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LEL^im -S I^J^TPOIRD -JVMOR- VMVEKSTinr
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Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
zu Göttingen.
^
Philologisch-historische Klasse
ans dem Jahre 1906.
THIS ITEM HAS BEENNflCROFILMED Bv
STANFORD UNIVERSITY LIBRARIES
REFORMATTINGSECnONl994 CON<:titt
SUL CATALOG FOR LOCATION
Serlin,
Weidmannsche Bachhandlang.
1906.
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J,
Register
über
die Nachrichten von der Eönigl. Gesellschaft der Wissenschaften
philologisch-historische Klasse
aus dem Jahre 1906.
Frensdorff, Katharina ü. von Rußland und ein G-öt-
tingscher Zeitungsschreiber. Nachtrag S.242
Frensdorff, Studien zum Braunschweigschen Stadt-
recht. Zweiter Beitrag „ 278
B. Eeil, Ueber ein megarisches Gfrabepigramm ....
F. Kielhorn, Epigraphic Notes (19)
R. Laqueur, Untersuchungen zur Textgeschichte der Bi-
bliothek des Diodor
Leo Meyer, Etymologische Mitteilungen
Leo Meyer, lieber den Namen Gröttingen
W. Meyer, De scismate Grandimontanorum (vier lateini-
sche Rythmen von 1187)
W. Meyer, Die rythmischen Jamben des Auspicius . .
L. Morsbach, Zur Datierung des Beowulfepos ....
B. Niese, Neue Beiträge zur G-eschichte xmd Landeskunde
Lakedämons. (Die lakedämonischen Feriöken) . . .
R. Reitzenstein, Ein Bruchstuck des Philochoros . .
W. Rüge, Aelteres kartographisches Material in deutschen
Bibliotheken. Dritter Bericht über die Jahre 1904
und 1905
E. Schwartz, Ueber ein megarisches Grabepigramm . .
E. Schwartz, Die Acren von Gerasa und Eleutheropolis
J. Wackernagel, Wortumfang xmd Wortform . . .
231
143
313
185
331
49
192
251
101
40
1
240
340
147
W. Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich. L ü. Beiheft.
f
•• •• ••
Aelteres kartographisches Material
in deutschen Bibliotheken^).
Dritter Bericht über die Jahre 1904 und 1905.
Von
W. Rüge -Leipzig.
Vorgelegt von H. Wagner in der Sitzung vom 23. Dezember 1905.
Vorwort.
In den Jahren 1904 und 1905 habe ich besonders den Westen
nnd einen Teil der Mitte Deutschlands bereist und dabei in den
Bibliotheken von Helmstedt, Dresden, Bamberg, Frank-
furt a./M., Darmstadt, Marburg, Gießen, Düsseldorf,
Cöln, Bonn, Coblenz, Cassel gearbeitet. Auch diesmal habe
ich wieder das frexmdlichste Entgegenkommen und die bereitwil-
ligste Unterstützxmg gefunden, ohne die es mir nicht möglich ge-
wesen wäre, in der kurzen mir zur Verfügung stehenden Zeit so
viel zu erledigen. Es ist mir eine angenehme Pflicht für diese
Hilfe auch hier meinen aufrichtigsten Dank auszusprechen. Im
Folgenden werde ich, wie das letzte Mal, nur über Karten xmd
Globen berichten; alles andere, sowie auch einige häufiger vor-
kommende Sparten und Atlanten, bleibt für den Schlußbericht
aufgespart. Die Einrichtung des Ganzen und der Gang der Be-
schreibung ist genau wie im ersten Bericht ; nur mochte ich einmal
ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Zahlen für den Maßstab
nur ganz ungefähr richtig sein können. Bei großer Di£P<erenz
1) Vgl. Nachrichten d. K. Gesellschaft der Wissenschaften zu Qöttingen,
phU.-hi8t. Klasse 1904, 1—66. Aus diesem Bericht (dtiert I. Ber.) maß nr. 66
ausgeschieden werden, da es keine selbständige Kurte ist, sondern aus Dan.
Cellarias, Specnlom orbis terramm 1678 stammt
Ifl. Qm. d. Wi«. Nftckriebtea. PhUolof.-Uftor. KImm 190«. H«ft I. 1
2 W. Rüge,
zwischen dem aas dem Gradnetz und dem aus dem Meilenmaßstab
oder der Zeichnxmg der E[arte selbst berechneten Maßstab habe
ich den ans dem Gradnetz ange^^en.
. •••• ••'
Zu den schon frühef • be&ut^ieii Abkürzungen (I. Ber. p. 2) kommt noch
hinzu : Hantzsch, ^ndluiiiiM^c^^ = XXVIII. Beiheft z. Centralbl. f. Biblio-
thekswesen 1904!*/'/'.**-.*
.■••■•: \ ■■••••■
I. Handschriftliche Karten.
a. Portulanlcarten und Seeatlanten.
1. Pero Femandez, Portnlankarte von Westeuropa und
Nordwestafrika, 1528; ca. 1:13.876000.
Handzeichnxmg auf Pergament. Nach der Inschrift in Afrika
und dem Namen des Aequators nach N, nach dem Namen des
Verfassers nach NW orientiert, die Zeichnung steht schief, eben-
falls nach NW, im Bahmen. 604(580) x 870(864)'»'", (914«»'«»
in der am obern Rand befindlichen Zunge). Ben Verfasser gibt
folgende Inschrift an: Feroffernamdez afez || eno porto era (?) de
1528.
Nordwestafirika bis zum Oolf von Guinea und der Mündung des Kongo,
Manicongo, c : da padram, R da perra, R. damadanda. Westliches Becken des
Mittelmeeres bis Italien, atlantische Küsten von Europa bis Holland, Großbri-
tannien. Am linken Rand ein Stück Südamerika. Die Küsten sind mit einem
schmalen, grünen Streifen umrandet. Ohne Innenzeichnnng, nur in Afrika sind
vier ungeheure rotbraune Berge mit W&ldem angegeben, dazu die Bemerkung:
Sera dos montes: craros em affirica : partes de libia. Die Breitenkreise sind an
drei Meridianstücken angegeben. Nördlich von Südamerika 6*S — 48^N, östlich
Ton Südamerika 6^ S — 17^ S (die Linie ist gebrochen, damit sie das Land nicht
trifft), in Afrika 23*S — U^N; 10* = 80™™. Das Ganze ist von 328trahligen
Kompaßrosen übersponnen, die Centralrose liegt fast genau in der Mitte des
Blattes, nördlich vom Cap Palmas. Drei unbenannte Meilenmaßstäbe, oben in
der Mitte, links und rechts unten. Der obere besteht aus zwei Teilen = je
28™™ lu 6 Unterabteilungen, die abwechselnd durch Punkte wieder in 5 Teile
geteilt sind; die beiden andern ans 13 Teilen, 74»"», die ebenfalls abwechselnd
durch Punkte in 5 Unterabteilungen zerlegt sind, 10 Teile = 57™™, 10*^ = IS
Hauptteile -f 4 Unterabteilungen = 69 Mitten. Gibraltar— Spartivento (1900>^)
= 179™"; Genua— Spartivento (956^™) = 87™™; Tarifa— C. Finisterre (826»™)
— 70™™.
Dresden, Kgl. BibL Mscr. f, 17 Tab. geogr. A. 2005.
Litt : Schmidt, Eurfürst August yon Sachsen als Geograph,
Dresden 1898, 17, Anm. 46. — Hantzsch, Landkartenbestande
nr. 281.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 3
Pnbl. : Hantzsch und Schmidt , Kartographische Denkmäler,
Leipzig 1903, Taf. I (verkleinert).
2. Pero Fez, Portnlankarte des westlichen Mittelmeers und
der atlantischen Aoßenküsten, o. J. ; ca. 1 : 6 Mill.
Handzeichnxmg auf Pergament. Nach den Zahlen der Brei-
tenskala nach S orientiert; am nördlichen Rand ist das Zeichen
. IHS- von S zu lesen, also nach N orientiert. 642(630) x
785(776)"™, in der nördlich angesetzten Zunge 876™°". Unten
links: PERO • FEZ •
Westliches Mittelmeer bis ungefähr zum Oolf da Lion, Nordwestafrika bis
zum c. domedam, südl. von boxador, Holland, Deutschland, Ostsee, Skandinavien.
Großbritannien. Die Küsten sind grün umrändert, ohne Innenzeichnung, viel
Fahnen und Wappen. In der Nähe des westlichen Bandes eine Breitenskala
26®— 70<»'N, W = 177™™. Das Ganze übersponnen von 32strahligen Kompaß-
rosen, die Centralrose liegt bei den SciUy-Inseln. Zwei unbenannte Meilenmaß-
stäbe, am untern und linken Band (184™™) zu 15 Teilen, die wieder durch
Punkte in 5 Tefle zerfallen. W = 14 Hauptteile + 2 Unterabteilungen =: 720
Miglien. C. Finisterre— Tarifa (826^«») = 140™™.
Dresden, Kgl. Bibl. Tab. geogr. A. 2006.
Litt. : Schmidt , Enrfürst Angnst von Sachsen als Geograph,
Dresden 1898, 17, Anm. 45.
3. Nicolas Desliens, Weltkarte, 1641 ; ca. 1 : 26 Mill.
Handzeichnnng anf Pergament , zwei Blatt neben einander.
Die Ländernamen nordlich vom Aeqnator sind von N, die südlich
von S her zu lesen. 1070(1065) X 590(586)™™. Die Benennung
des Aeqoators -EQVINOCTIAL ist von N her zu lesen, und im
Golf von Guinea südlich von 0^ steht ein Schiff mit der Basis
nach N, den Masten nach S, ebenso westlich von Amerika; da-
gegen reicht die nach N gerichtete Orientierung der südlichen
Halbkugel niemals auf die nördliche, sodaß die Hauptorientierung
doch die nach S ist. Links oben, in bandförmigem Ornament, so-
daß die Buchstaben von N her zu lesen sind: FAICTE'A'
DDEPPE • PAR • NICOLAS • DESLIENS 1541.
Weltkarte. Im W Amerika. In Nordamerika: LA • NO WELLE • || TERRE •
FRANCEZE. Kalifornien fehlt Die WestkOste von Nordamerika ist im Bogen
nach NO gezogen, daran : TERRE SEPTENTRIONALE INCONEVE. In Süd-
amerika : Terre da peroa, LA TERRE * || DY BRESIL. Unterlauf des Ama-
zonenstroms. Im Südkontinent : LA TERRE • AVSTRALLE • INCONNEVE, sie
reicht mit laua la grande bis 6^ S. Die Küsten sind grün gerändert, Innenzeich-
niing fehlt bis aof einige Flüsse und Berge. Ländernamen, viel Wappen. Auf
einem Meridian zwischen Afrika und Amerika ist eine Breitenskala angegeben,
57» S — 79« N, jeder Grad numeriert, 10* = 42""°. Ebenso ein Meridian durch den
Golf von Bengalen bis zum Südkontinent, 20* N — 45* S. Aequator und Wende-
kreise ausgezogen. Das Ganze von Kompaßrosen übersponnen. Die 82strahlige
1*
4 W. Rüge,
Centralrose steht im Hinterland des Qolfes von Guinea. MeilenmaBstäbe oben
und unten links, oben und unten rechts, 76nuii, 6 Abteilungen, deren Hälften wie-
der in 10 Teile geteilt sind, ohne Beischrift, das Ganze = 1200 Miglien.
10^ = ca. 650 Miglien. Gibraltar— Spartivento (1900*^) = 82™™ ; Spartivento—
Constantinopel (llöO^"") = 67™™; Cap der Guten Hoffnung — C. Guardafui
(6100"^™) = 263™™.
Dresden, Kgl. Bibl. Geogr. A. 52", unter Glas und Rahmen.
Publ. : W. Hantzsch und Schmidt , Kartographische Denk-
mäler. Leipzig 1903. Taf. H— IV (verkleinert).
Litt. : S. Rüge, Peterm. Mitt. Erg.-Heft 106, 61 ff.
4. Banet Panades, Portulankarte des Mittelmeers, 1657 ;
ca. 1 : 8V4 Mill.
Handzeichnung auf Pergament. Nach der Lischrift mit dem
Namen und den Zahlen der Breitenkreise nach W orientiert.
520(507) X 711(762)"»"», in der westUch angesetzten Zunge 905™«.
Am Westrand, rechts unter dem Bild der Jungfrau Maria:
banet • panades • mallorqui • en • massina • any • 1557 •
Mittelmeer mit den atlantischen AuBenküsten, im N bis c. finib^ terra (Fi-
nisterre), im S an der afrikanischen Koste bis Jebedich, ca. 28^ N. Zeichnung die
gewöhnliche der Portalankarten. Einige Städtevignetten, besonders groi die von
Genua, Venedig, Cairo. Viel Fahnen. Durch das östliche Mittelmeer geht ein
Meridian, mit Breiten von Grad zu Grad, 29<^N — 43^ N. Die Linie ist noch
weiter gezogen, aber nicht eingeteilt. IQfi = 134°^. Das Ganze ist von 32strah-
ligen Eompaftrosen übersponnen, die Centralrose liegt im Tyrrhenischen Meer. Je
zwei Meilenmaßstäbe am Nord- und Südrand, ohne Beischrift. Die größeren
zu 24 Teilen, die kleineren zu 14, die abwechselnd durch 4 Punkte in 5 Unter-
abteilungen zerfallen. 10 große Teile = 94™««». W = 14 große + 1 kleiner
Teil = 710 Miglien. Gibraltar— Spartivento (1900*^) = 292««»™ Spartivento— Con-
stantinopel (1150*"") = 190"™; Constantinopel— Ostende des Schwarzen Meeres
(1050^™)= 200™™; Spartivento— Issischer Meerbusen (2160*™) = 290™™; Genua—
Spartivento (955'^) = 149™™; Ostende des Schwarzen Meeres— C. Finisterre
(4120*^) = 705™™.
Dresden, Kgl. Bibl. Mscr. f. 15. Tab. geogr. A. 2306.
Litt.: Schmidt, Eurfürst August von Sachsen als Geograph,
Dresden 1898, 17, Anm. 45.
6. Diegus Hörnern, SeeaÜas, 1568.
Pappband mit Leder überzogen, geschlossen 290 x 423°^,
29 Blatt 285 x 405™™ bestehend aus zwei dünnen Pergament-
blättem, die an einander geklebt sind. Handzeichnung, außeror-
dentlich fein mit viel Farben und Gold, Wappen, Fahnen. Mit
Ausnahme der letzten sind alle Karten mit Kompaßrosen. Alle
nach N orientiert. Auf dem 2. Bl. v. : Diegus home Cosmogra-
phus Lusitanus fecit venettis äno apartu virginis {| • 1568. In ita-
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 5
lienischer Sprache. Auf den Karten nr. 1 — 13 Breitenskala;
Aeqaator und die Wendekreise sind ausgezogen , soweit sie in
Frage kommen, 10^ = 84,B°°> ; nr. 14—21 ohne, nr. 22 wieder mit
Breitenskala, Aequator, Wende- nnd Polarkreisen, 10® = 19,25"".
Es sind vier verschiedene Maßstäbe angegeben. 1) nr. 2—13. Die
Meilenmaßstäbe, die überall unbenannt sind, bestehen aas großen
Teilen zu 6"", die wieder abwechselnd in 5 Unterabteilungen zer-
legt sind. Nimmt man diese kleinen Spatien zu 10 Miglien (zu
1480™"), so ergibt das ca. 1 : 12V8 Mill. ; nach der Breitenskala
aber ca. 1 : 13 MilL V = ca. 70 MigUen. 2) nr. 14—19. Die
großen, abwechselnd in 5 Unterabteilungen zerlegten TeUe der
Meilenmaßstäbe sind = 19,3"", das gibt, die Unterabteilung
= 10 MigUen zu 1230", ca. 1 : 3,19 Mül. 3) nr. 20. 21. Vier-
teiliger Maßstab, 1 Teil = 33"" = 50 Miglien zu 1230", ca.
1 : 1,86 MiU. 4) nr. 22. Hier besteht der Meüenmaßstab = 74,5"°*
ans 13 Teilen zu 4 Unterabteilungen. Setzt man die letzteren
= 25 Miglien zu 1480" , so ergibt das ca. 1 : 52 Mill. , nach der
Breitenskala (s. o.) aber ca. 1 : 5772 Mill. ; 10" = ca. 680 Miglien.
Inhalt: 1. 61. leer. 2. Bl. r. a. y. Abhandlang über die Kreise. S. Bl. r
Sphäre der Himmelskugel. Nun folgen die Karten. 1) (3 v. a. 4 r.), Central-
amerika bis mit Califomien. Breitenskala 5® S — 86^ N. Der für den Meüen-
maßstab gezeichnete Rahmen ist leer geblieben. — 2) (4 v. u. 5 r.) Nordwesten
von Südamerika von G. de santa Maria 42^ 8 bis R. del pra^el and c. del rio
gegenüber den kleinen AntiUen. Im Innern der Amazonenstrom in großen eckigen
Windungen von W nach 0. Breitenskala von 46® S — 15® N. Panama— Ostspitze
von Latrinidad (2100kn>) = 209™™. — 3) (5 v. a. 6 r.). Oestücher Teü von Süd-
amerika. Im S bis Estrecho de magalhones, ca. 52® S. Breitenskala 53®S — 7®N.
Mündang des Amazonenstroms bis zar Magalhaesstraie (6050^™) = 460™™. —
4) (6 V. a. 7 r.) Atlantische Küsten von Nordamerika, nordöstliches Südamerika,
Kleine Antillen. Nördlich von Nordamerika: Mare leparamantiam. Breiten-
skala 3®— 64® N. Ostecke von Trinidad— Ostecke von Haiti (1100^™) = 107™™. —
5) (7 V. a. 8 r.) Atlantische Küsten von Earopa, bis mit Skandinavien. Im W.
die nordöstlichen Teile Nordamerikas. Breitenskala 35 — 76® N , Oeffhang des
Golfes von Biscaya, von C. Finisterre — St. Mathiea (700*'™) = 60™™, Lissabon-
Hamburg (2160 ^) = 180™™. — 6) (8 V. a. 9 r.) Earopa ohne den äußersten
Norden , Nordrand von Afrika, Kleinasien. Breitenskala 26—67® N. Oeflfhang
des Golfes von Biscaya (700k™) = 60™™, Lissabon— Hamburg (2160^^™) = 180™™,
Gibraltar— Spartivento (1900*'™) = 164^™. — 7) (9 v. u. 10 r.) Teü vom At-
lantischen Ocean, Westküste von Afrika bis etwas über c. mesurado, Spanien, die
östlichen und südlichen kleinen Antillen, ein Stück Nordamerika. 5® — 46® N, G.
Finisterre — C. Tarifa (825*^™) = 65™™. — 8) (10 v. u. 11 r.) Teü vom At-
lantischen Ocean, Golf von Guinea, Teü des nordöstlichen Südamerika. Auf zwei
verschiedenen Meridianen ist die Breitenskala angebracht, im Golf von Guinea
23® 8 — 0®, und nördlich von Südamerika 0®— 18® N, C. Palmas— Kongomündung
(2600^) = 220™™. — 9) (11 V. u. 12 r.) Südafrika mit Madagaskar, der nord-
östlichste Teü von Madagaskar fehlt Im Innern Berge und Flüsse. Breiten-
6 W. Rüge,
Skala 70—480 S. Nadelkap — südl. Ende von Madagaskar (2650^™) = 233"ODa,
Nadelkap — Kongomündung (33001^°») = 250™™. — 10) (12 v. u. 13 r.) West-
licher Indischer Oceao. Breitenskala 38^ S >3o N. Länge von Madagaskar (1700^m)
= 135™™. — 11) (13 V. u. 14 r.) Nordwestlicher Indischer Ocean, Arabien bis
mit Vorderindien. Breitenskala 8« S — 33® N. — 12) (14 v. u. 15 r.) Südost-
asien mit Inselwelt. Im SO Nooa goinea. Breitenskala llo S — 30® N, lava
(1050k™) = 75inin. — 13) (15 v. u. 16 r.) Oestlicher Teil der asiatisch-
australischen Inselwelt. Breitenskala 15o S — 44oN. — 14) (16 v. u. 17 r.) Nord-
westküste Europas von Frankreich bis Jütland, Großbritannien. Irland NO— SW,
(490*^™) = 210™™. - 15) (17 V. u. 18 r.) Pyren&enhalbinsel. C. Finisterre —
C. Creus (1025^™) = 330™™, Gibraltor— C. Creus (1000^™) = 300™™. — 16)
(18 V. u. 19 r.) Westliches Mittelmeer bis Salerno. Gibraltar— C. Creus (1000*^™)
= 300™™. — 17) (19 V. u. 20 r.) Mittelstück des Mittelmeeres. Nordküste von
SicUien (270^™) = 83™™, Rom - Spartivento (520^™) = 169™™, Venedig —
Otranto (755''") = 247™™. — 18) (20 v. u. 21 r.) Ostteil des Mittelmeeres. Greta
(260''™) = 81™™, Küste von Syrien von Alexandrette — El Arisch (640^™) =
180™™. ~ 19) (21 V. u. 22 r.) Schwarzes Meer. Bosporus — Phasis (1050^™) =
375™™. — 20) (22 V. u. 23 r.) Adriatisches Meer. Venedig - Otranto (755'^™)
= 428™™. — 21) (23 V. u. 24 r.) Aegäisches Meer. Greta (260*^™) = 138™™.
— 22) (24 V. u. 25 r.) Weltkarte. Breitenskala nördlich von Südamerika und süd-
lich von Westofrika 0®— 90® N, 0®-90® S. — Auf den letzten Blättern stehen Ka-
lender (26 V. u. 26 r.) , Listen der Sonnenaufgänge (26 v. u. 27 r.) , Planeten-
sphären (27 V. u. 28 r.), Darstellung der Zonen und Klimate (28 v. u. 29 r.). 29 v.
ist weiß.
Dresden, Kgl. Bibl. Mscr. F. B9».
Publ. : Hantzsch and Schmidt , Kartographische Denkmäler,
Leipzig 1903. Taf. V— XVU (= Karten nr. 1—6,7—13, 22).
Litt. : W. Rüge, Zschr. f. wissensch. Geogr. VTEI, 1891, 404.
6. Anonymus, Weltkarte, Anfang des 17. Jahrhunderts,
ca. 1 : 19 Hill. .
Handzeichnong aof Pergament, 3 Blatt neben einander. Nach
N orientiert. 2200 x 1150™™. Oben in der Mitte in verziertem
Rahmen: NOVA ORßlS TERRARVM GEOGRAPHICA || ac
flydrogr. Tabula, Ex optimis in hoc opere auctoribl desampta.
Weltkarte. Südeuropa sehr in die Breite gezogen, ebenso Kleinasien. Italien
fast nach statt nach SO gerichtet. Skandinavien verh<nismäftig richtig. Von
NOVA ZEMLA die Westküste bis Waygats im S. Dazu die Legende: Nova
Zemla a peritisaimo Navarcbo Qulielmo Berner || di F. Amsterodamensi, cui hoc
onerii ab AmpUisimb No||biliBS.i« Dominis ordinibus (?), ut viam per Septen-
trionem ad Bcgna {| C-Athäy et Ohinarü indagaret, iniüctü erat : annis 1594 . 95 . et
96 II prinium der^ctii «sr et partim etiam lustrata. lAPAN erstreckt sich ost-
westlkh. Auf den INSm.^^ PHlLIPPINiE ist manilla angegeben. Der Nord-
ratid TOD Aekri liegt nngefilltr unter 68— 70<> N. Asien ist durch el streto d'Anian
von Amerika gt;trtiuiit. In den beiden Teilen von Amerika steht: AMERICA
SKl'TENTB ION ALIS uud AMERICA MERIDIONALIS , zwischen beiden der
S117Vä MEXICANVS. Die Lemairestraße und C. Hoom sind noch nicht ange
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 7
deatei Die TERRA DEL FVOGO ist ein halbinselartiger Vorsprang des Süd-
kontinentes. An der Westküste von Nordamerika gehen die Namen bis 61® N>
im nordöstlichen Nordamerika steht: NOVA FRAKCIA mit Norombega. Terra
Nova (Neufondland) ist eine geschlossene Insel. Zwischen GROENLAN||DIA
ondTERRA DE LABRADOR das Fretom Davis, aber von Baffinsbai undHudsonsbai
noch keine Ahnung. Die Südpolargegend ist von einem großen Kontinent be-
deckt, der im S von Neu-Quinea bis 22<>S, und S von Bomeo bis 15® S nach N
reicht Dort steht: Beach pro||vincia aurifera || quam pauci ex alienis || regionib^
adeunt propter || gentis inhumanitatem. || Maletur regnum || in quo maxima est ||
copia aromatum. Westlich davon in demselben Yorsprung Lucach || regnum. Oest-
lich davon ein tief einschneidender Meerbusen bis ca. 35® S, dann springt das
Land wieder bis ca. 2® S vor. Darin NOVA || GVINE^ || PARS. Hier schneidet
der Ostrand der Karte durch. Am Westrand ist der NOVA || GVINEiE || PARS
nicht an den Südkontinent angeschlossen, die Frage ist unentschieden. Das
spricht auch eine im einzelnen allerdings nicht ganz sicher zu lesende Inschrift
aus. OestHch davon INSVLJS SALOMONIS. In der TERRA AVSTRALIS
INCOGNITA kommt die PSITTACORÜM REGIO vor.
Die ganze Karte ist reich mit mäBig schönen Bildern verziert In jedem
Erdteil ist eine große Landschaft, in den vier Ecken Frauengestalten, die Asien,
Europa, Afrika, Amerika darstellen. Im Meere Schiffe und Ungeheuer. Die In-
nenzeichnung beschr&nkt sich auf einige Flüsse und Bergzüge. Dazu konmien
einige Ländernamen. Die Namen an den Küsten stehen wie bei den Portulan-
karten. Breitenskalen sind angebracht links , rechts , in der Mitte , von 66Vs® S
—75® N, 10® = 58"™. Längen sind nicht angegeben, (rechtwinklige Plattkarte ?).
Dazu Kompaßrosen, 2 Centralrosen, eine im MAR DfIL ZVR, die andere südlich
vom Kap Guardafui. Links und rechts unten , über den Darstellungen der Erd-
teile, die nördliche und südliche Halbkugel in Polarprojection bis 50®. Unten
links in schön verziertem, breitemJRahmen eine Scala Longitudinum. 880 Russica
Milliaria (800 = 10®) » 660 ItaUca M. (600 =^ 10®) =: 220 Anglica et Galliae
M. (200 = 10®) = 192Vs Hispanica.M. (176 = 10®) = 165 Germanica mill et
Gkksconica (150 » 10®) = 64,75°uii; 90 Suecica (?), Sc&dica, Suedica (98 = 10®)
= 53"™. Venedig— Hamburg (9151^"») = 70™™; C. der Guten Hoflfeung— C. Blanco
(8000k«n) = 423™™ ; C. der Guten Hofl&iung— C. Guardafui (ölOOkm) = 345™™ ;
Gibraltar— Spartivento(1900kin) = 137™™; Lissabon— Hamburg (2160km) = 107™™
Marseille— Algier (750kin) « 45™™ ; Bosporus— Phasis (1050^™) == 105™™ ; Riga—
StraBe v. Kertsch (1550km) « 200™™. Die Karte ist 1617 für die kurfürstl.
Kunstkammer in Dresden erworben worden (Hantzsch s. u.).
Dresden , Kgl. Bibl. Mscr. A. 207™ Tab. geogr. A. 257. Im
allgemeinen gat erhalten, nur ist die Schrift an vielen Stellen
anleserlich geworden.
Litt.: Hantzsch und Schmidt, Kartographische Denkmaler,
Leipzig 1903. Einleitung. — Hantzsch, Landkartenbestände nr. 260.
7. Vicenzo .... atiilia, Portolankarte des Mittelmeeres,
Anfang des 17. Jahrhunderts ; ca. 1 : SVt Mill.
Handzeichnnng auf Pergament. Nach N orientiert. 870 (in
der Zunge 1000) x 660"«". Am linken Rand steht : VICENZO
i
8 W. Rogc,
ATINIA [FECIT] IN CIVITATE NEAPOLITANA
ANNO DOMINI
EüBten des Mittelmeen and ein Tefl der atlAiitischen Kästen Afrikms und
Europas. Im Innern einige Flosse, sonst viele Bilder Ton Fürsten, Reitem,
Tieren, dazu einige große Städtevignetten. Am linken Band Breitenskala, deren
nnterer Teil abgerissen ist, sie reicht jet«t von 22» N — 57«N., 1» = ca. 13"™.
Kompaßrosen, die Centralrose liegt in Sidlien. Rechts zwei Meflenmaistäbe, der
eine, 49°^, besteht aas 5 Teilen, von denen zwei wieder in 5 Unterabteilangen
zerlegt sind, der andere, 138^°^, aas 14 Teilen. Es kommen also angeflihr 66
Miglien aaf 1». Gibraltar— Spartivento (1900^») = 287«™; Spartivento— Issischer
Meerbasen (2160*^) = 285«" ; Genua— Tanis (850kni) ^ iso»».
Berlin, BibL der Gesellschaft für Erdkunde.
litt. : H. Wagner, Leitfaden durch den Entwicklungsgang der
Seekarten (XI. deutscher Geogr.-Tag, Bremen 1896) nr. 132, wo
der Maßstab zu 1 : 6.000000 angegeben ist.
b. Weltkarten.
8. Henricos Olareanus, Weltkarte, 1510; ca. 1 : 74 Hill.
Handzeichnung auf Papier. Nach N orientiert 426 x 297™"
(Blatt), 416 X 248™" (Gradnetz). Am oberen Rand Zuschrift an
den Leser, mit dem Schluß: Vale Glareanum studiosum lectorem
ama. Agrippin^ ex Gymnasio Aristotelico nostro. Anno ab he-
rici jn||fantis incamatione M . D . decimo. Calendas April, tertio.
Weltkarte. Land verschiedenfarbig übermalt, Meer weiB. Im Innern Ge-
birgszüge und Flüsse. Die Namen lateinisch. Zweite Ptolemäische Projection ;
280»— 280^0, 10: 10»; 10» am Aequator = 11,6—12,5™™; 60» S — ca. 70» N, 10:10»;
10» = ca. 15™™ am Mittelmeridian, schwer erkennbar. Kein Meilenmaistab. Die
Karte ist eine Kopie der großen Weltkarte Waldseemüllers von 1507.
Bonn , üniversitätsbibl. in einem Ptolemaeas von 1482 (Da
1596), zwischen dem Register [e»] und: Non me fugit aj.
Anderes Exempl. : München.
PnbL: Elter, De Henrico Glareano. Bonnae 1896. — Ober-
hnmmer, Jahresber. d. geogr. Ges. München 1892. — J. Fischer
und Fr. v. Wieser, Die älteste Karte mit dem Namen Amerika.
Innsbruck 1903, 10.
9. H(enricus) GKlareanus), Weltkarte, (IBIO) ; ca. 1 : 80Mill,,
resp. 160 MilL
Handzeichnung auf Papier. Durchmesser der nördlichen Eblb-
kugel 260"'°, der südlichen Halbkugel 140"". Links unten über
einer Legende : H(enricus) 6(lareanus) H(elvetiu8) Lectori. Sal.
Den größeren Teü des Blattes oben nimmt die nördliche Halbkugel ein, den
untern die (kleinere) südliche Halbkugel. Ausführung wie in nr. 8.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 9
Polarproj., lOilO« ; die Meridiane am Aeqnator sind 22,6—24 resp. 12,5™""
die Breitenkreise ca. 14 resp. 7,b^^ von einander entfernt, vielfach so schwach,
dafi sie nicht leicht zu erkennen sind. Ohne Meilenmafistab.
Bonn, Universitätsbibl. (s. nr. 8).
Publ. : Elter (s. nr. 8).
c. Länderkarten.
10. Ghristophoros Schissler, nördliche Halbkugel mit einem
Tea der südlichen, 1BB8; ca. 1 :296 MiU.
Auf der Außenseite einer Horizontalsonnenohr ans vergol-
deter Bronce eingraviert. Durchmesser 67,B ™". Außen herum am
sclimalen Rand des achteckigen Instruments : MAGISTER || CHRI-
STOPH0RV||S SCHISSLER || ME FECIT || AVGVSTE || VINDE-
LICOR VM II ANNO DOMINI || • 1BB8 •
Europa in ganz rohen Umrissen, die Nordpolarländer sind dnrch Zeiger and
Kreise verdeckt, die am Pol angebracht sind. In Nordamerika, das in seiner Zeich-
nung der Mercatorkarte von 1638 (F. A. XLIII) sehr ähnelt, BACCALEARVM, die
Westküste reicht bis 266<>. CVBA liegt unter 23 Vi^* Im nördlichen Südamerika PA-
RIAS, im Nordostvorsprang CANIBALES, im Ganzen AMERICA. Im S reicht die
Darstdlong bis 23 Vj® S. Der NW von Afrika erinnert an Ptolemäas. Persischer
Golf sehr groß, Vorder- and Hinterindien recht gut,. Oestlich davon noch eine
vierte Halbinsel. Im Innern der Länder einige Flüsse, Länder- and Völkemamen,
Berge, Gestalten. Das Meer gewellt, dunkelfarbig (Silber), darin Schiffe und Un-
geheuer. Breitenkreise von 10 : 10^, die vom Pol nach dem Aequator zu immer
größere Abstände haben. Die Längenkreise von 10 : 10®, am Außenrand, also am
südlichen Wendekreis, von 0^^—360® numeriert. Am Aequator 10* = 3,75 "">».
Dresden, Mathem.-physik. Salon C. 39.
11. Ghristophoros Schissler, Dentschland, 1668; ca. 1:11
Hill.
Eingraviert auf dem inneren Deckel desselben Instruments
wie nr. 10. Nach der Schrift nach S orientiert. Ein Kreisrund
von 68 ™" Durchmesser.
Deutschland im N bis WERDEN (Verden), bis SCHEINNTTZ (Schweid-
nitz), TROPPAV, S bis FVESSE, KEMPTN, W bis NAMVR. Gebirgs- und Fluß-
reichnung, Ortszeichen. Der Rhein von COSTNITZ bis CLEFF (Cleve) ist recht
gut, ebenso Werra, Fulda und Weser, Elbe mit Saale, Eger, Moldau und Havel.
Die Spree mfindet nicht in die Havel, sondern fließt nordwärts. Die Oder von
PRESSLAW bis FRANCKFORT, die Donau bis LINTZ. Ohne Gradangaben
und Kompaßrosen. Am Außenrand sind 12 Himmelsrichtungen STD, SYDWGST,
WESTSYD, WEST u. s. w. angegeben. Ohne MeilenmaßsUb. Cöln— Straßburg
(270k») = 26"™ ; Dresden— Stuttgart (410^'™) = 34"™ ; Nürnberg— Aachen (380 ^db)
= 36""; Cöln— Chemnitz (420l»") = 86"™.
Dresden, Mathem.-physik. Salon C. 39.
12. Ghristophorus Schissler, Mitteleuropa, 1566; ca. 1:13V8
Mill.
10 W. Rüge,
Eingraviert aaf der Innenseite des 2. Deckels einer Horizontal-
sonnenuhr von vergoldeter Bronce. Nach S orientiert. 87 x 98 ™™.
Am Außenrand des viereckigen Instruments: CHRISTOPHORVS
SCHISSLEE II FACIEBAT AVGVSTAE || VINDELICORVM
ANNO II DOMINI 1566.
Mitteleuropa. Im N bis SLETZBIG (Schleswig), bis DANTZWICK,
CRACAW, OFFEN; S bis TER VIS, MAILAND, W bis PARIS, BRVGGE. Im
SO und am Nordrand ein wenig Meer. Danzig liegt an einer außerordentlich
breiten Halbinsel, an deren Wurzeln Gamin und Thom angegeben sind. Donau
verhältnismäßig richtig bis zum Knie bei Waitzen. Der Rhein hat zwei Quell-
flüsse NW von Bern. COSTNITZ liegt am Ostende des Bodensees. Rheinknie
bei Basel schlecht. Weser mit Aller, Elbe mit Eger, Saale, Havel ziemlich gut,
Spree mündet bei SYNDEN in die Ostsee. Die Zeichnung stimmt nicht durch-
aus mit 1558 (s. o. nr. 11). Silberne Flüsse, Seen, Städtezeichen, gemaltes Meer
mit Schiffen und Ungeheuern. Ohne Gradangaben, Kompaßrosen, Meilenmaßstab.
Straßburg-Cöhi(270km) = 20«»™; Dresden— Stuttgart (410*™) = 27«»™; Nürn-
berg-Aachen (380"™) = 26,75"™ ; Nürnberg— Brandenburg (345''™) = 29,76™™;
Hamburg— Münster (280*™) = 23,5™™.
Dresden, Mathem.-phy8ik. Salon. C. 9.
13. Hiobus Madeburgos, Sachsen und Thüringen, 1566;
ca. 1:235000.
Handzeichnnng auf Papier, 9 Teile aof Leinewand gezogen.
Nach N orientiert. 952x1320°"". Oben links in verziertem
Rahmen: ILLVSTßISSIMO PRINCIPE || ET DVCE D. AVGVSTO
II ELECTORE SAX : etc. || MANDANTE || HIOBVS MADEBVRG VS
ANNE „ II BERGI VS • S • et D • M • DESCRIPSIT || MISENiE IN
SCHOL A PRINCIPIS || M • D • LXVI • Am obem Rand in band-
artigem Ornament: Daringische vnd Meisnische Landtaffel.
Sachsen und Thüringen. Im N bis Magdeburgk, Zosse, bis Sittau, S bis
Elbogen, W bis Eisenach. Ortschaften mit Vignetten, grüne Wälder, blaugrüne
Flüsse, hellbraune Hügel. Links und rechts am Rande Breiteneinteilung, aber
ohne Zahlen (wohl von 1 : 1'), mit der Beischrift unten rechts : JLATITVDINIS
GRADVS, 3 Teile = ca. 27,5 ™™, 60 T. = 572 ™™. Für die Längen nur oben
eine ähnliche Einteilung, aber ohne Beischrift. Unten rechts Meilenmaßstab, in
10 Teile geteilt, ohne Zahlen, mit der Inschrift: Abteilung der meilen. 1 Meile
= ca. 33,5™™, 10 Meüen = ca. 338™™. Darüber Kreis mit NORT, OST, SVD,
WEST, lieber dem Meilenmaßstab Kompaßrose mit den 4 Himmelsgegenden.
Leipzig— Dresden (100 *'™) = 430™™; Strehla— Joachimstal (1 12 1»™) = 460 ™™. 10
Meilen = 36 Abteilungen am Rande.
In der linken unteren Ecke ein Kreis mit Ranken verziert und mit der In-
schrift: Fümemsten Berge vnd Stette || dauon die abtheilung dieser Q Landtaffel
genomen. Oben MITTERNACHT, rechts AVFQANGK, unten MITTAG, links
NIDERQANG. Darin das ganze Gebiet in kleinerem Maßstab wiederholt, ca.
1 : IVi MilL, da Leipzig— Dresden (100*^™) = 75™™. Der umfassende Ring ist
4 mal in 90« geteilt.
Um die ganze Karte in breitem Rand die Ahnen des Kurfürsten August
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. H
Dresden, Kgl. Bibl. Sax. A. 90. Unter Glas und Rahmen.
Stellenweise stark beschädigt und undeutlich in Zeichnung und
Schrift.
liitt.: S. Rüge, Zschr. f. wissensch. Greogr. 11, 1881, 228. —
Lippert, Neues Archiv f. Sachs. Geschichte XTT, 1891, 80. —
Schmidt, Kurfürst August von Sachsen als Geograph, Dresden
1898, 7.
14. Amoldus Mercator, das obere Erzstift Trier, 1667;
ca. 1:68000.
Handzeichnung auf Papier, 6 Blatt in 2 Reihen übereinander
auf starke Pappe aufgeklebt. Nach WNW orientiert. 1300 (1304)
X 864 (864) "™. Unten rechts in verziertem Rahmen : Anno ab
incamatione Do||mini 1667 absoluta est h§c || tabula 17 Julii per
Amol« II dum Mercatore.
Das obere Erzstift Trier. Mosellanf von Wasserbillich bis za dem Bach,
der unterhalb Garden von N her in die Mosel mündet. Am untern Rand (also
OSO) bis Mittelstremmich (Mittelstrimming) an einem ZufluB der Mosel, die
Vloim (Flaombach), der Garden gegenüber bei Treis mündet. Rechts (ONO)
Müllenbach, Wismescheid (Wiesemscheid), Barweiler, oben (WNW) Birgell, Ober-
hettingen, Müllebom, nngef&hr der Lauf der Kyll von Birgel bis Densborgh
(Densbom). Dieser wird durch das große kurtrier'sche Wappen unterbrochen und
beginnt erst wieder bei Huttinghen (Hüttingen). Weiter am obem Rand Bidtborg
(Bitburg), Stall, Berteigen (Birthingen) , Bettinghen, Stockum. In der linken
oberen Ecke eine große Darstellung der Igeler Säule mit stark verwischter In-
schrift, die sich auf die Säule zu beziehen scheint Links die Saar von Echter-
nach bis Wasserbillich, Gunin (GGnen), Vill (Wiltingen). In der linken untern
Ecke : DAS * AMPT || SARBVRGH. Weiterhin bUdet ungefähr die Mosel die Grenze,
über die die Darstellung nur im Gebiet zwischen Winterich-Gom . . . en (Gom-
hausen) und Bemcassell herüberreicht. Die Karte ist sehr reichhaltig, gibt fast
alle Flüsse und Bäche, Dörfer, Gehöfte, Mühlen, Wälder, Straßen. Die Zeichnung
der Flußläufe ist außerordentlich genau, speziell bei der Mosel kann man alle
Windungen verfolgen, wenn sie auch vielfach nicht so genau sind, wie auf
den modernen Karten. Die Flüsse sind hellbraun, die Straßen rotbraun, die
Wälder grün, die Orte, je nach ihrer Bedeutung, mit verschiedenen Vignetten.
Ohne Gradnetz. Am untern Rand rechts eine 32teUige Kompaßrose. Außen
herum die Namen der 32 Himmelsrichtungen, Noordnoordoost u. s. w., innen die
12 Windrichtungen nach Art der Griechen und Römer. Links unten ein Meilen-
maßsUb, SCALA MILIARIORVM GERMAN: in drei Stufen 3000, 4000, 5000
übereinander. Die dazu gehörige Inschrift ist beinahe gänzlich verwischt. Es
liegt nahe, die drei Strecken als die kleine, mittlere und große deutsche Meile
luizusehen. Sauermündung— Saarmündung (4,8 1"») = 90 ™™ ; Saarmündung— Brücke
von Trier (7 J™)— 120 ™™; Brücke -Mündung des Föhrenbachs (11,6 J'"') = 180 ™™;
Mündung d.F.-B.-Mündung des Salmbachs (7,26 >^) = 134 "md; Mündung d. F.-
B.-Mündung des Lieserbachs, oberhalb Bemkastel. (14,1 km) = 261 «"»j Mündung
d. L..B.— Garden (30^^) =, 507 min. Bernkastei— WitHch (16,5 k™) = 263 «n™.
12 W. Rüge,
Coblenz , Staatsarchiv. Karte A I la nr. 3. Im ganzen gut
erhalten, nur die Schrift vielfach unleserlich.
Litt. : Hansen, Mitteil, aus dem Kölner Stadtarchiv 1899, 141.
II. Gedruckte Karten,
a. Einzelkarten.
15. Anonymus, Neapolitanisches Reich, 1567; ca. 1:1V4 Mill.
Kupferstich auf Papier. Links oben TRAMONTANA, rechts
oben LEVANTE, rechts unten OSTRO, links unten [P]ONENTE.
471 (468) X 337 (336)°™. Am obern Rand in bandartigem Orna-
ment: REGNO DI NAPOLI. Unten links: ALLA LIBRARIA
DELLA STELLA || IN VENETIA 1B57.
Unteritalien von der Linie Ancona bis ein wenig nördlich von Rom, und
die Nordosthälfte von Sicilien. Das Meer ist in unregelmäßigen Reihen gestrichelt,
das Land mit H&gelreihen, Flüssen, Ortsvignetten gezeichnet. Ohne Gradnetz,
Kompaßrosen, Meilenmaßstab. Tarent— Capo d'Otranto (115 J™) = 79 ™n» ; Tarent—
Rom (426 k™) = 367™°»; Ancona-Rom (220 ''™) = 203 ™™ ; Tarent— Neapel
(256km) = 256™™; Ancona— Neapel (320^™) « 237™™; Tarent— Reggio(300 km)
= 238™™; T.— Ancona (470 k™) = 360™™.
Dresden, Kgl. Bibl. Tab. Georg. ItaJ. D 821B. Ziemlich stark
beschädigt, besonders an einem ehemaligen Bruch von oben nach
onten, und unten rechts.
Vgl. unten nr. 29, 29.
Anderes Exempl.: Br. Mus. 112889, Regno di Napoli . . .
Venetia 1BB7.
16. Heilrich Zeell, Deutschland, 1660; ca. 1:1,8 Mill.
Holzschnitt auf Papier, 4 Blatt auf Leinewand gezogen, mit
breitem schwarzen Rand rings herum. Nach N orientiert. 731 (733)
X5B7(BB4)"™. Oben links in bandartigem Ornament: Ein neuwe
vnd eygentliche Beschreibung || des Teutschen Lands/da^|rinnen
die fömemen Pürstenthum/Her||8chafften, Graffschafften vnd Stett
Teutscher Nation/auch die vmb»||ligenden anstös andern Herschafften
vnd Königreich || auff das fleißigest verzeychnet werden. || Durch
Heilrich Zeellen zu Straßburg. || Im jar Christi. M. D. LX. Rings
herum läuft eine breite, bunte Zierleiste mit Wappen. In deren
linker Ecke in kleinem Kranz : HEIL||RICHVS || ZEELLIVS ||,
rechts: FACIEBAT || ARGEN- 1| TINA[E].
Deutschland mit den angrenzenden L&ndern. Im N bis Schleßwig, bis
^önigßberg, S bis Brixen, W bis Nieport, westlich von Ostende. Hohe braune
Berge, breite, graue Flüsse, blaugrüne Seen, grüne Wälder, gelbe und rotbraune
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 13
OrtSYignetten. Das Meer grün mit Wellenzeichnung, mit Schiffen und einem Un-
geheuer, auf dem ein gepanzerter Ritter reitet, in Nord- und Ostsee. Rhein,
Weser, Elbe, Weichsel, Donau verhältnismäBig gut. Aber die Spree geht bei
Stralsund in die Ostsee, die Havel kommt von S, Eisenach liegt am linken Ufer
der Werra. Westlich der unteren Weichsel sehr hohe Berge. Links unten, noch
in der inneren Umrahmung der Karte, in omamentalem Rahmen: OEORGIVS
FABRICIVS E*||AD LECTOREM. || Quas urbes populosqj habeat Germania regum
II Patria, et Imperij hello animisq^ potens || ZeeUius in parua dat conspicienda tabella,
n Cui grates toto pectore Lector age. || Unten rechts ebenso : MICAELVS TOXITES
R.||AD H. ZEELLIYMJI. Justiciaqj grauis, belliq5 insignis ob usum, ||Laesit ubi
sanctam nulla cupido fidem, || Clausa est exiguis ä te Germania chartis, || At non
exigna hinc gloria parta tibi. Ohne Gradangaben, unten in der Mitte ein Kom-
paß. Am untern Rand Meilenmaßstab, links: Gemein teutsche meilen, von Y:V
gezählt bis XXX, = 125,5"™, bis [88] eingeteilt = 139™". Rechts: XX Groß
teutsche meilen = 105 "" ; noch weiter rechts : Klein [XX] teutsche meilen,
= 60""; eingeteUt bis [25] = 74"". Cöln—Dresden (475 *'") = 230 "" ; Cöhi—
Straßburg (270^") = 145""; Regensburg— Berlin (400''o>) = 218"" ; Hamburg-
Berlin (250>^") = 131""; Breslau— Posen (140^") = 106""; Basel— Straßburg
(llö''") = 65""; Leipzig— Dresden (lOO^^") = 54,6""; Hamburg— Münster
(280'^") = 145"".
Dresden, Kgl. Bibl. Tab. geogr. B. Germ. 1052.
17. Tilemannus Stella, Mitteleuropa, 1560; ca. 1:4 Hill.
Holzschnitt anf Papier, 2 Blatt übereinander. Nach S orien-
tiert. 378 (375) X 549 (552) "", die kreisförmige, innerste Umrah-
mung 283,5 (auf 50"25'N) x 286""". Oben in einfachem Rahmen,
mit deutschen Buchstaben, ausgenommen den Namen des Verfassers
und das Wort Anno: Die gemeine Landtaffel des Deut|lschen
Landes / Etwan durch Herrn Seba«||stianum Münsterum geordnet / 1[
Nun aber vemewert vnd gebessert / durch || TILEMANNVM
STELLAM, von Sigen. Unten steht: DEm Durchleuchtigen vnd
Hochgebornen || Fürsten vnd Herrn / Herrn Johann Albrechten
/ Hertzogen zu || Mechelnburg / Fürsten zu Wenden / Graffen zu
Schwerin/ || der Lande Rostock vnd Stargard Herrn / seinem gne*
di^llgen Herrn / hat diese Landtaffel dedicirt Tile»|lmannus Stella,
von Sigen. Anno 1560.
Der Inhalt der Karte ist = I. Ber. nr. 49. Außer den dort angegebenen
Entfernungen noch folgende: Dresden— Leipzig (100^™) = 20™™; Basel— Straß-
burg (115*™) = 26™«»; Cöln— Straßburg (270*™) = 66™™; Breslau— Posen
(140 km) = 37inin. Hamburg— Münster (280 ^^o) = 60™™.
Dresden, Kgl. BibL Germ. 1050.
Litt. : S. Rüge, Globus LX, 4.
18. Anonymus, Gebiet von Rom, 1660; ca. 1:326000.
Kupferstich auf Papier. 2 Blatt neben einander. Nach
orientiert. 440 (438) x 316 (313) ™™. Oben in der Mitte in einfachem
14 W. Rüge,
Rahmen: PAESEDIROMA. Unten rechts unter dem päpstlichen
Wappen die Jahreszahl 1660.
Im N bis C. castellana, spoleti, bis Taglacozo, oleuano, S bis ciprano,
W bis znm Meer. Hügel, Flüsse, Wälder, Städteyignetten. Das Meer unregel-
mäßig gestrichelt mit vielen Schiffen und Schiffchen. Ohne Gradnetz und Kom-
paßrosen. Rechts unten Meilenmaßstab: Cinque migla = 27°*™. M. Circeo—
Spoleto(180km) == 440"™; Bracciano-Olevano {76^^) = 360"™; C. Vecchia—
Bracciano (30 km) = 80—85™™.
Dresden, Kgl. Bibl. Tab. Gteogr. Ital. F. 14670.
Vgl. I. Ber. nr. 67,40.41.
19. Oiacopo di Gastaldi, Italien, 1561 = I. Ber. nr. 61.
Vgl. nnten nr. 29, 24.
Dresden, Kgl. Bibl.; eingeklebt in Antiq. Rom. 116^ Hantzsch,
Landkartenbestände nr. 589.
20. HCiob) M(agdeburg), Sachsen, 1562; ca. 1 : 1.860000.
Holzschnitt auf Papier. Nach N orientiert. 132x106™".
Oben über dem Rand: MISNIA. In einem breiten Band rechts
oben innerhalb des E^rtenrahmens steht die Zahl 1562 nnd das
Monogramm von Hiob Magdeburg.
Das heutige Sachsen. Im N. bis Calbia, bis badisina und leutmericiü, S
bis Joachimstalü, W bis mäsfeldü. Flüsse, Berge, Städtezeichen. Längen und
Breiten sind am Rande angegeben, oben und unten 86 — 38, aber in sich und im
Vergleich zu einander ungleich eingeteilt, rechts und links, ebenso unregelmäßig,
61,62, (ca. 60» 45' bis 62« 10'), V = 68(72)™". MeUenmaßstab rechts unten,
1,2,8,... 12 Miliaria = 60'°'°. Oben rechts unter der Jahreszahl eine EompaB-
rose. Lipsia— dresda (100 k") = 52™"; strela— Joachimstalfl (112*^™) = 58"™
Dresden, Kgl. Bibl. Sax. A. 85, nnter Glas nnd Rahmen.
Publ.: Schmidt, Knrfiirst Angnst von Sachsen als Geograph,
Dresden 1898. Taf. I.
Litt. : S. Rüge, Zschr. f. wissensch. Geogr. 11, 1891, 228. —
Schmidt, a. a. 0. 7.
21. Paulo Porlani, Savoyen, 1562; ca. 1:926000.
Kupferstich anf Papier. Nach orientiert. 436 (435) x 320'
der nntere Rand ist abgeschnitten. Am rechten Rand in orna-
mentiertem Rahmen: DESCRITTIONE DEL B DVCATO DI
SAVOLA II NOVAMENTE POSTO || IN LVCE IN VENETIA||
L'ANNO a. M 4- D 4. LXII a.. Darüber: Ferando Berteli libraro
exe. Oben links in verziertem Rahmen: AI Molto.Mag? et Ecce*?
Sig7 Luigi Balbi, Sig? et padron mio ossernanT || Mi pernene
alle mani questi di addietro Mag? Sigf Loigi il Dncato di
Saaoia, cosa || non piü nednta in qneste • nf e • parti, per la qnal
cosa per lo raritd sna, mi risolnci ci || commune ntilitd di coloro
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 15
tatti, chi della honorata, et dilettenole, G^ografia si dilettano,
con H ogni mia diligenza intagliarlo, et darlo faori, et parendomi
appresso 'D* 'V* 'M* Prontissimo seroitore, Paulo For-
lani, Veronese.
Deckt sich mit Ortelias 1571 nr. 12. bis La soorce du rosne, S bis
Tarin und Nre dame des plans südlich von Montelimart, W bis Digion, N bis
Straesbourg. Hügelketten, Wälder, Flüsse. Hier und da kleine Legenden, z. B.
bei Mäcon an der Sa6ne: .Tutti quei, ch' uano insu et giü per || questo fiume,
diiamano la riuiera || di qua, riuiera del R6 df franza, et || quella df lä,« || rfufera
dell' Imperatore. Ohne Oradangaben. Rechts über dem Titel Scala Miliaria,
1, 2, 3 ... 10 = 66"m Lyon— Turin (230»'™) = 322™°» ; L.-Basel (286>™) =
248""; L.-Genf (110^^) = 121"". Die Karte ist offenbar nach Aegidius Bu-
lionius (I. Ber. nr. 42) gearbeitet
Dresden, Kgl. Bibl.,' eingeklebt in G^ogr. A 145. Hantzsch,
Landkartenbestände nr. 624.
Anderes Exempl. : Lafreri nr. 22.
22. Paulo Forlani, Gebiet von Rom, 1563 = I. Ber.
nr. 67, 41.
Dresden, Kgl. Bibl., eingeklebt in Qteogr. A 145. Hantzsch,
Landkartenbestände nr. 620.
23. Paulo Forlano, Frianl, 1564 = I. Ber. nr. 67, 35, wo
unter den anderen ExempL noch nachzutragen ist : Lafreri nr. 49.
Dresden, Kgl. Bibl. Ital. B. 4110.
24. Ferrando Bertelli, Mailand, 1567 = I. Ber. nr. 67,
38, wo Dncato in Dncado zu ändern ist.
Dresden, Kgl. Bibl., eingeklebt in Geogr. A 145. Hantzsch,
Landkartenbestände nr. 611.
25. Ferrando Berteli, Sicilien, o. J. ; ca. 1 : 790000.
Kupferstich auf Papier. Nach N orientiert. 428(426) x
330(329)"". Ohne Titel. Oben links in ornamentiertem Rahmen
die antiken und modernen Namen der Orte Siciliens mit der
Ueberschrift: LI NOMI ANTICHI E MODERNI DE LISOLA
D SICILIA. Darunter : Ferrando Berteli Excudebat.
Sicilieo mit der äußersten Südwestspitze Italiens und einigen Aeolischen In-
seln. Im Innern H&gelketten, Flüsse, Ortsvignetten. Rechtw. Plattk.; unten
und oben (86^34') 37^— 40^ (22^), nur ist die Scala oben ein wenig nach rechts
verschoben, 36«33-40^21', 1^ = 113""; links und rechts (36^42')87<»— SS^CSO,
10 = 140"". Meilenmafistab unten, Scala delle miglia d'Italia 25, 50, 75
= 122"". 1« = 86 miglia. Messina— Syracus (130*™) = 186""; M.—Palermo
(190*™) = 260""; M.-Mar8ala (270>™) = 866""; M.-C. Passaro (172^") =
240"^ ; Palermo— Girgenti (92^") = 182"" ; P.— Cefalü (bef^m) = 67"" ; C. P.—
Marsala (270^") = 846"" ; Palermo— Syracus (205^") = 258""-
Dresden, Kgl. Bibl., eingeklebt in Gteogr. A. 146. YgL
Hantzsch, Landkartenbestände nr. 633.
16 W. Rüge,
26. Pietro Oopo, Istrien, 1569 ; ca. 1 : 240000.
Kupferstich auf Papier. Nach N orientiert. 497(493) x 317
(320)"". Unten links in verziertem Rahmen : AI S' Aldo Ma-
nutio II Molto hon^ S' mio, Mio desiderio fn sempre 1 di giouare
agli uirtuosi, et insieme rendermi grato || a persone di ualore il
che mi 6 paruto hora de poter con«||seguire asai conuenientemente
nel mandar in luce il pr€te || Disegno dell* ISTRIA di M. Pietro
Copo : et mandarlo sotto la || protettione di* V. S. laquale h adoma
di tante belle quantitä quftte || diffidlmente unite , in altro si ri-
trouano. Goda adunque questojjmio picciolo dono ; credendo, che
io glie lo porgo cö diuot^ || affetto di cuore, et uiua lieta che N.
S. Dio la conserui || Di Y. S. molto humS^ Seruitor || Ferrando
Bertelljl569.
Istrien, die Halbinsel liegt von KW nach SO. Breite Flüsse, Hügelreihen,
Wälder, Ortsyignetten. Ohne Gradnetz, Kompaßrosen und Meilenmaßstab. Triest —
Pola (90>™) = 465™™ ; Fiume— Pola (12^ = 210«™ ; Fiume— Triest (60^™) =
330miD. Ortelias 1571 erwähnt die Originalkarte: Petras Coppas, Hystriam, ati
Leander Albertas Aactor est
Dresden, Kgl. Bibl. Hung. 1120.
Anderes Exemplar: Lafreri nr. 51.
27. Qiacomo Oastaldi, ItaUen, 1569; ca. 1: 1700000.
Kupferstich auf Papier , 2 Blatt neben einander. Nach N
orientiert. 762(763) X 523(522)"™. Unten rechts in omamen-
tiertem Rahmen: AI Molto Mag"^ et Eccell"' SigV Carlo Vicen«i|
tino suo Sig*.' sempre osserT || Tra le piü belle e piu perfette
opere di 'M'G-iacomo Grastaldi pre«{|stantis8imo Cosmografo, al-
cuna n5 6, che mai s'habbi possuto cö^{|parare alla sua ITA-
UAy come ha molto ben il mondo conosciuto; || poi che le stampe
p.""* d'hora all* intaglio ridotte si sono del tutto p{|löghissimo uso
consumate ; io ueramete desideroso della restauratione || di cosi
rara fattura, accio che no restin gli huomini priui di cosa täto ||
bella e pretiosa, hö di nouo uoluto intagliarla et istamparla: . . •
. . . endigt: Di Venetia il pr dell'Anno Mj-Do-LXVmi. || D . V .
S.E~ AfiT ser'* Paolo Forlani Veronese. ||
Italien mit den amgebenden Meeren, Inseln and Festlandstücken. Im K
bis Qradisca, bis Nordwesth&lfte von Corfa, S halb Sardinien, der NO von Si-
cilien, W bis Antibes. Die Zeichnang deckt sich fast völlig mit dem Nachdrack
bei Ortelias 1571, nr. 32. Flüsse, Hügelreihen, Ortsvignetten im Innern. Das
Meer in anregelmäßigen Reihen gestrichelt, ohne Schiffe and Ungeheaer. Tra-
pezf. Proj.; anten (28<>7') 29'*— 44^ (ca. 20'), 1** = iVmni; oben (27'*45')28**-45<>
(nicht ganz). 1" = 44,6m«n ; rechts (37** ca. 30') 38«— 45« (ca. 40') ; links (37«
ca. 26') 380— 45* (ca. 35'), 1« = 63««». Im MAKE DI TOSCANA eine ISstrah-
lige Kompaßrose. Ueber dem Titel anten rechts ein Meilenmaßstab, 10, 20, . . .
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 17
50, = 45mm mit der Inschiift Scala di miglia; 70 miglia = 1®. Rom — Tarent
(425kni) = 240niin ; Genua— Tarent (SlO^ni) = 477mni ; Venedig— Ancona (225km) =
174mm j Tarent— Capod'Otranto (U5km) = 74mm ; Ancona— Rom (220km) = isomm.
Das Original L Ber. nr. 51.
Dresden, Kgl. Bibl. Ital. A 127. Die Karte ist früher viel-
fach gebrochen gewesen, an diesen alten Brüchen ist sie mehrfach
beschädigt.
Vgl. Br. Mus. I 1474 , Furlani, Nova Carta dellltaUa. 1B69.
28. Anonsrmus, Sachsen und Thüringen, 0. J. ; ca. 1 : 700000.
Kupferstich auf Papier. Nach N orientiert. 469 X 326mm,
auf der Mittellinie des ovalen Kartenrahmens gemessen. Am
Obern Rand: CflOROGRAPHIA NOVA MISNLE ET TflV-
RINGLE. • .
Sachsen und Thüringen in ovalem Rahmen , der rechts und links den vier-
eckigen fast berührt. Die Ecken sind mit Wappen und Wappentieren ausge-
füllt. Rechtw. Plattk. ; oben und unten zwei Längengradskalen über einander,
die um 4Va^ differieren. Sie sind aber nicht bezeichnet Die innere Skala reicht
von (27«)30'— 32030', die äußere von 32o— 37»; l« = 94™™, diese wieder in
10 : 10' eingeteilt. Rechts (öOnoO 20'— 52^10'(ir), von 10 : 10' eingeteilt ; die
Bezeichnung am linken Rand ist verwischt, 1** = 166™™. Am Ostrand: Sitt,
Baüczen, Spremberck, Sprott, Beske; Nordrand: Halberstatt, Gloster Letzka,
Luckenwalt ; Westrand : Werra Aus , Isenach , Schmalcalden ; Südrand : Egra.
Oben rechts drei Meilenmafistäbe über einander, Scala kleine meile, Mittel m, Qrose,
je fünf = 51, 55, 61™™; danach P = ca. 16 V* kleine, 14 Mittel, I2V4 Grose.
Leipzig— Dresden (lOO''™) = 140™™ ; Strehla— Joachimsthal (112km) = 164™™.
Nach einer Mitteilung von L. Rosenthal in München an die Egl. Bibl. in Dres-
den ist die Karte genau so ausgeführt, wie eine in seinem Besitz befindliche
Chorograpbia nova Franciae orientalis von Sebast. Rotenhan, 1571 neu aufgelegt
und gestochen von Balth. Jenichen. Andrerseits stimmt die Art der Zeichnung
genau mit I. Ber. nr. 67, 6. Hantzsch (s. u.) hat schon auf die engen Bezie-
hungen zwischen dieser und der vorliegenden Karte hingewiesen ; ob der Ano.
nymus die Vorlage, wie H. meint, oder der Nachdruck ist, wage ich noch nicht
zu entscheiden; manches spricht für das Letztere.
Dresden, Kgl. Bibl. Sax. A. 125. Stellenweise sehr abge-
schabt.
Litt. : flantzsch, Landkartenbestände nr. 387.
b. Sammelbände.
29. In der ehemaligen Universitätsbibliothek za Helmstedt
befindet sich nnter der Signatur T. fol. 4B ein in dünnes Per-
gament gebundener Sammelband , geschlossen 310 x 470°^,
von derselben Art wie der im I. Ber. nr. 67 beschriebene Ro-
stocker Atlas. Außen trägt er den handschriftlichen Vermerk:
Kfl. Gm. d. WiM. NMlurieht«n. Pbiloloff.-hiaior. KImm 1900. H«n 1. 2
18 W. Rüge,
X Figuren der Mappen sampt || etlicher fömeme (!) stette". Alle
Blatter sind Eopferstiche, sie sind mit wenigen Aasnahmen gut
erhalten, und handschriftlich von 1 — 75 numeriert.
1. Antonius Florianus, Nördliche Halbkugel, o. J.; ca.
1 : 51Vt MilL
Nordpol im Mittelpunkt der Karte. 411(407) x 463(457)™".
Ohne Titel; vgl. folgende nr.
Nördliche Halbkugel. Amerika von Asien getrennt. Um den Nordpol eine
grofte Halbinsel, die an der Grenze Asiens und Europas ansetzt, von Amerika
durch einen ganz schmalen Sund getrennt ist. In Nordamerika steht: A ME-
RZ || GAE, im nördlichen Südamerika: PARIAS. Im Innern Flüsse und Hügel-
reihen. Das Meer ist punktiert. Links oben ein verziertes Medaillon: CLAY-
DIVS.PTOLOMaEVS, unten ein ebensolches, aber leer. Rechts oben und unten,
Tom Rande durchgeschnitten, zwei verzierte Rahmen für Titel u. s. w., aber leer.
Vom Nordpol in der Mitte gehen 36 Segmente zu 10® aus; 10® = 21,5™™ am
Aequator. Die Breiten von 10 : 10°, ebenfalls = 21,5™™. Ohne Meilenmaßstab.
Publ. : F. A. 81 nr. 48 (in kleinerem Maßstab).
Litt.: S. Buge, Peterm. Mitt. Erg. -Heft 106, 70. — Piorini,
Sfere Terrestri e Celesti 1899, 160; dort sind auch die bisher be-
kannten Exemplare zusammengestellt. — S. Grünther, Erd- und
Himmelsgloben 1895, 87.
2. Antonius Florianus, Südliche Halbkugel, o. J. ; ca. 1 :
61V« MiU.
Südpol in der Mitte der Karte. 412(416) x,4BB (464)""". Ohne
Titel. Rechts oben in verziertem Rahmen ein Medaillon: AN-
TONIVS PLORIANVS • VTIN.
Südliche Halbkugel. Afrika reicht bis 86^ S, Amerika bis 62<> S. Das unbe-
nannte Südland reicht westlich von Südamerika bis 84® S ; nördlich davon liegen
die Insulae infortu || natae. In Südamerika: AMERI||CAE—BR£SILIA— REGIO
GIQANTVM. Zwischen 0® und 10® S, 305® und 315® 0: ARVACAS. Am West-
rand : PERV, unter O** : TVMBES, an der Westküste : Tangarara, uel || S. Mi-
chaelis— Turicarami fl. Zeichnung und Gradnetz wie in nr. 29, 1. Rechts oben
und unten verzierte Medaillons, das untere ist leer. Am linken Rand sind die
rechten Hälften der Rahmen von nr. 29, 1. Die L&ngenkreise sind von 10 : 10
numeriert. Ohne Meilenmafistab.
Publ. : 8. nr. 29, 1.
3. Ant(oniu8) Sal(amanoa) , Weltkarte, o. J.; ca. 1 :
65V4 Hill.
B12 (B14) X 327(326)"'°, Pol— Pol = 309°»°». Am untern Rand
in kleiner Schrift: ANT • SAL • EXC- 1| Romae.
Nördliche und sfidliche Halbkugel. In Zeichnung und Schrift = Lafreri im
F . A . 91 nr. 64. Gradnetz doppelherzförmig. Breiten von 10 : 10^ 10® = 17™".
Die Längen sind am Aequator angegeben, sie fehlen, wo kein Platz ist Ohne
MeUenmaßstab.
Aelteres kartographisches Material in deutsrhen Bibliotheken. lg
Anderes Exempl. : Kohl CoUection nr. 71. — Vgl. Br. Mus.
II 3626: Hie vides Orbis imaginem . . . A.S.exc. [1600?].
4. Jacobus Qastaldi, Weltkarte, 1B60; ca. 1 : 78 Mill.
Nach N orientiert. B13 (anf dem Aequator gemessen) x 291°™
(auf dem Anfangsmeridian). Links oben in dem Zwickel zwischen
Kartenamrandnng and dem äußeren Rand : Paulas de furlanis
Veronensis opus || hoc ex . "* Cosmograpbi • Dm |l Jacobi gastaldi
Pedemontani || Instaurauit, et dicauit ex*^ || Jur. Vt Doct . et
aurato || -Equiti Dno || Paulo michae*||li Vincentino. || Unten links :
VENETIIS II Joan. Fran*||cisci Camo«||tii aereis formis || Ad signum
Pyxamidis || Anno || MDLXji.
Weltkarte. Amerika und Asien hängen zusammen, der nördlichste Eüsten-
pnnkt im Verlauf des Continentalzusammenhanges liegt 40® N, dort die Stadt
zangar und Gegend ZANGAR. Halbinsel Califomien. In Nordamerika : TIERA(I) DE
LABORADOR, 66<> N ; TIERRA DE BACALAOS, ÖO« ; TIERRA DE LOS || BRE-
TOHES(I), 50<>; TIERRA DEL LICENIICIA DOS AVLLOH, 35*»; NOVA ISP ANIA,
23\/,«; MEXICO, 20«. In Südamerika nördlich von 0«: CASTILIA DE L'ORO
II 00 VERNATION • DE || BASTIDAS ; GOVERNATION || DELA CÖPAGNIA DE||
LOS BELZARES, 5« S ; GOVERNATION DE || P'» DE HEREDIA, 10° ; GOVER-
NATION DE II FRANCESCO jj PIQARO || EL PERV, 12* ; COLAO || PRO^ 28« ;
QVITO II PROVIN, 36'' S. Der Amazonenstrom läuft von S nach N ; östlich :
TIERRA II DEL || BRASIL. Um den Nordpol herum eine kleine Insel bis 80® N ;
um den Südpol die TIERA (I) DEL FUEGO INCOGNITA. Das Meer ist ge-
strichelt, darin Ungeheuer, Schiffe. Die Innenzeichnung der Länder gibt Flüsse
Hügelreihen, Ländernamen, Städte. Längen- und Breitenkreise sind von 10 : 10®
ausgezogen; die Distanz der Längenkreise am Aequator beträgt 14— 14,5oim.
Eingeteflt sind sie von 1 : 1®, numeriert von 5 : 5°. Der Nullmeridian ist der
mittelste ; er steht senkrecht auf dem Aequator , von dort nach - 180 ; vom
Westrande bis zur Mitte 180—860®. Die Entfernung der Breitenkreise nimmt
nach den Polen hin ab, 0-10® = 21idid, 80—90® = 9a>". Im südlichen Stillen
und Indischen Ocean je eine 32strahlige Kompaßrose, mit den Buchstaben an den
acht Hauptwinden. Ohne Meilenmaßstab. Die Karte ist ein Nachstich von der
Weltkarte, UNIVERSALE von 1546.
Anderes Exempl. : Br. Mus. 1, 647 : A map of the World . . .
J. F. Camotii aereis formis. 1560. I, 1497 : A Map of the World,
Opus J. G. 1560.
Vgl. S. Rüge, Peterm. Mitt. Erg.-Heft 106, 79, 80. — Remar-
kable Maps IV, 2.
5. Anonymus, Spanien und Frankreich, 1554 ; ca. 1 : 5 Mill.
Nach N orientiert. 481 x 378"°. Oben rechts: La uera
descritione , di tutta la Francia, & la Spagna || & la Fiandra,
doue si ueggono Le Citta, confini, || Mari, Fiumi, & Porti, che in
esse si contengono || Le altre Parti de essi circonstanti ui son'
poste II solo per dimostrare I termini di esse con ogni || diligentia
fatte, & misurate, ^MaD^LUIIa
2*
20 W. Rüge,
Im S Stretto di gibilterra und PARTE DE AFRIGA, im N der Südrand
von INGILTERA, im Oberitalien bis Ancona. Im NO geht die Zeichnung in
der Hauptsache bis zum Rhein, einige Angaben gehen darüber hinaus. Norunberg
liegt an demselben (unbenannten) Fluß wie Fräcfordia. Im Innern Flüsse mit
nicht gefüllten Doppellinien, Hügelketten, Städte. Das Meer ist reihenweise in
weiten Abst&nden gestrichelt Einige Schiffe. Ohne Kompaßrosen, Gradnetz und
MeilenmaBstab. Lissabon— Santiago (470linn) = TSmm; Paris— Antwerpen (310km)
= 68™"; Paris— Toulon (695*^™) = 140ma> j Paris— Bayonne (G65km) = 122™«»;
Mündung des Guadiana— Oporto (460kin) = lOömm ; C. Finisterre -Tarifa (826ltm)
= 173mm.
Anderes Exempl.: Lafreri nr. 16.
