Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
zu ' Göttingen.
Philologisch-historische Klasse
aus dem Jahre 1908.
ßerlin,
Weidmannsche ßuchhandlunj
1908.
m
Druck der Dleterichsclicn Univ.-Buclidnickerei (W. Fr. Kaestner)
in Outtingen.
Register
über
die Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften
philologiscli-liistorisclie Klasse
aus dem Jahre 1908.
Seite
F. C. Andreas, Notiz über eine Streitschrift des Herrn
Ter-Mikaelian 375
F. Bechtel, Über einige thessalische Namen 571
P. J. Blök, Holland und das Reich vor der Burgunderzeit 608
N. Bonwetsch, Die Mosessage in der slavischen kirchlichen
Litteratur 581
H. Jacobi, Über Begriff und Wesen der poetischen Figuren
in der indischen Poetik 1
P. Kehr, Nachträge zu den Papsturkunden Italiens. II. . 223
F. Leo, Weitere Beiträge zu Menander 430
L. Meyer, Zu Tacitus' de origine et situ Germanorum . . 443
W. Meyer, Ein Merowinger Rythmus über Fortunat und
Altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen .... 31
W. Meyer, Über Handschriften der Gedichte Fortunats . 82
W. Meyer, Das erste Gedicht der Carolina Burana . . . 189
W. Meyer, Lateinische Rythmik und byzantinische Strophik 194
W. Meyer, Zwei Gedichte zur Geschichte des Cistercienser
Ordens 377
W. Meyer, Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in
Spottlatein 406
L. Morsbach, Shakespeare und der Euphuismus .... 660
R. Pietschmann, Nueva Coronica y Buen Gobierno des
Don Felipe Guaman Poma de Ayala, eine peruanische
Bilderhandschrift " 637
IV
Seite
E. Schröder, BLACEFELB 15
{3. Schröder, Maler Müllers große Liebesode 561
E. Schwartz, Aporien im vierten Evangelium.
n 125
in. . 149
IV 497
E. Schwartz, Zur Greschichte des Athanasius. VII. . . . 305
J. Jak. Werner, Poetische Versuche und Sammlungen eines
Basler Klerikers aus dem Ende des 13. Jahrhunderts . 449
Ueber Begriff und Wesen der poetischen Figuren
in der indischen Poetik.
Von
Hermann Jaeobi.
Vorgelegt in der Sitzung vom 25. Januar von F. Kielhorn.
Die poetischen Figuren ÄlamJcäraSj von denen die indische
Poetik ihren Namen Alamkära^ästra erhalten hat, haben das In-
teresse der Inder immer in hohem Grrade gefesselt. Nicht nur
daß man bis in späteste Zeiten neuen und immer neuen Figuren
oder Figürchen nachspürte, sondern auch die theoretische Unter-
suchung des Begriffs und des Gebietes der einzelnen Figuren hat
eine Peihe scharfsinniger und gelehrter Köpfe angelentlichst be-
schäftigt, unter denen Ruyyaka, der Verfasser des Alamkärasar-
vasva, im 12. Jhd., sein Commentator Jayaratha, der Verfasser
der Vimar^ini, im 13. Jhd., und der letzte und größte Meister
der Analyse Jagannätha, der Verfasser des Pasagangädhara, im 17.
Jhd., an erster Stelle zu nennen sind. Von ihren Untersuchungen
will ich nur einen Punkt hier herausheben und zusammenstellend
mitteilen, was sie über Begriff und Wesen der poetischen Figur
als solchen gelehrt haben. Man muß hierbei beachten, daß die
Inder nicht über die Figuren überhaupt, sondern über poetische
Figuren gehandelt haben, im Unterschied von den Alte^, welche
die Figuren vom Gesichtspunkte des Pedners behandelten, ihre
Beispiele aber meist aus Homer und den Dichtern wählten, so daß
eine reinliche Scheidung zwischen Phetorik und Poetik nicht zu-
stande kam ^). Wenn es üblich geworden ist, die indische Poetik,
1) Auch die Figurenlehre der Araber geht sowohl auf Poesie wie auf nicht
poetische Rede. Sie ist daher ein Teü der Rhetorik im weiteren Sinne. Einen
Einblick in diese arabische Wissenschaft und ihr Wesen erhält man leicht aus
A. F. Mehren, die Rhetorik der Araber, Wien 1853.
Kgl. Ges. d. Wisa. Nachrichten. Philolog.-Mst. Klasse. 1908. Heft l. 1
2 Hermann Jacobi
das AlamkäraSästra, als Rhetorik zu bezeichnen, so ist das eine
Mißbenennnng, die nicht weiter fortgeschleppt werden sollte^).
Welche Figuren die Inder aufgestellt haben, darüber wird
man sich in den betreffenden Lehrbüchern unterrichten können.
Namentlich verweise ich auf meine in ZDMGr, LXII erscheinende
Uebersetzung des Alamkärasarvasva. Aber aus einigen Beispielen
möge man sehen, wie weit die Spezialisierung der Figuren ge-
trieben wurde. Es sei von einem mächtigen Könige die Rede;
sagt man „Du bist mächtig wie Indra", so ist das ein Vergleich
(Upama)] „der König N. N. ist Indra", eine Metapher (Rüpaka), „Du
bist ein zweiter Indra", eine Hyperbel {AtisayoUi)] „Du bist gleich-
sam ein zweiter Indra", eine UtpreJcsä; „Bist Du Indra oder der
König N. N.", ein Sarndeha-, Du bist Indra, nicht der König N. N.^,
eine ApahnuU ; „Indra herrscht nur im Himmel, Du über die drei
Welten" ein VyatireJca; „Indra herrscht im Himmel, Du regierst
die Erde", eine Fraüvastüpamä etc. Dies sind nur einige der Fi-
guren, denen die Aehnlichkeit zugrunde liegt; sie alle werden scharf
von einander unterschieden und von jeder wird gezeigt, was das
ihr Eigentümliche ist, wodurch sie sich von allen übrigen unter-
scheidet. Dem Scharfsinn, den die Poetiker bei diesem Geschäfte
entwickelt haben, werden wir unsere Anerkennung nicht ver-
sagen können ; um so mehr muß es uns aber Wunder nehmen, daß
ihre Begriffsbestimmung von poetischer Figur zunächst wenig be-
friedigend ausfiel. Und dennoch haben sie das Wesen der poetischen
Figur richtig erkannt und genau bestimmt, nur daß sie die darauf
gegründete Definition nicht da geben, wo es sich darum handelt,
den Begriff von alamkära gegenüber andern Elementen der Poesie
festzustellen, also nicht im Anfange der Lehre von den ÄlamkaraSj
sondern, wie wir sehen werden, gelegentlich bei Untersuchungen
über einzelne poetische Figuren.
Die erste Definition von alamJiära, welche wir kennen, hat
Daij^in Kävyädaräa II 1 gegeben (aufgenommen im Agni Puräpa
341, 27): Mvyasohhäkarän dharmän alamkärän pracak^ate. „Poetische
Figuren nennt man diejenigen Bestandteile eines Gedichtes, welche
ihm Schönheit verleihen". Ich übersetze dharma hier mit „Be-
standteil", obgleich es allgemein „Eigenschaft" bedeutet. Denn
Daijdin hatte 1 42 {iti Vaidarhhamärgasya prätia dasa Gunäh smrtäh)
1) Untersuchungen über Figuren überhaupt haben die Inder nicht angestellt.
Sie haben für diese den Ausdruck vägvikalpa, glauben aber, daß es ihrer un-
endlich viele gebe, siehe unten S. 8. Darum kann man bei den Indern nicht
von einer Rhetorik weder im weitern Sinne, noch im engeren (als Kunst des
Bedners) sprechen.
lieber Begriff und Wesen der poetischen Figuren in der indischen Poetik. 3
die 10 Gunas oder Vorzüge als die Lebenshauche pränäh bezeichnet.
Die Gunas sind aber auch ^Eigenschaften" des Gedichtes; nur
müssen sie, darauf weist ihre Vergleichung mit den Lebenshauchen
hin, in viel engerer Beziehung zu dem Wesen des (xedichtes stehen,
als andere Eigenschaften, die AlamMras, welche wir daher als „Be-
standteile" bezeichnen dürfen.
Denselben Gedanken, daß die Gunas in innigerer, die AlamMras
in loserer Beziehung zum Gedichte stehen, drückt der Ausspruch
eines alten Poetikers ^) so aus, daß dies Verhältnis wie einerseits
bei den Charaktereigenschaften Tapferkeit etc., anderseits bei
Schmucksachen sei, nämlich bei den Gunas Inhärenz (samaväya),
heiden Alaml'äras Yerhindun g (samyoga) sei. Hiergegen richtete sich
Udbhata in seinem Bhämahavivarana ^) : wie könne man Verhältnisse
sinnlicher Dinge auf geistige übertragen? Bei letzteren, den
Gunas xind AlamMras , könne nur von Inhärenz die Rede sein. In
der Unterscheidung beider folgten die Schriftsteller blindlings
irgend einer Autorität wie Schafe dem Leithammel. Udbhata hat
daher die Gunas und AlamMras, nicht prinzipiell geschieden; sie
unterschieden sich nur hinsichtlicb ihres Wirkungsgebietes ^). Doch
in diesem Punkte scheint Udbhata, so groß auch im Uebrigen
seine Autorität war, keine anhaltende Nachfolge gehabt zu haben.
Aber es verdient bemerkt zu werden, daß auch eine andere ältere
Alamkäraschule, nämlich diejenige, welcher das Agni Puräna und
Sarasvatikanthäbharana folgen, manches zu den SabdälamMras
rechnet, was bei den Uebrigen zu den Gunas gezogen wird.
An dem prinzipiellen Unterschied zwischen Gunas und Alarn-
häras wird also festgehalten. Vämana III 1, L 2 bestimmt ihn
folgendermaßen : die „Eigenschaften des Gedichtes, welche seine
Schönheit bewirken, heißen Gtinas; diejenigen aber, welche sie
vermehren, AlaniMras^Y. Die AlamMras bewirkten nicht ohne die
Gunas die Schönheit des Gedichtes, wohl aber letztere ohne erstere.
Aber auch diese Unterscheidung ist nicht stichhaltig, wie Mammata
zu Kävya Prakä^a VIII 2 mit guten Gründen gezeigt hat. Die
definitive Entscheidung brachte der Dhvanyäloka II 7, dem der
1) Vergl. Hemacandra, Kävyänusäsana Com. p. 17., Kävya Prakäsa zu VIII 2
-Kävya Pradipa ib. p. 327.
2) Im Auszug oder referierend ist die Stelle an den in der vorhergehenden
Note genannten Oertern mitgeteilt.
3) Ruyyaka Alaipkärasarvasva p. 7 : üdbhatädibhis tu gunälarnkäränäm
j^äyasalt, sämyam eva südtam, visayamätre'^a bhedapratipädanät.
4) Kävyasöbhäyäljb kartäro gui^äi,^ tadatisayahetavas tv alamlcäräj}.
1*
4 H ermann Jacobi,
Kävya Prakäsa VIII 2 und die ganze Schaar seiner Anhänger
folgt. Jener Vers lautet:
„Diejenigen (Eigenschaften eines Gredichtes), welche auf diesem
Inhalt (nämlich Stimmung, Gefühl etc.) als dem selbständigen
Ganzen (angin) beruhen, heißen Gimas; diejenigen aber, welche in
dessen Bestandteilen (anga) ihren Sitz haben, gelten als Älam-
l'äras (wie von den Gliedern des Leibes die Schmucksachen) Arm-
bänder etc."
Dies erklärt Anandavardhana folgendermaßen: „diejenigen
(Eigenschaften), welche auf diesem Inhalt, nämlich Stimmung etc.,
was das selbständige Ganze ausmacht, beruhen, sind die Gunas,
ähnlich wie Tapferkeit etc. Diejenigen aber, welche in den Teilen,
nämlich dem Ausgesprochenen und seinem Ausdruck, ihren Sitz
haben, gelten als Alamkäras, wie Armbänder etc." Die Gunas be-
ziehen sich also direkt auf die „Seele des Gedichtes", da^ ÄlamMras
schmücken diese nur mittelbar als Schmuck des Inhaltes oder des
Ausdruckes. Man beachte, daß an der Parallele zwischen Gunas
und Charaktereigenschaften wie Tapferkeit etc., und zwischen
Alamkäras und Geschmeide festgehalten wird ; wir sahen ja oben,
daß diese Vergleiche von Alters her gebraucht wurden. Aber
von Inhärenz und Verbindung ist keiue Rede mehr, sondern das
Verhältnis wird von dem Kernpunkte des Systems aus beurteilt,
nämlich nach der Lehre von dem Unausgesprochenen, speziell von
der Stimmung als „der Seele der Poesie". Aber wenn nun der
Dichter nicht wegen der Stimmung oder wegen etwas anderm Un-
ausgesprochenen sein Gedicht abfaßte, sondern wenn eine frappante
dichterische Konzeption in Gestalt einer poetischen Figur die
Hauptsache ist, wie dann ? Auch solche Fälle sucht der Dhvanyä-
loka dem System einzuordnen. Darüber handelt III 37 :
„Alle jene ausgesprochenen Figuren, die einen großen Reiz
besitzen, wenn sich ihnen ein unausgesprochenes Element beigesellt,
erweisen sich zumeist als in das in Rede stehende Gebiet (der
Poesie mit subordiniertem Unausgesprochenen) gehörig":
Anandavardhana führt hierzu aus, daß einige Figuren ihrer
Natur nach immer auf etwas Unausgesprochenes hinweisen, daß
in allen nach Bhämaha eine Hyperbel zu (jrunde liege, und daß in
gewissen Figuren subordiniert eine andere enthalten sei. „Darum
gehören alle Figuren, Metapher etc., welche durch Verbindung
mit einem unausgesprochenen Elemente hervorragende Schönheit
besitzen, zur Poesie mit subordiniertem Unausgesprochenen". Ja,
dies ist nach ihm für alle solche Figuren das charakteristische
Merkmal. „Wenn dies also angegeben wird, dann sind alle diese
über Begriff und Wesen der poetischen Figuren in der indischen Poetik. 5
Figuren definiert". Änandavardhana tut, als hätte er eine Defi.-
nition von alatnkära gegeben, da er fortfährt : „wenn aber von
jeder einzelnen Figur die spezielle Form ohne Angabe des Genus-
merkmal^ beschrieben wird, so können, gerade als wenn man von
einer Strophe die Zeilen besonders rezitierte, die sprachlichen Aus-
drücke nicht ihrem Wesen nach erfaßt werden, weil sie an Zahl
unendlich sind. Denn zahllos sind die Formen der Rede (vägvi-
'kalpd) und die Figuren sind Arten der ßedeformen". Aber trotz
alledem ist dies keine Definition von alamhära überhaupt, sondern
nur von solchen, „welche durch Verbindung mit einem unausge-
sprochenem Elemente hervorragende Schönheit besitzen". Denn
Änandavardhana erkennt auch noch andere Alamkaras als die, von
denen eben die Rede war, an. In III 43 wird nämlich von der
niedrigsten Art der Poesie, vom sabdacitra und väcyacitra, ge-
handelt. ,,Es ist das nicht eigenliche Poesie, sondern nur eine
Nachahmung derselben'*, „väcyacitra ist bar jeder Beimischung
eines unausgesprochenen Sinnes und besteht nur in dem ausge-
sprochenen Sinne als Hauptsache, wie z. B eine Utpreksä etc.,
wenn in ihr die Stimmung etc. nicht die eigentliche Hauptsache
bildet^'. Und gleich darauf p. 221 präzisiert er diese Erklärung :
,,Wennder Dichter selbst ohne eine Stimmung, ein Gefühl etc. zu be-
absichtigen eine Laut- oder Sinnfigur schafft, dann betrachtet man
den Inhalt eben mit Bezug auf die Absicht des Dichters als der
Stimmung etc. bar''. Änandavardhana erkennt somit Figuren ohne
unausgesprochenes Element an, die also nicht unter die vorherge-
gebene Definition fallen. Und wenn er auch dies nicht als eigent-
liche Poesie gelten lassen will, so ist er damit nicht durchge-
drungen ; denn nach der gemeinen Ansicht ist es doch Poesie.
Was aber solche reine, der Stimmung etc. bare Figuren sind, da-
rüber gibt Änandavardhana keinen Aufschluß und kann es auch
wohl nach seinem System nicht tun. Versuchen wir nun selbst,
diese Frage in seinem Sinne zu beantworten, so müßten wir sagen :
solche Älomkäras sind Redeformen (vägvikalpa). Fragte man
weiter, ob denn alle vägvihalpas auch alamJcäras seien, so würde
er voraussichtlich mit Nein geantwortet haben. Aber wir suchen
in seinem Werke vergeblich nach einem Anhalte dafür, wie er die
Frage beantwortet haben würde, wodurch ein vägvikalpa zu einem
alamkära werde. Diese Frage war eben noch nicht aufgeworfen
worden.
Der Kävya Prakäsa VIII 2 wiederholt die Definition der
Alamkaras nach Dhvanyäloka II 7 dem Sinne nach, wobei er aller-
dings ihre Allgemeingültigkeit etwas einschränkt: „Was die
6 Hermann Jacobi,
Stimmung etc., wenn vorhanden, indirekt durch die Bestandteile
(des Gredichtes) gemeiniglich schmückt nach Analogie von Hals-
ketten etc., das sind die Figuren: Aliteration etc., und Vergleich
etc." Mammata bemerkt noch, daß die Alamkäras „da wo keine
Stimmung vorhanden ist, nur „ Buntheit des Ausdrucks, uktivaicitrya,
bewirken könnten ^)".
Hier begegnet uns das Wort vaicitrya in technischer Bedeutung,
das bei der Begriffsbestimmung von alamkära eine wichtige B;0lle
spielt. Wir finden es bei Ruyyaka p. 94, wo er vom Parikara
spricht: ;,er wird hier behandelt, weil vom visesana-vaicitrya
die Rede ist. Vorher p. 84 hatte er gesagt: „jetzt werden zwei
Figuren besprochen in Hinsicht auf dsesana-vicchitti. Es sind
also vaicitrya und vicchitti^) synonym. Ebenso gebraucht Jagan-
nätha vaicitrya-visesa, Rasagangädhara 387, und vicchitti-visesa p. 388
als synonym, und p. 470 erklärt er vicchittivisesa mit vaicitryatman.
Als ein drittes Synonym erscheint hhaniti ; denn Rasag. p. 442
wird in genau entsprechender Weise gesagt: alamkäränäm hhaniti-
V isesa mätrarüpa tvät.
Die Bedeutung dieser Wörter, deren genauen Begriff wir
nachher bestimmen wollen, ergibt sich aus folgendem. Jayaratha
sagt in der Vimarsini p. 94 über den Farikara : „so kommt durch
Anbringung mehrerer derartiger Attribute ein vaicitryätisaya zu-
stande, und das macht ihn zu einem alamkära (ity asyä Hamkära-
tvam); und p. 144 sagt er: kavipratibhätmakasya viccJnttivisesäfmakasyä
^lamkäratveno Idattät, und p. 149 f. : tasya (i. e. alarnkäratvasga) kavi-
2)ratibhätmakavicchittivisesatveno ^ktatväd. „Der vicchittivisesa^)^ der
in einem Akt der Einbildungskraft des Dichters besteht, ist das
charakteristische Merkmal der poetischen Figuren". Man ersieht
hieraus, daß eine Redewendung oder Ausdrucksweise zu einer
poetischen Figur wird, wenn die produktive Einbildungskraft des
1) yatra tu nästi rasas, tatro ^ktivaicitryamätraparyavasäyinal^. vaicitrya
wird englisch meist mit 'strikingness' wiedergegeben.
2) Ueber das Wort vicchitti und seine mannigfachen Bedeutungen hat Zacha-
riae gehandelt: GGA 1885 S. 381 f. Bezzenbergers Beitr. XIII S. 93—110 Zu
vicchitti „strikingness" bemerkt er noch folgendes: „Aehnlich wie vicchitti werden
im Sähityadarpapa, wenigstens in der englischen Uebersetzung ähnlich wiederge-
geben die Ausdrücke camatkära, camatkäritva (Staunen, Ueberraschung) und
vaicitrya^ vaicitryavise^a (Mannigfaltigkeit, Verschiedenartigkeit, Seltsamkeit)".
Nach Zachariae's Ansicht wäre „diese Bedeutung von vicchitti mit viccheda, vic-
chedana (Unterschied, das Unterscheiden) auf eine Linie zu stellen. Vergl. noch
Sahfdayalilä II 20".
3) vicchittivisesa wird schon AI. Sarv. p. 112 als das genannt, was zwei
poetische Figuren von einander unterscheidet.
über Begriff und Wesen der poetischen Figuren in der indischen Poetik. 7
Dichters ihr einen vicchitlivisesa verleiht. Daher sagt Jayaratha p.
147: Tcavikammna evä Uamkäranihandkanatveno ^ktatvät „die Tätigkeit
des Dichters ist das, was den alamJcära bedingt". Und zwei Zeilen
weiter bezeichnet er alamküratva als kavipratibhänirvartitatva^).
Es erübrigt zur Vervollständigung der Definition von alamkära
der genaue Begriff von vicchitti. Diesen findet man im Rasagan-
gädhara p. 466 folgendermaßen definiert : alamkäränäm paraspara-
vicc]ieda{ka)sya vaüaksanyasya hetuhhütä janyatäsamsargena kävya-
nisthä kavipratibhäj tajjanyatvaprayuktä camatkaritä vä vicchittih.
„Unter vicchitti, welche die die einzelnen Älamkäras von einander
unterscheidende Besonderheit begründet, versteht man den Akt
der produktiven Einbildungskraft des Dichters, sofern er in dem
Gedichte als das es erzeugende liegt, oder : das ästhetische "Wohl-
gefallen, das dadurch bedingt ist, daß es durch jenen (Akt der
Einbildungskraft) erzeugt wird". Ich übersetze camatkäritä mit
ästhetischem Wohlgefallen; die Berechtigung ergibt sich aus fol-
gendem. Im Rasagangädhara p. 4 wird kävya, Gredicht, definiert
als eine sprachliche Komposition, die einen schönen Gredanken zum
Ausdruck bringt: ramaniyärthapratipädakah sahdah kävyam. Schön
ist, was Gregenstand einer Vorstellung ist, die uninteressiertes
Wohlgefallen erzeugt: ramaniyatä ca lokottarählädajanakajnänago-
caratä. Uninteressiertheit als jenem Wohlgefallen inne wohnend,
auch synonym als camatkäratva bezeichnet, ist ein spezifisches Ge-
nusmerkmal, dessen wir uns unmittelbar bewußt werden: lokotta-
ratiam cä ^Uüadagatas camafkäratväparaparyäyo ^nuhhavasäksiko jäti-
visesah. Und die Ursache (des Wohlgefallens) ist eine bestimmte
Art des Vorstellens, bestehend in einem fortgesetzten Ueberdenken,
desjenigen, dem jenes (spezifische Merkmal) eigentümlich ist : kära-
rmm ca tadavacchinne bhävanävisesah punahpunaramisamdhänätmä.
Nicht uninteressiert ist also ein Gefallen, welches durch Vorstellung
eines Satzinhaltes wie „Dir ist ein Sohn geboren", „ich werde Dir
Geld geben" entsteht: ^piitras te jatah, dhanam te däsyämi' iti väk-
yärthadhljanyasyä ^^hlädasya im lokottaratcam. Also camatkära ist
ein uninteressiertes Wohlgefallen, wie auch Kant, Kritik der Ur-
teilskraft I § 2 ff. es bezeichnet hat; camatkärin ist, was dieses
Wohlgefallen erweckt, also das Schöne ; synonym damit ist hrdya,
1) Dieses Element ist bei denjenigen Figuren maßgebend, bei denen der
Reiz nicht in der Form, sondern in der Behandlung des Stoffes liegt wie bei
svobhävokti etc. Siehe AI. Sarv. p. 177 f. und Jagannäthas Bemerkung: va-
stuvrttasya lokasiddhatvenä HamTcäratväyogät ; yato bahir asantalt kavipratibhämä-
irakalpitä arthäjjb kävye 'larfikärapadäspadam. Rasag. p. 448. cf. p. 460 na hi lo-
kasiddho ^rthajf, kävyälamkäräspadam bhavitum arhati.
8 Hermann Jacobi,
So heißt es Rasagangädhara p. 424: camathäritcam cä Hamkärasä-
mänyalaksanapräptam eva und gleichbedeutend p. 357: hrdyatvarri
cä HamTcärasämänyalaksaiiägatam sarvälamjcärasädhäranam ^).
Unsere Unter suchnng hat uns also gezeigt, was unter vicchitti-
vise§a verstanden wird : es ist, wenn alamkära definiert werden
soll, die difPerentia specifica. Wir müssen noch das genus nennen ;
dies ist vägvikalpa. In der oben übersetzten Stelle aus Änanda-
vardhana p. 210 hieß es: „zahllos sind die Formen der Rede und
die Figuren sind Arten der Redeformen" : anantä hi vägvikalpäs
tatprakärä eva cä 'lamkäräh (cf. p. 8). Statt vägvikalpa gebraucht
Rasag. p. 362 vacanahhangt. Es sind darunter „Redewendungen"
verstanden, und zwar dürfte dem vikalpoj noch mehr dem bhangt,
der Begriff des Künstlichen anhängen^). Ohne diesen Nebenbegriff
lautet die dem Vakroktijivitakära in den Mund gelegte Definition:
„die poetischen Figuren sind besondere Arten des Ausdrucks" ahhi-
dhänaprakäravisesä eva alamkäräh (AI. Sarv. p. 8). Eine poetische
Figur wäre also: eine unser uninteressiertes Gefallen erweckende
Redewendung, die des Dichters Phantasie zu diesem Zwecke zur
Einkleidung seines Gredankens schuf. Zwei Figuren unterscheiden
sich von einander durch die Eigenart ihrer Wendung {vicchittivisesa)
(was wir füglich mit „besonderer Reiz" oder „Colorit„ übersetzen
können), die aber immer in der produktiven Einbildungskraft des
Dichters ihre Entstehung haben muß. Wenn also eine Fignr dieses
Elementes ermangelt, wie z. B. das Yathäsankhga, da wird ihre
Berechtigung als alamkära zu gelten bestritten, was in genanntem
Falle zuerst der Vakroktijivitakära, siehe Vimarsini p. 150, und
nach ihm Jayaratha 1. c. und Jagannätha p. 478 und andere getan
haben. In einem solchen Falle liegt also nur eine Redeform vor,
1) Hier möge eine Bemerkung Appayyadiksitas ihre Stelle finden, die aller-
dings recht äußerlicher Natur ist: sarvo ^py alaifikärafi kavisamayapi'asiddhya-
nurodhena hrdyatayä kävyasobhäkara evä Harfikatäratäm bhajate. Citrami-
mäipsä p. 6.
2) So gebraucht in, diesem Sinne Hemacandra für vägvikalpa p. 273 ukti-
vaicitrya, indem er den Gedanken Änandavardhanas folgendermaßen wiedergibt:
uktivaicitryamäträd bhede ca Idk^atikdkararie 'lafnkäränaniyaprasangah', Jagan-
nätha aber sagt ausdrücklich Rasag. p. 326 : vicchittivaüak?anyasyaivä latjikära-
vibhägahetutvät. Offenbar hat Hemacandra uktivaicitrya mit vägvikalpa zu-
sammengeworfen, um seine Behauptung zu beweisen, daß vibhävanä vise^okti
asarfufati vißama adhika vyäghäta atadguna nicht verschiedene Alatfikäras seien,
sondern nur verschiedene Arten der einen Figur Virodha. (Vergl. hierüber Rasag.
p. 461). Den von Hemacandra beabsichtigten Gedanken drückt Jagannätha ge-
nauer so aus: kirticidvailakßanyamätrenaivä Hartikärdbhede vacanabhariglnäm
änantyäd alartikäränantyaprasangät. Rasag. 362.
über Begriff und Wesen der poetischen Figuren in der indischen Poetik. 9
deren Schema fest stellt und durch den objektiven Gedanken ge-
geben ist, ohne daß der Dichter dabei ein anderes Verdienst hätte,
als eine falsche Ausdrucksweise vermieden zu haben. Es gibt
aber auch Figuren dieser Art, die an sich, soweit ihr Schema in
Betracht kommt, durchaus unpoetisch sind, wie die Alternative
(vikalpa) und der Syllogismus (aimmänd) ; aber wenn solche Figuren
mit einem anderen figürlichen Element verquickt sind, wie erstere
mit einem Vergleich ^), oder sonstwie einen Reiz bekommen, wie
die letztere^), so werden sie zu poetischen Figuren. Ueber solche
Fälle, wo ein anderes Element hinzukommen muß, um eine Rede-
figur zu einer poetischen Figur zu machen, enthält der Rasagan-
gädhara, p. 470 folgende Auseinandersetzung, die allerdings in
einem Referat über eine fremde Ansicht vorkommt : ;,Wo der Reiz
des ausstattenden Elements von dem Reiz des dadurch Ausge-
statteten verschieden ist, da möge meinetwegen das Ausgestattete
besonders neben dem Ausstattenden als ÄJamlära gelten, wie
Hetu- und Phala-UtpreJcsä neben AtismjoUi. Wo es aber bei dem
Reiz des Ausstattenden sein endgiltiges Bewenden hat, da ist das
Ausgestattete keine besondere Figur, wie beim vorliegenden (i. e.
Tcävyalinga). Wenn das zur Folge hat, daß dann viele von den
Alten anerkannte Figuren geleugnet werden müßten, so geben wir
das zu; aber was liegt daran? Darum ist Jcävyalinga (keine
poetische Figur), sondern die Abwesenheit eines Fehlers, nämlich
der mangelnden Begründung^)."
Ich glaube in der vorausstehenden Zusammenstellung nichts
Wesentliches übersehen zu haben. Man ersieht daraus, daß die
Poetiker sehr eindringend über das Wesen der poetischen Figur
nachgedacht und den Kern der Sache durchaus richtig erfaßt
haben. Wie kommt es nun, daß diese Darlegungen nebenher und
zerstreut in den Kommentaren beigebracht, statt, wie es sich bei
ihrer prinzipiellen Wichtigkeit eigentlich gehörte, im Anfang der
Lehre von den poetischen Figuren als grundlegender Lehrsatz ge-
geben zn werden? Diese Frage wollen wir jetzt zu beantworten
suchen.
1) AI, Sarv. p. 158: awpamyagarhhatväc cä Hra cärutvam.
2) ib. p. 146 vicchittivisesas cä Hrä Wthäsrayaniyah,\ aber Kasag. p. 475
asga ca Icavipratibhollikhitatvena camatkäritve Tcävyälamkäratä.
3) yatra tu ^paskärakavaicitryäd vüaksanam tadupaskäryavaicitryam, taträ
^stu nämo ^paskärakäd upaskäryasya prthagalamkäratvam, yathä ^tisayokter hetu-
phalotpreksayoJi. yatra tu 'paskärakavaicitrya eva visräntis, tatro ^paskäryam
analamkära eva, yathä prakfie. evam tarlii bahünäm alamkäratvena präcinair
ünkj-tänäm analamkäratäpattir iti cet, astu, kim nas chinnam ? tasmän nirhetu-
rüpadosabhävah kävyalingam — ity api vadanti.
10 Hermann Jacobi,
Die Dhvani-Lelire hatte den Erfolg, daß sie als die theore-
tische Grundlage der Poetik allgemeine Anerkennung fand. Das
fertige System der Poetik tritt uns im Kävya Prakäsa zuerst
entgegen, und dieses Werk gewann ein solches Ansehn, daß es
für die ganze Folgezeit als eine Autorität ersten Ranges galt.
Wir sahen, daß in demselben die Stellung und Bedeutung der
Alamlcäras im Anschluß an den Dhvanyäloka nach ihrem Ver-
hältnis zur „Seele der Poesie", der Stimmung etc., bestimmt wurde,
ohne daß man eine Realerklärung derselben zu geben suchte.
Aber die Dhvani-Lehre blieb nicht ohne Gregner und Rivalen ^),
deren Werke zwar in Vergessenheit geraten sind, deren Ansichten
aber, soweit sie sachlich Beachtenswertes enthielten, sicher Be-
rücksichtigung fanden. Für unsere Frage konmit der Vakrokti-
jivitakära in Betracht; derselbe ging nämlich gerade von dem-
jenigen Punkte aus, der in der Dhvani-Lehre nicht befriedigend,
wie wir oben sahen, behandelt worden war: der prinzipiellen Be-
deutung der Alamlcäras für das Wesen der Poesie. Während nach
dem Dhvanikära die Alamlcäras nur von nebensächlicher Bedeutung
für das Wesen der Poesie sind, stellte er den Satz auf: ulcfivaici-
tryajivitam kavyam „das Leben der Poesie besteht in der „Bunt-
heit" (oder Reiz) der Rede (bez. des Ausdrucks)," oder ausführ-
licher : i'aidagdhyahhangtbhanitisvahhcivätn haliuvidhäm valcrohtim prä-
dhanyät Tcävynjwitam uktavän ^) „er erklärte, daß die mannigfaltige
rakrolcti, die in dem Aussprechen (des Gedankens) durch gewählte
Wendungen besteht, als das Hauptsächliche das Leben der Poesie
sei". Die valcrata ist also die Künstlichkeit des Ausdrucks, und
dieser muß von dem Dichter selbst hervorgebracht sein : vyäpärasya
prädhänyam ca Icävyasya pratipede. ib. Hier haben wir nun beide
Momente, die nach der obigen Untersuchung als das Wesen einer
poetischen Figur ausmachend gelten, nämlich vaicitryavisesa (oder
vicchittivisesa) und kavipratihhotthäpitatvam. Man beachte, daß obige
Sätze in Ruyyakas knappem Resum^ von der Lehre des Vakrok-
jivitikära stehen; die darin behandelten Begriffe müssen also zu
1) Vakroktijivitakära, Bhattanäyaka und Vyaktivivekakära (Mahimabhatta)
AI. Sarv. p. 8 ff. Alle drei später als der Dhvanikära, siehe Vimarsini p. 12.
Ihre Zeit liegt also zwischen dem Ende des 9. und dem Anfange des 12. Jhd.
2) AI. Sarv. p. 8. In der Vimarsini ib. werden die eigenen Worte des Ver-
fassers zitiert : vakrokiir eva vaidagdhyabhahglbha'^itir ucyate und viciträ yatra
vdkroktir, vaidtryarii jivitäyata (so zu lesen), lieber eine besondere Art der
vakratä handeln folgende 2 Verse: yatra düräntare ^nyasmät sämänyam upacar-
yate \ le6enä ^pi bhavet kartutfi ('f l) kitficid udriktavrttitä \\ yanmülä sarasollekhä
rüpakädir alaifikrtil^ \ upacärapradhänä ^sau vakratä kädd i^yate [|. ib.
über Begriff und Wesen der poetischen Figuren in der indischen Poetik. H
dessen Grundgedanken gehören. In der Tat scheinen jene
beiden Ausdrücke auf den Vakroktijivitakära als ihren Urheber
zurückzugehen. Denn wo in der Vimarsini p. 149 f. gezeigt wird,
Yatbäsankhya sei kein alamkära, heißt es : etac ca Vdkrohtijivatalrtä
saprapancam uktam ity asmähhir iha näyastam. Also Untersuchungen
über das, was eine Redefigur zu einer poetischen macht, hat der
Vakroktijivitakära angestellt, und er wird darin von Jayaratha
als Autorität anerkannt. Diese Untersuchungen gingen aber von
den oben zusammengestellten Gresichtspunkten aus. Somit dürfen
wir es als das Verdienst des Vakroktijivitakära ansehn, den Be-
griff der poetischen Figur definiert zu haben. Seine Definition
wurde als richtig anerkannt und von Spätem akzeptiert; aber
seine Behauptung, daß die vakroJäi das Leben der Poesie ausmache,
fand keine allgemeine Annahme. Man hielt vielmehr an der Lehre
des Dhvanikära über das Verhältnis der Älamlmras zur Seele der
Poesie fest, woraus sich, wie oben gezeigt, die ungenügende Fun-
dierung der Lehre von den poetischen Figuren in der systemati-
schen Darstellung ergibt.
Begriff und Ausdruck vaJcrokti sind aber viel älter und gehen
wahrscheinlich schon auf Bhämaba zurück. Denn er sagt von der
atisayoMi ^) : sai ^sä sarvatra vaJcroliir anaya ^rtho vibhävyate \ yatno
^syäm kavinä Jcäryah ko ^lamkäro ^nayä vinä || und Abhinavagupta
bringt in dem Kommentar zu der in der letzten Anmerkung zi-
tierten Stelle folgendes anonyme Zitat:
vakräbhidheyasahdoktir istä väcäm alamkrtih.
„Das Aussprechen eines gekünstelten Gedankens oder eines
gekünstelten Ausdrucks gilt als Schmuck der E-ede". Und Dandin,
Kävyädar^a II 363 sagt:
bhinnam dvidhä svabhävoktir vakroktis ceti vänmayam.
„Das ganze Gebiet der (poetischen) Rede zerfällt in svabhävokti
und vakrokti^.
Also die vakrokti umfaßt das ganze Gebiet der poetischen Fi-
guren mit einziger Ausnahme der svabhävokti (oder jäti)] denn
auch diese reihte man sonderbarer Weise auch unter die poetischen
Figuren ein. Nicht zu verwechseln ist unsere vakrokti mit einer
gleichbenannten Figur, siehe AI. Sarv. p. 177: (vakroktisabdas cä
Ha/rnkärasämänyavacano ^pl ^hä Hamkäravisese samjnitah) ; oder mit
einer andern bei Vämana IV 3, 8 (sadrsyäl laksanä vakroktih).
Letztere vakrokti ist offenbar das, was der Vakroktijivitakära
(siehe note 2, S. 10) als upacärapradhänä vakrokti bezeichnet hat.
1) Ekavali, notes p. 589, und Dhvanyaloka p. 208.
12 Hermann Jacobi,
Man ersieht daraus, daß sein System mit alten Bestandteilen des
Alainkärasästra operierte; es scheint eine Weiterentwicklung in
der Richtung zu sein, die Vämana mit seinem ersten Sütra : kävyam
grähyam alamkärät bereits eingeschlagen hatte. Existenzberechti-
gung hatte sein System, weil es eine vom Dhvanikära nicht ge-
nügend gewürdigte Seite der Poesie, die dieser organisch seinem
System einzuordnen nicht verstanden hatte, zum Mittelpunkt des
seinigen machte. Aber sein System konnte sich dennoch dem des
Dhvanikära gegenüber nicht halten, weil er Dichter und Dichtung
doch nur von der formalen Seite auffaßte, während jener tiefe
Blicke in das Wesen der Poesie getan hatte.
So war zwar die Frage nach dem Wesen der poetischen Fi-
guren im Allgemeinen richtig beantwortet ; es verblieben aber
noch dunkle Punkte, die einer prinzipiellen Lösung unzugänglich
waren. Wir sahen, daß zwei AlamMras verschieden sind, wenn
jede ihren vicchittivisesa, speziellen Reiz, hat. Aber ein allgemein-
giltiges Kriterium dafür, ob etwas bloß ein geringfügiger Unter-
schied sei, wodurch nur eine Unterarteines Älamkära bestimmt werde,
oder hinreiche, um einen besonderen Älamkära zu bilden, konnte
man nicht angeben. Diese Frage kommt in der Vimarsini p. 140
bei Gelegenheit der auf der Verkettung oder Gradation (srnkhala)
beruhenden Figuren zur Erörterung. Dort wird gesagt, daß die
Verkettung selbst nicht eine Figur sei. „Wenn sie es wäre, dann
müßte auch die Aehnlichkeit (sädharmya) nur eine Figur bilden.
Denn wenn man beim Vergleich etc. von der Aehnlichkeit absieht,
so ist für die einzelnen (verwandten Figuren) kein spezieller Reiz
denkbar, worauf ihre Unterscheidung beruhen sollte. Und so
müßte man auch den Widerspruch (virodha) als eine einzige Figur
bezeichnen; denn bei Vibliäva etc. ist außerhalb des Wider-
sprechenden kein Unterschied. Man käme auf diese Weise dazu,
nur 7 oder 8 Alamkäras definieren zu müssen. Läßt man aber
bei Vergleich etc. in der Aehnlichkeit selbst weitere Unter-
scheidungen zu und ebenso bei den andern Kategorieen von Fi-
guren", so muß man es auch bei den verketteten Figuren tun.
In Rasag. p. 466 wird derselbe Gegenstand folgendermaßen dar-
gestellt: „da auf Grund unserer Empfindung feststeht (anubhava-
siddha), daß die einzelnen verketteten Figuren verschieden sind
hinsichtlich ihres Reizes, so steht auch fest, daß sie alle besondere
Figuren sind; darum darf die Verkettung (srnkhala) gerade wie
Widerspruch, Ununterschiedenheit, Aehnlichkeit nur als das ge-
meinsame Lebenselement (anupränakatä) gelten, nicht aber als Figur.
ALndemfalls müßte auch Ununterschiedenheit (lies ahJieda) etc. eine
über Begriff und Wesen der poetischen Figuren in der indischen Poetik. 13
besondere Figur sein. Bei dem kompleten und dem defekten Ver-
gleich ist aber keine Verschiedenheit des Reizes, sondern der Ver-
gleich bildet da den Reiz. Das ist die üeberlieferung'^ (hier
schließt die oben S. 7 übersetzte Stelle über vicchitti an).
So entscheidet Jagannätha die Frage mit Berufung auf anu-
bhava und sampradäya. Aber die Verschiedenheit des Standpunktes
bei der Beurteilung der Frage, ob man etwas als besondere Figur
oder nur als eine Unterart einer solchen anzusehn habe, ergibt
sich aus folgenden Stellen. Rasag. p. 461 handelt von der Reihe
der Figuren Virodhäbhäsa bis Vyäghäta, die auf dem Widerspruch
(virodha) beruhen. Dieser Widerspruch, der durch verschiedene
Mittel hervorgebracht im ersten Moment empfunden werde, habe
eine Spur von Reiz (vicchittimäträtma), halte aber wie der Blitz
nicht an. „Indem diese Figuren je verschiedenartigen Reiz {vai-
citrya) bekommen, erscheinen sie als Unterarten des Virodhäbhäsa,
nicht aber als von ihm verschieden, wie Armbänder etc. nur For-
men des Goldes sind. So meinen einige. Andere aber sagen, daß
diese Figuren, die nur einen gewissen Schein mit einander gemein
haben {parasparacchäyämätraniisärinah)^ als jede ihren besonderen
Reiz besitzend verschiedene Figuren sind. Denn sonst müßten
auch Metapher etc., in deren Wesen eine Aehnlichkeit einge-
schlossen ist, auch nur Formen des Vergleichs sein, und dadurch
würde ein gut Stück (unserer Wissenschaft) in Unordnung kommen".
Auf diese Stelle folgt die Diskussion, ob die Verkettung (srnlhalä)
als Figur zu gelten haben, oder die auf ihr beruhenden Figuren
selbständige Figuren sind. Gegen ersteres wird geltend gemacht,
daß die Verkettung in jenen besondern Figuren vollständig auf-
ginge (gatärthatvät) und sie kein eigenes Feld des Vorkommens
außer jenen habe. „Wie in Metapher etc. das (allen verwandten
Figuren) gemeinsame Lebenselement, der durch die Ununter-
schiedenheit oder durch die Gleichartigkeit gebildete Bestandteil,
nicht selbst eine besondere Figur ist, so ist es auch im vorliegen-
den Falle. Andere geben das nicht zu, sondern sagen: Auch die
Metapher geht in ihren Unterarten, ausgeführte Metapher etc.
vollständig auf, ebenso der Vergleich in kompletem und defektem
Vergleich ; sie dürften darum nicht als selbständige Figuren gelten.
Denn das Genus kommt nicht für sich vor, sondern nur in den
einzelnen Arten. Darum sind Käranamälä etc. nur Unterarten
der Verkettung". Vergleiche auch die auf S. 9 übersetzte und
die in note 2, S. 8 angeführten Stellen.
Wir sehen aus den mitgeteilten Erörterungen, daß die Poetiker
den Begriff der poetischen Figur bis in die letzten Konsequenzen
14 Hermann Jacobi,
analysierten. So mußten sie an den Punkt geführt werden, wo
das Prinzip versagte. Einen praktischen Ausweg aus der Ver-
legenheit hat Jagannätha gefunden, indem er sich für die Fest-
setzung der einzelnen Figuren auf eigene Empfindung und das
Herkommen berief. Aber die Lücke in der Theorie ist damit doch
nicht in jeder Beziehung befriedigend ausgefüllt.
BLACHFELB.
Von
Edward Schröder.
Vorgelegt in der Sitzung vom 25. Januar 1908.
Unsere neuhochdeutschen Wörterbüclier, von denen freilich
keines für sich in diesem Punkte vollständig ist, enthalten alles
in allem fünf Substantiva mit Black-. Davon nimmt eine besondere
Stellung ein Blachsah (schon mhd.) 'Salz in blaken^ (d. h. groben
Leinensäcken); zu Mach 'atramentum' stellen sich BJachmann für
die schwarze Hornblende, Blachmal (schon ahd. mhd.) 'Niellover-
zierung' und 'argentum sine colore albo', und wohl auch Blacltfrost
(engl. Uackfrost) Trost ohne Schneedecke'. Von diesen unterscheidet
sich deutlich BlacJifeld 'planities', das seit Luther (Belege bei Dietz,
Luther- Wörterbuch I 311) belegt und durch das ebenso bei Luther
bezeugte Adjectivum hlach 'planus' einfach genug erklärt scheint.
Li der Tat haben sich unsere Lexikographen zumeist damit be-
gnügt, das Kompositum Blachfeld als eine Zusammenrückung des
Adj. UacJi mit dem Subst. feld hinzustellen; daß dieses Uachn^h^n
dem weit häufigeren flach (vlach) aufi'ällig sei, notiren zwar die Grram-
matiker, wie zuletzt Wilmanns I ^ 123 (§ 97 Anm.), aber ein Er-
klärungsversuch, der direkt das Kompositum zum Ausgangspunkt
nimmt, liegt m. W. bisher nur von S. Bugge vor: in seinen aller
Fehlgriffe ungeachtet höchst anregenden Studien über die ger-
manische Anlautsverschiebung hat er Beitr. 12, 411 *blaJcafelpa prä-
historisch aus *flaJcafelßa entstehen lassen und weiterhin die Exi-
stenz des Simplex Nach aus diesem und ähnlichen Kompositis ab-
geleitet. Er fügt dann aber ausdrücklich hinzu ; 'die Dissimilation
hat vielleicht dazu mitgewirkt, daß sich die Form mit h eben in
blachfeld erhalten hat. Man fand die Form flachfeld mit anlauten-
dem f in beiden Gliedern mißtönend u. s. w.'
In Wirklichkeit ist dies Moment, welches Bugge nur als ein
16 Edward Schröder,
erhaltendes einführt, das erzeugende: hlachfeld ist nichts anderes
als eine Dissimilation, und zwar anscheinend eine junge Dissimi-
lation, aus fJachfeld, und lediglich aus diesem Dissimilationsprodukt
ist das Adjektivum blacJi abgeleitet. Auf neuhochdeutschem Boden
ist das ohne weiteres klar : Luther braucht blach (s. Dietz a. a. 0.)
ausschließlich in Verbindung mit Feld, und die litterairischen Belege
bei Grimm, Sanders und Heyne, die von Hans Sachs bis Conrad
Ferd. Meyer herunterreichen, beweisen diesen Zusammenhang auch
für die Folgezeit. Daneben begegnen freilich ein paar Zeugnisse
früherer Lexikographen, wie hlachstirnig ^fronto' bei Henisch und
Uach Angesicht 'facies plana' bei Stieler. Die Übertragung auf
das 'Gresichtsfeld', die Gresichtsfläche, die später wieder geschwun-
den ist, wird also für die frühere Zeit nicht zu leugnen sein. — Mit
dem mhd. Adj. hlach freilich ist es eine eigene Sache. Von den
drei Belegen, welche die Wörterbücher aufführen, ist zunächst zu
streichen Alexius A 321 bei Maßmann, wo plaech nur ein Schreib-
fehler der Hs. P für plaich und dies eine fehlerhafte Wiederholung
aus dem vorhergehenden Verse ist ; mit Gr muß man schreiben : sin
antlitz swarz und missevar. Boner 63,30 hat schon Pfeiffer für
Beneckes hlach und hungric was sin lip richtig nach der Hs. B an-
gesetzt stach {swach CD, siecht d, magrig b u. s. w). Es bliebe
also nur Helbling 1, 315, wo es von einem Föltingmre, von einem
Eock aus dem groben Tuch von S. Polten, in der (bekanntlich nicht
guten) Überlieferung der einzigen Hs. heißt: der was in der grcewe
hlach] was dasteht, hat der Herausgeber Seemüller gewiß richtig
übersetzt: der war 'grau und glatt' — ob das aber gerade für
das Tuch von S. Polten paßt, wofür man nach dem Zusammenhang
dieser Stelle und nach 3, 180 f. fast eher das umgekehrte ('grau
und rauh') erwartet? Kurz, das Adj. hlach ist für die Zeit vor
dem ersten Auftauchen von hlachfeld jedenfalls schlecht bezeugt —
es ganz abzuleugnen, hab ich keinen Grrund; denn daß die ersten
Zeugnisse für das Kompositum in Luthers Schriften stehn, spricht
so wenig gegen ein höheres Alter des Wortes, wie etwa bei Quelle^
für das (zwar ältere lexikalische, aber) kein einziger litterarischer
Beleg vor Luther bekannt ist. — Daß neben hlachfeld die Form ohne
Dissimilation fortlebte, mögen für das 16. Jh. ein oberdeutscher
und ein niederdeutscher Lexikograph bezeugen: Dasypodius: flach-
feld 'campus' und Kilian: vlackveld 'camporum aequor'.
Die Dissimilation im Wortanlaut und speciell im Kompositum,
auf die allein ich, abweichend von Bugge, die Entstehung von
hlachfeld zurückführe, ist eine wenig beachtete Erscheinung, und es
lohnt sich wohl, sie einmal durch reichlichere Beispiele zu beleuchten,
BL ACHFELD. 17
nachdem neuerdings das ganze Problem der Dissimilation an einem
AusscliDitt zum ersten Male eindringlicli behandelt worden ist
von Ed. Hoffmann-Krayer: Ferndissimilation von r und l im
Deutschen. Ein Beitrag zu den Prinzipien des Lautwandels. (Fest-
schrift zur 49. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner,
Basel 1907, S. 491 — 506). Ich sage: zum ersten Male, denn die
bekannte Monographie von Grammont, La dissimilation consonan-
tique dans les langues indo-europeennes et dans les langues roma-
nes, Dijon 1895, ist nicht einmal zu der einfachsten Erkenntnis
vorgedrungen, daß es sich hier um etwas anderes als um feste 'Lautr
gesetze' handelt, und daß beim Eintritt wie beim Unterbleiben der
Dissimilation neben den Accentverhältnissen psychologische Fak-
toren eminent wirksam sind. Ich selbst gehe auf die principiellen
Fragen nicht näher ein, betone aber, daß eben die Dissimilation im
Anlaut des Nominalkompositums, die ich zum ersten Mal behandle,
die Rolle des Accents gegenüber den von Hoffmann-Krayer erörterten
Erscheinungen überraschend zurückdrängt. In Widerspruch zu
meinem Vorgänger tret ich trotzdem nicht: denn er hat sehr
wohl die Grründe beachtet und hervorgehoben, welche diese Ver-
schiedenheit erklären. Das Wortmaterial mit dem ich operiere
hab ich in der Hauptsache vor Jahren gesammelt, wie mein Aufsatz
über Alliteration im Nominalkompositum Zs. f. d. Alt. 43, 361 ff.
ankündet. Ich habe mich damals hauptsächlich auf Ortsnamen und
Pflanzennamen beschränkt: daß sich der Stoff für diese wie für
jede andere Art von Dissimilation aus unseren Idiotiken und aus
den Eigennamen unserer Adreßbücher gewaltig anhäufen ließe,
weiß ich sehr wohl. Aber ich will für heute nur Blachfeld lehr-
reich erläutern, und dafür reicht mein SammelstofF aus.
Ich beginne mit Beispielen, die dem unseren am nächsten
liegen, also mit der Dissimilation
/:/>&:/■
Der gemeine Staubschwamm : ^Lycoperdon', im mittellatein. 'Crepitus
lupi', heißt in altdeutscher Übersetzung des lateinischen (resp. grie-
chischen) Ausdrucks zunächst wolves vist (Pritzel- Jessen 461), dann
aber auch vohen vtst 'Crepitus vulpis' (Belege bei Lexer III 432) :
aus diesem voltenvist resp. vohvist (vgl. die Ortsn. Vohemvinkel und
VoJiwinhel) wurde das mnd. hövist, unser Bovist dissimiliert, und
dies ist dann einerseits wieder zu Bubenfi^t u. ä. umgedeutet,
anderseits wegen seines merkwürdigen Klanges in die lateini-
sche Nomenclatur: 'Lycoperdon bovista' aufgenommen worden.
Unsere Wörterbücher haben den einfachen Vorgang sämtlich ver-
kannt, ja bis auf Heyne sogar den vohenvist übersehen; viele halten
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 1. 2
^8 Edward Schröder,
bovista für echtes Latein, so auch auch Brüten u. Holland, Engl,
plant-names.
Im hessischen Gerichte Steinau lag ein kleiner Ort, der in
fuldischen Urkunden der Karolingerzeit frigero manno velt heißt und
der noch 1382 existierte: aber als Brymendefelt\ Seit 1416 (Bremi-
feld) liegt er wüste, in der Wüstung Bremenfeld lebt sein Name
fort (Landau, Wettereiba S. 128. 133; Wüstungen S. 371).
Der umgekehrte Vorgang ist die Dissimilation
b : b) f :h.
Im Kreise Witzenhausen treffen wir am Ausgang eines schmalen
Waldbachtales unterhalb des Ludwigssteins die Flachsbachsmühle: das
Tal selbst hat nur wenige Morgen unter dem Pfluge, Flachsbau ist
dort wohl nie getrieben worden, — in der Tat hieß der Bach und
die kleine Siedelung, deren letzter Überrest die Mühle ist, von
Haus aus BlaspacJi^ so noch 1369, während 1418 dafür Flaspach
auftritt, wie das Volk noch heute spricht; Flachshach ist nur die
hochdeutsche Umschreibung. Blas ist das bekannte Adjectivum
blas^ hlessi 'pallidus, calvus', das in zahlreichen Bach- und Berg-
namen Deutschlands und der Niederlande begegnet. Wir werden bei
einem dieser Namen noch andere Schicksale constatieren (S. 20 oben).
— Wenn es nun im Rheinland und anderwärts einen Familiennamen
Blasherg u. ä. gibt, aber vorläufig ein entsprechender Ortsname
nicht nachweisbar ist, so mag die Vermutung wohl ausgesprochen
werden, daß die Hofstatt Flachsberg der Stadt Gräfrath einst diesen
Namen getragen habe.
Unter den nicht wenigen Ortsnamen, welche den Namen Bocl'S-
herg 'Mons hirci' oder *Mons capri' führen, hat das im badischen
Amt Breisach gelegene Bochesberch (so 972 bis 1027 4 mal) daa
Schicksal gehabt, zu Vochesberch (1186), Vockesberg (1308), Foxberg
(1333) dissimiliert und demnächst zu Vogtsberg (so schon 1235?)
resp. Vogtsburg umgedeutet zu werden (Krieger, Topograph. Wörter-
buch des Großherzogtums Badens 11^ 1288). Wir sehen hier deut-
lich: die Etymologie bemächtigt sich der neuen Form erst nach-
träglich, von einer volksetymologischen Umdeutung ist zunächst
nicht die Rede, sondern nur von einer lautlichen Dissimilation.
Die Umdeutung hätte ebenso gut auf Fuchsberg führen können.
Dies Resultat hatte die Dissimilation bei einem Pflanzennamen r
*Rubus caesius' heißt sowohl Bocksbeere als Fuchsbeere (Pritzel-
Jessen S. 343) ; die 'Bocksbeere' ist natürlich das primäre : der Fuchs
verschont den Strauch, den der Rehbock aufsucht.
Daß in Fällen wie den Ortsnamen auf -bach, -berg, -bürg, den
BLACHFELB. 19
Pflanzennamen auf -beere,. -Uume die Dissimilation den ersten Be-
standteil trifft, obwohl dieser den Hanptton trägt, ist selbstver-
ständlich. Aber einmal war sie natürlich nicht auf das Ausweichen
in /' beschränkt, und dann war in Fällen wo der zweite Teil des
Kompositums nicht ein geläufiges Appellativum darstellte, auch
dieser nicht vor der Dissimilation geschützt: der bekannte Name
für 'Artemisia vulgaris' : Beifuss, nd. Bifot ist dissimiliert aus ahd.
mhd. bibö^: es ist das Gregenstück zu der Dissimilation, welche aus
der Bibel die Fibel abspaltete.
An den Schicksalen einiger Pflanzennamen ließe sich die ganze
Mannigfaltigkeit der Dissimilation demonstrieren. Besonders lehr-
reich sind 'Rubus fruticosus', 'Vaccinium vitis idaea' und 'Solanum
tuberosum'. Für die Brombeere verweise ich auf Pritzel- Jessen S.
344 und Vilmar, Idiotikon v. Kurhessen S. 134 und stelle hier nur
susammen
b : h bewahrt : Brämbeere, Brommbeere
b : b y f : b in Frommbeeri (St. Grallen)
b : b } g : b in Grambeeren (Niederhessen)
b : b } — : b in Rahmbeerstrauch (Schlesien)
b : b ) b : — in Brömcrn (Siebenbürgen), auch Blömrde
(Ottenheim, Beitr. 13, 216) "■).
Und mit diesem Falle der 'Brombeere', der sich ähnlich bei
der 'Preißelbeere' ('Vaccinium vitis idaea' Pritzel-Jessen S. 424 f.)
wiederholt, sind die Möglichkeiten der Dissimilation noch nicht er-
schöpft: denn der naheliegende Übertritt von b in m und in w^
mit dem wir im gleichen Artikulationsgebiete verbleiben, ist bei
dem Anlaut br- ausgeschlossen. Ich gebe also zunächst hierfür
ein paar Beispiele aus dem freien Wortanlaut.
b \ h ) m '. h, Beispiel : Mollenbacli im Elsaß (Seitenbach der
Leber) für älteres Bollenbach (Zs. f. d. Alt. 49, 471).
h \ h ) w : h, Beispiele: der Wellenberg bei Gerbershausen
(Elr. Heiligenstadt), in Urkunden d. 14. Jhs. Bellenberch ; der Wahl-
berg bei Coswig in Anhalt, in Urkunden d. 10. bis 13. Jhs. Bai-
berg (Hey u. Schulze, Die Siedlungen in Anhalt S. 101) ; der Zinken
Bestenbach der Gem. Petersthal (A. Oberkirch), der im 14. Jh. auch
als Westembach vorkommt (Krieger I^ 164).
Merkwürdiger ist der Übertritt in ein anderes Artikulations-
gebiet, das gutturale, also b : b ) g(7c) : b, wie ihn die Beispiele
aufweisen : Gutenbach (A. Mosbach), schon a. 1349 Gudembach, aber
1) In Brommer, Brommel- u. s. w. hingegen liegt Assimilation mh > mm vor.
2*
20 Edward Schröder,
vorher Budenbach 1141. 1299 (Krieger I^ 800 f.); der Kiesberg in
Nassau, urkdl. 1231 Bieseberg (Nass. Annalen 37, 70).
Von deutschen Belegen für den Übertritt aus der Labial-
in die Dental reihe hab ich für den Wortanlaut mir zunächst einen
notiert, der unsern Göttinger Dialekt angeht : aus ihm verzeichnet
Schambach S. 29 u. 231 für 'Clematis vitalba' die beiden Wörter
Bocksbart und Tockebart. Damit läßt sich vergleichen die hübsche
Dreiheit von engl. Benennungen, welche Britten u. Holland p. 578
für 'Dactylis glomerata' (Knaulgras) aufführen: Fox's-foot — Dog^s-
foot — CocFs-foot. Und wenn wir nun sehen, daß ^Caltha palustris'
in England wie in Deutschland (Britten- Holland p. 572, Pritzel-
Jessen 73 f.) eine Menge von Namen in der Richtung auf 'Butter-
blume' (Ankeblume, Schmalzblume u. s. w.) führt, so werden wir
kaum mehr zweifeln, daß Dutterblume, Dotterblume aus Butterblume^
B Otterblume durch Dissimilation entstanden sind. Der gute Sinn,
den diese Entgleisung der Aussprache bot, hat ihre Existenz ge-
sichert und sie sogar bei den Botanikern zu officieller Anerkennung
gebracht.
Im Inlaut ist der Übertritt aus der einen in die andere Reihe
nichts seltenes und in Familiennamen sogar recht häufig: so ist
am Rhein der Name Rautenstrauth zu Raupenstrauch, dissimiliert,
und in Niedersachsen haben besonders die alten Handwerkernamen
auf -werte (hd. würhte)^ später auch -werter {-werder) die merkwür-
digsten Ent Wickelungen durchgemacht : für mestwerte ^Messerschmied'
verzeichnet das Adreßbuch der Stadt Hannover neben Mestwerdt
auch Mestwarb und mit späterer Erleichterung Messwarb, aus dem
bardenwerteif) hat sich ein Bardenwerper und mit strammer Ver-
hochdeutschung ein Bartenwerffer entwickelt; von einem lichtwerte,
lichtwarte stammt die Familie Lichtwark ab — überall liegen hier
Dissimilationen vor ^). Wir werden also mit der Möglichkeit einer
Dissimilation t : t } p : t auch für den Anlaut rechnen dürfen, und
ebenso mit t : t ) k : t, wie sie ja in dem Pseudo-Kompositum
Kartoffel ans Tartoffel tatsächlich vorliegt.
Den oben citierten Fällen des Übergangs b : b ) tv : b stell
ich hier ein hübsches Beispiel des umgekehrten Falles gegenüber:
w : Ol ) b : w. Im Kreise Arnsberg liegen zwei Orte 'Nordwig'
und 'Sundwig' und ein dritter: Bestwig \ Auch ohne nach einem
'Ostwig' zu suchen, werden wir hier die Vorstufe *Westwig als
sicher annehmen dürfen. — Der andere Fall w : w ) w : b ist mir
1) Die Fricadelle bringen einige Fremdwörterbücher als Fricaudelle mit dem
Fricandtau zusammen, und auch Kluge stellt sie dazu, es ist aber ital. frittatella !
BL ACHFELD. 21
nur in einem engl. Pflanzennamen zur Hand: wood-hind, ivood-hine
(Convolvulus, Lonicera, Hedera) Britten-Holland p. 498 stellt für
ags. tvudii'tvinde, woneben schon Bosworth-Toller p. 1278a wudu-bind
u. ä. verzeichnet.
Die Rahmbeere und Reisseiheere haben uns bereits Beispiele des
dissimilatorischen Konsonantenschwundes am Wort-
anlaut geboten. Sehr zahlreich sind die Fälle nicht gerade, aber
es finden sich doch sehr markante darunter. Die Artoffel für Tar-
toffel (Pritzel- Jessen 382), die doch möglicherweise wenigstens an
der einen oder anderen Stelle die Vorstufe oder Stütze für den
weitverbreiteten Erdapfel gebildet hat, mag hier stehn, obwohl
sie kein Beispiel für ein echtes Kompositum ist. Auch die Ilge
für Lüge (und Uilge^ Pritzel-Jessen 215) ist anderer Art, und Or-
manie für Normanie (in der Kudrun) nenn ich hier nur deshalb,
weil Hoffmann-Krayer S. 501 das ganz parallele elsäss. ewenlnts
für reverence so schwierig erschienen ist. Ein recht hübscher Vor-
gang dieser Art ist das Schicksal des Landesnamens Lif-lant:
wir kennen ihn aus der Kudrun als Niflant; weiter verbreitet aber
war die Form Iflard, die nicht nur durcb den Familiennamen Iff-
land (Hessen seit dem 16. Jh.) gefordert, sondern aucb durch
geographiekundige oberdeutsche Autoren des 14. und 15. Jlis. mit
bairischer Diphthongierung als Eiflant bezeugt ist: Suchenwirt
XIV 224, Oswald V. Wolkenstein (ed. Schatz) 107,7.8; Oswald
nennt kurioser Weise Eiffenlant und Liffen neben einander und
hat an einer anderen Stelle (36, 77) Eifensirant neu gebildet ^).
— Auch tirol. Urmenti (Schöpf) aus Murmenti (Murmeltier) = mar
(mus) montana mag hier angeführt werden.
Es ist durchaus begreiflich, daß sich der dissimilatorische
Schwund eines anlautenden Konsonanten und andererseits auch
assimilatorische Prothese (richtiger : Anticipation) im Kompositum
besonders leicht einstellt bei Lauten von schwacber Artikulation,
in erster Linie bei w und h.
IV : IV y —'. w (und w : w ) w :—)
altenivachs, altwachs 'nervus', bes. 'Halssehne' (DWB. I 268. 275) ist
seit dem 15. Jh. reichlich bezeugt für ahd. waUotvahso (GrraffI689),
fries. waldiiwaxe (Richthof en 1123), das im Mhd. (Lexer III 660)
und in verschiedenen neueren Mundarten in der alten Form oder
zu 'Wildwachs' umgedeutet fortlebt. In gleicher Lage zeigt frühes
1) Vergleichbar diesen Vorgängen sind die Schicksale, die der Eigenname Liul-
iold — Lippold in den Familiennamen Nijßpold und Ippold, Ippel gehabt hat.
22 Edward Schröder,
Schwanken der Name des heutigen Ortes Walprechtsweier (A.
Rastatt), der 1065 als Aljwahtcswilre, 1271 und weiterhin als Wal-
in-echtswüer erscheint, Hier kann nach vorübergehendem Schwanken
die Festigung der alten Form eingetreten sein, es ist aber auch
möglich, daß die frühstbezeugte Form Alprahtesw'dre wirklich die
älteste und erst später mit Anticipation des Anlauts vom zweiten
Kompositionsteil die Form Wdlprechtswiler aufgekommen ist. Beim
h werden wir unten diese Erscheinung der 'Assimilation' des ersten
Bestandteils an den zweiten ausreichend sichern, für w hab ich
einen guten Zeugen in dem Personennamen Wortwin, der seit dem
9. Jh. (Förstemann I^ 1637) in rheinischen, ostfränkischen und
hessischen Quellen auftaucht und noch ein paar andere Namen
(Wordolf, Wordlief) hinter sich hergezogen hat: es ist ganz gewiß
nur ein Bastard von Ortwin.
Denselben Vorgang wie bei waUwalis ) altwahs aber haben wir
sodann schon früh für den Namen des Odenwalds anzunehmen!
Denn die beiden Deutungen, mit denen man sich bisher beholfen
bat: 'öder Wald' und 'Wald des Odo' (Förstemann II ^ 166, Krieger
11^ 408 f.) vertragen sich nicht mit den ältesten Formen, wie sie
durch die karolingisehen Schriftsteller bezeugt sind (s. Krieger a.
a. 0.): Odenewald, Odoneiuald, Odartoivald. Odonowald: sie alle lassen
sich mit einer Form ^Wodanaivald o. ä. weit besser vereinigen;
auch der Odenherg bei dem niederhessischen Grudensberg (Wodenes-
herg) könnte sehr wohl durch einen Wodenwald ) Odenwald zu seinem
Namen gekommen sein.
Fortfall des w im Anlaut des zweiten Bestandteils haben wir
z. B. im On. Wiesendangeti (nö. Wintertbur) für Wisuntwangas des
9. Jhs. (Förstemann II ^ 1632) gegenüber Feuchtwangen, Flirtwangen
U.S.W. In den Graunamen Wctareiha und Wingarteiha (nur diese
beiden von solcher Art gibt es) hat man das eiha allgemein mit
dem aib {haib) in den Gaunamen Ant/iaib, Bainaib und Burgiindaib
der Origo gentis Langobardorum zusammengebracht (J. Grimm,
Gesch. d. d. Spr. 686, Brückner, Q. F. 75, 182) und sich wohl auch
bemüht, ein ahd. eiba mit ouwa lautlich zu vermitteln. Übersehen
wurde dabei nicht nur, daß die beiden deutschen Gaunamen mit
tv anlauten, sondern auch, daß für den einen das w im Anlaut des
zweiten Teiles durch ein halbes Dutzend Urkunden aus dem 8. — 10.
Jh. gesichert ist : Wingart - iveiba (die Belege bei Krieger II ^ 1470).
Wir erhalten damit für den Begriff 'Gau' ein neues Wort weiba^
das etymologisch wohl unserm 'Kreis' als Verwaltungsbezirk zu
vergleichen wäre ; es mag auch in Ortsnamen wie Waibstadt (Krie-
ger 11 2 1305) vorliegen.
BLACHFELD. 23
Sehr reichlich ist das Material für die Assimilation und Dissi-
milation bei h- und vokalischem Anlaut; hier ergeben sich
die Möglichkeiten:
1) h : h) Vokal : h (und h : Yokal),
2) Vokal : Vokal > h : Vokal (und Vokal : h).
Diese vier Konstellationen kreuzen sich, und daraus lassen sich
manche von den Erscheinungen erklären, welche H. Garke in seiner
unendlich fleißigen, aber recht unkritischen Studie über Prothese
une Aphärese des H im Ahd. (Q. F. 69, Straßburg 1891) zusammen-
gestellt hat. Dazu treten aber noch die weiteren Fälle von Ent-
gleisung der Aussprache, welche bei der ursprünglichen Grruppie-
rung 3) // : Vokal und 4) Yokal : h zu einem Umspringen oder
Vorgreifen des Anlauts führen^).
Ich gebe zunächst ein paar Beispiele für 1). "Wenn wir in
Westfalen neben Herlingliausen (Kr. Warburg) ein Orlinghausen
(bei Detmold) finden, bei dem alle für Herlinghausen von Schuch-
hardt nachgewiesenen archäologischen Bedingungen zutreflPen, so
ist der Abfall eines H- auch ohne nachweisbare ältere Formen
zweifellos; und ebenso wird man für lldehausen (zwischen Seesen
und Grandersheim) getrost ein *Hildehaiisey} o. ä. fordern dürfen^).
Grute Belege aus meiner hessischen Heimat bieten Elmshausen bei
Ebsdorf : Helmuäehusen a. 1267. 1279. 1282, Almudehusen 1292, El-
mishusen 1422 (Arnold, Ansiedelungen und Wanderungen S. 398) —
und EJmarshausen bei Wolfhagen: Hildhnereshusen 10. Jh., Hilti-
mareshusen 12. Jh. Cop., Elimaresliusen 1150, Elmershusen 1417
1) Ich Labe, um die Dinge nicht noch mehr zu komplicieren, oben die rela-
tiv seltenen Fälle, wo h vor Konsonant (r, ?, n, iv) stand, unterdrückt, will aber
eines der bekanntesten Beispiele dieser Kategorie hier anführen: die Heiternessel
'Urtica urens'. Die Doppelheit eitarnezzila und heitarnezzila ist sehr alt, ja Graff
II 1116 führt nur das letztere an, und doch bezweifelt niemand, daß eitarnezzüa das
ursprüngliche sei. Die 'Prothese des W erklärt sich wohl aus der frühahd. (resp. as.j
Form eüarhnezzüa (eitarhnetüa). — Die heutige Verbreitung der Formen mit H-
belegt Pritzel-Jessen S. 421; vgl. auch DWB. IV 2, 029 und III 393. Unter ihnen
fehlt merkwürdiger Weise ganz die fürs spätahd. und mhd. bezeugte Form heiz-
nezzel (Garke S. 92, Lexer I 1227) : Garke nimmt Prothese des h an, jedenfalls
wegen des nahen Verliältnisses von eitar und eiz, aber da *eiznezzel nirgends be-
zeugt ist, heiznezzüa aber trefflich zu 'Urtica urens' paßt, so wag ich nicht, jene
Form zu konstruieren. Ich muß dann freilich auch zugestehen, daß das h von
heiznezzüa (Brennessel) auf eitarnezzila (Giftnessel) hinübergewirkt haben könnte,
und es somit nicht nötig wäre, mit der Erklärung von heitarnezzila auf eitarhnez-
zila zurückzugreifen.
2) Sudendorf IX 76 setzt Illinghausen (a. 1400) mit lldehausen gleich;
dann könnte Illing- für Hilling- und Hilding- stehen.
24 Edward Schröder,
(ebenda). — Derselbe Vorgang aber vollzieht sieb, wenn neben
harthöu ('hypericum') frühzeitig arthewe u. ä. tritt (Grarke S. 118)
oder aus den heithaften harren der Kaiserchronik 16878 in der treff-
lichen Heidelberger Hs. 4 eithafte geworden sind. — Festge worden
ist unser Oxhoft, nd. nl. oxhooft aus engl, hogshead.
Für den Fortfall des h im zweiten Kompositionsteil fehlt es
mir an entscheidenden Belegen: denn entweder ist dies Element
als das grundlegende konstanter in Verständnis und Form (z. B.
oberdeutsch -heim, -hausen), oder aber es erscheint das h im An-
laut des zweiten Teils überhaupt gefährdet: man denke an die
mittelfränkischen Everard, Gerard und andererseits an die -em, -um
und -sen des niederdeutschen Gebietes. Immerbin sind Fälle hier-
her zu rechnen wie holippeln { hohl-hippeln, das dann durch eine
zweite Dissimilation honippehi wurde.
2) Wenn der Erdapfel 'volksetymologisch' zum Herdapfel ge-
worden ist (vgl. DWB. IV 2, 1077 und Pritzel-Jessen S. 382 'So-
lanum tuberosum', dazu Register S. 508), so ist das die gleiche
Dissimilation, wie sie besonders in oberdeutschen Dialekten sich
bei Heidechse und Heidochs für Eidechse, bei Hameise u. ä. für Ameise,
bei Heieise 'Processionsfabne' für Eleise (aus sXsetööv) findet (reich-
liche Nachweise gibt Garke S. 122 ff.). Denn selbstverständlich
machen derartige Lautdifferenzierungen nicht beim Kompositum
Halt, dessen sich der Sprechende keineswegs etymologisch bewußt
bleibt : wo zwei benachbarte Sprechsilben mit Vokal, d. h. mit dem
gleichen konsonantischen Einsatz beginnen, stellt sich die Neigung
zur Dissimilation ein. Wenn also mnd. Herasmus für Erasmus ge-
schrieben und gesprochen wird, so ist das dasselbe wie wenn es
schweizerisch Hanselme heißt: denn dies geht bereits auf Anselme
nicht auf Anshelm zurück. Der weitverbreitete Hulahne und das
nicht seltene Hameriga gehen auf die Aussprache Ul-äne und Am-
eriga zurück — aber selbstverständlich hält sieb das hier festge-
wordene Ä, auch wenn sich die Silbengrenze verschiebt, also Hu-Jäne,
Ha-meriga gesprochen wird. So bin ich denn auch geneigt, das
merkwürdig konstante helfant 'elephas' auf eine Aussprache elf-ant
zurückzuführen, etwa wie nl. harpoen wohl ein arp-ön (nicht ar-pö»)
zur Vorstufe hat. Festgeworden sind derartige 'Prothesen' zu-
nächst nur dann, wenn die neue Form der Vorstellung eine be-
queme etymologische Anlehnung ergab.
Ein sehr lehrreiches Beispiel bietet der Holzbach, welcher
durch die Stadt Ansbach fließt (Zeuß, Herkimft der Baiern s. XXV)
und ihr den Namen gegeben hat: Onoldesbah 'Bach des Onold'. Be-
kanntlich ist der altertümliche, officiell lange festgehaltene Name
£L ACHFELD. 25
Onohhach erst im 19. Jh. von der volkstümliclien Form verdrängt
worden: aus Onoldes war über Öns- O'^ns- geworden, und dies hat
man als Ans- recipiert. Es gab aber neben der Aussprache On-
oldes- offenbar früh eine Dissimilation '^Hön-oldts-, am selben Ort
und zur selben Zeit! Aus der ersten hat sich O^ns- entwickelt,
aus der zweiten (über *IIönldes-, *Höldes-, *IIöh-) Höh- ; die Tren-
nung der Bedeutung in der Weise, daß O^nshach die Stadt und
Hohbach das Grewässer benannt wurde, ist erst sekundär. — In
der Bavaria III 2, 1144 (wo sehr törichte Erklärungsversuche für
den Ortsnamen gemacht werden) find ich in der Anm. noch eine
dritte Entwickelung des Onoldes : Onhoh bei Untersteinbach in
Franken. Bewahrt ist Onolz- in Onohheim bei Krailsheim a. d.
Maulach.
Die theoretische Möglichkeit, daß sich Vokal : Vokal in Vokal :
h umsetzte (wie oben Onoldes ) Onhoh), hat praktisch geringe Be-
deutung: aus ähnlichen Gründen wie ich sie schon S.24 für den zweiten
Bestandteil ausführte. Es kommt noch hinzu, daß Komposita mit
Vokal im Anlaut des zweiten Teils, aus Ursachen die ich später
einmal erörtern werde, im Deutschen überhaupt selten sind: unter
den alten Personennamen fehlen sie ganz. Immerhin stellten sich
auch hier sekundär derartige Fälle ein, nachdem ivalt zu olt ge-
worden war : die 'volksetymologische' Umdeutung von -olt in -hold
kann recht wohl von Beispielen ausgehen wie Eberhold (Förstern.
1 ^ 446), Arnliold u. s. w.
Aus den zahlreichen Beispielen für 3) 4) bei Förstemann müssen
wir alle diejenigen ausscheiden, die aus romanischem Gebiet
stammen: hier ist das h im Wortanlaut ebenso oft vorgeschlagen
als fortgefallen, und im zweiten Element fehlt es schon sehr früh,
ohne daß wir die Dissimilation heranziehen dürften. Für 3) hab
ich ein gutes Beispiel (etwa des Typus asen-hore für hasen-ore)
nicht zur Hand; um so mehr für 4). Das Material bei Garke
weist vorzugsweise Schreibfehler auf, die freilich psy-
chologisch unter genau den gleichen Gesichtspunkt
fallen wie die sprachlichen Vorgänge, aber doch eben
nicht zu dauernden Verschiebungen führen können, auch wenn
sie, wie viele psychologisch motivierte Schreibfehler, öfter vor-
kommen: ich meine Fälle wie Imnorsami (für unhorsami S. 121.)
Bemerkenswert ist es, daß öheim (ccheim) nicht nur vereinzelt
hohelm geschrieben erscheint, sondern auch Jioem, und zwar in so
verschiedenen Quellen aus Mitteldeutschland und Niederdeutsch-
land (S. 105), daß man an ein zeitweiliges lokales Festwerden
dieser Form glauben muß. Es handelt sich in solchen Fällen nicht
26
Edward Schröder,
um ein einfaches Umspringen des Silbenanlauts, sondern zunächst
trat die Anticipation des h auf: hoheim, und weiterhinist die cirkum-
flektierte Form hoeni kontrahiert, wobei es nicht nötig ist, an einen
eigentlichen Dissimilationsproceß zu denken.
Die Grruppe 4), zu der ja auch hoheim gehört, ist überhaupt
bei Grarke sehr stark vertreten, und nicht nur durch Schreibfehler
wie hafterJiemede (S. 84), hahorn (S. 84), hanthei^zom (S. 87), Hehar-
hart iß. 89), heinhenti (S. 91), herhaft (S. 95. 96!), Herhart (S. 97),
Hisanhart (S. 104), hopferhus (S. 106), hosthalhon (S. 106), houerhant
(S. 108), huohaldi (S. 109), hurhano und horhun (S. 109) u. s. w.,
sondern auch durch Fälle, wo die 'Assimilation' bestimmt sprach-
licher Natur war und festgeworden ist: so schreibt Luther kon-
stant Hehenholz (s. Dietz s. v. Ebenholz), und das DWB. IV 2, 731
fügt noch weitere Belege hinzu. Ich bin auch der Überzeugung,
daß unser Handhabe auf diese Weise zu Stande gekommen ist:
es findet sich freilich schon ahd. als hanthaba, und auf das von
Grraif IV 738 daneben verzeichnete anthaba will ich um so weniger
Wert legen, als auch (sogar in der gleichen Hs.!) hantaba vor-
kommt; aber einmal ist mir die Bildungsweise an sich in so
früher Zeit verdächtig, und dann mag ich ^anthaba 'capulus, ansa'
doch nicht trennen von den reichlich bezeugten inthaben 'sustinere,
sustentare, suffulcire' und intheffeti in gleicher Bedeutung^).
Zahlreich ist dies Vorausgreifen des h bezeugt in süddeutschen
Ortsnamen (während wir in norddeutschen umgekehrt öfter den Fori>-
fall durch Dissimilation fanden S. 23). So notiere ich aus dem ersten
Bande von Kriegers Topogr. Wb. des Grhzt. Baden (2. Aufl. 1904) :
Hassmersheim am Neckar (S. 860 f.), dessen Name schon im Cod.
dipl. Laureshamensis zwischen UasmarsJieim und Asmaresheim (793)
schwankt und dies Schwanken noch bis ins 14/15. Jh. fortsetzt:
die ursprüngliche Form ist sicher Asmaresheim. — Henchhurst
(ausgegangener Hof im Beza. Bühl) : so seit 1505, aber noch 1475
Emychenhurst (S. 932). — Hockenheim bei Schwetzingen (S. 997):
Ochinheim 769, aber schon im gleichen Jahrhundert mehrfach Hochin-
heim u. ä. Ich hebe ausdrücklich hervor: die Festsetzung der
^assimilierten' Form erfolgt zu ganz verschiedenen Zeiten, das
Schwanken tritt sehr früh auf und kann sich durch Jahrhunderte
hindurchziehen. —
1) Echte Volksetymologie liegt dagegen vor im Handlanger für andelanger;
bei dem Ersatz von antwerc durch Handwerk aher wurde nicht ein neues Wort
geschaffen wie dort, sondern der Begriff 'machina, instrumentum' durch den Be-
griff *manufactura' verdrängt, selbstverständlich unter dem Einfluß des ähnlichen
Wortbildes.
BL ACHFELD. 27
Daß h in der Dissimilation fast nur mit vokaliscliem Anlaut
wechselt, ist natürlich: aber ich halte es nicht für unwahrschein-
lich, daß sich auch der Wechsel mit w und j findet. Eigenartig
ist der Fall g : g } h : g in hogreve für gogreve : so haben mehrere
Hss. des Sachsenspiegels (Landr. I 2 § 4. I 56 § 2), und die Form
wird noch weiter als durch Homeyer*^ S. 441 gestützt durch den
heutigen Familiennamen Hogreve u. ä. neben Gogreve (z. B. Adreß-
buch von Hannover). Im Fn. ist die H-Form festgeworden durch
den Anschluß an Eo[ve]wann, IIo[ie]n}eier, Ho[ve\meister. — Zur Hand
hab ich ferner ein vereinzeltes Beispiel, wo sich die Assimilation
f : h ) h : h vollzogen hat : Krieger I ^ 564 führt eine Odung auf
der Gemarkung Haslach bei Oberkirch an, die als VaJiuen-haselahe
u.a. von 1304 bis 1593 vielfach bezeugt ist — ihr Andenken lebt
heute nur in dem Flurnamen Hcdbhaslach fort. Ich weiß, daß man
mir hier entgegenhalten wird, das sei einfach Volksetymologie.
Aber der Leser hat schon aus meinen Gränsefüßchen gemerkt, daß
ich der weiten Ausdehnung dieses Begriffs sehr skeptisch gegen-
überstehe (vergl. auch Anz. f. d. Alt. 24, 23) : gewiß geb ich die
mechanische Umwandlung mancher Fremdwörter und auch Eigen-
namen aus dem Bestreben einer Deutung oder doch unbewußten
Anlehnung zu, aber in einer sehr großen Anzahl der Fälle ist
das primäre eine Lautentwickelung, Assimilation, Dissimilation,
nicht selten eine Laut- und gelegentlich auch Silbensubstitution ^) ;
viel häufiger ein sprachliche Entgleisung, die sich wiederholt ein-
stellt und schließlich durchsetzt, als ein sog. Lautgesetz. Von dem
1) Mit der Sübensubstitution sollte man in manchen Fällen rechnen, wo ad
hoc ein Lautgesetz constatiert wird. So hat man sich vergeblich abgequält mit
mhd. hetalle (mnl. bedalle) < metalle < mit alliu. Bugge (Beitr. 12, 419 f.), der
die älteren Erklärungsversuche verwarf, wollte das spät auftauchende het-, bed-
aus prähistorischen Accentverhältnissen erklären, indem er es gleich Ttstd stellte;
dann benutzte Franck die schöne Etymologie von nl. hezaan aus it. mezzana span.
viesana zu einer lautgesetzlichen Auffassung unseres hetalle, wonach m sich in un-
betonter Silbe in b verwandeln sollte, und Wilmanns I^ 135 hat das übernommen.
Die Erklärung die ich biete stammt aus der Kinderstube, ist aber darum nicht
weniger empfehlenswert: meine Geschwister und ich sagten allgemein für Visiten-
stube: Besittenstube und moquierten uns über die Dienstboten, welche Frisitten-
stube brauchten ; meine eigenen Kinder haben in der Bezeichnung des Desserts lange
geschwankt zwischen Geser und Beser; die beiden oder vielmehr die vier ver-
schiedenen Abwandlungen erklären sich aus demselben Prinzip: eine ungewöhn-
liche unbetonte Vorsatzsilbe wird ersetzt durch eine geläufige : be-, ge- (fri-) treten
an die Stelle der in dem beschränkten Sprachschatz kaum vorhandenen oder wenig
gegenwärtigen fi- {vi-), de etc. So ist auch metalle, nachdem die Komposition festge-
worden war und die Silbengrenze me-talle ergab, zu be-talle geworden, wie man
he-nameriy be-sunder und viele andere besaß.
28 Edward Schröder,
sog. Lautgesetz, das eine zeitliche und örtliche Beschränkung zu-
läßt oder vielmehr verlangt, unterscheiden sich die Tendenzen der
Dissimilation und Assimilation, die niemals zu 'Gesetzen' werden,
auch dadurch, daß sie wohl zu gewissen Zeiten und in gewissen
Gegenden deutlich hervortreten, aber niemals darauf beschränkt
erscheinen.
So will ich denn auch schließen mit einem Beispiel, für das
man sich, soweit man es überhaupt beachtet hat, ganz gewiß mit
der Volksetymologie als Erklärung zufrieden gegeben haben
wird. Ein Fall, für den ich in der Litteratur keine Parallele ge-
funden habe, bezeugt die Dissimilation:
th : th (d : d) ) s : th {s : th)
und zwar durchaus gleichmäßig für das Deutsche und das Englische.
Verschiedene stachliche Pflanzen mit starker Milchsaftentwickelung
führten schon in westgermanischer Zeit den Namen ßü-pistil, der,
wie Pritzel-Jessen S. 883 zeigt, ganz besonders an ^Sonchus oler-
aceus' haftet. Wir haben auf englischem Boden puäistel 'lactuca'
schon ziemlich früh : in dem ags. Corpus-Glossar bei Sweet, Oldest
English Texts 73, 1179 ^) — daraus ist spätestens im Mitteleng-
lischen Siipistel (sugepistel), ne. soivthisüe geworden, s. Stratmann-
Bradley s. v. und die neuenglischen Wörterbücher, die das Wort
mit 'Sonchus' wiedergeben ; daneben aber hat sich im Dialekt z. B.
von Sussex thow-thistle erhalten, s. Britten and Holland, Dict. of
engl, plant-names (1886) p. 467^). — In Deutschland aber treffen
wir dndistel in den Ahd. GH. III 386 ^^ (13. Jh., aber aus älterer
niederrhein. Vorlage um ca. 1150); dndistel^ daudistel bei Diefenbach,
Gloss. latino-germanicum (1857) S. 315*'; dudistel aus Quellen von
1500 und 1530 bei Pritzel-Jessen und daudistel ebenda aus dem heutigen
Eifeldialekt — dem steht gegenüber sudistü 'lactuca' Ahd. Gll. II
263, 57 (Cod. S. Galli s. IX/X u. Cod. Seiest.), sudistel 'lactucella'
Ahd. GU. III 560, 7 (14. Jh.) und Zs. f. d. Wortforschung 9, 218
(15. Jh.), dazu zahlreiche neuzeitliche Belege bei Pritzel-Jessen.
Die gleiche Dissimilation hab ich kein zweites Mal gefunden, wohl
aber reichliche Zeugnisse für die ihr entsprechende s : s ) d : 8.
Dafür zeugen, wenn auch freilich nicht im Anlaut von Kompositis,
folgende Ortsnamen: Ansidfisheim (im Elsaß) saec. IX wird über
1) thüfe-thistel Cockaync Leechdoms II 312'"^^ ist jünger und |gewiß Um-
deutnng.
2) thow-sisle, das ich ebenda fand, hielt ich lange für ein Beispiel der Dissi-
milation th : th > th : 8, bis ich aus Parish, Dict. of the Sussex dialect p. 105
ersah, daß auch das Simplex sisael 'is the usual form of thistle'.
B LACHFELD. 29
Ansoltzheim zu Ändolsheim (die Belege im Register zum Rappolt-
steiner Urkundenbucli I 605); ebenso Änsoldesleba saec. VIII/IX
(bei Erfurt), heute Andisleben (Forst emann II ^ 94) ; Oesingesesze (Amt
Wertheim), so urkundlich 1307 — 1485, heute Ödengesäss (Krieger
II ^ 404) ; also Alemannien, Thüringen, Franken. Dazu kommt noch
die gut bezeugte Form schardas für scharsas in einem elsäß. Text
des 15. Jhs. (Germ. 3,424,1). Ist somit auch an der Dissimilation
d id) s : d kein Zweifel möglich, so ergibt sich, daß die Saudistel
die in Deutschland und England gleichmäßig an die Stelle der Dau-
distel getreten ist, nicht ihre Entstehung, sondern nur ihre Festi-
gung der etymologischen Verständlichkeit zu danken hat.
Das Material, das ich im vorstehenden aufgeführt habe
und von dem ich mir schmeichle, daß es den Fachgenossen allerlei
unbekanntes und überraschendes bietet, reicht gewiß aus, um die
eingangs behauptete Dissimilation von hlachfeJd aus flachfeld zu er-
weisen. Alle die Fragen die sich an die alliterierenden Komposita
knüpfen, hier aufzurollen, war nicht meine Absicht: ich hoffe da-
rauf recht bald in einer Abhandlung zurückzukommen, die sich in
ganz anderer Richtung bewegt.
Hier möcht ich nur noch dem Einwand begegnen, daß jenes
eigentümliche Nebeneinander von anlautendem b und f, in dem
einige eine 'Weiterverschiebung' erblicken [wie soeben wieder die
Bearbeiter des neuen Weigand s. v. BlacJifeld], noch in ein paar
andern Wörtern erscheine. Ich kenne deren nur noch drei, denn
die beiden Fremdwörterpaare bibel-fibel und fiever-biever kann ich
jetzt getrost bei Seite lassen. Am frühsten (schon ahd.) bezeugt ist
harch neben farcJi ; später treten belche neben felche und baU neben
faU auf; in farch (lt. porcus) und flach (gr. 3rAa|) ist die Priorität
des f zweifellos, in felche und fah ist sie höchst wahrscheinlich ^).
Soll es da nun ganz ein Zufall sein, daß farch zum Vieh gehört,
felche ein Fisch ist und fah von den Vögeln gebraucht wird? Aus
einem Kompositum farch-fihu konnte sich über barch-fihu das Sim-
plex 6arcÄ, ebenso aus felch-fisc: belch-fisc und belche entwickeln. Daß
bei fogal-faU die Dissimilation den zweiten Teil traf, also fogal-balz,
ist bei der etymologischen Bewußtheit des ersten selbstverständlich.
Zum Schluß noch ein Wort über das Alter der hier besproche-
nen Erscheinungen, und zugleich über die nicht ganz freiwillige
1) In den neuen Auflagen von Kluges Et. Wb. wird unter Verschweigung
der Form falz der alte, von Frisch aufgebrachte, von Grimm weitergegebene Hin-
weis auf it. haUo, halzare 'Sprung, springen' von G. Baist als neu dargeboten.
30 Edward Schröder, BLACHFELB.
Beschränkung des Materials mit dem ich operiert habe. Im Gegen-
satz zu jenen an Gesetzmäßigkeit streifenden lautlichen Processen,
die wir gewohnt sind als 'Lautgesetze' zu bezeichnen, sind die
^Vorgänge der Assimilation und Dissimilation zeitlich und örtlich
nicht begrenzt. Daß sie zumeist erst in relativ jungen Sprach-
schichten auftreten (wie Grammont scharf hervorhob), läßt sich
leicht erklären: die frühe litterarische (und epigraphische) Über-
lieferung gilt zumeist einer Umgangs- und Litteratursprache, aus
welcher die physiologisch unbequemen (und demnächst akustisch
unschönen) Wortgebilde massenhaft ausgeschieden sind, wie das in
unserer Sprache noch täglich geschieht; oder aber einer Kunst-
sprache, die die Feuerprobe im Volksmunde noch nicht bestanden
hat. Die Ortsnamen hingegen, und in gewissem Grade auch die
Pflanzennamen, mit denen mußte sich ein zumeist beschränkter
Kreis von Menschen abfinden, wie sie einmal geprägt waren. Ich
habe bereits Zs. f. d. Alt. 43, 361 ff. angedeutet, daß speciell allit-
terierende Komposita in altgerm. Zeit selten sind, daß sie unter
den Personennamen und im Wortschatz der Dichter geradezu ge-
mieden werden. Zu den Gebieten, auf denen wir sie häufiger an-
treffen, gehört die alte Rechtssprache. Sehen wir uns nun aber
um, was aus jenem Teil ihres "Wortbestandes am Ausgang des
Mittelalters geworden ist, so machen wir eine eigentümliche Beob-
achtung. Das als westgermanisch gesicherte dömdag ist gleich-
mäßig auf englischem wie auf deutschem Boden aufgelöst worden:
dömes dcpg, dooms-day] tumes tac, dömes dach. Das wgerm. Hechts-
wort ahd. nötnumft ist bei uns durch Notzucht, bei den Engländern
(ags. n^d-nema u. ä.) durch Fremdwörter ('violence', 'rapture') ersetzt
worden ; und ganz ähnlich ist für ahd. Itpleita eingetreten Leihzucht,
während neben dem ags. ltflöd(e) seit dem 13. Jh. das nordische
Lehnwort lifnop, livenaä (aisl. lifnaär) auftaucht, das auf den ersten
Blick wie eine Dissimilation erscheinen könnte. Man sieht, eine
Volksgemeinschaft hat mancherlei Mittel und Wege, um unbequeme
Sprachgebilde zu beseitigen oder umzuwandeln: die Dissimilation
ist nur eines von vielen, aber man wird mit ihr unbedingt schon
für die ältesten Zeiten der Sprachgeschichte rechnen dürfen.
Ein Merowinger Rythmus über Fortunat
und
Altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen.
Von
Wilhelm Meyer aus Speyer,
Professor in Göttingen.
Vorgelegt in der Sitzung vom 8. Februar 1908.
Als ich 1906 vor einer Reise nach London die Kataloge der
Handschriften durchlas, notirte ich mir aus der Beschreibung von
Additional 24193, einer Handschrift der Gedichte des Fortunat,
den Zusatz : At the end (fol. ISS**) is an additional poem, entitled
Trologus', beginning 'Felicis patriae praeconanda fertilitas'. In
London schrieb ich das Gredicht ab. In Göttigen später erkannte
ich wohl, daß es ein interessantes Produkt der Merowinger Zeit
sei, aber es entstanden mir dabei mancherlei Schwierigkeiten.
Darüber verhandelte ich mit Bruno Krusch, dem besten Kenner
dieser Literatur. Ich verdanke ihm für diese Arbeit manchen
guten Rath; er wies mich auch darauf hin, daß Leo in seiner
Ausgabe des Fortunat (Monumenta Hist. Germ., Auetores ant.
IV, I, 1881) genau zu derselben Stelle (zum Schlüsse des 11.
Buches) notirt, daß in der von ihm mit A bezeichneten Pariser
Handschrift 14144 'sequitur prologus de privilegio'. Durch Omont's
stets hilfreiche Güte erhielt ich eine Abschrift, welche zeigte, daß
wirklich beide Handschriften an derselben Stelle denselben Text
enthalten. Ich frug noch wegen etlicher andern Handschriften an^
allein vergeblich. Bis jetzt ist dies Gedicht nur in jenen 2 Hand-
schriften gefunden, deren Photographie mir vorliegt. Beide sind
mit Karolinger Minuskel im 9. Jahrhundert geschrieben.
32 Wilhelm Meyer,
In id = London Additional 24193 f. 158^ sind die voran-
gehenden Verse des Fortunat abgesetzt geschrieben. Der letzte
Vers des Fortunat (XI 26, 12) lautet:
# cui dabit illa uiam quae sibi pugnat aqua, explit
INQUANTU AUCTOR HABUIT SCRIPTU; INCIP PROLOGUS.
Felicis patri^ etc. Am Schlüsse des Eythmus steht halb
weggewischt : explicit prologus.
In A = Paris latin. 14144 fol. 60* sind die vorangehenden
Verse nicht abgesetzt. Der Schluß derselben lautet hier:
nat aqua, explic lib. inquantü auctor habuit
lieber das gewöhnliche Zeilenende hinaus steht nach habuit noch
ein abwärts gekrümmter Strich (wie ein schliesendes s des 14.
Jahrhunderts), durch dessen Obertheil ein Querstrich gezogen ist,
also ziemlich sicher die aus der Cursivschrift genonmiene Abkürzung
für das in Ad stehende 'scriptum'. Dann folgt in großer Kapital-
schrift, die ganze Breite der Seite füllend:
INCfT PROLOa- DEFEIVILEaiO-
Felicis patriae usw. Die letzte Zeile des ßythmus füllt den
Schluß der Seite vollständig. Deshalb ist die eigentliche Schluß-
schrift in großer Kapitalschrift in 5 Stücken neben dem ßythmus
am Rand übereinander geschrieben:
EXPE LIB I FORTV | NATI | DO QRATI | ASAM
Der Rythmus ist in beiden Handschriften so geschrieben, wie
ich ihn habe drucken lassen, so daß die Zeilen mit ungeraden
Zahlen mit vorspringenden Initialen beginnen, die andern mit ein-
gerückten kleinen Buchstaben. Die 10. Zeile ist in beiden Hand-
schriften ungebührlich lang.
1 Felicis patriae (nostrae) praeconanda fertilitas,
in qua Christi mandatorum declaratur profunditas.
3 Quae nee poterit absque gloria esse civitas,
in qua sensum sapientum veneratur sublimitas,
5 Per quos praesentis temporis calcatur cupiditas
et peritura huius vitae evitatur vanitas.
7 Ac in tabulis scriptitatur cordis vera Caritas
atque valde stabilitur futurae vitae aeternitas.
9 Per Moysen latorem legis — sie refert antiquitas —
populo praecepit deus: cum terrae vobis repromissae
venerit hereditas,
11 Mensae vestrae peregrini comedant dilicias,
ut vobis semper ministretur datae terrae bonitas.
ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 33
13 Per lesum Christum confirmatur, qui est vita et veritas,
peregrinorum quanta sit susceptionis qualitas
15 Et metendi huius fructus caelestis summa dignitas.
Hyronimo Bethlem recepto ecclesiae crevit sanctitas.
17 Et Martino Armorigo refulsit magna claritas,
cuius vita et virtute Toronus multas epulas
19 Mendici ac flebiles dirimunt per plateas.
et Eortunato ab Eavenna Pictonum floret civitas.
1 nostrae oder huius ergänze ich : fehlt in Ad A. 3 Quae A , Qu§ Ad :
Quia oder Quare? 3 pot. ab. Meyer: ahsq: poterit A Ad 4 sensum Ad:
senum A 5 temporis praesentis? 8 adque Ad 9 latorem A: lator est
Ad 10 populo Meyer : populum A Ad ; praecepit A : praecipit Ad 10 heri-
ditas Ad 12 date Ad 13 ihm xpm A Ad 14 quanta sit peregrinorum?
16 bethleem Ad 17 Ex Martino Ärmoricae? 18 uitae uirtute A; Toronus
Meyer : thronus A Ad 18 aepulas Ad 19 über ac steht in Ad ein Strich, wie
£in gekrümmter Oxytonon-, atque? 19 flebilis Ad 20 pictonum Ad: pictanum A
Bibelstellen V. 4 sublimitas = sublimes viri (laici): vgl. I. Tim. 2, 2
pro regibus et omnibus, qui in sublimitate sunt V. 7 verbinde in tabulis cordis :
Fracerb. 3, 3 und 7, 3 scribe (describe) in tabulis cordis tui. V. 8 vgl. Marcus
X 30 qui non accipiet in seculo futuro vitam aeternam. V. 10 — 12 berufen
«ich auf das alte, V. 13 — 15 auf das neue Testament. Aber dort gibt es keine
peregrini in dem hier angenommenen Sinne; deshalb sind genau entsprechende
Stellen der Vulgata kaum zu finden. Oft werden in der Vulgata advenae und
peregrini zusammen genannt. Dann passen am ehesten folgende Stellen : Deuteron.
26, 1 Cum intraveris terram, quam dominus deus tuus tibi daturus est possiden-
dam ; 1 1 epulaberis in omnibus bonis . . et advena, qui tecum est ; 12 veniet . . et
peregrinus . . et comedent. Levit. 25, 2 loquere filiis Israel . . Quando ingressi
fueritis terram , quam ego dabo vobis . . . Sed erunt vobis in cibo et . . advenae,
qui peregrinaverit apud te. V. 13 Joh. 14, 6 ego sum via et veritas et vita.
V. 14 Gedacht ist wohl an Stellen wie: Matth. X 40 Qui recipit vos, me recipit
et, qui me recipit, recipit eum qui me misit ; vgl. Matth. 25, 35 und 40; Joh. 13, 20
V. 15 vgl. Joh. 4, 36 qui metit, mercedem accipit et congregat fructum in vitam
aeternam.
Dieser Rythmus ist in 2 Handschriften des 9. Jahrhunderts
von der ersten Hand geschrieben. Die Handschrift Ad ist ver-
derbt in V. 9 lator est und in V. 10 praecipit; A ist verderbt in
V. 4 senum, V. 18 uitae uirtute und V. 20 pictanum. Diese Stellen
waren wohl richtig geschrieben in der Mutterhandschrift. Allein
auch diese ist nicht die erste Niederschrift dieses Rythmus ge-
wesen. Das beweist das fehlerhafte thronus statt Toronus in V.
18; da dies in A wie in Ad steht, so muß es schon in der Mutter-
handschrift gestanden sein. Also schon die handschriftlichen Ver-
hältnisse zeigen, daß dies Gedicht in der frühen Karolinger oder
schon in der Merowinger Zeit entstanden und in ein Exemplar
der Gredichte des Fortunat eingeschrieben worden ist.
Kgl. Ges. d. Wlss. Nachrichten. Phüolog.-histor. Klasse 1908. Heft 1. 3
34 Wilhelm Meyer,
So läßt sich vielleicht auch die Ueberschrift begreifen. Ad
bietet nur 'Prologus' ; A bietet 'Prologus de privilegio'. Die Worte
^de privilegio' mögen des Inhaltes wegen zugesetzt sein : 'über die
besondere Stellung, welche die Stadt Poitiers einnimmt'.
Dagegen für die Bezeichnung 'prologus' finde ich nur eine
Erklärung. Auf den Schluß des 11. Buches der Gedichte folgen
in vielen Handschriften die 4 Bücher über den h. Martin; aber
diesen geht voran eine an Agnes und Eadegunde gerichtete Vor-
rede. Diese wird in den Handschriften Praefatio, Prooemium oder
Prologus betitelt. Da wo in A und Ad unser Rythmus steht,
steht in der Handschrift B die Unterschrift: expligit liber xi. pro*
LOGUS AD AGIsTEN ET RADEGVNDEM DE VITA SANCTI MARTINI. Der Rcst ciucr
solchen Unter- und Ueberschrift kann das Wort 'Prologus' in A
und Ad sein , welcher Rest stehen geblieben war , als die Vita
Martini nicht mehr beigeschrieben wurde.
(Inhalt) Zuerst meinte ich, der Inhalt dieses Rythmus sei
einfach : das häufige Lob der Mildtätigkeit gegen peregrini, gegen
mendici et debiles; das sei eines der praecepta dei, welche die
sapientes, die Grottesgelehrten, predigen. Allmählig erkannte
ich, daß der Inhalt ein anderer sei, ein ziemlich seltsamer. Be-
sprochen wird, quanta sit peregrinorum susceptionis qualitas (V.
14), d. h. welchen Segen es einer Stadt bringe, wenn sie Fremd-
linge freundlich beherberge: aber Fremdlinge, welche sapientes
sind und das lehren, was V. 5 — 8 angeben, also Fremdlinge, wie
der Hlyrier Hieronymus in Bethleem , der Pannonier Martin in
Tours und der Italiener Fortunat in Poitiers gewesen sind. Die
Einleitung (V. 1 — 4) preist die Stadt (Poitiers) glücklich, in welcher
die weltlichen Würdenträger die geistige Thätigkeit von weisen
Männern ehren, deren Wirksamkeit dann (in V. 5 — 8) geschildert
wird. Das alte (V. 9 — 12), wie das neue (V. 13 — 15) Testament
habe die freundliche Beherbergung von Fremdlingen anbefohlen. So
habe Hieronymus in der Stadt Bethleem Segen gebracht, Martin
in Tours, der Ravennate Fortunat in Poitiers.
Gegenüber dem Hieronymus und dem Martin ist Fortunat
ein unbedeutender Mann: allein der Rythmus ist in eine Hand-
schrift der Gredichte des Fortunat eingeschrieben: schon daraus
ist sicher, daß dieser Rythmus zum Lobe nicht des Hieronymus
oder des Martin, sondern des Fortunat gedichtet ist, und ebenso,
daß er in Poitiers entstanden und ebendort in ein Exemplar der
Gedichte des Fortunat eingeschrieben ist.
Es könnte auffallend erscheinen, daß diese Eigenschaft des
Fortunat als Fremdling hervorgehoben wird. Allein die seltsame
ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 35
Erscheinung, daß ein hochbegabter Italiener mitten im Reiche der
halb barbarischen Merowinger als Hofdichter glänzte , wurde
wenigstens in der Zeit des Fortunat selbst empfunden. Fortunat
selbst hat kurz nach dem Antritt seines Amtes bei Radegunde
der gebildeten Welt Gralliens sich mit den Worten vorgestellt
(VIII, 1,11):
Fortunatus ego hinc humili prece voce saluto :
Italiae genitum Gallica terra tenet (so die Handschrift U).
Wer auch den Titel am Anfang und Ende der Gedichte ge-
macht hat 'Venanti Honori Clementiani Fortunati Presbyter!
Italici liber', auch er hat auf die fremdländische Abkunft des
Fortunat hingewiesen. Eine solche Hervorhebung der fremden
Abkunft wäre seltsam in späterer Zeit, z. B. in der Zeil Karl
d. Gr. , der seine Leute überallher holte : für unsern Rythmus,
welcher auf die Hervorhebung der fremdländischen Abkunft des
Fortunat aufgebaut ist, mag eben dies ein Zeichen sein, daß er
nicht lange nach dem Tode des Fortunat in Poitiers entstanden ist.
Die Her Vorkehrung dieses ungewöhnlichen Gedankens zeigt,
daß der Verfasser der Verse selbständig dachte, und dieser Geist
schimmert auch durch die gespreizten Merowinger Ausdrücke. In
diesen Zeiten galt hochtrabende, ungewöhnliche Ausdrucksweise als
die schönste Zier eines Schriftstückes, wofür ja die Schriften des
Fortunat selbst ein Beweis sind, insbesondere seine kaum zu ver-
stehenden künstlich stilisirten prosaischen Briefe. Das ist wichtig
nicht nur für die damalige lateinische Literatur, sondern auch für
die alten Denkmäler der angelsächsischen und der deutschen, aber
auch der spanischen Literatur.
Die Form des Rythmus ist ebenso interessant als der Inhalt.
Zunächst ist sehr auffällig die Reimfülle. Bis gegen das 12.
Jahrhundert sind lateinische Gedichte sehr selten, in welchen jede
Zeile mit dem Reim belegt ist, vielmehr sind fast überall reimlose
Zeilen dazwischen gemischt; zum Zweiten ist der Reim bis zum
12. Jahrhundert fast überall nur einsilbig: in diesem alten Ge-
dichte aber hat jede Zeile den Reim, und zwar den zweisilbigen
auf itas; geringe Ausnahmen finden sich in V. 11 dilicias, 18
epulas, 19 plateas. Dasselbe Reimwort (civitas) findet sich nur
in V. 3 und 20. Solche Reimfülle findet sich in den alten Zeiten
höchstens bei den Iren und ihren Schülern.
(Zeilenbau und Zeilengruppen) Die durch die Reime ge-
schiedenen Langzeilen zerfallen ofi'enbar in 2 Kurzzeilen, welche
ich im Druck durch kleine Zwischenräume getrennt habe. Die 2.
Kurzzeile schließt stets mit Proparoxytonon, also steigend: und
3*
36 Wilhelm Meyer,
es ergeben sich 10 Kurzzeilen zu8u_-, 8zu7u_ und 2 Kurz-
zeilen (V. 8 und 16?) zu 9 w — Die erste Halbzeile schließt 16
Mal mit Paroxytonon, also sinkend, und nur 5 Mal steigend, also
ergeben sich 9 Kurzzeilen zu 8 _u, 7 Kurzzeilen zu 9 _u; 2 (V.
ö und 14) zu 8u_, 2 (V. 3 und 19) zu 7 u_ und 1 (V. 1) zu
6 o Wir haben es also mit der alten rythmischen Umformung
des trochaeischen Septenars zu thun 8 _u + 7 u — , doch mit einer
besondern Art, welche ich nachher behandeln will.
(Die Zeilengruppen) Ich habe schon öfter hervorge-
hoben, welch auffallende Erscheinung in der Entwicklung der la-
teinischen Dichtungsform es ist, daß die Sinnespausen immer mehr
die Dichtungsform berücksichtigen. Horaz läßt noch mitten im
Satz eine neue Strophe beginnen. Doch bald wird nach einem
Distichon gern eine starke Interpunktion gesetzt. Commodian
setzt in dem Apologeticum nach jedem 2. Hexameter eine stärkere
Sinnespause; die griechischen Uebersetzer des Ephrem stellen die
Viersilber in Langzeilen oder Strophen zusammen ; Ambrosius
läßt nach jeder 2. Strophe kräftige Pause eintreten. Ja, bald
dringt die Herrschaft der Sinnespausen in das Innere der Stophen :
die ambrosianischen Strophen haben gern in der Mitte eine Sinnes-
pause (s. Ges. Abhandlungen II 119 und diese Nachrichten 1906
S. 198 über Auspicius); die Strophen der byzantinischen Hymnen-
dichter haben wie unsere Kirchenlieder für Melodie und Sinn ganz
feste Pausen, und nicht anders steht es mit der mittelalterlichen
Gesangslyrik. Bei jedem Gedichte z. B. der Carmina Burana
kann und soll der Forscher fragen, an welchen Stellen der Strophe
regelmäßig Sinnespausen stehen. Ich glaube, diese auffallende
Entwicklung hängt damit zusammen, daß bei den alten Griechen
die Worte die Hauptsache waren und der Vortrag der Melodie
nur ein so dünner Schleier, daß der Sinn der Worte verständlich
blieb, auch wenn die Pausen der Melodie nicht mit den Pausen
der Worte zusammen fielen. Bei den frühsten Christen war der
musikalische Vortrag intensiver ; er zwang so zu sagen die Worte,
dem Steigen und Fallen der Melodie sich anzuschließen, wenn sie
verstanden werden wollten. Das ist vielleicht ein semitisches
Erbstück gewesen. Denn wie in den Hymnenstrophen der Byzan-
tiner und des Ephrem die Sinnespausen die Strophe in ganz feste
Absätze gliedern, so soll es schon in den Psalmen sein (s. Ges.
Abhandl. II 111).
Auch die aus gleichen Zeilen bestehenden frühen Rythmen
werden meistens durch Sinnespausen in gleiche Gruppen von Lang-
zeilen zerlegt, welche dann oft noch durch Akrostichon gekenn-
ein Merowinger Kythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 37
zeichnet werden (s. Ges. Abh. I 240). Unser Rythmus ist so ge-
schrieben, daß man Gruppen von je 2 Langzeilen erwarten sollte;
doch diese Gliederung ist nicht durchzuführen. Dagegen habe ich
schon oben bei der Inhaltsübersicht (S. 34) angezeigt, daß mit
^iner Ausnahme vierzeilige Gruppen sich ergeben: Z. 1 — 4, 5 — 8,
9 — 12. Weiterhin ergeben sich die unregelmäßigen Gruppen Z.
13—15 und Z. 16 — 20; da aber Martin von Tours nnd Fortunat
von Poitiers (V. 17 — 20) doch eng zusammen gehören und mit
Hieronymus (Y. 16) nicht viel zu thun haben, so ist diese Ver-
letzung der Gruppentheilung nicht sehr schwer.
So können wir eher die verzweifelte 10. Zeile beurtheilen:
hier steht eine Kurzzeile 8 _ u zu viel : populo praecepit deus :
Cum terrae vobis repromissae venerit hereditas. Zunächst
denkt man daran, daß nach 'praecepit deus' eine Kurzzeile mit
dem Reim auf 'itas' ausgefallen sei: allein dann würde die Grup-
pierung der Zeilen zerstört. Auch wenn die beiden Zeilen lauteten:
Populo praecepit deus (sie refert antiquitas) :
cum terrae vobis repromissae venerit hereditas
wäre alles gut: aber wer sollte die Worte Ter Moysen latorem
legis' interpolirt haben? So weiß ich keinen andern Weg als bei
der Ueberlieferung zu bleiben und anzunehmen, daß der Verfasser
gewagt hat, eine Kurzzeile mehr zu setzen, also 8_u + 9_u + 7u —
statt 8_u + 7u — Ich gestehe, daß ich keinen andern Fall solcher
Kühnheit und Unregelmäßigkeit kenne, auch nicht in diesen ältesten
Zeiten der Rythmik.
(Zeilenbau) Nachdem die Umrahmung der Zeilen klarer
geworden ist, werden die Kurzzeilen selbst leichter sich besprechen
lassen. Neben den 9 regelmäßigen Kurzzeilen zu 8 -^ u stehen 7
zu 9 _u, neben den 8 regelmäßigen zu 7 u_ stehen sogar 10 Kurz-
zeilen zu 8u_; s. oben S. 36. Als ich 1882 die ältesten latei-
nischen Rythmen untersuchte und zu den gedruckten Texten auch
die Lesarten der Handschriften prüfte, fand ich Aehnliches. Die
Herausgeber hatten die überschüssige Silbenzahl vielfach auf die
des Schema's herabcorrigirt : ich erkannte, daß in der Gesetz-
losigkeit Methode sei, d. h. daß in der Merowinger und in der
frühen Karolinger Zeit viele Dichter sich erlaubt haben, in den
wenigen damals gebräuchlichen einfachen rythmischen Zeilen die
Silbenzahl des Schema's zu überschreiten; vgl. meine Ges. Ab-
handlungen I 187. Diese Freiheit war vielleicht deshalb aufge-
kommen, weil man auch in den entsprechenden quantitirten Zeilen
so oft überschüssige Silben sah, freilich solche, welche durch
Elision außer Rechnung standen. Von Gedichten, in denen diese
38 Wilhelm Meyer,
Freiheit angewendet ist, habe ich zusammengestellt: einige in
Trimetern und einige in Achtsilbern mit sinkendem Schlüsse (Gres.
Abb. I 213 und 214) und ziemlich viele Fünfzehnsilber (I 208).
Zu diesen letzten ist unser ßythmus über Fortunat zu fügen und
ein Hymnus sancti Medardi, welcher in der Zürcher Handschrift
auf den vom König Chilperich verfaßten Hymnus Sancti Medardi
(bei mir S. 208 no 37 B) folgt und im Anschluß daran von P. v.
Winterfeld in der Zeitschrift f. deutsches Alt. (Bd. 47, S. 80) ver-
öffentlicht worden ist^).
Diese ßythmen sind meistens nur in einer einzigen Hand-
schrift erhalten, und oft ist diese Handschrift eine sehr alte und
noch beherrscht von der Merowiugischen Sprachbarbarei. Oft auch
hat wie in Andachtsstücken so hier die Verschönerungs sucht ge-
haust, wie z. B. in Chilperich's Hynmus auf Medard, so daß viel-
leicht mancher Rythmus hierher gehört, den ich unter den ganz
verwilderten aufgezählt habe. Jedenfalls, so lange nicht alle
hierher gehörigen Rythmen veröffentlicht sind, läßt sich über die
Form dieser freien Rythmen nichts Abschließendes sagen.
Die Untersuchung der erträglich überlieferten E-ythmen scheint
schon jetzt zu lehren, 1) daß die gesetzmäßige Silbenzahl nur sehr
selten um 2 Silben überschritten worden ist, daß aber gemieden
wurde, weniger Silben zu setzen als das Schema verlangt, 2) daß
der gesetzmäßige Tonfall im Schlüsse der Kurzzeilen nur in den
verwilderten Rythmen verlassen ist.
Wie gezeigt, war schon die Mutter der beiden Handschriften
des Fortunatrythmus an einigen Stellen gefälscht; wir sind also
1) Winterfeld druckt meistens die Handschrift ab, dann wieder gibt er
corrigirten Text (z. B. 16, 2). Der Hymnus ist ja in Orthographie und in Text
verderbt : aber er kann und soll doch dem Verständnis mehr erschlossen werden,
als es von Winterfeld geschehen ist. In den Text zu setzen sind manche Vor-
schläge V. Winterfeld's ; 3, 1 commissi ; 3, 2 pigre ; 4, 1 'utique könnte auch fehlen'
(brieflich). 4,2 doctrinae divinae; 5,2 sancte; 6,2 debiles manus (brieflich);
14, 1 angelicos choros; 14,2 sedule; 16,2 dominum qui sanctos; 17, 1 filioque;
17, 2 sanctos coronat in perpetuo (brieflich). Dann ist wohl 2, 1 'nanctus'
passivisch = 'befunden'. 3,1 Norma? 5,1 vielleicht: Magna parvae pec-
tore gestans fide grana sinapis ; vgl. Matth. 17, 19 si habueritis fidem sicut
granum sinapis. 7,2 invocato numine? 8,2 reddens? 9,2 stelle um:
His et aliis insignis virtutibus es habitus. 11, 1 germine? 11,2 tene oder
pete? 12,2 perenniter negotiaV vgl. Matth. 25,21; dann Macc. I 10,35 (II
10, 11): constituentur super negotia regni. 13,2 Viventum terra celsum posthac
regnum promereberis V 15 Nee a mente tua, pie, oder
Nee amenae tuae, pie, paradisi epulae
nosmet ymnis te laudantes seducant memoriae?
ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 39
berechtigt, auch der Rythmik halber zu ändern. Es ist durchaus
unwahrscheinlich, daß die 1. Kurzzeile statt 8 Silben mit sinkendem
Schlüsse nur 6 oder 7 Silben mit steigendem Schlüsse gezählt
habe, wie die Handschriften in V. 1, 3 und 19 überliefert haben.
Die Silbenzabl ist richtig, aber die Schlußcadenz falsch in V. 5
und 14: hier ist durch leichte Wortumstellung zu helfen. Die
2. Kurzzeile ist nur bedenklich in V. 8 futurae vitae aeternitas
xmd 16 ecclesiae crevit sanctitas, wo 9 statt 7 Silben zu stehen
scheinen. Da Synizese in den alten Rythmen häufig ist, so ist
vielleicht in V. 16 ecclesiae dreisilbig. Aber V. 8 wäre nur dann
regelmäßig, wenn Elision angenommen werden dürfte. Allein Hiat
ist in unserm Rythmus gestattet, aber Elision und Hiatus neben-
einander konmien wohl in quantitirenden Hymnen der Westgothen
vor (Ges. Abb. I 204 210 217 227), sind aber in rythmischen Zeilen,
abgesehen vom Psalm des Augustin, äußerst selten (s. Ges. Abh. 1 210).
Die alten lateinischen Rythmen und die älteste
einlieiniisehe Zeile.
Die mittellateinischen Philologen haben schon nachgewiesen,
daß in der Blüthezeit des Mittelalters die Formen der französischen,
englischen und deutschen Dichtung durch die großen Neuschöpfungen
der mittellateinischen Dichtung, besonders der Gesangslyrik, theils
hervorgerufen, theils sehr stark beeinflußt worden sind. Das
Motett ist nicht eine Erfindung der französischen Volksdichter,
sondern stammt aus dem lateinischen Earchengesang.
lieber die Form der ältesten germanischen und romanischen
Dichtungen und über ihren Ursprung ist viel verhandelt worden
und die Ansichten gehen noch jetzt weit auseinander. Mit prinzi-
piellen Behauptungen, wie z. B. die Alliteration sei so innerlich
mit dem Wesen der germanischen Sprachen verwachsen, daß das
Urgesetz der germanischen Dichtung alliterirend sein und gewesen
sein müsse, oder mit Rückschlüssen, wie z. B. da im 11. Jahr-
hundert dieses oder jenes Gesetz herrschte, so habe es schon vom
Anfang an oder schon im 9. Jahrhundert geherrscht, kann ich
wenigstens nichts anfangen. Wie haben dann die Deutschen im
9. Jahrhundert aus der lateinischen Dichtung den Reim annehmen
und die Alliteration für alle Zeiten so gründlich aufgeben können,
daß unsem Kindern, wenn sie die ersten Versuche im Dichten
machen, nur Reime in den Mund kommen? Und wer den
wunderbaren Reichthum der Dich tungs formen des 12. Jahr-
hunderts kennen lernt, wie möchte der die Dürre der poeti-
schen Formen der Karolinger Zeit für möglich halten?
40 Wilhelm Meyer,
Nein, eine neue Mode kann in wenigen Jahrzehnten vieles Alte
stürzen und vergessen machen, zumal wenn sie Bedürfnissen in ein-
facher Weise entgegen kommt. So ist es mit der lateinischen
Seqnenzendichtung gegangen: in 1^/2 — 2 Jahrhunderten hat sie die
Dichtungsformen im nördlichen Europa von Grund aus geändert
und die meisten neu geschaffen.
Deshalb sind die Erforscher der mittellateinischen Rythmik
berechtigt zu fragen, ob nicht auch die alte lateinische Rythmik
schon vom 6. Jahrhundert ab auf die Dichter in den germanischen
und romanischen Sprachen Einfluß geübt hat.
In dem 6. — 8. Jahrhundert wuchsen die Völker in Süddeutsch-
land und am Rhein, in Frankreich und England, in Italien und
Spanien in die Formen hinein, welche die Römer im Verein mit
den alten Eingeborenen geschaffen hatten, im Handel und Wandel
in der Stadt und auf dem Lande, in Recht Verwaltung und Staats-
einrichtungen und nicht zum Wenigsten in Kirche und in Schule.
Die römische Bildung war das, freilich recht unklare, Ideal. Der
Frankenkönig Chilperich wollte um 580 neue Buchstaben in den
Schulen einführen und machte lateinische Gedichte. In Pavia
setzte man um 700 den Langobardenkönigen Grabinschriften in
lateinischen Rythmen. Als ein Langobardenkönig einige Jahre vor
700 eine Kircheneinigung zu Stande brachte, wollte er dies Ereignis
durch ein Gedicht verherrlicht wissen. Das geschah in lateinischer,
nicht in langobardischer, Sprache. Aber der Dichter machte Rythmen
und entschuldigte sich : iussa nequivi, ut condecet, Pangere ore sty-
loque contexere, Recte ut valent edissere metrici : Scripsi per prosam
ut oratiunculam. Die vornehmsten Dichter waren also die Dichter
von lateinischen quantitirenden Hexametern, ihnen stehen nach die
Dichter von lateinischen Rythmen. Aber die, welche in den ver-
schiedenen Landessprachen oder in einem der vielen Dialekte Verse
zu machen versuchten, waren am wenigsten geschätzt.
In Frankreich und in den romanischen Ländern konnten auch
wenig Gebildete Lateinisches verstehen. Das Bedürfnis oder der
Wunsch nach Texten in der Volkssprache regte sich daher in
Frankreich viel später. Die ältesten Dichtungen in französischer
Sprache, welche wir haben, sind in' einer Zeit entstanden, in welcher
die lateinischen Rjrthmiker bereits die schematische Silbenzahl
genau einhielten und bereits Sequenzen gebaut wurden, in denen
die gleiche Silbenzahl regiert: Phtongis paribus metricata phalanx
reboet ac librata {von der Gegenstrophe, hei Dieves X 150). Natür-
lich zählen nun auch diese ältesten französischen Rythmiker die
Silben schon genau ab.
ein Merowinger Kytlimus ii. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 41
Dagegen in den germanisclien Sprachgebieten war und blieb
Lateinisches nicht nur für das Volk, sondern auch für die meisten
Vornehmen unverständlich. Die Bedürfnisse der Kirche und vieler
Vorgänge des Lebens machten bald Uebersetzungen in die be-
treffenden einheimischen Sprachen sehr wünschenswerth oder noth-
wendig ; das führte naturgemäß dazu, daß in diesen Landessprachen
bald auch originale Stücke abgefaßt wurden, hauptsächlich Pre-
digten oder fromme Gedichte zur Erbauung der Frommen, aber
auch geschichtliche Texte oder erzählende Gredichte zur Unter-
haltung der Weltlichen.
Unter den germanischen Stämmen wurden wohl am frühsten
die Angelsachsen von den Iren, dem ältesten Gelehrten volke
Europa' s, zu literarischer Thätigkeit in ihrer eigenen Sprache an-
geregt. Etwas später regte sich in Deutschland die Prosa und
Dichtung in den einheimischen Sprachen.
Diese Dichter in der einheimischen Sprache des gewöhnlichen
Volkes standen nicht in selbstbewußtem Gegensatz zu den Dichtern
in lateinischer Sprache, sondern sie sahen zu ihnen hinauf. Den
Zeilenbau der quantitir enden Dichter nachzuahmen, war unmöglich.
Bsigegen war es möglich, Lehren der lateinischen Ehetorenschulen
über den schönen Stil nachzuahmen, so z. B. die über E-eim und
Alliteration. Ferner konnten die lateinischen Rythmen ein Vor-
bild für den inneren Bau der Zeile bieten. x
Das seltsame Ringen nach neuen Formen der lateinischen
Sprache und Dichtung, welches im 6. Jahrhundert und in der
nächsten Zeit im westlichen Europa vorhanden gewesen ist, können
wir noch nicht klar erkennen; aber daß diese Bewegung stark
war und daß sie Merkwürdiges schuf, lehren uns die verbreiteten
Schriften des Grammatikers Virgilius Maro und die noch selt-
sameren Hisperica Famina, welche Zimmer in diesen Nachrichten
1895 S. 117 — 165 besprochen und als südbritanisches Rhetoren-
latein aus der Wende des 5. und 6. Jahrhunderts charakterisirt
hat. Die Sprache dieser Denkmäler mag aus der Dunkelheit,
welche Sprache eigentlich ein gebildeter Christ lernen solle, ob
Hebräisch ob Griechisch oder ob Latein, einen Ausweg suchen
dahin, daß Alles gemischt werden solle. Aber sicher wurden
damals auch mancherlei Versuche mit neuen Versformen gemacht:
welches mehr unruhige als fröhliche neue Leben durch den Sieg
der lateinischen Sprache und Literatur bald wieder erstickt wurde,
so daß in den Schulen nur die wenigen rythmischen Formen der
klassischen Karolinger Zeit übrig blieben. Aber von Virgilius
Maro war eine förmliche Eythmik mit mancherlei reimenden
42 Wilhelm Meyer,
Zeilenformen entworfen und die Alliteration ist durch ein krasses
Beispiel belegt (s. Ges. Abs. I 199), und wenn man auch in den
Hisperica Famina die 3 Ausarbeitungen aus einander halten muß,
so sind sie doch sicher in Kolenform geschrieben mit sehr viel
Reim und häufiger Alliteration (s. Gres. Abh. I 234).
Zu diesen geheimnisvollen Schriftstellern scheint der Italiener
Fortunat den äußersten Gregensatz zu bilden. Doch auch bei ihm
ist Reim häufig und offenbar mit Absicht gesetzt, und genug Verse
beweisen, daß Fortunat auch in der Alliteration einen Schmuck
seiner Dichtungen fand (s. Ges. Abhandlungen II 366/9); z. B.
Vita Martini:
I 506 foedere fida fides formosat foeda fidelis.
II 352 Martinique fidem neque fulgida forma fefellit.
III 115 et data letiferum revocat retro fistula rivum.
III 354 tum sacer ex solito miseratus more salubri.
Diese Verse beweisen, daß auch in denjenigen Versen, wo
Fortunat mit demselben Wortstamm spielt, es ihm nicht sowohl auf
dieses Spiel ankam als vielmehr auf die Alliteration. Außer dem
krassen Beispiel in Appendix no 5 vgl. Verse, wie Vita Martini:
I 99 ne timeam timidum, timor est deus arma timentum.
I 347 dum rapit eripitur rapienda rapina rapaci.
I 508 inlustris lustrante viro loca lustra ligustra.
II 329 unde probanda probo, reprobo reprobantia probra.
Niemand wohl möchte behaupten, daß Fortunat in Ravenna den
Ostgothen, Virgilius Maro in Frankreich etwa den "Westgothen,
jene Engländer den Angeln und Sachsen Alliteration oder Reim
abgelernt haben. Dieser Redeschmuck wurde neben vielen andern
ähnlichen Kunstgriffen in den Lateinschulen dieser Länder be-
sprochen und angewendet.
Reim und Alliteration waren also schon vor 600 bei latei-
nischen Schriftstellern Italiens, Frankreichs und Englands als ein
besonderer Schmuck der prosaischen wie der poetischen Rede an-
erkannt und sind als solcher oft, aber nicht regelmäßig oder immer,
angewendet worden.
Anderseits haben, wie oben S. 37/38 besprochen, mehr als ein
Dutzend lateinische Rythmen aus der Zeit vor 800, welche den
trochaeischen Scptenar nachahmen, also Zeilen zu 15u— . = 8—u-f
7 u _ , dann etliche Rythmen in Trimetern und einige in Zeilen zu
8 -u (s. Ges. Abh. I 208 213 214) statt der regelmäßigen Silben-
zahl der Kurzzeile oft ^ine Silbe, selten vielleicht 2 Silben zuge-
setzt. Die meisten dieser Gedichte stammen aus Frankreich, einige
aus Oberitalien. Ob diese Dichter sich gestattet haben, auch
ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 43
weniger Silben in die Kurzzeile zu setzen als das Schema ver-
langt, ist sehr unsicher; es ist auch wenig wahrscheinlich, falls
die Dichter wirklich sich die Zusatzsilben nur deswegen erlaubt
haben, weil sie in den quantitirenden Gedichten die überschüssigen,
aber durch Elision wegfallenden Silben im Auge hatten.
Die lateinischen rythmischen Dichter der hier in Betracht
kommenden Zeiten bildeten hauptsächlich: rythmische Hexameter,
rythmische Trimeter (5 — o + 7w_) und rythmische Fünfzehn-
silber (8_u + 7u_), aber besonders oft die ambrosianische Zeile
zu 8 Silben mit steigendem Schlüsse.
Diese Elemente kamen hauptsächlich in Betracht, wenn christ-
liche Dichter in England im 6. oder 7. Jahrhundert in ihrer eigenen
Sprache Gedichte verfassen und dabei von der lateinischen Rythmik
lernen wollten, wie sie ihre bisher gebrauchte Versform umge-
stalten oder wie sie Neues machen sollten. Dabei ist das Ver-
fahren der Nachahmer zu beachten. Wenn man bei Andern
Schönes zu finden glaubt und den Entschluß faßt, das selbst her-
überzunehmen, so geschieht es leicht, daß das, was bei dem Andern
beliebt, aber nur Nebensache, nur Gewohnheit war, von dem Nach-
ahmenden viel schärfer betont wird , daß die beliebte Mode , die
Regel zum Gesetz wird, welches nicht verletzt werden soll. So
ging es mit dem Reim. Bis in die Karolinger Zeit ist der Reim
in der lateinischen Dichtung nur ein Schmuck, der gern angewendet
wird, der aber auch in diesem oder jenem Verse fehlen kann. Im
9. Jahrhundert wurde er in die deutsche Dichtung, dann bald in
die französische Dichtung eingeführt und hat bald die ganze mittel-
alterliche Dichtung erobert: in diesen nationalen Dichtungen aber
darf von Anfang an kein Vers ohne Reim stehen: die Nachahmer
haben die freie Wohlklangsregel zum strikten Gesetz gemacht.
Dieses Gesetz ist dann im Laufe des 11. Jahrhunderts wiederum
rückwärts in die mittellateinische Dichtung übergegangen, so daß
von da an auch in den mittellateinischen Gedichten die Reimkette
eine ununterbrochene sein muß.
Diejenigen, welche in England nach dem Vorbild der latei-
nischen Rythmen Verse in ihrer einheimischen Sprache formen
wollten , hatten keinen Anlaß , die verschiedenen Zeilenarten der
damaligen lateinischen Rythmik nachzumachen; sie konnten froh
sei, einen brauchbaren Vers zu haben. So haben die altlateinischen
Dichter sich statt der 3, ganz verschieden gebauten Arten des grie-
chischen Trimeters, des lyrischen, tragischen und komischen, sich
eine Art, den altlateinischen Senar, zusammen gemischt und diesen
dann für alles Mögliche gebraucht. Für jene englischen Dichter war
44 Wilhelm Meyer,
am geeignetsten die viel gebrauchte und einfache Kurzzeile von
8 Silben mit steigendem Schlüsse. Nach dem Vorgang des Am-
brosius waren meistens 4 solcher Achtsilber zu einer Strophe zu-
sammen gestellt, indem je 2 eine Langzeile bildeten; nach der
ersten Langzeile trat meistens mittlere Sinnespause ein (vgl. zu
Auspicius S. 197, in diesen Nachrichten 1906).
Die lateinischen Dichter jener Zeit wendeten oft Alliteration
als Schmuck an, doch ohne Zwang: die Nachahmer machten aus
der Mode ein Gesetz. Dies hat wiederum in den lateinischen
Versen späterer Angelsachsen übertriebene Alliteration hervor-
gerufen, wie in den vor 706 verfaßten Versen des Aldhelm (Mon.
Germ., Epistolae III 246):
Summo satore sobolis satus fuisti nobilis.
Tegat totum tutamine truso hostis acumine.
So hoben sich in den Zeilen die alliterirenden Silben besonders
hervor. Das waren natürlich wichtige Silben, hauptsächlich Stamm-
silben. Diese Stammsilben tragen in den germanischen Sprachen
stets besonderen Accent, weshalb auch jede germanische Rythmik
von Hebungen ausgehen muß. Es wurden nun diese von Wortaccent
und Alliteration hervorgehobenen Silben die wichtigen Pfeiler der
Silbenkette des Verses, welche sonst wie Prosa dahinlief. Aber alle
vom Wortaccent hervorgehobenen Stammsilben auch noch durch
regelmäßige Allitteration oder Assonanz hervor zu heben, wäre,
wie in den obigen lateinischen Versen, mehr Künstlichkeit als Kunst
geworden. So schieden sich für gewöhnlich in den Zeilen 3 Arten
von Silben: die unbetonten, die betonten und die betonten und
zugleich alliterirenden.
Die freien lateinischen Rythmiker hielten nicht streng die
Silbenzahl des Schema's ein: sie haben sicher oft mehr Silben ge-
setzt als das Schema wollte; ob auch weniger, das ist noch nicht
sicher gestellt. Für die germanischen Nachahmer lag kein Grund
vor, weshalb sie nur mehr und nicht auch weniger Silben sich
gestatten sollten ; sie hielten sich für berechtigt, von der gewöhn-
lichen Silbenzahl abzuweichen und mehr oder weniger Silben zu setzen.
Allein auf Harmonie und auf Wiederholung derselben Maße
beruht die Dichtungsform: wenn man die Gleichheit oder Aehn-
lichkeit der Silbenzahl überhaupt aufgab, so mußte an anderer
Stelle eine Gleichheit geschaffen werden. Dazu boten sich die in
germanischen Zeilen wichtigsten Silben, nämlich die betonten
Stammsilben oder das, was wir Hebungen nennen. Sie repräsen-
tirten etwa die wichtigen, vom Versaccent getroffenen Längen der
quantitirenden Verse. Das einfachste Gesetz war also, daß in den
ein Merowinger Kythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 45
Zeilen die betonten Silben gezählt wurden. Dazu konnte als höhere
Stufe sich gesellen, daß von diesen betonten Silben eine bestimmte
Anzahl zugleich alliterirte. Dieses zweite Element war eine Zu-
gabe, konnte also wegfallen : was ja auch in Deutschland im 9.
Jahrhundert geschehen ist, als der Endreim den Stabreim über-
flüssig zu machen schien. So hatte also die lateinische rythmische
Zeile zu 8 Silben mit steigendem Schlüsse sich dahin verändert,
daß 4 stark betonte Silben stehen mußten, neben und zwischen
denen bis zu 5 schwach betonte Silben stehen konnten, aber nicht
stehen mußten. Von den betonten wurden in der Regel eine An-
zahl durch Alliteration besonders hervorgehoben.
Altdeutsche ßythmik in lateinischen Versen.
Die Formen der lateinischen Dichtung in der Karolinger Zeit
waren recht spärlich, trotzdem das geistige Leben ein reges war.
Erst gegen Ende des neunten Jährhunderts wagten in dem sanges-
kundigen St. Grallen Tutilo und Notker vom Gresang sich zu
Neuerungen führen zu lassen, zu den Tropen und Sequenzen. Diese
Neuerungen, besonders die Sequenzendichtung, gestalteten dann
die ganze mittelalterliche Dichtung um. Es scheint, daß diesem
Ruhme St. Gallen's noch eine weitere Erfindung zuzurechnen ist.
In der Karolinger Zeit wurde , wie die lateinische , so auch
die deutsche Dichtung eifrig gepflegt und dabei natürlich auch die
deutsche Rythmik genau ausgebildet. Das war aber ein seltsames
Gebilde. Die quantitirenden lateinischen Verse kümmerten sich
nur um lange und kurze Silben und um deren Zusammensetzung
in abgemessenen Füßen und in den bekannten Zeilenarten. Die la-
teinischen Rythmen zählten die Silben der Kurzzeilen ab, achteten
auf die Schlußkadenz dieser Kurzzeilen und suchten damit einige
der bekanntesten quantitirenden Zeilenarten äußerlich zu copiren.
Anders die altdeutschen Zeilen: sie rechneten nur die stark
accentuirten Silben, die Hebungen, in der Regel 4 in einer Kurz-
zeile. Dagegen die Senkungen waren Nebensache; sie konnten
ganz fehlen; es konnten eine oder es konnten zwei vor einer
Hebung stehen. Nur am Zeilenschluß herrschte eine besondere
Regel. Die Zeile sollte mit einer Hebung schließen, und Wörter
wie miner galten als -j--i., d. h. als 2 Hebungen. Eine vierhebige
Zeile der Art konnte 4 Silben zählen (ohne jede Senkung), sie
konnte aber auch, mit je 2 Senkungen vor jeder Hebung, theo-
retisch nicht weniger als 12 Silben zählen. Diese vierhebige Zeile
war also außerordentlich vielgestaltig und brauchbar ; sie war aber
46 Wilhelm Meyer,
auch fast die einzige, also beim Volk sehr beliebt und verbreitet.
War es nicht schwer von den quantitirenden Zeilenarten eine
Brücke zu schlagen zu ihren Nachbildungen in den rythmischen
Zeilen, so schien eine Brücke von den Formen der auf Silbenzahl
und Schlußkadenz achtenden lateinischen Rythmik hinüber zu der
nur die Hebungen zählenden altdeutschen Rythmik undenkbar.
Da hat ein Deutscher und, wie es scheint, ebenfalls in St.
Gallen es gewagt, in das fremde Formengebiet, in welches keine
Brücke führte, mit kühnem Sprung einzubrechen und lateinische
Verse nach den Regeln des altdeutschen Zeilenbaues
zu formen.
Ratpert hatte vor 880 in St. Gallen einen deutschen Lob-
gesang auf den h. Gallus gedichtet; er ist verloren. Ekkehard IV
hat diesen Hymnus in St. Gallen nm 1020 ins Lateinische über-
setzt, der Melodie halber möglichst Wort um Wort. Jac. Grimm
hat 1838 von diesen lateinischen Zeilen gesagt: 'Zwischen den
otfriedischen Langzeilen und denen des Gallusliedes ist unver-
kennbare Aehnlichkeit; jede Hälfte zeigt die vier Hebungen mit
den ausgedrückten oder auch fehlenden Senkungen'. Doch seit 70
Jahren haben Manche diese Worte Grimms nur nachgeschrieben,
Viele sie nicht geachtet. Denn selbst, wenn Grimm Recht hatte,
konnte ja das Bestreben, eine gegebene Melodie genau nachzu-
ahmen, den Ekkehard zu einem Unicum von Zeilenbau geführt haben.
Auf seltsamen Umwegen bin ich in dieser Sache zum Ziel ge-
kommen. Ekkehard's Zeilen beschäftigten mich schon 1882; doch
habe ich damals nur den Bau der Strophe genauer erkannt ; für
Grimm's Erklärung des Zeilenbaues war auch ich verständnislos
(s. Ges. Abhandl. I 239). Später mühte ich mich oft, die Formen
etlicher Carmina Burana zu enträthseln (Ges. Abh. I 249). 1905
war ich zur Vermuthung geführt worden, daß in ganz später Zeit
des Mittelalters ein und der andere Dichter lateinischer Zeilen
eine oder die andere Freiheit der spätesten mittelhochdeutschen
Rythmik nachgeahmt habe. 1906 erkannte ich, daß eines der
bösen Carmina Burana, no 22, verständliche Formen habe, wenn
man nach der altdeutschen Ryihmik den Schluß primüs == dem
Schlüsse wovissimüs setze; daß aber das andere, noch bösere no
17, verständliche Formen habe, wenn man überhaupt altdeutschen
Zeilenbau hier für möglich halte. Das habe ich in der Abhandlung
über die rythmischen Jamben des Auspicius angedeutet (s. diese
Nachrichten 1906, S. 214 Note). Neulich stieß ich auf den
Rythmus 'Audi me deus piissime', den Dreves (Blume) Analecta
33, 237 aus der Brüsseler Handschrift 1351 gedruckt hat. Die
ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 47
Handschrift ist im 10. Jahrhundert geschrieben und stammt wahr-
scheinlich aus St. Grallen. Ich versuchte Vieles; doch endlich sah
ich : Die Formen der 88 Zeilen dieses Rythmus sind nur verständ-
lich, wenn sie als Vierheber der altdeutschen Art mit allen Frei-
heiten aufgefaßt werden. Jetzt kehrte ich natürlich zu dem sicher
St. Gallen'schen Denkmal zurück , zu den Strophen Ekkehard's.
Es war sofort klar, daß sie Vierheber altdeutscher Art enthalten,
die aber der eigenartigen Melodie halber viele Freiheiten nicht
angewendet haben. Endlich prüfte ich wiederum die räthselhaften
Gedichte der Carmina Burana, von denen ich ausgegangen war,
und kam auch in no 51, 158, 182, 192 und 195 zum Ziel; no 29
und no. 197/8 sind mir noch nicht klar. Nachdem jetzt die
Augen geöffnet sind, ist zu erwarten, daß noch weitere Denkmäler
dieser altdeutsch-lateinischen Rythmik nachgewiesen werden.
(Die Beichte) In der Brüsseler Handschrift, no. 8860/67
nach der alten Bezeichnung, no. 1351 nach der neuen im Kataloge
J. van den Gheyn's Vol. II, steht das folgende Gedicht fol. 12^ — 14.
Die Handschrift ist gewiß in Deutschland geschrieben und wahr-
scheinlich in St. Gallen, und zwar im 10. Jahrhundert. Das Ge-
dicht ist ein Abcdarius, wie solche in jenen Zeiten viele gedichtet
wurden. Ich gebe den Text nach dem Abdruck bei Dreves, Ana-
lecta hymnica 33 S. 237. Dazu habe ich von Karl Strecker,
welcher die Handschrift copirt hat, die Nachricht erhalten, daß
der Abdruck mit der Handschrift übereinstimme außer an den zu
6, 2. 20, 5. 22, 1 und 2 mit 'Str.' bezeichneten Stellen.
De accusatione hominis erga deum.
1 Audi me, deus piissime ! 3 Coepi servire domino :
impie vivendo peccavi, invidia diaboli
nimis. vicit me.
Mortem cönsecütus süm Donum döi habui:
oboediendo satanae, dies meos negl^xi.
captus sum. heu me!
2 Bone plasmator, aüdi me! 4 D^us invisibilis,
longe factus sum d te, qui siirsum sedes, vide
piissime. humilem,
peccata m^a ligant me. cor contritum. plango ad te,
ut rev^rtar ad te, miserere super m^,
adiuva me. quia plasmasti me.
3, 4 vgl. 1 Cor. 7, 7 4, 3 humilem. Contritus plängo ad t^ ?
48
Wilhelm Meyer,
5 Exednt peccatä,
quae siint in me confixä,
misero.
Abrenüntio diabolo
et Omnibus ^ius actibüs,
adiuvante te,
6 Fiant mihi lacrimae
pänis die ac nöcte,
cotidie.
ömnia möa crimina
veniant in memoria,
ante te.
7 Gravia enim delicta
gravia quaerunt lamenta:
sie et in me.
mcesti quöque oculi
flüunt mihi amariter,
undique.
8 Haec erat lamentätiö
in aliönis opibüs,
et non in meis.
AÜena congregavi,
caeli thesaiirum p^rdidi.
heu me!
9 Infra saneta r^gulä
nutritus füi dülciter.
postmodmn
omnia mala perföci:
te sölum nön negdvi,
omnipotens.
10 Kalümnia super calümniä,
fiii super omniä,
ego miser.
si peccdvi grdvit^r,
iam fl^bo amäritfer.
indulge me!
5, 5 Omnibus Dreves, omnes Codex
11 Lux desiderabilis,
scio me lönge a te,
piissime.
si av^rtis faci^m,
übi p^to veniäm,
nisi a te?
12 Mihi lamentätiö
pliira fiat prae Omnibus,
pro delictis meis.
De tüis quod perdidi,
in quo mihi recüperem,
nisi per te?
13 Non mereör, ut mihi
parcas, nisi fiierit
pietas tua.
HOC precor, ut memineris,
quod pretium me emisti,
redemptor vitae.
14 0 mira exspectatio
et cördis lamentätiö,
pro delictis meis.
ömnia möa crimina
reduco in memoria
coram te.
15 Peccavi cum peccantibüs.
nüUus ^st, qui adiuv^t
in planctibus.
Qui mihi sunt consimü^s ?
planxi incössabiliter,
apud me.
16 Quare non füi mörtuüs,
dum füi in sacris föntibüs?
ego miser!
vel cüi süm consimilis
in tam mdlis criminibüs?
ego miser!
6, 1 Psalm 41, 3 6, 2 die Äa< die
Handschrift {Str.)
ähnlich 6, 4—6.
13, 5 pretio? vgl. 1 Cor. 7, 23 14, 4—6 = 18, 4—6;
ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen, 49
17 Revertere ad me, domine, 20 TJni d^o per ömnia
ne pereamus invicem! ägimus paönit^ntiam
succurre nobis! vivendi.
Eedemptor vitae maxime, ut mäior iracimdiä
quid sum dictiirus ante te, culpa inquirit gratiä,
domine? indulge me!
18 Sancte et immortalis, 21 X Y et Z
indulge meis peccatis, conclüdunt ista verba
altissime ! simplicia.
omnia mea criminä ömnes intente auditfe,
redüco in memoria, paenitentiam ägite
ante te. et vivite.
19 Tibi refero gloriäm, 22 Gloria d^o coa^vo
qui me exspectas per t^mpora, cüi honorem semper dö,
domine. altissime,
porrige auxiliüm, Üna cum dei filiö
eripe m^ de exsilio, öt cum säncto spiritü.
quo captus sum! Amen.
18, 6 ante te Dreves, ante te domine Codex 20, 3 viventi ? s. Vulgata
20, 4 maior iracundiä culpam inquirat gratiä? gratia Handschrift (Str.), nicht
gratiam (Dreves) 21, 1 xi ypsilon et ze'tä 22, 1 coaevo Dreves: q aevo
Handschrift {Str.) 22, 2 do Dreves: deo Handschrift (Str.) 22, 3 altissimo ?
Die 3. und 6. Zeile jeder Strophe scheinen regellose Nach-
rufe; ich bespreche nur die 1. und 2., 4. und 5. Zeile: also 88
Zeilen. Ich scheide zunächst 2 Klassen, je nachdem (I) die Zeilen
sinkend schließen (23), oder (II) steigend (65). Jede Klasse teile
ich in 2 Arten, je nachdem die Zeilen mit der Hebung beginnen
(lA: 14; IIA: 43 = 57), oder mit einer Senkung (IB: 9; IIB:
22 = 31). Oft stehen statt einer Senkung 2 Senkungen (52 Mal);
darnach scheide ich Unterarten.
I: vierhebige Zeilen mit sinkendem Schlüsse: (23)
I, A : Zeilen, welche mit der Hebung beginnen : (14)
1. ^u^u^^: exeant peccatä 5, 1; 2, 5 =2
2. a.uu-£.u^A: sancte et immortalis 18, 1 ; 11,2 =2
3. ^u^uu_£_jl: dies möos negl^xi 3, 5; 2, 2; 6, 2; 21, 1 = 4
4. -^uu^uu^jl: gravia quaerunt lamenta 7, 1 u. 2 ; 9, 4 ;
21,4; 22,1 = 5
Zweifelhaft (5) : 1,2 impiö viv^ndö pöccävi (s. S. 63 Note) = 1
Kgl. Ges. d. Wiss, Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908, Heft, 1. 4
50 Wilhelm Meyer,
I, B: Zeilen, welche mit einer Senkung beginnen: (9)
6. u^u^uj-jl: qui sürsnm sedes vide 4,2; 5,2; 9,5;
13, 1 ; 21, 2 =5
7. uu-z.u^u_i.jL: ali^na congregavi 8,4 = 1
8. u^uu_«_u^j_: qnod pretium me emisti 13, 5 =1
9. u-<Lu-Luu^-^: indulge meis peccätis 18,2 = 1
Zweifelhaft 4, 4 contritus plango ad te =1
II: vierhebige Zeilen mit steigendem Schlüsse: (65)
n, A: Zeilen, welche mit der Hebung beginnen: (43)
10. ^u^u_^o2_: dönum dei habui 1,4; 3,4; 4,1; 4,5; 6,1;
9,1; 10,2; 10, 4; (10, 5?); 11,1.4.5; 12,1;
(12,4?); 13,2; 15,2; 19,4; 22,5 = 18
11. _^uu^u^ujl: böne plasmator aüdi me 2,1; 3,1; 6,4.5;
8,5; 14,4; 15,5; 16,1; 17,5; 18,4; 20,
2.5; 22,2.4 = 14
12. _^u_^uu-«_u_l: tibi refero gratiäm 5,4; 7, 5; 12,2.5;
16,5; 19,1; 20,1; 21,5 = 8
13. -e.KJUJLUKju.u±.: aüdi me d^us piissime 1, 1; 19,2. 5 =3
n, B: Zeilen, welche mit der Senkung beginnen: (22)
14. u^u^u^u^: et cordis Jamentatio 1,5; 2,4; 3,2; 7,4;
8, 1.2; 10, 2; 13, 4; 14, 1. 2. 5; 15,1.4;
16,4; 17,2.4; 18,5; 20,4 = 18
15. u_e.uu^u_/i-v^^: revertere ad me domine 5,5; 16,2; 17,1 = 3
16. wx uu-x uu_«_u_^: kalümnia super calümnia 10,1 = 1
Dies sind 16 verschiedene Zeilen von 6 — 10 Silben und von
verschiedener Schlußcadenz. Mit den bisherigen Hilfsmitteln der
lateinischen Rythmik sind sie nicht zu verstehen. Aber mit den
Regeln der altdeutschen Rythmik sind sie verständlich als vier-
hebige Kurzzeilen.
(Hebungen) Wenn im Schlüsse -ljl = u-uJ- gesetzt wird,
wie vide = vi-i-de, dann haben alle 88 Zeilen 4 Hebungen, d. h.
4 von rythmischem Wortaccent belegte Silben. Vom Nebenaccent
macht der Dichter in der Zeile selten Gebrauch, wie 13,1 non
m^reor ut mihi (19, 4 ; 3, 2 ; 5, 1). Wichtig sind die 2 Zeilen :
10, 5 iam flebo amariter, und 12, 4 de tuis quod perdidi. Sie
scheinen nur 3 Hebungen zu haben. Sie können mit der ger-
manistischen Lehre von der schwebenden Betonung einge-
renkt werden : Idm flebo amdriter, D6 tuis quod perdidi. Doch
der Dichter, welcher 350 Hebungen richtig auf die Accentsilben
gesetzt hat, soll 2 solche unnatürlichen Betonungen gesetzt haben?
Ich glaube vielmehr, daß der Dichter das Gesetz des Schlusses
ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 51
hier als Ausnahme 2 Mal in einer Art von Caesurschluß zuge-
lassen hat: (17) lam flebo • amariter, De tiüs * quod perdidi.
Ein Vers ist falsch : 4, 4 Cor contritum. plango ad te hat 5
Hebungen. Doch der Vers gibt Anlaß zu andern Bedenken. Die
Strophen haben (mit Ausnahme der 9. und vielleicht der 15. Strophe)
nach der ersten Halbstrophe stets eine Sinnespause; hier aber
müßte 'cor contritum' neben 'humilem' von 'vide' abhängen; außer-
dem steht 'plango ad te' ganz kahl. Deswegen glaube ich , daß
^cor' zu tilgen und 'Contritus plango ad te' zu ändern ist.
(Senkungen) 1 Senkung darf vor jeder Hebung stehen:
vor der 1. Hebung kann sie stehen oder fehlen; vor der 2. und
3. Hebung ist sie nach der barytonen Beschaifenheit der lateinischen
"Wörter nicht zu vermeiden; zwischen der 3. und 4. Hebung kann
sie fehlen. 2 Senkungen sind erlaubt und in merkwürdiger Fülle
zugelassen : in 43 Zeilen von den 88 findet sich Doppelhebung und
davon in 9 Zeilen sogar 2 Mal : gravia quaerünt lämenta, aüdi mö
deüs piissime, kalumniä süpör cäliünnia. Die Zeile scheint auch
mit doppelter Hebung anfangen zu dürfen, da in 8, 4 äliena con-
gregavi kein Grund vorliegt, Synizese anzunehmen. 3 Senkungen
hinter einander widersprechen eigentlich der Rythmik, da die
menschliche Zunge dann die mittlere accentuirt: allein in 1, 2
impie vivendo peccävi würden durch die Betonung impie 5 He-
bungen sich ergeben; also ist entweder pie mit Synizese als 1
Silbe zu lesen, oder man muß 3 Senkungen lesen: impiö viv^ndo
pgccävi (s. S. 63 Note).
Der Vierheber ist hier durch freie Verwendung von ein-
fachen und doppelten Senkungen zu 16 Zeilenarten von ver-
schiedenem Tonfall ausgestaltet, und noch mehr Arten wären mög-
lich. Solche Verschiedenheit im Tonfall und in der Silbenzahl ist
nur möglich bei einem Deklamations- oder Sprechvers : in ge-
sungenen Versen verlangt die Gleichheit der Melodie wenigstens
einige Gleichheit des Tonfalls und der Silbenzahl. Das beweist
das folgende Gedicht.
(Ratpert's Lobi^esang von Ekkehard in's Lateinische über-
setzt) Ekkehard des IV. lateinische Uebersetzung findet sich
nach Müllenhoff-Scherer-Steinmeyer's Denkmälern (no XII), die
ich hier zu Grunde lege, in 3 Handschriften in St. Gallen: no
393 A, no 168 (ß) und no 174 (C). Alle 3 Handschriften scheinen
von Ekkehard IV. selbst herzurühren. Der Text ist also trefi'lich
überliefert; nur in Strophe 1, Zeile 2, glaube ich mit Recht 'um-
52 Wilhelm Meyer,
quam' getilgt und 'misit' umgestellt zu haben; dazu kommt wohl
noch Str. 8, Zeile 3, wo 'deum meum' rythmisch falsch ist^).
lieber den Zeilenbau hat das Richtige eigentlich schon
Grrimm 1838 erkannt; er hat es aber so undeutlich gesagt oder
so mit Irrthümlichem oder Nebensächlichem verquickt, daß Niemand
nachher Grrimm's richtigen Fund verstanden oder verwertet hat.
Die Initialen der Handschriften zeigen deutlich, daß das Gedicht
in 17 Strophen von je 5 Langzeilen zerfällt. Grrimm erwähnt,
daß Otfried Gruppen von je 2 Langzeilen bilde, und fährt fort
(Lateinische Gedichte des X. und XL Jh., S. XXXIV: 'Sonst aber
ist zwischen den otfriedischen Langzeilen und denen des Gallus-
liedes unverkennbare Aehnlichkeit, jede Hälfte zeigt die vier He-
bungen mit den ausgedrückten oder auch fehlenden Senkungen.
Man vergleiche:
7, 3 diix fit Hiltibaldüs. occürrit locus commodüs.
IV 23, 39 antwurtita lindö. ther keisor ewinigo tho.
6, 2 cui mandat mötüs. quod restet Columbaniis.
V 23, 20 allo thio scöni. wio wiinnisam thar wäri.
Nur daß im Ganzen die zweite Hälfte der ersten merklich vorwiegt,
d. h. in dieser die Senkungen öfter mangeln. Soll ich es nach
der Silben zahl ausdrücken, so findet sich, daß die zweite Hälfte
häufig aus 8 und 7, seltener aus 6 Silben besteht, die erste da-
gegen oft aus 6 und 7, niemals aus 8. Die 8 Silben verleihen der
zweiten Hälfte jambischen Klang, die 6 Silben der ersten Hälfte
des Verses trochäischen oder auch der zweiten (2, 5 Francis immo-
rantur). Allerdings scheint die Schlußzeile jeder Strophe sechs-
silbige Hälften zu lieben'. Den Umstand, daß die erste Hälfte
niemals 8 Silben zählt, die zweite Hälfte aber oft, benützt Grimm
S. XXXVII um für eine Aehnlichkeit dieser Langzeilen mit dem
Hexameter zu sprechen, dessen erste Hälfte vor der Caesur ja
kürzer ist als die zweite.
Den Bau der Strophe hat Grimm nicht erkannt, wie seine
Bemerkung zeigt (S. XXXIV): 'Auf den Bau der einzelnen Verse
selbst scheint dies strophische Verhältnis keinen Einfluß zu haben'.
Dem gegenüber habe ich schon 1882 (Ges. Abhandlungen I 239)
festgestellt, daß die letzte Zeile der Strophe anders gebaut ist,
als die 4 ersten, indem ihre zweite Halbzeile stets mit einer He-
bung beginnt.
Da der musikalische Carakter dieses Liedes wichtig ist,
1) Hiatus in der Kurzzeüe findet sich nur in 4, 1 Tucconio ingrato und
17, 5 in tremeudo examine ; zwischen den Kurzzeilen in 12, 3 und 5 ; 14, 1.
ein Merowinger Rythraus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 53
SO setze ich die Einleitung des Uebersetzers selbst hierher, in den
beiden Fassungen, welche er ihr gegeben hat : Ratpertus monachus,
Notkeri quem in sequentiis miramur condiscipulas , fecit carmen
barbaricum populo in laudem sancti Galli canendum, quod nos
multo impares homini, ut tarn dulcis melodia latine luderet, quam
proxime potuimus in latinum transtulimus (Handschrift A, Denk-
mäler I 27). Dagegen bieten die Handschriften B und C (Denk-
mäler II 79) : Ratpertus , Notkeri quem in sequentiis miramur
condiscipulus, post sancti Gralli historiam et alia multa quae fecit
insignia, fecit et carmen barbaricum de sancto Grallo cantitandum,
quod postea fratrum quidam, cum rarescere qui id saperent (woJil
wegen der Veränderung der deutschen Sprache, in 150 Jahren^) videret,
ut tam dulcis melodia latine luderet (ne . . memoriae laberetur B),
quam proxime potuit transferens, talibus operam impendit.
Ekkehart IV und also schon Ratpert wollten nur vierhebige
Kurzzeilen bilden mit der Eigentümlichkeit der deutschen Vier-
heber, daß der Schluß abät (a-ä-bät) = märtyris galt. Aber sie
wollten eine von Ratpert, dem Genossen des sangeskundigen Notker,
erfundene Melodie einhalten. Da war es unmöglich, daß sie sich
all die Spielarten des Vierhebers gestatteten, in welchen er auf-
treten konnte; deren Zahl ist mit den oben (S. 49) in der Beichte
nachgewiesenen 17 Arten noch nicht erschöpft. Sie trafen also
eine Auswahl. Hierbei handelte es sich nicht um Hebungen, —
diese waren immer 4 — sondern nur um Senkungen. Sie
schieden nun zunächst die Vierheber in 2 Grruppen: solche, welche
mit einer Hebung beginnen, und solche, welche mit einer Senkung
beginnen. Daraus setzten sie zweie,rlei Langzeilen zusanmien:
1) eine Langzeile, deren erste Halbzeile mit der Hebung beginnt,
deren zweite Halbzeile aber mit einer Senkung beginnt; 2) eine
Langzeile, deren beide Halbzeilen mit der Hebung beginnen. Die
Strophe bildeten sie nun so, daß sie die Langzeile der ersten Art
4 Mal setzten und durch 1 Langzeile der zweiten Art abschließen
ließen. Jede Strophe enthält also 10 Vierheber; von diesen be-
ginnen 6 mit einer Hebung (no 1 — 6), 4 mit einer Senkung ab cd.
Es entsteht also folgende Strophe:
1 + a Nunc incipiendüm est mihi mägnum gaüdiimi.
2 + b Sanctiorem nüllüm quam sänctum misit Gdllüm
3 -t- c filiüm Hiberniä, recepit pätrem Sueviä.
4 + dExultemus omnes, latidemus Christum päriles
5 + 6 sanctos advocantem et glorificantem.
Eine so lange Strophe muß durch die Melodie noch weiter ge-
gliedert werden. So lange wir die in der Handschrift hier
54 Wilhelm Meyer,
vorhandenen Neumen nicht deutlich verstehen , müssen wir uns
an die Sinnespansen halten. In mehreren Strophen fällt nach
jeder Langzeile eine Sinnespanse , wie in dem Wunderkatalog,
Str. 13:
1 + a Votum mox inhibitüm post patris litat öbitum.
2 + b Gaüdet pisce magno Petrös^ capto stagno.
3 + c Träbem br^viörem dat prece löngiörem.
4 + d Perffit hinc ad cästrum ob Michahelis f^stüm.
5 + 6 Egit missas möre. spiritus tönat ab öre.
Aehnlich steht es mit den Strophen 5. 9. 11. 14. 15. Solche
Strophen fügen sich in jede Gliederung. Die regelmäßige Gliede-
rung der Strophe ist folgende: die erste Langzeile steht als Ein-
leitung für sich; dann ist die zweite Langzeile mit der dritten
verbunden und wiederum die vierte mit der fünften. Diese Gliede-
rung zeigt sich klar in der oben gedruckten 1. Strophe. Ebenso
deutlich ist sie in der 6., 10. und 17. Strophe; sie paßt durchaus
auf die Strophen 2, 3, 4, 7, 8. Schwache Ausnahmen bilden nur
die 1 2. Strophe, wo die 3. Langzeile nicht mit der zweiten, sondern
mit der vierten und fünften verbunden ist; dann die 16. Strophe,
wo die erste Zeile mit der zweiten zusammenhängt. Also inter-
pungire die 2. Strophe:
1 + a Cur SU pergunt rectö cum agmine collecto.
2 -f b Tria tranant mariä, celeiimant 'Christo gloriä'
3 + c Cölumbanus, Gallüs, Magnoaldus et Theodorus.
4 + d Chiliano socio, post füncto sacerdotio,
5-1-6 Gallos pervagantur, Francis immoräntür.
In der 12. Strophe ist ja gegen die Regel die 3. Zeile mit der
4. verbunden, allein die beiden letzten Zeilen geben dennoch einen
selbständigen Sinn:
1 -f a Optant illum populüs pontificem et clerüs.
2 -H b Quis sacrändum proprium lohannem dat discipulum.
3 + c hinc superno numine, in montis stans cacümine,
4 + d spiritüm abbätis locandum cum beatis
5 + 6 ^ consp^ctu t^rr^ dngelos videt förre.
Was war nun Refrän? Gewiß nicht die eigenartige Schluß-
zeile der Strophen (denn in den Strophen 1, 6, 10, 12 und 17 gibt
sie keinen selbständigen Sinn). Die beiden letzten Langzeilen geben
zwar stets einen abgeschlossenen Sinn; allein nach meiner Ueber-
zeugung hat nach jeder neuen, vom Vorsänger gesungenen, Strophe
das Volk den Schluss der ersten Strophe wiederholt:
Exult^mus ö m n ^ s ! Laudömus Christum p d r i 1 ^ s
sanctos advocdnt^m ^t glorificdntem.
ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 55
Ekkehard und Ratpert haben also in den 17 Strophen 102
Vierheber, welche mit Hebung beginnen (die Kurzzeilen 1, 2, 3, 4,
5j 6), und 68 Vierheber, welche mit Senkung beginnen (die Kurz-
zeilen a b c d), mit bestimmter Absicht verteilt, in Anschmiegung
an die von Ratpert geschaffene Melodie der Strophe.
Sie haben aber den üppigen "Wuchs der Vierheber, von denen
ich oben (S. 50) allein in der Beichte 17 verschiedene Formen
nachgewiesen habe, noch weiter beschnitten. An den Hebungen
war nichts zu ändern: jede der 170 Kurzzeilen muß deren 4 haben.
Aber die Senkungen sind es ja, welche die vielgestaltigen
Formen des Vierhebers verursachen. Da jedes lateinische Wort
mit einer unbetonten Silbe endet, wenn das folgende Wort mit
einer betonten Silbe beginnt, so muß vor der 2. und vor der 3.
Hebung der lateinischen Vierheber des Ekkehard stets minde-
stens 1 Senkung stehen; vor der Schlußsilbe, die ja nach alt-
deutschem Muster stets eine Hebung ist, kann die Senkung nur
fehlen durch die aus der altdeutschen Rythmik entlehnte An-
nahme, daß ein paroxytoner Schluß, wie ein proparoxytoner 2
Hebungen enthält, also probäs = pro-ö-bas = pröbitäs sei.
Also von den einfachen Senkungen vor der 2. und der 3. He-
bung konnte Ekkehard nichts wegnehmen. Dagegen hat das Bei-
spiel der Beichte uns gezeigt, daß vor der 2. und vor der 3. He-
bung, vielleicht auch vor der 1. Hebung statt der einfachen Senkung
doppelte, (ja vielleicht sogar dreifache) Senkung gesetzt
werden konnte. Hier nun hat Ekkehard, und vielleicht schon
Ratpert, eingegriffen. Sie haben die doppelten Senkungen vor der
2. und 3. Hebung und den Taktwechsel im Anfang der Vierheber
überhaupt nur wenig zugelassen — denn wohin wäre die dulcis
melodia gekommen, wenn die Zeilen 'exultemus omnes' und 'ka-
lümnia siiper caliimniä' mit der gleichen Melodie gesungen werden
sollten? — , dann haben sie diese Freiheiten nur an der einen
Stelle zugelassen, von der andern Stelle durchaus ausgeschlossen.
Sie haben nemlich die zweiten Halbzeilen der 1. bis 4. Langzeile
ganz rein gebildet ; dagegen in den ersten Halbzeilen der 5 Zeilen
und in der zweiten Halbzeile der 5. Zeile haben sie einige Frei-
heiten zugelassen. Die von mir mit a b c d bezeichneten, stets mit
einer Senkung beginnenden zweiten Vershälften hatten also die
empfindlichste Melodie.
Die mit Senkung beginnenden Vierheber (a b c d)
sind außerordentlich regelmäßig. 67 beginnen mit der Senkung;
der einzige Vers
8, 3 Semper hie habitabo, deum meum invocäbö
56 Wilhelm Meyer,
ist falsch. Denn 1) beginnt er mit einer Hebung, 2) zählt er 5
Hebungen. Die Psalmstelle 115, 13 und 17 nomen domini invo-
cabo hüft nicht. Es ist wohl zn ändern 'et deum invocabo'. Ver-
doppelte Senkungen oder Taktwechsel gibt es in diesen 68 Vier-
hebern nicht, also bleiben nur die 2 Formen:
1 (14). ^) u^u-r-u^u^: est mihi magnum gaudiiim: 29
2 (6). u-t-u^u-t.^: quam sanctum misit Gallüm: 39
Von den 102 Halbzeilen, welche mit der Hebung beginnen, von
mir gezählt mit 1 — 6, schließen 68 mit Doppelhebung, wie Nunc
incipiendüm, 34 schließen mit einfacher Hebung, wie Filiiim Hi-
b^rniä :
3 (1). uL.Kj-L.u^j^: Nunc incipiendüm: rein 52 (+ 16 mit Freiheiten)
4 (10). -a.w_^u_a.u_l: Filiiim Hib^rnia: rein 30 (+4 mit Freiheiten)
Hier hat nun Ekkehard, und vielleicht oft auch Ratpert, in
beschränktem Maße 2 Freiheiten zugelassen, welche sie in den
zweiten Halbzeilen gar nicht zugelassen haben.
(Fehlen der zweiten Senkung) Unter den 102 Halb-
zeilen fangen 8 mit eiQer Senkung an. Von diesen sind 2 Zeilen
ohne weiteren Anstoß:
{= no 2) 4, 1 Tuccönio ingrdto hinc excommiinicatö.
17, 1 Johannes noli fl^re, magistrum cr^de vivere.
Dagegen die 6 andern Zeilen bieten doppelten Anstoß:
4, 4 Arbönam per lacüm advolitant Potamicüm.
5, 4 Latrönes et düos occidunt fratres süos.
14, 1 Egrotat in Castro electus deo nostro.
14, 2 Post fletum, post g^mitüm defüngens efflat spiritum.
14, 4 Accürrit episcopüs, flens ad magistri corpus.
15, 4 Cruöre perfüsum horr^bant 6t cyliciüm.
Die letzten 6 Verse beginnen nicht nur, wie die 2 voran-
gehenden , die vordere Halbzeile mit einer Senkung , sondern sie
haben auch nur 3 Hebungen, statt 4. Es ist diese Zeilenart schon
oben S. 51 als no 17 besprochen. Beiden Mängeln wäre abge-
holfen, wenn man die germanistische Lehre von der schwebenden
Betonung hier anwendete, also Lätrone^s, Crüore usw. betonte.
Doch das ist keine rythmische, keine Accentdichtung. Den rich-
tigen Weg zeigt auch hier die Zeile 'Post fletum, post gemitum':
diese Worte wird Jeder sprechen mit einer Caesur nach Post fletum.
Auf diese Nebencaesur ist die Betonung der paroxy tonen Zeilen-
schlüsse übertragen. Also ist betont:
1) In Klammern setze ich die Zahl der Versart der Beichte (s. oben S. 49).
ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 57
5: u_z.A, u^^: Latrönes* et düos : 4,4; 5,4; 14,1; 15,4: 4
6 (17): U-Z.JL, u_^u:.: Post fletüm" post gemitum: 14,2; 14,4: 2
Außer dieser Weglassung der Senkung zwischen der ersten und
zweiten Hebung bleibt also als andere, in allen 8 Kurzzeilen zu-
gelassene Freiheit, daß dieselben mit einer Senkung beginnen.
(Zweisilbige Senkung) Die weitere Freiheit , welche
Ekkehard in diesen lyrischen Vierhebern in beschränktem Maße
zugelassen hat, aber auch hier nur in den mit der Hebung be-
ginnenden Halbzeilen 1 — 6, ist die Zulassung einer zweisilbigen
Senkung. Oben (S. 51) ist gezeigt, wie außerordentlich oft zwei-
silbige Senkung in der Beichte vorkommt. In diesen sorgfältig
gezähmten Vierhebern des Ekkehard finden sich nur folgende Arten :
7 (2). -^uw_z-u^^: ängelös videt ferre: 4, 5; 6, 6; 7, l ;
8,2.3; 12,6; 14,5: 7
8 (3). -iLu^uu^^: Jövem linquünt ärdentem: 3, 6; 9, 6 2
9 (4). -i-uu_2_uu-z._L: Spiritus tönät ab öre: 13,6 1
10 (11). ^uuo-u^u^: glöriä tibi domine: 17, 5 1
11 (12). _ü_u_/_uu^u:l: in tremendo exämine : 17,6 1
Also in den 88 Vierhebern der Beichte steht 52 Mal zwei-
silbige Senkung, in den 102 oder eigentlich 170 Vierhebern des
Ekkehard nur 12 Mal. Diese durch eine eigenartige Strophen-
melodie wohl gezähmten Vierheber des Ekkehard geben also kein
vollständiges Bild der wirklichen Vierheber ^) ; diese können wir
in ihrer natürlichen mannigfaltigen Ausgestaltung nur in der
Beichte kennen lernen.
1) Die Sanctgallener Handschriften 168 (B) und 174 (C) enthalten Ekke-
hard's eigenhändige Aenderungen des Textes. Ich gebe daraus die rythmisch
wichtigen : zu 2, 6 ist notirt : nimis honorantur (honori habentur C) BC. Hat
nun C 'nimis hönöri habe'ntür, so ist das = no 9 (13, 6); hat C nur 'honöri
habentur', so findet Taktwechsel statt (no 5) 3, 5 C imbüünt fide gentem :
no 7 4, 6 C presbiter Christo cärüs : no 7 5, 4 B und C haben ohne Takt-
wechsel: Lätro Sigebdrtüm 6, 3 ümquam missäs ne celebret: no 11 8, c statt
des unrichtigen 'deum meum invocabo (AB) hat 0 'elegi hünc löcum döminö',
ebenfalls unrichtig wegen der zweisilbigen Senkung 9, 6 C advexerät minister,
falsch wegen der anfangenden Senkung 13, 3 B fecit tabulam minorem orando
longiorem : falsch, wenn nicht tabulam zu trabem geändert wird (no 8), oder wenn
man nicht 3 Senkungen hinnehmen will (täbüläm minorem), die Ekkehard nie zu-
gelassen hat 8, 4 C Egressüs Arbönäm : Taktwechsel (no 5) 13, 5 C Prae-
dicät verbum möre (no 7), B Prae'dicat hi'c de möre (no 7) 13, 6 BC Spiritus
tönat öre: no 7 statt no 9 14, 6 B Conträctus et exiliit, falsch wegen der vor-
gesetzten Senkung; C Debilis et exiiiit: no 10 17, 5 BC In tremendo nümine:
no 1 statt no 11.
58 Wilhelm Meyer,
Schon Grrimm hat hervorgehoben und Andere nach ihm, wie
viele Zeilen des Ekkehard reinen trochäischen oder jambisclien
Tonfall haben. Das ist nicht eine bewußte, geheimnisvolle Mache
des Ekkehard, sondern das mußte bei der barytonen Betonung der
lateinischen Wörter unvermeidlich eintreten, sobald mehrsilbige
Senkungen gemieden wurden. Wenn ich z. B. im Pater noster
alle zweiten Senkungen weglasse (hier bezeichne ich sie mit u),
so bleiben reine rythmische Jamben und Trochaeen übrig: Pdter
noster, qui es in coelis: Sanctificetur nomen tiium: Adv^niät
regnum tiium : Fiat völüntas tüa sicut in coölo ^t in t^rra : Panem
nöstrum süpersübstäntialem da nöbis hödie: Et dimitte nöbis de-
bitä nöstra sicut et nös dimittimüs debitöribüs nöstris : Et ne nos
indücas in tentationem: Sed liberä nös a malo. Da Ekkehard
von 170 Kurzzeilen nur in 12 oder, die 6 Zeilen mit Taktwechsel
zugerechnet, in 18 Zeilen 2 Senkungen zugelassen hat, so müssen
unvermeidlich 152 Kurzzeilen reinen jambischen oder trochäischen
Tonfall haben.
Die deutschen Wörter sind nicht alle baryton und in der
deutschen Rede kann sehr leicht zwischen 2 Hebungen die Senkung
fehlen. In wie weit also ßatpert's deutsche Yierheber der Melodie
halber den Ausfall von Senkungen gemieden haben, können wir
aus Ekkehard's Zeilen nicht rückwärts schließend beurteilen; wohl
aber dürfen wir daraus, daß Ekkehard selten zweisilbige Senkung
gesetzt hat, rückwärts schließen, daß die Melodie dagegen war
und daß schon Ratpert, der Schöpfer der Melodie, auch in seinen
deutschen Vierhebern selten zweisilbige Senkungen gesetzt hatte.
(Dhuoda^s Verse) Ich hoffe, daß der rythmische Bau der
Beichte und des Lobgesangs festgestellt ist: die gezählten He-
bungen und die freigegebenen Senkungen spielen da die Hauptrolle.
So will ich es wagen, einen verzeifelten Fall anzufassen. Dhuoda,
welche mit Bernhard, dem Herzog von Septimanien, in Achen 824
vermählt worden ist, hat für ihren 826 geborenen Sohn Wilhelm,
als er am fränkischen Hofe verweilen mußte, 843 ein Buch mit
Lebensregeln verfaßt (von Bondurand in Paris 1887 edirt mit dem
Titel: Le manuel de Dhuoda). Darin citirt Dhuoda kurze Stücke
aus Gedichten Anderer, dann gibt sie 4 eigene Gedichte. Ludwig
Traube hat in seinen 'Karolingischen Dichtungen' (= Schriften
zur germanischen Philologie I 1888) S. 136—148 diese Citate und
die eigenen Dichtungen Dhuoda's besprochen. Dann hat J. Huemer
im Eranos Vindobonensis 1893 S. 113, nur die Citate behandelt.
Traube hat 3 Gedichte Dhuoda's abgedruckt: I S. 141 das Epi-
ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 59
gramma operis subsequentis (Bondurand S. 47); II S. 145 'Ut va-
leas' (Bond. S. 228) ; III S. 148 das Epitaphium (Bond. S. 240) ;
no IV 'de temporibus tuis (Bond. S. 225) hat Traube weggelassen,
da er damit nichts anzufangen wisse. Damit das Material voll-
ständig sei, gebe ich dies Gedicht als Beispiel.
Dhuoda zu lesen, ist freilich unerfreulich. Ihr Text erinnert
an den des Gregor von Tours. Grammatische und syntaktische
Unmöglichkeiten sitzen dicht beisammen, und oft gelingt es nicht,
einen Sinn der Wörter zu finden. Daran scheint die handschrift-
liche Ueberlieferung nur wenig Schuld zu haben. Diese ist frei-
lich sonderbar : Bruchstücke in Nimes (N) einer schönen Hand-
schrift des 9. Jahrhunderts, von denen Bondurand 2 Seiten im
Facsimile gibt, und eine im 17. Jahrhundert gemachte vollständige
Copie (Paris 12293 = P) einer alten Handschrift. Allein die
Unterschiede zwischen N und P sind nicht bedeutend.
(Dhuoda's Zeilcnbau) Bei Dhuoda findet sich ebenso wie
bei dem Grammatiker Virgilius Maro, auf dessen merkwürdige
Rythmik ich zuerst hingewiesen habe (Ges. Abhandlungen I S. 199),
durchaus keine quantitirend gebaute Zeile. Aber die von Dhuoda
citirten kurzen Dichterstellen scheinen anders gebaut zu sein als
ihre eigenen Gedichte. Ich untersuche hier nur diese 4 Gedichte.
Sie enthalten eigentlich über 380 Kurzzeilen; doch wenn die ganz
unsichern oder unverständlichen abgerechnet werden, haben wir
mit etwa 350 brauchbaren zu rechnen.
Reim und Alliteration finden sich gelegentlich, aber nicht
regelmäßig, und Alliteration seltener als der Reim :
In te suus semper vigilet sensus. (I 15)
Diligentius sacram disce doctrinam. (II 2)
Erigat ad summum genitorem prolis
meque cum illis iungat in regnum. (I 38)
Hiatus ist durchaus zugelassen.
(Silbenzahl) Bei lateinischen Rythmen erwartet man in
den entsprechenden Zeilen gleiche Silbenzahl. Damit steht es
hier schlecht. Zunächst hat Dhuoda offenbar gemieden Zeilen
von 4 und Zeilen von 8 und mehr Silben, dann Zeilen von 5 Silben
mit steigendem Schlüsse. Viersilber finden sich in der Refränzeile
des III. Gedichtes: von den 8 Strophen beginnen 5 oder 6 diese
Zeile mit dem Anruf an Gott 'rex immense', 'deus clemens' (sigyos
magne ?) ; hier stehen die Viersilber offenbar legitim, dagegen sonst
sind sie so selten, daß die wenigen überlieferten ziemlich gewiß
zu bessern sind: III 4 omnis aetas, IV 44 cuncta tibi. Zeilen
60 Wilhelm Meyer,
zu 5 u_ stehen 3 im III. Gedicht: 1, 2 hoc in tiimulo; 2, 2 tellus
lindique ; 5, 1 diri viilneris. Von den übrigen sind unsicher : I 26
mismi similen ; I 34 vivant obsecro (obs^cro ?) ; I 39 moida hactenus
(ac tenus Traube); demnach bHebe nur IV 7 illi alium. Zeilen
von mehr als 7 Silben bilden nur folgende Zeilen zu acht Silben:
II 7 coaequa te humiKbus; II 15 at tarnen ad haec merita; III
7,4 ut orent ita dicentes (6,4 orantes ita dicite?); IV 9 et si
tantum et aliud.
Es bleiben etwa 138 Fünf silber mit sinkendem Schluß (5~u);
etwa 153 Sechssilber, davon 119 mit sinkendem Schluß (6 —J), 34
mit steigendem Schluß (6 u _) ; etwa 60 Siebensilber, davon 40 zu
7 _w, 20 zu 7u_. Bei diesen Berechnungen sehe ich durchaus
ab von Synizese oder Syncope, mit deren Hilfe Traube S. 149
viele ihn störenden Ausnahmen beseitigt: Andree, prosapie, sin-
g(u)la. Von Gleichheit der Silbenzahl ist offenbar in Dhuoda's
Rythmen keine Rede.
(T r a u b e's A d o n i e r) ^) In seinen Karolingischen Dich-
tungen S. 137 sagt Traube: Bei Dhuoda lernen wir die vielleicht
frühesten rythmischen Adonier kennen, soweit sie vollständig er-
halten sind. Da Dhuoda Silbenzusatz zugelassen hat, so daß wir
1) u _ u _ u oder — u u _ u und 2) _ u _ u _ u oder u _ u u _ u zu unter-
scheiden haben, femer der Schluß nicht selten unrein gebildet ist,
und eine Reihe Siebensilber untergelaufen sind, die nur zum Teil
die schlechte Ueberlieferung verschuldet, hat sich die Erklärung
dieser Verse, die sich jeder Metrik zu entziehen schienen^ bis jetzt
verzögert. Der Silbenzuschlag aber, der überhaupt von jeder
Volksdichtung fast unzertrennlich und hier außerdem durch Ein-
wirkung der sapphischen Zeile besonders erklärlich ist, . . . fand
sich zusammen mit unreinem Schlüsse in den Vorbildern der
Dhuoda'. Traube druckt dann die Gedichte I, II und III. Hierzu
1) Ph. Aug. Becker hat in der Zeitschrift für romanische Philologie XXI
(1897) S. 73-101 gehandelt über 'Duoda's Handbuch'. Dabei sagt er S. 94:
'Was Duoda's eigene Verse betrifft, so scheint sie zwei verschiedene Prinzipien
befolgt zu haben. In den drei letzten Gedichten (bei mir no IV, II und III)
schwebt ihr offenbar der eigenartige Prosarythmus der Psalmen vor, und wahr-
scheinlich sind die unter ihrer Grabschrift stehenden Worte: Qualiter ordinem
psalmi ex parte componens, in diesem Sinn zu deuten und mithin nicht als neue
Kapitelüberschrift, sondern als erläuternde Anmerkung zur Grabschrift aufzufassen
(Manuel p, 242). Die Verse des Epigramms (no I) hingegen zeigen ausge-
sprochen rythmischen Charakter : sie erinnern entfernt an französische Zehnsilber,
und man könnte sie, meine ich, als beleg für die Ansicht anführen, daß dieser
Vers aus dem rythmischen Hexameter hervorgegangen ist (vgl. Thurneysen, Zft.
f. rom. Phil. XII)'.
r^ ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. ßl
bemerkt er S. 149: 'Verschiedene Gesetze walten in diesen 3
Rythmen. I bestellt aus 4 Zeilen Fünfsilber; Silbenvorschlag
ist in allen Zeilen gestattet, in der 4. Zeile selten Siebensilber.
H besteht aus Strophen zu 7 Zeilen, von denen die erste gesetz-
mäßig sechssilbig, die 2. (bis auf 8) und 3. (bis auf 2 3 18) und 7.
gesetzmäßig fünf silbig sind. III besteht aus Strophen zu 6
Zeilen ; die 5. , welche den Schluß einleitet , muß viersilbig sein,
in den andern ist Silbenzusatz beliebig'. Dann zählt Traube die
zahlreichen Fälle auf, in welchen er Synizese wie pigeat, oder
Syncope, wie sing(u)la, annimmt. Da ich ihm hierin nicht zu-
stimme, kann ich auch die obigen Silbenzahlen für bestimmte Zeilen
nicht annehmen.
Traube nimmt also an die Formen: 1. _wu__u, u_u — u,
_^u_u^u, u_wu_u; 2) im Schluß _u_ statt w_u, 3) Siebensilber.
1) Wie will Traube Zeilen, wie 'rex immensus et fortis', ^huc
et illuc compensor' erklären? Zahlreiche ähnliche wie 'singulorum
prae factis', 'non accipias unquam' kann er nur durch Syncope
oder Synizese erklären. In Wahrheit scheinen hier 2 Silben vor-
gesetzt zu sein.
2) Traube spricht von 'unreinem Schluß' : allein darunter ist
zunächst zu verstehen, daß statt _ w gesetzt wird u_. Wenn
statt 'iustus et pius' gesetzt würde 'iustus impius', das wäre un-
reiner Schluß: aber gerade diese Zeile meidet Dhuoda. Dhuoda
erlaubt sich vielmehr nach dem gewöhnlichen Schlüsse _ u noch
eine Silbe zuzusetzen: also statt 'iustus et pius' zu setzen 'iustus
et impius'. Das ist ein Vorgehen, das in der Geschichte der la-
teinischen Hythmik noch nicht belegt ist.
3) Die zahlreichen Verse 'placita perquiram, fragilis et exul'
quiesci sine fine' muß Traube mit Nebenaccent auf der viertletzten
Silbe lesen. Dann aber ergeben sich Zeilen mit 3 Hebungen, welche
aus dem Gerüste des Adoniers herausgehen.
Also die Freiheiten, von denen die bisherige Erforschung der
mittellateischen Rythmen uns Nachricht gegeben hat, reichen bei
weitem nicht aus, die Verse der Dhuoda uns begreiflich zu machen.
Nach meiner Ansicht lassen die Verse der Dhuoda sich
begreifen, wenn man annimmt, daß sie die Freiheiten der ger-
manischen Rythmik ihrer Zeit (842) gekannt und in ihren Versen
angewendet hat. Zunächst ist es natürlich gewesen, daß Traube,
als er die abgesetzten Langzeilen von no I (bei Bondurand S. 47)
las, auf den Gedanken kam, daß hier Adonier vorlägen:
Centrum qui pöli cöntines giro,
pöntum et ärva concliidis pälmo.
ß2 Wilh elm Meyer,
Von den etwa 350 Zeilen haben 111 den Tonfall _uu_u disce
doctrinam ; 105 Zeilen enthalten diesen Tonfall mit ein- oder zwei-
silbigem Vorsatz oder mit einsilbigem Zusatz : dignetuv per ciincta,
diligenims sacram; mdgnis et minimis] «/mificum g^mtum. Die
andere rytbmisclie Form des Adoniers u_^^_u j&ndet sieb rein in
27 Zeilen 'ex toto cörde, coelörum sidns'; mit Vor- oder Znsatz-
silben in 35 Zeilen: ««deriimqne diictor; eiüsdem si\laJ)am. Also
138 Zeilen enthalten die reinen Formen des rytbmischen Adoniers,
140 dieselben mit Vor- oder Zusatzsilben.
Die Dhuoda hat also als Gerüst ihrer Verse die 5 Silben des
Adoniers, deren vorletzte betont ist oder die 2 Hebungen des
Adoniers gewählt. Diese 2 Hebungen sind bei ihr solide Pfeiler;
sie sollen nicht durch Nebenaccent gebildet werden, wie das
in imperatörem, resolutionis geschehen würde ; ja Dhuoda meidet
sogar, die eine Hebung durch ein nur Einsilbiges Wort gegenüber
einem vier- oder mehrsilbigen Wort in der andern Hebung zu
bilden, wie dies in 'ad genitörem, tünc voluisti' geschehen würde ^).
1) (Bau der Adonier) Im Anfang des Ladus Danielis von Beauvais
(c. 1140, bei Coussemaker, Drames liturgiques) finden sich 45 quantitirend gebaute
Adonier: von diesen sind 7 durch ein einziges Wort, wie enucleäntes, gebildet,
10 durch ein einsilbiges und ein viersilbiges Wort, wie tünc voluisti. Das 1.
Gedicht der Cambridger Lieder, 66 rythmische Adonier, enthält die eine
Zeile 'Maguntiacensis' und 4 wie höc manducävi. Godschalk's Gedicht
(Poetae Karol III 724) 'Christe mearum', 72 Adonier, enthält 9 Zeilen, wie rex
benedicte'. Alcuin (P. Kar. I 266) hat in 60 Adoniern (10 Str. zu 6!) 2 Mal
'nunc bipedali', 2 Mal 'Omnipotenti'. Aber bei Columban (Mon. Epist. III 186)
stehen in 159 Zeilen 25 Ausnahmen. In den 350 Zeilen der Dhuoda kommen
viersilbige und fünfsilbige Wörter ziemlich oft vor; allein sie sind stets mit einem
mindestens zweisilbigen Worte gebunden, so daß jede Hebung durch wirklieben
Wortaccent, nicht etwa durch ein unbedeutendes Wort, wie 'et', oder durch Hilfs-
accent wie 'ömnipotenti' gebildet wird. Ausnahmen finden sich nur in no IV: V. 18
resolutionis; V. 20 und 21 et aegritudo angustiarum; endlich V. 34 ad genitörem
(unsicher). Der Grund kann aber aus einer Regel der lateinischen Metrik
stammen (s. F. Plessis, Trait^ § 244). Den lateinischen Metrikern war der
Adonier gleich dem Schluß des Hexameters. Dieser sollte weder durch
ein viersilbiges noch durch ein fünf- oder mehrsilbiges Wort gebildet werden. Diese
Regel wurde im Adonier nicht so streng beachtet wie im Hexameter, aber be-
achtet wurde sie. Horaz hat in 205 sapphischen Strophen nur: (4, 11, 4 est
hederae vis), II 6, 8 militiaeque; Saec. 16 seu Genitalis; dann Eigennamen:
I 12, 40 Fabriciumque ; I 30, 8 Mercuriusque ; 4, 11, 28 Bellerophontem: also
unter 205 Fällen 5 Ausnahmen, von denen 3 — 4 Eigennamen sind. Beachtet
ist diese lateinische Regel noch bei Terentianus (V. 2161, 16 reine) und bei
Boetius, der in 81 Zeilen der Consolatio Philosophiae (ed. Peiper Seite 220)
nur *mox resoluto' zugelassen hat; bei Prüde ntius, der von 20 Strophen
ein Merowinger Rythmiis u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 63
Dhuoda hat nun dem Adoniergerüste sehr oft eine schwach
betonte Silbe vorgesetzt, wie in digneiuT per cuncta, ^enitorem
tüum' : das konnte sie der Freiheit der alten lateinischen Rythmen
entlehnen, von der ich oben gehandelt habe (S. 37). Aber sie hat
auch oft hinten eine schwach betonte Silbe zugesetzt, wie 'magnis
et mmimis, eiüsdem sillsihain' : dafür weiß ich in der lateinischen
Rythmik keine Parallele. Ja, Dhuoda hat sogar in der Mitte eine
solche schwach betonte Silbe zugesetzt: prötegat defendat, limo
revoMta.
Ehe ich weiter gehe, sind einige Punkte zu erörtern, welche
von der gewöhnlichen lateinischen Rythmik abweichen. Zunächst
handelt es sich um Häufung der Senkungen. In der la-
teinischen Rythmik sind wir gewohnt von 3 Senkungen die mittlere
mit einem Nehenaccent zu belegen: homines prudentes, viri sapi^ntes;
von 4 Senkungen die 2. oder die 3.: 'homines säpientes, viri prii-
dentiores'. Doch im Sprechen können wenigstens die Grermanen
leicht 3, ja 4 Senkungen überspringen : mächtige Grewalten, mäch-
tigere Gewalten: ebenso im Lateinischen, wenn die Hebungen
kräftig betont werden: corporis et mentis, pläcita perquiram; ja
auch: dilige optimates, viduis et pupillis, pigeat tenebrarum. Kräf-
tige Betonung der Hebungen müssen wir vor Allem für den Vor-
trag der alten germanischen Verse annehmen, und bei ihnen ist
die Häufung von Senkungen gewöhnlich. Also gegen eine Zahl
von Senkungen, welche über 2 hinausgeht, braucht man sich nicht
zu sträuben, wenn es sich um lateinische Nachahmung germanischer
Rythmik um 840 handelt. Bei Dhuoda gibt es dann keine
Nebenaccente^).
Zweitens handelt es sich darum, ob selbständige Wörter
als halbbetont, als Senkungen behandelt werden können. Ein-
silbige Wörter sind fast in jeder Rythmik vogelfrei; in der so
ängstlichen lateinischen Rythmik des 12. Jahrhunderts können
nur 1 schließt mit 'Christicolarum' ; bei Paul in Nol., der von 85 Strophen nur
3 schließt mit 'aedificare'. Dagegen wenig kümmern sich um die Regel Auson
(in 16 Schlüssen 4 Mal 5 — w); das Gedicht 'Rauca sonorem' (Bährens P. Min.
IV, 438; in 27 Adoniern 1 Mal 4 —u, 1 Mal 5 —w); Sidon (in 21 Str. 1 Mal
4 — u, 5 Mal 5 — u); Ennodius (in 23 Zeilen 2 Mal 5 — ^)' Marcianus (in 27
Adoniern 3 Mal 4 — ^ und 3 Mal 5 — u).
Sicher ist es, daß Dhuoda es gemieden hat, ihre Zeile durch ein einziges
vielsilbiges Wort zu bilden oder durch ein einsilbiges und ein vielsilbiges ; un-
sicher ist es , ob sie das gethan hat der quantitirenden Metrik halber oder aus
besonderen, vielleicht germanischen, rythmischen Rücksichten,
1) Der oben (S. 51) besprochene 2. Vers der Beichte 'impie viv^ndo peccävi'
wäre ein vereinzelter Rest der früheren größeren Freiheit.
64 Wilhelm Meyer,
selbst Nomina und Verba, wie lux und flet, als Senkungen be-
bandelt werden. Aber die zweisilbigen Wörter stehen sebr
in Frage. In der mittellateiniscben Rythmik können selbst Hilfs-
wörter, wie huius super ubi, nicht als unbetont bebandelt werden.
Auch die neudeutsche Rythmik erlaubt nicht leicht, über zweisilbige
Wörter wie 'dieser, über' wie über 2 Kürzen hinweg zu springen.
Diese Schranke ist gegen die Natur des Sprechens. Wenn die Zeile :
Te super omnes diligat factorem
Dich über alle soll er lieben, o Schöpfer
sinngemäß betont wird, so springt die Zunge über 'super' oder
'über' hinweg. Die Daktylen des Mittelalters sind noch recht
dunkel; doch z. B. die Uzreise des Ulrich von Lichtenstein (K.
Bartsch, deutsche Liederdichter S. 184) enthält in ihrer Daktylen-
kette ohne Ende sogar solche Zeilen: Gein ir längen kriege sötz
ich min gedulde: also dieser formkundige Dichter hat sogar ein
zweisilbiges Wort wie 'langen' als 2 Senkungen behandelt.
Bei Dhuoda finden sich Verse wie:
in te suus semper vigilet sensus.
qui das sine fastu dona illi sensum.
tu tamen manes solus immutabilis.
Hier verlangt der Sinn, daß te, tu und das betont, also suus sine
tamen als 2 Senkungen von der Zunge übersprungen werden. Des-
halb halte ich es für möglich, daß Dhuoda, wo solche zweisilbigen
Hilf s Wörter der Sprache (Pronomina, Präpositionen, Conjunktionen)
neben kräftige Hebungen zu stehen kamen, sie als 2 Senkungen
behandelt hat. Es bleibt die Frage, ob in den wenigen Aus-
nahmeversen, wie deus summe lucis, digna dignis semper, Dhuoda
wie Ulrich von Lichtenstein sich erlaubt hat, auch ein zweisilbiges
Nomen als 2 Senkungen zu verwenden (vgl. Gres. Abb. Jl 55).
Mit diesen Voraussetzungen kann ich seltsame, aber zahlreiche
Zeilenformen der Dhuoda als zweihebige verstehen.
Zwei Senkungen im Zeilenanfang : admonere non c^sso, me ad
t^mpus praedictum, a te äpta pötat; I 21, 3 ita tönens ista; III
4, 6 eins dilue vincla ; IV 23 istum tibi et frdtri, 42 huius v^rsu
lib^lli. Die Frage entsteht, ob im Zeilenanfang auch 3 Senkungen
gesetzt sind: I 2, 4 a te perquiro sensum; II 3, 4 tuam nutriri
sensum; II 8, 3 et peregrinis victnm; 16, 1 utinam illi vfvas.
Drei Senkungen zwischen den beiden Hebungen. Hierbei
kommt es an auf die Vertheilung der Senkungen: a) prötegat de-
f^ndat, ^rigat ad siimmum; m^ritis ad singula, finiunt versiculi,
lagere ne pigeat. b) tibi famuldntes, praesens et futurum,
c) quiösci sine ffne, lärga tua gratia, dona illi sensum, lärgus atque
ein Merowinger Bythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 65
prüdens, illic namque credo; dann die bedenkliclien Achtsilber: II
7, 4 coaequa te humilibus; II 15, 6 at tarnen ad haec merita.
Vier Senkungen? II 7, 1 dilige optimätes; 9, 1 viduis
et pupillis ; 9, 6 nüdis namque vestitum ; (13, 4 pigeat tenebrarum) ;
15, 1 miiltum a me videris : diese Zeilen sprechen dafür , daß
Dhuoda sich sogar erlaubt hat, 4 Senkungen zwischen die beiden
Hebungen zu setzen.
Dieser Auffassung, die Verse Dhuoda's seien zweihebige
Adonier, variirt durch mehr Senkungen, als das rythmische Vor-
bild sie bietet, widersprechen etliche dreihebigen Zeilen: I 1, 1
deus summe lucis; 3, 4 tempus curram aptum; 5, 1 digna dignis
semper; 16, 1 lesus nunquam ille; II 2, 1 est vivus sermo dei; 5, 1
in primis dominum deum ; 10, 1 iustus in causas iudex ; (11, 1 ist
sömper, 14, 1 ist tüa, 17, 1 ist möa in die nächste Zeile zu nehmen).
Das sind etwa 7 sichere Ausnahmen. Entweder hat Dhuoda hier
zweisilbige Nomina als Senkungen gebraucht, oder sie hat hier
ihre sonstige Regel verletzt. So haben wir gesehen, daß sie einige
Male sich Zeilen von 4 Silben erlaubt, einige Mal solche zu 5 u—,
einige Male Zeilen baut, wie ad genitorem, resolutionis, und end-
lich einige Achtsilber: alles Dinge, welche sie meidet. Hätte
Dhuoda dreihebige Zeilen, wie est vivus sermo dei, für regelrecht
gehalten, so hätten ihr dieselben sich in solcher Menge geboten,
daß schon ihre wirkliche Seltenheit die Unregelmäßigkeit beweist.
Darnach hat Dhuoda das Grerüste des rythmischen Adoniers
durch die freien Senkungen der germanischen Rythmik erweitert.
Man könnte fragen, ob nicht der germanische Zeilenbau durchaus
herrsche, also 2 Hebungen mit vielen Senkungen. Aber dann wäre
kein Grrund vorhanden, weshalb die Zeile zu 4 Silben oder die zu
5 Silben mit steigendem Schlüsse, clemens deus oder diri vulneris,
so sehr gemieden wurden. Die gewöhnlichen Vierheber
könnte man dadurch herstellen, daß deren Schlußbetonung -i- jl =
^ujL (S. 45 u. 46) meistens auf die Mitte übertragen würde : centrüm
qui pöli, contines giro, pöntüm et arvä, conclüdis palmo. Aber
sehr oft müßte das unterbleiben : conditöri largas, ad te largitörem,
digna dignis semper, solüs immutabilis, largä tüa gratiä.
Anderseits hat Dhuoda der Wucherung der Senkungen
Schranken gesetzt. Nach den obigen Erörterungen wären zwei-
hebige Zeilen mit bis 10 Silben möglich, z. B. genitöribus famu-
lantium, genitöribus famulantum, genitöri famulantum etc. Allein
Dhuoda gebraucht nur Zeilen zu 5_vj, zu 6 und zu 7 Silben;
dazu nur als Ausnahmen ganz wenige zu 4 _ u , 5 u — oder zu 8
Silben. Wenn Dhuoda vom Adonier ausging und nur diesen ver-
K?l. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 1. 5
66 Wilhelm Meyer,
zieren wollte, so ist eine solche Beschränknng in der SilbenzaKl
verständlich. Hätte sie einfach germanische Hebungsverse nach-
ahmen wollen, so wäre, da ihre Zeilen nicht zum Gresang be-
stimmt waren, eine solche Beschränkung der Silbenzahl nicht ver-
ständlich^).
Aber Dhuoda und germanische Rythmik scheinen unvereinbar.
Ihr Greschlecht kennen wir nicht. Sie hat 824 in Aachen gehei-
rathet, ist Herzogin von Septimanien gewesen und hat in Uzes nahe
der untern Rhone diese Gedichte gemacht. Mit deutschen Verse-
machern kann sie kaum etwas zu thun gehabt haben ; allein wahr-
scheinlich war sie aus einem fränkischen Geschlecht und kann im
Elternhaus oder in ihrem eigenen Hause an Liedern diese herz-
erfreuende, lebensfrische und abwechselungsreiche fränkisch-ger-
manische Volksrythmik kennen gelernt und in diesen 4 Gedichten
sie benützt haben zur Belebung der einförmigen lateinischen ryth-
mischen Form, welche nur von disce doctrinam schwanken konnte
zu doctrinam disce. Fragt Jemand, weshalb denn Dhuoda nicht
die einheimische volksthümliche gallische Rythmik nachgeahmt
habe , so soll er zuerst nachweisen , daß damals schon in alt-
französischer oder altprovenzalischer Sprache Gedichte angefertigt
wurden (s. S. 40).
Ich gebe nun eine Uebcrsicht der Zeilenarten Bhuoda's.
Dabei setze ich voran die Ausnahmen; dann führe ich auf die
Zeilen mit 2 Senkungen zwischen den beiden Hebungen, dann
die Zeilen mit 1 Senkung zwischen beiden Hebungen, dann die
Zeilen mit 3 Senkungen und endlich die Zeilen mit 4 Senkungen
zwischen den beiden Hebungen. Jede der 4 Klassen gliedere ich
in Arten, je nachdem die Form rein vorliegt, oder eine oder 2
Silben der 1. Hebung vorgesetzt sind, oder eine Silbe hinten zu-
gesetzt ist.
Ausnahmen
4_u: >_u_u: r^x immense; cl^mens d^us; vgl. S. 59.
5u-.: _w_uu: diri viilneris; vgl. S. 60.
_, uu_u: dd genitorem; vgl. S. 62, Note.
1 Wort füllt die Zeile: resolutiönis ; vgl. S. 62, Note.
Dreihebige Verse: t^mjpus cürram äptum; est vivus s^rmo
d^i; iüstus in caüsas iudex; inprimis dominum döum: vgl. S. 65.
1) Die ziemlich einfache Rythinik dieser freien Adonier hat der Dhuoda
sich vielleicht auch an pathetischen Stellen ihrer Prosa aufgedrängt; vgl S. 232;
Et ut ego ad hoc pervaleam tempus, ut c^rnere väleam, inc(?rta consfsto, inc^rta
ex m^ritis, inc^rta vigöre, fragiUque laböre per ündas conquässor.
ein Merowinger Kythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 67
Zwei Senkungen zwischen den zwei Hebungen
5 -^u: _uu^u: cönditor poli 111
6_u: vj, _uu_u: obtemperet s^nsu; dign^tur per ciincta;
qui das sine fastu 41
6u_: _uu — u, __: grätias r^fero; pax et seciiritas 30
7vj_: u,_uu_u,_: ut valeas vigeas; relaxant discrimina 12
7-^u: vju,_uu_u: diligentius sacram; eins dilue vincla 24
8 u__: uu, _uu— u, _: IV 9 et si täntum et aliud 1
1 Senkung zwischen den beiden Hebungen
5 _u; vj_u_u: conclüdis palmo 27
6_c: u, u^u_u: iuvenilis püer 22
6u_: u— u->u, _: IV 44 eiüsdem sillabam; 124,1; 112,6;
III 2, 1 4
7 u_: u, u — u—u, _: I 34, 4 teque semper diligat; II 16, 6
post (= postea) expletis cursibus; II
13, 1 en ut cüras häbeas 3
7 — u: uu, u_u — u: I 2, 4 a te perquiro sensum: II 3, 4 tuam
nutriri sensum ; II 9, 3 et peregrinis
victum (s. S. 68) ; 11 16, 1 utinam illi
vivas 4
3 Senkungen zwischen den beiden Hebungen
6-^u: -»uu,vj^u: protegat defendat 33
— u, uu_u: limo revoluta 9
_u, vjw, _u: tüis sine fine 8
7 ^kj: u, -:_uuu — u: transcriberem libeUum; iam süpra exa-
rätas; quiesci sine fine 7
7 u^: — uuu— u, -^: I 5, 2 m^ritis ad singula = II 1, 5; II
18, 1; I 30, 4 solus immutäbilis ; I 20, 2
larga tua gratia 5
8 u-^: u, _-.uuu_-w, _: n 7, 4 coaequa te humilibus; II 15, 6
at tarnen ad haec m^rita; (III 6, 4
orantes ita dicite?) 3
4 Senkungen zwischen den beiden Hebungen
7_u: ^uuuu«_u: 117, 1 dilige optimates; (II 13,4 pigeat
tenebrärum ?) ; II 9, 1 viduis et pupiUis ;
II 9, 6 nüdis namque vestitum (s. S.
68); II 15, 1 mültum a me vidöris 5
8--u: u, _uuwu-_u: in 7, 4 ut örent ita dic^ntes 1
5*
68 Wilhelm Meyer,
(Dhuoda's Strophen) In Dhuoda's Zeiten und nachher
wurden solche Kurzzeilen fast immer zu Langzeilen verbunden,
wenigstens beim Schreiben. Diese Langzeilen wurden dann zu
Gruppen oder Strophen gefügt. So besteht das I. Gedicht (in P ;
Bondurand S. 47, Traube S. 141) aus je 2 Langzeilen, ähnlich wie
Otfrid's Gedicht:
Jübilet iocündus ciirsu felici,
pergat cum virtüte fülgens ad siipera.
(supra P: ich schrieb 'supera'; vgl. p. 133 und 235 ad superos as-
cendere oder erigere).
Das IL Gedicht (in N und P; Bondurand S. 228, Traube S.
145) besteht aus Strophen zu 7 Kurzzeilen. Diese waren ursprüng-
lich wie sapphische Strophen in 3 Langzeilen und 1 Kurzzeüe ab-
gesetzt geschrieben; in der 4. Zeile blieb also meistens ^/2 Zeile
leer. Um diese halbe Zeile auszunützen, schrieb ein Schreiber oft
die letzte Kurzzeile der nächsten Strophe in diesen leeren Raum
oben, so daß also die 7. Zeile der Strophe vor der ersten stand.
Daher die vielen seltsamen Textumstellungen, welche Bondurand
aus P angibt. Ich gebe als Beispiel II 9 nach der Handschrift
(Traube hat hier stark geändert):
Viduis et pupillis sübleva fr^quens,
et peregrinis victum potümque largire,
para hospitia. niidis nämque vestitum
pörrige manu.
(Vgl. Dhuoda p. 153 : et peregrinis hospitium ut tribuas libenter admoneo,
atque etiam viduis . . et pupillis . . manum ad opus sublevare frequens. p. 164:
admoneo te, ut victum potümque, etiam et nudis vestimentum indigentibus mini-
streris ipse = manu).
no in, Dhuoda's ^) Grabschrift (in N — bei Bondurand photo-
graphirt — und in P ; Bondurand S. 240 , Traube S. 148) , be-
steht aus 8 Strophen. Zunächst je 2 Langzeilen, welche mit starker
Sinnespause schließen. Dann folgt als ßefrän eiu Anruf an Gott :
eine Langzeile, deren erste Kurzzeile, wenn der Angerufene durch
Adjektiva bezeichnet wird, als ob 6 zu ergänzen sei, nur 4 Süben
zählt, wie 'rex immense' 'deus clemens' (auch in 'agyos magne'
ist das griechische Wort wohl zweisilbig zu sprechen).
no IV (in P und die zweite Hälfte in N; Bondurand S. 225)
entbehrt leider, wie es scheint, des sonst sicher führenden Akro-
stichons. Ich habe auch keine bestimmte Gruppierung der Kurz-
zeilen durch Sinnespausen finden können.
1) Sollte nicht, wie Dudo Dudonis deklinirt wurde, etwas neuartig deklinirt
worden sein: Dhuoda, Dhuodanae, Dhuodanam, Dhuodana? Vgl. Bondurand p. 251.
ein Merowinger Kythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 69
Während sonst solche Gruppen von Kurzzeilen ziemlich sorg-
fältig durch Sinnespausen in Absätze gegliedert wurden, kann
ich weder innerhalb der 4 Kurzzeilen von no I u. III, noch inner-
halb der 7 Kurzzeilen von no II regelmäßig wiederkehrende Sinnes-
pausen erkennen. Ist das Regellosigkeit der Dhuoda oder der
Rythmik, welche sie nachgeahmt hat?
Als Beispiel und zur Vervollständigung setze ich das Ge-
dicht (no IV) 'De temporibus tuis' hierher, welches Traube weg-
gelassen hat. Es steht in P ganz; das Fragment in Nimes (N)
beginnt mit V. 28. Leider sind auch in diesem Stück mehrere
Verse mir unverständlich geblieben.
IV. De temporibus tuis (Bondurand p. 225)
Quadrans in quatuor 19 non tärdat me meum
iam habes annos et angüstiarum
3 lisque perdiictos. aegritüdo corpus
si pröles secundas 22 undique conterit:
tot tempus haberet, istum tibi et fratri,
6 in siii personam ut prosit, coUegi.
illi alium Festinans, sciens
transcriberem libellum. me ad tempus praedictum
Et si täntum et aliud 27 pervenire non posse.
tantum et medium velut melliiluum
11 dimidii tantum pötum favumqae
in ännis volventem 30 per mixtum in cibum
speciem cerner em oris ut degustes,
14 tüam, fortiöra semper adörtor.
tibi in verbis Tempus namque ex quo
prolixis copularem. ad genitorem
Sed quia tömpus 35 tüum perveni
resolutionis vel tüus ex nöbis
1 pour quadrantes Bond. ; vgl. p. 230 (II 14) quadrans quaternis computaris
in annis, dann (II 18) annis praeteritis octo binis (bis Traube) 7 älium illi?
9 d. Ä. 16 + 16 -f 4 = 36 12 volventem Meyer, volvens ut P 16 copularem
Bond., copulare P 20 ang. aegr. Meyer, aegr. ang. P 24 quod coUegi P,
quod del. Meyer 26 vgl. p. 231 cum . . ad perfectum perveneris tempus mit
V. 28 beginnt das Fragment in Nimes (N); während in P Alles als Prosa ge-
schrieben ist, sind in N abgesetzte Zeilen; hier bei: Velut und In cibum 29 fa-
visque N 31 ore? 31 utile gustes P 33 N hat abgesetzt bei: Tempus,
Vel und Kalendis 33 s. Bondurand p. 52: (24 Juni 824) in Aquisgrani palatio
ad . . tuum genitorem . . accessi uxor ; et . . (29. Nov. 826) . . tua ex me . . in sae-
culo processit nativitas; p. 86 ex illo (patre) tuus in saeculo processit Status
70 Wilhelm Meyer,
in sa^culo proc^ssit ad p^nsum salutis
38 Status kal^ndis 47 scripta cognosce.
mensärum ciincta * *
feriintur in nöbis. 48 Et quid ibidem
Ex primo namque gerätur, l^ge
42 huius versu lib^lli 50 capita versuum,
lisque ad ültimam ut ad ^a, quae sübtus
44 eiüsdem sillabam secuntur, facilius
cuncta* tibi 53 valeas ingredi.
Z. 39/40 verstehe ich nicht. Zu mensärum bemerkt Bondurand: Mabillon
lit decembrium. II faut entendre: tertio kalendas mensis decembris. 40 zu in
nöbis notirt Bondurand 'pour in isto libellö. N hat abgesetzt bei: Ex, üsque,
Cuncta 44 syllabam P 45 cuncta tibi <ä me>? N hat abgesetzt bei: Et
und Ut 49 gerantur N 50 versorum P 52 sequuntur P
Item eiusdem.
Hos versiculos siipra, cum* cunctis.
infra et sübtus, 6 et ut legas öre,
3 ad m^ntem corpüsque t^neas corde,
tuum ipsa dictavi 8 admonere non c^sso.
4 tuum: tibi? 5 cum ceteris cunctis? vgl. p. 231 finita sunt huius verba
libelli, quae ut valui, animo libenti dictavi.
(Lateinische Gedichte des IS. Jahrhunderts mit altdeut-
schem Zeilenbau). Die Beichte steht in einer Handschrift des
10. Jahrhunderts, welche wahrscheinlich aus St. Grallen stammt;
Ratpert's Lied und Ekkehard's IV Übersetzung sind sicher in St.
Grallen entstanden. Mit St. Gallen, der Geburtsstätte der mittel-
alterlichen Gesangslyrik, ist also in auffallender Verbindung
auch die merkwürdige Neuerung, daß lateinische Verse nach der
deutschen Rythmik gebaut wurden.
Die Zeile, in welcher die Beichte und Ekkehard's lateinischer
Text gedichtet sind, entzieht sich durchaus den Regeln und der
Terminologie der mittellateinischen Rythmik: die Schlußkadenz
und die Silbenzahl der Zeile ist freigegeben; exeant peccata und
kalumnia super calumnia gelten als gleiche Zeilen. Aber jede
Zeile enthält gleich viel Hebungen, d. h. mit dem rythmischen
Wortaccent belegte Silben ; die Senkungen, d. h. die wenig betonten
Silben, sind ganz freigegeben: sie können ganz fehlen, es kann
1 stehen oder es können 2 stehen (vgl. Seite 49, no 1 — 17).
Das Ergebnis ist zunächst ein erfreuliches. In den 88 Vier-
hebern der Beichte treten 17 verschiedene Gestaltungen auf; mög-
lich aber wären noch mehr. In diesen vielgestaltigen Zeilen hatten
ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 71
die altdeutschen Dichter ein prächtiges Mittel, die verschiedensten
Grefühle nnd Leidenschaften auch durch die wechselnde Form ihrer
Verse auszumalen.
Allein die Hebungslehre mit völliger Freiheit der Senkungen
schuf auch Hindernisse. Wollte man eine bestimmte und charak-
teristische Melodie mit Worten auskleiden, so mußte man der
gleichen Melodie halber auf viele Freiheiten der Senkung ver-
zichten und konnte von den vielen Spielarten des Hebungsverses
nur wenige auswählen. Daß das möglich war, zeigt das Beispiel
Ekkehard's, dem in dieser Beschränkung ziemlich sicher Ratpert
vorangegangen war: hier finden sich nur 11 Spielarten des Vier-
hebers.
Ein Hindernis für den Gresang war auch die Bildung des
Schlusses ; da Wörter wie pater = patria (_^ i.) mit betonter Silbe
schlössen, so fehlt dem Gesang der sinkende, trochäische Schluß
(j- u) ; das ist unnatürlich. Anderseits gab es nur so viel Haupt-
arten von Hebungsversen, als Hebungen in einer Kurzzeile ver-
einigt werden konnten: also Zweiheber, Dreiheber, Vierheber.
Vereinigungen von mehr als 4 Hebungen kann die menschliche
Stimme nicht mit einem Athemzug sprechen, sie wurden also in
2 Halbzeilen von 2 oder 3 oder 4 Hebungen zerlegt. Jene 3
Hauptformen der Hebungsverse konnten dann erst durch die
Senkungen in eine Menge von Unterarten zerlegt werden.
Diese abgeschlossene Formenwelt der Hebungsrythmik wurde
dann sehr bekämpft durch die aufblühende mittellateinische und
altfranzösische Rythmik, besonders durch die herrliche Gesangs-
lyrik. Hier wurden die steigende und die sinkende Schlußkadenz
genau unterschieden, und die Zahl aller Silben, also auch die der
wenig betonten, genau beachtet. Der Keim der mittelalterlichen
Gesangslyrik, die Sequenzen dichtung, war ein merkwürdiges Ge-
bilde. Sie war, wie ihre Vorläuferin, die byzantinische Hymnen-
dichtung, rein musikalischen Ursprungs und wollte zunächst nur
in engster Anschmiegung eine Melodie mit Silben auskleiden.
Die stärker betonten Noten der Melodie wurden natürlich
durch betonte, stärker accentuirte Wortsilben d. h. durch He-
bungen gefüllt, die schwächer betonten Noten durch halbbetonte
Silben d. h. durch Senkungen: in dieser Hinsicht entsprachen also
die byzantische Accentdichtung und die lateinische Sequenzen-
dichtung durchaus der deutschen Hebungstheorie. Anderseits wurde
beim Sequenzenbau für jede Note eine Silbe gestellt, also hatten
die sich entsprechenden Absätze der Sequenz gleich viel Silben:
in dieser Hinsicht entsprach also die Sequenzendichtung der mittel-
72 Wilhelm Meyer,
lateiniscilen und der altfranzösischen Rythmik, welche die Silben
abzählte. Wie bei aller Musik, so war es auch beim Sequenzen-
gesang eine wichtige Sache, ob der Absatz sinkend oder steigend
schloß: hierin stimmte also die mittellateinische und altfranzösische
Rythmik durchaus mit der Sequenzendichtung überein, aber gegen
die altdeutsche Art, welche immer mit einer betonten Silbe schloß.
Die immer stärkere Herrschaft des kunstreichen Gesanges
und die Gleichheit der Silbenzahl, welche die herrschende mittel-
lateinische und die einflußreiche altfranzösische Rythmik verlangten,
geriethen in Kampf mit der altdeutschen R3rthmik, welche nur
die Hebungen zählte, die Senkungen aber völlig freigab und eigent-
lich eine sinkende Schlußkadenz nicht kannte.
Die deutsche Rythmik wich. Im Laufe des 12. Jahrhunderts
näherte der deutsche Zeilenbau sich dem lateinischen und im 13.
Jahrhundert kamen manche deutschen Dichter so weit, daß sie
fast stets eine Senkung setzten, aber das Fehlen der Senkung, so-
wie eine zweisilbige Senkung vermieden, und daß sie einen paroxy-
tonen Zeilenschluß, wie mundus nicht mehr als 2 Hebungen (^-^),
sondern als 1^/2 Hebungen (^u) verrechneten.
Dennoch gibt es noch einige lateinische Gedichte des 12., ja
sogar des 13. Jahrhunderts, in welchen Freiheiten des altdeutschen
Zeilenbaus angewendet sind. Solche lateinischen Gedichte sind
natürlich in Deutschland entstanden und müssen durchaus volks-
thümlicher Art sein.
Das ist zunächst der Ursprung der Unregelmäßigkeit, welche
ich früher (Ges. Abh. I 249 — 254) behandelt habe. In vielen Ge-
dichten, die in Vagantenzeilen geschrieben sind, ist bald der Kurz-
zeile zu 7u>_, bald jener zu 6—0 eine Silbe vorgesetzt. Zeilen,
wie Süscip^ discipulüm, wechseln mit Zeilen, wie Quem post di^rum
circulum; dann Zeilen, wie In te peregrinüm, mit Zeilen, wie Re-
mittes Socratinüm.
Allein wichtiger ist die Erkenntnis, daß noch im 12. Jahr-
hundert ganze lateinische Gedichte nach deutscher Rythmik ge-
baut wurden. Mich erlöste diese Erkenntnis von langer Qual.
Für mich waren die Dichtungsformen der Cariniiia Buraiia no 17,
22, 51, 158, 182, 192 und 195 lange ein Räthsel (vgl. Ges. Abh. I
249): jetzt können wir nicht nur die Formen dieser Lieder be-
greifen, sondern die Thatsache, daß noch im 12. Jahrhundert viele
Freiheiten der deutschen Rythmik in diese lateinischen Verse her-
über genommen sind, lehrt uns die echt deutsche Art dieser Lieder
würdigen. Ich will deshalb diese Lieder kurz besprechen. Ich
hoffe aber, daß wie aus den Zeiten des Anfangs im zehnten Jahr-
ein Merowinger Rythmus ii. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 73
hundert, so auch aus dieser Zeit der Blüthe noch manches Denkmal
dieser merkwürdigen altdeutschen Rythmik in lateinischen Versen
nachgewiesen werden wird.
Das Kreuzlied von 1146, Burana '^2 S. 24 Tides cum
Idolatria' hat nur pedantisch wenig aus der deutschen Rythmik
angenommen. Es besteht aus 2 bunt gemischten Zeilen: 1) zu
acht Silben mit steigendem Schlüsse: 8 u_ (3,6 ist zuzusetzen:
*ad' feces usque sceleris, nach Jes. 51, 17 und Ezech. 23, 24), und
aus Zeilen zu 7 Silben mit sinkendem Schlüsse: 7 — u (7, 3 qui et
fibris non utuntur: 'qui' ist zu tilgen, schon des Hiatus wegen,
der sonst in diesem Gredicht nicht vorkommt). Also hier ist nach
deutscher Art nur der Schluß -i.A = -a.u:l gesetzt: Novissimüs
fit primüs, Et primus fit novissimiis. Die Taktwechsel sind die
in den lateinischen Rythmen gewöhnlichen. Es finden sich fol-
gende Arten, welche alle auch 4 Hebungen ergeben:
1. u_u_u— u— : pugnavit teste gratiä 52
2. _uu — u — w— : princeps vÖcatur principiim: 9
3. _u — uu — u_: vite datür denariüs: 13
4. u— u — u : in campo libertatis : 18
5. — uu—u : petre collidit tüos 4
Burana no 17 S. 14 'In huius mundi patria' ist ofi'enbar
entstellt. Es hat schon zweisilbige Reime: allein es ist sicher in
Vierhebern aufgebaut und zwar in solchen der freien Art mit
vielen zweisilbigen Senkungen, wie Et infra cästrä cremantur, ob
inmänitatem sceleris. Auch innerhalb der Zeile scheint öfter eine
Senkung zu fehlen, nicht nur in der uns schon bekannten Weise,
wie sed ista • cum vönto , de cörde • fermentüm, loricam • pro alba,
ut apri- frendentes; sondern auch in neuer, bisher noch nicht ge-
fundener Weise.
Zunächst eine eigentlich regelmäßige Spielart, indem in der
letztgenannten Zeilenart die anfangende Senkung wegbleibt (7, 5
und 7): quidäm* sunt cäni; quidäm* sunt fratres, dazu 2,11 qui
eum dedit; vgl. unten (S. 74) Bur. no 182: höspes laudatür. Dann
eine ganz neue Art, wo nicht die Senkung vor der 2. Hebung
fehlt , sondern jene vor der 3 : et ömniä . vanitäs , pro infula *
gäleäm ; cum spiritus • cadit, invocä • Christum.
Burana no 192 S. 73 'Aüdientes aüdiänt, Diu Schände
vert al liber daz lant: Vierheber, auch mit zweisilbigen Senkungen
und meistens mit steigendem Schlüsse. Zu notiren ist 1, 5 : quod
velit- assümere; bedenklich 1,3: querens viles et tenaces; zu
bessern 1, 8 : nu hin, nu hin, nu hin {add. nu hin).
74
Wilhelm Meyer,
Burana no 182 S. 242 'Hospes laudatur'. Erfreulich
ist es endlich zu erkennen, daß dieses dem Inhalt nach echt
deutsche Kiieiplied nicht trunkene Formen hat, sondern regelmäßige
und echt deutsche (trotz 'Deu sal'). Es sind Yierheber. Aber,
wohl einer drolligen Melodie zu Liebe, ist nur die Form mit
sinkendem Schlüsse gewählt. Allein in Zulassung von zweisilbigen
Senkungen (no 3—6) und in Weglassung von Senkungen nicht nur
vor der 1., sondern auch vor der 2. und 3. Hebung (no 7 und 8)
sind die Freiheiten der deutschen Rythmik wacker ausgenützt. Im
'Graudeamus' 1877 S. 31 sind alle Zeilen von Peiper auf 6 _u ab-
corrigirt. Die 31 Vierheber bieten folgende Arten:
1. — u — u : Bächus ad amörem:
2. yj — yj — Kj : de vino m^liöri:
3. uu—u — Kj : übi potus est venalis (2, 2)
4. _u
O. — u — u u
6.
7.
8.
u : iocüs est generalis (2, 1)
: hie est locus ännalis (5, 1. 4, 3. 10, 2)
u — uu — vj : proinde nön omittatür (9, 1)
u -u : et vina* portamus (1, 3. 5, 2. 6, 3. 7, 2. 10, 3)
• u : höspes * laudatur (1 ; vgl. 'quidäm * sunt fratres'
in no 17, 7, 5 und 7 und in 2, 11)
10
9
1
1
3
1
5
1 Höspes laudatur,
si abiinde datür,
ut bene" bibatür
et hoc propere.
R. Deü sat sit vobiscüm,
ö pechärie!
Modo bibite,
sortes apponite!
(habunde M)
2 Jöcus est generalis,
ubi potus ^st venalis,
quem v^ndit socialis
(nobis) feminä.
Schmeller las Locus und än-
derte genialis nobis setzte
Schm zu.
3 Pinc^ma tiinc letatür.
abiinde pröpinätür
de vino m^liori
ätque l^niöri
^t hoc properö.
M Mt'. habunde.
4 Bachus ad amörem
instigat iüniörem,
mente rigidiörem
et hoc propere.
5 Hie est locus annälis
festiimque* natälis,
ubi liberalis
est ista regulä.
6 Cum örgo salutamüs
vinum, tünc cantamüs
*Te d^üm* laudämns',
^t hoc propere.
7 Nös qui pröpinamüs
et vinä* portdmus,
prius nön bibamus,
dönec dicamus:
8 Bdchus ^st sudvis,
fit tarnen söpe gravi»
bib^ntibus incaüte
de inmöderdte.
M liat hac
ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 75
9 Proinde non öbmittätur, 10 Ergo nös ludämüs,
sed laüciüs bibatür! sortes proiciamüs,
dignus iam mittatür letanter* bibämüs
et hoc propere. et hoc propere!
pignus?, Schm. dignius.
Diese volksthümlichen Freiheiten der Vierheber wurden auch
in andere Zeilen übertragen, welche der lateinischen ryth-
mischen Dichtung eigen waren.
Bescheiden treten diese Freiheiten der deutschen Rythmik auf
inBuran. nol58 S. 223 'Dira vi amoristeror'. Die 4
ersten Strophen, dann die 7. und vielleicht die 8. Strophe bestehen
eigentlich aus je 4 Zeilen zu 8 — u. Aber in diesen 20 Zeilen ist
3 Mal eine Senkung vorgesetzt:
conclüsi mentis te sigillö.
4 Mal steht eine zweisilbige Senkung nach der ersten, 1 Mal nach
der zweiten Hebung:
igne ferventi suifocätus.
et venereo axe vehor.
Ebenso sind die 8 Zeilen der 5. und 6. Strophe, deren Vorbild der
Siebensüber (7 u _) 'Virginale lilium' ist , nur mit bescheidenen
deutschen Freiheiten belebt: 1 Mal ist eine Senkung vorgesetzt;
dann ist zweisilbige Senkung gesetzt, 3 Mal nach der ersten und
1 Mal nach der zweiten Hebung:
amöre tüi vehitur.
telo necätur Veneris.
tiium presta subsidiüm.
Auch dem Gedichte Burana no 51 S. 145 Anni novi re-
diit novitas liegt offenbar die Zeile 8 _u zu Grunde:
1. — u_.u_u_u: breves dies prolongantür (3 Zeilen).
Allein diese Grundform ist mit allen Freiheiten der deutschen
Rythmik behandelt, so daß sie mitunter fast nicht mehr zu er-
kennen ist. Hiat findet sich in den 28 Zeilen nicht. Zunächst ist der
Zeilenschluß -i._ (antur) vertauscht mit dem nach deutscher Art
gleichwerthigen ^ u jl (eritäs) , aber nur in der ersten Strophe :
2. — u — o_u_u_: subintrante lanuärio (5 Mal).
Dann ist der regelmäßigen Zeile eine Senkung vorgesetzt,
vor der regelmäßigen Zeile 2 Mal:
3. u — u_w_u : Cupido faces instülavit,
vor unregelmäßigen Zeilen 4 Mal. Die Hauptrolle spielen z w e i-
silb ige Senkungen; sie treten auf im ersten Fuß (no 4 und
76 Wilhelm Meyer,
no 5) 6 und 3 Mal ; im zweiten Fuß (no 6) 1 Mal ; im dritten Fuß
(no 7. 8. 9) 2. 1. 1 Mal; endlich zugleich im ersten und im dritten
Fuß (no 10) 4 Mal:
• 4. — uu_u — u : Venus me telo viUneravit
5. u — uu_u_u : prestantior omni cr^atürä
6. _u — uu — u : nisi sanet me flös de spina
7. — u — u— wu : prüdens (5st multümque förmösä
8. — u — Kj — yjyj — u — : anni növi rediit novitäs
9. u_u_u_uu : et idem velle. Väle flös florum.
10. — uu — u_uu : Licet äccr^scat dolor dölori.
Im Verse 4, 4 osculimi si sumat es ab ore scheint 'si' oder
*os' zu tilgen, so daß die Zeile = no 4 oder no 7 wird.
Es bleiben 4 Zeilen in deren erster Hälfte mir eine Senkung
unterdrückt zu sein scheint:
I5 2 hiemis * cedit asper itäs (vgl. no 8)
1, 6 mens estu* languet vario (vgl. no 2)
1, 7 pröpter pu-ellam quam diligo (vgl. no 8)
3, 6 non iüngar • cariöri (vgl. no 1).
Da dieses Gedicht so schwierig, aber seiner Formen halber wichtig
ist, will ich es hierher setzen:
Anni növi rediit növitäs,
hiemis cedit asperitäs;
breves dies prölongantür,
^lemönta t^mperantür,
5 siibintrante Jänuariö.
mens ^stu languet väriö
pröpter puellam quam diligo.
2
Prüdens est multümque formösä,
pülchrior liliö vel rösä;
gräcili cöartatur statüra,
prestantior omni cr^atürä;
5 pläcet plus Francie regina.
michi mors est iäm vicfnä,
nisi sdnet me flös de spina.
3
V^nus me t^lo vülnerdvit
aüreo quöd cor p^netrdvit.
Cupido fdces instilldvit,
Amor amörem süperdvit
ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythinik in lateinischen Versen. 77
5 iuvencule, pro qua volo möri.
non iüngar cäriori,
licet accrescat dolor dolori.
4
Illius captus sum amöre,
cuius flos ädhuc est in flore.
dulcis fit läbor in hoc laböre.
ösculüm si sümat [os] ab öre,
5 non tactu sanabor labiörüm,
nisi cor ünum fiat duöriim
et idem velle. Yäle, flos flörüm!
In den beiden letzten Gedichten^) sind also die berüluntesten
1) Burana no 195 S. 253 'Cum animadverterem dicit
C a t o' ist ungemein schwierig. Die sogenannte 4. Strophe ist
ein selbständiges Gedicht, die vielleicht oft gesungene Formel eines
poetischen Tischdankes, welchen man noch heutzutage singen könnte:
Conventus iste nobilis summo patri et filio
letetur his conviviis et hospiti largissimo,
et mera mente gaudeat tali dicto nomine,
4 et dignas laudes referat 8 ut longo vivat tempore.
Das sind regelmäßige Achtsilber mit steigendem Schlüsse;
denn in Zeile 5 war 'patri et' statt 'patris' (M = Münchner Hand-
schrift) zu schreiben und in Z. 7 ist 'tali' = N. N. Der kurze
Spruch läuft, wie das bei solchen Toasten gern geschieht, in einem
Athem bis zum Ende. Der Reim ist noch nicht rein zweisilbig.
Was vorangeht, scheinen 4 Strophen zu sein, welche aus je 8
altdeutschen dreihebigen Kurzzeilen zusammengesetzt sind. Ich
wage eine Wiederherstellung:
1
Cum animadverterem dicit Catö.
Quis me redärguit de peccato?
Laudem et honorem canimüs
nöstro hospiti, cui bönus est animus.
3 Laudem atque oder Laudem et honorem (omnes) canimüs.
2
Ergo, fratres, intelligite
^t ad öra pocula porrigite!
6t si aliquis inebrietür
ex vobis, declinet seörsum a nöbis.
1 fratres karissimi int. M 3/4 das ßeimwort 'vobis' scheint
zum Scherz umgestellt zu sein.
78 Wilhelm Meyer,
Zeilen der mittellateinisclieii Rythmik, 8 _ u und 7 u _ , mit den
Freiheiten der altdeutschen Rythmik, besonders durch Zusatz von
Senkungen, umgestaltet. Aehnlich haben in neuerer Zeit in die
antiken jambischen und trochäischen Zeilen patriotische deutsche
Dichter aus der altdeutschen Rjrfchmik zweisilbige Senkungen ein-
geführt.
(Deutsch-lateinische Rythmik im Ende des Mittelalters).
"Wie oben (S. 72) gesagt kamen im Laufe des 13. Jahrhunderts
einige deutsche Dichter so weit, daß sie auch in der deutschen
Kurzzeile fast immer eine Senkung setzten und daß sie parxytonen
Zeilenschluß nicht , wie früher , als 2 Hebungen verrechneten,
3
Et si aliquis debibat tunicam,
idem postea delüdat camisiäm.
et si aliquid plus de re sapitis,
denudetur — 'a planta pedis usque — ad verticem' capitis.
1 Et om. M 2 idem mn. M 3 plus däre sapit is? d. h.
plus quam tunicam et camisiäm 4 die letzte Kurzzeile ist scherz-
haft verlängert nach der wörtlich entlehnten Vulgatastelle Deut,
28, 35 = Job. 2, 7 = Jes. 1, 6.
4
Tunc eritis comites apöstolörüm,
quia *in ömnem t^rram exivit sönus eörum
öt in fines orbis t^rre vörba eörum'.
2 'in . . verba eorum' wörtlich entlehnt aus Psalm 18, 5 =
Rom. 10, 10. Will man 4 gleiche Langzeilen herstellen, so kann
man 'sönus eörum ^t in fines' als dritte Zeile abtheilen; das
Reimwort 'eorum' wäre dann ähnlich, wie in der zweiten Strophe,
versteckt. Doch zum Scherz paßt auch ein solcher Wechsel der
Langzeilen, bei gleicher Zahl aller Kurzzeilen.
Das sicher in Deutschland verfaßte Gedicht Burana no 29
S. 34 'Anno Christi reparationis 1179' ist mir noch un-
verständlich. Manche Stücke sind rein rythmisch, wie im Schluß
der 1. Strophe zwei Vagantenzeilen; im Anfang der 3. Strophe =
dem Schluß der 7. Strophe vier, Siebensüber mit dem Einschub
Wichmannus = respirat; im Anfang der 7. Strophe sechs Acht-
silber. Aber Anderes scheint deutsche Rythmik; so der Schluß:
dnguem strävit, qui disseminävit
discolum virus, quod infrigiddvit
igniculum fidei quique cecdvit.
ein Merowinger Rythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. 79
sondern nur als IV2. Damit war auch hier der natürliche Wechsel
von sinkendem und steigendem Zeilenschluß ermöglicht. Ander-
seits verschoben sich die Verhältnisse; ein dreihebiger Vers mit
paroxytonem Zeilenschluß (_ ^ — u _ u oder u — u _ u — u) konnte
nicht mehr als vierhebig gelten, da ja die letzte Silbe nicht mehr
den Werth einer Hebung hatte. Vierhebig blieben natürlich zu-
nächst die Zeilen mit steigendem Schlüsse: _u — u — u_ oder
u — u — u_u — . Aber etliche der späten deutschen Dichter thaten
den fast logischen Schritt: wenn eine Senkung vor der ersten
Hebung zugesetzt werden konnte, so konnte sie auch nach der
vierten Hebung zugesetzt werden. Sie wechselten also als gleich-
werthig die 4 Formen
7u_: _u — u^ujL mit ir libes kiiischiköit.
8u_: u _u — u_u^ er sprach: wilkömen reines väz.
8_u: — u_u_ujLu reien treten unde springen.
9_u: u _u_u_ujLu da sach man tanzen ünde springen.
Ich glaube nun nachgewiesen zu haben (Ges. Abh. I 252 bis
255), daß diese Gleichstellung vierhebiger Zeilen, die steigend
schließen, mit solchen, die sinkend schließen, auch in späten la-
teinischen Versen nachgeahmt worden ist. Also:
7 u — Stilo licet rüsticö.
80— Ad laüdes ergo virginis.
S —yj Simplex iüstus atque sänctus.
9 _u Ad terram ergo primo pöni.
Diese völlige Gleichwerthung des steigenden und des sinkenden
Zeilenschlusses ist schon in der deutschen Rythmik auffallend:
Der lateinischen Rythmik aber widerspricht sie durchaus. Ich
habe bis jetzt auch nur 2 Beispiele nachweisen können: sehr oft
findet sie sich in der viel gelesenen Vita rythmica Mariae und
etliche Male in lateinischen Dichtungen des Hugo von Trimberg
um 1280, welcher jene Vita Mariae gern gelesen hat. Aber auch
hier findet sich diese Freiheit nur im Schlüsse der ersten Hälfte
der Vagantenzeile, also vor der Caesur der Langzeile. An dieser
Stelle aber haben die mittellateinischen Dichter sich am ehesten
ähnliche Freiheit genommen (vgl. Ges. Abh. I 177, 285, 336).
(Alliteration in lateinischen Versen des späten Mittelalters
in England) Ob Engländer der angelsächsischen oder der mittel-
englischen Zeit in lateinischen Rythmen den Zeilenbau ihrer ein-
heimischen Dichtungen nachgeahmt haben, weiß ich noch nicht.
Dagegen mit der Alliteration hat sich dieser Kreislauf im
späten Mittelalter vollzogen. Stabreim und Endreim vereinigt,
wie bei Aldhelm und Genossen (Monum. Epist. III 240):
80 Wilhelm Meyer,
Spissa statim spiramina duelli ducunt agmina.
Horum archon atrociter fumum verrens ferociter.
Unde Titanis torrida labuntur luminaria.
Neque guttae graciliter manabant sed minaciter.
Turbo terram teretibus grassabatur grandinibus.
Donec nimbo ac nubibus torve teguntur trucibus.
Statura valde stabilis, statu et forma agilis.
Rite reddens refugium robustum per suffragium.
bringen des Guten zu viel. Deshalb theilen sich meistens die
Wege. Die Deutschen haben schon zu Otfrid's Zeit der Alliteration
auf immer den Abschied gegeben und den Endreim als gesetz-
mäßigen Schmuck ihrer Verse angenommen und zu allen Zeiten
festgehalten. Anders die Engländer ; sie hielten die Alliteration
fest und kümmerten sich zunächst wenig um den Reim. Da aber
in der altfranzösischen Dichtung der Endreim ebenso feste und
nie fehlende Eigenschaft der Verse geworden war wie in der
deutschen, und da im Laufe des 11. Jahrhunderts der Endreim ein
nothwendiges Stück auch der mittellateinischen Rythmik geworden
war, so konnte auch die mittelenglische Rythmik sich dem Reim
nicht entziehen; der Reim wurde also ein wichtiges Stück auch
der mittelenglischen Rythmik.
Der Eifer für den Endreim drängte nun in England zuerst
die Alliteration weit zurück : allein patriotische Engländer nahmen
sich ihrer an und verwendeten sie wieder eifrig in englischen Gre-
dichten. Ja, es fanden sich welche , die sogar die Alliteration
wiederum in lateinischen Versen anwendeten, oft neben dem End-
reim, in quantitirend wie in rythmisch gebauten Versen; vgl. in
Wright's Political Poems und Songs I 219 und in Political Songs 160:
nie David dormit, Salomon silet, ac obit Obeth,
mors sua me flere iam memorata facit.
Ludert volentibus lüdens paro liram.
de mundi malitia rem demonstro miram.
nil, quod nocet referam, rem gestam requiram.
Scribo novam satyram, sed sie, ne s^minet iram.
Diese um 1300 entstandenen Verse sind mit Reim und Alliteration
ebenso überladen wie die Aldhelms.
Die Verschiedenheit der Silbenzahl und die Alliteration, welche
in der ältesten Zeit aus der lateinischen Rythmik in die nationale
übergegangen waren, waren, wie gezeigt, im Verlauf des Mittel-
alters aus der nationalen Rythmik, wo sie in Verbindung mit der
Herrschaft der Hebungen eine große Rolle spielten, wieder an
einigen Stellen in die mittellateinische Rythmik eingebrochen.
ein Merowinger Kythmus u. altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen. öl
Die mittellateinische Rythmik kam im 16. Jahrhundert außer
Gebrauch: allein ihre Töchter bildeten sich immer kunstvoller aus.
Die Rythmik des Mittelalters hatte eigentlich keine bestimmten
Füße gebildet. Doch, wenn sie einmal in die Lage kam, Füße der
antiken Dichtung nachzubilden, so hatte sie von jeher in die Stellen
der vom Versaccent getroffenen langen Silben die vom Wortaccent
belegten Silben gerückt. Das zeigt am besten die Art, wie der
Schluß des Hexameters jl u u _^ u , f raude cavere, rjrthmisch nach-
gebildet worden ist: Cessent immensi, capitulum tale, adv^rsis
nocivos; Nicht das er from ist, slicht das do krom ist; Bot ye
youre hedis, bare in thies stedis.
Als nun im 16. Jahrhundert die antiken Metra genauer studirt
wurden und die Lust sich regte, sie genau nachzubilden, war es
für die Deutschen und für die Engländer kein großer Schritt, daß
sie sich entschlossen, überall mit dem Unterschied ihrer betonten
und unbetonten Silben die antiken Füße von langen und kurzen
Silben nachzumachen. Das Wesen ihrer Sprachen ermöglicht es
ihnen, auch betonte Silben in Senkungen zu stellen und so z. B.
drei lange Silben neben einander zu bringen, so daß sie die sonst
einförmigen Jamben und Trochäen, Anapäste und Daktylen eben-
falls, wie die Alten, durch Spondeen unterbrechen können, was
z. B. die romanischen Sprachen nicht können, in denen deshalb,
eine genaue Nachahmung der antiken Versfüße nicht möglich ist.
TJebersicht I Merowinger Rythmus über Fortunat: Text S. 32
Inhalt S. 34, Form S. 35—39 (Zeilengruppen S. 36, Zeilenbau S. 37).
II Die alten lateinischen Rythmen und ihr Einfluß auf die alten ger-
manischen und romanischen Zeilen S. 39 — 45 (Reim, AlUteration, schwan-
kende Silbenzahl; S. 44 Hebungen).
III Altdeutsche Rythmik in lateinischen Versen S. 45 — 81 : Die
Beichte 'Audi me deus piissime' S. 47 — 51. Ratpert's Lobgesang von
Ekkehard IV übersetzt S. 51 — 58. Dhuoda's Verse S. 58—70.
Gedichte des 12. Jahrhunderts S. 70 — 72: Burana no 22, 17 und 192
(S. 73), no 182 (S. 74), no. 158 u. 51 (S. 75), no 195 u. 29 (S. 77
Note). Deutsch-lateinische Rythmik im 13. u. 14. Jahrhundert S. 79.
Alliteration in lateinischen Versen später Engländer S. 80.
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft.
Ueber Handschriften der Gedichte Fortunat's.
Von
Wilhelm Meyer ans Speyer,
Professor in Göttingen.
Vorgelegt in der Sitzung vom 8. Februar 1908.
Diese Untersuchungen beschäftigen sich mit einigen Hand-
schriften der Gedichte des Venantius Fortunatus und mit ihrem
Verhältnis zu jenen Handschriften, welche Leo in seiner Ausgabe
benützt hat (in den Monumenta Germ. Hist., Auetores antiquissimi
tom. IV pars I 1881).
Ich bin ausgegangen von der londoner Handschrift (Ad = Brit.
Mus. Additional 24193) und von der pariser Handschrift 14144,
die von Leo mit Ä bezeichnet ist. Leo hat A für eine der besten
Handschriften des Fortunat erklärt, Ad aber zählt er S. XIV
tinter den Handschriften auf, von denen er sagt 'hos cum ipse
inspexerim aut ab aliis descriptos atque excerptos habuerim, recen-
sioni non adhibendos esse iudicavi'. Als ich fand, daß beide Hand-
schriften allein den vorhin (S. 32) veröffentlichten Rythmus enthalten,
begann ich an Leo's Urtheil über Ad zu zweifeln und ließ mich
auf Untersuchungen' ein, deren Resultat ist, daß beide Handschriften
Zwillingsschwestern sind, und daß von künftigen Bearbeitern des
Fortunat beide Handschriften in gleichem Maße berücksichtigt
werden müssen. Ich habe hierbei über die londoner Handschrift
benützt Mittheilungen des Herrn J. A. Herbert, Bibliothekar des
Brit. Museums, und des Herrn Dr. Walter Dolch über einzelne
Stellen; dann habe ich die photographische Copie benützt von
Carmen III 13, 7 — 30, 4; von V 1 § 4 (S. 102 Z. 14) — 5, 4;
endlich des Schlusses von XI 26, 2 ab.
Um diese spröden Untersuchungen für künftige Forscher etwas
Wilhelm Meyer, über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 83
nützliclier zu machen, habe ich noch einige anderen Handschriften
hinzugenommen.
S, die aus Siegburg stammende, schon von Brower genannte
und benützte Handschrift in Brüssel. Van den Gheyn, Catalogue
des Manuscrits de la Bibliotbeque Royale de Belgique, II 1902
S. 292, sagt über sie: no 13 52 (5354 — 5361), parchemin; 90
foL; 27 : 20 cm. X Jh.; f. 1 — 67 Liber Fortunati = Migne 88
col. 59 — 362. Ich habe gefunden, daß diese Handschrift wenig
interpolirt ist und zu den bessern Textesquellen gehört. Ich
konnte die nach Gröttingen gesendete Hft an vielen Stellen ein-
sehen. Es fehlt I 2, 10 *dam qui bis 13, 17 simulando' ; dann ist
für das Carmen quadratum II 5 der Raum leer gelassen und statt
dessen der Brief des Alcuin ^Elegio episcopo' eingeschrieben.
Ebenso fehlt in S (f. 28 a) S. 112, 2 dis otii bis S. 115, 16 pro me.
H = Vatican Palatinus 1718, von Leo S. XIII beschrieben:
Vatic. Palatin. 1718. membr. fol. s. XI continet carminum libros XI.
Leo zählt auch diese Handschrift zu jenen, quos recensioni non adhi-
bendos esse iudicavit. Ich habe gefunden, daß diese Handschrift aller-
dings schon oft interpolirt ist, daß sie aber der von Leo benützten
Handschrift R = Vatican. Regin. 329 nahe steht und oft besser
ist als diese. Ich erhielt von Herrn Dr. Jacob Schwalm gütige
Nachricht über einzelne Stellen; dann benützte ich die Photo-
graphie von III 13, 17—111 29, 2 und von V 1 § 10 (S. 103, 20)
bis 5, 20.
0 == Oxford Bodleianns: Summary 20620 = Auct. T. 2. 25
(Meerman. 554), in 4^ 166 fol. s. X/XI: 'probably once in the
possession of St. Vincent's monastery at Metz' fol. 1—146 For-
tunat's 11 Bücher mit Lücken, die im 17. Jahrh. ausgefüllt worden
sind. Diese Handschrift ist von einem klugen Kopfe oft inter-
polirt. Ich erhielt von Herrn Bibliothekar F. Madan gütige Nach-
richt über viele einzelnen Stellen und benützte die Photographie
von m 13, 39—27, 8 und von V 3, 1—5 § 2 (S. 108, 11).
2J = Paris 13048, f. 39^— 58^ Da diese Handschrift weit-
aus die wichtigste ist, so habe ich nach einer 1902 von mir ge-
machten Vergleichung all das hier nachgetragen, was in Leo's
Ausgabe nicht notirt ist. Leo selbst sagt S. VIII: meum in usam
accurate contulit et descripsit Rudolfus Peiper. ipse librum non
vidi. Des wichtigen Neuen bringe ich natürlich nur wenig.
Dann habe ich Fortunat II 16 de s. Medardo verglichen
mit zwei sehr alten Legendarien : mit Ä = Cod. latin. Monacensis
6*
g4 Wilhelm Meyer,
3514 saec. YII und mit K = Karlsruhe 136 aus dem 1. Drittel
des 9. Jahrhunderts.
(Die Unterschrift des XI. Buches) Am verstümmelten
Schlüsse des 11. Buchs der G-edichte steht in manchen Handschriften
eine seltsame Unterschrift in verschiedenen Fassungen (s. Leo S.
XV u. 270). Es liegt nahe, daß die Handschriften, welche diese
Unterschrift in ähnlicher Fassung enthalten, sich nahe verwandt sind.
Diese Unterschrift lautet in der londoner Handschrift {Ad)
fol. 158^ med. : explit | inquantu auctor habuit scriptu; Incüp. prologus.
In der pariser Handschrift {A) füllen die Worte : nat aqua, expliö
LiB. IN QUANTÜ AUCTOR HABUIT gerade die Zeile, dann folgt über das
durch Linien begrenzte Zeilenende hinausstehend, ein gekrümmter
Strich, durch dessen Kopf ein Querstrich gezogen ist. Da statt
dieses Zeichens in der londoner Schwesterhandschrift scriptum steht,
so ist klar, daß das pariser Zeichen dasselbe Wort sein soll. Es
soll also ein kursives s mit Abkürzungsstrich sein; schon in den
Urkunden des 6. Jahrhunderts findet sich ff für suprascript . ..
In der pariser Handschrift folgt in neuer Zeile incpt prolog. de
PRiviLEGio (s. oben S. 32). In der eigentlichen Unterschrift hat
also die pariser Handschrift nur das Wort lib mehr. Daß dies
hier fälschlich zugesetzt ist, beweist die folgende, zweite Fassung
dieser Unterschrift, wo, wie in der londoner Handschrift, das Wort
liber nicht vorkommt.
Diese andere Fassung der Unterschrift lautete ursprünglich:
EXPUCiT m QUA^TTUM HABUIT AUCTOR usQUE FiNEM. So lautct dieselbe
in H (Palat. 1718 f. 213»») und in M (Ambros. 74); in i^ (Vatic-
Regin. 329 f. 123) ist geändert : actor und fine ; in D (Paris. 9347)
ist HABUIT weggelassen. In der Oxforder Handschrift steht nur
eine andere, neu fabricirte Unterschrift:
fortu versifici nati thomus explicit istic.
Also stehen die Handschriften A und Ad zusammen gegen
HMDR:
EXPLIC. IN QUANTUM AUCTOR HABUIT SCRIPTUM.
EXPLIC. IN QUANTUM HABUIT AUCTOR USQUE FINEM.
Leo hat die Unterschrift der londoner {Ad) und der pfiälzer
(H) Handschrift nicht gekannt und von der Abkürzung von scriptum
in der pariser Handschrift {A) nichts gewußt. Nach diesem un-
vollständigen Material hat er (S. XV) geurtheilt : Fortunati Codices
praeter E ad unum exemplar redeunt mutilum et corruptum sae-
culo ut videtur octavo medio . . i. e. primis Carolingorum tempo-
ribus ab interitu servatum. quod qui primus transcripsit cum
über Handschriften der Gedichte Fortunats. 85
novissimum libri Carmen fine carere sentiret compertumque haberet,
plura quam sibi praesto essent poetae carmina extare, subscrip-
tionem subiecit in AMDR servatam (in BL consulto inmutatam,
in GGF sine consilio omissam): explicit in qvantvm habvit avctor
vsQYE FiNEM. Bei dieser Auffassung ist 'usque finem' überflüssig
und 'auctor' = exemplar, meum exemplar auctoris ist mindestens
seltsam. Diesen Sinn hätte der Schreiber einfach geben können
durch 'explicit in quantum habui scriptum' oder 'explicit in quan-
tum habuit scriptor usque finem oder absque fine'.
Die beiden Handschriften A und Ad sind durchschnittlich
besser als die Handschriften HMDR: deshalb hat die Unter-
suchung auszugehen von der Fassung der Handschriften A und Ad.
Die Unterschrift explicit in quantvm auctor habuit scriptum
steht ganz einzeln; ich kenne keine ähnliche. In quantum statt
quantum, ähnlich unserm 'insoweit' statt 'soweit', wird schon der
guten Zeit der lateinischen Sprache zugeschrieben, ist aber in der
spätem Zeit eine gewöhnliche Ausdrucksweise (vgl. Handü Tur-
selKnus 'in' Kap. IV § 53 = vol. III 1836 p. 332). 'Habuit
scriptum' ist ein schwieriger Ausdruck. Ich finde keine andere
Erklärung als 'scripsit, scripserat, scriptum reliquit'. Diese Unter-
schrift ist ja sicher nach 590 und, da sie in der Urhandschrift
aller uns erhaltenen verkürzten Fortunathandschriften gestanden
hat, vor 750, also in der Zeit der merowingischen Sprachbarbarei
verfaßt worden.
Wenn die Unterschrift bedeutet 'Hier endet das , was der
Dichter geschrieben hat, oder, was er schriftlich hinterlassen hat'
— eine Erklärung, welche der Leo's fast entgegengesetzt ist — ,
so fragt sich, was diese Constatirung hier besagen will.
Es müssen in der Geschichte der Fortunathandschriften be-
sonders 2 wichtige Handschriften angesetzt werden: 1) jene
Handschrift, in welche bald nach dem Tode des Dichters in Poitiers
sämtliche Gredichte in 11 Büchern zusammengeschrieben wurden.
Diese ursprüngliche und vollständige Sammlung der Gedichte ent-
hielt also auch alle diejenigen, welche jetzt in den Hften der 11
Bücher fehlen, aber in der Handschrift Z" stehen. 2. Jene Hft,
in welche zuerst die gekürzte Sammlung geschrieben worden ist,
wo also von der ursprüngKchen vollständigen Sammlung viele
Stücke weggelassen wurden, darunter auch all die Stücke, welche
jetzt die Handschrift E allein bietet. Diese Verstümmelung kann
in Poitiers geschehen sein, aber ebenso leicht auch an eiaem an-
86 Wilhelm Meyer,
dem Ort. Auf diese erste Handschrift der gekürzten Sammlung
gehen alle erhaltenen Handschriften der 11 Bücher zurück.
