
Parallelismus von Kind und Korn nahe genug. 

2 Hiermit steht zu vergleichen, dass der von den wilden Weibern 
des Salzburger ünterberges, welche zur Zeit der Aehrenschnei- 
dung hervorkommen, geraubte Knab e naoh Jah resfris t in 
grünem Kloide wiedergesehen wurde. Sagen der Vorzeit oder 
ausfuhrl. Beschr. v. d. berühmt, salzburgischen üntersberg oder Wunder- 
berg. Brixen 1818 S. 9. Panzer Beitr. z. D. Myth. I 12. BK. 108. — 
Wenn Kinder ins Getreide laufen, so kommt 'das Getreidemänn- 
chen und holt sie in den Wald, wo es dieselben bis zum nächsten 
Jahre zurückbehält. Nach Jahresfrist bringt es dieselben wieder 
an denselben Ort zurück, woher es sie entnommen. Stookerau unter 
dem Manhardsberge. 

20* 



308 KAPITEL V. 

Wittenberg Rgbz. Merseburg; Czarnikau Rgbz. Bromberg), 
Kornmutterbrod (Lebendorf bei Gönnern, Aisleben 
u. s. w. Saalkr. Rgbz. Merseburg) bezeichnet wird, so ist es 
klar, was die TheerstuUö oder Theerbuddel zu be- 
deuten hat.* Die Kornmutter soll einen Stock oder eine 
Peitsche in der Hand halten. Ich weiss nicht, was damit 
gemeint sein könnte, wenn es nicht ein anderer Ausdruck 
für die Hecheln der Kornbrust sein soll. Die Kommutter 
hat einen grossen Stock, womit sie die Kinder 
schlägt (Klein-Gnie a. d. Schweine Kr. Gerdauen Rgbz. 
Königsberg). Die Kornmutter peitscht mit eiserner 
Geissei (Gross-Sobrost Kr. Darkehmen Rgbz. Gumbinnen). 
Die Körnmutter hat einen eisernen Kantschuh 
(Pelleningken bei Insterburg). Die Zytnababa sitzt in den 
Erbsen und hat einen Stock mit eisernem Messer 
(Liebenau bei Marienwerder, Krangen bei Fr. Stargard). 
Die Rugiuboba hat theergefüllte Brüste und eine Ruthe 
in der rechten Hand (Wilkischken bei Tilsit). Das Raalwtf 
(o. S. 297) sitzt im Korne mit einer Pike vor dem 



^ Man vergl. Dr. P. Sorauei* Handbuch der Pflanzenkrankheit^on 
Berlin 1874 S. 361: Wir bezeichnen mit dem Namen Muttorkorn jene 
meist langgestreckten, häufig etwas gekrümmten, kantigen, gefurchten, 
aussen grau violetten, zuweilen bestäubten, nach innen zu weissen, aus 
par^nohymatisch verbundenen Pilzzellen gebildeten, nicht selten mit 
einem gelbschmutzigen Anhängsel (Mützchen) versehenen 
Körper, welche einzeln oder zu vielen auf den Getreideähren auf- 
treten und die in ihrer Gestalt meist Aehnlichkeit mit dem Getreide- 
korn haben, das sie vertreten. S. 367 ff. : Sobald der junge Mutter- 
kornpilz aus dem Fruchtknoten der Eornblüthe hervorwuchert , zeigt 
sich auf demselben eine fade süsslich schmeckend« Flüssig- 
keit, welche bei zunehmender Ueppigkeit der Pilzvegetation und 
einer demgemäss reichlicher auftretenden Menge die Spelzen des 
Roggenblüthchens an ihrer Basis durchtränkt und endlich als ein 
übelriechender Schleim, der sogenannte Honigthau, hervorquillt. 
Diese schmierig weiche Sphaceliamasse bildet sich in 6 — 14 
Tagen, je nach der Witterung zum Sclerotium des schwarzen 
Mutterkorns aus, das 2 — 3 Mal so gross als ein Getreidekorn sich 
in Zahl von 8 — 10 an einer Aehre findet. Bei trüben, nebligen 
Tagen ist der Geruch jenes eigenthümlich riechenden Schleimes 
sehr merklich, er wird wie ein giftiger, stinkender Nebel empfunden. 



DEMETER. 809 

Kopf und einer in jeder Hand (Amt Salder Herzog- 
thum Braunschweig). Vergl, die Lanzen in der Hand des 
Stary Dziad (o. S. 301). 

Dagegen geht es möglicherweise wieder auf Wetter- 
erscheinungen ^ wenn gesagt wird, die Kornmutter, Roggen- 
mutter, Roggenmüne, Arftenmö, Titten wif zerstampfe die 
Kinder in einem inwendig mit spitzen Nägeln oder Steck- 
nadeln besetzten (Wachsmuth bei Riesenburg Rgbz. Marien- 
werder , Kischau Kr. Bereut Rgbz. Danzig) eisernen 
Butterfass, Salzfass , Tonne (Karthaus Rgbz. Danzig, 
Rosenberg Rgbz. Marienwerder; Schöneberg Kr. Karthaus; 
Zempelburg Kr. Flatow Rgbz. Marien werder; Kr. Morungen 
Rgbz. Königsberg; Grabnik Kr. Lyk Rgbz. Gumbinnen; 
Wolfhals bei Bromberg; Kr. Jericho w I u. H, Kr. Wanz- 
leben Rgbz. Magdeburg; Crossen Rgbz. Frankfurt); wovon 
sie auch Bottamömk, Bottamämeke (Kr. Kammin Rgbz. Stettin) 
genannt wird. Man kann vielleicht vergleichen, dass die 
Baba Yaga nach grossrussischen Bilinas in einem eisernen 
Mörser fährt , den sie mit dem Klöppel lenkt , indem sie 
zugleich mit einem Besen ihre Spur hinter sich verwischt.* 
Nach Weissrussischem Glauben fliegt Baba Yaga in einem 
feurigen Mörser durch die Luft, den sie mit einem bren- 
nenden Besen forttreibt ; während ihres Fluges heult der 
Wind, die Erde stöhnt, und die Bäume drehen sich krachend 
im Wirbeltanz. ^ Es liegt nahe, an die quirlende Be- 
wegung des Wirbelwindes und die o. S. 296. 302 erwähnten 
kleinen Tromben als Lebensäusserungen der Kornmutter auch 
in unserem Falle zu denken.'^ 

Die letztere Erscheinung spiegelt sich wohl ebenfalls 
ab in dem Glauben, die Kornmutter sitze im Felde und 
puste den Kindern die Augen aus. (Plochoczyn 



^ Vergl. das Lied von Tschurilo in 'Fürst Wladimir und dessen 
Tafelrunde. Altrussisohe Heldenlieder.' Leipzig: 1819 S, 109 n. 3. 

^ Ralston The songs of the Russiau people S. 162. 

' In Jemtland (Schweden) wird eine andere Wettererseheinung 
mit dem Buttern vergliohen. Wenn es regnet und dazwischen hagelt, 
sagt man: 'Nu ä trollkäringa ute och kärna,' Nun sind die Hexen aus 
zu buttern. Hylten-Cavallius Wärend och Wirdarne II 12. 



310 KAPITEL V. 

bei Graudenz Kr. Schweiz), woraus missverständlich durch 
Verbindung mit jener anderen Vorstellung (o. S. 307) der 
Glaube entstand , sie schmiere den Kindern die 
Augen mit Theer (Ryczywol Kr. Obornik Rgbz. Posen). 
Vergl. hiezu Grohmann Abergl. a. Böhmen S. 15 n. 73: 
'Rarasek heisst der Wirbelwind; er ist ein boshafter 
Geist, der die Menschen neckt und ihnen schadet, indem 
er im Sommer plötzlich die Garben vom Felde wegträgt. 
Oft ist er so stark, dass er dem Menschen plötzlich 
in die Augen fährt und ihn des Augenlichtes 
beraubt/ 

Dass dies alles nun nicht hohle Allegorien, sondern zur 
Ueberzeugung von der leibhaften Gegenwart einer wahrhaften 
Persönlichkeit gediehene Poesie ist, beweist die folgende An- 
gabe. Wenn die Kornmutter jemand anhaucht, 
so schwillt er und muss sterben (Neumark Kr. Löbau 
Rgbz. Marienwerder). Das ist genau jener Anhauch, den 
man auch den Elfen zuschreibt (Alfgust, Alfbläst BK. 62. 
125. Vergl. AWP. 36. 37. 311). 

Während die vorstehenden Volksauadrücke die furcht- 
bare Seite hervorkehren, lehren uns andere zugleich ihre 
Segenskräfte kennen. Die Kornmutter macht das 
Korn wachsen; zürnt sie, so bleibt es im Wachs- 
thum zurück. In Wefensleben Kr. Neuhaldensleben Rgbz. 
Magdeburg hat man die Redensart: 'Dit Jär gift et gut 
Flass, de Plassmutter hot sik seien läten' (wahr- 
scheinlich wenn der Wind im Plachsfelde wogt). In Dinkelsbühl 
(Mittelfranken) glaubte man noch vor 12—15 Jahren, wenn 
das Getreide auf einem Acker viel schlechter 
stand, als auf einem benachbarten, di.e Korn- 
mutter habe den Besitzer dadurch fü'r seine 
Sünden bestraft. Im Dorf Altensteig [?] Kr. Brück in 
Steyermark sagt man, um Mitternacht lasse sich die Korn- 
mutter in Gestalt der aus der letzten Garbe verfertigten, mit 
einem weiblichen Anzüge bekleideten Puppe auf den Aeckern, 
jedoch nur im Korn- oder Weizenfelde sehen. Sie mache 
dieselben hindurch ziehend fruchtbar. Wenn 
sie aber auf einen Gutsbesitzer einenZorn habe, 



DEMETER. 31 1 

80 vernichte sie ihm das ganze Korn- oder 
Weizenfeld, indem sie es ausdörrt. Zu Mies bei 
Eger geht die Rede, dass die Kornmutter, die auch die ver- 
laufenen Kinder mitnimmt, gabz weiss angezogen und einen 
Kranz von Getreide auf dem Kopf durchs Feld gehe 
und die unreifen Aehren ausreisse, das heisst 
doch wohl, dafür sorge, dass der Acker gleichmässig reife. 
Es ist fraglich, ob die gleiche Vorstellung der folgenden 
niederländischen Sage zu Grunde liege. Ein Schlächter ging 
Abends an einem Kornfelde vorbei, das an einem Bache 
lag. Da gewahrte er schon von ferne eine lange Frau, 
welche überall die Vorläufer d. h. die über die 
andern hervorragenden Aehren abpflückte und in 
ein Bündel zusammenfasste. Die lange Frau, das 
sah er ganz deutlich, war noch einmal so hoch als das 
Korn. Als er näher kam, bot er ihr einen *guten Abend! 
aber sie antwortete nicht. 'Guten Abend!' wiederholte er. 
Da sprach sie gleichfalls guten Abend!', schlug ihm aber 
mit dem Aehrenstrauss ins Gesicht. Darüber erschrak 
er so sehr, dass er zu laufen begann. Da lief die Frau 
hinter ihm her und schlug fortwährend zu. Das dauerte 
so lange, bis er an seinem Hause halb ohnmächtig nieder- 
fiel. Viele haben die lange Frau auch quer auf der Heer- 
strasse liegen sehen, und sie war so gross, dass sie die ganze 
Breite des Weges einnahm. ^ In wesentlichen Stücken ist 
diese Sage beeinflusst durch die Erzählungen von den Dorf- 
gespenstern bezw. Dorfthieren, deren charakteristisches Merk- 
mal es ist, dass [sie in riesiger Gestalt Abends oder Nachts 
den Erschreckten bis zur Erschöpfung verfolgen bezw. ihm 
aufhocken]. Im Bezirk Gottlieben Canton Thurgau spricht 
man zu den Kindern oft von einer Fimmelfrau, welche 
das Korn schwer mache, bösen Menschen dagegen 
Schaden zufüge. Fimmeln sind die männlichen Hanfpflanzen. 
Der Korn- und Erbsenmutter entspricht in der Schweiz 
eine Heumutter, welche in gleicher Weise Gras- und 
Baumwuchs auf Wald- und Feld wiesen fördert. Auf dem 



Wolf Niederländische Sagen 8. 591 n. 491. 



312 KAPITEL V. 

Isenbühl bei Niederwil liegt eine Sumpfwiese, die Riedmatte, 
an welche ehedem ein Wald stiess. Als dieser vor 70 Jahren 
niedergehauen wurde, sahen die Holzhauer ein uraltes Weibs- 
bild durchs Dickicht gehen, das kurze Kleider, einen breiten 
Hut, am Arm ein Körbchen und in der Hand einen Bösen- 
kränz trug. Zur nämlichen Zeit kam zu zwei andern Holz- 
hauern, die so eben das Abendbrod verzehrten, ein ähnliches 
Weib und setzte sich zwischen sie , ohne jedoch zu reden. 
Die Arbeiter sahen sich staunend an, wagten aber nicht sie 
anzureden, und so verschwand sie wieder und zwar 
unter starkem Pferdegetrappel (vergl. o. S. 301.302). 
Das war das Heumütterchen. Die Namen der beiden 
Arbeiter nennt man noch im Dorfe. ^ Der Prühlingseinzug 
dieses Geistes wird auch dramatisch dargestellt, indem man 
den Dämon der Waldvegetation (als Hüter der Wald- 
weide) und denjenigen des Wiesenwuchses (ähnlich wie 
bei den Holzfräulein BK. 77 ff.) in eins warf. Die drei 
letzten Donnerstage der Fastnachtszeit nennt man in der 
Schweiz die schmutzigen Donnerstage'. Dann schickt man 
nach dem Mittagsessen die Kinder als 'Heumütterli' 
maskirt in den nächsten Eichen- und Buchenwald, hier 
müssen sie in den Wald hinein zahnen' d. i. die Zähne 
bleken und Gesichter schneiden. Je mehr sie es thun, um 
so mehr werden in dem Jahre die Eicheln und Bucheckern 
gerathen, eine um so grössere Schweinemastung wird man 
bekommen.2 

In Wermland spricht man gelegentlich der Ernte von 
der Säfrua, Säa oder Hvetefrua (Getreidefrau, Weizen- 
frau); in Dalnsätra (Töcksmark) unweit der norwegischen 
Grenze nennt man dieselbe bald Säa bald Sä-rä d. i. Säde-rä 
(Rä Neutr., Plur. Rade = Troll, böser, heidnischer Geist. 
BK. 128). Einfache Vorstellungen, wie die zuletzt bei- 
gebrachten, von der Kornmutter müssen der Kern gewesen 



* Rochholz Naturmythen. Leipzig 1862. S. 135 n. 3. Vergl. das 
Auftreten der Skogsnufvar und der rauhen Else BK. 108 ff. 126 ff. 
Der Rosenkranz ist jüngerer Zusatz aus der Phantasie der Bewohner 
des katholischen Distriots. 

2 EoobboU Deutscher Glaube und Brauch. Berlin 1867, II S. 49, 



DEMETER. 313 

sein, aus welchem ein dichterischer Kopf ein Märchen ent- 
wickelte, das zvL Anfang der vierziger Jahre zu Sillerud von 
älteren Personen gerne erzählt wurde. Weit im Meere liegt 
eine grosse und lange Insel und darauf gibt es ungeheure 
Fruchtäcker mit paarweisen Aehren, von denen je die eine 
einen Mann so hoch (!) , die andere eine Frau so hoch (!) 
darstellt. Um diese Aehrenpaare herum sieht man kleinere 
Halme von kindlicher Grösse und kindlichem Aussehen. Diese 
Kleineren sind der Grossen Söhne und Töchter. Ueber diese 
unheimlichen Aecker, welche nie ein Ende nehmen, 
wacht eine Frau so schön (grann) als ^ie Sonne. 
Sie heisst Säfrua, Säa oder Hvetefrua. Zuerst im Sommer 
ist sie grün, später wird sie weiss wie Kreide und bekommt 
Blumen auf den Kopf und darnach weisse Aehren; ihr Haupt 
und Haar glänzt wie Gold und Silber. Man glaubt, sie 
schwebe um die Kornmenschen, die unter ihr auf der Erde 
stehen und wachsen ; sie flösst ihnen aus der Höhe , in d^r 
sie wohnt, herab Milch in den Mund aus ihrer milchweissen 
Brust und lässt sie saugen (poppa).^ Wenn aber das Ge- 
treide gross wird, bekommen sie Zähne und beissen die 
Säfrua in die Brustwarze, so dass diese böse wird und 
den Unthieren gestattet, sie aufzuessen, und den wirklichen 
Menschen, sie bis auf die Fusssohle abzuschneiden. Ist dies 
aber geschehen, so scheinen sie der Kornmutter sehr zu be- 
klagen; denn sie empfinden grossen Schmerz in den Füssen, 
und der Herbst kommt mit seiner Kälte daran und brennt 
sie. Deshalb flösst sie mehr Milch in die Wunden der Füsse 
und bläst darauf. Dieselben heilen und sie breitet nun linde 
eine weisse Seidendecke darüber. Die nimmt sie im Früh- 
jahr wieder ab. Sie hat zwei kleine goldene Vögel, die 
Ackermännchen (gula sädesärlor), die sendet sie zweimal im 
Jahre (im Frühling und Herbst) in den hohen Norden , um 
die Saatzeit anzukündigen. — Zwar scheint diese Schilderung 
einigermassen einen durch Andersen beeinflussten Geschmack 



^ Dies geht auf den sogenannten Milchsaft (lactere, lactesoere) 
in den jungen Aehren , dessen Einflöbsung der Bömcr der (Gottheit 
liactans oder Laoturcia zusohrieb» 



314 KAPITEL V. 

ZU verratheD, aber andererseits muss bemerkt werden, dass 
sie in der ganzen Anlage sehr viel mit den indianischen 
vom Korngeiste Mondamin gemein hat. Ich schliesse daraus, 
dass sie nicht unbedingt als eine moderne Erfindung anzu- 
sehen ist, sondern sehr wohl eine ältere Volksvorstellung 
als Grundlage haben kann. 

Wie wir schon o. S. 297 die Kornblumen als eine 
Verkörperung der Kornmutter kennen lernten, sieht die 
Phantasie eine Manifestation derselben auch noch in anderen 
Erscheinungen des Getreidefeldes. So ist es kein Zweifel, 
dass man in jenem schwarzen Pilz (secale comutum, 
clavus secalis), den wir o. S. 307 bereits als Brust- 
warze oder Brod der Kornmatter kennen lernten, die 
Gegenwart der Kornmutter sichtlich wahrzunehmen glaubte. 
Dieses Gewächs ist in der Medicin als Beförderer der Ge- 
burtswehen unter dem Namen Mutterkorn bekannt. Im 
Volke aber heisst dasselbe fast durchgängig Kornmutter, 
Roggenmutter, Roggenmöder (Pr. Preussen, z.B. 
Kr. Elbing, Osterode, Johannisburg, Darkehmen; Mecklenburg- 
Schwerin; Pr. Sachsen: Kr. Kalbe, Gardelegen, Salzwedel, 
Eckartsberg, Naumburg a. S.; Pr. Schlesien: Kr. Sprottau, 
Löwenberg, Liegnitz, Hirschberg, Strehlen, Neisse; Rhein- 
proyinz: Neuwied u. s. w.) oder Grossmutter, schwarze 
Grossmutter (Amt Harsefeld Herzogthum Bremen; Um- 
gegend von Stade), Malmutter, Mehlmutter (Kr. Lieg- 
nitz, Striegau), Roggenmiene (Walternienburg Kr. Kalbe 
[Jericho w I?]), Rugiuboba (Peilenhof bei Russ Kr. Heyde- 
krug Rgbz. Gumbinnen), Babaj^dza (Rosinsko Kr. Johannis- 
burg Rgbz.Gumbinnen). In der Umgegend von Plauen im Voigt- 
lande, Kr. Zwickau soll, wenn sich das Mutterkorn im Getreide 
zeigt, die Kornmutter hindurch gegangen sein. Da 
die wehentreibende Kraft des Pilzes erst in unserer Zeit all- 
gemein bekannt geworden ist,^ wird auch der Name Mutter- 



1 S. darüber R. Lex Ueber die Abtreibung der Leibesfrucht, in 
W. V. Hörn Vierteljahresschrift f. geriohtl. Medizin. N. F. IV B. 
Berlin 1866 S. 221 ff«: 'Erst im Anfange unseres Jahrh. wurde dieser 
merkwürdige Pilz auf Empfehlung amerikanischer Aerzte (Stearns, 



DEMETER. 315 

korn nicht auf die Gebärmutter, sondern auf die Getreide- 
frau sich beziehen. 

Da die Kornmutter in allerlei Thiergestalten sieh ver- 
wandeln kann (o. S. 300), so sieht — wie es den Anschein 
hat — die nach diesem geheimnissvollen Wesen ausschauende 
Phantasie des Volkes ab und zu eine zeitweilige Erscheinung 
derselben auch in der am Rande der Bäche und Gräben auf- 
fliegenden oder die Halme bekriechenden Raupe des Bären- 
spinners, in mehreren anderen im Getreide hausenden Insecten 
oder der plötzlich aus dem Korne aufschnarrenden Wachtel. 
Die Libelle, gemeinhin in ganz Deutschland die K o r n - 
Jungfer, Haferjungfer, Wasserjungfer, auch Grasmetze, 
Drachenhure, verfluchte Jungfer, Herrgottspferd, Himmelspferd, 



Prescott) in die geburtshilflioho Praxis eingeführt. Während er aU Ur- 
sache der Eriebelkrankheit schon seit geraumer Zeit das polizeiliche 
Interesse beschäftigt hatte (Gutachten der Marburger Facultät v. J. 
1597), waren seine wehentreibenden Kräfte bis dahin so gut wie ganz 
unbekannt geblieben/ Ebends. S. 222: 'Der Name Mutterkorn hat 
mit der Gebärmutter ursprünglich nichts zu thun. Das ergibt sich 
sowohl aus der älteren Benennung 'mater secalis' ( [Jobersetzung 
von Kornmutter), die sich bereits saec. XYI in des Matthiolus Gomment. 
zu Dioscorides (a Bauhino aucta ed. altera p. 325) findet, wobei einer 
uterinen Wirkung gar nicht gedacht wird (quod vitiura aliqui raatrem 
seealis, alii clavos siliginis vocant), als auch aus den noch hie und da ge- 
bräuchlichen Synonymen Roggenmutter, Kornmutter, Rankkorn. After- 
korn.' Nur ganz yereinzelt taucht schon in älterer Zeit die Kcnnt- 
niss der wehentreibenden Kraft auf. So in Lonicers Kreuterbuch 
Frankfurt a. M. 1564. Ich citire nach der Ausg. 1616 f. 285: 'Solche 
Kornzapfen werden von den Weibern für ein sonderliche Hülff nnd 
bewerte Artzney für das auffsteigen und wehethum der Mutter ge- 
halten, so man derselbigen drey etlich mahl einnimpt und issef.' Noch 
im J. 1777 erwähnt Gmelin in der 'Geschichte der Pflanzengifte' nichts 
von einer uterinen Wirkung des Mutterkorns; dagegen weist Lorinser 
(Versuche und Beobachtungen üb. Mutterkorn S. 68) aus einem 1778 
an die Hannoverschen Hebammen erlassenen Verbote eine locale 
Kenntniss dieser Wirkungen für die genannte Zeit nach. Aber erst 
von der neueren Zeit sprechend sagt Häser, Lehrbuch d. Gesch. d. 
Medizin Aufl. 1. 830 § 708 : 'Auf diese Weise hat sich ein Gift, welches 
sonst in dem unentbehrlichsten Nahrungsmittel Tausenden zur Quelle 
des Todes wurde, durch die Hand der Kunst für viele früher an dem 

Eingänge ihres Daseins vernichtete menschliche Wesen zur Quelle des 

Lebens verwandelt.' 



316 KAPITEL V. 

bei den Griechen ygavg ^igif^oq genannt, heisst Roggenm6der 
(Gross -Krebs bei Marienwerder; Umgegend von Bremen). 
Die Raupe des Bärenspinners wird ßoggenmäune (Ält- 
mark) , Roggenmuin (Kr. Salzwedel) , die Puppe eines 
Nachtfalters Kornmutter (Reinstedt Kr. Ballenstedt in 
Anhalt-Bernburg) genannt. Die Vorstellungen Tittenwif 
und Roggenwolf . verbindet der altmärkische Name für die 
Raupe des Bärenspinners Titten wulf. Der Maikäfer wird 
bei Usingen (Nassau) Kornmoure, d. i. Kornmutter, ge- 
nannt. ' In der Umgegend von Grottkau Rgbz. Oppeln in 
Schlesien nennt man einen kleinen Käfer von länglicher Ge- 
stalt und schwarzer, bei Sonnenlicht ins Goldgelbe spielender 
Farbe, der dem Korne die Wurzeln abbeisst, die Korn- 
mutter, und zu Borgein Kr. Soest wird ein Insect von der 
Grösse einer Fliege mit breitem Hinterleibe, kleinem Kopf 
und spitzem RüsseK mit dem es sich in die Getreidekörner 
hinein bohrt, Kornmün-ink (vergl. o. S. 298) genannt. Die 
Wachtel (perdix coturnix) hört man in der Provinz Preussen 
zuweilen ebenfalls als Kornmutter bezeichnen.^ 

Eine bedeutende Rolle fällt der Kornmutter bei den 
Erntegebräuchen zu. In den letzten Halmen des Korn- 
schnitts kommt sie zum Vorschein, in der letzten Garbe 
ist sie enthalten, wird sie gefangen oder getödtet; in letzterem 
Falle jubelnd auf den Hof gebracht, wie ein göttliches Wesen 
verehrt ; dann in dem Korne der Scheuer versteckt, zeigt sie 
sich beim Ausdreschen noch einmal. Im Lande Hadeln 
(Hannover) stellen sich die Schnitter und Schnitterinnen um 
die letzte Garbe und schlagen mit Stöcken darauf, um die 
Kornmutter daraus zu vertreiben. Sie rufen einander zu: 
Dar is se, hau to, Dern (bezw. Jung)! War di, dat 
se di nich packt!' Dann wird so lange geschlagen, bis 
alles Korn herausgedroschen ist. Dann ist auch die Korn- 
mutter daraus vertrieben. — Wer auf der Danziger Nehrung 
die letzten Halme schneidet, muss aus denselben eine Puppe 
in Menschengestalt verfertigen, welche *de Korn- 



* Kehrein Volksspracho im Herzogthum Nassau S. 241. 
« Neue Preuasisohe Proviozialblätter VIII (1855) S. 173. 