6. Anonymus, Irland, o. J. ; ca. 1 : 2,9 Mill.
Nach N orientiert. 226(227) >< 320 (321)'»'». Oben in der
Mitte : . HYBKRNIA • NVNC • IRLANT.
Nur Irland mit den allernächsten Inseln, ohne £ngland und Schottland.
Flüsse, Seen, Wälder, Hügelreihen, Städte und Vignetten. Das Meer unregel-
mäfiig in Reihen gestrichelt. Zwei Meeresungeheuer, ein Schiff. Rechtw. Plattk. ;
Gradangaben am Rand. Unten (9**3') 20'-14*20'(36'), oben (ein wenig nach links
verschoben) (9«6') 40'— 14O40', von 20 : 20' eingeteilt P = 40,5inni. Links
(49'*56') 60^—50* 20' (24'), 20 : 20' numeriert, 2 : 2' eingeteilt. V = 37,6— SSmni,
b^ = 189<Da> ; die Breitenkreise sind also näher aneinander als die Längenkreise.
Unten rechts MeilenmaBsUb ohne Inschrift, 10, 20, ... 80 = 64mm ; also 1® = 47,5
Miglien. Galwey— Dundalk (196*"») = 94n»m; Dublin— Teelin Head (226kin) = 156min ;
Dublin— Donegal (190km) = I40min; die Insel von NO ~SW (490km) = 260mm.
Anderes Exempl.: Br. Mus. I 1995: Hybemia nunc Irlant.
[Venice? 1B70?]. Vgl. I. Ber. nr. 67, 8.
7. Sebastianus aBegibus, Großbritannien, 1558 = I.Ber.
nr. 67, 2.
8. Anonymus, Großbritannien, 1556 ; ca. 1 : 3 Mill.
Nach N orientiert. 343,5"°» x 477 (478)°»". Links oben, ohne
Umrahmung im Meer : BRITANNIA ^ INSVLA ^ Q VAE x D VO ||
REGNA a CONTINET ^ ANGLIAM . ET^ SCO || TIAM x CVM x
HIBERNIA X ADIACENTE x. : Rechts in einfachem Rahmen :
BRITANNIA Insularum ... schließt: CVN . PRIVILEGIO . S VMI .
PONTIFICIS . M . D . LVI. Unten rechts in der Ecke fl^S.
Qrofibritannien mit den nmliegenden Inseln, und einem Teil des europäischen
Festlands, von Brest— Antaerpia. Im Innern Flüsse, Hügelreihen, Wälder, Orte
mit and ohne Vignetten. Das Meer dicht gestrichelt, in der Nordsee ein Schiff.
Trapezf. Proj. ; Gradangaben am Rand. Unten 11— 26* (27«) 0, oben 9—23^(24'»)
0; rechts und links 49-62''N, 1* = 35,6- 36,6mm. Ohne MeUenmaEstab. Süd-
wosterko Englands— Dover (620kin) = I90inni; Duncansby— I). (88ökm) = 322iDm.
Anderes Exempl.: Br. Mas. I 1646: Britannia Insnla, qnae
dao Kegna continet, Angliam et Scotiam, cnm Hibemiä adjacente.
[Roine?] 1BB6.
Publ. : Remarkable Maps V, VI, 10.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 21
9. Dommicos Zenoi, Spanien, 1560; ca. 1: 2^8 Mill.
Nach N orientiert. 541(539) x 431"°>, der unterste, 28"™
breite Rand ist angeklebt. Oben in der Mitte: HISPANIAE
DESCRIPTIO. Unten rechts in verziertem Rahmen : Hispania
qaQ & Iberia in vlteriorö dinidit9 ac citeriorem Darunter :
Dominicus Zenoi Venetus Restituit. Venetijs || MDLX*
Pyrenäenhalbinsel, südlich yom ESTRECHO DE GIBRALTAR, ein Stück
Africa bis Arger, in N: GALLIAE PARS, Balearen. Im Innern Flüsse, Hügel-
ketten, Städtevignetten, das Meer unregelmäßig eng punktiert. Seeungeheuer und
Schiffe. Im SO Wappen, zwei Säulen, PLYS YLTRA auf bandartigem Ornament.
Darunter das Distichon : Aleiden perhibent hie erexisse columnas II Atlas spectabit»
magne Philippe tuas. Trapezf. Proj. ; die Qrade, nicht ganz gleichmäßig, am
Rande angegeben. Unten (3*^28') 40'— 20o(12'); oben (P 50') 60'— 22^50', Yon
8<>30'— 15«20' durch den Titel eingenommen. Links (36'»5') 10,— 46<> (H') 20',
1« = 42««. Am linken Rand Meilenmaßstab: SCALA LEVCARVM HISPANI-
CARVM, von Meile zu Meile eingeteilt, 5, 10, 16, .... 70 numeriert, = 167««.
18Leucae=R Lissabon— Coimbra (185^«) = 63««; Lissabon - Santiago (47U«)
== 180««; Finisterre— Tarifa (825k«) = 345««; Mündung des Guadiana-Oporto
(460k«)= 185««; Toledo— Valencia (315^^«) = 140««; Almeria— Valencia (345^«)
= 143«« ; Girona— Valencia (390*^«) = 160«« ; Girona— Bilbao (490k«) = 220««
Anderes Exemplar: Lafreri nr. 17. — Br. Mus. 11 3873,
Hispaniae descriptio, a. d. Zenoi. 1660. — Vgl. I. Ber. nr. 67, 3.
10. Orontius P(inaeus), Frankreich, 1B61; ca. 1:3.700000.
Nach N orientiert. 490(488) x 363"". Oben rechts, ohne
Rahmen: TOTIVS GALLIG DESCRIPTIO, || Cum parte Angliae,
Germaniae, Flandriae, Brabantiae, Italiae, Ro*||mam usque || Orontio,
F, Delph' autore ^): || Venetijs Ad Signum, Bibliothecae , Diui
Marci, || Dominicus Zenoi, Venetus Excidebat, MDLXI.
Inhalt der Karte deckt sich mit dem Original (vgl. Gallois, de Orontio Finaeo,
1890, Taf. 1—4). Frankreich, kleiner Teil von Spanien, England; im NO bis
zum Rhein, Ober- und Mittelitalien bis Rom. Die Namen sind stellenweise lati-
nisiert, für Hyspaigne steht Hispania pars, für Biscaye BISCAIA, für Gascongne
GVASCONIA. Trapezf. Proj. ; das Gradnetz ist am Rande angegeben. Unten (15<>)
160—37® 0, 1« = 22niin ; oben (12*) 13»— 39^ 1* = 18rom ; links und rechts (41«)
42*— 63''N, 1* = 29,5-30,5mro. Unter dem Titel eine 12strahUge Kompaßrose
mit SEPT., ORIE., MERl. , OCCI. Ohne Meüenmaßstab. Paris— Antwerpen
(310km)— llSmm; P.— Toulon (695kin) = 225iDin ; P.-Bayonne (6651"«)= 210min;
Lyon— Genf (110km ) ^ 520110 . p._London (350km) = i27mn> ; L.— Turin (230km) =
108mm ; L.— Basel (285km) = lOSmm ; Bayonne— Basel (b35kro) = 297miii ; Narbonne —
MarseiUe (190km) = 70min . N.— Nizza (350km) = I46mm ; Marseille— Ronen (760km)
= 250mm. — Dieser Nachstich ist nicht erwähnt bei Gallois , de Orontio Fi-
naeo, 1890, 79.
1) Das a steht als Spiegelbild.
22 W. Rüge,
Anderes Exempl. : Br. Mus. 11 4635: Totius Galliae descriptio,
cam parte Angliae . . . . D . Z. excidebat. 1661.
Vgl. F. A. 104 nr. 15.
11. Pyrrhus Ligorius, Belgien, 1558 = I. Ber. nr. 45,
wo Romae in ROlOl zu ändern, in der 2. Zeile des Meilenmaß-
stabes das erste et zu streichen, und in der 4. Zeile statt Ardaen
za schreiben ist Ardnea.
12. Anonymus, Belgien, 1558 ; ca. 1 : 800000.
Nach S orientiert. Kein eigentlicher Rand, 496(497) x 350
(347)""". Am rechten Rand über der Mitte in einfach verziertem
Rahmen: GALLLE || BELGICHiE || ROKE || oo B LVIII. Links
oben, in einfach verziertem Rahmen: Habes hie, candide Lector,
Galliam belgicam cnm snis Regionibas, Opidi8(!), Castellis, flomi-
nibns, || ac sylnis diligenter expressam : adiectis homm omninm
locomm interse (!) distantiis, qnas, || facile inuenies, si perspecta
miliarinm differentia, super pincta(!) in omnibus descripta circinü
II aptabis Haec antem descriptio cnm ad alia permolta, tum ad
Commetariorum Caesaris intel||lig6tiam plurimum conferet, Yale.
Inhalt deckt sich genau mit nr. 29, 11; sehr ähnlich I. Ber. nr. 67, 9. Im In-
nern Flüsse, Wälder, bei Namur einige Hügelketten. Das Meer gestrichelt. Ohne
Gradangaben. Oben links Meilenmaßstab, mit yier verschiedenen Meilen über
einander : 5 Miliaria (I) gallicae = 24mni • 5 Pro brabantiae bannoniae parte || et
pro Ca)|mpa = 31,5««; 6 Pro flandriae occi : leodiolnxemburgo et arduzeysala(?) || et tre-
ueris = 89,5™™; 5 Pro inferiore germaniae Campiiya Clm*)ae geldriae = 47,5™™.
Paris— Antwerpen (3 lOk™) = 335™™; P.— Luxemburg (285k™) = 390™™; P.—
Trier (325km) = 4300101.
13. N(icolau») Stopius, Flandern, 1BB9; ca. 1 : B60000.
Nach N orientiert. 486(491) x 401(403,6)'°°^. Unten rechts
als Aufschrift auf ein altarähnliches Ornament : EXACTISSIMA
FLANDRIAE DESCRIPTIO- || Flandria, CaroH V. Aug. Imp.
max. natione Illu8tris8i«||ma, Belgien Prouinciae est Comitatus
longfe nobilissimus , || . . . . Huius igitur tä inclyt§ Regionis
desislignationö, iä receter süma diligetia expressä, Cosmogra«||phi^
cädidatis, oper§ pretium duximus impertire. || Venetijs • M • D *
LVmi • . Unten in der Mitte : AD CORDATVM LECTOREM,
N • STOPIVS • II Flandria parua loco , sed nomine maxima et est
re, II In qua Mauortis uis animosa uiget ; ' Omnimodae hie artes
florent priscaeq, nouaeqj || Singula sunt alijs, haec bona cuncta
tenet.
1) Das i ist offenbar ausgefallen. 2.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 23
Belgien in SW bis GRAVELINQA, S • OTHOMARVS (S. Omer), LILERS,
DVACVM (Donai), VALENTIANAE, bis BRVXELLA, MACLINIA, HANDO-
YERPIA, allerdings geht die genaue Zeichnung nur ungefähr bis TENERA-
MVNDA (Dendermonde) , im N bis Ylissinghen. Innenzeichnung gibt Flüsse,
W&lder, Orte mit Vignetten, viel fein geschriebene Namen. Im unregelmäßig
punktierten Meer zwei Schiffe. Rechtw. Plattk. ; die Grade sind von 10 : 10'
ausgezogen. Unten (22«54') 23o— 26o50' (52'), oben _ 26<>50'(530, 1<» = 122»«.
Links (49<»47') 50^— 5lo40' (60'), !<> = 196»». Links oben im Meer eine 32-
strahlige Kompaßrose, rechts darüber drei Wappen« Unten links Meilenmaßstab,
Justa miliaria Flandrica itineris unius horae 1-13 = 166,5»»; 15,5 = 1®;
darunter Miliaria maiuscula 9 = 123»»; 14,5 = 1»; darunter Miliaria magna 9
= 132»»; 13,5 = 1^ Antwerpen— Oravelingen (165*») = 433»» ; Brügge— Toumai
(70k») = 187,5»».
Vgl. Remarkable Maps Y, VI, 19, das in der Zeichnung ganz
gleich ist; nur ist bei Stopius unten ein etwiEis breiterer Streifen
angesetzt für die Distichen n. s. w. — Br. Mus. I 1348, Ex-
actissima Plandriae Descriptio. Venetiis, 1559.
14. Michaelis Trameziiii, Brabant, 1558; ca. 1 : 400000.
Nach N orientiert. 384 x 502™™. Unten rechts in ver-
ziertem Rahmen: BRABANTIAE BELGARVM || PROVINCIAE ||
REGENS EXACTAQVE || DESCRIPTIO || MICHAELIS TRA-
MEZINI FORMIS || Ex Pontificis Max. ac Veneti senatus in
proximum || decenmiun (I) priuilegio. c» ö LVIIIx Unter dem
Rahmen ganz klein: Jacobus Bossius Belga in aes incidebat.
Oben in der Mitte: BRABANTIA.
Belgien und Holland ungefähr bis zur Maas im und N, und Sambre im S.
W bis TENERAMYNDA (Dendermonde). Innenzeichnung wie in nr. 29, 13. Maas-
und* Rheinmündung wellig. Unter der Ueberschrift drei Wappen. Rechtw.
Plattk.; Gradnetz am Rande. Unten und oben (26«26') 30'-28<>20' (28,5'),
10 = ld6,7ömm ; links und rechts (ÖO^IS') 20'— 52^0' (12'), 1° = 268™^. Links
unten ein Meüenmaßstab , 4 MILIARIA BRABANTIGA = 56,5>om, 19 = 1<>.
Namur—Venlo (135km) == 346mra ; Aachen— Antwerpen (127k«n) = 316inm; Herto-
genbosch— Namur (140ka>) = 340rom.
Anderes Exempl. : Br. Mas. II 4121 : Brabantiae Belgaram
Provinciae .... descriptio . M . T . formis. Vgl. I. Ber. nr. 57.
Publ. : Eemarkable Maps V, VI, 18.
16. Michaelis Tramezini, Geldern u. s. w. 1668; ca.
1 : 460000.
Nach N orientiert. 336,5 X 486,5 (486)»°^. Links nnten in
verziertem Rahmen: GELKIAE CLIVIAE IVLIAE ||NEC NON
ALIAEVM II REGIONVM ADIACENTIVM || NOVA DESCRIP-
TIO II MICHAELIS TRAMEZINI || FORMIS || Ex Pontificis Max.
ac Veneti Senatas jj in proximom decemnion (!) priuilegio || oo • D
24 W. Rüge,
LVII'Ia- Darunter ganz klein: Jac. Bossius Belga, in aes in-
cidebat.
Die Karte reicht im N bis CAMPI (Ostufer des Zayder Sees), bis BE-
RICK (Berg) und VESEL, S bis NVESTADT, westl. von AQVISGRANVM, W
bis MONTFORT und EEDAM. Im Innern Flüsse, Hügelländer, Wälder, Orte
teils mit Ortskreisen, teils mit Vignetten. Rechtw. Plattk. ; Gradangaben am
Rande. Unten und oben (24H9') 60'— 27<»10' (12'), 1** = 158«™; links und rechts
(510)55'— 53057', P = 239mm. Meilenmaßstab unten rechts: Milliaria Qelria
minora 1 -4 = 69^10, Mediocria milliaria quinqs milium passuum 1—3 (nicht
numeriert) = ca. 62inni, Milliaria magna passus quinq5 pedes continet 1 — 3 =
72mni. 1« = 14, resp. 12, resp. 10 Milliaria. Edam— Cleve (lio"'«) = 290mni;
Roermond— Cl. (65kna) = 173"™ ; Montfoort— Nijmegen (67^01)= (175mn»); Aachen—
N. (llOkoB) = 256a«n; Hertogenbosch— Deventer (87^™) == 226,5aim; Zwolle— D.
(28knj) = 77mm; Zutphen-D. (14kni) = 36aiiD; Doetichem— D. (34^«) = 81,5«nm.
Anderes Exempl. : Br. Mns. II 4121 , Gelriae, Cliviae, Inliae
nee non aliarnm regionom adiacentinm nova descriptio M. T. for-
mis. 1558. Vgl. I. Ber. nr. 43, das vermntlich das Original des
Nachstiches ist. — Lafreri nr. 27. 28.
Publ. : Remarkable Maps V, VI, 17.
16. Michaelis Tramezini, Holland, 1558; ca. 1 :230(X)0.
Nach N orientiert. 362,5(365) x 510(508,5)'°'". Links in
verziertem Rahmen : HOLLANDIAE BATAVOßv^f!) || VETEßlS
INSVLAE II ET LOCOßVM ADIACENTIVM || EXACTA DES-
CRIPTIO II MICHAELIS TRAMEZINI || EORMIS || Ex Pontificis
Max. ac Veneti senatns || in proximnm decenmion (!) prinilegio !|
00 • • LVni • Unten rechts nnter dem Meilenmaßstab ganz
klein: Jac. Bossius Baelga, in ae(!)incidebat.
Holland. Im N bis SCELLIN6IA, Ton dem aber die nördlichste Spitze fehlt,
bis CAMPI, S bis SEVENBERGA. W bis ZEELANDIAE || PARS. Im In-
nern Flüsse, Hügelreihen, Wälder, das Meer gewellt, mit vielen Schiflfen, oben
links und rechts je ein Wappen. Die Zeichnung deckt sich mit I. Ber. nr. 66,
aber die Anordnung der Ornamente, Wappen und Schiffe ist anders. Rechtw.
Plattk.; Gradangaben am Rande, unten und oben (20^58') 27ö-27<»öü' (öS'),
]^ = 363««; links und rechts (52«13') 20'— 5i^lO' (17'), l'' = 478,5««». Unten
rechts MeilemnaSstab, Milliaria minor HoUandica 1—5 = 69inm ; darunter : Me-
diocria milliaria passus quinq3 pedes continet, 4 (die aber 2—5 numeriert sind)
= 68«"; darunter Milliaria magna quinq^ milium passuum, 3 (numeriert 2 — 5,
der erste nicht vollständig) = 61,5«« ; 34,5 Mill. mi. = 27 Mill. med. -= 23,25
>lill. mag. = P. Dordrecht— Leiden (40li«) = 102«« ; Utrecht— Leiden (45^«) =
114««; ü.— Herzogenbasch (46,5km) = 120,5«"; U.— Edam (46,5kni) = 122««.
Anderes Exempl.: Br. Mns. II 4121, Hollandiae Batavorum
Veteris insnlae et locoram adiacentinm exacta descriptio . M . T .
formis 1558.
Pabl.: Remarkable Maps V, VI, 15.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 25
17. Mich(aelis) Tramezini, Friesland, 1558; ca. 1:400000.
Nach N orientiert. 374,5 x 477, 5"°*. Links unten in ver-
ziertem Rahmen: PRISIAE ANTIOVISSIMAE(!) || TRANS RHE-
NVM PROVINC- II ET || ADIACENTIVM REGIONVM || NOVA
ET EXACTA || DESCRIPTIO || MICHAELIS TRAMEZINI || FOR-
MIS II Ex Pontificis Max. ac Veneti Senatns || in proximnm de-
cenmiun{!) priuilegio. || • oo • B • || • LVIII * || Darunter außer-
halb des Rahmens in ganz kleiner Schrift: Jac. Bossius Belga, in
aes incidebat.
Friesland. Im N Meer, bis oldersum an der Ems, stromauf yon EMDA,
S bis LOCHEM, W bis HORJJA (Hoorn), Flüsse, yiel Ortschaften, die kleinen
mit Kreisen, die großen mit Vignetten. Im gewellten Meere Schiffe, links oben
Wappen. Rechts w. Plattk ; Gradangaben am Rande. Unten und oben (27®35')40',
— 29<>20'(27'), 1^ = 202,5a>a>; links und rechts (52<>22') 30'— 54<>(7'), 1* = 272»nm.
Meilenmaßstab imten in der Mitte: Milliaria Phrisia minora 1— 4 = 76™™,
darunter: Mediocria milliaria Passus quinqj pedes continet 1 — 4 = 88,5—93°»™,
darunter: Phrisia milliaria magna 6500 passuum 1— 4 = 108,5™", V = 14,5,
resp. 12, resp. 10 Milliaria. ZwoUe— Deventer (28^™) = 78,5™™ ; Groningen— D.
(Ulk™) = 278™™; Gr.— Leuwarden (52^™) = 135"»™.
Anderes Exempl. : Br. Mus. II 4121, Frisiae Antiquissimae
.... descriptio . M . T . formis. 1558.
Publ.: Remarkable Maps V, VI, 16.
f~
18. Michaelis Tramezini, Dänemark und die umliegenden
Länder, 1568 = I. Ber. nr. 67, 16, wo der Druckfehler decen-
nium in decenmiun zu ändern ist.
19. Ant(onius) Sa(lamanca) , Mitteleuropa, 1548; ca. 1 :
4 MiU.
Nach N orientiert. 494(497) X 365°". Oben, über dem
Rahmen, querüber : > TABVLA MODERNA ►POLONI^*) ^ VN-
GARLE*) ^ BOEMI^*) | GERMANLE*) >RVSSI^ ►L1TH\E*).
Unten links in der Ecke: Ant. Sa Exeu., weiter rechts 1548.
Mitteleuropa, im S bis Oberitalien mit Mantoa, nördliche Balkanhalbinsel
bis Narent an der Mündung der Narenta, und Galipoli; bis Riua in Klein-
asien , Mundung de^ Boristenes - fl. oder Neper * fl., N bis Riga, SV VEVl^^
PARS (ohne Innenzeichnung), ANGLUE PARS (ebenso), W bis Ostende. Im
Innern Flüsse, Hügelreihen, Wälder, Ortsvignetten, das Meer gewellt Der Rhein
fließt Tom Bodensee aus ziemlich genau nach N, in diesen fließt er von WSW.
Lidau liegt am Südwestufer, 8. Gallen nördlich von Constantia, Dubigen (Tü-
bingen) Straßburg gegenüber, in derselben Entfernung wie dieses yom Rhein.
Als Oberlauf des Elbis fl. ist die Saale gezeichnet, aber an ihr liegen Praga,
Misna, Leybezig. Spree fehlt. Odra fl. von S. nach N. Danubius ganz falsch.
*) IM und im letzten Wort ANlJi} sind in enge Ligatur zusammengezogen
26 W. Rüge,
Bechtw. Plattk.; Gradnetz am RaniL In den 4 Ecken 6(rada8). Unten
und oben (24<>) 25'>— 58« 0, P = 14,5""; links und rechts (44*100 45»— 56S/
(30'), V = 29,5-30™", W = 298"". Ohne Kompaßrosen und Meflenmafistab.
Infolge der falschen Zeichnun^^ ergeben die Distanzmessungen ganz yerschiedene
Maßstäbe. Cöln-Dresden (475km) = 143""; Basel— Straßburg (115^«) = 23"";
Cöln— Str. (270k") = 90""; Breslau— Posen (140*'")= 65""; ßr.— Krakau (236^)
= 70""; Leipzig— Dresden (100*™) = 13,5""; Hamburg— Münster (280<^) =
55*^" ; Nikopolis— Vama (255km) = 77min ; Linz— Wien (156«'") = 47"" ; Pest— W.
(220'wi)=67""; Belgrad— W. (500l^) = 105""; B.— Krakau (600*™) = 107"".
Anderes ExempL: Lafreri nr. 133: 0,50 x 0,38. Tabula
Modema Poloniae, Ungariae, Boemiae, Germaniae, Rassiae Litt-
uaniae. Ant. Sa(lomon) exe. — Br. Mus. U 3626, Tabala mo-
dema Poloniae, Ungariae . . . A. S. exen. [1560?]. — Die Jah-
reszahl ist vermutlich an beiden Stellen übersehen.
20. Anonymus 9 Oesterreich- Ungarn, 0. J. = L Ber.
nr. 67, 30.
2L Jacopo di Oastaldi, Deutschland, 1552; ca. 1:4.400000.
Nach N orientiert. 347(280) x 243(240,5)"""". Oben rechts,
außerhalb des Rahmens, noch auf der Platte: 11 uero ritratto
di II tutta rAlama^lIgna. Links unten, innerhalb des Rahmens, in
einfacher Umrahmung: Opera di Jacopo di || Crastaldi Cosmo^li
grafo In Venetia, |j 1552 Cü priuileg. Oben links , außerhalb des
Rahmen? : In Venetia appres* || so Gi-abriel Giolito jj al segno della
Fe« II nice. Darunter : Enea Vico jj Parm. f.
Deutschland , im S bis Lago di || Genneoa und Draoa * f , bis Varadin
(Gr. Wardein) und Fraunberg (Frauenburg i. Ostpr.), N bis Sclesuich; W bis
Ciugni und Cambray. Rhein uemlich gut, nur die üiegung bei Basilea nicht
stark genug. Spree f. in die Ostsee. Danubio f. bis Vatia (Waitzen) gut, von
da an aber direkt nach SO gezeichnet. Sehr viele Namen verschrieben, z. B.:
Lim • f • (Inn), Tufsten (Kufstein), Brunet (Bruneck), Hildsen (Hildesheim). Es ist
ein außerordentlich feiner, zierlicher Kupferstich, Flüsse, Ortsvignetten, Hügel-
reihen, Wälder. Das Meer gewellt. . Trapezf. Proj. ; Gradangaben am Rande.
Unten und oben (23*») 24^—45°, V = 16»"; resp. 13""; links und rechts (46*)
470.600(12»), 10 ^ 23"", 100 _, 236"". Ohne Kompaßrose und Meilenmaßstab.
Cöln— Dresden (475^")= 1 10"" ; Berlin— Hamburg (250l'") = 70"" ; B. — Regens-
burg (400^")= 107""; Cöln— Straßburg (270^") = 87""; Str.—Basel (115^") =
20"" ; Breslau— Posen (140>^) = 36"" ; Br.— Krakau (23^) = 62""; Wien— Pet-
tau (200^") = 42"".
Anderes Exempl. : Lafreri nr. 132. — Grande, notizie 44. —
Br. Mus. 11 1496, Jl vero ritratto di tutta TAlamagna. Opera
di J. di G. 1BB2.
22. Michaelis Tramezmi, Deutschland, 1663; ca. 1:2.600000.
Nach N orientiert. 693(699) x 443,6 (446)'"'», Oben Unks in
Aeiteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 27
verziertem Rahmen: NOVA GERMANLE DESCRIPTIO- 1| CVM
ADIACENTIBVS ITALLE • GALLLE • BRITANNIiE • || PO-
LONLE • ET PANNONLE • PARTIBVS • ILLVSTRISS || PRIN-
CIPI • D • OTHONl • A • TRVCHSES CARD • AVGVSTANO||
DICATA II APVD MICHAELEM TRAMEZINVM || CVM PRIVI-
LEGIO PONT MAX ET SENATVS VENET || M D LIH.
Deutschland mit den Grenzländern. Im N bis RIEL (Kiel), GONEGEN (Tön-
ning?), W bis BVRGES, LIMOGES, S bis ALEXANDRIA, PARMA, RAGVSIA,
bis GRODNA, BELGRADVM. Im Innern Flüsse, Orte z. T. mit Vignetten,
Wälder; das Meer unregelmäBig gestrichelt. Im allgemeinen ist es ein grober
Stich. DANVBIVS • F, RHENVS • F, ALBIS • F sehr gut ; SVEVVS • F • (Spree)
geht ohne Markirung der Uayel in die Eibe. Gradnetz am Rand, nur die Breiten
sind angegeben, (45 Vs^) 46<^ — 66(*/8)^ 1** = 88,5o»m. Meilenmaßstab links oben
miter dem Titel: MILIARIA ITALICA, 20, 40 ... 120 = 75raoa; 60 Mill. = V,
Für die nr. 29, 21 genannten Orte, Göln — Dresden u.s.w., betragen die Distanzen 158,
88, 166, 108, 40, 73, 93, 73"™.
In der Mitte ein wenig beschädigt.
Anderes Exempl. : Br. Mus. II 4121 , Nova Germaniae
descriptio . . . apad M. T. 1653.
23. Ant(onius) Salamanca, Schweiz, 1556; ca. 1 : 930000.
Zwei Blatt neben einander. Nach N orientiert 598(600)
X 433,5"°". Unten links in reich verziertem £ahmen: Jodoco k
Meggen Lncernati || Praetorianorom Praefecto || Ant. Salamanca *
5 * II Helnetios olim, nir clariss. nonc Suiceros, Gallorom gentem
bellicosissimam foisse , . . . . unquam desit Yale * || Romae * cx> *
6 * LV * . Ganz unten links außerhalb des Rahmens in kleiner
Schrift: Jacobus Bossius Belga, in aes incidebat.
Schweiz. Im N bis MYLHVUSIA, bis Brenner, Tridentom, S bis Ale-
xandria in Oberitalien, W bis QRATIAIlNOPOLIS (Grenoble). Die Karte erfüllt
von Bergen. Gradangaben rechts und links; (ca. 44^2') 45« — 47<> (ca. 47^55'),
10 = 119""»™. Meilenmaßstab links unten: Müiaria Heluetica 1, 2, ... 10 =
81™™, cä. 14»/8 Miliaria = V, Mailand— Basel (265'^") = 379™™ ; Genf— Leuk
(115^™) = 180™™; Bern— Schaflfhausen (125^™) = 175™™.
Anderes Exempl.: Lafreri nr. 23, — Br. Mus. II 3626, A
Map of Switzerland. [By] A. S. 1B5B.
Publ.: Remarkable Maps V, VI, 21.
24. Qiacopo di Oastaldi, ItaUen, 1561 = I. Ber. nr. 51,
wo dttk in citta, und am Ende ex in Ex zu ändern ist.
Vgl. oben nr, 27.
26. Jacomo Oastaldo, Piemont, 1556; ca. 1 : 390000.
Nach N orientiert. 496(491) x 366(368)"". Links am Rand
in der Mitte in ganz einfachem Rahmen: Opera de Jacomo ga-
28 W. Rüge,
staldo piamontese CosmograUpho In Venetia, nella quäle fe descritto
la regione || dil piamonte, et quella di Monferra, con la maggs||ior
parte della riuiera di Genoa , et il teritorio || Astesano (?) , Ale-
xandrino, Tortonese, Nouarese, || et la piu parte del Paaese, et
parte del Milanese, || . . . . || M^D^L'^ VI || . Unten links in der
Ecke in ganz einfachem Rahmen: In Yinegia appresso Ga||briel
Giolito de'ferrari || Con prinilegio del Som||mo Pontefice Panlo Illl ||
e della lUostriss . Sig- 1| Di Yinegia. Unten rechts, außerhalb des
Eartenrahmens : Fabio || licinio || . f . || .
Piemont, im W bis Monaco, N bis Osta (Aosta) und MILANO, bis Bobio,
S das Meer. Inhalt der Karte deckt sich mit Ortelias 1571 nr. 34. Flüsse,
Hügel, Ortsvignetten, das Meer in anregelmäßigen Reihen gestrichelt. Trapezf.
Proj. ; Gradangaben am Rande, unten (28'>6') 29^—30° (40'), V = lOiram j oben
(28<»)— 30« (ca. 43'), 1« = 186™™; links und rechts (42050') 430-44ö (ca. 15'),
10 = 263™™. Unten rechts yor der Küste eine 32 strahlige Kompaßrose. Mei-
lenmaßstab unter der Jahreszahl: Scalla(!) di miglia, 5,10 = 38,5™™; 68 Migl.
= P. Monaco— Genua (1451^™) = 400™™; Mailand— G. (120kn») = ssemm.
Anderes ExempL: Bibl. d. Königs von Italien (Atti R. Acc.
d. Scienze di Torino 1881, 858). — Br. Mns. I 1497, La regione
del Piamonte . . . Opera de J. Gastaldi. 1556. Vgl. I. Ber. nr.
38 ; nr. 67, 37. 39.
26. Jo(aim6s) Frandscus Camodj, Lombardei, 1560; ca.
1 : 625000.
Nach N orientiert. 479 (475) x 291 (295r". Oben querüber :
LA -^ VERA -^ DESCRITIONE ^Dl^TVTTA ^ LA ^ LOMBAR-
DIA^M^D^LX. Unten in der linken Ecke in einfachem Rah-
men : VENETIIS || Jo. Francisci || camocij || aereis Formis.
Lombardei« Im N bis Chianena, W bis Canobio (am Lago Maggiore), S bis
ALEXANDRIA; bis zum Meer. Flüsse, Hügel, Bäume, Städtevignetten, das
Meer reihenweise gestrichelt, ein grober Stich. Ohne Gradnetz ; ein System
senkrecht sich schneidender Linien ist unbenannt, die W-0 laufenden sind ca.
82™", die N-S laufenden ca. 102™™ von einander entfernt. Meilenmaßstab links
und rechts am obem Rande, ohne Inschrift, 6, 10, ... 40 = 109™™- Como—
Venedig (255^™) = 400™™ ; Bergamo— Piacenza (75^™) = 150™™; Verona -Modena
(92km) -, 162™™; Alexandria— Ravenna (290^™) = 367™™.
Anderes Exempl. : Br. Mus. I 647: La vera descrittione di
tntta la Lombardia . J . F . Camotti aereis formis . 1560.
27. Ant(onius) Sal(amanca), Toskana, o. J.; ca. 1:620000.
Nach N orientiert. 545 x 392™™. Oben rechts dicht nnter
dem Rand: ANT • Sal- EXC • || En candidi Lectores, elegantioris
Italiae partis, Tnsdae scilicet Topogra || phiam, aeneis nfis formis
excnssam in hac Tabella vobis denno dfiunas, || . . . . Qnae omnia
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken« 29
ab his qai oculata fide || nobis aacta retuleront didicimus
desideratis. Darunter Anweisung zum Entfemongsmessen.
Toskana. Im N bis Parma, Faenza, Vrbino, bis ROMA, S his zum Meer
mit Elba und PARTE Dl CORSIGA, W bis Mulazo (nördlich von Spezia). Flüsse,
Hügel» Bäume, Ortsvignetten, im unregelmäßig reihenweise gestrichelten Meer
Schiffe. Rechtw. Plattk.; Oradangaben am Rande. Unten und oben (32<^30')
33«— 360 (83' j^ 10 = 135,6®"; links und rechts (41^3') 42«- 43« (35'), 1« =
178,5°*°^* Meilenmaßstab rechts am Rande, ohne Inschrift, 6 Teile, von denen
der erste in 5 Unterabteilungen zerlegt ist ; hier allein steht eine Zahl, 5. Das
Ganze = 84"™, ca. 63 Teile = 1«. Rom— Pisa (275^") = 425""; Perugia-
Pisa (175^") =290"" ; Perugia— Florenz (120»'") = 208"" ; P. -Ostia (160^") =
253"". Vgl. Ortelius 1571 nr. 36, wo allerdings im N ein Streifen fehlt. An-
drerseits hat er oft mehr Namen, z. B. am Nordrand S. Lorenzo, Ronta, Onda ;
an der Küste Porto Baratto ol- Populoniü Prom.: während bei Salamanca nur
steht Populonia.
Anderes Exempl. : Br. Mus. II 3626, en candidi lectores, ele-
gantioris Italiae partis, Tnsciae scilicet, topographiam, etc. [1560?).
28. Anonymus , Umgegend von Rom , o. J. , = 1. Ber.
nr. 67, 40.
29. Anonymus, Neapolitanisches Reich, 1657; ca. 1 :
IV2 MiU.
Links oben in der Ecke: TRAMONTANA, rechts oben : LE-
VANTE, rechts unten, nicht genau in der Ecke, OSTRO, links
unten [P]ONENTE. 461(460) x 333 (332)°»™. Am obern Rand in
bandartigem Ornament : REGrNO DI NAPOLI. Unten links, ganz
verschwommen und matt: ALLA LIBRARIA DELL A STELLA(?)||
IN VENETIA 1557.
ünteritalien von der Linie ROMA— ANCONA an und ein Teil von Sicilien.
Flüsse, Hügelreihen, Ortsvignetten, Meer unregelmäßig, weit gestrichelt. Viel
Schiffe. Die Zeichnung stimmt weder zu I. Ber. nr. 64, noch zu nr. 67, 49.
OLue Gradnetz und Kompaßrosen. Unten in der Mitte ein Meilenmaßstab : 8cala
delle Miglia 20, 40, 60, 80 = 68"»"- Taren t— Neapel (255*'") = 255«nni ; Ancona- -
N. (320*^™) = 235""™; Tarent— Reggio (300*^«») = 235°»" ; T.— Ancona (470'^) =
845™«; Ancona— Rom (220^™) = 195™™; Tarent— R. (425^™; = 350™™.
Vgl. oben nr. 15.
30. Pabius Licinius, Sardinien, 0. J.; ca. 1 : 935000.
Nach N orientiert. 199(201) x 301(302,5f". Links oben in
verziertem Rahmen : Sardinia insola inter Africü et Tyrr« || he-
nom pelagos sita • magnitndine , || 562 mill . pas : fertilis ad-
modnm, ani^Hmaliamq^ narij generis abondans* || metallis , argen-
tarijs, stagnis, fontib>||as, salabris, prestantisima (!). Darunter,
außerhalb des inneren Rahmens im Ornament : • fabias * licinins * f .
30 W. Rüge,
Sardinien (SARDEGNA) mit den allernächsten kleinen Inseln, unregel-
mäßig gestricheltes Meer mit Schiffen und Fischen. In der Insel Flüsse, Berge,
Bäume, Ortsvignetten. Ohne Gradnetz, KompaBroscn und MeilenmaBstab. GröBte
Länge der Insel von SW nach NO (270^^™) = 290""; Sassari— Terranoua (SO*™)
= 85"".
Vgl. I. Ber. nr. 67, 51.
31. F(abius) L(icinius), Corsica, o. J. ; ca. 1 : 625000.
Nach N orientiert. 199 x 301,5(302,6)"". Oben links in
einfach verziertem Rahmen : ClRNVS sine CORSICA insula est
in mari || lignstico, circnitas est 322 mil' pas<||sna, nini et anima-
linm feracissimi, et gi»||gnit homines fortes, ad labores, et militiä.
Darunter zwischen den Linien des Doppelrahmens : • F ' L ~ .
Corsica (CORSICA). Am Südrand der Karte die äußersten Spitzen von Sar-
dinien. Die Insel ist W-0 zu breit. Flüsse, Berge, Wälder, Ortsvignetten, un-
regelmäßig gestricheltes Meer mit Schiffen. Ohne Gradnetz, Kompaßrosen und
Meüenmaßstab. Bonifacio— C. Corse (180^™) = 225™™; Ajaccio— Bastia (105**™)
= 180™™; Calvi— C. Corse (73^™) = 150™™.
Vgl. I. Ber. nr. 67, 48. — Br. Mus. H 2357, Llsola di Cor-
sica .. . F. L. exe. [1560?].
32. Anonymus, Elba, o. J.; ca. 1 : 155000.
Links oben, aber nicht genau in der Ecke, TRAMONTANA,
dem entsprechend stehen LEVANTE, MEZODI(!) und PONENTE.
187(188) X 256(257)™". Links oben in einfach verziertem Rah-
men : ILBA seu IL VA Insula est || in Mari Tusco continet (!)
dis*||tans • x • mill' pasuü(I) nascü* | tur minerales metalli bene mus||
nita et forti situ impetui Tur«||carum resistit.
Elba, am Nordostrand ein Stück Festland mit Populonia und PIOMBINO.
In der Meeresstraöe (9^^™ = 34™™) liegt Palmarola. Hügel, Bäume, große Orts-
vignetten, unregelmäBig gestricheltes Meer mit Schiffen. Grober Strich. Im SW :
MARK TOSCO. Ohne Gradangaben, Kompaßrosen und Meilenmaßstab. Ferrajo—
Piombino (20*™) = 130™™; F.— Senfosa (13*™) = 85™™.
Vgl. I. Ber. nr. 67, 62. 53. — Br. Mus. I 11B3, Ilba, sive
llva insula . [Venice ? If 80 ?].
33. (Gastaldi), Sicilien, o.J. = I. Ber. nr.67, 50, wo vtili-
tatem fiir utilitatem zu schreiben ist. Die Zeichnung stimmt
auch, von geringfügigen Unterschieden abgesehen, mit I. Ber.
nr. 39.
84. Namensr^fister. Es ist das in der Legende von nr. 29, 33
erwähnte Verzeichnis, mit der Ueberschrift : Siciliae locorum no-
mina, antiquis recentioribusq^ temporibus vsurpata. Sie beginnt
Acis fl. — f. Freddo und hört auf: Vulcanus-Vulcano. Die Or-
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 31
thographie stimmt nicht mit der Karte. Dieselbe Liste steht
unter I. Ber. nr. 39.
35. Antonius Lafreri, Malta, 1B51 = I. Ber. nr. 67, 64.
36. 37. Leere Blätter.
38. Franciscus Salamcmca, Griechenland, o. J.; ca. 1 :
3 Mill.
Nach N orientiert. Zwei Blatt neben einander, die nicht ganz
genau an einander passen. 609 x 403 (402)™™. Oben in der Mitte :
Graeciae chorographia. Unten links in reich verziertem Rahmen :
FRANCISCVS SALAMANCA LECTORI . || HAEC est GRAECIA
illa II Damus autem nouam haue GR^CTAM eo accuratias
delineatam, quo recetins. || ISTam multa correximns ; nonnulla addi-
dimus ; plurima in meliorem forma mutaui«||mus. Nam praeter ea,
quae ex antiquis scriptoribus, Pausania, Ptolemgo, Strabone || et
cet: mutauimus; ex recentioribas quoq. (praecipu^ ex Sophiano,
cui totum quicqd || hoc est, acceptum referendum est) : excerpsimus
quae ad rem facere videbantur : & || ne tibi fucum factum, verbdq.
data existimes , rem ipsam inspice , accurat^q . primü || cum alijs
huius modi confer, deinde iudica • Vale || Darunter : Sebastianus a
Regibus Clodiensis incidebat.
Griechenland nnd die Balkanhalbinsel. Im N bis Mesebria am Schwarzen
Meer, nnd ein wenig über die Donaolinie, W bis Jadera und ITALIAE || PARS
bis TaraSy S bis mit GRETA, Kleinasien bis zur Linie Armena (östlich von
Carabis p.)~Magy||da8. Ptolemäische Zeichnung. Deckt sich fast genau mit Re-
markable Maps Y, VI, 25, ganz anders wie Ortelins 1571, nr. 40. Antike Namen.
Flüsse, Hügelreihen, Ortsrignetten, gewelltes Meer mit Schiffen. Gradeinteilung
nur links (34<0 35<»— 45» N, 1^ = 36,5— 37,5n»m. MeilenmaSstab unten rechts,
MILLIARIA 20, 40 ... . 100 = 63,5«™. Rechts davon STADIA 200, 400
. . . . lOO (sUtt 1000) = 73«"; ca. 60 Mill. = ca. 500 Stad. = V. Constan-
tinopel (43020')— Thessalonice (40<»25') (510*^«) = 200°»"»; C— Athen (37020')
(665k") = 233"»oi; Cnidus (36nO')— Prusa (4P45') (415^^) = 213""; Constan-
tinopel— Zara (43*45') (1160*") = 400"". Taenarum p. 3405O' N.
Die Karte ist unten rechts ein wenig eingerissen.
Anderes Exempl. : Lafreri nr. 86.
39. Anonymus, Corfa, 1B37; ca. 1 : 140000.
Nach SW orientiert. 375 x 264"". Oben links in ver-
ziertem ßahmen: Lettori mi e parso per piu dichiaratione della
Citta di Corfa || metterla alquanto maggiore cÄ nö conueniua
dl8no(l) II loco, Ma tutto el resto della isola e proportionata || et
misnrata Con tutti 8ua(!) porti, scogli, Secche fiomi, Cas|{telli Ca-
sali et lor' nomi deligetemente posti et approbati || . P . (F und S) .
1537.
32 W. Rüge,
Corfu. Die Zeichnung stimmt mit Ortelias 1571, nr. 38. In dem schmalen
Festlandssaum steht: EPIROa. PARTE DI GRECIA. Flüsse, Hügel, Orts-
vignetten, wellenartiges Meer mit SchifiFen. Ohne Gradnetz, Kompaßrosen, Mei-
lenmaßstab. C. Bianco— P. Cassopetto (53^") = 372n>ni; p. C— Gardiki (in der
Nähe der Südwestküste) (37,5<'">) = 278""».
40. Jacopo Gastaldi, Westasien, 1661; ca. 1 : 7.900000.
Zwei Blatt nebeneinander die allerdings nicht genau an-
schließen, da das östliche oben und unten ca. 1°" zu groß ist.
Nach N orientiert. 722(723) x 415(417)"»™. Oben rechts in ein-
fachem Rahmen: LA DESCRITTIONE DELLA PRIMA PARTE
DELL' ASIA. II Con i nomi antichi & modernj • jj Di Jacopo Ga-
staldi Piemontese cosmografo. || . . . . Restituita da Antonio La-
frerj. || L'ANNO - oo - B - LXI • Unten in der rechten Ecke des
Rahmens ganz fein: Jacobus Bossius Belga incidebat.
Westasien. Arabien bis zu den Bagaren (Bahrein-Inseln), Armenien, Persien,
GVZARATE pro in der Südostecke, Kaspisches Meer, Schwarzes Meer. Flüsse
Hügelreihen, Städtevignetten, im gewellten Meere Schiffe. Trapezf. Proj. ; Grad-
angaben am Rande. Unten (59^)60°— 11 8<> 0, 1« = 12,2™"; oben (51«) 520—
126<'0, 10 = 9,5-10""", 10« = 96,5°>o>; links und rechts (26°) 270— 55« (40').
10 = I4innj. 32 strahlige Kompaßrose im Kaspischen Meer. Meilenmaßstab
oben unter der üeberschrift, 50, 100 ... . öOOmiglia Italiani = 102™", 70 Migj
= 1«. Alexandrette— El Areisch (645^™) = 95"" ; AI— Trapezunt (585^") =
95""; Scutari-Tr.(900*'") = 162""-
Anderes Exempl. : Lafreri nr. 93. — Br. Mns. I 1496 , La
descrittione .... dell'Asia .... Di J. Gr. 3 parti 1561.
Publ. : Periplus, Taf. LIV (etwas kleiner).
Litt.: Grande, notizie 45.
41. Leeres Blatt.
42. Giacomo di Castaldi, Südwestasien, 1561; ca. 1 :
7V« MiU.
Zwei Blatt neben einander, die aber nicht ganz genan an-
schließen, da das ostliche oben und unten ca. IV2"" größer ist,
also grade umgekehrt wie Periplus Taf. LV. 737(742) x 471(469)
472(471)"". Unten rechts in einfachem Rahmen: IL DISEGNO
DELLA SECONDA PARTE DELL'ASIA || II quäle principia . . . .
11 AI' ill** sig il sig Marcho fucharo , Barone di Kirchberg e d'
Waißenhoren :- 1| Giacomo di Castaldi Piamontese cosmographo in
Venetia : 1561 || Con gratia et priuilegio del Sumo Pontifice Papa
Pio üij p anni x || E del serenissimo senato di Venetia per Anni
XV. Unter dem Rahmen: fabio licinio. f.
Ganz Arabien, Palästina, Sadpersien, Westküste von Vorderindien. AosfOh-
rang wie in nr. 29, 40. Trapezf. Proj.; Gradangaben am Rande. Unten (64<>
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 33
2O0 66<>— 114«(20'), 1° = 14,5—15«™ 10« = 147,5nwii; oben 68<>— 1240(30'), 1°
= ll,5inm 100 = 116,5™™; links (3*35')4*-36<>(400, (die 6 beim Ö.» steht im
Spiegelbüd), V = 14,6™™, 10« = 143,5™™; rechts (3^30') 40-36<>(10'), 1° =
14,5™« \0^ = 143™™. Der TROPICO DI CANCRO ist ausgezogen. Meilenmaß-
stab unten, rechts der Mitte, Scalla (!) de milia 500 italiani, 50,100 .... 500
= 104™™; ca. 70 mil. = P. Suea— Aden (2300*™) = 302™™; Calicut— Aden
(3260^™) = 467™™.
Anderes Exempl. : Lafreri nr. 97. — Br. Mus. s. nr. 41.
Publ. : Periplus, Taf. LV (etwas kleiner).
Litt.; Grande, notizie 46.
43. Giacomo de Gastaldi, Namenliste, 1661.
I NOMI ANTICHI E MODERNl DELLA SECONDA PARTE ||
Dell'Asia . . . AU* Illustrissimo Signor il Signor Marcho Pncharo
dignissimo Barone di Kirchberg e di Weissenhoren .... Gia-
como de Castaldi Piamontese, Cosmographo in Venetia 1661. Die
Liste enthält die Namen in dreifachen Colnmnen, mit Lange nnd
Breite , von Anthedon Larissa 67.9 39.30 bis Zigaena insola
Muchi Isola 73.26 23.0. Darunter : Con gratia priuilegio del
snmmo Pontifice Papa Pio || quarto per anni X ' Et dal Serenis-
simo Senato || di Venetia per anni XV.
Vgl. Grande, notizie 47. — Br. Mus. s. nr. 41.
44. Giacomo di Gastaldi, Südostasien, 1661; ca. 1 :
12 MiU.
Nach N orientiert. 2 Blatt neben einander. 720(729) x
470(472)™™. Unten links in einfachem Rahmen: IL DISEGNO
DELLA TERZA PARTE || DELL'ASIA. || All' ülv Sig. ü s'.
Marcho Pucharo Barone Di || Kirchberg c'(!) d' Waißenhoren : — ||
Giacomo di Castaldi Piamötese Cosmographo in Venetia || . Rechts
unten in einfachem Rahmen: Congratia et priuilegio del sumo
pontifice || papa pio iiij per Anni * x • || E Del' serenissimo senato
di Venetia p An«||niXV- Unter dem Rahmen: fabius licinius
Excudebat.
Vorder- und Hinterindien, Nordh&lfte von Sumatra. Südasien, Innerasien mit
dem DISERTO DE || LOP. Zeichnung und Inhalt decken sich genau mit Periplus
Taf. LVI, nur daß dort noch ein schmaler Teil im Süden (bis 16^ S) angesetzt
ist, der in Helmstedt nicht vorhanden ist. Die Längengrade sind nur unten an-
gegeben, von 5 : 5» numeriert, (110<»30') 115^— 190<>, ö» = 46"« W = 92,5""")
links (ca. V S) ö« N- 50« (5P) N, 5» = 45"", W = 90,5"" ; rechts (ca. V 8;
60 N— 50« (30*) N, 5« = 45,5"". 10« = 91,5"". Unten rechts Scala de miglia
300 itatiaoe (!) = 42"", 66 miglia = 1«. Gangesmündung— Ganton (2500^) =
285"";C.Comorin— Gangesmündung (2000^1") = 225"".
KffL Qm. 4. Wi«. MMluriehteii. PUloloc-histor. KUim IdOS. Htfl 1. 3
34 W. Rage,
Anderes Exempl. : Lafreri nr. 90. — Br. Mm. s. nr. 29, 41.
Publ.: Periplns, Taf. LVI (aber kleiner).
45. Panlo Forlani, Afrika, 1562; ca. 1 : 19 MilL = L Ber.
np. 67, 69.
46. Ant(onias) Sal(ainanca), Palastina, 1548; ca. 1 :
575000.
NachO orientiert. 488,5(487,5) x 291"^. Oben über dem
Rand: 4 TABVLA MODERNA TERR^ SANCTiE ^ Unten
links über dem Rand im Meer: Ant. Sal. Exe üeber der Mitte
der Küste- 1648.
Palästina. N bis Sidon, S bis Gaza, dann biegt die Küste nach W um,
his^osra. Flüsse, Hügelreiben, Städtevignetten, Wälder. Gewelltes Meer. Rechtw
Plattk. -, Gradnetz am Rande. Unten und oben (00)5'>— 82«, 5*" = 29,5""; links
und rechts (40^) 35®— 6<^ , 5<* = 31,5"". Am obem Rand rechts zwischen 76 und
80 : Habitätes sub || hoc parall : hnt |{ die maiore ho : 14. Zwischen 35 und 40 :
Habitates sub hoc || parall : hut die || maior6 bor 14\e* Zwischen 0^ und 5^ ganz
links: Hltätes sub hoc || parall : habens(!) || die maiore || hör UV*. Die Gradein-
teilung ist völlig unTerständlich. Ohne KompaSrosen und Meilen roaftstab. Sidon —
flaza{250>^) = 445""; Joppe— Jerusalem (55'^) = 82""; Sidon-Tiberias(89^)
= 182"".
Anderes Exempl. : Br, Mus. II 3626, Tabula modema Terrae
Sanctae . A . S. exe. [1B48]. Die Zahl ist wahrscheinlich über-
sehen worden.
47. Joannes Frandscos della Gatta, Palästina, 1567;
ca. 1 : IV2 Mill.
Nach N orientiert. 517(514) x 356(358)"". Oben in der
Mitte in reich verziertem Rahmen: PALESTINiE SIVE TERR^
II SANCTE DESCRIPTIO. Links oben in reich verziertem Rah-
men: APP^LLATIONES VARIAE LOCORVM BIBLICORVM.
Am Ende der sechs Columnen mit Namen: M.D.LVII., und zwi-
schen eigentlichem Rahmen und Ornament : ROMAE || APVD 10-
ANNEM FRANCISCVM VVLGO DELLA GATTA.
Pal&stina mit den angrenzenden Teilen von Afrika und Arabien. Die Zeich-
nung erinnert etwas an Ortelius 1571 nr. 51, vor allem der Küstenverlauf von NO-SW.
Im N bis Biblus, bis HEHMON MONS und ARABIAE FELICIS PARS, 8 bis
Sinaibalbinsel, W bis zum (Os) SEBENITICVM des NUs. Flüsse, Bergereihen,
Ht&dteansicbten , Bäume, Tiere, Heerhaufen der Israeliten, gewelltes Meer mit
einem Schiff. Rechtw. Plattk. ; Gradangaben am Rande. Unten und oben (61^5')
Oa'^-TOo, 10 = 62,6""; links und rechts (290)80^-34«, V = 71,5"«. Oben vor
der Küste von Sidon eine 48trahlige Kompaßrose mit Angabe der Mißweisung.
Unten MeilenmaßsUb, MILLIARIA || GERMANICA 3, 6, 9 . . . 30, || ITALICA
«, 12, 18 ... . 120, 126. 80 M. G. = 120 M. It. = 161""; 14, resp. 56 = P.
Sidon- Gaia noua (260^") = 210""; 8.-Tiberia8(89''") = 82""; Joppe— Jeru-
salem (66k«) s= 66"".
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 35
Anderes Exempl. : Lafreri nr. 96. — ßr. Mus. II 3146, Pa-
lestinae, sive Terrae Sanctae descriptio. Apud J. Franciscium,
vulgo Della Gatta : Romae, 1557.
48. Nicollo del dolfinatto, Atlantischer Ocean, 1560 , ca.
1 : 39V« MiU.
Nach N orientiert. 347 x 228(230)mni. Unten rechts: opera
di BQ^ nicollo del dolfinatto || cosmographo del xpanissimo Re.
Oben links: IN VENETIA per Gio . Francs Camocio || M^D^
LX 4 n Nauigationi dil mondo nono. Am rechten Rande unter
dem Aequator: Paulo di forlani da Verona Fecit.
Atlantischer Ocean mit Küstenländern. Südamerika bis 15^ S, Centralamerika,
Ostküste Ton Nordamerika, Nordwestafrika, West- und Mitteleuropa, QroBbritan-
nien. Rechtw. Plattk. ; Gradangaben am Rande. Unten und oben (243<^) 250^ 0—
42*> O, 5® = 10,5—11"«»; Hnks und rechts 16« S — 65« N, 5« = 14«Dm Der
Aequator ist breit unter 2^2^ ^ ausgezogen. KompaBrosen. Oben links ein Mei-
lenmaßstab, ohne Inschrift, in 5 große Teile, zu 4 Unterabteilungen, mit den
Zahlen C,CC, . . . V, = 86°»"", 162\/2 = 10«. Faial— Cuba (5660"^™) = 155"»"».
Das Original ist wohl die Karte in L'art. de naviguer de Maistre Pierre de Me-
dine, Lyon 1554. Vgl. Hantzsch, Landkartenbestände nr. 282.
Anderes Exempl. : Br. Mus. I 1061 , Navigationes dil mondo
novo . . . opera di N. del D. etc. 1560.
Vgl. I. Ber. nr. 67, 77.
PubL: Periplus, Taf. XXVH (etwas kleiner). Vgl. dazu Text
p. 183, nr. 172.
49. Paulo di Forlani, Südamerika, o. J.; ca. 1 : 20 Mill.
Nach N orientiert. 353(365) X 509,5"°^. Oben in verziertem
Rahmen: AI Molto Mag«? Sig*.' Q-io : Pietro Contarini del || Cl"«Sig«'
Bemardo Sig«.' et patron mio sempre oss?' || Le molte et infinite
cortesiei • Di • V • M • prontissimo Seruitore || Paulo di
Forlani da Verona. || LA. DESCRITTIONE. || DI TVTTO. IL.
PERV.
Südamerika, im S ein Stück TERRA DEL FVOGO, N der östliche Teil von
Centralamerika, und am oberen Rande ragt noch hervor: PARTE DE FL||0-
RIDA. Flüsse, sehr viel Berge, Ortsvignetten. Trapezf. Proj.; Gradangaben am
Rande. Unten (115«) 113« W— 11« (12«) 0, aber beim Nullmeridian beginnt die
Z&hlung nach und W mit 2, während sonst die Meridiane von 8 : 3 numeriert
sind; 3« = 8«™, 30« = 82«". Am Aequator 83« W — 20«(17«) W, von 3 : 3«
numeriert, 1 : 1« eingeteUt, 1« = 5,5»", 10« = 55,5"". Oben (91«) 89« W —
14«(I1«)W, 3« = 13,5"", 30« = 137"". Die Breiten sind nur links angegeben,
59« S — 33« N, von 1 : 1« numeriert, 1« = 5,6"", 10« = 56"". Aequator und
Wendekreise, sowie 17« W und 83« W sind ausgezogen. 32strahlige Kompaßrose
im SW. Ohne Meilenmaßstab.
Anderes Exempl. : Lafreri nr. 102. — Br. Mus., I 1474, La
Descrittione di tutto il Peru . . . di P . di F . [1560?].
3*
36 W. Rüge,
Publ. : F. A. 127 nr. 80.
Litt. : S. Rüge, Peterm. Mitt. Erg.-H. 106, 83.
50. Leeres Blatt.
51. Anonymus, BOLOGNA IN FRANCLA. Ansicht.
62. „ CHALES (Calais). 1668. Ansicht.
63. „ GVINES (bei Calais). Ansicht.
54. „ S.QVINTIN0.1667. Ansicht.
55. Ant(onia8) Sal(amanoa), 1632. üebersicht ftber den
Kriegsschauplatz in Ungarn und Oesterreich vom Feldzag Karls Y.
gegen Soliman.
56. Leeres Blatt.
57. Anonymus, NIZZA, 1644.
58. „ Ostia und Porto, 1567 = I. Ber. nr. 67, 46.
69. Sebastianus, VICOVARO, 1557.
60. Anonymus, CIVITELLA. Plan.
61. A(ntonius) S(alamanoa), ALGERI, 1641. Vgl. I. Ber.
nr. 67, 68.
62. Anonymus, Tonis, 1635.
63. , Insel Gerbi, o. J. = I. Ber. nr. 67, 71.
64. Anonymus, Tripoli = I. Ber. nr. 67, 72.
66. „ Gerbi, 1660.
66. „ Antwerpen, Ansicht.
67. Fabius Licinius, Antwerpen.
68. A(ntonius) S(alamanca), Mirandola. Mittelding zwi-
schen Plan, Karte, Ansicht.
69. Anonymus, Genua.
70. S(tefano) duperac, HIEßVSALEM.
71. Sstefano (!) d'perac, LA • FESTA • DI • || TESTACCIO •
FATTA • II • IN • ROMA • 1531.
72. 73. Fehlen. 74. Leeres Blatt
III. Qloben.
30. Johannes Schöner, Globus, (1616) « I. Ber. nr. 68.
Frankfurt a./M., Historisches Museum des Stadt. Archivs.
Stellenweise beschädigt.
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bibliotheken. 37
31. Anonymus, Globassegmente , (nach 1638); ca. 1 :
148 Mill.
Kupferstich auf Papier, 12 Segmente nebeneinander za 30^.
Länge des Aequators 272""», Entfernung von Pol zu Pol 134"°".
Ohne Verfasser und Jahr. Im linken Randsegment ein leeres
Schild.
Die Zeichnung stimmt fast genau überein mit der Mercatorkarte von 1538
(F. A. KL III), Ein den Nordpol bedeckender Continent geht breit vom asiatisch-
europäischen Grenzgebiet aus. Asien zeigt im S vier Halbinseln mit dem Sinus
Qangetius und Sinus Sinarum zwischen den beiden östlichsten. In Nordamerika
steht : Baccalearü || regio. Femer : Deuicta ann || 1530 || Hispania maior. An der
Westküste: Hispania nova. Im Meer zwischen Asien und Amerika unter 255*^ die
Insel Sipannge. Im Atlantischen Ocean: ^Insu 6 ciuita||tum. In Südamerika an
der Nordküste Lacus || pop ; südl. von 0<* Peru || Prou[incia]. Ferner : Noua Terra
in B Venta anno 1492 || — Canibales— Tropophagi ; im östl. Yorsprung Bresilia; im
S Gigantum II regio. Ueber ganz Südamerika verteilt AMERICA. Im Innern der
Festländer sind Bergreihen und Flüsse gezeichnet, im fein punktierten Meer
Schiffe und Ungeheuer. Die Breitenkreise ßind von 10 : 10^ gezeichnet und am
äußeren Rande des rechten Segments von 2 : 2^ markiert, 10*» = 7™™ ; die Län-
genkreise von 15 : 15® gezeichnet, aber von 10: 10** numeriert, 15** =» 11,25"™
der Aequator ist von 2 : 2** eingeteilt. Ohne Meilenmaßstab, Die Uebereinstim-
mung mit der Mercatorkarte verweist die Segmente in die Zeit nach 1538, ein
terminus ante quem läßt sich nicht bestimmen, da sich diese Zeichnung lange ge-
halten hat, so z. B. noch auf der Globusuhr von G. Roll und J. Reinhold 1586
und der Horizontalsonnenuhr von Tobias Volchkmer 1589, die beide im Mathem.-
physik. Salon in Dresden sind.
Darmstadt, öroßherzogl. Hofbibl. G 270/BOO fol. Nach einer
Bemerkung im Katalog der Bibliothek hat Nordenskiöld die Seg-
mente für die englische Ausgabe des F. A. aufnehmen lassen, aber
dort findet sich keine Reproduktion.
32. Caspar Vopelleus, Globus, 1542; ca. 1 : 44 Mill.
Druck auf Papier, 12 Segmente zu 30^ Umfang 919°"-
Nordlich von Südamerika in einem von zwei Löwen überragten
Rahmen: CASPAR. VO|[PELLEVS. MEDEBACH || GEOGRA-
PHICAM SPBLE(1)|| RAM HANG FACIEBAT || COLONLEA 1642^
OestUch von Afrika in ebensolchem Rahmen : NOVA & INTE||GRA
VNIVERJISI ORBIS DESCRIl|PTIO.
Asien und Nordamerika hängen breit zusammen, der nördlichste Punkt der
Verbindung ca. 18<> N. In Südamerika steht : AMERICA || inuenta 1497 und :
NOVA TERRA. An der Westküste endigen die Xamen mit Cattigora pro unter
10** S. Im Innern das Beuteltier gezeichnet (vgl. nr. 34). Um den Südpol herum
eine große TERRA AVSTRALIS || recenter inuente sed nondum ple^|ne cognita
Anno. 1499. Die REGIO PATAI^IS zwischen 265 und 210<>, sowie 170 und 105<» reicht
bis ca. 27« S. Asien hat drei Halbinseln, die östlichste INDIA alta || & maior (Hin-
terindien) hat eine ähnliche Gestalt wie Vorderindien. Land und Meer sind leicht
38 W. Rüge,
getönt, nur der Südkontinent, Europa und viele Inseln sind dunkel. Im Innern
Pltisse, Gebirge, Namen, Schiffe und Seeungeheuer. Auf dem Aequator sind 360^
von 0—360 1 : V eingeteilt, von 15 : 15*» ausgezogen und numeriert, 15<» = 38o»in ;
die Breitenkreise auf dem Nullmeridian 1 : V eingeteilt, 10 : 10<> ausgezogen und
numeriert ; 10^ = 25a>in. Außerdem sind dort noch die Tagesl&ngen und Kli-
mate angegeben. Ohne MeilenmaBstab.
Cöln, Historisches Maseum in der Eigelsteiner Thorburg.
Ohne Gestell, im ganzen gut gehalten, nur am Nord- und Südpol,
wo der Globus ursprünglich befestigt gewesen ist, sind jetzt
Löcher. Einige Teile, besonders die dunkel gefärbten, sind schwer
erkennbar.
Publ.: Michow, Festschr. d. Hamburg- Amerika-Feier 1892,
Taf. I. n (teüweise).
33. Ghristianus Heiden, Globus, ca. 1560; circa 1 r
186 MiU.
Eingraviert auf einer vergoldeten Broncekugel, deren beide
Hälften durch Scharniere mit einander verbunden sind. Im In-
nern der Hohlkugel ist ein Himmelsglobus angebracht, umfang
der Erdkugel 216"™. Auf dem außen herumgehenden Meridian-
ring steht: CHRISTIANVS HEIDEN F.
Asien und Amerika hängen zosammen, die Küste erreicht unter 190^ mit
23Vt^^ ihren nördlichsten Punkt. Die pacifische Küste von Centralamerika reicht
unter 225—2350 bis 6^ S und 250— 255<> bis 2« S. In Centralamerika steht
PARIAS, in Südamerika AMERICA. Für Nordamerika kein einheitlicher Name.
Im NO Bachaleos, östlich anschließend Gronlandia, laponia und weiterhin Ver-
bindung mit Asien, sodaB also das Polarmeer geschlossen ist. England und
Schottland getrennt. Spanien, Italien zeigen ptolemäischen Einfluß. Vom Asow-
schen Meer breiter Fluß oder schmaler Meeresarm nach der Ostsee, östlich von
Liuonia. Straße von Gibraltar ca. 10^ 0, Küste von Palästina ca. 72^ West-
küste von Vorderindien ca. 115^, Hinterindien, das einigermaßen erkennbar ist,
zwischen 156 und 180^. Der Südkontioent reicht unter 360^ bis 52^ S. In einem
großen Vorsprung, der von 105®— 195<> und bis 23 \/ S reicht, steht BRAS-
SI|ILIA, jenseits eines tief einschneidenden Meerbusens läuft die REGIO PA-
TA ||LIS zwischen 210 und 255^ bis ca. 23\,<' S. Oestlich davon das Mare
congelatum. Die Innenzeichnung gibt Flüsse, Hügelreihen, Ländernamen, und in
Europa und Asien einige Städtenamen. Das Meer ist wellenförmig, mit einigen
Schiffen und Ungeheuern. Die Breitenkreise sind von 10 : 10® = ca. 6'''''', die
Längen von 15 : 15® = ca. 9°*°^ gezogen. Im Innern der Kugel ist ein Ka-
lender eingraviert für die Zeit von 1560 — 1587, danach kann man die Abfassung
ungefähr auf 1560 ansetzen.
Dresden, Mathem.-physik. Salon C. 182.
Litt. : Drechsler , Mittheilangen über die Sammlangen des
Kgl. mathem.-phy8ik. Salons zu Dresden. Dresden 1873, 27. 29. —
Wieser, Magalh&es-Straße, Innsbruck 1881, 70.
#k
Aelteres kartographisches Material in deutschen Bihliotheken. 39
34. Johannes Praetorius, Globus, 1568 ; ca. 1 : 45»/* Mill.
Eingraviert in vergoldete Bronce. Der Horizontalring, der
um den Grlobus herumläuft, ruht auf einem verzierten, aus drei
Sirenen gebildeten Messinggestell. Umfang 876"*°. Auf der süd-
lichen Halbkugel steht zwischen 130 und 150® in stark ver-
ziertem Rahmen : JOHANNES || PRAETORIVS || lOACHIMIC VS ||
Norinbergae F. || Darunter in Bandornament 1568.^
Asien und Amerika hängen zusammen, Scheitelstrecke der Küste zwischen
180 und 200^ unter ca. 18^ N. Die padfische Küste von Centrahunerika sen-
det keine Halbinseln über den Aeqnator nach S , wie es in nr. SS der Fall ist.
In Centralamerika PARIAS. In Nordamerika unter 40<> N ASIA y ORIENtalis,
unter 23»/»^ N HISPANIA NOVA. Die BACCALEARVM R. läuft unter S37<»
und 60^ N im C. rasü aus. GRÖNLAND ist Insel. Engroneland Halbinsel nörd-
lich von Skandinavien. Umrisse von Europa teilweise etwas roh. Boemia von
Bergen umrahmt. Die (unbenannte) Spree fließt in die Ostsee. Straße von
Gibraltar 12<> 0, Küste von Palästina 66^ Westküste von Vorderindien 116— 117^
Hinterindien ganz unkenntlich. In Südamerika AMERICA || INVENTA 1497. Im
NO zwischen Monte fregoso und Porto real BRASILIA. Der Amazonenstrom
geht in breiten Windungen südlich des Aequators. Im Innern das Beuteltier ge-
zeichnet, das auf der Carta marina Waldseemüllers von 1516 zum ersten Male
erscheint, (Ratzeigedenkschrift 816), nach links schreitend. Darunter Cusco. Der
La Plata riesig breit bis 15^ S. Der Südpolarkontinent reicht unter 860® bis
60« S. unter 80-90o und 50-60« S P8ITAC0RVM || TERRA. Zwischen 90
und 190« Vorsprung nach N, der fast bis 23V2° S reicht. Darin unter 80« S
BRASIELUE REGIO. Dann östlich davon REGIO PATALIS bis 255«0 und
25« S, zwischen beiden ein tief einschneidender Vorsprung. Unten 66 Vi^ S und
190-250« AVSTRALIS TERRA || NONDVM PLENE COGNITA. Die Innen-
zeichnung der Continente gibt Flüsse, Hügelreihen, Länder- und Städtenamen.
Das Meer ist schraffiert, mit viel Schiffen und Ungeheuern. Längen- und Brei-
tenkreise von 10 : 10«, 10« = 24,25™™. Am Aequator sind alle Längen-, und
am 360. Meridian alle Breitenkreise markiert.
Dresden, Mathem.-pliy8ik. Salon C. 194.
Litt. : Drechsler, Mitteil, über die Sammlangen des £gl. Ma-
them.-physik, Salons zu Dresden. Dresden 1873. 27. 29. — Wie-
ser, Magalhäes-Strasse, Innsbruck 1881, 70. — Hantzsch, Land-
kartenbestände nr. 8.
Ein Bruchstück des Philochoros.
Von
B. Beitzenstein (Straßbarg i. E.).
Vorgelegt in der Sitzung vom 17. Februar 1906.
In einem von Valentin Rose entdeckten nenen Bruchstücke
des Lexikons des Pbotios, dessen Heransgabe er mir zu übertragen
die Güte hatte, ist unter dem Lemma 'A\LfifG^y ein Fragment des
Philochoros (170), das Athenaios (XIV 645a) nur dem Inhalte nach
bietet, in vollem Wortlaute erhalten und dem Werke icepl i^(up&v
zugewiesen. Da sich die mancherlei Folgerungen nicht in dem
kurzen Apparat einer editio princeps^) ziehen lassen, sei es gestattet,
das kurze Stück hier etwas eingehender zu besprechen.
Die Vorstellungen, die man sich bisher von dem genannten
Werke des Philochoros machte, scheinen durch die Zufallsfügung
beeinflußt, daß der größere Teil der Fragmente dem Kommentar
des Proklos zu dem Schluß der TEpifa xal iQ|iipat entstammt, also
einer Besprechung der Monats tage nach ihrem sakralen Cha-
rakter. Proklos, der in diesem Teil besonders stark von Plutarch
abhängig ist, wird ihm auch diese Angaben verdanken, Plutarch
aber fand die Lehre des Philochoros schon mit der eines anderen
„Exegeten" verbunden (vgl. unten Fr. 5); sein Zeugnis wird, wo
es den Angaben der Grammatiker widerspricht, weniger Gewicht
haben.
Fr. 1. Eine Buchzahl bietet das Scholion zu Piatos Apologie
19c: ol Y&p Tstp48t ']f6vv<i>{i.6vot icovouvtec £XXoic xapwoöadat icap^xoootv,
<t>C xal ^iXö^opoc ^v r{] icpcbng icepl i^iupcov lotopet * ta&tiQ hh xal ^Hpa-
xXi) ^aot ifevvY]*1Jvat. Hiermit verbindet sich Photios: TetpdSt ^i-
Yovoc* iffl TÄv äXXotc icovo6vTCDV. xal ifap töv ^HpaxXda tetpASt ifevvT]-
1) Die Aasgabe (nach cod. Berol, graec. od, 22) wird demnächst im Verlag
von Teabner erscheinen.