In dieser ersten Abschrift der gekürzten Sammlung stand
gewiß schon die Unterschrift, vielleicht auch der Rythmus. Der-
jenige nun, welcher die ursprüngliche und vollständige Sammlung
gekürzt, d. h. die sämtlichen jetzt nur in 2J erhaltenen und gewiß
noch andere uns jetzt verlorenen Stücke mit voller Absicht weg-
gelassen hat, derselbe Mann hat nicht am Ende eine Unterschrift
zusetzen können 'Das ist Alles, was der Dichter hinterlassen hat*.
Es bleibt also wahrscheinlich, daß diese Unterschrift aus der
ursprünglichen und vollständigen Sammlung in die gekürzte mit
herüber geschrieben worden ist. Aber können denn diese Worte
am Ende der ursprünglichen und vollständigen Sammlung der Ge-
dichte Fortunat's einen vernünftigen Sinn gehabt haben? Ich
glaube, dies durchaus bejahen zu dürfen. Aber, wie der Wortlaut
dieser Subscriptio singulär steht, so ist auch ihre Ursache eine
singulare.
In der Abhandlung 'Der Gelegenheitsdichter Venantius For-
tunatus' (1901, von unsern Abhandlungen Neue Folge Band IV
no 5) habe ich S. 27 und besonders S. 69 nachgewiesen, daß das
10. und 11. Buch der Gedichte erst nach dem Tode des Fortunat
aus seinen Papieren zusammengestellt worden ist. Dabei hat man
die intimsten Erinnerungen seines Lebens, die zärtlichen Billets
an Radegunde und an Agnes, der Oeffentlichkeit übergeben. Man
hat aber auch sonst ja Nichts umkommen lassen wollen; so hat
man eine prosaische Expositio orationis dominicae (unvollständig!)
und eine prosaische Expositio symboli aufgenommen; ja, man hat
die vorgefundenen verschiedenen Entwürfe ein und desselben Ge-
dichtes (in no X 6 ad ecclesiam Toronicam) zusammengepappt.
Als diese Leute mit dem Zusammensuchen und Zusammenschreiben
fertig waren, konnten sie ihrer Arbeit, d. h. dem jetzigen 10. und
11. Buch der Sammlung mit Recht die Unterschrift geben: 'Das
ist Alles, was Fortunat schriftlich hinterlassen hat'.
Darnach stand diese Unterschrift schon unter der ersten, in
Poitiers hergestellten vollständigen Handschrift der Gedichte des
Fortunat. Dann wurde diese Sammlung in der seltsamen Weise
gekürzt, welche wir mit Hilfe der Handschrift 2J nachweisen
können. In der ersten castrirten Handschrift war die Unterschrift
beibehalten. In den Abschriften, welche aus jener ersten Hand-
schrift der gekürzten Sammlung stammen, hatte die Unterschrift
verschiedenes Schicksal: in die londoner und in die pariser Hand-
schrift ist sie ziemlich getreu übe . .i^egangen ; in einer andern Ab-
über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 87
Schrift, aus welcher die Handschriften HMDR stammen, waren
die Worte 'auctor habuit scriptum' verändert zu 'habuit auctor
usque finem' ; in den meisten Abschriften wurde die fast unver-
ständlich gewordene Unterschrift ganz weggelassen.
Die Geschichte des Rythmus (oben S. 32) ist nicht sicher. Er ist
wahrscheinlich schon in der ersten vollständigen Handschrift hinter
der Unterschrift eingeschrieben worden, hat sich dann mit der Unter-
schrift in die erste Handschrift der gekürzten Sammlung und von
deren Nachkommen in die londoner und pariser Abschrift gerettet,
während er in allen andern weggelassen worden ist. Er könnte
freilich auch erst in den Ableger der gekürzten Sammlung einge-
setzt worden sein, aus welchem die londoner und die pariser
Handschriften zunächst stammen; allein wahrscheinlich ist das
nicht, da dieser Ableger ebenfalls noch in Poitiers gelegen haben
müßte. Wahrscheinlicher ist es, daß dieser Hymnus bald nach
der Unterschrift in das erste vollständige Exemplar der Gedichte
des Fortunat in Poitiers eingeschrieben worden ist, d. h. wahr-
scheinlich ist dies Lobgedicht auf Poitiers und auf Fortunat kurz
nach seinem Tode gedichtet worden.
Für die Genealogie der Fortunathandschriften lernen wir also :
die londoner und pariser Handschrift (Äd und Ä) sind ganz nahe
verwandt und gehen auf eine Stammhandschrift zurück, deren Text
gut war ; anderseits gehen die Hften HMDR auf eine Stammhand-
schrift zurück, deren Text schon umgearbeitet war.
Probestellen aus den 11 Büchern.
In der Subscriptio am Ende des 11. Buches ist die londoner
Handschrift (Äd) der pariser (Ä) am engsten verwandt und ist
etwas besser ; allein bei der seltsamen Ueber lieferung des Fortunat
beweist eine Stelle nicht viel. Leo führt in der Einleitung (S.
XVIII und XIX) eine Anzahl Stellen auf, mit denen er seine
Lehre über das Verhältnis der von ihm benützten Handschriften
belegt. Diese habe ich ausgelesen und aus den Handschriften Äd,
H und 0 (s. S. 83) mir die Vergleichung dieser Stellen erbeten;
dazu habe ich die Lesarten von S gefügt.
Nur die beiden Handschriften Ä und Äd geht Folgendes an.
Zum Schluß des 8. Buches notirt Leo über Ä: explicit L. VIII,
deinde hymnus Prudentii cathemer. 12, 49 — 156, deinde incipit L. IX.
Ueber die londoner Handschrift Äd erhielt ich von Herrn Biblio-
thekar Herbert folgende freundliche Nachricht: fol. 116^ . . unde
feratis opes . uer. xni explicit liber octavvs. | Jam flos subit daui-
88 Wilhelm Meyer,
ticus (Prudent. i\ 49), Ende f. 118 iam nemo posthac mortuus
(Prudent. v. 208.). explicit. incipit liber nonus. Ad chilpericum
regem qnando synotus brinna cohabita est. Ordo sacerdotum ue-
nerandeqne culmine christi. Ein Fehler beider Handschriften
ist es ja, daß die Verse des Prudentius hier eingeschoben sind;
allein Ad mit dem vollständigen Schlüsse ist doch besser als A,
in welchem die letzten 52 Verse fehlen.
II 16, 43 incepit SH(CMDGLR): incipit Ad{FB<')'. incipit hinc
A, Also hatte wirklich die Stammhandschrift von A und Ad den
groben metrischen Fehler 'incipit'. Er ist in Ad treu abgeschrieben,
in A durch Interpolation verdeckt. Da die Handschriften A und
Ad mit den Hften F und jß" sonst nichts zu thun haben, so scheint
das falsche 'incipit' Lesart der verkürzten Sammlung gewesen zu
sein. Ist nun das richtige 'incepit' in SHCMDGLR alte TJeber-
lieferung oder richtige Correctur?
III 2 § 3 (Z. 19) notirt Leo: placidus es C: placidus est BL,
placidus DGRM^, placidu A, placid* M^; Ad hat ebenfalls nur
placidu, S und H nur placidus.
III 4 § 7 (Z. 8) animi Ad{AC): amici S^H (reliqui Leo's, nostre
amicicie S^).
III 4 § 12 (Z. 1) conlegistis: collegistis AC, collegatis MDBLG^,
coUigatis B, conligatis G^. Ad hat coUigistis, H und S^ colle-
gatis, S^ coUigatis.
III 6,47 clericus AdO{AC): clerus SH (relL). Also gibt Ad
alte Ueberlieferung, 0 richtige Interpolation.
IV 1, 9 memorabile donum: ^A ante oculos habuisse videtur
memorale (atque in P legitur memoliale); scripsit autem A niemo-
raleque' : so sagt Leo S. XIX und er hat Recht ; denn Ad ist hier
nicht interpolirt und bietet: memorale. Seltsamer Weise haben
auch IX 12, 1 die Hften (ACPM^) memorale statt memorabile.
IV 25, 21 aeterna (CT): AdSH mit AMDGBLRF 'terrena'.
IV 26, 54 ecce (CP): esse AdSH {rell.)
V 1 § 7 (Z. 25) notirt Leo: post stoicam vulg.: post sthoi-
cam C, potesthoicam A3IRD^, potest hoc iam D^BL. Ad und S
bieten potest hoicam, H post (te über o) hoc iam.
VI § 10 (Z. 15) uestris litteris fiduciae pignus accepi Ad{AC)',
'litteris' fehlt in den übrigen Handschriften, auch in SH. Doch
haben S{MB) wenigstens 'uestris' bewahrt; in H{BLR) ist 'uestrae'
interpolirt.
V 6 § 1 (Z. 3) indulti (AdAC): indulgenti H{MDGBLR\ in-
dulgentis 0; in /S fehlt S. 112, 2-115, 16.
V6 § 8 (Z.3) difficulter Ad{AC): difficultate HO(MDGBLR).
über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 89
V 6 § 8 (Z. 4) quo prodirem Äd(ÄC): quo proditorem H(MDGB\
quo proditore {LR); quod proditor e (nova) 0; S fehlt.
V 6 § 11 (Z. 20) uiscatura tendebar: uescatur tendebar C;
die übrigen Varianten s. bei Leo; Ad und H haben uescata ten-
debar = BM] uiscata tendebar ABL; 0 hat uersando tendebam.
V 6 § 16 (Z. 12) singuliue Ad{AC): singuli uel HiMDGBLR).
In VI 1 haben statt der Namen Sigibercthns und Brunichildis
die Handschriften C und P gesetzt Chlothacharius und Bilichildis ;
AdSHO gehen mit allen andern.
VI 1, 138 seruans (CP): seruiant Ad(A), seruat SH{MI)GR),
sernet 0(BL).
VI 1*, 4 ingenium Brower: iterum AdSH (rell.), itnrum 0,
hinc iterum (A).
VI 10, 67 sede Sapaudo: sedes apaudo (AC), sedes apaulo Ad,
sedes aplaudo SH(MG^R), sedis aplaudo (Ven), sed esse plaudo
(BL), s esse plaudo (D^) sede plaudo (D^).
VII 17, 3 pectore claudo : pectore laudo (C), pectore AdS(A3PV),
pectore gesto HO{BGBLRF).
VIII 1, 17 nomine Ad{E,AGM): lumine SHO(DGBLR).
Vin 1, 64 glorificanda Ad(AC): glorificante 2J , glorificata
SHO {rell).
VIII 3, 345 fructu meruit nee Ad{AG): meruit nee (fructu
om.) S^H{3IBLRF), meruit modo haec nee S\D), meruit iam nee
modo {G), meruit demum nee 0. (V. 347 lautet in 0: Omnis non
validi est spes prorsns rapta doloris).
VIII 7, 4 aperta suis Ad{AC): perfecta suis {D) , *perfecta
suis (üf), aperfecta suis S^, aper***ta suis /S^, perfecta (suis om.)
E{GBLRF), perfectis 0 {Par. vulg.).
IX 2, 19 iustissima denique proles {ß und y = Paris, lat.
4887 und Bern. 455): iustima denique proles ((7), iustissima {om.
denique) proles {d und rell.) SH und {mit prolis) Ad, hi iustissima
proles {R); Sicque dehinc iafeth iusti iustissima proles 0.
X7, 44 amor {C), amor* {A): om. AdS{P), opis H{MGBLRF),
opus 0.
X 15, 7 solo: loco (C), iUo Ad{A), caelo SHO {rell.).
X 15, 8 ecce tuus: hoc tuus Ad(CM), hocque tuus {A), hicce
tuus {Ven.), hoc tuus est HO{DGBLRF), hac tuus est S.
XI 8, 3 profecit S{DGL): proficit AdH{CPMBR), proficiat {A).
XI 25, 13 quo AdHO {rell): quod S\MDBL) aquilo Ad
{EA^E = Laur. 45,26): aliquo SHO {rell).
XI 25, 20 horrificis AdO{UAE): horrendis S{MDGBL), horri-
feris {R), horrisonis {F), horrus //.
90 Wilhelm Meyer,
Vollständige Vergleichung der Handschriften AdSHO zu den
Gedichten III no 13— no 30 und V no 1 § 5— no 5. Die zu
einzelnen Stellen gegebenen Lesarten beweisen vollständig, daß
die londoner Handschrift {Ad) der pariser 14144 {A) gleichsteht
und bei der kritischen Bearbeitung der 11 Bücher des Fortunat
in Zukunft berücksichtigt werden muß. Auch die andern Hand-
schriften S' H und 0 sind hierbei gelegentlich beleuchtet worden.
Doch solche Blendlichter geben nicht immer ein richtiges Bild;
man muß auch die Handschriften in ihrer Häuslichkeit beobachten,
wenn man sie allseitig richtig beurtheilen will. Deshalb habe ich
zu etlichen Gedichten alle Lesarten der 4 von mir neu benützten
Handschriften gegeben. Diesen habe ich stets die Lesarten bei-
gesellt, welche zu der betreflPenden Stelle etwa Leo notirt hat;
die übrigen kritischen Noten Leo's habe ich hier nicht angeführt.
Um den Fortunatforschern schon jetzt etwas zu nützen, habe ich
die 2 großen Lücken der Handschrift A ausgewählt: III 13, 39 —
26, 18 und V 1, 11—5 § 1 extr. (s. Leo S. V). Hierbei ergeben
sich auch kleine Stellen (III 13, 5—39; in 26, 18-30, 4; V 1
§ 5 — § 11 , endlich V 5 § 2) , an welchen man auch die Hand-
schriften A und Ad noch vergleichen kann. Diese 2 großen Partien
sollen hauptsächlich die genauere Prüfung der 4 Handschriften
ermöglichen.
in 13 S fol. 16\ 2. Spalte mettinsem SiADGBO') 1
ceruleo S 1 mosella (AJDG^BL): museUa S{CMRFG^) 5 in
Ad {London BriL Mus. Addit. 24193) beginnt fol. 39^ 5 Hinc
S{etc.): hie Ad 6 Inpauperiore S 7 mosellam Ad{ADG^BL):
musellam S{CMRFG^) 9 frondata Ad allein 9 loco Ad{etc?j:
locus S{MDG^f locos R) 11 deliciosus Ad(etc.): diliciosus S{C,
dilitiosus B) 12 culpa S^ 12 ui discernis Ad^ (des Ad^)
12 at AdS\MDBLFG^): ad S\C, et AG^Ven, atque R) 13 ue-
stitus Ad 15 amnes Ad(AC3P, omnes 6r*): vielleicht echte
Lesart trotz der harten Construction. Um Metz strömt die Mosel
'seu qui Mettis adit de sale nomen habens' (VII 4, 16). 16 ponti-
fices Ad 17 aetheriis S{APMDGLB'): aethereis Ad{CB'RF)
18 mit Stratus beginnt H (Palatinus 1718) pag. 37 18 leuat
Ad{ACPG'): lauat SH(MDBLRF'G') 20 dulcis S' 28 blande
S^ 29 opes H{R, om. F) 31 sacias S 31 quQrulum AdH
31 obliuiscetur Ad{F) 32 atriis, p über a, Ad 32 exsul S
34 tristitia Ad{P^3P) 35 illic, n über ic, Ad; iUic H 36 nihü
Ä^ 36 inobs S{C) 37 melius: incelis H 37 quam: tua Ad HS
(alle Leo's) (38 diffundis Ad: defundis A) 38 paradisus SH{AL):
paradysus Ad(CPGBR, paradyssus M) 39 mit Culmina beginnt
über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 91
in 0 (Oxford, Bodlejana Auct. T, 2. 25) foL 37'' ; nach Culmina fehlen
in A zwei Blätter 39 uillice OH 42 aptatum (C) : optatnm
AdHO {Leo: rell), obtatum S extensos HO{etc.): extensus AdS-
(MBL) u. XLim AdS(MD): om. HO{etc.).
III 13a XIV (DG): keine Nummer AdSHO (rell. Leo) item
AdHO{etc.): om. S{DBLF) de coNvmo 0(F) 1 prosunt 0(BG''):
presunt Ad, praesunt SH{GPMBG^RF, christns L) 2 sacias S',
menbra 0 3 conuiuos S^ 4 cleare , co über c. Ad tj. im
AdSiGMB): om. HO(etc.).
III 13 b XY (G): keine Nummer AdSHO (rell. Leo) ad evndem
BL: EniSDEM AdH(CMDR), ad eiusdem S, eivsdem ad evndem (G);
dann ohne Item: ad epsvm episcopv de eadem re 0, peticio eivsdem
PANis IN MENSA F 1 ouis HO(etc.) i oues AdS\MBF) 2 panes
Ad u. II AdS(CMD): om. HO(etc.).
III 13 c XVI {G): keine Nummer in AdSHO (rell. Leo) in mens a:
NM H ETvs DicTVM om. 0{F, DicTVM om, L) 3 apelas Ad^, aepvlas
Ad^ u. mi AdSiMDG^): om. HO(etc.).
UI 13d XVII ((r); keine Nummer AdSHO (rell. Leo) Titel
in 0: DE copiA piscivjh svper mensam 2 Petri SHO(BDLG^F^):
et petri Ad(CMRF'Ven, *petri G') u. n AdBS(CMDG'): om.
HO(etc.).
III 14 xim AdS (etc. , xv D , xvm G^) : viii H, om. 0
GARENTINO S COLONIAE Om. H(B) AD CARENTINV EPISCOPV COLONIE
0(L und ohne coloniae F) 3 prefert Ad 5 creatus Ad, Cre-
ator H 6 ignotus Ad(M^) 7 aiFectu AdSHO 7 astringis 0
8 nunquam 0 8 desociare H(C) 11 conplens AdH(CPM): com-
plens S 13 sectator SHO. rell.: &^Qi^,t\xT Ad(FM'C\ sectetur C^)
15 mitis S\GVen): mihi AdH (rell. Leo)] placidusque mihi 0(L)
16 rapies Ad 18 letificas H 18 tristitia Ad(P^) 18 corde,
e ^w a corr., Ad 18 tuo, o ex a corr., 0 19 cibus esse det
esu. Ad] des, darüber et, S] es dasque esurientibus escam 0 19
Qsca H 21 innouas H 21 praecioso Ad, pcioso SO, petioso H
23 muneri S 23 capatia Ad 27 longeuo AdSHO 28 uer. xxyiii
AdS{BM.\ xxiii M^): om. HO(etc.).
III 15 XV AdSH(etc. : xvi B, xvm G^) : om. 0 egidio S remrum
H AD iGiDiVM remorvm episcopvm 0 (und so, doch ohne remorvm,
LF) egidi S^ (P^M^) 4 Licudibus H, also war seine Vorlage in
der Schrift von Corbie geschrieben, in der a tvie ic aussieht 5 exsi-
stere S(MB) 6 quidquid (PMR): quiequid AdSHO(CGBL)
10 properis 0 10 urbe Ad 11 effulges SO(CBGLM^) : effulgis
AdH(PM^BRF) 15 fundes, e aus i corr., Ad 17 haberis : alumn^
H 18 adest 0 20 satias HO: sacias AdS 20 greges, es aws
92 Wilhelm Meyer,
is corr., S{gregis F^C) 21 inplentnr H{CPMR): impl. ÄdSO
22 Delicias, el aus il, S (Dilicias B) 25 Heresis AdSH] Ira
cadit heresis 0 25 fosti te H, in welcher Hft die alten Ligaturen
für st und vi sehr oft nur mit st wiedergegeben sind; auch Ad ver-
bindet hier fortite 26 atquiris H[C) 27 agros, os aus is, S;
agros spinis 0 27 solente H 28 reges Ad 29 exsul S 30
recepit, ce ^u ci corr., Ad (recepit P) 30 tereuouente Ad, tere
foTiente H (32 remouens neue Hand in 0) 32 amore dapes H
36 ritergis, e über rg, 1?; geris 0{P) 37 super om. H 38 uer.
xxxvin ^c?«S: om. HO{etc. bei Leo: 'subscr. v. xxvm CDGM^, xxiir
il/^' ist wohl xxvin Druckfehler für xxxvm.
III 16 XVI AdH{etc.): xv S (xvn D, xx G^): om. 0 nilarivm
H; AD SANCTVM HYLARivM 0 2 absente Ad 4 nunquam 0
6 sintibi, noch ein t über n, ^fZ 6 cara S^O{G^F*): care AdH-
{CMDBLRF^G') 6 praecor J.(^ üer. vi AdS(MDG): om. HO{etc.).
III 17 XVII AdSH{etc. : xviii D^ , xxi G^) : om. 0 de berte-
CHRAMNO EPISCOPO S{eiC.) : DE BERTECRHÄNU EPM Ad, DE BEATE CHARÄNÜ
EPM H; AD BERTIGRÄNV EPM 0, AD BEREHTRAMNVM (G , BERTRAMXVM L,
BERTHERAMNVM F) EPISCOPVM GLF CVM ELEVARETVR S{CGB): Cü
ELEUARBT AdII{M, ELAVARET R), CVM EVM LEVARET D CVRRV S{GB)
CVM &?5 curru om. LF, qvod ev levasset in cvrrv 0 1 galia ^rZ
1 reddam (M^R) : redam AdSHO (rell. Leo) 3 duplicib : ingo Ad
5 Iloc, v über o, Ad 6 menbra 0 7 bertechramni, i aus e, S;
bastechramni H; bertegräni 0 8 conpraehente, den über nt, Ad
9 inplmnes H, implumes 0, inplumis AdS(MG, implumis C) 9
f^tus 0 10 pinnula S(CMI)): pennula AdHO(GBLF, penna ila
R) 10 teget Ad 11 opima H 12 in (G^Ven): hin ((7), hinc
AdSH{MDBLRFG'G^)'. hie 0 14 Inde H uer. xmi AdS{CMD)'.
om. HO{etc.).
III 18 xvui AdSH{etc.: xiii M, xvn ^, xix D, xxn G^*): ow;.
0(RF) Item om. 0.; ad evnde epm de opvscvlis svis 0 1 sns-
cepimi*s sisepi gramm. Ad 1 cartis 0{CGBL) 2 coturnato
AdSHO{alle Leo's) 2 sopho AdSHO{alle Leo's) 5 plena 5
(pl*na D^) 6 ociana sponte ^ci 7 Nam ^dS tarn ^d'' 8 tro-
iano II{D) ; traino, a über in, ^c? 9 Qd, mit Strich durch d (quod),
0 9 recitassis S{MFD, recitasse R) 9 in om. 0 11 compita
AdHO{etc.): cöpeta S{BDLG^) 15 in wier cZ^r ZeiZe Ä^ 15 sillaba
0(C) 16 clada H, clauda 0 (doda D^jR) 17 uenerandae Ad^
17 praece Ad 17 Noto i? 18 meo Ad 20 u. xx AdS{CDMG) :
om. ITO.
III 19 xvim AdSHietc, xx D, xxin G^): om. 0(F) aobi-
über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 93
coLAM 0{CBLF): agrecolam AdS{MD, egrecvlam G): agregola H
(grecola B) episcopv cavillonense 0 5 dulcis Ad 6 i^e H
fouet Äd{C) 7 partu Ad 7 bones S^ 7 höre H 9 s^nit S
10 effundit H{BL) u. x AdS(CMDG): om. HO(etc.).
in 20 XX AdSH(etc.: xv L, xxiiD): om. 0{F) bitvrigvm (BL):
BITURICÜ S, BITURIIJÜ Ad(CMD) , BITURIUM H{GR) , bitvricensiv 0,
tvrrem SH(CMD): turre Ad{GB) script. in tu. eins om. 0{L)
2 auarea dona offerant H 3 crysolitis AdH{CB) , chrisolitis 5,
crisolitis 0{L) 3 salomonia AdHO^GBL)'. salamonia S{CMBRF)
5 sunt Ad 7 et : vt JB" 7 tu ist nach corda getilgt und vor corda
iihergescliriehen Ad 7 coeques AdO^ coques H 8 siraptae S(etc.):
syrapte AdH{M, seraptae BL)\ Par vidu^ merito qu^ 0; in 0
steht oft ivncta, ivngor, volat etc. u. vm S(GMDG): uer. viiii Ad,
om. HO.
III 31 XXI AdS(etc.: xxii D, xxv G^): om. HO atque: et 0
APOSThOLicis AdH{GD, apostholecis M) domno Ad0{CDF), dom H:
DOMTN'O S(MG) PECULIATER Ad y PECVLIARI 0 dulci Om. 0 FAT
RIA viTO H PAPE AdH HUM H domino bis patri ausradirt in
B\ kurze Titel: ad avitvm episcopvm L, ad a. e. arvernensem B
1 urbis Ad: orbis ^ifO (a?Ze coc?c?. Leo^s) 3 saluntur If 4 quis-
que H(BLRFJyPG^): quaeque AdSO(CPM^DG^) 5 inmeritis 0^
6 Nemine nänpascens Ad 6 immemores sis Ad ; essis 5 7 gregis
Ad{M'^) 8 bic 0 8 quoque cura 0{BLGF^): cura quoque Ad-
SH(CPMDBF^) 8 tibi 0{G): tui AdSH (alle Leo's außer G)
11 agnes aut AdSH{CMDB): agnes simul aut 0 (aut agnes aut
GVeti, laudem agnes aut BL^ agnes valet aut in ras, F) rade-
gundis S{GLF): radegundes AdHO(CMDBB) 11 multiplici
0{GBLF); multipHcis SH{CMR), multiplices Ad{D) 13 feras 0
15 praecor AdSH uer. xvi AdS{OMDG, x i?); om. HO{etc.).
III 33 xxn AdSH(etc.: xxiii D, xxvi ö^^); om. 0 ad evndem
(GBL): ITEM eiusdem AdSH{CMDB); item ad a.vitvm episcopvm i^,
ad ipsv avitv arvernense episcopv 0 1 uenerand^ H 4 camona 5
5 inueniam, ut über in, H 6 trutinato SHO{etc.j strutinato D) :
trociNato Ad (trotinato CPM}) 7 solua, a -s^w o corr.^ H uer.
vm AdS{MDG): om. HO{etc.).
III 33* xxm H (xxvn G^)\ om. AdSO{etc.) item ad eundem epi-
scopv 0 1 bonores 0 2 summa H 6 promptus AdS{etc.:
prnmptus M): proptus H, promtus 0{RC^, prumtus P) 6 postio
H 7 patri euigoraltere gentum H 8 quQ H 9 iugere sonaret
^/^iT, (iuge res. LR) 13 amore 0{R^F^) 14 agnas ^(^^ ujr.
XVI SH{DGR): om. Ad0(etc.).
III 38 xxm S(etc.: xxiv D): xxii Ad, om. HO uereduno Ad(etc.):
94 Wilhelm Meyer,
YEREDVNV H, VEREDVNV S EPISCOPO VEREDVNENENSE F, VIRDVNENSI EPO
0 (ad agericvm episcopvm Z , AD A. E. VEREDENSEM G) 1 uGredona
AdS(DGBLF)'. ueriduna HO{CFMR) 1 clauderis H 1 urbe
Ad, erbe H 3 giro 0 4 iusit Ä^ aiisit S"^ 6 festilitate H
6 metes H{BLRF): metis AdSO{CPMDG) 8 contupHcabit IT
9 archani 0(GBL) 9 referas ZT 9 penetrabat S 10 pacis
^(^^(C'Jf'ö^^) 10 pascis at ore 0 gregis Ad{B^) 11 prae-
tiosius J.C?, preciosius SO 13 egregius S{M^DG) 13 babtis-
matis 0 16 fugiet 0 16 arte /SO(eJ^c.) : arta Ad{BLR^ : alma F),
asta iJ 17 auidQ 0 20 soHs ^(i 20 potTi*s H ^sca HO
V. xxn (CD): ü. xi AdS{MGB; H hat ver Zin/rs ?;or item und xx
recÄ^s am Band als Nummer von 23 a): om. 0{etc,).
III 23* XXIV {GL): om. AdSHO{etc.) agerico AdS\etc.): agyeico
H(MB), AGIRICO S\D), ACERICO (C^) EPM H VEREDUNUM S ITEM
DE AGERICO EODEM B; ITE AD AQERICV VIRDVNENSE EPM 0, I. AD AG. EPI-
SCOPVM (Z), I. AD EVNDEM (6r) 1 currum AdHO{etc.): cursum S{DBL)
3 uendicat 0 5 cbomsas 0 7 colent§ H 8 segites HS^-
(CPMR) 8 festüitateiT 9 sterüis 0{etc.): sterelis AdSH{CPM)
9 freunde 0 10 iturae Ad 11 iUecebris 0 11 larciua Ad
12 bil jET 12 amor: amator H 14 menbra 0 17 seua sere-
condi Ad, seua fere condi H 19 s (sww^) ^iZ>er (?er Zeile Ad^
20 sie Qris Ad 21 doctilocum ^d\ doctelocum Ad^ ; Doctilum JT;
Doct*loquum 0, e<;o o ^w e corrigirt zu sein scheint (doctiloquum
BL) 21 fonde 0^ 22 et: Tt JE? sterüis jy(jP^) 23 misteria
SO(CGB) 24 plebs : plus AdSHO {alle Leo's) 25 triumphans Ad
26 monitis AdSHO{etc.): monitus (CJf^) 26 praemat AdS 27
diliciis 6' (diUtiis B) 28 saciat ^(?fi', sciat H populus H 29
opem, 0 zu & corr.^ Ad 30 quidquid {PM^R): quicquid AdSHO-
{etc.) 32 uota H uer. xxxn AdSH{CMJDR): om. 0{etc.).
III 34 xxim AdS{etc.: xxv DZ): om. jffO ad uiro uenerabile
Ad, ad venerabilem vmv 0 (uir. uen. om. LF) anfionem H{CG):
ANEIGNE AdS{MDR) : amfione 0{BLF) prbm SO, presbiterum U(etc) :
PRBO Ad, PRESBYTERO {MD) 2 praetiosa Ad, pciosa SO Die Verse
3 quem, 4 conspexi, 5 Anfion, 6 atque folgen sich so in AdHO{CPF)]
dagegen 5 6 3 4 in S{DGBL); 3 und 4 fehlen nach Leo's Angabe
in {MB); dagegen theilt auf meine Anfrage Dr. Schwalm mir mit,
daß R {Vatic. Regin. 329) die Verse 3 4 5 6 in dieser Reihenfolge
enthält. 4 lumine esse H 5 amphion 0 (amfion L) 7 quem-
cuque H, quecunque 0 7 uideNS Ad 9 alloquio: sie Hn uno
cod. Vaticano* teste Luchio, alloquium Codices quos vidi: so Leo; allo-
quium AdSO : aUoquio H, also ist dies LuchVs Vnticanus 9 iocunda
AdSHO und alle Leo'a 9 uoluptas 0 10 unianimes Ad{CPM^-
über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 95
DB): unanimes SEO(GBLM^) 12 manes Äd{GP): manens SEO-
(MDGBLRF) 13 seneote ÄdH 14 Qui H 14 prestat H
15 promptus ÄdS(etc.): prumptus II{PMR, prump D), Promtus 0
15 redundas ÄdSHO 16 urbe (BL): orbe AdSHO(etc.) 17 hu-
man? ÄdH 17 effers S 18 nnda Äd 19 effert 0{PMGBLC^-
Yen) : offert AdSH{DF, effer C^ effere J?) 20 iuditio i? ü. xx
AdH{CMGR): u. xxi S: om. 0(etc.).
III 35 XXV AdS{etc.: xxvi L): xv H: om. 0 abb ^6?, abbt H
2 iurae paternae Ad 2 reges AdS{CPM^I)B^): regis H{GLEF'
M'^B^Ven): geris 0 3 quid 5^ 4 praece ^c? 7 optineat 0
8 relegis AdSO{PGF) : religis H{GMDBLR) 8 me Ä0(e2Jc., mis
i^): ow. AdH(DR) memorale H uellis J.rf^ u. viii AdSH-
{CMR): om. 0{etc.).
III 36 XXVI AdSH{etc., xxvii X): ow. 0 ruccone Ad, rucone
S{R) DIACONÜ S{etC.)', DIACONE 0{LF), DIACON //, DIAO" Ad MODO:
POSTEA 0 PRBM SO (PRESBYTERVM BG^): PRBO AdH (PRESBYTERO
MG^R, PRBO RC) 5 Sequa nate AdH 5 brittanica Ad(B^)
7 subtrait H 9 sepe 0 15 estotemei >S'' 15 repraehende Ad
17 humana S 17 NÜet ^c?
18 mit ac. dorn, beginnt die Hft A wieder 18 nfo SO{ACMDGBL):
Non ^c^(P), SCO i/{i?i^) üER. xvm AdSH(AMR, xxvm D): om. Oetc.
III 37 XXVII AdSH(etc., xxviii DZ); owi. 0 ARchmiACONU Ad(C-
DLVen, archidiacvm G): arcidiaconv ÄS(^ilf 7?) : archidiacone 0{F)
DE MELDVS H(CM^) : DE MELDIS AdSO{ABM\ MELLIS 2>, MEL i?) : MELDEN-
SEM FVen, MELDiNSEM L, MiLDiHSiM G^, MiLDiHENSiM G'^) 1 uestris Ad
4 dulcis an. Ad{C) 5 prumptus (PM^R), promtus 0 5 saciare
Ad u. viii AdSH{ACMDGR): om. 0(etc.) 8 mit habes ew<?e^ <Zt>
a7^e Hand in 0.
ni 28 xxvm AdS(etc., xxix D): om. E{RF) diaconvm Ad"^-
{etc.): DiACON H: diaconem Ad'\F) 2 inexiguis S^ 2 coare S^
2 ioliannis AdS\etc.): iohannes HS\BLG^) 2 haue .S^ 10 relegis
AdS{ADGL): reHgis H{PMBF, regis i2) me AdSH{etc.'. om. R,
add. B'D\ mis F) u. x AdHS{AMGR): om. (etc.).
111 39 xxvmi AdSH{etc: xxx DZ) anthimium J.(?Zr(e^c.) : antimivm
>S(i4^), anthemivm {GVen) epm J.d^, (?aww getilgt diaconv Ad^S-
(MJDGB): diacone Ad^H{ALRF) 2 amor: c?atwi^ endet p. 46 H
7 disce tota citus Ad 13 presens J.ci 15 praestis Ad{PM})
u. xvm AdS{ACMDG).
111 30 Dies Gedicht stellt auch in der Pariser Handschrift
13048 (2;) fol. 52 nach Appendix no 9 und vor XI 20, V. 6—8.
Das notirt Leo S. VIII; da er aber S. 77 nicht die Varianten
gibt , so notire ich sie. xxx AdS{etc. , xxxi DL) ; in Z steht nur
96 Wilhelm Meyer,
die gewöhnliche Formel: eiplicit item ALroo 2 amorae 2 3 Cö-
arpe Ad 3 iter, i in corr.^ Ad 3 quo S 4 carpae H mit
4 iter endet föl. 46* in Ad
5 honus S(DG^) 5 nequQ 2J 6 patientur opes Z 7 sub-
der^ 2J 8 mereantur S(DBL) 9 Quo sua . . colet seiet . . tener^
27 10 ieiunas erit quia 2J 12 mar§ 2J 13 rabi^ 27, rabiem
SiBGLF) turbantQ Z 14 ill§ Z 15 qu§r§ns 2; 17 prelia
. . quoqu^ car^ 27 18 proelia sum^ 27 19 amor§ u. ferr^ 27
20 abore S 21 u. 22 fehlen in 27; auf 20 folgt unmittelbar XI
20, 6 UER. xxn S{ACMDG): om. (cett.) habet versvs dcclxxxh
EXPLICIT LIBER TERTIVS INCIPIT LIBER QÜARTVS S{ADG): EXPLICIT LIBER IH
HABENS VERSVS DCCLXXXH INCIPIT LIBER IV B
VI § 5 = Leo p. 102 Z. 15 = Ad f. 6P S f. 25^ 16 fructi-
bus Ad 17 colloquii Ad 17 conmercium Ad{C), comnertium
S{MR, commercium DB, commertium AL) 18 discrepanti Ad
18 praetium Ad ineptum AdS(ACMD , inemptum BLB) 19
restringitur S 19 infecit Ad 19 periodis Ad(LR)j perhiodis
S{Ad) 20 epicherematibus Ad^(L) enthymemis Ad (en aus in
corr.): inthymemis Ad\ACD)j inthimemis S{MR), intimemis (BL)
20 syUogismisque Ad%AB, sill. L): fiUog. Ad\GMDR), filog. S
20 quo laborat quadrus Maro, quo rotundus Cicero : daß diese Worte
trotz des Spondeus im 3. Fuß ein trochaeischer Septenar sein
können , habe ich nachgewiesen in Ges. Abhandlungen II 344 ffl. ;
daß sie ein Septenar, also ein Dichter-Citat sein müssen, beweist
der Schluß 'rotiindus Cicero'. Das ist kein rythmischer Schluß:
aber Fortunat schreibt rythmische Prosa 21 aput S 21 illic
(R) : illinc Ad{Aetc.), hinc S 21 deficillimum S 22 promptu
AdS{ALM^) 22 compori S 22 quoniam: quo Ad, qm S 22
cole Ad 23 difundis Ad 23 propaginis AdS{DLR) falces S
succidis, ci aus ce corr., Ad 23 uinitores Ad 24 modorante S
24 germinat -4c? 25 post sthoicam (C): potesthoicam -4<?/S(^Mi^D*,
potest hoc iam B^BL) 26 peripatheticamque AdS(efc.) tirocinio
Ad{eic.): tyr. {AL)] tirocinium ancipatum S{C) 27 exomet S\BL)
28 reflectis Ad(etc.): flectis (A) 29 nobis S 29 aristothelis
S{AD): fristhothelis Ad 29 chrysippus (R): crysippus S{CDB),
chryssippus (M), crisippus {AL), crisipphus Ad 30 opinioni AdS-
{ACMDR) 30 Leo *nec legenti, dazu die Noten nee legen ti vulg.
nee ligenti CM^D , negligenti ABLRW. nee legenti Ad', negle-
genti S 30 agustinus quo Ad (ag. AL, quo alle Leo's) p. 103,
1 uisione Ad(CM'^, uissione M^)'. uisioni S{ADBLR) 2 tenatius
Ad 4t cleantarum (0), cleentarum Ad{R), clientarum S{ADBLM}j
über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 97
clentarum M^) 5 autumo: autem o {alle Leo^s), aur o 5, ante 6
Äd qui ad S{etG.) : quid inquid Äd 6 egroto ÄdS 6 decubante
Äd 7 aere S(D) 7 debiti repromisit (MBLA^) : deb&ire prom.
AdS (debet ire prom. GBR, deb**reprom. J.^) 9 sacratissime Ad
10 adque S clementissimae (ACBL): clamantissim^ AdS(DB),
amantissimae (M) 13 et redemptorem S(etc.): om. Ad{A) 14 di-
lecto Ad\ delicto Ad^ (**lecto A^), delecto S\M') 14 probo S
15 uestris litteris Ad{A(J): uestris {ohne litteris) S{MB), uestrae
{ohne litteris) BLR 15 accepi pietati {AGB): accipi pietati Ad{B),
acc*pi pietati 5, accipipiaettati {M) , ac pietati (L), ac pieti {B)
17 domnum AdS{etc.): dominum {AB) 18 aput ;S 19 dimis-
sisset S.
S. 103 Z. 20 mij5 prodiit Je^mn^ S, 71 in H 20 pras S
20 patronicorum jET (patrociniorum L) 21 & 1?^, ut JBT^ 21 aput
fl" 22 commendati AdSH {alle Leo^s) sententiam H genitori
Ad 23 tutore moniri Ad, tuta rem uniri H (ductore muniri L)
24 nach accedens fehlt 1 Blatt in A 25 praece Ad 26 sospes
{BL): sospis AdSE(CMDB) 26 absentis SH: absentes Ad 26
uoto H 27 me celebris Ad : mecebris S, melecebris H 27 uestiua
H 29 w. 30 sm(Z in Ad und H wie Prosa weiter geschrieben 29
nomine om. S\R) 29 nobis H{V) 30 praecare AdH"^ 30 ^((7Jf)
haben u. ii : om. AdH{etc.).
V 2 Die Nummer II /e/iZ^ iw AdSH] Leo notirt nichts item
AD EUNDEM AdS{etC., ITEM Om. -B, EPISCOPVM odd, B\ ITEM EIUSDEM (r):
om. H 2 exciperitque ^(?, exciperit quQ ^ 3 senotiua, am Band
serotina H 4 auriret Ad{CDV) 7 iUyricos Ad{CP): illiricos
E(MGVBLB), hüiricos S (dyllyricos B) 7 scythicas Ad{CPLM^):
scbyticas H (sthyticas B, schithicas G V, sebiticas B) : scbitcas S
9 matbeus SH{MDVBL) 9 aetbiopos S{GPDBLM'): aetbiopas
H] aetbyopus Ad{M^) 9 adtemporat H 10 exbusto Ad{G^P,
exbausto G^) 10 fundit: fudit AdSH {alle Leo's) 10 Bellica
furor persidis H in der Zeile ; sonst sind oft in H erklärende Wörter
übergeschrieben persydis Ad 12 uictati ara Ad, uicta ara H
(uictara B) 13 perspicu H 13 bartbolomeo AdSH 14 exstat
S 15 accelerans Ad{GB): adlecebrans H 15 prisci: sei H
16 excelente AdH{M) die Verse 17 u. 18 fehlen in H und B
17 plaudi Ad (laude M^G^V) 19 uirtutum S^ 21 queritis Ad,
quirites H 22 gallisue basalus Ad{MG^): gallisuae basulus /S^
Salus /S^ (gallisu^ba salus D, galisueba s. P, gallisuerba s. 0),
gallis uera salus H{BG^, gaUica uera s. BL) 23 Insul cum Ad
23 seuit Ad 24 qua H 24 festüitate H 25 Heli^ .4(^, hae-
liae SH 25 arestis ^eZ 27 nemacent H (neu iacent P) 27
Kgl. Ges. d. Wisfl. Nachrichten. Philolog.-hiBtor, Elasae 1908. Heft 1. 7
98 Wilhelm Meyer,
tupidis Äd 28 font^ H 30 holeaster S 34 praeporat H
34 sinu S 36 huc S"^ 36 bona H 36 perit una HS{CMB\
perat una i^): peritnra {GVBL): poterit tina Ad 37 direxit om. S{V)
37 antes: escas H 38 praemens ÄdS^H 39 labrascam J.(il?-
(GBLM^): lambruscam S{M^DRG^, lambrus G^^F) 39 inestem H
41 zezania AdH{CMDV^)'. zyzania 5, zizania (G^^Zi?) 43 und^
fehlen nur in H(und R) 45 septa SH 46 seru& S 47 subpor-
tante ff(CFGR): supportante S(ML); subportanti Äd 47 trah&
Ad 47 ipsae H 54 ut H^, et 77^ 54 seriiile H 54 bonae
^(i 55 fideli semen Ad 59 Audituris H 59 uoce 5 60 for-
tnnata H 61 praecare AdH 61 uidea IZ^ 63 radegund^ AdSH
64 ut AdH: & 5(D) 64 scae Ad, sc§ If 66 conplaceant SH,
coplaceant Ad 67 Adq: Ad 68 caesarii 55": cesarii Ad 68
arma J.c^ 69 antistes (GBL), antistis (SB), antestis AdHiCMRV)
69 lerini SH{etc.) : liriNi Ad 71 tuearis SH{etc.) : tueris J-df (tuaris
D, tudearis C) 72 hae wwc? darüber sanctae uirgines H, hQ Ad
(hae C) : haec S (und alle Leo^s außer G) 73 iNlustre Ad{etc,) :
ülarum H 73 pulcro 5^ ü. Lxxmi AdSH(CMBV): om. (reliqui),
V 3 III AdS(etc.) : om. HO in 0 beginnt fol. 5^* mit ad cives etc.
TVEONICOS 0{etC., TVEONICYS M): TOEONICOS AdS, TORONICVS H{R) DE
GE. EP. AdSH: DE ADVENTV GREGORII EPISCOPI DIGNISSDII 0 2 presulis
0 5 ubis Ad, orbis H 7 solliciti*s Ad, sollicitus H 9 sacer-
doti (BL): sacerdotii AdSHO{etc.) 9 reuerienter H 12 prebet
0 13 egidii AdSHO (alle Leo's) 14 radegundis AdO(M^): rade-
gundes >S'5 (Leo's codd. außer M^) 15 sigibercthus S^H(V): sigi-
berctus S\M), sigiberthus Ad(BGB, sigibercbus R), sigibertus (OL),
sigebertus 0 15 brunicMldis AdO(MGVR, brunchildis B, brun-
cbildes C): brunidis, hil ilber id, H; brunechildis S (brunehildis
DL), 15 honore Ad(D^B^) 16 iuditio S 18 paradysiaco AdS-
(CPGB), paradyssiaco H 20 rapidis Ad8H0(GVR) 20 dilace-
randa O(G'BL): delaceranda AdSH(CPMDVRG^) 21 gubernat
S^ 23 muneat Ad(]üP) 23 praetiosi ^(?, pr^tiosi H, preciosi 0
24 adque Ad 26 spetiosa ^c?^ 26 botro SO(etc.): butro ^d-
(CPM"), bruto fl 29 excruciet SHO(GBLR): excru& Ad(CPMDV)
29 quam: quo 0 30 liniret ^c7(ilfS lenieret P) 30 Leniat ut
flammam ferre petatur opem 0 31 uernante AdHO(CPBLR):
uenerante S(MDV, ueniante G) 31 locandus 0^ 32 placito Ad
36 sidirios 0 36 chorus ^ci 37 astant 0(BR, asstant G)
39 agustinus Ad(CPLR) 40 Blasius If 42 uitale H u. xliui
AdSH(CMD, Liv GF): om. 0(e^c.).
V 4 im AdSH: om. 0 ad gregorivm episcopvm (omissis reliquis
L); 0 hat nur se^vvntve veesvs in lavde gregoru episcopi Item
über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 99
versus {om. B) natalicio S: natalicivm H{CM); nataliu, darüber ci,
Ad\ (per compendium reliqui: Leo) gregori H(CM): gregorh ÄdS-
(DGBR) cum bis dictum om. Ad{LO) antifona S{B\ antefana
H{CME) MENSA S(CMDBG), mesa H (messa R, missa V) 1 gre-
gorii Ad 2 Turonicum 0(Z): Toronicum AdSH\CPMDBG^, tor-
nicum G^V) 3 priorum AdSHO (und alle Leos) 5 apostholicum
H(CP) 6 domum H uer. vi AdSH(CMDG) : om. 0(etc.).
V 5 V SH\ om. AdO eundem: ipsv gregoriv 0 iudeis AdO
aruerxum AdS(CMDR): arvern (B), arumnum H (v = vm oder uer),
arvernicv 0, arvernis (GV), om. (L) 1 apostholicis E(C), apostoK
0(R) 1 domno AdSHO(etc.): domino (GV) 2 pape jEf 2 optima
^(Z 3 adque Ad p. 108 Z. 1 occaNsionis Ad 1 inlate S, illate
0 compte ^cZlT, comte 0 2 saltim AdJSS\CBLR): psaltim (il/),
saltem 0(G^), om. S\DG^) 2 comiter IT, comites ^c?, comiter ist
in S starJc corrigirt, wohl aus communiter, was 0 hat 3 loculentia
H 3 diligeres 0(BLM^G^): diligeris AdSH(CM^DG^B) deleres
AdHO(BLRM^): deleris S(M^DG) 3 et ut: ut & 0 3 ipsi
S(D) 4 quam reprobes fehlt nur in II(R) 5 faude H.
5 tor non: damit beginnt wieder A nom&ä H 5 me AdSH-
0(ACMBG^)\ inme (DG^BL) 5 f^nora ^(Z, foenora HO 6 pen-
sare 0: pensaret AdSE(ACMBLRG^, inpensaret DF, impensaret
G^) ; pensare bezeichnet vielleicht dsiS Abwägen der langen und kurzen
Silben beim Bau der Distichen 6 illi preceps 0 6 ingrueret 0
7 Interim anhelanti 0; anelanti /S'(Z)F) 7 impliciter AdSH(CLG^),
simpliciter O(G^) 7 expediti 0 8 deuotum H 8 reputaturi
nescio Ad(etc., reputatur* M^, reputeturi B, reputetur G^): repu-
tatur inertio S, reputatur (ur mit Abkürzung) urinesio S", reputetur
nescio 0 8 tempore Ad 9 inungitur H 9 habet* 0 9 spa-
cium HO 9 obsequüla Ad^SH(ACMDG'B) : obsequela Ad\BLG^),
obsequi ita 0 10 morigera 0 10 deuote H^ 10 seruitute
opto ut quod 0 10 in laude in laude H 11 canetur HO^ ca-
natur 0^.
Die neu benützten Handschriften Ad^ S, H und 0
an und für sich und im Verhältnis zu den übrigen.
Ad steht auch in den oben collationirten Partien eng zu A oder,
wo dies fehlt, zu dessen nächsten Verwandten. Allein Ad ist
offenbar sehr leichtsinnig geschrieben. Auf Dictat zeigen viel-
leicht die zahlreichen falschen Worttrennungen, wie 23 a, 17 seua
serecondi (se vase rec); 29, 7 disce tota citus (discedo tacitus).
Der Schreiber hat den Sinn nicht beachtet oder nicht erfaßt;
daher die zahlreichen Schreibfehler, welche diese Hft allein bietet;
7*
100 Wilhelm Meyer,
z. B. in m 13 : 9 frondata statt fundata, 13 vestitus statt vestitos,
16 pontifices statt pontificis; dann z. B. V 2, 55 fideli semen statt
fidelis enim; V 4, wo im Titel eine Zeile (cum ant. die. rog. in
m. dictum) weggelassen ist.
S, die brüsseler Handschrift aus Siegburg, schwankt an der
Grrenze der nicht interpolirten und der interpolirten Handschriften,
ähnlich wie bei Leo die Handschriften M und D. Da, ich die
Handschrift S selbst habe einsehen können, will ich hier Stellen
citiren, welche außerhalb der oben verglichenen Partien liegen.
Dabei berücksichtige ich nur das, was die 1. Hand geschrieben hat.
An vielen Stellen stimmt S überein mit den Vorzügen oder
mit den Fehlern der ältesten, noch nicht durchcorrigirten Hand-
schriften. 3, 2 § 3 hat S mit allen Handschriften — außer C
eregit — den rythmisch und inhaltlich richtigen Schluß 'vos . .
humilitas quod er^xit' ; vgl. S. 49, 13 sie humilis es , ut habites
erectus in caelis) 3, 6, 15 neu morbus inulceret ÄCP, nee m.
inulceret S = M; nee m. inulneret R, nee m. uulneret DGBL, ne
moribus uulneret F 8, 9, 9 /S hat mit ÄCMD das unverständ-
liche 'latear' 8, 20, 9 reposcetur: das falsche 'reposcitur' steht
in S'ÄCD 8, 21, 2 statt Sophocleo haben sopocleo D, sophoclepeo
ACM^: sophoclypeo S In dem Panegyricus IX 1 hat S V. 67
mundo = ACM (mundos P) statt mundus; 110 proelii S = M^j
proeli ÄCP statt proelia; 142 arma und 147 autem S mit Ä]
143 edomites tuearis S lückenhaft mit C (ed. tuaearis), P (eto-
mites t.) und Ä (edomiit estuaeris), während DGBL 'saevos' und
BF 'omnes' ergänzen. IX 7 steht am Schlüsse in S dieselbe
Unterschrift ^Domine his annos', wie in AMD, und zwar in S
wie in MD mit rothen Uncialen geschrieben. 10, 7, 12 hat S
mit ACM}P praestit statt praestet; 16 S mit ACM^G^ parum
staM patrum; 21 locat S, ebenso unverständlich locar ACM, loquar
P, statt loca. 10, 12 d, 9 hunc vocem S mit ACMD. 10, 16, 7
haben S und CMG 'die mens' mit einer Lücke, welche in A wie
kurz vorher in 10, 8 durch 'que', aber in BDLRF durch 'd. m.
unde' gefüllt ist. 10, 19, 1 hat S wie AC3IG ad, was in DBLBF
fehlt. 11, 9, 11 hat S mit ACDG cinctus. 10, 5, 7 redemptorem
e caelo CFG; S hat im Text 'redemptorem' wie DBLBF, aber die-
selbe Hand hat unten an die Seite geschrieben *uel redemptore e',
was AM bieten.
An manchen Stellen stimmt S überein mit den Correcturen
oder Conjecturen oder Schreibfehlern der jungem Handschriften.
So hat 1, 16, 32 auch S das richtige 'sed dante'. 7, 6, 5 fehlt
Talatina' in S wie in MDGBLRF. in 8, U, 15 fehlt allerdings
über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 101
'ergo' (ÄC), aber sonst ist richtig wie in DG^ 'redditus isti' er-
halten, während B hat redditur i., MBL redditus iste, G^ redditns
exsistens. 9, 1, 75 Lücke in ÄCPM, die mit 'et' gefüllt ist in
S wie in DGBLEF] dann suebis ACPMR, dagegen sueuis S =
BGBLF] ebenso 120 munera (falsch statt 'munere') S = BGBL.
9, 16 Die Unterschrift von C habet epistola versvs xx bietet nur
S: habet epistola ista uersus XX. 10, 2 § 12, S. 231, 3 hat Ä =
BGBLF fauorabilior ; die alte UejDerlieferung war : fauora debilior
CÄMR 10, 6, 9 hat /S = BG almam . . aram. 10, 8, 29 /Sf =
B^F prosperas integrum statt prospera sint regum. 10, 11, 34
hat S allein das richtige 'populus', während Leo notirt: populis
codd. 11, 14, 3 haben ACM ungues, dagegen S = BGBLR das
falsche utens. Hieraus erhellt, daß derjenige, welcher die Les-
arten von MBG berücksichtigt, auch die von S berücksichtigen soll.
H In der pfälzer Handschrift sind viele Glossen übergeschrieben.
Die Handschrift muß mit B nahe verwandt sein; denn z. B. läßt
sie mit B allein Wörter oder Verse weg: so im Titel von 3, 14
das Wort 'Coloniae'; in V 2 die Verse 17 und 18, 43 und 44; in
V 5 § 1 (S. 108, 4) die Wörter 'quam reprobes'. Manchmal
stimmt sie mit der alten Ueberlieferung, wie sie V 2, 72 mit Ad
und C 'hae' bietet; von 3, 23 ab schreibt sie auch unter jedes
Gedicht die betreffenden Verszahlen. Seltsam ist, daß 3, 24, 9
U allein das richtige 'alloquio' bietet; denn sonst verrathen die
eigenen Conjekturen nicht viel Scharfsinn. Neben vielen falschen
Worttrennungen, wie 3, 22 a, 7 patri euigora Itere gentum statt
patriae vigor altor egentum oder V 1 § 10 (S. 103, 23) tuta rem
uniri statt tutore muniri, finden sich nicht wenige Interpolationen,
wie 3, 13, 37 in celis statt melius; 3, 15, 17 alumn^ statt haberis;
3, 15, 32 dapes statt lares; 3, 23 a, 28 sciat statt saciat; V 2, 3
statt 'sementiva' im Text 'senotina' und von derselben Hand am
Rande 'serotina' ; V 2, 73 illarum statt inlustre ; V 3, 40 Blasius
statt Basilius. Seltsame Unbeholfenheit verräth es, daß die beiden
alten Ligaturen für rt und für st vermischt sind und sehr oft st
statt rt sich geschrieben findet.
0 Die Oxforder Handschrift ist ein Muster der durchcorri-
girten Erlasse. Die Handschrift bietet viele der richtigen Cor-
recturen, welche sich in den späteren Handschriften finden; so 3,
13a, 1 prosunt {BG"")] 3, 16, 6 cara (G^F^)\ 3, 21, 8 quoque cura
{BLF^GVen)] beachtenswerth ist auch in demselben Verse tibi
{G) statt tui. Wie gewandt und keck der letzte Ueberarbeiter
war, zeigen manche Stellen; so 3, 14, 15 placidusque mihi; 3, 14,
19 cibus es dasque esurientibus escam ; 3, 15, 25 Ira cadit heresis ;
102 Wilhelm Meyer,
3, 15, 36 geris (P); 3, 20, 8 par viduae merito statt siraptae me-
rito; die manclierlei Conjecturen gegen Ende von V 1 (S. 103);
V 3, 30 Leniat ut flammam, ferre petatur opem statt Ignem ut
leniret, tunc petebatur opem.
Die obigen Zusammenstellungen sind auch lehrreich für die
TextgescMchte der Gredichte des Fortunat. Es ist ein mehr
äußeres und besonderes Mißgeschick gewesen, daß die ursprüng-
liche vollständige Sammlung, welche nach Fortunat' s Tod in Poitiers
zusammengestellt worden ist, verloren ging und daß uns nur 2
Auszüge aus ihr erhalten wurden. Den einen, ziemlich willkür-
lichen, kurzen und wiederum (nach Bl. 46) verstümmelten Auszug
enthält die um 800 geschriebene Handschrift in Paris latin. 13048,
Z. Aber immerhin enthält diese Sammlung fast ebenso viele sonst
unbekannte als sonst bekannte Verse. Den andern Auszug aus
der ursprünglichen vollständigen Sammlung enthalten die übrigen
uns erhaltenen Handschriften. Diese Sammlung gibt im Grerüste
der 11 Bücher und im Inhalt derselben gewiß weitaus den größten
Theil der ursprünglichen vollständigen Sammlung wieder.
Aber unklar sind die Grrundsätze, nach welchen innerhalb der
11 Bücher Gredichte weggelassen worden sind. Unklar ist be-
sonders das, was am Schlüsse geschehen ist. Das 26. Gedicht des 11.
Buches bricht in dieser Sammlung mit dem 12. Verse ab; dann
folgt in MDG {nicht in ÄdSHO * Ä rell) die Verszahl uer xn, end-
lich die oben (S. 84 — 87) besprochene Unterschrift und in A und
Ad der Rythmus (oben S. 32). Dagegen in der Hft Z folgen auf den
12. Vers des 26. Gredichtes noch 6 durchaus dazu passende und
dazu gehörige Verse ; dann folgen unmittelbar noch die als Appendix
no 10 — 31 bei Leo gedruckten 22 Gedichte, welche offenbar durch-
aus zum 11. Buche passen und einst an dessen Schluß standen.
Freilich, auch wenn die Sammlung Z, ganz gegen ihre sonstige
Art, zwischen diesen 22 Gedichten kein einziges übersprungen hat,
würde doch dieses 11. Buch die ganz ungewöhnliche Zahl von
mindestens 48 Gedichten erreichen. Hat nun derjenige, welcher
die ursprüngliche Sammlung gekürzt hat, mit Absicht nach dem
12. Vers des 26. Gedichtes abgeschnitten? Allein, so viel wir
nach der Sammlung 2 urtheilen können, sind in der gekürzten
Sammlung stets ganze Gedichte, nicht Theile von Gedichten, weg-
gelassen worden. Müssen wir deshalb annehmen, daß in dem Exem-
plar der gekürzten Sammlung, auf welches all unsere Abschriften
zurückgehn, oder in der vom Kürzer benützten Abschrift der ur-
sprünglichen vollständigen Sammlung die letzten Blätter abge-
über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 103
rissen waren? Allein woher stammen dann die Unterschriften
und der angesetzte Rythmus, welche in den besten der erhaltenen
Abschriften am Schlüsse des 11. Buches sich finden?
Die innere Textgeseliiclite der G-edichte des Fortunat ist
ziemlich einfach. Entstanden und zuerst verbreitet sind ja diese
Gedichte in dem Lande und zu den Zeiten, wo die größte Barbarei
in Sprache und in Schrift herrschte. Wie eigentlich die mero-
wingischen Schreiber ihren Handschriften gegenüber standen, ist
mir noch nicht klar geworden. Sie haben selbst wohl wenig stu-
dirt; sonst hätten sie sich dies Studium durch einige Sorgfalt
beim Schreiben erleichtert. Schon die merowinger Schrift ist be-
sonders häßlich. Dann scheint vielfach nach Dictat geschrieben
worden zu sein von Leuten, welche weder Grammatik noch den
Sinn des Diktirten verstanden und welche deshalb die Vokale und
Konsonanten hinschrieben, die sie eben gehört zu haben glaubten.
Dann scheinen die Handschriften selten von Gelehrten revidirt
worden zu sein ^). Karl d. Gr. ergrimmte bei dieser Lesearbeit und
gebot den Schreibern durch besondere Verordnung mehr Sorgfalt.
Doch schon die Fortunathandscbriften zeigen, daß die alte Sorg-
losigkeit bis weit ins 9. Jahrhundert hinein fortdauerte. Auch
die Worttrennung, welche zum bequemeren Lesen eingeführt wurde,
brachte in der Uebergangszeit manche Verwirrung; denn sie war,
was wir aus den kritischen Apparaten nicht sehen, sehr oft falsch.
Aber man kann aus discetotacitus eher als aus disce tota citus das
zu Grunde liegende discedo tacitus enträthseln. Dieses Enträthseln
der schwer verständlichen Handschriften muß damals in den
lernenden und gelehrten Kreisen eine große Rolle gespielt haben.
Fortunat's Gedichte wurden zur Zeit Karl's d. Gr. viel gelesen:
aber wie lange mag ein Einzelner nachgedacht haben oder wie viel
mag eine Gruppe von Studenten disputirt haben, was hinter einem
Verse wie Nemine na pascens immemores sis ouem stecken möge,
bis endlich Einem der Gedanke aufblitzte, daß es heißen solle:
Ne minimam pascens immemor esses ovem. Nahe lag es, daß
man eine andere Abschrift zu bekommen suchte (die Noten q. oder
r. , d. h. quaere oder require aliud exemplar stehen am Rand
vieler Handschriften), um die vielen Schreibfehler mit geringerer
Mühe verbessern zu können.
1) Als Beispiel, wie man in diesen Zeiten mit Texten umging, gebe ich im
letzten Abschnitt die Aenderungen , welche das Gedicht de s. Medardo (II 16) in
Legendenhandschriften erlitten hat. Und dabei gebe ich mir die zwei Hand-
schriften gemeinsamen Aenderungen, nicht die zahlreichen Fehler jeder einzelnen.
104 Wilhelm Meyer,
So entwickelte sich die philologische Thätigkeit der mittel-
alterlichen Gelehrten. Wenn Einer durch Nachdenken oder durch
Einsicht einer andern Abschrift die Fehler der ihm vorliegenden
Handschrift erkannt hatte oder erkannt zu haben meinte, so war
es natürlich, daß er das Gefundene in seinem Exemplar notirte,
indem er entweder das Alte ausradirte und das Neue hineincorri-
girte oder indem er das Neue an den Rand oder über das Alte
schrieb. Mit der fortschreitenden Gelehrsamkeit und mit der
Uebung im Versemachen stieg nicht nur die Gewandtheit, sondern
auch die Lust zum Bessern. Die alte Orthographie wurde mo-
dernisirt, so wurde antestis zu antistis und zuletzt zu antistes;
Lücken wurden ausgefüllt; metrische Fehler beseitigt, oft durch
Umarbeitung des Verses, und nicht verstandene Wörter wurden
durch frei erfundene ersetzt.
Diese 2 Entwicklungsstufen der mittelalterlichen Textesgeschichte
treten auch in den Handschriften der Gedichte des Fortunat zu
Tage. Von diesen ist nur P, wie U, mit der Schrift von Corbie,
also um 800, geschrieben. Diese Petersburger Handschrift ist
auch die einzige, welche eine stark umgeordnete Auslese von Ge-
dichten enthält. Alle andern Handschriften sind bereits in der
Karolinger-Minuskel geschrieben. In der gemeinsamen Mutter-
handschrift muß die Stichometrie eine große EoUe gespielt
haben. Unter jedem einzelnen Gedicht war die Zahl der Verse
notirt, und am Schluß des ganzen Buches die Gesamtzahl aller
Verse. Zum Ersten notirt Leo bei I 1 ^suhscribunt vers. xxviii
ÄCMDGR; versus nusquam computant BL\ Diese Vers zahlen sind
auch notirt in Äd und S immer und in H von 3, 23 ab, nirgends
in 0. Die Gesamtzahl der Verse des Buches findet sich jetzt
noch notirt nur am Schlüsse von Buch I {CMDGV, om. relL), von
Buch III (ÄDGB, om. rell.) und von Buch IV {ÄMDB, om. reih) :
ebenso steht es in 5; von ÄdHO habe ich keinen Bericht.
Die frühere Stufe der Textgeschichte zeigt sich in den Hand-
schriften CPÄ und Äd. Die Orthographie ist hier oft verwildert,
die Worttrennung schlecht, plumpe Schreibfehler häufig. Die 2.
Entwicklungsstufe, die kritische oder verschönernde Behandlung
des Textes, tritt hervor in den Handschriften Leo's M'DGBLRF,
und in SHO von den meinen. Natürlich sind viele dieser Besse-
rungsversuche nicht gelungen oder unsicher, also Interpolationen
zu nennen ; aber der gelungenen Correcturen finden sich doch ziem-
lich viele. Alle aber, die gelungenen wie die nicht gelungenen
Aenderungen in den Handschriften des Fortunat sind offenbar nur
über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 105
ex ingenio gemacht und ohne Benützung sonst nicht gekannter
werthvoller Handschriften.
Leo hat über seine Handschriften also geurtheilt: (S. XVII)
Inquirendum est, quibus codicibus maior debeatur jBdes. Atque
omnium primum constat Codices quibus utimur ad quattuor exem-
plaria redire, quorum primo (a) orti sunt AC (= Paris 14144 und
8312), quibus proxime accedit P (Petropolitänus F. XIV. 1), prope
accedit 31 (Ambrosianus C. 74. sup.) ; altero (ß) DG (Paris. 9347
und Sangallensis 196), quibus accedit V (Vaticanus lat. 552);
tertio (y) BL (Paris. 8090 und Laudunensis 469); quarto (d)
RF (Vatic. Regin. 329 und Barberin. XIV. 94). Idem quem in
enumeratione tenuimus ordo est integritatis et fidei. multo minus
reliquis corruptus et unus non interpolatus a fuit, non paucis locis
interpolatus /3, data opera pertractatus y, mixtae lectionis omnique
fide carentis d. medium quendam inter a et /3 locum M tenet.
S. XXI in aller Kurse: tantum AGF exemplari pristinae integri-
tatis oriundos, deteriore sed non interpolato M^ magis magisque
degeneratos tenemus DG, BL, BF. atqui cunctis inter se compa-
ratis archetypus restituitur mutilus et corruptus; de integro car-
minum corpore unus ad aetatem nostram deductus est 27.
Ich will nur aus der voranstehenden Collation zu III no 13 —
no 30 und zu V no 1 — no 5 etliche Stellen herausheben, welche
die Textesgeschichte illustriren können. Leo hat versucht, die
späteren Handschriften in Gruppen zu gliedern, hat aber oft diese
Gruppen wieder auflösen müssen. Ich begnüge mich hier die
Stellen in 2 Abtheilungen zu sondern, je nachdem mir die späteren
Aenderungen irrig oder richtig zu sein scheinen.
I Stellen, wo die alte Ueberlieförung richtig, die spätere
unrichtig ist.
III 13, 9 loco Ad- rell: locos B, locus S'MBG^
III 13, 15 quam cingit murus et amnes Ad'ACM^j omnes G^:
amnis rell. und Leo im Text. Der Plural ist wenigstens sachlich
richtig,
III 13, 18 leuat Ad'ACPG'Ven.Fcorr: Isiusii SH' MDB LBF^G^.
III 18, 11 compita AdHO'rell: competa DG^BL,
III 21, 1 urbis Ad: orbis SHO und alle Handschriften Leo's,
III 21, 11 Agnes aut, wobei 1 lange Silbe fehlt oder 2 Imrze^
AdSH'CMDR: es ergänzen: aut GVen , laudem BL, ualet F,
simul 0.
III 21, 12 multiplices Ad'D, multiplicis SHCMBj multiplici
O'GBLF.
in 23, 16 arte SOrell: arta Ad{HyBLR\ alma F,
106 Wilhelm Meyer,
ni 23 a, 1 currum ÄdRO'rell.: cursom SDBL,
m 24 in ÄdHO'GPF und in B folgen sich die Verse 2. 3.
4. 5. 6; dagegen in SDGBL: 2. 5. 6. 3. 4; in 31 (nicht in B)
fehlen die V. 3 und 4.
in 24, 10 unianimes AdCFW-DB: unanimes SHOGBLMK
III 24, 12 manes ÄdCP: manens SHO'IIDGBLBF.
III 24, 19 effert 0'PMGBLCVen{B): offert AdSH'DF,
III 25, 2 regens: reges AdS'CPM'DB': regis HGLBFISPB^-
Yen., geris 0.
III 25, 8 me SO'rell : om, AdHBB.
UI 26, 18 nostro SOrell.: non Ad-P, sco HBF,
in 30, 8 mereamur 2JreU. : mereantur SDBL.
III 30, 13 rabie reJl, rabi§ 2;: rabiem SGBLF.
V 1 § 7; S. 103, 4 Cleantharum : cleantarum C, cleentarum
Ad'B, clentarum M\ clientarum S'ADBLM^.
V 1 § 10; S. 103, 15 uestris litteris fiduciae Ad' AG; ohne
litteris haben: uestris fiduciae S'MD, uestrae fiduciae H'B{L)B.
V 2, 22 ^um Text Gallisueba salus gibt Leo die Note: galli-
sueba MG^] gallisugba D, galisueba P, gallisuerba G, gallisuera
BG^, gallicauera BL. Ad bietet gallisue basalus; S^ gaUisuae ba-
sulus {S^ basalus); H geht mit BG^ gallis uera salus.
V 2, 36 perit una SH'G3ID, perat una B, poterit una Ad:
peritura GVBL.
V 2, 39 labruscam AdHGBLM': lambr. SM'DBGV.
V 2, 69 antestis AdH'CMBV: antistis SB, antistes GBL.
vgl, z. B. 11, 25, 9 antestis ZA, antistis SMB, antistes GBLB,
V 2, 72 hae AdH'C: haec S und alle andern.
V 3, 31 uernante AdHOGPBLB: uenerante S'MDV, ueni-
ante G.
n. Stellen, wo die spätere Ueberlieferung richtig oder mög-
lich ist, also Correcturen.
m 13, 43 extensos HO'rell.: extensus AdUMBL.
III 13a, 1 prosunt OBG^: presunt Ad, praesunt SHCPM-
DG^BF, Christus L.
m 13d, 2 apparet SHOBDLG'F': apparet et AdCMBF'-
Ven{G%
ni 14, 13 sectator SHO'rell. : sectatur Ad'PM\C).
III 14, 15 mitis S'^'GVen: mihi AdH'rell., que mihi 0.
m 16, 6 cara S*0'G'F^: care AdS'HCMBBLBF'GK
III 17, 9 implumes 0, inplumes H'rell,'. inplumis AdSMG,
implomis C.
III 17, 11 in G'Ven: hin C, hinc AdSH-rell., hie 0.
über Handscliriften der Gedichte Fortunat's. 107
III 18, 9 recitasses: recitassis SMFB,
in 21, 4 quisque H'BLRFM'G^: quaeque AdSOCFM^DGK
III 21, 6 esses HO'rell: essis ÄdS'CM^D.
m 21, 8 quoque cura 0-BLF^G{Ven): cura quoque AdSE'-
CPMDEFK
III 22, 6 trutinato SHOrell: trotinato CPM\ trocinato Ad.
III 23, 6 metes H'BLRF: metis AdSOCPMBG.
III 23, 10 pascis Ad^S HO'rell.: pacis Ad^CM'G':
III 23a, 8 segetes AdO'rell: segites S^HGPMB.
III 23a, 9 sterüis O'rell: stereHs AdSHCPM.
III 24, 9 alloquio i7: alloquium AdSO' 'Codices quos vidi' Leo.
III 24, 16 urbe BL: orhe AdSHO'reU.
III 24, 19 effert O'rell: offert AdSH'BF.
III 30, 20 labore Z und AGBF: ab ore SCPM'B, algore Z,
ab algore B. 'ab ore' scheint die alte Lesart der verkürzten
Sammlung zu sein, und Labore' in AGBF glückliche Conjektur,
die allerdings nahe gelegt war durch den vorangehenden Vers-
schluß 'nescit se ferre laborem'.
V 1 § 5; S. 102, 18 inemptum BLB: ineptum AdS'ACMD.
V 1 § 6; S. 102, 20 syllogismisque ABAd"^, (siU.) L: fillogis-
misque AdWMBB, filog. S.
V 1 § 8; S. 103, 7 debiti repromisit MBLA^: debetire pro-
misit AdS'CBB,
V 1 § 11; S. 103, 26 sospes BL: sospis AdSHCMBB,
V 3, 29 excruciet SHOGBLR: excruet Ad'CPMBV.
II 14 De sanctis Agaunensibus Alte Lesarten und
neue Conjecturen mischen sich oft seltsam. Ich gebe als Beispiel
zu II 14 die hauptsächlichen Noten Leo's und die Varianten von
S (Brüssel) und von Be = Berlin MS lat. theol. 78 fol. 67* saec.
XII. Titel: acaunensibus ä; Be: ymnus Fortunati de eisdem
martiribus 1 persequerentur Be'L (Conjecttir) 5 ductor Be'L
(Correctur): doctor SrelL 6 fortes PG^'BeS^: fortis S'rell. 7
armasti BeG^ (wohl Correctur): arma et SrelL, armasset Ven.
7 dogmate AGMGBFVen{P).Be: dogmata SBBL 9 pectora Be
10 iugalis AG 12 heros APGBLFVen'Be: herus S'B, erus OMR
17 uirtus trabeata CPBL'Be{S) : u. ira beata A ; uirtus astra beata
BMRF] auch S^, doch ist hier as ausradirt] super astra beata GVen]
pius astra beata citirt Luchi 19 tecum Srell: ducum P, ducum
mit der Variante tecum BL-^ regum Be (22 harena SBe, 23 pa-
radysi S^Be^ 24 perhenne Be) cruciter /S^ am Ende uiR. xxx
AMBG'S,
108 Wilhelm Meyer,
Zur Pariser Handschrift 13048 = 27.
Die Pariser Handschrift 2J, latin. 13048, ist die wichtigste
Handschrift der G-edichte des Fortunat. Sie ist mit der Schrift
von Corbie, also um 800, geschrieben ; die Worttrennong ist schon
gut; Interpunktion findet sich nur in der Mitte des Pentameters.
Was wir noch davon haben, besteht aus Anfang und Ende. Der
Anfang ist enthalten in dem Quaternio f. 39 — 46 ; dieser Quaternio
ist von einer 2. Hand durchcorrigirt , welche z. B. in den vielen
von 1. Hand geschriebenen Endungen auf ae das a expungirt hat.
Diese Lage bricht fol. 46^ unten ab mit 4, 24, 2 'redit'. Un-
sicher ist, wie viel dann fehlt, ob ein, ob mehrere Quaternionen.
Mit Bl. 47 beginnt eine neue Lage, welche nicht mehr auscorrigirt
ist. Auf Bl. 47 beginnt der Phoenix des Lactanz ; auf der Rück-
seite des 48. Blattes beginnen mit Appendix no 5 wieder Gedichte
des Fortunat, welche offenbar den Schluß der Sammlung bilden.
Während sonst die in 2 enthaltenen Gedichte bunt aus allen
Büchern stammen, .aber aus dem 11. Buch bis dahin keine aufge-
nommen sind, folgt fol. 52^ auf III 30 V. 20 plötzlich unmittelbar
der 6. Vers des 20. Gedichtes des 11. Buches, und darnach folgen in
fast ununterbrochener Kette die übrigen 7 Gedichte dieses 11. Buches.
Das ist merkwürdig, zumal 2J noch weitere 22 Gedichte bringt,
welche sonst unbekannt sind, aber ebenfalls alle an Radegunde
und an Agnes gerichtet sind, also in dies 11. Buch gehören. Zu-
nächst ist es wahrscheinlich, daß, wie jene 7 (no 20—26), so auch
diese 22 in einer Reihe abgeschrieben sind, ohne daß dazwischen
stehende weggelassen wurden. Aber weshalb sind aus der Ur-
sammlung von XI no 20 ab diese 29 Gedichte so sorgsam herüber
genommen, weshalb dagegen findet von den völlig gleichartigen
Gedichten XI no 2 — 19 kein einziges sich in diesem Auszuge?
Sollte schon die Vorlage der Handschrift U lückenhaft gewesen
sein, so daß schon dort vor XI 20, 6 eine oder mehrere Lagen
fehlten ?
Ich gebe hier nur Nachträge zu Leo's Noten. Die wenigen
wichtigeren lasse ich gesperrt drucken. Die übergroße Masse von
orthographischen Varianten theile ich mit, weil sie viel-
leicht beiträgt zur Aufklärung der schwierigen Frage, wie die
merowinger Schreiber sich zur Orthographie stellten. Hier zeigt
sich eine interessante Spezialität. Die Vokale o und u, e und i
werden hier nicht so oft vertauscht, wie sonst ; aber geradezu un-
geheuerlich ist die Verwechselung von e, q und ae. Doch zeigt
sich auch hier ein Weg. Verhältnismäßig selten steht e statt ae.
Dagegen außerordentlich oft steht ae oder § statt e, aber wiederum
über Handschriften der Gedichte Fortunat's. 109
mit der Beschränkung, daß dies fast nur dann geschieht, wenn
das Wort mit diesem e endigt.
Also verhältnismäßig selten sind Schreibungen wie presens;
ebenso sind auf einzelne Wörter beschränkt Schreibungen, wie
praecor, quaerella, aesca; dagegen massenhaft finden sich Schrei-
bungen, wie pedae, quoquae, nequae uellae, ferrae. An die Metrik
wird hier nie gedacht. Diese Erscheinungen scheinen mir dafür
zu sprechen, daß hier diktirt wurde, daß der Diktirende gerade
die schließenden e eigentümlich aussprach und daß der Nach-
schreibende von der richtigen Orthographie keine Kenntnis hatte.
Appendix 1 f. 39* incip opus fortun presbite. 6 m^sta 20
2 hat thoringa 24 orare ferrae Z^ 26 quae Z^ 32 fol 39'^]
quae Z^-, mesta Z^ 34 illae Z^ 36 supersti sagor Z^ (-stes agor
Z^) 47 tui Z 55 27 hat getrennt üix erat mit V. 65 beginnt fol. 40''
90 praed^ Z^ 95 nur requiro (nicht require Z^) 97 bizanthion
Z mit V. 98 beginnt fol. 40^ 107 transsissem Z 117 quaerulam
Z^ 123 quur (cur!) differe, re zu ro cor/*., Z 124 germanu
Z^ 124 alt a 27 128 atquae Z^ mit V. 130 beginnt fol. 4P
132 ledere 2;^ UO fehlt das Wort corpus 148 atquae2;^ 149
atquQ Z^ 150 istae Z^ 155 nequae Z^ 159 Dequae Z^ 159
tuis 2: mit V. 164 beginnt fol. 41^ 165 Z hat deutlich fran-
corum 168 honorae Z^.
VII 11 im Titel statt provinciae hat pro Z^j pro™ Z!^ 8 27
hai deutlich negata 9 Z hat qui sibi.
Vn 13 4 adfectu Z\ affectu Z\
VIII 4 2 proemia Z^, pr^mia 27^ 3 lumina Z mit V. 6
beginnt fol. 42"" 17 ubi Z 18 atquae Z^ 19 luminae Z^
21 fulget Z^ 23 amorae Z^ 29 xpf 27, wie dies Wort stets mit
lateinischen Buchstaben abgehürzt ist 35 quae Z\
VIII 1 1 ore 2;2 mit V. 2 beginnt fol. 42'' 2 Castiliusque
Z 4 irriguis 2:^ 5 uterquae Z^ 10 clauae Z^ 12 gallica
terra tenet Z: diese Lesart ist mindestens so gut wie *rura te-
nent', also in den Text zu nehmen 14 urbae Z^ 16 quae Z^
20 figida Z mit V 35 beginnt fol. 43'- 41 auch Z hat eusthochiam
(s. Leo S. XVII) 45 quae Z^ 46 auch Z hat teclä 49 cor-
porae Z^ 53 und 54 quicquid Z^ 54 quae Z^ 56 causs§ Z
61 aliter hat auch Z 64 quae Z^ 65 quisquae Z^ 67 dota
remanentia Z mit V. 68 beginnt fol. 43^ 69 quoquae ZK
Appendix 2 1 quae Z^ 4 atquae Z^ 4 coeaeua Z
7persona2: 11 atquae Z^ 15 quae Z^ 20 quae Z^ 21
satur Z^ 26 consilium Z^ mit V. 30 beginnt fol. 44'- 31 ex-
traemas Z^ 46 quod: quoq Z 50 orbae Z^ 60 atquae Z^
110 Wilhelm Meyer,
mit V. 63 beginnt fol. 44^ 63 usquae Z 65 parit U 66 illae
U^ 69 ubiquae 2;^ 75 fidutia 2J^ mit V. 96 beginnt fol. 45''
96 n^c 2J 100 U hat merllia, nicht merlliic ; das a von Corbie wird
leicht als ic verlesen, wie man z. B. den Anfang des 13. Verses des
nächsten Gedichtes Sic oder Sa lesen kann.
ippendix 3 2 hat im Titel adapraxh 8 uterquae Z^ 16
milici^que Z 22 dulcis amara Z mit F. 28 beginnt fol. 45^
28 atquae Z^ 28 adderae U^ 36 amorae und illae Z^ 37
mequae 2J^.
II 12 VII 9 2 prompte Z^ Smiseratur^;^ miserator
U^ mit V, 7 beginnt fol. 46'' 14 nectarii 2^ 20 nach suum
hat H: Expl.
VII 18 1 totiens hat H 7 amiciciae H 17 achemeniis 2
mit V. 19 beginnt fol. 46^.
Appendix 4 im Titel nach dem rothen sigimuxdo (v"'^) steht
schwarz: meautemmi 3 ego peliqnis U; ~ vielleicht von 2. Hand;
p statt prae findet sich hier kaum 4 prumpta 2J^,
VII 30 im Titel sigimundo, v über o, 27; vgl. App. 4 7 co-
hercent Z^ 12 meae. expl. U.
IV 34, V. 1. 2 Titel wie sonst in rothen Uncialen, dann das
N bunt 1 dines fugienti ü 2 que 27 mit V. 2 'redit' endet
BL 46 und eine Lage der Blätter; Bl. 47 beginnt mit 'Est locus'
(Phoenix des Lactanz). Die folgenden Blätter sind nicht mehr
von einer 2. Hand durchcorrigirt.
Appendix 5 fol. 48^ 6 ipsQ U 8 bonitat^ boans 2?
9 dignQ 2J 11 amor^ U 12 pauper^ 2J 12 ipsQ 27.
Appendix 6 3 f^tus 27; ebenso 4 musculus Z und 12 hie 27
mit V. 7 beginnt fol. 49" 8 ist^ 27 13 utrasquQ 2;.
Appendix 7 3 27 hat amantes, nicht amanter 5 benign§ 27
10 quQ und d^cus 27 16 detquae 27.
VIII 5 mit V. 5 beginnt fol. 49^ 10 amor^ 27.
VIII 8 6 retinebas 27 14 mequae 27 15 t^ 27 16 re-
niderQ 27.
VIII 9 3 hodiQ 27 4 2] hat nur errabant 6 nub§ prementQ
27 mit V. 8 beginnt fol. 50\
rV 11 3 dot§ 27 7 laborQ 27 8 orb^ 27 16 moderamin^
27 16 Ritae beneplacitas 27 17 callae 27 18 uultu 27.
n 10 1 salamoniaci memoraetur 27 mit V. 3 beginnt fol.
50^ 3 quaecumquae 27 14 arcQ 27 15 complet 27 16 atquQ
27 16 sin^ 27 19 adherens 27 20 ecclesie 27 22 compleuit
27 22 relegionis 27 22 opus: opes 27 25 honor^ 27 26 quo-
quae 27.
über Handschriften der Gedichte Fortunafs. 111
IV 5 (dönoeum ZI im Titel) 2 tener^ 2J mit V. 8 beginnt
fol. Öl*- nach V. 8 steht das in den Noten gedruckte Distichon
(sapor^ Z!) = Appendix 32 9 mentae und nomin^ Z 11 quis-
quae Z 12 ill§ Z 19 nobilitat^ Z.
IV 6 1 praemeret Z 7 pudorQ Z 8 sin^ fin§ Z 12
referr^ Z 13 auch Z hat recreans 17 qu^rellis Z mit V. 18
beginnt fol. 51^ 18 auch Z hat Postenebras.
Nach V. 18 folgt der in den Noten gedruckte Vers = Appen-
dix 33 (miliciam und premia Z). Dann folgt unmittelbar IV 27,
21 und 22. 22 merear {nicht mereas) clausi quandoquQ Z.
Appendix 8 3 superessQ Z 4 fugient^ di^ ^ 8 gene-
rassQ Z.
Appendix 9 im Titel hat Z dieectis ; es ist das seltsame üncial-
D der Schrift von Corbie 3 que Z 4 ferrae Z 5 arborQ Z
7 namqu^ Z 9 criminQ Z 10 u^tus Z 13 depraecor Z mit
V. 14: beginnt fol. 5J2^ 16 fae cela cunari Z 20 Z hat bibat
21 Z hat regat o. benignae 23 praeces Z 25 orbQ Z 27 an-
tae Z 31 perficQ Z 33 ten^ Z 34 capae Z 35 utraequae
und utrumquQ Z.
III 30 s. die Collation von Z s. oben S. 96. mit F. 8
beginnt fol 62^ auf V. 20 folgt unmittelbar XI 20, V. 6.
XI 30, 6—8 7 atqu^ Z XI 31 33, 2 ipsae Z 3
Qscam und quodcüqu§ Z auch 22* hat die Ueberschrift item aijud
1 uentrQ Z 4 Qsca Z 33 mit no 23 beginnt fol. 53f 5 cre-
dit^ Z 6 facilae und dar^ Z 7 digitos Z 14 hec und scri-
berQ Z no 34 2 hec Z 3 statt requiras hat Z spernas
4 amplos Z.
XI 35 7 caria cede uehor auch Z mit V. 11 beginnt fol,
53^ 14 unde Z 19 hunc Z 21 quae Z 26 assiduae Z 31
praecipuae Z 32 reuiderae quaeam Z.
17 2 flumiuQ fixe Z 9 martin§ Z mit V, 11 beginnt fol. 54\
XI 36 ich gebe zu no 26 die bei Leo nicht notirten Les-
arten von Z, dann die Lesarten von S (s. S. 83) fol. 67* und mit
V. 2 beginnend die von Äd (fol. 68* s. S. 82) fol. 158»» 1 pruinis
5 2 comes S^ 3 gele S^ 4 arboraeas Z 4 tetigit Äd^ (9 crist.
auch ÄdS) mit V. 12 aqua enden Ad und S.
V. 13 illae Z 15 praecibus tind flectibus Z.
Appendix 10 3 redeunt^ notat^ Z 5 materquQ sororquae
und 6 concaelebratae Z. App. 11 1 Hodi§, 3 ubiquae, 6
orae, 8 t^ et t^ 9 di^ noctuquae Z. 5 fol. 54^ App. 13 2 irae
pedae ; 3 n§c, harundin^ ; 4 panderae ; 6 amor^ ; 11 trepidantae ; 14
orb^: Z App. 13 2 atquae; 6 d^cus; 7 piae, uiuerae; 10
112 Wilhelm Meyer,
uicae; 11 dulcedinQ ; 13 m§cum: U mit V. 13 beginnt fol. 65*
13 obteneat 2J App. 14 4 iurae senilae; 5 dulcae; 8 mnlti-
plicar^; 10 regionae: 2J App. 15 1 materquae sororquae U
App. 16 7 principe; 8 amor^; 9 qnoqu^ H 10 rapiar 2
App. 17 mit no 17 beginnt fol. 55^ 5 Hec longeua Z
App. 18 1 orb^; 3 fort^, region^; 4 irae; 7 pector^ presens;
8 qae; 10 que; 12 quoqu^ E App. 19 3 und 4 prestet;
9 aesca: 2 6 dui 2: 13 fol. 56» 14 animas Z App. 20
6 noct^, diae : Z App. 21 3 uber^ ; 9 qu^ ; 10 opae ; 13 pr^cor :
Z App. 22 1 presens ; 3 qu^ ; 12 dulcQ ; 14 lauar^ ; 19 longeua,
mess^ ; 20 quQ : Z mit V. 9 beginnt fol. b6^ App. 23 2 pre-
sente; 8 quQ; 9 fort^; 10 calent§; 11 qnoqu^; 16 fig^; 17 uolu^;
29 hec; 30 quoquae: Z 13 qm = quoniam mit V, 19 beginnt
fol, 67* 22 corde Z 25 adta ala mos; ta ist ausradirt, doch
stand es sicher da Z 30 me fehlt , doch hat Z memorare
App. 24 2 pector§; 3 murmor§; 4 ment^; 5 andir§; 7 sumerQ;
10 tacÜQ; 11 reddit^, dfie; 14 nequae uellae; 15 remear^; 16 uer-
berQ uocq: Z 2 uerba dare Z.
App. 25 3 quae, redderg; 6 presentes, amorae: Z mit V.
4 beginnt fol. 57^ App. 26 5 dat^; 6 que: Z App. 27
9 pietat§ ; 12 que : Z App. 28 3 que ; 10 iuuar^ ; 12 leuae ;
13 utrisqu^; 14 atqu^: Z mit V. 10 beginnt fol. 58*.
App. 29 1 gurgitae; 10 celo; 13 caernerae, materquae; 16
fertae; 17 commendatae; 18 amorae: Z App. 30 3 que; 6
uentrae: Z mit V. 6 beginnt fol. 58^ App. 31 2 que, red-
derae Z.
Fortunat II 16 de S. Medardo, umgearbeitet in den
Legendarien Wie die Grelehrten der Merowingerzeit mit
den Texten umgingen, will icb mit den Veränderungen illustriren,
welche das große Gredicht des Fortunat über Medard (II 16) unter
ihren Händen erlitten hat. Diese 166 Verse wurden auch in eine
Sammlung von Legenden aufgenommen. So stehen sie in der mit
Uncialbuchstaben geschriebenen und in's 7. Jahrhundert gesetzten
Handschrift in München no 3514 (August, civitatis 14 = Ä) p. 239
'Item vita sancti Medardi episcopi', deren Collation Bruno Krusch
mir überlassen hat. Dann steht dies Gedicht in der im ersten
Viertel des 9. Jahrhunderts in Reichenau geschriebenen Hand-
•chrift, Karlsruhe no 136 f. 26^ 'Fortunatus presbyter conposuit
äc (hanc) uita uel actus sancti medardi episcopi', = Ä"; die ein-
zelnen Distichen füllen je eine Langzeile; eine Vergleichung ver-
danke ich Alfred Holder. Eine andere Abschrift nannte mir
' über Handschriften der Gedichte Fortimafs. 113
Krasch: in Paris Fonds Cluni no III, saec. XI. Endlich Ist die
Abschrift, welche Leo mit Ba bezeichnet (S. 44: iternm legitnr
in i^ = Parisinus lat. 8090, post carmen de laudibus Mariae f.
185^), auf diese Fassung zurückzuführen. Diese Abschrift scheint
widerum nach dem echten Text des Fortunat etwas gereinigt zu
sein; wenigstens notirt Leo aus Ba viel weniger Varianten, als
A und K bieten.
Ich notire nur, was A und B gemeinsam haben oder was Ba
(nach Leo's Noten) mit einer dieser beiden Handschriften gemeinsam
hat; nicht notire ich die zablreichen Lesarten, welche nur 1 Hand-
schrift bietet. Auch so bleibt eine Menge starker Varianten.
Dennoch, so alt auch diese Ueb erlief er ung ist, mir wenigstens
scheint keine einzige dieser Varianten richtig zu sein; alle also
scheinen nur durch die Gedankenlosigkeit oder die Keckheit der
merowingischen Schreiber herein gekommen zu sein.
3 oris: uris K, ures A, aruis Ba 9 tellore Z, tollore A
10 tenens KA 11 triumphis AK 12 dans AK 16 replet
AKBa 20 carne salens AK 22 tuos: tibi AKBa 23 ducet
AKBa 24 quod AK 27 cum ABBa] uitam AK 31 'causas
p. latenter co(fd' Leo-, causas p. latentes AK 32 sedet oder sedit
coäd.: redit AKBa 33 perfecto AK] uoto om. AK, furto Ba]
quodam über der Zeile A 35 simel AK 36 foras etliche Hften
und AK 43 incepit viele Hften, in*epit A^, incipit einige Hften
und KA^ 44 cupit: uenit AKBa 45 sanctae AK 46 ductus
AK 50 teneri AK 51 hyatum AKBa 53 apertas AKBa
55 Nihil ualet AK 58 sonum AK 59 Aedificat ade. AKBa
damnat om, AKBa 61 absoluisse AKBa 61 amorem AK 62
ut: ne KBa, se(?) A^ 63 Incipiens AKBa] quaerolam Z", quae-
solam A 67 composito: contemplatü /f, contemplatu A, prelato
Ba 71 redire K, redi A^ Et sopor: Stupor AKBa 72 tuos
AK 75 stupere KA^ 81 elefantum und possunt AKBa 82
rigidus AK 84 libicis AK 87 tot: ut AKBa 87 legatus AK
88 quo : que KA^, que A^ 89 Cu sole darentur K, Consolaretur
A 89 stupuere AK 90 tinnierunt AK, tinnierant Ba] cum
crep. : concrepuere AK 90 for^ K, fore A^, fores A^Ba 91
nimium AKBa 97 diues K, diuis A^ 101 crededit AK 107
Inclusus AK] digitus K 109 Secum nata: Seducta nam AK, Et
ueterana Ba 112 tumolus A] tuü tumulü K 114 Disperata
AK 115 umor: usus AKBa 119 incipit KBa 120 fuit:
fascis AK, facis Ba 121 profugus K, profutus A^, profugis A^
121 reddidit artus om. A 122 reddedit AK 123 puella AK
124 animum tribues AK] animo Ba 125 Disponsata AKBa
Kgl. Ges. a. Wiss. Nachricliton. Philolog.-histor. Klasso 1908. Heft. 1. 8
114 Wilhelm Meyer, über Handschriffen der Gedichte Fortunat's.
126 talamus AK 128 frneris AK uota tenenda AK, uota te-
nendo JBa 129 honestum AKBa 131 Adquiret cunctus AK
138 perit: tulit KBa, tullit A 141 quanto AK 143 hunc: ut
AKBa 146 tnnsus AK 147 Abstulit liinc criminis nitidus KBa
und (crimenis nitedus) A 148 amat AKBa 151 solneret AK,
solnerit Ba 152 caecus AK reuocata: rediuiua KABa 153
Tandem limate AKBa 155 flagrante: manente AK, manante Ba
157 uerbo qui AKBa 160 uide: fuit AKBa 161 In tua templa
leuaait nimium AKj Haec tua templa leuat nimium Ba 162 In-
sistens fuit operi prumptus AK 163 Culmina custodi: Requiem
praestare AKBa 164 tibi: tua AKBa 165 parua AK.
Aporien im vierten Evangelium
n
Von
E. Sehwartz
Vorgelegt in der Sitzung vom 21. December 1907
Nach der synoptischen Tradition ist lesus nur einmal nach
Jerusalem gegangen; sein erster Aufenthalt dort war auch sein
letzter, und es will nichts besagen daß die Kindheitsgeschichte
Luc. 2, 41 ff. ihn als Kind mit seinen Eltern zur Paschafeier in die
heilige Stadt pilgern läßt. Dagegen baut das vierte Evangelium
lesu Wirken und Leiden ganz anders auf. Grieich zu Anfang er-
scheint er zum Pascha in Jerusalem [2, 13. 23], hält sich eine Zeit
lang in Tudaea auf [3, 22] und kehrt über Samarien, Vier Monate
vor der Ernte' [4, 35], nach Galilaea zurück [4, 3. 43. 45]. Dann
reist er zu einem nicht näher bestimmten Feste zum zweiten Male
in die Hauptstadt [5, 1] , setzt darauf — ich referiere nach dem
Text — über den See von Tiberias, kurz vor dem Pascha [6, 1. 4],
und kehrt, auf wanderbare Weise, nach Kapernaum zurück [6,
24. 59]. Er 'wandelt danach in Galilaea', um vor den Juden sicher
zu sein [7, 1. 9], geht aber doch zum Laubhüttenfest zum dritten
Male 'hinauf [7,2. 10]. Während der Enkaenien (am 25. Kislev),
im Winter, ist er noch da [10, 22] , zieht sich dann aber vor den
Nachstellungen der Juden in die Peraea zurück, an den Ort Vo
Johannes taufte' [10, 40]. Auf die Nachricht von Lazarus Krank-
heit reist er mit den Jüngern nach Bethanien [11,1. 18], wandelt
jedoch nach dessen Erweckung nicht öffentlich in ludaea, sondern
geht mit den Jüngern nach Ephraim [11,54]. Sechs Tage vor
8*
116 E. Schwarte
dem Pascha [12, 1] kommt er nach Bethanien, am Tage danach
zieht er in Jerusalem ein [12, 12]. Die Tage bis zur Passion
werden nicht gezählt; diese selbst wird auf den Tag des Pascha
gelegt.
Schon eine oberflächliche Betrachtung lehrt daß in diesem
Aufbau allerlei sich nicht recht zusammenfügt. Der Anschluß
von Cap. 6 an 5 ist so schlecht, daß immer wieder der Gedanke
auftaucht durch Umstellung einen besseren Zusammenhang zu
schaiFen; 7, 1 paßt sehr viel besser hinter Cap. 5 als hinter Cap. 6.
Aber die Umstellungen bringen doch keine Heilung für all die
Schäden, die ein aufmerksames Auge in immer größerer Anzahl
entdeckt, je schärfer es hinsieht. In merkwürdiger Weise nimmt
die Empfindlichkeit der Juden gegenüber Jesus zu, ohne daß das
Evangelium ein Wort darüber verliert. Er provociert sie bei
seinem ersten Auftreten durch die Tempelreinigung und den be-
rühmten Spruch 2, 19 so stark wie es überhaupt nur möglich ist *) :
sie antworten im friedlichen Disputierton, ohne irgend etwas gegen
ihn zu unternehmen; nicht einmal das wird ausdrücklich gesagt,
was alle Interpreten xatä t6 ötco7t6^svov ergänzen, daß aus Furcht
vor den Juden Nikodemus Nachts zu lesus kommt. G-anz anders
schätzen die Synoptiker jenen Spruch ein : Marcus [14, 58] und
Matthaeus [26, 61] berichten daß er lesus beim Verhör vor dem
Hohenpriester als ein Hauptpunkt der Anklage vorgehalten wurde,
und suchen ihn als falsch zu erweisen ; Lucas [22, 66 ff.] läßt ihn
fort, aus demselben G-runde, weil er lesus von dieser Blasphemie
rein halten wollte. Dagegen ist im weiteren Verlauf des vierten
Evangeliums für lesus schon das ein Grund ludaea, nicht nur Je-
rusalem, zu verlassen, daß die Pharisaeer gehört haben, er habe
mehr Jünger und taufe mehr als lohannes [4, 1]. Auf der zweiten
Reise wird er wegen einer Heilung am Sabbat 'verfolgt' [5, 16] ;
ja die Juden wollen ihn tödten [5, 18]. Doch wird diese Gefahr
zunächst nicht ernsthaft genommen, taucht aber bei der dritten
E-eise wieder auf [7, 13. 19], unvermittelt, als wäre im 7. Capitel
von V8. 19 an die Situation die gleiche wie im 5. Die galilaeischen
Wunder werden gezählt [1, 11. 4, 54], als wenn die 'vielen Zeichen',
die er gleich am Anfang in Jerusalem tat [2, 23. 3, 2], für nichts
zu rechnen seien; noch dazu ist der Ausdruck 4,54 tovto tcocXlv
dsiksQOv 6ri(i£tov ixoCriöev 6 *Iri6ovQ iXd-osv ix tfjg ^lovdaiag stg xiiv
1) Das ist, wie manches andere auch, mit Recht von K. Schulz Zeitschr. f.
ncut. Wiss. 8, 243 ff. hervorgehoben. Ich lege um so größeren Wert darauf mit
ihm in Anstößen übereinzustimmen , als die liösung des johanneisrhcn Problems,
die ihm vorschwebt, meinen Anschauungen dircct entgegengesetzt ist.
Aporien im vierten Evangelium II 117
raXdaiav ungeschickt, denn er heißt wörtlich, daß dies das zweite
Zeichen war, das lesus nach seiner Eückkehr von Grälilaea in
ludaea tat: so kanns aber nicht gemeint sein.
Das alles macht stutzig und regt zu Zweifeln an, ob dieser
Aufbau eine in sich geschlossene Conception ist. Eine Stelle des
7. Capitels [3] bringt m. E. die Entscheidung. Die 'Brüder' sagen
zu lesus : \iisxdßri%^i ivvsvd'ev xal vTtays eig v^v lovSatav, iva xal ot ^a-
d'tjtac 60V d-£C0Q7](3(o6Lv TU EQyu 6ov ä jcoistg ' ovdelg ydg n iv TCQVTCtmc
TCoist Kai ^rjtet avtb^) iv 7caQQr]6LccL slvai. 'Ziehe von hier fort
nach ludaea': es ist nicht, wie es nach dem Folgenden scheint,
von einer Reise zum Laubhüttenfest die Rede, sondern davon daß
lesus den Schauplatz seines Wirkens oder um es grade heraus zu
sagen, seiner Wunder nach ludaea verlegen soll. 'Die Jünger'
sind ein falsches Explicitum. Es können nur die Jünger gemeint
sein, die lesas in ludaea schon hat, und das giebt keinen Sinn.
Denn wollte man sich auch auf 2, 23 berufen, so würde das nichts
nutzen. Diese Gläubigen sind ja durch die vielen Zeichen bekehrt,
haben also die Taten lesu gesehen. Man muß das verkehrte
Subjekt fortdenken, dann treten die Juden, die aus triv 'lovöaiav
ohne Weiteres ergänzt werden, an Stelle der Jünger, und der
Sinn kommt heraus, den das Folgende verlangt: lesus soll sich
öffentlich als Wundertäter zeigen um seine Gegner zu widerlegen.
Im vorliegenden Text sind die leiblichen Brüder lesu^) diejenigen
welche den Rat geben; nur auf sie paßt der erklärende Zusatz
[7,5]: ov8\ yccQ ot ddElcpol avtov iitC^xevov sig avtov. Der Rat
steht allerdings Ungläubigen schlecht an^); er kann ursprünglich
nicht von Ungläubigen mit der Beziehung auf Gläubige, sondern
nur von den Jüngern mit der Beziehung auf die welche noch
nicht glauben, gegeben sein, und die ungläubigen Brüder s'ind nur
hineingebracht um lesu Predigt gegen die Welt einen Anlaß zu
schaffen : was sie am Schluß sagen [7, 4] : et xavra Ttotstg, cpaviQG)6ov
ösavtbv xcbL 7cö6^(dl, ist eine schlechte Doublette dessen was vorher
präciser gesagt ist. Jene Predigt aber sprengt den ursprünglichen
Zusammenhang, der in 7, 3 noch deutlich hervortritt. Denn in
ihr schiebt sich an Stelle des ^sxaßrjvccc die Reise zum Laub-
1) So ist mit BD für aMs zu lesen.
2) Sie kommen im vierten Evangelium nur noch einmal vor, in dem Flicken
2, 12, der für den Zusammenhang der Erzählung nichts bedeutet und wohl nur
den Anschluß an Mt. 4, 13 herstellen soll.
3) Chrys. t. VIII p. 284c xat noicc, cprioiv, iimatCa IvxavQ'a] 7taQUY.aXov6i
yag avxbv ^ccviLaxovqyfiGai , , . yial do-KSi: [ilv 'fj oc^LaOLS Sfjd'SV cpiXcov slvau
118 E. Schwartz
hüttenfest; lesus will sie nicht antreten, weil seine Zeit noch
nicht erfüllt sei, d. h. weil das Pascha noch nicht gekommen ist,
an dem er sterben wird ^). Man wnndert sich darüber daß bei
den beiden früheren Festreisen solche Erwägungen völlig aus dem
Spiel bleiben ; noch seltsamer ist aber, daß lesus seine Weigerung
gar nicht durchhält^), sondern doch zum Fest reist, und zwar
heimlich [7, 10]. Auch darin ist er nicht consequent ; in der Mitte
des Festes geht er in den Tempel und lehrt dort so öffentlich,
wie nur möglich: das Motiv der heimlichen Reise ist zu nichts
anderem da als den Widerspruch oberflächlich zu vertuschen, der
zwischen der scharfen Abweisung der Brüder und der Festreise klafft.
Der Eat nach ludaea zu ziehen und dort öffentlich für seine
Sache zu wirken, hat nur dann Sinn, wenn lesus bislang nicht
dort gewesen ist. Das widerspricht aber der vorausgegangenen
Erzählung, und der Widerspruch ist um so schwerer, als weder
die wiederholten Festreisen lesu noch der Rat den ihm die 'Brüder'
erteilen, irgendwie aus der synoptischen Tradition stammen, son-
dern beides freie Erfindungen sind, bei denen am ersten einheit-
liche und consequent e Durchführung zu erwarten ist. An einem
wichtigen Punkte, da wo eine der schwersten Differenzen zwischen
dem vierten Evangelium und der Überlieferung liegt, bricht das
Gefüge seiner Handlung auseinander: um seine Einheit ist es
geschehen.
Es ist nicht schwer zu sehen daß die wiederholten Festreisen
das secundäre Motiv sind, das den ursprünglichen Aufbau zer-
sprengt hat. Nur das erste der im Evangelium erwähnten Pascha-
feste hängt mit der Erzählung selbst zusammen, und da ist der
Zusammenhang mitsammt der Erzählung übernommen. 2, 13 — 23
sind wirklich nur ein schlechter Abklatsch der Synoptiker. Die
scheinbar imposante Provocation der Juden, um so imposanter als
lesus erst ein Zeichen in einem abgelegenen galilaeischen Dorf
vollbracht hat, ist ein Stoß ins Leere, und die Erzählung so un-
geschickt geführt, daß mit 2,23 ag ds riv iv totg 'hQoöolv^oig iv
xm na6xa (oder iv tfjt ioQrfjv)^) neu eingesetzt werden muß.
1) Der Ausdruck 6 ifibg ytccigbg oihto) nsnl-^gcavai noch Mo. 1, 15. Mt. 26, 18.
Im vierten Evangelium steht für xaigdg gewöhnlich mgcc: 2,4. 17,1. 12,23. 27.
13,1. 7,30. 8,20. Die Stellen sind wohl durchweg secundär; 2,4 ist der vorlie-
genden darin verwandt daß lesus nur pro forma ahlehnt.
2) Chrys. t. VIII p. 280» sC yap iituör] b v-aiQbs o^co nagfjv , dicc tovxo
oi}% &vißr], i%Qi)v ftTjdi oXog &vaßi]vai.
3) Die Doppellesung ist in der Ueherliefenmg zusammengelaufen; ähnlich
6, 1 ntQCCv xfii d-aXdoarig tijg FaXilaiag rf]g TißsQiddog.
Aporien im vierten Evangelium II 119
Das Gespräch mit Nikodemus wird so eingeleitet, als sollte
es besondere Folgen haben; der vornehme Pharisaeer, der nächt-
licher Weile zu dem G-alilaeer kommt, ist ja ein Bild das Prediger
und Maler begeistert. Es bleibt nur bei dem poetischen Anlauf;
lesus vergißt von 3, 13 an völlig den Besucher und redet ohne
Rücksicht auf den oder die welche er vor sich hat ; wo Nikodemus
bleibt und wie die Rede auf ihn wirkt, wird nicht gesagt.
lesus hält sich 3, 22 mit seinen Jüngern im iudaeischen Lande
auf und tauft dort, d. h. er stiftet eine Gemeinde : nach 7, 3 soll
er das erst vollbringen. Er rivalisiert mit Johannes, der in Ainon
bei Salem ebenfalls tauft, und man muß nach 3, 26 annehmen daß
beide nicht weit auseinander sind. Nach der Tradition aber liegen
Ainon und Salem 8 Millien s. von Skythopolis, an der Grenze von
Samarien und Galilaea, weit von ludaea fort [Eus. onom. p. 40, 1] ;
der geographische Fehler ist mindestens ebenso stark wie die be-
rüchtigte Verlegung von Bethanien in die Peraea [1, 28]. Aber
auch einmal zugegeben daß der vierte Evangelist von Geographie
nichts verstand, wozu freilich die raren Ortsnamen schlecht passen
wollen, der Uebergang 4, 1 if. ist, rein sprachlich betrachtet, eine
Ungeheuerlichkeit: cbg ovv syvco 6 ycvQiog on iJKovöav ot (^agiöatoi
Ott, ^Irj6ovg TtXsLOvag ^ad-riräg itoiei xal ßctntClsi -Jj Icjccvvrjg^ Tcaitotys
*Ir}6ovg avrbg ovk ißccTttL^sv aAA' ol ^ad-r^tal ccvtov, äg)7jxsv rriv 'Tov-
daiav xal ocTCfjXd'sv TtdUv stg rriv rahXaCav. So ist überliefert ; die
Varianten sind nichts als mehr oder weniger ungeschickte Ver-
suche den Text von seinen Anstößen zu befreien. Zunächst hebt
sich in dem Concessivsatz deutlich das Bestreben ab den Wider-
spruch gegen die Synoptiker zu beseitigen, daß Jesus tauft. Frei-
lich ist die Correctur lahm und müßte schon zu 3, 22 gesetzt sein ;
das ist aber unterblieben um Johannes Rede für Jesus nicht un-
möglich zu machen. Derartige Berichtigungen, die immer leicht
auszuscheiden sind, kommen mehrfach vor ^). Aber die Entfernung
dieses Zusatzes hilft der Stelle nicht auf. Woher plötzlich die
Pharisaeer auftreten, weiß niemand zu sagen, und vor allem, was
ist das für eine Rede die zunächst syvco 6 xvQcog setzt und in dem
zweiten davon abhängigen Satz Iriöovg wiederholt? Das vierte
Evangelium pflegt außerdem Jesus nicht 6 zvQLog zu nennen ; diese
1) 7, 22 wird der Satz Moovafjg diScoKSv v^lv tr]v nsgito^riv corrigiert : ov;^
oti Ix Tov MavGEoi? iariv, ccXX' fx räv TtcctSQcov. Dieselben Partikeln leitBn 6, 46
das Citat von 1, 18 ein, durch das 6, 45 näg 6 Scnovaag nccQcc tov nargög yiccl
(lad-mv eQxsTcct ngbg ifis berichtigt werden soll: ovx ort xhv TtccveQa soqcchev rig,
bI ^i] 6 (ov naqu tov -O-fo-D, ovtog eoqcchsv tov Ttarsga.
120 E. Schwartz
Bezeichnung ist dem Verfasser des 21. Capitels [12] eigen, und er
hat sie an den wenigen Stellen wo sie vorkommt^), eingeschmug-
gelt. Streicht man syvG) 6 xvgiog ort, so wird der Temporalsatz
in sich verständlich, aber zugleich ein Rest, der zum Folgenden
nicht paßt. Der Uebergang ist also nur durch eine ungeschickte
Erweiterung eines älteren Textes bewerkstelligt, der für einen
anderen Zusammenhang geschrieben war.
Ungeschickt wie die samaritanische Reise eingeleitet wird,
wird sie auch beschlossen: 'die Galilaeer nehmen lesus an, weil
sie alles gesehen haben, was er zu Jerusalem am Feste tat: denn
sie waren auch zum Fest gegangen [4, 45]'. Darüber muß sich ein
Leser geärgert und an den Rand geschrieben haben: ambg'lriaovg
i^aQtvQTjaev [Mc. 6, 4. Mt. 13, 57. Lc. 4, 24J ort TtQocpTJtrjg iv trjL
idiai jcavQLdi ti^riv ovx aiei^ wobei er freilich TtaxQig als 'Vater-
land', nicht, wie es sich gehört, als 'Vaterstadt' nahm. Diese
Randbemerkung ist, mit einem sinnlosen yaQ versehen, in den
Text geraten^). Wem das zu gewaltsam dünkt, der muß an-
nehmen daß vor 4, 44 mehreres gestrichen und 4, 45 ein falscher
Zusatz ist. Jung ist diese Erfindung auf jeden Fall. Sie bleibt
ohne alle Folgen ; nirgendwo ist davon die Rede daß ganz Galilaea
lesu wegen der Wunder die er tat, zugefallen sei, dagegen war
3, 22 erzählt daß er durch Taufen Anhänger gewinnt. Verdächtig-
ist außerdem die allgemeine Erwähnung all der Wunder die Jesus
am Fest getan haben soll. Das vierte Evangelium legt frei-
lich großes Gewicht auf die Wunder; wie längst beobachtet, sind
sie erheblich massiver als die der synoptischen Ueberlieferung ^).
1) 20, 18 ^QXBxai MaQiafi 7] MaydaXrivr} Scy/eXlovacc totg (icxd'rjTaLg ort £6qcc-kcc
zov %vQiov xat xavxa unsv avzrji: die erste Hälfte in directer, die zweite in in
directer Rede schließen sich aus. 11,2 nimmt in unerhörter Weise 12, 1 ff. vor-
weg, vgl. Wellhausen 35. 6, 23 steht an einer Stelle die von Schwierigkeiten
wimmelt: die Speisung der 5000 wird hier als Eucharistie hezeichnet, aber der
dafür charakteristische Singular scpayov xov agxov stimmt nicht zu der aus
den Synoptikern abgeschriebenen Erzählung. — Ucbrigens wirft Irenaeus den
Valentinianern vor daß sie lesus nicht yivQiog nennen wollten, 1, 1, 3 = Epiphan-
31, 10 p. 176^ : nach ihnen kam der Name der Achamoth als der eigentlichen
Herrin der Welt zu [Iren. 1, 5, 3 = Epiph. 31, 18 p. 186^]. Sie sagten statt
wQiog oaxTJQ: auch dieser Name steht nur 4,42 und 1 lo. 4, 14; letztere Stelle
ist sicher interpoliert [vgl. Nachr. 1907, 366J.
2) Man kann die Einschaltung von 21,23 vergleichen.
8) Allerdings fehlen die Teufelaustreibungen [Bretschneider, Probabilia 119],
aber nicht weil der vierte Evangelist dafür zu aufgeklärt war, sondern weil ihm
diese Wunder zu leicht für lesus vorkommen. Teufel austreiben konnten die
Jünger auch, wenns auch gelegentlich schwierig wurde, Mc. 9, 28 f.
Aporien im vierten Evangelium II 121
Aber die Wundertätigkeit lesu wird zu einzelnen scharf heraus-
hobenen ccQsral ^eov, 'Heldentaten des Gottes', um antik zu reden,
condensirt: sie werden gezählt, wenigstens am Anfang [2, 11. 4, 54],
und dazu paßt das unbestimmte Gerede von den 'vielen Zeichen*
nicht ; wo es vorkommt, bleibt es immer schattenhaft und ist ver-
dächtig ^).
5, 1 wird das Fest nur allgemein bezeichnet ; von der Sorge,
die 4, 1 Jesus aus ludaea, geschweige denn aus Jerusalem vertreibt,
ist nicht mehr die Rede. Ich habe schon darauf aufmerksam ge-
macht daß die Gefahr in die Jesus durch die Juden gerät, sich
verflüchtigt, ohne daß ein Wort darüber verloren wird, und dann
im Cap. 7 wieder auftaucht, ebenso unvermittelt, wie sie vorhin
verschwunden ist : dazu tritt der gewaltsame Anschluß von 6, 1,
der fast so klingt als läge der See von Tiberias in Judaea. Die
Motivirung die 7, 1 steht, gehört eigentlich an den Anfang des
Capitels, das vorausgeht. Auf die merkwürdigste Weise ist in
6, 4 eine Zeitbestimmung eingeschaltet : rjv öe iyyvs tb nddxa ri
ioQzri tav 'lovdaicov: es scheint als sollte sie ebenso wie der ver-
dächtige Vers 6, 23 die Speisung der Fünftausend als Eucharistie
charakterisieren.
Durchweg erweisen sich die Uebergänge und Zeitbestimmungen
die das Gerüst der Erzählung vom ersten Wunder in Kana bis
zur dritten Reise nach Jerusalem zusammenhalten sollen, als
schlechte und ungeschickte Flicken, die darum doch nicht beseitigt
werden können : denn ohne sie stürzt die ganze Handlung zu-
sammen. Daß die Reise zum Laubhüttenfest im 7. Capitel den
Zusammenhang stört, ist oben schon nachgewiesen, und ebenso
wenig tragen die Erwähnungen des Festes die in die Erzählung
von dem Auftreten Jesu in Jerusalem eingestreut sind, dazu bei
die Situation anschaulicher zu machen; im Gegenteil, auch sie ver-
wirren nur. 'Jn der Mitte des Festes gieng Jesus in den Tempel
1) 2,23; im Folgenden taucht mit 'dem Menschen' ein anderer nicht mehr
aufzuklärender Zusammenhang auf. — 3,2.-6,2 ist nach den Synoptikern ge-
macht, vgl. Mt. 15, 29 ff. Lc. 9,11. — 7,31. — 10,32 in scharfem Widerspruch
zu 7,21. — 11,47. — 12,37. — Es ist zu beachten daß die 'vielen Zeichen' nur
in Reden und Motivierungen oder in dem eingelegten Raisonnement 12, 37 vor-
kommen, niemals in der Erzählung selbst, wie oft bei den Synoptikern ; sie werden
eben nach diesen vorausgesetzt und gehören in die festgeschlossene, sich bis zur
Todtenerweckung steigernde Mirakelreihe des vierten Evangeliums nicht hinein.
Chrysost. t. YIII p. 295 e bemerkt zu 7,31: Ttoaa arnisicc; xal iiriv xqCo. iqv üri
fjLEia, tb Tov oi'vov v-cu xh tov TtKQKXvtLV,ov Y.cc\ xo xov vtov xov ßaadiyiov -aal
ovSsv diJiyriaaxo tcXeov ö evayysXiati^s.
122 E. Schwartz
und lehrte' [7, 14]; man kann Mc. 11, 27 fF. Mt. 21, 23 ff. Lc. 19, 47.
20, 1. 21, 37 als Parallele ansehn. Aber es ist doch seltsam, daß
7, 19. 25 das Motiv des 5. Capitels wieder auftaucht, während man
zunächst annimmt, daß Jesus ruhig im Tempel lehrt. Nach 7, 32
schicken die Pharisaeer und Hohenpriester Büttel aus ihn zu ver-
haften ; sie kehren 7, 45 ohne ihn zurück. Das muß an einem und
demselben Tage gewesen sein, und doch steht 7, 37, also zwischen
der Aussendung und der Rückkehr der Büttel, eine Tagesangabe,
gleich als ob eine neue Erzählung einsetzte : iv 8s tfJL iöidtrii
rjfiegai tr}L fisyciXriL rijs ioQtfjg eLötr]xei 6 'lr](30vg xal exQu^sv Xsycov.
10, 22 rückt die Zeit plötzlich kräftig vor, von Laubhütten zu den
Enkaenien; aus dem Herbst ist Winter geworden. Aber lesu
Rede biegt nach den ersten Worten 10, 26 in den Zusammenhang ein,
in denen sich die Ausführungen über den Hirten und seine Schafe
10, 1 ff*, bewegen : wieder reißt eine Zeitangabe mit dem Wenigen,
was an sie angeschlossen ist. Zusammengehöriges auseinander^).
Die Feste hängen nicht mit der Erzählung zusammen, sie siad
ihr vielmehr aufgedrängt, und mit ihnen auch die von den Festen
abhängige und durch sie angedeutete Chronologie, die die Wirk-
samkeit lesu auf mindestens zwei Jahre ausdehnt. Mit dieser ein-
gefügten Zeitrechnung verknüpft sich ein zweites, ebenfalls chro-
nologisches Problem. Nach 8, 57 ist lesus, als er zum dritten
Male nach Jerusalem kommt, nahezu 50 Jahre alt; anders kann
7Csvt7}xovta hl] ovjtG) BxBig nicht verstanden werden. Bei dem
seltsamen ersten Auftreten lesu in Jerusalem scheint ein gleiches
oder, wie ja auch billich, etwas geringeres Alter vorausgesetzt zu
werden. Wenigstens liegt es sehr nahe die nicht ohne Weiteres
plausible^) Bauzeit von 46 Jahren die die Juden dem Tempel zu-
schreiben, als eine ungewollte, aber bedeutsame Anspielung auf
lesu Alter zu verstehen; denn 'er redete von dem Tempel seines
1) Die Halle Salomos 10,23 ist aus der Apostelgeschichte bekannt; das
'Schatzhaus' 8, 20 dürfte eine schemenhafte Reminiscenz an Mc. 12, 41 = Lc.
21, 1 sein. Ungehörig ist auch G, 59 rctvxa slnEv iv GvvaymyfiL diSdoyuov iv Ka-
(paQvciov(i. Wann ist er denn hineingegangen ? 6, 25 findet ihn 'die Menge' negav
TTig ^aXdaaris ; 6, 41 tauchen plötzlich die Juden auf. Auch hier hat wohl Mc.
1,21. 6, 2 ff. Lc. 4, 16 ff. 31 ff. Mt. 13, 54 ff. eingewirkt; vgl. 6,42.
2) Origenes hat Recht, wenn er sagt [comm. in lo. 10,254] n&g tsaasgd-
%ovxa xal V| hsaiv ML-noSofiijad-ai cpaoi thv vccbv ot ^IovScclol, Xiysiv ovn i%o^BVy
bI Tfji taroQi'ai ^ara-noXovd'i^aoiisv. Der von mir unternommene Versuch die Bau-
zeit historisch zu erklären [Abhdlg. VII 5,8], ist gescheitert; die Sache liegt
einfach so, dafi sie nach dem angenommenen Alter Jesu fingiert ist.
Aporien im vierten Evangelium IT 123
Leibes.' Wie dem aber auch sein mag, daß 8, 57 im Widerspruch
zu der berühmten Stelle Lc. 3, 23 lesu Alter nicht auf dreißig
sondern fast fünfzig Jahre angegeben wird, das steht trotz allen
harmonistischen Künsteleien fest. Das Gleiche berichteten die
^Presbyter' auf die sich Papias berief [Iren. 2, 22, 5]. Daß diese
dafür wirklich den Apostel Johannes als Gewährsmann anführten,
braucht man Irenaeus nicht zu glauben, und ich möchte auch nicht
mehr so bestimmt wie vor Jahren behaupten daß diese Presbyter-
überlieferung einfach auf die Stelle des vierten Evangeliums zu-
rückläuft; es kann jedenfalls nicht bezweifelt werden daß die
Meinung, lesus sei ungefähr 50 Jahre alt geworden, in Asien ver-
breitet war. Sie hatte dogmatische Gründe, die nicht erraten zu
werden brauchen: sie stehen bei Irenaeus [2,22]. Dieser gibt sich
große Mühe die Angabe des Lucas mit dem vierten Evangelium
zusammenzubringen; denn er kämpft gegen die Typologie der
Valentinianer, nach der die 30 Lebensjahre lesu ein Symbol der
30 Aeonen waren ^). Das wirft ein Schlaglicht auch auf die Pres-
byter des Papias, der in der Vorrede seines Werkes gegen die
Gnosis polemisirt [Abhdlg. YII 5,11]: auch jene werden mit der
'Ueberlieferung' von den 50 Jahren gegen das valentinianische
System haben kämpfen wollen. Wie die 30 Lebensjahre auf die
Gesammtzahl der Aeonen, so wurde die Passion lesu im zwölften
Monat seiner Wirksamkeit von den Valentinianern auf die Leiden
des zwölften Aeon, der Sophia, bezogen ^). Augenscheinlich ist
daraus daß bei den Synoptikern nur das eine Pascha der Passion
vorkommt, abstrahirt daß lesu Predigt kein volles Jahr umfaßte;
der Ansatz des Epiphanienfestes auf den 11. Tybi [6. Januar], der
zu dieser Rechnung nicht stimmt, stand Yalentinus und seiner
Secte noch nicht im Wege, andererseits stützten sie ihre Berech-
nung durch die Weissagung les. 61, 2 [Iren. 2, 22, 1]. Auch gegen
diese Typologie führt Irenaeus [2, 22, 5] das vierte Evangelium ins
Feld, den Widerspruch gegen die Synoptiker verschweigend.
Nach der allgemein herrschenden Anschauung setzt die va-
1) Iren. 1,1,3 = Epiphan. 31,10 p. 176i> dia tovto rbv UatfJQa Xsyovaiv
{ov8s yag hvqlov a'bxov 6vo(id^siv ^iXovGiv) tQidv.ovxa hs6i v,ata xo cpccvsgbv
[iridev cnpfjrotTjxfWt, iTtidsLHvvvxa x6 [ivöx'^qlov xovxav xcbv Alcavayv. Ebenso 1,
3, 1 = Epiphan. 31, 14 p. 179d. 2, 22, 1.
2) Iren. 1, 3, 3 = Epiphan. 31, 14 p. 180c xb ds Ttsgl xbv dmdhaxov Almva
ysyovbg Ttccd-og vno6ri^aCvEü%-ai Xsyova ... ort rwt dadsndxcoi. firivl 'mtc^Bv.
iviavxm yccQ svl ßovXovxcci. ccbxbv fisxcc xb ßccnxiGfta avxov y,syir}Qvx^vai,.
124 E. Schwartz
lentinianiscbe Gnosis das vierte Evangelium voraus*). Für die
Schüler und Nachfolger des Meisters trifft das in der Tat zu:
keine Spur deutet darauf hin daß die Valentinianer sich der ße-
ception des Evangeliums widersetzten, im Gregenteil läßt sich trotz
der dürftigen Ueberlieferung noch jetzt erkennen daß sie es rasch
aufnahmen und für ihre Lehren verwerteten. Herakleon würdigte
es eines ausführlichen Commentars, Ptolemaeos interpretierte den
Prolog^), die Valentinianer der Excerpte des Clemens^) und Hip-
polyts^) berufen sich wiederholt auf Stellen aus dem Evangelium.
Dem ist aber nicht immer so gewesen.
Nach der ur christlichen Anschauung giebt es nur ein Evan-
gelium von lesus Christus ; ob es mündlich oder schriftlich über-
liefert wird, darauf kommt nichts an. Wird es in einem Buch
zusammengefaßt, so erhebt dies regelmäßig den Anspruch ein in
sich geschlossenes Ganze zu bieten: es will immer autonom sein,
verweist nicht auf andere Darstellungen des Evangeliums und
setzt sie nicht als bekannt voraus. Matthaeus schreibt nicht etwa
ein Supplement zu Marcus, sondern ein neues und reicheres Evan-
gelium in das er Marcus aufnimmt, um ihn überflüssig zu machen.
Die Theorie die am Ende des zweiten Jahrhunderts aufkommt,
daß das vierte Evangelium die drei anderen ergänzen wolle und
1) So schon Iren. 3, 11,7: hi autem qui a Valentino sunt, eo quod est se-
cundum loannem, plenissime utentes ad ostensionem coniugationum suarum\ er
verweist auf 1, 8, 5.
2) Iren. 1, 8, 5. Der Satz des Briefes an die Flora, in dem lo. 1, 1 citiert
wird, ist schwer verdorben [Epiphan. 33,3 p. 217»]: m ys [ts?] xriv xov >i6a(iov
öri^LiovQyiav IdCav [wessen?] Xiyu bIvui ats [td ts Petavius] Ttccvra Si wbrov
ysyovivai xal Jjwpls avrov ysyovsv [so überliefert] ovSsv 6 ccnoaroXog Ttgoccnoats-
Qi^oag X7}v ta)v tpsvdriyoQOvvTcov &vvn6atatov aotpCav xal ov (fQ-OQonoiov Q-iov,
äXXa. Slhulov xal iiiao7tovi]Qov. Das letzte Kolon das mit xat eingeleitet wird,
steht in der Luft , 6 ScnoaroXos ist nach constantem Sprachgebrauch Paulus, nicht
lohannes.
3) 6, 7 wird die valentinianische Erklärung des Prologs entwickelt; sie
stimmt im Wesentlichen mit Iren. 1, 8, 5 überein. Auf den Prolog beziehen sich
auch 41 [lo. 1,9] und 45 [lo. 1,1: das doppelte yiyovBv statt iyevsro ist wegen
der in der vorigen Anmerkung behandelten Stelle des Ptolemaeos zu beachten];
in der Parallelausführung Iren. 1, 4, 5 = Epiphan. 31, 17 p. 185« fehlt das Citat.
— 3 wird lo. 20,22 citiert; nebenbei gesagt ist 27 für ^(itpvxov fitvrii nach dieser
Stelle ificpvaafiivri' zu schreiben. — 23. 32 erscheint der Paraklet, vgl. Iren. 1, 4,
5 = Epiphan. 31, 17 p. 184c und die Aeonentafel 1, 1, 2 = Epiphan. 31, 10 p.
176». — 26 wird lo. 10, 7 erklärt, Gl lo. 14, 6, 10, 30. 19, 34, 62 19, 37. 36, 65
2,28. 3,29, 73 10, 11.
4) 6, 35 wird 10, 8 citiert. Die Aeonentafel 6, 30 ist dieselbe wie bei Irenaeus.
Aporien im vierten Evangelium II 125
mit Absicht vieles auslasse was in diesen schon stehe, ist eine un-
historische Erfindung : sie widerspricht der alten Weise von Grrund
aus und wird durch das Evangelium selbst widerlegt; wenn jetzt
in ihm die synoptische Ueberlieferung oft vorausgesetzt wird, so
liegt regelmäßig secundäre Ausgleichung mit den Synoptikern vor,
die nicht täuschen darf. Damit daß jedes geschriebene Evangelium
die Einheit des in der Gemeinde lebendigen Evangeliums darstellen
will, ist nicht gesagt daß jeder Evangelist den Anspruch erhob
daß seine Darstellung die allein richtige und allein vollständige
sei: wenn sie in der Form die Einheit des Evangeliums festhielten,
so waren sie sich wohl bewußt daß ihre Bücher nichts als ein
unvollkommenes Mittel waren das eine, unteilbare, lebendige Evan-
gelium zu übermitteln: nur weil jede schriftliche Darstellung für
unvollkommen galt, weil das junge Christentum keinen Qoran hatte
wie der Islam, entstanden fortwährend neue Evangelien und wurden
die vorhandenen neu bearbeitet. Die 'Schrift', die feststand, war
das A. T. : Evangelien, Briefe, Apokalypsen waren ein Neuland,
über das jeder der das Charisma spürte, seinen Pflug gehen lassen
konnte. Andererseits zwang der Grebrauch in der Gremeinde immer
wieder dazu das eine Evangelium in einem Buche zu suchen: die
Gemeinde von Rhossos, die nur das Petrusevangelium benutzt, ist
ein ebenso lehrreiches Beispiel wie die altsyrische Kirche, die an
Stelle der vier Evangelien sofort eine Evangelienharmonie setzt
und zäh an dieser festhält. Wenn Basilides seine ^E^rjyrjtixci zu
'dem Evangelium '[Eus. KG 4, 7, 7] schrieb, so war das urchristlich
gedacht und der Singular berechtigt nicht dazu von einem Evan-
gelium des Basilides in einem anderen Sinne zu reden als wie man
von dem Evangelium lustins sprechen kann : er erklärte den evan-
geKschen StoiF aus einer ihm speciell zugänglichen Tradition wie
Papias die Aoyia xvQiaxd aus der Ueberlieferung der Presbyter,
und nur die Willkür mit der er den Stoff ausgewählt haben mag
und apokryphe Berichte verwertete, veranlaßte Origenes [hom. in
Luc. 1] die Existenz eines svayyeXcov xatä Ba^iXsidriv zu behaupten :
das ist schwerlich etwas anderes gewesen als die Textabschnitte
die Basilides seinem Commentar zu Grunde legte.
Wie in allem, so nimmt auch in der Frage des Evangeliums
Markion eine von der kirchlichen Entwicklung radikal verschiedene
Stellung ein: er hat in der Tat aus dem Christentum eine Buch-
religion machen wollen. Weil er das A. T., das den christlichen
Gemeinden seiner Zeit als die Schrift galt, rücksichtslos jeden
Compromiß ablehnend, verwarf, mußte er für die 'Schrift' einen
vollwichtigen Ersatz schaffen und führte die Aufgabe mit der für
126 E. Schwarte
ihn charakteristischen Consequenz durch: die markionitischen Ge-
meinden haben zuerst einen festgeschlossenen Kanon gehabt; er
bestand aus einem Evangelium und den Briefen des Paulus, des
einzigen Apostels der lesus verstanden hatte. Hier ist die Ein-
heit des Evangeliums sehr viel mehr als ein formales Prinzip : das
Evangelium der markionitischen Gemeinde beansprucht ausschließ-
liche Geltung und erkennt kein anderes neben sich an.
Die Kirche hat es an litterarischer Polemik gegen die reli-
giösen Neubildungen die sich aus ihr und neben ihr erhoben und
sie zu zersetzen drohten, nicht fehlen lassen: aber diese Polemik
ist es nicht gewesen was ihr den Sieg brachte, sie setzt sogar,
wenn die spärliche und chronologisch unsichere Ueberlieferung
nicht täuscht, mit voller Kraft erst ein, nachdem der Kampf ent-
schieden ist. Ihre Waffe war dieselbe zu der sie in den späteren
Jahrhunderten ihre Zuflucht genommen hat bis auf den heutigen
Tag, die Organisation : durch die straffe Ausbildung des Episkopats,
der durch die ßechtsfiction der apostolischen Succession legitimiert
wird, hat sie ihre ins Wanken geratenen Glieder zusammengehalten,
nicht durch dogmatische Argumente. Mit dem Instinct der Herr-
schaft hütete sie sich davor sich von den Neuerern in neue, den
Gemeinden ungewohnte Positionen drängen zu lassen, und so fiel
es ihr nicht ein gegen den geschlossenen Kanon Markions einen
neuen und rechtgläubigen aufzustellen. Sie wahrte der Tradition
sehr entschieden ihr Recht neben dem Buch und hielt zäh an der
Vielfältigkeit der schriftlichen Aufzeichnungen des einen Evange-
liums fest: es wäre ja auch eine Torheit gewesen hier unificieren
zu wollen und den Gemeinden die man zu halten sich bemühte,
liebgewordene Bücher zu entziehen nur um dem einen Evangelium
Markions ein kirchliches entgegenstellen zu können. Dagegen war
es allerdings nicht mehr möglich der Vermehrung der schriftlichen
Evangelien ruhig zuzusehen, seitdem die Gnosis ihre Geheim-
traditionen auf mannigfaltige Weise in die evangelische Ueber-
lieferung hineindestillierte. Dem gegenüber galt es Neues abzu-
wehren und von dem schon Vorhandenen nach Möglichkeit das
auszuscheiden, was den Haeretikern am ersten und leichtesten Vor-
schub leistete. Das Kriterium des 'Apostolischen', das von der
Gemeindevertretung erst auf die Gemeindelitteratur übertragen
ist, wirkte bei dieser Auswahl als, ich möchte sagen, juristisches,
keineswegs als historisches Prinzip : man stellte nicht kritisch den
apostolischen Ursprung eines Evangeliums fest um es für den Ge-
meindegebrauch zu sanctioniren, sondern man schrieb denen die
längst recipiert waren und die man beibehalten wollte, apostolische
Aporien im vierten Evangelium II 127
Authentie zu, wenn es auch nur mit so gewaltsamen Fictionen
möglich war, wie es für den der genau zusieht, bei allen drei
Synoptikern der Fall ist.
Die Gnosis ist älter als das Christentum und mehr in es ein-
gedrungen als aus ihm hervorgegangen, schließlich mit dem Erfolg
daß sie in der Kirche aufgegangen ist. Dazu hat es einer all-
mählichen Entwicklung bedurft, und der christliche yvcoötixög des
Clemens hat eine Ahnenreihe gehabt, die immer mehr mit der
nichtgnostischen Kirche convergierte. Es ist der Verlogenheit der
Ketzerbestreiter zu verdanken, daß dieser Verkirchlichungsproceß
der Gnosis sich in seinen einzelnen Stadien nicht mehr verfolgen
läßt; selbst die Lehre die noch am besten bekannt ist, die valen-
tinianische, ist ein wüster Trümmerhaufen der sich zu einem ver-
ständlichen Bau nicht mehr zusammenfügen wül. Was Clemens
und Origenes, die ihr nahe standen und sie wirklich kannten, an
einzelnen, kostbaren Resten bieten, reicht grade aus um zu zeigen
daß die s. g. valentinianischen Systeme bei Irenaeus und Hippolyt
unlebendige Zerrbilder sind, die einzelne Speculationen in den
Vordergrund schieben um den frommen Leser grauslich zu machen
und das worauf es Valentinus und seinen Jüngern ankam, unter-
drücken^). Die Ketzerbestreiter benutzen außerdem die reiche
und mannigfaltige Entwicklung der Schule dazu um die verschie-
denen Stadien perfide durcheinander zu werfen und von vornherein
1) Man vgl. z. B. die Kolle die das ovo^ia = vtog bei Valentinus selbst
[Clem. Strom. 4, 90, 1] und in den Excerpten [82. 43. 26. 31 (leider arg zerstört,
auch Iren. 1, 2, 5 = Epiphan. 31, 13 p. 178^ klärt nicht alles auf)] spielt: von
diesem mystischen Aberglauben lassen die 'Mythologien' bei Irenaeus und Hippolyt
nichts ahnen. Ebenso wenig von den 'Geheimnissen' der Taufe die von der
Macht der Gestirne befreit [Exe. 78] und die Pneumatiker mit ihren Engeln [vgl.
Herakleon bei Orig. in loann. 13, 324] zur Einheit bindet, wobei wieder der 'Name'
eine Kolle spielt [Exe. 22. 36]: man muß hinzunehmen daß das aniq^Lu Siacpegov
von der Achamoth als Abbild der Engel = cp&ta mit denen der Soter herab-
kommt, concipiert wird [Iren. 1, 4, 5 = Epiphan. 31, 17 p. 185^] ; das Taufen
ist aber tpcoriad-fivcct, und wie der Soter die Ttdd-ri der Achamoth für sich setzt,
so befreit die Erleuchtung der Taufe den Menschen von den Leidenschaften [Exe.
41]. Auf die Aeonengenealogie mit der die kirchliche Polemik hausieren geht,
kommt wenig an; viel wichtiger ist die — ganz unphilosophische — Psychologie
im Zusammenhang mit dem Engels- und Teufelsspuk : der Inhalt der yv&aig ist
nicht die Metaphysik an und für sich, sondern die mystisch fundierte Erlösung
[Exe. 78] : S6TLV de ov rö Xovtqov ^lovov t6 iXsvdsQOvv, ccXXä xat 17 yv&aig xCvsg
^iisv, XL ysyovttfisv • nov ^(isv, [T)]3rov ivsßX^&ri^Bv • nov ansvöo^isv^ nodsv Xvxqov'
fif-O-cu • t£ yivvriGig. xC avayivvTicig,
128 E. Schwartz
den Eindruck der Confasion zu erzielen ^), während umgekehrt die
Polemik Plotins [30 = Ennead. 2, 9] den Beweis liefert daß sehr
wesentliche Lehrstücke noch um 260 aufrecht erhalten wurden^).
1) Weil sich Irenaeus und Hippolyts Berichte nicht oder doch nur unbequem
zu einer Paraphrase vereinigen lassen, gilt die Meinung, sie seien von einander
'unabhängig'. Das ist falsch: es sind nicht nur Coincidenzen da, sondern manches
bei Irenaeus wird erst verständlich, wenn es in die Zusammenhänge des hippo-
lyteischen Berichts eingeordnet wird. Bei Irenaeus ist das Ttdd-og der oberen
Sophia, aus der die ^Ev&vfiriaLg resultiert, das 'Suchen des Vaters': rjdsXE ydg,
CO? XiyovGL, rö iiiysd^og avtov yiutaXccßsLV [1, 2, 2 = Epiph. 31, 11 p. 177^]; nach
Hippolyt [6, 30] will sie wie der 'Vater' ohne Syzygle zeugen, obgleich sie als weib-
licher Aeon keine 'gestaltende Kraft' hat : ngoEßaXsv ovv rj SocpCa rovto fiovov oTtsg
riSvvato^ ovaiav &iioQ(pov yiccl a%ata6v.sva6tov. Das ist genau die Variante die
Irenaeus 1,2,3 [= Epiphan. 31,12 p. 177^] berichtet: ccSvvdraL xal ayiarccXrJTt-
xai [nach 1,2,5 = Epiph. 31,13 pag. 178 ^ ist die av^vyiag cpvGig = ccysvv^tov
y.ardXriipigl nqdyiiaxL ccvriiv knLXBiQr\acc6av rfxftv ovaiav diiOQcpov, oiav cpvGiv
ißxsv %-riXsia t£y.Biv. — Bei Hippolyt entsteht durch die Fehlgeburt der Sophia
Unruhe unter den Aeonen [p. 276, 20] : nach Irenaeus ist die Sehnsucht der Aeonen
nach Erkenntniß harmlos im Gegensatz zur Kühnheit der Sophia [1,2, 1 = Epiph.
31,11 p. 177»], trotzdem werden Christus und der h. Geist emaniert Tva [li]
ofiOLoag ravtrii Tcd^m xig r&v Alcovav, . . üg nf}^iv xorl 6t7iQiy[ibv tov ÜXrigmiiatog,
vip' a)v KataQtia&iivav rovg Alävag [1, 2, 5 = Epiph. 31, 13 p. 178c]. Um das
zu verstehen muß der Parallelbericht bei Hippolyt suppliert werden. — Durch
Vergleichung mit Clemens Excerpten läßt sich aus Irenaeus ein zusammenhängen-
des Stück ausscheiden, das durch Einlagen, die nicht kenntlich gemacht sind
unterbrochen wird: 43—46 = Iren. 1,4,5 [= Epiph. 31,17 p. 184c— 185»]; 47 =
1,5,2 [= Epiph. 31,18 p. 186»]; 48 = 1,5,4 [= Epiphan. 31,19 p. 187» und
^- c], hier ist durch Irenaeus manches hineingebracht, was nicht hinpaßt; 50 = 1,
5, 5 [Epiph. 31, 19 p. 187c, d] ; 54 = 1, 7, 5 [Epiphan. 31, 23 p. 192c] ; 55 = 1, 5, 5
[= Epiph. 31,19 p. 187d]; 59 = 1,6,1 [= Epiphan. 31,20 p. 188«].
2) Ich sehe nicht, wie man bestreiten will daß die von Plotin bekämpfte
Lehre in allen Hauptsachen valentinianisch ist. Aus der valentinianischen Gnosis
stammen die Hypostasen des Novg und Aoyog [Plot. 30, 1], von denen der De-
miurg und 'die Seele' d. h. die Achamoth verschieden sind [30, 6] ; die inivoicc
[30, 1] ist wohl die "Evvoia = Ziyri bei Iren. 1, 1, 1 [= Epiphan. 31, 10 p. 175b],
vgl. auch die Weiterbildung bei Ptolcmaeos 1, 12, 1 [= Epiphan. 33, 1] und die
'Ev'O-vfirjdtg der Excerpte [7]. Die Vermengung des planenden Nus und der welt-
schafifenden Seele [30, 6. 10], d. h. die Identität der von der Sophia gezeugten
'JEv'O'v/ürjfftff = gleich Achamoth [vgl. 30, 11 ivvotiyLo] mit der 'äußeren', welt-
schaffenden Sophia [vgl. z. B. Clem. exe. 47. Iren. 1, 5, 2], das atpdXina der Sophia,
die Weltschöpfung in Folge der Erinnerung an das Pleroma [30, 4] sind specifisch
valentinianisch [vgl. Iren. 1,5,1 = Epiphan. 31,18 p. 185«. Clem. exe. 33]; ja
die bissige Frage des Philosophen xC ydq uv iavxi)i v.aX iXoyC^Bzo ysvia&ai in tov
xoaiiOTtoifjaai', ysXorov yuQ xh '■Tva ri/ncotTo' xal [iBxacpBQOVxaiV dnb x&v &yaXfiaxo7toi&v
x&v ivxavd-a [30,4 vgl. 11] findet ihre Erklärung in dem Fragment Valentins bei
Clem. 4, 90, 1, wo die Sophia mit einem Maler verglichen, der Kosmos als das
Abbild des Aeon (d. 1. nach der besseren, auch bei Ilerakleon noch befolgten
Aporien im vierten Evangelium II 1^9
So schwer es also ist Valentinus und seiner Schule ihre Stelle in
der Entwicklung anzuweisen, so dürfte doch die Behauptung
Terminologie das was Irenaeus das Pleroma nennt) gefaßt wird: die Erhabenheit
des Originals ist für den Maler der Grund es abzubilden, iva nfirid'fit dt övofiatog
avTov. Die Pneumatiker, die Glieder der Sophia [30, 10], stehen höher als die
vom Deniiurgen geschaffenen Gestirne [30, 5] vgl. 9], sie sind allein der Vorsehung
unterworfen [30, 16 vgl. Exe. 74]. Die Unterschiede der Seelen [30,6] werden
sorgfältig untersucht. Gemeint ist die bekannte Teilung in die 'drei Naturen',
über die Valentinus ein eigenes Buch geschrieben hatte [Mercati rendiconti ser. II
vol. 31, 1034]. Daß der Demiurg mit der Seele identificiert wird und ihre Leiden-
schaften erhält [30, 6], zielt darauf daß der Demiurg, der 30, 10. 12 ausdrücklich
erwähnt wird, psychischen Wesens und aus den Tua-ö-rj der Achamoth hervorge-
gangen ist. Es finden sich ja kleine Differenzen mit den Berichten die über die
valentinianische Gnosis erhalten sind, z. B. die zweite 'Seele', die aus den
Elementen besteht [30, 5], die wohl auf den KoöfioyiQcctoaQ zu beziehen ist [vgl.
Iren. 1,5,4 = Epiph. 31,19 p. 187» und Valentinus selbst bei Iren. 1,11,1 =
Epiphan. 31, 32 p. 204^] und die TtuQOL'U'^GELg xal ävxCtvnoi yial ^istdvoiai
[31,6]: diese kehren in einem gnostischen Tractat des Codex Brucianus wieder
[C. Schmidt, TU N. F. 5, 61], brauchen aber darum der valentinianischen Gnosis
nicht fremd zu sein, vgl. Iren. 1,5,6 = Epiphan. 31,19 p. 188» avxCxvnov rijg
avoa 'E-uyilriaLug und Hippolyt. 6, 32 avodov xojI ^etccvoluv v.al dvva^Lv i/>v%tx^S
ovaiag. Die schaffende Tätigkeit der Sophia ist ein 'Erleuchten der Finsternis' :
in den Berichten wird sie aus der Lichterscbeinung des Soter abgeleitet [Iren. 1,
4, 5 = Epiphan. 31, 17 p. 184^ ff. Clem. exe. 40.41], und dieser selbst steckt deut-
lich in 6 XoyLGfibg 6 tov tioGfiov, 17 yfj ccvtoig r] ^ivri Xsyo^evri, ysvofisvri VTtb x&v
liSL^ovcov, ojg XsyovöLv avxoi' [30, 11], vgl. 30, 5 xi^vds xtiv yfjv kcciv^v . . . slg
rjv di] ivxev&£v cctcbXsvgovxcil- xovxo Ss Xoyov slvai noßfiov. Die durch das
vierte Evangelium veranlaßte Identificierung des Aoyog mit dem Scüxriq liegt be
Herakleon [Origen. in loann. 6,108] klar vor; in den Excerpten des Clemens [26]
steht eine Theorie, nach der das 'Sichtbare' lesu die Sophia ist, und die Ogdoas,
in welche die Pneumatiker schließlich eingehen, ist die Syzygia der Sophia mit
dem Soter [Iren. 1, 7, 1 = Epiphan. 31,21. Clem. exe. 64]. Mit der vXt] ri vXoxrig
[30, 10] ist die ccamfiaxog vXr} Iren. 1, 4, 5 = Epiphan. 31, 17 p. 185a zu vergleichen;
wenn bei Plotin [30, 11. 12] der Demiurg zuerst das Feuer schafft, so läßt sich
das mit der Lehre bei Hippolyt 6, 32 Clem. exe. 38 zusammenbringen, daß er
eine nvQw8r\g ovaCa ist. Die Lehre Valentins selbst und die einzelnen Stadien
in der Entwicklui.g der Schule sind viel zu wenig bekannt, als daß um dieser
kleinen Discrepanzen geleugnet werden dürfte, daß die von Porphyrius Vit. Plot. 16
genannten 'Haeretiker', gegen die nach C. Schmidt's richtiger Combination [TU
N.F. 5, 31 ff.] Plotin seinen Tractat ÜQog xovg FvaöXLyiovg geschrieben hat, Va-
lentinianer waren: darauf daß die von ihnen benutzten Apokalypsen auch bei
anderen gnostischen Secten auftauchen, kommt nichts an; die Magie und die
Exorcismen, die Plotin ihnen vorwirft [30, 14], sind allen Gnostikern gemeinsam,
und auch die Valentinianer rühmten sich, daß ihr Tcvsvfia die 'Elemente und die
Kräfte und die bösen Mächte' besiege [Clem. exe, 81]. Umgekehrt lassen sich
aus Plotin wichtige Schlüsse für die Valentinianer seiner Zeit ziehen: sie polemi-
siren gegen die heidnische Philosophie [30, 6] und hören doch bei den Piatonikern
Kgl. Ges. d. WisB. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft. 1. 9
130 E. Schwartz
schwerlich auf Widerspruch stoßen, daß die metaphysische Specu-
lation und das 'Mythologische' nicht das speciell für sie charakte-
ristische ist. Man braucht nur Irenaeus Berichte über die Bar-
belognostiker und die Ophiten zu durchblättern um zu sehen daß
alles was dahin gehört, überkommenes Grut ist : Ogdoas, Aion, Ple-
roma, die Syzygien, der Fall der Sophia, das Licht mit allem was
daran hängt, der Demiurg u. s. w. u. s. w. sind Begriffscomplexe,
die nur verständlich werden, wenn sie aus dem Rahmen der christ-
lichen Ketzergeschichte herausgenommen und auf die weite Fläche,
der orientalischen Mystik und Superstition projicirt werden, auf
denselben Boden auf dem auch Mandaeer, Manichaeer, Sabaeer
gewachsen sind. Der valentinianischen Gnosis eigentümlich ist
daß sie dem Christentum selbst von allen gnostischen Secten am
nächsten steht und alles daran gesetzt hat die Kirche zu erobern
oder doch wenigstens darin zu bleiben ^). Sie hat, in scharfem
Gegensatz zu Markion, das Gesetz nicht verworfen ^) ; ihr Demiurg
ist nicht der Gegensatz zum 'guten Grott', sondern erlösungs-
fällig ^); sie differenziert zwar zwischen den Pneumatikern und
[30, 10], wie Origenes, sie predigen die Askese, wie Origenes, kurz und gut, die
Schule hat sich auf gleicher Linie mit der Großkirche entwickelt. Origenes
Gönner Ambrosius war ja ursprünglich Valentinianer.
1) Iren. 3, 15, 2 hoc enim fictorum et praue seducentium et hypoeritarutn est
molimen, quemadmodum faciunt hi qui a Valentino sunt, hi enim ad multitudinem
propter eos qui sunt ab ecclesia, quos communes ecclesiasticos ipsi dicunt, inferunt
sennones, per quos capiunt simpUciores et illiciunt eos simulantes nostrum tracta-
tum, ut saepius audiant; qui etiam queruntur de nohis, quod cum similia nobiscum
sentianty sine causa abstineamus nos a communicatimie eorum et cum eadem dicant
et eandem habeant doctrinam, uocemus illos haereticos, et cum deiecerint aliquos a
fide per quaestiones quae fiunt ab eis, et non contradicentes auditores suos fecerint^
his separatim inenarrdbile Plenitudinis suae enarrant mysterium. Den besten
Commentar dazu liefert der Brief des Ptolemaeos an Flora [Epiphan. 33, 3 — 7].
2) Iren. 1,3,6 = Epiphan. 31,15 p. 181 d ov ^6vov Iv, x&v svayysXi-n&v xa
Tä>v ScnoatoltHöav nsigöavtai, rag änoSsC^Bis icouCaav . . ., &XXä xal ^x v6(iov xali
nQO(pritä>v.
3) Das tritt im Brief des Ptolemaeos an Flora besonders scharf hervor; er
stellt gleich im Anfang die kirchliche und die markionitische Ansicht über das
Gesetz als entgegengesetzte Verkehrtheiten einander gegenüber: der valentinia-
nische Begriff des 'mittleren' Demiurgen hält die richtige Mitte [Epiphan. 33, 7].
Vgl. ferner Iren. 1,7,4 = Epiphan. 31,22 p. 192b.c^ Herakleon bei Origen. in
loann. 13,422. Nach diesem ist lohannes der Täufer der Typus des Demiurgen,
Origen. in loann. 6,199.200; demnach ist der Ausspruch Herakleons 6,108 zu
verstehen und zu emendieren: 6 Adyog (isv 6 ZattriQ iotiv, qxovi] $\ ij iv r7>
igrifiai, i] diä 'Icaccvvov <l>dCa<i> voovfiivri, nämlich der Demiurg, vgl. 6, 199
ToO HQoaimov toö dta xov 'Imdvvov voovfiivov , otexcci yccQ xbv äri(ii.ovQybv xoü
Aporien im vierten Evangelium II 131
Psychikem, läßt aber durch die Pneumatiker auch die Psychiker
zur Vollendung gelangen ^), was doch nur heißen kann daß sie
nicht ein Conventikel der Auserwählten, sondern die Kirche aller
Gläubigen sein will, welche, wie später die des Clemens und Ori-
genes, die Einfältigen und die Erkennenden, %C6tig und yvGi^Lq in
sich schließt ^). Vor allem, und das ist vielleicht das Wichtigste,'
die Gnosis Valentins ist alles andere als individualistisch, sondern
gipfelt in der Idee der Kirche. Das önsQ^a diatpBQov darf nicht
als die Summe der pneumatischen Individuen gefaßt werden, sondern
als ein Ganzes, eine Einheit die nur in der irdischen Existenz in
Einzelseelen zerfällt, aber aus einer himmlischen Einheit stammt
imd bei der endlichen Rückführung in das Pleroma wieder zu
einer Einheit wird^): die Pneumatiker sind die 'EKxXi]0La außer-
Tioa^ov sXdrtovci bvxa xov Xqlüxov tovto öfioXoysLV v,tX. Von dieser (fxavri =
JrifiLovQyog heißt es dann bei Herakleon weiter [Orig. in loann. 6, 111] ti}v (p(üvr]v
oIksloteqccv 0V6CCV t&i XoycoL Xoyov yivsed'ai (d. h. er wird zum teXstog und geht
ins Pleroma ein), mg kccl tr]v yvvaiyia slg avdgcc [istaTL&sad-ca [Brooke, Texts and
Studies 1, 4, 57 vergleicht mit Recht Exe. 21. 79]. Ebenso wird der 'Freund des
Bräutigams' = lohannes d. T. [lo. 3, 29] bei Clem. Exe. 65 auf den Demiurgen
gedeutet.
1) Iren. 1,6,1 = Epiphan. 31,20 rb ds '\pv%iY,6v ^ o Y.a.1 Ss^lov Ttgoaayo-
Qsvovaiv [= Hippolyt. 6, 32 ; anders Exe. 34. 40. 43], ats fisöov ov tov rs Ttvsvfia-
Tinov %al tov vXfKOv, i-KSLös %ö)^8rv OTtov ccv nccl tr}v TtQOG-AXiGiv TtoiriGTitai' xb
Ö£ TtvsvfiatLKbv i'ii7ce7t8[iq)d'aL, OTtag svd'dds tai ibv^iY-cbi 6v^vy\v iiOQ(pcod"fiL 6vyb-
ncnÖBvQ'Ev ccvrööL iv tr]L avaazQoqjfii. ticcl tovt' stvca Q'eXovgl rb aXccg "nccl rb (päg
TOV yioG^ov ' k'dsi yccQ xGn i/)V%tHcot v,a.\ cciöd^rixmv ■ncceSeviidxcav . di^ o kccl KOöfiov v.a-
xs6%svd6d'aL XsyovGLV ' xat xbv Zcoxfjga ds 87tl xovxo Tfccgaysyovevca xb 'x\}v%tY.6v,
snsl ytccl avxE^ovGiov ißXLVj oitcag avxb 6co6r\L. 1, 8, 3 = Epiphan. 31,25 p. 195c grt 8s
ovg i](isXXs eoDL^SLv 6 EcoxriQ, xovxcav xag d.naQ%ag ScvsXccßsv, UccvXov stgriKSvccL [Rom.
11,16] xojt SL 7} anaQxr} ccyicc, yi cclxb (fuga^i cc , anccQxrjv fisv xb Ttvsv^ta-
xi'A.bv stgfjGd'aL 8i8d6v,ovxsg, q)VQCc(ici ds r]^äg, xovxegxlv xrjv ipvjjtTir]!' ^xx^Tjötav,
rig xb tpvQayLU dvsiXT]cpsvai Xsyovßiv ccvxbv yiccl iv avx&i 6vvavE6xav,svai, snsidr]
riv avxbg ^v(i7i [vgl. Clem. exe. 58]. Clem. exe. 56 xb (isv ovv nvsvficcxiyibv cpvesi
a(OL^6[isvov , xb ds tpvxi'if'bv avxs^ovGLOv ov knixridsioxrixa s%si ngog xs ntaxiv
■nal cccpd'aQöiav xal ngbg ccTtLOXLCCv kccI q)%'0Qav ■naxcc xi]v ot-KStav aigsOLV, xb Ss
vXiTibv (pvöSL ccnoXXvxai ... 57 yCvsrca ovv . . xov fisv ^ogcpmöig, xov Ttvsvficc-
Ttxov, xov Ss fisxdd-soLg, xov ipvxiyiov, iyi dovXsCag slg sXsvQ'sqCav.
2) Iren. 1,6,2 = Epiphan. 31,20 p. 189^ snai8sv%'7\6uv 8s xa '^vxi'ncc ot ipV'
Xiv-ol dvd'QcoTCOL ot 8l^ sgycDV kuI TtLGxscog ipiXfig ßsßaiov^svoL v.a.1 ^i} xrjv xsXsCav
yv&aiv Exovxsg. slvai 8s xovxovg <xovg> dnb xf]g symXriGLag rjnäg Xiyovev 8C
0 Y,al rjiitv (isv Scvayuatov sIvccl x7]v ccya&r}v ngä^Lv dnocpaLvovxciV dXXcag yccg
cc8vvcixov GcoQ'fivai • a-bxovg 8s [ir} 8icc ngd^scog, dXXä Slu xb cpvGSL ■JtvsvficcxLTiohg
slvai ndvxriL xs v.ul ndvxcog 6ai^ri6SG%'ai 8oyiiuxC^ovGiv.
3) Clem. exe. 36, wo ich für slGiovxsg vorschlage slg övxsg, statt des von
Bernays vermuteten sr övxsg. Leider ist das Raisonnement durch eine Lücke
9*
132 E. Schwartz
halb des Pleroma, das öjtsg^a diacpsgov der Typus eines Aeon
innerhalb des Pleroma ^) ; um diese 'ExocXrjßLa dreht sich im letzten
Grande das ganze Drama der Sophia und der Achamoth, und der
einzelne Pneumatiker hat Wert und Bedeutung nicht als die ewige,
unzerstörbare Seele eines Individuums, sondern als Griied der
'Exxlriöia. Die altchristliche Mystik die die Gemeinde zum Leib
des Herrn machte, ist in dieser Gnosis bis auf das äußerste po-
tenziert^); das ist nur denkbar, wenn diese Gnosis entweder eine
Kirche gründete oder die vorhandene anerkannte. Jenes ist aus-
geschlossen durch die Inconsequenz daß auch die Psychiker erlöst
werden können, obgleich sie der eigentlichen, durch ihr Wesen
zur Erlösung praedestinirten 'ExxXri6icc nicht angehören. Also
wollten Valentin und seine Jünger ursprünglich die 'ExxlriöCa der
Auserwählten nicht absondern, sondern als Licht und Salz der
Welt [Iren. 1, 6, 1 = Epiphan. 31, 20 p. ISS«'] in der Kirche die
in der Welt nun einmal war, darin lassen, und dies Streben bleibt
für die valentinianische Gnosis nicht minder charakteristisch, wenn
die erstarkende Bischofskirche davon nichts wissen wollte und die
'Auserwählten' aus der Gemeinschaft ausstieß. Markion fand in
der Kirche nicht was er suchte und verlangte, und gründete eine
Gegenkirche ; von valentinianischen Gemeinden ist nie die Rede,
und wenn die Intoleranz der Kirche die Anhänger Valentins viel-
leicht hier und da dazu brachte sich zu Sonder Vereinigungen zu-
sammenzutun, so waren das Erzeugnisse der Not, die das Urteil
über die von ihnen gewollte religiöse und kirchliche Vermittlung
zwischen Gnosis und Christentum nicht umstoßen können^).
zwiscLen ißanTioato 6 'Iriaovg und ro dcfiigiatov (iSQLß&fjvaL zerstört, aber der
Schluß ist klar : i'vcc rj^isCg ot TtoXXol Iev ysvöfisvoi, ot ndvrsg tm sitl x&i 8i r}fjL&g
fiSQLa&^evTL ccva'KQad'ööiisv. Herakleon bei Orig. in lo. 13, 341 mg noXX&v övxoav
i^vxi'K&v • rrjv ds (iiav Xiysi rrjv äqiQ'aQxov tfjg i%Xoyijg cpvötv xal (lovosiStj xal
£VL'K1]V.
1) Iren. 1,5,6 = Epiphan. 31, 19 p. 188» tb cnegfia . . . o Sr] xal ccvtö
'Ev-uXriGCtiv slvai Xsyovoiv, &vtCvvnov rfjg ävoo 'En-KXriöCccg.
2) Clem. exe. 26 xh dgcctbv xov 'Itjgov ii Zocpla xal i] ^ExtiXriaLa ij [^v cod.]
xmv ansQfidxoiv x&v dLacpsgdvxcov rjv iaxoXCaaxo diä xov accg-nLOV^ mg (prioiv 6 0s6-
doxog, vgl. 1 und Justins Auslegung [dialog. 54 p. 273*^. apol. 1, 32 p. 74»] von
Gen. 49, 11. Darum muß lesus sich taufen lassen, vgl. Exe. 22 a. E., wo rjyt
hvoCai xoij voxEQ^fiaxog die Achamoth bedeutet; vcxegrifia ist der Aeon Sophia,
wie öfter in dem Bericht des Irenaeus über die Markosier [1, 16, 2 = Epiphan.
34, 12 p. 247d. 1, 18, 4 = Epiphan. 34, 17 p. 252»].
3) Damit soll nicht behauptet werden daß nicht schon vor Valentin andere
Gnostiker ähnliches gewollt haben, im Gegenteü dürfte dieser Gesichtspunkt auf
die gesammte Gnosis zutreffen, die von der Kirche noch als Haeresie empfunden
Aporien im vierten Evangelium II 133
Deutlich bildet sich dies Bestreben ab in ihrer Stellung zur
'Schrift', zur vorhandenen sowohl wie zu der die im Werden war ;
sie stehen auch hier in diametralem Gegensatz zu Markion. Für
sie fällt die Notwendigkeit einen eigenen Kanon zu bilden fort, da
sie das A. T. nicht verwarfen und keine eigene Kirche organi-
sierten; im Gegenteil wollten sie sich von der Kirche in der
Frage nach dem Fundament des Glaubens nicht unterscheiden:
sie behaupteten , wie die Kirche , im Besitz der apostolischen
Tradition zu sein, und nahmen, wie die Kirche, das Recht in
Anspruch die Ueberlieferungen an der Lehre des Herrn zu
messen^). Der Unterschied von der Kirche lag darin daß die
Tradition nur den tiXsioi in vollem Umfang zugänglich sein sollte ^)
und behauptet wurde, der Herr habe sich den Pneumatikern und
Psychikern nicht in gleichem Maße geoffenbart*): doch beweist
Origenes, daß die kirchliche Interpretation wenigstens von dem
wurde und über die sie allein berichtet. Die genuin jüdische oder heidnische
Gnosis ist von ihr ignoriert, weil sie ganz draußen blieb, und durch diesen histo-
risch entstandenen und begreiflichen Mangel der Ueberlieferung ist die dogmen-
geschichtliche Forschung zu dem Irrtum verführt die Gnosis aus dem Christentum
erklären zu wollen, die religionsgeschichtliche zu dem anderen aus dem Gno-
stischen auf das Christliche zu schließen.
1) Ptolemaeus an Flora [Epiphan. 33, 7 p. 222^] : ficcd^'^arii yag d'sov didovrog
«1^5 xal rrjv xovxov aQ^riv rs v,a.l ysvvriGiv [des üTtiQ^a Siatpsgov oder der Pneu-
matiker], ä^iovfisvri xfis ccicoetoXfKfis TtagaSoascog, rjv in diccdoxvs «c^i f}(i£LS
naQEiXritpaiiBv (isrä xal rov ■KuvovCaai ndvTccg rovg Xoyovg xr]L xov acotfjQog rj^imv
Siöaa-AaXlai und 3 p. 217^ nsQLlstnsr ai Ss riiitv a^Kod'SLai, rs rfjg ccfKporsQcav xov-
Tcov [des Demiurgen und des 'Vaters des Alls'] yvmascog hcpfjvcci aoi -kuI cc-kql-
ßcöGccL avxov x8 xov vofiov . . . «al xbv vofiod'sxriv [d. h. den Demiurgen], x&v
qri%"r\6oiisvoiv rjfitv xccg dcnodsL^sig fx xwv xov öcaxfjQog rjfi&v Xoyav TtuQiöx&vxsg,
Sl o)v (jlÖvov S6XLV anxaLGxcag inl xrjv ■KuxdXri'ipiv xav ovxcov bdriyBL6%'ai. Die
Tradition wird an der Lehre des Herrn gemessen, und die Quelle dieser Lehre
ist die Schrift: das ist, rein formal genommen, dasselbe Doppelprincip das auch
die 'Großkirche' befolgt, und von der Methode z. B. des Papias die Herrensprüche
durch Heranziehung von 'Ueberlieferungen' auszulegen, nicht verschieden.
2) Die in der vorigen Anmerkung angeführten Stellen zeigen das deutlich ;
die Tradition war eine Geheimlehre die auf die Apostel zurücklaufen sollte. Vgl.
Abhdlg. VII 5,11 «•'.
3) Clem. exe. 23. ISCag %v,u6xog yviogCtBi xbv tivqlov. Iren. 3, 2, 2. 1, 7, 3 [=
Epiphan. 31, 22 p. 192»]. 1, 3, 1 [= Epiphan. 31, 14] ravra S^ (pavsg&g (isv (lii
elQfiü%'ui diu xb fit} Ttdvxccg ^agsiv xr]v yv&üiv avx&v, (ivöxrigLcodmg ds vnb xov
ZcoxfjQog 6iä naQaßoX&v (is^fivvad'ai xoig avvLsCv dwa^isvotg. Ptolemaeus an Flora
[Epiphan. 33, 4 p. 218^] eacp&g . . slg xgCa Siatgov^svog 6 evfiTtag E%BLVog dsUvvxai
vöfiog. Mavöicog xs yäg avxov nal xmv TtQsaßvxsQav «at ai)xov xov Q'sov tvpo|Lt«v
voiio^ieCav iv ccvxm • ccvxt} (isv oiv rj SiaigBGig xov av^TCavxog shsivov vofiov
ads T](iLv SiccLQsd'SiGa xb iv avxöbi dXrid-sg &vaitB(payv,Bv.
134 E. Schwartz
zweiten Grrundsatz viel übemelimen mußte und die Differenz hier
eine fließende war. So haben die Yalentinianer mit der Kirche
gegenüber den Markioniten auch an der Mannigfaltigkeit der Evan-
gelien festgehalten; die gelegentlich auftauchende Behauptung^)
daß sie ein eigenes Evangelium 'der Wahrheit' gehabt hätten, will
nur sagen, daß dies Evangelium neben den kanonischen gebraucht
wurde, trifft außerdem höchstens für einzelne valentinianische
Schulen zu, die wie die Marcosier besondere Conventikel bildeten,
und wird durch den Bericht des Irenaeus nicht bestätigt, der
über das Verhältniß der älteren Yalentinianer zum werdenden
N. T. sehr interessante Aufschlüsse giebt.
Dieser Bericht nämlich enthält außer den Bruchstücken der
Lehre, die Irenaeus mitzuteilen für gut befindet, einen Schrift-
beweis, der zum größten Teile so geordnet ist, daß zu einzelnen
xEcpdXaia die loci angeführt sind ; daß er in xä ivtbg und tä sxtbg
Toi) nXr]Qa^atog zerschnitten und an zwei verschiedenen Stellen
eingelegt ist [1, 3, 1—6 = Epiphan. 31, 14. 15 und 1, 8, 1 — 4 =
Epiphan. 31, 24 — 26], bedeutet für das Granze nichts. Es wird
nützlich sein eine Ilebersicht über den Bestand zu geben.
Iren. 1, 3, 1 [= Epiphan. 31, 14] = 1, 1, 3 [= Epiphan. 31, 10],
Die 30 Aeonen: Luc. 3,23. Mt. 20,1 ff. — Paulus: Eph.3,21. —
Die Formel bei der Eucharistie eCg xovg aicbvag x&v atcavcov [vgl.
Didache 9. 10].
Iren. 1 , 3, 2 [ = Epiph. 31, 14]. Die Dodekas der Aeonen : Lc.
1] Iren. 3, 11,9 M uero qui sunt a Valentino . . . suas conscripHones pro-
ferentes plura habere gloriantur quam sint ipsa euangelia, siquidem in tantum pro-
cesserunt audaciae, uti quod ah Ms non dlim [= ov naXai] conscriptum est, Veri-
tatis euangelium titulent, in nihilo cotiueniens apostolorum euangeliis, ut nee
euangelium quidem sit apud eos sine hlasphemia. [Tertull.] adv. omn. haeres. 4
p. 221,11 Kroymann: euangelium habet etiam suum praeter haec nostra. Das
wird auf die Offenbarung der 'AXri&sia durch die ZLyrj zu beziehen sein, auf
welche sich die Marcosier beriefen, vgl. Iren. 1, 14, 1 = Epiphan. 34, 3 p. 236^.
1,14,3 = Epiphan. 34,5 p. 238^ avrän xr]v tstQWurvv stnsCv'&Blco Ss gol xal
aitriv inidulai Tr}v 'AXr]d^siccv . . . . av dl fisrccgüLOv iyeiQag rb fqs SiavoCag
vofifia zbv avtoysvv7]TOQC( xai TtatQodötOQcc Xoyov &nb arouccraiv 'AXrid'siag axovf.'
p. 239^ ajg f-ßxaraqpßovrjrov rjy^aco tbv l6yov ov icnb aroficcTiüv rijs * AkriQ-eCag
nv.ovaa?. 1, 14, 7 = Epiphan. 34, 7 p. 240^. 241b. i, 15, l = Epiphan. 34, 8 p. 242».
1, 15, 5 = Epiphan. 34, 11 p. 245». Nach Iren. 1, 20, 1 [= Epiph. 34, 18] führten
grade die Markosier ihren Schriftbeweis zum guten Teil aus apokryphen und un-
echten Büchern. Aus ihren Taufformeln und Taufceremonien, die Iren. 1, 21, 3. 4
= Epiphan. 34, 20 berichtet, darf man schließen daß die Secte sich, im Gegen-
satz zu den eigentlichen Valentinianern, zu einer besonderen Organisation zu-
sammengeschlossen hatte.
Aporien im vierten Evangelium II 135
2,42. Mc. 3,14 = Mt. 10, 1. Lc. 6,13 [ebenso die Markosier Iren.
1, 18, 4 = Epiphan. 34, 17 p. 252*']. — Die übrigen 18 Aeonen (pavs-
Qovöd^ai diä roi) ^stä xriv ix vsxgav ävdataöiv dsxaoxTCD ^riölv
kiyeiv diaxexQKpBvdi avtbv 6vv toig ^ad^rjtatg. Hier tritt eine Tra-
dition an Stelle der Evangelien; sie findet sich auch bei den
Ophiten [Iren. 1, 30, 14]. Dann eine Bucbstabenspielerei : trj(6ovg)
= 18. — Die 10 Aeonen : L(rjöovg) == 10. Mt. 5, 18.
Iren. 1, 3, 3 [= Epiphan. 31, 14]. Das ndd-og des zwölften
Aeon wird angedeutet durch den Abfall des ludas, der der zwölfte
Apostel war, und weil im zwölften Monat die Passion stattfand ;
denn 'sie wollen' [das ist Ausdruck des Irenaeus, der die Chrono-
logie des vierten Evangeliums für die richtige hält] 'daß er
während eines Jahres nach der Passion gepredigt habe'. Wie
schon oben gesagt wurde, ist Iren. 2, 22, 1 zur Ergänzung hinzu-
zunehmen: duodecimo mitem mense dicunt eum passum, ui sit anno
nno post haptismum praedicans, et ex propheta temptant hoc ipsum
eonfirmare; scriptum est enim tiocare annum domini accep-
tum et diem retrihutiovis [les. 61,2], — Mc. 5, 25 ff.
Iren. 1, 3, 4 [= Epiph. 31, 14]. Der Soter [besser der Christus]
gleich dem All: Lc. 2,23. Paulus: Kol. 1,17. Rom. 11,36. Kol.
2, 9 [vgl. Clem. exe. 31]. Eph. 1, 10.
Iren. 1, 3, 5 [= Epiphan. 31, 15]. ZtavQog undVQog : Lc. 14, 27.
Mc. 10,211). Mt. 10,34. 3,12. Paulus: 1 Kor. 1,18. Gal. 6,14.
Iren. 1, 8, 2 [== Epiphan. 31, 25] t6i^ xvqlov iv rotg 66xdrotg
rov xöö^ov ;(j^(5i/oig di,ä rovto ikrikv^avai iitl tb Ttdd'og Xeyovöcv,
tv' STtLdsi^fjL ro TtSQL xov £^;^aTov T&v JiG>V(ov yFyovbg TcdO'og. Das
spielt auf die Formel iit iöxdrov xcbv xqovcov I Petr. 1, 20 (vgl.
Hebr. 1, 4) an, die Brief stelle selbst ist nicht citirt.
Die zwölfjährige Tochter des Synagogenvorstehers Typus der
Achamoth : Lc. 8, 42.
Die Erscheinung des Soter bei der Achamoth : Paulus : 1 Kor.
15,8. 11,10; zur Erklärung dieser Stelle wird noch Exod. 34,29
hinzugefügt.
Die Leiden der Achamoth : Mc. 15, 34. — Mc. 14, 34 = Mt. 26, 38.
— Mt. 26, 39. — XL sI'tcco, oi>k olda wird gewöhnlich auf lo. 12, 27
zurückgeführt, wo aber nur xl etitco steht, während o\)k olda we-
sentlich ist: denn das Wort deutet auf die aTtOQLa der Achamoth.
Außerdem wird, worüber noch mehr zu sagen sein wird, das
1) Mit dem Zusatz agag xhv gtuvqov, der dadurch als sehr alt erwiesen
wird: er steht im Alexandrinus, der Syr. Sin. und Peschittha, auch in einigen
Lateinern.
136 E. Schwartz
vierte Evangelium in dieser Sammlung von loci nirgends mit den
anderen zusammen angeführt. So liegt hier wohl ein apokryphes
Evangelium vor, auf das sowohl die Stelle des vierten als der
valentinianische locus zurückgeht.
Iren. 1,8,3 [= Epiphan. 31,25]. Die drei Gattungen von
Menschen, Hyliker, Psychiker, Pneumatiker: Lc. 9, 57.58. 61.
Mt. 19, 20—22. Lc. 9, 60. 19, 5. Mt. 13, 33 = Lc. 13, 21. Paulus :
1 Kor. 15, 48. 2, 14. 15 [Hippolyt. 6, 34]. Eom. 11, 16 [Clem. exe. 58].
Iren. 1,8,4 [=^ Epiphan. 31,26]. Das Irren der Achamoth
außerhalb des Pleroma und ihre Auffindung : Lc. 15, 4. 8 [ähnlich
die Markosier bei Iren. 1, 16, 1 = Epiphan. 34, 12]. 2, 28. 29.
36—38.
Achamoth = Eo(pCa : Lc. 7, 35. Paulus : 1 Kor. 2, 6.
Die Syzygien im Pleroma : Ephes. 5, 32.
Dieser Schriftbeweis ist zwar von Irenaeus mit seiner Dar-
stellung der valentinianischen Lehre verknüpft, steht aber tat-
sächlich unabhängig neben ihm ; denn er setzt an manchen Stellen
eine andere und zwar eine ältere Lehrform voraus. In dem Be-
richt selbst [1,2,4 = Epiphan. 31,12 p. 178*] kommt, wie bei
Hippolyt [6, 31] und Clemens an einer Stelle [exe. 42], nur ein
"ÖQog vor, der verschiedene Namen hat; der Schriftbeweis unter-
scheidet "ÖQog und Ztavgöq sehr bestimmt von einander [1,3,5 =:
Epiphan. 31, 15] : xa^o fisv idga^si, not 6x7iQit,si, Exavgov elvai,, xa^b
ö( iisgL^SL xal dLOQL^et, '^Ügov. Das war die ursprüngliche Lehre
Valentins [Iren. 1,11,1 = Epiphan. 31,32 p. 204^] oder kommt
ihr wenigstens näher : "Ogovg dvo vjtsd^sTO, iva ^Iv neta^v tov
B\}d^ov xal xov loLTCov nir]QG)iiatog dioQ^iowa tovg yevvrixovg Ai&vccg
äjcb tov äysvvi^rov üatgög, axegov 81 xov äcpogit^ovxa avxav xi^v
fitjxdga [d. i. die Achamoth oder die 'äußere' Sophia] äitb xov nkri-
ga^iaxog. Eine Spur der Differenzierung findet sich auch Clem.
Exe. 22. Wenn in dem Schriftbeweis ferner [Iren. 1,3,4 s.o.]
das alttestamentliche Citat Lc. 2, 23 näv äggev diavotyov ^rjxgav
auf den Soter angewandt wird, 'der, indem er das All ist, öffnete
den Mutterleib der Enthymesis des gefallenen Aeon, die aus dem
Pleroma ausgeschieden war und auch die zweite Ogdoas heißt', so
kann das nichts anderes heißen als daß der Soter die Frucht der
Achamoth oder der 'äußeren' Sophia ist. Auch diese Lehre weicht
fundamental von dem Bericht des Irenaeus ab, in welchem der
Soter eine Emanation aller Aeonen ist [1,2,6 = Epiphan. 31,13],
wie er bei Hippolyt [6, 32] gradezu 6 xoLvbg xov nlr^ga^axog xagitög
heißt; dagegen steht sie wiederum der des Valentinus sehr nahe
[1,11,1 = Epiphan. 31,32 p. 204^] xal xbv Xgiöxbv dl ovx anb
Aporien im vierten Evangelium II 137
t&v ev T&L UkriQGi^axi Aiavcov TCgoßsßXflöd-ai,, ccXlä vTtb tTJg ^rjtQog
€^C3 ysvo^svrig y.axa xriv \Lvri\i'tiv [so ist nacli dem lateinischen Text
zu lesen] röv kqslttövcjv cLTCoxsxvria^aL : im folgenden wird er auch
^männlich' genant^). Freilich hätte Irenaeus in dem Excerpt aus
dem Schriftbeweis besser vom Christus, der ja auch in der ange-
führten Stelle Ephes. 1, 10 genannt wird, statt vom Soter ge-
sprochen, aber auch in dem Referat über Valentin stellt er dessen
Lehre unpassend einer Theorie gegenüber, nach der Christus eine
Emanation der Aeonen war, was nur vom Soter oder lesus be-
hauptet wird, und braucht in der Erörterung von Lc. 2, 28. 29
[1, 8, 4] XQiOzog statt des für die Valentinianer dort allein mög-
lichen SoiXYiQ oder Irjöovg. Die Verwechselung lag für den ortho-
doxen Ketzerbestreiter nahe, dem die Differenzierung von XQL6x6g
und 'Iriöovg natürlich ein Greuel war : außerdem sollen die Valen-
1) Am meisten berührt sich mit diesem ursprünglichen Stück der valentinia-
nischen Gnosis das Excerpt aus Theodotos Exe. 32. 33, wo ebenso wie bei Va-
lentin der Demiurg nach dem Christus als sein Typus von der Sophia emaniert
wird [vgl. die secundäre Entwicklung dieses Theologems bei Iren. 1,5, 1 =Epiph,
31, 18 p. 185^]. Bernays hat mit Recht angemerkt daß der dort ausgesprochene
Satz, der bei Irenaeus und Hippolyt spurlos verschwunden ist, oau Itl av^vyiag
nQOEQXstaL, nX7iQo}[iatci sativ, 06a 8s anb svog, Btyiovsg, der echten und ursprüng-
lichen Lehre Valentins angehört [Clem. ström. 4, 90, 2j. Christus ist das All, weil
er ein Abbild des Pleroma ist, das die Achamoth in Erinnerung an dieses ema-
niert hat, und beim Eingang in das Pleroma sich in das All auflöst. Mit den
Stellen der Excerpte 32. 33 ovrog 81 yiccTaXsLipag rr}v (iritsga ccvsXd-oav eis rb
TtX'qQcafia hQar7]d'ri [i'HQccd'ri Bernays] . . toig oXoig . . . [der Paraklet ist hier
secundär eingetragen] und XgLarov tb ccvol-kslov cpvyovTog avataXivtog stg tb jriif-
Qoa^a iyi vfjg firjtQcoLug [ysvoiiivovl kvvolug vgl. Valentin bei Irenaeus 1, 11, 1 =
Epiphan. 31,32 p. 204c xbv 'Iriaovv tvots fisv ccnb tov av ax aXsvrog änb
tfjg (JLTITQ bg avt&v evvavaxvd' svt og voig oXoig TcgoßsßXfjad'ab cpriatv,
xovtB6ti xov ©sXrixov, nors 8e anb tov ava8 QUfiovxog sig xb UXi^Qajfia ,
X0VXE6TL xov Xqlgxov '. Ircuaeus hat den Aeon Theletos falsch aus seiner Aeonen-
tafel [1, 1, 2 vgl. 1, 2, 2] eingemischt und daher die Praedikate die nach Ausweis
der Excerpte alle dem Christus zukommen, unter zwei Subjecte verteilt. Daß
der von der [äußeren] Sophia emanierte Christus seinerseits wieder lesus ema-
niert ^1 £v8oyiiag x&v almvotv [vgl. Exe. 43], steht auch Exe. 23 [wo der Paraklet
ebenfalls secundär ist]. 41 ; aus der Speculation daß der in das Pleroma auf-
gelöste Christus lesus emaniert, ist die jüngere Lehre von dem ^oivbg xov nX-q-
gmficcxog nccgnog hervorgegangen, die bei Irenaeus und Hippolyt vorliegt. Bei
diesen sind Christus und der heilige Geist eine nachträglich von dem Nus oder
dem Eingeborenen emanierte Syzygie [Iren. 1, 2, 5 = Epiphan. 31, 13 p. 178c.
Hippol. 6,31]; bei Hippolyt ist das System insofern consequent weiterentwickelt
als hier diese Syzygie erst die 30 Aeonen vollzählig macht [vgl. 6, 30], während
sie bei Irenaeus überzählig ist, zum Zeichen daß in seinem Bericht Aelteres und
Jüngeres durcheinander läuft.
138 E. Schwartz
tinianer selbst den Soter lesus auch Christus genannt haben [Iren.
1, 2, 6 = Epiphan. 31, 13 p. 179^], wie die 'Ev^v^riötg der Sophia
ebenfalls Sophia heißt.
Schon aus diesen Beobachtungen erhellt daß Irenaeus den
Schriftbeweis der Valentinianer nicht selbst aus gelegentlich von
ihnen angeführten loci prohantes zusammengestoppelt, sondern ihn
schon als eine geschlossene Sammlung vorgefunden hat : er ist für
den Kanon der Valentinianer sehr lehrreich. 'Der Herr und der
^ Apostel' : das sind die Elemente. Dieser ist allein Paulus ; die
s. g. katholischen Briefe sind unbekannt. Jener wird, außer we-
nigen Agrapha oder Apokrypha, von den Synoptikern vertreten;
eine gewisse Vorliebe zeigt sich für Lucas, namentlich sind die
ersten, noch von Markion verworfenen Capitel, stark benutzt. Da-
gegen fehlt das 's^erte Evangelium. Das will schon an und für
sich etwas besagen : wenn Tertullian [de carne Christi 19. 24] be-
hauptet daß lo. 1, 13 ö g ovx. s^ ai^dtov ovde ix d'sXrj^arog öagxbg
ovdh ix d^sXri^arog avögög, äkX ix %'sov iyevvi]^}] von den Va-
lentinianern zu ot — iysvvrjd'riöav verfälscht sei um einen Be-
weis für das ensQ^ia dLa(p8Qov zu haben, so sollte man um so eher
erwarten daß diese Stelle in dem reichen Apparat zu dem Ke-
phalaion der 'drei Naturen' angeführt würde, als die von Ter-
tullian für eine Fälschung erklärte Lesart die richtige ist, wie
tixva d-sov beweist: die Fälscher sind diesmal orthodoxe Be-
streiter der valentinianischen Grnosis gewesen und die von Ter-
tullian und anderen Occidentalen vertretene Aenderung ^) verrät
daß die Valentinianer die naheliegende Ausdeutung der Stelle
wirklich vollzogen haben. Trotzdem stehen bei Irenaeus nur
Stellen der Synoptiker um die Dreiteilung des Menschen als Lehre
lesu zu erweisen.
Es ist aber nicht nöthig zu dem stets precären Beweis px
silentio zu greifen : am Schluß des Schriftbeweises wird bei Irenaeus
die valentinianische Deutung des iohanneischen Prologs in einer
Weise angehängt, die keinen Zweifel darüber jläßt, daß sie ein
Nachtrag ist, der nur dann Sinn hat, wenn in dem älteren und
1) Sie folgt einer Formulierung die lustin aus Gen. 49, 11 entwickelt [dialog.
54 p. 274»]: x&i S\ alfia rr}g avaq)vXfjg sCrtsiv xhv Xoyov Slcc [r^s] ri%v7\q
dsSf]X(o-Kev 8tl alfia (liv ^%bl b Xg^atd^f &ll* o-ßx i^ äv^-gcoitov anigfiarogy ScXl^
i-K tfjg Tov &£ov dvvcH^scag, ov yäg xgonov t6 tfig &(i,7tfXov aly^a ovtt avd'gtonog
iyivvriasvj ScXXa d'sog, ovtcag %al xb xov Xgiaxov atfia ov% i^ ävO-gcomCov y^vovg
iosad^ai, &XX' ix ^eov dvvd(iso>g ngoefiijvvasv. Ebenso 63 p. 286<l. 76 p. 30 1*'.
apol. 1, 82 p. 74b.
Aporien im vierten Evangelium II 139
schon vorliegenden Stellenapparat das vierte Evangelium nicht
berücksichtigt war. Nachdem der gesammte Schriftbeweis zu Ende
geführt, das letzte Kephalaion über die Achamoth abgehandelt
ist, wird fortgefahren [1,8, 5 = Epiphan. 31, 27]: stt xs 7(Davvrjv
. . öiddöxovöL xi]v TtQcjtrjv oydodda ^s^riwKSvai avtatg Xs^söl Is-
yovTsg ovvcog und die erste Ogdoas. die den Anfang der Lehre
bildet, aus dem Prolog des Evangeliums nachgewiesen. Ich will
kein besonderes Gewicht darauf legen, daß die Art des Beweises
hier eine andere ist : während sonst hinter der kurzen Angabe
des Kephalaion die loci prohantes erst der Evangelien, dann des
Paulus aufmarschieren, werden hier die Aeonen der Ogdoas in ein-
gehender Interpretation aus den Worten der Schrift herausgeholt,
so daß der Text das prius, die Lehre das posterius wird; um des
Textes willen werden gegen die Ordnung der Lehre zuerst die
zweite, dann die erste Tetras abgehandelt. Entscheidend ist
erstens, daß dieses Stück des Schriftbeweises, wenn es gleichen
Ursprungs mit den übrigen wäre, am Anfang und nicht am
Ende stehen , und zweitens, daß das vierte Evangelium den
anderen Evangelien beigesellt sein müßte, da das Schema welches
den Herrn, d. h. die Evangelien, vor die Paulusbriefe stellt, ein
ganz festes ist. Da bleibt nur der Schluß übrig, daß der Yalen-
tinianer der die loci prohantes ursprünglich zusammenordnete, das
vierte Evangelium nicht kannte und ein Späterer diesen Apparat
aus dem vierten Evangelium ergänzte, nachdem dieses hervorge-
treten und von den Valentinianern in Uebereinstimmung mit der
Kirche recipiert war. Der Name dieses Späteren ist bekannt ; Ire-
naeus hat ihn am Schluß [1, 8, 5] hinzugefügt : et Ftolemaeus quidern
ita. Auf den ganzen Bericht darf die Notiz nicht bezogen werden,
da er, wie wiederholt gezeigt wurde, aus verschiedenen Stücken
verschiedenen Ursprungs besteht, Irenaeus ja auch der Lehre des
Ptolemaeus noch einen besonderen Abschnitt widmet [1, 12, 1] ; die
Interpretation des iohanneischen Prologs hat er in nicht unpassen-
der Weise dem Schriftbeweis des älteren Valentinianers angefügt.
Das vierte Evangelium verlängert durch die drei Paschafeste,
die es erwähnt, lesu Wirken über ein Jahr hinaus. Es erhöht
sein Alter von 30 auf beinahe 50 Jahre. Durch beide Abände-
rungen der synoptischen Ueberlieferung, speciell des Lucas, ent-
steht ein Widerspruch gegen den Schriftbeweis, sei es des Valen-
tinus selbst, sei es der älteren Valentinianer, und dieser Wider-
spruch ist denn auch von Irenaeus benutzt, der mit gutem Grrund
das Tetraevangelium preist. Umgekehrt kennt der ältere valen-
tinianische Schriftbeweis das ihm widersprechende Evangelium
140 K. Schwartz
nicht. Mit zwingender Notwendigkeit springt der Schluß herans:
die Festreisen und das höhere Alter lesu sind in das vierte Evan-
gelium interpoliert um die Typologie des Valentinus unmöglich
zu machen. Es läßt sich kaum bezweifeln, daß für diese Inter-
polationen nicht der 'Presbyter' verantwortlich zu machen ist, da
in den Briefen keine Spur von antignostischer Polemik zu ent-
decken ist, sondern der spätere Interpolator, der das 21. Capitel
schrieb und das Evangelium auf den Apostel lohannes stellte.
Dieser hat die Bezeichnung 6 xvQLog eingeschwärzt, vielleicht mit
antignostischer Spitze, dieser braucht 8, 58 das mystische iyät elya
[vgl. Nachr. 1907, 360], und für diesen ist die mechanische, gewalt-
same Art mit der er den Text umgestaltet, charakteristisch.
Wäre das vierte Evangelium Valentinus schon bekannt ge-
wesen, so kann man zweifeln ob er die zwölfmonatliche Predigt
und die dreißig Lebensjahre lesu zu Typen gemacht haben würde :
im Schriftbeweis der Markosier, der wenigstens an einer Stelle
[Iren. 1, 18, 3 = Epiphan. 34, 16 p. 252''] das vierte Evangelium
voraussetzt, fehlen sie. Als es aber auftauchte, haben die Valen-
tinianer sich durch die latente Polemik, die der letzte Bearbeiter
hineingebracht hatte, nicht abhalten lassen es mit mindestens dem
gleichen Eifer aufzunehmen wie die Kirche selbst, und ihre Specu-
lationen in ihm nachzuweisen: Ptolemaeus und Herakleon genügen
zam Beweis. Wenn die Ueberlieferung verstattete die Entwick-
lung der valentinianischen Grnosis zu verfolgen, würde sich wahr-
scheinlich herausstellen daß das vierte Evangelium die Lehre stark
verändert und beeinflußt hat; jetzt läßt sich das nur an verein-
zelten Spuren noch erkennen. So ist um des vierten Evangeliums
willen der Paraklet mit dem Soter identificiert, aber, wie die
Stellen [Iren. 1, 4, 5 = Epiphan. 31, 17 p. 184^ Clem. exe. 23] deut-
lich zeigen, secundär und desultorisch. Er ist in die Aeonentafel
aufgenommen [Iren. 1, 1, 2. Hippoljrt. 6, 30] : aber wer will be-
haupten daß diese schemenhaften Namen der Dekas und Dodekas
ursprünglich sind und schon Valentin es für nötig gehalten hatte,
die 'Zehn' und die 'Zwölf in einzelne Namen aufzulösen? Daß in
dem Bericht des Irenaeus der männliche Aeon der zweiten Syzygie
nicht nur Novgj sondern auch Movoysvijg und apx4 "^^^ ndcvrav
heißt [1, 1, 1 = Epiphan. 31, 10 p. 175»' und öfter], ist allerdings
eine Frucht der valentinianischen Erklärung des iohanneischen Pro-
logs; ebenso daß der 'obere' Christus die Aeonen lehrt daß sie
den 'Vater' nicht sehen und hören können, es sei denn durch den
Movoyev^g [Iren. 1, 2, 5 = Epiphan. 31, 13 p. 178^ nach lo. 1, 18] ;
in der Parallelausführung Exe. 7 wird das Evangelium direct
Aporien im vierten Evangelium II 141
citiert. Aber grade hier weicht die jüngere Lehre von dem
Meister völlig ab, der den Aeon welcher dem späteren Movoysvrig
entsprach, UaxriQ nannte und Christus nicht vom Novg = Movo-
ysvrjg und der 'Akri^sia, sondern von der Sophia selbst emaniert
werden ließ [Iren. 1, 11, 1 = Epiphan. 31, 32]. Woher der Movo-
ysvrig der Aeonentafel stammt, mag auf sich beruhen bleiben.
Der Eifer mit dem die jüngeren Yalentinianer das vierte Evan-
gelium in ihre Speculationen hineinzogen, ist ein neues Anzeichen
dafür daß sie sich der Kirche accommodiren wollten: wie sie
früher mit der Kirche und gegen Markion an der Mehrzahl der
Synoptiker festgehalten hatten, so ließen sie sichs jetzt mit der
Kirche gern gefallen daß diese Zahl noch um eins vermehrt wurde.
Wenn in einem Schriftbeweis der älteren Yalentinianer das vierte
Evangelium fehlt, so kann der Grrund nicht der gewesen sein, daß
der Meister es nicht anerkannte : schwerlich würden in diesem
Falle seine Schüler sich solche Mühe mit seiner Deutung gegeben
haben. Valentinus hat es eben nicht gekannt, während es selbst
valentinianische Typologien voraussetzt. Also ist die letzte Be-
arbeitung die das Evangelium erst weiten Kreisen der Christen-
heit bekannt machte und es zuerst zu einer apostolischen Schrift
erhob, erst nach Valentinus erschienen, in einer Zeit in der ein
neues Evangelium schon apostolische Authentie sich zuschreiben
mußte um sich durchzusetzen. In einziger Weise verstattet die
Ueberlieferung hier einmal das Auftauchen einer kanonischen Schrift
zu verfolgen.
In der Passionsgeschichte des vierten Evangeliums findet sich
eine Correctur der synoptischen Berichte, für die kein plausibler
Grund vorzuliegen scheint: lesus trägt sein Kreuz selbst bis zum
Hinrichtungsplatz [19,17], während nach den Synoptikern der
Kyrenaeer Simon dazu gepreßt wird [Mc. 15,21. Mt. 27, 32. Lc. 23,
26]. Diese Tradition war von Basilides zu einer doketischen Spe-
culation benutzt^): nicht lesus, sondern Simon, dem lesus seine
Gestalt gegeben habe, sei in Wahrheit gekreuzigt, während lesus
als Simon den Kreuzigern zum Hohn dabei gestanden habe. Es
1) Epiphan. 24, 3 p. 70* ov%l 'Iriaovv cpccayicav Ttsnov&ivui, aXXcc Zl^covu rbv
KvQTivaLOv, iTtsidi^nsQ iv t&t, anb 'IsQoaoXvfiav rbv -kvqlov s-ußaXXsöd-aL, mg %«t
7} aKoXov&^a tov svayysXCov, rjyyccQSvadv tiva 2L(iava KvQrivaiov ßccatd^ca tbv
cxavQov . . . TiccL (priaiv insivov iv t&i ßaatcc^siv tbv otavgbv (isra(iOQ(paiyi£vca stg
xb Eccvtov stdog v.al eccvrbv stg rbv Zificovcc xat Scvrl savtov TCccQccdsSca'nsvaL Si-
ficovcc stg tb atavQcod"fivaL. s%sCvov ds aravQovfisvov sütt^tisl Karavti'HQvg aoQ<ztG>g
ö 'Ir}6ovg KCctaysXmv rä>v rbv Zlificova aravQovvtcov. Iren. 1, 24, 4. [Tert.] adv.
omn. haer. 1 p. 215,11 Kroym. Philastr. 32,6.
142 E. Schwartz
sieht zum mindesten sehr so aus als wenn die Umgestaltung der
Erzählung im vierten Evangelium diese Ketzereien ausdrücklich
abschneiden sollte: sie kann ohne Schwierigkeit dem letzten Be-
arbeiter zugewiesen werden. Die jüngeren Valentinianer haben
ihrerseits wiederum gegen Basileides das vierte Evangelium um-
gedeutet ^).
lustin nimmt dem vierten Evangelium gegenüber eine eigen-
tümliche Stellung ein. Daß die eine Stelle der Apologie [1, 61
p. 94*], die immer als ein Citat daraus angeführt wird, nichts be-
weist, ist schon oben [Nachr. 1907, 363] ausgeführt. Weil Johannes
der T. nur im vierten Evangelium [1, 20. 25] ausdrücklich ableugnet
der Messias zu sein, liegt die Versuchung nahe das Citat dial. 88
p. Slö*' auf es zurückzuführen: ovx si^l 6 Xgcötög, äXXä (pcovri
ßocbvtog ' 7]^ei yäg 9 löxvQOxaQog ^ov, ov ovx slyX [ycavog rä vtco-
Ö^iiata ßaötdöat. Aber jene Ableugnung steht auch Act. 13,25;
der zweite Teil des Spruches weicht von allen kanonischen Evan-
gelien ab, und die unmittelbar darauf folgende Einleitung des
Taufberichts, die lesus als Zimmermann vorführt, enthält Ueber-
lieferungen die nur in apokryphen Evangelien sich erhalten haben.
So wird man doch bedenklich, nur um der wenigen Worte ovx
SL^l 6 XQLöTÖg willen ein Citat des vierten Evangeliums anzusetzen.
Die Heilung des Blindgeborenen ist dem vierten Evangelium [9]
eigentümlich: im Plural wird sie von lustin zur Erklärung von
les. 35,5 erwähnt^). Stutzig macht nur, daß apol. 1,48 p. 84*^
1) Clem. exe. 42 6 aravQbg tov iv nXriQaiiaxL "Oqov arifislov eanv [anders
Valentinus, s. o.] • xaQi^si yäg tovg aTtCatovg x&v marcbv, mg iyiSLVog xhv tioü^ov
rov TtXriQoafiaTog. Sl^ o xal rcc anigfiata o'Irißovg 8iä xov arifiBLOv [^8id ist doppel-
sinnig : mit dem sinnlichen Kreuz zusammengestellt bezeichnet es das Werkzeug,
wenn es aber das symbolische Kreuz z='^OQog regiert, so steht es von dem Durch-
gang durch den '^Ogog in das Pleroma, vgl. 26] inl x&v atfucov ßacxäcag sladysi,
sCg xb nXr^Qufia (wftot yccQ xov anegfiaxog ö 'Iriaovg XsysxuL. yisqxxXi] ds 6 XQiaxog).
od-sv el'gi^xaL og ov% ccl'gsi. xov cxavgbv wöxov Hai äxoXov d" s C fioi^,
ov-K saxi fiov ScdsXffog [Mt. 10,38; &d£X(p6g = Mitglied der Gemeinde].
^Q£v oiv [nämlich xbv axavgdv^ xb a&(ia [als Subject zu nehmen, Bunsen hat
den Satz mißverstanden] xov 'Iriaov, otcsq o^oovaiov riv xf}i, 'ExxZrjfft'at. Mit
anderen Worten : die Kirche, der Leib lesu, ist die Trägerin der Erlösung ; hinter
dem mystischen Dampf steckt die Lehre der die Seligkeit verbürgenden Kirche.
2) Apol. 1, 22 p. 68b S [& cod.] Sh Xiyofisv jjoDlovff xal nagaXvxitiovg xal in
yBvBxfjs nriQOvg [novrigova cod., schon von Stephanus verbessert] vyistg ninoi,ri%ivaL
aixbv "Kai veiiQOvg &v£y£LQaiy Siiova roig vnb ^Aa-uXrjTtLOv yByevijad'aL Xsyofiivotg
xal xavxa qpaffxftv dd^OfiBv. dial. 69 p. 295<1 6 Xgiaxbg og . . . xovg in yBVBxfjg
xal nccxu xr]v aägna nriQOvg nal ncacpovg IdaaxOy^ xbv filv aXXso^ai,, xbv 8\ xal
ic-KOVBiv, xbv d\ xal bq&v xuii> X6yaii uirtov noi,rjaag.
Aporien im vierten Evangelium II 143
diese Erklärung der Propheten st eile nicht durch ein Citat der
'apostolischen Denkwürdigkeiten', sondern der Acta Pilati belegt
wird. Auf den ersten Blick könnte in dem Satz dial. 123 p. 353^
G)g ovv ocTtb tov ivbg 'laxcjß ixatvov xov aal ^löQariX iTCLxXrjd'svtog
TÖ Ttäv yivog v^av 7CQO07]yÖQSvro 'laxaß xal ^lögai^l, ovTCjg xal rj^etg
ccTcb tov ysvvr^Gavxog rj^iäg stg dsbv Xgiötov, ag xal laxhß xal löQaijX
xal 'iovda xal 7co6riq) xal ^avid [lauter Typen Christi nach lustin],
xal %'sov tsxva ah]d-tvä xaKov^sd^a xal iö^sv oC rag avxoXäg rof)
Xqlöxov (pvkd66ovx6g ^) eine Reminiscenz an 1 loh. 3, 1 [vgl. loh. 1,12]
zu stecken scheinen: l'dsxs Ttotajcriv äyditriv öedcjxev rj^tv 6 7tax7]Q,
Lva xexva ^£ov xkrjd^&^sv^ xal ißfiev: aber der Begriff der Grottes-
kindschaft beweist an und für sich nicht viel, um so weniger als
er an beiden Stellen verschieden aufgefaßt wird, und slvat wird
bei lustin auch sonst mit xaletöd'ai zusammengestellt; vgl. apol.
1 31 p. 73* vibv ^eov bvxa xal xexlruiivov. Die Juden wundern
sich bei ihm baß darüber daß er die Christen Kinder Gottes nennt:
er beruft sich in langer Auseinandersetzung^) auf Ps. 81,6. Den
citiert auch lesus im vierten Evangelium [10, 34], erklärt ihn aber
anders und giebt dem Baisonnement eine andere Spitze. Der be-
rühmte Vergleich lesu mit dem Weinstock [loh. 15, 1] erscheint
dial. 110 p. 337*' in so abweichender Form — lesus pflanzt den
Bebstock und das Schneiden der Beben ^) bedeutet die Martyrien — ,
daß deutlich wird wie lustin nur den unmittelbar vorher ange-
führten Psalmenvers [127, 3] zu Grunde legte und das Logion
ignorierte. Seine Gedanken streifen das vierte Evangelium oft
genug ; um so mehr wundert man sich daß er es nie citiert, wäh-
1) Vgl. Herakleon bei Orig. in lo. 20, 215 tQi%a)g Ssl ayiovst-v tfig y.uTcc
ti-Ava övoficiOLCcg, Ttg&tov cpvGSL, Ssvteqov yvm^riLf tqlxov a^Cai . v.a.i (pvGsi fisv . .
yvm^riL ds ota rb d'sXri^d tig itoi&v xivog dicc xriv icivtov yvmnr]v xb'A,vov £v,bCvov
ov TtOLBi xb d'eXriuay ytalsitccL -nxl.
2) Er berührt dabei eine Differenz des jüdischen Textes von der LXX,
trotzdem steht in der üeberlieferung die Stelle beidemal gleichlautend: die Juden
sollen lesen [p. 353^] vyieig de ms ccvd-QcoTtOL ccTtoQ^vriiGv.Bxs yial mg stg x&v äQ%6v-
xav TtLTtxsxSf die LXX dagegen tdov dij mg avQ-Qmitoi ccTtod'v^Lö'nsxs aal mg slg
xmv ScQxovxmv niitxExe. Mit Maranus Einfall an der ersteren Stelle uv%'Q(onog
zu lesen, wird nichts gebessert; aus dem Zusammenhang des Folgenden scheint
mir hervorzugehen daß in dem 'jüdischen' Text xai mg elg xmv ccQxovxmv itCnxsxs
fehlte. Es steht allerdings im masorethischen Text, aber der 'jüdische' Text
Justins ist. eben nicht der hebraeische, sondern eine von der LXX verschiedene
Version, keinenfalls Aquila.
3) 15, 2 v.al Ttäv xb yiagnbv cpBQOv, v.aQ'aCQSi avxo, i'vcc -AccQitbv TtXsLOva cpsgriL
geht auf die Taufe, der folgende Vers rechtfertigt daß die Apostel nicht getauft
sind, vgl. Nachr. 1907,345.
144 E. Schwartz
rend ihm doch, wie sein Citat der Apokalypse verräth^), die apo-
stolische Authentie imponiert haben und eine willkommene Stütze
seiner Polemik gegen die Juden gewesen sein müßte : der Vorwurf ]
den er den Juden macht [dial. 14 p. 231^] v^elg navta 6ttQXLXG>$
vEvoYJxate, kehrt ja im Evangelium wieder [8,15]; vgl. auch 136
p. 366*' mit 5, 23. 46. Er unternimmt den Schriftbeweis daß Christus
der praehistorische Logos ist [dial. 61 p. 284*] : ^agtvQiov . . .
v^iv . . . anb tav ygatpSiv daöca ort ap%i^v TtQO Ttdvxtov xg3V xttö-
ftaroi' 6 dsbg ysyevvTjics övva^LV riva £| savxov XoyiXT^v, führt ihn
aber ausschließlich aus Prov. 8 [p. 284<'ff.] ^j und belegt aus den
^apostolischen Denkwürdigkeiten', d. h. den Evangelien, nur den
Ausdruck vibg d^eov [100 p. 327^]: aal vCbv d'sov y ey Quii^isrov
avxbv iv rotg aTto^vri^ovsv^aöt xcov ocjtoexöXcov avxov £%ovxsg xal
vibv avxbv Xeyovxsg, vsvorjxa ^sv ovxa xal Jtgb Tcdvxav TCOLrj^axcsv,
ditb xov TtaxQbg dvvd^sL avxov xal ßovXr]i TtgosXd'ovxa. Der Beweis
ist für ihn noch nicht durch ein kanonisches Evangelium fest-
gelegt, so daß er ihn als ein freies Lehrstück ansieht, das allen-
falls entbehrt werden kann [dial. 48 p. 267*^] : i]dri ^evxol . . ovx
djtoXkvxai xb xovxov elvai Xgiöxbv xov ^eov^ sdv ditodEii^aL ^ij dv-
vcj^aL ort xal TCQovjcfJQXSv vibg xov Jtoirjxov xcbv oXov xtsbg hv xal
yayivvrixai dvd^QGinog dtä xrig jiagd-svov. Für die Typologie mit
der er gegen die Juden streitet, ist die eherne Schlange am Kreuz
ein sehr beliebtes Paradigma [Apol. 1, 60 p. 93*. dial. 91 p. 319*.
94 p. 324^. 112 p. 339*. 131 p. 361*] : daß Jesus im vierten Evan-
gelium diese Auslegung sanctionirt [3, 14], wird nie erwähnt. Die
Sabbathfeier der Juden wird 29 p. 246« [vgl. 23 p. 241*] mit dem
1) Dial. 81 p. 308» Mal Ttag* rjfiCv &vriQ tig, ai övofia 'ladvvris, slg x&v
icnoaroXav xov Xqlcxov, iv ccTto-KaXvipsv ysvo^ivrii avx&i %ilia ixr\ noiriGELV iv
'IsQovaaXi](i xovg x&i rjfisx^QcoL Xqigx&i [im Gegensatz zum Messias der Juden]
niaxBvGuvxag nQoscpritsvGS [Apoc. 20, 4if.]. Das mit Aplomb eingeführte Citat
zielt gegen die nichtgnostischen Christen die den Chiliasmus leugnen [80 p. 306c].
2) Ebenso dial. 129 p. 359^ ; vgl. auch noch apol. 2, 6 p. 44^. Die Stellen
sind darum so wichtig, weil sie beweisen daß die Logosspeculation nicht durch
das vierte Evangelium aufgekommen ist ; der Aeon Logos bei Valentinus braucht
also nicht daher zu stammen. Apol. 1, 46 p. 83« xbv Xqlöxöv . . . nQosiirivvoafisv
Xoyov övxa ov n&v ysvog Scvd'Qdincov (iBxiaxs [vgl. 2, 8 p. 46c Si^ tb ^fiqyuxov
Tcavxl yivBi &v^Q6)7t(ov cniQfia xoü X6yov. 10. 13 p. 51c] sichert die altkirchliche
Auffassung von lo. 1,9 gegen die moderne sprachwidrige Interpunction, aber die
Stellen treffen nur danfm zusammen, weil sie aus derselben Anschauung heraus
geschrieben sind. So ist es auch aufzufassen, wenn dial. 32 p. 249^ und loh.
12,34 dieselbe Aporie von den Juden aufgeworfen wird; 12,37—41 sind im
Ton kaum vom Dialog mit Tryphon verschieden. Vgl. auch 38 p. 256c mit
loh. 8, 56 ff:
Aporien im vierten Evangelium 11 145
gleichen Beweis widerlegt wie loh. 5, 17 : 6 d'sbg x'^v avxiiv dioi-
xfjöLv Tov x66^ov 6^0L(og xal sv tavtrii rtjt '^^eQav tcs itoCvitaL Tcad'diteQ
Kai SV tatg alXaig ccTcdöaLg. Noch frappanter ist die Aehnlichkeit
des Arguments von der Beschneidung am Sabbat zwischen dial. 27
p. 245* und loh. 7, 22 : ist es wahrscheinlich daß lustin an dem
lesus des vierten Evangeliums ein Plagiat verübte statt sich auf
seine Autorität zu berufen? Er hat gelesen daß lesus die Juden
widerlegt, die 'nicht wissen was Vater und was Sohn ist' [apol. 1,
63 p. 95^. 96^], hier wenigstens erwartet man einen Hinweis auf
die langen Eeden des vierten Evangeliums : aber es wird nur
Mt. 11, 27 angeführt. Sollte ein christlicher Lehrer, der das vierte
Evangelium für die Aufzeichnungen eines directen Jüngers, ja des
Lieblingsjüngers hält, haben schreiben können [apol. 1,14 p. 61^];
ßQaxetg ds xal övvto^oi, JtaQ avtov koyoi ysyövaöLV?
Da lustin die Apokalypse als Werk des Johannes kennt, diese
aber das auf den Apostel gestellte Evangelium voraussetzt, so
kann er nicht darum von ihm geschwiegen haben, weil es zu
seiner Zeit noch nicht existirte. Es ist auch schwer auszudenken
daß er es nicht gekannt hätte, da ihm doch die Apokalypse in
die Hände gefallen war, und so muß schon angenommen werden,
daß er es nicht als authentisch anerkannte. Er schrieb und lehrte
in Rom; der römische Presbyter Graius bestritt die Authentie so-
wohl des Evangeliums wie der Apokalypse; die Differenz mit
lustin erklärt sich daraus daß dieser dem Chiliasmus huldigte,
Graius nicht [Eus. KGr 3, 28, 2]. In Rom ist das Conglomerat von
Offenbarungen und Kirchenordnungen entstanden, das als Hirte
des Hermas überliefert ist: in ihm wird das vierte Evangelium
nie citiert^). Erst in der Greneration unmittelbar nach lustin
drang das Evangelium, das in Kleinasien von den Christen von
Anfang an enthusiastisch aufgenommen war, auch im Westen
durch: die Bischofskirche, die Valentinianer und die Phryger be-
1) Von allgemeinen Anklängen abgesehen, die nichts beweisen, kann höchstens
Sim. 9, 12, 3 als Parallele zu loh. 10, 9 in Frage kommen : ort in' iaxoircov x&v
rjfiSQ&v zfjg avvtsXsCccg cpccvSQog iyivEto, Slcc xovxo v,aivr\ iysvsro 7} nvlri^ l'va ot
(liXXovtsg ümL^EGd'aL öl avxfig slg xr}v ßaGLlsLCcv stösX&coGv xov &sov. Aber das Bild
von der Thür braucht nicht aus dem vierten Evangelium entlehnt zu sein, be-
sonders wenn der Vergleich mit der Hürde fehlt. Der Spruch Sim. 9, 12, 4 etg
triv ßccöLXstav xov d'sov ovSelg stösXsvösxcci,, st ju-tj Xccßoi x6 övo^a xov vlov avxov
[ähnlich Sim. 9, 12, 5. 8] hängt mit dem Taufritual zusammen, vgl. Sim. 9, 16, 2
&voiyKriv stxov dt vSccxog avcißfjvaL l'vcc ^coo7COLr}d'&6LV' o-ßx rjdvvavto yccQ aXXcog
BlasXd'stv sig xrjv ßaeiXs^av xov &sov, st iii] xriv vmQcaaiv ccnsd'svto xf]g ^(ofjs avx&v
und meine Bemerkungen [Nachr. 1907, 363] über lustin. Apol. 1, 61 p. 94».
Egl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 1. 10
146 E. Schwartz
mühten sich nun um die Wette es ihren Zwecken dienstbar zu
machen. Nur das eine gelang ihm nicht, die alte Mannigfaltigkeit
der Evangelien zu ersetzen und die Synoptiker zu verdrängen:
die instinctive Politik der zusammenwachsenden Kirche vermied
es auch in diesem Falle, wie in den meisten anderen, die Gregen-
sätze durch eine streng principielle Lösung zu entfernen, sondern
zog es vor das Alte zu schonen und das Neue nicht abzuweisen,
damit der Grlaube im Ignorieren des Widerspruchs die complexio
oppositorum lerne, ohne die Religionen die sich dogmatisieren, nie
fertig werden.
Nach der Zeit in der lustins Schriften abgefaßt sind, wurden
schon in der vorigen Mittheilung [Nachr. 1907, 369] als der ter-
minus ante quem für das auf den Apostel Johannes gestellte Evan-
glium die fünfziger Jahre des zweiten Jahrhunderts bestimmt.
In der Zeit lustins war die Verfluchung der Christen nach dem
Gebet officieller Grebrauch der Synagoge geworden ^) : darauf wird
an drei Stellen des Evangeliums ^) angespielt, die jungen Ursprungs
1) Dial. 16 p. 234^ xara^üb/xfvot iv rat? cvvayayaig vfi&v rovg TtLGvsvovtccs
knl rbv Xqi6x6v. 47 p. 266<i rovs iv ratg Gvvayayccig Y.axavaQ'syLatCGavxag xat
Ticctccvccd'S^atL^ovtag tovg in' avtbv xovxov xbv Xqloxov moxsvovxag. 93 p. 321c.
95 p. 323t. 96 p. 323c. 108 p. 335«l. 133 p. 363c. 137 p. 366.^ ^irids ^ccgiaaCoig nu-
&6^svoi didaö'm.Xoig xbv ßaailia xov 'logariX iTtLöKmiprixE Ttoxs, bnoLcc didda-KOvöiv
Ol aQ%iavvdyo3yoi vfi&v (isxä x7]v 7tQ06Evx7]v. 39 p. 258«. Aus dieser jüdischen
Ordnung ist die Sage entwickelt daß die Hohepriester nach lesu Auferstehung
durch Boten die sie in die Diaspora sandten, die neue Secte verleumdet hätten:
dial. 17 p. 234e. 108 p. 335c. 117 p. 345a. Die wirkliche Antwort der christ-
lichen Gemeinden auf die Flüche der Rahhiner waren die Fastengebete beim
christlichen Pascha für die irrenden 'Brüder aus dem Volke', vgl. Abhdlg. VIII 6,
109 f. 115.
2) Die Weissagung 16, 2 steht schon an und für sich in dem jungen Teil
der Abschiedsreden, ist aber auch in ihn erst eingeschaltet nach Mt. 24, 10. Denn
16, 4 schließt xavxcc Sl v^itv nicht an, und 16, 2 setzt nach 16, 1 neu ein. 12, 42
Oficog fiivxoL y,al iv, xwv Scqxovxcov noXXol inlaxBvaav dg avxov, &XXct. Slcc xovg
^aQLGCcCovg ov% djfioXoyovv, l'va iii] 6c7C06vvdyoiyoL yevcavTat. ijyccnriaccv yäg xijv
do^av x&v icvQ'Q&'Jtoiv (laXXov r/'-fp xr}v do^av xov dsov ist unmittelbar nach dem
Predigtstück 12, 37 — 41 und vor einer brüsk einsetzenden Rede lesu eingeschaltet.
Die dritte Stelle stammt aus der Erzählung vom Blindgeborenen [9, 22, 23] : xavxa
sItcov ot yovevg uvxov, oxv icpoßovvxo xovg ^lovSaCovg' i]dri yccg GvvExiQ-eivxo ot
'lovdatoi Tva idv xig aixbv öiioXoyrJGrii Xqigx6v [d. h. sich zum Christentum be-
kenne], änoGvvdymyog y^vr\xai' Siu xo^xo ot yoveig ccbxov elnccv oxi TjXt'Kiav ^x^tj
aixbv iTCBQcox'^Guxs. Die Motivierung sagt zu viel: es war doch kein Bekenntnis
zum Christentum, wenn die Eltern sagten daß lesus ihren Sohn geheilt hätte.
So wird sie ein Zusatz sein, wie anderes in der Erzählung auch; das doppelte
Verhör, die gelegentliche, nicht cousc(iuent durchgeführte Erwähnung des Sabbats
Aporien im vierten Evangelium II 147
sein dürften. Es läßt sich nicht mit Bestimmtheit beweisen, ist
aber nicht unwahrscheinlich, daß der jüdische Haß erst nach der
Katastrophe des hadrianischen Kriegs sich zu einer rituellen,
feierlichen und allgemeinen Form verdichtet hat: die Gründung
Aelias und das Verbot die Stätte, auf der Jerusalem gestanden
hatte, zu betreten hat die Sonderentwickelung des Judentums er-
heblich stärker gefördert als die Zerstörung des Tempels, die die
enthusiastischen Hoffnungen fast mehr steigerte als vernichtete :
im Jahre 70 trauerten die Christen noch mit den Juden, den ha-
drianischen Vernichtungskrieg beklagen sie nicht mehr; ja die
Vermutung Jülichers [Einleitung 385] ist gar nicht unwahrschein-
lich, daß der nur lose im Context hängende Spruch loh. 5, 43 syc)
il7]Xvd'a iv tG)L ovö^atL toi) TCatQÖg ^ov aal ov Xa^ßdvers ^s ' iäv
ccXXog sX&rjL iv röt ovö^art xcbi IdCai, ixeivov ^iq^^söd'E auf Barkochba
zielt, der die Christen, deren er habhaft werden konnte, hinrichten
ließi).
Jedenfalls wird die letzte Ausgabe des Evangeliums nicht er-
heblich vor 140 gesetzt werden können, wenn die Spuren der Po-
lemik gegen Basilides und Valentin richtig gedeutet sind. Die ein-
zig brauchbare Angabe über deren Zeit steht bei Clemens [ström.
7, 107 vgl. Abhdlg. VII, 5, 21] : MaQxccov xarä x^v avxriv avxotg
[Basilides und Valentin] riXcmav ysvö^svog cog TtQsößvxrjg vscoxEQocg
6vvEyivExo : die valentinianische Gnosis ist nur als Gegensatz gegen
Markion verständlich. Dieser war, als lustin die Apologie schrieb,
also um 150, noch am Leben, hatte aber seine Kirche schon ge-
gründet [apol. 1, 26. 58] ; Valentinianer und Basileidianer werden
in dem nur wenige Jahre späteren Dialog [35 p. 253**] erwähnt,
in der Apologie übergangen, weil dort [1, 26 p. 70°] auf das Werk
Kaxä Tcaö&v xcbv aCgEöEav verwiesen wird. Wer Markions Haupt-
wirksamkeit in den Anfang von Hadrians Regierung, Basilides
und Valentin an das Ende dieser und in die ersten Jahre An-
[9, 14. 16], der Wechsel von ^aqiGatoi [9, 14—16] und 'lovSatoC [9, 18], der das
Subject von 9,24 unbestimmt macht, all das spricht dafür daß 9, 13— 17 eingelegt
sind; 27 bezieht sich auf 11. Uebrigens stehen 9,22 und 12,42 streng genommen
zu der Weissagung im Widerspruch, und wenn man darüber hinwegsehen kann,
so bleibt doch zu beachten daß die beiden erzählenden Stellen das Judentum der
Synagoge in die Zeit Jesu und nach Jerusalem verlegen, wo doch der Tempel
und nicht die Synagoge der Mittelpunkt war.
1) lustin. apol. 1, 31 p. 72e. Auf Barkochba geht auch vielleicht die Pro-
phezeihung 16, 2 ccXX ^%stcci mga l'va n&g 6 ccTtoY.xsCvas v[i&g do^rii Xatgsiccv
nqoacpbquv tön ^siöL, die auf heidnische Verfolgungen nicht paßt.
j[48 ^- Schwartz, Aporien im vierten Evangelium 11
tonins setzt, wird nicht weit am Richtigen vorbeigehn. Im letzten
Grunde hatten also die Tübinger gar nicht so Unrecht, wenn sie
das vierte Evangelium bis in die Mitte des zweiten Jahrhunderts
hinabrückten ; erst damals hat es seine abschließende Gestalt er-
halten und erst nach 160 äußert es in und außer der Kirche seine
Wirkungen, dann allerdings kräftig und nach allen Seiten hin.
Nur darf der gesammte Inhalt des Evangeliums keinenfalls so
spät gesetzt werden; es ist ein aus mannigfaltigen Bestandteilen
zusammengefügtes und zusammengeklittertes Buch, wie die er-
zählenden Bücher der altisraelitischen Litteratur auch, eine Par-
allele die alle beherzigen sollten, welche mit unlogischen Argu-
menten und schlaffer Interpretation die unrettbar verlorene Einheit
aufrechtzuerhalten bestrebt sind und bestrebt zu sein nicht auf-
hören wollen.
Aporien im vierten Evang-elium
III
Von
E. Scliwartz
Vorgelegt in der Sitzung vom 22. Februar 1908
Die Erfindung der drei Festreisen lesu, die das vierte Evan-
gelinm mit solcher Bestimmtheit von den Synoptikern scheidet,
daß jede Harmonistik unmöglich wird, ist in der früheren Mit-
teilung als ein secundäres, dem ursprünglichen Evangelium fremdes
Product antignostischer Polemik nachgewiesen. Wenn der Rahmen
unecht ist, braucht das Bild noch nicht condemniert zu werden j
die Erzählungen können an und für sich zum ursprünglichen Be-
stand gehören, auch wenn sie in eine falsche Chronologie gestellt
sind. Hängen freilich eine Festreise und das was während ihr
geschieht, so fest zusammen wie die erste mit der Tempelreinigung,
dann muß beides, der chronologische Rahmen und die Geschichte,
fallen, um so mehr als die Tempelreinigung aus den Synoptikern
auf mechanische Weise transponiert ist. Daß das Gespräch mit
Nikodemus überarbeitet ist, wurde für den ersten Teil, in dem
wenigstens die Gesprächsform noch festgehalten wird, schon ge-
zeigt [Nachr. 1907, 363]. Nach der zweiten verwunderten Frage
TCcbg dvvatai xavra yBviöd-ai [3, 9] verschwindet der nächtliche Be-
sucher, als habe er sich in Rauch aufgelöst, um 7, 50. 19, 39 als
verschämter Anhänger lesu in Jerusalem wieder aufzutauchen.
Dies Versanden der Erzählung macht es einerseits unmöglich zu
erschließen wohin das Gespräch ursprünglich gehört, und würde
andererseits zum Nachweis genügen, daß der zweite Teil des Ge-
spräches [3, 10 — 21J nicht intakt geblieben sein kann , auch wenn
dies nicht aus dem Inhalt der Rede lesu — ein Gespräch ist es
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-hiator. Klasse 1908. Heft 2. H
150 E. Schwartz
nicht mehr — ohne Weiteres feststände. Die Rede enthält vieles
was im Mnnde lesu sich seltsam ausnimmt, aber sofort verständ-
lich wird, wenn es in die Predigt eines christlichen Lehrers über
lesus eingesetzt wird. Gleich im Anfang [3, 11] («fii^v a/Ln)i/ Af'yo
60L ort) o oüda^sv, XaXovfiev xcd o ioQoixa^sv, ficcQtvQOviiev xal t^v
liUQXvQCav ij^G)v ov Xa^ßdvets ist das 'Wir' ein böser Stein des
Anstoßes. lesus bezeichnet sich selbst nie mit dem s. g. Pluralis
der Majestät oder gar des Schriftstellers [vgl. Nachr. 1907, 367],
und kann doch nur sich selbst meinen [vgl. 3, 32. 8, 38], nicht etwa
die Jünger mit einschließen. Denn wenn er behauptet von dem
zu zeugen, was er weiß und gesehen hat, so kann er nur an das
denken was er 'im Schoß des Vaters' [1, 18] erfahren hat, und er
allein: nur er ist der eingeborene Sohn. Spricht aber ein christ-
licher Missionar oder ein Jünger lesu, dann schiebt sich alles zu-
recht : man braucht nur den Anfang des ersten lohannesbriefes zu
vergleichen. Ein solcher kann auch sagen [3, 13] ovdslg avaßeßrixsv
eCg xov ovgavöv [vgl. 6, 62], ei nij 6 ix roi) ovgavov xarccßdg, 6 vtbg
tov dvd^Qajcov: Jesus selbst kann seine Himmelfahrt allenfalls
prophezeihen, aber nicht im Perfectum als vergangen behandeln,
ehe sie stattgefunden hat, und den Spruch nicht von der Himmel-
fahrt zu verstehen ist nur möglich durch gewaltsame Verdrehung
des Wortlauts. Im Folgenden ist der Text durch Parallelfassungen
erweitert. V. 14. 15 hat wörtlich den gleichen Schluß wie Vs.
16 und ebenso sind V. 18 und 19 Formulierungen desselben Ge-
dankens, die sich gegenseitig stören : denn einmal ist das Gericht
durch den Unglauben am Einzelnen schon vollzogen [vgl. 5, 24 =
1 loh. 3, 14], das andere Mal besteht das Gericht darin daß lesus,
als er in die Welt kam, bei den Meisten keinen Glauben fand
[vgl. 1, 11. 16, 8 — 11]. Gemeinsam aber ist dem gesammten Rai-
sonnement, daß ebenso wie Vs. 13 die Himmelfahrt, fast durchweg
das Wirken und Leiden lesu als etwas Vergangenes hingestellt
wird, wie schon die Praeterita und Perfecta [16 idcoxsv, 19 iXi^-
kv&Ev . , xal riydiCTjöav, ^v\ verraten. Vs. 14 wird allerdings von
diesem Vorwurf nicht getroffen; immerhin muß man darüber er-
staunen daß Jesus am Anfang seiner Wirksamkeit seinen eigenen
Tod am Kreuz auf einen Typus des A. T. zurückführt, beiläufig
in so nachlässiger Form, daß nur ein dogmatisch gebildeter Christ
das simple v^co^rivai, verstehen *) . kann : wie scharf und wuchtig
heben sich bei den Synoptikern [Mc. 8, 31. Mt. 16, 21. Lc. 9, 22]
1) Das aramaeische D'^'^Ä tödten (Wellhausen Ev. Lc. 46) kann nicht darin
stecken; dann müßte &Q&^vai dastehn.
Aporien im vierten Evangelium III 151
die Todesweissagungen heraus ! Endlich ist es unerhört, daß lesus
sich selbst mit tö (pcbg in periphrastischer Rede bezeichnet ^). Setzt
man aber das Granze um in eine Predigt die erweisen will daß
trotz der Kreuzigung lesus . der Messias und der vom Himmel
herabgestiegene Sohn Gottes ist, so erhält alles einen vernünftigen
Zusammenhang, ja es ist nicht einmal eine triviale Predigt die
herauskommt; denn die Art wie der jüdische Einwand daß der
Messias als Richter kommen müsse und lesus das nicht gewesen
sei, dadurch widerlegt wird, daß die historische Erscheinung in
alttestamentlicher Manier als ein Grericht das die Greister scheidet,
aufgefaßt wird, ist allerdings sehr eigentümlich. So räthselhaft
1) Bei den Synoptikern ist 6 vihs to-D av^gconov eine zwar nicht authen-
tische, aber doch alte und häufige Selbstbezeichnung lesu; 6 vtdg ist selten [Mt.
11,27 = Lc. 10,22. — Mc. 13,32]. Jene findet sich im vierten Evangelium oft:
3, 13. 8, 28 (12, 34 wird sie sonderbarer Weise von der 'Menge' vorausgesetzt, ob-
gleich lesus sie ihr gegenüber vorher nicht gebraucht hat). 6, 27. 53. 62. 12, 23.
13,31; außer 6,27 spricht lesus stets von seinem Tode. 'O vtog bezeichnet den
von sich redenden lesus 3, 17. 6, 40. 14, 13 ; 5, 19—23. 26 steht unmittelbar
daneben [5, 24. 30 ff.] sonderbarer Weise die erste Person. 8, 36 ist einge-
schoben; denn hier ist 6 vio? Selbstbezeichnung, während es 8, 35 der einfache
Gegensatz zu 6 dovXog und ein Bild für die Gläubigen sein soll. In dem feierlichen
Gebet lesu 17, 1 wechseln 6ov tbv vtov und 6 vtog: da nennt er sich auch selbst
mit dem vollen Namen des christlichen Bekenntnisses ov aniatsiXccg 'Irioovv Xql-
Gxov \Xql6x6v ohne Artikel!]. Die Formel 6 vibs tov d'sov brauchen die Synop-
tiker nur in Bekenntnissen, so in dem des Petrus Mt. 16, 16 [kürzer und ohne
6 vLog Mc. 8, 29. Lc. 9, 20] oder nach dem Wunder auf dem See Mt. 14, 33. Dem
steht gleich, wenn der Hohepriester beim Verhör Jesus fragt av sl 6 XQLötbg 6
vtbg tov svXoyritov [Mc. 14,61. Mt. 26,63; vgl. 27,40.43. Lc. 22,70], oder der
Teufel bei der Versuchung den Beweis dafür verlangt [Mt. 4, 3. 6. Lc. 4, 3. 9] ;
die Daemonen reden ihn widerwillig so an [Mc. 3,11 = Lc. 4,41. Mc. 5, 7 =
Mt. 8, 29 = Lc. 8, 28]. Es scheint beachtenswert daß bei Marcus dies Praedikat
lesus nur von Feinden, nämlich vom Hohenpriester und den Daemonen gegeben
wird; bei Matthaeus und Lucas ist es schon Bestandteil einer Glaubensformel ge-
worden, erscheint aber nur an Stellen in denen das deutlich hervortritt. In diesem
Sinne kommt es auch im vierten Evangelium vor : 1, 34 [mit der alten Variante
6 itiXE'iitdg']. 49. 11,27 wo Martha ein christliches Glaubensbekenntnis ablegt, 20,
31 [tvcc 7t LGTEVTiTS OTL 'lijffo-ög iüTLV 6 XQißtbg 6 vibg tov -O-foü]; ebenso
1 loh. 4, 15. 5, 5. 10. 20. loh. 19, 7 ist nach den Synoptikern gemacht, vgl. Nachr.
1907, 358 ; 10, 36 gehört in den gleichen Zusammenhang. Man sieht wie un-
passend 3, 18 lesus die Formel des Bekenntnisses zu ihm selbst in den Mund ge-
legt wird ; 5, 25 steht in unversöhnlichem Widerspruch zu 5, 24 und ist ebenso
wie 5, 22. 23. 27—29 [vgl. Wellhausen S. 13] ein Versuch die gewöhnliche Vor-
stellung vom jüngsten Gericht dem Evangelium anfzuoctroyiren. Auch tbv vCbv
tbv ^ovoyEvij 3, 16 [vgl. 3, 18] und 6 mv nagä tov Q-eov 6, 46 sind singulare
Selbstbezeichnungen; der zuletzt angeführte Vers ist eine Randglosse, die den
Widerspruch zwischen 6, 45 und 1, 18 hinauscorrigieren soll.
11*
152 E- Schwartz
es etscheinen mag, daß Fetzen einer solclien Predigt sich in das
Evangelium verloren haben, so ist es doch nicht nur an dieser
Stelle vorgekommen. 12, 37 — 41 ist ein ähnliches Stück mit diesmal
sehr trivialem Inhalt in die Erzählung eingelegt; daß in dieser
Weise ein Evangelist aus der Rolle des Erzählers in die des
Lehrers fällt, der mit dem A. T. raisonnirend operiert, ist eben-
falls singulär. Endlich hat man sich schon längst über die Rede
des Täufers gewundert, der zuerst zwar noch sich selbst mit lesus
vergleicht, dann aber, von 3, 31 ab, genau so redet, als sei er in
alle Mysterien der Lehre vom Vater und vom Sohn eingeweiht.
Allen diesen Stücken gemeinsam ist, daß die Situation in die sie
hineingestellt sind, gänzlich ignoriert wird, auch 12, 37, wo ob-
gleich keine Wunder erzählt sind, doch mit den Worten einge-
setzt wird roöavta de a'bzov örjfiela TCSTtocrjxötog.
Durch die predigende Einlage ist das Nikodemusgespräch zer-
stört und seines alten Schlusses beraubt ; der Torso läßt sich nicht
mehr einfügen. Die zweite Festreise ist an die Geschichte von
der Heilung des Kranken am 'Teich Bethesda' geknüpft; sie ge-
hört zu den Stücken des vierten Evangeliums, die immer schwie-
riger werden, je mehr man sich in sie vertieft. Es ist überflüssig
daß Jesus fragt [5, 6] d-skscg vyirjg yevia&aL , wenn die Kranken
darum in den Hallen liegen, um zur rechten Zeit die Heilkraft
des Wassers zu benutzen; und was der Kranke antwortet, bedarf
sehr der Erklärung; Vs. 4, der durch die lieber lieferung als ein
Zusatz erwiesen wird, verrät daß man schon früh etwas vermißte.
Man soll aus Vs. 7 erschließen daß immer nur einer in dem unruhig
gewordenen Wasser Heilung findet: dafür müßte ein Grund an-
gegeben werden. Für die Heilung durch lesus bedeutet die Wunder-
kraft des Teiches nichts, und wenn der ganze Apparat einmal auf-
geboten wurde, so sollte man wenigstens erwarten daß er Jesus
den Anlaß zu einer Rede bot: dieser aber verliert kein Wort
darüber. Es giebt eine intermittirende Quelle außerhalb Jerusalems
an der Ostseite, die im A. T. Gi;toii, jetzt Marienquelle heißt und
durch den berühmten, auf König Hiskia zurückgeführten unter-
irdischen Tunnel mit dem Teich Siloah zusammenhängt. Vs. 7
läßt sich auf sie beziehen, aber nicht die Ortsangabe in Vs. 2.
Der 'hebraeische' Name des Bassins ist verschieden überliefert.
Für Bethesda treten die Syrer ein mit l^sxij^ Ä^^a, von den Griechen
nur der Alexandrinus und geringere Hss. ; der Verdacht liegt nahe,
daß das 'Haus der Barmherzigkeit' ein Versuch der Aramaeer ist
einen in der griechischen Transscription unverständlichen Namen
durchsichtig zu machen und daß dieser Versuch in die griechischen
Aporien im vierten Evangelium in 153
Hss. eindrang. Der Sinaiticns und Eusebius [Onom. 58, 21] lesen
Brj^^a^a oder Brj^ad^a, was dasselbe ist; aucb BsXied-a d. i. Bsd^s&a
in D ist nicht wesentlich verschieden, und Bij^öaiöa im Yaticanus
und bei Hieronymus in der Uebersetzung des Eusebius dürfte eine
zweite aramaeische Verdeutlichung neben Br^d-eöda sein. Mit dem
Hügel Bsie^a^) bei los. BI 5, 149. 151.246 kann der Name nichts zu
tun haben; es ist außerdem sehr unwahrscheinlich, daß man sich ge-
rade den besonders hohen Hügel zur Anlage eines Schwimmbassins
aussuchte. So wenig sich Brid^^ad'a erklären läßt , im ersten Teil
ist Vr>2 nicht zu verkennen. Natürlich kann mit dem bei den Se-
miten ungemein beliebten Wort eine Eallenanlage bezeichnet
werden, die ein Bassin in sich schließt; wenn das aber umgedreht
wird und der Teich 'Haus' heißen soll, so leuchtet das weniger
ein. Es ist auch gar nicht sicher, ob der 'hebraeische' Name
wirklich auf das Bassin zu beziehen ist. Im Sinaiticus stand ur-
sprünglich sott ÖS SV Totg ^l£Q06oXv^OLg TCQoßatixrj xoXv^ßrjd-Qa rö
Xsyo^svov [dafür gewöhnlich ri Xsyoiiavr] oder X.syo^svri] ^Eßgaiötl
Brid-^ad-a, nivta axoäg £%ov6a. Im Wesentlichen muß Euseb das-
selbe gelesen haben ^). Er [Onom. a. a. 0.] berichtet daß man zu
seiner Zeit in Jerusalem einen Tümpel zeigte, dessen Wasser auf-
fallend rot aussah; man erzählte, das käme von den Schafen die
früher dort geopfert seien. Diese jCQoßartxrj xolv^ßtjd^Qa wurde
mit Brjd-^ad^a identificiert; die fünf Hallen waren freilich nicht mehr
da: Brj^ad^a JcoXv(iß7]d'Qa iv 'IsQovöaXyj^, i]tig söxlv t] TtQoßatLKr], rö
itaXaiov 8 6Toäg siovöa. Es ist leicht zu sehen daß weder die
Lesung noch die Localisierung richtig sein kann: eine Ansammlung
von Eegenwasser dessen Farbe alles andere als einladend war, ist
kein 'Bassin', in dem man untertauchen kann, um das 'Aufrühren'
des Wassers einmal ganz bei Seite zu lassen, und der doppelte
Name, der nicht auf Uebersetzung beruhen kann, erregt von vorn
herein Verdacht. Der Vaticanus schiebt nach 'IsQoöokvfioLg ein
STtl T^t: dann wird jiQoßatLxrjt xokv^ßrid-QaL Dativ. Das ist vor-
trefflich, wenn man ro Xsyo^svov aus dem Sinaiticus aufnehmen
und das Feminimum exovöä in sxov umsetzen "darf: dann kommt
der in sich richtige Sinn heraus, daß Brjd-^ad^a die Hallenanlage
neben 'dem Schafteich' bedeutet. Das falsche Grenus des Particips
1) losephus bezieht den Namen ausdrücklich auf den Hügel nördlich der
Antonia: 5,149 Xocpov og ^aXsLtca Bs^sd'cc , 246 17 Bs^ad'a l6(pog. Zugleich be-
zeichnet er damit das auf dem Hügel liegende Quartier und behauptet [5, 151],
das Wort hieße ytaivt} noXtg (hebraeisch baji-O- ;täö'äs, syrisch bai^ä ^a-O-ä).
2) Wie es scheint, auch Kyrill von Jerusalem [homil. in paralyt. 2]; doch
ist die Stelle unsicher überliefert.
154 E. Schwartz
entstand dadurch daß man den Namen auf den Teich bezog und
xoXv^ßTl&Qtt in den Nominativ setzte. Dadurch wurde snl rrji,
TtQoßatLxiji unverständlich, denn icvXrjL kann nicht ergänzt werden.
Mit SV XYii TCQoßatLxrjL in N*^DA ist gar nichts anzufangen, ii tcqo-
ßatiXT] kann doch nicht eine Oertlichkeit bezeichnen. Die Lesung
einiger Lateiner in inferiore parte (der Stadt) ist wohl nur ein
Gewaltstreich um für das unverständliche iv r^i jtQoßaxLxrjt irgend
etwas einzusetzen ; aus demselben Grrunde ließen die Syrer es ganz
aus. Als richtige Lesung kann nur stcI xyil Ttgoßarixfjt xoXv^ßrid-Qai,
angesehen werden; will man t6 Xsyö^svov und sxov nicht aufnehmen,
so muß man vermuthen daß ein Femininum wie oixLu oder ßwaycDyi]
[Mc. 3, Iff., s. u.] gestrichen ist, um den Namen auf den Teich
übertragen zu können. Er steht jetzt freilich durch Ys. 7 zu-
nächst im Mittelpunkt der Handlung; aber es ist schon darauf
hingewiesen, daß er danach verschwindet, und niemand kann leugnen
daß die Erzählung erheblich besser wird, wenn die Hallen nichts
anderes sind als ein Zufluchtsort^) für die Kranken und Krüppel,
eine Art ospedale degli incurahili, und der Schafteich in erster
Linie die Oertlichkeit bezeichnen soll. Vs. 7 ist dann eine se-
cundär eingejäickte Erfindung, die die ursprüngliche Antwort des
Kranken auf die nunmehr passende Frage lesu verdrängt hat;
wahrscheinlich hängt mit dieser TJeberarbeitung auch die Zer-
störung von Ys. 2 zusammen.
lesus heilt den Kranken am Sabbat, zum Aerger der Juden.
Bei einer der synoptischen Sabbatheilungen sagt lesus nach
Matth. 12, 11 tLg eözai £| vyLav ccvd^gcjTCog bg £%eL Ttgößarov ev, xal
iäv i^TCeörii tovro totg 0ccßßa6Lv sCg ßöd-vvov, ovxl xqutt^ösl avtb
xal iysQst] Ttööcoi, ovv diacpSQSL ccvd-QCDTtog Ttgoßdrov] Lucas setzt
für die Grube den Brunnen [14, 5]: tLVog vfi&v mg^) -i) ßovg slg
(pgiaQ Ttsösttat xal ovx svd'icog avaöTtdösv avtbv iv rj^egac rov 6aß-
ßdtov; Sollte von diesen Berührungen ein Weg zum *Schafteich'
im vierten Evangelium führen?
Nach den vorangehenden Untersuchungen ist lesus vor Cap. 7
nicht nach Jerusalem gereist. Also ist Cap. 5 von dem Inter-
polator verstellt, wenn die Geschichte ursprünglich in Jerusalem
spielte, oder die Erwähnungen von Jerusalem sind falsch und das
Wunder gehörte auch im vierten Evangelium ursprünglich nach
1) Bri&tcc&a = fc<ino tT^a 'Winterhaus'? Hebraeisch ist ^yrm rT^S der
Winterpalast, Jer. 36, 22.
3) So ist mit Matthaei und Lachmann unweigerlich für va zu lesen; vtdg
ist sinnlos und vg geht nicht.
Aporien im vierten Evangelium III 155
Galilaea. Antike Erklärer identificierten es mit der Heilung des
Paralytischen [Mo. 3, Iff. Mt. 12, 9 ff. Lc. 6, 6 ff.] in der Synagoge i).
Thatsächlich schließt Marcus jene Erzählung mit den Worten [3, 6]
xal E^sXd-övtsg oC QaQLöatoi, svd^vg fisrä tcbv 'HQcaidiav&v öv^ßovlLov
sdcdovv xar' avrov OTCcog avtbv ä7toXs6(o6cv, ähnlich Mt. 12, 14. Das
klingt lo. 5, 16 wieder : xal diä xovxo sdtcoKov ot 'lovdatoi xhv ^Itj-
öovvj ort xavxa STtoCai sv öaßßdxcoL. Die Fortsetzung o ds aTCsxQL-
vaxo avxotg schließt nicht an: wie paßt das 'Antworten' zum
* Verfolgen' ? Die Antwort selbst 'mein Vater arbeitet noch immer ^),
so arbeite auch ich' zielt auf den Vorwurf des Synagogenvorstehers
Lc. 13, 14 f| rjiiSQai slölv iv alg dev igyci^eöd'ccL ' sv avxatg ovv
iQI^HEVoi d'SQaTtsvsöd'S Kai n'^ xtjl ti^EQat xov (Saßßdxov und spielt in
merkwürdiger Weise auf den Weltsabbat an, an dem alle Arbeit
ein Ende hat. Damit soll 18 motivirt werden diä xovxo ovv nakXov
e^tjxovv avxbv gl lovdcctoi ocTtoxxstvai, oxi ov ^6vov sXvsv xb ödßßaxov,
äXlä xal JtaxEQa Idiov skEyEv xbv %-b6v^ töov iavxbv TtoL&v x&i d'sm.
Woher sind aber die Juden die sonst sich im vierten Evangelium
recht dumm anstellen, plötzlich so gescheit, daß sie das wahr-
haftig dunkle Wort lesu gleich auf Gott beziehen? In der Rede
lesu, die 19 wiederum mit einem formelhaften aiCEKQCvaxo ange-
schlossen ist, ist jede Beziehung auf den concreten Anlaß aufge-
geben ^). Den ursprünglichen Zusammenhang, der von Vs. 17 an
zerbröckelt, zeigt vielleicht 6, 1 an. Es muß jetzt, wie schon
gesagt [oben S. 115], baß verwundern daß lesus plötzlich von
Jerusalem nach Galilaea verschlagen wird. Mt. 12, 15 wird an
den oben aus Marcus mitgeteilten Schluß der Geschichte vom Pa-
ralytischen angehängt: 6 8e 'Iriöovg yvovg (daß die Pharisaeer ihm
nachstellten) ävEXG)Qr}6£v ekeI^ev. Damit wird Mc. 3, 7 ausgedeutet,
wo 'der See' ausdrücklich erwähnt wird: koI 6 ^Irjöovg [tExä xav
Had"rixG)v avtov äv8X(hQr}6Ev jcgbg xr^v d^ccXuödav, und diese Erwäh-
1) Chrys. t. VIII p. 2116 nvlg filp avv otovxai xovtov slvai xov iv x&i
MuxQ-aC(oi -KS^fievov.
2) So wird sag uqxl auch 1 lo. 2,9 gebraucht: 6 Xsyav iv tm cpcoxl sivcct
xal xbv &8£X(pbv avxov fiiaöäv iv xfji aytoxiau iaxlv aag ccqxl. Zur Erklärung vgl.
lustin. dial. 23 p. 241» ogäxs oxl xä axoLxsCa [die Himmelslichter] ov% ccQysX
ovds aaßßaxL^SL. 29 p. 246« %al 6 &sbg xrjv avxijv Sioitiriaiv xov Koa^iov 6[iot(og
xal iv xavxriL xiji r}(iSQUi tcoiuxui [cod. itSTtoirixai] yiccd'ccTtSQ -Kai iv xccig ccXXccig
ccTCccGccig. Philo leg. alleg. 1, 5 itavsxai ovdsTtoxs Ttoi&v 6 Q-Bog.
3) Man kann die Rede direkt an 17 anschließen, dann wird 19 einigermaßen
verständlich. In ihr selbst finden sich Einlagen Vs. 22. 23. 25. 27 — 29, vgl. oben
S. 151; Vs. 34, während erst Vs. 35 den richtigen Gegensatz zu 33 bringt; 41 —
44, die den Zusammenhang von 40 und 45 unterbrechen, lieber 43 vgl. S. 147.
j^56 ^- Schwartz
nung des Sees^) kann der Anlaß gewesen sein Cap. 6 an Cap. 5
anzuschließen, jedenfalls wird der jetzt unverständliche Anschluß
verständlich, wenn die Geschichte von der Verletzung des Sabbats
in Gralilaea spielt und die Erwähnungen Jerusalems und des Tempels
secundär sind, wie es die Festreise sicher ist. In den Worten
5, 2 iötLv iv xotg 'IsQoöolv^oig ist das Praesens verdächtig. Die
Apologeten haben Recht, wenn sie dagegen protestieren, daß das
Tempus nicht scharf genommen wird: in solchen Zustandssätzen
ist das nötig. Aber sie müssen dann auch consequent sein und
aus dem Praesens den Schluß ziehen daß Johannes sein Evangelium
vor 70 geschrieben hat, und die Erzählung von dem greisen Apostel
der es in Kleinasien zur Ergänzung der Synoptiker verfaßt, keine
'Tradition', sondern eine Legende ist. Da sie dazu schwerlich
Lust haben, dürfen sie nicht schelten, wenn eben das Praesens
dem Interpolator gut geschrieben wird, der den Apostel Johannes
zum Autor machte und die Reisen nach Jerusalem hineinbrachte.
Er wird auch für Vs. 7 verantwortlich zu machen sein; ob er an
die Gihonquelle gedacht oder irgend einen Anlaß im ursprüng-
lichen Evangelium zu der Fiction benutzt hat, muß unentschieden
bleiben. In Vs. 14 wird der Tempel erwähnt. Gewiß; aber die
Erzählung ist von Vs. 13 an mehr als sonderbar. 'lesus bog aus,
da viel Volks an dem Orte war'. Wo war viel Volks? Bei den
Hallen? Schwerlich; dann hätten viele das Wunder gesehn nnd
die Juden brauchten mit dem Geheilten kein Verhör anzustellen.
Da wo die Juden den Paralytischen sein Bett tragen sehen? Es
hätte doch gesagt werden müssen, daß lesus auch nach dem Wunder
mit ihm zusammen blieb; gewöhnlich pflegt er in den Evangelien
die Genesenen ihres Weges ziehen zu lassen, i^evsvöev verlangt
eine Beziehung die angiebt wohin oder wovor ausgebogen wird:
es steht nichts da. Die alten Syrer legen sichs so zurecht, daß
lesus vor der Menge auswich^); bei Chrysostomus ^) taucht neben
1) Ein sicheres ürteU läßt sich nicht abgeben, weU, wie sich noch heraus-
stellen wird, die Geschichte von der Speisung der Fünftausend sehr jung ist.
2) Syr. Sin. )p-* ;p o>l-,^«.\ Iä^soj ;d o^ jooj wOä. ^«»j \s^. Syr. Curet.
\aj\j )aj3 ^^^^ ojZ.v^*A ]hs>o^ ;d o^ )ooj -*• n5.qa^ Vs^ oof. Man beachte die um-
ständliche Umschreibung von i^ivBvasv^ bei der iv t&l rdnoai, benutzt wird: er
entfernte sich von einem Ort zum anderen 'vor dem' oder 'wegen des Gedränges*.
Das ist nicht Uebersetzung eines von der griechischen Ueberlieferung abweichenden
Textes, sondern das Targum einer unverständlichen Stelle. Nebenbei gesagt,
haben die antiken Ausleger und üebersetzer nicht an die Möglichkeit gedacht
i^ivtvaev von iyivetv abzuleiten. Das Bild kommt nicht selten vor um das Ent-
rinnen aus einer Gefahr zu bezeichnen, aber so viel wie ich mich erinnere, nie
Aporien im vierten Evangelium III 157
dem Ausweichen schon das Verstecken vor der Menge auf, für
das er und Theodor von Mopsuhestia [p. 110, 20 if. Chabot] nach
Grründen suchen. Die Peschitha wendet denselben Begriff anders:
nach ihr versteckte sich lesus nicht vor, sondern unter der Menge ^).
Die unklare Stelle wird noch unklarer dadurch daß sie den Satz
6 dl iad-elg ovx rJLdst xCg iöxiv nicht motivirt. Streicht man wegen
des allerdings sehr auffallenden Praesens rCg eöttv als Wiederholung
aus Vs. 12 und supplirt daß der Geheilte den Namen Jesu nicht wußte
und auch nicht auf ihn zeigen konnte, weil er verschwunden war,
so stellt sich dieser Lösung das was im jetzigen Text folgt, ent-
gegen: nachdem lesus mit ihm im Tempel gesprochen hat, zeigt er
ihn an ; er weiß also seinen Namen. Somit ist Vs. 13 unverständlich
und die Scene zwischen lesus und dem Greheilten [Vs. 14. 15*] wird
überflüssig^): für die allein ist aber der Tempel als Local bezeugt.
Nach 7, 19 ff. soll allerdings das Wunder in Jerusalem geschehen
sein: lesus setzt es sowohl wie die daran anschließende Verfolgung
als bekannt voraus. Aber auch davon abgesehen daß der da-
zwischen liegende Aufenthalt in Gralilaea ignorirt wird, so sind
diese ßückverweisungen in Cap. 7 schon an und für sich ver-
dächtig. Zu der Frage lesu [7, 19] tl ^is ^rjTstrs änoxrslvai ; liegt
in dem dortigen Zusammenhang kein Grrund vor, so daß man es
der Menge nicht übel nehmen kann, wenn sie darauf antwortet
isolirt, sondern stets in mehr oder weniger ausgeführten Metaphern. Menander
'ETtitQSTtovrss 355 xagiivta? i-uvsvsviiivcci fi . . . tb ^i] Sl' ifiov tavtl v.vv.&aQ'ai
liegt wohl i'uvs'VEiv zu Grunde. Bei lustin dial. 9 p. 226 e steht iuvsvaavtsg sy-
nonym mit vTtoxcogrJGccvvsg: so ists auch im Evangelium gemeint. ccTtsvsvas =
&7ts6tri Ln' ccvTov [Lc. 4, 13] ebenda 125 p. 355».
3) T. VIII p. 2136 6 yag Iriöovg i^eyiXivEv öx^ov övtog sv tau. tOTteoL. ticcI tC
d'qTtots t'yiQvipBv sccvTov 6 XQiötog-,
1) -oj JÄ^op jooj J^-.jj jk^ )>n^ o^ jooj wa^) Vs5^>i^Q*-..
2) Mit dem Spruch ^rjH^rt äiiägtccvs Iva fii] xslqov goC tl ysvritat soll man
sich nicht zu eifrig abmühen. Er ist eine Reminiscenz an die synoptische Heilung
des Paralytischen, vgl. Mc. 2, 5. Mt. 9, 2. Lc. 5, 20 ; die Heüung bei der dort die
Sünden vergeben werden, ist als Taufe aufgefaßt, mit der nach altkirchlicher
Praxis die Sünde aufhören soll, und ;tst()ov braucht nicht als strenger Comparativ
genommen zu werden. Die jüdische Anschauung daß Krankheiten Strafen sind,
die in Cap. 9, der Geschichte vom Blindgeborenen, von den Pharisaeern vertreten
wird, ist 9, 2 unpassend den Jüngern in den Mund gelegt : gaßßsL, xig ^'fta^rsv,
ovtog r\ OL yovstg avtov, tvcc xv(plbg yBvvri%^fiL] Die Alten heben mit Recht die
Torheit der Frage hervor. Chrys. t. VIII p. 326^ E6cpccX[isv7i rj hQmt7\6Lg. nmg yag
av ^fiagts nglv ri ysvvri&TjvaL ; Tt&g ds rmv yoveav ay^agtovrcov ccvzbg äv ixo-
Idad-ri', n6&sv ovv •^Xd-ov STtl tr}v igdotriaLv rccvtriv; lesu Antwort paßt nicht zu
vs. 4, der allerdings auch entstellt ist, s. u.