DEMETER. 317 

möder'^oder *de Ole* heisst und hoch auf dem Erntewagen 
heimgeführt wird. ^ Im Kreise Pr. Holland Rgbz. Königsberg 
wird am Schluss der Roggen- und Weizenernte je eine Ge- 
treidepuppe von der Binderin der letzten Garbe verfertigt, 
welche ebenfalls Kornmutter heisst. Die Binderin ist 
vielen Neckereien ausgesetzt, sie soll im nächsten Jahre 
Kindtaufen ausrichten. Kornmutter heisst die 
letzte Garbe auch zu Lasdehnen Kr. Pilkallen (Ostpreussen) 
und nicht minder in Süderditmarschen (Holstein). Hier wird 
die Figur mit den Kl eidern einer Frau geschmückt, 
auf dem letzten Fuder zu Hofe gefahren und tüchtig mit 
Wasser begossen. (Regenzauber, vergl. BK. Register). 
Im Kr. Brück in Steyermark, wo die letzte Garbe auch die 
Gestalt eines Weibes erhält, heisst sie Kornmutter, auch 
dann, wenn eine andere Getreideart als Korn, 
d. i. Roggen, geerntet wird. Sie wird stets von der 
ältesten verheiratheten Frau des Dorfes unter 50 — 55 Jahren 
gemacht. Die schönsten Aehren zupft man daraus und ver- 
fertigt aus ihnen einen mit Blumen durchflochtenen Kranz, den 
die schönste Dorfraagd auf dem Kopfe zum Herrn trägt, in- 
des die Kornmutter ganz unten in die Scheuer zur Ab- 
haltung der Mäuse gelegt wird. In anderen Orten desselben 
Kreises wird 'die Kornmutter' nach Beendigung des 
ganzen Kornschnittes von zwei Knechten auf einer Stange 
hoch in der Luft hinter dem kranztragenden Mädchen bis 
zum Herrenhofe geführt und, während der Gutsherr den Kranz 
übernimmt und im Vorzimmer aufhängt, auf einen von Holz 
errichteten Haufen gestellt, wo sie nun den Mittelpunct des 
Erntemahles und der Tanzunterhaltung bildet. Später wird 
sie in der Mitte der Scheuer aufgehängt und bleibt da bis 
zum Ende der Dreschzeit. Dann wird derjenige, der den 
letzten Drischelschlag macht, der Sohn der Kornmutter 
genannt und in dieselbe hineingebunden, sodann durchge- 
prügelt und durchs Dorf getragen. Der Kranz wird am 
nächsten Sonntag in der Kirche geweiht, am Charsamstag 
von einem siebenjährigen Mädchen mit den Händen ausge- 



1 F. Violet ISeringia. Danzig 1864 S 161. 



318 KAPITEL V. 

rieben und zwischen die neue Aussaat geschüttet. 
Das Stroh des Kranzes wird zu Weihnachten dem Vieh zu 
gutem Gedeihen in die Krippe gelegt (vergl. Korndäm. 
S. 4). Zu Westerhüsen Kr. Wanzleben Pr. Sachsen wird 
das letzte Korn, in Gestalt einer weiblichen Figur geformt 
und mit Bändern und Tüchern geschmückt, auf eine lange 
Stange gesteckt und neben der Erntekrone auf dem letzten 
Erntewagen heimgeführt. Einer der auf dem Wagen befind- 
lichen Leute dreht die Stange fortwährend, so dass es scheint, 
als ob die Pup{>e sich lebendig auf und ab bewege. Sie 
kommt auf die Tenne und bleibt da, bis das letzte Korn aus- 
gedroschen ist. Beim Marktflecken Leitzkau Kr. Jerichow II 
war noch vor etlichen Jahren beim Harken des Kornes der 
Gebrauch, dass derjenige, welcher die Halme zur letzten 
Garbe harkte, dieselbe nach Hause tragen durfte. Sie hiess 
das Münenbund (Gebund der Kornmüne o. S. 298) und 
wurde ihm auf den Rücken gebunden (vergl. BK. 612 ff.). 
Man lachte ihn aus, weil man meinte, ein unsichtbares 
Thier (o. S. 300), die Kommune habe sich da hinein- 
geflüchtet und fresse während des Tragens das 
Korn aus. — Die letzte Garbe heisst zytna matka, 
pszenicna matka d. i. Roggenmutter, Weizen- 
mutter (Bukowina: Kr. Czernowitz). In der Umgegend von 
Brunn in Mähren heisst die letzte Garbe Matka, und zwar 
je nach der Gattung des Getreides Hafermutter, Gerstenmutter 
u. s. w. Im Kr. Tarnow (Galizien) wird der aus den letzten 
Halmen geflochtene Kranz, der einem Mädchen auf den Kopf 
gesetzt und bis zum Frühjahr aufbewahrt wird, um einige 
Körner davon unter die neue Aussaat zu mengen, pszenicna 
matka, zytna matka, grochowa matka (Weizen- 
Roggen- Erbsenmutter) oder pszenicna baba (Weizen-, 
alte u. s. w.) genannt. Auch in der Umgegend von Auxerre 
wird die letzte Garbe, welche man bindet, la mere du ble 
(bezw. de l'orge, du seigle, de l'avoine) zubenannt. Sie bleibt 
auf dem Felde stehen, bis der letzte Wagen heimfährt. Dann 
verfertigt man aus ihr eine Menschengestalt, steckt dieselbe 
in die Kleider des Patron (Gutsherrn), putzt diese Figur mit 
Blumen, setzt ihr eine Krone auf den Kopf und hängt ihr 



DEMETER. 319 

eine blaue oder weisse Schärpe um. Sie bekommt nun den 
Namen 'la Ceres'. In ihre Brust ist ein ßaumzweig ge- 
pflanzt (vergl. BK. 203 ff.). Beim Ball am Abend wird la 
Ceres' in die Mitte des Tanzlocals gestellt, und derjenige 
Arbeiter, welcher während der Ernte der schnellste war, tanzt 
mit der Rosiere de la moisson' d. h. der als Schönsten 
Erwählten einmal um die Figur herum. Nach dem Ball 
macht man einen Scheiterhaufen. Alle Mädchen, jede 
mit einem Kranze geschmückt, entkleiden die Puppe, nehmen 
sie auseinander, legen sie auf den Scheiterhaufen und die 
Blumen, mit denen sie geschmückt war, dazu. Diejenige, 
welche zuerst mit dem Schneiden des Kornes fertig war, 
zündet den Holzstoss an und alle bitten, Ceres möge ein 
fruchtbares Jahr geben. Hier ist zwar im übrigen der alte 
Gebrauch intact geblieben, aber der Name Ceres Ausfluss 
und Zusatz schulmeisterlicher Gelehrsamkeit. 

Statt des Namens Kornmutter tritt mitunter Ernte- 
mutter ein. So heisst die letzte, zu einer weiblichen Ge- 
stalt aufgeputzte Garbe zu Bersenbrück Rgbz. Osnabrück. 
Mit der Puppe wird nach dem Binden herumgetanzt. 
Zuweilen sagt man dafür 'die grosse Mutter'. Zu Bausen- 
hagen u. a. Orten bei Unna (Kr. Hamm Rgbz. Arnsberg, 
Westfalen) wird die letzte Garbe der Roggenernte besonders 
schwer gemacht, indem man noch Steine hineinbindet. 
Sie wird auf dem letzten Erntewagen heimgeführt, erhält 
keine besondere Gestalt, heisst aber de greaute meaur' 
(die grosse Mutter).^ Ebenso wird zu Gross-Bodungen 
Kr. Worbis Rgbz. Erfurt in das letzte Kornfuder eine sehr 
schwere Garbe, es braucht nicht gerade die letzte und oberste 
zu sein, mit hinein geladen, welche die grosse Mutter 
genannt und unter vielem Scherz in der Scheune von allen 
Anwesenden herunter genommen wird. Zu Mauthausen bei 
Linz heisst die letzte Garbe 'die Aehrenmutter*. Zu 
Hohengiersdorf Kr. Grottkau Rgbz. Oppeln heisst die bald un- 
gewöhnlich gross, bald sehr klein gemachte letzte Garbe, 
welche auf dem Wagen , umgeben von den Erntelieder 



1 Kuhn Westfälische Sagen II 184 n. 514. 



320 KAPITEL V. 

smgenden Mädchen, aufrecht hingestellt wird, die *Heim- 
m u 1 1 e r '. 

Häufiger begegnet der Name 'Örossmutter'. Die 
letzte Garbe heisst 'die Grossmutter' oder *die alte 
Hure'. Sie wird mit Blumen, seidenen Bändern und Weiber- 
schürze geschmückt (Fürstenau, Danziger Werder). Bei der 
Roggen- und Weizenernte wird der Binderin der letzten Garbe 
zugerufen: 'Du bekommst die alte Grossmutter' 
(Umgegend von Pr. Holland Ostpreussen). In Gommern bei 
Magdeburg streiten sich Knecht und Magd, wer die letzte 
Garbe, die Grossmutter haben solle. Der wird sich 
im nächsten Jahre verheirath en , aber ein altes 
Ehegesponst bekommen, das Mädchen einen Wittwer, der 
Knecht eine bucklige alte Frau. — In Schlesien muss, wer 
die letzte Garbe irgend einer Fruchtart verfertigt, die Gross- 
mutter, Grüssmutter, Grula (Provincialismus für Gross- 
mutter) oder Ale (Alte) oder Kürnäle, ein ungeheures 
Gebund aus 3 — 4 Garben bestehend verfertigen, das mit 
bunten Bändern geschmückt oder mit ungewöhnlich vielen 
Kornseilen umwunden auf eine Erntegabel gesteckt und auf 
dem letzten Fuder in aufrechter Stellung befestigt wird 
(Hermannsdorf Kr. Jauer; Umgegend von Liegnitz; Koppitz, 
Winzenberg, Märzdorf bei Grottkau; Wernersdorf bei Leobschütz ; 
Köppernig bei Neisse). Man sagt, wenn eine Garbe auffallend 
schwerer ist, als die anderen 'di is asu schwir, widie 
Grüssmutter' (Kaltenbrunn bei Zobten a. Berge), und dem 
Verfertiger der letzten Garbe ruft man zu: 'Mer warn a 
Grula machen' (Puschkau bei Striegau). Vor einem 
Menschenalter erhielt die 'Grüssmutter* oder *Ale' auch 
noch die rohen Umrisse eines Kopfes, Rumpfes und Unter- 
körpers. Der Kopf wurde mit Ernteriecheln geziert und 
mit lautem Vivatschreien und Gesang zur Tenne gebracht 
(Marxdorf bei Zobten a. Berge). Zu Hermsdorf bei Goldberg 
in Schlesien band man dabei ehedem die Abraffe- 
magd zur letzten Garbe regelmässig in dieselbe 
hinein. Auch im Canton Zürich heisst die letzte Garbe 
Grossmütterchen, und in Fanäs Canton Graubünden 
sagt man statt 'die Ernte beendigen' *die Tatte (Gross- 



DEMETER. 321 

mutter) begraben'. The last sheaf of com of Ihe 
last field is not cut in the usual manner, but all throw 
their hooksatit and all try their utmost to succeed in 
bringing it down. It is calied *the Churn', and when 
brought home is generally plaited and kept to the autumn. 
Some call this last sheaf granny (bad pronun- 
ciation for grandmother); who did bring 'the Churn, 
is said to marry in the running ye ar (Irland, Umgegend 
von Belfast). 

Zuweilen sagt man auch *Muttergarbe*. So in 
Krappitz in der Niederlausitz und in Ruppersdorf Kr. Strehlen 
Rgbz. Breslau, wo man in dieselbe ein grünes Reis und 
einige Blumen hineinsteckt (vergl. o. S. 319 und BK, 192 flF.), 
ebenso im Bza. Eggcnfelden in Niederbayern, wo man einen 
Stein hineinbindet (vergl. o. S. 319). In der nächsten 
Umgebung von Bernburg (Anhalt) nennt man die letzte in 
der Grösse von vier anderen gebundene Garbe 'das Mutter- 
bund', zu Bedburdyk Kr. Grevenbroich Rgbz. Düsseldorf die 
letzte, zehnmal grösser als die übrigen gemachte Weizengarbe 
Moorschobb (d. i. Mutterschaub, Mutterschoof). 

Noch gebräuchlicher ist der Name 'das alte Weib* 
oder 'die Alte*. Dat öle Wtf heisst die letzte Garbe 
namentlich in Holstein. So in den Kirchspielen Schönberg 
und Fahren in der Propstei, wo sie mit Frauenkleidern 
aufgeputzt wurde. Vom Binder sagte man: 'He het dat 
öle y^ii\ Man sprach vom Roggen wtf. Garsten wtf, 
Wetenwtf. Das Gerstenweib sollte am schlimmsten sein. 
In Wiemerstedt Kirchspiel Henstedt in Norderditmarschen ruft 
man demjenigen, der den letzten 'Sensenhieb thut, zu: 'Du 
kriegst eine Altsche'! Auch wer beim Flachsbrechen 
die letzte Hand voll bekommt, 'bekommt dat öle Wtf 
(Krumstedt Kirchsp. Meldorf). Beim Einfahren der Rappsaat 
wird in der Marsch daselbst eine Kornpuppe gemacht und 
mit einer Jacke, Strohhut, Maske und Mädchenrock 
bekleidet, gleicherweise heisst auch Amt Achim bei Stade eine 
beim Hocken des Kornes übrig bleibende Garbe *dat ole 
Wtf*, in der Umgegend von Bernburg zuweilen die schwere 
letzte Garbe 'die alte Frau*. 

QF. LL 21 



822 KAPITEL V. 

Eine eigenthämliche Abart ist die Benennung 'die alte 
Hure', welche die Kornniutter als die zur Erntezeit alt ge- 
wordene, vordem in UeberfüUe zeugungsfrohe Hervorbringerin 
des Getreides bezeichnet. So heisst die letzte Garbe in 
Fürstenau im Danziger Werder und Kr. Welilau Rgbz. Königs- 
berg; so in Preuss. Holland, wo man der Binderin zuruft, 
siewerde nächstes Jahr dieHochzeit ausrichten; 
so im Kirchspiel St. Lorenz Kr. Pischhausen Rgbz. Königsberg, 
wo alle Mägde gemeinschaftlich die Hure ver- 
fertigen und in Cranz ebd., wo jeder Schnitter es zu ver- 
meiden sucht, sie zu machen. Oefter besteht *die Hure' 
aus einer sehr grossen Garbe, an welche zur Seite eine oder 
mehrere kleinere Garben gebunden sind, und man sagt dann, 
,das sei ihr Kind oder ihre Kinder' (Thierenberg 
Kr. Fischhausen ; Caynien , Blöcken u. s. w. Kr. Labiau 
Rgbz. Königsberg). Auf die Binderin dieser Garbe geht der 
Name über, sie wird lächelnd 'alte Hure' (Powunden 
Kr. Fischbausen und Wiese Kr. Pr. Holland), 'faule Hure' 
(Sielkeim Kr. Labiau) geschimpft. Wer sie herbeibringt, wird 
angerufen *du trägst die alte Hure' (Creutzburg, 
Brandenburg Rgbz. Königsberg), der Fuhrmann des letzten 
Fuders heisst 'Hurenführer' (Pr. Litauen , * Kr. Fisch- 
hausen). Auch im Kirchspiel Meldorf in Holstein ruft man 
der jungen Person, die bei der Roggenernte die letzte Korn- 
garbe bindet, oder beim Flachsbrechen die letzte Hand voll 
bekommt, zu, sie habe die alte Hure bekommen. Wer 
in Barby Kr. Calbe a. Saale Rgbz. Magdeburg vergessen hat, 
eine Garbe zu binden, muss hören: 'Du bist eine Hure'. 
Vergisst ein Sämann öine* Stelle zu besäen, so heisst dieser 
Fleck Hure, und er muss Sonntags nachsäen (Kruschwitz 
Kr. Inowraclaw Rgbz. Bromberg). Ebenso heisst in Russisch 
Polen (Gouv. Plock Kr. Lipno) der Rücken, den ein Sämann 
zu besäen unterlässt, Kurwa, Hure, und im Laufe des Jahres 
soll da ein Mädchen zu Falle kommen. 

Offenbar an den Huren wei bei d. i. den Aufseher der 
im Trosse mitgeschleppten Weiber in den Söldnerheeren des 



* Neue Preussische Provinzialblätfcer 1846 I 9. 



Demeter. ä2ä 

17. Jahrhunderts ist gedacht, wenn bei Weissenbnrg am Sand in 
Mittelfranken die Kinder vor dem 'Weiberpritscher' 
gewarnt werden, der im Korn sitze. Diese Vorstellung hat 
als Correlat den Glauben an das Vorhandensein der dämo- 
nischen Hure im Saatfelde zur Voraussetzung. 

Ich niusste Bogen voll schreiben, um die Fülle der Zeug- 
nisse vorzuführen, welche für den einfachen Namen *die 
Alte' zu Gebote stehen , obgleich dieselbe verschwindend 
klein ist gegen die weit ausgobreitetere Sitte, die letzte Garbe 
nach Namen imd Gestalt als ein männliches Wesen 'der 
Alte', dän. den gamle mand, poln. Stary u. s. w. zu feiern.' 

Wenn ein Bauergut bis auf ein Ackerbett abgeschnitten 
ist, stellen sich alle Schnitter in Reihe vor das Bett, jeder 
schneidet seinen Theil, und wer den letzten Schnitt macht, 
*hat die Alte' (Altisheim Schwaben und Neuburgl.2 Wer 
die letzten Halme schneidet, dem ruft man zu : 'D u bekommst 
eine Altsche'. Auch der Binder oder die Binderin der 
letzten Garbe wird mit gleichem Zuruf begrüsst (Wiemerstedt 
Kirchsp. Henstedt Norderditmarschen, Holstein). Der Mäher 
der letzten Halme niuss 'mit der Alten weg', die Binderin 
mit 'dem Alten', d. h. sie bekommen ein altes Ehe- 
gesponst (Böhnhusen Amt Bordesholm Kr. Kiel). Die 
Binderin der letzten Garbe erhält den Beinamen 'die 
Alte'; man sagt , dass sie noch im nächsten 
Jahre heirathen werde (Hirschfeld Kr. Pr. Holland; 
Langenau Kr. Danzig). Die Binderin der letzten Garbe und 
die aus derselben gefertigte, mit Jacke, Plut und Bändern 
gosclimückte menschenähnliche Puppe heissen beide *die 
Alte' und werden auf dem letzten Fuder eingefahren und 
mitWasser begossen (Neusaass Kr. Kulm Westpreussen). 
In der Umgegend von Marienwerder heisst sowohl die letzte 
Garbe , ein ungeheures und unförmliches Bund , als die 
Binderin desselben die Alte oder die Faule. Beide Alten 
(die Magd und die Garbe) werden trotz des Sträubens der 
ersteren auf das letzte Fuder gesetzt und bei der Ankunft 
auf dem Hofe mit Wasser begossen. In Hornkampe bei 

1 [Vergl. 0. S. 18 ff.] 

* Paozer Beitrag zur deutschen Myth. II 219 n. 408. 



324 KAPITEL T. 

Tiegenhof im Marienburger Werder putzen die anderen Schnitter 
derjenigen männlichen oder weiblichen Person, welche zuletzt 
beim Binden des Kornes hinter den anderen zurückbleibt, 
die letzte Garbe in Gestalt einer männlichen oder 
weiblichen Figur auf, die sie auf dem letzten Puder 
nach Hause fahren. Da erhält sie dann den Namen des 
Nachzüglers, z. B. 'Der alte Michel! Die faule Trine!' 
Bei der Ankunft auf dem Hofe ruft man schon von weitem 
dem Namensgenannten der Puppe entgegen : 

Dil best de Ole, 
Motst 86 behole. 

(Du hast die Alte, musst sie behalten). 

In diesen Bräuchen wird die der letzten Garbe 
gleich benannte, bei derselben auf dem letzten 
Fuder sitzende Person deutlich als identisch mit 
derselben bezeichnet; sie drückt den in den letzten 
Halmen waltenden Korngeist aus; oder mit an- 
deren Worten: die äussere Darstellung des Namens 
zerfällt in die beiden Stücke 'Mensch und Garbe' 
(vergl. BK. 612). 

Die letzte G arbe, welche den Namen *dieAlte' er- 
hält, zeichnet sich entweder nur durch ihre Grösse und 
Schwere vor den übrigen Garben aus, oder sie erhält Menschen- 
gestalt. Für beide Fälle hier noch einige Belege. 

Nur durch ein oder mehrere Strohbänder mehr, als die an- 
deren Garben, wird 'die Alte gekennzeichnet, z. B. Sandhof 
bei Marienburg, PlehneudorfDanziger Werder, Pürstenau bei 
Elbing. Bei Marienwerder und Marienau Amtg. Tiegenhof 
Kr. Marienburg ist de Olle' noch einmal so lang und dick 
als gewöhnlich, in die Mitte ein Stein hineingebunden. 
Der Binderin ruft man zu 'Du wirst keinen Mann be- 
kommen*. — 'Die Alte* wird so schwer gemacht, dass 
der Auflader sie nur mit äusserster Mühe aufheben kann. 
Wenn bei Vollendung der Ernte einer Getreideart die übrig 
gebliebenen Halme nicht mehr ausreichen, eine neue Garbe 
zu binden, werden sie entweder umhergestreut oder unter 
dem Gelächter und Ausruf der Umstehenden 'Der muss 
die Alte hauen!* zu einem Bündel, 'die Alte' ver- 



DEMETER. 325 

einigt, welchem mehrere (oft 8 — 9) Garben beigebunden 
werden, so dass der Aufstecker über dessen Schwere sich 
entrüstet (Alt-PiJlau im Samlande). In Gross-Wusterwitz,"' in 
Gladau bei Genthin Kr. Jerichow II Pr. Sachsen heisst eine 
ungewöhnlich grosse Garbe, die beim Aufmandeln unter den 
übrigen zufällig sich vorfindet, 'die Alte, während der 
Binderin (bezw. dem Binder) der letzten Garbe nachgesagt 
wird, dass sie (er) einen alten Mann (eine alte 
Frau) bekomme. Zu Paulwitz Kr. Fraukenstein Kgbz. 
Breslau wird bei Beendigung der Weizenernte eine Garbe 
als Weszäle (Weizenalte) mit einem Strohseil und einem 
rothen Bande gebunden und zierlich auf einen Stab gesteckt 
der Gutsherrschaft überreicht, die sie bewahrt; zu Gross-Nossen 
Kr. Münsterberg Rgbz. Breslau ist die Weszäle und die 
'Garstäle* d. i. die letzte Weizen- und Gerstengarbe mit 
Blumen bekränzt. Ist zufällig eine Garbe aus mehr als drei 
Gelagen gebunden, also besonders schwer, so rufen die Auf- 
lader: 'Dos IS wul de Ale'! (Hermsdorf bei Goldberg, Kalten- 
^ brunn, Puschkau, Pilgramsdorf, Süssenbach in Schlesien). — 
Wenn beim Mähen die letzte Garbe sehr gross wird, heisst 
sie *die Alte' (Grafsch. Bentheim Hannover). Die letzte, 
grösste und dickste sämmtlicher Garben heisst die Alte. 
Wer sie beim Aufäetzen der Garben in Haufen bekommt, 
wird ausgespottet: 

'Er hat die Alte 

Und mu88 sie behalten'. 

Auf dem letzten Fuder erhält 'die Alte' neben dem Ernte- 
hahn (Korndäm. S, 13 ff.) einen Ehrenplatz (Kr. Meschede 
Rgbz. Arnsberg Westfalen). Die letzte Garbe, 'die Alte', wird 
ziemlich gross gemacht, damit dasGetreide imnächsten 
Jahre gut. gerat he (im Itzgrund Sachsen-Coburg). Wer 
die letzten Halme schneidet, k r i e g t d i o A 1 1 e (Mittelfrankcn, 
Oberfianken) und wird in die letzte Garbe hinein- 
gebunden (Weiden Oberpfalz). 

Daneben geht, meistens in denselben Landschaften, eine 
Darstellung der Alten in Gestalt einer aus der letzten Garbe 
gefertigten, oft mit Kleidern geschmückten weiblichen 
Figur. So wird 'die Alte' in Neusaass Kr. Kulm Rgbz. 



326 KAPITEL V. 

Marienwerder mit Hut und Jacke der Binderin be- 
kleidet, auf dem letzten Fuder eingefahren und mit 
Wasser begossen. Im oberen Oderbrueh bei Küstrin 
wird die letzte Garbe, die Alte, mit menschlichen Kleidungs- 
stücken behängt , ausserdem bekränzt und mit Blumen ge- 
schmückt, unter Musikbegleitung von der Binderin dem Zuge 
der Arbeiter voran zum Gutsherrn getragen. In Gartz Kr. 
Randow Rgbz. Stettin ruft man der Binderin der Letzten 
zu 'du hast den Alten ; aber die *Austpuppe\ welche sie 
aus den letzten Halmen verfertigen muss, trägt die Gestalt 
und Kleidung einer Frau; mit dieser wird auf dem Hofe 
getanzt. 

Zuweilen ist die Bekleidung der Puppe sehr 
vollständig, häufig aber besteht letztere nur 
aus einer rohen Andeutung menschlicher Gestalt 
ohne Kleidungsstücke, indem einige Garben zu 
einem plumpen Rumpfe zusammengefügt werden, 
an dem oben ein Kopf sichtbar wird, dieunteren 
Extremitäten aber gänzlich vernachlässigt sind; 
ein mitHalmen bewickelter Stab, in der Gegend 
der Schultern hindurch gesteckt, stellt die 
Arme dar. So Krohnenhof Frische Nehrung und vielfach. 
Namentlich auch der schlesischen *Kurnäle, Ale' wird 
öfter die Form einer Halmfigur mit nur roher Andeutung 
der Gliedmassen gegeben. 

Zuweilen geschieht es, dass die Puppe zwar den 
Namen *die Alte' führt, ihre Form und Ausrüstung aber 
ein männliches Wesen verräth. Noch anderswo wird die 
letzte Garbe beim Binden einfach grösser gemacht, als 
die anderen, und erst die zuletzt aufgeladene Garbe der 
letzten Fuhre erhält Menschengestalt. 

In Schottland heisst die aus dem letzten Korn ge- 
fertigte weibliche Figur Carl ine. Dieser Name erklärt 
sich aus der Notiz bei Motherby, Pocket Dictionary of the 
Scottish Idiom. Königsberg 1826: Carlio, Carline s. an old 
woman, a stout old woman. Paul Hentzner, der im Jahre 
1596 als Mentor mit dem jungen Christ, v. Rehdiger de 
Striaa eine Reise durch die Hauptländer Europas antrat, 



z' 



DEMETER. 327 

sah am 14. September 1598 bei Eton in Eng'Iand einen 
Erntezug: Cum hie ad diversorium nostrum reverteremur, 
forte fortunä incidimus in rusticos spieilegia sua celebrantes, 
qui u 1 1 i m a m f r u g u m v e h e m floribus coronant, a d d i t ä 
imagine splendide vestitä, qua Cererem forsitan 
significare volentes, eam hinc inde movent, et magno cum 
clamore Viri juxta ac rauheres, servi atque ancillae, currui 
inside^^tes per plateas vociferantur, doneo ad horreum deveniant. 
Agricolae fruges hie non in manipuloa, uti apud nos fieri 
consuevit, colligunt, sed statini, quam primum resectae vel 
demessae sunt, cariis imponunt et in horrea sua convehunt. * 
Dazu stimmt der schottische Brauch: 'This ancient custom is, 
to this day, Taintly preserved all over Scotland, by what we 
call the Corn Lady, or Maiden, in a small packet of grain, 
which is hung up, when the reapers have finished.^ 

Ganz entsprechend sind die dänischen Gebräuche. 
Die letzte Garbe eines Ackerfeldes erhält, statt des gewöhn- 
lichen einen , drei Strohbänder und wird grösser als die 
übrigen gemacht. Niemand mag. diese Garbe, welche Byg- 
k j 80 1 1 i n g (Gerstenalte) bezw. Rugkjßelling (Roggen- 
alte) heisst, bindeu, weil er sonst einen altenMann 
oder eine alte Frau heirathen soll (Prsöstöamt, 
Kjöbenhavnsamt, Slagelse auf Seeland). Zwischen Ringsted 
und Roeskilde heisst die Garbe einfach Kjselling (Alte). 
ZuweilenwerdenBygk j eell in g, Rugkj eelling, live de- 
k j SB 1 1 i n g (Weizenalte) zu einermenschlichenFigur 
mit Kopf, Armen, Beinen gestaltet (Holbek auf Seeland), 
die, auch mit Kleidungsstücken , häufig sogar männlichen, 
ausgerüstet, auf dem letzten Wagen, auf derti die Ernte- 
arbeiter juchzend und trinkend neben ihr sitzen, heimge- 
fahren wird. Hier stellt man die Bygkjflßlling neben dem 
Schober auf, wo sie einen Tag stehen bleibt (Soröamt). 
Nach Beendigung aller Erntearbeiten fand die 'Höstgilde' 
statt, dabei stiessen diejenigen, welche By gkj a^lling, 
H vedekjfielling u. s. w. gemacht hatten, mit einander 

1 P. Hentzner Itinerarium Germaniae u. 8. w. Norinbergae 1612. 
S. 151. 

2 Walter bei Brand Populär antiquitie» ed» EUis II 23, 



328 KAPITEL V. 

an. In Flensborgsgaard auf Seeland wird jetzt nur noch bei 
altmodischen Bauern die letzte Garbe (Bygkjeerli ng, 
Havrekjeerling) durch ein Band, welches einen Kopf 
bildet, in eine sehr primitive Puppe ohne Arme und Beine 
verwandelt (o. S. 48).— Man sagt von derPerson, welche die letzte 
Garbe bindet : *Hun (han) bliver Rugkjfielling/ Sie (er) wird 
Roggcnalte (Holbek, Seeland). Auf Fünen, Laaland, Langeland, 
Falster und in Jütland tritt statt RugkjsBlling die Benennung 
*den Gamle' (der, die Alte) für die letzte Garbe ein, sie 
erhält öfter die Form einer menschlichen Figur mit Armen 
und Beinen, zuweilen auch Kleider; Frauenkleidung 
kann ich bestimmt aus Bystrupssogn [?] auf Laaland nachweisen. 
Im südlichen Jütland, !NordschIeswig und Angeln nennt man 
die aus der letzten Garbe gebildete, als Person (Mann oder 
Frau) ausstaffirte Puppe den oder die Fok, Focke, 
Fucke, eine Benennung, auf die ich an diesem Orte nicht 
näher eingehen will. 