R. Reitzenstein, ein BruchBtück des Philochoros. 41
d^vra E&poodei toXaticcopi^oat. ^iXdxopoc S* a&rj]v xal hd ^Ep[uob 86-
voodat X^eodat, Statedetodat 8^ 'HpaxXel rJjv i^fiipav, Iv Ta6nQ elc
d€o&c iLeraoxdvTt. Der Schluß scheint verkürzt. Pausanias, den wir
nach Wentzels Untersuchungen (vgl. Nachr. d. Ges. d. Wiss. zu
Göttingen 1896 S. 309 ff.) mit einiger Wahrscheinlichkeit als Quelle
des Photios betrachten dürfen '), fand bei Philochoros Aehnliches
wie bei andern Parömiographen, trug aber aus ihm nach, daß
der Tag auch als dem Hermes heilig gelten könnte; zu seiner
parömiographischen Quelle zurückkehrend, fügte er hinzu, daß
einige die ,,Geburt^ des Herakles auf die Geburt als Gott, d. h.
auf die Apotheose, bezogen hätten*).
Fr. 8. Schol. Od. 20,156: die Ivtj xal vda halten einige für ein
Fest aller Götter toö S" 'AäöXXcdvoc tabnjv elvat vojttCetv i^{i.dpav (to&c
'A*7]vaiooc) elTtÖTCöc, tö icpc&tov cpwc tcp alzmx&xt^ tod icopöc (^cötöc?)...
IxdXoov te a&TÖv N60(ii^vtov. i^ latopla icapa OiXoxöpcp.
Beide Fragmente verbindet Proklos zu Hes. 768 ^tXöxopo? 8k
h T(p «epl i^itspcdv 'HXtoo xal ' A« öXXwvoc ') Xl^st a&rijv (t-^v Ivtjv xal
vdav). 1^ Sk zBzApvq ^HpaxXiooc xal 'Ep{i.oö iattv. i^ S& IßSöitT) 'AicdXXo)-
voc* iv a&rg ifap it^dij, 8tö xal lircdtovoc aötoö i^ xtddpa. i^ tetpoc
'HpaxXdooc* iv a&rg ^ap it^^Yj, xal XI7011.8V Zxi 'tsTpdSt xoopoc iTfsvto
xal oßicote ÄÄifxaxoc Satat'.
Fr, 3* Das nächste Fragment ist nur durch eine bis zur
Sinnlosigkeit entstellte und verstümmelte Angabe des Proklos er-
halten (zu Hes. 778): lotdjtevov jtfjva lax; elxdSoc IXs^ov, jteta Sk
tODto 9cp(bry]v ^dtvovtoc» SeoTdpav ^dlvovtoc. ^iXö^opoc S& icdoac tac
tpeic lepac X^et tfjc 'Adtjvac. Worauf das Fragment sich bezieht,
zeigt Photios Tpttoifdveta und Schol. B zur H. 8,39: ^ 8« tplriQ
y*lvovtoc St^x^ und Tf) 8tt icapa Tpttcovt tcp icoTa{i.(p AtßÖYj? lifSVVTfjftY]
('S) 8ti tpitiQ) ^dlvovToc, a)C xal 'AdTjvatot a^oDoiv. Also fand
Proklos, der nach jungem Brauch von der elxdc weitererzählt
Kpobrv] ydtvovToc, Seordpa ^fttvovtoc, tpltY] ydlvovtoc und zunächst
1) Vgl. Enstatb. 1358,5 dvccxeixai U auxcj) (dem Hermes) xal <«; S^x^ 'J/'^you,
9aa{, Trrpa7(K>v({> 1^ Terprfc, dfXXov Tp'5;:ov f^rep xqi *HpaxXeI, 1? ou Tiapoi'Ji^a tä iv TttprfSi
Y^ovac, ^yoüv Iv drocppiSc i^^fiip^, ir.ii xal * HpaxX^c Iv 'coia6TTj yevvijÖtlc xaxov 5t/^dX«
ß(ov. Das Sprichwort ist hier aas der Erinnerong, dagegen 1534,34 aus der
Quelle erklärt : SoxeT yotp ifj Trrpa« Ix**"^ "^^ ßap^Ttjxoc, cbc V) xaxa tov * HpaxX^a laxopfa
^TjXol. 8c 4(^^P? xtxflfpxTQ Yfwr^i^elc Suaxu*/))« aTr^ßr). ^dtv xal Tiapoefjiia x6 xtxpcf^i yiyova,
f joüv lx£pou iiovÄ • ol ydp iv xauxiQ, tpaa{, x J f/p-^p? YfYOvixe«, die * HpaxX^; laxopcixai,
pVXou SoxoOcft xaXa(iru)ptTv.
2) Vgl. Miller Melanges 866 (paal U, Zzi xal xexpoESt ^oc <vo{ji{a0T).
3) Proklos ließ sich dadurch irre führen, daß Philochoros Apollon als
Sonnengott erklärt hatte.
42 ^ Reitzenstein,
nur die Einteilmig des Monats erklären will, zur tpltifj ^^tvovtoc
(freilich nach altem und echtem Sprachgebrauch) die Bemerkung,
daß dieser Tag der Athene heilig sei, Philochoros aber icdaac ta?
Tpt48ac (bezw. tac tpkac) lepac Xl^et tijc 'Adtjvdc. Das erklärt sich,
sobald wir auf Harpokration blicken: Tptto|i.Y]v{c • AoxoöpYoc Iv tip
icspl Ispetac. t^]v tpttYiv toö (jltjvöc TptTO|i.Y]vtSa IxdXoov, Soxei S& ^e-
viftXtoc tfj? 'A*T]vdc. ^aTpoc S^ xal tpitoY^vstav a&n^v ^Tjot 8ta
TOÖTO Xfrjfsoftat, rJiv a&rijv SsXtjviQ (codd. osXtJvtjv) vo{uCo(x.^t]v. Wer
hiernach annehmen will, daß Philochoros auch dem Apollo und
Hermes (bezw. Herakles) je drei Tage des Monats zuschrieb, wird
schwerlich widerlegt werden können.
Fr. 4. In die Besprechung der Zahl Drei, die hierbei nötig
war, gehört wahrscheinlich das vermutlich aas Pausanias ent-
nommene Fragment bei Photios Tpttoc xpaTijp • At&c teXeCoo acoT^poc '
«pÄTOc Tfap tdXetoc ipt^öc 6 tpta, 8u ^bi apx'^v xal tiXoc xal (liaov
(jiioa cod.), &c OtXöxopoc ^v tcp ^cepl i^(t6pd^v. Die Worte des Philo-
dioros sind voller erhalten im Scholion zu Piatos Charm. 167a:
TÖ tpltov T(p Oö)tf)pt • iid Töv TsXslcoc ti TcoiobvTcov. tdc ifap tpltac otcov-
8ac xal TÖv tpltov xpatf)pa Jxtpvcöv tcp Att tip oa>tf)pL TdXeioc T^^P
6 Tpta ipidfiöc, iiceiS'J) xal ipx'^^ *«l (jl^ogv xal TdXocSxst
xal icpcbTOc o5toc td^v &ptd(töov ipttoir^ptttoc*
Fr. 5. Die bisherigen Angaben gelten für alle Monate. Da-
gegen scheint das nächste nur von Proklos erhaltene Fragment
mit Recht von A. Mommsen (Feste der Stadt Athen im Altertum
486,3) nur mit den Kallynterien am 19. Thargelion verbunden:
Proklos zu Hes. 808: rf]v IvvsaxatSsxdtifjv &c xal rJiv öxtcoxatSexdtiQv
ta «dtpta zm 'Adijvaicöv xadap(toic iico8l8ö)Ot xal aicotpoicalc, &c OtXö-
XOpoc Xl^et xal 'Aptfotepöc*) ifiTjTTjtal mv icatplcov $v8psc.
Fr. 6. Weist dies auf eine Besprechung des ganzen Jahres,
so noch mehr eine von Photios*) "AXxoovlStc i^(iipat erhaltene An-
gabe, daß Philochoros deren Zahl auf Neun bezifferte. Ein an-
deres Werk des Philochoros, auf welches wir diese Angabe be-
ziehen könnten, wird sich kaum erweisen lassen, und Pausanias,
dem sie entlehnt ist, benutzt die Schrift icspl i^|upd^v. Dagegen
wird die in den Pindarscholien (zu Nem. 3,1) erhaltene Angabe
des Philochoros, die Athener hätten den ganzen Monat Demetrion
als Fest betrachtet, besser mit den von Athenaios XY697a aus
1) xal ... dlfi^($T(|>oi Siebeiis. t&v TrotTpCuiv '\%r^saiio^ Br. Keil zweifelnd.
2) Vgl. Bekker A. 0. 877,26 und Soidas, aas Pausanias, ygl. fiastath. 776,33,
Schwabe p. 101.
ein Rrachstück des Philochoros.
43
der Attbis berichteten Ehrungen des Demetrios verbanden; für
die Rekonstruktion nnseres Baches scheidet sie aas.
Fr. 7. Das neae Brachstück, welches dessen Charakter am
klarsten erkennen läßt, lantet:
Photios a. d. W.
xol *Apxi^iSi ^epd(t6V0C9 So^Sla iv
xöxXcp icepixatöfisva ^) Sx<dv.
^iXö^opoc äv T^ «epl i^i^epcdv:
IxtiQ*) iicl 86xa: xal todc xoXoo-
(livooc S& vov dt(i^t^VTac tabtiQ
rg i^iiip(f lyö{i.iaav ol ip^aiot tpi-
petv filc ta Upa rjj 'Apt^jitSt xal
Itt sie*) tac tptöSooc. tabtig ifAp
<30|tßaiv6t lirtxataXaiißdveodai^) rijv
osXi^vTjv l«l^ täte Soofialc oäö tijc
avatoXi^c toö i^XCoo.
Athenaios XIV 64Ba.
'A(i^tf 6^v • icXaxoöc 'AptdjttSt
dvax8((i.6V0Cf ^6t S* Iv x&xX(|> xaö*
(uva S(fSta.
<I>iXiij(ta)v Iv nTOxtl ^ To8£flt*
''Aptejit, ^CXt] S^OTCotva, toötöv aoi
^dpa>, & 9cötvi\ &(tfi96ÄVTa xal
oirovSii^at|ia. p.V7](i.ov6&st a&toö xal
AlytXcx; iv 'Exdra*).
^tXöxopoc 8*
&(i^t9d>VTa a&TÖv xX^j^f^ai xal
sie ta tijc 'ApTdjttSoc iepÄ ^dpe-
o^at Stt TS xal sie tac tpiöSooc*
iicel iv ixslvQ rj i^|iip(f licixata-
Xa(i.ßdv6tai i^ ceXiJvY] licl talc So-
0|taiC o«ö tijc toö i^Xloo ivatoXiJc
xal 6 o&pav6c ift^if ü)c Ttvs-
tat.
Das Verhältnis beider Aatoren zn einander ist ähnlich wie
z.B.:
Photios a. d. W,
'Avti^ovlc* IloX^ticov 4v c' töv
«pöc 'AvtiYovov. oStcoc ^aolv 6vo-
|iaodf}vai £x9ca)|ia iicö 'Avti^övoo
too ßaaiX^coc, xaddicep &9c6 £sXe&-
xoo HsXsDxlSa xal inb IIpoooloD
IlpoooiSa ').
1) 7cep(xc{fxeva cod.
2) Das Zitat erkl&rt, warum im Eingang bei Photios auch Hekate er-
wähnt ist.
3) Sc cod.
4) iTi eis] ln\ cod,
5) ircptxaToXafjLßcSvcadac cod.
6) icp<k cod.
7) Die falsche Form stand schon in der Photios und Athenaios gemein-
samen Quelle.
Athen. XI783e.
' Avttifovlc ' 5x7Cö)|ia iirö toö ßa-
aiXdcoc 'Avti^övoo, &c ^^ö £6X66-
xoD £6X6oxl(; xal inb npooaloo
npooolc.
44 R- Reitzenstein,
Vergleicht man hiermit Athen. XI 497 f.: leXeoxic* 8ti inb
ZeXebxoo toö ßaotX^c t-^v icpoaijYOptav So^ev t6 $xira)|ia icposCpiQTai,
btopoövToc toöTo xal ^AicoXXoScopoo toö 'A^vateo. noXi|uov 8' Iv
9cp<&T(|> TÄv ffp&c 'ASaiov (Fr. 57 Pr.) icon^pta, ^tjot, «apaicXi^oia SeXeoxic»
ToStdc, 'AvTi^ovlc* 80 erkennt man leicht, daß die Photios und
Athenaios gemeinsame Quelle beide Stellen noch im Zusammen-
hang bot; ob das Fragment des Polemon dem ersten oder dem
sechsten Buche angehört, bleibt unentschieden.
Den Namen der gemeinsamen Quelle gibt Photios in folgender
Glosse an: ^'Afi.ßpoTTot xal 'A|jLßp6tTtot iy[lyoi' ol 8h «^pac i«68ooav,
hf* &y ^) ^oxta «^oxev ImicoXfJc. E&pt«C8ooc 84 elicövtoc »ßpoTTÖc(?) Jiirac^
Ttvfec 'C'Jiv TsXeotatav Sta toö t) Ypd^ooatv, o&x dpd^&c» (^c) ttapxopsi
"HpcpSiavöc. 'AptOTOt^XYjc 8i iv tote «epl C4>ö>v (h.a. 4,5) icXsto) t^vt]^)
9T]ol T6bv lx^^^^9 ^^ i^ '^^ iadi(i(t6vov, Iv (p zoL Xe^öiuva u^ä (tsYdXa
Yivetat xal i8(S>8i{i.a 6[i.otaK ^ (teiCovt xal IXdttovt' xal ^ip e&^c Stt
(uxpol Svtsc 8x®^^^ taöta. äXXa Sk Sbo y^vtj tö te täv oicatdif ^cöv ') xal
t&v xaXoo(t§vü>v &{i.ßp&TTO>v ^). Yivovtai 8^ oStoi iceX^Yiot xal oicdvtoi.
97)01 8^ 6 ^Hp(|>8tav6c Stt 'AptotoTdXTjc xal 8ta toö o xal 8tat>XXdßa>c
rJiv Xdfitv «po^dpstaf ßpoooooc ifap aitoöc Xl^et. Man vergleiche hier-
mit Athenaios 11191b: 'AptototdXYjc 8^ ^yjoi täv Ix^^^^ «XeC© Y^vifj
elvat* §v (jL^v t6 lodtö{i.evov, iv (p t& xaXo&(t6vd lottv ^d, SXXa 8& 8&o
TÖ te TÄv aicatdYYCöv xal tö töv xaXoo(t^(i>v ßpooocov. [i.V7]|iOV66ei twv
oicatd^Ycov xal Zco^pcov xal 'AptotoydvTjc ^ ^OXxdtotv xtA. Den
Schluß bietet wieder Photios u. d. W. SicatdtYYaf l^Wsc ttv^c*).
ol 8fe To5c jteif^Aooc ^x^vooc, oßtoc 'AptotoydtvTjc. Beide Glossen
fehlen bei Suidis, beide finden sich verkürzt bei Hesych wieder;
er benutzt, wie sich zeigen wird, durch Diogenian den Pcunphilos,
Photios denselben durch Herodians Vermittelung. Die Schrift
Herodians aber war sachlich, nicht lexikalisch oder rein gramma-
tisch orientiert.
Den Beweis ergänzen zwei in einem Nachtrag neben einander
stehende Glossen des Photios: 'Aft&Xooc xal t6v S{i.oXov iposvtxdic
X^TfODOf (TT]X6xXet8T]c) (Fr. 32) „x^^P^ Xa^cpotc^ hc' iL\ib\ip xadtj-
jiivoic". Stpdrttc KaXXwrf8iQ • „86? vöv töv i[toXov icpcotov aötcp tootovl".
'AptOTO^dvYjc Nijootc' „äjtoXoc, tipt^oc, icodc'), loxd8ec, ^axfj". —
1) «J) cod.
2) Y^ei cod.
3) Traxdywv cod.
4) Lies ßpuaacöv.
5) Bis hierher wohl aus anderer Qaelle.
6) xal fnofokioiz cod.
7) 7101(^5 cod.
ein Bruchstück des Philocboros. 45
'AtiOYSoX-fJ • «eptoicätai tö 8§v8pov, 'AjtoYSdtXYj 8h 6 xapicöc «apoCötovet-
xat. E6«oXtc nöXsatv „&98tX'0 Tdxtvdoc iiro^avelv <&ä'> ip^SoXt)".
'AiLO^SoXa 8^ Jk i^(t6lc t6v xapicöv xal ^p(tticicoc ^op[i.oföpoic (Fr.
63, 20) xal ^tXi5{Mov h M6att8t xal AttptXoc TeXea^ (Fr. 79) ^tpcoYdtXta,
{iopTiSec, icXaxooc. ifh^Saka^. Wieder fehlen beide Glossen bei
Soidas. Bei Athenaios XIV648e finden wir nach einer offenbar
lexikalischen Quelle auf die Frage tlc &(X'&Xoo (iv/jitovsosi die stark
verkürzte Antwort : toö 8h &(t6Xoo {i.v7](i.ov66st TYjXexXetStic iv Steppolc
otmool X^cov „fiXoÄ icXaxoövta dep(töv, &XP^^^^ ^^ fiXob, x^^P^ Xa^cpoic
4x' &|i6X(|> xa*T]|i.dvoic". Der ersten Glosse entspricht in umgekehrter
Ordnung der Anszng ans Athenaios I162e: 8ti xal o&Sstdpcoc dt(t&Y8aXa
Xi^fitau At^iXoc „Tpa>7diXia ^), (toptiSec« icXaxoöc iiio^SaXa". Stt 9C6pl
T^C «poyopÄc TOö TÖvoo tfjc ipT^dtXifjc ndjif iXoc ^hy ifitol ßapovsiv
6(LoUi>^ T(p dt(i.078dX(|>. t6 (livTOt S^Spov ^dXst iceptoicäv, iftoYSoXf] J>c^
po8>J. Unmittelbar vorher wird Herodian zitiert. Ich hatte
schon in meiner Geschichte der griechischen Etymologika (S. 373)
die von Wilamowitz beanstandete Stelle in Schatz genommen and
aaf das Symposion Herodians bezogen. Ich hoffe, die Glosse ""Aii.-
ßpottoi gibt jetzt den Beweis: das Symposion Herodians ist so-
wohl von Athenaios wie auch von Photios benatzt worden*). Es
war ja bis in die Zeiten des „großen Grammatikers" Symeon noch
erhalten (vgl. Gesch. d. griech. Etym. 371), der seinerseits, wie
ich jetzt hinzufügen kann, das Lexikon des Photios benutzte. Wir
dürfen hoffen, durch planmäßige Yergleichang der beiden abhän-
gigen Werke nicht unbeträchtliche Reste dieser im Wesentlichen
atticistischen Schrift zurückzugewinnen.
1) i^Ckv* u^xtvdot cod.
2) So GE. Mit Unrecht setzt, wie Photios zeigt, Kaibel aus XIV 640d Tpc^fTjfxa
ein, wenn auch Diphilos so geschrieben haben mag.
3) Kai C 84 E, verb. v. Kaibel.
4) Freilich nicht von Photios allein, sondern ebenso schon von seiner Haupt-
qaelle, der großen Sammlang, welche außer ihm noch Soidas and der Verfasser
des VL Lexikons Bekkers benutzen. Es steht genaa so mit Herodian wie z. B.
mit Phrynichos, der in den Zusätzen des Photios nicht minder stark wie in der
HaaptqueUe erscheint. Die Berührungen mit Athenaios sind bald so eng, wie
z.B. in der Glosse 'AyxuXrj (Nacbr. d. Ges. d. Wiss. Gott. 1896 8.320,23 =
Athen. XI 782de, von Wentzel yerkannt), bald so frei wie in der Glosse 'AxoXVJ^t)
(= Bekker An. Qr. 370,18, Suidas == Athen. III 90a). Ihre Gesamtheit weist
zwingend auf die Benutzung eines sachlich geordneten Symposions. Gewiß ver-
raten sich die Herodian entlehnten Sätze sowohl bei Athenaios (II52e) wie bei
Photios (u. d. W. 'AfjLßpuTToi) als billige ZufUgungen zu einem schon von andern
gesammelten Stoff. Aber weil sie bei beiden Autoren begegnen, müssen wir sie
fiir die gemeinsame Quelle, also für jenes Symposion in Anspruch nehmen. Auch
Herodian hat nur wenig Eigenes zu dem tralaticischen Gut hinzugefügt.
46 ^' Reitzenstein,
Ich kehre endlich zu dem Fragment des Philochoros zurück.
Photios hat dieser von ihm selbständig nachgeschlagenen Nebenquelle
zu Liebe eine entsprechende Bemerkung seiner Hauptquelle unter-
drückt. Sie bietet Suidas in den Glossen 'A(i^t9&v und 'Avdotatot,
die auf Pausanias zurückgehen. Auch er scheint den Philochoros,
freilich wohl nicht unmittelbar, zu benutzen. Der Wortlaut weist
mit ihm kaum noch Berührungen auf, vgl. unter 'Avdtotatot ^) : 61
Sk dt(i^tf (ovtec Yivovtai Moovo^icovoc (t^ivöc Sxtig inl Sdxa, 6t xal sie t6
Moovoxi^c lepöv xf^Q 'Apt^|ii8oc xo(t(CovTat. 6vo{idCovTat Sk &|jLf tf d^vtec
d)c |iiv Ttvec, Stt TÖts ifivovtat, Zxb ^Xtöc ts xal oeXi^vt) icpm bzkp iffjc
f a(vovtat, a>c S^ 'AicoXXöScopoc* Stt xo(tiCo(K3iv a&tooc So^Sla ii^^b^a icept-
in)7v6vtec ^'c' a&twv und 'A(if tf (övtec * icXaxoövtoc stSoc, ofevsc Sif Cvovto,
Ste 6 ^Xtoc xal i^ osXtJvtj «pcat oic^p iffjc yaivovtat. Tf) 5ti ixöjttCov a&toöc
Se^SCa i^jtjiiva iceptmjYvovtec iic' a&toÄv, ßc ^ifjatv 'AicoXXöSwpoc. Als
Ansicht des Pausanias gibt Eustathios bekanntlich 1165,12: xal
Sri ol ^if]^dvTsc a|if if d)Vtec SXXcoc te oota>c ixaXoövto &9c6 i^XCoo xal
asXnJvYjc xal Stört lxö[i.tCov a&tooc SoffiCa i^(i.{i.^a iC6ptin)7v6vTec ^' ait&v.
Der Unterschied ist klar. Pausanias spricht nur von dem
offiziellen Fest und daher nur von dem Heiligtume der Artemis
Munichia, Philochoros nur von dem Privatkult, wie er sich wohl
in ganz Attika vollzog. Dadurch unterschied sich offenbar das
Werk Äspl i^^ftepo^v von dem «epl loptwv, ja vielleicht auch von der
Schrift «spl *oatü)v.
Dennoch werden wir diesen privaten Brauch zeitlich nicht
von dem allgemeinen Feste trennen können; nicht in allen Mo-
naten, sondern nur an der Ixttq inl Sdxa des Munychion wurde das
Opfer der ijiytfÄVTec dargebracht*). Die Ueberschrift Sxrj inl
Sixa erklärt sich sofort, wenn wir an die inschriftlich erhaltenen
Opferkalender einzelner Heiligtümer und Gemeinden denken. Die
Namen der Monate bilden die Hauptüberschriften ; dann folgen als
Untertitel die Angaben der einzelnen Tage. Als Probe wird eine
Stelle aus dem kölschen Opferkalender (Paton-Hicks 37), auf den
mich Er. Keil aufmerksam machte, genügen: Ix dt St* ßoDc 6 xpideU
d&etat ZtjvI IIoXtTjt . ,, za^ ahzö^ &^ip(H' 'A^avaiof IloXtbtSt olc xodoooa^.
Dem würde entsprechen rj a&rg i^(iipG(' 'AptdjttSt &(i^t7<ovTec* Die
1) Nor den Anfang der sehr langen Glosse hat Photios ans der gemeinsamen
Quelle in sein Lexikon ühemommen.
2) Freilich scheint es nach den Worten des Philochoros später an mehreren
Tagen dieses Monats dargebracht.
3) Etwas anders angelegt ist der Opferkalender der attischen Tetrapolis
(Prott-Ziehen Leges Oraecorum sacrae p. 46), auf den mich ebenfaUs Br. Keü
aufmerksam machte. Da er der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts angehört,
ein Bruchstück des Philochoros. 47
Worte des Philochoros zeigen nur eine leichte literarische XJm-
gestaltung; man erkennt wie diese archaisierende nnd erklärende
Kalender-Literatur aus der Inschrift hervorwächst. Etwas jünger
mag der Versuch des Simmias von Rhodos sein, den dorischen
Elalender in poetischer Form und mit ähnlichen Erklärungen zu
bieten. Als Titel wählte er bekanntlich MtJvsc. Die hellenistische
Literatur wächst hier aus der attischen, die poetische aus der
prosaischen hervor.
Die in jedem Monat wiederkehrenden heiligen oder doch be-
deutungsvollen Tage müssen in einem solchen Werk bei dem
ersten Monat besprochen werden; es ist nur natürlich, wenn
Philochoros die Bedeatung der tstpdc im ersten Buche auseinander
setzte (Fr. 1). Genau so verfährt ja Verrius in den Fasli Prae--
nestinij an die wohl jeder Leser schon gedacht hat; auch er wird
in der Buchausgabe, die ich mit Mommsen annehme, weit mehr
auf das Privatleben eingegangen sein, als in der offiziellen In-
schrift. Den Beweis bietet Ovid. Daß wir den Zusammenhang
dieser römischen Kalenderliteratur mit der griechischen jetzt einiger-
maßen erkennen, scheint mir der Hauptgewinn aus dem neuen
Philochoros-Fragment.
Eine Einzelheit, welche vielleicht beleuchtet, wie die ganze
Technik der Erklärung von dem griechischen Vorbild mitbeeinflußt
ist, sei es erlaubt, herauszugreifen, um ein vernachlässigtes Frag-
ment des Varro dabei zu erläutern, welches sich bei Johannes
Lydus de mens, IV 2 (p. 64,18 Wünsch) findet: 6 8h Bdppa>v iv rg
TsoaapeoxatSsxdtig xm dstcöv icpa^jidttcöv yifjalv aötöv (den Janus) «apa
Oo&oxotc o&pavöv Xl^eodat xal Scpopov irdoTjc irpdSeox;, xal UoicdlviDva
StA zb Iv täte xaXdvSatc iva^ ^peo^at icönaya. Den lateinischen Neunen
hat Agaid (Jahrbb. f. Phil. u. Paed. Supplem. XXIV 120) richtig
erkannt; er kann, da das icöicavov des Janus den Namen lanual
führt, nur lanualis sein. Die Verwendung des Namens zeigt Ovid
Fast. 1,125:
praesldeo foribus caeli cum mitibus Horis^
it redit officio luppiter ipse meo,
inde vocor lanus, cui cum Ceriale sacerdos
imponit lihum^) farraque mixta scde,
nomina ridebis^ modo namque Patulcius idem
et modo sacrifico Clusius ore vocor.
hilft er weDigstens die Existenz derartiger Inschriften in der Zeit vor Philochoros
bezeugen.
1) Also das ianual.
48 R- Reitzen stein, ein Bruchstück des Philochoros.
Die Gtebetsformel bei diesem ersten Opfer war also (lane) Ja-
vualis Patulci Clusi. Hierfür spricht auch Verrius, der in den
Fasti Praenesfini den Monatsnamen lanuarius von dem Beinamen
des Oottes lantMlis ableitet : — (appeUa()ur in Latio — {saer%f%c)at
libo, quod (ianual vocatur). Weil die griechischen Exegeten den
runden Opferkucben mit dem Himmel verglichen, war Varro fiber-
zeugt, daß sich selbst in der durchsichtigen Formel lanualis Por
tulci Clusi das erste Wort nur auf den Himmel und sein Abbild,
den £uchen, beziehen könne. So löste er es von den folgenden,
eng anschließenden Worten los, was Verrius wenigstens nicht
ganz getan hat, wenn er auch die Deutung auf die Himmels-
türen mit annahm. Wie dann Janus als Himmelspfortner dem AU&v
angeglichen ward, muß ich an anderer Stelle auszuführen suchen.
De BciBmate Grandimontanornm
(vier lateinische Bythmen von 1187).
Von
WflkelB Heyer aas Speyer
Professor in GiyttingaL
Yorgdegt in der Sitznng sm 17. Mftn 1906.
Die von Sduneller 1847 herausgegebenen, sogenannten Carmina
Barana, d. h. die aas dem Kloster Benedictbeaem nach M&nchen
gekommene lateinische Handschrift 4660 (13. Jahrh.), enthalten
den reichsten and wichtigsten Schatz mittelalterlicher weltlicher
Lyrik in lateinischer Sprache. Dieses Gold mittelalterlicher Lyrik
ist zar Zeit etwas verdankelt darch den ünfog, welcher seit
Giesebrecht in diesem Literatargebiet mit den ^Vaganten' getrieben
wird: doch jedenfalls bringt ans diese Sammlang viele herrlichen
lyrischen GUdichte in herrlichen Formen, üeber die Handschrift
and die ganze Sammlang dieser Lieder, wie fiber ihre schonen
Formen habe ich schon Mancherlei geschrieben, — vgL die Frag-
menta Barana in der Festschrift der Gesellschaft d. TViss. 1901,
dann den Lidex meiner Ges. Abhandlangen zar mittellateinischen
Bythmik 11 S. 394, — allein immer schmerzlicher habe ich em-
pfanden, wie anzalanglich die öfter nachgedrackte Aasgabe
SchmeUers ist. SowoM far die Gestaltang des Textes wie far
das Yerständniß der (Gedichte ist theilweiBe Vieles theilweise
Alles noch za than. Die Aafgabe des Philologen ist es, das
Gestrüpp za beseitigen, welches die Jahrhanderte hier haben
wachem lassen, and fBr jedes Lied sowohl den Plan möglichst
klar za machen, nach dem es einst entworfen worden ist, wie die
Art, wie dieser Plan im Einzelnen aasgeffihrt ist. Diese Aafgabe
ist schSn, aber bei den Carmina Barana ist ihre Aasfahrang
Ifl. Gm. 4. Wi«. HMkiiektM. tm^UgykMn. Mhmm IIOC BWIl. 4
50 Wilhelm Meyer,
angemein mühsam imd schwierig. Jedes dieser Lieder ist ein
Einzelwesen; der ürsprong wie die IJeberlieferang eines jeden
Liedes kann ganz anders sein als der ürspmng und die üeber-
liefenmg aller anderen.
Gut der 4. Theil dieser Lieder kommt auch in anderen Hand-
schriften vor: aber wie gewohnlich bei Volksliedern, so weichen
auch bei diesen Liedern die verschiedenen Abschriften oft gewaltig
von einander ab. Nicht nur kommen viele verschiedenen Fassungen
einzelner Ausdrücke zum Vorschein, sondern in den einzehien
Abschriften sind oft Zeilen oder Strophen weggelassen oder zn-
gesetzt oder umgesetzt; oft sind 2 Gedichte wie eins geschrieben,
oft ist 1 Gedicht in 2 getrennt. Deßhalb ist eine Vergleichung
der verschiedenen Abschriften die unentbehrliche Grundlage für
weitere Untersuchungen. Hier besonders gilt der Satz, daß eine
gute Handschrift mehr werth ist als der Scharfsinn vieler Gelehrten.
Die hier zusammengestellten Lieder besingen weltliche Gegen«
stände jeder Art : die meisten besingen die Liebe, viele Wein und
Wirthshaus, etliche das Vagantenleben; andere betreffen die Launen
des Glückes, Geiz, üeppigkeit, Hof leben, Simonie und Verderbtheit
der Geistlichen, Ereuzzüge; dazu gesellen sich Schauspiele über
Christi Geburt oder Leiden und Auferstehung. Ebenso bunt
sind die Formen der Lieder, für welche der Sammler ganz be-
sonderes Literesse hatte: schlichte Lieder in gleichen Zeilen und
Reimpaaren, Lieder in kunstreich aufgebauten Strophen, Sequenzen,
Leiche, ja Singspiele, zusammengefügt aus ganz verschiedenen
Strophen und Liedarten. Allein diese Sammlung ist nur eine
Auslese, die gewiß durch viele Zufälle bestimmt worden ist. Wie
vom Archipoeta nur die Confessio ganz und aus anderen Liedern
nur einige Bruchstücke hier vorkommen, welche ohne Kenntniß
der Göttinger Sammlung nur halb verständlich wären, so steht
es mit vielen Gedichten dieser Sammlung. Das Verständniß ihrer
Formen oder ihres Inhalts ist vielfach bedingt durch die Kenntniß
der anderen weltlichen ßythmen aus dieser Blüthezeit der mittel-
lateinischen Dichtung« Deßhalb ist zum Verständniß der Samm-
lung der Carmina Burana vielfach nothwendig die Eenntniß der
übrigen mittellateinischen weltlichen Lyrik, welche ja von Wright^
Mone und Dum^ril nur theilweise bearbeitet worden ist.
Die derartigen Lieder sind freilich meistens ohne Namen der
Dichter oder mit Decknamen wie Golias, Primas, Archipoeta in
die Handschriften geschrieben, und meistens, um diese oder jene
leere St^e zu füllen. Deßhalb ist es zunächst mühsam und
schwieritfBybp Handschriften-Katalogen die einzelnen Abschriften
De sdsmtte Grandimontanomm. 51
aufzufinden, dann wird es der freundlichen und nachsichtigen EQlfe
der BibliotheksYorstände bedürfen, am die einzelnen Abschriften
ausnützen zu können.
Welch verschiedene Verhältnisse oft bei dieser Arbeit inein-
ander greifen, dafür können die folgenden vier Rythmen ein
Beispiel geben.
(I) Die Handschrift der Carmina Bnrana, der Codex latinns
Honacensis 4660, enthält anf BL 6^ ein Gedicht 'In Gedeonis area',
6 Strophen über einen Streit im Orden von Grandmont. Dasselbe
Gedieht findet sich in der Handschrift in Oxford, Bodleianns
Add. 44 BL 126« als no 77; doch fehlt hier eine Strophe und
eine andere Strophe ist umgesetzt. In der Historia prolixior
priorom Grandimontensinm (Martene, Ampi. CoUectio VI Sp. 128/9)
ist zu 1217 gesagt, dies G^cht, von dem eine sonst unbekannte
Schloßstrophe (bei meinem Abdruck, die 7. Strophe) ausgeschrieben
ist, sei damals gedichtet worden; darnach haben manche Neueren
den hier berührten Streit um das Jahr 1217 gesetzt.
(TV) Da der Inhalt des eben erwähnten Rythmus mir vielfach
dunkel blieb, freute ich mich zu sehen, daß B. Haurteu in den
Notices et extraits des manuscrits de la Bibliothique Nationale
XXXn, pari I p. 279 (= Haur^au, Notices et extraits VI 1893
p. 303) einen andern Rjthmus über denselben Streit im Grand-
montenser Orden veröffentlicht hat: 'Bespidat Emanuel': no. IV
unten. Haurteu hat nur die pariser lat. Hft Nouv. Acquis. 1644
(16. Jahrh.) BL 89 abgedruckt, aber er dtirte, nach den Monu-
menta Germ, historica, Scriptores XX 106, eine andere Abschrift
aus dem 13. Jahrh. auf dem ümschlagblatt der römischen Hft
Casanatensis A. m, 29. Auf meine an den Leiter des preußischen
Instituts in Bom, Paul Kehr, gerichtete Bitte hat das Mitglied
dieses Instituts Herr Dr. Fedor Schneider diese Hft verglichen,
wobei viele und treffliche Besserungen des von Hauräau gedruckten
Textes sich ergaben. Solche Besserungen hätte Hauräau freilich
näher haben können.
(n m IV) Hauröau citirt nemlich selbst, daß Guibert in
dem Werke 'Destruction de Tordre de Grandmont' 1877 p. 104
aus der 'Complainte satirique sur la quereile des dercs et de
convers, qui paratt remonter aux demiferes ann^es du XU* siftcle',
in der pariser latein. Hft 16009 BL 267^ und 258*, Bruchstücke
gedruckt hat. Freilich hatte schon die Histoire lit^raire de la
France XV 141 citirt: on trouve dans un manuscrit de Saint-
Victor quatre complaintes (no IV Z. 63 — 93 ist als neues Gedicht
4*
62 Wilhelm Meyer,
gerechnet) sor cet äv^nement (1186/1188), compos^es des rythmes
diffärents. Voici deax stances de la seconde, qui nous parait la
meilleore (folgen die Zeflen m 1 — 20). Durch die besondere
nnd oft bewährte Gute H. Omont's erhielt ich die photographische
Copie der beiden Seiten. Da fand ich nnter der üeberschrift
'De scismate grandimontanornm' zonächst an letzter Stelle (no IV)
den schon von Haaren gedruckten Rythmns 'Bespiciat Emanuer,
mit trefflichen Lesarten, welche freilich fast alle schon die, Casa-
natenser Abschrift mir geboten hatte; voran aber 2 Rythmen:
no n *Nabes fallax' nnd HI 'Fleant omnes', von denen die
Histoire lit. nnd Q-oibert nur einzelne Zeilen veröffentlicht hatten.
Diese 4 Rythmen betreffen offenbar denselben Streit im
Grandmontenser Orden: aber welcher Streit ist dies von den
vielen, die in diesem Orden sich abgespielt haben? Die Histoire
litäraire denkt an den von 1186/88; Ghiibert spricht von les der-
ni&res annäes du XIT* siide; der Chronist des Ordens aber nennt
ausdrücklich 1217 als Entstehungsjahr des ersten Rythmus.
Aber es galt nicht nur, die Entstehungszeit dieser Rythmen fest
zu bestimmen, sondern auch ihren Inhalt klar zu stellen. Die
frühe Geschichte des Grandmontenser Ordens, besonders aber die
Geschichte des Streites von 1186/88, hat noch manche verborgene
Falte; ich habe mich bemüht, die Ursachen des Streites und die
Einzelheiten seiner Entwicklung deutlicher zu machen.
Historische Gedichte betrachtet man mit Argwohn; meistens
kommt entweder die Dichtung oder die Geschichte zu kurz. Ein
gutes historisches Gedicht soll nicht möglichst Viel erzählen,
sondern die Stimmxmgen und Empfindungen ausdrücken, welche
sich an Ereignisse knüpfen und welche am geeignetsten durch
Sede und Gegenrede ausgedrückt werden. Am Beispiel des Wal-
tharius habe ich das nachzuweisen versucht (Zft. f. deutsches
Alterthum 43, 1899, S. 116). Solch kleineren historischen Gedichte
sind besonders geeignet, die Vox populi über ein Ereigniß aus-
zudrücken. Das thun diese Rythmen. Aber auch das Ereigniß
selbst, welches diese Rythmen hervorgerufen hat, ist nicht nur
wichtig gewesen in der Entwicklung des Grandmontenser Mönchs-
ordens^), sondern es hat auch in sich ein allgemeines Interesse.
1) Das wichtigste Werk der ftlteren Zeit, J. Levesqae, Annales ordinis
Grandimontis, Trecis 1662, war mir nicht zugänglich. Ich benützte besonders:
Lonia Goibert, Destniction de Fordre et de Fabbaye de Grandmont, 1877; er hat
reiches geschriebenes nnd gednicktes Material verarbeitet. Dann benfitzte ich
von Quellenwerken, für Urkunden besonders: Martene-Durand, Thesaurus novus
De sdamate Grandimontanomm. 53
A. Der Ordo eztraordinarios.
Ende 1187 nnd Anfang 1188 hat Stephan von Tonrnai, ein
Sachkenner in diesen Dingen, in 2 Briefen (no 166 und 167 ed.
Desilve 1893) den Orandmontenser Orden den ordo 'extraordinarins'
genannt. Auch die 4 Rythmen sind dnrch dies Extraordinariom
hervorgemfen. Deßhalb will ich versnchen, vorerst dies Beiwort
ZQ erklären.
Stephanns von Thiers hatte 1076 die päbstliche Erlanbniß er-
halten, denselben V ersnch zn machen, den damals so Viele machten,
and mit Andern unter neuen, besonderen Regeln zusammen zu
leben; er erwählte sich dazu die Einöde Muret nah bei Limoges.
Als er 1124 starb, hatte er schon viele Genossen. 6 Monate später
zog die Genossenschaft mit Stephans Gebeinen in eine andere be-
nachbarte Einöde, Namens Grandmont. Darnach ist der Orden
benannt worden. Besonders von den englischen Königen be-
günstigt, blühte er rasch auf. Er hat sich weit in Frankreich
und etwas in England verbreitet und hat seine Existenz bis zur
französischen Revolution gefristet.
Stephanns sagte selbst zu seinen Genossen: vestri mores ab
moribus virorum alterius religionis plurimum differunt (Regula
§ 40). Er faßt die Hauptsachen seiner Regel am Schlüsse § 64
selbst zusanunen: Propositum et praeceptum nostrae religionis
est, nt ecdesias et res ad eas pertinentes (Regel § 6), et quos-
libet honores, qui sxmt extra religionem nostram, nee non terras
(§ 4), bestias (§ 6 7), decimas (§ 32), certos reditus (§ 23), fora
(§ 46 ?) nundinas (§ 16) , visitationem cognatorum (§ 34) , causas
sive iudicia tam pro nostris quam pro alienis (§ 31), quaestum
etiam, quamdiu una die quoquomodo vivere poterimus (§ 9 12), et
Aaecdotomm I 1727; Migne, Corsiui l&tin. Bd. 204 Sp. 1875 (ürban III.) und
214 Sp. 946 (Iimocenz III.); für die Begel, welche Bicb so gibt, als sei sie von
Stephan in seinem letzten Lebensjahre 1124 abgefaßt (§ 14 qainquaginta fere
anni trandenint . . me manente in eremo sab hmiuniodi voto) und welche wahr-
scheinlich in der von Clemens m. 1188 pablidrten Fassung uns vorliegt, benützte
ich Iftigne 204 Sp. 1138/62; für die Ordenschroniken, für die Tita und die Mira-
cnla des h. Stephan: Martene-Durand, veterom scriptomm . . Amplissima Gol-
lectio VI, 1729, Sp. 113—148; 1046—1087—1118—1132. Dazu Nigelli Wi-
reke Specnlom stoltoram, zuletzt gedruckt bei Wright, the Anglo-Latin satirical
Poets . . of the twelfth Century, I p. 87, denen böser Text jedoch mit den alten
Ausgaben unter dem Namen Bumellus oder Brunellus und mit Martene, Ampi. CoU.
VI Sp. 6 verglichen werden muß; dann la Bible des Guiot de Provins Y.
1446—1581 bei San-Marte, Pardval-Studien I S. 75; endlich Jacob us de Vi-
triaeo, Historia ocddentalis cap. 19.
54 Wilhelm Meyer,
caetera, qoae amore dei reliqaimns, nnnqaam recaperemos, sed
potios in eremo (§ 4 46 65) tamqoam mortui et abiecti a mnndo
QSqne in finem perseveremns. Dazu bemerken die Heraasgeber
trocken, die Worte: 'Terras etc.* sunt sublata per Innocentinm
lY 1247 in concilio Lugdxmensi. Aber nicht nur diese, sondern
auch andere Bestimmungen der Q-randmontenser Regel sind ver-
hältnißmäßig bald aufgehoben worden.
Die Hauptfrage für all diese Vereinigungen war stets, wie
man Gott am besten dienen könne. Die Art, wie die Benediktiner
in der ersten Hälfte des Mittelalters diese Frage zu lösen ver-
suchten, indem sie Gottesdienst und geistliche Verrichtungen mit
geistigen Studien vereinigten und ihren Mitmenschen in jeder Art
Führer und Lehrer zu sein suchten, hat sie zu Wohlthätem £u-
ropa's gemacht. Dagegen hatten schon vor ihnen Viele ge-
meint, sie könnten Gott am besten dienen, wenn sie sich von den
andern möglichst absonderten und in der Einsamkeit alle Be-
dürfnisse des Körpers auf das geringste Maß herabsetzten. Das
Treiben dieser Väter in der Wüste schildern die mancherlei Samm-
lungen der Vitae patrum. Daselbst (ed. Roswey III 56 und VIO)
findet sich auch die Geschichte von dem jungen Johannes, welche
Fulbert in launige Verse gebracht hat, wie derselbe leben wollte
sicut angelus, trotz der Warnungen des älteren Hüttengenossen
nackt in das Innere der Wüste ging^ aber, als er hungernd und
frierend nach einigen Tagen wiederkam, sich sehr mußte hänseln
lassen. Diese Väter der Wüste waren das Ideal des Stephanus:
er nennt sich und seine Genossen Eremiten (§ 46) und ihr Leben
eremus (§ 4 und 64); ja er möchte die richtigen Brüder angeli
nennen (§ 59) ; § 55 erklärt er ausdrücklich : quid sancti patres in
Aegypto, quorum vestigia sequi debemus, nisi vigilüs, ieiunüs et
orationibus et laboribus insistere ex more postulabamt^)? Daher
die harte Lebensweise der Grandmontenser ; sie sollten keinerlei
Vorräthe sammeln, nie Fleisch essen und auf das einfachste sich
kleiden ; fast immer Stillschweigen beobachten *). Daher das Verbot,
1) Stephanus Toni. (Lettres par Desüye 1898) no 1 sagt: S. 4 hominibus
placent et Christi senri sunt; Boni homines appellantar ; S. 14 Grandimontensibas
heremitiB . . Bonos homines esse dicnnt; nam et in proyinda illa, nnde originem
habent, abi et capat et sedes est eorom, cellole ipsorom Bonammie appellantar.
2) *Nalla silentia servant' läßt Wright den Nigellas sagen, dagegen Martene
'Nota s. s.': es muß wohl heißen *malta' oder mit poetischer Ausmalung 'muta
silentia servant'; vgl. Ovid Met VU 184 muta silentia noctis. Freilich schon
Guiot hatte die Lesart 'nuUa' vor sich: 1517 il ne tiennent pas silence.
De sdsmate Grandimontanoram. 56
aoBerhalb der anfanglichen engen Grenzen des Ellosterbesitzed Güter
zu erwerben oder zu deren Bewirthschaftong Vieh zn halten.
Eine egyptische Wüste war nnn in Frankreich nicht zn haben:
aber die solitndo wnrde doch anf alle Weise erstrebt. Die
SlSster sollten fem von den Menschen in einsamen Wäldern an
wüsten Plätzen angelegt sein (weßhalb ihnen auch erlaubt wurde
zu Zeiten des Interdiktes dennoch zu läuten, da ja die andern
Menschen den Glockenschall nicht hörten). Der Prior und die
geistlichen Brüder sollten fast nie, die Laienbrüder so selten als
möglich die Slostermauem verlassen; draußen sollten sie weder
predigen noch Predigten hören, und selbst in der Nahe befind-
lichen Verwandten, Kranken und Sterbenden sollten sie nur dann
beistehen, wenn kein anderer Geistlicher zu haben war; Fremde
sollten sie nur selten in das Innere des Klosters gelangen lassen.
So sprechen unsere Bjthmen von dem G^heimniß, mit welchem
triplex murus oder murorum alta soliditas das verhülle, was darin
geschehe; und noch um 1220 schreibt lacobus de Vitriaco: adeo
monasteriorum suorum septa dausis semper ostiis diligenter obser-
vare student, quod non nisi magnis et authenticis personis et fa-
miUaribus ordinis facile patet ingressus; nee ita daustrum suum
et interiora habitationis suae exponunt hospitalibus, sicut Cüster-
denses et alii reguläres.
Wie fest diese ^solitudo' den Grandmontensern eingeprägt
war, das lehrt eine fast spaßhafte G^chichte, wdche ein Prior
im 1190 aufgeschrieben hat (Martene, Ampi. Coli. VI Sp. 1071
= Sp. 117; vgl. Sp. 1093). Als Stephan's Nachfolger 1125 nach
Gtrandmont übergesiedelt war xmd die Gebeine Stephan's vor dem
Altar dasdbst bestattet waren, bewirkten sie solche Wunder, daß
die Gläubigen in Schaaren zum neuen Kloster strömten. Da trat
der Prior an das Grab des Stephan und hidt ihm eine Straf-
predigt: uns hast du stets die Einsamkeit gepredigt: aber jetzt
bist du auf dem besten Wege, hier in der Einsamkeit Markt und
Hallen einzurichten. Uns verlangt nicht Wunder von dir zu sehen;
wir glauben schon so an deine Heiligkdt. Nimm dich also zu-
sammen und xmterlasse es Wunder zu wirken, welche vidldcht
den Ruf deiner Heiligkdt erhöhen, aber sicher unsere Demuth
untergraben. Denke mehr an unser Sedenheil als an deinen Ruhm.
Das befehlen wir dir, das verlangen wir von deiner Liebe zu uns.
Thust du das nicht, so erklären wir dir und geben wir dir bd
allem Gehorsam, den wir dir gdobt haben, hiemit die bestimmte
Verdcherung: wir werden deine Gebeine aus dieser Gruft nehmen
56 Wilhelm Meyer,
und in den Flnß werfen ^). Der Erfolg blieb nicht aas ; denn
der Chronist berichtet: ab hoc tempore paucissima facta snnt ad
sancti viri tomnlom miracnla.
Innerhalb der Mauern scheinen schon diese Franzosen des 12.
Jahrhunderts die i^galitä verkündet zu haben. Wohl waren
Alle dem Vorstand zom Gehorsam verpflichtet; allein dieser hieB
nur prior, nicht abbas, nnd schlief in demselben Baom wie die
Andern. Sonst gebietet die Regel (§ 40) : noUos nisi vosmet ipsos
habetis famnlos; xmd in einer 1187 vor dem König geschlossenen
Uebereinkunft (Martene, Thes. I 630) heißt es ausdrücklich: com-
munitas et aequalitas erit omnibus, tam dericis quam laids, in
cibo in potu, in refectorio et in dormitorio; et de aeque bonis
pannis vestientur.
Diese i^galitö der einzelnen Brüder war in andern Orden
sehr beschränkt; Stephanus scheint durch sie zu einer andern Ein-
richtung geführt worden zu sein, wodurch dieser Orden von allen
andern abwich. Sein Ideal war die Existenz der Engel, welche
nur Q-ott dienten und ihn verehrten. Bei Menschen ist die Sorge
für Essen, Kleidung xmd Wohnung unvermeidlich xmd diese
zwingt zum Umgang mit andern Menschen. Stephan wollte nun
unter den Brüdern wenigstens eine Anzahl Idealmenschen
haben; diese sollten von allem Umgang mit der Außenwelt ab-
geschlossen sein und im Kloster sollte ihnen Essen, Kleidung,
Wohnung imd, was nur möglich war, von Andern besorgt werden,
so daß sie möglichst Engeln gleich nur Gott imd der Contem-
plation leben könnten. Von den Brüdern waren für diesen Beruf
natürlich nur die gebildeten und geweihten, die derid und litterati,
geeignet. Auf die andern, die laid oder conversi, fiel also die Axif-
gabe, nicht nur für sich sondern auch für die clerid alle jene
TemporaUa zu besorgen und, soweit es imvermeidlich war, mit
den andern Menschen zu verkehren. Die Clerici waren glatt ge-
1) Serve dei, tu ostendisti nobis paapertaÜB Tiam et toto conamine tao do-
cuisti no8 incedere per eam: nmic vero de arcta et ardaa via, quae dacit ad
vitam, ad latam et spatiosam, qaae dacit ad mortem, tois nos miracolis vis re-
Yocare. Praedicasti solitudinem: nunc in Bolitadine fora nondinasque vis congre-
gare. Non dadmar cnriositate, ut toa miracnla yidere yelimos; satis tnae credi-
mns sanctitatL Cave igitnr de eetero ea miracnla facias, qnae tnam extoUant
sanctitatem et nostram destmant hnmilitatem ; non sie landi tnae provideas, nt
nostrae ns immemor salntis. Hoc tibi praecipimns, hoc a tna poscimns caritate.
Qnod ri aliter feceria, dicimns tibi et per obedientiam, qnam tibi promisimns,
constanter asaerimna, qnia ossa tna inde extrahemns et spargemns in finmen (oder
gar, wie derselbe Antor znr Abwechselang Sp. 1093 sagt : ab isto loco inhoneste
omnino exdadam te et proidam te in aliqnem locom vilissimam et inhonestam)
De sdsmate Grandimont&nornin. 57
gehören und rasiert, die Laien tmgen Barte, womach sie auch
barbati hießen.
Die Regel sagt hierüber in § 64 : De cnra dericornm et con-
versonim: Optimam partem, qoae a domino praecipne landator
in Maria, clericis ab omni cnra temporalinm liberis solam in-
ixmgimas; sicqne divinis laudibos et contemplationi solmnmodo in-
tendentes sibi inyicem et aliis fratribns delicta sna confitentibas
spiritnalia ministrent. Et ne colloqoio secnlarinm aat sollicitudine
ezteriomm divinum officinm interrnmpator et mens eommdem
satietatis internae dnlcedinis obliviscator, ob hoc sdlicet tempo-
ralem coram cellae solis conversis committimos; qoi, com in
labore et in ceteris agendis aliis fratribns, clericis videlicet et
conversis, non dominatione sed caritate praecipiant, costos omninm
virtntam, hnmilitas, illaesa conservetor. Vemmtamen omnibns,
tarn clericis qnam conversis, expediret, ne deinceps, si fieri posset,
secnlnm viderent, qaandoqnidem illad reliqnernnt. Sed, qoia neqnit
fieri, saltem clericos in reqnie divinae dilectionis volnmos retinere;
conversi vero tam pro illis qnam pro semetipsis exeant coUoqni
cnm gente exteriori.
In den Aagen der Grandmontenser mnßten eigentlich die
Clerici viel höhere Wesen sein als die Laici. Doch, sei es znr
Entschädigong, sei es, nm ja jede Befleckung der Clerici durch
irdische Dinge zu vermeiden, die Laienbrfider besorgten ihre welt-
lichen Geschäfte völlig unabhängig von den Clerici und standen,
der ^galitä entsprechend, ihnen gleich ; wurde z. B. ein neuer
Prior gewählt, so besorgte das eine Commission von 6 Klerikern
xmd 6 Laienbrüdern.
So war ein merkwürdiger Fall geschafPen. Ueberall, wo der
gebildete Geist und die starke arbeitende Hand zusammentreffen^
dirigirt der Geist die Hand. Im Mittelalter, wo die Bildung beim
geistlichen Stande war, befehligten zunächst in den Klöstern und
den Kirchenverwaltungen die geistlichen Mitglieder die Laien ; im
bürgerlichen und im staatlichen Leben, abgesehen natürlich vom
Elriegswesen, standen überall die Studierten, die Clerici, an der
Spitze; sie waren nicht nur Geistliche, sondern auch Aerzte, Notare
und Brechtsgelehrte, Künstler, Schriftsteller, Kanzler u. s. w.
Dagegen im Orden von Grandmont sollten die Gebildeten sich um
die Arbeitenden nichts kümmern ; diese aber sollten den Gebildeten
alles Nothwendige erarbeiten xmd in die Hand geben.
Das war das Außerordentliche an diesem Orden. Frei-
lich zunächst nur in der Theorie, in der Regel ; wie Wenige aber
hatten ein InterejBse für solche Theorie? Aber auch in der Praxis
Ug Wilhelm Meyer,
der ersten Jalir«elmte nach dem Tod des Ordensetifters (1124)
hielt die Ordnung im Ordm zusammen. Es wurde die von der
Eegel gebotene paupertas festgehalten und das Minimum von Be^
Bits nicht überschritten. Die Laienbrüder hatten nicht zu viele
Wirthschaftsarbeiten und konnten daneben gewiß noch reichUch
fromme Hebungen unter der Leitung der Kleriker abhalten, so
dafi diese wirkUch eine geachtete, ja höhere SteUung inne hatten.
Allein viele Verhältnisse begünstigten den geistHchen Orden
den Erwerb von Klostergut, ja drängten sie dazu. Ist ja sogar
die Frage, ob der Bettelorden Gut besitzen dürfe, eine Str^t-
frage für die Juristen geworden. Der Stifter des Grandmontenser
Ordens hatte von seinen Regeln gesagt 'corrigendas esse doctorum
arbitrio concedo', und von dieser Freiheit wurde später fleißig
Gebrauch gemacht. Der Orden wurde in der 2. Hälfte des
12. Jahrhunderts beliebt und berühmt ; Geschenke strömten ihm zu ~
und wurden angenommen. Vielleicht mit etwas Uebertreibung sagt
kurz vor 1182 Stephan^), der spätere Bischof von Tournai, von
dem Orden: ibi salutationes principum, visitationes regum, oo-
cursus populorum, dona omnium. ibi dicitur aquiloni 'da' et austro
*noli prohibere'. eis conferunt, afferunt, oflterunt et inferunt omnes
1) Stephan war von 1176—1192 Abt des Klosters Ste-Genevi^ye der rega-
lirten Chorherren in Paris, von 1192— 120S Bischof von Tournai. Auch im ca-
nonischen Rechte war er tüchtig und angesehen. Offenbar war er ein sehr leb-
hafter Geist, welcher sich um alles Mögliche kümmerte. Sein Stü liebt im höchsten
Grade Pointen, Wortspiele und Antithesen; der rythmische Satzschluß ist ihm
Mode, aber nicht Gesets; besonders liebt er die Schlußform öculis prosequätur:
rKrr>jf>Ji r\jf>jr>jr>j' Den oben dtirten I.Brief oder vielmehr den Begleitbrief
dam (in der Ausgabe von Desilve 1893, no 85) setzt Delehaye in Bevue des
queetions historiques 49 (1891) p. 66 in die Jahre 1179 — Jan. 1182. Dieser
1. Brief hat einen ganz andern Charakter als jene Briefe, welche Stephan 1187
als Sachwalter der Grandmontenser Kleriker geschrieben hat. Dagegen in diesem
1. Briefe wiO er 2 Mönche, welche den Grandmontenser Orden verlassen haben
und in den Gisterdenser Orden eingetreten sind, überzeugen, daß sie damit keine
Sünde begangen hätten. Zuerst schildert Stephan die beiden Orden (S. 1—8),
dann behandelt er mindere Fragen, endlich (S. 16/16) vergleicht er die Lebens-
weise beider Orden, als Anhang zu dem Satze, daß man von einem milderen
Orden lu einem strengeren übergehen dürfe. Stephan ist hier für den Cistercienser
Orden begeistert und sein lebhaftes Naturell hat ihn deßhalb in der Anschw&rzung
des Grandmontenser Ordens wohl zu weit fortgerissen. Das gilt wohl besonders
für die Schilderung (ep. 1 S. 16/16), wie bequem, ja üppig die Grandmontenser
labten: blanditur tibi memoria prave quietis et loquendi licencia lods et hoiis
induha. sompnus prolixior, vestis mollior, dbus delicatior adolescenciam tuam
revocare oontendunt. plura ibi fercula, pocula plura, que nonnunquam citra esuriem
iitimque capiuntur et ultra, ibi fomenta pellium rigorem frigoris expellunt; Uni
ant cannabis occulta blandides lanam temperat superiectam.
De scismate Gnuidimontanoram. 59
qniqae terrigene ei filii hominom, simtd in nnam dives ei paaper.
Freilich scheinen dazu im Gegensaiz zu stehen vorangehende
Aenßernngen desselben Stephan in demselben Briefe (S. 4): ora-
tiones eornm nee balantes greges impediont nee mngientia tnrbant
armenta nee nnmerose familie strepitns interrnmpit; panpertas
premit'; doch vielleicht schildert Stephan hier nur das Leben der
Sleriker, zu denen natürlich die Abtrünnigen gehört hatten, an
welche er schreibt. Ebenso oder als Versifikation der geschriebenen
Regel, nicht der Wirklichkeit, ist es wohl zu erklären, wenn der
Satiriker Nigellns Wireke (Wright, Satirical Poets I 87) nach
1190 die Armnth dieses Ordens schildert:
Hi com nil habeant nee se patiantnr habere,
ex nihilo semper snffidenter habent. •
Non fnndos nee agros nee pascna lata reqnirnnt. .
nee facinnt pingues in nemns ire snes.
Denn Gniot von Provins, welcher in seiner Bible die Verse
des Nigellns nicht viel später verarbeitete, hat hier ganz Anderes
eingesetzt (San-Marte, Pardval-Studien I 75) V. 1453-146B:
M^ d'itant lor ordre remuent, xnolt las vi seignors des barons;
qu'fl ont or vaches et jumenz molt par est granz d'aus li renons.
et de berbis plus de deos cenz. Mestres les vi, ice fa voirs,
Oni-U si lor ordre tenae, et des princes et des ayoirs;
qae tex beste ne fast vdae? ü avoient plus commandises
Mte li orgaeilz les abessa, qae toates les aatres eglises.
orgaeülooz farent-fl mont ja.
Ja 1223, als das Ordensgat, welches über das von der Begel ge*
setzte Maaß hinansging, alles beseitigt werden sollte, da geschah
Folgendes (Martene, Anecdota I 907): conversi et clerici einsdem
ordinis, qni in ordine ipso mnlto tempore fnerant, testificati snnt
publice, qnod n nmq n am vidernnt, qnod r ega 1 a ipsa, sicat scripta
est, faerit observata. ceteri. . dixemnt, qnod non crednnt or-
dinem praedictnm aliquo modo posse snbsistere sine bonis, qoae
obtinent extra metas.
Die von der Begel gebotene panpertas wurde also aufgegeben
und das Elostergut wuchs rasch und stark. Die Verwaltung dieses
Slostergutes erforderte große Thätigkeit : die Erhaltung eiaes be-
trächtlichen Viehstandes, viele Käufe und Verkäufe, mancherlei
Anlagen und Bauten u. s. w. Das Alles besorgten die Laienbrüder
allein xmd selbständig ; dazu bedurfte es nicht nur fleißiger Hände,
sondern auch Klugheit xmd mancherlei üeberlegung. Den Laien-
brüdem gelang ihr Werk wohl. Erfüllten sie neben dieser viel-
seitigen und erfolgreichen praktischen Thätigkeit auch die reli-
60 Wilhelm Meyer,
giSsen Pflichten, so durften sie mit Befriedigung auf ihr Tagewerk
schauen und sich sagen, daß sie Tüchtiges leisteten.
Neben diesen thatigen, tüchtigen und selbstbewußten Laien-
brüdem, welche Rolle mußten da die Kleriker spielen? Neben
dem Gottesdienst sollten sie außer dem bischen Seelsorge haupt-
sächlich beten und meditiren. In Betreff der Elosterwirthschaft
durften sie den Laienbrüdem nicht hineinreden, aber alle Noth-
dürft des Leibes mußten sie aus deren Händen empfangen, hingen
also von deren Güte ab. Natürlich verwalteten die Laienbrfider
nicht nur das Klostergut, wie sie wollten, sondern sie verlangten
auch von den Klerikern, daß sie mit ihren geistlichen Verrichtungen
den Bedürfnissen, der Tätigkeit oder auch der Bequemlichkeit der
Laienbrüder sich anpaßten, und behandelten sie überhaupt oft mit
G^ringschätzxmg.
So hatte das Extraordinarium des Grandmontenser Ordens
sich in eine bittere Wirklichkeit verwandelt; hier wurden die G^
bildeten und Geweihten von den ungebildeten Laien nicht nur be-
herrscht, sondern mitunter mißhandelt, und das zum Theil im
Einklang mit der Ordensregel. Als dies merkwürdige VerhSltniß der
beiden Klassen der Brüder 1186 — 1188 in einem heftigen Streit
offenkundig wurde, da erhob sich allgemein Entrüstung und Klage
bei der Geistlichkeit Frankreichs über diese ungeheuerliche Miß-
achtung ihres Standes.
Da dies Verhältnis der Kleriker zu den Laienbrüdem im
Grandmontenser Orden das Literessanteste ist an der Entwicklung
dieses Ordens und zugleich die Grundlage unserer 4 Rythmen, so
will ich noch einige Zeugnisse von Zeitgenossen an-
fuhren. Merkwürdig richtig beurtheilte Stephan Tom. (1. Brief)
diese Verhältnisse schon 4 — 6 Jahre vorher, ehe sie offenkundig
wurden; s.S. 58 Note. Die Grandmontenser gestatteten keinen
Eintritt in ihre Kloster (S. 4 xmd 8); die Laienbrüder seien in
der Mehrzahl xmd in bevorzugter Stellung: S. 14 et plures nu-
mero et prelatione maiores non derid sed laid, non litterati sed
sine litteris existunt. Lifolge dessen fehle dort die Disdplin (S. 4).
Man kenne zwar nicht genau die Zänkerden innerhalb der Sloster*
mauern : S. 4 testimonia secretorum intus operum suorum invicem
aocusantium aut defendentium.
Ja damals schon sagt er im Gegensatz von den Cisterdensem
S. 6 : iUic nee bobus prefertur aratrum, nee capite deorsum pendet
domus, nee idiota docet dericum, nee laicus imperat sacerdoti.
Diesdben und ähnliche Bilder gebraucht Stephan noch 1187 öfter
von diesem Extraordinarium des G^randmontenser Ordens : ep. 164
De scismate Grandimontanoram. 61
nec Eliezer dominetnr Abrahe nee Saram contempnat Agar nee
idiota doceat clericom nec laicos imperet sacerdoti. ep. 166
subingale sit obediens et rnntiim, Ozias sacerdotalia non nsnrpet;
ep. 167 conversi converso ordine ministris dominantor altaris, ita
nt oapite deorsnm domus pendeat, bobas aratrnm preferatnr, idiota
doceat dericnm; laicns imperet sacerdoti; ep. 174 ne contra
sessorem mormoret asina, ne glorietnr serra contra eom qni tenet
eam, nec idiota doceat clericom litteras, nec laicns imperet sacer-
dotalia sacerdoti. Ich habe diese Stellen ansgeschrieben, weil
sie das beste Licht werfen anf das hauptsächliche rhetorische
Ennstmittel unserer Sythmen : die Hänfnng von Bildern, nm Ver-
kehrtes zu bezeichnen. Nur ein Bild möchte ich hier deutlich
stellen: Stephanns gebraucht 2 Mal das Sprüchwort 'bobus pre-
fertur aratrum' ; eben dahin gehört Rythmus I, 1, 8/9 nec redit
bos ad horrea, sed sequitur carpentum; in 41 ante boves ara-
trum ponitur; IV 24 plaustrum vadit ante boves (vgl. noch Carm.
Bur. 139, 2, 4 neque bubus aratrum preficiam d. h. eine Frau höher
stellen als einen Mann); dann Ghiiot von Provins, Bible V. 1677
L& va li chars devant li buäs.
Nigellus Wireke (bei Wright, Satirical Poets I 88) geht
flber dies Extraordinarium rasch weg:
Nam vice conversa laico dictante sacerdos
exhibet officii vota sacrata sui
Dagegen Guiot von Provins hat seine Vorlage hier stark
erweitert (San-Marte, Pardval-Studien I 77). V. 1B42— 1666 malt
er zuerst die Laienbruder, dann ihr Verhaltniß zu den Klerikern:
La naity qoant il doi?ent coachier, D n'osent chanter aa xnoBtier
86 fönt bien la?er et piDgnier ne nol Service commencier,
lor barbes et enveloper iusque li convers le commandent,
et en trois parties bender et por ice gnaires n'amandent;
per estre beles et loisanz. iä nol servise n'i feront
qoant il yienent entre les genz, fors tel com il commanderont.
molt les croUent, molt les apleignent Li priors an mestre demande :
M^ li clerc darement s'enplaingnent qne dirons-nos? et il commande.
et li provoire et li prior: Et s'ü antrement le fa^oient,
il 8ont k molt grant deshonor; li convers molt bien les batoient
\k n'ont-il nole seignorie, maistre et seignors sont li convers.
nol pooir ne nole baillie. icist ordres va en travers.
Lk sunt li barbaran greignor.
Mit grellen Farben ist das Treiben der Laienbrüder gegen
die Kleriker gemalt in einem Schreiben der Grandmontenser Kle-
riker an einen Pabst J. (Martene, Anecdota I 845); doch ist mir
dessen Zeit und Art unsicher. Da fast alle Angaben von wirk-
lichen Personen oder Ereignissen fehlra, so ist es wohl nur ein
62 Wilhelm Meyer,
rhetorisches Schaastück, statt eines rythmischen Elagegedichtes
ein fingirtes Klageschreiben in rythmischer Prosa.
Da die Quelle des üebels nicht bald nnd nicht energisch ver-
stopft wurde, so hielt der Mißstand sich noch längere Zeit, und
deßhalb konnte noch Jacobus de Vitriaco um 1220 in seiner
Historia occidentalis cap. 19 beide Parteien ihre Klagen also vor-
bringen lassen: (Clerici dicebant,) quod eos laid contemne-
bant et eis dominari non solum in temporalibus, sed plerumque in
spiritualibus praesumebant. cum enim sacerdotes eorum proprium
diei officium vellent regulariter celebrare, laid missas de beata
Maria vel de spiritu sancto vel pro defunctis volebant audire, et
secundum varias^ eorum occupationes quandoque dtius quandoque
tardius postulabant sibi divina celebrari. Si autem sacerdotes re-
nuerent, indignabantur eis laid et irascebantur contra monachos
murmurantes, et, quoniam ea quibus indigebant non nisi per lai-
corum manus redpiebant: monachis necessaria petentibus, surdis
auribus praetereuntes et dissimulantes laid frequenter ipsos mo«
nachos molestabant. Econtra laici monachos ingratitudine ar-
guentes, asserebant monachis in sua pace et contemplationis quiete
commorantibus se portare pondus diei et aestus et temporalis ad-
ministrationis sollicitudine praegravari, ut monachis quibus servie-
baut necessaria non deessent. et, quoniam contra Martham Maria
non legatur murmurasse, eis suMcere deberet, quod possent aliis
exeuntibus in daustro quiescere et lectionibus et orationibus vacare.
Die Armuth war gegen die Regel aufgegeben worden. Die
Kleriker fühlten, wenn sie eine erträgliche Lage gewinnen
wollten, so müßten sie die Leitung der Verwaltung des Ordens-
gutes ganz oder zum Theil erlangen. Allein die Laienbruder
fühlten sich sehr wohl in ihrer unabhängigen Führung der ganzen
Klosterwirthschaft ; ja sie konnten mit Spott darauf hinweisen,
daß ja der Gründer des Ordens selbst den Klerikern die Theil-
nahme an der Klosterwirthschaft verboten hätte. Stephanus
hatte seinen Klerikern einen engelgleichen Zustand schaffen
wollen: statt dessen waren sie in eine jämmerliche Lage ge-
rathen. Sie rangen darnach, aus derselben sich zu befrden: alldn
die Laienbrüder verthddigten hartnäckig ihre regelrechten Vor-
rechte. So waren lange Kämpfe unvermeidlich. Stephan Tom.
deutet schon um 1181 auf vielen Zank innerhalb der schwer zu-
gänglichen Kloster; allein das große üebel wurde erst offenkundig,
als 1186 — 1188 die bdden Partden dch nicht nur in den Klöstern
heftig bekämpften, sondern vor weltlicher und geistlicher Obrigkdt,
ja vor dem Pabste sich gegenseitig verklagten.
De sdsmate Grandimonttnomm. 68
B. Der Streit im Ghrandmontenser Orden 1185—1188.
Die geistliche Welt hatte das Emporblfihen des Grandmon-
tenser Ordens seit 1124 bewundert nnd hinter den streng ge«
schlossenen Mauern ein besonders heiliges Leben vemmthet. Um
so mehr wurde sie im Jahre 1185 und besonders 1187 überrascht
durch die Nachrichten von seltsamen und bösen Streitigkeiten
innerhalb dieser Mauern und staunte über das, was bei den vielen
Verhandlungen vor weltliehen und geistlichen Behörden und Ge-
richten und vor der Curie in Rom offenkundig wurde: daß die
sonst wenig geachteten Laienbrüder hier herrschen wollten und
die Elleriker schlecht behandelten, daß der Prior mit vielen Kle-
rikern das Mutterkloster Grandmont verlassen hatte und daß die
dort herrschenden Laienbrüder sich einen andern Prior gewählt
hatten. Noch etwa 10 Jahre später dichtete darüber Nigellus
Wireke in dem Speculum stultorum, das schon vor 1600 xmter
dem Namen des Brunellus öfter gedruckt worden ist und zuletzt
(aber nicht eben gut) von Wright in the Anglo-Latin Satirical
Poets . . of the 12f^ Century I p. 87 (Rer. Brit. Script, no 59):
Quod fit in occulto, raro sine suspicione
esse potest homini nee licet absque nota . •
Litibus et causis variis fora publica vexant
et teritur longo tempore causa brevis.
Sumptibus insistunt, nil proprietatis habentes,
fitque trilustralis causa sepulta diu.
Li duo divisi multumque diuque laborant
atque supervacuis sumptibus usque vacant.
Nam vice conversa laico dictante sacerdos
exhibet officii vota sacrata sui.
Motus ob hanc causam Mons^) est Bomamque profectus;
sed nee ibi meruit sumere causa modum.