158 E. Schwartz
[7, 20] daLfiöviov ^x^ig ' rCg ös ^ritst anoxzstvaL ; Was lesus darauf
erwiedert, ist keine Rechtfertigung seines Verdachtes; wer etwas
nicht versteht, will darum noch nicht denjenigen über den er sich
wundert, tödten. Während ev EQyov sitoii^öa xal jtävtsg d^av^d^evs
wie ein schlechtes Fabricat nach 5, 20 aussieht und lesu Frage
unpassend auf 5, 18 zurückschlägt, » würde öaL^iöviov sieig im Munde
nicht der Menge, sondern der Juden [vgl. 8, 48] eine passende Er-
wiederung auf die Scheltrede 7, 19 sein : ov Mcovafjg edcoxsv v^tv
Tov vo^ov; xal ovddg i^ v^cbv tcolsl tbv vö^ov. Dies Thema wird
durch die Aporie die lesus 7, 22 ff. den Zuhörern hinwirft, keines-
wegs weitergeführt, sondern abgebrochen : damit daß er seine Ent-
weihung des Sabbats damit entschuldigt, daß die Juden in einem
bestimmten Fall dasselbe tun, begründet er die scharfe Anklage
[vgl. Ps. 13, 3] nicht, daß sie alle das Gresetz nicht befolgen. Ferner
ist in Vs. 22 so wenig Verstand hineinzubringen wie in Vs. 21,
auch wenn, wie billich und notwendig, die mit ovx ort eingeleitete
corrigierende Grlosse ausgeschaltet wird [vgl. S. 119]. Die Anfangs-
worte diä Tovto lassen sich nicht ohne Gewaltsamkeit erklären^),
und auch der Satz selbst MayiJöfjg dddcoxsv v^tv triv icsQiroyi'^v xal ev
eaßLßdtcji 7tSQLt6^v£T6 ccvd-QcoTtov ist uulogisches Gestammel; es han-
delt sich ja nicht um die Beschneidung im Allgemeinen, wie man
nach dem Verbum dedcsxsv annehmen sollte [vgl. Act. 7, 8. Rom.
4, 11], sondern um das Gebot sie am achten Tage vorzunehmen
[Gen. 17, 12. Lev. 12, 3], das eben mit dem Sabbat collidieren kann.
Hier ist mit rohen und mechanischen Mitteln eingegriffen um an
den verstümmelten Anfang diä rovro — f^v Ttegizo^'^v den Vs.
23 [vgl. Lc. 13,16] anzufügen, d. h. die Rückverweisung auf
Cap. 5. Mit Vs. 25 setzt ein neues Gespräch ein, dessen Anfang
den Widerspruch zwischen Jesu Frage 7, 19 und der Wirklichkeit
zu entfernen sucht, indem es den 'Behörden' eine Inconsequenz zu-
schiebt. Es ist schlecht und ungeschickt geführt: denn während
1) Daher verbinden die Hss. z. Th. id-av(ia^ov dioc xovxo^ gegen den Sprach-
gebrauch. Nur Mc. 6, 6 kommt xal id-ccviiaasv dicc xr\v icniaxCctv wbx&v vor, an
einer verdächtigen Stelle: Mt. 13,58 läßt xal i^aviiaasv aus. Auch von der in-
correcten Praeposition abgesehen, ist Slcc xovxo neben id-av(iatov falsch, weil es
eine selbstverständliche Beziehung überflüssig hervorhebt. Wer die überlieferten
Worte in irgend einer Weise erklären will, muß den ganzen Satz Slcc xovxo —
Tr}v Äf ptrojLtTjv , xal iv aaßßdxai 7iSQixe(iv£xs avO-gaTtov; als Frage nehmen und
das mit xa^ eingeleitete Kolon einem Finalsatz gleichsetzen. Mehr als ein Not-
behelf ist das aber nicht.
Aporien im vierten Evangelium III 159
die Jerusalemer ^) zunächst den Ausdruck äXtid-ag eyvcjöav^) brauchen,
als sähen sie selbst in Jesus den Messias, bringen sie dann selbst
ein Argument dagegen vor ^) und wollen ihn endlich greifen. lesus
lehrt im Tempel schon 7, 14: wozu wird das 7,28 wiederholt, da
doch nirgends steht daß er weggegangen ist? Da er auf die Worte
der Jerusalemer antwortet, so müssen auch diese im Tempel ge-
wesen sein; es liegt also nirgend ein Scenenwechsel vor. Das
ganze Stück 7, 25 — 30 dient zu nichts anderem als, mit allerdings
unzureichenden Mitteln, die vorher eingeschalteten Verweisungen
auf Cap. 5 zu stützen und muß ebenso fallen wie diese auch.
Bei den Synoptikern gehen der Verhaftung lesu Nachstellungen
der leitenden Kreise in Jerusalem voraus. Das Grewitter zieht
sich allmählich zusammen. In der ältesten TJeberlieferung ist es
das schroffe Auftreten lesu, das den Hohenpriestern und Schrift-
gelehrten den Gedanken eingiebt ihn zu verderben, zuerst nach
der Tempelreinigung [Mc. 11, 18], dann nach der Parabel in der
den Juden die Ermordung der Propheten und des Sohnes Gottes
deutlich vorgerückt wird [Mc. 12, 12]. Jenen Plan streicht Mat-
thaeus und setzt den einfachen Aerger an die Stelle, den die
Hohenpriester und Schriftgelehrten darüber empfinden, daß Jesus
Wunder tut und Beifall findet [21,16]; Lucas macht die Nach-
stellung zfl einer Folge von Jesu Lehrtätigkeit im Tempel [19, 47.
48]. Beim zweiten Mal gehen beide [Mt. 21, 45. 46. Lc. 20, 19] mit
Marcus zusammen. Im ersten wie im zweiten Falle scheuen sich
Hohenpriester und Schriftgelehrte vor der Masse [Mt. 11, 18 =
Lc. 19,48. Mc. 12,12 = Mt. 21,46. Lc. 20,19]; zu beachten ist
daß dies Motiv da wo es zuerst bei Marcus auftritt, ungeschickt
eingefügt ist [vgl. Wellhausen, Ev. Marci 97].
An Stelle dieses klaren und einfachen Aufbaus ist im vierten
Evangelium ein sinnloses Durcheinander getreten; immer von
Neuem tauchen die Verfolger auf um sofort wieder zu verschwinden.
7, 30 fgTirow avTÖv itiK^ai xal ovdslg iitißalsv fV avxov rriv xstga
1) Diese Bezeichnung kommt nur noch Mc. 1, 5 vor.
2) Sollte 7, 48 schlecht copiert sein ? üebrigens kehrt die Verbindung syvcoaccv
ScXrid-ä)s 17, 8 in dem jungen Gebet lesu wieder. Zu iarlv äXrid'Lvbg 6 itiiiipa? [is
[7,28] vgl. 19,35. Apok. 3,14. 19,11. 6,10. Höh. 5,20.
3) Gewöhnlich wirds umgedreht : 8, 14 und besonders 9, 29 f. Eine dritte
Argumentation steht 7, 41. 42, die 7, 52 wieder auftaucht. Sie polemisiert nicht
gegen die Genealogien Jesu und die Geburt lesu in Bethlehem, sondern will
beides andeuten ; die Juden verraten dadurch daß sie versuchen die 'Schrift' gegen
lesus auszuspielen, ihre Unwissenheit.
160 E. Schwartz
ort ov7C(o iXrjXv^si. i^ aga avtov kehrt 8, 20 wieder. Obgleich 'die
Stunde noch nicht gekommen war', wollen die Juden 8, 59 lesum
steinigen : er versteckt sich und geht aus dem Tempel. Es scheint
als hätten die Juden ihre mörderischen Absichten bald vergessen;
denn als er den Blindgeborenen heilt, schelten sie zwar weidlich
auf ihn, aber von Verfolgung ist keine Rede mehr; es sind sogar
Pharisaeer bei lesus, die sich eine scharfe Rede von ihm ruhig ge-
fallen lassen [9, 40. 41]. Zum zweiten Male wollen die Juden
lesum steinigen [10, 31] : wie er ihnen entschlüpft [10, 39], wird so
wenig gesagt wie das erste Mal. So wichtig dieser letzte Angriff
ist, der Jesus veranlaßt Jerusalem, ja das ganze Land ludaea zu
meiden und somit scharf in die Gresammterzählung des Evangeliums
einschneidet, so verworren ist er motiviert. Die Juden sehen in
dem Ausspruch lesu [10, 30] sya xal 6 Ttatrig sv iö^av eine Blas-
phemie : 6v av&Q(D7tos hv noLstg ösavzbv d-söv [10, 33]. Das ist nur
dann begründet, wenn sie aus dem Spruch die Metaphysik des
vierten Evangeliums voll heraushören: sonst pflegen sie nicht so
rasch aufzufassen [8, 27]. In seiner Rechtfertigung verschiebt lesus
seinen Ausspruch wiederum dahin daß er sich den Sohn Gottes
genannt habe [10, 36] ; daß die Juden selbst Gott ihren Vater ge-
nannt hatten [8, 41], ist vergessen, vergessen auch die Frage der
luden 10, 24, nach der man nicht erwartet daß sie so schnell mit
dem Steinigen bei der Hand sind : 'wie lange spannst du uns noch*
sind nicht Worte die feindliche Absichten verraten [vgl. auch
1,20 ff.].
Wie die Verfolgungen, so häufen sich auch die Versicherungen
daß lesus Glauben fand, zu derselben schattenhaften Unbestimmtheit
an. 7,32 + 7,45—52 scheinen einen leidlichen Zusammenhang zu
ergeben; daß dieser durch die Zeitbestimmung 7, 37 unpassend
unterbrochen wird , ist schon gesagt [S. 122] , außerdem paßt
die Schilderung der Volksstimmung 7, 40—43 nicht zu 7, 32, mit
dem doch die Erzählung von dem Vorgehn der Hohenpriester und
Pharisaeer eingeleitet wird, die 7, 45 ff. fortgeführt werden soll.
Sieht man in 7, 37—44 ein für sich stehendes Stück das durch den
zur Formel gewordenen Vs. 44 ebenso wie 7,25—30 aus dem Zu-
sammenhang hinausgehoben wird, so bleiben noch 7, 33 — 36 ^) übrig,
1) Zu dem Worte lesu [7,34] ^rjnjdeW fis xal oix svgifiaeTB, das nach
alttestaraentlichen Mustern [vgl. z. H. Hos. 5, 6. Deuteron. 4, 29. les. 55, G]
gebildet ist, tritt noch hinzn xal otcov sifil kym, vfisrg oi) dvvao&s iXd^eCv.
£b kommt nicht viel darauf an daß 7,36 der Vers einfach wiederholt wird;
wichtiger ist daB 7, 33 nicht von demselben Autor verfaßt sein kann,
Aporien im vierten Evangelium III - 161
in denen die Büttel ignoriert werden und die Juden weder an eine
Verhaftung lesu denken noch an ihn glauben, der Gegensatz also
der 7, 31. 32. 49 hervortritt und die Geschichte zusammenhält, sich
in Nichts auflöst. Endlich ist es aber auch xmmöglich 7, 45 direct
mit 7, 32 zu verbinden ; es muß doch irgend etwas dazwischen
passiert sein»
An einer zweiten Stelle läßt sich deutlich erkennen wie der
der die Antwort der Juden erfand: vor dieser kann lesus eben nicht ange-
geben haben 'wohin er geht', und die Juden hätten vielmehr fragen müssen,
wer ihn gesandt habe. 8, 21 steht ein ähnliches Wort iyco vndyoi kccI ^ririjcsts
fts y.al SV tfiL ccfiagtiLaL vfi&v ccTtod'avSLöd'S ' OTtov sycb vndyco , vfistg ov
dvvccG^s sXd'SLv. Hier deuten die Juden ganz anders; die Deutung die lesus 8,
24 giebt, ist schon durch ort iym stfii verdächtig [vgl. Nachr. 1997, 360]. Daß
die Juden so ähnliche Worte auf zweierlei Weise auslegen, ohne daß über diese
Differenz etwas bemerkt wird, kann um so weniger ursprünglich sein, als lesus
sein Wort an die Juden den Jüngern gegenüber wiederholt [13, 33] : xsv.vCa [vgl.
Nachr. 1907, 365], hi (il-kqöv (isd'^ vfi&v slfiL • ^rjTrjfffira fis xat, Kcc&oog slnov toig
'lovdccLOLg otL oitov iycb vTtdyco, vfisig ov dvvaoQ'S iX^etv, xal v[ilv Xiyco aqti.
Welches Wort ist denn gemeint, 7,34 oder 8,21? Untersucht man die einzelnen
Stellen genauer, so fällt zunächst auf, daß 7, 34 onov ü^iC für o-Jtov sym 'öndya
[8,21. 13,33] steht; der futurische Gebrauch von onov sI^l, den Blaß [Grammatik
§ 56, 8] nicht erwähnt, kehrt 12, 26. 14, 3. 17, 24 wieder, an Stellen die sämmt-
lich der Ueberarbeitung angehören [über 17, 24. 14, 3 vgl. Wellhausen 7ff. ;
über 12, 26 s. u.]. Streicht man aber 7, 34^, so geht nicht nur die Congruenz mit
13,33 verloren, sondern lesus spricht dann, da 7,33 ein nach 13,33 gemachter
Zusatz ist , eine bestimmte Todesweissagung nicht aus : er meint nur , ihr werdet
nach dem Messias vergeblich verlangen, wenn ihr mich nicht annehmt. Die Deutung
der Juden ist eine Prophezeihung wider Willen, die in Erfüllung geht. Auch 8,
21 ff. ist alles was auf den Tod lesu zielt, nicht ursprünglich: wenn lesus die
Flucht nicht scheut [s. u.], hat es keinen Sinn daß er seinen Tod prophezeiht,
und die doppelte Deutung ist, wie schon gesagt, unerträglich. Zu der Scheltrede,
deren Reste in 8, 25 vorliegen , paßt nur iv tfjL cc^ccgTLai v(i&v dno%'avsT6^s
[vgl. Levit. 26, 39], was 8, 24 nach der späteren christlichen Anschauung ausge-
legt wird. Aber Jesus citiert doch 13, 33 die Prophezeihung seines Todes, die er
vorher den Juden gegeben hatte? Es wäre sehr merkwürdig, wenn er beim Ab-
schied von seinen Jüngern ein zorniges Wort das er den Juden einst zurief,
wiederholt hätte, und das Citat ist sonderbar genug eingeführt. lesus kann zwar
die Parusie verweigern, wie er es wirklich tut, aber unmöglich den Jüngern die
Hoffnung abschneiden ebenfalls zum Vater zu gelangen; er weist ja selbst darauf
hin daß in dessen Hause Platz für sie alle ist [14, 2 vgl. Wellhausen 11]. Man
erwartet onov sydi vTidya, vfiscg ov övvaod's iX&SLv ccqtl: Origenes [comment. in
loann. 32, 394] erzwingt diesen richtigen Sinn nach der Methode der altalexandri-
nischen Homerphilologie durch eine unmögliche Interpretation. Wenn aber »tat
vfiLv Xsyco fallen muß, so fällt auch das Selbstcitat. Die Todesweissagung ist aus
dieser Stelle in 7,34. 8,21 hineingetragen, gemäß der Tendenz der Ueberarbeitung
den Mißerfolg der ersten Reise zu beseitigen und lesus göttliches Vorauswissen
der Zukunft zuzuschreiben.
152 ^- Schwartz
Glaube der Masse eingeschaltet ist. Nachdem eben die Juden
ihren Unglauben und Unverstand an den Tag gelegt haben [8,
22. 27], schlägts plötzlich um : nach wenigen Versen in denen lesus
nichts anderes sagt als was er im vierten Evangelium immer zu
sagen pflegt, geht es weiter: tavta avtov XccXovvTog jcoXkol ini-
6T6v0av eis avtov sXsysv ovv 6 'Ir^öovg TtQog tovg TtemGtsvxötag
amcbi 'lovdatovg [8, 30. 31]. Aber die Fiction daß lesus zu einem
gläubigen Publicum redet, wird nur kurz festgehalten [8, 31. 32] ^) ;
in dessen Antwort meldet sich nnverhüUtes Judentum an [8, 33], und
nachdem Jesus das von ihm angeschlagene Thema versucht hat
mit der Frage der Juden auszugleichen [8, 34. 35] ^), taucht ohne
jedes Motiv der Vorwurf 'ihr wollt mich tödten' wieder auf [8,
37]. Mit der Behauptung der Juden [8, 39] 6 nav^Q rj^&v 'JßQad^
iezLv setzt das Gespräch neu ein : sie hat nur Sinn, wenn 8, 33.
37 nicht vorangegangen sind, und ebenso kann nach 8, 37 es nicht
noch einmal heißen vvv de ^ritsits ^s änonxeivai. Das sieht sehr
so aus als wenn der ganze Abschnitt der ein gläubiges Publicum
voraussetzt, ein Fremdkörper ist, der nur mangelhaft und ober-
flächlich dem Zusammenhang in dem er jetzt steht, assimiliert ist.
Uebrigens läßt er sich nicht glatt entfernen, und das Gespräch
verläuft auch nach 8, 40 keineswegs glatt und ohne Störungen.
Die Antwort der Juden 8, 42 , die nichts anderes heißen kann
als 'wir sind keine Götzendiener, sondern das Volk Gottes'^),
paßt so wenig zu dem Vorhergehenden, daß Origenes [20, 128 fF.]
auf den, allerdings abstrusen Einfall kam in ihr einen Zornes-
ausbruch der Juden zu sehen, die durch das emphatisch zu nehmende
riiLalg lesus als den Sohn nicht einer Jungfrau, sondern einer
Hure hätten bezeichnen wollen. So verkehrt die Lösung ist, der
Anstoß ist richtig; er wird noch vermehrt dadurch daß von der
Abstammung von Abraham auf die von Gott übergesprungen und
der grade Fortgang der Discussion damit gestört wird. Ueber
die Ueberarbeitung von 8, 44 ff., die den Teufel an die Stelle Kains
gesetzt hat, vgl. Wellhausen 19 ff.: hat lesus die Juden wirklich
Kinder Kains genannt, so wird damit sein Vorwurf daß sie ihn
tödten wollten, als ein echtes Stück seiner Rede erwiesen ; es fehlt
nur die Erzählung dazu. 8, 48 und 52 sind Doubletten, die nicht
1) Da4S ist Origenes aufgefallen [comment. in loann. 20, 131]: &XX' iget tig
Ott rcfvra ovtoo voov^isvcc oi Svvatai slvai qr^ucta r&v 7C£7Ciatev>i6ra>v wörmi
'lovdaCatv,
2) Ueber 8, 36 s. o. S 151.
8) Vgl. Deut. 23, 2 in der Auslegung die bei PhUo [de spec. leg. 1, 332. de
conf. ling. 133. de mut. nom. 205] erhalten ist.
Aporien im vierten 'Evangelium III 163
neben einander stehen können; die erste Fassung ist die bessere,
sie schlägt nur scheinbar auf 7, 20 zurück [s. o. S. 158], in "Wahr-
heit fehlt ihr die Beziehung. Das Wort Jesu 8, 51, eine Umbildung
der synoptischen Weissagung von der Parusie p\Ic. 9, 1. Mt. 16,
28. Lc. 9, 27], gilt wiederum nicht den ungläubigen Juden, sondern
der künftigen christlichen Gemeinde; trjQstv ist in spezifisch 4o-
hanneischer' Weise gebraucht [vgl. Nachr. 1907, 365]. Wie der
Ausspruch durch nichts vermittelt ist, so muß man nach 8, 53 er-
warten, daß Jesus von sich selbst, nicht von den Christen geredet
hatte. Von dem polemischen Zweck der späten und jungen Schluß-
verse 8, 57 — 59 ist schon die Rede [S. 122] gewesen: 8, 56 ist sinnlos.
Denn nach ''äßgaäii 6 TCarr^Q v^av rjyakhccöaro Xva tdrii xriv rj^egav ti^v
ifiTJv, was nur heißen kann ^Abraham freute sich darauf meine Zeit
zu erleben', kann nicht fortgefahren werden xal sldsv xal exccgr^:
man muß das Praesens erwarten, da lesu 'Tag' noch dauert. Sollen
aber xccl sldsv xccl s%dQri auf ein Schauen des praeexistenten Christus
gehen, worauf 8, 57 führt, so wiederholen sie riyaklidaato iva —
tdriL in gröberer und schlechterer Form. Der schlechte Ett der
8, 57 — 59 anfügen sollte, ist nicht zu verkennen, und ebenso wenig,
daß die richtige Fortsetzung von 8, 56* durch den Zusatz zerstört
ist. Ist man schon über die Pharisaeer, die plötzlich in der Um-
gebung lesu auftauchen [9.40], verwundert^), so noch mehr dar-
über daß die Parabel von der Herde plötzlich einsetzt, ohne jede
Verbindung mit dem was vorangeht. Auch der vorläufige Abschluß
des gesammten Redecomplexes über den Hirten 10, 19 — 21 stellt
die Verbindung mit der Greschichte vom Blindgeborenen nur in
unvollkommener Weise her; er operiert mit dem schematischen
Motiv des ^iiö^a , das auch 7, 43. 9, 16 in secundären Partien ^)
verwandt wird und ähnlich Act. 14, 4. 23, 7 vorkommt. Die Deu-
tung der Parabel fehlt ; die Fortsetzungen von 10, 7 an passen
nicht mehr dazu. Wellhausen [35] verlangt mit Blaß sy^ si^i 6
Tioiiiriv r&v Tcgoßdrav, Grewiß mit ßecht: nur so kommt der rich-
tige Gegensatz zu 10, 8 heraus. In der Wiederholung 10, 9 syG>
ei^i 1] Q-vQu' 8C s^ov sdv reg sC6sXd-r}L, ^cod-Yi^stau tritt die 10,7
noch verborgene Gleichung der Schafhürde mit dem Himmelreich
an die Oberfläche und sprengt die Parabel vollends auseinander;
außerdem stimmt der Anfang des Satzes nicht zum Ende xal slös-
Xev0sxai xal s^slsvösxai xal vo^i^v sx}Q7]6sl. Die alttestamentliche
1) Sie sollen das Publicum für eine Rede büden, deren Gedanke in den
jüngeren Abschiedsreden wiederkehrt, vgl. 15, 22. 24. 16, 9.
2) Vgl. oben S. 160. 146.
164 ^- ScLwartz
Wendung «ni »S*^, die in leichter Umbildung unverkennbar vor-
liegt, wird technisch vom Führer und Herrscher gebraucht [Deut.
31,2. Jos. 14, 11. 3Kön. 3, 7], wie ja auch n^i in der alttestament-
lichen Poesie durchweg den 7toi.^r}v lacbv bedeutet: das Subject
dieses Satzteils ist also nicht der Christ, der durch lesus zur Selig-
keit gelangt, sondern lesus selbst, der Hirte der führt und den
Weideplatz findet für seine Herde. Von 10, 11 an schiebt sich an
die Stelle des Gregensatzes zwischen dem Hirten und dem Ein-
dringling, der gar kein Hirt ist, ein anderer^), der wiederum, wie
der Vergleich Jesu mit der Tür, in die Parabel nicht aufgeht,
derjenige nämlich zwischen dem echten Hirten und dem Mietling,
der zwar als Hirt sich nicht bewährt, aber darum noch kein Dieb
und Räuber ist: das Bild von der Hürde verschwindet um nur
noch in einer jungen Zutat [10, 16 vgl. 17, 20] wieder zu Tage zu
treten. Am Schluß endlich ist die 'theologische' Interpolation eines
Bearbeiters zu constatieren, dem der Tod lesu in der Tat ein
Aergemiß gewesen ist, weil ihm lesus zum allwissenden Grotte
geworden war. Der ursprüngliche Wortlaut von 10, 17 kann nur
gewesen sein: diä tovro {le 6 TtatrjQ ayccTcät, ort, iycj tid-ri^L x^v ifjv-
X7]v ^ov und, sei es daran anschließend, sei es als parallele Fort-
setzung von 10, 15: tavtrjv rijv ivtolrjv slaßov icagä tov Tcatgög
^ov. Aber auch nach dieser Säuberung bleibt die Todes Weissagung
lesu der Parabel selbst fremd; sie gehört nur zu der zweiten
Antithese zwischen dem echten Hirten nnd dem Mietling.
Die Deutung muß die beiden Gegensätze, die derselbe Schrift-
steller nicht durcheinander geworfen haben würde, sorgfältig aus-
einanderhalten ; weil ich es versäumte, bin ich selbst früher in die
Irre gegangen. Für den guten Hirten, der für seine Schafe in
den Tod geht, und den Mietling, der vor dem Wolfe flieht, so daß
die Schafe zerrissen oder zerstreut werden, wird die Erklärung
durch 1 loh. 3, 16 gegeben: iv xovxcol iyvaxa^sv xijv dyccTtrjv, otl
ixstvog vTtSQ rin&v xriv ipvx'^v avxov i^riKsv xal rj^stg dcpsiXo^sv
V716Q xG)v ocösXcpcbv xäg ipvxocg dstvai. lesus redet nicht zu den
Juden, sondern wie in dem Abschiedsgebet und sonst noch oft genug,
zu der zukünftigen Kirche und deren Hirten, die bei einbrechender
Verfolgung nicht ausreißen sollen ^) ; die Stelle scheint den klein-
1) Die Differenz der beiden Gegensätze wird von Theodor von Mopsuhestia
p. 227 Chab. sehr gut hervorgehoben. Ezechiel und der s. g. Tritojesaias würden
statt des Hirten den Wächter einführen.
2) Im wirklichen Leben konnte gerade der Märtyrertod eines Bischofes für
die Gemeinde verhängnisvoll werden, vgl. das Resumä das Euseb KG 4, 23, 2 von
dem Brief des Dionys von Korinth an die athenische Gemeinde giebt. Cyprian
Aporien im vierten Evangelium III 165
asiatischen, monarchisclien Episkopat des zweiten Jahrhunderts vor-
auszusetzen. Dagegen muß in der Parabel selbst eine Auseinander-
setzung lesu mit den jüdischen Oberen stecken, in der er nachweist daß
er kein Eindringling und Aufwiegler sei, sondern der rechtmäßige
Führer und König des Volkes Gottes, der es aus dem Gresetz hinaus
führt : nicht heimlich, auf verbotenen Wegen, sondern öffentlich sei
er zu seinem Volke gekommen und wirke unter ihm. Wenn auch
die Einzelheiten, sonderlich das scharfe Wort gegen die Vorgänger
[10, 8] dunkel bleiben, weil die alte Fortsetzung der Parabel durch
die verkehrte Grleichung der Hürde mit dem Himmelreich und die
secundäre Antithese zwischen dem echten Hirten und dem Miet-
ling zerstört ist, so darf man doch wohl diesen zu Tage liegenden
Sinn der Parabel, der auf das synoptische Wort lesu bei der Ver-
haftung zurückzulaufen scheint^), mit der Aufforderung welche
7, 3. 4 [vgl. S. 117] an ihn gerichtet wird, combiniren.
lesus ist dieser Aufforderung gefolgt und wirklich Öffentlich in
Jerusalem aufgetreten: das große Wunder das er dort vollbringt,
ist die Heilung des Blindgeborenen. So sehr die metaphysischen
Erweiterungen der E-edestücke und die hineininterpolierte Fest-
chronologie die ursprüngliche Erzählung verdunkelt haben, es
schimmert doch noch durch, daß in ihr die gewöhnliche Ueber-
lieferung von dem Wirken lesu in Jerusalem bis zum Beschluß
des Synhedrions ihn zu verhaften umgebildet war; der Gegen-
satz zwischen der empfänglichen Menge und den Oberen, die immer
wieder einschreiten wollen und es doch nicht wagen, ist zwar
durch die Ueberarbeitungen verzerrt und verdunkelt, aber doch
nicht in vollem Umfange secundär, wie etwa das dürftige Auf-
nageln der Reden auf Laubhütten und Enkaenien. Nach dem
jetzigen Evangelium endet dieser Aufenthalt lesu mit einer Flucht.
Das fällt nicht besonders auf, da das Motiv schon bei der ersten
und zweiten Reise verbraucht ist, lesus außerdem heimlich nach
Jerusalem geht und von vorne herein ankündigt [7, 8] daß 'seine
Zeit noch nicht erfüllt ist'. Fallen aber die ersten beiden Fest-
reisen als secundäre Verschiebungen fort, ist lesus nach Jerusalem
wußte was er tat, als er bei der decianischen Verfolgung sich in Sicherheit brachte ;
nachdem die afrikanische Provinzialkirche fest organisirt war, hat er sich nicht
gescheut, als unter Valerian die Verfolgung neu ausbrach, sein Leben für seine
Schafe dahinzugehen.
1) Vgl. besonders Lc. 22, 52. 53 slnEv de 'Triaovg ngog rovg 'jtaQaysvofisvovs
isr' avxov ScQXi-SQeig kccI ötQcctriyovg tov lsqov yial TcgsaßvrsQOvg 'cbg i^tl XTiiaTTjv
[10,1.8] i^T^XQ-ars (isra (kuxcclq&v xat ^vXcov «a-^"' rjjjLsgccv övrog (lov (isd'* v(iä>v
iv tm LSQcäL ov-K i^srsLvats tag %BtQag lit ifis, ScXX' avrri ^^^''V v^mv 7} caqu ticcl
7] i^ovüLa tov 6yi6tovg.
Kgl. Ges. d. Wies. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 2. 12
IßQ E. Schwartz
nicht als Festpilger gegangen, sondern als Prophet, als der be-
rufene Hirte des Volkes, der öffentlich versucht sich durchzusetzen,
dann kommt es einer Niederlage gleich, wenn er die heilige Stadt
wieder verläßt um von den Juden nicht gesteinigt zu werden, und
es tauchen aus dem monotonen Nebel der speculativen Reden lesu
über den Sohn und den Vater und dem schemenhaften Wirrwarr
der secundären Erzählungsmotive die Umrisse einer Dichtung auf,
welche das Leben lesu als Tragödie nahm und ein vorläufiges
Scheitern des Helden als retardierendes Moment benutzte um mit
verdoppelter Kraft zur Peripetie auszuholen. Indeß würde diese
Betrachtung kaum mehr Wert für sich fordern dürfen als die üb-
lichen, mit Lust und Liebe stets von Neuem wiederholten homi-
letischen Ausdichtungen des halb oder gar nicht verstandenen
Textes, wenn sie nicht in der Lazarusgeschichte eine feste Stütze
fände und diese den Beweis dafür lieferte, daß schon das ursprüng-
liche vierte Evangelium den ersten und einzigen Aufenthalt lesu
in Jerusalem zwar nicht um drei, aber doch um einen vermehrt
hatte, der durch eine Flucht von dem letzten getrennt war.
Freilich bedarf die Lazarusgeschichte einer gründlichen Reini-
gung um verständlich zu werden. Gleich der Anfang enthält ein
ganzes Nest von Unmöglichkeiten. Eine Greschichte die in Bethanien
spielt, kann nicht anfangen [11, 1] 'fjv Se ng aadsvav , Ad^aQos
aTtb Bri^avCag^ und da die Krankheit das Hauptmotiv ist, das die
Handlung in Bewegung setzt, kann sie nicht durch ein Participium
das zum unbestimmten Pronomen tritt, ausgedrückt werden ; correct
würde es heißen riv de zig Adt.aQog iv Bri^avCai ' og riöd-evrjösv. Noch
sonderbarer ist daß Bethanien als das Dorf von Maria und Martha
vorgestellt wird, von denen ein Leser des vierten Evangeliums nichts
weiß, und vollends grotesk ist der Versuch, Maria durch den Hinweis
auf eine Geschichte die erst später erzählt wird, zu einer bekannten
Figur zu machen; vgl. Wellhausen 11,2, der auch an tbv xvqlov
[vgl. S. 120] angestoßen ist. Niemand der den Anfang unbe-
fangen liest, kann sich dessen versehen, daß Lazarus der Bruder
der beiden Schwestern ist; diese zum Verständniß unentbehrliche
Notiz hinkt in dem schlechten Relativsatz [11, 2j ^g 6 ädsX(pbg
Adlagog rje^evsi nach, der '^ö^evsl ungeschickt wiederholt. Während
in diesen beiden Versen mit einfachen Streichungen nichts auszu-
richten ist, sondern man sich begnügen muß aus den Unordnungen
auf eine Ueberarbeitung zu schließen, muß 11, 4 einfach ausgeschieden
werden, da der Vers den erklärenden Zusatz riyana öh 6 ^Ttjöovs
xtX. [11, 5] von dem Kolon 8r (piXstg [11, 3] trennt, das er erklären
soll; außerdem geht erst 11, 6 die Erzählung 6g ovv iJTtovösv ort.
Aporien im vierten Evangelium III 167
cc6d^sv£i weiter : es kann also nicht aKovöas äh 6 'Irj6ovg vorangehn.
Die Interpolation gehört zu den im vierten Evangelium häufigen
Einschiebseln, die das göttliche Wissen lesu um die Zukunft in
kleinlicher Weise betonen und damit der Erzählung alles Leben
nehmen ^). Bei diesem verhältnismäßig unschuldigen Eingriff hat
es aber die Dogmatik, die einen menschlichen lesus übel vertrug,
nicht bewenden lassen. Die Chronologie der Wundergeschichte
ist, wie Bretschneider [Probab. 79 ff.] bemerkt hat, mit einem ge-
wissen Raffinement so angelegt, daß lesu Vorauswissen und Wunder-
kraft im wunderbarsten Licht erstrahlen. Auf die Nachricht von
der Krankheit wartet er zwei Tage, um so spät wie möglich zu
kommen; er weiß daß Lazarus gestorben ist [11, 11 — 15], obgleich
es nicht gemeldet ist, und freut sich daß er nicht da war, weil er
so den Jüngern einen stärkeren Beweis des Glaubens liefern wird.
Indeß haben diese scholastischen Hirngespinnste die ursprüngliche
Erzählung nicht ganz überwuchern können: die Thränen lesu hat
der Interpolator nicht zu streichen gewagt [11, 35], obgleich sie
nicht mehr passen, wenn die Auf erweckung des Todten theolo-
gisches Experiment wird, und der blasphemische Zusatz mit dem
er den Dank Jesu an den Vater entstellt, ist leicht entfernt [11,
42] : natürlich ist dies Dankgebet einstmals sehr ernst gemeint ge-
wesen. Als ursprünglicher Zusammenhang läßt sich erschließen,
daß lesus auf die Nachricht von der Krankheit des Lazarus hin-
geht um ihn zu heilen^). Die Jünger warnen ihn, als er sie auf-
fordert wieder nach ludaea zu ziehen [11,8]: Qaßßei, vvv i^rjtovv
öS Xid-daat, oC'Iovdccioi xccl ndkiv vndysLg ixst; Also ist er jetzt nicht
dort, aber schon einmal dagewesen und vor den Juden geflohen:
wenn die Stelle echt ist, beweist sie den früheren Aufenthalt.
Auf die Warnung antwortet lesus mit einem Spruch der zwei.
1) Vgl. z, B. 9, 3 ; 9, 4 führt in einen ganz anderen Zusammenhang : die
törichte Frage der Jünger [s. S. 157] soll wahrscheinlich nichts anderes bezwecken
als das Orakel lesu einzuführen. 13,11.18: des göttlichen lesus ist es unwürdig
den Verrat nicht genau vorher zu wissen. Die Entwicklung zum Weissagungs-
beweis tritt 18, 9. 32 hervor, in etwas anderer Wendung 16, 1. 4. Auch die schon
besprochene [vgl. S. 164] Interpolation in 10, 18 gehört in die gleiche dogmatische
Sphäre.
2) Das Miß Verständnis der Jünger 11,12 ist albern: sie können doch nicht
annehmen, als Jesus ihnen mitteilt, Lazarus sei eingeschlafen, das sei ein Kranken-
bericht und er erzähle ihnen von seinem Befinden; ihre Bemerkung paßt auch
nicht zu &IXCC TtoQSvofiaL i'va i^vTCvlaca avröv. Vs. 12. 13 sind ein Flicken der
nach Mc. 5,39. Mt. 9,24. Lc. 8,53 gemacht ist; V. 11 ist wahrscheinlich älter,
aber auch nicht ursprünglich.
12*
Ißg E. Schwartz
noch dazu unvollständig ausgedrückte Gedanken combiniert. In der
rhetorischen Frage [11,9] ovxl öaöeyM agaC sC6lv tfjg rj^sgag; kann
nur ein Hinweis auf das nahe Ende stecken ; die Parallelstelle 9, 4
scheint ebenso erklärt werden zu müssen, ist aber zerstört *). Da-
mit ist der folgende Gegensatz von Licht und Finsternis verkehrt
verkuppelt: idv ng TCeQLTtarfJL iv riji rifiSQai,, ov tcqoöxötctsl, ort ro
q)G)g tov Y.öö^ov tovrov ßksTtst' iäv de rig nsQLTCarfJL iv tfJL vvxrt',
TCQoßxoTCtsi, , Ott TÖ (p&g ovx ^6xLv SV avt&L. Man sieht es schon
daran daß rö (pG)g ovx sönv iv avtGii auf das innere Licht geht
und vorher ro (p&g durch den Zusatz tov xoeiiov tovrov auf das
äußere Tageslicht bezogen ist. Was dem mißhandelten Satze zu
Grunde liegt, verrät 1 loh. 2, 10 f. 6 äyccncbv tov ädsXcpbv avtov iv
tai (patl liivei xal öxdv daXov iv avtcbi ovx €6tLv' 6 ds
fiL6c)v TOV ädskopov avtov iv Ttjt öxottat, iötlv xal iv tfJL 6 xot Ca l
TtSQLTCatst, xal ovx oldsv Ttov vitaysi^ ort rj 6xotia itv(pX(O06v
tovg ocpd'aX^ovg a'ötov. Die wesentlichen Züge des Bildes
sind auch in der Evangelienstelle da: das Wandeln in Licht oder
Finsternis , das 'Anstoßen' , das dem öxdvdaXov entspricht ^) , die
innere Dunkelheit: sie sind nur dadurch getrübt, daß Licht und
Finsternis wegen der Anfangsworte in Tag und Nacht umgesetzt
und so zu Zeitbegriffen geworden sind, die in den Spruch nicht
passen^), und daß die ethische Anwendung auf die Bruderliebe
1) Der Plural rjfiäg, der unter keinen Umständen mit rä l'pya tov nsfiipccvtog
(IS zusammengeht, spottet der Erklärung: er weist auf einen Zusammenhang der
durch die Interpolation von 9, 2. 3 verloren gegangen ist ; vielleicht schloß lesus
die Jünger mit ein, wie 11, 11. Vs, 5 erklärt das Bild von Tag und Nacht falsch
und giebt den verkehrten Sinn daß lesus nur so lange er auf Erden wandelte, das
Licht der Welt war. Das trifft nur dann zu, wenn unter tb (p&g tov KÖafiov die
Wundertätigkeit lesu verstanden wird; es pflegt aber ethisch gemeint zu sein
vgl. 8, 12.
2) Vgl. Rom. 14, 21 Iv c&t ö ädsXcpog aov TtgoayiOTtTSi. Dafür könnte auch
ö-KavSaX^STUL stehen.
3) Ebenso ist 12, 35. 36 dadurch verwirrt, daß zugleich tö q)&g Periphrase
für lesus sein soll, der von seinem Ende redet, und das Bild des 'Wandels in der
Finstemiß' seinen Gegensatz, 'den Wandel im Licht' hervorruft: das hat aber
nur ganz uneigentlich mit lesu Tod etwas zu tun. Die Ueberarbeituug verrät
sich durch das schiefe scag tö tp&g ^x^ts 12, 35. 36 : mg läßt sich nicht be-
friedigend erklären und ist ein Versuch sag zu verbessern, das verschiedentlich
überliefert ist. Denn die zeitliche Beschränkung nimmt allerdings den Mahnungen
ihre Kraft. Chrysostomus fragt mit Recht t. VIII p. 405^ notov ivTuvd-a Uyet.
ytttiQOv; &Qa Tr]v nagovaav ^ariv anaaav ri töv ngb tov aravgov xq6vov \ Er er-
klärt zunächst die Lesart nusTBvsTt — nicht iiEQiTtaTBtTS, wie falsch in den Texten
steht — tatg zb (pa>g ix^TS und führt 12, 36, das er nicht erklärt, in der Form an
Aporien im vierten Evangelium III 169
weggelassen ist. Ursprünglich muß lesus gesagt haben daß seine
zwölfte Stunde nahe, er wolle sich nicht mehr schonen, sondern
der Gefahr Trotz bieten um des Freundes willen. Das reißt die
Jünger fort: äycofisv xal rjustgy Xva aTtod-ccvco^sv ftfr' avxov [11, 16],
sagt Thomas; die Worte hängen mit der Warnung der Jünger
11,8 unlöslich zusammen.
Wenn ich richtig vermutet habe [Nachr. 1907, 354] daß im
ursprünglichen Evangelium lesus selbst den römischen Offizier der
ihn gefangen nahm, bat, die Jünger ihres Weges ziehen zu lassen,
so rückt*diese Entschuldigung ihrer Flucht mit den mutigen Worten
des Thomas, die so ganz undogmatisch sind und eben darin die
Bürgschaft der Echtheit besitzen, in überraschender Weise zu-
sammen : sie haben mit ihrem Herrn und Meister in den Tod gehen
wollen, und er selbst entbindet sie ihres Vorsatzes; ein Pascha-
opfer genügt. Das ist allerdings eine Conception die aus der
Speculation über die Einheit des Vaters und des Sohnes nicht ent-
sprungen sein kann ; sie eignet sich auch nicht dazu in dem Apparat
von Zeugnissen, von dem die Johannes briefe so viel Wesens machen,
als eine Nummer neben anderen zu figurieren : hier hat ein Dichter
geschaltet und gewaltet, der aus dem wunderbaren, durch be-
sondere Gnade Gottes [11, 41] gewährten Sieg über den Tod die
tragische Peripetie im Leben lesu gemacht hat. Das ist begreif-
licher Weise anstößig geworden und übermalt, mehr als einmal
sogar ; die Schichten lassen sich aber nicht mit Sicherheit scheiden ^)
und die Analyse muß sich begnügen so viel Spuren des Ursprüng-
lichen wie möglich aufzuzeigen.
nBQinaxiixs sv t&i cpoatt, so ist für das falsche slg xo cp&g der Texte zu lesen.
In ähnlicher Weise stellt Aphraates p. ^»^ den überlieferten Text um : raaxsvsxs
sag x6 qpcog txsxs tiqIv 6v.oxia v(i&g yiaxaXdßrii und nsQLTtaxsixs iv x&l cpcaxL, iva
viol (fcoxbg TiXrid-iixs. Dagegen folgt er p. ^ dem vulgären Text, hat auch das
sinnlose negntaxeCxs ohne Zusatz.
1) Ich habe oben schon vermutet daß Vs. 11 nicht ursprünglich, aber doch
älter als 12 — 15 ist. 11,28 stimmt nicht zu der Unterredung lesu mit Martha
und kann doch nicht echt sein, weil lesus schon 11, 17 am Grabe ist, s. S.
170 f. Das merkwürdige ivsßgLfi'^Gaxo xäi ytvsvfiaxt. xal ixdga^sv iavxov 11, 33
entspricht dem sxagdx&'ri x&i nvsvfiaxL 13,21. Diese Stelle gehört dem Bearbeiter
an, der in sehr merkwürdiger Weise lesu Weissagung des Verraths zu einer eksta-
tischen macht. In der Lazarusgeschichte läuft die Ekstase in die nüchterne
Frage tcov xsd-SLKccxs cchxöv [11, 34] aus und wird zwecklos noch einmal wiederholt.
Kein Interpret vermag dem singulären Ausdruck einleuchtenden Sinn unterzulegen ;
es wird nur geraten und ergänzt. Die Deutung des Motivs ist eben unterdrückt,
und da das Motiv selbst erst vom Bearbeiter herzurühren scheint, muß diese
Streichung noch jünger sein.
170 ^' Schwartz
Eine Unordnung tritt sofort in der ersten Begegnung lesu
mit den Schwestern hervor : Martha sagt zu Maria, daß der Meister
sie rufe [11, 28], obgleich das nicht wahr ist und kein Grrund zu
einer Kotlüge vorliegt. Beide Schwestern reden lesus mit genau
denselben "Worten an [11, 21 = 32]. Maria erhält keine Antwort,
die Worte sind bei ihr ein einfacher Gefühlsausbruch; bei Martha
schließt sich eine Katechese an, die in ein Grlaubensbekenntnis
ausläuft^): ein einheitlich concipirender und arbeitender Schrift-
steller, der fähig und kühn genug war das Lazaruswunder zu er-
finden, verfügt nicht über so geringe Mittel des Ausdruckes, daß
er sich selbst ungeschickt] wiederholt. Nach 11, 17 findet Jesus
den Freund schon vier Tage im Grabe liegen. Er ist also schon
beim Grabe ; wer von außen her kommt, gelangt zuerst zur Nekro-
pole, die vor der Ortschaft zu liegen pflegt. Je natürlicher und
einfacher die Handlung hier vorbereitet wird, um so mehr erstaunt
es daß im Folgenden die Oertlichkeit wieder ganz vergessen wird
und ins Unbestimmte rückt ^): erst 11,34 ist die Scene wieder am
Grabe. Das störende Element ist die Unterredung mit Martha;
weil sie nicht an das Grab verlegt werden kann, verschiebt sie
die Handlung von dem Ort an den sie gehört. Und das wirkt
weiter. Es ist durchaus nötig daß die Juden am Grabe sind und
das "Wunder sehen: sie gehen nach dem nahen Jerusalem [11, 18]
zurück und erzählen es [11,46], worauf dann die Hohenpriester
und Pharisaeer den verhängnißvollen Beschluß fassen. Jetzt muß
die Anwesenheit der Juden in der seltsamsten und complicirtesten
"Weise motiviert werden: weil sie meinen daß Maria zum Grabe
geeilt sei um dort zu weiuen, laufen sie ihr nach [11, 31]. Ganz
davon zu schweigen daß die zahlreichen Juden die den beiden
Schwestern einen Condolenzbesuch machen [11,19] und dann teil-
weise zu Denuncianten werden [11,46], eine wunderliche Erfindung
sind, die wiederum von der kraftvollen Conception der ganzen
Peripetie grell absticht. Das schiebt sich alles zurecht, wenn als
1) S. 0. S. 151. Die 'Auferstehung am jüngsten Tage' ist im vierten Evan-
gelium überall verdächtig. 12, 48^ ist deutlich ein Zusatz zu 48», wo tbv %qC-
vovru nicht futurisch ist, vgl. 3, 19 ff. , und ebenso verdirbt 6,39.40.44 %&yai
icvaar^aa airbv iv r^i ioxätrii iifiigai, den Zusammenhang, der nicht vom Gericht
handelt, sondern davon daß Jesus jeden der zu ihm kömmt, annimmt.
2) Das tritt 11, 32 grell hervor: rj ovv Magid^i, mg ^X-O-fr onov ^v ^Iriaovg,
und ebenso 11,30 oihtat dh iXriXvJ&si 6 ^Iriao^s stg Tr}v %&iiriv, &XX* riv hi iv x&i
x6no)i onov vnrivTr\aev cchT&t i} MaQ&a. Eine so gequälte Umständlichkeit stellt
sich immer dann ein, wenn nicht ein Schriftsteller frei arbeitet, sondern ein Re-
dactor einen gegebenen Zusammenhang umbiegt und verändert.
Aporien im vierten Evangelium III 171
ursprüngliche Erzählung angesetzt wird, daß Jesus gleich bei seiner
Ankunft die Schwestern und die Juden am Grabe findet, hört daß
Lazarus gestorben ist [11, 17] und nun nach der Grabstelle fragt
[11,34]. Jetzt ist das Wunder bis zum Aeußersten gesteigert da-
durch daß Lazarus schon vier Tage im Grabe liegt [11,17.39];
aber das ist verdächtig, weil es mit der absichtlichen Säumniß lesu
zusammenhängt, durch die im jetzigen Evangelium die Erzählung so
geschoben ist, daß lesus in unerklärbarer Weise um Lazarus Tod
weiß, obgleich er nur von seiner Krankheit gehört hat, und das
Wunder der Auf erweckung von vom herein arrangirt, indem er
so spät aufbricht, daß er Lazarus schon todt finden muß. Ein-
facher wirds und natürlicher, wenn lesus unmittelbar nach der
Bestattung ankommt; dann ist die Anwesenheit der Juden sehr
viel besser motiviert als durch die Condolenzbesuche am vierten
Tage nach dem Tode. Die zweite Stelle die mit dieser Tage-
rechnung operiert [11, 38 — 40], ist auch aus anderen Gründen ver-
dächtig: das Motiv des s^ßQL^äad-aL wird grundlos wiederholt und
11, 40 ist eine Combination aus 11, 26 und der jungen Interpolation
11,4.
Zweifel über das Einzelne werden und mögen bleiben; das
Wesentliche schimmert doch durch alle spätere Uebertünchung
durch, daß die Auferweckung des Lazarus im ursprünglichen Evan-
gelium die Tat lesu war, die ihm den Untergang auf Erden brachte.
Um die Katastrophe tragisch zu motivieren, ist der Aufenthalt
lesu in Jerusalem in zwei Abschnitte zerlegt und eine bedeutungs-
volle Steigerung in das Handeln lesu gebracht : das erste Mal reist
er hin um als Prophet zu siegen, das zweite Mal trotzt er der
Gefahr die er während des ersten Aufenthalts heraufbeschworen
hat, um den Freund zu retten.
Wie der zum Untergang des Helden drängende Lauf der Hand-
lung es verlangt, schließt sich an das Lazaruswunder als unmittel-
bare Folge die Beratung der Hohenpriester und Pharisaeer an.
Sie stellt die von den K-ömem drohende Gefahr in den Vorder-
grund. Davon findet sich bei den Synoptikern [Mo. 14, 1 f. Mt.
26, 3 ff. Lc. 22, 2] auch nicht die geringste] Spur; um so besser har-
monirt dieser Zug mit der Verhaftung lesu durch die Cohorte
[Nachr. 1907, 352], wenn auch die Zwischenglieder jetzt fehlen.
Jetzt ist auch die Befürchtung des Synhedrions schlecht motiviert,
ein Zeichen daß die Ueberarbeitung auch hier eingegriffen hat.
Man mag darüber hinwegsehen, daß der allgemeine Ausdruck ovtog
6 ccvd'Qeojtog TtoXkä tcolsl ötj^sta [11, 47] den Eindruck nicht wieder-
giebt, den ein so gewaltiges Wunder wie die Wiederbelebung eines
j[72 ^- ächwartz
schon Begrabenen machen mußte: aber was giengs die Römer an,
wenn alle *an lesus glaubten' [1 1 , 48] ? An einer anderen Stelle
[6, 15] entzieht sich lesus der Menge, weil er 'erkennt daß sie ihn
entführen und zum König machen wollen'. Dort ist das Motiv
schlecht eingeführt^) und verschwindet sofort wieder, hier ist ein
ähnlicher Gedanke unentbehrlich: es ist unmöglich ihn xara rö
6iG)7C(o^£vov zu ergänzen, da auf ihm die ganze Berechnung der
Zukunft und damit der Entschluß des Synhedrions selbst basiert.
Es folgt auch nicht mit zwingender Notwendigkeit aus dem Grlauben
der Menge, daß sie ihn zum König machen wollen: das vierte
Evangelium pflegt zu behaupten, daß das Volk in lesus den
Propheten sah, der da kommen sollte ^), und wenn schließlich die
Hoffnung auf den künftigen Propheten, den Messias, den König
des davidischen Reiches in einander laufen, so mußte doch an
dieser Stelle grade die zur Tat übergehende Hoffnung des Volkes
ausdrücklich aufgeführt werden, die den Römern Anlaß zum Ein-
schreiten geben mußte. Loser als diese Bearbeitung liegen die
Interpolationen auf, die in 11,49.51.52 von Wellhausen nachge-
wiesen sind [25].
Wenn lesus wirklich mit seinen Jüngern, wie diese selbst
sagen, den Todesweg mit der Reise nach Bethanien antrat,
wenn der Beschluß aus politischen Gründen, also nach reiflicher
Erwägung, gefaßt wird ihn zu tödten, dann muß die Kata-
strophe die so sorgfältig vorbereitet wird, auch eintreten: die
tragische Spannung darf nicht nachlassen. Aber wie oft im vierten
Evangelium, scheint die Erfindung sich nicht auf der Höhe zu er-
halten, sondern flattert flügellahm hin und her. 'lesus wandelte
1) Dafür darf man sich auf den Widerspruch von 6, 15 zu 6, 3 nicht be-
rufen, wenn 6,3, wie Wellhausen [S. 18] meint, aus Mt. 15,29 eingelegt ist.
Aber es bleibt merkwürdig daß die welche 'das Zeichen gesehen haben', womit
die 5000 wunderbar Gespeisten nur schlecht bezeichnet sind, in lesus den kom-
menden Propheten sehen und dieser sofort weiß daß sie ihn zum König machen
wollen. Ein so wunderbares Vorauswissen darf nicht zu einem gleichgiltigen
HUfsmotiv der Erzählung degradirt werden. Der Uebersetzer des Syr. Sin. hat
die Incongruenz zwischen 6, 14 und 15 gefühlt und gestaltet daher den zweiten
Vers um : xal ifisllov [ooof o^Hj] ocgnaj^siv ccitbv iva noLi^aansiv ßaodia • '/ijtfoDg
dl yvovg naxiXinsv airovg xai &vsxoiQriO£v [ndXiv ist ebenfalls mit Absicht weg-
gelassen] sCg rb ögog airbg (lovog.
2) 7, 40 ^x toi) öxlov ovv ScyiovöavrBg r&v X6ycav xovrcov iXtyov ' ovxog iariv
&Xrid^&g 6 «poqp^TTjs, vgl. 7, 52. 6, 14 ot ovv &v^Q(onoi löovxsg o ^noCriaiv ori-
fttCoVj iXsyov oxi ovxog iaxiv ScXrid-ätg 6 ngocp-^xrig 6 igx^fisvog slg xbv yiöa^ov.
Die Synoptiker bezeichnen lesus nicht als 'den' Propheten; in zwei Predigten der
Apostelgeschichte [3, 22. 7, 37] dagegen wird Deut. 18, 15 angeführt.
Aporien im vierten Evangelium III 173
nicht mehr öffentlich unter den Juden, sondern begab sich von
dort in das Land nahe der Wüste, nach der Stadt Ephraim^) und
hielt sich dort mit seinen Jüngern auf [11, 54]. Also war Thomas
Wort 11, 16 eitel Renommisterei und das Synhedrion sehr dumm;
denn es läßt sich den gefährlichen Mann so leichten Kaufes ent-
gehen, daß es den Befehl ergehen lassen muß seinen Aufenthalt
zu melden, falls er zum Feste kommt [11,57]: schließlich scheinen
die Pharisaeer gar an ihrer Absicht zu verzweifeln [12, 19] und
man kann sich nur wundern, wie es überhaupt zur Verhaftung
kommt. Umgekehrt kehrt lesus aus seinem Versteck 'sechs Tage
vor dem Pascha' nach Bethanien zurück, als wenn es gar keine
Gefahr für ihn gäbe, in schneidendem Gregensatz zu der früheren
Fahrt dorthin, die durch die Warnungen der Jünger und die Worte
1) Die Ortsangabe macht Schwierigkeiten. Euseb [Onom. p. 90, 18. 86, 1]
identificiert, wie die Mosaiktarte von Madeba, die Stadt Ephraim mit einem
großen Dorf, das 20 Millien n. von Aelia liege, und stellt dies wiederum zu dem
Artikel ^EtpQov [los. 15, 9] : an der Stelle des A. T. ist von Städten des Gebirges
ynt:^ die Rede. Daneben führt er [28, 4] unter 'Acpga [= n"^B3? los. 18, 23 ;
LXX 'Ieq)Qa&a] ein Dorf Alfpqaiyb (wohl 'Etpgaiii zu sprechen) 5 Millien ö. von
Bethel auf. Da 'Ecpgav zum Stamme Inda, 'Jcpga zum Stamme Benjamin gehört,
Euseb ferner von beiden Dörfern 'Ecpgccifi behauptet daß sie zu seiner Zeit exi-
stirten, können sie nicht mit einander identificirt werden: Euseb bezog die
Evangelienstelle auf das Ephraim das 20 Millien n. von Aelia lag, weil es das
größere und bedeutendere war. Dasselbe erwähnt wahrscheinlich auch losephus
BI 4,551; Paralip. 2, 13, 19 mag auf sich beruhen bleiben. Nun paßt aber zu
diesem Ephraim der Zusatz iyyvg vfjg egruiov in keiner "Weise: 17 egriiios kann
nur die 'Araba am unteren Jordan und dem todten Meere sein, und die ist weit
weg. In dieser Wüste taufte nach den Synoptikern lohannes [Mc. 1, 4. Mt. 3, 1.
Lc. 3,2]; sieht man 11,54 in slg 'Ecfgalfi Xsyoiisvriv noXiv einen verkehrten Zu-
satz, dessen Sinn und Zweck freilich niclit aufgehellt ist, so kommt so ziemlich
dieselbe Localität heraus wie die in der sich lesus vor der Reise nach Bethanien
aufhielt [10, 40, vgl, 1, 28] ; dabei ist nur zu bedenken daß das vierte Evangelium
lohannes d. T. nicht ausdrücklich, wie die Synoptiker, in die Wüste versetzt.
Eine sehr merkwürdige Weiterbildung des geographischen Fehlers findet sich in
der Lesart von D: &7t7jXd-sv sCg rrjv xcoqav ZuficpovQSLv iyyvg trig ig^^ov slg
^EcpQalfi Xsyofiivriv noXiv. Blaß will mit Resch unter SccficpovgsLv ein samarita-
nisches 'j'^I^Bo verstehen, von dem niemand etwas weiß und das durch 4 Reg. 17
in keiner Weise bezeugt wird. Vielmehr ist 2a(i(povQSLv der vielfältig belegte
aramaeische Name von Diocaesarea [vgl, die von Thomsen, Loca sacra 55 ange-
führten Stellen], der Hauptstadt Galilaeas, deren Feldmark Euseb im Onomastikon
oft zur Orientierung benutzt. Unter Atcpgai^ [28, 25 = D^^^Bn los. 19, 19] be-
merkt er HOfl iati, yuaiiri 'AcpQuCa vvv yiccXovfisvri ccTtsxovaa Asysmvog iv ßogSLOLg
liiXiOLg c: nach p. 70, 9 stieß die Feldmark von Diocaesarea an 'die große Ebene
von Legio', d. i. die Ebene von Jezreel.
174 E. Schwartz
des Thomas als eine besondere Tat gekennzeichnet wird. Während
das Synhedrion den Beschluß den es 11, 47 ff. unmittelbar nach
dem Lazaruswunder faßt, nicht ausführt und lesus entkommen
läßt, stellen 12, 10 die Hohenpriester sogar dem auferweckten
Lazarus nach: freilich verläuft auch diese Bosheit gänzlich im
Sande.
Es ist wieder das gleiche Mißverhältniß : neben einer Er-
findungskraft die das Lazaruswunder wagt und den Beschluß des
Synhedrions politisch motiviert, steht ein Ungeschick die Hand-
lung durchzuführen, das nicht einmal naiv genannt werden kann.
Die altkirchliche Interpretation, die gegen Schwierigkeiten durch-
aus nicht blind war, half sich über diese Fälle mit der Doppel-
natur Jesu und der 'Torheit' der Juden hinweg: das Evangelium
war für sie eine gegebene Grröße mit der sie fertig werden mußte.
Trotzdem sind bei dieser Weise, die nach der Art der antiken
Philologie svötdöstg und Xv6sLg praecis formuliert, scharfe Beob-
achtungen — die] immer die Hauptsache] sind — noch eher mög-
lich und auch wirklich gemacht als bei der modernen Manier,
die sich eine besondere, den Gresetzen des vernünftigen Denkens
und Redens nicht unterworfene Psyche des Schriftstellers con-
struirt und außerdem einer reinlichen Antwort auf die Frage ob
der apostolische Ursprung des Buches fictiv ist oder nicht, mit
allen möglichen Ausflüchten aus dem Wege geht: was man nicht
versteht, soll Stil, Stimmung oder dgl. sein. Damit wird das d-av-
^d^SLv eingeschläfert, das ' Nicht verstehn', das die Frage scharf
zu stellen wagt und aller Forschung Anfang ist. Die wissenschaft-
liche Betrachtung muß an dem Widerspruch zwischen dichterischem
Können und banalem Ungeschick anstoßen, der sich im vierten
Evangelium nach der Sitzung des Synhedrions auftut. Man kann
streiten wo die Ueberarbeitung beginnt und wo sie aulhört, der
Versuch die Spuren des Ursprünglichen aufzudecken kann miß-
glücken ; damit wird die Aporie selbst nicht aus der Welt geschafft
und das Princip ihrer Lösung nicht aufgehoben, das neben der
ursprünglichen Erfindung eine oder mehre Ueberarbeitungen postu-
lirt, die schon darum ungeschickt sein müssen, weil sie in einen
gegebenen Rahmen Dinge hineinpressen wollen, die nicht hinein-
passen. Im vorliegenden Falle bekommt die Analyse von vorne
herein dadurch eine bestimmte Richtung, daß der Einzug lesu in
Jerusalem aus den Synoptikern stammt. Um ihn hineinbringen zu
können, mußte lesus noch einmal wieder aus der Nähe Jerusalems
entfernt werden, und das hat den ursprünglichen Aufbau der Hand-
lung zerstört. Der Bericht über den Einzug selbst sieht durchaus
Aporien im vierten Evangelium III 175
wie eine verblaßte Copie nach den Synoptikern aus : eigentümlich ist
ihm, daß das Volk lesus aus der Stadt entgegenzieht und ihn durch
die Palmzweige [1 Makk. 13, 51] und den Zuruf als König begrüßt ^),
bei den Synoptikern feiert ihn die Menge die mit ihm zur Stadt
geht^). lieber den Bearbeiter der den Einzug hineinbrachte, ist
dann noch ein späterer Interpolator gekommen, der hier wie in
der Passionsgeschichte sich aussondern läßt. Bei den Synoptikern
wird das Finden des Reittiers, auf dem lesus einzieht, ausführlich
erzählt und an der Stelle wo es sich gehört, ehe der Zug beginnt.
Hier [12, 14] wirds nur kurz angedeutet mit einem nackten svqcjv,
und die Erklärung der Prophetenstelle 12, 16 ist nur für den Leser
verständlich, der die Synoptiker kennt. Denn die Worte tote ifi-
v7]6dTj6av (die Jünger) ötL tavta ^v iit' avtcbi yeyQa^fieva xal tavta
inoLriaav ccvtm setzen voraus daß die Jünger nach lesu Anweisung
das Eselfüllen gesucht, gefunden und ihm zugeführt haben ^) : davon
steht aber im vierten Evangelium nichts. Grrade diese schatten-
haften, schlecht skizzirten Reminiscenzen aus den Synoptikern sind
für den Interpolator charakteristisch. Er hält auch im Folgenden,
gegen den Bearbeiter, die synoptische Ueb erlief erung fest, daß die
Menge mit lesus kam, und sucht zugleich, recht ungeschickt, den
Anschluß an das Lazaruswunder herzustellen, indem er dies sowohl
durch die einziehende Menge feiern läßt als auch für die Menge
in der Stadt, die er dem Bearbeiter entnahm, zum Motiv der Ein-
holung macht, was dann freilich sehr unpassend am Schluß steht:
i^aQtvQsv ovv 6 o^log 6 hv fist avtov oxl [so D, Peschittha und
die Lateiner] thv Ad^aQov i(p6vi]06v ix tov fivrj^SLOv xal i^ysigev
avtbv ex vexQcov' 8iä tovto xal v7t7}vtT]6ev avtcbi 6 ox^os, ort i^xovöav
rovto avtbv TceTtoLTjxevai, tö 6r]^etov. Es gab nun aber kluge Leute
die merkten daß die Juden von Jerusalem [11, 19] und nicht die
Menge die mit lesus zog, Zeugen des Lazarus Wunders gewesen
waren, und daher ort in ots [»B] änderten, wobei denn cbv zu
1) In dem überlieferten Texte [12, 13] maccvva svloyri^svog 6 SQxofisvog iv
dvofiari kvqlov yiccl [fehlt in D und bei den Syrern] 6 ßccGLXsvg tov 'iGQccqX hinken
die letzten Worte verdächtig nach: sollte der Zuruf nicht ursprünglich einfach
maavvci 6 ßccGiXevg tov 'l6Qui\X gelautet haben? Der Einschub stammt aus Mt.
21,9. Mc. 11, 9 und hat auch Lc. 19, 38 verunstaltet ; vgl. Wellhausen, Ev. Lucae 109.
2) Mc. 11,9 xal Ol TtQodyovrsg xal ot äyioXovd'ovvTsg b-hqcc^ov ' maavva v.xX.
Ebenso Mt, 21,9. Lucas [19,37] macht anuv to nXfi%-og t&v iiccQ^rir&v daraus,
zum Zeichen daß von einem Einholen lesu durch das Volk in Jerusalem bei den
Synoptikern nicht die Rede ist.
3) Vgl. Mt. 21, 6 TtoQSvd'svTsg dh ot ficcd-Jirccl v.a.1 noiiqoavrsg %ci^6ig 6vvs-
TK^ev avxotg 6 ^l7\60vg.
176 E- Schwartz
einem unklaren Part. Praet. wird und i^aQtvQSi sein Object ver-
liert. Natürlicli wird durcli ein solches Mittelchen der ärgste An-
stoß niclit beseitigt, daß das Motiv der festlichen Einholung, das
am Schluß nachgetragen wird, die Erzählung selbst verwirrt, welche
den Ton darauf legt, daß das Volk von Jerusalem in lesus den
König sieht ^).
Der glänzende Einzug lesu in Jerusalem, der so grell mit dem
Ende contrastierte, war eines der wirksamsten Stücke der synop-
tischen Tradition. Es wurde dem vierten Evangelium verhängniß-
voll, daß es ihn auslassen mußte um seiner Erfindungen willen:
die Ueberarbeitung zwängte ihn wieder hinein und sprengte da-
durch die straffe und geschlossene Conception; der wichtigste
Factor der Peripetie, die Reise nach Bethanien um Lazarus zu
retten, wurde entwertet und^nur das Wunder blieb übrig. Um
des Einzugs willen ist auch die erste Reise nach Jerusalem ihres
Charakters entkleidet. In dem Bewußtsein der Gremeinden saß die
Vorstellung zu fest, daß lesu öffentliches Wirken in der heiligen
Stadt mit dem Einzug begonnen habe, als daß die Erfindung sich
hätte behaupten können, daß er schon vorher mit dem ausge-
sprochenen Zweck hingegangen sei öffentlich zu lehren und zu
wirken, aber den Juden habe weichen müssen. Dazu kam daß es
wohl angieng den Tod, der zur Auferstehung führte, als ein doja-
ö^fivai anzusehn, aber ein Mißlingen, eine Flucht der werdenden
Dogmatik die einen Gott postulierte, mehr und mehr widersprach.
Man wollte andererseits den ganzen Abschnitt, der von dem ersten
Aufenthalt lesu in Jerusalem [7 — 10] erzählte, nicht missen, schon
um des[ Wunders des Blindgeborenen nicht, und weil der Unglaube
der Juden ein willkommenes Thema war. So wurde umredigiert:
die Aufforderung an lesus nach ludaea zu gehn wurde den un-
gläubigen Brüdern in den Mund gelegt, und die Aufforderung
selbst dadurch entstellt, daß die Juden als Objekt von lesu Wirk-
samkeit hinausgebracht wurden. lesus selbst lehnt die Aufforde-
rung ab, seine Zeit sei noch nicht erfüllt : weil er nichts will, miß-
lingt ihm nichts. Da nun aber die Reise nicht gestrichen wurde,
so blieb nichts anderes übrig als den Widerspruch zwischen dem
1) Der alte syrische Uebersetzer hat die mannigfaltigen Schwierigkeiten des
überlieferten Textes empfunden und hilft sich durch eine stark umgestaltende
Paraphrase aus der Verlegenheit, die 6 öxXog 6 mv (isr a'bxov [12, 17] zum Sub-
ject von inoiriaav [12, 16] macht und 6 öx^og 12,18 mit diesem identiticiert :
>^Q3o ]\.^ ;p loa-) ooo) ^^jüoj )oo^ opax? Jjuj ooj \anD o^ Oyiiix >Aoto
'jLO c&^qa; >^^ (H^ioU Q^oji >^0) \aa).
Aporien im vierten Evangelium III 177
was er erst sagt und nachher tut, dadurch auszugleichen, daß er
'heimlich' hingeht: die Erfindung ist so lahm, daß sie sofort zu
Boden sinkt. Allem Anschein nach gehören diese Verschiebungen
dem späten Interpolator an, der die antivalentinianische Chrono-
logie durch die Festreisen hineingebracht hat.
Nicht so einfach, wie bei dem Einzug, liegen die Dinge in
der Erzählung 12, 1 — 11, die dem Grastmahl im Hause Simons des
Aussätzigen bei den Synoptikern entspricht [Mc. 14, 3 ff. Mt. 26,
6 ff. Lc. 7, 36 ff.]. In Ueb er einstimmung mit Marcus und Matthaeus,
abweichend von Lucas, ist es unmittelbar vor die Passion und nach
Bethanien verlegt, aber vor den Einzug, was damit zusammen-
hängen kann, daß dieser eine secundäre Einlage ist. Der Anfang
[12, 1] 6 ovv 'Irjöovg TtQO ^^ ij^sgav zov Ttdöx^ '^Xd'Bv slg Brjd'avCav,
oitov ^v AdlaQog ov ijyetQSv sx, v6xqg>v ^Irjöovg verrät die Ueber-
arbeitung ebenso wie die Flucht lesu 11, 54; ob die merkwürdig
genaue Chronologie die im Folgenden nicht durchgeführt wird, mit
der Fastenwoche zusammenhängt, läßt sich nicht mit Bestimmtheit
ausmachen. Greschmacklos ist es daß der auferweckte Lazarus als
Grast beim Diner eingeführt wird: ohne Zweck wird damit das
schon hoch gespannte Wunder seiner Auferstehung über die Pointe
hinaus gesteigert. 12, 10. 11 habe ich schon als eine müssige Er-
findung gekennzeichnet, die ohne Folgen bleibt und bleiben muß:
man male sich nur einmal aus daß Lazarus darum auferweckt wird
um von den Hohenpriestern umgebracht zu werden. Endlich scheint
12, 9 mit der Interpolation 12, 17 zusammenzuhängen, vorausgesetzt
daß Ott dort gelesen wird. Die Zeitrechnung geht ganz in die
Brüche. Am Abend ist das Grastmahl, am folgenden Morgen zieht
Jesus in die Stadt ein [12, 12] : wann sollen die Juden scharenweis
nach Bethanien hinausgegangen sein, als sie hörten daß lesus dort
war? Granz davon zu schweigen daß sie schon früher Grelegenheit
hatten den vom Tode auferstandenen Lazarus zu sehen.
Man erfährt nicht, wo das Grastmahl stattfindet; es heißt ganz
unbestimmt [12, 2] sTCotriöav avtciv dstjtvov ixet. Wenn die Inter-
preten annehmen, es sei im Hause des Lazarus gewesen, ist es
mehr als verwunderlich daß dieser als Grast hingestellt wird [12, 2] :
6 ÖS Ad^ttQog sig ^v x&v dvaxeL^svcav 6vv ccvt&l. Die aufwartende
Martha ist wieder eine schattenhafte Reminiscenz aus Lc. 10, 40 ;
endlich sollte jedem einleuchten daß die Greschichte von der Sal-
bung ungeheuer verliert, wenn ihre Heldin nicht zum ersten Male
auftritt, sondern schon längst mit lesus in Verbindung steht. Aus
alle dem dürfte so viel als sicher hervorgehn, daß Lazarus mit
den beiden Schwestern aus der Greschichte hinausgetan werden
178 E. Schwartz
muß; sie sind hineingesetzt, weil das ursprüngliche vierte Evan-
gelium sie in Bethanien localisirte und andererseits die Synoptiker,
wenigstens Marcus und Matthaeus, das Gastmahl bei dem die Sal-
bung stattfand, nach Bethanien verlegten.
Die Greschichte selbst ist, trotz zahlreicher Anklänge, keines-
wegs dieselbe wie bei den Synoptikern. Die Ausmalung daß an
Stelle der scheltenden Jünger ludas Ischarioth tritt, ist lebendig
und deutlich motiviert; sie bekommt auch dadurch eine besondere
Bedeutung, daß die hier geschilderte Habsucht des Verräters an
Stelle des 'Judaslohnes' tritt, der im vierten Evangelium fehlt. Er
hat den Beutel auch an einer Stelle [13, 29] die, wie früher [Nachr.
1907, 343] gezeigt wurde, höchst wahrscheinlich zum ursprüng-
lichen Bestand gehört. Ferner wiederholt sich der im N. T. sin-
gulare Gebrauch von ßaßta^sLv = al'Qetv [12, 6] in einem Stück der
Auferstehungsgeschichte [20, 15], das ebenfalls sehr echt aussieht.
Im Ganzen betrachtet, weicht die Vorstellung daß lesus von einer
Gemeinde begleitet wird, die eine Kasse hat, und daß es möglich
war unter seinen Augen die Kasse zu bestehlen, sowohl von der
synoptischen Ueberlieferung wie von den Speculationen des Be-
arbeiters über Sohn und Vater so gründlich ab, daß es geraten
ist hier wiederum eine Spur des ursprünglichen, kühn und mensch-
lich erfindenden Evangelisten zu wittern. Auf ludas Schelten ant-
wortet lesus [12, 7] : ag)£g avviiv iva eig rijv rjfiBgav xov ivtatpLccö^ov
^ov xriQYierit, avto ^). Das ist etwas ganz anderes als das was er bei
Marcus [14, 8] und dem Sinne nach nicht abweichend bei Matthaeus
[26, 12] sagt : 'sie hat mich im Voraus zur Bestattung gesalbt'.
Wenn sie die Salbe aufbewahren soll, hat sie das Gefäß nicht wie
bei jenen zerbrochen; sie kann überhaupt nur wenig davon ge-
braucht haben , und die Combination aus Mc. 14, 3 und Lc. 7, 38,
daß 'Maria lesu Füße mit einem Pfund Nardensalbe bestrich und
seine Füße [zovg nodag ist zweimal gesetzt] mit ihren Haaren ab-
wischte', ist schon darum verdächtig: die Aushilfe daß sie nicht
alle Salbe verbraucht habe, widerspricht dem griechischen Wort-
laut. Andere Anstöße kommen hinzu: das Abwischen der Salbe
statt der Thränen und die unleidliche Wiederholung von tovg Tcööag,
Hier liegt eine täppische Ausgleichung mit den Synoptikern vor,
1) Der folgende Vs. 8 tovg nrcaxovs yccg nccvroze ix^rs (jisd"' (avT&v, ifil Sh
oi) ndvtots i%€tE ist ein junger Einschub aus Mt. 26, 11 [= Mc. 14, 6], der mit
Recht in D und dem sinaitischen Syrer fehlt. Zum ursprünglichen Bestand gehört
er keinesfalls; was er bei den Synoptikern motivirt, xC %6novs Teagsxfts tf/i yv-
vai%C\ iqyov yuQ tiakbv ij^ydaato tig i(ii^ fehlte ja grade im vierten Evangelium.
Aporien im vierten Evangelium III 179
die ebenso wie die Einführung des Lazarus mit den Schwestern
ein gut Teil der echten Greschichte zerstört hat. Was in ihr mit
der Salbe wirklich geschehen ist , läßt sich nicht mehr erraten :
vom Ursprünglichen ist nur r^ de oUCa ETtlrjQchd-i] ix tfjg dö^rjg rov
livQov stehen geblieben^). Auch das Praeteritum in den Worten
des ludas [12, 5] diä xC rovto t6 y,vQov ovx sjtQccd^rj tQiaxoöicjv di^-
vccQLcov xal ido^ri Tcrcoxotg ist unpassend aus Mc. 14, 5. Mt. 26, 9
eingesetzt; es giebt nur dann Sinn, wenn die Salbe wirklich ver-
schwendet ist: dem widersprechen aber die Worte lesu. In dem
echten Evangelium muß natürlich die Weissagung lesu in Er-
füllung gegangen sein; die Ungereimtheit daß die Weiber den
schon begrabenen lesus salben wollen [Mc. 16, 1. Lc. 23, 56], sollte
vermieden werden^). Die salbende Frau fehlt jetzt in der Schilde-
rung der Bestattung 19, 39. 40: aber der starke Verbrauch von
Aromata findet sich noch und fällt auf, wegen des Gregensatzes
zu den Synoptikern. Was für eine Frau nun aber das ursprüng-
liche Evangelium eingeführt und ob es sie benannt hat, das kann
niemand mehr sagen.
1) Wilamowitz, Reden und Vorträge 204: 'Von dem ecliten Parfüm genügten
auch dem Reichen wenige Tropfen, die man auf das Haar oder den Kranz oder
das Busengewand goß.' Wenn das Salbfläschchen nur geöifnet oder nur wenig
ihm entnommen wurde, hat es Sinn zu sagen 'das ganze Haus duftete danach'.
2) Auch das Petrusevangelium versucht über diese Inconcinnität durch um-
ständliche Wendungen hinwegzukommen [50]. Es stand mit dem vierten Evan-
gelium jedenfalls in einem Zusammenhang: lesus wird in einem Garten begraben
[24 vgl. 19,41]; die Erscheinung am See von Tiberias, die im 21. Cap. erzählt
wird, scheint eine Parallele gehabt zu haben [60]. 25 läßt sich mit 8, 28 ver-
gleichen. Im Uebrigen ist aus den dürftigen Fragmenten der apokryphen Evan-
gelien für das vierte nicht eben viel zu gewinnen. 1, 12. 21, 15 stimmen mit dem
Hebraeerevangelium frg. 9.11 gegen Mt. 16,17; frg. 22 ist vielleicht mit 6,37.
17, 6. 9 zusammenzustellen. Merkwürdig ist die Ueberlieferung bei Hippolyt,
Comm. Daniel 4, 60 tov kvqlov diriYov^svov xotg iia^r\tats nsgl xf)g iisXXovatjg rmv
ayccov ßccailsLag mg slri svSo^og nccl ^avficcaf^ ^ ncctccTtXayslg 6 'lovSag inl xoig
Xsyoiisvoig Iqprj 'xal vig aqa öipstccL travra'; 6 ds Kvgtog k'cpri 'ravra öipovtaL ot
&^LOL y£v6(ifvoL. Sie wird wohl mit Recht mit den Presbytern bei Iren. 5, 33, 4,
d. h. Papias, zusammengebracht: et adiecit dicens : 'haec autem credibüia sunt
credentihus.^ et luda, inquit, proditore non credente et interrogante 'quomodo ergo
täles geniturae [ysvvrjiiavcc] a domino perficientur?^ dixisse dominum: 'uidebunt
qui uenient in illa\ 14, 22 fragt ludas 'warum willst du dich uns offenbaren und
nicht der Welt' ? Die Frage liegt in der gleichen Sphäre wie bei Papias-Hippolyt ;
es macht nichts aus daß das Evangelium durch den Zusatz ovx ^ 'iGy-ciQimtrig den
s. g. ludas lacobi einführt. Der Anklang in den Aoyia 'Iriaov 7 [Preuschen, Anti-
legomena 25] an loh. 8, 51 ist wertlos, da der Papyrusfetzen sich nicht mit Evi-
denz ergänzen läßt.
180 E. Schwartz
Im ursprünglichen vierten Evangelium entspracli die erste, mit
der Flucht endende Reise lesu nach Jerusalem [7 — 10] den synop-
tischen Erzählungen von seinem dortigen Auftreten bis zur Ver-
haftung. Danach ist anzunehmen daß bei der zweiten, die nach
Bethanien gieng, dem Beschluß der Hohenpriester ihn zu tödten
die Katastrophe rasch folgte. Jetzt ist der wichtigste Zug daß
die Verhaftung Pilatus zugeschoben wurde, unterdrückt; was außer
der Salbungsgeschichte und dem sicher eingelegten Einzug zwischen
der Sitzung des Synhedrions und der Fußwaschung, dem letzten
Ereignis vor der Grefangennahme, steht, sind durcheinander ge-
worfene Trümmer, aus denen nicht einmal die Spuren eines Granzen
zusammenzubringen sind. In dem kleinen Stück 11, 55—57 werden
jüdische Landleute eingeführt die vor dem Pascha in die Stadt
gehn um sich zu reinigen, die Syra Sin. fügt die genauere Zeit-
bestimmung hinzu 'am Abend' ^) ; damit soll wohl die Verbindung
mit 12, Iff. hergestellt werden: die Menge die am Abend nach
Jerusalem kommt, sucht lesus vergeblich im Tempel und findet ihn
in Bethanien. Obgleich die Bezeichnung der Tageszeit zu den
targumartigen Zusätzen gehören wird, an denen die alte syrische
TJebersetzung reich ist [vgl. Nachr. 1907, 350], so bleibt der Zu-
satz doch im Sinn und Zweck des Textes; die Püger sind nur er-
funden um die Menge zu schaffen, die nach 12, 17 [vgl. o. S. 175]
bei lesus war. Daß sie zur ayveta vor dem Fest kommen, hängt
mit der Tagezählung 12, 1 zusammen; das Fest allein genügt nicht
damit sie schon sechs Tage vorher sich auf die Reise begeben.
Was für eine ccyvsia eigentlich gemeint ist, ist keineswegs klar:
die Reinigung für das Fest, von der die Interpreten reden, ist als
stehender Usus keineswegs bezeugt, und unmöglich ist es nicht,
daß das was die Apostelakten [21, 23 ff.] bei Gelegenheit des Pfingst-
festes, an dem der Krawall gegen Paulus entstand, von Naziraeem
erzählen, das Vorbild für das Motiv gewesen ist. Es verklingt so-
fort, weil es nur ein Hülfsmotiv ist ; die secundäre Erfindung verrät
sich auch darin daß 11, 56 nur eine müßige Wiederholung von
7, 11 ist, einer ebenfalls jungen Einlage; von 11, 57 war schon
die Rede. Ursprünglich ist in der ganzen Episode nichts.
1) JAA ^=^Vo; \»s» joof jofo; das ist etwa xal ^v ianiga 8t^ iyy^g riv ^
ioQxri. Blaß übersetzt falsch xal ^v rj ioniga xöbv iyyvg iogt&v: ^ix*'«o kann
uur Praedikat, nicht Attribut sein, und steht im Plural als wenn J»*^ = tu
ä^vfia Subject wäre. Uebrigens ist die Stelle schwerlich intact, wahrscheinlich
war ianiga ursprünglich Variante zu der Vulgata iyyvg tö na.a%u rmv 'lovSccicov,
nnd diese Lesung ist, in verkürzter und schwankender Form, später eingetragen.
Aporien im vierten Evangelium III 181
Nach dem 'Einzug werden im jetzigen Evangelium hellenische'
Eestpilger, d. h. Proselyten eingeführt, nicht ohne eine gewisse Feier-
lichkeit: sie müssen erst angemeldet werden, als wäre lesus ein
Bischof der nicht ohne Weiteres Leute empfängt, die nicht zur
Cremeinde gehören. Und auch diese Ceremonie wird noch weiter
complicirt. Philippus dessen Herkunft zum zweiten Male [vgl. 1,
44] genau angegeben wird, als solle er von einem anderen unter-
schieden werden^), kann, wie es scheint, die Fremden nicht allein
anmelden und wendet sich an Andreas, seinen Landsmann nach
1, 44. Das erinnert an die Stelle 6, 8, wo Andreas ausdrücklich
als 'einer von lesu Jüngern' vorgestellt wird, während Philippus
ohne jedes Epitheton auftritt. In der Erzählung von der Jünger-
waJil ist er ebenfalls ein Anhängsel von Andrefas und Petrus [1,
44] 2). Die Apostelkataloge der Synoptiker [Mc. 3, 18. Mt. 10, 3.
Lc. 6, 14] nennen ihn an fünfter Stelle , unmittelbar nach den
beiden Brüderpaaren die als die eigentlichen Jünger des Herrn
erscheinen und deren Berufung allein ausführlich erzählt wird.
Ich muß es dahingestellt sein lassen ob die Versuche des vierten
Evangeliums Philippus zu einer wirklichen Figur auszubilden mit
dem Platze zusammenhängen, den er in den Katalogen der Zwölf
einnimmt, will aber doch daran erinnern, wie ich es schon Öfter
getan habe^), daß es unrichtig ist den Herrenjünger von dem
Evangelisten und Diakonen zu trennen. Grade daß er als Mitglied
der Sieben missionirte und sich einen Namen erwarb, hat ihm
wahrscheinlich die bevorzugte Stelle in der Liste der Zwölf ver-
schafft, und seine dvaKovCa scheint auch im vierten Evangelium
eine Rolle zu spielen. "Wenigstens ist 12, 26 säv e^oC rt? dtaxovfli,
i^ol ccxolovd-sitco das Wort dtaKoveZv so ungewöhnlich gebraucht,
daß der Gredanke an den 'Diakon' Philippus Act. Ap. 6, 5 nicht
abzuweisen ist, umso weniger als dort auch die 'Hellenisten' eine
1) Ethnika werden den Jüngern nie gegeben, auch bei den Synoptikern
nicht. Nur der Verfasser des 21. Cap. [2] setzt zu Nathanael hinzu 6 ccnb Kava
xfi? FaXilaCas. Damit soll wohl, in Ausdeutung von 2,1, die Scene l,45flf. nach
Kana verlegt werden.
2) Es wiirde das noch deutlicher hervortreten, wenn es angienge Andreas
zum Subject von bv^Cg-abi 1, 43 zu machen. Dafür spricht das Verbum vgl. 1, 41.
45 — Philippus würde der einzige Jünger sein, den Jesus im vierten Evangelium
beruft — und der Zusatz 1, 44, der freilich besser vor v.ccl XsyBi, avr&L 6 ^Iriaovg
stände. Was dagegen spricht: r^t incivQLOv rjd-BXriaBv i^Bldsiv bIs tr}v raXilaiccv
[1, 43], ist kaum mehr als ein unglücklicher Versuch 1, 28 mit 2, 1 topographisch
zusammenzubringen.
3) Abhdlg. VIT 5, 17. Nachr. 1907 (Chronologie des Paulus).
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phüolog.-histor. Klasse 1908. Heft. 2. 13
182 E. Schwartz
Rolle spielen ^). Ueber Znov sl^l iy6 vgl. oben S. 161 ; in dem
Corrigierenden Zusatz iav tig ifiol diaxovrjt, tl^tjösl avtbv 6 natt^Q
wird der Vater an die Stelle Jesu gesetzt, wie 16, 15 «^ 16, 14 und
16, 26. 27 r^ 14, 16.
Die mit Sorgfalt vorbereitete Situation die Jesus mit helle-
nischen Proselyten zusammenbringt, wird nicht ausgenutzt; die
^Hellenen* verschwinden lautlos wie ein Gespenst, 12, 29 tritt der
'öxXog an ihre Stelle, vor dem Jesus sich 12, 36 versteckt. Das ist
keine Erzählung die Sinn und Verstand hat; es ist auch nicht
immer so arg gewesen. Der schöne Spruch 12, 24, der nicht aus
1 Kor. 15, 35 fP. erklärt werden darf, ist allerdings eine Prophe-
zeihung der Weltkirche, die aus dem Tode Jesu sich erhebt, ebenso
wie die Deutung die die Juden in ihrem Unverstand den Worten
lesu 4hr werdet mich suchen und nicht finden', geben [7, 35 s. o.
S. 161]. An diesen Spruch 12, 24, den Jesus nur von sich selbst
sagen kann, sind die beiden Ermahnungen 12, 25. 26 gehängt. Von
der zweiten war schon die Rede ; die erste ist aus den Synoptikern
entlehnt. Mt. 10, 39 steht sie innerhalb der Rede an die Missionare :
Missionare waren auch die Diakonen , auf die 12, 26 zu zielen
scheint.
Wie schon gesagt, tritt 12, 29 eine Menge auf, von der man
nicht weiß aus wem sie besteht und woher sie kommt. Sie bildet
das Publicum in zwei Redecomplexen, die nicht mit einander zu-
sammenhängen; die Fuge liegt zwischen 12, 31 und 32. Denn zu
den beiden vvv paßt weder das an eine Bedingung^) geknüpfte
Futurum iXxvöG) noch xayc), in dem deutlich das xaC steckt, das aus
einem Allgemeinen eine specielle Anwendung zieht. Jesus weis-
sagt nicht seinen Tod, sondern er erklärt: 'nur dann wenn ich
sterbe, ziehe ich alle nach', ein Ausspruch der dem Jesus des
Lazaruswunders und des Spruches 12, 24 wohl ansteht. Aber der
Ausspruch ist entstellt: denn säv vflxo^cb ix tfig yrig ist, trotz der
1) Ob die eigentümlicne Art mit der Philippus 12, 22 Andreas unterge-
ordnet und 6, 9 im Gegensatz zu diesem nicht als Jünger bezeichnet wird, mit
seiner Diakonie zusammenhängt, wage ich nicht zu entscheiden. Aber zuzugeben
ist daß an beiden Stellen einer von den beiden besser fehlt. Namentlich 6, 8
tritt das darin hervor, daß aitcäi, unklar ist: vorher redet nicht Jesus, sondern
Philippus, und die Erzählung fließt besser, wenn man &7tB'>iQ£&ri wbx&i 6 ^iXCnnos
6, 7 unmittelbar mit 6, 9 verbindet. G, 6 ist eine törichte Glosse, die lesu All-
wissenheit um jeden Preis aufrechterhalten will.
2) Das haben diejenigen gefühlt, die, wie die Syra Sinaitica [j )»] und Ori-
genes , Zxccv für ^dv einsetzen. Die Correctur ist wertvoll ; denn sie verbietet
idv mit laxer Interpretation gleich Ztav zu nehmen.
Aporien im vierten Evangelium III 183
unverständigen Glosse 12,33 — was kommt auf die Todesart an? — ,
eine scMeclite Periphrase für das was verlangt wird: iäv ccTtod-dvco.
Sie steht mit der gleichen, unverständlichen Kürze auch 8, 28 : die
alttestamentliche Typologie, die auch 3, 14 nur flüchtig angedeutet
wird, kann von einem Schriftsteller der erzählen will, nicht zu
solchen Brachylogien mißbraucht werden ; derartige Gedankenlosig-
keiten verraten den Interpolator, dem das Ganze gleichgiltig ist.
Dem Interpolator kommt auch die Torheit zu, der Menge ein so
rasches und feines theologisches Verständniß zuzuschreiben, daß
sie die wahrhaftig dunkle Metapher sofort vom Sterben gebraucht
und noch dazu den Menschensohn hineinbringt, während lesus diesen
Ausdruck noch gar nicht in den Mund genommen, sondern von
sich in erster Person gesprochen hat: noch ärger ist daß dann
nach der Bedeutung dieses Ausdrucks gefragt wird. lesus ant-
wortet nicht darauf; über das was er sagt, vgl.^oben S. 168. Wie
schon gesagt, steckt in 12, 32 wahrscheinlich Echtes und Ursprüng-
liches, möglicherweise ist auch rjiietg rjxovaa^sv — ^dvsc sig tbv
aiava [12, 34] ein älterer E,est: weiter läßt sich, dank den Ueber-
arbeitungen und Interpolationen, nicht kommen.
Die 'Menge' ist in diesen zweiten Redecomplex wohl aus dem
ersten übertragen. Da sitzt sie in der Erzählung 12, 28 — 31 fest;
diese ist freilich nur eine schlechte Weiterbildung von Lc. 22, 43,
in der eine rein dogmatische Auffassung von lesu Tod grell her-
vortritt. Er ist kein Erniedrigen, sondern Erhöhen ^), kein Scheitern,
sondern Herrlichkeit [vgl. 13, 32. 17, 1. 5]. Nach diesem Dogma
ist die Geschichte 12, 28 — 31 gemacht; charakteristisch ist ferner,
daß die Offenbarung für lesus gar nicht nötig ist [12, 30 vgl. die
oben S. 167 angeführten Stellen]. Wie der Interpolator auch sonst
in Anmerkungen die er in die Erzählung einschaltet, söo^ccöd'ri ein-
fach für den Tod setzt [7, 39. 12, 16], so bildet er den überlieferten
Spruch [Mc. 14, 41 vgl. 26, 45] ^X^sv rj wga, idov ütagadidorai 6 vibg
Toi) avd-gaTtov sig tag xstgag tcbv a^ccQtcoXcbv um zu [12, 23] iXyjXvd'ev
r} coga tva do^aed^fii, 6 vibg tov ävd'QG}^ov : weil er an eine zu frühe
Stelle der Handlung gerückt ist, muß er von lesus selbst wieder-
holt werden [17, 1 ; vgl. auch 13, 1]. Unter dieser dogmatischen
Uebermalung sind aber noch die Spuren einer älteren Erzählung
zu erkennen, die mit der synoptischen Scene im Garten Gethsemane
parallel lief: tccctsq, dö^aööv 6ov xo ovo^a [12,28] ist, wie 11,42,
1) Damit hängt wohl die schon erwähnte Brachylogie von vipoad-ijvca [3, 14.
8, 28. 12, 34 ; vtpa&a iyi rfjg yijs nur 12, 32] zusammen.
13*
2g4 E- Schwartz
die Correctur eines ganz anderen Gebets ^), das dem von Mc. 14,
35 berichteten entspricht. Es steht aber an verkehrter Stelle,
nnd vollends ist nicht abzusehen, wie es mit der Einführung der
Proselyten zusammengebracht werden kann: auf den Spruch 12, 24
kann es unmöglich folgen. So ist es vielleicht Einlage des Be-
arbeiters, die von dem Interpolator erweitert wurde.
Daß 12, 37 — 43 ein Predigtstück schlecht eingeschaltet ist,
wurde schon früher [S. 152] nachgewiesen. Auch die Rede lesu
12, 44 — 50 ist an dieser Stelle unmöglich : wie kommt lesus dazu
zu 'rufen', nachdem er eben sich vor der Menge versteckt hat, und
vor welchem Publicum predigt er? Der jüngsten Schicht gehört
das Stück schwerlich an ; eine Interpolation , in 12, 48^, ist sicher
nachzuweisen, vgl. oben S. 170.
Eine genaue Analyse der 'Abschiedsreden' überlasse ich Well-
hausen, der an ihnen zuerst entdeckt hat, wie den Räthseln des
vierten Evangeliums beizukommen ist. Nur einige Beobachtungen
mögen hier Platz finden.
Wellhausen stützt seinen Schluß, daß 15 — 17 eingelegt sind,
auf die Worte 14, 31 iysLQsad^s, ayco^ev evtevd-ev. Bei den Syn-
optikern [Mc. 14, 42. Mt. 26, 46 ; bei Lukas fehlen sie] werden
sie im Grarten, unmittelbar vor der Verhaftung, gesprochen, im
vierten Evangelium sind sie vor den Grang zum Garten gestellt.
Ob sie schon dem ursprünglichen Text angehören, kann ich nicht
entscheiden; daß aber der echte Schluß der ältesten Abschiedsrede,
die nicht sehr lang gewesen zu sein braucht, unmittelbar vor diesen
Worten stand, läßt sich noch beweisen: der semitische Abschieds-
gruß schimmert ja noch in sigilvriv a(piriHL vfitv [14, 27] durch, und
das Schlußgebet in Cap. 17 ist deutlich die Doublette dazu, die
das einfache Original übertrumpfen soll und sich nicht mit ihm
verträgt.
Es genügt keineswegs die Capitel 15 — 17 auszuscheiden, da-
mit die echte Abschiedsrede rein und ungetrübt hervortritt. Von
ihr sind vielmehr nur Reste da, über denen mehr als eine spätere
1) Wie die Worte jetzt dastehn, muß man ndxBQ, g&g6v hs in rfis mgag xavxris
[12,27] als den Inhalt von tC etna fassen, das zeigt &XXa diu tovto Tjld-ov slg
xriv mgav xavxriv ; diu xoüxo widerstrebt der Erklärung ähnlich wie 7, 22 [s. oben
S. 158] : doch ist es hier eher möglich mit dem Fragezeichen zu helfen, weil Tva
a(o^m sich leicht ergänzen läßt. Das zweite Gebet [12, 28] «ar«^, d6^aa6v aov xb
övo(ia giebt dann die berichtigende Antwort auf die mit &lXcc eingeleitete Frage.
Die Valentinianer hatten eine Ueberlieferung nach der lesus sagte xai r/ bCtko^
oi}% olda [Iren. 1,8,2 = Epiphan. 31,25 p. 194^; vgl. S. 135]. Sie stammt nicht
aus dem vierten Evangelium, sondern ist in ihm benutzt.
Aporien im vierten Evangelium III 18o
Schicht liegt. Die Störungen in 14, 3 ^) und 13, 34. 35 sind von
Wellhausen erkannt [10. 14]; über 13,36 — 38 vgl. Corssen, Zeitschr.
f. neutestamentl. Wiss. 8, 142; über 14,29 oben S. 167. 14, 30. 31
(von den Schlußworten abgesehen) stellen sich mit ihrer den Tod
lesu im Voraus aufhebenden Dogmatik zu 12, 31. 10, 18. Schwierig-
keiten machen die Zwischenreden der Jünger. Thomas fragt so,
als wüßten die Jünger nicht, daß lesus zum Vater geht [14, 5] : er
hat es auch noch nicht ausdrücklich gesagt. In 14, 4 ist ötcov vnayco
ungehörig aus 14, 5 hineingetragen : das doppelte Object zu ol'dare
ist schon sprachlich anstößig, und xal ol'öare rr^v odöv schließt,
wenn man an die jüdisch-ur christliche Bedeutung von oöög denkt,
die in 14, 2. 3 enthaltene Ablehnung der Parusie erheblich schärfer
und praegnanter ab, als wenn f^v odöv durch das vorausgehende
oTtov vTcdyw seines vollen Sinnes entkleidet wird. Daß Thomas
diesen Sinn nicht gleich findet, ist ebenso passend wie daß lesus
antwortet (14, 6] : iyio sl^l rj 6öög [xal i] «AtjO"£ta xal yj Joij] ^)*
oifdslg BQxstaf, üt^bg tov TCcctSQa, et firj dt sfiov: es ist wohl zu be-
achten daß er nicht von dem Wege spricht, den er jetzt zurück-
legen wird, sondern von dem welchen die Jünger zurücklegen
sollen. Dagegen fällt die metaphysische Speculation, die 14, 7 ein-
setzt, aus dem Bilde : durch Jesus zum Vater gelangen und seine
speculative Einheit mit dem Vater erkennen sind zwei verschiedene
Dinge. Lediglich dies Thema wird in dem zweiten Grespräch mit
Philippus ausgesponnen, das sich nicht mit 14, 7 verträgt, sondern
14, 6 in derselben Weise wie 14, 7 weiter führt ; also sind 14, 7
und 14, 8 — 10 Dubletten. 14, 10 läßt sich nur so verstehn, daß
lesu Reden als ein Wirken des Vaters gefaßt werden : man könnte
die zweite Hälfte mit 6 ds jtatrjQ iv e^ol svegyet paraphrasieren.
Dieser Gredanke fiel so auf, daß er doppelt glossiert ist, erstens
durch eine, den Jüngern gegenüber unpassende Wiederholung von
10, 25. 37. 38, und dann durch einen Hinweis auf die Wunder
welche die Jünger nach Jesu Tod tun werden. Daß in der Frage
des ludas [14, 22] eine den Presbytern des Papias bekannte Ueber-
lieferung umgebildet zu sein scheint, wurde schon gesagt [S. 179].
Sie paßt nicht zum Vorhergehenden, wo Jesus von dem Gegensatz
zwischen den Jüngern und der Welt nicht redet; das hat er 14,
17 und 14, 19 getan. Umgekehrt hinkt das Kolon welches das
einzige 14,21 und 22 verbindende Wort s^tpavi^siv enthält: xccya
1) Nur muß auch der Finalsatz Tva onov sC^lI iym, nal vfisig '^ts fallen; er
fügt sich in den Irrealis schlecht ein und kehrt 17, 24. 12, 26 wieder.
2) Vgl. Nachr. 1907, 3652.
186 E. Schwartz
äyuTnjaoy avzbv r.cX iiicpavCoa avrai iuavrov hinter der Sclilnßkotte
in 14, 21* nach nnd sieht nach einem schlechten Verbindungsstück
aus : i^fpavCöG) avtm iiiaircöv ist bedenklich unklar, weil es ebenso
von der Parusie wie von einer geistigen Offenbarung auf Erden
verstanden werden kann. Endlich antwortet lesus auf die Frage
nicht, sondern wiederholt zunächst den Syllogismus von 14, 21* in
verkürzter und verschlechterter Weise und springt dann zu einem
Wir' über ^), das die Rede Grottes Lev. 26, 12 und das Wort lesu
Mt. 28, 20 mit unzulässiger Kürze vereinigt, ganz zu schweigen von
dem unverständlichen ütQog avtbv eXsvöonad^a. Auch dieser Vers
ist ein Flicken: das 'Wir' ist nur aus einer Combination von 14,
18 ^QioiiKL TtQog v^ag, 14, 22 iiikXeig eiiq)avL^SLv öeavtöv und 14, 21
ayajctid-Tjöetai 'bno xov natQÖg ^ov erwachsen; 14, 24 enthält den
richtigen Gegensatz zu 14, 21* ( — TT^ptjcJft). So scheidet die Frage
des Judas ebenso aus wie die des Phüippus ; die des Thomas scheint
aus einem echten Kern erweitert zu sein. Auch nach Entfernung
der störenden Zwischenrede des ludas mitsammt dem Kitt der
daran hängt, bleibt das ganze Stück 14, 14 — 24 ein wirres Hin-
und Herreden ; vergleicht man 1 loh. 3, 22 — 24, so erscheint alles
wieder: die Gebete, das Halten der Gebote, die unio mystica und
auch der Geist, der sich 14, 17 sammt den Anhängen 14, 18 — 20
so störend zwischen 14, 15 und 14, 21 zu schieben scheiat. Auch
die Schlußreihe von 14, 21 kehrt dem Sinne nach 1 loh. 2, 5 wieder.
Nur hängt 1 loh. 3, 22 f. alles gut zusammen , während die Ge-
danken im Evangelium confus durcheinander laufen. Dort, im
Brief, konnte der Schriftsteller sich frei bewegen; hier wollte er
eine Vorlage überarbeiten und kam damit nur schlecht zu Stande.
Der Paraklet wird 14, 17. 15, 26. 16, 13 durch xo nvsv^a ti^g
akri^sCag , 14, 26 durch rö Jtvev^a t6 äyiov erklärt. Nimmt man
diese Gleichung mit der Bedeutung des Wortes jtaQcixXritog =
aduocatus ^) zusammen, so ergiebt sich daß der Ausdruck zurückläuft
1) Es war schon den Alten verdächtig, D und Syr. Curet. setzen den Sin-
gular dafür ein.
2) Philo gebraucht es nur appellativ = Fürsprecher oder einfach Beistand.
Ohne Beistand, von sich aus erkennt Gott, daß er der Materie durch seine Gnaden-
beweise [Qi^on] das Gute zuführen müsse, de opif. mundi 23. Der Hohepriester
braucht den Beistand des göttlichen Wortes, dessen Träger sein loystov = itun
ist, um für das Volk beten zu können, de uit. Moys. 2, 134. Beim Gebet um
Sündenvergebung ist das Gewissen ein Fürsprecher, de spec. leg. 1, 237. Das
Volk Israel hat drei Fürsprecher: Gottes Güte, die Frömmigkeit der Erzväter,
die eigene Bufie, de exsecrat. 166. Im gleichen Sinne kommt auch naQaixrixi^s
Aporien im vierten Evangelium III 187
auf das Wort lesu, das bei Marcus in der letzten Rede vor der
Verhaftung steht: kkI otav äycoöcv v^stg TtaQadidövtsg, [iri Ttgo^is-
QL(iväts xC XaX}]6i]r£, äXX' b iäv doO'iJt v^lv sv ixsivrii tijL agcci,,
rovto XaXstxs' ov yccQ iöts v^stg oC XaXovvtsg, äXXä tb Ttvsv^a rö
ayiov [Mo. 13,11]: Matthaeus [10,20] und Lukas [12,12] rücken
es früher. Diese Grrundbedeutung muß das Wort geprägt haben;
sie tritt aber nirgend mehr rein hervor. Im ersten lohannesbrief
[2, 1] ist es zwar noch rein appellativ gebraucht, aber ohne Be-
ziehung auf den Greist : das Forum vor dem der TtagauXT^tog fungiert,
ist dort kein weltliches, sondern Gott. Es ist schon oben auf die
nahen Beziehungen hingewiesen, welche 14, 14 ff. mit dem ersten
lohannesbrief verbinden : ich vermute daß nicht nur 14, 17, sondern
auch ccXXov TtagdKXrjtov aus der geistigen Sphäre des Brief-
schreibers, wenn nicht von ihm selbst herrühren. Denn ccXXov
kann nur heißen 'außer' oder 'nach mir', und damit ist die Be-
deutung von TCagaTcXritog zu derjenigen verschoben, die sich im
Briefe findet: ursprünglich kann das aber nicht sein. Denn wenn
auch im Verhältnis zur Gemeinde Christus und der Geist auf eine
Linie gestellt werden können, ist darum doch nicht Christus in
demselben Sinne aduocatus wie der Geist, und eben weil durch
diese Verschiebung der Ausdruck an der Stelle die ihn einführt,
unklar wird und die Beziehung zu seinem Ursprung verliert, ist
anzunehmen daß auch hier nur das Wort selbst ursprünglich ist,
dagegen nicht der Gedankenkreis in den es gestellt wird. Es ist
gar nicht ausgemacht, daß schon das ursprüngliche Evangelium
den Geist der in den Jüngern selbst ihre Sache führte, mit dem
identificierte, der in der werdenden Kirche eine immer breitere
und mächtigere Stelle einnahm : 'in meines Vaters Hause sind viele
Wohnungen; ihr wißt den Weg: fürchtet euch nicht': das war
dort Jesu Abschiedswort, und in dieser Richtung muß sich auch
das was er vom Parakleten sagte, bewegt haben.
Schon bei der ersten Wiederholung [14, 26] ist aus dem über-
tragenen Worte ein fester, durch den Artikel bestimmter Terminus
geworden, 6 TcagdcxXritog. Auf irgend einen Gemeindebrauch weist
das nicht, sonst müßte 6 TcaQccxXritog als Bezeichnung für den heiligen
Geist unabhängig vom vierten Evangelium vorkommen und könnte
der erste lohannesbrief die Metapher nicht so anders gewandt haben.
Es muß sich also die Entwickelung vom bildlich gebrauchten Appel-
lativ zu einem Nomen proprium des Geistes innerhalb des vierten
vor, de mut. nom. 129, vgl. de spec. leg. 2, 25. Mit dem Parakleten der Christen
hat dies alles nur das Wort gemeinsam.
188 E. Schwartz, Aporien im vierten Evangelium III
Evangeliums selbst vollzogen haben, und zwar durch die Ueberarbei-
tung : eine Metapher versteinert bei dem Schriftsteller, der sie original
anwendet, nicht so rasch und leicht wie bei dem Bearbeiter, der sie
vorfindet und aus ihr Capital schlägt. Schon 14, 26 ist 6 nagd-
xXr^tos der Name des Greistes, der in der Gemeinde lebt und wirkt.
Hier ist an die Ethik der Gemeinde gedacht: der Geist hält die
Lehre ^), d. h. die Gebote lesu aufrecht, vgl. 1 loh. 3, 24. 15, 26
ist der Paraklet der Geist der für den christlichen Glauben gegen
die Juden zeugt; in mechanischer Weise wird das historische
Zeugnis der Apostel daneben gesetzt, wie in der Rede des Petrus
Act. Ap. 5, 32. Derselbe Gedanke steckt auch in 16, 8 — 11 , nur
ist er praetentiöser ausgedrückt, so daß der Geist zur geoffen-
barten christlichen Lehre vom Tode Christi umgesetzt wird^).
Dagegen tritt in 16, 13 das Pneuma der christlichen Prophetie
unverkennbar heraus; an diese Stelle knüpft das montanistische
Mißverständnis an.
1) Vgl. Abhdlg. VU 5, 122.
2) Der ganze Passus von 16, 4 ravra [allgemein, ohne bestimmte Beziehung
auf das was vorhergeht] Ss vfitv i^ ccQXVS o^x slnov an ist eine erweiternde Aus-
führung von 14, 25. 26 ; 14, 28 ist in 16, 7 zu dem Gedanken verschoben : 'ohne
meinen Tod würdet ihr nicht die Träger der Offenbarung geworden sein'. Da
schlägt schon die Lehre des zweiten Jahrhunderts von der apostolischen Autorität
durch. Smauiövvr] und ngiOLg 16, 8 ff. sind eine Keminiscenz an np^lS und üDtDia
des A. T. ; von dem jüngsten Gericht ist keine Rede, sondern von der Aufrichtung
des Rechts durch den Messias, die nach den Juden erst kommen sollte und nach
den Christen schon durch Jesus vollzogen war.
Das erste Gedicht der Carmina Burana.
Von
Wilhelm Meyer ans Speyer,
Professor in Göttingen.
Vorgelegt in der Sitzung vom 22. Februar 1908.
Die berülimte Handschrift der Carmina Burana, die lateinische
Handschrift 4660 in München, und Schmellers Ausgabe zeigen auf
der ersten Seite eine feine Zeichnung , Fortuna in ihrem Rade ^),
und dazu passende hübsche Verse. Da scheint feine Buchkunst
mitgewirkt zu haben. Das kann auch der Fall gewesen sein.
Aber dann ist es nicht der feine Sinn jenes Mannes gewesen, der
in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts diese prächtige Lieder-
sammlung sich zusammenschreiben ließ, sondern der Buchbinder
oder sein Auftraggeber, welcher in den letzten Jahrhunderten die
zerrissenen, verstümmelten und in Unordnung liegenden Blätter-
lagen und einzelnen Blätter dieser Handschrift zu ordnen versuchte.
Die genauen Untersuchungen, welche ich in der Festschrift
unserer Gesellschaft von 1901, in den Fragmenta Burana, über die
Blätter und Lagen dieser Handschrift angestellt habe, haben er-
geben, daß der jetzige Anfang der Handschrift nicht der wirkliche
ist. Nach Schmeller's Vorgang habe ich festgestellt, daß im Anfange
der Handschrift die ursprüngliche Folge der Blätter gewesen ist:
Bl. 43—48, dann 1—42.
Am Rade sind 4 menschliche Gestalten mit den bezeichnenden Inschriften:
Eegnabo . Regno . Regnavi. Aber bei der 4. Inschrift hat den Anfang *Ve ve
misero' vor den Worten 'sum sine regno' sowohl der Zeichner in Schmeller's
Ausgabe übersehen, wie alle diejenigen, welche die Handschrift nachverglichen
haben.
190 Wilhelm Meyer,
Ich habe 1901 (Eragmenta S. 6) bemerkt: 'Der Anfang von
BJatt 43 (bei Schmeller no 66 S. 37) enthält das Ende eines Ge-
dichtes ; er lautete wohl ursprünglich 'cie nostrum fedus hodie' ;
dann ist zum Anschluß an den Schluß von Blatt 42 'stu' die Silbe
'cie' in 'dio nostrum etc' geändert: ein Sinn wird so nicht ge-
wonnen. Es fehlt also vor Blatt 43 der Anfang der Hand-
schrift, eine oder mehrere Blätterlagen'.
Die Anfangssilbe von Bl. 43 hat man allgemein als 'dio' ge-
lesen: ich sah, daß der senkrechte Strich des d spät zugesetzt sei
und daß aucb das o nickt ursprünglich sei. Eine neue, korrekte
Ausgabe der Carmina Burana müßte also mit einem Bruchstück
und noch dazu mit einer unsichern Silbe beginnen : *c i e (?) n o s t r u m
fedus hodie defedat et inficit- nostros ablativos qui
absorbent vivos- moti per dativos movent genitivos.
Ein solch häßlicher Anfang wäre eine Schande für eine so ge-
schmackvolle Liedersammlung.
Ich freue mich, daß eine neue Ausgabe der Carmina Burana
wenigstens vor einem so häßlichen Anfang bewahrt werden kann.
Das obige Bruchstück interessirte mich. Es enthält eine Termi-
nologie, in welche satirische Dichter des 12. Jahrhunderts öfter
ihre Angriffe einkleiden. So heißt in dem heftigen Streitliede
gegen die Curie Bur. no 19 die sechste Strophe:
Si te forte traxerit Homam vocativns
et si te deponere vult accusativus,
qui (quo = ut?) te restituere possit ablativus,
vide, quod fideliter presens sit dativus.
Also vocativus = Vorlader, accusativus = die anklagende Gregen-
partei, ablativus = der Geschenke verlangende Richter der Curie,
dativus = der bestechende Angeklagte. In der berühmten Apo-
kalypse (Mapes S. 10; Walther v. Chatillon ed. Müldener S. 24)
wird in Str. 45 auch noch der Genitivus, meistens = Geschlechts-
theil, hinzugefügt:
Decano precipit, quod, si presbiteri
per genitivos seit dativos fieri,
accusans faciat vocatum fieri,
ablatis fratrihus a porta inferi.
Da diese beiden Stellen mich ziemlich beschäftigt hatten, so
hatte ich auch jenes Bruchstück im Anfange der Carmina Burana
mir eingeprägt. Da fiel mein Auge in Walter Mapes (ed. Thomas
Wright 1841) S. 227 auf die Zeilen :
defectu pecuniae
causa Codri deficit;
das erste Gedicht der Carmina Burana. 191
tale foedus liodie
defoedat et inficit
nostros ablativos,
quos absorbent vivos,
morti per dativos
movent genitivos.
Damit war das Gredicht gefunden, von dem der Anfang der
Carmina Burana einen traurigen Eest enthält. Aber es entstand
eine neue Unklarheit. In den Carmina Burana sind die genannten
Zeilen der Schluß des Gredichtes: dagegen bei Wright sind sie es
nicht; 33 Kurzzeilen gehen ihnen voran, 20 folgen ihnen. Eine
Vergleichung der 3 Handschriften schuf auch hier Licht. Die
beiden Handschriften R und C enthalten die Strophen 12 3 4 und 5
in dieser Ordnung ; dagegen die Handschrift L enthält die Strophen
1, 4, 3, 2 und 6; es fehlt also in ß und C die 6. Strophe, in L
fehlt die 5. Strophe, aber die 6. Strophe bildet, was wir brauchen,
den Schluß des Gredichtes. "Weßhalb Wright diese Strophe vor die
4. und 5. gestellt hat, weiß ich nicht. Allein es ist klar, die
Fassung dieses Liedes in den Carmina Burana war mit der Fassung
in der Handschrift Lansdowne 397 nahe verwandt.
Das Gredicht 'Manus ferens munera' enthält eine halb satirische
Klage über die Macht des Greldes, besonders vor Grericht. Dieser
Inhalt paßt zu den vollständigen Gredichten, welche in den Carmina
Burana folgen. Denn z. B. no 67 enthält den Vers 'regnat avaritia',
no 68 'iuris libertas ancülatur, obsecundans pecuniae'. Dieser Stoff
ist nach Art der Spruchdichtung behandelt; deßwegen fehlt es an
einem deutlich sich entwickelnden Gredankengang der Strophen und
deßwegen ist es schwierig zu entscheiden, ob die Ordnung der
Strophen in EC (1. 2. 3. 4.) oder die in L (1. 4. 3. 2.) die richtige
ist. Für die von EC könnte wenigstens ein rhetorischer Grrund
sprechen: in der 1. Strophe wird die Macht des Greldes mit sechs-
maliger Wiederholung des Wortes 'nummus' geschildert; darauf
folgen 2 Strophen, von denen jede mit 'nummus' beginnt; die 2.
schüdert besonders die Begünstigung des Eeichen, die 3. die
Schädigung des Armen. Aber ich finde keinen Grrund, welcher für
die Eeihenfolge der Strophen in L spräche.
Die Form der Strophen ist fein. Hiat innerhalb der Kurz-
zeilen findet sich nur Z. 29 (nach der Münchner Handschrift); er
findet sich auch nicht zwischen den Kurzzeilen. Der Reim ist
zweisilbig; nur Z. 22 steht ein 'ötas' gegen 2 'itas'. Wiederholt
wird der Eeim itur (Str. 2) in Str. 5: das ist aber Caesurreim.
Die Strophe ist entwickelt aus der Vagantenzeile 7 u __ + 6 ^ u :
192 Wilhelm Meyer,
zuerst 6 Knrzzeilen zu 7 ^^, dann 4 Kurzzeilen zu 6 — u. Diese
Kurzzeilen sind zu Langzeilen verbunden : also 7u__a4-7u_c,
7u — a + 7u_c, 7vj — a + 7u-.c; dann nach einer Sinnespause :
6 — ub + 6_ub, 6_ub-f6_ub. Die Sinnespause nach der ersten
Halbstrophe ist nur in der 6. Strophe vernachlässigt.
1
Manus ferens munera pium facit impium.
nununus iungit federa, nummus dat consilium.
3 nummus lenit aspera, nummus sedat prelium.
nummus in prelatis est pro iure satis.
5 nummo locum datis, vos qui iudicatis.
2
Nummus ubi loquitur, fit iuris confusio.
pauper retro pellitur, quem defendit ratio.
8 sed dives attrahitur pretiosus pretio.
hunc iudex adorat; facit quod implorat.
10 pro quo nummus orat, explet, quod laborat.
3
Nummus ubi predicat, labitur iustitia,
et causam, que Claudicat, rectam facit curia.
13 pauperem diiudicat veniens pecunia.
sie diiudicatur, a quo nichil datur.
15 iure sie privatur, si nil offeratur.
4
Sunt potentum digiti trahentes pecuniam.
tali preda prediti non dant gratis gratiam.
18 sed licet illiciti censum censent veniam.
clericis non morum cura, sed nummorum,
20 quorum nescit chorum chorus angelorum.
5
*Date, vobis dabitur' talis est auctoritas.
sancti pie loquitur impiorum pietas.
23 sed adverse premitur pauperum adversitas.
quo vult ducit frena, cuius bursa plena.
25 sancta dat crumena sancta fit amena.
6
Hec est causa curie, quam daturus perficit.
defectu pecunie causa Codri deficit.
28 tale fedus hodie defedat et inficit
nostros ablativos, qui absorbent vivos;
30 moti per dativos movent genitivos.
das erste Gedicht der Carmina Burana. 193
K = Brit. Museum Regius. 8. B. VI f. 18»; C = Cambridge Corpus
Christi College 177 f. 202», 2. Spalte L = Brit. Museum Lansdowne 397 f.
10b. R und L hat Th. Wright, Walter Mapes 1841 S. 226 zum Abdruck be-
nützt; C habe ich gefunden. RCL habe ich selbst 1906 verglichen und über L
nachträglich freundliche Mitteilung von Prof. B. Priebsch in London erhalten.
I 1 inpium L 2 Munus L 2 nitigit statt iungit R 3 Munus L
3 lenit Meyer, levit Wright; in diesen Hften ist n und u kaum zu unterscheiden,
munus sedat L Nummus und Munus wechseln, wie hier in L, so auch sonst;
vgl. Carmina Burana no 19, Str. 9 und 10.
II steht nach IV + III in L 6 vgl. Bur. 19, 10, 7 ubi nummus loquitur;
Mapes S. 223, 17 Cum nummus loquitur. 8 s ; (d. h. set) L 9 inplorat L
III steht nach I + IV m L 11 ubi loquitur L 12 cäm (causam) L, causa
RC rectam facit curia L: recta seuicia R; cedit seuicia und recta mit anderer
Tinte über cedit C 15 iure s; (set) L 15 afiferatur L
IV steht nach I in L 17 graciam L, grotii (?) R 17 vgl. Burana no 18,7:
Ibi nemo gratus gratis, Neque datur absque datis Gratiani gratia. 18 s; (set)
RL 18 illiciti RC, illicito und s über o L 18 census cens. L 19 cura s;
L, cura fit RC 20 nescit om. L 20 thorum LC chorus: corus L, deus
RC Wright
V fehlt in h 21 vgl. Lucas 6, 38 date et dabitur vobis; Burana 192,2, 3
date, vobis dabitur; sonst vcjl.' z. B. Bur. 19,16 Das istis, das aliis, addis dona
datis; et cum satis dederis, querent ultra satis 21 tal mit Querstrich durch I
{d. h. talis) RC, tale Wnght 22 danti pie? 23 s; R 24 vult {so daß man
It als a lesen kann) R, vis und darüber vult C : una Wright 25 Vielleicht sancta
et amena = das heilig geachtete und beliebte Gold schafft Einem selbst Heiliges
(Weihen etc.) ; doch ist der Hiat bedenklich.
VI Diese Strophe fehlt in RC ; sie steht nach Str. II als letzte in L ; in der
Hft der Carmina Burana, München Latin. 4660, beginnt Blatt 43 mit den Worten :
cie (?) nostrum fedus hodie defedat et inficit nostros ablatiuos qui absorbent
uiuos moti per datiuos mouent genitiuos. causa Codri: vgl. Bur. 2, 5, wo die
Mahnung, mit üeberlegung nur Würdigen Geschenke zu geben, geschlossen wird
mit den Worten: In te glorior, quia Codro Codrior omnibus abundas. Aber
welcher Codrus ist das? Der sich opfernde attische König? oder der arme
Schlucker bei luvenal 3, 203? oder ein Anderer? 28 tale L, nostrum Bur.
29 qui Bur-, quos L 30 moti Bur., morti L; vgl. Bur. 19,6 u. Apokalypse
Str. 45 (oben S. 190). Der Sinn scheint zu sein: die bei uns lebenden Räuber
(Ablativi) verschlingen Alle mit Haut und Haar, und durch Bestecher (dativi)
bewogen treten sie thatkräftig (genitivi) für dieselben ein.
Lateinische Rythmik und byzantinische Strophik.
Von
Wilhelm Meyer aus Speyer
Professor in Göttingen.
Vorgelegt in der Sitzung vom 21. März 1908.
Vor zwei Jahren habe ich die von Auspicius um 470 in Toni
verfaßten rythmischen Jamben wieder herausgegeben und ihre Form
besprochen (Nachrichten 1906 S. 192—229). Jetzt hat P. Maas in
der byzantinischen Zeitschrift (XVII S. 239 — 245) meine Arbeit
besprochen, hauptsächlich ausgehend von einem Vergleich dieser
lateinischen Zeilen mit einigen Zeilen byzantinischer Strophen.
Die von ihm dabei vorgebrachten Ansichten halte ich für unrichtig
und die angewendete Methode für gefährlich; deßhalb wül ich sie
hier besprechen. Ich füge einen, so viel ich finde, noch nicht ge-
druckten, sehr alten Rythmus einer bemer Handschrift bei, dessen
Achtsilber zu denen des Auspicius in bemerkenswerthem Gegen-
satze stehen.
Früher war die Ansicht verbreitet : als der Wortaccent mächtig
geworden sei, habe man angefangen, in die Vershebungen der ge-
wöhnlichsten quantitirenden Zeilen Silben einzuschieben, welche
mit dem Wortaccent belegt sind. So seien die rythmischen Zeilen
entstanden, wie:
Quae tdli viro r^geris.
Appar^bit r^pentina dies mdgna dömini.
Als ich die Formen der rythmischen Dichtkunst untersuchte,
sah ich, daß jener einfachen Theorie nirgends die Thatsachen ent-
sprechen. Neben Zeilen, welche den Füßen der quantitirenden
Schablone entsprechen, stehen, wenn es überhaupt möglich ist, oft
ebenso viele, welche widersprechen. Viele deutsche Gelehrten
Wilhelm Meyer, lateinische Rythmik und byzantinische Strophik. 195
hatten sich geholfen durch Annahme der schwebenden Betonung,
wornach man jedes lateinische Wort betonen kann, wie man will.
Ich hielt mich an die feststehende Betonung der lateinischen
Wörter und erklärte: die Zeilen der lateinischen Rythmik zählen
Silben und achten auf eine bestimmte Schlußkadenz; außerdem
werden noch einige allgemeine Regeln, je nach der Art und der
Lebenszeit des Dichters, mehr oder minder genau befolgt : es wird
Hiatus gemieden; es wird das gemieden, was ich daktylischen
Wortschluß genannt habe (Auspicius S. 201), und endlich wird,
außer durch est, nicht leicht der Zeilenschluß durch ein einzelnes
einsilbiges Wort gebildet. Sind die quantitirenden Zeilen durch
Caesur durchschnitten, dann wird auch das rythmische Nachbild
genau in die entsprechenden Kurzzeilen getheilt und in deren
Schluß werden die entsprechenden Kadenzen nachgebildet.
Im Allgemeinen werden Zeilen von mehr als 8 Silben in 2
Kurzzeilen zerlegt, Zeilen von weniger als 8 Silben werden nicht
durch Caesur getheilt. In den Kurzzeilen von 4, 5, 6 und 7 Silben
finden sich vor der Schlußkadenz all die möglichen Tonfälle: also
z. B. von Siebensilbem mit steigendem Schluß (7 u _) zunächst die
Schablone: Saxa növem flumina- Perdidisti nobile- Saeculi qui
crimina; dann mit Taktwechsel: Quas ünda salsiflui- Subtilis in-
genio ; endlich bei rohen Dichtem : Qui saeculi crimina ; damit sind
die möglichen Variationen des Tonfalles erschöpft.
Die Zeilen von 8 Silben stehen auf der Grrenze. Die aus 4
Trochaeen bestehenden quantitirenden Achtsilber enthalten 4
sichere Vershebungen; bei ihnen lag der Gredanke an eine Caesur
näher als bei den aus 4 Jamben bestehenden Achtsilbem, deren
vierte Hebung die Schlußsilbe, also anceps war. Das tritt auch
in den entsprechenden rythmischen Achtsilbem hervor. Die Acht-
silber mit sinkendem Schluß im Psalm des Augustin zeigen alle
möglichen Betonungen: Solet fratres conturbare- Quando retia
ruperunt- lUi minantur de füste. Höminös miiltum superbi- Adda
quod mnöcöns erat; Dixerunt maiöres nöstri- Non iüdic6s cönse-
d^runt; Qui possent causam librorum. Iniquus pöpülüs ille. Da-
gegen in dem schon von Beda citirten Hymnus Apparebit repen-
tina dies magna domini ist die erste Halbzeile zu 8 ^ u regelmäßig
zerlegt in 4_vj + 4_vj: Für obscura- völut nöcte. Dasselbe ge-
schieht auch sonst in dieser Zeile außerordentlich oft. Da nun bei
dieser Zerlegung der Wortaccent vollständig trochäisch sein muß,
so haben Manche hier den Uebergang von den quantitirenden
Püßen zu den rythmischen finden wollen.
Den jambischen Dimeter haben die alten Griechen gern in 2
J96 Wilhelm Meyer,
gleiche Theile zerlegt. Die späteren Lateiner gingen in Fragen
der Caesur sehr selbständig vor. Von einer Caesur des lateinischen
quantitirenden jambischen Dimeter^s hat bisher Niemand gesprochen.
Kach meiner Theorie war im ryihmischen Nachbilde des jambischen
Dimeters vor der Schlußkadenz, also vor der 5. Silbe, der Toniall
frei gegeben. Möglich sind also nach meiner Lehre (vergleiche
Seite 221) die Spielarten:
pater direjxit filium
sonus magnns | intonnit
quinto iam vojlatilia
miratur cun|ctus populus
quem Abraham | ut höspitem
de päradijsi gaüdiis
hoc totum figuraliter
Dann bei rohen Dichtem:
aridä paitent limina ibi patü|it trmitas.
W. Brandes hat nun im Programm des Herzoglichen Gymnasiums
in Wolfenbüttel 1905 die rythmische Epistel des Auspicius heraus
gegeben, und hat dabei auch die rythmische Form eingehend
untersucht. Es sind 41 ambrosianische Strophen. Brandes hat
richtig hervorgehoben, daß unter den 164 Zeilen des Auspicius nur
in 5 die 3. Silbe, aber in allen übrigen die 4. Silbe mit Wort-
accent belegt ist. Daraus hat Brandes gefolgert, daß Auspicius
mit Absicht die 4. Silbe betont habe, daß er überhaupt, außer dem
ersten, die jambischen Füße des quantitirenden Vorbildes habe
nachahmen wollen, daß also meine Lehre von dem Anfang der ryth-
mischen Dichtkunst, von der bewußten Annahme des Silbenzählens,
unrichtig sei. Anderseits fand Brandes nur wenig andere Strophen,
deren Bau ihm dem Zeilenbau des Auspicius ähnlich zu sein schien,
während die ganze übrige Masse zu meiner Lehre paßte; deßhalb
construirte Brandes eine frühe Periode der rythmischen Dichtung,
in welcher die Füße des quantitirenden Vorbildes nachgeahmt
worden seien.
Alles geht hier aus von der richtig constatirten Thatsache,
daß Auspicius fast immer die 4. Silbe accentuirt. Aber ich wies
zunächst nach, daß Auspicius eine sonst ganz gewöhnliche Betonung
der 4. Silbe vermieden hat; er hat nemlich nur die 2 Verse:
Auspicius I qui diligo und Aut r^novds | aut superas, während sonst
in diesen rythmischen Zeilen diese Bildung ganz gewöhnlich ist.
Dann vereinigte ich die Beobachtung von Brandes und die meine
dahin, daß Auspicius es gemieden habe, die 4. Silbe durch die
Schlußsilbe eines Wortes zu bilden, ohne darauf zu achten, ob sie
accentuirt sei oder nicht. Das führte mich weiter darauf, daß
hier gemieden sei, die Zeile in 2 ganz gleiche Hälften zu zerlegen.
So haben schon die alten Griechen und dann noch viel strenger
lateinische Rythmik und byzantinische Strophik. 197
die Roemer es gemieden, den Trimeter in 2 völlig gleiche Hälften
von je 3 Jamben zu zerlegen und haben deßhalb die Caesur ein-
geführt. Diese ist eine schwankende: entweder wird die erste
Senkung der zweiten Hälfte noch mit der ersten Hälfte verbunden,
oder die letzte Hebung der ersten Hälfte wird mit der zweiten
Hälfte verbunden, also 3^ imd J2 oder 2J und J3 Füße oder, in
Silben ausgedrückt, 7 + 5 oder 5 + 7 Silben : Amans iratus • mülta •
mentitur sibi. Dasselbe war offenbar hier geschehen. Die 4
Jamben sind zerlegt in IJ + ^2 oder 2J + Jl oder ^ + 1 + Jl Füße
oder in Silben ausgedrückt in 3 + 5 oder 5 + 3 oder 3 + 2 + 3
Silben. Es war zu vermuthen, daß dies Caesurgesetz schon von
quantitirenden Dichtern befolgt worden sei, und beim Suchen fand
ich wirklich, daß Prudentius in Peristephanon V unter 576 Zeilen
nur 11 hat, welche nicht im 2. oder 3. Fuß trochäisch durch-
schnitten sind. Daß Auspicius diese Caesur gesucht hat, wird
auch dadurch bewiesen, daß er auch Verse gemieden hat, wie
Tamen non generaliter, Quinto iam volatilia. Sie haben auf der
4. Silbe Nebenaccent und zerfallen nicht in 2 völlig gleiche Theile .
aber sie sind caesurlos und werden deßhalb von Auspicius gemieden:
Es hat also die, allerdings wenig verbreitete, Schullehre ge-
geben, daß der jambische Dimeter durch Caesur getheilt werden
solle. Diese Schullehre hat Auspicius gekannt und in seinen ryth-
mischen Versen zu befolgen versucht. Seine rythmischen Zeilen
bestehen also aus 2 Stücken von 3 + 5 oder 5 + 3 Silben; das erste
Stück hat stets sinkenden, das zweite steigenden Schluß. Also
bringt Auspicius folgende Zeilen : a) regelmäßige, b) unregelmäßige :
1. u_u, _u_u_: antiquis • comparabili 14
2. u_u, _u, _u_: conlatus • tänta • gratia 42
3. — u, u_u, _u^: mägnas caelesti- dömino 48
4. rv-»rN^u_u, _u_: religioni • deditus 52
b. Zeilen ohne Caesur (Ausnahmen) :
5. — u_u, u_v^_: erit credo velocius 5
6. u_u_, u_u-^: aut r^noväs aut süperas 2
7. _u, rvj, rv>»u_u_: tämen non generaliter 1
In den regelmäßigen Zeilen des Auspicius no 1 — 4 ist es unver-
meidlich, daß die 4. Silbe mit Wortaccent, meistens mit vollem
Accent, seltener mit ISTebenaccent, belegt ist; die Betonung der
beiden ersten Silben ist frei gegeben. Daktylische Wortschlüsse,
wie dridä patent limina erlaubte sich Auspicius nicht, da er nicht
zu den rohen Dichtem gehört; die noch übrige Möglichkeit Ibi
patüit trinitas erlaubte sich Auspicius noch weniger, da hier auch
die Caesur gefehlt hätte.
Kgl. Ges. d. WisB. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft. 2. 14
198 Wilhelm Meyer,
So sind die Eigenthümliclikeiten der Zeilen des Auspicius er-
klärt, völlig in Uebereinstimmung mit meiner Lehre über den Anfang
der rytkmischen lateiniscben Dichtung. Die von Brandes construirte
Vorstufe ist beseitigt und nichts widerspricht meiner Theorie, daß
im 4. Jahrhundert lateinische Christen mit einem festen Entschluß
der Quantität und ihren Füßen den Abschied gegeben haben und
nur deren gewöhnlichste Zeilenarten nachgebildet haben, wobei sie
auf die Zahl der Silben, auf etwaige Caesur und auf die Schluß-
kadenz in Caesur- und Zeilenschluß achteten.
Brandes nennt S. 32 einige Hymnen, deren Zeilenbau mit dem
des Auspicius in allen Punkten übereinstimme; ich will sie hier
prüfen: lam lucis splendor rutilat (Daniel I 69): hat stets die
richtige Caesur, doch bei Daniel sind es 12, ja bei "Werner (S. 107)
gar nur 8 Zeilen. lam ter quatemis trahitur (bei Dan. I 81:
16, bei Dreves II 84: 32 Zeilen): 2 Zeilen ohne Caesur. Jesu
nostra redemptio (Daniel I 63, Dreves II 49): in 20 Zeilen 2 — 3
Zeilen ohne Caesur. Mysteriorum signifer (Daniel I 104, Werner
144) : in 32 Zeilen 3 caesurlose. Hex aeteme domine (Dan. I 85 :
64 Zeilen); ich nehme nur die bei Werner 122 und Dreves II 47
gedruckten Verse 1 — 28 : darunter sind 7 caesurlose. Gegenüber
der großen Masse der ambrosianischen Strophen kommen diese
wenigen kaum in Betracht ; aber die Aehnlichkeit ihres Zeilenbaus
ist zum Theil sehr fraglich.
P. Maas hat meine Untersuchungen besprochen in der byzan-
tinischen Zeitschrift XVII S. 239. Ich will zunächst das vornehmen,
was er über die lateinischen ßy^thmen selbst vorbringt.
Maas bringt zunächst (S. 240) die Grabschrift des 523 ver-
storbenen Abtes Achivus von Acaunum mit dem Anfang 'Amore
Christi fervidus' (vgl. Chevalier no 22931 Amore Christi fervidi
und no 1010 Amore Christi nobilis). Es sind 4 Strophen, deren
meiste Zeilen durch Akrostichon gebunden sind. Maas hat Recht,
diese 16 Zeilen sind ebenso gebaut, wie die des Auspicius; sie
haben alle die richtige Caesur, und der Vers 9 Benigna quies nunc
verum Beatae luci transtulit ist verderbt ; es muß wohl 'nunc eum*
corrigirt werden.
Dann meint Maas, außer den oben erwähnten von Brandes
citirten Hymnen habe noch der um 550 citirte Hymnus 'Bis temas
horas explicans' (Dan. I 23) sehr ähnlichen Zeilenbau. Das ist sehr
unrichtig. Denn in diesen 32 Zeilen ist die Caesur oft verletzt,
wie in den Zeilen 8 Prece mixta Davidicis; 14 Peccantibus dat
veniam, 30 Oratio canentium; ebenso in Z. 9 18 21 22 25 und 32.
Ja, mir ist es überhaupt fraglich, ob der Hymnus rythmisch sein
lateinische Kythmik und byzantinische Strophik. 199
will. Er ist nur dann rythmiscli, wenn man Alles rythmiscli nennt,
was nicM quantitirend ist. Die SilbenzaM würde für quantitirende
und rythmische Art passen; ja die Elision in 29 'Tunc enim deo
accepta est' spricht für die quantitirende Art. Allerdings ist die
Quantität oft stark verletzt, aber die Gresetze der Rythmik noch
mehr. Man vergleiche die Schlüsse 9 di^m vere ; 11 cäntantes deo ;
17 desit tamen; 18 servis dei; 20 pra^dixit nöbis; 20 idto deo;
25 deo canät ; 31 id^m gerat : das sind unter 32 acht unry thmische
Schlüsse. Mir scheint der Verfertiger dieser Zeilen sich mit dem
bloßen Silbenzählen begnügt zu haben ; um die rythmische Schluß-
kadenz bekümmert er sich nicht mehr als um die Quantität. Frei-
lich wäre bei diesem Zeilenbau das Gredicht eine große Rarität.
Grleich hier bleibt mir unklar, wie Maas einen wesentlichen
Punkt verstanden hat. Die eben besprochenen Hymnen sind es,
in welchen außer der 6. auch die 4. Silbe den Tonfall des jambi-
schen Schemas nachmalen soll. Diese Hymnen sind gewiß wenige.
Nun sagt Maas S. 243 'Wenn von den späteren Dichtern wenige
sich gar nicht um den Accent im Innern des Achtsilbers gekümmert
haben (so der des Plangit, vgl. "W. M. S. 224) . .'. Also Maas
meint, auch jene Dichter, welche sich um den Tonfall vor der 5.
Silbe des Achtsilbers nichts gekümmert haben, seien nur 'wenige'.
Da aber die Anzahl der rythmischen ambrosianischen Strophen
eine gewaltige ist — Brandes S. 32 nennt sie 'geradezu ungeheuer-
lich' — , welcher Art sind denn nach Maas' Vorstellung jene Tau-
sende von Strophen, die von der ungeheuerlichen Menge übrig
bleiben, wenn wir die von ihm genannten beiden, nur 'wenige'
Hymnen umfassenden Grruppen abziehen? Ich kann nicht finden,
wie beschaffen Maas dieselben sich vorstellt. Das ist aber sehr
wesentlich. Für mich liegt nemlich die Sache so : ich habe einst
sehr viele Gredichte in ambrosianischen Strophen geprüft, aber
überall gefunden, daß vor der Schlußkadenz, d. h. hier vor der
5. Silbe kein bestimmter Tonfall beobachtet wurde. Das stimmte
mit dem, was ich in andern rythmiscjien Zeilen gefunden hatte,
und darnach habe ich meine Regel formulirt. Jetzt ist nach-
gewiesen, daß bei Auspicius und, wenn's nicht Zufall ist, in den
3 Strophen von 'lam lucis splendor' und in den 4 Strophen der
Grabschrift des Achivus in der Regel die 4. Silbe betont ist, also
uur die 2 ersten Silben frei gegeben sind: doch diese Eigenthüm-
lichkeit erklärt sich vollkommen daraus, daß in diesen Strophen
der Achtsilber durch Caesur getheilt ist. Nun mag man ja noch
sechs Mal so viel Gedichte finden, in welchen diese Caesur beob-
achtet ist, immerhin bleibt nach meiner Ansicht die Menge, in
14*
200 Wilhelm Meyer,
welcher der Dichter nm den Tonfall im Innern der Zeile sich nichts
gekümmert hat, wie jener des schönen Gredichtes Plangit cor meum
misere, eine gewaltige. Maas aber sagt, diese Dichter seien nur
wenige. Was also meint er von seiner 3. Menge, einer gewaltig
großen, welche ja beim Abzug jener beiden wenige Nummern
zählenden Grruppen für ihn übrig bleibt?
S. 240/241 bespricht Maas jene 5 Verse des Auspicius, in
welchen die 3. Silbe accentuirt ist und nicht die 4., wie Erit cr^do
velöcius oder Quam si forte improvidus. Er sagt dabei: 'Wenn
am Versschluß V. 135 üt simul zweifellos Proparoxytonon ist (obwohl
W. M. das nicht notirt), kann dann nicht si forte ebenfalls pro-
paroxytonisch gelesen werden? Und können nicht auch enim, tibi
und credö so gut enklitisch sein wie im Grriechischen yag 6ol und
(fi]lin Und muß quidquid unbedingt auf dem ersten quid betont
werden? Ich stelle diese Fragen, weil Meyer sie nicht gestellt
hat'. Auf diese Fragen habe ich schon so oft geantwortet, daß
es mir zuwider ist, noch einmal darauf zu antworten. Sie bejahen,
heißt die rythmische Dichtkunst zu dem Messer ohne Klinge machen,
an dem der Grriif fehlt. Was den Zeilenschluß *üt simül' betrifft,
so habe ich öfter (z. B. Gres. Abh. II 7 und II 365 Note) darauf
hingewiesen, daß im Zeilenschluß ein jambisches Wort mit vorher
gehendem einsilbigen Worte hie und da von rythmischen Dichtem
als Proparoxytonon gebraucht worden ist. Dazu mögen auch Ver-
bindungen wie attamen, insimul, etenim, necubi sie ermuthigt haben.
Eine andere, abscheuliche Betonung entstände bei siforte, erit credo.
Aber hat Maas denn nicht gesehen, daß diese Zeilen mit eben
dieser falschen Betonung Cuiquidquid | tribueris erst recht falsch
würden, da sie die Zeilen in 2 völlig gleiche Theile zerlegen, was
Auspicius ja meidet.
S. 241 heißt es bei Maas: 'Meyer erklärt die Regulirung der
Accente als eine unbeabsichtigte Folge davon, daß Auspicius einer-
seits die Formen _uu|rs->u_uu und r^u__uu|_uw, anderseits
jede 'Caesur' hinter der Herten Silbe gemieden hat, beides auf
Grund von Schulregeln, die er von seinem quantitirenden Vorbild,
den jambischen Dimetem (des Prudentius u. a.), hinüber genommen
habe'. Dann 'Gegen Meyer's Hypothese scheint zu sprechen, daß
Auspicius (und in einigen Punkten auch seine Nachfolger) mehrere
tiefeingreifende rythmische Regeln ganz sinnlos und mechanisch
durchgeführt haben müßten, wenn sie sich wirklich "nicht um den
Wortaccent im Innern gekümmert hätten". Besonders die ausnahms-
lose Vermeidung der Formen — uu|j-u_uu und Ou — uv^j — uu
fordert eine Erklärung aus dem thatsächlich empfundenen ßythmus
lateinische Rythmik und byzantinische Strophik. 201
(so schien auch Meyer, Gres. Abhandlungen I 269 zu denken); und
die Thatsache, daß die Formen _ u | u ^ . . . da zugelassen sind, wo
_ u «^ I . . . gemieden wird, läßt vermuthen, dsß zweisilbige Paroxy-
tona an den betreffenden Versstellen sich dem Rythmus weniger
stark entgegenstemmen, als die ersten zwei Silben eines Pro-
paroxytonon's'.
Die meisten dieser Worte beziehen sich darauf, daß auch
Auspicius das vermieden hat, was ich daktylischen Wort-
schluß nenne, d. h. daß er Verse, wie Aridä patent limina ge-
mieden hat ; (die andere Sorte Ibi patüit trinitas mußte er meiden,
weil sie caesurlos wäre ; s. oben S. 197). lieber den daktylischen
Wortschluß habe ich oft genug und auch in der Abhandlung über
Auspicius S. 201 gehandelt. Es ist nun einmal so: schon Plautus
meidet in den Jamben und Trochaeen die 2 letzten Silben von
cörpörä Senkung bilden zu lassen, und bis ins 13. Jahrhundert
meiden die anständigen rythmischen Dichter in Sieben- und Acht-
silbern solch daktylischen Wortschluß. Eine 'Erklärung aus dem
thatsächlich empfundenen Rythmus' finde ich für meine Person
darin, daß in Zeilen, wie Fortissimüs sapiens- Qui ömnia cöndidit,
die Stimme nach fortissimüs und omnia abschnappt, während sie
in den Zeilen Et fortis 6t sapiens- Omnia qui cöndidit bequem
dahin gleitet: und das soll doch im Innern einer Kurzzeile ge-
schehn. Doch ich will diese Ansicht Niemanden aufdrängen: ich
constatire nur die Thatsache, daß die anständigen rythmischen
Dichter in Sieben- und Achtsilbern den daktylischen Wortschluß
gemieden haben, wie sie, in ähnlicher Weise, Hiatus oder ein-
silbigen Zeilenschluß gemieden haben.
Die übrigen Worte von Maas berühren kurz die Caesur des
jambischen Achtsilbers. Das war in meiner Untersuchung ein
Hauptpunkt. Prudentius hat sich gewiß nichts gekümmert um den
Fall der Wortaccente im Zeileninnem, und dennoch hat er es ge-
mieden, den Vers in 2 völlig gleiche Theile '0 praepotens | virtus
dei' zu zerlegen, und hat deßhalb den Fuß vor oder nach der geo-
metrischen Mitte durch Caesur durchschnitten, genau wie er dies
im Senar gethan hat: Minister- al|taris dei, Fias deo|rum- pontifex;
Servire- sanjxit- omnia. So hat der quantitirende Dichter genau
denselben Accentfall in seinen Versen, wie der rythmische; ja er
accentuirt die 4. Silbe noch etwas häufiger als der rythmische.
Das ist ihm sicherlich ohne seine Absicht passirt. Nun will
Auspicius rythmische ambrosianische Zeilen und Strophen machen
und dabei die Caesur a la Prudentius festhalten. Er bildet also
2 Stücke zu 3 und 5 oder zu 5 und 3 Silben, schließt nach seiner
202 Wilhelm Meyer,
Vorlage das erste Stück stets mit sinkender, das zweite mit stei-
gender Kadenz. So haben es alle rytlimisehen Dichter gemacht,
in einfachen wie in zusammengesetzten Zeilen; so ist z. B. auch
der rythmische Fünfzehnsilber (8 — u + 7 u _), der rythmische as-
klepiadeische Alexandriner (6 u _ + 6 u _) entstanden. Maas
nennt dies Verfahren 'ganz sinnlos und mechanisch', Grut, er möge
uns ein anderes, ästhetischeres Verfahren angeben, wie jene ryth-
mischen Zeilen gebildet worden sind, wobei er Silbenzahl, Caesur
und Kadenz in Caesur- und in Zeilenschluß bei Seite läßt!
Maas handelt viel vom alternirenden Rythmus, d. h. von
dem regelmäßigen Wechsel von Hebung Senkung Hebung Senkung
und so fort. Er ist fascinirt von diesem alternirenden Rythmus,
'der der Menschheit seit Ewigkeit im Blutlauf und im Schritt pul-
sirt' (S. 245). Ich bescheide mich mit dem Grebiete, das ich kenne;
aber da kann ich nur sagen: Gott sei dank, daß die mittellateini-
sche und die romanische Rythmik diesen alternirenden Rythmus
nicht als Prinzip angenommen haben. Maas citirt (S. 241) mich
selbst, wo er von der 'entscheidenden Rolle' spricht, 'die der alter-
nirende Tonfall in der gesammten mittellateinischen und romani-
schen Metrik spielt (vgl. W. Meyer, Ges. Abh. I 181 „Der herr-
schende Rythmus ist stets trochäisch oder jambisch" — also rich-
tiger: altemirend)'. Allein Maas dürfte nur das Blatt umdrehen
und könnte da lesen: 'in Wahrheit sind nur die Silben gezählt,
d. h. unter Beobachtung des gesetzmäßigen Schlusses je 5 6 7 8
Silben in die Zeile gestellt, wie auch Aedilwold vor dem Jahre
706 . . seine Achtsilber (8 u — ) selbst charakterisirt : carmen non
pedum mensura elucubratum, sed octonis syllabis in uno quolibet
versu conpositis . . caraxatum' ; und 3 Jahre später habe ich diese
Frage eingehend behandelt (Ges. Abh. II 134/136).
Die Sache ist eigentlich einfach. In der Aussprache der alten
Griechen und Römer bekämpften sich 2 Mächte, die Quantität und
der Wortaccent ; zwischen keyovöi,, Xiyete ; f^cerant, fäciunt, facite,
war ein großer Unterschied. In den Versen herrschte die Quan-
tität vor, aber der Accent störte stets die Zirkel der Quantität.
Bei den Deutschen und den Engländern haben die Stammsilben
einen Charakter indelebilis; sie können ja in die Senkung kommen,
allein zwischen Falsche Falschheit und Fälscheid bleibt doch ein
mächtiger Unterschied. Dagegen im Mittellateinischen und im Ro-
manischen herrscht nur 1 Macht, der Wortaccent, und es ist theils
unmöglich theils schwierig, 2 oder 3 betonte Silben neben einander
zu bringen, d. h. für die Dichtung gibt es da wohl Daktylen und
Anapaeste, Jamben und Trochäen, aber keine Spondeen.
lateinische Rythmik und byzantinische Strophik. 203
Wie sollten nun daktylische oder anapaestische Zeilen ryth-
miscli nachgebildet werden ? Mischte man zweisilbige Füße zwischen
diese dreisilbigen, so waren das keine Daktylen oder Anapäste,
sondern Trochäen oder Jamben. Es blieben also nur Reihen vo^
reinen Daktylen oder Anapästen. Also etwa:
WdXs Tov dvÖQa dsd tov TtoXvtQOTtov ööttg roöoihovg
tOTtovg difiXd'6 Ttügd-Tjöag rrig Tgoiag rrjv svdo^ov jcöXiv.
'Arma nunc cano virümque qui Troicis primus ab oris
profugus fato Italiam venit et litus Lavinum.
Rhangabis sah sich gezwungen, so den Homer zu übersetzen. Ich
frage nicht darnach, wie es in dem Kopf der Leute stände, welche
6 bis 7 Hunderte solcher Zeilen mit deutlicher Stimme vorgetragen
anhören müßten: aber sicher ist, daß das nicht die antiken Hexa-
meter wären. Deutsche und Engländer können hier überall rechte
Spondeen einmischen:
Pflückt es des Oelbaüms Frucht, nie schlummert es unter dem
Palmbaum.
Bis Klopstöck naht und die Welt fortreißt in erhabener
Odenbeflüglung.
So verbot sich den mittellateinischen und den romanischen
Dichtern von selbst die Nachahmung daktylischer oder anapästi-
scher Zeilenarten. Neben einigen gemischten Zeilen (der asklepia-
deischen, der sapphischen) blieben also als Vorbilder für Nachah-
mungen hauptsächlich jambische und trochäische Zeilen der quan-
titirenden Poesie. Aber bei dem Mangel an Spondeen würde auch
hier die unendliche Kette von alternirender Hebung und Senkung
bald Langeweile und Gähnen erwecken: Gallia est omnis tres in
partes separata, quarum linam colunt Belgae, äliam nunc Aquitani,
tertiam hi, qui ipsörum Imgua Belgae, nostra Gälli appellantur.
Solche Monotonie kann man in Gebeten, Bußpredigten und ähn-
lichen Gedichten eine Zeit lang alä charakteristisch sich gefallen
lassen :
Dies irae, dies illa Quantus tremor est futurus,
solvet saeclum in favilla, quando iudex est venturus,
teste David cum Sibylla. cuncta stricte discussurus!
Lacrimarum fluit rivus, sed pluralis genitivus
quas effundo fugitivus nequam nimis et lascivus
intra cetum semivivus mihi factus est nocivus.
tuus quondam adoptivus;
204 Wilhelm Meyer,
Das ist der von Maas gepriesene altemirende Rythmus. Damit
mag man ein kurzes Bußgebet ausmalen, aber die ganze Dicbtung
eines Volkes läßt sich nicht in solche Ketten legen. Ich kann
nur wiederholen: Gott sei Dank, daß die rythmischen Dichter von
vom herein die Nachahmung der quantitirenden Vorbilder auf die
Schlußkadenz beschränkt haben, daß sie aber vor dieser nur Silben
gezählt haben. Die lateinischen haben dadurch die Abwechselung
einsilbiger und zweisilbiger Senkungen ermöglicht ; sie haben ferner
diese dichterische Prosa durch Vermeidung des Hiatus und des
daktylischen Wortschlusses wohlklingender zu machen gesucht.
Wozu solche Regeln, wenn, wie Manche meinen, diese Zeilen nach
dem Tonfall der Schablone recitirt werden sollten?
So steht es im Bau der Zeilen, welche in kleineren oder
größeren Reihen zum Aufbau von Gedichten verwendet worden
sind, die ich deßhalb gleichzeilige genannt habe. Aber in der
Gesangslyrik der alten Griechen, der Byzantiner und der
Mittellateiner wird auf das Innere der Zeilen und insbesondere
auf die Vertheilung der einsilbigen und der zweisilbigen Senkungen
genau geachtet. Hier ist ja Mischung und fortwährende Abwech-
selung der Hauptreiz. Wohl malt Aeschylus den zornigen Trotz
des Prometheus mit Reihen stürmischer Anapäste, und ähnlich der
Byzantiner die verzweifelte Klage der Hinterbliebenen am Grabe
von Vater oder Mutter, und der lateinische Dichter des 10. Jahr-
hunderts malt den Marschschritt der Truppen Otto 's hauptsächlich
mit Trochäen:
His incensi- bella fremunt: arma poscunt- hostes vocant:
signa secuntur- tubis canunt:
clamor passim oritur: et milibus- centum Theutones- inmiscentur.
Allein in der Regel sind in den kunstvollen Strophen der altgrie-
chischen, der byzantinischen und der mittellateinischen Gesangs-
Ijrrik einsilbige und zweisilbige Senkungen in den verschiedenen
Arten, wie sie in Zeilen von 4 5 6 7 und 8 Silben möglich sind,
bunt gemischt zu finden und sind dann diese Kurzzeilen zu verschie-
denartigen Langzeüen und diese Langzeilen zu verschiedenen Ab-
sätzen vereinigt, welche endlich das Gebäude der so mannigfaltigen
Strophen vollenden. Hier gebietet nur der Wohllaut, welcher in
der Seele des Dichter-Sängers regieren soll, den bei der Findung
der Wort^ und der Töne zugleich das musikalische und das gei-
stige Empfinden treiben. Das ist das unvergänglich Schöne an den
Schöpfungen der altgriechischen, der byzantinischen und der mittel-
lateinischen Gesangslyrik.
Damit hat aber eine ambrosianische Zeile oder Strophe
lateinische Kythmik und byzantinische Strophik. 205
und ihr rythmisclier Abklatsch nichts zu tun. Der jambische Dimeter ist
im 4. Jahrhundert nach Christus bei den Lateinern Mode geworden,
und Prudentius und Ambrosius haben ihn häufig verwendet. Damit
war sein Glück gemacht. Er wurde bald rythmisch nachgebildet,
wohl schon etliche Zeit vor Auspicius, welcher in Toul im 470
seine simple Epistel in ambro sianischen Strophen schrieb. Jahr-
hunderte lang wurden nun quantitirende oder ryiihmische ambro-
sianische Zeilen und Strophen verfaßt. Die Zeile ist auch in
fremde Sprachen übergegangen und ist da sehr verschieden behan-
delt worden. Die G-ermanen haben sich die 4 Hebungen her-
ausgeholt und haben die Zeile immer mit einer Hebung geschlossen ;
die Senkungen haben sie nach Gutdünken behandelt. Ich wun-
dere mich eigentlich, daß die Vermittlungsgriechen, d.h. die in
TJnteritalien wohnenden griechisch sprechenden römisch-katholischen
Christen, welche z. B. lateinische Heiligenlegenden übersetzt haben,
nicht auch diese Strophe nachgemacht haben, die doch für die Li-
turgie und für das Lob von Märtyrern und Heiligen privilegirt
war. Ihre Sache wäre es dann gewesen, wie sie die Zeilen bauen
wollten; wichtig wäre dafür z.B., ob sie die offizielle Melodie
einer quantitirenden lateinischen Strophe als Ausgangspunkt gehabt
hätten, oder solche Sprechverse, wie Auspicius sie fabrizirt hat.
(Die byzantinische Strophiic und die ambrosianische rythmische
Zeile und Strophe). S. 241 erklärt Maas: 'Wir können durch
Vergleich einer mittelgriechischen Form jeden Zweifel über
den alternierenden Charakter jenes Achtsilbers (des Auspicius) be-
seitigen'. Dann führt er an, daß in einer byzantinischen Strophen-
form, von der er 74 Exemplare kenne, der 4. Absatz aus folgenden
4 Zeilen gebildet ist:
NB(p8kai v7to6Tg(o6ats vcbta tm STtLßaCvovn '
ccld^riQ s^svtQSTiLöd-ritL x(p öiä 60V bdevovxL.
Femer führt Maas einzelne Vorkommnisse dieser Zeile an: 1 Mal
eine Gruppe von 4 solchen Achtsilbem, 1 Mal eine Gruppe von
6 und 7 Mal Gruppen von je 2 solchen Achtsilbem; endlich weist
er auf den politischen Vers, dessen erste Halbzeile durch einen
solchen Achtsilber gebildet ist. In all diesen Zeilen sei die 4. und
die 6. Silbe accentuirt.
Maas schließt nun: 'Kein anderes metrisches Gebilde taucht
an so vielen Stellen in der mittelgriechischen Metrik auf, wie eben
jener altemirende proparoxytonische Achtsilber'. 'Da nun zur Er-
klärung des altemirenden Tonfalls in den griechischen Formen sich
keine von einer fremden Metrik äußerlich übernommene Schulregel
206 Wilhelm Meyer,
und kein Zufall verantwortlich machen läßt, wird man auch bei
Auspicius nicht ausschließlich mit diesen beiden Faktoren rechnen
dürfen, vielmehr annehmen, daß er sich absichtlich einen solchen
antiken Vers zum Muster genommen hat, der auch für das der
Quantität verschlossene Ohr einen wohlklingenden Rythmus ergab'.
Jemand könnte fragen, wie konunt der simple Auspicius in
Gallien zu dem Zeilenbau der byzantinischen Strophik. Maas hat
auch dies bedacht und antwortet: 'In Grallien und in der Krim
taucht um das Ende des 5. Jahrhunderts dieselbe aus zwei alter-
nierenden proparoxytonischen Achtsilbem bestehende Langzeile auf,
beidemal als erste Zeugin für eine unter vollem Verzicht auf die
Quantität den Accent im Innern regulirende Verskunst. Man wird
versucht, in dieser Versform einen besonders naheliegenden Aus-
druck des 'expiratorischen' Prinzips zu suchen. Mit zwei Faktoren
hatte diese Metrik zu rechnen, mit der hochbetonten (resp. neben-
betonten) und der unbetonten Silbe. Aus dieser Zweiheit ergab
sich ganz von selbst der altemirende Rythmus, der der Menschheit
seit Ewigkeit im Blutlauf und im Schritt pulsirt. Vier solcher
Takte — das ist der alternirende Achtsilber; vier solcher Verse
— das ist die Strophe des Auspicius und die Periode des Romanos.
So mögen die gleichen Resultate in letzter Linie einer einzigen
gleichen Ursache entsprungen sein, nemlich dem gleichzeitigen
Wandel der beiden nah verwandten Sprachen vom quantitirenden
zum expiratorischen Prinzip'.
Welch complicirte Theorie für welch einfache Sache! Pru-
dentius, Ambrosius und die andern Dichter von quantitirenden
jambischen Achtsilbem und von ambrosianischen Strophen existiren
nicht für Maas. Allein sie haben existirt, und nach ihnen sind noch
Hunderte von quantitirenden, Tausende von rythmischen ambro-
sianischen Strophen verfaßt worden. All diese Tausende betonen
nicht regelmäßig die 4. Silbe; sie sind also nicht nach dem von
Maas mühsam herausgesuchten byzantinischen Muster gebaut. Nur
in den 41 Strophen des Auspicius und in vielleicht 20 Strophen
anderer lateinischer Dichter findet sich die 4. Silbe regelmäßig
accentuirt. Wie schon Beda, so nennen alle Neuem auch all diese
rythmischen Strophen ambrosianische, d. h. Nachahmungen der
quantitirenden ambrosianischen Strophen, und ich bringe zur vollen
Erklärung der Eigenthümlichkeit des Auspicius das Gesetz der
Caesur, welche in der Geschichte der lateinischen Metrik eine so
große Rolle spielt: all das ist für Maas gleichgiltig oder sinnlos
und mechanisch.
Ich könnte damit schließen. Doch da Männer, welche wie
lateinische Kythmik und byzantinische Strophik. 207
P. Maas ihre ganze Kraft diesen Dingen widmen, so irr gehen,
scheint die Klarstellung noch einzelner Punkte nützlich zu sein.
1) Es ist natürlich, daß in jeder Strophik die Zeile zu 8
Silben mit jambischem Tonfall ziemlich oft vor-
kommt. Zuerst zur Zeile selbst. In den fein gebauten Strophen
der Byzantiner wird allerdings ein Unterschied gemacht, ob eine
Zeilenstelle mit vollem Wortaccent oder mit Xebenaccent belegt
ist. Die Zeilen
Tfj t,dh] ßvd'it,6^Bvoq ä^Ccog EdsiXCaöa
werden meistens unterschieden von Zeilen, wie
"Ov et TCQOfpfixai nal Mcoöfjg Msöövav syQaijjav svqcov.
Die ersten nennen sie proparoxyton, die letzteren oxyton. So viel
ich noch weiß, habe ich als Erster diese Feinheit notirt (Ges. Abh.
II 54 und 209). Maas nennt die byzantinische rythmische Ideal-
zeile, von welcher auch Auspicius angesteckt sein soll, 'alternirende
proparoxy tonische Achtsilber', und allerdings sind die von ihm
S. 242 angeführten byzantinischen Achtsilber alle proparoxyton.
Allein Maas sagt (S. 242) selbst, sein Achtsilber bilde auch die
erste Halbzeile des politischen Verses, und von dem weiß er besser
als ich, wie oft er oxyton schließt:
Ov iiijv dl yQttfofisv ccTtXag tag ke^si,g öCxa 6ti%aiv,
slg dexaTCEvts övXXaßäg rbv örcxov jcsQLTtXs^cj.
Auch nach seiner Theorie über den Ursprung dieser vierhebigen
Zeile hat Maas keinen Grrund den oxytonen Achtsilber auszu-
schließen. Also mußte er wenigstens für den griechischen Acht-
silber seine Benennung erweitern^). Hinweisen will ich schon
hier, wie verschieden der strenge Bau der strophischen Zeilen ist
von dem laxen Bau der zu gleichzeiligen Gredichten verwendeten
(s. unten S. 210).
Die byzantinischen Strophen sind, wie oben S. 204 ausgeführt,
zusammengesetzt aus den Kurzzeilen von 4 5 6 7 oder 8 Silben.
Die Spielarten, welche diese Silbenzahlen je nach der Anwendung
von einsilbiger oder zweisilbiger Senkung und von steigendem
oder sinkendem Schlüsse ergeben, sind nicht viele. Es ist also
nicht zu wundern, wenn auch der jambisch betonte Achtsilber,
einzeln oder in Grruppen, in der byzantinischen Strophik nicht
selten vorkommt. In der altgriechischen Strophik sind die jam-
1) Maas gibt viel auf Terminologie. So ist er auch unzufrieden mit meinem
Gebrauch des Wortes Rythmus und rythmisch. Ich begnüge mich damit, den
Theoretikern der Zeit zu folgen, welche die schönen von mir behandelten Formen
geschaffen hat. Sie unterschieden dictamen prosaicum • metricum • rythmicum, und
auch ich bin mit diesem Unterschiede bis jetzt gut ausgekommen.
208 Wilhelm Meyer,
bischen Dimeter häufig, und, wenn Maas meine Gres. Abh. II S. 87
citirte, so konnte er kurz vorher S. 66 aus dem Carmen Buranum
citirt lesen:
Invideo, dum video. sie capi cogit sedulus
me laqueo virgineo cordis venator oculus.
Endlich noch eine Note. Maas hebt öfter das hohe Alter der
Strophen des Auspicius hervor ; schon um 470 sei hier regelmäßig
die 4. Silbe accentuirt oder 'könne die Regulirung des Wortaccents
über den letzten Hochton hinaus bis ins Innere des Verses ver-
folgt werden'. Das begründet er (S. 245) mit dem besondern
"Wesen dieser Zeile; sie sei wohl ein besonders nahe liegender
Ausdruck des 'expiratorischen' Prinzips. Denn 'die zwei Faktoren
dieser Metrik, die hochbetonte und die unbetonte Silbe', seien hier
zu einer 'Zweiheit' vereinigt, aus der sich 'ganz von selbst der
alternirende Eythmus ergab, der der Menschheit seit Ewigkeit im
Blutlauf und im Schritt pulsirt. Vier solcher Takte — das ist
der alternirende Achtsilber; vier solcher Verse — das ist die
Strophe des Auspicius und die Periode des Romanos'. Maas
kann nichts dagegen einwenden, wenn ich in dieser poetischen
Begründung den Schluß ändere zu 'das sind die vier Zeilen des
Augustin :
Custos noster, deus magne, tu nos potes liberare
ä pseudoprophetis istis, qui nos quaerunt devorare'.
Auch hier stehen vier Zweiheiten von betonten und unbetonten
Silben; diese Zeile kann also beanspruchen, ein Erstgeborner des
expiratorischen Prinzips zu sein so gut wie der Vers des Auspicius.
Wir finden ihn sogar lOO Jahre vor Auspicius, im Psalm des
Augustin. Allein mit der 'Regulirung des Wortaccents über den
letzten Hochton hinaus bis ins Innere der Zeile' steht es hier sehr
übel: alle die von mir oben S. 195 angeführten Verletzungen des
alternirenden Rythmus sind bei diesem Erstgebornen des expira-
torischen Prinzips in Fülle zu finden und bestätigen meine Regel,
daß in diesen Zeilen vor der Schlußkadenz d. h. hier vor der 6.
Silbe die Accente tanzen können wie sie wollen. Erst das Vor-
gehen einer andern Schule von Rythmikern, welche auch in diesen
Achtsilber eine Caesur einführten, allerdings einer Diärese, die
den Vers in 2 gleiche Theile zerlegt: Apparebit | repentina, brachte
hier Uebereinstimmung der Wortaccente mit der Schablone zu
Stande. Während die Caesur des rythmischen Achtsilbers mit
steigendem Schlüsse kaum beachtet wurde, wird der Achtsilber
mit sinkendem Schlüsse bis ins 13. Jahrhundert in der Regel in
4 — u -f 4 _ u zerlegt. Er entspräche also viel mehr den An-
lateinische Rythmik und byzantinische Strophik. 209
Sprüchen, welche Maas an seinen Erstgebornen des expiratorischen
Prinzips stellen muß.
2) Die Zeilen der byzantinischen Rythmik können
überhaupt nichts beweisen für den Innern Bau ähn-
licher Zeilen der lateinischen Rythmik, und am aller-
wenigsten können dies die Zeilen der byzantinischen Strophik.
Die lateinische Metrik geht von der Zeit des Augustus ab ihre
eigenen Wege und kümmert sich nichts mehr um die griechische.
Sie schafft sich Gesetze über die Caesuren, über den Bau der
Caesur- und der Zeilenschlüsse, welche mit denen der Grriechen
nichts zu thun haben. Am einfachsten läßt sich das am Bau des
Hexameters erkennen. Die rythmische Dichtkunst der Grriechen
und der Lateiner hat denselben Ursprung, Silbenzählen und regu-
lirten FaU der Accente in Caesur- und Zeilenschluß. Allein sonst
trennten sich die Wege. Die Byzantiner gingen fast ganz auf in
ihrer Strophik, welche des feinen Gresanges halber die Betonung
der Kurz Zeilen fast bis auf jede Silbe regeln mußte. Die Lateiner
kümmerten sich nichts um diese Strophik. Denn die quantitirende
Polymetrie des Prudentius, Ausonius oder Boetius und Anderer,
wobei hie und da sogar schüchterne Versuche neuer Strophen ge-
wagt wurden, hat nichts zu thun mit der byzantinischen ryth-
mischen Strophik, sondern erklärt sich als Weiterentwicklung der
Polymetrie, wie sie bei Petron und bei Terentianus Maurus zu
Tage getreten war.
Wie wenig die lateinischen und die griechischen Rythmiker
sich um einander kümmerten, mag das Beispiel des rythmischen
Satzschlusses beweisen. Um dessen Ursprung zankt man ja noch
sehr. Doch die Formen des griechischen und des lateinischen ryth-
mischen Satzschlusses, welche ich festgestellt habe, werden ziemlich
allgemein anerkannt. Auf der einen Seite ist klar, daß der eine
dem andern nachgeahmt ist ; aber auf der andern Seite sind starke
Unterschiede ebenso klar. Diese sind auch ganz natürlich, da die
Betonungsverhältnisse der beiden Sprachen verschieden sind, wie
ja das Lateinische Oxytonon nur als Nebenaccent kennt.
Damit aber könnte Maas nicht verteidigen den Unterschied
zwischen dem 'alternirenden proparoxytonen Achtsilber' und der
Zeile des Auspicius und weniger Grenossen. Ich habe reichlich
nachgewiesen, wie natürlich und wie oft mit dem schablonen-
richtigen jambischen Tonfall der rythmischen Achtsilber es sich
vereinigt, daß die 4. Silbe betonten Wortschluß bildet : Ac fortiter |
sententias. Das wird durch die von Maas S. 242 citierten byzan-
tinischen Verse bestätigt: in den citierten 29 Versen findet sich
210 Wilhelm Meyer,
die 4. Silbe folgendermaßen betont: sig ovgavovg \ ccvidQa^s: 4 Mal;
xal sxXavösv \ änivavxL : 4 Mal ; xat iv avxa \ svXöyr^öa : 3 Mal (dazu
kommt noch 2 Mal die Form : cpcsviiv äyaXXcdöecjg). Diese 15 oder
17 Verse entsprechen alle dem rythmischen Idealvers des Auspicius,
welchen Maas construirt hat: allein sie widersprechen alle dem
wirklich von Auspicius gebauten Verse. Auspicius bildet, wie
S. 196/7 nachgewiesen ist, nicht die 4. Silbe durch Wortschluß : das
geschieht aber hier in 15 Versen von 30. Um diesen bösen
Widerspruch zu beseitigen, wäre Maas gezwungen, anzunehmen,
daß Auspicius außer dem Idealvers noch eine 'Schulregel' befolgt
habe; nemlich, daß Auspicius es gemieden habe, den Achtsilber in
2 völlig gleiche Theile zu zerlegen. Aber das wäre nicht einmal
die Kehrseite der Medaille, sondern fiele mit meiner Erklärung
zusammen: eben, um diese gleiche Theilung zu vermeiden, ist die
C a e s u r eingeführt worden. Ferner, Verse wie qxDvriv ayakXLdöscog,
quinto iam volatilia, haben auf der 4. Silbe Nebenaccent. Dennoch
sind sie von Auspicius gemieden. Das erklärt das Caesurgesetz.
Wenn Maas auch eine andere Eegel dafür wüßte, immerhin kämen
wir auch bei seiner Führung dabei an, daß Auspicius 'tief eingreif ende
rythmische Regeln ganz sinnlos und mechanisch durchgeführt habe'.
3) Der Bau der Strophenzeilen hat nichts zu thun
mit dem Bau der gewöhnlichen Zeilen, welche in
langen Ketten zu einem (gleichzeiligen) Gedichte
verwendet werden. Jene sind Gesangesabsätze und können
bis zu jeder einzelnen Silbe herab durch die Melodie beherrscht
sein (vgl. oben S. 207); dies sind zunächst Sprechverse und sie
müssen, schon damit langweilige Einförmigkeit vermieden werde,
Abwechselung im Tonfall ermöglichen. Schon in der altgriechischen
Metrik habe ich den lyrischen, den tragischen und den komischen
Trimeter unterschieden, ebenso in der byzantinischen Rythmik den
Zeilenbau der gesungenen strophischen Gedichte von dem der
meistens gesprochenen gleichzeiligen Gedichte.
Auch hier genügt ein Beispiel. Oben (S. 208) habe ich 4 Acht-
silber aus der kunstreichen Strophe eines Carmen' s Buranum ge-
druckt: sie haben mit der kleinen Ausnahme 'cordis venator ocu-
lus' reinen jambischen Tonfall. Dann hat um 1020 Ekkehard IV.
den deutschen Lobgesang des Ratpert ins Lateinische übersetzt
(Müllenhoff s Denkmäler no XII) und dabei mit seinen lateinischen
Worten möglichst eng der dulcis melodia sich angeschmiegt. Die
kunstreiche Strophe besteht aus 5 Langzeilen, von denen die ersten
4 schließen mit einer Kurzzeile zu 7 oder zu 8 Silben. Von diesen
68 Kurzzeilen haben 29 den Tonfall: Est mihi magnum gaüdiumi
lateinische Kythmik und byzantinische Strophik. 211
38 den Tonfall: Quam sanctum misit Grällum: also 67 Zeilen mit
durchaus reinem, jambischem Tonfall ohne jeden Taktwechsel. Das
ist längst erkannt (s. Gres. Abh. I 182 Note und 239): allein Nie-
mand bat gewagt, die Tausende der übrigen freien Achtsilber und
Siebensilber nach diesen lyrischen Zeilen reglementiren zu wollen,
wenn sie auch in denselben Zeiten und Gregenden gedichtet waren.
Und nun soll die Accentuirung einiger lyrischen Strophenzeilen,
welche in Byzanz gedichtet sind, beweisen für die Accentuirung
weniger lateinischen Zeilen, welche mitten in der Entwicklung der
lateinischen Dichtungsformen stehen und deren eine Eigenthümlich-
keit mit einem so gewöhnlichen Hilfsmittel der lateinischen Metrik
und Rythmik, wie es die Caesur ist, reichlich erklärt werden kann?
Eine solche Methode der wissenschaftlichen Forschung ist unerlaubt.
Persönliches.) Die Herbeiziehung der byzantinischen
Strophik zur Erklärung der lateinischen Zeile des Auspicius ist
für P. Maas der Kernpunkt seiner Arbeit gewesen ^). Er spricht
im Anfang dieses Theiles auch von 'W. Meyer, der seine einst
bahnbrechenden Forschungen zur mittelgriechischen Metrik leider
seit zwanzig Jahren liegen gelassen und, wie es scheint, sogar
vergessen hat'; und seine ganze gegen mich gerichtete Arbeit
schließt Maas mit den Worten : 'Es genüge, wieder einmal darauf
hingewiesen zu haben, daß die mittelgriecbische Verslehre von der
mittellateinischen lernen kann — und umgekehrt'. Das ist we-
nigstens deutlich.
Zunächst glaube ich, oben genügend bewiesen zu haben, daß
in diesem Falle nicht ich geirrt habe, und daß ich mit Recht die
byzantinische Rythmik unbeachtet gelassen habe, weil ich daraus
in diesem Falle nichts habe lernen können.
Auf die andere Vorhaltung, daß ich die Forschungen über
mittelgriechische Eythmik seit 20 Jahren leider habe liegen lassen.
1) Maas verwirft auch meinen Satz, daß das große Uebergewicht, welches
die schlecht pronunzirenden Provinzialen im römischen Kaiserreich erlangt hatten,
den üebergang von der complicirten quantitirenden Aussprache zur einfachen
accentuirenden veranlaßt habe ; ebenso den andern, daß das Aufblühen der silben-
zählenden christlichen Dichtung bei den Syrern griechische und lateinische Christen
veranlaßt habe, die quantitirenden Füße aufzugeben und das Prinzip der Silben-
zählung anzunehmen. Nun, ich kann mich zufrieden geben, daß Maas für das
Gebiet der byzantinischen Strophendichtung, welches auch er gründlich durch-
forscht hat, syrischen Ursprung zugibt, und daß auf dem Gebiet der lateinischen
rythmischen Dichtkunst, deren Anfang ich eifrig und möglichst unparteüsch stu-
dirt habe, ich bis jetzt keinen stichhaltigen Grund gefunden habe, der gegen
syrischen Ursprung spräche.
212 Wilhelm Meyer,
will ich antworten, weil dabei die Geschichte dieses Zweigs der
Literaturgeschichte etwas beleuchtet wird. Um 1880 verkehrte
ich in München viel mit dem jungen Krumbacher, der viel mit
Keugriechen umging. Zuerst machte ich ihn aufmerksam auf die
münchner Handschriften des griechisch-lateinischen Gesprächbüch-
leins des Dositheus. Dann vertiefte ich mich selbst in das Studium
der byzantinischen Rythmik. Ich fand hier, was ich sonst in der
byzantinischen Literatur vermißt hatte : eine von Herzen kommende
und zu Herzen sprechende Lyrik. Das Verständnis mußte ich
natürlich mühsam erringen. Oft war ich empört über die ent-
setzliche, unkritische Arbeitsweise Pitra's, mit dessen Ausgabe
des Tropologiums (= I Band der Analecta sacra spicilegio Soles-
mensi parata, 1876) ich hauptsächlich zu arbeiten hatte (vgl. Ges.
Abh. I 21). Dabei las ich mit Sehnsucht von den Romanoshand-
schriften in Patmos, deren Spur Pitra aufgefunden hatte. Kurz
darauf wurde berathen, welche Preisaufgabe von der Zographos-
Stiftung aufgestellt werden solle. Da kam mir der Gedanke, es
solle die Erforschung jener Handschriften in Patmos gefordert
werden ; dabei dachte ich natürlich an Krumbacher. Der Gedanke
war gut und hat schon gute Früchte getragen. Als nun Krum-
bacher mit seinen Abschriften nach München zurückgekehrt war
und die Ausarbeitung mit Eifer begann, was sollte ich da thun?
Was die Handschriften Neues bieten, zeigt ja P. Maas selbst:
S. 242 kennt er von einer Strophenart, die ich in der schlechten
Ausgabe Pitra's nur in 18 Strophen studiren konnte, aus Krum-
bacher's Schätzen 74 Strophen. Ein Konkurrent Krumbacher's
konnte und wollte ich nicht sein. Ich habe also in jenen Jahren,
die ohnedies die härtesten meines Lebens gewesen sind, die weitere
Forschung auf dem Gebiete der byzantinischen Strophik aufgegeben
und auch mein Handexemplar Pitra's Krumbacher überlassen. Ich
denke, dies Vorgehen ist verständig gewesen. Ohnedies zog
mein Herz mich wenig zur byzantinischen Literatur, die ja nur
geringen Einfluß gehabt hat auf die westeuropäische Kultur, son-
dern viel mehr zu der mittellateinischen, aus deren Geist und
Gemüth wir geboren sind. Dann hat der kraftlose Boden der
byzantinischen Kultur nur die weißen Rosen der liturgischen
Gesangslyrik getragen; dagegen das kraftreiche Neuland der
mittellateinischen Gesangsdichtung hat auf allen Gebieten, auf
denen des Menschen Fühlen und Denken waltet, in Religion,
Staats- und Privatleben einen ebenso üppigen und mannigfaltigen
Rosenflor hervorgebracht, wie einst die altgriechische Gesangs-
dichtung. Diesem wichtigen Stoffe habe ich in den letzten 25
lateinische Rythmik und byzantinische Strophik. 213
Jahren die Zeit und die Kraft gewidmet, welche andere Pflichten
mir übrig ließen, und ich glaube, dabei meine Schuldigkeit gethan
zu haben.
Ein Rythmus über die Personen der Trinität. Der folgende
\E,ythmus steht in der Berner Handschrift no 611 auf fol. 80^ + 81*
eingeschrieben von einer Hand des 8./9. Jahrhunderts. Ich habe
ihn vor etwa 20 Jahren abgeschrieben; leider habe ich jetzt weder
die Handschrift selbst einsehen, noch zu civilen Preisen eine
Photographie erhalten können. Ich gebe hier den Text der Hand-
schrift mit der von mir eingesetzten Interpunction. Manches Citat
danke ich der Hilfe des Kollegen Bonwetsch.
1
Agiusque igneus
Spiritus sanctissimus,
3 antequam fierit mundus
patri aequalis filius :
trinum refulgens unicus,
6 omosyon kyrius.
1 Agius atque igneus?, so daß V. 4 Vater und Sohn umfaßt,
oder Agius atque ingenitus?, Beiwörter des Vaters. 3 fieret
6 homousios, consubstantialis.
2
Bene caeli speciem,
terrae potestas feceret
9 foueas aquas gurgites,
tenebras densas repellens.
collectae aquae miriter
12 arida patent limina.
6 ffl. Bene (dei) potestas fecerat caeli speciem et terrae foveas
{= abyssi faciem?) etc? 6 vgl. Gen. 1, 1 creavit coelum et
terram 7 vgl. V. 15 maris terraeque speciem 10 Gren. 1, 2
tenebrae erant, 4 divisit lucem a tenebris 11 miriter = mire,
mirabiliter? 11/12 vgl. Gren. 9/10 congregentur aquae (maria)
^ . et appareat arida (terra); also ist aquae Genitiv.
3
Clara luce in primitus,
firmamentam in postmodum,
15 maris terraeque speciem
tertia fixisti diem,
sidera quarto incoans,
18 quinto iam volatilia.
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. KI. 1908. Heft 2. 15
214 Wilhelm Meyer,
Vgl. G-en. 1, 3 — 5 fiat lux . . dies unus ; 6 — 8 fiat firmamen-
tum . . dies secundus; 9 — 13 terram . . maria . . dies tertius; 14 — 19
luminaria . . dies quartus; 20 — 23 volatile . . dies quintus. 13
claram lncem? 14 vgl. V. 52 in postmodum 15 vgl. V. 7
caeli speciem 16 tertio f. die ? 18 volatilia hahen viele TJeher-
setjsungen statt volatile (Vulg.)
4
Die sextoque bestias,
iumenta atqne pecora
21 regem terraeque hominem
plasmasti ad imaginem;
dedisti ei similem:
24 Eva prodit ex latere.
Vgl. Gren. 1,24 — 31; besonders: 25 .. bestias iumenta; 27
creavit hominem ad imaginem suam; 28 dominamini; 31 dies sex-
tus. Gren. 2, 18 adiutorium simile sibi, 20 adiutor similis eins i
22 aedificavit costam, quam tulerat de Adam, in mulierem.
6
Ecce gustando uetita
de paradysi gaudiis
27 eiecti foras tribulant.
spinis gignent arida.
sequitur culpa noxia
30 in filios et filias.
Vgl. Gren. 3, 18 spinas et tribulos (terra) germinabit tibi;
3, 23 paradiso voluptatis ; 3, 24 eiecitque Adam 27 trihulare
kommt auch intransitiv = tribuJari vor 28 corr. spinas gignunt»
6
Funera crescent nimium
usque tempus diluuii.
33 mundum sensit naufragium.
Corpora mersa gigantum.
arca seruasti spiritus
36 intra undarum ictibus.
31 corr. crescunt. Sollten hier gemeint sein die allmählich
sich häufenden Todesfälle, die in Gen. V 6, 8, 11, 14, 17, 20, 27,
31 mit mortuus est bezeichnet sind? oder sollte Gen. IV, 23/24
gemeint sein ? 33 corr. mundus 34 Gren. 6, 4 gigantes erant
35 corr. servati (sunt) ? fpöf hat die Hft ; Vielleicht ist zu ver-
gleichen Gen. 7, 15 bina ex omni carne, in qua erat spiritus vitae.
Oder ist zu interpungiren : arca (arcam?) servasti, Spiritus, intra
lateinische Rythmik und byzantinische Strophik. 215
u. i. ?, mit Bezug auf I Petri 3, 20 in diebus Noe, cum fabricaretur
arca, in qua pauci id est octo animae salvae factae sunt per aquam.
7
Gentium augens numeros
fili Noe per partibus.
39 turrem super bi aedificant
nisi caeli cacumina.
quem summa dei trinitas
42 ibi confundens lingüas.
Vgl. Gren. 9, 1 Benedixit deus Noe et filiis eins et dixit eis:
Crescite et mxdtiplicamini et replete terram; 10, 32 hae lamiliae
Noe iuxta populos et nationes suas. Ab bis divisae sunt gentes
in terra post diluvium. 37 corr, augent. 38 = per partus.
39 vgl. Gren. 11, 4 faciamus . . turrim, cuius culmen pertingat ad
coelum; 5 descendit dominus . .; 7 venite igitur, descendamus et
confundamus ibi linguam eorum. Ob hier der Wechsel von descen-
dit und descendamus als Andeutung der Trinität gefaßt worden
ist ? Sie spielt von hier ab die Hauptrolle. 40 nisi : corr. usque,
oder nisi = enitentes ad? 42 zu confundens gehört linguas] also
kann man nicht etwa quam schreiben und es mit confundens ver-
binden wollen. Es ist möglich, daß confundens (erat) = confundebat
sein soll. Aber was soll dann aus 'quem' werden?
8
Hoc totum figuraliter
in patriarchae usui
45 ilex Mambre promeruit.
trinitas pia damit,
quem Abraham ut hospitem
48 pedes lavit parapside.
Vgl. Gren. 18, 1 — 4 Apparuit ei dominus in convalle Mambre
sedenti . .; 2 cxmique elevasset oculos, apparuerunt ei tres viri . .;
3 et dixit: domine, . . ne transeas servum tuum; 4 sed afferam
pauxillum aquae et lavate pedes vestros et requiescite sub arbore.
Statt convaUis wird in älteren Uebersetzungen ilex oder quercus
genannt. Diese Stelle wird für die Trinität ausgedeutet, weil der
Singular und Plural wechselt. 44 usui = usu oder visu ? 45 ob
promeruit = prompsit ? 46 vgl. V. 83 ibi patuit trinitas.
9
I(n) Sodomae interitum
pater direxit iilium
51 simulque sanctum spiritum
15*
216 Wilhelm Meyer,
in postmodum signiferum
pater in arce resedens,
54 per ipsos iubens homines.
Zn vergleichen ist das 18. Kapitel der Genesis, wo der Wechsel
des Singulars und des Plurals auf die Trinität ausgedeutet wird:
V. 20 dixit dominus ; 21 descendam et videbo ; 22 converteruntque
se et abierunt Sodomam, Abraham vero adhuc stabat coram domino ;
33 abiitque dominus, postquam cessavit loqui ad Abraham. Kap. 19,
I Yeneruntqne duo angeli Sodomam; 13 coram domino, qui misit
nos, ut perdamns illos. Darüber sagt schon Augustin, de Trinitate
II 12 § 22: Quas duas personas hie intelligimus ? Patris et filii,
an patris et Spiritus sancti, an filii et spiritus sancti? Hoc forte
congruentins, qnod ultimum dixi. Missos enim se dixerunt, quod
de filio et de spiritu sancto dicimus. 52 in postmodum: vgl.
Y. 14 52 was soll 'signiferum' bedeuten? Etwa, daß in den
folgenden Strophen von den Personen der Trinität besonders der
h. Greist eine Rolle spielt? oder ist igniferum zu schreiben?
10
Calor ardens in herimo
nusquam consumpsit flammeos.
57 Moyses uocatus famulus
ab igne et spiritu,
ut nuda planta graderet
60 terraque sancta tangeret.
Vgl. Exod. 3, 1 Moyses . . ad interiora deserti venit . . 2 ap-
paruitque ei dominus in flamma ignis de medio rubi ; et videbat,
quod rubus arderet et non combureretur . . ; 4 dominus . . vocavit
eum de medio rubi . . , 5 Ne appropies huc ; solve calceamentum
de pedibus tuis ; locus enim, in quo stas, terra sancta est . . , 7 ego
sum deus patris tui; deus Abraham, deus Isaac et deus Jacob.
56 flammeos = inflammatos, ardentes ? 57 vgl. Hebr. 3, 5 Moyses
fidelis erat . . tanquam famulus 59 = graderetur terramque sanctam.
11
Lustratus in enigmate
ut erat possibilitas,
63 in holocausti uictimas
consume . . sacrificia
natura eins ignia
66 adflatu purgans omnia.
64 nach consume scheint fint getilgt zu sein: consumens?
Ich glaube nicht, daß hierher gehören die von Augustin de Trüiit.
lateinische Rythmik und byzantinische Strophik. 217
II 15 § 26 angeführten Stellen der Exodus : 19, 18 Sina autem
mons fumabat totus, propterea quod descendit in eum deus in igne
und 24, 17 Aspectus maiestatis domini tanquam ignis ardens super
verticem montis coram filiis Israel; vielmelir scheint die Strophe
auf Lev. 9 sich zu beziehen, wo V. 12 Aaron 'immolavit et holo-
causti victimam' ; 23 'Apparuitque gloria domini omni multitudini.
24 et ecce egressus ignis a domino devoravit holocaustum et adipes
qui erant super altare'. Sollten weiterhin die Sühnopfer des alten
und des neuen Testamentes verglichen werden, wie dies im 9. und
10. Kapitel des Hebräerbriefs geschieht? 61 Instratus = ge-
schaut oder gesühnt? in aenigmate; oh = Num. 12,8 palam et
non per aenigmata; 1 Cor. 13, 12 per speculum in anigmate? Dies
würde dafür sprechen, daß lustratns nt erat possibilitas' das un-
vollkommene Anschauen Gottes (Exod. 33, 20) bezeichnet. 63
victima? 66 ob nach Joh. 20, 22 'Insufflavit et dixit: Accipite
spiritum sanctum' ?
12
Maria princeps uirginum
sacrum audiuit niincium,
69 quod de sancto spiritu
impletum esset uterum
uirtutemque altissimi
72 nascere dei filium.
69 Matth. 1, 18 in utero habens de spiritu sancto 71 Luc.
1, 35 Spiritus sanctus superveniet in te et virtus altissimi obum-
brabit tibi . ideoque et , quod nascetur ex te sanctum , vocabitur
filius dei. 70 uterum = uterus? 72 nasceret activ?
13
Nee non Esaias placitae
diuinus iuris cecinit
75 spiritum sanctum nuntians
repletum Christum dominum.
Jesu in templo religens
78 inter doctores floruit.
Gremeint ist wohl die von Matth. 12, 18 citirte Stelle: ut
adimpleretur quod dictum est per Isaiam prophetam (42, 1) di-
centem : Ecce puer mens , quem elegi . . . ponam spiritum meum
super eum. 73 placita divini iuris? 75 spiritu sancto?
77/78 wohl nach Luc. 2, 46 : invenerunt illum in templo sedentem
in medio doctorum, audientem illos et interrogantem eos.
218 Wilhelm Meyer,
14
Ora ingressus fluninm,
nt incoaret baptisrntim.
81 pater de caelis loquitur
in columbae speciem.
ibi patuit trinitas
84 diuinaque snbstantia.
Vgl. Matth. 3, 16 ßaptizatus Jesus confestim ascendit de aqua
. . et vidit spiritum dei descendentem sicut columbam. Et ecce
vox de coelis dicens: hie est filius meus dilectus; äbnlich Marc.
1, 10 u. 11; Luc. 3, 21 (descendit spiritus sanctus corporali specie
sicut columba in ipsum); Job. 1, 32 79 ora = ex ora? oder
*orans' nach Luc. 3, 22 : Jesu baptizato et orante apertum est coe-
lum? 80 baptismum. 82 specie? 83 vgl. V. 46 trinitas
pia claruit.
15
Promittensque discipulis
Jesus in euangeliis :
87 nisi ego abier o,
paraclytus non ueniet.
ipse docebit omnia,
90 suggeret mirabilia.
Job. 16, 7 si non abiero, paraclitus non veniet ad vos ; 14, 26
Par acutus autem spiritus sanctus, quem mittet pater in nomine
meo, ille vos docebit omnia, et suggeret vobis omnia, quaecunque
dixero vobis.
16
Quibus euolutis circulis
post quinquaginta diebus
93 apostolorum cordibus
repleuit abundantius.
repleti sunt spiritos
96 et profetarunt plenius.
91 corr. Qui vgl. Lev. 25, 30 anni circulus fuerit evolutus
92 Act. 2, 1 cum complerentur dies Pentecostes 93 = corda?
95 fpöf Codex ; repleti sancto spiritu ? vgl. Act. 2, 4 et repleti
sunt omnes spiritu sancto 96 Act. 2, 18 effundam de spiritu
meo et prophetabunt ; 19, 6 venit spiritus sanctus super eos et
loquebantur linguis et prophetabant.
lateinische Rythmik und byzantinische Strophik. 219
17
Resedit super singnlis
in bipertitis Unguis;
99 domum ignis apparuit;
sonus magnus intonuit,
loquunturqne magnalia;
102 gentes reciperunt gratiam.
97 Act. 2, 3 apparuerunt illis dispertitae linguae tanquam ignis
seditque super singulos eorum 99 Act. 2, 2 (sonus) replevit
totam domum, ubi erant sedentes domum = in domo? 100
Act. 2, 2 f actus est repente de coelo sonus, tamquam advenientis
Spiritus vehementis 101 Act. 2, 11 audivimus eos loquentes
nostris unguis magnalia dei 102 Act. 11, 1 gentes receperunt
verbum dei; 2 Cor. 6, 1 gratiam dei recipiatis.
18
Sancta crescens ecclesia
multiplicatas lingüas.
105 ad turrem ßabyllonicam
ira turbavit labia,
uirtutem sancti Spiritus
108 recipitque humilitas
103 crescens sfatt crescit; multiplicatis unguis? 105 vgl. V.
42, dann Gen. 11, 9 vocatum est nomen eins Babel, quia ibi con-
fusum est labium universae terrae 105 der Gedanke ist nicht
übel : die Vielspracbigkeit der Apostel gewinnt Gläubige, aber der
Thurmbau ist durch Vielsprachigkeit verhindert worden. Bei Babel
hat Gottes Zorn die Redegabe der stolzen Menschen verwirrt:
jetzt hat der h. Geist den demüthigen Dienern Christi Redegabe
verliehen. Also ist zu bessern: virtute sancti spiritus recipit (re-
cepit) quae (d. h. labia) humilitas.
19
Tantaque dona spiritus
miratur cunctus populus :
111 Arabae Maedus Prosylitus
Judaeus atque Barbarus
Romani atque advenae
114 Scythae et Assyrii.
109 Act. 2, 4 Spiritus sanctus dabat eloqui illis 110 Act.
2, 7 = 12 stupebant et mirabantur omnes 111 Act. 2, 9ffl. :
Medi . . et advenae Romani. Judaei quoque et Proseljrti Cretes et
Arabes. Colos. 3, 11 : ubi non est Gentilis et Judaeus, circumcisio
220 Wilhelm Meyer,
et praeputimn, Barbari et Scythae. Nur die Assyrii kommen im
N. Testament nicht vor.
Die Sprache dieses Rythmus ist fast barbarisch. Wohl nicht
zn bezweifeln sind die seltsamen Formen oder Bedeutungen, wie:
11 miriter. 12 in primitus. 13 und 51 in postmodum. 45 pro-
meruit. 36 intra undarum ictibus. 38 per partibus {statt per
partus). 44 in patriarchae usui. 59 graderet. 70 uterum {statt
uterus). 72 nasceret. 98 cordibus replevit. In diesen Zeiten
sind von den Fehlern der Verfasser oft schwer zu trennen die
Fehler der Abschreiber; doch glaube ich, daß hier ziemlich viele
Fehler des Abschreibers vorliegen, die also gebessert werden
müssen: 3 fierit, 13 clara luce, 28 spinis gignent, 31 crescent, 33
mundum, 37 augens, 60 terra sancta, 75 spiritum sanctum, 91
quibus, 104 multiplicatas linguas. Eigenthümlichkeit des Verfassers
zu sein scheint die Auslassung von 'est' beim Particip, sowohl 85
promittens und 103 crescens, wie 57 vocatus und 79 ingressus.
(Der Inhalt) H. Hagen hat im Katalog der bemer Hand-
schriften das Stück überschrieben : 'Sententiae ex libris sacris pe-
titae a littera A incipientes usque ad litteram T, rythmice com-
positae. Der Verfasser will, wie mir scheint, schildern, wie im
alten und im neuen Testament die Personen der Trinität, bes. der
h. G-eistj hervorgetreten sind. In den Strophen 2 — 6 kann ich
diesen Faden nicht finden ; sonst aber liegt er deutlich vor Augen.
Betrachtet man das Schriftstück als summarische Ausführung jenes
Thema'Sj so ist es für seine Entstehungszeit nicht verächtlich.
Die Form dieses G-edichtes ist ebenso roh wie die Sprache. Es
finden sich hier etwa 97 Achtsilber mit steigendem Schlüsse (8 u _),
5 mit sinkendem (8—^); außerdem 8 Siebensilber (7 u_.) und 3
Neunsilber mit steigendem Schlüsse (9 u _). Wir haben also hier
ein neues Beispiel jener merowingischen lateinischen Rythmik, wo
die gesetzmäßige Silbenzahl verletzt werden konnte (vgl. meine
Abhandlung 'Ein Merowinger Rythmus über Fortunat, in diesem
Bande S. 37/39). Aber die wichtige Frage, ob auch weniger Silben
genommen wurden als das Schema verlangte (vgl. S. 38), scheint
dieser Rythmus bejahend zu beantworten. Denn gesichert scheinen
hier die Verse zu 7 u _ : 2 spiritus sanctissimus, 7 bene caeli spe-
eiem, 28 spinas gignunt arida, 58 ab igne et spiritu, 69 quod de
sancto spiritu, 82 in columbae specie, 114 Scythae et Assyrii; be-
denklich ist nur der 8. Siebensilber: 95 repleti sunt spiritu).
Auffallend wenige sind die Neunsilber: 39 turrem superbi aedi-
ficant; {in 91 quibus evolutis circulis ist wohl qui zu schreiben)^ 102
lateinische Rythmik und byzantinische Strophik. 221
gentes receperunt gratiam, 111 Arabae Maedus Prosylitus. Dazu
kommen als schlimmere Verletzungen der Regel 5 Achtsilber mit
sinkendem Schlüsse (8_u): 3 anteqaam fieret mnndus, 10 tenebras
densas repellens, 16 tertio fixisti die, 34 corpora mersa gigantum,
92 post quinquaginta diebus. Bleibt noch V. 1 Agiusque igneus
als unsicher bei Seite, so sind unter den 114 Zeilen 97 Achtsilber
mit steigendem Schlüsse übrig. Die Frage ist nun, wie diese Acht-
sLlber gebaut sind.
Diese 97 Achtsilber mit steigendem Schlüsse sind so gebaut
wie es die allgemeine Regel mit sich bringt; d. h. der Accentfall^
der letzten vier Silben ist gebunden, dagegen der Accentfall der
ersten 4 Silben ist frei gegeben: patri aequa|lis filius; es treten
also alle möglichen Accentfälle ein (vgl. oben S. 196). Ich scheide
4 Hauptgruppen
1) jambischer Accentfall: u_u^w_u_: miratnr cunctus populus 35
Hoc totum figuraliter. In filios et filias (6 Mal). V. 86
Jesus in evangeliis.
2) unsicherer Anfang: r^r\^u-z-u_^u_: apostolorum cördibns 10
Et prophetarunt plenius. Nee non Esaias placita.
8) die erste Senkung zweisilbig :_uu_u_u-_: pater direxit filium. 32
Fünerä crescent nimium (11 Mal). V. 18 Quinto iam vo-
latiHa.
4) die zweite Senkung zweisilbig: _u_uu_u_: sönus magnüs
intonuit. Ibi patüit trinitas (Y. 6 u. 83). 20
Bei der 3. und 4. Art sind besonders die Unterarten zu
notiren , in welchen die beiden Silben der Senkung den Schluß
eines Wortes bilden (daktylischer Wort Schluß, siehe oben
S. 195 u. 201), wo also die gewöhnliche Regel, welche solchen
Wortschluß verbietet, verletzt wird. Es sind 11 der 3. Art und
2 der 4. Art:
_uu, _u_u-^: fünörä crescent nimium 11
-_u_uo, _u_: 83 ibi patüit trinitas, 6 hömoüsiös kyrius 2
Von diesen 97 Achtsilbern beginnen 35 mit einer Senkung,
52 mit einer Hebung. Das ist, wenn für die 4 ersten Silben keine
Regel gilt, ziemlich natürlich. Denn, da etwa die Hälfte der
dreisilbigen lateinischen Wörter auf der ersten Silbe Accent hat
hömines fülgurat, die zweisilbigen aber alle magnus laüdat, so
beginnen in jeder lateinischen Prosa mehr Wörter mit accentuirter
Silbe als mit nicht accentuirter.
Von Caesur hat natürlich dieser Mann nichts gewußt. Von
den 97 Zeilen haben 67 sinkenden Einschnitt nach der 3. oder 5.
222 Wilhelm Meyer, lateinische Rythmik und byzantinische Strophik.
Silbe; die 4 Verse 18 86 90 und 83 hätten keine Caesur; in 6
Zeilen bildet die 4 Silbe steigenden, in 18 sinkenden Wortschlnß
(in filiös et filias, magnns sönus intonuit) : also liegt Alles so, wie
es der Zufall bringt.
Der innere Bau dieser Achtsilber ist also weit verschieden
von dem Zeilenbau bei Auspicius. Diese Verschiedenheit ist aber
nur dadurch bewirkt, daß dieser Dichter 1), wie fast alle, nichts
wußte von Caesur, und daß er 2) daktylischen Wortschluß nicht
gemieden hat.
Strophen und Reim Die Zeilen sind in Gruppen von je
6 zusammengestellt, was sich sonst selten findet. Bestimmte, regel-
mäßig wiederkehrende Sinnespausen innerhalb dieser sechszeiligen
Gruppen kann ich nicht nachweisen ; doch spricht der Reim dafür,
daß je 2 solche Kurzzeilen eine Langzeile bilden sollen. Der
Reim oder vielmehr die einsilbige Assonanz in diesem Gedicht
ist auffallend stark. Ohne Assonanz ist eigentlich nur die 13.
Strophe. Oft haben 5 oder 4 Zeilen die gleiche Assonanz und
nur 1 oder 2 Zeilen sind regellos. Oft assoniren je 2 Kurzzeilen;
so in Str. 3 : us xmi ; iem iem ; ans a. Str. 4 : as a ; inem inem ilem
re. Aehnliche Paare, wie 8,5/6; 9,5/6; 10,5/6; 15, 1/2 5/6; 17:
ulis uis, uit uit, ia iam, sprechen dafür, daß der Dichter je 2
Kurzzeilen zu einer Langzeile zusammengefaßt und wohl auch
zusammengeschrieben hat.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens IL
Von
P. Kehr.
Vorgelegt in der Sitzung vom 20. Juli 1907.
Im dritten Heft unserer Nachrichten von 1905 habe ich bereits
eine erste Serie von Nachträgen zu den Papsturkunden Italiens
veröffentlicht, der ich jetzt eine zweite folgen lasse. Ich brauche
hier nicht zu wiederholen, was ich damals ausführte: schwerlich
wird das Material jemals vollständig erschöpft werden, und ver-
einzelte Findlinge werden immer wieder an den Tag kommen.
Von andern Stücken sind die bisherigen Drucke so schlecht oder
so unvollständig oder auch so unzugänglich, daß es sich empfiehlt,
auch sie in diesen Nachträgen zugänglicher zu machen.
So ist diese Gruppe von 43 Papsturkunden zusammengekommen,
die sich alle auf Mittelitalien beziehen. Den Benutzern der ersten
drei Bände der Italia pontificia werden sie, denke ich, will-
kommen sein.
Zu ihrer Erläuterung habe ich wenig zu sagen.
Aus Florenz biete ich ein Privileg Honorius' II. (n. 4) für
die Badia di Leno bei Brescia, mit deren Ueberlieferung es be-
kanntlich sehr schlecht bestellt ist. Jene Urkunde ist aus einem
Kopialbuch von Leno von 1540 entnommen, das der Direktor der
Nationalbibliothek Morpurgo jüngst auf dem Hökermarkt fand.
Aus dem Florentiner Fonds von Camaldoli steuerte Prof. L. Schia-
pareUi ein Mandat Honorius' II. (n. 5) und ein Privileg Celestins IL
(n. 9) bei; aus demselben Fonds biete ich ein Privileg Clemens' III.
für Arezzo (n. 35). Ein Streifzug in das erzbischöfliche Archiv
in Florenz brachte außer einigen Urkunden für das Priorat von
S. Andrea di Mosciano noch ein interessantes Ineditum Clemens' m.
224 P. Kehr,
für Ripoli (n. 38) an den Tag. Aus den Strozzipapieren der Na-
tionalbibliothek kopierte ich selbst Lucius' III. Privileg für das
Kloster S. Salvadore di Spugna, das in einer seltenen Monographie
von Morozzi gedruckt ist. Gedruckt sind auch bereits die beiden
Mandate Alexanders III. für Passignano (n. 16. 18), allein die
Lettere von Fedele Soldani, in denen sie stehen, sind nicht nur
in Deutschland, sondern auch in Italien so selten, daß ich geglaubt
habe, sie zugänglicher machen zu sollen. Dieselbe Erwägung hat
mich veranlaßt, die aus den Archiven der Yallombrosaner stam-
menden Urkunden n. 7. 8. 10. 14. 17. 39. 43 noch einmal zu drucken.
Ich habe seiner Zeit von ihrer Wiedergabe abgesehen, weil ich sie
in dem Bullarium Vallumbrosanum gedruckt fand, das 1729 Ful-
gentius Nardi, einst Prior von S. Trinita in Florenz, herausgegeben
hat. Das Buch ist nicht nur Jaffe und Loewenfeld, sondern auch
den Geschichtsschreibern der Yallombrosaner unbekannt geblieben,
und es scheint in der Tat eine litterarische Seltenheit ersten
Ranges zu sein. In Rom sind nur zwei Exemplare vorhanden,
das eine im Yallombrosaner Archiv von S. Prassede, das andere
kaufte ich jüngst bei einem Antiquar in Bologna für ein par Soldi.
In der Nazionale von Florenz fand ich ein drittes Exemplar, ein
viertes im Yallombrosanerkolleg von S. Giuseppe in Pescia. Also
glaube ich recht zu tun, wenn ich auch diese Stücke im Anhang
folgen lasse.
Aus Arezzo stammt eine Urkunde Lucius' III. (n. 28) und eine
Celestins III. (n. 42), auf deren Druck wir seiner Zeit verzichteten,
weil sie im II. Band der Documenti par la storia della citta di
Arezzo nel medio evo von Ubaldo Pasqui ihren Platz finden
sollten. Allein dessen Erscheinen steht leider noch immer in
weiter Ferne.
Aus Volterra bringe ich einen Nachtrag: das oft zitierte,
aber niemals gedruckte Diplom Urbans III. (n. 33).
Aus Sie na habe ich noch sechs, allerdings schon sämtlich
bekannte Urkunden genommen, von Anastasius lY. (n. 11) aus dem
Fonds von Monte Amiata, von Alexander III. (n. 22. 27) aus dem
Archiv von S. Agatä zu Asciano und aus dem Fonds von S.
Agostino, von Clemens III. (n. 34. 36) für die Kirchen S. Nicolo
in Montieri und S. Pietro in Sovana, von Celestin III. (n. 41) aus
dem Fonds von S. Maria degli Angeli. Zu den Seneser Urkunden
gehört auch das Privileg Hadrians lY. für San Lorenzo dell'
Ardenghesca (n. 12), das Dr. Hessel unter den Urkunden von S.
Salvadore di Reno im Staatsarchiv zu Bologna fand.
Eine stattliche Serie von Urkunden lieferte das Kapitelarchiv
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 225
in Prato (n. 2. 6. 23. 26. 27. 30. 31. 32. 40). Sie wieder ent-
deckt zu haben ist das Verdienst von Fr. Carlesi, der aucli mir
ein freundlicher Führer gewesen ist. Aber sein Buch Origini di
Prato hat schwerlich in Deutschland Verbreitung gefunden. Es
ist einer jener wohlgemeinten Beiträge zur Lokalgeschichte, welche
mehr aus der Heimatsliebe als aus dem historischen Ingenium des
Autors entspringen. Diese Prateser Urkunden hat Dr. Fr. Bal-
dasseroni in Florenz nochmals kollationiert.
Pisa spendete noch drei Urkunden (n. 1. 19. 25), von denen
die letzte ein bisher ganz unbekanntes Privileg Alexanders III.
für die Kirche S. Christina ist. Bei Pisa, in der Certosa von
Calci, befindet sich bekanntlich das Archiv von Grorgona. Doch
fand sich eine zu Grorgona gehörende Urkunde auch noch im De-
partementalarchiv von Ajaccio (n. 15).
Alle diese Stücke beziehen sich auf Toscana; ich drucke sie,
um die Benutzung des jetzt erscheinenden dritten Bandes der
„Italia pontificia" zu erleichtern.
Dazu biete ich noch unbedeutende Nachträge zu Band I und II.
Im Bd. I unter S. R. E. cardinales hatte ich zu n. 11 (p. 7) ein
Privileg Urbans II. gesetzt, das wir auszugsweise in einei^ Hand-
schrift der Vallicellana besitzen. Es ist für die Greschichte des
Kardinalkollegiums so wichtig, daß ich es gerne abdrucke.
Zu Band 11 (Latium) gebe ich noch vier Stücke, nämlich
Alexanders III. Reskript J-L. 12724. 12725 (vgl. p. 96 n. 49), das
oft zitiert, aber nie ganz gedruckt ist, dann das für die Topo-
graphie der Tuscia Romana sehr wichtige Privileg Alexanders III.
für S. Giusto di Toscanella J-L. 13038a (vgl. p. 199 n. 2), femer
ein kleines Privileg Hadrians IV. für S. Sisto in Viterbo, das
jüngst Prof. Pietro Egidi unter den Farneseurkunden des Staats-
archivs in Neapel auffand (vgl. p. 210), endlich ein Mandat
Clemens' III. an den Erzpriester von Civita Castellana (vgl. p. 185
n. 1), das mir Comm. Griocondo Pasquinangeli mitgeteilt hat.
226 P. Kehr,
Alexander IL nimmt die Kanoniker der Kathedralkirche S,
Maria in Pisa in den apostolischen Schutz und bestätigt ihr den Besitz,
Lateran 1065 Fehmar 7,
Orig. Pisa Ar eh. capitolare (Nr. 152).
Die Urkunde steht auch in üghellVs Sammlung Privilegia ponti-
ficum varia, s, XVII, cod. Vat. Barb. 8222 (XL 19, olim 3640), bei
Ottavio Angelo D'Abramo Pisanae primatialis dignitatum ac pra£ben'-
darum omnium descriptio II p. 71, und im Auszug in Onofrio Pan-
vinio's Scheden Vat. Arch. Mise. Arm. XI t. 34 f. 20 und Arm. XV
t. 128 f. 177. Sie ist registriert von üghelli ^ III 412; ^ III 360;
Pflugk-Harttung Iter p. 198 n. 141; J-L. 4562. — Der Teoct wieder-
holt in der HauptscLche Victors IL Privileg J-L. 4841.
ALEXANDER EPISCOPVS SERVVS SERVORVM DEL KA-
RISSIMIS m CHRISTO FILnS NOSTRIS CANONICIS SANCTE DEI
GENITRICIS ET| [ perpetu^ uirginis MARIE uobis uestrisque suc-
cessoribus in perpetuum. Instis et rationabilibus petitionibns be-
niuolus debetur consensus. Qu^ enim diuin^ | religioni nichil au-
ferunt, in futurum autem utilitati hominum multum conferunt,
profecto concedenda et expetenda sunt. Quapropter notum esse |
uolumus Omnibus Christi fidelibus presentibas scilicet et futuris,
qualiter fratres Pisanensis ^cclesi^ de canonica sanct^ Dei genitricis
MARIE, sicut prediximus, | nostram adierunt clementiam, rogantes
nostr^que patemitati humiüter supplicantes , quatinus ipsos cum
bonis predict^ canonici iure pertinentibus sub tutelaim apostolicQ |
defensionis, dato eis nostro priuilegio, susciperemus. Quorum pe-
titioni beniuolentia ipsius apostolicQ sedis, cui Deo auctore licet
indigni presidemus, annuentes, eosdem | fratres sub nostram de-
fensionem suscepimus datoque priuilegio omnia h^c bona tam in
decimis quam in prediis, quQ eadem prescripta canonica tunc iure
tenuit uel in futuro | iuste acquisitura erit, auctoritate Dei sancti-
que PETRI concessimus et confirmauimus, quatenus nostra fulti
auctoritate de die in diem in melius proficiant et de uirtute in |
uirtutem securius ascendant. Super h§c nero pacem, quietem et
securitatem eidem prenominat^ canonici bonisque suis cupientes,
statuimus et confirmauimus ipsa eademque | auctoritate Dei sancti-
que PETRI et nostra, ut nulla persona parua seu magna audeat
uel presumat uim, dampnum uel molestiam ullam inferre aut mo-
lestare uel quicquam de | bonis suis absque legali iudicio aut ca-
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 227
nonicali usnrpare. Quod si quis, quod non optamus, hnius nostr^
concessionis et confirmationis priuilegium infringere presumpserit |
nostriqne mandati immemor dampnum uel molestiam eis''^ aut de
bonis predict§ canonici quicquam sibi usurpauerit, nisi resipiscat
dignaque emendet satisf actione, uin|ciilo anathematis innodetur.
Qui uero custos et obseruator extiterit, apostolica benedictione
repleatur et misericordiam a domino Deo consequatur. |
R.
Datum Lateranis septimo idus febraarii per manus Petri sanct§
Romanae ecclesi^ subdiaconi atque bibliothecarii, anno IUI ponti-
ficatus domni ALEXANDRI papQ II, inditione III.
B.
3.
(Fälschung),
TJrban IL befiehlt dem Volk von Bisantium (d. i. Prato), zum
Kreuzzug einen Führer nebst 30 Edlen zu senden.
Lateran 1093 Februar 24.
Historia di Prato scritta da M. Alessandro Guardini a. 1560
(ed. Carlesi Origini della cittä e del comune di Prato. Prato 1904).
Ed. Carlesi l. c. p. 184. — Die ganz abstruse Fälschung hat
wohl Guardini selbst auf dem Gewissen. Er fabelt auch von einer
Indulgenz Felix' IV. und von einem Aufenthalt der Päpste Marcus
und Sergius in Bisantium, d. i. Prato, Der Text ist übel, — Zur
Sache vergleiche Italia pont. III 135 sq,
Urbanus papa secnndus.
Dilecte fiK*), salutem et apostolicam benedictionem. Omnibus
Christi fidelibus conuenit pro piae deuotionis affectn omne prae-
stare auxilinm et uolentes ex munere nostri pastoralis officii ope-
ribus satisfacere piis, et maxime pro filiae Sion et iHius Terrae
sanetae recuperatione per nos et sedem apostolicam nuper ten-
tanda, precibus et meritis dilecti filii nostri Petri eremitae, ad id
pro exhortatione omnium beUantium deputati ad
rendum nostrum ac sanetae matris ecclesiae inimicum, qui eam
indigne occupat. Nos tamen confisi prius in maxima Dei et domini
nostri lesu Christi benignitate et deinde rerum gerendarum ex-
a) aus der Vorurhunde ist zu ergänzen intulerit. 6) filie.
228 P- Kehr,
perientia, omnium Christi nomen pia deuotione portandnm, ad
illius professione facientium et ciuitatem sanctam Hyerusalem eius-
que districtum ab atroce eximere hoste atque liberare cupientium,
qua in urbe beata carnis conditor pro peccatis nostris misericor-
diter crucis patibulo ac mucrone lanciae diuo(?) uulneratus atque
suspensus est. Quapropter uos omnes de consilio populi et liber-
tatis praestantes, cuius curam et gubernium gerentes"), ad hoc pium
opus rogamus et benigne in Domino hortamur, quatenus deputetis
iuxta nostrae mentis desiderium ducem per uos eligendum, qui secum
deinde eligat auctoritate nostra apostolica triginta nobiles ac
probos iuuenes suosque conciues ad hoc utiles pro substentatione
classis Terram sanctam uersus bellantes eorom sumptibus, quanto
eins ducat, armis et aliis ad similia spectantibus et pertinentibus
ad ciuitatem Viterbiensem per totum mensem martii proximi fu-
turi. Et nuUi ergo hominum liceat eundem ducem eiusque milites
quoquo modo uexare, molestare, perturbare et iter eisdem impedire
sub excommunicationis latae sententiae poena.
Datum Romae apud Lateranum sub anno a natiuitate Domini
MXCIll, die uero XXTTTT februarii, sub anulo piscatoris, pontifi-
catus nostri anno VI.
In tergo: Dilecto populo filio nostro Libertatis de Bisantio
Thusciae Pistoriensis.
3.
Urhan II. erläßt über die Rechte der Kardinäle ein Edikt,
(1088—99).
Auszug im Cod. Vallicell. C 24, s. XVI, f. 198'.
Die Handschrift enthält eine historische Zusammenstellung über
die Kardinäle, welche einem älteren Vaticanus entnommen sein soll.
Hier stehen die bekannten Urkunden Johannes' VIII. J-E. 3366 und
Alexanders IL J-L. 4736, worauf dann diejenige TJrhans IL folgt
(vgl, Italia pontif. I 6 sq.). Der ganze Aufsatz verdiente wohl noch
eine genaue Untersuchung.
Item Urbanns 11. presbyteris cardinalibus. Clerici diaconi-
arum, quibus diaconi non praefuerint, ad scrutinia cum capellanis
conveniant. Quia, ut decessor noster Pelagius scribit, anilantem
süperb. ... et desperatis mentibus doctrina sine po-
testate contemnitur ^), mansuro in perpetuum decreto sancimus, ea
a) stau geritis? h) die Stelle ist stark zerstört utid kaum wiederherzu-
stelien.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 229
uos auctoritate et dignitate precellere, ut in hac urbe E-omana,
cuius tituli et diaconiae et parrocliiae et parrochianorum paeni-
tentiae per singulas regiones et suburbia nostris olim decessoribns
ab apostolicis eorumque successoribus delegatae sunt, iuxta con-
cilium Neocaesariense, in quo de catbedralibus presbyteris agitur,
nulli presbytero in praesentia cuiuslibet uestri absque nostra per-
missione liceat sacra missarum solemnia celebrare nee generaliter
baptismatis fontes, paschae scilicet seu pentecostes, sicut usque
ad hoc tempus urbis huius consuetudo se habuit, absque nostra
permissione uel uicini cardinalis audeat consecrare. Addentes
etiam hoc, ut clerus cuiusque diaconiae, his exceptis, quibus car-
dinales diaconi praefuere, ad peragenda scrutinia et baptismata
iuxta decessores nostros Alexandrum et Grregorium irrefragabiliter
cum capellanis omnibus debeant conuenire.
4.
Honorius IL nimmt das Kloster S. Salvadore di Leno unter dem
AU Tedald in den apostolischen Schutz und bestätigt die Besitzungen
und Beeilte. (1125).
Privilegi concessi alla hadia di S. Leno a. 1540 f. 46' Firenze
Bibl. naz, (Nuovi acqiiisti n. 14) aus notarieller Abschrift^ wie es
scheint, von 1280.
Vgl. Gott. Nachr. 1903 S. 555 Nr. 3 Beg. aus dem Kopialbuch
von Leno s. XVI f. 14 im Kapitelarchiv des Lateran.
Honorius episcopus seruus seruorum Dei. Dilecto filio Tedaldo
monasterii Leonensis abbati eiusque successoribus regulariter substi-
tuendis in perpetuum. Pi^ postulatio uoluntatis effectu debet
prosequente compleri, quatenus et deuotionis sinceritas laudabiliter
enitescat et utilitas postulata uires indubitanter assumat. Tuis
igitur, dilecte in Domino fili Tedalde abbas, petitionibus annuentes,
«ancti Saluatoris monasterium, cui Deo auctore pr^sides, sicut a
pr^decessoribus nostris in tutelam et protectionem apostolicQ sedis
susceptum est, nos quoque suscipimus, quod uidelicet monasterium
a. Longobardorum rege Desiderio in honorem domini Saluatoris
et beati Benedicti patris nostri ^dificatam cognoscitur. Statuimus
^nim, ut nulli ecclesiastic^ seculariue persona liceat districtum
ullum in locis quibusquam ipsius monasterii seu placitum absque
abbatis licentia facere seu fodrum vel mansiones exigere. Abbas
-autem, ubicunque per eadem loca uoluerit, mercatum nemine con-
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 2. 16
230 P- Kehr,
tradicente constituat uel Qdificet districtnmque seruorum sen libe-
rorum teneat nee episcoporum quenqnam in pr^fato monasterio
dicionem aliquam habere permittimus et missas publicas pr^ter
abbatis uoluntatem illic agere probibemus. Confirmamus igitur
eidem uenerabili monasterio possessiones priorum temporum, id
est plebem sancti loannis, ecclesiam saneti Petri in Summo lacn,
Campilione, Materno, Patinole, Cauunno, Cubiato, Grusiago, Casa-
nona, Solarium in Brixia cum broilo usque in uiam orientis, cum
ecclesia sancti Benedicti in Verona, Dale, Mucianum"), Paonem,
Castrum nouum cum ecclesia sancti Andr^Q, Milcianum, Groteningum
cum ecclesia sancti Petri, sanctam Mariam in Mauriaticam^^, Vsti-
lianum, Curtem ruptam, Flexum, Fontanellam, Bucellanum, Turri-
cellam, Carpenetulum, Gambaram cum ecclesia sanct^ Mari^, et
aliam sancti Petri, et castrum Turricelle cum ecclesia sancti
Andr^^, Pancianum cum ecclesia apostolorum Philippi et lacobi
et cum plebe sanct^ Maricj et sancti Sebastiani, decimam etiam
ad idem Pancianum pertinentem, sanctum Vincentium, Fontanam
latam, Cassium cum pertinentiis suis, Montem longum cum perti-
nentiis suis, ecclesiam sancti Greorgii in Pontremulo'^), Talauumum,
uillam Laudem cum duabus partibus de Arcole. Pr^terea qu§-
cunque pr^dia, qu^cunque possessiones uel catholicorum regnm
uel aliorum fidelium legitimis oblationibus in pr^senti uestro mo-
nasterio pertinent siue in futurum largiente Domino pertinere
contigerint, firma tibi tuisque successoribus et illibata permaneant.
Decernimus ergo, ut nulli omnino hominum liceat idem monaste-
rium temere perturbare aut eins possessiones auferre aut ablatas
retinere, minuere uel temerariis uexationibus fatigare, sed omnia
integra conseruentur, eorum, pro quorum sustentatione et guber-
natione concessa sunt, usibus omnimodis profutura. Decimas atque
primitias pr§decessorum nostrorum autoritate monasterio uestro
concessas nullatenus deinceps ab episcopis uel episcoporum mi-
nistris permittimus usurpari. Cbrisma, oleum sanctum, consecra-
tiones altarium siue basilicarum, ordinationes monachorum siue
c^terorum clericorum totius abbati^, qui ad sacros faerint ordines
promouendi, a quo malueritis catbolico accipiatis antistite. Ob-
eunte te, nunc eins loci abbate uel tuorum quolibet successorum,
nullus ibi qualibet subreptionis astutia seu uiolentia pr^ponatur,
nisi quem fratres communi consensu uel fratrum pars consilü sani-
oris secundum Dei timorem et beati Benedicti regulam elegerint;
a) am Rande wiederholt von anderer Handr Dale. Mucianum.
b) am Bande S. M. Muratica. c) am Bande Fontremulum.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 231
electiis autem ad Romanum pontificem consecrandus accedat, qui
profecto potestatem habeat castella et ecclesias faciendi, ubicunque
uoluerit in terris ad pr^fatum monasterium pertinentibus. Pi-
scarias ad ipsum monasterium pertinentes in fratrum usus omnibus
modis confirmamus, nt nulli facultas sit eas inuadere aut quibus-
libet occasionibus alienare. Vos igitur, filii in Christo dilecti, ut
hac semper gratia digniores censeamini, Dei semper timorem in
uestris cordibus habere satagite, ut quanto a secularibus tumul-
tibus liberiores estis, tanto amplius placere Deo totius mentis et
anim§ uirtutibus anheletis. Si quis igitur in crastinum archiepi-
scopus aut episcopus, imperator aut rex, princeps aut dux, comes,
uicecomes, iudex aut ecclesiastica qu^libet secolarisue persona hanc
nostrQ constitutionis paginam sciens contra eam temere uenire
tentauerit, secundo tertioue commonita, si non satisf actione con-
grua emendauerit, potestatis honorisque sui dignitate careat re-
amque se diuino iudicio existere de perpetrata iniquitate cogno-
scat et a sacratissimo corpore ac sanguine Dei et domini redemp-
toris nostri lesu Christi aliena fiat atque in extremo examine
districte ultioni subiaceat. Cunctis autem eidem loco iusta ser-
uantibus sit pax domini nostri lesu Christi, quatenus et hie fruc-
tum bon§ actionis percipiant et apud districtum iudicem pr^mia
Qtern^ pacis inueniant. Amen. Amen. Amen.
E. Ego Honorius catholic^ ecclesi^ episcopus ss. BV.
Dat E,oman<^ ecclesi^ cancellarii, IUI
, incarnationis dominier
Honorii secundi pape anno primo.
Honorius II. heauftragt wiederholt den Bischof Petrus von Chiusi,
die renitenten Mönche von Vivo zum Gehorsam des Camaldulenser-
prior s Johannes und zur Annahme der Pegel von Camaldoli zu be-
wegen. Lateran (1126) März 17.
Kopie saec. XII Florenz Ärch. di stato (Camaldoli 1143 marzo 17).
Bas Stück enthält den Bericht über die Streitigheiten mit Kloster
Vivo in der Diözese Chiusi, worüber Mittarelli Ann. Camald. III 60,
der sich an Baroncini's Exzerpte hielt, zu vergleichen ist. Da findet
sich auch das Reskript Honorius' IL und Celestins IL definitive
Entscheidung kopiert, die mir bei meinen Nachforschungen in Florenz
entgangen waren. Ich verdanke ihre Mitteilung unserm Freunde und
16*
232 P- Kehr,
Kollegen Prof, L. SchiaparelU, — Das Jahr 1126 ergibt sich aus der
Begierungszeit des Priors Johannes von Camaldoli, der im September
1126 Kardinal von Ostia ivurde (cf. Mittarelli III 43).
Honorius episcopus seruus seruoram Dei. Yenerabili fratri
P. Clusino episcopo salutem et apostolicam benedictionem. Super
fratribus illis monacbis de Vivo miramur admodmn et grauamur,
quoniam per litteras nostras et per te atque per alios fratres totiens
moniti, ad dilecti filii nostri I. Camaldulensis prioris redire obe-
dientiam noluerunt, sed in sua potius proteruia contumaciter per-
senerant. Quocirca fraternitati tuQ iterato iniungimus, ut eos adhuc
diligenter monere non desinas °^, quatenus ad eiusdem subiectionem
et obedientiam redeant et seenndum beati Benedicti regulam e.t
seeundum generalem formam et institutionem Deo acceptQ congre-
gationis Camaldulensis deinceps uiuant. Quodsi etiam modo con-
tempserint, sciant se ab exeommunicationis uinculo nullatenus ab-
solutes. Dat. Lat. XVI kal. aprü.
a) desinat.
6.
Innocenz H. nimmt die KollegiatkircJie S. Stefano in Prato unter
dem Propst Bdeprand in den apostolischen Schutz, verbietet ohne des
Propstes und seiner Nachfolger Erlaubnis in der Parrochie eine Kirche
zu errichten^ bestätigt die Zehnten und die Sepultur und andere Vor-
rechte. Lateran 1133 Mai 21.
Kopie im Ms. Concessioni giurisdizionali dei sommi pontefici etc,
s. XIV ex. [B] und Kopie im Ms. Bolle e indulti pontificii; de^
creti vescovüi $. XVI sq. [CJ, beide Prato Ar eh. capitolare.
Edd. Uglwlli ^ III 331 = Migne Patr. lat. CLXXIX 177 n. 134.
— Begg. J. 5450. J-L. 7618. UgJielli's Text ist unvollständig. Ich
gebe daher die bei ihm fehlenden Unterschriften aus C, da auch die Kopie
s. XIV nicht vollständig ist. Vgl. Italia pont. III 136 n. 2.
Innocentius episcopus seruus seruorum Dei. Dilecto filio Ilde-
prando preposito ecclesie sancti Stepbani de Prato eiusque suc-
cessoribus canonice substituendis in perpetuum. lustitiae et
rationis ordo.
R. Ego Innocentius catholic§ ecclesiq episcopus ss.^^ BV.
t Ego Grulielmus Penestrinus episcopus ss.*
a) 88. fehlt hier und in der Folge.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 233
f Ego Johannes Hostiensis episcopus ss.
f Ego [Conradus]^) Sabinensis ecclesie episcopus ss.
f Ego Johannes tit. sancti Grisogoni presb. card. ss.
f Ego Gerardus tit. sanete Crucis presb. card. ss.
f Ego Anseimus presb. card. tit. <^) sancti Laurentii in Lucina ss.
f Ego Martinus presb. card. tit. sancti Stephani in Celio monte ss.
t Ego Lucas presb. card. sanctornm lohannis et Pauli ss.
f Ego Eomanus diac. card. , sanete Marie in Porticu ss.
t Ego Gregorius diac. card. sanctorum Sergii et Bachi ss.
t Ego Guido diac. card. sanete Marie in Via lata ss.
t Ego Oddo diac. card. sancti Georgii ad Velum aureum ss.
f Ego Guido diac. card. sanctorum Cosm^ et Damiani ss.
Dat. Lat. per manum Aimerici sanete Romane ecclesie diaconi
cardinalis et cancellarii, XII kal. iunii, indictione XI, incarnationis
dominice anno MCXXXIII, pontificatus uero domni Innocentii
pape II anno IUI.
h) Lücke im Text c) tit. fehlt.
Innocenz II. nimmt die Klöster S. Michaelis de Plaiano und S.
Michaelis de Salvenero unter den Äebten Matiriis und Hugo in den
apostolischen Schutz und bestätigt ihnen Besitz tmd Rechte und die
Vallombrosanerregel. Lateran 1189 Mai 25.
Cornelii Margarini Thesaurus historicus vol. III f. 173 Born
Vat. Ar eh. Arm. LIV t. 8 ex registro congregationis Vallis Umbrosae
in TJrbe fol. 84.
Das Chartular von Vallomhrosa, das sich noch im 19. Jahrhundert
in S. Prassede in Born befand, ist verschollen, vgl. Italia pontif. I 50;
III 86. Unser Privileg für die beiden Vallombrosanerhlöster in Sar-
dinien Jcamiten auch noch die Vallombrosanerschriftsteller Vinc. Nan-
nini, Ambr. Genovini und Fulg. Nardi; cf. Italia pontif. III 87. Die
von Nardi im Bull. Vallumbr. p. 14 gedrucMe Urkunde ist Jaffe-
Loewenfeld entgangen,
Innocentius episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis
Mauro monasterii s. Michaelis de Plaiano et Ugoni cenobii s. Mi-
chaelis de Saluenero abbatibus eorumque successoribus regulariter
substituendis in perpetuum. Desiderium, quod ad religionis pro-
234 P. Kehr,
positum et animarum salutem noscitur pertinere, animo nos decet
libenti concedere et petentium desideriis congruum impertiri suf-
fraginm. Eapropter, dilecti in Domino filii Maure et Ugo abbates,
uestris rationabilibus postulationibus clementer annuimus et mo-
nasteria saneti Michaelis de Plaiano et beati IVIichaelis de Salue-
nero, quibus authore Domino pr^sidetis, apostolic^ sedis priuilegio
communimus. Statuentes, ut quascunque possessiones , quQCunque
bona eadem monasteria iuste et canonice possident aut in futurum
concessione pontificum, liberalitate regum uel principum, oblatione
fidelium seu aliis iustis modis prestante Domino poterunt adipisci,
uobis uestrisque successoribus iirma et illibata permaneant. Huic
quoque decreto adiicimus, ne nnquam uos uel successores uestri
absque licentia Vallis Umbrosani abbatis, qui pro tempore fuerit,
ad episcopale officium pr^sumatis accedere, ne forte bona eorumdem
monasteriorum seruorum Dei usibus deputata hac occasione aliquod
exterminium patiantur. Prohibemus etiam, ne archiepiscopo aut
episcopo licentia pateat absque Vallis Umbrosani abbatis con-
cessione monachos inde toUendi ad aliud officium promouendos
aut aliqua de causa, inuito eodem abbate, quemlibet de fratribus
ipsius loci ad aliam ecclesiam transferendos. Si quis sane fratrum
eorumdem locorum ad regimen alterius ecclesi^ fuerit assumptus,
in monasteriis ipsis nullam ulterius habeat potestatem, nisi qualem
pr^decessores sui inibi habuerunt, qui pr^fuere ecclesi§, ad quam
fuerit ipse translatus. Obeuntibus uero uobis aut uestrorum quo-
libet successore, nullus ibi qualibet surreptionis astutia seu uio-
lentia pr^ponatur, nisi quem abbas Vallis Umbrosanus secundum
Dei timorem elegerit ordinandumque pr^viderit. Liceat etiam
uobis uestrisque successoribus atque fratribus clericos cuiuscunque
ordinis de quolibet episcopatu ad uos transire uolentes cum rebus
suis propriis ad conuersionem suscipere et absque aliquorum epi-
scoporum aut aliarum personarum contradictione monasticum habitum
iuxta sanctorum patrum regulas ei tradere. Nihilominus etiam eo-
rumdem locorum fratribus sit facultas, tarn monachos quam con-
uersos, clericos uel laicos, liberos aut seruos eidem monasterio sub-
ditos iudicare absque prohibitione uel molestia cuiuslibet eccle-
siasticQ aut secularis etiam potestatis. Porro ordinationes mona-
chorum uel clericorum, qui ad sacros gradus fuerint promouendi,
et aliqua ecclesiastica sacramenta a quocumque malueritis catho-
lico suBcipietis episcopo, nullusque episcoporum abbates aut mo-
nachos uel sacerdotes in dictis monasteriis aut ecclesiis sibi sub-
ditis constitutos pr^sumat excommunicationi aut interdicto subii-
cere aut qualibet occasione suspendere, nisi forte abbas uel pr§-
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens 11. 235
latus, qui pro tempore fuerit, in eorumdem correptionem delin-
quentium negligens apparuerit et in eorum regulari castigatione
defecerit. Pr§terea decimas uel primitias labomm, quos propriis
manibus sumptibusue colligitis , eas etiam , qu^ a diocesanis epi-
scopis uobis concessa sunt uel in posterum concedentur, nos quoque
uobis authoritate apostolica confirmamus. Liceatque omnibus qui-
buscunque placuerit, tarn in uita quam in morte, monasterio uestro
suas oblationes offerre, testamenta facere, et corpora inibi sepelire.
Statuimus insuper, ut nullus episcoporum in eisdem monasteriis
missas audeat celebrare, nisi forte ab abbate uel fratribus eorum-
dem locorum inuitatur. Ad h^c firmiter interdicimus , ut nemo
unquam quocunque tempore pr^fata monasteria a regimine uel
gubernatione Vallis Umbrosani abbatis tentet subtrahere uel au-
ferre. Saneimus etiam, ut ordo monasticus, qui seeundum normam
fratrum Vallis TJmbros^ in eisdem monasteriis noscitur institutus,
ibidem perpetuis futuris temporibus firmiter obseruetur. Decer-
nimus ergo, ut nulli imperatori seu regi, nulli episcoporum aut
curatorum, nulli prorsus aliqua dignitate predito fas sit eadem mo-
nasteria temere perturbare aut eorum possessiones auferre uel
ablatas retinere, minuere seu quibuslibet uexationibus fatigare,
sed omnia integra conseruentur, eorum, pro quorum gubernatione
et substentatione concessa sunt, usibus omnimodis profutura. Si
quis autem in futurum huius nostr^ constitutionis paginam sciens
contra eam temere uenire tentauerit, secundo tertioue commonitus,
nisi pr^sumptionem suam condigne correxerit, honoris et dignitatis
su^ periculum patiatur atque a sacratissimo corpore et sanguine
domini nostri lesu Christi alienus fiat atque in extremo examine
district§ ultioni subiaceat. Conseruantes autem h^c eiusdem domini
nostri lesu Christi et beatorum Petri ac Pauli apostolorum eins
benedictionem et gratiam consequentur. Amen. Amen. Amen.
Ego Innocentius catholicf ecclesi^ episcopus ss.
Ego Greraldus presb. card. tit. sanct§ Crucis in Hyerusalem ss.
Ego Anseimus presb. card. tit. sancti Laurentii in Lucina ss.
Ego Lucas presb. card. tit. sanctorum lohannis et Pauli ss.
Ego Martinus presb. card. tit. s. Stephani in .Coelio monte ss.
Ego Gruido sanct^ Romano ecclesi^ indignus sacerdos ss.
Ego Gregorius diac. card. sanctorum Sergii et Bacchi ss.
Ego Otto diac. card. sancti Greorgii ad Velum aureum ss.
Ego Guido diac. card. sanctorum Cosme et Damiani iuxta
templum Romae ss.
Ego Ribaldus diac. card, sancte Mari§ de Porticu ss.
236 P- Kehr,
Datum Laterani per manum Aimerici S. R. E. diacoiii cardi-
nalis et cancellarii, VIII kalendas iunii, indictione II, incarnatio-
nis dominier anno M^.CXXXVIIII, pontificatus nero domini Inno-
centii II anno X.
8.
Celestin 11. nimmt das Kloster VaUomhrosa unter dem Aht
Gualdo nebst allen ihm unterworfenen Klöstern in den apostolischen
Schutz und bestätigt die ihm von Victor 111., Gregor Vll., ürban IL,
Paschal 11, und Innocenz II. verliehenen Freiheiten und Rechte.
Lateran 1144 Februar 15.
Cornelii Margarini Thesaurus historicus vol. 111 f. 187 Rom
Vat. Arch. Arm. LIV t. 3 ex registro congregationis Vallis Umlrosa£
de Urbe fol. 40.
lieber die Ueberlieferung s. Italia pontif. III 91 n, 15. Jaffe-
Loeicenfeld 8469 citiert die Urkunde aus Franchi Hist. del patriarcha
S. Giovangualberto p. 292, der aber auch nur ein Regest bietet. Ge-
druckt ist sie in Nardi's Bull. Vallumbr. p. 18 {niit XVI kal. martii).
Celestinus episcopus seruus seruorum Dei. Dilecto filio Gualdoni
VaUis Umbrosano abbati einsque successoribus regulariter substitu-
endis in perpetuum. Apostolici moderaminis dementia conaenit
religiosas diligere personas "^ et eorum loca pia protectione nrnnire.
Dignum namque et bonestati conueniens esse cognoscitur, ut qui
ad ecclesiarum regimen assumpti sumus, eas et ab improborum
hominum nequitia tneamur et apostolic§ sedis patrocinio foueamas.
Hoc nimirum charitatis intuitu, dilecte in Domino fili Gualdo
abbas, tuis rationabilibus postulationibns annuentes, Vallis Um-
brosannm monasterium, cui Deo autbore pr^sides, cum omnibus
monasteriis sibi subiectis, sub apostolic^ sedis tutela et protectione
suscipimus et scripti nostri pagina roboramus. Statuentes , ut
omnis immunitas, omnis libertas, qu^ a pr^decessoribus nostris f^-
licis memoria Victore, Gregorio VII, Urbano, Pascbale et Inno-
centio Romanis pontificibus pr^fato monasterio concessa est, futuris
perpetuo temporibus firma tibi tuisque successoribus et Vallis
Umbrosanae congregationi et illibata permaneant. Pr^terea quas-
cunque possessiones, qu^cunque bona iam dictum monasterium iuste
et legittime possidet aut in futurum conce«sione pontificum, lar-
gitione principum, oblatione fidelium seu aliis iustis modis pre-
stante Domino poterit adipisci, quieta uobis et integra conser-
a) personas fehlt]
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 237
uentur. Porro fructuum uestrorum decimas, quas ubilibet propriis
sumptibus laboribusue coUigitis, absque episcoporum contradictione
uel episcopalium ministrorum seu etiam plebanorum xenodochio
uestro reddendas possidendasque sancimus. Sane nulli omnino
hominum liceat conuersos aut monacbos iam dicti monasterii seu
etiam totins congregationis ausu temerario capere uel captos re-
tinere seu aliquibus fatigationibus infestare. Liceat etiam uobis
clericos e seculo fugientes seu laicos ad conuersionem absque cuius-
libet interdictione suscipere, et qui se decreuerint in uestro cimi-
terio sepelire, et tarn ipsorum quam c^terorum fidelinra oblationes
sine aliarum ecclesiarum pr^iudicio recipere, nisi excommunicationis
uinculo fuerint innodati. Decernimus ergo, ut nulli omnino homi-
num fas sit idem monasterium temere perturbare aut ei subditas
ecclesias uel possessiones auferre, minuere seu temerariis uexatio-
nibus fatigare, sed omnia integra conseruentur, eorum, pro quorum
substentatione et gubernatione concessa sunt, usibus omnimodis
profutura, salua apostolic^ sedis autboritate. Si qua igitur in po-
sterum ecclesiastica secularisne persona banc nostr§ constitutionis
paginam sciens contra eam temere uenire tentauerit, secundo ter-
tione commonita, si non satisfactione congrua emendauerit, po-
testatis honorisque sui dignitate careat reamque se diuino iudicio
existere de perpetrata iniquitate cognoscat et a sacratissimo cor-
pore ac sanguine Dei et domini redemptoris nostri lesu Christi
aliena fiat atque in extremo examine districte nltioni subiaceat.
Cunctis autem eidem loco iura seruantibus sit pax domini nostri
lesu Christi, quatenus et hie fructum bone actionis percipiant et
apud districtum iudicem pr^mia ^tern^ pacis inueniant. Amen.
Amen. Amen.
Ego Celestinus catholic§ ecclesi^ episcopus ss.
Ego Corradus Sabinensis episcopus ss.
Ego Albericus Hostiensis episcopus ss.
Ego Stephanus Pr^nestinus episcopus ss.
Ego Petrus Albanensis episcopus ss.
Ego Petrus card. presb. tit. sanct^ Susann§ ss.
Ego Guido presb. card. tit. sancti Grrisogoni ss.
Ego Ranerius presb. card. tit. sancte Prisc§ ss.
Ego Groizo presb. card. tit. sancte C^cili^ ss.
Ego Thomas presb. card. tit. Vestin^ ss.
Ego Guido presb. card. tit. sancti Laurentii in Damaso ss.
Ego Arimbertus presb. card. sancte Anastasi^ ss.
Ego Manfredus presb. card. tit. sancte Sabin^ ss.
238 P- Kehr,
Ego Gregorius diac. card. sanctorum Sergii et Bacchi ss.
Ego Guido diac. card. sanctorum Cosm^ et Damiani ss.
Ego Guido in Romana ecclesie indignus minister altaris ss.
Ego Rodulfus card. diac. sancte Luci^ in Septasolis ss.
Ego lohannes [Paparo] diac. card. sancti Adriani ss.
Ego Hugo Roman^ ecclesi^ diac. card. sanct^ Luci^ in Or-
phea SS.
Ego Johannes diac. card. sanct^ Mari^ Nou§ ss.
Datum Laterani per manum Gerardi S. R. E. presbyteri car-
dinalis ac bibliothecarii, XV kalendas martii, indictione VII, in-
camationis dominier anno M.CXLIU, pontificatus uero domini Cq-
lestini pap^ secundi anno primo.
9.
Celestin U. entscheidet den Streit zwischen dem Prior Azzo und
den 'Brüdern von Camaldoli einerseits und dem Frim- Bonus und den
Brüdern von Vivo andererseits und ordnet ihr Verhältnis.
(Lateran 1144 Februar 23).
Kopie saec. XII Florenz Ar eh. di stato (Camaldoli 1143 marzo 17).
BisJier war nur die an den Prior Bonus von Vivo gerichtete
Gegenurhunde Celestins IL J. 6017: J-L. 8497 bekannt. Aus ihr
kann auch mit aller Sicherheit das in dem Camaldoleser Exemplar
fehlende Eschatokoll genommen werden. Deren Abschrift verdanke
ich L. Schiaparelli (vgl. Nr. 5). Vgl. Italia pontif. III 179 n. 15.
Celestinus episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis A.
Camaldulensi priori eiusque fratribus salutem et apostolicam bene-
dictionem. Apostolice sedis amministratione nobis a Deo con-
cessa compellimur, religiosorum fratrum scandala de medio tollere
et eorum paci et tranquillitati paterna sollicitudine prouidere.
Ideoque controuersiam, qu^ inter uos et religiosos fratres de Viuo
diutius agitata est, auditis hinc inde rationibus et diligenter in-
quisitis, communicato fratrum nostrorum consilio, hoc ordine duxi-
mus decidendam. Quia igitur locus ipse fere a principio sue fun-
dationis per Camaldulenses fratres in religione profecisse digno-
scitur, ut uinculum caritatis inter uos conseruetur, statuimus, ut
prior, qui in eodem loco pro tempore fuerit ordinandus, de ipsa
congregatione, si idoneus ibi repertus fuerit, secundum beatiBene-
dicti regulam a fratribus eiusdem loci eligatur; electus autem infra
XL dies Camaldulensi priori de ordinis obseruantia obedientiam
cum omni humilitate promittat. Si uero, quod absit, ibidem ido-
neus repperiri non poterit, a fratribus de Viuo de congregatione
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 239
Camaldulensi , sicut predictum est, secundum regulam eligatur.
Cum autem prior et fratres Camaldulenses ad Viuum uenerint,
in choro, in refectorio et dormitorio tamquam fratres communiter
recipiantur, atque prior tarn in capitulo quam in aliis precipuum
locum teneat et qu§ in ordine corrigenda fuerint, rationabili pro-
uidentia corrigat et stabilienda stabiliat. Prior uero de Viuo ad
annuum capitulum Camaldulensium fratrum uadat et tamquam
unus ex maioribus prioribus eiusdem congregationis tam in loco
quam in aliis honoretur. Si uero ipse et fratres sui aliquando
Camaldulam uenerint, tam in cboro quam in aKis communiter re-
cipiantur et honeste tractentur. Breuia etiam mortuorum fratrum
utrimque secundum consuetudinem Camaldulensis congregationis
recipiantur et diuina pro eis obsequia celebrentur.
10.
Eugen III. nimmt das Kloster Vallambrosa unter dem Aht Gu-
dldo sammt allen ihm unterworfenen Klöstern in den apostolischen
Schutz und bestätigt die von Victor IL, Gregor VII., ürban II.,
F aschal II. und Innocenz IL verliehenen Freiheiten und Rechte.
Marturi 1147 Januar 23.
Cornelii Margarini Thesaurus historicus vol. III f. 214 Rom
Vat. Ar eh. Arm. LIV t. 3 ex registro congregationis Vallis ümbrosae
de TJrbe fol. 49.
Die Abschriften von Nannini, Genovini, Nardi u. s. w. lasse ich
bei Seite; sie ergeben keine ivesentlichen Varianten. Der Text folgt
dem Privileg Celestins IL (oben Nr. 8). Gedruckt bei Nardi Bidl.
Vallumbr. p. 20; citiert von Jaffe-Loewenfeld 8995 aus der Pariser
Coli. Baluze. Vgl. Italia pontif. III 91 n. 16.
Eugenius episcopus seruus seruorum Dei. Dilecto filio Gual-
doni Vallumbrosano abbati eiusque successoribus regulariter sub-
stituendis in perpetuum. Ad hoc nobis a prouisore omnium bo-
norimi Domino cura commissa est, ut religiosas diligamus personas
et beneplacentem Deo religionem studeamus modis omnibus propa-
gare et uenerabilia loca cum ipsis personis diuino famulatui man-
cipatis pia protectione munire. Eapropter, dilecte in Domino fili
Gualdo abbas, tuis rationabilibus postulationibus annuentes, Yal-
lumbrosanum monasterium, cui Deo auctore presides, cum omnibus
monasteriis sibi subiectis sub apostolic^ sedis tutela et protectione
suscipimus et scripti nostri pagina roboramus. Statuentes, ut
240 P- Kehr,
omnis immnnitas, omnis libertas , que a predecessoribus nostris
felicis memoria Victore, Gregorio VII., Urbano, Pascale et Inno-
centio Romanis pontificibus prefato monasterio concessa est, futuris
perpetuo temporibus firma tibi tuisque successoribns ac Vallnm-
brosanae congregationi et illibata permaneant. Preterea quas-
cmnque possessiones , qn^cumque bona iam dictum monasterium
iuste et legitime possidet aut in futurum concessione pontificum,
largitione principum, oblatione fidelium seu aliis iustis modis pre-
stante Domino poterit adipisci, etiam quieta uobis et integra con-
seruentur. Porro fructuum uestrorum decimas, quas ubilibet pro-
priis sumptibus laboribusue colligitis, absque episcoporum contra-
dictione uel episcopalium ministrorum seu etiam plebanorum xeno-
dochio uestro reddendas possidendasque sancimus. Sane nulli
omnino hominum liceat conuersos aut monachos iam dicti monasterii
seu etiam totius congregationis ausu temerario capere uel captos
retinere seu aliquibus infestationibus fatigare. Liceat etiam uobis
clericos e seculo fugientes seu laicos liberos ad conuersionem abs-
que cuiuslibet interdictione suscipere et, qui se deuouerint, in
uestro cimiterio sepelire, et tam ipsorum quam ceterorum fidelium
oblationes sine aliarum ecclesiarum pr^iudicio recipere, nisi ex-
communicati uel interdicti fuerint. Decernimus ergo, ut nulli om-
nino hominum fas sit idem monasterium temere perturbare aut
ei subditas ecclesias uel possessiones auferre, minuere seu temera-
riis uexationibus fatigare, sed omnia integra conseruentur, eorum,
pro quorum substentatione^et gubernatione concessa sunt, usibus
omnimodis profutura, salua apostolicQ sedis auctoritate. Si qua
igitur in posterum ecclesiastica secularisue persona hanc nostr^
constitutionis paginam sciens contra eam temere uenire tentauerit,
secundo tertioue commonita, si non satisfactione congrua emenda-
uerit, potestatis honorisque sui dignitate careat reamque se diuino
iudicio existere de perpetrata iniquitate cognoscat et a sacratissi-
mo corpore ac sanguine Dei et domini redemptoris nostri Jesu
Christi aliena fiat atque in extremo examine district^ ultioni sub-
iaceat. Cunctis autem eidem loco iura seruantibus sit pax domini
nostri lesu Christi, quatenus et hie fructum bon^ actionis perci-
piant et apud districtum iudicem prqmia ^tern^ pacis inueniant.
Amen. Amen. Amen.
Ego Eugenius catholicQ ecclesi^ episcopus ss.
Ego Theodouuinus sancte Rufin^ episcopus ss.
Ego Albericus Hostiensis episcopus ss.
Ego Guido presb. card. tit. sancti Grisogoni ss.
Ego Ubaldus presb. card. tit. sanctorum lohannis et Pauli ss.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 241
Ego Odo diac. card. sancti Greorgii ad Velum aureum ss.
Ego Johannes diac. card. sancte Marie Noue ss.
Ego Hiacintlius diac. card. sancte Marie in Cosmedin ss.
Dat. apnd Marturam per manum Gruidonis S. R. E. diaconi
cardinalis et cancellarii, X kal. februarii, indictione X, incarna-
tionis dominice anno MCXLYI, pontificatus uero domini Eugenii
III pape anno secundo.
U.
Anasfasius IV. erneuert den zwischen Eugen HL und dem AU
Bainerius von Monte Amiata über das Kastell Badicofani abge-
schlossenen Vertrag. Lateran 1153 Oktober 23.
Kopie von 1249 Aug. 3 Born Vat. Arch. Arm. C fasc. 27 n. 1
[BJ. — Kopie im Botulus saec. XIII Siena Arch. di stato (1050
agosto 6). — C. Fatteschi Exemplaria instrumentorum ac diplomatum
. . in tabulario coenobii s. Salvatoris Montis Amiati existentium vol. II
p. 317 n. 340, Born Bibl. Vittorio Emanuele cod. 215 (cod. Sessor.
2119).
J-L. 9749 cit. nach J. v. PflugJc-Harttung Iter p. 247 n. 468. —
Die Kopie im Vaticanischen Archiv ist die bessere; sie gibt auch
allein das vollständige Eschatokoll. — Der Text selbst ist eine ivört-
liche Wiederholung des Privilegs Eugens III. von 1153 Juni 20 J-L.
9732, und ist dann wieder von Innocenz III. 1198 Juni 10 erneuert
worden. Vgl. Italia pontificia III 242 n. 17.
Anastasius episcopus seruus seruomm Dei. Dilecto filio E,ai-
nerio abbati monasterii ") sancti Saluatoris de Monte Amiato sa-
lutem et apostolicam benedictionem. Rerum gestarum series
ideo litterarnm fidei commendatnr, ne ipsarum ueritas in posterum
memorie subtrahatur. Qualiter igitur consentientibus fratribus
tuis monacis atque conuersis et uassalHs commissi tibi monasterii
propria et spontanea uoluntate tua, in presentia fratrum nostrorum
episcopornm et cardinalium, integram medietatem castri Radecofani
predecessori nostro beate memorie Eugenio pape eiusqne cathoUcis
successoribus et beato Petro sancteque Romane ecclesie, cni licet
inmeriti largiente Domino deseruimus, in perpetuum locasti, con-
cessisti*^ et instrnmenti pubHci pagina roborasti, quemadmodum
ä) monasterii fehlt in B. b) concesisti B.
242 P- Kehr,
in eodem autentico instrumento continetur, presentis scripti serie
precepimus annotari. Tu siquidein, dilecte fili''^ in Domino Raineri
abbas, integram predicti castri medietatem cum dimidia in integrum
parte totius curtis eins, cum tenimentis suis et burgo de Calemala,
bandis, placitis, districtu et omni honore ipsius*^) castri, omnia in
integrum, pro medietate ipsi suisque catholicis successoribus lo-
casti et concessisti, exceptis antiquis possessionibus , que etiam
tempore comitum per speciales et proprios ministros monasterii
tenebantur et custodiebantur ad usus fratrum ibidem seruientium,
et feudis et libellariis, que similiter nomine tantum monasterii
detinebantur , reseruato etiam monasterio saneti Saluatoris iure
ecclesiarum, quod in eis habet, in burgo quoque de Calemala red-
ditus panis et uini, qui de agris et uineis soluitur, pensiones etiam
monasterio tuo integre reseruando. Omnes autem homines ipsius
castri nobis nostrisque catbolicis successoribus contra omnes ho-
mines fidelitatem iurabunt; tibi quoque abbati tuisque catholicis
successoribus fidelitatem facient, sie tamen, ut, si quando tu uel
successorum tuorum quilibet preter tenorem hac cartula compre-
hensum castrum ipsum nobis nostrisque catholicis successoribus
sancteue Romane ecclesie aufferre tentaueritis uel castrum ipsum
uel quamlibet partem eins cuiquam in feudum uel quolibet alio
modo concesseritis aut concessum seruaueritis et requisiti infra
tres menses non emendaueritis , a fidelitate tua sint soluti et ca-
strum ipsum in ius beati Petri et sancte Romane ecclesie deuol-
uatur. Si uero nos uel successorum nostrorum quilibet tibi uel
successorum tuorum alicui uel monasterio soluere designatum censum
cessauerimus uel custodiam uestram nos uel eustodes nostri eiece-
rimus et infra tempus subscriptum non emendauerimus, tunc a fide-
litate nostra nostrorumque successorum soluantur. Ad inditium
autem, quod castrum ipsum monasterii saneti Saluatoris iuris et pro-
prietatis semper existat, ad uestimenta monachorum nos nostrique
successores tibi tuisque successoribus et monacis, qui pro tempore
ibi fuerint, sex marcas puri argenti annis singulis in mense madio
pro pensione persolaemus. Hoc autem duxisti adnectendimi, ut
castrum ipsum per eustodes proprios nostros nostrorumque succes-
sorum, assumptis secum duobus uel tribus custodibus tuis tuorum-
que successorum semper teneatur, per quos et per alios homines
ipsius castri et a nobis nostrisque successoribus, sicut quod iuris
beati Petri existit, monasterium ipsum cum bonis suis a prauorum
hominura incursibus defendatur, nec'^ ab eisdem fraudulenter-^ nee
c) filii Ä d) issius B. e) ne B. f) fradulenter B,
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 243
malitiose perturbetur et ipsum castrum in alicuius alterins dominio
uel potestate siue custodia nullo umquam in tempore transferatur
et omnes custodes nostri uel nostrorum successorum, qui ibi pro
tempore fuerint, quod tibi et monasterio in ipso castro reseruatum
est, tibi tuisque successoribus conseruare iurabunt. Si uero su-
pradictus census aliquo casu per tres annos solutus non fuerit et
nos siue successores nostri ter requisiti et in quarto anno in^^ in-
tegrum persolui non fecerimus siue etiam custodes monasterii
uestri ab hominibus nostris de castro eiecti fuerint et infra tres
menses, postquam''^ tertio requisiti fuerimus super adiecto tempore
ad iter faciendum et ad custodiam monasterii opportune reuocan-
dam sine utriusque partis malitia sufiiciente restituta non fuerit,
hec locationis cartula de cetero uiribus careat. Si quando etiam
nos qualibet ex causa castrum ipsum ad manus nostras retinere
noluerimus, ipsi monasterio uestro absque inpensarum recompen-
satione restituemus, eo tamen tenore, ut quandocumque nos uel
successorum nostrorum catbolicus quilibet castrum ipsum ad manus
nostras reuocare uoluerimus, simili tenore absque omni contra-
dictione et inpensarum restitutione nobis restituatur.