Bei den Polen in den preussischen Kreisen Stuhm, 
ßosenberg, Graudenz, Strassburg, Thorn, Bereut u. s. w. 
und in einem Theile von Congresspolen und Galizien tritt 
'der Alten' genau entsprechend die 'Baba, Babka, 
Babbe' (alte Frau) in den Vordergrund. Das letzte Ge- 
treide, welches auf den Halmen steht, heisst 'die Bab% 
es fällt demjenigen zu, der den letzten Sensenhieb machte 
(Christburg). *In der letzten Garbe', welche die 
Frauen auf dem Felde binden, 'sitzt die Baba'; die 
Garbe selbst, ein sehr dickes, aus zwölf kleineren zusammen- 
geknüpftes Bund, heisst auch B a b a (Neumark Kr. Stuhm). 
Im Kr. Czaslau in Böhmen verfertigt man aus der letzten 
Garbe die Baba, eine rohe weibliche Gestalt mit einem 
grossen Hut aus Stroh. Sie wird auf dem letzten mit 
Blumen geschmückten Erntewagen heimgefahren und nebst 
einem Kranze von zwei Kranzjungfern dem Wirthe über- 
bracht. — Beim Beschlüsse des Garbenbindens beeilen sich 
die Binderinnen unter dem Rufe Babal^BabaT, um nicht 
die letzte zu sein; diejenige, welche die letzte Garbe bindet, 
soll im nächsten Jahre ein Kind bekommen. 
An dies^ letzte Garb^ werden mehrere andere zu einem un- 



DEMETEB. 329 

förmlichen Gebund zusammen gebunden und mit einem 
grünen Zweige (BK. 191 ff.) auf der Spitze besteckt 
(Hohenstein bei Danzig). Der Binderin der letzten Garbe 
ruft man zu: 'Sie hat dieBaba!' oder: Sie ist die 
B a b a !' Sie muss dann eine Kornpuppe verfertigen, welche 
bald Mannsgestalt, bald Frauengestalt empfängt und hie und 
da mit Kleidern, oft nur mit Blumen und Bändern ge- 
schmückt wird (Czarnislas Kr. Pr. Stargard). Der Schnitter 
der letzten Halme sowohl als der Binder der letzten Garbe 
wurde Baba genannt, aus der letzten Garbe sodann eine 
Puppe, 'die Erntefrau', gemacht und mit verschieden- 
farbigen Bändern reich verziert. Der älteste Schnitter 
musste zuerst mit dieser Ernte fr au, dann mit 
der Hausfrau tanzen. Sobald das Erntemahl auf dem 
Hofe begann, riefen alle Arbeiter und Kinder: 'U nasza, 
u naszego pana baba! Bei unserem, unserem Herrn 
die Baba!' Auch das Erntefest selbst hiess Baba (Rgbz. 
Marienwerder). In vielen Orten ist die Baba nur ein grosses, 
schweres Gebund aus 8 — 17 Garben mit hineinge- 
bundenen Steinen und daraufgestecktem grünen 
Zweige (BK. 191 ff.), z. B. Grabowiec bei Wrock Kr. 
Strassburg; Riesenburg, Rosenberg Kr. Rosenberg Rgbz. 
Marienwerder ; Altstadt bei Christburg ; zuweilen eine un- 
förmliche Kornfigur mit schwacher Andeutung der Körper- 
theile, im Innern ebenfalls mit Steinen beschwert. 
WerdiePuppe macht, soll bald heirathen (Olleck, 
Lescz Kr. Thorn, Lessen Kr. Graudenz, Bankau Kr. Schwetz, 
Krangen bei Stargard). Noch anderswo ist die Baba oder 
Stara Baba (alte Baba) mit Weiberkleidern (Rock, 
Schürze und Weiberhaube oder Kopftuch) bekleidet (z. B. 
Lobdowo Kr. Strassburg; Liebenau bei Marienwerder) ; nicht 
selten aber heisst die Puppe zwar Baba, trägt aber Manns- 
kleider (Gnieschau, Gentomje Kr. Stargard ; Kleczowo Kr. 
Stuhm). Eigenthümlich gestaltet sich durch Zusammenfluss 
zweier Erntesitten der Brauch im Kr. Lipno Gouv. Plock 
(Russ. Polen). Beim Schneiden des letzten Weizen- oder 
Roggenstücks bindet ein Weib aus zwei Strähnen des noch 
auf dem Felde stehenden Getreides einen Knoten , der den 



330 KAPITEL V. 

Namen P^pek (Nabel) erhält. Dann schneiden etliche ältere 
Frauen um den gebundenen Knoten her das Getreide ab; 
diejenige, welche den Knoten abschneiden muss, wird Baba 
oder Babka gerufen, und so wird auch die letzte Garbe 
benannt, welche neben dem Pepek ^figurirt und welche sie 
beim Erntefest dem Herrn zu überreichen hat. In dieser 
Verbindung denkt das Volk unzweifelhaft an die provincielle 
Bedeutung des Wortes baba 'Hebamme'. Im Kr. Krakau in 
Galizien ruft man, wenn ein Mann die letzte Garbe bindet, 
in derselben sitze der Dziad (Grossvater, Alte); 
bindet sie ein Weib, so heisst es: 'Darin sitztdieBaba.' 
Die Binderin wird aufgefangen und in die Garbe 
hincingebunden der Art, dass nur ihr Kopf 
hervorguckt. Mi<f Vivatgeschrci stellt man sie auf den 
letzten Wagen und fährt sie auf den Meierhof, wo sie von 
der ganzen gutsherrlichen Familie mit Wasser begossen wird. 
Sie bleibt in der Garbe, bis der Tanz auf dem Hofe 
zu Ende ist, und behält für ein Jahr den Namen 
Baba bei. 

Der polnischen Baba, Zytniababa begegnet in Litauen 
die B b a oder Rugiuboba (Roggenalte). In Lenken und 
Raudszen bei Ragnit wird alles bis auf einen kleinen Büschel 
abgehauen, den maü stehen lässt mit den Worten: 'Da sitzt 
die Boba drin'! Nun schärft ein junger Hauer die Sense 
und schneidet mit kräftigem Hiebe den Aehrenbüschel ab. 
Dann 'hat er der Boba den Kopf abgehauen* und 
erhält von dem Gutsherrn ein Trinkgeld, von der Gutsfrau 
einenEimerWasser über den Kopf(o.S.31). Hiermit stimmt, 
was Neue Preuss. Provinzialbl. 1 846 1 S. 6 als allgemein litauisch 
angegeben wird: jeder Hauer beeilt sich, seinen Schnitt zu 
mähen, denn in den letzten Halmen hält sich die 
Rugiuboba auf, und, wer die letzten Halme schneidet, 
'tödtet die Roggenalte, was ihm selbst Schaden 
bringt.' Vergl. Nesselmann Lit. WB. S. 331: 'Boba, 6s, 
altes Weib, z'em. Grossmutter, scherzhaft der letzte Schwaden 
des zu mähenden Getreides, den jeder zu vermeiden sucht. 
Tu bob£|j gausi du wirst die Alte bekommen, ruft man 
pecfcend dem Mitmäher zu.' — Diese Mittheilungen werden 



DEMETER. 331 

durch zahlreiche andere Aufzeichnungen bestätigt und er- 
gänzt. Diejenige Person, welche die letzte Garbe bindet oder 
die letzte Kartoffel ausnimmt, wird tüchtig gefoppt und be- 
kommt und behält längere Zeit hindurch den 
Namen Roggenalte (Rugiubfiba, Büba) oder Kartoffel- 
alte (Buttkischken Kirchspiel Neukirch Rgbz. Gumbinnen). 
In Wilkischken Kr. Tilsit heisst der Schnitter der letzten 
Halme Rugiuhobzudys Roggenweibtödter. ^ In vielen 
Orten ruft man statt dessen diesem Schnitter zu 'Bobas! 
Bobas! Bobas!' (z. B. Schaltinnen bei Goldapp, Walter- 
kehmen, Brakupönen Kr, Gumbinnen u. s. w.), und den 
nämlichen Zuruf widmet man dem Binder oder der Binderin 
der letzten Garbe (Tollmingkehmen Kr. Goldapp, Schillehlen Kr. 
Stallupönen; Augstupönen, Flicken, Kulligkehmen, Nauneninken 
[Neujeningken?] bei Gumbinnen). Das auffälligeWort Bobas liegt 
in zu vielen nach Zeit und Ort von einander unabhängigen Nieder- 

* 

Schriften vor mir, um nicht völlig beglaubigt zu sein. Es 
ist offenbar ein männliches Kosewort, eine Ab- 
kürzung von Bobzudys, welches aus falscher 
Analogie auf die weibliche Binderin und zuweilen auf die 
letzte Garbe übergegangen ist und den Namen Boba ver- 
drängt hat. So heisst in und bei Pilkallen, wer den letzten 
Sensenhieb machte, Bobas. Die letzte Garbe wird in Ge- 
stalt eines Weibes geformt, auf den letzten Ernte- 
wagen gesetzt und feierlich durchs Dorf geleitet, auf dem 
Gutshofe mitWasser begossen, und dann machte jemand 
mit ihr einen Tanz. Sie heisst Boba oder Bobas. Im Kirchspiel 
Willuhnen Kr. Pilkallen sagt man, der Bobas sitze in den 
letzten Halmen verborgen. Wer schliesslich doch 
genöthigt wird, den letzten Rest zu hauen, 'hat den Bobas 
umgehauen' (bezw. die Rafferin *den Bobas gebunden), 
worüber alle übrigen Bursche und Mädchen in Gelächter aus- 
brechen. Als Ersatz für dieses Missgeschick hat das Paar 
bei der Erntemahlzeit den grössten Kringel oder Krapfen zu 
beanspruchen, der zumeist eine besondere Form und 
zwar nicht selten Menschengestalt trägt. 



^ Yon zudyti todten, morden. 



332 KAPITEL V. 

Id Russland yersammelt sich in den Oubernien Pensa und 
Simbirsk alles auf dem Felde, um dieletzteGarbe, Imjaninnik 
[Geburtstagskind] genannt, ernten zu sehen, die man mit einem 
Frauenrock (Sarafan) und einem Kopfschmuck (Kokosch- 
nik) bekleidet und auf den Herrenhof trägt. Im Smolenski- 
schen gibt man der letzten Garbe Arme, legt ihr einen 
weissen Ueberwurf (Nasorka) an und trägt diese Puppe unter 
Gesang und Tanz auf den Herrenhof, wo der Schnitter eine 
reiche Bewirthung wartet. Während des Schmauses steht 
die zur Menschengestalt aufgeputzte Garbe auf dem Tisch, 
nachher wird ihr ein Platz im Winkel des Vorzimmers an- 
gewiesen. Zuweilen geht der Besitzer der von zwei Mädchen 
getragenen Puppe entgegen, die Schnitter bewillkommnen 
ihn glück wünschend und bearbeiten dabei unter Absingung 
gewisser hergebrachter ßeime die aus der letzten Garbe her- 
gestellte Frauengestalt mit einem Birkenbesen, in der Meinung, 
dadurch die den Feldern schädlichen Thiere zu vernicjiteil 
(BK. 278). Auch in manchen Orten Kleinrusslands wird die 
letzte Garbe, mit Armen versehen und in bunte Frauenkleider 
gesteckt, auf das Gehöft des Besitzers getragen, der dem Zuge 
ein reiches Mahl gibt und dann einen Kringel oder Korowaj 
aus neuem Korne backen lässt, um ihn unter die Gäste zu 
vertheilen.^ 

Die Bulgaren machen aus der letzten Garbe eine 
Puppe, genannt Shitarska zarka (Getreidekönigin) 
oder Shitarska moma (Getreidemutter) , kleiden sie 
in ein Frauenhemd und tragen sie um das Dorf, dann 
aber werfen sie sie in den Pluss, um reichlichen 
Regen und Thau auf die künftige Aussaat herab- 
zurufen, oder sie verbrennen sie im Feuer und 
streuen dieAs che au fdie Felder(vergl. o. S.51.BK. 613). 
In einigen Orten bewahren sie diese Puppe bis zur künftigen 
Ernte und, wenn Trockenheit eintritt, tragen sie dieselbe in 
kirchlicher Procession mit Gebeten um Regen umher. Der 
Name Getreidekönigin hat auch in Nordeuropa einige 

* Tereschtsohenko Russisches Volksleben V 110. 131—134. Russ. 
Feiertage IV 83—84. Saoharoff Sagen des russischen Volkes II 49—50. 
AfanasieflF Poetische Anschauungen der Slaven über die Natur III 767. 



DEMETER. 333 

Analogien. Die erste Garbe, die man einbringt, heisst 
Königin. Um sie stellt man alle anderen aufrecht. 
(Neppermin Kr. Usedom -Wollin). Im Salzburgischen findet 
nach der Ernte ein grosser Umzug statt, wobei eine Aehren- 
königin von jungen Burschen in einem Wagen gezogen wird.^ 

I have seen — sagt Hutchinson (History of Northumberland 

II 17, vergl. Brand Pop. ant. II 20) in some places an image 
apparelled in great finery, crowned with flowers, a sheaf 
of corn placed under her arm and a scycle in her 
hand, carried out of the village in the morning of 
the concluding reaping day with music and, much 
clamour of the reapers into the field, where it 
Stands fixed on a pole all day, and when the 
reapingisdone, isbroughthome in likemanner. 
This theycall the Harvest Queen^ and itrepresents 
the Roman Ceres. — Dr. E. D. Clarke erzählt aus der 
Umgegend von Cambridge: 'At the Hawkie, as it is called, 
I have seen a clown dressed in woman's clothes, 
having bis face painted, bis head decorated with 
ears ofcorn, and bearing about him other symbols of 
Ceres, carried in a waggon, with great pomp and loud shouts, 
through the streets, the horses being covered with white 
sheets; and when I iuquired the meaning of the ceremony, 
was answered by the people thattheywere drawing 
the Harvest Queen (Brand Pop. ant. II 22). Im Kr. Leit- 
meritz wird bei der Sichellege ein Kranz von Aehren und 
Blumen überbracht und einem Fräulein auf den Kopf gesetzt, 
die nun Erntekönigin heisst. — Ein junges Mädchen 
trägt auf seinen Armen die letzte Garbe zur Tenne. Das- 
selbe ist Abends beim Ball *la reine de lamoisson' 
und soll im Laufe des Jahres sich verheirathen 
(Anjou, Dep. Maine- et -Loire). 

Vielfach ist nicht das Erntefeld, sondern die Dreschtenne 
der Schauplatz, auf welchem die auf vorstehenden Blättern 
beschriebenen Vorgänge sich abspielen. Man nahm dann an, 
dass die beim Schneiden des Getreides von den Schnittern 



^ Vernaleken Mythen und Bräuche in Oesterreioh S. 310. 



334 Ki^PITKL V. 

verfolgte Kornfrau sich mit den abgemähten Halmen bis in 
die Scheuer flüchte und hier erst in der letzten zum Aus- 
drusch gelangenden Garbe offenbar werde, um entweder den 
Tod durch den Dreschflegel zu erleiden oder in dem noch 
nicht ausgedroschenen Getreide des nächsten Nachbars weiter- 
zuleben (vergl. o. 8. 25 ff,). 

Das letzte Korn, welches aus gedroschen wird, heisst 
das Mutterkorn (Leuna Kr. Merseburg). Die letzte Garbe, 
welche beim Dreschen auf die Tenne gelegt wird, heisst viel- 
fach die Alte (Wickerau bei Elbing ; Reichenberg Danziger 
Werder; Bladiau Kr. Heiligenbeil). In Mittelfranken heisst 
die Person, welche beim Dreschen den letzten Schlag thut, 
dieAlte. Sie wird in dasStroh der letztenGarbe 
hineingebunden (Dinkelsbühl), oder man bindet ihr 
einen Büschel Stroh auf den Rücken (Ellingen, 
Weissenburg a. Sand , Dambach bei Dinkelsbühl) und fährt 
sie in beiden Fällen unter Gelächter im Dorf umher, gewährt 
ihr dafür aber nachher den grössten Antheil am Festmahl. 
Ganz ähnliches begegnet in Oberfranken, der Oberpfalz, 
Niederbayern und Thüringen. Wer die letzte Garbe drischt, 
'hat die Alte', 'hat die Kornalte'. Er wird in Stroh 
eingebunden, im Dorf umhergeführt oder umhergekarrt 
und schliesslich auf den Mist gesetzt, oder dem Nachbar, 
der noch nicht ausgedroschen hat, auf dieTenne 
gebracht (Stadtsteinach, Kulmbach Obeifranken; Wejd, 
Kemnath Oberpfalz; Landau, Hohenroth bei Kötzting Nieder- 
bayern ; Sonneberg Meininger Oberland ; Amt Gräfenthal 
Meiningen; Dreba Kr. Neustadt a. Orla Sachsen -Weimar). 
Im Canton Tillot in Lothringen schlagen die Arbeiter beim 
Dreschen der letzten Kornschic^ht zu gleicher Zeit mit den 
Flegeln auf und rufen: 'Nous tuons la vieille! Nous 
tuons la vieille!' Ist ein altes Weib im Hause, so warnt 
man sie 'sauve toi!', man werde sie todtschlagen. Auch 
bei den Polen hiess zuweilen derjenige , welcher den letzten 
Drischelschlag führt, Baba. So z. B. in Skarlin bei Neumark 
Pr. West-Preussen. Derselbe wird in Korn eingebun den 

• 

und durchs Dorf gekarrt. An demselben Orte heisst auch 
beim Kornschnitt das aus zwölf Garben zusammengefügte 



DEMETER. 385 

letzte Band Baba, während man gleichzeitig sagt, 'da sitze 
die Baba drin'. — Entsprechend heisst denn auch ein 
nach dem Ausdreschen den Arbeitern vorgesetzter Kuchen 
(Napfkuchen), dessen Form ausserordentlich an eine ge- 
bundene Garbe erinnert, Scheunbaba oder Baba (z. B. 
ßeinerz Kr. Glatz). Dieser Kuchen ist auch Weihnachtsgebäck 
und sodann ein polnisches Festgebäck überhaupt geworden. 
In Litauen begeben sich , wenn die letzte Lage Korn bis 
auf eines vollständig abgedroschen ist, die Drescher plötzhch 
wie auf Commando dreschend einige Schritte rückwärts. 
Dann einen lauten Lärm beginnend und mit den Flegeln 
zum schnellsten Tempo fortschreitend, gehen sie gleichsam 
mit stürmischer Erbitterung bis zum letzten Gebunde vor- 
wärts, und auf dieses scheinbar eine fast rasende Wuth in den 
gewichtigsten Schlägen ausschüttend arbeiten sie fort, bis 
plötzlich das blitzartige Halt! des Vordreschers einfällt. Wer 
nach diesem Rufe noch den letzten Schlag thut, wird von 
den Uebrigen umringt. Man schreit ihm zu, er habe die 
Rugiuboba (die Boba) erschlagen, und er muss zur 
Sühne Alus oder Branntwein zum besten geben (allgemein in 
den Kreisen Insterburg, Stallupönen, Pilkallen, Ragnit, Gum- 
binnon). Der betreffende Drescher erhält daher den Namen 
Ruginhohzudys^ vergl. o. S. 331 (Spullen Kr. Pilkallen), Bob- 
muszys^ (Krauleidszen, Giewerlauken, Kakschen Kr. Ragnit) 
oder Bobas vergl. o. S. 331 (Niebudszen Kr.Gumbinnen). In der 
Schüssel des Festmahls befindet sich ein durch seine Grösse aus- 
gezeichneter Krapfen oder Kuchen, der meistens Menschen- 
gestalt trägt, die 'Bobaspuppe', Diese gehört dem Bob- 
muszys (Bobas), der von seinem Rechte Gebrauch machend 
sogleich danach greift (z. B. Spullen bei Pilkallen; Brakupönen, 
Guddatschen bei Gumbinnen). Zuweilen wurde aus Kornhalmen 
eine Frauengestalt verfertigt und mit alten Kleidern auf- 
geputzt. Diese Puppe legte man dann unter das auf der 
Tenne ausgebreitete Getreide, und zwar an die Stelle, wo mit 
Dreschen aufgehört wurde. Wer nun den letzten Drischel- 
schlag machte, schlug den Bobas todt (Umgeg. v. Gud- 



^ Von muszti schlagen. 



336 KAPITEL V. 

datschen bei Gumbinnen). Oder man drosch die zuletzt übrig 
gebliebene Garbe überhaupt nicht, sondern trug sie in 
Gestalt eines Weibes geformt in die Scheune 
eines Nachbars, der noch nicht ausgedroschen 
hatte (Lepalothen Kr. Ragnit). 

In den Kirchspielen Töcksmark und Östvallskog in 
Wermland legt man einer fremden Frau, wenn sie die 
Tenne besucht, einen Dreschflegel um den Leib, ein Band 
von Halmen um den Hals, setzt ihr einen Kranz von Aehren 
auf den Kopf und ruft : 'S e S ä d e s f r u n' ! Sieh die Kornfrau ! 
(o. S. 42). Hier also wird die plötzlich erscheinende Fremde 
als eine Erscheinung des mit den Körnern aus den letzten 
Halmen durch den Dreschflegel herausgetriebenen geister- 
haften Wesens behandelt; In anderen Fällen muss 
die Bauerwirthin die dämonische Kornfrau ver- 
treten. In Salign6 Cant. Poire in der Vendee wird 
die letzte Garbe des Kornschnitts (piron, Gänschen, genannt) 
mit einem Bouquet Ilaidekraut geschmückt auf dem letzten 
Wagen heimgefahren und auf dem Giebel der Scheuer 
aufgepflanzt. Da verbleibt sie bis zur Dreschzeit. Dann 
unter die übrigen Garben gemengt, muss sie auf der Tenne 
von dem Bourgeois und der Bourgeoise gesucht werden. 
Haben diese den piron' gefunden, so bindet man die 
Bourgeoise sammt der Garbe in ein Bettlaken 
ein^ legt beide auf eine Tragbahre, trägt sie zur 
Dreschmaschine und schiebt sie darunter. Dann 
zieht man die Frau heraus und drischt nun die Garbe allein. 
Hierauf prellt man die Bourgeoise, indem man sie mit dem 
Bettlaken mehrmals in die Höhe wirft (offenbar Nachahmung 
des Getreideworfeins), worauf sie ein neues Fass Wein an- 
sticht und einschenkt (vergl. BK. 612). Es ist höchst be- 
merkenswerth, wie sich hier der uralte Brauch der ganz 
modernen Form des Maschinen dreschens gefügt und ange- 
schmiegt hat. In St. Martin-le-Gaillard (Seine - Infer., Nor- 
mandie) heisst die erste Garbe des Kornschnitts 'la gerbe 
du patron', die letzte 'la gerbe de la maitresse'. Diese 
muss von der Bäuerin grösser als die übrigen gebunden und 



DEMETER. 897 

mit bunten Bändern geschmückt werden. Bei der Einfahrt 
setzt die Bäuerin sich auf den letzten Wagen neben das nun 
auch noch mit einem grünen Baumzweige (Branche de la 
Moisson, Erntemai) und einem Kreuze gezierte Gebund und 
hält es. — Zu Klausen in Tirol nimmt derjenige, welcher 
beim Dreschen den letzten Streich führt, das Strohband unter 
den Kock, läuft in die Stube und schlingt es der 
Bäuerin um den Hals, würgt sie und fragt, ob es 
Kuchen gebe oder nicht. Am folgenden Sonntag gibt es 
dann Kuchen zum Erntemahl. Geradeso wird zu Hohenwart 
bei Kötzting (Niederbayern) die Bäuerin beim Dreschen des 
letzten Gebundes mit Strohbändern gewürgt, wie man sagt 
damit sie ein gutes Nachtmahl gebe. In Druchelte [jetzt 
Drüggelte] Westfalen, kommen nach Beendigung des Korn- 
schnitts die Mägde, welche so eben noch auf dem Felde den 
Harkelmaibusch umgeworfen haben , ins Haus , um der mit 
einem Eimer sie erwartenden Bauerwirthin den auf der 
Harke getragenen grünen Kranz überzuwerfen und ihr, 
gelingt OS, mit der Harke das Haar zu kämmen. 

Erscheint in allen diesen Gebräuchen die Kornmutter 
oder die Alte als das immanente Numen des Getreides 
selbst, so fehlt es daneben nicht an Belegen, dass diese Vor- 
stellung sich zeit- und strichweise in die andere umgesetzt 
hatte, die Getreidefrau veranlasse das Wachsthum 
der Culturfrucht und dieselbe gehöre deshalb ihr. Der 
Schnitter entfremdet bei der Ernte ihr Eigenthum ; er darf 
aber nicht alles nehmen, sondern muss ihr noch einen kleinen 
Antheil über den Winter lassen. Deshalb wirft man in Neften- 
bach im Canton Zürich die ersten drei (vergl. BK. 209 ff.) 
Aehren des Schnittes ins Getreidefeld, um die Kornmutter zu 
befriedigen, und die nächstjährige Ernte ergiebig zu 
machen. In Szagmanten bei Wilkischken Kr. Tilsit Hess 
man die letzte Garbe für die Rugiuboba auf dem 
Felde stehen. In Kupferberg Bza. Stadtsteinach Ober- 
franken lässt man beim Schneiden etwas Frucht stehen. 
'Das gehört der Alten', der man es mit folgenden Worten 
widmet : 

QF. LI. 22 



338 KAPITEL V. 

Wir geben^s der Alten; 

Sie soll es behalten. 

Sie sei uns im nächsten Jahr 

So gnädig, wie sie es diesmal war. 