Plurima fnderunt, sed Mons est pinguis et über,
qui de lacte suo cuncta ministrat eis • . •
Ergo quid est, quod homo, qui vivit ut angelus intus,
pulsatur totiens exteriore foro?
G-uiot von Provins hat in seiner Bible (herausgegeben
und fibersetzt von San Marte, Parcival-Studien I 1861) V, 1446 —
1681, dem Nigellus Wireke folgend, wenig später ebenfalls die
Grandmontenser geschildert. Darin finden sich folgende Verse:
1) Sehr yerbreitet ist die Yftri&Dte *moz'; dann müßte sacerdos Subjekt sein.
Doch *Mons' = Grandismons ist mOgUch.
64
Wilhelm Meyer,
V. 1466—1471
Lor yie tindrent molt corerte;
mhs il Font aaqoes descoyerte
per la guerre qni entr'els fiL
Ge a moat l'orgaeü abata.
Tpocrisie molt cuevre,
molt en pou d'ore se descuevre.
V. 1612
Encor cueTrent-ü molt lor estre.
V. 1670-1681
Gest ordre, Bome lor consent,
por qoi de Tor et de l'argent
estoient seisi li convers,
qant il mistrent les ders en fers.
Tant en donerent qa'ä Grant-Mont
derc et proToire songiet sont
ce fa ans commandemens na6i,
1& va li diars devant 11 buäs.
Les piors covignes don mont
et tooz les leiz pediiez qni sont
et tooz le desordenement
consent bien Rome por argent
Die Historia prolixior priornm Grandimontensinm (Martene,
Ampi. ColL VI Sp. 127) berichtet ungefähr Folgendes : G^egen den
6. Prior Wilhelm empörten sich die Laienbrüder; sperrten ihn
nnd die Kleriker ein xmd mißhandelten sie; endlich setzten sie
ihn ab nnd wählten einen Kleriker Namens Stephan als Prior.
Doch 2 Sendboten des Pabstes Lncins HI. (f 24. Nov. 1185), der
Bischof von Chartres xmd der Prior von St. Victor in Paris,
setzten den Stephan ab nnd den Wilhelm wieder ein. Aber nach-
her floh Wilhelm dennoch vor den Conversi nach Paris, wo vor
König Philipp eine Eintracht zu Stand kam Als aber der Streit
wieder ausbrach, zog der Prior Wilhelm zum Pabst Lncins nach
Bom, erlangte die Bestätigung verschiedener Ordensprivilegien,
starb aber auf der fleimkehr. Ihm folgte Gerald als 7. Prior.
Diese Erzählung wird gewohnlich wieder erzählt und benützt.
Doch sie ist voll von Irrthümem oder Unwahrscheinlichkeiten
und scheint hauptsächlich aus mißverstandenen Notizen zusammen-
gedichtet zu sein. Zudem ist sie viel später zusammengeschrieben,
als die besonderen Vorrechte der Laienbrüder glücklich beseitigt
waren, ist also durchaus parteiisch gegen dieselben.
Gkmz anders ist der Bericht der Brevis historia (Martene,
Ampi. ColL VI Sp. 118/9); doch dieser ist nichts Anderes als ein
wortliches Excerpt aus einer Schrift des 7. Priors Gerald
(Martene, Ampi, CoU. VI Sp. 1087—1118 = Migne 204 Sp. 1045
—1072). Darin hat Gerald 1192 oder kurz darauf (s. Sp. 1110)
die Wunder beschrieben, welche bei und nach der Heiligsprechung
des Stephan 1189 geschahen. In der Einleitung Sp. 1087—1094
berichtet er über den Streit; Freilich, 1188 durch Compromiß zur
Versöhnung beider Parteien gewählt, nimmt Gerald bei jedem
Worte peinliche Bücksicht auf jede Partei. Dennoch will ich einen
kurzen Auszug geben über die Ereignisse bis zum Schreiben des
De sdsmate Orandimontanonim. g5
Pabstes Clemens III. vom 25. Juni 1188: ultimo anno pa-
patus Lacii III (f 24. Nov. 1185) oborta est gravis dissensio in
ipso ordine nostro. . . Dens permisit terram lerosolymitanam ea
tempestate . . in manibos AUofilonun transferri. . . Cum ista
dissensio fere per trienniom graviter perdorasset, ibant ad cnriam
fratres saepissime et revertebantnr, parom aut nihil proficientes,
nsque ad tempns Clementis, qui (25. Jnni 1188) itemm . . regolam
institntionesqne confirmavit, privilegia innovavit duosque priores,
qoi tone temporis invicem erant contrarii, destitnit et licentiam
eligendi priorem indolsit.
Dieses sehr magere Gerippe müssen wir uns ausfüllen mit
Notizen aus verschiedenen päbstlichen Schreiben und be-
sonders aus den Schreiben des Stephan, des späteren Bischofs
von Toumai, welche ich bei dem 2. Abschnitte dieses Streites
näher charakterisiren werde. Denn die Geschichte dieses Streites
läßt sich in 3 Abschnitte theilen: 1) der Prior Wilhelm wird
von seinen Laienbrüdem bekämpft, bis zum Schreiben Urban's III
vom 7. Juli 1186; 2) der Prior Wilhelm und ein neu ge-
wählter Prior Stephan bekämpfen sich, bis zum Tode Gregors VIII
(17. Dez. 1187); 3) Prior Wilhelm ist verschwunden; Prior
Stephan wird bekämpft, besonders von der franzosischen Geist-
lichkeit und den franzosischen Behörden; bis zur Entscheidung
des Pabstes Clemens' III vom 25. Juni 1188.
I. Von dem ersten Abschnitte des Streites bis zum
7. Juli 1186 wissen wir nur wenig, fast nur das, was die unter
diesem Tag ausgefertigte Bulle ürban des III (Martene Anecdota
I 628) uns lehrt: in dem Orden sind heftige Streitigkeiten aus-
gebrochen (wie andere Zeugnisse beweisen, schon vor dem Tode
des Lucius HI, f 24 Nov. 118B), welche beizulegen den Bemühungen
Vieler nicht gelungen ist. Jetzt sind Brüder beider Parteien in
Rom erschienen und führen Klage über Einrichtungen des Ordens
und über gegenseitig verübte Unbild. Zur Abhilfe wird außer
unbedeutenden Verordnungen, z. B. über die Aufnahme neuer Brüder
und über Strafen , hauptsächlich verordnet : priori tam in
spiritnalibus quam in temporalibus plenam concedimus . . pote-
stätem: ita ut uni conversorum, qui magis idöneus fäerit, in
cellis vestris temporälia disponända committat, qui de ipsius pri-
öris manddto eleemosynas depositdque recipiat et eas in pios usus
ac necessitatem domus provida consideratiöne convärtat. Cara
vero spiritualium libere de mandato prioris circa cl^ricos fpsos
resfdeat, ita quod nullus laicorum fratrum in confessionibus, peni-
tentiis, divinis offidis celebrindis et corrigendis exc^ssibus deri*
KfL Gm. d. Wlu. N»ekriel&teB. PliUolog.-bffltor. KImm. 1906. U«fl 1. 5
66 Wilhelm Meyer,
c6ram nllam sibi anctorit^tem nsürpet, sed haec omnia per priörem
iam dictum vel de mandato ipsios per clöricos expledntor. Hier
werden also nur die Befugnisse der Laienbrüder und jene der
Kleriker genauer abgegränzt. Es ist keine Rede von einer
Aenderung der Regel selbst oder der späteren Einrichtungen.
Der ganze Streit wird zwischen den beiden Ständen der Brüder
gekämpft; die Person des Priors Wilhelm wird durchaus nicht
berührt.
n. Der zweite Abschnitt des Streites bis zum Tode
des Pabstes eregor Yin (17. Dez. U87): der Prior WiHielm
und der Gegenprior Stephan. Den Charakter dieses 2. Ab-
schnittes des Streites im Grandmontenser Orden bezeichnet Cle-
mens III. (25. Juni 1188) treflFend mit den Worten *contro-
versia de abrenunciatione Guillelmi quondäm prioris vestri et
substitutione Stephani prioris', mit etwas mehr Farbe Gerald
^priores tunc temporis erant contrarii'. Etwas genauer berichtet
dann Clemens HE.: certa ratione ratiöne comp^rimus, memoratum
Guillelmum prioratus honorem coram delegatis a sede apostolica
iudicibus se abrenuntiaturum ad certam diem iuramento praöstito
promisisse; et postmodum alia vice in manibus dilecti filii nostri
Oetaviani, sanctorum Sergii et Bacchi didconi cardindlis, tunc
apostolicae s^dis legdti, et venerabilis fratris nostri Petragori-
c^nsis epfscopi et dilecti filii dbbatis de Corona sine iuramento
viva voce renuntiasse. De alterius vero, videlicet Stephani, sub-
stitutione, licet eins electio memorato Guillelmo abrenuntiante
canonica ^sse pot&erit, intelleximus quibusdam ex vobis, videlicet
clericis, grave scdndalum generäri.
Viele Einzelheiten über den Verlauf dieser Kämpfe bieten
die Briefe des Sachwalters der Elerikerpartei, des Stephanus
Tomacensis; allein sie sind durchaus parteiisch gegen die Laien-
brüder. So gilt ihm bis zum Tode Gregorys Vm. (17. Dez. 1187)
der Prior Stephanus als Eindringling, dagegen Wilhelm als der
rechtmäßige Prior, qui nee cessit nee decessit.
Aus dem Schreiben Clemens des m. sehen wir, daß die
Streitigkeiten im Grandmontenser Orden durch das Schreiben des
Pabstes Urban III. vom 7. Juli 1186 nicht beigelegt worden sind,
sondern im Gegentheil heftiger entbrannten und sich auch gegen
die Person des Priors Wilhelm selbst richteten, ürban lU.
sandte eine Untersuchungskommission nach Grandmont und vor
dieser erklärte Prior Wilhelm, daß er bis zu einem bestimmten
Termin seiner Würde entsagen werde. Das geschah dann in
Oegenwart des Eardinal-Legaten Octavian und Anderer. Nachher
De sdsmate Grandimontanonim. 67
wurde der Prior Stephan erwählt und jetzt begann erst der er-
bittertste Kampf der beiden Prioren und Parteien. Für all diese
Ereignisse haben wir fast keine Daten. XJm einige chronologische
Sicherheit zu gewinnen, gab ich mir Mühe, wenigstens die Zeit
zu bestimmen, in welcher der £ardinal-Legat Octavian in diesen
Streit eingriff.
Das Eingreifen des päbstlichen Legaten Octavian.
Fabst Clemens lU. schreibt nnter dem 26. Juni 1188, der Prior
Wilhelm habe 'in manibns dilecti filii nostri Octaviani, s. Sergii
et Bacchi diaconi cardinalis, tnnc apostolicae sedis legati, et vene-
rabilis fratris nostri Petragoricensis episcopi et dilecti filii abbatis
de Corona sine ioramento viva voce rennnciasse. Die beiden letzt
genannten Orte liegen nicht sehr weit von Limoges; also gab
Wilhelm diese Erhlärang ab, als der Legat Octavian in Frankreich
weilte.
Wann weilte nnn Octavian als Legat in Frankreich und wann
in der Gegend von Limoges? Znr Beantwortung dieser Frage
nützen wenig die bei Migne Cnrsns Bd. 202 gedmckten ürkonden
ürban des m., mehr die bei Pflngk - Härtung (Acta) und am
meisten die von £ehr seit 1896 in diesen Nachrichten gedmckten
Urkunden mit den Unterschriften der anwesenden Kardinale.
Boger de Hoveden (ed. Stnbbs II 317) berichtet nach dem ein-
gehenderen Bericht der Bedicti Gresta Heinrici 11 (ed. Stubbs II 4):
post natale domini (1186) Urbanas papa misit in Angliam Octavi-
anom s. sedis Bomanae ecdesiae snbdiaconum cardinalem, et com
eo Hagonem de Nunant, qoibns ipse commisit legatiam in Hybernia
ad coronandnm ibi lohannem filixmi regis^); sed dominus rex co-
ronationem illam distulit et praedictos legatos dnxit secom in
Kormanniam ad colloqninm inter ipsnm et Philippnm regem Fran-
dae. Transfretavit itaqne rex Angliae et applicuit apnd Witsand
in Flandria et praedicti legati cum eo (17. Febr. 1187). Die Be-
sprechungen mit Philipp finden Ende März und Anfang April bei
Nonancourt, westlich von Paris statt; es ist natürlich, daß der
Legat dabei war.
In den Unterschriften der päbstlichen Privilegien, welche
alle in Verona ausgestellt sind, tritt im Jahre 1186 Octavian zu-
1) Das leider inhaltslose Schreiben des Petras Bles. an Octavian (Bligne
Corsas 207 Sp. 86), welches die Simonie schildert and gipfelt in den Worten:
'Ta igitar, amantissime pater, qoi a latere sammi pontifids missas es, ot legatione
fongaris pro Christo, sarge in exstirpationem exsecratissime pestis haias', ist
jedenfalls ein Begr&ßangsschreiben, f&Ut also in den Dezember 1186 oder in den
Januar 1187.
5*
68 Wilhelm Meyer,
erst am 12. and 22. April anf (Pflagk-Hartang, Acta lU und I).
Dann unterschreibt er noch zuletzt am 1., 4. and 12. Sept. 1186
(Kehr 1904 S. 185; Migne Bd. 202; Kehr 1900 S. 187). Seine
Unterschrift fehlt schon in Urkunden vom 20. September (Migne),
vom 25. Sept. (2 Urkunden bei Kehr 1901 S. 23) und vom 26. Sept.
(Kehr 1897 S. 384 und 1901 S. 24). Demnach ist Octavian 1186
zwischen dem 12. und dem 20. September von Verona abgereist.
Octavian fehlt im Jahr 1187 noch in den Unterschriften vom
23. Juni (Acta III) und vom 80. Juni und 2. Juli (Migne). Da-
gegen findet Octavian's Name sich wieder in den Urkunden vom
25. August 1187 (Kehr 1903 S. 627); vom 31. August (Kehr 1901
S. 265) und vom 4. September (Kehr 1900 S. 188). Demnach ist
Octavian zwischen dem 2. Juli und 25. August 1187 wieder nach
Verona zurückgekehrt.
Die Hinreise nach England von Mitte September bis Weih-
nachten 1186 führte Octavian schwerlich so weit südlich, daß er
in die Nähe von Limoges kam, auch strebte er natürlich zunächst
dem Ziel seiner Sendung zu. Im Januar und Februar des Jahres
1187 war er in England. Dann auf dem Festland mußten die
beiden Legaten gevnß den wichtigen Verhandlungen der beiden
Könige im Nordwesten Frankreichs beiwohnen. Diese zogen sich
in den April hinein.
Ende Mai 1187 zogen sich die Heere in Mittelfrankreich zu-
sammen. Ende Juni kam es bei Chateauroux, in der Mitte zwischen
Orleans und Limoges, statt zur erwarteten Schlacht zu einem
Vertrag. Jetzt war die Vermittlung der Legaten entbehrlich.
Damach sind wir berechtigt, als sehr wahrscheinlich zu
folgern: die Verhandlungen zwischen dem Legaten Octa-
vian und den Grandmontensern haben im Mai oder
Juni 1187 stattgefunden.
Das Chronicon Bemardi Iterü (bei Duplfes-Agier, Chroniques
de S. Martial p. 62) gibt unter dem Jahr 1187 den allerdings sehr
gekürzten, aber wichtigen Bericht : G-randimontenses gravi dissen-
sione periclitantur, ita quod W. prior cum ducentis clerids et
TTTTT laicis de domo sua prosiliens Rome obiit peregrinus ^). Ego
presens fui in capitulo, cum hoc fieret, et Octavianus episcopus
Ostiensis et Hugo de Nonans et Lotharius, qui postea Innocentius
III. papa meruit nuncupari. Der nemliche sagt zum Jahre 1218
(p. 102): annus iste XXXIIus est, ex quo Willelmus prior exierat.
1) Wie unten (S. 71 Note) gezeigt wird, lebte er noch, als Clemens III.
am 26. Juni 1188 seinen Sprach fUlte.
De scismate Grandimontanorain. g9
Also (im Mai oder Juni) 1187 hat in Grandmont eine feier-
liche Verhandlung stattgefunden zwischen den feindseligen Parteien.
Dieser wohnten bei die beiden päbstlichen Legaten nnd der noch
jugendliche Lotharias, der spätere Pabst Innocenz III. ^), dann
der episcopus Petragoricensis nnd der Abt von Corona. Bei den
Verhandlungen hat Prior Wilhelm feierlich seine Würde nieder-
gelegt (in manibus Octaviani . . viva voce abrenuntiavit), freilich
ohne es zu beschwören (sine iuramento). Jetzt waren die
Grandmontenser berechtigt, ja verpflichtet, einen andern Prior zu
wählen. Das konnte kaum schon in jener Versammlung in Gegen-
wart der päbstlichen Legaten geschehen, sondern dazu wurde eine
neue Versammlung der zur Wahl befugten Ordensbrüder nach
Grandmont berufen. Gewählt wurde, also etwa im Juni 1187,
Stephan. Er war ein eifriger Verfechter der Kechte der Laien-
brüder und behandelte die erregten Kleriker jedenfalls unsanft.
War dies Alles ein Sieg der englischen Interessen (s. S. 74 Note 1)?
Nach dem Tag seiner Entsagung oder wahrscheinlich erst
nach der Wahl Stephans verließen Wilhelm und viele Kleriker
nebst wenigen Laienbrüdem das Kloster Grandmont und zogen
nordwärts in Klöster, die im französischen Gebiet lagen, und in
welchen natürlich jetzt sie die Oberhand hatten. Sie mögen durch
rücksichtslose Behandlung von Seiten der Laien dazu veranlaßt
worden sein : doch sicher hat das Chronicon Bernardi Iterii Recht
mit den Ausdrücken 'prosiUens' und 'exierat'. Aber die Kleriker
natürlich und ihre ganze Partei, auch die 4 Rythmen, sprechen
nur mit Ausdrücken, wie *eici, expelli' usw. Ja die Historia pro-
lixior sagt, die Laien hätten die Stube des Priores und die Kirche
erbrochen, den Prior und die Kleriker eingesperrt und mißhandelt,
endlich den Prior Wilhelm abgesetzt (Martene, Ampi. Coli. VI 127).
Für die ganze Partei der Kleriker — und das war fast die ganze
Geistlichkeit Frankreichs — wurde dies das Feldgeschrei: der
geheimnißvoUe Grandmontenser Orden hat sich jetzt enthüllt;
1) Ich kann nicht finden, daß dieses Datum aus der früheren Lebenszeit
Innocenz des III. in den Werken über sein Leben schon notirt und benützt w&re.
Der etwa 26 jährige Lothar tritt hier in glänzender Umgebung auf. Gehörte er
zum Gefolge des Octayian, mit dem er verwandt war, und hat er ihn auf dieser
ganzen Gesandtschaftsreise begleitet? Es wäre das ein wichtiges und lehrreiches
Jahr seines Lebens gewesen. DeBhalb wäre es wichtig, wenn noch andere Notizen
gefunden würden, welche in der Zeit von Mitte September 1186 bis Juli 1187
den Lothar entweder so vereint mit Octavian oder so von ihm getrennt zeigen,
daß die obige Yermuthung, er sei in dieser Zeit Gesandtschaf tsattach^ des Octa-
vian gewesen, entweder bewiesen oder sicher widerlegt würde. Gewiß ist, daß
Lothar noch als Pabst den Octavian sehr geehrt hat.
_. Wilhelm Meyer,
dort woUen die nngebüdeten Laienbrfider die Herren der gebüdeten
Kleriker Bein, und bo haben sie jetzt ihren Prior sammt den
Krtn "^handelt nnd verjagt und einen Pn^r ihrer Partei
gesetzt. Hierin lag für die Zeitgenossen das Extraordinarinni
Ss Ordens. Diese Anschaunng erfallt anch nnsere 4 Rythmen
nnd die übrigen Schriftstöcke. .^ , -xx j ox u
Der weitere Verlauf dieses zweiten Abschnittes des Streites,
dos Kampfes zwischen dem Prior Wilhelm nnd dem Prior Stephan
Z uns nar in Briefen des Stephan von To^. dama^« no^
Abt der regnUrten Chorherm in Pans, geschilderte no 1^ 149
1R2 164 und 166. Diese Schreiben sendete Stephan theds in
einem eigenen Namen, theils hat er sie für Aiidere verfaß: knrz.
erlt der eigentUche nnd fast fanatische Sachwalter der Klenker-
partei des Grandmontenser Ordens. Gegenüber dem 1 Briefe
foben S 68 Note) ist seine Rolle stark gewechselt. Dort wollte
er dl CisLri Jer erheben nnd hat deßhalb die Grandmontenser
mehr als richtig getadelt: hier hat er übernommen die Grand-
montenser Kleriker gegen ihre Laienbrüder zu T^^tt^digen -d
diniie Anfaabe führt er mit semer ganzen Leidenschaftlichkeit
aus M^ m^ also auf sehr parteüsche Angaben nnd UrtheUe
RAinerseits ctdf&ßt sein«
Als Prior Wilhelm außerhalb des Klosters Grandmont in
Sicherheit war, hat er bald seine 'sine iuramento' erklärte Ent-
sagung widerrufen; mit welcher Begründung, das ist mcht Mar.
BTEumTode Gregors gegen Ende dieses Jahres 1187 nennt seme
Partei Wilhelm den rechtmäßigen Prior (qm nee cesserat nee de-
cesserat), den Stephan dagegen einen frevelhaften Eindrmglmg
Der Pabst ürban UI. ernennt 5 Schiedsrichter«), welche d^
Stephan excommmiiziren und der Klerikerpaxtei vorderh«id 20
Collen als Wohnsitze anweisen. Doch die Laienbrnder in Grand-
mont kümmern sich nichte darum, und der Pabst, welcher noch 2
weitere Schiedsrichter ernennt, scheint den Spruch der 5 Schieds-
richter selbst nicht anerkannt zu haben. (Stephan's Tom. Briefe
148 und 149). ^ , ^ x •• i.i- u • r«-x
Die Klerikerpartei fand Aufnahme hanpteachlich m Cister-
cienserklSstem. Stephan's Tom. 152. Brief ist ein Dank W an
Wilhelm den Abt der Cistercienser, welchen er dem PnorWilhehn
diktirt hat. Nach der später anzuführenden Stelle des Radulfus
NiÄ^x war^n dies nur CistercienserklSster auf franzosischem
M
1> r>» Moli»« VW «l^t. CXIXV) neut die Nwwsn dieser 5 Schiedmchter,
De sdsmate Orandimontanoram. 71
Gebiete and die Aufnahme geschah auf Anregung des Königs
Philipp.
ürban m starb (20. Oct. 1187), ohne eine Entscheidung ge-
troflFen zu haben. Sein Nachfolger Gregor VIII (21. Oct.— 17. Dez.
1187) war mit Stephan Tom. persönlich bekannt. Sofort wurde
er mit Bitten für die Grandmontenser Kleriker bestürmt. Zu-
nächst diktirte Stephan Tom. dem Prior Wilhelm ein Schreiben
an Gregor VIII (154. Brief), welches schließt mit der Aufforderung
'deiectum restituite'. Dann bestimmte Stephan noch 2 andere hohe
pariser Geistliche, sich mit ihm gemeinsam an Gregor zu wenden
(166. Brief). Sie verlangen für den Prior vollständige Wieder-
einsetzung; weiterhin daß der Pabst nicht ruhig zusehe, wie
weltliche Fürsten die Einrichtungen des Grandmontenser Ordens
änderten; sondern selbst solle er das in die Hand nehmen. Damals
also hielt der Prior Wilhelm sich sicher noch in Frankreich auf.
Diese 2. Periode des Streites reicht bis nach den 2 eben er-
wähnten Briefen an Gregor YUI. Nach diesen beiden Schreiben,
aber natürlich vor der nachher zu besprechenden Conventio des
Königs, also, wenn diese Conventio wirklich noch im Jahre 1187
geschlossen ist, etwa Anfangs Dezember 1187, verschwindet
der Prior Wilhelm. Der Erlaß des Pabstes Clemens III vom
25. Juni 1188 zeigt, daß er damals noch lebte ^): allein schon die
1) tarn Ouilelmum, qoi abrenantiasse dignoscitor quam Stephanom . . a
prioratas regimine duximus amovendos; auch der nachfolgende Prior Gerald
schrieb einige Jahre sp&ter : Clemens III . . duos priores, qoi tone temporis in-
vicem erant contrarii, destitoit. Die Brevis historia prionim (Martene, Ampi. Coli.
VI Sp. 118) sagt: Romam adiit, onde rediens in itinere obiit 18^ prioratas sui
anno, eins ossa in Grandimontem translata sunt. Wohl dieselbe Notiz liegt dem
Bericht der Prolixior historia (ebenda Sp. 127/8) zu Grande (bessere 'in itinere'
statt 'feliciter') ; doch sind hier thörichte Sachen dazu construirt, wie z.B. daß
Wilhelm nach der Conventio (1187/88) Rom aufgesucht and yom Pabst Ladas lU
(gestorben 24. Nov. 1185!) besondere Freiheiten für das Kloster erlangt habe.
Auch die oben (S. 68) citirte Stelle des Chronicon Bemardi Iterii zu 1187 'de
domo sua prosiliens Rome obiit peregrinus' zeigt, daB Wilhelm wirklich nach Rom
gegangen ist Aber die Conventio und der (174.) Brief Stephan's Torn. an Pabst
Clemens III zeigen, daß Wilhelm seiner eigenen Partei nicht mehr als Prior galt
Aach der Brief des pariser Abtes Guarin an König Philipp (Martene, Ampi. ColL
VI 266) nennt öfter die pauperes clerici oder ecclesiae ministri von Grandmont,
aber nie den Prior. Mit dem einzel stehenden Mirakel bei Martene, Anecdota
I 604 = Migne 204 Sp. 1179 kann ich nichts anfangen. Da heißt es: domnos
Willelmas prior Orandimontis, ut fere omni mundo notum est, pro iniuria quam
a fratribas suis patiebatur, exul et peregrinus Romae migravit ad Christum, cuius
sanctitatis virtutisque praeconium omnium nostrum novit ecdesia, quod etiam
crebra testantur miracula. Frater autem iam dictus Bemardus de Rocha, ab
72 Wilhelm Meyer,
Conventio des Königs Philipp wie das 174. Schreiben des Stephan
Torn. kennen nar einen Prior, den ihnen feindseligen Stephan in
Grandmont.
III. Der 3. Abschnitt des Streites: das Eingreifen des
Philipp Augusts und die Entscheidung Clemens des in. Der
König Philipp hat einen Vertrag zwischen den Streitenden vermittelt
(Martene, Anecd. I 630), welcher in der Hft mit 'Actum anno
MCLXXXVII' unterschrieben zu sein scheint und z. B. bei Delisle,
Catalogue des Actes de Phil. S. 48 datirt ist *du 1187 au 16 avril
1188'. Ich glaube, daß diese Conventio entweder in den 2 letzten
Monaten von 1 187 oder im Anfang von 1188 zu Stande gekommen ist.
Die Schreiben des Stephan Torn. sprechen oft von Bestechnngen,
mit welchen die Laienbrüder sich Gönner gewännen (148. 149.
164. Brief); ebenso deuten sie auf die Einmischung weltlicher
Großen: ep. 149 fautores, qui corrumpuntur pecunia. iudiciarias
vigor nee minas principum timens. Ep. 154 (conversi) armant et
animant principes seculi huius; per potentiam secularium, quos in
sui favorem illicitis artibus et pecuniario questu conciliare non
cessant.
Hiezu tritt im 166., an Gregor VIII gerichteten, Brief noch
ein bestimmtes Ziel, welches diese Gönner der Laienbrüder er-
strebten: quoniam error simulationis in illo extraordinario ordine
in tantum convaluit, ut secta potius quam religio dici possit, videat
sanota paternitas vestra, ut non per principes seculi neque per
potentes laicos (quod conversi summopere fieri petunt) quasi sub
specie pacis et concordie deformis aliqua reformatio fiat inier
eos, ne forte, si facta fuerit, fiat novissimus error peior priore:
haue pocius soUicitudinem et curam correctionis et emen-
dationis ordinis illius per vos ipsum si licet assumite, aut viris
religiosis et qui regularibus disäplinis eruditi sint id iniungite,
occidentalibas partibos Romam pergens eias videre sepulcnun, ibi similiter de-
fimctOB est Dieser erscheint dann einem Orandmontenser Kleriker in einer Ymoa
und auf die Vngp *qaomodo est domno QuiUelmo priori?' antwortet er 'ipse est
com domino lesu Christo in regno celorom et deos in celis coronarit eom'. I>as
wird ersahlt, quia preconia sanctitatis domni WiUelmi prioris nulJas soonun
discipolorom debeat reticere. SoUte mit dem Bemardus de Bocb« gemeint sein
Bemardus du Coudrai, auch genannt de Br^ oder de BoschiÄC? Vgl. die Briefe
bei Migne 204 Sp. 1166. Qanz halUos ist die Vermuthung der Histoire lit de h
France XV Ul und 406, daß dieser Wilhelm die dem Petrus Bles. xugeschriehene
derbe Satire über die Simonie etc., an den König von EngUnd gerichtet gegen
die Bischüti? von Süntes und Limoges, 'Quales muV (Mipie 207 Sp. Iöö5--i05i;i
in Rom verfaßt habe. Ich fand Stticke dixaus unter dem Namea 'KricÜaa.
De sdsmate Orandimontanoram. 73
inter quos, si placet, abbas sancti Victoria . . aut precipuus ant
inter precipaos sit onus . ., quormn ope et opera inordinatis ho-
minibas Ulis certa forma ordinis imponatnr. Dabei: dericorum
libertas non pereat!
Also potentes und principes secnlares unterstützten nicht nur
die Laienbrüder, sondern sie dachten sogar daran, die Einrichtung
des Ordens selbst zu ändern. Das Letztere ist in der unter
Philipp's Schutz geschlossenen Vereinbarung geschehen : gehört er
also zu den bezeichneten potentes und principes seculi? Zu-
nächst ist sicher: auch, wenn wirklich in dem 166. Brief auf Phi-
lipp's Conventio angespielt wäre, so war dieselbe damals, also im
November/Dezember 1187, nach Stephan's Worten erst geplant,
noch nicht geschlossen. Allein Stephan Tom. war Abt in Paris
und ein getreuer und oft berufener Diener seines Königs, in dessen
Namen er viele Schreiben verfaßt hat : er konnte also dessen Vor-
gehen nicht beim Pabste so verdächtigen und durchkreuzen. Femer
hat Stephan Tom. in dem 174. Brief, also höchstens 3 Monate
später, jene von Philipp August begünstigte Reformation auf das
Eifrigste vertheidigt: ohne besondere Beweise darf man ihm also
nicht zutrauen, daß er 3 Monate vorher beim Pabst eben diese
Absichten seines Königs verdächtigt habe.
Vielmehr ist eine andere Verkettung der Interessen die wahr-
scheinliche. Das Haupt des Grandmontenser Ordens und viele
Gellen des Ordens lagen im englischen Gebiet und wurden von
den englischen Königen durch mancherlei Schenkungen begünstigt.
Viele Gellen aber lagen im französischen Gebiet ; die in Vincennes,
bei Paris, gelegene Celle hatte Berhard du Gondrai zum Vorstand,
einen beim König sehr beliebten Mann, der sogar selbst schon
1161—1168 in Grandmont Prior gewesen war. Nun wurden die
Brüder in 2 Parteien gespalten : die mächtigen Laienbrüder blieben
in Grandmont selbst und behielten die Oberherrschaft in vielen
Gellen; die Elerikerpartei und der Prior flohen in das franzö-
sische Gebiet und hatten dort zuerst Gellen des Ordens inne.
Natürlich nahmen bei dem langen Streite die euglischen Macht-
haber sich ihrer Angehörigen an, d. h. der Laienpartei ; die franzö-
sischen dagegen nahmen sich der bei ihnen Weilenden an, d. h.
der Klerikerpartei. Wenn Stephanus von potentes und principes
seculi spricht, welche den Laienbrüdern günstig seien, so sind die
englischen Gewalthaber bei Limoges gemeint. Die Haltung beider
Könige im Grandmontenser Streit schildert eine der Notizen bei
Radulfus Niger (Mon. Germ. Scriptores 27 S. 337): Henricus II,
si aliquid occurreret, . . acdto legato (apostolico) ad suum arbitrium
74 Wilhelm Meyer,
per apostolicam demum aactoritatem implebat suam yolnntatem.
TJnde cum per huinsmodi legationis officiam in Grandimonti vellet
laicis dericatnm eins ordinis subicere ^), confugenmt omnes fere
derici ad gloriosum Philippum regem Franciae; qui eos sascepit
benigne et honorifice, et pro eomm optione commendavit ad tempos
per abbatias in Cisterciensi ordine (s. Stephan's Tom. 162. Brief).
Bei der langen Yerzögernng der päbstlichen Entscheidung
gingen die Laienbrtider mit Hilfe ibrer Ordenssatznngen gegen
die widerspenstigen Kleriker vor. Das ging leicht auf dem engli-
schen G-ebiet. Auf französischen Gebiet hätte man sich gern der
Kleriker gegen die Laien angenommen: allein nach den Ordens-
satznngen war das schwierig. So brach die üeberzengung sich
Bahn, wenn der vor dem Streit so hochgeachtete Orden wieder
gedeihen solle, so müsse an seinen Satzungen und Einrichtungen
gebessert werden. Diesen Gedanken suchte man, nach meiner
Ansicht, auf englischer Seite auszuführen im November oder De-
zember 1187, und einen solchen englischen Versuch besprechen und
bekämpfen die 3 pariser Gastlichen in ihrem an Gregor VIII. ge-
richteten Schreiben (Stephan's 166. Brief).
Gegen diesen englischen Versuch machte Philipp August einen
Gegenzug ') ; er versuchte zunächst die Verhältnisse der in seinem
1) Ist damit vielleicht gerade auf die oben (S. 69) besprochene Verhandlung
in Grandmont gedeutet, wo in Gegenwart der beiden päbstlichen Legaten, ron
denen Hugo ein Engländer war, der Führer der Grandmontenser Kleriker, der
Prior Wilhelm, zur Abdankung gebracht wurde, — offenbar gegen seinen Willen ?
2) Ja, yielleicht wurde dies Yorgehn Philipp's eben von pariser Prälaten,
also auch von Stephan Tom., einem ihrer Führer, veranlaßt. Guarin, der Abt
von S. Victor in Paris, hat an König Philipp einen Brief gerichtet (Martene,
Ampi. Coli. VI 266); in diesem ziemlich unbeholfenen Schriftstück schildert
Guarin die unglückliche Lage der Grandmontenser Kleriker (vom Prior schweigt
er) und das anmaßende Vorgehn der Laienbrüder. Dann schreibt er : ut credimus,
vestris temporibus est reservata correctio, ut tantum tamque excellens dei opus
vos regis aeterni ministrum in bono et cooperatorem fidenter habeat. Celsitudini
igitur vestrae supplicamus attentius, ut illam {carr. viam) recti consilii, quam a
principio divina vobis ut praediximus pietas inspiravit, felici exitu consummare
velitis, malignantium linguas . . declinando, quae . . fructuosam sanctae religionis
correctionem, quam vestris diebus Spiritus sanctus reservare disposuit, maligni
hostis arte nituntur destruere. Das ist derselbe Guarin, welchen Stephan Tom. im
166. Brief dem Pabst Gregor zur Leitung einer Reformation des Grandmontenser
Ordens empfohlen hatte. Anderseits, wenn Guarin und Genossen den König so,
wie eben gesagt, zu einer Reformation des Ordens gedrängt hatten, waren sie,
als diese Reformation zu scheitern drohte, um so mehr genöthigt dieselbe so zu
vertheidigen , wie dies im 174. Brief des Stephan Tora, geschehen ist, den
Stephan verfaßt und den außer 2 andern pariser Aebten auch Guarin unter-
schrieben hat.
De scismate Grandimontanorum. 75
Gebiet gelegenen Grandmontenser Klöster zu ordnen. Darüber
unterrichtet uns Stephan's Tom. 174. Brief und die von Martene,
Anecdota I 630 gedruckte Uebereinkunft. Es war freilich eine
sonderbare Conventio; nicht beide Parteien verhandelten nnd be-
schlossen, sondern nur die 2 Abtheilungen der einen, der Kleriker-
partei : einmal die sämmtlichen aus Grandmont geflohenen Kleriker
(es sollen über 200 gewesen sein) und viele aus andern, im engli-
schen Gebiet gelegenen, Klöstern geflohenen Kleriker ; zum Andern
die S^leriker der im französischen Gebiet gelegenen Klöster, die
eigentlichen fratresGallici. Diese letztem standen unter der
Führung des hochangesehenen (s. S. 73) Bernard Coudrai. Von
den Laienbrüdem aber waren gewiß viele aus den französischen
Klöstern von ihren geistlichen Brüdern mitgebracht worden; aus
den im englischen Gebiet gelegenen Klöstern mögen einige wenige
Laienbrüder mit ihren geflüchteten Klerikern erschienen sein.
Dagegen die eigentlichen fratres Anglici, die in Grandmont
und in den andern Klöstern des englischen Gebiets mächtigen
Laienbrüder, waren weder erschienen noch vertreten.
Die Kleriker dominirten also weitaus in der Versammlung
und hätten gewiß gern scharfe Beschlüsse gefasst gegen die Laien-
brüder. Doch sie durften sich selbst die Rückkehr nach Gfrand-
mont nicht verschließen und mußten die Rechte der anwesenden
Laienbrüder aus dem französischen Gebiet schonen. Die Be-
stimmungen der Uebereinkunft suchen deßhalb besonders die Be-
fugnisse der Kleriker gegen die Einmischung der Laien zu sichern.
Weiter geht der 10. Punkt: Prior spiritualia cum clericis, tempo-
ralia cum conversis ordinabit. verumtamen in ordinatione tempo-
ralium poterit clericos advocare quos voluerit, et eorum consilium
habere licebit priori. Dieser Punkt öffnete den Klerikern eine
Hinterthür, durch welche sie zur Betheiligang an der Verwaltung
des Klosterguts gelangen konnten. Diese Uebereinkunft hat
später mehr Beachtung gefunden als man erwarten sollte; in
manchen päbstlichen Schreiben tauchen Sätze dieses Vertrages auf
(so Coelestin lU, 8. Kai. Aug. 1191); besonders viele in dem
großen Schreiben Honorius' UI vom 1. März 1219, welches für
den Grandmontenser Orden einen neuen Rechtsboden zu schaffen
suchte. Hier wird dieser Vertrag ablehnend erwähnt; allein seine
meisten Sätze sind aufgenommen. Auch der Verfasser der Historia
prolixior von Grandmont (Martene, Ampi. Coli. VI 127) hat den
Vertrag benützt aber seltsam mißverstanden.
Einen eigenthümlichen Weg zur Ausführung dieser Beschlüsse
entwirft der Schluß. Die versammelten Kleriker versprechen dem
76 Wilhelm Meyer,
Prior Stephan Gehorsam, wenn er dasIJebereinkommen annehme nnd
ihnen selbst völlige Straflosigkeit für die Vergangenheit gewähre.
Falls aber Stephan diesen Vertrag nicht annehme, so verpflichten
sich die Brüder Bernhard et qai cum eo erant (d.h. die fratres
Gallici), daß sie % partem dericorom bona fide cedent et eomm
super his eront adintores* d.h. daß sie gemeinsam mit den ge-
flohenen Klerikern den Prior Stephan und seinen Anhang (d. h.
die fratres Anglici) offen bekämpfen werden, was sie, freilich
etwas zurückhaltend, schon bisher reichlich gethan hatten.
Die weitere Entwickelung dieses Streites bis zur Entscheidung
Clemens' III vom 25. Juni 1188 können wir nur nach sehr ein-
seitigen Zeugnissen, 2 Briefen des Stephan Tom., beurtheilen.
Der erste, no 167, ein persönliches Schreiben Stephans an den
Pabst, ist im März oder kurz nach dem März geschrieben, da er
den im März in Paris beschlossenen Kreazzagszehnten bespricht.
Dieser Brief enthält nur allgemeine Klagen und Bitten für die
Grandmontenser Kleriker ; die gesammte französische Geistlichkeit
(omnes Gallicane ecclesie clerici) bäten, daß die Grandmontenser
Kleriker nicht der früheren Sklaverei sich wieder unterwerfen
müßten.
Je allgemeiner der 167. Brief spricht, um so deutlicher und
persönlicher der 174. Dieses Schreiben richtet Stephan mit 3
andern hochstehenden pariser Aebten an den Pabst in ihrem Namen,
aber gewiß im Auftrag des Königs Philipp. Stephan erzählt
zunächst den Abschluß des Vertrags und betont stark, daß Philipp
dessen Anhänger in seinen königlichen Schutz genommen habe,
dessen Gegner aber wie seine Feinde des Landes verweise. Der
Vertrag sei im Grandmontenser Kapitel verlesen worden *et a
priore . . in manu Bituricensis archiepiscopi (Heinrich von Sully,
Primas von Aquitanien) in verbo veritatis sub periculo anime sue
firmata et ab omnibus tam clericis quam laicis sub attestatione
consimili firmantibus hoc promissum. Dann aber hätten diese Leute
plötzlich ihr gegebenes Wort gebrochen und widerrufen. Sehr
wahrscheinlich ist dieser Bericht nicht. Prior Stephan, gedeckt
von der englischen Regierung und unterstützt von der Mehrzahl
seiner Ordensbrüder, konnte an die Ordensregel sich haltend es
ruhig abweisen, die Beschlüsse der privaten Versammlung in Paris
an-^unehmen.
Als der Prior Stephan jene Conventio abwies, that Bernard
von Vincennes mit etwa 500 Brüdern den schon in der Conventio
angekündigten Schritt: laicorum fraudem non sequitur. Das kann
doch nur heißen: Bernard und die Fratres Gallici und die in das
De scismate Orandimontanoram. 77
französische Gebiet geflüchteten Kleriker kündigten dem Prior
Stephan den G-ehorsam. Gegen sie wurde beim päbstlichen Stuhle
£lage erhoben : aber sonderbarer Weise nicht vom Prior Stephan,
sondern von 'quidam conversi'. Die Kleriker erhoben (pro se et
pro fratre Bernardo) Gegenklage bei der Kurie. Der Prior, der
bei seinem Vorgehen von einem Philippus de Belmonte und Ge-
nossen (complices eins) unterstützt wurde, verhängte Strafen über
seine Gegner. Es stand also sehr bedenklich um die Annahme
der von König Philipp eifrig protegirten Convention Aber viel-
leicht war das vorausgesehen und Anderes beabsichtigt.
Denn den wichtigsten Punkt haben sich die 4 pariser Aebte
für das kräftige Ende aufgehoben. Der König verlange jetzt vom
Pabste, daß er jene Uebereinkunft anerkenne und ihre Durch-
führung fördere, daß er die in Rom gegen Bernhard von Coudrai
erhobene Klage abweise, ebenso die vom Prior über denselben
ausgesprochene Sentenz inhibire, und endlich, daß die im franzö-
sischen Gebiete gelegenen Klöster des Grandmontenser Ordens
der Leitung (ordinationi) eben dieses Bernhard und des
pariser Bischofs unterstellt würden. Die letztere Maß-
regel wäre der 1. Schritt gewesen , daß der Grandmontenser
Orden in 2 Zweige zerlegt oder daß dessen Oberleitung aus
Grandmont nach Vincennes verlegt wurde. Würde die For-
derung des Königs Philipp erfüllt, so werde das der Kirche
Philipps Gunst und Segen bringen, das Gegentheil sicher Philipps
Ungnade und damit sieher großen Schaden; den Wunsch des Königs
theile aber in dieser Sache die ganze französische Kirche.
(Die Entscheidung Clemens des III. 1188). Der
Streit im Grandmontenser Orden drohte also noch unheilvoller zu
werden und eine wirkliche Spaltung des Ordens in einen franzö-
sischen und einen englischen Theil herbeizuiühren. Für den Pabst,
der damals die christlichen Reiche zum geplanten Kreuzzug einigen
wollte, war die Entscheidung schwierig. Er schlug nach alter
Praxis den Mittelweg ein; sowohl der König von England, wie
der von Frankreich mußte ein Opfer bringen. Unter dem
25.-27. Juni erließ er 3 Gebote (Migne Cursus 204 Sp. 1375,
abgedruckt aus der Gallia Christ. II, Instrumenta S. 191):
1) setzte er den Prior Stephan ab und ordnete die Wahl eines
neuen Priors an — das war ein Schmerz für die Laien und
Englisch-Gesinnten, Freude für die Kleriker und die Französisch-
Gesinnten — ; 2) gebot er den nach Frankreich geflüchteten
S^lerikem unverzüglich nach Grandmont zurückzukehren und die
bisher von ihnen besetzten Klöster nach der Ordensregel den
78 Wilhelm Meyer,
Laien zur Instandhaltnng and Führung des Haashalts zurückzu-
geben; 3) befahl er, die Ordensregel, wie Urban HI. sie ver-
bessert hatte , in Zukunft festzuhalten ^). Diese beiden letzten
Punkte waren für die Laien eine Freude, für die S^leriker aber
zuDächst ein Schmerz.
G. Die innere Entwicklung des Grandmontenser Ordens
nach dem Streit von 1185/88.
Dieser erste Streit im Grandmontenser Orden wurde im Jahre
1188 äußerlich beigelegt. Nach dem Bericht des Gerald selbst
(Martene, Ampi. Coli. VI Sp. 1091—1094) wurde er Michaelis 1188
als Compromiß-Prior gewählt von 220 Klerikern und 260 Laien-
brüdem. Zur Besänftigung der Gemüther beschleunigte dann der
Pabst die schon zur Zeit XJrban's III. angeregte Heiligsprechung
des Ordens-Stifters Stephan. Als diese am 28. August 1189 in
Grandmont mit vielem Glänze vor sich ging, kamen nach Geralds
Bericht: etiam clerici, qui usque ad tempus illud discordes ex-
titerant, ad pacem redeunt et in capitulo obedientiae nostro iugo
humiliter coUa submittunt et in osculo pacis a nobis et a fra-
tribus devote suscipiuntur.
Innerlich aber war der Streit nicht beigelegt. Die Quelle
alles Hebels war ja die, daß nach der Grandmontenser Regel die
Laien die ganze Elosterwirthschaft allein und selbständig betreiben
sollten, während die natürliche Ordnung ist, daß der Gebildete
die Arbeit des Ungebildeten leitet, und während dementsprechend
in den übrigen Orden, ja in der ganzen mittelalterlichen Gesell-
schaft die Clerici die Laici dirigirten. Die Conventio des Königs
Philipp hatte zunächst versucht, die Befagnisse der Laici und der
Clerici scharf abzugrenzen, dann aber gewagt, den Clerici Be-
theiligung an der Leitung der Klosterwirthschaft zu eröffiien.
Clemens III. hat bei der allgemeinen Erregimg der Gemüther
nicht gewagt, an der Elosterregel so sehr zu rütteln; deßhalb
setzte er dieselbe wieder in Kraft (der uns überlieferte Text
scheint der von Clemens III. damals publicirte zu sein) und spricht
nicht von den reformirenden Bestimmungen der Conventio. Viel-
leicht ho£Fte er auch, dieser Streit habe nur eine zufällige Ur-
sache gehabt, und der vom h. Stephan gepflanzte Kern sei doch
gesund und es sei richtig zuzusehen, ob diese plantatio novella
1) Diese von Clemens III. pablidrte Fassang scheint seit 1646 gedruckt zu
werden. Denn die Bolle bei Migne Corsas 204 Sp. 1376/7 ist gleich Sp. 1137
anten ond Sp. 1161 onten.
De srismate Grandimontanorum. 79
nicht nach dem Streite sich wieder so prächtig weiter entwickle,
wie vor demselben in den Jahren 1124 — 1185.
Die Hoffnung war eitel. Dieselben Ursachen hatten dieselben
schlimmen Folgen. Die Streitigkeiten erneuerten sich immer
wieder *), so daß z. B. Honorius III. 1221 drohte, den Grandmon-
tenser Orden aufzuheben (Martene, Anecdota I 883). In Wahr-
heit gab es nur 2 Wege: entweder mußte, wie das die Regel
gebot, die paupertas vollständig aufrecht erhalten, also fast auf
jeden Besitz verzichtet werden, oder, wenn gegen die Kegel die
reichen Besitzungen fest gehalten wurden, so mußte das Vorrecht
der Laien, das ganze Ordensgut allein und selbständig zu ver-
walten, sehr beschränkt werden, was freilich ebenfalls gegen die
Begel war. Ein Versuch, die regelrechte paupertas wieder
herzustellen und dem Orden allen Besitz zu nehmen, wurde 1223
gemacht; allein dieser nahm einen fast komischen Verlauf; vgl.
Martene, Anecdota I 907—911.
Da also das reiche Klostergut festgehalten wurde, so mußte
eben auch im Grandmontenser Orden dieselbe Vertheilung der
Kräfte hergestellt werden, welche sonst überall galt, d. h. der
Gebildete mußte befehlen, der minder Gebildete gehorchen. Dies
Endziel erkannten die S^leriker klar. So sagt um 1220 Jacobus
Vitr. (Historia occid. cap. 19): videbatur monachis, quod in Om-
nibus praeesse debuissent laicis, non subesse; quemadmodum fit in
aliis religionum congregationibus, qui capitella, non bases in summo
culminis consueverant ponere (s. Rythmus I Str. 2). Ebenso
deutlich bezeichnet dies Ziel der späte Grandmontenser Chronist,
wenn er (Martene, Ampi. Coli. VI 128) von dem 9. Prior (um 1217)
sagt: clericorum exaltatione ferventissimus. Hie secundus pro
clericis persecutionem sustinuit a conversis, exaltatique sub eins
tempore clerici in singulis domibus correctores eflFecti, et conversi,
qui dominari consueverant clericis, humilitati (humiliati?) fuerunt
sub clericorum correctione omnino redacti a. 1217. Der Chronist
hat hier allerdings die Verhältnisse seiner Zeit in jene frühere
versetzt. Denn um 1217 herrschten noch böse Verhältnisse im
Orden und gerade in diesen und den nächsten Jahren bekämpften
Kleriker und Laien sich noch heftig.
1) Ich weiß nicht, woher stammt, was die Note im Becneil des Historiens
XIX 289 meldet: a. 1190 die festo lohannis Baptistae rex Philippas lerosolimam
profectoms denno dissidentibos Orandimontensibiis monachis pacem inter eos
factam teneri inssit, adhibitis gravioribos minis, in celebri conrenta ad s. Diony-
siom vel Parisüs habito (cf. Rigordnm).
80 Wilhelm Meyer,
Ein deutliches Zeugnis gibt eine Scene aus der Geschichte
des Dominicaner-Ordens. Auf dem großen Concil der Brüder in
Bologna 1220 wollte Dominicus, daß die weltlichen Sorgen den geist-
lichen Brüdern abgenommen und ganz und gar den Laienbrüdern
aufgeladen würden; doch die Brüder widersprachen dringend und
führten als Hauptgrund das warnende Beispiel an, welches der
Grandmontenser Orden gebe : ut fratres fortius intenderent studio
et praedicationibus , voluit dictus fr. Dominicus, quod conversi
eins ordinis illiterati praeessent fratribus literatis in administra-
tione et exhibitione rerum temporalium. Sed fratres clerici no-
luerunt, quod conversi praeessent eis, ne contingeret eis, sicut con-
tigit fratribus Grandimontensis ordinis de suis fratribus (so lautet
bei Mamachius, Annales ord. Praedicatorum I 17B6 Append. S. 117,
die Zeugenaussage, welche im Text S. 590 verschönert ist).
Allein die Kleriker hatten das ihnen gesteckte Ziel erkannt
und bemühten sich, es zu erreichen. Dazu führten z. B. die aus-
führlichen Statuten des Pabstes Honorius vom 1. März 1219,
welche neben, oder besser vor der Eegel allein gelten sollten; in
ihnen ist zwar von der Conventio des Königs Philipp gesagt *cum
statutis apostolicae sedis in pluribus adversetur, ideo eam vires
nullas volumus obtinere', allein in Wahrheit sind fast alle Satze
jener Conventio in diese Statuten aufgenommen.
So schwand immer mehr das Extraordinarium des Grandmon-
tenser Ordens und immer mehr stellte sich auch in ihm die Ord-
nung ein, welche in den andern Orden und im sozialen Leben
überhaupt galt, daß die Kleriker, die Gebildeten, herrschten und
die Laien, die minder Gebildetep, gehorchten.
D. Die vier Bythmen.
Die vier Rythmen betreflFen ofltenbar ein und denselben Streit
im Kloster und Orden von Grandmont. Die Gleichheit der An-
gaben, der Anlage der ganzen Gedichte und einzelner Ausdrücke
beweist dies. Aber in Grandmont haben viele Kämpfe stattge-
funden: welchen von diesen schildern die 4 Rythmen? Nach
der Historia prolixior der Grandmontenser Prioren ist der I.
Rythmus 1217 gedichtet worden, als der Prior Caturcinus schwere
Kämpfe mit den Laienbrüdern bestand und zeitweilig das Kloster
verließ; s. die kritischen Noten zur 7. Strophe des I. Rythmus.
Doch die daselbst citirte plumpe Strophe ist ein später Zusatz
und ihr Lihalt widerspricht deutlich dem der 6 alten Strophen.
Die Angabe, daß der Prior und die Kleriker geflohen seien, hilft
De scismate Grandimontanoram. 81
idcht zur Sicherheit. Denn das ist nicht nur 1187 geschehen,
sondern auch 1218. Das besagt dentlich das Chronicon Bemardi
Iterii in den von DnpUs- Agier 1874 edirten Chroniqnes de St.
Martial de Limoges S. 101 : Anno 1218 prior Ghrandis Montis
Caercis prima die Maii com cxl dericis exivit de domo sna et a
nobis cmn processione soscipitnr ; qaem per Vll dies procoravimns
cnm suis et per totom annom. Annas iste xxxnos est, ex quo
Wülelmns prior exierat.
Daß die 4 Bythmen 1187 gedichtet sind, dafür ist Folgendes ein
geringer Beweis. Die Ansdrücke 11 16 gens perversa . . priorem
deposoit und lY 42 electom ab eis proiectum und IV 60 habent in
despectom priorem vocare denten anf die Absetzung des Priors :
eine solche wird ans dem Jahr 1187 gemeldet, aber nicht ans 1218.
Dagegen gibt Folgendes genügenden Beweis. Von 1186 ab
hörte die Welt gut 4 Jahrzehnte lang von Streitigkeiten im
Orden von Grrandmont; Innocenz III. (Epist. V 109) hielt sie Andern
als abschreckendes Beispiel vor: hie sicnt Grandimontenses in de-
risnm et fabulam incidatis', nnd Honorins m wollte noch 1221,
des ewigen Zankes müde, den ganzen Orden aufheben. Nun be-
ginnen aber unsere Rythmen mit dem Gedanken: endlich sei das
Gteheimniß enthüllt; der Orden von Grandmont sei bis jetzt be-
liebt und berühmt gewesen, so daß man in ihm besondere Frömmig-
keit und Liebe vermuthet habe ; statt deren sei — zu Aller üeber-
raschung — jetzt Zuchtlosigkeit, Haß und Feindschaft und ein
ganz närrisches Yerhältniß der beiden Brüderklassen zum Vor-
schein gekommen^). Diese Gedanken können nur beim Aus-
bruch des ersten Streites ausgesprochen sein. Also sind diese 4
Byfhmen in der zweiten Hälfte des Jahres 1187 unter den oben
S. 69ffl geschilderten Verhältnissen entstanden.
Die 4 Bythmen sind von Klerikern verfaßt. Freunden der
Grandmontenser Elleriker und Feinden der Grandmontenser Laien-
brüder. Ein Grandmontenser Kleriker war der Verfasser des
1) Die wichtigsten Stellen sind folgende: 12,1 Ezit rumor discriminis de
GrandimontiB cella; 6,7 ordinis plantado novella movet in se bella; 8,1 clausa
quondam religio vel otium secretom nunc subiacet opprobrio. II 2 cnins Tita
nunc est nota, diu volpes latoit. Glaostra, nemos, moros triplez . . Grandimonti
profoit Est apertom, qood opertom dio mansit et incertom : fratrom scelos et
odiom. III 6 Grandimontis ordinati torpiter sont mancipati barbatorom po-
testati nostris in temporibos. 17 barbata gens dominator litteratis hodie. 71 Mons
pregrandis dio florens moltis prevaloit, incognitos qoamdio latoit . . 76 Set nonc . .,
dom detectos yisos est omnibos, obprobriom factos hominibos. lY 44 scelos
est detectom, qood solent celare.
Kft O«. d. Win. NMkilektoD. Pkilolof .-blit. Klant 1906. H«ll 1. 6
82 Wilhelm Meyer,
4. Byfhinns, die der 3 ersten waren aoswärtige Kleriker. Der
1. Bythmos ist geistreich geschrieben, der 2. hitzig, der 8. breit
und gründlich, der 4. täppisch. Die Bythmen haben sich wohl
selbst forterzengt: einen Rythmns lesend oder hörend wnrde ein
anderer Kleriker angeregt, einen neuen Bythmas zn schreiben.
Daher die ähnliche, fast gleiche Anlage der Bythmen, die Gleich-
heit der Gesichtspunkte und vieler Bilder und Bedewendungen.
Ich will hier nur noch 2 Dinge notiren: 1. die in den
4 Bythmen gebrauchten Ausdrücke für die 2 Klassen der Brüder,
2) die für die Austreibung oder den Auszug des Priors und der
Kleriker gebrauchten Ausdrücke.
Die Fratres (boni homines 11 12?, nomen bonae gentis JJI 96/96;
heremite lY 10?) zerfallen in 2 Klassen: die Kleriker heißen
oft clerici; dann derus III 66 104, sanctum cleri collegium 11 18;
sacerdos IV 27, ordinati in 2, ministri ecciesie m 16; sancti do-
mini 11191; litterati III 20,(1); sie werden mit Abel verglichen
ni 53, IV 3, und heißen iusti U 62 (pü IV 60?). Der andere
Theü der Brüder heißt laici IH 32 54. IV 17 28 (62), wozu gehört
laicalis nil05 (? I 4, 6 und m 110); conversi IV 16 21; barbati
[I7]ni9. in4. rV79; gens barbataini7, (barbarum densa
prolixitas HE 106), barbarini 11 50 (wohl nach dem altfranzosischen
barbarin oder barbaran); vulgus indiscretum I 3, 4; rustici HI 38;
non fretum litteris I 3, 9 ; indoctus III 46 ; mit Cain werden sie
m 53 und IV 4 verglichen.
Der Abzug des Prior Wilhelm aus Grandmont wird bezeichnet:
(I 6, 7 toUatur?); excussere de talamo 1136; proiectus est foras
ni 82 ; ab eis proiectum IV 43 ; priorem deposuit IE 15 ; faga senis
opus nefarium fugientis m 99. Von den Klerikern wird gesagt:
exit flendo de monasterio clericorum conventio IH 86; eos foras
iadunt IV 20; verberati IV 82.
V
De ecismate GrandimontanomnL
83
L
In Gedeonis area
vellas aret extentnm;
et demolitur tinea
regale vestimentom;
saperabimdat palea,
6 qae sepelit fmmentom; 6
et loqnitor imnentnin;
nee redit bos ad borrea,
9 set seqnitor carpentnm. 9
Ezit nimor discriminis
de Grandimontis cella,
que tarn sancte dolcedinis
late fandebat mella.
preposteratnr ordinis
6 plantado novella, 6
dum movet in se bella,
bases in snmmo cnlminis
9 ponens, non capitella. 9
3.
Clausa qnondam religio
vel oeinm secretnm
nunc snbiacet obprobrio
per ynlgns indiscretiun,
qnod tali tyrocinio
6 non erat assnetnm, 6
nee confirmat Decretnm,
non legis patrocinio
9 nee literis est fretom. 9
Qnod sanctnm sacerdotinm,
qnod nnetio regalis
se cnrvet ad imperinm
et vocem snbingalis,
divinum est misterinm
an furor laicalis?
favor tamen venalis,
qui non intrat per ostium,
fovet eos sub alis.
5.
Ye ve, qui regis filiam
das in manum lenonis,
ve, qui profanas gloriam
taute devotionis,
qui cellam pigmentariam
et opus Salomonis
fraude rapis predonis,
si certius inspicias,
ad rem conditionis.
6.
Sub brevi doctns tempore
stultus dum incappatur,
pleno prophetat pectore,
ruetans interpretatur
et disputat cxmi rhetore,
qui tacet et miratur,
qnod vir iustus toUatur
et assumptus de stercore
sentencias loquatur.
Lesarten der Handschriften. Bur. Fol. 6^ B, Strophe 1—6;
gedrackt bei Scbmeller no 16, S. 18; = Bodleiana Add. foL 126 no 77; die
Strophen sind anders gestellt :1.2.4.6.8. 15 superbabondat pelea B
8 B (non) orrea 9 set II 9 ponit III, 8 obprobrio B : im-
perio 5 tali B : stare 7 neque forma 8 nee 1^ IV 2
qnod B : et 5 humanom 6anB:etO 8tn ostiiun tind die Bueh-
ttabm ost mM lesbar. YI 2 dorn ine. B: nt incapatur 8 prophetans
5 retore 0.
6*
84 Wilhelm Meyer,
.7.
[Jam iam barbati taceant
et derlei loqnantnr!
atriqae deo serviant
et Utes finiantnr!
est enim christns vera pax,
6 qiii mandat, at dicantrir
misse et deponantrir
per dericos, nt did^nm est,
9 et asini pascantur.]
n.>)
De cismate Grandimontanoram.
I Nnbes fallax est remota.
cxdas vita nunc est nota,
8 diu vnlpes latnit.
Clanstra, nemns, triplex moros,
pallor voltos, sermo porös
6 orandimonti profoit.
Est apertom, qood opertom
dio mansit et incertom,
9 fratrom scelos et odiom.
Ovis lopos fit croentos,
homo Simplex fraodolentos ;
12 malom bonos indoit.
G^ns perversa, plebs scelesta,
dora, ferox, inhonesta
15 priorem deposoit.
Die 7. Strophe habe ich hergesteUt aus der bis 1818 laufenden Historia
prolizior priomm Grandimontensiam, welche von Martene-Dnrand, Yetemm scrip-
tomm amplissima collectio YI 1729 8p. 128 gedruckt ist: domnos Gatordniu
prior DL . . Hie secundns pro clericis persecutionem sastinnit a conversis; exal-
tatique sab eins tempore derid in singulis domibns correctores effecti, et con-
▼ersi, qoi dominari consueverant clericis, htimilitati (homiliati?) faemnt sab de-
ricoram correctione omnino redacti anno domini MCGXYIL Unde de dericorum
exaltatione et conversoram homiliatione et subiectione qaidam frater dericus
canticom säum composoit, quod indpit: InGedeonis areavellas aret
extentam etc., ad ultimum dicens : lamjam Barbati taceant et derid loquantur,
utrimque deo serriatur, et Utes finiantur: est enim Christus vera pax, qui man-
dant ut dieantur missae et deponantur per clericos, ut dictum est, et asini pas-
cantur, iuxta Ulud quod legitur Ecdesiastid XXXTIT: dbana et yirga et onus
asino; panis et disdplina et opus senro.
1) Aus Codex Paris latin. 15009 f. 257^.
i
1
De scismate Orandimontanomm. g5
Fena tristi premnnt isti
precursores Antichristi
18 sanctnm deri coUegiam.
n Barbatonun gens iniqua,
deo semper inimica,
21 virus latens evomnit.
Mundoin Indit, instos trudit,
vinclis ledit, virgis cedit;
24 judea dici mernit.
Domns dei fei draconnm
et spelunca fit latronom:
27 lioc Christus pati potoit?
Ad quid latent, quornm patent
pravi mores et errores?
80 hec sibi vita placoit?
TTT Yirmn iostnm et venostom
doms laude plenus fraude
83 orandimontis grex infamis,
Vt plus vacent voluptati
nee prioris iugo dati,
86 excussere de talamo.
IV Respice, pater eIoü
effrenes nunc piritoi
89 intus frequentant nupdas.
Nunc sciphos, lances iaciunt,
nunc pugnis sese quaciunt
42 et cedes miscent varias.
V Actus probant, negant dicta:
Christum fide colunt ficta
45 infideles additi.
Qui rebelles et inpuri
more vivunt spicuri,
48 voluptati dediti.
VI Ignis pena sibi detur,
barbarinos qui tuetur,
51 et cum illis pereat.
Qui iustorum fovet iura,
post hanc vitam in futura
54 cum beatis gaudeat.
88 Wilhelm Mejrer,
I Fleant oomes litteratil
orandimontis ordinati
torpiter sunt mancipati
barbatonim potestati
5 nostrifl in temporiboB.
Fleant aorom obscnratom
et colorem immatatam,
templom dei violatom,
anro christom coronatmn,
10 sanctom datnm canibtis.
n Stapet celnm scelns terre,
stupet terra gentem ferre,
qae sit ausa se preferre
temereque yim inferre
15 ministris ecdesie.
Admirentor nniversa,
qaod barbata gens perversa,
gens in malnm tota mersa,
dominator vice versa
20 litteratis hodie.
m Obstapesdt et natara,
qaod precednnt capnd crora,
orandimontis dorn gens dura
dericomm tenet iura
25 ritn temerario.
Sic ancilla dominatnr.
et domina famolator,
sponsa ohristi violator,
donv regenda mandpator
80 eins adversario.
IV Yersipellis gaadet hereticos,
dum derico presidet laicas.
lamentetnr omnis catbolicos.
ordo perit ecdesiasticas
85 bis diebos.
Antiqaoram perit traditio,
dorn divino preest offido
rosticomm radis conventio.
ingeritor nova confasio
40 mnndi rebus.
«
1) Au Oete Piuris Utin. 15009 fol. 257^».
I
1
De scismate Grandimontanoram. gf
y Ante boves aratram ponitor,
et capiti caada preponitor;
retroversis pedibns graditor,
et a tergo Inmen deducitor.
45 res stapenda!
Doctor tacet, indoctos loqnitur.
bonos iacet, malas erigitnr.
ab iniusto iostos argoitnr,
et a ceco videns dedndtnr.
50 res pndenda!
VI Lamentare, ta Sion fOial
destranntor lex et iasticia.
Abel perit caim malitia,
dorn laico dator potencia
55 snper deram.
In edipsi labitor pietas.
refrigescit et langaet Caritas.
regnat anri ceca capiditas.
debaccator cum sevit falsitas
60 contra vemm.
Vn A deformi formosa spemitnr.
a fratribus frater distraitor.
rex ininstns iostnm perseqnitnr.
ab impio servns occiditnr
65 fraudolenter.
A milite miles transfigitor.
a filiis mater affligitor.
mrsnm Christas cmci configitar.
orandimontis ordo detegitor
70 inpadenter.
Vin Mons pregrandis diu convalnit;
diu florens maltis prevaloit,
incognitas qoamdin latoit.
plnrimomm gratiam memit
75 sie protectos.
Set divisis contra se fratribns,
nunc iorgiis intercurrentibns,
dum detectas visas est omnibns,
obprobriom factns hominibns,
80 est despectas.
88
Wilhelm Meyer,
IX
XI
Quid innecto
prior magnns
vir sapiens,
conpaciens
85 nt patatnr.
Exit flendo
dericomm
pii patris
circumqaaqae
90 lamentatur.
Effrenatnr
gens effera,
non deferens
sei ingerens
95 bone gentis.
Bonitatem
manifestat
longiores moras?
proiectos est foras,
honestns, hamilis,
sanctas, amabilis,
de |f. 268 1 monasterio
feryens conventio,
folta solatio.
vicina regio
in sanctos domini
non parcens criminii
deo vel homini,
macolam nomini
cecorom cordinm
fratemnm odiom,
promta manns ad fratricidiom,
fhga senis, opas nefarinm
100 fugientis.
gens seva, tristis, pestifera,
si tn potesi modo delibera,
qne lex inbet, qne docet littera,
qnod ins deri
105 laicalis.
Qoid barbaram
vobis prodest,
qnid mnromm
dnm depasdt
110 laicalis?
teneat plebs fera
densa prolixitas
qnid vestis vilitas,
alta soliditasi
animam feritas
TV, Lesarten der Handschriften Dieser Rythmos ist überliefert in
den Handschriften : P = Paris lat. 15009 (St. Victor, 18. Jahrh.) f. 258» C
■3 Born, Casanatensis A. IH 29 auf dem 1. Blatt. In G ist vor dem Gedichte
der hübsche Sprach mit Noten zn lesen:
Paradisi porta, per qoam lax est orta, natam taam ora,
üt nos mandet a peccatis et in regno claritatis,
Qao lax lacet sedala collocet per secala. Amen.
Ich kann den Sprach nicht in Dracken wieder finden. A = Paris, Noav.
Acqaisitions 1544, 15. Jahrh. EL 89 ; hier nach dem (hoffentlich genaaen) Ahdrack
Hanrdaa's in seinen Notices et extraits VI 1898 p. 808 (== Not. et Extr. de la
Biblioth^ae Nationale XXXU part 1 p. 279). 2 percipit PC, prospidt A
8 patitur PA, percipit € 4 Caim P, Cayn C, Cain A 5 ridet lia A
De sdsmate Qrandimontanoram. 89
IV
I Kespiciat Emannel,
qoi soIqs cxmcta percipit:
qnomodo patitar Abel
4 et adhnc caim desipit;
ua ridet, plorat Bachel,
formosam lippa dedpit;
captivüs servit Israel,
8 sicat pharao precipit.
n Qxii non andistis, andite,
orandimontis heremite
11 quid volunt tenere rite,
ignorantes viam vite,
sab pedibns quorom trite
14 sancte iaeent margarite.
III Conversi tenent clericos
sab pedibas et manibas.
sie dominari laicos
18 est sanctom dare canibns.
Priori nolant sabici;
set eos foras iaciant,
sint conversi, sint clerici,
22 qoi eis non obedinnt.
rv Pastores sunt et non oves.
planstrum vadit ante boves.
plus est corpus quam anima
26 et ancilla fit domina.
Si sacerdos est cum gente
fratre laico presente,
Balaam pasdt gramina
80 et txinc loqnitor asina.
6 formosam lippa PA: mandragoras qnas C 7 captivüs servit PA: lacob
snpplantat C 8 s. Ph. prec: cum fallax iostom decipit € 9 aadistis
andite CA: anditis nunc andite P Z. 10. 11 (PC) sind in A umgtsetgti 11.
10 10 heremite C 11 qoi P 12 ignorantes PC: respnentes A
viam CA : legem P 13 trite P : certe C, Terre A 16 manibns et pe-
dibns P 18 sanctnm est P Die Zeilen 19—22 fehlen m C 19 priori
A: doctori P 21 si conversi A 21 laicierici in P von der 1, Band^
weicht dann lai geHlgt und ci tu cl geändert hai 23 non A: nos P, om. C
26 fit PC, qnam A 27 Si PC: et A 28 fratre PC, sicnt A laico
tnnc P 80 tnnc CA: sie P.
90 Wilhelm Meyer,
V Manns inpnra
sine mensnra
toUit secnra
dericis inra,
85 ocnlos ceds.
Gens nimis dnra,
cni non est cnra
lex vel scriptnra,
spemens fntnra,
40 inmemor necis.
VI Talamns flet lectnm
et led;ns electnm
ab eis proiednm.
scelns est deted^nm,
45 qnod solent celare.
Hominem perfectnm
hnmilem et rectnm
in nnllo snspednm
habent in despectnm
50 priorem yocare.
Vn deridy gens honesta,
nnlla dies vobis festa;
58 tot ingemnt yobis mesta.
set tn, dens, tois presta
vires padende
56 contra cor snperbie!
Snperba gens et infesta,
non celestis, set scdesta,
59 si tn potes, manifesta:
in quorum priomm gesta
tibi datnr hodie
62 potestas ecdesie.
DU Ver$e 81—62 tind in jeder Handseh^ anders gestdU: in P stehen, me im
Drueky die Strophen in folgender Ordnung: Str. Y manos, VI talAmiis, YU derid;
tn C stau Str.YUderid vor Str.Y und VI; tn A sUht Str, YU swisahen Strophe
V und VI 85 occolis P 89 spernens futora C, spemens soa iura P,
om. A 42 lectas om, C 46 perfectnm CA, honestom P 48 in n.
s. fMt tn A Z. 53 fehit in C, steht vor 52 tn A 55 inre pade C
57 snperba gens inf. P 60 priomm PC, om, k.
De Bcismate Grandimontanomiit 91
La$HentaHo clericarum pro mdlis a laicis perpetroHs.
Vni Armaria fracta,
yestimenta tracta,
illidta tacta
66 monstrant mala facta.
Jesa christe, tracta,
ne yerba sint facta,
set sna sint pacta
70 in nicbil redacta.
Quod nimis snavis
sit dominus pravis,
monstrat contradavis
74 in domini domo.