R. Ego Anastasius catbolice ecclesie episcopus ss. BV.
f Ego Hugo Hostiensis episcopus ss.
t Ego Guido presb. card. tit. sancti Grrisogoni ss.
f Ego Hubaldus presb. card. tit. sancte Praxedis ss.
f Ego Manfredus presb. card. tit. sancte Sauine ss.
f Ego Aribertus presb. card. tit. sancte Anastasie ss.
f Ego lulius presb. card. tit sancti Marcelli ss.
f Ego Gruido presb. card. tit. Pastoris ss.
f Ego Astaldus presb. card. tit. sancte Prisce ss.
f Ego Johannes Paparo sancti Laurentii in Damaso presb. card. ss.
f Ego Centius presb. card. tit. sancti Laurentii in Lucina ss.
f Ego Henricus presb. card. tit. sanctorum Nerei et Achilei*^ ss.
f Ego Oddo diac. card. sancti Greorgii ad Velum aureum ss.
t Ego Gruido diac. card. sancte Marie in Porticu ss.
f Ego lacintus diac. card. sancte Marie in Cosmedin ss.
f Ego Oddo diac. card. sancti Nicolai in carcere Tulliano ss.
Dat. Laterani per manum Rollandi sancte Romane ecclesie
presbyteri cardinalis et cancellarii, X kal. nouembr. , indictione
prima, incarnationis dominice anno M^.C^.L^.III, pontificatus uero
domni Anastasii pape IUI anno primo.
g) in fehlt in B. h) posquam B. i) Archilei B.
244 P. Kehr,
13.
Hadrian IV. nimmt das Kloster S. Lorenzo alV Änso (delV Ar-
denghesca) unter dem Abt Johannes nach dem Vorgange Celestins II.,
Lucius' IL und Eugens HL in den apostolischen Schutz und bestätigt
die namentlich aufgezählten Besitzungen^ den Zehnten und das Auf-
nahmerecht j gegen jährlicJie Zahlung von zwei Luccheser Schillingen,
Lateran 1157 April 22,
Orig. Bologna Arch. di stato (S. Saluadore).
Die Abschrift verdanke ich Herrn Prof. A, Gaudenzi. — Das
Kloster DelV Ardenghesca (vgl. Repetti Dizionario 1 4) Jcam 1440 durch
Eugen IV. an die regulierten Chorherren von S. Salvadore in Bologna,
deren Sitz in Siena die Kirche S. Maria degli Angeli war. Während
hier die andern ürJcunden des Klosters blieben, bis sie in das Staats-
archiv von Siena kamen, ward die Urkunde Hadrians IV. offenbar als
eine Art von Rekognitionsurkunde im Hauptarchiv der Kanoniker von
S. Salvadore aufbewahrt, aus dem sie in das Staatsarchiv in Bologna
gelangte, wo sie Herr Dr. A. Hessel auffand. — Der Text ist eine
ziemlich wörtliche Wiederholung der Vorurkunden Celestins IL J-L.
8439, Lucius" LI. J-L. 8631 und Eugens LIL J-L. 8791. Vgl. Italia
pontificia III 266 n. 4.
ADRIANVS EPISCOPVS SERYVS SERVORVM DEI. DILECTIS
FILIIS lOHANNI ABBATI MONASTERII SANCTI LAVRENTH
IVXTA FLVVIVM QVOD«) ANSO DICITVR SITVM«) EIVSQVE FRA-
TRIBVS TAM PRESENTIBVS QVAM FVTVRIS REGVLAREM VI-
TAM PROFESSIS IN PERPETVVM. | Religiosam nitam eligen-
tibus apostolicum conuenit adesse presidium, ne forte cuiuslibet
temeritatis incursus aut eos a proposito reuocet aut robur, quod
absit, sacre religionis infringat. Qno|circa, dilecti in Domino filii,
uestris instis postulationibus clementer annuimus et predecessorum
nostrorum felicis memorie CELESTINI, LVCII et EVGENII Roma-
norum pontificum uestigiis | inherentes, prefatum beati LAVRENTTI
monasterium , in quo diuino mancipati estis obsequio , sub beati
Petri et nostra protectione suscipimus et presentis scripti priui-
legio communimus. Statuenjtes, ut quascumque possessiones , que-
cumque bona idem monasterium impresentiarum iuste et canonice
possidet aut in futurum concessione pontificum, largitione regum
uel principum, oblatione fidelium seu aliis iustis modis prestante
a) sie.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens n. 245
Domino poterit adipisci, firma uobis uestrisque successoribus et
illibata permaneant. In quibus hec propriis dnximus exprimenda
nocabulis: ecclesiam | sancte Trinitatis de [Orjgia^^ et hospitalem
domum eiusdem loci cum omnibus suis pertinentiis, ecclesiam de
Monte Sizi cum omnibus suis pertinentiis et quod iuste tenetis |
in ecclesia de Stiliano, ecclesiam de Modani cum omnibus suis per-
tinentiis, castrum de Ciuitella cum suis appenditiis et cum duabus
ecclesiis in ipso | constructis, ecclesiam uidelicet sancti Sebastiani
infra castellum positam, ecclesiam sancti Martini^) extra castellum
sitam, duas portiones de ca|stello et curte Montis uiridis, ecclesiam
de Signano et tres portiones ipsius uille, ecclesiam sancti Donati
cum rebus ad ipsam pertinentibus, ecclesiam sancti Bartbolomei
de Lam|pognano cum ipsa uilla, ecclesiam sancti Anastasii et ipsius
castri duas partes, ecclesiam sancti Andree de Suuarella cum ipsa
uilla, ecclesiam sancti Laurentii et eiusjdem castelli duas partes.
Decimationem allodii in*^^ eiusdem monasterii, quod in Senensi
episcopatu situm est, quemadmodum a Senensibus episcopis bone
memorie lobanne uidelicet | et Radulfo uobis concessa est, simüiter
confirmamus. Concedimus etiam nobis, ut, si aliqua libera persona
siue in uita siue in morte uestro monasterio se | conferre uoluerit,
recipiendi eam absque alicuius contradictione liberam habeatis fa-
cultatem, saluo tamen iure matricis ecclesie. Decernimus ergo, ut
nulJi omnino hominum | liceat supradictum monasterium temere
perturbare aut eins possessiones auferre uel ablatas retinere, mi-
nuere seu quibuslibet uexationibus fatigare, sed illibata | onmia et
integra conseruentur, eorum, pro quorum gubernatione et susten-
tatione concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua sedis apo-
stolice auctoritate et dyocesanorum episcoporum | canonica iustitia.
Ad indicium autem huius a sede apostolica percepte protectionis
duos Lucensis monete solidos nobis nostrisque successoribus annis
singulis persoluetis. | Si qua igitur etc, Cunctis autem etc,
AMEN. AMEN. AMEN. |
E,. Ego Adrianus catbolicQ Qcclesi§ episcopus ss. BV.
f Ego Grregorius Sabinensis episcopus ss.
f Ego Manfredus presb. card. tit. sancte Sauine ss.
f Ego Octauianus presb. card. tit. sancte Cecilie ss.
V) Or scheint von späterer Hand ausradiert zu sein. c) Martini stand
sicher ursprünglich da, ist aber dann durch Basur von ti ganz undeutlich ge-
worden, ohne daß die Absicht des Korrektors (Materni?) klar wird. d) sie.
Kgl. Ges. d. Wies. Nachrichten. Philolog.-hist. Klasse. 1908. Heft 2. 17
246 P- Kehr,
f Ego lohannes presb. card. tit. sanctomm Siluestri et Martini ss.
i f Ego Odo diac.*) card. sancti Georgii ad Velum auremn ss.
f Ego Rodulfas diac. card. sancte Lncie in Septasolis ss.
f Ego Gruido diac. card. sancte Marie in Porticu ss.
f Ego lacintus diac. card. sancte Marie in Cosmydin ss.
f Ego Ardicio diac. card. sancti Theodori ss.
f Ego Boso diac. card. sanctomm Cosme et Damiani ss.
f Ego Albertus diac. card. sancti Adriani ss.
Dat. Lat. per manmn Rolandi sanct§ Romane ecclesi^ presby-
teri cardinalis et cancellarii , X kal. maii , indictione V , incar-
nationis dominice anno M^.C^.L^.VII^, pontificatus uero domni
ADRIANI pape III anno tertio.
B.
e) diaconus diaet Or.
13.
üadrian IV. bestätigt dem Erzpriester Pepo und den Kanonikern
von S. Sisto in Viterbo das Statut des Bischofs Genso von Tosca-
nella über die Zehnten und Oblationen,
Anagni (1159) August 5.
Kopie von 1280 Neapel Arch. di stato (Fergamene Farnesiane).
In dem Fonds von S. Sisto, der sich im Archiv der Farnese in
Neapel befindet (vgl. Gott. Nachr. 1901 S. 211), fand P. Egidi noch
ein kleines Privileg Hadrians IV., das M. Klinkenborg seiner Zeit
entgangen war. Ich teile es hier nach der Abschrift EgidVs mit.
Vgl. Italia pontif II p. 210.
Adrianus episcopns semus seruorum Dei. Dilectis fiüis Pe-
poni arcbipresbytero et ceteris canonicis ecclesie s. Xisti salutem
et apostolicam benedictionem. Ea que a uenerabilibus fratribus
nostris episcopis rationabiliter statuuntur, in suo debent statu
persistere et, ne processu temporis alicuius temeritate turbentur,
fanore nostro ea conuenit et anctoritate firmari. Eapropter, di-
%
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 247
lecti in Domino filii, petitioni nestre benignum impertientes assen-
smn, quod uenerabilis frater noster Gr. Tuscanensis episcopus super
decimationum prouentu et oblationibus tarn niuorum quam mor-
tuorum parrochie uestre rationabili prouidentia statuit et in scripto
eins dicitur contineri, auctoritate apostolica confirmamus et pre-
sentis scripti patrocinio communimus. Nulli ergo omnino hominum
liceat hanc paginam nostre confirmationis infringere uel ei aliqua-
tenus contraire. Si quis autem hoc attemptare presumpserit, in-
dignationem omnipotentis Dei et beatorum Petri et Pauli aposto-
lorum eins se nouerit incursurum.
Dat. Anagnie") non. augusti.
a) Ang.
14.
Alexander III. nimmt das Kloster S. Maria di Bibbona unter
dem AU Martin nach dem Vorgange B.adrians IV. in den apostoli-
schen Schutz, bestätigt die namentlich aufgeführten Besitzungen, die
von Bischof Galgan von Volterra verliehenen Zehnten, unterwirft es
dem päpstlichen Stuhl und verleiht die freie Wahl des Bischofs für
die bischöflichen Leistungen, die Sepultur, das Wahlrecht und Freiheit
von Interdikt gegen einen jährlichen Zins von ewei zweipfündigen
Wachsherzen. Benevent 1168 Mai 20.
Orig. Florenz Arch. di stato (Vallomhrosa) . — C. Margarini
Uiesaurus historicus vol. III f. 828, s. XVII, Born Vat. Arch. Arm.
LIV t. 3 (aus dem verlorenen Begistrum Vallis ümbrosae f. 85 elie-
mals in S. Prassede in Bom). — (Nannini) Bullarium Vallumbro-
sanum vol. I p. 172, s. XVIII, Pescia Collegio di S. Giuseppe. —
(Genovini) Liber bullarum a. 1704 f. 65 ebenda. — Privilegia con-
gregationis Vallumbrosanae f. 24', s. XVIII, ebenda. — Nardi Memorie
Vallmnbros. vol. V° p. 291, s. XVIII, ebenda.
Die Urkunde, deren Vorurkunde Hadrians IV. nicht erhalten ist,
ist gedruckt bei Nardi Bull. Vdllumbr. p. 38, der aber den alten Titel
s. Marie, quod apud Mansium situm est durch s. Mariae, quod
apud ßibbonam situm est willkürlich ersetzt hat. Aus Nardi
resp. Nardi' s Quelle citieren die Urkunde Tamburini De iure abbatum,
Sarnelli Memorie de' vescovi di Benevento p. 98, Lami in Hodoe-
poricon II (Bei. erud. 1741) p. 360. Aus Sarnelli J-L. 11402.
Kdltenbrunner in Wiener SB. XCIV 668 n. 7623a gab ein neues
Begest mit der richtigen Adresse aus dem Original, und da Loewen-
17*
248 P- Kehr,
feld nicht wußte, daß es sich um dieselbe UrJcunde und um das gleiclie
Kloster handelte, notierte er sie noch einmal unter J-L. 11403. üeber
die Abtei S. Maria del Mansio oder Masio oder auch Abazia di Bib-
bona , vgl, Bepetti Dizionario I 6, Obwohl sie ein zinspflichtiges
Schutzkloster des h. Stuhles war, wie aus dem Privileg Alexanders III.
hervorgeht, steht sie nicht im Cencius. Vgl. auch Italia pontif. III 294.
ALEXANDER EPISCOPVS SERVVS SERVORVM DEI. DI-
LECTIS FILIIS MARTINO ABBATI MONASTERII SANCTE MARIE
QVOD APVD MANSIVM SITVM EST EIVSQVE FRATRIBVS TAM
PRESENTIBVS QVAM FVTVRIS REGVLAREM VITAM PROFESSIS
IN PERPJßTVTM. I Religiosam tiitam eligentibus apostolicum
conuenit adesse presidium, ne forte cuiuslibet temeritatis incursus
aut eos a proposito reuocet ant robur, quod absit, sacre religionis
infringat. Eapropter, | dilecti in Domino filii, uestris iustis postu-
lationibus clementer annuimus et prefatum monasterium, in quo
diuino mancipati estis obsequio, ad exemplar predecessoris nostri
felicis memorie ADKIANI PAPE | sub beati Petri et nostra pro-
tectione suscipimus et presentis scripti priuilegio communimus.
Statnentes, ut qnascumque possessiones, quecumque bona idem mo-
nasterium impresentiarum iuste et canonice posjsidet aut in futurum
concessione pontificum, largitione regum uel principum, oblatione
fidelium seu aliis iustis modis prestante Domino poterit adipisci,
firma uobis uestrisque successoribus et illibata permaneant. | In
quibus hec propriis duximus exprimenda uocabulis: ecclesias sanc-
torum Petri, Hylarii, Romani et Christ ofori infra episcopatum Lu-
canum cum cimiteriis et oblationibus seu ceteris ad eas pertinen-
tibus bonis, | ecclesias quoque sanctorum Christofori et Cerbonii
infra Vulterranum episcopatum cum omni iure et actione sua
uobis uestrisque successoribus regulariter regendas semper ac dis-
ponendas possidendasque firmamus. Decimas | uero a Gualgano
Vulterranensi episcopo canonice uobis concessas et scripti sui mu-
nimine roboratas, quemadmodum in eins scripto autentico contine-
tur, auctoritate sedis apostolice uobis nichilominus confirmamus. |
Statuentes preterea, ut idem cenobium cum monachis et omnibus
ibi Deo seruientibus ab omni secularis seruitii sint infestatione
securi omnique grauamine mundane oppressionis remoti, in sancte
religionis obseruatione | persistant, nee ulli aHi nisi Romane et
apostolice sedi, cuius iuris ipse locus est, aliqua teneantur occa-
eione snbiecti. Crisma quoque, oleum sanctum, consecrationes alta-
rium seu basilicarum et ordinationes | clericorum a quocumque
malueritis suscipietis episcopo. Sepulturam quoque ipsius loci li-
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 249
beram esse concedimus , ut eomm deuotioni et extreme noluntati,
qui se illic sepeliri deliberauerint, nisi forte excommunicati uel
interdicti | sint, nuUus obsistat, salua tarnen iustitia parrochialium
ecclesiarum, de quibus mortuorum corpora assumuntur. Obeunte
uero te, nunc eiusdem loci abbate, uel tuorum quolibet successorum,
nullus ibi qualibet surrep|tionis astutia seu uiolentia preponatur,
nisi quem fratres communi assensu uel fratrum pars consilii sani-
oris secundum Dei timorem et beati Benedicti regulam de suo uel
de alieno, si oportunum fuerit, coUegio prouiderint eli|gendum.
Electus autem ad sedem apostolicam benedicendus accedat. Ad
hec adicimus , ut nulli episcoporum facultas sit , monasterium
uestrum uel monacbos seu etiam clericos uestros et ecclesiarum
uestrarum nisi pro euidenti et manifesta culpa | interdicto subicere
aut excommunicationis sententiam in eos promulgare. Decernimus
ergo, ut nulli omnino hominum liceat supradictum monasterium
temere perturbare aut eins possessiones auferre uel ablatas | reti-
nere, minuere seu quibuslibet uexationibus fatigare, set illibata
omnia et integra conseruentur , eorum, pro quorum gubernatione
et sustentatione concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua
sedis apostolice auctor|itate et in predictis cappellis dyocesanoram
episcoporum canonica iustitia. Ad indicium autem percepte a E,o-
mana ecclesia libertatis annuatim cereos duos duarum librarum
nobis nostrisque successoribus persoluetis. Si qua igitur etc.
Cunctis autem etc. AMEN. AMEN. AMEN. |
R. Ego Alexander catholice ecclesie episcopus ss. BY.
f Ego Hubaldus Hostiensis episcopus ss.
f Ego Bernardus Portuensis et sancte Buiine episcopus ss.
f Ego Hubaldus presb. card. tit. sancte Crucis in Jerusalem ss.
f Ego lobannes presb. card. sanctorum lohannis et Pauli tit. Pa-
macbii ss.
f Ego lobannes presb. card. tit. sancte Anastasie ss.
f Ego Tbeodinus presb. card. sancti Yitalis tit. Vestine ss.
f Ego lacintus diac. card. sancte Marie in Cosmydyn ss.
f Ego Ardicio diac. card. sancti Theodor! ss.
f Ego Manfredus diac. card. sancti Greorgii ad Velum au-
reum ss.
f Ego Hugo diac. card. sancti Eustachii iuxta templum
Agrippe ss.
f Ego Petras diac. card. sancte Marie in Aquiro ss.
Dat. Beneuent. per manum Grratiani sancte E-omane ecclesie
250 P. Kehr,
subdiaconi et notarii, XTTI kal. iun. , indictione I, incarnationis
dominice anno M^C^L^XyilP«), pontificatus uero domni ALEXAN-
DRI*) pape III anno Villi.
B. dep.
ä) M^'.C^'.LXVIII® auf Rasur und von späterer Hand nachgezogen,
h) ebenso ALEXANDRI.
15.
Alexander HL bestätigt dem Kloster des h. Gorgonius (auf der
Insel Gorgona) die von dem Biscltof Tedald von Mariana geschenkte
Fieve S. Maria de Capella.
Benevent (1168—69) Mai 19,
Orig. Ajaccio Archives departementales de la Corse (Gorgonne
H 1. 21). — Notarielle Kopie von 1503 Feh. 3 ebenda (H 2. 85).
Die Abschrift besorgte Dr. H, Niese. — Citiert von v. Pflugh-
Harttung Iter p. 268 n. 596. Danach J-L. 11537. — Die im Text
angezogene Urkunde des Bischofs Tedald von Mariana für den Abt
Sigismund von Gorgona trägt die Daten 1126, non. april., ind. 6.
ALEXANDER episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis
Gr. abbati et fratribus monasterii sancti Grorgonii salutem et | apo-
ßtolicam benedictionem. lustis petentium desideriis dignum est
nos facilem prebere consensum et | uota, que a rationis tramite
non discordantj effectu sunt prosequente complenda. Eapropter, |
dilecti in Domino filii, uestris instis postulationibus grato con-
currentes assensu, plebem sancte | Marie de Capella, cum omnibus
pertinentiis suis a bone memorie Ted(aldo) quondam Maranensi
episcopo I sub statuto censu duodecim denariorum per annos sin-
gulos exsoluendo canonice monasterio uestro con|cessam, sicut in
autentico scripto exinde facto contineri'dinoscitur, uobis et per
uos eidem mona|sterio auctoritate apostolica confirmamus et pre-
sentis scripti patrocinio communimus. Statuentes, | ut nulli om-
nino hominum liceat hanc paginam nostre confirmationis infringere
nel ei aliquatenus contraire. Si quis autem hoc attemptare pre-
sumpserit, in|dignationem omnipotentis Dei et beatorum Petri et
Pauli apostolorum eins | se nouerit incursurum. Dat. Beneuent.
XIIII kal. innii. |
B. dep.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens 11. 251
16.
Alexander 111. befiehlt den Mönchen^ Prioren, Priestern, Kon-
versen und Patronen des Klosters PassignanOj dem neugewählten unp
von ihm bestätigten Abt Jacob von Vallombrosa die schuldige Oboedienz
zu leisten und mr Wiedereinsetzung des Abtes Lambert von Pas
signano Hülfe zu leisten, Benevent (1169) Februar 17.
Orig. Florenz Ar eh. di stato (Passignano 1255 febbrajo 17).
Ed. Soldani Lettera sopra il monacato di S. Gregorio VII p. 65
Vgl. Davidsohn Forschungen 1180 n. 56 zu 1169 (vgl. auch S. 105)
und Italia pontif. 111 106 n. 8.
[Alexajnder episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis
monachis, prioribus, presbiteris, conuersis | [et patjronis monasterii
de Passignano in tmitate ecclesie consistentibus salutem et aposto-
licam I [benedictionem]. Certa uobis significatione presentium inno-
tescat, quod nos mnltis argnmentis et | [injdiciis eognoscentes,
qnod dilectns filius noster lac(obus) nunc Vallimbrosanus abbas
ad I [hon]orem Dei et Romane ecclesie ac nostrum imanimiter et
concorditer ftiisset electus, nee | [illjud detestabile et profanum
sacramentum fecisset, ipsam in plenitudinem gratie nostre | [r]ece-
pimus et electionem eins auctoritate duximus apostolica confir-
mandam. Inde | est quod per apostolica uobis scripta precipiendo
mandamus, quatinus eidem lac(obo) | tamquam abbati [et] magistro
uestro debitam obedientiam et reuerentiam exlii|bentes, ei ad resti-
tuendum dilectum filium nostrum Lambertum abbatem monasterii |
uestri et in alüs, sicut conuenit, unanimiter assistatis et ita ad
hoc efficien|dum cum eo pariter diligentem et sollicitam operam
adMbere curetis, quod | religio et discretio uestra uideatur exinde
commendanda. Dat. Beneuenti | XIII kal. mar. |
B. dep.
17.
Alexander 111. nimmt die Kirche S. Trinitä di Alfiano unter
dem Prior Gregor in den apostolischen Schutz, bestätigt die Regel
von Vallombrosa, die namentlich aufgeführten Besitzungen und Zehnten^
und verleiht das Begräbnis-^ das Aufnahme- und das Wahlrecht mis
Zustimmung des Abts von Passignano.
Cornelii Mar gar im Thesaurus historicus vol. 111 f. 344 s. XVll
Bom Vat. Arch. Arm. LIV t. 3 aus dem verlorenen Begistrum Valli*f
252 P- Kehr,
Umhrosae f. 88, ehemals im Archiv von S. Frassede in JRom [CJ. —
(Nannini) Bull. Vallumhrosan. t. I p. 181, s. XVIII ^ Fescia Colle-
gio di S. Giuseppe aus dem gleichfalls verlorenen Frotocollum I f. 8.
0 — Genovini Liher hullarum von 1704 f. 69 ebenda. — Frivilegia
congregationis Vallumhrosan. s. XVI II f. 25 ebenda. — Auszug in
Ughelli's Monumenta varia sacra s. XVII f. 208, cod. Vat. Barb.
3221 (XL 18, olim 3689),
Ed. Nardi Bull. Vallumhr. p. 40 [NJ. — Die Besitzungen sind
Hospitale, quod est iuxta castrum q. d. Montone, molendinum de
ßiloco"^ cum uinea, silnam^^ de Mazzano, molendinTim'^) de Bozzone
cum terra contigua. — Zur Sache vgl. Italia pontif. III 222 n. 2.
Alexander episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis Grre-
gorio priori ecclesi^ sanct§ Trinitatis de Alphiano eiusque fra-
tribus tarn pr^sentibus quam futuris canonice substituendis in per-
petuum. Quotiens illud a nobis.
Ego Alexander catholic^ ecclesi^ episcopus ss.
Ego TJbaldus Hostiensis episcopus ss.
Ego Bernardus Portuensis et*^^ sanct§ RufinQ episcopus ss.
Ego Oddo Tusculanus episcopus ss.
Ego Johannes presb. card. sanctorum lohannis et Pauli tit. Pa-
machii ss.
Ego Hdebrandus *^ basilicQ XII Apostolorum presb. card. ss.
Ego lohannes presb. card. tit. sanct§ Anastasi^ ss.
Ego Albertus presb. card. tit. sancte Laurentii in Lucina ss.
Ego Gruilielmus presb. card. tit. sancti Petri ad Yincula ss.
Ego Boso presb. card. sanct^ Pudentian^ tit. Pastoris ss.
Ego Petrus presb. card. tit. sancti Laurentii in Damaso ss.
Ego lacinctus-'^ diac. card. sanct^ Mari^ in Cosmedin ss.
Ego Ardicio diac. card. sancti Theodori ss.
Ego Manfredus diac. card. sancti Greorgii ad Velum au-
reum ss.
Ego Ugo diac. card. sancti Eustachii iuxta templum
AgrippQ^) ss.
Datum Tusculani *^ per manum Gratiani *) S. R. E. subdiaconi
et notarii, octauo idus maii, indictione ni*\ incarnationis dominic^
anno M^.C.LXXI, pontificatus uero domini Alexandri pape III
anno XIL
a) Diloco N. h) sylua C N. c) monendinum C. d) presbiter
et C; presb. card. N. e) Adobrandus C; Aldobrandus N. f) Hiacyn-
thus N. g) Agippe C. h) Tusculi CN. t) Gregorii CN.
k) m C, cwr. aus IUI; 4^".
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 253
18.
Alexander 111, bestätigt den Schiedsspruch der Prioren von S,
Fier Scheraggio und S. Jacopo (in Florenz) in der Streitsache zwischen
dem Kloster S. Michele di Poggio di S. Do7tato in Siena und dem
Abt von Vallombrosa und dem Kloster Passignano,
Anayni (1174) März 30.
Kopie s. Xlll Florenz Arch. di stato (Passignano 1255 marzo
30 als Alexander IV).
Ed. Soldani Letter a sopra il monacato di S. Gregorio ¥11 p. 66.
Vgl. Davidsohn Forschungen 1 184 n. 70 zu 1176 März 30 und Italia
pontif. 111 108 n. 18.
Alexander episcopus seruus seruornm Dei. Dilectis filiis ab-
bati, priori et ceteris fratribus, monacliis, clericis et conuersis mo-
nasterii de podio sancti Donati,Senensis salutem et apostolicam bene-
dictionem. Ex litteris dilectorum filiorum nostrornm sancti Petri de
Scaradio et sancti lacobi priorum, quibus causam, que inter uos
et Vallenbrosanum abbatem et abbatem et fratres Passinianenses
super subiectione et libertate uestri monasterii uertebatur, de as-
sensu partium commiseramus , euidenter nobis innotuit, quod, cum
ipsi predictum Vallenbrosanum abbatem legitime citassent, eo suum
iudicium recusante subire, possessionem monasterii uestri predicto
Passinianensi abbati et monasterio suo in dispositione et ordina-
tione eiusdem monasterii uestri, salua questione proprietatis, ad-
iudicarunt. Unde nos sententiam eorundem iudicum«) ratam ha-
bentes et firmam eamque auctoritate apostolica confirmantes, per
apostolica uobis scripta mandamus et in uirtute obedientie preci-
pimus, quatinus predicto abbati de Passiniano, sicut magistro et
prelato uestro, debitam obedientiam et reuerentiam inpendatis et
eins monitis et mandatis in bis, que Dei sunt, deuote et humiliter
pareatis , ut sicut obedientie filii obedientie uideamini sequi uir-
tutem. Si qui autem ex uobis iam dicto abbati contumaces fuerint
uel rebelies, sententiam, quam ipse in eos propter hoc canonice de-
derit, nos auctore Domino ratam et firmam habebimus eamque fa-
ciemus usque ad dignam satisfactionem inuiolabiliter obseruari.
Dat. Anagn. III kal. april.
a) iudicium.
254 P- Kehr,
19.
Alexander IIL nimmt die Kirche der h. Maria in Bisa unter
dem Erzbischof Huhald nach dem Vor gange Innocenz^ IL, Eugens III.,
Anastasius' IV, und Hadrians IV. in den apostolisclien Schutz und
bestätigt ihr die genannten Besitzungen, Ffarrlcirchen und Kapellen.
Anagni 1176 April 11.
Orig. Pisa Ar eh. di stato (Atti pubblici).
Die Urkunde steht auch kopiert im Kopialbuch von Pisa s. XVI
f. 78 Rom Arch. Vat. Arm. XXXII t. 16, ivoraus sie Contelori
Bidlae et brevia Alexandri III., ebenda, Mise. Arm. VII t. 127 ab-
schrieb. Von den Vorurkunden ist nur Innocenz IL von 1137 März 5
J-L. 7830 erhalten, diejenigen Eugens IIL, Anastasius' IV. und Ha-
drians IV. sind nicht auf uns gekommen. Deshalb rechtfertigt sich
die volle Wiedergabe des Textes. Die Urkunde erwähnt Mattei Eccl.
Pis. hist. I 238. Sie ist registriert von J. v. Pflugk-Harttung Iter
p. 279 n. 658, Gott. Nachr. 1897 p. 209 n. 11 und J-L. 12693.
ALEXANDER EPISCOPVS SERVVS SERVORVM DEL VENE-
RABILI FRATRI HVBALDO PISANO ARCHIEPISCOPO EIVSQVE
SVCCESSORIBVS CANONICE SVBSTITVENDIS IN PERPETWM. |
Fratres nostros episcopos, qui sunt in partem soUicitudinis euo-
cati, et illos precipue, qui honestate, prudentia et religione pol-
lere noscuntur, ampliori nos conuenit caritate diligere et eos in
sinn I sacrosancte Romane ecclesie specialius confouere, quatinus
studiosius commisse sibi ecclesie negotia peragere possint, cum se
cognouerint apostoKce sedis patrocinio familiarius communiri. £a-
propter , uenerabilis frater Hubalde | archiepiscope , tuis iustis
postulationibus benignum impertientes assensum, ad exemplar pre-
decessorum nostrorum felicis memorie Innocentii, Eugenii, Anasta-
sii atque Adriani Romanorum pontificum ecclesiam beate Dei ge-
nitricis semperque uirginis Marie , cui Deo auctore preesse dino-
sceris, cum omnibus") ad eam pertinentibus sub beati Petri et
nostra protectione suscipimus et presentis scripti priuilegio com-
mnnimus. Statuentes , ut decime Pisani episcopatus , que | tibi
competunt, secnndum sanctomm canonum instituta in tua et suc-
cessorum tuorum dispositione consistant. Honestas quoque per-
sonas in episcopali sede ac prefata beate Dei genitricis Marie
ecclesia iaxta sanctiones canonum I ordinäre et ibidem canonicos
a) Omnibus auf Rasur.
Nachträge zu den Papstirrkunden Italiens II. 255
statnere et que ibidem fuerint corrigenda canonice corrigere seu
alias plebes ael capellas tuas disponere nichilomiiius habeas facul-
tatem. Decernimus etiam, ut quascumque possessiones, | quecum-
que bona prefata beate Marie ecclesia in presentiarum iuste et
canonice possidet aut in futurum concessione pontificum, largitione
regum uel principum, oblatione fidelinm seu aliis iustis modis
prejstante Domino poterit adipisci, firma tibi tuisque successoribus
in perpetuum et illibata permaneant. In quibus hec propriis du-
ximus exprimenda uocabulis : uidelicet eastrum et curtem de Nu-
bila, eastrum | et curtem de Lorentian(a), eastrum et curtem de
sancta Lucia, eastrum et curtem de Monte Caluo, tres partes
castri et podii de ripa Stricaria, nouem partes de quattuordecim
partibus castelli et curtis Belo|ra et Boueclo, quintam partem
curtis et castri de Segalari cnm omnibus aliis, que inibi habes,
quicquid habes in Donnoratic(o) et in curte eins, quicquid habes in
Castagneto et in curte eins, quicquid habes in | OHueto et in
curte eins, et quicquid habes in curte de Bulgari, duas partes
castri et curtis de Plumbin(o), placitum et fodrum de Vico, campum
qui sancte Marie dicitur iuxta plebem et eastrum ipsius loci, cur-
tem de I Blentina, placitum et fodrum sancti lohannis de Vena,
placitum et fodrum de plebe de Cascina, placitum et fodrum de
Silualonga , Gunfum nouum et uetus , placitum et fodrum de
Buiti, placitum et fodrum de E,asinian(a) , placi|tum et fodrum de
Vada, eastrum et curtem de Lari, medietatem castri et curtis de
Ceule, medietatem castri et curtis de Lucagnan(o), placitum et fo-
drum de Pustignan(o)j quicquid habes in Furcule et in | curte eins,
quicquid habes in Casa noua et in curte eins, et eastrum de Laua-
ian(o) cum curte eins, quicquid habes in Mastin(o} et in curte eins,
quicquid habes in Strido et in curte eins, eastrum episcopi de
Calci cum | curte sua, curtem de Pappian(a) cum suis pertinentiis,
curtem de Auane cum morlo et bouario et aliis suis pertinentiis,
tumulum ab Arno nsque ad stagnum, a terra filiorum Dodonis et
Castagnolo usque ad mare et | a Coltano usque ad ^) mare, Tertiam
in stagno positam, eastrum et curtem de Liuorn(a), eastrum et
curtem de Vsiliano positum prope Kesinam, medietatem castri et
curtis de Colliule, eastrum et curtem de Riojcauo, terram Vber-
tingam, quartam partem totius terre filiorum Cantarucii, duas
partes insularum, Palmaiole uidelicet et Cerui, possessiones quoque
Baldinelli et filii Thocculi atque Sorelle, ecclesie tue concessas.
Preterea plebes prefate Dei | genitricis ecclesie pertinentes tibi
b) vor ad ein Wort durch Masur getilgt.
256 P- Kehr,
tuisque successoribus nichilominus confirmamus, plebem uidelicet
de Caicinaria cum capella sancti Angeli de Traualda, capellam de
Rapida cum capella de Planethule et omnibus aliis capellis 1 eidem
plebi pertinentibus, plebem de Buiti cum capella sancti Marci de
Submonte et omnibus aliis suis capellis, plebem de vico Ausu-
rissule cnm omnibus suis capellis, plebem sancti lohannis de Vena
cum omnibus suis capeUis, plebem de Cascina | cum omnibus suis
capellis, plebem sancti Cassiani cnm omnibus suis capellis, plebem
sancte lulie cum omnibus suis capellis, plebem sancti Laurentii
de Curte cum omnibus suis capellis, plebem de Calci cum omnibus
suis capellis, plebem de Ascian(oj cum omnibus suis ca|pellis, plebem
de Massa Zucculi cum capella sancte Agatbe de Clatri, capella
sancti Prosperi de Bozano, capella de Balbano et aliis omnibus
capellis suis, plebem de Auane cum omnibus suis capellis, plebem
de Pugnan(o) cum capella de Laian(o) et omnibus aliis | suis capellis,
plebem de Riulo , plebem de Arena , ecclesiam sancti Nicholai de
Paratin(o), plebem de Liuorna, plebem de Larzenth cum omnibus
suis capellis, plebem de Limon(a) cum omnibus suis capellis, plebem
sancti Laurentii in Platba cum omnibus suis capellis, plebem | de
Scutrian(a) cum omnibus suis capellis, plebem de Camaian(o) cum
omnibus suis capellis, plebem sancti Angeli cum omnibus suis ca-
pellis, plebem de Pomaria^^ cum monte Vaso et omnibus capellis
suis, plebem de Rasignan(o) cum omnibus capellis suis, plebem | de
Yada cum omnibus capellis suis, plebem de Ripalbella cum ecclesia
sancte Perpetue et territorio sancti Cassiani de Molazan(o) et om-
nibus aliis capellis eidem plebi pertinentibus et Pinistellum. Ut
autem ad complementum securitatis | seu corroborationis horum
omnium nichil uobis desit, cuncta, que in territoriis predictarum
plebium seu etiam intra terminos plebium infra positarum, uide-
licet plebis de Morrona, plebi s de Paua, plebis de Aqui, | plebis
de Suuiliano, plebis de Triana, plebis de Miliana, plebis de Tri-
pallo, plebis de Gello in Collin(is), plebis de Bibona, plebis de
Paratino, iure proprietatis ad prefatam Pisanam ecclesiam perti-
nent, auctoritate '^^ apostolica confirmamus, | saluo nimirum iure
beati Petri et sancte Romane ecclesie. Nulli ergo omnino homi-
num liceat predictam Pisanam ecclesiam temere perturbare aut
eius possessiones auferre uel ablatas retinere, minuere seu quibus-
libet uexatiojnibus fatigare, set illibata omnia et integra conser-
uentur, eorum, pro quorum gubernatione et sustentatione concessa
sunt, usibus omnimodis profutura. Si qua igitur in futurum eccle-
e) Pomaria z. 2 h. auf Rasur. d) corr. aus apost. auctoritate.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 257
siastica secularisue persona hanc nostre | constitutionis paginam
sciens contra eam temere uenire temptauerit , secundo tertioue
commonita, nisi presumptionem suam digna satisfactione correxerit,
potestatis honorisque sui dignitate careat reamqne se diuino
iujdicio existere de perpetrata iniquitate cognoscat et a sacratissimo
corpore ac sanguine Dei ac domini redemptoris nostri lesu Christi
aliena fiat atque in extremo examine districte ultioni subiaceat.
Cunctis autem | eidem loco sua iura seruantibus sit pax domini
nostri lesn Christi, quatinus et hie fructum bone actionis perci-
piant et apnd districtum iudicem premia eterne pacis inueniant.
AMEN. AMEN. AMEN. |
R. Ego Alexander catholice ecclesie episcopus ss. BV.
f Ego Hubaldus Hostiensis episcopus ss.
f Ego Bernardus Portuensis et sancte Rufine episcopus ss.
f Ego Johannes presb. card. sanctorum lohannis et Pauli tit. Pa-
machii ss.
f Ego Albertus presb. card. tit. sancti Laurentii in Lucina ss.
f Ego Gruillelmus presb. card. tit. sancti Petri ad Yincula ss.
f Ego Boso presb. card. sanct^ Pudentiane tit. Pastoris*) ss.
f Ego lohannes presb. card. tit. sancti Marci ss.
f Ego Theodinus presb. card. sancti Vitalis tit. Vestine ss.
f Ego Manfredus presb. card. tit. sancte Cecilie ss.
f Ego Petrus presb. card. tit. sancte Susanne ss.
f Ego lac(intus) card. sancte [Majrie in Cosmidyn ss.
f Ego Cinthyus diac. card. sancti Adriani ss.
f Ego Hugo dyac. card. sancti Eustachii iuxta templum
Agrippe ss.
f Ego Labor ans sanct§ Mari^ in Porticu diac. card. ss.
f Ego Raynerius diac. card. sancti Georgii ad Velum au-
reum ss.
Dat. Anagnie per manum Grratiani sancte Romane ecclesie
subdiaconi et notarii, III^ idus aprilis, indictione Villi, incarna-
tionis dominice anno M°. C^. L^XXYP , pontificatus uero domini
ALEXANDRI pape tertii anno septimodecimo.
B. dep.
e) tit. Past auf Rasur.
258 P. Kehr,
30.
Alexander III. bestätigt den zwischen dem Edlen Philipp de
Marano und dessen Söhnen und dem Aht und den Mönchen von Sub-
iaco abgeschlossenen Vergleich über das Lehen Jenne.
Anagni 1176 Juli 11.
Orig. Subiaco Ar eh. di S. Scolastica (I n, 3). — Inseriert in
Alexander IV. 1257 März 9 Orig. (I n. 63) und 1260 Sept. 9 Orig.
(I n. 79) und JReg. Alexandri IV. a. VII n. 28 Paris Bibl. nat.
lat. 4038 B. — Bullarium Sublacense descr. per P. B. Cherubinum
Mirtium a. 1623 f. 53 und f. 101' Subiaco Arch. di S. Scolastica
(VI n. 15). — Contelori, Bullae et brevia Alexandri III, s. XVII ^
Rom Vat. Arch. Mise. Arm. VII t. 127 (drei Kopien). — C. Mar-
garini Thesaurus hist. s. XVII t. III f. 373 und t. V f. 85 ebenda
Arm. LIV [t. 3. 5 = Cod. Vat. lat. 7157 s. XVII f. 72. — Reg.
bei Massarelli Miscell. t. I f. 32 San Severino Bibl. comunale (ex re-
gistro Alexandri IV.) und Galletti Miscell. t. IV Cod. Vat. lat. 7925
f. 98'.
Regg. Belisle in Bibliotheque de Vecole des chartes XXXVIII
(1877) p. 110 aus Reg. Alexanders IV; Allodi La cronaca Sublacense
del P. B. eher. Mirzio p.270; v. PflugJc-EarUung Iter p. 280 n. 661
(aus Orig.) und n. 662 (aus Vat. 7157) ; Federici Boc. n. 221 in
I monasteri di Subiaco t. II (Roma 1904); J-L. 12724 und 12725.
— Bie UrJcunde, die für die Geschichte von Subiaco und die Ge-
schichte der Feudalherren der Campagna im XII. Jahrhundert be-
sonders wichtig ist, ist so oft abgeschrieben^ und registriert worden wie
wenige, aber niemals im Wortlaut veröffentlicht. Ich trage ihn also
hier nach. Zur Sache vgl. P. JEgidi in Monasteri de Subiaco t. I
107 und Italia pontif III 96 n. 49.
ALEXANDER episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis
nobilibus tiiris Philippo de Marano et R. et B. filiis eius salutem
et apostolicam benedictionem. Cum inter uos et abbatem et
fratres Sublacenses grauis | fuisset qnestio suborta, talem cnm eis
in presentia nostra concordiam et compositionem fecistis, uidelicet
quod abbas de auctoritate; nostra et assensu capitnli sui uobis
Gennam**) et feodum | lohannis Rolandi uel cambium pro eo, si
uolueritis, dedit et concessit, tali quidem tenore quod duo milites
de hoc iurati intra spatium duorum mensium sine fraude arbitra-
buntur, si propter | Pontiam super ''^ Gennam**^ et feudum lohannis
a) z. Th. auf Rasur. b) auf Rasur.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 259
Rolandi aliquid debeat predictus abbas addere et, si arbitrati fne-
rint aliquid esse addendum, quantum arbitrium eorum dictauerit,
addet. | Vos uero supradicta a monasterio suo in feudum tenebitis
iuxta tenorem illmn, secundum qnem Pontiam tenere debuistis, re-
tentis et seruatis abbati et fratribus ecclesiis, deci|inationibiis et
mortuariis et data publica, quam abbas cum eo modo et mensura
faciet, in qua dolus et immoderantia esse non uideatur, preter
quam in alia abbatia; quam siquidem | datam tu, fili Ph., uel uos,
filii R. et B., coUigetis et abbati uel cui preceperit assignabitis ;
de qua tamen uobis assuetam assisam monete hominum uestrorum
dabit et uos | guerram et pacem ad mandatum abbatis predicti
monasterii facietis; abbas autem non auferet uobis predicta feuda
sine forisfacto et eo iudicato, | unde uos terram perdere debeatis,
unde uos per pugnam defendere non possitis, id est de uita, de
menbris, de mala captione, de amissione terre siue | de recupera-
tione et aequisitione, et si consilium suum panderitis, unde aliquod
istorum ineurrere debeatis. Si quando uero de supradictis, que sie
distineta | sunt, abbas uos appellauerit et uos per pugnam defen-
dere uolueritis, abbas inde curiam tenebit ad usum et consuetu-
dinem bone et legalis curie; uos autem pre|scripta feuda tenebitis
et utemini communiter uel diuisim et post mortem tuam, fili Ph.,
uos, filii R. et B., eadem feuda habebitis, prestita fidelitate mo-
na|sterio et abbati. Sane si quolibet tempore iam dicta feuda tu,
fili Pb., aut uos, R. et B., aliquo casu perdideritis, abbas uos ipsa
recuperare iuuabit et recuperata | restituet. Vos uero fidelitatem
monasterio iurabitis. Ut autem hec compositio futuris temporibus
inuiolabiliter obseruetur, eam auctoritate apostolica con|firmamus
et presentis scripti patrocinio communimus. Statuentes, ut nulli
omnino hominum liceat banc paginam nostre confirmationis infrin-
gere | uel ei aliquatenus contraire. Si quis autem hoc attemptare
presumpserit, indignationem omnipotentis Dei et beatorum Petri et
Pauli apostolorum eins se nojuerit incursurum.
R. Ego Alexander catholice ecclesie episcopus ss. BV.
f Ego Hubaldus Hostiensis episcopus ss.
■j- Ego lohannes presb. card. ss. lobannis et Pauli tit. Pama[chü] ss.
f Ego Albertus presb. card. tit. s. Laurentii in Lucina ss.
f Ego Boso presb. card. s. Pudentiane tit. Pastoris ss.
f Ego lohannes presb. card. tit. s. Marci ss.
f Ego Theodinus presb. card. s. Yitalis tit. Vestine ss.
f Ego Manfredus presb. card. tit. s. Cecilie ss.
f Ego Petrus presb. card. tit. s. Susanne ss.
260 P- Kehr,
f Ego Iac(inctus) diac. card. s. Marie in Cosmidjm ss.
f Ego Cintliyus diac. card. s. Adriani ss.
f Ego Hv.*) diac. card. s. Eustachii iuxta templtun Agrippe ss.
f Ego Laborans diac. card. s. Mari§ in Porticn ss.
f Ego Raynerius di[ac. c]ard. s. Greorgii adVelum anrenm ss.
Dat. Anagnie per mannm Grratiani sancte Romane ecclesie
subdiaconi et notarii, V id. iul., indictione Villi*, incamationis
dominice anno M^.C^.LXX^.VI^, pontificatus uero domni Alexandri
päpe III anno XVII^
B.
c) auf Rasur von lac.
31.
Alexander HL nimmt das Kloster San Giusto bei Toscanella
unter dem Abt Bonatus na^h dem Vorgange Lucius' IL. in den apo-
stolischen Schutz und bestätigt die Begel, die namentlich aufgeführten
Besitzungen und Rechte. Lateran 1178 April 2,
Fei. Contelori Cameralia vol. S., s. XVLL, Rom Vat. Arch. Arm.
XXXVI L t. 17 p. 30 ex lihro iurium abbatiae s. Anastasii ad Aqitas
Salvias.
Der Liber iurium des Klosters SS. Anastasio e Vincenzo (Tre-
fontane) bei Rom, aus dem Contelori schöpfte, ist leider verloren.
Aus derselben Quelle entnahmen Panvinius (R&m Vat. Arch. Mise.
Arm. XL t. 34 f. 32), Massarello (San Severino Bibl. comunale vol. I
f. 32') und Contelori (Rom Vat. Arch. Mise. Arm. VII t. 127) die
Unterschriften und die Datierung. Nach Massarello habe ich Gott. Nachr.
1898 S. 511 n. 6 das Formular gegeben. Aber die Urkunde ist für
die Lohalgeschichte des römischen Tusciens und als die einzige er-
haltene ältere Bulle für das Kloster des h. Justus so wichtig ^ daß
•der Abdruck des ganzen Wortlauts erwünscht ist. Sie ist auch citiert
von J. V. Pflugk-Harttung Iter S. 283 n. 680 und danach bei J-L.
13038 a. Vgl. auch Ltalia pontif II p. 199.
Alexander episcopus seruus seruornm Dei. Dilectis filiis Do-
nato abbati monasterii sancti lusti, quod prope Tuscanensem ciui-
tatem situm est, eiusque fratribns tarn praesentibns quam futuris
regulärem uitam professis in**) perpetuum. Religiosam uitam
eligentibus apostolicum conuenit adesse praesidium, ne forte cuius-
a) in feHU.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens IL 261
libet temeritatis incursus aut eos a proposito reuocet aut robur,
quod absit*), sacrae religionis infringat. Eapropter, dilecti in Do-
mino filii, nestris iustis postulationibns clementer annuimus*^^ et
prefatum monasterium, in quo diuino mancipati estis obsequio, ad
exemplar predecessoris nostri felicis memoriae Lucii papae sub
beati Petri et nostra protectione suscipimus et presentis scripti
priuilegio communimus. Inprimis siquidem statuentes , ut ordo
monasticns, qui secnndum Deum et beati Benedicti regulam et in-
stitntionem Cisterciensiam fratrum • in eodem loco noscitur insti-
tntus, perpetnis ibidem temporibns inniolabiliter obseruetur. Pre-
terea qnascunque possessiones, quaecunque bona idem monasterium
impresentiarum iuste et canonice possidet aut in futurum conces-
sione pontificum, largitione regam uel principum, oblatione fide-
lium seu aliis iustis modis prestante Domino poterit adipisci, firma
uobis uestrisque successoribus et illibata permaneant. In quibus
haec propriis duximus exprimenda uocabulis : castrum uidelicet
iuxta monasterium situm, eiusdem sancti lusti uocabulo nuncupa-
tum, cum terris, uineis, pratis, molendinis, siluis et aliis pertinentiis
suis, in ciuitate Tuscanensi casas, uineas, terras, quae iuris eiusdem
monasterii esse noscuntur, in ciuitate Castrensi ecclesiam sancti
Mamiliani de Ponte cum omnibus pertinentiis suis ^), in castro Cor-
neto ecclesiam sancti Nicolai ^) et ius, quod habet in ecclesia sancti
Andrej et sancti Laurentii et sancti Martini et sancti Secundiani
iuxta mare, et partem de portu et quicquid iuris habet in castro
Corneto de intus et foris, in casis, casalinis, uineis, ortis, pratis,
siluis, terris cultis et incultis, aquis et molendinis, in ciuitate
Centumcellensi'^^ ecclesiam sancti Andrej cum casis, terris, uineis,
siluis, molendinis et aliis pertinentiis suis, in ciuitate Vetula^) ec-
clesiam sanctae Fermettae^) cum pertinentiis suis, in castro Or-
clano *) ecclesiam sanctae Agathae cum casis, uineis ^\ terris, siluis
b) esset. c) communimus. d) Centucellensi. e) domeis.
1) Das Kloster S. Mamiliani de Ponte lag, soviel wir wissen, nicht in der
Stadt Castro, sondern im Comitat von Castro. Danach wird statt in ciuitate Ca-
strensi zu lesen sein in comitatu Castrensi. Vgl. Leos IX. Privileg für das Bis-
tum Castro von 1053 April 14 (Nachr. 1900 S. 144 n. 4) und Innocenz' II. Ur-
kunde für S. Mamiliano J-L. 8098. Das Kloster war dem h. Stuhl zinspflichtig
(vgl. Cencius ed. Fabre-Duchesne I 57).
2) Auch die Kirche S. Nicolai de Corgneto steht im Cencius (I 56).
3) Sowohl der NameVetula wie der der Heiligen scheinen verlesen zu sein.
Vetula ist wohl zu emendieren in Vetralla.
4) Orcle, jetzt Castello d'Orchia oder Norchia.
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-hist. Klasse 1903. Heft 2. 18
262 P- Kehr,
et aliis pertinentiis suis, in arce Rispampin^-^ ecclesiam sanctae
Mariae cum pertinentiis suis^), in Castello nouo ^) ecclesiam sanctae
Mariae cum casis, uineis, terris et siluis, in castello Bulzi^) eccle-
siam sancti Siluestri cum pertinentiis suis, apud castrum sancti
Laurentii iuxta lacum ecclesiam sanctae Mariae in Thorano cum
pertinentiis suis, arcem Montis loguli iuxta fluuium Agonem cum
pertinentiis suis, in castello Quintignano casas, uineas, terras, sil-
uas, et terras in castro Planzano^^ et Euglano atque Arnena^),
casas, uineas, siluas et terras iuxta fluuium Rispampinae, hospitale
cum ecclesia sancti Leonardi cum omni pertinentia sua. Decemi-
mus ergo, ut nuUi omnino hominum liceat supra scriptum monaste-
rium temere perturbare aut eins possessiones auferre uel ablatas
retinere, minuere seu quibuslibet uexationibus fatigare, sed illibata
omnia et integra conseruentur, eorum, pro quo r um gubernatione
et sustentatione concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua
sedis apostolicae auctoritate et Tuscanensis episcopi tam in con-
sueta pensione quam in aliis iusticia et reuerentia. Si qua igitur
etc. Cunctis autem etc.
Ego Alexander*) catbolicae ecclesiae episcopus ss. *)
Ego TJbaldus Ostiensis episcopus ss.
Ego lobannes presb. card. sanctorum loannis et Pauli tit. Pa-
macbii ss.
Ego Boso presb. card. sanctae Pudentianae tit. Pastoris ss.*>
Ego Viuianus presb. card. tit. sancti Stepbani in Coelio monte ss.
Ego lac(inctus) diac. card. sanctae Mariae in Cosmedin ss.
Ego Ardicio diac. card. sancti Theodori ss.
Ego CintMus diac. card. sancti Adriani ss.
Ego Rainerius diac. card. sancti Georgii ad Velum aureum ss.
Dat. Lateran, per manum Albert i sanctae Romanae ecclesiae
presbyteri cardinalis et cancellarii, IIII non. aprilis, indictione XI,
incarnationis dominicae anno M^.C^.LXX^VIII^, pontificatus uero
domini Alexandri pape III anno XVIIII^\
f) corr. aus oder zu Rispampini. g) Lesung unsicher. h) Alexander papa.
t) 88. fehlt hier und weiterhin. k) ich stelle die in der Kopie verwirrte rich-
tige Bähenfolge der Kardinalunterschriften stillschweigend wieder her. l) die
Zahlen in der Datierung sind korrigiert; sie waren zuerst auf Alexander IV. bezogen.
1) Die Rocca Respampani hat in der Geschichte jener Gegend eine Rolle
gespielt. Jetzt liegt sio in Trümmern (cf. Campanari I 172 flF.).
2) Castellum novüm weiß ich nicht zu deuten.
3) Bulzi ist das alte Vulcia am Fiorafluß.
4) Von diesen Orten sind Piansano und Arlena wohlbekannt.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 263
Alexander III. nimmt die Pieve S. Ägatä zu Asciano in den
apostolischen Schutz und bestätigt die Besitzungen und Rechte.
Lateran 1178 April 22.
Orig. Asciano Arch. della Frepositura.
J-L. 13053 nach Wiener SB. XCIV 675 n. 8588 a. Vgl. Italia
pontif. III 195 n. 1. Bas Original 'kopierte Br. F. Schneider.
ALEXANDER EPISCOPVS SERVVS SERVORVM DEI. DILECTO
FILIO RODVLFO PLEBANO PLEBIS SANCTE AGATHE EIVSQVE
SVCCESSORIBVS CANONICE SVBSTITVENDIS IN PERPETYVM. |
EiFectum insta postnlantibus indujgere et uigor equitatis et ordo
exigit rationis , presertim quando petentium uoluntatem pietas
adiuuat et ueritas | non relinqnit. Quocirca, dilecte in Domino
fili plebane, tuis iustis postulationibns clementer annuimns et pre-
fatam plebem, cui Deo anctore preesse | dinosceris, sub beati Petri
et nostra protectione suscipimns et presentis scripti priuilegio
communirnns. Statuentes, ut quascumque possessiones, quecnmque
bona I eadem plebs impresentiarum iuste et canonice possidet aut
in futurum concessione pontificum, largitione regum uel principum,
oblatione fidelium seu | aliis iustis modis prestante Domino poterit
adipisci, firma tibi tuisque successoribus et illibata permaneant.
In quibus hec proprüs duximus exprimenda uoca|bulis: ecclesiam
sancti Bartholom[ei], ecclesiam sancti Saluatoris, quas babetis in
castello de Sciano , ecclesiam sancti Leonardi , Oratorium sancti
Nicbolai, ecclesiam | sancti Ypoliti, ecclesiam sancti Angeli de coUe
Daujeno, ecclesiam sancti Petri de Fontodori, ecclesiam sancte
Marie de Monte Mori, ecclesiam sancti lobannis de Monte | Grun-
teri, ecclesiam sancti lusti, ecclesiam sancti Tbome de Retessa,
ecclesiam de Monte Fianci, ecclesiam sancti Andree de Fabro, ec-
clesiam sancte Majrie de Grossennano, ecclesiam de Bacoleno, eccle-
siam sancte Marie de Finerri, ecclesiam sancti Prosperi, ecclesiam
sancti Petri in Guarazano, ecclesiam sancti Seuejri, ecclesiam sancti
Andree, ecclesiam sancti Laurentii, ecclesiam de castello de Serris,
ecclesiam sancti Geminiani de Castello ueteri, ecclesiam sancte
Ma|rie, ecclesiam sancti Fabiani de castello Rodulfi, ecclesiam sancte
Marie de Gagio, ecclesiam sancti Angeli de Terentino cum perti-
nentiis earum, ius, quod babetis | in ecclesia et in populo de Monte
[u]eco, molendinum, quod babetis in flumine Buceri, et omnes terras
et uineas et siluas, quas rationabiliter babetis in toto | pleberio
uestro. Sepulturam quoque parrocbianorum uestrorum liberam
18*
264 P. Kehr,
uobis esse concedimus, ut eorumdem parrochianorum deuotioni et
extreme uoluntati, | qui apud plebem uestram elegerint sepeliri,
nisi excommunicati uel interdicti sint, nullus obsistat, salua tarnen
iustitia illanim | capellarum, a quibus mortnorum corpora assumun-
tur. Preterea ordinationes ecclesiarum uestrarum et decimas ple-
banatus uestri, ut eas rationabiliter possidetis, uobis et | ecclesie
uestre auctoritate ap[ostoli]ca confirmamus. Decemimus ergo, ut
nuUi o[imim]o hominum liceat supradictam plebem temere pertur-
bare aut eius pos|sessiones auferre uel ablata retinere, minuere
seu quibuslibet uexationibus fatigare, sed illibata omnia et integra
conseruentur, eorum, pro quorum gubematione | et substentatione
concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua sedis apostolice
auctoritate et dyocesani episcopi canonica iustitia. Si qua igitur
in futurum | ecclesiastica secularisue persona hanc nostre constitu-
tionis paginam sciens contra eam temere uenire temptauerit, se-
cundo tertioue commonita, nisi presumptionem suam | congrua sa-
tisfactione correxerit, potestatis honorisque sui dignitate careat
reamque se diuino iudicio existere de perpetrata iniquitate cogno-
scat et a sa|cratissimo corpore ac sanguine Dei et domini redemp-
toris nostri lesu Christi aliena fiat atque in extremo examine di-
stricte ultioni subiaceat. Cunctis autem eidem loco | sua iura ser-'
uantibus sit pax domini nostri lesu Christi, quatinus et hie fructum
bone actionis percipiant et apud districtum iudicem premia eteme
pacis I inueniant. AMEN. AMEN. AMEN. \
E,. Ego Alexander catholice ecclesie episcopus ss. BV.
f Ego Hubaldus Hostiensis episcopus ss.
f Ego Johannes presb. card. sanctorum lohannis et Pauli tit. Pa-
machii ss.
f Ego Boso presb. card. sancte Pudentiane tit. Pastoris ss.
f Ego Petrus presb. card. tit. sancte Susanne ss.
t Ego Viuianus presb. card. tit. sancti Stephani in Celio monte ss.
f Ego lac(inctus) diac. card. sancte Marie in Cosmidyn ss.
f Ego Ardicio diac. card. sancti Theodori ss.
f Ego Cinthjnis diac. card. sancti Adriani ss.
f Ego Laborans diac. card. sanct^ Mari^ in Porticu ss.
f Ego Rainerius diac. card. sancti Greorgii ad Velum aureum ss.
Dat. Lateran, per manum Alberti sancte Romane ecclesie pres-
byteri cardinalis et cancellarii, X kal. maii, indictione XI, incar-
nationis dominice anno M.C.LXX^VIII^, pontificatus uero domini
ALEXANDRI pape IH anno XVim.
B. dep.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 265
33.
Alexander III. erJclärt die ürhinden , durch welche die Parro-
chianen der Kirche S. Stefano in Prato hei Gelegenheit von Land-
Verpachtungen sich den benachbarten Klöstern verpflichten mußten^
sich daselbst begraben zu lassen^ für ungültig.
Lateran (1166—79) März 17.
Kopie im Ms. Bolle e indidti pontificii; decreti vescovili s. XVI sq.
Prato Arch. capitolare.
Ed. Carlesi Origini di Prato p. 152 n. 12 {mit X kal. aprilis).
— Reg. bei Ughelli ^ III 333. Vgl. Italia pontif III 139 n. 21.
ALEXANDER episcopus seruus seruomin Dei. Dilecto filio
Pratensi preposito salutem et apostolicam benedictionem. Signi-
ficatum est nobis ex parte tua, quod per monasteriorum circuin-
stantium circa terras tuas parrochianis tuis aliquo locationis titulo
concedat''^ ab eis instrumentiiin exigunt et reeipiunt, quo idem
parrocbiani obligantur apud prescripta monasteria sepeliri. Ideoque
postulasti ecclesi^ tu^ contra buiusmodi grauamina prouideri, Nos
itaqne attendentes, indignum esse et rationi omnino contrarium, ut
sepultur^ taliter comparentur, tuis iustis postulationibus benignius in-
clinati, similia instrumenta, ne de cetero fiant, districte probibemus
et facta auctoritate apostolica irritamus. Nulli ergo omnino bo-
minum etc. Dat. Lateran. XVI kalen. aprilis.
a) die Stelle ist ganz verderbt.
34.
Alexander IIL nimmt das Kloster San JBartolom£o di Sestinga
unter dem Abt Panerius in den apostolischen Schutz und bestätigt ihm
die Besitzungen und Rechte, vornehmlich die Exemption, gegen einen
Jahreszins von 1 Byzantier. Lateran 1179 April 24.
Kopie saec, XIII Siena Arch. di stato (S. Agostino di Siena).
Die Urkunde ist bereits in der Schrift von St. Bertolini Esame
di un libro sopra la Maremna Senese p. 218 gedruckt, doch tvieder-
hole ich sie , da jene selten ist. Umsomehr als das Regest bei Jaffe-
Loewenfeld 13168 nach Kaltenhrunner in Wiener SB. XCIV 675
n. 8630 a sie irrig dem bekannten Kloster S. Bartolomeo in der Diö-
zese Penne zuschreibt, während es sich um das Kloster S. Bartolomeo
266 P- Kehr,
di Sestinga in der Diözese Grosseto handelt. Das Privileg ist eines
der umfayigreichsten Klosterprivilegien und auch Urchenrechtlich wichtig.
Vgl. Italia pontif. III 264: n. 2.
Alexander episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis Ra-
nerio abbati sancti Bartolomei^^'de Sextinga eiusque fratribus tarn
presentibus quam futuris regulärem uitam professis in perpetuum.
Quotiens illud a nobis petitur, quod religioni et honestati conuenire
dignoscitur, animo nos decet libenti concedere et petentium desi-
deriis congruum suffragium impertiri. Eapropter, dilecti in Domino
filii, uestris iustis postulationibus clementer annuimus et ecclesiam
sancti Bartolomei'*^ de Sextinga, in qua diuinis estis obsequiis man-
cipati, sub beati Petri et nostra protectione suscipimus ^^ et pre-
sentis scripti priuilegio communimus. Statuentes, ut quascumque
possessioneSj quecumque bona idem monasterium in presentiarum
iuste et canonice possidet aut in futurum concessione pontificum <^^,
largitione regum uel principum, oblatione fidelium seu aliis iustis
modis prestante Domino poterit adipisci, firma uobis uestrisque
successoribus et illibata permaneant. In quibus hec propriis duxi-
mus exprimenda uocabulis : locum ipsum, in quo prefatum monaste-
rium situm est cum omnibus pertinentiis suis, sancti Martini et
sancti Cerbonii de Caldana cum omnibus pertinentiis suis, sancte
Marie de Cese cum omnibus pertinentiis suis et ecclesiam sancti
Simonis et lüde de Colonna cum suis pertinentiis, sancte Reparate
de Tosi cum omnibus pertinentiis suis, sancti Supercii cum perti-
nentiis earundem. Ut autem iuxta''^ normam uestre professionis
diuinis obsequiis liberius uacare possitis, simili modo sancimus, ut
cuiuslibet ecclesie sacerdoti nuUam iurisdictionem, nuUam potesta-
tem aut auctoritatem , excepto dumtaxat Romano pontifice, in
uestro monasterio liceat uendicare, adeo quod ut, nisi ab abbate*>
eiusdem monasterii fuerit inuitatus, nee etiam missarum soUemnia
ibidem audeat celebrare. Interdicimus etiam, ut nulli'') episcopo
licentia^) pateat, sacerdotes eiusdem cenobii*^ monachos*) siue con-
uersos*^ distringere uel excommunicare aut diuinum eis officium
prohibere; quos etiam ab omni pontificali sinodo liberos et abso-
lutes manere decemimus. Omne preterea, quod Albertus prede-
cessor tuus a Johanne ^^ abbate sancti Pancratii de Luto rationa-
biliter permutando accepit et possidet, eidem monasterio auctori-
tate apostolica confirmamus et presentis scripti pagina communimus.
o) Bartalomei. \h) subscipimus. c) principium. d) iusta. c) abate.
f) nullum. g) licentiam. K) vorher getilgt monasterii. i) monacos.
k) canonicos. /) louanne. ,
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens IL 267
Porro locum ipsum ab omni iugo quarumlibet potestatum tarn epi-
scoporum quam marchionum, comitum quoque aut uicecomitum, ca-
staldionum ceterorumque Longobardorum uolumus omnino esse
quietnm, nullusque eorum in possessionibus prefato cenobio perti-
nentibus iudicium aliquod placitumue tenere aut districtionem*"^
facere qualibet occasione presumat"^, sed potius tam hec quam
alia, que ad ius eiusdem monasterii spectare noscuntur, in tua suc-
cessorumque <*) tuorum libera potestate^^ ac dispositione consistant.
Concedimus insuper eidem uenerabili loco decimationes atque pri-
mitias de suis omnibus siue de preceptalibus siue de aliis, que
nunc habet uel inantea poterit adipisci. Liceat quoque uobis cle-
ricos et laicos*?^ e^"^ seculo fugientes liberos et absolutos absque
alicuius contradictione ad conuersionem recipere et in uestra eccle-
sia retinere. Obeunte uero te nunc eiusdem loci abbate uel tuo-
rum quolibet successorum*^, nuUus ibi qualibet subreptionis'^ astutia
seu uiolentia preponatur, nisi quem fratres communi consensu«) uel
fratrum pars consilii sanioris secundum Dei timorem et beati Be-
nedicti regulam prouiderint eligendum; electus autem ad Romanum
pontificem benedicendus accedat. Crisma uero, oleum sanctum, con-
secrationes altarium seu basilicarum, ordinationes "^ presbyterorum,
diaconorum aut aliorum tam de monacbis"'^ quam de conuersis*\ qui
ad sacros gradus fuerint promouendi, siue a sede apostolica siue
ab aliquo catholico suscipietis episcopo, qui nostra fultus auctori-
tate quod postulatar indulgeat. Et si aliquando quempiam de
nostris episcopis siue de aliis, prout uobis congraentius uisum fue-
rit, ad sacrum ministerium celebrandum uel consecrationem aliquam
exbibendam inuitare ad uestrum monasterium uolueritis, absque*')
alicuius contradictione '^ id ipsum faciendi habeatis liberam facul-
tatem. Sepulturam insuper ipsius loci liberam esse decernimus "^
ut eorum deuotioni et extreme uolnntati, qui se illic sepeliri deli-
berauerint, nisi forte excommunicati uel interdicti^) sint, nuUus
obsistat. Decernimus") ergo, ut nulli omnino hominum liceat pre-
fatam ecclesiam temere perturbare aut eins possessiones auferre
uel ablatas retinere, minuere seu quibuslibet uexationibus fatigare,
sed illibata'^) omnia et integra conseruentur, eorum, pro quorum
gubernatione ac sustentatione concessa sunt, usibus omnimodis pro-
futura, salua nimirum in omnibus apostolice sedis auctoritate.
m) dixtrictionem. n) presumit. o) successorum. p) potestatem.
q) folgt getilgt nochmals et laicos. r) et. s) subcessorum. t) sub-
rectionis. u) consensu fehlt. v) folgt etiam, w) monacis. x) cano-
nicis. y) asque. z) contradictionem. a) decreuimus. b) interdictu.
c) illibatus.
268 P- Kehr,
Ad indicium autem percepte huius a sede apostolica protectione
bizantium unmn annis singnlis nobis nostrisque successoribus per-
soluetis. Si qua etc. Cunctis autem etc. Amen. Amen. Amen.
R. Ego Alexander '^^ catbolice ecclesie episcopns ss.'^
f Ego Hubaldus Hostiensis episcopns ss.
f Ego lobannes presb. card. sanctomm lohannis et Pauli tit. Pa-
machii-^) ss.
f Ego Petrus presb. card. tit. sancte Susanne ss.
f Ego Petrus presb. card. tit. sancti Grrisogoni^) ss.
f Ego Cintius presb. card. tit. sancte Cecilie'*^ ss.
f Ego Arduinus'2 presb. card. tit. sancte Crucis in*) lerusalem ss.
f Ego lacintus diac. card. sancte Marie in Cosmidin^ ss.
f Ego Ardicio"*) diac. card. sancti Theodori**) ss.
f Ego Laborans diac. card. sancte Marie in Porticu ss.
f Ego Gratianus diac. card. sanctorum Cosme et"^ Dami-
ani ss.
f Ego Johannes diac. card. sancti Angeli ss.
t Ego Matheus diac. card. sancte Marie Noue ss.
Dat.^) Lateran, per manum Alberti sancte Romane ecclesie
presbyteri cardinalis et cancellarii, octauo kal. madii, indictione
XII, incarnationis dominice anno M.C.LXX.VIIII, pontificatus uero
domni Alexandri pape III anno XX.
d) Alexader. e) ss. fehlt. f) Pamachii fehlt. g) Crisocconi.
Ä) Cicilie. t) Arduuinus. k) in fehlt. l) Cosmidum. m) Ardignus.
n) Teoddoni. ö) et fehlt. p) data.
35.
Alexander III. nimmt die Kirche S. Christina in Pisa unter
dem Presbyter Rainer nach dem Vorgang Eadrians IV. in den apo-
stolischen Schutz, bestätigt ihr die Besitj^ungen j namentlich die von
seinem Vorgänger Hugo gebaute Kirche der h. Maria Magdalena und
verleiht das Begräbnisrecht für ihre Parrochianen.
Lateran 1179 Juni 18.
Abschrift von Franc. Bonaini in dessen Copie di diplmni Pisanij
Pisa Arch. di staio.
Bonaini fand die Urkunde im Archivio Eoncioni in Pisa, wo
überhaupt Materialien aus dem Kapitelarchiv von Pisa hingekommen
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 269
sind. Denn S. Christina in Kinzica gehörte dem Kapitel, wie aus
dessen Privilegien und aus der Bulle Alexanders III. selbst hervorgeht.
Die Abschrift verdanke ich Prof. Cl. Lupi. Vgl. Italia pontif. III 352.
' Alexander episcopus seruus seruorum Dei. Dilecto filio Rai-
nerio presbitero sancte Christine, que in ripa fluminis Arni in ci-
uitate Pisana sita est, eiusque successoribus canonice substituendis
in perpetuum. Quotiens illud a nobis petitur, quod religioni et
honestati conuenire dinoscitur, animo nos decet libenti concedere
et petentium desideriis congruum impertiri suffraginm. Eapropter,
dilecte in Domino fili, precibus dilectorum filiorum nostrorum ca-
nonicorum Pisane ecclesie , ad quorum ins et proprietatem com-
missa tibi ecclesia beate Christine pertinere dinoscitur, inclinati,
ad exemplar felicis memorie predecessoris nostri Adriani pape,
eandem sub beati Petri et nostra protectione suscipimus et pre-
sentis scripti priuilegio communimus. Statuentes, ut quascumque
possessiones , quecumque bona eadem ecclesia in presentiarum
inste et canonice possidet ant in futurnm concessione pontificum,
largitione regum uel principum, oblatione fidelinm seu aliis instis
modis Deo propitio poterit adipisci, firma tibi tuisque successoribus
et illibata permaneant. Preterea supradictorum filiorum nostro-
rum postulationibus annuentes, rationis etiam intuitu prouocati,
ecclesiam beate Marie Magdalene, quam in proprio fundo commisse
tibi ecclesie atque in ipsius parrochia propriis expensis bone me-
morie Hugo, predecessor tuus, construxisse dinoscitur, tibi et per
te memorate ecclesie beate Christine ac tuis successoribus, qui pro
tempore regimen ecclesie sancte Christine a supradictis filiis nostris
canonicis habuerint, auctoritate apostolica confirmamus, et eandem
capellam sancte Marie ad ecclesiam beate Christine, tamquam ad
matrem filia, decernimus pertinere, salua Pisani archiepiscopi ca-
nonica reuerentia et canonicorum Pisane ecclesie iustitia et obe-
dientia. Porro sepulturam sepedicte ecclesie, uidelicet sancte
Christine, liberam esse sancimus, ut quicumque parochianorum tu-
omm illic sepelliri deliberauerint, eorum deuotioni et extreme uo-
luntati, nisi forte excommunicati uel interdicti sint, nullus ob-
sistat, salua nimirum iustitia matricis ecclesie. Decernimus ergo,
ut nulli omnino hominum liceat prefatam ecclesiam temere per-
turbare aut eins bona uel possessiones auferre seu ablatas retin ere,
minuere aut aliquibus uexationibus f atigare , set omnia integra
conseruentur, eorum, pro quorum gubernatione et sustentatione
concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua nimirum apostolice
sedis auctoritate et predicti archiepiscopi canonica iustitia. Si qua
270 P. Kehr,
igitur in futurum ecclesiastica secularisue persona hanc nostre
constitutionis paginam sciens contra eam temere uenire tempta-
uerit, secundo tertioue commonita, si non satisfactione congrua
emendauerit, potestatis honorisque sui dignitate careat reamque
se diuino iudicio existere de perpetrata iniquitate cognoscat et a
sacratissimo corpore ac sanguine Dei et domini redemptoris nostri
lesu Christi aliena fiat atque in extremo examine districte ultioni
subiaceat. Cunctis autem eidem loco sua iura seruantibus sit pax
domini nostri lesu Christi, quatinus et hie fructum bone actionis
percipiant et apud districtum iudicem premia eterne pacis inueniant.
Amen. Amen. Amen.
E,. Ego Alexander catholice ecclesie episcopus ss. BV.
f Ego Hubaldus Hostiensis episcopus ss.
f Ego Theodinus Portuensis et sancte ßufine episcopus ss.
f Ego Petrus Tusculanus episcopus ss.
t Ego Berner edus Prenestinus episcopus ss.
f Ego Johannes presb. card. sanctorum lohannis et Pauli tit. Pa-
machii ss.
f Ego Johannes presb. card. tit. sancte Anastasie ss.
t Ego Johannes presb. card. tit. sancti Marci ss.
f Ego Petrus presb. card. tit. sancte Susanne ss.
t Ego Viuianus presb. card. tit. sancti Stephani in Celio monte ss.
f Ego Cinthius presb. card. tit. sancte Cecilie ss.
f Ego Hugo presb. card. tit. sancti Clementis ss.
f Ego Arduinus presb. card. tit. sancte Crucis in Jerusalem ss.
f Ego Matheus presb. card. tit. sancti Marcelli ss.
t Ego lacintus diac. card. sancte Marie in Cosmidin ss.
f Ego Ardicio diac. card. sancti Theodori ss.
f Ego Laborans diac. card. sancte Marie in Porticu ss.
t Ego Grratianus diac. card. sanctorum Cosme et Damiani ss.
t Ego Johannes diac. card. sancti Angeli ss.
t Ego Rainerius diac. card. sancti Adriani ss.
t Ego Matheus sancte Marie Noue diac. card. ss.
f Ego Bemardus diac. card. sancti Nicolai in carcere Tulli-
ano SS.
Dat. Laterani per manum Alberti sancte Romane ecclesie
presbiteri cardinalis et cancellarii. XJIJJ kal. iulii, indictione XU*,
incamationis dominice anno MCLXXVJIJJ^, pontificatus uero do-
mini Alexandri pape JII anno XX°.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 271
26.
Alexander III. verleiht der Kirche S, Stefano in Prato nach
dem Beispiel seiner Vorgänger die Befugnis, von den Einwohnern
des Territoriums von Prato alle Pfarrrechte zu verlangen und be-
stätigt ihr die genannten Kapellen und die alten Gewohnheiten.
Tusculanum (1170 — 80) Oktober 1.
Kopie im Ms. Concessioni giurisdizionali dei sommi pontefid etc.
s. XIV ex. n. 1 Prato Arch. capitolare. Der Anfang fehlt.
Ed. Carlesi Origini di Prato p. 145 n.3 als Urkunde Innocenz' II.
zu 1138—1142. Vgl. Italia pontif. III 139 n. 22.
ecclesiastica sacramenta et spiritualia benefitia suscipiunt, decimas
Tiel oblationes seu publicas penitentias circumposite ecclesie non
recipiant nee de hiis, que ad ius parrocbiale eiusdem plebis uestre
pertinent, se intromittere audeant; id ipsum ad exemplar eoram
anctoritate, qua fungimur, prohibemns et uobis et plebi uestre de
consueta apostolice sedis dementia concedimus et indulgemus, ut
uniuersi, qui in territorio uestro babitationem continuam babent
et a uobis ecclesiastica sacramenta et spiritualia benefitia iugiter
suscipiunt, uobis de iure parrocbiali respondere debeant et decimas
et oblationes suas et cetera ad ius parrochiale pertinentia in in-
tegrum soluant. Dignum namque est, ut iuxta Apostolum quibus
spiritualia seminatis, ab eisdem camalia metatis. Ad hec uniuer-
sas cappellas ecclesie uestre subiectas cum omni iure et integri-
tate, in qua eas habetis, uobis et eidem ecclesie uestre auctoritate
apostolica confirmamus. Quas uidelicet propriis duximus expri-
mendas uocabulis : cappellam sancte Marie de Castello, cappellam
sancte Trinitatis, cappellam sancti Petri, cappellam sancti Salua-
toris, cappellam sancti Marci"), cappellam sancti Tome, cappellam
sancti Petri de Insula, cappellam sancte Lucie, cappellam sancti
Bartolomei, cappellam sancti Petri de Figbine , cappellam sancti
Vincentii , cappellam sancte Marie de Ribaldo , cappellam sancti
Martini de Paparino, et quidquid iuris et reuerentie in cappella
sancti Martini de Surgnian(o) et in cappella sancti Michaelis de
Cerreto habetis. Antiquas uero et rationabiles ^) consuetudines,
quas hactenus habuistis, uobis nichilominus auctoritate apostolica
confirmamus. Decemimus ergo, ut nulli omnino hominum liceat
a) Marcii. h) honorabiles.
272 P- Kehr,
hanc paginam nostre protectionis et confirmationis infringere nel
ei aliquatenus contraire. Si quis autem hoc*^) attemptare presum-
pserit, indignationem omnipotentis Dei et beatorum Petri et Pauli
apostolorum eius se nouerit incursurum. Dat. Tusculan. kal.
octubris.
c) hec.
27.
Lucius III. verbietet nach dem Beisxnel Alexanders III. den
Bau einer Kirche oder eines Oratoriums im Kastell von Frato ohne
ErJauhnis des Diözesanhischofs und des Propstes und der Kanoniker
von Frato. Velletri (1182) November 26.
Oriy. Frato Arch. capitolare.
Ed. Carlesi Origini di Frato p. 153 n. 13. Vgl. Italia pontificia
III 140 n.23.
LVCrVS episcopns seruus seruorum Dei. Dilectis filiis . . pre-
posito et canonicis Pratensibus salutem et apostolicam bene-
dictionem. | Ex autentico scripto felicis recordationis Adriani
pape predecessoris nostri nobis innotuit , quod priiuilegium mo-
nasterio de Gargnano ab eo collatum reuocans auctoritate aposto-
lica interdixit, ne quis monasterium transferret aut etiam capellam
sine conscientia et assensu abbatis Vallembrosani conjstrueret infra
castrum. Clericis quoque Pratensibus, qui tunc erant, per aposto-
lica scripta mandauit, ut, si quis | monasterium in alium locum
transferret uel capellam in castro predicto construeret et ammo-
nitus non cessajret, a diuinorum ofj&cio[rum celejbratione desisterent
nee diuina in castro permitterent celebrari. Inde est, quod | eius
uestigüs inherentes, prohibitionem iam dicti predecessoris nostri
auctoritate apostolica innouajmus et auctoritate presentium inhi-
bemus, ne quis ecclesiam uel Oratorium infra castrum | predictum
sine assensu episcopi diocesani et uestro de nouo construere aliqua
occasione presumat. | NuUi ergo omnino hominum liceat hanc pa-
ginam nostre prohibitionis infringere uel ei | ausu temerario con-
traire. Si quis autem hoc attentare presumpserit, indignationem
omni Ipotentis Dei et beatorum Petri et Pauli apostolorum eius se
nouerit incursurum. Dat. Velletr. VI kal. decembris.
B. dep.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens IL 273
38.
Lucius III. bestätigt dem Propst Freslyter und dem Kapitel von
Areszo die Schenkungen tind Verleihungen der Bischöfe Theohald,
Helmpert, Arnold und Constantin, die Freiheiten, Immunitäten und
Hechte. VeUetri (1182—83) April 4.
Orig. Arezso Ar eh. capitolare (fi. 455). — Vgl. Italia pontif.
III 159 n. 9.
J-L. 14747 nach dem Citat hei Kaltenhrunner in Wiener SB.
XCIV679 n. 9509 a und Fflugh-Harttung Iter p. 296 n. 760. — Der
Text eeigt AnUänge an die Urkunde Anastasius' IV. J-L. 9815.
LYCIVS episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis Pre-
sbitero preposito et capitulo Aretino salutem et apostolicam bene-
dictionem. Ea, que a prelatis | ecclesiarum prouisione rationabili
statuuntur, sedis apostolice conuenit auctoritate firmari, ne super
bis materia contenjtioiiis emergat, que a bono caritatis initmm ba-
buerunt. Eapropter, dilecti in Domino filii, uestris iustis postn|-
lationibus grato concurrentes assensu, donationes, concessiones, con-
firmationes etiam super ecclesiis et aliis rebus, sicut antecesisoribus
uestris a bone memorie Tbeobaldo, Helperto, Alberto, Arnaldo et
Constantino episcopis Aretinis rationabiliter "^ concesse sunt, | et
que in priuilegio bone memorie leronimi quondam episcopi uestri
legittime continentur, libertates preterea et immunitates ab | impe-
ratoribus seu marchionibus ecclesie uestre indultas, antiquas et ra-
tionabiles consuetudines uestras hactenus obseruatas, uobis uestris-
que I successoribus auctoritate apostolica confirmamus et perpetuo
manere decernimus illibatas. Decimationes etiam ex terra illa,
quam uos, | canonica sancti Donati, ex donatione imperatorum,
marcbionum et alioram Dei fidelium iuste et sine controuersia pos]-
sidetis aut in futurum iustis modis prestante Domino poteritis
adipisci, presentis scripti patrocinio roboramus. | Ordinationem in-
super, custodiam et alia, que predecessores tui, fili preposite, a
tempore locundi prepositi in plebibus, | monasteriis, canonicis et
capellis de Scianinga, Berardinga et Berardisca et aliis Aretine
diocesis canonice babu|erunt , oblationem etiam altarium ecclesie
sancti Donati letaniarum, sicut in scripto Arnaldi et Constantini
Aretinorum episcopo|rum rationabiliter continetur, electionem quo-
que archidiaconi et primicerii, sicut a prefato ler(onimo) quondam
a) corr. aus rationabiliter Aretinis.
274 P- Kehr,
episcopo I uestro canonice statTitmn fxiisse dinoscitur et in scriptis
eins continetur expressum et hacteims est obser|natiiiii, donationem
etiam, quam Willielminiis de Subiano et filius eius, uxoribus eorum
assensum prebentibus, et quantum ad | eorum iura spectauit, ex in-
tegro largientibus, de Tum, de Subiano et alüs eorum possessio-
nibus uniuersis in eodem Castro et | eins curte, in Nussa, Castellione
et eorum pertinentiis et alüs locis fecerunt , cum Deo et ec-
clesie uestre sua et se obtulerunt, | sicut in instrumentis exinde
confectis legittime continetur, castrum preterea, quod Saxetum
uulgariter nominatur, | sicut ipsum rationabiliter et sine contro-
uersia possidetis, cum eins curte, ecclesiam de Radicata cum Om-
nibus pertinentiis eins, | ecclesiam de Cruci cum omnibus perti-
nentiis eins, castrum insuper, quod Toppole dicitur, cum ecclesia
et uilla de Varrazano et | omnibus pertinentiis eorum, sicut ex
concambio et transactione pro Modiona uobis a Camaldulensi uenit,
sicut instrumenta | legittime^) continent et bactenus est obseruatum,
uobis uestrisque successoribus auctoritate apostolica confirmamus.
Nulli ergo omnino bomijnum liceat banc paginam nostre confir-
mationis infringere uel ei ausu temer ario contraire. Si quis autem
hoc attemptare | presumpserit, indignationem omnipotentis Dei et
beatorum Petri et Pauli apostolorum eins se nouerit incursurum.
Dat. Velletri II non. aprilis.
B. dep.
b) le I legittime.
39.
Lucius 111. nimmt das Kloster S. Salvadore di Spugna unter
dem Äbt Maurus in den apostolischen Schute, bestätigt die Regel
'S. Benedicts, die genannten Besitzungen und die bereits von Leo IX.
und Alexander II. bestätigten Zehnten, das Präsentationsrecht und
andere Rechte. Anagni 1183 November 23.
Kopie s. XVII in Carlo sen. Strozzi Spoglio SS 1240 p. 230
Florenz Bihl. nazionale Magliah, XXXVII 307.
Ed. F. Morozzi Memorie di istoria ecclesiastica civile e letteraria
di Colle di Valdelsa. Sezione I: Istoria della badia di S. Salvadore
di Spugna (In Firenze 1775) p. 55 n. 1 „da tin manoscrUto antico
di un Ser Gio. Bardi da Colle, la quäle egli la trascrisse in fondo
di un Libro di statuti di detta cUtä di Colle, e che di presente esiste
presse i Sigg. Bardi di Colle da S. Caterina." Danach cUiert von
Bavidsohn Forschungen zur älteren Geschichte von Florenz I 185
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens IL 275
n. 74. — Da diese Schrift von Morozzi sehr selten, in Deutschland
wohl ganz unbeJcannt, sein Äbdruch auch recht schlecht ist, die Ur-
kunde aber andererseits einige Wichtigkeit hat — leider sind die im
Text erwähnten Privilegien Leos IX. und Alexanders II. nicht auf
uns gekommen — , so gehe ich sie nach der Abschrift Strozzi's und
dem Druck von Morozzi, dessen Quelle wir vergeblich gesucht haben,
neu heraus. Vgl, Italia poniif. III 309 n. 4.
Lücius episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis Mauro ab-
bat! monasterii sancti Saluatoris in Spongia, quod in Volaterranensi
episcopatu apud Else flnuium sitnm est, eiusqiie successoribus re-
gulariter substituendis in perpetuum. Religiosam uitam eligen-
tibus apostolicnm conuenit adesse presidium, ne forte cuiuslibet
temeritatis incursus aut eos a proposito reuocet ant robur, quod
absit, sacr^ religionis infringat. Eapropter, dilecti in Domino filii,
uestris iustis postnlationibns clementer annuimus et prefatnm mo-
nasterium, in quo dinino estis obs^qiiio mancipati, snb beati Petri
et nostra protectione suscipimus et presentis scripti prinilegio com-
munimus. Inprimis siqnidem statuentes , ut ordo monasticus , qui
secnndnm Deum et beati Benedicti regulam in eodem monasterio
institntus perpetuis ibidem temporibus inuiolabiliter obseruetur;
preterea quascumque possessiones, quecnmque bona idem monaste-
rium in presentiarum iuste et canonice possidet aut in futurum
concessione pontificum, largitione [regum uel prineipum, oblatione
fidelium seu alüs iustis modis prestante Domino poterit adipisci,
firma uobis uestrisque successoribus et illibata permaneant. In
quibus hec propriis duximus exprimenda uocabulis: In episcopatu
Vulterranensi ecclesiam sanct^ Mari^, que est iuxta monasterium,
castellum Piticcianum, quod CoUe uocatur, cum ecclesiis et suis
appenditiis, cappellam sancti Martini, que est in fundo monasterii,
de qua quinque solidos percipitis annuatim, ecclesiam sancti Mar-
tialis, salua iustitia plebis Els^, ecclesiam sancte Mari§ in Monza-
nello, ecclesiam sancti Nicolai in Lano, et quicquid habes in curte
de Castro Stagi^ , ecclesiam sancti Laurentii in Cerreto, ecclesiam
sanctorum loannis et Pauli, ecclesiam sancti Cerboni in Cemiano,
castrum Falsini cum ecclesia, quod translatum est in castrum Bel-
forte, ecclesiam sanct^ Mari§ in Comacle, possessiones, qu^ sunt
iuris monasterii in curte de Vlignano; in episcopatu Pistoriensi
monasterium sancti Fabiani cum omnibus pertinentiis suis, ecclesiam
sancti Martini in Sorniac, ecclesiam sancti Andrej in Grello ; in
Florentino episcopatu ecclesiam sancti Laurentii in Sabiano, eccle-
siam sanct^ Mari^ in Curte noua', ecclesiam sanct^ Martin^ in
276 P- Kehr,
Ponte Ormo; in episcopatu Senensi qnartam partem de curte de
Siticclo ; in episcopatu Grossetano ecclesiam sanct^ Sicntere *), eccle-
siam sancti lacobi et sancti Filippi . . ., ecclesiam sancte Luci^ in
Grosseto ; in Suanensi episcopatu ecclesiam sancti Cipriani, eccle-
siam sancti Saluatoris, ecclesiam sancti Reguli in Malliano, eccle-
siam beati Abrae patriarche iuxta Marta cum omnibus pertinentiis
earum. Decimas etiam, primitias et oblationes, quas felicis recor-
dationis Leo et Alexander pape, predecessores nostri, uobis et mo-
nasterio uestro scripti sui munimine confirmarunt, ad exemplar ip-
sorum uobis et ei dem monasterio confirmamus. Liceat etiam uobis
in parrochialibus ecclesiis, quas tenetis, sacerdotes eligere et epi-
scopis, in quorum parrochiis site sunt, presentare, quibus, si ido-
nei fuerint, episcopi curam animarum committant; huiusmodi sacer-
dotes de plebis quidem cura eis respondeant, uobis autem pro rebus
temporalibus debitam subiectionem exhibeant. Prohibemus quoque,
quod in Castro de Colle aut in aliis fundis ipsius monasterii nul-
lus ecclesiam uel Oratorium construere uel cimiterium facere abs-
que uestro assensu presumat. Interdicimus etiam, ut nee tibi nee
alicui successorum tuorum castrum ipsum de Colle, quod etiam
antiquitus Piticcianum uocatum est, fas sit, absque Romani ponti-
ficis licentia dare, uendere, commutare seu quolibet modo ab eo-
dem monasterio alienare. Obeunte uero te nunc eiusdem loci ab-
bate uel tuorum quolibet successorum, nullus ibi qualibet subrep-
tionis astutia seu uiolentia preponatur, nisi quem fratres communi
consensu uel fratrum pars consilii sanioris secundum Dei timorem
et beati ßenedicti regulam prouiderint eligendimi. Crisma quoque,
oleum sanctum, consecrationes altarium, benedictionem abbatis seu
monachorum ordinationes, qui ad sacros ordines fuerint promouendi,
a diocesano episcopo suscipiatis, siquidem catholicus fuerit et abs-
que prauitate seu exactione aliqua uoluerit exhibere; alioquin ca-
tholicum quemeumque malueritis episcopum adeatis , qui nimirum
nostra fultus auctoritate quod postulatur indulgeat. Sepulturam
preterea ipsius loci liberam esse decernimus , ut quicumque se
illic seppeliri deliberauerit, nisi forte excommunicati uel interdicti
fuerint, eorum deuotioni nullus obsistat. Monasterio etiam sancti
Fabiani de Prata, quod uestro monasterio subiacet, sepulturam
concedimuSj sicut iam hactenus habuisse dignoscitur, salua in utro-
que'') iustitia matricis ecclesi^. Addentes etiam prohibemus, ut nulli
episcopo liceat in uestro monasterio preter abbatis assensum mis-
sas publicas celebrare, ne fratrum quieti et religioni officiat po-
a) sie. b) utraque.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 277
pularis accessus. Decernimus ergo, ut nulli omnino hominum liceat
prefatmn monasterimn aut ecclesias uestras indebitis exactionibus
fatigare seu uestras possessiones auferre uel ablatas retinere, mi-
nnere aut quibuslibet uexationibus perturbare "), sed omnia integra
conseruentur, eorum, pro quorum gubernatione ac substentatione
concessa sunt usibus omnimodis profutura, salua sedis apostolicae
auctoritate et diocesanorum episcoporum canonica iustitia et re-
uerentia. Si qua igitur in futurum ecclesiastica secularisue per-
sona hanc nostram constitutionis paginam scienter contra eam te-
mere uenire tentauerit, secundo tertioue commonita, nisi reatum
suum congrua satisfactione correxerit, potestatis honorisque sui
careat dignitate reamque se diuino iudicio existere de perpetrata
iniquitate cognoscat et a sacratissimo corpore ac sanguine Dei et
domini redemptoris nostri lesu Christi aliena fiat atque in extremo
exaniine districtae ultioni subiaceat. Cunctis autem eidem loco
sua iura seruantibus sit pax domini nostri lesu Christi, quatenus
et hie fructum bone actionis percipiant et apud districtum iudicem
praemia aeternae pacis inueniant. Amen. Amen. Amen.
R. Ego Lucius catholicQ ecclesi^ episcopus ss.
Ego Theodinus Portuensis et sanctf^ Rufin§ sedis epi-
scopus SS.
Ego Henricus Albanensis^^ episcopus ss.
Ego Joannes presb. card. tit. sancti Marci ss.
Ego Petrus presb. card. tit. sancte Susann^ ss.
Ego Viuianus tit. sancti Stephani in Celio monte presb. card. ss.
Ego Laborans presb. card. sancte Mari^ Transtiberim tit. Ca-
lixti SS.
Ego lac(intus)''^ diac. card. sancte Mari^ in Cosmedin ss.
Ego Ardicio diac. card. sancti [Theodori] ss.
Ego Gratianus sanctorum Cosme et Damiani diac. card. ss.
Ego Gerardus sancti Adriani diac. card. ss.
Dat. Anagni^ per manum Alberti sanct^ ßoman^ ecclesi^ pre-
sbiteri cardinalis et cancellarii, Villi kal. decembris, indict. II,
incamationis dominic^ anno MCLXXXIII, pontificatus uero domni
Lucii pape III anno III.
d) Von hier bis amen folge ich Morozzi's Text. b) Albanus. c) la-
cobus.
KgU Ges. d.|Wi88. Nachrichten. PhUolog.-hist. Klasse. 1908. Heft 2. 19
278 P- Kehr,
30.
Lucius 111. bestätigt die Entscheidung Alexanders III. in der
StreitsacJie zwischen dem Propst und den Kanonikern von Prato und
dem Plehan der Kirche des h. Justus über die Kappelle des h. Ja-
cobus. Verona 1184 Juli 25.
Kopie im Ms. Concessioni giurisdizionali dei sommi pontefici etc.
s. XIV ex. n. 6 Prato Ar eh. capitolare.
Ed. Carlesi Origini di Prato p. 154 n. 14. — Vor Urkunde ist
Alexanders IIL Privileg von 1171 Oktober 22 J-L. 11907. Vgl.
Italia pontif. UI 140 n. 25.
LVCIYS episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis Plebano
preposito et canonicis Pratensibus salntem et apostolicam bene-
dictionem. Quemadmodum equitatis uigor expostulat et iustitie
integritas persuadet, quod prolate'') ad sedem apostolicam contro-
uersie rationabili iudicio terminentur, ita quoqne necessarium est
et accommodum rationi, ut postquam^^ terminate fuerint ac decise,
ne uel processu temporis dilabantur a memoria posterorum uel
pro instrumentorum defectu in recidiue contentionis scrupulum
ualeant postmodum^) deuenire ,. litterarum iidei commendentur.
Dignum namque est, ut, si forte ullo tempore per calumpnantium
insidias aliqrdd motum fuerit questionis, secutura posteritas pre
manibus babeat quod requirat. per quod uidelicet aduersariorum
calumpnias et questiones excludat. Ex priuilegio sane felicis me-
morie Alexandri predecessoris nostri comperimus, quod, cum Ro-
landus et Ubaldus concanonici uestri et 0. plebanus sancti lusti
pro controuersia, que uertebatur inter uos et plebanum ipsum super
cappella sancti lacobi in territorio '^^ uestro fundata, in eins fuissent
presentia constituti, predicti concanonici uestri iudicialem senten-
tiam allegarunt, quam sancte recordationis predecessor noster Inno-
centius super ipsa controuersia dederat, et confirmationem etiam,
quam pie memorie predecessor noster Eugenius papa fecerat, alle-
garunt. Plebanus uero, quod eadem cappella in fundo plebis sue
coDstructa fuerit, et quod ad ordinationem suam specialiter perti-
neret, ex sententia maxime bone memorie Attonis quondam Piste-
riensis episcopi constantius allegauit. In fundo siquidem ipsius
plebis eam esse constructam recognouerunt idem concanonici uestri,
set dixeront, quod esset eadem cappella in plebis uestre territorio*'^
a) perlate. 6) posquam; posmodum. c) teritorio.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 279
sita. Unde predictus A. predecessor noster, rationibus Line inde
anditis et cognitis, sententiam Innocentii, sicut a prefato prede-
cessore nostro Eugenio confirmata fuerat, de fratrum suorum con-
silio confirmauit et tarn eidem plebano qnam successoribus eins et
plebi super hoc duxit silentium imponendum, hoc eis, secundum
quod canonum statuta precipiunt, reseruato, ut uacante predicta
cappella sacerdotem inueniant et uobis representent, qui, si idoneus
fnerit, inuestituram cappelle et curam animarum de manu uestra
recipiat et uobis de spiritualibus obedientiam et reuerentiam, sicut
faciunt cappellarum uestrarum ceteri cappellani, promittat et in
Omnibus deuote exibeat; illis uero de temporalibus debeat respon-
dere, et eadem cappella, quemadmodum statutum est, plebi uestre
tamquam matrici ecclesie in omni iure parrochiali, sicut relique
cappelle uestre, subiecta permaneat. Nos igitur ipsius Alexandri
predecessoris nostri uestigiis inherentes, conti rmationem et diffi-
nitionem eins, sicut in suo priuilegio continetur, ratam habemus
eamque auctoritate apostolica confirmantes, presentis scripti patro-
cinio communimus. Decernimus ergo, ut nulli omnino hominum
liceat hanc paginam nostre confirmationis infringere uel ei ausu
temerario contraire. Si qua igitur in futurum ecclesiastica secu-
larisue persona hanc nostre confirmationis paginam sciens contra
eam temere uenire tentauerit, secundo tertioue commonita, nisi
presumptionem '^) suam digna satisfactione correxerit, potestatis
honorisque sui dignitate careat reamque se diuino iudicio existere
de perpetrata iniquitate cognoscat et a sacratissimo corpore ac
sanguine Dei et domini redemptoris nostri lesu Christi aliena fiat
atque in extremo examine districte ultioni subiaceat. Cunctis*)
autem uobis iusta seruantibus sit pax domini nostri lesu Christi,
quatinus et hie fructum bone actionis percipiant et apud districtum
iudicem premia eterne-^ pacis inueniant. Amen. Amen. Amen.
R. Ego Lucius catholice ecclesie episcopus ss. BY.
t Ego Henricus Albanensis episcopus ss.
f Ego Theobaldus^^ Hostiensis et Velletrensis episcopus ss.
f Ego Johannes tit. sancti Marci presb. ca^d. ss.
t Ego Laborans presb. card. sancte Marie Transtiberim tit. Ca-
lixti ss.
f Ego Hubertus presb. card. tit. sancti Laurentii in Damaso ss.
t Ego Pandulfus presb. card. tit. basilice XII Apostolorum ss.
t Ego Ard(icio) sancti Teodori diac. card. ss.
f Ego G-ratianus sanctorum Cosme et Damiani diac. card. ss.
d) presuntionem. e) cuntis. f) ecterne. g) Leobaldus.
19*
280 P. Kehr,
f Ego Soffredus sancte Marie in Via lata diac. card. ss.
f Ego Albinus sancte Marie Noue diac. card. ss
Dat. Yerone per manum Hugonis sancte Romane ecclesie no-
tarii, VIII kal. angnsti*\ indictione secunda, incamationis dominice
anno M^CMiXXXTIII, pontificatus uero domni Lucii pape III
anno III®.
h) agusti.
31.
TJrhan III. bestätigt das Abkommen in der Streitsache /zwischen
dem Propst und den Kanonikern der Pieve S. Stefano in Prato und
dem Kloster S. Maria di Grignano über den Bau einer Kirche.
Verona (1186—87) Mai 21.
Kopie im Ms. Bolle e indulti pdntificii; decreti vescovili s. XVIsq,
Prato Arch. capitolare.
Ed, Carlesi Origini di Prato p. 156 n. 15, Vgl, Italia pontif,
III 140 n. 26.
Urbanus episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis prepo-
sito et canonicis plebis sancti Stephani de Prato salutem et apo-
stoHcam benedictionem. Ea, qu^ super ecclesiarmn ") litigiis con-
cordia uel iudicio statuuntur, firma uolmnns et inconcussa manere
et, ne processu temporis in recidiu^ contentionis scrupnlum quali-
cmnque*^ temeritate deueniant, mandari scriptur^ et apostolic^
bullQ munimine roborari. Intelleximus autem ex quoÜam scripto
autentico, quod nobis*^ foit ex parte uestra exhibitum, quia, cum
inter uos et monasterium sancte Mari^ de Grignano super fanda-
tione cuiusdam ecclesi^ et quibusdam aliis controuersia uerteretur,
ea fuit postmodum, arbitris concorditer ab utraque parte electis,
amicabili transactione finita, quam compositionem, sicut rationa-
biliter facta est et ab utraque parte recepta et suprascripto ''^ au-
tentico continetur, ratam habentes auctoritate apostolica confirma-
mus. Nulli igitur etc.
Dat. Verone XII kal. iunii.
a) cartarum. h) quali. c) notom. d) infrascripto.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 281
33.
Urhan JH. bestätigt die Entscheidung Alexanders 111. in der
Streitsache zwischen dem Propst und den Kanonikern von Prato und
dem Pleban der Kirche des h. J^istiis über die Kapelle des h. Jacohus.
Verona 1187 Februar 26.
Kopie im Ms. Bolle e indidti pontificii; decreti vescovili s, XVlsq.
Prato Ärch, capitolare.
Regg. bei Ughelli ^ 111 335 und bei Carlesi Origini di Prato
p. 166 n. 16. — Gan^ nach der Voriirhmde Lucius' 111. von 1184.
Juli 25 (Nr, 30). Vgl. Italia pontif. 111 141 n. 28.
Urbanus episcopus semus seruorum Dei. Dilectis filiis Ple-
bano preposito et canonicis Pratensibus salutem et apostolicam
benedictionem. Quemadmodum eqnitatis uigor expostnlat et
institi^ integritas persuadet, quod prolat^ ad sedem apostolicam
controuersi^ rationabili indicio terminentur, ita quoque necessarium
est et accommodum rationi, ut postquam terminat^ faerint ac decisQ,
ne uel processu temporis dilabantur a memoria posterorum uel
pro instrxunentorum defectn in recidiu^ contentionis scrupulum
ualeant postmodum deuenire, literamm fidei commendentur. Dignum
namque est, ut, si forte nllo tempore per calumnantium insidias
aliquid motum fuerit questionis, secntura posteritas pr^ manibus
habeat quod requirat, per quod uidelicet aduersariorum calumnias
et qnestiones excludat. Ex prinilegiis sane felicis memoria Ale-
xandri et Lucii pape, pr^decessorum nostrorum, comperimus, quod,
cum Eolandus et Ubaldus concanonici uestri et 0. plebanus sancti
lusti pro controuersia, qu^ uertebatur") inter uos et plebanum
ipsum super cappella sancti lacobi in territorio uestro fundata, in
eins fuissent presentia constituti, predicti concanonici uestri iudi-
cialem sententiam allegarunt, quam sancte recordationis predecessor
noster Innocentius papa super ipsa controuersia dederat, et confir-
mationem etiam, quam pi^ memorie predecessor noster Eugenius
papa postmodum fecerat, allegarunt. Plebanus uero, quod eadem
cappella in fundo plebis su§ constructa fuerit, et quod ad ordina-
tionem suam specialiter pertineret, ex sententia maxime bon^ me-
morie Attonis quondam Pistoriensis episcopi constantius^^ allegauit.
In fundo siquidem ipsius plebis eam esse constructam recognouerunt
iidem canonici uestri, sed dixerunt, quod esset eadem cappella in
a) uertebat. h) constatius.
282 P. Kehr,
plebis uestr^ territorio sita. Unde pr^dictus Alexander predecessor
noster, rationibus hinc inde auditis et cognitis, sententiam Inno-
centii, sicut a prefato predecessore nostro Eugenio confirmata fu-
erat, de fratrum suorum consilio confirmauit et tarn eidem plebano
quam successoribus eius et plebi super hoc duxit silentium impo-
nendum, hoc eis, secundum quod canonum statuta pr^cipiunt, re-
seruato, ut uacante predicta cappella sacerdotem inueniant^^ et
uobis representent, qui, si idoneus fuerit, inuestituram cappelle et
curam animarum de manu uestra recipiat et uobis de spiritualibus
obedientiam et reuerentiam, sicut faciunt cappellarum uestrarum
cfteri cappellani, promittat et in omnibus deuote exibeat; Ulis
uero de temporalibus debeat respondere et eadem cappella, quem-
admodum statutum est, plebi uestr^ tamquam matrici ecclesi^ in
omni iure parrochiali, sicut reliqu^ cappell? uestr^, subiecta per-
maneat. Nos itaque ipsorum Alexandri et Lucii pr^decessorum
nostrorum uestigiis inherentes, confirmationem et diffinitionem
ipsam, sicut in eorum priuilegiis*') continetur, ratam habemus eam-
que auctoritate apostolica confirmantes, presentis scripti patrocinio
communimus. Decernimus ergo etc. Si qua igitur etc. Cunctis
autem etc.
R. Ego Urbanus cathoKc^ ecclesie episcopus ss. "^
Sequuntur suhscriptiones cardinalmm.
Dat. Verona per manum Alberti sancte Roman^ ecclesie pre-
sbiteri cardinalis et cancellarii, quarto kal. martii, indictione^^ quinta,
incamationis dominic^ anno M^.C^LXXX^.VI^, pontificatus uero
domni Urbani pap^ tertii anno secundo.
c) inueniat. d) priuilegio. e) ss. fehlt. f) inditione.
33.
Urhan III. bestätigt dem Bischof Hildebrand von Volterra nach
dem Vorgänge Innocenz' IL und Alexanders III. die Besitzungen,
die Kirchen und die Grenzen des Bistums.
Verona 1187 September 21.
Orig. Volterra Arch. vescovile.
Die Urkunde ist oft cUiert (vgl. J. 9973. J-L. 16002). Den
vollen Text verdanke ich der Güte des Kanonikus Mariani in Vol-
terra. Vgl. Italia pontif III 286 n. 29.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 283
Urbanus episcopus seruus seruorum Dei. Yenerabili fratri
Hildebrando Vulterrano episcopo eiusque successoribus canonice
substituendis in perpetuum. Cum omnibus ecclesiis et personis
ecclesiasticis debitores ex apostolice sedis auctoritate ac beniuo-
lentia existere debeamus, illis tarnen personis, que beato Petro et
sancte Romane ecclesie specialius adherere noscuntur, propensiori
nos connenit affectionis studio prouidere et ecclesiis sibi a Deo
commissis suam iusticiam conseruare. Eapropter, uenerabilis in
Christo Hildebrande frater episcope, tuis iustis postulationibus
clementer annuimus et predecessoris nostri felicis memorie Inno-
centii et Alexandri Romanorum pontificum uestigiis inherentes,
ecclesiam Yulterranam, in qua auctore Deo preesse dinosceris, sub
beati Petri et nostra protectione suscipimus et presentis scripti
priuilegio communimus. Statuentes, ut quascunque possessiones,
quecunque bona in monasteriis, ecclesiis, castris, uiljis, siluis, ui-
neis, terris cultis et incultis, domibus seu aliis rebus eadem Yul-
terrana ecclesia in presentiarum iuste et canonice possidet aut in
futurum concessione pontificum, largitione regum uel principum,
oblatione fidelium seu aliis iustis modis prestante Domino poterit
adipisci, firma tibi tuisque successoribus et illibata permaneant.
In quibus hec propriis duximus exprimenda uocabulis : cenobium
scilicet sancti lusti, monasterium de Cerreto, monasterium de Pu,
liciano cum ecclesia sancti Mariani, Muccbium, Spongiam, Coneum,
Serenam, Masium, Sarium, ecclesiam sancti Dalmatii, ecclesiam sancte
Marie de Monte Scudario, Corniam, Morronam, monasterium sancti
Cassiani in Carisio, plebem sancti Greminiani et capellam sancti Ste-
phani, plebem de Nera, plebem Montis Vultrarii, plebem sancti Yppo-
liti, plebem de castello Scodepernine, plebem sancti lusti, plebem de
Molli, de Monte, de Tocle, de Multiciano, de Lugriano, de Cluslino,
plebem sancti Pauli, de Lame, de Yto, de Sorsciano, ecclesiam Montis
Scalocchi, de Monte Donico, de Casula, de Publico, de Morba, de
Comessano, de Lustiniano, de Micciano, de Silano, de Querceto, de
Caselle, de Yslaito, de Casale lustuli, de Paratino, de Casallia,
de Strido, de Paterno, de Riuo alto, capellam de Rocha, plebem
de Paua, de Urciatico, de Gabreto, de Fabrica, de Pezzola, de
Pino, de Yillamagna, de Rignano, de Toiano, de Coiano, de sancto
Regulo, de Clanne, ecclesiam sancti Yictoris, plebem de Piscignano
et de CoUe. Quas nimirum plebes cum capellis et rebus ad ipsas
pertinentibus , quemadmodum Yulterrane ecclesie iuris esse no-
scuntur , tibi tuisque successoribus confirmamus. Insuper etiam
confirmamus tibi et successoribus tuis Casalliam de ualle Else,
Monte Grabrum, Rucignanum cum tota curia sua, Montem Castel-
284 P- Kehr,
lum, medietatem Agnani. Nichilominus confirmamus tibi tuisque
successoribus ciuitatem VTilterranam cum pertinentiis suis, Montem
Vultrarium, sanctum Geminianum, Ulignanum, Pulicianum, Cati-
gnanum, Gambassum, Colle Musculi, Montem acutum cum capella
intus posita, Casulam, Mentianum, Montem Alcinum, Frosinam^
Cluslinum, Monterium, Fosinam, Saxum, Montem Cerbuli et quic-
quid iuste possidetis in locis inferius positis, uidelicet Gerfalc,
Trauali, Stagia, Castilione, Montecastelli, Licia, Silano, Rignanum.
Villam, Sarazano, Libiano, Micciano, Bibone, Casalliam, Gellum,
Gabretum, Lanera, Lemele. Termini autem ipsius episcopatus bis
finibus distinguntur: ab Elsa usque ad mare et a termino, qui est
iuxta Siticchium, et ab alio, qui est prope Sofficillum, et ab alio,
qui est prope Tocchi et Sancta, sicut erat usque ad sanctum Cas-
sianum in Carisi. Adicimus etiam, ut in ecclesiis, in quibus ius
optines patronatus, contra rationabilem consuetudinem absque con-
scientia tua nullus eligi debeat in prelatum, neque in episcopatu
tue sine tua uel tui catholici successoris assensu de nouo ecclesia
seu Oratorium fabricetur, priuilegiis dilectis filiis nostris Hospi-
talariis et Templariis ab apostolica sede indultis suam obtinentibus
firmitatem. Decemimus ergo, ut nulli omnino hominum liceat pre-
fatam ecclesiam temere perturbare aut eius possessiones auferre
uel ablatas retinere, minuere seu quibuslibet uexationibus fatigare,
sed omnia integra conseruentur, eorum, pro quorum gubematione
ac sustentatione concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua
sedis apostolice auctoritate. Si qua igitur in futurum ecclesiastica
secularisue persona hanc nostre constitutionis paginam sciens contra
eam temere uenire temptauerit, secundo tertioue commonita, nisi
reatum suum congrua satisfactione correxerit, potestatis honorisque
sui dignitate careat reamque se diuino iudicio existere de perpe-
trata iniquitate cognoscat et a sacratissimo corpore ac sanguine
Dei et domini redemptoris nostri lesu Christi aliena fiat atque in
extremo examine diuine ultioni subiaceat. Cunctis autem eidem
loco sua iura seruantibus sit pax domini nostri lesu Christi, qua-
tenus et hie fructmn bone actionis percipiant et apud districtum
iudicem premia eteme pacis inueniant. Amen. Amen. Amen.
R. Ego Urbanus catbolice ecclesie episcopus ss. BV.
f Ego Henricus Albanensis episcopus ss.
t Ego Paulus Prenestinus episcopus ss.
t Ego Theobaldus Hostiensis et Velletrensis episcopus ss.
I Ego Petrus de Bono presbiter cardinalis tit. sanote Susanne ss.
I Ego Laborans presbiter cardinalis sancte Marie Transtiberim tit.
Calixti ss.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 285
-j- Ego Melior presbiter cardinalis sanctorum lohannis et Pauli tit.
Pamachii ss.
t Ego^Adelardus tit. sancti Marcelli presbiter cardinalis ss.
f Ego lac(intus) sancte Marie in Cosmidyn diaconiis cardi-
nalis SS.
t Ego Grratiamis diaconus cardinalis sanctorum Cosme et
Damiani ss.
f Ego Octauianus sanctorum Sergii et Bacbi diaconus car-
dinalis SS.
f Ego Eollandus sancte Marie in Porticu diaconus cardi-
nalis SS.
f Ego Petrus sancti Nicolai in carcere Tulliano diaconus
cardinalis ss.
f Ego Radulfus sancti Georgii ad Velum aureum diaconus
cardinalis ss.
Dat. Yeron. per manum Alberti [sancte Romane ecclesie pre-
sbyteri cajrdinalis et cancellarii, XI™*> kal. octobr., indictione sexta,
incarnationis dominice anno M^.C^.LXXXVII"'*' , pontificatus uero
domni Urbani pape III anno secundo.
ß.
34.
Clemens III. nimmt die Kirche S. Niccolö dt Montieri unter dem
Prior Suauizo in den päpstlichen Schidz und bestätigt die Besitzungen,
Pisa 1188 Januar 20.
Siena Bihl. comunale cod, C IV 3 f. 87 : Kopie von der Hand
JBenvoglientis, nach dessen Angabe sich das Original damals im Besitz
des Colonello Citerni befand. J-L. 16138 nach v. Pfhtgk-Harttung Iter
p. 313 n. 864. Vgl. Itcdia pontif. III 297 n. 5.
Clemens episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis Suauizo
priori ecclesie sancti Nicholai de Monterio eiusque fratribus tarn
presentibus quam futuris canonice instituendis in perpetuum.
Quotiens a nobis petitur, quod religioni et honestati conuenire ui-
detur, animo nos decet libenti concedere et petentium desideriis
apostolicum sufFragium impertiri. Eapropter, dilecti in Domino
filii, uestris iustis postulationibus clementer annuimus et ecclesiam
beati Nicholai, in qua diuino estis obsequio mancipati, predecessorum
nostrorum sanct^ recordationis patris et predecessoris nostri Eu-
genii, Anastasii, Adriani et Alexandri Romanorum pontificum
286 P- Kehr,
uestigiis inherentes, sub beati Petri et nostra protectione snscipi-
mus et prqsentis scripti priuilegio communimus. Statuentes , ut
quascmnque possessiones, quecumque bona eadem ecclesia in presen-
tiarum iuste et canonice possidet aut in futurum concessione pon-
tificum , largitione regum uel principum . oblatione fidelimn seu
aliis iustis modis prestante Domino poterit adipisci, firma uobis
Tiestrisque successoribus et inlibata permaneant. In quibus h^c
propriis duximus exprimenda uocabulis : apud Trauale capellam
sancti Michaelis et capellam sancti Siluestri cum pertinentiis suis,
capellam sancti Michaelis de Bolago cum pertinentiis suis, capellam
sancti Nicholai de Viniali cum pertinentiis suis, capellam sancti
Andree de Rocca cum pertinentiis suis, quicquid contingit uos de
Castro Girfalci in curte et in omnibus, quae sub terra uel super
terram sunt ex dono Ranieri comitis, medietatem quoque deci-
marum eiusdem loci, quam bone memoria Rogerius quondam Vul-
terranus episcopus pia uobis donatione concessit scriptique sui
munimine et assertione firmauit, terras quoque et uineas, quas
habetis apud sanctum Geminianum, terras item et uineas, quas
habetis apud Senam. Prohibemus etiam, ne ulli episcopo liceat
eamdem ecclesiam illicitis exactionibus aggrauare. Decernimus
ergo, ut nulli omnino hominum liceat prefatam ecclesiam temere
perturbare aut eins possessiones auferre uel ablatas retinere, min-
uere seu quibuslibet uexationibus f atigare, sed") illibata et integra
conseruentur, eorum, pro quorum gubernatione ac sustentatione
concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua sedis apostolice
auctoritate et diocesani episcopi canonica iustitia. Ad indicium
autem hnius a sede apostolica percept§ protectionis uos uestrique
successores nobis nostrisque successoribus aureum unum annis sin-
gulis persoluetis. Si qua igitur in futurum ecclesiastica secularisue
persona hanc nostre constitutionis paginam sciens contra eam te-
mere uenire temptauerit, secundo tertioue commonita, nisi presum-
tionem suam congrua satisf actione correxerit, potestatis honoris que
8ui dignitate careat reamque se diuino iudicio existere de perpe-
trata iniquitate cognoscat atque a sacratissimo corpore ac sanguine
Dei et domini redemptoris nostri lesu Christi aliena fiat atque in
extremo examine diuine ultioni subiaceat. Cunctis autem eidem
loco sua iura seruantibus sit pax domini nostri lesu Christi, qua-
tinus et hie fructum bone actionis percipiant et apud districtum
iudicem premia eteme pacis inueniant. Amen, Amen. Amen.
a) sed fehlt.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 287
R. Ego Clemens catholice ecclesie episcopus ss.^^
f Ego Theobaldus Hostiensis et Velletrensis episcopus ss. ^>
f Ego Laborans presb. card. sancte Marie^ Transtiberim tit. "^ Ca-
lixti ss. ^)
-j- Ego Melior presb. card. sanctorum lohannis et Pauli tit. Pa-
macbii ss. *^
f Ego lacinctus sancte Marie in Cosmidin diac. card. ss.
f Ego Gratianus sanctorum Cosme et Damiani diac. card. ss.
f Ego Octauianus sanctorum Sergii et Baccbi diac. card. ss.
f Ego Petrus sancti Nicholai in carcere Tulliano diac. card. ss.
f Ego ßadulfus sancti Georgii ad Velum^^ aureum diac.card. ss.
Datum Pisis per manum Moisis Lateranensis canonici uicem
agentis cancellarii, XIII kal. februarii, indictione VI, incarnationis
dominice anno MCLXXXVII, pontificatus uero domini Clementis
anno primo.
h) SS. fehlt. c) titulo. d) Vellura.
35.
Clemens III. bestätigt dem Bistum Arezzo unter dem Bischof
Amedeus nach dem Vorgange Paschais II. und Iladrians IV. die
Besitzungen und Bechte. (1188 März 21).
Kopie s. XIII in. Florenz Ar eh. di stato (Camaldoli s. XII
n. 8).
Die Kopie ist unvollständig. Von den Vorurhunden ist die Pa-
schals II. J-L. 6477 erhalten^ die Hadrians IV. aber verloren. Dieses
und ein ebenfalls verlorenes Privileg Celestins III. tviederholte Inno-
cenz IIL 1198 März 16. Die Datierung 1188 März 21 fand U.
Pasqui in einem Katalog von 1535. — Vgl. Itcdia pontificia III 156
n. 49.
Clemens episcopus seruus seruorum Dei. Venerabili fratri
Amedeo Aretino episcopo eiusque"^ successoribus *). In eminenti
apostolice sedis disponente Domino specula constituti etc. Eapropter,
uenerabilis in Christo frater Amadee episcope, rationabilibus tuis
postulationibus gratum impertimur consensum et Aretinam eccle-
siam, in qua beati martyris Donati sacrosanctum*^) corpus^) requie-
ä) suisque. b) zu ergänzen etwa canonice substituendis in perpetuum.
<j) sacrasanctum. d) corpus fehlt
288 P- Kehr,
scere creditnr, cui Deo auctore preesse dinosceris , ad exemplar
predecessorum nostrorum Pascalis pape secundi et Adriani pape IIII*)
sub beati Petri et nostra protectione suscipimus et apostolice sedis
priuilegio communimus. Statuentes , ut quascuinque possessiones,
quecmnque bona eadem ecclesia impresentiarum iuste-''^ et canonice
possidet aut in futurum concessione pontificum, largitione regum
seu aliis iustis modis prestante Domino poterit adipisei, firma tibi
tuisque successoribus et illibata permaneant. In quibus hec pro-
priis duximus exprimenda uocabulis: monasterium saneti Saluatoris
Camaldulensis , monasterium de Pratalia , monasterium de Rota,
monasterium Berardingorum^^, monasterium Siluemunde etc, et
omnes ecclesias, quas dicta monasteria possident*) in diocesi Are-
tina. In uniuersa igitur Aretini episcopatus parrochia episcopalis
officii debita exhibenda uobis et exigenda concedimus, ut in eccle-
siis seu monasteriis correctiones seu dispositiones iuxta*) mode-
ramen canonice sanetionis et regularis institutionis exhibeatis.
Prohibemus quoque, ne uUi fas sit intra diocesim Aretine ecclesie
ecclesiam seu Oratorium sine tuo uel successorum tuorum assensu
de nouo construere, saluis priuilegiis apostolice sedis. Decernimus*)
ergo, ut nulli omnino hominum liceat prefatam ecclesiam temere
perturbare uel eius'^ possessiones auferre uel ablatas retinere,
minuere seu quibuslibet uexationibus f atigare, salua in omnibus
sedis apostolice auctoritate.
e) HI. /■) iuste impresentiarum. g) Berendigorum. K) possedent.
i) iusta. Ti) decernibus. l) eas.
36.
Clemens III. nimmt die Kirclie von Sovana unter dem, Prior
Bainer in den apostolischen Schutz, bestätigt ihr die Besitzungen^
und verbietet dem Bischof von Sovana und seinen Nachfolgern, ohne
offenkundigen und triftigen Grund die Kirche und die Kleriker zu
exkommunizieren oder mit dem Interdikt zu belegen,
Lateran 1188 April 5,
Orig. Siena Ärchivio di stato (Riformagioni Balzana).
Vgl. Italia pontif. III 354 n. 2.
CLEMENS EPISCOPVS SERVVS SERVORVM DEL DILECTIS
FILIIS RANERIO PRIORI SOANENSIS ECCLESIE EIVSQVE FRA-
TRIBVS TAM PRESENTIBVS QVAM FVTVRIS CANONICE SVB-
STITVENDIS IN PERPETVVM. | Monet nos apostolice sedis, cui
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens IL 289
licet immeriti deseruimus, auctoritas, pro statu omnium ecclesiarum
pronida circmnspectione satagere et, ne malignorum rapinis uel mole-
stiis exponantur, apostolicum ipsis patrocinium impertiri. Eapropter, |
dilecti in Domino filii, uestris iustis postulationibus clementer annui-
mus et prefatam Soanensem ecclesiam, in qua diuino estis obsequio
mancipati, sub beati Petri et nostra protectione suscipimus et presentis
scripti priuüegio | communimus. Statuentes, ut quascumque possessi-
ones, quecumque bona eadem ecclesia in presentiarum iuste et cano-
nice possidet aut in futurum concessione pontificum, largitione regum
uel principum, oblatione fidelium seu aliis iustis | modis prestante
Domino poterit adipisci, firma uobis uestrisque successoribus et
illibata permaneant. In quibus hec propriis duximus eiq)rimenda
uocabulis: locum ipsum, in quo prefata ecclesia sita est, cum Om-
nibus pertinentiis suis, plebem Soanensem | cum omnibus pertinen-
tiis et redditibus suis tam in decünis quam in aliis, ecclesiam
sancte Christine, que est iuxta ciuitatem, molendina de Calesina,
molendinum Ariminis fluminis, uineam de Altaiola, et quicquid in
ciuitate uel extra habetis, plebem in Pitiliano sitam cum terris, |
uineis, decimis et redditibus omnibus et pertinentiis suis, et decimas
eiusdem castri, terras, quas dedit uobis Iffo pro anima sua, terras,
quas dedit uobis Gaidolfus in Baranello et Olliano, terras, quas
dedit uobis Gotifredus citra Calesinam fluuium, terras, | quas dedit
uobis Anseimus Rainerii, terras, quas dedit uobis Bonizo in Supano,
terras, quas dedit uobis Eurardus notarius, terram, quam dioce-
sani episcopi iuxta eandem ciuitatem uestre ecclesie concesserant,
ecclesiam sancti Martini in Coronzano cum omnibus pertinentiis |
et redditibus suis, ecclesiam sancti Georgii in Perticie sitam cum
omnibus pertinentiis suis, possessiones, quas Gezo pater lohannis
episcopi cum una domo in ciuitate dedit ecclesie uestre, duos
mansos in Ilci, uineam et terram in Piano Soanensi, ecclesiam
sancte Crucis de | Meleto cum omnibus pertinentiis et redditibus
suis, et quicquid habetis in plebeio de Corano, ecclesiam sancte
Crucis de Monte Ventozo ^) cum omnibus pertinentiis et redditibus
suis, arcem Tedulam cum ecclesia et omnibus pertinentiis et reddi-
tibus suis I tam iu decimis quam in aliis, ecclesiam sancte Crucis
de sancto Prognano cum omnibus pertinentiis et redditibus suis,
et quicquid habetis in eodem Castro, tertiam partem castri Montis
Marani, quicquid habetis in ecclesia sancti Laurentii | eiusdem
castri, et quicquid habetis in ecclesia sancti Blasii, ecclesiam sancte
Barbare cum omnibus, que in Castro et extra castrum habetis tam
1) Monte-Vitozzo, vgl. Eepetti Dizionario III 557.
290 ^- Ke^^'
in ecclesiis quam in omnibus aliis possessionibus et decimis et red-
ditibus suis, bospitale de balneo Su|anensi cum omnibus pertinen-
tiis suis, plebem de Monte Paonis cam capella et omnibus perti-
nentiis et redditibus suis et eiusdem castri decimas, decimas de
Vicerano, decimas de Monte Orzari, et quidquid habetis in plebe
et capella eiusdem castri | et in omnibus pertinentiis de curte
Montis Paonis, ecclesiam sancti Martini de Malliano cum omnibus
pertinentiis et redditibus suis, tres albergarias in ecclesia sancti
Saluatoris de Malliano cum omni iure, quod ibidem habetis, plebem
de Tricosto | cum capella et omnibus pertinentiis et redditibus suis
tarn in decimis quam in aliis et quicquid in Castro et extra habetis,
ecclesiam sancti Sixti in campo Albignano cum omnibus pertinen-
tiis suis, ecclesiam sancti Saluatoris de Massiliano cum omnibus |
pertinentiis et redditibus suis, ecclesiam sancti Andree de Manzi-
ano cum pertinentiis suis et ecclesiam sancti Angeli iuxta idem
castrum cum pertinentiis suis, et quicquid infra et extra castrum
habetis, plebem de Saturnia cum omnibus pertinentiis suis, mo-
lendi|num de balneo Suanensi , piscariam , quam habetis apnd
Orbetellum, molendinum in aqua predicti balnei, quod dedit uobis
Dosiuna de Monte Morilli et possessiones alias pro anima sua et
uiri sui et filiorum et parentum suorum in Soana, in Piano Soa-
nensi, in Monte Marano, | in Genesta et aliis locis, et quicquid
habetis in Piano Soanensi et in plebeio eiusdem Plani et in Atri-
ana, in Catabio, in ualle Pratali, in Camplano, in Contenzosa, in
Casale, in Bovecano, in ripa G-rondinaria, in Celasano, in Genesta
et in Scanzano | et in plebeio de Ballatori, et quicquid in aliis
locis habetis. Antiquas quoque et rationabiles consuetudines et
libertates, quas hactenus habuistis tarn in electione clericorum
quam in aliis, ratas habemus, easque perpetuis temporibus | illi-
batas permanere censemus. Interdicimus etiam , ut non liceat
Suanensi episcopo eiusque successoribus in uos uel ecclesias aut
clericos seu deuotos uestros excommunicationis, suspensionis aut
interdicti sententiam sine | manifesta et rationabili causa proferre.
Decernimus ergo, ut nulli omnino hominum liceat prefatam eccle-
siam temere perturbare aut eius possessiones auferre uel ablatas
retinere, | minuere seu quibuslibet uexationibus fatigare, sed omnia
integra illibataque seruentur , eorum, pro quorum gubematione
ac sustentatione concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua
sedis apostolice | auctoritate et diocesani episcopi canonica iustitia.
Si qua igitur in futurum ecclesiastica secularisue persona hanc
nostre constitutionis paginara sciens contra eam temere uenire
temptauerit, ] secundo tertioue commonita, nisi reatum suum con-
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens IL 291
grua satisfactione correxerit, potestatis honorisque sui careat digni-
tate reamque se diuino iudicio existere de perpetrata iniquitate
cognoscat et a sacratissi;ino corpore ac sanguine Dei et domini
redemptoris nostri lesu Christi aliena fiat atque in extremo exa-
mine districte ultioni siibiaceat. Cunetis autem eidem loco sna
iura seruantibus sit pax domini nostri lesu Christi, | quatinus et
hie fruetum bone actionis percipiant et apud districtum iudicem
premia eterne pacis inueniant. AMEN. AMEN. AMEN. |
E. Ego Clemens catholice ecclesie episcopus ss. BV.
f Ego Theobaldus Hostiensis et Yelletrensis episcopus ss.
[f] Ego lohannes presb. card. tit. sancti Marci ss.
[t] Ego Laborans presb. card. sancte Marie Transtiberim [tit.]"^
Calixti ss.
f Ego Albinus tit. sancte Crucis in Jerusalem presb. card. ss.
f Ego Melior presb. card. sanctorum lohannis et Pauli tit. Pa-
machii ss.
f Ego Petrus presb. card. tit. sancte Cecilie ss.
f Ego Petrus tit. sancti Clementis presb. card. ss.
t Ego Rodulfus tit. sancte Praxedis presb. card. ss.
f Ego Alexius tit. sancte Susanne presb. card. ss.
f Ego Petrus presb. card. tit. sancti Petri ad Vincula ss.
f Ego lacinctus diac. card. sancte Marie in Cosmydyn ss.
t Ego Gratianus sanctorum Cosme et Damiani diac. card. ss.
f Ego Oct(auianus) sanctorum Sergii et Bachi diac. card. ss.
f Ego Soffredus sancte Marie in Via lata diac. card. ss.
f Ego Bobo sancti Greorgii ad Velum aureum diac. card. ss.
f Ego lohannes Felix diac. card. sancti Eustachii iuxta
templum Agrippe ss.
t Ego lohannes sancti Theodori diac. card. ss.
f Ego Bernardus sancte Marie Nou^ diac. card. ss.
f Ego Grregorius sancte Marie in Aquiro diac. card. ss.
Dat. Lateran, per manum Moysi sancte Romane ecclesie sub-
diaconi uicem agentis cancellarii, non. aprilis, indictione sexta, in-
carnationis dominice anno M^.C^.LXXXVIII^, pontificatus uero do-
mini CLEMENTIS pape III anno primo.
B. dep.
a) Der Schreiber vergaß tit., setzte aber die Abkürzungszeichen darüber.
292 !*• Kehr,
87.
Clemens III. nimmt den Ärchipresbyter Emnanus von Civita
Castellana in den apostolischen Schutz und verleiht ihm das RecJU
an den apostolischen Stuhl zu appellieren.
• Lateran 1189 September 13.
Summarium a, 1759 feb. 1 mim. XIV: Restrictus facti et iuris
(de Ute inter capitulum Civitatis Castellanae et capitulum Hortae).
(Eomae typis Bernabo 1759),
Die üeberlieferung von Civita Castellana ist bekanntlich ganz zu
Grunde gegangen; vgl. Itdlia pontif. II 184 sq. Besser steht es mit
der Üeberlieferung des benachbarten Orte, mit dessen Diözese Civita
Castellana durch Eugen IV. 1437 vereinigt wurde, was zu einer
großen Fehde über die Präcedenz zwischen den Kapiteln der beiden
Katliedralkirchen Anlaß gab. Aus diesem Frozeß stammt die oben
angeführte Prozeßschrift von 1759, der wir die einzige ältere Papst-
urkunde für Civita Castellana verdanken. Unser Gönner Comm.
Giocondo Pasquinangeli hat das Original Clemens' III. an Ort und
Stelle vergeblich gesucht.
Clemens episcopus seruns semorum Dei. Dilecto filio Romano
archipresbytero Cinitatis Castellanae salutem et apostolicam bene-
dictionem. Sacrosancta Eomana ecclesia deuotos et humiles filios
ex assuetae pietatis officio propensius diligere consueuit et, ne
pranorum hominum molestiis agitentnr, eos tamqnam pia mater
protectionis suae mnnimine confouere. Qaapropter, dilecte in Do-
mino fili, deuotionem, quam erga beatum Petrum et nos ipsos ha-
bere dignosceris, attendentes, personam tuam cum omnibus bonis
tam ecclesiasticis quam mundanis, quae in praesentiarum rationa-
biliter possides aut in futurum iustis modis praestante Domino
poteris adipisci, sub beati Petri et nostra protectione suscipimus
et praesentis scripti") patrocinio communimus. Statuentes, ut, si in
aliquo te grauatum persenseris, libere tibi liceat sedem apostolicam
appellare. NuUi ergo etc. Si quis autem etc. Dat. Lateran, id.
sept. pontificatus nostri anno secundo.
a) praesentibus scriptis.
88.
Clemens III. nimmt da^s Kloster in Ripoli nach dem Vorgange
Paschais IL in den apostolischen Schutz, bestätigt die Regel des h.
Benedikt und die namentlich aufgeführten Besitzungen und Rechte.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 293
Orig. Florenz Arch. arcivescovile.
Die Kopie verdanJce ich Prof. Luigi SchiapareUi in Florenz, der
das Stück trotz seiner Irregularitäten als ein sicheres Original he-
zeichnet. Jedenfalls ist es ein unausgefertigt gebliebenes Stück, wie
wir solche mehrfach haben. Es fehlen sowohl die Unterschriften der
Kardinäle und die Datierung ivie die Bidle. Der Grund ist ziemlich
deutlich. 1188 ivar das Kloster S. Bartolomeo a Ripoli an Vallom-
brosa übergeben worden, während der Abt sich i7i Born ein nach dem
Vorgange Faschals IL die Benediktinerregel und damit die Unab-
hängigkeit bestätigendes Privileg zu holen versuchte. Dies blieb dann
aber unatis gefertigt. Später ivurde das Stück einer Durchkorrigier ung
unteru'orfen, wahrscheirdich um als Konzept für ein neues Privileg
zu dienen. Zu Bipoli vgl. Italia pontif. III 41 sq.
CLEMENS EPISCOPVS SERVVS SERVORVM DEI. DILECTIS
FILIIS ABBATI RIPVLENSIS MONASTERII QVOD SECVS FLO-
RENTIAM SITVM EST EIVSQVE ERATRIBVS TAM PRESENTIBVS
QVAM FVTVRIS REGVLAREM VITAM PROFESSIS IN PERPE-
TVVM. I Quotiens a nobis petitur quod relig[io]iii et honestati
conuenire dinoscitur, animo nos decet libenti concedere et peten-
titim desideriis effectam congruum impertiri. Eapropter«), dilecti
in Domino | filii, uestris iustis postulation[ibu]s clementer annuimus
et predietnm monasterium Ripulense, in quo diuino estis obsequio
mancipati, ad exemplar felicis recordationis PASCHALIS pape pre-
de|cessoris nostri^^ snb beati Petri et nostra protectione suscipi-
mus*^^ et presentis scripti priuilegio commnnimus. Inprimis si-
quidem statu entes, ut ordo monasticus, qui secundum Deum et
beati | Benedicti regulam in eodem monasterio noscitur institutus,
perpetuis ibidem temporibus inuiolabiliter obseruetur. Preterea
quascumque possessiones, quecumque bona idem monasterium in
presentiarum | iuste et canonice possidet aut in futurum concessione
pontificum, largitione regum uel principum, oblatione fidelium seu
aliis iustis modis prestante Domino poterit adipisci, firma uobis |
uestrisque successoribus et illibata permaneant. In quibus bec
propriis duximus exprimenda uocabulis : castrum Ripulense, in quo
a) Effepropter Or. ; p ist corr. aus c ; der Schreiher begann also mit Effec-
(tum), vergaß aber Effe in Ea zu corrigiren. b) ad exemplar — nostri ist
von der zweiten Hand durch Punktierung getilgt. c) dazu von der zweiten
Hand über der Zeile et ab omni inpetitione et requisitione diocesani episcopi cum
Omnibus ad eundem monasterium pertinentibus capeilis necnon [nenn] et cuntis
pertinentiis eximimus.
Kgl. Qea. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 2. 20
294 P- Kehr,
prefatum monasterium sitmn est cum omnibus pertinentiis | suis,
ius patronatus, quod habetis in ecclesia sancti Donati in Citille
et in ecclesia sancti Stephani de Vntignano, ecclesiam sancti Mar-
cellini cum omnibus pertinentiis suis, curtem de Grigoro, curtem
de Grello*'^, curtem de | Sala iuxta plebem sancte Marie de Anti-
nula cum pertinentiis earum, curtem*) de CoUina, que dicitur Lu-
zuli, cum Platano et Quintulo et cum omnibus earum pertinentiis*),
curtem de Vzano | cum ecclesia sancti Martini et omnibus perti-
nentiis suis, curtem de Clanti, curtem de Campi cum omnibus per-
tinentiis earum, curtem de Pagnano et terram de Sinea cum om-
nibus earum [ pertinentiis, curtem'^ de Monte Morello, curtem de
Somaria et de loco Faito cum omnibus pertinentiis earum-'^, curtem
de Tribio, curtem de Paterno cum omnibus earum pertinentiis,
possessionem | de Fiessa cum appenditiis suis''^. Et quecumque
iura et consuetudines rationabiles in ecclesia sancti Petri de Palco
a quadraginta annis hactenus habuistis, uobis nichilominus confir-
mamus. Liceat quoque uobis | clericos uel laicos e seculo fugientes
liberos et absolutes ad conuersionem recipere et eos absque con-
tradictione aliqua retinere. Sane decimationem de proprietatibus
et possessionibus | monasterii, sicut hactenus per Florentinum et
Fesulanum episcopos habuistis, etiam in posterum uos habere con-
cedimus. Cum autem generale interdictum terre fuerit , liceat
uobis I clausis ianuis, non pulsatis campanis, exclusis excommuni-
catis et interdictis, suppressa uoce diuina officia celebrare*). Se-
pulturam preterea ipsius monasterii liberam esse | concedimus. ut
eorum deuotioni et extreme uoluntati, qui se illic sepeliri delibe-
rauerint, nisi forte excommunicati uel interdicti sint, nullus ob-
sistat, salua tamen iustitia illarum ecclesiarum, | a quibus mortu-
orum Corpora assumuntur. Crisma quoque, oleum sanctum, conse-
crationes altarium seu basilicarum, ordinationes monachorum uel
clericorum, qui ad sacros fuerint ordines promouendi, liceat uobis |
a Florentino suscipere*) episcopo, siquidem catholicus fuerit et
gratiam atque communionem apostolice sedis habuerit et ea gratis
et absque prauitate aliqua uobis uoluerit exhibere; alioquüi liceat
uobis, quemcumque | malueritis, adire antistitem, qui nostra fultus
d) curtem de Gello von der zweiten Hand durchstrichen. e) ebenso curtem
— pertinentiis. f) ebenso curtem — pertinentiis earum. g) dazu von
der zweiten Hand über der Zeile et portum de Arno. h) hier fügte die zweite
Hand über der Zeile hinzu Libertates etiam et inmunitates antiquas et rationa-
biles consuetudines in uestro monasterio actenus obseruatas ratas habemus easque
perpetuis temporibus illibatas permanere sancimus. i) liceat — suscipere auf
Basur.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens IL 295
auctoritate quod postulatur impendat *). Obeunte uero te nunc
eiusdem loci abbate uel tuorum quolibet snccessorum, nuUus ibi
qualibet | subreptionis [a]st[utia] seu niolentia preponatur, nisi
quem fratres communi consensu uel fratrum pars consilii sanioris
secundam Bei timorem et beati Benedict! regulam prouiderint |
eligendum. Pa[ci quoque et trjanquillitati uestre paterna in po-
sterum sollicitudine prouidere uolentes, auctoritate apostolica pro-
hibemus , ne quis infra fines domorum uestrarum furtum rapi-
namue comjmittere, ignem [apponere], hominem capere uel inter-
ficere seu aliquam uiolentiam temere audeat exercere. Decernimus
ergo etc. Si qua igitur etc. Cunctis autem etc. AMEN. AMEN.
AMEN. 1
R. Ego Clemens catholice ecclesie episcopus ss. BV.
k) hier schaltet die zweite Hand ein Ad hec nulli episcopo fas sit in uos
excommunicationis uel interdicti sententiam promulgare, ut qui in filios speciales
Eomane sedis estis assumpti, nullius alterius iudicium temere subbeatis.
39.
Celestin III. nimmt nach dem Vor gange Gregors VII., Urbans II.,
Füschals IL, Innocenz^ IL, Alexanders III. das Kloster des h.
Michael in Passignano unter dem Alt Albert in den apostolischen
Schutz und bestätigt die namentlich aufgeführten Besitzungen , die
Wahl des Bischofs für die bischöflichen Leistungen, das Aufnahmerecht,
die freie Septdtur und das Wahlrecht.
Rom S. Peter 1191 Juli 26.
Kopie s. XIV Florenz Arch. di stato (Badia di Ripoli) [B] =
Chartular von Ripoli s. XVLLI ebenda (Conv. soppr. 224 cod. 211)
p. 205. — Cornelii Margarini Thesaurus historicus Vol. III f. 519
Rom Vat. Arch. Arm. LIV t. 3 aus dem verlorenen Registrum Vallis
Umbrosae f. 174, ehemals im Archiv von S. Prassede [M] = Kop.
s. XVII— XVIII im cod. Vat. lat. 7157 f 66. - (G. Nannini)
Bullarium Vallumbrosanum t. I s. XVIII f. 263 Pescia Collegio di
San Giuseppe; Genovini Liber bullarum a. 1704 f. 130 ebenda; Pri-
vilegia congregationis Vallumbrosanae s. XVIII f. 48 ebenda.
Ed. Nardi Bull. Vallumbr. p. 77. — Regg. Kaltenbrunner in
Wiener SB. XCIV 691 n. 10310a. Pflugk - Harttimg Iter p. 323
n. 924. J-L. 16732. — Bie Urkunde folgt wörtlich dem Privileg
Alexanders III. J-L. 14053 (ed. Gott. Nachr. 1904 S. 177 Nr. 24).
Vgl. Italia pontif. III 113 n. 42.
296 P- l^ehr,
Celestinus episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis Al-
berto abbati monasterii sancti IVIichaelis archangeli de Passiniano'*^
qnod est sitmn in loco, qui dicitnr Passinianus *^, eiusque fratribus
tarn presentibus quam futuris regulärem uitam professis in perpe-
tuum. Officii nostri nos admonet.
Ego Celestinus catholice ecclesie episcopus ss. BV.
f Ego Albinus Albanensis episcopus ss.
f Ego Octauianus Hostiensis et Velletrensis ''^ episcopus ss.
f Ego Johannes Penestrinus '^^ episcopus ss.
f Ego Pandulfus presb. card. basilice XII Apostolorum ss.
t Ego Petrus presb. card. sancti Petri ad Vincula tit. Eudoxie*^ ss.
f Ego lordanus'^ presb. card. sancte Pudentiane tit. Pastoris ss.
f Ego lohannes tit. sancti Clementis card., Tuscanensis episcopus ss.
t Ego Rufinus^^ tit. sancte Praxedis card., Ariminensis episcopus ss.
f Ego Romanus tit. sancte Anastasie presb. card. ss.
t Ego Gruido presb. card. sancte Marie Transtiberim*> tit. Ca-
listi*^ SS.
t Ego lohannes tit. sancti Stephani in Celio monte presb. card. ss.
f Ego Gregorius sancte Marie in Porticu diac. card. ss.
f Ego Grregorius sancte Marie in Aquiro diac. card. ss.
f Ego Grregorius sancti Greorgü ad Velum aureum diac.
card. SS.
t Ego Nicholaus*^ sancte Marie in Cosmidin'^ diac. card. ss.
f Ego Gregorius sancti Angeli diac. card. ss.
Dat. Rom. apud sanctum Petrum per manum Egidii sancti
Nicolai in carcere Tulliano diaconi cardinalis, VII kal. augusti"»),
indictione Villi, incarnationis dominice anno millesimo centesimo
nonagesimo primo"^ pontificatus uero domini Celestini pape III
anno primo.
a) Pasingano B. b) Passingnanum B. c) Valetren B. d) Praenesti-
nus M. e) Teudoxi^ M. f) Joannes M. g) Refinus B\ Rofinus M.
h) Trastiber B. i) tit. Calisti fehlt in M. k) Nicolaus M. l) Cos-
medin M. m) agusti B. n) MCCXI, der Rest fehlt in M.
40.
Celestin III. nimmt die Kirche S. Stefano in Prato nach dem
Vorgange Innocene' II. und Lucius' HL in den apostolischen Schutz
und bestätigt die namentlich aufgeführten Besitzungen, Zehvten und
Hechte. Rom S. Feter 1191 August 31.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 297
Kopie im Ms. Concessioni giurisdizionali dei smmni pontefici etc,
s. XIV ex. [B] und Kopie im Ms. Bolle e indidti pontificii; de-
creti vescovili s. XVI sq. [CJ, beide Prato Ar eh. capitolare.
Ed. Carlesi Origini di Prato p. 157 n. 17. — Reg. bei üghelli ^
III 335. — Die angezogenen Vorurhunden sind Innocenz' II. Pri-
vileg von 1133 Mai 21 J-L. 7618 und Lucius' III. Bidle von 1183
Februar 12 J-L. 14839. — Vgl. Italia pontif. III 141 n. 29.
Celestinus episcopus seruus seruorum Dei. Dilectis filiis . .
preposito ecclesie sancti Stephani de Prato eiusque fratribus tarn
presentibus quam futuris canonice substituendis in perpetuum.
Effectum iusta''^ postulantibus indulgere et uigor equitatis et
ordo exigit rationis, presertim cum petentium uoluntatem et pietas
adiuuat et ueritas non relinquit. Eapropter, dilecti in Domino
filii, uestris iustis postulationibus clementer annuimus et felicis
recordationis Innocentii et Lucii predecessorum nostrorum E-oma-
norum pontificum uestigiis inberentes, prefatam ecclesiam sancti
Stephani de Prato, in qua diuino mancipati estis obsequio, sub
beati Petri et nostra protectione suscipimus et presentis scripti
priuilegio communimus. Statuentes, ut quascumque possessiones,
quecumque bona eadem ecclesia in presentiarum iuste et canonice
possidet aut in futurum concessione pontificum, largitione regum
uel principum, oblatione fidelium seu aliis iustis modis prestante
Domino ^^ poterit adipisci, firma uobis uestrisque successoribus et
illibata permaneant. In quibus hec propriis duximus exprimenda
uocabulis : ecclesiam sancte Marie in Castello cum suis pertinen-
tiis, ecclesiam sancte Trinitatis cum suis pertinentiis, ecclesiam
sancti Petri in porta Fura ^^ cum suis pertinentiis, ecclesiam sancti
Yincentii, ecclesiam sancti lacobi , ecclesiam ^'^ sancti Tome cum
pertinentiis suis, ecclesiam sancti Marci cum suis pertinentiis ''^
ecclesiam sancti Saluatoris cum suis pertinentiis, ecclesiam sancte
Marie de Ribaldo cum suis pertinentiis, ecclesiam sancti Martini
cum suis pertinentiis, monasterium sancti Martini de Coiano cum
suis pertinentiis , ius quod habetis in monasterio sancti Fabiani,
ecclesiam sancti Bartholomei de Coiano cum suis pertinentiis, ec-
clesiam sancte Lucie cum pertinentiis suis, ecclesiam sancti Petri
de Figlino cum suis pertinentiis, ius quod habetis in ecclesia sancti
Michaelis *) de Cerreto, ius quod habetis in ecclesia sancti Petri de
a) iuxta BC. h) Deo C. c) in B korr. in Fuia oder Furia?
d) ecclesiam — pertinentiis fehlt in C. e) Michelis B; Micheliis C.
298 P- Kehr,
Insnla, ius quod habetis in ecclesia sancti Martini de Sorniana,
ins quod habetis in ecclesia de Fabbio-'^, ius quod habetis in eccle-
sia sancti lohannis de Pistoria. Presenti quoque priuilegio duxi-
mus statuendum, ut nulli parrochianos uestros ad officia dinina
recipere liceat , qnamdiu a uobis fuerint excommnnicationis nel
interdicti sententia condempnati. Statnimus insuper, ut in parro-
chia eiusdem ecclesie, uobis inuitis et contradicentibus, nulli om-
nino hominum liceat ecclesiam construere aut aliquam super hoc
iniuriam inrogare, saluis tarnen priuilegüs Romanorum pontificum.
Decimas itaque eorum, qui ad uestram ecclesiam iure parrochiali
pertinent, absque alicuius contradictione uobis haberdas concedimus.
Prohibemus etiam, ut nullus interdicti seu excommunicationis sen-
tentiam absque iusta^) et rationabili causa in uos uel ecclesiam
uestram audeat promulgare. Crisma uero, oleum sanctum, conse-
crationes altarium seu basilicarum, ordinationes clericorum, qui
ad sacros ordines fuerint promouendi, a diocesano suscipiatis epi-
scopo, siquidem catholicus fuerit et gratiam atque communionem
apostolice sedis habuerit et ea uobis gratis et absque prauitate
aliqua uoluerit exibere; alioquin catholicum, quem malueritis, ad-
eatis antistitem, qui nostra fretus auctoritate quod postulatur in-
dulgeat. Sepulturam preterea ipsius loci liberam esse decernimus,
ut eorum deuotioni et extreme uoluntati, qui parrochiani uestri
censentur et se illic sepelliri deliberauerint, nullus obsistat; quam
utique uobis et ecclesie uestre auctoritate apostolica confirmamus,
ita quidem quod, si ad aliquam religiosam ecclesiam elegerint se-
pelliri, canonica uobis in testamento portio reseruetur. Decernimus
ergo, ut nulli omnino hominum liceat prefatam ecclesiam temere
perturbare aut eins possessiones auferre uel ablatas retinere, min-
uere seu quibuslibet uexationibus fatigare, set omnia integre con-
seruentur*\ eorum, pro quorum gubernatione ac sustentatione con-
cessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua sedis apostolice auc-
toritate et diocesani episcopi canonica iustitia. Ad uestre autem
deuotionis inditium et percepte huius ab apostolica sede protectio-
nis uos unum aureum nobis nostrisque successoribus statuistis
annis singulis soluturos. Si qua igitur in futurum ecclesiastica
secularisue persona hanc nostre constitutionis paginam sciens con-
tra eam temere uenire tentauerit , secundo tertioue commonita,
nisi reatum suum condigna satisfactione correxerit, potestatis ho-
norisque sui dignitate careat reamque se diuino iudicio de perpe-
trata iniquitate cognoscat et a sacratissimo corpore ac sanguine
f) Fabio C. g) iuxta BC. h) reseruentur BC.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 299
Dei ac domini redemptoris nostri lesu Christi aliena fiat atque in
extremo examine districte ultioni subiaceat. Cunctis autem eidem
loco sua iura seruantibus sit pax domini nostri lesu Christi, qua-
tinus et hie fructum bone actionis percipiant et apud districtum
iudicem premia eterne pacis inueniant. Amen. Amen. Amen.
R. Ego Celestinus catholice ecclesie episcopus ss. BV.
f Ego Albinus Albanensis episcopus ss.
t Ego Octauianus Hostiensis et Velletrensis episcopus ss.
f Ego Johannes Prenestinus episcopus ss.
f Ego Petrus Portuensis et sancte ßuffine episcopus ss,
f Ego Johannes Felix presb. card. tit. sancte *) Susanne ss.
f Ego Romanus tit. sancte Anastasie presb. card. ss.
f Ego Guido presb. card. sancte Marie Transtiberim *) tit. Ca-
lixti SS.
f Ego Hugo presb. card. sancti Martini tit. Equitii ss.
f Ego Cinthius tit. sancti Laurentii in Lucina presb. card. ss.
f Ego Grherardus sancti Adriani diac. card. ss.
f Ego Grregorius sancte Marie in Porticu diac. card. ss.
f Ego Grregorius sancte Marie in Aquiro^^ diac. card. ss.
f Ego Gregorius sancti Georgii ad Velum aureum diac.
card. ss.
f Ego Lotarius sanctorum Sergii et Bachi diac. card. ss.
f Ego Nicolaus sancte Marie in Cosmydyn diac. card. ss.
f Ego Gregorius diac. xiard. sancti Angeli ss.
Dat. Rome apud sanctum Petrum per manum Egidü sancti
Nicolai in carcere Tulliano diac. card., 11 kal. septembris, indictione
nona, incamationis dominice anno M^.C^.XC^.I^, pontificatus uero
domni Celestini pape III anno primo.
i) sancte fehlt in B. 1c) Trastibi B. l) Agurro B.
41.
Celestin 111. nimmt das Kloster S. Lorenso delV Ardenghesca
unter dem AU Stramho in den apostolischen Schutz und bestätigt ihm
die Besitzungen und Rechte. Lateran 1194 April 17.
Orig. Siena Arch. di stato (S. Maria degli Angeli).
J-L. 17086 nach Wiener SB. XCIV 698 n. 10461a. Vgl. Italia
pontif. III 267 n. 7,
300 P- Kehr,
CELESTINVS EPISCOPVS SERVVS SERVORVM DEI. DI-
LECTIS FILIIS STKAMBO ABBATI MONASTERII SANCTI LAV-
RENTII IVXTA FLVVIVM QVOD«) ANSO DICITVR SITVM EIVSQVE
FRATRIBVS TAM PRESENTIBVS QVAM FVTVRIS REGVLAREM
VITAM PROFESSIS IN PERPETVVM. | Quotiens ülud a nobis
petitur, quod rationi et honestati conuenire uidetur, animo nos
decet libenti concedere et petentium desideriis congruum impertiri
suffragium. Eapropter, dilecti in Domino filii, uestris | iustis
postulationibus dementer annuimus et predecessorum nostrorum
felicis memorie EVGENII, ADRIANI, ALEXANDRI et LVCII Eoma-
norum pontificum uestigiis inherentes, prefatum monasterium, in
quo diuino | mancipati estis obsequio, quod specialiter beati Petri
iuris existit, sub eiusdem beati Petri et nostra protectione susci-
pimus et presentis scripti priuilegio communimus. Inprimis siqui-
dem statuentes, ut | ordo monasticus, qui secundum Deum et beati
Benedicti regulam in eodem monasterio institutus esse dinoscitur,
perpetuis ibidem temporibus inuiolabiliter obseruetur. Preterea
quascumque possessio|nes, quecumque bona idem monasterium in
presentiarum iuste et canonice possidet aut in futurum concessione
pontificum, largitione regum uel principum, oblatione fidelium seu
aliis iustis modis pre| staute Domino poterit adipisci, firma uobis
uestrisque successoribus et illibata permaneant. In quibus bec
propriis duximus exprimenda uocabulis : ecclesiam sancte Trinitatis
de Orgia et hospitalem domum | eiusdem loci cum omni iure suo^
ecclesiam de Monte Sitii cum omni iure suo, et ins, quod habetis
in ecclesia de Stilliano, ecclesiam de Modani cum omni iure suo,
castrum de Ciuitella cum suis appenditiis et cum tri|bus ecclesiis
in ipso constructis, ecclesiam uidelicet sancti Sebastiani infra
castrum positam cum omni iure suo, plebem sancte Marie de Monte,
quam uenerabilis frater noster Bonus Senensis episcopus uobis
concessit, sicut in | instrumento eiusdem episcopi continetur, eccle-
siam sancti Materni extra castrum sitam, duas portiones de castello
et curte Montis Viridis cum ecclesia ibidem posita, ecclesiam de
Signano et tres portiones ipsius uil|le, ecclesiam sancti Donati
cum omni iure suo, quicquid iuris habetis in ecclesia de Brenna
et in hiis, que^^ ad ipsam ecclesiam spectant, ecclesiam sancti
Bartholomei de Lampugnano cum ipsa uilla, castrum de Balagaio
cum 1 ecclesia ibidem posita, ecclesiam sancti Anastasii et ipsius
castri tertiam partem, ecclesiam de Litiano cum omni iure suo,
ecclesiam sancti Andree de Suuarella cum ipsa uilla, ecclesiam
a) sie. b) quicquid — hiis que auf Rasur.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens II. 301
sancti Laurentii et eiusdem castelli | duas partes, ius, quod habetis
in plebe Montis Godani cum medietate eiusdem castri, decimationem
omnem totius allodii, quam idem monasterium iuste et rationabi-
liter habet tarn in episcopatu Se|nensi quam in Vulterrano et Gros-
setano, uobis etiam concedimus et confirmamus. Sane ordinationes
monachorum uel clericorum, dedicationes ecclesiarum et conse-
crationes altarium a diocesano suscipietis episcopo, siqui|dem catho-
licus fuerit et gratiam atque communionem apostolice sedis habuerit
et ea gratis et absque prauitate aliqua uobis uoluerit exhibere;
alioquin liceat uobis, quemcumque malueritis, adire antistitem,
qui I nimirum nostra fretus auctoritate quod postulatur indulgeat.
Liceat quoque uobis clericos uel laicos e seculo fugientes liberos
et absolutes ad conuersionem recipere et in uestro monasterio abs-
que con|tradictione aliqua retinere. Prohibemus insuper, ut nulli
fratrum uestrorum post factam in loco uestro professionem fas sit
de claustro absque licentia abbatis sui, nisi obtentu artioris reli-
gionis, discejdere; discedeintem uero sine communium litterarum
uestrarum cautione nullus audeat retinere. Sepulturam quoque
ipsius loci liberam esse concedimus, ut eorum deuotioni et extreme
uoluntati, qui se illic se|peliri deliberauerint , nisi forte excom-
municati uel interdicti sint, nullus obsistat, salua tarnen iustitia
illarum ecclesiarum, a quibus mortuorum corpora assumuntur. Ad
hec presenti pagina inbibemus, ut | nullus infra parrocbias ecclesi-
arum uestrarum ecclesiam uel Oratorium eine uestro et diocesani
(piscopi assensu de nouo hedificare presumat, saluis priuilegiis
Romanorum pontificum. Obeunte uero te, nunc eiusdem | loci ab-
bate uel tuorum quolibet successorum, nullus ibi qualibet subrepti-
onis astutia seu uiolentia preponatur, nisi quem fratres communi
consensu uel fratrum pars consilii sanioris secundum Dei timorem
et beati Bene|dicti regulam prouiderint eligendum. Prohibemus
autem, ut nullus episcoporum illicitas exactiones eidem monasterio
de ecclesiis pertinentibus ad ipsum imponat uel noua et indebita
grauamina ei uel ecclesiis suis | audeat irrogare. Decernimus ergo,
ut nulli omnino hominum liceat prefatum monasterium temere
perturbare aut eins possessiones auferre uel ablatas retinere,
minuere seu quibuslibet uexationibus fatigajre, sed omnia integra
conseruentur, eorum, pro quorum gubernatione ac sustentatione
concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salua sedis apostolice
auctoritate et in supradictis ecclesiis diocesanorum episcoporum
canonica | iustitia. Ad indicium autem percepte huius a sede aposto-
lica libertatis duos solidos Lucenses nobis nostrisque successoribus
annis singulis persoluetis. Si qua igitur in futurum ecclesiastica
Kgl, Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Kl. 1903. Heft 2. 21
302 P- Kehr,
seculariöTie persona haue | nostre constitutionis paginam sciens
contra eam temere uenire temptauerit, secundo tertione commonita,
nisi reatum sunm congrua satisfactione correxerit, potestatis hono-
risque sui dignitate careat reamque | se diuino iudicio existere de
perpetrata iniquitate cognoscat et a sacratissimo corpore et sanguine
Dei et domini redemptoris nostri lesu Christi aliena fiat atque in
extremo examine districte ultioni subiaceat. | Cunctis antem eidem
loco sua iura seruantibus sit pax domini nostri lesu Christi, qua-
tinus et hie fructum bone actionis percipiant et apud districtum
iudicem premia eterne pacis inueniant. AMEN. AMEN. AMEN. |
R. Ego Celestinus catholice ecclesie episcopus ss. BV.
f Ego Albinus Albanensis episcopus ss.
• f Ego Octauianus Hostiensis et Velletrensis episcopus ss.
f Ego Johannes Prenes tinus episcopus ss.
f Ego Petrus Portuensis et sancte Rufine episcopus ss.
f Ego Pandulfus basilice XII Apostolorum presb. card. ss.
f Ego Petrus tit. sancte Cecilie presb. card. ss.
f Ego Johannes tit. sancti Clementis card., Viterbiensis et Tusca-
nensis episcopus ss.
f Ego Hugo sancti Martini tit. Equitii presb. card. ss.
f Ego Johannes tit. sancti Stephani in Celio monte presb.
card. SS.
f Ego Soffredus tit. sancte Praxedis presb. card. ss.
t Ego Bemardus sancti Petri ad Vincula presb. card. tit. En-
doxie SS.
f Ego Johannes tit. sancte Prisce presb. card. ss.
f Ego Grratianus sanctorum Cosme et Damiani diac. card. ss.
f Ego Grregorius sancte Marie in Porticu diac. card. ss.
f Ego Gregorius sancti G-eorgii ad Velum aureum diac.
card. SS.
f Ego Lotarius sanctorum Sergii et Bachi diac. card. ss.
f Ego Bobo sancti Theodori diac. card. ss.
t Ego Petrus sancte Marie in Via lata diac. card. ss.
f Ego Cencins sancte Lucie in Orthea diac. card. ss.
Dat. Lateran, per manum Egidii sancti Nicolai in carcere
Tulliano diac. card., XV kal. maii, indictione duodecima, incar-
nationis dominice anno M^.C^.XC^.IJIJ^, pontificatus uero domni
CELE8TINI pape JII anno quarto.
B. dep.
Nachträge zu den Papsturkunden Italiens IL 303
43.
Celestin III. überträgt dem Bischof von Florenz die zwiscJien
dem Bischof von Arezzo und den Hospitalitern von Ponte Volle
schwebende Streitfrage. Lateran 1195 April 27.
Kopie von 1197 Februar 17 Arezzo Arch. capitolare (n. 467).
J-L. 17 225 nach dem Zitat von Kaltenbrunner in Wiener SB.
XCIV694 n. 10528a. — Zur Sache vgl. auch J-L. 17312 und Italia
pontif III 157 n. 53 und III 167 n. 4.
Celestinus"^ episcopus seruus seniorum Dei. Venerabili fratri
Florentino episcopo salntem et apostolicam benedictionem. Vene-
rabilis frater noster Aretinus episcopus transmissa nobis queri-
monia demonstranit, qnod olim Fesulanus ^^ episcopus ad presentiam
nostram accedens, litteras a nobis ueritate tacita nomine bospitalis
de Ponte Vallis in suum graue preiudicium inpetrauit, ut uidelicet
ipsis bospitalariis fabricandi ecclesiam in proprio fundo facultatem
liberam preberemus et tarn hospitale quam ipsam ecclesiam sub
speciali protectione Romane ecclesie, duos solides Luccane monete
ad indicium libertatis percepte nobis et Romane ecclesie annis
singulis persoluendo, recipere ^eberemus. Verum quia ex eo non
credebamus, quod Aretina ecclesia sui iuris dispendium sustineret,
intellecto postmodum per iam dictum episcopum, quod idem hospi-
tale a prima sui fundatione in diocesi sit Aretina constructum et
ei diocesana*') lege subiectum et ecclesiam habet antiquam, a qua
consueuerunt habitatores illius ecclesiastica recipere sacramenta,
cognoscentes nos, si que dicnntur uera sunt, circumuentos '^^ uene-
rabili fratri nostro Castellano episcopo causam ipsam duximus*^
committendam. Sed idem episcopus, sicut ex litteris eins accepimus,
circa plurima occupatus, causae decisioni non potuit intendere
memorate. Inde est quod fraternitati tue per apostolica scripta
precipiendo mandamus, quatinus inquiras de propositis sollicite
ueritatem et, si tibi de assertione pre[f]ati episcopi-^ Aretini suffi-
cienter constiterit, non obstante quod per huiusmodi circumuenti-
onem auctoritate illarum litterarum circa constructionem noui ora-
torii et hospitalis exemptionem factam^) cognoueris, hospitalarios
illos episcopo Aretino et ecclesie baptismali *), sicut ab antiquo,
subiacere decemas et sibi ut hactenus debere in spiritualibus et
temporalibus respondere. Nichilominus quicquid in iuris preiudi-
cium eiusdem Aretini episcopi circa ipsum Oratorium attemptatum
a) Celestinus seruus, b) Fesolanus. c) diocesiana. d) cir-
cumuentus. e) diximus. f) episcopi fehlt. g) factum. h) batismali.
304 P- Kehr, Nachträge zu den Papsturkunden Italiens n.
reppereris, auctoritate apostolica sine appellationis obstaculo non
differas vacuare et facias qnod super his auctoritate nostra sta-
tueris, per censuram ecclesiasticam inuiolabiliter obseruari, nullis
litteris obstantibus harum mentione non habita a sede apostolica
impetratis.
Dat. Lateran. V kal. maii pontificatus nostri anno quinto.
48.
Celesün III. bestätigt das Abkommen in der Streitsache ^ivischen
dein Abt Martin von Vallmnbrosa und dem Abt Bonitius von S. Be-
nedetto in Piacenza über das Kloster des h. Jacobus in Turin,
Lateran 1196 Januar 13.
Cornelii Margarini Tliesaurus historicus Vol. III f. 564 Renn
Vat. Ar eh. Arm. LIV t. 3 aus dem verlorenen Begistrum ValUs Unv-
h'osa£ f. 200 j ehemals im Archiv von S. Prassede in Born.
Bas BesJcript steht auch in den Manushripten von Nannini, Ge-
novini und Nardi und ist gedruckt von F. Nardi im Bull. Vallumbr,
1). 82. Vgl. Italia pontif. III 96 n. 37.
Celestinus episcopus seruus seruorum Dei. Dilecto filio Mar-
tino abbati Vallis umbrosae salutem et apostolicam benedictionem.
Frustra imponeretur litibus finis et emergentium negociorum iurgia
sopirentur, si qu^ bene decisa sunt negocia et iudicio uel concordia
proinde terminata, alicui de facili reuocare liceret et questionum
decisiones rationabiles irritare. Peruenit siquidem ad audientiam
nostram, quod, cum inter te nomine Yallisumbrosani monasterii
et dilectum filium B. abbatem sancti Benedicti de Placentia super
monasterio de Taurino questio uerteretur; et fuit per dilectos filios
magistrum Gualzonem canonicum ecclesi^ Cremonensis et magistrum
Aliotbum de uoluntate partium compositione amicabili terminata
et ad petitionem dicti abbatis de Placentia sedis apostolicae literis
communita. Verum quoniam super eadem compositione literas
confirmatorias, sicut dicto abbati sancti Benedicti concessQ sunt,
tibi postulas assignari, ipsam, sicut sine prauitate qualibet facta
est et ab utraque parte recepta, auctoritate presentium confir-
mamus et presentis scripti patrocinio communimus. Nulli ergo
hominum liceat hanc paginam nostrQ confirmationis infringere uel
ei ausu temerario contraire. Si quis autem hoc attentare pr^-
sumpserit, indignationem omnipotentis Dei et beatorum Petri et
Pauli apostolorum eins se nouerit incursurum.
Dat. Laterani idus ianuarii pontificatus nostri anno quinto.
Zur Geschichte des Athanasius
VII
Vop
E. Schwartz
Mit einer Tafel
Vorgelegt in der Sitzung vom 30. Mai 1908
Im Winter 1904/5 habe ich in diesen Nachrichten eine Reihe
von Mitteilungen veröfFentlicht , in denen ich mich bemühte das
Fundament für die Greschichte der kirchlichen und kirchenpoli-
tischen Streitigkeiten des 4. Jahrhunderts neu zu legen und die
Ueberlieferungsgeschichte der zahlreichen und ausgiebigen Urkunden
aufzuhellen, welche jene Geschichte zu einem historischen Object
von einzigem Reiz machen. Trotz den Schwierigkeiten die das
mangelhaft veröffentlichte, einer philologischen Behandlung noch
nicht unterzogene Material bereitete und obgleich mir die Zeit
fehlte zu reisen und die Hss. persönlich zu durchforschen, hoben
sich die Reste der litterarischen Polemik, denen der größte Teil
jener Urkunden die Erhaltung verdankt, und die ungemeine Wich-
tigkeit der großen und alten Sammlung der Concilskanones deut-
lich heraus. So ließ sich wenigstens ein Arbeitsprogramm für
den oder besser die Forscher entwerfen , denen die bis zum
Ueberdruß discutierten dogmengeschichtlichen Speculationen nichts
sagen und die danach verlangen unmittelbar aus den Documenten
die Mächte kennen zu lernen, die in der lebendigen Greschichte
ihr Spiel getrieben haben und durch die ja auch die dogma-
tischen Formulierungen viel mehr als durch die dialektische
Entwicklung der Ideen — wenn man hier von Ideen reden will
— bestimmt sind. Daß ich mit der historischen Ausdeutung der
Urkunden, deren Ueberlieferung ich untersuchte, hier und da
Kgl. Ges. d. Wiss. Kachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 3. 22
306 E. Schwartz
schon begann, war durch die philologische Pflicht das zu verstehen,
was man liest, begründet. Nachdem ich in dem zuletzt erschienenen
Stück [VI, Nachr. 1905] die Documente des arianischen Streits bis
zum nicaeni sehen Concil zusammengestellt hatte, mußte ich ab-
brechen, teils um anderer Arbeiten willen, besonders aber weil der
Kampf mit dem Mangel an kritisch brauchbaren Texten aussichtslos
wurde. Ohne eine neue Ausgabe des Gelasius, die es ermöglicht
die Briefe xmd Edicte Constantins zu interpretieren, ohne einen
sicheren Text der originalen lateinischen Kanones des oecidenta-
lischen Concils von Sardica, ohne eine Vergleichung der Theodo-
rethss. wenigstens für die durch ihn erhaltenen Urkunden war in
das Grestrüpp nicht einzudringen, das die Geschichte der nach-
nicaenischen Kirchenpolitik Constantins und seiner Söhne über-
wuchert, dank der modernen Nachlässigkeit und Indolenz, die Athana-
sius Pamphlete für lautere Wahrheit nimmt und des naiven Glaubens
lebt daß die Distinctionen der Photinianer, Homoeer, Semiarianer,
Macedonianer, Eunomianer usw. usw. in dieser Zeit der einzige
Gegenstand sei, der den Schweiß der Edlen verdiene. So habe
ich mich entschließen müssen abzuwarten bis Loeschcke seine Aus-
gabe des Gelasius vollendet und ich mir die nöthigen Collationen
und Photographien zum Theodoret verschafft habe; durch Turners
liebenswürdiges Entgegenkommen sind mir die Kanones von Sardica
vor Kurzem zugänglich geworden: die Hoffnung daß die Ueber-
lieferung der s. g. Fragmenta historica des Hilarius aufgeklärt
wird, ist zu gering, als daß es sich lohnte die Fortsetzung der
Arbeit von dem Erscheinen der Wiener Ausgabe abhängig zu
machen. Nur um den Artikel Eusebius in der Pauly-Wissowaschen
Encyklopaedie fertig zu stellen, nahm ich, so gut es gieng, die
Arbeit wieder auf und versuchte ein Bild der Kirchenpolitik Con-
stantins zu zeichnen, das nicht anders als skizzenhaft ausfallen
konnte. Wenn ich jetzt die unterbrochene Heihe der Mitteilungen
fortsetze, so bin ich dazu gezwungen durch einen Angriff der die
Methode und die Problemstellung schwer bedroht, ohne die m. E.
auf diesem Gebiet nicht vorwärts zu kommen ist, und der anderer-
seits so sehr darauf verzichtet neues Material ins Feld zu führen,
daß er sofort abgeschlagen werden kann. Wenn nicht ein autori-
tativer Name hinter ihm stände und es auf diesem Gebiet mehr
urteilsfähige, historisch und philologisch geschulte Arbeiter gäbe,
würde ich eine Antwort für überflüssig gehalten und dem sach-
kundigen Publicum das Urteil über den von mir nicht provocierten
Angriff überlassen haben; wie nun einmal die Dinge liegen, muß
zur Geschichte des Athanasius VII 307
icli das Meinige tun um den Fortschritt der wissenschaftliclien
Arbeit zu sichern.
Der Gregenstand des Streites ist das nur in syrischer Ueber-
setzung erhaltene Schreiben einer Synode von Antiochien an Alex-
ander von Constantinopel, das ich in der VI. Mitteilung zur Ge-
schichte des Athanasius [Nachr. 1905, 271 ff.] veröffentlicht habe.
Am Eingang sind die Namen von 56 Bischöfen als Absender ge-
nannt; an der Spitze steht ein Eusebius, der weder Eusebius von
Caesarea noch Eusebius von Nikomedien sein kann ; meiner dort
geäußerten Vermutung nach ist Eusebius von Isaura gemeint, der
auch in Nicaea anwesend war. Wie es sich für ein Synodal-
schreiben gehört, reden in der Regel die Bischöfe als Gesammtheit
in der ersten Person des Plurals, nur in dem kurzen Passus am
Anfang, in dem erzählt wird wie die Synode zusammenkam, tritt
ein *Ich' auf, aller Wahrscheinlichkeit nach jener Eusebius, der an
der Spitze der Namenreihe aufgeführt ist. Er berichtet nach
Antiochien gekommen zu sein und dort eine arge Unordnung ge-
funden zu haben ; um dieser zu steuern habe er Bischöfe der Nach-
barprovinzen Palaestina, Arabien, Phoenicien, Coelesyrien, Kilikien,
Kappadokien veranlaßt dorthin zu einer Synode zu kommen. Da
von dem Bischof von Antiochien, der rechtmäßiger Weise eine
solche Synode hätte berufen müssen, mit keinem Worte die Rede
ist, der berufende Bischof vielmehr ein Fremder gewesen sein muß,
der aus eigenem Antrieb die Synode zusammenbrachte, so bleibt
nur die Annahme übrig, daß der antiochenische Stuhl damals va-
cant war.
Das 'Ich' redet nur so lange bis die Synode zusammengetreten
ist, von da an geht die Verantwortung von dem Einzelnen auf die
Synode selbst über. Sie stellt fest daß sie eine arge Vernach-
lässigung des kirchlichen 'Gesetzes' und der Kanones in der an-
tiochenischen Gemeinde vorgefunden hat, weil in diesen 'Gegenden'
keine Synoden der Bischöfe haben abgehalten werden können. Mit
anderen Worten: die Kirche hatte sich in Antiochien noch nicht
wieder reorganisiert, nachdem sie durch eine heidnische Verfolgung
in Unordnung geraten war, und es war, bis die Synode berufen
wurde, nicht möglich gewesen die Bestimmungen der Kirchenzucht,
die besonders eingeschärft werden mußten, von neuem zusammen-
zustellen. Die Kanones von Ankyra und Neocaesarea, ja auch die
nicaenischen führen ja unmittelbar in die Reorganisationsarbeit
hinein, die die Bischöfe nach der Verfolgung Maximins und den
Chicanen des Licinius in Angriff nahmen. Bei diesen letzten An-
griffen der Kaiser gegen die Kirche war eben das Wichtigste, das
22*
308 ^- Schwartz
freilich über dem blutigen Glanz der Martyrien gewöhnlich über-
sehen wird, das Bestreben die Gemeinden führerlos zu machen und
zu desorganisieren; es war zunächst durchaus nicht erfolglos, schlug
aber nachher ins Gegenteil um, weil der Kampf vom Staat aufge-
geben wurde und die Kirche nach 315 oder gar 323 ihre Insti-
tutionen mit einer Freiheit ausbauen konnte, wie nie zuvor.
Nach dem Anfang des Schreibens, der zu den Verhältnissen
unmittelbar nach Licinius Sturz vortrefFKch paßt ^) , muß man
erwarten daß die plötzlich zusammengerufene Synode einige Ca-
pitel des Kirchenrechts, die in Antiochien besonders in Vergessen-
heit geraten waren, in Kanones formulieren wird. Das geschieht
zunächst nicht, sondern es wird als erster und wichtigster Gegen-
stand die Excommunication die der alexandrinische Bischof Alex-
ander über den Presbyter Arius und Genossen verhängt hat, auf
die Tagesordnung gesetzt ; daraus daß diese Geschäftsordnung aus-
drücklich motiviert und beschlossen wird, ist ersichtlich daß die
Symode nicht zur Beratung von Glaubens-, sondern von Disciplinar-
fragen einberufen war. Nach langer Debatte wird eine sxd-eöig
niörecog angenommen, die von theologisch und dialektisch geschulten
Männern aufgesetzt ist : sie ist eine, z. Th. wörtlich übereinstimmende
Erweiterung des Credos das Alexander von Alexandrien in seiner
Encyclika, in dem tö^og den er zur Unterschrift verschickt hatte,
und in dem Schreiben an Alexander von Constantinopel^) formuliert
hatte: wie in jenen, so fehlt das nicaenische Schlagwort öfioovöiog
auch hier vollständig, nicht einmal ovöia oder vTtoettteig kommen
vor. Alle 56 im Eingang genannten Bischöfe nehmen die sx^eötg
an; hingegen treten drei dagegen auf, Theodot von Laodikeia in
Syrien, Narciß von Neronias in Kilikien und endlich kein ge-
ringerer als der Kirchenhistoriker Euseb von Caesarea. Sie werden
überführt Ajianer zu sein; d. h. ihre Einwände werden von der
Synode als Beweis arianischer Denkweise angesehen ; sie selbst
haben sich zu den Formeln des Arius nicht bekannt, sonst würde
die Synode das ausdrücklich bemerkt, ihr Urteil auch nicht bedingt
ausgesprochen haben. Sie kündigt ihnen nämlich zwar die Gemein-
schaft auf und fordert auch Alexander auf keine iTtiCtokal xolvcjvlxccl
an sie zu richten oder von ihnen anzunehmen, hütet sich aber wohl
die Excommunication formell auszusprechen, sondern läßt den drei
1) Constantin im Brief an Alexander und Arius [Euseb. Vit. Const. 2, 66] :
rbv HOLvbv r^f ol-Kovfievris ix&gbv i^sXmv, og rccCg isgais vfiöäv avv6doi,g tijv Scd-e-
lutov iavrov yvAfiriv dcvrioxricev. Vgl. Vit. Const. 1, 51, 1.
2) Es sind Nr. 13—15 in der von mir Nachr. 1905, 265 ff. aufgestellten Liste.
zur Geschichte des Athanasius VII 309
Bischöfen die MÖgliclikeit auf einer 'großen' Synode in Ankyra,
die offenbar demnäclist zusammentreten soll, Buße zu tun.
Ich habe die Synode auf den Anfang des Jahres 325 gesetzt,
in die Zeit die der nicaenischen unmittelbar voraufgeht. Licinius
Verbot Synoden abzuhalten [s. o.] ist noch in frischer Erinnerung,
Der arianische Streit ist im vollen Gange, aber der nicaenische
Terminus 6^oov6Log ist noch nicht in das Credo aufgenommen. Daß
die Synode welche der Kaiser berufen hatte um den Streit zu
entscheiden, erst nach Ankyra geladen und dann im letzten Augen-
blick nach Nicaea umbestellt wurde, steht durch das Schreiben
Constantins fest, das in die Kanonessammlungen Aufnahme ge-
funden hat und von mir Nachr. 1905, 289 mitgeteilt ist. Endlich
muß grade in dieser Zeit der Stuhl von Antiochien vacant ge-
wesen sein. Denn in dem Exemplar seines to^og, das Alexander
an Melitius den Bischof von Sebastopolis in Pontus schickte, teilt
er am Schluß die zustimmende Unterschrift des antiochenischen
Bischofs Philogonius mit; in Nicaea unterschrieb als Inhaber des
Thronos Eustathius, der frühere Bischof von Beroea. Es muß
also Philogonius kurz vor dem nicaenischen Concil gestorben sein ;
da Chrysostomos [t. I p. 498*^] als officiell gefeierten Tag seines
Todes oder seiner depositio, was kaum einen Unterschied macht,
den 20. December angiebt, so ist der 20. December 324 der ter-
minus post quem für die Synode, als tenninus ante quem ergiebt
sich das Datum der nicaenischen Synode, der 19. Juni 325 pSTachr.
1904, 396 ff.] von selbst.
Es ist ein lebendiges, farbenreiches Bild das dieser Synodal-
bericht aufrollt. Von den polemischen Declamationen des Atha-
nasius, der grade vom nicaenischen Concil nichts Thatsächliches
erzählen will und nur dogmatische Entrüstung produciert, sticht
er durch die actuelle Unmittelbarkeit ab, und wenn er hierin mit
den Erlassen Alexanders, besonders mit dem Schreiben an den
Namensvetter in Constantinopel zusammentrifft, so ergänzt er ihn
in wertvoller Weise dadurch daß er zeigt wie in den östlichen
Provinzen der orientalischen Dioecese die Dinge lagen; vor allem
bietet er den Schlüssel zum Verständniß der Haltung die Euseb
von Caesarea in Nicaea einnahm. Aber man will sich nun einmal
nicht daran gewöhnen in dem arianischen Streit und der nicae-
nischen Entscheidung lediglich einen politischen Kampf um die
Macht zu sehen, bei dem der Kaiser die Hauptrolle spielt, und
unter dem Druck des einseitig dogmatischen und dogmengeschicht-
lichen Interesses ist den Kirchenhistorikem die Fähigkeit abhanden
gekommen durch aufmerksame Interpretation den Urkunden ge-
310 E. Schwartz
schichtliches Leben zu entlocken : man kommt aus dem altgewohnten
Jonglieren mit den Grlaubensformeln nicht heraus und die Vor-
stellungen von den kirchlichen Parteien conser vieren immer noch
die Schemata der Ketzerhistorie. So ist es nicht wunderbar daß
die kirchengeschichtliche Forschung an dem Fund, den sie bei
einiger Sorgfalt und Sprachkenntnis längst hätte machen können
und sollen, achtlos vorübergieng und von dem neugefundenen, um-
fangreichen Actenstück nicht weiter die Rede war. Jetzt aber
hat Hr. Harnack es für nötig gehalten das Stillschweigen zu
brechen. In einer Mitteilung der Berliner Akademie vom 14. Mai d. J.,
also von autoritativster Stelle aus, erklärt er die gesammte Ur-
kunde für eine Fälschung. Sie muß ihm einen höchst üblen Ein-
druck gemacht haben, denn er wird nicht müde die voll gefüllte
Schale seiner Verachtung über sie auszugießen. Gleich im i^nfang,
ehe er irgend einen Beweis vorgebracht hat, verkündet er in
triumphirendem Sperrdruck [S. 478] : das Stück ist eine grobe Fäl-
schung ohne jeden geschichtlichen Wert, und nachdem er mit tempe-
ramentvoller Rhetorik seine Beweise oder das was er dafür hält,
hat sprechen lassen, bildet ein zweiter Posaunenstoß, ebenfalls
gesperrt, einen eiFectvollen Abschluß [S. 483]: es ist das stümper-
liafte Machverk eines späten Fälschers, der, selbst geschichtlich ganz
unwissend , seinen Lesern alles bieten zu dürfen glaubte. Mir bleibt
diesem Lärm gegenüber nichts anderes übrig als an wissenschaft-
liche, für die Sensationen der Polemik nicht empfängliche Leser
zu appellieren, die sich durch Hrn. Harnack s Vernichtendes Urteil'
nicht abhalten lassen das Document gründlich zu studieren und
den beiden Angeklagten, nämlich dem der die Fälschung begangen
haben soll, und mir der sie in Curs gesetzt hat, ein unparteiisches
Gehör zu schenken. Von einem Neudruck der Urkunde selbst
sehe ich um so mehr ab, als sie in der von Prof. Schultheß ver-
anstalteten und in wenigen Wochen erscheinenden Ausgabe der
syrischen Kanonessammlungen ohnehin zum zweiten Male publi-
eiert werden wird.
Wer ein Document als gefälscht nachweisen will, hat zunächst
die Ueberlieferung zu untersuchen; Hr. Harnack beschränkt sich
auf die wegwerfende Bemerkung [S. 489]: nur in einer syrischen
Handschrift versteckt ist sie (die Fälschung) auf uns gekommen. Da
er unmittelbar vorher gesagt hat daß andere fraudes Syrorum mehr
Erfolg als diese gehabt haben, scheint er den Fälscher für einen
Syrer zu halten, aber doch wohl für einen der griechisch, nicht
syrisch schrieb: wenigstens citiert er stets nur meine griechische
zur Geschichte des Athanasius VII 311
TJebersetziing ^) , nie den syrischen Text. Um hier keine Unklar-
heit zu lassen, stelle ich. zunächst ausdrücklich fest daß das Synodal-
schreiben mit allem was daran hängt, aus dem Griechiscken über-
setzt ist. Das beweisen, von dem ganzen tenor der Sprache und
des Satzbaus abgesehen, so unsemitische Wendungen wie ^äC^
Ji,AOÖ*,^^>, jLojiyojJ^ woij o6» = sig Ti]v 'Avxio%8cov^ 6 xi]g AkoÖlkscov
oder das häufige K-^ = ts: am Anfang der kritiscben Bemerkung
über das Fehlen von o^oovöLog im S3modalschreiben [279, 8] steht
J^^ *l ^j jijj , deutlich = ^rjtriTEov ds. Nach der sxd^sötg Ttiörscog
wird fortgefahren [*277, 10] : : h\\\ » colli ^^i-o (lcn\n>ot "^^w^o» Jjo»
^yiN> iJ^o*-D iUDOjQJaflD oC^^o. Äoa^fiolU J^^t^ bedeutet wört-
lich 'sie wurde vorher gesetzt', kann aber nur heißen 'sie wurde
vorgelegt': beide Bedeutungen vereinigen sich in TtQoersd-r}-). Da-
nach ist derselbe Ausdruck auch in der Parallelstelle 275, 10 zu
verstehn , während 278, 4 rä ngoKSifisva mit ^aäoH! jo^j ^:^ot
wiedergegeben ist.
Die Urkunde stammt aus dem Rechtsbuche das in dem be-
rühmten Cod. Parisin. 62 aus dem 9. Jahrb. zusammengestellt ist.
Ueber die Bestandteile der Hs. ausführlich zu handeln ist noch
nicht an der Zeit: dazu sind die Quellen des griechischen wie des
von diesem abhängigen syrischen Kirchenrechts noch zu wenig
durchforscht. Man hat sich eben immer nur um die dogmatischen
1) Wobei es nicht ohne Mißverständnisse abgeht, an denen mein Griechisch
trotz seiner Unvollkomraenheit unschuldig ist. In dem Schreiben heißt es [p. 274, 6] :
)*jJLa ioDQÄj .^«JüDo jooj .'^««■iY» )l)*,waD::ij -ö) '^ä Mv-^-» •^^*>s?° JI^No*^ ^u«*^«,)
iooj lA:i^X)j ^6^ :o^ ^\:i |oo) wD^jljdo : ^^xi^ftODj yJÜj) ^ |M.;oz>j iop> :)jQji50
^o< JloVJLjj J&.*:iö*iä |5>or>or>.2)j? ^ojqjqqd .«.yMi?. Ich übersetze die Stelle so:
svQO(isv 7ioXXr\v atcc^iav jw-aAtcr-ö"' ort iv TtoXXoig kniXntBv [vgl. Basü. ep. 54 p. 148^
kmXsXoCitaöiv Xomov ot xcbv TtarsQcov -nccvdvsg^ yial -nurscpQOvrjd'ri 6 E-K-uXriaLa-
üTiKOS v6i).os v-cu Ol yiccvovsg iv tau ^sta^v xqÖvchi v% ccv&QoiTtcüv (oder
ivLcov) yioa^LTicbv yial Ttccvtag yiaxaniTtccvrai , diori v,Ev.mXvxo STtioyiOTtcov 6v-
vodov avvax^fjvca iv tols tcav (isq&v tovtcov roTCoig. Daraus liest Hr. Harnack
[S. 481] den Unsinn heraus , daß die traurigen Zustände in Antiochien durch
das Verbot der Weltleute (Welth er r scher) , eine Synode abzuhalten,
hervorgerufen seien, indem er ^20\:^^x>; y^jü) ;d in den folgenden Satz mit j w.6^
zieht, der durch einen mit o eingeleiteten Hauptsatz deutlich abgetrennt ist, und
unter avdgsg 'Koain'noL Weltherrscher versteht. Das ist um so lustiger, als er
mir viel eher hätte vorwerfen können daß die Ableitung des seltenen Particips
^xN\i^ von Jxä^i. nicht sicher ist ; das Ethpaal der Wurzel )cl!o^ heißt gewöhnlich
äii(id^sLv, rjßäv und unmöglich ist es nicht , daß im griechischen Text etwas wie
^jr' ivLOJV vsaTsgiarcöv dastand.
2) In ähnlicher Weise ist in den Kephalaia zu den Osterbriefen des Atha-
nasius nQ06ni(iq)d'ri 'er wurde geleitet' sinnwidrig mit »jAonJ )0jO übersetzt, vgl.
Nachr. 1904, 343.
312 ^- Schwartz
Formeln gekümmert und die historisch viel wichtigeren Fragen
des Rechts nnd der Rechtsqnellen in sträflicher Weise vernach-
lässigt; ist doch über die griechischen kanonischen Hss. so gut
wie nichts authentisches bekannt. Allerdings wird die Unter-
suchung dadurch empfindlich erschwert, daß die griechischen Texte
wenigstens des Hauptteils, der Concilskanones, auf einer jüngeren
Redaction beruhen und die älteste Ueb erlief er ung durch die la-
teinischen und syrischen Uebersetzungen vertreten wird. Jene
werden jetzt von Turner in einer monumentalen Ausgabe, die
leider nur langsam voranschreiten kann, musterhaft ediert; diese,
die bis jetzt zum größten Teil überhaupt noch ungedruckt waren,
sind auf meine Veranlassung mit Unterstützung der Gresellschaft
von Prof. Schultheß herausgegeben und werden binnen Kurzem der
allgemeinen Benutzung zugänglich sein. Ich muß mich hier auf das
Notwendigste beschränken, das aber hinreichen wird um zu zeigen
daß die Ueberlieferungsgeschichte des von mir veröffentlichten
Synodalschreibens auch nicht im mindesten den Verdacht einer
Fälschung nahe legt.
Den Kern der griechischen und syrischen Kirchenrechtsbücher
bilden die Kanones der Concilien. Es ist durch Maaßens ausge-
zeichnete Untersuchungen so gut wie festgestellt daß eine Samm-
lung der Kanones von Nicaea, Ancyra, Neocaesarea und Gangra
durch Hinzufügung der Kanones von Antiochien, Laodicea und
Constantinopel noch vor dem chalcedonischen Concil zu einem
Corpus canonum ausgestaltet wurde. Dies ist schon im 5. Jahrh.
ins Syrische übersetzt und zwar mehrfach. Die chalcedonischen
Kanones sind erst später hinzugewachsen, wie sich schon darin
verrät daß sie nur einmal übersetzt zu sein scheinen. An diesen
Kern setzen sich zwei Grruppen von Rechtsquellen an: erstens die
8. g. kanonischen Briefe und zweitens die s. g. apostolischen Kanones
mit anderen mannigfaltigen Compilationen , die regelmäßig durch
die Fiction apostolischen Ursprungs legitimiert werden; diese
letztere Gruppe ist dann wiederum in den orientalischen Kirchen
zu besonderen Corpora ausgestaltet ^), während in der griechischen
Kirche die junge Ueberarbeitung der s. g. Didaskalie und jene
Compilationen zu den s. g. apostolischen Constitutionen vereinigt
wurden. Im Ganzen betrachtet, ist diese Rechtsüberlieferung von
Fälschungen frei geblieben; was von der Art vorkommt, wie die
secundären nicaenischen Kanones, ist stets schon durch die sich
abzweigende und absondernde Ueberlieferung verdächtig, und die
1) Ich verweise dafür auf Baumstark, Oriens christ. 1, 98 fF.
zur Geschichte des Athanasius VII 313
'apostolischen' Kirchenordnungen sind so wenig Fälschungen im
eigentlichen Sinne, wie die Lehre der zwölf Apostel, die ja auch
nnr eine Kirchen Ordnung ist ^).
Der Cod. Paris. 62, den Hr. Harnack am Eingang seiner Mit-
teilung mit einigen Trivialitäten abfertigt, gehört nicht zu den
ältesten syrischen Rechtsbüchern, ist aber von allen das gelehrteste.
In der ältesten syrischen Kanoneshandschrift [Brit. Mus. add.
14528, aus dem Anfang des 6. Jahrb.] fehlen die 'apostolischen'
Bestandteile noch ganz ; sie enthält nur die Kanones von Nicaea
bis Chalcedon. Später wachsen jene 'apostolischen' Bestandteile
hinzu; im Cod. Brit. Mus. 14526. Yat. 107. 127 [vgl. Baumstark,
Or. Christ. 1, 132 f.] findet sich außer den apostolischen Kanones
noch ein Stück des bekannten, auch griechisch erhaltenen Parallel-
textes ^) zu Const. apost. 8, 27 — 34. 42—46. 32 und eine ßecension
der tit^oi^) (einer sachlich geordneten Uebersicht über die Ka-
nones, die sich schon in der ältesten Hs. findet), die die apostolischen
Kanones hineingearbeitet hat. Die pariser Hs. enthält die gleiche
Recension der rtrAot und die apostolischen Kanones, diese aber als
achtes Buch der zliaxd^sig aito^xokcov duä KXrj^svTog. Das ist der
syrische s. g. Oktateuch der 'apostolischen' Ordnungen, eines jener
oben erwähnten orientalischen Corpora, über das ich mich begnügen
muß hier auf Baumstark, Or. christ. 1, 101 if. nebst der dort an-
geführten Litteratur zu verweisen. Von Buch 1 — 3 und 6 dieses
Oktateuchs — das vierte, fünfte und siebente*) fehlen ganz —
giebt die Hs. nur Auszüge; sie stehen nicht mit dem achten zu-
1) Auch die Pastoralbriefe und große Stücke des TIoLfiijv müssen so aufge-
faßt werden; nur spielen hier die litterarischen Formen des Briefes und der
Apokalypse modificierend hinein. Dagegen ist die Vereinigung der Paraenese mit
den Bestimmungen über die Disciplin und die Charismen oder die kirchlichen
Aemter uralt und allen Kirchenordnungen gemeinsam.
2) Er ist am besten von Funk herausgegeben [Didascalia et Constitutt.
Apostol. 2, 72 if.]. Daß er darin einen Auszug aus dem achten Buch der apost.
Constitt. sieht, ist m. E. ein Irrtum, der schon durch die Sonderüberschriften
des Paralleltextes widerlegt wird. Dagegen wird man ohne die Annahme nicht
auskommen, daß die orientalischen Versionen dieses Textes auf Exemplare zurück-
gehn, die nach den apostolischen Constitutionen ergänzt und corrigiert sind. Eine
Gesamtausgabe der orientalischen Corpora ist ein dringendes Bedürfnis, aber in
den Originalsprachen, nicht in Uebersetzungen.
3) Aus der Zusammenordnung der beiden Stücke erklärt sich daß in ara-
bischen Sammlungen die apostolischen Kanones xitXol genannt werden [Riedel,
Kirchenrechtsquellen d. Patriarchats Alexandrien 158. Baumstark, Oriens christ.
1, 113].
4) üeber seinen Inhalt vgl. Baumstark, Oriens christ. 1, 120 f.
314 ^- Schwartz
sammen, worin sich noch deutlich ausprägt daß die apostolischen
Kanones selbständig überliefert und erst nachträglich in jenen
Oktateuch aufgenommen sind. Außerdem fügt die Hs. von 'aposto-
lischen' Stücken noch zwei hinzu: ein Excerpt aus der 'Lehre des
Addai' und die unschätzbare, vornicaenische Grundschrift der
apostolischen Constitutionen, die s. g. Didaskalia. Man sieht schon
an dieser Grruppe, wie sich der Sammler der die Hs. zusammen-
stellte, bemüht hat das Material zu vermehren und wie er auf
wertvolle und alte Stücke fahndete. Von Falschem und Spätem
ist nichts darunter; denn wenn auch jener Oktateuch erst im 8.
Jahrh. redigiert sein kann, so ist das Material das er enthält,
durchweg erheblich älter. Endlich ist alles ausnahmslos aus dem
Griechischen übersetzt.
Dann folgt in der Hs. der Kern des Kirchenrechts, das Corpus
canonum der Synoden von Nicaea, Ankyra, Neocaesarea, Gangra,
Antiochien, Laodikea und Constantinopel in einer besonderen, von
den übrigen syrischen Hss. abweichenden Uebersetzung, die sich,
im Gegensatz namentlich zu der ältesten Kanoneshandschrift [Brit.
Mus. add. 14528], bemüht den griechischen Text so genau wie
möglich wiederzugeben: auch darin verrät sich der gelehrte Cha-
rakter der Hs. Gegenüber den anderen syrischen Hs. enthält der
pariser Codex noch das antiochenische Synodalschreiben, um das
es sich handelt, und einen Bericht über das nicaenische Concil,
der, in kürzerer Fassung, auch bei Gelasius 2, 27 und in lateini-
schen Kanonessammlungen ^) [Maaßen S. 39] vorliegt. Der Bericht
steht nach dem Symbol und vor den Kanones; mit ihm haben das
Datum und der Brief Constantins über die Verlegung der Synode
von Ancyra nach Nicaea, die vor das Symbol gestellt sind, nichts
zu tun.
Da in den älteren griechischen Hss. des Corpus canonum, wie
sie den Syrern noch vorlagen, die Kanones von Chalkedon fehlten, so
sind schon in denjenigen syrischen Kanoneshss., die damit beginnen
am Anfang apostolische Bestandteile hinzuzufügen, zwischen Con-
stantinopel und Chalkedon andere Kanones eingeschoben, für die
ich einstweilen auf die Beschreibung des Cod. Mus. Brit. 14526
in Wrights Catalogue 2, 1035 verweise: auch in dieser Abteilung
1) Er findet sich auch in den koptischen Stücken auf denen Revillout seine
wirren Phantastereien über das alexandrinische Concil aufgebaut hat [Rev. des
quest. histor. t. 15, 329 ff. und Le Concile de Nic^e, ein ebenso weitschweifiges wie
inhaltloses Buch]. Der Schluß des Berichtes über das Pascha ist griechisch von
Pitra, Spicil. Solesm. 4, 541 herausgegeben.
zur Geschichte des Athanasius VII 315
ist im Cod. Paris. 62 das Material gewaltig vermelirt, und zwar
durchweg um alte und wertvolle Stücke. Zwischen Constantinopel
und Chalkedon sind eingeschaltet:
Zwei Kanones des ephesischen Concils, nach der gewöhnlichen
Zählung der 7. und 8., während die Grruppe des Cod. Mus. Brit.
add. 14526 nur den 7. enthält.
Das karthagische Concil der 87 Bischöfe [Cyprian. ed. Hartel
1, 435ff.J mitsammt dem 70. 71. und 64. Briefe Cyprians. Nach
Ausweis der Subscription sind diese Stücke im Jahr 998 sei. =
687/8 aus der griechischen Uebersetzung des Originals ins Syrische
übertragen ; in griechischen Hss. haben sich von dieser Ueber-
setzung nur das Concil und ep. 70 erhalten.
Die mit dem antiochenischen Synodalschreiben verbundenen
Kanones, über die noch ausführlicher zu handeln sein wird.
Ausgewählte Aussprüche aus den Ignatiusbriefen, welche die
G-eltung von Kanones haben. Das ist ein Versuch die Sitte der
kanonischen Bischofsbriefe bis an die apostolische Zeit heranzu-
rücken: dabei sind, was wohl zu beachten ist, nur die echten
Briefe benutzt.
Der Brief des alexandrinischen Bischofs Petrus über die lapsi^
eine Reibe von Kanones enthaltend. Die syrische , nur in der
pariser Hs. erhaltene Uebersetzung giebt den Text besser und
vollständiger als die griechischen Hss. Vgl. Nachr. 1905, 166 ff.
Die yäTtocpdösLg xavoviKaC des alexandrinischen Patriarchen Ti-
motheos [nur 1 — ^15]. Sie finden sich auch in der Grruppe des Cod.
Mus. Brit. add. 14526 und sind in die älteste syrische Kanones-
handschrift [Cod. Mus. Brit. add, 14528] von späterer Hand, außer-
halb der Reihe, eingetragen.
Das Credo des orientalischen Concils von Sardica und die
Kanones des occidentalischen. Die unorganische Verbindung der
beiden Stücke erklärt sich aus der s. g. Sammlung des Theodosius
Diaconus, über die ich Nachr. 1904, 357 ff. ausführlich gehandelt
habe. Dort folgen aufeinander:
13. Das Credo der orientalischen Synode von Sardica; der la-
teinische Text stimmt mit dem syrischen, den ich aus den Cor-
recturbogen der Schul theßschen Ausgabe kenne, gegen Hilar. de
synod. 34 und [Hilar.] frg. bist. 3 über ein.
14. Die, nur in der Sammlung des Theodosius Diaconus er-
haltene, Notiz über die von den Orientalen aufgestellte Ostertafel ;
sie kehrt in der syrischen Hs. wieder [Nachr. 1905, 379], während
die Ostertafel selbst, die ich Abhdlg. VIII 6, 121 ff. herausgegeben
und erklärt habe, von dem Syrer weggelassen ist.
316 E. Schwartz
15. Das Schreiben des Hosius und Protogenes an den römischen
Bischof lulius : fehlt im Syrer.
16. Die Encyclika des occidentalischen Concils : im Syrer steht
nur die Ueberschrift , in der die Provinzen aufgezählt werden,
deren Bischöfe an der Synode teilnahmen.
17. Die Kanones des occidentalischen Concils. Sie waren ur-
sprünglich lateinisch abgefaßt; auch die Form daß jeder Kanon
als Antrag eines mit Namen genannten Bischofs erscheint, ist
abendländisch, wie die zahlreich erhaltenen Acten von afrikanischen
Synoden beweisen. Wenn nun auch diese Kanones in das alte
griechische Corpus canonum nicht aufgenommen sind, so müssen
sie doch früh ins Griechische übersetzt sein, und der Syrer stimmt
mit der Sammlung des Theodosius Diaconus darin überein, daß
beide den griechischen, nicht den originalen lateinischen Text vor-
aussetzen.
Diese Zusammenstellung lehrt unwiderleglich, daß im Cod. Par.
62 das griechische Original der genannten , nur lateinisch er-
haltenen Sammlung excerpiert ist. Daß diese griechische Acten-
sammlung auf ein Buch zurückgeht, das 367/8 veröffentlicht wurde
und später von Suzomenos benutzt ist, habe ich a. a. 0. bewiesen.
Obgleich der Compilator des Rechtsbuches den Fehler begangen
hat das Credo der orientalischen mit den Kanones der occidenta-
lischen Synode zusammenzukoppeln, so tritt doch auch hier wieder
hervor, ein wie altes und exquisites Material ihm zu Gebote stand.
Den Abschluß dieser Abteilung der Hs. bilden kanonische
Briefe des 4. Jahrb., die auch in griechischen Kanoneshss. auf-
treten: Athanasius an Amun [Pitra, iur. ecclesiast. Graec. mon. 1,
567 f.], Basilius an Paregorios [Pitra 1, 605 = Bas. ep. 55], an die
Chorepiskopen [Pitra 1, 608 = Bas. ep. 53], an Diodoros [Pitra 1,
602 = Bas. ep. 160], und die ersten drei kanonischen Briefe an
Amphilochios [Pitra 1, 576 ff.] in eigentümlicher Anordnung [I =
188. 217 von can. 56 an; II = ep. 199; III = ep. 217 bis can. 55].
Auf das was auf die chalcedonischen Kanones folgt, brauche
ich hier nicht einzugehen : es hebt sich schon aus dem was ich
mitgeteilt habe, deutlich genug heraus, mit welch rarer Gelehr-
samkeit der Compilator das Corpus canonum zu der eigentümlich-
sten Kanoneshandschrift die wir überhaupt besitzen, umgestaltet hat.
Es spricht nicht gegen die Echtheit des antiochenischen Synodal-
schreibens, daß es nur in einer syrischen Handschrift [S. 489] er-
halten i.st; denn diese eine Handschrift ist eben eine Leistung
einzig in ihrer Art und reich an Unicis. Sie enthält keine Fäl-
schung im echten und eigentlichen Sinne des Wortes, und macht
zur Geschichte des Athanasius VII 317
jedem der sich ernsthaft mit ihr beschäftigt, nicht den Eindruck
als könne sie die Ablage rungs statte für das Product eines Igno-
ranten gewesen sein, der, ^selbst geschichtlich ganz imtvissend, seinen
Lesern alles bieten zu dürfen glaubte'. Dinge die solche Kraftworte
verdienen, dürften in den kanonistischen Handschriften griechischer
und syrischer Sprache überhaupt nicht so leicht zu finden sein,
am allerwenigsten aber in dem Rechtsbuch des Cod. Par. 62, das
ebenso wie die Briefe des trefflichen Araberbischofs Greorgios dem
historischen Sinn der Syrer ein glänzendes Zeugnis ausstellt und
dazu ermuntert der syrischen Ueberlieferung ein gewissenhafteres
Studium zuzuwenden, als Hr. Harnack es für der Mühe wert zu
halten scheint.
Die Handschrift ist ein Eechtsbuch: sie will Ordnungen und
Kanones oder was diesen gleichwertig ist, zusammenstellen. Wie
sie das griechische Original der Sammlung des Theodosius Diaconus
lediglich um der Kanones von Sardica willen excerpiert, so teilt
sie auch das Synodalschreiben von Antiochien nur darum mit, weil
im Zusammenhang damit Kanones überliefert waren. Auch um
diese Tatsache der Ueberlieferungsgeschichte hat sich Hr. Harnack
nicht weiter gekümmert; wenn er sich darauf beruft daß die Ka-
nones noch nicht gedruckt sind [S. 481], so wußte er daß ich die
Photographien besitze [Nachr. 1905, 280], sie hätten ihm selbst-
verständlich zur Verfügung gestanden, falls er sie verlangt hätte.
Es mußte ihn stutzig machen daß Kanones die schon Basilius be-
kannt sind, mit einer Fälschung die er ins 6. oder 7. Jahrh. [S. 488]
setzt, durch die Ueberlieferung zusammenhängen; wenn es ihm
glückte den Zusammenhang zu sprengen oder auch die Kanones
als gefälscht nachzuweisen, so gewann er weitere, schwer für seine
These ins Gewicht fallende Argumente, und umgekehrt hat doch
woh] jeder der ein unbekanntes Actenstück findet und herausgiebt,
das Recht, von seinen Kritikern zu verlangen daß sie alles ohne
besondere Schwierigkeiten zugängliche Material sorgfältig durch-
prüfen, ehe sie ihm vorwerfen, er habe sich von einem unwissenden
Fälscher düpiren lassen.
Auf den Synodalbrief folgen in der pariser Handschrift zwei
Notizen, die ich Nachr. 1905, 279 mitgeteilt habe. Die erste lautet :
{KA.»t^ \\o^ ifiD09QJa£D; ötlo:^ o^^o :^o) 3{ oYi^:>lo o:»]^ ösj^\
318 E. Schwartz
jiiQJLo .. jLuLJt^9 JL3onnn*o>? ^ochS '^N ö^^t^Jl^o : J^JLLpli JL^o^u^Jl^^
^ Griechisch etwa: ^Eniöxsilav öe tcsqI TYjg avtfig vjtod'descDg tä
atftä dt itSQOv yga^^iaTog xal JtQog tovg X7]g 'haXCag snLdxonovg
xovg vno rbv r^g ^syd^rfg ''Paßrjg d-QÖvov aal inoLi^öavto xaxatvot
TtQog f^v 6VV080V syyQacpov aTtöxQLöLv övvttd^s^Bvriv naöi rolg M
avxfig G}Qi6^evotg slts tceqI niöxsGig ehs negl ixxkr}öLa6ti,xG)v xavdvav'
iv ^t xal avtol diatd^avteg STts^ipav Ttgbg zavxriv xf^v ayCav 6vvodov
xi]v iv ^AvxLO%eiai 6vvrid^QOL0^£vriv xal öl avxf]g TCQog ndvxag xovg
xfig \4.vaxokf}g sitLöxonovg xb xavövag' ovötvsq xal avxovg ygohl^G) 601
iv xavxriL xy]i ßißkai ^lax bXiya^ Iva xal avxovg ^dd-ricg.
Die Notiz ist nicht von dem syrischen Uebersetzer oder gar
dem Schreiber der Handschrift verfaßt, sondern ebenso aus dem
Griechischen übersetzt wie das Synodalschreiben selbst; das be-
weist schon ^o — v!® ^^ *^^^ — *^^^' -^^ ^^^ ^^^^ ^^°^ Griechen
der das Synodalschreiben von Antiochien auffand und der Ver-
gessenheit entriß, nicht nur das an Alexander von Constantinopel
geschickte Exemplar des Synodalschreibens vorgelegen, sondern noch
ein zweites das an den römischen und die ihm unterstellten Bischöfe
Italiens gerichtet war; ich erinnere daran daß auch Alexander
von Alexandrien die Excommunication des Arius und seiner Ge-
nossen dem römischen Bischof anzeigte [Nachr. 1905, 271]. Dies
Exemplar stimmte mit dem an Alexander von Constantinopel ge-
richteten wörtlich überein ^), enthielt aber mehr : es müssen Ka-
nones darin gewesen sein, denen der römische Bischof mit oder im
Namen der italischen CoUegen zustimmte. Denn außer den beiden
Exemplaren des Synodalschreibens lag jenem Griechen noch ein
drittes Actenstück vor, eben die römische, das Credo und die Ka-
nones gutheißende Antwort, die ebenfalls Kanones, 25 an der Zahl,
enthielt, die von den in Antiochien versammelten Bischöfen an
alle Collegen in der Dioecesis Oriens mitgeteilt werden sollten*).
1) Ein gutes Beispiel solcher identischen Exemplare von Synodalbriefen, die
trotz wörtlicher üebereinstimmung neben einander in Actenpublikationen mitgeteilt
wurden, bietet Athanasius in der großen Apologie [37 ff.] : da teilt er zunächst
das Exemplar der Encyclika mit, das die occidentalische Synode von Sardica au den
alexandrinischen Clerus richtete, und dann das welches an die Bischöfe in Aegypten
und Libyen adressiert ist.
2) Danach nahmen die Abendländer an daß die antiochenische Synode länger
zusammenbleiben würde, oder sie haben, was mir wahrscheinlicher ist, die Ant-
wort auf das Synodalschreiben an die Synode adressiert, aber dem Bischof von
Antiochien geschickt mit der Bitte es in der Dioecesis Oriens zu verbreiten.
zur Geschichte des Athanasius VII 319
Wäre der Synodalbrief eine Fälschung, so müßte der stumpfsinnige
Ignorant dem Hr. Harnack sie zuschreibt, nicht nur das an Alex-
ander von Constantinopel adressierte Exemplar, sondern ein ganzes
Actenfascikel fabriciert haben, ohne jede Notwendigkeit: denn den
Zweck den Hr. Harnack ihm unterschiebt, erreichte er durch das
Synodalschreiben allein. Die Fälschung rückt außerdem in einer
für die These von Hm. Harnack sehr bedenklichen Weise zurück :
sie liegt nicht nur vor dem syrischen Uebersetzer, sondern auch
vor dem Griechen der das Actenfascikel in irgend einer Publication
auftrieb und das Synodalschreiben zu der kanonischen Synode von
Antiochien stellte, als Anhang zu deren Kanones. Das war ein Irr-
tum, wie es ein Irrtum war, wenn in derselben Hs. das Credo der
orientalischen mit den Kanones der occi dentalischen Synode von Sar-
dica zusammengestellt wurde; aber beide Irrtümer sind in völlig
gutem Glauben begangen und rechtfertigen nicht im geringsten den
Verdacht der Fälschung ; die in der Hs. enthaltenen Actenstücke
der Synoden von Sardica sind ja von unbezweifelbarer Echtheit.
Hr. Harnack setzt sich über all diese, höchst einfachen und
naheliegenden Erwägungen hinweg [S. 485] : unter solchen umstünden
hat es natürlich [!] gor kein Interesse das zu untersuchen, was in der
'Historischen Notiz' noch hinzagefiujt worden ist. Entweder ist der
Fälscher selbst ihr Verfasser oder ein Späterer, der die Fälschung
geglaubt hat. In beiden Fällen ist die ^Notiz\ die von einer Korre-
spondenz der Synode mit den italienisc/ien Bischöfen und von 25 Ka-
nones fabelt, gleich ivertlos. Die Korrespondenz und die Kanones
sind übrigens [!] dem nachgebildet , was sich auf einer späteren an-
tiochenischen Sgnode wirMich zugetragen hat und allgemein bekannt
war. Zunächst gilt doch den gelehrten Klerikern gegenüber, die
redlich die Ueberlieferung gesammelt und das Ihrige dazu getan
haben, daß sie nicht verloren gieng, die alte Juristenregel quiuis
praesunmtur boniis, und es steht einem Historiker schlecht an da
wo er auf Spuren von Urkunden, auf Actenregesten stößt, diese
in die Rumpelkammer zu werfen ohne sie auch nur eines Blickes
zu würdigen. Wenn das Synodalschreiben wirklich eine so offen-
kundige Fälschung wäre, wie Hr. Harnack seinen Lesern ein-
zuschärfen nicht müde wird, dann wäre es seinem Scharfsiifh ein
leichtes gewesen die evidenten Indicien der Fälschung auch in
diesem Regest zu finden und den naheliegenden Einwand zu be-
seitigen, warum denn der Fälscher auf den sonderbaren Einfall
kam in der unverfänglichsten Weise, ohne jede Tendenz, ohne
jeden sichtbaren Zweck über ein ganzes, mit dem Synodalschreiben
zusammenhängendes Actenfascikel zu berichten. Fälscher, vor
320 E- Schwartz
allem ein geschichtlich so unwissender Fälscher wie derjenige sein
soll, mit dem Hr. Harnack die kirchenrechtliche Litteratur be-
reichern möchte, pflegen mit einfachen Regesten nicht so leicht
^u prunken, oder wenn sie es tun, sich so zu compromittieren,
daß sie sicher zu fassen sind. Ist nun aber nicht 'der Fälscher',
sondern einer der an die Fälschung glaubte, der Verfasser der
Notiz, dann müßte dieser dumme Geselle — und nach Hrn. Harnack
muß er sehr dumm gewesen sein, wenn er auf die Fälschung hin-
einfiel — noch immer so viel Schlauheit und Bosheit besessen haben,
daß er auf die Fälschung an die er glaubte, eine zweite drauf
setzte, an die er nicht glaubte, weil er sie selbst begieng, eben-
falls ohne jeden Sinn und Zweck. Ob solche Möglichkeiten einen
wissenschaftlichen Beweis vertreten können, mögen ruhig denkende
Leser, die sich durch Hrn. Harnacks Beispiel nicht verleiten lassen
die Notiz ungeprüft zu verdammen, selbst entscheiden; sie werden
sich auch sagen, daß wenn ohne zureichenden Beweis so sinnlose
Fälschungen, wie sie Hr. Harnack sich construiert, der urkunden-
reichen Ueberlieferung des 4. Jahrh. zugetraut werden müssen,
wir am besten tun die historische Forschung über diese Zeit über-
haupt aufzugeben. Von was für einer späteren antiochenischen
Synode Hr. Harnack im Schlußsatz redet, ist mir dunkel geblieben,
und diesmal habe i c h kein Interesse daran zu untersuchen was
für ein quid pro quo hier zu Grunde liegt.
In einer zweiten Notiz, die auf die erste oben mitgeteilte
folgt, werden Bedenken ausgesprochen, nicht gegen die Echtheit
des Synodalschreibens, sondern dagegen ob es wirklich zu der
kanonischen Synode von Antiochien gehöre, also nachnicaenisch sei :
OLAj^li 6i^} yOJöt ^ 3( r^cHiY» ]^A^ (JL^bo :ooof ^o^^j jjlnii^»
• ooot ^ot>^^i
Griechisch: ^rjtrjtaov dh icag xarä ^AqbCov ocal t&v avtai, ö^o-
döl^ov ayovi^ö^svoL ov fis^vr^vtat rov o^oovöCov dvö^atog ovxoi ol
ayioi xal zf^g ähfisCag vnsQ^axoL iTtCöxojcoL , xatrot vGtsgov iysvovto
xf^g ayCag kv NixaCai CvvöÖov xal ol 7cXei6tOL ai)tG)v ^0av kv xolg
ixsiös öwax^-stöLv. Daß von den 56 im Anfang des Synodal-
schreibens genannten Bischöfen die meisten auch in Nicaea waren,
konnte der bloßen Namenreihe nur ein gelehrter Mann entnehmen,
der die nicaenischen Subscriptionen kannte, und diese haften in
der Ueberlieferung an den Kanones. Nun enthalten bekanntlich
zur Geschichte des Athanasius VII 321
die griechischen Kanoneshss. keine Namenlisten {mehr, haben sie
aber in der älteren Zeit gehabt, wie die lateinischen und syrischen
Uebersetzungen beweisen. Der Verfasser dieser Notiz kann also
so ganz jungen Datums nicht sein. Ob er aber mit dem Grriechen
identisch ist, der jenes Actenfascikel auffand und in das Corpus
canonum hineinbrachte, ist zweifelhaft: es kann hier ebenso gut
die Randbemerkung eines gelehrten Lesers vorliegen, der das
Synodalscbreiben schon hinter den gewöhnlichen antiochenischen
Kanones las und — mit vollem Recht — das nicaenische o^oovöiog
vermißte. Er muß sich trotz seiner Grelehrsamkeit mit mir in das
Loos finden, daß er nach Hrn. Harnacks Urteil zu den Lesern des
Actenstücks gehörte , denen ein unwissender Fälscher alles zu
bieten wagte.
In der oben mitgeteilten ersten Notiz verspricht derjenige
der das Actenfascikel der antiochenischen Synode in das Corpus
canonum eingefügt hat, die 25 abendländischen Kanones an späterer
Stelle nachzutragen^). Tatsächlich erscheinen auch nach den Cy-
prianstücken Kanones in der Hs., die nach der lieber schrift und
Unterschrift eben jene sein sollen, die in dem Brief der italischen
Bischöfe an die Collegen in der Dioecesis Oriens abgeschickt waren:
Grriechisch etwa : "Srt cckXoi xavövsg e^ 67CL0toXf}g tfjg jtaQ
^ItaXCccg TCQog tovg rfjg ^AvaroXfjg eTCiexoTCovg yeyQa^^svrig' oltcsq
ine^cpd'Yi^av vito tßbv hv ^Avrio%sCai övvrjy^svcov 67fL0KÖ^(ov:
TsXog ra)v e%Kaids7ca xavövcov r&v sx rfjg STaötolfjg trjg %aQ*
''ItaXCag ysyQa^^evrjg TtQog tovg trjg 'AvatoXfjg STtcaxoTtovg :
Die Kanones aber, die von dieser Ueber- und Unterschrift ein-
gerahmt werden ^), können nicht diejenigen sein, die von Rom nach
1) Die Anrede im Singular wjJL >^o^ ^jj jbn*) kehrt wieder in der Einleitung
zu der Uebersetzung der Cyprianstücke [Lagarde, reliqu. iur. ^tv> 14 ff.]: da ist
es bezeugt daß sie dem griechischen Original entlehnt ist [Lagarde reliq. iur. gr.
37, 23]. Da die Kanones des Synodalschreibens in der pariser Hs. auf die
Cyprianstücke folgen, so ist es wohl möglich daß die Ueber lieferung des an-
tiochenischen Actenfascikels mit dem der griechischen Cyprianübersetzung zu-
sammenhängt, doch muß hier weitere Aufklärung abgewartet werden.
2) Sie werden binnen Kurzem in der Schultheßschen Sammlung veröffentlicht
werden, die Correcturabzüge haben mir schon vorgelegen.
Ktrl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 3. 23
g22 E- Schwartz
^ntiochien geschickt wurden : es sind nicht 25 , sondern 16 , wie
die Sabscription bemerkt, und sie sind orientalischen Ursprungs,
denn sie operieren fortwährend, wie ich schon Nachr. 1905, 280
•bemerkte, mit den Kategorien der TtQoöxXahytsg, axQo&^svot,, vtco-
TcizTovreg, die dem Occident fremd sind [vgl. über sie Nachr. 1905,
171]. Da nun die Ueberschrift am Schluß, im Widerspruch mit
sich selbst, behauptet daß die Kanones von den in Antiochien ver-
sammelten Bischöfen geschickt seien, so sind die 16 Kanones nicht
die welche von Eom nach Antiochien, sondern die welche mit dem
Synodalschreiben von Antiochien nach Rom geschickt wurden: sie
sind auf derselben Synode festgesetzt, die Tbeodot, Narciß und
Euseh provisorisch die Gremeinschj^ft aufkündigte. Die Verwirrung
in der pariser Hs. ist ebenso zu erklären, wie die welche auch
die Actenstücke von Sardica dort betroffen hat: bei dem Excer-
pieren des Actenfascikels der antiochenischen Synode sind dem
Compilator die Rubriken durcheinander geraten, die Ueberschrift
der 16 Kanones zeigt das ja durch ihren Tenor selbst an.
Wie ich Nachr. 1905, 280 kurz bemerkte, haben diese Ka-
nones schon Basilius vorgelegen, als er den dritten kanonischen
Brief an Amphilochius [217] schrieb^). Der große Kirchenrechts -
lehrer will in diesen Briefen ausgesprochener Maßen die Tradition
sammeln; was er selbst hinzutut, sind Ableitungen und Correc-
turen nach allgemeinen Rechtssätzen und Analogien-). Auch für
die 16 Kanones läßt sich der stricte Beweis führen daß sie für
Basilius die Tradition vertraten, die er gelegentlich nach seinen
Rechtsgrundsätzen umgestaltete.
Bei ihm hat der Kanon über die Vielweiberei [ep. 217 can. 80]
diese Form: ri^v de jcoXvya^Cav ol natSQsg äne6i(07cri6av a)g xtrivcbdri
xal TcavTsXäs äXXoxQiav xov ysvovg tmv ävd-QcoTicüv ^), fi^tv dh TtccgC-
1) a — t der antiochenischen Kanones = Bas. ep. 217 can. 65 — 74. ta =
75. 76; i^ = 77. 78; iy. i^ = 79. 80; t7. iq = 82. 83. Der 84. Canon der
Ausgaben ist mit Recht in der pariser Hs. nicht beziffert: er ist keine Satzung,
sondern eine Schlußbetrachtung.
2) Ich verweise auf meine Bemerkungen Nachr. 1905, 170, wo ich auch die
wichtige Stelle aus dem ersten kanonischen Brief an Amphilochius [188] ange-
führt habe: yCyvstai, rj^iiv ÖLÖda-naXog i) tcsqI xb ScnoyiQivead'ai, (isgiiiva.. ScfiiXsi
xal vvv, ovöinots Xaßovrsg iv tpgovtidi zcc insQat'^ficcTd aov, ijvayyidadififisv ini-
axs^aa&UL ^ngißdas xal ei' ti xi tj-kov aafi sv n ag ä x&v ng sa ßvx eq oaVf
&va(jLvriad'fivai xal xcc av yy evi) ^v ^ S i8 cc%%^r\ii ev ^ nag' eavxmv im-
XoyCaaad^ai. Meine Mahnung an die Rechtshistoriker diesen Briefen ihre Auf-
merksamkeit zu schenken, ist bis jetzt ungehört verballt.
3) Wenn die Polygamie ein viehisches Laster genannt wird, so ist natürlich
zur Geschichte des Athanasius VIT 323
draTKi TcXeov n TtOQVsCag stvcci t6 a^äQtf]^a. di' o svXoyov tovg
toiOVTOvg vTCoßdXlsöd-ai, tolg xavööL^ dfiXov ort iviavtbv jtQoöxXav-
öavtag xal {ovo ccxQoaöa^svovg xal} ^) ^v tqlöIv vitOTteöovrag^ ot^rca
ösxTovg alvai. Der 14. Kanon der pariser Hs. hat an Stelle von
xovg xoiovxovg ^on wjjj Ji*viNS^ ^ )jlv>vo»y> ^*üj)J d. h. etwa rovg
ix zav Xaixcbv 7ti6tovg [= Laien die nicht mehr Katechumenen und
zur Communion zugelassen sind] roiovrovg und bringt am Schluß
wichtige, bei Basilius fehlende Zusätze: ^ooop o.,q,»^*Njp ^ ^^i
o(^^ »ft<^vKi % ^NxgiJ ^^^a^t-o vP^^'^'^W' ^ "^^^ ^^ ^^^ *' v?^^^^
.^©♦-JLu ^NoaN jl^t^ 11^ ^ ^y^h^ si d' ex xCbv xXriQLxav slsv^
lisxä xov ex xcbv tcqoxsqov ßad'^cjv Tteöstv diTtXaöia^Eßd-ca hit^ avxolg
oXog 6 xov xavövog XQ^'^^S' ^^ ^^ ^^^ ^^ ^^^ lsqco^evcjv [d. h. den
Presbytern], exßlrjd-rjxcjöav xfjg sxxXrjöCag itdvxa xov xQOvov ^£%Qt xs-
Xsvxfjg xov ßiov. Basilius hat die verschärften Strafbestimmungen
gegen den Klerus, die diesem gemäß dem sittlichen Empfinden der
alten Kirche eine in Rechten und Pflichten hervorragende Stellung
anweisen, gestrichen, weil sie dem Rechtsatz ne bis in idem wider-
sprechen, den er nicht müde wird einzuschärfen: die Strafe der Aus-
stoßung aus dem Klerus darf für dasselbe Vergehen nicht mit anderen
combiniert werden. Die juristisch correctere Anschauung lag in
dem älteren Kirchenrecht unvermittelt neben jener anderen, die
von dem dem mehr gegeben ist, auch mehr verlangt: Basilius
sucht die juristische Analogie straff durchzuführen und arbeitet
damit die privilegierte Stellung des Klerus scharf heraus, vgl. ep.
188 can. 3 äQ^alög eöxi, xavcov rovg äitb ßaQ-^iov jtSTtxcjxoxag xovxcdl
^övcoi, XG)L XQÖTtcoi xfjg xoXccöscog vTtoßdXXsöd'ai' ccxoXovd"ri6ccvxG)v, cDg
ofjLtat, xwv i^ ccQx^g xg)l v6[icol exsCvcoL xcbi ovx exö ixt^ös ig dlg
inl xb avx6^\ xal öi exigav 8e atxiavy oxl ol ^hv iv xg)l Xaixcbi
ovxsg xdynaxL^ exßsßXri^ivoi xov xÖTtov xcbv Ttiöxav, TcdXiv sig xbv ä(p^
ov 6^87ts6ov XÖTtov dvaXafjißdvovxaL, 6 dh didxovog [von dem Diakon
ist speciell in dem Kanon die Rede] ana^ e%ei diagxf] x^v dCxriv
die wirkliche Vielweiberei gemeint, nicht die mehrmalige Wiederverheiratung, die
im griechischen Kirchenrecht nach Analogie von öiyccfiicc, rgiycciiicc usw. auch
TtoXvyaiiicc heißt, vgl. Basil. ep. 188 can. 4. ep. 199 can. 50: correcter lautet der
Ausdruck im 3. Kanon von Neocaesarea : nsgl xcbv TtXsiatoig yccfiotg TCSQtTCLTttovToav.
1) So ist nach dem antiochenischen Kanon zu ergänzen : die Stufe der
ä%QooapisvoL wird in den griechischen Bußregeln nie übersprungen.
3) Nahum 1, 9 nach den LXX, die entweder einen falschen Text voraus-
setzen oder falsch übersetzen. }-|12 ü^^ü^ti Dipn ifh heißt etwas ganz anderes,
vgl. Wellhausen, kleine Propheten 159.
23*
324 E- Seh wartz
Tilg xad'aLQBöecDg ' cog ovv ovx ä7todLdo^8vr]g avtcbt rijg dLaxovCag, knl
tavtrjg ^ötrjöav novrjg rrjg sxöiKijöSiog. ep. 199 can. 32 ol n)v
jtQog d'dvaxov a[LaQtCav cc^aQtdvovtsg xXtjqlxoI tov ßad-^ov xaxdyovxai^
*%fig xoLVCovCag de tav kaixcbv ovx i^e^Qyovrai' ov yuQ ixd ixi^esig
dlg enl rö avrö. ep. 217 can. 51 rb xatä rovg xXT]Qixovg dÖLo-
Quötag ol xavövsg s^sd^evro xsXsvöavrsg fiCav enl tolg TtaQaneöovöLv
OQi^söd'cci XLiLOQiav ^ xr)v 8X7txcoöLV xfjg vTtrjQSöLag , stxe iv ßad^^ac
xvyxdvoiBv ehe xal axeigod-excot vTtrjQSölai jTQoöxaQXSQotsv.
Der 81. Kanon des Basilins fehlt in den antiochenischen Ka-
nones. Aus guten Gründen ; er ist von Basilius hinzugefügt wegen
einer actuellen Veranlassung : bei einer persischen Razzia waren
viele als G-efangene weggeschleppt und zum Abfall gezwungen, die
nach der Freilassung zurückgekehrt, wieder um Aufnahme nach-
suchten^). Am Ende des Briefes benutzt Basilius dasselbe Er-
eigniß zu einer Bußpredigt, die die Kanones wirksam abschließen
soll: st yaQ ^i] STCaCdsvösv rj^äg xä (poßeQcc xov xvqCov ^rjöa ai
trjkLxavxai TcXriyccl elg al'öd^rjöLV ri^ccg ijyayov öxi ötä xtjv ävoiiCav
rjfiav iyxaxeXiTtsv rj^äg 6 xvQiog xal TtUQsdcjxsv elg %£lQCcg ßaQßdgov
xal äitriypti aix^dXcoxog elg xovg noXe^iovg 6 Xabg xal Ttageödd-rj xfji
ÖLaöTtOQäL, dioxL xavxa ixöX^cov ol xb ovo^ia xov Xqlöxov itegiipe-
QOvxsg, ei ^rj eyvcoöav ^rjöe övvf^xav oxl did xavxa ijXd'ev ecp rj^äg
'fl OQyri xov d^eov, xCg tj^iv xoivbg ngbg xovxovg loyog] Mit dieser
eigenen Bußpredigt setzt er eine Betrachtung fort, die er aus den
Kanones des antiochenischen Synodalberichts entlehnt hat; denn
was in dem fälschlich s. g. 84. Kanon des Basiliusbriefes vor den
eben ausgeschriebenen Worten steht, findet sich auch in der
syrischen Uebersetzung der Kanones als Schluß [fol. ITS' der pa-
riser Hs.] : Ttdvxa da xavxa ygdcpo^ev o^öxe xovg xagitovg doxL^d^eöd-ac
xf^g ^lexavoCag. ov ydg Jtdvxcog xCbi xqovoi xgivo^ev xä xotavxa, dXXä
t&L tgoTCGOL xfjg iiextvoiag ngocexo^ev. iäv öh öveajcoöJtdöxcag ixaöL
x&v idtiDV ed^&v xal xaig ridovaig xfjg öagxbg [läkkov dovXeveiv d'sXcoöiv
rj XG)i xvgCcoi xal xriv xaxä xb evayyehov ^o'^v fti) xaxade%(ovxai^
ovdelg rj^tv ngbg avxovg xoivbg Xöyog [es ist zu beachten, wie Ba-
1) 'ETtSLÖTj 8^ TtoXloi iv rfii x&v ßaQßdgoai v.axa8Q0^fii naQfßriaav rijv elg
Q'sbv nCaxLv, ogyiovg id-viyiovg inLxsXsaavxsg xcfi Sc&Sfiucov xiv&v ysvadfjievOL x&v
iv xotg sl8oiX<BC>oig xoig (layLnotg TCQoasvsx&Bvxav wbxotg, ohxot. xcera rovg
^'drj nagä x&v Tiaxigcav ijfi&v i^svsx&ivxag "Kuvovag oinovofisiad'oiaav. Aus den
Götzentempeln der Magier' ergiebt sich daß es sich um einen Persereinfall
handelt: da er rasch vorübergieng und der ßotensturm alles Interesse absorbierte'
^st er nicht in die historische Ueberlieferung gelangt. Nach Hrn. Harnacks Recept
müßte allerdings der Brief des Basilius atlietiert werden, weil er eine geschicht-
liche Thatsache enthält, die mr wissen müßten, wenn sie geschehen wäre [S. 482].
zur Geschichte des Athanasius VII 325
silius diese Worte in seiner eigenen Schluß predigt wiederholt]
ii^slg yäg ev Xam äiteidst Kai avxiXEyovti dsöiddy^B^u ccKovsiv oxl
ecji^cov (ja)L^6 ti)v ösavtov ^v^riv (j^irida ötriig Kai öv^-
7C tt Q a Iri ^(f) %" rii g)^) [Gren. 19,17]: ^ri xovvvv xarade^co^sd'a övva-
TtöXXvöd-at, totg rotovrocg [Gen. 19, 15]. Passender kann ein Synodal-
brief der Kanones enthält, nicht abschließen. Die Ermahnung an
die Bischöfe die Bußzeiten nicht mechanisch aufzulegen, sondern
unter Umständen, wenn gute Früchte der Buße zu sehen sind, ab-
zukürzen — nebenbei gesagt ein vorzügliches Mittel die discre-
tionäre Disciplinargewalt des Bischofs der Gremeinde gegenüber zu
stärken und zu steigern — kehrt in den Kanones von Ancyra
[5. 7. 9. 16] und Nicaea [12] wieder und der scharfe Schluß verrät
daß die Gremeinde für die die Kanones ursprünglich erlassen sind,
arg desorganisiert und in Gefahr war in die 'Gewohnheiten', d. h.
ins Heidentum zurückzufallen. Nun beginnt aber das erhaltene
Exemplar des antiochenischen Synodalbriefs mit beweglichen Klagen
über den Verfall der Kirchenzucht in Antiochien; ja es läßt sich
noch eine besondere Beziehung nachweisen, die den Eingang des
Synodalbriefs mit dem Schluß der Kanones zusammenkettet, so daß
klar wird wie das Synodalschreiben, das Hr. Harnack für eine
stumpfsinnige Fälschung hält, und die Kanones denen er seine Be-
achtung versagt hat, ein untrennbares Ganze bilden. Der Einberuf er
der Synode giebt als sein Motiv an [274, 3] : : IJLs^jb V-s^ U^V ^
{)^i,*»v> wOt ii~*w-o! Jv^o^iioö vTtb TtoXkcbv yäg dixaicjv övvoizstrai rj
Ttolig. Für Hrn. Harnack [S. 479] ist der Zusatz etwas [!] unverständ-
lich, d. h. weil er ihn nicht versteht, soll der Leser an der Echtheit
der ganzen Urkunde zweifeln. In Wahrheit ist das Sätzchen sehr
leicht zu verstehen: 'weil noch viele fromme Leute in Antiochien
sind, hielt ich es für meine Pflicht in außergewöhnlicher Weise eine
Synode zusammenzurufen um wieder Ordnung in die Gemeinde zu
bringen'. Wenn nun die frommen Leute dCzaiOL genannt werden,
so gehört nicht viel Stilgefühl dazu um zu merken daß der Mann
in alttestamentlicher Manier redet; man braucht auch nicht lange
zu suchen um die Stelle zu finden, an die er gedacht hat: es ist
Gen. 18, 23 if., die Fürbitte Abrahams für Sodom: ^ij öwaitoXs-
öYiig dUaiov ^stä äösßovg xtX. Die Synode hat das Ihrige getan
um zu verhüten daß die 'Gerechten' mit den Ungerechten zu Grunde
gehen, und versichert nun am Schluß, daß wenn ihre Satzungen
nichts helfen, kein anderes Mittel bleibt als sich von den laxen
1) >^lLo \l^L Do. Basüius hat das Citat gekürzt.
326 E- Schwartz
und unverbesserlichen Gemeindemitgliedern loszusagen: wiederum
treten Wendungen auf, die bis aufs Wort aus der alttestament-
lichen Erzählung von Sodom, diesmal aus der Rede der Engel an
Lot, entnommen sind und somit auf den Beginn des Schreiben^
zurückgreifen.
Es ist bewiesen daß die 16 Kanones auf derselben Synode
beschlossen sind, welche das Schreiben erlassen hat, und in einem
zweiten Exemplar dieses Schreibens mit ihm vereinigt waren; es
ist ferner bewiesen daß die Kanones mit dem Schluß des Synodal-
schreibens von Basilius in dem dritten kanonischen Brief an
Amphilochius benutzt sind. Dieser Brief ist nach der pontischen
Reise des Basilius geschrieben, die durch ep. 216 auf das Jahr 376
festgelegt ist [vgl. Nachr. 1904, 371]. Daraus geht hervor daß
die Kanones mitsammt dem Synodalschreiben älter als 376 sind:
die Urkunde hat die Prüfung der Ueb erlief erungsgeschichte glänzend
bestanden.
Das zweite Erfordernis, das von dem wissenschaftlichen Nach-
weis einer Fälschung verlangt werden muß, ist die Untersuchung
der Form in der die Urkunde abgefaßt ist: auch über dies Er-
fordernis setzt sich Hr. Harnack hinweg. An der Spitze des
Schreibens steht der Name des Adressaten ; durch ihn und die
Grußformel sind die Namen der Absender eingerahmt. Hr. Harnack
behauptet allerdings, daß die Namen sofort auf die Adresse ohne
Gruß folgen \ S. 479] ; das verrät aber nur das Maß von Sorgfalt,
mit dem er das stümperhafte Machwerk des späten Fälschers [S. 483]
gelesen hat. Denn der Gruß ^ »«vnN JL;.^aA = ^v xvqCcol xaCgsiv
steht hinter den Namen deutlich da, ist auch in meiner Pnblication
nicht etwa durch Versehen ausgelassen. Durch die Namenliste
selbst wird die Echtheit des Documents verbürgt; sie ist sogar
der stärkste, jedem Zweifel entzogene Beweis dafür. Es giebt in
der publicistischen und kirchenrechtlichen Litteratur des 4. Jahr-
hunderts eine stattliche Reihe von solchen Listen: keine einzige
ist gefälscht, sie sind ausnahmslos die wertvollsten historischen
Documente, freilich ebenso ausnahmslos, wenn man von der nicae-
nischen Liste absieht , nur in unvollkommener Weise oder über-
haupt noch nicht publiciert und niemals wissenschaftlich behandelt-
Durch das Corpus canonum sind aus dem 4. Jahrhundert erhalten
die Listen der Concile von Nicaea, Ancyra, Neocaesarea, Gangra,
Antiochien und Cunstantinopel. In der jüngeren Recension des
Corpus canonum, die in den griechischen Hss. vorliegt, sind diese
Listen meist weggefallen; sie stehen aber in den lateinischen und,
am besten und correctesten, in den syrischen Uebersetzungen, die
zur Geschichte des Athanasius VII 327
ans der älteren Redaction des Corpus übertragen sind*). Als
Beispiele von Listen die mit den Actenpublicationen der Pübli-
cistik zusammenhängen, aus denen auch das Actenfascikel der
antiochenischen Synode ursprünglich stammt, führe ich auf:
Die Unterschriften des alexandrinischen und mareotischeh
Xleras unter der Encyclika Alexanders, von Athanasius als Bei-
läge tu de decrcüs Nicaenae synodi veröffentlicht, vgl. li'^achr. 1904,
391 ff. 1905, 265. 295 ff.
Die Liste des melitianischen Klerus , die Melitius nach dem
nicaenischen Concil Alexander von Alexandrien übergab: Äthan,
apol. c. Arian. 71.
Die Namen der Bischöfe die auf der occidentalischen Synode
von Sardica anwesend waren oder ihren Beschlüssen durch nach-
trägliche Unterschrift beitraten: Athanas. apol. c. Arian. 50.
Dazu gehören die Unterschriften unter den Briefen derselben
Synode und des Athanasius an den mareotischen Klerus, die durch
die s. g. Sammlung des Theodosius Diaconus erhalten sind , vgl.
Nachr. 1904, 381.
Die Namenliste des orientalischen Concils von Sardica: [Hi-
larius] frg. hist. 3.
Die Unterschriften unter dem Synodalschreiben von Ankyra:
Epiphan. 73, 11.
Die Unterschriften der Synode von Seleukeia in Isaurien:
Epiphan. 73, 26.
Die Adresse und die Unterschriften des von Athanasius an
die Paulinianer in Antiochien geschickten Tomos: Äthan, opp. t.
1, 770. 776.
Zum Schluß mag noch auf die interessante Notiz hingewiesen
werden über die Subscriptionen des antiochenischen Concils von
379, die sich in Nr. 3 der s. g. Sammlung des Theodosius Diaconus
nach 6 vollständigen Unterschriften findet [Nachr. 1904, 363]: si-
militer et alü CXLVI Orientales episcopi suhscripserunt, quoriun sub-
scriptio in authentico hodle in archiuis Romanae ecclesiae tenetur.
In all diesen Listen ist auch nicht die geringste Spur einer
Fälschung zu entdecken ^) ; Fehler der Ueberlieferung sind keine
1) Vgl. die Notiz in der isidorischen Version [Turner, eccles. occid. mon.
iur. antiquiss. 2, 1, 48] : conuenerunt autem in synodum memoratam Ancyrae [et]
Caesareae hü quorum nomina et loca [das trifft nur für die Synode von
Ancyra zu] in greco sermone continent ur.
2) Es geht jetzt allerdings die Rede um, daß die nicaenischen Listen nach-
träglich von Athanasius auf deüi s. g. Concü von Alexandrien zusammengestellt
328 E. Schwartz
Fälschungen. Umgekehrt finden sich in den wirklichen auf das 4.
Jahrh. bezüglichen Fälschungen wie sie sich an das Nicaenum an-
gesetzt haben, nirgend Namenlisten : vor so gefährlichem Beiwerk
nahmen sich die Fälscher in Acht, hatten auch gar kein Interesse
dafür. Es wäre einfach beispiellos, wenn ein obscurer, unwissender
Scribent ein von ihm fabriciertes Sjmodalschreiben mit einer Liste
von 56 Bischofsnamen ausstaffiert hätte. Die äußere Form der
seien. Das ist ein von RevUlout [s. o. S. 314] in die Welt gesetzter Unsinn, der
sich Punkt für Punkt widerlegen läßt. Er behauptet 1) daß jener a. a. 0. erwähnte
historische Bericht über das nicaenische Concil das Protokoll jenes alexandrinischen
Concils sei, was nirgend auch nur mit einem Worte überliefert ist ; er ist überhaupt
kein Actenstück und verfolgt wesentlich den Zweck zu entschuldigen daß in der Liste
des ersten oekumenischen Concils verhältnismäßig so wenig occidentalische Bischöfe
stehen; 2) daß diese vonRevillout erschwindelten Acten des Concils von Alexandrien
mit dem Synodikon des Athanasius identisch seien, in dem nach Socrat, 1, 13, 12
die nicaenische Liste stand. Das ist einfach haarsträubend; wie soll der röfiog
einer Synode das Synodikon eines einzelnen Bischofs genannt werden? Gar nicht
davon zu reden daß es eine absurde, durch keine Ueberlieferung oder auch nur
Analogie zu stützende Vorstellung ist, daß eine Synode die Namenliste einer
längst vergangenen publiciert. In Wahrheit ist das Synodikon des Athanasius eine
Interpolation im Text des Sokrates [Nachr. 1904, 398] , mit der man endlich
aufhören sollte Unfug zu treiben. Die Räubergeschichte endlich, daß die Arianer
die Acten des nicaenischen Concils verbrannt hätten [Le concile de Nicee 6], läuft
auf die erschwindelte lateinische Correspondenz zwischen Athanasius und dem
römischen Papst Marcus, dem Nachfolger Sylvesters, zurück [Athanas. opp. t. 2,
665]; alles nötige hatte Hefele schon im Jahre 1851 [Theolog. Quartalschr. 1851,
43] darüber gesagt. Es ist mir unbegreiflich wie ein Forscher von dem Range
Geizers Revillouts dilettantisches Geschwätz hat ernst nehmen können : die Stellen
die er über das s. g. Concil von Alexandrien [p. XLIX] vorführt, bedeuten nichts
weiter als daß 362 in Alexandrien das nicaenische Symbol für gültig erklärt wurde,
was gegenüber der constantinopler Synode von 360 sehr nötig war; übrigens war
das Concil von Alexandrien alles andere als oekumenisch und hatte keine andere
Tendenz als in das antiochenische Schisma einzugreifen und die Meletianer zur
Gemeinde des Paulinus hinüberzuziehen. Wenn Geizer schließlich verlangt [p
XLVII], die Liste hätte wie die Subscriptionen der späteren Concilsacten nach
dem hierarchischen Range geordnet werden müssen, so vergißt er dabei 1) daß
die Metropolitanverfassung 325 noch in der Entwicklung war und 2) daß die
nicaenische Liste nicht mit den Concilsacten der späteren Zeit, sondern mit den
Synoden des 4. Jahrh. und mit dem Usus der Kanoneshss. verglichen werden muß.
Da ist in den Subscriptionen nie die hierarchische Ordnung beobachtet, sondern
entweder gar keine — das ist das gewöhnliche — oder die geographische. So ordnet
Athanasius z. B. die Beitrittserklärungen zum Concil von Sardica [apol. c. Arian.
50], 80 sind die Subscriptionen der Kanones von Constantinopel, ja noch von
Chalkedon geordnet. Die nicaenische Liste ist genau so authentisch und ebenso
unter kaiserlicher Autorität publiciert wie das Symbol und die Kanones auch;
sie verlangt dringend einen sorgfältigen, historischen und geographischen Commentar.
zur Geschichte des Athanasius VII 329
Liste ist tadellos. Daß die Namen mit der Adresse und dem Grruß
verbunden sind, hat seine Analogie in den Schreiben der antioche-
nischen Synode gegen Paul von Samosata [Eus. KGr 7, 30, 2], der
Synode von Gangra, des athanasianischen Tomos an die Antiochener;
bei der kanonischen Synode' von Antiochien steht in der syrischen
Uebersetzung die die alte Anordnung am treuesten erhalten hat,
das Schreiben voran, dann die Namen an der Spitze der Kanones.
Auch der üccident liefert Beispiele für diese Art: so Cyprian ep.
70 oder die Ueberschrift der Schreiben welche die römische Sy-
node der 93 Bischöfe von 372 erKeß [Nachr. 1904, 362 fF.]. Die
Bischofssitze sind weggelassen: grade das ist der ältere Usus der
erst allmählich verdrängt wird und immer wieder auftaucht. Sie
fehlen ebenso in den Adressen der Synoden gegen Panl von
Samosata und von Grangra, sowie der Briefe des afrikanischen
Concils aus dem 3. und des römischen aus dem 4. Jahrhundert, die
eben erwähnt sind, in den Unterschriften des Concils von Neocae-
sarea und des occidentalischen Concils von Sardica — nur in den
Grrüßen die dem Brief der Synode an den mareotischen Klerus
angehängt sind, sind auch die Thronoi z. Th. mit aufgeführt —
sowie in denen der späteren, 'semiariani sehen' Synode von Ankyra.
Am Ende der Einleitung des antiochenischen Synodalschreibens
giebt der Einberufer die Provinzen an, aus denen Bischöfe zur
Synode gekommen sind: auch das entspricht dem Stil der älteren
Synodalbriefe des vierten Jahrh. Die langen Aufzählungen von
Provinzen in den Adressen des occidentalischen [Äthan, apol. c.
Ar. 86] und orientalischen [[Hilar.] frg. bist. 3] Concils von Sardica
sind bekannt, ebenso die recht renommistischen in der Adresse
des Tomus ad Antiochenos; am Schluß der Namenliste des ka-
nonischen Concils von Antiochien steht, nach der syrischen Ueber-
lieferung ex ÖLcccpögcov STcaQii&v^ UvQiag Koili]g, ^OLvCxrig, HaXai-
ötCvrig, ^AgaßCag, MsöOTioza^iag^ KUixCag, ^löavQiag, in den Schreiben
der Synoden von Ankyra [Epiphan. 73, 2] und Seleukeia [^piphan.
73, 25] ist ein allgemeines ex dtaq)6Qcov eitaQxicbv an Stelle der
Namen getreten.
Hr. Harnack hat die, allerdings von vornherein vergebliche,
Mühe gescheut auch die Namenliste im Einzelnen als das stümper-
hafte Machwerk eines späten Fälschers nachzuweisen , obgleich man
meinen sollte daß ein Fälscher des 6. oder 7. Jahrhunderts, der
von Chronologie keine Ahnung hatte [S. 488], auf einem so gefähr-
lichen Terrain wie eine Liste von nicht weniger als 56 Namen
ist, mit Leichtigkeit ertappt werden könnte. Er sagt nicht einmal
ausdrücklich, daß die Liste gefälscht sei, sondern schließt daraus
330
E. Schwartz
daß nach meinen Zusammenstellungen 49 (richtiger 48, s. u.) von den
56 Bischöfen auch in Nicaea waren, daß das Synodalschreihen das
Nicaentim voraasetzt [S. 483. 482J. Den Schluß verstehe ich nicht;
es liegt doch auf der Hand daß eine Synode die wenige Monate
vor der nicaenischen in der östlichen Reichshälfte tagte, im Wesent-
lichen von Bischöfen besucht gewesen sein wird, die auch an jener
teilnahmen. Wenn Hr. Harnack etwa meint, die Liste sei aus der
nicaenischen entlehnt, so spricht dagegen erstens, daß die Rechnung
nicht aufgeht ; denn 8 ^) Namen fehlen dort, darunter zwei, Moqimu
-- ein arabischer Name den ein Fälscher des 6. oder 7. Jahrh.
wahrhaftig nicht erfunden haben kann — und Alexander^), die
auch in den Subscriptionen des kanonischen Concils von Antiochien
erscheinen, und 5 harmlose Namen, Irenaeus, Rabbula, Irenicus,
Avidius und Terentius, von denen namentlich Rabbula nicht nach
Fälschung aussieht. Zweitens braucht man sich nur die kleine
Mühe zu machen und ilie Liste des antiochenischen Synodalschreibens
mit der nicaenischen zusammenzustellen um zu sehen daß jene
nicht aus dieser abgeschrieben sein kann. Damit sich jeder sofort
ein Bild von dem Sachverhalt machen kann, setze ich die Liste
des Synodalschreibens mit den Nummern der nicaenischen Sub-
scriptionen und den Provinzen her:
Evösßiog
190 Isaurien
FQTjyÖQLog
^2 i Phoenici
Evördd^tog
50 Syrien
Mdyvog
^Aiiq)Cov
84 Kilikien
nixQog
28 oder 69
Baöetavog
54 oder 71
Aovylvog
27 Palaestina
ZrivößLOs
51
Syrien
MaviXLog
64 Syrien
JIinsQLog
57
Moxi^og
—
2^aXafidvrig
56
Idyaniog
177 Isaurien
1) Hr. Harnack zählt 7, aber nur, weil er meine Zusammenstellungen nicht
sorgfältig nachgeprüft hat, s, u.
2) In der syrischen Liste steht
Nach constantera Gebrauch der Liste wird neben dem Thronos auch die Provinz
angegeben, umgekehrt ist Uirgog IIaXuiaxCvr\g Unsinn. Da Petros in Nr. 28 der
nicaenischen Liste als Bischof von Nikopolis in Palaestina aufgeführt wii'd, ist
zu emendiren:
Auch Moqimu entbehrt in der antiochenischen Liste des Thronos; er und Alex-
ander werden Chorepiskopen gewesen sein.
zur Geschichte des Athanasius VII
331
MaxsdövLog
JTccvkog
Baööiavög
UdksvKog
2J(07catQog
^AvxCoxog
MaxaQLog
'Idxcjßog
^Ekkccvixog
Nixr]tccg
!^QX£^ccog
MaxQtvog
FsQ^avög
^AvatoXtog
Zcotlog
KvQiXlog
UavUvog
^AixLog
McoöTig
Evördd-Log
Ake^avÖQog
90 Kilikien
31 oder 66
54 oder 71 Syrien
68 Syrien
76 Arabien
80 Mesopotamien
21 Palaestina
79 Mesopotamien
44 Phoenicien
87 Kilikien
58 Syrien
29 Palaestina
22 Palaestina
49 Phoenicien
61 Syrien
183 Isaurien
89 Kilikien
34 Palaestina
86 Kilikien
65 Syrien
Eigrivatog
"PaßßovXag
JJavXog
AovTCog
Nixö^axog
0LX6^£vog
Md^L^og
MaQtvog
EvcpQavtLov
TaQXcovdi^avrog
Elgrivixog
nixQog
nriydöLog
Ev^v^iog
^döxXriTtiog
'Alcpsiog
Bdööog
FegöviLog
^HsviLog
lAvCÖLog
31 oder 66
72 Arabien
65 Syrien
30 Palaestina
23 Palaestina
59 Syrien
91 Kilikien
28 oder 69
70 Syrien
95 Kappadokien
37 Palaestina
53 Syrien
62 Syrien
63 Syrien
92 Kilikien
— Tsgavtiog
Der Fälscher müßte mit geradezu teuflischer Schlauheit sich
die ISTamen aus den nicaenischen Subscriptionen herausgepickt und
dann durcheinander geschüttelt haben, damit ein solches Verhältnis
herauskommt. Dabei ist zu beachten daß es durchaus das Gre-
wöhnliche ist, wenn solche Listen sich um die Ordnung nach Pro-
vinzen nicht kümmern: diejenigen welche die Thronoi mit aufFühren^
wie die der kanonischen Synoden von Ankyra und Antiochien oder
die des orientalischen Concils von Sardika oder des Concils von
Seleukeia erfreuen sich der buntesten geographischen Unordnung.