Die Anschauung, dass die Kornmutter (die 
Alte) Aie Oeberin oäev Schöpferin der Früchte sei, deren 
Wachßthum fordere oder zurückhalte, die auf dem Felde 
stehenden vor Beschädigung behüte, fanden wir auch bereits 
in den S. 310 ff. aufgeführten Bräuchen und Redensarten aus- 
gesprochen. Nicht minder macht sie sich noch in einigen anderen 
Fällen geltend, z. B. in jener englischen Sitte, nach der die 
Harvest-queen, (nicht aus den Halmen der letzten Garbe, 
sondern aus anderem Materiale geformt) dem Schlüsse der 
Erntearbeiten zuschaut, denselben gleichsam Hilfe und 
Beistand leistet. Diese Idee prägt sich sowohl in der 
Garbe aus, welche die Puppe unter dem Arme trägt, als in 
der Sichel (scycle d. i. sickle), welche sie in der Hand 
hält (o. S. 333).' Aus dem nämlichen Gedankenkreise heraus 
treten in Schwaben und Bayern zuweilen die Namen 
Schnitterin, Drescherin für die Kornmutter, wie für 
den Kornalten 'der heilige Sanct Mäher* ein, für den 
auf dem Acker ein Scheunchen voll Aehren stehen bleibt. ^ 
Wer die letzten Halme abschneidet , 'hat' oder 'bekommt 
dieSchnitterin' und muss die mit Leib, Kopf und Armen 
versehene menschenähnliche Strohfigur *die Schnitterin' ins 
Dorf tragen (Gremheim, Offingen, Sontheim in Bayr. Schwaben. 
Panzer Beitr. H 220 n. 406. 407). In Krausnick bei Buchholz 
Kr. Beeskow-Storkow warnt man die Kinder vor der im Korne 
sitzenden 'Sichelfrau*. Wer den letzten Drischelschlag 
macht, muss 'die Drescherin vertragen' d. h. eine 
menschenähnliche Strohpuppe mit der Drischel in der einen 
und der Schüttgabel in der andern Hand, oder einen in 
Stroh gehüllten Stein dem nächsten Nachbar, der noch 
nicht ausgedroschen hat, auf die Tenne werfen (Schwaben; 
Ehingen in Bayern. Panzer Beitr. II 516. Birlinger Volks- 
thümliches aus Schwaben II 427 n. 382. Vergl. o. S. 26. 27). 



1 Pdozer Beitr. z. d. Myth. II 2 16 ff. o. S. 28. 



BEMKTER. 339 

Die Aufmerksamkeit, welche der in den letzten Halmen 
überraschten Kornfrau zu Theil wird, nimmt zuweilen den 
Charakter dankbarer Verehrung an. Nur dieses Motiv 
kann zu Grunde gelegen haben, als die Sitte sich bildete, 
das Halmenbild der Kornmutter zu küssen, wie die Götter- 
statuen und Heiligenbilder von den Gläubigen geküsst 
werden.^ Alte Leute zu Käsemark (Danziger Werder) erinnern 
sich , dass vor 50 Jahren die Alte, eine menschlich gestaltete 
und bekleidete Puppe aus der letzten Garbe, von der Binderin 
geküsst werden musste, geradeso wie in Skorczyn Kr. Kar- 
thaus Rgbz. Danzig noch jetzt diejenige Harkerin, welche 
zuletzt fertig wurde, genöthigt ist, dem aus den letzten Garben 
aller Harkerinnen geformten und mit grossen Geschlechts- 
theilen versehenen Alten einen Kuss zu geben. Zu Ellingen 
in Mittelfranken heisst die letzte Hopfenstange die Alte. 
Man spart dazu gewöhnlich die schönste auf und führt sie 
auf einem verzierten Wagen unter Jubel und Trompeten- 
schall heim. Beim Pflücken wird sie auch bis zu Ende auf- 
gehoben, und dann folgt ein Trinkgelage, welches den Namen 
*Niederfair führt. 'Nieder fall' heisst zu Hohnsberg 
in Mittelfranken das Mahl, welches beim Einbringen des 
Alten der Bauer den Dreschern geben muss. Dabei wird 
die Kornpuppe mit schwarzer Larve und rothen Lippen an 
den Tisch gesetzt und mit Speisen bedacht (Panzer II 218 
n. 398). Der Name der Pestmahlzeit lässt errathen, dass man 
dabei ehemals um die Alte (bezw. den Alten) nieder- 
kniete, wie beim Aswald (Panzer I 242 n. 270), und wie 
man in Westfalen zwischen Gesmold und Borgloh unter dem 
Ausruf 'de Aule ! de Aule !' vor der Kornfigur auf die Knie 
fällt (Kuhn westf. Sag. II 183 n. 510). 



* Im Orient und in Griechenland kusste man Götterbilder und 
Gottersymbole, z. B. das Bild des Baal (1 Kon. 19, 18. Hosea 13, 2), 
die £rz8tatue des Herakles zu Akragas, die Eiche des Zeus zu Aegina 
(Hermann Gottesd. Alterth. § 21, 16). Vergl. Kassen der Erde als 
Cultnsact bei Einweihung der Baustätte im estnischen Brauch. Boecler- 
Kreutzwald Der Ehsten abergl. Gebr. S. 3. 139. Katholiken küssen die 
Heiligenbilder. In den meisten Fällen trat Zuwerfen einer Kusshand 
dafür ein (Hieb 31, 26-28. Hermann a. a. 0.). 

22» 



340 Ki^PITEL V. 

Einen höchst merkwürdigen Brauch, der die Kornalte 
angeht, verzeichne ich nach der durchaus glaubhaften Angabe 
eines hohen mecklenburgischen Beamten, eines durchaus ernst- 
haften Mannes, der mir ohne eine Ahnung von der speciellen 
Richtung meiner Studien als ein hervorragendes Beispiel von 
Volksrohheit mittheilte, in der Umgegend seiner Vaterstadt 
Güstrow habe das Landvolk zur Zeit seiner Jugend die folgende 
Sitte geübt [vergl. o. S. 147 Anm. 2]. Nach Beendigung 
des Kartoffelausnehmens ergriffauf dem Felde 
jedesmal die älteste Arbeiterin den ältesten Arheit er ^ 
und alle übrigenWeiber schlössen um das Paar 
einen Kreis, worauf innerhalb desselben die 
Alte dem Alten die Genitalien hervorzog und 
kitzelte. Dieser Gebrauch war stehend und 
wurde Jahr für Jahr in gleicher Weise geübt. 
Die KartoiFelernte als Einheimsung der letzten Frucht des 
Jahres war hier einfach an die Stelle derjenigen Fruchtart 
getreten, welche sonst die letzte war. Vor Einführung des 
KartoflFelbaus wird die in Rede stehende Ceremonie vorge- 
nommen sein auf dem Platze und zur Zeit, wo und wann 
der letzte Hafer oder die letzte Erbse geemtet war. Das 
Alter der handelnden Personen schliesst die Annahme aus, 
als handelte es sich bei ihnen um die Befriedigung eines 
sinnlichen Anreizes. Vielmehr werden wir in dem Brauche 
einen symbolischen Sinn zu suchen genöthigt sein. 
Der älteste Knecht und die älteste Magd stellen näm- 
lich unverkennbar den Alten und die Alte d. h. die 
Dämonen des alt gewordenen Getreides (Kornmann und Korn- 
mutter) dar, wie sie nach vollbrachter Ernte auf dem Acker 
sofort zu einer neuen Zeugung schreiten. Der nämliche Ge- 
danke spricht sich auch sonst in Erntegebräuchen aus. So 
sagt man z. B. in mehreren ostpreussischen Landschaften von 
der (hier die Kornkuh darstellenden Binderin der 
letzten Garbe) *sie bullt', d.h. sie verlangt nach dem 
Bullen, ist zu neuer Empfängniss bereit [o. S. 62]. Parallel stehen 
gewisse Erntegebräuche, wonach auf dem Felde 
Schnitter und Schnitterinnen, Gesicht gegen Gesicht gekehrt, 
auf einander liegend, umher gerollt werden (BK. 481 ff.). 



DEMETER. 341 

Diese Gebräuche hinwiederunj correspondiren mit Prühlings- 
bräuchen zu Ostern, Maitag und St. Georg, die darauf hinaus- 
gehen, dass Mann und Weib mit einander verbunden auf 
dem Saatacker sich wälzen. So segnet in der Ukraine 
am 23. April a. St. der Pope das Feld ein, worauf die jungen 
Leute sich auf den Saatacker legen und ein jeder 
mit seinerFrau si ch einige Male auf de mselben 
umwälzt, damit reicher Getreidesegen zum 
Vorschein komme (BK. 480 flf.). Im nordöstlichen 
Russland wird bei der Aussaat der Pope selbst von 
einer Frau auf dem Acker geschwenkt oder ge- 
wälzt.^ Ich suchte schon BK. 484 flf. nachzuweisen, dass 
diese Sitten den ideellen Act der im Saatacker vor sich 

* Der )2fenauero Hergang iet der folgende. Bei der Aussaat 
muss der Pope nach Abhaltung des Goftesdiensteä unter freiem 
Himmel Beschwörnngsgobete zur Vortreibing der bösen Geister ab- 
lesen, ehe er die Bauern segnef, und sich es alsdann gefallen lassen, dass 
eine gesunde und kriifrige [alto] Frau, nachdem sie das Kreuz 
geküflst, ihn umfasst, vom Boden aufhebt und dreimal um 
sich herum schwingt, worauf die übrigen Bauern sich daran 
machen, ihn auf dem Feld herumzuwälzen, ohne auf Schmutz 
und Löcher zu achten. Will sich aber der Geistliche gegen ein solches 
Verfahren sträuben, so bemerken die Bauern missvergnügt: 'Väter- 
chen, du wünschest uns nicht aufrichtig Gutes und willst nicht, dass 
wir Korn haben, obwohl du dich von unserm Korn nähren willst." 
Wohl oder übel muss sich der Pope demnach fügen und zufrieden 
sein, wenn das Feld trocken ist. Nach dieser Ceremonie begeben sich 
die Bauern truppweise nach Hause, bewirthen den Popen mit seinem 
Gefolge und betrachten es als günstiges Vorzeichen, wenn der Schmaus 
ohne Störung und zumal ohne irtreit vor sich geht. Anderwärts gilt 
zumeist der letzte Tag der Aussaat im Frühjahr oder 
Herbst, welcher dosjerkij in Kloinrussland dosirki genannt wird, für 
einen Freuderitag, zu dem man eigeiieä Bier braut, und ein Schwein 
schlachtet oder Kuchen backt, je nachdem man Sommer- oder Winter- 
getreide gesät hat. Ist nun während der Arbeitszeit das Wetter gut 
gewesen, so sieht der Bauer mit Zuversicht einer reichlichen Ernte 
entgegen. Um jedoch seiner Sache noch gewisser zu werden, bittet 
er, wenn die Saat üppig aufsprosst, an manchen Orten den 
Popen um einen Gottesdienst auf dem Felde, und, nachdem er ihn zu 
Mittag bewirthet, ersucht er ihn sich (mit sammt seiner Begleitung) 
von den Frauen in der grünen Saat herumwälzen za 
lassen (Heinaberg-Düringsfeld, iNationalseitun^ 1873 no.« b'il)» 



842 KAPITEL V. 

gehenden Vermählung eines mythischen die Vegetation er- 
zeugenden Paares dramatisch nachbildeten, und dass das 
Umherwälzen auf dem Acker wahrscheinlich die Segnungen 
dieses Eheschlusses dem Erdreich mittheilen sollte. 

Eine sehr merkwürdige Analogie zu den nordeuropäischen 
Vorstellungen und Bräuchen von der Kornmutter gewähren 
die ausserhalb jeder historischen Verwandtschaft stehenden 
Erntesitten der Ureinwohner von Peru. Diese waren über- 
zeugt, dass die Kutzpflanzen von einem göttlichen Wesen 
(Huaca) belebt seien, welches das Wachsthum derselben be- 
wirke. Es hiess je nach der Fruchtart Zara-mama (Mais- 
mutter), Quinoa-mama (Quinoamutter) , Coca-mama 
(Cocamutter), 1 Axo-mama (Kartoffelmutter) oder Papa- 
-mama (Kartoffelmutter, von spanisch papa Kartoffel). Sie 
brachten dieses göttliche Wesen zur Darstellung, indem 
sie aus Maisähren bezw. aus den Blättern der 
Quinoa- oder Cocapflanze eine menschen- 
ähnliche weibliche Figur verfertigten, be- 
kleideten und verehrten. Daneben gab es noch 
andere Darstellungen, aus steinernen Nachbildungen der 
Pflanze, die als Conopas (d. i. Penaten) in den Häusern 
aufbewahrt wurden (Zarap-conopas d. i. Maisconopen, Papap- 
-conopas d. i. Kartoffelconopen), oder aus auffallend gestalteten 
Exemplaren der Pflanze selbst bestehend. Ein sehr zuver- 
lässiges Zeugniss gewähren die Besultate der in der Mitte 
des 17. Jahrhunderts im Erzbisthum Lima angestellten Kirchen- 
visitationen, welche niedergelegt sind in der Schrift: 'Carta 
pastoral de exortacion e instruccion contra las idolatrias de 
los Indios del ar^obispado de Lima. Por el illustrissimo 
Senor Doctor Don Pedro de Villagomez, Arzobispo de Lima a sus 
visitadores de las idolatrias, y a sus vicarios, y curas de las 
doctrinas de Indios. Lima Ano de 1649.' Aus diesem seltenen 
Werke hat Herr J. J. v. Tschudi die grosse Güte gehabt, 



^ Zara, der Mais, die eigentliche Brodfracht, das Hauptnahrunjgs- 
mittel. Quinöa, ein hirseähnliches Getreide, woraus das Getränk 
Chicha bereitet wird. oca, Hunger- und Durststrauch, dient ebenfalls 
zur Bereitung von Chicha, zu allerlei Heilmitteln; seine Blätter mit der 
Asche der Quinta vermisoht wurden vqd den Indianern gekaut. 



DEHETBB. 343 

mir fol. 40 § 23 in wortgetreuer üebersetzung mitzutheilen : 
'Zaramamas gibt es drei Arten. Die erste ist wie eine 
Puppe (muneca) aus Maiskolben, bekleidet wie ein 
Weib mit seinem Anaco,^ seiner' Lliclla^ und 
seinem silbernen Topos;^ und sie (die Indianer) glauben, 
dass sie als Mutter die Eigenschaft (virtud) habe, vielen Mais 
zu erzeugen und zu gebären.^ Die zweiten sind wie Mais- 
kolben gearbeitete Steine, und diese pflegen sie häufig 
als Conopas in ihren Häusern zu haben. Die dritten sind 
einzelne fruchtbare Maisstengel, welche mit der 
Fruchtbarkeit der Erde viele und grosse Kolben geben, oder 
wenn zwei Kolben zusammen herauswachsen, 
und diese sind die hauptsächlichsten Zara- 
m a m a s.^ Diese nennen sie auch Huantayzara oder A[y]rihuay- 
zara.^ Diese dritte Art verehren sie nicht als 
Huaca oder Conopa, sondern halten sie nur aber- 
gläubisch für eine heilige Sache, und indem sie diese Stengel 
mit vielen Maiskolben an Weidenäste hängen, tanzen sie mit 

* Wollentuch als Bekleidungsstück der Indianerinnen. 
'^ Eine Art üeberwurf. 

3 Grosse, fast löffelförmige Nadeln zum Zusammenhalten der Lliclla. 

* [Sie haben auch in dieser Weise Cocamamas für das Wachs- 
thum der Coca]. 

^ [und sie verehren sie so wie Mütter des Mais]. 
^ Halme, welche zwei Kornähren tragen, steckt man hinters 
OruciBx, und dann wird die Ernte viel ausgiebiger (Pusterthal. Zingerle 
Sitten, Bräuche u. Mein. d. Tirol. Volkes. Innsbr. 1871. S. 100 n. 856). 
Wer eine Doppelähre findet, wird heirathen, hat Glück (Rgbz. Gura- 
binnen). In Russland (Kr. Lepel Gouv. Mohilew [Witebsk?]) werden alle 
während der Ernte gefundenen Kornstengel mit Zwillingsähren (ein solcher 
heisst sporysch) in den aus Halmen der letzten Garbe am Ernte- 
schluss verfertigten und dem Gutsherrn feierlich. überreichten Kranz 
hineingebuuden, bei dessen Einbringung besondere 'Sporyschlieder' 
(sporyschowija) gesungen werden. In diesen gedeiht die Zwillingsähre 
zu voller mythischer Personification im Sinne des Korndämons: 

Komm, Sporysch, zu mir in den Hof, 

Zu mir in den Hof, an den geglätteten Tisch, 

Meine Tische sind gedeckt. 

Die Kelche mit Wein gefüllt. 

Setze dich, Sporysch, in den Hauptwinkel, 

In den Hauptwinkel, den vergoldeten, 

Trinke, Sporysch, grünen Wein u. s. w. 



344 KAPITEL V. 

ihnen den Tanz, den sie A[y]rigua nennen, und nachdem sie 
getanzt haben , verbrennen sie sie und opfern dem L i b i a c 
(Blitz), damit er ihnen eine gute Ernte gebe. Mit dem näm- 
lichen Aberglauben heben sie auch die Maiskolben auf, die viel- 
farbig sind, und nennen sie [welche sie nennen] Micsazara oder 
Mäntayzara oder Collauzara, und andere, welche sie Piruazara 
nennen, sind solche Kolben [welches andere Kolben sind], bei 
denen die Körner nicht geradlinig aufsteigen, sondern Schnecken* 
förmig (haciendo caracol) J Diese Micsazara oder Piruazara 
legen sie abergläubisch auf die Maishaufen und in die Pirnas 
(Scheunen, Getreideböden), damit sie sie beschützen [beschütze]. 
§ 24. Den nämlichen Aberglauben haben sie mit denen, die sie 
Axomamas nennen, welche sind, wenn einige Kartoffeln zu- 
sammen gewachsen sind, und sie heben sie auf, damit sie eine 
gute Ernte haben.' ^ Das 58. Cap. der 'Carta pastoraF enthält 
die auf Grund früherer Erfahrungen abgefassten Fragen, welche 
die visitadores de las idolatrias den Indianern vorlegen sollten. 
Da findet sich Frage VIII : Si tienen Gocamama, ö Zara- 
mamaP Frage XXII: QueConopa ö Chanca tiene? (que 
es SU dios penate) y siesMicuyConopa, öZarapconopa, 
öLlamaconopaPsiesConopa delmaiz, ö delganado? etc. 
Die Angaben der 'Carta pastoral' finden Bestätigung durch den 
Jesuiten Pedro Jose de Arriaga, der vom Februar 1617 bis 
Juli 1618 die Provinzen des Erzbisthums Peru in höherem Auf- 
trage visitirte und seine Beobachtungen und Erfolge in dem 
Büchlein Extirpacion de la idolatria de los Indios del Peru. 
Lima 1621* zur öffentlichen Kenntniss brachte. Er zerstörte 
u. a. in den 18 Monaten seiner Wirksamkeit 45 mama- 
zaras,^ wohl der zweiten Art.^ Vor Arriaga gibt bereits 



^ Noch heute weihen die peruanischen Indianer Maisähren von 
verschiedenen oder fremdartigen Farben den Heiligen und hängen sie 
in den Nischen auf. 

2 Vergl. auch Rivero y Tachudi Antigüedades Peruanas. Viena 
1851. S. 169. 

8 Vergl. Rivero y Tschudi S. 147. 

^ Uebrigens ging der Name zaramama auch auf gewisse 

heilige Thöngefässe mit Darstellungen von Maiskolben über, welche 

ü« a. zur Aufbewahrung des Tranks (Chicha) neben den Mumien dienten. 

Besprechung und Abbildungen solcher Vasen bei Rivero y Tschudi 

a, a. 0. 169. 227. 229. 318. 320 und Atlas mmina XII. XXI, 



DEMETER. 345 

der Jesuit Jos. Acosta in seiner 'Historia natural y moral 
de las Indias. Seuilla Ano de 1590.' Buch 5, Kap. 27, S. 378 nach 
mündlichen Notizen über die ländlichen Sitten seiner Um- 
gebung eine höchst merkwürdige Variante der vorstehenden Ge- 
bräuche. Sein Bericht scheint jedoch auf irgend eine Weise, 
sei es durch Missverständnisse des Autors , sei es durch Ab- 
schreiberirrthümer verderbt: Der sechste Monat heisst 
Hatuncuzqui Aymoray und entspricht dem Mai.^ — Auch 
wurden geopfert andere hundert Hammel von allen Farben. 
In diesem Monat, in welchem der Mais vom Ackerbeet zum 
Hause gebracht wird, wird das bis auf den heutigen Tag 
unter den Indianern sehr gebräuchliche Fest gefeiert, welches 
sie Aymoray nennen. Dieses Fest findet statt, wenn man 
von der C h ä c r a ^ oder dem . Felde (heredad) zu seinem 
Hause kommt , indem man gewisse Lieder singt , in denen 
sie bitten , dass recht ausdauern möge der Mais . . . welche 
sie nennen Mamacora;^ indem man von seiner Chacra 
einen gewissen Theil des an Grösse am meisten ausgezeichneten 
Wälschkorns nimmt , und es in eine kleine Scheune 
(troxe pequena) legt, die sie P i r u a ^ nennen, dabei mit ge- 
wissen Ceremonien während dreier Nächte Wache hält. Und 
diesen Mais thun sie in die prächtigsten Wollstoffe 
(las mantas mas ricas) hinein, die sie haben. Und sobald 
er (der Mais) verhüllt und geschmückt ist, beten 
sie jene Pirua an und halten sie in grosser Verehrung und 
sagen, das sei die Mutter des Maiskorns^ ihrer 
Chacra, und durch sie sei vorhanden und werde 
erhalten der Mais. Und in diesem Monat halten sie ein 



^ Aymoray (aymuray) Verbalsubst. von aymura Getreide auf- 
speichern, also das Aufspeichern dos Getreides, sodann der Monat, in 
dem dies geschah, endlich die damit verbundenen Feste. 

' Chacra Garten, kleines Landgut, auf dem Obstbäume und be- 
sonders Mais gepflanzt werden. 

'Mama oora, Mutter des Unkrauts, von cora das Unkraut. 
Vergl. cora verb. entmannen, castriren, verKtümmeln. 

* Pirhua eine Art Scheune aus Rohr mit Lehm beworfen; ein 
Yorrathsspeicher für Mais. 

"^ Madre del mayz, also im Quichuft Mamazara, Zaramama. 



346 KJiPiTEL y. 

privates Opfer, und die Zauberer fragen die Pirna, ob sie 
Kraft habe für das kommende Jahr. Und wenn sie 
antwortet nein', so bringen sie es, um es zu verbrennen, auf 
dasselbe Feld (chäcra) mit demjenigen Gepränge, welches in 
jedes Kräften steht, und machen eine andere Pirna mit 
denselben Geremonien, indem man sagt, dass sie sie er- 
neuern, damit nicht zu Grunde gehe der Same 
des Mais. Und wenn sie (die Pirna) antwortet, dass sie 
Kraft habe, um weiter zu dauern, so verwahren 
sie sie bis zum anderen Jahr. Dieser alberne Ge- 
brauch hat sich bis auf diesen Tag erhalten, und es ist unter 
den Indianern sehr gewöhnlich diese Pirnas zu machen 
und das Fest Aymoray zu veranstalten.* ^ 

Da man auf keinen Fall dem Unkraut (Cora) Dauer 
gewünscht hat, muss in Acostas Bericht ein Fehler stecken, 
entweder eine falsche Auffassung der Aussagen seiner Gewährs- 
männer, oder eine Verstümmelung seines Contextes durch 
Fortlassung einiger Zeilen von Seiten des Copisten oder Setzers. 
Die Gesänge enthielten augenscheinlich das Gebet, dass die 



1 El sexto mes se llama Hatanoüzqui Atiioräy, que responde a 
Mayo, tambie se sacrificauan otros oien oarneros de todos oolores. 
En esta luna j mes, qae es quando se trae el mayz de la era a casa, 
se hazia la fiesta, que oy dia es muy usada entre los Indios que llamä 
Aymoräy: Esta fiesta se haze viniendo desde la Chäcra o heredad a 
SU casa, diziendo ciertos cätares, en q ruegan que dure mucho el mayz, 
la quäl llaman Mamacora, tomando de su Chäcra cierta parte de 
mayz mas senalado en quantidad, y poniendola en una troxe pequenä, 
q llaman Pirna con ciertas ceremonias, velaudo en tres noches, y este 
mayz meten en las mantas mas rioas que tienen, y desque estä tapado 
y adereyado, adoran esta Pirna y la tienen en grau veneracion, y dizen 
que es madre del mayz de su Chäcra, y que oon esto (da- 
durch) se da, y se conserua el mayz. Y por este mes hazen un 
sacrificjo particular, y los hechizeros preguntan a la Pirna, si tiene 
fuer^a para el ano que viene? y si responde que no, lo lleuan a 
quemar a la misma Chäcra, con la solenidad que cada vno puede, 
y haze otra Pirna eo las mismas ceremonias diziendo, q la renueuan 
para q no perezca la simiente del mayz: y si responde que tiene fuer^a 
para durar mas, la dexan hasta otro ano: Esta impertinencia dura 
hasta oy dia, y es muy commun entre Indios tener estas Piruas, y 
hazer la fiesta del Aymoräy. 



DEMETEE. 347 

Mamazara (Maismutter) dauern, die Mamacora (ün- 
krautmutter) zu Grunde gehen möge. Uebrigens scheint 
auch der Fortgang der Darstellung zu erweisen, dass Acosta 
keine klare Anschauung von den mitgetheilten Thatsachen 
hatte. Denn, wenn ich ihn recht verstehe, so war der Her- 
gang des Festes der folgende. Einige der schönsten und 
vollsten Maiskolben wurden beim Ernteschluss in die zu 
diesem Zwecke verfertigte Miniaturnachbildung einer Scheune 
(P i r u a) gelegt und mit Wollenstoffen zu einer Puppe aus- 
geschmückt, welche den Namen 'Mutter des Mais' (Mama- 
zara) erhielt. * 



1 Eine gewisse Analogie gewähren einige deutsche Erntesitten. 
In Mitteldeutschland lässt man nämlich mehrfach bei der Ernte die 
letzten Halme auf dem Felde stehen , bindet sie oben an den Aehren 
zusammen, füllt die unteren Zwischenräume mit Blumen, Aehren 
oder Steinen (als Symbolen für die Schwere der künftigen Frucht), 
worauf sämmtliche Erntearbeiter darüber weg springen müssen, ohne 
mit den Füssen . anzustossen , oder rund umher tanzen. Man nennt 
diesen Kornbüschel 'Scheune' und den Brauch 'eine Scheunebauen' 
(Altenburg, vergl. Archiv des henneb. Vereins II 91. Grimm Myth.* 209 
Anm. 1), 'über die Scheune springen' (Kr. Salzwedel, Kr. Quer- 
furt, Kr. Merseburg), 'über Schainischen springen', 'über Schinnichen 
springen' (Tilleda Kr. Sangerhausen, Buttstädt bei Weimar), 'ein 
Sohainichenmaohen' (ebendas., vergl. Kuhn Nordd. Sag. S. 39Ö. 
396). Ist im Jahre viel gewachsen, so wird die 'Scheune' voll ge- 
macht; ist wenig gewachsen, wird wenig hineingethan (Steigra Kr. Quer- 
furt). Man pflegt den "W u n s o h , die Hoffnung oder die feste Er- 
wartung auszusprechen, wie dieses Scheunohen gefüllt sei, möge oder 
werde der Kornspeicher voll werden (Stössen bei Naumburg a. Saale; 
Kr. Weissenfeis). In Priebus Kr. Sagan Rgbz. Liegnitz heisst das in 
Rede stehende Scheunohen Pieterscheune, bei Weissenfeis M i r t e n - 
Scheune. (Mtrtenscheune), d. i. Peterscheune und Martin- 
Scheune. Zu diesen Namen vergl. das Peter bült im Saterlande 
(Kuhn Nordd. Sag. S. 395 n. 99); sie dürfen nicht auf die unter der 
Maske von Heiligen verhüllten Götter Donar und Wodan bezogen 
werden, wie hinsichtlich des Peterbült Kuhn, J.W.Wolf und H. Pfannen- 
schmid gethan haben , sondern sind unzweifelhaft vermöge einer im 
einzelnen noch nicht ganz aufgehellten Ideenverbindung von den 
Kalenderheiligen des 29. Juni (Ernteanfang) und 11. November (Ernte- 
dankfest) abgeleitet. Zu Hollfeld in Oberfranken hiess das Scheunohen 
des St. Mäha Städelein. Die Schnitter wurden von den Alten 



348 KAPITEL V. 

Die Frage des Zauberers war dann nicht sowohl an 
die Pirna als an die darin im Bilde befindliche Maismutter 
gerichtet; glaubte er nun aus irgend welchen Zeichen ent- 
nehmen zu müssen, dass diese nicht die Kraft habe, das nächste 
Jahr zu erleben, so wurde eine neue, vermeintlich lebens- 
fähigere Mamazara gesucht, sodann mit einer Scheune 
(Pirna) überdacht und zu einem Gegenstande der Anbetung 
gestempelt. 