Set nobis ignavis
videtor plus gravis,
qoi confixus clavis
78 per nos foit homo.
IX Coniorati sunt barbati
et nos pati preparati
81 qnos male tractant et premnnt.
Yerberati sunt beati;
set prelati timorati,
84 nbi non est timor, tremnnt.
Veritati sunt ingrati,
qui peccati perpetrati
87 ad corrigendum se demunt.
X Non est lex, perit grex,
contempnitur celorum rex.
90 ante vinum bibitur fex.
Pro dolor, desolor.
mutatur optimus color.
98 nil emendandum prestolor.
Die Uebersthrift vor 68 steht nur in P; die Hittoire liUr. begann hiermit
ein neuee Gedüht, und aUerdmga elM in P vor Annaria außerhalb der Columne
ein S, nur etwas kleiner als vor Z. l Respid&t 66 male A 68 facta
PC: acU A 69 sint soa A 70 ad nichü A Die Zeäen 71—78
fehlen m P 72 dominoB sit A 74 domo domini C Die Zeilen
85 86 87 stehen in A swischen 81 und 82 86 non sunt graÜ veritati A
87 ad corigendom P, ad emendandum C, correctioni A 88 m P Mi vor Non
ffi anderer Sthrift Jam, dann vor perit Über der Zeile et sugesetst, wM um 8
Siiben su gewinnen 90 fax A Zeile 93 fehU in C.
92 Wilhelm Meyer, De scismate Grandimontanoinm.
Noten zam L Rythmns.
Form. Die Strophenform ist einfach: der Achtsilber mit
steigendem und der Siebensilber mit sinkendem Schluß sind zu
einer Langzeile vereinigt: 8u-. + 7 — u (der politische Vers der
Byzantiner); diese Langzeile ist 4 Mal gesetzt; dazn wird vor der
letzten Langzeile die 2. Halbzeile als Korn eingeschoben; die
Sinnespaasen haben ihre natürliche Stelle am Schloß der Lang-
zeilen, besonders der 3.; doch sind ihrer so viele, daß sie alle nicht
streng beobachtet werden; also : 8u-.a + 7 — üb, 8u — a + 7 — üb,
8u_-a + 7 — üb; 7 — ub + 8cr--a + 7 — üb. Der Reim ist zwei-
silbig and rein; nar in 5, 8 steht ias statt iam. Hiatas ist
gemieden. Taktwechsel stehen 7 in den 24 Zeilen zu 8u^,
aber 12 in den 30 Zeilen za 7-:.w, jedoch nie so, daß die beiden
sich folgenden Senkungen Wortschloß bildeten, wie z.B. öptimos
cölor. Die spät zugesetzte 7. Strophe kümmert sich feist nichts
am den Beim der Halbzeilen 8 u _, hat einen Hiatas misse et and
1 TaktwechseL
Inhalt. I Alles ist verkehrt, n Wie man hört, wird
auch in Grrandmont Alles auf den Kopf gestellt, m Das einst
geheime Ordensleben wird jetzt verspottet, wegen des Treibens
de^ rohen Haufens darin, iv Leider begünstigen diesen geistliche
und weltliche Vorgesetzte, v Wehe denen, welche Gottes Sache
verweltlichen, vi Ein ungebildeter Emporkömmling schwätzt die
Klagen nieder. Die Strophenfolge der Oxforder Handschrift
giebt keine gute Entwicklung der Gedanken. Da die grobe
7. Strophe mit tacent und loquantur an den Schluß der 6. an-
knüpft, so hat der Verfasser der Chronik nicht mehr als diese
7 Strophen vor Augen gehabt. Der Dichter der 6 Strophen
war kein Grandmontenser Kleriker. Er war ein feiner Kopf.
Denn er behandelt nur die Hauptpunkte und diese von hohem Stand-
punkte; höchstens die 6. Strophe ist persönlich gegen den neu
gewählten Prior Stephan gerichtet. Der Dichter gebraucht viele
Bilder oder hohen Ausdrücke: aUein nur sehr wenige lassen sich
in der Vulgata oder sonst nachweisen; weitaus die meisten scheint
der Dichter erfunden zu haben.
I Z. 1 und 2 sind schwierig. Jud. VI, 36—40 verlangt
Gedeon von Gott 2 Beweise: 1) daß des Nachts das Fell feucht
werde, aber ringsum der Boden trocken bleibe, 2) daß in der
nächsten Nacht der Boden feucht werde, aber das Fell trocken
bleibe. Der 2. Fall wird in keiner Weise als etwas Verkehrtes
bezeichnet: aber hier gilt er dafür; denn all die folgenden Bilder
Noten zum I. Rythmos. 93
bezeicimen Verkelirtes. 3 tinea demolitur Matth. 6, 19 und 20 ;
regale vestimentom Esther 6, 1. 6/6 der gewöhnliche Gegensatz
ist paleae und grana; vgl. Bnr. 2, 4, 8; 19, 11, 7; 139, 3. 7 vgl.
Balaam's Eselin Nnmer. 22,28; dazu Stephan's Torn. 166. Brief
'snbingale sit obediens et mntum' nach 2. Petri 2, 16 8/9 aber
das Sprichwort s. oben S. 61; aber 'redit' verstehe ich nicht:
mnß nicht 'trahit' geschrieben werden? U, 1 discrimen = Streit.
3/4 d.h. es war wegen des frommen Lebens weithin berühmt.
6 Psalm 143, 12 novellae plantationes 8/9 bases and capitella
werden in der Vnlgata oft bei den Säulen erwähnt; also ist cnl-
minis = colnminis, colxmmae ; Jacob de Yitry, Historia occid. cap.
19 (oben S. 79) citirt diese Zeilen so : capitella, non bases in summo
colminis consneverant ponere. III, 1 clausa: vgl. oben S. 66,
63/64 und 81. 2 man möchte ändern 'odium secretum', wie
II 9 von ^opertum fratrum scelus et odium' spricht; doch kann im
Gegensatz zu religio, der strengen Befolgung der Regel, otium das
müßige, bequeme Leben lässiger Mönche bezeichnen. 3 obpro-
brio : vgl. HE 79 Mons detectus . . obprobrium factus hominibus ;
auch von Stephan Tom. werden die Kleriker 3 Mal genannt 'sa-
turati opprobrüs'. 4 vulgus etc. bezeichnet die Laienbrüder.
6/6 'welches für solche Lebensweise nicht abgerichtet war* 7/9
diese schwierigen Verse verstehe ich so : die Laienbrüder kümmern
sich nichts um das kanonische Recht, das Decretum, nichts um das
staatliche Recht, die leges, und als illiterati nichts um Bildung
und Gelehrsamkeit; vielleicht ist III 103/6 zu vergleichen. IV
'sanctum sacerdotium' könnte freilich die Kleriker des Ordens
bezeichnen; allein dazu paßt nicht 'unctio regalis' und was folgt.
Vielmehr muß der Sinn sein: daß die sancti sacerdotes d.h. vor-
gesetzte Praelaten und die uncti reges d. h. die englischen Fürsten
und Machthaber die Laienbrüder begünstigen, ist das seltsame
göttliche Schickung oder von den Laien durch Bestechung und
ähnliche Mittel erreicht ? Hier, wie im ganzen Gedicht sind die Les-
arten der Oxforder Handschrift schlechter oder wenigstens nicht
besser als die der Benedictbeurer. 4 subiugalis : s. zu Str. I 7.
6 mysterium dei, Christi etc. ist häufig in der Vulgata. 7 — 9
*qui non intrat per ostium' ist = impius; vgl. Joh. X 1 — 9: qui
non intrat per ostium in ovile ovium . ., ille für est et latro.
'venaUs' betrifft die Bestechungen, durch welche die Laien sich
sollen geschützt haben; s. S. 72. V. Diese Strophe, welche
in ganz fehlt, scheint eher den Haufen der Laienbrüder als die
bestochenen Gewalthaber anzusprechen. 1 regis filia = ecclesia ?
3 d.h. den als fromm berühmten Orden. 6/6 opus Salomonis
94 Wilhelm Meyer, De sdsmate Grandimontanonim.
deutet wohl auf den Tempel, 'cella pigmentaria' dentet wohl auf
die 'cella aromattun et odoramentornm et ongnenti optimi' des
Ezechias bei Jes. 89, 2. 7 — ^9 in diesen dunkeln Zeilen scheinen
die Worte *ad rem conditionis' mit 'rapis' zu verbinden zu sein
und zu bedeuten: du bringst Gottes Haus in die Lage weltlicher
Abhängigkeit. YI. Die Anspielungen in dieser Strophe sind
zu speziell als daß man sie so allgemein fassen durfte, wie z. B.
m 46 doctor tacet, indoctus loquitur u. s. w. Dann aber können sie
nur den neu gewählten Prior Stephan (s. oben S. 69) angehen,
vor dem der bisherige Prior Wilhelm floh. 2 incappatiur: so
vieldeutig cappa ist, so selten ist 4ncappare'; könnte es hier die
Tracht des Priores in Grandmont bezeichnen? 3 prophetare,
interpretari und disputare scheinen Synonyma zu sein und zum
Theil aus der Schule zu stammen, ebenso 5 rhetor = ein bered-
ter Mann. 7 vir iustus = Prior Wilhelm. 8 die Vul-
gata sagt 'de stercore elevare oder erigere' und hat 'assumere' oft
in dem hier nothwendigen Sinne. 9 Proverbia 26, 16 sapientior
sibi piger videtur septem viris loquentibus sententias\ VU
Diese spät zugesetzte Strophe ist derb und deutlich 7 de-
poüantur d. h. mortui 9 asini i. e. laici per clericos pascantur.
Noten zum 11. Rythmus.
Dies Gedicht steht nur in der pariser lateinischen Handschrift
15009 saec. XIII aus St. Victor, Bl. 257^. Darüber 'De cismate
grandimontanorum', mit einem Accent über dem 2. Striche des
letzten n, als ob der Schreiber niorum hätte schreiben wollen.
Form. Das Gedicht besteht aus verschiedenen Strophen; da
jede Strophe aus mindestens 2 gleichen Stücken besteht, also ein
Paar bildet, so könnte man das Ganze eine Sequenz nennen. Das
Hauptelement ist die Stabatmater-Strophe ; denn ihre Bestand-
theile, ein Paar sinkend schließende Achtsilber (8 — v^) und eine
steigend schließende Zeile (hier 7u. oder 8u_) beherrschen
Z. 1—30, 43—54. Die Doppelstrophe 1—9 = 10—18 ist ge-
baut und gereimt: 8— ua-|-8— ua-f 7u^b; 8— uc-|-8— uc-|-7u— b;
8-^w;e-|-8— vye-|-8u-^y. Die nächste Doppelstrophe 19—24 =
25— 30 ist gebaut: 8-.v^a + 8-vya+8u-.b; 8-uc+8--v^c+8w-b.
Die beiden letzten Strophen 43—48 und 49 — 54 sind reine Stabat-
mater-Strophen: 8— ua + 8— vya + 7vy-»b; 8— uc + 8— vyc7u — b.
Von den dazwischen stehenden Strophen besteht die erste, 31 — 36,
nur aus Achtsilbem (8 _ v^) mit sinkenden, die zweite, 37—42, aus
Achtsilbem (8o.) mit steigendem Schlüsse, beide gereimt zu aab,
c c b. Also 34 Knrzzeilen zu 8 _ u, 12 zu 8 u ^ und 8 zu 7 o
Noten zum I. und n. Rythmiu. 95
Alle Zeilen zu 8_u sind zerlegt zn 4_u + 4_u; die 12 Zeilen
zu 8u^ haben 5, die 8 Zeilen zu 7v^_ haben 1 Taktwechsel; doch
nie bilden die beiden Senkungen den Schluß eines Wortes.
Hiatus findet sich nie in den Kurzzeilen, 4 Mal zwischen solchen.
Die Reime sind zweisilbig xmd rein; der mangelnde Reim in 36
entspringt wohl aus einer Yerschreibung.
Inhalt. I Das Geheinmiß ist enthüllt! In den Mauern
Grandmonts vermuthete mlGui große Heiligkeit; doch jetzt ist die
Bosheit und Zwietracht an den Tag gekommen. Der verruchte
Haufen hat den Prior abgesetzt und mißhandelt die Kleriker,
n Die gottlosen Laienbrfider mißhandeln die Gerechten und treiben
es im Gotteshaus wie in einer Räuberhöhle. m Den Prior haben
sie vertrieben, um ihrer Lust zu fröhnen. iv Drinnen gehts zu,
wie bei der Hochzeit des Pirithous. v Die Gottlosen leben,
wie ihr Lehrmeister Epicur. vi Fluch denen, welche sie schützen;
Segen denen, welche die Gerechten schirmen! Der Dichter
ist kein Grandmontenser ; er schreibt wenigstens lebhaft, ja leiden-
schaftlich.
4 vgl. oben S. 66 ; nemus : die Klöster der Grandmontenser
sollten in öden Wäldern angelegt werden; triplex murus: so III
108 murorum alta soliditas 6 sermo purus Job 11,4; Prov.
16, 26 12 bonus : vgl. die Namen Boni-homines und Bonummie
oben S. 64 (Note), dann III 96/96 16 deposuit : wohl übertriebener
Ausdruck; s. oben S. 69 u. 82 26 fei draconum Deut. 32, 33.
26 Jerem. 7, 11 spelunca latronum facta est domus (dei) 31 was
soll 'venustum'? Es ist wohl zu schreiben 'honestum' = HI 83.
32 'durus laude' ist wohl als Gegensatz zu 'plenus fraude' zu
ändern in 'nudus laude' 36 wohl = damit sie, dem Befehl
eines Priors nicht unterworfen, mehr der Wollust fröhnen könnten;
von äppigem Leben in Grandmont sprechen nur wenig Stephan
Tom. (oben S. 68 Note) und Guiot de Provins (oben S. 61) 36
des Reims halber ist wohl zu schreiben xmd, was das Fremdwort
gestattet, zu betonen : taldmis. 37 vgl. lY 1 Respiciat Emanuel
und viele Stellen der Yulgata 37 Marc. 16, 34 Eloi . . quod est
interpretatum : deus mens 38 wie die Kentauren und Lapithen
bei der Hochzeit des Pirithous mit einander kämpften, schildert
z. B. Ovid Metam. XTT 210 ffl. 40 ciphos hat die Hft, wie cisma
statt scisma etc. etc. sich finden, besonders in Frankreich 43
nach dicta habe ich : gesetzt, weil Z. 44 das enthält, was sie
leugnen 44 I. Tim. 1, 6 conscientia bona et fide non ficta.
46 'additi' verstehe ich nicht; ist vielleicht 'abditi' zu schreiben?
= die versteckten, heimlichen Qt)ttlo8en 60 die Hft hat bar-
96 Wilhelm Meyer, De scismate Qrandimontanoniin.
barinas oder barbarinos. Gaiot V. 1566 (oben S. 61) sagt von den
Barbati: Li sunt li barbaran greignor. Das altfranzösische Wort
barbaran oder öfter barbarin bedeutet eigentlich 'Barbar, Berber' ;
doch soll eine Münze von Limoges Barbarinos ihren Namen von
dem anfgeprägten bärtigen Kopf haben.
Noten znm lU. Rjthmas.
Dies Gedicht steht nnr in der pariser lateinischen Handschrift
15009 BL 257^ Form: Das Gedicht besteht ans 2 Theilen,
Z. 1—30 und Z. 31—110. Der erste Theil besteht aus 3 er-
weiterten Stabatmater-Stropben: 8 — uaaaa + 7w— b; 8 — v-'cccc
+ 7u-.b. Der zweite Theil besteht ans 8 Strophen von Zehn-
silbern (4 + 6u_) mit der Zeile 4~v^ als Nachschlag, also:
10u^aaaa + 4«ub; 10— v^cccc + 4 — v^b. Die Z. 1—30 ent-
halten 24 Zeilen zu 8— u nnd 6 Zeilen zu 7u« Die Zeilen zu
8-.U zerfallen stets in 4— u + 4— u; nnr 27 *et domina' bildet eine
anjBPällige Ausnahme, da dieselbe durch 'dominaque' leicht zu ver-
meiden gewesen wäre. Von den 6 Zeilen zu 7 c hat nur eine
Taktwechsel Die Zeilen 31 — 110 bestehen aus 64 Zehnsilbern
und 16 Viersilbem. Die Basis der 64 Zehnsilber (4 + 6u— ) schließt
15 Mal steigend: et Ingerens. Dagegen die 16 Viersilber, welche
die Strophenstücke schließen, enden alle sinkend: sie protöctus.
Von den 64 Kurzzeilen zu 6«^— beginnen 15 mit einer Senkung:
Indöctus loquitur. In den 49 Zeilen, welche mit einer Hebung
beginnen, wie d^nsa prolixitas, bilden, was ja hier strittig ist
(s. meine Ges. Abhandlungen 1 267), in 7 Zeilen die beiden Senkungen
den Schluß eines Wortes, wie pr^sldst l&icus. Hiatus findet
sich nicht in den Kurzzeilen, 2 Mal zwischen denselben. Die
Keime sind zweisilbig und rein; nur in 55 reimt pietas auf itas;
dann stehen in 81 — 84 zwei Paare verschiedener Reime statt 4
gleichen Reimen, und die 2 Wörter möras und föras sind viel-
leicht nach der Quantität auf der Endsilbe zu betonen ; vgl. meine
Qtes. Abhandlungen, bes. I S. 255.
Inhalt I Alle Studirten sollen beklagen, daß in Grand-
mont die Laien die Kleriker unterjocht haben; n m der Himmel,
das Universum und die Natur staunen darüber, daß die Kleriker
Sklaven der Laien geworden sind. iv Die Irrgläubigen freuen
sich, daß hier die richtige Ordnung des Gottesdienstes gestört ist.
V Alles ist hier verkehrt, vi Die Tugenden unterliegen, die Laster
siegen, vm Alles wird zum Bösen verkehrt und Grandmont kommt
in Schande, vm Sonst so blähend und hochgeachtet, ist es jetzt
durch diese Zwietracht in Verachtung gerathen. ix Kurz : die
Noten zum m. Rythmus. 97
Prior und die Kleriker sind vertrieben, x Gegen sie toben die
bösen Laien, zur Schande ihres Beinamens 'Boni-homines'.
ZI Besinnt euch, was Recht ist und was eore Ordenspflicht ver-
langt. Der Dichter war nicht ein Grandmontenser. Sehr breit
spricht er die gangbaren Gedanken ans; aber, so sehr er die Laien
angreift, wirft er ihnen doch Ueppigkeit und Wollust nicht vor.
Vor Fleant ist der £and so stark beschnitten, daß von dem
Zeichen §, welches den Beginn des Gedichtes anzeigte, nur noch
eine dünne Spitze des Kopfes übrig ist. I, 6/7 Jerem. Lament.
4, 1 obscuratum est aurum, mutatus est color optimus ; vgL Ryth-
mus IV 92 mutatur optimus color 8 I Cor. 3, 17 si quis
templum dei violaverit 9 vielleicht nach Hebr. 2, 9 videmus
lesum . • gloria et honore coronatum 10 und IV 18 sanctum
dare canibus: Matth. 7, 6 nolite dare sanctum canibus. 12 ter-
ram? oder es ist 'se' zu ergänzen 16 da Z. 11 stupet und
Z. 21 obstupescit steht, so muß wohl dazwischen admirantur, nicht
admirentur, stehen 17 statt quod hat die Hft q mit einem
Strich durch den Schafk d.h. qui gens perversa = U 13.
24 vgl. Z. 104 26 vgl. IV 26 ancilla fit domina 28 d. h.
ecdesia 31 versipellis = Prov. 14, 25 36 vgL Marc 7, 3
und 5 traditio seniorum 37/8 vgl. oben S. 61/62 38 conventio
hier und Z. 87 = conventus 41 über dies Sprüchwort s. S. 61.
44 =- das Licht fallt nicht vor die Füße, sondern in den Rücken?
46 so findet sich in der Sequenz 'Laetabundus exultet' als Strophen-
schluß der Ausruf: res miranda! 46 vgl. Rythmus I Str. 6
und in IV 19 priori nolunt subici die Lesart 'doctori', dazu oben
S. 61 die Citate aus Stephan Tom. 'idiota doceat dericum' 63
vgl IV 3 patitur Abel et adhuc Caim desipit 67 Matth. 24, 12
refrigescet Caritas multorum 61 vgl. IV 6 loa ridet plorat
Rachel, formosam lippa decipit 62 d. h. Joseph 63/64 welches
sind die biblischen Beispiele? Sollte der rex iniustus = Saul sein?
66 miles = commilito? 76 vgl. Clemens III (Migne 204 Sp.
1376) ut Grandimontenses factis partibus velut acies hinc inde
consisterent 79 s. zu Rythmus I 3, 3 81 Statins Thebais
5, 743 plures moras innectere 84 I. Petr. 3, 8 compatientes.
86 ut putatur, wohl = ut mihi dicunt 87 fervens = fervens
dolore?; oder ist *frequens* zu bessern? 93 Deuter. 28, 60 non
deferat seni 96/96 bone gentis und Bonitatem s. zu U 12.
99 soll wohl heißen: die Flucht des greisen Priors, welcher das
abscheuliche Treiben verabscheute. Die Worte würden zeigen, wie
z.B. 82 proiectus est foras zu verstehen ist 104 ins deri
teneat muß doch wohl hier wie Z. 24 bedeuten: die Vorrechte der
Kfft Oet. d. Wtei. VMltfiekUi. PkUolof.-Uctor. KImm 190«. Htfl 1. 7
98 Wilhelm Meyer, De scismate Grandimontanonun.
Kleriker für sich beanspruchen. Da es aber sonderbar klingt,
daß die gens saeva aufgefordert wird, zu bedenken, daß die plebs
fera laicalis, d. h. eben die gens saeva, den Klerikern ihre Rechte
nimmt, so ist vielleicht zu andern: qaod ins deri teneas, plebs
fera laicalis 106 nach Gniot de Provins, la Bible (oben S. 61)
y. 1642 — 1548 verwendeten die Laienbrfider Bartbinden und viele
Pflege ffir ihre Barte 108 vgl. 11 4 triplex mnms 110 lai-
calis bildet zu 105 laicalis falschen Reim; in Z. 110 ist laicalis
sehr matt und wohl mit einem Worte wie 'bestialis' zu vertauschen.
Noten zum IV. Bythmus.
Form Der ziemlich täppische Dichter wollte viele Kunst
beweisen durch verschiedenartige Strophenformen und durch Fülle
gleicher Reime. Strophe i = Strophe m: je 4 Paare von Acht-
silbern mit steigendem Schluß, aber mit gekreuzten Reimen, also
8c- ab, ab, ab, ab Strophe n: 6 Achtsilber mit sinkendem
Schluß, alle mit demselben Reim: 8_uaaaaaa Die Strophe
IV ist aus sinkenden und steigenden Achtsilbem zusammengesetzt:
8 — ua + 8— .ua, 8«j — b + 8u-^b; 8 — uc + 8— uc, 8u — b-|-8u-»b
Strophe v: 10 sinkende Fünfsilber (5^u), und Strophe vi: 10 sin-
kende Sechssilber (6~ u): durch Reim und Sinnespause in je 2
G-ruppen zerlegt : aaaab ; aaaab Strophe vn ist aus sinkenden Acht-
silbem und steigenden Siebensilbern zusammengesetzt und mit be-
sonders vielen gleichen Reimen ausgestattet: 8-.uaaaa+7<j_bb;
8.uaaaa + 7u.bb vm. Strophe: 2 Strophen von je 8
sinkenden Sechssilbem, welche durch die Sinnespause in je 2
Gruppen zu 4 Zeilen zerlegt sind (vgl. Strophe vi): zuerst mit
besonderer Reimfülle 6.uaaaa; aaaa; dann 6.ucccb;
c c c b Die ix. Strophe besteht aus 3 gleichen Ghruppen zu
je 3 Zeilen; die Zeilen sind eigentlich alle sinkende Achtsilber;
doch sind die beiden ersten Zeilen jeder Gruppe in 2 Yiersilber
mit dem Reim ati zerlegt. Also besteht die Strophe aus drei-
maligem: 4_oa+4_ua, 4u.ua-h4_ua, 8^ub, wobei alle 12V
mit ati und die 3'b' mit emunt reimen. Die z. Strophe soll
ein Kunstst&ck von Reim xmd Rythmus sein; die ersten 3 Zeilen
reimen steigend mit einsilbigen WSrtem auf ex; die letzten
8 Zeilen reimen sinkend auf olor.
Hiatus ist gemieden: er findet sich nur in der Z. 22 qui
eis, sonst 7 Mal zwischen den Kurzzeilen« Die Reime sind
rein xmd zweisilbig; nur in Z. 25 reimt ima auf ina, xmd in der
I. Strophe bilden die hebräischen Wörter auf el eine erlaubte
Ausnahme.
Noten zum IV. Bythmus. 99
Dagegen der innere Ban der Zeilen weicht von dem der
andern 3 Rythmen und fiberlianpt von dem damals ablieben ab.
Dieser 4. Rythmos bietet 81 Zeilen zn 8^u, 20 Zeilen zn 8u_,
4 Zeilen zu 7u_, 26 Zeilen zn 6_u nnd 10 Zeilen za 5_u.
Die 20 Zeilen zu 8u^ enthalten 5, die 4 Zeilen zu 7v^. 1 Takt-
wechsel; sonst ist Nichts darüber zusagen. Von den 26 Zeilen
zn 6^u enthalten 15 Zeilen Taktwechsel, nnd von den 10 Zeilen
zn 6^u beginnen 9 mit einer Hebnng: hiebei kamen 2 Senkungen
neben einander zn stehen. Diese 2 Senkungen werden in nicht
weniger als 4 Sechssilbem und 3 Fünfsilbem durch die beiden
letzten Silben eines Wortes, durch daktylischen Wortschluß, ge-
bildet wie d^rlcls iAra oder armdriä fr&cta. Schlimm ist be-
sonders der Bau der sinkenden Achtsilber (8_u). Sonst in dieser
Zeit sind dieselben fast immer in 2 sinkende Viersilber zerlegt,
4-.u-h4~u: si tu pötes manif^sta. Das geschieht hier na-
türlich in den 6 Zeilen mit Innenreim, 79/80, 82/83, 86/86: coniu-
r&ti sunt barbdti. Von den übrigen Achtsilbem sind nur
etwa 10 wie gewöhnlich zerlegt in 4.u+4^u. Dagegen in 6
Zeilen schließt der 1. Viersilber steigend, wie 13 sub p^bus
quorum trite, und 8 Zeilen sind überhaupt nach der 4. Silbe nicht
zerschnitten, wie 9 qui non audistis, aucUte. Unter den 14 Fällen
der beiden letzten Arten finden sich 4 (13 61 63 92), wo die
beiden Senkungen den verbotenen Wortschluß bilden, wie 53 tot
ingdrfint vöbis mesta oder 92 mutatur öptimtis cölor. So roh ge-
baute sinkende Achtsilber kommen in den andern 3 Rythmen
nicht vor (nur m 27 et dömlnä fämulatur) und sie sind in dieser
Blüthezeit der Dichtungsformen überhaupt sehr selten.
Inhalt I Gott, sieh, wie Alles übel steht. n Ghrand-
mont's Mönche handeln bös. m Die Laien unterjochen dort die
Kleriker. iv Sie wollen Seelenhirten sein. y und vi Sie nehmen
den Klerikern ihre Rechte und verjagen den Prior. vn Arme
Kleriker, Gott steh euch bei! Ihr Laien, was hat euch zu solchem
Frevel berechtigt? vm XJebel haben sie gehaust: Gott strafe
siel Gott hat in unserm Hause den Gtegenprior aufkommen lassen.
IX Wir sind auf Leiden gefaßt; die Prfilaten fürchten sich; die
Frevler wollen sich nicht bessern. x Recht xmd G^etz ist
dahin xmd Besserung nicht zu erwarten. Eine Entwicklung
der Gedanken ist hier schwer zu finden; auch im Einzelnen ist
der Ausdruck oft stumpf oder undeutlich. Wenn auch die Zeilen
68 — 87 zunSohst, wie die üeberschrift vor 63 andeutet, den
Klerikern in den Mund gelegt sind, so macht doch gerade dies
und auch der Ton des übrigen G^chtes wahrscheinlich , daß ein
G^randmontenser Kleriker diesen Bythmus verfaßt hat.
100 Wilhelm Meyer, De scismate Qrandimontanonim.
1 Kespiciat: s. zu U 37 Eespice 3 and 4: vgl. m 53*
6 and 6: vgl. III 61 11 rite scheint nicht recte zu. bedeaten,
sondern 'gewöhnlich, in der Regel' 13 vgl. Matth. 7,6 neqae
mittatis margaritas vestras ante porcos, ne forte concalcent eas
pedibos snis 18 s. in 10 19 zu der Lesart 'doctori' vgl.
m 46 24 über das Sprüchwort s. oben S. 61 26 s. m 26
and z. B. Jes. 24,2 sicnt andlla, sie domina eins 27 nnd 28
scheinen zn sagen: wenn der Örtliche zur Gemeinde (den oves)
zählt, indem der Laienbruder vorsteht (presens als Partidp von
presnm), so ist das ebenso als wenn Balaam Gras frißt and sein
Esel Reden hält (vgl. zu I 1,7) die Zeilen öl— 62, die Anrede
an die Elleriker and die an die Laien, scheinen hier nach 50 am
besten zn stehen; sie schließen die Erörterung Z. 1 — 60 pathetisch
ab and leiten hinüber za der noch pathetischeren Rede der Kle-
riker 66 in der Vnlgata findet sich wenigstens Psalm 36,11
non veniat mihi pes saperbiae 60 — 62 scheinen za sagen:
gegen welche Handlangen der bisherigen Frieren dir jetzt ein
(kirchliches) Vorgehen zusteht. Die Handschriften haben porum
d. h. priorum ; natürlicher wäre *piorum' = dericorum, welche ja
Z. 61 gens honesta genannt werden (U 18 sanctum dei coUegium,
62 iustorum. HI 91 sanctos domini) 63 Es ist möglich, daß
der Dichter selbst geschmacklos genug war, den Gang des Ge-
dichtes mit dieser üeberschrift zu erklären 63 Kur der sehr
unzuverlässige Bericht der Historia prolixior (Martene, Ampi.
ColL VI Sp. 127) spricht von Aehnlichem: conversi ipsius prioris
cameram et Grandimontensem eorum matrem ecdesiam ausu sa-
crilego infringentes Z. 68 scheint sagen zu woUen: daß ihre
Worte nicht Thatsachen werden 73 der 'Nachschlüssel' im
Gotteshaus scheint Stephan, der von den Laien aufgestellte
Q^genprior, zu sein Die Z. 76 — 78 können doch nicht den ver-
folgten Prior Wilhelm bezeichnen; sie scheinen vielmehr zu sagen:
aber uns scheint wichtiger als dieser Gegenprior Stephan, d. h.
uns kümmert nicht dieser Prior Stephan, sondern der, welcher
durch unsere Schuld als Mensch am Kreuze litt, d. h. Christus.
Aber was soll dann 'ignavis'? 82 beati bezeichnet wohl die
Kleriker, prelati die auswärtigen Kirchenförsten, welche die Kle-
riker nicht so schützten, wie sie verlangten 87 der abhängige
Genitiv peccati spricht für die Lesart 'correctioni' ; doch auch 'se
demunt = sich entziehen' ist seltsam genug 90 ob ante 'statt'
bedeutet, wie für = vor? 92 vgl. zu m 7 93 wohl =
ich erwarte nicht, daß Etwas besser werden wird.
Neue Beiträge zur Geschichte uud Landeskunde
Lakedämons.
Von
Benedlctas Miese.
Vorgelegt von F. Leo in der Sitzung vom 19. Mai 1906.
Die lakedämonischen Periöken^).
Die Landschaft Lakedämon zerfiel bekanntlich in zwei, örtlich
und rechtlich streng geschiedene Teile, das Stadtgebiet Spartas
nnd die Periöken. Diese Periöken sind das was ihr Name %bqIoixoi
sagt, die Umwohner, d. h. sie wohnten um Sparta nnd sein Gebiet
hermn. Ihr Name ist durch ihr Verhältnis zn Sparta bestimmt
worden, nnd vielleicht ist überhaupt der Begriff der Periöken zu-
erst in Lakedämon geprägt und von da auf andere hellenische
Landschaften und ähnliche Verhältnisse übertragen worden.
Sie waren in einer größeren Zahl kleinerer Ortschaften ver-
theilt, die besondere Gemeinden bildeten und von den maßgebenden
Zeugnissen als Städte, ndksig bezeichnet werden*). Die Bürger
dieser Städte, die Periöken, waren freie Männer und hatten an
allen Rechten und Ehren der Freien ihren Antheil; sie dienten
1) Was die Litterator anlangt, so verweise ich vor aUem auf K. 0. Müller,
Dorier U* 16. Auch K. H. Lachmann, die spartanische Staatsverfass. S. 179 ent-
hält einiges beachtenswerthe. Femer ist zu nennen SchGmann-Lipsius, Griech.
Alterthümer I 208 ff. und die sonstigen Lehrbücher. Eine kurze Skizze habe ich
früher gegeben in Sybels histor. Zeitschrift N. F. 26 S. 75 f., wo meine Grund-
gedanken zum Teil schon angedeutet sind.
2) Xenophon Hell. VI 5, 21 xoh^ filv IhtaQtuitas &niXv6ep oPnadSy tohg dl
«epio/xovff it(pfl%sv sls täs iavxAv nöXng. Isocrat. Panath. § 179. Ebenso werden
sie von den Geographen St&dte, nicht etwa Dörfer (h&imci) genannt.
Kfl. Qm, d. Wias. NMhriehtra. Philolof.-hiii. KImm 1906. Hafl 8. 8
102 Benedictus Niese,
im lakedämonischen Heere als Schwergerüstete und als Reiter^),
wurden gelegentlich zu wichtigen Aufträgen verwandt und ge-
langten zu Führerstellen ^. Sie haben Zutritt zu den großen
hellenischen Festen und Spielen "). Es gibt unter ihnen, wie
überall, vornehme und geringere*), begüterte und ärmere.
Da die Periöken in ihrei^. ebenen Städten oder Gemeinden
lebten, so hatten sie an det .GT^niemde Sparta keinen Anteil und
konnten, so lange jgie'JföjjJ^ken blieben, nicht spartanische Bürger
werden. In SpJÖftÄ.^hören sie rechtlich zu den Fremden i^ivoi) %
Jede Pjeri^keftfiifeaät hat ihr besonderes Bürgerrecht und Indigenat,
u;i^*jofeX ^^riöke führt daher neben der Stammesbezeichnimg La-
* kcsdämonier auch des Ethnikon seiner Stadt. Die Beispiele sind
nicht selten: Myson, einer der sieben Weisen, heißtnach seiner
Heimat, einer Periökenstadt, Chenier oder Eteier^, Kytherier
waren die Dichter Xenodamos und Philoxenos ^), die Dichterin Erinna
war eine Bürgerin der Periökenstadt Tenos^, Aulon hat seine
Bürger, die Auloniten % und ebenso Gytheion ^®). Bürger verschie-
dener Periökenstädte, Epidauros Limera, Pellana, Akreai, Helos
werden gelegentlich bei Schriftstellern und in Inschriften erwähnt*^).
Endlich haben die Periökengemeinden ihre eigenen Gottesdienste
und Feste, an denen wir auch die Spartaner teilnehmen sehen.
In der sogen. Damononinschrift ^*) aus dem 5. Jahrhundert v. Chr.
1) Herod. IX 11. Thukyd. IV 8, 1. Xenophon HeU. HI 6, 7. V 1, 33. 4, 39.
2) Thukyd. VIII 6, 4. 22, 1. Doch hat man es selhstverständlich vermieden,
Sparüaten unter den Befehl eines Periöken zu stellen.
3) Pausan. III 22, 5 nennt einen mehrfachen Olympioniken Nikokles aus
Akreai. Unter den Olympioniken aus Lakedämon mögen noch manche andre Pe-
riöken sein.
4) xaiol xiiya^o/. Xenoph. Hell. V3,9. Vgl. Plutarch. Oleom. 11.
5) Plutarch, Oleom. 10 f. Arat. 88.
6) Plato Protag. 343 A Steph. Byz. s. X-f^v, K. 0. Müller a. 0. S. 24.
7) Ephoros hei Athen. VIII 352 0. I 6 £. Plutarch de mus. 9.
8) Steph. Byz. s. Tflvog.
9) Xenoph. Hell. UI 3,8.
10) Liv. XXXIV 29, 3.
11) Vgl. das Proxeniedekret von Keos aus dem 4. Jahrhundert v. Ohr. in den
Athen. Mittheil. IX (1684)273, wo nach U. Köhlers Ergänzung auch ein Bürger
aus Kyphanta erwähnt sein würde. Bei Pellana tritt allerdings die Konkurrenz
der gleichnamigen achäischen Stadt ein, so daß nicht zu entscheiden ist, oh die
dort und IG II 2 n. 652 z. 33. VII n. 3055 genannten Pellanier Lakonen oder
Achäer waren. Dagegen der Polyh. XVIII 17 genannte Pellenier Timokrates war
sicherlich ein Lakone. Bürger aus den Periökenstädten Akreai, Epidauros, Helos und
vieUeicht Ohenia IG VII 415. 1765. 2936. *Ef9J[\k, kq%ukol, 1884 S. 204.
12) IGAnt. 79. Samml. Griech. Dialektinschr. III 2 n. 4416.
Neue Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Lakedämons. 103
werden Siege an den Spielen in Thnria nnd Helos erwähnt. Be-
kannt ist das Fest der Artemis in Karyai, wo die spartanischen
Mädchen den Reigen tanzten^). Die Gottesdienste der Periöken
sind übrigens den spartanischen gleich, nnd in einigen Fällen nach-
weislich von Sparta den Periöken mitgeteilt*).
Aber die Städte waren nicht selbständig oder autonom, son-
dern den Spartanern durchaus Untertan^. Unter einander hatten
sie keine politische Gemeinschaft, weder im ganzen noch teilweise,
auch von einer Zusammenfassung der benachbarten Städte zu Be-
zirken gibt es keine Spur*); eine solche würde den Interessen der
spartanischen Herrschaft durchaus nicht entsprochen haben. Jede
Stadt stand für sich; nur durch den gemeinsamen Herrn und
Mittelpunkt Sparta waren sie unter einander verbunden. Was ihre
Größe anlangt, so gab es einzelne ansehnlichere % aber die meisten
waren kleine *^), offene Orte '), nur die Seestädte waren, wenigstens
zum Theil, befestigt. Aus der Zeit des peloponnesischen Krieges
wissen wir es von Mothone*) und später von Gytheion, das die
1) Pausan. IIL 10, 7. Bucolic. Oraec. relliquiae ed. Ahrens II S. 4.
2) Hermes 26 S. 14. Diese Materie behandelt Sam Wide, Lakonische Culte,
Leipzig 1893.
3) Als ein Zeichen der Untertänigkeit könnte man ansehen, daß die Periöken
beim Tode eines der Könige zur Totenklage Abgeordnete nach Sparta schicken muiten.
Herod. VI 58. Doch ist zu bemerken, daß auch die Spartiaten und Heloten dabei
mitwirken mußten. Im übrigen kann man die Verhältnisse der Periöken zu den
Spartanern recht wohl mit dem der attischen Untertanen oder Bundesgenossen zu
Athen vergleichen, die in ähnlicher Untertänigkeit gehalten wurden und doch eigene
Stadtgemeinden blieben.
4) Die Bezirkseinteilung, die Ephoros fr. 18 (FHG I 237) bei Strabo VIII 364
den ersten spartanischen Königen zuschreibt, ist etwas ganz anderes und begreift
auch das Spartiatenland. Auch ist diese Nachricht wahrscheinlich nur eine anti-
quarische Fabel ; schon der nächste König Agis soll die Bezirke wieder abgeschafft
haben. Lachmann und Schömann wollen aus den in einer Nachricht (Schol. Pindar
Ol. 6, 154) erwähnten 20 lakedämonischen Harmosten auf 20 Bezirke der Periöken
schließen. Wer das Scholion im Zusammenhange liest, wird den Schluß nicht für
wahrscheinlich halten. Selbstverständlich ist es möglich, daß man in Sparta zu
Verwaltungszwecken das Periökenland gelegentlich in Bezirke gegliedert hat, die
sich dann mit der Einteilung der attischen Bundesgenossen in den Tributlisten
würden vergleichen lassen.
5) Thyrea war so groß, daß es den vertriebenen Aegineten, also einer nicht
ganz kleinen Zahl, Obdach und Unterhalt gab. Thukyd. II 27. Später war Gy-
theion recht bedeutend. Liv. XXXIV, 29. 3.
6) Isocrat Panath. § 179.
7) Xenoph. Hell. VI 5, 32. z. B. Thyrea scheint unbefestigt gewesen zu sein,
als es die Athener einnahmen. Thukyd. IV 57.
8) Thukyd. II 25. Wenn aber früher die Athener unter Tolmides die lake-
8*
10^ Benedictus Niese,
Thebaner glücklich abwehrte ^) und unter Kabis erst nach längerer
Belagerung fiel. Der herrschenden Gemeinde mußten die Periöken
vor allem Heerdienst zu Fuß und zu Roß leisten, wahrscheinlich
auch Abgaben und Lieferungen, die ihnen nach Bedürfnis auferlegt
wurden. Sie trugen femer die Hauptlast der Seemacht, die in
den Rahmen der spartanischen Verfassung ursprünglich nicht ge-
hört, aber seit den Perserkriegen nothwendig ward. Ohne Zweifel
bauten die Periöken die Schiffe, gaben die Steuerleute und einen
großen Teil der Rudermannschaft'). Die Seehäfen, die Schiffs-
häuser und sonstige Marineanlagen befanden sich ausschließlich in
den Periökenstädten, wurden aber von Sparta aus geleitet und
verwaltet. Wenn eine Seerfistung unternommen ward, kamen von da die
nötigen Anordnungen und Beamten. Ueberhaupt erhielten die Pe-
riöken spartanische Befehlshaber zugeschickt^, doch wissen wir
nicht, ob es bei allen und ob es regelmäßig geschah oder etwa nur
in Eriegszeiten ^). Kythera, das durch seine insulare Lage aus-
gezeichnet war, hatte einen ständigen, jährlich wechselnden spar-
tanischen Beamten, den Kytherodikes ^). Ln übrigen versteht sich
von selbst, daß Spartiaten, also spartanische Bürger, in den Peri-
ökenstädten weder wohnen durften noch Landbesitz hatten; auch
ist kein derartiger Fall überliefert. Nur die Gemeinde Sparta
muß wenigstens in einigen Periökenstädten Grundbesitz gehabt
haben, wie in Thyrea, wo zu Anfang des peloponnesischen Krieges
die vertriebenen Aegineten angesiedelt wurden^ ; denn es ist nicht
glaublich, daß man damals die eingeborenen Thyreaten zu Gtmsten
der Aegineten von ihrem Grund und Boden vertrieben habe ; dies
würde dem sonstigen Verfahren der Spartaner durchaus wider-
sprechen. Thyrea gehörte zu den jüngsten Eroberungen Spartas,
und man kann sich wohl denken, daß die Spartaner bei der Er-
dämonischen SchiffiBhäaser verbrennen konnten (Thokyd. I 108,5), so scheint der
Hafenort, in dem sie lagen, nicht befestigt gewesen zu sein.
1) Xenoph. HeU. VI 6,32.
2) Die Trierarchen sind wohl in der Regel Spartaner gewesen, wie z. B.
Brasidas (Thakyd. lY 11,4). Im Bedürfhisfall hat man aber gewii auch Periöken
genommen.
3) Man vermutet, daß die Harmosten in ihrer ursprünglichen Bedeutung
für die Periökenstädte bestimmt waren. Vielleicht, aber nur vielleicht, sind solche
auch bei Xenoph. Hell. UI 3, 5 unter den in der Geschichte Kinadons erwähnten
einzelnen spartanischen Befehlshabern gemeint. Gilbert, gr. Alterthümer, I* 89.
4) In Thyrea hatten die Aegineten einen spartanischen Vorsteher. Thukyd.
IV 67, 3.
6) Thukyd. IV 63, 1.
6) Thukyd. II 27. IV 66, 2.
Neue Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Lakedämons. 105
Werbung ein Stück des Landes für ihre Gemeinde einzogen ^). Wir
wissen femer, daß aucli die Könige in vielen Periökenstädten
Grundbesitz hatten, aber nicht übermäßig großen, wie Xenophon *)
sagt. Vermutlich wurden diese Besitzungen an Periöken ver-
pachtet und stellt diese Pacht den Zins dar, den nach Piaton ^)
die Lakedämonier ihren Königen zahlten. Endlich müssen auch
einzelne Heiligtümer im Periökenlande als Eigentum der herr-
schenden Gemeinde angesehen worden sein. Sicher ist dies vom
Poseidontempel bei Tainaron anzunehmen, der durchaus als ein
gemeinsames Heiligtxun des ganzen Landes galt und ohne Zweifel
von Sparta aus geleitet ward^).
Im übrigen müssen die Städte ihre eigene Verwaltung, ihre
Beamten u. s. w. gehabt haben ^). Die ihnen auferlegten Pflichten
und Lasten, vornehmlich die Dienstpflicht, setzen ein geordnetes
Gemeinwesen, Census, Bürgerverzeichnisse u. s. w. voraus. Aber
sie standen unter strenger Aufsicht der herrschenden Gemeinde,
die mit ihnen nach Belieben schaltete^). Im übrigen scheinen die
Periöken, vorausgesetzt, daß sie sich nicht verdächtig machten, nicht
eigentlich bedrückt oder willkürlich mißhandelt zu sein, sondern
sich der Sicherheit ihrer Person und ihres Eigentums erfreut und
in materieller Hinsicht nicht schlecht befunden zu haben. Sie hatten
vor den Spartiaten voraus, daß sie in ihrem Erwerb viel weniger
beschränkt waren; der Handel und das freie Handwerk muß in
Lakedämon durchweg in den Händen der Periöken gewesen sein,
die das Recht hatten, sich in Sparta niederzulassen und ihre Ge-
schäfte zu betreiben^.
1) Die alten Besitzer, etwa solche, die es mit Argos gehalten, maßten dann
natürlich weichen.
2) Resp. Laced. 15,3.
3) Alcib. I 123 A.
4) Womit nicht gesagt ist, daß die Priester Spartiaten sein maßten.
6) Ob die in der spätem Zeit, als die Periökenst&dte selbständig geworden
waren, in ihnen vorhandenen Ephoren (Samml. Griech. Dial. I. III 4543 f.), die
ersichtlich aas Sparta entlehnt sind, schon in der spartanischen Zeit existierteni
wissen wir nicht.
6) Isocrat. Panath. § 181. Xenoph. Hell. III 3, 8 berichtet, wie die sparta-
nischen Behörden einige Aaloniten verhaften ließen. Aebnliche Befugnisse nahmen
aach die Athener ihren Untertanen gegenüber in Anspruch.
7) Dagegen solche Gewerbe and Beschäftigungen, die einen Theil der spar-
tanischen Gemeindeordnung bildeten, wurden sicherlich von Spartiaten versehen.
Ich meine die Flötenblftser, die erblichen Köche und Schenken nnd vor allem die
Herolde, die Talthybiaden. Irrig hält K. 0. Müller sie für Periöken. Kurz sei
hier noch die jüngst von Kromayer (Klio, Beiträge z. alt. Gesch. lU 179 ff.) ent-
106 BenedictUB Niese,
Im ganzen macht die Stellung der Periöken den Eindruck eines
durch Vertrag oder Gesetz befestigten und geheiligten Verhält-
nisses. Uns ist bei aller Willkür im einzelnen doch kein Fall
bekannt, wo die Spartaner eine Periökenstadt zerstört oder auf-
gehoben hätten. Selbst Thuria, das sich doch den aufständischen
Messeniem angeschlossen^), also die Rache der Spartaner heraus-
gefordert hatte, blieb was es war bis in die späteste Zeit. Die
Periöken waren eben ein wesentliches Stück der spartanischen
Staatsordnung, so wesentlich, daß noch in späterer Zeit Agis sie
mit in seine agrarischen Beformen einbegriff und neben den
4B00 Spartiatenlosen 15000 Periökenlose zu schaffen unternahm*),
was dann Eleomenes durchgeführt zu haben scheint.. Die wich-
tigsten Dinge waren den Periöken wenigstens in ihrer großen
Mehrzahl mit den Spartiaten gemeinsam, Nationalität, Sprache^
und Religion. Das ganze Lakonien war in dieser Hinsicht ein-
heitlich, und zwar ist der Charakter der Landschaft und ihrer
Bewohner durchaus bestimmt von Sparta, das im Verlauf der
Jahrhunderte seine Art den Periöken einimpfte, wie es in
weiterer Feme die peloponnesischen Bundesgenossen beeinflußte.
Wir dürfen annehmen, daß die spartanische Herrschaft unter den
Periöken viele ergebene Freunde hatte, daß namentlich die Begü-
terten ihr durchweg anhingen. Während die Heloten sich öfters
empörten und die Spartaner inmier vor ihnen auf der Hut waren,
ist von Aufständen der Periöken nie die Rede. Im 3. messenischen
Kriege machten von ihren vielen Städten nur zwei, Aithaia und
wickelte Ansicht erwähnt, wonach viele Periöken als Grundbesitzer und Dienst-
pflichtige auf dem Spartiatenlande wohnten und neben den Kontingenten der Pe-
riökenstädte einen ansehnlichen Theil des lakedämonischen Heeres bUdeten. Diese
Meinung halte ich aus mehreren Gründen für verfehlt. Es gab natürlich viele
Periöken in Sparta, aber diese waren rechtlich Fremde, hatten nur in ihren
Städten Heimatsrecht und konnten von den spartanischen Behörden jeder Zeit
ausgewiesen werden. Grundbesitz durften sie auf dem spartiatischen Gebiet ohne
Zweifel nicht erwerben. Kromayer ist auf seine Vermutung gekommen, weil er
ein vermeintliches Defizit in der Berechnung der spartanischen Heereszahlen da-
mit decken will. In Wirklichkeit bedarf es einer solchen Vermutung nicht, und
jedenfalls halte ich die Kromayerschen Periöken, die keine Periöken sind, für
keinen glücklichen Gedanken. Vgl. die treffenden Ausführungen von G. Busolt, Hermes
40, 387 ff.
1) Thukyd. I 101, 2.
2) Plut. Agis 8.
8) Den Ausführungen R. Meisters, der zwischen dem Dialekt der Spartaner
und dem der Periöken Unterschiede nachweisen will, kann ich mich nicht anschließen.
Vgl. unten S. 137.
Neue Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Lakedämons. 107
Thuria, mit den anfständischen Heloten gemeinsame Sache ^). Auch
ist kein Beispiel bekannt, daß sich etwa im peloponnesischen Kriege
eine Periökenstadt den Athenern angeschlossen habe. Nar Kythera
trat bei der Landung des Nikias 424 v. Chr. den Athenern bei;
doch ist hier zu bedenken, daß die Kytherier sich gegenüber den
weit überlegenen Athenern in einer harten Zwangslage befanden
und mit gänzlicher Vertreibung bedroht waren. Auch so hielt
Kikias es zu größerer Sicherheit doch für nötig, einige Kytherier
als Geiseln mit sich zu nehmen *). Als dann später 370/69 v. Chr.
beim großen Angriff der Thebaner und ihrer Verbündeten Lako-
nien von den Feinden überschwemmt ward, haben sich wohl viele
Periöken den Feinden angeschlossen und sind viele Städte erobert
worden; es waren ja überhaupt nur die Seestädte Widerstand
zu leisten fähig. Jedoch dauernd sagten sich, abgesehen von
Messene, nur die arkadischen Grenzorte von Sparta los ; die übrigen
Städte kehrten nach dem Abzüge der Feinde in ihr altes Ver-
hältnis zurück, in dem sie in der Hauptsache blieben, bis sie nach
dem Sturze des Nabis (195/4 v. Chr.) in ihrer großen Mehrzahl
von der alten Metropole getrennt wurden. Das Band zwischen
Sparta und den Periöken ist also erst durch äußere Gewalt ge-
löst worden. Auch in der Trennung blieben die Periöken, wie die
inschriftlichen Zeugnisse lehren*), in engen Beziehungen zu der
früheren Herrin, die durch vielhundertjährige Herrschaft und Ge-
meinschaft sie zu dem gemacht hat was sie waren. In der römi-
schen Zeit gibt es keine Periöken mehr, ebenso wie die Helotie
erloschen ist*), aber schon vorher scheint die Tyrannenherrschaft
ausgleichend gewirkt und den Unterschied zwischen der füh-
renden Gemeinde und den Beherrschten stark gemildert zu
haben.
Politisch betrachtet ist also Lakedämon ein eigentümliches
Gebilde. Es ist die Gemeinschaft der Stadt Sparta mit einer
größeren Zahl untertaner Gemeinden und gleicht damit den
Stämmen, z.B. den Böotem und Thessalern, die aus einer An-
zahl von Städten mit einer gemeinsamen Stammesverfassung
bestehen. In diesem Sinne kann man die Lakedämonier einen
1) Thukyd. I 101.
2) Thukyd. lY 53. 67, 4. Aeholich ward die Insel nach der Schlacht bei
Knidos Yor&bergehend besetzt. Xenoph. Hell- lY 8,8.
3) Xenoph. HeU. YI 6,26. 32. YII 2,2. Plut. Pelop. 24. Ygl. K. 0. Müller
Dorier 11 21. Schömann-Lipsius 1 210.
4) Michel, recueil 184. Samml. griech. Dial. Inschr. 111 2, 4544.
6) Strabo YDI 366.
108 Benedictus Niese,
Stanun (l^og) nennen, und hat sie so genannt ^). Aber in Bootien
und Thessalien sind die Städte unter einander gleich und nehmen
an dem gemeinsamen Ganzen selbständigen Anteil, während in
Lakedämon die politischen Rechte und die Macht ausschließKch
bei einer einzigen Stadtgemeinde sind, nämlich bei Sparta, das die
ganze Landschaft beherrscht und vertritt. Lakedämon hat keine
gemeinsame Verfassung. Man hat die römischen Municipien, die
cives sine suffragio und ihr Verhältnis zu Rom mit den lakedä-
monischen Periöken verglichen. Li der That bestehen manche
Aehnlichkeiten, aber zugleich starke Unterschiede, so daß der
Vergleich doch nur ein unvollkommenes Bild gibt. Denn die Mu-
nicipien sind keine eigene Gemeinden oder Städte, sondern ge-
hören zu Rom, ihre Bürger sind Römer, dagegen die Periöken
gehören nicht zu Sparta, sind nicht Spartiaten, sondern stehen
für sich. Lakedämon ist überhaupt einzig in seiner Art, etwas
was es meines Wissens sonst nirgendwo gegeben hat. Am ehesten
ließe sich Elis vergleichen; denn auch Elis hatte stammverwandte
Periöken, die besondere kleine Städte bildeten und der Gemeinde
Elis Untertan waren. Aber den Eleem fehlt wieder die straffe,
städtische Concentration, die für Sparta so wesentlich und so
charakteristisch ist, und so kann auch dieser Vergleich nur zum
Teil genügen.
Verzeiclmis der Periökenst&dte des alten Lakedämon ^.
Wenn man von der Bedeutung der Periöken für das sparta-
nische Staatswesen und ihrem Verhältnis zu Sparta sich einen
ausreichenden Begriff machen will, wird es weiter nötig sein, die
Zahl ihrer Städte und den Umfang ihres Gebietes festzustellen
und in Erwägung zu ziehen. Es bestehen darüber noch immer
unklare und unrichtige Vorstellungen*). Ein Verzeichnis lakedä-
monischer Orte hat Clinton*) gegeben, aber es ist ungenügend,
1) Skylax peripl. 46: Aa%Bda£fuov i^vog,
2) Für das Topographische and alle Einzelheiten yerweise ich im nachfol-
genden Abschnitt auf die bekannten geographischen Werke von E. Cortias, Pelopon-
nesos II 121 ff. Barsian, Geographie von Griechen!. II 102 ff. Lolling in J. Müllers
Handb. d. klass. Altertumswiss. III 180 ff. Hier findet der Leser auch leicht die
nötigen Belege, von denen ich hier nur das für meinen Zweck notwendige geben
kann.
3) So bei G. GUbert, Handb. d. griech. Staatsalterth. 1« S. 38, wo „alle
Landstädte des Eurotasthaies ** unter den Periöken genannt werden.
4) Fasti Hellen. U 491 Anm. y.
Nene Beiträge zur Geschichte und LaDdeskonde Lakedämons. 109
beräcksichtigt nor das spätere Lakedämon im engem Sinne and
macht keinen Unterschied zwischen Spartiaten- und Periökenland.
Diese beiden Bestandteile Lakedämons müssen aber scharf ge-
schieden werden; hbqioixCq und das spartanische Bürgerland
schließen sich aas ; es kann also von Periöken auf dem Spartiaten-
gebiet keine Rede sein^). Dieser Satz ergibt sich aas dem Be-
griff des Wortes und wird, wie es nicht anders sein kann, durch
den statistischen Befund durchaus bestätigt.
Die Zahl der Periökenstädte war sehr groß*), sie belief sich
rund auf hundert, und es ward daher in Sparta regelmäßig für das
Land eine Hekatombe geopfert^). Es versteht sich, daß neben
einzelnen ansehnlicheren, wie schon bemerkt (S. 103), die meisten
unbedeutend und klein waren. Obwohl sie Städte hießen, sagt
Isokrates^), so waren sie doch nicht mehr als attische Demen,
glichen also den vielen kleinen Nestern, die vor der Gründung
von Megalopolis im westlichen Arkadien lagen und gleichfalls für
Städte, d.h. eigene Gemeinden galten^).
Wenn von hundert Städten in Lakonien gesprochen wird, so
gilt das nur für die ältere Zeit, die Zeit der Größe Spartas, wo
der Name Lakonien den ganzen Süden des Peloponnes, auch das
spätere Messenien mit umfaßte^, und ich will nun versuchen die
in dieser Zeit vorhandenen möglichst vollständig zu ermitteln.
Allerdings ein Verzeichnis aus älterer Zeit besitzen wir nicht, wohl
aber manche wertvolle und nützliche Einzelnachricht; das meiste
erfahren wir erst aus späteren Jahrhunderten, wo nun schon
vielerlei Veränderungen sich vollzogen haben, tmd viele Periöken-
städte von Sparta getrennt und an die Nachbarn übergegangen
sind. Dies geschah zuerst nach der Schlacht bei Leuktra, nachdem
die Thebaner und ihre Bundesgenossen in Lakonien eingefallen
waren und das ganze Land verheert hatten. An der Nordgrenze
fielen damals die Periökenstädte teils den Arkadern zu, vielleicht
auch den Argivem, teils wurden sie mit dem neugegründeten
Hessene vereinigt. Die Seestädte am messenischen Golf blieben
1) Ueher die davon abweichende Ansicht Kromayers habe ich soeben S. 105
Anm. 7 gesprochen.
2) Herodot. VII 234.
3) Strabo VIII 362. Steph. Byz. s. At^aiUy 'Av^va, Ai>X&v, Tijvog u. a. St.
0. Müller, Dorier IV 17.
4) Panath. § 179.
6) Thukyd V 33, 2.
6) Dies erkennt man aus Stephanos v. Byz., wo Aolon, das an der triphy-
tischen Grenze lag, als eine der hundert Städte aufgeführt wird.
110 Benedictus Niese,
zanächst noch lakonisch; aber ihre westliche Gruppe ward später
den Messeniern angegliedert, wahrscheinlich durch Philipp von
Makedonien, der bekanntlich zugleich die von Epaminondas gegen
Arkadien gesetzten G-renzen Lakedämons wieder herstellte, auch
Argos auf Kosten Lakedämons erheblich erweiterte und damit
neue Stücke des Periökenlandes von Sparta ablöste. Ein Teil
der lakonischen Städte ist also später arkadisch, argivisch oder
messenisch geworden. Die messenischen Küstenstädte wurden dabei
nicht etwa in Messene einverleibt, sondern blieben eigene Ge-
meinden, die im nächsten Jahrhundert sich eine nach der andern
dem achäischen Bunde anschlössen, die letzten 182 v. Chr. nach
der Unterwerfung Messenes*).
Der Umfang Lakedämons war also in der makedonischen Zeit
erheblich zurückgegangen; gemäß den Wandelungen des Kriegs-
glücks schwankte er namentlich an der arkadischen und argivi-
schen Grenze gelegentlich hin und her. Unverändert in ihrem
bisherigen Verhältnisse blieben die südlichen Seestädte ; sie wurden
erst durch die Römer nach der Ueberwältigung des Nabis von
Sparta getrennt und dem achäischen Bunde zugewiesen^. Auch
kamen sie nach dem Ende des achäischen Bundes nicht an Sparta
zurück, sondern blieben eigene Gemeinden. Ob sie damals schon
eine Gemeinschaft bildeten wissen wir nicht ; dagegen wissen wir,
daß Augustus eine solche eingerichtet hat*). Sechs der ehemaligen
Periökenstädte gab der Kaiser den Spartanern zurück, die andern
achtzehn vereinigte er zur Gemeinschaft der Eleutherolakonen*),
und diese hat bis zum Ende des Altertums bestanden.
Außer diesen Veränderungen sind noch andere zu bemerken.
Einige Städte sind erst nach dem Fall der spartanischen Macht
entstanden, also nie spartanische Periöken gewesen; einzelne Pe-
riökenstädte sind untergegangen oder mit benachbarten vereinigt,
zuweilen auch in Sparta aufgegangen. Der Friede mit Nabis, die
Ordnung Griechenlands nach dem achäischen Kriege, das Zeitalter
Cäsars, der Triumvim und des Augustus hat hier wahrscheinlich
manche Aenderungen gebracht. Die UeberUeferung freilich, die
ja sehr dürftig ist, schweigt, aber die Betrachtung der einzelnen,
die nun folgen soll, läßt derartige Veränderungen mit hinreichender
Sicherheit erkennen.
1) Meine Gesch. der griech. u. makedon. Staaten II 411. in 55. Polyb.
XXIII 17 (XXIV, 14 Hultsch).
2) Livius XXXVIII 31, 2.
3) P. Foucart bei Le Bas Voyagt archMogique II 1 explic. 110 ff.
4) Pausan. lU 21,6.
Neue Beiträge zur Geschichte and Landeskunde Lakedäroons. Hl
Mit all diesen Umständen maß bei der Ermittelung der Pe-
riökenstädte, wie sie vor 370 v. Chr. bestanden, gerechnet werden.
Wir haben dazu zunächst die Nachrichten der altem Historiker
und Geographen, sodann alles was wir über den Bestand an selb-
ständigen Stadtgemeinden aus jüngerer Zeit wissen ; denn die spä-
teren Städte Lakoniens und Messeniens sind, wie schon bemerkt,
mit wenig Ausnahmen aus den frühem Periöken hervorgegangen.
Der Unterschied zwischen Spartiaten- und Periökenland ist nie
verwischt worden, sondern für die ganze Folgezeit von entschei-
dender Wirksamkeit geblieben. Neben den Historikern kommen
vor allem natürlich die Geographen in Betracht, wie Skylax,
Strabon, Plinius, Ptolemäos und der Perieget Pausanias. Das bei
diesem ^) erhaltene Verzeichnis der Eleutherolakonen kann gleichsam
als fester Kern des nachweislichen Bestandes dienen. Wichtig
sind die Zeugnisse der Inschriften und Münzen, die ebenfalls durch-
weg aus jüngerer Zeit stammen, aber immer deutlich erkennen
lassen, ob ein Ort eine selbständige Gemeinde war oder nicht;
denn nur solche selbständige Gemeinden können mit Sicherheit
als ehemalige Periökenstädte angesprochen werden*). Eine besondere
Erwähnung verdient das Ortslexikon des Stephanos von Byzanz,
das trotz starker Verkürzung für die gegenwärtige Untersuchung
von großem Wert ist. Mehrmals bezeichnet er einzelne Städte
als eine der Hundert, (lia r&v ixatöv^ und wenn wir ihn in voll-
ständiger Gestalt hätten, würden wir den Beisatz wohl noch öfter
finden. Es muß also ein Verzeichnis der hundert lakonischen
Städte gegeben haben, aus dem eine Anzahl Namen in das Lexikon
übergegangen sind. Einmal unter AhmkCa^) citiert Stephanos den
Androtion, den Verfasser der Atthis mit folgenden Worten: i6ti
xal jllxfDUa ndXig nsXonowrlöov, i)v övyxaraXiyH tatg Aaxfovixatg
nöXsöiv ^Avdgorimv xal^) ^Atd'idog, woraus man erkennt, daß
Androtion bei Gelegenheit ein Verzeichnis lakonischer Städte ge-
geben hat. Androtion war ein älterer Zeitgenosse des De-
mosthenes, der noch das alte Sparta gekannt hat und jedenfalls
1) Pausan. UI 21, 7.
2) Die Inschriften im ClOr. vol. I, bei Le Bas, Voyage archiologigue, in-
scriptianSf vol. II mit der ExpliccUion Foucarts, femer in der Sammlung der
Oriech. Dialektinschriften III 2 S. Iff. Die Münzen bei Eckhel, doctr. num. II 276 ff.
Mionnet, description des midaiUes II 212 ff. Suppl IV 209 ff. Head, historia num-
morum 361 ff. Catalogue of Oreek coins in ihe Brit. Mus. Peloponnesus S. 113 ff.
Journal cf Hellen, studies VII 57 ff.
3) S. 65, 13 Mein.
4) h B%ttp Meineke.
112 Benedictus Niese,
im Stande war, sich darüber zuverlässig zu unterrichten. Daß er nun
das ganze Verzeichnis der hundert Städte gegeben habe, kann natür-
lich nicht behauptet werden^). Immerhin sehen wir, daß auch der
Jüngern Zeit über den altern, später so stark veränderten Zustand
noch gute Nachrichten zur Verfügung standen.
Da es sich zunächst um die Ermittelung der Periökenstädte
handelt, so ist das Gebiet der Stadt Sparta, das nachher besonders
besprochen werden soll, von diesem Kapitel ausgeschlossen. Es
können femer nur solche Orte in Betracht kommen, die Städte,
nöXsig^ d.h. besondere Gemeinden sind und als solche bezeichnet
werden, worin die antike Terminologie selbst bei spätem Autoren,
wie Stephanos von Byzanz, bei einzelnen Ausnahmen doch in der
Hauptsache zuverlässig und genau ist*). Nicht jede Ortschaft
Lakoniens kann also ohne Weiteres für eine Periökenstadt gelten,
auch muß manches zweifelhaft bleiben, doch die meisten lassen
sich mit guter Sicherheit bestimmen.
Wir beginnen unsre Aufzählung im Osten an der argivischen
Grenze, wo in der Landschaft Kynuria die Städte Anthana und
Thyrea lagen ^). Bekanntlich war die Kynuria seit etwa B50
V. Chr. den Argivem dauernd abgenommen*), erst später, wie es
scheint durch Philipp, kam sie vsdeder an Argos *). Es folgt weiter
an der Ostküste Prasiai, eine alte Stadt, die schon vor der la-
kedämonischen Eroberung bestand, wie die Zugehörigkeit zur ka-
laurischen Opfergemeinschaft zeigt ^). Sie gehört zuletzt zu den
Eleutherolakonen. In der Nähe war Kyphanta 219 v. Chr.
argivisch'); später ist es eingegangen; denn Plinius®) kennt es
nur als Hafen, ebenso Ptolemäos, der es außerdem noch einmal
unter den binnenländischen Städten anführt*'). Ein Bürger dieser
1) 0. Müller, Dorier IV 14 ist der Meinung, daß Androtion die 100 Städte
aufgezählt habe.
2) Auch eine Landgemeinde kann eine n6Xig sein, wie die Skiritis zu den
n6lHe gehört, obwohl ihr Hauptort nur ein Dorf, eine %6>(iri war.
3) Thukyd. V 41, 2 Herod. VI 76. Steph. Byz. 'Av9^dva fiia x&v {%at6v.
4) Herod. 1 82, Thukyd. T 41, 2.
5) Pausan. II 88, 5. Pausanias hat außer Anthana und Thyrea noch die
Orte Neris und £ua, von denen Neris bei Stephan. Byz. s. v. (nach Nikolaos
Dam.) als Stadt bezeichnet wird. Pausanias nennt sie beide Dörfer, wie auch Thyrea
und Anthana zu seiner Zeit Dörfer waren. Es ist möglich, daß auch jene einst
Periökenstädte waren.
6) Strabo VIII 874.
7) Polyb. IV 36, 5.
8) h. n. IV 17.
9) Ptolem. Geogr. III 14, 32 und 43 (p. 552. 558 Müller).
Xeae Beiträge zur Geschichte and Landeskunde Lakedäroons. 113
Stadt scheint in einer Inschrift ans Keos vorzukommen^). Be-
kannter sind Zarax und Epidaaros Limera, später beide
Elentherolakonisch und sonst nicht selten erwähnt*). Im Hinter-
lande sind Marios, Grlympeis (Glyppeia), Selinus und Po-
lichna za nennen. Glympeis und Selinus waren später mit Ma-
rios vereinigt, das seinerseits den Eleutherolakonen angehörte^.
Hier kann die Insel Kythera mit den Städten Skandeia
und Kythera angegliedert werden. Thukydides zählt sie aus-
drücklich zu den Periöken*). Nach 146 v. Chr. war Kythera eine
Zeitlang selbständig^), ward aber von Augustus nicht den Eleu-
therolakonen zugeteilt, sondern wie es scheint den Spartanern
gegeben.
Nach dem bekannten Zeugnis Herodots^) gehörte die ganze
östliche Küstenlandschaft Lakedämons und ebenso Kythera einst-
mals zu Argos, und auch später ist ein guter Teil der genannten
Städte zeitweilig argivisch gewesen^), seit wann jedoch und auf
wie lange ist unbekannt.
Am Vorgebirge Malea erwähnt Pausanias^ den gut bevöl-
kerten Hafenort Nymphaion. Ob dieser jedoch jungem Ur-
sprungs ist oder zu den alten Periökenstädten gehört, läßt sich
nicht entscheiden. Sicher periökisch ist hingegen das bekannte
Boia (oder Boiai) nebst drei andern Städtchen Etis, Aphro-
disias und Side. Diese drei waren zu Pausanias' Zeiten in
Boiai aufgegangen ®), bestanden aber früher als selbständige Städte *®).
Hier schließt sich die Halbinsel Onugnathos an, die vielleicht
ebenfalls früher eine Stadtgemeinde beherbergte. Aber ein Zeugnis
1) Oben S. 102 Anm. 11.
2) Bürger aus Zarax (Zapa^io^ Samml. d. Griech. Dialektuischr. 8 n. 4547.
Epidaaros z.B. bei Thak}'d. IV 56. VI 105,2. Stephanos Byz. nennt es eine
der Hundert.
3) Polyb. IV 36, 5. V 20, 4. Pausan. III 22, 8.
4) Thukyd. IV 64, Pausan. III 23,1. Skandeia wird schon bei Homer
H. 10, 268 erwähnt.
5) Aneient Or, inscr, in (he Brit. Mus, II 143.
6) I 82.
7) Polybios IV 36, 5 bezeugt es für 219 v. Chr, also nach der Schlacht bei
Sellasia.
8) m 23, 2.
9) Pausan. HI 22, 10 f., ygl. VIII 12,8. Der Synoikismos ist erst in jü:>
gerer Zeit yor sich gegangen. Pausanias freilich schreibt ihn schon dem Herakliclcn
Boios zu.
10) Für Side bezeugt es Skylax § 46, für die beiden andern Stephanos Byz.
8. *AtpQodicid9 und ^Hxig,
114 Benedictus Niese,
liegt nicht vor. Weiter nördlich lag Kyparissia, das seine
Qaalität als eigene Stadt dnrch Münzen dartat ^); Pansanias
kennt es nicht mehr. Weiterhin in geringer Entfernung folgt das
später zum Bunde der Eleutherolakonen gehörige Asopos^) und
nicht weit davon Leukai'). In derselben Gegend, aber im
Binnenlande, muß Kotyrta gelegen haben, das zusammen mit
Aphroditiavon Thukydides *) genannt wird. Kotyrta ist außerdem
durch einen Volksbeschluß ^) aus der Zeit nach 146 v. Chr. als
Stadt beglaubigt, wird dann aber in einen der benachbarten Orte
aufgegangen sein. In der Eeihe der Eleutherolakonen fehlt es,
und Pausanias kennt es nicht. Nicht weit entfernt, ONO von
Asopos, beim heutigen Finiki befand sich ein Heiligtum des
Apollon Hyperteleatas, dessen Heste vor einigen Jahren ent-
deckt wurden^. Es ist möglich, daß sich in dem Beinamen des
Gottes die Erinnerung an einen Ort, eine Periökengemeinde, etwa
Hyperteleia erhalten hat; auch Pausanias kennt den Namen in
dieser Gegend').