Schließlich scheitert jeder Versuch die Liste für eine nach den
nicaenischen Subscriptionen fabricierte Fälschung auszugeben an
dem achten der dort fehlenden Namen, an Lupus. Mit diesem in
der östlichen Reichshälfte gewißlich seltenen Namen — in der
Kirchengeschichte des 4. Jahrh. kommt er meines Wissens sonst
nicht vor — kann nur der Bischof von Tarsus gemeint sein, der
auch an den Synoden von Ankyra und Neocaesarea teilnahm. In
Nicaea unterzeichnete an seiner Statt Theodorus ^). Man kann
1) Diesen Sachverhalt hatte ich schon Nachr. 1905, 287 auseinandergesetzt,
ohne viel Wesens davon zu machen. Hr. Harnack hat entweder über die Beob-
achtung hinweggelesen oder geglaubt sie nur dadurch widerlegen zu können, daß
er über sie schwieg.
332 E. Schwartz
gar nichts anders als scUießen daß Lupus zwischen den Synoden
von Antiochien und Nicaea gestorben ist : aus der Namenliste läßt
sich der schlagende Beweis führen, daß die Synode vomicaenisch
ist. Athanasius führt in dem Rundschreiben an die aegyptischen
und libyschen Bischöfe [8] die Ealikier Lupus und Amphion (von
Epiphania) unter einer langen Reihe von orthodoxen Bischöfen
auf: wo soll Lupus, der nicht in Nicaea war, seine Orthodoxie
bewährt haben, wenn nicht auf der Synode von Antiochien?
Die Adresse des Synodalschreibens lautet: Jojto ja .»nS
6/Lio^u;^cöt ddskg)col xal övkleirovQ'yüi ^Ale^dvÖQcai. Dazu bemerkt
Hr. Hamack [S. 479] : Dieses o^oiljvxcot findet sich auch in dem echten
Schreiben des Alexander von Alexandrien an diesen Alexander von
Bijzanz. Die Bemerkung scheint sehr überflüssig, soll aber wohl
auf die These vorbereiten [S. 486] , daß der Fälscher seiner Fäl-
schung die beiden Schreiben Alexanders von Alexandrien zugrunde
gelegt und sie hauptsächlich nach ihnen construiert hat. Das tut sie
nun freilich nicht, denn o^öipvxog gehört zu den stehenden Phrasen
der Anrede, aus denen auf fälschende Imitation zu schließen eine
Absurdität ist. Philogonios von Antiochien nennt in seiner Unter-
schrift den 1 6 flog Alexanders toi) dsönörov xal o^otfjvxov ^ov
'AXs^dvÖQov [Nachr. 1905, 267], Alexander von Thessalonich redet
Athanasius mit oiiöjjjvxog övlXsLtovQyög an [Äthan, apol. c. Ar. 66],
die kanonische Synode von Antiochien adressiert totg xat'' iitaQyiav
o^ofvxocg xccl äyCoig evXksttovQyolg und ähnlich die spätere Synode
von Ankyra KVQioig tL^Kotdtoig xal o^oiJjvxoLg evlXsLtovQyotg zoig
ev OoLVixrii. Die kaiserliche Kanzlei hat die Anrede recipiertr
Constantin schreibt an Alexander und Arius mit der, der Wirklich-
keit freilich nicht sehr entsprechenden Periphrase [Eus. Vit. Const,
2,68, 2] TCQog Trjv o^öjjjvxov v(ig)v dyxivoiav.
Es ist Hm. Hamack sehr ärgerlich daß an der Spitze der
Namenliste ein Eusebius steht, mit dem er nichts anzufangen weiß.
Meiner Vermutung daß es der aus den nicaenischen Subscriptionen
bekannte Eusebius von Isauropolis sei, stellt er die kategorische
Behauptung entgegen [S. 487]: Das hann natürlich [diese Partikel
pflegt Hr. Hamack mit Vorliebe zu gebrauchen, wenn er sich den
Beweis ersparen will] nicht sein. So verfährt kein Fälscher; er
braucht einen illustren l^amen ! Nach dieser Logik würde der Fälscher
sich kaum die überflüssige Mühe gemacht haben 56 keineswegs
illustre Namen an die Spitze seines Machwerks zu stellen; statt
aber auch nur einen Augenblick an seiner These irre zu werden,
zimmert Hr. Hamack folgenden Cirkelschluß zusammen: das Docu-
zur Geschichte des Athanasius VII 333
ment ist gefälscht, also darf kein obscurer Name am Anfang stehen;
es steht aber ein solcher da, also ist er falsch. Ich und hoffent-
lich alle unparteiischen Leser werden umgekehrt schließen: weil
ein gänzlich unverfänglicher Name an der Spitze steht, ist aus ihm
für den Beweis der Fälschung nichts zu holen, und wenn Hr. Har-
nack den Namen wegbringen muß um seinen Beweis der Fälschung
überhaupt aufbauen zu können, so taugt eben dieser Beweis nichts.
Ihm ist allerdings mit einem Schlage Mar geworden daß Eustathius
an den Anfang gehört, und die Adresse zu lesen sei tcbi äyicoi Kai
ofto^v^coi ddsX(pa)L äyaTtr^rcbi xal CvXXaurovQym ^AXei^dvdQcoi {tm)
svösßsl Evördd-iog ktL Das ist eine Conjectur nicht zum syrischen
Text, sondern zu dessen griechischem Original oder vielmehr im
günstigsten Falle zu dem Text aus dem die griechische Hs. welche
der Syrer übersetzte, abgeschrieben ist : denn in dieser selbst muß
nach dem Zeugnis des Syrers Evösßiog gestanden haben. Nun
pflegt man solche Eingriffe sich nur zu erlauben, wenn der Beweis
der Corruptel mit Evidenz geführt ist, und mindestens den Leser
darauf aufmerksam zu machen daß man nicht einen wirklich vor-
handenen, sondern einen supponierten Text corrigiert; aber auch
von solchen philologischen Pedanterien abgesehen, ist es mit der
Klarheit die Hm. Hamack mit einem Schlage gekommen ist, nicht
weit her : warum schließt er denn den Artikel vor svösßet in eine
mehrdeutige Klammer ein? Wenn er schließlich mir den Rat
erteilt den Text in derselben Weise zu verbessern, so muß ich
mir das mit Entschiedenheit verbitten: ich weiß zwar selbst am
besten, wie mangelhaft meine griechischen TJebersetzungen sind,
aber einen so groben Schnitzer begehe ich nicht, wie der ist den
Hr. Harnack in die Adresse hineinbringt. In den Briefen des
4. Jahrh. ist die ältere Form, die Titel oder Höflichkeit s anrede
hinter den Namen setzt*), zwar noch nicht ganz verdrängt, tritt
aber doch hinter der jüngeren Weise zurück die Praedicate der
Anrede vor den Namen zu stellen ^) : dagegen ist es unmöglich
1) Z. B. Athanas. apol. c. Arian. 78 und 79 ^lavCan ^LOvvaLcot, tcbi Iccfi-
ngordtaa K6(iritL. Dionys von Alexandrien im kanonischen Brief an Basileides
JiovvGios BaGilsLÖriL xm ccyccTtrit&L ^ov vtcbi "KuI icdsXcp&i ovXXsLtovQyüL yial
d-aoTtQBTtai. So hat Lagarde [reliq. iur. eccl. p. 55, 6] richtig ediert; Feltoe
[Dionysius of Alexandria p. 94] durfte das in einigen, nicht allen Hss. über-
lieferte Kai vor övXXsLtovQy&L nicht aufnehmen. Zu dieser Form gehört auch
das schematische ccyaTiritotg ccdsXcpots oder nvQioLg tLfiicoTdtoig, das hinter den
Namen [Brief des lulius von Rom, Äthan, apol. c. Arian. 21] oder der Collectiv-
anrede eingeschaltet wird [Äthan, apol. c. Arian. 1. 37. 57. 77].
2) Die Beispiele sind massenhaft: ich führe nur einige an, die mir grade
am Wege liegen und in die gleiche Sphäre gehören wie das antiochenische Synodal-
334 ^ Schwartz
durch den Namen, wie Hr. Harnack es tut, die Praedicate in zwei
Teile zu zerschneiden. Denn dadurch wird das was hinter dem
Namen steht, zum individuellen Beinamen, dem directen Gregensatz
des allgemeinen, dem Stande geltenden Höflichkeitspraedicates ;
es ist platterdings unmöglich daß ein einzelner christlicher Bischof
den Beinamen Plus offiziell geführt hätte wie weiland der Kaiser
Antoninus. Wäre die von Hm. Harnack construierte Anrede
überliefert, so würde sie entweder zu corrigieren sein oder für
die Schreiberei eines Illiteraten zu gelten haben oder das stümper-
hafte Machwerk eines Fälschers verraten: derartiges aber über
einen übersetzten, gänzlich unversehrten, der Corruptel in keiner
Weise verdächtigen Text hinweg in ein zu erschließendes Original
hineinzukorrigieren, ist ein unerhörter Gewaltstreich.
Ich hatte angenommen daß der an der Spitze der Liste
stehende Eusebius die Synode einberufen und geleitet hat und mit
dem identisch ist, der am Eingang des Schreibens in erster Person
redet und motiviert daß die S3mode überhaupt stattgefunden hat.
Denn sie war ungewöhnlich, weil sie nicht von dem antiochenischen
Bischof, sondern von einem Fremden berufen war. Das folgt alles
einfach und ungezwungen aus dem Text und stimmt mit der
anderweitig feststehenden Tatsache überein, daß damals der anti-
ochenische Thronos vacant war. Hr. Harnack vermag sich freilich
den Vorgang nicht vorzustellen [S. 485] : diese Art wie die Synode
zasanmiengekonimen sein und tvie ein obskurer Mann hier das Wort
geführt haben soll, ist ebenso unglaithlich, um nicht zu sagen, unmög-
lich, u'ie alles [!] übrige. Gewiß, eine gewöhnliche Synode wie sie
in den Compendien der Dogmengeschichte zu Dutzenden figurieren,
war die antiochenische von 325 nicht. Aber die Zeit war unge-
wöhnlich, die Gemeinden mußten sich von dem Druck der letzten
schreiben. Briefe des Arius Epiphan. 69,6 = Tbeodoret 1, 5, 1 tivg^ai nod-si-
votdcrcaL, Scv^Q^nav <9"fov niat&i dg^odd^coL Evasßicoi ; des Arius und seiner An-
hänger Epiphan. 69, 7 = Äthan, de synod. 16 (iwuccgiaL ndnai xai i7ti6%6'jtaii
rjfimv 'JXs^ccvSqcol] des Eusebius von Nikomedien Theodoret. 1,6,1 t&i dsanoTrii
fiov JJavXCvwi ; Alexanders von Alexandrien Nachr. 1905, 266 [aus dem Syrischen
übersetzt] xmi Ssan6triL xai avXXsixovQycäi (lov biLoipv%(ai MeXitCon, Theodoret.
1, 4, 1 rc6i tifiKOTcHxcoi, &8sX(pä)i xal öfioxpvxan 'AXs^ccvdgaii', Alexanders von Thessa-
lonich Atlianas. apol. c. Ar. 66 xvp/wt ScyanriTm vtcöi xal 6iio\l)vx(ot ffvXXBirovgy&L
^A^avaala>L ', der Synode von Konstantinopel Theodoret. 2,28 xvp/coi rtfitcoTarcot
iniaxoTiai rfig 'AXe^avSgsiag reaygyioat ; der Synode von Alexandrien Theodoret. 4, 3, 1
[Athana^ius t. 1, 780 läßt die Ueberschrift weg] tot s'bXaßsardTiot, xal (pdav&gio-
notuxaii. iVTtxTjr^t Avyovaxai 'laßiavän] des ancyrenischen Klerus von der Partei
des Marcellus Epiphan. 72, 11 xoig aCösöiiiaytdxoig xal ccyiaxccxoig imcKOTtoig
xoig iv JLonaiaagBCai hntgogia^doiv hn%g xfig sig xbv a(oxf)ga t)(i&v '/»jffoCv
Xgiaxbv 6gd'od6^ov nCcxeoig.
zur Geschichte des Athanasius VII 335
Jahre unter Licinius erst wieder sammeln, der arianische Streit
wühlte die Kirche immer tiefer auf, es war das Unerhörte ge-
schehen daß ein Kaiser, der das seit einem Menschenalter geteilte
Reich wieder vereinigt hatte, der im vollen Glanz des Sieges und
der Machtfülle strahlte, die eben noch chicanierten, gradezu ver-
folgten Bischöfe zu einer Synode einlud, wie sie die Kirche allein
nie hätte zusammenbringen können ; einem solchen Ereignis müssen
alle mit fieberhafter Spannung entgegengesehen haben, vor allem
die Anbänger des alexandrinischen Stuhls, da die einzige Aeußerung
Constantins , die bis dahin vorlag , der Brief an Alexander und
Arius [Eus. V. Const. 2, 64 ff.], durchaus nicht zu Gunsten jenes
ausgefallen war, Unter solchen Umständen ist es schon glaublich
daß ein orthodoxer Heißsporn die Gelegenheit wahrnahm und durch
eine rasch zusammengerufene Synode ein fait accompli schuf. Man
vergesse nicht, wie frei die Ordnungen der Kirche damals noch
waren; die Kanones von Nicaea und Antiochien lehren ja jeden
der Augen hat zu lesen, wie sich erst in der vom Staat aner-
kannten Kirche die festen Regeln der Metropolitanverfassang her-
ausgebildet haben. Noch in Basilius Zeiten sind tumultuarisch zu-
sammenberufene Synoden durchaus nichts Ungewöhnliches , und
vollends vor Nicaea wird rechtlich jeder Bischof, wenn man von
den exceptionellen Verhältnissen in Aegypten absieht, zu einer
Synode haben einladen können; es kam nur darauf an, ob die
övXkeixovQyoC es für nötig und gut hielten zu kommen, und daß
die Beschlüsse anderwärts nicht auf Widerstand stießen. Also
unglaublich ist von dem was aus dem Synodalschreiben sich über
die Einberufung der Synode ergiebt , gar nichts , unglaublich ist
höchstens die Sicherheit mit der Hr. Harnack sie für unmöglich
erklärt, obgleich über die kirchenrechtlichen Grundlagen der vor-
constantinischen Bischofssynoden nichts gearbeitet ist und niemand
bis jetzt daran denkt daß das überhaupt ein Problem sein könnte.
Endlich pflegt es im Großen und Ganzen doch einer Urkunde zur
Empfehlung zu gereichen, wenn sie nicht Trivialitäten enthält,
die jeder sich ausdenken kann, sondern Ueberraschungen bringt
und Verhältnisse voraussetzt, die unsere historischen Anschauungen
corrigieren und lebendiger machen. Wo sollen wir denn hin-
kommen, wenn bei jedem neuen Fund der nicht ein wertloser
Fetzen ist, gleich der träge Ruf erschallt 'unglaublich, unmöglich !',
statt daß man sich daran setzt das Alte und Vorhandene zu revi-
dieren, ob da wirklich schon alles so fertig und in Ordnung ist,
daß das Neue mit sattem Behagen weggeworfen werden kann.
Ob nun jener Eusebius wirklich aus Isauropolis war oder
336 E. Schwartz
nicht, davon hängt für die Echtheit der Urkunde nichts ab. Grewiß
ist die Praemisse meiner Vermutung, daß der wirkliche oder, was
auch möglich ist, nominelle Führer der antiochenischen Synode
auch in Mcaea gewesen sein müsse, zwar wahrscheinlich, aber
doch nicht so gewiß, daß sie einen zwingenden Schluß ver stattete.
Ich will hier nur betonen, weil Hr. Harnack es verschweigt, daß
außer Euseb noch zwei Isaurier in der Namenliste erscheinen,
Agapios von Seleukeia [Nie. 177] und Kyrill von Umanada [Nie.
183], ferner daß in der Aufzählung der Provinzen es ausdrücklich
heißt [p. 274,1] JLuoo^JLdJLoA) ^öt ^ ^*i»jjl »sjo [= xai iviovg
räv iv KamtaSoKiai] , während nur ein kappadokischer Bischof,
Eupsychios von Tyana, in der Liste steht. Da liegt die von mir
geäußerte Vermutung allerdings nahe, daß Isaurien mit Kappa-
dokien zusammengefaßt wird, und Hr. Harnack konnte sich die
entrüstete Anmerkung [S. 485^] sparen: aber Isaurien ist in der
Liste der Provinzen, aus denen Bischöfe sii der Synode nach Antiocliia
gel'mmnen sind, überhaupt nicht genannt!
Ich habe schon darauf hingewiesen daß die antiochenische
Synode unter dem Druck der Erwartung steht, was die große,
vom Kaiser nach^Ankyra ausgeschriebene Synode bringen würde.
Das verrät sich in ihren Beschlüssen. Sie kündigt zwar Theodot,
Narciß und Euseb die Gremeinschaft auf und warnt Alexander
von Constantinopel davor mit ihnen zu correspondieren , aber sie
spricht die Excommunicationsformel nicht aus und gestattet ihnen
auf der bevorstehenden Synode Buße zu tun. Es erschien den
frommen Vätern doch gefährlich der Entscheidung des Kaisers
gar zu entschieden vorzugreifen, der sich so energisch um die
Kirche kümmerte ; sie begnügten sich damit die Gegner durch
ein Praejudiz zu schädigen, wollten aber keine Uiteile fällen, die
definitiv nur durch die kaiserliche Synode ergehen konnten. Daß ein
so kostbares Stück lebendiger Greschichte, das die constantinische
Zeit drastisch illustriert, nicht von einem Fälscher und nun gar
von einem Fälscher des 6. oder 7. Jahrhunderts erfunden sein kann,
sollte jedem Historiker sofort einleuchten: Hr. Harnack läßt alle
Künste seiner Dialektik spielen um folgenden Unsinn zu beweisen
— ich bin vorsichtig genug seine eigenen Worte genau herzu-
setzen [S. 482]: also steht es so: unser [!] Synodalschreiben will vor-
nicaenisch sein, enthält aber durch die Erwähnung der bekannten
Synode von Ancyra als noch zukünftig einen ganz groben historiscJien
Verstoß; denn hiernach müßte unser Schreiben vor da^ Jahr 315
fallen, in welchem doch von Arianismus noch keine Rede war. Zu-
nächst wird decretiert daß eine Synode die noch nicht abgeJmlten
zur Geschichte des Athanasius VII 337
istj nicht die ^große und heilige' genannt tverden kann. Warum denn
nicht? Wenn der Kaiser eine Synode von Bischöfen beruft, so
ist ihre Rechtsgrundlage gegeben; das ist ein kirchenrechtlicher
Satz den die Politik Constantins schon im Occident aufgestellt
und nachher auch im Orient durchgeführt hat und der bis tief
ins Mittelalter hinein seine Gültigkeit behielt. Existiert eine
Synode aber rechtlich von dem Zeitpunkt an, in dem sie der
Kaiser berufen hat, so steht nichts im Wege ihr die Devotions-
praedicate zu gewähren; ja es ist sogar höchst unwahrscheinlich
daß die Bischöfe in Antiochien, denen alles daran liegen mußte
den Kaiser auf ihre Seite zu bringen, so schlechte Politiker ge-
wesen sind, daß sie der vom Kaiser geladenen Synode, einem, wie
ich nicht unterlasse zu betonen, im Orient noch nicht dagewesenen
Novum, die gewöhnlichen Ergebenheitsfloskeln versagten. Nach
Hrn. Harnack ist es ferner unwahrscheinlich daß 'die große und
heilige Synode von Ancyra' eine andere sein soll als die durch ihre
Kanones allgemein bekannte. Also, wird weiter geschlossen, kann
das Synodalschreiben nur diese meinen; weil es aber zugleich von
der Synode von Ankyra so redet, als wenn sie erst bevorstände,
begeht es einen groben historischen Verstoß ; also ist es gefälscht.
Erst wird willkürlich etwas supponiert, das nur in einer Fälschung
vorkommen kann, und dann die Fälschung gefolgert; jeder der
den Text verstehen und nicht von vornherein verdammen will, wird
umgekehrt schließen daß mit der großen und heiligen Synode von
Ankyra eben nicht die durch ihre Kanones allgemein helmnnte ge-
meint ist, um so weniger als diese ausschließlich durch das Corpus
canonum bekannt ist und in allen Texten dieses Corpus aus-
drücklich angegeben wird daß die Kanones von Ankyra vor den
nicaenischen erlassen sind ^). Hr. Harnack behauptet selbst daß
1) Griechisch [Pitra iur. eccl. mon. 1,441]: Kavovsg t&v iv 'Ayavqai avvsX-
^ovtcov ^ccuccQLcov ■nccrsQOüv, oi'tivsg TtQoysvsatSQOL ^isv slolv x&v iv NfnaiccL ehte-
Q'ivtGiv y.ccvovcov, dsvtSQSvovOL ds dtcc rrjv tfjg oCyioviisvinfig gvvoSov avd'svtiav.
Syrisch [nach der ältesten Hs., die die im Jahr 501 angefertigte Uebersetzung
bietet] : oy>>cy)JL); ^jJ yY>.y6 )jqic ^o^ . j^^Vjo ^yonv \joso jVoailr^; ^oiopoGo;
. ).n.t'^; Prisca [Turner 2, 1, 19] isti canones priores quidem sunt Nicaenis cano-
mbus expositis: sed tarnen Nicaeni primo scripti sunt propter auctoritatem sanctae
et magnae synodi quae facta est in Nicaea. Isidorische Version [Turner a. a. 0. 48]
isti quidem canones seu regulae priores sunt Nicaenis: sed ideo Nicaeni canones
priores scripti sunt propter auctoritatem magni et sancti concilii apud Nicaeam
hahiti. Dionysius Exiguus I [Turner a. a. 0. 49] : canones Anquirani priores
quidem sunt Nicaenis: sed ideo Nicaeni praelati sunt propter auctoritatem ipsius
uenerandi concilii. Dionysius IT: istae regulae priores quidem sunt Nicaenis:
Kgl. ües. ä Wiss. Kachrichten. Philolog.-hist. Klasse. 1908. Heft 3. 24
338 E. Schwartz
der Fälscher eine Kanonessammlung 'besessen' hat [S. 488]: nnn
gut, dann wußte er daß diese Synode vornicaenisch war und
konnte nicht auf die horrende Dummheit verfallen sie in seiner
Fälschung als zukünftig zu behandeln und sich zugleich, wie Hr.
Harnack meint [S. 483], auf das Nicaenum zu beziehen.
Doch das sind alles nur dialektische Quälereien, mit denen Hr.
Harnack dem unschuldigen Text blödsinnige Aussagen abpreßt:
sowie man sich klar macht daß die kanonische Synode von Ankyra
nur durch das Corpus canonum, also nicht allgemein — kein
Kirchenhistoriker erwähnt sie — bekannt ist und von einer Ur-
kunde nicht verlangt daß sie nur Dinge berührt, die uns durch
die Zufälligkeiten der Überlieferung nahe liegen, ist alles plan
und in Ordnung: nach dem Synodalschreiben steht eine große
Synode in Ankyra bevor, der die Bischöfe eine besondere Autorität
beimessen. Nun habe ich ein zweimal publiciertes , aber gänzlich
vergessenes Schreiben Constantins hervorgezogen [Nachr. 1904,
348. 1905, 289], in dem eine Synode die nach Ancyra berufen ist,
nach Nicaea verlegt wird; da der Kaiser in Aussicht stellt der
Synode persönlich beizuwohnen, kann nur das große nicaenische
Concil gemeint sein. Die antiochenische Synode muß andererseits
aus den schon entwickelten Gründen kurz vor dem nicaenischen
Concil zusammengetreten sein. Ich half mir also nicht mit der
Annahme, wie Hr. Harnack sich auszudrücken beliebt [S. 482],
sondern schloß, was jeder andere auch getan haben würde xmd
tun muß, daß die in dem Synodalschreiben erwähnte Synode von
Ancyra mit dem ursprünglich nach Ancyra berufenen Concil, das
später in Nicaea zusammentrat , identifiziert werden mu£. Hr.
Harnack nennt diesen Schluß ein wahres Nest von Umvahr schein-
lichkeiten und Gewaltsamkeiten, hält es aber doch für geraten das
Fundament des Schlusses zu beseitigen und erklärt auch jenen
Brief Constantins für gefälscht. Wann diese zweite Fälschung
entstanden sein, ob der Fälscher des Synodal Schreibens auch für
sie verantwortlich gemacht werden oder auf sie hereingefallen
sein soll, das sind Fragen über die sich den Kopf zu zerbrechen
Hr. Harnack seinen Lesern überläßt. In Wahrheit kann von
Fälschung hier ebenso wenig die Rede sein wie bei dem Synodal-
schreiben: der Brief Constantins ist durch das Corpus canonum
felsenfest bezeugt. Die jüngere griechische ßecension und die
sed ideo Nicaenae prius scriptae sunt propter audoritatem eiusdem magni sanctique
concilii congregati apud Niceam. Die Vorbemerkung hat offenbar in keinem
Exemplar des griechischen Corpus canonum gefehlt.
zur Geschichte des Athanasius VII 339
lateinischen Uebersetznngen lassen ihn weg: aber sämtliche drei
Recensionen des syrischen Textes enthalten ihn, und die kleinen
stilistischen Varianten welche die jüngste und bis jetzt allein ge-
druckte, die des Cod. Paris. 62, eingetragen hat um sich genauer
an den griechischen Text anzuschließen, beweisen daß auch diesem
Uebersetzer der griechische Text noch vorgelegen hat. Die älteste
Hs., der Cod. Brit. Mus. add. 14528, enthält nach der Subscription ^)
eine Übersetzung des Corpus canonum, die in Hierapolis im Jahre
812 sei. = 500/1 angefertigt ist; Wright vermutet daß auch die
Hs. im selben Jahr geschrieben ist. Sie geht also auf einen
griechischen Text zurück, der zwischen 451, dem Jahr der Synode
von Chalkedon, und 501 zusammengestellt ist. Ich setze aus der
Schultheßschen Ausgabe [p. 1] die Fassung dieser Hs. her:
)J^>^1 ^^ ^^oi JL3onnh*o>i^^>^>aoo .axsU jLjoJ^^^9 {J^t^ Jl.«.o.Ai:a^
JLjLu Jjjj ''^u^o jUj J^aäjl JL^^ja» ^^u^o . ^U JL3o)o(? lloHlj JLo;jto
JLüi ^o^S )jL^9Q.^ l}Oi ^^».^^^ : ioot{ K*jL^x^VA t!®^? ^^^! jLdlajto
IbLa^t {9Ka^9 wo^a JLa^i^^^o t-o ^^^»^o) ^ 'iiv» ^ "^olo . ^o • 1 alt
^OOt^ ^^(! J^J^? • {^l^ i^jyU^^ J^r^} JLotol |iJ99 y.^^J^h<J tV^( ^^t^^
Griechisch ^) : Tb ^ridsv s^s bislv 0 av ti(iL6tsQov ^i ilol ^) tfi($
d-soösßsCag, Ttavxl dfj^ov elvai vo^i^cj. STtsl dh tijv r&v eitiöKoitcov
1) Wright, Catalogue p. 1032: :|Kilo <^>jlIo J)» ^jqäd M j^^:^^ QxJb.ÄJLJ
■ffioi. tcr>?NS? j'tOQ^lUo JIÄ120JL Mji^ :JM-.j20 yvO^vi^
2) Hr. Harnack giebt den Text nur in meiner griechischen Uebersetzung,
die er [S. 489] Betroversion nennt. Das soll und kann sie nicht sein; denn aus
einer ärmeren Sprache läßt sich das in einer reicheren verfaßte Original nicht
reconstruieren. Dagegen ist die Uebersetzung ins Griechische das einzige Mittel
einem des Syrischen Unkundigen syrische Texte zugänglich zu machen, vor allem
wenn sie aus dem Griechischen übertragen sind. Man scheute sich doch früher
nicht, in solchen Fällen das Latein zu nehmen, und wie viel leichter zu hand-
haben und im Ausdruck präciser ist das Griechische! Lagarde hat den richtigen
Grundsatz scharf formuliert [ßeliq. iur. eccles. LV]: omnino non id egi ut eam
24*
340 ^- Schwartz
övvodov iv ^AyKVQai T-^g FaAaTtag ysveöd-at tcqötsqov 0we(p(X)vi]d-rj
[oder ix{^rj(pC6d^rj oder dietcix^rij das lateinische constitutum est liegt
zu Grmnde], vvr tcoIX&v avsxa xaXbv elvav söo^sv Xva iv NixaCai rijt
r^g Bid-vvcag 7c6Xsl evvaxd^rji, ölötl ts inCßyiOTtoi ot ix xrjs ^IzaUaq
xal XGiv XoLTtGiv rfig EvQcoJtrjg fiSQcbv sg^ovraL, xal dtä rriv xulrjv tov asgog
XQKöLV, hl de xal iv iyco syyvdsv ^saxiig a xal xoivovbg zcbv yerTj-
öoyiivtov. diä rovro yvogC^ca v^tv, ädsXcpol äyaitriroC^ Ttdvtag v^&g
eig ti^v sigri^ivriv noliv, Tovtiöri 6' slg Nixaiav, dcä öTtovdfig id^BXsLv
s^E 6vva%xtrivaL. sxaötog ovv v^cbv xo 6v^g)8Q0v dscjQ&v, mg tcqo-
sCgrixa, öJCSvShm ccvsv xcvbg ^sXXy^öecog xa^ioag ild-atv, Xva %'saxrig xav
y6vrj6oiisv(OV avxbg iyyvd'sv ysvrixai. 6 Q'sbg vfiäg dLa(pvXd^SL, dd6X(pol
dyanrjxoL.
Auf das Schreiben folgt das Edict Constantins gegen Arius,
an dessen Echtlieit kein Zweifel möglich ist, da Kaiser Theo-
dosius II es citiert [vgl. Nachr. 1904, 388 nr. 25] ; beide Urkunden
stehen an der Spitze des Corpus canonum und unmittelbar vor
dem nicaenischen Symbol. Die jüngere Recension des Cod.
Paris. 62 läßt das zweite Document weg, stellt aber das erste
ebenfalls vor das Symbol, es durch einen knappen Text mit dem
Datum verbindend. Das ist freilich secundär, wie auch die Ueber-
schrift des Kaiserbriefes dort secundär ist, aber zugleich lehrt die
Ueberlieferungsgeschichte in diesem Falle deutlich, daß eine Ur-
kunde darum noch lange nicht gefälscht ist, wenn sie eine jüngere
Ueberschrift trägt. Denn daß ein griechischer Kanonist, der bald
nach dem chalkedonischen Concil ein Corpus canonum neu zusammen-
ordnete, an die Spitze keinen gefälschten Brief Constantins gestellt
haben kann, versteht sich von selbst, ganz abgesehen davon daß
Fälschungen auf den Namen Constantins , die älter als 500 sind,
meines Wissens überhaupt nicht existieren. Einen Zweck der
Fälschung weiß Hr. Harnack nicht anzugeben. Was er darüber
vorbringt [S. 490] : dagegen lag es in späterer Zeit [wann ?] nahe,
solche Begehungen (zwischen den Synoden von Ancyra und Nicaea)
^u konstruieren, weil in den Kanonessammlungen die Kanones von
orationis formam indagarem quae posset ex auctorum calamis exiisse, sed ut aliis
uiam commodiorem redderem qua ad natiuam horum Hbrorum integritatem cognos-
cendam possent peruenire.
3) Wörtlich iv totg ötpQ^uXiiotg (tov. Aber es ist mir fraglich ob die con-
stantinische Kanzlei sich eines solchen Semitismus schuldig gemacht haben würde ;
er kann der ältesten, das semitische Idiom leidlich bewahrenden Uebersetzung
angehören und in den späteren stehen geblieben sein; ich erinnere mich bei der
Leetüre der Correcturbogen von Schultheß' Ausgabe öfter auf solche Fälle gestoßen
zu sein.
zur Geschichte des Athanasius VII 341
Ancyra und Nicaea zusammenstanden, ist schwer zn verstehen.
Was heißt 'Beziehungen 'konstruieren'' und wie soll mit einem so
vieldeutigen, nichts besagenden Ausdruck eine Fälschung bewiesen
werden? Ein Corpus Canonum, das Fundament des Kirchenrechts,
wird doch nicht von jedem hergelaufenen Tagedieb zusammen-
gestellt, sondern von Leuten die von der Sache etwas verstehn;
seit dem 4. Jahrh., längst ehe das große Corpus Canonum existierte,
waren in der östlichen Reichshälfte die Kanones von Ancyra,
Neocaesarea und Gangra mit den nicaenischen vereinigt ^) , durch
kurze Vorbemerkungen war jeder Leser der Kanones über das
chronologische Verhältnis dieser Synoden zu der nicaenischen
unterrichtet : wie soll da ein Kanonist auf den albernen Gedanken
kommen, einen von jeder dogmatischen oder geschichtlichen Ten-
denz freien Brief Constantins zu fälschen, nur um unfaßbare und
undefinierbare Beziehungen zwischen den Synoden von Ancyra
und Nicaea zu konstruieren? Daß der Kanonist der den Kaiser-
brief in das Corpus aufnahm, die Adresse wegließ, ist nur natür-
lich. Selbstverständlich hatte jedes Exemplar das in der Kanzlei
ausgefertigt wurde, eine besondere Adresse je nach der Provinz
in die es geschickt wurde. Nun kommt es wohl vor daß ein
Publicist der zu polemischen Zwecken kaiserliche Schreiben und
Edicte veröffentlicht, die Spezialadresse des von ihm benutzten
Exemplar es gewissermaßen zur Beglaubigung hinzufügt , wie z. B.
Athanasius über das constantinische Edict gegen Arius, das er der
Schrift de decretis Nicaenae synodi beilegte, den Vermerk setzte
avtcyQacpov g)v exo^Löav Uv/xlT^nog xal FavöevtLog iiayiöXQLavoC
[Nachr. 1904, 393], um zu beweisen daß ein offizielles Exemplar
des Edicts im alexandrinischen Patriarchat lag. Aber für den
Compilator des Corpus canonum fielen solche Erwägungen weg;
er hätte die allgemeine Geltung des Kaiserbriefes nur verdunkelt,
wenn er die spezielle Adresse eines einzelnen Exemplares hinzu-
gefügt hätte. Es ist ferner naiv zu verlangen [S. 490] daß Constantin
die sachlichen Gründe für den Zusammentritt des Concils in der Ein-
ladung hätte angeben müssen. Das konnte erstens schon in der
Einladung nach Ancyra geschehen sein, die in dem Brief der das
Concil nach Nicaea verlegt, vorausgesetzt wird, und zweitens ist
es durchaus fraglich ob Constantin, der ein Meister in der Politik
des Versteckens, Spannens und Ueberraschens war, sich dazu her-
beigelassen hat über die Gründe weßhalb er die Synode berief,
1) Schon die Ballerini wußten das, und Maaßen hat es denn in glänzender
\yeise bewiesen, Gesch. d. Quellen d. canon. Rechtes 78 ff.
342 E- Schwartz
vorher etwas zu veröffentliclieii : die Bischöfe kamen auch ohne
das, wenn er sie rief. Was Hr. Hamack mit der Behauptung
beweisen will, daß wenn das Concil wirklich nach Ancyra ausge-
schrieben wäre, wir es ivissen müßten [S. 482] , bekenne ich nicht
zu sehen : wag wissen wir denn über diese Zeit, es sei denn durch
Urkunden ? Soll das Geklätsche Rufins , den die Grriechen nur
zu sehr benutzen, an deren Stelle treten? Euseb schreibt keine
Greschichte sondern einen Panegyricus, in dem er weglassen konnte
was ihm beliebte; Athanasius hat nur polemische, nie historische
Zwecke verfolgt, und wenn Sokrates, Sozomenos, Theodoret es für
überflüssig hielten anzumerken daß das nicaenische Concil zuerst
nach Ancyra berufen war, soll das ein Grund sein eine Urkunde
aus der wirs lernen, für gefälscht zu erklären? Das wäre eine
Methode das geschichtliche Material zu verringern, die das histo-
rische Studium außerordentlich vereinfacht: es würde freilich auch
nichts mehr dabei herauskommen.
Hr. Hamack läßt mich hart an [S. 489] daiß ich aus den Worten
des Briefes bestimmt geschlossen habe, das nicaenische Concil sei
von Konstantin zuerst nach Ancyra berufen worden. Diese Aus-
legung, behauptet er, ist nur eine der beiden Möglichheiten. Die
Worte bedeuten viel wahrscheinlicher [!] , daß , nachdem schon früher
in Ancyra eine Synode gehalten ivorden sei, nunmehr eine solche in
Nicaea stattfinden solle. Wenn ich Texte interpretiere, so bemühe
ich mich nach den Gresetzen der Logik und der Sprache heraus-
zubekommen, was sie heißen müssen, nicht was sie viel ivahrscliein-
licher heißen können. Im vorliegenden Falle ist jede andere Aus-
legung als die meine unmöglich. Im Original heißt es . . K^aCvjt
(ootlj: das syrische Imperfect im abhängigen Satz bedeutet stets
die relative Zukunft und kann niemals etwas schon Greschehenes
bezeichnen. Das genügt um Hr. Hamacks viel wahrscheinlichere
Möglichkeit ein für alle Mal zu eliminieren. Außerdem, was sollen
denn alle die Motive die nachher in dem Briefe für Nicaea an-
geführt werden, anders als begründen daß das Concil besser
in Nicaea als in Ancyra stattfinden werde? Wenn der Brief von
einem Concil reden soll , das schon längst in Ancyra abgehalten
ist, so wird er zum Geschwätz nicht eines Fälschers, sondern
eines Irrsinnigen.
Der Cr rund um dessentwillen der Kaiserbrief in das Corpus
canonum aufgenommen ist, läßt sich mit Händen greifen: in ihm
wird das angekündigt was nach Ausweis seines Wortlauts in der
früheren Berufung des Concils nach Ancyra gefehlt haben muß,
daß der Kaiser dem Concil persönlich beiwohnen und an ihm teil-
zur Geschichte des Athanasius VII 343
nehmen werde. Das hatte rechtliche Bedeutung; aus dem Brief
ging authentisch hervor daß über der oekumenischen Synode die
kaiserliche Autorität stand, so gut wie das Edict Constantins
-gegen Arius die theoretisch gefaßten Anathematismen der Synode
zu einem gegen eine bestimmte Person gerichteten Staatsgesetz
macht. Zugleich beweist der Brief, daß der Kaiser die Synode
zu einer oekumenischen stempelte; denn er kündigt das Erscheinen
der Bischöfe aus Italien und den anderen Ländern Europas an;
thatsächlich kamen ja auch die Abgesandten des römischen Pabstes
und Bischöfe 'aus den anderen Ländern Europas' ^) nach Nicaea.
Es ist also vollständig motiviert, daß grade dieser Kaiserbrief
durch das Corpus canonum erhalten ist, und der Kanonist der ihn
darin aufnahm, war alles andere als ein Ignorant; er wußte sehr
genau was er tat.
In Wahrheit steht die Sache also so, daß das Synodalschreiben
von Antiochien eine große Synode in Ancyra ankündigt, die nach
urkundlichem Zeugnis niemals stattgefunden hat, sondern nach
Nicaea verlegt wurde. Es ist absolut undenkbar daß ein Fälscher
eine so actuelle Beziehung ersonnen hat; er müßte ein wahres
Wunder von historischer Gelehrsamkeit gewesen sein und damit
eine Eigenschaft besessen haben, die Hr. Harnack ihm, dem Ge-
schöpf seiner eigenen Phantasie, am allerwenigsten hat mitgeben
wollen.
Die auf der antiochenischen Synode versammelten Bischöfe
kannten die Encyclika, in der Alexander von Alexandrien die
Excommunication des Arius und seiner Presbyter angezeigt, und
den Tomos ^) den er überall hin verschickt hatte und aus dem
einiges in einer syrischen Sammelhandschrift erhalten ist [vgl.
Nachr. 1905, 266 ff.]. Wie dessen Bruchstücke lehren, hat Alex-
ander in dem Brief an seinen Namensvetter in Byzanz sein früheres
1) Sie stehen in der nicaenischen Liste am Schluß [Nr. 204 — 220] unter den
Kubriken Evgmnri dav,ia Kalaßgca MvoCa [== Moesien] ^AcpQi%'^ [politisch giebt
es den Continent Africa nicht] MwnEdov^cc Jccgdavia 'A%aia SsGöaXicc TLawovCa
FaXXCat Fox^-Ca BoönoQog. Die Teilung des Reichs unter die Söhne Constantins
darf nicht in die frühere Zeit projiciert werden; es muß ferner immer wieder
eingeschärft werden daß Makedonien Thessalien und Achaia im vierten Jahrh.
zum Occident gehören: auch Sardica lag, als das Concil dort stattfand, im Gebiet
des Constans, nicht des Constantins, was nicht zu übersehen ist.
2) Die beiden Schriftstücke scheinen auf der Synode verlesen zu sein
[p. 275,6] )cixj >^ö^ ^^ p; im-^W? |o>oocY>«g>j ffionjcTn-^W ^ ^j ^p.J^QDJj ^o^ ^)o
jfio.,»^ .^jj : ^DQ-ij £Tt de Y,al xa vnb 'AXs^dvÖQOV xov 'AXs^ccvSQSLas ikia-ao-
itov v,axcc xcbv ^bx' 'Aqslov Ttgax^Bvxa etg xb fieoov rjvtyyf.ccfisv.
344 E- Schwartz
Elaborat stark benutzt, und so dürften aucli die Uebereinstimmungen
welche die exd-söig TtCötscjg des Synodalscbreibens mit diesem Brief
aufweist, auf den Tomos zurücklaufen. Am Anfang des Schreibens
citiert der Verfasser die ersten Worte der Encyclika; das ist
eine im Altertum ganz gewöhnliche Form des Compliments, über
die Hr. Harnack sich nicht zu erstaunen brauchte [S. 479]; für
das Höflichkeitscitat ist es bezeichnend, daß die Uebereinstimmung
sich nur auf wenige Worte beschränkt '). Um die sxd^eöLg TtCötscag
aufzusetzen, bedurften die Bischöfe, deren größter Teil von den
pseudophilosophischen Finessen der Praeexistenzlehre sicherlich
nichts verstand, 'gebildeter' Männer, umsomehr als die Intelligenz
es war, die aus wohlerwogenen Grründen den Kampf gegen die
hierarchische Machtpolitik des alexandrinischen Patriarchats auf-
genommen hatte ^). Wie einst der dialektisch und theologisch
1) Die Encyclika beginnt svbg Gmfiarog övtog vflg Kccd-olviifig i-K-ulriaiag ivToXijg
ts o^CTig iv Tcetg %'siaig ygacpaig [Ephes. 4, 3 ; daher stammt auch ?v G&iia] xtiqblv
zhv avvdsGiiov ri)g ofiovo^ccg xat slQ'^vrig, ScnoXovd'ov icTV ygcicpsiv rj^iäg 'Kai arificcLvsiv
äXXriXoLg xa nuQ ittdatOLg yiyvoiisva, tva e'Cxs nd6%Ei eIxe %aCQEi sv {isXog, i)
üvii7tdaxo}(iEv ?) avyxccLQcafiEv dXXi]Xoig. Dagegen das Synodalschreiben (ungefähr,
der Wortlaut im Einzelnen kann nicht verbürgt werden): Evbg ümiiaxog övxog
ti]g Ticid'oXL'iifjg yiaxcc ndvxa xonov i-n-uXriötag , xäv iv diatpogoig xonoig möiv at
x&v Gvvayay&v ß^rivccl [Anspielung auf die g%t\v7] xov ficcQxvgiov des A. T.] yiccd-ci-
TtEQ (ieXti xov oXov Gm^uxog ^ SotoXov&ov egxiv xal xfji GfjL dyccnrii yvaiG%'f)vai xa
vn ifiov XE v.a.1 x&v EvXaßEGxccxav &dEXcpä>v rjfimv x&v öfioipvxcov v.al gvXXeixovq-
y&v yiEY.LV7iiiiva xe yial nEngayfiiva, tva kccI gv mg uv Ttagoav iv nvEvfiaxi yiOLvfji
GvXXaX'^Griig ri^tv xal xotr^t ÖLCcxa^riLg nsgl xä vcp TjfL&v vyi&g xe xal naxä xhv
i'A'AXriGiuGxiv.ov v6(iov oQicd-Evxa XE -Kul TtQax^Evxa. Nach dem Citat biegt der
Verfasser sofort in die spezielle Situation ein und sein devoter Ton sticht merklich
von der selbstbewußten Kürze des alexandrinischen Patriarchen ab; ein Fälscher
bringt so feine Nuancen nicht heraus. Übrigens ist der einleitende Gedanke
Gemeingut; elegant, wie immer, wird er von Basilius in dem Brief [161] formuliert,
in dem er dem zum Bischof von Ikonium ordinierten Amphilochius Glück wünscht :
inEidr} 8e Etg Xabg nävxsg ot slg Xqigxov rjXni'KOXEg -Kai (iia iv,-)iXr\GCa vvv of
Xqigxov, xav iy, diacpogtov xoncav nQOGayoQEvr\xcci^ x^^9^^ "^^^ V ^ccxglg xai EiicpQuC-
vExai xatg xov nvgiov oUovoiiiaig xal oix i\yELxai evu ävdga i^rifti&Gd-ai, ScXXcc
9C ivbg i%iiXriGCag oXag nQOGELXr\(pEvai.
2) Daher der Wutausbruch des Patriarchen in dem Brief an Alexander von
Byzanz [Theodoret 1,4,41]: ot yuQ xara x%g &E6xrixog xov vtov xov &-eov naga-
xa^diiEvoL ovSe xccg xccd"' ijii&v &xciQCGxovg nagoiviag nagaixovvxai XiyEiv ot ys
O'bÖE x&v &Qxci^(ov xiväg Gvy^qCvEiv tavrotg &^lovglv oiSh olg rjfJLEig i-K naiSav
d}(iiX'qGa(isv SiSaGHaXotg i^iGovcd^ai ävExovxai, &XX* oidl x&v vvv navxaxov gvXXei-
xovgy&v xiva Etg (i&xqov aocptag [wohl verdorben] rjyovvxai, (lovoi Goq>ol xal <ix-
xi^fiovEq xal doyfidxmv evqexuI XiyovxEg eIvul xal avxorg dnoyiEyiaXvcpd'ai fiövoig
antQ oi)dBvl x&v hnb xbv ijXiov irtgoai itstpvuEv iXd'ELv slg ivvoiav.
zur Geschichte des Athanasius VII 345
geschulte Presbyter Malchion den Bischöfen die den Thronoi von
Alexandrien und Eom Trabantendienste leisteten, die dogmatischen
Waffen hatte liefern müssen um den Bischof von Antiochien zu
stürzen ^) , so waren es wieder XoyioL avögeg die den Synodalen
in Antiochien das Vertrauensvotum zimmerten, das den Sieg des
alexandrinischen Patriareben auf der bevorstehenden Synode ver-
bürgen sollte. Es waren wahrscheinlich Presbyter, wie jener
Malchion, jedenfalls keine Bischöfe; in dem Falle wäre ihre An-
wesenheit nicht besonders hervorgehoben ^), und xivlg äöskfpol loyioL
ist keine Bezeichnung für Bischöfe die selbständig ein Glaubens-
bekenntniß aufsetzen können. Das Synodalschreiben betont aus-
drücklich daß es geistliche, theologisch durchaus zuverlässige
Männer gewesen sein, die das Credo vorgelegt haben [p. 275, 10]:
i|ot ooot ^..^ot)^ ^)(JLaajo9) ^ <».**><=^i JL^tJd^ ji^ju^'t-o {i^OL:»']^ jLuo;^;
das ist etwa: £6xlv ovv tj TCiöttg rj itQotsd^stöa olov^) vji^ avÖQcav
7tvsviiarixS)v xal ovg ccvd-ig ov dCxatov vo^C^siv Kaxä öccgxa t^riv
i) voetv, aAA' iv nvsviiari talg rCbv d'SOTCvsvörcov ßtßkicov kyiaig
yQa(patg övvrjöKrjöd^aL, 7]ds xrX. Es ist evident daß mit diesen Prae-
dicaten eben jene Xoyioi ävögeg beehrt werden, deren Anwesenheit
bei der theologischen Disputation wenige Zeilen vorher als etwas
besonders Wichtiges hervorgehoben ist; eine Synode und nun gar
die berühmteste von allen, die oekumBnische Synode von Nicaea,
1) Eus. KG 7, 29, 2 fiaXiGra 8'avtov [Paul von Samosata] svQ"vvccg iTti-
■KQVTtto^svov ÖLt^ksy^sv MaX^LüDV, ccvr}Q rd ts äXXa Xoy log xat aocpLOtov tä>v in
*AvtLO%BLaq 'EXXrivL'u&v naiSEvxriQtcov diatQißfjg ngosarmg [d. h. er vertrat als
Schulleiter einen von der Stadt Antiochien angestellten Redelehrer], ov (ir]v äXXcc
"Kai di* vnsQßdXXovaav r-^g stg Xqiötbv TCiatscog yvriGLOxrixa TtgsaßvrsQi'ov xfig avxod'i
naqoiY.Cag rj^Lcofievog' ovxog ys xoi i7tLGriiiSL0V(iEV(ov xaxvyQcccpoiv f^'^xriGLV ngog ccvxbv
ivoxriGdusvog^ t^v kul stg dsvgo (psgofiEvriv i'a^sv, ^ovog l'öxvaev x&v dXXtov
yiQvip£vovv bvxa xal dnaxr\Xbv cpcoQ&Gca xbv dv&Qconov. Als Euseb diese Stelle
schrieb, ahnte er nicht, daß er sich einmal selbst von solchen Xoyioi ävdgsg würde
examinieren lassen müssen, und nach dem Synodalschreiben [p, 277, 16flf.] hats
er ihnen auch sauer genug gemacht.
2) P. 275,3 ^) UxA» ^)j ^) JIo^.vo-> -Jj-M^J ^JLÖIj p is^ ^j = kccI
Si] stg fv avvccx^svxsg, nagovxav x«l [durch den syrischen Text sicher bezeugt]
xiv&v ccdsXq)cav Xoyitov [auch dieser Ausdruck ist sicher].
3) Von zweiter Hd. übergeschrieben; richtiger wird )o^ ergänzt.
4) j ^) steht im Syrischen da : ich hätte es in meiner früheren Uebersetzung
nicht unterdrücken sollen, da dadurch das Folgende den Sinn eines Praedicats
zu einem bekannten, w^eil schon erwähnten Subject erhält. Es ist ein neuer
Beweis dafür daß die Zahl wm^aJl interpoliert ist.
346 E. Schwartz
kann so nicht geschildert sein und wird es nie. Aus dem bei-
gegebenen Fascimile der Hs. kann sich jeder überzeugen daß die
Zahl .juaü. am Ende der Zeile hinter JLijuo'j nachgetragen ist; sie
paßt nicht zn j y^l [= olov, cjg av] und würde das syrische Aequi-
valent des griechischen Artikels verlangen, das in der sehr wörtlich
übertragenden pariser Hs. nicht weggelassen zu werden pflegt und
in diesem Fall ohne grobe Schädigung des Sinnes nicht wegge-
lassen werden kann. Die Zahl ist ein recht unüberlegter Zusatz des
Schreibers der Hs., der daraus daß das Synodalschreiben zu der
kanonischen Synode von Antiochien gestellt ist und gegen die
Arianer polemisiert, verkehrter Weise schloß daß die STcdsöLg
niörscog die für die xcct^ f'lo^i^i/ antiarianische gilt, nämlich das
Nicaenum, gemeint sei. Der Verfasser der Schlußnotiz, der sich
drüber wundert daß in dem Credo das öjMoovetog fehlt, hatte sehr
viel mehr Urteil als dieser von einem Augenblickseinfall irrege-
leitete Schreiber, der immerhin noch so gut gezogen war, daß er
seine Interpolation nicht direct in den Text zu setzen wagte.
Ich hatte den äußeren Thatbestand und den inneren Zusammen-
hang für so klar und evident gehalten, daß ich ohne meine Leser
mit langem kritischen Grerede aufzuhalten, die Zahl als interpoliert
wegließ. Hr. Harnack dagegen hoift hier ein Indicium der
Fälschung aufstöbern zu können, läßt den ganzen Zusammenhang
der Stelle, der interessant genug ist, unerörtert und behauptet
[S. 482], das Synodalschreiben berufe sich Hipp und Mar auf das
Glaubenssymbol der 318 Bischöfe , d. h. der Väter von Nicaea. Die
Emphase mit der diese Erkenntnis vorgetragen wird, ist unange-
bracht: weder von Bischöfen noch von Vätern steht etwas da.
Es ist Hrn. Harnack auch nicht ganz geheuer bei der Stelle, und
er trägt in einer Anmerkung [S. 483^] nach : wenn daher [!] die
Zahl interpoliert sein sollte, so ist sie eine sachlich richtige Inter-
ptolation. Mit solchen dialektischen Zwickmühlen, die den Gegner
unter allen Umständen ins Unrecht setzen sollen, ist in der wissen-
schaftlichen Textkritik nichts anzufangen: ein und dasselbe Wort
kann nicht einmal eine richtige Lesart vorstellen, die sachlichen
Unsinn ergiebt, und ein andermal für eine Interpolation gelten,
die sachlich richtig sein soll, sondern ist entweder echt oder falsch.
Ist, wie ich nachgewiesen habe, das Synodalschreiben echt, dann
ist kein Wort mehr darüber zu verlieren, daß die Zahl 318 eine
törichte Randbemerkung ist. Ist es unecht, so steht so viel fest
daß es vornicaenisch sein will; Hr. Harnack giebt das selbst zu
[S. 482]. Dann müßte der Fälscher sein ganzes Kunststück dadurch
zu nichte gemacht haben, daß er die Zahl 318, an der auch der
zur Geschichte des Athanasius VII 347
dümmste Mönch das Nicaenum erkannte, so plump und ungeschickt
wie nur möglicli in den Text zwängte. Wie Hr. Harnack das
glaubhaft machen will, ist mir dunkel. Er construiert ja freilich
einen späten Fälscher der in dogmaticis nicht ganz ungebildet ist
[S. 488 'J, V071 Chronologie keine Ahnung hat [S. 488] und, seihst ge-
schichtlich ganz unwissend^ seinen Lesern alles bieten zu dürfen glaubt
[S. 483], ich will auch nicht bestreiten daß ein derartiger Homun-
culus eines gewissen Interesses nicht entbehrt; daß es aber einen
Fälschungsbeweis nicht empfiehlt, wenn ein solches Grebilde pro-
duciert werden muß um ihn aufbauen zu können, dürfte nicht zu
viel gesagt sein.
Da die interpolierte Zahl 318 nur ein mangelhaftes Indicium
für die Anklage ist, die Hr. Harnack gegen die Urkunde richtet,
wirft er ihr außerdem vor [S.483] daß sie den polemischen Schluß des
Nicaemims vortrage ^ also das Nicaenum voraussetze. Es wird gut
sein die Stellen selbst zu confrontieren. Die berühmten Anathema-
tismen des Nicaenums lauten: xovg ds Xeyovtag ort ijv Ttots ots
OVK rjv, xal tcqiv yevvrid^rlvav ovk r]Vj Tcal ort eh, ovx övxov sysvsro,
i) £| stSQag vTtoöTciöscog t) ovöCag q)döxovtag slvcci, -J) tqstctov tJ
ocXXoLCJtbv xov vlbv tov dsov, xovtovg ccvad'S^ati^eL rj ayia xad-oXiTir) nal
äitoßtoXiKYi ixKXriöia ^). Dagegen giebt das antiochenische Synodal-
schreiben die Anathematismen nicht geschlossen, sondern unter-
bricht sie durch ein Raisonnement : scheidet man dies aus, so bleibt
übrig [277, 3] i;^S. ^/v^i^o ^i^.>opoo ^V^öt^ ^qjö^ ^^^^V^ul^ t-^
)J wOto)^( \kj.^^ JL^t ^(9 Q^o :{lo^:^w» oNna. wOtoK.»( )iy wot
(jua^uui^jLM das ist etwa: ävad'siiatit.ovxag ezsivovg ot Xsyovöiv r)
vo^it,ov(jtv r\ KYiQvttovöiv xov vihv xov ^Bov xxiöxbv rj yevrixov tJ
jtOLT/xbv xal OVK äXri^Cbg yavvrixbv dvai rJ ort i]v oxs ovx ijv . . . .
jtQoöexi de xäxeCvovg ot xrii avxe^ovöiCQL [sichere Uebersetzung]
%'bXyi^sl avxov axQsnxov sivai avxbv rjyovvxccL aöTtSQ xal ot Ttagd-
yovöiv ix xov u?) ovxog xrjv yivviipiv^ xal ^i] cpvösi axgsTtxov xaxä
xbv TtaxEQa. Die Passus sind sich ähnlich, was nicht wunderbar
ist, aber mit nichten identisch, und nichts hindert in den antioche-
1) Die üeb erlief erung im Einzelnen schwankt, die wichtigste Variante ist
der Einschub von ?) v,Ti6t6v vor ?) xQBntov. Es ist nicht nötig die Frage hier
im Einzelnen zu discutieren; sie läßt sich auch ohne neues handschriftliches
Material nicht entscheiden.
348 E. Schwartz
nischen Anathematismen eine Vorstufe der nicaenisclien zu sehen;
der Umstand daß in jenen ovöCa und vn66xa6ig fehlt, spricht sehr
vernehmlich dafür. Zugleich ist zu beachten daß der 'freie Wille*
im Nicaenum fehlt und in dieser scharfen Formulierung wenigstens
auch bei Alexander ^) nicht vorkommt ; er ist ein Zusatz den die
Theologen der antiochenischen Synode dem einfachen atgeittov ocal
ävaXXoLwzov des arianischen Bekenntnisses [Epiphan. 69, 7 p. 732^.
Äthan, de synod. 16] zu polemischen Zwecken angehängt haben:
die nicaenischen Anathematismen schließen sich mit ihrem r) tQsntbv
ri äXkoKoxov an die Formeln Alexanders an. Das arianische Be-
kenntnis ist auch in sofern benutzt, als die beiden Praedikate
axQSTttov xal ävaXkoLcotov auch dem Vater [p. 275, 14] zugesprochen
werden, wie dort [Epiphan. a. a. 0. p. 732*^]; damit ist das was
Hr. Harnack von monophysitischen Spuren vorbringt [S. 488], er-
ledigt. Von irgend einer Evidenz daß die Bannformeln des Syno-
dalschreibens die nicaenischen voraussetzen und vor ihnen undenkbar
sind, finde ich keine Spur, und Hr. Harnack glaubt im Grunde
anch nicht daran; denn er läßt sich an einer anderen Stelle dazu
herbei [S. 484] anzunehmen, daß die Glauhensdeclaration doch [!] älter
als das Nicaenum sein könne, tvenn sie auch in ihrem polemischen
Schluß nahezu [!] mit ihm identisch ist.
Auf die Prüfung der Ueberlieferungsgeschichte und der Form
des von ihm hart angeklagten Documents hat Hr. Harnack, wie
schon gesagt, stillschweigend verzichtet. Dagegen hält er es für
nötig ^/^r^?^ Anlaß und ihre Motive zu entziffern und meint daß das
in hohem Maße möglich sei [S. 486]. Nachdem ich nachgewiesen
habe daß die Urkunde echt ist, könnte ich streng genommen es
mir ersparen, auch diesen Teil der Anklage zu widerlegen; ich
will aber ein Uebriges tun und mich auch darauf einlassen.
Drei Bischöfen, Theodot, Narciß und Euseb wird in dem
Synodalschreiben die Gremeinschaft vorläufig aufgekündigt. Auf
drei Bischöfe ist der alexandrinische Patriarch in seinem Brief an
Alexander von Byzanz sehr übel zu sprechen [Theodor. 1, 4, 37] : xal
ovx otd' ÖTtcog iv UvQLttL x^LQOxovYid^ivxeg sjtiöxojtoi XQetg diä xb 6vvoa-
vstv avxolg snl xb x^^QOV v7tsxxdov0L , Ttegl av i] xgCßig avaxsLöffG)
xfii vfiexigai öoTniiaciai [d. h. Alexander und den Bischöfen oder
1) In der Encyclika stellt er als arianisches Dogma hin: SC 3 xal xQ^nvös
iöTL xal &XXoia)Tbg tr\v (pvaiv tb? xal ndvta xu Xoyiyicc. Das führt er im Brief
an Alexander von Byzanz weiter aus [Theod. 1, 4, 11]: xal q)aalv whxbv xganxf^s
ilvat (fvaeag &QSx^g xe xal xax/a? iTtiSs-uxL'uov und [a. a. 0. 13] Slu xgdnoiv
inifiiXBiav xal aa-nrioiv iii} xQsnoiisvov inl xb ;i;eripoi/.
zur Geschichte des Athanasius VII 349
Klerikern denen er den Brief mittheilen soll ; er ist wie äyaTcritoC
in dem Gruß am Schluß zeigt, an mehrere gerichtet, und die
Adresse muß von Theodoret ungenau wiedergegeben sein]* ol' [von
hier an hat Hr. Harnack das Citat nicht mehr mitgeteilt] tag ^hv
Tov öcjzriQlov Tcdd-ovg taTCSivaöscog xe xal K6vd)66(X)g xal T^g xaXov^s-
vr}g avTov ntcoxsCag xal g)v s7tL%tii]tcog [sTtixrijtovg die Ausgaben]
6 &coxi]Q dl rj^äg avsds^ato, cpcsväg diä [ivTJ^rig sxovtsg TcaQatCd'Svtai,
BTtl 7CaQayQa<pf]i tilg ccvcod^sv xal äQ%y]^sv avvov ^sötr^tog, r&v de
tTjg (pvöLKTJg avtov do^rig rs xal svysvsCag xal nagä tobt, itatgl /iovijg
6rinavtiXG)v koyav STtikri^iLovsg ysyövaöcv. Hr. Harnack meint
[S. 486], daß vielleicM wegen dieser Stelle drei Bischöfe in der
Fälschung excommimiciert iverden . . . der Falscher setzte Theodotus
von Laodicea, Narcissus von Neronias und den berühmten Eusehkis
von Caesarea ein. Der nur auf die Zahl basierte Zusammenhang
ist recht vage, und löst sich gänzlich auf, wenn man nachforscht,
wer die drei Bischöfe sind, die Alexander im Sinne hatte. Frei-
lich erklärt Hr. Harnack [S. 486] : welche Bischöfe Alexander ge-
meint hat, tveiß man [!] nicht, und ist auch gleichgültig. Wenn Hrn.
Harnack die historisch accurate Interpretation eines unmittelbaren,
lebendigen geschichtlichen Documents gleichgültig ist, so bin ich
der letzte der ihn in seiner Indifferenz stört: nur soll er nicht
behaupten daß das was er nicht weiß, man nicht wisse. Wer
jene drei Bischöfe sind, steht schon in dem Fundamentalwerk zu
lesen, das jeder ernsthaft zu nehmende Forscher zunächst nach-
schlägt, in den Memoires pour servir a l'histoire ecclesiastique des
alten Lenain de Tillemont [t. VI. p. 734^] : Paulinus von Tyrus,
Euseb von Caesarea und Patrophilos von Skythopolis. Sie hatten,
wie Sozomenos in einem ausgezeichneten, aus der Actensammlung
des Sabinus geschöpften Bericht erzählt ^), auf Ansuchen des Arius
1) 1, 15, 11 f., nachdem über die 'bithynische' Synode berichtet ist: mg ds
ovdsv 7\xtov itttQcc yvmiiTiv ccbtocg ixojQSL r} otcovSti, 'AXe^ccvSqov ^t] sL'kovtos [das
geht auf den Tomos Alexanders]," TtQSößsvsrca 6 "JgsLog TtQog IlavXtvov tbv Tvqov
inLCKonov Hat EvGsßiov tov UaiicpiXov iTtLtQonsvovta X7]v i-nytlriaLUV Tijg sv Ua-
XaiGxCvTii KccLGccQSLag xal TLaxQOcpiXov xbv U'nvd'OTtoXsag yiccl s^aixst a^cc xoig dcficp'
ccvxbv inixgccnrivaL b-h-uXtigicc^siv xbv (isx' avxov Xabv mg tcqoxbqov x7]v xä>v itQsa-
ßvxBQcav xd^Lv inixovxag [da die bithynische Synode ihre Rechtgläubigkeit aner-
kannt hatte, waren sie rechtlich noch Presbyter und verlangten ihre Functionen
ausüben zu können], slvcci yciQ iv 'AXs^ccvdQSLui s'^og, "nad-ansQ v.al vvv, svbg
övxog xov "ncixä ttccvxcov ima-noTtov, xovg TtQSoßvxsQovg IdCai tag i-a-uXriOLCcg v.axEXBiv
xal tbv iv wbtccig Xccbv avvccysiv. dl 8\ xal aXXoig sniGv.önoig iv JJuXaiGtCvriv
cvvEX&ovteg iipricptoccvxo xfii 'Agsiov cilxr\6si, nccQa-KsXsvcdfisvoi avvdystv fisv avxovg
gmngoxsQOv, vnotsxd%%ai de 'AXs^dvÖQcoL v,ccl ccvxißoXstv dsl xfjg Ttgbg avvbv
350 E- Schwartz
eine Synode nach Caesarea in Palaestina berufen und die recht-
liche Consequenz des Beschlusses der früheren, von dem niko-
medischen Euseb nach seiner Stadt geladenen Synode gezogen,
auf der ein von Arius vorgelegtes Glaubensbekenntnis [Nachr.
dgrivris xal v-oivcavCas iL£xs%nv. Vorzügliches, aus localer Kenntnis geschöpftes
[vgl. Nachr. 1905, 258. 165] Detail giebt Epiphanius [69,2], der natürlich die
eigentümliche Institution des alexandrinischen Presbyteriums im Ganzen nicht
begriflfen hat. Dagegen hat Eutychius einen ausgezeichneten Bericht über das
Recht der zwölf Presbyter den Bischof zu ordinieren, erhalten ; ich setze ihn her,
da er vergessen ist [p. I0 der Ausgabe von Cheikho ; die correcten Formen, die
die strenge Grammatik verlangt, corrigiere ich nicht hinein]: ^i^ .,L
!^^Lä^. Jd l^.jy^ xi^-^vLaj^ x^i^ .Lo^ a^^j J^ ^.«-V.^ O^^^"^' Imi^^m^
\3\ Lvoaj! ^i^ b£5i^^J:u]l 'w.**»Jül j^j|_j^OLkaj ^^\ ^yt «-U »Jb Ji^a iüJUJlüi^
0 > > 5
^ßJaJ\ _^äLöl ^ iOäL«^ yo*^! L5y^^ »^jJ^^^ LwwJül. -De^* Evangelist
Marcus setzte mit dem Patriarchen Ananias 12 Presbyter ein, die um den Patri-
archen waren, und wenn der Patriarch mit Tode abging, dann wählten sie einen
von den 12 Presbytern aus, und die elf übrigen Presbyter legten ihre Hände auf
sein Haupt und erteilten ihm den Segen und setzten ihn zum Patriarchen ein.
Dann wählten sie einen hervorragenden Mann aus und nahmen ihn als Presbyter
unter sich auf an Stelle dessen der Patriarch geworden war, damit es wieder
zwölf seien. Und die Ordnung der Presbyter in Alexandrien, daß sie die Patri-
archen aus den 12 Presbytern wählten, dauerte bis in die Zeit des Patriarchen
Alexander, der auf der Synode der 318 war; er schaffte die Wahl des Patriarchen
durch die Presbyter ab und bestimmte daß, wenn der Patriarch sterbe, die Bischöfe
sich versammeln und den Patriarchen wählen sollten. Und er bestimmte wiederum,
daß wenn der Patriarch sterbe, sie aus einer beliebigen Stadt einen hervorragenden
Mann wählen sollten, sei es aus jenen 12 Presbytern oder einen anderen, so daß
sie den der ihnen gefiele, zum Patriarchen bestellten. So vmrde die alte Ordnung
daß die Presbyter den Patriarchen wählten, abgeschafft und die Wahl des Patri-
archen gieng auf die Bischöfe über. Sieht man von der vermutlicli fictiven Zahl
zwölf ab, so liegt im Uebrigen die Entwicklung des alexandrinischen Episkopats
zur Geschichte des Athanasius YII 351
1905, 260] als rechtgläubig gegenüber der Encyclika Alexanders
anerkannt war. Wie der alexandrinische Patriarch auf diese
Synode mit seinem Tomos geantwortet hatte, so replicierte die
Synode von Caesarea auf den Tomos wiederum damit daß sie Arius
und den Presbytern die ihm anhingen, das alte Recht der alexan-
drinischen Presbyter ausdrücklich bestätigte in ihren Presbyterial-
kirchen selbständige Gremeindegottesdienste abzulialten. Mit diesem
Synodalbeschluß ausgerüstet, kehrten Arius und seine Presbyter
nach Alexandrien zurück und predigten dort in ihren Gemeinden;
das sind die 'Räuberhöhlen', über die sich der Patriarch in dem
Brief an Alexander von Byzanz beklagt [Theodoret 1, 4, 3]. Aus
dem was er über die drei Bischöfe vorbringt, geht außerdem hervor
daß die Synode ihre dogmatische Stellung durch Bibelstellen zu
begründen versucht hatte; Alexander warnt deutlich den Klerus
von Byzanz davor sich durch die Beschlüsse und Briefe dieser
Synode irreführen zu lassen. Als er diesen Brief schrieb, war
von einer kaiserlichen Synode noch keine Rede; durch deren Be-
rufung wurde die Situation wesentlich verändert, und die Beschlüsse
welche die antiochenische Synode gegen ihre Mitglieder Theodot,
Narciß und Euseb faßte, von denen Narciß gar kein syrischer
Bischof war, haben mit den drei syrischen Bischöfen, gegen deren
Unterstützung des Arius Alexander erheblich früher protestiert
hatte, unmittelbar nichts zu tun.
Hr. Harnack muß zugeben daß Theodot von Laodicea und
Narciß von Neronias Gresinnungsgenossen des Euseb waren ; sie
seien aber neben ihm fast [!] ohslnire Leute gewesen [S. 486]. Also
[!], fährt er fort, darf man sagen ^ daß sich die Fälschung gegen
Eusehius richtet. Meines Erachtens darf man das grade nicht
sagen. Tendenziöse Fälschungen lassen ihre Absichten deutlich
erkennen , und wenn Euseb und Euseb ausschließlich discreditiert
werden sollte, so stumpfte der Fälscher die Pointe, oder wie Hr.
Harnack sich ausdrückt, das AJmmen seiner Erfindung dadurch ab,
klar vor Augen. Ursprünglich gah es in Alexandrien mehrere Gemeinden, jede
unter einem eigenen Presbyter; daher das Recht der Presbyter in ihren Kirchen
Gottesdienst zu halten. Diese bestellten sich einen Vorsteher. In den Bischofs-
listen des Euseb ist sehr oft [KG 5, 9. 22. 6, 2, 2. 35. 9, 6, 2] von den Gemeinden
Alexandriens im Plural die Rede. Aegypten wurde kirchlich wie politisch als
Xmga der Hauptstadt angesehen. Bis ins dritte Jahrhundert hatten die Bischöfe
als primi intet' pares nichts zu sagen ; dann schufen Demetrius und Heraklas die
Bistümer außerhalb Alexandriens [Eutych, p. <\^'] und haben mit deren Hülfe die
Macht des Presbyteriums gebrochen.
352 E- Schwartz
daß er dem Object seines Hasses zwei Leidensgenossen mitgab
und in keiner Weise dafür sorgte daß Euseb als der Führer und
Anstifter hervortrat; an der einzigen Stelle an der die drei ge-
nannt werden [p. 277, 13], steht er grade an letzter Stelle ^). Grar
nicht davon zu reden daß dem Fälscher, dessen entsetzliche histo-
rische Ignoranz Hrn. Hamack so ärgerlich ist, nicht zugetraut
werden kann daß er zwei fast obshure Leute ausgrub um sie mit
dem berühmten Euseb zusammenzukoppeln und dadurch nichts
anderes erreichte als daß er sein Machwerk noch schlechter machte
als es unter allen Umständen werden mußte. Gewiß, Euseb ist
oft genug des Arianismus geziehen worden. Die Hss. der KG-
sind reich an ungnädigen Randbemerkungen; am ergötzlichsten
macht sich die fromme Wut eines Schreibers im Codex Vaticanus 399
(einer Abschrift von A aus dem XI. Jahrh.) fol. 204 Luft: xaVov
XagrCov : xaAa ygci^ara : xaxbg BQsnx&g (= alQSttxbg) Evöeßiog üafi-
q)LXov. Ein unwissender Fälscher brauchte noch nicht einmal,
wie die Väter des zweiten nicaenischen Concils von 787, die
Correspondenz des Eusebius aus der Publicistik des vierten
Jahrhunderts hervorzusuchen , um ihm wegen seines 'Arianismus'
eins auszuwischen; es genügte irgend eine Hs. der Kirchen-
geschichte vorzunehmen und die mit warnenden Marginalien ver-
zierten Stellen, vor allem des ersten Buches, auszuziehen: dann
hatte er Material genug. Nun ist aber in dem Synodalschreiben
der Schriftstellerei Eusebs mit keinem Worte gedacht ; er ist in ihm
ein Bischof wie die andern auch. Das ist wiederum ein Zeichen der
Echtheit; Fälschungen die einen anerkannten Schriftsteller an-
greifen wollen, pflegten grade die litterarische Seite seiner Tätigkeit
vorzunehmen, weil sie dafür ohne Weiteres auf das Interesse des
großen Publicums rechnen können. Wenn außerdem der Fälscher
das in der Kirche bestehende hohe Ansehn des Euseb ruinieren [S. 487]
wollte, so hat er es so dumm angefangen wie nur irgend möglich.
Abgesehen davon daß er nicht ihn allein, sondern noch zwei andere
1) Es ist sehr wahrscheinlich daß sie nach der Anciennetät geordnet sind.
Theodot erhielt den Thronos von Laodikeia während der Verfolgung [Eus. KG
7,32,23]; als Euseb ihm die PE und DE dedicierte [Pauly-Wissowa, RE 6,
1389], nahm der laodicenische Bischof schon eine angesehene Stellung in der
Kirche der Dioecesis Oriens ein: der Mann war alles andere als obskur. Der
an zweiter Stelle genannte Narciß von Neronias erscheint schon in den Subscrip-
tionen von Ancyra und Neocaesarea; Euseb, der als Bischof die Festpredigt bei
den Enkaenien der tyrischen Basilika gehalten hat, die erst mehrere Jahre nach
dem Sturz Maximins [313] gefeiert sein können [Pauly-Wissowa, RE 6, 1376],
hat jedenfalls erst nach der Verfolgung den Thronos von Caesarea bestiegen.
zur Geschichte des Athanasius YII 353
dazu aufs Korn nahm, hing er den dreien nicht etwa ein recht-
schaiFenes, gründliches Anathema an, sondern begnügte sich mit
einer provisorischen Aufkündigung der Gemeinschaft, erzählte auch
nicht einmal, was mindestens zu verlangen war, daß nach Ablauf
der Bußfrist, auf der angekündigten großen Synode die drei Böse-
wichter excommuniciert seien. Endlich motiviert das Synodal-
schreiben die über die drei Bischöfe verhängte Strafe damit daß
sie das von der Synode aufgestellte Glaubensbekenntnis nicht
hätten annehmen wollen. Wenn der Fälscher dies Bekenntnis fabri-
ciert hat, dann hat er seine Sache nicht nur bei den Wissenden
bös compromittiert : grade für einen ungebildeten Orthodoxen des
6. oder 7. Jahrh. ist ein gegen Arius gerichtetes Credo, in dem
das o^oovöiog fehlt, im höchsten Maße anrüchig, und wenn ein-
gewandt wird, daß der Fälscher die historische Treue habe wahren
wollen, so besaß er ja nach Hrn. Harnack [S. 483] nicht die geringste
Unterscheidung in henig auf das, tcas vor und was nach Nicaea geschehen
istj und glaubte seinen Lesern alles bieten zu dürfen. Wiederum
also offenbart sich die Fälschungshypothese als ein wahres Nest
von ünivahrsclteinlicJikeiten und Geivcdtsanikeiten, um mit Hrn. Har-
nack [S. 482] zu reden.
Es kommt aber noch besser. Durch eine schon besprochene
Oonjectur bringt Hr. Harnack Eustathius an die Spitze der Namen-
jiste und fährt dann fort [S. 487]: er ist bekanntlich [!] von Euse-
biiis von Cäsarea und seinen Freunden ein paar Jahre nach dem
Nicänimi auf einer Synode zu Antiochien abgesetzt worden {s. Schrat.
I, 24l cum parfdl.) .... Eustathius ist als der Präses der Synode und
als der Verfasser des Synodalschreibens anzusehn; nur [!] auf ihn
paßt die hohe Stellung, die der Leiter der Synode und der Schreiber
des Synodalbriefs einnimmt, und die ganze Fälschung hat also Märlich
dl] den Ztveck, der historischen Absetzung des orthodoxen Eustathius
[urch den heterodoxen Eusebius — diesem Skandalon der Kirch9i[u
geschichte! — dreist eine erlogene Absetzung des Eusebius durc-
Eustathius entgegenzusetzen. Dies ganze Gebäude steht und fällt
mit der Conjectur die für den tadellos überlieferten ersten Namen
der Liste EvösßLog in das Original der syrischen Uebersetzung
(tm) svösßst einzuschwärzen sucht; da sie als unmöglich erwiesen
ist, stürzen die weiteren Constructionen zusammen. Sie sind auch
in sich verkehrt. Hr. Harnack weise doch einmal eine einzige
Fälschung nach, die für eine wirkliche Absetzung nach ein paar
Jahrhunderten durch eine fingierte Hache nimmt. Das ist von
vorne herein ein unmöglicher Gedanke; es kommt hinzu daß in
dem ganzen Schreiben von einer Glorificierung des Eustathius,
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-hist. Kl. 1908. Heft 3. 25
354 E. Schwartz
die doch nacli dem supponirten Zweck der Fälschung notwendig
angenommen werden muß, nicht ein Hauch zu spüren ist: kein
Leser der Fälschung konnte durch sie für das Andenken des Eu-
stathius begeistert werden, auch dann nicht, wenn er wirklich an
der Spitze der Liste stand. Und was für ein Publikum setzt
denn dieser 'unwissende' Fälscher voraus? Ein PubKcum das im
6. oder 7. Jahrh. noch wußte daß Euseb der Hauptschuldige an
der Absetzung des Eustathius gewesen war, es so genau wußte,
daß der Fälscher es über diese Untat in keiner Weise zu orien-
tieren brauchte ? Er hatte ja nach Hrn. Harnacks schmeichelhafter
Charakteristik keine Ahnung von Chronologie nnd glaubte seinen
Lesern alles bieten zu dürfen ^ brauchte sich also nicht zu genieren
nnd konnte von der Absetzung des Eustathius ruhig reden , ob-
gleich sie später war als die provisorische Excommunication Eusebs.
Ich vermag mir allenfalls vorzustellen daß der Fälscher Synodal-
acten fabricierte, die klärlich zeigten mit welcher Niedertracht
der böse Euseb den guten Eustathius zu Falle zu bringen ver-
suchte und dabei selbst in die Grube fiel; das hätte eine pseudo-
historische E-ache abgeben können; wie ihn aber der von Hrn.
Harnack 'entzifferte Anlaß' dazu gebracht haben soll ein Mach-
werk auszusinnen, in dem Eustathius keine Eolle spielt und
Euseb weder als der einzige noch als der absolute Bösewicht
erscheint, das mir auszumalen fehlt mir die Phantasie.
Uebrigens konnte der Fälscher auf den Gedanken Eustathius
an Eusebius zu rächen, nur dann verfallen, wenn die Ueberlieferung
daß Enseb an der Absetzung des Eustathius schuld sei, so fest
stand und so allgemein verbreitet war, daß im 6. oder 7. Jahr-
hundert jeder davon wußte und daran glaubte, wie etwa an Arius
Tod in der latrina publica zu Constantinopel und was dergleichen
Histörchen mehr sind. Ich hatte allerdings in meiner Mitteilung
[Nachr. 1905, 281], z. Th. nach den Ballerini, vermutet daß Euseb
auf der Synode die gegen Eustathius berufen war, eine Hauptrolle
spielte, auch meine Gründe dafür angegeben: Euseb steht als
erster in der Reihe der Bischöfe die das kanonische Concil von
Antiochien unterzeichnet haben, und ich identificierte dies Concil
sowohl mit dem das Eustathius absetzte, als dem an das Constantin
den von Euseb Vita Const. 3, 62 mitgeteilten Brief richtete. Den
Fälscher können diese Gründe um so weniger bewogen haben
Euseb um des Eustathius willen zu grollen, als sie verkehrt sind,
wie ich selbst eingesehen und öffentlich ausgesprochen habe [Pauly-
Wissowa, RE 6, 1417]. Ist nun aber Eustathius nicht auf der
kanonischen, von Euseb an erster Stelle unterzeichneten Synode
zur Geschichte des Athanasius YII 355
von Antiochien abgesetzt, so fällt der Hauptgrund fort, um dessen
willen Euseb für die Absetzung des Eustathius verantwortlich
gemacht werden kann, und wenn Hr. Harnack behauptet, ^beJcannt-
Vidi sei das der Fall, so findet dies den Beweis bequem ver-
tretende Adverb in der Ueberlieferung keine Stütze. Es wird
nützlich sein sie vorzulegen.
Sokrates [1, 23] knüpft an ein Citat von Euseb. Yita Const. 3,23
ein Regest an über eine Sammlung von Briefen, in der die Bischöfe
über das nicaenische Schlagwort o^oovöiog disputierten: es muß
sich um eine zu polemischen Zwecken veranstaltete Sammlung han-
deln, vgl. Nachr. 1905, 258. Er teilt darin Excerpte aus Briefen
mit, in denen sich Euseb und Eustathius befehdeten. Diese Ex-
cerpte übernimmt Sozomenos [2, 18, 3. 4] ohne die Briefsammlung
zu erwähnen; er hat sie aber, wie es seine Gewohnheit ist,
nachgeschlagen und daraus die Notiz entnommen daß Eusta-
thius die vornicaenische Synode von Caesarea angegriifen habe
[2, 19,1]: wie viele behaupteten, sei das der wahre, also ofiiciell
nicht angegebene Grund der Absetzung des Eustathius gewesen.
Auch Theodoret kennt die Sammlung und excerpiert daraus einen
polternden, historisch unbrauchbaren Bericht des Eustathius über
das nicaenische Concil [1,7, 18 ff.].
Unmittelbar auf jenes Regest folgt bei Sokrates [1 , 24] der
Bericht über die Synode von Antiochien, die Eustathius absetzte.
Er ist nur lose mit dem Vorhergehenden verknüpft: das Subject
des ersten Satzes övvodov ovv sv ^AvtioiEiai Ttonjöavtsg xad'aiQovöLv
Ev6tdd-i0v ag tä 2Jaßs?.Xiov ^äXXov cpQOvovvxa t) aiteQ rj sv Nixaiat
övvodog sdoy^aTiöev kann weder auf Euseb noch auf Eustathius
bezogen werden, die allein vorher genannt sind, sondern ist ganz
allgemein. Wie wenig Sokrates daran denkt Euseb die Schuld
an jener Absetzung zuzuschieben, verrät er dadurch daß er sich
ausführlich mit der Widerlegung einer Behauptung beschäftigt,
die der Antinicaener Georg von Laodikeia aufgestellt hatte, daß der
wegen seiner Orthodoxie bekannte [Athanas. apol. de fuga 3. hist.
Arian. 5] Bischof Kyros von Beroea, der Nachfolger des Eustathius
auf seinem früheren Thronos, ihn auf der Synode angeklagt habe :
in dieser Widerlegung kommt Euseb nicht vor. Jenes Regest
also steht nicht in engem Zusammenhang mit dem Bericht über
die Synode, sondern ist von Sokrates an diese Stelle gerückt,
weil es ihm zu der Absetzung des Eustathius am besten zu passen
schien. Sozomenos, der in viel höherem Maße pragmatische Allüren
hat und von historiographischer Technik etwas weiß, zieht aller-
dings ein Excerpt aus der Briefsammlung in den Bericht über die
25*
366 E- Schwartz
Synode hinein; aber auch er behauptet nicht daß Eustathius seine
Angriffe gegen Euseb habe büßen müssen, sondern die welche er
gegen Euseb, Paulinus und Patrophilos [d. h. die Synode von Cae-
sarea s. o.] richtete, nennt also andere Genossen des Euseb als
die welche in dem Synodalschreiben vorkommen, das nach Hrn.
Harnacks Meinung 'klärlich' zur Rache für die Absetzung des
Eustathius gefälscht ist.
Thatsächlich wurde Eustathius nicht um des Dogmas willen
abgesetzt, sondern aus disciplinären Grründen: man warf ihm an-
stößigen Lebenswandel vor. Sokrates und Sozomenos geben das
nur widerwillig zu; aber die orientalische Synode von Sardica
spricht es deutlich aus ^). Cons tantin hat zu der Excommunication
der Bischöfe ein Relegationsurteil hinzugefügt, das er nach per-
sönlichem Verhör ergehen ließ^); nach Athanasius [Hist. Arian. 4]
diente als Vorwand, daß er die Kaiserinmutter Helena beleidigt
habe ^). Von einer Schuld Eusebs redet Athanasius nicht, obgleich
1) Sokr. 1, 24, 1 übg fiev ovv ZLveg q)U6Lv , ^t' aHag ovx ccyad'äg altCag
(nicht wegen sabeliianischer Anschauungen), q>ccvsQä)g yäg ovyi eIq-^kccgi. tovxo ds
inl Ttdvtcav sload'aaL tmv yiad'aiQoviiivcov noistv ot iniayionoi,, %atriyoQOvvtsg (ihv
■Kai aösßsiv XByovtsg f tag ds altiag rfjg &asßsiag ov TCgoarid'EVTSg. Folgt die
oben erwähnte Widerlegung des Georg von Laodikeia; Kyros habe Eustathius
nicht als Sabellianer angeklagt. Dann der Abschluß: soi-nsv ovv EvardQ-iov Si*
ETEgag xaO'rjipTjö'ö'at TtgocpäaEig. Sozom. 2, 19, 1 xb (iev alrid'Eg, mg noXvg e'xel
2.6yog, xa^ort ttJv ivNiyiaiaL ncötiv EmfiLVEi -aal tovg ccficpl xbv EvGEßiov tiai IJavXtvov
xov TvQOv knCoKonov -Kai UaxQOcpiXov xov Z-nvd'OTtoXEag, av xrjL yviofiriL ot &va X7]v
%(o \== in der Dioecesis Oriens] lEgEtg eTtiovxo, oicc ys xd 'AgEiov (pgovovvxag ansaxgE-
q)txo y,al cpavEgag diißaXXE , 7cg6cpa6iv di tag ovx oüiaig ngd^EöL xr]v tEgoaövvi^v
atßxvvag icpagdd-ri. [Hilar.] frg. bist. 3, 27 in den Motiven der Verdammung des
Hosius : quod c&nuixerit in Oriente cum sceleratis ac perditis .... sed et Eusta-
thio [eustasio Hs.] et Quimatio [d. i. Kviidxiog vgl. Äthan, apolog. de fuga 3.
bist. Arian. 5. Tom. ad Antioch. p. 770] adhaerebat pessime et carus fuit, de
quorum uitae infamia turpi dicendum nihil est: exitus enim illorum eos omnibus
declarauit.
2) Euseb Vita Const. 3, 59 dnEXoyEtxo [Constantin] 8i ojv ngbg avxovg [an
die Antiochener] ^ygatpsv mg xov xijg axdasag [des späteren Aufstands in Anti-
ochien ; vgl. Kscp. | ÜEgl xf}g iv ^AvxioxEiai 8i E'öardd^Lov xagax^g] alxCov Sia-nri-
xoüjg a'bxbg eIt\.
3) Die Kaiserinmutter war eine eifrige Verehrerin des 310 hingerichteten
Märtyrers Lucian [Philostorg. 2,12]; Constantin gab dem bithynischen DorfDre-
pane, in dem er begraben lag, Stadtrecht und den Namen Helenopolis [Sokrat.
1, 17, 1. Hieronym. ol. 276, 2]. Nach Lucian aber redeten sich Euseb von Niko-
medien und Arius GvXXovv,iaviaxaC an [Epiphan. 69, 6 = Tbeodoret. 1, 5, 4] ; um.
lekehrt war er Alexander von Alexandrien und seinen Parteigenossen gründlich
gvehaßt [Theodoret. 1, 4, 36].
zur Geschichte des Athanasius VII 357
er im Uebrigen ihm alles andere als wohlgesinnt war. Zu beachten
ist übrigens, daß Athanasius erst in seinen späteren Schriften
Eustathius als Märtyrer der Orthodoxie feiert; das occidentalische
Concil von Sardika, das Asklepas von Graza und Marcell von Ancyra
rehabilitierte , erwähnt Eustathius überhaupt nicht. Man wagte
damals noch nicht gegen das Urteil Constantins zu protestieren ^).
Tritt schon in der ältesten und besten Ueberlieferung bei
Sokrates und Sozomenos Euseb keineswegs deutlich oder aus-
schließlich als der Urheber von Eustathius Absetzung hervor, so
gilt das gleiche von den späteren, tendenziösen und legendarischen
Entstellungen. Philostorgius , der den disciplinaren Grrund der
Absetzung und die Verbannung durch den Kaiser richtig erwähnt ^),
behauptet daß er durch eine von dem nikomedischen Euseb dorthin
berufene Synode ebenso wie Alexander von Alexandrien abgesetzt
sei: was in dieser Nachricht Wahres steckt, ist noch nicht auf-
geklärt. Sie ist von Theodoret [1,21] mit der älteren Ueber-
lieferung zu einem albernen Roman combiniert, in den vielleicht
auch eine Verwechslung der antiochenischen Synode, die Eustathius
absetzte, mit der Enkaeniensynode unter Constantius [341] hinein-
spielt : der nikomedische Euseb, den er schon unter Constantin
Bischof von Constantinopel werden läßt, reist mit seinem Spieß-
gesellen Theognis von Nicaea nach Antiochien, hält dort mit den
'Arianern' Euseb von Caesarea, Patrophilos von Skythopolis, Aetios
von Lydda, Theodot von Laodikeia und anderen eine Synode ab
und setzt mit Hülfe einer gedungenen Dirne die Verurteilung des
Eustathius durch ^) , die der von den Gegnern betörte Kaiser be-
stätigt. Hier ist Euseb von Nikomedien der treibende Mann:
die von Theodoret aufgezählten 'Arianer' dürften aus dem Katalog
den er 5, 7, 1 aufstellt, entnommen sein.
1) Der Legende daß er von lovian zurückgerufen sei [Sokrat. 4, 14, 4 =
Sozom. 6, 13, 2], liegt der Gedanke zu Grunde, daß ein kaiserliches Urteil nur
von einem Kaiser aufgehohen werden könne. Wenn bei Hieron. uir. ill. 85 ad~
uersus Arianorum dogma multa componens sub Constantio [Variante : Constantino]
principe pulsus est in exilium die Lesart Constantio richtig ist, sollte mit dieser
Correctur der Geschichte Constantin von dem Vorwurf, den orthodoxen Metro-
politen von Antiochien verbannt zu haben, befreit werden: es ist dieselbe Tendenz
wie die um derentwillen Rufin das Concil von Tyrus, das Athanasius absetzte,
unter Constantius setzt.
2) 2, 7 tbv 'AXs^ccvÖQS^ag ^AXi^avÖgov Hccdslstv ts v.ul ccTtoyiTiQv^ccGd^at . . .
ccXXa Tiul Evatdd'iov tbv ^Avtioxstccg , naidCayn]? fii^^iv v.al alaxQ&S rjdovfjg ccno-
Xavaiv atxiuv iTtLygaipccfi^vovg- cpvy7]v <d'> uvt&i ßccaiXs^g stLfi'^üccto dg xriv
iöTtegav [isd'OQiov Ttoiriadfisvog.
3) Die Geschichte war schon Hieronymus [adv. Ruf. 3, 42] bekannt.
358 ^- Schwartz
So viel ist deutlich : die Verfälschung der Tradition kehrt ihre
Spitze nicht gegen Euseb von Caesarea. Zur Zeit des Johannes
Chrysostomus gehört Eustathius mit Philogonius und Meletius zu
den Bischöfen deren Andenken ofiiciell gefeiert wurde : in der
Predigt die jener auf ihn hielt, heißt es nur ganz allgemein, daß
die Ketzer ihn vertrieben hätten [t. 2 p. 607^]. Ebenso beschränkt
sich Hieronymus [de uir. ill. 85] auf die kurze Notiz daß er wegen
seiner Schriften gegen das arianische Dogma — hier lebt die Er-
innerung an seine polemischen Briefe noch fort — ins Exil gejagt
sei. Nach alle dem lag im 6. oder 7. Jahrh. auch nicht die
mindeste Veranlassung vor, seine Absetzung an Euseb von Caesarea
zu rächen : niemand konnte damals auf den Gedanken kommen
darum eine ganze Synode zu fälschen, und niemand würde die
Fälschung verstanden haben.
Einige Zeit nach der Absetzung und Verbannung des Eusta-
thius brach bei Gelegenheit einer Sedisvacanz ^) in Antiochien ein
Aufstand aus, der gefährliche Dimensionen annahm und nicht nur
die christliche Gemeinde in zwei Parteien spaltete, sondern auch
die Municipalbeamten und die Garnison ergriff. Offenbar ist von
den Anhängern des Eustathius der Versuch gewagt ihn von neuem
auf den Thronos zu erheben; man behauptete, das kaiserliche Ur-
teil sei nicht zu Recht ergangen-). Constantin griff sofort ein,
sandte einen Comes hin und schickte ein scharfes Schreiben an
die Gemeinde. Nun wollten sich die Parteien auf Euseb von Cae-
1) Fest steht durch die Subscription unter dem Tomos Alexanders [Nachr.
1905, 267. 270] und die nicaenische Liste, daß Eustathius auf Philogonius folgte,
ferner daß Paulinus den Thronos von Tyrus mit dem von Antiochien vertauschte
[Euseb. c. Marcell. 1, 4, 2] , aber sechs Monate danach starb und durch Eulalius
ersetzt wurde [PLilostorg. 3, 15], endlich daß Euphronios' Nachfolger Flaccillus
war, der am tyrischen Concil 335 teilnahm [Theodoret. 1, 22, 1. Äthan, apol. c.
Arian. 87]. Es ist also verkehrt, wenn Theodoret 1, 22, 1 Paulinus ausläßt und
Eulalius unmittelbar auf Eustathius folgen läßt, richtig dagegen daß er die Ab-
lehnung Eusebs mit der durch Eulalius' Tod entstandenen Sedisvacanz verbindet.
Stärker verwirrt ist die Reihe bei Hieronymus [ol. 277, 1] : Philogonius Paulinus
Eustliathius, nach dessen Verbannung die 'Arianer' Eulalius Eusebius Euphrouiua
Flaccillus; da ist Paulinus fälschlich zu den Orthodoxen gerechnet und vor
ICustathius gestellt, ferner Euseb mit aufgezählt, obwohl er nie Bischof von
Antiochien gewesen ist. Die sicheren Daten schieben sich nur durch die An-
nahme zurecht, daß an Stelle des abgesetzten Eustathius Paulinus trat, Eulalius
ihm succedierte und nach dessen Tode der Streit ausbrach, der mit der vom
Kaiser befohlenen Wahl des Euphronius endete.
2) Daher versicherte der Kaiser in dem ersten, ungnädigen Schreiben an
die Gemeinde ausdrücklich, daß er Eustathius persönlich verhört habe, s. o.
zur Geschichte des Athanasius VII 359
sarea einigen^); auch eine S^mode die, wahrscheinlicli wegen der
Bischüfswahl, tagte, stimmte zu-). Aber Euseb war klug genug
sich mit der Ehre zufrieden zu geben und den exponierten Posten
unter Berufung auf den 15. nicaenischen Kanon abzulehnen; Con-
stantin, der an dem Entschluß schwerlich ganz unschuldig war?
verwarf den Vorschlag ebenfalls und nominierte die Presbyter
Euphronios aus dem kappadokischen Caesarea und Greorgios aus
Arethusa: jener wurde gewählt [Euseb. Vit. Const. 3, 59 ff.]. Daß
aus dieser Geschichte keine Fälschung gegen Eusebius, am aller-
wenigsten das antiochenische Synodalschreiben erwachsen konnte,
ist ohne Weiteres klar.
Da das Document als echt erwiesen ist, so ist damit ein Maß
gewonnen, an dem sich die Vollständigkeit und Zuverlässigkeit
der erzählenden Ueberlieferung prüfen läßt. Fällt diese Prüfung
für die antiken Kirchenhistoriker nicht unbedingt günstig aus, so
spricht das noch lange nicht gegen die Echtheit des Documents:
im Gegenteil, es müßte mit wunderbaren Dingen zugehen und
würde gradezu verdächtig sein, wenn eine so umfangreiche Ur-
kunde so mannigfaltigen Inhalts glatt und restlos in das schon
Bekannte aufgienge. Hr. Harnack fragt allerdings mit Emphase
[S. 484] : von einer solchen Synode sollten Eusebius, Athanasius, So-
Icrates, So^omenus, Theodoret schlechterdings nichts berichten? Wenn
es Hrn. Harnack lediglich darauf ankam mit der Aufzählung mög-
lichst vieler ISTamen eine rhetorische Wirkung zu erzielen, hätte er
Kufin und Gelasius nur gleich mitnennen sollen: auf sachkundige
Leser werden freilich weder die fünf noch die sieben Namen be-
1) Brief Constantins an die Gemeinde [Eus. Vit. Const. 3, 60, 3]: öfioXo'y&
yccQ ccvsyvGjyisvca tcc vTtOfivqiiata ev olg lafiTtgacs svcpriybCaig ts Kai ^agrvQLUig
als ft's Evasßiov slariv^yAaaQ'S ETtLO-aoTtov i]dri Kcciaagsayv bvta . . . amgav v^äg
syasifisvag avtbv acpstsQL^ofisvovg. Die Eingabe [libellus'] der Antiocbener muß
die Antwort auf das erste, ungnädige Schreiben des Kaisers gewesen sein : natür-
lich meinte man in Antiocbien, daß Euseb bei Hofe persona grata sei. Die letzte
Ausgabe der Kirchengeschichte mit den ausgiebigen Huldigungen an den gott-
geliebten Kaiser war ja längst erschienen.
2) Es hat viel für sich, diese Synode mit derjenigen zu identificieren , deren
Kanones in das Corpus aufgenommen sind. Denn in deren Subscriptionen steht
Euseb von Caesarea an der Spitze, dem der Kaiser nach der Ablehnung ausdrück-
lich befahl an der Synode teilzunehmen [Eus. Vit. Const. 3, 61, 3] ; dagegen fehlt
der Bischof von Antiocbien, dessen Name unbedingt zu erwarten ist: die Synode
fand also während einer Sedisvacanz statt. Die einzige Schwierigkeit ist nur, daß
Aetios von Lydda, der sicher auf der Synode war [Brief Constantins bei Eus.
Vit. Const. 3, 62], in den Subscriptionen, so weit sie mir bekannt sind, nicht er-
scheint; freilich sind die lateinischen Listen noch nicht zuverlässig publiciert.
360 E- Schwartz
sonderen Eindruck machen. Denn sie wissen daß Euseb, Atlia-
nasius und E-ufin von den drei Fortsetzern Eusebs benutzt sind
und Sokrates wiederum für Sozomenos und Theodoret die Grund-
lage bildet, die scheinbar also weitverzweigte Ueberlieferung sich
bei näherem Zusehen sehr vereinfacht. Je einfacher aber eine
Ueberlieferung ist, um so mehr Lücken wird sie aufweisen.
Euseb hat aus guten Gründen darauf verzichtet die letzte
Ausgabe seiner Kirchengeschichte mit einer Schilderung der ersten
oekumenischen, unter dem Vorsitz des Kaisers abgehaltenen Sy-
node zu krönen: ihm ist der arianische Streit und seine Ent-
scheidung die böseste Erinnerung seines Lebens gewesen. In dem
panegyrischen ßuog Constantins konnte er Nicaea nicht übergeLn, aber
die Form die er für sein Buch gewählt hatte, gab ihm das Recht
das Licht genau auf die Stelle fallen zu lassen, die in voller
Helligkeit strahlen sollte, und die Schatten wegzuretouchieren. So
hob er das heraus, was in der Tat von der größten geschichtlichen
Wichtigkeit war, daß bald nach der großen Verfolgung, unmittelbar
nach den Chicanen des Licinius, nicht mit Erlaubnis, nein auf
Befehl des Kaisers die größte und glänzendste Bischofs Versamm-
lung zusammentrat, die die Christenheit je gesehen hatte, daß der
Kaiser an allen Beratungen teilnahm und persönKch die Ent-
scheidung herbeiführte; er hob zweitens hervor daß die Glorie,
mit der Constantins Sieg über Licinius die Kirche umgab, getrübt
wurde durch den unseligen Zwist der Christen untereinander und
daß die Weisheit des Kaisers es war, die diesen Streit schlichtete.
Es waren nicht bloß rhetorische, sondern auch sehr politische
Gründe die ihn veranlaßten grade diese Seiten hervorzuheben. Er
schrieb die Vita Const. Ende 337, als die rechtswidrige Aufhebung
der Relegation des Athanasius durch den jüngeren Constantin
schwere Kämpfe in Aussicht stellte und Euseb dringend wünschen
mußte daß Constantins gegen den ehrgeizigen und streitlustigen
Patriarchen den Frieden wahrte. Die wohlberechnete, aufs sorg-
fältigste abgewogene Darstellung wollte er nicht dadurch stören,
daß er das längst vergessene, von der Sonne der kaiserlichen Gunst
überstrahlte Mißgeschick erzählte, das ihm und zweien seiner
Freunde durch eine Ueberrumpelung seiner Gegner zugefügt war;
an diesem Verschweigen konnte und kann niemand etwas Wunder-
bares finden.
Euseb hielt es für nötig sich seiner Gemeinde gegenüber zu
rechtfertigen daß er das Nicaenum mitsammt den Anathematismen
unterzeichnet hatte: der Brief ist lange nachher von Athanasius
in der Schrift über die Beschlüsse der nicaenischen Synode publi-
zur Geschichte des Athanasius VII 361
eiert nnd dadurch in die Kirchenhistoriker gelangt. Auch die Häupter
der antialexandrinischen Partei, Euseb von Nikomedien und Theognis
von Nicaea, hatten solche Schreiben an ihre Gemeinden erlassen
[Brief d. Eus. und Theognis Grelas. 3, 11 = Mon. sacra et pro f.
bibl. Ambros. 1, 143. Socr. 1, 14, 3. Soz. 2, 16, 4]. Nach Eusebs
Darstellung legte er schriftlich der Synode das Taufbekenntnis
der Gemeinde von Caesarea mit einer am Schluß angehängten,
persönlichen Erklärung vor: es wurde vom Kaiser und auf seine
AuiForderung von der gesammten Synode als rechtgläubig aner-
kannt. Damit war der provisorische Beschluß der antiochenischen
Synode aufgehoben, und das hatte Euseb allen Grund seiner Ge-
meinde mitzuteilen. Den feinen Hohn daß er jenen Beschluß,
den natürlich weder er noch seine Gemeinde je anerkannt hatten,
überhaupt als nicht existierend behandelte, wird man in Caesarea
verstanden und gewürdigt haben. Andererseits erklärt die provi-
sorische Aufkündigung der Gemeinschaft durch die antiochenische
Synode die sonst räthselhafte Thatsache, wie grade Euseb von
Caesarea, der weder die eine noch die andere Partei führte, dazu
kam sein heimatliches Taufbekenntnis mit einem persönlichen
Schluß vorzulegen : er mußte gegenüber dem Urteil der antioche-
nischen Synode seine Rechtgläubigkeit beweisen. Die neugefundene
Urkunde widerspricht also keineswegs dem — sehr wenigen — ,
was vorher über den Verlauf der nicaenischen Synode bekannt
war, sondern klärt den wichtigsten und urkundlichsten Bericht
darüber in einer so überraschenden und lebensvollen Weise auf,
wie es bei einer Fälschung nie möglich gewesen wäre^).
Athanasius ist nie ein Geschichtsschreiber gewesen und hat
es nie sein wollen: er war ein Politiker und griff zur Feder nur,
wenn er politische Gründe hatte. Wenn er zu erzählen scheint,
ist er in Wahrheit Publicist und ein Publicist, der zwar schlecht
und formlos schreibt, aber die Thatsachen mit raffinirten Sach-
walterkniifen zu gruppieren und zu verschieben versteht. Er
macht sich nichts daraus über seine Zänkereien mit den Meli-
tianern Bogen voll zu schreiben und für Lappalien, auf die ge-
schichtlich nichts ankommt, einen nngeheuren Apparat aufzubieten;
andererseits ist er über die wichtigsten Dinge so schweigsam wie
nur je ein Diplomat. Ueber das nicaenische Concil berichtet er
nie; in der ganzen Schrift die er darüber verfaßte, steht nichts
2) Ich habe dies alles schon in Kürze in der RE 6, 1412. 1414 auseinander-
gesetzt; aber Hr. Harnack scheint diesen Artikel grundsätzlich ignoriert zu haben.
362 E. Schwartz
als dogmatische Polemik ; das Historische soll der Leser den Acten-
stücken entnehmen, die er, in sehr geschickter Auswahl, beilegte
[vgl. Nachr. 1904, 391 ff.]. So wird er seine Gründe gehabt haben,
wenn er die antiochenische Synode mit gänzlichem Stillschweigen
übergieng, wie er ja auch die Anfänge des arianischen Streits
niemals dargestellt hat. Da er sich sorgfältig hütete dem An-
denken Constantins zu nahe zu treten und auf jede nur mögliche
Weise bestrebt war, den Kampf den der Kaiser grade nach dem
nicaenischen Concil gegen ihn und seinen Vorgänger geführt hatte,
in Vergessenheit zu bringen, paßte es ihm den Triumph zu ver-
schweigen, den Cons tantin den drei ^Ariane rn' , die von der an-
tiochenischen Synode 'verurteilt waren, in Nicaea bereitet hatte:
verpflichtet war er als Publicist nicht, alles zu erzählen was er
wußte. Daß die antiken Kirchenhistoriker seinen Pamphleten ver-
trauten, ist ihnen nicht zu verdenken; daß aber die moderne For-
schung es noch nicht fertig gebracht hat sich von dem Bann seiner
Publicistik freizumachen und die Urkunden nicht unbefangen zu
deuten sich bemüht, sondern sie nur in dem falschem Licht sieht,
das er über sie ausgießt, oder sie gar verwirft, wenn sie ihn
widerlegen, das ist ein Zeichen, wie wenig sie im Grunde über
Tülemont hinausgekommen ist.
Sokrates schreibt im ersten Buch nur Rufin, der wertlos ist,
Euseb und Athanasius aus ; was er hinzusetzt, ist wenig und wird
noch weniger, wenn Unbrauchbares, wie die Reste einer kurzen
Kaisergeschichte oder die auf mündlicher Ueb erlief erung beruhenden
Legenden von den Novatianern Akesius und Eutychianus [1, 10. 13]
abgezogen werden. Das wertvolle historische Material reduciert
sich dann auf eine Sammlung von Briefen des Ar ins (richtiger der
Arianer) und Alexanders [1, 6, 41] und das Buch des Makedonianers
Sabinus über die Synoden; und auch dieses Material ist nicht aus-
genutzt; denn die Briefsammlung wird nur einmal erwähnt und
aus Sabinus nur eine Stelle über das nicaenische Concil citiert
[1, 8, 26. 9, 28], die den wackeren Kirchenhistoriker weidlich ge-
ärgert hatte. So steht bei ihm über den arianischen Streit und
das nicaenische Concil so gut wie nichts das nicht bei Autoren,
die noch vorhanden sind, zu finden wäre. Die Einleitung [1.5]
scheint unter dem Einfluß der Briefsammlung zu stehen [vgl. den
Brief des Arius Epiphan. 69, 6. Theodor. 1, 5] ; nach einigen Re-
miniscenzen [l, 6, 1. 2] aus Eusebs Vit. Const. [2, 61, 4. 5] folgt die
aus der Actenbeilage zu Athanas. de decret. Nie. syn. entlehnte
Encyclika Alexanders, an die sich wiederum ein Stück aus Euseb
[Vit. Const. 2, 61, 5. 62, 1] anschließt, untermischt mit Trivialitäten
zur Geschichte des Athanasius VII 363
Über Euseb von Nikomedien. Die Melitianer werden nach Atha-
nasins [apolog. c. Arian. 59] skizziert und daran der schon er-
wähnte, ausdrückliche Hinweis auf die Briefsammlung angeschlossen;
aus Euseb [Vit. Const. 2, 63 ff.] stammt der Bericht über Con-
stantins Versuch zu vermitteln; daß der von Euseb [Vit. Const.
2, 63] nicht mit Xamen bezeichnete Vertrauensmann des Kaisers
Hosius von Corduba war, scheint Sokrates aus Sabinus entnommen
zu haben. Dann geht er sofort zur Berufung des nicaenischen
Concils über [1, 8]. sich durchweg an Euseb anschließend sowie an
den Brief des Euseb an seine Gemeinde, den er bei Athanasius
fand. Außer ein paar Einlagen aus Rufin und der trivialen
Nennung von drei Arianern' [1, 8, 13] findet sich von wichtigen
Zusätzen nur das Citat des Sabinus [1, 8, 24ff.]; auf diesen dürfte
auch die Stelle über die Bischöfe die Arius Absetzung nicht unter-
schreiben wollten, zurücklaufen [1,8, 31. 32], wo Sokrates nicht
scharf genug zwischen den dem Symbol angehängten Anathema-
tismen und der gegen Arius persönlich gerichteten Verdammung
unterscheidet. Das 9. Capitel ist mit Urkunden angefüllt, die alle
aus Athanasius und Euseb entlehnt sind; die Legenden in 1, 10
und 13 sind schon erwähnt; 1, 11, 1. 2 und 1, 12 stammen aus
Rufin: nur der Ursprung der Greschichte über Paphnutius 1, 11,
3 ff. ist unbekannt, sie ist jedoch ohne Frage apokryph. Zum Ab-
schluß bringt Sokrates die Namenliste und das Datum der Synode
nach einem Exemplar des Corpus canonum [vgl. Nachr. 1904, 395 ff.].
Sozomenus fußt durchweg auf Sokrates, er hat nur den einen
Vorzug daß er das Synodenbuch des Sabinus viel stärker heran-
gezogen hat; aus diesem stammt der ausgezeichnete Bericht über
die Anfänge des arianischen Streits [1, 15], der bis zur Synode
von Caesarea hinabgeführt ist. Was dann folgt, ist meist durch
Vermittlung des Sokrates aus Euseb entnommen ; nur darin ver-
räth sich die gelegentliche Heranziehung des Sabinus, daß Sozo-
menos den Brief Constantins an Arius und Alexander [1, 16, 2]
fälschlich von Hosius Sendung [1, 16, 5] trennt; durch die zwei
Gewährsmänner hat sich eine Doublette in die Erzählung einge-
schlichen. Wie Sokrates, geht auch er sofort zum nicaenischen
Concil über: das Material ist dasselbe wie dort, nur Rufin ist
etwas stärker herangezogen, was den Wert der Darstellung nicht
erhöht.
Als Sammler wie als Schriftsteller steht Theodoret weit unter
den beiden Vorgängern. Doch muß zugegeben werden daß er das
Material nicht unerheblich vermehrt hat. Vor allem hat er aus
der Briefsammlung sehr wertvolle Stücke mitgeteilt [1, 4 — 6], nichts
364 E. Schwartz
dagegen aus Sabinus; die Anordnung des Sokrates, nach der
auf Hosius Sendung nach Alexandrien sofort das nicaenische Concil
folgt, kehrt bei ihm wieder. Ueber die Synode selbst bringt er
außer dem was er bei Sokrates fand, und einem Excerpt aus
Athanasius epist. ad Afros zwei Neuheiten. Erstens die Notiz
daß Eustathius, der Metropolit von Antiochien, das Concil mit der
Begrüßungsrede an den Kaiser eröffnet habe. Das ist falsch ; nach
Eusebs ausdrücklichem Zeugnis hielt der Metropolit der Provinz,
in der die Synode stattfand, Euseb von Nikomedien, die Rede [vgl.
RE 6, 1413]. Das zweite ist ein Excerpt aus einem Briefe des
Eustathius [1, 7, 18—8, 5], der wohl zu der von Sokr. 1, 23, 6 ff.
geschilderten Sammlung gehört: es enthält eine grob entstellte
Schilderung der Scene in der Euseb von Caesarea sein Credo vor-
legte.
Man sieht : das Material das die Trias der orthodoxen Kirchen-
historiker herbeischafft, ist im Grunde dürftig. Die Compilation
nun gar des Gelasius enthält zwar sehr Wertvolles, ist aber so
urteilslos zusammengestoppelt, daß gegen kein Document das dort
fehlt, ein Vorwurf erhoben werden kann, und in dem seltsamen
Gemisch von vorzüglichen Nachrichten und tendenziösen Ver-
drehungen, das Philostorgius zusammengebraut hat, wird man um
so weniger verlangen einen Hinweis auf die antiochenische Synode
zu finden, als das Werk nur in Excerpten erhalten ist.
Schließlich ist noch eins zu erwägen. Die Kirchenhistoriker
schöpfen im Wesentlichen aus der Publicistik die die kirchlichen
Streitigkeiten des 4. Jahrh. in reichem Maße erzeugt hatte; weil
die antike Sitte, im publicistischen Kampf Urkunden und Briefe
zu veröffentlichen, damals kräftig auflebte, ist die Geschichte jener
Zeiten ungewöhnlich reich an Documenten. Neben der publicisti-
schen steht aber noch eine andere , nicht minder wichtige Ueber-
lieferung, die der Rechtsbücher. Von der wissen die Kirchen-
historiker so gut wie nichts: sie kennen z. B. die Synoden von
Ancyra, Neocaesarea, Laodicea überhaupt nicht, geben nicht an,
welche antiochenische S3niode die Kanones beschlossen hat: auch
die Kanones von Sardica erwähnen sie nicht. Von dem wichtigsten
Document des melitianischen Streits, dem kanonischen Brief des
Petrus von Alexandrien, haben sie keine Ahnung. Nun hat es
aber durchaus den Anschein daß die antiochenische Synode dieser
Ueberlieferung ihre Erhaltung verdankt. So erklärt es sich auf
ganz natürliche und einfache Weise, daß sie in die tralaticische
Kirchengeschichte nicht gekommen ist; die Thatsache daß ein so
wichtiges Moment des arianischen Streits so völlig aus der Tra-
zur Geschichte des Athanasius YII 365
dition verscliwand, beweist zugleich, wie lückenliaft, wie zufällig
zusammengestoppelt das Material ist, das für die YorgescMclite
des nicaenisclieii Concils vorliegt, und daß es wahrhaftig nicht ge-
raten ist dies Material durch grundlose Athetesen noch weiter zu
schmälern.
Wenn dies Ergehnis (daß nämlich die Synode in Antiochien
kurz vor der nicaenischen stattgefunden und das was im Synodal-
schreiben steht, beschlossen hat) richtig ist, so bedeutet es einen
totalen Umsturz unserer Vorstellungen von der Vorgeschichte des
nicaenischen Konzils [S. 477]. Ich hoffe daß Hr. Harnack das für
kein Unglück hält; keine Combination schöpft das geschichtliche
Leben aus, und neue Funde haben es nun einmal an sich, daß sie
Aufklärung an Stellen schaffen, wo man es nicht erwartet hat.
Die Unlustgefühle die der Zusammenbruch einer fable convenue
hervorzurufen pflegt, gehn die Wissenschaft nichts an, und am
allerwenigsten gehört es sich eine Urkunde anzuklagen, weil sie
so unehrerbietig ist moderne Hypothesen nicht vorauszusetzen.
Wenn das Synodalschreiben nicht zu der 'origenistischen Mittel-
partei' passen will [S. 477. 484] , nun gut , dann werfe man das
Schlagwort weg: es wird ihm niemand eine Thräne nach-
weinen. Hr. Harnack wundert sich daß man in Syrien so orthodox
gewesen sei, ivo noch [!] in den dreißiger und vierziger Jahren der Se-
miarianismus herrschte und man sich über den Irrglauben der Majorität
daselbst so bitter beklagte ! [S. 484]. War denn der Semiarianismus,
um ihn einmal als geschichtliche Realität zu acceptieren, eine den
Syrern angeborene Eigenschaft? Oder steht es überhaupt auf
derselben Linie, wenn vor Nicaea, als es kein oekumenisches Credo
gab, 56 Bischöfe für den Bischof von Alexandrien gegen den auf-
sässigen Presbyter und seinen Beschützer, den Bischof von Niko-
medien Partei ergreifen, und wenn unter Constantius versucht
wird die Homousie zu beseitigen, die Constantin in Nicaea dem
gesammten Orient aufoctroyirt hatte? Seit dem Sturz Pauls von
Samosata ist von Selbständigkeitsgelüsten des antiocheni sehen
Metropoliten nichts zu spüren; Eustathius ist sogar ein fanatischer
Anhänger Alexanders gewesen. Daß eine in Antiochien abgehaltene
Synode, die es überhaupt mit dem alexandrinischen Patriarchat
hielt, aus dessen officiellen Erlassen^) das Attribut ^eoxo'nog ent-
nahm, hat nicht das mindeste gegen sich : oder soll Nestorius eine
1) Vgl. den Tomos Alexanders Nachr. 1905, 266; daß der Ausdruck nicht
etwa hineininterpoliert ist, beweist der Brief an Alexander von Byzanz, Theodoret
1, 4, 54.
366 ^ • Schwartz
Praeexistenz vindiciert werden? Die große Aenderung tritt ein
durcli den Sturz des Eustatliius, als Paulinus, Euphronios, Flac-
cillus Metropoliten wurden: da ist Antiochien die Hochburg des
Kampfes gegen Alexandrien geworden, und da werden die Formeln
Lucians wieder hervorgeholt, von dem Alexander schreiben konnte
[Theodoret. 1, 4, 36]: ccTCoövvd'ycoyog sfiscvs xQLcbv STtLöxoTtcjv [von
Antiochien, denn er war antiochenischer Presbyter] nokveteig %q6-
vovg^ und dessen Verehrerin, die Kaiserinmutter Helena, von
Eustathius beleidigt sein sollte. Constantin hat Eustatbius rele-
giert, er hat Euphronius und Georg, den späteren Bischof von
Laodikeia, den Alexander und Athanasius ingrimmig haßten [Nachr.
1905, 264], als Candidaten für den Thrones vorgeschlagen: die
kaiserliche Politik, in der Hauptstadt der Dioecesis Oriens ein
Bollwerk gegen die alexandrinischen Herrschaftsgelüste zu schaffen,
zeichnet sich scharf und deutlich ab und ist von Constantius weiter
geführt. Das sind die harten "Wirklichkeiten die den Gang der
Dinge bestimmt haben, nicht so unklare Gebilde, wie ein spezifisch
syrischer 'Semiarianismus'.
Mit den beiden Documenten, dem Brief Constantins der die
oekumenische Synode von Ancyra nach Nicaea verlegt, und dem
antiochenischen Synodalschreiben , sind historische Maßstäbe ge-
wonnen, an denen gemessen zu werden allerdings gar manche
Darstellung des nicaenischen Concils nicht verträgt. Aber das
Geschäft die 'moderne Litteratur' von der neugewonnenen Position
aus zu betrachten reizt mich nicht, und ich schätze die Verpflich-
tung höher ein zum Schluß den unparteiischen Leser darüber zu
orientieren, wie sich die Erkenntnis von dem geschichtlichen Ver-
lauf der Dinge ohne und mit jenen Documenten gestaltet. Dabei
wird sich herausstellen daß sie nichts von dem umstürzen, was
sich durch historische Ausdeutung der Urkunden auch ohne sie
gewinnen läßt, daß sie aber diesen Gewinn erheblich ergänzen und
vermehren.
Der arianische Streit war ursprünglich eine Episode des
Kampfes den der alexandrinische Episkopat seit Demetrius gegen
die überlieferten Vorrechte der Presbyter führte. Mit diesem
Gegensatz verquickte sich nach und nach der in der origenischen Zeit
noch schlummernde Antagonismus der in heidnischer Wissenschaft
gebildeten Presbyter und Lehrer gegen den Episkopat, der in der
Stadt sich, auf die mit den Almosen zusammenhängenden Massen-
organisationen stützte und im Lande die von ihm erst creirten
Bischöfe von Gemeinden in der Hand hatte, in denen Bildung
kaum vorhanden war. Heraklas und vor allem Dionys waren noch
zur Geschichte des Athanasius VII 367
Origenes würdige Schüler, Dionys außerdem ein Meister der Feder,
seinem Klerus überlegen im besten Sinne des Worts. Und doch
Latte er nicht nur unter den Verfolgungen der Staatsgewalt zu
leiden ; schon zu seiner Zeit brachten diese die extremen Fanatiker
in die Höhe, denen der Bischof eher zu viel als zu wenig Bildung
hatte. Das wurde in der großen diocletianischen Verfolgung noch
schlimmer ; zu ihren bösesten Wirkungen gehört das erschreckende
Sinken des geistigen Niveaus in der gesammten Christenheit und
in Alexandrien besonders, da die Centren der Cultur in solchen
Zeiten am schwersten betroffen werden: welch ein Absturz ist es
von der glänzenden Schriftstellerei des großen Dionys zu der
stilistischen Unfähigkeit des Athanasius, und wie lange dauert es,
bis, fern von Alexandrien, die Kappadokier und Antiochener der
Kirche wieder Männer stellen, die nicht bloß eine kirchliche, son-
dern vor allem eine geistige Elite sind! Der Sturm der Ver-
folgung hatte eben die Talente hinweggeraift oder vom Klerus
ferngehalten oder ihre Ausbildung gehemmt. Um so unbequemer
wurden die überlebenden Helden der Verfolgung, die naturgemäß
den Glaubensfanatismus weiter schürten, auch über die Zeiten hin-
aus, wo er eine nuthwendige Waffe gewesen war. Es ist bezeich-
nend daß die Melitianer dem Patriarchen den Streit mit Arius
aufnötigten und daß dieser den intelligenten, hochgebildeten Pres-
byter für den leichter zu besiegenden Gregner hielt : von Alexander
an hat das alexandrinische Patriarchat grundsätzlich gegen alles
was von Bildung und Wissenschaft nicht nur im Klerus, sondern
in Alexandrien überhaupt noch vorhanden war, gestritten; Atha-
nasius, Theophilus, Cyrill, nicht die arabischen Chalifen haben, um
bequemer herrschen zu können, aus der alten Stätte antiker Wissen-
schaft eine geistige Wüste gemacht.
Schon der Streit des Demetrius mit Origenes hatte die Kirche
weithin aufgewühlt; aber der Wind der den großen Presbyter
von Alexandrien losriß, trug auch den Samen seines Greistes über
die Grenzen Aegyptens , das damals noch kirchlich ebenso wie
politisch ein Reich für sich war: von Caesarea aus, dem neuen
Wohnsitz des Origenes , wurden Palaestina und Kappadokien
Pflanzstätten des origenischen Christentums. Die Verbindung mit
dem alexandrinischen Presbyterium , in dem Origenes fortlebte,
blieb im dritten Jahrhundert lebendig und trieb neue Schößlinge;
Pamphilus ist in Alexandrien gebildet und von Alexandrien aus
erhält der Thronos von Laodicea in Syrien immer wieder Bischöfe,
die auf ihre wissenschaftliche Bildung stolz sind. Es sah eine
Weile so aus, als sollte in Antiochien sich ein neuer Mittelpunkt
368 E- Schwartz
bilden; aber die Origenianer fühlten sich in ihrer Macht so sicher,
daß sie selbst mithalfen Paul von Samosata zu stürzen und die
schnelle Blüte zu knicken. Doch müssen diese Gegensätze, weil
sie nur Schul- und nicht Machtgegensätze waren, sich bald ge-
mildert haben: im arianischen Streit stehen Lukianisten, Schüler
des Pamphilus, alles was an eine christliche Wissenschaft glaubt,
zusammen um die Selbständigkeit des alexandrinischen Presbyters
gegen den Patriarchen zu schützen; sie ahnten die Gefahr die da
heraufzog.
Allerdings spielte auch die große Politik mit hinein. Als der
Streit ausbrach, war die Kirche von ihrem letzten Gegner befreit;
Constantin ließ von vornherein keinen Zweifel darüber daß er die
Kirche nicht nur tolerieren, daß er sie vielmehr zur Mitherrschaft
berufen wollte. Und nnn erhob sich die Frage, welche der beiden
Parteien den christusliebenden Kaiser in die Hand bekommen
würde. Es ist zweifellos der Ehrgeiz des Euseb von Nikomedien
gewesen, des Bischofs der kaiserlichen Residenz, der die Opposition
gegen das alexandrinische Patriarchat zn einer Partei zusammen-
schloß, mit der er zu siegen und zu gewinnen hoffte, und umgekehrt
war der Patriarch der Weltstadt nicht gesonnen seinen Anteil
an dem Regiment das der Kaiser der Kirche zuwies, mit christ-
licher Bescheidenheit zu bemessen.
Der Kaiser war beiden Parteien mehr als gewachsen. Er
ließ den Streit sich kräftig entwickeln und trat, als er endlich
eingriff, sehr überlegen als Friedensstifter auf. Durch seine Waffen,
so schreibt er an Alexander und Arius, habe er die Welt von
einer bösen Wunde geheilt und geeinigt, jetzt setze er sich die
Aufgabe aller Völker Eifer für das Göttliche zu einem Sinn zu-
sammenzufassen '). Für dies Bestreben rechne er auf ihre Mit-
wirkung und sei schmerzlich dadurch enttäuscht, daß sie wegen
einer törichten und unnützen Streitfrage nicht nur selbst in Un-
frieden geraten, sondern den Zwist auch unter die Laien getragen
hätten, die unter keinen Umständen mit dergleichen Dingen be-
helligt werden dürften, die sie ja doch nicht verstehen könnten. Sie
sollten sich schleunigst vertragen; es sei ja gar nicht nötig daß
einer seine dogmatische Ansicht aufgebe ; die könne jeder für sich
behalten, wenn nur die Religion des Gesetzes [lex = Christentum,
wie oft in constantinischen Schriftstücken] unerschüttert bliebe. Als
1) Eu8. Vit. Const. 2, 65 rriv anävzoiv xiäv id-vibv nsgl vb d'siov ngd^BOLv
[— propositum, in gutem Griechisch müßte es ngoa^gsaiv heißen] etg [aö codd]
^Uxv s^£<og avGxaaiv sv&aai.
zur Geschichte des Athanasius VII 3B9
Lohn der Versöhnung stellt er schließlich seinen baldigen Besuch"
in Alexandrien in Aussicht.
Dem Scheine nach stellte der Kaiser sich über die Parteien;
in der Sache unterstützte er Arius. Denn er behandelt ihn, den
Presbyter, durchaus auf gleichem Fuße mit dem Bischof; es ist
keine Rede davon daß er diesem irgend ein Recht über den Pres-
byter einräumt: die Excommunication des Arius durch die von
Alexander berufene Synode wird erwähnt, aber die rechtliche
Consequenz nicht gezogen. Damit erkannte der Kaiser die privi-
legierte Stellung der alexandrinischen Presbyter an, und das will
umso mehr sagen, als die Synode von Caesarea kurz vorher das
gleiche getan hatte und Arius auf Grrund dieses Synodalbeschlusses
nach Alexandrien zurückgekehrt war [Nachr. 1905, 291].
Die Intervention des Kaisers fruchtete nichts ; der dogmatische
Streit mußte ausgetragen werden. Früher schien es so als sei
nunmehr die oekumenische Synode nach Nicaea berufen. Schon
im Occident hatte Cons tantin mit der rücksichtslosen Verwegen-
heit die den genialen Despoten charakterisiert, alle Traditionen
des Kaiserregiments damit durchbrochen, daß er der mächtigsten
Organisation des Reichs, die seine Vorgänger sich abgequält hatten
zu zertrümmern, nicht etwa bloß gestattete ihre Angelegenheiten
durch Versammlungen ihrer Führer zu ordnen ; nein er hatte beim
Donatis tenstreit selbst die Synode berufen, es offen documentiert
daß eine Bischofssynode für ein kaiserliches consüium anzusehen
sei. Wenn dies schon etwas Neues, Ungeheures war, so erst recht,
als der Alleinherrscher eine oekumenische Synode berief. Der
Gedanke taucht schon in dem Brief an Alexander und Arius auf;
da redet der Kaiser noch von der Hoffnung mit Hilfe der orien-
talischen Bischöfe den Donatistenstreit beizulegen [Eus. Vit. Const.
2, 66]. Jetzt trat das umgekehrte ein: die Bischöfe der Oikumene
wurden herangeholt um den Streit zwischen dem alexandrinischen
Bischof und dem alexandrinischen Presbyter zu schlichten.
Umsonst war der Despot nicht so kühn die Synoden der Kirche
zu einer Staatsaction zu erheben. Er tat zwar so als sei er nichts
weiter als ein demütiger Zuschauer und Handlanger bei der Ar-
beit der heiligen Männer ; in Wahrheit hat er jede Synode die et
berief, nach seinem Willen gelenkt. Die Spannung mit der die
Parteien der Synode entgegen sahen, kann man sich nicht groß
genug vorstellen, und sie verlief, dank der Führung des Kaisers,
anders als man nach dem Anfang erwarten mußte. Sie war nach
Nicaea berufen, in die Kirchenprovinz des Euseb von Nikomedien;
dieser begrüßte den Kaiser. Aber der Ausgang bedeutete alles"
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse. 1908. Heft 8. 20
370 E. Schwartz^
andere als dessen Sieg. Die arianischen Formeln wurden ver-
urteilt; umgekehrt setzte der Kaiser persönlicli durch, daß nicht
das Credo Alexanders sanctionirt wurde, sondern führte etwas für
den Osten ganz Neues ein, die occidentalische Einheit der Substanz
des Vaters und des Sohnes. Daß dabei Hosius sein Berater war,
daß er durch ihn wnßte, der Occident würde eine solche Formel
bedingungslos annehmen , ist eine Vermutung die ohne Weiteres
einleuchtet.
Daß Constantin hier zuerst und in schroffster Weise den
Grrundsatz durchführte, der für seine Kirchenpolitik immer das
oberste Gresetz geblieben ist, sich niemals mit einer kirchlichen
Partei zu identificieren, ließ sich immer schon erkennen. Er brachte
es durch die Einführung der Homousie in das Symbol dahin daß
weder Alexander noch Euseb von Nikomedien in Nicaea siegten;
wenn die Alexandriner sich nachträglich den Sieg zuschrieben, so
taten sies mit schlechtem Gewissen und nur aus Politik: der Kaiser
hat sie außerdem ihres Sieges nicht froh werden lassen. Den
Presbyter ließ Constantin zunächst fallen um ihn bei passender
G-elegenheit wieder hervorzuholen.
Wenn sich die großen Linien auch heraushoben, so blieb im
Einzelnen doch vieles unklar. Man verstand vor allem die Rolle
nicht, die Euseb von Caesarea spielte, auch nicht die Härte des
Kaisers gegen Arius, die mit dem Brief an ihn und Alexander
auffallend contrastiert; warum endlich wurde die Demütigung
Eusebs von Nikomedien dadurch noch verschärft, daß sie in seiner
eigenen Provinz sich abspielte? Da treten nun die beiden Ur-
kunden ein. Der Kaiser dachte zunächst nicht an eine Synode
beider Reichshälften, sondern, wie es scheint, nur der asiatischen
Provinzen ; er berief sie nach Ancyra, in den Bischofssitz Marcells,
eines der wütendsten Gegner des Arius und aller die es mit ihm
hielten. Damit ist nicht gesagt daß Constantin Alexander den
Sieg zuwenden wollte. Was er plante, läßt sich nicht erraten,
aber es darf allerdings vermutet werden, daß die Anhänger
Alexanders aus der Wahl Ancyras zum Ort der Synode schlössen
daß der Kaiser zu ihren Gunsten entscheiden würde; einige Heiß-
sporne in Syrien und den benachbarten Provinzen hielten jetzt
den Augenblick für gekommen rasch ein Praejudiz zu schaff'en.
Sie benutzten die Sedisvacanz in Antiochicn um eine Synode zu-
sammen zu bringen, die über Disciplinfragcn beraten sollte, und
setzten, als sie zusammengetreten war, sofort den arianischen
Streit auf die Tagesordnung. Ofi'enbar war die Sache gut in-
ßceniert; mit imposanter Majorität wurde ein Glaubensbekenntnis
zur Geschichte des Athanasius VII 371
das dem Alexanders so ähnlich sah wie ein Ei dem anderen, an-
genommen, und den drei Gegnern, die sich in die Löwenhöhle
gewagt hatten, die Gremeinschaft gekündigt, freilich nur provisorisch.
Grar zu offen durfte der Respect vor der bevorstehenden kaiser-
lichen Synode nicht verleugnet werden, obgleich der Sache nach
dies improvisierte Concil der vom Kaiser in die Wege geleiteten
Entscheidung in kühner, um nicht zu sagen, unverschämter Weise
Vorgriff.
Der Gegenzug des Kaisers blieb nicht aus. Er verlegte zu-
nächst die Synode nach Nicaea; damit war documentiert daß der
Metropolit der Residenz noch lange kein todter Mann war und
der Kaiser jede Yorausberechnung seiner Gnade oder Ungnade
zu vereiteln verstand. Gleichzeitig wurde der Gedanke einer
oekumenischen Synode jetzt ausgeführt; eine solche hatte die
Autorität, die genügte um die antiochenischen Beschlüsse igno-
rieren zu können. Endlich erklärte der Monarch an den Be-
ratungen teilnehmen zu wollen, wiederum ein unerhörtes Novum,
für das auch im Occident kein Praecedenzfall vorlag. Das war
klar: der Kaiser wollte die Kirche zur Einheit zurückzwingen
und zwar so daß das Verdienst der Einigung ihm zufiel.
Das Concil trat in Nicaea zusammen. Durch die antiochenischen
Beschlüsse war der Streit verschlimmert ; die Excommunication von
drei Bischöfen, darunter einem Metropoliten, wurde damals nicht
so leicht genommen, wie in den Zeiten von Constantius und Valens.
Hier griff der Kaiser gleich zu Anfang ein: Euseb von Caesarea
wurde von ihm persönlich rehabilitiert, seine beiden Leidensge-
nossen natürlich auch. Aber der Kaiser war weit davon entfernt,
darum nun auch Arius zu schützen: er hatte zu wenig Macht
hinter sich, wie die antiochenische Synode gezeigt hatte, und zu-
gleich mag Hosius den Kaiser darüber aufgeklärt haben, wie ge-
fährlich eine Entscheidung für die Formeln des Arius im Westen
wirken würde. So gab er den Presbyter preis, weil sichs nicht
lohnte ihn zu halten. Dagegen wollte er dem alexandrinischen
Patriarchat keinesweges zu einem glänzenden Triumph verhelfen;
das ging schon darum nicht, weil er dann die ordnungswidrige
antiochenische Synode, die seine Pläne durchkreuzt hatte, im Grunde
approbiert hätte. Unter diesen Umständen blieb für den Herrscher
der Welt und der Weltkirche nichts anders übrig als die Formel
des Occidents durchzudrücken, der am Streit gar nicht teilge-
nommen hatte. Daß den wenigen, die überhaupt vom Dogmatischen
etwas verstanden, dies blutsauer wurde, rührte den klar rechnenden
Despoten nicht: er wußte genau, daß die Kirche die er an der
26*
372 ^- Schwartz
Grlorie seines Sieges hatte teilnelimen lassen, der er eine Mani-
festation ihrer oekumenischen Ausdehnung und ihres politischen
Ansehns verschafft hatte, an die drei Jahre früher niemand zu
denken wagte, daß diese Kirche ihm den Wunsch nicht versagen
würde ein Wort in das Credo aufzunehmen, das sich schließlich
zurechtdeuten ließ. Und die Bischöfe taten ihm den Willen; es
glückte ihm auch nach kürzerer oder längerer Zeit nicht nur
Euseb von Nikomedien , sondern auch Arius selbst in die Kirche
zurückzuführen. Als Athanasius sich hartnäckig weigerte den
verhaßten Presbyter aufzunehmen, holte der Kaiser langsam, aber
sicher zu dem Schlage aus, der den Stuhl des h. Marcus bis in die
Grrundfesten erschüttern sollte ; zehn Jahre nach dem nicaenischen
Concil wurde Athanasius in aller Form Rechtens von einer großen
Synode in Tyrus abgesetzt und vom Kaiser relegiert. Er hatte
auf der ganzen Linie gesiegt; die Kirche war ein ohnmächtiges
Werkzeug in seiner Hand; nichts bezeichnet seine diabolische
Politik, nie eine Sache zu voller Entscheidung zu bringen, besser
als daß er das alexandrinische Patriarchat vacant ließ. Kaum
war er todt, da ließ Gonstantin der jüngere Athanasius zurück-
kehren ; es war ein arger Recht sbruch und eine schwere Beleidigung
nicht nur für Constantius, sondern auch für die Bischöfe die in
Tyrus das Urteil gefällt hatten. Sie wehrten sich nach Kräften,
brachten es auch fertig daß Athanasius das Feld räumte; aber
sie verdarben ihre Position dadurch daß sie nun den Versuch
machten das nicaenische Symbol wegzuschaffen. Bei den Bischöfen
ist das begreiflich; die Wesenseinheit des Vaters und des Sohnes
widerstrebte nun einmal der Entwicklung die die Theologie im
Osten genommen hatte, und man kann es den Männern die in
Nicaea das sacrificium intellectus hatten bringen müssen, nicht
verdenken daß sie die aufoctroyirte Formel abzuschütteln ver-
suchten. Dagegen war es ein schwerer politischer Fehler daß
Constantius, statt sich auf den Kampf gegen den unbotmäßigen
alexandrinischen Patriarchen zu beschränken, sich in den dogma-
tischen Streit hineinziehen ließ und sich einer Partei auslieferte;
damit gab er das Spiel aus der Hand.
Ich bin am Ende. Hr. Hamack prophezeit [S. 478] daß das
1905 zuerst publicierte antiochenische Synodalschreiben sich des
Liclvts nicht lange erfreuen wird. Ich fühle mich zu sehr als pro-
fanen Menschen um den Propheten ins Handwerk zu pfuschen und
begnüge mich daher die Tatsache zu constatieren , daß es Hrn.
Hamack nicht gelungen ist die beiden Urkunden , das Synodal-
schreiben und den Brief Constantius über die Verlegung der oeku
zur Geschichte des Athanasius VII 373
menischen Synode von Ancyra nacli Nicaea, in das verdiente Dunkel
[S. 478] zurückzubef ordern , aus dem ich sie seiner Meinung nach
nicht hätte hervorziehen dürfen, wenn ich meine wissenschaftliche
Reputation nicht aufs Spiel setzen wollte. Er hat sich grade
darüber recht deutlich ausgesprochen: die folgenden Ausführungen
werden zeigen^ daß die Beobachtungen^ ivelche gegen die Echtheit
sprechen, offenkundig sind; ja sie liegen so sehr an der Oberfläche des
Problems, daß man sich tvundert, wie sie einem Kritiker entgehen
konnten [S. 478]. Das ist die Sprache mit der die Zunft den
Bönhasen hinausweist. Sie setzt mich weder in Schrecken noch in
Erstaunen. Die Erkenntnis hat sich eben noch nicht durchgesetzt
und wird es auch sobald nicht tun, daß all das Fachwerk von
Kirchengeschichte, Dogmengeschichte, Kaisergeschichte, christlicher
Literaturgeschichte und profaner Literaturgeschichte, Kirchenrecht,
Symbolik usw. usw. nur vermorschte und verfaulte Bretterzäune
sind, die den Zugang sperren zu der einen und unteilbaren Er-
kenntnis des geschichtlichen Lebens, mag es sich in den Individuen
oder in den Institutionen, in den Ereignissen oder in der litte-
rarischen Produktion abspielen. Es ist noch immer Mode das
orientalische Material gleichmütig zu ignorieren; was 'nur syrisch'
erhalten ist, kann man ungestraft verachten. Im wissenschaftlichen
Betrieb sind Sprachgrenzen eine angenehme Sache, weil sie bequem
sind: es ist ja auch schließlich einerlei, ob die Uebersetzungen
oder die Originale nicht verstanden werden. Fast keine Urkunde
des 4. Jahrh. ist so ediert daß die oft sehr mannigfaltige, früh
divergierende Ueberlieferung vollständig und gesichtet dem Be-
nutzer vorläge, die ßeconstruction der Sammlungen in denen die
Documente zuerst publiciert sind, kommt über den Anfang nicht
hinaus , weil mit den verlotterten Texten nichts zu machen ist ;
die Composition der athanasianischen Schriften, die unmittelbar
in die historischen Fragen hineinspielt, ist und wird nicht unter-
sucht; wie sollte sie auch, wo die wichtigsten Handschriften noch
so gut wie unbekannt sind? Niemand denkt daran auch nur zu
fragen, wie denn das Corpus canonum, wie die Sammlungen der
kanonischen Briefe zu Stande gekommen sind ; von einer geschicht-
lichen Ausdeutung der Kanones ist überhaupt nicht die Rede ; den
großartigen Untersuchungen mit denen die Ballerini, Maaßen, Turner
die occidentische Ueberlieferung der Quellen des Kirchenrechts auf-
gedeckt haben und weiter aufdecken, steht auf griechischem Boden,
für die Originale, nichts gegenüber. Was selbstverständlich sein
sollte: daß ohne eine archivalische Ordnung, ohne eine strengphilo-
logische Durcharbeitung des gesammten publicistischen und kirchen-
374 E. Schwartz zur Geschichte des Athanasius Yll
rechtlichen Urkundenschatzes eine Greschichte dieser Zeiten gar
nicht geschrieben werden kann, ist eine rare Weisheit, die taube
Ohren findet, wenn sie überhaupt gepredigt wird. Da wills
nicht viel bedeuten, wenn ein wichtiges, weithin aufklärendes
Dokument bis vor drei Jahren in dem Versteck einer syrischen
Handschrift, von keinem 'Kirchenhistoriker' behelligt, geschlummert
hat und nachdem es, ans Tageslicht getreten, eine Gefahr für
die fable convenue über das nicaenische Concil geworden ist, dem
Anathema verfällt und für so vogelfrei erklärt wird, daß es von
dem der ohne Angabe der Gründe es verdammt, wohlwollend
heißt, er habe fast recht daran getan [S. 478]. 'In keiner Gilde
kann man sein, man wisse denn zu schultern fein; . . . das was
sie wissen, läßt man gelten; was sie nicht wissen, muß man
schelten. Althergebrachtes weiter führen, das Neue klüglich retar-
dieren: dann werden sie dir zugestehn, auch nebenher deinen
Weg zu gehn'.
Notiz
über eine Streitschrift des Herrn Ter-Mikaelian.
Von
F. C. Andreas.
Vorgelegt in der Sitzung vom 11. Juli 1908.
Der armenische Archimandrit Nerses Ter-Mikaelian, Mitglied
der Edschmiatsiner BruderscLaft, hat der Gresellschaft eine Bro-
schüre zugeschickt, die den Titel führt „Prof. Dr. F. N. Finck und
seine Kritik über ,Das armenische Hymnarium' " und sich gegen die
im Märzheft der Gröttingischen Gelehrten Anzeigen für das Jahr
1906 (S. 239— 249) erschienene Besprechung des Herrn Finck
wendet. Der Verfasser der Antikritik wirft Herrn Finck vor,
;,aus seiner Kritik eigentlich eine konfessionelle Streitschrift ge-
macht zu haben " und „ von seinem katholischen Standpunkte aus
bei der Besprechung einer wissenschaftlichen Arbeit Haß und Ver-
bitterung gegen ihn, den Verfasser, und einige andere Mitglieder
der Edschmiatsiner Bruderschaft zum Ausdrucke zu bringen." An
diese allgemeinen Vorwürfe schließt sich der Versuch, die einzelnen
von Herrn Finck in seiner Besprechung gemachten Ausstellungen
zu widerlegen.
Weder hier noch dort ist Herr Ter-Mikaelian glücklich ge-
wesen. Denn wer die Besprechung des Herrn Finck liest, sieht
ohne weiteres, daß sie mit vollster Unbefangenheit und entschie-
denem Wühlwollen geschrieben ist. Von einer katholischen Ten-
denz, die an sich bei einem Manne wie Finck ausgeschlossen ist,
findet sich auch nicht die leiseste Spur. Ebenso sind die Ausstel-
lungen in einem ruhigen und sachlichen Ton gehalten, und wo ge-
tadelt werden mußte, ist der Tadel in eine milde Form gekleidet
und an ihn ein Wort der Aufmunterung geknüpft.
376 F. C.Andreas, Notiz über eine Streitschrift des Herrn Ter - Mikaelian.
Liegt der allgemeine Charakter der Fincksclieii Kritik auch
für den klar zu Tage, der den armeniseken Studien ganz fem
steht, so wird der Fachmann allein entscheiden können, ob es
Herrn Ter - Mikaelian in seiner Antikritik gelungen ist, die von
Herrn Finck gegen seine Arbeit erhobenen Einwürfe als Irrtümer
nachzuweisen. Eine sorgfältige Prüfung hat mir hier ergeben,
daß Herr Ter -Mikaelian in keinem einzigen Punkte gegen Herrn
Finck im Recht ist. So unterliegt es z. B. keinem Zweifel, daß
in dem Bericht des Kyriakos von Grandsak über die von den
Übersetzern des 5. Jahrhunderts herrührenden Teile des Hymna-
riums der Ausdruck up^ng uiJh'blrßni^, den Herr Ter -Mikaelian mit
„ aller Heiligen " übersetzen will, nur die ihm von Herrn Finck
gegebene Bedeutung des Allerheiligenfestes haben kann, die allein
in den Zusammenhang paßt. Und wenn Herr Ter-Mikaelian Herrn
Finck vorwirft, „Hymnen zur Greburt Christi" übersetzt zuhaben,
anstatt „Hymnen der Geburt Christi", weil im Armenischen der
Grenetiv stehe („ der Text ist einfach genetiv ") , so beweist das
nur des Herrn Ter-Mikaelian ungenügende Kenntnis des Deutschen.
Ein weiteres Eingehen auf den Inhalt der Broschüre ist nicht
nötig. Das Vertrauen, das die engeren wie die weiteren Fach-
genossen in die Unbefangenheit und Sachkenntnis des Herrn Finck
setzen, wird durch sie in keiner Weise berührt.
Cod. Paris, syr. 62
E. Schwarte, Zur Geschichte des Athanasius VII
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Zwei Gedichte
zur Geschichte des Cistercienser Ordens.
Von
Wilhelm Meyer aus Speyer,
Professor in Göttingen.
Vorgelegt in der Sitzung vom 11. Juli 1908.
I
Versus Pagani Bolotini
de falsis heremitis, qui vagando discurrunt.
Unter diesem Titel hat eine Hand des 13. Jahrhunderts in
die lateinische Handschrift 8483^) in Paris auf den Blättern 112* —
114* 388 Hexameter eingeschrieben. Dies G-edicht ist in der Hi-
stoire litteraire de la France XI (1759) S. Iffl. besprochen, wo
auch 55 Verse ^) daraus abgedruckt sind, allerdings mit lächerlichen
Fehlern.
Paganus ist kein besonderer Dichter. Die einzelnen Aus-
drücke sind oft stumpf und der Aufbau des Ganzen ist wenigstens
mir nicht klar geworden.
Die von Paganus gewählte Form der Dichtung ist mehr auf-
fallend als schön. Er schreibt Adonico metro, 'quod dactylo spon-
daeoque constat', wie Ordericus Vitalis, Historia ecclesiastica V 2
(ed. Prevost 1840 II p. 311) von einem Epitaphium sagt, welches
beginnt : Hie iacet Hugo * Lexoviensis * clarus honore.
1) lieber die ganze Handschrift handelt B. Haureau, Notices et Extraits,
I 1890 p. 357—387. Jeder Vers des Gedichtes beginnt mit einem großen Buch-
staben.
2) In der Histoire litteraire sind gedruckt die Verse: 1—26, 33—38, 195 —
205, 327—338.
K?l. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolo g.-histor. Klasse 1908. Heft 4. 27
378 Wilhelm Meyer,
und welches wahrscheinlicli von demselben Pagamis gedichtet ist,
d. h. das Gedicht besteht aus fünfsilbigen Kurzzeilen _uvj
Daß je 3 derselben eine Langzeile d. h. einen Hexameter bilden
sollen, geht daraus hervor, daß die 15. Sübe anceps ist und daß
von V. 21 ab je der 3. Adonier reimt'):
Hec nova nostro ' pessima tabes * fluxit ab evo
nostraque tali' commaculantur • tempora nevo.
Natürlich tritt nach jedem solchen Reimpaar Sinnespause ein.
Dagegen in den Versen 1—20 sucht der Dichter noch nach der
Reimform. So könnte man die Verse 8 und 9 (ebenso 1 und 2, 4
und 5, 10 und 11) auch also drucken:
(8) Plus et habundans* pauper habetur.
Jam pnto verum* (9) quod perhibetur:
Pectus avarum' non miseretur.
Anch die Regeln des Reims sucht sich der Dichter. In den
genannten dreigeteilten Hexameter paaren finden sich unvollkommene
Reime: 1/2 andus, ictus, osns; 4/5 entur, antur; 10/11 arus, agnus;
dann in 16/17 atem:urbem; 18/19 utis : osis. Erst von V. 20
ab ist der Endreim regelmäßig zweisilbig. Selten steht nur ein-
silbiger Reim (23 25 35 39 139 169 195 203? 289 303 315 321 337)
oder nur zweisilbige Assonanz (53 65 163? 179? 275 309 325).
Dagegen findet sich noch ziemlich oft die Reimfülle, daß 4 oder
gar 6 Hexameter hinter einander mit demselben Reim endigen;
vgl. 67/70 73/6 77/80 87/90 197/200 201/4 229/32 233/6 249/52
297/300; 127/32 175/80 205/10.
Dieses Suchen und Schwanken in der Reimkunst hat in der
ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts wenig Auffallendes, da damals
der zweisilbige Reim noch etwas Neues war und auch z. B. der
Primas einzelne Leoniner und Paare von Caudati gemischt hat.
Der Inhalt ist es, der dies Gedicht wichtig macht, nicht die
Schönheit der Darstellung oder der Dichtungsform. Zuerst ist
der Verfasser und die Zeit des Gedichtes festzusetzen.
Ordericus Vitalis (ed. Prevost III 435 ; s. nachher) sagt ausdrück-
lich: Paganus, Camotensis canonicus, cognomento Bolotinus, pul-
chrum Carmen Adonico metro nuper edidit. lieber diesen Paganus
habe ich keine andere nützliche Notiz gefunden. Die Bezeichnung
'Carnotensis canonicus' ist mit dem Verse 25 zu verbinden: Hec
mala pestis . . graviori pondere nostram deprimit urbem. Orde-
ricus hat seine Notiz im Jahre 1135 geschrieben (p. 444 Jam fere
1) Gewöhnlich sind diese künstlichen versus Adonici reicher gereimt: vgl.
meine Gesammelten Abhandlungen I 91.
zwei Gedichte zur Geschichte des Cistercienser Ordens (I Paganus). 379
37 anni sunt , ex quo (a. 1098) Eodbertus . . Cistertium incoluit).
Das Gedicht ist also kurz (nuper) vor 1135 verfaßt. In V. 293 —
306 wird von Hugo, der 1109 — 1121 Bischof von Nevers gewesen
ist, wie von einem niclit mehr Lebenden gesprochen. Also ist das
Gedicht zwischen 1121 — 1135 verfaßt. Die Verse 195/6 lauten:
ISTovimus omnes hanc novitatem religionis :
prima duobus terque decenis venit ab annis,
d. h. wir alle haben diese Neuerung erlebt; der Anfang geschah
vor dreimal zehn + 2 == vor 32 Jahren. Das ergibt, daß der
erste der Orden, welche Paganus bekämpft, kurz vor 1103 ge-
gründet worden ist. Wie viele Stellen des Gedichtes zeigen, hatte
dieser Orden helle Kleidung. Der 1095 entstandene Orden von
Fontevrauld kann nicht gemeint sein; denn in ihm hatten die.
Frauenklöster die Herrschaft über die Männerklöster, worauf im
Gedicht niemals angespielt wird; dann hatten die Mönche dieses
Ordens noch schwarze Kleidung. Es bleibt nur der Cister-
cienser Orden, welcher 1098 gegründet ist. Denmach hat Paganus
dies Gedicht im Jahre 1130 in Chartres verfaßt.
(Inhalt) Ich habe nicht wiedererkennen können, in welcher
Weise Paganus seine Gedanken gegliedert hat. Doch sind vor-
erst 2 kleinere Teile des Ganzen sicher zu erkennen :
I In V. 59—84 (240) verteidigt Paganus den Stand der Welt-
geistlichen, der Clerici, welchem er selbst angehört, gegen AngrifiPe.
II Dann in V. 1 93 — 222 verteidigt Paganus die Monachi nigri
d. h. die Benediktiner gegen die AngriiFe, welche von den Neuerem
auf sie gemacht werden.
III Gegen wen ist nun die übrige Hauptmasse des Gedichtes
gerichtet? In der Histoire litteraire XI p. 2 ist gesagt: Ordric
Vital, qui fait Töloge de cette piece ä l'occasion des Cisterciens,
semble insinuer, qu'ils en etoient le principal objet. Dann wird
der oben citierte 196. Vers 'Prima duobus terque decenis venit ab
annis' citirt, aber mit dem schlimmen Verderbnis : Prima decennis
atqite duobus {= 12) venit ab annis ; dann wird auf diese Fälschung
hin argumentirt, daß die Cistercienser, welche 12 Jahre nach der
Gründung des Klosters noch auf das eine Kloster beschränkt waren,
nicht der Gegenstand dieses Gedichtes sein könnten. Also : Apres
une lecture attentive, nous avons reconnu, que cette piece ne con-
cernoit, que diverses sociötes d'Hermites, qui s'eleverent en France
vers la fin du onzieme siecle et qui n'avoient rien du commun
avec r ordre de Citeaux. Dazu wird notirt , daß es überall in
Frankreich solche societes d'Hermites gab ; 'Saint Bernard de Tiron
en trouva dans le Poitou vers l'an 1100, auxquels il se joignit;
27*
380 Wilhelm Meyer,
S. Robert de Moleme ä Colan dans le Tonnerois, et ä Hauz dans
le pays de Troye ; le bienheureux Robert d' Abriselle, dans le foret
de Craon'. All das beruht auf der Fälschung der Zahl 12 statt 32.
Ordericus Vitalis lobt das Gedicht des Paganus ; als Historiker
und Nachfolger des Paganus hat er seine Besprechung sachlicher
und besser geordnet; doch kann er uns zum Verständnis des Pa-
ganus führen. Ordericus^) spricht zuerst allgemein: (p. 434:)
1) Prosareim und rythmische Verse bei Ordericus Vitalis.
Ordericus hat seine 13 Bücher durchaus in Reimprosa geschrieben. Das zu
wissen ist oft nützlich, besonders für die richtige Gliederung der Sätze: aber ich
kann nicht finden, daß Jemand dies notirt hat. Delisle, welcher in Prevost's
Ausgabe (Band V S. XLffi.) den Stil des Ordericus bespricht, bemerkt, daß Orde-
ricus gern Verse in das Werk gemischt hat. Diejenigen, welche Delisle auf-
zählt, sind alle Hexameter oder Distichen. Sie sind wechselnd gereimt, bald ein-
silbig, bald mit zweisilbiger Assonanz, bald mit zweisilbigem Reim, entsprechend
der Zeit bis 1140. Im Annuaire - Bulletin de la Societe de l'Histoire de France
1863 II p. 1 — 13 hat Delisle aus einer Hft in Alen^on (no 1 fol. 30) 258 ryth-
mische Fünfzehnsilber in dreizeiligen Strophen gedruckt, welche dort von der
Hand des Ordericus eingeschrieben sind. Delisle beweist, daß sie auch von ihm
verfaßt sind. Der Reim schwankt auch hier: z, B. ura- ima* ula oder ules:
eres - ipes. Riat ist nicht selten. Die erste Halbzeile zu 8 — u ist fast immer
geteilt zu 4_u-|-4 — u; also ist S. 3 zu teilen Nunc ad mödum • senescentis •
vacuatur viribus {nicht ädmodum). Doch sind sicher die Ausnahmen : S. 7 Ossibus
nervis compactum; Post novem menses materna; S. 8 Ira fraus atque cupido;
S. 13 Virgines electae dei und Quatinus inferni poenas. So mögen auch die
Verse echt sein, welche durch leichte Umstellung regelmäßig gemacht werden
könnten: S. 5 Nam dei plebs; S. 7 Velut lac matris; S. 8 Postquam sum puer;
S. 11 Qui primus haberis. Die zweite Halbzeile muß 7 Silben zählen. Zu
bessern sind also die Halbzeilen : S. 7 deum unanimes (unianimes?) und S. 7 deus
tuus unigenitus {tilge tuus?). S. 4 findet sich die seltene Bildung des Schlusses:
vapuläbunt fn Stige. Sehr häufig ist hier der Taktwechsel: S. 7 post cärnis di-
vigia {bessere: diiugia); 2 Mal mit dem sonst gemiedenen daktylischen Wort-
schluß: S. 9 felicltßr d^cora und S. 11 victöribüs glöriam.
Auffallend wäre es, wenn Ordericus zwar diese rythmischen Fünfzehnsilber
gedichtet, aber in seine Historia keine rythmischen Zeilen eingesetzt hätte. Doch
er hat es getan: freilich haben die Herausgeber diese Verse als Prosa gedruckt.
Im 9. Buch Kap. 15 (Band IH S. 605) besteht der Gesang der Muhamedanerinnen
aus genau denselben Zeilen (15), wie die oben besprochenen Gedichte, ebenfalls
in dreizeilige Strophen gegliedert; der Anfang lautet:
Machometi deo nostro dignas laudes pangite
victimasque immolate cum iocundo crusmate,
ut vincantur pereantque formidandi advenae.
Der Zeilenbau und der Reim haben die gleichen Eigentümlichkeiten. Ein anderes
rythmisches Stück fand ich, beim Durchfliegen der Bände, in der Einleitung zur
Erzählung dieses Kreuzzuges. Das 1. Kapitel des 9. Buches schließt mit 18 Zeilen
zu 8 — u, welche beginnen und schließen mit den Versp^aren:
zwei Gedichte zur Geschichte des Cistercienser Ordens (I Paganus). 381
passim construuntur coenobia novisque ritibus variisque scbema-
tibas peragrant orbem cucullatorum examin«. Hiermit sind sicher
die Angehörigen mehrerer Orden bezeichnet, und doch wird von
Allen gesagt 'Albedine in habitu suo praecipue utuntur' oder 'ni-
gredinem . . moderni tanquam ob maioris iustitiae ostentationem
ahiciunt, inusitata quoque pannorum (p. 435) sectione suorum ab
aliis discrepare Siip^etunt. Dann aber (p. 435) wird zweitens zu-
gesetzt 'plures eis hypocritae seductoriique simulatores per-
miscentur, ut lolium tritico, und unser Paganus wird speziell dafür
gelobt, daß er 'palliatas horum hypocrisi superstitiones subtiliter
et copiose propalavit'. Ordericus selbst will 'palam enucleare,
qualiter et a quibus antiqui schematis mutatio nuper coeperit pul-
lulare, quoniam posteris lectoribus hoc autumo gratum iore\
Wie macht er dies? Er gibt zunächst die Greschichte des Cister-
cienser Ordens bis auf seine Zeit d. h. bis 1035 (S. 435 — 445), wobei
S. 436 und 444/5 die Eigentümlichkeiten dieses Ordens geschildert
werden, welcher Benedicts Regel 'ad litteram' befolgen wollte.
Dieser ausführlichen Behandlung des Cistercienser Ordens
folgen (S. 446) die Worte : Multi ex eorum fönte sitientes hsmser unt
et inde plures rivuli per diversas Galliarum regiones derivati sunt-
novae institutionis aemulatores dispersi simt] in Aquitania* in
Gasconia et Hibemia mixti bonis hypocritae proced«;^^; candidis
seu variis indumentis amicti homines illudiint et populis ingens
spectaculum eiüciunt. veris dei cultoribus schemate* non virtute*
assimilari plerique gesiiiint suique multitudine intuentibus fasti-
dium ingevitnt et probates coenobitas, quantum ad fallaces homi-
num obtutus attinet, despicabiliores fsiciunt.
Dann wird berichtet von Andreas aus Vallombrosa, der in
Frankreich ein Kloster gründete und viele Brüder gewann. Dann
wird von der frommen Tat eines Ritters erzählt. Hierauf (p. 448)
wie Bernhard: in praedio Camotensis ecclesiae cum fratribus
In desertis Idumaeae
ad te clamo, Jesu hone . .
Regi regum laus aeterna
Sit per saecla sempiterna.
Die im I. Bande eingesetzten Strophen auf Apostel : I 286 Andreas, 303 Jacobus,
805 PMlippus, 321 Thomas, 335 Matthaeus, 345 Simon und Thaddaeus, welche in
rjthmischen Senaren gedichtet sind, sind beachtenswert, da der Strophe Andreas
noch 4 Senare folgen, welche bei Mone III no 666 fehlen; ebenso folgen der
Strophe 'Jacobe' 5 und der Strophe '0 Thoma' 4 neue Senare. Vielleicht finden
diese Zusätze sich in den Quellen, welche Chevalier im Repertorium hymnologicum
zu den einzelnen Initien notirt.
382 Wilhelm Meyer,
quibusdain constit/^ et in loco silvestri' qui Tiron dicitur* coeno-
bium in honore sancti Salvatoris construxif^ (1109). Illuc multi-
tudo fidelium utriusque ordinis abunde conflux/^; . . singulis artes*
quas noverant • legitimas in monasterio exercere praecep/^ ... (p.
449) In brevi consurrexit monasterium nobile.
Dann wird berichtet, wie Vitalis bei Savigni ein Kloster
gründete um 1109; (p. 449) ritus Cluniacensium vel aliorum, qui
monacbilibus observantiis iamdudum mancipati fuerant, imitatus
non €st\ sed modernas institutiones (p. 450) neophytorum* prout
sibi placuit* amplexatus est. Viele bekehrte er durch seine ge-
waltige Beredsamkeit zur Buße. Sein Nachfolger "(p. 451) et ipse
immoderatis adinventionibus studu/^ durumque iugum super cer-
vices discipulorum aggregavi/.
Ordericus beschließt seine Darstellung dieser Neuerungen mit
den Woiiien: Notitiae posterorum haec annotavi de modemis
praeceptor^6//s, qui novas traditiones priscorum praeferunt patrum
Tiiibiis^ aliosque monachos secidares vocitant ac veluti regulae prae-
varicatores temere condemnant. Studium et rigorem eorum consi-
derans illos magnopere non vitupero : attamen maioribus et probatis
patribus non antepono . . . Columbanus . . (p. 452) monachilem re-
gulam edidit primusque Grallis tradidit. Seine zahlreichen Schüler,
vortreiFliche Bischöfe und Aebte, wurden dann mit dem h. Maurus
und dessen Grenossen bekannt et ab ipsis . . sancti normam susce-
pere Benedicti.
Die Abhandlung des Ordericus 'de modemis praeceptoribus'
beginnt S. 435 und schließt S. 451 52. Er, der Benediktiner, liebt
diese Neuerer nicht sehr. Doch gesteht er in der Einleitung (S.
435) 'voluntaria paupertas mundique contemptus* ut opinor* in
plerisque fervet ac vera religio', und im Schlüsse (p. 451) : 'Studium
et rigorem eorum considerans* illos magnopere non vitupero: at-
tamen majoribus et probatis patribus non antepono. Dem Orde-
ricus sind also die Cistercienser nicht die einzigen Modemi, aber
die hauptsächlichen. Von den minder bedeutenden nennt er Andreas
von Vallombrosa, Bernhard von Tiron und Vitalis von Savigni.
Aber wiederholt (S. 435 und 446) spricht Ordericus von den zahl-
reichen hjrpocritae seductoriique simulatores, welche mit jenen
weißgekleideten Modernen sich vermischen, populis ingens specta-
culum efficiunt suique multitudine intuentibus fastidium ingerunt.
Paganus wird von Ordericus ausdrücklich deshalb gelobt,
weil er 'palliatas horum (d. h. hypocritarum seductoriorumque
simulatorum) hypocrisi superstitiones subtüiter et copiose pru])a-
lavit. Ordericus trifft damit den wirklichen Inhalt des Gedichtes,
zwei Gedichte zur Geschichte des Cistercienser Ordens (I Paganus). 383
mehr als vielleicht Paganus selbst zugegeben hätte. Das ist wohl
so gekommen.
Bei der Schilderung der mächtigen religiösen Bewegung dieser
Zeiten zählen wir meistens nur die einzelnen neu entstandenen
größeren oder kleineren Gemeinschaften auf, welche sich neue
Satzungen gaben. Aber wie uns die Zeugnisse des Paganus und
noch mehr des maßvollen Ordericus beweisen, muß damals ge-
schehen sein, was fast natürlich war. J ene schwärmerische Mensch-
heit wurde von dem Gedanken, daß man Gott in anderer und in
strengerer Weise sich weihen und opfern könne und solle als die
Benediktiner es taten, wie von einer geistigen Epidemie ergriffen,
und außerhalb der uns genannten mönchischen Vereinigungen
müssen sich noch Tausende auf eigene Faust ihre neue Lebensweise
zurecht gemacht haben. Es war natürlich, daß auch diese alle
nicht den schwarzen Habit der Benedictiner trugen und daß sie
alle Genüsse des irdischen Lebens zu fliehen vorgaben. Neben
einer kleinen Zahl origineller Köpfe war die Hauptmasse dieser
geistigen Einsiedler Schwärmer oder Betrüger.
Die Masse dieser im Lande herumziehenden Phantasten konnte
allerdings sehr lästig werden. Gegen sie wollte Paganus zunächst
losfahren. Aber diese Schwärmerei war es doch, aus welcher
schon im 11. Jahrhundert in Italien und in Südfrankreich die
neuen Orden hervorgegangen waren; mit dieser Schwärmerei
hingen zusammen die aufblühenden Orden von Grandmont, von
Cisteaux, die Karthäuser usw. Neues kann sich nicht zur An-
erkennung durchringen, wenn nicht an dem Alten Manches zu
tadeln ist. Der Cistercienser Bernhard von Clairvaux hatte um
1125 Vieles am alten Benediktiner Orden getadelt, der Clunia-
censer Petrus Venerabilis hatte dagegen seinen Orden verteidigt.
Diese hochstehenden Geister hatten die Polemik in der würdigen
"Weise geführt, welche von ihnen zu erwarten war. Paganus aber
scheint mir ein Polterer und ein ziemlich unklarer Kopf gewesen
zu sein. Er nennt keine Namen, weder von einzelnen Personen,
noch von Orden. Doch zeigt Vieles, daß er die ganze Masse der
Orden angreift, welche nicht Benediktiner waren, nicht etwa nur
jene Auswüchse der großen Bewegung, einzelne Personen oder
kleine Gruppen, welche Ordericus als hypocritae oder simulatores
ausdrücklich absondert. Für eine solche Scheidung ist Paganus
zu leidenschaftlich. Er spricht V. 34 : tot oriri religionum monstra
videmus; V. 35 stellt er der nigra vestis der Benediktiner als
Neuerung nicht nur die vestis Candida, sondern auch die tertia
mixtim texta (== tincta) gegenüber; V. 50 greift er an novarum
384 Wilhelm Meyer,
religionum traditiones ; V. 197 wird die ganze Masse der moderno
tempore entstandenen Orden dem ordo nigrorum monachornm d. h.
den Benediktinern gegenüber gestellt und angegriffen. Daß nicht
,eine einzelne Schaar oder Klasse angegriffen wird, zeigt endlich
die Art, wie V. 196 die Grründung des Cistercienser Ordens als
Anfang der ganzen unheilvollen Entwicklung bezeichnet wird:
195 Novimus omnes hanc novitatem religionis:
prima duobus terque decenis venit ab annis.
Paganus hat also die ganze moderne Bewegung im Mönchs-
leben angegriffen und dabei selbstverständlich den wichtigsten Teil
derselben, den glänzend aufblühenden Cistercienser Orden nicht
ausgeschlossen, sondern vielmehr ihn hauptsächlich eingeschlossen;
aber wir dürfen doch auch zur Erklärung von V. 26, daß diese
mala pestis . . graviori pondere nostram deprimit urbem (d. h.
Chartres) an den Orden von Tiron denken, der sich nach Orde-
ricus (III S. 448) Worten in diesem praedium Carnotensis ecclesiae
niedergelassen hatte, während eine bedeutende Cistercienser Nieder-
lassung nahe bei oder in Chartres um 1130 nicht nachzuweisen
ist. Der blinde Eifer des Paganus scheidet aber nicht in der
neuen Bewegung den berechtigten oder wenigstens guten und
wohlmeinenden Teil von den Betrügern oder Betrogenen. Nur ein
Mal, in den V. 309 — 316, leuchtet die Erkenntnis dieses Unter-
schiedes durch, besonders:
313 Non reprobamus* sed veneramur religiöses,
non veneramur* sed reprobamus luxuriöses.
315 Absit, ut illos ore procaci dedecoremus,
quos et honestos et quasi sanctos non dubitamus.
Doch in der großen Masse der übrigen Verse wird kein Unter-
schied gemacht. Die Zahl der falschen Brüder, hypocritae oder
Simulator es von Paganus (V. 12 40 154 173) und von Ordericus
(S. 435 und 446) genannt, scheint, wie gesagt, eine ungemein große
gewesen zu sein; sie hingen ja unstreitig mit dem Aufkommen
der bedeutenden Orden, wie dem des Cistercienser Ordens, inner-
lich zusammen und trugen zumeist auch ähnlich gefärbte Kleidung :
deshalb wurden sie allesamt von Paganus behandelt und bekämpft,
nach dem Satze 'Grleiche Kappen, gleiche Brüder'.
Bedenkt man dies blinde Vorgehen des Paganus, dann drängt
sich eine weitere Vermutung auf. Er legt Einem der Angegriffenen
eine heftige Schmährede gegen die Kleriker in den Mund und fährt
dann weiter:
83 Ista docendo nos inhonorat pseudopropheta,
qui reputatur vestibus albis anachoreta.
zwei Gedichte zur Geschichte des Cistercienser Ordens (I Paganus). 385
Später wird die Masse der Gegner, der hypocritae, mit der Frosch-
plage in«Egypten verglichen, welche der Sünden halber jetzt ge-
sendet sei :
163 Militat isto tempore magnus pseudopropheta
atque suorum discipulorum falsa moneta (monela?).
Dann wird das 6. Kapitel der Apokalypse citirt:
167 Mistica quarti claustra sigilli dum reserantur,
temporis huius pseudoprophete significantur.
173 Intimus exit (equus) pallidus: hie est ypocritaram.
179 Decolor hec gens pallida vultu iure notatur.
Mit diesem pseudopropheta scheint Paganus eine bestimmte
Persönlichkeit gemeint zu haben. Wie er in maßlosem Eifer über
die ganze moderne Bewegung im Mönchstum ein falsches Urteil
gefällt hat , so , glaube ich , hier über den bedeutendsten Führer
derselben, über Bernhard von Clairvaux. Bernhard mischte sich,
voll religiösen Eifers, in viele kirchliche Streitigkeiten Frankreichs
und hatte es auch gewagt, die Anklagen der Cistercienser gegen
Mißstände in dem Benediktiner Orden öffentlich vorzutragen. Es
wäre also nicht unbegreiflich, daß Paganus in seinem blinden Eifer
ihn als Pseudopropheta in der oben genannten Weise angegriffen
hätte.
Das Gedicht des Paganus ist also nicht ein klares und zuver-
lässiges geschichtliches Zeugnis, sondern ein Stimmungsbild: mitten
in der schwärmerischen Umgestaltung des Mönchtums poltert ein
verärgerter und ziemlich kurzsichtiger Weltgeistlicher gegen die
Neuerung. Der Hauptwert des Gedichtes besteht darin, daß Or-
dericus es citirt und seine eigene Schilderung dieser Verhältnisse
(Buch YIII Kap. 26 und 27) mit Rücksicht auf dies Gedicht ge-
arbeitet hat. Interessant scheint besonders die Frage, ob das da-
malige Aufkommen der großen und kleinen neuen Orden, von
denen wir wissen, wirklich begleitet gewesen ist von dem Auf-
treten so vieler Schwarmgeister und Betrüger, wie dies aus Pa-
ganus zu schließen ist und wie Ordericus ausdrücklich sagt. Es
scheint fast natürlich, daß jene große Bewegung von solchen Wellen
begleitet war. Diese 'falsi heremitae, qui vagando discurrunt'
wären ebenfalls zu der damaligen Landplage, zu den Vaganten, zu
rechnen, welche Alles eher waren, als das, wofür sie jetzt in
Deutschland gewöhnlich gelten, als die Dichter der weltlichen la-
teinischen Lieder nach Art der Carmina Burana. Die zahlreichen
von Synoden und Concilen gegen die Vaganten gefaßten Beschlüsse
beweisen, daß ein großer Teil derselben nicht dem Laienstand
angehört hat.
386 Wilhelm Meyer,
Versus Pagani Bolotini '^
de falsis heremitis. q?d vagando discurruwt.
Ordinis expcrs ordo nefar^dw^, pellib«<5 agni
2 cum sit amict^<65 vult reputari religiös ^^5.
3 Nee tamen actis religionem testificatur *.
Horrea* -penus' archa re-plentur, res cum^date
5 multiplica?zt?/r, multiplica>?tes nee sat^r/'antwr.
Nwllaq^/e ])roTsns cotidiani copia qi/estus
7 immoderatos pectoris eins tempe?'at estus.
Plus et habu«daj/s pauper habetur. isan puto yerum,
9 qi(od perhibetwr: -pect'is avaru/» non miseret«*r.
Da»/pnat avaros, cum sit avar^/«. dulcia fatwr,
11 cum sit awar^s, corde lupin»^* vestib/^5 a^gnus.
Sic Simulator religionis dum tunicat«<r,
13 religioso vestib^<5 atris assimilat/(r.
Sed Sacra nob?5 e.^se videt»r pagina testis,
15 q^uod pia reddit vita hesitum- non nigra vestis.
Ja,mque solut/<5 menieqiie preceps ad levitate/Ji
17 claustra relinqi(e;?s sepe vagawdo circuit erbe;;«.
Q^uique lege??do sive doce/?do verba salutis
19 fra/ribus intus coinm.od.us esset religiosis:
20 hu7ic modo frustra detinet extra ca?^6^a fore«sis.
Hec nova nostro pessima tabes flux?Y ab evo
22 nostrsique tali co?>/mac^dant^/r tem-pora nevo;
Inc^ue ruinas ecclesi&rum tarn maledictum.
24 t&mque nocivu;« no.sfra dederunt secMla ra/>mum.
Hec mala pestis isim p>öpe totum poUuit orbew,
26 sed graviori pondere nö.s/ram deprimit urbe/«.
Nobilitate^)/' nullus honorat nee probitatewi
P = Codex Parisinus lat. 8433 s. XIII fol. 112», 1. Sp. 12. Zeile. Die
auffälligen Reime der ersten 20 Verse sind S. 378 besprochen. 3 Reim und Sinn
lassen vermuten, daß nach V. 3 ein Vers ausgefallen ist 5 multiplicantes M
(== W. Meyer): multiplicantis P, multiplicatis n. saturatuc^ifts^. lit 6 quae-
stus : victus Hist. 10 dapnat P 11 amarus M: auarus P 12 sie: in P
ein f, an dessen Kopf ein c sitzt; sit Hist, 12/13 scheint zu sagen, daß auch
diese Leute zwar helle Kutten, aber schwarze Tuniken hatten. In diesen Tu-
niken scheinen sie oft aufgetreten zu sein, denn sie werden in dem Gedicht oft
tunicati genannt; vgl. V. 274. lieber die früheste Tracht der Cistercienser vgl.
Dolberg's Arbeit im 14. Hand (1S93) der Studien und Mittheilungen aus dem
Bened. und Cisterc. Orden 14 Si sacra Hist. 17 reliquit und urbes Hist.
17 orbem M {vgl V.25): urbem P 22 beginnt fol. 112'» 2. Sp. 24 ramnum
vgl. Judic. 9, 14 und Psalm 57, 10
zwei Gedichte zur Geschichte des Cistercienser Ordens (I Paganus). 387
28 nvILsique morum gratia co)deyi utilitatem.
Q?d saa servant sind et avari vix comede^^tes,
30 qwi coace/va?2t publica passim lucra seq^^(9wtes:
Sint licet isti cowcubitores Bjtque scelesti,
32 tempore nos^ro religiös! sxni et honesti.
Jam quia finis tem-poris instei, ne dubitem?<5,
34 cu?n tot oriri religionu/w mo;?stra videm^/5.
Ca/?dida nigris* nigra sit albis emula vestis,
36 tercia mixtiyy^ texta videtur sa;2c^ior istis;
Et, quasi pa?2nus religionem contersit ulla»?,
38 sie fugit unus' q?/a/;i tulit alter* ferre cuculla^».
Hec q^itasi q^nedsun recia nobis decipiendis
40 i/^sidiatrix hypocritarum t^rba tetendit:
Ut ({uasi tales intus honestos esse putemus,
42 qwos i^a viles exteriori veste videmus.
Tonsus ad aures usq^ne supremas fro>^te pate?^ti,
44 cui nite^ ut nix Candida cervix ore rube??ti,
Tarn sinuosa tamq^e rotu?2da veste togat?k9,
46 quiqwe cot?(rnis ore repandis est hontrat»«:
Bestia taL".s crediti^r arta?» dncere vitam?
48 sed parasitum res probat istum* iion her^^mita^^i.
isTam YSigKS omnes circuit urbes et regiones,
50 dando novar»/» reli(gi)onum tradit/ones;
Arte maligna decipiendo simpliciores
52 iperqiie favores exteriores ambit honores.
Si tarnen illi clam s^bigendi copia det^r,
54 esse nefandi crinii??is actor non reyereiur.
Qluod nee honestas n?dlaq«e viriiis hiinc comitat^r,
66 ebrietates cotidiane testificantur.
Spe^Tiit egentes nee sua cuiq^'a//^ parti(ci)pat?/r,
58 cum satis ill/5 paupmorem se fateat'rr.
Clencus illi sordet et ip.^?/m da^^pnat et odit,
60 sed, manifeste dum min^ö^ audet, clawc^lo rodit:
Qwaliter, inquit, vivere possit religiosus
62 moUibiis utens rebus* habu>2da??s * deliciost^s?
Curve potestas traditur istis hec animarum,
28 morum gratia ist sehr unsicher; auf m folgt eine Ligatur, eher oc oder
ot als or, und darüber ein horizontaler Strieh. Dann folgt g; dann 1, oben mit
Querstrich, unten mit einer Zunge, so daß 1 vom 1. Schreiber zu r geändert zu
sein scheint; endlich a; also hat wohl der 1. Schreiber gloria zu gratia geändert.
31 celesti P 35 fit? 41 putetwr ist zu putemus gebessert 46 Schnabel-
schuhe? 50 relionum P 56 fol. 112 b. 1. Sp. 57 parcipattfr P
388 Wilhelm Meyer,
64 qi/os prope nullo tempore tangit cura. suSirum?
Insuper' Siuteni quani hene vivant, fine probatnr,
66 cum moriti/ri se monacandos tunc fateantur.
Rec agit m nos urbis amator, non heremita;
68 SIC fremit in nos non Helizeus* sed G-yezita.
Judicat in nos, q^tiem sua da/>ipnat pessi/z^a vita:
70 nam vel adulte^r clam reperit//r vel sodomita.
Sed q^iwd honesta»* laudeq^/e dignum iwn dubitatifr,
72 subprimit illud, quod bona cleri nemo loq?/at^(r.
Ordinis, inqwit, reg^da nosiTi sola tenetur;
74 ip^a beate premia vite sola meretur.
Altior ista* sa;?c/ior ista nulla uidet?<r.
76 q?d volet ergo salvificari, nos imitet^/r.
Mane refectis pocwla nohis dant^^r a,qi(B.yuni]
78 cepa* legnmen dona ministrant deliciar^<m.
Strata parant?<r fragmi;?e culmi vel palear«^»*,
80 solaqwe nobis- cognita fiunt lustra iersi,nim.
Clericus Siutem premia vite non hrtWtiunis *
82 carnib?<.s utens vinaq/re Sorbens est Epic»rus.
Ista docewdo nos i;?lionorat pseudop/opbe^a,
84 qwi reputatwr vestib^<5 albis anachoreta.
Sed fateat^<r, cur ita fumu/;« diligit urbis
86 seqwe potentuwi gaudeat iv^t^-rponere t'^rbis.
Cwria, credo, dat michi cenas uberiores
88 atqwe Falerni nobilioris mille colores;
Dona potentum caria eoniert atq^<e favores;
90 nee sibi tales prebuit unq^aw« silva sapores.
Dicat et istud, veste s«b alba q/^a Tatione
92 tam spaciose timpora cingi^ iorma, corone.
Hoc tarnen ipsi/m nos manifeste scire fatem^tr,
94 scilice^ ut sie simpliciores deciperem/^r,
Utqwe videntes exteriorem simplicitate/^r
96 iwteriorem non pavitare^it impietatem.
Hoc tarnen unwn qiiero supremu/;/, cur fam?Jatus,
98 quem sibi defert ianior etas, est i/a g/atus?
Nam generale//^ ia.m movet istwd s//.spic/onem,
65 probätur P 66 confiteantwr ist von 1. Hand zu tc fateantwr ge-
ändert 59-66 Angriif auf die Clerici: 67—72 Kritik desselben-, 73—82
Eigenlob: 83— (90) Kritik desselben 86 diligat? 87 seque M: sedque P
87 michi P: sibi? 90 fol. 112 b. 2. Sp. 92 tam M: nam P 94 am Rande
sind in P die Worte sciUcet ut sie etc wiederholt^ von anderer Hand ; vgl. V. lOS
94 deciperentur ? vgl. 133 96 pauitaret P
zwei Gedichte zur Geschichte des Cistercienser Ordens (I Paganus). 389
100 cum vehementer ledere possit religionem.
Junior, inq^it, quem leviorem reddidit etas,
102 nos imitando vult levitati ponere metas.
Laxa mYenius, s^irituslis nescia doni,
104 his documewtis mawcipat aTiiis religioni;
Doctaqi^e no^^ro vivere sancte discip?/latu'
106 po5^ea Christi fervida perstat suh fam^datu.
Sic iwhonest?Y5 fallit honestos arte loquendi,
108 sed la.tet intus prava voluwtas crunen agendi.
Cnius habenas dum hene nescit iam moderari,
110 non pudet illum tiiri^iter istis associari.
His comitat^(5 vivit oberrans ordi/?e n^dlo,
112 seque tuetwr vestib«/s albis atq^^e cucullo.
'Rusücus omwis, quo sua possit salva tueri,
114 veste s?(b alba religiosus qiierit ha^eri.
Sic decet istu?w talis amict^<5 religionis*
116 sicut asellu?>i, cum tegeretur pelle leonis.
Qluem prius he/bis pascere crudis silva solebat
118 nee saciari posse sec^i^^do pane dolebat:
Iste potentuw? collateralis co?^siliator
120 iuraqi^e tractans fit quasi pnnceps et dominator.
Cum prius esset bestia simplex bic idiota,
122 huic modo currens ob via plaudit regio tota.
Deliciose fercula mense dum t»iplicant«<r,
124 dw)i melioris splendida vini pocula dantur,
Dum favet illi curia, dum sie cslvus habetur:
126 liiiquere silvas' ire per urbes d?dce videtur.
Conciliorum p^rvius hospes tempus odorat,
128 ntqtie vide;i vel nova possit scire, laborat.
Dum quasi sanctiim. quilibet illu>n presul honorat,
130 bubo diumus cor tenebrosum veste colorat.
Vina refutans raro cibat^^r* raro saporat:
132 üetihus undans per pavime/«tum strahis adorat.
Ista videntes i;2sipientes decipiuntur,
134 qtd novitatuM precipitanter laude feruntwr.
Tale sepulchrum sorde repletu^/i dum venerawtitr,
136 ordine digimm pontificali vociferantur.
100 uehemewtur P 108 agendi aus agenti corr. in P; am Band hat eine
andere Hand wiederholt die Worte: sed latet intus 111 Vgl. V. 1 Ordinis
expers 112 seque M: neqwe P 114 vgl. V. 1/2 118 Horaz Ep. 2, 1, 123
vivit siliquis et pane secundo 124 fol. 113» 1. Sp. 129 adorat honorat P
390 Wilhelm Meyer,
Sicqtte s?/bmt/ans für in honores ecclesi&mnf,
138 gaudet acervis accumulandis diyicia.rum.
Terq^iie rapinas iste manut»5 fit Briareus,
140 pactaqwe frangens nee bfne co>?staA?s est quasi Prothews.
Namq2re prioris ponere queTÜ vellera vite,
142 ut neque vict^^s^' sed neque vestes sint h«?remite.
Jamq?/e perhorrens asperitates ciliciorum*
144 linea vestit levia ivatrunci more Buorum.
Qluique cavebat vespere fontis sumere potu;/i:
146 nocte Falernuw tercio poscit iam bene notu»^.
Q?/i vigilabat mm prope nona noctis ab hora :
148 mxno, temulent?(5 s^^rgit ad hi;>mos luce decora.
(plaque miselli curvns aselli terga premebat,
150 vix quoque plantas poplite flexo fune regebat:
Magnani^lor/<»^ iam faleratns sessor eqiior^r»^,
152 iam pede tenso plana p<?rerra??s c?^rrit agrorw/w.
Vique ^Mdirmn oimi^ia celet spnrciciarum,
154 hie aliorum fit pa^er et dux ypocritarum.
Eece per orbem m^ddplicata messe honorum^
156 hec inmiicus semiwa sparsit zizanioram.
No5^raqwe nobis ecee novellas et veteranas
158 misit Egipt»^ de tenebroso flumi«e ranas.
Flumi^za * fontes • sta??gna • palades rana replevit ;
160 iam super ipsas iwjproba mey?sas scandere suevit.
Hec super omwes pessima nobi.s plaga videt^t/-,
162 haneq^e reatws ult?o no5^ri digna meret^ir.
Militat isto te?><pore magn/rs pseudoprophe^a
164 atq«e s^iorum discipulor^f;;^ falsa moneta.
Nune manifeste prospieiamus, quid supev ipsis
166 Sacra Johannis verba 'pro-phetent Apocalipsis.
Mistiea quarti claustra sigilli du^» resera?2t?tr,
168 tew?poris huius pseudop>ophe/e sig/^^^eantur.
Primi(s equori*;» venerat albi*5 : sacra novorum
170 tempore primo milia signans Chrfs^/colarwm.
Tost Tufus exit: te/><pora signans martiriorMW?.
172 post niger exit: te>/ipora signa;?s scismaticorum.
149 curvus M; curnis P 152 perherrans P 157 vgl Exodus 9 Nraq;
P; nostraque versteh ich nicht 158 fol. 113», 2. Sp. 164 monela?
166 Apok. 6, 2 equus albus ; 4 equus rufus ; 5 equus niger ; 8 ecce equus pallidus
et qui sedebat super eum, noraen ille mors, et Infernus sequebatur eum et data
est Uli potestas super quatuor partes terrae, interficere gladio, fame et morte et
bestiis terre.
zwei Gedichte zur Geschichte des Cistercienser Ordens (I Paganus). 391
Ultimos exit pallid'^^" : hie est ypocntarwm,
174 iusta sudLnon q<fos male ducit mors Siniumrum.
Q^ne qiiia sem-per presidet illis et dominatur,
176 restat, nt ardens Inferus illos hire sequB.tar.
Ir/ft'?Tis ardens penaq?/e perpes hos comitat2tr.
178 ne locus nllus diffugiendi iam videat^^r.
Decolor h.ec gens pallida yultnni iure notatwr,
180 interioTi p^rdita morbo sive reatu.
Mors ({uia sempe/- corpora reddit pallida, iure
182 ferre videtur preuia mortis signa iuiure.
N^c color ullus cougrmt illis apcius isto,
184 q?fos loca mortis pallida tolleizt iudice Chr^5^o.
Ip^a prophe^e pagina nobis testifica^^^r,
186 hanc quia plagam tam dmturnsim nemo seqiiSiiur.
'E.ec mala radix ex Phariseis orta videtur,
188 g^rmi^xe cnius centuplicato terra repletur.
Pnmit?^s illi nulla nocendi co^fsa patebat;
190 nam s^/b abisso tempore prisco tecta latebat.
'^ed modo vires illa resumens tota revixit.
192 sicque fut^^>iim Christus in isto t^^^^pore dixit.
Ip5a moderwo iem-pore Tnenies dmn viciavit,
194 nobilis- ordo religionis degeneravit.
"Novim^f^ om;?es hawc novitate/^^ religionis :
196 prima duob^fs terq^ue decenis veni^ ab annis.
Ordo nigroru;yi iam monsLchontm wilis habetur,
198 sanctsi({ue claustri vita q^db^^sdam laxa videt?<r,
Ut ^enedicti reg^da sancfi non reputetur,
200 dum cihus istis formaq?/e vestis dispar habetur.
His heremite t^rpiter aude^zt ponere crime/*
202 ocia claustri* mandere pisces atqi^e sagimew.
Hinc manifeste possum^fs horuni noscere crimen,
204 dum sibi quermit ex alieno crimi;?e laudem.
Hec tamen illis obicientes decipiuntur.
206 sed qtäa clandi carcere claustri non paciunt^<r,
179 uulf = vultum P; ob vultu? 184 tollent = recipient? 185 pro-
phetae = Johannis? 192 fol. 113^ 1. Sp. 196 der Beginn des Cistercienser
Ordens wurde auf 1098 angesetzt. Prima decennis atque duobus venit ab annis
Hist. 202 den meisten Mönchen war es verboten sagimen = sagina , Bratenfett^
zu gebrauchen ; vgl. Du Gange VI p. 22: a carne • sagimine et a caseo et ob omni
pingui pisce abstinere debes. Das galt besonders für die Cistercienser. 205 P
hat decipientes und darüber obic, Beides von 1. Hand. Hist.: Hie tarnen illi
decipientes decipiuntur.
392 Wilhelm Meyer,
Nec diuti^^Tias aspentates exptriuntur,
208 qwas ben^ norunt, qni studiose claustra secimim'.
Religiosis ocia claustris nulla smunttir',
210 namque vel orant vel sacra patrum scripta legantur,
Kec per amorem dum cor aduruwt atq^/e saginant,
212 dulcia su^«mi nfctaris Ulis mella propinawt.
Talia fluxas ocia curas menie ^epellu/^t.
214 hec c^iioque sentes iam fruticantes inde revellu/^t.
C/arnis et bestes, celica semper q^i specwlantwr,
216 pinguib?/5 escis aut preciosis non saciantwr.
Qwicqnid in escis esse videtur deliciosum,
218 qwando retractant, ad qiiod banelawt, est onerosum.
Experimewtis nee retinentwr deliciarwm,
220 hec Si.nim&rum dampna videntes esse susirum.
Fit monacborwwi gloria maior, dum potuerwwt
222 et iamen escis prorsus ab istis abstinuerwwt.
Ast heremite deteriores i>^veniuIltur,
224 qtd nee babentes" se^^ cupientes ista seeuntur.
Omnihus istis iwgluvies est tanta cihorumj
226 nt manifeste sit deus ipsis venter eorum.
Sicut avaros grandis acervus diviciarnm,
228 haut sec^^5 istos afiicit esus delicisirimi,
Si iamen. ilKs arida pisces silva negavit
230 nee preciosi vina saporis cella paravit,
üt eibus arens et labor art^/5 extenuavit:
232 gens nova sese civibus urbis notificavit.
Q^e nova spargens dogmata prave tradic?onis
234 miscuit inins triste venenum p^rdicionis.
No5^cT, ut aiunt, nullius ordo perdicionis,
236 seJ laicalis forma videtur cowdicionis.
Qwos TL\si quedam pontificalis titrba foveret,
238 rwsticus ordo talia nunq^mm bella moveret.
^ed quia pars hec utra^y^^e cöwsors esse videtur,
240 iam duplicatum clericus bestem iure veretwr.
207 mit nee = auch nicht beginnt der Nachsatz 214 fruticantes M,
frutiantes P 218 retractant M, retractat P; wenn sie über ihre Ideale (ad quod
anhelant) nachdenken 221 potuerunt frui istis et tarnen 226 fol. 113 b 2. Sp.
231 et cibus?; doch bleibt der Sinn der Verse unklar 235 dasselbe B,eimwort
2 Mal hinter einander zu gebrauchen, ist fehlerhaft. In V. 235 scheint perdicionis
durch ein Wort = dignitatis, severitatis ersetzt werden zu müssen, 237 und
nachher: die hier erwähnte Gunst der Bischöfe geht wohl auf die Cistercienser,
welche nur mit Erlaubnis der Bischöfe Klöster gründeten und ihrer Jurisdiction
sich unterwarfen. 240 d. h. die bischöfliche Curie und diese heremitae.
zwei Gedichte zur Geschichte des Cistercienser Ordens (I Paganus). 393
Q?d simidata»i dum foris offe/'t religionem,
242 ardet in omnem cor q?<asi fornax ambitiösem.
Iste vorando quando per urbes transiit istas,
244 pisce comesto non ssiiiirsitus suxit aristas.
Obrata passim stirpit^<5 omms silva videt^^r,
246 utq?(e loc?^stis sie heremitis terra replet?<r.
N^//2C aper- ursus* caprea* cervus non agitant^ir,
248 cum neqiie silve, q^^as coluerunt, isveniant?tr.
Nu^2C heremitis po^^tificalis me^zsa repletwr;
250 küs comitat^(5 religiosus presul ha^etifr.
Per tunicatos pojitificatws cwra tenetwr,
252 ordi?«e dignus vel reprobawd^^s q^äsq^^e videtwr.
Per tunicatos dantwr bonores ecclesiari^m ;
254 uncZe videt?<r precipitari stat?^5 esirmn.
Sed licet istos iurha, pote^^tum sie venereti^r,
256 tocius bui^^s fruct^^s honoris Tdivus habetur.
Nam qusisi fum^^5 preterit hui^(5 glöria vite,
258 qwam male q^^erunt hi tunicati, non heremite.
Sic et honores preripientes atq^^e favores
260 undiqwe, gaudent ferre cucullas m^ddcolores!
Dum monsLchontm sanctsi vigebat vita priorwm,
262 nulla cuculle sola fiebat *mentitiorum.
Omnibus idem* non fuit ulli discolor usus,
264 nee variato vellere traxit stami>^a fusus.
Urbis honores • dona potewtum n^dlws amabat:
266 qi/isqwe labori* fletib^^s" imnis iwvigilabat.
Carcere silve quisq^te reclusum se coibebat
268 nee nisi ioniem vespere iantum quisq'^e bibebat.
Sed modo nos^ri semper in aula sunt heremite,
270 desidiose vana sequentes ocia vite.
Novimws istos ventris amieos atqite eibori^m,
272 iwrequietos, more vagantes achefalorwm.
Qwosq^fe vagando per regiones ire videmus,
274 non heremitas* sed tunicatos e^se putemus.
Hos prius herbas reieientes aique legumen*
276 iste culine nidor herilis traxit ad urbem.
247 Nunc M: hc = hunc P 252 videtur wohl = iudicatur per eos
260 fol. 114a 1. Sp. undiquewM^ mit V. 259 Verbunden werden 262 mrirörum
= mentitiorum P; mentio *orum? 266 imnis M: ignis P; vgl. 148 surgit ad
himnos 267 silue aus siluis corr. P 272 sind hier Insekten gemeint, welche
des Kopfes beraubt hin und her fahren?
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse. 1908. Heft 4. 28
394 Wilhelm Meyer,
JJiqne seq?/^^^tis vulnera fiunt causa doloris
278 pnmaqwe culpe causa videtur postmoris:
Sic tunicatis urbe receptis ista secuntur,
280 ({uod modo cives ypocritales esse feruntur.
Possit ut hospes religionis laude notari,
282 omnihus istis officiose vult famwlari.
Tunc piperati piscibus assis accum^/lanh/r,
284 queqtie redundant nectare puro poc?da da,nUir.
Q?dcqwid agat^(r reb/(5 in istis immodcrate,
286 impius hospes cwwputat Siciiim pro pietate.
See? super omwes hec nova res est: esse gulosum
288 et tarnen ipsum velle videri religiosum.
Arte coquorum res pr^ciose quando pßra??tur,
290 deliciosis* non heremitis danda videntt<r.
Non heremite prebeat hospes ferenda, per que,
292 si caro q?(€rit luxi/riari, peccet uterque.
TJgo Nivernis religionis laude iprohsitiis
294 ex heremita sumpsit honore??^ powtificat?/^.
Huwc heremite visere midti sepe solebawt,
296 aurib?<s eins deposituri, si quid ha&ebant.
Hos bene clausos in penet>«li sem-per hahehsit,
298 nee idsi solis religiosis porta patebat.
His adaqwati pocwla vini eowficiebat
300 nee precioso pa^cere quemqumti pisce volebat,
Ne cibtts ullum postea islis sollicitaret,
302 dum sibi caules Sitqiie legamen silva pararet;
Ut nicbil illic post nocit^^rwm discere possewt,
304 preter id, usu cotidiano qiwd didicissent.
Hec ut llonest^fS• non ut avarus* presul agebat.
306 namq«<e saluti sie a.nhnaLTum proficiebat.
Om?^ibus ergo sie heremitis est miserendum
308 nee quasi corvus detineatar proprer edendum.
Hoc heremitas tempore mwltos esse videmus,
278 d. h. (culpa) culpe 283 so M: P hat piperatis und escis, das von
1. Hand zu assis corrigiri ist 293 Hugo, welcher ex eremita Bischof in Nevers
geworden ist, wird 1109—1121 angesetzt. Ich dachte daran, ob Hugo vorher
Cistercienser gewesen sei. Doch P. Gregor Müller, Herausgeber der Cistercienser
Chronik, bemerkte dagegen mit Recht, daß 1109 die Abtei Citeaux noch allein stand
und solchen Mangel an Personal hatte, daß die Erwählung eines der Mönche zum
Bischof sehr auflfällig gewesen und gewiß berichtet worden wäre. 294 fol. 114»
2. Sp. 300 pascere M: parcerc P 303 discere M: dfe (dicere) P 808 ne?
zwei Gedichte zur Geschichte des Cistercienser Ordens (I Paganus). 395
310 nee tarnen omnes religiöses esse fatemur:
Nee ({uia vestes extenores vilificemus,
312 sed quia gratam religione?;? me^^tis hahemus.
Nöw reprobam?(S • sed veneramwr religiöses,
314 nee venersunur' sed reprobamus luxwriosos.
Absit, nt illos ore proeaci dedecoremi^c«?,
316 q?/os et honestos et qwasi sawc^os non dubitamws.
Utilis arbor fruetibzis ipsis notificatwr:
318 sed sine fruetu* digna ruina* iure crematMr.
Jam sapientifcwj deeiperentwr eorda virorwm,
320 sed probat illos et manifestat {rnchis eorum.
^on in aeutis uva rubetis viwdemiatt^r,
322 spinaq/<e üeiis eäere dulees n^dla videti/r.
Rec sine fruetu spina per orbe>/* frnetifieavit ;
324 iam rubM,9 ad se cnneta trahendo nos laceravit.
Speniiti^r omwis vita priorum, dum nova surgit'
326 tot?(5 et orbis "post heremitas esse cue«*rrit.
Munieipales Sitqiie potentes hos wenersiniur -,
328 vulgus adorat; iam quia saneti eoneelebrantur.
S^ tarnen horum vita vel actus disenciatur :
330 non erit illis mentis honestas, quanta putatnr.
Sepe videntur eo?^lacrimari cum tribulatis :
332 sed faeit istud gratia lueri* non pietatis.
Scripta legentes : que didicerunt, non imitantnr ;
334 recta docentes : que docuerunt, non operantur.
Fluxa voluptas * laus popularis * grandia dona :
336 hec erit illis ultima merces atque Corona,
Non babituris, que sicierunt, gaudia saneti,
338 dum perituri gaudia querunt emolumenti.
311 Non? 318 fruetu M, fructus P 323 fructificavit ist irrtümlich ge-
setzt statt fruticavit (V. 214) 326 esse P: ecce? 328 fol. 114 b 1. Sp.
328 iam quasi? 329 Si Bist: sed P 331 cowtribulatis P, cum tr. M
337 saneti sanctorum = coeli.
28*
396 Wilhelm Meyer,
II
De mutatione mala ordinis Cistercii.
Das folgende Gredicht steht in der Handschrift des Britischen
Museums, Cotton Julius A VII f. 88^ bis 90^ Es ist im 14. Jahr-
hundert eingeschrieben mit der speziell englischen rundlichen
Cursivschrift ; charakteristisch ist, daß statt der horizontalen Ab-
kürzungsstriche ein dicker Punkt steht, von dem nach rechts eine
dünne Linie ausgeht, welche sich dann nach links wie ein Halb-
kreis über dem dicken Punkte wölbt.
Der Dichter ist ein Engländer gewesen; er war nicht nur
gelehrt, sondern besaß dichterische Begabung. Das Cistercienser-
kloster, dem er angehörte, lag nicht sehr weit von London (V. 176).
Entstanden ist das Gredicht wohl im Ende des 13. Jahrhunderts,
da gerade in dieser Zeit das Vorausverkaufen der Wolle im Cen-
tralkapitel des Cistercienserordens öfter besprochen worden ist.
Auch die hübsch erfundene Strophenform spricht gegen spätere
Entstehungszeit.
(Inhalt) Der Dichter klagt, daß in England (V. 5 nostris
in partibus) der Cisercienser Orden verfalle; der gute alte Greist
sei gewichen, hauptsächlich der Eifer für Entsagung und freiwillige
Armuth. Infolge dessen blühten die andern Orden weit mehr. An
diesem Verfall sei besonders der große Besitz schuld. Zu junge
Leute würden Mönche und Würdenträger im Orden, zu Ungebildete
würden Laienbrüder. Hochmuth und Wohlleben seien deshalb an
die Stelle von Demuth und Entsagung getreten. Besonders werde
Viehzucht betrieben. Dabei hätten sie neulich, als durch Seuchen
viel Vieh gestorben war, die Wolle von noch nicht geborenen
Schafen schon auf Jahre hinaus um geringen Preis verkauft, aber
bei ihrem Aufenthalt an der Londoner Messe dies Geld rasch ver-
braucht. Grott möge dies Klagelied in ein Freudenlied verwandeln !
Der Dichter ist offenbar kein Freund der großartigen landwirt-
schaftlichen Tätigkeit gewesen, wodurch die Cistercienser dem
nördlichen Europa ähnlichen Segen gebracht haben, wie die Schulen
der Benedictiner dem ganzen Europa. Grelingt es, unter den eng-
lischen Cisterciensern am Ende des 13. Jahrhunderts eine derartige
Discussion nachzuweisen, dann wird man diesen geistreichen Mann
unter den Gegnern der praktischen Richtung und imter den eifrigen
Verfechtern von Comtemplation und Askese suchen müssen.
(Die Wollverkäufe der englischen Klöster.) Die
16. Strophe, welche vom Verkauf der Wolle handelt, bietet große
sachliche Schwierigkeiten; deshalb muß ich auf diese Verkäufe
zwei Gedichte z. Geschichte d. Cistercienser^ Ordens (11 De mutatione mala). 397
etwas eingehen^). In England hauptsächlich wurde sehr viele
Wolle für die Ausfuhr producirt und zu den bedeutendsten Pro-
ducenten gehörten die Klöster, besonders die Klöster des Cister-
cienser und des Praemonstratenser Ordens. Deshalb kamen nach
England Käufer aus vielen fremden Ländern, besonders aus Italien.
Aus vielen praktischen Gründen war es für diese vom Festland
kommenden Großhändler sehr erwünscht, wenn ein Kloster auf
eine bestimmte Zahl von Jahren sich verpflichtete, ihm jährlich
eine bestimmte Zahl von Säcken Wolle oder auch die ganze sich
ergebende Wolle zu einem bestimmten Preise zu liefern; auch für
die Klöster war es vorteilhaft, im Voraus des Käufers sicher zu
sein. Es lag kein Grand vor, in einem solchen Fall den Preis
für den Sack Wolle deshalb niedriger zu setzen.
Dagegen bürgerte sich eine andere Sitte ein. Durch Kriegs-
steuern oder durch Brand usw. wurden die Klöster oft plötzlich
zu bedeutenden Leistungen gezwungen. So wurde es Sitte, daß
bei dem Abschluß größerer Verträge der Art von der ganzen erst
im Lauf der Jahre fälligen Kaufsumme sogleich ein beträchtlicher
Teil als Angeld ausgezahlt wurde. Dieses Angeld wird fast bei
allen Verträgen erwähnt (vgl. die lange Reihe bei Pagnini, della
decima II 324). Es war eine gefährliche Sache, gleich beim
Abschluß eines solchen Vertrags die ganze erst im Lauf mehrerer
Jahre fällig werdende Summe auszuzahlen. Whitwell p. 10 sagt:
It was worth the foreign merchant's while to pay a large sum
as eamest, or even to pay the whole price in advance (see below,
p. 25). Doch in dem S. 25 erwähnten Falle handelte es sich nur
um 1, kurz darauf fällige Wolllieferung. Dagegen registrirt der
Calendar of Close Roll Edward I, vol. I p. 354, folgenden Ver-
trag von 1276 : der Abt von Fountains verpflichtet sich, 1277 und
1278 je 17 Sack WoUe zu liefern, 1279 und 1280 je 14 Sack. Tor
1) Die Bestimmungen der General - Kapitel des Cistercienser Ordens über
Wollverkauf hat Dolberg 'Cistercienser Mönche und Conversen als Landwirte
und Arbeiter' (in den Studien und Mitteilungen aus dem Benedictiner- u. d. Ci-
stercienser-Orden XIII, 1892, S. 219) zusammengestellt. Den Wollverkauf der
englischen Klöster bespricht^ R. J. Whitwell 'English Monasteries and the
Wool- trade in the 13 th Century' (in der Vierteljahrschrift für Social- und
Wirthschaftsgeschichte II 1904 S. 1—33, besonders S. 10 11 25 28 29 33); dann
Adolf Schaube 'die Wollausfuhr Englands vom Jahr 1273' (in derselben Viertel-
jahrschrift VI 1908 S. 39—72 und 159—185; besonders S. 170—175). Auf Whit
well's und Schaube's Arbeiten hat mein Kollege Walther Stein mich aufmerksam
gemacht; er bemerkte auch, daß solche Ankäufe auf Jahre hinaus bei der Hanse
verboten waren.
398 Wilhelm Meyer,
this wool the merchants have paid before hand at London 697^2
marks . . , receipt of which the abbot and convent acknowledge ;
für den bedenklichen Fall, daß das Kloster die Wolle nicht liefert,
werden natürlich besondere Cautelen geschaffen.
Das in Südfrankreich beschließende Greneralkapitel des Cister-
cienser Ordens hatte natürlich für den englischen Wollhandel
wenig praktischen Sinn und urteilte mehr nach religiösen Gesichts-
punkten. In den Statuta selecta (Marlene et Durand, Thesaurus
novus anecdotorum, B. IV 1717) wird schon im Jahre 1157 (no
19) und 1214 (no 4) der Handel mit Wolle untersagt (lanas emere
ut carius vendant), wobei 1214 ausdrücklich die fratres de Anglia
als derartige Spekulanten genannt werden; 1181 (no 10) wird der
Vorverkauf nur für 1 Jahr gestattet. Dies Verbot wird noch
1277 (no 21) einfach erneuert. Dagegen in den beiden folgenden
Jahren werden bedeutende Freiheiten gewährt: 1278 (no 5) und
1279 (no 1): lanae poterunt vendi ad terminos longiores et maior
quantitas pecuniae quam valeant uno anno recipi (d. h. woM: es
darf ein größeres Angeld genommen werden als ^ine d. h. die
erste Jahreslieferung wert ist), dum tarnen in aliis usibus quam
in solvendis debitis a quacumque persona ordinis expendi minime
praesumatur.
Einen interessanten Zusatz bietet die Fassung im Nomasticon
Cisterciense (Solesme 1892) p. 453: Poterunt lanae nostrae vendi
ad terminos longiores, non tamen carius propter hoc, et
maior quantitas pecuniae recipi quam valeant uno anno, dum tamen
in aliis usibus dicta pecunia poni quam in solvendis debitis a qua-
cumque persona ordinis minime praesumatur. Hieraus erhellt, was
begreiflich ist, daß die großen Klöster, wenn sie sich auf Jahre
hinaus banden, dafür auch etwas mehr per Sack sich zahlen ließen.
So wohl erklären sich die in einem Vertrag von 1291 (Calendar
of Close Roll Edward I, vol. III p. 193) festgesetzten Preise:
paying for the first three years 18 marks Sterling for each sack
of good wool* 14 marks of each sack of medium wool and 10
marks for each sack of lock-wool, and for the following ten
years 21 marks for a sack of good wool" 14 marks for each
sack of medium wool and 13 marks for each sack of lock-wool.
So begreift sich, weshalb das Generalkapitel ausdrücklich ver-
boten hat 4anas emere ut carius vendant'. Denn wenn, wie im
erwähnten Fall, der Käufer sich verpflichtet all the wool of the
house of Pippewell abzunehmen oder wenn er auf Jahre hinaus zur
Abnahme bestimmter Massen der oft berühmten Klosterwolle sich
verpflichtet und dafür einen hohen Preis zahlt, so lag für die
f
zwei Gedichte z. Geschichte d. Cistercieaser Ordens (II De mutatione mala). 399
Klosterleute die Versuchung nahe, fremde und billig gekaufte
Wolle unterzuschieben, also einen Betrug zu begehen.
Wie oben gesagt, ist die Verfügung des Greneralkapitels von
1277 sofort durch Beschlüsse von 1278 und 1279 abgeändert worden.
Das hat wohl die energische Einsprache der englischen Mitglieder
des Greneralkapitels bewirkt. Denn durch jene starken Correcturen
von 1278 und 1279 wurde das Ordensrecht dem in England all-
gemein giltigen Handelsgebrauch für Wo 11 verkaufe ziemlich nahe
gebracht. Dieser Grebrauch war also folgender : die großen eng-
lischen Klöster verpflichteten sich gegen Grroßhändler oder deren
Vertreter auf eine Reihe von Jahren (bis zu 14 finden sich ge-
nannt) hinaus, ihnen jedes Jahr entweder ihre ganze Wolle oder
eine bestimmte Zahl Säcke von ihrer Wolle zu einem im voraus
bestimmten Preise zu liefern; dieser Preis war meistens etwas
höher als der gewöhnliche. Der Käufer zahlte meistens beim Ab-
schluß des Vertrages einen beträchtlichen Teil der im Lauf der
Jahre sich ergebenden Summe im Voraus als Angeld; sehr selten
zahlte er schon beim Vertragsabschluß den ganzen Preis für alle
in den künftigen Jahren zu liefernde Wolle.
Schwierig ist es, mit diesem allgemein giltigen Grebrauche bei
Wollverkäufen in England die Worte des folgenden Gredichtes zu
vereinigen (Str. 15/16) : Et statim successere Pestes * agri steri-
litas et pecorum mortalitas ; et ceperunt egere. Tum stulti sta-
tuere lanam vendi pre manibus de nondum natis ovibus et pretium
sumpsere decem pro centum fere. Quod querendo Londoniis et
nundinarum feriis parumper expendere; retrorsum abiere. Pre
manibus ist = before band, in advance ; vgl. Murray, New English
Dictionary I 764 "prae manibus used in ME as = 'before band',
in anticipation". 'Querendo' verstehe ich nicht; es kann ja
gleich 'querentes' sein. Doch weder querentes = lamentantes noch
quaerentes gibt mir einen genügenden Sinn; man erwartet ein
Wort, wie morando. Oder könnte expendere = expenderant ge-
dacht sein: 'nach einem Käufer in London auf der Wollmesse
suchend hatten sie fast so viel Geld schon verbraucht'? Dann
gehört quod sowohl zu quaerendo als zu expendere. 'Parumper'
scheint zu bedeuten 'in kurzer Zeit'. Zunächst ist sicher, daß
diese Mönche ihre Wolle auf Jahre hinaus verkauft haben, und
daß sie für alle die einst zu liefernde Wolle gleich jetzt schon
den ganzen Verkaufspreis erhalten haben. Daß deshalb ihnen für
den Sack weniger gezahlt wurde als sonst gewöhnlich, das ist
begreiflich; aber die Angabe des Gredichtes, 'decem pro centum' d. h.
400 Wilhelm Meyer,
nur ein Zehntel des gewöhnliclien Preises hätten sie erhalten, ist
ungeheuerlich.
Eine andere Schwierigkeit ist folgende: in den Strophen 3—9
wird die Cisterciensis Religio angesprochen, wird ihr der Nieder-
gang des Ordens vorgehalten und geschlossen mit der xlufforderug
V. 99: si nosti causam, dicas. Die Eeligio antwortet mit den
Strophen 10—18; sie schiebt die Schuld auf (V. 100) die ampla
nimis possessio etc. All ihre Anklagen sind allgemein; sie sind
durch V. 5 'nostris nunc in partibus' auf die englischen Cister-
cienserklöster beschränkt, aber sie können durchaus nicht auf ein
besonders Kloster bezogen werden. Zuletzt wird die Vorliebe für
Viehzucht geschildert V. 163: spem totam posuere in brutis ani-
malibus, bobus equis et ovibus, quibus abundavere. Auch diese
Worte passen auf die englischen Cistercienserklöster im Allge-
meinen. Aber die unmittelbar folgende Schilderung des Woll-
verkaufs kann nicht allgemein gemeint sein. Denn die Wolle
verkaufenden Cistercienser Klöster in England waren viele (wie
schon die von Schaube S. 174 und 175 erwähnten Verzeichnisse
derselben beweisen), und, wenn auch London schon damals ein be-
deutender Handelsplatz war, so hatte es doch nicht ein Monopol
für den Wollhandel, sondern die Mönche lieferten ihre Wollballen
in den nächsten Exporthafen. Also konnte kein vernünftiger
Mensch sagen, in einem Jahre der Not seien die Aebte der eng-
lischen Cistercienserklöster nach London auf den Wollmarkt ge-
kommen und hätten da auf mehrere Jahre ihre Wolle verkauft,
ßich sogleich den Preis für die ganze Wolle auszahlen lassen, aber
einen so niedrigen, daß er von den Reisekosten fast ganz ver-
schlungen worden sei.
Der entrüstete Dichter übertreibt ja offenbar (decem pro cen-
tum, de nondum natis), allein seine Worte als für den ganzen
Orden giltige historische Angabe gefaßt würden einen Unsinn er-
geben. Ich fasse die Entwicklung der Gedanken so : der Dichter,
überhaupt ein Gegner der erwerbenden, besonders der landwirt-
schaftlichen Tätigkeit der Cistercienser, tadelt zuletzt, daß die
englischen Cistercienser sich zu sehr mit Viehzucht abgäben. Nun
war ihm ein krasser Fall zu Ohren gekommen : daß ein Kloster in
seiner Not seine Wolle sehr ungünstig verkauft habe und daß die
betreffenden Mönche nur wenig Geld ins Kloster gebracht hätten ^).
1) Es ist möglich, daß der Dichter falsch berichtet war, und daß diese
Mönche nur ein Angeld (decem pro centum) erhalten und dies für Bezahlung
einer dringenden Schuld oder für notwendige Ankäufe in London verwendet hatten.
zwei Gedichte z. Geschichte d. Cistercienser Ordens (II De mutatione mala). 401
Diesen Einzelfall schiebt der Dichter als hochrhetorischen Schluß
an das Ende seiner düsteren Schilderung, ohne ihn als Einzelfall
zu bezeichnen. 'Stulti' in V. 171 kann ja Beides bezeichnen, so-
wohl Thoren (= aliqui stulti) als 'die Thoren' (= hi stulti, welche
ich bisher geschildert habe).
So ist wohl dieser schwierigste Teil des Gredichtes zu ver-
stehen. Aber offenbar war der Dichter dagegen, daß sein Orden
sich besonders mit Viehzucht befaßte und mit Wollverkäufen viel
Geld verdiente. Da nun in den Generalkapiteln von 1277 — 1279
über diese Wollverkäufe der englischen ElÖster lebhaft verhandelt
wurde, so ist wahrscheinlich unser Gedicht in der Zeit dieser er-
regten Discussion entstanden.
Die Formen des Gedichtes passen in den Schluß des 13. Jahr-
hunderts, da sie noch ziemlich feine sind. Das Gedicht ist aus
2 Zeilen aufgebaut: dem Achtsilber mit steigendem Schlüsse, 8u_,
und dem Siebensilber mit sinkendem Schlüsse, 7 _ u. Diese beiden
Zeilen haben den gleichen rythmischen Bau der ersten 6 Silben,
d. h. es werden die Silben nur gezählt und der daktylische Wort-
schluß ziemlich gemieden.
In den 97 Zeilen zu 8u_ und in den 100 Zeilen zu 7_u ist
die 6. Silbe stets betont, also die 5. unbetont. In den 4 ersten
Silben ist die jambische Schablone eingehalten in etwa 56 Acht-
silbern und in 76 Siebensilbem : dum verus ciiltor nominis , ni-
grescit nitor clarus. Taktwechsel ist also zugelassen in 41 Acht-
silbern und in 24 Siebensilbem ; davon sind auf der 1. und 3. Silbe
betont 34 Achtsilber und 13 Siebensilber: dülcis ordo Cistercii,
aquam vörtis in vinum; auf der 1. und 4. Silbe betont sind 7
Achtsilber und 3 Siebensilber : metis de magnis prediis, decem pro
centum fere. In 8 Siebensilbem ist es unsicher, ob die 3. oder
die 4. Silbe Nebenaccent hat: 81 (cives et palatini), 118 (cepi in-
placitare), 141, 152, 166; dann in 66 paüperes devenere, 80 rhe-
tores et divini, 158 filii consumpsere ; wird in den 3 letzten Versen
die 4. Silbe accentuirt, so tritt daktylischer Wortschluß voran
(paüpSres), der sonst in dem Gedicht sich nicht findet; deshalb ist
wohl die 3. Silbe mit Nebenaccent zu betonen: paüperes devenere.
Hiate finden sich in den 197 Zeilen in mäßiger Zahl: 3 starke,
wie 70 si causa egestatis, 86 qui facti mundo exules, 118 cepi
inplacitare; 11 leichte: vor et 4, ex 1, es 1, in 8; dann 1 nach tn
und 1 nach de.
(Strophen) Diese Achtsilber und Siebensilber werden in
einfacher Weise zu Strophen zusammen gestellt. Von den 18
Strophen ist eine, die 17., unvollständig, 14 sind elfzeilig, 3 sind
402 Wilhelm Meyer,
zwölfzeilig. Die 14 Strophen haben das Schema: 8 u_aa 7 _ubb,
8u_cc 7_ubb, 8u_ee 7-^ub; die 3 Strophen, die 10. 15. und
16., haben am Schlüsse 7—ubb. Eine so aus Paaren von stei-
genden Achtsilbern und Paaren von sinkenden Siebensilbern auf-
gebaute Strophe ist mir sonst nicht bekannt geworden : der Dichter
scheint sie selbst erfunden zu haben. Auch für die merkwürdige
Tatsache, daß in 3 Strophen am Schluß eine Zeile zugesetzt ist,
welche in 14 Strophen nicht steht, kenne ich keinen zu ver-
gleichenden Fall. Man sollte nach der 4. und nach der 8. Zeile
jeder Strophe stärkere Sinnespausen erwarten, so daß die
Strophe in a + a + b geteilt wäre. Allein ich finde keine Regel-
mäßigkeit der Sinnespausen ; der Dichter scheint an gesangsmäßige
Recitation seiner Strophen nicht gedacht zu haben. Besonders
seltsam ist, daß V. 167 und 168 zusammenhängen.
Der Reim ist stets zweisilbig (außer o4 35 religio : video)
und stets rein. In den Strophen 15, 16 und 17 haben alle Sieben-
silber den gleichen Reim ere.
De mutac/one mala ordinis Cistercii.
1 2
Dulcis ordo Cistercii, Beata es Burgu»dia,
duduw ca^dens ut lilii ubi pafris pr^sencia
flos marcoris ignar?(5, suos se/ vat insontes.
4 deo et mundo carws, 15 et utina/;< trans mowtes
heu no5^ris nunc in partib?/^ gubernet et in Grrecia
ölet vilis homhiihus i'ratres, et ne in Francia
et deo fit amarus. fraus faciat effro^^tes!,
8 nigrescit nitor clar^/5 19 q^^a fallit Demofontes
et ha^itus et nominis, iam Phillidem in Anglia.
dum verus cultor ordinis su«t testes monasteria
11 hie reperitur rarus. 22 tam eis quam ultra montes.
13 patris d. h. des Abtes im Staramkloster Cisterz 19 Auf der Heim-
fahrt von Troia schloß Demophon in Thracien mit Phyllis einen Liebesbund;
dann verließ er sie und sie tödtete sich ; vgl. Ovid. Her. H. Mit Demophon müßte
die verführende Habsucht gemeint sein.
zwei Gedichte z. Geschichte d. Cistercienser Ordens (II De mutatione mala). 403
Heu, qua«? male preposteras,
duduwi transcendens ceteras,
Cistersiensis vita!
26 q^<am sanctus cenobita
'Bened.ictns instituit
et in Bemardo claruit
tot signis redimita.
30 in Rahma laus audita
de te et mu/^do celebris
fusca latet in tenebris
33 et pene nunc oblita.
6
Paupertas volu^ztaria,
non coacta miseria,
novit deo placere
59 per viam vite vere.
neqi/e plebis abiectio,
set -proceruni electio
sancti -patves fuere,
63 q^d te primu»? sanxere;
qui, spreta muwdi gloria,
se negawtes et omnia.
66 pauperes devenere.
0 preclara religio,
in te vincit, ut video,
caritatem cupido,
37 castitatem libido.
spes cedit avaricie.
non est, qwi dieat hodie
'in dLotnino confido'.
41 abicitur formido.
memewto : mujzdu;;^ tempseris !
amas tamew et tempneris,
44 ut ab Enea Dido.
5 (fol. 89-)
De virtute in viciu»/
tendis, dum vellus oviuwi
transmutas in lupinum
48 et lana fit ut linuw«.
manna in esum carniu»i,
et olus in cow vivium,
aq«am vertis in vinum,
52 et iTigns in caminum
ac IdjhoTem in ociu»?,
et totum in cotitrarium
55 rescriptu?;i ßernardinum.
In niu?2do q^d nil ha&uit,
vellet tarnen n?c potuit,
non est egenus gratis.
70 si caussi egestatis
hie monachus efficit?(r,
heatus num putabit^<r
pretextu paupe/tatis?
74 no^^ vox est veritatis?:
heatus paupe^* sipiriin,
neque victu vel hafeitu,
77 ^et cui Christum est satis.
En sophiste* gramatici*
iuriste* diale(c)tici •
rethores et divini*
81 cives et palatini
et, (\iioi(]iioi mu??dum fugiuwt,
te tempnuwt et deveniunt
Minores* Jacobini
85 et frö^res Aug^fstini,
qui* iaeti mundo exules*
pape fiunt et presules
88 et principu?n vicini.
42 Citat aus der Regula? 60 = plebei abiecti, sed proceres electi; vgl.
12, 2 u. 4 68 = qui tarnen habere vellet (voluit) 75 Matth. 5, 3 beati
pauperes spiritu. 79 dialetici Hft 84 Jacobini d. h. Dominicani (Jacobitae).
404
Wilhelm Meyer,
9
Discerpunt hii: tu g^^nninas,
Tili colligu>it: tu seminas,
hii rosas: tu Urticas,
92 hii vites: tu miricas.
metis de magnis prediis:
metuwt et de inediis
hii pa>?es et tu micas.
96 habuwdant: tu mewdicas;
pinguescuwt ex iwopia:
marcescis tu ex copia.
99 si nosti causam, dicas.
10
Ampla nimis possessio
et reru^i delectacJo
fecerunt s«i?erbire
(f. 89^) me et plura sitire.
invaluit ambicio.
evanuit devoc^o,
et cepi lascivire*
107 delicias glutire.
surrepsit vana gloria.
hinc (m)cepi celestia
paulatim fastidire*
111 de bonis resilire.
11
Abcessit a me sanctitsiS'
pax* amor et fidelitas,
et cepi trans volare
115 ad foru/;i seeklare,
qedcquid vidi* desiderans,
facta. domM6' exasp<?rans,
cepi implacitare
119 vicinos et gravare,
exosos htt2;ens pauperes
et öolum inter proceres
122 me putans sine pare.
12
S[c]ensatos a me repuli
et plebeis mefis] co^tuli,
insipienter egi.
126 plebis abiectos [e]legi
et hominum obp>obriuw« ;
et SIC in exterminiu/>i
precipita??s inpegi.
180 ex premissis coUegi:
religionis gloriam
no« posse per insaniawi
133 et ydiotas regi.
13
Fit monachus de puero,
conYersiis de gar eifere,
et hii mei magnates
137 mox fiuwt et [subito] pri-
dum paer puerilia, [mates ;
vult garcio scurilia.
tum domi<6- potestates
141 ha6ent ad volu?2tates
Daxmz niztet (?) cellerarius,
frer folet grangiari«5,
144 sol fa sunt claustriuates»
14
Et hii non ipenitencie
causa,' set indigencie
tunc ad me (con)venerawtr
148 qiwd bene probaveruwt.
dum cucullawi pro sacculo*
palefridum pro baculo
intrantes mutaveru)^t :
152 colla mox erexer?*nt,
auru?« meum in scoriam
et fama//i in infamia;/^
155 mutantes transtulenmt.
89 discerpere gebraucht die Vulgata vom zerreißenden und fressenden Tieri
hier scheint es zu bedeuten: Früchte abbrechen und pflücken. 92 vgl. Plin. 24
myricen . , vulgus infelicem arborem appellat, quoniam nihil ferat 103 scitire
Bft. 109 cepi Hft. 123 Scensatos Hft 124 meis Bft. 126 elegi Hß.
137 subito Hft. 142—144 diese zum Teil französischen Verse habe ich nicht
zwei Gedichte z. Geschichte d. Cistercienser Ordens (II De mutatione mala). 405
15
Qwod patres pridem strenui
qwesierawt, hü fatui
filii conswn-psere.
159 nam pigri noluere
arare neque fodere,
laborawtes (f. 90*) in bibere
tarn hyeme quam vere.
163 spem totam posuere
in brntis SinimBlihns,
bobw5* eqwis et ovihus,
qidhus habu>?davere.
167 Et statim successere
16
pestes* agri sterilitas
et pecorum mortalitas,
et ceper^mt egere.
171 tum stulti statuere
lanam vendi pre ma>2ibus
de nondum natis ovihus,
et -precimn suw^psere
175 X pro C fere.
qwöd q^(erendo Londoniis
et nundinarwu feriis
parumpcr expendere.
179 retrorsum abiere.
17
Dum Christi ^atTimoniwn
agewtes mercimoniuwi *
in nichil redigere,
183 premissa patuere.
et seq?(itur cowclusio:
sie periit religio;
186 res sim?d periere.
18
Eeligio mmc conqueritur
auxiliuwi dei implora>^s:
Si fas, hunc psalmuwi deseram
^Miserere', naw^ miseram
me dat dum 'dealbabor'
190 'ysopo et mundabor'
*et asperges me' 'domme'
meo regnawt in ordi/?e,
in nichilum dilabor.
194 set deam deprecabor,
ut 'dealbabor' deleat
et det, Salomo^ ut redeat:
197 aut nu^^q^mm relevabor.
Amen.
verstanden; es gibt ein von sol fa gebildetes Zeitwort. 147 venerunt Hft.
158 vgl. Isaias 1, 22 argentum tuum versum est in scoriam.
161 = in bibendo 167—179 siehe S. 399 nach V. 183 scheinen 4 Zeilen
ausgefallen zu sein. 187 in dieser Strophe sind Stellen des 50. Psalmes benützt:
1 miserere mei deus, 9 aspergas me^ hyssopo ^et mundabor. lavabis me et super
nivem dealbabor. V. 188—192 'dum dat . . et regnant' scheint Vordersatz, 193
Nachsatz 196 Salomon scheint = sapientia zu sein.
Quondam fuit factus festus
ein Gedicht in Spottlatein
herausgegeben
von
Wilhelm Meyer ans Speyer
Professor in Göttingen.
Vorgelegt in der Sitzung vom 25. Juli 1908.
Die Verfasser der Epistolae obscnrornm virornm verspotteten
die von ihnen verhöhnten Universitätsleute des alten Schlages auch
dadurch, daß sie dieselben sehr unbeholfenes Schülerlatein schreiben
ließen. Dies Mittel, Menschen oder Dinge nicht nur durch den
Inhalt und die Gedanken der Rede, sondern schon durch die sprach-
liche Form zu charakterisiren , findet sich in der antiken griechi-
schen und lateinischen Literatur verhältnißmäßig selten angewendet.
Die Griechen der älteren Zeit haben ernsten lyrischen Dichtungen
oft den dünnen Schleier dorischer Dialektformen übergeworfen,
epischen einen Anflug homerischer Formen; doch die Herrschaft
der xoLvti hat auch diese Unterschiede meistens verdrängt. Die
Deklamatoren, welche in den Wirthsgärten Roms das Volk unter-
hielten, haben gewiß oft gespottet über die Typen von Bauern,
welche aus den verschiedenen benachbarten Landschaften in Rom
auftraten und haben gewiß dabei auch deren Dialekt nachgemacht;
allein die uns erhaltene Literatur folgt durchaus den späten
Griechen, und außer dem Punier, der bei Plautus einige Verse in
punischer Sprache spricht, ist mir keine ähnliche Sprachmalerei
erinnerlich. Aus dem klassischen Alterthum haben also die Ver-
fasser der Epistolae obscurorum virorum ihr Stilmittel nicht geholt.
Im lateinischen Mittelalter sind in der gothischen Zeit Mac-
caronigedichte nicht selten, d. h. Gedichte, in welchen mit den
lateinischen Kurzzeilen solche in deutscher, französischer oder eng-
Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein. 407
lischer Sprache gemischt sind oder wo in den lateinischen Text
nur einzelne Ausdrücke aus einer solchen nationalen Sprache ein-
gesetzt sind. Doch das hat mit jenem Kunstmittel wenig zu thun.
Wie bei Plautus der Punier, so tritt in einem Weihnachtspiel des
12. Jahrhunderts einer der Könige aus dem Morgenlande mit seiner
Heimathsprache d. h. mit einem Kauderwelsch auf.
Näher steht dem stilistischen Kunstgriff der Epistolae der
Kunstgriff, welcher in den beiden hier zu besprechenden Gredichten
angewendet ist. Beide schildern Scenen des niedrigsten Mönchs-
lebeas in der niedrigsten Sprache; alle Gesetze der Declination
und Konjugation und natürlich noch mehr die Gesetze der Syntax
sind hier verhöhnt : tua frater, tuus mater, tuum pater ; ego stabat ;
bipsi; irascatus ad priorum dixit usw usw. Das Latein der
Epistolae ist viel besser. Dies ist schlechtes Schülerlatein und
zwar deutscher Schüler. Es wimmelt einerseits von den beim
Unterricht unvermeidlichen technischen Ausdrücken, anderseits von
Germanismen. Schon diese letzteren zeigen, daß das Latein der
Epistolae in seinen Einzelheiten deutsches Fabrikat ist. Das
wichtigste der beiden folgenden Gedichte, der Streit des Prior's
und des Mönchs, ist fremden, wahrscheinlich englischen Ursprungs :
allein es war weit verbreitet. Ich habe bis jetzt 2 englische, 1
französische und je 1 süddeutsche und schlesische Handschrift des
14. und des 15. Jhdts gefunden, und sicher werden noch manche
Abschriften desselben auftauchen. Deßhalb kann leicht dies Gedicht
die Verfasser der Epistolae zur Wahl jenes stilistischen Kunst-
mittels veranlaßt haben. Wie dort Mönche im jämmerlichsten
Mönchslatein sich zanken über ihre Angelegenheiten , so schreiben
hier altmodische Gelehrte, die Eeinde der Humanisten, im schlech-
testen deutschen Schülerlatein über das, was sie lieben und hassen.
(Inhalt) Es zanken sich der Prior und einer seiner Mönche,
canon genannt (wohl eine Abkürzung, vgl. 17, 1 Nunc tu es cano-
nizatus). An einem Festtage, wohl Ostern, trinken der Abt
und der Prior mit einander. Der gutmüthige Abt will auch dem
Convent für die Plage des vielen Singens und Betens in der
letzten Zeit einen guten Trunk geben lassen ; doch der Prior wider-
spricht (Str. 1—7).
[In der Hft H sind hier 2 Stücke eingeschoben : 1) (Str. 67—78)
wird der Disput des Abtes und Priors und ihr sinnloses Saufen
geschildert, 2) (Str. 79 — 87) wie, darüber benachrichtigt, der Bischof
und seine geistlichen Räthe verhandeln, aber nur milde strafen.]
Der Canon hört zu und macht dem Prior Vorwürfe über seine
Härte (Str. 8—14).
408 Wilhelm Meyer,
Der Prior hält dem Canon vor, wie gut Essen und Trinken
er jetzt habe und welcher Tropf er früher als Schreiber gewesen
sei. (Str. 15 — 19). [In der Hft H folgt noch eine kleine Fort-
setzung der Strafpredigt (Str. 88—94), und damit endet diese
Handschrift.]
Ergrimmt schildert der Canon, welch schimpfliches Leben der
Prior früher geführt habe und wie hochmüthig er im Kloster ge-
worden sei. (Str. 20—28).
Der Prior hält dem Canon vor, welcher Hungerleider er früher
gewesen sei. (Str. 29 ffl.). Nach Str. 36 läßt die Hft B mit
einigen Sehlußstrophen (96 — 98) den Streit unversöhnt schließen
und endet damit. Dagegen in den beiden Hften C und M (und W)
geht der Zank noch viel weiter (Str. 37 — 66). Zunächst schimpft
der Prior weiter über die Familie und über die frühere armselige
Lebensweise des Canon (Str. 37 — 49).
Dagegen prahlt der Canon mit seiner guten Abkunft und
seinem früheren eleganten Leben (Str. 50—62).
Endlich bittet der Prior den Canon um Entschuldigung. Beide
versöhnen und küssen sich (Str. 63 — 66).
(Verfasser) Das Gedicht ist spätestens in der ersten Hälfte
des 14. Jahrhunderts entstanden, da die Harleyer Handschrift (H)
in dieser Zeit geschrieben ist. Da aber diese Handschrift schon
einen stark veränderten Text bietet, so kann das Gedicht schon
im 13. Jahrhundert entstanden sein. Die Heimath des Ge-
dichtes ist gewiß England, wo im 13. und 14. Jahrhundert Humor
und Satire eine Heimath gehabt zu haben scheinen wie in keinem
andern Lande. Denn als Name des Klosters werden (Str. 1,3) in
der Hft C Leycestris und in H Glowcestrus genannt, also leib-
haftige Namen, während in der französischen Hft B Clocestum
steht und in der süddeutschen M Cocletestus, also nur ein undeut-
liches Echo der englischen Namen. Zu England paßt auch die
Cervisia frumentea (18, 2). Nur in der Handschrift C finden sich
einige englische Wörter: 23, 3 groyvum; 25, 1 caytyff; 33, 3 watty
mentum; diese beweisen also nur die Heimath dieser Abschrift.
Handschriften und Ausgaben Schon die Inhalts-
übersicht hat gezeigt, wie verschieden die einzelnen Handschriften
sind. Das ist natürlich. Denn wenn schon Romane, wie der von
Alexander oder von Apollonius, in den Hften außerordentlich ab-
weichende Texte aufzeigen, weil die Schreiber diese Texte als
freies Gut ansahen, das sie nach ihren eigenen Kräften verschönem
durften, wenn aus denselben Gründen auch schon in alter Zeit die
Texte von Predigten und von Heiligenleben stets verschönernd
Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein. 409
Timgearbeitet worden sind, wie viel mehr Freiheit erlaubten sich
die Abschreiber mit diesem burlesken Texte! Es ging damit, wie
mit den spaßhaften Greschichten , welche Jeder, der sie weiter er-
zählt, anders erzählt.
So steht es in den Hften dieses Gredichtes. Außerordentlich
viele Ausdrücke sind geändert ; Strophen sind weggelassen , zu-
gesetzt, umgestellt. Ja, ganze Partien sind zugedichtet. So sind
z. B. in M die Strophen 31 — 36 zwischen die Strophen 19 und 20
umgestellt ; in H sind nach der 3. Strophe 20 Strophen und nach
der 18. Strophe 6 Strophen zugesetzt. Und vielleicht ist in C
und M (und W) die ganze Masse der Strophen 37 — 66 spätere Zu-
dichtung. Diese Verhältnisse machen die Herstellung einer Aus-
gabe sehr schwierig, doch sie erschweren wenig das Urtheil über
dies Denkmal der mittellateinischen Literatur. Denn der Geist,
welcher hier den Grundstein gelegt hat, ist derselbe, welcher daran
weiter gearbeitet hat: der derbste Mönchshumor.
Von den Abschriften sind offenbar sehr viele verloren ge-
gangen oder mir unbekannt geblieben. Denn ein Stammbaum der
Hften läßt sich noch nicht aufstellen. Stimmen z. B. C und M in der
Masse der Strophen mit einander überein, so gehen sie in vielen
Einzelheiten auseinander und die eine Hft geht mit dieser, die
andere mit jener anderen Hft. Ich suchte die Ausgabe so ein-
zurichten, daß zunächst die mehreren Fassungen gemeinsamen
Strophen hervorträten, dann die Eigenthümlichkeiten jeder Fassung
leicht erkannt würden, damit neu gefundene Hften rasch beurtheilt
werden können.
H = Harley 913 f. 10^-12*. Diese Hft des Britischen Mu-
seums ist in der 1. Hälfte des 14. Jhdts geschrieben. Sie enthält
viele lateinische und englische Q-edichte. Besonders die letzteren,
die sogenannten Kildare-Gedichte, sind schon oft besprochen; vgl.
zuletzt Bonner Beiträge zar Anglistik, Heft XIV, W. Heuser, die
Kildare-Gredichte , 1904. Unser G-edicht zählt in dieser Hft 43
Strophen, von denen nur 15 in anderen Hften vorkommen, 28 zu-
gedichtet sind. Der Text ist ziemlich genau abgedruckt von
Wright, Beliquiae antiqaae I 1845 p. 140.
C = Cambridge, Trinity College 0. 9. 38, fol. 14^—16% XV.
Jahrb., hoch aber schmal, schlecht erhalten. 62 Strophen. Diese
Hft steht der Hft M am nächsten.
M = München Clm 19685 (Tegernsee 1685), in 4' saec. XV,
fol. 112*— 113^. Diese in Deutschland geschriebene Hft bietet
60 Strophen. Die Strophen 31—36 sind nach Str. 19 gestellt.
Sonst steht diese Hft der Hft C nahe.
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichteu. Fhilolog.-histor. Klasse 1908. Heft 4. 29
410 Wilhelm Meyer,
B = Besancon latin 592, in 4^^ saec. XV, fol. 9=*— 10% in 2
Spalten geschrieben. Diese Fassung (35 Strophen) eilt schon
nach Str. 36 mit den 3, wohl hinzugedichteten Strophen 96—98
zum Schlüsse.
W = Breslau, Universitätsbibliothek, Collect, ad histor. Siles.
IV Q 132*^ fol. 75% geschrieben im 17. Jahrh. Nur 12 Strophen;
von diesen finden sich 4 (no 99 — 102) in keiner andern Hft; von
den 8 übrigen finden sich 2 (42 und 53) in dem großen Theil, den
nur die Hften C und M erhalten haben. Dieser Text ist gedruckt
von H. Palm in den Abhandlungen der schlesischen Gesellschaft
für vaterländische Cultur. philosophisch -historische Abtheilung,
1862, Heft II S. 96 ; dann (von ßud. Peiper) im Gaudeamus (Teubner
1877) S. 191.
(Form) Interessant ist die Strophenform. Ein berühmtes
Gedicht beginnt mit der Doppelstrophe
a b
Verbum bonum et suave, Per quod Ave salutata
personemus illud Ave, mox concepit fecundata
per quod Christi fit conclave virgo, David stirpe nata,
virgo' mater* filia. inter spinas lilia.
So sind es 3 Strophenpaare , also a + b, c + d, e-f-f. Die Melo-
dien von a, c und e sind verschieden, die von a = b, von c = d,
von e = f. Solche Gedichte habe ich Melodie-Sequenzen genannt.
Die Siebensilber des 1. und des 3. Paares reimen auf ia, die des
2. Paares auf ium. Die Entstehung dieser Doppelstrophe ist ein-
fach. In einem Paar trochäischer Septenare : 8 — u4-7w — b, 8 — u
-f7u-b, z.B.
Stabat mater dolorosa, dum pendebat filius
Cuius animam gementem pertransibat gladius,
wurde das Stück zu 8 — u verdreifacht : 8 — ^ aaa -f-7u — b; 8 — u ccc
+ 7u— b; vgl. meine Ges. Abhandlungen 1322.
Diese berühmte Sequenz wurde parodirt, so daß statt der
Maria der Wein gegrüßt wurde. Die ursprüngliche Fassung dieser
Parodie zählt 8—9 einfache vierzeilige Strophen, deren 1. Strophe
z.B. heißt:
Vinum bonum et suave,
bonis bonum, pravis prave,
cunetis dulcis sapor, ave,
mundana laetitia.
Die spätere verkürzte Fassung beginnt z.B.:
Ave color vini clari,
Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein. 411
dulcis potus • non amari ,
tua nos inebriari
digneris potentia.
Die Strophen laufen einzeln dahin; von Paarung ist keine Hede
mehr. Fast alle Strophen haben den Schlußreim ia; nur selten
findet sich ein Strophenschluß auf ulum.
Unser Streit des Priors und Canon's und die folgende Klage
der Bettelmönche haben genau dieselbe Strophenform und genau
denselben durchlaufenden Reim der Siebensilber auf ia wie die
Wein-Parodie. Wahrscheinlich wurden sie auch in derselben Me-
lodie gesungen. Ganz seltsam ist, daß die 52. Strophe in den
beiden sie bietenden Hften C und M 1 Zeile zu 8 — u mehr zählt,
dann die 51. Strophe nur in C, nicht in M.
Zeilenbau Die Silben zahl wird selten verletzt : Str. 21 , 3
evangelistas CM, angelistas B; 45,3 apostolorum C, postolorumM;
58, 1 caligas C , calces M ; 65, 2 quamdiu C, quantum M 65, 3
nunquam faciam C {anders M) ; nur in C finden sich : 49, 2 et super
omnes; 55, 1 sum de sanguine; 6*2, 3 quod non surgere; 63, 1 gra-
tias ego ; und die ganze Strophe 66. Nur in H findet sich : 68, 1
estne aliquid; 93, 3 et sie pardonem; nur in W: 102, 4 usque ad
diem claria. Merkwürdig ist, daß der Achtsilber regelmäßig in
seine 2 Hälften 4 — u -f- 4 — u zerlegt ist. Ausnahmen finden sich
nur: 2, 1 abbas est sedere sursum CMBW; 24, 3 minus eciam por-
tare M (anders B). Der erste Viersilber schließt Str. 10, 3 nur in
C und M fälschlich steigend 'in lagere', in H und B sinkend.
Hiate finden sich in den 102 von mir hergestellten Strophen etwa
18 : also sind sie ziemlich gemieden.
Von den Handschriften B C H und M habe ich Photographien
benützen können, deren Herstellungskosten die Gresellschaft der
Wissenschaften bestritt. Die Handschrift W habe ich verglichen.
Bei der Zusammenstellung des Textes legte ich die Handschriften
C und M zu Grunde und benützte die Handschriften H B und W
zur Ergänzung.
29^
412
Wilhelm Meyer,
1 (Cl. Ml. Hl. Bl. Wl)
Quondam fuit factus festus
et vocatus ad comestus
abbas prior de Leycestris
cum totus familia.
1 factus fuit M ; erat sanctus festum B ;
Erat quondam dies f. W 2 et : quo W
2 venerunt C 2 comestum B, commestus
CH 3 de om. M, ad B 3 leycestris C,
cocletestus M, glowcestrus H, clocestum B ;
ibat prior cum claustralis W 4 cum : et
MW tota BW 4 familia a a a , dazu
ein Sclmörlcel wie etc. ; so am Schluß jeder
Strophe in W (der weitere Zusatz in Palmas
Abdruck 'et tota familia' steht nicht in W)
2 (C2. M2. H2. B2. W 3)
Abbas est sedere sursum
et prioris iuxta ipsam.
ego miser stetit dorsum
inter rascabilia.
1 a. ire sede s. H
2 ipsum CH : rursum
2 priorum M
MBW 3 miser C
pauper M, semper H, tristem B, om. W
3 vgl, 4, 3/4 u. 78, 3 3 stetit C, stavi H,
sedit W 3 ad deorsum MW, a deorsum
B 4 sum inter BM 4 rascabilia C,
rascalilia H, rascalia B, scabellia M, iuve-
nilia a a a etc W
3 (C3. M3. H3. B3)
Vinum venit sangoinatis
ad prioris et abbatis.
nicbil nobis paupertatis,
sed ad dives omnia.
Nach Str. 3 folgen in H
4 (C4. M4. B4)
Abbas bibit ad prioris,
prior vero totum horis.
ego pauper stabat foris,
nil habens delicia.
[5 {in M folgen sich no
Abbas dixit: ut senectus
ego bipsi cum affectus.
vadi queri promtum lectus,
ubi sum iacencia.]
6 (C5. M7. Bö. W4;
Dixit abbas serviatis:
date vinum nostris fratris.
bene legunt et cantatis
ad nostra solempnia.
7 (C 6. M 5 und 8. H 25.
Dixit prior ad abbatis:
bene bibunt, habent satis.
non est bonum ebriatis,
eant ad claustralia.
1 V. vetum B
3 nil M
4 diue M
die Strophen 67 — 87
3 nobis : illis ?
trinkt zu 2 et
p. retro totis B
1 = H 67, 1
prioris totis boris M
3 ego: nobis MB 3 statuat M
4 diuicia C; cum magna tristicia B
4, 7, dann diese Strophe = M 4. 5. 6)
Diese nur in M stehende StropJie
scheint gefälscht zu sein , denn auch
die folgende Strophe beginnt mit Dixit
abbas 3 = vado quero?
vgl. 67, 2—4 in H)
1 adseratis M, ad servantis B 2 datis
MB 2 vinus B 2 uostri M 3 legit
MB 4 noster sollemnia B 4 in istura
festalia M vgl. 67, 2 (H) date vinum ad
maioris. W 4 lautet : Dixit abbas ad pri-
oris: Detur vinum iunioris, qui laborant in
choralis et matutinalia a a a etc.
B6. W5)
2 b. bibis B, b. bibit M 8, ecce rubent W
2 habet M 8 2 habes modo, bibe satis
H ; cum sis abbas, bibis satis M 5 3 de-
briatis B 3 nos non debet {oder decetj
ebriatis M 5 4 so C; vadant ad clau-
stralia a a a etc W ; vadant ad inclaustria
B; ibunt (nos ibunt M 6) in claustralia M
5 und 8; ire post in claustria U
Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein. 413
C m. 1: lliirmur canonis ad prior is:
8 (C 7. M 9. H 26. B 7. W 6)
Unus C a n 0 iuniorum , l canon minorum B cano de maiorum H
hnrniQ Ipp+iiq pf pptifornm ^^ canonicorum C 1 Erat quidam iunio-
ponus lectus et^ cantorum, ^-^ ^ 2 lector et c. H, cantor et lecto-
irascatus ad prior um mm MB 2 habens bonum rationis W
dixit ista folia: Ir'^w«*'"'.^ •. ^^P^^'^f Y / ^.^'**
lolia HB, et d. ita f^ C ; de hec formalia a
a a etc W; d. hec välia (verbalia?) M
9 (C 8. M 10. H 28. B om.)
Vos abbatis et prioris, l Vos : 0 H 1 priore H 2 bibit M
bibis totnm de liquoris. ^ *®**°^ ^ ^i^oris M 2 nichil datis de
nicliü vobis de pudoris, ^^^"^'' ^ ^ ^"" "'* ^"^^' ^- ^^^^^^ ^
-, . , TT * töi (tantum) M . 4 tu es avaricia H
sed totmn de gulia.
10 (C 9. M 11. H 27. B 8)
Prior, vos non intendatis, statt Prior scheint M zu bieten: Qr
«„o-K.+,.^ ..n,^,.. lo-k^^o^.,-^ 2 sumus: nos sunt C 3 in legitis et c.
in legere et cantatis B 4 istis B 4 festalia HB, paschalia
per ista festalia. ^ ^ ^" ^'*^^ solempnia M
11 (C 10. M 12. H 29. B 11)
Vos nee nobis nicbil datis l Et vos nobis C; Ad nos autem ni. M
nee abbatis permittatis, ^4^"" fkZTJ s. 0 ' T^'^t
facit nostris sociatis H 4 suam B, tua M
sua curialia.
13 (C 11. M 13. H 30. B 9)
Qui stat, vide ne cadatis. **» M ist zuerst Str. 13 Propter, dann 12
multnin pnim r^p Tirela+i^ ^^^ geschrieben; dann hat die erste Hand
muitmn enim ae preiatis durch Zeichen sie umgestellt. 1 videt MH,
sunt deorsum descendatis vidat B 2 multos U, multas B, (= multi)
propter avaricia. derunt?r'' "' ^'P'^''^^^'' ^' ^^ ^^''^''"
18 (C 12. M 14. H 31. B 10)
Propter cordis strictitatis l tristitatis M 2 s. d. sedem dignitatis
sunt de sede degradatis ^' sunt superbi descendatis HB {vgl. 12,3)
et Sic propter parcitatis ^ "* P/"P*t' '"^"^ ^' ^^ ^ varmi^t^^ H
T , .. 4 perdere H
perderunt magnalia.
14 (C 13. M 15. H 32. B 12. W 10)
Pogo, deus maiestatis, l Precor deum m. W 2 uos HW
«■■-■,• -««o -p^^u r.i. ««^«^,-« 2 facit B 2 qui de nichil vos er, C
qui nos fecit et creatis, ^ 3 ^^i quod MB 3 hunc M 3 vinum:
ut hoc vinum, quod bibatis, iustum C 3 hec vinus quam B 4 posset
possit vos stranffuHa. f . t,'*^^?^^'}?.^ ^\ strangularia M, strang-
^ 00 o yvo oi;x«,iigixj_La,. ^^^^^ g. ^^^ ^^^^^ strauguria a a a etc W
C m. 1 : Frior dixit ad canonus :
15 (C 14. M 16. H 33. B 13)
Ad hoc verbum prior cursus 1 li^nc M 1 sursus C 1 Ad hec
furabatur sicut ursus. ^^^^ irascatus B 2 furebatur C 2 fu-
414
Wilhelm Meyer,
unus vice atque rursus
momordavit labia.
riebat s. catus B 3 unu at (autem) atque
M ; unam vicem H ; semel atque iteratus B
4 momordivit B, momordebat M
16 (C 15. H 34. M 17. B 15)
1 canone ausgewischt, darüber monache
von anderer Hand H 2 tace miser g. C
2 uiUs H 3 quand. M 3 de : cum MB
4 fuit tibi HM
Tandem dixit ad canone:
miser vile garcione,
quondam discus de pulmone
tibi fuit gaudia.
17 (C 16. H 35. M 18. B 17)
Nunc tu es canonizatus
et de nichil elevatus :
sicut regem vis pascatus
et in maior copia*
In C folgt C 17 = no 33
18 (C 18. H36. M19.
Habes iustam et micheam
et cervisiam frumenteam,
unde reges posset eam
bibit cum leticia.
1 tu: cum B 1 canonicatus MB
Die letzte Silbe der Zeilen 1 2 3 ist in B so
gekürzt, daß man atis lesen sollte 2 de
vili M 2 eleuatis H 3 Velud M;
bis in die vis C. 4 esse cum delicia C
B18)
1 iustam {mensura vini) Meyer: iustum
HB , iuxtam M ; miceam B. 1 H. nuches
(miches ?) et iusteam C 2 et om. M ; se-
ruisiam H, seruiceus C, ceruistam M, clusa
B 2 farmenteam B 3 regis H ; 3 Quod
rex possit bibit eam C 4 bibit ad deli-
cia M, in festo natalia C
Nach Str. 18 folgen in H als Schluß die Strophen H 37—43 = no 88—94
19 (C 19. M 20. B 16)
1 fuas . . scribas C 2 pennas cibas C
3 cum om. M 3 aquis ranas, dann um-
gestellt, M: vinas aquam B, rana aqua C
3 bibas 0 4 et: vel C
Quando fuis pauper scribis
et lucrabas penna cibis,
tunc cum ranas aquis bibis
de fons et de fluvia.
Nach Str. 19 folgen in M die
34 36 35
30 (C20. M27. B19)
Canon dixit: nunc irabor,
vitam tuam recordabor.
tu es unus dealbabor
nee habes sciencia.
31 (C 22. M 28. B 20)
Secularis quando fuis,
sotulares super tuis
evangelistas quater suis,
sie vadens per hostia.
23 {C 21. M 29. B 21)
Cum non habes, unde victus,
dealbabor fuis dictus,
ollam aque benedictus
spargens per boscaria.
Strophen M 21—26 = no 31 32 33
1 cano M 2 vita tua C
3 unum M 4 non habens C
3 Psalm 50, 9 lavabis me et super
nivem dealbabor
1 Scolaris M Die 2. und 3. Zeile
sind in C umgestellt 3 angelistas
super suis B
1 Tunc M
aquas b. C
pro bucolicis
rochia C
2 fuas C 3 spergens
4 spergis M ; spargens
B; per domos in pa-
Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein.
415
33 (C 23. M 30. B 22)
Tunc letabas et coiifortas,
quando dabas tibi tortas.
f panis ac[ue contra portas
in die dominicia.
U (C om. M 31. B 23)
Tota die stas cantare
et in festis mendicare
minus eciam portare
nichil vel aqualia.
35 (C 24. M 32. B 24)
Prior factus nunc de gromo
te tendebas sanctus homo.
confudisti ista domo
per tua superbia.
26 (C 33. M 33)
Nudus nates huc intrasti,
totam domum istud vasti,
donans eis quos gignasti
filios et filia.
37 (C 25. M 34. B 25)
f Non est magis gravitate
quam sit unus paupertate
abbas prior vel prelate
inter bona socia.
38 (M 35)
Manducaris aucas vinum :
nobis tanquam peregrinum]
nichil nisi disciplinum
dabas in capituLia.