In zwei ganz entgegengesetzten Regionen des Erdballs 
(Nordeuropa und Südamerika) sehen wir also aus gleichen 
psychischen Antrieben den Namen und Begriff der Korn- 
mutter (bezw. Maismutter) in wunderbar ähnlicher, ja mehr- 
fach genau übereinstimmender Weise erzeugt. Diese Ana- 
logien erweisen unzweifelhaft die aus sprachlichen Gründen 
empfehlenswerthe Deutung des Namens Demeter als 
'Spelt niutter' auch sachlich als annehmbar. Prüfen wir 
diese Hypothese in ihren Einzelheiten, so ergeben sich nicht 
wenige Uebereinstimmungen zwischen der Demetermythologie 
und dem Bilde, welches die nordeuropäischen und peruanischen 
Ueberlieferungen von der Kornmutter entwerfen. Bei der 



ermahnt: 'Seid nicht so geizig, laset dem heiligen St. Mäha 
(o. ?. 28. S38) auch wasstehon und macht ihm ReinStädelein 
(Stadel, Kornspeicher) to 11' (Panzer Beitr. II 216 n. 394. 2l7n. dOö. 
J. Grimm Myfh.* III S. 209 N. z. i^. 600 miss verstanden ; die an letzterem 
Ort S. 59 N. z. S. 130 mitgetheiUe angebliche Variante aus Beilngries 
macht auf mich den Eindruck einer Fälschung). Qanz analog ist das 
Hüttchen aus Flachsstengeln, das man beim Flachsjäten dem Holz- 
fräulein verfertigt (BK. 77. Sohönwerth Aus der Oberpfalz II 369 ff.). Es 
geht also der Sinn der vorstehenden Sitten darauf hinaus, dass dem 
Korndämon (dem St. Mäher, dem Holzfräulein n. s. w) zur Uebei- 
winterung des Antheils an der Ernte, den der Mensch ihm übrig 
lä«}Bt (o. S. 338), und zu seinem eigenen Aufenthalt von Halmen eine 
kleine Scheune oder Hütte gebaut wird. Jener Antheil, der in Gestalt 
einiger Aehren in das Soheunchen hineingelegt wird, ist zugleich der 
Grundstock oder der Stamm, aus welchem die Vegetation des nächsten 
Jahres sich erneuern soll. Wer sieht nun nicht sowohl in der Idee 
als in der Ausführung bei aller Selbständigkeit eine grosse Aehnlich- 
keit mit dem peruanischen Brauche, dem Bildniss der Maismutter 
selbst ein Schouuchen als Aufonthaltaort zu bereiten? 



DEMETER. 349 

Yergleichung darf nicht ausser Acht bleiben , dass Demeter 
eine im IS^ationalbewuastaein lebendige hohe und grosse 
Göttin, die Kornmutter ein nur im Aberglauben abseits 
der herrschenden Religion fortdauernder Dämon ist. Und 
auch dies erheischt Berücksichtigung, dass in den Ueber- 
lieferungen von der nordeuropäischen Kornmutter die Bil- 
dungen zweier Entwicklungsstufen unterschieden werden 
müssen. Die Mehrzahl zeigt das mythische Wesen noch ganz 
mit seinem Leben an das Leben der Natur gebunden ; es ist 
die Psyche der Gulturpflanzen zunächst auf einem bestimmten 
Grundstück, sodann in der ganzen Landschaft, während eine 
kleinere Anzahl von Ueberlieferungen einen vorgerückten 
Standpunct verräth , nach welchem die Kornmutter zu des 
Fruchtsegens Geberin, Schöpferin oder Gebärerin 
geworden ist und mit einer Ehrfurcht, welche göttlicher 
Verehrung nahe kommt, begrüsst wird. Mit den Traditionen 
dieser letzteren Art kommt dasjenige, was der Grieche von 
seiner Demeter aussagt, in so hohem Grade überein, dass 
der Schluss berechtigt erscheint, auch die Vorstufen seien 
analog gewesen. Ist das richtig, so gewinnt man an der 
peruanischen Maismutter u. s. w. und der nordeuropäischen 
Kornmutter, wie dieselbe in der Mehrzahl der Ueberlieferungen 
auftritt, eine ziemlich zutreffende Anschauung davon, wie 
Demeter in ihrer vorhistorischen Gestalt aussah, während 
alsdann die Kornmutter in ihrem mehr vorgeschrittenen, durch 
die Minderzahl der Traditionen vertretenen Typus denjenigen 
Zustand vergegenwärtigt, in welchem Demeter sich befand, 
als sie den Uebergang vom Korndämon zur Getreidegöttin 
machte. 

Wie die Kornmutter im Winde über das Korn geht 
(o. S. 296), wandelt Demeter mit purpurschimmernden Füssen 
über das Aehrenfeld (o. S. 236. 237). Die Kornmutter läuft 
so schnell wie ein Ross oder sie jagt zu Ross durch den 
Saatacker (o. S. 301 ff.); damit vergleicht sich — falls weitere 
Untersuchung die o. S. 262 ff. vorgetragene Auffassung be- 
währt — dass Demeter in ein Ross verwandelt mit Poseidon 
Hippies buhlt. Der Anhauch der Kornmutter bringt Geschwulst 
oder Tod (o. S. 310), derjenige der Demeter Irrsinn (o. S. 237). 



350 ' KAPITEL V. 

Demeter ist Spenderin der Brodfrucht, macht das Qetreide 
wachsen; wenn sie zürnt, geht die. Saat nicht auf (o. S. 225. 
249. 265). Die Kommutter gibt reichliche Frucht (o. S. 310 ff.), 
hütet das spriessende Getreide (o. S. 311. 338), dörrt dem ihr 
yerhassten Manne das Feld aus (o. S. 310 ff.). Durch die 
peruanische Mamazara hat der Mais Entstehen und Bestehen 
(o.S. 343. 345). Wie Demeter als Qeberin des Getreides zur 
Vorsteherin und Theilnehmerin aller Arbeiten des Landmanns 
geworden ist (o. S. 228 ff.), ward auch die Eornmutter zur 
Sichelfrau, Drescherin u. s. w. (o. S. 338). 

In der Gestalt sowohl der Demeter wie der Eornmutter 
(goldenes Haar o. S. 234, eiserne, theergefüUte Brüste o. S. 303. 
307) spiegeln sich Zustände des im Wachsthum begriffenen 
Kornes ab. In der bildlichen Darstellung finden sich bei beiden 
aus gleichen Ursachen die nämlichen Elemente ein. Der 
Demeter gab man Aehren und Mohn in die Hand (o. S. 235), 
sie trägt zuweilen eine Sichel (o. S. 229). Dazu vergL die 
Darstellung der Harvest*queen mit Garbe und Sichel (o. S. 338), 
der Kornmutter mit Klatschrose und Feldmohn (o. S. 303). 
Wie Demeter zur oefivrj^ nowla^ fifydkT] &(6g^ wird das 
Kornweib zur 'grossen Mutter' (o.S. 319), man ehrt sie 
mit Küssen (o. S. 339) und Niederfall (o. S. 339). Genau 
derselbe Gedanke, welcher in der Buhlschaft der Demeter mit 
Jasion in den Furchen des Ackers sich ausspricht (o. S. 238 ff.) 
liegt der Auffassung der Kornmutter als 'die grosse Hure' 
(o. S. 322) und dem o. S. 340 ff. besprochenen symbolischen 
Yermählungsbrauch auf dem Saatfelde zu Grunde. 



KAPITEL VI.^ 



KIND UND KORN. 



Derselbe psychische Vorgang, auf welchem so viele 
Stücke des Baumcultus beruhen, ist auch der erste Keim 
des Demeter - Mythus gewesen, ich meine der Vergleich des 
Pflanzenlebens mit dem Menschenleben. Nicht allein das Auf- 
wachsen, Blühen und Verwelken des Baumes ist frühzeitig 
mit den Zuständen und Entwickelungsphasen der Thiere und 
Menschen in Parallelismus gestellt ; vielleicht noch deutlicher 
tritt in der Sprache und Sitte der Völker eine gleichgeartete 
Ideenverknüpfung zwischen Getreidepflanze und Mensch hervor. 
Von den beiden Gliedern des Gleichnisses kann bald das 
eine bald das andere zur Hauptsache gemacht, die Pflanze 
kann| im Spiegel des Menschenlebens, oder umgekehrt das 
Menschenleben im Spiegel der Pflanze betrachtet werden. 

Sehr lebendig, prägt sich die Anschauung einer Aehn- 
lichkeit der Getreidepflanze mit dem Wachsthum des Menschen 
in der hebräischen Sprache aus, indem sie dieselben Aus- 
drücke für die Befruchtung des Feldes und des Weibes, für 
Ackerfrucht und Nachkommenschaft verwendet. ^ Dieselbe 



^ [ürsprQn^Hch als Einleitano^ zu Kapitel V gedacht.] 

2 Yergl. z. B. sara säen, das Feld besäen 1 Mos. 47, 23. 2 Mos. 

23, 10; Niph. befruchtet werden, vom "Weibe, 4 Mos. 5, 28; Hiph. Frucht 

herTorbringen, vom Weibe, 8 Mos. 12, 2. — sera Same von Pflanzen 

1 Mos. 1, 11. 12. Saat, Getreide Hieb 39, 12. Saatfeld 1 Sam. 8, 15. 



352 KAPITEL VI. 

Erscheinung begegnet in Indien. Bei der Ankunft des Braut- 
zuges im Hause des Bräutigams wurde gesagt : *Al8 Fruchtfeld 
kam hierher das Weib , als beseeltes. Säet in sie , Männer, 
jetzt euren Samen. Sie zeuge euch Kinder. ^ Auch dem 
Griechen war diese Metapher geläufig, das Weib fasste man 
bildlich als Fruchtfeld, das Zeugen als Pflügung, die Kinder 
als Fruchte. In den attischen Eheverträgen wurde der Zweck 
der Verbindung in der herkömmlichen Formel ausgesprochen 
671 1 rraidiov yr^nutfv aooro), ein unvermähltes Weib hiess yw^ 
uprjooTog Luc. Lexiph. 19. Hesiod (0. et D. 736) gebraucht von 
der Zeugung den Ausdruck anegf-ialvstv ysvsijv. Mit Vorliebe 
bedienen sich die Tragiker dieses Bildes, z. B.: /lit] antTos Ti'xvior 
aXoy.a daiftovMv ßia. Eurip. Phoen. 18. ti]v Texovaav ijgoasy, 
od^Ev Ttso avrog ianaQrj^ Soph. Oed. R. 1497. Viele weitere 
Beispiele sammelte Preller Dem. u. Perseph. S. 354 S. Diese 
Anschauungen spiegeln sich auch in der Traumdeutung, 
s. Artemidor. Oneirocrit. I 51. S. 48 Horcher: FHogysTv ^ 
aneigstp ij ffvrtvHV ij dgovgtäv dyad^ov xoiq yPjf.iai ngorjoi^fibvoK; xal 
ToTg ancuGiv. agovga fisv ydg ovÖ8v uXXo GOiiv ij yvin^^ onigfiara 
dt xal ffVToi ol naTätgj nvgol ^tv vtoi, xgtS'al 6s d'vyavsgig^ ornigia 
Ss TOL i^a/Lißkoi jitaTa. Vergl. V 63. 84 : ol (.isv yag äard/veg roV 
naTda iafjfiaivov. 

Ich beabsichtige nicht, den angeknüpften Faden durch 
die Sprache noch anderer Völker weiter fortzuführen, ob- 
gleich mannigfacher Stoff sich darböte,- sondern will zunächst 



semen virile 3 Mos. 15, 16. Kinder, Naohkommen 1 Sam. 1, 11. Ge- 
schlecht, Stamm 2 Kon. 11, 1. — parach sprossen, blühen, öfter vom 
blühenden Zustande eines Menschen oder Volkes Je8.27,6. Ps. 02,8. 13. — 
peri Frucht von Bäumen, Erdfrüchten, Getreide, Saat: peri aroz des 
Landes Frucht 4 Mos. 13, 20. 5 Mos. 7, 13. Leibesfrucht 1 Mos. 30, 2. 
5 Mos. 7, 13. Nachkommenschaft Ps. 21, 11. 5 Mos. 28, 11. -- parah 
fruchtbar sein, von Pflanzen, Thieren und Menschen 1 Mos. 1 , 22. — 
zeczaim Sprösslinge aus der Erde und Nachkommen eines Menschen 
Jes. 34, 1, vergl. Jes. 61, 9. 

1 Ath. Veda XIV 2, 14. Weber Ind. Stud. V 205, vergl. 
BK. 560. 

2 So v^ird Ictt. brist schwellen, quellen, reifen sowohl vom 
Reifen des Getreides als von der Schwangerschaft der Frauen ge- 
braucht, lit. pilnas, voll, von der Aehre und dem mit Mutterhoffnung 



KIND UND KORN. 353 

darauf hindeuten, wie diö Phantasie der Dichter solche sprach- 
lichen Metaphern zu sinnreicher Parallelisirung der mensch- 
lichen Geburt oder des Todes mit dem Reifen der Kornfrucht 
in ausgeführteren Gleichnissen weiterspinnt, je nachdem das 
Altwerden und Welken der Halme oder das Hervorgehen 
der neuen Kömer den Ausgangspunct bildet. So der Dichter 
des Hieb 5, 26 : *Und wirst im Alter zu Grabe kommen, wie 
Garben eingeführet werden zu seiner Zeit.* Dagegen vergleiche 
man die schönen Verse Th. Storms : ^ 

Klingt im Wind ein "Wiegenlied, 
Sonne warm hernieder sieht, 
Seine Aehren senkt das Korn, 
Reihe Beere schwillt am Dorn, 
Schwer von Segen ist die Flur — 
Junge Frau, was sinnst du nur? 

Denselben Gedanken enthält ein neugriechisches Volks- 
lied: 

Ein Judenmädchen mähte Korn, hoch war das Mädchen schwanger; 
Zu Zeiten, Zeiten mäht sie ab, zu Zeiten aber kreisst sie. 
Auf eine Garbe lehnt sie sich, gebiert ein goldnes Knäblein.^ 



gesegneten Weibe. Im Deutschen steht goth. k ei n an keian, ahd. kinan, 
Dhd. keimen zu k i n d ; goth. lauths, eigentlich Schössling, von liudan, ahd. 
liutan, alts. liodan, ags. leödan wachsen, wird Bezeichnung des Mannes 
(ags. Ie6d Mann, goth. jugga-Iauths Jüngling) und des Volks (altn. 
lydr, liodr, ags. Ie6d, alts. liud, ahd. liut), wie lat. adolescens u. s. w. 
^ Th. Storm , Hausbuch aus deutschen Dichtern seit Claudius. 
1878. S. 557. S. a. Achim v. Arnim io den Kronenwächtern (Werke III 
249). Die Braut singt: 

Goldne Wiegen schwingen 
Und die Mücken singen. 
Blumen sind die Wiegen, 
Kindlein drinnen liegen. 
Auf und nieder geht der Wind, 
Geht sich warm und geht gelind. 

Wie viel Kinder wiegen? 
Wie viel soll ich kriegen? 
Eins und zwei und dreie, 
Und ich zähr aufs neue. 
Auf und nieder geht der Wind, 
Und ich weine wie ein Kind. 

2 Firmenich Tqayovdia Pojuatxm. Berlin 1840. S. 63. 
QF. LI. 23 



354 KAPITEL VI. 

In wie hohes Alterthuin dieser Kreis yon Anschauungen 
hinaufreicht, lässt sich am besten aus gewissen Hochzeits- und 
Eindbettsgebräuchen ermessen, in denen dieselben in sinn- 
lichen Formen ausgeprägt bis zur Annahme eines Gausal- 
zusammenhangs zwischen vegetabilischer und animalischer 
Geburt erstarkten. Bei der Vermählungsfeier wurden näm- 
lich die Brautleute mit Getreide beschüttet, oder darauf ge- 
bettet. Schon an einem der nächsten Tage vor der Heim- 
führung begoss der indische Brautwerber die Braut mit 
Wasser aus Gefässen, in denen sich Heilkräuter und aus- 
gezeichnete Früchte befanden. Nach der Vivähapad- 
dhati überreichte der Vater beiden Brautleuten je sieben 
Betelnüsse (Pügafrüchte) mit einem Spruch, worin er die 
durch die Früchte bewirkte Anhänglichkeit der Frau an den 
Gatten aussprach; die Brüder der Braut und das Gesinde 
erhielten sieben Betelnüsse. Während Braut und 
Bräutigam mit dem Gesichte nach Osten ge- 
wendet ins Haus traten, streute ein Vei^wandter aus 
einem Worfelgefässe Reis auf sein oder ihr Haupt 
Der Bräutigam geht mit einem Gefäss mit Früchten und ge- 
weihtem Wasser ins Haus des Schwiegervaters, wird hier 
besprengt und erhält von der Braut Betelnuss, Sandel und 
Opferschnur. Die Schwiegermutter aber verfügt sich sodann 
ins Haus des Bräutigams, dieser wird besprengt, und die 
Brüder des Mädchens geben ihm Eokusnüsse. ^ Bei der 
eigentlichen Hochzeit badeten die nächsten Verwandten die 
Braut mit Abkochungen von Glycyrrhiza glabra, Gersten- 
körnern und Bohnen und begossen sie unter Anrufung 
des Liebesgottes an Haupt und Körper mit einem vorzüg- 
lichen Getränk, zuletzt den Schoss.^ Bei der Ankunft in 
der neuen Heimath und vor dem Eintritt in das Haus über- 
reichte die Neuvermählte dem Gatten Früchte in die zu- 
sammengelegten Hände und Hess von den Brahmanen die 
Wünsche, dass es ein gesegneter Tag sein möge, recitiren. 
Sie Ward dadurch knabenerzeugend.^ Bei den Ebräern wurden 

1 Weber Ind. Stud. V 294. 298 ff. 
• a. a. 0. 304 ff. 
s a. a. 0. 346. 



KIND UND KORN. 355 

die jungen Eheleute, nachdem sie die Einsegnung empfangen, 
von den Eltern mit mehreren Handvoll Getreide 
bestreut^ indem diese die Worte der Genesis ausriefen : * S e i d 
fruchtbar und mehret euch'. Diese Sitte ist noch 
vielfach erhalten, z. B. bei den Juden in Marokko, Frank- 
reich, sowie am Niederrhein. ^ Der Baldachin über dem 
Brautpaar war mit Aehren geschmückt. Vor dem 
Brautpaar her warf man, wenn es Sommer war 
(in der Regenzeit durfte es nicht geschehen), geröstete 
d.h. grüne, noch milchige Aehren, welche im 
Ofen gedörrt waren, unter dieKinder aus. Das 
gilt jedoch nur von solchen Eheschliessungen, . bei denen die 
Braut noch Jungfrau war, die Ausstreuung unterblieb, wenn 
dieselbe schon früher in einer anderen Ehe gelebt hatte. ^ 
Bei der Scheidung diente das Zeugniss über Auswerfung 
solcher Aehren zum Beweis jungfräulicher Verheirathung. •* 
Am lebendigsten hat sich sodann der Brauch bei den Völkern 
slavischen und lettischen Stammes erhalten. Bei den Gross- 
russen wird das Ehebett des jungen Paares mit 
grosser Feierlichkeit aus vierzig Garben von 
Roggen aufgebaut, über die man das Bett- 
tuch spreitet. Rings umher stellt man Tonnen 
voll Weizen und Gerste auf, in welche man Nachts 
die Hochzeitsfackeln steckt. Im Kasanschen Gouvernement 
wird nach der Trauung das junge Ehepaar von den Eltern 
des Bräutigams auf einem Teppich knieend gesegnet, und 
die Mutter streut der jungen Frau Hopfen auf 
d e n K p f. In Moskau setzte man vor die Braut, während 



* Heirathon und Hochzeiten aller Völker der Erde. Leipzig o. J. 
S.6f). Mündlich. — ßuxtorfSynagogaJudaica. Basel 1643. S. 599. J. F. 
Schröder Satzungen u. Gebräuche de» Judenthums. Bremen 1851. S. 473. 

2 Talmud Tract. Berachot 50, 2. Semachot cap. 8. Easchi (lebte 
1040—1105) sagt im Coromentar zum Talmud (Kethubot 8 a), man habe 
während der ersten Wochen des neuen Ehestandes zur Anspielung auf 
Bräutigam und Braut Gerste in einen Blumentopf gesät, um anzudeuten: 
Seid fruchtbar und wachset. 

* Kethuvoth fol. XV 8. 2 nach Rabbi Joohanan Ben Beroka 
(um 430 n. Chr.). 

23* 



356 KAPITEL VI. 

sie zur Trauung geschmückt wurde, eine grosse Silberschale 
mit Hafer, Gerste, Hopfen, Taffet- und Atlasfleckchen, 
alles durcheinander, gefüllt, woraus sie die männliche Gesell- 
schaft nach Beendigung des Haarflechtens bestreute, nach- 
dem dieselbe von den jungen Mädchen wiederholt mit Hopfen 
beworfen war. Während der Beglückwünschung nach ge- 
schehener Trauung warfen dann die anwesenden 
Frauen Haferkörner über die Neuvermählten 
hin.' Noch andere Landschaften vervollständigen die nach 
der Trauung erfolgende Beschüttung des jungen Paars, indem 
sie zum Hafer auch Gersten- und Roggenkörner hinzunehmen .2 
In Polen führte man die junge Frau nach der kirchlichen 
Einsegnung dreimal um den Kamin im Hause ihres Mannes, 
wusch ihr die Füsse, bestrich ihr nach Besprengung des 
Brautbetts den Mund mit Honig und verband ihr die Augen 
mit einem Schleier. In diesem Zustande führte man sie an 
alle Thüren des Hauses. Bei jeder musste sie mit dem 
rechten Fusse auftreten, wobei man Heu, Gerste, 
Korn, gemischt mit Erbsen, Bohnen und Linsen 
ausstreute und ihr sodann die Binde wieder herabnahm.^ 
Im Krakauischen bewirft bei der Rückkehr von der Trauung 
der Hausherr das Brautpaar und sein ganzes Ge- 
folge mit Hafer, den man eifrig aufliest, um 
ihn später auszusäen.'^ In Masuren werfen die Braut- 
jungfern während der Fahrt der Braut zum Hause des jungen 
Gatten einen guten Vorrath zerschnittener Fladen auf die 
Strasse. Nähert man sich nun dem Hause, so werfen die Platz- 
meister einen mit allerlei Getreide und sonstigen Victualien 
gefüllten Topf dem heranrollenden Brautwagen entgegen an 
ein Rad desselben. ^ In der Ukraine küsst die kleinrussische 
Schwiegermutter den die Braut abholenden Schwiegersohn 
imd überreicht ihm ein Gef äs s mit Wasser undHafer- 



^ Heirathen u. s. w. S. 34« Reinsberg-Düringsfeld Hochzeitsbuch 
S. 27. 28. 29. 30. 

3 Afanasieff Poetische Naturanschauangen der Bussen II 178. 

• Heirathen u. s. w. S. 87. 

* Reinsberg-Duringsfeld a. a. 0. 209. 

^ Toppen Aberglauben aus Masuren. Königsberg 1867v S. 76. 82. 



KIND jym) KOKN. 357 

körnern, womit er seinen Stock begiesst. Kommen die 
Brautleute im Hause des Bräutigams an, so gehen dessen 
Eltern dem Paar bis an die Thür entgegen, der Vater trägt 
Brod und Salz in der Hand, die Mutter Getreide- 
körner im Rock. Die Brautleute verneigen sich vor den 
Eltern, und der Vater schlägt sie mit dem Brod an den Kopf, 
dieMutter streut der Braut dieKörner über die 
Schulter.^ Auch stecken bei den Kleinrussen über dem 
Platze, auf welchem das Brautpaar zu Tische sitzt, einige 
Handvoll Kornähren in der Wand.^ In Serbien 
wird die Braut im Hause des Bräutigams von der Bräutigams- 
mutter empfangen, die ihr aus einem Löffel mit Honig 
dreimal zu kosten gibt und ihr ein kleines Kind hinauf- 
reicht, das sie dreimal küssen muss, und eine Schüssel 
mit Weiz^nkörnern, die sie nach allen Seiten 
hin auszuwerfen hat.^ Bei den Serben in anderen 
Districten, zumal im Banat, erhält die Braut, nachdem sie 
zu Pferde sitzend oder im Wagen stehend das ihr ge- 
reichte Knäbchen mit einem rothen Bande umgürtet, 
ein Sieb mit verschiedenen Getreidegattungen, 
dessen Inhalt sie über ihren Kopf weg im Hofe 
ausstreut und an die Wände des Hauses wirft.* 
Aehnlich beschreibt N. Petrowitsch die serbische Sitte: Ist 
der Hochzeitszug im Hause des Bräutigams angekommen, so 
tanzt man den Kolo. In die Mitte desselben wirft die Braut 
drei Aepfel, sogleich hört der Tanz auf, und alles greift nach 
den Früchten. Nun nimmt die Braut ein kleines Kind, 
küsst es an dem Kopfe von allen Seiten und gibt es dem 
zurück, von dem sie es bekommen hat. Aus einem Siebe 
wirft sodann die Braut Frucht auf das Dach, später auch 
das Sieb selbst. Die Hochzeitsgäste fangen das Sieb auf und 
zerreissen es in Stücke. ^ In Syrmien dagegen wird die Braut, 

1 Reinsberg-Düringsfeld S.^ 36. 

2 Reinsberg-Düringsfeld S. 41. 

3 Reinsberg-Düringsfeld S. 73. 

^ Rajacsich Leben, Sitten und Gebräuche der Südslaven S. 179. 
Reinsberg-Düringsfeld S. 66. 

5 Ausland 1876. No. 32 S. 630. 



358 KAPITEL VI. 

wenn sie nach Zurückreichung des Kindes vom Wagen steigt, 
an der Thür von der Schwiegermutter mit einem Laib Brod 
und einem Teller Getreide erwartet und mit letz- 
terem beschüttet, während der Bräutigam die über die 
Schwelle schreitende sanft mit einem Stocke schlägt^ 
(vergl. BK. 299 ff.). In der Morlachei hebt man hinwiederum 
der Braut bei der Ankunft im Bräutigamshause aufs Pferd 
hinauf ein Ein d, das ihr ein mit Nüssen, Mandeln 
und Feigen gefülltes Sieb überreicht, welche sie 
unter das Brautgefolge auswirft.^ Bei der czechi- 
schen Hochzeit bewerfen die Gäste die Brautleute mit Leb- 
zelten. Li der Gegend von Teplitz werfen sie sich beim 
Hochzeitsmahl mit Erbsen. Im Kr. Stry in Galizien legt man 
der Braut Getreidekörner in die Schuhe, und die alten Leute 
sagen, falls ihr ein Weizenkorn zwischen die 
Zehen komme, werde ihr Kind ein Krüppel 
werden. In einem zwischen 1526 — 1530 verfassten Bericht 
über den Aberglauben der Sudaner, eines lettopreussischen 
Volksstammes im westlichen Samland, heisst es, man wasche 
der Braut die Füsse und besprenge Gäste, Brautbett, Vieh, 
Haus und Hausgeräthe mit dem Fusswasser. Dann binde 
man der Braut die Augen zu, beschmiere ihren Mund mit 
Honig und führe sie vor alle Thüren im Hause, und sie 
muss mit dem Fuss daran stossen. 'Einer gehet her- 
nach mit einem sacke, darin ist allerlei samen, 
weitzen, rocken, gersten, hafer, leinsame n. 
Der sehet vber die braut vor allen thuren 
vnd spricht: Vnser götter Werdens dir alle genüge 
geben, so du wirdest an unserem glauben bleiben vnserer 
veter. Darnach thut man ihr das tuch von den äugen.' Die 
Letten in Livland streuen der Braut Getreidekörner in die 
Schuhe. In Mecklenburg schüttet man der Braut Leinsamen 
in den Kranz, auch schmückt man denselben zuweilen mit 
den schönsten Korn- und Haferähren» In Lockwitz bei 
Dresden erhielt die Braut bei der Hochzeit ehedem einen 



1 Rajaosich S. 159. 

' Keinsberg-Duringsfeld S. 78. 