An der Küste folgt auf Asopos eine Stadt, die bei Ptolemäos,
der sie allein erwähnt, Biandyna heißt; aus einer Inschrift
scheint sich der Neune Biadinupoliszu ergeben ^) ; femer A k r eai
(Akriai) eine bekanntere Stadt; sie gehörte später zum Verbände
der Eleutherolakonen. In dieser Gegend, im südöstlichen Lakonien
mag auch Chen oder Chenia gelegen haben, die Vaterstadt des
weisen Myson^®). Hier sei ferner aus dem Binnenlande das wohl
bekannte Geronthrai angeschlossen, das später eleutherolako-
nisch war, also ohne Zweifel früher zu den Periöken gehörte").
1) Head, bist. num. 864. Vgl. Strabo VIII 363. Pausan. III 22, 9.
2) Pausan. III 22, 9. Strabo VIII 364.
3) Polyb. IV 36, 5. V 19. Liv. XXXV 27, 3. Nach Strabo VIII 363 ist
Leoke der Name des Gefildes.
4) IV 56.
5) Samml. d. griecb. Dialektinschr. III n. 4544. Michel recueil 184.
6) 'Etp, &QX(^M^' 1884 S. 197. 1900. S. 153 ff.
7) Paasan. III 22, 10 tb 9h xtoqiov^ iv9'a %b 'JauXriTti^iov, 'TntiftiXiaxov
xaXcira». Für TneQxeXiaxov vermathet Pantazides {'E<pri(i, ^^;i;aiol. 1885 S. 58 ff.)
TnsQtsXBaxov ; noch näher liegt ^TnsQXiXsax&v.
8) Ptolem. Geogr. III 14, 32. CIG I 1336.
9) Nicht weit davon entfernt muß P 1 e i a i gelegen haben, das Liyius XXXV
27, 2 zusammen mit Akreai erwähnt. Jedoch nach einer späteren Inschrift (CIG
I 1444) scheint Pleiai zu Sparta zu gehören; es wird eine Spartiatin erwähnt, die
Priesterin der Artemis Patriotis in Pleiai war.
10) Plato Protag. 343 A. Steph. Byz. s. JTijv. Vgl IG VII 2936.
11) Pausan. 1112,6. 22,6. Samml. gr. Dial. III 4530ff. Das nach Pausanlas
Neue Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Lakedämons. 115
Wenden wir nns wieder der Küste zu, so folgt auf Akreai
die Hafenstadt Helos, die bekanntlicli nach der Meinung antiker
Antiquare den Heloten ihren Namen gegeben hat. Strabo nennt
es ein Dorf^), früher war es eine Periökenstadt ^). "Weiterhin
kann man vielleicht Trinasos, bei Pausanias') ein Kastell, mit
dem nötigen Vorbehalt als eine alte Periökenstadt in Anspruch
nehmen. Unter allen dortigen Küstenstädten war die bedeutendste
Gytheion, seit den letzten Jahren des peloponnesischen Krieges*)
Spartas eigentlicher Kriegshafen, eine ansehnliche, bevölkerte, feste
Stadt, die noch 195 v. Chr. den römischen Verbündeten sehr
kräftigen Widerstand leistete *). Später gehörte es zu den Eleu-
therolakonen. In der Nähe lag Aigeai, das man für das home-
rische Augeiai hielt; Pausanias rechnet den Ort zum Spartiaten-
lande ; sollte er also früher periökisch gewesen sein, so müßte er
später in Sparta einverleibt worden sein^). Sehr wahrscheinlich
ist dies von dem benachbarten Krokeai, das zu den hundert
Städten gerechnet wird^), aber bei Pausanias^ ein zu Sparta ge-
höriges Dorf ist. Auch Migonion, das zu Pausanias' Zeiten nur
noch in Gottesdiensten weiterlebte, kann einst eine besondere Ge-
meinde gewesen sein®). Vor Gytheion lag die Insel Kranae, die
nach ihren Münzen zu schließen, trotz ihrer Kleinheit dennoch
zeitweilig eine eigene Stadtgemeinde gebildet zu haben scheint ^^).
Weiter fortschreitend kommen wir zu Las, einer alten, schon
von Homer ^^) erwähnten Stadt, die noch im B. Jahrhundert ein
wichtiger Hafenort war^^). Sie hat bis in die Kaiserzeit gedauert.
zwischen Akreai und Geronthrai belegene Palaia Korne kann vielleicht der
Best einer älteren Periökenstadt sein. £. Curtius, Peloponn. II 328,71 denkt an
Pleiai.
1) üAnri. Strabo VIII 363.
2) Thukyd. IV 64, 4. Xenoph. Hell. VI 5, 32. Strabo VDl 366. Eine In-
Schrift aus dem 5. Jahrhundert erwähnt das dortige Poseidonfest. lOAnt. 79.
Ein Bürger aus Helos, *EXs£trig, IG VII 1765.
3) III 22, 3. Vgl. Ptolem. IH 14, 32.
4) Xenoph. Hellen. I 4,11. Eine frühere Erwähnung bei Diodor XI 84,6
ist verdächtig, da Thukydides an der entsprechenden Stelle (I 108,5) Gytheion
nicht nennt, das er überhaupt nicht erwähnt
5) Xenoph. Hell. VI 5, 32. Liv. XXXIV, 29, 3.
6) Strabo VIII 364. Steph. Byz. s. A^iia, Pausan. III 21, 5.
7) Stephan. Byz. s. KQo%8a£.
8) m 21, 4.
9) Pausan. III 22, 1.
10) Pausan. III 22, 1. Head. histor. num. 365.
11) II. II 585.
12) Thukyd. VIII 91, 2. 92, 3. Strabo VIU 864.
116 Benedictns Niese,
WO sie als Mitglied des Eleutherolakonenverbandes eigne Münzen
schlugt). 30 Stadien entfernt an der Grenze des spartanischen
Gebietes lag der Ort Hypsoi, der jedenfalls später nicht mehr
za den selbständigen Gemeinden zählte'). Weiter südlich sind
Pyrrhichos und Teuthrone durch Inschriften und Münzen,
wie durch das Zeugnis des Pausanias als Teilnehmer am Ver-
bände der Eleutherolakonen bezeugt'). Dagegen Amathus^)
oder Psamathus^) fehlt in der Reihe der Eleutherolakonen,
doch ist es zweifellos zu den alten Periöken zu zählen, ebenso
wie das hier befindliche Asine^), das E. Curtius') irrthümlich
für gleichbedeutend mit Las ansieht.
Jenseits des tänarischen Vorgebirges folgen eine ganze Reihe
von echten Periökenstädten®), zuerst Tainaros (später Kainepolis),
eine alte, später eleutherolakonische Stadt®), ferner Hippola,
das zur Zeit des Pausanias in Trümmern lag. Derselbe Autor*®)
erwähnt daneben einen andern Ort Messa. Bekanntlich wird
ein Messa schon bei Homer im Schiffskataloge**) erwähnt; doch
konnten die alten Erklärer eine Stadt dieses Namens nicht mehr
nachweisen und verfielen daher auf allerlei Vermutungen**). Unter
diesen Umständen ist das Messa des Pausanias als ein jüngerer
Ort anzusehen. Vielleicht hat man das zerstörte Hippola unter
dem homerischen Namen wieder aufgebaut. Weiter nördlich liegt
Oitylos, auch Bitylos, Beitylos oder Baitylos genannt, schon
dem Homer und altem Historikern als Stadt bekannt, zuletzt
1) Head. bist. nom. 365.
2) Pausan. III 24, 8.
3) Le Bas II n. 228. Pausan. DI 25, 1 ff.
4) Strabo VIII 363.
5) So Skylax § 46. Plin. h. nat. IV § 16. Pausan. III 25, 4. Stephaoos
Byz. 8. Y.
6) Bezeugt von Thukyd. IV 64,4. Steph. Byz. s. v.
7) Peloponnesos II 274. 324.
8) Ob der Achilleshafen 'AxOXuog It/i^y (Skylax § 46. Steph. Byz.
«. 'AxiXUiov) am Vorgebirge Tainaron Stadtgemeinde war, ist zweifelhaft, aber
möglich.
9) Pherekydes fr. 88 (FHG I 93) Pausan. in 25, 4 und 8. CIG 1 1393 f. Le
Bas n n. 258 ff.
10) Pausan. III 25, 9.
11) II. 2,582.
12) Strabo VIII 364 nnd die Schollen zur Ilias 2, 582. Aus Strabo folgt mit
{Sicherheit, daß es zu ApoUodors Zeit ein Messa hier noch nicht gab, was L. Heide-
mann (die territoriale Entwicklung Laced&mons und Messeniens, Diss. Berlin 1904.
7) verkannt hat.
Neue Beiträge zur Geschichte and Landeskunde Lakedämons. 117
eleutherolakonisch^), ferner Thalamai, Pephnos und Leuktra,
von denen Thalamai und Leoktra in den Bond der Eleuthero-
lakonen aufgenommen wurden *). K a r d a m y 1 e ist ebenfalls alt •) ;
es muß seit 146 n. Chr. zu den lakonischen Freistädten gehört
haben, bis es Augnstus zu Sparta schlugt). In dieser Gegend
müssen auch einige von Strabo^) genannte Ortschaften gelegen
haben: Charadra, eine Gründung des Pelops, femer Poiaessa,
Echeiai und Tragion, die von dem lakedämonischen Könige
Teleklos besiedelt sein sollten •).
Es folgen die beiden, später eleutherolakonischen Städte Ge-
re nia (G^rena) und Alagonia^. Weiterhin die Eästenlandschaft
bis zum Pamisos wird von drei Städten eingenommen, Abia (Abiai),
Pharai und Thuria, die wahrscheinlich auch nach 370 y. Chr.
noch eine zeiÜang bei Sparta blieben und erst von Philipp mit
Messene vereinigt wurden, von dem sie 182 v. Chr. der achäische
Bund wieder trennte. Nachher scheinen sie nicht wieder zu
Messene gekommen zu sein^). Abia ist wahrscheinlich dauernd
selbständig geblieben^). Pharai und Thuria wurden von Augustus
zu Sparta geschlagen ^^). Pharai ist ja schon dem Homer bekannt
und auch als Periökenstadt wohl bezeugt ^^). Thuria wird zur
Zeit des 3. messenischen Krieges von Thukydides ^') ausdrücklich
als solche bezeichnet und etwa gleichzeitig in einer Inschrift unter
der Form SsvQia erwähnt^'). Zusammen mit Thuria nennt Thu-
kydides eine andere, wahrscheinlich benachbarte, sonst unbekannte
1) Hom. n. 2, 585. Pherekydes fr. 89 (FHG I S. 93).
2) Paosan. III 26, 1 f. Thalamai ward bei Theopomp im 32. Bach der Phi-
lippika genannt (FHG I 311, fr. 192), wo von Lakonien und seinem VerhältniB zu
Messene die Rede war. Steph. Byz. s. y. Vgl. Polyb. XVI 16, § 2 und 8. Ueber
Pephnos ygl. Steph. Byz. s. v.
3) Homer n. 9, 292. Herodot VHI 73.
4) Paosan. HI 26, 7.
6) Vin 860.
6) Poiaq^sa erinnert an das Homerische 7^v noii^soeav (II. 9, 292) ; denn
hier nahmen einige £rklärer Ilon/isccav für den Eigennamen und l^v als Ad-
Jektiyum.
7) Strabo VHI 360. Pausan. III 26, 9 ff.
8) Polyb. XXm, 17, 2.
9) Le Bas-Foucart n. 296.
10) Pausan. IV 30, 1 ff. 31, 1 f.
11) Homer D. 5, 543. 9, 293. Odyss. 3, 488. 15, 186. Xenoph. HeU. IV 8, 7.
l^epos Conon 1.
12) I 101, 2.
13) IGAnt. n. 79.
XfL Gm. d. WiM. MMkrickUa. PkUoloff.-Uitor. Dmm 1906. H«fl 8. 9
X18 Benedictns Niese,
Stadt Aithaia^). Ein Dorf des Gebiets von Thuria war später
Ealamai^, aber früher hatte es eine eigene Gemeinde gebildet^.
Weiter im Binnenlande östlich von Pharai gegen das Gebirge zu
lag Denthalioi, eine Gemeinde, deren Besitz gelegentlich
zwischen Sparta und Messene streitig war. Hier lag ein in Anlaß
dieses Streites mehrfach genanntes Heiligthnm der Artemis lim*
natis *).
Jenseits, westlich vom Pamisos bis zxmi Abschluß des messe-
nischen Golfs sind nns aus späterer Zeit drei Städte bekannt,
Eorone, Asine und M o t h o n e ^). Nachdem sie eine Zeitlang
messenisch gewesen waren, traten sie mit eignem Recht in den
achäischen Bund ein und geben sich ebenso in der nachachäischen,
römischen Zeit durch ihre Münzen*) als autonome Gemeinden zu
erkennen^). Asine und Mothone sind als alte Periökenstädte gut
bezeugt *), beide gelten für Gründungen der Lakedämonier , von
denen aus Argos vertriebene Asinäer und Nauplier dort angesiedelt
wurden. Hingegen kann Eorone, wenn Pausanias recht berichtet^
daß es erst nach der Wiederherstellung Messenes von den The-
banem gegründet worden sei, den alten lakedämonischen Periöken
nicht zugerechnet werden. Doch kann man vermuten, daß an seiner
Stelle eine ältere Periökenstadt lag*). Zweifelhaft ist die SteUung
von Eolonides oder Eolone, das zwischen Eorone und Asine
lag ^% In der Geschichte des Jahres 183 v. Chr. nennt es Plutarch
ein Dorf, es war also wohl zu Eorone geschlagen ^^). Dagegen
1) Außerdem noch erwähnt von Philochoros bei 8teph. Byz. s. At^aut %6li^
t^q Aanmvi%1i9 (Ua xAv q,
2) Paosan. lY 81, 3.
3) Le Bas-FoucÄTt n. 294». Vgl. Polyb. V 92, 4.
4) Stephan. Byz. 8. /S^v^dlioi. Tadt ann. lY 48. Vgl Strabo Vni 8C2.
Pansan. IV 4,2. 31,3. Daß es sich bei diesem Streit zugleich um Thoria und
Pharai gehandelt habe, wie R. Weil Athen. Mittheil. Vn 216 annimmt, glaube
ich nicht.
5) Pausan. IV 34,4ff. Strabo VIII 859 f.
6) Head, bist num. 362. 862 f. Catalogne of gr. coins. Peloponn. 118 ff.
7) £. Curtius, Arch&ol. Zeitung XDI (1866) S. 86.
8) Asine bei Thuk. IV 13, 1. Xenoph. Hell. Vn 1, 26 (zweifelhaft ist He-
rodot VIII 78), Mothone bei Thukyd. II 26, beide bei Skylax § 46.
9) Korone müßte sogar alt gewesen sein , wenn der von £usebiu8, chron. I
p. 196 als Sieger der 12. Olympiade genannte Koronier Oxythemis wirklich von
da stammte. Da jedoch Philostratos (II p. 267, 11 Kayser) daf&r einen Kleonfter
nennt, so ist das Zeugniß des Eusebios anfechtbar und muß daher ruhen. VgL
Busolt, Qriech. Gesch. I* 280«.
10) Pausan. IV 34, 8. Ptolem. geogr. DI 14, 81 S. 649 Müller.
11) Plutarch Philop. 18. Vgl. Liyius XXXIX 49, 1.
L k^ äl
Neue Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Lakedämons. 119
spater, nnter den römischen Kaisern, bildet es, wie die Münzen
bezeugen^), eine besondere Gemeinde *).
Zu den bisher genannten kommen femer noch einige Namen
Yon untergegangenen, später nicht mehr nachweislichen Orten,
die in der cQteren G-eschichte Messeniens, wie sie Ephoros nnd
nach ihnen andere erzählten, als Hanptorte erscheinen, also da-
mals bekannt gewesen sein müssen, nämlich Rhion etwa am
Akritas Tainaron gegenüber, Mesola an der Küste östlich vom
Pamisos, und Hyameia^. Ich halte es für wahrscheinlich, daß
diese Namen wenigstens zum Teil verschollene alte Periökenstädte
bedeuten. Auch Ampheia, das Pausanias^) in der Geschichte
des 1. messenischen Krieges als lakonisch -messenische Grenzstadt
erwähnt^), wird zu ihnen geseUt werden können. Denn wenn
auch jene Geschichte ohne Gewähr ist, so muß doch in der
Zeit, wo sie entstand, die Stadt als solche bekannt gewesen sein.
In der Periegese erwähnt sie Pausanias nicht, sie scheint also
später nicht mehr existiert zu haben, und auch sonst ist sie
meines Wissens unbekannt*). Endlich ist es als möglich ins Auge
zu fassen, daß sich in dem ApoUon Argeotas, der ,80 Stadien
von Korone ein Heiligtum besaß, der Name einer untergegangenen
Stadt erhalten habe^.
Nachdem wir im vorigen den Küstensaum Lakoniens begangen
haben, sind jetzt noch die an der Landgrenze gegen Arkadien
und Elis hin vorhandenen Periöken aufzuzählen.
Nahe bei Sparta wird ihnen bereits Sellasia angehört
haben; es scheint, daß man dieses als Grenzstadt, aber noch nicht
zu Sparta gehörig ansah*). Die Grenzstadt nach Tegea ist das
1) S. 118 Anm. 6. Imhoof-Blomer, monnaies grecques p. 170.
2) £s ist möglich, daB die der Akritashalbinsel Torgeltgerten Inseln, die
Oinnssen (Plin. b. n. lY 65. Mela II 110) ebenfalls eine Periökengemeinde
ausmachten.
8) Strabo Vni 360 f. Steph. Byz. s. *iYoy, MkoXa, *T<^m<.
4) IV 6,9ff.
5) Wir müssen sie ans also in der Gegend Ton Abia, Pharai und Thuria
denken.
6) Stephanos Byz. s. 'Aiupiut schöpft aus Pausanias.
7) Paosan. IV 84,7. Vgl. das S. 114 über den ApoUon Hyperteleatas be-
merkte.
8) 405/4 y. Chr. dürfen die athenischen Gesandten, da noch Kriegszustand
herrscht, Sparta nicht betreten und müssen in Sellasia bleiben. Xenoph. Hell. II
2, 18 f. Bei Stephanos Byz. heißt Sellasia einmal Ort, einmal Stadt (s. Ztlacia
und ZiXXaeia),
9*
X20 Benedictas Niese,
bekannte Karyai*). Es gehorte 370 v. Chr. zu den ersten, die
sich den eindringenden Thebanem anschlössen^), ward damals von
der spartanischen Herrschaft befreit und zn Arkadien geschlagen,
in welcher Weise, wird nicht überliefert. Wahrscheinlich ward
es an Tegea angegliedert '). Philipp von Makedonien bestätigte
diese Anordnung*) und Karyai ist nur vorübergehend auf kurze
Zeit wieder im Besitz der Spartaner gewesen*). Erst später,
vielleicht durch Augustus, ist es den alten Herren wieder zuge-
fallen®). Westlich an Karyä stößt die Skiritis, dadurch von
allen Periöken unterschieden, daß es keine Stadt, sondern eine
Landgemeinde ist, deren Hauptort Oion nur ein Dorf war '). Die
Skiriten hatten in der spartanischen Heerverfassung eine beson-
dere Stellung und stellten ein recht ansehnliches Kontingent^).
370/69 V. Chr. gingen sie zu den Arkadem, ihren Stammverwandten,
über und wurden später wahrscheinlich zu Megalopolis geschlagen^.
Soviel bekannt, sind sie nicht vneder zu Sparta zurückgekehrt^^.
Im^obern Eurotasthaie liegen mehrere, leider nur theilweise
bestimmbare Periökengemeinden. Zunächst bei Sellasia Pellana
oder Pellene"), das auch nach 370 v.Chr. bei Sparta verblieb**)
1) Thukyd. V 55,3.
2) Xenoph. HeU. VI 5, 25.
8) Der tegeatische Bezirk (Demos) Karyai, den wir aus Pausan. VIII 45, 1
kennen, ist wahrscheinlich nichts als die ehemalige lakedämonische Periökenstadt.
4) Polyb. IX 28,7. XVIII 14,7, wo ausdrücklich gesagt wird, daß den Te-
geaten spartanische Grenzstriche zufielen, was für die Einverieibung Karyai's in
Tegea spricht.
5) 867 y. Chr. eroberte Archidamos Karyai und ließ dabei alles was er le-
bendig antraf über die Klinge springen. Xenoph. Hell. VII 1,28. Dies ist ein
Racheakt, keine dauernde Besitzergreifung, wie man wohl gemeint hat; Archi-
damos zog gleich wieder ab. Um 200 und 195 v. Chr. ist Karyai nicht lakonisch
(Polyb. XVI 87, 4 f. Liv. XXXIV 26,9), aber 192 v. Chr. scheint Nabis es im
Besitz zu haben (Liv. XXXV 27, 18) , was sich so erkl&ren kann, daß es ihm die
Römer im Frieden zur Entschädigung für seine sonstigen Verluste bewilligt haben.
6) Pausan. ni 10,7 kennt es als zu Sparta gehörig.
7) Xenoph. Hell. VI 5,24. 26, oben S. 112 Anm. 2.
8) Thukyd. V 67, 1. Xenoph. Hell. V 4, 52 f. Laced. resp. 12,8. 18,6.
9) Pausan. VHI 27,4 ist, wie ich schon früher yermutet habe, HiuQit&v
Olov zu schreiben för das überlieferte 2%iQt6>viov.
10) 865 y. Chr. waren sie arkadisch. Xenoph. HelL VU 4,21.
11) Pausan. III 21, 2. Strabo VIII 886.
12) Wie aus Diodor XV 67, 2 hervorgeht, wo die Eroberung und Plünderung
der Stadt durch die Arkader erzählt wird, die darauf wieder abzogen. Der aus
den Inschr. yon Olymp, n. 174 und Pausan. VI 8, 5 abgeleitete Schluß, daß Pel-
lana an der Grenze des 8. und 2. Jahrh. y. Chr. zu Arkadien gehört habe, ist
Nene Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Laked&mons. 121
und noch zar Zeit des Nabis spartanischer Grenzort ist^). Die
Gegend führte den Namen der Tripolis *), woraus folgt, daß außer
Pellana es hier früher noch zwei andere uns unbekannte Stadtchen
gab. Hundert Stadien aufwärts von Pellana lag Belmina^ und
sein Bezirk, die Belminatis, an den Quellen des Eurotas^). Der
Ort fiel wahrscheinlich schon 370/69 v. Chr. den Arkadem an-
heim^), galt in der makedonischen und achäischen Zeit für mega-
lopolitisch, ward aber von den Spartanern immer wieder in An-
spruch genommen und zeitweilig besetzt*). Nach 146 v. Chr.,
vielleicht auch erst unter Augustus, muß es mit andern Grenz-
bezirken wieder an Sparta gefallen sein^. Es folgt in der an-
gefangenen Richtung die Landschaft Aigytis. Sie leitet ihren
Namen ab von einer Stadt Aigys, die nach Ephoros zunächst
nach der dorischen Wanderung einer der Hauptorte des ältesten
Lakoniens war^), aber schon eine Generation nach Lykurg, also
im 9. Jahrhundert von den Königen Archelaos und Charillos zer-
stört worden sein soll*). In bekannter Zeit gab es eine Stadt Aigys
nicht, sondern nur die Landschaft Aigytis ^^) und ihre Bewohner,
die Aigyten, zu denen Pausanias^^) sogar Behnina rechnet, femer
die Städte Malea, Eromnos (Kromoi) und Leuktron, von
denen das letztere, oberhalb der Maleatis gelegen, die Grenze des
alten Lakedämon nach dem westlichen Arkadien hin bildete, also
sehr unsicher. Paosanias bezeichnet den Arkader Philippos als Uiäv i% nsUdvagf
was auf alle Fälle fehlerhaft ist ; denn Pellana kann nicht den Azanen zugerechnet
werden, die vielmehr Psophis, Pheneos und Kleitor einnahmen.
1) Polyb. XVI 87, 6.
2) Polyb. IV 81, 7. Li?. XXXV 27, 9. Stephanos Byz. kennt auch in Mes-
senien eine Tripolis.
3) Die Schreibung ist nicht ganz sicher; Belbina, Blemina und Blenina
kommen als Varianten vor.
4) Polyb. n 64, 3. Pausan. III 21, 3. Strabo VIII 343. Stephanos Byz. s. t.
5) Nach Pausan. VIII 35, 4 müßte man freilich glauben, die Thebaner hätten
Belmina bei Sparta gelassen, allein derselbe Autor läßt kurz zuvor VIII 27,4
Blenina, d. h. Belmina, zu Megalopolis geschlagen sein.
6) Polyb. II 46, 5 54, 3. Plot. aeom. 4. Liv. XXXVIII 34, 8. Vgl. Ditten-
berger syll. I' 304. Zu Belmina gehörte das Kastell A t h e n a i o n , das in der
Kleomenischen Zeit öfters genannt wird.
7) Pausan. VID 35,4.
8) Strabo VIII 364. Vgl Stephan. Byz. s. Alyvg.
9) Pausan. UI 2, 5.
10) Polyb. II 54,3.
11) Vm 27,4.
122 Benedictus Niese,
am weitesten vorgeschoben war^). Einen andern aigytischen Ort,
Karystos, nennt gelegentlich einmal Strabo*). Die ganze
Aigytis ward bei Gelegenheit des ersten thebanischen Feldznges
in den Peloponnes 370/69 v. Chr. den Spartanern genommei^ und
spater mit Megalopolis vereinigt "). Ihre Q-emeinden gingen also
ein, nnd es ist nicht mehr von ihnen die Rede. Nor vorüber-
gehend haben nnter Kleomenes die Spartaner wieder von der
Landschaft Besitz genommen^). Westlich von der Aigytis ist
uns an der Nordgrenze nur noch eine Periokengemeinde bekannt,
Aulon, die Grenzstadt nach Elis (Triphylien) hin^). Stephanos
Byz. nennt sie eine der Hundert. Später, nach 370 v. Chr., ist
sie verschwunden, doch erhielt sich ihr Name in einem AsUepios-
heiligtume ^. An ihre Stelle scheint der von Strabo ^ erwähnte
Ort Olura (oder Oluris) getreten zu sein, der von den Antiquaren
für das homerische Dorion gehalten ward. Möglich ist, daß dieses
Olura schon zur Zeit der spartanischen Macht bestand, und daß
der Aulon, das Thal, mehrere Ortschaften umfaßte, also eine aus
mehreren Dörfern zusammengesetzte, ländliche Gemeinde bildete.
Zwischen der Aigytis und Aulon klafft in der Reihe der
nachweislichen Periökenstädte eine Lücke. Diese Gegend ist eben
sehr abgelegen und wird von der Geschichte kaum berührt.
Gewiß hat auch hier Periökenland den Grenzstrich gebildet, aber
wir haben keine Namen; denn die aus späterer Zeit genannten
Ortschaften sind nicht ohne weiteres zu brauchen und können
späteren Ursprungs sein; denn die Gründung der neuen Stadt
Messene, der dies ganze Gebiet einverleibt ward, hat hier, wie
das Beispiel Aulons lehrt, alles gründlich geändert. Was hier an
Periökenstädten vorhanden war, ward zum messenischen Stadt-
gebiet geschlagen, das, wie wir bestimmt wissen, unmittelbar an
Arkadien, an Megalopolis und Phigaleia grenzte. Wenn man indes
nach lakedämonischen Periökenstädten suchen will, so liegt es
nahe, Andania ins Auge zu fassen, den späteren messenischen
Grenzort an der Straße nach Megalopolis. Angeblich, nach Pau-
1) Thukyd. V 64, 1. Xenoph. HeU. VI 6,24, vgl. VU 1,28, wo das über-
lieferte MriSia oder Midia von £. Cortius in Mrilia verbessert wird. Ueber
Eromnos vgl. Stephanos Byz. s. K^fAftva. Xenoph. Hell. YII 4, 20 ff.
2) X 446.
3) Pausan. VIII 27,4; fürLeoktron wird es bei Plntarch Oleom. 6 bezeugt.
4) Polyb. II 64,3.
6) Xenoph. HeU. III 2,26. 3,8. 10. Strabo YIII 360. Plin. h. n. lY 14.
6) Pausanias lY 36, 7.
7) VIU 350.
Neae Beiträge zur Geschichte und Landeskunde L&ked&mons. 123
sanias, war es eine nralte Stadt, die yordoriscbe Eönigstadt des
ganzen Landes, auch die Heimat des Aristomenes, und spielte bis
znm Ende des 2. messenischen Krieges eine ganz ansehnliche
Rolle ^). Von den Homerikem wird sie mit Oichalia identifidert,
das der Schiffskatalog in dieser Gegend za nennen scheint*). Auf
der andern Seite ward sie von Ephoros unter den wichtigsten
messenischen Städten nicht genannt, und ihre früheste sichere
Erwähnung stammt erst ans dem makedonischen Zeitalter"). Damals
gehörte sie ohne Zweifel zum messenischen Gebiet und bildete
einen Theil der Stadt Messene; später, vielleicht nach 182 v.Chr.
scheint sie einmal an Megalopolis übergegangen zu sein; denn
Strabo nennt sie überall wo er sie erwähnt^) arkadisch; später
ist sie wieder messenisch, und als solche kennt sie Pausanias, sie
lag aber zu seiner Zeit in Trümmern^). Es befand sich in An-
dania ein namhaftes Heiligtum der eleusinischen Grottheiten; wahr-
scheinlich stammte der Kultus aus der spartanischen Zeit; die
spätere Sage setzte ihn freilich in die graue Vorzeit und ließ ihn
nach Messenes Wiederherstellung wieder erweckt sein^. In der
bekannten Mysterieninschrift aus dem Jahre 93 v. Chr. liegt uns
von diesem Kultus noch ein Zeugniß vor ^. Der selbständige
1) Pausan. IV 8,7 und 10. 14,7. 16,6. 17,10. 26,6. 27,1 und 3. Stephanos
Bjz, 8. 'Avdavkt,
2) Hom. n. 11 596. Strabo VIU 889. 850. 860. X 448.
8) Liy. XXXVI 81, 7, wo die Hss. Evidamam geben. Nach einer Coigector
Schweighäusers steht sie auch bei Polyb. V92,6, wo Miucv überliefert ist.
4) oben S. 112, Anm. 2.
5) Pausan. lY 38,6. Er erwähnt nicht einmal das Heiligtum der großen
Göttinnen.
6) Pausan. lY 1, 2. 8 f. 2, 6. 26, 8.
7) Dittenberger, syll. II* n. 653. Das Datum, das 55. Jahr der Pronnzial-
ära findet sich s. 10. Ich stelle hier zur Erw&gung, ob nicht die Inschrift ans
der 2^t stammt, wo Andania su Arkadien, d. h. zu Megalopolis gehörte. Es er-
scheinen in ihr eine ganze Anzahl von Beamten und CoUegien, Damiorgen, die
Synedren mit ihrem Schreiber, eine Qerusia (s. 46) ein ttciUag^ ^yo^oWfM)« und
yvvaiwop6itog. Die Gemeinde, yon der dies Tempelgesetz gegeben ist, muß recht
ansehnlich gewesen sein. Andania war aber nur ganz klein (pammm qppuhtm
nach Livius 86, 81,7) und wahrscheinlich nicht einmal selbständig, das Gesetz
muß also yon der Stadt herrühren, in deren Gebiet Andania lag, d. h. entweder
Messene oder Megalopolis. FOr Megalopolis spricht, daß wir dort die Beamten
und Collegien der andanischen Inschrift wieder finden, wie die letzten Aus-
grabungen lehren, Damiorgen, Synedren und ihren Schreiber, eine Gerusia, Tamias
und Agoranomos, und daß wahrscheinlich wie in Andania nach ach&ischer Weise
die Monate beziffert waren. ExeavaHoru at Megalopolis S. 126 ff. n. lY. YII.
YIII. XYII Le Bas-Foucart, inscripHons n. 831. Aus Messene kennen wir hin-
124 Benedictus Niese,
Eultiis würde für eine lakedämonische Periökenstadt ebenso an-
gemessen wie gewöhnlich sein. Schließlich könnte man in diesem
Znsammenhange noch Polichna erwähnen, das westlich von An-
dania am Wege nach Eyparissia lag^). Doch kann dieser Ort
schwerlich für eine alte Periökenstadt gelten; er lag wahrscheinlich
schon anf dem Spartiatenlande.
Das ganz mythische Oichalia nnd die bei Homer im Kataloge
der Pylier*) genannten Städte, darunter das schon erwähnte Do-
rion'), muß ich hier übergehen. Ich bin überzeugt, daß diese
Orte in der Zeit vor der lakedämonischen Herrschaft wirklich be-
standen, aber sie sind verschollen; die spätem wußten nichts mehr
von ihnen, und es ist nicht wahrscheinlich, daß sich irgend eine
unter der spartanischen Herrschaft wirklich erhalten habe. Die
erste und vornehmste, Pylos, werde ich unten noch erwähnen.
Auch die in neuerer Zeit öfters behandelten sieben Städte, die
in der Uias^) Agamemnon dem Achill verspricht, kommen nicht
in Betracht, außer zweien, Pharai und Kardamyle, die ich schon
genannt habe. Die übrigen sind unbekannt, und da nur der Dichter
sie nennt, so läßt sich nicht einmal behaupten, daß sie wirklich
existierten. Nur eine von ihnen, Ire (Igii), ist später als Eira
bei Pausanias^) wieder erstanden und hat sich auch in unsern
Zeiten einen anscheinend gesicherten Platz in der Geschichte und
Geographie Messenes erworben. Es ist nach Pausanias eine Burg
am Nedon an der arkadischen Grenze, in der sich die Messenier
bis zuletzt behaupteten. Ich glaube, daß es eine Burg dieses
Namens in der Gegend nie gegeben hat und daß wir es mit einem
erdichteten Ort zu thun haben ^. Es ist bezeichnend, daß Pausa-
nias in der Periegese nichts mehr von Eira weiß. Wie man
aber auch darüber denken möge, der Ort gehört jedenfalls nicht in
das Verzeichnis der lakonischen Periökenstädte.
Zum Schluß seien noch einige Orte erwähnt, von denen wir
zwar den Namen kennen, aber nicht wissen, wo sie lagen. Die
gegen, wenigstens in Mherer Zeit (Polyb. IV 81, 2 Le Bas n 810). Ephoren als
leitende Beamte. GUbert, Griech. Staatsalt. II 98. Freilich kann der Eintritt in
den ach&ischen Bond den Messeniem eine andere Verfassung gegeben haben;
nach einem inschriftlichen Zengniß gab es anch hier Damiorgen. Michel recneil 186.
1) Pausan. IV 88,6.
2) Ilias 2, 591 ff.
3) Pausan. IV 88, 4 ff.
4) 9, 160 ff.
5) IV 17, 10 ff.
6) Näheres habe ich im Hermes 26, 27 ausgeführt
Nene Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Lakedämons. 125
meisten werden von Stephanos von Byzanz anfgefülirt, und mehrere
sind mit Gewißheit unter die alten Periökenstädte zu reclinen.
Leicht kann die eine oder die andre in die soeben bemerkte
Lücke gehören, die zwischen der Aigytis und dem Aulen noch
für einige Städte Platz läßt. Ich zähle die Namen in alphabetischer
Ordnung auf.
Aigila wird von Pausanias^) in der Geschichte der messeni-
schen Elriege als Sitz eines Demeterkultns genannt, und erscheint
als solcher noch in der oben erwähnten Mysterieninschrift von
Andania*), wo der Priesterin von Aigila ein Ehrenplatz in der
Procession zugewiesen wird. Die Heiligtümer Aigila und Anda-
nia waren also verwandt und verbunden, wonach es walirscheinlich
ist, daß sie nicht allzuweit von einander entfernt lagen, daß also
Aigila westlich vom Taygetos anzusetzen ist. Li der Periegese
übergeht es Pausanias. Es kann recht wohl Periökenstadt ge-
wesen sein.
Aitolia ward nach Stephanos Byz. von Androtion unter den
lakonischen Städten aufgeführt"), hat also einen guten Gewährs-
mann.
Ataia, nur bekannt aus dem Artikel des Stephanos.
Athenai, ebenfalls nur von Stephanos angeführt^). Man
könnte an eine Verwechselung mit Anthana oder Anthene denken,
das oben erwähnte kynurische Städtchen*).
Dyrrhachion von Stephanos als eine der hundert Städte
verzeichnet ^.
Genese, nur aus Stephanos bekannt; desgleichen Etaieis
(Etaistg) und Litaiai. Für letzteres wird Apollodor im 7. Buch
seines Kommentars zum Schiffskatalog als Autor genannt. Viel-
leicht ist jiitaicu aus Alyaicu {AlyBaCj verderbt, das dem homeri-
schen Ai>'yBial entsprechen sollte (oben S. 115).
las OS (oder lason) von Pausanias^) in der Geschichte des
Jahres 148 v. Chr. als Periökenstadt bezeichnet. Der Name ist
vielleicht corrupt. E. Curtius^ wollte darin das skiritische Oion
1) IV 17, 1.
2) Dittenberger, syll. IP 653 z. 81.
3) Steph. Byz. p. 55,18 Mein.: icxi %al AlxmXCa n6Xi9 TlslonowijcaVy fjv
0vy«cirTaZ^fi tai^s AaiMovinais nSlBCiv 'AvSgoximv xal *Ax^C9o£, Die Bachzahl
des Atthis ist yerdorben; ygl. S. 111.
4) s. 'Ai&fivai p. 34, 7 Mein.
6) Die Hss. des Pausanias II 36, 6 überliefern 'A^vr^ för 'Av^vr\,
6) s. jOv^dxiop p. 244,4 Mein.
7) VU 13, 6 f.
8) Peloponnesos n 822 Anm. 5B.
126 Benedictas Niese,
sehen; aber die Skiritis war damals schon lange Zeit nicht mehr
lakonisch.
Oinus war nach Stephanos, der sich auf Androtion nnd Di-
dymos beruft, der Name eines lakonischen Städtchens ^). Bekannt-
lich war es auch der Name des Flusses, der kurz oberhalb Spartas
in den Eurotas fallt.
Phia (9i£) wird von Stephanos*) als eine der zwischen
Messene und Sparta streitigen Städte genannt. Doch hat der
Artikel durch Verkürzung und Einmischung des homonymen
eleischen Phea gelitten. Immerhin ist es nicht wahrscheinlich, daß
lediglich eine Verwechselung mit der eleischen Ortschaft vorliegen
sollte.
Tenos (I^og), von Stephanos als eine der hundert Städte
und Heimat der Dichterin Erinna genannt. Die Stadt ist also
sicher periokisch. Ein Tenos wird in einer lakonischen Inschrift
erwähnt, die beim Tempel des Hyperteleatischen Apollon ge-
funden ist. Sie stammt aus der Zeit nach 146 v. Chr. und
scheint, nach der Ergänzung des Herausgebers, Richter aus Tenos
zu erwähnen, die in einen Grenzstreit eingriffen^. Sollte dies
das gesuchte Tenos sein, so würde es wohl im östlichen Teil La-
koniens zu setzen sein. Zum Schluß sei noch Tyros erwähnt,
nach Stephanos Byz. der Name eines lakonischen Ortes. Sonst
ist es unbekannt. E. Curtius^) setzt es an die Ostküste Lakoniens
nördlich von Prasiai beim heutigen Eap Tyrä, ob mit Recht, ist
mir zweifelhaft.
Es sind im Vorstehenden etwa 90 Namen aufgezählt, von denen
gegen 80 mit genügender Sicherheit als Periökengemeinden be-
zeichnet werden können; von den zweifelhaften wird der eine oder
der andre gleichfalls hinzuzunehmen sein. Erwägen wir ferner,
daß unsere üeberlieferung sehr lückenhaft ist, daß wahrscheinlich
manche Ortschaft eingegangen ist, ohne daß auch nur ihr Name
auf die Nachwelt gekommen wäre , so erhalten wir als Ergebnis,
daß die Nachricht von den hundert Städten Lakoniens nicht
übertrieben ist. Die Zahl wird abgerundet sein, aber es kann
ebenso gut einige mehr als weniger gegeben haben. Als selbst-
verständlich betrachte ich es ferner, daß an der Spitze jener
Hundert, für die in Sparta die Hekatombe geopfert ward, Sparta
2) 9td n6Xig tSv «e^i^x^«^ Mteeripioig xol Adnmeip. Vgl. 8. Jap^dlun.
8) SammL d. griech. Dialekt-Inschr. m 2 n. 4547.
4) Peloponn. II 305 f 332.
Nene Beiträge zur Geschichte and Landeskunde Laked&mons. 127
selbst stand, wie denn auch das gleich zu erwähnende Amyklai
dazu gehört hat.
Zar Zeit der spartanischen Oberherrschaft bis zar Schlacht
bei Leoktra nahm also das Periokenland von den vier Seiten La-
koniens drei, nämlich den Norden, Osten und Süden vollständig
ein ; denn die Lacke, die in unserer Kenntnis zwischen der Aigytis
und Aulon vorhanden ist, sind wir nach dem vorliegenden Bestände
vollauf berechtigt, mit Periökenstädten ausgefüllt zu denken. Dazu
ist die Zahl der Städte so groß, sie liegen so dicht, das zwischen
ihnen für Spartiatenland kein Platz ist, und die Periöken einen
zusammenhängenden ansehnlichen Streifen eingenommen haben
müssen. Wenn wir einmal eine neue politische Karte des alten
Hellas erhalten sollten, so wäre es erwünscht, wenn der Karto-
graph dieses Verhältnis auch für das Auge zum Ausdruck brächte.
Man würde dann mit einem Blick von der eigentümlichen Bildung
Lakoniens eine Anschauung gewinnen.
Aus unsrer Uebersicht folgt weiter, daß das Periokenland
einen sehr ansehnlichen umfang hatte und daß sein Flächeninhalt
dem Spartiatengebiet mindestens gleich kam, wenn es auch an
Güte weit nachstand. Die hundert Städte zeigen uns, daß wir uns
die periökische Bevölkerung als zahlreich und zum Teil sehr dicht
vorstellen müssen, wenn auch eine genauere Berechnung nicht
möglich ist^). Damit stimmen denn die bekannten Nachrichten über-
ein aus denen hervorgeht, daß Lakonien zu den best angebauten und
bevölkerten Landschaften Griechenlands gehörte. Daraus ergibt
sich weiter, welche Bedeutung in politischer und wirtschaftlicher
Hinsicht die Periöken für Sparta hatten; sie schlugen nicht nur
die Schlachten der Spartaner mit, sondern mußten auch die füh-
rende Gemeinde zum guten Teil ernähren.
Das Spartiatenland.
Die Periöken, von denen bisher gehandelt ward, finden ihre
Ergänzung und zugleich ihren Gegensatz in Sparta und seinem
Gebiet. TJm daher unsere Anschauung zu vervollständigen, müssen
wir auf dieses noch einen Blick werfen.
Es liegt eingeschlossen von dem Ringe der Periökenstädte und
umfaßt das beste Stück des Landes, und zwar zu beiden Seiten
1) Mit Bestimmtheit l&it sich behaupten, dai die Berechnungen Belochs
(Die Berölkerung der griech.-röm. Welt S. 145) hinter der Wirklichkeit weit zu-
rQckbleiben.
128 Benedictus Niese,
des Taygetos. Auch Messene gehört dazu; denn dieser Name be-
zeichnet unter' der spartanischen Herrschaft das Spartiatenland
westlich vom Taygetos^). Auf diesem Gebiet gab es nur eine
Stadt, Sparta, wo alle Bürger zu wohnen gezwungen waren. Alles
übrige ist das platte Land, die spartanische Feldmark, wo die
dauernde Bevölkerung aus Heloten bestand, Ackerem und Hirten,
die in ihren zahlreichen Ansiedelungen oder Dörfern zerstreut
lebten ^. Die Spartaner durften sich nur vorübergehend auf dem
Lande aufhalten. Natürlich ward es von ihnen häufig besucht;
es kamen die Eigentümer, die Herren oder auch die Frauen*),
xmd es gab ohne Zweifel Häuser und Anstalten zu ihrer Beher-
bergung. Dazu kamen die Aufseher und Streifwachen ; denn be-
kanntlich wurden die Heloten von staatswegen scharf unter Ob-
acht genommen. Auch steht nichts im Wege anzunehmen, daß
gelegentlich sich andere Leute, Halbbürger, einzelne Feriöken oder
andere Fremde mit obrigkeitlicher Erlaubnis ansiedelten*). Aber
städtische Ansiedlungen gab es, wie schon bemerkt, auf sparta-
nischem Gebiet nicht. Dies folgt nicht nur mit Notwendigkeit
aus der Natur der städtischen, insonderheit spartanischen Ver-
fasssung, sondern auch aus den topographischen Tatsachen. Auf
dem eigentlich spartanischen Gebiet fehlt es gänzlich an irgend-
wie nennenswerten Ortschaften etwa von der Art der attischen
Demen oder böotischen Landstädte. Wir kennen nur einige wenige
Dörfer und Fluren, und namentlich Heiligtümer, die auch den He-
loten nicht fehlen durften und ja meist von einer Ansiedlung um-
geben waren. Darin bildet das Spartiatenland einen sehr auf-
fallenden Gegensatz zu dem Periökengebiet mit seinen zahlreichen,
oft dicht aneinander liegenden Städtchen. Bei Gelegenheit des
großen thebanischen Einfalls im Winter 370/69 v. Chr. nennen
unsere Berichte außer dem gleich zu erwähnenden Amyklai keinen
Ort des spartiatischen Gebietes*). Polybios, wo er den Feldzug
Philipps erzählt, nennt südlich von Amyklai das Pyrrhoslager
(üiiggov x^9^)^) ^^^^ weiter das Karnion (rö Kagviov); Städte-
1) Vgl. Hermes 26, 19. Wilamowitz, i. d. Abhandl. d. Götting. Ges. d.
Wissensch. 1900 S. 98.
2) Strabo VIII 365.
3) Aristot poUt. II 9 p. 1269 b 31.
4) So erbielten die freigelassenen Brasideer die Erlaubnis, ihren Wohnsitz
aufzuschlagen wo sie wollten. Thukyd. V 34.
5) Xenoph. HeU. VI 5, 27 ff. 50 f. Plut. Pelop. 24. Diodor XV 65.
6) Ein zweites Pyrrhoslager {Pyrrhi eagtra) nennt Livius XXXV 27, 14
nördlich von Sparta. Beide Orte sind Andenken an den Angriff des Königs Pyrr-
hos Ton 273/2 t, Gut.
Neue Beiträge zur Geschichte und Landeskonde Lakedämons. 129
namen erscheinen erst, als Philipp an die Küste und in den
Bereich der Periöken kommt ^}. Pausanias kennt in seiner Topo-
graphie außer der nächsten Umgebung des weitläuftigen Sparta,
außer der Vorstadt Therapne, dem Menelaion, dem Mühlenweiler
am Enrotas (Alesiai), in der ganzen Landschaft nur das Eleusinion,
Derreion, Harpleia, das Lapithaion und das Heiligtum des Zeus
Messapeus bei Messapeai^), zuletzt zwischen Pellana und Sparta
ein Charakoma *), d. h. eine Landwehr, die zwar Clinton zu den
lakedämonischen Städten rechnet, die aber schon durch ihren
Namen andeutet, daß es ebensowenig wie die andern soeben an-
geführten Orte eine Stadt ist. Sonst kennen die Landesbeschrei-
bungen, besonders Pausanias, nur die alten Namen des Schiffs-
katalogs*), Pharis, Bryseiai und Amyklai, die Homer der Ver-
gessenheit entrissen hatte. Einst waren dies ohne Zweifel Städte,
ebensogut wie Helos, Las und Oitylos , die zusammen mit ihnen
genannt werden. Aber während diese sich bis in die späteste
Zeit erhielten, da sie Periöken wurden, sind jene verschwunden.
Von Pharis scheint keine sichtbare Spur mehr vorhanden gewesen
zu sein; man kannte nur die Stätte, wo es einst gestanden. Bry-
seiai ward durch einen Tempel des Dionysos bezeichnet, die Stadt
gab es nicht mehr^). Eine Ausnahme bildet Amyklai, es blieb ein
bewohnter Ort. Es verdankt seine Erhaltung dem berühmten
Landesheiligtum des ApoUon, das zu ihm gehörte, hatte noch ge-
wisse Ehrenrechte und bewahrte sich eine Scheinexistenz, so daß
es mit zu den hundert Städten gerechnet ward^. In Wirklichkeit
war es nur ein Dorf oder Ort') des spartanischen Stadtfeldes.
Die Amykläer waren Spartiaten ^). Amyklai ist in der historischen
1) Polyb. y 19,4. Auch lY 36 gibt Polybios auf dem Periökenlande eine
ganze Fülle Ton Städtenamen.
2) Pausan. III 20, 2 f. Stepb. Byz. 8. v.
3) Pausan. III 21, 2.
4) lUas 2, 582 ff.
5) Pausan. III 20,3. Vgl. Strabo ¥111363.
6) Stepb. Byz. s. 'Ayi^nÜMi, Man kann damit die sakrale Geltung yergleichen,
die z. B. Alba Longa und Lavinium neben Rom bewabrten. Mythisch begründet
werden die Privilegien Amyklai's durch die Qeechichte Ton Philonomos, den Freund
der spartanischen Gesetzlichkeit, der bei der Einwanderung der Dorier zu ihnen
übergeht, den Inhaber von Amyklai dazu bringt, mit den Achftem gutwillig ab-
zuziehen, und dafür die Stadt nebst Bezirk erh<. Strabo VIII 364 f. Nicol. Dam.
fr. 36 (FHG UI 375).
7) lulbfif] oder xonog Polyb. Y 19, 2. Pausan. III 19, 6.
8) Xenoph. Hell. IV 5,11. Vgl. Histor. Zeitschr. N. F. 26,79. Dies bleibt
auch später. Durch eine Inschrift aus der Kaiserzeit sind sie als eine spartanische
130 Benedictus Niese,
Zeit nur das Heiligtum mit der Ansiedlong, wie sie um jeden
größeren Tempel sich zu bilden pflegte. Die Gemeinde Sparta
hat bei ihrer Bildung alle früheren Städte ihres Gebiets in sich
aufgenommen und die Bürger gezwungen, sich nach Sparta zu-
sammenzuziehen ^).
Nicht anders steht es in der Landschaft westlich vom Taj-
getos, soweit sie dem Stadtgebiet Spartas angehört, in Messene;
Ortsnamen aus älterer Zeit gibt es fast gar nicht. Die bei Homer
genannten pylischen Städte oder Orte^), die etwa hierher ge-
hören, sind wie oben bemerkt, frühzeitig untergegangen, ohne
Zweifel durch die spartanische Eroberung. Nur Ithome mit seinem
Heiligtum, dem Ithomatas, wird genannt "), wo später das neue
Messene entstand, das den alten Namen noch lange bewahrte.
Herodot nennt Stenyklaros ^) , das nach der jüngeren Erzählung
die Residenz des Eresphontes und seiner Nachfolger war^). Später
existierte es nicht mehr % Die im nördlichen Theil der Landschaft
später nachweislichen Ortschaften lagen, wie S. 122 bemerkt,
vielleicht schon auf dem Gebiet der Periöken.
In Messene reichte der Spartiatenacker westlich bis ans Meer;
denn was zwischen Mothone und der triphjlischen Grenze oder auch
Aulon ') lag, ist der einzige Küstenstrich Lakedämons , der nicht
von Feriökenstädten eingenommen war. Dieser Strich, den wir
durch die Geschichte der Kämpfe um Pylos kennen^), war da-
mals (426 V. Chr.) ohne jede nennenswerthe Ansiedelung. Da-
durch eben ward es den Athenern möglich, sich festzusetzen. Pjlos
oder Eoryphasion, ebenso die Insel Sphakteria waren unbewohnt,
Obe bezeagt. Dittenberger syll. IP 451. Damals hielten die Spartaner tn Amy-
klai einen Epimeleten. CIQ I 1888.
1) Vgl meine Bemerkungen in Sybels Histor. Zeitsch. N. F. 26, 77 ff.
2) li. 2, 691 ff.
3) Tyrtio« fr. 6,9. Thukyd. I 101 f.
4) Herod. IX 64. Vgl. Paosan. lY 16, 6. Welche Bewandtnis es mit dem
Ton Herodot IX 35 genannten Isthmos hat, ist unbekannt. Unsere Ausgaben
lesen dafür nach einer Vermutung von Palmerius Ithome; aber dies ist eine
willkürliche Besserung. Wilamowitz Aristotel. u. Athen n 296. Abb. d. Qötting.
gel. Qes, 1900 S. 100 Anm.
5) Ephoros bei Strabo VUI 861. Pausan. lY 8, 7. Steph. Byz. s. v.
6) Nach Pausan. lY 88, 4 lag das Feld von Stenyklaros etwas nördlich von
Ithome.
7) Wenn nftmlich Aulon das Meer berührte.
8) Thukyd. lY 8. Es ist zu erwähnen, daß die Laked&monier, als sie für
die beabsichtigte Bebigerung Holz brauchten, nach Asine schickten, um es zu holen.
Thuk. lY 18.
Neue Beiträge zur Geschichte und Landeskrmde Lakedämons. 131
die TJmgebimg verlassen*), z. Th. von Wald bedeckt. Von einer
großem Ortschaft ist an der ganzen Küste keine Spnr. Wahr-
scheinlich haben die Spartaner den Küstenstrich zu Weideland
gemacht; denn ihr Vieh weidete in Messene'). Die beiden Städte
Pylos nnd Ejparissia, die es hier später gab, sind erst nach
der Befreiung Messenes entstanden, offenbar zunächst als Hafenorte
des nenen Messene*). Im Jahre 36B/4 v. Chr. werden sie zuerst
erwähnt^). Sie teilen seitdem das Schicksal der übrigen messe-
nischen Seestädte. Durch den achäiscben Bund werden sie von
Messene gelöst und bleiben auch nacb 146 v. Chr. und in der rö-
mischen Zeit besondere Gremeinden ^). Wie weit das ältere home-
rische Pylos, über dessen Lage ja in alter und neuer 2ieit viel
gestritten worden ist, dem spätem entspricht, hat uns hier nicht
zu beschäftigen. Es ist jedenfalls von den Lakedämoniem zerstört
worden und hat der späteren Nachfolgerin wenigstens den Namen
hinterlassen. Hier ist nur festzustellen, daß weder Pylos noch
Kyparissia*) in spartanischer Zeit zu den Periöken gehörte, son-
dern zum Spartiatenlande , und das gleiche hat von dem eben-
falls erst später erwähnten Erana (^ava) zu gelten, das zwischen
jenen beiden lag ^. Ob es zeitweilig eine eigene Gemeinde bildete
oder von jeher, wie später, den Eyparissiem attribuiert war,
wissen wir nicht. Zu Pausanias' Zeit war es bereits verschwunden.
In der nacbspartanischen Zeit befand sich auch auf der Insel
Prote vor der Küste zwischen Eyparissia und Eoryphasion ^)
eine kleine städtische Ansiedlung^, aber auch sie ist spätem
Datums; im 5. Jahrhundert existierte sie ebensowenig wie Pylos,
Eyparissia und Erana ^^). Auch in Messene haben also die Spar-
taner auf ihrem Gebiet Städte nicht geduldet und die früher
1) Thukyd. IV 3,2 ip^si naffttffbp Zp %al iffljiiov ait6 ti *ai inl noXh
tfjg z^^ff-
2) Plato Alcib. I p. 122 D.
8) Nach Paasan. IV 27, 7 wurden bei der Orüodnng Messenes anch andere
Pl&tze erbaut Vgl. £. Curtius, Peloponn. 11 184 f.
4) Diodor XV 77, 4. Eyparissia allein bei Skylax § 45.
5) £. Curtius, Archäo). TeU. 18 (1855) S. 86. Meine Geschichte d. griech.
u. makedon. Staaten U 411. Vgl oben S. 110.
6) Ob dieses, wie man meist aniunehmen scheint, aus dem homerischen
Eyparitseeis herrorgegangen ist, halte ich fibr außerordentlich zweifelhaft Ky-
parissia ist eine ganz neue Stadt
7) Strabo YIII 848. 861. Steph. Byz. s. Kvna^i^üia.
8) Skylax $ 45. Ptolem. m 14, 44 S. 560 Müller.
9) Strabo Vm 848.
10) Nach Thukyd. IV 18 war Prote unbewohnt
132 Benedictas Niese,
vorhandenen aufgehoben. Es blieb hier, wie schon gesagt, nor
die für Ackerban, Viehzucht und den sonstigen Bedürfnissen nötige
Bevölkerung von Heloten mit ihren Dörfern und Heiligtümern.
Und dieser Stand der Besiedelung ist schließlich auch für das
spätere Messene maßgebend geworden. Zwischen Messene und der
Küste von Pylos und Eyparissia, auf einer Strecke von 3 bis 6
deutschen Meilen gibt es keine nennenswerte antike Ortschaft.
Die Stadt Messene mußte eben Spartas Erbschaft übernehmen,
und besser besiedelt ist nur die Nordgrenze und die Küstenland-
Schaft, das ehemalige Periökenland.
Sohlussfolgerongen.
Ich kann jetzt zu der Frage übergehen, wie der eigenartige
Zustand Lakedämons, die Absonderung des rein ländlichen sparti-
atischen Gebiets von dem städtereichen Feriökenlande entstanden
und historisch zu erklären sein mag. Die Ueberlieferung bietet
uns hierüber zwar nicht viel, aber doch etwas. Wir wissen, daß
ein großer Teil des Spartiaten- wie des Periökenlandes durch
Eroberung unter spartanische Herrschaft gelangt ist. Die Ost-
küste Lakoniens von der Kynuria bis zum Vorgebirge Malea mit
Einschluß Kytheras haben die Spartaner, wie glaubhaft erzählt
wird*), den Argivem abgenommen. Ebenso ist Messene erobertes
Land, und das gleiche gilt wahrscheinlich von den arkadischen
Grenzdistrikten, wie Karyai, der Skiritis, Belminatis und Aigytis,
wenn es auch hierüber beglaubigte Nachrichten nicht gibt *). Diese
letztgenannten Landschaften können sich recht wohl gutwillig an
Sparta angeschlossen haben; wenigstens machen die bekannten
Vorrechte der Skiriten den Eindruck einer durch Vertrag be-
gründeten Ordnung.
Lidessen Eroberung und Unterwerfung geben allein noch keine
ausreichende Erklärung der in Rede stehenden Erscheinung, der
1) Herodot I 82.
2) Vgl. £. Cartius, Peloponnesos II 264. In den spätern Qrenzstreitigkeiten
zwischen Sparta und Megalopolis wird behauptet, daß zur Zeit der dorischen
Wanderung die Skiritis und Aigytis arkadisch geworden seien. Dittenberger syll.
V 804. £in Beweis ist diese Behauptung ebenso wenig, wie der Abfall der ar-
kadischen Grenzlande zu den Thebanem im Jahre 870/69 ▼. Chr. Nach Pausa-
nias in 2, b, war Aigys zur Zeit seiner Zerstörung durch Archelaos periökisch,
nicht arkadisch, und auch Ephoros (bei Strabo Ym 864) rechnet es zum ur-
aprOnglichen Laked&mon.
Neue Beiträge zur Geschichte und Landeskunde L&kedämons. X33
Periökie; denn diese findet sich ja ebenso auf dem alten, or-
sprünglichen Grebiete Lakedämons, wie es vor den Erobemngen
bestand and wie es ans der homerische SchifPskatalog zeigt.
Waram, so maß man weiter fragen, haben die Spartaner denn
nicht das eroberte Land, so wie es mit Messene geschah, ihrer
Stadt and Bürgerschaft einverleibt and daraaf eine helotische
Bevölkerang sitzen lassen, sondern den Periöken eine besondere
Stellang belassen oder geschaffen? Es maß ihnen doch vorteil-
hafter oder zweckmäßiger erschienen sein, aaf diesem Lande eine
größere Anzahl kleinerer Gemeinwesen za haben. Die Eroberang
hat also das Gebiet Lakedämons wohl vermehrt and die Bedingang
für den spätem Zastand geschaffen, aber dieser Zastand selbst
kann sich erst nachher entwickelt haben. Wenn man femer die
Gesammtheit der Erscheinangen überblickt, so kommt man zar
Erkenntniß, daß der Aasbaa von Sparta aas, daß er femer syste-
matisch and mit bewußter Absicht erfolgt ist. Und hiefür gibt
ans die Ueberlieferang einige belehrende Nachweise^). Sie be-
zeichnet die Periökenstädte als Gründangen oder Kolonien der
Spartaner. Eythera wird von Thakydides aasdrücklich als lake-
dämonische Kolonie and Periökeninsel bezeichnet^). Von Pharä
wird dasselbe gesagt^), bekannt and allgemein angenommen ist
die Nachricht, daß Asine and Mothone von den Spartanern mit
argivischen Flüchtlingen aas Asine and Naaplia besiedelt worden
seien ^). Eine Stadt wie Anlon an der triphylischen Grenze kann,
wenn man ihre Lage and die Schicksale der benachbarten messe-
nischen Landschaft erwägt, nar den Spartanern ihre Existenz
verdanken. Die oben erwähnten Orte Foiaessa, Echeiai and Tra-
gion warden nach Strabo^) für eine Gründang des spartanischen
Königs Teleklos angesehen. Nach einer spätem Nachricht ist
Geronthrai von den Doriern in Sparta erobert and nach Yer-
treibong der früheren Bewohner besiedelt worden^, wodarch
jedenfalls bezeagt wird, daß man diese Feriökenstadt für eine
spartanische Kolonie ansah. Ganz ähnliche Yorstellangen maß
Isokrates gehabt haben, wenn er allgemein die Ferioken von
1) Vgl. Schömann, Griech. Alterthümer I* 208.
2) Thukyd. IV 63, 2. VII 67, 6.
3) Nepos, Conon 1.
4) Pausan. IV 24, 4. 34, 9. 36, 2. Strabo VIII 373. Man kann damit die
spätere Ansiedlung der Aegineten in Thyrea vergleichen. (Thukyd. II 27, 2).
6) Vra 360.
6) Pausan. HI 22, 6. vgl. 2, 6.
Sgl. Qm. d. Wi«. NMkriektoo. PhUolog.-hifior. KluM 1906. H«ft i. 10
134 Benedictus Niese,
dem ans Sparta durch die Oligarcben vertrieben Demos ableitet ^).
Bekannt ist femer die Nachricht Theopomps'), wonach die Spar-
taner in älterer Zeit viele Fremde ins Land gezogen und dort
angesiedelt haben, womit maa füglich verbinden kann was Ephoros
erzählte'), daß nämlich die ersten spartanischen Könige zur bessern
Bevölkemng des eroberten Landes den Periöken gestattet hatten,
Fremde ins Land zu ziehen^). All diesen Nachrichten liegt
deutlich die Vorstellung zu Grande, daß die Periökenstädte von
den Spartanern, und zwar zum Teil mit auswärtigen Kolonisten,
angelegt oder besiedelt worden sind.
Die Spartaner haben sich aber nicht begnügt, die außerhalb
des eigoitlichen Stadtgebietes befindlichen Städte, namentlich die
auf dem eroberten Lande befindlichen^) mit eigenen oder fremden
Kolonisten zu besiedeln; sie müssen auch die Zahl der Städte er-
heblich vermehrt haben. Denn es ist sehr unwahrscheinlich, daß
die hundert Städte schon in alter Zeit alle bestanden; wenn auch
einige durch das Zeugniß Homers und andere Umstände als alt
erwiesen werden*), so sind doch die meisten gewiß erst durch die
Spartaner geschafften, entweder durch Neugründung oder durch
Zerstückelung der vorhandenen. Am weitesten geht die Zersplitte-
rung, wie wir oben gesehen haben, im ältesten Lakonien, besonders
am Südrande mit Einschluß der Tänaronhalbinsel, geringer ist sie,
soweit unsere Nachrichten ein Urteil gestatten, an der messenischen
Küste. Aus welchem Grunde die Zerteilung geschah, ist nicht
schwer zu erkennen; die Lakedämonier wollten hier größere,
leistungsfähige Gemeinden nicht haben, sondern bildeten eine große
Zahl kleiner, die jede für sich schwach und von Sparta vollkommen
abhängig sein mußten.
So liegen diese vielen kleinen Städte rings um das Spartiaten-
gebiet herum und bilden einen Ring, der stellenweise eine ganz
ansehnliche Breite hat. Sie schließen das spartanische Bürgerland
von den Nachbarn ab, mit denen es sich nirgendwo berührt^»
1) Isocntt. Panath. 177 f.
2) Bei Strabo Vin 37S.
3) Strabo Vül 364.
4) Hiermit kann man weiter die Geschichte Ton den Minyem bei Herodot
lY 145 vergleichen, die in Sparta aufgenommen werden.
6) Wozu Kythera gehört.
6) Dazu gehört Prasiai, das schon vor seiner Einverleibung in Laked&mon
bestanden haboi muß, oben S. 112.
7) Wobei vorausgesetzt wird, daß auch die messenische Nordgrenze gans
von Periökenstftdten eingenommen ward. Oben S. 122 ff.
Neue Beiträge zur Geschichte und Landeeknnde Lakedftmons. 135
aber auch vom Meere; denn die ganze Küstenlandschaft ist peri-
okisch; nnr Messeniens Westküste macht eine Ausnahme. Auch
hierin dürfen wir nicht Zufall, sondern wohl überlegte Absicht
sehen. Das Periökenland bildet zunächst einen Schntzwall des
Spartiatenlandes gegen feindliche Angriffe und Plünderungen, und
leistet dazu noch einen andern wichtigen Dienst. Wir wissen,
ein wie unentbehrliches Stück der spartanischen Verfassung die
Helotie ist, und welche Sorgfalt die Spartaner darauf verwandten,
die Heloten in ihrer Knechtschaft zu erhalten. Durch die Peri-
oken wurden die Heloten, die nur auf dem spartanischen Gebiet
bestanden, von der Berührung mit dem Auslande abgeschnitten,
und es ihnen unmöglich gemacht oder doch sehr erschwert, sich
mit den G-renznachbam zu verbinden oder über die Grenze oder
über das Meer zu entfliehen. Nur die Westküste Messeniens
bildete, wie gesagt, eine Ausnahme. Diese ohnehin abgelegene
Küstenstrecke ward aber durch die Verödung, durch die Zerstörung
der älteren Städte und Hafenorte des Seeverkehrs gänzlich beraubt
und konnte somit als genügend abgeschlossen gelten. Welche
Bedeutung die Abschließung des Spartiatengebiets und der He-
loten hatte, zeigte sich nach der Besetzung Koryphasions und
den weiteren Angriffen der Athener. Zahlreiche Heloten liefen
zu den Feinden über, und die Spartaner gerieten in ernste Sorgen ^).
Es bleibt noch zu bemerken, daß die Spartaner durch den
Bing der Periökenstädte zugleich ihr eigenes Gebiet fest begrenzt
und ihrer territorialen Ausdehnung Schranken gesetzt haben.
Auf weitere Eroberungen haben sie seitdem verzichtet.
So bildet die Landschaft Lakedämon, in der Mitte das spar-
tanische Stadtgebiet mit der Bürgerschaft und den Heloten, rings-
herum das städtereiche, in hundert Gemeinden zerteilte Periöken-
land, ein wohlgefügtes, einheitliches Gtmzes, in dem die Periöken
ein sehr wichtiges Stück bilden; denn der Staat legte ihnen
einen großen Teil der Lasten auf, um so mehr, je kleiner im
Laufe der Zeit die spartanische Bürgerschaft ward. Das ganze
System braucht nicht auf einmal entstanden zu sein, sondern
ist wahrscheinlich nach und nach, an der Hand der politischen
Erfahrung ausgebaut worden. Mit Bestimmtheit läßt sich be-
haupten, daß die Bildung der Gemeinde Sparta und ihres Terri-
toriums, die Vereinigung der ganzen Bürgerschaft in der Stadt
und die Ausbildung der kriegerischen Demokratie, das was man
kurz als die lykurgische Verfassung bezeichnen kann, eine Vor-
1) Thukyd. IV 41,3. V 14,3. 35,7. VD 26, 2.
10^
136 Benedictas Niese,
bedinguDg der Periökie ist, also ihr zeitlich vorangeht. Da ferner
die ganze Ordnung auf das erweiterte Lakedämon berechnet ist,
und namentlich Messene in ihr als wesentlicher Teil des sparta-
nischen Stadtgebietes erscheint, so kann sie erst nach der Erobe-
rung Messenes, wahrscheinlich also erst nach dem zweiten messe-
nischen Kriege, zur Reife gediehen sein.
Man pflegt gewöhnlich seit E. 0. Müller^) die Einrichtung
der Helotie und Periökie als die Folge der dorischen Wanderung,
und die Heloten und Periö'ken als die Reste der vordorischen
Bevölkerung, als sogenannte Achäer anzusehen. Dies ist jedoch
nicht etwa alte Ueberliefernng; die Alten lassen im Gegenteil die
Achäer nicht im Lande bleiben, sondern auswandern und wissen
nichts von zurückgebliebenen*); sondern es ist eine moderne Ver-
mutung, wie man sie heutzutage mit einer gewissen Einförmigkeit
überall da anzuwenden pflegt, wo man politisch und social ge-
schiedene Bevölkerungsklassen findet. Ich halte diese Hypothese
für ungenügend und fehlerhaft; denn sie wird dem historisch Ge-
gebenen, den beobachteten Tatsachen nicht gerecht, sondern steht
mit ihnen in Widerspruch. Weder erklärt sie die streng örtliche
Scheidung zwischen Heloten und Periöken und die eigenartige
Verteilung der letzteren, noch die gleichmäßige Ausdehnung beider
Ellassen auf das viel später eroberte Messene, auch läßt sie die
verhältnismäßig alten und guten Nachrichten von der spartanischen
Kolonisation gänzlich außer Augen. Alles was wir beobachtet
und festgestellt haben, führt auf einen ganz andern Hergang.
Wir sehen deutlich, daß der eigenartige, politische Bau Lakoniens
nicht durch das Eindringen eines fremden Volkes in mythischer
Urzeit, nicht von außen her begründet worden ist, sondern in
1) Dorier II 16. Für Müller ist diese Annahme ndtig, da er die Helotie
und Periökie für eine allen dorischen Staaten des Peloponnes gemeinsame Ein-
riebtang hält, die in allen dann die gleiche Ursache, nämlich die Einwanderung
der Dorier haben würde. Seine Voraussetzung trifft aber nicht zu. In Argos
und Nachbarschaft haben die spartanischen Heloten und Periöken keine Analogie.
Auch E. J. Neumann in seinem jüngsten Versuche teilt die von Müller u. a. be-
gründete und ausgeführte Ansicht. Sybels histor. Zeitschr. N. F. 60 (1906) S. 1 ff.
2) Herodot VIII 73. Strabo VUI 364. 383. Pausan. UI 2, 6. Nur Theopomp
fr. 134 bei Athen. VI 265 C (FHG I 300) macht die Heloten (nicht die Periöken)
zu unteijochten Achäern; aber dies ist, wie aus dem Wortlaut ersichtlich, nur eine
Vermutung. Die einzigen Achäer, die in Lakonien erwähnt werden, die von
Pausan. UI 22,9 genannten 'A%atol IlaQaKvnoiQÜfcioi an der Küste bei Kyparissia
(oben S. 114), stammen ohne Zweifel, wie ich schon in der Histor. Zeitschr. N. F.
26 S. 76* bemerkt habe, aus der Zeit des achäischen Bundes.
Neae Beitrage zar Geschichte und Landeskunde Lakedämons. 137
bestimmter politischer Absieht von der Mitte, von Sparta ans
sich entwickelt hat. Nicht die in völliges Dunkel gehüllte do-
rische Wandemng, sondern die Bildung der (xemeinde Sparta und
ihrer Verfassung ist der Ursprung der Helotie wie der Periökie.
Dorier oder Achäer.
Vor kurzem hat R. Meister*) durch eine dialektische Unter-
suchung nachzuweisen unternommen, daß die lakedämonischen He-
loten und Feriöken nicht dorisch, sondern achäisch gesprochen
hätten, und dadurch die herkömmliche Annahme über den achäischen
Ursprung jener Bevölkerungsklassen neu stützen wollen. Nach
seiner Meinung haben in Lakedämon nur die Spartaner dorisch
geredet, die übrigen, Beloten wie Feriöken, achäisch, und ebenso
die lakedämonischen Kolonien Tarent und Herakleia am Siris, bei
denen die Mehrzahl der Kolonisten Feriöken gewesen seien. Aebn-
liche Verhältnisse sucht er ferner in Argos und auch auf Kreta
festzustellen, und was Messene anlangt, so sollen da überhaupt
keine Dorier gewohnt haben, sondern nur Achäer. Schließlich
kommt er zu der Behauptung, daß das Gremein-Dorische überhaupt
in Wahrheit achäisch sei, d.h. die Sprache der im Feloponnes vor
der dorischen Wanderung angeblich wohnhaften Achäer.