39 (C 26. M 36. B 14)
Ad hec prior tacuebat.
movens testam nil loquebat.
vellet, sed non potuebat
propter iracundia.
30 (C27. M37?)
Tandem dixit ad canone:
nil plus babes racione.
siluisti de sermone
propter verecundia.
3 = siluisses?
In B folgt B 26 = no
1 confortabas B 2 dabas tibi B, da-
bant t. C, t. dabas M 2 torcas B, tartas
C 3/4 so M\ palus q. {quia) aquam por-
tas i. d. domiuicis B ; Modo groyuum (=
grief?) nobis portas per mala fortunia C
2 meditare B 3 ebenso imver-
ständlich B : nigrum panis et por-
tare. oh potare?
in C fehlt Z. 2; dagegen' steht vor Z. 1
Quondam caytyff (caitiff = cattivo) et non
homo Prior etc 1 prior MC : canon B
1 nunc : sie C 2 tenebat B 3 confu-
sus es in i. d. M, es confusus isto d. B
1 wiä' (nudis?) vates M 2 to-
tum M = vastasti? 3 dabas
eos que g. M 4 filias e. f. C
1 es maior B 2/3 quam quod
un. pravitate fiat prior C 2 unum
M 3 prior vel CB : priorum M
ob = peregrinis .
capitulo ?
disciplinam . .
1 hunc M 1 Longue tempus tac.
B 2 testam: labia C 3 volet
M, volans B 4 iracundia M
M 37
Tandem dixit cum rampone:
si non taces mementone,
dicam tuam vitam omne
ad totum sodalia.
95
416
Wilhelm Meyer,
31 (C 29. M 21. B 27)
Miser norme recordabas,
quando olim tibi dabas
offas" pisas* micas' fabas
per misericordia.
32 (C 30. M 22. B 28)
Extra portam iuxta vicos
iacuebas cum mendicos ;
ego tibi fac amicos
in hac monasteria.
33 {C 17. M 23. B 29)
Tunc tu fuis macilentum,
nunc tu habes de pulmentum
grossas boccas * duplex mentum
atque ventris pinguia.
34 (C 31. M 24. B 30)
Ad nos venis cum precatus,
ut intrares monastratus.
hec deberes recordatus,
ut esses bumilia.
35 (C om. M 26. B 31)
Preter omnes tu loquare,
tanquam doctor te monstrare,
propter legit et cantare
nimis es superbia.
36 (C J28. M 25. B 32)
Nunc te mando, quod tu taces.
nicbil nobis iam loquaces.
vel tu potes tantum faces,
quod te semper odia.
in B bilden die 3 Strophen
des Gedichtes.
37 (C 32. M oni.)
Ego semper laboratis,
ut tu esses claricatis;
sed tu nunquam vis discatis,
ut esses sapientia.
38 (C 34. M 38)
Veniasti cum burdone,
super pedem nichil pone,
funem habens loco zone
minorum similia.
1 tu non M, numquid ß 2 qua
nos B 3 ossas micas pisas M,
pissis ossas nuchis B 4 pro M
1 Contra portas M
4 hanc M
2 iacuisti C
1 Qui tunc B, Postquam C 1 eras B
1 ad nos ventum C 2 nimis habes C,
nunc habebas B 3 grossas buflfas B,
grossum genas M 3 duo mentum M;
wattymentum C = wadded mentum, aus-
wattirt? 4 ventrem C
1 deprecatus M
M, nostri status B
1 Propter B
2 monestratus
3 hunc M
3 legis B
4 et B
1 so B; Hunc demando M; N. t. laudo
C 2 so M; neque michi plus 1. B; ab
hiis verbis contumaces C 3 so C, doch
tamew statt tantum; posset modo t. f. M;
carte modo t. f. B
B 33 34 35 = no 96 97 98 den Schluß
1 Ad nos venis cum bordone M
2 pedes M
3 cordam habes longo z. M
Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein.
417
39 (C 35. M 39)
Tu pergisti villam villam
aspergendo aque stillam
super illum • super illam
querere cibaria.
40 (C 36. M 40)
Reputabas te pro vates,
comedebas inter cates:
nunc es factus ut abbates
non nostro consilia.
41 (C 37. M 41)
Servus foit tuus frater
et ancüla tua mater;
latro fuit tuus pater
portans tympanistria.
43 (C38. M42. W7?)
Teste Jesu valde bone
nuUam habes racione;
nunquam scisti legem pone
usque mirabilia.
43 (C 39. M 43)
Tu non fuis claricatus
nee in arte sophismatus;
nicMl verum tu probatus
per tua scolaria.
44 (C 40. M 44)
Tu ubique truantasti
et a scolis recedasti;
super equam equitasti
cum vili capistria.
45 (C 41. M 45)
E/ibaldorum tuum genus,
vanitate totus plenus.
apostolorum duodenus
voco testimonia.
46 (C 42. 31 49)
Non es talis, qualis credes.
in scarleto nunquam sedes.
sed perones super pedes
et cum nuda tibia.
1 Tu tristasti istam v. M
4 querens ibi c. M
1 per M
3 nunc priorum nee abbates M
4 reputans consilia 31
1 Servum M. M häuft den Spott:
1 tua frater, 2 tuus mater, 3 tuum
pater
4 timpan. M
M : 2 nuUum, 3 sciuis Jn W steht •
1 Audi me, tu prior bone, 2 tu es
nnum Clopione. 3 tu non nosti legem
pone 4 neque mirabilia a a a etc.
1 claricatus (vgl. 37, 2. 53, 1 : cle-
ricatus M 2 sophizatus M
3 nuUum v. M
4 per: cum M
1 truätasti = trutanasti ? ; Perubique traus-
sviastw M 3/4 semel equam ascendasti in
V. c. M; es scheint eine Schulstrafe bezeich-
net zu werden ; vgl. M in 46, 3 ; dann Str. 56.
2 vanitati totum M
3 postolorum M. d. = duodecim?
2 instar leos M 3 perones
Meyer ^ pirones C 3/4 semel equam
nudis pedis scandis in vituperia M
{vgl, 44, 3)
418
Wilhelm Meyer,
47 (C 43. M. 46)
Vestimenta tua novi.
non valebant testa ovi.
ibi solent vermes fovi.
sunt et signa alia.
48 (C 44. M 47)
Tuus lectus est caprarum
et de pellis vitularum.
ibi Stratum valde parum,
nullus pannus linea.
49 (C 45. M om.)
Tu vis velle commendasti
et super omnes iudicasti.
quare vis sie exaltasti,
cum non sumus paria?
C m. 1 : Resjjondit canon ad prioris :
50 (C 46. M 48)
Dixit canon ad priore:
Semper vadis per errore.
pone manum super ore
pro Jesu Calvaria!
51 (C 47. M 50)
Meum retro denudasti,
me cum cato sociasti
et, quod parvus sum, loquasti;
in hiis totum blasphemasti
per tua mendacia.
53 (C 48. M 51)
Ego natus sum de milis.
pater mens vir gentilis.
mater mea non est vilis,
bibens mustum in Aprilis
et in tota Maya.
58 (C 49. M 52. W 8)
Ego fui claricalis
plus quam tu vel centum talis.
ego legi Juvenalis
in scolis gramaria.
54 (C 50. M 53)
Disputavi cum philosis *
Jacobinis et nodosis
1 Vestimentum tuum M 2 testa
ovi (Eierschale) C: unum ovi M
3/4 ibi bene solent fovi vermes ac
putredia M
1 Tuum M
2 pelle M 3 stramen M; paraü
M 4 nullum pänis (darunter steht
palmis) lintya M
1 ßespondens cano priori M
2 errori M
3 ori M
4 per M
2 cato (vgl. 40,2): katho M
3 quod per vos sum C, cum parva
sim M 3 loquasti M, leuasti C 4 der
Vers fehlt in M 5 fingis per
m.
X
1 Sciunt gentes plas de mülis M
2 quod de patre sum g. II
3 mens mater n. e. v. M
4 b. vinum M
1 milis C = militibus?
1 fuit W 1 claricalis (vgl. 37, 2. 43, 1)
C: clericalis MW 2 pl. q. vobis duo t.
M ; fuit quoque monachalis W 3 legit W
4 gramalia M ; scholis in Germania a a a
etc. W
1 = philosophis? 2 Jacobinis
= Dominicanis 2 Augustinis et
Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein.
419
Augustinis Carmelosis,
sed habens victoria.
55 (C 51. M om.)
Sum de sanguine Salomonis
atque plenus racionis.
veiiter mens in sermonis
eructabit labia.
56 (C 52. M 54)
Super equam me imponis,
qni cum comes et baronis
eqnitavi equis bonis.
minquam habes talia.
57 (C 53. M 55)
Palefridis equitavi,
multos ictus sustinavi,
totum mundum decoravi
per mea milicia.
58 (C 54. M 56)
Meas caligas de burneto,
sotulares de corneto (?),
mea roba de scarleto
totnm cum silvestria (?).
59 (C 55. M 57)
Meus lectus curiale,
totum factus de sendale:
miser, nunquam habes tale,
sed de canavasia.
60 (C 56. M om.)
Sub te parum pulvis stramen
absque omni lintheamen:
nobis ita loquis tamen,
ut fuis in gloria.
61 (C 57. M om.)
Postquam ordos tu intrasti,
ciphos multos vacuasti.
nichil verum tu discasti
nisi de glotonia.
63 (C 58. M om.)
Quia tantum bibuisti,
ventrem tuum doluisti,
quod non surgere potuisti
usque dies claria.
nod. M 3 Carmelitis et monstro-
sis M 4 sed om. M
V. 3/4 sind mir unklar. Statt in
kann man ancb vi lesen. Benützt
scheint Psalm. 118, 171 eructabunt
labia mea hymnum
1 inponis M ; vgl. Str. 44, 8
2 barronis M
3 equitabam M
4 tu nunquam habens t. M
1 Parafredus M
3 totus mundus M
4 pro M
(M 56)
Meus calces de corneto (?),
meus roba de burneto,
meus toga de scarleto,
forneto (f um ita?) de varia.
1 Mea M 2 sendale (cendale
Meyer: sandale C, sindone M
3 habens M 4 d. h. canevas ;
caiiauiasia C, caiia sacia M
1 pulvis = pulvereum?
4 fuis = fuisses?
1 ordinem
3 == didicisti
4 = glutonia.
4 vgl. 102, 4 usque ad diem claria
420
Wilhelm Meyer
C ni. 1: Prior consentit canoni
68 (C 59. M 58)
Prior dixit: gratias ego
usque modo corde tego.
quod non feci, modo lego :
volo pacem facia.
64 (C 60. M 59)
Ergo tu me osculabis?
quorum fratres tu fidabis,
quod tu michi condonabis?
faciamus venia.
(2 = quoram fratribus fidem dabis)
C m, 1: Et canon priori:
65 (C 61. M 60)
Placet michi, quod tu dixi.
ego semper, quam diu vixi,
nunquam faciam tibi rixi,
sed semper concordia.
C ni. 1: Hie invicem concordant:
66 (C 62)
Tunc bibunt vinum sanguinatns,
quod sunt oculi lacrimatus,
et riserunt pre gaudiatus
et totus mutant in bordia.
(M 58)
Dixit prior ad canego :
graves corda modo tego.
male dixi, te supplebo,
ut nos pacem facia.
(M 59)
Dixit cano ad prioris :
ergo tu me osculabis?
coram fratres perdonabis
istud iracundia?
Prior tunc (?) ad cano dixit M
2 e. s. quantum uixit II
3 n. t. facem rixit H
4 concordia. Amen. Ende von M
Schon der sclüeclite Zeilenhau zeigty
daß diese Strophe ein Zusatz ist.
Amen. Explicit. Ende von C
Uebersicht der einzelnen Handschriften und Abdruck
der Strophen, welche nur in ^iner Handschrift (H oder B oder
W) enthalten sind, no bezeichnet meinen Text.
C = Cambridge, Trinity College 0 9, 38 fol. 14».
C(1234567 Canon: 8 9 10 11 12 13 Prior; 14 15 16 17
no 1 1 2 3 4 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 38
C j 18 19 Canon: 20 21 22 23 24 25 26 Prior: 27 28 29 30 31
no 1 18 19 20 22 21 23 25 27 29 30 86 31 32 34
C I 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 Canon: 46 47
no [ 37 26 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51
48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 Prior: 59 60 Canon: 61 62
52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66
no [
M = Monaceiisis 19685 (Tegemsee 1685) f. 112='
MI12 3 45 6789 Canon: 10 11 12 13 14 15 16 Prior: 17
no 1 1 2 3 4
(7»>) 5 6 7' 8
9 10 11 12 13 14 15
16
Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein.
421
M [ 18
not 17
I
no [
19 20 21 22 23 24 25 26 Canon: 27 28 29 30 31 32 33
18 19 (31 32 33 34 36 35) 20 21 22 23 24 25 26
M I 34 35 Prior: 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 Canon:
no I 27 28 29 30 38 39 40 41 42 43 44 45 47 48
48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 Prior: 58 Canon: 59 Prior: 60
50 46 51 52 54 54 56 57 58 59 63 64 65
Hll
nol 1
H = Harlejanus 913 fol.
2 3
2 3
67 (H 4)
Abbas bibit ad prioris:
date vinnm ad maioris.
possit esse de minoris,
si se habet gratia.
68 (H 5)
Estne aliquid in currino?
immo certe plenum vino.
ego tibi nunc propino
de bona concordia.
69 (H 6)
Non est bonum sie potare,
et conventus nichil dare,
quia volunt nos clamare
durum in capitula.
70 (H 7)
Surge, cito recedamus :
hostes nostros relinquamus
et currino iam parcamus.
ibimus in claustria.
71 (H 8)
Post completum redeamus
et currinum combibamus
atque simul conletamus
in talis convivia.
73 (H9)
Dixit abbas ad prioris:
tu es homo boni moris,
quia semper sanioris
micbi das consilia.
10*
1 = 4,1
vgl. 6, 2 date vinum nostris fra-
tris und 87, 2 date micbi de liquoris.
vgl. 87, 4 si babebit gratia.
Ist in der Handschrift unten an der
Seite nach Str. 71 ergänzt, doch mit
deutlichen Zeichen , wie zu stellen.
Wright hat diese Zeichen übersehen
und diese Strophe nach no 71 gedruckt.
1 = 70, 3 und 71, 2 currino ist ein
Wort heltischen Stamms = Faß.
volunt (will) clamare = claraabunt?
precamus Wright
422
Wilhelm Meyer,
73 (H 10)
Post completum rediere
et cnrriimm combibere;
potaverunt usque flere
propter potns plnrima.
74 (H 11)
Prior dixit ad abbatis:
ipsi babent vinum satis.
vultis dare paupertatis
noster potus omnia.
75 (H 12)
Quid nos spectat paupertatis ?
habet parum* babet satis,
postquam venit non vocatis
ad noster convivia.
76 (H 13)
Si nutritum esset bene,
nee ad eibus nee ad cene
venisset pro marcis dene
nisi per precaria.
77 (H 14)
Habet tantum de hie potus,
quod conventus bibit totus
et cognatus et ignotus
de egris servisia.
78 (H 15)
Abbas vomit et prioris.
vomis cadit super floris.
ego pauper stfeti foris.
et non sum (cum?) leticia.
79 (H 16)
Rumor venit ad antistis,
quod abbatis fecit istis.
totum monstrat ad ministris,
quod fecit convivia.
80 (H 17)
Hoc est meum consulatis,
quod utrumque deponatis
et prioris et abbatis
ad sua piloria.
[vgl. no 4 (und no 2, 3/4)
abbas bibit ad prioris.
prior vero totum horis.
ego pauper stabat foris
ml habens delicia.]
administris ?
c. = consilium?
Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein.
423
81 (H 18)
Per lioc erit castigatis
omnis noster subiugatis*
prior* clerus et abbatis,
ne plus potent nimia.
83 (H 19)
Absit, dicit alter clerus,
quia bibit parum merus,
quod punitur tarn severus
per noster consorcia.
83 (H 20)
Esset enim bic riotus.
quod pro stultus hornm potus
snstineret clerus totus
pudor et scandalia.
84 (H 21)
Volnnt omnes quidem iura,
quod per meum forfectura
alter nullus fert lesura,
sed pro sua vicia.
85 (H22)
Sed sie instat in privatis:
bis sex marcas det abbatis,
prior denis, et est satis,
ut non sit infamia.
86 (H 23)
Placet boc ad nos antistis:
dent ad presens nummos istis.
sed si potant, ut audistis,
nunquam habet supera.
87 (H 24)
Dixit abbas ad prioris:
date micbi de liquoris.
Status erit melioris,
si habebit gracia.
H 1 25 26 Canon: 27
no( 7 8 10
88 (H 37)
Nullum carnes commedatis
neque pisces perfruatis,
lactem quoque denegatis:
sie te facit sobria.
at Wright
1 H (liic, hec?) H; riotus = riotta?
= privilegüs?
= prior denas?
vgl 67,2
hebit H;
vgl
: 67, 4
28 29 30 31 32 Prior:
33 34 35 36
9 11
12 13 14
15 16 17 18
424
Wilhelm Meyer,
89 (H 38)
Nulluin tibi sit tabellum
neque tibi sit scabellnm;
mensa tibi sit patellum,
non Habens mappalia.
90 (H 39)
Super .terram sie sedebis
nee abinde removebis;
velis nolis sie manebis
in hee refeetoria.
91 (H 40)
Post hee dies accedatis
ad prioris et abbatis;
disciplinas assumatis;
fac flectamus genua.
93 (H41)
Sic devote prosternatis
ac deinde lacrimatis,
dorsum nudum extendatis.
caret te leticia?
93 (H 42)
Ibi palam confiteris,
quod tu male delinqueris,
et sie pardonem consequeris
in nostra capitula.
94 (H 43)
Tunc proinde tu cavebis
malum loqui; sie tacebis.
prelatores non spernebis
contra tuum regula.
ironische Frage
et del?
= prelatos?
B = Besan^on 592 fol. 9»
B I 1 2 3 4 5 6 7 Canon: 8 9 10 11 12 Prior: 13 14 15 16 17
no| 1 2
no [
2 3 4 6 7 8 10 12 13 11 14 15 29 16 19 17
18 Canon: 19 20 21 22 23 24 26 26 Prior: 27 28 29 30 31
18 20 21 22 23 24 25 27 95 31 32 33 34 35
B I 32 33 Canon: 34 Abbas 35
not 36 96 97 98
95 (B 26)
Tunc iratum est priore die Strophe ist wohl nach Str. 29
et minantes loquit ore. gemacht
Quondam fiiit factas festus, ein Gedicht in Spottlatein. 425
sed balbucum pre timore
responduit talia.
96 (B 33)
Juro dei per sanctorum,
non es dignus sociorum
nee intrare noster chorum,
cum sis puericia.
97 (ß 34)
Canon dixit irascatus:
de prioris non curatus ? = non curabo und non loquar
et cum eo non loquatus
nunc et in perpetua.
98 (ß 35)
Ad hec abbas contristatis
dixit: prior, non curatis!
non est nostre regulatis
bec et hiis similia.
W = Breslau, Univ. -Bibliothek, Collect, ad histor. Siles. IV
Q. 132*' fol. 75* (17. Jahrb.): Cantus hiulcus de abhate hono sed
jpriore inhiimano erga fratres.
2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
99 2 6 7 8 42 53 100 14 101 102
99 (W 2)
Festum erat hoc abbatis,
qui tractavit omnes gratis
dixitque ad invitatis:
laeta sint solemnia aaa etc.
Wf 1
no[ 1
100 (W 9)
Bibe frater ad priore
cessabitque a livore.
infundatur de liquore,
et erit concordia aaa etc.
101 (W 11)
Abbas erat bonus homo,
sicut succus est in pomo: sucus Peiper
bibant omnes hac in domo
haustum cum laetitia aaa etc.
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-hist. Kl. 1908. Heft 4. 30
426 Wilhelm Meyer,
102 (W 12)
Post haec omnes bibierunt
^et in vestes dormierunt,
matutinas neglexerunt
usque ad diem claria a a a etc. ad om. Peiper ; vgl. 62, 4 us-
que dies claria.
n
Das Gedicht: Sermo noster audiatis.
Der niedrige, derb - bximoristisebe Ton des bisher behandelten
Gredichtes 'Qnondam fnit factns festus' paßt trefflich zur Bildung
und zum Geschmack des 14. und des 15. Jahrhunderts. Ich wundere
mich eigentlich, daß nicht viel mehr derartige Dichtungen wieder
aufgetaucht sind als die folgende, mit der genannten eng ver-
wandte, ja ihr nachgeahmte.
In der Breslauer Universitäts-Bibliothek liegt eine Sammel-
iandschrift — IQ 466 — , welche einst Nicolaus von Kosel besaß,
der 1414 zu Czasla in den Franziskaner Orden trat. Diese Hand-
schrift, über welche Heinr. Hoffmann in seiner Monatsschrift II
S. 738 Nachricht gegeben hat, enthält böhmische, deutsche und
lateinische Lieder. Aus ihr hat Wattenbach in seiner Jugend auch
das folgende Lied abgeschrieben, und nach dieser Abschrift ist es
1861/2 zwei Male veröffentlicht worden: 1) von Feifalik in den
Wiener Sitzungsberichten 36 (1861) S. 179; 2) von H. Palm in
den Abhandlungen der schlesischen Gesellschaft für vaterländische
Cultur. phüosophisch-historische Abtheilung. 1862, Heft II S. 80.
Herr Bibliothekar Dr. Molsdorf hat gütigst für mich noch einmal
die Handschrift mit den Drucken verglichen.
Zweifellos ist dies Gedicht unter dem geistigen Einfluß des 1.
entstanden. Denn der Inhalt und die Form sind die gleichen.
Dort zanken sich Prior und Mönch um Essen und Trinken, hier
schildert ein Bettelmönch, wie sie hungern und frieren müssen
und dabei mißhandelt werden. Dort wie hier ist dieselbe Strophen-
form angewendet , je 3 gleich gereimte Achtsilber mit sinkendem
Schlüsse, denen ein Siebensilber mit steigendem Schlüsse folgt, der
in allen Strophen ebenfalls mit ia schließt. Das Spottlatein ist
das gleiche; die Deklinations- und Conjugations-Endungen und die
Casus werden hier mit dem gleichen Hohne vertauscht wie dort.
Auffallende Germanismen finde ich hier nicht; das Stück kann
Quondam fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein.
427
also aucli von einem Bökmen oder Polen fabrizirt sein. Ich gebe
in der 2. Spalte eine Umschrift, wie der Verfasser wohl ge-
schrieben hätte, wenn er nicht eben Spottlatein hätte schreiben
wollen.
Der Versbau ist ziemlich zerrüttet, ob durch die Schuld des
Verfassers oder die der Abschreiber, ist schwer zu sagen. Statt
8 Silben mit sinkendem Schlüsse haben: V. 67 zehn Silben; V. 19
30 50 53 54 (all diese fangen mit et an) und V. 26 und 58 haben
9 Silben; V. 23 46 und 66 haben nur 7 Silben und V. 73 gar nur
6 Silben. Anderseits haben die Verse 64 und 72 statt 7 Silben
deren 8. Durch ein 4silbiges Wort oder eine 4silbige Wort-
gruppe ist der Schluß des Achtsilbers stets gebildet: nur nicht in
58 laicus se magis irabit und nicht in 70 estis qui nostrum fau-
torum. Von den 20 Siebensilbern haben 7 Taktwechsel, wie'
V. 28 quod dentes concucia, 32 iratus familia. Hiate fand ich
8, also ziemlich wenige. Auch der zweisilbige Reim ist stets
rein; nur in V. 27 reimt frigus auf icus.
Sermo noster audiatis.
quid petimus, faciatis,
quod vos deus assumatis
4 ad celestem curia.
Sermonem nostrum audiatis!
quod petimus, faciatis,
ut vos deus assumat
ad celestem curiam!
Quando erit in adventus,
noster male stat conventus.
nichil habet comcdentus,
8 sed habet miseria.
Quando erit in adventu,
noster male stat conventus,
nicJiil habet comedendum,
sed habet miseriam.
Quidam iacet in fornacis
— sed hoc loquit salva pacis
totum nudus, sine bracis,
12 quod est mirabilia.
4
nie iacet paradisum
et ad fornax habet visum.
si videres, esset risum;
16 non sunt lectistemia.
Quidam iacet in fornace
— sed hoc loquor salva pace
totus nudus, sine bracis,
qiiod est mirabile.
nie iacet paradisum (?)
et ad fornacem habet visum.
si videres, esset risus;
non sunt lectistemia.
4 curiam C cod.
30=
428
Wilhelm Meyer,
Dum pro panis vadit edes,
omnis habet nudos pedes,
et se ad lapis multum ledes,
20 quod erit flebilia.
6
Et si ultra succursabit,
canis ipsum momordabit.
laicus nichil non dabit.
24 0 magna tristicia!
7
Quando exit super vicus,
nullum videt suum amicus.
ipsum mordit magnum frigus,
28 quod dentes concucia.
Dum pro pane vitdit ad aedeSy
omnis Imbet nudos pedes
et se ad lapides midtmn laedit;
quod erit flehile.
Et si idtra airret,
canis ipsum mordebit.
laicus nichil dahit.
0 magna tristicia!
Quando exit per vicos,
nullum videt suum amicum,
ipsum mordet magnum frigus,
ut dentes concutiat.
Et si stubam quis intrabit
et se ad fornax calidabit,
ipsum extra pepulabit
32 iratus familia.
9
Nolo furem. quod hie stabis?
quod tu nobis nil furabis!
vel ego te verberabis
36 usque ad sanguinea.
10
Et sie exit confundatus.
sibi pauper nil non datus.
canis currit cum latratus,
40 quando vadit hostia.
11
Si se unus infirmabit,
alter eum consolabit,
super eum mendicabit
44 panis et cervisia.
12
Bone frater, cum te stabo.
quid non vis, tibi dabo,
si vis panis, aportabo
48 et aquam de flu via.
Et si stubam quis intrabit
et se ad fornacem calidabit,
ipsum extra pulsabit
irata familia.
Nolo furem! quid hie stas?
ne nobis quid fureris!
vel ego te verberaho
usque ad sanguinem.
Et sie exit confusus.
ei pauperi nihil datur.
canis currit cum latratu,
quando vadit ad ostia,
Si quis inßrmatur,
alter eum consolatur,
pro eo mendicabit
panem et cerevisiam.
Bone frater, tecum staho
quidvis tiln dabo,
si vis panem, apportabo
et aquam de fluvio.
24 nil non Cod; sibi non Palm; vgl. V. 38 46 quid modo vis? 48 flu-
mine Cod., fluvia Palm-, vgl. Quondam fuit (S. 414) 19, 4 de fons et de fluvia.
Quondara fuit factus festus, ein Gedicht in Spottlatein.
429
13
Quando simul sedent isti
et non habent quid comedisti,
magni cantant, parvi tristi
52 flent propter esuria.
14
Et quando magnum est scolare
et vadit inter populäre,
ipsum omnes inclamare:
56 tu es partecaria.
15
Et si parum respondabit,
laycus se magis irabit;
tale verbum sibi dabit:
60 vadis ad discolia.
16
Sanete deus trinitatis,
tu scis omnis cogitatis.
nos nil eis faciatis,
64 tarnen nos semper odia.
17
Hoc credere potuetis.
nam semper extra metis
posuerunt nostrum habitetis
68 extra cimiteria.
18
Sed vos boni dominorum,
estis que nostrum fautorum,
ad vos mittit clericorum
72 rogando vestra gratia.
19
Quid vos nobis datis,
quod libenter comedatis,
et, si datis de hoc satis,
76 erimus leticia.
20
lam volumus appendare
nostrum magnum sigillare,
ut vos nobis boc credare,
80 quod non est fallacia.
56 Palm: partecarius ein Bettler
particula); Schmeller I 406: Gaben,
'ich hab mir viel Partecken ersungen'.
Quando una sedent isti
et non habent, cßiid comedant:
magni clamant, parvi tristes (?)
flent propter esuriem.
Et quando magnus Scolaris
vadit inter popidum,
ipsum omnes indamant:
tu es partecarius.
Et si paulum respondehit,
laicus magis irascetur;
tale verbum ei dabit:
vadis ad dyscoliam (?).
Sanctae deus trinitatis,
tu scis omnes cogitatus.
nos nil eis facimus;
tarnen nos semper oderunt.
Hoc credere potestis.
nam semper extra metas
posuerunt nostras Jiabitationes
extra (iuxta?) cimiteria,
Sed vos boni domini,
estis qui nostri fautoreSj
ad vos mittunt clerici
rogantes vestram gratiam.
Aliquid vos nobis date,
quod libenter comedamus,
et, si datis de hoc satis,
erimus in leticia»
lam volumus appendere
nostrum magnum sigillum,
ut vos nobis credatis,
quod hoc non est fallacia.
um ein Stückchen Brot (partyka polnisch
Almosen in Geld u. Speisen. Hans Sachs
60 morositatem ? 73 Quid nos nobis Cod.
Weitere Beiträge zu Menander.
Von
Friedrich Leo.
Vorgelegt am 19. August 1908.
A. Körte hat soeben in den Berichten der K. Sächsischen
Gesellschaft der Wissenschaften (phü.-hist. Kl. LX S. 87 ff.) die
Ergebnisse seiner Nachprüfung des Menanderbnches von Aphro-
ditopolis veröffentlicht. Man erfährt daraus vor allem, daß Le-
febvres Lesung im allgemeinen zuverlässig, der Text des Papyrus
also wirklich, und zwar besonders iq den Tetrameterscenen, sehr
corrupt ist. Vieles neue hat Körte hinzufügen, vielfach die Grund-
lage der Herstellung breiter und sicherer geben können. Ich be-
handle hier einige Stellen, an denen ich meine weiter gekommen
zu sein; hoffentlich werden sich diese Versuche bei der nächsten
Prüfung des Papyrus nützlich erweisen.
Ich beginne wie Körte mit der UeQixsiQo^evri. Der Aktschluß,
der den Anfang des bei Lefebvre hinter die Za^ia geratenen
Fragments bildet, kommt jetzt richtig heraus. Daos hat gesagt
V. 345 (75) ') 6 xQotfinois ^rjtr]Tsog. Dann hat Körte gelesen (S. 94)
die Versanfänge 346 (76) . . sqytog, wozu er bemerkt, daß der Buch-
stabenrest vor s von x, X, d, Xi aber nicht von y herrühren kann,
daß vor s zwei, höchstens drei Buchstaben fehlen, daß ays mit
dem Raum, aber nicht mit den Buchstabenspuren vereinbar wäre;
und 347 (77) svxulqov. Es ergibt sich, daß jemand aus dem Hause
oder die herangekommene Herrin dem Daos zuruft:
eXje ovTog avthv r\riv ta]xC6tt]v,
1) Ich citire nach Lefebvre und füge van Leeuwens Zahlen, wo sie ab-
weichen, in Klammern bei.
Friedrich Leo, Weitere Beiträge zu Menander. 431
«fang du ihn so scliaell da kannst', und daß Daos mit den Worten
abgeht :
svd'dds
svxaiQOV sivuL (paiv8^\ cjg^i^ol öoKst.
ivd'dds bedeutet also 'hier, wie die Dinge liegen' und ist in der
Handschrift richtig seiner Person zugeteilt.
V. 356 (85): Moschion will trotz der gnten Botschaft ver-
zweifeln :
rig s6oii[at, tCg;] ßCos] iiaXi^d'^ [o n,
Jas, XGiV TCdvtCJV CCQSÖKSi 6[oL y8^] B7tCßks(p\ v[7Csq)vy6v. ^)
ccQa ro (ivXcod-QSLv Kgatiötov]
Dies ist nur ein Versuch, von sicißlscp ausgehend, das Lefebvre
und Körte gelesen haben. Daos darauf :
£tg . . A . . .
ovto(5\ cpSQOiisvoq ri[i . . ^ridsy .... ^vy ....
Er spricht beiseit:
SL3 [ro] l[riQSlv (paCvBxai
curoöl (pBQOiievog i^«'[t^'*] iirjdsv [ovv 6]^vv[rsog.
Mit der Partie 362—374 (91—103), von der Körte S. 97 unter
allem Vorbehalt eine Abschrift gibt, ist noch nichts zu machen;
363 SKÖoCrig, 367 slt s^s ravt, 369 toiag, 370 stQ^^vr} geht alles so
nicht. Zu emendiren ist 370 (99) itp^ olg sXqyiks xovtoug (so schon
Eermes XLIII 147 A.). Vielleicht 372 (101):
rccvta ^Bvtoi qp[ry](?^V svxd-co \%a\8\s ysvBöd'ai, 0v^q)OQcc^),
das letzte nach Ua^. 264 aXlä tarn eviov ysvsöd'ai ^v^cpsgovra.
V. 382 glaubt Körte etwa TCEQißaXovd' s . . . qccös zu erkennen;
vielleicht STteöJca^s (Plat. Krat. 420* STtiöTta acpodga triv iljvx'tjv).
V. 389 (118)iF. stellen sich bei Körte folgendermaßen dar:
TtSQt^svsiv doKOvöC ^oC [(?]£ : Kai Ttokqv^ö —
ovK st^' DCYjdrjg . ntaiö av\t\alg \ovv\ itaQOvta ^ svd'äds.
ay]6 ds vvv rofc[o]t>ro Xiy^ £'A['9']öv : !ßg bgag, ävaöXQBcpcß.
Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß in den beiden ersten
Versen zwei leichte Schreibfehler zu corrigiren und sonst alles in
Ordnung ist, nur daß ovx vom Ende des Verses in den Anfang
des nächsten gezogen worden (so Robert, dergleichen ist öfter
geschehen):
M. Kai 7CoO'ov/i£[0'' • ^ yccg] ovjc'
e^^tt' ccYiÖYig . [eJ^TCa^ avratg [xal] jtaQÖvta ^ ^v^dds]
1) Körtes Xesung: Jas t&v Ttdvrcov agsatiSL g . . . . inißlscp. y Unter der
Yoraussetzung, daß mit y die Zeile wirklicli zu Ende ist, finde ich nichts.
2) GYXOCa.A Körte.
432 Friedrich Leo,
V. 383 (112) stellt ovx aridrig, gjq ^'ot[x£]i/, at'ft' iöstv ovo' svt[vx£t]v
in der Handschrift. V. 399 (128) berichtet Daos: ag yäg eld-cav
elyca Jtgbg rijv (iritSQcc, Zti ndcgsL u. s. w. Die Participialconstruc-
tion ist bekannt aus Homer und der Tragödie ^) ; in der Komödie:
Eubnlos frg. 120 K. Ix^vv Ö* "OiariQog se&iovt^ eiQrjxe itov xiva tcbv
l4xcci'G)V ; ^)
Die Verse 404—411 (133-140), deren Abschrift Körte S. 101
gibt, klären sich auf; Moschion schwankt wieder zwischen Ver-
1) Z. B. Soph. El. 676 d-ccrovr 'Ogiatriv vvv ts yial ndXai Xsyco, Oed. C.
1580 Xs^ag OlSCnovv 6X(oX6xa, vgl. Plat. Gorg. 48 i^^.
2) In V. 391 (120) schreibt Körte wohl richtig xovtC für roLovto. Er be-
merkt dazu: 'an dem Daktylus würde ich keinen Anstoß nehmen, denn V. 42 i
tcoqvlSlov tQiGcid'Xiov zeigt, daß Menander ihn ebenso gut wie Epicharm und
Aristophanes (vgl. Wilamowitz, Isyllos S. 8) im Tetrameter gelegentlich zugelassen
hat.' Es ist ein Irrtum, daß die von Wilamowitz angeführten Trochäen die Zu-
lässigkeit eines 'Daktylus', wie es der in xoiovxo X«'y' ^X&mv ist, beweisen. Epi-
charm hat hierfür etwas zu bedeuten, wenn es sich um Aristophanes, aber nicht
(wie man aus der ersten Leetüre Menanders lernt), wenn es sich um Menander
handelt. Aristophanes hat in trochäischen Systemen drifioeicc und öslvoxsqov und
(wenn das richtig ist, woran ich wie andre aus Gründen des Inhalts zweifle) in
einem Tetrameter xrjv ytetpaX'qv, ein choriambisches Wort wie jene und wie Me-
nanders noQvCdiov. der Gebrauch ist also genau derselbe und aus denselben
Gründen wie der von *Avxiy6vri im tragischen Trimeter. Es gibt aber noch zwei
Tetrameter bei Aristophanes: Eq. 319 vi] dia %a^\ xovx'' tögccas xavxov^ wo vi]
dla nur im Ravennas steht, also nicht einmal überliefert ist (xal vi\ Ji'a im
Venetus und sonst, da nämlich der Vers mit xat anfing), und Thesm. 1156, wo
den Glauben an ölcc xbv ysXcov zu verlangen eine ziemlich starke Zumutung ist.
Porson hat beide Verse emendirt; wenn beide mit dem 'Daktylus' richtig sein
sollten, so hätte sich Aristophanes noch gelegentlich etwas gestattet wie Euripides,
wenn er IlvXcidrig mit dem Versictus auf der letzten ins Innere des Trimeters setzte.
Einen 'Daktylus' aber wie ihn Körte in xoiovxo Xey iXd-mVj in cprifiL ys ^-^ (S. 101),
in vaxsQOv ^^dyysXXe (S. 125), in TtoXXa. ys' vvv y^iv (S. 131, dies im Trimeter)
für möglich hält, gibt es bei Menander nur in Corruptelen und falschen Conjec-
turen. Ebenso ist es mit dem Trimeter, obgleich bei Aristophanes die ein oder
zwei kurzen Endsilben in der zweiten und vierten Senkung legitim sind. Menander
hat das entweder aufgegeben oder aufs äußerste beschränkt, wie ich schon Nachr.
1907 S. 318 bemerkt habe. Die überlieferten Fälle (außer den dort besprochenen)
sind frg. 462, 3 (wo nicht olov xa rrjötcorixa xuvxl ^bvvöqlu bei Athenaeus steht,
sondern xu [i^v vria.y und nicht xcc vriaiaxiTici, sondern xä (ilv vr\Gaicc zu schreiben
ist), 474,2 (wo der metrische Fehler doppelt ist), 481,11 (wo ngiöxog &jtfXd"^g
nur Variante ist), 498, 2 [vagna xig hXov xb degfia, Dobree stellt aus sprachlichem
Grunde um), 584, 10 (mit Elision, Meineke nimmt am Ausdruck Anstoß), 544, 4
(<Taxx^l' statt ffax/'oi'), 710,2 {ng&xov iniav.inxovy Meineke TTpcota), 849 (corrupt).
— Der Trimeter der Komödie ist nicht der archilocliische, sondern der volks-
tümliche. Epicharms Trimeter steht Archilochos näher als der der attischen
Komödie (Sieckmann de com. att. primordiis S. 21 f.); der Tetrameter des Ari-
stophanes steht Archilochos näher als der Epicharms. Wie weit sich der Trimeter
Weitere Beiträge zu Menander. 433
zweiflung und Selbsttäuschung, dann zieht er Dans zur Rechen-
schaft. Dieser hat gemeldet, daß die Mutter ihn fortgeschickt hat :
ßccdi^s, Ttacdiov
SKTtoöav. [M. cckrjd^sg ; rjöri] itdvx^ a\y\YiQ7ta0z'' sk ^s6ov. ^)
ovx £ft'] a'^' o['t'J'9-[£];/, Ttagövra ö' iqdi[iC8L,] ^aönyia.^) 405
tovto cpTJJöcxi ^ol; yeloLOv. J. rj ^sv ovv ^njtrjQ — M tl qpr^g;
TOdf 7t07}6^ cc]7cov6ai' aVT[7]V (pr]]6L TtQDCy^ ^ ov% svsx^ i^ov ] ^)
6v ÖS TÖO-', G}]g ^8Jt£Lxag ild^slv JtQÖg ^\ A. iyh d' slgriKci 6oi
wg 7t£7C£i]x' sXd'stv ixsCvfjV] uä xbv ^^itöllco, ^yo) ^hv ov. *)
M. 7toXXaxo]v do[Kstg 6]og)[G)]g ^oi) %oXv 'Kaxail)sv8e6[^' ayav. ^) 410
og ys xal rrjv ^rirsQ^ ccvrb'jg ravra öv^7Cs[7tSiX£]vai^)
aQTicog scprjöd'a, tavtrjv svd^dö^ vitod'S^aöd'^ i^ov
£V£xa. z/. rovO"', ogag^ scpriv ; vai, ^vtj^ovsvcj.
V. 406 habe ich ysXotov dem Mosehion gegeben, das scheint mir
notwendig. Moschion bezieht sich auf Daos' Versicherung V. 354
(83) xal 7t8JC£ix^ avTTjv ^ev sXd-stv ösvq^ dvaXdyöag Xöyovg avQiovg,
tYjv 6riv ÖS ^YjrsQ^ ditodeieöd-ai xal Ttoslv Ttdvd-' ä 60i doKst (Körtes
Lesung S. 95). 411 der Plural ravta, weil im folgenden das s^ov
£V£7ca vom vjtodE^aöd'ciL ausdrücklich gesondert wird (413 xal öoksIv
eveyC i^ov Ool tovto Tcgdttsiv]).
V. 418 (147) ff. hat Körte gelesen:
tvxbv l'öcog ov ßovlstm
II ... . d[6a\i ö' f'l [£\7ti8Qo^fig tavd-\ ^tg stvxsv, dkl'' d^iol
%[Q6teQov'\ sidsvat 6\ dxov6a[i] xd Tcagd öov t[e\ ^) vyi /iCa.
Menanders von dem des Aristophanes entfernt hat, bedarf genauer Untersuchung;
von dem leichter zu übersehenden Tetrameter Menanders ist es klar, daß er eine
Strenge der Form ausgebildet zeigt, die Aristophanes noch fremd ist. Besonders
tritt dies in der Anwendung der Diärese hervor, vgl. Nachr. 1907 S. 336 und
unten S. 440 A. 1.
1) Körtes Abschrift:
• KnOAöN XNANT' A . HPnACT' eKMGCOY
iivriqnaGx ergänzt Körte, d-ituvta wäre metrisch nicht gut.
2) . . . O . APO C . NnAPONTAC HAI • • • MACTiriA:
Das 0 ist in der Note angegeben, 'was auf [(y]qp[o]^()o['y]g führen würde'. Ich
finde überhaupt keine Möglichkeit mit AP zu ergänzen.
3) V. 406 fehlen zu Anfang nach Körte nur 6, V. 407 nur 7 Buchstaben.
4) Ergänzt von Körte.
5) YAO .... 00 . eMOYnOAYKATAYeYAGC
Robert hat (nach Lefebvre) ergänzt: \tioXv xaroc '\ps\v8i)[ß 6\o(p{o? av,] noXv -naxd
tpsvdog [XeysLv]. Sudhaus Rhein. Mus. LXIII 288 hat doyiSLg.
6) Zu Anfang fehlen nach Körte nur 17 Buchstaben. Die Ergänzung etwa
wie Sudhaus S. 288.
7) y[£] die Handschrift.
434 Friedrich Leo,
Zu ergänzen ist offenbar u[ot cpQJdöaLi sie will nicht, daß du micli
zum Boten und Vermittler machst, du sollst von ihr hören (ra
arap' avTf}g) und sie von dir. Die Ausdrucksweise ist in ähnlicher
Art concis wie Za^. 20. Das Folgende gibt Körte so :
ov yaQ ojg avkJYizQtg ovö^ ag TtOQvCöiov rgiödd^Xiov
de^etat. M. d-sXs]ig keysiv fiot, z/af, xC iidliv ; z/. öokl ....
. . . . ot . . [60t]Cv, oiyiaL * xaxaXü^oncev OLxCav,
Ol) q)kvccQ[G), TÖv t'] iQaoztjv. st 6v TQslg i] XBXxaQag
)]^]BQag ßo . Xel, TtQoöi^ai ooC xig' dvexoLVOvio ^loi 425
tou]t • axovöuL yaQ E[^h djst vvv. M. tiov 7isdt]6ag xaxa[k]L7t[cjv,
z/]a£, nsQLTcaxety [7toe]ig ^le itSQiTilax^ov noXvv xuva]
Die Rede des Daos hat, wie es zwischen diesen beiden zu gehen
pflegt, auf Moschion Eindruck gemacht ; das liegt in seinen Worten
V. 422 (151): nicht fragend, sondern (mit Sudhaus und Robert)
öoxelg ksyecv ^oi z/a£ xi TtdXiv. Daos benutzt den Vorteil und
fordert ihn zu weiterer Ueberlegung auf: doxt^aöov a)ö\ ÖTtoiöv
iöxiv. Der folgende Gredanke muß sein : 'sie hat doch gewiß nicht
ohne Grund Haus und Liebhaber verlassen' ; das ganz notwendige
'nicht ohne Grund' muß in ov (plvag — liegen: ov (plvagovöa oder
(pXvdQcp (wie öTtovörj u. dgl.). Daraus folgt : 'laß ihr Zeit, wenn du
sie drei oder vier Tage in Ruhe läßest, wird sie dir gehören'.
Zu ßg . Xsl bemerkt Körte, daß für B auch 0, für O auch A ge-
lesen werden kann und daß vor dem X ein oder zwei Buchstaben
fehlen. Hiernach darf man nicht an Tcavöei oder cpsv^ei ^), das den
Gedanken einfach ausdrücken würde, sondern ernstlich nur an
ßovXsL denken. Glykerion xaxaXiXoiTCs xijv oixCav xal xov bqdl0X)]v^
'wenn du nur drei oder vier Tage lang dasselbe tun willst — ':
zu ßovXei muß verstanden werden xaxaXsiitsiv xrjv oixCav xal xi^v
eQCD^evriv. Es ist mir sehr wahrscheinlich, daß Menander das ge-
wollt hat; natürlich unterstützt das rid^og den Ausdruck, das
zögernde Sprechen des Daos, der einen Wutausbruch fürchtet.
Daß der Gedanke kein andrer war, zeigt das Folgende klärlich.
Zunächst lügt Daos: 'sie vertraute es mir selber an', bisher hat
er das verschwiegen, 'jetzt mußt du es wissen' (nicht 'ich'): dxov-
fsai ydg 0[e d]st vvv. Dann bricht Moschion in Klagen aus : tcov
jiedr]6ag xaxaXCitG)] 'wo soll ich sie festbinden, ehe ich sie verlasse?*
d. h. wer gibt mir Sicherheit, daß sie nicht während der Zeit
davongeht? 'es ist ein langes Herumwandem, auf das du mich
1) Oder atB7.Bt mit Sudhaus Rhein. Mus. LXIII 286. Mit seiner und Roberts
Auffassung der Stelle treffe ich zusammen.
Weitere Beiträge zu Menander. 435
schickst'. Die Situation ist ähnlich wie im Ennuchus : 181 ego
impetrare nequeo hoc ahs te, hiäuoDi saltcm nt concedas solnni, 187
riis ibo, ibi Jwc me maceraho hiduom, der TtsQiTtarcbv 629 ff. Das
G-anze also:
ov yäg ag avXrjtQlg ovd^ cjg Ttogviöiov tgtödd-Xiov
rjkd's. M. vvv dox£\tg Xeyeiv f*ot Jäb n itdliv. J. 8o7ii\ßc(,i5ov
G}8\ bit^ollov s6t]Lv ' ot^iaL, TcaraXekocTCsv ol%iav
ov q)XvdQ[a} xov t'] SQaöTrjv ' sl 6v rgslg iq tszraQag
il^BQag ßovlsi, TCQOöst^st öoC xig. dvsxoivovrö iioi 425
TO-ör' • ccnovöai ydg 6[8 8\8l vvv. M. itov jcsdr^öag ^atakiTCco,
z/a£ ; TtsQLTCccTslv Ttostg iie TtSQiTcatov Ttokvv tiva.
Moschion läßt sich überreden, ruhig ins Haus zu gehn und sich
zu verhalten wie er nachher in seinem Monolog erscheint, mit der
Absicht, sich auf einige Tage wieder zu entfernen. ^) Dann kommt
aber Polemon mit seiner Belagerung dazwischen.
Wichtig ist, nachdem Sudhaus, van Leeuwen (in der 2. Auf-
lage) und Robert den Polemon aus seiner ersten großen Scene
(447 ff.) gestrichen und Sosias dafür eingetauscht haben, daß Körte
(S. 105) am Rande von V. 453 (183) IIO erkannt hat, wo Polemon
an Myrrhines Tür klopft. Der Anfang der sehr schlecht erhaltenen
Scene (Körte S. 106) läßt sich herstellen. Körte gibt Folgendes:
ocvd^QcoTts xaxööat^ov, rC ßovXsi ; tC yccg €[x^]tg ',
svTsvdsv sig rvxöv dXlä xC . . oXov . ig^) 455
d7tovev6i]öd'£ Ttgbg d'sl&v] . . . s(.isß
s%Siv yvvalxa Ttgbg ß[ia]v x . xvg .
xoXiiäxe %axaKX£i6avx\e\g : Gig xi . .
STiLövxocpavxElg o6x[i]g [s]l 6v tco .
.»)
')
V. 455 gehört offenbar noch dem Oeffnenden. Der Apostroph nach
l wird, wie ihn Körte als zweifelhaft bezeichnet, eine Täuschung
1) Moschions Frage V. 430 ccösl] auf die Daos antwortet yiccl ^dXcc,
bedarf noch der Ergänzung, icpodt ov% bqag fi £%ovxa geht doch wohl auf die
gemeinsame Keise (Körte hat gelesen '^%biv tb, wenn mit Recht, so würden sowohl
der Infinitiv als der Artikel in der Diärese Corruptel beweisen).
2) Der Apostroph nach X zweifelhaft, statt v auch ql oder gri möglich
(Körte).
3) 'Am Schluß des Verses ist /x nicht ganz sicher und statt ß auch q mög-
lich' (Körte).
4) 'Der letzte Buchstabe ist o oder g' (Körte).
436 Friedrich Leo,
sein, denn als INTomen bietet sich [ötJoAov und als Verbum [a]r()[£r£ ').
Am Schluß von V. 456 erscheint so deutlich eX?.sß[oQ]t — ^) und
paßt so gut in den Zusammenhang, daß darauf nicht zu verzichten
* ist, obgleich der Vers eine Pluralform nicht verträgt; man muß
also : hinter dscbv ansetzen. Die Ergänzung von 457 ergibt sich
ohne weiteres, die von 458 wenigstens dem Sinne nach {re%vG)iLBvou
ist für den angegebenen Raum zu lang) ^). Ich lese also :
z/. avd^QcoTce xaxodai^ovj %i ßovlsi ; rt yäg £%si$ ;
ivrev%^ev eig xv^öv aXXa xC \px\6Xov [a]l'(>[£T£] ;
M. a7iovhv6r[Q%E icgog d^e&v ; z/. [i)] 8Xksß[oQ]i[ag] ; ^)
M. s%eLv yvvalxa TCQog ßCav x\o\)\ kvq\Cov\
xoX^axs xaxaxXsLOavxeg ; z/. mg xC \xB%VG}iiBvoi ;
imövxocpccvxslg, oöxtg sl 6v, n6[Qi(pavG)g.
V. 472 (201) vielleicht:
&07C6Q %aQ^ riiilv ovöav si oc[Qi]v6Lg Tcdkai.^)
V. 485 (214) hat die Handschrift
. ... ITC oliB^^" ov xb hbX^^l b<5x\ ivd^ccÖB.
Wenn der Raum für ob xaxBX]L7C oder b^^ oltibV^itC nicht ausreicht,
so ist das V bX\i%(bv) mit der z. B. V. 388 (117) und 'Etiixq. 280
erscheinenden unrichtigen Apostrophirung (vgl. Körte S. 110).
In der Ila\iia wird zuerst die übel zugerichtete Stelle V. 101 ff.
durch die neue Lesung gefördert.^) Aus Körtes Angaben geht
folgendes hervor:
{[^'jötd' anqiß&^g jcdv]xa Ttal jib — — fia[L
oxL MoexCcüvdg [ieiiv^] ort övvoiad-a 6v
1) Es ist kaum anders möglich, als daß auf q noch einige Buchstaben
folgten. aroXov algsiv ist aus der Tragödie bekannt; dergleichen hat sich nun
viel bei Menander gefunden. Daß Polemou nicht allein kommt, zeigt sowohl diese
Scene (von 447 an) als der (von Körte S. 109 nicht richtig aufgefaßte) Schluß
von 478 an.
2) M und AA sind in der Handschrift oifenbar leicht zu verwechseln,
8. z. B. Körte S. 97 zu V. 362.
3) Antiph. frg. 5 K. (hg St} av xC noiHv Swccfisvog;
4) schol. Ar. Vesp. 1489 in xov iXltßogov xai ilXsßogiäv, r6 iXXeßogov
Siiod^ai, tag KctXXCag (pr\GCv. Meineke II p. 742. Kv.FfjQag 2 icXV 7] nagatpQOvstg \
5) V. 465 (194) ist mit naidagiav oder 716Xtccq£(ov in der Handschrift corrupt.
6) V. 70. 71 sind in van Leeuwens Fassung (71 nach Crönert) gut; Körtes
ngbg ^B&v ist wie V. 93 itgbg tfig *EaxCug gegen den Gebrauch der Formel. V. 90
ist dii vüv nagafit'vsiv nicht annehmbar. V. 109 ist nicht ^ Xiye das Wort, auf
das Daos änoXfoXa rufend davonläuft, sondern ijdri ye.
Weitere Beiträge zu Menander. 437
7C . . caö^ t.L vvv avtrj tgscpsi : ^)
. . (.) SCpi] (.) OCJIX^ CCTtÖKQiVai tOVXO ftOi *
^(^[i'og] iötCv ; : s a xaXlu Xavd-avsiv.^) 105
Parmenon sagt V. 306 röv evdov a^oXöyijxs xovxo tig, das kann
er wohl aus den Worten des Alten gefolgert haben, aber wahr-
scheinlicher ist, daß dieser es vorgegeben hat ; also xal jts[(pQa6r
i]^oC. In der Handschrift stehen o und a einander in der Form
sehr nahe, sie werden beständig verwechselt. Was in V. 103
stand, entspricht wahrscheinlich den Worten Parmenons Y. 304
ro TtaiddQiov el6f\X%'8v eug triv olKiav f^v rj^stSQav yjvsyTi' ixelvos,
ovx iy6. Die Ergänzung ist hier wie im folgenden unsicher, aber
alles fügt sich nun doch besser zusammen:
^. syayid^ ccTcgißag itdvra Kai 7i^q)Qa6T' f'Jftot,
ort Mo6%iG3v6g iönv, ort ßvvoiöd-a öv,
7i[G>g] di6x[oiiiöd'ri, diä 't\i vvv avxr\ xgscpSL.
n. [xig] scprj [xdd^ ; J. ovdsCg^ ä]Xl^ aito'HQivai xovxo ^loi '
xCvog B6xCv ; II. £\y rdd' otd]a, xdXXa Xav%'dvsiv. 105
Zu 104 vgl. 157 xC Tcoovöav ; Ovdsv, dXX' sxstg xb %aidCov.
V. 159 hat seine Lösung gefunden:
X. oxi tovt' dvsiX6^7]v, dtä xovxo] xal — ^/. xi xa^]
diä xovxo.
Nur muß wohl das erste diä xovxo auch Antwort des Demeas sein :
X. ort xom dv£tX6^rjv; A. diä xovxo. X. xaC — z/. xC xaC]
öiä rovro.
Er wendet an was er sich V. 139 vorgenommen hat: sxeig ös
jtQOcpaöiVj oxi xb Ttatdiov dvsiXsx^ * i^cpaviörjg yäQ äXXo ^rids ev.
Terenz hat eine ähnliche Stelle Menanders so übersetzt (Eun. 184):
T. jjrofedo non plus h'idiiom aut — P. aut nil moror.
V. 166 f.:
f'Z^t]? T^ä öccvxfjg Tidvxa' TtQoöxC^rnii 6oi
.... d'^agaTtaCvag^ XQVöC ' £K xfjg oixiag
CCTtid^i. '
Vor d- fehlen nach Körte nur 4 oder gar 3 Buchstaben, aber die
Ergänzung vlöv ist nach jtQoöxid-rj^i nicht richtig. Die jcdvtcc sind
das Kind (172 vibv TCSTtorjKag, Ttdvx £%£ig) und das Kleid, das sie
anhat (162 f.); er gibt ihr dazu die alte Dienerin (157 s%sig ro
1) 'Am Anfang könnte man lesen 'jt\aX'\cci qv,, aber auch anderes, z. B.
7i[aL]dLqv ist mit den Resten vereinbar'. Körte.
2) 'ri[vog] scheint mir möglich'; der Buchstabe vor rccUcc 'sieht wie ein o
oder allenfalls cc aus'. Körte.
438 Friedrich Leo,
Tcaidiov, rrjv yQavv), die auch V. 87 als ihre Helferin erscheint;
natürlich nicht die alte Amme des Moschion (16 ff.), denn wie
sollte Demeas die Freigelassene verschenken dürfen, nnd wie sie
aus dem Hause jagen, ohne den Zuschauern ein Wort davon zu
sagen? Zu ergänzen ist wohl: [tadC' ^]sQa7taivagj xQvöCa.
V. 211 stürzt Nikeratos aus seinem Hause: zJt]^ea, öwiötaxai
ijc' i^8 xal TtdvösLva Ttotsl TtQayi.iad'' t] XgvöCg : sie wiegelt die Frauen
auf und hält das Kind fest, 215:
ov %Q0i\ße6^ai xa (pr]6Lv, (oörs ^lij d'av^a^^ iäv
avx6%eiQ avtf}g yivcoiiai . J. tTjg yvvaiKog avxoiBLQ ;
N. Ttdvxa yäg 6vvoidev avxiq.
Daß das nicht richtig ist, hat van Leeuwen gesehen, der rijg yv-
vaixog noch zu den Worten des Nikeratos zieht und avxri für
Lefebvres ohne Zweifel unrichtiges avxi] setzt. Der Anstoß liegt
darin, daß Mkeratos sagt, er wolle die Chrysis ermorden, und
Demeas darauf: 'du willst deine Frau ermorden?', denn nur das
kann xfig yvvccLKÖg bedeuten (235 xi}v yvvalK' äito'KxevG) ei6i6v).
avxfjg xfig ywaiKog mit Bezug auf Chrysis läßt sich aber nicht
verbinden; und övvoidsv verlangt eine deutlichere Beziehung. Es
ist ZQ lesen:
&ÖXS ßij d-av^a^^ eäv
aifXÖxsiQ avxfjg yivG)nai xTjg yvvatxög (r'). z/. avxöxsi'Q',
N. Ttdvxa yäg övvoidev avxfj.
Nun kommt Chrysis mit dem Kinde; nach Demeas' erstem 6l6c3
xQSxe (224) bleibt sie noch auf der Bühne, da Nikeratos sie ver-
folgend ihr den Weg verlegt. Demeas stellt sich zwischen beide;
Nikeratos (226): zfrj^ea, ixTtodhv äjtsX^s. Demeas (229) dXXä xvnxr^-
öeig IIB] Nikeratos (wie Körte van Leeuwens Conjectur bestätigt
gefunden hat): ayoys. Darum schlägt aber Nikeratos nicht zu, es
kommt überhaupt zu keiner Prügelei zwischen den beiden alten
Herren, das setzt das Folgende außer Zweifel. Demeas ruft der
Chrysis zu: ^äxxov dCfp^^dgri^i 6v, dann erst als Antwort auf
iyoye dem Nikeratos (230):
dlXä ^Yjv ^[ccyG)]y[s'\,^)
und wieder der Chrysis: (pevys, xqslxxcov bgxC ftov, denn nun hält
er den Nikeratos fest und Chrysis rettet sich in Demeas' Haus.
Die folgenden Verse setze ich her, wie sie sich nach Körtes Lesung
(S. 119) darsteUen:
N, TiQÖxsQog a7cx[si] ^ov 6v vvvC' xovx^ iyh iiaQxvgo^iai.
jj. OYA'€ OpP . . yvvaixa Xa^ßdvsig ßaxxriQCav ' ^)
1) 'Zwischen x und y fehlen eher 4 als 3 Buchstaben' Körte,
2) 'Zwischen (yböl und ywatyia fehlen 9—10 Buchstaben, deren drittletzter
ziemUch sicher P war, vor diesem zwei runde Buchstaben (0, C, €, 0)'. Körte.
Weitere Beiträge zu Menander. 439
. . . ädi]Keig^) N. övxoipavreig. z/. xal 0v yccQ. N. tö TtaiöCov
ov ÖLÖco]g inoi', zJ. ysloiov rot'/idi/; N. aAA' ovx sön 0Öv.
' CJVd-QCJTtOL ^). N. XSXQaX^L. 235
Dies aittELv (231) ist die erste Berührung, Nikeratos will ihn darum
verklagen; Demeas hält ihm entgegen, daß er sich selbst eines
Vergehens schuldig macht. Darauf Nikeratos: 6oKog)avr£lg 'du
willst denunziren', Demeas: }cal 6v yocQ, wie dein iiaQtvQSöd-ai be-
weist. Was Demeas dem Nikeratos vorwirft, zeigt die erhaltene
zweite Hälfte des Verses klar; die Ergänzung ist gegeben, sobald
man sieht, daß OYA' für CYA' verlesen ist^):
6v d' i[jt^ sXsv]^SQ[av] yvvcclTCa ka^ßocvsig ßaxrriQiav'
^ yä^] adixstg.
Die Ergänzung gibt eine schöne Probe auf die Zuverlässigkeit
von Körtes Beurteilung der halbzerstörten Reste*). Der Doppel-
punkt am Schluß von V. 234 läßt annehmen, daß dXX' ovx a6ti
ööv nicht ohne Antwort bleibt; und der Hilferuf cbvd-Qco^oi allein
ist grade genug, um mit xixQai^i abgetan zu werden. Also etwa :
[z/. Xal ^CCX\ N.] OJV^QGiTlOL.
V. 306 liest Körte xav svdov caiioXöyrjxs rovro tig 7cd[XaL.
Aber TtccXaL paßt nicht zum Perfect. 7ta[Q6v] ? V. 309 :
riTtSLXfjÖS IIOL
öty^etv [s^' cog] ^dd-r}[L ti '] diatpegsli, ] (>V ^)
ddixcjg [Ttadsiv] tcöt' rj dixaicog.
1) Tür otov ä8i]'iiSLg (van Leeuwen) reicht der Raum zur Not.' Körte.
Aber olov ist nicht richtig, da vor övitocpccvtsig nur die Tatsache adiTisig betont
werden darf.
2) 'Vor atvd^QOTtoL fehlen 6, höchstens 7 Buchstaben, davor (das heißt doch
wohl vor covd'QcoTtoL) Apostroph und eine Hasta, die von einem M oder auch N
stammen kann' Körte, der l'dets /x] covd'QcoTtoi, vorschlägt.
3) Ebenso gleich nachher V. 263 CYA' Lefebvre für OYA'- Körte S. 90 :
*C wird gern zum fast geschlossenen Kreis, so daß es leicht mit 0 verwechselt
werden kann.'
4) Demeas droht dem Nikeratos mit einer öiytri ccUlccs oder ygcccpi] vßgscos,
die es in Athen sogar wegen Mißhandlung von Sklaven gab (Dem. 21, 46 ff.;
Hyperides frg. 120 Bl. e^saav ov ^6vov vTtsQ x&v sXsv&sqcov, ccXXä -nal idv tig
Big SovXov ü&ficc vßQLar], ygcccpäg sivai %axk tov vßQiöccvtog). In Xcc[ißccvsig ßa-n-
triQiccv liegt das äg^siv %biq(üv ccdLKcov (Arist. rhet. 1402 » 1 t) sl' tig (paii] tb
xvnxBiv xovg sXsvd'egovg vßgiv sIvccl' ov yäg Ttdvtcog, aXX' otccv ccgxv X^i'Qoav
5) Nach dLaq)egs[L ds ti bleibt nach Körte 'noch gv oder gi und davor eine
Lücke von 1—2 Buchstaben'.
440 Friedrich Leo,
Die Lücke in V. 310 scheint sich genau zu füllen durch die von
Herrn stud. 0. Wiebe gefundene Fassung dLaq)8Q6[L d' ovSs y]Qv,
vgl. frg. 364 dia(pSQet XaigBcpcovro^ ovdl ygv. Freilich kann dann
intt^rii TL nicht richtig sein ; vielleicht ötL^siv [^s ^e]^ad'r][xa)s, nach
van Leeuwen.
V. 320 hat Körte gelesen (ich setze die von ihm zur Wahl
gestellten Buchstaben nach Studemunds Weise darüber):
Aie AH
ovt og xaxa^svsLV ^oy A600AI d67]6sraL
Es scheint daß die Handschrift mit van Leeuwens Emendation
ftov' vd^aÖL übereinstimmt {AI ^= N).
V. 329 hat Körte gelesen:
d^v^id^atL . . . . at ävdittetai d^vy,at 'Htpatörov ß(at.
Er glaubt die Corruptel der zweiten Vershälfte durch Streichung
von ^v^ax' zu heben (obwohl er bemerkt, daß d^v^ia^ia und d'v^ata
nebeneinander stehn können, und auf die Stele von Lykosura
Dittenb. Syll. 939 hinweist) ; aber ccvdjtTsd'' 'HcpaC<5tov ßia ist keine
'tadellose' Vershälfte ^). Ich vermute, daß das Greschriebene be-
deutet :
d-v^Ltt^d XL \^v^^d t' dvdjcxsxai d-v^d r' 'Hcpaißxov ßCac
und daß sich durch Streichen des doppelt geschriebnen Wortes
und Zurechtrücken von xt das Richtige ergibt:
d^v^Ca^^ dvdjtxsxaC xi d"v^d 0"' ^HipaCöxov ßCm.
Im letzten erhaltenen Verse (341) hat Körte .... rat gelesen,
aber ol'xsxat paßt kaum; Roberts xdvxa yäg yCvexai füllt den Sinn
und den Raum.
Zu den 'Entxge^tovxss, die überhaupt besser erhalten sind, habe
ich nur wenige Bemerkungen. V. 280:
TtQÖXSQOV aXsCvriV l\xvg SÖxCv, AßQÖXOVOV,
evgco^sv ' iitl xovxg) d' i^oy öv vvy . ga . . .
Körte bemerkt, daß statt ipLov auch f/Aot zu lesen möglich, daß
das g fast sicher ist. Er ergänzt xgdxsi, nicht recht verständlich ;
was es bedeuten könnte ('ich stehe dir zur Verfügung'), paßt
nicht, da Onesimos, wie die Antwort der Habrotonon zeigt (oi>x
ctv dwaCfiriv), von dieser etwas bestimmtes verlangt hat. Er hat
1) Menanders erhaltene Tetrameter haben ohne Ausnahme die Diärese nach
dem zweiten Metron, und zwar nie mit proklitischera Wort vor der Diärese;
auch nicht mit Synalöphc außer den 3 Versen frg. 879 SclXcc x&v %Qriox&v ^%8i
riv inifieXsiav xal d^sög , 924, 3 dt« ^aldvTTis Sit} x6itov rtv , ohxos iavai fAOi
ßcctos und nBQLn. 405 (134) oben S. 433.
Weitere Beiträge zu Menander. 441
V. 275) gefragt : rC iqyi noslv k^s vvv ; Sie hat geantwortet : 'das
ist deine Sache, ich rate dir aber, dem Herrn mitzuteilen was ich
dir eben erzählt habe'. Darauf Onesimos : 'das möchte ich nicht,
ehe wir die Mutter entdeckt haben', Eni xovtg) d' i^ol 6v vvv
[(p\Qd[6ov], nämlich xC xQV ^oslv. Er wiederholt seine Frage mit
einer Einschränkung: 'unter dieser Voraussetzung antworte mir',
darauf sie: 'das kann ich nicht, denn ich finde, daß man zuerst
den Vater ausfindig machen muß'.
Die in dem Fragment NT enthaltene Scene kann ich auch
nach Körtes Bemerkungen auf S. 130 nur als einen Dialog des
Smikrines und Onesimos ansehn ^), worin Robert mit mir überein-
stimmt. V. 529 (370) wird durch Körtes Lesung gefördert:
d[La]6x£ddv x . og
Aber die Ergänzung diaöxsddvvve' 6 oxvog mit der Uebersetzung
'jetzt ruinirt das Zögern der Gäste den Kochkünstler' gibt keiaen
möglichen Ausdruck. Das Verbum geht offenbar auf das Greld,
dissipat rem familiärem: vvv ^Iv ovVf ovx oiö' oncag, dLa6x6ddv[vv6'
ao]x[v]og. Vorher geht (526):
O. TCoixCXov
aQL6xov a.Qi[6]x{&niB]v. g) XQiödd'XLog
kyh xaxä jtoXX . . .
Körte bemerkt ausdrücklich, daß die beiden X in 528 (369) deut-
lich sind. Ich wage die Vermutung, daß Smikrines ausruft: ö
xQLödd^Xiog By6^ xaxa7t6XX[vg. Das Verbum gebildet wie xaxano-
Xavco. Onesimos fährt ruhig fort, wie wenn er trösten wollte:
vvv ^£v ovv u. s. w., aAA' iäv utdXiv — , wodurch er auch nichts
für Smikrines Tröstliches einleitet.
Der bisher unangreifbare Vers 387 (403) klärt sich durch
Körtes Lesung auf. Onesimos V. 383 (399): vTCoiiaivs^' ovxog, vij
xhv 'AjcöXXco, [laCvsxtti, und weiter 385 (401):
thv d£07t6xrjv Xdya) Xagiötov %oAi)
niXaiva ngoöJtsjcxcjxsv rj xoiovxoy — ^) %
ri . %QavxL6 . . . . <J . . . yaXXoysyov — ^).
Hier haben wir die axQd neben der iisXacva %oXyi. Nicht unmög-
lich ist ^ Gi%Qdv, aber wahrscheinlich gehört ^ an den Schluß des
vorigen Verses (s. o. zu Usg, 390):
1) Hermes XLIII 131 A.
2) So Lefebvre, Körte bemerkt, daß mit toiovxo jetzt der Papyrus aufhört.
3) 'Statt 7} auch y oder n möglich', Körte, ysyov — am Schloß gibt Lefebvre,
Körte sagt nur : 'ich lese t] . xQf^vtLg . ... 6 ... v aXXo\
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Hefk 4. 31
442 Friedrich Leo, Weitere Beiträge zu Menander.
rj tOLOvtov^ rj
[G)]xQoiv Tig [äva6e]6[si,xs]v. äkX o yiyov^ kQG)\.
Das Verbum scheint zu viel Raum einzunehmen, es kann durch
ein anderes ersetzt werden. Der Zweifel, ob es die dunkle oder
die blasse Gj-alle sei^), geht auf die wechselnde Gesichtsfarbe des
Charisios: 6 8' [hg %vxvä\ ^XXarxs xQ6iiax\ avSgsg, ovd' sItcsiv
xaXöv (392).
Dies ist weniges von dem was Körtes Revision der Hand-
schrift ergibt. Die Hoffnung besteht weiter und vsdrd von Körte
selber ausgesprochen, daß weitere Bemühungen erfahrener Papyrus-
leser die Grrundlagen des Textes noch sicherer befestigen werden.
1) Vgl. z. B. Galen nsgl x&v nsnovd: xonav III 9 (VIII p. 178 K.) : xal 8ia
xovxo TJ)s cpQSvtxiSog 7) liiv xig iaxt fiSTQiaxBQa, xr\v yivsatv k% xfjg mxQ&g e%ov6u
%oXfigy ij di xig acpoSgoTsga, trig ^avd"fis hyyovog vTtdgxovaa ' Y.ui xig alXri %"riQica8r\g
xs xal fislayxoh'ni] 7taQaq>Q00vvri yCvsxaij v,axonx'riQ'BCar\g xijg lav-ö"^? %oZ^s.
Zu Tacitiis' De origine et situ Germanorum.
Von
Leo Meyer.
Vorgelegt in der Sitzung vom 21. März 1908.
Nachdem Tacitus in seiner kleinen Schrift über Land und
Leute Germaniens in zwei Capiteln das Grebiet der Chatten —
allerdings in sehr wenig klarer und nichts weniger als präciser
"Weise — umgrenzt und dann noch der Bevölkerung selbst wegen
ihrer Kriegstüchtigkeit und ihrer Tapferkeit ganz besonderes Lob
gespendet hat, fährt er im zweiunddreißigsten Capitel folgender
Maßen fort: Proximt Chattis certiim jam alreö Rhenum qviqve terminus
esse sufficiat JJsipi ac Tencteri colunt.
Diese Stelle ist in mehrfacher Hinsicht von ganz besonderem
Interesse. Sie liefert den bestimmten Beweis, daß Tacitus, als er
seine kleine Schrift über Germanien verfaßte, das germanische Land
aus eigener Anschauung durchaus nicht kannte. Denn man kann
mit Bestimmtheit aussprechen, wenn er das germanische Land ge-
kannt hätte, so würde er auch den Rhein gekannt haben. Wenn
er aber den Rhein wirklich gekannt hätte, so würde er über ihn
nicht in so thörichter Weise geurteilt haben, wie er in den oben
angeführten Worten es gethan.
Wo soll denn der Rhein noch nicht ausgereicht haben, eine
Yölkergrenze zu bilden? Giebt es doch Flüsse von allerb eträcht-
lichater Größe, die gar keine Völker gegen einander begrenzen,
und auf der anderen Seite auch ganz kleine Flüsse oder Bäche, die
zwischen großen Ländern Grenzen bilden? Wo will man am
Rheine von seinem Ausflusse aus dem Bodensee bis zu seiner Mün-
dung eine Stelle bezeichnen, wo er nicht ausreiche, eine Grenze
zu bilden? Man darf es hier einmal aussprechen, daß eigentlich
31*
444 ^®o Meyer,
alle rein geographischen Angaben unseres Tacitus mehr oder
weniger unklar und nicht von sehr hohem Werte sind. Wie weit
aber Tacitus in dieser Hinsicht geradezu bis zu ganz absurden Aeuße-
rungen sich zu verlieren im Stande war, dazu bietet er ein ganz
frappantes Beispiel schon in seinem ersten Satz: Germania .... ä
Sarmatis Däctsqve miduö iiietü aut montibus separätur. Dem gegen-
über sagt er im Schlußkapitel, daß er in Bezug auf die Peukinen,
Yeneten und Finnen im Unsichern sei, ob er die Genannten zu
den Grermanen oder Sarmaten rechnen solle. Wer fürchtet sich
denn nun vor einander, die Peukinen vor den Sarmaten oder vor
den Germanen und so fort? Die gegenseitige Furcht kann hier
eben so wenig als Grenze gelten, als „Gebirge", von denen als
wirklich völkerbegrenzenden hier gar keine Rede sein kann. Das
za Grunde liegende Thatsachliche ist, daß Tacitus über das Ost-
gebiet Germaniens gar nicht oder nur ganz schlecht unterrichtet
war.
Die oben angeführten ganz mißrathenen Worte beruhen auf
einem besonderen Mißgriff. Tacitus kannte Germanien nicht aus
eigener Anschauung, das ist der Eindruck, den auch jeder unbe-
fangene Leser seiner kleinen Schrift ohne Weiteres empfangen muß.
Wohl aber hat Tacitus als fleißiger ernster Forscher, wofür sich
uns überall bestimmte Beweise bieten, alles was zu seiner Zeit über
pas germanische Land und seine Bewohner bereits in schriftlicher
Darstellung festgelegt war, mit Umsicht benutzt.
Es ist durchaus noch nicht bis ins Einzelnste und Kleinste
untersucht, weihe bestimmten Quellen Tacitus bei der Abfassung
seiner kleinen Schrift über die germanische Welt benutzt hat.
Zu diesen Quellen aber gehört vor allem auch die bekannte
kleine geographische Schrift Pomponius Mela's. Bei ihm heißt es
(3, 2) Rhenus Älpibus decidens prope ä capite duös lacus efficit, Vene-
tum et Aörönum (in welche zwei Theile sich nach alter Anschauung
der Bodensee zerlegt), mox diu solidus et certö alveo lapsus haud
procul ä man hüc et illüc dispergitur .... Hier bezieht sich das
diu solidus et certö alveo lapsus auf vorheriges Durchfließen des
Bodensees, bei dem ein deutliches und bestimmtes Flußbett natür-
lich aufhörte, während Tacitus sein certum jani alveo Rhenum sich
offenbar erst an einer viel tieferen Stelle des Rheins vorstellt.
Eine andere Stelle, die deutlichen Zusammenhang mit Mela
zeigt, findet sich ganz am Schluß der Germania, wo es heißt:
cetera jam fähulösa : Hellusios et Etionäs ora hominum voltüsqve, Cor-
pora atqve artns ferärum gerere. Bei Mela heißt es 6, 56 : alias ?w-
snlae videntur . ... in Jus esse Oeonäs .... esse eqvints pedihus
zu Tacitus* De origine et situ Germanorum. 445
Hippopodas. Auf dieselbe Quelle weist Plinius 4,95; feruntur et
Oeonae in qvis . . . aliae in qvibus eqvtnis pedihus homines nascantur
Hippopodes appelläti. "Wahrsclieiiilicli liegt beiden Pytbeas zu Grunde,
den Plinius unmittelbar vor jenen Worten nennt und auch unter
den Grewährsmännern seines vierten Bucbes neben Mela aujfführt.
Von den Monstern („Pferdehuf er") welche bestimmt zu benennen
hat Tacitus vermieden.
Die einzige bestimmte Anführung in Tacitus' Schrift über
Germanien mit Nennung des Gewährsmannes findet sich zu An-
fang des achtundzwanzigsten Capitels; sie lautet: validiores ölim
GaUorum res fuisse sumnius auctor divus Julius trddit. Sie ist aus
Caesars Gallischem Krieg (6, 24. 2) entnommen, wo die betreffenden
Worte lauten: ac fuit anteä tempus, cum Germdnös GalU virtüte
superärent. Es ist charakteristisch für Tacitus, daß er den von
Cäsar ausgesprochenen Gedanken in völlig eigene Worte umge-
gossen hat.
Daß der Anfang von Tacitus' kleiner Schrift Germania omnis
ä Gallis RaeUsqve . . . separdtur ganz unter dem Einfluß von Cäsars
(Gall. 1, 1) Gallia est omnis dtvisa in partes tres entstanden ist,
liegt auf der Hand.
Eine weitere Stelle, deren Inhalt aus Cäsar entnommen ist,
ist die (Capitel 2), die sich auf die Herkunft des Namens Ger-
■manen bezieht. Der Name sei neu, sagt Tacitus, und erst vor
nicht sehr langer Zeit beigelegt, weil die, die zuerst über den Rhein
gegangen und die Gallier vertrieben haben und jetzt Tungern
heißen, damals den Namen Germanen gehabt haben. Das Gebiet
der Tungern, von dem Tacitus hier spricht, ist den Römern zuerst
durch Cäsar, der aber die Tungern selbst noch nicht nennt, be-
kannt geworden. Er berichtet (2, 4, 1 und 7), wie er weit in den
Nordosten Galliens vorgedrungen und dort von remischen Gesandten
erkundet habe plerösqve Belgds esse ortös ab Germdms Bhenumqve
antiqvitus trdductös propter loci fertilitdtem ihi consedisse GalldsquCy
qvi ea loca incolerent^ expidisse. Ihm wird dann über die einzelnen
Völkerschaften mitgetheilt, wie viele Streitkräfte zu stellen sie
sich bereit erklärt, und da heißt es zum Schluß Condrusös Ehuro-
nes, Caeroesös, Paemdnos, qvi ünö nomine Germdni appellantur, arhi-
trdri ad qvadrdgintd milia. Was Tacitus dann noch hinzufügt über
die weitere Ausbreitung und Verwendung des Namens Germanen,
darf wohl als seine ganz eigene Combination gelten.
Weiter sind hier noch die Schlußworte des einundzwanzigsten
Capitels anzuführen, victus inter hospites cömis, die für sehr unbe-
quem gelten, von Lachmann durch Conjectur von ihrem natürlichen
446 ^^^ Meyer,
Sinn weit abgebracht, von Zernial aber frivoler Weise einfach ge-
strichen sind. Schon Selling (f 1835) hat erkannt, daß die frag-
lichen "Worte auf dem Schluß des dreiundzwanzigsten Capitels,
sechsten Buches, beruhen, wo Cäsar sagt: Msqce (d. i. hospitihus)
omnium doniüs patent victusqve communicdtur. Tacitus hat darnach
gebildet: ricfiis infer Iwspites commänis (letzteres hat die Ueber-
lieferung zu comis entstellt). Grastgeschenke, sagt Tacitus, sind bei
den Grermanen nicht üblich; was aber an Lebensmitteln vor-
handen ist, das wird mit dem Grast getheilt.
Wo sich's überhaupt um die Quellen von Tacitus Ausführungen
über die germanische Welt handelt, da bleibt immer von ganz be-
sonderer Wichtigkeit, was der ältere Plinius an einer Stelle seiner
Naturgeschichte und zwar im 45. Capitel des siebenundreißigsten
Buches mittheilt. Während es im Allgemeinen sehr deutlich ent-
gegentritt; wie nur sehr mangelhaft Tacitus über den Nordosten
Germaniens unterrichtet ist, fällt es sehr auf, wie sich plötzlich
ein helles Licht über das Bernsteingebiet an der Ostsee ausbreitet.
Tacitus lehnt sich hier ganz an den Bericht des älteren Plitiius.
Dieser aber schöpft aus einer ganz bestimmten Quelle. Er be-
richtet ridit eqvcs Bomänus ad id (gemeint ist suclnimi „Bern-
stein") comparandum missiis ah Jüliänö cürante gladiätörii(m mnnus
Neronis principis, qvin tt commercia ra et lifora peragrävit . . . Alsa
ein bestimmter römischer Ritter ist unter Nero in das Bemstein-
gebiet geschickt und hat die wichtigsten Nachrichten darüber heim-
gebracht.
Zahlreiche einzelne Ausdrücke, wie advehi rüde bei Plinius und
r>!de Icgitur bei Tacitus machen den Zusammenhang der beiden
Schriftsteller noch ganz deutlich, insbesondere aber thut es das
tibereinstimmende Eingehen auf die Entstehung des Bernsteins.
Bei Plinius heißt es argüniento sunt qvaedam intus trälücentm, td
forniicae adicesqve et lacertae, qvae adhaesisse musteö nön est dubium
et inclusa dürescente eödem renuinsisse, bei Tacitus aber: qvi terrena
utqve etiain völucria animälia pleruniqve Interlücent, qvae impUcätOt
hnniore mox dürescente mäterid clüduntur.
Eine weitere Mittheilung, die auf einen nahen Zusammenhang
zwischen Plinius und Tacitus hinweist und die wir hier zum Schluß
noch anführen, bezieht sich auf die ursprünglichen Geschlechter
(j/cnera) der Germanen, wobei doch auch beachtenswerte Verschie-
denheiten entgegen treten. Plinius (4, 99) zählt fünf Geschlechter
der Germanen {Gcrmdnorum gencra qvinqvc), der Reihe nach:
Vandili — Ingvaeones — proximi autem Khenö Istvaeones — inedi-
tcrränei Henninonis — Feudni^ denen im Einzelnen noch Unter-
zu Tacitus' De origine et situ Germanorum. 447
abtheilungen zugefügt werden. Tacitus (Germ. 2) kennt nur die
drei mittleren, die er als proxwii Oceanö Inr/aevones, mcd'u Herrn l-
nones und ceterl Istaevones näher bezeichnet. Man darf wohl be-
haupten, daß die kleinen Abweichungen, die Tacitus hier zeigt
und die doch wohl von ihm selbst herrühren, das medü „die mitt-
leren" an Stelle von mediterrdnei „im Innern des Landes woh-
nend^^j und dann das ganz unbestimmt abschließende ceterl durch-
aus keine erwünschte Klarheit in die Verhältnisse bringen. Die
deutsche Geschichte nun gar in diese mythische Gesellschaft hin-
einpressen zu wollen, wird immer ein ganz bedenkliches und will-
kürliches Unternehmen bleiben.
Tacitus baut über den angeführten Geschlechtern noch einen
Stammbaum auf, von dem weder Plinius noch sonst irgend ein
anderer alter Schriftsteller etwas weiß. Er weist zunächst auf
drei Brüder, die in gothischer Form etwa Iggvja^ Jstra und Äir-
mina gelautet haben mögen, die als Söhne eines Mannus bezeichnet
werden, der selbst ein Sohn des Tnisto, falls diese Form wirklich
als die richtige gelten darf, genannt wird, als dessen Mutter
schließlich die Erde bezeichnet wird.
Von dieser ganzen Geschichte hat Pomponius Mela nichts als
den Namen Herminones, der 3, 32 in diesem Zusammenhang ent-
gegentritt: in eo (das ist longo superBUö) sunt Cimhrt et Teutoni,
idträ idtimt Germäniae Herminones, was nur noch neue Schwierig-
keit bringt.
An zahlreichen anderen Stellen, wie noch kurz angeführt sein
mag, weist Tacitus auf seine Gewährsmänner, doch ohne sie mit
Namen zu nennen und ohne daß auch wir sie anzuführen im Stande
wären. So heißt es 8, 1 : m emoriae pro d itur qväsdam acies
incUnätäs jam et labantes ä feminis restitütds ; 3, 1 : fuisse apud eös
et Hercidem m emorant; 43, 18 : deos interjjretdtiöne Römdnd Casto-
rem FoUücemqve m emorant-, 3, 10: et JJlixen qvidam opinan-
tur ... adisse Germdniae terräs ; 4, 1 : ipse eorum opiniönibus
accedo qvi ... arhitrantur ; 33, 2 : nunc Chamdvös et Ängrivariös im-
migrdsse narr dt ur; 34,9: superesse adhüc Herciäis columnds fdma
volgdvit] 2,18: qvidam, ut in Ucentid vetustdtis, plüris deö ortos
. . . affirmant] 27, 11: haec in commune de omnium Germanorum
origine ac mörihus accepimu s.
Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler
Klerikers aus dem Ende des 13. Jahrhunderts.
Von
J. Jak. Werner.
Vorgelegt in der Sitzung vom 26. Juli 1908 von Wilh. Meyer.
Die Handschrift D. lY. 4 (früher E. III. 5) der Basler Univer-
sitätsbibliothek ^) , auf welche nach Pertz ^) Holder - Egger ^) die
Aufmerksamkeit gelenkt hat, ist gegen Ende des 15. Jh. aus ver-
schiedenen Pergamenthandschriften des 13. und 14. Jh. zusammen-
gestellt worden. Beim Einbinden wurden zwischen einzelne Teile
unbeschriebene Pergamentblätter eingeschoben, die z. T. wieder
entfernt wurden: es fehlen: Blatt 3 (hinterer Teil des um das
Doppelblatt 1 — 2 gelegten Doppelblattes), die Doppelblätter 28
und 38, 65 und 66, 91 und 92.
Ein auf der innem Seite des vordem Deckels aufgeklebtes
Papierblatt enthält neben dem Namen : Basilea, eine etwas jüngere
Besitzangabe: Ex libris Bibliothecae Academi^ Basiliensis. 1559.
Die gleiche Hand (also wohl der Klosterbibliothekar), welche
im 15. Jh. die Blätter 1 — 122 numerierte, schrieb auf die Rück-
seite des ersten unbezeichneten und die Vorderseite des Blattes 1
ein ausführliches Inhaltsverzeichnis (Contenta in hoc libro: Chro-
nica ab Adam usque ad electionem et consecrationem summi ponti-
ficis fol. 1 u. s. w.). Vielleicht aus gleicher Zeit, aber von anderer
Hand, stammt der Pergamentstreifen auf der Außenseite des hintern
1) Für freundliches Entgegenkommen bin ich Herrn Oberbibliothekar Dr.
C. Chr. Bernoulli zu großem Dank verpflichtet.
2) Archiv VII S. 626—628.
3) M. G. SS. XXXI. S. 266 ff.; N. Archiv XXVII S. 502—504.
Kgl. Ges. d. Wiss. NacLrichten. Philolog.-hist. Kl. 1908. Heft 5. 32
450 J- Ja^- Werner,
Deckels mit dem kurzen Verzeichnis : Chronica quedam ; Item ordo
statutionum (lies: stationum) ; Item über qui dicitnr provintialis ;
Item veteres hystorie ; Cum aliis in principio libri signatis. Q. 12.
Auf Blatt l'", welche Seite einst aufgeklebt war, also die
Vorderdecke der ersten Handschrift gewesen zu sein scheint, schrieb
eine Hand des ausgehenden 13. Jh. : Fratris Petri de May. valet XI f.
Die Blätter messen 245 x 180 mm und sind fast durchweg in
zwei Spalten geschrieben: Die Lineatur wechselt in den verschie-
denen Teilen von 30 bis 54 Zeilen. Man kann folgende selbständige
Teile unterscheiden:
I: Doppelblatt 1—2: Erste Hälfte des 13 Jh.
II: 4 — 37: drei Quaternionen , je auf der letzten Seite be-
zeichnet: 11: 1°"; 19: 11^«; 27: I1P^ Die fehlenden Blätter
28 und 38 scheinen das äußere Doppelblatt der vierten
Lage gebildet zu haben: 36 ist ein einzelnes Blatt. Die
Cronica apostolicorum et imperatorum, die fol. 4—20 füllen,
hat Holder-Egger M. G. SS. XXXI. S. 266 iF., herausge-
geben. Der Rest dieses Teiles zeigt, wie aus den von Holder-
Egger mitgeteilten Rubriken hervorgeht, große Verwandt-
schaft mit dem 11. und 12. Ordo Romanus. Vgl. Jos.
Kösters, Studien zu Mabillons römischen ordines (Diss.
Münster 1905) S. 46 ff. und S. 87 ff. Im Provincialis ist
bemerkenswert, daß die Bistümer der Diöcesen Canterbury
und York zweimal aufgeführt werden; beim zweiten Mal
werden die angrenzenden Bistümer genannt.
III: 39—50 (6 Doppelblätter): fol. 39'^: Incipit Betel pro-
logus Magistri Everardi de Heisterbach: Exi
parve liber . . . 502 Verse : Geschichte der Stadt Jerusalem
nach der Bibel in zwei Büchern,
fol. 45*^: Incipit Gruiardinus:
Care nepos, tibi quod sequitur mea cura ministrat, . . .
Vgl. Gruiardinus. Bruchstücke eines lat. Tugendspiegels . . .
hg. V. J. Werner (S. A. aus Roman. Forsch.) Erlangen 1908.
IV: 51 — 62: Verse auf Papst Innocenz IV. und Kaiser Frie-
drich IL s. N. Archiv XXXII. S. 591—604.
63—68 unbeschrieben; das Doppelblatt 65/66 fehlt.
V: 69 — 80: Sechs Doppelblätter, in zwei Spalten zu je 49
Zeilen beschrieben. Die einzelnen Stücke sind meist durch
eine leere Zeile von einander getrennt und zudem fast
immer durch rote oder blaue Initialen oder § kenntlich
gemacht, s. S. 452 u. folgende.
VI: 81: Bruchstück: Lateinische Sprüche.
Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 451
VII: 82—89: Quaternio saec. XIV beginnt:
quod ad penas venio mortis infinite | . . .
Schluss: nisi hie promiserit satisfactionem = Vers 35 ff.
der Dispntatio mundi et religionis des Gui de
laMarche. Die Personenbezeichnungen papa, religio,
mundns stehen in kleiner Schrift am Rande. Fast
immer sind die Langzeilen durch einen schiefen Strich
in zwei Halbverse geteilt ; große Anfangsbuchstaben finden
sich gewöhnlich je bei der zweiten Langzeile, während die
Strophen durch § geschieden sind. An vielen Stellen sind
die Lesarten dieser Hft dem Texte bei Haureau Bibl. de
Tee. des chartes XLV (1884) S. 1—34 vorzuziehen; z. B.
S. 10 per nos für pueros, ire für vie, nolis für noli. S. 11
substratum für subjectum. fol. 86^^^: (Versus medicinales) :
[E]xperimenta notes minime reprobanda legenti ....
für Ueberschriften und Initialen ist bei jedem der 88 Ab-
schnitte = 330 Verse Raum gelassen. Leyser, bist, poetar.
medii aevi, S. 2076 weist davon 68 Kapitel in einer Helm-
stedter Handschrift nach.
90 — 93: unbeschrieben; das mittlere Doppelblatt 91/92 fehlt.
VIII: 94—105: (Flores Alexandri metrice).
E(i) mihi, non tutum est, quod ames laudare sodali, . . .
Reichhaltige Blütenlese aus klassischen und mittelalter-
lichen Dichtern, die anderwärts unter verschiedenen Namen
wie Poleticon, Flores u. ä. vorkommt (vgl. Ysengrimus,
hg. V. E. Voigt. S. XI— XIII; auilelmi Blesensis Aldae
comoedia ed. Lohmeyer, S. 41 — 44; Claudiani carmina
recens. Birt, S. CLXXVI). Leider enthält unsere Hft nur
die drei Namen Ovid, Alexander, (= Alexandreis)
und Pamphilus, so daß bis jetzt nicht alle Verse identi-
fiziert werden konnten. Da diese Sammlung aus mehreren
zusammen gearbeitet zu sein scheint, so übertrifft sie die
genannten an Ausdehnung: sie bietet z.B. auch einige
Verse aus Abälards Carmen ad Astralabium.
IX: 106—117: 6 Doppelblätter s. XIV: fol. 106— 113^ Vanitas
omnis homo ... ist wie der Index vorn angibt eine expo-
sitio super ecclesiasten.
fol. 113^^: Rex nobilis diffensator et rector . . . Brief des
Saladin an Kaiser Friedrich L, etwas abweichend vom Text
inN. A. XI S. 575—577. vgl. daselbst XXXIII S. 538 note 3.
114'^: Perfectis licet repetere sua simpliciter . . . allerlei
theologische Notizen.
32*
452 J- J^^- Werner,
X: 118 — 122: zwei unbeschriebene Doppelblätter, in deren
Mitte ein Blatt (120) mit verschiedenen Prologen (Hierony-
mus, Gregorius 1111°^, Albinus) zum ecclesiastes einge-
I klebt ist.
Die Sammlung V scheint von einem Kleriker herzustammen, der
fremde und eigene Verse aufzeichnete. Neben bekannten, weit-
verbreiteten Gredichten wie Taurum sol intraverat, 0 mores per-
ditos, Yolo virum vivere u. a. finden sich solche, in denen persön-
liche Verhältnisse des Dichters berührt werden. Dieser muß gegen
Ende des 13. Jh. am Hofe des Bischofs von Basel sich aufgehalten
haben und gehörte wohl zu dem Kreise ^) , in dem sich Konrad
von Würzburg bewegte. Personen, die als Gönner der Dichtkunst
einen Namen haben, werden angebettelt, wie der Domcantor Die-
trich (am Orte) und Johannes von Wilon ; Danksagungen und Lob-
sprüche werden an den Bischof von Basel (Peter Reich) und einen
sonst unbekannten Juristen und Ratsherrn Aegidius gerichtet.
Aus den spärlichen Angaben in den Gedichten läßt sich nur wenig
über die Person des Verfassers entnehmen. Er hat in Rappolts-
wiler (jetzt: Roppenzweiler im Elsaß) die Kaplanei des h. Mo-
randus, eines bekannten burgundischen Heiligen erhalten, wird
aber im Genuß derselben eingestellt: infolge seiner Armut, wie
er vorgibt: sum modicus quia re. Die Verse über eine Feuers-
brunst in Breisach legen die Vermutung nahe, daß der Verfasser
zu dieser Stadt in gewissen Beziehungen gestanden habe. Da die
Anwendung der verschiedenen poetischen Formen, wie sie diese
Gedichte zeigen, zu dem Beruf eines magister paßt, ist man
versucht, den Verfasser für einen Kleriker anzusehen, der
neben seinem Amte lateinische (und deutsche) Verse fabrizierte
and rezitierte, um sich leichter durchs Leben zu bringen. Der
Zeit nach könnte es der als Minnesänger bekannte Schulmeister
Walther von Breisach ^) sein; doch ist bis jetzt sein Aufenthalt
nur in Breisach (c. 1256—1269} und Freiburg (1291—1303) nach-
gewiesen. Die Handschrift lag zur Zeit des Flacius Illyricus im
Basler Predigerkloster ; es könnte also ein Insasse dieses Klosters
1) Vgl. darüber: W. Wackernagel, Ritter- und Dichterleben Basels im Mittel-
alter (= kleinere Schriften. I. S. 299); J. Bächtold, Geschichte der deutschen
Literatur in der Schweiz, S. 126 und 133; Anmerkgn. S. 3G; Rud. Wackernagel,
Geschichte der Stadt Basel. I. S. 91.
2) Frdr. Pfaff, Der Minnesang im Lande Baden (Neujahrsblätter der bad.
bist. Komm. 1908) S. 16.
Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 453
der Verfasser sein , zumal dort die Poesie eine Stätte ^) gehabt
zu haben scheint.
Die Sammlung enthält über 50 Stücke, von denen ungefähr
ein halbes Dutzend aus z. T. älteren Quellen schon bekannt war.
Unter den ungedruckten Versen sind weder formell noch inhaltlich
so bemerkenswerte Stücke, wie sie sich in den bekannten Samm-
lungen mittellateinischer Gredichte finden. Leider sind die Hexa-
meter der gesuchten Eeime wegen oft schwer oder gar nicht ver-
ständlich ; zudem sind ihre Beziehungen meist recht dunkel. Doch
scheint man darunter Anfänge oder Eeste einer poetischen Bearbei-
tung der Taten des Königs Rudolf von Habsburg erkennen zu dürfen,
die leider zu gering sind, als daß sie irgend einen Schluß ge-
statten, in welcher Weise der Dichter den Plan ausgeführt hat
oder auszuführen gedachte.
Neben rythmischen Zeilen schreibt der Dichter meist gereimte
Hexameter und Distichen ; er verbrämt sie mit Akrostich und Te-
lestich besonderer Art (No. VI — VIII, XVI) und versucht sich auch
in kunstreicheren Formen (No. XVII). Aber fast immer merkt man,
welche Mühe ihm das Suchen nach den Reimworten verursacht:
doch sind seine zweisilbigen Reime durchweg rein. Freiheiten
wie sie sich der geistreiche Primas herausnehmen durfte (s. Wilh.
Meyer, Nachrichten 1907 S. 138, 143), kommen selten vor; ein-
mal reimt er in einem Paar unisoni XI 8: gerit: obedit; XLI 11
gessit: nescit darf kaum als unreiner Reim bezeichnet werden.
In den einzelnen Stücken, die allerdings meist kurz sind, wird man
höchst selten den gleichen Reim wiederholt finden LXV 10:
certe : per te = 27 : certe : aperte. Im Schluß der Hexameter
stehen nicht übermäßig viele vier- und fünfsilbige Wörter; ein-
silbige sind ziemlich selten : IV 6 : quare : quia re ; VI 5 : com-
plete : e te; VII 4: te do : edo. Vor der Caesur findet man in
der Hälfte der Verse die Form — uu | | — , doch ist auch
I I — ziemlich häufig. Der Caesur Verlängerung (ectasis),
die durch den leoninischen Reim verursacht wird , geht er nicht
aus dem Wege, und zwar sind die vokalisch auslautenden Formen
auf -a und -e nicht seltener als die consonantisch schließenden vor
beginnendem Vokal. Elision kommt nicht vor ; Hiate finden sich nur
an kritisch unsichern Stellen. Das sog. s impura bewirkt bei ihm nicht
Positionslänge; er bemüht sich deshalb nicht, es nur nach Worten zu
setzen, die auf lange Vokale ausgehen, -ndö ^) braucht er einigemale
1) W. Wackernagel, kleinere Schriften. I. S. 295.
2) Wilh. Meyer, Gesammelte Abhandlungen zur mittellateinischen Rythmik
(1905) I. S. 76.
454 J. Jak. Werner,
auch im zweiten (IX 3, XLTI 3) und vierten Fuße (VIII 8). In den
rythmischen Gedichten arbeitet er mit den bekannten und beliebten
Zeilen, die er in einzelnen Fällen zu neuen Strophenformen zu-
sammenzustellen sucht (No. XX, XXV, XXXI). Freilich läßt sich
hier ein gemeinsamer Verfasser nicht so sicher wie bei den dakty-
lischen Gredichten nachweisen; für die S. 452 genannten ist der
frühere Ursprung schon durch ihr Vorkommen in älteren Samm-
lungen sicher gestellt.
I. fol. 69^11 (d.h. 69'«^to, I.Spalte, I.Zeile)
Alma redemptoris mater, que pervia celi
porta manes
Porta quidem celi, que iugiter Ezechieli
In te visa fuit clausa, deo patuit.
et Stella maris, succurre cadenti! 5
Ut de peccatis veniam, mater pietatis,
Possit habere suis vocibus ille tuis,
surgere qui curat, populo, tu que genuisti
luri virgo parens camis non ordine parens
Expers ipsa paris absque dolore paris 10
natura mirante tuum sanctum genitorem
Presignat digne rubus incombustus in igne
Omine te miro: mater es absque viro.
Virgo prius et cet.
6 Ut te de 13 Omne Die berühmte Antiphon des Hermann Contractus
(Anal. hym. 50 =: Hymnographi Lat. II. S. 317) mit Distichen tropiert; die leo-
ninischen Reime sind zweisübig und rein.
IL fol. 69'^»*
a. Gygas nature gemine
a patre sine semine.
ex virginis, non femine,
procedet alvo,
a. Ut radius de lumine 5
sacri flatus alumine
divinitatis numine
in carne salvo.
b. Nos de hoc puerperio,
divino quod misterio 10
die coletur crastino,
benedicamus dominol
Poetische Versuche imc[ Samraliingen eines Basler Klerikers etc. 455
1 Vgl. geminae gigas substantiae in dem Hymnus Yeni redemptor gentium,
V. 15; usiae gigas geminae, Dreves Anal. hymn. 20 n. 140, 4, 1. 3 et 6 alumine,
vielleicht = alimonia Wie der Schluß zeigt, ein Ruf für den Abend vor Weih-
nachten in dreiteiliger Strophe: auf zweimal drei Zeilen von 8 Silben mit stei-
gendem Schluß und einem Fünfsilber mit sinkendem Schluß folgen vier Acht-
silber mit steigendem Schluß. Die Reime sind zweisilbig (innerhalb der einzelnen
Teile meist dreisilbig) und rein; Taktwechsel zeigen Zeile 1, 6 und 11; Hiatus
findet sich nicht innerhalb der Verse, wohl aber V. 9 Vokalauslaut vor h.
Prothoplasti reatus
cessavit expiatus,
est deus quia natus
hac Sacra die
III. fol. 69' 121
a. Non consuetudinali 5
more, sed speciali
ex alvo virginali;
ergo Marie
b. Ipsins matri concinamus
ore laudes ymnisono ! 10
iubilose benedicamns
et incarnato domino!
Ein ähnlich gebauter Weihnachtsruf. Drei Siebensilbner und ein Fünf-
silbner, die sinkend schließen, bilden die beiden Stollen; der Abgesang besteht
aus zwei Teilen zu je 9 + 8 Silben. Die Reime sind (mit Ausnahme von 10
und 12) zweisilbig und rein ; im Innern der Verse steht kein Hiatus ; Taktwechsel
haben V. 1. 6.
IV. fol. 69^^128
Conqueror ecce, deus, tibi, quod princeps Basilens
Grratum propositum vertit in oppositum:
Nam mibi post mella fei subtribuendo capella,
Qua prius instituit, me modo destituit.
Causam scire puto — quam pandam murmure muto — 5
Destituor quare: sum modicus quia re.
Essent divicie mihi presidiumque sopbye:
Litem prosequerer, ius quoque consequerer.
Sed quoniam desunt bec, iura minus mihi presunt:
Sic vinci merui, spem quoque deserui. 10
Prebuit antistes hos successus mihi tristes,
Spes quibus interiit et mea res periit.
Quando relaxavit, sua litera quod reprobavit,
Latum consilium sustulit auxilium.
Huius dedecoris mendam nisi tollat, honoris 15
Immemor esse sui creditur atque frui
Moribus ingratis, qui signum mobilitatis
Ostendent in eo. Propterea moneo
456 J- J^^- Werner,
Eins virtutem, iuxta quam quero salutem,
Ut ius inspiciat et mihi proficiat. 20
V. für mihi ist immer m geschrieben 7 psidiumq, s aus d corr. conse-
queret 14 concilium. Der Dichter, vom Bischof von Basel einer übertragenen
Pfründe beraubt, klagt über diese Zurücksetzung ; ihre Ursache sieht er in seiner
Armut, die ihm nicht gestattet, sein Recht vor Gericht zu verfechten; er ver-
sucht es deshalb mit einer Appellation an die Gesinnung des Bischofs. In Nr.
LIV wendet sich der Dichter nochmals an die Güte seines Herrn, obwohl ihm
die Furcht die "Worte raubt. Dort wird auch die Kaplanei genannt, um die es
sich handelt.
V. fol. 69-^° 1
Barbara queqne caret titulis, quibus nrbs ea claret,
Anterior rima cui nomen prebet et ima,
Sede resignita catbedrali genteque; Tita
Incola tranquilla snus utitur omnis in illa,
Lis quia submota per pacis federa tota 5
Est domino dante sibimet, quam moverat ante:
Ammodo leta manet, pax lesam dum modo sanet.
V. 2 Ueber rima die Glosse i. e. linea. Die Stadt Basel (Basilea civitas
ergibt das Akrotelestich) wird beglückwünscht wegen Wiederherstellung des
Friedens. Die Verse beziehen sich vielleicht auf die 1286 von König Rudolf
angebahnte und durch den Bischof Peter Reich befestigte Schlichtung der Partei-
streitigkeiten. S. H. Boos, Geschichte der Stadt Basel im Mittelalter (1877) I.
S. 86. Vgl. auch XV.
VI. fol. eo'^us
E^cipe mente bona, tibi que fero metrica dona,
Gloria non fesse laudis solet in quibus esse;
Inclite iure baro, tibi pollens dogmate claro
Discutis in lite causarum singula rite;
Ius quia complete decreti pullulat e te, 5
Dicta reservanti corisentur (?) fore tanti,
Omnia dulcoris fomes ut sint cordis et oris;
Consilio procerum gravis experientia rerum
Te vetat exclusum, quod et est te sepius usum.
Ordinibus retro visis hoc anteque metro 10
Riga tuum nomen prior explicat, ima sed omen.
1 Eccipe met'or dono 7 über fomes die Glosse: i. e. nutriraentum. Egi-
d i u 8 , doctor decretorum, der Empfänger dieses Lobspruches läßt sich im Basler
Urkundenbuch nicht nachweisen. Nach V. 8 f. scheint er ein angesehenes Mitglied
des Rates gewesen zu sein; doch geht aus dem Gedichte nicht hervor, welche
Dienste (V. 9) er dieser Behörde geleistet hat.
Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 457
Vn. fol. 69'^n2o
Corporeas metas tua gaudens conpleat etas !
Arte nota fete vir, ut Mc tibi nomino tete
Nomine secreto, non carminis ordine spreto.
Thema mihi te do, dum quid tibi forsitan edo.
Optima si rite tibi do preconia yite, 5
Rebus ab biis mestus ire te non gravet estus;
Donec enim cista mea mens est sospes in ista,
Ingenio stringam, te carminibus quoque pingam.
Egregias laudes laudo, meruisse quod audes,
Teque sub biis laudo, quem totum pectore claudo. 10
Rarius binc miram tua mens sibi colligat iram,
Immo productum gaudendi det tibi fructum,
Cum laudes mille tibi concinat ille vel ille.
Ecclesie mute cum sis vox primula tute
Maiori festo, paciens laudabilis esto, 15
Et fac, secrete, pie vir, quod postulo, lete!
2 nota ist Verbum: nimm wahr! arte fetus ist kein geschmackvoller Aus-
druck. 14 Sit zu sis corr. Den Gegenstand, um den der Dichter den als
Gönner der Dichtkunst bekannten Domkantor (V. 14) Dietrich a fine anbettelt,
wagt er nicht im Gedicht selbst zu bezeichnen ; er versteckt seine Ritte (secrete
quod postulo) kunstvoll in das Akrostisch : Cantor Dietrice, me letifica pie veste •
VIII. fol. 69^^1137
lungat, ut opto, bona cum sorte deus tibi dona
Ob meritum, lete tociens mihi quod fluit e te:
Huius enim funis vi me tibi stringis et ynis;
Ad dandum munus varium mihi promptus es ynus.
Non tamen illud idem facio tibi — quod queror idem — 5
Nee scio, ni mente, grates tibi reddere lente
Exiguas more mimi, qui Carmen ab ore
Suscitat in summis modulando, datis sibi nummis.
Ein in anständigem Ton gehaltenes, in einen Glückwunsch gekleidetes,
Bettelgedicht. Das Urkundenbuch der Stadt Basel erwähnt II S. 75, 13 für 1274
einen Johannes quondam de Wilon und seine Witwe; einen andern, wohl deren
Sohn, II S. 227, 27 für 1282. Es ist hier wohl der ältere gemeint, der vielleicht
identisch ist mit dem von Konrad von Würzburg genannten Johannes von Wil
(Wyhlen liegt im Großherzogtum Baden). Vgl. Bächtold, Gesch. der deutschen Liter.
in der Schweiz, S. 125. Der schon oft beschenkte Dichter bedauert, nur in Versen
seinen Dank darbringen zu können; er scheint (V. 7) sich ausdrücklich von den
fahrenden Künstlern unterscheiden zu wollen.
IX. fol. 69'^n46
Maguntine, stüum, cum sis mihi, presul, asilum,
Dirigo iure meum modo pre cunctis iubileum
458 J- '^^^- Werner,
Applaudendo tibi verum, quia vix ea scribi
Possent ad plenum, que consnevere serennm
Reddere te, princeps; augentur namqne deinceps, 5
Vt tibi collatus testatur pontificatus.
Ergo tibi scripsi breve quid, ne detur eclipsi
lllud idera ceptum; cur finem snmat ineptum?
E tanta laude merito, pater inclite, gaude!
Id, quod honoris habes, numquam simoniaea labes 10
Polluit obscena; tua mens rationis habena
Se refrenavit, quod ei non appropiavit,
Justicia teste quam persequeris manifeste:
Semper enim tu ius fovisti, nee scelus. Huius
Causa virtutis auctor deus ipse salutis 15
Te sublimavit et honeste pontificavit
Cläre metropoli: laus binc et gloria soli
Te sublimanti sit iugiter altitonanti!
5 princeps über der Zeile zugesetzt 13 quam pro persequeris Begrüßung
des neugewählten Erzbischofs von Mainz, dessen Tugenden durch diese Erhöhung
die verdiente Belohnung erhalten haben. Es kann dies nur der am 15. Mai 1286
ernannte Heinrich von Isny, vorher Bischof von Basel, sein.
X. fol. 69^1^«
Menbra regi capite lex sanxit gentis avite;
Hie sacer ordo litus promit contraria ritus:
Pes Caput ascendit, testudo sub etbera tendit,
Cum renuente statu se non trabat illa volatu:
Prob dolor! elati, pocius servire creati, 5
Seeptrigeri temere renuunt se iussa tenere.
1 sancxit 6 Septrigeri Die Leoniner zeigen zweisilbigen reinen Reim,
einmal Caesurverlängerung in offener Silbe (V. 1); st bewirkt nicht Positions-
länge (V. 4). Auf welche Partei (bischöfliche oder königliche) dieser Spruch ge-
münzt ist, bleibt unklar.
XI. fol. 69^^28
§ Aula referta bonis, opulentis inclita donis,
Vultu diffuso, letare! dolore retuso
Principe de tali virtute nitente reali,
Qui decus est cleri cinctus dyademate veri.
Miti civilis, sed hero fore novit herilis, 5
Principibus festus armorum fwlgura^ estus,
Hostica castra terit, vi temptat et ardua querit;
Non tarnen arma gerit, sibi militis ensis obedit;
Poetische Versuche und Sammlungen eines Baslers Klerikers etc. 459
Asperat hos donis, seges hec hiis apta colonis;
En Ciceronis opes promit fortesque Canopes 10
Vincit in ingenio: pluit hec donaria Clyo.
1 epulentis Vgl. Ovid. met. XIV 272 : Diffudit vultus 3 vielleicht regali
zu bessern 6 falgur ad 10 canopos; gemeint sind die Weisen Aegyptens.
Es scheint ein Glückwunsch von Hofbeamten zu sein; doch ist nicht er-
sichtlich, ob die Huldigung dem Bischof von Basel oder einem anderen Prälaten gilt.
XII. fol. 69^133
§ Quos sine frande putat istic, mea musa salutat,
Musa iocosa satis humili mitlsque beatis,
Invida displosis, satis ac austera dolosis.
Metri flecto stilum querens pietatis asilum.
Principis ad caltum virtutum ^cemate /"ultum 5
Spondet sponsa thorum, perpes cui gloria; morum
Gratia coniurat, secam que vivida durat;
Demonstrat fructus a tanto presule ductus,
Quis sit, si queris, nee in hiis plus certificeris;
Quem reputo dignum proprio pro nomine signum. 10
XXIII. fol. 70^17
Curritur hie, munus bravii sed suscipit unus;
Qui metra mellita lingua dictante polita
StiUat et obscenam reliquorum qnamque camenam
Estimat, inde dator metri cen versiculator
Grandiloce spirans et totus in aere girans 15
Posset ab imbelli circi statione repelli,
Ni dornet ora rato linguam stringente lupato:
Obmit unda. ratera, nee sustinet anchora vatem
Na2(fragio tactum, tumidis aquilonibus actum.
Nil bonitatis ago, donec furit illa vorago; 20
Kepressi citharam nee laudis quero thiaram.
Lex equitis dura vigilique coercita cura:
Ut loca non mntet, quamvis victoria nutet.
2 mitique 5 cemate cultum 10 am Rande : Verte folium sequens et con-
cinna : Curritur hie etc. (fol. 70^ 1 7). 11 Nach I. Cor. 9, 24 : omnes quidem cur-
runt, sed unus suscipit bravium ; vgl. N. A. XXXII. S. 598. V. 221 ; auch Sextus
Amarcius III 559 f. paraphrasirt diese Stelle des Korintherbriefes. 14 datur
Hft, dator Wilh. Meyer 17 lingua; vgl. Prudent. Psychom. 191: frenarier ora
lupatis; Theodulf. II 117 (P. Lat. Carol. I, S. 454): Cuius lingua operis propra est
frenata lupatis. 18 umbra zu unda corr. 19 Nafragio ; Naufragio tactum auch
LIV 13; für beide Stellen schlägt Wilh. Meyer iactum vor.
Scheint einen großmäuligen Versschmid, der über andere herzufahren liebt,
zu verspotten. Das gleiche Thema liegt auch dem folgenden Stück zu Grunde.
460 «J^- J3,k. Wer n er,
Xni. fol. 69^1**
Qui tua metra facis, demens, verbis sab opacis,
Uteris glosa, qua clarifices onerosa
Verba, quibus sensus non est; viciis reprehensus
Talibus es merito; Collum subpone perito!
Quid vis de Remo, cum tu de rege B9bemo 5
Dicere proponis; vetat illud vis rationis.
Talia finxit anus; qui crederet, ergo profanus
Esse videretur, quia, quod lupus bec loqueretur,
Vocibus humanis fore fabula constat inanis.
Quis valet hoc scire, quod debeat * * * * * 10
U 0
2 honerosa 5 behemo 7 g, nicht g Leider entbehrt der vielver-
sprechende Anfang (Verspottung eines schwülstigen Epikers) einer Fortsetzung.
XIV. fol. 69^n6
Salve!, flos cleri, quo vult Basilea foveri
Principe sinceri cordis cultoreque veri:
In te mitis beri virtus solet usque videri;
Non in te queri scelus aut fraus volt nee baberi
Mite cor Assueri manet et tibi pectus; Omeri 5
Laus tibi preberi decet, hanc scis ipse mereri.
ÜSTon parcens eri mihi, queso, velis misereri:
Spes quit adimpleri mea per te, non removeri.
3 Iure 5 et schiebt Wilh. Meyer ein Begrüßungsgedicht an den Bischof
von Basel, in welchem der Dichter in kunstvoll gereimten Versen (16 Reime auf
-eri) sich dessen Mildtätigkeit empfiehlt.
XV. fol. 69^ni5
Urbs iocundare Basilea! Salus vigilare
Conspicitur certe simul ac Fortuna super te,
Cum tuus effectus sit alumpnus, qui bene rectus
Noscitur, bic princeps; ipso mediante deinceps
Bella profanabis civilia, fedus amabis, 5
Et Concors vives: clerus cum milite cives
Unum semper erunt, partes quibus ante fuerunt.
Ergo letemur omnes letique precemur,
Ut tam sincerum series longinqua dierum
Hunc comitetur herum, pia sors et copia rerum! 10
1 Crbs Irrtum des Rubrikators. Auf die Wahl des Bischofs von Basel,
jedenfalls Peter Reich von Reichenstein, der gleich nach seiner Wahl sich be-
mühte, die Parteistreitigkeiten beizulegen. Vgl. zu V. Die acht leoninisch ge-
reimten Hexameter werden durch 2 Unisoni wirkungsvoll abgeschlossen.
Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 461
XVI. fol. 69^' «26
Plus metra significant hec in se, quam tibi Dicant:
Est tibi tranquilla virtus probitatis et lila
Te fovet et lenit, a qua tibi gloria Yenit.
Kes per inexpletas te nostra quidem probat Etas
Esse pie mentis, pietatis opus quia Sentis. 5
Petrus Reich von Reicheusteiu, aus einem Ministerialengeschlecht stammend,
war Archidiaconus in Basel und seit 1278 zugleich Dompropst von Mainz. Nach
vergeblichen Bemühungen um das Erzbistum Mainz wurde er 1286 Bischof von
Basel.
XVII. fol. 69^ "32
Vestre persone, cui verba salubria mando,
Hoc metrum pando ceu vernanti ratione,
Notus ut inde forem, quod duxi scribere vobis
Theutonicisque probis vestrum captando favorem.
Sed minus huic bleso, quia curto tempore cudi 5
Sensu nempe rudi, clementer parcite, queso!
Absint insidie! contra quas non bene staret;
Nam tutore caret, qui polleat arte sophye.
Hec reliquis debet preferri natio digne,
Cui tam presigne nomen Germania prebet; 10
Nam quasi Grermani, cum sit Germanica dicta,
Federe constricta non vi terretur inani.
Hoc sermo quippe, quem moverat Israbelitis
Temporibus litis, probat allegantis Agrippe,
Imperio quando frustra cepere re^uti 15
Sueta fraude citi sibi ferre tributa negando.
Huius mota malis, velud in Josephe reperitur,
Quo bene colligitur, fuit allegatio talis :
Quo ruitis stulti? vestri nondum bene nostis
Quis sit mos bostis, vesano dogmate /"ulti. 20
Gens Germanorum, que robore mentis babundat, ^
Fortes ut fundat gaudens e cede virorum.
Non est vincenda, si vos parere velitis
Ecce meis monitis, potius sed permetuenda;
Contemptrix mortis, quia cedere respuit unquam, 25
Deficiet numquam sub inique turbine sortis;
Nee fovet exanimes; hec cum sit plena vigoris,
Nescia terroris, datus est Eenus sibi limes.
'462 '^' J*^- Werner,
Renenses quare plermnque solent alieni
A fluvio Reni nos nostratesque vocare. 30
Ne merear cerni lucem sermone tenere,
Postquam gaudere soleant brevitate moderni,
Versibus biis binis sed laude data prius ipsi:
Istud cui scripsi, quod metro sit volo finis. 34
8 poUeät 15 reuicti 16 sciti 20 sulti Hft, fulti Wilh. Meyer 27 cä
34 fit. Eine Lobrede auf die Deutschen, in der besonders ihre Tapferkeit und
Todesverachtung hervorgehoben wird. Vgl. Josephus, de hello jud. II. 16 ; Spiritus
autem maiores corporibus gerentes et animam quidem contemptricem mortis, indig-
nationes autem vehementiores feris, nunc autem limitem Rhenum habent. S. das
Zitat in XXXVIII. Aus der nicht leicht zu handhabenden Form dieser cruciferi
oder serpentini (vgl. Wilh. Meyer, Ges. Abhdlgn. z, mittellat. Rythmik
(1905) I S. 84) erklärt sich die sonst nicht so häufige Caesurverlängerung : 12, 23
(-a); 10, 13,32 (-e). Die Reime sind zweisilbig; wiederholt sind: -ando 1/2 und
15/16; -itis 13/14 und 23/24.
XVIIL fol. 70'i'8
Abluo, firmo, cibo, piget, uxor, ordinat, ungit :
Hec sunt ecclesie Septem sacramenta vocata.
Merkvers, der bei Haureau, Notices et extr. IV. S. 194 in
abweicbender Form gedruckt ist. Hierauf folgen 3 ähnlicbe Merk-
verse, die durcb vorangescbriebenes vacat getilgt sind; es sind:
a) Septem sunt casus, quibus bec transactio nulla 3 Verse.
Schluß: 'coniux, alimenta'.
b) Error, condicio, votum . . . ; über die Ehehindernisse , ge-
druckt bei Haureau N. et e. IV S. 192.
c) Si vacat Imperium, si negligit aut dubitetur,
Si subsint omnes, si consuetudo probetur,
Connexum faciunt, sine re (Hft: sinire) sub presule stetur.
XIX. fol. 70'"»
Ave virgo gloriosa, | celi iubar, mundi rosa, |. . . . supernorum civium.
Je die erste Halbstrophe (I — VIII) der bei Kehr ein, Lat.
Seq. No. 275, Mone, Lat. Hymnen No. 531 (IL S. 318) gedruckten
Sequenz ; hat in III 2 fälschlich lucis statt maris.
XX. fol. 70' 1*7
L Senescentis et delire
lire cordas renovo, novo
cantu volens expedire
dire mentis socia; ocia
Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 463
circa Syon presides
bene tibi provides.
II. Equitatur aliquando,
tuta loca peragrando
III. Capellanis prelatorum
maior quies clericorum,
IV. Cantes, legas et alleges,
non sis notus apud reges,
V. Et si Maro vel Lucanus,
vulgo presul est humanus;
VI. Ergo cautus sis, Homere!
mores eius reverere,
si des, adde propera opera!
5
quando iubet dominus; minus
grando, nix et glacies, acies
sagit^arum ingruit:
ruit mors per gravia avia
et inermcs obruit. 10
thorum prebet palea; ea
quorum penas video; ideo
retrabam obsequia,
quia opes temere emere
pondus, est non gloria. 15
leges salutiferas feras,
eges circa presules, ex?<7 es;
nisi quibus servias,
fias Chodri socius,
contempleris per vias.
canus sive iuvenis
manus fert ad loculos, oculos
reconformat munere,
ere replet dexteram, exteram
gentem doctus colere. 25
mere tibi predico; dico:
here! cuius lateri at^eri
non te diu perferet;
feret egros sospites, hospites
suos numquam deseret. 30
ocms
venis,
20
Form: Grundlage der Strophe ist der trocbäiscbe 15-silbner;
Eeiche Reime der durch die Melodie hervorgerufenen echoartigen
Wiederholungen verzieren die Siebensilbner und verknüpfen die
einzelnen Zeilen. Jean de Garlande in seiner Ars rithmica
400 ff. (bei Giov. Mari i trattati medievali di ritmica Latina 1899.
S. 48) nennt dieses Kunststück repetitio immediata und fügt bei:
quidam gaudent tali rithmo, qui suum volunt ingenium experiri.
Ob nicht diese gekünstelten Eeime den Einfluß Konrads von Würz-
burg verraten ? vgl. Bartsch, Deutsche Liederdichter^ S. LXIII.
Taktwechsel kommt nicht vor ; die Achtsilbner zerfallen regelmäßig
in 4_u + 4— u. Zwischen den Zeilen, besonders dem Echo, ist
der Hiat häufig ; im Innern findet er sich V. 14 quia opes. Zweimal
steht schließendes -m vor anfangendem Vokal: 8, 13.
464 J- J^^- Werner,
Der Inhalt ist nicht recht klar: es scheint ein Selbstbe-
kenntnis des Dichters zu sein, daß der Herrendienst gefahrvoll
und undankbar sei und nur die epischen (historischen) Dichter
Geld und Gunst erlangen.
Zu 1 verweist Wilh. Meyer auf Her. Sat. II, 5, 71 : senem delirum.
2 — 4 ist eine humoristische Wendung des bekannten und viel-
fach variirten Spruches Bis dat qui cito dat, den z. B. Guiardinus
168 zu Prompta placere scias, tarda sapore carent umgebildet hat.
8 sagitarum 10 inermis 13 ratraham 16 leges habe ich nach
Anleitung des Reimes eingeschoben. 17 exides 19 Codrus ist seit
Juvenal (3, 203) der Typus des armen Schluckers; Wilh. Meyer
zitirt Nachrichten 1908 S. 193 aus den Carm. bur. II Str. 5:
quia Codro Codrior omnibus abundas ; vgl. Alanus de planctu nat.
(ed. Wright S. 473) et Codrus abundat egeno. 27 mores fehlt
ohne Bezeichnung einer Lücke, ateri 28 perfert. 29 fert.
XXI. fol. 70'-n24
MoUis seu dura res quelibet est peritura:
Ergo procura felix, homo, regna futura,
Que sunt mansura, que meta sunt caritura.
Observa iura! placato deum prece pura!
Sit procul usura! pro victibus excole rura! 5
Nee facito plura! sie regnabis sine cura.
Die leoninisch auf -ura gereimten Hexameter (Tiradenreim) haben viermal
Caesurverlängerung, resp. syllaba anceps in der Caesur; so wird der Hexameter
gewissermaßen in zwei gereimte Kurzzeilen zerlegt.
XXII. fol. 70'"3i
I. 0 mores perditos et morum federa!
Non curant superi, quid agant infera;
Sinistre manui mentitur dextera.
Nee carent fraudibus fraterna latera.
IL Die, mater unica! die, Fides, filio! 5
Die, ubi habitas in hoc exilio?
In imis vallium et montis cilio.
In casis pauperum, an regum soKo?
IIL A primo generis humani stipite,
A mundi finibus exempla sumite, 10
A celi cardine, a terre limite:
Nusquam tuta fides; experto credite.
IV. Hoc ultrix fidei incumbens gladio
Elissa cecinit mortis conpendio;
Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 465
Pudori consulens et vite tedio 15
Luctantem animam iuvit incendio.
V. Olim res fidei, mmc umbra colitur;
Olim sola fides, nunc et frans fallitur:
Nam doli macHna dolo repellitur;
In dolo dolns est et dolo toUitnr. 20
VI. Sit ergo fraudibus hec meta gaudii!
Sit hec sceleribns summa stipendii!
Mundanos devorent hostiles gladiil
Nee mundo serviant solares radii! finita est.
Haureau hat Bibliotheque de l'e'c. des eh. 47 (1886) S. 92 die 4 Strophen der
Pariserhft Lat. 3549 saec. XII./XIII. fol. 168r zum Abdruck gebracht. Mit 5
Lesefehlern wiederholt Dreves Analecta hymnica 21 S. 124 den Text aus der
gleichen Hft. Madan hatte Bibl. de l'e'c. des eh. 46 (1885) S. 584 das Gedicht in
der Oxforderhft Bodl. Addit. A. 44 fol. 65^ nachgewiesen. Sechs Strophen bietet
die Baslerhft, die meist vor jede zweite Zeile § setzt. Eine Melodie ist nicht
überliefert.
1 0 fehlt B 4 latere B 5—8 nach 12 P 5 Die mater filio, die sodes
unico P 6 sie ubi P 7 an imo P et] an P 8 In] an P 9, 11, 10,
12 vor 5—8 P 11 celi] solis P cardines B 13—16 fehlen P 13 fide B
incumbit 0 17 nunc] nö B 18 et] est P sed nunc fraus 0 19 et doli
machina dolus P 20 et dolus tollitur P 21—24 fehlen PO.
Für den Nachweis der Zitate: 12 aus Verg. Aen. 4, 873 und 11, 283; 16
aus Yerg. Aen. 4, 695 = Lucan. Phars. 3, 578 und der Lesarten aus 0 bin ich
Prof. Wilh. Meyer zu Dank verpflichtet.
XXIII. fol. 70^17
Curritur hie . . . s. No. XII V. 11-23.
XXIV. fol. 70^131
Taurum sol intraverat . . . Die von W. Wattenbach in
der Zeitschr. f. deutsches Alterth. 18 (1875) S. 127—136 abgedruckte
Streitrede zwischen Ganymedes und Helena über die beiden Arten
der Liebe. Der Text dieser Hft enthält neben vielen Fehlern
und Lücken mehrere gute Lesarten ; an manchen Stellen stimmt sie
mit den Lesarten von "Wattenbachs R = Cod. Yat. Christ. 344
überein. Nach den größeren und kleineren leeren Stellen in der
Hft zu schließen scheint die Vorlage defekt gewesen zu sein. Ob
in- oder im-, con- oder com-, -ti- oder -ci- in der Hft steht, merke
ich nicht an.
1, 1 Maurum 2, 2 leue ; oft läßt sich nicht unterscheiden ob
u oder n gemeint ist. 2,4 adeptus 4,2 allisisse 4,3 tales
deos (= R) fama est formas 4,4 mirabatur 4,4 parem
5, 2 neque 5, 3 Phebe litiget, litiget et 6, 1 thoris 6, 3 phi-
Kgl. Geti. d. Wiss. Kacbiichton. Philolog.-hietor. Klasse 1908. Heft 5. 33
4ßß J. Jak. Werner,
gius[!], aber 8,3 Phrigius 6,4 fatetur fehlt; leerer Eanm dafür.
7,3 petitur 7,4 si nö 9,4 bona facie 10,3 terminant
11.3 Lora 12, 2 De secreto 12;2 cogitat = R 12, 3 Prolem
13.1 Comes erat = R Nach 13,2 eine Zeile leer 13,3 mis-
cet = R 13,3 inpares, das e zerkratzt. 14,2 nature
15, 3 Mirum 16, 3 deos hec (durch Compendium) v. o. iam. c.
16. 4 et illa r. videt 17, 4 superbi 18, 1 intro inferuntur
18, 4 regias = RV 20, 2 vor 20, 1 21, 1 docenti 21,4 blande
22.2 Adhuc virgoprepudens 23,1 P. coma libera nexu
23, 1 —4 haben die gemeinsame Endung -ari 23, 4 paulum = R
25,1 longiore 25,2 hincethincremovet = B 25, 3fa-
cilis similis 25, 4 für das fehlende Ventura ist Raum gelassen
26, 1 undique superos =^ R 26, 2 Phebum c. Jovem 1.
(= RV) 27,1 Jupiter 27, 3 de phrigio 28,1—4 gemein-
same Endung -erit 28,3 primitus in c. e. = BV 28,4 ocu-
los curia = R 29,1 Heus = R 29,2 nach 29,3 = RV
29, 2 invidens 29, 4 non fehlt 30, 1 liberos liberis 30, 4 opti-
matibus 31,1 decus est d. 31,2 nach 31,3 31,2 occidit
32, 1 vor reparari undeutliches Zeiches für et oder p 32, 3 per-
turbari = B 32,4 In me facit sentio 33,2 mutuo feminam
amplexu = R 33, 3 nat. nexu 34, 1 debent 34, 4 coin-
quinari 35, 2 uirum 35, 2 iungit amor lectus = R 36, 1 cum
durch das Compendium für con ausgedrückt. 38, 1 duxit inde-
corum 38, 2 forme sir. honestate 38, 3 geniale = ßV 40, 3
fehlt, Zeile leer 41, 1 ascendit = R 42, 2 Vos 42, 3 dimitat
42, 4 hoc hoc 43, 4 fehlt 44, 2 videat 44, 3 Quod se =
RV 44, 3 ingerunt 44, 3 usurpat etas 44, 4 puericio Mit
44,4 schließt fol. 71''", auf fol. 71^i' beginnt 66, 1—67,4 worauf
noch 8 Zeilen (s. no. XXVII 1—8) folgen; dann scheint der
Schreiber den Irrtum (er hatte wohl ein Blatt = 2 x 42 Zeilen
überschlagen) eingesehen zu haben : er fährt weiter mit 45, 1 Die . . .
45, 1 ateratur 45, 3 ventus, falsches Compendium der Endung
46,2, 3, 1, 46, 1 cum virginis decor evanescit = RV 46, 4 fehlt
47, 2 Et subesset inguini mulieris c. 47, 3 iudice 48, 3 fehlt,
leerer Raum dafür gelassen 49, 3 loqui = R 50 turpiter = BV
50, 2 hie fehlt 51, 1 Oo 51, 3 studeant 51, 4 Meretrix iam
8. t. impune f. 52, 3 ubi tune fehlen, ist Raum gelassen. 52, 4
thaide, auch im folgenden immer th- 52, 4 sapina 53, 2 Quid
54, 3 referat 54, 4 Sitis 55, 2 balfimum 55, 3 Quarum 56, 1
Jupiter medius 56, 2 ad hec se 56, 2 — 4 scheint die Vorlage
am Ende der Zeilen ein Loch gehabt zu haben, da die Schlußworte
verti (-t ist da) prefert it und stertit fehlen 66; 4 litigat ac
Poetische Versuche und Sanimlnngen eines Basler Klerikers etc. 467
57, 1 Venus vestra 57, 3 Dum 58,^ Fetens antrum 58, 3 fehlt
60, 1 res est 60, 2 amata = B 60, 3 sed non erit nostra lex
per 61, 1 prodit 61, 3 cum te subdit maribus h. inp. 61, 4
perdis pura 61, 5 hominis ibi fit = E 62, 1 In auditu 62, 2
robur 63, 3 non res inq. 63, 4 loquor 64, 1 refert equidem = R
64, 1 — 4 haben die gemeinsame Endung -iscit 64, 2 iam agnosco
64.3 Ergo nova 65,2 chorum virginum virgo 66,1—67,4 irr-
tümlich nach 44,4 66,2 Approbat coniugium 67,4 hoc si
fecero, wie Wilh. Meyer, Ges. Abh. 1 S. 277 vorgeschlagen hat
67. 4 Sit.
XXV. fol. 72^1*
I. Post hiemis rigorem et senium
movemur ad amorem et ocium:
ver adest ad honorem dans lilium,
calor äuget calorem venerium.
Vulnus habet remedium 5
apud alium;
Sed hoc est incurabile, nee medico curatur,
et numquam est sanabile, ni medica tangatur.
Una tantum pre ceteris
esset curatrix vulneris; 10
et sie par essem superis
sanus a plaga Veneris.
n. Una placet amanti pre omnibus,
sed non furi precanti pro precibus,
neque faveret danti nee dantibus; 15
hec non sunt ei tanti pro talibus.
Non movetur muneribus
neque precibus.
Hec sola spernit munera — quod raro solet esse —
et mavult propter cetera quam propter hoc subesse. 20
Una tantum (u. s. w.)
III. Parem pars occidentis non hahuii,
sensus humane mentis obstupuit,
mutatis elementis apparuit,
vultus dei viventis resplenduit.
Parem nuUum adhibuit, 25
parem renuit.
Hec parem nullum recipit, nuUi vult iungi par^
et sie amantem recipit, quasi nolit amari.
Una tantum pre ceteris (u. s. w.)
33*
468 J« J^^- Werner,
Form: Die Stropte ist zusammengesetzt ans 1) vier unter
sich reimenden Sieben silbnern mit fallendem Schluß, je verbunden
mit einem Viersilbner mit steigendem Schluß (Wilh. Meyer, Ges.
Abhdlgn. z. mittellat. Rythmik I S. 313): 4 x (7-^ua + 4u_b).
2) Mit den Viersilbnern reimen die zwei folgenden Zeilen von 8
und 5 Silben: 8u_b + 5u_b. 3) Den Abschluß bilden zwei aus
8u_c -f 7_ud unter sich reimende zusammengesetzte Zeilen
(W. Meyer, a. a. 0. I 316). Hiat findet sich 13 pre omnibus,
zweimal -m vor vokalisch anlautendem Wort (V. 8 und 25),
ebenso zweimal zwischen den Halbzeilen (V. 1 und 2). Takt-
wechsel kommt in den 18 Zeilen zu 7 _ u neunmal vor , in den
9 Zeilen zu 8u_ dreimal (immer in der gleichen Zeile der Strophe);
auch der aus 4x8u_eeee bestehende Refrain weist 3 Takt-
wechsel auf. Das gleiche E-eimwort haben V. 14 und 18; aber
V. 14 gibt keinen ordentlichen Sinn.
V. 21 nach non ist inde multo gravius durchstrichen. hü'it
Ob V. 24 das von mir eingeschobene resplenduit das richtige ist?
die Hft hat keine Lücke angezeigt. V. 27 iungi parem habe ich
nach dem Reimwort der folgenden Zeile geändert.
XXVI. fol. 72' 128
I. Reverendi iudices! quorum habet cura
et stare pro legibus et tueri iura;
Res est, quam dicturus sum, cunctis profutura
et neglecta cunctis est eque nocitura.
II. Licet sit quibuslibet onerosa satis, 5
satis tamen continet hec pars honestatis;
cum res ergo tanta sit, vos, qui iudicatis,
vestram audientiam inihi concedatis!
m. Breviter edisseram rem modumque rei:
cum nisi per Tetidem feritas Liei 10
superari nequeat, voluere dei,
ut Thetis coniugio iungeretur ei.
IV. Justum est, ut coeant Thetis et Lieus,
ut deae temperie temperetur deus;
probo, quod legitimus sit hie himeneus : 15
sed hoc adversariws inprobab?^ mens.
V. Est in Bachi viribus parum immorandum:
cunctos Bachus efficit promtos ad pugnandum;
4 est neglecta Hft sed negl.? Wilh. Meyer 5 honerosa 8 m' zu m corr.
14 ut deus 16 aduerearis 16 inprobabw abgekürzt geschrieben.
Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 469
mulieres etiam cogit ad prostandum;
Bacho turpe nichil est, nichil est infandum. 20
VI. Bachus amat iurgia, ^achus odit pacem
et confert civilibus animum andacem.
Dens hie de timido faeit contumacem ;
nee Lombardus ebrius metuit limacem.
VII. Deus hie letificat animum humannm 25
et inermis hominis armat ipse mannm;
et simplex canonicus putat se decanum,
qnociens incorporat vinum veteranum.
Vin. Diu inter principes lis est conversata,
sed versata tociens non est terminata: 30
ergo 5it in medio iterum prolata,
ut in hanc sententiam proferatur rata:
IX. Frenum nescit ponere sue Bachus ire,
quia per illicitum multos cogit ire;
est ergo consilium honestatis mire, 35
quod hwic malo poterit modum reperire.
X. Si vos Bacho Thetidem iungere velitis,
Thetidis moUicie Bachns erit mitis.
Placet hoc consiliam omnibns peritis,
placet laicalibns, placet heremitis. 40
XI. Et nos decet emulos esse Lonbardorum,
qni precellunt omnibus vilitate morum:
s^ exemplo singnli viverent eorum,
de ferratis Optimum haberemus forum.
Xn. Omne, quod superfluit, illis plus est gratum, 45
quia tantum hauriunt vinum adaquatum:
amant, ut sint ebrii; sed mos est, ablatum
purum ventri trudere vinum faleratum.
XIII. Talis inter monachos mos est usitatus,
quod, si vacet cathedra sive prioratus, 50
in primis considerant, quis sit plus inflatus
XIV. Istud ergo nemini mirum videatur,
si chiphus ad oculum vino inpleatur,
19 zu prostandum vgl. Guiardinus 346: Ipsaque Penelopes hac (i. e. ebrie-
tate) duce Thais erit. 21 Pachus odit 22 Os hie = Omnes hie 29 versata
Hft hec lis est versata? Wilh. Meyer 31 fit 32 hac sententia? Wilh. Meyer
36 hinc 37 tethidem 40 lacialibus 41 At non? Wilh. Meyer 42 Novati,
Attraverso il medio evo. S. 141 f. zitiert unter anderm aus Jacques de Vitry fol-
gendes: Lombardos avaros, malitiosos et imbelles 43 sie 47 mox?
470 ^- '^^^- Werner,
et quod mensa variis cibis oneratur : 55
nam vere salvabitur quisquis erit satur.
XV. Hoc modo sc tendere iactant ad virtutem
et preponunt anime corporis salutem
accincti potentia ad inplendam cutem:
quam mihi si replea?jt, ego non refutem. 60
Form: Die bekannte Vagantenstrophe von 7w— x-f6 — üb hat auf
60 Zeilen 14 Taktwechsel in 7u — , darunter aber nur einmal mit dreisilbigem
Wort 59: accincti. Jede Strophe hat besonderen zweisilbigen Reim. Elision
findet sich nicht; Hiate kommen vor V. 29, <43> und 54 und in der Caesur V. 31
und 59; viermal findet sich -m vor anlautendem Vokal (V. 8, 13, 17, 22), zweimal
vor h- (1, 25).
Inhalt: Das beliebte Thema, über welches sowohl der Primas Hugo von
Orleans (s. Wilh. Meyer in Nachr. der Ges. d. Wiss. zu Göttingen 1907 S. 149 f.)
wie "Walter Mapes (ed. Wright S. 87—92 : Dialogus inter aquam et vinum) Verse
gemacht haben, wird hier in einer fingierten Gerichtsrede zu behandeln versucht;
leider hat sich der Dichter von V. 41 ab zu Abschweifungen verleiten lassen, die
nicht zur Sache gehören.
Einzelnes: V. If. Vielleicht Anlehnung an Verg. Aen. 7, 443: cura
tibi divum . . . templa tueri. 12 Vgl. Carm. bur. 179,5 S. 241: Dea deo ne
iungatur. 24 Anspielung auf das hin und wieder unter Ovids Namen überlieferte
Spottgedicht de Lombarde et Lumaca, das Fr. Novati in Attraverso il medio
evo (1905) S. 119—151 mit Anmerkungen herausgegeben hat. 52 Die Hft hat
kein Zeichen der Lücke. 57 sese 60 repleat.
XXVII. fol. 71^19. foi. 72rn38
I. Dudum felix modo miser id quod eram defleo ;
Olim dives modo pauper quod amisi doleo.
Illum statum sie mutatum memorate teneo,
Yite finem destinatum evenire timeo.
H. Olim census, forme, sensus erat mihi copia, 5
Tanto gravat, que nunc instat, artius inopia;
Nam quo maior, quo fecunda fuit illa gloria,
Tanto minus est agenda Uliiis memoria.
in. 0 quam dura blandimenta sortis sunt et aspera,
Que tunc nuta,i et plus mutat, cum promunt?^r prospera ; 10
Nova placent, cum iam vacent, que fuerunt vetera:
Est deiectus et despectus vetus inter cetera.
IV. 0 miranda et nefanda vite huius novitas,
Que captata et amata plus quam morum probitas.
Nova redit, et iam cedit veterum auctoritas ; 15
Silet verax, vincit mendax, locum habet falsitas.
V. 1—8 sind durch Irrtum in das Gedicht XXIV geraten; s. daselbst 44,4.
5 vor census ist se ausradirt. 6 arxius (r und -us durch Abkürzung) 7 illis
(is durch Abkürzung) 10 micat llft, nutat W. Meyer; promüt. 14 captatur
et amatur? Wilh. Meyer.
Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 471
V. Virtus abit, honor fugit, regnant hiis contraria;
Venit dolus, redit scelus et frans multipharia :
Amor brevis, fides levis est et momentaria,
et verorum amicorum non sunt tria paria. 20
VI. Natus patrem, nata matrem machinata fallere:
Omnes fallunt, omnes malunt fraude quam nil agere.
Omnes credunt, si non ledunt, ociosi vivere;
Hec pro certo et experto mihi possunt credere.
VII. Gloriosam domum unam dudum notam babui 25
Et magistram domus huius non pro iure colui:
Si quid illi displicebat, miro modo dolui;
Eins Votum mihi totum conplacere volui.
^ * ^
Vin. Invidere cepit quidam sue matris filius,
Machinator sub occulto sibi ipsi conscius 30
Rem paravit venenosus perturbare nequius;
Cuius vita est iam scita, sed scietur plenius.
IX. Si quis ortum scire velit, Bachus illum genuit;
Mater Venus hunc in curiis annis VIII tenuit;
Sciens mala prefutura, ei?^s ortum tacuit, 35
Sed nunc satis per immensum facinus innotuit.
* * *
X. Tutus loquor nee timesco, quod me vincat ratio:
Si quid novit, quo me ledat, proferat in medio,
Et ad causam iudicandam testis adsit conscio;
Si quis nostrum reus erit, dignus sit supplicio. 40
XI. Si decretum sit conpletum, quid certemus viribus?
Vel concessum sit, quod armis dimicemus paribus.
Victor ero, sicut spero, divis adiuvantibus
Et si cedo, me concedo duris mori legibus.
XII. Si loquamur et agamus arte dialectica 45
Et interdum disseramus, quid agat gramatica,
Et queratur, quid dicatur color in rethorica,
Respondebis: „bibo", „bibis" et de arte bachica.
^ * *
XIII. Huc inclines et auscultes, cara mihi domina!
Condescendas et attendas, que sint hec certamina. 50
Tandem per te leniorem, sicut scis, contamina.
Hunc elide, iustum vide, causam nostram terminal
18 venit doctus dolus, aber doctus gestrichen. 19 est fehlt. 21 machinatur?
Wilh. Meyer 22 fraudem? Wilh. Meyer 32 vitä 35 prefutura ist wohl pleo-
nastische Neubildung 35 eis 38 Si quis? Wilh. Meyer. 42 fit 45 dyaletica
52 eUd-
472 J- J3,k. Werner,
XIY. Servum tuum ne repellas nee contempnas amodo,
Qui de tuo tamquam suo gratuletur conmodo.
Tibi vivo, tibi plaudo, semper nitor, quomodo 55
Landes canam et depromam carmine multimodo.
XV. Silet musa, cessat dextra, dicit carta: gaudeas!
Quidquid agas, quidquid dicas, velle bonum habeas!
Dia vivas ! leta fias ! quidquid vis, obtineas !
Et conpleto fine leto sine fine valeas! 60
53 nee repellas contempnas, aber repellas getilgt. 54 te zu de corr.
gratulatur? Wilh. Meyer.
Es scheinen entweder Bruchstücke aus einem größeren Ganzen oder An-
fänge zu einem solchen zu sein. Die rythmische Form ist nicht sehr sorgfältig
gehandhabt, da in der oft durch Reim markierten Neben-Caesur nach der vierten
Silbe einige Hiate vorkommen.
XXVIII. fol. 72^1*2
I. Volo virum vivere viriliter;
diligam, si diligor equaliter:
sie amandum eenseo, non aliter,
hae in parte forcior quam lupiter.
Nescio procari 5
eonmercio vulgari,
amaturns forsitan volo prius amari.
IL Muliebris animi superbiam
gravi supercilio despiciam,
nee maiorem terminum subiciam 10
neque bubus aratrum prefieiam.
Displieet hie usus
in miseros diffusus.
ma?o ludens plaudere quam plangere delusus.
m. Que cupit ut placea^, huic placeam; 15
ipsa prior faveat, ut faveam;
non ludemus aliter Jianc aleam,
ne se granum reputet, me paleam.
Pari lege fori
deserviam amori, 20
ne prostemar inpudens femineo pudori.
IV. Liber ego liberum me iactito
casto pene similis Ypolito ;
nee me vineat mulier tam subito,
ut seducat oculis ac digito * * * 25
2 si diligar Bu 4 Interpunktion nach Wilh. Meyer 5 precari 8 Mulieris
Bu 14 ma ludens Hft plaudens ludere Bu 15 placeä zu placeat corr. 16 prius
prior, das erste gestrichen — prior ipsa Bu 17 aus Carm. bur. eingeschoben.
Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 473
19 pani. 23 pene fehlt Bu, fore in Bu am Rand von anderer Hand 24 non
me Bu 24 vineit, über das zweite i ist a geschr. In den Carmina hur.
n. 139 S. 210 ist die 4. Strophe vollständig; es folgt sogar noch eine weitere, als
Palinodie. lieber den Bau der ersten 4 Zeilen dieser Strophe 4x7u — x-f-4*-' — a
handelt Wilh. Meyer, Ges. Abhandlgn. I. S. 306. Der 6. Vers hat gegenüber
dem fünften (6-^u) eine Vorschlagsilbe; s. a. a. 0. I 251. Die 7. Zeile ist eine
Verbindung von 7u [-7 — ^ ohne Reim V. 11 Parallelen zu diesem Sprüch-
wort verzeichnet Wilh. Meyer, Nachrichten 1906. S. 61 , dem ich auch für die
Mitteilung der Lesarten aus Bu (= Cod. Lat. monac. 4660) verpflichtet bin
V 21 inprudens; Wilh. Meyer weist hin auf das Wortspiel in inpudens — pudori.
XXIX.
fol. 72^""
I.
n.
ni.
IV.
V.
VI.
dulci Progne modulo
ferit vocis iaculo
fons a dextris murmurat
et ver fontem -pur^ursit
relabor medullitus
langTiet milii spiritus
dum Uli commisceor
transcendisse videor
nescis, quia legitur:
semper caris agitur
[leerj
0 zoi ca ziace
Dum flosculum tenera
lactant veris ubera,
dulcem mulcet aera,
philomena sydera.
Eram vacans ocio
sub olive pallio;
aquarum suspirio,
flore multiphario.
Dum Acres inspicerem,
aurem cantu pascerem,
in amorem veterem:
et cor bibit venerem.
Dum contemplor uterum
et recordor uberum,
et semel et iterum :
gazas regum veterum.
Si te miles equitat,
amor me nobilitat;
omnis amans militat,
et in castris babitat.
Ut autem non besitem,
an diligas equitem,
[leer]
sine tibi militem.
IG
15
20
24
3 pgne. 8 preparat d. h. re und ra durch Abkürzung 15 commisseor.
19 legitur fehlt, ohne Lücke. Das von Mone im Anzeiger f. Kunde der deutsch.
Vorzeit VII (1838) Sp. 291 aus der Hft. v. St. Omer 351 (715) saec. XIII abge-
druckte Gedicht gewinnt durch die Baslerhft nicht viel an Verständnis. Der Zu-
sammenhang zwischen der 4. und 5 Strophe ist nicht bloß durch die eine in
unserer Hft fehlende Strophe, die vor der 4. in der Hft St. Omer steht, unter-
brochen: im ersten Teil schwelgt der Dichter in lachender Frühlingslandschaft
in der Erinnerung an die frühere Liebe. Die Zeilen zu 7 ^ — haben 8 Taktwechsel ;
darunter 7 aquarum, 11 reläbor.
474 J- J*^- Werner,
XXX. fol. 72^081
I. Ordinarat ab eterno patris prescientia
visitare de superno natos in miseria.
II. Sed cum venit plenitudo temporis sab gratia,
inclinatur altitudo, ut exaltet vilia.
m. Intrat aulam virginalem dei sapientia; 5
formam sumpsit corporalem, non relinquens propria.
IV. Parit ergo stella solem, quo relucent omnia;
admirandam cunctis prolem viri profert nescia.
V. Nata gignit genitorem estque nati filia;
virgo parit: contra morem tanta est potentia. 10
VI. Celebremus voto pari Christi na^alicia,
ut cum ipso gloriari possimus in gloria.
1 rdinarat, Initiale 0 fehlt. 3 con durch Compendium , verbessert von
Wilh. Meyer, der auf Galat. 4,4: cum venit plenitudo temporis, misit dcus filium
suum verweist. 11 nalicia. Weihnachtslied in trochäischen Tetrametern, die
insgesamt auf -ia reimen ; die 8 — u reimen paarweise unter sich und haben
Nebencaesur nach 4 — u, doch ist sie reimlos. In den 7 ^ — findet sich 1 Hiat
(V. 10) und ein Taktwechsel (V. 12); einmal -m vor Vokal im Innern des Verses
(V. 12).
XXXL fol. 72'"^«
A.
Ia. Lege dura mortis dire
dolens deus interire genus Ade miserum,
Ib. Dei splendor, verbum patris
illibate semper matris fecundavit uterum :
II. Christi natalicia 5
vocawt nos ad gaudia: gaudeamus!
B. '
Celicus, unicus, beUicas gigas arce patris
mittitur; clauditur, nascitur Christws alvo matris:
Nato dato filio
plaude gaude concio! 10
C.
Primus homo corruit, quia nos perdiderat;
sed secundus diluit, primus quod comwdserat;
eins culpam diluit, dolens quod perierat,
et nos vite reddidit, primus quo5 abstulerat.
D.
Ia. Secretorum conscius 16
mittitur inferius angelus ad virginem
1 ege ohne Initiale L. 6 vocat 8 ;upo. 9 a nato. 12 comiserat.
14 quod Hft, quos Wilh. Meyer 15 Secretorum conscius ist auch der Eingang
einer andern cantio nach Chevalier, Rep. h. 33424 (Mitteilung von Wilh. Meyer).
Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 475
Ib. Regis ferens nuncium;
denegantera vitium sie aifatur humilem:
II. Virgo, vale! gentium
paritura gaudium, 20
dei patris filium,
deum et non alium.
E.
I. Rimetur mens hominis
de scripturis intimis, quod completur hodie;
n. Dum nostra miseria 25
miranda maneria relevatur hodie;
III. Adam pane vescitur
et sudor detergitur sui vultus hodie;
IV. Eva parit puerum
neque dolet uterum, sed exultat hodie; 30
V. Serpens magis callidus
eunetis animantibus suifocatur hodie;
VI. Gladius versatilis
toUitur a ianuis paradysi hodie;
VII. Noe pro diluvio 35
clauso foris ostio archam intrat hodie.
E.
I. Res iocosa, quod hec rosa sine succo floruit;
novum mirum: virgo viram sine viro genuit.
Hec est luna, de qua deus verus sol emicuit;
hec est una, per quam reus suscitari meruit. 40
II. Hec est mater, per quam pater deus suis profuit;
hac de matre deo patre deus nasci voluit;
hac medela de tutela nostra sors non timuit;
in ruina medicina nobis hec consuluit.
a.
Mirum posse deitatis : 45
mire deus potestatis
vas non fregit castitatis;
per descensum maiestatis
opposito conmercio fit gratie: se filie
cubiculo piaculo mundi deus humanavit. 50
H.
Misterium mirabile,
19 vale wegen des Hiatus für das sonst in der Anrede an Maria gebrauchte
ave ! 33, 34 Vgl. Gen. 3,24 : coUocavit ante paradisum ... et flammeum gladium
atque versatilem 36 hostio 49 oppositorum Hft; opposito Wilh. Meyer; die
Verse sind unverständlich.
476
J. Jak, Werner
n.
III
IV.
miracalum peratile divina mens disposuit:
Constabilis, inlabilis,
eternus, inmutabili^ lumen in testa latuit.
I.
Mundus reformatur, 55
exul revocatur,
hostis inpugnatur,
fides roboratur.
K.
Eia! gaude Syon filia!
fidelium ecclesia 60
natum veneretur!
nature vis miretur, quo federe
fit in puerpere triclinio
nova dispensatio nuptiarum.
L.
Vident terre termini nocte terminata
salutare domini:
Ros de celis cecidit; terra fecundata
fructum suum edidit.
M.
Tribus uni rerum principio
gratuletur fidelis unio,
resignata felici patrie
non meritis, sed dono gratie.
N.
Florem parit virga Jesse:
deus homo fit ens esse;
fit eternus temporalis
et inmensus fit localis.
65
70
75
0.
Delictis hominis
in aula virginis
Non fit introitus
non facit coitus
80
submtrat virgmem;
assumit hominem
per viri coitum;
talem introitum,
Hie mortis poculum gustat pro populo
a morte populam solvi^ hoc poculo
0! Christus moriens nobis compatitur,
nos solvit paciens, nuncius moritur, mors morte noxia
V. Parit hec filium patris consilio;
patris cowsilium erat cum filio sine distancia.
54 inmutabili 62 natuare. 77 Elictis 79 per virum. 82 solum
84 nunc eius m, mors m. n. ? Wilh. Meyer 86 com filium.
regis potentia.
sed virtus regia.
pietas nimia.
85
Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 477
VI. Hec orbis oculum parit miraculo;
uere miraculum : hoc enim oculo relucent omnia.
P.
I. Virgo parit filium
in natura geminum, 90
in persona unicum; nee conceptus virginem
nee assumens hominem
ledit, sed originem mutat humanitatis.
II. Landes demus melicas :
hostis per exuvias 95
est ditata civitas; canle ovis redditi^r,
dragma restituitur,
sancius reficitnr, non merito sed gratis.
Q.
la. Vergente mundi vespere
sol nascitur de sidere, dum virgo fecundatur. 100
Ib. Ros cernitur in vellere,
fruetus in virge germine, dum verbum humanatur,
IIa. Par pa^ri sapientia
ex informi materia pene primordialis
IIb. Potenter formans omnia, 105
confederans contraria nature coequalis.
* 94 mellicas. 96 reddita zu redditur corr. 99 Anfang einer Sequenz bei
Kehrein, Lat. Sequenzen Nr. 252 103 pari, corr. Wilh. Meyer 106 contraria.
Eine Reihe von längeren und kürzeren Weihnachtssprüchen in wechselnden
Rythmen; einzelne nähern sich der Form kurzer Sequenzen in der Stabat mater
Strophe. Aus je 5 jambischen Sechssilbnern (u — ) bestehen die Strophen in V.
77—88, die alle durch den Reim -ia der Schlußzeile gebunden sind. Wilh. Meyer
macht aufmerksam auf die dort vorkommende Spielerei, daß kreuzweise in den
Reimsilben die gleichen Worte, aber in anderm Casus, gesetzt sind.
XXXII. fol. 73-- "*i
Spes promissa lupo de gutturis osse remoto :
Hanc sibi subtraxit et ei se nil dare dixit.
Sit non illa mea, quia res incepta peracta.
Est finis libro; nam si quid dat mihi presto
Frater Cünradus, non fiat in hoc mihi surdus: 5
Spes promissa mea ne sit sua conscia lesa.
Si vacuus fuero per fratrem, non ego spero.
4 iam? Wilh. Meyer. Vielleicht Begleitschrift zu einer Handschrift, die be-
stellt war: Der Schreiber bittet um die versprochene Belohnung. Ob unter dem
Frater Cuonradus der Camerarius (1269 — 1285) und Decanus Konrad Golin zu
verstehen ist, bleibt unsicher. Im Gegensatz zu andern Stücken haben diese
Verse mit Ausnahme von V. 7 einsilbigen Reim.
478 J- ^^^' Werner,
XXXin. fol. 73^^»
I. BoreaK sevicia dulcis concentus avium
Sopitur in tristicia, decor et florum suavium
Aret brumali glacie; liiis solare tristiciis
Me, virgo vernans facie!
n. 0 noxialis socius, Amor! numquid remedium 5
Habes, ut tollas ocius mei laboris tedium?
Corda languescunt saacia: precor, assit concordia!
dolenti fer solacia!
III. Rubentis oris osculis, cuius transfigor iaculo,
locnndor plus quam flosculis sub amoris signaculo. 10
In mei cordis domina, cuius cano preconia,
Salutis florent omnia.
1 Borealis. 3 tristiciis hält Wilh. Meyer für sehr bedenklich 10 flos-
culus, das letzte u zu i corr.
Die gleiche Strophe (7 jambische Achtsilbner mit der gleichen Reimbildung)
zeigt das Liebeslied Carm. bur. No. 165 S. 228. In den 12 vorderen Kurzzeilen
kommt 4 mal Taktwechsel vor ; die 9 hintern haben ohne Ausnahme Taktwechsel ;
beide ohne damit daktylischen Wortschluß zu verbinden. Die gleiche Zeilenzahl,
aber nur zwei Reime haben die Strophen des politischen Liedes Rex et sacerdos
prefuit in Anal, hymnica 21 No. 243 S. 173.
XXXIV. fol. 73^1»*
0 Magdalena! margaritis bona Christi,
Que Septem plena viciis peccando fuisti;
Graudia quinque tibi debent premaxime scribi,
Que, dum vixisti, pro Christo promeruisti.
Christus mundavit te rore sue pietatis, 6
Spiritus afflavit, qui donat premia gratis.
Lazarus in fremitu tibi germanus redivivus
Prodiit ex gemitu penarum iam modo divus.
Prima resurgentem salvatorem meruisti
Cernere, nolentem se tangi, cum voluisti. 10
Cum super etAra lesus mieuit, loca sola petisti,
Potus ac esus multis annis renuisti.
Crederis angelicis ibi cetibus usa fuisse,
Laudibus i/mnidicis simul ipsis intonuisse;
Tandem munita celesti pane migrasti 16
Et margarita celestis ad astra volasti,
In quibus es iuneta genitori cunctipotenti
Secula per cuncta semper sine fine manenti.
1 0 vorgeschrieben, doch B rubriziert. 0 Maria Magdalena Hft, von Wilh.
Meyer corr. 6 q = que 10 Ev. loh. 20, 17: Dicit ei lesus: Noli me tan-
gere 11 etra. 14 puidicis Hft, ymnidicis Wilh. Meyer.
Unter den verschiedenen Hexametern, aus denen diese Lobrede auf Maria
Magdalena besteht, finden sich 2 leoninische (V. 3, 4) und IC coUaterales , über
Poetische Yersuclie und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 479
•welche vgl. Wilh. Meyer Ges. Abhdlgn z. mittellat. Rythmik I. S. 83. Aus der nicht
häufigen, also nicht leichten Form erklären sich die langen Wörter am Schluß
der Verse (drei fünfsilbige und 5 viersilbige).
XXXV.
fol. 73^132
Maria Magdalena!
der gottes minne plena!
Ich bitte dich, vrowe here!
durch dirre vröden ere,
der ich dih nu ermanet han,
dastu den bresten sehest an,
den ich an miner sele trase,
swa ich mih alle mine tage
han wider got verschuldet;
das ich gegen im gehuldet 10
von diner bette werde,
siit do er dir uf erde
so gross gnade hat gegeben
vnd dort mit im das ewig leben. 14
Dieses Gebet ist das einzige deutsche Stück der Hft.
XXXVI.
fol. 73' I«
I. Ave! maris Stella!
divinitatis cella!
genitrix
II. Hodie salvator
et angelorum sator
nascitur
III. Umbra vetustatis,
enigma, cecitatis
Israel
IV. Eigor perit legis,
cum pro peccato gregis
populus
V. Virgo singularis!
Maria, Stella maris
virgo castitatis,
radix sanctitatis,
eterne claritatis!
mitis et devotus
in ludea notus
et languet ut egrotus.
transiit in lucem,
profert virga nucem,
dat ex Egypto ducem.
pastor immolatur,
hostia mactatur,
in tenebris salvatur.
10
15
salu5 in procella!
regalis puella
dominum pro nobis interpella! 20
10 enigma aus Dreves, norma Hft 11 virgo 18 salus aus Dreves,
salva Hft. 20 pro nobis dum, doch corr. Von Dreves Anal, hymnica 20 No. 187
S. 143 aus einer jüngeren Hft mit Refrain abgedruckt. Chevalier Repert. hymnol.
No. 1891 zitiert noch einen Druck bei Klemming, Hymni, sequentiae ... II. S.
13 — 15. Daß die drei leoninischen Hexameter
Plasmator rerum, fons lucis, origo dierum,
pro nostris natus peccatis, passus, humatus,
surgens scandisti celum, qui pneuma dedisti.
in der Basler Hft mit Unrecht hier angehängt sind, ist offenbar ; woher sie stammen,
ist mir unbekannt.
480 '^' '^^^' Werner,
XXXVIL fol. 73^° »5
I. Quod in ligno Moysi aqua dulcoratur,
vel ligno oeneus serpens elevatur,
quod in vase vitreo passus inmolatur,
quod in solitudine hircus destinatur.
II. Quod Elie vidua duo ligna legit, 5
quod Sampson Gasensulis portas nocte egit,
quod idem mandibula mille viros fregit,
quod laternis Madyan Gedeon subegit.
III. Quod leptlie in filia vicit preliantes,
quod Raab in coccino salvat explorantes, 10
quod signantur per thau literam gementes,
quod relicta lab^a lob sunt circa dentes.
2 eneus 3 viteoli 10 Jos. II 6: operuitque eos stipula lini 11 Sig-
natur 12 labya zu labia corr. Es ist durchaus unklar, zu welchem Zwecke
diese in der sog. Vagantenstrophe aufgezählten biblischen Beispiele zusammen-
gestellt wurden.
[XXXVin.] fol. 73^n28
Dicit Josephus: virtutem et magnitudinem corporum Germa-
norum sepe vidistis, Spiritus autem maiores corporibus gereutes et
animam quidem contemptibilem (Hft: cond.) mortis, indignationes
(Hft: indignatio nos) autem vehementiores feris, limitem Renum
habent. ... die in XVII 21 f. berührte Stelle in Josephi bell. jud.
IL 16,4.
XXXIX. fol. 73^1188
0 Maria! mater pia morte sua; prece tua
salvatoris! summi roris hunc implora, quod in hora
madens vellus, fons novellus mortis dire parcat ire, 10
et conclusus, quo est fusus ne dampnemur, ut meremur,
deus homo, qui de domo 5 sed adiuti simus tuti
servitutis vi virtutis per te, pia o Maria!
nos redemit, cum nos emit
1 0 mater pia Maria 2 summis 9 § Hunc Oratio in achtsilbigen
Zeilen mit Binnenreim; diese Caesur hindert Taktwechsel; Wilh. Meyer weist
darauf hin, daß in ungewöhnlicher Weise fast alle Zeilenenden dem Sinne nach eng
mit dem Anfang der nächsten Zeile verbunden sind, d. h. die Caesur die Sinnes-
pausen bezeichnet. Hiat hat V. 4.
XL. fol. 73^ "48
I. Estatis indicium
et veris inicium
nunciant delicium
Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 481
migret estivale.
per tempus vernale.
septentrionale.
per rosas suaves.
frugibus propicium,
cum sol ad solsticium
Caumatis flagicium,
gelu precipicium
et nivis supplicium
pruineque vicium
sustinent exicium
Flavit auster lenius
et fugavit plenius
frigus irrefrenius
II. Bemissis frigoribus
estivis temporibus
rident prata floribus
irrigata roribus,
odora odoribus
Cantuum clamoribus
clangunt sub tenoribus
campi cum nemoribus,
gaudent in arboribus
murmurum dulcoribus
Agri virent semine;
meror sit in nomine !
incitantur femine, ne sint viris graves.
III. ßedit cum familia
ver linquens exüia,
Tempe sit sub tilia:
viole et lilia
plus quam mille milia
Celi volatilia,
terre gressibilia,
maris aquatüia
et vegetabilia
sentiunt auxilia
In cuius presentia
quanta sit potentia,
terre nunc nascentia
10
15
20
festivantes aves.
25
30
sumunt incrementum.
35
solis et fomentum.
5 migrat? Wilh. Meyer 6-
prebent argumentum. 39
9 vgl. die Stelle aus der nach dem 148 Psalm
gedichteten Sequenz Cantemus cuncti (Kehrein, Nr. 44) : cauma, gelu, nix, pruinae . .
28 relinquens 34 stellt Wilh. Meyer vor 33 38 psentia vor potentia, doch
gestrichen. Bemerkenswert ist V. 3 der Singular delicium ; auch V. 7 gelu als
<Jenitiv. Die drei Teile der Strophen sind je durch den Reim der Schlußzeile
gebunden. Die siebensilbigen Zeilen 7 u — ) sind in den ersten vier Silben frei,
nur die drei Reimsilben werden gleich akzentuiert. Es ist die Vagantenzeile,
Kgl. Oes. d. WiBS. Nachrichten. Fhilolog.-histor. Klasse 1908. Heft 5. 34
482 J- *^*^- Werner,
deren vorderer Teil 2x5 und 3 mal wiederholt wird. 2 Taktwechael in 6 — u
V. 10 und 18.
XLl. fol. 74'-i26
Adventate citi! cytoas tangendo periti
Decantate melos! pia pulsent Organa celos
In landem geniti patris de virgine miti,
In qua natura cecidisse stupet sua iura,
Integra dum prolem gignit, vitrum quasi solem. 5
Partus inauditus ! nee eget ratione peritus,
Quomodo vel quare sie virgo queat generare.
Fabro nature fidi hec generatio eure;
Quam dat et enumerat, sibi ius speciale reservat.
Yirgo parens patris, lactis libamine matris 10
Obsequium gessit, matrum sed cetera nescit.
Mater et absque pare natum devota precare,
Ut lumen veri miseris timet misereri
Et pia stirps Jesse devotis semper adesse. 14
1 cyceras 4 quo 8 finit 9 für enumerat wünscht Wilh. Meyer ein
Yerbum wie observat V. 12 ist der Ablativ pare durch den Reim geschützt.
13 an Stelle des unverständlichen timet wünscht Wilh. Meyer ein Wort im Sinne
von faveat. Der lebhafte Anfang dieses Weihnachtsgedichtes wird durch die
Lahmheit der nachfolgenden Verse fast bis zur Un Verständlichkeit abgeschwächt.
XLII. fol. 74'-i*»
§ Aulica turba vacat, epulis genialia placat;
Gaudet et edilis, sibi se conformat erilis;
Pastor alendo gregem superam vult pandere legem:
Exempli rore, doctrine pascit odore
Dans geniale bonum manus hec triplex pia donum. 5
Presul ave mitis! stillans donaria vitis.
Late diffusa, nullo livore retusa,
Assidue crescit, eclipsim laus tua «iescit;
Tendit ad alta nimis, cultrix fore spernit in imis,
Ignoraws levum: sie vivida durat in evum. 10
5 bonum : manus hec tr. pia donüm. das (d. h. exemplum, doctrina, largitio)
ist die fromme, dreifache Schaar der (christlichen und priesterlichen) Gaben.
Wilh. Meyer. 8 cressit .... uescit 10 Ignoras
Es scheint ein Gratulations- und Dankgedicht der Hofbeamten eines geist-
lichen Herrn (Bischofs) zu sein.
XLm. fol 74'"»
Aspice devote, crucifixi sanguine lote,
Effigiem Christi! quam cernere vix meruisti,
Et reminiscaris, ut semper eam verearis
Sicut Veronica, summi rectoris amica,
Ut te conservet, ne tu venias, ubi fervet 6-
Ignis sulfureus, quem possidet ordo letheuB,
Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 483
1 Asspice 4 ammica 6 lechirus, us abgekürzt. Ist wohl als Inschrift
zu einer Passionsdarstellung gedacht.
XLIV. fol. 74^ n 8
Profero, nee scitis, quis sit, quem denoto, Mitis:
Re tarnen abstante dubia retro lucet et Ante.
Est minus elatus, tamen inclytus, omme (jratus,
Prospera fortuna quia secum permanet üna.
Omnia supremo concludo carmine: Nemo 5
Se valet equali similare statu bene Tali.
In probitate quidem constans non deficit Idem;
Turpia devovit, quia turpis non fore Novit.
Ut probo, se munde conservat in omnibus : ünde
Sit, rogo, longevus dominus, non est quia Sevus ! 10
3 omne 9 mundo zu munde corr. Das in V. 2 angedeutete Akrostich
und Telestich Prepositus Maguntinus geht auf den Dompropst von Mainz und
zwar wohl auf Peter Reich von Reichenstein, der diese "Würde 1275 — 1286 be-
kleidete. Wenn die Worte Est minus elatus (V. 3) auf seine Bemühungen um
den bischöflichen Stuhl in Basel sich beziehen, so fällt die Abfassung dieser Verse
in die Jahre 1274 — 75, nachdem er 1274 zum Bischof von Basel gewählt aber
nicht bestätigt worden war. Vgl. J. J. Merian, Geschichte der Bischöfe von Basel
(1862) IL S. 46.
XLV. fol. 74'-°»»
Non ego formicas imitor, que tempore spicas
Estivo servant victumque sibi coacervant,
Vt valeant yeme bene vivere: non ita de me
Permanet; immo secus, quia consumpsi quasi cecus
Res estate meas festas ducendo choreas. 5
Sic, cum frigus erit, mihi nam suftstancia deerit;
Pauper et absque cibo nates operire nequibo:
Frigoribus densis incedam more Gralensis,
Yel sicui Scotus nudus genitalia totus.
Hac tanta clade socius sum parque cicade, 10
Que tempus mestum non prevenit, immo per es tum
Cantat secura, non curaus dampna futura;
Quando redit bruma, latet infelix sine pluma
In gelido lecto mendicans paupere tecto.
Cunctis personis ego vilior et rationis 15
Expers sie egi: Catonis dogmata fregi
Hoc versu spreto : que sunt aversa caveto!
Irrationalis scurre sum iure sodalis,
Qui bibit et iurat: pereat, qui crastina curat! 19
5 ducende 6 mihi cum s. deerit, schlägt Wilh. Meyer vor. sustancia Vers
8 und 9 verstehe ich nicht ; 9 für das hftliche sum* vermutete Wilh. Meyer sicut.
34*
484 ^- *^*^- Werner,
Vgl. Carmina bur. S. 234: No. 174,12: Schuch! clamat nudus in frigore; Ysen-
grimus I. 890: Clunibus impendet Scotia tota meis ; Hugo Primas X 50 (Wilh.
Meyer in Nachrichten der Ges. der Wiss. zu Göttingen. 1907 S. 140): Telemaco,
qui vix tegit inguina sacco. 17 supto Vgl. Cato, disticha I 18: Cum fueris felix,
quae sunt adversa, caveto. Wllh. Meyer verbindet die in der Hft durch § als selb-
ständig bezeichneten Verse 18 f. mit den vorhergehenden. 18 scurte. Schlußsatz
auch Carm. bur. p. 240. Durch diese Beichte, die auf die bekannte Fabel von
der Ameise und der Cicade anspielt, sucht der Dichter seinem Gönner eine Gabe
abzulocken. V. 3, 10, 12 und 13 haben sog. Caesurverlängerung oder syllaba anceps.
XLVI. fol. 74''°3ö
§ Porto dei donisl tantum superest rationis,
Ut gravis esse volo, sensu fruar hoc ego solo:
Frigoris ob gwerram calidam volo pascere terram;
Si mendico fame, quod frigus sit procnl a me!
1 ob in Farce zu ändern? Porro (= procul a) d. donis t. s. rationis, W.Meyer
2 guis, für ut guis wünscht Wilh. Meyer ein Wort auf . . gius , das hungrig oder
warm bedeutet. 3 gram.
XL VII. fol. 74'°*2
§ Ergo pater mitis, virtutum strennua vitis,
Nobilis Henrice, benedic mihi, dulcis amice!
Tu vas virtutum; tua me benedictio tutum
iteddet, quod vere poterit mihi nemo nocere;
Ut vivas sospes, ne me premat hostis et hospes; 5
Quo vis me mural mea mens tibi supplicat uni.
Nil aliis quero, de te solo bona spero:
Non est corde dolus, qwfo tu dominus mihi solus.
6 num'i 7 sola 8 q, = quam Hft; quia Wilh. Meyer. V. 7 und 8,
die durch § als besonderes Stück bezeichnet sind, hat Wilh. Meyer an das vorher-
gehende Stück angeschoben. Möglicher Weise gehören XLVI und XLVII mit
XLV zusammen. Diese Bitte scheint an einen hohen Geistliehen, vielleicht den
Bischof Heinrich (1275—1286) gerichtet gewesen zu sein; allerdings war dieser
seiner Herkunft nach kein nobilis, sondern der Sohn eines Handwerkers in Isny.
XL VIII. fol. 74^ ^2
inticipata nimis nova lex, etatis ab imis
Transiit ac^utum medium quasi bona solutum:
Quando facit saltum, cum vix puer esset, in altum
Transvolat annorum, non tempore sed vice morum.
Strennuus Eaeides, animosus in omne Pelides 6
Grandeat ausore simili sibi vel potiore;
Belliferis rixis prudencia cedat Ulixis.
Flet magnus Macedo, si forcia Cesaris edo;
Ille potens princeps potuit maiora deinceps.
Sic, que quisque sibi gaudet per singula scribi, 10
Omnia solus habet nee adhuc caligine tabet
Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 485
Indolis expleta; quam tu vix ipse poeta,
Spiritus ut detur, solum tunc quando veretur
Clarus in orbe comes, per debita carmina promes.
Forsan Homere, Staci, Naso, luvenalis, Horaci, 15
Quisque laborares, dum metra tibi fabricares
Consona materie de pectore philosopbie
Cuncta ministranti. Nee me tarnen estimo tanti,
Unde mihi nomen tantum, que stella, quod omen
Hoc dabit astrorum, qui vix sum fex aliorum? 20
Sint centum mille, non suffieit iste nee ille.
Ergo duci nostro rudis et sine sceinatis ostro
Si male presumo ceco ceu volvere fumo
Thema superpingue gracilis sub ruwine lingue
Balbuciendo viro * ^ veniale requiro. 25
Da veniam, tutor viduarum, sole statutor
Sanetarum legum; dignare, püssime regum,
Parcere scribenti — fateor, nimis alta petenti —
Nobilium gesta; tum hac solummodo presta:
Vela fer et remum, ne mergar, ut inde Boemum 30
Conflictum tangam, modico quoque carmine pangam.
2 accutum bona unrichtig. Anticipans animis nova rex etatis .... quasi
bonaso lutum, quando f. saltum. versucht Wilh. Meyer und verweist auf Plin.
nat. bist. YIII. 40 4 uite 8 Cesaris, auf Rasur stehen C und a 11 salus
13 Wilh. Meyer vermutet videtur oder feretur. 14 crimina 15 stari 16 Qui-
que? Wilh. Meyer 21 id; corr. Wilh. Meyer 22 stomitis zu stematis corr. ;
scematis Wilh. Meyer seu ; corr. Wilh. Meyer 24 runie 25 Lücke im Text
angegeben. 29 hoc? Wilh. Meyer 30 feret ; fer et Wilh. Meyer 31 crimine.
Die nur teilweise verständlichen Verse scheinen die Einleitung zu einem
Versuche zu sein, den Kampf des Königs Rudolf mit dem Böhmenkönig dichterisch
darzustellen. In das gleiche Gebiet gehören auch die folgenden Verse, die ein
Lob Rudolfs durch den Hinweis auf eine Prophetie enthalten, worin er als pro-
videntieller Nachfolger Friedrichs IL bezeichnet ist.
XLIX. fol. 74^"*
Metriiicis nodis vel plaudere carminis odis
Nescio Ridolfo, musico neque ducere sol fo
Audeo sceptrigerum, tot per momenta dierum
Optatum mundo, nee enim perfectus habundo,
Delfire, musarum tam larga messe tuarum. 5
Quam nequit audacis lux visere ^«/cticoracis,
Phebe, tuos radios, tam mens mea tangere dios
Gestus non audet: nichilo vicinia gaudet
De titulis huius, audito nomine cuius
Surgitur a sompnis, stupet orbis et intremit omnis 10
486 J- Jak. Werner,
Pontus, terra, polus, quia subingat omnia solus.
Hie est rex ille, quam psalmodia Sibille
Virtutis tante iam dudum precinit ante;
^ Hie est Augustus, pro cnius culmine iustus
Ille deus cell, sibi qui pietate fideli 15
Omnia procurat, vult, quod sine principe durat
Tempore non modico decus imperii. Friderico
Debita solvente, nee successore regente
Sceptrum regale, regnum vacat imperiale:
Sed vacat, ut melius de stirpe parentis alius 20
Provideat terre pereunti mole guerre
Et pacis pro re disponat liberiore
Cursu nature meritum tante geniture.
Si tempus detur, potior res omnis habetur.
2 dicere? Wih, Meyer 3 septrigerum 5 Delfite 6 uicti coracis.
7 duos 8 nichüominus, abgekürzt geschrieben 12 psalmodie.
L. fol. 74^°»
§ Non humanatur verbum, non enucleatur
Sol maris ex Stella, mox quando laborat Apella;
Sed pro velle patris radix Davitica matris
Germinat in calamum; sibi prepara^ inclita ramum,
PuUulet unde rosa non absque mora speciosa. 5
Floruit interea seges a lolio pharisea
Et bene productum profert ficulnea fructam
Non sine dulcore gustantis et uberiore
Delectamento visus, suavi quoque vento
Naris et olf actus et adest armonia tactus. 10
Res miranda magis, quod in omnibus undique sagis
Omnis sensus amat; ratio velut arbitra clamat,
Esse reri (?) verum fallax concordia rerum.
Sensibus acceptum ratio sibi causet ineptum,
Ac e converso ; quo litis turbine merso 16
Degenerare quidem fructus maturior idem
A sapido nescit, radim scemate creseit
Flosculus a vite sub aromate stirpis avite.
Roscidior quanto plus fronduerit, mage tanto
Deficiunt grata mihi verba vel appropriata 20
Continuare virum; subit hoc mirabile mirum.
Die durch § getrennten Verse 1—5 und 6 ff. vereinigte Wilh. Meyer 2 applla
4 prepara 5 spaciosa. 6 pharisea nimmt Wilh. Meyer = separata 14 causat?
Wilh. Meyer 17 radi9 stemate; corr. Wilh. Meyer 19 freduerit; corr. Wilh.
Meyer 20 f. appropriata. Continuare virum subit . .? Wilh. Meyer. Der Inhalt
dieser Verse ist durchaus unklar; der Anfang scheint sich auf die Geburt Jesu
zu beziehen, während in den letzten Versen auf persönliche Dinge angespielt wird.
Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 487
LI. fol. 74^° 31
Cum pertractare cupitis nova vel recitare,
iVunc audite nova, que sunt novitate iocosa:
Sunt simul ecce pares doctrinis quinque scolares.
His servit servus ignorans esse protervus.
Hie, velud est moris, solitis deportat in horis 5
Libros, — ut fatur — quorum gravitate gravatur.
It, redit et currit, facit et pos^ facta recurrit,
Ut mos servorum semper solet esse proborum.
Dum sie servivit, perpulcra puella cupivit
nium; flamma furens mox eius corda perurens. 10
Hec, quid agat, nescit; fervens in amore calescit,
Rem secretorum nulli denudat amorum.
Est timor, ista pater eius vel conscia mater
Percipiant; unde 5^milis (fuif) hec furibunde:
Ardens igne perit; toto conamine querit 15
Ignes ardoram tacite relevare suorum.
Tandem surrexit, illum de mane respexit
Libris sudantem, quoque magno fasce gementem.
Pallescit plorans, tristatur et ingemit orans,
Ut conburatur onus boc, quo sie oneratur. 20
Hec, dum tam sevis torquetur sepe querelis,
Uli dat nutum secreto lumine tutum.
Hie venit, bec fatur, quia flagrans sie cruciatur,
Dicens : „o Symon! quis tanto turbine demon
Fallit te stultum, in cunctis maxime cultum, 25
Ut sie servires et tanto fasce perires;
An nescivisti, mihi quod tantum placuisti,
Que te ditare valeo {quoque} semper amare".
Hie venit et crura levat iUi\ mox sine cura
Libros deiecit et, quod voluit, cito feeit; 80
Et, dives factus dominantis amoris ob actus,
Sprevit cunctorum consorcia mox famulorum:
Ivit mox dexter biis, quis fuit ante sinister.
1 Nam 2 Hüc; hec? Wilh. Meyer ; hinc ? 7 Id — p9 11 i amore 14 funilis
hec; furit hatte ich beigefügt, was Wilh. Meyer änderte. 17 Tantü 18 Wilh.
Meyer beanstandet den ungenauen Reim, wie auch in V. 21 und 24 20 honus —
honoratur 21 torqueretur 26 sevires 28 quoque habe ich zur Ergänzung
^es Verses nach V. 18 eingeschoben; W^ilh. Meyer schiebt volo ein. 29 ei,
darüber illi. Es ist schade, daß diese Erzählung so farblos ist und weder
Zeit noch Ort irgendwie angedeutet werden. Trotzdem halte ich das Stück nicht
für eine bloße Schulübung über ein gegebenes Thema, sondern für einen versifi-
-zierten Bericht über ein wirkliches Ereignis.
488 ^' *^*^- Werner,
LH. fol. 75'!»«
Hü sunt versus . . . : Non concordamus ... 5 leoninisclie Verse
mit Tiradenreim über die Pabstwahl, gedruckt N. Archiv der Ges.
f. ä. deutsche Gesch. 33 S. 536.
LIK fol. 75^122
Item hec est epistula . . . : Orbis princeps . . . ein Brief Frie-
drichs von Thüringen an König Enzio vom J. 1270 über den be-
absichtigten Zug nach Italien; gedr. N. Archiv. 33. S. 556 — 538.
LIII. fol. 76^124
§ Non reor effosse terre fieri loea posse,
Des nisi maturum, princeps, ibi surgere murom.
"Woher dieses Orakel stammt, ist mir unbekannt.
LIV. fol. 75^1"
Ut tibi laus, princeps, vigeat, Yelut ante, deinceps
Retribuente deo semper in ore meo,
Snpplicis ad vota, pie, sint tua viscera mota
Et non despicias, quin mihi subvenias.
Nam mihi sunt bella snper ipsa mota capella, 5
Quam tua dapsili/as contulit et bonitas,
Sancti Morandi de Rapolzwilre; iuvandi
Antidotum quero: si dabis, ultor ero
Heu! vis illate mihi; sed, si deseror a te,
Nescio quid faciam; turbine deficiam. 10
Hac mihi fortuna causa spes est, quod et una
Non inimica fuit, me tibi qnod tribuit.
Suscipe naufragio me tactum litore dyo,
Ut grates tibi det, qui pia facta videt;
Nee sine verba dare ventis nee litus arare, 16
Sed me soleris: sie mihi portus eris,
Consüiumque ratum super ablatis mihi /atum,
0 pater et domine! supplico stare sine!
Si ratione precum non stet tua gratia mecum,
Intrabit vocum lacrima multa locum. 20
Estimo plura fore, que sunt excussa pavore:
Nam mihi cum subeunt, ore quidem pereunt.
1 uult an 6 dapsilidas 11 Ob in cä etwas anderes steckt als causa?
12 que? Wilh. Meyer 13 iactum? Wilh. Meyer, was er auch XII 19 vor-
schlägt; dyo (= dio) gibt keinen Sinn; Dido? Wilh. Meyer. 15 Ovid. her.
II 25: ventis et vela et verba dedisti 15 Ovid. trist. V. 4, 48: nee sinet ille tuos
litus arare boves. 17 latum aus ratum corr. Eindringliche Wiederholung der
schon No. IV ausgesprochenen Bitte um Wiedereinsetzung in den Genuß der
Kaplaneipfründe in Roppenzweiler im Elsaß.
Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 489
LV. fol. 75^"i
Non ego rege satus fueram patre rege beatus,
Anglia me generum sibi iunxit in ag(/ere rerum.
Annos ter senos numeraram, nee bene plenos:
Solvitur iste Status; Eeni me sorbsit hiatus.
Hartraann, König Rudolfs Sohn (geb. 1263, als Rudolf noch nicht König
war) , durch Vermittlung des Bischofs Heinrich von Basel verlobt mit Johanna,
der Tochter des englischen Königs Eduard I., ertrank im Alter von 18 Jahren
auf einer Fahrt rheinabwärts in der Nähe von Breisach am 20. Dezember 1281
und wurde im Basler Münster neben seiner kurz vorher verstorbenen Mutter
begraben; vgl. M. G. SS. XVII. 284 u. 302; Mart. Gerbert, Crypta nova San
Blasiana. S. 115; Monuments de l'hist. de l'anc. evechä de Bäle p. J. Trouillat.
II. S. 346. — J. J. Merian, Geschichte der Bischöfe v. Basel (1862) II. S. 56
nennt ihm 22 jährig. Wilh. Meyer hat gesehen, das diese vier Verse ein Epi-
taph für sich bilden und in der Hft zu Unrecht mit den folgenden verbunden
sind. 2 agere 4 re nim.
LVI. fol. 75^ n 5
Est iter ad metas mortis — sie volvitur etas,
Proh dolor — et rursus nnlli fit a&inde recursus.
Mentis in offensa sollers reminiscere, pensa,
Qno^ bona fortuna soli mandaverit una.
Stirpe nitente satus, opibus, patre rege beatus, 5
Delicüs plenis annis adolevit amenis.
Instar erat f/oris, stelle dos concolor oris.
Anglia spe nuptus reg«i vovit sibi fructus;
Arrisit vernum capiti dyadema paternum.
Eloridus hiis cunctis, tarn re quam spe sibi iunctis, 10
Plus quam mortalis celsis fluitabat in altis;
Mors set iniqua, bonis oblatis totque coronis
Invida, declinat hec prospera, queque ruinat:
Vorticibus Reni decor oris mersus ameni
Sorte novercante redit in cinerem, cinis ante. 15
2 ad inde 4 Quod Der Dichter verbindet mit Vorliebe dem Reim fortuna :
una, s. XLIV 4, LIV 11. 6 amoris zu amenis corr. 7 foris 8 regi
9 vernus = heimisch? 11 ob celsus? altis verstößt gegen den Reim; ob alis?
LVII. fol. 75^1121
Dum mea me mater gravido gestaret in alvo,
Quid pareret fertur consuluisse deos.
Pbebus ait: mas est; Mars: femina; Iimo: neutrum.
Cumqne forem natus, hermapbroditus eram.
Querenti letum dea sie ait : occidet armis ; 5
Mars: cruce; Phebus: aquis. sors rata queque fuit.
490 J- Jsik- Werner,
Inminet arbor aquis ; conscendo ; labitur ensis.
Quem tuleram mecum: labor et ipse super.
Pes ramis hesit, caput insilit amne, tuliqne
Femina mas neutrum flumina tela crucem. 10
Zu dieser Fassung der Baslerhft füge ich die Varianten aus der Hft C 148
saec. XIII. fol. 23fn der Zürcher Stiftsbibliothek (auf der Kantonsbibl.) 1 geni-
trix Z gravida Z 3 uinoque B (so!) Juno Z 4 Et cum sum genitus Z er-
mofridicus B ermafraditus Z 6 scis B 7 Arbor obumbrat aquas Z
8 mecum] casu. Z 9 hesit ramis Z insidet Z 10 mas] vir Z Als Ver-
fasser der in zahlreichen Hften, die Ilaureau, Les raelanges poet. d' Hildebert
(1882) S. 146 verzeichnet, verbreiteten Verse hat L. Traube 0 Roma nobilis
S. 21—23 = Abhdlgn. der philos.-philol. Kl. der K. bayer. Ak. XIX (1892) S.
317—319 den Matthaeus Vindocinensis erwiesen, nachdem Haur^au a. a. 0. 147
das auch in die Anthol. Lat. rec. Riese No. 786 (II S. 253) = Poetae Lat. minores
rec. Baehrens. IV. S. 114 aufgenommene Gedicht dem Mittelalter, resp. Hildebert
oder Matthaeus von Vendöme zugesprochen hatte. Vgl. auch Carlo Pascal,
Poesia Lat. medievale (1907) S. 64.
LVllI. fol. 76'^^^
Falsus adulator non est reputandus amator:
Ergo de tali tibi precaveas animali.
Omni cautelii tua secretalia cela.
Rumor de veteri. (soviel).
LIX. iol. 75^118«
Aureus in lano numerus clavesque novantur . . . Einzelne Verse
(1, 3, 6 U.S.W.) aus dem weitverbreiteten Computus ecclesi-
asticus, der z.B. mit dem Commentar: Licet modo in fine tem-
porum plures constet haberi Codices, qui de hac arte calculatoria
. . . in der Hft C. 172 saec. XIV der Zürcher Stiftsbibliothek
(auf der Kantonsbibl.) fol. 22"'- 37^ sich findet.
LX. fol. 76^18
Cum in principio cecidisset dyabolus, ira repletus contraxit uxorem
Maliciam nomine, de qua habuit X filias primas.
Prima vocata est Symonia, quam desponsavit clericis.
Secunda Yypocrisis, quam claustralibus desponsavit.
Tercia Rapina, quam militibus desponsavit.
Quarta Usura, quam burgensibus desponsavit.
Quinta Dolus, quam menatoribus desponsavit.
Sexta Sacrilegium, quam agricolis desponsavit.
Septima Fictum servicium, quam famulis;
Oetava Superfluitas, quam dedit mulieribus.
Nonam et decimam ?2oluit dare propriis maritatis, quia eas plus
ceteris diligebat, et dedit eas omni humano generi in uxores.
1 uxuorem 7 metricibus 10 Octavä. 11 voluit; corr. Wilh. Meyer;
maritis? Wilh. Meyer.
Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 491
Weitverbreitet wie die Legende von den vier Töchtern
Gottes ist die Legende von den Töclitern des Teufels, deren Zahl
aber verschieden angegeben wird. Vgl. Hanreau, Journal des
savants 1884. S. 225 und Notices et Extr. IV. 135—137; Florü.
G-otting. No. 1 in Eoman. Forsch. III. S. 283; Matheolus , Les
lamentations par Van Hamel I (Bibl. de l'ec. des h. et. ; sc. philol.
et hist. fasc. 95) V. 1674—79.
LXI. fol. 76^' I '8
Gaude mater luminis | • . • Sequenz von 4 Doppelstrophen
mit dem Refrain: Maria; gedruckt bei Kehrein, Lat. Sequenzen
No. 303 S. 227; Mone, Lat. Hymnen No. 584 (IL S. 398). Ab-
weichungen von Kehreins Text: 1,2 numis 2,1 regina 3 Tu vir-
tutum ... 4 Plena dei . . . ; also Eeihenfolge wie in Cod. Lat.
Monac. 11004 und S. Gall. 546. 5,2 mater 8 Ut nos suo tua
prece collocet in solio : Maria !
LXII. fol. 76'i2»
I. Salve virgo Davidis!
salve virgo nobilis!
cuius par t US admirabilis.
IL Salve mundi spes et domina!
salve virtutum cellula! 5
salve paradysi ianua!
HI. Salve /*orma pudicicie!
Salve norma iusticie !
salve mater misericordie !
IV. Tu, castitatis lilium, 10
profudisti filium
miseris in auxilium.
V. Tu, filia lerusalem,
progenuisti in Bethlehem
gloriosam progeniem. 15
VI. Tu firmata in Syon
virga florens Aaron,
madidum vellus Gedeon!
Vn. Tu satis expresse
stirps es illa lesse, 20
digna dei mater esse.
VIII. Tu porta, que soll domino pa^uit.
/iortus, in quo deitas latuit:
Stella, que solem seclis attulit.
492 J- J^k- Werner,
IX. Tua sunt ubera vino redolencia, 25
candor lac et lilium,
odor üoreni vincit et balsamum.
X. Te expectant delicie,
te laudant adolescentule,
te sponsus vocat in meridie. 30
XI. nie tuus unicus,
ille tnus dilectissimus
cipri ftotrus et mirre fasciculus.
XII. Yeni, veni, filia,
intra nostra cubilia! 35
XIII. Surge, surge. propera!
fugit hiemps, floret vinea.
XIV. Vox tua vox turturis,
forma desiderabilis.
XV. Tu, mater dei et hominis, 40
confer opem miseris!
consolare flebiles
sublevando debiles!
nostraque tibi preconia
sint laus et perhennis gloria! amen. 4
7 norma 20 est 22 paruit 23 ortus 27 florens Hft; corr. Wilh.
Meyer 33 poteus 40 Tu] Non. An Ausdrücke des hohen Liedes anklingendes
Marienlied in freien Rythmen.
LXIII. fol. 76'°'*
I. Honestatis et honoris fructu fecundissima !
IIa. Gloriosa virginalis forma pudicicie!
nnitas primordialis, reparatrix gratiel
celesti milicie
nos quandoque collocari 5
fac semperque delectari vultus tui specie.
IIb. 0 regina! celi digna presidere solio,
Clemens, mitis et benigna, tuo nos presidio
superno convivio
dignos fore nos dignare 10
teque pio collaudare conregnantem filio.
3 unica pr. rep.? Wilh. Meyer. 7 0 fehlt 10 feri.
Marienlied, bestehend aus einer einleitenden Zeile (8 — u -f 7 <-> — ) und zwei
Strophen, deren Grundlagen auch die beiden Teile des trochäischen Tetrameters
sind: die 8 — u reimen je zu zwei Zeilen, die vier 1 <j — weisen in jeder Strophe
nur je einen Reim auf ; Taktwechsel zeigen am gleichen Orte beide Strophen (4, 9).
LXIV. fol. 76'°28_79Tni&
Heu! quam sunt stulti miseranda fraude sepulti . . •
Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 493
Schluß: Sic ego missus ei sum pietate dei.
Finito libro reddatur gloria Christo.
663, z. T. lückenhafte Verse aus der dem Hildebert von Lavardin beigelegten
Vita Mahumetis. Migne P. L. 171, 1345—1356.
LXV. fol. 79^° ^5
Volveris et volvi non cessas; gaudia solvi
Precipis in lacrimas 'FoTÜina u — u; opimas
Res veniens ftindis, sed . . . retundis,
Tota mali plena, facie ridendo serena,
Arma doli condens, dum fallax optima spondens 5
Pessima persolvis; ad luctum cuncta revolvis,
Rebus ab antiquis fueris cum semper iniquis
Exagitata maus et in omnibus exicialis.
Exempli novitas per res monstratur avitas.
§ Troia iacet certe, steterat que florida, per te. 10
Troie flamma, cinis, fera depopulatio, finis
Exstitit interitns, per vulnera multa petitus.
§ Inclita Cartago, quam flamme dira vorago
Fortiter inpegit et eam sub fata coegit
Per tunc florentis Romane prelia gentis: 16
Diruta Cartago fuit exemplaris imago,
Quam fueris dura veniens cito, mox abitura.
§ Victrix terrarum, domitrix generalis earum,
Roma diu leta thesauris, plebe repleta,
Ne non agnosset, tua quid currens rota posset, 20
Tristis, inops facta ferro flammaque redacta
Turpiter in cineres, miseri fati fuit heres.
Sed quid per veterum trahor h.ec exempla dierum?
Omnia turbasti loca, tempora cuncta notasti
Fraude, nee horrescis, nee adhuc, fraudosa, quiescis. 25
Ecce recens pestis, nova, quod sis perfida, testis
Exclamat certe, proh! iam demonstrat aperte
Bris ach, castrorum decus et locus ille locorum,
Castrum pre castris radians quasi lucifer astris;
Cuius adhuc sedes per fumantes docet edes, 30
Quis Situs atque status fuerit suus, ante negatus
Vrbibus et villis; tantus decor haut fuit illis,
Huic urbi quantus; si vellem dicere, tantus
Exstitit aut talis, non possem dicere qualis;
Dicam, quod potero: minus ecce per omnia uero. 35
In 2 und 3 ist Raum für fehlende Worte offen gelassen ; for . , ist wohl zu
Fortuna zu ergänzen, wie V. 20 zeigt. 7 iniquis, am Rande: i. e. indebitis.
25 adhuc fraudare quiescis? Wilh. Meyer.
494 '^- Ja-k. Werner,
§ Urbs antiquorum fait hec antiqua virorum,
Urbs harlungorum, domus hec insigois eonim,
Magnatum tan tum, mag>2orum quippe gigantum,
Nobilium terre, quos nee discordia guerre
Terruit aut ensis ; qnorum quia fama / orensis 40
Est et vulgaris, nichil hinc, mea Musa, loquaris !
§ Est notum notis, vicinis atqae remotis,
Quo/ bona vicinis Bris ach dedit et peregrinis:
Tanto fervore studii multoque labore
Tot simul expendens bona, non sua com^woda pendens, 45
Sola sed adiutrix multorum promptaque tutrix,
Dum, quod sint tuti, multorum cauta saluti
Providit caute, redimens convicia naute
Et ratis infestam stratam multisque molestam
Reno spumante nauta remo titubante. 50
Sic in aque fortis cursu dispendia mortis
Provida dampnavit: fr acta rate qui modo navit,
Transeat in reliqwum nil hie passurus iniqwum.
§ Die, Fortuna levis! velox ad tristia quevis,
Quid meruit triste, mala que meruit locus iste, 65
Quem sie punisti, quem flamme seva dedisti?
§ Et tu, flamma! furens vastatrix, tanta perurens
Menia, tot rebus inimica, boni speciebus
Invida, structorum destructrix, summa laborum
Perdicio, datrix fletus, simul extenuatrix 60
E/Crum tantarum, curtatrix diviciarum,
Usibus humanis primo data, siene profanis
Signis degeneras, ut tollere singula queras,
Que per se nata fuerant, aut arte notata.
§ Urbs Brisacensis, cuius fuit omnibus ensis 65
Hostibus hostilis et in ipsos ipsa virilis,
Fervens, intrepida, sed amicis optima, fida,
Constans et lenis, dum laxis vixit habenis,
Omnia cunctarum retinens bona deliciarum:
Ecce! iacet floris heu nunc oblita prioris. 70
38 magorum. 40 sorensis 43 Q/ = Quod 45 comodo 53 reliqü nil
. . . iniqü 61 Quorum, dann Quo gestrichen und darüber Re geschrieben. 64 no-
vata? Wilh. Meyer.
üeber diese Feuersbrunst, die nach den Worten des Dichters (V. 80) sehr
bedeutend gewesen sein muß, habe ich nichts finden können; so bleibt es sehr
ungewiß, ob sie mit den Kriegen Rudolfs in Verbindung gebracht werden darf,
besonders da keine Anspielung darauf gemacht ist. Für die damalige Bedeutung
der Harlungenstadt spricht die Kühnheit des Dichters, der sich nicht scheut,
Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler Klerikers etc. 495
dieses Brandunglück mit der Zerstörung der berühmtesten Städte Troja, Carthago
und Rom zu vergleichen. Auch von der in V. 48 if. erwähnten Flußkorrektion
ist nichts weiter bekannt.
LXVI. fol. SO'-"
Zwischen V. 35 und 36 des vorangehenden Stückes stehen
computus -Verse nebst Erläuterungen für die Jahre 1269 — 1318
zur Angabe der Sonntagsbucbstaben und des Abstandes von Weih-
nachten bis Sonntag Invocavit, d. h. (nach G-rotefend, Zeitrechnung
I S. 99) bis zum ersten Fastensonntag oder sechsten Sonntag vor
Ostern. Eine Fortsetzung dieser Versus circulares, aber ohne
Angabe der betreffenden Jahre 1304 — 1372, findet man auf fol. M'" der
aus verschiedenen Teilen saec. XI — XIV bestehenden Hft C. 172
der Stiftsbibliothek in der Kantons- (Universitäts-) bibliothek in
Zürich. Damit diese scheinbar tiefsinnig klingenden Verse nicht
auch Andere in Verlegenheit bringen, möge die ganze Reihe folgen:
Anno ÜPCC^LX^IX« Flos equitando
M^CC^LXXP Delevit Babilonigenas armeia gentes
M<^CC^LXXV^ Fructificat dubius cito Betlehemitis alumpnis
1*280 Flebilitatis egestati dea consociatur
1284 ^^mbiguis Gad ferramentis extrue tunbam
1288 Belligeros animos generaliter ebrie datas
(1284 lies:) 1294 Consiliando beatis Gob famularis egenis
(1289 lies:) 1299 Diripiendo bibentibus arida glorificaris
1304 Forcia debet conmunicari belliger arma
1308 !''ebricitans eo dinumerare Cacuminus abba
1313 Gramaticis foliis en combinabo boantis
1318 Altisonantia Gallicus Ebul di(ssociavit).
LXVII. fol. 80'- II 3»
§ Sponsa mihi cara! pro te crucis huius in ara
Plector morte gravi: sunt testes lancea, clavi.
Aufschrift für einen Crucifixus.
LXVIII. fol. 80''ii^2
Ve! qui predaris! restat, quod idem paciaris:
Si predo fueris, preda faturis eris. u. s. w.
107 meist durch § als einzeilige und zweizeilige Sprüche ge-
kennzeichnete Verse, die im nächsten Heft der Romanischen For-
schungen zum Abdruck gelangen sollen, wofür sie seit mehr als
einem Jahr gesetzt sind.
Alphabetische Reihenfolge.
NB. Mit * sind diejenigen Stücke bezeichnet, die mit annähernder Bestimmtheit
als Erzeugnisse des Basler Klerikers angesehen werden können.
Abluo, firmo, cibo XVIII. Adventate citi* XLI.
496 J- JaJ^- Werner, Poetische Versuche und Sammlungen eines Basler etc.
Aestatis indicium XL.
Alma redemptoris mater I.
Anticipata nimis* XL VIII.
Aspice devote* XLIII.
Aula referta bonis* XI.
Aulica turba vacat* XLII.
Aureus in lano LIX.
Ave maris steUa XXXVI.
Ave virgo gloriosa XIX.
Barbara quaeque caret* V.
Boreali saevitia XXXIII.
Caelicus unicus* XXXI B,
Conqueror ecce deus* IV.
Corporeas metas* VII.
Cum pertraetare* LI.
Delictis hominis* XXXI 0.
Dudum felix, modo XXVII.
Dum flosculum tenera XXIX.
Dnm mea me mater LVII.
Ergo pater mitis* XL VII.
Est iter ad metas* LVI.
Excipe mente bona* VI.
Eia! gaude Syon filia XXXI K.
Falsus adulator* LVIII.
Elorem parit virga XXXI N.
Flos equitando LXVI.
Gaude mater luminis LXI.
Gigas naturae geminae* IL
Gloriosa virginalis* LXIII.
Heu! quam sunt stulti LXIV.
Honestatis et honoris LXTIL
lungat, ut opto, bona* Vni.
Lege dura mortis dirae* XXXI.
Maguntine! stilum* IX.
Maria Magdalena XXXV.
Membra regi capite* X.
Metrificis nodis* XLIX.
Mirum posse deitatis* XXXIG
Mollis seu dura* XXI.
Mundus reformatur XXXII.
Mysterium mirabile* XXXIH
Non concordamus LIL
Non ego formicas* XLV.
Non ego rege satus* LV.
Non humanatur verbum* L.
Non reor effossae* LIII.
0 Magdalena XXXIV.
0 Maria mater pia XXXIX.
0 mores perditos XXII.
0 quam dura XXVII.
Orbis princeps, quos LH*.
Ordinarat ab aeterno* XXX.
Plasmator rerum, fons XXXVI n.
Plus metra significant* XVI.
Porto dei donis* XLVI.
Post hiemis rigorem XXV.
Primus homo corruit* XXXIC.
Profero, nee scitis* XLIV.
Protoplasti reatus* III.
Qui tua metra facis* XIII.
Quod in ligno Moysi XXXVII.
Quos sine fraude putat* XII.
Res iocosa, quod hec rosa XXXIF.
Reverendi iudices XXVI.
Rimetur mens hominis* XXXIE.
Salve! flos cleri* XIV.
Salve! virgo Davidis* LXII.
Secretorum conscius* XXXID.
Senescentis et delirae* XX.
Spes promissa lupo XXXII.
Sponsa mihi cara* LXVII.
Taurum sol intraverat XXIV.
Tribus uni rerum XXXIM
TJrbs! iocundare* XV.
Ut tibi laus, princeps* LIV.
Vae! qui praedaris LXVIII.
Vergente mundi vespere* XXXIQ.
Vestrae personae* XVJl.
Vident terre termini XXXIL.
Virgo parit filium* XXXIP.
Volo vir um vivere XXVIIL
Volveris et volvi* LXV.
Aporien im vierten Evangelium
IV
Von
E. Schwartz
Vorgelegt in der Sitzung vom 4. April. 1908
Dnrcli die in Cap. 7 stehen gebliebene Aufforderung, lesus
solle naeb ludaea übersiedeln, und durch die Lazarusgeschichte sind
wenigstens die großen Linien der Handlung für das ursprüngliche
vierte Evangelium gegeben; trotz allem Schwanken im Einzelnen
hat die Analyse ein Ziel auf das sie zusteuern kann. Für das
Vorspiel der Tragoedie die mit der Eeise nach Jerusalem einsetzt,
liegt die Sache übler: hier schreitet die Handlung noch nicht
consequent fort, und es wollen sich die Motive nicht entdecken
lassen, durch die die einzelnen Scenen verbunden werden, man kann
nicht von einer Scene auf die andere schließen. Das macht jede,
auch in noch so bescheidenen Grrenzen sich haltende Reconstruction
der ältesten Form des Evangeliums unmöglich, und die Versuchung
liegt nahe, ermüdet und mutlos das kritische Messer aus der Hand
zu legen und diese Partien in der Verwirrung und Unordnung zu
lassen, der sie durch die lieber arbeitung verfallen sind. Aber die
Aufgabe wissenschaftlich zu interpretieren bleibt bestehen, auch
wenn die Fragmente, welche eine solche Interpretation auslöst,
sich nicht zusammensetzen lassen, und die These daß jede Aus-
legung des vierten Evangeliums, die nur mit einem Verfasser
rechnet, sich unüberwindliche Schwierigkeiten schafft, weil sie die
vorhandenen Schwierigkeiten nicht sieht oder sehen will, diese
These muß auch für die Strecken bewiesen werden, wo der Be-
weis einstweilen sich über die Negation, über die Behauptung daß
Kgl. Ges. d. Wi88. Nachricbten. Fhilolog.-histor. Klasse. 1908. Heft 5. 85
498 ^- ScLwartz
das was da steht, von einem Verfasser nicht geschrieben sein
kann, nicht hinauswagen darf. Denn in der neutestamentlichen
Exegese, vor allem in der des vierten Evangeliums, sind das Be-
wußtsein alles verstehen zu müssen und die Zuversicht alles ver-
stehen zu können noch immer so stark, daß wieder und wieder
am Object demonstriert werden muß, wie viel richtiger und nütz-
licher für die Wissenschaft es oft ist auf die Erklärung zu ver-
zichten als sie zu erzwingen.
Die Greschichte von der Speisung der Fünftausend [6] ist wohl
dasjenige Stück des vierten Evangeliums, das am stärksten mit
den Synoptikern übereinstimmt, auch im Wortlaut ; nur darin tritt
eine Differenz hervor , daß lesus selbst die Brode verteilt [6, 11],
während bei den Synoptikern durchweg [Mc. 6,41. 8, 6. Mt. 14,19.
15, 36. Lc. 9, 16] die Jünger die Verteilung besorgen. Ferner
sammeln hier die Leute selbst [Mc. 6,43. 8,8. Mt. 14,20. 15,37;
nur Luc. 9, 17 hat das unbestimmte Passiv] die Ueberbleibsel in
Körbe, so daß das Wunder der Speisung sich einfach fortsetzt:
sie werden nicht nur satt, sondern sie tragen noch etwas fort
[^^av]. Im vierten Evangelium [6, 12] giebt lesus den Jüngern
den Befehl die Reste der Brode zu sammeln, mit der ausdrück-
lichen Motivierung Lva ftij ti aTtöXrjtca, als wenn es mit den Broden
für die er das Dankgebet gesprochen hat, eine besondere Be-
wandtnis hätte. Andererseits spiegelt sich in der Verteilung der
Greschäfte eine Rangordnung wie dieser Geschäfte selbst, so auch
der sie verrichtenden Subjecte ab. Das Bild der kirchlichen, vom
Bischof und seinen Diakonen abgehaltenen Eucharistie taucht auf ;
die Brode sind heilig und es darf nichts von ihnen umkommen^).
l) Tertullian. de cor. 3 eucharistiae sacramentum . . . omnibus mandatum
a domino . . . nee de aliorum manibus quam praesidtntium sumimus. Dem wider-
spricht Cyprian. de laps. 25 calicem diaconus offeire praesentibus coepit nur
scheinbar : vgl. constit. apost. 8, 13 a. E. xal 6 fisv iTtiayiojtog ÖLdoToa tijv tcqoö-
tpoQCiv Xeycav ... 6 ds ÖLayiovog ■natexstco tb TtotriQiov v.aX inididovg Xsyito).
Vgl. auch die s. g. Kanones des Basilius 99. 100 [Riedel, die Kirchenrechts-
quellen des Patriarchats Alexandrien 277. 278]. Dagegen verteilen bei lustin
[apol. I 65 p. 97e] die Diakonen auch das Brod. Der Interpolator des vierten
Evangeliums plaidirt also für den Brauch der dem Bischof die Verteilung des
Brodes reservierte. — Auf den für das vierte Evangelium charakteristischen Zug
daß lesus den Jüngern befiehlt die v.Xd6iiata zu sammeln, fällt das richtige Licht
durch die Bestimmung der apostolischen Constitutionen a. a. 0. orav ndvrsg (isra-
XdßcDCL xal näaai [vgl. im Evangelium 6, 12 cb? Si ivsnXi]a^7iauv], Xccßovrsg ot
Sid'Kovot. tä TtBQiaosvoavTa slacpsgiraauv stg tcc naOToq^ÖQia. Die Superstition
die verbot daß etwas von dem Brode umkomme, wird nicht selten bezeugt: Ter-
tullian. de cor. 3 calicis aut panis etiam nostri aliquid decuti in terram anxie
Aporien im vierten Evangelium IV 499
In den Eeden lesii vom Brod des Lebens sind die Anspielungen
auf die Eucharistie seeundär [vgl. Nachr. 1907, 363J^); in der Ge-
schichte von der Speisung der Fünftausend sitzt die Parallele mit
der Eucharistie fest: also ist diese ihrem ganzen Umfange nach
eingefügt, und der Verdacht den die starke Anlehnung an die
Synoptiker erregen muß, nicht umsonst. Sie ist schlecht einge-
führt; 6,3 ist Copie von Mt. 15,29, über 6,2 vgl. oben S. 121;
am übelsten wirkt daß die wüste Gegend nicht erwähnt wird, in
der sich die Menge angesammelt hat [Mc. 6, 31. 8, 4. Mt. 14, 13. 15.
15,33. Lc. 9,12], und damit die Motivierung des "Wunders weg-
fällt: wenn es freilich ein Typus der Eucharistie sein sollte, ist
es begreiflich daß dieser Zug nicht mehr wesentlich erschien. Man
patimiir. Origen. in Exod. hom. 13, 3 nostis qiii diuinis mysteriis Interesse con-
suestis, quomodo cum suscipitis corpus domlni, cum omni cautela et ueneratione
seruatis ne ex eo par<u>um quid decidat, ne co?isecrati muneris aliquid dildbatur.
Kanon des Hippolyt 29 [Riedel, a. a. 0. 219]: der welcher die Mysterien austeilt,
und die welche sie empfangen, sollen scharf aufpassen, daß nichts auf die Erde
falle, damit sich nicht ein böser Geist dessen bemächtige. Kanones des Basilius
97 [Riedel 275] : die Presbyter welche an dem Leibe Christi communiciren lassen,
und die Diakonen und die ganze Gemeinde vor ihnen sollen aufpassen daß nichts
von den Mysterien auf die Erde falle und so ein Gericht auf ihnen ruhe. Ebenda
99 [Riedel 277]: beim Zerbrechen soll nichts davon zur Erde fallen. Sehr genau
und rituell Kyrill von Jerusalem [cateches. mystagog. 5, 21] : Ttgoaimv ovv fii]
tstafbivoLg xol? tcoi^ xBiqmv KaQTtotg TtQOGSQXov (irids diriiQri^svoLg xoig dccKrvXoLS,
älXa trjv dcgiatsgäv Q-qovov noiriGag ttjl ds^iäi dtg nsXXovaiqL ßaaiXia vno8i%E6%'Cii
%al •üOiXdvccg xr]v TtaXdfiriv 88%ov tb 6a>[i(x rov Xgiötov STtiXeycov tb cc(i'i]v. [ist
ccöcpccXsLccg ovv äyidßag tovg 6q)d-ccX}iovg, tfjL S7tcc(pf]i, rov ccyiov em^atog (iSTCcXdfi-
ßccvs, TtQOGBxcov [IT] itagaTtoXeGYiLg xi i% xovxov avxov. otzsq yccQ iäv ccjtoXsöriLg,
xovxoL mg dnb oI-abCov dfjXov oxi BQri^m&rig fisXovg. st-Tts yccQ fiOL' sl' xig gol ^öcotis
ip'^yiiccxci xQvaCov, ov-n ccv fisxä rcdcrig aarpccXsLag iyiQccxsig, q)vXaxx6[i8vog [iri xi avxav
7tciQa7toX£6r\ig v.a.1 ^miiav v7toöxf]Lg ; ov tzoXX&l ovv ^äXXov cc6g)ccX£6XEQ0v xov xqv-
gCoV 'ACil Xl^'COV XL^LaV XL^LmXEQOV 8La6V,0Ttri6£ig V7t8Q xov [IT] IpLXCiV 601 EV,7t£GBLV\
Bei dieser Gelegenheit will ich nicht versäumen auszusprechen daß ich den
räthselhaften Vers loh. 13, 10 6 XEXov^hog ovv, b'xel %?£tav vLtpccG&cci,, ccXX' k'axcv
ytad-ccgbg oXog nicht mehr für den Rest einer älteren jetzt zerstörten Erzählung
halten kann, wie ich Nachr. 1907, 347 vorschlug, sondern in ihm eine Anspielung
auf die Tradition erblicke, die Tertull. de coron. 3 erwähnt: ex ea die [der
Taufe] lauacro quotidiano per totam hebdomadem ahstinemus.
1) Ich hätte nur mit 6, 60 ff. nicht so schonend umgehen sollen. Das ganze
Stück bis zum Schluß ist eine secundäre Interpolation. Denn es wird die Deu-
tung des Lebensbrodes von der Eucharistie vorausgesetzt [6, 63] und, was beson-
ders wichtig ist, die nicht ursprüngliche Vereinigung der Reden über das Brod
mit denen über die Berufenen [6, 64. 65]. Es sollte das Zeugnis des Petrus hin-
eingebracht werden, das bei Lucas [9, 18 f.] unmittelbar auf die Speisung der
Fünftausend folgt.
35*
500 E. Schwartz
wird einwenden, daß lesu Reden von dem wahren Brode ihren
Anlaß verlieren, wenn die Geschichte fällt. Es muß aber doch
erstaunen daß in diesen Reden nur das Manna ^) und nicht die
fünf Brode mit denen eine solche Menge wunderbar gespeist ist,
das Gegenstück zu dem wahren Brode sind, und wie kann die
Menge sich von lesus ein Zeichen erbitten [6,30], dieselbe Menge ^)
die eben wegen 'des Zeichens das sie gesehen hatte', was, nach
dem vorliegenden Text wenigstens, nur die Speisung sein kann,
lesus für 'den Propheten' erklärt hat, der 'in die Welt kommen
soll' [6, 14]. lesus greift nur am Anfang seiner Reden auf das
Wunder zurück [6, 26] : ^rjrsltE ^e ovx ort etders örjfista, aXX^ ort
itpdyste ix r&v ccqtov xal exoQtaöd'rjts: die Scheltworte passen zu
der Frage des Volkes 6, 30 in keiner Weise, sind auch an und für
sich unmotiviert; daß die Menge ihm nachgelaufen wäre um sich
noch einmal von ihm füttern zu lassen, geht aus der Erzählung
wahrhaftig nicht hervor ^). Bedenklich machen muß auch der
Plural öri^staf der auf 6,2, aber nicht auf 6, 14 zurückschlägt.
1) Das himmlische Brod das Israel in der Wüste aß, als es noch jung war
und in der Zucht stand, wird schon Deuteron. 8, 3 mit dem 'Wort' parallelisiert,
das 'aus dem Munde Jahves ausgeht'. Es ist nicht eigene Weisheit, sondern die
Tradition der jüdischen Exegese, wenn Philo [qu. rer, diu. her. s. 79. 191. de
congr. erud. gr, 170. de fuga et inuent. 138. de mut. nom. 259] es mit dem &ELog
löyog, d. h. der Offenbarung , oder der coqjia, d. h, der von Gott dem Menschen
gegebenen Weisheit die die Offenbarung annimmt, identificiert ; daß er dabei einen
Paragraphen der stoischen Logik anbringt [leg. alleg. 2, 86. 3, 175. qu. det. pot.
ins. 118], ist eine Renommisterei, die für den Sinn der Allegorie nichts ausmacht.
2) Chrysost. t. VIII p. 262^ oidsv tovrav &vc(L69-riT6TEQOv, o'bdev ccXoymrsQOV
xov arifisiov övtog iv ötpd'ccXfiois ccvtcbv m, w? o'ödsvbg yEyovoTog, ovrcog ^Xtyov
3) lohannes Chrysostomos construirt sich ein gutmütiges, leichtsinniges
Völkchen zurecht, das nur dem Augenblick lebt und deßhalb einmal durch ein
scharfes Wort zurechtgerüttelt werden muß [t. VIII p. 256c] : a^iov de xal h-
xBvQ^Bv 6vvidBiv TTjv sijyioXov avx&v yrtJbju-Tjv. ot yug Xiyovtsg 'ovtog iariv 6 ngo-
q>r]tTig\ ot anovddt^ovxBg ccQTidaca xal noifjoaC ßaGiXea, Evgovrsg avxov oiSev
xoiovxov ßovXsvovxai, ScXXa xb d'aviicc ^v.ßaX6vxeg, eng iyoayE olfica, o'^xart Xoinbv
vn^Q xä)V TtQOXBQcav d-aviid^ovOL. ölcc xovxo dga ins^'^xovVj ßovXofisvoi naXiv xga-
ni^rig &noXavBiv, oTag xal tiqoxbqov und p. 258^ xb srpotfrjv^ff %al Xbiov oi nctv-
xaxov %QriaLyi,ov, &XV ^axiv Bxb xal xoü 7cXr]%XL%axBQ0v Öbi x&i SiSaayidXmi. Das
ist antike exegetische Technik bester Art, die den Widerspruch scharf beobachtet ;
die unwissenschaftliche Lösung wirkt angenehmer als in den XvoBig der 'OfiriQL'ucc
irixrniaxu, weil der gewiegte Prediger sie aus seinem Leben und seinem Publicum
nimmt; er schildert ja deutlich sein eigenes antiochenisches Publicum, das durch
die Schelte des Predigers aas seinem gutmütig animalischen Dasein aufgeschreckt
werden soll.
Aporien im vierten Evangelium IV 501
Also ist die einzige Stelle die eine Verbindung zwischen dem
Wunder und den Eeden herzustellen scheint, durch Ueberarbeitung
entstellt und so ihrer Beweiskraft beraubt; es muß dabei bleiben
daß die zu einem Typus der Eucharistie umgebogene Greschichte
von der Speisung secundär mit den Reden lesu vom wahren Brode
verbunden ist. Damit ist allerdings der Einwand daß dann diese
Reden des Anlasses entbehren, nicht vollständig widerlegt; er er-
zwingt vielmehr den Schluß daß die Greschichte die jetzt dasteht,
an die Stelle einer anderen getreten ist, deren Reste in 6, 14. 15
vorliegen ; daß diese Verse zu dem Vorhergehenden nicht
passen, ist schon bei anderer Gelegenheit [vgl. oben S. 172] be-
merkt. Was nun aber dagestanden hat, läßt sich aus diesen Resten
nicht entnehmen; sie sind zu dürftig und harmonieren auch mit
einander nicht.
Bei Marcus [6, 45 ff.] und Matthaeus [14, 22 ff.] folgt auf die
Speisung das Wunder auf dem See von Tiberias; der Verdacht
liegt nahe daß wie jenes erst secundär in das vierte Evangelium
eingetragen ist, das Grieiche auch von diesem gilt. Hier trat aber
eine Schwierigkeit ein. Bei den beiden Synoptikern steht jedes
Wunder für sich; wo das Volk bleibt, nachdem es von lesus ge-
speist war, interessiert sie nicht und braucht sie nicht zu inter-
essieren. Sollte indeß die Speisung der Fünftausend den geschicht-
lichen Hintergrund der Reden Jesu über das wahre Brod bilden,
so mußte eben das Volk das gespeist war, das Publicum für diese
Reden sein. Dann wurde das Wunder auf dem See unbequem,
da es lesus von seinem Publicum entfernte, und der oder die Be-
arbeiter sahen die undankbare Aufgabe vor sich, die Menge eben-
falls über den See hinüber zu transportieren. Was jetzt dasteht,
ist ein wirres Conglomerat von sprachlichen und sachlichen Un-
geheuerlichkeiten. Zwischen 6, 22 und 23 fehlt die Verbindung,
und der Satz mit ors 6, 24 drückt dasselbe noch einmal aus, was
6, 22 schon gesagt war. Wie das Volk am folgenden Tage sehen ^)
soll, daß am Tage vorher nur ein Schiff dagewesen war und nur
die Jünger, nicht aber lesus dies benutzt hatten, hat noch kein
Exeget plausibel zu machen verstanden und wird es nie fertig
bringen; man kann es Blaß nicht übel nehmen daß er seinen In-
spirationsglauben dadurch rettet, daß er dem Evangelisten das
1) Ein einziger Lateiner liest cum scirent. Mag das nun auf Verwechselung
von ddms und Idmv beruhen oder überlegte Correktur sein, jedenfalls taugt die
Variante nichts: woher soll denn das Volk wissen daß lesus nicht mitfuhr, wenn
es bei der Abfahrt der Jünger nicht dabei stand?
502 ^- Schwartz
mißlungene Cuncept streng und gründlich corrigiert '). Es sind
hier zwei Versuche ineinander geschoben :
I II
6 ox^og 6 e6triXG)g jcsqocv t7]g ^a- ttjl iTtavQiov akla ^Xdsv TtXoiaQia
Xdöörig eidov ort TtXoiccQiov aklo ix Tcßagcccdog iyyvg rov röitov
ovK tjv exsl et ^r^ ev xal ort ov ozov ecpayov xov cicQtov ev%(XQi6xii\-
övvsLörlXd^sv Totg ^ad^rjrcctg avtov öccvtog rov xvqCov ' öra ovv elöev
6 ^Irjdovg slg tb Tckolov äXlä ^6- 6 o^Xog ort 'Irjöovg ovx sdriv ixsl
voL OL ^a&riral avtov ccTtflXd'ov. xal ovds ol ^a&riral avtov, eveßriöav
^Xd^ov elg Ka(paQvaovyL ^ritovvtsg avtol elg tä TtXoiccQia xal i]Xd^ov
tbv ^Iriöovv xal evQovtsg avtov xtX.
TCSQav tf^g d^aXdöörig slitov avt&t,'
Qaßßscj TCots ä)ös ysyovag',
1) Die Abschreiber und Uebersetzer sind ihm vorangegangen, doch nur bis
zu einem gewissen Grade. Als Beispiele stelle ich K und D neben einander, ohne
Orthographie und bloße Schreibfehler zu berücksichtigen :
K D
[22] tfJL InavQiov 6 öxXog 6 sßtcag Tfsgav [22] rijt ijtccvQiov 6 öx^og 6 sötTi'ncog
rfjg ^aXdoarig sldsv on nXomQiov aXXo ntgav xfig Q'aXd66r\g sldsv ort TcXotccgiov
ovv. Tiv SV.SI d 117] fr 8v,slvo stg o iva- aXXo ovv, riv ivsL sl (li] fv stg o iv^ßricav
ßriaav ot ficcd^Tal rov 'Iriaov, vccl oxi ol iia&rital xov [aus avxov durch Rasur
oi) övvsXriXvQ'si avxotg 6 'Ii]6ovg slg xb corrigiert] 'IriGov kccI oxi ov cwEiaiiX^ev
TtXoLOv, aXXä iiovoi ot (lad-rixccl avxov. xotg fiad-Tixaig avxov 6 'IViOovg stg xb
[23] STtEXQ^ovxav ovv x&v tiXolcov ev, Tl- nXoLov, ccXXa [lovov ot (la&rixal avxov
ßsQiddog iyyvg ovarig, onov xal e'q)ayov ä7tf]X^ov, [23] aXXtov nXoLagiav iX^ov-
ccQxov EvxaQLOX'^öavxog xov vvqioVj [24] xcov i% TißsQiddog iyyvg xov xonov onov
val tSovxsg oxi ovv rjv ivst 6 'Iriaovg scpayov xov ägxov. [24] oxs ovv siÖEv
ovds ot [Ltt^rixaC^ Scvsßriaav Etg xb tiXolov b b^Xog oxl 'Iricovg ovv SGxiv ivst ovSe
Hxl. ot iia&rixal avxov, ^Xaßov iavxoig nXoi-
ccQia vxX.
K bringt den Hiat zwischen 6, 22 und 23 hinaus, aber nicht die Dublette 6, 22~24;
xb nXotov 6, 24 ist wohl nur Versehen. Dagegen läßt D durch die Wiederholung
ot (lad^rixal xov 'Iri6ov [oder einfach a-örov] und xoig fiad-rixaig avxov noch er-
kennen daß der Relativsatz der ev erklären soll, eine Glosse ist; die Schwierig-
keit die in aXXa rjXd^Ev TiXotagia liegt, ist doppelt gelöst : einmal durch Umsetzung
in den gen. abs., bei der nur ovv nicht, wie es nötig gewesen wäre, an den An-
fang von 6, 23, sondern von 6, 24 gestellt ist, und dann durch die Variante ^Xaßov
iavxotg nXoidgia [ohne Artikel], welche die Streichung von 6,23 voraussetzt:
jetzt ist nur E'hxctQi^atriGavxog xov vvqCov weggelassen. Leider ist die Syra Sin.
an diesen Stellen so zerstört, daß sich nicht mit Sicherheit eruieren läßt, wie
sie sich den Text zurechtgelegt hat: sie scheint die Dittographie 6,22—24
durch Entfernung des Satzes mit oxe 6, 24 beseitigt zu liaben. Die Syr.
Cur. hat die Glosse zu eI iiri ev, läßt dagegen &XXa—&7tfjXd-ov aus; der Hiat
zwischen 6, 22 und 23 wird durch eine Uebersetzung beseitigt, die zu para-
phrasieren gefährlich ist: o)*-© . . jjuaö? ^Lj #00 . . . )|**j. f^xaptartjffavros xov
%vq{ov fehlt wie in D. In der Peschittha steht sUsv und die Glosse von 6,22
Aporien im vierten Evangelium IV 503
Das Volk fuhr also in der einen Fassung nicht zu Schiff,
sondern gieng um den See herum. In der anderen Fassung ist an
Stelle dessen die geschmacklose Erfindung getreten, daß die ge-
sammten Fünftausend in Schiffen hinüberfahren; der Relativsatz
07C0V — xvQLov wird außerdem durch scpayov tbv ccqtov und durch
tov KVQiov als jung gekennzeichnet, und endlich ist hier die Frage
6, 25 nicht mehr begründet, da das Volk bei der Abfahrt der
Jünger nicht dabei ist, sondern nur bemerkt daß lesus sowohl wie
die Jünger nicht mehr da sind. Es ist aber nicht möglich die
Fassung II mit einem glatten Schnitt zu entfernen: mit der Zeit-
bestimmung geht der Anschluß ans Vorhergehende verloren. Auch
bleiben noch andere Anstöße übrig, die in die erörterte Zerlegung
in zwei Versionen nicht ohne Weiteres aufgehn. Die Ortsbe-
stimmung 6, 25 TCSQav TTJg d'aXdöörjg ist nach slg Kag)aQvaov^ [6, 24]
überflüssig, ja verwirrend. Vorher [6,17] ist gegen die doppelte
Angabe jtSQav trjg d-ald^^rig elg KacpaQvaov^ nichts zu sagen, um
so mehr gegen die unbestimmte Angabe 6, 21 izl trjg yfjg elg i]v
vTcfjyov: warum nicht einfach etiI tijg yijg oder der Stadtname?
Daß vTcdyeiv 'fortgehen' in singulärer Weise gebraucht wird um
den Kurs einer Seefahrt anzugeben, will ich nur nebenbei er-
wähnen. Da nun die Localisierung der folgenden Reden lesu in
der Synagoge zu Kapernaum [6,59; vgl. Mc. 1,21] ein falscher
Einschub ist [vgl. S. 122], so werden auch die ausdrücklichen Er-
wähnungen des Namens 6, 17. 24 verdächtig. Ferner ist die Er-
zählung des Wunders selbst durchaus nicht in Ordnung. Man
mag den Satz 6, 17 xal s^ßdvtsg slg tcXoIov tjqxovto Ttegav trjg d-a-
Xd^örig dadurch erträglich machen, daß man tjqx^'^'^o als Tempus
der unvollendeten Handlung faßt, obgleich diese Deutung durch
die Angabe des Ziels der Fahrt so gut wie unmöglich wird und
jeder Leser auf den Gedanken kommen muß, die Fahrt sei schon
beendet : unmöglich wird gerade bei dieser Auslegung die Situations-
schilderung die unmittelbar folgt: xal öxoticc ijörj iysyövsi xal ovitco
iXfilvd'st, JtQog avtovg 6 ^Irj^ovg. Denn wenn '^'^;^oi/to die noch an-
dauernde Fahrt beschreibt, kann dazu die Bestimmung nicht hin-
zutreten, daß 'lesus noch nicht zu ihnen gestoßen war', die außer-
dem eine Verabredung zwischen lesus und den Jüngern voraus-
setzt, von der im vierten Evangelium nichts steht. Nach den
hat die Form sC (ir] hsivo [ohne sv das auch bei einem Lateiner fehlt] etg o ivi-
ßriaav oi [lad-riraL, das nachher durch roLg yi,a^ritatg ccvtov aufgenommen wird;
ccXXä—ccTtfjXd-ov fehlt wie in der Syr. Cur. Von 6, 23 an stimmt sie mit B ; nur
yvird am Anfang von 6,23 ^j eingeschoben.
50^ E. Schwartz
Synoptikern [Mc. 6,45. Mt. 14,22] läßt lesus die Jünger voraus-
fahren; interpretiert man rJQxovto xegav Trjg d'aXdöörjg nach dem
Wortlaut und stellt den Zustandssatz auf die Zeit ein, in der die
Jünger angekommen sind, so ist ein richtiger Zusammenhang her-
gestellt, der dann freilich einen anderen Verlauf des Wunders
fordert als den der bei Matthaeus und Marcus berichtet wird:
lesus kann die Jünger nicht auf dem Wasser eingeholt haben,
sondern kommt erst über den stürmischen, schon dunkelen See,
als sie schon am Lande sind. Man beachte daß der Schluß der
Gescbichte nicht nur sprachlich, sondern auch sachlich anstößig
ist; wo bleibt denn lesus selbst, nachdem das Schiif plötzlich ans
Land gezaubert ist?^) Mit der Fassung I würde sich diese Er-
zählung des Wunders vereinigen lassen. Nach alle dem neige ich
zu der Annahme daß derselbe Bearbeiter der die zur Eucharistie
umgewandelte Speisung der Fünftausend einführte, auch das See-
wunder in einer neuen Form eingesetzt hat und ein späterer Inter-
polator dieses wiederum mit den Synoptikern in Uebereinstimmung
zu bringen versuchte [6, 19. 20 = Mc. 6, 48—50. Mt. 14, 25—27].
Das Abenteuer mit der Samariterin hat durch den Nachweis
daß die Festreisen die vor Cap. 7 fallen, unecht und das Ver-
bindungsstück 4, 1—3 überarbeitet ist, seinen Platz verloren: wo
es im ursprünglichen Evangelium gestanden, was es dort bedeutet
hat, ist um so schwerer zu sagen als es, auch abgesehen von der
falschen Einordnung, in seinem eigentlichen Bestände nicht unver-
sehrt geblieben ist. Der Brunnen Jakobs , eine tiefe Cisterne
[4,11], wird noch jetzt s. von Sichem an der Straße die von
ludaea nach Samarien führt, gezeigt : das scheint sehr vernehm-
lich dafür zu sprechen, daß lesus wirklich von ludaea kommt und
nach Norden zu wandert. Es tauchen aber bei näherem Zusehen
allerhand Schwierigkeiten auf. Was heißt 4, 7 yvvij ix Tjjg Za-
^agiccg? Die Stadt liegt weit ab, nicht nur von dem Jakobs-
brunnen sondern auch von dem Feld bei Sichem, das Jakob seinem
Sohne loseph schenkte^). Ebenso ungereimt ist es, den Namen
1) Lauteten die letzten Worte ursprünglich a'b&eag iyhsro [lesus] inl ti)s
yfis f ^ff T^v 'bnfiy Bv, so verschwindet der Anstoß den vnfiyov jetzt bereitet.
2) Gen. 48, 22. los. 24, 32. Gen. 33, 18 f. Nach diesen Stellen erklärte Hie-
ronymus [quaest. in Gen. 66, 6] Sychar [4, 5] für eine Corruptel aus Sychetn ;
die Syra Sin. setzt denn auch p^Jüt ein. Theodor von Mopsuhestia paraphrasiert
[p. 94 Chab.]: qjo^ . p>-^« j-*,dä^? )^\o .^^^^ .viüi i-vo^XM .)-•;»*.? jKWcL jJL)
OfVS .o>CPO.\ .300X. jooj 30^-j l^-voj Ixüt '»-sx = ^p^ftat sig nöXiv Tfjg Zanagiag
X€yo[iivriv Zvxuq tcXtiolov tfjg Timfirig "KaXovusvrig Zvxsfi' xovxo yuQ xb övofia xfig
%i»fji,r]is r^v idoKSv 'la%6i§ ^laaricp xm vim wbxov. Vgl. außerdem Eus. onom.
Aporien im vierten Evangelium IV 505
vom Lande za verstellen: die Oertlichkeit soll ja in Samarien
liegen; was hat es dann für einen Sinn zu sagen 'es kam ein Weib
aus Samarien nach Samarien' ? Die Samariterin soll in der nahen
Stadt Suchar^) zu Hause sein; es fällt auf daß sie aus der Stadt
zu einer Cisterne an der Heerstraße läuft, während die Gegend
um Näbulus [= Neapolis = Sichem] durchaus nicht quellenarm
ist. Offenbar hängen 4. 5 und 4, 12 mit einander zusammen : der
Leser soll annehmen daß die Cisterne auf dem Jakobsfelde lag.
Es ist nur übel daß 4, 12 ro cpgeag und 4, 6 Ttriyrj ^) xov ^Iccxcjß
steht; 7ti]y7j bedeutet im Griechischen immer die natürliche Quelle,
im Gegensatz zu xqtjvti, dem laufenden Brunnen der Wasserleitung,
und zu (pQsccQ, dem gegrabenen Brunnen oder der Cisterne: wenn
Theodor von Mopsuhestia bemerkt daß ^rjyr] hier für (pgeag steht,
so beweist das zwar, daß er gut aufgepaßt hat, bringt aber den
Widerspruch nicht weg. Und dieser Widerspruch steckt auch in
der Rede der Samariterin 4, 11 f, verborgen : es ist unlogisch zu
sagen: 'du kannst nicht aus der Cisterne schöpfen, weil du ohne
Zieheimer nicht an das Wasser kommst; woher hast du das Quell-
wasser von dem du redest?' Aus einer Cisterne ist mit oder ohne
Eimer überhaupt kein Quellwasser zu holen. Ich muß mich damit
begnügen auch diesen Widerspruch zu constatieren, es kommen
noch mehr.
Die Samariterin hält lesus für einen Propheten [4, 19], weil
p. 150, 1 ZvxBfi T] Tial ZUiiLa ri xal JSccXrifi. ndXig 'laHcoß vvv Bgr^io?. SsUvwai
ÖE 6 tonog SV nqoaoxBiois [d. h. in den Gärten vor der Stadt, nicht in den 'Vor-
städten'] Niag noXscog [der von Vespasian gegründeten Colonie Flavia Neapolis],
tvd^a xat ö xd(pos dsUvvtaL xov 'Io36r\(p. Gen. 33, 18 f. übersetzen die LXX das
verdorbene QD® ^"^"^ Oblö lp5?^ i^l'»'! -^cu ril^sv ^laiiaß stg ZccXr]^ TtoXiv Ztm'fiav.
Ich bin in Versuchung gewesen dies UaXrifi mit 3, 23 iv Alvcov syyvg xov ZccXsifi
zu combinieren, es will nur kein glattes Resultat dabei herauskommen. Daß lesus
in Samarien getauft hätte, ist eine undenkbare Erfindung; eher ließe sich aus-
tifteln daß ursprünglich nicht lesus nach Samarien, sondern die Samariterin zu
lesus nach Galilaea kam [4, 7 sqxbxkl yvvi} i-K xfjg Sa^ctQCag'], und nicht er,
sondern sie um einen Trunk bat. Aber diese Fäden sind zu fein gesponnen um
zu halten, und mit unbewiesenen Möglichkeiten ist nichts gewonnen.
1) Die Tradition glaubt sie in 'Ain 'Askar [Heerquelle] wiederzufinden; ob
mit Recht, ist sehr problematisch. Sichem, nicht Samaria-Sebaste, war der Mittel-
punkt der Samaritergemeinde [Wellhausen, israel. Geschichte 194] : noch die
arabischen Geographen [Igta^ri 58. Ihn Xauqal 113] wissen zu berichten daß es
Samariter nur in Näbulus gebe.
'2) Das Fehlen des Artikels ist ein Semitismus der im vierten Evangelium
sehr auffällt.
506 E. Schwartz
er ihr auf den Kopf zu sagt was sie früher getan hat ; das ver-
kündet sie auch in der Stadt, mit der Vermutung, lesus möchte
der Messias sein [4, 29]. Dann kann ihr lesus nicht unmittelbar
vorher gesagt haben, er sei der Messias ^) : 4, 25. 26 sind eine se-
cundäre Einlage, die ohne Weiteres entfernt werden kann. Ick
fürchte, es steht mit 4, 22—24 nicht besser. Die Verse setzen
4,21 nickt fort, sondern sind eine Doublette zu ihnen, wie schon
die Wiederholung von sQ%ExaL ojqo, anzeigt; sie müssen außerdem
ganz jung sein: es ist gerade für das vierte Evangelium unerhört
daß lesus sich zu den Juden rechnet, die 'wußten was sie anbeteten'
[4, 22]. Das giebt er sonst nie zu , und hier wird ihm dies Lob
der Juden auch nur in den Mund gelegt, um den auch in der
Formulierung rein dogmatischen^) Satz anzubringen r] öatrjQia ix
tG)V \[ov8aiG}v 66z LV.
Uneckt sind ferner alle Stellen an denen die Jünger vor-
kommen. Der Causalsatz 4, 8 et yccQ ^ad-rjral ccvrov ajtsX7]Xvd'£L6av
etg rriv noXiv, tva rQoq)äg äyoQdöcoGiv begründet nickt, daß lesus
die Samariterin um einen Trunk Wasser bittet; der Uebersetzer
der Syra Sin., mit der die Syra Cur. übereinstimmt, kat es ge-'
sckeiter gemacht als die spintisierenden Exegeten, und den fehlenden
Zusammenhang durch eine umstellende Paraphrase hergestellt, so
daß auf iid rijL Ttrjyfji, [4,6] folgt: %al ol ^ad-ijtal avrov — ayoga-
6(o6iv und dann nachgetragen wird oJ^ ^^ oo» ^o (= xal öt' ixa-
%^bIexo 6 xvQtog), coQu fjv mg sxtr]. Eben dieser Nachtrag verrät den
corrigierenden Eingriff in die Ueb erlief erung. Wie die Jünger
vor dem Gespräch mit der Samariterin weggeschafft sind, so
mischen sie sich auch nicht ein, als sie wiederkommen und sehen
daß lesus mit ikr sprickt [4, 27]. Nack 4, 31 füllt das Grespräck
lesu mit den Jüngern die Zeit aus, welcke die Samariter ge-
1) Chrysostomus hat die Inconcinnität bemerkt [t. VIII p. 195^] : cyioTtsi n&g
avver&g Xiyu. oi) yäg ilits ^ösvts, idsts xhv Xqigx6v\ ulXa xai avtr] fiera cvy-
v,araßccas(og, fisd"^ rjg y.cil 6 XQiarbg ccvrrjv iaay^vevasv, iTCian&tai xovg ävögccg . . .
(i'q XI ovxog iaxiv 6 Xg^axog; oga nccXiv aocpiav noXXrjv yvvai-Kog. o^xs
&7(£(pT]vaxo auifcbg o^xb iaiyriasv.
2) Rom. 9, 5 i^ ^v 6 Xgiaxbg xb xara Gagucc. i] acorriQLa bedeutet nichts
anderes als den gekreuzigten und auferstandenen Christus, und kommt aus guten
Gründen in dieser emphatischen Bedeutung in den Evangelien nie vor, am aller-
wenigsten im Munde lesu. Auch 6 6a)xi]Q xov ^oofiov steht nur 4, 42 ; vgl. Nachr.
1907, 364. üebrigens ist wohl zu bedenken, daß die ältesten Ketzer, Simon Magus
und Dositheus, Samariter waren : die Pointe des Gegensatzes in 4, 22 zielt viel-
leicht auf sie. In 4, 23. 24 schwankt die Ueberlieferung sehr stark.
Aporien im vierten Evangelium IV 507
brauchen um den Weg von der Stadt zu lesus zurückzulegen. Aber
4, 39 schließt mit 4, 30 nicht zusammen ; die Erzählung springt
zurück und erreicht erst 4, 40 den Anschluß. Es geht nicht an
etwa 4, 39 zu streichen ; denn 4, 41 [jtoXXaL TtXsiovg 87tC6tBv0av\
weist darauf zurück. Nun ist allerdings das ganze Stück 4, 39 — 42
ein schlechter und junger Flicken ; 4, 39 wiederholt 4, 29 und von
4, 42 war schon die Rede [vgl. S. 506^] : aber 4, 30 muß stehen
bleiben , schon wegen der Aufforderung der Samariterin 4, 29
ÖEvts l'dsts ävd^QcoTtov, og SLJtsv iioi Ttccvra a £7tOLrj6a. Man er-
wartet daß sich zwischen den Samaritern und Jesus ein Gespräch
entspinnt, sonst steht ihr Auszug aus der Stadt in der Luft ^) : es
kommt aber nicht dazu und die magere Interpolation 4, 39—42 ist
kein Ersatz dafür.
Das Gespräch mit den Jüngern zerfällt in zwei Teile, 4, 31— 34
und 4,35—38, die nicht mit einander verbunden sind. Im ersten
Teil ist der Anschluß an die Situation gewahrt; der überlieferte
griechische Text bietet an und für sich keinen Anstoß. Um so
räthselhafter ist die zweite Hälfte des Gesprächs; hier hat die
Uebermalung arg zerstört und die neuen Zusammenhänge die sie
schaffen wollte, nur in sehr unvollkommener Weise zu Stande ge-
bracht. Man erkennt das am besten an dem Schwanken der alt-
kirchlichen Exegese. Sie ist sich zwar darüber einig 4, 38 unter
'denen welche sich gemüht haben', die Propheten und Gerechten
des A. T. zu verstehen ^) ; aber während Origenes und Chryso-
stomus die welche sich mühen, 'mit dem Säenden' 4, 36 identificieren
und auch bei diesem an das A. T. denken, deutet Theodor von
Mopsuhestia ihn auf Christus, den 'Schnitter' auf die Apostel:
daß Christus in den Aposteln fortwirke, sei ein Beweis für seine
1) Die Syr. Sin. liest 4, 31 lio^A >^o^x3i. ^^qijJjj w^o^o^^yM oooj ^x-^o, ebenso,
mit nur formalen Abweichungen die Syr. Cur. Es wird also iv töbi fisra^v weg-
gelassen und fiEd'' 71H&V zu (pdys hinzugefügt. Daß die Jünger lesus auffordern
mit ihnen zu essen, kann auffallen, weil er das immer tut, ferner ist iv t&v
lisTcc^v, wie Blaß bemerkt, im N. T. eine Singularität. Ich bin in Versuchung
gewesen den syrischen Text für alt zu halten und ot (iccd-ritccL als Zusatz zu
fassen : dann schließt 4, 31 unmittelbar an 4, 30 an und die Samariter bitten um
die Tischgemeinschaft, die Jesus höflich abweist. Obgleich ich nach wie vor die
Vermutung für mehr als discutirbar halte, habe ich sie in die Anmerkung ver-
wiesen, weil im vierten Evangelium die Syrer so frei mit dem Text umgehn , daß
es nicht ungefährlich ist aus ihren Varianten weittragende Schlüsse zu ziehen.
2) Origenes comment. 13, 325 f., der außerdem noch in Anlehnung an He-
rakleon die Engel hineinbringt; Chrysost. t. VIII p. 198». Theodor. Mops. p. 104 Chab,
508 E. Schwartz
Kraft [4, 37]. M. E. haben jene Recht, schon darum weil sie die
Deutung nicht zu verschieben brauchen, sonderlich aber wegen
4,37. Chrysostomus faßt Xoyog = Sprichwort [t. VIII p. 198»]:
fiB^vtirm Ö6 xal Xöyov TtccQOi^iadovg TtSQKpsQo^avov TCccgä TtolX&v.
iv yäQ tovtcoL, (prjöCv, 6 Xoyog iötlv [6]^) äXri^Yig ort akXos
e6xIv 6 6 7tBiQ(x)v Kai äXXog 6 d'sgC^cov. ravra ds sXeyov et
::toXXoC, eiTtote ccXXot ^hv tovg Ttövovg vjtB0Tt]öav, aXXoi öa tovg xuq-
novg iÖQBTtovto , Tcal XsysL ön ovxog 6 Xoyog evtavd^a ^dXiöxa xriv
aXri%^ELav b%bl, inovriöav (ihv yccQ oC jCQOcpfixai, v^stg de xovg xaQ-
TCovg xovg ix xav exetvcov Ttövov d^äöds .... ijtSLÖrj yag e^eXXs
kiyeiv Ott ccXXog söTtetgs xal aXXog ^egiisi, Xva fiTjxig . , djtsöxsQfiöd'ai
xovg TtQOcprixag vo^C^rii xov ^i6d^ov, ^evov xv Xiysi xal ^agado^ov xal
xolg ai6d't]X0ig ov öviißalvov, dXXä xcbv TCvsv^axixcbv e^aiQSXov ov,
SV ^6v yaQ xotg jcgay^aCu xolg atö&rixolg, eäv 6v^ßi]i bxsqov öTCstQUL
xal BXEQov ^sgCöai^ ov% b^ov %aCQ0v6LVy dXXä dXyov6iv ol öTCscgavxsg
axs ixegoig xa^övxsg^ %aCgov6i de ol d'sgi^ovxsg ^övol' evxav^a de
ovx ovxcog, dXXä xal ov ^itj d-egi^ovxeg aTteg eöTceigav, o^OLCog xotg
a^cböL xaCgov6iv' o^ev öfiXov ort xal avxol xoivcovovGi xav ^löd'av.
Dieser Sinn kann aus dem einfachen äXrid-Lvog nicht herausgeholt
werden, auch ist ydg dann unmöglich. Vor allem aber gebietet
der feste Sprachgebrauch der Briefe und des Evangeliums [vgl.
Nachr. 1907, 365] ev xovtoi mit özl zu verbinden, während Chryso-
stomus ort auf 6 Xoyog bezieht. Theodor versteht unter 6 Xoyog
die Predigt lesu, den Samen den er ausstreut, seine Gnade ^), und
das ist im Wesentlichen richtig, so singulär der Sprachgebrauch
ist : ich habe nichts dagegen, wenn jemand den Logos des Prologs
hier wiederfindet. Der Logos ist wahr insofern er zwei Zeugen
hat [8, 17] ; aber diese beiden Zeugen können nicht Christus und
die Apostel sein — deren Zeugniß ist eins — , sondern die Pro-
pheten und das Evangelium [5, 39. 46]^ die beide 6 Xoyog xov ^eov
[10, 35] sind.
Man hüte sich davor sich bei dieser Erklärung zu beruhigen:
sie kann dem Text nur abgezwungen werden, und er ist erst durch
1) Die Erklärung zeigt daß er icXri^rig als Praedikat nahm, der Artikel also
fehlen muß, wie in kB, Ebenso interpretiert Theodor so als wenn aXri^ivog
Praedikat wäre, obgleich in seinem Text die Lesung der Syrer jv»jlj )fc\» steht,
die dem uerbum ueritatis der Lateiner genau entspricht. Für o Xoyog d ccXri^ivös
lassen sich als älteste Zeugen nur DA anführen.
2) P. 104, 1 • bsS}^ |i.i) ^j ,^ ^) . \li^ Ä^Jv-)^ )lQiä4J ö>v^ Äj ;*^ )jo>3
>9rii. K^oj- )U— o(iD \iOf = iv tovTcoi yäg xal fj Tr)g jja(nro? ScX'^d-sicc fiaXLara
driXoiJtaif (in diä toü oniQuatog ov ianBiqa, toaavxriv dvvcc(iiv dedana v^i^iv.
Äporien im vierten Evangelium IV 509
die Bearbeitung so verdreht und verrenkt, daß der angegebene
Sinn lierauskommen soll. Formell ist zunächst anstößig daß der
Numerus 4, 38 plötzlich wechselt oder , wie mans auch nehmen
kann, daß nicht schon 4, 36. 37 die Plurale stehen, die wegen des
viiEtg 4, 38 nötig sind. Sodann zwingt die Fassung von 4, 38 eycD
ccTisörsika vy^äg allerdings dazu unter den Angeredeten die 'Apostel'
zu verstehen : aber was soll der Aorist, was das Perfectum eiöeXri-
Xvd-ats bedeuten? Die Mission beginnt ja erst nach der Auf-
erstehung, und von einer Aussendung der Apostel durch lesns
wird im vierten Evangelium nichts berichtet; sie wird hier in un-
zulässiger Weise nach den Synoptikern vorausgesetzt. Endlich
ist es nach alttestamentlichem ^), im N. T. fortlebendem ^) Sprach-
gebrauch alles andere als lobenswert, wenn jemand erntet, was
ein anderer gesät hat: das tun Tyrannen und Feinde. Statt die
Worte zu drehen und zu wenden, wobei man im besten Falle die
Absicht des Ueberarbeiters errät, muß man auf diese sprachliche
Thatsache den Finger fest drauflegen und schließen daß vyslg ur-
sprünglich nicht die Apostel bedeutet haben kann, das ohnehin
falsche eye) aTci^tsiXa vyäg also ein secundärer Zusatz ist. Das
reimt sich nun aber mit den übrigen Anstößen zusammen, welche
die Erwähnung der Jünger in der Geschichte bereitet: sie müssen
hinausgetan werden. Das Motiv von 4, 8 ist aus Lc. 9, 52 enttehnt.
Mit wem redet nun aber lesus? Wenn man aus 4,30 die
Consequenzen zieht, mit den Samaritern. Sie hatten das Gesetz
Mose angenommen und wollten doch keine Juden sein: dafür ist
ccXkoL xsxoTCLccKcc^Lv Tcal v^Big alg thv xÖTtov avrav elosXriXv^ats ein
passender Ausdruck. Vom christlichen Standpunkt aus konnte gegen
die samaritanischen Urketzer dasselbe gesagt werden. Wie dem
aber auch sein mag: zu dem Zustand der 4,38 geschildert wird,
bildet 4, 36 den Gegensatz, den die Ueberarbeitung durch die
dogmatische These 4, 37 vergeblich zu vertuschen sich bemüht hat.
Das Normale ist daß der Schnitter seinen Lohn bekommt [lacob.
5, 4] und dem der gesäet hat, d. h. dem Herrn des Ackers, die
1) 'J)u sollst säen und nicht ernten' ist eine Drohung lahvehs für 'du ver-
lierst deine Ernte an den Feind' Micha 6, 15 [vgl. Iliob 31,8]; umgekehrt schwört
lahveh les. 62, 8 : Hch ivill dein Korn nicht wieder deinen Feinden zum Fräße
geben, und die Fremden sollen deinen Most nicht trinlcen, um den du dich ge-
müht: die es eingebracht haben, sollen es essen . , . und die ihn gelesen haben,
sollen ihn trinken. Aehnlich 65, 21 f.
2) Mt. 25, 24 eyvcov es ort eytXriQos st av&QOinog, ^SQ^^av oitov ovv, ^aitsiQag
yiccl Gvvdyoiv 0%'bv ov diS6v,6Q7ti6u$, Aehnlich in der Parallelstelle Lc. 19,21.
-510 E. Schwartz-
Frucht in die Scheuer bringt: dann freuen sicli Säemann und
Schnitter. Das ist jetzt verdreht und unverständlich geworden
durch den Zusatz slg ^corjv alcoviov und dadurch daß dem Bilde von
der Ernte die Deutung auf die Mission aufgezwängt ist, nach Mt.