KIND UND KORN. 359 

'Aehrenkranz. Zu Borna Ereisdirection Leipzig verehrte man 
der Braut einige Getreideähren; in der Umgegend von 
Zwickau überreichte man, wenn Braut und Bräutigam aus 
der Kifche kamen, der Braut Getreideähren und gab den 
Brautleuten die Hände übers Kreuz. In Mittelhaken bei 
Elbing überreichte man der Braut am Hochzeitstage eine 
aus den besten Aehren geflochtene Krone. Zu 
St. Polten im Böhmer Walde wird der Braut ein Kranz von 
Kornblumen gewunden und ein Bosmarinzweig überreicht. 
Die Brautschuhe werden ihr mit Getreide bestreut, 
damit sie im Ehestande Glück habe. Hat sie aber vor der 
Hochzeit ein Kind gehabt, so bleibt alles dies weg. Sie be- 
kommt nur einen Kranz von gewöhnlichen Blumen. In 
Stockerau u. d. Mannhardsberge (Oesterreich) überreicht man 
der Braut mehrere Büschel Getreideähren, welche den Namen 
Glücksähren führen, auch legt man ihr Erbsen in die Schuhe. 
Bei Nördlingen im Ries steckt man der Braut drei Aehren 
oder au-ch nur drei Getreidekörner in die Tasche. In 
Pilsting bei Landau in Niederba)'^ern trug die Hochzeitern 
ehedem einen Kranz von Getreideähren; in Kötzting (Nieder- 
bayern) gab man ihr Getreidekörner, in Siegsdorf (Ober- 
bayern) Erbsen, in anderen Orten dieser Gegend Geld in 
die Schuhe. Bei den Deutschen im Riesengebirge erhält die 
Braut zum Pestmahl am Vortage der Hochzeit drei Schüsseln 
zum Geschenk, eine mit Weizen, damit sie fruchtbar 
werde, eine mit Asche und Hirse, und eine geheimniss- 
volle verdeckte (vergl. o. S. 186). Wenn sie am anderen 
Morgen nach der Trauung sich umgekleidet hat, bewerfen 
Bursche und Mädchen sich gegenseitig mit 
Weizen und Erbsen und schenken sodann der Braut die 
Wiege.^ In Falkenau Kr. Eger Böhmen legt man der Braut 
Aehren in die Schuhe und auf das Herz. Dieselben kommen 
nachher unter das Saatgetreide. Wenn in Siebenbürgen die 
Braut nach der Trauung aus der Kirche ins Hochzeitshaus ge- 
leitet wird, schüttet beim Eintritte ins Vorhaus die Schwieger- 
mutter Getreidekörner über sie aus, so dass die- 



Reinsberg-Düringsfeld S. 190. 



360 KAPITEL VI. 

selben meistentheils innerhalb des Bortens auf 
ihr Haupt fallen, und spricht: Gesegnet seist du, meine 
Tochter, gesegnet seid ihr, meine Kinder T In die Schuhe 
der Braut oder beider Brautleute streut man 
vorm Kirchgänge Getreide (ziemlich allgemein in 
Deutschland), oder die Braut thut sich Flachs in das 
Schuhwerk, oder bindet ihn um die Hüften (Thüringen, Voigt- 
land). Auf dem Wagen stellt man neben sie ein Bund 
Erbsenstroh (Posen). Beim Schmause wirft man 
Erbsen oder Graupen auf die Brautleute, da- 
mit sie fruchtbar seien; soviel Körner auf dem 
Kleide derBraut liegenbleiben, sovielKinder 
wird sie haben (Böhmen , Schlesien). Sehr merkwürdig 
war die Sitte zu Weiningen im Canton Zürich. Am Polter- 
abend wurde der Braut von älteren Frauen ein Aehren- 
kränz aufs Haupt gesetzt und die schönsten Aehren in 
die Hand gegeben, indes der Bräutigam in eine vor- 
gehaltene Kornritern (Kornsieb) erst Rappen, dann 
Schillinge, dann Batzenstücke und hernach in eine sogenannte 
Holzapfelritem Gulden und Thalerstücke warf. Das 
Geld kam in die 'Weib erkasse, aus welcher 
die alle 2 — 3 Jahre abgehaltenen Weiber- 
mahle bestritten wurde n'.^ In Amsterdam warf die 
Dienerschaft von den Stufen des Brauthauses Zuckerwerk, 
bisweilen auch Geld, unter die Zuschauer; m der Provinz 
Utrecht macht *der Brautzucker einen grossen Theil der 
Hochzeitskosten aus. Hier 'streut' ihn die Braut, und die 
es mit karger Hand thut, wird eine kalte Braut* gescholten.^ 
Die englisohe Braut trug noch unter Heinrich VIII. einen 
Kornährenkranz auf dem Kopf, den Kirchweg bestreute 
man mit Binsen oder Weizenähre n.^ Im Norden von 
Schottland empfing die Mutter des Bräutigams die Braut an 
der Schwelle des neuen Hauses und hielt über ihr Haupt 



* Mündlich. — Wuttke Der deutsche Volksaberglaube. Berlin 1869. 
§ 562—567. 

3 Beinsberg-Dfiringsfeld S. 233. 234. 
» Beinsberg-Dfiriogsfeld S. 239* 



KIND ülffP KORN. 361 

ein Sieb mit Brod und Käse gefällt, das unter die 
Gäste ausgetheilt oder unter das junge eifrig danach haschende 
Volk ausgestreut wurde. Früher wurde ein Haferniehlkuchen, 
jetzt der Brautkuchen, ein kurzes Brod, über dem Kopfe 
der Braut zerbrochen und unter die Anwesenden vertheilt, 
welche, besonders die Unverheiratheten , es sorgfältig ver- 
wahrten und unter ihr Kopfkissen legten, um von der Liebsten 
zu träumen. ^ 

In Schweden legte man im Kirchspiel Sillerud (Werm- 
land) den beiden Brautleuten bei der Hochzeit Weizen- und 
Gerstenähren in die Strümpfe, Weizen- und Gerstenähren 
auf das Laken des Brautbetts. In einigen Orten der Halb- 
insel Swarfve auf Oesel sollen der Braut nach der Trauung 
bei ihrer Ankunft im Hause des Bräutigams von der Schwieger- 
mutter einige Getreidekörner auf den Kopf gestreut werden. 
Da dieser Brauch nur in diesem von estnisirten Schweden 
bewohnten District und in wenigen anderen Orten der Insel vor- 
kommt, scheint er schwedischer, nicht estnischer Abkunft zu sein. 

Im alten Rom streute der Bräutigam beim Ein- 
tritt in das Haus unter dem lauten Toben und Schreien der 
Knaben und dem Klange der Hochzeitslieder (Fescenninen) 
Nüsse aus.^ Unzweifelhaft überströmte er damit ehedem 
die Braut, und die Jugend sammelte die herabgefallenen 
Früchte auf. In Ancona werden heutzutage beim Hochzeits- 
mahl Confetti ausgeworfen, so dass die Braut ganz 
bedeckt davon ist.^ In Rumänien werfen, während der Geist- 
liche bei der Trauung dem Brautpaar dreimal die Kränze 
wechselt, die Verwandten des letzteren überzuckerte 



1 W. Gregor an echo of the olden Time frora the North of Scot- 
land. Edinburgh and Glasgow 1874 S. 118. 

2 Festus S. 173: Nuces flagitantur nuptis et Jaciuntur pueris, ut 
novae nuptae intranti domum novi mariti auspicium ßat secundum et 
solistimum. Paulus Diac. S. 172: Nuces flagitantur nuptis . . . ut liovae 
nuptae intranti domum novi mariti secundum fiat auspicium. Yerg. 
Eclog. VIII 29 : Mopse, novas incide faces ; tibi ducitur uxor: sparge, 
marite, nuces; tibi deserit Hesperus Oetam. Vergl. Catull 61, 126 ff. 
Plinius H. N. XV 22 nennt die Nüsse Begleiter der Fescenninen ; nuces 
juglandes . . . nuptialium Fescenninorum comites, 

3 Reinsberg-Duringsfeld S, 97. 



362 KAPITEL VI. 

Mandeln und Nüsse auf die Gäste. Hierauf gibt der 
Pope deu Neuvermählten einen Honigkuchen oder mit 
Honig bestrichenes Brod zu schmecken, isie aber werfen 
Geld oder Nüsse unter die Kinder aus. Ist die Trauung 
beendet, so muss die junge Frau auf die Hausschwelle 
treten und alle, welche ihr Glück wünschen, mit Rosen- 
wasser besprengen oder von einem Tisch herab, der 
vor dem Hause steht und mit Blumen, Brod, Wein, Salz 
und Korn bedeckt ist, Salz und Weizenkörner nach 
den vier Himmelsgegenden ausstreuen.^ In 
Savoyen stürzt aus dem verschlossenen Hochzeitshause dem 
aus der Kirche kommenden anpochenden jungen Paar ein 
Mann entgegen und bewirft es mit Nüssen, Zucker- 
werk und getrockneten Früchten. Schnell stürzen 
sich die Dorfkinder über die Leckerbissen her, und die armen 
Leute erhalten einige Laibe Brod. 2 In anderen romanischen 
Landschaften aber tritt wieder das Getreide ein. In Sicilien 
wird der Braut beim Ausgang aus der Kirche ein Löffel 
Honig gereicht und Weizen über sie ausgeschüttet.^ 
In Corsica wurde die Braut beim Herauskommen aus dem 
väterlichen Hause vom Bräutigam und seiner Verwandtschaft 
empfangen. Eine der Frauen streute mit Segenswünschen 
G etreide über die Brautleute, andere warfen *le grazie' 
d. i. verschiedenes Backwerk und Früchte, wie die Jahres- 
zeit sie brachte, aus den Fenstern.* In Berry übergiesst die 
Brautleute beim Eintritt in ihr Haus ein Regen von Ge- 
treide- und Hanfkörnern,^ in Bearn von Getreide 
und anderen Früchten, in Lyonnais von Getreide allein, in 
Languedoc von Aehren unter dem Wunsche des Gedeihens 
und der Fruchtbarkeit.^ In der Provence bietet einer der 



* Reiasberg-DQringsfeld S. 54. 

2 Heirathen u. s. w. S. 84. 

« Reinsberg-Düringsfeld S. 96. 

4 Reinsberg-Düringsfeld S. 257. 

^ Laisnel de la Sallo, Croyances et legendes du centre de la 
France. Paris 1875. II 47. 

^ De Nora Coutumes, mythes et traditions des proyinoes de Franoe. 
1846. S, 123. 290. 63. 



KISD UND KORN. 363 

nächsten Verwandten der in das Haus des Gatten einziehen- 
den Braut eine Schüssel mit Weizen, den diese sofort über 
die Umstehenden ausschüttet. ' Im Departement l'Ain macht 
man, wenn das junge Paar von der Trauung aus der Kirche 
kommt, vor der Hausthür ihrer künftigen Wohnung Halt 
und schüttet vom obersten Boden derselben Getreide auf 
die Neuvermählten herab. ^ Im Meurthedepartement über- 
reicht die Schwiegermutter der jungen Frau beim Eintritt 
ins Haus eine Schüssel mit Korn, Leinsamen und Eiern. 
Korn und Leinsamen streut diese um sich her, die Eier 
behält sie. ^ In der französischen Schweiz fand die gleich 
der englischen (o. S. 360) mit einem Kranze von Weizen- 
ähren , Eisenkrautblüten nnd Mistelzweigen auf dem Kopf 
geschmückte Braut an der Thür ihres künftigen Hauses, 
dessen Schwelle mit Oel abgerieben und dessen Fa^ade mit 
Rosen und Ringelblumen geschmückt war, die Bernada, eine 
alte Frau, welche einen Teller mit Weizenkörnern 
und ein Bund Schlüssel trug, dieses an dem Gürtel der 
Braut befestigte und von dem Weizen drei Hände 
über sie warf. Dann umfasste der Gatte die ihm Ange- 
traute, hob sie leicht in die Höhe und Hess sie über die 
Schwelle springen, die sie mit keinem Fusse berühren durfte.^ 
Wir kommen zur altgriechischen Hochzeit. Auch hier 
wurde das Paar am Hause des jungen Ehemanns von den Haus- 
genossen und Freunden mit frohem Zuruf begrüsst und 
Datteln, Naschwerk, Geldstücke, allerlei Früchte, 
Feigen, Nüsse u. s. w. über sie ausgeschüttet. Man 
nannte das xavcx/ya/^aTa,^ 



* De Nore a. a. 0. 9. 

2 Melusine, Revue de Mythologie I. Paris 1877. S. 93. 
» De Nore a. a. O. 307. 

* Reinsberg-Düringsfeld S. 106. 

* Schol. zu Aristoph. Plut. v. 768 : Tcoy vstavi^Ttay SovXtdv twv TrQtizüyg 
Haiovrtov «t? Tjyy olxCav 7} anXwg tmv hp* wr oi(aviaao9ai ri aya&ov fßovXovro 
xai Tov vvfKpCoVi naqa T7^v sariav TQayrjfiaTa xarf'^eov ft; atj/aslov 
tvTBTfjQtag, lüg xal SeönojuTTog (prjoiv fv *ilSv/a^ft * 

g>e^€ av Tu xaraj^vOfiar a 
Ta^€tag xara;(€t tov vv/utpCov xat rijg xoQtjg» 



364 KAPITEL VI. 

Im heutigeD Oriechenland tauscht der Priester nach der 
Einsegnung Kränze von Lilien und Kornähren oder von 
goldbanddurchflochtenen Weinblättern dreimal über die 
Häupter des neuen Paars hin und her. Während darauf der 
Hochzeitszug dem .Hause des Bräutigams zuschreitet, werden 
aus allen Fenstern Geldstücke, Reis, Baumwollensamen, 
Zuckerwerk und Nüsse herabgeworfen (man braucht aus- 
schliesslich dafür das altgr. Yerb. Qalvto) und den Beiden 
die wärmsten Wünsche zugerufen. * Kommen sie vor dem 
Bräutigamshause an, so wirft ein Kind von d,em 
Dache desselben auf das neue Paar ver- 
schiedenes Backwerk herab, und dann streut die 
Braut ein in vier Stücke zerschnittenes Brod unter die be- 
gleitende Jugend.2 In Tripolitza werden die jungen Eheleute 
beim Eintritt in ihr Haus mit einem Regen von Blumen, 
Früchten, Nüssen, Zuckerwerk überströmt, und die 
Braut muss bei dieser Gelegenheit zum Beweise ihrer Jung- 
fräulichkeit noch in ein Sieh aus Fell steigen, um es zu 
durchtreten.^ Wie der Russe das Brautlaken über Roggen- 
garben spreitet (o. S. 355), streuen im heutigen Griechen- 
land die weiblichen Verwandten am Freitag vor der am 
Sonntag stattfindenden Hochzeit Weizenbrod, Limonen, 
Orangen, Myrthen und Lorbeer auf das frisch ausgebreitete 
Linnen des mit bestimmten Gesängen zurecht gemachten 
Ehebetts und legen über die Kopfkissen in drei Halbkreisen 
Brombeeren und Myrthenblüten. ^ 

. . , avyxHxai ds ra xaTa^vOfiaTa otio (foivlxtov, xoXlvßtav^ r^tayaXiia\\ la^^aSwv 
xai xnoviov, änfQ ilQ7iaC,ov ol avvSovXov • . . ?(p%Qov yaQ avrov (ßovXov) na^ 
T?]v tariav xrii xa&i^ovTeg xard ttJ? xetpaXtji xart^eov xoXXvßa xai la^ada; 
xal ipoirixaq xai TQtayaXm xai aXXt TQayr^^aTai xat ol avvSovXoi Tavra ijQna^vv» 
iXfyovTO oifv Tavra xara/vajuara. 

1 Wachsmuth Das alte Griechenland im neuen. Bonn 1864. 
S. 90. 92. 

« Waehemuth S. 94. 

3 Wachsmuth S. 97. Reinsberg-Düringsfeld S. 57. Guys voyage 
litteraire de la Grece. Paris 1783 8. 218. Douglas An essay on certain 
points of resemblanoe between the ancient and modern Greeks.* Lon- 
don 1SJ3 S. 112. 

^ Wachsmuth S, 85, 



KIND UND KORN. B65 

Vielleicht gelingt es uns später, noch tiefer in den Sinn 
des in so weiter Verbreitung belegten Hochzeitsbrauches ein- 
zudringen, wir begnügen uns, aus den beigebrachten Bei- 
spielen die folgenden Schlüsse zu ziehen. Dieselben führen 
uns eine in sehr hohes Älterthum hinaufreichende Sitte vor 
Augen , von der auch die altgriechischen yLaruyvöfiara und 
die Auswerfung der Nüsse bei der altrömischen Hochzeit 
nur Sprossformen sind, deren aus der Litteratur bekanntem 
Ritus unzweifelhaft eine ältere Gestalt, die Beschüttung mit 
Getreide, Nüssen und anderen Früchten, und in noch 
älterer Zeit mit Getreide allein, voraufging. Denn Nüsse und 
Baumfrüchte sind erst in historischer Zeit über Kleinasien 
nach Europa eingeführt , ^ während die feste Stellung des 
Beschüttens mit einer Getreideart innerhalb eines bei Indern 
und allen europäischen Indogermanen — wie leicht darzu- 
legen wäre — in fast allen Stücken, sogar in der Reihenfolge 
der Begehungen, übereinstimmenden Kreises von Hochzeits- 
gebräuchen es höchst wahrscheinUch macht, dass dasselbe 
mit irgend einer Halmfrucht schon von dem nur ganz primi- 
tiven Ackerbau treibenden, vorzugsweise dem Hirtenleben er- 
gebenen Urvolke vor der Völkertrennung geübt wurde. Un- 
leugbar geht die Sitte von der Empfindung eines sympathe- 
tischen Verhältnisses zwischen Menschen und körnertragendem 
Grase und von dem Vergleiche zwischen Leibesfrucht und 
Getreidekorn aus; sehr lebendig prägt sich diese Anschauung 
in der russischen Weise, das Ehebett herzurichten, ab, sowie 
in dem serbischen Brauche, die üeberreichung eines Kindes 
als Vorbild der zu erwartenden Nachkommenschaft mit der 
Getreidebeschüttung zu verbinden. Wir schöpfen aus unseren 
Darlegungen einmal die Gewissheit, dass die (o. S. 353) aus 
neuerer Dichtung belegte Anschauung nicht erst in reflec- 
tirenden Zeitaltern kunstmässiger Poesie, sondern schon in 
naiven Volksschichten entstehen konnte und einmal wirklich 
entspross und üppiges Leben entfaltete, sodann die Wahr- 
scheinlichkeit, dass sie auch bei Römern und Griechen auf 
einem nicht mehr genau zu bestimmenden Puncto ihrer Ent- 



y. Hehn Kulturpflanzen und Hausthiere S. 339. 



366 KAPITEL VI. 

Wickelung bestand. An Stelle der Bekränzung der Braut mit 
dem Myrthenkranze wird ehemals auch wohl allgemein die 
Bekränzung mit Aehren bestanden haben, wie die XJeberein- 
stimmung dieses Zuges in England, Oesterreich, der Schweiz 
vermuthen lässt. 

Die gleichen Vorstellungen springen uns aus Kindbetts- 
gebräuchen entgegen. In Breitenburg Amt Mosbach in Baden 
überreicht man einer jungen Frau, welche nach ihrer 
Hochzeit zum ersten Male einer Kindtaufe bei- 
wohnt, einen Blumenstrauss mit einer Aehre, um 
sie — wie man sagt — zu hänseln. Hier bedeutet die Aehre 
augenscheinlich das von ihr erwartete Kind (vergl. o. S. 355). 
In Dänemark nennt man eine Schramme auf dem spitzen 
Ende des Roggenkorns 'Gottes Angesicht', lieber das 
neugeborne Kind streut nun die Hebamme 
Roggen aus, indem sie der Mutter zuruft: So viel Gottes 
Angesichter, als da sind, so oft soll Gott dich bewahren.' 
Ist das Kind ein Knabe, s legt man es sofort in einen 
Säekorb (Saideloeb), damit es ein guter Säemann werde. ^ 
Von vorne herein werden wir vermuthen dürfen, dass die 
jetzigen Motivirungen dieser Bräuche aus Miss verstand ihres 
ursprünglichen Sinnes hervorgegangen seien. Die Roggen- 
körner sind auch ohne das vermeintliche Gottesgesicht für 
sich selbst ein Symbol. Und was soll der künftige Säer m 
Saatkorb? Weiter führt eine schlagende Analogie aus weiter 
Ferne. 

Höchst merkwürdig stimmen nämlich oberägyptische 
Gebräuche. In Oberägypten legt man das Kind, so- 
bald es zurWelt gekommen (ungewaschen, bloss abge- 
trocknet) auf ein Kornsieb'j neben seinem Haupte liegt 
das Messer , womit die Nabelschnur abgeschnitten wurde, 
und ringsum wird Korn gestreut. Durch diese Procedur 
soll die 'Karina gebannt werden d. h. das sich stets einstellende 
boshafte andersgeschlechtige Geschwisterchen aus dem Geister- 
reich, welches das arme Menschenkind plagt, bis es kränkelt 
und Krämpfe oder Gichter, die daher ebenfalls Karina ge- 



* Thiele Danmarks Folkeaagn III 1860. S. 83 n. 384. 84 n. 385. 



KIND UND KORN. 367 

nannt werden, bekommt. Am Morgen des siebenten Tages 
nach der Geburt füllt sich das Haus mit weiblichen Be- 
suchern. Man setzt das Kind auf ein Sieb^ befestigt 
Kerzen auf Metalltellern und auf der Spitze eines Schwertes 
und trägt so den Neugebornen in Procession im 
ganzen Hause umher, während die Wehemutter. 
Weizen, Gerste, Erbsen und Salz ausstTeut, wie sie 
sagt, als Schutz gegen bösen Zauber zum Futter für die bösen 
Geister. Man schüttelt und siebt das Kind, wodurch 
es für sein ganzes Leben den Schrecken verlieren soll, 
und hält sein Auge gegen die Sonne, um es zu schärfen. 
DieCymbelnundArmpauken, dasSingen und Trillern derWeiber 
bringt die Freude drinnen im Hause zur Kunde der äussern 
Welt. Die Gäste bescheeren der Wehmutter und Mutter 
Geld und Gold, und diese theilen als Gegengeschenk geröstete 
Kichererbsen, Johannisbrod und Nüsse aus. Aber auch der 
Vater, der bis dahin sein eigenes Kind nicht sehen durfte, 
weil er ja möglicherweise durch seinen Blick dem Sprössling 
Schaden zufügen könnte, begeht den Tag festhch, zumal 
wenn das Kiud ein Knäbchen ist. Er ladet seine Freunde 
zum Schmause, unfterhält sie mit Koranvorlesungen, oder 
lässt Musiker , Sänger und Tänzerinnen kommen. Das 
Söhnchen wird im Sieb hereingebracht und den 
Gästen gezeigt, die mit dem Vater sich freuen und einige 
Gaben spenden. Dem Kadi oder sonst einem Gottesgelehrten 
überreicht man einen Teller mit Kandiszucker, kaut ihn, 
träufelt den süssen Saft aus seinem Munde in den Mund des 
Kindes und gibt demselben einen Namen. ^ Eine nur wenig 
unterschiedene Abart derselben Sitte findet bei den christ- 
lichen Kopten, den Nachkommen der Ureinwohner Aegyptens, 
statt. Am siebenten Tage nach der Geburt finden sich Verwandte, 
Freunde und Nachbarn zum Taufact im Hause der Wöchnerin 
zusammen. Es wird eine grosse Schale gebracht, 
in welcher verschiedene Fruchtkörner nach ihren 
Gattungen von einander getrennt liegen, auch in 



^ Klunzinger Bilder aus Oberägypten. Stuttgart 1877. S. 181. 
Vergl. Ausland 1871. No. 40 S. 949. 



368 KAPIl'EL VI. 

der Mitte ein Mörsel (Kornquetscher) mit dem Stampfer 
steht. Die Hebamme reicht jedem Anwesenden eine brennende 
Wachskerze dar, nimmt das Kind auf den Arm und tritt 
nun von allen Gästen begleitet einen Zug im Zimmer an, 
wobei sie einige Samenkörner in die Luft streut, 
bis wieder zum Standpunct der Schale. Dort an- 
gelangt füllt sie die Hand voll solcher Körner, 
lässt etwas davon zurückfallen und wirft das 
Uebrige den Anwesenden ins Gesicht, wobei sie 
Töne ausstösst , welche dem Locken oder Glucksen eines 
Huhnes ähnlich sind. Nun nimmt die Mutter das Kind 
auf die Arme und hält es der Hebamme dar, die an den 
Ohren dasselbe dreimal in den Mörser stösst. 
Dieses Verfahren soll dem Kinde zum Gebrauch seines Ge- 
hörs verhelfen und die Gehörwerkzeuge gleichsam in Gang 
bringen. ^ 

Unverkennbar sind der dänische und der oberägyptische 
Gebrauch eins , und dazu gehört auch das Kind des ser- 
bischen Brauches , welches ein mit Früchten , ursprünglich 
mit allerlei Getreide gefülltes Sieb der Braut überreicht, aus 
dem diese sich und die umstehenden beschüttet (o. 8. 357), 
so wie der schottische Brauch, ein Sieb mit Broden über 
den Kopf der Braut zu halten (o. S. 360), und auch der 
neugriechische, die Braut in ein Sieb steigen (o. S. 364), 
der Zürcher, den Bräutigam in eine Kornriter Geld werfen 
zu lassen (o. S. 360). Nicht minder wurden die indischen Neu- 
vermählten aus einem Worfelgefässe mit Reis beschüttet 
(o. S. 354). Das Sieb aller der letzteren Fälle wird ur- 
sprünglich ein Sieb zum Worfeln des Getreides, ein soge- 
nannter Retter ^ gewesen sein. Es liegt nun die Vermuthung 
sehr nahe, dass ursprünglich überall das Kind sammt 
dem zum Ausstreuen gebrauchten Getreide im Saatkorbe 
oder in der Getreideschwinge gelegen habe. Und diese 



1 Plo88 Das Kind in Brauch und Sitte der Volker I. 110. 248. 

2 Vergl. Spiesfl Volksthüml. a. d. Fränkisch-Hennebergischen S. 26: 
Eetter, Sieb mit grossen Oeffnungen, in welchem man das Stroh beim 
Dreschen schüttelt, damit die noch darin befindlichen Körner herausfallen. 