Was Argos und Kreta anlangt, so können sie hier bei Seite
bleiben; ich beschränke mich auf Lakedämon, und kann nur sagen,
daß Meisters Beweisführung in allen wesentlichen Punkten fehler-
haft und zugleich unvollständig ist. Wenn er Tarent und Hera-
kleia berücksichtigt, so hätte er auch Thera, Melos und Knidos
heranziehen müssen, die ebenso Kolonien der Lakedämonier sind^).
Irrtümlich wirft er das Feriökische und Helotische zusammen und
vergißt die strenge örtliche Trennung der beiden; auch hat er
nicht bedacht, daß wir vom Dialekt der Heloten überhaupt nichts
besitzen, und die Annahme, sie hätten anders geredet als die Spar-
tiaten, ganz ohne Beweis ist. Aber nicht minder haben wir vom
Dialekt der Feriöken aus spartanischer Zeit nur geringe Reste;
was vorliegt, ist mit wenig Ausnahmen jünger und stammt frü-
hestens aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert, also aus einer
Zeit, wo, wie Meister selbst treffend bemerkt, das Gemeindorische,
1) R. Meister, Dorier und Achäer, Abbandl. d. sächs. Qesellsch. d. Wiss. zu
Leipzig 1904 S. Iff.
2) Vielleicht gehört er zq denen, die der Meinung sind, daß diese Kolonien
in Wahrheit nicht von den Lakedämoniem ausgegangen seien.
138 Benedictus Niete,
d. h. die dorische Litteratorsprache bereits im ganzen Peloponnes
dnrchgednmgen war. Dies Material ist also für den zn beweisen-
den Satz ohne Belang. Hingegen ans den wenigen altem Denk-
mälern ergibt sich Uebereinstimmong mit den ans Sparta stam-
menden Dialektproben. Meister sncht (S. 44) diese TJeberein-
stimmnng, nm sie ihrer Bedeutung zn entkleiden, durch Einwan-
derung, verwandtschaftliche Beziehungen und sonstige störende
Einflüsse zu erklären ; allerdings, wenn man zu solchen Auskunfts-
mitteln greift, kann man alles beweisen. Schließlich setzt sich
Meister mit seiner Hypothese, wie er selbst zugiebt, in Wider-
spruch zu den Vorstellungen und TJeberliefemngen des Altertums.
Die Alten wissen nichts von einem dialektischen Unterschied
zwischen Spartiaten und Perioken; es gibt nur einen Lakonischen
Dialekt, keinen Spartanischen. Wie in politischer Hinsicht, so
bildete Lakedämon auch sprachlich eine Einheit, und erhebliche
Dialektunterschiede kann man nicht empfunden haben. Qanz La-
konien, wie Messene und das argivische Gebiet redet einen Dialekt,
den Dorischen; die Messenier, ehemalige Heloten, sind nach Thu-
kydides auf der einen Seite den Lakedämoniem gleichsprachig,
auf der andern den Ambrakioten, den Kolonisten Korinths ^).
Wie nun Meister gegen diese klaren Zeugnisse auf Grrund eines
sehr dürftigen Materials die PeriSken und Messenier als Achäer,
und ihren Dialekt statt dorisch für achäisch angesehen wissen
will, ist mir um so weniger verständlich, als das achäische bei ihm
ein ganz imaginärer Begriff ist. Die Achäer in ihren verschiedenen
Gruppen, im südlichen Thessalien, im Peloponnes, auf Zakynthos
und in Italien haben von ihrem Dialekt nur wenige Proben hinter-
lassen. Wir können nach dem was vorliegt wohl vermuten, daß
sie den Doriem sehr nahe gestanden und mit ihnen der gleichen
Yölkergruppe angehört haben, und dies darf auch aus andern
Anzeichen geschlossen werden. Aber es ist nur sehr wenig was
wir von ihrem Dialekt wissen, und diesen in Gegenden zu suchen,
die als dorisch bezeugt sind, scheint mir ein verwegenes Unter-
nehmen.
Die Agis- Schrift.
Mit dem Namen Agis-Schrift belegt K. J. Neumann in einer
jüngst erschienenen Abhandlung^) eine vermutete, von Isokrates
und Ephoros angeblich benutzte Quelle. Beide Schriftsteller leiten,
1) Thukyd. lU 112,4. IV 8,8. 41,2. VH 67,6.
2) Sybels histor. Zeitschrift N. F. 60 (1906) S. 55 ff.
Neae Beiträge zur Geschichte and Landeskunde L&ked&mons. 139
wie oben bemerkt ward (S. 133 f.), die Periökenstädte aus dem do-
rischen Sparta ab und lassen sie erst einige Zeit nach der do-
rischen Wanderung and anabhängig von ihr entstehen. Während
sich der erstere^) anbestimmt aasdriickt, nennt Ephoros^ als den
Urheber der Periökie Agis, den zweiten spartanischen König, der
überhaupt bei ihm als der wahre Begründer des spätem Zostandes
der Landschaft erscheint. Da nnn dies der schon erwähnten, von
Neamann geteilten Ansicht widerstrebt, wonach die Periöken and
Heloten von den Doriem unterjochte Achäer sind, so glaubt Neu-
mann in der Nachricht des Isokrates und Ephoros eine absicht-
liche Entstellung zu erkennen. Urheber derselben und Verfasser
der Agis-Schrift sei kein anderer als der König Pausanias, der
nach der Schlacht bei Haliartos verurteilt ward, in die Verbannung
ging*) und dort eine politische Streitschrift ausgehen ließ, die sich
mit der spartanischen Verfassung beschäftigte. Aus ihr hätten
sowohl Isokrates wie Ephoros ihre oben bezeichneten Anschauungen
genommen.
Ueber die Schrift des Pausanias ist in letzter Zeit mehrmals
gehandelt worden. Nachdem zuerst U. v. Wilamowitz-Möllendorf ^)
darauf aufmerksam gemacht, hat ihr später Ed. Meyer ^) einge-
hendere Betrachtung gewidmet und den Pausanias als Publidsten
von ausgesprochener Tendenz charakterisiert. Er vermutet, daß
zuerst Pausanias die nach Meyer um 400 v. Chr. entstandenen,
delphischen Orakel veröffentlicht habe, von denen die spartanische
VerfiEtssxmg ihren göttlichen Wert herleitete, daß später diese
Orakel von Pausanias zu Ephoros und von diesem zu uns ge*
kommen seien ^. Auch die bekannte Nachricht vom jungem Ur-
sprünge des. Ephorats^) gehe vielleicht auf Pausanias zurück,
und Meyer äußert endlich, obwohl nur schüchtern, die Ansicht,
daß audi die lykurgische Ackerverteilung in der Schrift des Pau-
sanias zuerst aufgetaucht und dadurch in die Litteratur gelangt
sei. Rechnet man nun zu dem Gesagten noch hinzu was E. J.
Neumann dem Pausanias zugeschrieben hat, so folgt, daß dieser
ein recht wichtiger Schriftsteller gewesen sein und die verfassungs-
1) Isoer. Panath. § 177 f.
2) bei Strabo Vm 364 f.
8) Xenoph. Hell, m 5, 25.
4) Homerische ünteranchangen 272.
6) Fonchongen zur alten Geschichte I 230 ff.
6) a. 0. 222. Mit einer nachträglichen Einschränkung in Bezog auf die bei
Eosebiot praep. erang. V 25 erhaltenen Orakel.
7) bei Plntarch Oleom. 10.
140 B«nedictu8 Niese,
geschichtliche nnd staatsrechtliche Tradition Spartas entscheidend
beeinflußt haben maß, vorausgesetzt, daß Meyers nnd Neumanns
Vermutungen das richtige treffen. Es darf daher gefragt werden,
ob wir wirklich berechtigt sind, dem Pausanias dieses alles zar
Last zu legen.
Zunächst muß gesagt werden, daß die Schrift des Pausanias
wirklich existiert hat. Wir haben darüber eine kurze Nachricht
bei Strabo % die vielleicht aus Ephoros stammt. Darin wird sie
Xöyog genannt, also eine Rede oder Schrift; es geht ferner aus
dem leider verstümmelten Text hervor, daß Pausanias über Lykurg
und die ihm zu Teil gewordenen Orakel handelte. Die Schrift
scheint also die spartanische Verfassung und ihre Ursprünge berührt
zu haben. Sie war nicht die einzige, die sich damals mit diesem
Gregenstande beschäftigte ; auch der bekannte Thibron, Zeitgenosse
des Pausanias, ließ einen Traktat ausgehen, worin er, wie Aristo-
teles bezeugt, den Lykurg hoch pries*), und noch mehrere an-
dere haben sich auf diesem Gebiete versucht; am bekanntesten ist
Xenophon mit seiner noch erhaltenen Schrift über den lakedämo-
nischen Staat. Verwandten Inhalt muß femer die Rede gehabt
haben, die nach Ephoros Lysander, der Gegner des Pausanias,
sich von dem Redner Kleon von Halikamass ausarbeiten ließ, um
den Spartanern die von ihm erstrebte Verfassungsänderung plau-
sibel zu machen^. Gewiß verfolgte Pausanias ganz andere Ab-
sichten als Lysander, er kann aber mit ihm gemeinsam gehabt
haben, daß er, wie dieser, seine Rede durch einen Schriftsteller
von Beruf ausarbeiten ließ. Ln übrigen ist außer der Straboni-
schen Stelle von ihrem Inhalt nichts bekannt. Von vornherein
wird anzunehmen sein, daß Pausanias seine eigene Sache führte
und gegen seine heimisch^en Widersacher loszog*). Aus Strabo,
dem einzigen Zeugen, geht hervor, wie schon gesagt, daß er von
Lykurg und den Orakeln sprach, also in die Vergangenheit zurück-
ging. Leider ist die Strabonische Stelle wegen ihrer Verstümme-
lung nicht mit Sicherheit herzustellen. Die Heraasgeber nehmen
an, daß Pausanias den Lykurg tadelte und ergänzen darnach den
lückenhaften Text, Ed. Meyer vermutet das Gegenteil, und man
1) vm 366.
2) Aristot. Polit. IV 14 p. 1383^ 18. Thibron muB darnach Tor dem Starz
der lakedämonischen Hegemonie geschrieben haben.
3) Platarch Lys. 25. 30.
4) £s ist denkbar, da£ die vermeintlichen Umstarzpl&ne des Pausanias, die
Aristoteles (PoUt V 1 p. 1301b 20. Vm 14 p. 1333«» 34) erwähnt, aber nicht
Xenophon, im letzten Ende aus der Schrift des Pausanias abgeleitet sind.
Nene Beiträge zur Oescfaichte and Landeskunde Laked&mons. 141
muß zugeben, daß die Ergänzungen der Heransgeber nicht ein-
wandfrei sind. Auf jeden Fall sehen wir, daß wir nns anter
diesen Umständen von dem Inhalt der Schrift des Pansanias
keinen bestimmten Begriff machen können, nnd also die Vermu-
tungen, die Meyer und Neumann an seinen Namen geknüpft
haben, eine äußerst schwache, fast verschwindende Grundlage
haben. Daß irgend etwas von den vermuteten Dingen bei Pansa-
nias gestanden habe, daß Ephoros ihn bei seiner Darstellung be-
nutzt habe, ist gänzlich unerwiesen. Man könnte, wenn man
wollte, mit demselben Eechte andere Schriften, z.B. den schon
erwähnten Thibron, heranziehen. Auch scheint es nicht, daß die
Rede des Pansanias bei der Mit- und Nachwelt erheblichen Ein-
druck gemacht habe; wenigstens Aristoteles, der doch sonst
manche Autoren nennt, erwähnt sie nicht, und es ist daher nach
meiner Ansicht nicht einmal wahrscheinlich, daß sieh Ephoros oder
Isokrates im Panathenai'kos von ihm hätte inspirieren lassen.
Was Isokrates anlangt, so ist dies um so weniger glaublich,
als dessen Worte auf einen ganz anderen, wohlbekannten -Autor
hinweisen, den auch sonst benutzten Thukydides; denn wenn man
bei Isokrates Panatb. § 177 liest: ötaeidöat {idv q>a6iv aincbs ot
tixsivtov ijiQißoihnBg i}g odddvag äXXovg tänf 'EXXi^ov so erinnert
das lebhaft an Thukydides I 18: ^ yäQ Jaxadaiiimv futä^) ri^v
xti0iv t&v vvv ivoixovvttov cdriiv dtOQumv inl nkBlütov &v a0fisv
X(f6vov 0ta6i>d6a0a u. s. w. Isokrates erzählt ja mehr als der
Historiker ihm bot; er berichtet noch etwas über den Inhalt der
politischen Kämpfe in Sparta, die er sich nach der Weise seiner
Zeit zwischen Oligarchie und Demos ausgefochten denkt, und er-
zählt, wie die obsiegende Partei ihre Q^gner, den Demos, ver-
jagte und zu Periöken machte; er läßt also die Periökenstädte
aus den von Thukydides berichteten Unruhen hervorgegangen sei.
Dies kann recht wohl eine erweiternde Vermutung des Redners
sein^, aus der wir jedoch ohne Bedenken entnehmen können, daß
man zu seiner Zeit die Periökenstädte aus Sparta hervorgegangen
sein ließ. Jedenfalls liegt kein Omnd vor, hier die Schrift des
Pansanias heranzuholen, und von den strabonisch-ephorei'schen
Nachrichten über Agis gilt das Oleiche. Die von Isokrates und
Ephoros bezeugte Anschauung darf also nicht für eine tendenziöse
1) Vgl. Herodot I 66.
2) In denelben Rede (Panath. 48) hat er den Thukydides I 4 benatzt nnd
zugleich in die Anscfaaanngen eeiner Zeit übertragen.
142 B. Niese, Neue Beititge z. Geschichte o. Landeskunde LakedAmons.
Erfindung angesehen werden. Dafür fehlt an jedem Anzeichen;
denn sie steht weder mit den tatsachlichen Verhältnissen nnd
Zuständen noch mit älteren üeberlieferangen in Widersprach,
vielmehr mit beiden in Winklang (S. 133 f.). Ein solches Zeogniß
durch das Luftgebilde einer Agis- Schrift zu beseitigen, kann ich
nicht für richtig halten.
Epigraphic Notes. ^)
By
F. Klelhorn.
Presented os 19th May 1906.
19. — Yasantga^h inscription of Varmaläta of the [Vi-
krama] year 682; and the age of the poet Mägha.
Mr. Gkkurishankar Hirachand Ojha of üdaipnr in Rajpatftna
again has kindly sent me impressions of a nomber of inscriptions
which have lately been fonnd in Rftjputäna and Central India.
So far as I can jndge at present, the most important of them is
one of the reign of a king Varmaläta, dated in the [Vikrama]
year 682. When Mr. Ojha first informed me of the discovery
of this inscription , by a letter of the 24th December 1906, he
snggested that it wonld perhaps 'settle the date of the poet
Mägha'. My snbseqnent examination having confirmed this yiew,
I hasten to giye a short acconnt of the contents of the inscription,
reserving the publication of the fall text, for which the materials
at hand are not qnite safficient, for another occasion.
The stone which bears this record was recently fonnd near
a temple of Devl (Dnrgä), on a hill in the proximity of Vasant-
ga^h in the Sirohi State of Räjpatäna, and is now, I nnderstand,
at the town of Sirohi. It contains 16 lines of generally well
preseryed writing which Covers a space of about 1' l*/*" long by
1' high. The characters, which are well engrayed, are prictically
identical with those of the Udaipnr inscription of the Gxihila
Aparäjita of the [Vikrama] year 718, edited by me with a facsi-
mile in Ep. Ind. Vol. IV. p. 29 ff. As in the inscription of Apa-
räjita, we here, too, find the tridented form of the letter y, and
1) Continaed from the Nachrichten for 1905, p. 471.
144 F. Kielhorn,
a separate sign for b. We also have the signs of the jihvämältt/a
and upadhmätiiya, and special iorms of final X;, t and n, which do
not occar in the other inscription. The langaage is Sanskfit, not
always grammatically correct. Lines 1 — 12, after the words örk
namah, contain 12 verses in the Anashtxibh, Rathöddhatä, ^rdü-
lavikri<}ita, Sragdharä and Aryä metres ; lines 13 — 16 seem to be
thronghoat in prose, bat the impressions of these fonr lines are
not dear enongh to allow me to speak with absolute confidence.
The inscription opens with two verses invoking the blessings
of the goddess Dnrgä, who in verse 2 is called Eshemakari.
The text then, in verse 3, proceeds thns: —
Jayati jayalakshmalakshita-vakshasthala-saihärita-äriy-
ädhärah') [I*]
äri- V armmaläta *)-nripatib«patir»avaner*adhika-balaviryyah ||
^^ Victorions is the king, the glorions Yarmaläta, the
holder of (the goddess of) Fortnne who clings to bis breast
marked with the marks of victory, a lord of the earth of
excessive might.*'
There is no indication here as to which family Yarmaläta
belonged to; and similarly verse 4, which also is devoted to his
glorification, merely records, in general terms of double meaning,
that he mied the various kings in the manner of a sorcerer
(nar&ndra) ').
According to verse 5, Yarmaläta had a subordinate or feu-
datory named Yajrabhata Satyääraya, able to guard 'the
son of Himavat*, t. e. the well-known mountain Arbuda*) (the
modern Abu). And his son, again, according to verses 6 and 7,
was the chief (nripä) Rftjjila, who by his generosity to Brah-
ma^s and others constantly at Yata*) *played the part of the
god of riches* (Vaiärava^a, i. e. Eubera). During the rule of this
1) Incorrect for 'iry-ädhärah, which woold not have soited the metre.
2) The va of Varmmaläta is qaite distinct, so that the name cannot pos-
sibly be read Charmmaläta.
3) Compare äihipaLavadha II. 88; Ind. AnU Vol. XIX. p. 60, note 49.
4) Compare Ep. Ind. Vol. I. p. 234, verse 6.
5) Vafa may be identical with Vasantgadh in the proximity of which the
inscription was foand, or may be a place very near it. It is mentioned several
times, as Vc^apura and Vaianagara^ in the Vasantgadh inscription of Porvapäla
(of A. D. 1042), No. 64 of my Northern List. And the name Vafanagaraf denoting
apparently the same place, also oceurs in an earlier anpublished inscription which
was foond at the village of Sftmoli in the Bhomata district of Mevftd, and of
which Mr. Ojha has sent me impressions. I regret that no good map of the
Sirohi State is accessible to me.
Epigraphic Notes. 146
Chief (rajan) the göshfhJ^) of the place at Yatäkarasthäna^)
founded the temple of the goddess (Dargä) at which the inscription
was engraved, entmsting the actnal boilding of it to Satyadeva'),
the son of Pitämaha, who by birth was a merchant. The time
when this was done is recorded in verse 11, in the foUowing
terms: —
Dviraäity-adhike käle shap^äm varshaäat-Ottare [{*]
jaganmätoh . . . ^) s[thä]nam sthäpitaih gö8hth[i]-puikgavai];i ||
The wording of the first half of this verse is curiously un-
grammatical ; bnt there can be no donbt whatever that the year
intended is 682, and that this year mnst be referred to the
Yikrama era and corresponds therefore rooghly to A.D. 626.
According to verse 12, the enlogy here presented to us
(iyath pürvä)^) was composed by the Brähmaii Dhürtarääi, the
son of Diväkara, and engraved by NägamaQ^in. — Lines
13 — 16 contain a nomber of names which probably denote the
individnal members of the göshthl by which the temple was foun-
ded^; onfortunately the impressions at my disposal have not
enabled me to make out the fall text of these lines.
The value of this inscription chiefly consists in this, that it
is of the reign of a king Yarmaläta, who apparently was a
ruler of some importance, and that for this king it farnishes an
absolately certain date in the Vikrama year 682. The name Var-
maläta has not been found in any other epigraphic record, but
is not altogether unknown to us. According to the concluding
verses of the jSisupcUavadha Mägha'), the author of that poem,
was the son of Dattaka S^rväSraya, the son of Suprabhadeva.
This Suprabhadeva is stated by the poet to have been minister
of a king whose name the published editions give as either Dhar-
manäbha or Varmalakhya (Yarmala), while the manuscripts of the
1) Compare Ep. Ind. Vol. IV. p. 309, note 5.
2) This seems to be another name of VcUa, Vafanagara.
3) He is described as the käräp<ika; the same term occurs in the Kapaswa
inscription, Ind. Änt. Vol. XIX. p. 59, 1. 16.
4) Two syllables are illegible here in the impressions. I woald suggest
sur(Mthänam.
6) Compare Ep, Ind. Vol. IV. p. 32, line 11 of the text and note 4.
6) The last words in line 16 seem to be evameshä göshfhi käräpayaftäm?],
7) For the foUowing compare especially the papers of Prof. Jacobi and the
Ute Dr. Klatt in WZKM. Vol. III. p. 121 ff., and Vol. IV. p. 61ff. and 236 ff.
According to Prof. Jacobi Mägha must be placed in the middle of the 6th Cen-
tury A. D., according to Dr. Klatt at the end of the 9th Century.
146 F* Kielhorn, Epigraphic Notes.
poem for these names yield the additional readings Dharfnaläfa,
Dhartnaläbhaj Dharmanätha, Dharmad^va, Varmaläta, VarmanOmaj
Charmaiäta and Nirmalänta. Now that we have the name Vamfa-
lata dearly engraved in a contemporaneous inscription, it becomes
at once dear that of all the forma of the name in the mannscripts
of the SiSupalavadha only Varmaläta is the correct one, and it
is easy to see how this nnusnal name shoold have given rise to
the varions forms employed by writers in different parts of India.
It appears to me, moreover, reasonable to assmne that the king
Varmaläta of onr inscription is the very king of wbom Mägha's
grandfather Snprabhad^va was minister. We have seen above
that Varmaläta's fendatory Yajrabhata Satyääraya is described
as gaardian of the moontain Abu, which must have belonged to
tiie king's dominion; and Mägha is reported to have been an
inhabitant of the town of Srl^m&la (Bhinmal), which is only
abont 40 miles north-west of Abu. The Varmaläta of the inscrip-
tion may actnally have been at the time the rnler of Srimäla^);
however this may be, there can be no donbt that both he and
Mägha belong to exactly the same part of India. And since the
date fomished for the former corresponds to about A.D. 625,
the inevitable condnsion in my opinion is, that Mägha, the
grandson of a minister of his, mnst be placed in abont
the second half of the 7th Century A.D.
1) It is well knowD that in the l^aka year 550 « A. D. 628 ^rimäla was
nüed by the Chftpa king Vyftghramakha.
Wortumfang und Wortform.
Von
J. Waekernagel.
Vorgelegt in der Sitzung vom 19. Mai 1906.
I.
Längst festgestellt ist der Gebrauch des Altarmenischen das
Augment nur dann zu setzen, wenn die betr. Präteritalform ohne das
Augment einsilbig wäre; also z.B. eher „er trog" ^ZtM„ er verließ"
etu ^er gab". Man pflegt diese Bedingtheit des Augments durch den
Wortumfang als etwas spezifisch Armenisches zu betrachten; tat-
sächlich ist sie fast in allen indogermanischen Sprachen zu tre£Pen,
die vom Augment noch etwas wissen. Belehrend ist zunächst das
Germanische, wenn anders die Zuruckfährung gewisser ihm an-
gehöriger Präteritalformen auf indogermanische Präterita zu Recht
besteht; einerseits got. iddja „er gieng" aus ig. e-yU, anderseits die
dezidiert unaugmentierten ahd. t^ aus ig. dhidhet, scrirun aus -^.
Vor allem gilt es aber diejenigen indogermanischen Sprachtypen
näher zu untersuchen, in denen das Augment fakultativ ist: zu-
nächst das homerische Griechisch und die vedische Sprache; dann
das Mittelindische ^).
Daß Homer von der Freiheit das Augment wegzulassen im
Ganzen keinen Gebrauch macht im gnomischen Aorist, hat Platt
1} Keine Spar yon Bücksicht auf den Umfang der Yerb&lform zeigt der
iranische Gebrauch und Nichtgebrauch des Augments: von den Mundarten, in
denen es yermöge Bewahrung des alten Pr&teritaltypus überhaupt vorkommen
kann, führen es Altpersisch und Yaghnöbi (Qeiger Iran. Qrundr. II 840 f.) strikt
durch; umgekehrt hat das Avestische zwar fakultativen Gebrauch, aber der vor-
herrschenden Neigung zur Abwerfung sind auch die Einsilbler zum Opfer ge-
fallen, und Formen wie c(Hi „du hast yersprochen*' e(Hit „er hat versprochen*'
gatts gewöhnlich.
148 J- Wackernagel,
Journal of Philul. 19, 217 £P. festgestellt (vgl. meine Stadien zum
griech. Perfektum, G-ottingen 1904, S. 8 A.). Man scheint bisher
nicht daranf geachtet zu haben, daß neben diesem semasiologischen
Moment auch Rücksicht auf den Wortmnfang beschränkend wirkte.
Nie angmentlos erscheinen bei Homer in der Regel solche Präterita,
bei denen ohne Augment ein knrzyokalisches Monosyllabmn ent-
stände. Daher neben «ix« zwar iis, aber neben iöx^ (ohne die
Komposita zehnmal) iöxeg (1 mal) iöiov (3 mal) kein *^x^> *^Z^'ffj
*6x6v. Ebenso zwar xdXB{v) (11 mal) aber nur ixXs M 44, was
indeß durch die konstante Anwendung des Augments im Medium
InkBto (40 mal) Inieo inXsv (6 mal) neben niXovto (4 mal) etwas an
Beweiskraft verliert. Ebenso ixxa (7 mal) und ixxav III pl. (2 mal).
Abweichend nur die gleich naher zu besprechenden 6xav und fpdv,
deren Auftreten durch die zugehörigen langvokalischen Singular-
formen bedingt ist. Oder man wird vielleicht besser sagen, daß^
absolute Abneigung gegen Einsilbigkeit nur bei kurzvokalischem
Auslaute bestand und i^xovy ixxav von iöx^, &ra (wie auch inXsto
von IxXs) nachgezogen wurden. — Wie fest in den betr. Formen
das Augment saß, zeigen^^die mit ihnen gebildeten Komposita. Sie
haben das Augment ausnahmslos. Wol könnte man z. B. xavixrccv
als jüngere Schreibung eines echthomerischen *xatdxTav fassen;
aber bei dem dreimaligen vnsQiöx^ ist dieser Ausweg abgeschnitten.
Danach darf man aus dem ausschließlich üblichen iniönov inB6XBv
auch auf ausschließliches *i6xov *i6xsv (nicht *67c6v *07cdv !) schließen ;
vgl. unten S. 150 über ixXa, Und umgekehrt erklärt sich das
augmentlose Präteritum ivi^xeg iviöxs daraus, daß das zugehörige
Simplex längst verschollen war.
Einsilbige Präterita mit langem Vokal wurden nicht gescheut ;
daher ist bei solchen das Augment sehr oft weggelassen. Immerhin
stellt sich bei näherem Zusehen heraus, daß der Gebrauch der
augmentlosen Form doch nicht ganz frei war. Erstens ist eine
ganze Anzahl auch dieser Präteritalformen nur augmentiert be-
legt. So kommt nur iyvoiv vor (4 mal), kein *yv&v, ebenso nur iyv(o$
(4 mal), Idw (2 mal), i6ßn{2mB,\), icttig (y 179), hXfiv (5 mal), itXtig
(8 mal), hXav (9 608), Itp^tis (X B8), i(pw (2 mal). Zweitens scheint
mir sehr bemerkenswert die fast völlige Beschränkung der aug-
mentlosen Formen auf den Satz- oder Versanfang. Bei ötijv ötfl
6tdv gilt diese Beschränkung absolut. tfT^v beginnt an seiner
einzigen Belegstelle ^744 den Vers (allerdings nicht den Satz),
tfri} steht 76 mal am Versanfang und zugleich hinter Interpunktion,
H 225 und ^ 458 zwar am Versanfang , aber so daß noch ein
Satzstück vorausgeht. Endlich ötdv steht viermal am Versanfang
Wortnmfang and Wortform. 149
hinter Interpanktion ; A 216 {i(ytvv^ri d\ ^i%% fStäv VivtCoi) hinter
Interpunktion, aber nicht am Versanfang.
Nicht ganz so fest ist der Gebranch bei den andern hier in
Betracht kommenden Yerben; doch nicht so, daB er das an tft^
gewonnene Gesetz imistieße : dv steht am Versanfang hinter Inter-
punktion Z 416, am Versanfang ohne Interpunktion 118, bloß
hinter Interpunktion P218, aber S 85 ßiXo^ d'slg iyxitpaXov dv\
— tA^ beginnt dreimal den Vers nach Interpunktion, aber 78
heißt es ivff oM Idofisveifg tXfl iii^vsiv. — <p^ steht ganz streng
A 451, ebenso (p^av ^61, aber % 91 iXX^ &Qa fiiv (p^fiJjitiUiiaxog.
— (pfiv g)^g [nicht (pfjg^ z. BJ t} 239] q>ii sind ganz streng bloß am
Versanfang nach Interpunktion gesetzt (2 mal, Imal, 10 mal).
Ebenso (pdv in der Ilias Z 108. Aber in der Odyssee treffen wir
nicht bloß legitimes q>dv im Versinnern nach Interpunktion 842
((päv ydQ iiiv äXri^ia ^vd'iiöaö^ai), sondern ß 3^7. rj 343 &g (pdv. — \ ^
Endlich bei /3f|rai folgen der Regel die seltnem Formen ßfjv : viermal
am Versanfang mit Interpunktion, i> 196 am Versanfang ohne Inter-
punktion, und ßdv: 21 mal am Versanfang mit Interpunktion, ^56
am Versanfang ohne Interpunktion. Etwas mannigfaltiger ist der Ge-
brauch bei dem häufigen /3i) : 1) 100 mal steht es am Versanfang hinter
Interpunktion; 2) B 665. 77 221. P 213 g 3. ^604 am Anfang des
Verses, aber nicht eines Satzes; 3) B 16. J 292. 364. 7iri49. 2:416.
468. X 137. X 563. o 62. q 348. 551. 574 hinter Interpunktion, aber
nicht am Versanfang: also im ganzen 117 mal der allgemeinen
Eegel gemäß. Daneben aber dieser widersprechend zugleich im
Satz- und Versinnern 1) 15 mal in der Phrase aitctQ 6 /J^, 2) //439
ix dl XQV0rjllg tnjbg /3^ novtonÖQOiOy U 702 XQlg ^iv in^ iyxätvog
ßfl Tsixeog hlnjXolo, T 397 tm^Bv di xoQv^ödfüvog ßrj 'AxiXXs^gj
y 468 -=■ ^ 163 ix ^ a0a^iv^ov /3^ diiiag d^avdtoiöiv biiotog, (p 51
1^ if&Q' ig>* {firrjXfig 0ttvidog ß fj ivbd ts... — Entschieden widerspricht
der Regel bloß <pv, das an allen elf Belegstellen im Satz- und
Versinnern steht; aber es bandelt sich dabei um eine einzige
Phrase: iv li&Qa ot (pi> %biqL
Diese eigentümliche Stellung der augmentlosen Monosyllaba,
an der mit größter Strenge auch das einer zweisilbigen Neben-
form entbehrende i} »sagte" teilnimmt, ist wohl begreiflich. Sie ist
nicht durch metrische Nötigungen bedingt. Von den augmentierten
Formen waren allerdings manche vom Versanfang ausgeschlossen,
aber die augmentlosen durchaus nicht vom Versinnern. Die Ur-
sache liegt tiefer. Das erste Wort des indogermanischen Satzes
ist voller (stärker? höher?) betont als andere Satzteile. Als
solches kam ein Monosyllabum am deutlichsten zur Geltung, wäh-
KfL Om. d. WiM. Naekrieht«». Philolof .-biitor. KUiM. 190«. Uf A i. 11
160 J. Wackemagel,
rend es sich bei Setzung an späterer Stelle gewissermaßen im
Satzgefüge verlor.
In der hohem poetischen Sprache der Folgezeit, die von
Homer die Weglaßbarkeit des Augments geerbt hat, tre£Pen wir
den Einsilblem gegenüber teils ähnliches teils noch strengeres Ver-
fahren. Ein *xtd *nXi *0%i kennt auch sie nicht {inUv Find. N.
6, 61). Die langvokalischen hat zwar Findar, und erst noch ohne
Beschränkung in der Stellung: 0. 6, 49 0o£ßov yäg cdnbv (pa y€ydxBi.v.
N. 6, 68 6yy€Xog ßäv{Bo Hermann für unmetrisches ißav). I. 2, 11 5^
(pä. 8 (7), 68 ^Ehxaviat xag^ivoi, \ fStiv. Aber den Tragikern
scheinen sie völlig fremd zn sein, vgl. die Beispiele für Weglassung
des Augments bei Oerth in Curt. Stud. 1, 2, 259 ff. und bei Lautensach
G-rammat. Studien (1899) S. 165 ff. — Einsilbler, die bei Homer nicht
vorkommen, finden sich nach Homer nur mit Augment : Hesiod Th.
30 xal iioi> öxilxtQov Idov. Demeterhy. 111 oid* lyvov. Find. F,
9, 79 iyvov xatB .... Silßai. Kallim. Hy. 1, 49 xrigiov ißgag und
Epigr. 30, 2. 6 iyvmv. Besonders mache ich aufinerksam auf
Diodoros Sardianos Anth. Fal. 9, 219, 7 ixXm und Krinagoras ibid.
11,42, 7 InXiog (beide 1. Jahrh. a. Ch.): das Augment ist korrekt
abstrahiert aus Homers ixixX(o ininXmq xaQdxXm, Hesiods ixixXcov
(vgl. oben S. 148 über *i6xov).
Auch imEigveda sind zahlreiche Fräterita,'die ohne Augment
einsilbig wären, nur augmentiert belegt: 2 sg. akt. äpäm „ich trank^
10,119 dreizehnmal; — 1 sg. med. akri 10,159,4*. 174,4«, avri
3, 51, 5^ (dreisilbig zu lesen I), ähve zehnmal (ein- bis zweimal drei-
silbig zu lesen, vgl. die Nebenform -oÄwre) ; — 2 sg. ägan 8,37,10*
(dazu nach dem Fadatext 'gan 10,29,4*), äghas 5,29,8». 8,12,8^
ajais, 9, 72, 6*^, änaf „du hast zu Stande gebracht" 7, 7, 7« , dyäs
8, 29, 16«. 9, 82, 5^ ataf führtest" 10, 85, ll^ eures 8, 54, IV. 6, 33, 2»» ;
— 3 sg. akrant 6, 59, 1* und akrän 3, 11, S\ 9, 69, 3« (zu krand-),
aJc^är 9, 43, 5*, acet „sammelte" 10, 102, 2*, acaü „ließ sichtbar Wer-
der" 6,44,7S acchan 6,28,5* 10,34,1*, ajais 8,40,11*, aton 6,
61,9*, atsar 10,28,4«, ädyaut vierzehnmal, ddhok 4,19,7»«, äpOt
„trank" fünfmal, apräs „füllte" sicher sechsmal [dazu nach dem
Fadatext 'prOs 1, 115, 1«. 4, 14, 2«. 53, d\ 9, 72, 5« ; vgl. unten], äbkrof
1,66,6'. 4,6,5^ ämyak 1,169,3% äyOt 10,85,7« [vgl. got. iddia
oben S. 147], aydw viermal, draik 1,113,1*. 2M6«. 124,8'. 8,31,2%
asrot 1,39,6«. 7,32,5«, dstar 3,11,20\ 7,18,44^ 10,111,6% asyän
9,89,1% asräk 4,53.3« u. 4«, dsvar 10,148,5«, dhvat 1,106,6%
8, 8,9^ (1,24, 12« u. 13« dreisilbig zu lesen); — 3 pl. äkran zwölf-
mal, dvyan 8,49,7^ Ivyan angeblich FB. 34,1,91], asur (zu sä-)
1, 179, 2«, ahyan 6, 40, 2*. 9, 26, 4». 9, 26, 3' 'hiyan oder hiyan). Also
Wortnmfang und Wortform. 151
im ganzen 39 Formen an 114 Stellen, oder mit Aasschlnß der
Fälle mit dreisilbiger Messung 38 Formen an 109—110 Stellen.
Nicht gerechnet sind dabei die Stellen, wo ein vom Padatext ge-
setztes Augment durch den Sandhi unsichtbar geworden ist, nämlich
(außer 'präs 'hiyan oben) 'tan 6,67,6^ 'dar 10,121,10^, 'präs
»fülltest« 1,62,13« und 'vart 7,59,4«. 10,124,4« hinter d, 'dham
10, 145, 6» und 6^ hinter -e und -ä, 'päs „trank" 5, 29, 8^ und >er
„tranken" 1,164,7« hinter -ö: wiewohl ich überzeugt bin, daß in
allen diesen Fällen der Padakära die Absicht des Verfassers ge-
tro£Pen hat.
Diesen ausschließlich augmentierten Präterita stehn entgegen
zwei Oruppen. Erstens die wenig zahlreiche solcher einsilbiger
Präteritalformen, die nur augmentlos vorkommen. Aber von diesen
widersprechen in Wirklichkeit nur die präterital gebrauchten,
weil nur für diese die Augmentform als mögliche Nebenform in
Betracht kommt : 1 sg. däm 10, 49, 1«(?); — 2 sg. dhas 6, 32, 5«. 8, 85,
16« und vielleicht 8,30,3« (39 mal ist die Form injunktivisch ;
1, 63, 1^ und 1, 72, 7^ kommen wegen der Möglichkeit 'dhah zu lesen
[siehe unten] nicht in Betracht); bhet „spaltetest" 7,18,20« (in-
junktivisch 1,104,8«), reirÄ- 1, 63, 7«, ves „brachtest" (?) 1, 63, 2»
(sonst ist vesj soweit überhaupt Verbalform, injunktivisch); —
3sg. dhat 4,27,5« = 5«(?), bhäk 7,18,13«, vd „wußte" 10,53,9»
(Graßmann : „konmie"), $at 5, 46, 2» (injunktivisch 7, 28, 4«), adhirskdn
10, 61, 7» [skan VS. 1, 26 f. und skün Käth. 1, 9 (p. 4, 13). MS. 1, 1, 10
(p. 6,3) injunktivisch); — därt 2.3 sg. 1,174,2\ 6,20, 10«. 27,6«;
— 3 sg. med. dpi gdha 1, 188, 5«. — Also im ganzen bei vollster
Rechnung 12 Formen an 17 Stellen, in bezeichnendem Mißver-
hältnis zu den vorgenannten augmentierten 38 Formen an 110
Stellen.
Nicht in Betracht kommen einmal die bloß injunktivisch oder
zeitlos gebrauchten Einsilbler 1 sg. sthäm (1 mal)'; 2 sg. jes (6, 4, 4«),
dhak (von dagh-, 2 mal), hhak (3 mal), yQt (10, 61, 21«), yms (3, 32, 2«),
Star 8,3,2^; 3 sg. dhak (von rfa^Ä-, 2mal), nat (7,104,23') und
prä-nak (4 mal), pdt „hüte" 4,65,5«. 8,31,2«, rd^ 6, 12, 5«, 5^an
10, 92, 8«. — Sodann die Fälle, wo zwar der Padatext eine aug-
mentlose Form gibt, aber ein mit dem Auslaut des vorausgehenden
Wortes kontrahiertes Augment vorausgesetzt werden kann. Das
gilt nicht bloß für Stellen, wie 10, 8, 9« pdra vark, wo niemand
die Möglichkeit p&rävark aus pAra avark zu schreiben bestreiten
wird (anders 8, 65, 11*, wo pdrä varg Injunktiv ist), sondern auch
für 6, 26, 3^ dOsü^ vark, 10, 28, 7« däsu^e vam, das den einzigen
Beleg für vam bilden würde. Ich stehe nicht an, hier 'vark 'vam
11*
152 J. Wackernagel,
anzusetzen. Bartholomaes Versuch, den Abhinihitasandhi aus der
Eiksamliitä zn eliminieren (Studien zur indogerm. Sprachgesch.
I 81 fF.) ist gescheitert. Wenn Oldenberg in seiner schlagenden
Widerlegung (ZDMG. 44, 321 ff.) Bartholomae auf S. 323 das Zu-
geständnis macht, daß er fiberall da möglicherweise recht habe,
wo im Padatext Schwnnd des Augments hinter -e und -o ange-
nommen sei, so sehe ich umgekehrt nicht ein, warum vor anstehen
sollen, selbst gegen den Padatext solchen Schwund gegebenen
Falls als möglich ins Auge zu fassen, da nun einmal der Abhini-
hitasandhi für den Rigveda feststeht.
Sehr zahlreich dagegen ist die zweite abweichende Gruppe
einsilbiger Präteritalformen : die derjenigen, die sowol mit als ohne
Augment vorkommen. Wer sie nur oberflächlich durchmustert,
wird geneigt sein, daraus Beliebigkeit der Augmentierung auch
bei Einsilbigkeit in weitestem Umfang zu folgern. Aber zunächst
scheiden hier aus, um sich als weitere Beweisstücke der obigen
Liste anzureihen, die Formen, bei denen mit präteritaler Bedeu-
tung Augmentierung zusammengeht, Augmentlosigkeit an injunk-
tivische Bedeutung geknüpft ist. Ich glaube auf diese Fälle einen
sehr starken Nachdruck legen zn dürfen. Es gehören hieher : 1 sg.
äkhyam dreimal: khyam 7, 86, 2^; — 2 sg. dkhyas 7, 13, 3*: khyc^
fünfmal, adäs 10, 15, 12« : das dreißigmal (mit Einschluß von 7, 100, 2^•
6, 20, 7^ ist das präteritale däsü^e dah gegen den Padatext als ^däh
zu fassen), ddyant S, 1, 8»: dyaut 4, 4, 6^ (injunktivisch Geldner Ved.
Stud. 3, 92), äpos „trankst" dreimal : pOs 4, 20, 4*", aspar 5, 15, 5^ :
spar 9, 70, 10* ; — 3 sg. dgan sechsmal (dazu nach dem Padatext
fünfmal 'yan): gan 7, 50, l^ adhäk 3, 16, 4*: dhök 1, 168, 4", dnat
13 mal: wa/ 1, 104, 23* ; — 3 pl. aÄ'^a/i „aßen" viermal: Z'^anlO, 95,
16**, asan „waren" nexmzehnmal : san 5, 19, 6«. — Hieher nach dem
Padatext a'gam 6, 2, 8*. 10, 32, 6*: gam 10, 128, 4^
Nicht weit hievon ab liegt die Gestaltung der Präterita von
Sri' und stha- und der 3 sg. und pl. von khya-, insofern hier .'nur
ganz vereinzelt präteritaler Gebrauch augmentloser Form zu treffen
ist. Wir finden äkhyat siebzehnmal : khyai injunktivisch 7, 36, 7^.
8, 68 [791, 2**, präterital nur 10, 63, 2»; dkkyan zweimal: khydn in-
junktivisch 1, 162, P. 7, 93, 8«. 10, 10, 2^ präterital nur 8, 31, 12^
dsret 18 mal: Sret präterital 1, 174, 7^; dsthäs einmal: sthäs injunk-
tivisch 6, 24, 9«, präterital 4, 30, 12«; dsthai 48 mal: sthät injunk-
tivisch 2, 3, 10». S, 15, 6*. 36, 9». 5, 53, 9% präterital nur 1, 68, l\
3, 15, 7\ 7, 87, 6»; dsthur 26 mal: sthur injunktivisch 1,24,7«. 167,
%\ 5, 15, 3*. 10, 57, 1 ; präterital vielleicht 7, 18, 3^
Bei andern Verben ist die ursprüngliche Norm weniger deutlich
Wortnmfang und Wortform. 163
erkennbar. So 2 sg. akdr 6, 83, 10^ (dazu 6, 29, 10^ nach Padatext):
Hr injunktivisch achtmal; präterital 6,29, B** und 7, 21, 3» [Geldner
Ved. Sind. 3, 37] (i, 63, 7*. 6, 20, 5«. 6, 26, 5» ist die Lesung Vcar
möglich); ägOs zweimal (dazu viermal hinter a, wo gas oder 'gas
[so der Padatext] möglich): gas fünfmal injunktivisch, aber 1, 67, 6^.
7, 12, 2\ 10, 1, 2^ vieUeicht präterital ; apräs „füUtest" 1, 52, 13«
i(mit d verschmolzen I) : prds injunktivisch oder präterital 6, 46, B*" ;
dbhüs 3 mal: bhus injunktivisch siebenmal, präterital 1,52,13^.
91, 2» und vieUeicht 6, lo, 3\ 7, 21, 6» (1, 187, 7\ 6, 20, 77». 6, 64, B*
kann 'bhäh gelesen werden: 10, 46, B* ist korrupt); ävar 5 mal:
vdr injunktivisch 1, 63, B®, präterital 1,62, B*. 6,32,1«; dÄan 18 mal
(ohne die Stellen, wo hart gelesen werden könnte): han präterital
6, 32, 1^. 6, 18, 5«. 6, 20, 2^. 10^ 26, B«, vielleicht auch 6, 29, 2«.
10, 22, 7^. — 3 sg. dkar achtmal (dazu nach dem Padatext 'kar
1, 24, 8«. 2, 38, 8^. 4, 18, 5K 10, 67, 4^. 169, 4«: Hr injunktivisch
fünfmal, präterital neunmal, vielleicht auch 1, 72,1» (4, 21, 10^ 9,
92, B* kann 'kar gelesen werden) ; ägät 39 mal : gät injunktivisch
zehnmal , präterital fünfmal , vielleicht auch 1, 104, B* (7, 67, 8*.
10,B,6Mst 'gm möglich); ddat neunmal (dazu 1,30,16^ 'dät
nach Padatext): dat injunktivisch siebenmal, präterital 1,121, 12«,
vieUeicht auch 7, 4B, 2*. 9, 97, B2^. 10, 80, 4* (6, 63, 10\ 6, 63, 9*^ ist
^dat möglich); ddhät zweimal (dazu fünfmal hinter ä): dhat injunk-
tivisch 14 mal, präterital 1, 67, 3*. 71, B^. 6, 30, 2^ vieUeicht auch
1,63,2\ 3,31,13*. 6,3,B^ 10, 132, B« (6,4,2\ 19,2* ist 'dhat mög-
lich); ahhar (bhar möglich) 10, 20, 10^: bhär präterital 1, 128, 2»;
dbhüt 2Bmal: bhiU injunktivisch 9 mal, präterital 13 mal sicher,
16 mal vieUeicht (1, 178, 4^ 4, 17, 4\ 2B, 7*. 6, 30, 2^ 34, 2*. 7, 20, 2^.
10, 29, 3». 48, 9» kann 'bhm gelesen werden); abhet 1, 33, 13^ (so der
Padatext; Grassmann bhet): bhet präterital 1,69,6''. 10,68,6»;
c^an 21 mal: han injunktivisch 10, 182, 1*, präterital 6, 29, 4''; —
3 pL agur 10, 61,10* (sowie nach Padatext siebenmal mit -ä ver-
schmolzen) : gur injunlrtivisch 1, 120, 8^ 4, 37, 2^. 7, 21, B*, präterital
vieUeicht 8,7,7«. 7,93,3». 10,12,3^ (1,6B,3\ 104,2». 6,4B, P 'gitr
mögUch) ; dgntan 24 mal : gman injunktivisch 10, 182, 1^ präterital
zehnmal, dazu vielleicht 8, 64, 14^. 4, 43, 6**; adur (nur in tvädur
1, 86, 36«): dür injunktivisch 10, 161, 4«, präterital 6, 49, B». 8, 3, 21»
und vielleicht 1, 127, 4»; ddhur 2 mal: dhur injunktivisch 4, 6, 6««
6, 11, 6«. 7, 34, 18^ 36, 9% präterital 9 mal inkl. 10, 74, 1« (8, 38, 3«
und 7, 40, 4i 'dhur zu lesen); äyan „sie giengen** 32 mal: yan viel-
leicht präterital 8,4,6**; avrati 4,61,2«: vran präterital 3 mal,
vieUeicht auch 4, 6, 8*.
SoU man den vedischen Gebrauch in Form roher Statistik
154 J- Wackernagel,
zQsammenfassen, so sind bei prateritaler Bedeatung 70 Einsilbler
an 496 Stellen angmentiert, 38 an 136 Stellen angmentlos. Dabei
sind Stellen, wo o- mit dem Anslant des vorangehenden Wortes
verschmolzen sein kann, auf keiner Seite in Rechnung gesetzt, ob
ntm der Padatext o- schreibt oder nicht; und sind alle Stellen,
wo präteritale Bedentong anch nur denkbar ist, als praterital
gerechnet. Wenn man nicht erweisen kann, daß anch sonst bei-
präteritaler Bedeutung Augmentierung drei- bis viermal so beliebt
ist als Augmentlosigkeit, wird man zugeben müssen, daß auch in
der vedischen Sprache eine gewisse Abneigung gegen präteritale
Einsilbler bestand. Vielleicht nicht gleichmäßig gegen alle. Auf-
fallig ist die Häufigkeit des präteritalen bhot gegenüber der Selten-
heit z. B. von sthaty die mit dem homerischen G^egensatz zwischen
9t> und 0tfl (obenS. 148 f.) merkwürdig aber doch wol nur zufallig
zusammentrifft.
n.
Dankbarer und über den bisher innegehaltenen Gesichtspunkt
hinausführend ist eine Betrachtung des Mittelindischen. Zwar
fast alle Präkrits haben die alten Präterita mit Ausnahme von
asi „er war** (nebst Zubehör) eingebüßt. Aber die Ardhamägadhi
macht von solchen reichlich Gebrauch ; ebenso die älteren Schichten
des Mittelindischen: Päli und Aäoka. und das Merkwürdige ist,
daß in allen drei Typen das Augment zwar bekannt, aber seine
Anwendung fakultativ ist.
Nach welchen Gesetzen im Mittelindischen augmentierte und
nicht augmentierte Formen mit einander wechseln, ist, soviel ich
sehe, bisher nicht festgestellt. Für das Päli lehrt Kaccäyana
6, 4, 38 (p. 263 Sen.) einfach, daß das syllabische Augment im
Präteritum arbiträr sei; der Kommentar setzt es in den präteri-
talen Beispielen zu Buch VI immerhin konstant. Noch weniger
helfen die Präkritgrammatiker. Zunächst kommt in Rücksicht
auf das eben bemerkte unter ihnen nur Hemacandra in Betracht
als der einzige, der die Ardhamägadhi überhaupt berücksichtigt
(Pischel § 36 p. 38). Und auch er begnügt sich, ein paar Formen
mit Augment, ein par ohne solches aufzuführen: einerseits ahosi
„war" (3, 164), ahbavi „sagte" (Komm, zu 3, 162), anderseits käsf
lähi „machte" fhäsl fhahJ „stand*' (3 , 162). — Die meisten mo-
dernen Darsteller mittelindischer Sprachen (auch Oldenberg in
seinen Bemerkungen zur Verbalflexion des Päli KZ. 26, 319 ff.)
äußern sich zu der Frage gar nicht. Die kurzen Bemerkungen
Wortamfang and Wortform. 155
von Henry (Pröds de Grammaire Pälie S. 88 [§ 220] and S. 9B
[§ 277 f.]) sind insofern nicht zutreffend, als er den vedischen G-e-
branch vergleicht und die Weglassang des Augments vorzugsweise
der Poesie zuschreibt. Eine fordernde Beobachtung^) bietet da-
gegen die nächst Colebrooke älteste europäische Arbeit über Mittel-
indisch: Bumouf und Lassen Essai sur le Pali S. 127 f. 134; vgl.
unten S. 160. Die Verfasser schöpften eben direkt und ausschließ-
lich aus den Texten. Aber auch was sie bieten, bedarf sehr
wesentlicher Ergänzung und Berichtigung. Sehen wir zu, ob
sich nicht Gesetze finden lassen').
Zunächst geht das Mittelindische mit dem Armenischen darin
völlig zusammen, daß wo die Yerbalform ohne Augment einsilbig
wäre, das Augment ausnahmslos eintritt. Bei Asoka aho „war^ (?)
in Felsedikt 4 (Z. 3 Gim., 13 Dh., 9 Kh., 7 Sh., 13 Maus.). — Im
Päli ahü ahu „war*' überaus oft: im Suttanipäta 139^ und noch
zwölfmal, 949^ nähu), Dhammap. 228, Therag. 18^ und noch achtzehn-
mal, Therig. 26^ und noch neunmal (mähu 67^. 190^), Dighanik.
2,157,12.15.166,6, Jät. 8,43,13 usw.) 4,389,28 usw. 5,68,28
usw. ahuni Jät. 8,411,5. 413,20 Therag. 316^ 889* Therig. 159».
225^. 252*. — Ferner von andern Verben: akani »ich machte^ Jät.
6,161,1 und akä „machte" J. 6,29,2. 184,5.; aga „gieng" Suttan.
538*. Jät. 8,256,13. 6,27,23. 161,6, Therag. 340*.; affha „stand*'
Suttan. 429*; adatfi „ich gab** Jät. 8, 411, 10. Car. Pit. 1, 9, 30; odo „du
gabst« J, 6, 161, 12 ; adä „gab** Suttan. 303 f. 305*. J. 8, 231, 20 ; addaffi
„ich sah" (!) Jfit. 8, 380, 6. 18 ; assurp „ich hörte" Jät. 8, 542, 1. — Alle
diese Beispiele gehören dem ältesten, poetischen Päli an. Die Prosa
1) Von Burnoaf in seinen Nachträgen zum „Essai** (Journal asiat. 1 9
[1826] p. 271) allerdings zurückgenommen unter dem Eindruck des regellosen
Gebrauchs des Mahävaipsa.
2) Den nachfolgenden Mitteüungen über den Gebrauch des Päli liegen teils
die Grammatiken von Kuhn und Ed. Müller und Cbilders Dictionary teils eigene
Sammlungen zu Grunde, die sich auf Suttanipäta [wofür Fausbflls Index mit-
benutzt wurde], Dbammapada, Thera- und Theri-Gäthäs, JäUka V 1—800, zahl-
reiche andre Stücke des Jätakabuches, einzelne Sutta- und Yinaya-Texte er-
streckten. Außerdem verdanke ich Herrn Dr. Ed. Thommen in Basel Mitteilungen
aus Jätaka III. — Grundsätzlich von der Behandlung ausgeschlossen sind die
nachkanonischen poetischen Texte, da hier alte, junge und frei erfundene Formen
durch einander gehen. Das Jätaka und alle Prosatexte sind nach Seiten und
Zeilen dtiert; die poetischen Texte aufterhalb des Jätaka nach Strophen und
Padas. — Injunktirische Präterita mit tnä sind nur berücksichtigt, wenn das
Augment gesetzt ist, nicht wenn es in Uebereinstimmung mit der altindischen
Regel fehlt.
156 J- Wackernagel,
des Pälikanons scheint von diesen kurzem Bildungen nur noch ahu
za kennen z. B. Dighan. 3, 82, 3. 9. 83, 2, ygl. Childers s. y. ahnde va.
Der nachkanonischen Prosa fehlt auch dieses. — In der ArdhamägadhI
abhü in einem Verse '). — Ans keinem der erwähnten Sprachtypen
sind mir Gegenbeispiele mit einsilbiger Verbalform ohne Augment
bekannt.
Soweit besteht völlige Uebereinstimmong mit der armenischen
Weise. Während sich aber im Armenischen das Augment nur bei
den Einsilblem findet, ist es im Mittelindischen außerhalb der
Einsilbler vielfach zu treffen. Zunächst das temporale Augment
ist zwar preisgegeben bei fast allen vokalisch anlautenden Verben,
z. B. lautet das Präteritum von iccJuUi bei Aäoka ichisu^ im Päli
icchi, nicht *ecchi gemäß ai. akchat (vgl. ijjhiritsu Therag. 60*);
aber wird streng festgehalten bei as- ; daher vom Päli an a$i usw.
(oben S. 164). Beim syllabischen Augment sind die Tatsachen
komplizierter. Wir beschränken uns zunächst auf das Päli. Um
dem Tatbestand gerecht zu werden, muß man sorgfaltig sondern:
einerseits zwischen den verschiedenen Sprachschichten, anderseits
zwischen zweisilbigen, drei- und mehrsilbigen, zusammengesetzten
Verbalformen (die Silbenzahl ohne das Augment gerechnet}.
Unter den zweisilbigen sind wieder zwei Gruppen zu unter-
scheiden. Konstant bis ins jüngere Päli wird das Augment ge-
setzt bei den zweisilbigen Präteritalformen, die ein Imperfektum,
einen asigmatischen Aorist oder einen -5-(nicht -J-!)-Aorist des
Altindischen fortsetzen.
Zunächst an augmentierten asigmatischen Bildungen bietet
Päli der alten poetischen Texte
akara^ß „machte** J. 6, 70, 17, 2 sg. alarä J. 6, 69, 13 , 1 pl. akamha
J. 8,47,4; agamarn „gieng" Therag. 258^ 2B9^ 2.3 sg. agamä
Suttan. 292^ 976^ J. 8,226,17 usw. 6,251,77, agami Therig. 399%
3 pl. agamufß Suttan. 290; acchidä „zerhieb" Suttan. 357% acchidda
Dhp. 351«; adada „gab" J. 5,161,8. 6,571,20,1 pl. Aor. adamha
1) Dazu wol noch zwei weitere Beispiele. Mit Recht erklärt Pischel Prä-
kritgr. § 466 p. 830 AMg. accht „may strike" dtibht „may cut" als alte Aoriste
des Indikativs, die potential gebraucht wurden. Der Bedeutungswandel beruht
auf dem an den Potential erinnernden Ausgang e der auf altes -chet (zu vedisch
ektdma) -bhet (v. abhei) zurückgehenden Formen. In o- sieht Pischel das Präverb
ä. Aber bhidr wird fast nie mit ä yerbunden. So werden wir in aceke abbhe
lieber Angmentformen erkennen, analog mit ahhü^ und die Doppelung des bbh in
<Mh€ aus dem Parallelismus mit dem gesetzmäßigen accht erklären, einem Pa-
rallelismus, der überhaupt für diese beiden Yerba bestand und daher auch sonst
bbh statt hh bewirkte: so pä. athhida (unten S. 157).
Wortnmfang und Wortform. 157
J. 3,71,4; addasam „ich sah** Suttan. 837^. J. 3,411,7. 6,41,21
UBW. , adassitß Car. Pit- 1, 2, 2, 3 sg. addasä Suttan. 211*. J. 8,
484,24. 6, 42, 10 usw.; ahravifß „sagte ** Car. Pit 3,6,8^ 3 sg,
abravf Suttan. 3B5* 986*. J. 6, 1B3, 3. 2B1, 31. Therag. 430*. Therig.
366* usw. und abruvi J. 2,62,8.20,3 pl. abravunt J. 6,112,30.
Therag. 720*; abhhidä „spaltete" J. 1,247,29, dbhida J. 8,29,17.
Dighanik. 3,107,5; amafifiani „meinte" J. 6,216,6; amarä „starb"
[Fortsetzung einer im Altindischen vorklassischen Präsensbildung !]
J. 8, 389, 18. Therag. 779*, 1 sg. amarini J. 6,205, 14; avararß
„sagte" Therig. 429«, 2.3 sg. avaca J. 8,484,17. 6,183,1 265,27.
Therig. 109«. 415% 3 pL avacutß J. 6,260,4.10; avoca „sagte**
Therag. 870«. Therig. 494*. Dighanik. 3, 128, 12, 3 pl. avocuTri Suttan.
691«; ahumha „wir waren" Therig. 30B». 520». (mit dem Auslaut
von candäla verschmolzen J. 4, 397, 5). — Die Mehrzahl dieser
Formen findet sich später nicht mehr. Aber addcisarß avocatß mit
Zubehör sind auch der altern und jungem Prosa sehr geläufig.
Vereinzelter belegt sind, im Kanon z. B. 2 sg. avaca (Yinaya 4,
223, 12. 16. 25), später avacafß Dhp. p. 242,5, ahumha Dhp. p.
205,12; 2 pl. adaUha „ihr gabt" J. 3, 166,21.
Ebenso die auf dem altindischen IV. Aorist beruhenden For-
men. Im Singular gehn ahasi „machte") aüMsi „erkannte" affhäsi
„stand" adasi „gab" adddkkhi „sah^ asakkhi „konnte" assosi „hörte"
ahosi „war" nebst der zugehörigen 1 sg. auf -iV in überaus zahl-
reichen Belegen durch alle Texte. Ebenso alattha „nahm" und
die dazu gebildete 1. sg. alatthatri (z. ß. Therig. 747*=). Dazu
kommen im Kanon z. B. acchecchi „schnitt ab" Suttan. 355*. Therag.
1276% 1277«. Ang. Nik. 1,134,6 (Prosa); adhosi ^schüttelte ab"
Suttan. 787*; ahasi „nahm" Suttan. 469*. 470» Dhp. 3\ 4\ J. 6,
204,23. 3 pl. in allen Texten: alarfisu (z. B. Therig 1190 adavisu
atthanisu ahesuni (im Vers z.B. J. 8,393,19); femer addakkhum
Dighan. 3, 256, 6 (Vers), ahanisu „sie nahmen" J. 6, 200, 6 (Vers),
assosuTß (häufig in der kanonischen Prosa) aMiriisu „sie erkannten"
J. 3, 303, 17 (Prosa). — Dazu in später Prosa 1 pl. assumha „wir
hörten" J. 3, 400, 19.
Hier überall ist Augmentierung Gesetz. Sichere Ausnahmen
giebt es fast keine. In den poetischen Texten ^äsi Suttan. 471^
dakkhi J. 5, 251, 14, daUhirp, Therig. 146°, hravi J. 6, 204, 28 {^bravl
205,2. 250,26), sesini „lag" J. 6, 70, 14, seUha „lagst^ Suttan. 970\
(während jahutß J. 3,19,23 wol als Rest des Perfekts gefaßt
werden darf): hier wirkt wol die Freiheit der Augmentweglassung
aus der vedischen und epischen Poesie nach. Die Prosa ist konse-
quent: na lattha J. 3,6, 16 kann aus der V.L. {na alattha , nälad-
158 J- Wackernagel,
dhafii) verbessert werden; salkhij. 3,47,5424,7 ist wol einfach in
{a)sakkhi zu ändern, nesi „führte" J. 5, 281, 23 in a<wm>. Oder
liegen hier erste Anfänge eines jungen Gebrauchs vor? vgl. die
Ardhamägadhi. — brüvi (Dbg. 133, 18) ist nach S. 159 zu beur-
teilen.
Ganz anders die zweisilbigen Präterita auf 1 sg. -im, 2.3 sg.
'l ohne s davor, die auf den altindischen Y. Aorist zurückgehen,
mit dem die altindiscbe 3. sg. Passivi auf -i zusammengeflossen
ist. In den kanonischen Schriften kann hier das Augment beliebig
gesetzt oder weggelassen werden, immerhin so daß die Augmen-
tierung stark überwiegt. In den Versen des Kanons sind aug-
mentiert belegt akarJ Digh. 3, 157, 13 [aus akarä oben S. 166 um-
gebüdet]; aJchädi „aß** J. 6,203,26; aggahl „ergrifft J. 5,91,4. 160,
20. Therag. 897% aggahim Therag. 97«. 862«; acari „ wandelte **
Suttan. 344«. Therag. 1264«, acarini J. 5, 10, 16. 70, 4. Therag. 423*.
Therig. 134«, acäri Suttan. 3B4». Therag. 1274»; ajäni „erkannte"
Suttan. 536»»; ajayi „wurde geboren" Car. Pit. 3,5,1; ajini „ver-
gewaltigte" Dhp. 3^ 4»»; atari „überschritt" J. 8,453,16. Ang.
Nik. 1, 133, 11, atari Suttan. 355«. Therag. 1275«; anodi „schrie*^
J. 6,49,15; apucchi „fragte" Suttan. 698«. 1037*. J. 8,401,7. 5,
141, 9. Therag. 4S2\ 949*, apucchitß Car. Pit 2, 6, 5*; aphari „brachte
in Schwingung" Therag. 18*; aphäli „barst^ J. 6,55,17, apphali
3,8,21; aphtmtii „erreichte" Therig. 212*; abandhi „band" J. 8,
232,6; abhafiji „brach" J. 5,204,24; abhanirik „sprach" J. 8,394,3;
ahhasi „sprach" Therag. 368«; abhuiijl „aß" Therig. 110*; amami
„meine" Samyuttanik. 1 169, 17; ayäci „bat" Therag. 869*; arakkhim
„hütete" Car. Pit. 2,6, 12^- dabhitii „nahm" Therag. 198^ 218»».
Therig. 78»; avadht „schlug" Dhp. 3^4 ^ J. 6,159,24; avandi{^)
Therag. 869«; avasim „wohnte" Therag. 365*. Therig. 420»; avedi
„hat erkannt" Vir. 1,2,16; asamsi „lehrte" J. 8,426,6. 6,51,17;
asiinifii „hörte" Therig. 338*»; asevi „diente" Therig. 93^ — Dazu
die 3 pl. auf -mi?i, wie acaruTp. Suttan. 289*, ataratfi Suttan. 1045*,
anaccufß „tanzten" Therag. 164«, avindur(i „fanden" J. 1, 109, 15.
Diesen augmentierten Formen stehn in denselben Texten fol-
gende augmentlose gegenüber : kari(fp) J. 6, 205, Ikhaditfi ; Therag. 284«
gatfiki [in der Form der Wurzelsilbe imursprünglicher als die aug-
1) Besondrer Art ist vedi „weifi" mit schwankender Quantität des Aaslauts
(Suttan. 467k. 643». 647«. [= Dhp. 428*]. 878«. 1148^. Therig. 63«). Es ist aus
ai. und p&. -vidi (Nom. sg. zu 'Vedin-) „wissend** verselbständigt, als Prädikat
Yerbal konstruiert (ygL pä. disvä aus ai. c^ä) und formal in die Analogie
obiger Präterita getreten, ohne Präteritalbedeutong anzunehmen, vgl Chüders
8v.; doch beachte man avedi oben
A^
Wortomfang and Wortform. J59
mentierte^Form!] J. 6,168,8; cäri Therlg. 79\ 123^ cavi „fieP J.
6,168,8; chupi „berülirte*' Therig. 614^; jukini „opferte" Therag.
341'*; dhovi „wusch" Therag. 897% dhovirß Therlg. 412**; pucchi
Suttan. 98«; bhasi Vir. 1,7,6; bhufiji Therig. 88*; yajini opferte"
Therap. 341*; labhi Suttan. 994*; vadhl J. 6,51,10; vasi Suttan.
977«; mnditß „fand" Therig, 79*. — Nicht können zählen die Fälle,
wo -a -e '0 oder wo -a im Auslaut eines Mehr silblers yorausgehn;
das triflPt gacchi „gieng" Therig. 129», ganhi Therag. 1024*, carirß
Therig. 107% pati „fiel" Snttan. 1027*, pucchi Suttan. 1024% 1031*,
yäci Therig. 516% vandi „grüßte" Suttan. 252«, vasi J. 8, 14, 4).
Die wenigen Beispiele, die ich aus der kanonischen Prosa zur
Hand habe, erweisen für diese ein ähnliches Schwanken ; augmentiert
apäyi „trank" Dighanik. 3,139,26; apucchi Suttan. p. 93,19. 94,
16. 96,10. 96,6; abhäsi Dighanik. 3,167,2.7. 11.17; — nicht
augmentiert cari Majjh. Nik. S, 78, 6, pucchi Suttan. p. 92, 24 ;
vasi Vin. 1, 79, 28 ; \iandi Dighanik. 3, 163, 29 hinter -ä).
In der nachkanonischen Prosa hat dieses Schwanken aufge-
hört. Weglassung des Augments ist durchaus Regel geworden *) :
Jcampi „erzitterte" J. 8,491,10. 6,162.24 usw.; k^i „spielte" J.
8,301,9. 5,193,16 usw.; kujjhi „ward zornig" J. 8,16,12; khadi
„ass" J, 8, 10,23 usw. 6,162,12, „aßest" 8,640,6, khadi^i J. 8,
640,9; khayi „schien" J. 6,289,16; khipi „warf« J. 1,136, 9 usw.
8, 298, 16 usw. 6, 187, 6 usw.; ^önAi „ergriff" J. 8, 28, 11. 30, 12.296, 10
usw. ; garahi „schalt* J. 6, 252, 9 ; gayi „sang" J. 6, 289, 10. 20 ; chindi
„zerhieb" J. 3,41, Uff. 184,8ff.; jäni „erkannte" J. 5, 281, 19;
jayi „ward geboren" J. 3, 1,13 ff. 6,247,10; dubbhi „kränkte" J.
8, 13, 16 ; dhovi „wusch" J. 8, 10, 18; nadi „ließ ertönen" J. 1, 64, 2 ;
paii „fiel" J. 3, 231, 27. 5, 248, 23 ; passi „sah" J. 3, 140, 9 usw. Dhp.
p. 316, 5; pivi „trank" J. 6, 162, 13; pucchi „fragte" unzähligemal ;
phari „erregte" J. 6, 293,6; phali „barst* J. 3, 8, 16; hhassi „stürzte
herab" (zu bJuissaii ai. bhrarßi-) J. 8, 62, 16 ; bhijji „wurde gespalten"
J. 8, 231,26. 6, 199, 10; muüci „Ues los" 5, 288, 6. 289,4; yoci „bat"
J. 8,183, 17 usw. 5, 286, 9 usw. Dhp. p. 194, 18; rodi „weinte^
J. 4, 126, 25 f.; io^pi „blieb stecken" J. 8,26,2; labhi „nahm"
J. 8, 19, 20. 366, 24. 424,28 usw., labhini J. 8, 424, 23. 26;
vaddhi „wuchs (?)" Dhp. p. 316,30; vandi „begrüßte" J. 6,286,12;
vasi „wohnte" sehr häufig; vasirß J. 3,11,19; sayi „lag" J. 1,297,
26. 8,40,6. 6,263,2; sari „erinnerte sich" J. 5,248,21. 261,24;
1) Belehrend Jftt. 2, 8, 16 hadayatj^ phali Prosafassung fOr t, 8, 21 hadayam
. . . apphali des Verses; ebenso S, 401, 4 pucchi in Prosa; 8,401,7 apucchi im
Vers; S, 538, 19 khadi in Prosa: S,539, 1 akhOdi im Vers.
160 J* Wackernagel,
auni „hörte" J. 3,43,18, sunim 8,44,1. 18; soci „trauerte" J. 4,
125, 26.
Wirkliche Ausnahmen giebt es nicht. Das alabhi^ das für J.
5, 262, 7 die singhalesische Überlieferung bietet und Fausbell in
den Text setzt, muß, wie der Zusammenhang zeigt, entweder durch
das na labhi der birmanischen Überlieferung ersetzt oder in deren
Sinn mit privativer Bedeutung des a-(! ?) verstanden werden. Frag-
lich wird asumhiy was Kern Verhandel. 1888, 10 für J. 3,436,21
vorschlägt. Ist wirklich das überlieferte ä-sumhi nicht zu dulden,
weil sunth' stoßen so wenig als ai. sutubh- mit a verbunden vor-
kommt, so muß är gestrichen, nicht in a- verändert werden. —
Die Formen auf -*, in denen a- feststeht, sind alle besonderer Art.
Das fast auf jeder Seite begegnende abhas-i „sprach^ verdankt
die konstante Augmentierung seiner Ähnlichkeit mit den normal
augmentierten -^i-Aoristen (S. 157) dkäsi adäsi affhasi ahäsi usw. Die
par andern auf -s-i ausgehenden , wie passi bhassi vassi hatten ä
und doppeltes ss und lagen vermöge dessen von jenen Formen
zu weit ab, um auch unter ihren Einfluß zu geraten. Ein par
andere Präterita sind mit der S. 156 besprochnen Gruppe ver-
wandt und nehmen in Folge dessen an ihrer Augmentienmg teil:
so dkarim Dhp. p. 97, 5 und amaMi Dhp. p. 315, 14 [wenn hier
der Überlieferung zu trauen ist], sowie agami J. 6, 288, 26 [wofür
indessen wol die Variante agamäsi in den Text aufzunehmen ist].
Woher stammt aber der wachsende Gegensatz in der Be-
handlung der Aoriste auf 4{m) und derer auf 'Si{m\ den schon
Burnouf und Lassen Essai S. 127 f. bemerkt haben (vgl. oben
S. 155)? Weder in den Formen selbst noch in den altindischen
Grundformen ist ein Anlaß zur Unterscheidung gegeben. Der
Anlaß kam vom Plural: neben 'Si{rn) standen von Haus aus die
Ausgänge 1. pl. -m/«a 2. pl. -ttha 3. pl. -sum -fßsu^ es folgten also
auch im Plural auf das Augment nur zwei Silben. Dagegen dem
'i{fii) antworteten im Plural von Rechts wegen 1. -imha 2. -ittha
{'iffha) 3. 'ifßsu ; es folgten also da auf das Augment drei Silben.
(Ebenso in der ursprünglichen 1. sg. auf 'Ls[s]ain: Oldenberg KZ.
25,321, vgl. unten S. 162). Daß die ältere Sprache im Widerspruch
zur altindischen Grundlage Formen wie acaruni Suttan. 289**,
atärn{m) Suttan. 1045^, avindum ;,fanden" J. 1, 109, 15, anu-ssarufß
Therig. 120**, upävisuni Therlg. 119*, n'mnadutn J. 5,49, 16, pa-klcan-
dufß Suttan. 310% in der Prosa abhi-nanduni Majjh. Nik. 3, 247 fin.