9, 37 = Lc. 10, 2. Darum ist r^dri hinzugefügt, um die ganz all-
gemeine Sentenz zu einer metaphorischen Schilderung der Gegen-
wart umzuprägen; so wird der richtige Gegensatz zwischen den
allgemeinen Singularen 4, 36 und den auf bestimmte historische
Verhältnisse weisenden Pluralen 4, 38 gestört. Auch 4, 35 muß
fallen. Der Vers bezeichnet deutlich die bevorstehende Mission,
aber grade der futurische Sinn der in dem Bilde von den schnitt-
reifen Feldern liegt, reimt sich nicht mit dem abgelohnten Schnitter
und dem Einbringen der Frucht; das geschieht doch, wenn die
Ernte nicht mehr bevorsteht, sondern schon vorbei ist. Der Be-
arbeiter konnte eben den ihm gegebenen Wortlaut von 4, 36 in
den Zusammenhang nur gewaltsam hineinbringen, und hat anderer-
seits das Bild das ihm 4, 36 an die Hand gab, nach einer anderen
Richtung gewandt. Während lesus im Voraus weiß daß die
Mission, die Bekehrung zum Glauben an ihn, nahe bevorsteht,
ahnen die Jünger davon noch nichts: das ist der Gedanke der zu
Grunde liegt, aber ungeschickt ausgedrückt ist ; denn in Palaestina
dauert die ganze Vegetationsperiode nur 4 Monate. lesu Rede
soll an die gegenwärtige Situation anknüpfen, und so wächst aus
der Metapher von der Ernte eine jener schlechten und confusen
Zeitbestimmungen heraus, in denen die TJeberarbeitung des ur-
sprünglichen Evangeliums am deutlichsten zu Tage tritt.
Das Füllstück 4, 43 — 45 hängt mit den Festreisen zusammen
und ist schon besprochen [S. 120]. Es folgt das Wunder vom
Sohn des Königischen [4,46 — 54], das der Geschichte vom Sohne
des Hauptmanns zu Kapernaum bei Matthaeus [8, 5 — 13] und
Lucas [7, 1 — 10] entspricht. Sie steht dort unmittelbar nach der
Bergpredigt und ist das erste Wunder in der Reihe ^). Wenn es
also im vierten Evangelium [4, 54] ^) als das zweite bezeichnet wird,
so ist die Zählung nicht müssige Spielerei, sondern ausdrückliche
Polemik gegen Lucas oder die Vorlage des Matthaeus und Lucas:
die Zählung ist außerdem alt, da sie die erste Reise nach Jeru-
salem ignoriert [vgl. 2, 23. 3, 2. 4, 45] und die Geschichte nahe an
die der Hochzeit von Kana heranrückt. Es ist jedenfalls zu be-
1) Ueber Mt. 8, 1—4 vgl. Wellhausen, Ev. Matth. 35.
2) Ueber die verkehrte Fassung vgl. S. 116 f.; ursprünglich mußte es ein-
fach beiBen iv raliXaCui.
Aporien im yierten Evangelium IV 511
acliten, wenn auch noch keine ausreichende ^Erklärung dafür zu
finden ist, daß die Tätigkeit lesu in Kana beginnen soll und nicht
in Kapernaum, wie die synoptische Tradition, historisch gewiß
richtig berichtete : daß die Erwähnungen von Kapernaum in Cap. 6
alle secundär sind, wurde schon oben nachgewiesen. Wie bei
Lucas, fehlt auch im vierten Evangelium die antijüdische Pointe
die die Geschichte bei Matthaeus erhält; gegenüber der synoptischen
Darstellung ist das Wunder vor den Glauben des 'Königischen'
geschoben. Ungereimt ist daß der Glaube dem Königischen
zweimal kommt: 4,52.53 sind ein Zusatz, wie das absolut ge-
brauchte STCLötsvösv verrät, das so steht, als wäre er mit seinem
Hause [vgl. Act. 16, 15. 31] zum Christentum übergetreten: das
Datieren nach Stunden scheint eine Eigentümlichkeit des Inter-
polators zu sein ^). Ebenso sind 4, 48. 49 interpoliert : der zweite
Vers wiederholt 4, 47, was nur dann aus der Situation interpretiert
werden dürfte, wenn die Wiederholung ausdrücklich gekennzeichnet
wäre, und der erste enthält eine Abweisung die durch nichts
motiviert ist und nach der Jesus gar nicht handelt^). Ein solches
grund- und zweckloses Anfahren wird ihm im vierten Evangelium
mehr als einmal zugeschrieben, regelmäßig so, daß es den Zu-
sammenhang der Eede oder Handlung unterbricht, wie 6,26 [s. o.]
und 7,6 — 8 [vgl. S. 117J. Am ärgsten^) geht es bei der Hochzeit
1) 1,39 ist die Stundenangabe hinter ri]v r]^EQav e'aeCvtiv geradezu sinnlos;
ähnlich steht sie 4, 6 nicht bei dem Ereignis das die Handlung in Gang bringt,
sondern bei dem Zustand der sie einleitet. Am ersten läßt sich noch 19, 14
verteidigen.
2) H. J. Holtzmann merkt mit Kecht an daß arifiSia -nccl rsQuta nur hier
im vierten Evangelium vorkommt. Es ist das alttestamentliche D'^nS'a'^, tl'^ni^ ;
lesaias [8,18. 20,3] braucht es von wirklichen Vorzeichen wie es auch Sap. Sal.
8, 8 steht; die in Exodus [7, 3] und Deuteronomium [4, 34. 6, 22. 7, 19. 26, 8. 29, 2]
sehr häufige Beziehung auf die aegyptischen Plagen und das Wunder im rothen
Meer findet sich meines Wissens zuerst lerem. 32 [39], 20 : Moses wird als Werk-
zeug Jahvehs genannt Deuter. 34, 11. Sap. Säl. 10, 16: analog Hehr. 2,4. cnniBta
'AUL ttQava als Beglaubigung eines Propheten Deuteron. 13, 2 : nach dieser Stelle
ist Mc. 13,22 = Mt. 24,24 gemacht, danach wiederum 2 Thess. 2,9. Im guten
Sinne redet Paulus von den 'Zeichen und Wundern', die den göttlichen Beruf des
Apostels erweisen [Rom. 15, 9. 2 Kor. 12, 12], und mit gleicher Bedeutung ver-
wenden es die Apostelakten sehr häufig, auch in der Erzählung [2, 43. 4,30. 5,12.
6,8. 14,3. 15,12]. Dagegen kommt es außer der einen Stelle im vierten Evan-
gelium von Wundern lesu nie vor.
3) Die Redensart tt ii^ol nccl aoC [2, 4] darf nicht metaphysisch mißverstanden
werden. Sie entspricht dem hebraeischen ^'^ 'ib STD mit dem eine Bitte oder
AufiTorderung abgewiesen [2 Reg. 16,10 = 19,23. 4 Reg. 3,13], eine feindliche
512 E. Schwarfz
zu Kana her [2, 4. 5], wo auch eine ähnliche Wendung wie 7, 6
gebraucht wird : hier liegt ebenfalls secundärer Einschub vor. Die
Mutter lesu gehört in das Wunder nicht hinein: sie ist in den
Anfangssatz [2, 1] störend eingeschaltet ^), und es ist einfach un-
begreiflich, wie sie den Aufwärtern den Befehl geben soll ihrem
Sohn zu gehorchen^); ein geladener Grast kann sich vom Diener
etwas bringen lassen, aber nicht ihm einen Herren setzen. Uebrigens
sind die Diakonen ebenfalls verdächtig. Sie erscheinen nur da
wo ihnen die Mutter lesu befiehlt [2, 5], und in einer schleppenden
Parenthese [2, 9], die sie als Eingeweihte charakterisiert, fehlen
aber da wo das Wunder selbst erzählt wird: da steht nur das
allgemeine avtolg, das ebenso gut von den Grasten selbst verstanden
werden kann. Ich möchte vermuthen daß die Diakonen in dieser
Greschichte ein Typus der christlichen Diakonen sind, die bei der
Eucharistie den Kelch zu reichen pflegten [vgl. S. 498]: nur so
vermag ich zu erklären daß von ihnen mit solchem Nachdruck
gesagt wird : 'sie wußten woher der Wein kam'. Dann bietet sich
auch eine Möglichkeit 2, 4 ovtcg) i]X6i rj coqu ^ov zu verstehen : der
Maßregel für unberechtigt erklärt wird [lud. 11,12. 2 Paralip. 35,21 = 1 Esr.
1,24]: es bedeutet 'laß mich in Ruhe'; 4 Reg. 9,18 Dlblöbn ^b TTü = 'was
Tcommst du mir mit dem Friedensgruß ?^ Im Aramaeischen wirds ebenso gebraucht;
die Daemonen bitten lesus sie in Ruhe zu lassen: tC rjiiiv xal coij 'Iriaov Na^a-
QTivi; [Mc. 1,24. 5,7 = Mt. 8,29 = Lc. 8,28]. So stammelt in den Persern
des Timotheos [162] der gefangene Phryger in gebrochenem Ionisch iym fioi aoi
Xü5? xat XL 7tqayiia\ das ist nichts anderes als rC ifiol y.al aot 'laß mich unge-
schoren'. Durch die aramaeischen Sklaven, die Zvqoi, ist die Redensart ins
Vulgärgriechische gekommen; bei Epiktet ist sie nicht selten [2,19,16. 1,1,16.
22, 15. 27, 13], der klassischen Sprache dagegen fremd.
1) Blaß [p. XV der Ausgabe] hat den Anstoß vorzüglich formuliert : uulgata
lectio non solum mairem lesu ante ipsum facit inuitari, quod utdeo explicari
posse, sed etiam amhiguitate quadam laborat, cum rjv het post iv Kccva rf^g
raXiXaCag ad Cana potius refertur quam ad yccfiog.
2) Nach dem recipierten Text [= t<»B] xal vatSQ-^auvrog oi'vov Xiyu 7} jU'^ttjp
tov ^IriGov xrX. lassen sich 2, 3 — 5 nicht glatt ausscheiden. Das würde zwar zur
Verteidigung der Interpolation nicht ausreichen, es muß aber angemerkt werden,
daß der absolute Genetiv nicht fest überliefert ist. Die Lesung von K xal olvov
ov-K il%ov, ort GvvsxBXio^ 6 olvog tov yd^ov, die auch durch die Lateiner be-
zeugt ist [vgl. cod. Corbei. et uinum non habehant, quoniam consummatum est
uinum nuptiarum\ läßt die Interpolation scharf hervortreten, weil nunmehr olvov
üix ^xovaiv lästig wiederholt wird, und enthält zugleich das allgemeine Subject,
das mit wbrotg 2,7.8 wieder aufgenommen werden kann: bei dieser Gestalt des
Textes fallen 2,3—5 ohne jede Schwierigkeit fort. D und die alten syrischen
Uebersetzungen fehlen leider zu der Stelle.
Aporien im vierten Evangelium IV 513
Hinweis anf den Tod soll andeuten daß das Wunder nur ein Typus
der den Tod lesu feiernden Eucharistie ist.
Die Stellung der Jünger zu lesus ist im vierten Evangelium
merkwürdig unklar, wenn man sie mit der synoptischen, nicht
durchweg geschichtlichen, aber durchsichtigen und leicht auf Gre-
schichtliches zurückzuführenden Tradition vergleicht. Scharf heben
sich in ihr die beiden Brüderpaare, Petrus mit Andreas und die
Söhne Zebedaei heraus; sie sind die nächsten Genossen lesu, die
gleich am Anfang [Mc. 1,16—20. Mt. 4, 18 — 22] gewonnen werden.
Dazu gesellt sich eine unbestimmte Anzahl von Anhängern [^a-
d'riraC]j in deren Mitte sich lesus bewegt, denen der weitaus größte
Teil seiner Reden gilt, und mit denen er schließlich nach Jeru-
salem zieht. Daß die Zwölf, d. h. die Vorsteher der christlichen
ürgemeinde in Jerusalem', in die evangelische Geschichte nach
rückwärts projiciert sind, läßt die Ueberlieferung jeden noch deut-
lich erkennen, der nicht mit Willen sich die Augen zuhält: die
Aussendung der Zwölf zur Mission [Mc. 3, 13—19. 6, 7—13. Mt. 10.
Lc. 6, 13—16. 9, 1 — 6], zu denen bei Lucas [10, 1 — 24] noch die
Siebenzig hinzutreten, sind ebenso ein vaücinium ex euentu, wie das
Orakel über das Martyrium der Zebedaiden [Mc. 10, 35—45. Mt.
20, 20 — 28] ; in dem Bekenntnis des Petrus zu lesus dem Messias
[Mc. 8, 27—30. Mt. 16, 13—20. Lc. 9, 18—21] spiegelt sich die
Offenbarung des Auferstandenen, die ihm zu Teil geworden war
und das erste Eundament der christlichen Gemeinde gebildet hatte.
Von alle dem hat das vierte Evangelium nur unordentlich hin
und her geworfene Trümmer, die sich zu keinem Bilde zusammen-
fügen. Seine ursprüngliche Erzählung hat das Verhältnis lesu zu
den Jüngern eigenartig gestaltet : in der Lazarusgeschichte und
bei der Verhaftung ist er ihr Führer, dem sie folgen bis in den
Tod und der ihnen den Tod ferne hält; Thomas [11,16. 14,5]
scheint besonders hervorzutreten, ferner ludas der die Kasse
führt, wenn auch die Erzählung von seinem Anteil an der Ver-
haftung verloren ist. Zweifelhaft muß bleiben ob die Eeste
eines Gespräches lesu mit den Jüngern, die jetzt in die Reden
vom Lebensbrod eingeschaltet sind, zum ursprünglichen Bestände
gehören^). Die Zwölf sind nur durch die Ueberarbeitung hinein-
1) 6, 37—39». 43. 44». 45. Der Gedanke liegt zu Grunde, daß die christliche
Gemeinde jedem offen steht; er paßt auffallend gut zu den eucharistischen Ge-
beten der Apostellehre [9, 3] und kann also mit der Umwandlung der Speisung
der Fünftausend in einen Typus der Eucharistie zusammenhängen. Es ist nur
Kgl. Ges. d. Wlßs. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 5. 36
514 E. Schwartz
gekommen [Naclir. 1907, 352]; ebenso das Bekenntnis des Petrus
[6, 68. 69]. Ueberkaupt sckrumpft die Rolle die Petrus im vierten
Evangelium spielt, gewaltig zusammen, wenn die überarbeiteten
Stellen fortfallen [13, 6. 7. 24. 14, 36-38. 18, 10. 12-27. 20,
2 — 10; ferner das letzte Capitel]: es bleibt so gut wie nichts
übrig, und Thomas ist mindestens ebenso wichtig als er. Die
Versuche Andreas zu einer selbständigen Figur zu machen sind
mißglückt und offensichtlich secundär, von dem 'anderen ludas'
[14, 22] zu schweigen [vgl. S. 185] ; der 'Lieblingsjünger' ist eben-
falls als Zutat erwiesen [Nachr. 1907, 342 ff.]. Tn den eingeschal-
teten Abschiedsreden tritt wohl ab und zu, meist aus synoptischen
Parallelen entlehnt, der Apostelberuf der Jünger hervor^): aber
eine ausdrückliche ocTtoöroXrj ist dem vierten Evangelium fremd ^).
Von den Abschiedsreden abgesehen, spricht lesus nur ganz selten
mit ihnen : sein Publicum sind im jetzigen Evangelium die jüdischen
Gegner, nicht die Jünger. Dagegen muß ihr Unverstand öfters
herhalten um einen Weissagungsbeweis daran zu explicieren ^).
Dies muß man sich vor Augen halten, wenn man an die
Analyse der Jüngerwahl im vierten Evangelium herangeht. Man
hat von jeher angenommen daß der eine von den beiden lohannes-
jüngern die zu lesus übergehn, darum nicht genannt werde, weil
in ihm der Lieblingsjünger stecke und dieser als Verfasser des
Evangeliums im Dunkel bleiben wolle. Da nun aber die Gestalt
des Lieblingsjüngers und ihre Identificierung mit dem Apostel und
Evangelisten Johannes zwei verschiedenen Schichten der Bearbei-
tung angehören, so könnte erst die jüngste Redaction dies Ver-
steckspiel hineingebracht haben: es ist aber nicht nötig das Ver-
schweigen des Namens in dieser Weise zu deuten*). Denn umge-
merkwürdig, daß das Bild vom Brode nicht, wie in j.^nen Gebeten, in diesen Ge-
dankenkreis mit hineingezogen ist; außerdem wechselt das Publicum 6,41. So
yage ich keine sichere Entscheidung.
1) 18, 16 [= Mt. 10, 24. Lc. 6, 40]. 20 [= Mt. 10, 40]. 15, 27. 17, 18. 20. 21.
Die Stellen fallen aus dem Zusammenhang der Abschiedsreden heraus, am deut-
lichsten 17, 18.20.21, die dem in 17,22.23 ausgesprochenen Gedanken vorgreifen:
der Widerspruch liegt darin daß die ältere Ueberarbeitung in 15—17 Jesus zur
künftigen Gemeinde reden ließ, die jüngere die 'Apostel' hineinbrachte im Gegen-
satz zur Gemeinde [17,20].
2) lieber 4,38 vgl. oben.
8) 2, 22. 12, 16.
4) Auch der 'Lieblingsjünger' hat von dem der ihn erfand, keinen Namen
erhalten, vgl. Nachr. 1907, 362. Vortrefflich bemerkt Chrysostomus [t. VIÜ
p. 107c]: Tivog ovv tveyisv xai rb xov tregov ovn iyvwQiGsv livo^w, rivtg tpaat-
Aporien im vierten Evangelium IV 515
kehrt ist die Art sonderbar, mit welcher derjenige der genannt
wird, Andreas, als Bruder des Simon Petrus eingeführt wird
[1,40], ehe dieser in die Handlung eintritt^). Es wird eben vor-
ausgesetzt daß jeder Leser weiß wer Petrus ist; diese dem Stil
der Evangelien zuwiderlaufende Manier ist immer ein Kennzeichen
der Interpolation aus den Synoptikern. Im Folgenden wird ein
leidlicher Zusammenhang hergestellt, wenn man in Vs. 43 ri^iXriaev
i^sXd-eiv slg xriv raXilaCav ;cat und xal Xeysi — axoXovdsi fiot als
Zusätze entfernt [vgl. S. 181^ und Blaß p. XIV]: dann wird An-
dreas Subject auch zu dem zweiten evqCöxel [1, 43] und TtQcbtov
[1,41]^), das jetzt unverständlich ist, erhält seine Beziehung. Bis
zum ursprünglichen Evangelium dringt man freilich auf diese Weise
nicht vor. Was lesus zu Petrus sagt [1,4'2], ist eine schlechte
Copie des berühmten Ausspruchs bei Matthaeus [16,17.18], die
nicht einmal direct, sondern durch Vermittlung des Hebraeerevan-
geliums zu Stande gekommen zu sein scheint: die unselbständige
Einlage verrät sich schon durch das Futurum, das ungeschickt auf
Siä t6 avtbv sivai xov ygäcfovta xbv 'r]v,oXovQriv,6ta [so Theodor von Mopsu-
hestia p. 52, 20 ff.] * xivbs 8b ov% ovr©?, äXV ort, i^scvog ovxl t&v sitiariiiaiv r^v.
ovdev ovv nXiov tcbv avccynaCav Xeysiv ixQijv' tC yag öcpsXog in tov ^ad'Btv insi-
vov ti)v TtQOoriyoQLav, STtsl ovds xcov sßdo^'^yiovta ovo Xsyai tu 6v6[Laxci. Der
in der antiochenischen Rhetoren schule gebildete Presbyter kennt das hellenische
Stilprincip, mit Eigennamen zu sparen. Den Hellenen würde das Gewimmel von
Namen in den historischen Büchern des A. T. oder bei den Geschichtsschreibern
des Islam arg barbarisch erschienen sein.
1) Die syrischen Uebersetzer haben die Inconcinnität gefühlt und zu be-
seitigen versucht. Die Syr. Sin., von der die Syr. Cur. nur unbedeutend abweicht,
schreibt ^(i«%j| oo^o >9^^X2a.; ^o^cl^j joo^ o^:ojl ,gDa«y| ^a«; . w.o^o«JäS.i. >^o^ ;o «^o
o^ '♦»jo liOQ- OCH3 -o<Qu*j >(;).\v^a\ )^» d. i. v.a.1 stg i^ insLvav xcöv fta-ö-TjTöv ^loa-
dvvov • ^AvÖQEccs övo^cc ccvxcbL ' äSsXcpbg Zli^avog, ovxog 6 'Avdqiag bqai SifKova
xbv aSsXcpbv avtov sv £v,elv7\l xf}i riiiiqui v,(u Xsysi avxm. Mit dieser Fassung
ist die umständliche Vorstellung des Andreas vermieden und das vorangestellte
ud£Xq}bg Ztnavog erträglicher geworden, weil es als Apposition in die Erzählung
selbst eingefügt ist. Wenn der gescheite Uebersetzer die Apposition adsXcpbg
ZC^avog ganz gestrichen und das überlieferte ovxog nicht seinem neugebüdeten
Satze accommodirt, sondern es ebenfalls entfernt hätte, wäre eine tadellose Er-
zählung herausgekommen, aber so weit wagte der Mann sich von der üeberlie-
ferung nicht zu entfernen.
2) Diese Lesart ist durch K^'B bezeugt. Die Syrer lassen es weg, weü sie
es nicht verstanden; einige Lateiner setzen es = ngaC mane. D fehlt zu der
Stelle. TCQcbxog liest K : das ist wohl nicht Angleichung an ovxog, sondern eine
Aenderung, die dem Petrus findenden Andreas lesus der Philippus findet, entgegen-
stellt. Die künstliche Erklärung die ich früher [Abhandl. YII 5, 48] von TtQ&tog
gegeben habe, stammt noch aus der Zeit in der ich an die Einheit und Ursprüng-
lichkeit des vierten Evangeliums glaubte.
36*
516 E. Schwartz
jenen Ausspruch hinweist, und die arge Verschiebung die den
Grund weshalb lesus Petrus den Felsen nennt, das Bekenntnis
zum Messias^), gar nicht Petrus selbst, sondern Andreas zuweist:
wie entwertet ist dies erste Bekenntnis zu Christus im Vergleich
zu den Synoptikern! Philippus kommt eben so schlecht weg wie
der Apostelfürst: auch wer den überlieferten Zusammenhang von
1,43 für richtig hält, muß sich wundern wie rasch und mager
er abgespeist wird. Am breitesten und eigentümlichsten ist die
G-eschichte Nathanaels erzählt, den nur das vierte Evangelium
kennt ; obgleich er durch diese Einführung besonders ausgezeichnet
wird, tritt er später nicht wieder auf; denn 21, 2 zählt nicht.
Sein Bekenntnis wird dadurch bewirkt, daß lesus ihm eine Tat-
sache mitteilt, die er auf natürlichem Wege nicht erfahren haben
konnte: er hat Nathanael unter dem Feigenbaum sitzen sehn, als
Philippus ihn herzurief, und sagt ihm dies, ehe Philippus es ihm
melden konnte ^). Daran erkennt Nathanael den 'König Israels',
d. h. den Messias und bestätigt damit das Lob das lesus ihm beim
ersten Sehen zu Teil werden läßt: er ist ein Israelit ohne Falsch,
der sich nicht sträubt seinen König anzuerkennen. Das Gegen-
stück zu diesem echten Israeliten ist die Samariterin, die lesus
als Propheten begrüßt [4, 19], nachdem er ihr gesagt hat wie viel
Männer sie gehabt hat und daß sie jetzt eine Concubine ist. Diese
scharf und praecis concipierten Geschichten von den aQstaC lesu
werden nur verdorben, wenn sie allegorisiert werden: grade weil
sie von den Wundern der synoptischen Tradition so völlig ab-
weichen, so frisch drauf los fabulieren, sind sie für den Dichter
des echten vierten Evangeliums charakteristisch. Er war nicht,
wie jetzt behauptet wird, ein schlechter Erzähler, sondern ein
aQataXoyog allerbester Art ; daß die Bearbeiter von dem Geschichten-
kranz, den er kunstvoll geflochten, nur kümmerliche, zerfetzte
Reste übrig gelassen haben, ist nicht seine Schuld. Philippus sitzt
in der Geschichte unlöslich fest; er wird damit als eine Figur
des echten Evangeliums erwiesen, womit natürlich nicht gesagt
1) Das aramaeische Wort (isaaiag für xQf-^^og ist in der altchristlichen
Litteratur verpönt : es kommt im ganzen N. T. nur hier und 4, 25, einer sicher
jungen Stelle, vor. Vielleicht geht es hier, ebenso wie Kricp&s für nirgog [Mt.
16, 18], auf das Hebraeerevangelium zurück.
2) Vorzüglich erklärt Chrysostomus [t. VIII p. 1 18»] sC fisv yag stns ii6vov
^ngb tov ^CXinnov iXdsiv ngbs gb sldöv ae, xav vTtoaTttEvd^ mg aixhg cti)thv
&neataXy,0Dg nal oidsv fiBycc Xiya>v • vvv d\ rwt xov x6nov sinsCv^ v.ad'' ov diitgißs
qxovovfisvog nagu tov ^iXinnov, xal rov divdgov ti]v ngoariyogCav xal xfig Sia^
X(^S(os TOV -naiQdVf Scvaii^iGßrjtTiTOv xriv ngoggriaiv ^dsi^ev ovaav.
Aporien im vierten Evangelium IT 517
ist, daß alles was von ihm bericMet wird, echt wäre; am aller-
wenigsten können die mageren und confusen Verse 1, 43. 44, durch
die Philip pus Bekenntnis [1, 46] nicht motiviert wird, die anschau-
lich dargestellte Greschichte einleiten. So bleibt nur diese für das
echte Evangelium übrig: 1, 40 — 44 sind secundär und niemand kann
erraten, was und wie viel sie verdrängt haben. Nur ist wohl zu
beachten daß das Bild Nathanaels , der ruhig unter dem Feigen-
baume sitzt, d. h. das friedliche Leben genießt, wie der alttesta-
mentliche Jude es sich wünscht und von dem messianischen Zeit-
alter erhofft, und nun plötzlich aus dieser Behäbigkeit hinweg^)
zum Jünger berufen wird, in raffiniertem Gregensatz zu dem synop-
tischen Bilde von den Fischern erfunden ist, die Jesus von ihren
Netzen wegruft : es ist nicht grade wahrscheinlich daß der Dichter
des vierten Evangeliums eine schlechte Copie der synoptischen
Berufung von Petrus und Andreas neben seine eigene Erfindung
setzte. Dagegen ist der Schluß [1, 50. 51] der Geschichte höchst
wahrscheinlich ein Zusatz der eine Anspielung auf den Anhang
der Yersuchungsgeschichte bei den Synoptikern enthält [Mc. 1, 13.
Mt. 4, 11] : wozu kündigt Jesus diese Angelophanie an, wenn gar
nichts daraus wird?
Nach dem jetzigen Text sind die ersten beiden Jünger lesu von
Johannes zu ihm übergegangen; vielleicht hat Lc. 7, 18 eingewirkt.
Die Frage ob dieser sonderbare Zug dem ursprünglichen Evangelium
angehört, läßt sich von der anderen, weiter reichenden nicht
trennen, wie im vierten Evangelium und seinen Bearbeitungen das
Verhältniß lesu zu seinem Vorgänger aufgefaßt ist. In der syn-
optischen Ueb erlief er ung sind noch deutliche Spuren davon vor-
handen, daß die christliche Urgemeinde eine Concurrentin der
älteren Secte der lohannesjünger gewesen ist, von der sie so
wichtige Dinge wie das Gremeindegebet [Lc. 11,1. 5,33] und das
Wochenfasten [Mc. 2, 18ff. Mt. 9, 14ff. Lc. 5, 33ff.] entlehnte,
selbstverständlich erst nach dem Tode lesu, da er zu seinen Leb-
zeiten keine Gremeinde gestiftet hat. Daß lesus selbst die lohannes-
taufe empfangen hat, darf schon darum nicht bezweifelt werden,
weil es den Christen bald sehr anstößig wurde, daß ihr Christus
sich der Taufe zur Vergebung der Sünden unterzogen haben
1) Vgl. 3 Reg. 5, 5. Micha 4, 4. Zacharias [3, 10] schüdert die messianische
Zeit mit den Worten: jenes Tages, sagt Jahveh Zehaoth, ladet ihr einander ein
unter Weinstoch und Feigenbaum: es sieht fast so aus, als protestiere das vierte
Evangelium gegen diese Prophezeihung, wenn es Nathanael unter dem Feigen-
baum wegrufen läßt, i^^p heißt rufen und einladen.
518 ' E. Schwartz
sollte ^). Aber er taufte nie ; die christliche Taufe ist erst durch
eine Combination der lohannestaufe mit der Proselytentaufe ent-
standen ^). Um dieser Entlehnungen willen und weil die That-
sache daß lesus dem Ruf des Johannes zur Taufe gefolgt war,
sich nicht fortbringen ließ, ist sehr früh Johannes Verkündigung
daß der Messias vor der Türe stehe, zu einer Weissagung umge-
deutet, die auf lesus zielte: der Täufer selbst hatte den von den
Juden erwarteten Messias, der das Grericht bringt, im Sinne gehabt.
Freilich sind die Spuren des Ursprünglichen nicht ganz verwischt ^) ;
auch ist wohl zu beachten daß die Stelle von dem 'Prediger in
der Wüste' bei den Synoptikern außerhalb der Erzählung steht*).
Die zweifelnde Anfrage des Täufers, ob lesus 'der sei der da
kommen solle' [Mt. 11, 3. Lc. 7, 19], paßt schlecht zu der Rolle
eines prophetischen Zeugen für lesus den Messias, und dieser Ver-
such ihn mit lesus zusammenzubringen schließt streng genommen
die Umdentung seiner Predigt aus. Es mangelt also in der synop-
tischen Ueberlieferung nicht an Widersprüchen, aber es sind Wider-
sprüche die nicht gegen, sondern für die Ueberlieferung zeugen,
weil sie aus der lebendigen Entwicklung herausgewachsen und re-
flectirender Kritik oder überlegter Darstellungskunst nicht zum
Opfer gefallen sind. Mit den Incongruenzen und Inconcinnitäten
des vierten Evangeliums steht es anders: sie sind nicht Flecken
und Male einer Tradition, die mit dieser weiter gegeben werden,
und haften nicht am Object, sondern an dem schriftstellernden
Subject, lösen sich auch nicht durch historische Betrachtung des
Geschehenen auf, sondern führen in die Gregensätze hinein, die
sich in der den Anfängen schon femstehenden Reflexion und Spe-
culation über lesus herausbildeten. Die Behauptung daß Jesus
selbst getauft habe [3, 22], ist eine so kühne Negation der Ueber-
lieferung, daß die Ueberarbeitung versucht hat sie hinauszu-
1) Vgl. Mt. 3, 14 ff. Hebraeerevangel. 3. Wellhausen, Ev. Mt. 7.
2) Der Gedanke daß durch die Taufe die vor ihr begangenen Sünden ab-
gewaschen werden, entstammt der lohannestaufe; dagegen ist der altchristliche
Name der Taufe, qxotLafiög, der ursprünglich den Katechumenenunterricht be-
zeichnet haben wird, jüdischen Ursprungs; vgl. lustin. dial. 122 p, 351» (die
Juden reden) ot) ytgbg xhv vofiov XsyeL %ccl rovg (pari^oiievovg vtc* a-öroiJ; ovxoi Sb
daiv OL TtQoariXvtoi. Zu Grunde liegt les. 49, 6, wo Israel die Heidenmission
zugewiesen wird.
3) Mt. 3, 11. 12 = Lc. 3, 16. 17. Wellhausen, Ev. Mt. 6.
4) Mc. 1, 1.2 scheint gradezu ein alter Zusatz zu sein; Mt. 3,3. Lc. 3,4 — 6
sind auch der Form nach eine Anmerkung zum Text. Bekanntlich ist die lesaias-
Btelle abgeändert, damit %vqCov [= rilST^] auf lesus bezogen werden kann.
Aporien im vierten Evangelium IV 519
corrigieren ^) : beides spricht vernehmlich dafür daß hier ein Rest
des ursprünglichen Evangeliums vorliegt, das die Tradition mit
dichterischer Freiheit umgestaltete. An Stelle der schüchternen
Versuche der Synoptiker die Zwölf, das Vorstehercollegium der
'Urgemeinde, in die Zeit lesu zurückzuprojicieren , ist hier mit
radikaler Vergewaltigung der TJeb erlief erung die Erfindung ge-
treten, daß lesus selbst bei Lebzeiten die christliche Gremeinde
gestiftet hat: nur das kann der Sinn der von ihm selbst voll-
zogenen Taufe sein. Es harmoniert gut dazu, daß diese Gemeinde
auch schon eine Kasse hat [12, 5. 13, 29 ; vgl. oben S. 178]. Im
jetzigen Evangelium werden der taufende lesus und der taufende
Johannes als Concurrenten dargestellt, und man sollte erwarten
daß ein Poet der davor nicht zurückschreckte lesus die Taufe
seiner Gemeinde zu vindicieren, diese Concurrenz mit kräftigen
Strichen zeichnen würde: aber die Erwartung täuscht, wie ge-
wöhnlich im vierten Evangelium, und die Erzählung stolpert un-
klar und verworren voran, um bald im Sande zu verrinnen; denn
die christliche Predigt in die jetzt alles ausläuft [3,31—36], ist
kein echter Schluß einer Erzählung [vgl. oben S. 152]. Diese
selbst zerfällt in zwei Teile, die schlecht mit einander verbunden
sind. Der zweite [3, 26 — 30] umfaßt ein Gespräch der Johannes-
jünger mit ihrem Meister, das in sich zusammenhängt und richtig
fortschreitet; Johannes gesteht seine Inferiorität offen ein. Da
3,29 das synoptische Wort Jesu Mc. 2,19. Mt. 9,15. Lc. 5,34
benutzt ist, darf man schließen daß die dortige Rede Jesu über
die Johannes] ünger zu einem Gespräch des Johannes mit seinen
Jüngern über Jesus umgebildet ist : 3, 29 taucht eine typische
Wendung der Johannesbriefe auf [vgl. Nachr. 1907, 364]. Zu dem
Gespräch selbst paßt nun aber der einleitende Vers nicht [3, 25] :
eyivExo ovv ^YJrrjöLg sk xg)v ftaO'T^röv ^Icodvvov ^stä ^lovöccCov TtsQl
xad-aQia^ov. Der Jude tritt überhaupt nicht mehr auf ^), und von
1) 4,2; vgl. S. 119. Es ist auch absichtliche Correctur, wenn die Syr. Sin.
3,22 dLSTQißsv Mal distQißsv ^et avtmv übersetzt; damit wird 4,2 vorbereitet.
2) Die antiken Correcturen suchen die Numeri auszugleichen, indem ent-
weder 'lovdcciov in 'lovdaioov verwandelt [K Syr, Cur.] oder sv, rä>v (iccd-riratv
'ladvvov mit ^iA*ci*j ^C5jo»*icJ^JL ^ »^A = <svl> ix tcöv fta-O'rjrcov 'latccvvov [Syr.
Sin. Pesch.] übersetzt wird. Das bringt den eigentlichen Anstoß nicht fort ; aber
auch die moderne, von großen Philologen vorgeschlagene Vermutung ^lovSaiov in
'Iriaov zu ändern hilft der Stelle nicht auf: warum wird von dem Gespräch nichts
berichtet? Es bleibt nach wie vor dabei, daß die Kede der lohannesjünger nur
den Erfolg Jesu bei dem Volk, aber nicht die Disputation mit den lohannes-
jüngern zur Voraussetzung hat.
520 ^- Schwartz
der Reinigung ist weiter keine Rede. Außerdem widerspricht die
Angabe der lohannesjünger daß alle^) jetzt zu lesus giengen
und sich von ihm taufen ließen, der Schilderung von Johannes
Tätigkeit am Anfang des Abschnitts [3, 23] xal TcaQsyLvovvo xal
ißaTttC^ovro: mit Recht hebt Bretschneider [Probabilia 47] hervor,
daß der Johannes der 3,21 — 30 spricht, mit dem Taufen aufhören
mußte, sobald lesus selbst angefangen hatte zu taufen. Somit ist
das Gespräch 3, 26 — 30 ein Zusatz des Bearbeiters, der die echte
Fortsetzung von 3, 25 verdrängt hat. Es ist aber überhaupt sehr
die Frage ob auch in dem ersten Teil des Abschnitts der Täufer
Johannes ursprünglich ist. Nach den Synoptikern trat Jesus erst
öffentlich auf, als Johannes in den ICerkern des galilaeischen Te-
trarchen Antipas verschwunden war [Mc. 1, 14. Mt. 4, 12], und der
ausdrückliche Protest des vierten Evangeliums [3, 24] gegen diese
Ueberlieferung dürfte demselben Jnterpolator angehören, der auch
die übrige Chronologie zu verantworten hat: daß die Erzählung
der Synoptiker von der Verhaftung des Johannes ohne Weiteres
vorausgesetzt wird, ist ein schwerer Verstoß gegen die Autonomie
des Evangeliums und schon darum verdächtig. An das Taufen
Jesu schloß sich im ursprünglichen Evangelium eine Disputation
zwischen ihm oder seinen Jüngern und einem Juden über 'Reini-
gung' : nicht in ^lovdaiov [3, 25] , sondern in 'Icsccwov steckt der
Fehler, und die Ortsangabe^) die wir nicht besser identificieren
können als einst Euseb [vgl. S. 119], bezieht sich auf das Taufen
Jesu, nicht das des Johannes. JJeber 3, 22 vgl. S. 119.
Nach 10,40 taufte Johannes am ö. Ufer des Jordans, in der
Peraea ^j. Das hängt mit der Flucht Jesu zusammen , welche
zwischen der ersten und zweiten Reise des ursprünglichen Evan-
geliums liegt und von der er nach Judaea zurückkehrt: Bethanien
lag an der Straße die von Jericho herkam, und auch nach der
synoptischen Tradition passierte Jesus auf der letzten Reise nach
1) Daher setzt die Syr. Sin. 3,26 für ndcvxsg ein noXXot.
2) Der Causalsatz otl vdarcc noXXa tjv i%sC ist sonderbar. Er soll jetzt
wohl motivieren, daß Johannes nicht mehr [vgl. 10,40] im Jordan tauft, leistet
aber nicht was er soll, denn so tief waren die Quellen doch nicht, um wie im
Jordan, darin unterzutauchen. Sollte das Sätzchen ursprünglich nur Alvmv =
IjW^'P erklären oder ist es aus dem Namen erschlossen?
3) Durch den Zusatz tb nQ&rov ist die Stelle mit 8, 23 verklammert, aber
das Folgende zeigt daß es sich um den einen und bestimmten Schauplatz von
lohannes Tätigkeit handelt, und der war am unteren Jordan.
Aporien im vierten Evangelium IV. 621
Jerusalem die Peraea^). Weil nun lesus von dem 'Ort in der
Peraea, wo Johannes taufte', nach Bethanien reiste [11, 1. 18], hat
ein Interpolator, der von der Geographie Palaestinas auch nicht
die geringste Vorstellung hatte und 11, 7 ayco^sv etg rr)v ^lovdaCav
verkehrt mit Mc. 10, 1. Mt. 19, 1 combinierte, wo die Peraea zu
ludaea gerechnet wird, die sinnlose Ortsbezeichnung 1,28 erdacht:
tavxa SV Br^d^aviuL iysvsto jtegav tov 'logddvov otcov rjv 6 ^ladvvrjg
ßaztiicov, die man weder mit Origenes und der Syra Sin. durch
die Conjectur BriQ^aßagcc-) noch durch die Erfindung eines homo-
nymen Bethanien, die Origenes unmöglich macht ^), beseitigen soll.
Die Erzählung fährt 10, 41 fort : viele kamen zu Jesus und
sagten ort ^Icodvvrig iisv ör^^etov STCOLrjösv ovdav, Ttävta ös o(?a sijtev
'lcodvvi]g TtSQl Toi'Tov, dXrid^T] rjv. In dieser Fassung ist der Gregen-
satz schief. Er konnte lauten daß Johannes zwar kein Zeichen
getan, aber richtig von Jesus prophezeit hätte: dann mußte ^isv
bei öYi^elov stehen, und der Name des Johannes durfte nicht wieder-
holt werden. Und was soU denn all das sein, das Johannes über
Jesus gesagt hatte? Etwa 3,27 — 36? Wenn die Leute in der
Peraea das sofort begriffen, müßten sie von einer singulären
Grlaubenskraft gewesen sein. Nach dem Wortlaut erwartet man
vielmehr, daß dem ^Icodvvrig ^ev im ersten Gliede im zweiten ein
6v de entspricht: 'Johannes hatte keine Wunderkraft, wohl aber
du', oder wie immer man das formulieren will. Weitere Ver-
mutungen über das was einst dagestanden hat, sind unzulässig;
nur das darf man ahnen daß in der ursprünglichen Fassung das
im ersten Glied enthaltene ungünstige Urteil über Johannes durch
das zweite nicht wie jetzt abgeschwächt, sondern verstärkt war.
Es fehlt nicht an Spuren die in die gleiche Richtung weisen. 5, 32 f.
macht Jesus zunächst von dem 'Zeugnis' des Johannes ein großes
Wesen*), dann folgen aber merkwürdige Worte [5,35]: exslvog rjv
1) Mc. 10,1.46. Mt. 19,1. 20,29. Lc. 9,52. 17,11 stehen zu 18,35. 19,1
im "Widerspruch, vgl. Wellhausen, Ev. Lc. 46.
2) Origenes [comm. in loh. 6, 204] bezeugt daß Brid-avCai in so gut wie allen
Hss. stehe, auch schon von Herakleon gelesen sei. Ob er selbst Brid-aßccga con-
jiciert oder es in einer Hs. schon gefunden hat, wofür G%s8bv iv tc&gi roig
ccvTLyQdtpoig spricht, sagt er nicht; keinenfalls stammt die Lesung j'Qv J^*:^ in
der Syr. Sin. aus ihm, sondern beide sind unabhängig von einander der Tradition
gefolgt, die lohannes, wie es nahe lag, an einer Furt des unteren Jordan locali-
sirte [Orig. 205] : dsiKwod-ai 8s Xayovai Ttaga TfJL öx^rii tov ^loQÖdvov xk Bt]-
d-aßuQcc, evd-cc iötoqovglv xbv 'ladvvriv ßsßccjtTL-nevaL.
3) A. a. 0. dn' ovös ofimvvfiog tfji Bri%-avCai xditog iaxlv nsgl xbv 'logddvriv.
4) Die lahme Correktur 5,34 gehört in die Kategorie der Stellen die ich
S. 167 behandelt habe.
522 E. Schwartz
6 Xvxvog 6 xttiö^svog xal (paivav, vfistg dl rid-slrl^ats ayalXiad-rjvm
jCQog cjQccv iv rat (pcozl avtov. Auch hier ist der Gegensatz schief:
niemand will nur 'zeitweilig' an einer Sache stolze Freude emp-
finden, und daß ein Licht brennt und leuchtet, versteht sich von
selbst. Dagegen kommt ein passender Sinn sofort heraus, wenn
man jtQog coQav ins erste Glied stellt: 'ihr habt euch an lohannes
gefreut, obgleich sein Licht nur für eine Weile leuchtete'. Das
'Verlöschen des Lichts' ist ein nicht seltenes alttestamentliches
Bild für den Untergang, und Philo stellt mit jüdischer, nicht
griechischer Metapher den Leuchter der Sonne entgegen [qu. rer.
diuin. her. s. 89] : tov yccQ ^v%^g o^^arog ßgaivtatri ^otga ol
xatä tb öcj^a otp^aliioC' xo ^sv yaQ soLxev riXCai^ kvxvovxoig da
ovtoi ^sXercjöLv s^aTtTsöd^ai ts xal ößsvvvöd^at. Der Sinn ist deut-
lich: 'lohannes ist verloschen wie ein Licht; er war nicht der
wahre Prophet, das bin ich'. Damit ist die Position welche die
synoptische TJeberlieferung gegenüber dem Täufer einnimmt,
wesentlich verschoben : ist er dort aus dem Prediger des jüdischen
Messias zu einem Vorläufer des wahren Messias oder zu einem
geworden, der mehr ist als ein Prophet, so wird er hier aus-
drücklich ausgeschaltet; der Stolz der Juden auf ihn hat sich als
eitel erwiesen. Es ist nicht nötig und nicht richtig, hinter dieser
veränderten Auffassung Polemik gegen die lohannesjünger zu
wittern, die grade an den entscheidenden Stellen des vierten
Evangeliums nicht vorkommen und 3, 25, wie schon gesagt, ver-
dächtig sind. Das Andenken des Täufers lebte auch in der rein
jüdischen Ueberlieferung fort, die eine schwere Niederlage des
Herodes Antipas zur Strafe für seine Hinrichtung stempelte
{loseph. AI 18, 116 ff.], und die scharfen Urteile des vierten Evan-
geliums könnten an und für sich ebenso gut gegen die Hoch-
schätzung des Täufers bei den Juden ^) wie gegen die lohannes-
jünger gerichtet sein. Tatsächlich streitet es gegen die christliche
Tradition, die sich in den Synoptikern niedergeschlagen und Jo-
hannes Auftreten an die Spitze des Evangeliums gestellt hatte;
diese Verknüpfung wollte das vierte Evangelium als lesu nicht
würdig lösen, wie es ihm ja auch die Taufe vindiciert hatte. Die
Unebenheiten und Störungen die es verhindern diese Polemik deutlich
zu erkennen, sind nachträgliche Correcturen die den Widerspruch
gegen die Synoptiker abschwächen sollen: auch diesmal hat die
originale Umdichtung des vierten Evangeliums sich gegen die Wucht
der Ueberlieferung nicht durchsetzen können.
1) So schon Chrys. t. VIII p. 73».
Aporien im vierten Evangelium IV 523
Wer die Erfindung wagte, daß lesus selbst taufte, und dem
entsprechend den Täufer Johannes als eine ephemere Erscheinung
hinstellte, der das Ansehn nicht verdiente, dessen er sich bei den
Juden erfreute, der kann für das Problem das die überlieferte
Taufe Jesu durch Johannes der ältesten Christenheit aufgab, nur
die radikale Lösung gefunden haben, daß er diese Taufe strich.
Zwar scheint sie im jetzigen Text vorhanden zu sein. Die Er-
zählung 1, 19 — 34 ist dem Anschein nach in drei Abschnitte zer-
legt: das Grespräch des lohannes mit den Priestern und Leviten
[19—23], dessen Fortsetzung mit den Pharisacern [24 — 28], und
die Taufe am Tage danach [29 — 34] ; sie entsprechen dem lesaias-
citat, das bei den Synoptikern [Mc. 1, 2. Mt. 3, 3. Lc. 3, 4] den
Tauf bericht einleitet, der darauf folgenden Rede des lohannes an
die Juden [Mc. 1,7.8. Mt. 3,7-12. Lc. 3,7— 17] i) und der Taufe
selbst [Mc. 1,9-11. Mt. 3,13—17. Lc. 3,31.22]. Nur ist diese
Trichotomie so mangelhaft durchgeführt und widerspricht der Er-
zählung selbst derartig, daß es unmöglich ist sie für ursprünglich
zu halten: sie ist vielmehr nachträglich eingeflickt um eine not-
dürftige Concordanz mit den Synoptikern herzustellen. Obgleich
der schlecht stilisierte Satz xal ccns^raX^evoL ri^av sk rav CDa^t-
6aLcov [1, 24 vgl. Mt. 3, 7] andere Unterredner einführt^), also etwas
Neues einleiten soll, lauft das Grespräch des ersten Abschnittes
ruhig weiter: die Frage der Pharisaeer 1,25 setzt das voraus,
was lesus den Priestern und Leviten geantwortet hat. Wollte
man annehmen daß die Pharisaeer ja von Anfang an dabei ge-
wesen sein könnten und nunmehr die Unterredung weiterführen^),
1) Speziell aus den Synoptikern entlehnt ist 1,26 mit Ausnahme der Worte
(leaog vfi&v 6xriv.SL ov vfisig ovk ol'dats. Ich will die Gelegenheit benutzen um
einen Irrtum zu verbessern, der mir S. 142 untergelaufen ist: lustin. dial. 88
p. 316« ist einfach eine Combination von Mt. 3, 11 und Lc. 3, 15.
2) Origen. in loann. 6, 49 iydi d' oaov iy. tfig Xi^sag sati GTOxdßaa&ccL^
etTtoiii av xQCtr\v slvai ^aqtvQiav [außer 1, 19 ff. und 1, 15 ff.] xov Ttgbg xovg
ccTtoaxaXivxag ano xä>v ^ccqiGaCav Xoyov.
3) Origenes kennt diese Ausrede nicht; er redet deutlich von zwei Sen-
dungen [in loann. 6, 50] : 8vo äitoöxoXcu yivovxcci Ttgbg xov ßccTtxLax-^v, fiicc [isv
ccTTo ^IsQOGoXviicov vTto 'lovöaLcov nsiiTCovxcov tsQELg y-ccl AsvLxag . . . , sxiga dl ^ccql^
cccCcov cc7to6xeXX6vx(ov xat Tcgbg xrjv ysysviqfisvriv Sc7t6yiQL6iv xotg uqbvöiv v-al ÄEvCxaig
inccTtoQovvxav. Er denkt sich also daß die Priester und Leviten mit lohannes
Antwort zurückkehrten und nunmehr die Pharisaeer eine neue Gesandtschaft
abschickten: auch das hätte natürlich gesagt werden müssen. Von einer ähn-
lichen Auffassung geleitet übersetzt die Syra Cur. oj\ ^'♦»Jo oooj ^i^a^oo, als
hätten die Juden in Jerusalem eine zweite Gesandtschaft geschickt. Die jüngere,
schon Chrysostomus bekannte üeberlieferung der griechischen Hss., die Peschittha
524 E- Schwartz
SO ist zu erwidern daß das etwas deutlicher hatte gesagt werden
müssen. lieber die ungebeuerliclie Ortsangabe 1, 28, die offenbar
den zweiten Abschnitt abschließen soll, ist schon das Nötige be-
merkt; die unmittelbar folgende Einleitung zur Taufe ist in ver-
dächtiger Weise aus 1,35.36 wiederholt. Im Taufbericht selbst
oder dem was ihn vertreten soll, muß das doppelte xdya ovx riLÖeiv
ttvtov um so mehr auffallen, als auch ^AO^oi/ syb iv vöan ßuTtrL^cjv
[1, 31] dem auf das zweite xocya ovx iJLÖsiv avrdi/ folgenden 6
Tts^tl^ag ft£ ßantilsiv ev vdazi entspricht und 1, 33^. 34 nur eine Aus-
führung von 1, 32 sind. Die Doublette ist von Usener bemerkt
[Weihnachtsfest 54 f.]; sein Versuch zwei Erzählungen herauszu-
schälen ist allerdings daran gescheitert, daß er nicht alle Schwierig-
keiten gesehen hat. Zu denen die ich schon hervorgehoben habe,
kommt schließlich noch die Inconcinnität des Anfangs [1, 19] : xal
avxYi B6tlv 1] ^ttQtvQCa rov ^lodvvov ' ors dniöxsiXav JtQog ccvtbv oi
^lovdatoL fj 'IsQOöoXviicov IsQstg naX AsvCxag^ Xva sqcot'^öcoölv avtbv
'6v Tig sV ] xal G)iioX6yrj6£v xal ovk rjQvt^öato, xal cj^ioXöyrjöEv oti,
iyca OVK sl^l 6 XQL6t6g. Ich habe die richtige und notwendige
Interpunction wieder eingeführt, die den ersten Satz als eine An-
kündigung von der Erzählung absondert, so daß diese, wie es sich
gehört, mit dem Temporalsatz beginnt ; die gewöhnliche Auffassung
die ors mit dem Demonstrativsatz verbindet, wird schon dadurch
widerlegt, daß es dann zum mindesten rjv statt eötC heißen müßte.
Nun ist allerdings richtig daß bei correcter Interpunktion der
Temporalsatz ohne Apodosis im Sande verläuft; das beweist um
so weniger gegen sie, als xal cj^oXoyrjasv xal ovx i]QVTfi6aro xal
G)^oX6yri66v ohnehin unsinnig ist; daß in einzelnen Hss. und Ver-
sionen das zweite xal a^oloyriasv gestrichen ist, ist Correctur und
eine schlechte Correctur. .Denn sie beseitigt nur den einen, sofort
in die Augen springenden Fehler der Wiederholung, aber nicht
den anderen daß nach dem, durch die Negation des Gegenteils
noch besonders hervorgehobenen a^oXöyri^Ev ein positiver, nicht ein
negativer Objectsatz verlangt wird ^). Es ist also xal aiioXöyrjösv
ort iyco ovx si^l 6 Kgiötög eine Einlage, die die alte Fortsetzung des
Satzes mit or« zerstört oder unklar gemacht hat. Auf die Geschmack-
und die Lateiner schieben ot vor &7ts<stalfisvoi> ein um die beiden Gesandtschaften
in dne zusammenzuschieben: das ist eine durchsichtige Correctur.
1) Die Syra Cur. übersetzt daher xal wfioXoyriasv xal o^x rjQvi^aaTo mit
yojo -jojo. Auch Origenes stößt sich an der negativen Antwort auf die Frage
cv zCg ü comm. in Joh. 6, 56. Die Correctoren welche xa/ vor dem zweiten co/io-
loyriaBv strichen, sind dem Echten am nächsten gekommen : dadurch wird wenigstens
der Temporalsatz richtig abgegrenzt.
Aporien im vierten Evangelium IV 525
losigkeit das von den Christen umgestaltete lesaiascitat, das die Syn-
optiker von sich aus der Erzählung einfügen, lohannes direct in
den Mund zu legen, will ich nur kurz hinweisen ^). Er kann zu den
Juden nicht eher sagen [1, 26] ^eöog v^av ött^xst ov v^stg ovk oidats,
als bis ihm bei der Taufe geoiFenbart war, wer dieser Unbekannte
war: was er 1, 30ff. erzählt, muß zeitlich dem Gespräch mit den
Pharisaeern vorangehen. Dem scheint 1, 29 zu widersprechen; denn
daß lohannes lesus zu sich herankommen sieht, klingt so stark an
Mt. 3, 13 an: röts TtaQ ayivst ccl 6 ^Ir}6ovg cctco rfig FaXikcciag stiI
rbv loQÖccvr}v TtQog rov ^I(occvv7]v tov ßaTtTLöd-fivac vn* avtov, daß
der Leser meinen muß, lesus kommt zur Taufe ^). Der Vers ist
jedoch mitsammt dem Folgenden verdächtig und vielleicht erst
bei der letzten Ueberarbeitung zugesetzt; das ganze Stück 1, 28 — 30
läßt sich entfernen als ein mißlungener Versuch nach der synop-
tischen Ueb erliefe rung die Taufe lesu von der Predigt des Täufers
zu trennen. Jene rückt dann um so deutlicher in die Vergangen-
heit, und was die Rede des lohannes an Zusammenhang durch die
Aussonderung des trennenden Einschiebsels gewinnt, das vermehrt
zugleich den schweren Anstoß daß die Taufe nirgendwo deutlich
erzählt, sondern nur vorausgesetzt wird. Man soll bei der Epi-
phanie des Greistes, die lohannes 1, 32. 33 andeutet und die den
wesentlichen Inhalt seines 1, 19 pomphaft angekündigten Zeug-
nisses bildet, an die Taufe denken, und alle Interpreten sind dem
Wink gehorsam gefolgt: sie hätten sich nur klar machen müssen
daß ein volles Verständnis der Stelle nur dann möglich ist, wenn
die synoptischen Berichte hinzugezogen werden. Damit ist aber
ein stilistisches Grundgesetz der Evangelienschriftstellerei verletzt,
1) Ohne große Mühe läßt sich die Trichotomie beseitigen und ein fort-
laufender Text in folgender Weise herstellen: (19) xai avtrj iarlv i] (laQxvQia
TOV 'Icodvvov. ots anioxHlav ngog avxov ot 'IovScclol i^ ^IsgoGolvfiav lagstg kccI
AsvLtccg i'vcc iQcoti^GcoGLv avxov 'cv xl<s fl'; mccI miioXoyriosv v.a.1 ovv. rjQvqöaxo
(sc. xig ^v), (21) TiQcoxriGav avxov 'rt ovv; 'HXiag fl'; xat XiysL 'o^x f^/Ltt'.
'6 TtQocprlxrig sl ov ; xal ccTCsxQLd'ri 'ov [das ist nach Mc. 6,15. Lc. 9, 7 f. ge-
macht]. (25) yial 7]Q6ixr\6av avxov kul scTtav avxa>L 'rt ovv ßaTtxi^sig, d ov ov%
sl 'HXiag ovSs ö ngocp-^xrig^ ; (26) äni:V.QL^ri avxotg 6 'Icadvvrig Xiycov ^^soog vft&v
tfrijHft ov ov-K ol'daxs (31) %aycb ovyi i]l8elv avxov, dXX' i'va q)av£Q(üd'fJL xmi
'JoQar]X, diä xovxo rjX&ov eya sv vdaxi ßanxc^cov' [man beachte wie durch die
Streichungen Kayo)— avxov in den richtigen Zusammenhang rückt und 8ia xovxo—
ßa7txt^(üv zur praecisen Antwort auf die Frage 1, 25 wird], xat ifiagxvQTiosv
Io)dvvT]g [jetzt wird die Ankündigung von 1, 19 erfüllt] Xiyoiv ort ts^iaiiat ro
7CV8v(ia "Kaxaßaivov wg Ttsgioxegav e^ ovgavov y.al Sfisivsv in* avxov.
2) Durch die erweiternde Doublette {1, 33. 34 soll vielleicht ifiaQxvQriosv
'Icadvvrig die scharfe Beziehung auf 1, 19 verlieren und so verstanden werden, als
sei das Zeugnis bei oder unmittelbar nach der Taufe abgelegt.
526 E. ScTiwartz
wie um so mehr betont werden muß, als die landläufige Exegese
grade solche Stilregeln, die keine bequeme Entschuldigung für
Inconcinnitäten und Incongruenzen liefern, zu ignorieren gewohnt
ist. Jedes echte, nicht durch Correcturen entstellte Evangelium
muß gewissermaßen autonom sein ; es kann andere Evangelien be-
nutzen, tut es sogar in der Regel, aber es muß sie dann in sich
aufnehmen und darf sie nicht einfach voraussetzen.
Die Vermutung daß das ursprüngliche vierte Evangelium die
Taufe lesu durch Johannes nicht kannte oder richtiger nicht
kennen wollte, hat sich bei eingehender Prüfung des Textes
bewährt. Wiederum ist die synoptische TJeb erlief erung später ein-
gedrungen und hat die straffe Logik der ursprünglichen Erfin-
dungen zerstört. Sie hat dabei eine eigentümliche Form ange-
nommen insofern als die Handlung der Taufe vollständig ver-
schwindet hinter dem Zeugnis des Johannes,^) das gegen alle
Ueberlieferung ins Ungeheure gesteigert ist. Während nach der
ältesten Tradition ; die bei Marcus [1,10] und Matthaeus [3,16]
noch deutlich erhalten, bei Lucas [3, 21 f.] freilich schon verdunkelt
ist, lesus allein den Greist auf sich herabsteigen sieht, wird in der
Ueberarbeitung des vierten Evangeliums Johannes zum bewussten
Träger dieser Offenbarung; dort ist die Taufe, weil lesus durch
sie zum Messias berufen wird, im vollen Sinne der Anfang des
Evangeliums, hier bildet sie nur den Rahmen für ein prophetisches
Zeugnis das in dem dogmatischen Beweisapparat für lesus Christus
eine besonders vornehme Stelle einnimmt; dadurch daß es vor
den Juden abgelegt wird, wird die Schuld ihres Unglaubens we-
sentlich vermehrt [5,31 — 33].
Für das Zeugnis des lohannes von lesus ist es, da er
den Vorgang bei der Taufe erzählt, nicht nötig daß lesus selbst
dabei ist; es wäre sogar für die Erzählung selbst besser, wenn
er fehlte, und die Stelle welche ihn am deutlichsten mit dem Täufer
zusammenbringt [1,29], ist spätester Zuwachs. Trotzdem scheint
die Erinnerung an die Synoptiker so stark gewirkt zu haben, daß
lesus doch an die Stelle gebracht ist, 'wo lohannes taufte'. Es
ist unnatürlich n86os vnäv 6r)]Kei nicht concret zu verstehen, und
wenn sich auch 1, 29 ausscheiden läßt, so doch nicht das Original
dazu 1, 35.36, das zugleich die Ueberleitung zur Jünger wähl bildet.
Es liegt in der Linie der Auffassung von dem Täufer, die die
Bearbeitung im Gegensatze zum ursprünglichen Evangelimn durch-
1) 3, 26 wird nur das Zeugnis, nicht die Taufe erwähnt : op 7]v iibtu öoü
Ttiqav xov ^logduvoVf wt t6 (iE^aQrvgri'KaSi l'Ss ovtos ßccnxi'^H.
Äporien im vierten EvaHgelium IV 527
führt, wenn sie ihm eine christliche Metapher, die erst nach lesu
Tod Sinn hat, in den Mund legt und diesem Ausspruch eine so
wunderbare Wirkung zuschreibt, dass zwei seiner Jünger sofort
zu lesus übergehn^). Echt kann dieser sonderbare Einfall nicht
sein. Die Geographie geht völlig in die Brüche. Um von 1, 28
abzusehen, muß man sich Johannes am unteren Jordan denken, in
der Peraea [3,26. 10,40], nicht weit von Jerusalem [1,19]. Ist
es schon sehr sonderbar gesagt daß lesus von dort 'nach Galilaea
hinausziehen wollte' [1, 43] , so ist es einfach Unsinn , wenn er
jetzt wo er doch von Galilaea weit weg ist, drei Galilaeer aus
Bethsaida zu Jüngern gewinnt und 'am dritten Tag' — von wo
an soll gezählt werden? — eine Hochzeit in Kana mitmacht.
Hier treibt dieselbe Ignoranz ihr Wesen wie 1,28. Ich kann es
auch nicht anders als ungeheuerlich finden daß lesus während er
bei lohannes weilt, in der Wüste [1, 23], die Jünger auf ihre Bitte
mit in seine Wohnung nimmt. Hatten sich dort Gasthöfe etabliert
um die Scharen aufzunehmen, die zu lohannes hinausströmten?
Ursprünglich können die Fragen der Jünger und lesu Antwort
1, 38 f. nur gestellt und gegeben sein an dem Ort wo lesus wirklich
seinen dauernden Wohnsitz hatte; beide dürften ein Rest der
echten Erzählung von der Jüngerwahl sein, der jetzt dadurch un-
gereimt geworden ist, daß die Ueberarbeitung die Jüngerwahl
mittelbar an den von ihr geschaffenen Ersatz für den Taufbericht
anschloß. Hier wirken die Synoptiker, vor allem Marcus [1,16 ff.]
nach. Dagegen fehlt die Versuchung, ebenso wie alle Heilungen
von Besessenen, und ist nur durch eine schwache Andeutung er-
setzt, die an die Jüngerwahl angehängt ist; s. o.
Daß das von Gott eingegebene Zeugnis des lohannes zum dog-
matischen Beweis des Christentums gehört, wird im Prolog gra-
dezu gesagt [1,6 f.]: iyavsro äv&QCjTCog ccTceöraXuevog Ttagä ^eov^
ovo^ia avxcii 'Icoccwrig' ovtog fjXd^sv elg ^aQxvQiav ^ Iva ^ccQtvQrJ6ric
jcsqI xov cpozog^ Iva Ttdvreg 7tL6tev0(ü6 iv öl avrov: das ab-
solute Tti(5xEVHv ist zu beachten. Der Gedanke kehrt in gezwun-
gener Fassung 5, 34 wieder : 'ihr habt zu lohannes gesandt und
er hat für die Wahrheit gezeugt, iyh ös ov nagä äv^Q&Ttov xriv
^agxvQtav ^a^ßdvco, äXXä xavxa Xsyco^ Iva v^stg öad^r^xe , d. h. des
Beweises aus dem Zeugnis des lohannes bedarf lesus nicht, da
er stärkere Beweise hat, aber die Juden die auf lohannes stolz
gewesen sind [s. o.], sollen sich durch ihn überzeugen lassen. Bei
1) Die Syra Cur. sucht wiederum durch ein Targum die Seltsamkeit des
Textes abzuschwächen, indem sie vor lös 6 cc^ivos tov dsov einschiebt Ja**jüd jo».
528 E. Schwarfz
Marens , und wenn man die Geburts- und Kindsheitgeschicliten,
wie billich, bei Seite lässt, auch bei Matthaeus und Lucas beginnt
das Evangelium mit dem Auftreten des Johannes; der Anfang
jenes oben ausgeschriebenen Satzes im Prolog des vierten Evan-
geliums sieht auch so aus, als sollte er die Erzählung mit Wucht
einleiten. Aber schon 1, 7 beginnt das Raisonnement, das auf die
Abstraktionen der vorhergehenden Verse zurückläuft, und gar 1,8
wird durch das negative Urteil die Spannung des Lesers enttäuscht.
Zwischen 1. 8 und 1, 9 klafft es : denn zu ^v tö cpag tö dlr}d'tv6v fehlt
das Subjekt, und Johannes verschwindet zunächst. Die Ankündigung
1, 19 xal ccvrrj iözlv i] ^ccQtvQia tov 'Icodwov will den verlorenen
Faden wieder aufnehmen ; aber es geht nicht an, sie ohne Weiteres
auf 1, 6 ff. zu beziehen , als sollte das dort angedeutete Zeugnis
des Täufers nunmehr nachgetragen werden: ein anderes Zeugnis
desselben Täufers drängt sich dazwischen, das schon vorher [1, 15]
berichtet ist. Um die Verwirrung voll zu machen, erscheint dies
Zeugnis noch einmal, in der Erzählung die den Taufbericht der
Synoptiker ersetzen soll [1, 30] *). Es sollte einfach zugegeben
werden daß das kein ursprünglicber, von einem Schriftsteller ver-
fasster Text sein kann. Blaß hat wenigstens das Verdienst, der
Schwierigkeit offen ins Auge gesehen zu haben; er wußte nur so
zu helfen , daß er 1 , 15 strich. Aber 1 , 16 schließt mit Nichten
an 1, 14 an, wenn die älteste und best bezeugte Lesart ort ix
TOV TtXrjQcb^iatog avtov rj^slg Tcdvtsg sXccßo^sv beibehalten wird ; daß
Blaß die jüngere Correctur xaC aufnehmen muß, um den Zu-
sammenhang zwischen 1, 14 und 1, 16 herzustellen, empfiehlt seinen
Vorschlag nicht. Das stärkste Gegenargument aber wird durch
die Wiederholung 1 , 30 geliefert. Stellt man beide Fassungen
nebeneinander :
1,15 1,30
ovtog ^v bv siTtov 6 onCöG) {lov ovxog l6tiv vitsQ oh iya sItcoV
iQXOfisvog e^TCQOöd^ev ^ov yeyovev, 6%i6G) ^ov egiaxai dv^Q bg ^/i-
otL TtQ&tög [lov Tjv 7tQo6&tv fiov yByovsv, ort TCQ&TOg
flOV ^v
so zeigt sich daß der Spruch 1,30 sprachlich glatter ist, da das
anstößige Imperfect ^v in iöti corrigiert ist : dagegen verschlechtert
die Angleichung an Mc 1,7 = Lc. 3, 16 igietau 6 löivgorsgog nov
dnCöcj fiov den Sinn, indem nunmehr zwischen dem futurischen Sinn
von £^;i;£Tat und dem praesentischen Perfect yiyovsv ein Wider-
1) Chrysost. t. VIII p. 72« noXvg iaxiv ovtog 6 i'ixxyyBUariis &v<a xal xaro
rbv ^Icadvvriv atg^tpav xal r^v (laQTVQ^av aiytov 7(oXXa%oi nsQitpBQcav.
Aporien im vierten Evangelium IV 529
Spruch entsteht, der nur durch gewundene Deutungen beseitigt
werden kann. Das spricht vernehmlich dafür daß diese Fassung
eine jüngere Doublette ist, die das in 1,15 vorliegende Original
oberflächlich verbessern möchte, und dies Resultat wird ferner
dadurch bestätigt , daß 1 , 30 in einer Versreihe vorkommt , die
schon oben als jüngster Zusatz erwiesen wurde. Umgekehrt be-
weist die Wiederholung, daß 1 , 15 ovr og ^v ov slitov die älteste
erreichbare Lesart ist. Das ist darum nicht gleichgiltig, weil die
Variante ovtog ^v 6 siTtav durch die erste Hand des Vaticanus,
den ältesten Corrector des Sinaiticus und Origenes [Hautsch, de
evangeliorum codicibus ürigenianis 38] vortrefflich bezeugt ist
und die Construction so stört, daß man versucht wird, den Grrund-
satz auf sie anzuwenden, daß die schwerer verständliche Lesart
als die überlieferte zu gelten hat. Die Doublette in 1, 30 ver-
bietet das und zwingt in 6 elicav eine Correctur zu sehen , die
sei es das Imperfect ^v sei es das Zurückgreifen des Johannes auf
einen nicht berichteten Ausspruch beseitigen sollte; sie griff wohl
ursprünglich weiter und hatte xccl KsxQays Xeycov entfernt. Als
dies wieder eindrang und durch omog ^v 6 slnav in unerträglicher
Weise von dem Ausspruch selbst getrennt wurde, entstand die
dritte im Altertum nachweisbare Lesung: ovrog ^v 6 6%C(Sg3 iiov
eQxo^isvog , bg e^TCQOöd'sv ztX.: sie steht im Sinaiticus von erster
Hand, und ihr folgen Euseb [de eccles. theol. 1, 20, 30] und Theodor
von Mopsuhestia [p. 38, 11 Chab.].
Wie der Ausspruch des Täufers jetzt dasteht, macht er ihn
zum Zeugen für die Praeexistenz Christi. Das ist noch sehr viel
mehr als die Verwandlung des synoptischen Taufberichts in das
Zeugnis des Johannes; es sollte einleuchten daß diese nicht mehr
emphatisch als das Zeugnis des Johannes eingeführt werden kann,
wenn jenes, das eine viel tiefere Einsicht in die christliche Dog-
matik verrät, vorangegangen ist. Der Ausweg 1, 15 zu entfernen
ist versperrt; mit einfachen Mitteln ist hier überhaupt nichts zu
machen: denn der ganze Vers hält einer scharfen Analyse nicht
Stand, er ist das Resultat einer IJeberarbeitung. Um von den
Praesentia des Einführungssatzes nicht zu reden, die so aussehen,
als sollte nicht ein lebendiges Wort , sondern das Citat aus einer
Schrift folgen, so entzieht sich zunächst das Jmperfect ^v der
Erklärung, wenn es Johannes in den Mund gelegt wird: man er-
wartet ovrog ^v bv sItcsv ^Icoccvvrig, womit ich natürlich nicht be-
haupten will daß dies die ursprüngliche Fassung gewesen sein müsse.
Das Wort des Täufers endlich selbst bekommt erst dann Sinn
und Verstand , wenn der Causalsatz ort TtQ&tög [lov ^v wegge-
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-hist. Klasse 1903. Heft 5. 37
530 ^' Schwartz
lassen wird: erst dann treten die beiden Bilder in den rechten
Gregensatz zu einander : 'der der hinter mir geht , ist mir voran
gekommen'. Nicht aus einem metaphysischen Grunde; ein solcher
Gedanke hätte mit 6 ÖTtLöco fiov egxo^evog Tcgatog ^ov rjv leichter
und schärfer ausgedrückt werden können; sondern der Täufer
will einfach sagen: lesus der später auftrat als ich, hat mir den
Erfolg weggenommen, er tauft mehr als ich. Nur auf diese Weise
kommt das praesentische Perfect zu seinem Recht, dessen Schwierig-
keit die antike Interpretation ehrlich und richtig empfindet, wenn
sie eingesteht daß es nur als Perfect der Weissagung verstanden
werden kann^). Wenn so die Umdeutung in ein Zeugnis für die
Praeexistenz Christi entfernt ist , rückt der Ausspruch des Jo-
hannes in Zusammenhänge deren Spuren auch an anderen Stellen
aufgedeckt sind und die dem ursprünglichen Evangelium zuzu-
schreiben darum nicht zu kühn sein wird , weil sie weit von den
Synoptikern abführen. An Stelle der Taufe lesu durch Johannes
muß es Aussprüche des Johannes selbst gesetzt haben, in denen
er lesus größeren Erfolg selbst zugab : damit sollte der Stolz der
Juden auf ihn widerlegt werden. Weiter läßt sich nicht vor-
dringen, vor allem nicht ahnen, wie der echte Evangelist die Stellung
die Johannes selbst zu Jesus einnahm, geschildert hatte: nur das
kann mit einigem Schein angenommen werden daß auch er wie
die Synoptiker mit dem Bericht über Johannes das Evangelium
begann.
Durch IJeberarbeitung ist auch das was auf das 'Zeugnis' des
Johannes 1, 15 folgt, zerstört. Jch habe früher [Nachr. 1907 , 367]
mich mit Origenes und Theodor von Mopsuhestia ^) dafür erklärt
daß die Rede des Täufers weiter läuft, und kann auch jetzt noch
Origenes nicht tadeln, wenn er wegen der Partikel ort diese Inter-
pretation für die allein zulässige erklärt [Comm. in Joann. 6, 34] :
ävayxalov ös xal ovzcog dieXey^ai 63g ßsßLaönsvriv xal ävaxoXovd^ov
xriv Ex8o%riv [die 1, 16 ff. dem Evangelisten giebt]* ndvv yäg ßiaiov
TÖ oleö^at ai(pviöiov olov ei axaigog dLaxÖTCxeöd^aL zbv vov ßanxLörov
Xöyov vnb xov k6yov xov ^a^tjxov, xal navxl xm xal ixcl noöbv äxoveiv
1) Chrysost. t. VIII p. 7G» %al ttcos, q>ri6Cv , d thqX tfjg hcpccvascag rfjs slg
Scvd-Qmnovg 7]v xal rrjg iisXXovorig tipEG^ccL Ttap' ccitiov do^rig d Xoyog, t6 firidina
xiXog alXricpbg wg '^dri ysysvrifiivov X4yti\ ov yäg eins 'ysvi]a£Tcci\ ccXXa yiyovsv.
ort ^Q-og xovxo xotg ngocpriTSvovöLV ava^iv iaxLv cos tisqI ysyevrifiivav TtoXXaxov
nsgl x&v (isXX6vx(ov dLuX^ysad-ai. Ebenso Theodor. Mops, p. 39, IG ff.
2) Chrysostomus durfte ich nicht anführen; er sagt t. VIII p. 79» aus-
drücklich tb yccQ ix xov 7tXriQ&(iatog a'öxoi) ijfietg nüvxsg iXdßo(i£v
oi xov nQOÖQOiiov iaxl (ij(icCf &XXä xov fia^'i^roi».
Aporien im vierten Evangelium IV 531
6v^g)Qcc6S(Dg Xsyo^evcov BTtLöxaiiivcoi, 6aq)£g xb tov slq^ov rfjg XE^sog.
Andrerseits muß zugegeben werden daß es unmöglich ist mit ihm
und Theodoros rj^etg Ttävtsg auf die alttestamentlichen Propheten
zu beziehen, in die sich Johannes d. T. mit einschließt : dem wider-
spricht SK TOV 7tXriQ6^atog , da die Offenbarung des A. T. doch
eben nicht 'aus der Fülle' ergieng, sondern nur ein Abbild dessen
war, das da kommen sollte. Die Worte setzen allerdings den
Sinn von 1,14 fort; aber — und das muß immer wieder ent-
schieden betont werden — sie schließen nicht an , und über die
widerspenstige Causalpartikel ist nicht hinwegzukommen. Sie ist
auch nicht die einzige Schwierigkeit. Das Imperfect sXdßo^sv
paßt nur, wenn unter tj^stg die persönlichen Jünger lesu ver-
standen werden; dann rückt der Satz auf eine Linie mit der
Interpolation [Nachr. 1907, 367] in 1, 14 xal id-eccöd^sd^a xr]v dd|av
&>g ^ovoysvovg TtccQa naxQog^ die söxrivcoösv iv rj^itv unzulässig ver-
engt : das Gegenbild der exrjvy] des alten Bundes ist das 'neue
Volk' , die christliche Gemeinde , nicht nur die welche Jesus mit
Augen sahen. Umgekehrt fügt sich der Zusatz von ndvxsg nur
dann glatt ein, wenn Vir' die Gemeinde bedeutet, um nicht an
den allgemeinen Sinn zu appellieren, der sehr verbessert wird,
wenn das 7cXy]Qai^a Christi und seine Gemeinde die sich ent-
sprechenden Glieder des Gedankens sind. Das reicht alles hin
um eine Ueberarbeitung zu erweisen, die das was sie vorfand,
gründlich zerstörte und doch keinen klaren Gedanken zu Wege
brachte : weiter vermag ich zunächst wenigstens nicht vorzu-
dringen. Dagegen steht fest daß mit xal xccqlv dvxl x^ptrog ein
Zusatz eingeleitet wird , der ebenfalls der Ueberarbeitung zuge-
schrieben werden kann, keinesfalls aber ursprünglich zu dem Satz
gehört hat: denn an das allgemeine Object von sXdßo^sv ^ das
wegen sk xov JtXriQa^axog suppliert werden kann , darf nicht mit
xac ein bestimmtes angeschlossen werden, und die Uebersetzer die
dies xaC häufig weglassen , verraten ein feineres Sprachgefühl als
die Interpreten die sich damit abquälen oder darüber schweigen.
Warum jetzt die antike Exegese aufgegeben wird, die unter der
einen Gnade das Gesetz , unter der anderen lesus Christus ver-
stand, sehe ich nicht ein. Wie mich Wellhausen überzeugt hat,
wird x^Q^'S ^od «AtjO-ft« hier in einem jüngeren, dogmatisch-christ-
lichen Sinne gebraucht als vs. 14, wo es dem alttestamentlichen
T\"üi<^ "lOn zum Mindesten sehr ähnlich ist: dort sind es Eigen-
schaften des fleischgewordenen Wortes Gottes, hier ist es der
Doppelausdruck für ein Concretum, das von Christus der Welt
gebrachte Heil. Daß ein und derselbe Schriftsteller zwei so
37*
532 E. Schwartz
wichtige Begriffe kurz hinter einander, ohne jeden Uebergang, in
total verschiedener Ausprägung gebraucht haben sollte , ist un-
glaublich. Daß der 'Eingeborene' nur in wenigen, jungen Stellen
vorkommt, ist früher bemerkt [Nachr. 1907, 364*].
Der Prolog ist schon in der alten Kirche zu einem geheimnis-
vollen Tempel geworden, in dem die Dogmatik in philosophischem
Pomp thronen sollte. Es liegt mir fern mich in diese Mysterien
einzudrängen, die Deutung und Verständnis zugleich heischen und
zurückstoßen; mir kommt es lediglich darauf an zu zeigen daß die
wirklichen Räthsel anderswo liegen, als da wo die Dogmatik sie sucht.
Dabei muß ich freilich voraussetzen daß das Ziel ist zu verstehen
was der oder die Verfasser der von den Exegeten zerquälten
Verse haben sagen wollen, und nicht etwa loci prohantes für
irgend eine Metaphysik ihnen entnommen werden sollen. Auch
hier ist es vor allem nötig die Risse und Sprünge des Gredanken-
ganges mit rücksichtsloser Schärfe aufzudecken statt allen Scharf-
sinn aufzubieten, damit unter allen Umständen irgend ein Sinn
herauskommt, auch da wo des Exegeten erste und nächste Auf-
gabe ist einzugestehen daß ein Sinn nicht vorhanden ist. Mit
1, 14 setzt wuchtig und paradox der Gredanke ein , der die Ver-
kündigung von lesus Christus enthält: Tcal 6 koyog Cccq^ iysvsro
xal e0X7]V(o6sv sv ruilv TtXrjQrig x^Qitog Kai älri^'Biag. Das steht
gegenüber dem Beginn des Granzen, dem Anfang wo das Wort
bei Gott ist und alles erschafft: die nachdrückliche Wiederholung
ovxog ^)v SV ccQxfjg itgog xov &e6v zielt wohl auf Prov. 8,30 und
will sagen daß die weltschaffende Weisheit zur Seite Gottes eben
das Wort [*^1^] war. Störend und verwirrend drängen sich
zwischen diese beiden Pole der Speculation über das Wort alle
die Stellen, die die Epiphanie des Wortes auf Erden schon vor-
aussetzen und damit die Kraft des Satzes lähmen, der 1,14 das
Herabsteigen des Wortes in sichtbarer Gestalt als das Neue, als
die größte Tat des Wortes die seit der Weltschöpfung geschehen,
einführt. Dieser Vorwurf trifft zunächst 1, 11 und 12. 13; ferner
1, 5 Tial TÖ (pag ev tfJL ökotCccl (paCvsi xal 17 öxoria avtb ov xaze-
Xaßev: die Worte können nur auf Christus bezogen werden, den
der Tod nicht überwältigt hat und der in der Gemeinde fortlebt.
Auch dem Satz 1 , 9 ^v (man soll ergänzen 6 Xöyog was freilich
weit entfernt ist) tö q)&g rb aXri^Lvov^ o (ptoxClei ndvta av^-ganov
igXoyLBvov eig töv KÖöfiov ^) wird nur diese Deutung gerecht , weil
1) Es sollte zugegeben werden daß iQx6fisvov stg rhv ^6afiov nur auf nuvra
ävd-Qanov bezogen werden kann: das verlangt die Sprache unbedingt. Die alt-
Aporien im viertea Evangelium IV 533
sie allein den Wechsel von Imperfect und Praesens erklärt: 'das
auf Erden erschienene Wort war das wahre Licht das jeden Men-
schen der geboren wird [vgl. 16, 21], erleuchtet'. Die Anspielung
auf die berühmte Stelle über Israel les. 49, 6 tritt deutlich hervor,
und im Gregensatz zu dem jüdischen Sprachgebrauch , nach dem
die Proselyten durch das Gresetz erleachtet werden ^)5 nimmt die
neue Religion alle Menschen in Anspruch. Es ist an und für sich
möglich die folgenden Worte [1, 10] sv rm xöe^coc tjv Tcal 6 xö^^og
di" avrov eyevsro xal 6 Koößos ccvrbv ovk Jyva auf das Wort zu
beziehen, das vor der Epiphanie Christi in der Welt war, nämlich
im Gresetz und den Propheten. Aber die Beziehung ist nicht klar,
und sowohl 1,9 wie 1,11 müssen dazu verführen auch hier an
das fleischgewordene Wort zu denken; freilich wird dann der
Gedankenzusammenhang durch %al 6 koö^os öl ccvtov sysvsto ge-
stört. Daß die Stelle über Johannes [1, 6 — 8] den Zusammenhang
unpassend unterbricht, wurde schon gesagt; auch sie versteht
unter (pag nichts anderes als den auf Erden erscheinenden Jesus
Christus und ist mit Rücksicht auf 1,5 stilisiert, wird also von
demselben Urteil wie dieser Vers getroffen.
Damit dürfte der Nachweis geführt sein, daß der Prolog des
echten und originalen Zusammenhangs entbehrt. 1, 14 wird das
Erscheinen lesu auf Erden als die Epiphanie des göttlichen Wortes
hingestellt, trotzdem setzen die Antithesen und Bilder, die vor-
hergehen, nicht nur diese Epiphanie, sondern das gesamte Werk
lesu mitsamt seiner Gremeinde voraus und überwuchern das ein-
fache und kräftige Widerspiel zwischen dem weltschaflenden und
dem auf Erden erschienenen Wort. Daß dies Widerspiel ein ge-
kircliliche Exegese hat es auch nicht gewagt dem was nun einmal dasteht, eine
unmögliche Deutung aufzuzwingen: zu der, recht unvollständigen, Sammlung der
Zeugnisse bei Tischendorf hat Resch [TU 10, 4, 55] Hippol. 5, 9 p. 172, 13 hinzu-
gefügt; außerdem können noch angeführt werden Clem. exe. ex Theod. 41. Ter-
tuUian. adv. Prax. 12 p. 246, 9 Kroym. und von späteren Äthan, c. Arian. 1, 43.
Festbriefe 3 p. 29 Cureton. Erst bei Theodor von Mopsuhestia taucht der Versuch
auf, BQxoiisvov auf t6 cpmg zu beziehen ; zu der modernen Erklärung die in uner-
hörter Weise i]v und ig^o^srov zusammennimmt, hat auch er sich nicht verstiegen.
1) Vgl. oben S. SIS^ und Philo de fuga et inu. 139. de spec. legg. 1, 288,
wo die 'Weisheit' die jüdische JTJ2Dn ist, wie stets bei ihm; leg. alleg. 3, 167
gjco? ipvxfjs TtaiSsLcc [ = "^DIÜ] '■> ^^ opif. mundi 31 rö aogcctov xojI voritbv (p&g
instvo &SLOV Xoyov yeyovsv ftxcbv rov diEQ^rivsvoccvros X7]v yivsGLv ccvtov , der
Schwulst bedeutet nichts anderes als daß das Gesetz, die Thora das 'Licht' ist.
Sap. Sal. 18, 4 tovg vtovs gov, öl av i](isXXsv rb äcpQ'aQXOv vo^ov tpms tm ccC&vl
534 E. Schwartz
woUtes gewesen ist, verrät die Thatsache daß der Name 6 Xoyog
nach 1,1 erst 1,14 wiederkehrt: in den Zwischenstücken ist er
durch rö (p&g verdrängt. Der Uebergang steckt in 1, 4 und soll
durch den MittelbegrifF der goij zu Stande kommen, tut es aber
nicht. In der zweiten Hälfte des Verses sind zwei periphrastische
Bezeichnungen Christi nebeneinander gestellt; das Imperfectum
zwingt auch hier an den Christus zu denken^ der auf Erden 'war' :
der an und für sich mögliche, echt jüdische Gedanke daß das welt-
schaffende Wort dasselbe ist wie das das die Menschen erleuchtet,
konnte nicht in die Vergangenheit, sondern nur ins Praesens oder
das Futur der Vergangenheit gesetzt werden. Im Anfang des
Verses steckt das wirkliche, mit unseren Mitteln nicht zu lösende
Räthsel des Prologs. Die Citate die von Tischendorf und Resch
[TU 10, 4, 52] in reichlicher Menge , wenn auch nicht vollständig ^)
gesammelt sind, lassen keinen Zweifel darüber aufkommen daß
die gesamte alte Kirche 1, 3 in der Fassung gelesen hat : ncivta
di ccvtov eyevero xal ^captg avtov iyevsvo ovds ev. In der zweiten
Hälfte des vierten Jahrhunderts hat die Polemik gegen die Pneu-
matomachen die Interpunktion aufgebracht, ^) von der nur Lachmann
sich zu emancipieren gewagt hat : xal xcoqIs avtov iysveto ovöe sv b
yeyovsv. Sie ist falsch ; erst die sich versteinernde Trinitätsdogmatik
hat das in der älteren Exegese noch lebendige Sprachgefühl abge-
stumpft, das davor warnte das scharf betonte ovde ev vom Ende
des Satzes wegzubringen durch einen Zusatz, der an und für sich
leer ist und zum mindesten hv yeyovsv hätte lauten müssen^).
1) Wichtig ist ein heidnisches Zeugnis, das des Neuplatonikers Amelius bei
Eus. PE 11, 19, 1 tial ovtog ccqcc t]v 6 X6yo£ v.a^' ov ia\ övta rä yivofisvcc iyC-
vsTO , ag av v.ccl 6 'HgatiXeLrog Sc^imaeisv, y-ccl vi] dC ov 6 ßägßaQog cc^lol iv xfji
xfig &QXVS rä^SL ts v.aX cc^lccl Ha&iatri'iiotcc Ttgbg &sbv sivai -nal &s6v slvat' dt' ov
7tdv&^ änXüg ysyevfjö&ai ' iv cot tb yevo^svov ^mv -aal ^(üi}v kccI ov Ttecpvn^'vat, xal
slg ta G&yLccta TCiTttsiv nal oägv-a ivSvad^svov cpavtd^saQ'ai avd-Qconov xt/1.
2) Vgl. vor allem Chrysost. t. VlII p. 35» oi yäg di] xt]v xsXsCav axiyiiriv x&t
oiSe 8v iTtid^-^aofiev yiaxä xovg aiQBXL-novg' 1-hhvoi ya^» ßovX6[i£voL xb Tcvsv^a nxiaxbv
elnsLVf (pccalv oysyovsvivavx&L, ^wrj ^v: daß so zu interpungicren ist,
lehrt die folgende Auseinandersetzung, vgl. namentlich p. 35* sl 8h i] ^ai] 6 Xöyosy
3 Se yiyovEv iv avrooi, ^ai} tJv, ccbxbg iv ccvx&l nal dt' eavxov yiyovs yiaxcc xr]v
ScväyvcoaLv xavxriv und p. 3Ge bI yccg xb cp&g xb &XTid'ivbv ö vt6g iaxiy xb dh q)mg
xovxo ^(ari ^v, r} öh ^ojtj y^yovBv iv avx&i, dvdyKri nccaa xovxo GvvEVixQ-fjvai xara
xriv itisCvaiv ccvccyvaxsiv. Theodor von Mopsuhestia erwähnt außerdem noch die
Lesung [p. 26, 19 ff.] : %cö(>ts a'bxov iyivsxo oifSs 'iv o ytyovEv iv avzüi : sie ist na-
türlich ebenso verkehrt wie cbSe 'iv o yiyovEv, verrät aber eine richtige Empfindung
dafür daß man wohl sagen konnte 'der Logos war Lebend aber nicht 'in ihm'
oder 'durch ihn war Leben'.
3) Der Sprachgebrauch von o^dl «ff und oidl %v lä6t sich in der Komoedie
Aporien im vierten Evangelium IV 535
"Wenn die neueren Exegeten sicli darauf berufen daß ö yiyovsv iv
avtm ^a)Y) ijv sicli nicht deuten läßt, ist dagegen zu bemerken daß
aucb SV avxCbi ^coii r^v schief und nichtssagend ist und der Sprung
von dem weltschaffenden Wort auf das in der "Welt erschienene
Licht der Menschen nach wie vor bleibt : es wird also durch die
sprachwidrige Interpunktion nach o yiyovsv nichts gewonnen.
Allerdings wird jeder der die Versuche der jüngeren Yalentinianer,
des Clemens und Origenes u. a. mit den "Worten ö yiyovsv h av-
tcot ^(DYi Yiv fertig zu werden vorurteilslos durchmustert, durch
eben diese Versuche bestätigt finden , was er sich von vornherein
hat sagen müssen : daß die Worte sich nicht befriedigend erklären
lassen und auch die alte bis ins zweite Jahrhundert zurücklau-
fende Conjeetur die wegen yiyovsv rjv in iörcv änderte, vergeblich
war. Es hilft kein Drehen und Wenden: hier hat ein Ueberar-
beiter einem überlieferten Wortlaut einen neuen Sinn aufzwingen
wollen, indem er ihn teilweise änderte und teilweise stehen ließ,
und es ist aussichtslos das Ursprüngliche wiedergewinnen zu wollen.
Nur unsicher läßt sich ahnen was der TJeberarbeiter meinte , da
er seine eigenen Worte mit fremden vermischt hat: ich möchte
glauben daß die Deutung bei Clem. exe. ex Theod. 19 dem Rich-
tigen am nächsten kommt ^).
verfolgen; ich bringe folgende Stellen zusammen: Krates 14. Kratinos 302,
Aristoph. Frö. 928. Plut. 138. 1115. 1182. Plat. 52. Theopomp. 14. Antiphan.
85. Eubulos 9. Nikostratos 30. Amphis 20. 44. Anaxilas 22. Aristophon 3. 9. 10.
Alexis 25. 27. 48. 110. 125. 146. 219. 220. Klearchos 3. Dionysios 5. 7. Xenar-
chos 7. Philemon 4, 11. 71. 91. 97. 117. 123. 134. Diphilos 71. 94. Menander
2a(i. 140. 'Enitg. 69. 99. 193. 243. 307. 516. nsQi%. 59. frg. 4. 51. 65. 130. 169.
418. 466. 535. 547. 571. 746. Apollodor 6. Philippides 16. Hegesippos 1. 2.
Euphron 12. Baton 2. Straton 1. Poliochos 1. ine. 108. 189. Dazu kommen ein
paar Stellen aus Herondas erstem Gedicht [43. 45. 48]. Wer die Stellen durch-
sieht, wird finden daß ovds ev sehr häufig am Ende des Satzes oder Satzteiles
steht, dagegen sehr selten einen Relativsatz neben sich hat und diesen stets in
der Form daß das Relativpronomen im partitiven Genitiv des Plurals steht:
Amphis 20 firids 'ev nliov av ßovXstcci, ÖQav. Philemon 123 = Strat. 1 ovds %v
03V av liyriL 6vvCr\iiv. Etwas anders ist Philemon 117 ovv. sar^ ovds sIs ai ^rj
Y.av,6v XI yiyovEv.
1) XBV.VOV tov iv tavxoxriti loyov 6 öcorrjQ sl'Qritai * Siä tovto sv ccQXV f-
7iv 6 X6yog xal 6 Xoyog rj v Ttgbg tbv d'sov o yiyovsv iv avtoa, ^at]
satLV, ^(oi] Se 6 ytvQLog. xal 6 Uccvlog [Eph. 4,24] evdvacci tbv -Aaivbv
a.vQ'Q (üitov tbv KccTcc d'sbv -KViod' svtcc, OLOV stg ccvtbv TtLötsvöov tbv vTcb
tov &80V v.atcc d-Eov, tbv iv ds&L Xoyov, v,tia%-ivtcc. Er versteht: 'Jesus Christus
= ^(ori ist durch den Logos geworden,' und das ist allerdings die Deutung die
am nächsten liegt. Es stört nur das Neutrum und daß Christus hier unmittelbar
und unvermittelt nach der Weltschöpfung eingeführt wird.
536 E. Schwartz
Ans diesen Tatsachen läßt sich so viel schließen daß die Identi-
fication des weltschaffenden Wortes mit lesns Christus nicht erst
durch die letzte Ueberarbeitung in das vierte Evangelium ge-
kommen ist; eine andere Frage ist ob sie dem ursprünglichen
Evangelium angehört. Es hilft nicht weiter, daß in der übel zu-
gerichteten Stelle 4, 37 der Logos noch einmal vorzukommen
scheint , und 10, 35 wird grade auf lesus der Name nicht oder
wenigstens nicht ausdrücklich übertragen, so daß auch diese Stelle
sich nach keiner Seite hin verwenden läßt. Doch verdient es Be-
achtung daß der Interpolator des ersten lohannesbriefs den Aus-
druck koyog nur als Citat braucht und daß ferner die gesamten
Abschiedsreden, die zum größten Theil der Ueberarbeitung ange-
hören, mit dem Namen nicht operieren, während umgekehrt der
Prolog, von den erweislich jungen Stellen 1,14 und 1,18 abge-
sehen, nicht von Sohn und Vater redet: daß Xoyog und vlös corre-
late Begriffe sind, muß dem Text des vierten Evangeliums wie er
nun einmal geworden ist, untergelegt werden. Es nimmt dieser
Beobachtung nichts an Grewicht, daß die dazu nötigen Mittelbe-
griffe leicht und zwanglos aus der jüdischen Speculation entnommen
werden können, und sie legt die Vermutung nahe, daß allerdings
der ursprüngliche Evangelist an Stelle des Jesus den die Taufe
durch Johannes zum Messias machte, das fleisehgewordene Wort
setzte, dessen aQStai zu erzählen er unternahm.
Wie dem auch sein möge, die Tatsache bleibt von größter
Bedeutung , daß an der Spitze eines kanonisch gewordenen Evan-
geliums ein Begriff stand, der zu metaphysischen Constructionen
direct herausforderte und denn auch wirklich das Tor geworden
ist, durch das die philosophierende Dogmatik in die Kirche einzog.
So bereitwillig ich zugebe daß diese Dogmatik große Anleihen
bei der griechischen Philosophie gemacht hat und daß die Ausdeu-
tungen des Logos unendlich viel Hellenisches enthalten, um so
energischer muß ich dagegen protestieren, daß der Name und Be-
griff selbst aus der griechischen Metaphysik hergeleitet wird: er
ist und bleibt im Kern und Wesen jüdisch. Im vierten Evan-
gelium heißt Xöyog Wort und nicht Denken oder Vernunft; das
hält der spätere Interpolator noch fest^): das Wort hat die Welt
geschaffen, wie in der Weisheit Salomonis ^) , und es war bei Grott
1) Vgl. mit 1 loh. 1,1 tov Xdyov tijg ^afjg 6, 63 tä (rjliara a iym XsXd-
Xri%a vfi,iv, Ttvsviid iariv xal ^a-q iariv.
2) 9, 1 6 TCOLTJoae rä ndvxa iv X6ym cov. Daneben, nach den Proverbien,9, 9
ftcra aov ii oo(fCa rj dövCu tu iQya cov nccl nagoiicu ots inoietg xbv 'K6ciioVf xat
Aporien im vierten Evangelium IV 537
wie die Weisheit der Proverbieii; die Speculation ist in eclit
jüdischer Weise aus der Exegese erwachsen, durch Combination
von Gren. 1 und Proverb. 8. Kein griechischer Philosoph konnte
auf den Gedanken verfallen daß das Denken Fleisch wurde , er
würde auch nie den Ausdruck 6ccq^ eysvsto gebraucht haben um
die Epiphanie des Göttlichen zu bezeichnen ; dem Juden der ge-
wohnt war das 'Wort des Herrn' als eine lebendige Eealität zu
empfinden, dem das Gresetz und die Propheten als Reden Jahvehs
galten, lag der Grlaube an eine leibliche Erscheinung dieser Kraft
Gottes durchaus nicht fern.
Man hat versucht den alexandrinischen Eabbiner Philo zu
einem griechischen Philosophen zu stempeln , der den Logos des
vierten Evangeliums aus der hellenischen Speculation hergeholt
habe , und man hat , in dem richtigen Gefühl daß jener flache
Schwätzer es nicht verdient zum Träger eines der bedeutungs-
vollsten Processe in der Geistesgeschichte erhoben zu werden,
zwischen dem philonischen und johanneischen Logos eine Scheide-
wand aufrichten wollen. Beides ist verkehrt. Der Logos Philons
und des vierten Evangeliums ist der Herkunft nach derselbe, wenn
auch die schließliche Prägung des Begriffs bei beiden verschieden
ist ; aber die Herkunft ist nicht die stoische oder platonische oder
irgend eine griechische Philosophie, sondern die jüdische specula-
tive Exegese. Das muß besonders für Philo sehr bestimmt be-
hauptet werden. Aus dem Talmud läßt sich freilich der Beweis
nicht oder doch nur sehr partiell führen; denn der Talmud lehrt
nun einmal für das vorhadrianische Judentum blutwenig, weil er
die hellenischen Bildungselemente denen gegenüber das Judentum
des 1. nachchristlichen Jahrhunderts noch weitherzig war, ab-
sichtlich ausstößt: wer aber auch nur mit so geringer Kenntnis
des A. T. wie ich sie besitze , Philo selbst liest und sich um die
Darstellungen seines 'Systems' nicht kümmert, der ist über die
Fülle der Berührungen und Beziehungen überrascht, die Philo mit
den späteren Teilen des A. T. verbinden. Von griechischen Philo-
sophemen findet sich nur Einzelnes , das aus dem Zusammenhang
gerissen ist; die Fetzen platonischer, stoischer, neupythagoreischer,
skeptischer Doctrin, so wertvolles sie ab und zu erhalten haben,
widerstehen hartnäckig dem Versuch sie zu einer einheitlichen
Lehre zusammenzuordnen. Kratzt man aber die philosophische
Tünche ab, entschließt man sich in den griechischen Termini nichts
iTtiatafievT) xC ccgsarbv iv öcp&ccXfiOLg cov -aal xi svd'es ^v ivxoXaig 6ov : die Weis-
heit ist zugleich ethische und kosmische Potenz.
538 ^- Schwartz
anderes als die dünne Hülle zu sehen, durch die die jüdischen
Vorstellungen durchschimmern, dann schwinden die Widersprüche
und Ungereimtheiten und das Bild des Juden tritt hervor , dem
alle Philosophie doch nur eins von den Mitteln ist, das Gesetz zu
commentieren oder als höchste ethische Offenbarung zu preisen.
Philo ist der charakteristische Typus des Rabbiners der mit seiner
philosophischen Bildung prunkt, aber beileibe auf die Rolle nicht
verzichten will, der gesetzestreue Lehrer der Gemeinde zu sein:
von einer Aufklärung die das Ritualgesetz auflöst , will er nichts
wissen, weil das dem Ansehn bei der Gemeinde schadet ^), und die
Renegaten die das Gesetz und den Glauben an den Vorzug des
auserwählten Volkes bestreiten, ^) verfolgt er mit demselben Eifer
wie ein orthodoxer Sadducaeer. Von dem Vorrang seines Volkes
denkt er sehr hoch: es ist von Gott eingesetzt als Hoherpriester
der für alle Völker betet um Segen und Gnade ^) : die Fürbitte
der Synagoge für den Kaiser schimmert durch. Ihm ist auch die
richtige Deutung des 'Gerechten' auf Israel^) keineswegs unbe-
kannt; trotz aller Spiritualisierung melden sich in de praemiis et
poenis [163 ff.] die Hoffnungen des Deuterojesaias auf eine Wieder-
vereinigung der 'Zerstreuten' deutlich an , und der echte Jude
verrät sich in dem Gedanken des unerbittlichen Gerichts, das den
ungerecht Bedrückten hilft, ^) in der Lehre vom 'Rest der Frommen^,
1) De migr. Abrah. 89 stoL tiveg ot tovg qritovg vofiovg cvfißoXa vo7]x&v
nQCcy[idx(ov v7toXa(ißdvovrsg tu [ihv ayav rjnQißcooav, rav dl QUid-v^ag mliyrngriöccv '
ovg iiBfitpaCfiriv av fyays Tfjg EvxBQBiag. bSbl yccQ ccfi^otegcov iTti^sXrid^fivcii, ^riti^'
asas rs tmv Sc(pavä)V ccyiQLßsorBQccg %al raniBiag t&v cpavBQ&v avBTttXrinxov. . . .
90 6 LBQog Xoyog SiddayiBi, XQriüxfig vnoXriipBcog TtBcpQOvxLHBvccL xal (iridBv x&v iv
xotg t^Böi XvBiv, a d-BOTtiaioi tial (iBi^ovg dvÖQBg ?) v.ced'' Tjfta? mgiaar ... 93
ccXXä XQV TCfVTa [ibv üm^axL Boiv-ivui vofii^fiv, ij^vxfjt, Sb iKtcrcc ' cÖgubq ovv Gm-
ftaros, iTtBiSr} ipvxfig iaxiv olttog, Ttgovorixiov, ovxm -nal xäv Qr]x&v vofiav IniyLB-
XrixBov ' (fvXaxxo^Bvav yccQ xovxcov dgidriXoxBQOv kSckbivu yvcoQia&^aBxat, mv bIciv
ovxoL öviißoXa, ngbg x&i v,al xäg &7t6 x ibv tcoXX&v ^BfitpBig nal -kccxti-
yoglag &7t od iSgaa-nB iv.
2) Vgl. de confus. ling. 2. qu. rer. diuin. her. s. 81. de mut. nom. 60.
3) De Abrah. 98 og [Abraham] ovn ^^ibXXbv ÖXiyav Scgid^^bv vt&v . . yBvv&v,
&XX' oXov Bd-vog xal id^vibv xb d'BocptXBaxaxov o fiOL douBt xijv vtiIq Ttavxbg &v-
d-Qa)7t(ov yivovg tBQoaavvriv %al TtgotprixBiav XaxBiv. Vit. Moys. 1, 149. Vgl. Ps. 71 (72).
4) De praem. et poen. 125 yiB(paXr]v fiiv xov dv^gartBiov yhovg BOBG&aC <priai
xbv anovSttiov stx b av S q a b tx b Xa 6v.
5) De migr, Abr. 225 oi) yccg igrifiCa ys t&v ßori9'Tiü6vxa)v xotg nccgaonov-
dovfiBvoig iaxLV, &XXä xav oi(ovxai xivBg ^ olriaovxai (i6voVf ScTtBXByx^VOOvxuL dh
TÄt Bgycai ipBvSoSo^ovvxBg. ^axiv ydg, ?axiv i^ (iioojtSvrigog xai ScfiB^Xtiixog xal
ddiKOviiBvoav dgcaybg itnagccCxrixog dCuri.
Aporien im vierten Evangelium IV 539
um deren willen Grott seine G-nade auch den Unwürdigen schenkt ^).
Die Vergeltung auf Erden ist ein Problem dem kein Jude aus
dem Wege gehn konnte; und wenn es bei Philo auftaucht^), so
ist es ein Symptom dafür daß er trotz aller angelernten Philo-
sophie doch Jude geblieben ist. Eindringlich schärft er die Pflicht
des Dankgebetes ein, das zugleich das Bekenntnis zu dem einen
Grott ist, der Himmel und Erde geschaffen und dem der Mensch
alles verdankt ^) : wer sich selbst und seine Vernunft für die
Ursache der Werte hält, alles für eigenen Besitz und nicht für
Grottes Eigentum erklärt, ist ein arger Sünder ^) ; er wird nicht
müde vor (piXavtia und olri^ig auf das eindringlichste zu warnen ^).
Man erkennt welch centrale Stellung für das Judentum ausserhalb
Jerusalems das dankende Bekenntnis zu Grott dem Schöpfer ge-
1) De special, leg. 2, 47 mit deutlichem Anklang an les. 42, 3. de sacrif.
Abel et Cain 124. de migr. Abr. 124.
2) De special, leg. 1,313 f. de gig. 56 ^rcog sl-aog iöoxQovLovg eIvccl rovg
vTtccLTLOvs [die Sünder] tm navaocpcoi ytal TtQOcprJTriL ; de opif. mundi 80 f.
3) De plant. 126 SKccGTri fiev ys t&v ccQsrmv iati XQfjiia ayiov, Bv%ccQi6tCa 8e
vTtsgßuXXovTcos ' ^saL 8s ovn i'vsari yrriGicog EvxccQißrf]6ai öl ' wv vofii^ovOLV ot
noXXol ■ncctccG'nsv&v ccvad-ri(idtcov %-v6iSiV . . . ccXXa. dC inaLvcov xat v^vcov : die
darauf folgende Parabel ist echt jüdisch, de agr. 172. de somn. 2, 268. de sobr.
58. qu. d. s. imm. 7 tlvl sv%aqi6trixiov aXXan nXj]v &£a)L\ de migr. Abr. 25. Man
beachte besonders den universalen Inhalt der EvxaqiGxCcc, de spec. leg. 1,210 f. qu.
d. s. immut. 107. leg. alleg. 3, 78. svxaqiGxBiv — EloiioXoyst6%-ai = Gott be-
kennen leg. alleg. 1,82. 2,95. de ebr. 117 tiiiTiaai TtgsTtovrag tb ov [= T\^'n^]
8lcc tov 6ccq)eaTaTcc m^oXoyri'asvcii oxi d&QOv saxLv ccvxov xods xb nav. Ygl. Sap.
Salom, 8, 21 yvovg oxi ovv, aXXoig bgo^ch iyzgux-^g, iäv [ir] 6 d'sbg 8m, xal xovxo
S'tjv (pQ0vri6E(ag xb siSsvcct xCvog rj x^Q'-?- lÖ, 28 8eL cpd'dvsLv xbv ^Xiov sn sv-
XCCQlÖXtaV 60V.
4) De opif. mundi 169 b8sl xb xav av&'QmTtcov yevog, sl xrjv &q[i6xtov6ccv
BfisXXE SCuriv vTCo^EvEiv, r}cpccvi6&cii 8LCi xT]v Ttgbg xbv EVEQyExr\v yiaX acoxiiqa &Ebv
ccxaQiaxLav. de sacrif. Abel, et Cain 2. 54. leg. all. 3, 30 f., wo die Gottlosen in
epikureischen Formeln reden, de poster. Cain 36 ist der mißverstandene Satz
des Protagoras hineingezogen, de somn. 1, 244 ^dxatog oaxLg firj Q'e&i, cxriXtiv
avaxC^riGLv, aU' euvx&i. de agr. 171. de poster. Cain 115. 175. de Cherub. 64 f.
71. leg. all. 3, 195. de fuga et inu. 199.
5) De congr. erud. grat. 130 at {ipvxcd) . . . ^aviiä^ovaai xbv 8i86vxa yta-nbv
(ii'yiöxov, q)iXavxiccv, ayuQ-m xeXelcoi,, &£06£ßELai, Siad-ovvxai. de posterit. Cain 21. de
agr. 173 8Lä cpiXavxiccv . . . ovx vTtofievovöL xbv (piXoSagov yiccl xeXe6(p6qov &Ebv
cci'xiov ccTtocpTjvcci x&v dyccd-äv. de conf. ling. 128. qu. deter. pot. ins. sol. 32 if.
paraphrasiert die Raisonnements die das A. T. den Gottlosen in den Mund legt;
Philo gleicht sie den Sophisten, was nicht täuschen darf, vgl. auch leg. alleg. 3,
231. de migr. Abr. 74. leg. all. 1, 49 (pCXavxog kccI aQ-sog b vovg oCofiEvog i'aog Etvai
Q'E&i. oi'riGLg de Cher. 57. de spec. legg. 1, 10. de poster. Cain. 46 xatr' ccQExfig
tfjXov [d. h. aus Frömmigkeit] cxiXXovxEg savxovg dnb oiSovarig o^asa^.
540 E« Schwartz
Wonnen hat. Es ist das öv^ißoXov in dem sich die Juden aller
Orten zusammenfinden, das ihnen bis zu einem gewissen Grade
den Tempelcultus ersetzt, und die Kirche ist auch darin die Erbin
der jüdischen Gemeinde, daß sie bei ihrer Gemeindefeier der Eucha-
ristie die bevorzugte Stelle einräumt, die dem Ganzen den Namen
gibt; im Dankgebet der Meßliturgie lebt der echtjüdische Brauch
fort bis auf den heutigen Tag. So sehr übrigens der Alexan-
driner Cultus und Tempel spiritualisiert : ihm ist doch der Hohe-
priester, der Vertreter der Theokratie, die höchste Erscheinung
des Heiligen auf Erden ^); zu der sinnlichen Pracht des Lobge-
sangs den lesus Sirach auf den Gesalbten Israels anstimmt, kann
er sich aus inneren und äußeren Gründen freilich nicht mehr er-
heben, aber bei den Allegorien mit denen er den Hohenpriester
umkleidet, kommt es mindestens ebenso auf die exceptionelle
Stellung an, die er ihm durch jene anweist, als auf die Deutungen
selbst.
Machtens die Worte allein, so könnte man schon versucht
sein Philos ethische Begriffe aus der hellenistischen Philosophie
herzuleiten: er redet oft von svdai^ovi'a und aQStaC, die vier
Tugenden der Stoiker mit ihren Definitionen, die aXoyoi og^av =
Tccid-ri, die seit dem 5. Jahrh. v. Chr. in Umlauf befindlichen Sche-
mata der Erziehungslehre, (pvöig ccöxrjeig ^dd"r}6ig, und vieles andere
machen sich breit genug. Wer sich durch diesen Flitter nicht
blenden läßt und schärfer zusieht, merkt bald, daß das alles nur
oberflächlicher Bildungsstolz ist ; im Grunde rührt sich , immer
wieder durchbrechend, die Moral des Judentums. Gelegentlich
liegt stoisches und jüdisches dicht nebeneinander ^) , so daß man
sieht wie der Rabbi unorganisch die angelernte griechische Defi-
nition auf das Jüdische draufgeleimt hat; es fehlt aber auch nicht
an Stellen, wo eine Summe reinjüdischer Moralgebote ^) zusammen-
1) De somn. 2, 185 ff. de fuga et inu. 108.
2) Als Beispiel möge genügen leg. alleg. 1, 87 6cnovs(ir]ri')ti] t&v xar a^i'av
iötlv ^ dinaioavvT] xal rfVaxrai o^xe ytara xbv liaxriyoQOv o^xs xaros xbv anoXo-
yovtiEvov, ScXXcc -kuxcc xbv diyiaax^v. utaTceg ovv 6 ÖLyiaaxrjg o^xs vi-nfioaC xivag
TCQO'^iQrixai, 0^X8 noXifiTjauL tiai xai. ivavxKod^fjvai , yvmfiriv öh cc7tocpTivcc(ievog
ßQaßsvsi xb 8C%aioVy ovrw? 17 dinaioavvri oiÖEvbg ovaa ccvxCdinog änoviyiti xb
xdr &ziav ituHaxat, ngäyiiaxL. Die stoische Definition die wie gewöhnlich auf
ältere schon im 4. Jahrb. nachweisbare Anschauungen zurückläuft, ist hier zu
der jüdischen Auffassung verdreht, die bei der Gerechtigkeit immer an den Richter,
uämlich Gott denkt: in dem Schlußsatz kann Gott einfach für ÖL-KaioavvTi ein-
gesetzt werden.
3) De post. Cain 181 xmag yovimv, iTtifieXsiav yvyaixos, naCScov <iyö)yag,
jjpijactff djÄf/A^TTOVs oUsxav [les. Sir. 7, 20 ff.], knixQonr]v oUiagy noXeag [d.h.
Aporien im vierten Evangelium IV 541
geordnet ist: ja die Art wie der fromme Jude sich in der Welt
benehmen soll, weiß Philo ähnlich wie lesus Sirach zu schildern *) ;
es war offenbar ein stehendes Thema der Weisheitslehrer. Frömmig-
keit und Nächstenliebe zu coordinieren ist jüdisch, wie das Al-
mosen -), das bei Philo nicht fehlt ; der Unterschied freiwilliger
und unfreiwilliger Sünden^) ist ein Problem der jüdischen Ge-
rechtigkeit , die immer nack der Rechtfertigung vor Grott strebt,
sowie Buße und Umkehr kein griechisches Moralgebot ist, am aller-
wenigsten wenn sie das Correlat zur göttlichen Gnade ist*), Es
liegt weit von jeder hellenistischen, auch von der platonischen
Ethik ab, die svösßsLa für die vornehmste und erste Tugend^) zu
erklären, und Philo bestimmt die svöai^ovca ^), für die er das Wort
der Gemeinde] TtgocraGLav, ßsßaLojGiv vo^av, qpvAaxrjv i&av , ttjv ngog TtQEoßvri-
Qovs aidco, X7]v TtQos tovg tsvsXsvTij'noTag svcpri^LCCv [les. Sir. 7, 23. 8, 7], ti]v ngog
rovg ^cüvvag ^oivcoviav, ti]v Ttgog rö &slov iv Xoyoig xal tgyoig svGsßsLuv. Aehn-
lich qu. d. s. immut. 17. de mut. nom. 40. 226 ; vgl. auch de ebr. 17 ff. [Eltern-
liebe, Almosen, Erfüllung des Ritualgesetzes].
1) De fuga et inuent. 29 ff., ein Stück das von Philos sonstigen ethischen
Auseinandersetzungen sehr absticht, aber echt jüdische Anschauungen aufweist;
vgl. les. Sir. 14,13. 29,1. 10. 34, 16 ff. 25 ff.
2) De Abr. 208 r^s avriig (pvGsmg iariv svGsßf] ts sIvul v.cn (piXdvQ^Qa'itov.
Ueber Almosen vgl. außer den S. 540^ angeführten Stellen de agr. 90 5iv «x tfig
ot'A.Cag LTtTcav ^hv ccyUcii Kcctevaxri^svcov ccsl nqo^QXOvxai, ccvd-gmjtcov ds snoiievcov
ovds Big BQdvov slg STtccvoQd^aaiv evSsCctg^ ov daQsäv slg TCBQiovaCav svQiß'nofisvog.
Philo braucht iXsri^oavvri aus Gründen des Stils nicht, sondern ersetzt es durch
tgavog, dagscc, xaqtXBaO'aL.
3) De opif. mundi 128. de sacrif. Abel et Cain 48. quod det. pot. ins. sol.
97. qu. d. s. imm. 128. de conf. ling. 178.
4) De somn. 2, 292 ccAoXav.svxai v.a,l ccdB-Adatan XQV^dfisvoi 6V(ißov?.(ot fisra-
voiai, xriv tXsco xov övxog [== niiT^] Svva^iv s^sviieviadfisvot nccXivoÖLCcig avxl
ßsß-qXcav isgatg, ccfivriGxiciv svqt^govxui, navxsXf]. 1, 91. qu. det. pot. ins. sol. 95.
Cherub. 2. leg. alleg. 3,211. de post. Cain. 178. leg. all. 3,106 dsiTivvvxog xov
tsQOv Xoyov oxL ovde xotg cciiaqxdvovGiv BvQ^vg ini^Biaiv 6 ^«o?, ccXXcc dtdaat %q6vov
Big (iBxdvoiav. Echt.jüdisch auch qu. det. pot. ins. sol. 146 i-nBXBvaiifv [das phi-
lonische Wort für 'beten'] ovv xov d^Bov ot cvvBidriGBi x&v ot-nBLav ccdL-iirifidxoiv
iXByxofisvoL yioXdoKL ^äXXov fjnäg t) nagBivai.
5) De opif. mundi 154 xrjv p,Byi6xriv x&v dQBx&v &B06BßBiccv. de Abr. 60
i^Btvog xoLvvv BvGBßBiag, ccQBxiig '^^'S ccvaxdxfo yiccl fiByiaxTig, ^riXaxr^g ysvoiisvog
ianovdaGBv BTtBG&at O'fcot nal 7iaTa7t£Ld'r]g Bivai xoig 7CQ06tccxTO[iBvoig vn' avxoVj
eine den Griechen gänzlichj fremde Bestimmung der BvoBßBia. Cherub. 107 xb
öovXbvblv d^BcäL fiByLOTov u^xw^- ^^ sacrif. Abel et Cain 37 ist der stoische
Ttovog auf die niJl'' tli^ THIÜ = ^BQccTtBicc xov &bov bezogen, und das jüdische
, Gefallen vor Gott' geschmacklos mit der stoischen Tugend combiniert: ttjv ngög
Q'sbv '/.aX ccQBxriv ccQB'aKBiav.
6) De poster. Cain 12. 185 ^bov xi^av yial xijg XsLxovQyiag avxov nsQii-
XBoO^cci' nriyj] yccQ Bvdainovtug xal ßiov fiaHQattovog i]Sb. qu. d. s. immut. 118 cct
542 E. Schwartz
der hellenisti sehen Philosophie entlehnt, nicht gemäß dieser , son-
dern nach Deuteron. 30, 20. Gottesfurcht und Grottvertrauen, das
als Grlaube und als Hoffnung erscheint '), sind alttestamentliche
Tugenden, die in dem stoischen niva^ ccqstcjv keinen Platz haben,
aber darum nicht weggelassen werden dürfen, wenn von der
philonischen Ethik eine richtige Vorstellung gegeben werden
soll. In der griechischen Philosophie ist es seit den Rationalisten
des vierten Jahrhunderts Brauch geworden die Postulate und Con-
flicte der Ethik auf die Figur des Weisen zu projicieren, die ur-
sprünglich wenigstens ein paedagogisches, nicht ein philosophisches
Ideal war ; mit anderem stoischen Inventar hat der alexandrinische
Rabbiner auch den öocpog übernommen, ihm aber doch einen Rock
angezogen, der von dem XQißav des Originals recht verschieden
ist. Eines stoischen Weisen Sache wäre die Buße nicht gewesen ^),
und wenn die hellenistische Thesis d avvTtagxTov rj 6oq)ia , von
Philo bejaht wird, weil es keinen sündlosen Menschen gebe^), so
würde diese Motivierung von keinem griechischen Philosophen ac-
ceptiert sein: schon der Ausdruck avvjtaLTiog paßt nur auf den
jüdischen Gerechtigkeitsbegriff. Es ist deutlich der 6og)6g zum
Frommen geworden, und sein stoischer Gegensatz, der c<(pQ(ov,
zum Gottlosen*): im A. T. sind Torheit und der ethische Un-
7CQ0£LQri(i£vat, agstciL, xo av&Qconov [= Xoyiyiovl slvai^ xh di-naiov slvai, xb xi-
Xsiov ilvaiy xb &8äit. svccgsaxf^Gui • onsg ineLdr} xat xBXsünraxov fiv xal Zqos xijg
cc-KQag svdai[iovLCig , icp' anuGiv [= zuletzt] ü'Q7\xaL. de opif. 172 wer sich zum
Monotheismus bekennt, fiuKagiccv v.al svdcci'fiovcc ^arjv ßi(o6sxaL 86yfia6Lv [d.h. den
Geboten] svGsßsiag y.ccl ooioxrixog %ccQcc%%^Btg. Die Gotteskindschaft erscheint de
sobr. 56 ö ^xav xbv v.Itjqov xovxov tvequv Öqojv ccv&Qanivi^g Evöamoviccg 7iQosX't]Xv9'S '
fiovog yuQ svysvrjg uxs Q'sbv iTtiysyQccfifiEvog naxsga nal ysyovoig elanoirixbg avTÄi
liovog vioff, vgl. Sap. Sal. 2, 13. 16. 18. 5, 5.
1) De plant. 88. 92. de poster. Cain 26. de Abr. 7. 268. qu. det. pot. ins.
sol. 138. leg. all. 3,228. de conf. ling. 31. de migr. Abr. 43. 132.
2) De fuga et inuent. 157 xb (isv (iriSev cciiuqxslv I'Slov &£ov ^ xb ds fisxcc-
voitv aotpov.
3) De mut. nom. 36 ovxl "ncel (ibxqi- vvv xmv cpiXocotpiai xsxsXsaiiivav slai
rivBg, OL XiyovGiv 6c.vv7tciqv.xov bivul cocpiav, insiSi] v.al xbv aotpov; ^riösva yccQ
Sc7t ScQxfig ccv&Q(o7toiv yBvscsiog äxQi xov itagovxog ßi'ov xara xb nuvxBXBg &w-
naCxLOv vo^iia&fivaL' hccI yuQ ädvvccxov bIvccl &v8qI Q-vr\xiüi cdifiaxL ivSBÖBfiBvov
Big unav B'bduiiLovfjßai, [vgl. Sap. Sal. 9, 15]. Zum Sprachgebrauch von vnccixiog
und &vvnaCxiog vgl. de opif. mundi 151. qu. det. pot. ins. sol. 97. de gig: 56. de
somn. 2, 73. qu. d. s. immut. 61.
4) De conf. ling. 162. 196 f. de Cher. 121. de conf. ling. 119 xbv xQÖnov
x&v &(p{}6v(üv Siaavviaxriaiv, dl naixoi [iByioxav ini-KQBiiaiiBvav cöx &d'qX(og ScXX*
i% xov (puvBQOv noXXcLv.i.g xlikoqi&v ScSl-kbiv ofiag oiv. 6-iivov6i. qu. d. 8. imm. 68.
de post. Cain 179 Q'BotpiXrig bvxV . • . ^v ovöbvI x&v atpQovav f^BCxt. Tcoiijaaad'ai,
Aporien im vierten Evangelium IV 543
glaube an Gott — der theoretisclie steht überhaupt dort nicht
zur Discussion — identische BegriiFe. Das will beherzigt sein,
wenn die philonische öo^ia richtig verstanden werden soll : sie ist
nüDn und n^n, das moralische^) Wissen von Grott, seiner Einzig-
keit, seiner Allmacht und seinen Geboten und keine theoretische
Wissenschaft im griechischen oder modernen Sinne.
Freilich sucht man nach den D^Tcn der Psalmen bei Philo
vergeblich; von deren Hoffnung und Verzweiflung, von der Qual
und dem Jauchzen dieses Glaubens an den Gott Israels weiß seine
flache Seele so wenig wie sie je den Freiheitsstolz der hellenischen
Philosophen im Kern begriifen hat. Es ist ganz richtig: obgleich
in manchen philonischen Schilderungen der alttestamentliche \^
und 2^tJ^ unschwer zu erkennen sind^), ist ihm, im Ganzen ge-
nommen, der jüdische Gegensatz der Frommen und Gottlosen zu
der aus der stoischen Ethik entlehnten Antinomie von Vernunft
und Lust geworden und damit aus der Gemeinde und dem Volk
in die Seele des Einzelnen verlegt. Der platonisierende Dualismus
zwischen Geist und Materie, der bei Philo neben jener Antinomie
herläuft, wirkt ebenfalls dahin daß ihm sowohl jener aus der Ge-
schichte Israels und der Juden hervorgewachsene Gegensatz wie
der damit organisch verbundene zwischen dem gedrückten Volke
Gottes und der triumphierenden Weltmacht zu psychologischen
Trivialitäten verdampfen. Und doch wäre es ein folgenschwerer
Irrtum, wollte man die Formen die er seiner Predigt von der
Flucht aus dem Gewordenen zum Seienden, von der Unterdrückung
der Leidenschaften gegeben hat, für die These verwerten, daß die
griechische Philosophie in der philonischen Ethik des Judentums
Herr geworden sei. Weltflucht und Apathie sind ihm nicht das
rrjv l'diov 7]8ovj]v avxo fiovor &riQCö(i8vcov, xk S'aXXa TtXaxvv ysldixci ^ccl %Xivriv
voni^ovxav: das sind die Qi^b der Psalmen.
1) De poster. Cain 136 wird cocp^a dsov mit 6 ccQsxris Xoyog identificicrt
und der oi'riaig, dem eitlen Vertrauen des Menschen auf sich selbst, entgegenge-
stellt, de mut. nom. 2G0 xi]v ovqccviov oocpLccv, rjv avoj&sv tTttTCi^nsi xatg i'fiSQOv
ccQsx^g ixovocctg ipvxcci^s o (pQovi^öscog svd^riviccv v,ul 8vsxT]Qtav txiav. Das 'Suchen
Gottes' ist die Hauptsache, und dieses 'Suchen' wird rein moralisch gefaßt: leg.
all. 3, 47 eI t^xiig Q'eov^ m SidvoLUy B^BX%'ov6a ccnh eavxfjg avu^rixei . . . . sl ds
^i^xov6cc svQi]6£Lg dsov, adjiXov . . . i^ccgyiSL fisvtOL Ttgbg ^exovglccv ccyccQ'oiV xal
tpiXbv xo ^rixELv [Lovov • asl yaq ut inl xä Y-aXcc oQficcl "nav xov xtXovg ccxvx(ö6ij
xovg XQOiiiivovg 7tQOEV(pQaCvov6iv.
2) Qu. det. pot. ins. sol. 34. de mut. nom. 103. de conf. ling. 48. 117. qu.
rer. diu. her. s. 201 dicaiQLvavxog . . . xov ^socptXovg xolg oöCovg, dt ^iöciv
cc^svS&g, unb t&v ccvoct'av, oV xsd-vrjyiaaL nqbg ccX'^&siccv, Xoyia^iav.
544 E. Schwartz
absolute Ziel, das um seiner selbst willen anzustreben ist, sondern
sie laufen am letzten Ende auf die ^BQCLTCEia ^eov hinaus'), auf
die n'^n'i ri^ r'Tiö des A. T., und ihr Lohn ist nicht die hellenische
evdai^ovCa, sondern die Ekstase die im Gebet mit Grott verkehrt
und von ihm Offenbarungen empfängt''^). Damit werden die Be-
rufe des Leviten und Propheten^) von Philo in ideale Höhen
1) Wie die jüdischen und stoischen Moralpraedicate zusammengekoppelt
werden, zeigt z. B. qu. rer. diu. her. s. 203 vnb tov (piXoTtccd-ovg %al äd-iov rb
iy-agcctlg kul ^socpiXeg ysvog ovyiir si'aas 8Loayis6&cii., wo noch die Verfolgung der
Frommen durch die Gottlosen, ein typischer Zug des jüdischen Empfindens, hin-
zukommt, leg. alleg. 3,212 6 a&sog Kai (fi.X7]dovog rgonog. de gig. 43 yi.aXbv
fir} XiTtotwuryaui, ^sv tf]g tov d'sov td^scog . . ., ccvTO^oXf]aaL ds ngbg xriv ävuv-
ÖQOv xorl 7isyiXaa(iiv7iv rjdov^v. de migr. Abr. 21 t6 i[i7iaL^SLv ini&v^Lotv xal
Tcdvtcov TtaQ-av ccfistQicag, rb (poßsLcd-ai tbv &£6v. de congr. erud. gr. 80 cpi-
XoaocpLa f-yv-gätudv [iev yaotgogj syv.Qdt£iccv 8s t&v ^srä yaöTsga, iynQccTSiccv 8s
v,al yXmttrig ccva8iSäGv.si. xavta Xsystca ^sv slvai 8i avrcc aiQStd^ öSfivorSQa 8h
(paCvoiv ccv, s C &SOV tL(irjs nal agsa-nsiccg svs-ku i^tiT tiS svoito. de ebr.
69 oacc oUsia kccI cpCXa ti]L 6aQ-AC, dnov,67ttov6i [die Priester] xfig 8iavoCag sav-
x&v, svTtQsntg slvai vo^i^ovxsg xoig %SQansvxaig xov fiovov aocpov ysvrioo^svoig
Tcdvxav 06a ysvsaiv siX7i%sv, dXXoxQiovßQ^ai 'Aal näaLV ojg s^^goig "Aal 8vafi£vs6-
xdtoig nQ06q)SQsa&ai, vgl. de somn. 1,218. leg. alleg. 3,11 XQStg ^aiQovg, co '^vxVi
xovtsaxL xbv xqi^sqfj %q6vov GvfiTtavxa ificpavi^g icsl yCvov &sm, fir} xb Q-fjXv
atc9-7}xbv nd&og scpsX-AO\isvri, ccXXu xbv ccv8qslov Kai KagxsQi'ag dGtiriTrjv Xoyie-
libv iy.d^v{iL(ö6a : das dreimalige Erscheinen vor Jahveh, d. h. die drei Jahresfeste
sind ein Dienst Gottes und dieser Dienst wird zur Apathie spiritualisiert. Vgl. auch
de somn. 1, 232 xoig doomdxoig v.al &SQa7tsvtQLCLv avxov ipvxaig : die Attribute be-
dingen sich gegenseitig. Gottes Gnade ist nötig um sich vom Irdischen loslösen zu
können: de ebr. 145 dvsv d'siag x^gitog dfL'qxavov rj Xntoxav.xi]Gai xa Q'VJixa ^
xotg dcpd^dQxotg asl nagafistvai. leg. alleg. 3, 136 8si: xbv vtcsq ScQSxf]g novov fi^
suvxfjL "jtQOßdysLv xr\v ipvxriv, dXX' d(psXsLv dcp' savxfjg xal ^sül ccvsvsynstv, 6(io-
Xoyovauv oxl ovx V i(>X'"S avxijg ov8s i] 8vvaiiig nsQLSitOL7]üS xb %aX6v , dXXä 6
%al xbv SQcoxa x^Qi^occt^^vog.
2) Vgl. leg. all. 3, 42 ff. ; die Exegese der dort angeführten Stellen faßt die
Ekstase als die Ekstase des Gebets.
3) Qu. rer. diuin. her. s. 259 navxl cccxslol 7tQ0(pi]xstav 6 tsgbg Xoyog
[Gen. 20, 7] iiaqxvgsi' TtQocprixrig yciq 1'8lov (isv ov8lv drcocpd'syysxai, ccXXoxgia 8s
ndvxa vnrixovvxog txsgov qpavAcoi 8'' oi) &t^ig sgiirivsL ysvsaQ^ai 9sov^ moxs yivgitog
Hox^rigbg 0'{}8slg iv&ovciai, ^6vai 8s GotfCa xavx' ^(pagfioxxsi, insl xal (lovog
ögyavov dsov iaxiv , rix^tov y,gov6iisvov yial nXrixxofisvov dogdxiog vn* a'btoü.
Vgl. auch ebenda 69. Sehr viel häufiger spricht er von den Leviten, den 'Dienern'
und 'Betern'; die Levitenstädte sind ein Sinnbild der Weltflucht, die wiederum
dem heiligen Dienst gleichgesetzt wird, de sacr. Abel et Cain 120 ^sgunsCag 6
Asvi iaxl GTiiisiov ... 6 KSXQ^lliBvog dgsxfjt xtXsiai Asvi . . . xi)g 8s xsXsiöxritog
8siyiia Ivugyiaxaxov ngoGtpvya ysvsG&ai ^sov %axuXi,'3i6vxa xijv x&v iv ysviasi
TCgayyLuxsiav, qu. det. pot. ins. sol. 02 xotg xug yvwyiag tsgaxdxoig AsvCxaig . . .
Siv . . TiX^gog . . , (lövog d^LOXQic^g b 87i(iiovgyügj tat TtgoanscpsvyuGiv t-ntxai yvijGioi,
yiu] ^sgdnovvsg uItoü yiv6(ievoi, xb €piXo8sanoxov 8iä xf/g Gvvexovg vnrigsGiug
Aporien im vierten Evangelium IV 545
hinaufgeschraubt, jener noch mehr als dieser, obgleich man er-
warten sollte daß dem von der individualistischen Philosophie des
Hellenismus inficierten Rabbi die auf der Persönlichkeit ruhende
Prophetie näher lag als der Stand der Leviten; es ist derselbe
innere Widerspruch wie der daß er das Judentum als höchste
Philosophie glorificiert und doch nie im eigentlichen Sinne Propa-
ganda für das jüdische Gresetz treibt. Wer Philo in die Gre-
schichte der griechischen Philosophie einreiht, vermag mit diesen
Widersprüchen nicht fertig zu werden; vom Boden des Judentums
aus gesehen, lösen sie sich leicht und einfach auf. Zwischen der
das jüdische Leben beherrschenden Hoffnung auf eine Zukunft die
des auserwählten Volkes würdig sei, und den realen Verhält-
nissen in denen die Juden unter der directen oder indirecten
römischen Herrschaft leben mußten, bestand eine ungeheure Span-
nung, mit der jedes jüdische Empfinden in irgend einer Weise
fertig zu werden genötigt war. Es muß in Alexandrien Kreise
gegeben haben, die diese Spannung so zu lösen suchten, daß sie
die Formen und Riten der nationalen Religion streng festhielten,
aber die Leiden und Schmerzen der zugleich nationalen und reli-
giösen Hoffnung dadurch los wurden, daß sie den Inhalt der über-
lieferten Religion aus der den Juden feindlichen Welt in das
spirituelle Gebiet transponierten. Als Hebel dienten ihnen viel-
fach philosophische Formeln, die überall bereit lagen; die philo-
sophierende Allegorie ist in Wahrheit nicht aus dem Bestreben
entsprungen irgend eine philosophische Lehre mit der Bibel aus-
zugleichen, sondern aus dem Sehnen und Trachten jene Spannung
zwischen religiöser Hoffnung und geschichtlicher Wirklichkeit auf-
zulösen, die an und für sich die von Tempel und Cultus entfernt
wohnenden Juden der Zerstreuung noch stärker mitnehmen mußte
als die Palaestiner und Jerusalemer, denen der Schein der Theo-
kratie immer noch sinnlich vor Augen stand. Daß nicht nur
hellenistische Philosopheme , sondern auch orientalische, bis jetzt
nicht sicher zu fassende Theosophien bei dieser Spiritualisierung
mitgeholfen haben, soll, solange das Mittel nicht als Ursache an-
xal T^ff T&v ijtiTQanevrav ocov,vordtrig iytiSsiKVvusvoi (pvXccni'ig. de fug. et inu. 88
slg rag ccnovsfirid-siaccg Aevitaig [lövoig n6Xug (psvysiv Sis^gritca iidvv ngoarj-
novrag- aal yccg ot AsvLtccL tgoTtov rtva givyddsg eIgiv, 8vsv.a ccgsönsiccg d'sov
yovsig Tiul rs-Kva -iiccl Scd£Xq)ovg xat nccGuv rr^v &'vritr]v üvyysvsiccv ditoXslontorsg.
Diesen idealen Levitenstand fand Philo verwirklicht bei den jüdischen Asketen in
der Nähe Alexandriens, die er daher auch ^sgccTtevtccL und hirai nennt. Er
schloß sich ihnen nicht an, weil die alexandrinische Judenschaft ihn nicht losließ,
de special, legg. 3, 1 ff.
Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. PhUolog.-bist. Klasse. 190S. Heft 5. 38
546 ^- Schwartz
gesehen wird, gerne zugegeben werden. Specifiscli jüdiscli ist nun
wiederum, daß dieser eben geschilderte Proceß sich nicht so sehr
in den Individuen als in Gremeinden oder richtiger Conventikeln
vollzog, wie in jenen Therapeuten, deren Schilderung bei Philo
den Modernen darum so anstößig und sonderbar erscheint, weil
sie von dem Irrtum nicht loskommen in Philo einen individuellen
philosophischen Denker zu sehen. Man braucht nur die Schilde-
rung des Paschafestes der Therapeuten zu lesen um sofort zu be-
greifen daß es sich um eine jüdische Sondergemeinde handelt; daß
in diesem Conventikel die Thora spiritualis tisch ausgelegt, die dem
damaligen Judentum keineswegs fremde Askese hochgesteigert
wurde, ist nichts wunderbares, sobald man die Schilderungen die
das N. T. und losephus von den palaestinischen Juden geben, nicht
generalisiert und sich der aus Philo zu gewinnenden Erkenntnis
nicht verschließt, daß es in der alexandrinischen Judenschaft Kreise
gab, die in eigentümlicher, aber doch immerhin noch jüdischer
Weise ihr religiöses Leben gestalteten. Aus diesen Kreisen stammt
der philonische Spiritualismus. Mögen immerhin seine Kenntnisse
der hellenistischen Schulphilosophie etwas gründlicher sein als die
der Therapeuten, mag diese nähere Verbindung mit dem Griechen-
tum ihn zum Schriftsteller gemacht haben — die ganze Denk-
weise ist nicht sein persönliches Eigentum, und er hat für sie
nicht einmal einen besonders tiefen und kräftigen Ausdruck ge-
funden. Weil sie einem Conventikel angehört, pflegt sie keinen
Individualismus, fühlen sich die Therapeuten den Leviten näher
als den Propheten ; über dem weltfremden Spiritualismus ist ihnen
der Eifer abhanden gekommen das Licht des Gesetzes in der Welt
zu verbreiten und so der nationalen Hoffnung Israels zu dienen:
sie wollen diese Hoffnung ja nicht mehr haben.
Nachdem der Boden geschildert ist, auf dem die philonischen
oder richtiger die von Philo zu Papier gebrachten Exegesen der
Thora gewachsen sind, kann die Betrachtung sich dem viel be-
rufenen Logos und seinem Wesen und Ursprung zuwenden ohne
von vorne herein auf einen falschen Weg zu geraten: es wird
jetzt einleuchten daß es verkehrt ist bei der Analyse dieses Be-
griffs vom Griechischen auszugehen und das Jüdische zu ignorieren.
Die Speculationen über die göttlichen Kräfte sind nicht aus einer
philososophischen Theologie hervorgegangen, sondern aus der
Superstition des späteren Judentums, die den Gottesnamen nicht
in den Mund zu nehmen wagte: Gott hat keinen Namen, sondern
nur seine Kräfte^), und es entspricht dem schwankenden Wesen
1) De mut. nom. 11 tJv ovv &yi6Xov&ov rb iiriS' övo^tcc nvQiov iyti(pri(iia9^fjvai
Aporien im vierten Evangelium IV 547
dieser Kräfte daß sie zahlreiche Namen tragen^) und in keiner
Weise von einander abgegrenzt sind. Im Grunde sind es eben
immer Manifestationen Gottes von ebenso unendlicher Mannigfaltig-
keit, wie seine Allmacht unendlich und unbegrenzt ist. Wie in
der jüdischen Speculation ^)5 werden auch bei Philo die Kräfte der
Barmherzigkeit und der Gerechtigkeit auf verschiedene Namen
Gottes zurückgeführt und wenn er einmaP) die ^vi^^ri, das Ge-
denken Gottes die Kraft nennt, aus der das Dankgebet und das
Loblied Gottes hervorgehen, so wird das erst verständlich, wenn
man bedenkt daß die Späteren den 'Namen seiner Heiligkeit' [ütä
ItJ'lp] mit dem *i"Ülp ^DT identificieren : das 'Gedenken' haftet am
SvvkgQ-ul x&i övtL TtQog ccX7]d'SLccv. leg. alleg. 3, 207 SiKorag ovSslg ö(ivv6L kcct^
uvTOv, oti ys ov Ttsgl xfig cpvascog avxov diayv&vat, dvvcctai, &XX' ccya'jt7\x6v, säv
<xara> xov övo^ccxog avxov dvvrid'ä>}isv, OTtsg r]v xov eQ(iriv8cog Xoyov ovxog
yag rj^äiv x&v axsX&v av sl'r] &s6g, xStv da aocpöbv xal xbXbCcov d Tcq&xog. de
plant. 86 cci . . . TtQoaQtjöSig xäg tvsqI xb 6v i[iq)ccLvov6L dwccfieig. Daß die ganze
Lehre von den göttlichen Kräften keine philosophische, aus Schlüssen aufgebaute
Theorie, sondern superstitiöse Theosophie ist, verrät sich in der Heimlichkeit mit
der Philo sie umgiebt: de sacr. Ab. et Cain 60 KS-nQvcpd-aL dsc xov lsqov Ttsgl
xov ccysv^xov accl x&v dvvd^sav avxov ^vaxriv Xoyov, iitsl dsLcov TtaQaytaxa&T^Y.riv
OQyLcav ov navxog iaxi q)vXd^aL. 131 aidsrai ds xig >ial xoiovxog iv ccTtOQQi^xoLg
Xoyog, ov d-noaLg TtgeoßvTSQcov TcaQav.axaxC^EöQ'ai %Qr] vscdXSQcov mxa iTticpQcc^avxag:
es folgt die Lehre von der wohltätigen und der strafenden Kraft, die unmittelbar
mit den Namen Gottes zusammenhängt, s. u. De Cher. 27 behauptet Philo gar,
diese Lehre durch persönliche Offenbarung erhalten zu haben, obgleich er sie
sicher schon überkommen hat.
1) De somn. 2, 254 x&v TtoXvcavoiicov xov övxog Svvd^sav. de conf. ling. 146
xov TtQcoxoyovov avxov Xoyov, xov ayyeXcav TTQEGßvxaxov, cbg av dgxdyysXov, no-
Xvcovv[Lov vTtdgxovxa ' v.ui yap dqxri xal övo^a d'sov -aal Xoyog xal 6 %ar' slv,6va
dvd-Qconog Kai 6 dgöbv, ^lagariX, TtQoaayoQSvsrai. leg. alleg. 1, 43 xr]v (iSxdgaLOv
tial ovgdvLov cocpiav TtoXXoLg övoiiaßL TtoXvcovv^ov ovßav dsd'qXcoy.s • nal yäg
ägX^v Kai SLKova v.al ogaaiv ^sov x£xZ7j%£ : vgl. leg. all. 2, 86 rj aocpca xov &£ov
, . . ^v dyigav v.aX TtgoaxLöxriv h^iEv dno x&v iavxov dvvdfiscov.
2) Vgl. Siegfried, Philo 213 f. Das Buch giebt, so ungeschickt es disponiert
und geschrieben ist, eine sehr viel richtigere Vorstellung von dem philonischen
Denken als der straff aufgebaute Abriß Zellers III 2, 385 ff.
3) Philo erzählt de plant. 127 f. die jüdische Parabel von der Entstehung
der Psalmen zum Lobe des Schöpfers und schließt sie mit den Worten: x6 ndfi-
Hovoov %al v^vaidov dvacpavfjvaL ysvog sk [iiäg dtj x&v nsgl avxov öwdybEmv
Ttagd-^vov fivrifirigj rjv MvrifioGvvriv ^tagaxgsTtovxsg oi TtoXXol [soll heißen, die
heidnischen Griechen; der Rabbi vermeidet den gehässigen Ausdruck xa sO-i/rj]
xo^vo^ia KaXovöiv. Die Mutter der Musen ist nur von außen, obgleich in diesem
Fall nicht ungeschickt, hineingetragen; in iivruLri steckt "ID'lp IDT = "MSlp DIU
Vgl. Olshausen zu Ps. 30,5.
38*
548 E. Schwartz
Namen nnd zum Namen Gottes bekennt sich^) der Jude In der
Eucharistie und im Psalm. Vor allem aber ist es unmöglich die
Lehre von den Kräften von der Angelologie zu trennen. Wie sich
ans superstitiösen Gründen im A. T. die Offenbarung durch den
nirri ^^blß an Stelle der directen setzt, ist bekannt: Kräfte und
Engel sind dasjenige am göttlichen Wesen, das von den Menschen
erfaßt werden kann, daher, für Philo ^) wenigstens, identisch. An
zahlreichen Stellen^) nennt er die Engel köyoL d-sov: darunter
können nur 'Eeden' verstanden werden*), nichts anderes; die Engel
sind eben Manifestationen Jahvehs^) und Jahvehs Wort ist eine
Manifestation von unmittelbar concreter Realität. Philo deutet
selbst an daß er die Gleichung äyysXoL = koyoi %^bov übernommen
1) Vgl. de migr. Abr. 56 rov 8s (isyB&ovs xal nX'^&ovg toav ^aX&v &Q%i\
%al riXog r) ädidetaxog nsQu Q-eov iivr]iir\.
2) De conf. ling. 174 f. f'crrt 8\ xal xaroc xov Scega il)vx&v Scßco^aTcov tspco-
tuTog xoQog önocdbg t&v ovqccvlcov ayy sXovg tag i})vxccg tccvrag el'(oQ-s v.ccXslv
6 &EG7CL(oiSbg X6yog. iidvt' ovv tbv ctqaTov [i5ü] succGrav iv xatg ocQ^iotrov'
aaig diansKOG^rnisvojv tcc^BGiv vTCrigitriv v-oi Q'SQan£vxr\v slvca aviißeßri'AS rov Slu-
tioG^'^aavTog r]ys[i6vogj ai xa^iaQ%ovvxL 'Autä 8C%r\v v,a.l d'SGfibv tTtsrai • Xinota^i'ov
yuQ ov d-sfiig äX&vaC Ttors tb ^slov GTQcitsvfia [vgl. les. 45, 12. 48, 13]. ßccGLXsi
dh xcctg iavtov dvvdfisGLv [der Doppelsinn von 'Truppen' und 'Kräften'
ist beabsichtigt] i^TTgsneg öhlXslv ts yiai xQfjß^f^i' ^Qbg rag t&v xolovtcov TtQccy-
ficcTcav vTtriQSGiagy olgtcsq ccq^ötzsl ^i] vnb ^ovov n^yvvG&ai &80v. Kürzer de opif.
mundi 46. Es ändert an der GesamtaulFassung nichts, wenn de spec. legg. 1,66
die Engel wiodid.v,ovoi der göttlichen Kräfte genannt werden.
3) Die Engel Gen. 19 bezeichnet er de fuga et inu. 144 mit rovg tsgovg
xal &[iidvTovg Xoyovg, ebenso de somn. 1,70 die von Gen. 18, 1,147 die der
Jakobsleiter, de sobr. G5 6 rrjv Tcgbg iiäQ^ ndXriv ysyvfivuGiisvog 'Iwutoß, ScyyeXoig
dcXsiTtTUig, Xoyoigj ;u(>a>|Li£i;os. de migr. Abr. 173 6 tno^LBvog &Em yicctu tccvccyyiaCov
cwodoLTtogoig %Qr]taL xoig a.v.oXov&OLg avxov Xöyoig, ovg övond^SLv fd-og dyyeXovg.
4) De somn. 1,115 f. ij dGnritiyij] SidvoLcc . . . orai; iisv sv^pogfii xai ngbg
tb w}}og ai'qritui^ tatg dQxsxvrcoig -nai ocGafidroLg dv.tLGi tfjg XoyiKTjg Ttriyijg, tov
ttX£G(p6Qov &SOV, TtSQiXd^TtstaLj oxav 8\ v.axaßaLvr]L xal dcpogfiL, tatg iv.iCvüiV
ilnoGiv, Scd-avdxoig Xoyoigj ovg v.ciXs£v k'&og ccyyiXovg. 8l' o -kuI vvv cpriGLV [Gen.
28,11] Scn'^vxriGs xonai' k'dv yag 6 ^Xiog. oxccv yäg xrjv '\})vxi]v dnoXC-
TKöGiv at xov &£ov u'öyaC, di' &v GatpEGxaxcci, cct xibv ngay^dxcov yCvovxai xara-
Xi^^Biiy ScvatiXXsi tb devxBgov xal da&svtcxegov Xoyav, ov-hsxl Ttgayfucxav (psyyog.
Der Gegensatz Ttguyiiaxu und der Plural beweisen daß unter Xoyoi, Reden zu
verstehen sind.
5) Vgl. z. B. de Abr. 115 &yysXoi . . . tsgal xal ^sicci <pvGBig, vnoSid-Kovoi
%ul vTcagxoi xoü ng&xov d-soü, 8l wv olcc ngtaßsvxuiv oaa av Q^fX-^crit x&i yivH
rifiöav ngo^saniauif öiuyyiXXu. Die Frage, ob die Engel eine eigene Persönlichkeit
haben, würde Philo für töricht oder lästerlich erklärt haben: wenn sie Gottes
Willen verkünden, sind sie eben 'Reden Gottes', nicht mehr und nicht weniger.
Aporien im vierten Evangelium IV 549
hat ^) : thatsäcUicli nennt die salomonisclie Weisheit [18, 15] den
Engel der die aegyptische Erstgeburt tödtet, 'das allmäclitige Wort
Gottes'. Ist der Logos Grottes nacli Philo ''^) also der 'älteste der
Engel', so kann das nur bedeuten daß er das 'Wort Gottes' ist
und nicht das immanente stoische Weltgesetz. Und dieses 'Wort
Gottes' ist bei ihm ebenso wie in der Weisheit Salomonis [9, 1]
und dem vierten Evangelium dasjenige das die Welt geschaffen
hat^). Man lasse sich durch die Verquickung mit den platonischen
Ideen nicht irre führen*). Wie völlig Philo in der jüdischen
Speculation stecken geblieben ist, verrät nichts mehr als die Ver-
mischung und Vertauschung des göttlichen Worts mit der gött-
lichen Weisheit^). Für denjenigen der die philonischen Begriffe
auf Plato oder die Stoa oder alle beide zurückführen will, bleibt
diese Identification ein unentwirrbares Räthsel, und die Versuche
seine Exegese systematisch darzustellen, sind grade an dieser
Klippe gescheitert. Dem Juden ergiebt sich von selbst aus der
Combination von Gen. 1 und Prov. 8 die Identität des Wortes
das das Licht ins Dasein rief, und der Weisheit die vor allen
Creaturen bei Gott war ^) und an deren schaffendem Spiel er seine
Freude hatte, und dies vor weltliche Dasein der Weisheit dürfte
die Speculation des xo^^ios voritög erzeugt haben: die platonischen
Ideen sind nur Etikette.
Die Vereinigung von Wort und Weisheit setzt sich in der
philonischen Ethik fort. Ganz natürlich : denn die göttliche Offen-
1) Vgl. ov$ sd-og dvofid^SLv ayyiXovg de migr. Abr. 173. de somn. 1,115.
2) Vgl. z. B. die oben [S. 547 ^J angeführte Stelle de conf. ling. 146.
3) Qu. d. s. immut, 57 didaai Xoyojt xQot^^vog vnriQBtrii dcoQS&v, Sa -aal xov
KOG^ov Elgycc^sro. Das Wort Gottes kann als v7tr\QBtrig gefaßt werden, nicht das
Denken, vgl. de sacrif. Ab. et Cain 8 8ia qrnLaxog xov alxCov [= Gottes] iiBxa-
viGxcixai [Moses, nach Deut. 34,5], di' ov v.al 6 aviinccg yioa^og idri^LovQysLto,
Lva nccd'riig oxi xov 60(pbv L6Öxt[iov xdffjtKat 6 d'sbg r^yEnccL, xSn avxcbi Xoyoa v,a.X
xb Tt&v sgycc^ofiEvog xal xbv xilsiov aitb täv TtSQiysLcav ävdyav mg eccvxov.
4) Die Exegese von Exod. 33,18 identificiert die Sö^a xov dsov [= ^I^D]
mit den Kräften = nii^l3i : de spec. legg. 1, 45 dö^ccv öijv sIvccl vo{il^co xäg tcsqI
ßs SoQV(poQOvGag dvvd^sig, av dicccpevyovacc rj 'Kaxdlriipig «%(>t xov Ttagovxog ov
(iL'KQbv ivegyd^sxaL fioL nod-ov xfig dLccyvmaeag. Dieser rein jüdische Begrijff wird
dann in grotesker Weise mit den platonischen Ideen gleichgesetzt, weil auf die
göttlichen Kräfte das zutrifft, was die Platoniker von den Ideen aussagen : daß sie
nämlich, selbst unsichtbar und unsinnlich, der sichtbaren Welt Bestimmtheit und
Gestalt gegeben haben.
5) Leg. all. 1,65 x^g xov d-sov cotpt'ccg- ^ $e ioxLv 6 d-sov Xoyog. Andere
Stellen bei Zeller III 2, 420\
6) Vgl. z. B. de ehr. 30 f., wo Prov. 8, 22 direct citiert wird.
550 ^- Schwartz
barung ist die Quelle der Lebensweisheit, und umgekehrt kann
die Weisheit nicht zur Offenbarung in Widerspruch geraten ^).
Philo hat hier die Gelegenheit benutzt den stoischen oQ^bg Xöyog
xfjg (pvöecjg anzubringen^), indem er, wie nicht selten, (pvöLg für
^eög braucht'): achtet man darauf wie er den jüdischen Begriff
1) Das Beste darüber hat R. Smend in der Einleitung zum lesus Sirach
gesagt [XVIIIJ : die Weisheit bedeutete für die Israeliten und Juden niemals reine
Erkenntnis, sie war vielmehr die Erkenntnis von Gut und Böse, d. h. vom Nütz-
lichen und Schädlichen. In diesem, Sinne war sie auch Speculation über den
teleologischen Zusammenhang der Welt, aber zunächst war sie Lebensiceisheit . . .
Aus der Energie, mit der die Einzelnen eine übermenschliche Lenkung ihrer
Schicksale forderten, erwuchs eine für die Folgezeit bedeutsame speculative Idee,
übrigens fast die einzige, die das A. 2\ kennt. Die Lehre, die man zum Leitstern
des Lebens nahm [das Gesetz], erschien auch als die Macht, die das Lebensglück
ihrer Jünger schuf [d. h. als die Weisheit]. Sie sollte identisch sein mit der
großen Teleologie, die die gesamte Welt durchwaltete und durch die das All einst
von Gott erschaffen war. Es entspricht diesem Durcheinandergehn von 'Wort'
und 'Weisheit', wenn Philo bald diese zur Quelle jenes macht, bald umgekehrt:
de somn. 2, 242 xarftcyt ds möJtSQ ccjtb jrrjy ^g trig GotpCag itota^ov tgonov 6 d'SLog
Xoyog. de fuga et inu. 97 tbv ävavdta) Xoyov Q-eiov og aotpiag iarl Ttriyq.
2) De opific. mundi 143 6 tfjg cpvGEag oQ&bg Xoyog, og -kv qlcot sgai.
y.Xi^aEL TtQoaovoiid^ETaL dso^og, vo^og &si^og cov. de spec. legg. 1,191. uit. Mos.
1, 48. de spcc. legg. 2, 29 6 r^g (pvGscog ÖQ^'bg Xoyog . . . i-nTQScpSL Ttorifioig ö6y'
fiaöiv, a TicciSsia %al 60(pia %oQriyovaLv. Daß unter den Ttörifia Soyfiava die
Thora zu verstehen ist, zeigt besonders deutlich die Stelle über die Sabbatsvor-
lesung in der Synagoge de spec. legg. 2, 62 avanintaxuL xaig sßS6{iatg [ivgicc
xara nuGccv tcoXlv ÖLSaayiaXsLa (pQovriaeag v.cd GcocpQOßvvrig xal dvögsLug xal
di,y.aioGvvrig xal twv äXXav dQ8t(bv, iv olg ol iisv iv ytoo^ai, nad^L^ovrca avv tjov-
%Cai, xd mxa dvaQd-ia-KOxeg fisxd TtQoaoxfjg Ttdong ^vsiia xov diijjfjv X6y<ov Ttoxi^KoVy
dvaaxdg Si xig x&v i^TCSigoxdxcav vcpriyBixai, xd dqiaxa kccI gvvoCgovxu olg .dnug
6 ßiog iTfLÖmasL ngbg xb ßsXxLOv.
3) Vgl. qu. rer. diuin. her. s. 114flf. 182 17 xov x&v d-voL&v aifiaxog i6ri
diavoiLT] riv 6 dgxiSQSvg Mcovafig cpvaEi [!] 8L8aav.dXoiL xqriGdyLivog dvivsiyLB. de
agr. 8 wird Gen. 1,28 paraphrasiert mit dem Satz xovxov (den Menschen) yd^
dqxovxa r} q>vGLg 8bv8q(ov xe xal ^caiav xa>v dXXav ogu &vr}xdj dvta^ dndvxav
dvEÖEi^Ev. de opif. mundi 133. de sacrif. Abel et Cain 93 ^vQia r]^Lv rj cpvGig
iTCißdXXovxa dvd-QmTtcov yivEi dEÖcoqrixcii, u)V dfiixoxog dndvxcav IgxIv ccvxi], ysvEGLv
dyEvrixog ovacc, tQoq)7]v xQO(pf]g ov ÖEoiievri, a^^riGiv iv öiiolcol fiivovGcc %xX. : die
Negationen mit denen sonst Gott aus der Welt hinausgeschoben wird, werden
hier der Natur gegeben. Durch diese Identification bringt der Rabbi es fertig
den jüdischen Gehorsam gegen das Gesetz mit dem ethischen Princip der Stoa
zusammenfallen zu lassen: de migr. Abr. 127 f. Xsysxcci, 8h i^f^g [Gen. 12,4] ort
inaQ Erd-ri Ußgaafi yiad'aTt eq iXdXriGEv ctvx&i yivgiog. xovxo 8e Igxl
xh Ttagd xoig dgiaxa (piXoGocprjaaGLv di86(iEvov xiXog, xb d%oXov^(og xfii cpvGEt. ^ijv'
yCvETCti di, oxav 6 vovg slg xt)v dqBxfig dxgccnbv iXd^av xar' üxvog dgd^ov X6yov
ßaCvrii Mxd em]xai d-E&ij x&v ngoaxd^Eoav wOxov 8icciisiivri(iBvog xal ndcctg &bI xal
•ndvtaxoi ?gyot^ xs xal Xöyag ßEßat.ov[iEvoe.
Aporien im vierten Evangelium IV 551
des iDTa [= TCccLdeicc] hineinmengt ^), wie er Qij^a und Xoyog zu-
sammenstellt-), wie gar nicht selten für den Singular die Plurale
Xoyoi eintreten^), die sich mit der stoischen Weltvernunft unbe-
dingt nicht vertragen, dann kann man sich der Erkenntnis nicht
verschließen daß auch hier nicht die stoische Philosophie, sondern
der jüdische Offenbarungsglaube zu Grrunde liegt. Das 'Wort
Grottes' ist das Gesetz ; wenn Philo in stoischer Terminologie von
dem alle vernünftigen Wesen verbindenden Weltgesetz redet*),
1) Vgl. die oben angeführte Stelle de spec. legg. 2,29; ferner de ebr. 143
voiiov Tial itKiSeCag. qu. det. pot. ins. sol. 16 dv' ccycayfjs vofiLfiov iq ■nccl Ttaidsv-
6scog dQd'Tjg. de somn. 2, 71 tä>v itaidsCtis •aal GocpCag ^saQri^drcav. 73 tccLs Ttca-
Seiag vTtod'ijyiaig.
2) De poster. Cain. 102 rr/v ßciaiXi'iir]v yovv tavxriv ödov, ^v cclrid'i] hccI
yv^CLOv tq)a[isv slvca cpiloGotpiav, 6 vo^og [der Pentateuch] hccXsl d^sov qf^ia v.cu
Xoyov. Nach Deuteron. 8, 3 wird de fug. et inu. 137 das Manna gedeutet als
Qfin,a Q^Eov xal Xoyov dscov, ebenso leg. alleg. 3, 173.
3) Besonders deutlich ist der Wechsel des Numerus, obgleich der Begriff
der gleiche bleibt, de somn. 1, 68 Xoycoi, %'sCoii xcc ccgiara vcpriyovfiivcoi yiccl oacc
ngoacpoQcc xotg yiaigotg, ccvccSidccG-KOVTi. ov yag ä^imv 6 d-ebg stg cclcQ'tiölv £q-
XSöd'at, tovg sccvrov Xoyovg iTCLnovQLccg svs-kcc tcbv cpiXccgstcov a'jtoGtsXXsL, vgl. Sap.
Sal. 16, 1 1 slg vitoiivriaiv r&v Xoyiav 6ov ivsyisvtQL^ovto xat o^Bcog disocoi^ovto . . .
Hat yccQ ovts ßotdvT] oi;r£ (idXccy^ia id'EQccnevasv ccvtovg, aXXcc 6 abg, hvqlSj Xoyog
6 Ttdvta twfievog. qu. det. pot. ins. sol. 13 tovg iBQOcpavTr\%hxag Xoyovg fihv
d-£ov, voiiovg ds ävd'QoJTtav d'SocpiXaVy ähnlich leg. all. 3, 204. de migr. Abr. 47
TOvg tov d'sov Xoyovg ot xQ^f^i^ol cpcotbg TQOTtov oQcaiiEvovg ^irivvovaL [Exod. 20, 18]
. . , STtEiS'^TtSQ . . . T]v . . . (piyyog ccQEtfjg xb TtEQiavyeatcctov, XoyiTiiig ccdtacpo-
Qovv Ttriyfjg. de conf. ling. 81 votitccig ccgExatg ag XaXEt 6 &Ebg ccdiacpoqoveag
Xoyoiv QeCcov [die 'intelligiblen Tugenden' sind einfach die Gebote Gottes], qu. d.
s. immut. 83 [lovädag [iev ovv d^Qatovg 6 &Ebg XuXel' ov yccQ iariv 6 Xoyog avtan
ysycovbg ccsQog TtXfj^ig [stoische Schuldefinition], ccvaiMyvv(iEvog aXXon tb mccgaTtccv
ovÖEVLf ccXXcc dacoiiaxög xe v.cu yv^vog, ccdiacpOQ&v fiovddog. Die Praeexistenz
kommt dem Plural ebenso zu wie dem Singular: de poster. Cain 89 tovg d' oQovg
tovtovg ovx V ■accd'' r](iäg yEVECig EatriOEVy dXX' ot Ttgb rjfiav xal navxbg tov
yEmdovg TtQEüßvtEQoi XoyoL %al Q'eloi. Nur weil er das Wort Gottes ist, kann
der Logos = tli'll gesetzt werden : de somn, 2, 223 tr]v nXriqri %ccqLt(üv diad-^-urjv
Eccvtov, voiLog d' ^6tl yiccl Xoyog t&v övtcov 6 TtQEoßvtcctog, vgl. 237. qu. det. pot.
ins. sol. 68 in der Exegese von Deut. 33, 10 xat Xoyav %ccl di,ccd^7]%rig ^sov (pvXa^
6 äatSLog ECtiv.
4) De migr. Abr. 130 ist die stoische Definition von vo^iog auf das mosa-
ische Gesetz übertragen : vo^og ovöev dga iq Xoyog Q'ELog TtQoatdttcov a dst ■accl
DCTtccyoQEvmv a ^rj XQV [vgl. Arnim, frgm. Stoic. 2, 1003. 3, 314], dtg (iccQtVQEt cpdö-
v,oiv Ott idi^ccto ccTtbt&v Xoycov «-üto v vd/*ov [Deuteron. 33, 4]. de poster.
Cain 185 tb &vd-Qm7tcov yivog vnb v6(iov cpvöEcog ÖLdcca-no^Bvov aQEtrig [verdorben]
d-sbv tifiäv yial tfig XEitovqyCag ccvtov itEgiEXEC^cci : das 'Naturgesetz', das den
Dienst Gottes befiehlt, ist das mosaische ; drastisch zeigt das die Stelle de ebr. 37
MoiViSEOig . . . tdg ts TtQOGtd^sig -acd tovg tsQOitdtovg vo^iovs ävadLÖdanavtas . . .
552 E. Schwartz
meint er die jüdische Thora. Man soll nicht vergessen daß er die
Bibel an unzähligen Stellen^) 6 leQos loyog nennt; der Sprach-
gebrauch würde allein zum Beweis dafür genügen, daß die vom
griechischen Standpunkt aus orientierten Darstellungen des philo -
nischen 'Systems' das Wesentliche übergehn und um der helle-
nistischen Tünche willen den jüdischen Untergrund ignorieren.
Zum Lobe das Philo dem Hohenpriester singt, gehört daß er
ihn dem göttlichen Wort gleichsetzt; die Analyse der Allegorie
zeigt unwiderleglich, daß Xöyog auch hier Rede bedeutet^). Nach
der philonischen Manier, die alle heiligen Institutionen und Ereig-
nisse in die Seele des Menschen projiciert, ist der Hohepriester,
psychologisch gefaßt, das Grewissen, und das Grewissen ist ebenso
wie der Hohepriester der köyog d-elog, derjenige nämlich den Grott
in den Menschen sendet, als solcher auch ein Engel der den Men-
TtuQsX&ayv 6 do-nrißioocpog ^lod-OQ . . . vofiovg svavriovg rocg rfjg cpvösoag ava-ygatpEi.
qu. det. pot. insid. sol. 52 [lccqxvqu 8s fiov tau Adycot i] cpvaig ■nal xa a.v,oXov%^ oig
avTfjv vsvofiodsTrid-evTa, dt-SigritciL yag Gafp&g xat ccvrL-HQvg ovrag, folgt Exod. 20, 12.
1) Vgl. z. B. leg. alleg. 3, 36. 106. 118. 162. qu. rer. diuin. her. s. 95. 185.
207. 259. de congr. erad. gr. 85. de somn. 1, 53. de spec. legg. 1, 215. 2, 23. 80.
de migr. Abr. 83 wird Moses gradezu nach Exod. 4, 15 f. mit 6 d-siog loyog be-
zeichnet : 7] ovx OQ&g tovg sitaoidovg -nal (pagiiwuevtag avTi6oq)i6TSvovtag x&i
%BCoii /loycot; Da er der Triiger der Offenbarung ist, so ist das nur consequent,
aber mit dem s. g. Logos der aus der griechischen Philosophie stammen soll, hat
das alles nichts zu schaffen.
2) De fuga et inu. 108 Xiyofisv yccQ xbv icQxi^QSu ovv. a.vQ-QOi7tov, ciXlu
Xoyov %'tiov slvai, Ttdvxcov, ovx ^v-ovolcov iiovovj aXXcc xat catovacav ocSiHri[icix(ov
ccfiixoxov ' o^xe yccQ snl TtaxQij x&i vm, o^xs inl ^tixqc, xTjl cclad-'^aei^ qprjfftv ccvxbv
Mayvajjg [Lev. 21, 11] dvvaod-ai jiitati'tö'O'at, dioxi^ oi^icci, yovscov cccpd^ÜQxtov xal
xad'aQaxdxav iXux^v, nccxQog fiev dsov^ og xat x&v övfincivxav iaxl nccx-qg, (irixQog
Ss aoqiCag^ di* r\g xa oXa ^Xdsv slg yivsciv [vgl. qu. det. pot. ins. sol. 52 ft'. de
migr. Abr. 102 ff.]. In der bei Philo sehr häufigen Trichotomie vovg Xöyog aia-
&riaLg bedeutet Xoyog stets die Rede, das gesprochene Wort : de congr. erud. grat.
99 ccTib x&v xar' ai'G&riGiv xo Y,aXibg aiad-avsad-ccif ccnb xüv -nccxa Xöyov xb ev
Xiynv, &nb x&v naxcc vovv xb sv diavosLad'ai. de mut. nom. 56. de Abrah. 29 f.
de poster. Cain 55 ; de migr. Abr. 2 ff. wird nach dieser Trichotomie vom mensch-
lichen vovg und X6yog auf Gott = 6 x&v oXav vovg und den Logos Gottes ge-
schlossen, der also nur Gottes Wort bedeuten kann. Uebrigens war diese Drei-
teilung in der jüdischen Exegese schon vor Philo heimisch: de somn. 1, 118 hioL
dh ^Xlov fiiv VTtoxoTtTjöavxtg stgfjad'ca vvvl avfißoXiyi&g aCad-riaiv xs xal vovr, xa
VBvofiioiitva xa-O"* 7}[i&g ccbxovg flvai, ytQm^QLUf xonov Ss xbv d'siov XoyoVy ovxoüs
i^eös^uvxo [Gen. 28,11]' &7Ci^vxriasv 6 &aii7itr}g idywt d^siat Svvxog xov d^vrixov
«al &v&Q<o7t£vov (fiyyovg. Hier tritt scharf hervor wie Sinne und Geist des
Menschen der Offenbarung des göttlichen Wortes entgegengesetzt werden, lieber
xÖTtog = Gott vgl. Siegfried, Philo 202 ; die Valentinianer haben ihrem Demiurgen
4^ jüdischen Namen gegeben.
Aporien im vierten Evangelium IV 553
sehen geleitet^). Der Begriff des göttliclieii Wortes und der gött-
lichen Rede scMägt auch hier immer wieder durch, und das ist
für Verständnis und Ableitung wichtiger als die ab und zu auf-
tauchende Identification des Gewissens mit dem stoischen Xoyt^iiög
und ÖQd-bg Xoyog^).
Philo erwähnt ältere jüdische Exegeten die unter die Gnaden-
geschenke Gottes die Verwandtschaft des Menschen mit dem gött-
lichen Logos rechneten^). Das klingt an die stoischen Sätze an,
daß dem Menschen dasselbe Praedicat Xoyixög zukommt wie dem
Kosmos *) ; es ist auch richtig daß Kleanthes und Poseidonios diesen
1) In der Exegese von Num. 35, 25 wird de fuga et inu. 117 ausgeführt: cpvai-
ntoTccTT] 7tQod-B6fiLa v,ad-68ov (pvyadav b tov ocQxt£Q£cog iarl ^dvcctog. Ecog pilv yccg 6
isQüotatog ovxog loyog ^j}i v.cd tcsqlsgtlv iv ipvxrii, äiJir\%avov tQonr]v ciY.ov6iov Big
ccvtfiv v.axsl%'8Lv . . . iäv ds aTto&dvriL . , . , yidd'odog svQ-vg dCdoxai totg Bv.ovaCoig
6(pdX[iccaLV . . . yEQag yccQ i^aLQStov 6 ccfiLUvrog aQXiSQSvg, elsyxog, fx (pvcecog kekccq-
TCtotcci tb (iridiTCor' slg avtbv Ttagads^ccad-ccL torrgv yvm^r]g oXCoQ'oiv [bXiöQ'Ov codd.,
vgl. qu. d. s. immut. 130]. qu. det. pot. ins. sol. 146 iv.etsvGiiisv ovv xbv dsbv ot
6vv£LdT]6£i xa)V OLTiELcov a.8iV,7\\idxoiV 8Xsyx6(i£VOL yioXdaca fi&XXov 7}(iäg i) TCUQBivai'
TtccQslg fiBV ydg ovv.ixi xov i'Xsco dovXovg eavxov, ysvsGScog ös x-qg dvriXBOvg ccTtEQydas-
xccij -KoXd^ojv ÖS iTtiSL-Kcbg XE yiccl Tigdiag dxE XQ^^'f^bg mv Eitavoq^-caGEtai xä d^ccQX'q-
liccxa, xbv 60}cpQ0VL6xriv eXsyxov, xbv eccvxov Xoyov, Eig xijv didvoiav Ev-Tti^ipag^
Sl' ov dvaco7t7]aceg v.al dvEidiaag TtEgl mv E7tXriii[LEXr\6Ev, avxj]v tdasxaL. qu. d. s.
immut. 134 [Exegese von Lev. 14, 34 ff.] Eoog ^iev yaQ 6 Q-ELog Xoyog Eig xrjv
tpvxijv 7]\ia}v nad-dnEQ XLvd EßxCav ovk cccpiv.xai, ndvxa uvxfig xa EQya dvvTtccLxia
. . . oxccv 8s EiüEXd'riL ö lEQEvg övxag eXEyxog stg ij^äg (ogtieq cpcoxog xig avyi]
■na&ciQmxdxri, XTiVLTiavxa yvcoQL^o^Ev xa. ivccTtoyiEifiEva rj^icov ovv. Evayi] xf]v ipvxfjt
ßovXEVfiaxcc nal xhg EniXriTtxovg xort vnaixCovg TtQd^Eig, cctg dyvoiai x&v ov[i(pE-
QOVTCüv EV£XEiQOv(iEv. 182 iXsyxov — Xoyog 8' iaxl d-SLog, dyyEXog ':to8riyExä>v -aal
xa iv Ttoölv dvaoxiXXoiv, l'va ditxaiGxoL 8id XEcacpogov ßatv(o[i£v xrjg 68ov [Ps. 90, 11 f.],
vgl. de migr. Abr. 174. de mut. nom. 116.
2) Qu. d. s. imm. 50. de sacrif. Ab. et Cain 51.
3) Bei der Erörterung des tralaticischcn Zetema, warum der Mensch zuletzt
geschaffen sei, bemerkt er de opif. mundi 77 XEyovauv ovv oi xotg vo^oig sni
tcXeov E(ißad'vvavxEg yial xa xar' avxovg ag evv fidXiöxa (lExd Ttdarig i^ExdaEag
cc%QißovvxEg [d. h. die allegorischen Erklärer, vgl. de somn. 1, 102] oxl xfig avxov
avyysvELCcg fi£xa8ovg ö ^sbg av&QOJTtat. xfjg XoyiKf]g, ^xig ccQiaxri 8coQ£äiv riv, ov8e
x&v dXXcov £(pd'6vr]aEv, dXX' mg otusioxdxcoi v,al cptXxdxcoi ^mioii xa iv yioGfiat
Tcdvxa 7tQOT]xoL{idoaxo, ßovXriQ-Elg ysvofiEvov avxbv (irjSsvbg dnoQfi6ai xöbv Ttgog
x£ xb ^Tjv v.al xb ev ^fiv.
4) Arnim, frg. Stoicor. 1, 110—114. 2,528. 633—645. 3,334. 370. Kaiser Marcus
2, 16 xiXog Xoyiyimv ^wLoav xb STCEcd'aL xcoi xf]g TtoXstog xal noXixsCag tijg TtQEößvxdxrig
Xoyoav iial ^eö^&l. 5, 27 6 Scctficov ov iyidöxcoi Ttgoaxdxriv y.al r}yE[i6va 6 Zsvg
e8(üv.£v dnoöTtaa^ci eccvxov ' ovxog Si iaxiv 6 indaxov vovg %al Xoyog, vgl. 6, 35.
4, 16. 7, 9 Xoyog -noivbg Ttdvxcov xav voEQmv ^mav. 7, 53 xara xbv KOivbv Q'EOLg
y.ccL dv^QmTtoig Xoyov. Epiktet. 1, 3, 3 6 Xoyog Tial ri yvm^ri yioivbv Ttqbg xovg
d^EOvs.
554 E- Schwartz
Zasammenhang des Menschen mit dem göttlichen All religiös und
ethisch ausgenutzt haben. Aber man übertreibe die Aehnlichkeit
nicht: der stoische icoö^og Xoyvxög, der Menschen und Grötter zu
* einer Ordnung umfaßt, ist von dem göttlichen Logos mit dem nach
dem alexandrinischen Eabbiner der Mensch verwandt ist, sehr weit
entfernt. Denn diese Verwandtschaft wird vermittelt durch den
Geist, den Grott dem Menschen bei der Schöpfung eingeblasen
hat^): wie die rTQDn, so wird auch die n^'n'i nT\ mit dem Logos
identificiert -). Mit dem Gedanken daß der Geist Gottes in allen
Menschen ist, operiert schon die salomonische Weisheit: t6 acp^uQ-
xov 60V Ttvevfia [12, 1] ist die der hellenischen Philosophensprache
angeglichene Umschreibung von D'^'^n niSIDS [Gen. 2, 7], die Ttvorj und
Ttvsv^a gleich setzt. Eben dieser Anklang und die religiöse Aus-
deutung des Satzes zeigen daß das stoische Ttvsvna fernzuhalten
ist: das ist überall, nicht im Menschen allein und nicht einmal
auf das organische Leben beschränkt.
Gewiß ist ein Unterschied zwischen dem T\Mr^ "im des A. T.
und dem Xöyog d^stog des Rabbiners, und es soll gar nicht geleugnet
werden daß die philosophische Bildung des Exegeten diesen Unter-
schied erweitert und vertieft hat. Aber erstens hat sie nicht
allein dazu mitgewirkt, sondern mindestens ebenso sehr die im
Schoß des Judentums, vom Hellenischen ganz unabhängig ent-
standene superstitiÖse Speculation, die Gott ängstlich mit immer
dichterem Geheimniß umgab und so seine Kräfte und Manifesta-
tionen selbständigem "Wesen entgegentrieb, und zweitens folgt aus
gelegentlichen Berührungen die Philo zwischen der um die Bibel
sich rankenden Speculation und seinen philosophischen Kenntnissen
herzustellen sucht, noch lange nicht, daß der 'Logos' aus der grie-
chischen Philosophie stamme und diese dazu helfen könne die
1) De opif. mundi 144 avyysvqg xs xal &y%i6'7toQog a>v xov ^ysfidvogj ats
dt] noXXov Qvsvtog sig avtbv rov d'SLOV TivsvfiaToc,, Ttdvra v,al Xiyuv xal nQuxxBiv
ioTtovda^sv sig &q bo%b lav xov Ttax gbg -nal ßaa lX sag, dies Ziel ist
speciell jüdisch, leg. alleg. 1, 37 xqIu yccQ dvcci ösl, t6 i^nveov, x6 dsx6(i8vov,
xb iiLTtveofiEvov xb fiev ovv iimveov iaxlv ö d'sdg, xb 8e dexoiiBvov 6 vovg, xb ds
ilinvsoiisvov xb nvtvyia . . . n&g av ivoriasv 7} tj^vxi] Q'b6v^ st (li} iviTtvsvas xal
ippaxo a'bxfig naxa. 8vvu\liv\ qu. det. pot. ins. sol. 80 nach Anführung von Gen.
2, 7 Sia xovTOv Ttagiatäg oxi Ttvsvfid ioxiv rj ipvxijg oiaCa.
2) De plant. 18 äXX' ot [isv äXXoi xi)g ald'SQiov (pvösag xbv rjfiitSQOv vovv
(lOiQccv elndvxeg slvai^ avyyiveiav &vd-Qo}7to}L Ttgbg uid-ega ovvfjipav 6 ds fi^yctg
Matva^g oidsvl x&v ysyov6xa>v xi^g Xoymi^g ipvxf)g xb slSog mnotoiGsv, ScXX* sItibv
wbxijv xov d-eiov xal &oQdixov 7tvBv(jucxog i%BCvov dd'Kifiov elvai v6(iLa(ia, Gjjfisiad'iv
xal xvntoQ^lv acpQayCdi, d^eov, ^g 6 ;uapaxT»j(> iaxLV ö äiSiog Xoyog' ivBnvsvas
yd(f tpriüiVf b ^tbg eig xb ngoamnov avxov nvoi]v ^(öaccv [Gen. 2,7].
Aporien im vierten Evangelium IV 555
Rätsel des Begriffes zu verstehen. Vielmehr wird der Logos erst
räthselhaft, wenn er hellenisch gefaßt wird. Die stoische Lehre
kennt wohl den, schon vor ihr vorhandenen, oQd-bg löyos ; sie nennt
auch den praedestinirten Causalnexus und das rationale Sitten-
gesetz Xöyogj aber, wohlgemerkt, nicht ohne einen determinierenden
Zusatz ^). Zu Grunde liegen die Sätze daß der Kosmos ein XoyLxbv
^cbiov ist und daß das Sittengesetz für alle ?.oyLKcc tßia gültig
ist; man muß 'Vernunft' oder 'Denken' übersetzen, nicht 'Eede'.
Wenn Xöyog absolut gebraucht wird, liegt mehr oder weniger
deutlich eine Rückbildung aus dem Adjectiv Xoyixov vor ^) ; auch
hat der Begriff der aXoya Ttd^ri dazu geführt daß Xoyog in der
stoischen Pathologie eine wichtige Rolle spielt ^). Einen göttlichen
1) Arnim, frg. Stoic. 1,493 tb fisv ovv TtccGxov bXvcci x7]v anoiov ovöCav^ t7]v
vXriv, tb d£ noiovv xbv sv avxfit Xoyov^ tbv ^sov. 537 [Hymnus des Kleanthes]
Gii ov yiatsvd'vvEig v.oivbv loyoVj og dtcc Ttdvtmv cpoitäi, inyvvfisvog fieydXoig ^l-
KQOug TS cpdscoi . . . ads yccQ stg ff Ttdvra Gw^Q^ozccg iad'Xcc v.av,0i6iv, too^' 'ivcc
yiyvsöd'ai Ttdvrcov Xoyov aisv iovta, ov cpEvyovzBg i&aiv oaoi d'vr]ta)v na-noi si6i,
Sva^OQOi, oi' t ccyaQ-ihv fisv dsl v.tfi6iv Ttod-eorrsg ovt' eaoQmCL Q'sov yiOivbv vofiov
O^tS ■kXvOVÖLV, WL %BV TtuQ'OlLBVOl 6VV V&l ßlOV 86%'Xbv e'xOLSV. 2, 913 SlllCCQllEVTl
iarlv 6 tov KOGfiov Xoyog ?) Xoyog t&v sv tau '/.oöiicoi nqovoCai diomov^svcov ?)
Xoyog xa-ö"' ov tcc ybsv ysyovotu ysyovs, ta 8s yivo^sva yCvstai, tk 8\ ysvri66(isva
ysvi]6stcci. 915 stfiaQ^Evri . . , Xoyog 'iiccd'\ov ö yioöiiog dis^dystcci. 937 ovd'sv
yciQ S6XLV ccXXcog xmv v,atu fiSQog ysvsad'ai ovSs xovXdxiaxov ?) v.axä xi]v y.olvt]v
cpvGLv 'Kccl yiccxa xbv s-KSivrjg Xoyov, vgl. 1181. 1176 xavxa ccnovi^bExai v.ccxä xbv
xov dibg Xoyov i]X0L STtl •üoXdöSL ?) yiax' dXXriv s^ovadv Ttmg itqbg xa oXa o£-AOvo^iav.
528 6 KOGiiog olov sl noXig saxlv £% &£cbv yiccl ccv&QooTtcov övvsöxcbacc, xööv ^sv
d-Ecöv xr}v rjyEfiovLCCv E%6vxoiv, xav <5'' av^-QüoTtav vTtoxExay^svcov. %oivoivCav 5'
vndQXEiv TtQog dXX'^Xovg diä xb Xoyov {LStE%SLv, o? ^6ti cpvGSL v6(iog. 370. 373.
Kaiser Marcus 4, 29. 6, 58. 4, 46. 5, 32. 6, 1. 5. 7, 10. 10, 7.
2) Vgl. Kaiser Marcus 4, 4 st tb vosgbv tj^ilv yioivov, -aoI b Xoyog y.ccQ'' ov
Xoyiv,OL EG^Ev, noLvog' EL tovxo, ticd 6 7tQ06xav,XLV.bg xcbv 7tOL7]XEcov 7] ^i] Xoyog
tioivog' EL xovxo, Ticcl 6 vo^og yioivög' sl xovxo, itoXtxaC eg^ev st xovxo, itoXixEv-
[laxog XLVog yLExi%oiLEv ' sl xovxo, b yioa^og mg av sl TtoXig egxl. 6, 23. Epiktet.
3, 24, 7 (vorher ist von den uXoya ^cotoj die Rede) r][LLv ovv Xoyog STtl dxv%iai
x«l yiayiodaLiiovLCCL dsdoxai vTtb x&v ^saiv;
3) Nach Zeno war das ndQ-og rj dXoyog v.cil rcagcc (pvoiv i/jv^ijs ■aCvriGig
[Arnim, frg. Stoic. 1, 205]. Da nun aber die orthodoxe Stoa, wie Chrysipp sie
ausbildete, von einem irrationalen Seelenteüe nichts wissen wollte und die Leiden-
schaften als Krankheiten des Denkens faßte, mußte sie dXoyog näher definieren:
es sollte gleich ditELd-rig '^<öi Xoyai [frg. Stoic. 3, 377. 389. 462. 478] oder aTtE-
axgaii^Evog xbv Xoyov [475. 476. 479] sein. Natürlich ist Xoyog auch hier die
'Vernunft'; es ist consequent, wenn den Kindern die ndd-r} abgesprochen werden,
da sie xbv Xoyov fi'^Ttco avintEnXiJQaKsv [477] ; und auch dieser Xoyog ist von dem
nicht verschieden, y.ccd'' ov Xoyi%oi söfiEv: Chrysipp sagt wörtlich [390] xov Xo-
ymov ^miov cpvaLv E^ovxog TtqoGXQfjG^ccL stg Ev,cc6xa xcbi XöycoL v.al vnb xovxov
556 E. Schwartz
Logos der von Gott zur Mensclilieit die Brücke schlägt und zwischen
beiden steht, kennt die Stoa nicht und kann sie nicht kennen, weil
sie einem strengen Rationalismus huldigt und von der menschlichen
Vernunft ausgeht um zur Vernunft des Alls zu gelangen. Da-
gegen pflegt Philo den Logos durch einen Zusatz mit Bestimmtheit
als den göttlichen zu bezeichnen: so verschieden diese Zusätze im
Einzelnen sein können, sie fehlen höchstens dann, wenn sie sich
ohne Weiteres aus dem Zusammenhang ergeben. Auch dies hat
seinen guten Grund: denn die jüdische Speculation gilt weder der
Vernunft noch dem Wort an sich, sondern dem Wort Gottes, das
unmeßbar hoch über dem menschlichen Wort und der menschlichen
Vernunft steht. Etwas anderes ist es mit der Weisheit; die JilSDn
ist ursprünglich nicht bei Gott, sondern beim Menschen zu Hause
und ist lediglich darum zu Gott in den Himmel versetzt, damit
zwischen Religion und Lebensweisheit kein Conflict entsteht, oder
wie es auch gefaßt werden kann, weil aus dem Jahveh der seinem
Volke Befehle giebt, der Weltschöpfer geworden ist. So kennt
das Judentum nur eine Rede Jahvehs, nicht das Wort an und für
sich, dagegen eine Weisheit, die zwar bei Gott ist, aber eines
genetivischen Zusatzes nicht bedarf um eine Realität zu sein.
Erst die christliche Speculation hat den absoluten, zusatz-
losen Logos eingeführt. Schwerlich hat das vierte Evangelium
damit den Anfang gemacht; unzweifelhaft aber hat sein Prolog
das Meiste dazu getan daß 'das Wort' an und für sich ein meta-
physischer Begriff wurde, und die moderne Dogmengeschichte der
griechischen Philosophie, die den Logos in der Stoa und bei Philo
sucht, hat in unbewußter Erinnerung an den Anfang des vierten
Evangeliums ein jüdisch-christliches Theologem in die griechische
Philosophie verschleppt, in die es nicht gehört. Die Worte jenes
Anfangs ev ciQxi]L i]v 6 Xoyog xal 6 Xoyog rjv Tcgbg tbv ^eov sind
so gefaßt, daß sie die längst im Judentum vollzogene Identification
des göttlichen Worts und der Weisheit voraussetzen, und es kann
sein daß die von Anfang an selbständige Weisheit dazu beigetragen
hat auch das Wort zu verselbständigen. Allzu viel Gewicht möchte
ich aber auf diese Construction nicht legen ; im Wesentlichen kann
der Proceß der den Logos aus einem der Stütze durch Attribut
öder Genetiv bedürftigen Appellativ zu einem für sich stehenden
Eigennamen machte, nur so verlaufen sein, daß er diese Realität
nvßsQV&o^ai, noXlatiis &noatQig>ead^aL aixbv riiiäg, äXXrii ßiaiotsgai (pogcct %q(o-
liivovs. Bei Epiktet [3,24,108.4,11,26.33.7,38] und Kaiser Marcus [8,40.
5, 9. 10, 12. 12, 31] sind diese ethischen Folgerungen beliebt.
Aporien im vierten Evangelium IV 557
von der liistorisclien Realität lesu erhalten hat. Ein merkwürdiger
Sprach bei Marcus [13, 31], auf den mich Wellhausen aufmerksam
gemacht hat, weist den Weg: 6 oi)Qccvbg xal r] yfi naQBXsv6ovxai,
OL de koyoi ^ov ov 7caQskEv6ovrai. Die Gebote des Herrn sind
ewig; was die jüdische Speculation von dem mn"^ in*! behauptet
hatte, gieng auf sie über, erhielt aber einen neuen Sinn und eine
neue Kraft: aus dem unvergänglichen Worte des Herrn wurde
das Wort das von Anfang an war, ehe der Herr im Fleisch
erschien. Damit trug lesus seinen Beruf in sich und erhielt ihn
nicht erst durch die Taufe und die Herabkunft des Geistes: das
vierte Evangelium zieht aus der Speculation die Consequenz für
die Erzählung und setzt die Praeexistenz des Wortes und seine
Menschwerdung an Stelle der Taufe lesu durch Johannes. Wenn
das ewige Wort einmal erschienen ist, hat die Wiederkehr des
Messias keinen Sinn mehr: die Hoffnung auf die Parusie wird in
dem Spruch bei Marcus unzweideutig für überflüssig erklärt. Im
vierten Evangelium geht lesus zum Vater um nicht wiederzu-
kehren: denn seine Jünger wissen den Weg, d. h. die Gebote die
zum Vater führen, und es ist genug, wenn er ihnen den Parakleten
sendet, zum Beistand gegen die Gottlosen, die den Frommen der
neuen Gemeinde so feindlich sind wie denen des ehemals auser-
wählten Volkes. Das hängt alles so wohl in sich zusammen, daß
nichts dagegen spricht den Logos eben so wie den Parakleten dem
ursprünglichen Evangelium zuzuschreiben ; freilich haben die Ueber-
arbeitungen beide Begriffe erweitert, verschoben und verdunkelt,
lieber das ursprüngliche Evangelium als Ganzes zu urteilen
ist schwer, wenn nicht unmöglich ; nur zu oft bleibt die Scheidung
zwischen der Grundlage und den Schichten der Ueberarbeitung
problematisch, und vor allem ist ein wichtiger Maßstab damit ver-
loren gegangen, daß sich nicht oder doch nur zum sehr kleinen
Teil ausmachen läßt, was gefehlt, welche Stücke der Ueberlieferung
der Verfasser verworfen hat. Eins nimmt den betrachtenden
Blick sofort gefangen und überwiegt zunächst jede andere Wirkung :
die Rücksichtslosigkeit mit der der überlieferte Stoff gestaltet
wird, die ungeheure Kühnheit der Erfindung, die nichts unange-
tastet läßt. Hier wird nicht zusammengetragen was die Gemeinde
in wenig bewußtem, naivem Schaffen zu der Erinnerung der Jünger
an den Herrn hinzugetan hatte ; hier wächst keine Tradition weiter,
die wenn sie auch nicht das Geschehene festhält, doch selbst ein
lebendiges Geschehen ist: ein gewaltsam concipierender , höchst
individueller Dichter treibt sein Wesen, der von den ccQSTaC seines
Gottes ein ganz [neues Lied anzustimmen sich unterfängt. Von
558 ^- Schwartz
den Hoffnungen der ältesten Zeit will er nichts wissen ; sein lesns
ist nicht der mißhandelte, von seinen eigenen Jüngern verlassene,
einer schmählichen Strafe verfallene Knecht Jahvehs, sondern ein
Held, der den Feind, die Juden, mutig aufsucht und heroisch in
den Tod geht, freiwillig auf den Schutz der Seinen verzichtend.
Von Anfang an manifestiert er sein göttliches Wesen; solche
Wunder wie bei der Berufung Nathanaels, auf der Hochzeit zu
Kana, das Herausholen des Lazarus aus dem Grrabe stechen mit
ihrer handgreiflichen Uebernatürlichkeit grell ab von der Reserve
mit der die synoptische TJeberlieferung die von lesus vollbrachten
Heilungen darstellt. Und doch verrät sich der Dichter darin daß
er die GrÖttlichkeit seines Helden nicht dogmatisch steigert und
das Menschliche zu seinem Rechte kommen läßt, so sehr daß die
Bearbeiter daran Anstoß nahmen und die kraftvolle Zeichnung
des Originals zu schablonisiren versuchten. Er muß in einer Zeit
geschrieben haben, die von den Anfängen schon recht weit ablag,
und doch noch so früh, daß er es wagen konnte die synoptische
TJeberlieferung bei Seite zu schieben und die Göttlichkeit lesu in
eine Poesie eigener Art, frei von dogmatischer Grebundenheit, um-
zusetzen. Grade das Poetische legt die Vermutung nahe daß er
von hellenischem Wesen mehr als einen Hauch verspürt hatte;
dagegen ist das in dem man gewöhnlich das deutlichste Symptom
des 'Hellenismus' erblickt, der Logos, ein untrügliches Zeichen
jüdischen Denkens.
Der vierte Evangelist hat, wie jeder andere Evangelist auch,
'das Evangelium' aufzeichnen wollen, und würde in noch ganz
anderem Maße als diejenigen seiner Genossen welche sich mehr oder
minder an die synoptische Ueberlieferung hielten, den Gedanken
von sich gewiesen haben, daß er bloß ein Supplement schreibe
und nur mit anderen Evangelien zusammen gelesen und verstanden
werden könne. Seine Schuld war es nicht, wenn die Synoptiker
sich ihm zum Trotz behaupteten, und man muß sich einmal aus-
malen wie die Vorstellungen der Gemeinde von Jesus sich gestaltet
haben würden, wenn dieser Poet siegreich das Feld behauptet
hätte, um an diesem einen Beispiel zu begreifen daß das Christen-
tum bis ins zweite Drittel des zweiten Jahrhunderts hinein eine
Bewegung der unbegrenzten Möglichkeiten war. Ist es schon
wunderbar daß ein solches Evangelium entstehen konnte^ so ist
es noch viel wunderbarer daß es sich erhielt und für so wert-
voll galt, daß man ihm eine Form gab, in der es neben den Syn-
optikern stehen konnte. Ich vermute daß seine Wunder es ge-
rettet haben; diese kräftigen Beweise für die Göttlichkeit lesu
Aporien im vierten Evangelium IV 559
wollte man behalten, auch um einen hohen Preis. Den praeexi-
stenten Logos ließ man sich gefallen; er gab eine geheimnißvoll
imposante Einleitung ab, die freilich stark erweitert und verbogen
wurde: der jüdische Begriif war den Christen fremd geworden,
und so ist es gekommen daß im Evangelium selbst der Logos jetzt
isolirt daliegt wie ein von den Schmelz wassern zurückgelassener
erratischer Block, die jüngere christliche Metaphysik hingegen den
stehen gebliebenen Eest benutzte um an den Piatonismus anzu-
knüpfen.
Es ist ebenso unmöglich das vierte Evangelium in der Gestalt
in der es kanonisch geworden ist, als das einheitliche Werk eines
Schriftstellers zu verstehen wie mit der Annahme eines einzigen
Bearbeiters seine Käthsel zu losen: mindestens zweimal ist es umge-
staltet, und höchst wahrscheinlich haben außerdem noch Retouchen
kleineren Umfangs stattgefunden. Das wesentliche und wichtigste
Ziel der Umgestaltungen war, die synoptische Ueb erlief er ung in das
Evangelium hineinzuarbeiten und doch die Wunder zu erhalten, so
weit es irgend gieng. Daneben tritt die Lehre von Christus dem
Sohne Grottes stark in den Vordergrund ; die Reden lesu schwellen
mächtig an und verschlingen den alten und echten Kern fast ganz.
Weil in dem ursprünglichem Werk der Kampf mit den Juden die
Peripetie des Dramas bildete, sind die Reden als Auseinander-
setzungen mit diesen componiert oder aus Resten solcher weiter
entwickelt, und da die Juden notwendiger Weise ungläubig sein
müssen, so bleiben all diese SelbstofFenbarungen Christi über sein
Wesen ohne Publicum: sie richten sich in Wahrheit nicht an die
jüdischen Gegner und zielen nicht darauf ab diese zu überzeugen
oder zu bekehren, sondern sie gelten der Gemeinde die sich zu
lesus Christus dem Sohn Gottes bekennt oder richtiger schon be-
kannt hat. Die kirchlichen Institutionen, Sacramente, Diakonie
und dgl. melden sich deutlich an ; dagegen fehlen die Projectionen
der Einrichtungen und des ^Lebens der Urgemeinde in die evan-
gelische Ueb er lief er ung fast ganz, die für die synoptischen Dar-
stellungen so charakteristisch sind.
Erst im letzten Stadium der Umgestaltung ist dem Evangelium
apostolischer Ursprung zugeschrieben; das setzt die Zeit voraus,
in der versucht wurde apostolisch und kanonisch für identisch zu
erklären. Es stimmt gut dazu, daß die gegen Basileides und Va-
lentinus streitende Bearbeitung dem gleichen Stadium angehört:
weil die Rechtsfiction von der apostolischen Succession des Epi-
skopats sich im Streit mit der Gnosis glänzend bewährt hatte, ist
die Forderung apostolischen Ursprungs auf den werdenden Kanon
560 E. Schwartz Aporien im vierten Evangelium TV
des N. T. übertragen. Wie diese letzte Umgestaltung schon im
Hinblick auf den Kanon unternommen ist, so ist ihr, nicht ohne
Kampf errungener, Sieg das wichtigste Ereignis in der Entstehungs-
geschichte des Kanons gewesen : die Vereinigung des iohanneischen
Evangeliums mit den Synoptikern, eine so vollendete complexio
oppositorum wie nur irgend etwas, schloß eine Entwicklung zu-
sammen, die von ganz entgegengesetzten Polen begonnen hatte,
und hat im Lauf der Geschichte immer wieder divergierende Ent-
wicklungen hervorgerufen.
Maler Müllers große Liebesode.
. Von
Edward Schröder.
Vorgelegt am 16. September 1908.
Yor zehn Jahren erwarb ich von einem Leipziger Antiqnar
^Die Schaaf^Schnr, eine Pfälzische Idylle Vom Mahler Müller.
Mannheim, bey C. F. Schwan, kuhrfürstl. Hofbnchhändler 1775"
— hauptsächlich um der hübschen, von dem Dichter-Maler her-
rührenden Radierung des Titelblattes willen, wo hinter dem Lämmer
scheerenden Schäfer eine Klosterruine aufragt: in deutlicher ße-
miniscenz an Limburg an der Haar dt.
Das einfach cartonnierte Exemplar, aus dem vom der Name
des frühern Besitzers herausgeschnitten ist, macht nicht den Ein-
druck, als ob es viel gelesen sei. Um so mehr fallen die z. Tl.
recht energischen Korrekturen ins Auge, die mit Tinte auf den
Seiten 20 — 22 im Text und am Eande eingetragen sind: sie be-
schränken sich auf den großen Liebeshynmus der Lotte, der zu
den Prunkstücken von Müllers Lyrik gehört und unter dem Titel
„Der Thron der Liebe" von den Zeitgenossen gekannt und ge-
priesen war^). Nachdem ich mich anfangs über die 'Entstellung'
des zierlichen Bändchens geärgert hatte, hab ich die Korrekturen
neuerdings zum ersten Male näher geprüft, und da hat sich denn
herausgestellt, daß sie von dem Autor selbst herrühren. Die
1) So Gleim an Heinse 8. XI. 1775 (Briefwechsel II 17): '. . . Dis eine
Gedicht hat ihm eine Stelle verdient — neben meinem lieben Heinse !' ; dann
Wielands „Teutscher Merkur" 1776, III 81 : '. . . das den kühnsten poetischen
Traum darstellt, ihn auf immer als Mann von Genie rechtfertigt'; in Fr. Schle-
gels „Deutschem Museum" 1813, IV 259 wird auf diese (fälschlich Wieland zu-
geschriebene) Anpreisung hingewiesen.
Kgl. Gea. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-hist. Klasse. 1908. Heft 5. 39
562 Edward Schröder.
innere Wahrscheinliclikeit ergab sich sehr bald aus der Art der
Textbesserung selbst, die äußere Sicherheit brachte die paläogra-
phische Vergleichung eines der Manuskript - Hefte aus Müllers
Nachlaß, welche die Königliche Bibliothek zu Berlin besitzt^).
Die Korrekturen weisen natürlich nicht den flotten und gleich-
mäßigen Duktus der Reinschriften auf, sie sind außerdem mit einer
schlecht schreibenden Feder hingekritzelt : aber sie sehen doch den
handschriftlichen Aufzeichnungen Müllers, namentlich wo er flüchtig
skizziert und emendiert oder sich Varianten zur Erwägung da-
neben schreibt, so ähnlich, daß mir jeder Zweifel daran geschwunden
ist, daß ich in meinem Bändchen eigenhändige Aenderungen des
Verfassers vor mir habe, Aenderungen die Müller in dies sein
Handexemplar eintrug, als er eine spätere Lektüre auf unser Ge-
dicht beschränkte.
Schwieriger ist es zu entscheiden, in welche Zeit wol diese
Eintragungen fallen. Wenn auch der Verfasser, wie ich unten
anmerken werde, seiner Phraseologie treu geblieben ist, der volks-
tümelnde Ton seiner Sternelein, der ihm einst so geläufig war (vgl.
vor allem „Das braune Fräulein"), war ihm jetzt fast so zuwider,
wie einst dem pedantischen Schulmeister der Idylle, und auch
die freie Rhythmik des Gedichtes war ihm, als er es korrigierte,
nicht mehr gegenwärtig, oder sie störte ihn direkt hier und da.
Demgegenüber will es nichts besagen, wenn er an zwei Stellen
in den Wortlaut der ursprünglichen, handschriftlich überlieferten
Fassung wieder einlenkt: das konnte durch neue Erwägung er-
folgen, und ist jedenfalls unbewußt geschehen. Die „Schaaf-Schur",
mit der das Gedicht zuerst ans Licht trat, ist im Sommer 1775
erschienen, drei Jahre später ist Müller nach Rom übersiedelt.
Mein Exemplar rührt vermutlich aus dem Nachlaß des Dichters
her, der nach seinem Tode zersplittert wurde (Seuffert S. 57) ; es
ist schwerlich von ihm verschenkt worden, und ganz gewiß sind
die Eintragungen nicht etwa aus Anlaß der Weggabe vorge-
nommen: denn das charakteristische an diesen Aenderungen (was
sie auch von vom herein als authentisch ankündigt) ist, daß sie
nicht etwa mit sauberer Pedanterie eingetragen, sondern z. Tl.
1) Ich habe dem Beamten zu danken, der mir eben das Heft welches auch
die erste Fassung unseres Gedichtes enthält, hervorgesucht hat, denn ein genauer
Katalog oder ein Inventar über diesen Nachlaß scheint heute so wenig zu exi-
stieren, wie zu der Zeit wo ihn der junge SeuflFert im Anhang seiner Monographie
abdruckte resp. kollationierte. Wir wissen alle, daß der verehrte Meister der
Akribie die Sache heute ganz anders anfangen und vor allem mit einer genauen.
Untersuchung des Zustandes und Alters der einzelnen Teüe beginnen würde.
Maler Müllers große Liebesode. 563
nur angedeutet, ja in einzelnen Fällen nur begonnen, nicht durch-
geführt sind.
Die „Schaaf -Schur" trägt im Druck die Jahreszahl 1775 und
sie ist Fritz Jacobi gewidmet : 'Meinem lieben Freund Herrn Hof-
kammerrath Jakobi bey meiner Ankunft in Düsseldorf vorzulesen'.
Die Bekanntschaft rührt aus dem Anfang des Jahres 1775 her
(Seuffert S. 24); der Besuch zu dem ihn Jacobi eingeladen hatte,
gelangte nicht zur Ausführung, und so ist die „Schaaf-Schur"
wahrscheinlich im Juli ohne ihren Verfasser in Düsseldorf ein-
getroffen. W. Heinse, der eben dabei war, das Augustheft der
„Iris" fertig zu machen, entnahm dem Ankömmling sofort Lottchens
Liebeshymne: Ausgespannt Droben in den Wolken Steht der Thron
der Liehe, und ließ sie ohne Nennung des Autors zur Füllung des
zehnten Bogens setzen. Er gab ihr wohl von sich aus die Ueber-
schrift ;,Der Thron der Liebe": als ein etwas eiliger Leser, der
das Ganze nach dem Eingang bemißt. Freilich nennt auch der
alte Walter in der Idylle S. 16. 18 dies sein angebliches Lieb-
lingsgedicht 'das Lied vom Liebensthrone', aber das ist in der
Weise des Volkes gesagt, das sich ein markantes Stichwort heraus-
greift, nicht einen Titel schaffen will. Wenn, der Angabe des
„Deutschen Museums" folgend, A. Sauer in Goedekes „Grundriß"
IV ^, S. 346 unter 5) und schon in Kürschners National-Litteratur
Bd. 81, S. 206 diesen Druck für den Erstlingsdruck hält, ist er
im Irrtum. Müller war in der Orthographie, namentlich in der
Verwendung der großen und kleinen Anfangsbuchstaben und in
der Interpunktion, höchst nachlässig, er überließ es durchaus dem
Setzer, diese Dinge in Ordnung zu bringen. Der Abdruck in der
„Iris" (I) aber stimmt mit dem in der ,,Schaaf-Schur" (S) durchaus
überein; nur steht der Mannheimer Druck der handschriftlichen
Schreibung Müllers noch in einigen Punkten nahe, wo der Düssel-
dorfer die Sprachform normalisiert hat; so trifft in folgenden
Fällen die Lesart von S^) mit der Berliner Hs. (H) zusammen:
201, 34 klare SH — klaren I; 202, 6 Sahstu SH — Sahst du I;
203, 20 Lieb SH — Liebe I; 203, 27 weinet und trauert S, trauert
und tv einet H — wehiet trauert I; 203, 26 u. 204, 11 Liebensgott
SH — Liebens-Gott I. Um ganz gewissenhaft zu sein, erwähne
ich auch, daß zweimal (203, 1 trduffelt S — träufelt I, treufeit H;
202, 32 Himmels-Bahn S — Himmelsbahn I, Himelsbahn H) in
Kleinigkeiten die Schreibung von I der von H näher steht. Außer-
dem hat Heinse die Interpunktion revidiert und ist bemüht ge-
1) Ich zitiere nach dem Original, aber mit den Seiten und Zeüen von Sauer.
39*
5ß^ Edward Schröder,
wesen, eine reichere GrKederung durch Absätze herbeizuführen; er
trifft dabei ein paarmal mit der handschriftlichen Fassung zu-
sammen, was aber sehr natürlich ist. Im übrigen bietet sein
Abdruck keine einzige Lesart, welche über den Druck der „Schaaf-
Schur'' hinausweist, er scheidet aus den Grundlagen der Ueber-
lieferung aus. Da nun Tieck (oder Batt) im 1. Bande der „Werke"
(Heidelberg 1811) nur einen im allgemeinen zuverlässigen (aber
keineswegs buchstabengetreuen^)) Abdruck der „Schaaf-Schur" ge-
geben hat, so sind wir für die spätere Fassung des Gedichtes
lediglich auf den Druck in der Idylle angewiesen, und dazu treten
jetzt die handschriftlichen Korrekturen meines Exemplares als der
Ansatz zu einem dritten Stadium.
202, 15 f. S Der Menschen Thun sey falsch^ sey rein
Es sehns die klare Sternelein.
An diesen Reim knüpft der superkluge Schulmeister seine zweite
halblaute Glosse : nelein Reim dich oder ich friß dich. Müller
selbst, der bei seinen Korrekturen offenbar daran dachte, das
Gedicht wieder aus dem Zusammenhang der Idylle auszuscheiden,
hat daran herumgeändert, ohne das Definitivum zu fixieren. V. 15
schrieb er seyj wahr, sei falsch, durchstrich falsch und setzte darüber
wahr, V. 16 lautete die erste sehr flüchtige Aenderung die] reine
Sterne Idar, dann wurde Mar durchstrichen und rein u. Mar daneben
gesetzt. Das Ziel der Umänderung würde also sein:
Der Menschen Thun sey falsch, sey wahr.
Es sehns die Sterne rein und klar.
202, 23 S Es steht nah an dem Orion* korr. Sirius
202, 26 ff. S Er wägt die Freuden, die Leiden*, korr. Schmerzen
Er wägt die Treue der Herzen;
Neben her* brennen der Liebe Kerzen korr. Ringsum
Ich vermute, daß her nur ein Druckfehler ist (in der Hs. heißt es
Neben ihm), den M. nun durch Emendation glücklich beseitigt hat,
ohne das ursprüngliche zu treffen.
202, 30 S Schwankt ein Kranz voll Wonne* und voll* Schmerzen
[korr. Wonn^ — von
Das von ist am Zeilenschluß neben das zweite voll geschrieben,
soll sich aber wohl auf beide beziehen. Schon bei der Nieder-
1) Es ist sprachgeschichtlich interessant, daß der Pfälzer Müller sich noch
immer gegen die von Norddeutschland aus vordringenden Komposita mit Liebes-
sträubt und, da er auf die Zusammensetzungen selbst nicht verzichten mag, ein
Kompromiß schließt: seine Handschrift und auch der Erstlingsdruck bieten kon-
stant Liebensthron, Liebensgott, was Heinse beibehalten, Tieck aber verwischt hat.
Maler Müllers große Liebesode. 565
Schrift des Manuskripts hat M. geschwankt (s. u.), damals aber
das erste von alsbald in voll geändert und an zweiter Stelle gleich
voll geschrieben.
202, 37 : 39 S wäget : schlaget korr. wägt : schlägt
203, 1. 2 S Dann träuffeit herab auf die Welt
Freuden zu allen* Seiten korr. Wonne von Göttern
[2u beiden
203, 6 S -Er legt in die Schaale, wäget: schlaget korr. Seh aar
[u. ivägt : schlägt.
Man könnte auch hier an einen Druckfehler denken, wegen der
anscheinenden Inkonsequenz gegenüber 202, 37 SchaaV und wägety
aber die Differenz findet sich schon in der hsl. Fassung, wo aber
merkwürdiger Weise gerade umgekehrt folgen V. 40 Schale, wäget
— V. 49 Schale und wäget.
203, 10. 11 S Dann stürzt* herab auf die Welt korr. stürzen
Leiden von allen* Seiten. korr. Schmerzen vom
[Orhus zu beiden
Während das vorangestellte Verbum im Singular in dem Parallel-
vers 203, 1 unangetastet blieb, ist es hier durch den korrekten
Plural ersetzt. Die Aenderung des zweiten Verses aber ist genau
entsprechend der in 203, 2 : der Ausdruck ist rhetorisch wirksamer
und zugleich deutlicher geworden, deon nicht von allen Seiten,
sondern nur von den beiden Kränzen, also doch nur von rechts
und links (oder aber von vorn und hinten) träufeln die Wonnen
und stürzen die Schmerzen hernieder.
203, 12. 13 S Doch viele lieben treu und rein.
Müssen doch unglücklich* seyn; korr. Und m. den-
[noch elend
203, 16 S Am Isabel des Himmels hängt ein Schild
daneben geschrieben: Hoch hängt am Himelsgewölb ein Schild
Den Vers 203, 18 S Das tönt von Selbsten treu und mild
hab ich stark im Verdacht eines Druckfehlers : in der Hs. heißt
es sanft und mild; das treu ist dem Setzer durch die Umgebung
suggeriert worden: V. 12 treu und rein, V. 19 treue Lieb. M. hat
daran herumgekritzelt, wobei offenbar versehentlich auch das
Schluß-« von Selbsten durchstrichen worden ist. Vor treu ist ein
f eingeschaltet, das h ist geändert, aber die Absicht der Aenderung
nicht deutlich, das r ist durchstrichen : so kämen wir also auf die
Korrektur scheu und mild, die, wenn auch einen ungewöhnKchen
Ausdruck, so doch jedenfalls einen bessern Sinn böte, als treu und
mild: das Himmelsschild gibt einen sanften, zaghaften Klang.
566 Edward Schröder.
203, 23. 24 Solin kosten der Liebe Thrdnen^
Solln* leiden der Liehe Sehnen korr. Und
203,25 Dann trauert* jedes Sternelein korr. traurt der
[Sterne milder Schein,
In den neuen Lesarten begegnen uns mehrfach Anklänge an
Müllers poetischen Wortschatz : so verwendet er den Sirius (202, 23)
auch Werke II 379 : Der Sommer bezdumet Beym Sirius itst Den
Löwen . . . : die Wendung vom Orcus (203, 11) begegnet II 376 : Isfs
vom Orcus Der Hohn? dazu aus der „Niobe": Schwarz wie der
Orcus II 219, nahe dem Orcus U 220, aus des Orcus Dunhelm Schoose
n 224, Dich tief zum. Orcus schleudern II 271 u. s. w. — Schmerz
und Wonne, die M. jetzt 203, 2. 11 statt Leiden und Freuden schärfer
contrastierend durchführt, sind ihm geläufige Gregensätze: z. B.
III 164 Wechselt immer Schmerz und Wonne; II 287 Wenn Schmerz
mich hingerafft — 288 badend in Wonneströmen dort. Für Schmerzen
vom Orcus heißt es anderwärts Höllenschmerzen (III 231, der frühste
Beleg im DWB.), wie es anderseits heißt Mich zücket Wonne Him-
melwärts (I 209).
Waren diese Korrekturen mehr als das Spiel einer müßigen
Stunde ? Die äußere Erscheinung der Blätter spricht nicht dafür.
Jedenfalls aber hob ihre stärkere und aufgesuchte Rhetorik das
Gedicht wieder aus dem Hahmen der Idylle heraus, in die es
1775 etwas gewaltsam hineingepflanzt war: nicht der Abdruck in
der „Iris", wohl aber die Ueb erlief erung in der Berliner Hand-
schrift bezeugt, daß es unabhängig davon entstanden und keines-
wegs für die „Schaaf-Schur" bestimmt war. Schon allein die
Ueberschrift „Liebensode" die es hier trägt (über diese Form s. u.),
kündigt das an: sie ist auch weit zutreffender, als die Bezeich-
nung 'Lied', mit der Vater Walter es einführt — und nun gar
dessen nähere Charakteristik : ^ist gar ein uhraltes Ding, hat mir in
meinen Kinderjahren gewaltig gefallen T Ich möchte glauben, der
Autor selbst hat später eingesehen , daß das aus Klopstockischer
Phantasie heraus geborene und mit Klopstockischer Phraseologie
reichlich verbrämte Produkt besser zur Geltung kommen würde
als das was es von Haus war, als eine „Ode".
Mein kleines Fündlein und die Beobachtungen die ich daran
knüpfte, rechtfertigen es, ja lassen es fast notwendig erscheinen,
daß ich hier einen Abdruck der handschriftlichen Fas-
sung anschließe*). Ich habe die Interpunktion hinzugefügt, die
1) Eine knappe Kollation hat bereits Seuflfert a. a. 0. S. 413 gegeben,'][darin
fehlt aber z. B. die Plusstelle unten V. 68—75.
Maler Müllers große Liebesode. 567
im Original fast ganz feUt, und ich habe die Schreibung der
großen und kleinen Anfangsbuchstaben in Müllers Sinne, aber
gegen seinen höchst nachlässigen Brauch geregelt: ein diplomati-
scher Abdruck hat hier keinen Zweck, die Orthographie im übrigen
beizubehalten aber erschien mir als selbstverständlich, auch in
den Punkten, wo man ihre Inkonsequenz durch Hinzufügung eines
Nasalstriches oder eines Umlautszeichens zu beseitigen in der Lage
wäre.
Das betr. Stück des Berliners Nachlaß-Materials ist ein Heft
ohne Umschlag in Folio, dessen Blätter neuerdings mit Bleistift
numeriert sind : es sind zunächst 4 Einzelblätter, zu denen die be-
schriebenen vordem Hälften abgeschnitten sind, dann 9 in einander-
gelegte Bogen, also 22 Bll., auf denen die Mehrzahl der großem
lyrischen Dichtungen Müllers in ersten und zweiten Niederschriften
steht. Die meisten Stücke haben unter der Niederschrift resp.
unmittelbar nachher Korrekturen erfahren, so auch das unsere,
das Blatt 7^ oben beginnt und bis Bl. 8^ (vor der Mitte) reicht;
voraus gehn Bl. 7* „Ode an ein Grebürg" und die Stücke bei
SeufPert: S. 420 „Romantze", 417 „Liedgen", 419 „Ballade"; es
folgt „Ueber Minnas Abschied. Ode'' (Bl. 9=* oben).
Liebensode.
Ausgespannet S 201, 29
Droben in den Wolcken 30
Steht der Thron der Liebe.
Wer hüllt den Mond in sein Gewand?
5 Wer feßelt ihn mit starcker Hand
Wohl unter die klare Grestirne?
Wer mäßigt den glühenden Sonnen- Strahl 35
Zum linden Kuß? Das thuet all
Der mächtige Gott der Liebe, 37
10 Sag mir, wo steht der Thron, 202, 4
Der Thron der heißen Liebe? 5
Sahstu noch nie das Siebengestirn?
Es hängt gleich einer Kette
Die Ueberschrift Icönnte auch Liebesode gelesen werden; da aber V. 15 Lie-
bensthron, V V. 38. 47. 103 Liebensgott gesichert ist, les ich auch hier Liebens
F. 1 les ich Ausgespanet und habe demgemäß geschrieben; die ersten 3 Zeilen
sind dann reimlos, es reimen nur Gewand : Hand —
5ß8 Edward Schröder,
WoU in der Nacht am Himel. S 202
15 Er schließt den Liebensthron rund ein
Und giebt ihm einen hellem Schein 10
Als tausend Diamanten.
Ein jedes Stemgen davon ist
Ein Augelein der Liebe.
Sie sehn herab zu jeder Frist:
20 Der Menschen Thun sey falsch, sey rein, 15
Es sehns die klare Sternelein 16
Und sagens dem Grott der Liebe. 20
Wo steht der Grott der Liebe?
25 Der Grott der Wonnentriebe?
Er steht nach an dem Orion.
Dort steht die Wage der Liebe.
Er wägt die Wünsche, die Triebe, 25
Er wägt die Freuden, die Leiden,
30 Er wägt die Treue der Hertz en.
Neben ihm brennen der Liebe Kertzen.
Vom Morgen- bis zum Abend-Stern
Hängt ein Krantz voll Wonne und voll Freuden 30
Und ein Ej-antz voll Schmertz und Leiden
35 An der hohen Himelsbahn
Hin unter der Wage der Liebe.
Sehn die Stemger keusche Triebe,
Dann rufens sies dem Liebensgott hinan 35
Zu der Wage der Liebe.
40 Er lägt in die Schale, wäget:
Dann steigt die Schale der Falscheit,
Die Schale der Freude schlaget
Wohl an den Krantz der Freuden, 40
Dann treufeit herab auf die Welt S 203, 1
45 Freuden von allen Seiten.
32 die Verbindung sstriche hab ich hinzugefügt, um keinen Zweifel zu lassen,
daß für M. der Morgen- und der Abendstern {so Werke I 11) zwei verschiedene
Sterne sind — 33 das erste voll geändert aus von — 41 Falscheit war durch-
strichen, treue daneben geschrieben, dann aber ist dies ausgewischt urul Falscheit
unterpungiert — 42 Freude Schreibfehler für Treue.
Maler Müllers große Liebensode. 569
Sehn die Sternger falsche Triebe, S 203
Dann rufens sies dem Liebensgott hinan
Zu der Wage der Liebe. 5
Er lägt in die Schale und wäget:
50 Dann steigt die Schale der Treue.
Die Schale der Falschheit schlaget
Wohl an den Krantz der Leiden;
Dann stürtzt herab auf die Welt 10
Leyden zu allen Seiten.
65 Doch viele lieben keusch und rein
Und müßen doch unglücklich seyn.
Wie wägt sie der Gott der Liebe?
Er wägt sie mit der Wage der Liebe. 15
Am Nabel des Himels hängt ein Schild
60 Von feingeschliffnem Golde,
Das tönt von selbsten sanft und mild
Durchs gantze himlische Gefield,
Wenn treue Lieb soll trauren. 20
Es tönt: zwey treue Hertzen
65 Sollen fühlen der Liebe Schmertzen,
Sollen tragen der Liebe Tränen, 23
Sollen leyden der Liebe Sehnen. 24
Schnell stürtzt das Schicksal auf die Liebenswag herab,
Drückt beyde Schalen tief hinab,
70 Schlagt auf den Krantz der Leyden,
Schlagt auf den Krantz der Freuden
Mit einem schwartzen Stab;
Dann fället auf die Welt herab
Süße Schmertzen, bittre Freuden
75 Freude der Wehmuth, Wonne im Leyden.
Dann birgt sich jedes Sternelein, 26
Der Liebensgott hüllt sich in Wolcken ein
Und trauert und weinet und klaget.'
53 stürtzt am rande für treufeit — 68 Liebeswag? s. zur Ueberschrift —
y. 71 nachträglich eingeschaltet.
570 Edward Schröder, Maler Müllers große Liebesode.
Es fallen herab wie Abendthau S 203
80 Auf die Blnhmen und auf die Au
Seine wohlriechende Zähren. 30
Sie setzen sich auf die Locke hin
Der Traurenden,
Und will es das Schicksal gleich wehren,
85 Daß er ihre Leiber vermehle,
So vermählt er doch ihre Seelen. 35
Im Schlumer zieht er ihre Seelen
Mit sich in den Garten der Liebe.
1 36—38
0 singe mir, o singe mir, 39
90 Wo steht der Garten der Liebe? 40
Wohl über der Sonnen
Auf hellen silbern Pfeiler 42
Ruht der Garten der Liebe. S 204, 1
Da fließt der Strohm der Wonnen,
95 Da blühen der Freundschaft Bluhmen,
Da quillt der Schönheit Bronnen.
Da wascht er sie, da bat er ihre Seelen in Freude 5
Und stärckt sie zu künftgem Leide.
Da trincken sie mit einander vom Strohm der Wonne,
100 Steigen mit einander auf die Sonne.
Oft wenn ihr Leib keine E-uhe auf Erden hat,
Sitzen ihre Seele hier auf goldnen Stühlen, 10
Die der Liebensgott ihnen zubereithet hat,
Und genießen der Liebe nach allem Willen. 12
79 wie über von — 83 nach traurenden, durchstrichen will und dann mit
und will in der Zeile fortlaufend — 86 vermählt am rande für verbindet —
94 vor Strohm durchstrichen Schönheitbrunnen — 96 vor quillt durchstrichen ist
der — Bronnen aus Brunnen.
über einige thessalische Namen.
Von
Friedrich Bechtel,
auswärtigem Mitgliede.
Vorgelegt von J. Wackernagel am 2. Oktober 1908.
Als ich den Index der Personennamen der von Otto Kern
bearbeiteten Inscriptiones Thessaliae in der Correctnr las, über-
zeugte ich mich bald, daß unsre Kenntnis der griechischen Per-
sonennamen durch diese Publication große Erweiterung erfahren
würde. Ich habe mir daher, sobald der Band erschienen war, zur
Aufgabe gemacht ihn auf die Namen hin durchzuarbeiten. Bei
dieser Prüfung hat sich ein doppelter Grewinn herausgestellt: von
den früheren Herausgebern unvollständig oder falsch gelesne
Namen erhalten hier zuerst ihre richtige Grestalt, und neue Namen
treten in die Erscheinung, darunter manche recht interessante.
In einigen Fällen bin ich bei der Kritik der Überlieferung und
bei der Herstellung verstümmelter Namen zu andren Resultaten
gelangt, als sie in dem Bande vorgetragen werden. Es scheint
mir nützlich die wichtigsten Tatsachen, die sich mir in dieser drei-
fachen Richtung ergeben haben, hier vorzulegen.
Ich beginne mit der Mitteilung einiger wichtigen Emendationen,
zu denen Nachprüfung der Steine und neue Abklatsche geführt
haben.
1) 'Aydötag 23427.
Heuzey hatte ^Qciötag gelesen; dieser Name kommt vorläufig
in Wegfall. 'Aydötag, bisher unbelegt, ist an 'Ayaörocpccvrig anzu-
schließen.
572 Friedrich Bechtel,
2) AlxiiaCQEtog 696 «s.
Pridik und de Sanctis bieten übereinstimmend AIXMAPETEIOI;
Kern hat vor dem Steine die vier ersten Buchstaben nicht mehr
erkannt, gibt aber AI PET El Ol als vollkommen deutlich. Die Tat-
sache, daß AlxiiccQSTog auf einem thebanischen Grabsteine steht
(IG VII 2636), könnte zunächst zu der Vermutung führen, daß
dieser Name auch in Larisa beabsichtigt gewesen sei, der Stein-
metz also AI aus der ersten Silbe in die nächste verschleppt habe.
Man wird aber doch bedenklich, wenn man dem Elemente -aCgetog
ein zweites Mal auf einer Inschrift begegnet , die nur von einer
thessalischen oder äolischen Dame herrühren kann : 'E(p. äQ%. 1902.
41/42 ^Agte^iÖL Eilsi^va ^iKaiQBxa EvXaeia ev^a^iva. Hiernach
wage ich nicht an der Existenz von Aix^aiQstog zu zweifeln ; dieser
Name hat neben AlxiiccQsrog bestanden.
3) Bax&eCag 28475.
Alte Lesung BATOEKA^. Die gleiche Consonanten Verdopplung
in der Koseform, die bekanntlich in Thessalien und in Böotien
sehr beliebt ist, wird sich gleich nachher noch einmal constatieren
lassen. Wie die Verdopplung des ß durch nß (KojtßCdaiog 517 59),
so kann die Verdopplung des ö durch rd dargestellt werden:
^EvnsxöCovvog 511 12. Im conspectus grammaticus, den WSchulze
beigesteuert hat, ist dies Verhältnis richtig beschrieben^).
4) MsXayzQog 234 153.
Der Name war schon aus dem koischen MsXayxgCdag zu folgern.
Aber man freut sich einem auf Kos gebräuchlichen Namen auch in
Thessalien zu begegnen. Heuzey hatte MEAANIOPEIOC gelesen.
5) Tlix^lvog und Uiz^Cdag 23429.9*.
Heuzey PITOINOC, niTOIAAlO^. Fick hatte schon Beitr.
5. 7 die Vermutung geäußert, 0 sei als O zu fassen. Ich hätte
bei der Redaction des Abschnittes C der griechischen Personen-
namen so besonnen sein sollen dieser Anregung zu folgen statt
mich durch IlCtcjv, UizCdiv^ UiTvXog zum Ansatz eines Elementes
TItr- verführen zu lassen. Jetzt wird Ficks Vermutung für den
zweiten Namen durch den Stein bestätigt. Die Emendation von
TlixoCvaiog in Larisa (517 53) ist nun keine Kunst mehr. JJixd-lvogy
Uix^Cvag^ Uix^Cöag sind kosende Verkürzungen von Ucd-äxog: xd'
auf dem Wege der bei Bax^siag besprochnen Consonantenver-
dopplung.
1) Bar&siag führt das Patronymicum BaaavCdog, d. h. er hat einen Vater
Bdaavig oder Baadviog. Im Index wird dieser Vater durch Versehen zu einem
Buauviug.
über einige thessalische Namen. 573
6) JjQOVtOxX-- 55344.
Der erste Herausgeber der Inschrift, Fougeres, las n p 0 Y K 0 E.
Dies führte zum Ansatz eines Namens IlQovxog (GrP^ 330), der
also zu streichen ist.
7) TavQÖxXsca 7I83.
„Tel correctnm esse videtur", sagt der Herausgeber. Schade
nm den Namen ZavQÖxXsia^ der auf Lollings Autorität hin ange-
nommen ward, jetzt aber hinfällig wird.
8) 0r]fii6^axog 6 62.
PXIAA/M§§ Deschamps. Durch Kerns Lesung wird ein theo-
phorer Name gewonnen : Zrivbg 0rjiitov aal ^A%'i]väg Or^^iov auf der
erythräischen Inschrift über den Kauf der Priesterämter (Coli.
5692 h 26. 27). Die Vocalisation von ^yi^vo- weist auf ionisch-atti-
sches Gebiet hin.
Ich gehe nun zu den Namen über, zu deren Elritik ich etwas
beizubringen vermag. Um auf möglichst sichrem Grunde zu bauen,
habe ich mich in allen Fällen, wo es möglich schien durch neue
Prüfung der Überlieferung weiter zu kommen, an Professor Hiller
von Gärtringen gewandt, der mir mit gewohnter Bereitwilligkeit
aus den Materialien des Archivs Auskunft gegeben hat. Meine
Bemerkungen folgen den Nummern des Corpus.
Zu 14.
Im Anfange der 15. Zeile ist NKQTII erhalten. Der Heraus-
geber faßt das erste Zeichen als Ende des vorangehenden, für uns
verlorenen, Satzes und sieht in Kmtig den Namen der Freigelassnen,
der den neuen Satz eröffnet. Aber weder die erhaltnen Satz-
schlüsse noch die Namenform, die Kern selbst mit einem Frage-
zeichen versieht , sind dieser Annahme günstig. Bedenkt man, daß
durch 568 18 der Name Avyxog bezeugt wird^), und daß auf thes-
salischen Münzen der Genetiv AYKOYTOY erscheint (GP^ 294) 2),
so wird man zu der Vermutung geführt, daß wir den Rest von
Av'yacotig vor uns haben.
Zu 97.
Wenn f^YAlKA richtig gelesen ist — seit Leakes Zeiten ist
1) GP2 316 nachzutragen.
2) Die Lesung ist allerdings von Kroog De foederis Thessalorum praetori-
bus 43 f. angezweifelt , aber, wie ich auf Grund einer Mitteilung des Herrn Im-
hoof-Blumer versichern kann, mit Unrecht. „Die Kat. Brit. Mus. Thessaly Taf. I
11 abgebildete Münze und der mir vorliegende Abguß eines gleichen Exemplars
zeigen ganz zweifellos AYKOYTOY", schreibt mir Dr. Imhoof.
574: Friedrich Bechtel,
der Stein verschollen — , so verlangt die Ableitung des Namens
eine Rechtfertigung. Diese findet man, wenn man sich an ^qvvi-
xCdscD auf Thasos (Coli. 5466 a*) erinnert: die Abneigung gegen
die Folge zweier Aspiraten wirkt über eine Silbe hinüber.
Zu 103.
Der Name"/^öötog wird als 'suspectam' bezeichnet. Die suspicio
läßt sich zerstreuen. Aus Phalanna (1232 24) und Thespiai (IG VII
1779 8) kennen wir "Aöiog. Die Doppelconsonanz von "Aößiog kann
auf zweifache Art gedeutet werden: entweder als bedingt durch
die Koseform, oder in der Weise, wie sie in jcöXXtog^ UavßavvCaiogj
TCQo^svvLovv vcrstandcu werden muß.
Zu 109.
Z. 33 der Rückseite wird aus .A....AAIKA, wenn auch unter
Vorbehalt , ['E]k[X]adC}ia erschlossen. Besser mit den Raumverhält-
nissen und besser mit der Wortbildung würde sich die Ergänzung
[TYja^i/Tjadtxa vertragen. Ich habe daher Hiller von Grärtringen
gebeten zu untersuchen, ob sich diese Vermutxmg mit den erhalt-
nen Spuren vertrage. Die Antwort lautet : „Z. 33 glaubt man
zu sehen 17/, was also gewesen sein könnte FA. Freilich ist Jt
sonst n oder n mit gl eich langen Schenkeln, was hier nicht der
Fall zu sein scheint. Für E scheint kein Platz, vom untren Strich
zeigt sich keine Spur, außerdem würde sein Ende mit dem A col-
lidieren. Also stimme ich Ihrem IJccvtadixa durchaus zu". — Es
ist sicher nur Zufall, daß ich den Stamm :ncavr- in der Verbindung
mit ÖLxa sonst nicht belegen kann.
Z. 143.
AIKAIPETA hat Fick in ztixaivsta geändert, und der Heraus-
geber folgt ihm darin. Unter Aix^alQstog habe ich ein zweites
Zeugnis für JiTiaigetog beigebracht.
Zu 149.
Der Name lA^svLöxog darf nicht angerührt werden : er schließt
sich mit ^A^ieveag in Larisa zusammen (MoXvxxcot, ^A^isvia QsöCakm
iy AagCöag Coli. 2585) , weiterhin vermutlich mit ark. 'AyLriviagy
kjrpr. 'JfirivLJag , lesb. 'Anevvd^svog (WSchulze GGrA 1897. 894).
Zu 155.
[ß]ovAtx|a ^ux\(x)st6C\[a\ HiUer von Gärtringen bei Kern.
Hier war mir die Form ^uxstsCa aus zwei Gründen bedenklich:
wegen des im ersten Elemente bewahrten Hiatus, wofür ich kein
Beispiel kenne ^), und wegen der Vocalisation der Ableitung; die
1) JucpQddrig auf dem leßbiscben Steine IG XII 2 no. 5 19 würde eines sein,
■wenn es sicher stände ; aber hinter Patons A 1 1 0 P . A H C verbirgt sich wol der
über einige thessalische Namen. 575
Form, die Hiller von Grärtringen vor Augen hatte, müßte in Thes-
salien zfixstata lauten. Es hat keinen Zweck von dem Versuche
zu erzählen, den ich machte, um einen weniger anstößigen Namen
zu gewinnen : er ist hinfällig geworden, seit Hiller von Gärtringen
einen nachträglich eingegangnen Abklatsch befragen konnte , aus
dem sich ergibt, daß in der zweiten und dritten Zeile, abgesehen
von dem schließenden K der zweiten, dessen Winkel von einem
zufälligen Risse herrühren kann, kein Zeichen geändert werden
darf, auf dem auch keine Spur einer vierten Zeile sichtbar wird,
so daß die Inschrift für vollständig gelten kann. Auf einer Schede,
die an den Abklatsch geheftet ist^), wird z/t [tcxetsl oder z/tl Ixstsl
als Lesung vorgeschlagen. Ich zweifle nicht, daß die zweite Mög-
lichkeit zutrifft, und erinnre wegen des Zsvg iKsrsvg , der hier
zum ersten Male begegnet ^), an den Zsvg i^triQ und acpixtcoQ. Noch
eine Textberichtigung fordert der Abklatsch : in dem an der dritt-
letzten Stelle der ersten Zeile erscheinenden Zeichen will Hiller
von Gärtringen lieber ein verstümmeltes t erkennen und darum
[t]ovöixa statt [B]ovXixcc schreiben.
Zu 207.
Die Reste des Namens, der Col. c Z. 2 f. gestanden hat, werden
von den Herausgebern Jarde und Laurent so beschrieben: „Notre
premiere lecture nous avait donne AYgOAE|ONTOl, ce qui nous
avait fait admettre la restitution Av[x]olsovrog. Mais la lettre
que nous donne l'estampage n'est assur^ment pas un K, peut-etre
est-ce un M; de plus nous avons cru distinguer un O au lieu d'un
A et au debut de la 1. 3 les traces d'un A". Aus dieser Beschreibung
hat von Wilamowitz den Genetiv Avxoiisdovtog entnommen. Da
die Herausgeber aber sagen, an dritter Stelle habe sicher kein K,
vielleicht ein M gestanden, so komme ich zu dem Vorschlage @V'
^o^BÖovtog ^).
bekannte Name 'AgicpgciSrig. Bei dieser Gelegenheit berichtige ich eine zweite
Ergänzung auf der selben Inschrift. Z. 22 bietet Patons Facsimile B . 0 K A A ,
sein Text ß[t]oxZ[«tcö ?]. Ich teile den Zweifel, den Paton selbst ausspricht, und
schlage ß[t]oxad[£tct)] vor; zu dem so eingeführten Namen BLOKudrig sei an ^ 3f.
0 OL ßidroio iidXiara yi-^östo oU^av erinnert.
1) Nach der Mitteilung Kerns ist ihr Verfasser R. van der Loeff.
2) Auf dem Steine CIG 1534, der eine Grenzbeschreibung von Megolopolis
enthält und den ich wegen der goldeswerten Form Ilvtiov in der Sammlung der
arkadischen Inschriften hätte berücksichtigen müssen, wird eine Örtlichkeit 7xfxr«ta
erwähnt. Auf ihren Namen wirft der Zsvg tyistsvg Licht; er ist ein indirectes
Zeugnis für die inCyilriGig.
3) Jardes Abklatsche, die in das Berliner Archiv gekommen sind, versagen
hier nach dem Urteile IliUers von Gärtringen.
g^ß Friedrich Bechtel,
Zn 376.
Pridik und de Sanctis bieten in Z. 4 der ersten Fläche . I A A I A
als Namen einer Freigelassnen. Bei der vorgeschlagnen Herstel-
lung [^]U«[p]a stört mich die Bezeichnung des kurzen t durch El,
die auf diesem Bruchstücke keine Analogie hat. Auf der delphi-
schen Freilassungsurkunde Coli. 2527 wird Z. 3 ein üoXs^aQxog
EiXalog erwähnt. Nimmt man an, die Sklavin habe von ihrer
Heimat EUaia, geheißen, so kann man die überlieferten Zeichen
ohne Ändrung stehn lassen. Auch [^]ilaCtt wäre ein Ausweg.
Zu 414.
In Z. 13 der zweiten Fläche hat Pridik ANTOYNIAEIOI ge-
lesen (Y unsicher), Kern, der nur Trümmer des Steines vorfand,
APTOI-- (P unsicher, das Ende des Namens nicht zu entziffern),
Wolters AATO--. An das Patronymicum ^ArtowLÖsiog, das auf
dieses Fundament aufgebaut wird, kann ich nicht glauben *). Läßt
man die Kritik an den Zeichen einsetzen, bei deren Deutung die
Gewährsmänner nicht einig sind, schreibt man also an zweiter
Stelle für das N Pridiks, das P Kerns , das A von Wolters I , und
ergänzt man Kerns letztes Zeichen, wofür Pridik T bietet, zu /^ ,
indem man für M die Gestalt voraussetzt, die das Zeichen in Kerns
vorletzter Zeile hat: so wird man auf 'Jöto^scdsiog geführt. Den
Namen ^AexoiLddeig weist der Index für Pharsalos und Larisa nach.
Zu 418.
'AvtLTcdzQa 'Emvccrov. Vielmehr ^EjtLXQcczov, laut Wilhelm an
der zweiten der im Lemma angeführten Stellen. Damit fällt auch
['En]LvdtoL 414^6, wofür zlvvdtoi zu lesen sein wird.
Zu 460.
KONAIO (Z. 11) wird von dem ersten Herausgeber nachträglich
zu Kövaßog vervollständigt {'E(p. aQx- 1900. 111), Kern nimmt l als
Rest von r. Da wir KovccQag als Namen kennen (GP- 326), bin
ich auf die Vermutung Kövagog gekommen. Die Vermutung war
richtig : auf Grund des Abklatsches, den das Archiv besitzt, schreibt
mir Hiller von Gärtringen: „KONAPO^ steht da; es ist noch fast
die ganze Rundung des P vorhanden, nur innen die Epidermis
fort".
1) Man müßte dieses Patronymicum vielmehr als Metronymicum auffassen,
wie MvlUdeos in Pharsalos (250) sicher gefaßt werden muß (WSchulze). Aber
solche Ausnahmen dürfen nur auf Grund absolut zuverlässiger Lesungen statuiert
werden. Aach für Uccgfiov^dstoe in Larisa (688), das ebenso gedeutet werden
müßte, ist Lolling der einzige Gewährsmann.
über einige thessalische Namen. 577
Za 473.
Zwei Namen dieser Inschrift glaube ich in Ordnung bringen
zu können; zur Herstellung eines dritten mag wenigstens eine
Vermutung vorgebraebt werden.
Z. 10 gibt das Facsimile MYCIAIO^, doch hat Kern selbst
das erste Zeichen auf dem Abklatsche nicht erkannt. Es liegt
daher nahe den befremdlichen Namen durch Ersetzung des M durch
A zu umgehn. Hiller von Grärtringen hält dies nach Prüfung des
Abklatsches für möglich: vom ersten Zeichen ist \ sichtbar.
Z. 13 liest Kern OEOAOYKEIOC, Philios EOAOYIEIO^, aber
doch so, daß er an Stelle des ersten E auch I, an Stelle des ersten
I auch K für möglich hält. Mir scheint klar, daß ein Name auf
-dovQSLog vorliegt, und zwar, wenn Kerns OEO richtig ist, kein
andrer als das Patronymicum ®€odovQ8Los. Ich teile das Ergebnis
von Hillers Prüfung des Abklatsches mit: „Sicher sind AOYIEIO^,
und es scheint allerdings A und nicht A gewesen zu sein; der
rechte schräge Strich ist tief und kräftig eingedrückt und hört
unten entschieden auf. Über den fünftletzten Buchstaben wage
ich nichts zu sagen. Vor dem A sehe ich eher eine Hasta I , davor
: , was zu Philios I gehören könnte, obwol ich davon lieber keinen
Grebrauch zu machen bitte. Sonst wünsche ich Ihrem -öovqslos
alles Griück, auch wenns 'löidovQSiog gewesen sein sollte". Ich
bleibe also bei -dov^siog stehn : der Steinmetz mag ja A versehent-
lich für A eingemeißelt haben.
Die Vermutung betrifft den Namenrest . . . 1 0 P K E U der zweiten
Zeile. Hiller von Gärtringen bestätigt mir die vom Facsimile ge-
botnen Zeichen ausdrücklich^), und fügt hinzu, daß er vor dem I
1) Ich hatte an K gezweifelt, weil im Facsimile ein Punkt unter den Buch-
staben gesetzt ist, worin ich die Andeutung sah, daß er unsicher sei. Aber Hiller
von Gärtringen belehrt mich, daß der Punkt nicht nur die Unsicherheit sondern
auch die Unvollständigkeit eines vollkommen sicher stehenden Buchstabens be-
zeichne. In Übereinstimmung mit ihm spreche ich aus, daß diese Doppeldeutigkeit
ein Mangel ist ; denn der Benutzer des Corpus kann nicht wissen, wann er einen
unsichren, wann einen unvollständigen, im übrigen sichren Buchstaben anzunehmen
habe. Die üble Wirkung der Bezeichnungsweise ist noch in einem andren Falle
zu Tage getreten. Der Name 'EXxfjSta des Steins 248 wollte mir nicht in den
Sinn, Da das Facsimile unter das erste E einen Punkt setzt, nahm ich an, E
sei unsicher und wollte es mit A vertauschen. Aber die Erkundigung, die ich
bei Hiller von Gärtringen einzog, ergab, daß an 'EX-neßia nicht zu rütteln ist: „E
ist nichts weniger als unsicher, es ist völlig sicher, nur nicht ganz erhalten". Der
Name, der doch wol nach Anleitung von arf ßtorov a (liXsog slg xov cclsv Uyia
XQovov (Eur. Or. 206 f.) verstanden werden muß, mag individuelle Veranlassung
haben.
Kgl. Ges. d. Wies. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 5. 40
578 Friedrich Bechtel,
ziemlich deutlich die Eeste eines M zu erkennen glaube. Falls
dies aber keine Täuschung ist — welche Ergänzung ist dann mög-
lich, wenn nicht [AccjuLOQxsig? So würde der von Wilamowitz
♦ verworfne Name jla^iaCvstos in Larisa (553 is) , dessen Prüfung
bei dem Zustande des Steins leider nicht mehr möglich ist, doch
wieder zu Ehren kommen und die Eponyme von Lamia (Head
Hist. Num. 252) in das Namenwörterbuch eingeführt werden müssen.
Zu 505.
Der Herausgeber verzichtet auf die Umschrift des Genetivs
XYAAIOI (Z. 3). Man kann aber den Namen Xvdatog verstehn:
wer es mit denen hält, die slxi}!, xal cpoQux&g xccl xvd)]v, ort ctv
BTceX^rii, Xeyovöi (Isokr. 12. 24), den können gute Freunde und treue
Nachbarn als Xvdalog bezeichnen.
Zu 534.
Z. 19 IlaQiisvCöKog GsaQu^tov Kcbog. So las Philios; Kern hat
bei der Untersuchung des Abklatsches PH nicht zu erkennen ver-
mocht. Diese beiden Zeichen bilden aber den kritischen Punkt
des Namens : wie kommt ein Mann aus Kos dazu eine ionische
Namenform zu tragen? Aus Patons Index ist zu ersehen, daß
©saCtrirog ein auf Kos gebräuchlicher Name war. So lag die Ver-
mutung nahe, daß er auch auf dem thessalischen Steine gestanden
habe. Aber Hiller von Grärtringen belehrt mich, daß „zwischen
A und H für IT nicht recht Platz" ist, und kommt seinerseits zu
dem Vorschlage GEATHTOY, Damit ist mein Anstoß beseitigt
und ein neuer Name gewonnen.
Zu 1228.
Das Facsimile gibt Z. 86 AOYCANAPOI an. Es ist evident,
daß das erste Zeichen nicht in der Ordnung ist. Der Apparat
läßt hier im Stiche : „leider scheinen nur Teilabklatsche vorhanden,
die Z. 86 nicht enthalten", berichtet Hiller von Grärtringen. So
muß die Vermutung Zovöccvöqol sich selbst empfehlen.
Zu 1321.
Im Anfang der dritten Zeile lesen Jard^ und Laurent EPA AI--OY,
Giannopulos E 0 N A U - - , Kerns Facsimile bietet E ß N A I . T 0 ^. Durch
Combination der ersten und dritten Angabe war ich auf 'EQyaC-
[vE\Tog geraten und trug Hiller von Gärtringen diese Vermutung
vor. Sein Bescheid lautet: „Am Anfange der Seite sicher
inQNAITOI, also 7:n:c3ra[x]T0ff". Dies Ergebnis ist auch darum von
Wichtigkeit, weil nun gewis wird , daß das Namenverzeichnis erst
mit der vierten Zeile beginnt ; der Grenetiv 7:t6vuxto$ muß in dem
über einige thessalische Namen. 579
Präscripte gestanden haben. Was auf ihn folgte, ist nicht mehr
zu entziiFern.
Aus der reichen Fülle der Namen, die mir in diesem Corpus
zum ersten Male begegnet sind, hebe ich hier nur die hervor, die
mir Gelegenheit zu einer Bemerkung geben.
1) 'AyQeörag (Thaumakos) 2213.
Dieser Name scheint mir als Gegenstück zu ^Ogsötas (der
Bergbewohner) gebildet zu sein.
2) AlTtoXCovv (Pherai) 437.
Es ist deutlich , daß AlnolCovv mit dem auch in Thessalien
(834) vertretnen BovxoXlcjv parallel läuft.
3) 'Av (porig (Doliche) 1278.
Der Vater der ^AvcpcjtLg heißt 0Qa6vXaog. "War er Faust-
kämpfer oder Pankratiast, so kann die Tochter in ihrem Namen
diese Liebe des Vaters zum Sport zum Ausdrucke bringen : ä^cpo-
Tidsg sind die Ohrdecken, die Faustkämpfer und Pänkratiasten
tragen.
4) rvQSitog (Pherai) 428.
Dieser Name gehört zu der gleichen Sippe wie FvQiöag und
FvQcjv (Spitznamen 31) und weist auf ein altes Präsens yvQSG) hin,
das neben yvQoca bestanden hat.
5) Aatiiovv (Krannon) 460 15.
Der Stein bietet AAIMON, als Rest eines Patronymicums, das
Jä'C^övsiog gelautet haben muß. Der Name, der zu Grunde liegt,
hat mit dai^cov nichts gemein, stellt vielmehr die zweistämmige
Verkürzung der auch für Thessalien bezeugten Vollnamen Aät-
^ccxog, Aat^ivvig vor, die in ionischer Vocalisation zfsi^wv lautet
(so in Styra, Coli. 5346). Enge verwandt ist Jat^usi in Tanagra
(IG VII 558).
6) Aitcc (Metropolis; Freigelassne) 2745.
Gehört als Femininum zu lesb. JCtag (IG XII 2, 103. 105),
das WSchulze richtig als z/t/trag gedeutet hat (GGA 1897. 893).
7) -xvL^vog (Hypata; Freigelassner) 14 10.
Eest eines Namens , dessen Träger das Zeugnis ausgestellt
erhält, daß er am xviö^og leide. Ob das zweite N der Sprache
oder dem Steinmetzen gehört, kann nicht entschieden werden.
Zu dem neuen Namen auf -xvL^vog wolle man Ficks Ausführungen
über KovidaXog (Beitr. 28. 100) beachten.
580 Friedrich Bechtel, über einige thessalische Namen.
8) KoQQCiiaxog (Larisa) 513 13.
Vollname zu KoQQivddag in Thespiai (IGr VII 1793). Das
Anfangselement kann ich nicht befriedigend deuten.
* 9) Nix66ta6ig (Larisa) 513 n.
So oder Niao6td6iog lautet der Name, der aus dem Patrony-
micum NLKoördöösLog zu erschließen ist. Denn dieses Patronymi-
cum hat man sich vor der Consonantisierung des i und der durch
j hervorgerufnen Dehnung des 6 als NiKoöraöÜLog zu denken. Ich
erkläre Nix66ta6Lg oder Nixo6td6iog als Umsetzung von Zta^ivcxog,
einem Namen, den ich so übersetze: ^einer, der seiner ötdöig zum
Siege wird'. Vgl. noXv^rldri[g] Zta6LccQX£[tog] in Phayttos (501).
10) ngoväerag (Larisa) 5803.
Ein politischer Name wie Msvidtag. Steph. Byz. aus un-
bekannter Quelle: BoLOtav de xivsg xo ndlai [i%-vog\ IlQovderaL
xaXdovtai,
11) ZxQBlßovv (Larisa) 513 h.
GrehÖrt zu SxQoißog (Spitznamen 49), und ist die erste Spur
eines alten Präsens oxQsCßcj. Darf mhd. streif (Streifzug) in diesen
Zusammenhang gezogen werden?
Halle (Saale), 8. August 1908.
Die Mosessage
in der slavischen kirchlichen Litteratur.
Von
N. Bonwetsch.
Vorgelegt in der Sitzung vom 28. Juni 1902.
Die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur, wie
ich sie hier nach den Ausgaben Pypins, Tichonravovs und der in
den sog. Cetji Minei vorlege ^), bekundet schon durch ihren sprach-
lichen Character ihren (mittelbaren) Ursprung aus einem hebräischen
Original. Sie stimmt in weitem Umfang mit dem überein, was
M. Graster aus der Chronik Jerahmeels (oder vielmehr eines Eleasar
ben Ascher a. 1325) veröffentlicht hat ^), und was Mignes Dictionnaire
1) A. Pypin, Die erdichteten und apokryphen Bücher des russischen Alter-
tums (Loznyja i otrecennyja knigi russkoj stariny) in den Denkmälern der Litte-
ratur des russischen Altertums (Pamjatniki starinnoj russkoj literatury) des Grafen
Gr. Kuschelev-Bezborodko, St. Petersburg 1862, S. 39 — 49; nach der Paleja des
Rumjanzov-Museums No. 453 a. d. J. 1494 (Vostokov, Beschreibung des Rum.
Mus. S. 725 f.), Bl. 155 — 164, dazu Lesarten aus dem Sammelcodex Pogodins
No. 947, Bl. 716. — N. Tichonravov, Denkmäler der apokryphen Litteratur
(Pamjatniki otrecennoj russkoj literatury), St. Petersburg 1863, 1 S. 233—253 ; nach
einer Menäenhandschrift aus der Novgoroder Sophienkirche No. 1384 (jetzt wol
in der Bibliothek der St. Petersburger Geistl. Akademie) saec. 15/16 Bl. 34'' — 52.
Ebenso in der Handschrift dieser Kirche 1264 Bl. 146: „Rede von dem Leben
des heil. Propheten Mose, von seiner Flucht aus Aegypten und seiner Herrschaft
unter den Sarazenen". Die großen Cetij minei (M), gesammelt durch den Me-
tropoliten von ganz Rußland Makarij, herausgegeben von der archeographischen
Kommission. St. Petersburg 1868, I S. 164 — 253. Nicht zugänglich ist mir die
Ausgabe von M. Speranskij in No. 24 der Belgrader gelehrten Ges. nach einer
serbischen Handschrift saec. 17.
2) M. Gast er, The Chronicles of Jerahmeel; or the Hebrew Bible Histo-
riale (Oriental translation fund, New Series IV). London 1899, Cp. 43 ff. S. 106
The chronicles of Moses.
Kgl. Ges. d. Wisß. Nachrichten. Philolog.-hist. Klasse 1903. Heft 6. 41
582 ^- Bonwetsch,
des Apocryphes aus dem Sepher Hajaschar, A. Wünsche nach
Jellinek, Bet ha-Midrasch 11 S. 1 ff. und aus dem Midrasch
Schemoth Rabba, B. Beer und M. Grünbaum an jüdischen Moses-
sagen mitgeteilt haben ^). Die Wiedergabe der slavischen Re-
cension der Moseslegende dürfte doch berechtigt sein, da es sich
hier um einen Sagenbestand handelt, der bereits Josephus bekannt
gewesen ist, mit dem Berührungen auch bei Eusebius, Praepar.
evang. IX, 27 aus vorchristlichen Quellen nicht fehlen. Die Moses-
legende gehört in jenen großen Sagencomplex, in dem das Judentum
sich auf fremdem Boden gewachsenes Material zur Ausschmückung
seiner Helden aneignete.
Der Uebersetzung des slavischen Textes (S) füge ich die Pa-
rallelen in der sonstigen TJeberlieferung der Legende bei, jedoch
nicht alle Abweichungen im Einzelnen. P ist die Ausgabe Pypins,
und zwar P'^ die Lesart der von ihm zu Grunde gelegten Handschrift
des Bumjanzovmuseums, Pp von ihm mitgeteilte Abweichungen
des Pogodinschen Sammelcodex ; — T der Text Tichonravovs ; M der
in den Menäen; G == Gaster, J = Sepher Hajaschar bei Migne,
W = Wünsche, Gr = Grünbaum, B = Beer. — Ich versuche
nicht die ursprüngliche Gestalt der Vorlage von P, T, M herzu-
stellen ; sie läßt sich nur annähernd aus der Uebereinstimmung mit
der TJeberlieferung bei G, J, W, Gr erschließen. P' und M,
T und PP gehören zusammen.
1) Diction. II, Paris 1858, Sp. 1256 ff., Uebersetzung von Drach. —
A. Wünsche, Bibliotheca rabbinica, Lief. 12—18: Der Midrasch Schemoth
Rabba, Leipzig 1882 (W^), und Aus Israels Lehrhallen, Leipzig 1907, I, 61— 80
[vgl. auch S. 92 ff.] (W^). — B. Beer, Leben Moses nach Auffassung der
jüdischen Sage. Jahrbuch für Geschichte des Judentums. III, Leipzig 1863
(Text S. 11 — 62, Anm. 63 f.). — M. Grünbaum, Neue Beiträge zur semitischen
Sagenkunde, Leiden 1893, S. 152 — 185. — A. Geiger, Was hat Mohammed aus
dem Judentum aufgenommen? Bonn 1833, S. 152 — 180.
die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 583
Das Leben des heiligen grossen Propheten Mose.
Die Erzählung seines Ursprungs, und wie er herrsclite unter
den Sarazenen und wie er mit dem König Pharao stritt und
mit dem Magier Balaam und wie er das Volk ausführte aus
5 Aegypten.
I. Jakob nun, als er siebenundachtzig Jahre alt war,
zeugte er den Levi. Und nach dem Tod der Söhne Jakobs
begannen viele zu zeugen in Israel in ihrem Erbe und im Erbe
der Verheißung Grottes an Abraham, ihren Vorvater. Und
10 Levi, als er neunundvierzig Jare alt war, zeugte den Armia,
Gaidad, Chebron und Kahat. Kahat aber, als er sechzig Jare
alt war, zeugte den Ambram. Ambram aber, hundert Jare
alt, zeugte den Aaron und die Mariam xmd den Mose im hundert
und ersten Jar nach der Ankunft der Israeliten in Aegypten.