KIND UND KORN. 369 

Vermuthung verstärkt sich zu höchster Wahrscheinlichkeit 
durch den Brauch der Griechen, den Wiegen der Kinder die 
Form einer Getreideschwinge {Xixvov , XT'avov , XsTxvop , kMfiog) 
zu geben. ^ In einer solchen schläft nach dem hom. Hymnus 
in Merc. der neugeborene Hermes. ^ Noch KalHmachus, das 
Vorbild älterer Poesien nachahmend, gibt dem Zeus die Ge- 
treideschwinge zur Wiege. ^ Auch im Alterthum hatte erstere 
bisweilen die Form eines Siebes.^ Der Einfall, den Wiegen 
eine der Getreideschwinge ähnliche Gestalt zu verleihen, war 
aber augenscheinlich angeregt durch den Brauch, die Kinder 
gleich nach der Geburt oder einige Tage später auf einer 
solchen hin und her zu schwingen, wie man das Korn worfelt. 
Von einem solchen scheint noch der Autor, aus welchem 
Servius zu Verg. Georg. I 166 schöpfte, Kunde gehabt zu 
haben: Nonnulli Liberum patrem apud Graecos Ai^vivrjv dici 
asserunt; vannus autem apud eos Xiavov nuncupatur; 
Vih\ de more positus esse dicitur, postquam est 
utero matris editus. Und in der That gewahren wir 
die menschliche Sitte — wie in so vielen Kunstdarstellungen 
— in die Götterwelt übertragen und von mythischen Personen 
ausgeführt in dem schönen Terracottarelief des Britischen 



* Hesychius : uiixvtrrj^ ftiO-stov /diovvaov. ano tiov Zixvtov^ fvoig 
rd naiSCa xoiutovT a i. Schol. ZU Callim. Iiymn. I 48: ^Ey yaQ XsCxvoi; 
t6 nalaiov xarfxo^juii^ov 7« ßQ^'ff*] tiäovtov xat xaQTtovg oliovitoufvot. Xixvov 
ovv To xoaxivov ^ to xovviov^ iv (3 ra naiSla Ti^saaiv- Das udixvov war ein 
Korbgeflecht mit Durchlässen nach unten. Vergl. Hesychius: Alxvov • 
xavovv* Xiixva * xavS^ f(p oiq ra Xrlia iisrCd'Siiav * ovTtag Se &Xfyov rov^ nv^trovg 
xaQTTOvg, Harpocraf". lexic. S. V. XixvofpOQogl Xixvov to titvov. 

' Hom. Hymn. in Merc. 21: Ovxf'n dtjqov fxfiro jufvcov iF^to Ivi 
Xixvw, 150: ^Eaavjufvcog S^ocQa Xixvov Inm^sro xuSi/uog ^Eo^u^g^ anoQyavov afjitp 
ufjuoig flX-v^uevog, tj'uTS Tfxvov vrtniov^ fv TTaXajuifiai naq* lyvvai ),ai(fog a9vQwv 
xsIto, 

' Callim. Hymn. in Jov. 47: ^e S^ Fxoi/uiaFv IdS^fjaTfia XMxvfp fvI 
XQvadfo. Vergl. dazu Spanheim und Proclus zu Plat. Tim. II 124 mit 
den Bemerkungen von Lobeck Aglaoph. I 581 ff. 

* Suidas : Aixvov ' xonxivov^ iJTOi tttvov ' ol cJs Sia Sifpxtoyyov yQOKpovatv» 
— uiiXfiWVTtüV. XuxutJ, TO xonxivfvü) y SiaaxoQTrC^io y 7iTvdL,io. Vergl. auch 

Servius zu Verg. Georg. I 166: 'Mystica vannus Jacchi.' Sicut vannis 
frumenta purgantur. Hinc est quod dicitur Osiridis roembra a Typhone 
dilaniata Isis cribro superposuisse. 

QF. LT. 24 



370 KAPITEL Yt. 

Museums, das Winckelmann (Monum. ined. Tav. 53) und Miliin 
(Myth. Gal. D. A. Taf. LXVIIn. 232) veröffentlicht haben. Ein 
Satyr mit Thyrsos und eine Mäuade mit Fackel schwingen in 
lebhaftem Tanze das kleine im Liknon liegende Dionysos- 
kind zwischen sich her, dessen Hand Weintrauben, Blätter 
und Früchte aus der Schwinge wirft. ^ Das Hin- und Her- 
schütteln des Kindes wurde offenbar als eine Reinigung von 
bösen Mächten im Sinne der römischen Februatio gedacht, 
zugleich aber erhellt, dass der Säugling in strengem 
Parallelismus zu dem beim Dreschen aus der 
Hülse springenden Getreidekorn aufgefasst ist. 
Zu dem Kindbettsgebrauch steht der erwähnte Hochzeitsbrauch 
in enger Analogie, wie u. a. auch der dem Kinde eingeflösste 
Kandiszucker (o. S. 367) dem der Braut gereichten Honig 
(o. S. 356 ff. 362) entspricht und die auch bei allen indoeuro- 
päischen Stämmen bewahrte Ceremonie, die Braut nach dem 
Eintritt in ihr neues Haus dreimal um den Herd zu führen, 
in den griechischen Amphidromien ihr Gegenstück findet, 
d. h. der Sitte, das Neugeborne am fünften oder siebenten 
Tage im Kreislauf um die Hestia zu tragen und ihm einen 
Namen zu geben.- Dieses Stück der mehrfach gegliederten 
Kindbettsgebräuche wird wie bei der Hochzeit dem Schwingen 
im Liknon später gefolgt sein. Alle Momente erwogen, 
scheint mir die dem letzteren entsprechende Hochzeitssitte 
ursprünglich der Art geübt zu sein, dass die junge Frau das 
Sieb (die Getreideschwin^^e) mit Kind und Korn auf ihr 
Haupt setzte und von da aus entweder sich selbst mit den 
Körnern bestreute, deren Abfall als Amulct von den Um- 
stehenden aufgesammelt wurde, oder dass ein anderer ihr 



* Eine ähnliche Reliefplatte in Campana Opp. Ant. in Plastica 
T. IL Wieseler Denkm. d. alt. Kunst II n. 414. Unser Bild wurde 
von Welcker (Nachträge z. äschyl. Trilogie 1826 S. 122. Neuester Zu- 
wachs des akad. Kunstm. zu Bonn S. 17 Anm. Götterl. III 216 Anm. 1) 
und von Preuner (Hestia -Vesta S. 60) für eine Darstellung der 
Amphidromien des Bakchos erklärt, wogegen Wieseler mit Recht sich 
schon deshalb aussprach , weil weder ein Herd noch ein Umlauf, 
sondern eine tanzartige Bewegung dargestellt ist. 

2 Preuner Hestia-Vesta S. 53—61. 



KIND UND KORN. 371 

die Schwinge über den Kopf hielt und den Samen herab- 
schüttete. Und auch in Griechenland mag etwas Aehnliches 
als Variante der überlieferten Form der nuTa/va/naTa localer 
Brauch gewesen sein, indem man den Brautleuten ein Liknon 
auf den Kopf setzte, das in jüngerer Zeit wie bei diesen 
nicht mehr mit Getreide, sondern mit Baumfrüchten oder mit 
Broden gefüllt war. Noch in späterer Zeit war es in Athen 
Hochzeitsbrauch, dass ein Knabe, dem noch beide Eltern 
lebten, auf dem Kopfe einen Kranz von Dornen (Akanthus- 
blättern) und Eicheln, eine mit Broden gefüllte 
Schwinge {Xl>ivoy nXfj^eg a^nov) trug und* die auch sonst 
bei Reinigungsacten gebräuchliche Formel rief; 'Ecpvyov ycaxotfy 
svQov äiLisivov ^ (vergl. die schottische Sitte o. S. 368). So er- 
klärt sich auf das einfachste als ideelle Darstellung eines 
menschlichen Hochzeitszuges die schöne Camee des Herzogs 
von Marlborough, ein Werk des Tryphon aus dem alexan- 
drinischen Zeitalter (Miliin Myth. Gal. D. A. Taf. XLI n. 198). 
Eros und Psyche werden von Hymen zum Brautbett geführt, 
auf dem ein Erote eine Decke ausbreitet, während ein 
anderer Liebesgott über ihren Köpfen eine 
Schwinge mit Früchten erhebt. Da die im Platonis- 
mus wurzelnde Vorstellung vom Verhältniss des Eros zur 
Psyche erst um jene Zeit sich ausbildete und ein Vorwurf 
künstlerischer Darstellung wurde, ^ so ka&n die Conception 
dieser Scene nicht weit über Tryphon selbst in der Zeit hin- 
aufreichen und die zur Einkleidung der Idee gewählte Hoch- 
zeitsfeierlichkeit wird dem noch lebendigen Brauch der Gegen- 
wart entnommen sein. Dass bei diesem zuweilen auch ein 
Kind in der über dem Kopf gehaltenen Schwinge enthalten 
war, dürfte vielleicht aus jener neugriechischen Form der 
Sitte zu vermuthen sein, wo noch ein Kind vom Dache 
des Hauses über die Neuvermählten Bro de herabschüttet. 
Sobald wir innerhalb dieser Sitten dem Liknon und den 



^ Suidas 8. V. etpuyov xaxov. Vergl. Zenob. Genf. III 98. Demoath. 
or. de cor. 259 Bekker. 

^ 0. Jahn in den Berichten üb. die Verhandl. der säohs. Gesellsch. 
d. Wissensch. 1851. S. 156. 

24* 



372 KAPITEL VI. 

Katachysmata die älteren Getreidekörner statt der Baum- 
frücbte zurückgeben, entsteht die schönste Uebcreinstimmung 
mit jener Formel der Eheverträge im -nuidwv dporo> (o. 8. 352), 
das Ergebniss unserer Untersuchung der nordischen Hochzeits- 
gebräuche wird also durch diese Ermittelungen vollkommen 
bestätigt, aber zugleich ein neuer Anhalt für die Yermuthung 
gewonnen, dass in sehr früher Zeit den Griechen 
auf griechischem Boden selbst die Ideenver- 
bindung zwischen Eind und Korn lebendig war. 

Diesen Parallelismus zwischen Kind und Korn zeigt 
schliesslich auch noch eine andere Sitte, welche sich genau 
an jene dänische (o. S. 366) anschliesst, den Neugebornen in 
einen Säekorb zu legen und mit Getreide zu überschütten. 
In Ostfriesland nämlich übersäet man ein Kind, welches die 
englische Krankheit hat, also nicht wächst, im Frühjahr 
mit Sommergerste. Wenn diese empor wächst, wird es auch 
gedeihen und wachsen. ^ In Oldenburg legt man das Kind 
am Johannismorgen ganz nackt in den Garten und säet 
Leinsaat über dasselbe weg. Wenn die Leinsaat aufgeht, 
zu 'laufen' anfangt, fängt auch das Kind an zu gehen. ^ Im 
Werroschen (Estland) wird ein Kind, das erst wachsen und 
gedeihen will , beim Hanfsäen in den Garten getragen und 
mitten auf den zur Aussaat bestimmten Platz niedergesetzt, 
wo es so lange bleibt, bis der Säemann sein Geschäft vollendet 
hat. Nun soll das Kind ebenso schnell aufschiessen, wie der 
eben ausgesäete Hanf.^ 

Jetzt verstehen wir auch die Meinung des folgenden 
Gebrauchs in der Eifel. Kinder, welche nicht zunehmen 
wollen, werden 'Fintenkindcher genannt. Man trägt sie 
nach Finten d. h. zu einer Kapelle, welche am Fusse des 
Berges liegt, worauf der Ort Bergweiler erbaut ist. Daselbst 
wird ein Opfer an Korn gebracht, welches so viel 



1 Wuttke Der Deutsche Volksaberglaube ^ § 543. 

2 Strackerjan Aberglaube aus Oldenburg I 81 § 103. 

3 Bocler-Kreutzwald Der Ehsten abergl. Gebräuche. St. Peters- 
burg 1854. S. 61. 



KIND UND KORN. 373 

wiegt als das Kind, und ebenso viel gibt man den Armen.^ 
Korn und Kind sind auch hier deutliche Aequivalente. 

Die oben geschilderten Gebräuche gewähren eine über- 
raschende Bestätigung für die scharfsinnige und methodische 
Auslegung, welche K. Lehrs einem Verse der hesiodischen 
Hausregeln zu theil werden Hess. Es ist v. 458 ff. von der 
Bestellung der Saat die Rede: 

Jetzo hinaus dringt alle, zugleich mit den Knechten du selber, 
Trocken und feucht zu bestellen das Land in den Tagen der Saatzeit, 
Ganz in der Früh* anstrebend, dass voll dir werden die Aeeker. 
Brechen im Lenz und im Sommer erneun misslohnet dir niemals. 
Aber die Brache besät, weil leicht noch hanget das 

Erdreich! 
Zauber verscheucht von den Kindern die B r a ah* 

und stillet ihrWeinen.- 

'Pueri — sagt Lehrs Quaest. epp. S. 197 — si impo- 
nunturnovali,damnumiisdefendituretplorantes 
sedantur, ut contra bustis impositi summa noxaafficiuntur.'^ 
\4kfhaQ7] (d. i. pellens execrationem)* bezieht sich, da es Appo- 
sition znsvxtjkrjrsiQUj auf die Vertreibung eines durch Fluch, Ver- 
rufen, Behexung {imjkvaitj Hom.Hymn.inCer. 230) bewirkten 
Schadens nicht etwa der Feldfrüchte — wie die meisten Er- 
klärer meinten — sondern der durch die Krankheit weiner- 
lich und zu Schreihälsen gemachten Kindlein. Solch ein Zustand, 
bestehe er in Krämpfen oder Rhachitis, hindert das Gedeihen 
des Kleinen; ist der Zauber entfernt oder ferngehalten, so 
wächst er fröhlich (vergl. 6 t)' ae^sro Hymn. in Cer. 235). 



1 Schmitz Sitten und Sagen des Eifler Volkes I S. 65. 

2 Hesiod. 0. et D. 463: 

JVeiov ^€ amtqHv fn xovtp{L,ovaav oQOVQav* 
vsiog a Xe^taQtj naCdiov svxtjXi^T ei^a, 
» Hesiod. 0. et D. 750: 

M.*jS^ €71 axivriTot.ai xa&i(^etVy od ydq ä/i€ivovj 

TTaiSa SvboSexaraTovj 'Ör aviq avfjvoqa Tioifly 

fÄtjde dvtaSsxttfitjvov, 
So sagt man bei uns in Oesterreich : Kinder, die über ein Grab 
springen, werden schwächlich, sie wachsen nicht mehr (Wuttke a. a. 0. 
§ 607). 

^ Etym. Magn« S« V. ahlia^t^l inaXilovaa xai anti^yovoa r^v a^^v. 



374 KAPITEL VI. KIND UND KORN« 

Um dies zu erreichen, soll er mit dem neubestellten Brach- 
lande (der vBiog rginokog) während des Säens in Be- 
rührung gebracht werden; wie anders könnte dasselbe als 
Besänftigerin wirken? Ist es da nicht einleuchtend, dass von 
einem Gebrauche die Rede sein muss, der mit jenen deutschen 
dem Wesen nach sich deckte, dem estnischen aus der Qegend 
von Werro vielleicht zum Verwechseln ähnlich sah? 



EEGISTER. 



i. Hzbr. = im Hochzeitebraucb. 
Kd. = Korndämon. 

I, G. = letzte Garbe. 
Yd. = Vegetatiousdämon. 



A. 

Agmnen ind. Dioskuren 267 ff. 279. 
Aehren i. Hzbr. 355 ff. bei Kirid- 

taufen 366. »n der Thür 182. 

Aehrerikranz 170. 235. 317. 319. 

333. 336. 358 ff. 
Aehrenkonigin Kd. 333. 
Aehrenmutter I. O. 319. 
Älfgust, Älfbläst 310. 
uEriehjcelUng Kd. 299. 
'AxT»j 225. 

Ale, Alte, Altsche, Aule, der, die, 
Kd. I. G. 19 ff. 54. 112. 147. 320. 
323 ff. 334 ff. 340. 

Ambarvalien röra. Fest 160. 178. 198. 

Apollo 125. 140. sein Altur geschlagen 
138 ff. 154. 

Aprilkalb, Aprilochs Kd. 63. 190. 

AquiUcien röm. Fe-»r. 198. 

Areion Streitross 245 ff. 252 ff. 266 ff. 
274. 279. 

Argeer 199. 

Asche in der Saat 187. 192. mit Blut 
gemischt 190. 192. aufs Feld ge- 
streut 332. i. Hzbr. 359. 

Assur assyr. Gott 177. 

Augen durch die Kornmutter ausge- 
pustet, ausgeschmiert 309. 310. 

Auerochs Maske 63. 

Axomama peruan. Lar 342. 344. 

B. 

Baha, Bahhe, Babka, Boba^ Buhba 

Kd. 299 ff. 328 ff. 
Bahajqdza Kd. 300 ff. 314. ' 



Bär = Wind 166 s. Komdämor.. 

Bäuerin geprellt 336. gewürgt, ge- 
kämmt 337. 

Bauer iodt schlagen 31. 

Baum Anbinden an H. 61 ff« Bt^- 
härigen mit Obst und Figuren 112. 
Schlagen 149. Einbeissen 139. 

Bemähen 40 ff. 45. 

Bettelmann I. G. 48. 

Blut Bestreichen mit Bocksbl. 75. 
96 ff. Lammbl. 177. 179. 18.3. — 
Rossbl. 159 ff. Verbrannt 189 ff. 
ins Brod gebacken 141. 

Bohas, Böbmuszys, Bobzudys Schnit- 
ter, Dresiher des Letzten 331. 330. 

Bock herabgestürzt 136. ?. Korndämon. 

Böcklein = neue Frucht 178 ff. 

Bohnenmutter V«l. 298. 

Bona Dea s. Fauna. 

Bormos 8chnitter(Iied) 15 ff. 55. 

Bottamömk Kd. 309. 

Bouquet 183. 

Braut im J. Flachs 112. — 173. 354 ff. 

Brautzucker 360. 

Brennnessel 143. 147 ff. 

Brod Kranz von Broden 158. 169 ff. 
181 ff. i. Hzbr. 357 ff. 371. s. Blut. 

Brüste der Kornmutter, lang, eisern, 
hölzern, schwarz, glüh, theergefüllt 
303 ff. 350. 

Bulimos 130 ff. 140. 150. 155. 

Bullen 147. 340. 

Bullen machen 62. 

Bullkater Kd. 142. 167. 

Buphonien 68 ff. 98, 

Busiris S. des Nil 11 ff. 15. 

BuUern Regen mit Hagel 309. 



376 



REGISTER. 



C. 

Cadaver an die Scheune gen Agelt 182. 

Cagne K<1. 104 ff. 

Caproiinische Nonen 121 ff. 155. 

Carline I. U. 326. 

CavalH del tnare 26i?. 

Cererosus 237. 

Ceres 178 ff. 197. 

CSrh, la 1. 0. 319. 

Chien blatte Kii. 104. d'aout 105. 

185. (?« la fenaison 106. i« (^^Mg-> 

chien de la moisson 30. 105. 181. 

peau de balle 105. rag^ 103. 
OUenne blanche K«i. 104. 
Christus el de arrtba, el de abajo 

194, Wunder Ch. 113. 
Chthonien 58 ff. 64. 163. 
Churn 1. G. 321. 
Clef du champ 36. 45. 140. 
Cocamama perunn. Lar 312 ff.^ 
Coda Drescher des Letzten 185. 
Confetii 361. 

Conopa peraan, Lar 342 ff. 
Consualia röm. Erntefest 122. 161. 

172 ff. 180. 
Creppi Vd. 91 ff. 102. 
Cu ä chien I. 0. 105. 185. 
Cupenei Ktymologie 87. 
Cyrus Legende von C. 76. 

n. 

/da^ /tcci 288 ff. 

^afioTQ^Hv ernten 230. 

Daphnis der gute Hirt 9. 

Ddsapatnt ind. Woikcnfrau 268 ff. 
277. 279. 

d^aC 292. 

Delien gr. Erntof.»fit 138 it. 155. 

Delphin 247. 250 ff. 

Demeter 95. 108. 202 ff. K'einasi«- 
tische 108.175. Chamyrie241. Chtho- 
nia 66. 68. Erinys 244 ff. Kidaria 121. 
140.154. Lu8ift245.256. MrOHina233. 
244 ff. 265. Mykalessia 233 ff. Proi- 
rosia 258. Thesmophoros 258. Bei- 
namen 227. 234 ff. Attribute 229. 
235. Name für Brod 232. — Spen- 
derin des Getreides 224 ff. des 
Obstes 231. Folgen ihrey Zorns 226. 
247 ff. Wohnsitz 234. Erstlings- 
opl'er für I). 233. Uedeutet als 
Sturm wölke 269. 274. Gewitteralte 
272. 274. Mondgüttin 273. 274. 
Sonnengöttin 273. 274. Morgen- 
rötho 270. 274. Nacht 272. 274. 



Etymologie 281 ff. Kornmutter 294. 

Vergleich mit der nordeurop. Korn- 

niutter 348 ff. 
Demetergebünd 228. 
Demetrien 120 ff. 149. 155. 
^tj/utjTQoXtjnrog P. Cererosus. 
Demo 295. 
Deo 271. 295. 
Despoina T. Dcmeterö 247. 256 ff. 274. 

277. 279. 
Diana Aventina 180. 
Djdvä mätar 271. 288. 
Diipolien s. Buphonien. 
Dionysos 207. 256. 370. 
Dioskuren 207. s. Avivinen. 
Docken (Doggen) 296. 302. 
Drachenhure = Libelle 315. 
Drescherlied s. Maneros. 
Dreschermahl 62. 71. 186. s. Ernte- 

mahl. 

Dre5CÄ«rmMCÄrf Drescher d.Letzt»»i.61. 
Dreschflegel Kneifen mit dem U. 42 ff. 

50 336. 
Dreschhund Kd. 30. 103 ff. 
Dziad, Stary Dziad Kd. 301. 330 ff. 
Dzika Baba Kd. 300. 304. 



E. 



Eiresione 181. 183. 
El semit. Kronos 137. 
Eleusinien 204 ff. 256. 
Eleusis 204. 232. 

Elfenschlag 237. Elfenanhauch 310. 
Epona röin. Pfer.iegÖttin 294. 
Erbsenbär K I. 111. 165 ff. 
Erbsenmockel Drescher des Letzten Gl. 
Erbsenmutter^ Erfiemöder, Arfte- 

möder, Arfkenmör JSrttmor Kd. 

297. 
Erbsenschlägel Kd. 29. 
Erbsenweib, Arftenwlfi Arfiem'ön, 

Ar/ienmöne, Arfkenm'öne Kd. 298. 
Erdmochel Schnitter des Letzton 60. 
Erichthonios 262. 

Erinyen 251. 253 ff. 272. 274. 277 flf. 
Ernte fr au I. G. 329. 
.Erntekönigin Kd. 333. 
Erntemai 337. 

Erntemahl 26. 51. 60. 69. 71. 
Erntemann Kl. 19. 23. 
Erntemutter I. (V. 319. 
Erysichthon 230. 
Esel heral'gestiirzt 136. mit ßroden 

behängen 170. 
Evander Paunus 93 ff. 



REGISTER. 



377 



F. 



Fahrende Mutter 296. 304. 

Farr Kd. 61. 

Fauna 116 ff. 140. 146. 154 ff. 

Famus 72. 93. 116 ff. 140. 145. 154. 

Fauni 96 ff*. 110. 113. 198. 8. Luperci. 

Februatio 82 ff. 114. 154. 

Feigen Kranz von F. 125. 138. Schlag 

mit F. 1-28. 130. 138. 140. 
Fescennmen 361. 
Fimmelfrau Vd. 311. 
Flaildaus Flegeltanz 42. 
Flamen Dialis 74. 
Flassmutter Vd. 310. 
Focke 1. 0. 328. 
Fössken Kd. 110. 

Fordicidien röm. Fest 159. 189 ff. 197. 
Fremde i. gr. Erntebraucb 5 ff. i. 

Dordeurop. 32 ff. Helfer bei der 

Ernte 4 ff. 8. 52. heiset Sädesfra 

42. 45. 836. Bruder des Herren 33. 

45. eingegraben 47 ff. bebunden 

33 ff. 45. am Hals umsohnUrt 34. 

42. 45. gebunden an eine Garbe 36. 

an eine Sense 45. beschimpft 44. 

53. 8. Korndämon, Kuckuck. 
Früchte i. Hzbr. 356 ff. i. Kind- 

bettsbr. 366 ff. 370. 
Fuchs 9. Korndämon. 



G. 



Gabriel 256. 

Gaia gr. Göttin 241 ff. 

Gamle 328. f. Alte. 

Garben bei den Eleusin. 208. Ein- 
binden in die 1. 0. 5. 8. 21 ff. 
35 ff. 45. 51. 99. 320. 325. 330. 
334. Umherrollen darin 7 ff. 24 ff. 
Kamen ders. 19 ff. 316 ff. Die I. 
G. in Form eines Bären 166. Pferde- 
kopf» 165. einer Puppe 19 ff. 316 ff. 
.326 ff. Steine eingebunden 321. 324. 
Die 1. G. geschlagen 146. 148. zum 
Nachbar getragen 25. 27 ff. 334 ff. 
gekÜBSt 339. von einer Braut ge- 
bunden 173. Binder soll heirnthen 
173.320.330. s. Korndämon, Wasser. 

Garstdle Kd. 325. 

Garstenwtf 1. G. 321. ' 

Genitalien gepeitscht 57. 128. 130. 
138. 140. 146 ff. gekitzelt 147. 340. 

Geranos gr. Tanz 140. 

Getreidekonigin N. Demeters 230. 

Getreidemännchen Kd. 307. 



Gerbe du patron^ de la mattresse 
J. G. 336. du jeune hoeuf 162. 170. 
Gerstenmockel Drescher d. Letzten 61. 
Gotteaangesicht 366. 
Gordius phryg. König 10. 
Granny I. G. 321. 
Grasmetze 315. 
Gratenbär Kd. 112. 
Grazie 362. 
Greitje Maske 143. 
Grochowa matka 1. G. Vd. 318. 
Gro88vater 19. s. Dziad. 
Grusamutter, Grula Kd. 320. 
Guikowar 67. 
Gute Mann Kd. 19. 



Habergei88 Kd. 98. 111 ff. 165 ff. 185. 

Haberl Kd. 31. 

Häkelmöm Kd. 304. 

Hansel und Gretel 112. 

Haferbär Drescher des Letzten 112. 

Haferjungfer 315. 

Hafermt4chel Drescher d. Letzten 61. 

Haferschwänzle 1. G. 185. 

Hagelschlag 108. 301. 309. 

Hahn s. Korndämon. 

Halmstier Kd. 59. 

Haloen 259. 

Harkeimai 337. 

Harvestqueen Kd. 333. 338. 350. 

Havrekjcelling 1. G. 328. 

Hazazel hebr. Dämon 131. 

Hedemöpel Maske 142. 

Heimmutter Kd. 320. 

Herbstpferd Kd. 165 ff. 

Herakles 5 ff. 56, 207. Daktyl 233 ff. 

Hercules 11. 87. 

Hermes der gute Hirte 92. 3(59. s. 

Sarameyas. 
Hermione 64 ff. 
Herrgottsböck Kd. 168. 
Herrgottspferd 315. 
Herschbaba Kd. 299. 
Heukerl Vd. 31. 
Heumutter Vd. 311 ff. 
Heupudel Vd. 103. 
Himmelspferd 315. 
Hirpi Sorani 101. 113. 175. 178. 
Hobbyhorse 165. 171. 
Hochzeit des Korns 264. 
Hochzeitsbräuche 173. 178. .354 ff. 
Hörnbull Kd. 61. 
Hostgilde 327. 
Honig i. Hzbr. 356 ff. 362. 370. 



378 



REaiSTER. 



Hopfen 37 i. Hssbr. 355 ff. 

Hwbuck Vd. 44. 53. 

Harnvieh brennendes 305. 

Hatcanzeln 44. 46. 341. 

Huaca perunn. Penaten 343 ff. 

Hund sideriscber H. 108 ff. H. auf- 
geigen 106. Faule H. 105. Tolle 
H. 103. 297. = Wind lOa s. Korn- 
dämon. 

Hundebrod secale cornatum 103. 

Hundeopfer 74. 102. 

Hundeatrich eggen 104. 

Hundrechen 106. 

Hundsfod J. Q. 106. 

Hure Kd. 320. 322 ff. 350. 

Hvedekjcelling 1. G. 327. 

Hvetefru Kd. 312 ff. 

Hyakinthen 64. 

Hylas öö ff. 



J. 



Jahve 95. 131. 175 ff. 