15 Mose aber war der siebente von Abrahams Geschlecht, seine
Mutter aber war Agabeth, eine Tochter Levis.
An einem nun von den Tagen sähe der König Pharao
einen Traum. Als er auf dem Tron seines Königsreichs in
Aegypten saß und als er seine Augen aufhob, sähe er einen
20 alten Mann sich gegenüberstehend, und in seiner Hand eine
Wage, und er legte in die eine Wagschale alle die Aeltesten
der Aegypter und ihre Vornehmen, und in die andere Wag-
schale legte er alle Lämmer. Und er erwachte. Und er stand
des Morgens früh auf und rief zusammen alle seine Knechte
25 und tat ihnen den Traum kund; und das Volk erschrak mit
großer Furcht und der König selbst über jenes Gresicht. Und
Wo „und" in T, P oder M fehlt, ist es in der Regel nicht angemerkt [
1 „großen" < T, „und wunderbaren" -f M | 2 „und— Aegypten" -|- T | 6 „Jakob
— Levis" Z. 16. nach Pypin (nur lese ich st. armiaga i daida vielmehr armia gai-
dada). „Levi aber zeugte vier Söne: den Armia, Gaidar und Chebron, Uzniel
(vgl. Ex. 6,16 rsdaoiv xal Kaä& xal Msqccqel. Ex. 6, 18 'A^ßgccfi huI ^leaccQ, Xb-
ßgäiv v.al 'O^BirjX). Abram aber zeugte den Aaron und die Mariam und den Mose
im hundertundersten Jar nach der Ankunft der Israeliten in Aegypten" T | 7 vgl.
B S. 12 I 17 G 43,1 S. 106. J Sp. 1257. Gr S. 158 nach S. hajaschar f. 128i-— 130^.
B S. 22. „An— Tagen" : „Es war im 130. Jare nach dem Hinabzug der Kinder
Israel nach Aeg." W^W^JG | 20 „eine Wage" : a pair of scales as used by mer-
chants. The old man then took the scales and, holding them up before Pharaoh G j
22 „alle ihre Vorn." M | 23 „legte er" < M | „alle Lämmer" vsja agnici (vsi
agn'ciT), „ein junges Lamm" GWGr; so wol auch ursprünglich S sosusta agnca;
„und es wog auf alle die andern" + GGrBW | 25 „und tat« M 165 ] 26 „und
der— Gesicht" < P^M.
41*
534 ^- Bonwetsch,
der Magier Balaam sprach: Siehe, es wird ein Uebel erstehen
in Aegypten in den letzten Tagen. — Der König sprach : Was
sein wird, zeige uns. — Und Balaam sprach zu dem König:
* Ein Kind wird in Israel geboren werden, das wird das ganze
5 Reich Aegyptens zerstören. Sei wissend, o König, daß du
schreibest in den Gresetzen Aegyptens, daß man ertränke jedes
Knäblein, welches geboren wird unter den Juden, [damit man
es töte]. — Und der König rief die Wehmütter der Juden und
befahl ihnen, die kleinen Knaben zu töten, und die andern in
10 den Fluß zu werfen. — Und die Wehmütter fürchteten Gott
und taten nicht so, wie ihnen der König Aegyptens, Pharao,
befohlen hatte. Denn Grott mehrte sie sehr, daß sie heraus-
gingen aus der Stadt auf das Feld und Kinder gebaren. Die
Engel Grottes aber badeten sie und windelten sie ein und legten
15 ihnen in beide Hände zwei Steine, damit sie aus dem einen
Butter saugten und aus dem andern Honig. Und die Aegypter
gingen auf das Feld, sie zu suchen, und auf den Befehl Gottes
öifnete sich die Erde, nahm sie auf. Jene aber gingen nach
(mit?) ihren Pflügen und Pflugscharen und konnten sie nicht
20 finden, denn Gott beschützte sie. Und das Volk mehrte sich
und wurde stark. Und auf dem Feld herangewachsen kamen
sie zu Tausenden in ihre Häuser.
II. Es war aber ein Mann in Israel mit Namen Ambram,
welcher nahm zum Weib die Echevda, seine Verwandte. Und
1 „einer von den Eunuchen (Fürsten W^) des Königs" statt „Balaam" stets G |
2 „Tagen" T 234 \ Joseplius, Antiqu. II, 9,2 (205 f.) S. 125,8 ff. ed. Niese t&v
i8QoyQafi(iare(üv xig . . ayyiXXEi tc5 ßccöiXsi xE%Q^ri686%'aL tivcc %ar' i-nscvov xbv
naiQOv xovs 'lagccriXLxaLg og xansivmasi [ihv xr]v AtyvTtxicov rjys^oviav . . . dsiaccg
d' 6 ßaai-Xevg %a.xa yvaiiriv xr\v kv.BCvov v.bXbvsi näv xb ysvv7i%'\v ägasv . . dicc-
ff^BlQBiV, nagacpvXdaaEiv xs xäg didivag x&v ^Eßgaicov yvvavY.&v v.a\ xovg xo-KBxovg
wbx&v TtuQaxriQSiv xag Myvjtxtav fiaiag | 4 Gr 155 nach Tabari | 6 „dem Gesetz"
P^M I „ertränke" : „töte" TM | 7 „damit— töte" <PM | „töte" : so thet tbis evü
be averted from the land of Egypt G | 8 „Und" : ausfürlicher W^ nach Ex. 1,15 ff. |
„der Kön." : „er" T | 9 „und die — werfen" : die Töchter leben zu lassen G B S. 19 j
10 „D. Wehm. aber" PM | 11 ausführlicher G. B S. 25. W^ S. 10 „und" < T |
„Pharao" < T | 12 „Denn— sehr" : breiter in PM | „daß— Stadt" : „die Frauen
aber der Juden gingen hinaus" PM | 13 „Kinder" < PM | „Der Engel" PM |
14 „bad. d. Kinder" PM: und rieben sie mit Salz -f- G | 15 „damit": „und"
M, <P I 16 I vgl. die Leg. Abrahams z. B. bei W« S. 16 | 17 „suchen«:
„nehmen" P | 20 „Und— stark" : „U. es mehrte sich sehr d. Volk der Juden und
wurde stärker als d. Aegypter. Der König aber der Aegypter, Pharao, liebte
nicht, daß sich Israel mehrte" PM j „Und— Häuser" vor „Und das Volk" in PM |
23 Ex. 2,1 I „Abraam" stets T j G c. 44, S.108. J 1260 f. B 28 f. 32 f. W» 10.
17. 173. W2 62 ff. I 24 „Echevda" TPr: Agabeth MP'.
die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 585
sie gebar eine Tochter und nannte ihren Namen Mariamne.
Denn in jenen Tagen fingen an die Söne Harns zu plagen das
Leben der Söne Israels. Sie empfing und gebar einen Son und
nannte seinen Namen Aaron. Denn in jenen Tagen fing Pharao
5 an zu vergießen das Blut der Knäblein auf die Erde und andere
in den Fluß zu werfen. Damals trennten sich viele von ihren
Frauen. Auch Ambram trennte sich von seiner Frau. — Und
es geschah in jenem Jar, am Ende des dritten Jars, kam der
Geist Grottes auf Mariamne, und sie weissagte und sprach : Siehe,
10 ein Son wird geboren werden meinem Vater in diesem Jar,
und dieser wird Israel erretten von der Hand der Aegypter.
Als aber Ambram dieses von Mariamne gehört hatte, brachte
er seine Frau wieder zu sich zurück und nahm sie. Im sechsten
Monat, nachdem sie empfangen, [und] gebar sie einen Son. Und das
15 Haus ward voll Helligkeit. „Und die Frau sah das Kind, daß
es schön war und bewarte es drei Monate" in einer Kammer.
In jenen Tagen geboten die Aegypter, ihre kleinen Kinder zu
bringen in die Häuser der Juden, damit antworte das jüdische
Kind dem ägyptischen Kind. Jenes Weib aber, das sich davor
20 fürchtete, machte einen Kasten von Binsen und bestrich ihn
mit Lehm von innen und von außen mit Pech und legte dahin
das Kind und setzte es zwischen das Schilfrohr am Fluß. Seine
Schwester aber stand von fern. Und Grott sandte eine
Hitze auf das Land Aegyptens, und die Menschen hatten sie-
25 dend heiß. Und die Tochter Pharaos stieg herab, um zu baden
im Fluß, mit den Jungfrauen und mit vielen Frauen. Als sie
aber sah den Kasten schwimmend auf der Oberfläche des
Wassers, und sie es nahm und ,, öffnete, und sie sah ein Kind,
welches weinte, und es jammerte sie seiner. Und sie sprach:
30 Von den Kindern der Ebräer ist dies.^' Und sie brachten
1 „Mariam" P^^M | 2 „pl. die Söne" PM [ 3 „Sie" : „Ambram aber« PM | 5 „ver-
gießen« P 40 I 6 Wi 11 I „viele" : „Männer« M | 12 „dieses« < M | 13 „nahm— Monat«
< P'M I 14 „Son«: „u. nannte s. Namen Nemelchia« + PM | 15 „ward" M 166 |
16 „in" T 235 j 17 W^ 17 | 18 „antworteten" M j 19 „ägyptischen« : „jüdischen« PM j
19 Joseph., Antiqu. II, 9,4 (219 f.) S. 128,11 ff. ensita de dsLöccg 'A^agd^ris . . ^n-
%av&vxai Tilsy fia ßißXivov sficpsQsg ty %axa6vsvy 'nOLxCdi . . Ttoir\6avxss . ., k'nsita
XQ^oavxeg ccocpdXxco . . ivxid'iaai, xb itaidCov \ 21 „mit — außen" < PJ'M | 22 „d.
Kind" : „es" PM j 23 „Schwester« : „Mariam« + M | „fern« : „sehend« + PM |
25 „Pharaos" : „Thermutis" -j- PM j 26 „m. v. Fr.« : alle Nebenfrauen Pharaos
mit ihr G | „Als — sie": „Und sie sah das Kästchen sciiwimraend auf dem Fluß und
sandte <hin> und« PM | Ex. 2,5 | 30 „dies" < M: PM fügen hier st. S. 596,10 f.
Ex. 2,10 hinzu.
586 ^- Bonwetsch,
ägyptische Frauen herzu es zu säugen, und es wollte nicht saugen.
Denn von Grott war es, um es zurückzubringen zu den Brüsten
seiner Mutter. Und Mariamne sprach: Willst du, daß ich dir
herzu bringe „ein säugendes Weib von den Ebräern, damit sie
5 dir das Kind säuge"? Sie ging hinab und brachte herzu seine
Mutter. Und die Tochter Pharaos sprach: Säuge mir dieses
Kind, so werde ich dir je zwei Silberlinge für den Tag geben.
Und sie stillte es und nahm es von ihr. Und es geschah am
Ende von zwei Jaren brachte sie es der Tochter Pharaos.
10 Und er ward ihr zum Son. Und sie nannte seinen Namen Mose,
„weil ich ihn aus dem Wasser genommen habe."
m. Und es geschah, im dritten Jar nach der Geburt
Moses saß Pharao zu Tische, die Königin zu seiner Rechten,
Bithia saß zu seiner Linken, das Kind aber saß auf ihrem
15 Schoß, und die Großen saßen um ihn. Das Kind aber nahm
ausstreckend die Krone vom Haupt des Königs und setzte sie
auf sein eigenes Haupt. Und der König erschrak und seine
Großen. Und Balaam, der Magier, antwortete und sprach:
Gedenke, o Herr König, an den Traum, den du sähest, und wie
20 dein Knecht ihn dir deutete ; und dies ist das Kind der Ebräer,
denn der Geist Gottes ist üi ihm und mit Vorsatz hat es dies
getan, und es will das Reich Aegyptens sich empfangen. Denn
so hat Abraham sein Vorvater getan, welcher überwältigte
des Königs IN^imrod Heere und Abimelech, den König von Agar,
25 vertrieb und selbst nach Aegypten kam und seine Frau seine
Schwester nannte, um ihren König zu verderben. Ebenso tat
1 „ein säugendes ägyptisches Weib" PM | Joseph., Ant. II, 9,5 (226) S. 130,3 ff.
fij] TtQoasfiivov de avtov xj\v &7iXr]v &XX &7t06tQcccp£VT0s xal Tovr' ijtl noXX&v
Tcoi'qaavrog ywai-Köäv 17 MagLUfiri etc. Vgl. Georg. Sync. S. 226,11 f. ed. Dind.
Koran, Sure 28,11. GS. 110. J 1261 f. Gr 155. B 36 f. Geiger 157. W^ 20. W^ 64 |
3 Ex. 2,7 I „trat herzu und sprach« PM | 5 „dies Kind" PM | „hinab" < PM |
6 „sprach zu ihr" PM | 8 besser „nahm es von ihr u. stillte es" PM | 11 Ex. 2,10 j
12 Joseph., Ant. II, 9,7 (233 ff.) S. 132,5 ff. raig rov nargög x^QO^v hexC&Bi vh ßgifpog,
6 91 . . inixCQ^Giv a'btä) th ÖLcc8ri(icc. v.axacpEQBi S* 6 Mcovofig sCg rrjv y»)v nsQiB-
Idfisvog ccvTÖ . . inißuLVS xb avxä xotg nooi . . . d^eaadfisvog d* 6 tsQoygafifiarsvg
6 xal xijv yivEGiv avxov ngoemoav inl xccnuvcoasL xf]g AlyvnxCaiv &Qxr)g iao^hriv
mQiiriasv ScnonxsCvcccyiccl . . ovTOg, «Itt«, ßaaiXsVy 6 naig ixsivogy bv yixECvaöiv
illLtv idijXaasv 6 &sög SccpoßoLg slvai etc. Georg. Sync, Chron. S. 228,1 ff. | G c.44,8ff.
S. 110 ff. J 1263 f. Gr 153 und besonders 156 ff. nach dem Seph. hajaschar f.
131V fg. W^ 21. W2 65 f. 92 f. B. 38 ff. | 14 „Bithia«: „Thermutis« wie der Syn-
kelle PM I 15 „saßen« < M | 18 „Magier": one of the king's eunuchs -f- G |
„u. sprach« < M | 21 „in ihm« < M | 23 „überw." T 236 | „überw. . . Heere«
(vgl. G u. B) slabe sily : slavuich d. Codd. | 24 „Nimrods« : perea PM | Gen. 20 |
„Agar« : 1. Gerar« | 25 Gen. 12 | 26 Gen. 26.
die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 587
Isaak den Fremdlingen und wurde mäclitiger als die Fremd-
linge. Ihren König aber verderben wollend, erfand er ebenso
und machte seine Frau zu seiner Schwester. Jakob aber nahm
ebenso betrügerisch die Erstgeburt und den Segen seines
5 Bruders und ging nach Padan Aram zu Laban, seinem Obeim,
und nahm durch Betrug seine Tochter und sein Vieh und sein
ganzes Haus. Und er floh zurückkehrend in das Land Kanaan.
Und seine Söne verkauften den Josef nach Aegypten und er
war im Grefängnis, bis daß der König, dein Vater, einen Traum
10 sah. Und er ließ (ibn) aus dem Gefängnis und erhöbte ihn
über alle Großen Aegyptens, weil er ihm den Traum deutete.
Und als Gott eine Hungersnot über das Land sandte, schickte
er fort und brachte seinen Vater und seine Brüder nach
Aegypten und emärte sie one Lösegeld, uns aber kaufte er
15 sich zu Sklaven. Wenn du nun willst, o König, so wollen wir
dies Kind töten, damit es nicht heranwachse und nehme dein
Eeich von dir, damit nicht die Hoffnung Aegyptens umkomme.
Und Gott sandte seinen Engel Gabriel, und er machte sich gleich
einem von den Großen des Königs. Und er sprach: Wenn
20 du willst, 0 König, so möge man einen kostbaren und glänzenden
Stein bringen und eine feurige Kole und sie vor es legen ; wenn
es seine Hand ausstreckt nach dem Stein, so wißt ihr, daß es
dies mit Absicht getan hat, und wollen wir es töten. Wenn
es aber nach dem Feuer seine Hand ausstreckt, so wissen wir,
25 daß es dies nicht mit Absicht getan hat, so wollen wir uns zurück-
halten. Und dies gefiel dem König und seinen Großen. Und
man brachte einen kostbaren Stein und eine feurige Kole.
Und der Engel lenkte seine Hand zu dem Feuer ; und es nahm
die Kole und legte (sie) in seinen Mund und stieß an die Spitze
30 seiner Zunge und ward schwerer Zunge. Und man tötete ihn
nicht.
2 „Ihren": „Den« M | „erfand" M 167 | 3 Gen. 27. 29. 30 | 5 „Bruders«:
„Esau" + PM I „n. Padan Aram" : v Ponoram PM, „über das Gebirge" T | 8
Gen. 37. 39. 41. 46 | „n. Aeg.« < PM j 9 „Gefängnis": „zwei Jare" + G |
„dein Vater" < G | 10 „Und" + PM j 12 „schickte er fort und« < G (
18 Nach J 1264. Gr 157. B 40 will Pharao zuvor noch alle Weisen befragen |
„Erzengel" PM | „einen Schohamstein" Gr | 21 „und sie . . legen" < M, „und
sagen« + T | 22 „es seine" P41 | 23 „und wollen— getan hat" < P^M | 25 „wir'':
„ihm gnädig sein" + Pp | „uns zurückhalten": „es leben lassen'' G 1 26 Gr auch
S. 160 nach Baidäwi zu Sure 20,28 f. | 27 „vor ihn e. kostbaren (glänzenden -|- M)
Stein" PM ] 28 „Und": „Und Mose wollte nach dem Stein greifen, und" Pp | „d.
Engel des Herrn« PM | 29 „die Kohle— und" < PM ] 30 Ex. 4,10.
588 N. Bonwetsch,
lY. Und er war im Hause Pharaos fünfzehn Jare, und
er wuchs heran und ging mit den Königskindern in einerlei
Kleidern. Und es geschah am Ende des fünfzehnten Jars, von
seiner Geburt des achtzehnten Jars, und er verlangte zu
5 seinem Vater und zu seiner Mutter und ging zu ihnen und
kam zu seinen Brüdern. „Und er sah einen Mann, einen
Aegypter, schlagend einen Ebräer von seinen Brüdern. Und
er schaute hierhin und dorthin und sah Niemand. Und er
erschlug den Aegypter und begrub ihn im Sand. Und es ge-
10 schah am zweiten Tag ging Mose ein zu seinen Brüdern und
sähe zwei Männer mit einander streitend. Und er sprach zu
dem Bösewicht: Weshalb tust du Unrecht deinem Freund?
Und er sprach zu ihm: Wer hat dich zum Richter über uns
gesetzt? Willst du mich töten, wie du gestern den Aegypter
15 getötet hast? Und Mose fürchtete sich und sprach: In Wahr-
heit ist diese Sache bekannt geworden."
Und Pharao befahl den Mose zu töten. Und Gott sandte
den Engel Michael und er machte sich gleich in die Gestalt
seines Tischmeisters. Und er zog das Schwert aus seiner Hand
20 und nahm ihm das Haupt weg. Und der Engel ergriff den
Mose an seiner rechten Hand und fürte (ihn) aus dem Land
Aegypten und setzte (ihn) außerhalb der Grenze Aegyptens vierzig
Milien entfernt. Es blieb nur Aaron zurück, und er fing an zu
weissagen in Aegypten den Söuen Israels und sprach: Ein
25 jeder Mann werfe seine Säule weg, und mit der Unreinheit der
Aegypter befleckt euch nicht. Und sie gehorchten ihm nicht.
Und Gott sprach sie zu vergessen, aber „er gedachte des
Bundes, den er geschlossen mit Abraham und Isaak und Jakob."
— Und die Hand Pharaos kam mehr und härter auf die Söne
30 Israels, bis daß Gott sein Wort sandte und ihrer gedachte.
1 G c. 44,12 S. 112. J 1265 f. Koran 28,14. W^ 67 f. ,,er« : „Mose« PM | 2 „u.
ging" < PM I 3 „fünfz. — achtz. Jars" : in his eighteenth year G | „von — Jars"
< PM I 5 „seinem" und „seiner« < PM | T 237 | 6 Ex. 2,11—14 | 8 „er":
„Mose" T I 11 „sich zu schaffen machend und streitend« M | „er«: „Mose« PM |
13 „Und— ihm": „Sie aber sprachen'^ PM | 14 „mich« < M | 15 „geworden": „Und
es gelangte dies Wort zu den Oren Pharaos« PM | 18 B 50 f. | „Engel«: „seinen
Erzengel« PM, the captain of his heavenly host G | 19 „s. Tischm.«: „des Tisch-
meisters des Königs« PM, chief butcher (slayer) G | 20 „nahm weg« M 168 | nach
andern ward zuerst Moses Nacken wie eine Marmorsäule; vgl. W^ 67 (u. W^ 93
W» 25), dazu aber 68 wie oben | „Engel des Herrn" PM | 21 „seiner" : „der« PM j
23 „Aaron, sein Bruder« PM | 25 „jeder« < PM | „werft" T | 26 „und befleckt« T j
27 „vergessen" zabyti: zagutj M | Ex. 2,24 | „zu gedenken" pomjanuti: pomjanu M.
die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 589
V. In jenen Tagen ward ein Streit zwischen den Sara-
zenen und zwischen den Sönen der Perser und zwischen den
Armeniern (1. Aramäern). Und es ging ans Eakanos, der König
der Sarazenen , zu kriegen mit den Armeniern und mit den
5 Sönen der Perser. Und Kikanos, der König der Sarazenen,
besiegte die Armenier mit den Sönen der Perser und nahm sie
gefangen. Und Balaam war geflohen aus Aegypten zu Kikanos,
weil nicht Bestand gehabt hatte seine Rede. Und er war
daselbst bei Kikanos und seine zwei Söhne Anos und Akris.
10 Und er ließ sie zurück zu bewahren die Stadt und das dienende
Volk mit ihnen. Und es beratschlagte Balaam mit dem
Volk des Landes abzufallen von den König Kikanos und ihm
nicht zu gestatten einzugehen in die Stadt. Und es gehorchte
ihm das Volk und schwur ihm und setzte ihn über alle zum
15 König; seine Söne aber machten sie zu Heerfürern. Und sie
machten hoch eine sehr hohe Mauer um jene Stadt von zwei
Seiten , aber von der dritten Seite gruben sie große Graben
aus one Zal ; und von der vierten Seite riefen sie überaus viele
Schlangen und Scorpionen herbei durch ihr Flistern und Zauberei.
20 Und sie verschlossen sich in der Stadt und gestatteten weder
hineinzugehen noch heranzukommen. Und es geschah als der
König Kikanos zurückkehrte vom Krieg, als sie ihre Augen
erhoben, sahen sie die sehr hohen Mauern der Stadt und ver-
wunderten sich und sprachen: Unser Volk, als wir lang im
25 Krieg waren, haben sie ihre Stadt befestigt, indem sie sprachen:
Vielleicht kommt auf uns Krieg. Und wie sie zur Stadt kamen
und sahen die Tore der Stadt verschlossen, und sie sprachen zu
den Torwächtern: Tut auf die Tore, damit wir in die Stadt
eingehen! Und sie wollten nicht öffnen nach dem Gebote des
30 Magiers Balaam , und sie gestatteten nicht , hineinzugehen in
1 Vgl. Joseph., Ant. II, 10,1. G 45,1 ff. S. 113f. J 1266f. B 51f. W^ 68ff. |
2 „d. Sar." cin'ci S | 2 „d. Perser" : pervymi P^M | „Kusch einerseits und dem
Volk von Kedem u. Syrien andererseits" G | 5 „Und— Perser" < P^M [ 7 Bala'am the
enchanter, i. e. Laban the Aramean, who came from Caphtor G | „war gefl. — Rede":
he (Qinqanos) left behind (Bala'am) G [ 9 „daselbst" < PM | „Anos und Arkin"
T: Janis und Jambris G | 10 „Und er — zurück" < PM | „dienende" sluza-
staja: chozasaja T: „diente" sluzisa M, suzase P | 14 „d. Volk" T 238 | 16 Jos.
Ant. II, 10,2 (249 f.) S. 135,17 ff. tjv öl 8v67CoXiOQv,ritov ccpoÖQa to %a)QLOv tov ds
NeCXov TtSQLSxovtog avxr\v xocl TtvKlovfisvov . . 17 yäg TtöXig svxbg ov6a rrjaos
ol-ABirai xhC%ovg xs avxj] yiaQxsQov TtSQLtiy^svov yiccl ngog fisv xovg TtoXsiiCovg tcqo-
ßXriiici xovg Ttoxcciiovg exovßa xcoyLCcxä xs fisyccXcc fisxa^v xov xEC%ovg \ „erhob sich"
T I „sehr hohe" < PM | 17 „Graben" : „u. Tiefen" + PM j 18 „rief Balaam« PM j
20 „sich in der": „die" PM ] 21 „Es" T | 24 „lang" + PM | 30 „in d. Stadt" PM.
590 ^- Bonwetscli,
die Stadt. Und es standen die Schlachtordnungen vor den
Toren [der Stadt]. Und es fielen von den Kriegern des Kikanos
am ersten Tag hundert und dreißig Mann. Und am andern
Tag kämpfte man am Ufer des Flusses. Und es gingen dreißig
5 Reiter in das Wasser hinein und wollten übersetzen auf die
andere Seite nnd konnten nicht und ertranken in den Grräben.
Und der König gebot zu hauen Bäume und Flöße zu machen,
damit man auf ihnen hinüberginge. Und sie taten so und
kamen auf Flößen in jene Gräben, und stürzten um mit ihnen
10 in die Tiefen, und es ertranken an jenem Tag zweihundert
Mann auf zehn Flößen. Und am dritten Tag kamen sie von
jener Seite, auf der die Schlangen. Und sie konnten nichts
erreichen. Und die Schlangen töteten hundert und siebzig.
Und sie hielten sich zurück. Und sie standen um die Stadt
15 neun Jare, und man gestattete nicht einzugehen oder herauszu-
kommen.
Und es geschah, als sie belagerten die Sarazenen, entfloh
Mose aus Aegypten und kam zu Kikanos, dem König der Sara-
zenen. Mose war achtzehn Jare alt, als er vor Pharao floh. Und
20 er kam zu dem Lager des Kikanos. Und der König nahm ihn
anf und alle seine Großen und seine Krieger, weil er groß
und prächtig geworden war in ihren Augen. Seine Höhe wie
die der Cedern, sein Antlitz wie die Sonne leuchtend und seine
Tapferkeit wie (ein Löwe) stark. Und er ward ein Ratgeber
25 bei dem König. Und es geschah nach Ablauf von neun Jaren
erkrankte Kikanos, der König der Sarazenen. Und Kikanos
starb am siebenten Tag. Und seine Knechte salbten ihn und
begruben ihn vor den Toren der Stadt. Und sie machten über
ihm ein schönes und überaus hohes Gebäude und schrieben auf
30 einen Stein alle seine Kriege und alle seine Tapferkeit. — Und
es geschah als sie das Gebäude vollendet hatten, sprachen sie
zu einander: Was sollen wir tun? Wenn wir kriegen mit der
Stadt, so werden wir umkommen. Lassen wir ab hier zu
sitzen, so werden erfahren alle Könige der Armenier und die
35 Söne der Perser, daß unser König gestorben ist, und kommen
plötzlich über uns und lassen uns keinen Rest zurück. Aber
1 „U. es standen« < P'M | 2 „der Stadt« + M | 5 „Reiter« : „Streitwagen« B |
7 „Hauet« T | 9 „auf Fl.« P 42 | 10 „107*^ M, „77« W» | 16 „hinzukommen oder
hineinzugeben in die Stadt« M, „herauszugehen oder nahe heranzukommen" P |
19 „Mose aber« M | 20 „d. Königs Kik.« M | 22 „und" vor „pr." -f M | „Seine«
T 239 I 23 „leuchtend— wie« + PM | „leuchtend« oder „die aufgehende S.« \ 24 „ein
Löwe« + aus G I 26 „Und er starb« M | 29 „überaus« < MP | 35 „Perser« : pervü P'M.
«I
die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 691
mm wollen wir gehen und einen König uns setzen und sitzen
bei der Stadt, bis wir sie einnehmen. Und sie eilten und zogen
aus ihre Kleider und warfen sie auf einen Haufen und machten
einen großen Berg und setzten Mose (darauf) und sprachen:
5 Lebe in Ewigkeit, o König! Und es schwuren ihm die Großen
und alles Volk. Und der König nahm das Weib des Kikanos
mit ihrer . . . mit Freude ihres ganzen Landes. Mose
war siebenundzwanzig Jare als er König ward über die Sara-
zenen.
10 Es geschah aber am andern Tag seines Königtums ver-
sammelte sich alles Volk und sprach zu ihm : König, berate (triff
Vorsorge für) uns , was wir tun sollen. Neun Jare vergingen,
daß wir unsere Frauen und Kinder nicht gesehen haben. Und
der König sprach zu seinem Volk: Wenn ihr hörend hört auf
15 meine Stimme, so wisset, daß übergeben werden wird diese
Stadt in unsere Hände. Sollen wir etwa kämpfen mit ihnen,
wie wir zuerst begonnen, so werden von uns so viel umkommen
wie zuerst. Wenn wir aber auf Böten in die Tiefen gehen,
so werden unser viele ertrinken wie zuerst. Nun aber stehet
20 auf und geht in den Wald und bringt [mir] Storchjunge; ein
jeder beware die seinen, bis sie heranwachsen und lehret sie
zu fliegen hinüber wie Falken. Sie gingen und brachten Storch-
junge wie ihnen der König befohlen hatte. Und es geschah,
wie die jungen Störche heranwuchsen , befahl der König sie
2b auszuhungern mit Hunger sieben (1. zwei) Tage. Und das Volk
tat so. Es geschah am dritten Tag und der König sprach zu
ihnen: Hüllet euch in eure Rüstung und setzet euch auf eure
Pferde und es nehme ein jeder seinen Storch auf die Hand, und
6 „in Ewigkeit" + PM | „alle Großen" PM | 7 vgl. Jos., Ant. II, 10,2 (253)
S. 136,17 ff. TtoLTiaa^svov Ttiatstg ivoQyiovg . . övvEtslei tbv ydfiov Mcovöi]?. Breiter J|
^mit" : „mit ihrer Kunde" sü vest'ju eja: vielleicht „mit ihrer Krone" sü ven'cem
eja, vgl. G I „mit Freude i. g. Landes" < P^M ; „die kostb. Geschenke w. ihm dar-
gebr." B 53 I 7 „Mose aber« PM | 10 G 45,6 ff. S. 115 f. J 1268 f. B 53 f. W270f. I
„Tag«: vü T | 13 „U. Mose sprach" PM | 15 „wisset": „sehet" M | 17 „w. zu-
erst" + M I 18 „Wenn— Nun aber" + PM | 20 „mir" + T j 23 „d. Kön." : „Mose«
PM 1 24 Jos. Ant. II, 10,2 (245 ff.) S. 134,16 ff. 135,6 ff. r^g yäg yfjg ovang %cclE7t7ig
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«iytotg v.al ngoTtoXsfiovGccig %Q63^8vog. Vgl. Artapanus bei Eusebius, Praep. evang.
IX, 27,9 S. 500,12 f. ed. Dind. t-qv tßsv sv ccvtj] v,u%-iEQ&aca, diu tb tavzriv tcc
ßXdnzovtci ^äa tovg äv&QmTtovg ävuLQSLV | „jungen" < PM | 25 „zwei Tage" G (
26 „sprach« T 240.
592 ^- Bonwetsch,
gehen wir, daß wir herangehen zur Stadt an den Ort, wo die
Sehlangen sind. Und der König sprach: Lasset los die Störche!
Und sie ließen sie los. Und die Störche flohen auf die Schlangen
und verzehrten sie und machten leer jenen Ort. Und es ge-
5 schab, als der König und das Volk sahen, daß die Schlangen
umgekommen waren, da blies das Volk mit der Posaune und
bestürmten die Stadt und nahmen sie ein und kamen ein jeder
in sein Haus. Und sie töteten Bürger an jenem Tag eintausend
und einhundert Mann, aber von denen draußen tötete man nicht
10 einen einzigen Mann. Und wie der Magier Balaam sähe, daß
die Stadt genommen war, setzte er sich auf ein Pferd mit seinen
zwei Sönen und floh in das Land Aegypten zu dem König
Pharao [zu dem König von Madiam Balak]. Und dies sind die
Zauberer (und) Magier, von denen geschrieben ist in den
15 Paroimien, welche lehrten zu vertilgen das Geschlecht Jakobs
vom Angesicht der Erde.
VI. Und es geschah, als Pharao, der König über Aegypten,
änderte das Gesetz der ersten Könige, und er machte hart die
Knechtschaft über sein Volk und über das Haus Jakobs und
20 erbarmte sich nicht nach dem Befehl des Magiers Balaam und
seiner beiden Söne, denn sie waren als Ratgeber des Königs
in jenen Tagen. Und der König beriet sich mit seinen Großen,
der Name des Einen [Sclaven] Raguel und des andern Hiob
der Madiamiter, der dritte aber Balaam. Und er sprach zu
25 ihnen: „Siehe das Volk Israel mehrt sich und wird stärker als
wir. Wenn Fremde kommen, und sie sich ihnen anschließen,
werden sie uns töten und aus unserm Land ausziehen." Raguel,
der Madiamiter, antwortete und sprach zu dem König: Lebe
du in Ewigkeit! Wenn es dir gefällig ist, o König, strecke
30 deine Hand nicht gegen sie aus, da sie Gott auserwält hat aus
den ewigen Völkern und sie nehmend (erwälend) zu seinem
Teil aus allen Völkern der Erde. Aber wer ist unter allen
Königen der Erde, der one Schaden sie schädigte? Und als
' Abraham nach Aegypten kam, und Pharao befahl Sarah sein
,in das Land Madiam zum dem König Balak (Balam
PpJ) damit die Madiamiter siegten, wenn diese stritten (?) mit den Israeliten"
M, bis „d. Madiamiter" S. 594,13 < MP»^ (^^der Madiamiter siegte, wenn siegte Mose
mit den Israeliten'' P') | 15 Num. 31,16 | 16 „d. Erde" P 43 | 17 G 46,1 ff. S. 116 ff.
J 1269. 1258 ff. 1265. Gr (nach J f. 128'-— ISO') S. 158 f. B S. 22 ff. W^ 7. C. 6 fehlt
in W'MPr I 21 „denn" : „und" T | 25 Ex. 1,9. 10 , 28 „König, lebe" P | 31 „ewigen«:
„vor alters" richtig G | 32 „Ab. wer": „Niemand" Pp | 34 „und" + Pp ] Gen.
12. 20. 26.
m
die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 593
Weib für ihn zu nehmen, — und ihr Grott brachte große Plagen
über Pbarao und über sein Haus, und er gab sein Weib Sarah
zurück; und Abraham bat für sie, und er heilte sie. Wieder
aber dem Abimelech verschloß er im ganzen Land die Durch-
5 gänge von den Menschen bis zum Vieh, und Grott tadelte ihn
in einem Gesicht der Augen, und er gab sein Weib zurück;
und er bat für ihn zu seinem Grott. (und) er heilte ihn. Bei(?)
Isaak aber setzte er in Erstaunen durch (?) große Wunder.
Als ihn die Männer der Stadt austrieben, vertrockneten alle
10 Quellen ihrer Wasser, das Gras aber wuchs nicht, ihre Bäume
aber blühten nicht, die Brüste ihrer Frauen und ihres Viehs
vertrockneten. (Und) es ging zu ihm heraus aus der Stadt
Abimelech und seine Gefolgschaft (Genossen) und Thibel, sein
Feldherr, und sie verneigten sich vor ihm bis zur Erde und
15 baten ihn um Verzeihung. Und er betete für sie zu Gott,
und er heilte sie und ihre Wasser und ihre Bäume und ihre
Frauen und ihr Vieh. Und Jakob aber ward befreit aus der
Hand Es aus und aus der Hand Labans nach seiner Gerechtigkeit.
Dein Vater aber erhöhte den Joseph über alle Großen Aegyp-
20 tens, weil er durch seine große Weisheit das ganze Land vor
dem Hunger errettete, und er brachte seinen Vater und seine
Brüder nach Aegypten, daß er errette sein Land vor dem
Hunger. Lasse ab von ihnen, wenn es dir gefällig ist, und
lasse sie in das Land Kanaan.
25 Und Pharao erzürnte über ihn, und E-aguel floh nach Madiam ;
den Stab Josephs aber nahm er mit sich. Und der König
sprach zu Hiob: Aber was sagst du? Hiob sprach zum König:
Die ganze Welt ist in deiner Hand, und was deinen Augen
gefällig ist, das tue. Balaam sprach zum König: Wenn du
30 auch sie ins Feuer wirfst, ihr Gott hat den Abraham aus dem
Ofen der Chaldäer errettet ; und wenn du befiehlst sie mit dem
Schwert zu töten, Isaak ward zurückgegeben vom Schwert
nicht geschlachtet, und an seiner Stelle ward ein Lamm hin-
gegeben. Und wenn du, o König, ihren Namen willst ver-
35 tilgen, so befiehl die Kinder in das Wasser zu werfen, denn
kein einziger von ihnen ist dadurch erprobt. Und diese Rede
3 „für sie" T 241 | 6 „der Augen" oc'nem : wol „der Nacht" nocnem | 8 et-
was anders J 1258 | 11 „u. i.V." < P | 13 „Thibel": 1. „Phichol" Gen. 26,26 G
u. J I 17 Gen. 31. 36 | 18 „Labans" : „Balams" TP | „Gerecht." : „u. von allen
Königen Kanaans" + GJ | 19 Gen. 41, 40 ff. | 20 „vor d. Hunger": from further
evil through their piety G | 23 „es — ist" gode: gdi T, gi P | 24 „Kanaan":
„Aegypten" PT 1 32 Gen. 22,12 f.
594 ^- ßonwetsch,
war wolgefällig vor den Augen des Königs. Und er befahl
so zu tun, und gab ein Gebot in Aegypten, jedes Knäblein,
welches bei den Ebräern geboren werde, in das Wasser zu werfen.
Und als man warf die Kinder des Hauses Jakob, ward aucb Mose
5 hingeworfen. Und Gott sandte Bithia, die Tochter Pharaos,
(und) sie errettete ihn aus dem Wasser und erzog ihn und
nannte ihn ihren Sohn. Und vor ihm fürchtete sich das ganze
Haus Pharaos. Und es geschah, an jenem Tag tat man Balaam
kund : Siehe der Sohn Bithias sucht dich zu töten. Und Balaam
10 der Magier floh und seine zwei Söhne mit ihm ins Land . . (?)
zu seinem Geschlecht; und er war daselbst bis zum Sieg über
Madiam, als Mose siegte. Und daselbst ward Balaam getötet
mit fünf Königen der Madiamiter.
VII. Mose aber saß auf dem Tron unter den Sarazenen.
15 die Frau des Kikanos aber ward ihm zum Weib. Und Mose
fürchtete Gott und nahte nicht zu ihr. Und er gedachte, wie
Abraham beschwor den Eleazar seinen Knecht: „Nimm kein
Weib meinem Son von den Töchtern Kanaans". Isaak aber
gebot seinem Son Jakob , sich nicht zu verschwägern mit den
20 Sönen Hams, da sie verkauft sind in die Knechtschaft den
Sönen Sems und den Sönen Japhets. Und Mose fürchtete seinen
Gott und nahte sich nicht diesem Weibe, denn auch sie ist von
den Söhnen Hams. Und der König Mose ward mächtig und
kriegte mit den Edomitern und mit den Sönen der Perser und
25 unterwarf sie und besiegte sie in seinen Kriegen, denn der
Gott seiner Väter war mit ihm.
Im vierzigsten Jar seines Königtums saß Mose auf seinem
Tron. Die Königin aber saß an seiner Seite. Und die Königin
sprach zu dem Volk und zu den Großen: Siehe heute sind
30 vierzig Jare, daß dieser über euch herrscht, und mir ist er
nicht genaht und unsere Götter hat er nicht angebetet. Und
jetzt höret mich, Söne der Sarazenen, und von diesem Tage an
sei er nicht König über euch. Hier ist Mukaris mein Son, und
dieser herrsche über euch. Es gebührt euch zu gehorchen dem
35 Son eures Herrn statt dem fremden Mann. Und alles Volk
war streitend bis zum Abend, und sie wollten den Mose nicht
4 „warf" T 242 I 10 . . poctorsku : „Kusch" G | 14 G 46,7 S. 118. J 1272.
B 54f. I 16 „Und— beschwor" : „Denn Abraham hatte beschworen" M j 17 „Emaz"
P' I Gen. 24,3 | „nicht zu nehmen . . s. Son" PM | 19 Gen. 28,1.2. 9,25 | „nicht"
< M I 22 „diesem Weibe" : „dem Weib des Kikanos" PM | 24 „d. Sön. d. Pers." :
„Syrien« G | 25 „denn der Gott« jako bü: „Jakobs« jakovü TPM | 27 G 46,8
S. 119. J 1273. B 55. W* 71 f. | 30 „dieser": „Mose" P 44 | „euch«: „uns« PM |
32 „höret mich« M 171 | 33 „Mukaris«: Mobros G, Menakris J.
Die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 595
entlassen, und es siegte die Königin. Und sie standen des
Morgens frölie auf und setzten den Mukaris zum König über
alle. Und das Volk fürchtete sich die Hände zu legen an
Mose, weil sie sich fürchteten, da sie ihm geschworen hatten.
5 Und- sie gaben ihm große Greschenke und entließen ihn mit
Ehren.
VIII. Und er ging von dort hinaus auf seinem Weg. Mose
aber war siebenundsechzig Jare alt, als er ausging von den
Sarazenen. Denn von Gott war dies geschehen. Denn es kam
10 die Stunde, weil von Grott bereitet war von den ersten Tagen
an, die Söne Israels aus Aegypten zu füren. Mose ging nach
Madiam. Denn er fürchtete sich nach Aegypten zurückzukehren.
Und er saß auf dem Brunnen, und er sah die sieben Töchter
des Raguel, des Madiamiters, weiden die Schafe ihres Vaters.
15 Und sie kamen zu jener Quelle und schöpften Wasser, um ihre
Schafe zu tränken. Und die madiamitischen Hirten kamen und
vertrieben sie. Und Mose stand auf und rettete sie und tränkte
ihre Schafe. Und sie kamen zurück zu ihrem Vater und ver-
kündigten, was ihnen Mose getan, und wie er sie rettete und
20 ihre Schafe tränkte. Und Raguel sandte und nahm ihn in sein
Haus, und er aß mit ihnen Brod ; und Mose tat ihm kund, wie
er aus Aegypten geflohen und wie er herrschte unter den
Sarazenen, und wie man das Königtum von ihm wegnahm und
ihn entließ. Und es geschah, als Raguel seine Rede hörte, und
25 er sprach in seinem Herzen : Ich werde diesen ins Grefängnis
setzen und werde lieb werden durch ihn den Sarazenen, denn
dieser ist ein Flüchtling. Und er nahm ihn und setzte ihn ins
Gefängnis. Und er war im Gefängnis zehn Jare. Daselbst
erbarmte sich seiner Semfora, die Tochter Raguels, und speiste
30 ihn mit Brot und Wasser. Und es geschah, am Ende der zehn
Jare, sprach Semfora zu ihrem Vater: Dieser hebräische Mann,
den du ins Gefängnis gesetzt hast diese zehn Jare, und nicht
ist einer der ihn sucht oder für ihn bittet; und wenn es so
gefällig ist vor deinen Augen, mein Vater, so wollen wir
35 senden und sehen, ob dieser Mann lebendig ist oder tot. Ihr
Vater aber wußte nicht, daß sie ihn gespeist hatte. Und Raguel
2 „über« T 243 j 5 „ihn" < T | 7 Jos., Ant. II, 11,2. G 46,9 f S. 119 f.
J 1273 f. 1277. ]} 56 ff. 61 1 „Und er«: „Mose« PM | 9 „dies gesch.« : „diese
Tatsache« T | 10 „v. Gott« < PM | 13 Ex. 2,15 ff. | „er sah« vide: „es trat ein«
vnide T; came out G ] 19 „ihnen« < PM | 21 W^ 71 | 26 „lieb w.« primilujusja :
„mich versönen« „geeint werden« primirjusja PM ] 27 „e. Flüchtl.« < PM | „er« :
„man« T j 29 „Öiphora" P, „Ciphora« M | 32 „und— bittet« < G.
596 ^' Bonwetsch,
sprach: Es ist niemals auf der Welt erhört, daß ein Mensch,
der über zehn Jare im Grefängnis gelegen hat one Brot und
one Wasser, lebendig sei. Und Semfora sprach zu ihrem Vater :
Hast du nicht gehört, mein Vater, daß der Grott der Ebräer
5 groß und furchtbar ist und in Erstaunen setzt durch Wunder
zu jeder Stunde ? Hat er nicht den Abraham errettet aus dem
Ofen der Chaldäer und Isaak vom Schwert und den Jakob aus
den Händen des Engels, als er mit ihm rang an der Furt Jakob?
Wieder diesem Mann viele Wunder tuend, hat er ihn errettet
10 aus den Händen der Aegypter und von dem Schwert Pharaos.
Und wieder kann er ihn erretten aus dem Grefängnis. —- Und
diese Rede war wolgefällig in den Augen Raguels, und er tat
ihm, wie seine Tochter geredet hatte. Und er sandte ins Gre-
fängnis zu sehen, was mit ihm geschehen war. Und sie fanden
15 ihn betend zu dem Gott seiner Väter. Und sie führten ihn
aus dem Gefängnis und scheren ihn und änderten ihm die
Kleider des Gefängnisses, und er aß Brod mit Raguel. — Und
Mose kam in den Garten Raguels, welcher war hinter seiuem
Haus und betete zu seiuem Gott, der an ihm Wunder getan,
20 und (ihn) befreit hatte aus dem Gefängnis. Als er betete,
blickte er auf mit den Augen und sähe einen Stab befestigt
inmitten des Gartens. Und er trat herzu zu dem Stab und
es war auf ihm geschrieben der Name des Herrn, des Gottes
Sabaoth. Und nachdem er herzugetreten, zog er ihn heraus,
25 und es wandelte sich der Stab in seinen Händen zum . . . Durch
ihn sind geordnet (gewirkt) die Wunder Gottes, als Gott
Himmel und Erde machte und alle ihre Werke, das Meer und
die Flüsse und alle ihre Fische. Und als er den Adam aus-
trieb aus dem Garten des Paradieses, nahm er (seil. Adam)
30 diesen Stab mit sich in die Hand. Und dieser Stab kam von
Adam zu Noah, Noah aber gab ihn Sem und seinem Geschlecht,
1 „ist . . erhört" vedano : „habe ich gesehen" videch PM | 2 „der" T 244 |
„zwölf Jare" G | 4 „Vater" M 172 | 5 „durch Wunder" cudesy: cudesa T I 7 Gen.
22,12. 32,24 flF. [ 8 „Jakob" jakov: „Denn Gott" jako bü PM | 11 „a. d. Gef." < PM |
12 „Augen": „Oren" PM | 13 „ihm" < P, „ihm so" M | 14 „was— war" : „ihn"
PM I „fanden" : „sahen" T | 16 „und . . ihn (< P) und" + PM \ 17 G 46,11
S. 120 f. J 1277 f. 13 61. 60. W^ 72. Gr 161 nach ZamaUsarl zu Sur. 28,28, bes.
aber 163 nach den Pirke R. Eliesers c. 40 und nach Seph. haj. 140 f. | 20 „und
ihn— Gef. < GJ | „ihn": „du hast mich" T | 21 „m. d. Augen" ocima: oli T |
„und sähe" < T | 23 „des Herrn" < PM | 24 „und er zog" T | . . . trestata: „zu
e. Stab" W2 | 27 „Werke": „lieere" GJ | 28 „alle üire Fische'
ihnen" PM | 30 W« 93 f.
Die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 597
bis daß er kam in die Hände Abrahams. Abraham aber gab
ihn Isaak, Isaak aber gab ihn Jakob. Jakob aber, als er floh
in das armeniscbe Land, nahm diesen Stab mit sich. Er aber
gab ihn dem Josef als „Einen Teil über das Maß seiner Brüder".
5 Und es geschah, nach dem Tode Josefs plünderten die Aegypter
das Haus Josefs, und es fiel zu dem Eaguel jener Stab. Und
er pflanzte ihn in die Mitte in seinem Garten. Und alle
Krieger versuchten sich, indem sie seine Tochter empfangen
wollten und konnten es nicht, bis zur Ankunft Moses, welchem
10 er bestimmt war [zu empfangen], dieser zog ihn heraus. Und
es geschah, als Eaguel den Stab sah in den Händen Moses,
wunderte er sich und gab ihm seine Tochter Semfora zum
Weib. Mose aber war siebenundsiebzig Jare alt, als er herauskam
aus dem Grefängnis; und er nahm die Semfora, die Tochter
15 Madiams, sich zum Weibe. Und Semfora wandelte den Weg
der Frauen des Hauses Jakobs, und ward in nichts geringer
als die Gerechtigkeit der Sarrah und Rebekka und Rachel und
Lea. Und sie empfing und gebar einen Son. „Und er nannte
seinen Namen Jersan, sprechend: Ich war ein Pilgrim im
20 fremden Land'^ Aber er beschnitt nicht sein Fleisch nach dem
Befehl Raguels seines Schwiegervaters. Und es geschah an
dem Ende des dritten Jares empfing sie und gebar einen Son.
,,Und er nannte seinen Namen Eleazar, sprechend: Denn der
Gott meines Vaters ward mir Helfer und befreite mich von
25 dem Schwert Pharaos'^
IX. In jenen Tagen saß Moses weidend die Schafe des
Vaters der Semfora, Raguel von Madiam, seines Schwieger-
3 „armenische": 1. „aramäische", Padan Aram G | „Er aber": „Und Jakob"
PM I 4 Gen. 48,22 | 5 „plünderten": dwelt in G | 7 „Garten" T 245 j 10 „zu em-
pfangen« < PM I 11 „Händen" P 45 | 13 G 46,13 S. 121. J 1278. B 62. W^ 72 |
18 W2 96 I „Ziphora empfing" PM | „einen Son" M 173 ] Ex. 2,22 | 19 „Gersan"
PM I 20 „fremden" < M ] 22 Ex. 18,4 | „empfing— Son" < M ] 23 „sprechend"
+ PM I 25 „Pharaos" : es folgt in Pr und M eine Einschaltung mit der Deutung
der „Ziphora" auf die Kirche aus den Heiden; ferner darüber, daß Gabriel den
Moses belehrt habe über die Entstehung der Welt und des Menschen, über den
Lauf der Sterne etc.; darin M S. 173,17 (auch Pr) „In jenen Tagen war Mose
gehend in der Wüste mit den Schafen seines Schwiegervaters, den Stab Gottes
aber in seiner Hand, und fing an die Weisheit zu lieben etc." und S. 173,28
(auch pr) „Und Mose weidete die Herde; der Stab Gottes aber war in seiner
Hand. Und er kam zum Gebirge Horeb. Und Mose sah einen Dornbusch stehend
und mit Flamme des Feuers brennend, aber der Dornbusch verbrannte nicht
von der Flamme." Es folgt in M und P ein an Ex. 3 sich anschließender Bericht i
26 G 47,1. S 122. J 1279. W^ 72.
Kgl. ües. d Wiss. Nachrichten. Philolog.-hist. Klasse. 1903. Heft 6. 42
ggg N. Bonwetsch,
vaters. Der Stab Gottes aber war in seiner Hand. Und Gott
eiferte um sein Volk, indem er hörte (ihre) Stimme. Und er
sprach, (sie) heranszufüren aus der Knechtschaft der Söne Harns
und ihnen zu geben das Land Kanaan zu beherrschen. Und
5 er erschien dem Mose, seinem Knecht, am Horeb in einem Dorn-
busch brennend von Feuer. Der Dombusch aber verbrannte
nicht. Und Gott rief inmitten des Feuers und befahl ihm nach
Aegypten zu gehen zu dem König Aegyptens Pharao, damit
er das Volk ziehen lasse. Und er lehrte ihn Wunder zu tun,
10 damit sie glaubten, daß Gott ihn gesandt habe. Und er verhieß
ihm und sprach: „Gehe, kehre zurück nach Aegypten, denn
es sind alle gestorben, die deine Seele suchten". Die aber,
welche nach ihnen zurückgeblieben sind, haben keine Macht dir
Uebles zu tun. Und Mose kehrte zurück nach Madiam und sprach
15 in die Oren seines Schwiegervaters die ganze Rede. „Und er
sprach zu ihm: Gehe mit Frieden". Und Mose stand auf und
ging mit seinem Weib und mit seinen Kindern. Und sie waren
in der Herberge, und der Engel Gottes kam hernieder und
wollte den Mose töten, weil er seine beiden Söne nicht be-
20 schnitten hatte und übertreten hatte das Gesetz, welches Gott
dem Abraham geboten. Und es eilte Semfora und nahm einen
Feuerstein und beschnitt ihren Son und errettete ihren Mann
aus der Hand des Engels. Und Gott erschien dem Aaron, dem
Leviten, in Aegypten, als er wandelte am Ufer des Flusses.
25 Und er „sprach zu ihm : Gehe dem Mose entgegen in die Wüste.
Er ging und begegnete ihm in der Wüste am Berge Gottes
und küßte ihn''. Und er erhob seine Augen und sähe sein Weib
und Kinder sprach: Wer sind diese? Und Mose sprach: Meine
Kinder, die mir Gott gab in Madiam. Und es war böse in
30 den Augen Aarons. Und er sprach: Entlaß das Weib und
ihre Kinder in das Haus ihres Vaters. Und er tat so, und
Semfora ging und ihre zwei Söne in das Haus ihres Vaters,
bis zu dem Tag, an dem Gott seines Volkes gedachte und es
ausführte aus Aegypten, aus den Händen Pharaos.
6 Koran Sure 20,8 f. Jos. Ant. II, 12,1 | 10 Ex. 4,19 | 14 „Und": P 46b,13.
M 175,8 V. u. treffen wieder mit TPp zusammen | 15 „d. ganze Rede": „alles
dies« PM I Ex. 4,18 | „Und sein Schwiegerv. Raguel" PM I 17 Ex. 4,24 f. |
18 „Engel d. Herrn« PM | 19 „töten« T 246 | 21 „es eilte« M 176 | 23 Jos. Ant. II, 13,1.
G 47,3 S. 122. J 1280 | „Und« < T | „Gott«: „d. Herr« PM | „dem Lev.«: „und
Levi« TMP | 24 „wandelte« P 47 | Ex. 4,27 | 26 „Und Aaron ging« PM | 28 „Siehe
mein Weib u. m. K.« PM | 30 „dein Weib u. die« PM | 31 „er«: „Mose« PM |
33 „Gott« : „der Herr« PM | „und (< P) es« < T.
Die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 599
X. Mose und Aaron kamen nach Aegypten zu der Ver-
sammlung der Söne Israels. Und sie taten ihnen kund alle
Worte Grottes. Und das Volk freute sich. Und sie standen
des Morgens früh auf und gingen in das Haus Pharaos. Und
5 den Stab Gottes nahmen sie in ihre Hand. Und es geschah,
als sie zu den Toren des Hauses des Königs kamen, und zwei
Löwen standen angebunden mit eisernen Ketten, und kein ein-
ziger Mensch konnte herzunahen oder hineingehen, one allein,
dem der König befiehlt zu kommen ; da kommen, die sie füttern,
10 abzuwehren die Löwen und füren ihn (sie) hinein. Mose aber
und Aaron traten herzu, und erhoben den Stab gegen die
Löwen und es wurden gelöst die Löwen. Und Mose und Aaron
kamen in das Haus des Königs und die Löwen kamen mit
ihnen in das Haus des Königs, indem sie sich freuten. Und
15 wie sie Pharao sah, verwunderte er sich (und) erschrak sehr,
denn ihr Blick war wie von Sönen Grottes. Und er sprach zu
ihnen: Was wollt ihr? Und sie sprachen zu ihm: Unser, der
Ebräer, Grott hat (uns) zu dir gesandt, zu sagen: Entlaß mein
Volk, damit es mir diene. Und Pharao fürchtete sich sehr
20 und sprach zu ihnen: Greht heute hinweg, und morgen kommt
zu mir. Und sie taten, wie ihnen der König gesagt hatte. —
Und es geschah, wie sie hinweggingen, sandte der König und
rief herbei den Magier Balaam und Janos und Arkis seine
Söne und alle Zauberer Aegyptens. Und sie kamen zum König.
25 Und der König tat ihnen kund, was Mose und Aaron geredet
hatten. Und die Zauberer sprachen zu ihm: Aber wie kamen
sie an deinen Löwen vorbei. Und der König sprach zu ihnen :
Sie erhoben nur gegen sie einen Stock, und die Löwen wurden
los und liefen zu ihnen sich freuend. Balaam aber antwortete
30 und sprach: Siehe, o König, es sind Zauberer wie wir.
Aber jetzt schicke nach ihnen, daß sie kommen, damit wir ihre
1 G 47,4 ff. S. 123 f. J 1280 f. W^ 73 | „Und Mose sagte alles Aaron, was
ihm Gott geredet hatte, und sie kamen n. Aeg. und erschienen" PM | 3 „freute
sich über diese (ihre P) AVorte" PM | 5 „in i. H.": „mit sich" PM ) 8 „oder hin-
ausgehen" PM I 11 „traten h." priidosta: „fürten sie h." privedosta T | 12 „w. ge-
löst d. Löwen«: „lösten« T | „Mos. u. A.« : „sie« T | 13 „in d. H. d. Kön.« <PM |
16 „er«: „d. König« PM | „zu ihnen« < PM | 17 „Unser— sagend« < PxM j
18 „Entlaß— diene« : „Entlaß uns in die Wüste, damit wir ein Opfer darbringen
depi Herrn unserm Gott und ihm dienen« PM | 20 „hinweg«: „in euer Haus«
-f PM 1 21 „taten«: „gingen hinaus« PM | 22 „und er sandte« T j „und rief herbei
den«! „nach den« M | 23 „Balaam« T 247 | „Enos und Akris« M | 24 „U. s. k.
z. Kön.« <PM I 26 „Aber« < P'M | 27 „vorbei«: „sage uns« -f- PrM | „zu ihnen«
<T I 28 „d. Löwen«: „sie" T | 30 „wie" M 177 | 31 „kommen": „zu uns" + PM.
42*
QQQ N. Konwetsch,
Rede erproben. Und der König tat also. Und sie nahmen den
Stab Gottes in ihre Hände und kamen zum König und sprachen
zu ihm die Worte Gottes. Und der König sprach zu ihnen:
Aber wer wird euch Glauben schenken, daß ihr Gesandte Gottes
5 seid und nach seinem Wort gekommen? Gebt uns ein Zeichen,
damit eure Rede bekräftigt werde. Und Aaron warf eilend
seinen Stab vor den König und vor seine Grossen, und er ward
eine Schlange. Und die Zauberer taten ebenso und warfen
ihre Stöcke hin, und sie wurden Schlangen. Und die Schlange,
" 10 welche geworden war in dem Stabe Moses, erhob ihr Haupt und
verschlang die Schlangen der Magier. Und der Magier Balaam
sprach: Es ist schon geschehen von den ersten Tagen an, daß
eine Schlange ihre Genossen verschlang wie ein Fisch des Meers
seine Gefährten verschlingt. Aber jetzt mache deinen Stab
15 wieder, wie er zuvor war, daß wenn du kannst, er ein Stab
werde und unsere Stäbe werden verschlungene Stäbe, damit
wir erkennen, daß der Geist Gottes in dir ist. Wenn du aber
nicht kannst sie zu verschlungenen (machen), so bist du ein
Zauberer wie wir. Und Aaron streckte seine Hand aus und
20 ergriff die Schlange am Schwanz, und sie ward zum Stab
in seiner Hand; und es wurden auch jene Stäbe wieder
wie zuvor, und der Stab Aarons verschlang die Stäbe der
Zauberer.
XI. Und Pharao befahl zu bringen die Schriften aller
25 Götter Aegyptens, und man las sie vor ihm. Und er sprach:
Siehe, wir haben euren Gott nicht gefunden in diesen Schriften
noch habe ich kennen gelernt seinen Namen. Sie antworteten
und sprachen zu dem König: Adonai Sabaoth ist sein Name.
Und Pharao sprach: Wo ist Adonai? Wenn ich ihn sähe und
30 seine Stimme hörte, würde ich Israel entlassen; aber Adonai
nicht kennend, entlasse ich Israel nicht. Und sie sprachen:
Der Name des Gottes der Ebräer wurde genannt auf uns von
1 „also": „und sandte nach ihnen" + PM | 3 „Gottes": „so redend" und
Ex. 5,1b + PM I 5 „und— gekommen" < PM | „Gebt uns": „Und was tut ihr für«
PM j 6 Ex. 7,10—12 1 8 „eine kriechende Schlange" PM | Jos., Ant. II, 13,3 | „ebenso" :
„wieder" T | 9 „Schlangen" : eine kurze Erläuterung in PM | 10 „gew. war" < PM |
„erhob sich und" T | „Moses": „Aaron's" G | 11 „der Magier" -f PM | 15 „er
e.— und" < T I 18 „sie— machen" < PM | 21 „es wurden" < PM | 22 „und—
Zauberer" < PM | 24 G 47,8 S. 124. J 1281. W^ 61. 108. W« 74 | „die— Aeg.":
„alle ägyptischen Bücher" PM, „das Buch der ägypt. Könige, worin waren die
Namen aller ägypt. Götter" G | 27 „ich habe kennen gelernt" vedech : v5de J,
„gesehen" vidg PM | 29 „sähe" T 248 | 31 „kennend" v^daja: v6daju TPM | 32
„wurde genannt" vüzvaäasja: vuzvalosja TPp.
Die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 601
den Tagen unserer Vorfaren. Und jetzt laß uns, damit wir
in die Wüste gehen, damit wir ein Opfer opfern unserem Grott.
Seit Israel herabkam nach Aegypten, seither hat er nichts
empfangen von unserer Hand. Wenn du aber uns nicht läßt,
5 so sei wissend, daß er erzürnt und schlägt (zu Tode) das Land
Aegyptens mit Pestilenz oder mit dem Schwert. Und Pharao
sprach zu ihnen: Zeiget (Saget) mir seine Macht und Stärke.
Und sie sprachen zu ihm: Er hat den Himmel gemacht und
alle seine Macht (Heer?) und die Erde und alles, was auf ihr,
10 und das Meer und alle seine Eische, und er hat erzeugt das
Licht und hat erzeugt die Finsternis, und er sendet ßegen
und tränkt die Erde, und hat gemacht den Menschen und das
Vieh und die Tiere des Waldes und die Vogel des Himmels
und die Fische des Meers. Er hat auch dich gemacht im Leib
15 deiner Mutter, er hat in dich gelegt den Greist des Lebens.
Und er hat dich großgezogen und dich gesetzt auf den Tron
deines Königreichs. Er wird auch deinen Greist von dir nehmen
und dich ,, zurückgeben in die Erde, von der du genommen bist'^
Und Pharao erzürnte über sie und sprach : Aber wer ist unter
20 allen Göttern der Völker, der mir also tun kann ? Meine Hand
aber, was ich selbst gemacht habe.
XII. Und Grott erhob seinen Zorn wider Pharao und
wider sein Volk. Und Gott schlug mit großer Plage den
Pharao und die Aegypter. Und er wandelte ihre Wasser
25 in Blut. Und er fürte über ihr Land Frösche. Und indem
die Leute das Wasser tranken, kamen hinein in ihre Ein-
geweide die Frösche, und quakten dort in ihnen. Und in
ihre Kessel und in die Hefe ihres Teigs krochen sie und
in ihre Betten. Und es fielen auf ihre Brust Läuse. Sie
30 wurden hoch zwei Ellen; und auf ihrem Fleisch waren sie
1 „den Tagen" P 48 | „Vorfaren" < PM | 2 „dem Herrn, unserm Gott" PM [
3 „Denn seit" PM ! 5 „und" -}- M i 6 „Aegyptens" M 178 | 13 „Yögel" : „Sterne"
Pr I 14 „im Leib— er hat" + PM | 17 „Er— bist" < P'M | 18 Gen. 3,19 \ 19 „Aber":
„Und" P, < M I 20 „Hand" ruka : 1. „Fluß" reka, vgl. W^ 75 „Mein ist der Nil,
ich habe mich erschaffen", W^ 61 und Geiger S. 161 „Ich habe sowol mich selbst
als den Nil gemacht" (Ez. 29,3) | 21 „was" jaze: „womit" ejuze? ] „mich selbst"
T I 22 „Und er erzürnte über sie sehr und befahl ihnen große Vergewaltigung
anzutun, (nämlich) den Aegyptern den Israeliten" P'M, dann Ex. 5,22 — 6,4 |
W2 „Und Pharaos Zorn entbrannte" | G 48,1 ff. S. 125 f. J 1282 ff. Vgl. Jos.,
Ant. n, 14. Wi 161. W2 75 I 23 P bricht ab | M breiter nach Ex. 7,20—22. 24 f. |
24 M breiter nach Ex. 8,1. 5 f. | 25 M S. 179,17 | 26 „die Leute" : „sie" T | 27 „die
Frösche" : „sie" M | „dort" tamo : „so" tako T | 28 „Hefe" : vielleicht „Wasser" T |
,, machten hoch" T.
6Q2 N. Bonwetsch,
wie Fäuste und höher. — Und Grott sandte auf sie die Tiere
des Feldes sie zu zerreißen und Schlangen und Skorpionen und
Mäuse, und Käfer in ihre Augen. Und sie gingen hinein in
ihre Häuser und verschlossen sich in den innersten Kammern.
5 Auch dahin ging hinein das Tier Silonith, das im Wasser lebt,
und es hat Arme von zehn Mannesellen, und es stieg auf
das Haus und deckte es auf und die Hand ausstreckend öffnete
es das Schloß. Und die wilden Tiere krochen dort hinein.
Und er tötete ihr Rindvieh und Kameele und ihre Schafe. —
10 Und Grott verbrannte ihr Fleisch mit Feuer. Und es waren
Beulen an ihnen von den Füßen bis zum Haupt und ihr ganzer
Leib stank. Er zerschlug mit Hagel ihren Wein und alle Bäume
Aeg3rptens, nichts blieb von ihnen zurück. Und er verbrannte
alles Gras des Feldes, und die Menschen und das Vieh, welche
15 auf ihm gefunden wurden, starben vom Hagel. Und er brachte
über sie Heuschrecken und sie verzehrten das, was übrig war
vom Hagel. Und die Aegypter freuten sich und sprachen : Das
ist uns Speise, und sie salzten ihrer eine Menge. Und Grott
sandte über sie einen starken Wind aus dem Meer, und er
20 nahm die Heuschrecken und warf sie in das Meer auch die ge-
salzten und ließ keine einzige Heuschrecke zurück im ganzen
Land Aegypten. — Und er sandte eine Finsternis auf drei Tage,
daß niemand seinen Bruder sah, daß er nicht einmal seine
Hände zu seinem Mund füren (konnte). — Es waren aber
25 Ebräer, welche nicht gehorchten Mose und Aaron, die sprachen :
Wir wollen nicht in die Wüste gehen, (dass) wir nicht sterben
von Hunger und Pestilenz. Grott tötete sie in diesen drei Tagen
der Dunkelheit, damit es die Aegypter nicht wüßten und sich
freuten und sprächen: Es ist die Plage Gottes über uns ebenso
30 wie über jene. Und Gott warf heraus die Dornen aus seinem
1 „waren s. . . u. höh.": „machten sie hoch" M | „Und Gott" M 179,2
V. u. I Jos„ Ant. II, 14,3 (303) S. 146,18 ff. &r}Qi(ov yag nawoiav y.ul noXv-
tgSncov, a)v stg otpiv oidslg 6cm]vxriv,Bt, tcqoxbqov, rr}v xmgav avxuiv ^yi^ioiv j
3 „Käfer" M 180 | 4 auch W« 107 | 5 „Silonith": „Nemlothen" M i 6 „Arme«
T 249 I „auf" : „mit den Händen" -f M | „zerbrach es die Schlös8er"M | 8 „die
wüden T.": „sie" M | „Gott sandte böse Tiere über sie" T | „krochen hinein"
lazjachu: kaznjachu T | 9 „und K.— Schafe" < M; breiter G | in M Ein-
schaltungen aus Exodus, aber < — „Hagel" Z. 15 | 11 Ex. 9,10. Jos., Ant.
II, 14,4 I 12 Ex. 9,23. P 247,16 | 15 Ex. 10,13. 15. 19. M 183,30 | 18 „salzten"
solisa: „siedelten sich an" naselüasja M | 20 „auch die gesalzten" < M | 22 Jos.,
Ant. il, 14,5. Ex. 10,22. M 184,6. W^ S. 100 f. | 24 „Es waren— Weinberg" S. 603,1
< M I 30 „Und— Weinberg" < GJ.
Die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 603
Weinberg. — Und er nahm alle Erstgeburt des Landes Aegyptens
von Menschen bis zum Vieh. Und sogar die Bilder ihrer Erst-
geburt, die an die Wand gezeichneten, auch diese wurden zer-
stört, und welche waren hölzern oder golden oder silbern, sie
5 wurden zerschmolzen, und die Erstgeburten, die unlängst
begraben waren, die zogen die Hunde heraus und legten die
vor die Väter und vor die Mütter. — Und es riefen mit lauter
Stimme die Söne Hams : Entlaßt die Ebräer. Und sie ge-
leiteten hinaus die Knechte Gottes mit vielen Grütern und
10 Greschenken, wie die Verheißung Grottes zu Abraham ihrem
Vorvater.
XII. Und Mose stand auf und begann anzusagen, [wer
kund tat dem Jakob, daß Josef lebe in Aegypteu, und] von
den Grebeinen Josefs, wie sie aufzufinden [wie sie gefunden
15 sind in Aegypteu nach vierhundert Jaren, wie die Juden an-
beten das Haupt des Kalbes]. Daß Josef am Leben sei tat
kund Juda der Maria der Tochter Jakobs, und sie rief aus zu
ihrem Vater und sprach: 0 Vater, Josef lebt. Jener aber
legte seine Hand auf ihr Haupt und sprach: Auch du Tochter
20 sollst leben in Ewigkeit. Und sie war lebendig vierhundert
Jare. Sie aber tat Mose kund, wo die Gebeine des Josef sind.
1 Ex. 12,29. M 186,12. Jos., Ant. II, 14,6. G 48,9 S. 127. J 1284 | 2 „Und":
„Unter allen Göttern Aegyptens. Und" M | „die Bilder aller ihrer Erstgeburt" M |
5 „zerschmolzen" razlivachu<sja> : ,, zerstört" razbivachusja T { 8 „Hams" : „zum
König" + M I Ex. 12,33. 36 | „Und— Vorvater in M nach Ex. 12,34 ff. | In M folgt
S. 186,8 V. u. „Im Jar des Moses herrschte in Aegypten der Pharao Petisonij.
Dieser Petisonij, der König Aegyptens, vor der Entlassung der Söne Israels ging
in die Stadt Memphis, das Orakel zu befragen („befragte" M). Und nachdem er
geopfert, fragte er die Pythia, sprechend: Tue mir kund: Ist Gott? Und ihm
ward eine Weissagung gegeben also : Er ist eine große Kraft vom Himmel herab-
kommend, brennendes und unsterbliches Feuer, davon der ganze Himmel zittert
und die Erde, das Meer und die Unterwelt. Dieser Gott ist derselbe Vater, der-
selbe [Vater] auch Son, überaus herrlich Einer, ein kleiner Teil aber, wie von
den Engeln gehört habend, gehe schweigend (so). Der König Pharao aber befahl
(vielleicht: Gehört habend ging schweigend der Kön. Ph. und befahl) diese War-
sagungen einzugraben in steinerne Tafeln der Weissagung, welche sind auf dem
Berge im Tempel zu Memphis bis heute, wo der Nilfluß herausgeht. Und ge-
kommen von der Warsagung ließ er heraus die Söne Israels, wie Mose ge-
schrieben in seinen sehr weisen Annalen" | 12 T 250. M 188,2. G kurz 48,11 |
13 „dem Jakob" < M | „und": „er begann anzusagen" M | 14 „wie sie— Kalbes"
< M I 16 Gr. S. 149 ff. nach einer Talmudstelle zu Ex. 13,19 (nur ist es hier
Serach, die Tochter Aschers) und nach dem Jerus. Targum zu Gen. 46,17 | „daß
. . am Leben sei" -f M | 17 „Juda . . der Maria'* < M | „und . . und" -f- M I
21 Wi 163. W2 77.
ß()4 N. Bonwetsch,
Es ist ein Fluß in Aegypten, sein Name Vol (1. Nil), und da-
selbst waren die Gebeine Josefs versenkt in einem bleiernen
Sarg. Und als der Herr Grott zu Mose sprach: Füre mein Volk
aus Aegypten mit allem seinem Besitz , da machte Gott ihm
5 sieben Nächte zu einer Nacht. Und Mose begann zu suchen
die Gebeine Joseph, gehend mit Lichtern. Und Maria begeg-
nete ihm und sprach zu ihm : In diesem Fluß sind die Gebeine
Josefs. Mose aber nahm die Fackeln und nahm mit sich
dreißig Mann und ging über den Fluß Yol und sprach : Errege
10 dich Wasser und gib heraus die Gebeine Josefs. Und es geschah
keine Erscheinung, Und er sprach wieder zum zweiten Mal,
<und) es geschah keine Erscheinung. Und wieder zum dritten
Mal schrieb er auf das Papier (die Tafel?) und sprach: Vol,
errege dich, und lege es auf das Wasser. Und es ging
15 heraus der Sarg Josefs. Mose aber ward froh, und nahm den
Sarg. Das Papier (die Tafel?) aber nahm er nicht, sondern
es trat herza ein Herzensharter von ihnen, der nahm es, ein
Jude. Und viele nahmen mit sich die Häupter ihrer Väter,
XIII. Und viele Fremdlinge gingen mit ihnen drei Tage
20 lang. Und es geschah am dritten Tag, und sie sprachen zu
Mose und Aaron: Siehe schon drei Tage seid ihr gegangen,
aber morgen kehrt nach Aegypten zurück, wie ihr gesagt
habt. Jene aber antworteten und sprachen zu ihnen: Er hat
uns befohlen, daß wir nicht wieder zurückkehren nach Aegypten,
25 sondern gehen in das Land, wo Milch and Honig fließt. Jene
aber fingen an mit ihnen zu kämpfen, und sie töteten viele
von ihnen und gaben ihnen eine große Niederlage. Die
andern aber von ihnen entflohen, und taten Pharao kund, was
er getan hatte. Und Gott „verhärtete das Herz Pharaos", ihnen
30 nachzujagen und sie in die Knechtschaft zurückzubringen. Und
sie jagten ihnen nach und ereilten sie. Jene aber lagerten am
roten Meer. Und Gott machte erstaunlich seine Wander. Und
Mose reckte seinen Stab aus über das Meer. Und das Meer
1 „Vol«: „Stier" (vgl. Dt. 33,17 von Josef und Gr S. 152): „Voild" M |
6 „gehend" chodja: „wollend" chotja M | „Maria": „die Tochter Jakobs" M |
7 „Fl. Voildai" M | 8„ die Fack. u." < M | 9 „über— Vol" : „ging auf einen Berg und
<8prach> M | besser „Steige empor Voild" M \ 14 „Voild" M | 15 „d. Sarg":
„diesen" T | 17 „v. ihnen" < M | „ein Jude": nach dem Midrasch zu Ex. 32,4
ist es der Micha Rieht. 17 f. | 18 „Häupter": „Särge" G j 19 G 48,10 f. S. 127 f.
J 1286 f. W2 78. G breiter | 20 „nach drei Tagen" M | 21 „sind v^^ir" M | 22 „aber"
< M I 23 „zu— Er*' : „Der Herr" M | 28 „und— hatte" < M | 29 „Und etc." : M nach
Ex. 13,20flF. 14,1 flf. I Ex. 14,8 f. | 32 „Und Gott etc." : M 189,26 I 33 „s. Hand" M |
nach „Meer" M „und schlug mit seinem Stab in das rote Meer, wie ihnen der
Herr gesagt hatte".
die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 605
teilte sich in zwölf Teile, es ging ein jeder von ihnen nacli
seinem Greschleclit ; nnd sie gingen hindurch auf Trockenem.
Pharao aber jagte ihnen nach in das Meer auf Wagen und auf
Rossen. Und die Aegypter ertranken. Den Pharao aber er-
5 rettete Gott aus der Flut, und der Engel Gottes fürte ihn in
die Stadt Ninive. Und er war daselbst König neun Jare.
XIV. Raguel aber der Madiamiter, der Schwiegervater
Moses, ging in die Wüste mit Semfora und mit ihren beiden
Sönen und sie saßen inmitten Israels. Den Sihon aber, den
10 König der Amoriter, und Og, den König von Basan, tötete
Mose und nahm weg ihr ganzes Land. Und er schlug die
Zusammensetzungen der Heere der Madiamiter und tötete (?)
fünf Könige der Madiamiter: den Evi und Eekim, Zjur und
Chur und Eeban. Den Balaam aber mit den zwei Sönen töteten
15 sie mit dem Schwert. Er war aber geflogen wie ein Adler
empor. Eleazar, der Son Aarons , und Phineas sein Son , die
Peldherrn Israels, sprachen den heiligen Namen ans und warfen
ihn herunter auf die Erde und töteten ihn. Die Kanaaniter
aber sitzend auf einem Gebirge. Und er ging gegen sie mit
20 Krieg. Und Gott gab sie in die Hände Moses, und sie töteten
sie. Mose aber war fünfzig Jare alt, als er trat vor den
König Pharao. (Und) Gott fürte sein Volk aus und vertraute
sie dem Mose aus dem Land Aegypten. Und er ward König
über Israel in der Wüste vierzig Jahre, es speisend mit Manna
25 und mit den Vögeln des Himmels. Bei Meriba (?) aber, wo
ging das Wasser nach ihnen. Bei Aaron (so) aber ging das
Wasser in einer Wolke, und als eine Wolkensäule vor ihnen
am Tag nnd als eine Eeuersäule in der Nacht.
XV. Und die Juden riefen zu Mose: Zeige uns, wen wir
30 anbeten sollen. Mose aber ging auf den Berg zu Gott, nachdem
er Aaron an seiner Stelle zurückgelassen, und befahl ihnen auf
1 „Teile": 1. „Wege" M; vgl. Gr. 166 f., nach der arabischen Erklärung zu
Sure 26,63 | „es ging hindurch ein jeder Stamm auf seinem Wege auf Trockenem
inmitten des Meeres" besser M | Ex. 14,22 | 3 „in das Meer": „und als. er war
inmitten des Meeres mit seinen Kriegern" M | Ex. 14,23 | 4 „alle Aegypter" M |
„Den Pharao" etc. T, vgl. G, < M; dagegen M nach Ex. 14,27 f. 15,20 f. | Vgl.
Koran 10,90 ff. bei Geiger S. 162 | 6 „neun": „500" G, „400" W* | 7 G 48,13 f.
S. 128 f. J 1289. In M weiterhin nur aus Exod. Genommenes; dazu S. 190,22 die
Sage vom Holz, wodurch das Wasser süß gemacht wurde, vgl. Veselovskij im
Sbornik der St. Petersburger Akademie Bd. 32 (1883) S. 387 f. 1 11 „schlug":
„machte" sütvori T \ 21 „fünfzig": „achtzig" G | 25 „Bei — ihnen" verderbt; für
den Sinn vgl. G S. 129 from the flinty rock He brought forth fountains of water
for them 1 marjiz T | „wo« T 252 | 27 Ex. 13,21 | 29 G 48,16 S. 129. J 1290.
ßOQ N. Bonwetsch,
ihn zu warten bis zum vierzigsten Tag. Und Grott sprach zu
Mose, dem Sone Levis, redend: Steige zu mir hinauf auf den
Berg, und ich werde dir steinerne Tafeln geben, das Gesetz
und die Gebote, die ich aufgeschrieben habe, und lehre die
5 Söne Israels und heilige das Volk in drei Tagen. Am dritten
Tag stieg er auf den Berg, am sechsten Tag des dritten
Monats, d. i. Juni. Und Gott gab Israel sechshundert und
dreizehn Gebote geläutert wie Silber, im Schall der Posaune,
im Donner und in Blitzen und in Bränden des Feuers.
10 Und plötzlich als aus ging der zwölfte Tag, ergriffen Juden
Steine wider Aaron: Tue uns kund, wen wir anbeten sollen.
Er aber sprach : Nehmt weg die Armbänder von euren Frauen
und ziehet ab bei euren Kindern die Schmuckgeräte. Jene
aber nach ihrer Herzenshärtigkeit zogen sie ab und brachten
15 sie zu Aaron. Und sie legten sie in ein Gefäß. Jener Jude
aber legte jene Tafel unbemerkt hinein. Und sie zündeten
an ein Feuer und machten sich das Haupt eines Kalbes. Und
der Herr sprach zu Mose: Dein Volk hat gesündigt, da sie
anbeten das Haupt eines Kalbes. Und Mose kam vom Berg
20 und eiferte um den Namen Gottes. Und er erzürnte sich über
Aaron und über alles Volk, das so getan hatte, und warf im
Entsetzen " die Tafeln aus seinen Händen, auf die Gott ihnen
sein Gesetz geschrieben, und sie zerbrachen. Und Mose befahl
das Haupt des Kalbes zu zerschlagen und es klein zu zer-
25 schlagen. Und sie taten so. Und er befahl ihnen dieses
Wasser zu trinken, damit an ihnen ein Zeichen erscheine. Und
wie sie tranken und sich niederwarfen erkannte Mose, wer
etwas hineingeworfen in das Haupt des Kalbes, der eine Gold,
der andere Silber, ein anderer aber Erz und ein anderer Blei,
30 und dies alles war ihnen auf den Lippen. Aber wer
nichts hineinwarf, die standen rein auf vom Wasser. Und
Mose befahl alle Uebeltäter zu töten. Und er sprach: Jetzt
steige ich zum zweiten Mal hinauf zu Gott, ob etwa ich euch
losbitte von euren Sünden. Und Gott vergab ihre Sünden.
35 Jene aber sprachen zu Mose: Woran erkennen wir die Ver-
gebung unseres Gottes für unsere Sünde. Alsdann aber befahl
Gott dem Mose zu machen das Zelt des Zeuo:nisses unter ihnen
5 Ex. 19,10. IG. 20 I 8 Ps. 12,7 | Ex. 19,16 | 10 „Und— im vierzigsten Jar"
8. 607,2 < G ! 12 Ex. 32,2. 3 | 17 vgl. Ex. 32,4 | 18 Ex. 32,7 | 20 Ex. 32,19 |
23 Ex. 32,20 | 30 M 203,0 f. | „alles« T ^53 | 32 Ex. 32,27, vgl. Koran 20.87 bei
Geiger S. 166 | 33 Ex. 32,30. | 37 Ex. 25,8. 40,2.
die Mosessage in der slavischen kirchlichen Litteratur. 607
zu wonen, damit sie erkennten, daß die Sünde vergeben ist.
Dies im vierzigsten Jar. Und alsdann machten sie ihm das
Zelt des Zeugnisses, das Heiligtum und die Cherubim (und) die
Lade, den Leuchter und Altar, Oel (?) zu leuchten und zu salben
5 den Aaron mit den Sönen, den Dienern Gottes, und die heiligen
ihnen gemachten Grewänder. Die Söne Levis aber standen zur
Hut und zu Liedern vor den Altären („Priestern" ?) Gottes.
Und das Rauchopfer . . abzuwehren den Zorn von dem Volk
Gottes.
10 XVI. Und darnach im vierzigsten Jar starb die Prophetin
Mariam, die Schwester Moses und Aarons, am zehnten Tag des
ersten Monats und „sie ward begraben" in Kadesch, das ist
im April. „Und es war kein "Wasser für das Volk". — Und
in demselben Jar am ersten des fünften Monats und es starb
15 Aaron und ward begraben auf einem Berge. Und die Wolken
gingen hinweg und waren von allen gesehen. Und seine Söne
empfingen den Dienst bis in alle Ewigkeit. — Am Ende aber
desselben Jares im andern (so) Monat Nadet am siebenten Tag,
das ist im März, starb Mose, der Knecht Gottes, und ward
20 begraben am vierten des Monats September auf irgend einem
Berg durch den Archistrategen Michael. Denn es stritt der
Teufel mit dem Engel und er gestattete nicht seinen Leib zu
begraben, indem er sprach: Mose ist ein Mörder, er erschlug
einen Mann in Aegypten und verbarg ihn im Sand. Da flehte
25 Michael zu Gott, und es ward Donner und Blitz, und plötzlich
verschwand der Teufel. Michael aber begrub ihn mit seinen
(eigenen) Händen. Unserem Gott aber sei Ehre in alle Ewig-
keit. Amen.
2 G 48,16 I 3 „d. Heiligtum" svjatüo: svetel J ] 8. ., vgl. G offered: „fürte
hinweg" otvodila T | 10 G 48,17 S. 130 | Num. 20,1. 2 | 12 „das ist— Volk" < G |
14 Num. 20,28 | 15 „ünd-gesehen" < G | 21 M 253,21 f. [ 24 M 253,33 f. | 27 M
253,2 V. u.
Holland und das Reich vor der Burgunderzeit.
Von
P. J. Blok.
Vorgelegt von F. Leo in der Sitzung vom 31. Oktober 1908.
Die Frage von der Trennung der Mederlande vom deutschen
Reiche ist keineswegs vom rein staatsrechtlichen oder vom poli-
tisch-geschichtlichen Standpunkt völlig zu lösen. Auch diese
Frage, wie jede derartige und überhaupt weitaus die meisten auf
historischem Gebiet, ist komplizierter Natur und nur nach Unter-
suchung von verschiedenen Seiten her endgültig zu beantworten.
Bis jetzt ist sie nur vom staatsrechtlichen Standpunkt angesehen ^),
eingehend zuletzt von Rachfahl ^) in seinem trefflichen Vortrag,
1900 auf der VI. Versammlung deutscher Historiker zu Halle a. S.,
dessen Untersuchung aber erst mit der Burgunderzeit einsetzt.
Lamprecht ist in seinem wie immer geistvollen Buch, das für das
16. und 17. Jahrh. auch dieser Frage gegenüber, wie gewöhnlich,
mit breitem Schwung auch den andern Elementen der geschicht-
lichen Entwickelung gerecht zu werden sucht, für das Mittel-
alter hier vielleicht weniger glücklich gewesen ^). Pirenne hat sich
1) Zur Literatur : Grotius, De antiquitate rei publicae Batavae, c. 5 : Van der
Schelling, Aloude Vryheid en Staatsregeering der Batavieren (Rott. 1746); Van
Loon, Historisch Bewys, dat het graafschap van Holland . . . altyd een leen des
Duytschen Ryks geweest is (Leiden, 1748); Van Mieris, Leenhoorigheidt van het
Graafschap in Holland (Leiden, 1748); Meer man. De solutione vinculi, quod
olim fuit inter S. R. Imperium et Federati Belgn Respublicas (Lugd Bat. 1774).
2) Die Trennung der Niederlande vom deutschen Reiche, in Westd. Zeitschr.
XIX, S. 79 ff.
3) Deutsche Geschichte V, S. 544 ff.; VI, S. 37ff., G7ff, 250 ff, 272 ff, 297 ff.
Holland und das Reich vor der Burgunderzeit. 509
in seiner Grescliiclite Belgiens, dem Plan seines Werkes gemäß, auf
diese liauptsäclilich die nördlichen Niederlande betreffende Frage
nicht näher eingelassen als die Behandlung des Augsburgischen
Vertrags von 1548 forderte. Es ist nicht mein Ziel die mittel-
alterliche Geschichte der gesamten Niederlande in dieser Hinsicht
zu behandeln; die lokalen Unterschiede würden in gedrängter
TJebersicht zu verwirrend wirken. Es sei mir erlaubt nur von
Holland und Seeland zu sprechen: die für die spätere historische
Entwickelung der Niederlande wichtigsten Provinzen, welche der
späteren Republik und dem modernen Königreich so zu sagen ihre
Signatur gegeben haben.
Auf die entlegenen, im Nordwesten an der Peripherie Ger-
nianiens liegenden Seegebiete paßt vortrefflich die im 13. oder
14. Jahrh. bezüglich Frieslands gemachte Bemerkung des Scholi-
asten auf Adam von Bremen: „Fresia regio est maritima inviis
inaccessa paludibus" ^) , wie es schon in der Römerzeit von Ba-
tavia hiess^), das es so zu sagen „kein Land" genannt werden
könnte. Die Römer hatten den Bewohnern dieser Gegenden eine
Sonderstellung, die der Socii, gönnen müssen; sie waren im 3.,
4. und 5. Jahrhundert von den rauhen germanischen Volksstämmen
erobert, zertreten, teilweise wieder verlassen^). Die Friesen haben
sich die kümmerlichen Reste der alten batavisch - kaninefatischen
Bevölkerung assimiliert und drei Jahrhunderte lang in den Inseln
und Mooren dem Fränkischen Reich energischen Widerstand
geleistet, bis zuletzt der große Karl sie endgültig unterwarf. Da
kamen aber nach einem halben Jahrh. die Normannen, setzten
sich unter Heinrich und Roruk fest in der Küstengegend ^) und
würden hier ein dem französischen ebenbürtiges deutsches Norman-
dien gestiftet haben ^), wenn nicht der gewaltige Normannenherzog
Gottfried 885 meuchlings ermordet wäre. So war die Franken-
herrschaft schließlich hier nur sehr oberflächlich durchgedrungen
und neigte die schwache lothringische Königsmacht schon zu Ende,
als die friesischen Seelände ihr größtenteils wieder untergeordnet
1) Geschichte Belgiens, III, S. 169 ff.
2) Mon. Germ. Script. VII, S. 289.
3) Eumenius, Paneg. in Constantino Caes., c, VIII, IX.
4) Krom, De populis germanis antiquo tempore patriam nostram ine ölen
tibus (Lugd. Bat. 1908).
5) Vogel, Die Normannen, passim.
6) ib. 260 ff.
610 P. J. Blök,
wurden. Ein halbes Jahrhundert von Schwanken dieser Gegenden
zwischen den west- und ostfränkischen Herrschern folgte, und
925 oder recht eigentlich erst um die Mitte des 10. Jahrh. konnte
man sagen, daß die damals als „friesisch" bezeichneten Gegenden
zwischen Scheide und Flie dem deutschen König zweifellos unter-
thänig waren.
Es war in dieser grauen Zeit , daß ein einheimisches Grafen-
geschlecht sich, offenbar mit königlicher Genehmigung, der gräf-
lichen Stellung in etzlichen friesischen Gauen — Kinheim, Rhein-
land, Maasland bemächtigte — , und sich auch auf den südlich und
nördlich naheliegenden Inseln im Rhein- und Maasdelta festsetzte ^).
Recht eigentlich war es überhaupt ein kleines Inselreich, dessen
Lenker diese Grafen wurden ; denn was wir jetzt als Holland kennen,
war auch damals nur noch ein Komplex von Land und Wasser, in
welchem die beiden Elemente in und durcheinander liefen und nur
sehr unvollkommene Deicharbeiten und Wasserregulierung die
mehrfach auf künstlich aufgeworfenen Terpen wohnende Bevöl-
kerung gegen das Wasser verteidigten^).
Von dem Kulturzustand dieser Bevölkerung wissen wir so
gut als nichts. Die spärlichen Reste römischer und friesisch-
fränkischer Kultur, die der Boden bis jetzt zurückgab, sind un-
genügend zur Feststellung eines Kulturbildes ; die kirchlichen Ver-
hältnisse seit Einführung des Christentums im 8. Jahrh. weisen
auf eine langsame Christianisierung, deren Langsamkeit und Un-
voll ständigkeit ^) im 9. den heidnischen, normannischen Eroberern
gewiß zustatten kam; die Rechtsaltertümer sprechen von ge-
mischter friesisch - fränkischer Rechtsbildung ^) ; die Sprache wird,
nach den Personen- und Platznamen und einzelnen Nennwörtern
im dürftigen Urkundenscbatz dieser Zeit zu urteilen, wiederum
für friesisch-fränkisch gehalten werden müssen^). Friesisch - frän-
kisch, aber jedenfalls ziemlich primitiv , muß noch um 1000 der
Kulturzustand der Bevölkerung genannt werden. Primitiv war
1) Van Bolhuis van Zeeburgh, Over de eerste graven van het HoUandsche
huis (Leiden, 1870).
2) De Vries, De kaart van Hollands Noorderkwarter in 1288 (Amst. 1868)
Ramaer, De omvang van het Haarlemmermeer (Arast. 1892), und Geographische
geschiedenis van Holland bezuiden de Lek en Nieuwe Maas (Amst. 1899).
3) Vgl. meine Studie : S. Jeroen, in Bydr. Vaderl Gesch. en Oudheidh., 4 d»
Reeks, HI, S. 17.
4) Fockema Andreae, Bydragen tot de Nederl. rechtsgescbiedenis, IV, S. 360 ff.
5) Verdam, Uit de geschiedenis der Nederl. taal, S. 41 ff., 51.
Holland und das Reich vor der Burgunderzeit. 611
auch die wirtschaftliclie Lage dieser Bauern und Fischer, wie aus
den Urkunden hervortritt : Ackerbau auf den zerstreuten Mausen
oder Hufen („hofstedi") , deren Bewohner nur mit kleinen Fahr-
zeugen durch die Grräben und Flüsse, über die untiefen Seen und
Sümpfe mit einander verkehren konnten, Viehzucht, Fischerei,
Salzgewinnung aus dem salzigen Boden am Meeresstrande, Torf-
stechung in den Moorgegenden gegen Utrecht hin^), alles für den
eigenen Unterhalt; der Handel nahm durch die breiten Rheinarme
seinen Weg nach dem Meere hin und zurück aber berührte das
Gebiet selbst nur oberflächlich, während Tiel am Waal und Utrecht
am Ehein die Erbschaft des alten von den Normannen ver-
wüsteten Rheinhafens Dorestad, des an der Maasmündung bei Groeree
gelegenen aber im Meere verschwundenen Witla angetreten hatten
und durch den nördlichen Flevosee , an der Zollstätte Amuda
(Muiden) und der im Meer versunkenen alten Friesenstadt Stavria
(Stavoren) vorbei, den Handel zwischen dem Norden und Flandern-
England, vermittelten. Vielleicht — mehr kann man m. E. nicht
sagen — kamen auch aus diesen Grebieten die friesischen Kaufleute,
die wir seit dem 8 Jahrh. in S. Denis, York und am Rhein bis
Worms begegnen; gewiß hat der friesische Schiffstypus, von wel-
chem vor 900 die Rede ist, auch hier gegolten, wahrscheinlich die
aus spätem Tagen bekannte Form des Koggeschiffs ^). So lebte
diese im Kampf gegen die Elemente gehärtete ziemlich rauhe Be-
völkerung auf ihren Inseln, in ihren Morästen ibr überaus einfaches
Leben. Noch jetzt in den Gegenden zwischen Leiden und Amster-
dam und im Wasserland oberhalb Amsterdam, wo der Wasser-
weg der einzige Weg, die Schute mit plattem Boden bis jetzt das
vornehmste Verkehrsmittel geblieben ist, kann man den Resten
des alten Lebens nachspüren und sich durch die Anschauung von
Natur und Leuten ein Bild zurecht machen von ganz Holland im
Mittelalter.
Es war ein Leben für sich ohne nahe Beziehungen zu König
und Reich, die sich mit diesen entlegenen Grebieten wenig ein-
ließen. Hatten die schrecklichen Normanneneinfälle in den entfern-
testen deutschen Klöstern Wiederhall gefunden, die Grrafen selbst
dieser Gregenden waren den meisten geistlichen Chronikschreibern
dieser Zeit so gut wie unbekannt und das einzige Kloster dieser
1) Vgl. die merkwürdige Nachricht bei Jakob, Ein arabischer Berichter-
statter aus dem 10. Jahrh. (Berlin 1886), S. 23.
2) Vgl. Schäfer in Bydr. en Meded. Hist. Genootsch. Utrecht, Bd. XXVII
(1906), S. LIII ff.
612 P- J- Blök,
Gebiete, Egmond, hatte im 10. Jahrh., als es durch die Fromm-
heit der Grafen entstand, noch wenig zu bedeuten. Die Grafen
der Gegend aber waren schon in diesem Jahrhundert ziemlich hohe
Herren, die sich ihre Gemahlinnen aus den höchsten fürstlichen
Kreisen holten ^) und sich der Gunst der sächsischen Könige, ihrer
Lehnsherren, freuen konnten, besonders seit Graf Arnulf um 980
Liudgardis, die Schwester der späteren Königin Heinrichs II, Chuni-
gundis , „coram rege Ottone" — wie der Chronist sagt — ge-
heiratet hatte. Schon Gerolf, der älteste uns bekannte Graf aus
diesem Geschlecht, hatte 889 vom deutschen König Arnulf an-
sehnliche Güter in seiner Grafschaft zu eigen bekommen, wie sein
Enkel Dirk II 985 von Kaiser Otto II; das diese ersten Grafen
aus dem spätem Holländischen Grafengeschlecht schon im Besitz
großer ererbter Besitzungen in dieser Gegend waren , ist sehr
wahrscheinlich. Des Grafen Arnulfs Sohn, der gelehrte Egbert,
war Kanzler Ottos II (976/7) und (987/993) Erzbischof von
Trier. Die Besitzungen dieses Grafengeschlechts reichten im
10. Jahrh. von Flandern , wo sie als Burggrafen in und um
Gent sassen, bis tief in Friesland westlich vom Flie; ihre gräf-
liche Macht von der Scheidemündung bis zum Flie, mit Kin-
heim, Rhein- und Maasland als Kern , während die burggräfliche
Macht in Gent und die Rechte in Westfriesland als Ausläufer
gelten können, wie auch ihr Geschlecht nach der Seite von Utrecht
hin, in den alten Gauen Lake et Isla und Teisterbant, zeitweise
aufgetreten war^). Man nannte die Küstengegend zwischen Maas
und Flie in dieser Zeit die „marchio Frisiae" , die Grafen selbst
„marchiones" ; ihre Stellung und der Charakter ihrer Herrschaft
ist mit den der ältesten flandrischen Grafen zu vergleichen^).
Der Tod des Grafen Arnulf in einem Kriegszug gegen die
unbotmäßigen Friesen in 993 verursachte eine gefährliche Krise
im Aufschwung dieser friesischen Grafen, in welcher 1005 König
Heinrich II „navali exercitu Fresones adiens" ^) die westlichen
Friesen wieder seiner Schwägerin Liudgardis unterwarf, aber die
Genter Burggrafenschaft mit den flämischen Besitzungen ihrem
Geschlecht für immer verloren ging^). Nur auf den südlichen
1) Van Bolhuis van Zeeburgh, 1. 1.
2) Vgl. über diese Verhältnisse: Van Bolhuis van Zeeburgh, 1. 1.; meine Ge-
schichte der Niederlande, I, S. 154 fF.
3) Pirenne, Geschichte Belgiens, I, S. 32 und 103 S.
4) Thietmar, in Mon. Germ. Script. III, S. 850.
5) Vanderkindere, La formation territoriale des principaut^s beiges, I, S. 64 ff.
Holland und das Reich vor der Burgunderzeit. 613
Scheide-Inseln Walcheren und Beveland konnten sie ihre Stellung
noch behaupten, wiewohl sie hier die Oberlehnsherrschaft der flan-
drischen Grafen sich gefallen lassen mußten ^).
Arnulfs Sohn Dirk III. Hierosolymita war offenbar in diesen
kleinen Verhältnissen ein gewaltiger Herrscher, der dem mäch-
tigen TJtrechter Bischof Adelbold, seinem „senior" — aus welchem
Grund das aus diesem Namen hervortretende Lehnsverhältnis
eigentlich stammt, ist unbekannt — eine Grafschaft Bodegraven
am Rhein (vielleicht war dieses das betreffende Lehn) streitig
machte und sich allen benachbarten Fürsten und der mächtigen
Kaufstadt Tiel, selbst dem deutschen König zum Trotz in die
Silva Meriwido an der Maas bei Dordrecht festsetzte^). Von
dieser Zeit an beginnt ein Kampf, in welchem die holländi-
schen Grafen — das wird ihr Titel seit der Mitte des 11
Jahrb., als sie sich in Holland , dem neu eroberten Lande in
der Silva Merinvido, endgültig behaupteten^) — den königlichen
und nachbarlichen Anfällen siegreich Widerstand leisten. Wie
Dirk III. 1018 an der Maas den vom Kaiser Heinrich II. ge-
schickten Brabanter Herzog Gottfried zurückschlägt, sein Heer
vernichtet und ihn selbst gefangen nimmt, so bietet der „marchio"
Dirk IV. in den lothringischen Wirren wiederholt Kaiser Hein-
rich III. die Spitze und schlägt 1047 in seinem Wasserlande das
kaiserliche Heer erfolgreich zurück*), bis er 1049 bei Dordrecht
von seinen Feinden erschlagen wird. In einer Fehde gegen den
östlich vom Flie angesessenen von kaiserlicher Gunst damals noch
beschienenen Markgrafen Egbert von Meiszen fällt auch sein streit-
I)arer Bruder Floris I^) (1061) und die Grafschaft Holland würde
damals verschwunden sein, wie so viele hier aufkommende ^) terri-
toriale Mächte dieser Zeiten, wenn nicht der energische flämische
Grafensohn Robert der Friese, der „comes aquaticus", nach 20
Jahren Kämpfens seinem Stiefsohne Dirk V , dem hinterlas senen
Sohne Floris I, Brabant, Friesland und Utrecht, dem Kaiser Hein-
rich IV zum Trotz, das väterliche Erbe wieder gesichert hatte ^).
Wie man sieht: die königliche Macht war im Wasserlande
1) Vanderkindere, 1. 1.
2) Meine Geschichte, I, S. 156 ff.
3) ib. S. 157.
4) ib. S. 169.
5) ib. S. 173.
6) Vgl. darüber Pynacker Hordyk in der Vorrede zu seiner neuen fototy-
pischen Alpertus-Ausgabe (Leiden, Sythoff, 1908).
7) Geschichte, S. 174, 177, 181.
Kgl. Gos. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 6. 43
614 ^- J- Blök,
zwischen Scheide und Flie nur schwach und die Botmäßigkeit der
friesisch-holländischen Grafen sehr fraglich. Wie der alte Thiet-
mar, der den Zustand kannte, sagt: keiner war recht eigentlich
da, der die Ordnung und den Frieden in diesen Gregenden hand-
haben könnte. Und so ist es auch in der nächsten Folge geblieben,
lieber Utrecht hinaus kamen die Kaiser und Könige nicht mehr^
auch Barbarossa nicht, der übrigens 1165 zwischen Utrecht und
Holland noch vermittelnd auftritt, den Rhein zur „libera et regia
strata" erklärt, dessen Lauf nicht, wie in Holland geschehen war,
durch Dämme „injuste et violenter" gehemmt werden darf, und
über die friesischen Gauen Ostergo und Westergo ein utrech-
tisch-holländischer Condominium feststellt; derselbe Kaiser giebt
dem Grafen Floris m. die wichtige Reichszollstätte Geervliet in
der Meermündung „in feodum" ^), das letzte Reichsgut , von dem
wir in dieser Gegend hören. Die königliche Macht läßt sich in
diesen Gegenden während der bald folgenden Krise der hohen-
staufischen Macht immer weniger gelten wiewohl Floris III dem
Kaiser nach Italien und zuletzt nach Osten folgt und ihm Treue er-
weist, sich auch den kaiserlichen Bestimmungen über die gräflichen
Rechte unterwirft ^). Als aber in 1203/4 ein Kampf über das Erb-
recht auf die vom Grafen Dirk YII. seiner einzigen Tochter Ada
hinterlassene Grafschaft entsteht, sich ein erbitterter Kampf zwischen
Dirks Bruder Wilhelm und der jungen Gräfin und ihrem Gemahl Lud-
wig von Loon erhebt, wird von kaiserlicher Einmischung nur wenig
geredet ; die beiden Nebenbuhler kämpfen mit ihren Bundesgenossen
von Utrecht, Brabant, Flandern, Namür, vertragen sich mit diesen
und unter einander; Philipp von Schwaben befestigt (1204) Wilhelm
n dessen Reichslehen ^), aber der Graf von Namür, Regent von
Flandern, setzt 1206 Ludwig als Grafen von Holland ein^), bis zu-
letzt 1213 Wilhelm von Otto IV belehnt wird mit „omnia feoda
quae nobiles viri Florentius (III.) et Theodoricus (VII.) bonae
memoriae comites HoUandiae, videlicet praedecessores praefati co-
mitis Willelmi HoUandiae, ab imperiali aula tenuerint" ^). Doch
finden wir um 1220 noch immer die kaiserliche Macht, wie in Bar-
barossas Tagen, dann und wann vermittelnd und regelnd wirksam,
auch in den immer wieder ausbrechenden Fehden zwischen Flandern
1) Oorkondenboek van Holland en Zeeland, I, no. 173.
2) Meerman, p. 21/2.
3) „feoda quae pater suus et fratres ab imperio tenuerunt" (Oorkdb. 1>
no. 201).
4) ib. nr. 206.
5) ib. no. 229.
Holland und das Eeich vor der Burgunderzeit. 615
und Holland über die seeländischen Reichslehen, die Friedrich II
zu Gunsten des holländischen Grrafen, sein Sohn Heinrich aber zu
Grünsten der flämischen Gräfin zu schlichten sucht ^).
Die holländischen Grafen blieben, wie klein und entlegen ihr
Gebiet auch sein mag , auch im 12. und 13. Jahrh. angesehene
Herren im Reich. Graf Floris II. heiratet Petronilla von Sachsen,
Halbschwester Kaiser Lothars; Floris III. die schottische Königs-
tochter Ada; Wilhelm I. die Witwe Ottos IV. Der junge Wil-
helm II. bringt es unter geistlicher Stütze zur Würde eines Rö-
mischen Gegenkönigs Friedrich II und Konrad IV gegenüber, aber
fällt im Kampf gegen die Friesen, als er nach Befestigung seiner
Königsmacht in Norddeutschland und am Rhein die Kaiserkrone
aus Italien zu holen sich vorbereitet; sein Sohn Floris V., dessen
Mutter Aleidis sich 1262 von Richard von Comwallis als „tutrix
HoUandiae atque Zelandiae" hatte anerkennen lassen „accepto ho-
magio et fidelitatis debitae juramento^^ ^) , gehört zu den angese-
hensten Fürsten im Nordwesten des damals aus grenzenloser Ver-
wirrung unter Rudolf von Habsburg gleichsam wieder hergestellten
Reiches und spielt eine sehr bedeutende Rolle ^) am Niederrhein,
nachdem er die unabhängigen Friesen im spätem Nordholland und
Friesland nebst dem utrechter Niederstift seiner Herrschaft unter-
worfen und die flämischen Ansprüche auf Seeland sieghaft zurück-
gewiesen hat; sein einziger Sohn heiratetet wieder die Tochter
König Edwards- 1 von England.
König und Reich lassen sich auch in dieser Zeit mit Holland
und Seeland noch dann und wann ein. Rudolf von Habsburg er-
kennt 1276 doch den Grafen von Henneberg und Johann von
Avesnes, Grafen von Hennegau, beide Schwestersöhne des ver-
storbenen Königs Wilhelm, als eventuelle Nachfolger des damals
noch kinderlosen Floris V. ^), gestattet 1282 aber auch die Nach-
folge der einzigen Tochter des Grafen, falls dessen junger Sohn
vor ihm stirbt^), und bestätigt dessen Rechte auf Seeland^), und
Friesland'), mit Wahrung aber der Reichsrechte auf Seeland^).
1) ib. n. 273/4; Vanderkindere, 1, 1., I, S. 160 if.
2) Oorkdb. II, no. 89.
3) Obreen, Floris V (Gent, 1907).
4) Oorkdb. H, no. 304/5.
5) ib. no. 457.
6) ib. no. 602, 706, 729.
7) ib no. 733.
8) ib. no. 729.
43'
616 P- J- ßlok,
Auch König Adolf steht auf persönliclie Lehnhuld für die Graf-
schaft \), während König Albrecht die Lehnfolge Johanns I. nach
dem Tode seines Vaters ^in absentia" genehmigt^).
Als aber beim jähen Aussterben des alten Grafengeschlechts
in 1299 der schlaue Hennegauer Johann IL von Avesnes sich der
beiden Grafschaften bemächtigt, muß König Albrecht, obschon
für solche Fälle völlig durch sein Königsrecht gestützt, seine Ohn-
macht es zu verhindern erkennen ^) und die Verbindung der Terri-
torien mit der hennegauer Grafschaft, recht eigentlich eine'Usur-
pation, nach vergeblichem Widerstand zulassen*). Johanns Nach-
folger, Wilhelm III, hat mit Ludwig dem Bayer, bald seinem
SclLwiegersohn, nahe Beziehungen unterhalten, wird später Land-
friedenshauptmann und Generalvikar am Niederrhein ^) ; er wie
sein Sohn Wilhelm IV. gehören zu den mächtigsten Eeichsfürsten
an der Grenze nach Frankreich hin.
Diese enge Verbindung Wilhelms III. mit dem Römischen
König und Kaiser, wiewohl im Kampf Ludwigs gegen die Kurie
nicht immer aufrecht gehalten^), hat schon seit dem ersten Ke-
gierungstag des „Baurus" bestanden. Wilhelm gehörte zu den
Fürsten, die Ludwig am 25. Nov. 1314 in Aachen die Königskrone
aufsetzten. Am selben Tag wurde ihm vom neuen Römischen
König ein überaus wichtiges Diplom ausgestellt'), offenbar dieser
Anschließung wegen, wie auch im Diplom gesagt wird, daß der
König des Grafen „grata et obsequiosa servitia^ nicht nur „nostris
antecessoribus" bewiesen lohnen will, sondern auch „nobis et im-
perio in futurum" auf seinen Dienst rechnet. Dieses Diplom nun
stellt fest, daß der König „onine jus quod Ididem (reges et impe-
ratores) in comifatihus Eollandie, Zelandie et dominatu Frisle reda-
marunt seu reclamare potuerunt aut Nos reclamare possemus, libere et
absolute de consensu et assensii nostrorum principum quittamus ac
1) ib. no. 828.
2) ib. no. 1058, vgl. no. 949, 977.
3) Franke, Beiträge zur Gesch. Johanns IL von Hennegau-Holland (Leipzig
1899) S. 65 ff. Auch in der Westdeutschen Zeitschrift, Ergänzungsheft VL
4) Vgl. Franke, Beiträge 1. 1.
5) Meine Geschichte der Niederlande, II, S. 93; Kuntze, Die politische
Stellung der niederrheinischen Fürsten (München 1882), S, 13 ff.
6) Kunze, S. 23 ff., 42 ff.
7) Cartulaires de Hainaut (Monum. pour servir k l'histoire des prov. de
Kamur, de Hainaut et de Luxembourg), III, p. 43. Die Originale dieser Urkunden
im Staatsarchiv zu Bergen in Hennegau. Vgl. Van Mieris, Charterboek, II, S. 145.
Siehe Beilage I.
Holland und das Reich vor der Burgunderzeit. 617
eideui ejusqiic hureäihus et successoribus 2)resentibus duximus remitten-
äum salvo tarnen tiobis et imperio homagio dehito pro eisdem^. Uebri-
gens sind die Grafschaften, nacli Vernichtung von ^Processus aliqui
per nostros predecessores . . . contra emndem comitem aiit siios predc-
ccssores^j von dieser Zeit an frei von allem Reichsanspruch. Weiter
werden dem Grafen, dem am selben Tage die Friesen von "Wester-
und Ostergo als ihrem Herrn zu gehorchen befohlen worden ^) am
folgenden Tag „pro certis serviciis quae nobis et imperio fecit"
52000 ..librae Turonenses" zuerkannt aus „aliquo theloneo super
Rhenum" -), wofür der Erzbischof von Trier, die Grafen von Jü-
lich, Berg, Isenburg und andere niederrheinische Herren Bürg-
schaft leisten^). Dem Grafen werden endlich einige Tage später
alle ihm und seinen Vorgängern von den deutschen Königen ver-
liehenen Privilegien, „cuiuscumque tenoris existant", bestätigt*).
Vom 1. Dezember ist dann der dem Grafen ausgestellte Lehns-
brief ^) ^de Omnibus hiis que dictus comes et predecessores su
tenuerunt seu teuere debuerunt seu que ipse comes tenet a re-
gibus et imperatoribus Eomanorum in comitatu Hollandie , Zee-
landie et dominatu Frizie".
Das wichtigste aller dieser Diplome ist wohl das zuerst ge-
nannte, das am 14. Juni 1330 feierlich erneuert und mit der kaiser-
lichen „bulla aurea" besiegelt wurde ^).
Aber welche Bedeutung hat es recht eigentlich? Man könnte
fragen, ob es vielleicht nicht nur die hennegauische Erbfolge, die
anfänglich ja vom König Albrecht energisch bestritten, aber seitdem
auch von diesem anerkannt war'), feststellen sollte. Wer aber
bestritt sie damals noch?
Wir besitzen eine Urkunde vom 12. Mai 1308^), einige Tage
also nach dem jähen Tode Albrechts, in welcher Johann von Bra-
bant, Heinrich von Luxemburg, Johann von Namur, Gerhard von.
Jülich, Arnulf von Loon und Guido von Flandern, die sich —
außer dem flandrischen Grafen — am vorigen Tage zu Nivelles
1) Cart. de Hainaut, p. 41 ; Van Mieris, S. 146.
2) Cart. de Hainaut, p. 44, dd. 26 Nov. Van Mieris, S. 146.
3) Cart. de Hainaut, p. 47, dd. 4. Dez. Van Mieris, S. 147.
4) Van Mieris, S. 146, vgl. S. 141 (vom 2. März 1315), dd. 1 Dez.
5) Cart. de Hainaut p. 45.
6) Cart. de Hainaut, p. 225. Van Mieris, S. 497/8; siehe Beilage II. Vgl
jetzt auch Steckele in Westd. Zeitschr. XXVII, 1, S. 107, der seinerseits weist
auf die faktische Unhaltbarkeit damals der Reichsrechte in diesen Gegenden.
7) Franke, 1. 1. S. 88.
8) Cart. de Hainaut, III, p. 583.
618 P- J- Bi^k,
auf Lebenszeit enge verbündet hatten^), nur nicht „envers nos
seigneurs, c'est assavoir le roy d'AUemagne et le roy de France",
dem hennegauer Grrafen geloben, ;,que s'il avenoit par le grasce
de Dieu ke li uns de nous fust eslius roys d'Allemagne", sie ihn
„en foy et hommage'^ empfangen werden nicht nur für Hennegau,
,.hors mis les calenges ki sont et ont estet entre les contes de
Flandres et de Haynau, dont il ont plaidiet en le court le roy
d'Allemagne", sondern auch für Holland, Zeeland und Friesland.
Es steht da: „item recheveroit-il (le roi d'Allemagne elu) le dit
conte Gruillaume u ses hoirs de tout chose ke si devanchier conte
de Hollande, de Zelande et signeur de Frize ont estei en foy et
en hommage des roys d'Allemagne, ossi et ne s'en pora escuser
par nulle raison, especialment pour chose ke ces convenanches
ont estei faites devant son election, ne demorra mie ke il n'en
rechoive en foy et en hommage le dit conte Guillaume et ses
hoirs. I^t quitiera an dit conte Guillaume et a ses hoirs tout cliou
Tee li roys d'Allemagne poroit demander es difes conteiz par Ja raison
du royaume u de Vempire, u par quelconques aiitre raison l'e ce fust,
hien et svffisanment. Et n^est mie a entendre he le dis cuens ne
fache vers le roy chou quHl doit u devera pour la raison de sen hom~
inage'^. Weiter versprechen sie ihm zu helfen, daß er, falls keiner
von ihnen König vrird, „sera recheus en le foy et en l'hommage
dou dit roy d'AJlemagne et sera quites en la maniere devant dito".
Es sind hier zwei Sachen wohl zu unterscheiden. Erstens,
daß der Graf von Hennegau für sich und seine Erben als im völ-
ligen lehnsrechtlich bestätigten Besitz der Grafschaften Holland,
Seeland und der friesischen Territorien erkannt werden wird gegen
Leistung des Lehneids. Zweitens, daß die römischen Könige in
keiner Hinsicht etwas in diesen Gebieten zu fordern (demander)
haben werden.
Was den ersten Punkt betrifft, finden wir den Grafen schon
beim Anfang der Wahlverwickelungen nach dem unerwarteten
Tode Heinrichs VII damit beschäftigt , die Rechte seines Hauses
zu wahren. Er spielte in diesen Verwicklungen eine bedeutende
Rolle ^), führte sich ja selbst im Anfang als Mitbewerber für die
römische Krone auf^), in Erinnerung vielleicht an die seinem
1) Fischer, in Sitzungsberichte Kais. Akad. XIV, S. 196 ff , aus der merk-
würdigen Pisaner Sammlung kaiserlicher Archivstücke, dem Nachlaß Heinrichs VII
2) Kunze, Die politische Stellung der niederrheinischen Fürsten S. 5.
3) Mühling, Die Geschichte der Doppelwahl des Jahres 1314 (München 1882),
S. 40,65.
Holland und das Reich vor der Burgunderzeit. 619
Großolieim Wilhelm von Holland zugefallene Machtstellung, die
sich auch ihm keineswegs unerreichbar zeigte, falls der Erzbischof
von Köln die Rolle spielen wollte, die sein Vorgänger in Wilhelms 11.
Zeit auf päpstliche Forderung und mit kräftiger Mitwirkung des
päpstlichen Legaten Hugo von St. Cher gespielt hatte.
Im März 1314 verspricht er, den Erzbischof von Köln nach
Frankfurt und Aachen zur Wahl und Krönung eines Römischen
Königs geleiten zu wollen, während dieser ihm verspricht keinen
König zu wählen, der dem Grafen seine Rechte nicht zusichern
wolle ^). Als Ludwig von Bayern sich im Sommer 1314 unter
den Kandidaten für die Krone gestellt hatte aber der Kölner
einstweilen dem österreichischen Herzog treu blieb, hat Graf Wil-
helm beim schändlichen Stimmenhandel über die Königskrone ''^)
und dem Wettlauf nach Aachen offenbar seinen Vorteil zuletzt
beim bayrischen Mitbewerber gefunden und dafür u. A. das Diplom
bekommen, nicht also durch den Kölner aber durch dessen Wider-
sacher von Mainz und Trier, die Ludwigs Krönung zu Aachen
vollbrachten.
Auch in 1330, als der Graf sich nach Jahren politischer
Schwankung zwischen Ludwig und der Kurie sich wieder fester
dem Kaiser anschließt, sind derartige Ursachen für die Erneue-
rung des Diploms nachzuweisen^).
Im Diplom von 1314 und 1330 wie in der Urkunde von 1308
sind also die zwei verschiedenen Sachen unverkennbar auseinander
gehalten: die Beendigung der „processus" über die Erbfolge und
die Verzichtung des Königs auf die Reichsrechte, die in unver-
kennbarem Anklang an die Urkunde von 1308*) mit denselben
Worten aufgegeben werden.
Man darf also feststellen, daß das Diplom von 1314 (1330)
den Grafschaften eine gewisse Sonderstellung im Reich schaffte,
ihnen eine faktische Unabhängigkeit sicherte mit Festhaltung allein
1) Böhmer, Reg. Ludw. des Bayern, S. 309, aus St. Genois, Monuments
CXCIX: „Et cet Arch. jpromet de ne point consentir ä l'election d'un roi des
Romains qu'apres qu'il aura promi de terminer promptement les affaires que le
comte de H. avoit avec lui, d'oter les empechemens que ses prede'cesseurs avoient
mis ä la jouissance des comte's de Hollande, de Zelande et de la seigneurie de
Frise , d'en confirmer la possession au comte de Hainaut , de le recevoir ä
l'hommage pour ce comte et de l'indemniser de tous les obligations que le comte
de H. pourroit contracter en faveur de ce Roi."
2) S. darüber Mühling, S. 71if.
3) Kunze, S. 48, 51. Vgl. Stechele, 1. I.
4) „omne jus . . . quittamus" (1314) und „quittera", „sera quites" (1308).
620 P- J- Blök,
des Lelinsnexns. Das Diplom darf also als ein Schritt zur
Trennung der Grafschaften vom Reich angesehen werden, wiewohl
ihm bis jetzt diese Bedeutung noch nicht zugesprochen wurde ^).
Daß im 14. Jahrh. die Grafschaften dem Reiche gegenüber auch
anders standen als das Stift Utrecht und als Geldern ist bekannt :
sie nähern sich im Gegenteil dem faktisch unabhängigen Ver-
hältnis Brabants zum Reiche. "Weder hier noch in Brabant finden
wir denn auch in der Folge eine Spur von Ausübung der Reichs -
rechte: Graf "Wilhelm und sein rühriger Sohn Wilhelm IV ge-
bärden sich als unabhängige Dynasten, die im Reich eine bedeu-
tende Rolle spielen aber sich von Reichsrechten in ihren Graf-
schaften nichts anziehen.
Der Zusammenhang der beiden Grafschaften mit dem Reich
hätte aber wieder enger werden können nach dem kinderlosen
Tode des letzten hennegauer Grafen, "Wilhelms IV. bei Stavoren
in 1345, dem seine Schwester, die Kaiserin Margarethe selbst,
„tamquam verlor, proximior et antiquior heres"^) mit kaiserlicher
Belehnung ihres Gemahls nachfolgen konnte. Und die spätere
Erhebung ^) ihrer Söhne "Wilhelms V und Albrechts *j scheint die
Bände mit dem Reich auch noch wieder zu befestigen im Stande
gewesen zu sein, weil diese Fürsten als regierende Herzöge in
Nieder bayern dem Reiche näher stehen mußten als die faktisch
souveränen Hennegauer, die sich aus dem Lehnsverhältnisse zu
Lüttich ^) wenig machten. Es ist dabei auch zu beachten, daß die
beiden Grafschaften von der Zeit Margaretens an, mit vollkom-
mener Nichtbeachtung der Lehnsverhältnisse zwischen Hennegau
und dem Bistum Lüttich, unverbrüchlich mit Hennegau verbunden
sind und seitdem die drei Grafschaften als ein unteilbares Terri-
torium gelten, dessen Zusammengehörigkeit von den nachfolgenden
Grafen bei ihrer Huldigung feierlich anerkannt wird. Das Reich
aber hatte bei dieser festen Verbindung der beiden Reichslehne
mit Hennegau wieder nicht viel einzubringen; allein hat Kaiser
Ludwig selbst die drei Grafschaften sämtlich als das unzertrenn-
1) Von „Reichsunmittelbarkeit", wovon bei der Diskussion auf dem Berliner
Historikerkongreß am 8. Aug. 1908 die Herren Proff. Seeliger und Kaufmann
sprachen, kann hier keine Rede sein.
2) Van Mieris, II, S. 702/3.
8) Meine Geschichte, II, S. 100 flF.
4) Van Mieris, II, S. 727/8.
5) Vanderkindere, La formation territoriale des principaut^s beiges, II, p.
92 suiv.
Holland und das Reich vor der Burgunderzeit. 621
liehe Erbe seiner Gemahlin und ihrer Nachfolger anerkannt^). Die
Regentschaft Herzog Albrechts für seinen schwachsinnigen Bruder
hat bei den Luxemburgischen Reicbsherrn keinen Widerspruch ge-
funden, da er sich anfangs ihnen anschloß während seine bay-
rische Verwandtschaft sich ihnen widersetzte, und nach dem Tode
Wilhelms war Wenzel jedenfalls nicht stark genug sich gegen
Albrechts Nachfolge zu stellen , wiewohl schon damals Albrecbt
sich persönlich dem Reiche abgewandt und den Franzosen zuge-
wandt hatte durch seine feste Verbindung mit den noch völlig
französischen Burgundern. 1367 hat Karl IV jedenfalls die Titel
Albrechts anerkannt ^'), 1370 bestätigt er ihm, dem Schwiegervater
seines Sohnes, alle von seinen Vorgängern den Grrafen von Holland
verliehenen Rechte ^) und befiehlt Oster- und Westergo ihm zu ge-
horchen wie früher seinem Bruder Wilhelm^). Er nennt Albrecht
selbst schon 1372 ^j Grafen von Holland und Seeland. Auch die
Heirat des zweiten Sohnes Albrechts , des jungen Albrechts von
Straubing, mit des Kaisers Tochter Anna sollte in derselben Rich-
tung wirken. Von kaiserlichem Einfluß in Holland , von Reichs-
bemühung mit dieser Grafschaft ist aber auch in diesen Zeiten
keine Rede. Nur hat 1384 König Wenzel auch den Untertanen
Albrechts das jus de non evocando, also ihrer Entlassung aus jeder
Reichgerichtsunterthänigkeit, ausdrücklich anerkannt^).
Albrecht hat also die persönlichen Beziehungen zu Kaiser
und Reich geflissentlich unterhalten, jedenfalls in der ersten Zeit
seiner langwährigen Regierung ^) ; seine Tochter Johanna war 1370
an König Wenzel verheiratet*). Als diese aber 1386 verstorben
war und die politischen Beziehungen Albrechts zu Frankreich und
dem aufkommenden Hause von Burgund immer enger wurden,
nahm die Entfremdung der Grafschaften vom Reich augenscheinlich
zu. Die burgundischen Heiraten von 1385, durch Vermittelung der
1) Van Mieris, II, S. 727.
2) ib. III, S. 216.
3) Böhmer-Huber, Reg. Imp. Karl IV, S. 107.
4) Von Mieris, III, S. 140, mit falschem Datum.
5) ib. S. 271. Auch. 1374: Böhmer-Huber, S. 445.
6) Van Mieris, III, S. 409/10, 418/9.
7) Siehe darüber passim meine Studie: De erste regeeringsjaren van hertog
Albrecht, in Bydr. voor vaderl. gesch. 3. Reeks, II, S. 244 ff. ; meine Geschichte
II, S. 120.
8) Lindner, Gesch. des Deutschen Reiches unter Wenzel S. 19, 42; meine
obengenannte Studie, S. 275.
622 P- J- Blök,
französisch gesinnten Herzogin Johanna von Brabant , Witwe des
holländischen Grafen Wilhelms IV und des Luxemburger Wenzels
von Brabant, sind, wie allbekannt, in dieser Hinsicht von großem
Grefolge gewesen ^) ; namentlich Albrechts Sohn Wilhelm , sein
Nachfolger, ist der treue Bundesgenosse der Burgunder geworden,
die seit dieser Zeit die nördlichen Niederlande immer mehr in
ihren Gesichtskreis aufnehmen.
Im Reich erkannten die Kurfürsten die drohende Gefahr der
Entfremdung an erster Stelle Brabants, des vornehmsten Gebietes
der Niederlande. Ihre Entrüstung machten sie 1398 König Wenzel
kund : auch von Reichsflandem war dabei die Rede ^). Aber Wenzel
schloß sich den Franzosen an und ließ das Reich und dessen Rechte
verkümmern, bis die Kurfürsten ihn im August 1400 durch Ru-
precht von der Pfalz ersetzten. Aber auch dieser konnte dem
Verhängnis nicht vorbeugen, wiewohl er bei seiner Krönung die
Erhaltung des sehr gefährdeten Brabants zu versichern gelobt
hatte. Brabant ging 1406 an den Burgunder über, unter Protest
Ruprechts, aber mit Genehmigung Wenzels, und auch König Sieg-
mund, der luxemburgische Nachfolger der beiden zwistenden Vor-
gänger, kam nicht weiter als zu Protesten, freilich , so weit die
Worte gingen, ernster Art , die er aber nicht durch energisches
Auftreten stützen konnte. Holland - Seeland folgte langsam aber
sicher dem Wege Brabants. Ihr Herr, Herzog Wilhelm VI aus
dem bayrischen Geschlecht, läßt sich mit dem Reich und König
Siegmund, nach dessen Wahl, zu der auch seine Gesandten freilich
noch mitgearbeitet hatten, so gut wie nicht ein und hat beide
Augen auf Frankreich gerichtet, dessen Dauphin sein Schwieger-
sohn wird. Er ist ganz und gar Franzose und mit Burgund fest
verbunden, Busenfreund und Waffenbruder Johanns ohne Furcht,
des damaligen Burgunderherzogs. Wohl war er als Reichsfürst
Ende 1401 Ruprecht noch auf dessen mißglücktem Romzug gefolgt
und leistete selbst König Siegmund, während dessen Reise nach
England (Juni 1415) persönlich die Lehnhuld *), aber bei der Heirat
seiner Tochter (1416) versprach er sie und ihren französischen Ge-
mahl als Erbe seiner Lande einzusetzen^). Diese Abmachung fand
bei Siegmund, der wiederum den französischen Einfluß wachsen und
auch diese Grafschaften dein Reich entfallen sah, wohl energischen
1) Meine Geschichte, II, S. 56; Pirenne, II, passim.
2) Vgl. Rachfahl, 1. 1.
3) Von Löher, Jakobaea von Bayern, I, S. 264 (mit den Noten S. 455).
4) Van Mieris, IV, S. 342.
Holland und das Keich vor der ßurgunderzeit. 623
Widerspruch, aber nichtsdestoweniger folgte die inzwischen ver-
witwete Jakobaea mit Zustimmung ihrer Untertanen ihrem Vater
als Grräfin seiner Länder, während der machtlose König es an-
sehen mußte, daß sie sich, obwohl persönlich halb unwillig, ihrem
jungen burgundischen Vetter Johann IV von Brabant zu verhei-
raten versprach. König Siegmund aber tat was er konnte um
die Heirat zu verhindern und belehnte Johann von Bayern, Bruder
des verstorbenen Herzogs, mit den Grrafschaften. Wie dieser fak-
tisch sich der Herrschaft bemächtigte, selbst von Johann von
Brabant anerkannt ; wie die von ihrem Gremahl vernachlässigte
Jakobaea ihn verließ, heimlich nach England übersiedelte, da-
selbst sich mit Humphrey von Glocester vermählte und bald den
Krieg um ihr Erbe in den Niederlanden anfing, wie Johann von
Bayern verschied und dann PhiKpp von Burgund seine Erbschaft
gegen Jakobaea behauptete, ist alles allbekannt und mit roman-
tischem Schimmer beleuchtet.
Aber die Belehnung mit den beiden Grrafschaften erhielt Phi-
lipp der Gute weder von Siegmund noch von Albrecht oder Frie-
drich III und auch sein Sohn, Karl der Kühne, konnte sie nicht
durchsetzen *) : die deutschen Könige wollten das Stück deutscher
Erde dem französischen Burgunder nicht völlig überlassen.
Aber dann folgt die Zeit der Burgundisch- Habsburgischen
Fürsten und damit wohl nicht die der regelmäßigen Belehnungen
— erst Philipp II hat sich von seinem Vater, wie von Ferdinand
und Maximilian II auch mit diesen Grafschaften belehnen lassen
aber in Hinsicht auf Holland-Seeland und Friesland nur in dieser
Form, für alles was „in comitibus Hollandiae, Selandiae dominiis-
que Frisiae Orientalis et Occidentalis aliisque terris inferioris
Germaniae , quae a S. B. J. moventur, in feudum recognoscuntur
ab Imperio" — sondern doch mit vager Anerkennung der Zuge-
hörigkeit zum Reich wie aus der Formel ,,quae a S. B. J. mo-
ventur" erhellt. Die „wunderliche historische Fiktion" ^) der Sonder-
stellung der ehemaligen lothringischen Länder im Beich wurde
von den niederländischen Juristen zu Hülfe gezogen um damit
nicht allein Brabant sondern auch Holland-Seeland als „freies
AUod" nicht nur von allen Verpflichtungen dem Reich gegenüber
aber auch von jeder Zugehörigkeit — dafür hätten sie nur das
Diplom von 1314 vorzubringen gehabt — lossprechen zu können.
1) Rachfahl, 1. 1,. S. 81 ff., wo er meinen früheren Ausführungen gegenüber
Recht hat.
2) Rachfahl, S. 89.
624 P- J- Blök,
Daß Holland-Seeland vor der Burgunderzeit immer als Reichs-
lehen gegolten haben, ist nach allen diesen Bemerkungen zweifellos
festzustellen; seit 1314 aber ist auch rechtlich nichts weiter als
der bloße Lehnsnexus geblieben und hat das Reich weiter nichts
von diesen Herrschaften zu fordern gehabt, wie diese sich auch
ihrerseits mit dem Reich nicht weiter einließen. Schon unter dem
hennegauischen Grafengeschlecht, das seiner Herkunft nach weitaus
mehr dem französischen als dem germanischen Wesen nahestand,
war das Band mit dem Reich also sehr geschwächt; unter den
Bayern, die Froissart recht eigentlich als Avesner, als Henne-
gauer begrüßt, als Muster der französischen Ritterwelt seiner
Zeit, ist dies, anfänglicher persönlicher Verbindungen zum Trotz,,
so geblieben, wie unter ihren burgundischen Nachfolgern.
Die hennegauisch-bayrischen und burgundischen Landesherren
schlössen sich in dieser Hinsicht nur der geschichtlichen Entwicke-
lung ihrer Grafschaften an. Denn, so fest es steht, daß vor der
Burgunderzeit staatsrechtlich das öfters lockere Band dieser
Gebiete mit dem Reich im Großen und Ganzen auch nach dem
Diplom von 1314 nicht gänzlich zerbrochen ist, ebenso fest steht,
es, daß die allgemeine Kultur der Grafschaften sich nicht in
deutscher sondern in französischer Richtung entwickelt hat.
Auch staatsrechtlich, aber im Sinne der inneren staatlichen
Entwicklung, ist ohne jeden Zweifel der französische Einfluß auf
die holländisch - seeländischen Zustände maßgebend gewesen, und
schon im 13. Jahrhundert , dem ersten , worüber wir vom inneren
Zustand Hollands und Seelands zuverlässiger unterrichtet sind.
Und dieser Einfluß nimmt seinen Weg über Flandern, mit welcher
französischen Grafschaft die holländischen Grafen, wie wir sahen,
schon seit der ältesten Zeit in engen Beziehungen standen; na-
mentlich seit dem 12. Jahrh. durch das Verhältnis Seelands zu
Flandern, dessen mächtiger ökonomischer Aufschwung schon in
diesem Jahrhundert^) auf das von flämischen Kaufleuten durch-
zogene Seeland^) nicht ohne Einfluß geblieben sein kann. Wenn
wir die fürstliche Macht in Holland-Seeland wie in Flandern weit
eher kräftig entwickelt sehen als in den naheliegenden Teilen des
deutschen Reichs^); wenn wir die Burggrafschaften von Voome
1) Pirenne, Geschichte Belgiens I, S. 213 ff.
2) Oorkdb. I, no. 147 (1165), wo die Rede ist von „conductus a transeun-
tibus Flandrensibus", von dem „mercator transiens".
3) Pirenne, I, S. 120 ff.
Holland und das Reich vor der Burgunderzeit, 625
und Leiden , die einzigen in Holland - Seeland , die beide im 12.
Jahrh. schon bestanden, den flämischen und nicht den deutseben
Typus tragen sehen ^); wenn wir an den jungen holländischen und
seeländischen Städten des 13. Jahrb. den Einfluß französischer und
flämischer und nicht deutscher Modelle ganz deutlich erkennen
können^); wenn wir die der königlichen französischen Admini-
stration entlehnten flämischen baillis des 12. in den holländisch-
seeländischen „baljuwen" des 13. und 14. Jahrhunderts ihre Amts-
genossen haben sehen ^); wenn wir die flämischen „ambachten" als
Unterdistrikte dieser „baljuwschappen" auch in Holland - Seeland
wiederfinden; wenn wir das holländisch -seeländische Polderrecht
mit dem flämischen große Aehnlichkeit bieten sehen*) — da ist
Hegels Ausspruch: „Regierung, Grerichtswesen und Verwaltung
waren in diesen Ländern auf gleiche Weise wie in Flandern und
Brabant geordnet" ^), nicht zu stark.
Aber ist dieser unwidersprechliche flämische Einfluß auch fran-
zösisch? Ich glaube sagen zu können: auch dieses ist der Fall.
Von den Burggrafen, den Castellani, kann es bis jetzt ohne ge-
nauere lokale Untersuchung in Flandern und Nord-Frankreich noch
nicht endgültig festgestellt werden^), wiewohl Zusammenhang mit
den nordfranzösischen „chätelains" vor der Hand liegt und Ent-
stehung dieser Anordnung aus nordfranzösischen Zuständen höchst
wahrscheinlich ist '^) ; von den Ambachten ist das nicht so nachzu-
weisen aber auch hier ist jedenfalls eine überraschende Aehnlich-
keit zwischen den nordfranzösisch -normandischen und flämisch-
holländischen ländlichen Zuständen zu bemerken: das nordfran-
zösisch-normandische Dorf ^) ist nicht prinzipiell verschieden vom
holländisch - seeländischen, das von den östlicheren Dörfern erheb-
lich abweicht; von der städtischen Entwickelung Flanderns ist es
w^ohl nicht zweifelhaft, daß sie die Weiterentwickelung der nord-
französischen kommunalen Zustände genannt werden kann, wie sie
sich in Cambray gegen Ende des 11. Jahrb. scharf accentuierte ^).
1) Eietschel, Das Burggraf enarat, S. 200ff. ; meine Holl. Stad in de Middel-
eeuwen, S. 144/5.
2) Vgl. meine Holl. Stad in de Middeleeuwen, S. 344 ff.
3) Fruin, Staatsinstellingen, S. 64 ff. ; Pirenne, S. 347 ff. ; Luchaire, Manuel
des institutions monarcLiques sous les cape'tiens directs, p. 543 f.
4) Müller, Seeland, passim.
5) Hegel, Städte und Gilden, II, S. 239.
6) Eietschel, 1. 1. S. 201.
7) Luchaire, 1. 1. p. 251, 264 flg., 278 flg.
8) Luchaire, 1. 1. p. 377/8.
9) Pirenne, S. 209 ff.
626 P. J. Blök,
Eine zweite wirkungskräftige Periode des französischen Ein-
flusses auf die Landesverwaltung in Holland -Seeland ist aber die
Zeit der hennegauer Grafen, die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts.
Es steht wohl fest, daß erst unter ihnen die bis dahin noch sehr
primitive von der fränkischen Zeit stammende Verwaltung dieser
Grafschaften an feste Regeln gebunden wurde. Was wir in dieser
Hinsicht aus der Zeit Floris V. besitzen, ist sehr dürftig: Frag-
mente eines Lehnregisters aus der Zeit von 1280 bis 1297') sind
mit einzelnen Urkunden ungefähr das einzige was wir haben, und
diese Aufzeichnungen sind noch sehr dunkel und verwirrt. Sie
zeigen aber nur die ersten Anfänge einer besseren Verwaltung,
wie übrigens in der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. auch in Holland,
wie in den andern deutschen Territorien z. B. die Kanzlei Verhält-
nisse sich bedeutend verbessert haben ^) , welche Verbesserung
wahrscheinlich auch teilweise auf päpstliche, aber für diese Ge-
genden teilweise auch wieder auf französische Modelle zurückgeht ^).
Eine geregelte Registerführung fängt für Holland - Seeland aber
erst an unter der Regierung des ersten hennegauer Grafen, der
nach der kurzen stürmischen Regierung seines Vaters Johanns ü.
bald in völliger Ruhe diese Grafschaften lenkte: Wilhelms III.,
und zwar um 1319*). Es ist dieser vortreffliche Herrscher ge-
wesen, der die holländisch-seeländische Kanzlei, wie sie später be-
steht^), und die Verwaltung überhaupt daselbst geordnet hat in
derselben Art und Weise, wie sie in Hennegau schon früher ge-
ordnet waren und offenbar wieder nach dem bekannten fran-
zösischen Muster. Und was hätte mehr vor der Hand gelegen als
diesem Muster nachzufolgen, das seit Philippe - Auguste oder viel-
leicht eher seit Saint Louis, dessen „regne incomparable" auch in
dieser Hinsicht maßgebend war^), und mit der fruchtbaren Regie-
rung Philippe le Bel's ') Frankreich zum bestregierten Land der
damaligen Welt machte? Ein einziger Blick in die französische
1) Muller , Het oude register van graaf Florens , in Bydr. en Meded. Hist.
Gen. Utrecht, XXE, S. 117.
2) Breßlau, ürkundenlehre, I, S. 458.
3) ib. S. 104 ff.
4) Van Riemsdyk, De registers van Gerard Alewynsz, in Versl. en Meded.
Kon. Akad. Afd. Letterk. 3. Reeks, VII, S. 430.
5) Van Riemsdyk 1. 1. und De tresorie en kanselary van de graven van Hol-
land en Zeeland, S. 69 ff.
6) Vgl. Le Nain de Tillemont, Histoire de Saint Louis.
7) Luchaire, Manuel des Institutions monarchiques sous les Capdtiens di-
rects, p. 529 suiv.
Holland und das Keich vor der Burgunderzeit. 627
Finanzverwaltung des 13. Jahrli. zeigt die nahe Verwandtschaft
der hennegauischen mit der französischen Verwaltung dieser Zeit
und es muß Johann II. von Avesnes, der tatkräftige erste henne-
gauer Herrscher über Holland-Seeland gewesen sein , der diese in
seinem hennegauer Land eingerichtet hat. Die Einrichtung des
hennegauisch- holländischen Hofes ist wo nicht unmittelbar doch
ganz gewiß sei es dann vielleicht wieder teilweise durch flämische
Vermittelung , — diese Hennegauer waren Nachkommen der flä-
mischen Gräfin Margaretha — der des französischen entlehnt. Die
Rechnungen der „herberghe" des Grrafen und der Grräfin von Hol-
land-Seeland um 1340 zeigen völlig dieselbe Einteilung wie die
der „hoteis" der französischen Könige und Königinnen; dasselbe
ist der Fall mit den allgemeinen Rechnungen der Grafschaft.
Das französische „consilium" , die „curia regis" ist identisch mit
dem gräflichen „raad" in Holland , schon unter Floris V. ; die
gräflichen „clercken" gehen wie in Frankreich im 14. Jahrh. in
eigentliche ;,legistes" über, die Juristen, die den Staat Philippe
leBel's lenken halfen: Gerard Allewynsz und Gerard, Peter, Hugo,
Philipp von Leyden in Holland - Seeland sind nichts anderes als
diese. Das ganze finanzielle Verwaltungssystem der holländischen
Grafen des 14. Jahrh. zeigt also unverkennbare Verwandtschaft mit
dem der französischen Könige, in dieser Hinsicht wie in allen das
Vorbild der monarchalen Verwaltung in West-Europa. Selbst die
Namen der gräflichen Beamten und der Unterabteilungen der gräf-
lichen Rechnungen sind den französischen Modellen entlehnt ^).
Und was die Hennegauer angefangen, haben die Bayern voll-
endet. Nach etzlichen Jahren von Verwirrung, namentlich seit
dem jähen Tode des unruhigen Wilhelms IV. bei Stavoren, ist
Wilhelm V. den Spuren seines Großvaters Wilhelms III. gefolgt ^)j
mit Hülfe wieder der „clercken", die diesem gedient hatten und
auch bei ihm in völlig bewußter Nachahmung die Stelle der „le-
gistes" der französischen Könige erfüllten. Wie Nogaret und die
Seinigen unter Saint Louis, Philippe le Hardi und Philippe le Bei
die wohlgebildeten Instrumente zur Einführung der gewünschten
monarchalen Reform in Frankreich gewesen sind, so waren es in
Holland-Seeland vortreffliche Beamte wie wieder Gerard, Peter und
Philipp von Leiden, Nicolaus Marre, Gerard Alewynsz , die den
Fürsten bei ihren administrativen Reformen zur Seite gestanden
1) Grafelykheidsrekeningen onder het Henegouwsche Huis, Ausg. Hamaker
(Werken Hist. Genootscbap te Utrecht).
2) Van Riemsdyk, De tresorie en kanselary, S. 75 ff.
628 P. J. Blök,
haben*). !N'ach dem Ausbrucli der schrecklichen Seelenkrankheit,
die den jungen vielversprechenden ersten bayrischen Grrafen zur
Eegierung nnfäbig gemacht hat, ist es sein Bruder Albrecht, der
vielbewunderte „duc Aubert" Froissarts gewesen, der 1363 den
früher in flämischem Dienst stehenden Jan van der Zichelen (de
la Fouchelle) wie in Frankreich und Flandern zu seinem Greneral-
tresorier angestellt und damit die Einheit der Verwaltung in
den drei Grafschaften eingeführt hat 2). Ein Vierteljahrhundert
später hat Albrecht die Befugnisse dieses „Tresoriers", damals
noch offiziell „cancellarius ac curie omniumque rerum et bonorum
comitis legalis dispensator" genannt, ansehnlich erweitert^). So
ist es bis in die Burgunderz eit geblieben.
Sehen wir also , daß die Verwaltung in Holland-Seeland ein
flämisch -französisches Gepräge trägt, die allgemeine Kultur seit
dem 13. Jahrb., wiederum dem ersten, das uns in die Kultur der
holländisch-seeländischen Bevölkerung einen Einblick gewährt, bietet
dasselbe Schauspiel. Auch hier entdecken wir eine nähere Verwandt-
schaft zu den französischen als zu den deutschen Erscheinungsformen
des Volkslebens und nicht nur hier, sondern in den gesammten nieder-
ländischen Gebieten, namentlich in Flandern und ßrabant, die wie
übrigens im Mittelalter auch hier wiederum eine führende Rolle
spielten. Daß der in der Nähe von Maastricht geborene Heinrich von
Veldeke nach französischem Muster seine Eneide bearbeitete und seine
Liebeslieder dichtete ; daß gebildete flämische und holländische
„clercken" aus der Mitte des 13. Jahrh. die französischen Ritter-
romane in „dietscher'^ Sprache bereimten ; daß auch die Tierfabel
von Reinaert und Isegrim in Nord - Frankreich zu Hause ist und
der Niederländer „Willem de Madocke maecte", wie sein neu ent-
deckter Vorgänger Arnout, seine Gedichte von der „aventure van
Reynaerde" nur „uten waischen boeken in dietsche heeft begonnen",
ist jetzt „lippis et tonsoribus notum"*). Es verdient aber Beach-
tung, daß die mitteldeutschen Romane, wiewohl auch französischer
Herkunft, eher ein eigenes Gepräge zeigen, während die nieder-
ländischen Uebersetzer bloß durch ihre Sprache niederländisch
sind und selbst die einzelnen bis jetzt noch nicht auf ein
französisches Original zurückgeführten Romane durch und durch
französisch gedacht sind, sich in nichts von den andern, deren
1) Ueber sie vgl. Van Rierasdyk 1. 1. passim.
2) ib. S. 119.
3) ib. S. 175.
4) Vgl. die Untersuchungen J. W. Mullers über den dietschen Reinaert.
Holland und das Reich vor der Burgunderzeit. 629
französischen TJrsprnng man genau kennt, untersclieiden lassen^).
Die französisclie Sprache war denn auch in Flandern und Brabant
für die gebildeten Stände die Sprache der Bildung, selbst eine
zweite Volkssprache^). Die fürstlichen Häuser von Flandern und
Brabant aus dem 12. und 13. Jahrh. , und mit ihnen ihr Hof und
der Adel, von dem man schrieb : „filii nobilium, dum sunt juniores,
mittuntur in Franciam fieri doctores", kannten kaum die Sprache
der Niederländer. Es war die französisch gefärbte Bildung Flan-
derns und Brabants, die alle Grebildeten in Holland und Seeland
beeinflußte ^) ; obschon die deutsche Mystik in der doch immer ger-
manisch angelegten Volksseele sich auch hier nicht verleugnete
bei Dichtem und Dichterinnen wie die visionäre Hadewych mit
ihren Liedern von der mystischen „minne", bei Schriftstellern wie
Johannes Ruysbroeck und Jan van Leeuwen. Auch die nieder-
ländische Fabel ist die Nachbildung der französischen wie die
niederländische Lyrik die der „lyrique courtoise", abgesehen natür-
lich vom eigentlichen Volkslied , das sich auch damals in seiner
urwüchsigen Kraft behauptete und die Aeußerung des im Grunde
noch immer germanischen Greistes der ungebildeten Volks klasse
genannt werden darf. Mit Maerlant, dem „vader der dietschen
dicht'ren algader^' , verhält sich die Sache anfänglich nicht
anders: er übersetzt sklavisch französische Romane, bis er das
„walsche" als „walsch" verwirft und für Flandern und Holland
die Anfänge einer nationalen Literatur schafft; aber er tut
es doch immer wieder in den französischen Formen, die er
künstlich und selbst einigermaßen selbständig nachbildet. Zu
etwas, das man volle nationale Selbständigkeit nennen könnte, hat
die niederländische Literatur sich weder im 13. noch im 14.
Jahrh. emporschwingen können *) ; auch das Lehrgedicht, in welchem
der national -niederländische Zug der etwas trockenen verstandes-
mäßigen, realen Behandlung am meisten hervortritt, ist von den
Franzosen übernommen; selbst wo es die nationale Greschichte be-
handelt, bewegt es sich peinlich in französischen Formen.
Gegen 1300 lassen sich jedenfalls hier die Keime einer eigenen
Nationalität deutlich spüren ^) ; diese Nationalität nennt sich eine
eigene „dietsche". Als Maerlant sagt:
1) Te Winkel , De Ontwikkelingsgang der Nederl. letterkunde , I , S. 56
Kalff, Gesch. der Nederl. Letterk., I, S. 88, 121.
2) Pirenne, I, S. 364 flf.
3) Te Winkel, 1. 1., S. 57.
4) Kalff I, S. 287.
5) ib. S. 293 ff.
Kgl. Ges. A. Wiss. Nachrichten. Philolog.-hist. Klasse 1908. Heft 6. 44
630 P- J- ßiok,
„Die Brabantscen pryst Brabant
Ende die Fransois Vrankerike,
Die Duutsce dat Keyserrike,
Die Baertoene prisen Baertanien,
Die Tsampanoise Tsampanien",
da nennt er sein Vaterland Flandern :
„Dus priset elckerlyc syn lant.
Maerlant seide dat hi noit en vant
Also goet lant alse Bruxamboclit."
Aber der Flame füMte, sich dem „Zeeuschen diet", dem Bra-
banter, dem Holländer, selbst dem Friesen, dem TJtrechter, dem
Greldersmann verwandt, dem Mann von „dietschem Stamm", viel-
mehr als dem Deutschen weiter aus dem Reiche. Mit Stolz spricht
der Brabanter Boendale vom großen Sieg über die Franzosen bei
Sluis:
„Van deser hoger victorien,
Die eewig blyft in memorien.
Werden blide ten selven male
Alle die spreken Dietsche tale."
Noch fühlt sich zwar der Dietsche aus den „lagen landen bi der
See", der „terra inferior", wovon seit der Mitte des 11. Jahrh. ge-
sprochen wird, als MitgKed des großen deutschen Stammes:
„Want Kerstenheit es gedeelt in tween :
Die Walsche tongen die es een,
Dandre die Dietsche^) al geheel",
sagt Boendale in der naiven Unkenntniß seiner Zeit auf sprach-
lichem Grebiet. Es bilden sich aber schon kleine „dietsche" — man
sollte sagen Unter - Nationalitäten und unter diesen die hollän-
dische, die in dem vielleicht aus Seeland stammenden Reimchronik-
schreiber Melis Stoke ihren ersten nationalen Geschichtsschreiber
fand.
Es ist die Zeit wo sich die neueren nationalen Gregen-
sätze im westlichen Europa zuerst zeigen. Aus den westfrän-
kischen Lehnstaaten bildet sich ein französisches Reich , aus den
kleinen zersplitterten Gebietsvölkerchen eine französische Nation
im Gregensatz zu England und dem deutschen Reich; in diesem
Reich selbst zeigen sich die Gedanken eines nationalen Zusammen-
hanges, dem die verschiedenen deutschen Stammesreiche unterge-
ordnet scheinen. Von diesen Stämmen zieht ein aus friesischen,
fränkischen und niedersächsischen Elementen gebildeter „dietscher"
1) Hier ist zu bemerken, daß Boendale also dietscli = germanisch, wie
walsch = romanisch nimmt.
«
Holland und das Reich vor der Burgunderzeit. 631
Stamm unsere Aufmerksamkeit auf sick. Der Zusammenkang der
kleinen mittelalterlicken Leknstaaten sckeint nock sekr locker,
aber dock sckwebt sckon über den kleinen Unternationalitäten der
Gredanke einer Zusammengebörigkeit , unklar nock und öfter
sckwack aber sckon deutlick füklbar.
Diese kleine kolländiscke Unter - Nationalität füklt sick als
zum „dietscken" Stamm gekörig, ja sie wird die wokl eigent-
lick „dietscke", „duutscke" genannt^). Sie folgt aber der mekr
nack Süden als nack Osten kin sick wendenden Kulturbildung dieses
Stammes, der sick ostwärts jenseits der Yssel, der alten Grrenze
zwiscken Franken und Sacksen, in Greldern sckon nickt mekr zu
Hause füklt und südwärts in Südflandern und Südbrabant seine
Sprackgrenze findet. Maerlant ist geborener und gezogener Flame
aber er nennt sick nack einem kleinen Dorf bei Brielle, wo er
Küster gewesen ist und von nakebei den Hof des mäcktigen
Burggrafen von Voorne und Seeland, ja den jungen kolländiscken
Grafen Floris V. kannte, denen er seine Werke widmete, wie er
im Auftrag des Grafen seinen nickt nur dem Titel nack dem fran-
zösiscken wiewokl lateinisck gesckriebenen Speculum kistoriale Vin-
cents von Beauvais nackgebildeten ^Spiegkel Historiael" sckrieb
in der kolländiscken Abteilung eine Verkürzung von Stoke's kol-
ländiscker Reimckronik ^j. Die Fortsetzung dieses Spiegkel Histo-
riael lieferte der Brabanter Lodewyk von Veltkem, der auck
wieder mit den Herren von Voorne in Beziekung stand. Die
mittelniederländiscken ,,sproken" und „boerden" sind in großer An-
zakl wieder Uebersetzungen der französiscben „dicts" und „fablels"
und auck die einkeimiscken sckließen sick vielfack französiscken
Mustern an^); die den französiscken Mustern folgenden „Menes-
treelen", „Goliarden" und „Jongleurs" des 13. Jakrk. seken sich
im 14. Jakrk. durck den jedenfalls kalbfranzösiscken „spreker" und
„seggker" ersetzt. Es ist dabei gewiß zu beackten, das die ober-
deutscke Herkunft xmd die oberdeutscken Beziekungen der bay-
riscben Landesberren in der zweiten Hälfte des 14. Jakrk. auck
deutscke Sprecker nack Holland zogen, aus Köln, aus Bayern, aus
Bökmen , aus Mainz , aus Holstein , aus Westpkalen *) ; etzlicbe
1) Vgl. Te Winkel, Maerlants Leven en Werken, 2. Ausg., S. 28/29 ; Kalif,
I, S. 312; Verwys, in Taalkundige Bijdragen, I, S. 217 ff.
2) Te Winkel, Maerlant, S. 375.
3) Te Winkel, Gesch. der Nederl. Letterk. I, S. 456 ff.; Ontwikkelingsgang
I, S. 95/6.
4) ib. S. 475.
44*
632 P- J- Biok,
„sproken" zeigen demzufolge eine mehr oder weniger verdeutschte
Sprache. Aber es ist viel zu viel gesagt , daß am holländischen
Hof dieser Zeit ein „hochdeutscher Ton" geherrscht haben sollte ^) ;
aus Froissart geht hervor, daß Albrecht und Wilhelm VI. vielmehr
den französischen Ton kultivierten, wie am Hofe der Grrafen von
Blois zu Gouda, die Nachkommen des hennegauer Grafensohnes
Jean de Beaumont, des zweiten Sohnes Wilhelms III., eines Modelles
der französischen Ritterschaft seiner Zeit, die französische Bildung
unzweifelbar die Ueberhand hielt ^) ; die hochdeutschen Beziehungen
der bayrischen Fürsten dagegen haben auf die holländische Lite-
ratur keinen dauernden Einfluß gehabt , wie zugegeben werden
muß selbst von denen, die vom „hochdeutschen Ton" der bayrischen
Zeit sprechen^). Es ist überhaupt nicht möglich die holländische
Bildung des 13. und 14. Jahrh. von der flämischen und brabanti-
schen, wohl aber sie von der niedersächsischen und der rheinischen
zu scheiden : die ersteren sind nach allen Richtungen französisch
beeinflußt, die letzteren tragen, wiewohl auch hier und da ziem-
lich stark französisch beeinflußt*), ein ausgesprochenes deutsches
Gepräge.
Die holländischen Sprecher des 14. Jahrh., deren Werke wir
besitzen, ein Noydekyn, ein Jan van Hollant, ein Augustynken
van Dordt, ein Willem van Hildegaersberch zeigen diesen fran-
zösischen Einfluß eben so gut wie der letzte dann und wann als
Staatsdiener der Bayern deutsch angehauchte Dichter aus Holland
vor der Burgunderzeit, Dirk Potter van der Loo ^). Auch die
schwach vertretene niederländische dramatische Literatur des 14.
Jahrh. steht unzweifelbar auf französischem Boden ^). Als aber
das 14. Jahrh. zu Ende geht, hat die nationale holländische Bil-
dung, dessen Anfänge wir am Ende des 13. spüren konnten, sich
viel selbständiger gemacht ') , was aber ihre Herkunft aus der
starken Beimischung französischer Bildungselemente beim germa-
nischen Grundelement nicht wegnehmen kann; eben diese starke
Beimischung macht ihr besonderes Gepräge aus.
Und wie würde es anders gekommen sein? Die Fürsten und
ihre Höfe, ihre Verwaltung werden nach französischem Muster
1) Te Winkel, Ontwikkelingsgang, S. 103.
2) Busken Huet, Land van Rembrand, I, S. 76 ff. (Jan van Blois).
3) Te Winkel, 1. 1.
4) Lamprecht, V, 1. 1.
5) Te Winkel, Geschiedenis, I, S. 603 ff.
6) ib. S. 514 ff.
7) Kalff, I, S. 564.
Holland und das Reich vor der Burgunderzeit. 633
gebildet; der Adel schließt sicli diesem an und folgt der fran-
zösischen Mode; der holländische Bürger erhält im 14. Jahrh.
einen wiewohl noch geringen Anteil an der feineren Kultur der
höheren Klassen. Wie sollte er sich zu Deutschland gewendet und
nicht vielmehr nach Frankreich gesehen haben? Dahin gehen
Bürger wie Philipp von Leyden ^), die juristische und theologische
Studien treiben wollen.
Keine fremde Sprache hat denn auch auf das damalige
„Dietsch" einen so großen Einfluß gehabt wie die französische^),
die Umgangssprache der südlichen niederländischen Gebiete, die
vornehmlich in den Wörtern, die sich beziehen auf Ritterwesen, Be-
waffnung, Kleidung, Kunst und Wissenschaft, Jagd und Turniere,
Feste und Vergnügung, Musik und Dichtkunst, Luxus und gesell-
schaftlichen Verkehr sich gelten ließ. Hunderte von Wörtern sind
auf diesen Gebieten und den naheliegenden in die mittelnieder-
ländische Sprache aufgenommen und zum Teil auch im jetzigen
Niederländischen beibehalten. Selbst der stärkste Purist — und
Niederland zeigt in den letzten Jahren wieder einen ausgespro-
chenen Hang zum Purismus , den Ausdruck eines lebhafteren Na-
tionalgefühls — muß sich zum Gebrauch von zahlreichen damals
aus dem Französischen entlehnten Wörtern bequemen. Es würde
möglich sein die Zeit der wachsenden Zunahme des französischen
Einflusses in dieser Hinsicht auf den holländischen Wortschatz
festzustellen und ich glaube sagen zu dürfen, daß bei dieser Unter-
suchung herauskommen würde, daß die Zeit wieder in der Periode
der hennegauer Fürsten mit ihrer ausschließlich französischen Bil-
dung gestellt werden soll , die Zeit , in welcher z. B. das germa-
nische „Diso", „Disch" in der Volkssprache dem romanischen „Tafel"
weichen mußte und in welcher die Verwaltung sich noch stärker
als früher der französischen anschloßt).
Und was von den kulturellen Lebensformen gesagt worden
ist, kann gewiß auch von den materiellen gelten. Das hollän-
dische Geldwesen, das wie das friesische überhaupt nach der
Karolingerzeit und den Normanneneinfällen sich wohl dem köl-
nischen, dem Geldwesen der alten Handelsmetropole am Nieder-
rhein angeschlossen hat, schließt sich schon unter Floris V. und
noch mehr in den Münzreformen des 14. Jahrh. dagegen dem fran-
zösisch-flämischen System völlig an, wie es sich vornehmlich seit
1) Fruin, Verspr. Geschriften, I, S. 127.
2) Verdam, Uit de geschiedenis der Nederlandsche taal, 2. Ausg., S. 196 iT. ;
Salverda de Grave, De Franse woorden in het Nederlands (Amst. 1907).
3) Siehe oben, S. 626 ff.
634 P- J- ßlok,
den Ordonnanzen von Saint -Louis entwickelt hatte ^); auch die
falschen Prinzipien der Greldwirtschaft Philippe le Bel's werden
in Holland vielfach nachgefolgt und ebenso die Verbesserungsver-
suche aus der Zeit Charles V., der in der ersten ziemlich ruhigen
Zeit, die die Valois kannten, „rem francicam restituit" und auch
zu den finanziellen Ordonnanzen der älteren Capetinger zurück-
griff. Und wenn man bedenkt, daß der holländische Handel im
13. Jahrh. sich erst zu entwickeln anfing und wir vor dieser Zeit
nur von flämischen und brabantischen durchziehenden Kaufleuten
hören, ist es nicht fremd, daß auch in dieser Hinsicht der flämische
Einfluß sieb aussprach. Erst im 14. Jahrh. konnte der holländische
Handel seine Flügel ausschlagen und die Konkurrenz anfangen,
die der deutschen Hansa bald tötliche Wunden schlagen sollte,
wiederum in ausgesprochenem Gegensatz gegen diese- Erscheinung,
den Ruhm des späteren deutschen Mittelalters.
Aber als diese Zeit anbrach, ließen sich die Anfänge der
burgundischen Herrschaft bereits spüren. Ich halte also inne
und erlaube mir jetzt die Summe dieser Bemerkungen zu ziehen.
Sie kommt darauf hinaus, daß schon lange vor der Burgunder-
zeit, jedenfalls schon im 13. Jahrhundert, dem ersten, in welchem
wir in diese Verhältnisse einen Blick bekommen können, die Graf-
schaften Holland und Seeland, ihrer Entlegenheit wegen schon mit
dem Reiche, zu dem sie außer jedem Zweifel gehörten, nur schwach
zusammenhängend, in ihrem staatsrechlichen Verhältnis zum Reiche
auf dem Wege der Trennung waren, auf welchem das Diplom vom
25. Nov. 1314 einen wichtigen Schritt setzte; schon vorher hatte
ihre Verwaltung, ihre Kultur, ihre soziale Entwickelung sie unter
starken und dauernden französischen Einfluß gebracht. Die Bur-
gunderherzöge haben dann, französischen Stammes wie sie waren
und in der Absicht ein eigenes Reich zu bilden, das, wie vor Jahr-
hunderten Lothringen, zwischen Frankreich und dem deutschen
Reich eine Mittelstellung einnehmen sollte, die in dieser Richtung
entscheidende Wirkung geübt. So waren schon lange vor dem
Augsburger Vertrag von 1548, schon lange vor dem Aufstand
der Niederlande gegen Spanien die Niederlande dem Reich ent-
fremdet und die Lossagung von 1648 war nur das Ende einer
langen geschichtlichen Entwickelung, deren Anfang früh im
Mittelalter zu suchen ist.
1) Luchaire, 1. 1., p. 592 suiv. ; Fruin, Verspr. Geschr. VIII, S. 192 ff.;
Pierson, Staathuishoudkunde, 2. Ausg. I, 6G5 ff.
Holland und das Reich vor der Burgunderzeit. 635
Beilage I.
^) Ludowicus dei Gratia Romanorum Rex Et semper Augustus. Universis et
singulis presentes litteras inspecturis gratiam suam et omne bonum. Ad uni I| ver-
sorum noticiam cupimus pervenire quod nos propter Grata et obsequiosa servitia
que spectabilis Guillelmus comes Hollandie et sui predecessores nostris ante-
cessoribus || Regibus et imperatoribus Romanorum et Imperio exhibuerunt et ad-
huc nobis et imperio exhiberi speramus in futurum, omne ius quod hiidem nostri
predecessores |1 in comitatibus Hollandie, Zelandie et dominatu Frisie reclamarunt
seu reclamare potuerunt, aut Nos reclamare possemus, libere et absolute, de con-
sensu II et assensu nostrorum principum quittamus, ac eidem ejusque heredibus
et successoribus, presentibus duximus remittendum, salvo tarnen nobis et Imperio
homagio debito |1 pro eisdem. Si autem processus aliqui per nostros predecessores
facti extiterint contra eumdem coraitem an '^) suos predecessores pro iure predicto,
ex certa scientia presen || tibus irritamus- In cuius rei testimonium , sigillum
nostrum presentibus litteris duximus apponendum. Datum Acquis vicesima quinta
die mensis || novembris anno Domini millesimo trecentesimo quartodecimo , Regni
vero nostri anno primo.
Tresorerie des comtes de Hainaut, Mons,
Charte no. 368. Original Parch. Siegel verloren.
1) Einfaches Chrismon.
2) Ms. hat : au. Devillers und seine Vorgänger gaben diese Züge durch „an"
wieder. Es scheint aber vielmehr eine Verschreibung für „aut" zu sein wie auch
das korrespondierende Diplom von 1330 „aut" hat.
Beilage IL
Ludovicus quartus^) Dei gracia Romanorum Imperator semper augustus.
Universis et singulis || presentes litteras inspecturis gratiam suam et omne bonum.
Ad universorum noticiam cupimus pervenire quod nos, propter grata et || obse-
quiosa servicia que spectabilis vir Guillelmus Comes Hannonie^) et Hollandie et
11 sui predecessores nostris antecessoribus Regibus et Imperatoribus Romanorum
et Imperio exhibuerunt, et adhuc nobis et Imperio exhiberi speramus in futurum,
Omne ius || quod iidem nostri predecessores in Comitatibus Hollandie, Zelandie et
dominatu Frizie |1 reclamaverunt seu reclamare potuerunt aut nos reclamare pos-
semus, libere et absolute || de consensu et assensu nostrorum Principum quittamus
ac eidem eiusque heredibus et successoribus presentibus duximus remittendum.
Salvo tarnen nobis et Imperio homagio debito pro |1 eisdem. Si autem processus
aliqui per nostros predecessores facti extiterint contra eundem Comi I| tem aut
suos predecessores pro iure predicto, ex certa scientia, presentibus irritamus. In
I! cuius rei testimonium presentes conscribi et nostra Bulla Aurea signoque con-
sueto iussimus comuniri. Datum Spire, Quar || ta decima die mensis Junii, Anno
636 P- J- Blök, Holland und das Reich vor der Burgunderzeit.
domini millesimo trecentesimo tricesimo, Regni nostri Anno sextodecimo, Imperii
vero tercio I|.
Signum domini Ludovici quarti Dei gratia Romanorum Imperatoris invic-
tissimi.
Trösorerie des chartes des comtes de Hainaut. Mons
Charte no. 467. Original Parch. Die goldene Bulle
verloren ; sie war noch daran befestigt als das Vidimus
von 1360 gegeben wurde (vgl. Van Mieris, II, S. 497).
1) Diese beiden Wörter mit schönen großen Buchstaben geschrieben.
2) Hier in der Mitte der Urkunde auf neun Zeilen zwischen dem Text das
große Monogramm des Kaisers.
Nueva Corönica j Buen Gobierno
des
Don Felipe Guaman Poma de Ayala, eine pe-
ruanische Bilderhandschrift.
Vorläufige Mitteilungen.
Von
Richard Pietschmaim.
Vorgelegt in der Sitzung vom 31. Oktober 1908.
Im August dieses Jahres war mir vergönnt als einer der
Deutschen Delegierten an dem XV. Internationalen Orientalisten-
Kongresse zu Kopenhagen teilzunehmen. Dem freundlichen Ent-
gegenkommen des Direktors der dortigen Königlichen Bibliothek
Dr. H. 0. Lange verdanke ich, daß ich an der Hand des Ver-
zeichnisses einen ansehnlichen Teil der Handschriftenschätze zu
durchmustern vermochte, und hierbei begegnete mir unter anderm
ein Werk , das meines Wissens bisher unbeachtet geblieben ist,
doch wohl verdient, wenigstens den Völkerkundigen und andern
Fachgelehrten bekannt zu werden. Über diesen Fund beabsichtige
ich hier eine Nachricht zu geben als Vorläufer einer eingehen-
deren Veröffentlichung, zu der mir die Zustimmung der Bibliotheks-
Verwaltung gütigst erteilt und die nächste Möglichkeit in liberaler
Weise gewährt wurde. Es ist Nr. 2232 der Alten Königlichen
Sammlung , Papier , ein starker Quartband kleinen Formats von
1179 zum Teil sehr eng beschriebenen Seiten. Der Titel lautet :
El primer nueva corönica y buen gobierno, auch nur Nueva corönica
y buen gobierno , und als Verfasser nennt sich Don Felipe Gruaman
Poma de Ayala senor y principe.
Schon die Namen Gruaman, das ist huaman „Falke", und Poma,
das ist puma , der amerikanische Löwe , zeigen , daß wir es mit
ß38 ^- P i e t s c h m a n n ,
einem Eingebornen Perus zu tun haben. Man besitzt bereits ein
Werk aus ähnlicher Feder, die Relacion de antlguelades deste reyno
de! Firn des Don Joan de Santacruz Pachacuti Yamqui Salca-
maygua, der. wie man vermutet, etwa um 1613 oder 1620 schrieb
und aus einem der alten Häuptlings - Geschlechter der Colla, des
südlichen Hochlands von Peru, stammte. Auch Don Felipe Grua-
man Poma zählt nicht unmittelbar zum Inka-Greschlechte. Er gibt
zunächst eine ausführliche Aufzählung des Inhalts seines Buches,
eine Anrufung der Dreieinigkeit, ein Anschreiben an den Papst
und dann ein „Anschreiben des Vaters des Verfassers" datiert
vom 15. Mai 1587 aus dem Orte La Concepcion de Guayllapampa
im Gerichtskreise Guamanga, gerichtet an Philipp II. Überschrift
und Text dieses Briefes lauten [Seite 5 der Handschrift] :
CARTÄ DEL FADRE DEL AUTOR.
carta de don martin guaman mallque ^) de ayala hijo y meto de los
grandes seno-res y rreys que fiieron antiguamente y capitan gener al y
senor del rreyno y capac apo ques prencipal y senor de la prouincia
de los lucanas andamarcas y circamarca y soras y de la ciiidad de
giiamanga y de su jiiridicion de sancta Catalina de chupas principe
de los chinchaysuyos y segunda persona del ynga deste rreyno del
piru a la rreal magestad del rrey don felipe nuestro senor el ssegundo ^)
- di^e agi -
S. C. R. M.
eiitre las cosas qtiesta grau prouincia destos rreynos a prosedido utiles
y prouechosos al seruicio de dios y de v. magestad nie a parecido haser
cstima del engenio y cnriucidad por la gran auilidad del dicho mi
hijo lexitlmo don felipe guaman poma de ayala capac ques prencipe^)
y gouernador mayor de los yndios y demas caciques y prencipales y
senor de ellos y administrador de todas las dichas [Seite 6] comoni-
dndes y sopci *) y tiniente general del corregidor de la dicha buestra
prouincia de los lucanas rreynos del piru . el cual abra como veynte
anos poco o mas o menos que a escrito unas historias de nuestros
1) mallque, korrekter mallqui bedeutet „Setzling", „Sprößling". — Ich habe
den Text belassen wie er ist, nur die Abkürzungen aufgelöst. Die Trennungs-
striche stehen in der Handschrift. Die Punkte als Satztrennungszeichen habe
ich gesetzt.
2) ssegundo ist über terzero nachträglich übergeschrieben.
3) prencipe, geändert aus prencipal.
4) = sapsi „Gemeingut", alles was Gemeinbesitz einer Gemeinschaft oder
zu allgemeinem Gebrauche da ist.
Nueva Coröuica y Buen Gobierno des Don Felipe Guaraan Poma de Ayala. 639
antepasados aguelos y mis padres y senores rreys que fueron antes
del ynga y despues que fiie desde uariuiracocharima - y uariruna -
y purimruna - auca runa - yncap rurmn ^) - y de lo(s) dichos dose
yngas y de sus serioras coyas y nustas pallas capacuarme aiiquiconas ^)
y de los caciques prencipales capac apoconas - curacacona - dlli-
caccona - camachicocctma - cinchicona ^) y todo el gobierno de los yngas
hasta SU fin y acauamiento - y la dicha conquista destos huestros
rreynos - y despues como se dlsaron contra v . Corona real - y de
todas la^ dichas ciudades y uillas, aldeas y prouincias y corregimientos
y puehlos y las dichas buestras minas y la uida de buesiros corregi-
dores y de los dichos padres y ciiras de las dichas dotrinas ~ y de
huestros comenderos de los yndios y de espanoles - y de los dichos
tanbos y puentes y caminos - y de los dichos mineros y de los dichos
caciques prencipales y de yndios particulares y de sus rretos^) que
usauan antiguamente y de su cristiandad y pulicia y otras curiu-
cidades destos rreynos por rrelaciones y testigos de uisfa que se tomo
de los quatro partes destos rreynos de los dichos yndios muy biejos
de edad de ciento y cincitenta an [Seite 7J os y de cada parte quatro
yndios testigos de iiista . y que el estilo es fazil y graue y sustancial
y prouechoso a la sancta fe catolica y la dicha historia es muy
uerdadera como conbiene al supgeto y personas de quien trata . y que
demas del seruicio de v . magestad que rrezultara ynprimirse la- dicha
historia comensandose a selebrar y haser ynmortal la memoria y
mombre de los grandes senores antepasados nuestros aguelos como lo
merecieron sus hazanas . deseando que todo este se consiga iimilmente
suplico a V. magestad sea seruido de fahoreser y haser merccd al dicho
mi hijo don felipe de ayala y para todos mis nietos para que su
pretencion baya adelante que es Ip que pretendo de que a v . magestad
nnestro senor guarde y prospere por muchos y muy filicis anos con
acresentamiento de mas rreynos y senorios como su menor y humilde
vasallo deseo . de la concipcion de guayllapampa de apcara ^) prouincia
1) Über diese Zeitalter vergl. Seite 649.
2) Lies nustas . capac uarme = capachuarmi „Fürsten-Frau", aiiquiconas
= auquicuna „Prinzen" von Geblüt. Coya ist die Hauptfrau des Inka, palla
eine von den Nebenfrauen und eine verheiratete Frau von königlicher Abkunft,
nusta unverheiratete Prinzessin von Geblüt.
3) capacapocona „Fürsten", „Herrscher", curacacona „Häuptlinge", aUicaccona
„Edelleute", camachicoccuna „Verwaltungsbeamte", cinchicona „Heerführer".
4) = ritos .
5) La Concepcion de Guayllapampa war damals der Hauptort des Repar-
timiento de los Rucanas Antamarcas Nach der Befestigung hat er den Zu-
namen de Apcara. Vergl. den Bericht vom Jahre 1536 in den Relaciones geo-
grdficas, Peru, 1 S. 198. 201. 203. 208. 214.
ß40 ^* Pietschmann,
de Jos lucanas y soras juridicion de la ciudad de guamanga a quinise
del mes de mayo de mil quinientos ochenta y siete anos
S. C. B. M. hezo los rreales pies y tnanos a v. magestad su umilde
hazallo
Don m artin de ayala,
Danacli ist also Don Felipe Guaman Poma de Ayala der
Nachkomme der Oberherren nicht bloß des Gebietes der Lucanas
oder Rucanas, Andamarcas, von Circamarca und der Soras, sondern
des ganzen Chinchaysuyu , Sohn des Stellvertreters , der segunda
persona des Inka, oder, wie der Titel lautete, des Incap r antin ^).
Hier also würde ein Angehöriger des nördlichen mächtigen Län-
dergebiets zu "Worte kommen , das sich rühmte , den Waifen der
Herrscher von Cuzco lange getrotzt und schließlich mehr durch
Überredung und gütliche Übereinkunft sich zur Untertänigkeit
bequemt zu haben.
Im Verlaufe der Geschichtserzählung teilt Don Felipe Guaman
Poma uns den Stammbaum des Dynastengeschlechtes mit, zu dem
er sich rechnet. Es machte Anspruch auf göttlichen Ursprung
und führte wie sein mythischer Ahnherr den Herrschertitel Yaro-
villca. Es leitete sich nicht aus dem Lande der Lucanas und
Soras her, sondern weiter aus dem Norden, aus AUauca Huanuco
im Gebiete der Stadt Alt-Huänuco. Was im Bereiche des Titicaca
Tiahuanaco, würde also im Chinchaysuyu Allauca Huanuco sein.
Alt - Huanuco ist nur noch eine Ruinenstätte ; sie liegt in dem
Hochtale, aus dem die Quellen des Maranon entströmen ; man un-
terscheidet zwischen einem Tempel und einem Palaste und ist
geneigt, beiden einen L^rsprung zuzuschreiben, der über die Inka-
Zeit hinaufreicht. Diese Bauwerke meint Guaman Poma augen-
scheinlich, wenn er sagt ^), dort hätten „Tupac Inca und Yarovillca
1) Der volle Titel lautete nach Angabe des Guaman Poma (Seite 341 )
Capac apo yncap rantin taripac tauantin sut/o runata . Taripac, von taripay^ ist
jemand der Untersuchung führt und Urteil spricht. Der „Stellvertreter des Inka"
führte daneben also den Titel des „Gerichtsherren über die Untertanen in den
vier Gebieten". Mit Behagen setzt wiederholt Guaman Poma die Stellung dieses
Großwürdenträgers der des Herzogs Alba gleich : coino en castüla el excelentisimo
senor duque de alua.
2) Seite 75 : (yarohillca) se hizo parcialidad de allauca guanoco del puehlo
de la ciudad de guanoco del viejo adonde edificaron sus casas topa ynga con
yarobilca. Allauca ist eine Ortsbezeichnung, die in verschiedenen Teilen Perus
vertreten ist. Seite 1030 scheint Guaman Poma innerhalb der casta y gener acion
von Huanuco zu unterscheiden Allauca Guanoco, Ychoca Guanoco und Guamalli
Guanoco.
Nueva Corönica y Buen Gobierno des Don Felipe Guaman Poma de Ayala. 641
sich Bebausungen gebaut". Möglich daß der Tempel ursprünglich
dem Yarovillca - Kultus bestimmt gewesen ist. Denn villca be-
deutet „Gott", Htianca- villca einen Felsblock, in dem man einen
Gott verehrt, huaca-villca, etwas Unsichtbares von übernatürlicher
Kraft, das einem sichtbaren Gegenstande, der hiiaca, innewohnt.
Der Inka Garcilaso de la Vega erwähnt eine Sage, nach der war
in den Tagen nach der Sintflut ein Gewaltiger in Tiahuanaco er-
schienen und hatte die Welt an vier Könige ausgeteilt : an Manco
Capac den Norden, Colla den Süden, Tocay den Osten, Pinahua
den Westen. Das ist aber nicht von Tiahuanaco aus erdacht,
sondern enthält nur den Daseinshorizont der ersten Inka von
Cuzco, der völlig bedingt und umgrenzt ist von den winzigen Ge-
meinwesen der nächsten Nachbarschaft, den Ayarmacas, deren
Häuptling Tocay Capac heißt, durch die Ortschaften Acos, Mohina
und Pinahua und ähnliches mehr. Aber aus diesem Schema ist —
das erkennt schon Garcilaso — jene Einteilung erwachsen, in der
Cuzco Mittelpunkt und Oberhaupt von vier Reichen war, den
tahuantin sui/if, dem Antisuyu im Osten, dem Cuntisuyu im Westen,
dem Collasuyu im Süden, dem Chinchaysuyu im Norden. Die Ab-
schnitte passen auf die Ländermasse, die dem Zepter des Tupac
Inca Yupanqui Untertan war , schon nicht mehr auf das Reich
seines Sohnes Huaina Capac, der ja auch daran gedacht haben
soll, aus Quito ein zweites Cuzco zu machen. Doch diese Son-
derung in vier Abteilungen behandelt Guaman Poma durchweg als
etwas von Natur Gegebenes, von Anfang an Bestehendes. Es ist
nur eine der Konsequenzen, daß er sagt, als sich unter den Ein-
gebornen Perus Gemeinwesen zu bilden anfingen, habe es so viele
Häuptlinge gegeben als Ortschaften, doch in jeder der vier großen
Länder - Einheiten einen obersten Gebieter von göttlicher Ab-
stammung, einen Capac apo pacarimoc, das ist „höchsten Herrscher
von Anbeginn", in dessen Hause die Oberhoheit über diese Länder-
gruppe von Anfang her erblich war^). Manco Capac, die Inka
überhaupt, fallen dabei ganz aus, haben sich ihre Machtstellung,
so überragend sie war, erst erworben; sie treten zurück selbst
hinter Tocay Capac und Pinahua Capac ^) , die aber auch
1) Guaman Poma bezeichnet sie auch wegen ihres Vorrechts, sich in Sänften
tragen zu lassen, als capac apo uantouan ranpauan pacarimoc apo = Khapah
apu huantuhuan ranpahuan pakarimuTc apu, das ist : „mächtiger Herr mit Sänfte
mit Tragsessel angestammter Herr".
2) Es bleibt im unklaren, ob nicht Guaman Poma sich denkt, daß Tocay
Capac und Pinahua Capac ein und dasselbe sind, beides Titel die zugleich von
ß42 ^- Pietschmann,
nur als Vertreter einer Zwischenstufe und Vorläufer des Manco
Capac eingeordnet werden. Als angestammte Landesherren werden
vielmehr namhaft gemacht für das Antisuyu der Capac apo Pani-
tica Anti von den Manari Anti, für das Cuntisuyu der Capac apo
Mullo, für das CoUasuyu der Capac apo malleo Castillapari von
Hatun CoUa ^) und für das Chinchaysuyu das Haus des Yarovillca.
Die Yarovillca - Familie würde an Rang allen andern voran-
gehen, wenn wirklich, wie Gruaman Poma zu verstehen gibt, bei
der Einverleibung ihrer Lande in das Reich der Inka ein erb-
licher Anspruch auf die Würde des Reichs verweser- Amts zuge-
billigt worden war ^). Während der Regierung des Tupac Inca
einem und demselben Herrscher in einer bestimmten Herrscherreihe , der ersten
Inka-Reihe, geführt wurden. Er läßt sie aus den Urzeiten stammen : daqui salio
capac ynga tocay capac pinau capac primer ynga y se acaho esta generacion y
casta . . . como del primer coronista fue declarado hijo del sol yntip churin
primero dixo que era su padre el sol y su madre la luna y su ermano el luzero
y SU ydolo fue uanacauri y adonde digeron que zallieron (■= salieron) fue
llamado tanbotoco y por otro nombre le Hämo pacaritanbo todo lo dicho adoraron y
sacrificaron — pero el primer ynga tocay capac no tubo ydolo ni serimonias
.... estos dichos yngas se acauaron. Wichtig ist die Aussage, daß diese Inka
ebenfalls hätten aus dem Tambotoco hervorkommen und von Sonne und Mond
abstammen wollen, wie eine große Zahl anderer Stämme in und in der Nähe von
Cuzco sich vom Tambotoco herleiteten. Nach Guaman Poma würden diese ersten
und legitimen Inka das eigentliche Inka- Wappen geführt haben : Sonne, Mond,
Morgenstern, Tambotoco Berg mit drei Öffnungen und auf der Spitze Guanacauri.
Sie hätten noch nicht die Huacas angebetet, das sei erst von Mama Ocllo und
Manco Capac eingeführt worden. Nach Joan de Santacruz Sachacuti hasste ge-
rade Manco Capac die Huacas: y como tal los destruyo al curaca Pinaocapac
con todos sus ydolos y lo mismo los vencio a Tocaycapac, y despues lo mando
que labrara al lugar do nacio. Das letztere würde auf die drei Öffnungen des
Paccari Tampotoco zu beziehen sein:
1) Poma Guaman gibt hier für das Cuntisuyu und CoUasuyu, wie aus andern
Abschnitten seines Buches hervorgeht, nicht die Namen der Geschlechter sondern
Personennamen, nämlich die Namen ihrer Vertreter in der Zeit des Huaina Capac
Inca. Die Namen der ebenbürtigen Frauen habe ich hier weggelassen. Mullo
behandelt Poma Guaman als Eigennamen, Capac apo mullo ist aber sicher ein
Herrschertitel.
2) Seite 75: y despues fue temido [zu lesen ist aber vielleicht: bencido =
venddo] del ynga [el yarobilca] y aci fue su segunda persona del dicho ynga .
daqui prosedera los dichos segunda persona de los dichos yngas la dicha gene-
racion de los rreys capac apo yarobilca el quien se dio de pas y fue amigo con
el dicho topa ynga yupanqui capac apo [guaman] chaua. An einer andern Stelle
(Seite 948) ist die Rede von den vier Teilfürsten, oder wie Guaman Poma sagt
von den vier Königen der vier Teile des Reichs: el mayor fue capac apo gua-
manchaua allauca gudnoco yarobilca y [Topa ynga yupanqui] le hizo segunda
persona y su bizorrey dandole una ues la Corona no se las quitaua jamas a sus
Nueva Corönica y Buen Gobierno des Don Felipe Guaman Poma de Ayala. 643
Yupanqui, erfahren wir, bekleidete 50 Jalire hindurch diese Stellung
der Capac apo Guamanchaua , „Großvater des Don Martin de
Ayala und seines Sohnes des Verfassers Don Felipe Guaman Poma
de Ayala" ; er habe den Feldzug des Huaina Capac nach Quito
mitgemacht, schließlich sei er hochbetagt zusammen mit mehreren
andern Groß Würdenträgern von Francisco Pizarro und dessen Ge-
nossen lebendig verbrannt worden. Eine jüngere legitime Tochter
des Tupac Inca Yupanqui Namens Curi Ocllo sei mit dem Sohne
des Guamanchaua D. Martin Guaman Mallqui de Ayala vermalt
gewesen und sei die Mutter unseres Autors, dieser ihr Sohn also
ein legitimer Enkel des zehnten Inka. Aus Berichten über die
Conquista wissen wir, daß noch bevor Francisco Pizarro von
Atahuallpa eine Gesandschaft erhielt, ein Abgesandter der Partei
des entthronten Huascar Inca auf dem Wege nach Cajamarca mit
den Spaniern zusammentraf. Nach Guaman Poma war das der
Reichsverweser des Inka D. Martin Guaman Mallqui, sein Yater.
Die Großen dieser Provinz standen aber nach anderen Nachrichten
auf Atahuallpas Seite, wurden bei Cajamarca von Pizarro ge-
fangen genommen und schlössen sich ihm an. Guaman Mallqui
— sagt Guaman Poma weiter — habe danach isich als Anhänger
der Eroberer verdient gemacht und in den Zeiten der "Wirren
wiederholt auf Seiten der königstreuen Truppen gefochten, so in
dem Kampfe bei Chupas (1542). Bei Huarina (1547) habe er D.
Luis de Avalos de Ayala das Leben gerettet und dafür das Itecht
erhalten sich segunda 2^6rsona del emperador en este rreyno Don
Martin de Ayala zu nennen^). Nur erhält der Namenswechsel
noch eine etwas eigenartige Beleuchtung. Guaman Poma be-
richtet nämlich ausführlich von einem Bruder, dem er verdanke.
hijos ni a sus nietos [ni] a este mi bisaguelo excelentisimo senor. Die einzige
Stelle, soviel ich sehe, an der von Guamanchaua als von dem Urgroßvater, nicht
Großvater des Autors die Rede ist. An andern Stellen z. B. Seite 1059 wird
Guaman Mallqui ausdrücklich als der Sohn des Guamanchaua yarovillca bezeichet.
Der Stammbaum gibt merkwürdigerweise weder Guaman Mallqui noch dem Autor
eine Stelle und läßt auf Guamanchaua eine ganze Reihe anderer Namen folgen.
In einer Aufzählung verschiedener Rangstufen (Seite 738) werden aufgeführt die
principales capac apo segununda [lies : segunda] personas apo mit dem Zusätze :
estos fueron senor de una prouincia sucguaman.
1) Es wird wiederholt gesagt, D. Martin Guaman Mallqui sei Reichsver-
weser unter Tupac Inca Yupanqui, unter Huaina Capac Inca, unter Huascar Inca,
unter dem Kaiser gewesen. — Über D. Luis de Avalos de Ayala habe ich bis
jetzt nichts festzuztellen vermocht. Ein Avalos hatte kurze Zeit das Gebiet der
Rucanas Antamarcas als Repartimiento, der hieß aber Francisco.
544 ^- rietschmann,
was er an Unterriclit erhalten habe, einem frommen Mestizen,
dessen Vater derselbe D. Luis de Avalos de Ayala gewesen sei
und der ebenfalls Martin de Ayala getauft war; ihn hatte die
Mutter des Guaman Poma, die Tochter des Tupae Inca Yupanqui
dem erblichen Reichs verweser mit in die Ehe gebracht. Auch an
dem Feldzuge gegen die Parteigänger des letzten Inka in Villca-
pampa (1572), gibt Gruaman Poma an, habe sein Vater Guaman
Mallqui als einer der Heerführer teilgenommen. Als Dank seien
ihm von dem Vizekönige Francisco de Toledo Belohnungen und
ein Wappen verliehen, auch sei seine Stellung als segunda persona
bestätigt worden. Zwei andere Vizekönige, Don Garcia Marques,
d. h. der zweiten Marques de Canete D. Garcia Hurtado de
Mendoza, und D. Luis de Velasco, der 1596 nach Lima kam und
dort 1599 starb, hätten die Bestätigung erneuert. Die letzten 30
Jahre seines Lebens habe Guaman Mallqui vereint mit seiner
Gattin Werken der Frömmigkeit gewidmet und sei 150 Jahre alt
gestorben.
Einer scharfen Nachprüfung scheinen diese Angaben nicht
recht Stand zu halten. Um hier nur eins hervorzuheben: war
wirklich der zehnte Inka der Vater der Curi Ocllo, so würde sie,
als die Spanier ins Land kamen, nach einer mäßigen Berechnung
bereits das gesetzte Alter von mehr als 42 Jahren besessen, nach
der Inka-Chronologie Sarmientos aber mehr als 69 Jahre , und
nach der unsers Autors sogar mehr als 112 gezählt haben. Si-
cherlich, wo Guaman Poma von seiner Familie, ihrem Range,
seinen Hechtsansprüchen redet, — und er tut das reichlich oft ^)
— nimmt er den Mund etwas voll. In La Concepcion de Huay-
llapampa wußten 1586 auch die vornehmsten der Eingebomen
nicht mehr anzugeben wer in diesem Landstriche geherrscht hatte,
als ihn Tupac Inca Yupanqui eroberte , im Repartimiento Atun-
rucana (Hochrucana) nannte man als den obersten Curaca von
damals den Condor Curi, daneben Yanquilla und Caxa Angasi ^).
1) In die Lebensbeschreibung des Tupac Inca Yupanqui schaltet Guaman
Poma zwischen den Zeilen bei der Erwähnung der Kinder ein : y curi ocllo^ und
trägt außerdem am Schlüsse nach : hija menor curi. — In einer Aufzählung von
Sühnen des Huaina Capac führt Guaman Poma an: quizo yupanqui su madre la
ermana de capac apo guamanchaua. An einer andern Stelle sagt er : quizo
yupanqui ynga hijo de topa yupanqui tio del autor,
2) In dem Stammbaume der Familie der Yarovillca figuriert kein Condor
Curi, Ein Ylla Poma Apo Pachacuti Condor Chaua wird darin genannt unmit-
telbar vor den Worten, in denen von der hohen Herrscherwürde des Yarovillca
und der Umwandlung in die Reichsverweserschaft die Rede ist. Für die Zeit von
Nueva Corönica y Buen Gobierno des Don Felipe Guaman Poma de Ayala. 645
Folgen wir dem Autor weiter, so hat sein Bucb ihn die Arbeit
von 30, oder wenn er sich nicht täusche, so doch von reichlich 20
Jahren gekostet. Das ist vom Jahre 1613 an zurückzurechnen.
Denn auf die Carta del padre del autor folgt ein Anschreiben vom
1. Januar 1613, mit dem der Verfasser selbst die Corönica König-
Philipp III. einreicht, und das Granze ist von ihm wesentlich im
Jahre 1613 zu Papier gebracht worden, wie sich an verschiedenen
Stellen deutlich zeigt ^). Eine viel längere Ausarbeitungszeit kommt
heraus , wenn man sich an die Worte der Carta del padre del
autor hält, denn danach war es schon 1587 reichlich 20, 1613 also
mindestens 46 Jahre her, daß mit der Ausarbeitung begonnen wurde.
Ich halte das Schreiben des D. Martin Guaman Mallqui für
fingiert. Was darin steht, kehrt fast wörtlich unmittelbar in dem
Schreiben des Sohnes von 1613 wieder. Die Änderung in der
Überschrift, mit der aus Philipp III. Philipp 11. zum Adressaten
gemacht ist, verrät vielleicht noch, daß Guaman Poma erst nach-
träglich klar wurde, daß Guaman Mallqui 1587 nicht schon an Phi-
lipp III. hatte schreiben können. Auffällig ist auch, daß die Unter-
schrift dieses Schreibens zwar schwerlich von jemand anders her-
rührt als von Guaman Poma , daß aber doch absichtlich , wie es
aussieht, ein Duktus gewählt worden ist, der aussehen kann, als
stehe da die Original-Unterschrift des Vaters. Das Schreiben soll
nur die Ansprüche stützen helfen, die der Verfasser des Buches
— mit Recht oder unrechtmäßig, das bleibe dahingestellt — per-
sönlich erhebt. Fiktionen sind ihm ganz geläufig. In Frage und
Antwort führt ein ganz ansehnlicher Abschnitt uns vor, wie
Philipp III. von dem Autor auf Grund des Buches ergänzende
Auskunft und Ratschläge entgegennimmt. Wo er die Gesinnung
der Corregidores, der Encomenderos schildern will, bekommt man
es in direkter Rede zu hören, ebenso wie als Gespräch die Denk-
weise nichtsnutziger Neger ^) gekennzeichnet wird.
Tupac Inca an nennt der Stammbaum capac apo [guaman] chaua, dann wohl aus
Versehen nochmals capac apo guaman chaua . capac apo guaman lliuyac .
capac apo guayacpoma . capac apo carua poma . capac apo lliuyac poma.
Diese, wird ausdrücklich gesagt, reichen bis zur Ausrottung der FamUie des
Huascar : hasta la destrucion del capitan chalcochima.
1) Gelegentlich erwähnt Guaman Poma die Jahre, in denen eigene Erlebnisse,
die er mitteilt, sich abgespielt haben. Habe ich nichts übersehen , so gehen sie
nicht weiter zurück als bis ins Jahr 1600. Ganz gegen den Schluß kommt in
einem Zusätze das Jahr 1614 vor.
2) Seite 718: platica y conuerzacion de entre los negros esclabos catibos
deste rreyno dize ad: a cino fracico — mira que hazemos — tu amo tan uellaco
Kgl. Qos. d. Wies. Nachrichten. Philolog.-histor. Klasse 1908. Heft 6. 45
ß46 K. Pietschmann,
So steht der Autor zunächst vor uns als Sprößling erlauch-
tester Ahnen, Sohn eines Granden, Enkel eines Monarchen. Erst
nachträglich bekennt er, daß er in Dürftigkeit ein dunkles Dasein
fristet, erst ganz zuletzt zeigt er sich mehr und mehr als Prä-
tendent. Anfänglich nicht unbegütert, will er die Heimat ver-
lassen haben, weil ihn der Wunsch trieb, das Schicksal seiner
Volksgenossen zu bessern. Um die Not der Armen und Unter-
drückten kennen zu lernen und lindern zu helfen, habe er mit
und unter ihnen gelebt und sei in allerlei Lebensstellungen tätig
gewesen bei den verschiedensten Behörden, namentlich als Dol-
metsch. Das sind die 20 bis 30 Jahre Arbeit, die seinem Werke
zugute kommen. Als er dann ein Achtzigjähriger gebrechlich und
mittellos nach Hause zurückkehrt, findet er seine ganze Habe in
fremdem Besitz, seine Kinder in Armut und Niedrigkeit; von den
Seinen erkennt niemand ihn wieder, von den Behörden wird er
als Betrüger behandelt. Da bricht er wieder auf und wandert
unter Mühsalen nach Lima, um sein Buch dem König vorlegen zu
lassen.
Die Erlebnisse daheim und auf dem Wege nach Lima, Worte
tiefster Verzagtheit — denn was kann dem Hochbetagten noch
frommen — im Widerstreite damit noch einmal der hohe Flog
des Selbstgefühls in, man möchte sagen, der fixen Idee von der
Herrlichkeit des Reichsverwesers, des Adlers — Gruaman — und
des Löwen — Poma — des Reichs, als den ihn Name und Wap-
pentiere kennzeichnen, sie bilden ursprünglich den Schluß. Mit
sichtlich erregter Hand ist dieser reichlich mit Zeilen in Lapidar-
schrift durchsetzte Abschnitt niedergeschrieben, der mit einigen
dem Leser oft genug schon vorgetragenen Klagen über die Lage
der Indios abbricht. Was danach folgt, gehört dem Inhalte nach
weiter voran, hat aber auch noch ein Schlußwort. Es beginnt:
Ojos y anima huelgo de los cnstianos del mundo , ues aqui cristianos
del mundo . unos Uoraran otros se rreyra oiros maldira otros encomen-
darme a dios otros de puro enojo se deshara otros querra teuer en las
manos cste lihro y coronica. Jeder möge in seinem Stande bleiben
und nicht etwas vorstellen wollen was er nicht sei. Die Seite
schließt dann : y aci esta coronica es para todo el mundo y cristiaudad
mi amo tan uellaco — cienpre ätze daca plata toma pallo quebra catiesä y no
dale tauaco chicha comer — pues que haze — mira conpaniero fracico mio toma
hos una separa y otra y incamos monte alli lleuamos negrita y rranchiamos a
yndio espanol matamos y ci coge muri una ues alli dormir comer tauaco y lleuar
ino chicha borracha no mas caca ua fracico uamonos
Xueva Corönica y Buen Gobierna des Don Felipe Guaman Poma de Ayala. 647
hasta los ynfieles se dene uello para Ja äicha huena justicia y pidicia
y ley del mundo. Auf dem vorletzten Blatte steht in der obern
Hälfte : Fin de Ja corönica niietm y buen gohierno deste rreyno
acauada por don felipe guaman p[o]ma de ayala principe autor de
las yndias del rreyno del piru de la ciiidad y medio de san cristobal
de suntimfo ^) nuena castilla de la prouincia de los andamarcas soras
lucanas de la Corona rreal . de la ciudad de los rreyes de lima corte
rreal y cauesa del piru . se xyresento ante los sonores. Hier sollten
also die Namen derer eingetragen werden , denen das Buch vor-
gelegt worden war. Der Raum dafür ist aber leer geblieben.
Von dem ungelenken mit indianischen Brocken untermischten
Spanisch, in dem das Buch geschrieben ist, wird sich eine Vor-
stellung machen wer das Kauderwälsch des Joan de Santacruz
Pachacuti kennt. Neben mancherlei andern Anlehnungen an den
nachlässigen Sprachgebrauch des Quechua wirkt störend besonders
die mißbräuchliche Verwendung des Singulars der spanischen Ver-
balformen der dritten Person statt des Plurals. Die Orthographie
ist die regellose des kreolischen Spanisch, der Vokalismus und der
Konsonantismus sind stark vulgär, noch schlimmer die Satzkon-
struktion.
Von biblischen und theologischen Einzelheiten abgesehen hat
europäisches Wissen die Vorstellungen des Verfassers nicht er-
heblich gefärbt, wenn er auch von den „Poeten und Philosophen"
— puetas y filosofos letrados — Aristotiles, Pompelio, Julio Zezar,
Marcos , Flavio , Clovio oder Griovio spricht , einmal sogar von
Jubeter, das ist Jupiter und dem „sehr alten Kirchenlehrer Deu-
dorito", das ist Theodor et. Hat er eine Serie von Kapiteln be-
endet, so schreibt er dazu einen „Prolog an den Leser". In einem
Abschnitte betitelt Coronicas pa^adas, „frühere Chroniken", er-
wähnt er spanische Geschichtsschreiber des Zeitalters der Ent-
deckungen, z. B. Gonzalo de Oviedo y Valdes als Gonzalo Pizarro
Obedo, Zarate als Sarate, auch Diego Fernandes (de Palencia),
ohne daß er Vertrautheit mit dem Inlialte ihrer Schriften verrät.
Er nennt auch des Maestro Juzepe [Joseph] de Acosta Bücher de
oiobi urbis, das ist de novi orbis natura, und de procuranda [nämlich:
Indoriim salute]; die Jesuiten und daneben noch die Franziskaner
sind überhaupt die einzigen Orden, die er gelten läßt. Etwas ge-
nauer ist er vielleicht über das Werk des Martin de Morua un-
1) Dieser Ort ist unmittelbar in der Nähe von Guayllapampa de Apcara zu
suchen, wenig mehr als eine halbe Legua davon. Vergl. Belaciones geogräficas,
Fern 1 S, 200 f. ; 203 ; wo der Ort San Xpval de Sondondo genannt wird.
45*
ß48 R. Pietschmann,
terrichtet; und in einem Nachtrage sagt er noch, daß auch Cauellos,
das ist wohl Miguel Cavello Baiboa, von den Inka geschrieben
habe. Besondere Anerkennung hat er für die Arbeiten über die
Sprachen Perus, wie er sich ausdrückt, die lengua quichiua aymara ^).
Ganz unbeeinflußt von europäischen Berichterstattern ist also
Guaman Borna wohl nicht zu nennen. Aber er steht ihnen wenig
empfänglich gegenüber und fühlt sich im wesentlichen zur Apolo-
getik gedrängt. In der Schönfärberei und in der Dreistigkeit der
Abrede erreicht er allerdings den Halbblut-Inka Garcilaso bei
weitem nicht.
Berufen sich die Spanier auf Augenzeugen, so spielt Guaman
Poma dagegen seine eingebornen acht Gewährsmänner aus, deren
schon die Carla del padre del autor gedenkt, alles Männer, die mit
den Inka gelebt und gespeist hätten. Er verweist auf seinen
Vater und macht 7 andere Große als „Augenzeugen" namhaft.
Es würden lauter sehr langlebige Menschen-Exemplare sein : 70, 80,
100, 110, 130, 150, ja 200 Jahre alt. Sie passen zu den Inka,
von denen sie zeugen, denn die wurden nach dieser Chronik, in
der allerdings das Alter eines von ihnen nicht angegeben ist,
durchweg mindestens 120 Jahre alt, bis auf Pachacuti, der nur
88 wurde, Tupac Inca wurde sogar 200 Jahre. Ahnlich die Inka-
Frauen. Vertrauen dagegen erweckt es, daß der Verfasser einmal
erklärt, in den Bräuchen der unbekehrten Stämmen Perus sei er
nicht völlig bewandert, da er selber nicht mehr in der Inka-Zeit
aufgewachsen sei.
Eine Übersicht über den Inhalt der Handschrift zu geben,
dazu gebricht es hier an Raum. Ich habe jedoch die Carta del
padre del autor auch deshalb mitgeteilt, weil in ihr eine ziemlich
vollständige, wenn auch wenig anschauliche Aufzählung enthalten
ist. Wenig mehr als ein Viertel des Ganzen handelt von der Ge-
schichte und den Zuständen Perus in den Zeiträumen vor der
Eroberung durch Francisco Pizarro. Zunächst bespricht Guaman
Poma die Menschen der vier ersten Zeitalter , sichtlich im An-
schlüsse an einheimische Vorstellungen, die er aber vielfach apo-
logetisch und im Sinne der biblischen Urgeschichte umdeutet und
ausgleicht. So flickt er mit Beharrlichkeit in die alten Anrufungen
1) Einmal bemerkt er die Verfasser dieser Werke über und in Indianer-
sprachen Perus verdienten wirklich die Titel : santos dolores y lesensiados maystros
bachelleres . Otros que no an escrito el comienso de las letras a b c se quieren
llanarse (lies : Ilamarse) lesensiado asno de farsante y se firma como don be-
uiendo y dona calabaga.
Nueva Corönica y Buen Gobierno des Don Felipe Guaman Poma de Ayala. 649
des Viracocha, die wir auch aus andern Nachrichten kennen, ein
scrlor und besonders Dios ein. Möglich, allerdings daß ihm die
Texte schon so hergesagt worden sind. Dios ist sehr früh als
Lehnwort übernommen. Streift man die Zutaten ab, so bleibt
übrig als erstes Zeitalter das, in dem die Götter und besonders
Viracocha in seinen verschiedenen lokalen Grestalten — das ist
uari = Imari ^) — auf Erden lebten, und als zweites das Zeitalter
der Autochthonen — das ist uuri [^ fmari) runa — beides noch
nach den Auffassungen mancher, wie Poma Gruaman bei einer
spätem Erwähnung bemerkt, noch Geschlechter von Riesen. Dann
kommen die „Wüstenei-Menschen", die schon mehr das sind, was
ihr Name purun ruria^) gegenwärtig besagt, gewöhnliche Sterb-
liche, und die aiica runa, die „Krieger-Menschen", so genannt nach
den Kämpfen, die sie untereinander führen, und mit denen die
weitere, die geschichtliche Entwickelung anhebt.
Es folgt dann die Zeit des Tocay Capac Pinahua Capac und
die Besprechung der 12 einzelnen Inka^), sowie jeder der 12 Goyas,
Danach kommen die capitanes an die Reihe, nach den Inka geordnet
unter denen sie gelebt haben, die Beherrscher der vier Suyns und
ihre Gemalinnen. Die Angaben über die Inka haben für sich ge-
nommen nicht sonderlichen Wert. Aber man bekommt doch aus
ihnen ein sehr getreues Bild von der Form der Überlieferungen,
aus denen Autoren wie Diego Fernandez de Palencia und Pedro
1) Es entspricht das der Verwendung des Wortes hiiari, geschrieben vari
hei Juan de Santacruz Pachacuti. Der erzählt {7'res Relaciones, S, 262), daß in
der Zeit des Inca Capac Yupanqui die Aussagen der Indianer des Titicaca Ge-
bietes über Tonapa verglichen wurden mit den Aussagen der Huanca- und
Chinchaysuyo-Indiauer und daß sich herausstellte, daß auch bei diesen Tonapa
als ein vari-viUca galt, als ein Gott, der einmal dort zu Lande gelebt habe, oder
wie das ausgedrückt wird, daß Tonapa Varivillca auch im Huanca- und Chinchay-
suyo-Gebiete einmal gewesen sei: los dixeron que el Ttonapa Varivillca dbia
tarnbien estado en su tierra.
2) Dieses „Zeitalter der Wüstenei", Purun-pacha, wird auch anderswo er-
wähnt, z. B. in einem Berichte über den Glauben der Huarochiri-Indianer (Cle-
ments R. Markham, Narratives of the Rites and Laivs of the Yncas, S. 135).
Was Guaman Poma darüber sagt, findet man z. T. ganz ebenso in den Angaben,
die Joan de Santacruz Pachacuti (in den Tres Belaciones, S. 134 f.) über das
Purun pacha macht. Er erwähnt, daß es sich auf diese Zeit beziehe, wenn man
sage: purun-pacha raccaptin. Dieser Ausdruck aber ist zu übersetzen: „als noch
das Wüstenei-Zeitalter war" . Captin = cajtin ist der Konjunktiv von cay „sein",
rac ist „noch". Es ist also zu schreiben: punm-pacha-rac-captin.
3) Es sind : Mango Capac, Cinchi Roca, Lloqui Yupanqui, Mayta Capac,
Capac Yupanqui, Inga Roca, Yauar Uacac, Uiracocha Inga, Pachacuti Inga Yu-
panqui, Topa Inga Yupanqui, Guayna Capac, Topa Cuci Gualpa Guascar Inga.
ß50 ^- Pietschmann,
Gutierrez de Santa Clara ihre Nachrichten geschöpft haben. Es
ist ein festes Schema, an das sich Guaman Poma mit gering-
fügigen Abweichungen hält ; er hat es eben so überkommen. Voran
^ steht die Beschreibung der Person des Inka, offenbar nichts an-
deres als die alte Anweisung für die Maler zu einer vorgeschrie-
benen Darstellung und zwar mit Angabe der Farben, die zu ver-
wenden waren. Zum Beispiel : llocßii yttpanqni ynga tenia sii guaman
clianbi en la mano derecha y su rrodela en la ysquierda y sii llauio
de Colorado y su masca paycha y su manta de amarillo la camegeta
^= camiseta) de las dos partes de morado en media tres hetas de
tücapo^) y dos afaderos en los pies . . . y tenia las narises corcohados
y los ojos grandcs y labio y hoca pequenas y prieto de ciierpo. Es
folgen Einzelheiten über das Wesen und besondere Taten, sodann
über die Vergrößerung des Reichs. Es wird die Coya genannt, und
werden die Kinder hergezählt. Zum Schlüsse wird das Alter an-
gegeben , das der Inka erreichte , und als Dauer der Regierung
hinzuaddiert zu der Summe der Regierungsjahre der Vorgänger,
zum Beispiel bei Capac Yupanqui: fue casado primero con chinho
ucllo mama caua que tiibo mal de orason ^) comia a las gentes y aci pedlo
otra muger para rruynar gouernar la tierra . dizen que et sol mando
ca^arse otra ues con ciici chinbo mama micay coya curi ocllo . y sc
murio de edad de ciento y quarenta anos y tiibo ynfantcs hijos Icxl-
timos auqui topa ynga -ynga yupanqui- cuci cliinbo mama micay coya-
yuga roca-ynti auque ynga- capac yupanqui ynga-yllapa y tubo otros
hijos auquiconas nastardos y Jdjas nustaconas uastardas . y fue na-
morado este dicho ynga de las mugeres capac onie y de uayro^) . rreyno
cinco yngas setecientos y cinco anos y sucidio ynga roca. Im wesent-
lichen nach dem gleichen Schema fällt die Lebensbeschreibung der
einzelnen Coyas aus. Es setzt das alte Gemälde wenigstens aus
der letzten Inka-Zeit voraus in ganzer Figur. Von „sehr alten"
peruanischen Malereien, auf denen die verbreiteten Hauptbestand-
1) Vergl. hierzu weiter unten S. 653.
2) Ließ: mal de corason.
3) = huayro. J. v. Tschudi, die Kechua-Sjirache, Abt. 3, S. 329 : „huayru
ein gewisses Spiel der Indianer, der höchste Punkt, der bei diesem Spiel ge-
winnt". Guaman Poma zählt (Seite 766 seines Werks) die Spiele auf, an die zu
seinem Bedauern selbst die Caciques pi'ineipales sich zu gewöhnen beginnen : se
ensenan (= enaefan) a xugar con naypes y dados como espanol al axedres
hilancula chalcochima uayro ynacariui pampay runa yspital (= spanisch hospital)
uayro ynaca. Merkwürdig ist hierunter Chalcochima, den Namen eines der Feld-
herrn des Atahuallpa, zu finden. Markham erwähnt ein huayru china, ein
Ballspiel. — ome, omi bezeichnet vornehme Colla-Frauen.
Nueva Corönica y Buen Gobierno des Don Felipe Guaman Poma de Ayala. 651
teile der Tracht, Mantel und Hemd, schon zu sehen seien, spricht
als Augenzeuge Polo de Ondegardo ^).
Auf diese historisch -biographischen Skizzen folgt in Form
eines Erlasses des Tupac Inca Yupanqui und seines Kronrats die
Verfassung und Gesetzgebung Perus. Eine der Bestimmungen
wenigstens, in der von Quito als dem zweiten Cuzco die Rede
ist, kann aber von diesem Inka garnicht herrühren, weil nicht er,
sondern erst sein Nachfolger Huaina Capac, der vorletzte Inka,
Quito erobert hat. Doch galt Tupac Inca als der Hauptgesetz-
geber des Reichs, und manche der Anordnungen, die hier aufge-
zählt werden, mögen von ihm herrühren. Wir begegnen ihnen
z. T. auch anderswo. Ferner zahlt Gruaman Poma die Alters-
klassen der Männer und der Frauen einzeln mit ihren Benennungen
auf, wie sie für die Reichsstatistik und Reichs Verwaltung des
Tupac Inca festgesetzt waren, und schildert dann ziemlich kurz
die Beschäftigungen, besonders die Feste der einzelnen Monate
des peruanischen Jahres, die religiösen und abergläubischen Gre-
wohnheiten und die Gebräuche bei der Bestattung in den ver-
schiedenen Reichsgebieten. Ein Kapitel über die AcUas führt ihn
über zu den Strafvollstreckungen. Mit einer Schilderung von
Festen und einer Erörterung über den Incap rantin und die Zu-
stände im Inkareiche im allgemeinen schließt dieser Abschnitt.
Hieran schließen sieb dann an Angaben über das Unternehmen
des Francisco Pizarro und Diego de Almagro, die Gefangennahme
und Hinrichtung des Atahuallpa, die ersten Indianer -Aufstände,
die Zwistigkeiten der Anhänger des Pizarro und Almagro, die ver-
schiedenen Aufstände gegen die spanische Regierung und eine
Reihe von Kapiteln über die einzelnen Vizekönige bis zu Don
Juan de Mendoza, sowie über die Bischöfe, Inquisitoren und Prä-
laten, Praesidenten und Beisitzer des Königlichen Rats.
Was dann folgt gilt sichtlich dem Verfasser als eine Be-
freiung von dem, was ihm am schwersten auf dem Herzen lastet,
und als eine furcbtlose Großtat: es ist eine Schilderung all des
Unrechts, das von den Herren im Lande und ihrem Anhange, von
den Pfarrern und Ordensgeistlichen, den Corregidoren und Comen-
deros, von herumziehenden Spaniern, von Mestizen und Negern
an den Eingebornen verübt wird. Verzweifelte Klagen über
1) Cohceion de dociimentos ineditos del Archivo de Indias 17 S. 104 : verdad
es que su avito e casas no son de dbra muy dificuUosaj porque a lo que yo en-
tiendo, es vestido natural y de que devieron husar los xwimeros, que son estas
laantas y camisetas, poi'que yo las e visto en pinhiras antiquisimas.
652 ^- Pietschmann,
Knechtung und Mißhandlung und die Hoffnungslosigkeit der Lage,
über all das frevelhafte Elend, das später der europäischen Welt
in den Notirias secretas der Brüder Ulloa vorgehalten wurde,
kommen vielfach ergreifend zum Ausdruck. Nur wird durch zu
häufige Wiederkehr derselben Anschuldigungen in zu vielfach ein-
ander gleichenden Redewendungen die Wirkung abgeschwächt.
Hier ist ein Abschnitt über die christlichen Indianer Perus ein-
geschaltet, zum Teil mehr Programm für die Zukunft als Spiegel
der Gregenwart, dann eine Besprechung der einzelnen Städte des
Landes, eine Aufzählung der Wegestationen (der Tambos), und
ganz am Ende des Buchs finden wir vor der Inhaltsangabe noch-
mals eine Übersicht über die Monate, in der uns der Eingeborne
bei der Feldarbeit vorgeführt wird.
Für uns von hohem Interesse sind die Bilder der Handschrift.
Sie sind ein Hauptbestandteil des Werkes. Wiederholentlich gibt
der Text nur langen Serien von Bildern das Geleit und ist recht
kärglich ausgefallen im Vergleich zu der bildlichen Vorführung,
zum Teil auch nutzlos in die Länge gezogen nur um je ein Blatt
zwischen zwei Bildern auszufüllen. Es sind durchweg unkolorierte
ITmrißzeichnungen von sauberer und sicherer Linienführung: jede
füllt eine Seite für sich und ist in Tinte mit der Feder ausge-
arbeitet. Sie zeigen ein nicht geringes Talent. Als Erzeugnisse
indianischer Kunst sind allerdings diese Zeichnungen nicht anzu-
sprechen. Eine ganze Anzahl der Darstellungen hat europäische
Vorbilder und könnte nach Ausführung und Gegenstand ebensogut
in ein spanisches Werk über biblische Geschichte passen. Bei den
andern ist fremdartig nur der Gegenstand nicht der Stil. Der
Zeichner versteht wenig von Anatomie und Proportion, aber ver-
steht sich vortrefflich auf Komposition und Gruppierung , und
auch recht gut auf Ausdruck in Miene und Bewegung. Er schreckt
nicht zurück vor Gräßlichkeiten, ergeht sich in grimmem Sar-
kasmus und manchen Ka,rrikaturen, findet aber auch Ausdruck für
das Liebliche und Naive.
Für Mexico besitzen wir eine erhebliche Anzahl von Bilder-
handschriften, für Peru gab es bisjetzt nichts dergleichen; denn
ein paar Kritzeleien in dem Berichte des Joan de Santacruz
Pachacuti und zwei Abbildungen von Kopfbedeckungen in der
lielacion anonima zählen doch kaum. Hier aber bekommen wir
Darstellungen nicht bloß von großer Zahl, sondern auch von be-
sonderer Wichtigkeit, vor allem für die Archäologie und Völker-
kunde. Bisher besitzen wir zum Beispiel über die Huaca Pitusiray
Sauasiray eine nicht gerade ganz verständliche Erzählung, hier
Xiieva Corönica y Biien Gobierno des Don Felipe Guaman Poma de Ayala. 653
aber wird uns vor Augen geführt, wie sie, wenigstens nach Grua-
man Pomas Kenntnis, ausgesehen hat. Danach war Sauasiray
eine Menschenfigur für sich, bestand Pitusiray hingegen aus zwei
Figuren, die gleich zwei Zinken einer Grabel auf zwei von Natur
mit einander verbundenen P)ergkuppen standen.
Die einheimische Benennung vieler Gegenstände wird uns
hier in einfacher Abbildung viel besser erläutert, als das irgend
eine Beschreibung vermag; so, um nur weniges zu nennen, die
Abzeichen des Inka, masca payclia^ hnayoc tica, ctiriquinqui ücci,
huaman chanipi, cunca cuchuna, hnallcanca u. s. w. Unter anderm
ergibt sich aus dem Texte zu den Zeichnungen, daß Tocapu der
Kunstausdruck für die buntgewirkten Streifen und Muster ist, die
in die peruanischen Zeugstoife eingewebt wurden. Sarmiento er-
zählt, daß der Inka Viracocha als Erfinder des viracocha tocapu
galt, „was so ist wie bei uns Brokat", — und hier steht der Inka
vor uns in einem Untergewand, das, wie auch der Text daneben
sagt, ganz Tocapu ist. Er trägt zwar auch einen Mantel, doch
ist von dem nicht viel gezeigt. Er wird damit vor allen andern
Inka gekennzeichnet. Allerdings nicht als der Erfinder dieses
G-ewebstoffes — denn dazu hat ihn wohl nur ein Mißverstehen
des Wortes viracocha tocapu und der bildlichen Darstellung, die
dem Künstler für diesen Inka vorgeschrieben war, einfältigerweise
gemacht. Er wird damit vielmehr seinem Namen nach indivi-
dualisiert, mit einem Auskunftsmittel, wie dessen die Kunst eines
schriftlosen Volkes bedarf. Er ist unter den Inka was unter den
Göttern der Gott ist, der angerufen wird als der ,,in Tocapu
prangende", der Tocapo acnapo Viracochan^).
Mit Vorliebe schreibt Guaman Poma in die Darstellung hinein
seinen Figuren vor den Mund, was sie sagen, bald Spanisch, bald
Quechua, bald ein Gemisch von beiden. Tupac Inca stellt die
Huaca- Götter zu Rede wegen des Wetters und sie sagen, daß
es nicht an ihnen liegt: twinam nocacunaca ynca. Ein Inka, der
einem Spanier einen Teller voll Gold hinhält, fragt: cay coritacho
micunqui „Issest Du dieses GoldF'^, und der Spanier der vor ihm
kniet, nimmt den Teller hin und antwortet : este ovo comemos,
„Dieses Gold essen wir". Über einem musizierenden Pärchen
Criollos y criollas indios steht ihr Lied :
chipchi llanto chipchi Uanto pacay llanto
maypim caypi rrosastica
1) So ist in den Anrufungen bei Molina (Narrative of the Rites and Laim
of the Incas, S. 28. 29. 33) zu lesen.
ß54 ^* Pietschraann,
inaypwi caypi chiuanuayUa
maypim caypi hamancayUa
jjFlüstre Schatten! Flüstre Schatten! Heimlich, Schatten! Wo
denn hier du Rosenblüte ? Wo denn hier du Drosselblümchen ?
Wo denn hier du kleine Lilie ?^'^). Bei der Feldarbeit — chacra
yapuy — singen die Männer, die in Reih und Grlied mit ihrem
primitiven Spaten das Land umbrechen:
a yau haylli yau a yau haylli yau
a yau haylli yau a yau. haylli yau
chai mi coya cliai mi palla,
und die Frauen, die davor knien und mit den Händen dies auf-
gebrochene Erdreich zerkleinern rufen ia haylli j und ebenso ruft
ein verwachsenes Mädchen, das einen Becher, wohl mit Chicha, zur
Erfrischung herbeibringt -).
Überhaupt verspricht auch für die Freunde der Sprachen des
Inkareiches das Werk einige Ausbeute. Gruaman Poma schreibt
unter anderm verschiedene christliche Gebete in Quechua nieder,
die er seinen Landsleuten empfiehlt. Es wird zu untersuchen
sein, ob und wieweit sie von den Grebetsammlungen abhängig sind,
die damals schon gedruckt waren. Er führt einige Beispiele für
mißlungene Quechua-Predigten an und dazu die Nachahmung, mit
der die Jungen sich lustig darüber machen. Die Zahl der For-
meln aus dem heidnischen Kultus , die wir bereits besitzen, wird
nicht unwesentlich vermehrt. Guaman Poma hat Sinn für das
Volkstümliche und will den Eingebornen Feste und Lieder lassen,
soweit sie harmloser BeschaiFenheit sind. Das sei nicht Alles
ohne weiteres heidnisch. Als Probe einheimischer Lieder teilt er
1) Eosastica mag zwar nichts weiter sein als eine kreolische Deminutivform
des spanischen rosa , doch kann es auch ein hybrides Gebilde sein mit dem
Quechua-Worte tica „Blume" als zweitem Bestandtheil. Für chiuaniiaylla habe
ich „Drosselblümchen" gewählt, da das Wort chihuanhuai sowohl eine Drosselart
bezeichnet als auch eine Blume von roter und gelber Farbe. Vergl. auch den
Text auf Seite 657 Anm. 1.
2) HaiUi ist der Jubelruf sowohl des Siegers wie das Triumph-Frohlocken
nach getaner Arbeit. Zu ihm gesellt sich hier der Anruf yau. Eigentlichen
Sinn hat wohl nur der letzte Satz: „Das ist es, Coya, das ist es, Palla". Mög-
lich, daß diese schmeichelhafte Begrüßung der Überbringerin des Getränks gilt.
Doch singt auch der Inka am Schlüsse des Puca llama harahui: Chaymi coya
und die Frauen entgegnen: Chaymi palla . . . chaymi ciclla. Das Wort Palla
ist inzwischen weiter gemißbraucht worden und bedeutet nur noch soviel "wie
Maitresse.
Nueva Corönica y Biien Gobierno des Don Felipe Guaman Poma de Ayala. 655
ein Harahui mit^). Es kann erst nach der Conquista entstanden
sein, wenn das spanisclie dios, und cino (= senor), das darin vor-
kommt, nicht erst nachträglich eingeflickt sind. Einige Zeilen
werden ausreichen, einen Begriff davon zu geben:
haray haraui -
acoymquicho coya raquiriuanchic
tiyoyracßdcho ^) tmsta ^) raquiriuanchic
cicllallay chinchircoma captiquicho
utnallaypi soncorurollaypi apaycacliayquiman
unoyrirpollulJam canqui
yaciiyrirpopallcom canqui
maytacsallayuan caynayconich o
„Trennt uns, Coya, ein feindliches Geschick?
Trennt uns, Nusta, eine Sinnestäuschung ?
Bist Du, meine liebe Siclla, Chinchircuma-Blume *),
So möchte in meinem Haupte, in meinem Herzenskerne ich
Dich herumtragen.
Wasserspiegel-Lüge bist Du.
Wasserspiegel- Trug bist Du" . . . . ^)
1) Die Überschrift lautet: Canciones y mucicas del ynga y de los yndios
llamado haraui y uanca pingoUo quena quena en la lengua general quichiua
aymara dize aci: . . . — Huanca heißen nach Middendorf gegenwärtig Lieder
von melancholischer Tonart, die von den Frauen Abends nach der Feldarbeit an-
gestimmt werden. PingoUo = pincullu, eine Flöte , quena , im Aimarä quena
quena pincollo, ist eine Rohrflöte.
2) In diesem Texte wie in den andern Stellen, die ich hier zum Abdruck
bringe, habe ich die Schreibweise des Originals — Rechtschreibung kann man
sie nicht nennen — beibehalten. Die Wortabteilung rührt von mir her. —
Acoyraqui und tiyoyraqui sind wohl nicht so sehr Synonyma, wie v. Tschudi, die
KecJiua- Sprache, Abt. 3 S. 12 und 501 für akoyraJci und tiuyrahi annimmt. Zu
acoyraqui vergl. Ollanta , Vers 382 = 376 , auch Middendorf , WöHerbuch des
Buna iSimi, S. 12. Ich möchte tiyoyraqui mit fiyuy „Rausch" zusammenbringen.
3) Lies: nusta. Der Verfasser setzt in Quechua-Worten niemals Tilde.
4) Ciclla = Sijlla, Name einer blauen Blume, auch Eigenname und Be-
nennung für das schlanke junge Mädchen, die Maid. Chinchircuma oder Chin-
chilcuma ist nach Markham , Vocahularies of the general language of the Incas,
S. 74 die Mutisia acuminata. Nach ihm wird (S. 72 ebd.) bei Tarma die Salvia
oppositißora mit dem Namen Chenchelcoma belegt. Aus Abbildungen, die mir
Albert Peter freundlichst nachwies, ergibt sich, daß die Mutisia und die Salvia
grundverschieden sind. Doch wird das Quechua-Wort vielleicht eine allgemeinere
Grundbedeutung haben, wie chihuanhuai. Hier scheint diese Blume Reinheit und
Treue zu bedeuten.
5) Der Wechsel im Ausdruck zwischen u7io — unu „Wasser" und yacu =
g56 R. Pietschmann,
diay pallco mamnyquim uanoypac raquicnmchicca
chay auca yayayquim uacchacnincliicca :
„Deine falsche Mutter, die mir zum Tode uns getrennt hat.
I Dein böser Vater, der in Elend uns gebracht hat".
chay asic naaiquita yuyanspa titinipuni
chay pudlac nniiqnita yuyarispa oncoyman chayani
„Im Gedenken an Deine lachenden Augen rede ich irre.
Im Gedenken an Deine munteren Augen gelange ich zu
Siechtum''.
Auf derselben Seite folgt ein anderes Lied mit der Vorbe-
merkung : en la lengua aymara llamaäo uanca dize ad. Dieser Text
enthält jedoch keineswegs etwa eine Übersetzung des vorange-
henden. Er ist ohne Zweifel erst in spanischer Zeit entstanden,
wie schon aus den Lehnworten — cauallu == cahallo „Pferd",
wiüa ,, Maultier", cüla = silla — zu ersehen ist. Unmittelbar
danach kommen noch einige kurze Lieder unter der Bezeichnung:
eachiua ^) disc aci.
Namentlich bei der Besprechung des Kultus und der Feste
bringt aber auch das Buch des Guaman Poma uns den Wortlaut
von Texten und Formeln, bei denen an fremden Einfluß nicht gut
zu denken ist. Er erzählt z. B. von einem Reigen Caiacaia uarmi
„Wasser" läßt sich deutsch nicht wiedergeben. Beide Worte werden gegenwärtig
je nach dem Dialekt als ganz gleichwertig gebraucht. Ebenso einander parallel
stehen sie in einer Anrufung der Mondgöttin bei Guaman Poma, der da gesagt
wird, yacuc zallayqui unoc rallat/qui: „yacuc (ist) dein Geliebter, imoc (ist) dein
Geliebter". Die Formen unoy, unoc, yacuy, yacuc sind beachtenswert. — Für
die nächste Zeile vermöchte ich eine Übersetzung nur mit großem Vorbehalt zu
geben, obgleich im einzelnen, soviel ich sehe, keine Schwierigkeiten da sind.
niaytac ist wohl als Nominativ zu fassen. Im Genetiv würde es in dieser Zeit
noch maytap lauten. Dann bildet es mit zaUay „buhlen" ein Kompositum, caynay
ist eigentlich „Station machen'', dann „sich in etwas ergehen" und caynaycuy
würde eine Reflexivform davon sein, „sich ergetzen in (huany. clio = chu,
Fragepartikel. Doch ist zalla Substantivum und y das Pronomen, so würde der
Satz bedeuten: „Habe ich Jüngling meiner Geliebten mich erfreut"?
1) Der Verfasser sagt nicht quichua, sondern quichiua. Danach würde
eachiua einem cachua entsprechen können, eachiua würde danacli dasselbe be-
zeichnen können wie das Wort cachhua, das J. J. v. Tschudi, die Kechua-Sprache,
Abt. 3 S. 142 erklärt: eine Art Tanz im Chor, bei welchem sich je zwei und
zwei bei den Händen fassen und auf der nämlichen Stelle in kurzen Schritten
tanzen. Auch Cobo (4 , 231) erwähnt cachua als Namen eines Reigentanzes.
Dann ist eachiua hier die Gattung von Liedern , der die betreffenden Texte
angehören. Ist das der Fall, so soll in der Rubrik darüber uanca ebenfalls
nichts anderes sein als die Benennung der Gattung, der das Lied angehört, das
heißt die Gattung, die Middendorf (vergl. oben Seite 655 Anm. 1) huanca nennt.
Nueva Corönica y Buen Gobiemo des Don Felipe Guaman Poma de Ayala. 657
aitca der Indianer in den Anden, in denen sie in Weibertracht,
die itarmi anca (= kuarmi auca), das heißt „Weib-Krieger'', die
viel erwähnten Amazonen Südamerikas, vorstellen und dazu singen:
uarmi anca chinanuaylla
uruchap apanascatana
anti auca chiuanumßla ^).
Nur den Rundgesang teilt Guaman Poma von dem Lama-Gesange
des Inka mit. Der Inka stellte sich vor ein angebundenes Lama
und ahmte eine ganze Zeit lang dessen Stimme nach: yn. Dann
sang er eine lange Reihe von Strophen. Darauf folgte der
Gesang der Frauen nnd ein "Wechselgesang. Eine andere Dar-
stellung betrifft ein Eest , das im Chinchaysuyu und zwar nach
der Unterschrift des Bildes in Guanocpampa und Paucarpampa
gefeiert wurde. Es scheint auf die Vorstellung zurückzugehen,
die viele Völker sich gemacht haben, daß die Erlegung des Wildes
eine Art Sühne erfordert, die dann wieder Jagdglück einträgt.
Es hieß uauco. Die Männer, den Federkranz auf dem Haupte, den
Mantel wie eine Schärpe um den Arm geschlungen, halten den
Kopf eines Rehs, in den, wie es aussieht, vom Halse her eine
Röhre eingesetzt ist, und blasen hinein. Die Mädchen singen
dazu beim EQange der Handtrommel und bedauern den Ta-
ruscha ^) den Andenhirsch, und Ltiycho, das Reh :
mana taruscha riclio
maquillayquip ^) naucitycaconqtii
mana luycho aniicho
cincallayquip uaucuycaconqui
ua yayay turilla
tia yayay turilla.
Die Männer aber, die das Wild vorstellen, blasen und antworten :
uauco uauco uauco uauco
chiclio chicho cliicho cliicho.
1) Huarmicauca chiuanuaylla bedeutet „ du Weib -Krieger Chihuanhuai ",
anti-auca chiuanuaylla „du Anden-Krieger Chihuanhuai". Sind die Worte da-
zwischen so richtig abgeteilt, würde apanascatana der Akkusativ von apanasca
„beladen" mit angehängtem na „bereits" und uruchap ein Genetiv sein. Wegen
Chihuanhuai vergl. oben Seite 654 Anm. 1. Das Wort bezeichnet auch einen
Federbusch. — Die Unterschrift unter der Darstellung des Amazonen - Tanzes
verlegt ihn nach curipata anti, den Anden von Curipata.
2) Altertümliche Form für taruca (Cervus antisiensis).
3) maquilla, wörtlich „Händchen" ; es wird also die Pfote gemeint sein oder
der Lauf, dnqualla, von senlca „Nase", das „Schnäuzchen".
R. Pietschmann,
Bernab^ Cobo erwähnt diesen Tanz. Er nennt ihn nach dem
Kehrreime Guayayturüla. Männer und Frauen, berichtet er, färbten
dazu das Gesicht und banden einen Streifen Gold- oder Silber-
blech darüber oberhalb der Nase von Ohr zu Ohr. Der Rehkopf,
auf dem wie auf einer Flöte geblasen wurde , war gedörrt mit
dem Geweih daran. Etwas ähnliches war der Tanz der Uacones.
Nach Guaman Poma wurde dabei gesungen:
panoyaypano panoyaypano
und der Tänzer erwiederte:
yahaJiaha yahaha
cucipatapi acllay uarmi ricoclla
hay caypafapi llamapata ricoclla
yahahahaha.
Nach Cobo wurde dieser Tanz , der der Gruacones , nur von
Männern getanzt. Sie sprangen herum, maskiert, in der Hand
den Balg oder gedörrten Leib eines Raubtiers oder Wildes.
Zum Schlüsse noch ein Lied, das einen altertümlichen Ein-
druck macht. Es wird aus einer Erzählung entnommen sein. Ob
Guaman Poma ganz das Richtige aus ihr gefolgert hat, möchte
ich bezweifeln. Glaubt man ihm , so wurde in der Inkazeit die
freie Liebe zwischen Unverheirateten damit bestraft, daß man die
Liebenden, die sich mit einander vergangen hatten, bei den Haaren
an einer Felsspitze, Arauay (= Arahua), „Pranger", oder Anta-
caca, „Kupferfels", auch Ya[h]uarcaca, „Blutfels" genannt, aufhing,
und während sie dort schmachteten, sangen sie, bevor sie um-
kamen, ihr Harahui:
yaya condor ajmiiay
iura guaman pusaitay
mamallayman uillapuuay
nam pisca j)unchau
mana micosca
mana upyasca
yaya cachapuric
quilcaapac chasquipuric
cimülayta soncoUayta apapullauay
yayallayman mamallayman uillapullauay .
„Vater Kondor nimm mich fort,
Bruder Falke bring mich fort.
Meinem Mütterchen melde mich.
Schon sinds fünf Tage,
Nueva Corönica y Buen Gobierno des Don Felipe Guaman Poma de Ayala. 659
Nicht gegessen,
Keinen Schluck getrunken.
Vater Botengänger,
Zeichenträger, Eillaufgänger,
Mein Mündchen, mein Herzchen nimm bitte mir fort,
Meinem Väterchen, meinem Mütterchen bitte melde mich
doch!«.
Da der Bruder nur von seiner Schwester tura genannt wird
von seinem Bruder dagegen Jiuauki , würden wir hier nicht die
Klage eines Paares, sondern die eines Mädchens haben.
Ein Werk , wie Sahagun es für Mexiko geschaffen hat , be-
sitzen wir für Peru nicht. Immerhin aber einigen Ersatz dafür
verspricht die Bilder - Chronik des Felipe Guaman Poma trotz
mancher Mängel und Schwächen.
Shakespeare und der Euphuismus.
Von
Lorenz Morsbaeb.
Vorgelegt in der Sitzung vom 25. Juli 1908.
Es ist nicht meine Absicht, Shakespeare's Verhältnis zum
Euphuismus im ganzen darzulegen; was er von ihm übernommen,
inwieweit er ihn verspottet hat. Es ist so vieles schon darüber
geschrieben worden, aber die Frage ist noch nicht spruchreif. Nur
an einem der wichtigsten Punkte des Euphuismus will ich ein-
setzen, ihn schärfer bestimmen, als es bisher gelungen ist, und
seinen Einfluß auf Shakespeare an einem prägnanten Fall er-
weisen.
Schon in den Anmerkungen zu Fr. Vischers Shakespeare-Vor-
trägen ist gesagt worden, daß wir beim Euphuismus zweierlei zu
scheiden haben, die konstitutiven und ornamentalen Ele-
mente, die architektonischen Grundlinien und das äußere
Beiwerk. Den Begriff des Euphuismus hat man früher zu all-
gemein, in letzter Zeit zu enge gefaßt, indem man nur dort den
Euphuismus finden will, wo alle euphuistischen Elemente ver-
einigt seien. Das ist nicht richtig und gibt auch ein falsches Bild
von den tatsächlichen Verhältnissen. Auch wird diese Auflassung
den Absichten Lyly's nicht gerecht. Es gibt einen Euphuismus
im engeren und im weiteren Sinne. Die konstitutiven Elemente
genügen an sich schon, um den Euphuismus erkennen zu lassen;
es sind die wesentlichen und charakteristischen Elemente, die or-
namentalen sind nur Beiwerk. Auch Lyly's Prosakomödien sind
im euphuistischen Stile geschrieben; es ist derselbe architekto-
nische Bau, nur fehlen hier öfter gewisse Ornamente. Aus begreif-
lichen Grründen; weil sie den raschen Fluß des Dialogs, die geist-
Shakespeare und der Euphuismus. 661
reich zugespitzte Unterlialtung stören würden. Welches aber sind
die eigentlichen Grundlagen, was ist das innerste Wesen des Eu-
phuismus ?
Der Euphuismus unterscheidet sich von den andern Prosa-
und Modestilen der Zeit vor allem durch eine härm onisch-
rythmische Gliederung der Sätze, die auf völlig glei-
cher oder annähernd gleicher Zahl der Sprechtakte
(stress groups) beruht. Sie tritt nur da ein — und das ist
gleichfalls wesentlich — wo etwas besonderes gesagt, ein
wichtiger Gedanke ausgesprochen, etwas bedeutungs-
voll hervorgehoben werden soll. Zu diesem rythmischen
Gleichmaß gesellt sich häufig, aber nicht notwendig, ein Paralle-
lismus des Satzbaus, der sich oft sogar in strenger Korre-
lation der einzelnen Sätze und Satzteile äußert. Mit dieser Neben-
einander Stellung größerer und kleinerer syntaktischer Reihen ver-
bindet sich schließlich gern ein antithetisches Gegenspiel, das sich
häufig zu scharfen Kontrasten und wirkKchen Antithesen zuspitzt,
es oft aber bloß bei einer mehr spielenden Gegenüberstellung be-
wenden läßt.
In den parallelen Reihen ist die Zahl der Sprechtakte in der
weit überwiegenden Mehrzahl die gleiche. Die einzelnen Reihen
haben sehr verschiedenen Umfang, sie können aus einem, zwei,
drei, auch vier und fünf Sprechtakten bestehen, vereinzelt auch
aus sechs. Sie stellen sich ebenso leicht und natürlich ein wie
die Yerstakte, obwohl sie beständig wechseln, da, wie oben gezeigt,
äußere im Bau der Sätze und Satzteile begründete Formelemente
meist hinzutreten. Und da die parallelen Reihen auch in einem
begrifflich engeren Zusammenhang stehen, schließen sie sich wie
Verspaare oder ganze Reihen gleichgebauter Verse zusammen.
Alle anderen Elemente des Euphuismus sind nur accessorisch.
Sie geben aber, da sie häufig wiederkehren, dem Ganzen eine
eigenartige Färbung. Sie dienen teils als Schmuck oder helfen
das antithetische Gegenspiel markieren, wie Alliteration, Asso-
nanz, Reim und Wortspiel, oder sie beleben die Rede durch
Stilfiguren, unter denen die rhetorische Frage, Klimax, Ana-
phora, Antistrophe vorwiegen, oder endlich sollen sie das Gesagte
deutlicher veranschaulichen, wie Gleichnisse undBeispiele,
die meist der fabelhaften Naturgeschichte entnommen sind.
Um das Gesagte zu illustrieren, will ich im Folgenden einige
Proben geben und die wesentlichsten Elemente des euphuistischen
Stils durch den Druck so hervortreten lassen, daß die Eigenart
sofort in die Augen springt. Die Akzente markieren die Sprech-
Egl. Gee. d. Wiss. Nachrichten. Philolog.-hist. £1. 1908. Heft 6. 46
062 Lorenz Morsbach,
takte, die beigefügten Ziffern geben ihre Zahl an. Ein wahres
Prachtstück euphuistischen Stils ist die Vorrede Lyly's za seinem
Euphues in der Ausgabe von 1581.
To my rery good Friends the Gentlemen Scholars of Oxford.
There is no privilege tbat needeth a pardon, neither is there
any remission to he dsJced 2
where a commission is gränted. 2
I speak this, Gentlemen,
not to excuse the offence \ which is täJcen, 2 + 1
hut to off er a defence \ where I was mistdken. 2 -f 1
A clear conscience is a sure card; trnth hath
the prerogative to speak with plainness, . 3
and the mödesty to Mar with pdtience. 3
It was repörted of söme, 2
and believed of mdny, 2
that in the education of Euphoebus, where mention is made
of Universities, that Oxford was too much
either defdced 1
or defdmed. 1
I know not
what the envious have picked out hy mdlice^ 3
or the Ciirious hy wit, 3
or the guilty hy their öwn galled cönsciences; 3
bat this I say
that I was as far from thinking ill, 3
as I find them from jüdging well. 3
But if I should now go about
to mdke amends, 2
I were then faulty,
in sömewhat amiss, 2
and shonld show myself like Appelles' prentice wbo coveting
to mend the nöse, 2
nidrred the cheek, 2
and not unlike the foolish dyer who never thought his cloth
black until it was bumed. If any fault be committed, impute it
to Euphues who knew you not^ 2
not to Lyly who hdte you not . , , 2
Euphues, at bis arrival, I am assured, will view Oxford, where
he will
Shakespeare und der Euphuismus. 663
either recdnt Ms säyings 2
or renew his complaints. 2
He is now on the seas ; and how he hatli been tossed, I know
not. But whereas I thought
to receive him at Döver^ 2
I must meet him at Hdmpton, 2
Isothing can hinder his Coming but death, 4
ncither dnything hdsten his depdrtiire biit unJdndness. 4
Concerning myself I have always thought so reverently of
Oxford
of the schölars, 1
and the mdnners, 1
tliat I seemed to be
rather an idölater 1
than a blasphemer. 1
They that invented this töy were unwise, 3
atid they that reported itj unkind; 2
and yet none of them can pröve me unhönest. 3
But suppose I glanced at some abuses : did not lupiter's egg
bring forth
as well Helen, \ a light hoüseivife in earth, 1 + 2
as Cdstor, \ a light stär in heaven ? 1 + 2
The ostrich that taketh the greatest pride in her feathers,
picketh some of the worst out, and burneth them;
there is no tree but hath some bläst, 2
no coüntenance but hath some blemish; 2
and shall Oxford then be bldmeless? 2
I wish it tvere so, 2
but I cannot thhik it is so, 2
But as it iSj \ it may be better -, 1 + 1
and ivere it bädder, \ it is not the tvörst. 1 + 1
I think there are few universities that have less faults than
Oxford,
mdny that have möre, 2
none but have some, 2
But I commit my cause to the consciences of those
that either know wJiat I dm. 2
or can guess what I shöuld be, 2
The one will dnswer themselves \ in cönstruing friendly, 2 + 2
the other, if I knew them, \ I tvould sdtisfy reasonably. 2 + 2
Thus loath to inciir the suspicion of tmkindness \ in not telling
my mindj 4 + 2
ß4 Lorenz Morsbach,
And not willing to maJce dny excüse \ tvhere there need no
amends, 4-f2
/ can neither cräve pdrdon, \ lest I shoidd confess a fault, 2-f2
7ior conceal my meaning, \ lest I should be thöught a fool 2-|-2
*And so I end, yours assured to use John Lyly.
Ich füge noch eine andere Probe ans Lyly hinzu und zwar
aus einer seiner besten Komödien: Alexander and Campaspe.
Akt. I. Sc. 1.
Clytus. Parmenio, I cannot teil whether I should more com-
mend in Alexander' s victories courage or courtesy,
in tJie öne heing a resolütion ivithout fear, 3
in the öther a liberälity above cüstom. 3
Thebes is rdzed, 2
the people not räcJced ; 2
towers thrown down, 2
bödies not thrust aside: 2
a cönquest witJiout conflict, 2
and a crüel war | in a mild peace. 2-|-2
Parmenio. Clytus, it becometh the son of Philip to be
none other than Alexander is; therefore
sceing in the fäther a füll perfection, 3
who could have doübted in the son an excellency? 3
For, as the moon can borrow nothing eise of the sun but
Hght:
so, of a sire in whom nothing but virtue was, 2
what could the child receive but Singular? 2
It is for turkies to stain each other, not for diamonds:
in the öne to be made a difference in göodness, 2
in the öther no compärison. 2
Clytus. You mistake me, Parmenio, if, whilst
1 commend Alexander, 2
you imagine
/ call Philip into question; 2
unless , happily, you conjecture — which none of judgment
will conceive — that
because I like the fruit, 2
therefore 1 heave at the tree, 2
or coveting to kiss the child, 3
I therefore go ahoüt to poison the teat. 3
Parmenio. I, but, Clytus,
I perceive you are börn in the east, 8
Shakespeare und der Euphuismus 665
and never Idiigli hut at tJie sun rising : 3
which argnetli,
though a duty where you öttght, 2
yet no great devötion where you migld. 2
Clytus. We will make no controversy of that which
there ought to be no question ; only this shall be the
opinion of us both,
that none was ivörthy \ to he fdther of Alexander \ hut Philip, 2 + 2 + 1
nor dny meet \ to he the sön of Philip \ hut Alexander. 2 + 2 + 1
Mit diesen wenigen Proben aus Lyly's Werken, die aber für
unsern Zweck genügen mögen, halte man nun die bekannte Prosa-
rede des Brutus im Akt III, Sc. 2 von Shakespeare's Julius Caesar
zusammen. Ich lasse sie in gleicher Weise wie die Proben aus
Lyly hier abdrucken, da schon das äußere Bild für die Sache
sprechen dürfte.
Brutus. Be patient tili the last.
Romans, countrymen, and lovers!
hear me for my cäuse^ \ and be silent, \ that yon may he an 2 + 1 + 1
helieve mefor mine hönour, \ and have respect to mine hönour, \
that you may helieve: 2 + 2 + 1
Censure me in your wisdom, \ and awake yoiir senses, \
that you may the better jüdge. 2 + 2 + 1
If there be dny in this assembly, 2
any dear friend of Cdesar^s, 2
to him I say,
that Brutus" Jöve to Caesar 2
was no less than his. 2
If then that friend demand why Brutus rose against
Caesar, this is my answer:
Not that I loved Cdesar less, 3
hut that I loved Börne more. 3
Had you rather Cdesar were living \ and die all sldves, 2 + 2
than that Cdesar ivere dead, \ to live all free nienP 2 + 2
Äs Caesar loved me, \ I weep for him ; 1 + 1
as he was förtunate, \ I rejoice at it; 1 + 1
as he was vdliant, \ I hönour him: • 1 + 1
hut as he was ambitious, \ I sleio him. 1 + 1
There is tears for his löve; 2
joy for his förtune; 2
hönour for his välour; 2
and death for his ambition. 2
666 Lorenz Morsbach,
Who is Jiere so hdse fhat would he a böndman ? 3
If dny ^ speak; \ for htm have I offended. 2 + 2
Who is here so rüde that toould not he a BömanP \ 4
If äny, speaJc, \ for him have I offended. 2 + 2
Who is here so vile that will not love Ms cöuntry? 4
If dny, speah'^ \ for him have I offended, 2 + 2
I pause for a reply.
All. None, Brutus, none.
Brutus. Then nöne have I offended, 2
I have done no more to Caesar 2
than you shall do to Brutus. 2
The question of bis death is enrolled in the Capitol;
his glory not extenuated, \ wherin he was wörthy, 2+|l
nor his offinces enförced, \ for which he suffered death. 2 + 1
[Enter Antony and others, with Caesar's body.]
Here comes his body, monrned by Mark Antony:
who^ though he had no hdnd in his death, 2
shall receire the henefit of his dying^ 2
a pldce in the Commonwealth] 2
as which of you shall not? 2
With this I depart, —
that as 1 slew my hest lover, \ for the göod of Börne, 2 + 2
I have the same ddgger for myself, 2
when it shall please the cöuntry \ to need my death. 2 + 2
Wir haben bei Shakespeare dieselbe symmetrische Gliederung
der emphatischen Stellen wie bei Lyly, mit einer auffallend regel-
rechten Gleichzahl der Sprechtakte, verbunden mit starker Korre-
lation der Sätze und Satzteile und mannigfachen Antithesen. Auch
von dem äußeren Beiwerk und den omamentalen Elementen ist
einiger Gebrauch gemacht. Die Alliteration hebt bedeutungs-
volle Wörter und Silben gelegentlich wirksam hervor. Assonanz
und Wortspiel fehlen, letzteres würde dem Ernst der Situation
zu wenig entsprechen. Die beliebten Stilfiguren der rhetorischen
Frage, der Klimax, der Anaphora und Antistrophe sind reichlich
ausgestreut. Aber die bei Lyly so beliebten Gleichnisse und
Beispiele fehlen ganz. Mit Recht, denn sie würden der knappen,
eindrucksvollen Rede Abbruch tun; sie sind auch in Lyly's Ko-
mödien seltener als in seinem Roman.
Somit zeigt sich Shakespeare hier nicht nur stark beeinflußt
von Lyly's Stil, sondern er hat ihm geradezu die Grundelemente
mit deutlicher Absicht entnommen. Und dennoch würde es völlig
Shakespeare und der Euphuismus. 667
falsch sein, wenn wir Brutus Rede euphuistiscli nennen wollten.
Daß manches Beiwerk fehlt, wie vor allem die Gleichnisse und
Beispiele, kommt nicht in Betracht; sie fehlen auch öfter auf
längere Strecken in Lyly's Komödien. Aber eines fehlt ganz
bei Shakespeare: die Lyly'sche Eedseligkeit und Weitschweifig-
keit, die so häufige Variierung desselben Gredankens innerhalb
der rythmischen Reihen, der geringe Ernst der Sache, das
Spielen und Kokettieren mit bloß geistreich witzelnden Phrasen
und Antithesen. Shakespeare's Stil hat nichts Pretiöses. Er
hat sich nur das Beste von Lyly's Stil angeeignet und mit
künstlerischer Absicht verwertet. Denn der Stil Lyly's hat auch
seine guten Seiten. Man braucht ihn nur mit den anderen, meist
schwerfälligen und überladenen Prosastilen der Zeit zu vergleichen.
Von diesen unterscheidet sich Lyly vorteilhaft durch den ein-
fachen Wortschatz und die Vermeidung gelehrter Fremdwörter,
durch die klare, lichtvolle Satzbildung und das Bestreben, alles
deutlich zu sagen. In den beiden letzten Punkten ist er freilich
vielfach entartet, der Satzbau ist zu getüftelt und die Deutlichkeit
zu aufdringlich.
Shakespeare hat die Uebertreibungen Lyly's und das Manie-
rierte seines Stils ferngehalten und daher alles vermieden, was
an Lyly's Modestil direkt erinnern könnte. Es ist daher auch
nur ganz vereinzelt von den Forschern bemerkt worden (z. B. von
Boyle), daß Brutus Rede vom Euphuismus beeinflußt sei. Andere
(z.B. Hudson) sprechen von „well balanced sentences", ohne jedoch
den wahren Sachverhalt durchschaut zu haben, Herford (Introd. p. 9
Note) aber weist mit vollem Recht darauf hin, daß eine Stelle im
Plutarch offenbar die besondere Redeweise des Brutus bei Shake-
speare veranlaßt habe. Das ist allerdings ein wichtiger Punkt,
der jetzt neues Licht erhält. Ich setze zunächst die Stelle bei
Plutarch hierher, in der Uebersetzung des Thomas North, die der
Dichter bekanntlich benutzt hat. Es heißt da von Brutus' Weise
zu schreiben (in der Ausgabe Skeat's S. 107):
But for the Greek tongue they do note in some of his epistles,
that he counterfeited that brief compendious manner of speech
of the Lacedaemonians. As, when the war was begun, he wrote
unto the Pergamenians in this sort:
„1 understand you have given Dolabella money:
if you have döne it willingly. 2
you confess you have offended me; 2
if against your will, 2
ßßg Lorenz Morsbach,
show it then
hy giving me willinyly^, 2
Another time again unto tlie Samians :
y,Your Councils he long, 2
your döings he slow 2
consider the end.^ 2
And in another epistle he wTote unto the Patareians : ^^Xanthians,
despising my good will, 2
have made their coüntry a grave despair\ 2
and the Patareians,
that put thetnselves into my protection, 2
have lost no jot of their liherty : 2
and therefore, whilst you have liberty, either chose
the judgemetit of the Patareians, 2
or the förtune of the Xänthians'^. 2
These were Bratns's manner of letters, which were honoured
for their briefness.
Wie man sieht, ist auch der Uebersetzer North von der Zeit-
strömung erfaßt und hat den prägnanten Stellen eine harmonisch-
rythmisrhe Grliederung mit gleicher Zahl der Sprechtakte gegeben.
Diese Stelle war ohne Zweifel für Shakespeare der erste Anlaß
zu seiner künstlerischen Grestaltung der Rede des Brutus. Sie
war aber auch gleichsam die geistige Brücke, die ihn zu Lyly's
Euphuismus hinüberführte. Mit scharfem Blick erkannte er die Ver-
wandtschaft der Plutarchstelle mit Lyly's pointiertem Antithesen-
ßtil, der wie wir jetzt wissen indirekt auf gewisse Vorbilder des
griechischen Altertums zurückgeht (von Norden, Die antike Kunst-
prosa vom VI. Jahrhundert bis in die Zeit der Renaissance, Band II,
1898; dazu Heiberg, Nord. Tidskr. for Fil. 1900, S. 121). Er hat
daher der Rechtfertigungsrede des Brutus das künstlerische Gewand
gegeben, das ihm am besten mit Brutus' überlieferter Sprechweise
übereinzustimmen schien. Daher auch die Anwendung der Prosa,
die zugleich einen bedeutungsvollen Gregensatz zu Antonius' poe-
tischer Leichenrede bildet.
Diese Erkenntnis zeigt uns Shakespeare nicht nur als einen
schaffenden Künstler, der mit bewußter Absicht fremde Stilarten
sich aneignet und künstlerisch verwertet , sondern gibt uns auch
den sicheren Maßstab zur ästhetischen Beurteilung der Rede des
Brutus. Indem der Dichter Lyly's Stil das Beste entnahm, Ein-
fachheit und Klarheit des Satzbaus und scharfe, oft antithetische
Zuspitzung der Gedanken, legt er Brutus Worte in den Mund,
Shakespeare und der Euphuismus. 669
die durch Prägnanz und Kürze des Ausdrucks und durch „geist-
voll schlagende Antithesen" (Fr. Vischer) der Situation und dem
Wesen des Brutus voll entsprechen. Die ßede ist mit ausge-
suchter Kunst angelegt, aber alles Künstliche ist femgehalten.
Wer sie unbefangen hört oder liest, ahnt kaum, wie sehr der
Dichter hier mit feinsten künstlerischen Mitteln einen natürlichen
Totaleindruck erzielt.
AS Akademie der Wissenschaften,
182 Göttingen. Philologisch-
Cr8l22 Historische Klasse
1908 Nachrichten
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