Jasion gr. Kd. 149. 238 ff. 273. 350. 

Imjaninnüc 1. G. 332. 

Inuus 93. 

Johannisfeuer 135. 178. 190. 

Julbock Kd. 142. 154. 

Juno Lucina, Sospita 76. 85. 122. 

Jument Kd. 168. 

Jungfer, verfluchte 315. 



K. 

Kaeso 79. 99. 
Xalb 8. Korndämon. 
£a{^ «mie^n 63. 
Kamosch moabit. Gott 177. 
Karina ägypt. Dämon 366. 
Kameen 155. 175. 
KartofelaUe Vd. 331. 
KaraxvfffiocTa 363. 371. 

Keuschlamm 130. 

Kiddelhund Kd. 103. 

Ä'n<i Etym. 353. verbrannt 137. ver- 
taueoht, gestohlen 305. Kinder kom- 
men aus Bäumen, aus dem Korn- 
feld 307. Verlaufen ins Getreide 
297 ff. 306. Kind = Korn 307. 
351 ff. i. Hzbr. 357 ff. im Säekorb, 
Komsieb, Getreideschwinge 366 ff. 
Uebersäet 372 ff. Wickelkiod an 
der Osterruthe 149. 151. 

Kindhettsgebräuche 366 ff. 

Klapperbock Vd. 165. 167. 



Knochen ins Feld gesteckt 187 ff. 

192. an Bäumen 188 ff. 
Kohlköpfe abgehauen 31 ff. 178. 
Köre 8. Persephone. 
Korl Kd. 31. . 
Korn i. Hzbr. 355 ff. i. Kindbettsbr. 

366 ff. 8. Hochzeit, Wecken. 
Kornbaba Kd« 299. 
Kornbär Kd. 166. 302. 
Kornbock Kd. 181. 
Korndämon als Bär 111 ff. 165 ff. 

302. Bock 25. 30. 78. 93 ff. Fuchs 

108 ff. 137. Gans? 33a Geiss 29. 

98. 111 ff. 164. 170. 181. Hahn 

30. 68. 78. 164. 170. 182. 196. 

Hase 29. 185. Hond 29 ff. 103 ff. 

297. Kalb 60. 6a 71. 170. 189 ff. 

192. 198. Katze25. 29ff. 112. 137. 

154. 165. 181. 185. Rind 58 ff. 71. 

98. 112. 181. Rom 143 ff. 154. 

163 ff. 262 ff. 302. Schwein 92. 

112. 186 ff. 198. Widder 29. 68. 

92. 111. 164. 171. 186. 191. Wolf 

25. 78. 101. 111. 301 ff. — Helfer 

bei der Ernte 27 ff. 52. beisst 

Mäher, Schnitterin, Drescherin 28 ff. 

338. Auf dem Rücken getragen 92. 

187. 334. Ausgetrieben 25. 336. 

Gehascht 8a 62. 139. 164. 170. 

195. Eingegraben 30. 47 ff. 164. 

Mit Nahrung bedacht 28 ff. 48 ff . 

69 ff. 131. 337. 34a Getödtet 12. 

29 ff. 50. 5a 60. 62. 65 ff. 98. 

164. 179. 185. 195. 201. 330 ff. 

334 ff. Beim Erntemahl verzehrt 

60. 62. 69. 71. 170. 179. 18a 

Wiederbelebt 2a 69. 9a 186. 189. 

B. Alte, Kornmatter, Wasser. 
Kornjungfer 315. 

Kornkater Kd. 154. 165. 181. 185. 
Kornkind Kd. 179. 
Kornmann Kd. 112. 340. 
Kornmops Kd. 106. 
Kornmuchel Schnitter d. Letzten 60. 
KommüninJe 3 16. 
Kornmuhme u. s. w. Kd. 298 ff. 
KornmuUer Kd. 98. 112. 146. 296 ff. 

im Mutterkorn 314 ff. in Thierge- 

stalt 315 ff. in der 1. O. 316 ff. 
Kornschtoin Drescher d. Letzten 112. 
Kornstier Kd. 60 ff. 71. 112. 181. 
Kornweibel Kd. 298 ff. 
Kornwolf Kd. 302. 
Krankheitsgeister M isswachsdämonen 

vernichtet 83 ff. 89. 113. 124 ff. 

129 ff 138. 140 ff. 149. 191. 198. 201. 
Kragein 34. 



REGISTER. 



379 



Krallen der Kornmatter 305. 

KrootspiUer 47 ff. 

Kuchen an der Osterruthe 149. am 
Ualmbock 169. an der Eiresione 
183. aus der 1. G. 192. Wettlauf 
naob K. 171. 

Kuckuck Ö3 ff. 

Küssen 43 ff. 339. 350. 

Kuhhaut 62. 

Kuhhörner 180. 

Kürndle 1. G. 326. 

Kurwa Kd. 322. 

Kydan Gründungssage 76. 



Labemann^ Leoblmann Kd. 27. 
Lachen 75. 96. 99 ff. 223. 
Lacturcia röm. Göttin 313. 
Laubfrosch Maske 142. 
Laubhüttenfest 132. 162. 
Laubkönig Vd. 143 ff. 
Levsina Eleusis 204. 
Liber 191. 369. 

L^ibiac (lUpiac) peruan. Blitzgott 344. 
Lilla jente schwed. Brodpuppe 179. 
Linos phön. Winzerlied 1. 16 ff. 55. 
LithoboUe 75 ff. 122. 125. 130 ff. 194. 

209. 
Lityerses Schnitter, Schnitterlied 1 ff. 
Llamaconopa peruan. Lar 344. 
Lovisa Tennenlied 42. 
Lümmelochs 1. Schwaden 59. 
Lupercal 72. 95. 
Luperealien 72 ff. 175. 178. 198. 
Luperci bocksgestaltige Dämonen 74ff. 
Lupercus röm. Gott 93. 



M. 

Madonna 123. 247. 

Mähen Art des M. 165. 

St Mäher 28 ff. 338. 

Maia röm. Göttin 119. 140. 

Maibaum 13. 99. 135. 165. 

Maifeuer 135. 190. 

Maifoss Vd.llO. 

Maigraf 78. 

Maikönig 141. 148. 153 ff. 

Maiochs Vd. 63. 

Malmutter Mehlmutter Vd. 314. 

Mamacora peruan. Lar 345 ff. 

Mamazara s. Zaramama. 

Mamuralien röm. Fest 155. 198. 

Maneros ägypt. Klagelied 1. 16 ff. 55. 



Mars 107. 157 ff. 160. 173 ff. 19a 201. 
Mauchli Zuchtstier 60. 
Meerzwiebel 123. 128. 130. 132. 138. 

140. 154. s. Pan. 
Memme 304. 
Mh-e du bU I. G. 318. 
Messerwerfen 107. 
Micsazara peruan. Lar 344. 
Micuyconopa peruan. Lar 344. 
Midas phryg. König 4 ff. 16. 
Milch Blut abzuwischen 75. 96 ff. 
Miletos Grund ongssage 76. 
Mirtenscheune 347. 
Mistelzweig 363. 
Mockelj Muckel Kd. 59 ff. 
Mohn 235 ff. 303. 350. 
Molochopfer 137. 
Mondamin indian. Kd. 137. 
Moorschobb 1. G. 321. 
Mooskuh Maske 64. 
Mörsel, Mörser 309. 368. 
M6eoTTov 120. 149. 
Münenbund 318. 
Muhkälbchen Kd. 63. 
Mutter, grosse 319. 350. 
Mutterbrod secale comutum 307. 
Mutterbund 321. 
Mutterkorn 103. 308 ff. 314 ff. 
Myrthe 116 ff. i. Hzbr. 364 ff. 



N. 

Nacken Einbeissen 46. 
Niederfall 339. 350. 
Noircis^ les quatre 151. 
Nothdurft verrichten 48 ff. 
Nüsse i. Hzbr. 358 ff. 



O. 

October-Erntefest 162. 174. 197. 

Octoberross 156 ff. 

Offa penita 183 ff. 

Ops röm. Göttin U9. 161. 180. 

Ortding L G. 185. 

Oschophorien gr. Fest 161. 175. 

Osterfeuer 109. 135. 190. 



: r. 

I 
I 
I 

I Pales röm. Weidegöttin 190. 
Palilien röm. Fest 159. 178. 190. 198. 
201. 
I Pawl23.132.140.l54ff. s. Meerzwiebel. 



380 



REGISTER. 



Papamama peraan. Lar 342. 

Parjanya ind. Regengott 242. 271. 

Passah 161. 175 ff. 

Paulus Eremita 152. 

Pegasos Donnerrob» 254. 269. 277. 

P^ek Halmknoten 330. 

Perekopp Vd. 143 ff. 

Persephone 211 ff; 224. 256. 259. 
261. 269. 277. 

Peterhült 347. 

Petersasche 192. 

Pferd Ma^ke 165. Kopf 158 ff. 165. 
169 ff. 181 ff. 247 ff. 273. Trojan. 
Ff. 163. 169. Verwandlung in Pf. 
244 ff. 267 ff. 302. = Meereswoge 
163. 263. 277. = Wind 163. 167. 
262 ff. 302. 

Pfingsthlume 141. 

Pfingstfest, hebräiöcbes 162. 

Pßngstschläfer 141. 148. 

Pflugumziehen 89. 111. 135. 

Phallos 142. 191. 

Pharmakos 124 ff. 136. 155. 177. 

Pieterscheune 347. 

Pinarier röm. Gen« 77. 87. 

Pingstfoss Vd. 110. 

Piron J. G. 836. 

Pirna peruan. Lar 345 ff. 

Piruazara desgl. 344. 

Plutos 239. 

Podarge Windsbraut 662. 

Polevoj Djed Kd. 300. 

Polnischer Ochs I. G. 59. 

PopUfugien röm. Feut 121. 155. 

Poseidon 11. ^EvoaCda; 291 ff. Hippios 
163. 244 ff. 256 ff. 274. 279. Hippo- 
dromios 259. 264. xqrjvovxoi 261. 
Phytalmios 258 ff. 264. Taureios 
259. 264. Deutungen als Gott des 
Luftmeers 270. 274. 277. Regengott 
271.274. Sonnengott 270. 274. 277. 
Öturmgott 272. 274. 

Potitier röm. Gens 77. 87. 

Priolas Eponyro. von Priola 16. 

Prithivt ind. Erdgöttin 242. 275. 

P^zenicna baha^ matka 1. G. Ernte- 
kranz 318. 

Pyrasos Weizen felde 232. 

Quitioamama peruan. Lar 342. 

B. 

Baahvtf K(l. 297. 
Rehhnnd V.l. 107. 



Regenzauber s. Aquilicien, Wasser. 
Reine de la moisson Kd. 333. 
Reis i. Hzbr. 354. 
Remus 73 ff. 76. 
ReUer, Riter 360. 368. 
Robigalien röm. Fest 107 ff. 175. 
Roggenbär Schnitter, Drescher des 

Letzten 166. 
Roggenhundy Roggenmops Kd. 106. 

297. 
Roggenmutter, Roggenmuhme u. s. w. 

Kd. 297 ff. 314 ff. 318 ff. 
Roggenschwein Kd. 92. 187. 
Roggenwtf I. G. 321. 
Rogslader 1. G. 29. 
Roi de veau Hascher des Kd. 60. 
Romulus 73 ff. 76. 
Rüenbrod secale cornutum 103. 
Rugiuboba Kd. 31. 300 ff. 330 ff. 
Rugiubobzudys Schnitter des Letzten 

331. 
Rugkjcerling Kd. 299. 327 ff. 
Rugstötter J. G. 49. 
Rzanamatka Kd. 299. 



S. 



Sabinerinnen Raub der S. 85. 
Sädesfru, Sädestösa Kd. 42. 312 ff. 

336. 
Salz i. Hzbr. 357. 362. i. Kindbettsbr. 

367. 
Sdrameyas ind. Gott 280. 
Saravju ind. Göttin 267 ff. 279. 
Saturnus röm. Saatgott 161. 
Saufud Drescher des Letzten 186. 
Sautreiber Schnitter des Letzten 1 12. 
Sauwedele 186. 
Schainichen machen 347. 
Scheunbaba Kd. 335. 
Scheunbetze Kd. 106. 
Sch^wekirl Vd. 28. 
Schildkröte 300. 
Schimmelreiter 111. 153. 165. 167. 

17L 
Schlag Wachsthum mehrend 82. 113 ff* 

149. 154. 358. 
Schlange 247. 251. 
Schmackostern 155. 178. 
Schnittermuchel Schnitter des Letzten 

60. 
Schossmeier 115. 141. 194. 
Schottebätz Kd. 103. 
Schüssel, verdeckte 186. 359. 
Schuhe i. Erntebr. 37 ff. 43. 46. 52. 

i. Hzbr. 358 ff. 



REGISTER. 



381 



Schutemops Kd. 104. 

Schwanz des Kd. 185. vom Kalb 64. 

Fuchs 110. 185. Passahlamm 176. 

Pferd 159. 183 ff. Reh 191. Schwein 

186 ff. Widder 186. 191. 
Schwanzträger Schnitter des Letzten 

185. 
Schwein der Tellus 115. 119. 178. 197. 

Fett 178. s. Korndämon, Schwanz. 
Schwerttanz 198. 
Sense, in die S» nehmen 39 ff. 45. 

2€Ql(pOg 216. 

Shitarska moma, zarka Kd. 51. 332. 
Sichel streichen 35. 39 ff. 45. 106. 

Tödten durch S. 30. 68. S. des Kd. 

229. 338. 350. 
Sichelfrau Kd. 338. 350. 
Sieh i. Hzbr. 357 ff. i. Kindbettsbr. 

366 ff. 
Simson hebr. Sonnenheros 109. 
SUd ind. Göttin 245. 275. 
Situafest in Peru 141. 
Sommer- j Sonnenvogel 133 ff. 
Sonne Durchgang des Wachsthums- 

geistes durch die Sonnengluth 107 ff. 

137. 
Sporysch Kd. 343. 
Stadlpudl Kd. 106. 
Stardbaha s. Baba. 
Stätare 1. G. 49. 
Stirn Einbeissen 36. 46. 140. s. Blut, 

Milch. 
Strohbär Kd. 166. 
Stroh-, Strilkpudel Kd. 166. 
Syleiis Winzer 12. 53. 



T. 



Tatte Kd, 320. 
Taube 247. 250 ff. 
Telhis 115. 119. 159. 178. 197. 
Thalysia gr. Erntefest 161. 
Thargelien desgl. 124 ff. 155. 161. 177. 
Theerbuddel, Theerstulle 307 ff. 
Thesmophorien gr. Fest 175. 
Titias Eponym. von Tition 16. 
Träume 352. 361. 
Tremsemutter Kd. 297. 
Triptolemos 205 ff. 
Trübelhund Vd. ]07. 
Tutulina röm. Göttin 122. 140. 
Typhon ägypt. Gott 135. 



ü. 



Umklappen 142 ff. 150. 
i7w/aw/77.81ff.l50ff. 179. 208. 223. 



Umreiten der Felder 188. 
Uphoren 42 ff. 
Urmrä ind. Göttin 242. 
Ushfis ind. Göttin 270 ff. 

r. 

Varum ind. Gott 271. 274. 276. 
Versöhnungsfest, hebr. 131. 
Vitulum facere 63. 
Vivasvat ind. Gott. 267 ff. 279. 
Vorläufer der A ehren 311. 

W. 

Wälzen auf dem Acker 340 ff. 

Wandeln 43. 46. 

Wasser Ins W. werfen 9. 50 ff. 55. 

110. 134. 141. 163. 199. 332. Be- 

giessen mit W\ 24. 28. 50. 148. 

162. 317. 323. 326. 330. 356. 
Wasserjung/er 315. 
Wassermuhme 294. 297. 
Wasservogel 134. 
Wazerl Kd. 31. 
Wechselbalg 306. 366. 
Wecken des Korns 150. 
Weizenmops Kd. 106. 
Weizenmuchel Schnittet d. Letzten 60. 
Weizenschwanz 1. G. 185. 
Werbock 98. 
Werwolf 89 ff. 
Weszäle Kd. 325. 
Wiszbeller Kd. 104. 
Wetenwif 1. G. 321. 
WeUkampf beim Mähen 11. 18 ff. 56. 

der Luperci 77. um das Ros&haupt 

169. 193 ff. bei den Eleusin. 209. 223. 
Wettlauf 158. 162. 164. 170 ff. 174. 

179. 8. Korndämon. 
Widder Maske 92. herabgestürzt 136. 

8. Korndämon. 
Wielki pies Kd. 103. 
Wtf öle Wif 1. G. 321. 
Wind im Getreide 112. 163. 167. 236. 

262 ff. 296. 302. 304. 309. s. Bär, 

Hund, Pferd. 
Winzerbräuche 12. 17. 44. 53 ff. 
Wodan 256. 
PToZ/ vergraben 89. Grüne WolfU2. 

Fett 98. 178. 8. Korndämon. 
Woodenhorse ß. Hobbyhorse. 

Y. 

Yama, Yamt ind.Götter267ff.279.283. 



382 



REGISTER. 



z. 

Zagel, Zäl, Zöl, Zoll I. G. 185. 
Zaramama peruan. Maismutter 342 ff. 

350. 
Zarapconopa peruan. Lar 344. 

Zarnamatka Kd. 299* 

Zebrak 1. G. 49. 



Zehen haaren 37. in die Z. beissen 

37 ff. 46. 
Zephyros 259. 264. 
Ziegenopfer 74. 
Zucker i. Hzbr. 360. 362. 364. 367. 

370. 

. « 

Zytnahahaf Zyfnamatka Kd. 299 ff. 
Zwillingsähren 343. 



CORRIGENDA. 



S. 28 Z. 8 V. u.: Stollfeld lies Hollfeld. 



S. 35 Z. 19 
S. 129 Z. 9 
S. 141 Z. 3 
S. 181 Z. 22 
S. 324 Z. 18 



Edagsen und Springen lies Eldagsen und Springe. 

getrieben lies getrieben s. 

Pituafeste lies Situafeste (so Rivero y.Tschudi). 

tilge *oder Pyanepsien*. 

Namens lies Numens. 



XXI. Die Anfän«?c des Prosaromans in Deutschland und Jör» Wick- 

iara von Colmar. Eine Kritik v. W i 1 h. Seh erer. M. 2. 50. 

XXIL Ludwig Philipp Halm. Ein Beitrag zur CbAraktoristik der 

Sturm- und Dran^zeit von Rieh. Maria A^^'erner. M. 3. — 

XXIII. Leibnitz und Schottelius. Die Unvorgreifliehen Gedanken. 
Untersucht u. hrsg. von August 8 c h m ar s o w. M. 2. — 

XXIV. Die liandsehriften und Quellen Willirams, von Josef See- 
müller. / M. 2. 50. 

XXV. Kleinere lateinische Denkmäler der Thiersage aus demXIL bis 
XIV. Jahrh. Herausgegeben von E Voigt. M. 4. 50. 

XX VI. Die Offenbarungen der Adelheid Langmanu herausgegeben von 
P h i 1 i p p S t r a u e h. M. 4. ^ 

XXVII. LTeber einige Falle des Conjunctivs im Mittelhochdeutschen. 
Ein Beitrag zur Syntax des zusammengesetzten Satzes. Von 
Ludwig Bock. M. 1. 50 

XXVIII. Willirams deutsche Paraphrase des hohen Lieies. Mit Ein- 
leitung und Glossar herausgegeben von Joseph See- 
müUer. M. 3. — 

XXIX. Die Quellen von Notkers Psalmen. Zusammengestellt von 
Ernst Henri ci. 31 8. — 

XXX. Joachim Wilhelm von Brawe. Der Schüler Leasings. Von 
August Sauer. M. 3. — 

XXXI .Nibelungenstudien von B. Henning. M. 6. — 

XXXfI. Beiträge zur Geschichte der Germanischen Conjugation. Von 
Friedrich Kluge. (M. 4. — ) 

XXXIII. Wolframs von Eschenboch Bilder und Wörter für Freude 
und Leid. Von Ludwig Bock. ' M. 1. 60. 

XXXIV. Aus Goethes Frühzeit. Bruchstücke eines Commentars zum 
jungen Goethe. Von W. Sc her er. M. 3. — 

XXXV, Wigamur. Eine litterarhistorische Untersuchung v. Gregor 
Sarrazin. M. 1. — 

XXXVI Taulers Bekehrung. Kritisch untersucht von Heinricl» 
S e u 8 e D e n i f I e. M. 3. 50. 

XXXVII lieber den Einfluss des Reimes auf die Spraclio Otfrids. Mit 
einem Reimlcxicon zu Otfrid. Von The od. Ingenbleek. 

, M. 2. — 

XXXVIII. Heinrich von Morungcn und die Troubadours. Von Ferd. 
Michel. ■ M. ö — 

XXXIX. Beiträge zur Kenntniss der Klopstockschen Jugendlyrik. Von 
Erich Schmidt. M. 2. — 

XL. Das deutsche Ritterdrama des XVIL Jahrhunderts. Studien 
über Jos. Aug. von Törring, seine Vorgänger und Nachfolger. 
Von Otto B rahm. M. 5. — 

* XLI. Die Stellung von Subjeot und Prädicatsverbura im Heliand. 
Nebst einem Anhang metrischer Excurse. Ein Beitrag zur 
german. Wortstellungslehre. Von John Ries. M. 3. — 

XLTI. Zur Gralsage. Untersuchungen v. Ernst Martin. M. 1. 20. 
XLIII. Di^ Kindheit Jesu von Konrad von Pussesbrunnen. Herausgeg. 
von Karl K och en dörf fer. M. 4. — 

XLIV. Das Anegenge. Eine litterar-historische Untersuchung von 
Kdw. Schröder. M. 2. — 

XLV. Das Lied von King Hörn. Mit Einleitung, Anmerkungen und 
Glossar von Theod or Wi^sm an n. M. 3. 50. 

LXVI Ueber die ältesten hochfränkischen Sprachdenkmäler. Ein 
Beitrag zur Grammatik des Althochdeutschen. Von Gust. 
Ko SS in na. M. 2. — 

XLVII. Das deutsche Haus in seiner historischen Entwicklung. Von 
Rud. Henning. Mit 64 Holz&chnitten. M. 5. — 

XLVIII. Die Accente in Otfrids Evangelienbuch. Von N. Sobel. M. 3. — 
XLIX. Ueber Georg Greflinger von Regensburg, als Dichter, Histo- 
riker und üebersetzer. Eine litterar-histor. Untersuchung von 
W. von Oettingen. M. 2. — 

L. Eraclius. Deutsches Gedicht des XlII. Jahrhunderts. Hrsg. 
von H a r a 1 d G r a e f . M. 5. — 

LL Mannhardts mythologische Forschungen. Mit Vorreden von 
Karl Müllenhoff und W. Sghorer. (Unter der Presse.) 
LIL Laurence Minots Lieder mit grammat.-metrischer Einleitung 
von W.Scholle. M. 2. — 

LIII. Der zusammengesetzte Satz bei Berthold von Regensburg von 
Regensburg. Von H. Roetteken. M. 2. 50 



Verlag von Karl J. Trübner in Strassburg. 

Barack, K. A, Ezzos Gesang von den Wundern Christi und Notkers 
Memento Mori. Phototypisches Facsimile der Strassburger Hand- 
schrift. 4. geb. 1880. M. 4. - 
Bergmann, F. \V., die Eddagedich^e der nordischen Heldensage, 
kritisch hergestellt, übersetzt und erklärt. 8. VIII, 384 S. 1879. 

M. 8. — 

ten Brink, Bernh, Chaucer. Studien zur Geschichte seiner Ent- 

wickelung und zur Chronologie seiner Schriften. I. Thl. 8^ 

222 S. 1870 M. 4. — 

— — — Bauer und Klang. Ein Beitrag zur Geschichte der Vocal- 
quantitat im Altfranzösischen. 8°. V, 54 S. 1879. M. 1. 20 

Butsch, A. F., Strassburpfer Räthselbuch. Die erste zu Strassburg 
ums Jahr 1505 gedruckte deutsche Häthselsammlung« Neu heraus- 
gegeben. 80. pp. X, S8. 1876. M. 4. — " 
EIsässischeLitteraturdenkmäler aus dem XI V.-r-XVII. Jahr- 
hundert. Hrsg. von Ernst Martin Aon Erich Schmidt. 
I. Band. Das heilige Namenbuch von Konrad Dangkrotz- 
heiro. Mit einer Untersuchung über die Cisio Jani hrsg. von 
Karl Pickel. 8». VI, 124 S. 1878. M. 3. - 
IL Band. Joseph. Biblische Komödie von Thiebold Gart. 1540 
(hrsg. V. Er. Schmidt). S^ 124 S. 1880. M. 3. - 
III. Band. Das goldene Spiel von Meister In gold. Hrsg. 
von Edw. Schröder. 8». XXXIII, 98 8. 1882. M. 3. - 
Kluge, Friedr., Etymologisches Wörterbuch der deut- 
schen Spraahe. 2. unveränderter Abdruck, Lex.-8®. M. 10. 50 
Kräuter, J. F., Zur Lautverschiebung. 8». 154 S. 1877. M. 4. — 
Müller, Max. üeber die Resultate der Sprach wissenschafr. Vor- 
lesung, gehalten am 23. Mai 1872 an der kais. Universitfit zu Stras- 
burg. -.3. unveränderte Aufl. 8« 32. S. 1872. M. — , 80. 

— — Einleitung in die vergleichende Religionswissenschaft. Vier 
Vorlesungen nebst zwei Essays über falsche Analogien in der ver- 
gleichendeu Theologie und über die Philosophie der Mythologie. 
Zweite Auflage. 8". pp. V, 353 S. mit dem Porträt des Verfassers. 
1876. M. 6. - 

Notkers Psalmen. Nach der Wiener Handschrift hrsg. von Rieh. 
Heinzel und Wilh. Scherer. 8«. XI, 327 S. 1876. M. 8. - 

Riddarasögur. Parcevals Saga, Valvers Thattr, Ivents Saga, Mir- 
mans Saga. Zum ersten Male herausgegeben und mit einer litterar- 
histor. Einleitung versehen von Dv, Engen Kolbiug. 8**. pp. LV, 
220 S. 1872. M. 7. - 

Schaible, K. H., Deutsche Hieb- und Ötichworte. 8?. IV, 91 S. 
1879. M. 2. - 

Eine Etymologie der deutschen Flüche und Schimpfwörter. 

üngedruckte Anglonormannisohe Geschieh tsquelJen. 
Herausg. von F. Liebermann. 8«. VI, 359 S. 1879. M. 7. - 

Urkundenbuch der Stadt Strassburg. I. Band. Urkunden 
lind Stadtrechte bis zum Jahre 1266. Bearbeitet von Wilhelm 
Wieg and. 4«. XV, 585 S. 1879. M. 3a - 

III. Band. Privatrechtliche Urkunden und AmtsHsten von 1266 - 

1332 bearbeitet von Aloys Schulte. 4«. XLVIL451 S. 1884. M..24.- 

Der 11. Band erHcheint Aiifnng 1885. 

Strassburger Studien. Zeitschrift für Geschichte, Sprache und 

Litteratur des Elsasses hrsg. von E. Martin und W. WiegAud. 

L Band. 80. 1883, M. 12. - 

Inb.: Socin, Die althochdeutsche Sprache im Elsass vor OÜHfl von Weiseea- 
burg. — PrcuRS, Studien über Gottfried von SlrassTjurg etc. 

IL Band 1. Heft. M. 2. 50 

Inh. : Thomas Murnsrs Mühle von Schwindolsheim hrsg. von Abrecht u. A. m. 

IL Band 2. u. 3. Heft. M. 5. 50 

luh. : Mnnke]. die Mundart des Munsterthaies im Eisass u. A, m, _ 

IL Band 4.' Heft. M. 7. - 

Inh. : Sebrickcr, Aelteste Grenzen und Gaue im Elsase. 



Buc'h«lruckerei von G. Otto in Darmstadt. 



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