(und sonst ibid.) atirkkamurii (Oldenberg EZ. 25, 322) bildete, kommt
nicht in Betracht. Nun aber zog, wie sich gleich erweisen wird.
Dreisilbigkeit frühzeitig Augmentschwund nach sich. Dies wirkte
Wortumfang und Wortform. 161
auf den Singnlar zurück: weil man z. B. pucchiriwt sagte^ bevor-
zugte man pucchi vor apucchi.
Bei di'ei Gruppen von drei- und mehrsilbigen Präterita
sitzt das Augment allerdings fest. Erstens bei den bis in die
späte Prosa üblichen Erweiterungen von agam- und addas-, ka-
nonisch belegt z. B. in agamasl J. 8, 226, 23. 6, 166, 29. 264, 22.
Therag. 49(H, agamartisu J. 5,54,14, addasosi J. 5, 168,16, Therlg.
309«, addasasiffi J. 3,256,22. 5,165,23. 173,5. Therag. 287«. 622».
912» {addasami 1253«. Therlg. 135») , addasanisu J. 8, 80, 26. Vin.
1, 23, 11. Richtig lehrt Kuhn Beiträge 114 „Anlehnung an die
geläufigere Analogie der Formen auf -si -stirii^. Man wird speziell
die Formen von da- fhä- als Vorbild betrachten, mit deren kür-
zerer Bildung die Verba gam- dass- in der 1. pl. reimten (adassäma
J. 3, 355, 17 (Vers) Majjh. Nik. 3, 140, 13). Das zog einerseits
ä für ä in der 3. sg. und 2. pl. {adassdtha im Vers J. 5, 55, 23)
nach sich ; anderseits, weil ada : adasi und adum : adamsu neben ein-
ander lagen, -äst -arnsu für -ä 'tifß in der 3. sg. und pl. Vereinzelt
haben auch avacatfi und avocam eben solche Erweiterung erfahren :
avacäsi Therag. 14*, avocOsi Suttan. 680**. 685«. Dagegen avacasmi
„ich sagte^ in dem Vers Jät. 5 , 166, 27 muß für avac{ain) asnü
stehen mit asmi im Sinne von aham. Vgl. apttcchasi (l) „du
fragtest" Suttan. 1050*. Diese verschiedenen Erweitrungsformen
nahmen an der konsequenten Augmentieruug der unerweiterten
Form teil. — Ebenso ist die Augmentierung üblich bei solchen
drei- und viersilbigen Formen, die zu alten Imperfekten oder pri-
mitiven Aoristen mit dem Eennlant ä gehören. Dahin aus der
Poesie: addasänia addusätha (s. oben); adahyata ;,brannte" J. 5,252,9;
adissatha „wurde gesehen" Therag. 172^; apaccatha „wurde gekocht"
Therag. 1187^ 1188^ ahhäsatha „sprach" Suttan. 30^. 409< 419^
Therag. 460^. 483^. 630^; amaMatJui „meinte(st)" J. 5, 71, 17. 21.
284,29; ahlratha „wurde genommen" J. 5,253,2; alaramhase „wir
machten" tmd ahiivamhase „wir waren*^ J. 8, 26, 18. In kanonischer
Prosa außer adassäma (Majjh. Nik. 3, 140, 13) agamittha „geht" (mit
mä) Vin. 1, 21, 4 und ahuvattha Dighanik. 3, 147, 16. Letzteres auch
nachkanonisch Dhp. 105, 13. Vgl. avacuitha aus Pät. 5 bei Kuhn
113. Abweichend in Versen chijjatha „wurde zerschnitten" Therag.
1055^ und dadamhase „gaben" J. 8, 47, 3. — Nicht bloß formal
charakterisiert ist die dritte Gruppe. Beim Kondizional scheint,
wie auch £. Thommen bemerkt hat, das Augment obligatorisch
zu sein; in der 1. sg. war nur so sichere Scheidung vom Futurum
möglich. So z. B. Vin. 1, 3, 20. 25. 38 abhavissa „wäre(8t)", 1, 13, 31
ahhavissariisu „wären**; J. 8, 30, 6 sacc . . . abhavissaj . . adassatn
162 J* Wackernagel,
^weim du wärest, würde ich geben*', J. 8, 35, 10 sace aiahhissätna
„wenn wir nähmen*^, J. 5, 264, 1 sace so idha abhavissa, na me . , .
adassa ,,wäre er hier gewesen, so hätte er mir nicht . . gegeben" ;
Dhp. p. 292, 11. 12 asakkhissa „könnte" alabhissa ;,nähme".
Im übrigen zieht Ausdehnung auf drei und mehr Silben von
früh an den Verzicht auf das Augment nach sich. Im Suttanipäta
ist er noch selten; achtzehn augmentierten Formen an zweiund-
zwanzig Stellen stehn nur vier sicher nicht-augmentierte gegen-
über. In der übrigen kanonischen Poesie scheinen sich beiderlei
Formen ungefähr die Wage zu halten. Der Tatbestand ist im
Einzelnen folgender:
a) Bei den zum altindischen Y. Aorist gehörigen Formen auf
'is{s)ani in der 1. sg. (Oldenberg KZ. 26, 321; Belege außer im
Nachfolgenden auch bei den Komposita S. 165 ff.), auf -imha in
der 1. pl., auf -ittha in der 2. pl. (vom Medium ans auch als
2. 3. sg. und mit -arß als 1. sg.), auf -isutii -itßSii in der 3. pl. :
Augmentierung in cyacchisarn „gieng" Tberag. 258*, apaccisarß
„wurde gekocht" Therig. 436^, apucchissatri „fragte" Suttan. 1116%
ahhufijisarn ^genoß** Therag. 1056*, ama9ifiissani „meinte^ Therag.
765'*; ajTvimha „wir lebten" J. 8,47,3, adosimha „wir gaben"
J. 8, 120, 11. Therig. 518^ apucchimha „wir fragten" Suttan. 875*.
J. 6,120,15 (Fausb. -amha), avasimha „wir wohnten" J. 4,397,4;
adissittha „wurde gesehen" Therag. 170», amaMütha ^^denke" Therag.
280*, alabüthani „nahm" Therag. 217*; acärisutß „betrieben" Suttan.
284*, acarirßsu 1128% atärirßsu „überschritten" Suttan. 1046*. 1080f,
apucchiffisu „fragten^ Therig. 417% abhosisutß „sagten" Therag. 3*,
abhufijifßsu „genossen" Therag. 922*'. 923% amaMisutß „meinten"
Suttan. 286% avattifßsu „befanden sich" Suttan. 298*; — Nicht-
augmtetierung in maMisarri Therag. 342«. 424*, vandissarß „grüßte"
Therag. 480*. 621*; carimha Therag. 138*; vanimhase „sollen wir
wünschen'' J. 2,137,28; pajjMha Therig. 396»» ; Uninisu „kauften"
Snttan. 290% canntsu Suttan. 289*, dhävifßsu „liefen" J. 6, 49, 18,
nayifßsu „führten" J. 6,173,2, pucchiriisu J. 6,55,21, phusinisu
„berührten". Therag. 725% ruccitßsu „gefielen" J. 6, 70, 7. — Formen,
denen -a -e -o oder -a im Auslaut von Mehrsilblem vorausgebt,
sind unverwertbar. So dahJchisam Therag. 84*; khädinisu „aßen"
J. 6, 255, 22; jinimsu „besiegten" J. 3, 409, 14; tandifpsu Therig.
121*; vijjirßsu „waren" Therag. 439*; haninisu „töteten" Suttan.
295 f. 297*. J. 1, 256, 7. — Seltsam jäyetha im Sinne von jäyitßsu
3. 5, 72, 2.
b) Bei denen auf -ayi -ayim -ayütha -ayurit -ayhfisu Augmen-
tierung in akappayi „veranstaltete* Suttan. 978*, aJcütayl „erklär-
lest' Suttan. 87a«: oftiafi .fiog' J. 2,22.23: o^ji^Ha^i ^lieS
toten, tötetest' Svttan. BOB«. J. i, 69, 13; gct^^i ,trieb an«
J. 5, 112, 14: aeAedmfi .zendmitt^ J. S, 43, 2. &. 144. 3: at^rm^
,bnchte8t hhifiber* Suttan. 539^. 540^: ato.<a^i .bcnilugte' Tberig.
292^; a<i»iyi ^ehrte* Svttan. 233«. 234V Tlierag. 9Q2<: n^Xass^
,erreklite« TWig. 322«. 323^. 324'; abkäsa^i .sagte« Tberag. 338^;
ayüjayf .Keß opfern* J. 8, 518, 6; — akärofim ^übte ans* X S, 373. 17.
Therag. 914^; adhar^tfim ,tnig' Tlierag. 283^; apikass^fim Tberig.
433*: aloaifim .aah' Therag. 283^ ; — nfnokaj^ttha .betörte* Sattan.
332*; arücafHÜM ,£uid 6e£dlen' Snttan. 252*; — akafpaw^m Sottaa.
295*; — akafpayhmsH Snttan. 458^. 1043*; aroanfimsH «fukden Ge-
fallen' Therag. 724. — Nichtangmoitierung in fhäduwi ^de^e^
J. 5, 49, 11: dkwiiyi .schnitt ab* J. S, 42, 6. 11; fdniyi .ök* J.
8, 141,4; deutfi Therag. 902*; dhärayi .hielt' J. 8,380, 11. Ä, 15a 14.
Therag. 897*; ra/nyl ,farbte' Therag. 897*; vattofi .ließ rollen*
J. 5, 158, 18: c«feyi .yerstand' Snttan. 251*; — rkadJa^m ,ver-
sichtete' Therag. 512*; ph*tsatfim .erreichte* Therig. 149*. 155*;
södiffim .madite zn nichte' Therag. 284*. (Hinter ä oder Mehr*
silblem aof a, wo ' denkbar: jana^i .gebar' Therig. 162*; ;>i/<i¥i
.drückte' J. 6, 204, 10: lampafim „erschntterte' Therag. 1164*.
1192*. 1194*; päiafimsH ^brachten zn Fall' Therag. 262*; «•«,»-
tfim^ .losten' J. 6, 166, 17). [ciniesim J. 6, 570, 19].
c) Bei denen anf -esi -eshsi -tsum Angmentiemng in afthaiifsi
^errichtete' Therag. 38»; adesesi .lehrte' Suttan. 1137». Therag.
1254». Therig. 43« nsw.; avodesi J. 1, 293, 23 [inschriftl. mit ava^si
citiert!]; aräsesi .beherbergte' J. 5,33,18; — agpahe^um .er-
griffen'' Snttan. 847«. J. 5, 166, 26: — mit -osi st -<.^i atoikaisi
„betrog' J. 5, 143, 23. — Nicht angmentiemng in kappesi .be-
reitete' Therag. 367*; dniesi .dachte* Car. Kt. 1, ai«; ttkhsi
.trieb an' Therag. 376*; fhapesi Therig. 25*; desesi Therag. 767*.
995*. Therig. 306*. 317*; pujesi .ehrte* J. 5, 107, 17; vaiittsi Snttan.
356*; — bhakkhesini .ich aß«* J. 5, 70, 7. (Hinter -d -r -o oder
Mehrsilblem anf -a iopesi .erzürnte' J. 5, 182, 30; desesi Therig.
201«; dkäresi .hielt' J. 5, 158, 13; pOesi .drückte" J. 8, 62, 8;
posesi .ernährte' J. 8,484, 15; vedesi J. 3,43,4; khanibhest^ .be-
festigte' Therig. 28«.)
d) Endlich titikihim .erduldete' J. 5, 173, 3; fionuissi , verehrte'
Therig. 87* ; natnasshfnsu Therag. 628*. (Hinter -€ cankamim .wan-
delte*' Therag. 272«; namassintsu Snttan. 287*.)
In der kanonischen Prosa scheint Nichtangmentiemng vorso-
herrschen. Anßer abhasittha .sprach' (in den Nachworten zn den
Strophen der Therag. nnd Therig.), akampittha .erzitterte' Dighan.
164 J. Wackernagel,
1, 46, 29, asayUiha „ruhtest** Ang. Nik. 1, 136, 27, -tthatn 1, 136, 28 ff.
habe ich nnr Beispiele ohne Angment zur Hand, a) näharii sak-
Tchissatß „ich konnte nicht" (V. E. nasakkhissaw) Ang. Nik. 1, 139, 1.28.
140, 22, dahyimsn „wurden verbrannt '^ Dighan. 3, 164, 14, pucchimsti
Vin. 4, 223, 27, phalimsu „barsten** Dighan. 3, 106, 23. 107, 10.
1B6, 37, vandimsu Dighan. 3, 163, 32, harimsu „nahmen** Dighan.
3,166,29; c) kathesi Majjhiman. 3,145,4. Vin. 1,15,36 usw.,
kappest „richtete her** Dighan. 3, 134, 30, düsesurp. „kränkten** Vin.
1, 79, 22, desesim „lehrte*' Dighan. 3, 75, 27, pothesurn „bewegten**
Dighan. 3, 96, 22, vefhesum „hüllten ein** Digh. 3, 161, 35 ff., und
dandapestirn „straften** Vin. 4, 224, 8. 14, handhäpesuni „ließen
binden** Vin. 4, 224, 12. 14, vanddpesi „ließ begrüßen** Dighan.
3, 148, 27; d) sussusiTiisu „horchten** Vin. 1, 10, 8 [carirnsu Majjh.
Nik. 3, 76, 26, käresi -sum 3, 78, 3 f. 23].
Es versteht sich, daß die nachkanonische Prosa das Augment
nun ganz ausschließt. Beispiele aus Gruppe a) sind (außer den
schon kanonischen nayirßsu pucchimsu) labhimha „wir nahmen** J.
5, 163, 15. Dhp. 236, 10; vaficimha „ynr wurden getäuscht** Dhp.
194,4; sarimha „wir erinnerten uns** Dhp. p. 188,20; karimsu
„machten** J. 8, 6, 2 usw. Dhp. p. 129,17 usw.; küimsu „spielten**
J. 1,54, 14; khadimsH „aßen** J. 1, 368, 11. 5,288,25; ganhiyisu
„ergriffen** J. 4, 125, 11; gamimsu „giengen** J. 8, 62, 4; garahinisu
„tadelten** J. 8, 27, 18. 6,280,18; gäyivmi „sangen** J. 8, 62, 6.
5, 249, 11 f. ; jänirnsu „erkannten** J. 8, 2, 19 ; jlvimsu ^lebten** Dhp.
p. 335, 21 ; paeiriisu „buken** J. 6, 288, 23; bhaminisu „irrten umher**
Dhp. p. 315, 15; yujjhimsu „kämpften** J. 8, 400, 27; labhimsu
„nahmen** J. 8, 3, 19 usw. Dhp. p. 129, 17 usw.; vadimsu „sagten**
J. 8, 1, 74 usw. Dhp. p. 129, 3 usw. ; vaddhinisu „wuchsen** J. 6, 263, 6.
282,3; vasimsu „wohnten" J. 8, 1, 7 usw. Dhp. p. 129,5; sakkhirfisu
„konnten** J. 5, 289, 15; hasimsu „lachten** J. 5, 292, 9. — Beispiele
aus Gruppe b) sind dhümäyl „rauchte** J. 1,360,15 (zweimal); ka-
thayiriisu „erzählten** J. 8,63,20; cintayiifisu J. 5,229,23. Dhp. p.
226,23; vattayimsu ;, verrichteten** J. 5, 261, 23; värayimsu „hielten
zurück** J. 1, 360, 9; sajjayirnsu „machten bereit** J. 8, 10, 7. 446, 15.
— Beispiele aus Gruppe c)^) sind (außer den schon kanonischen
kathesi kappesi cintesi cintesim) kathesirp, J. 8, 369, 16, -sum 3, 256, 16.
8, 14, 1 ; käresi „ließ machen** J. 3, 2, 7 usw. 8, 317, 9 usw., -sim
8, 11, 21, 'Suni 8, 1, 10 usw. 4, 129, 31; khepesum „verlebten** Dhp.
p. 129, 16; Jiäteshri „tötete** J. 5, 262, 13; glwsesurß „proklamierten**
1) Daß in denen auf -tsi das Augment fehle, bemerkten Burnouf und Lassen
Essai 134.
Wortnmfang und Wortform. 165
J. 8, 445, 5; ff^pesi „stellte auf" J. 8, 3, 2 usw., -sifß J. 8, 366, 26
tqjjesi „drohte" J. 4, 124, 22; dassesi ^zeigte" Dhp. p. 315,20 usw
J. 8, 10, 24. 5, 286, 15, -suffi 8, 30, 20; dapesi „ließ geben*' J. 8, 3, 1
Dhp. p. 236, 16; pOtesi „warf nieder" J. 8,231,26; püresi „füllte*
J. 8, 5, 2 f. 4, 130, 10 usw. ; pothesi „schlug" J. 1, 297, 23. 8, 231, 14
Ihojesi „ließ essen" J. 8, 301, 6. 6, 290, 14; makkhesi „rieb" J. 8, 10, 19
mantesi „gieng zu Rat^ J. 5, 263, 17; maresi „tötete" J. 8, 801, 7 flP.
niocesi „machte los" J. 8, 183, 24 f.; yäpesi ;,lebte" J. 6, 152, 11
162, 11; väresi „hielt zurück" J. 8, 16, 11. 13. 5, 193, 13; vOsesi
„ließ wohnen" J. 8, 229, 6, -suip^ J. 8, 1, 12; und nach dem Typus
-apeti karäpesi „ließ machen" J. 5,286,28; hhamOpesi „erwirkte
Verzeihung" J. 8, 16, 12. 369, 17 usw. 5, 160, 37 usw., -suni J.
8,427,23; ganhäpesi „lehrte" J. 6, 228, 26 ff.; fhapOpesi „ließ
aufstellen" J. 1, 54, 1; bhäyäpesi „setzte in Furcht" J. 8, 99, 21 ;
nie^si „bereitete" J. 6, 280, 24; vaddhapesi „erhöhte" J. 8, 9, 25. 27;
vasapesufß „machten wohnen" J. 8, 366, 11 ; vassapesi „machte regnen"
J. 5, 201, 14; sukkhapesi „trocknete" J. 3, 491, 11. — Sichere Bei-
spiele von Augmentierung giebt es nicht. Die Variante aggalieai
für das vom Herausgeber vorgezogene ganhi J. 8, 246, 26 ist ohne
Belang. Und akarimha im Kommentar J. 8, 26, 21 f. ist entweder
durch die dort glossierte Gäthäform akaramhase bedingt oder
durch die afcar-Formen, vgl. oben S. 160.
Endlich die Präterita zusammengesetzter Verba. Unter
diesen kommen die mit ä und die, wo hinter einem Präverbium
auf -a eine mit Doppelkonsonant beginnende Verbalform steht, als
nach keiner Seite entscheidend in Wegfall. Soweit die Formen
klare Auskunft geben, ist auch hier eine wachsende Neigung das
Augment wegzulassen bemerkbar. Ganz selten ist Augment hinter
mehrfachem Präverbium, und für Augment hinter abhij ni, pi^)
1) Also z. B. J. 8, 11, 2 pi-landhi von pi-landhaü „(als Schmuck) anriehen*'.
Durch die yon Chüders ingeniös erkannte Abstammung aus ai. pi-nah- „anbinden,
anziehen^ ist dieses Verbom für ans zwiefach lehrreich. Erstens liefert
'landhaH für das im P&li hinter o bewahrte -nandhaii einen weitem Beleg fGUr die
bes. von Schulze KZ. 83, 226 A. und Qrammont Dissimü. 66 ff. besprochene Dissi-
milation von n zu 2 vor einem in derselben Sübe folgenden und einem andern
Konsonanten vorausgehenden Nasal und reiht sich damit sehr schön an pS. Mi-
linda: gr. Mivavdffog an. Zweitens ist dieses -nandhoH -kmdhati auch beleh-
rend für das ai. näh-. Offenbar ist es bandhoH „bindet*' nachgeformt. Als Qrund
für diese NachbUdung genügt aber nicht die Gleichartigkeit des -to-Partirips der
beiden Verba (ai. naddhci- pinaddhch von näh-: baddha- pi-bitddha- von bandk-),
da im Päli -addha- auch bei andern Verben vorkam, wie in laddha- von labhaH,
passaddha- von passambhati, also von -naddha aus auch ein Pr&sens *'nabhati
oder ^-nambhati h&tte gebUdet werden können. Vielmehr muß , damit -nandhoH
Kft 0«. d. YTim. Naohriekton. PhUolor.-kiitor. Umm 190S. Htfl S. 12
166 J. Wackernagel,
habe ich keinen, für solches hinter ava (o), nir, vi nur je einen
Beleg znr Hand.
Zunächst die kanonische Poesie zeigt hier folgenden Gebranch ') :
Mit ati Angmentierong in acc-iigamä Snttan. 8^, -agä Snttan. 368^
Dhp. 413^ Therag. 1278«, -atari Suttan. 948% -avattatha J. 8, 484,
27, -^isarini J. 6, 70, 1, -<isari Snttan. 8\ 13% -ahäsi J. 8, 484, 16. 28;
up-acc-agä Snttan. 333*. 636^ 641^ 827«. Dhp. 315«. 412^ 417*^.
Therag. 403^ 653«. 1004«. 1005«. Therig. b\ J. 5, 40, 18, -agani
Therag. 18P, -aguni Therig 4^ Ang. Nik. 1, 142, 21 ; Nichtaugmen-
tiemng in atirnämayi Therag. 366^ — Mit adhi Angmentiernng
in ajjh-agacchi J. 5, 265, 19, -agant Therag. 406«. Therig. 67«. 339^
'ogama Snttan. 5*. 379«. Therag. 893^ 1218«. 1265\ J. 8,415,22,
'ogamhß Therag. 117«. 349«, -agä Snttan. 204«. 22b\ 723«, -agäkayi
J. 6, 255, 16, -a^ö Snttan. 330«. J. 1, 256, 7. 8, 38, 7, -^ibhasi J. 5, 51, 8,
-aväsayi Dighanik. 3, 157, 14 (= Therag. 906^) ; sam-ajjh-agani Therag.
260«; Nicht -Angmentiernng in adhi-gafß Therig. 122«, -gacchirß
Therig. 221«, -gacchissani Snttan. 446«. — Mit anu Angmentiernng
in anv-akasi Therag. 869^, -agaüchim J. 6, 166, 23, -agä J. 5, 258, 7
= 25, -agü Snttan. 586«. Therag. 469^; Nichtaagmentiernng in
anu-bandhiTji Snttan. 446**, -modi J. 6, 568, 12, -yufijisafii Therag.
167^ -rakkhini J. 2, 6, 12», -sosayirß Therag. 914', -säsi Therig. 44^
'Ssarirß Therag. 165« nsw. Therig. 100^ usw., -ssaruifi Therig. 120^ —
Mit apa Angmentiernng in apanudi Dhp. p. 96,21 (Vers), by-apä-
nudi Therig. 62«, 131«. 162«. 318«; Nichtangmentierang nirgends.
— Mit ahhi Nichtangmentiernng in abhi-jjhäyiffisu Snttan. 301«,
-nOdayi J. 2, 8, 19, -ramini Snttan. 1086% -vädesm Therag. 425«. 427«,
'Saifisütha J. 6,174,1, -härayirß Therig. 146«. (Ist für Mhi-häsi
J. 5,169,23 abbh-ahäsi zn lesen, als einziges Beispiel von Ang-
mentiernng hinter abhi?) — Mit ava (o) Angmentiernng in avä-
hayi J. 2, 364, 25 (zn o-hadati |,bescheißen" Kern Verhandel. 1888, 5);
Nichtangmentierang in avormaMatha Snttan. 314«, okkamitii Therig.
za Stande kam, aoch die begriffliche Verwandtschaft von nah- und bandh- wirksam
gewesen sein. Wenn diese aber im Päli wirksam war, kann sie es auch im Alt-
indischen gewesen sein , und püandhaH stützt die Annahme, daß ai. naddha- und
aberhaapt der Dental in Formen von nah- auf dem Vorbild von bcmdh- beruhe
(vgl meine al Gramm. I 250. § 227 aA). Die jetzt beliebte Rückführung von ai.
ndk- auf ig. nidfh, also von ved. nähyämi zunächst auf *nddhyäm% widerspricht
den bekannten Lautgesetzen. Eine grundsprachliche Wurzel nedh- ist auch sonst
nicht zu erweisen; osk. neasitruw samt Zubehör gehört begrifflich zu ai. nidiyäs
und ist wol auch lautlich mit ihm zu vereinigen ; vgl. Planta Gramm, der oskisch*
umbr. Dial. 1 878.
1) Formen von paläyati wie palitiha J. 5, 258, 14 lasse ich bei Seite.
Wortmnfang und Wortfonn. 167
436*. 438^ 'tarifß Therag. 345«. Therig. 236^. 237^ 244^, -dahi Therag.
774*, -dhesim Therag. 995*, -Ukhiffi Therig. 88^ -lokayJ J. 6, 47, 26, -vadf
Therag. 626*, -vodirp, Bnddhavamsa 26, 4\ — Mit u d Angmentiertmg in
ud-acchida Suttan. 2\ 3% -atärini Snttan. 471». J. 3, 317, 16, -apajjcUha
Therag. 269^ 1254*, -apcUta („flog auf") J. 8,484, 22 nach Kern Ver-
handeL 1888, 45, -apattha (id.) J. 6, 255, 17 nach Fansb. [die Handschr.
-3 {ani)patva] -apadi J. 8, 29, 5. 5, 23, 12. 49, 21, -oWodAl (?) Suttan. 4*;
Nichtaugmentierung in uggacchifji Therag. 181^, uf-fho^n^ Therig. 96« ;
sam-uc-chindi Therag. 1184«, sam-tif-fhäsi J. 5,70,29. — Mit upa
Augmentierung [abgesehen yon upägam- u. ähnl., wo upa-än yor-
liegen kann] in upavisi Suttan. 418*. J. 6, 264, 28, -i^ Therag. 34*.
317*. 408«. 517*. Therig. 70\ 115*. 136^ 148\ 154*. 178*, -utß
Suttan. 415^ Therig. 119* ; Nichtaugmentierung in uporkasini Therig.
39«, -gacchifii Therig. 31«, -gaücU Car. Pit 2, 6, 9*, -ga^hitß J. 8, 85, 11.
Car. Pit. 2,6,2*, -gamini Therig. 410^ -danisayi Therag. 335^ -wfl-
mayt Therag. 1055^. J. 5, 170, 4, -nämayufß Therag. 474*, -nesi J.
5,54,24, -pajjatha Therag. 30*, -pajjimha Therig. 519«, -vassii)
Suttan. 402». — Mit ni Nichtaugmentierung in ni-patt Suttan.
310*. J. 6, 170, 7, -patim Therig. 17*, -patifusu J. 6, 72, 1 , -mantayi
Suttan. 581*, -mimhase J. 3, 369, 17, -^ojayi Therig. 125*, -väresi
Suttan. 139«. 288«, -sfdayi J. 5, 169, 25, 'Sfd(ifpi) Therag. 565*. Therig.
44«; nl^arini Car. Pit. 2,6,7«; porni-patirß Therag. 375«, san-ni-
tdlayifii J. 6,71,9, safn-ni-vüresi Therig. 366«. — Mit nir Augmen-
tierung in nir-agama Suttan. 695*; Nichtaugmentierung in nikkhamim
Therag. 1123«, ninnaduni J. 6, 49, 16, nibbayi Suttan. 354«. The-
rag. 1274«, nibbindi(ni) Therig. 26». 86% nimmini Car. Pit. 2, 6,
11*; upornikkhamifn Therag. 271*. 406*. Therig. 42*. 161*. — Mit
pa Augmentierung in pOdäsi Therag. 764«, pänudi Suttan. 476*.
Therag. 7\ 768«, papatani J. 5, 70, 12, papaUha J. 5, 255, 20, pamintsu
Therag. 469», päyäsi J. 5, 251, 11, pävassi Suttan. 30*, pävisi Suttan.
979*. Therag. 366*. 477*, -iV Therag. 60*. 197*. 1054*. Therig. 68*.
80*. 115*. 141«, -Mi?i J. 3, 402, 2, pavekkhi J. 6, 267, Ib.pähesi Therag.
564*; Nichtaugmentierung in pa-kOsayi Suttan. 251«, -käsesi Suttan.
378*, 'tarayi J. 8, 210, 15, -dälayini Therag. 627^. Therig. 173*. 180*,
-ufß Therig. 120^, -^ämesi Therag. 557«, 'pajjini Therag. 69«, 'peUirii
Therag. 271*, -mocesi Therig. 157«, 4okayl J. 6, 166, 22, -lobhayi J.
6.158.20, -vaddhatha Suttan. 306*, -vapani Therig. 112*, -vahayifß
Therag. 349*, -vesayi Therag. 559*, -savini Therig. 111% särayi
J. 3, 317, 15, 'saresifii Therig. 44» -sidimha Therag. 1254«, -hari J.
8.231.21, 'hasi Suttan. 1057«. J. 8,85,12 (pd-?), -ifß Therig. 99«.
101«, 'hini J. 6, 158, 11. — Mit pafi Augmentierung in pacc-apajjatha
J. 6,264,30, 'ObyadhifßSH Therag. 1161«, -avekkhini Therag. 172*.
12*
168 J- Wackernagel,
395«, -aveTchhisam Therag. 169^. 347*. 765*, -asäri Suttan. 8*— 13*;
Nichtaugmentierung in pafirggahi Therag. 565*, -ggahUtha The-
rag. 566*, -nayinisu Therig. 419* (Kern Verhandel. 1888, 21),
'Pädesirri Therag. 561«. 910«, -lacchirp, J. 5,71,4, -vijjhi Suttan. 90»,
Ani Therig. 182«. 189«, -vedayi Suttan. 415*, -vedesi J. 5,264,18;
sam-pati-vijjhiirfi) Therig. 149*. — Mit pari Augmentierung in ann-
pariy-aga Suttan. 447» ; Nichtaugmentierung in pari-carifß Therag.
219*, 'devesi J. 6. 92, 22, 'pucch{irp) Therig. 170*, -vajjayirii Therag.
284*, -vaUisani Therag. 215*, sodhayi Dhp. p. 87, 5, pali-ssaji J.
5, 158, 7. — Mit V i Augmentierung in hy-aga Therag. 170* ; Nicht-
augmentierung in virkappayi Car. Pit. 2, 6, 10*, -cari Therig. 92«.
J. 6, 70, 23, 'Carimha Therag. 1253% -cäri Therig. 133*, -äni Therag.
897*, 'jayi J. 8, 426, 18. 28, -jayissani J. 6, 179, 8, -dMvuni J. 5, 53, 4,
{-nassatha Therag. 1004«?), -mucci Therag. 182*. 270\ 477*. Therig.
17*. 30*. 81*, -mocayl Therag. 290«, -rajji Therig. 93* (Kern Ver-
handel. 1888, 39 A), rajjiirp) Therig. 26*. 86*, -raminisu Therag.
724«, 'vajjayi Suttan. 407*. J. 8, 481, 2, -varini J. 6, 77,22. 80, 1. 82,
22, -sodhayi Dhp. p. 87, 4. 6 (Vers), -sodhayini Therig. 173*. 179*,
-sodhayuni Therig. 120*, -haririi Therag. 10», -harim Therag. 863*.
Therig. 174*. 187*. 194*. 202*, -hnsim Therag. 66«. 513*. 561*. 903*,
'himsu (st. -harrisu) Therag. 925*. — sam Augmentierung in sani-
akampatha J. 6,570, 12, -^cintesi J. 5,215,10, -aiärayi J. 8,373,1,
-apajjatha J. 6, 71, 30, -abhajjisarit J. 5, 70, 13, -arocayi Suttan.
405*. Therig. 322*. -arocayum Suttan. 290*. 306*; Nichtaugmen-
tierung in san-dhävissafti Dhp. 153*, sam-modi Suttan. 419». J. 5,
264, 27, sarfi'sari Therig. 159*, sowie in uparsarjt-Jcami J. 5, 264, 26.
Therag. 169*. 901*, -kamhii Therag. 564*. 623*. Therig. 102*.
Nach obigen Beispielen sind auch hinter Präverbien ausschließ-
lich aga (hinter atij upa-aii, adhi, anu-pari-, vi)j agü (hinter orfÄ?,
awa), sowie agamä (hinter ati^ adhij nir\ acchidä (hinter t^, apatarp,
(hinter pa\ apatta (hinter ud)j apattha (hinter ud [?] pa) üblich, nie die
augmentlose Form, entsprechend dem S. 155 ff. festgestellten. Sehr
auffällig ist Therig. 122» adhi-garß (auch durch den Kommentar
gesichert) gegenüber 67* ajjhragaifi. Die Wage halten sich pacc-
apajjatha santrapajjatha acc-avattatha einerseits, avanna^ifiatha upa-
pajjathu porvaddhatha anderseits. Bei allen andern Kategorien
(bes. in den Formen auf -imsu und -esi) überwiegt die Nicht-Aug-
mentierung z. T. sehr stark.
In der kanonischen Prosa findet sich Augmentierung hinter
Präyerbium nur noch in einigen wenigen zugleich durch ihre Kürze
und ihre Häufigkeit geschützten Formen. Ich habe zur Hand ajjh-
aga Vin. 1, 9, 23, ajjh-abhosi häufig z. B. Vin. 1, 7, 3. 8, 16, ud-apodi
Wortnmfang und Wortform. 169
häufig z.B. Suttan. p. 61,15. Vin. 1,11, 2 ff„ payinisu Dighan. 3,
%, 24 , pävisi häufig z. B. Majjhiman. 3, 266, 25, pacoaMasini Vin.
1,11,24, pacc-apOdi Majjhiman. 2,146,14, pacc-asosi -suin häufig
z.B. Suttan. p. 21,22. 51,5. 113,3. Majjhiman. 8,276,22.
In der nachkanonischen Prosa ist, außer daß udnipadi weiter-
geführt wird (J. 6, 162, 2), Augment nur noch in einigen dreisilbigen
Formen mit pä- zu treffen: sehr häufig pävisi (aber z. B. pävisitfisu
J. 3, 2, 5, pävesesuf$i J. 5, 248, 191); dazu pävassi Dhp. p. 233,25,
päyäsi z. B. J. 3, 347, 7. 6, 157, 25 usw. Dhp. p. 162, 32. 194, 6.
335, 12, payirßsu J. 3, 39, 23. pahesi J. 3, 104,5 und pähesutfi Ind.
Stud. 5, 422, 26 (aber pähini z. B. Dhp. p. 237, 22. J. 6, 283, 8,
pahininisii z. B. J. 5, 285, 28. 286, 2). Das ä wurde hier kaum
mehr als Zeichen des Präteritums empfunden ; daher trifft man bei
pahinati in späten Texten pO- auch außerhalb des Präteritums
(Childers s. v.).
Zu dem, was uns das Päli über mittelindisches Augment lehrt,
stimmen die andern Zeugen auch außerhalb der Einsilbler (S. 155).
Aäoka bietet als Simplicia zu Anfang des achten Felsenedikts
einerseits a-huriisu (Girnar 8, 2) orbhavasu (Shähb.) anderseits humsu
(Ehalsi) husu (Maus.), weiterhin im 7. Säulenedikt husu und
zweimal vadhithä] und als Komposita ebenfalls zu Anfang des
achten Felsenedikts einerseits ü-ayäsu (Girnar), anderseits «i-
Tchamisu bezw. nirkami{tha) (Dh., Kh.), ni-krami^a nirkrami (Mans.j.
— Die Ardhamägadhl (Pischel Prakrit p. 359 ff.) kennt bei den
Komposita das Augment nicht mehr. Unter den Simplicia werden
die Zweisilbler oft augmentiert: a-käsi, a-nfiesi, a-hesif a-d^dyikkhu
-ö, a-bbavJ a-cärl] aber daneben wie im jungem Päli bhuvi^ und
über dieses hinaus vom IV. Aorist kasi, fhäsl; dazu a-hottJia
poetisch vereinzelt neben üblichem hoUha. Bei den dreisilbigen
überwiegt die Augmentlosigkeit durchaus. Aber die 1. sg. o-
karissatfi neben puchiss\ und die 3. pl. a-karirfisii a-tarirßsu a-
bhaviffisu neben viel häufigerem augmentlosem -iifisu erinnern an das
ältere Päli, während vaydsf [zu ai. vad-] dem gleichartigen a-gamosi
noch des Jüngern Päli widerspricht und zu den eben erwähnten
käsi, thäsi stimmt.
Nach diesem allem ist das Verhalten des Mittelindischen zur
Augmentierung klar. Bei den Einsilblem ist und bleibt das
Augment obligat. Bei allen andern Formen fakultativ, aber mit
sichtlicher Zunahme der Augmentlosigkeit: Sattanipäta, Thera-
und Therigätbäs, kanonische Päliprosa, nachkanonische Päliprosa,
Ardhamägadhl bilden eine klar erkennbare Stufenfolge. Und be-
stimmend ist auch da wieder die Silbenzahl: die Drei- und Vier-
170 J. Wackernagel,
silbler werden früher and allgemeiner angmentlos gelassen, als
die Zweisilbler, nnd diese zunächst nur anter dem Einflaß zage-
höriger Dreisilbler. Entsprechend bei den Komposita, bei denen
aber auch die Irrationalität dieses mitten in der Wortform auf-
tretenden Bildangsmittels aaf Beseitigung des Augments hindrängte.
Der durch das jüngere Päli und die Ardhamägadhi darge-
stellte Zustand bleibt nur um ^ine Stufe hinter dem Armenischen
zurück, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß hinter armenisch etu
usw. gerade die Entwicklung liegt, die wir im Päli beobachten
können. Ja es wird sich fragen, ob nicht auch die Vorgeschichte
der das Augment ganz entbehrenden Sprachen, wie Italisch und
Slavisch, aus dem Mittelindischen Licht empfange. Man beachte,
daß das Neuarmenische schließlich auch in den Einsilblem das
Augment eliminiert hat (Karst, Histor. G-ramm. des Elilikisch-
Armenischen S. 324).
Was ist aber der Ausgangspunkt der mittelindischen Ent-
wicklung? Das Verfahren des Altindischen, das in jeder Art
nichtpoetischer Rede und klassisch auch in der poetischen Rede
die Präterita konsequent augmentiert, scheint sich zunächst schlecht
als Grundlage zu eignen. Auch einer starken Abneigung gegen
übergroße Vielsilbigkeit konnten notwendige Bestuidteile der
Formen nicht geopfert werden. Es drängt sich fast der Gedanke
auf, daß auch hier die vorgeschichtliche Grundlage des Mittelin-
dischen vom Altindischen abwich, und daß einst auch auf indischem
Boden die Augmentierung der Präterita (wenigstens der zwei- nnd
mehrsilbigen) zwar vorwiegend üblich, aber doch fakultativ war,
also ein ähnlicher Zustand herrschte, wie man ihn jetzt etwa für
die Grundsprache vorauszusetzen pflegt. Ich will diese Möglich-
keit nicht völlig ausschließen. Vielleicht aber ließen sich die Er-
scheinungen doch auch begreifen, wenn wir vom Sanskrit aus-
gehen. Einmal bot dieses die Präteritalformen augmentlos als
sogen. Injunktive, hinter mä und ma sma. Das Päli hat die prin-
zipielle Scheidung zwischen Injxmktiv und Präteritum fast ver-
loren, und hat nach ma (auch in abhängigen Finalsätzen) häufig
Augment. Ist dies nicht erst Folge des angmentlosen Gebrauchs
der Präterita (was allerdings möglich wäre), so könnte man denken,
daß Empfindungslosigkeit für den begrifflichen Unterschied zwischen
Injunktiv und Präteritum zu präteritaler Verwendung der in-
junktivischen Formen geführt hätte. Zweitens sind ün Altindischen
und noch mehr im Mittelindischen manche Formen, die prinzipiell
augmentiert waren, auf rein lautlichem Wege äußerlich augmentlos
geworden. Im Altindischen und Mittelindischen außer den mit ä
Wortomfang und Wortfonn. 171
anlautenden Verben die mit a- angmentierten hinter den Auslauten
-e -0 -ä. Im Mittelindischen außerdem die Präterita der mit a- vor
Konsonantengruppe und der mit e- o- anlautenden Verba wie aüjati
appeti edhati esati: speziell aus der Nachahmung solcher Präterita
begreift sich der fstst völlige Untergang des temporalen Augments
(S. 166). Weiterhin wurden mittelindisch scheinbar augmentlos die
Präterita aller komponierten Verba, bei denen ein auf a ausgehendes
Präverbium mit einem ursprünglich mehrkonsonantisch anlautenden
Verbum zusammengesetzt war z. B. ai. apäkramU von apdkramati
wurde mi. apdkkami, und von pa-kkosati porkkhipati aus ai. pro-
hroSati pra-k^ipcdi konnte man nur pakkosi pakkhipi mit pa- für ai.
pra- bilden. Endlich honnte sich der Einfluß des vokalischen
Sandhi immer wieder von neuem geltend machen; wie dieser zur
bleibenden Apokope des Anlauts gewisser sonstiger Wortformen
führte (Kuhn Beiträge 36. Kern Verhandel. 1888,64 [über pä.
vamheti „auslachen^ : ai. ava-smayate]), so konnten auf diesem Wege
Augmentformen habituell des Augments verlustig gehen. — So-
bald nun eine größere Anzahl Präterita vorhanden war, die auf
diesem oder jenem Wege phonetisch augmentlos geworden waren,
so besaß man ein Vorbild, nach welchem man sich erlauben konnte
bei unbequem großem Wortumfang auf das Augment zu ver-
zichten.
Daß man übrigens, um die mittelindischen Tatsachen zu be-
greifen, nicht von ursprünglicher Beliebigkeit der Augmentsetzung
auszugehen braucht, scheint auch das Griechische nahezulegen.
Wir treffen hier Erscheinungen, die stark an die besprochenen
des Mittelindischen erinnern. Erstens eignet dem Ionischen^) und
danach z. T. dem spätem Griechisch die Tendenz, auf das tem-
porale Augment zu verzichten; eine Tendenz, die bei einigen
„attisch^ reduplizierten Plusquamperfekta auch dem Attischen
nicht fremd gewesen zu sein scheint (Bamberg Ztschr. für G^ymn.-
Wesen 28 [1874], 18 ff). — Zweitens finden wir mannigfache Belege
für Nichtaugmentierung in Komposita. Was bei Meisterhans'
p. 172 [§61,18.19] aus attischen Inschriften des vierten Jahr-
hunderts angeführt wird, i^ita^sv (IG. II 835* 16) und 6vvtQi,riQaQXH
(IG. II 809^ 16), mag angesichts der sonstigen so festen und so
viel bezeugten Augmentierung als Schreibfehler gelten. Aber die
1) Daß die handschriftliche Cberlieferang des Herodot hier in der Haupt-
sache den Tatsachen entspricht, scheint durch 9vvdioC%ii99v auf der ephesischen
Inschrift 5589,5 Coli. (= Dittenb. Syll.* 186, 5) erwiesen zu werden ; Tgl. Bechtel
z. d- St. p. 672.
172 J» Wackernagel,
Zeugnisse späterer Zeit sind ganz sicher (vgl. Hatzidakis Einleit. 63
und für inschriftliche Belege ans der Eaiserzeit Schweizer Gramm,
der Fergam.-Inscbr. 169): ich verweise, am nur das nächst za:
Hand liegende zu nennen, auf Avavaoiho in Z. 35 der tabula Ro-
settana, wozu Dittenberger Orientis gr. Inscript. Or. I 160 A. 101
Parallelen aus Fapjri nachweist, und auf &q)idiri in einem Senats-
konsult von 133 a. Ch. (Dittenberger ibid. II no. 436 Z. 9), das
zu iipi^öav in der LXX Ps. 31, 1 und ivd^ Apostelgesch. 16, 26
(Blaß, Grammatik des neutest. Griech.^ 40) frappant stimmt; auch
auf das allerdings besonders geartete &vaX<o6ay das in Delos und
Amergos schon im III. Jahrhundert begegnet. Für die Plus-
quamperfekta zusammengesetzter Verba scheinen wir noch in
ältere Zeit zurückgewiesen zu werden. Bei Herodot sind ein-
stimmig bezeugt I 84, 20 (Holder) ivaßsß'^s, YII 6, 11 AvaßsßiixB'
6av, m 61,3 uataX6loC%BB , VII 170,19 xaxaXiXe^mo, VU 95,4
xaQa-xBxdxixxo (vgl. Stein Praef. p. LXX; über dessen weitere Bei-
spiele gleich nachher). AehnUches bieten an vier Stellen die besten
Platohandschriften (Schanz, Piatonis opera XII p. XII.f.). TJnd gar
kein Zweifel kann sein, daß^für die litterarische Form der hellenisti-
schen Sprache Augmentierung des Plusquamperfekts in der Zu-
sammensetzung nahezu fakultativ war (Verf. Anzeiger IF. 5,59;
Crönert Memoria Hercul. 209 nebst Anm.; Kaiserzeit: Schmid
Attizismus 4,28. 591). — Endlich drittens kann das syllabische
Augment auch außerhalb der Zusammensetzung fehlen. Zunächst
im Plusquamperfektum. Zwar was Stein aaO. aus Herodot bringt,
hat keine Gewähr: dem xixBkevti^Bs I 165,8 geht ^dij voraus, es
kann also \$tiXB%nifpuB geschrieben werden, und für iiöoxto IX
74,6 bietet die Handschriftengruppe ß iSidoxto. Auch auf die
angeblichen attischen Beispiele, wie Plato Phaedo 89 A S nBXÖV'
^Bi\jLBv und Rep. II 374 B S XBifüxB^ will ich nicht bauen, wiewol
der Vorschlag von Schanz (Piatonis Opera XTT p. XIII) hier
Aphärese anzunehmen in dieser Fassung ungeheuerlich ist. Aber
sicher steht nicht-augmentiertes Plusquamperfektum für die helle-
nistische Sprache. Bei Polyb. freilich ist 3, 60, 3 xBxakmnmQ'fpcBi
vereinzelt und darum unsicher. Aber nBnoi^ifpui^öav Inschr. von
Magnesia 93* 24 (= Dittenb. SyU.« 928, 57) [bald nach 200 v. Gh.],
öbSAxbb auf einem Turiner Papyrus von 139 a. Ch. (Crönert Me-
moria Herach. 209 A.) lassen keinem Zweifel Raum. Im Neuen
Testament ist Nicht- Augmentierung des Plusquamperfektums RegeL
Auch Autoren wie Strabo, Josephus usw. bieten dafür Belege
(Crönert aaO., und für die Kaiserzeit Schmid Attiz. 4,691)). —
Wortumfang und Wortform. 173
Eben solches außerhalb des Flusqaamperfektoms in der Eaiserzeit:
Schweizer G-ramm. der Pergamen. Inscbr. 169 f.
Die Aasgangspunkte dieser drei Arten von Angmentweg-
lassang und die darin wirksamen Triebkräfte liegen klar vor
Aagen. Für die beiden ersten wird niemand die vorgeschichtliche
Beliebigkeit der Angmentierong in Ansprach nehmen; soweit das
Verschwinden des temporalen Augments nicht phonetisch ist, kann
es dem phonetischen Schwand nachgebildet sein. Dagegen bei der
dritten Art (««^0^1^17 a. dgl.) glaubt Brugmann Grandriß U 867.
Ghriech. Gramm.* 267. Kurze vergleich. Gramm. 486 etwas Ur-
altes erkennen zu dürfen. Dem widerspricht das verhältnismäßig
späte und zuerst ganz sporadische Aufkommen dieser Formen.
Vielmehr entsprang die Möglichkeit der Nichtaugmentierung teils
den des temporalen Augments entkleideten Fräterita teils dem
Sandhi: Ahrens hat gezeigt, in welchem ümfEkng gerade das
Augment der sogen. Aphärese ausgesetzt war. Der Drang aber
von dieser Möglichkeit der Nichtaugmentierung Gebrauch zu machen
beruhte z. T. gewiß auf dem von Hatzidakis (Einleitung 62 ff. 7Bf.)
hervorgehobnen Moment, daß man zusammengehörige Formen nicht
durch eine neben den Endungen überflüssige Zutat oder Vokal-
modifikation sondern wollte. Beweisend hiefür die Fälle, wo um-
gekehrt das Augment als integrierender Bestandteil des Verbal-
stanmis empfanden und auf nicht-präteritale Formen übertragen
wird z. B. ixofi^iöaiikivrj Orientis gr. incr. 308, 17 u. dgl., wofür das
Mittelindische Parallelen liefert (oben S. 168). Daneben kommt für
die Komposita das oben S. 169 für die entsprechenden indischen
Erscheinungen Bemerkte in Rechnung. Am bedeutsamsten ist für
uns hier aber, daß sowol in der Zasammensetzung wie als Sim-
plicia die Plusquamperfekta den andern Präterita vorangehen. Im
Anzeiger IF. 6, 89 habe ich dies daraus zu erklären versucht, daß
bei den vokalisch und den meisten mehrkonsonantisch anlautenden
Verba der Anlaut des Plusquamperfektums mit dem des Perfek-
tums von vom herein übereinstimmte: '^kXixsiv wie i^kkaxa, itIfS'ö'
öiir^v wie i^ltsvöiuci. Aber nun werden wir, ohne diese Momente
ganz auszuschließen, vor allem auf die große Silbenzahl der Plus-
quamperfekta Gewicht legen*).
1) Ähnlich beorteüt Battmaim Sprachlehre * II 392 (' 382) das Fehlen
des Augments in den sogen. Iteratiyen wie (it9ü%ov iXdcit^m, Cortins Verb. ^
II 379 stimmt ihm bei. Ganz anders Bnigmann Indog. Forsch. 13, 268 ff. So-
lange der Ursprung dieser rätselhaften Bildungen nicht wirklich aufgeklärt ist,
wage ich kein Urteil
174 J* Wackemagel,
In der jungem Entwicklung des Griechischen haben sich diese
Tendenzen gesteigert. So ist es gekommen, daß in den nördlichen
Mundarten des Nengriechischen nor betontes i- geblieben, sonst
überall das Augment geschwunden ist (genaueres Hatzidakis, Ein-
leit. 69 f. Thumb, Handbuch der neugriech. Volksspr. § 145 p. 73 ff.)
Zur Erklärung verweise ich besonders auf Hatzidakis *A&i/p;mov
X 101 und Meyer-Lübke, Simon Portius p. 216. 102 f. Wir haben
hier einen Tatbestand, der dem des jungem Päli nabekommt. Die
Übereinstimmung ist gewiß nicht zufallig. Nur ist Einfluß des
Akzents auf Schutz des Augments für das Indische nicht an-
zunehmen, wiewohl man versucht sein konnte ahü u. dgl. (S. 156)
so zu fassen. Der ältere indische Akzent trifft das Augment
auch der längsten Formen, und der (dem lateinischen gleichartige)
jüngere würde, wenn überhaupt in diesem Falle wirksam, zu Hosi
*ßa8i *dasi usw. gefuhrt, altes *akkhipi *apati usw. erhalten, also
einen Zustand gerade entgegengesetzt demjenigen herbeigeführt
haben, der wirklich besteht.
III.
Wenn bei den Präterita dergestalt eine Abneigung gegen Ein-
silbigkeit (und zwar besonders gegen solche mit kurzem Auslaut-
Yokal) besteht und bei Setzung und Nichtsetzung des Augments
auch sonst auf den Wortumfang Rücksicht genommen wird, so
muß dieser überhaupt auf die Form der Wörter mit vollem Be-
deatungsgehalt Einfluß gehabt haben. In der Tat scheint z. B.
das Griechische und audi das Latein sichere Beispiele von Ver-
meidung und Beseitigung einsilbiger Wörter oder wenigstens kurz-
vokalischen Auslauts bei solchen zu liefern.
So bequem wie bei den Präterita der homerischen und der vedi-
sehen Sprache, wo von vornherein eine Auswahl von Doppelformen
gegeben war, lagen die Dinge nur selten. Aber doch beim grie-
chischen Pronomen für „jener^ , wo sich das Schwanken zwischen
den Ac- und den x-Pörmen von Homer bis ins Attische verfolgen
läßt, und da macht sich die uns hier beschäftigende Sprachneigung
deutlich geltend. Während z. B. Sophokles x€tvog xstes xbI^b und
ixetvog ixstös ixstd'S neben einander braucht, sagt er nur ixet.
Ahnlich Hippokrates. ixet ist überhaupt die gemein gültige Form.
Für das einsilbige xet kannten schon die Alten keinen andern Beleg
als Archilochos fr. 170, während freilich fürs Aolische entsprechend
seinem gänzlichen Vermeiden der ^x- Formen dieses Stamms nur
xH bezeugt ist.
V
Wortamfang und Wortfonn. 176
Oder aber — und das ist eine zweite Möglichkeit — jene
Neigung macht sich etwa eine nahe liegende Formübertragang
dienstbar and verhilft ihr zxim Siege. Die normale Imperativform
6%i (nnr belegt in dem schlecht gebauten Orakelvers bei schol.
Eurip. Fhoen. 638 ys. 7 x^vit ei) ^snöva 6%^ negitgiitto^o xils^
d^ov) wurde ähnlich unbequem empfunden wie *6xi „er hielt** (oben
S. 148). Hier half man sich, indem man trotz der sonstigen
Herrschaft des Imperativausgangs -e zu 6xit<o nach d'ig: d'ixm^ Sg: hm
ein 6xig bildete*), wol schon früh, obwol Homer für diesen Impe-
rativ keinen Beleg' liefert. In den Komposita machte '6%b keine
Schwierigkeit. Daher zwar im Anschluß an das Simplex Aeschyl.
Ch. 896 iniöxeg (metrisch gesichert I), aber daneben Eurip. Or. 1337
(litaöxB und Hek. 842 Jtigaöxf, allerdings ohne durch das Metrum
gesichert zu sein. Vgl. auch Plato Prot. 348 A. Xen. Symp. 8, 4. —
Ein entsprechendes Simplex *6nig wird durch das bei Homer neben
ivi'6%B gebräuchliche ivi-öjcsg vorausgesetzt.
Ein in jeder Beziehung analoges Beispiel aus dem Pronomen:
Der Nom. sg. mask. des im G-riechischen und Deutschen zum
Artikel gewordnen Pronomens lautetete grundsprachlich so. Eine
Nebenform sös war in Pausa üblich. Denn einerseits lautet der
Nominativ griechisch in Pausa 9^: attisch ^ ifSg und xal Sg an
Stellen wie Plato Symp. 173 A xal Sg' ^^ ex&xt' itpr^. Ander-
seits tritt altindisch für sd vor Interpunktion immer sah ein,
während das sah im Satzinnem, das die indischen Grammatiker
aus so für sd a- z. B. sobhavat und aus dem Hiatus von sd
vor sonstigem vokalischem Anlaut folgerten, nur scheinbar ist.
Zur Erklärung dieser Nebenform ig. sos genügt der Hinweis auf
das s der meisten andern Nominative nicht: daß diese Analogie
auf das so bloß im Satzauslaut ihre Wirkung ausübte, ist nur
verständlich, wenn eine Abneigung dagegen bestand ein voU-
toniges Monosyllabum an besonders in die Ohren fallender Stelle
auf kurzen Vokal ausgehen zu lassen.
Besonders lehrreich aber ist für uns die Verwendung dieser
ererbten Nebenform sös im Griechischen. Während bei proklitischem
Gebrauch als Artikel 6 trotz aller Analogien ungestört erhalten
bleibt, dringt bei vollem Ton 9^ immer mehr vor. Die Ilias hat es
1) Wenn Bmgmann Griech. Gramm. " 382 Recht h&tte in ^xis einen alten
Injonktiy za sehen, so wäre dessen Bewahrung eben auch durch Abneigung gegen
die Lautform axi bedingt und axig dann unten S. 179 neben ipdanmp ip^eag ein-
zureihen. Die Vermutung Brugmanns würde die Möglichkeit gew&hren, 9ig zu
Terstehen, da dieses dann umgekehrt Nachbildung nach 9%^ (und weiterhin Muster
fOr d6g) sein könnte ; so eventuell zutreffend Hirt Griech. Laut- und Formenl. 427.
176 J* Wackernagel,
hinter steigendem xal and ^rjH und hinter kopulativem ovil : 9 198
iJiiä xal bg (der vorerwähnte Okeanos) diüfoixs ^ibg iieydXoio xc-
Qawöv. Z 69 fiijd' Zvxiva yaötigi fii^i^p xoDpov itftnra q>iQoij /li 17 ^
8^ 9)t^o^. X 201 &g 6 tbv ai Sivaxo iidgifcu noölv oiif bg iXviai.
Die Odyssee bietet es vor ydg (gegenüber 6 y&Q A 581 = B 769.
o 462] and xsVf vor ydg aach Hesiod: a 286 bg yäg dsikatog
I^Mbv 'Ajat&v %akKO%i%Av(ov. q 172, xal tits dij if^iv &iarc Midarv ' 8 ^
ydg fa ^laXi^öta i^viavs xriQvxcov. Hesiod. E429 bg y&g ßovölv &qovv
dxvQäxaxög iöuv. d 389 x6v '/stxiog 6v dvvaio Xo%rfiifuvog Xskccßde-
d-aiy bg xiv xoi sünjiöiv 6dbv xal (idtga xakcvi^ov (so alle Hand-
schriften; wogegen Ladwich [mit Payne Elnight!!] &g xsv). — In
andern Fällen kann bg j,d6r^ weiterfahrendes Relativnm sein.
Neben Homers ot^d* 8^ stellt die attische Prosa xal bg z. B.
Plato Pbaedo 118 B xal bg tä bfAiucta iöttjöBv. Xen. Anab. 1,8, 16
xal 8^ i^avfiaöB. 6,6,22 oidslg ivriisye xal 8g fiyitto. Anders,
aber gleichfalls hergehörig Herodots (4, 68, 5) tag ßaöiX^qiag lözCag
immQXfixs bg xal bg. Ein xal 6 oder 6 xal 6 wäre völlig andenkbar,
während, wo das 6 an folgendem (lev oder Sd eine Art Stütze
hat, die kürzere Form üblich blieb. Immerhin nicht aasschließlich.
Bekannt sind die alten Sprüche jcal töds 9(oxvkidsa' Mqioi xaxoi,
aix b (aIv bg d^oü and xal töds ^r^fAoiöxov Xtoi xoxoi, ovx 6 fi^r
8 ff *'o(5. Daza Lakillios Anth. Pal. 4,105,1 tbv ^dyav igijrow
EifAi^xiov' bg fdxdd'svdsv. Bab. 30, 2 ff. tbv yf^yöga^ov ßvÖQsg, bg
fiiv Big eti^X^qv . . . 6 di x^'^Q^h^VS ^S ^^bv Tca^iigvö&v. (Vgl.
aach Batrachom. 216, wo Ladwicb za G-ansten des Metrams 8^ d*
für 6 d* einsetzt). Ja eine gewisse Verbreitang von bg fidv .. . bg
öd ist von folgender Erwägang aas wahrscheinlich. Vom vierten
Jahrhandert ab (nicht früher! wie zaerst F. W. Reiz De ac-
centas Graeci inclin. sab) finden sich bekanntlich beliebige Formen
des Eelativams vor ficV . . . dd bei Entgegensetzang indefiniter
Begriffe, and zwar sowol bei jungem Attikern (Demosth. 18, 71
xöXsig 'Ekkr^viSag cig (ihv &vai.Q(bv, slg &g Sh toi>g tpvydSag xatd-
ymv) als aaf dorischem Gebiete: Tafeln von Heraklea I 86 äxd-
Xovtag dii dXXdXmv ii fi^v tQidxovta %6Sag ai öh J-Cxati. Der
hellenischen Gemeinsprache ist dies ganz geläafig (aach nach den
Inschriften z.B. Epidaaros IG. 4, 944, 5 ff. fi fiiv . . . fi di . . .
tivd dl xaC. Pergamon 163 B Z. 21 ff. [et fiiv . . .] fi dd: Wil-
helm ArchäoL-epigr. Mitteil. 20, 61)^). Der Gebraach hat sich
1) Vgl. Lucian Soloec. 1. Thomas Mag. p. 28,10. Sturz De dial. Alex. 206 ff.
W. Schmid Attiz. 8, 61 A. — Vgl. das von Diodor an belegte 2broti yiikv ... 2brov
Wortumfang und Wortfonn. 177
klärlich ans dem genaa entsprechenden des Artikels mit (Aiv . . .
di abgezweigt, wofür man besonders einerseits solche Stellen
beachte wie Babr. 35,3 &XX Sv fi^v air&v id^litjg M sivoitjg . . .
ixonviyBiy tbv d^&g negvöehv %aL fidtmov ixßdkXei , wo Relativnm nnd
Artikel parallel stehen (vgl. Storz 206), anderseits solche Stellen,
wo Gegenüberstellung stattfindet, aber nicht in eigentlich indefini-
tivem Sinne, wie z. B. Polyb. 7, 17, 3 XQoöts^sie&v dh 8vstv xXiiidxmv
d i^ ^g [ilv diovvöCfo^ SC ^g 8% jiayöga ngibtov xoQSvoiidv<ov oder
Onestes AP. 9,292 1 naldtov bv (isv lnuxisv ^Jgiötiovy &v d* iöixovös
vavfiyöv. (Ebenso die angeführte Stelle des Babrins). Besonders schla-
gend nach beiden Richtungen ist Theokrit. 22, 109 ff. iXX 6 fi^lv ig
ötii^ög t€ xtd l^irv xstgag iv(b(uc aixiva t' &Qxriyhg Beßgvxmv*
6 8^ äsixdöi xXifyatg näv 6wiq>vQS ngöömnov ivixr/tog noXv8BV'
xr^g. edgxsg 8*^ (ilv [8q&u 6wCl^avov, ix fieyäXov 8i ciiff* bXCyog
yivB-i &v8Q6g' 6 d' alel niööova yvla &Jct6(ASvog tpogisöxe. — Nnn
ist aber das Eintreten von bv (aIv — bv 8i usw. für tbv fihv —
xbv 8d usw. viel leichter verständlich, wenn vor itiv und 8i nicht
bloß im Nom. sg. fem. und Nom. pl. mask. und fem. eine mit dem
Eelativrmi lautlich zusammenfallende Form vorkam (i^, of, aQ,
sondern auch im Nom. sg. mask., und da eine solche, die von der
gewöhnlichen Form des Artikels (6) abwich (9^). Genau in dieser
Weise ist schon in viel älterer Zeit aus bg yccQ „denn dieser" ein
neutrales 8 yig „denn dieses ** abstrahiert worden: M 344 S ydg
TiZjl &Qi6tov &nivtmv BÜri und W 9. m 190 8 yäg yigag iötl d-a-
v6vtmv an Stelle des älteren %h yäg yigag iöxl ^av6vx(ov^ das sich
n 467. 675. (o 296. CIA. 1,470,2 gehalten hat. Vgl. Brugmann
Kurze vergl. Grammatik § 898 A. (p. 659).
Teils mit ixBt teils mit 6xig -öxag 5g gehören gev^se Ge-
brauchsweisen der griechischen Präpositionen zusammen. J. Schmidt
hat in seiner ausgezeichneten posthumen Abhandlung EZ 38, 5 ff.
Einwirkung der Proklise auf die Wortform sicher festgestellt und
hat speziell für die Präpositionen jedenfalls das erwiesen, daß wo
durch Elision oder durch Haplologie oder durch das Dasein eines
Synonymums eine kürzere und eine längere Ferm neben einander
vorhanden und zwischen beiden die Wahl gegeben war, proklitische
Stellung zu Bevorzugung der kürzeren Form führte. Das halte
ich auch gegenüber Günthers neulichen im Einzelnen vielfach be-
rechtigten Einwendungen (IF. 20, 54 ff.) fest. Das Gegenstück
und Komplement zu dieser proklitischen Kürzung ist die wachsende
dl „bald . . . bald . . ,^ (auch Herodian zu A 388, wozu Lehn Herodiani scripta
tria p. 885).
178 J* Wackernagel,
Abneigang gegen Einsilbigkeit der Präpositionen bei vollem Ton
and selbständiger Stellung ^). Homer kann l| ivv n^d, ^^ 137 sogar
ig, dem angehörigen Easos nachstellen, also als yolltonig behandeJn:
die Spätem nnr die zweisilbigen Präpositionen. (Soph. OR. 525
rot; ngbg d'itpiv^ ist ganz fraglich). Und der bereits gnmd-
sprachliche anch dnrch Yeda nnd Ayesta bezeugte Gebrauch*) die
sogen. Präpositionen als Prädikat funktionieren zu lassen wird im
G-anzen nur bei den Zweisilblem i%i iiixa xdga xigi vxo (vgl.
Cumae 6269 Collitz-Bechtel imb th xXivsi toikei kBvbg üxv) fest-
gehalten; einsilbig in diesem Sinn findet sich außer iv nur xdg,
zweimal bei Homer (143 xig roi 6d6g und y 325 xäg di toi, vUg)
gegenüber zwanzigmaligem ndga in gleicher Funktion. — Dazu
stimmt der Hiatus, den Sophokles für 6va „auf!*' aus Homer über-
nommen hat: Aias 193 &XX &va ii iigdvmv nach 247 &XX 6va sl
ndfAovdg ys. Das imperativische &va wird überhaupt nie elidiert,
im Gegensatz zum prädikativen ndga z. B. A 174 xdg ifiotys xal
&kXoi,
Der eigentümlichste Fall ist aber der von iv: ivi. Schon bei
Homer beginnt die zweisilbige Form die einsilbige aus der ihr
von Haus aus zukommenden Funktion als volltoniges Adverb zu
verdrängen. Ganz aus der Anastrophe. In dieser gilt nur ivi^
und zwar nicht bloß vor der bukolischen Cäsur, wo iv aus metri-
schen Gründen xmmoglich war (Schulze Quaest. ep. 217 A.), sondern
auch sonst z. B. Z 39 Z^ip ivi ßkatp^ivxs ^vgixivq^, S 220 ^ ivt
ndvxa x6tBv%a%ai. Fast ganz aus der Funktion als Prädikat. In
dieser kennt Homer iv nur mit unmittelbar folgendem di^ ^iv,
yig als Stütze: E 740 iv d^igig^ iv 8*0x1^, iv dh xgv6s66a Imxif^,
iv di te rogysiri xsfpaXii. O 632 iv di ta tf,6i voi^cög. i21 iv i^tigog
ainfj. i 132 ff. iv i^lv yäg Xei^i^&vsg . , iv it &go6ig ksifi . . • iv
dl XifAipf sHogfiog. t 176 ff. iv fihv 'Axaioi, iv S* ^Ersixgfitsg i^e-
yttki^togeg, iv dl KidmvBg. 77 630 iv yäg xsgöl ziXog noXifiov.
Dazu V 244 iv (ihv ydg oC ettog id'iöqxxtogj iv de ts olvog yly-
vetcuj falls ytyvetai bloß zum zweiten Gliede gehören sollte. In
freier Stellung ist bloß ivi üblich z. B. V 104 dtäg tpgivsg oix
Ivi ndfixav. T 248 noXiag ä* ivi [ivd'oi usw. Nachhomerisch ist
die Scheidung beider Formen eine völlige, iv rein proklitische
1) Doch findet sich nQ6g „außerdem" selbst in pansa: Aesch. £am. 288.
Eurip. Or. 622. Aristoph. Fax 19. Ran. 415. PI. Gorg. 489 B. Enthyd. 294 A.
Meno 90 E.
2) Delbrück Vergleich. Synt. I 647. 662. Scheftelowitz ZDMG. 67, 117.
Bartholomae ZDMG. 59,775. Meillet M^. Soc. Ling. 14, 13 f.
Wortform und Wortumfang. 179
Präposition, in nur Prädikat. *) — Mit dieser Sondernng der ein-
nnd zweisilbigen Formen der Präpositionen kann man Homers
Gebrauch von oi: oixi zusammenhalten, oi kennt er nur prokli-
tisch, ovxi nur vor Interpunktion , zugleich auch immer außer T
255 im Versausgang. Ob O 176. il 762 oix^ \u^iH festzuhalten,
oder dafür mit BenÜey o(h:i zu schreiben sei, will ich offen lassen.
Seltsamer Weise ist dem nachhomerischen Griechisch jene Sonde-
rung der beiden Formen der Negation fremd.
Drittens kommt etwa beim Verbum die Möglichkeit einen
Tempusstamm auf mehrerlei Weise zu bilden zur Verwertung.
Das Griechische, speziell das Attische, hat zwar einsilbige Verbal-
formen (mit langem Vokal I), die es entweder von Haus aus sind
oder durch Eontraktion geworden sind, in Menge z.B. 6%f^j ^ „er
sagte" einerseits, ^ „ich war" nXstg nXal usw. anderseits. Auch
im Infinitiv und Partizip: 6%bIv xXstv lfi\v, q>iiq (so im Nominativ
Soph. OR. 1184. PL Rep. 5,461 A.), 6iAv (so im Nominativ Thuk.
5,2,2. Lysias, Demosthenes), yvovg z.B. PI. Theaet. 151B. Polyb.
5,52,11) SvQ (z. B. PI. Phaedo 113 C). Aber q>ag, das Homer,
die lonier (auch auf der Inschrift von Zeleia 5532 CoUitz-Bechtel,
Z. 18) .und auch Aristoteles {nagt igfi. p. 18^7 6 q>ag: 6 &xoq>cig)
brauchen, ist dem strengen Attiker fremd; er sagt ausschließlich
1) Durch diese seine Beschränkung bekommt ivi in höherem MaaBe als
etwa ndga den Charakter einer Yerbalform; ygl. die ausgezeichnete Darlegung
von Pemot Mäm. Soc ling. 9, 178 ff. Mit ivsati völlig gleichwertig gebraucht,
nimmt es an dessen jüngere Bedeutung „es ist möglich** teil, gerade wie die lonier
beim prädikativen iLdxa die alte, homerische Bedeutung „ist inmitten** nach
ILhtcti (und andern mit (letä komponierten Verben) durch die Bedeutung „es
kommt als Anteil zu** ersetzt haben. Dann wächst iv^ über ivtcti hinaus, indem
die Bedeutung „ist darin** zu simplem „ist** abblaBt Treffend vergleicht Pemot
französisch il y a, in dessen heutiger Verwendung ganz^analog das durch y ge-
gebene lokale Bedeutungsmoment eliminiert ist. Vollzogen hat sich dieser Be-
deutungsübergang, dessen moderne Nachwirkung in neugriech. tlyai vorliegt, in
einer jungem oder vulgäreren Form der hellenistischen Sprache. Während bei
Polyb lyi noch „es ist möglich** bedeutet (z.;.B. itgivi, puiUcra 16,20,7 u. sonst),
hat es bei Sirach 87, 2 sicher die jüngere Funktion. Die Zweifel Psicharis an
der Verwendbarkeit dieses Beleges (l^tudes de Philol. n^grecque 369), sind jetzt,
da man das hebräische Original kennt, nicht mehr berechtigt. Nicht bloß sichert
dieses die Lesung der ersten Hand der Unzialhandschriften o^l I6xri ivi f^tog
(^apdxav MxmQog nal <pßios tQin6iuvog ilg i%9ffuv [lies H^q6v\ gegenüber dem
schwächer bezeugten iLivn\ sondern es ergiebt auch schlechthin „ist** als Sinn
von ivi. Die Wiedergabe von IW* mit inui in der lateinischen Bibel (Psichari
aaO.) ist einfach falsch. [Dies alles nach gütiger Bütteilung von R. Smend].
Danach braucht man sich nicht zu quälen, um in das neutestamentliche ivi. einen
lokalen Nebensinn hinein zu interpretieren.
180 J- Wackernagel,
ipaöxcav. <pdvteg im Plnral konnte daneben gestanden haben, wird
aber dnrch Aesch. Ch. 418. Ps.-Plato Alkib. 11 p. 139 C und 146 B.
(vgl. Aristot. Soph. El. 178*2. 181*23 q>civtog) nicht genügend als attisch
verbürgt. — Ahnlich bei q>^dv(D im Aorist. In den finiten Formen
und im Infinitiv hält sich im Mande des Attikers die ältere ein-
fachere Bildung neben der jungem auf '6a. Aber im Partizip
ist nar tp^iöug üblich, nicht das noch von Herodot gebrauchte
tp^dg. Es stimmt zu diesem attischen Grebrauch und kann gewisser-
maßen als dessen Vorstufe gelten, wenn hier wiedenmi Herodot
im Partizip zwischen tp^ug und q>&d6<tg wechselt, die andern For-
men ausschließlich nach dem II. Aorist bildet (Eühner-Blaß II 661),
während freilich in den hippokrateischen Schriften bereits die
attische Weise zu gelten scheint. — Vielleicht darf man in gleichem
Sinne den merkwürdig abgestuften Gebrauch des Mediums von
q>ri[i£ verwerten. Dem Präsens Ind. Eonj. Opt. anscheinend ganz
fremd (f 200 und x B62 tpaö^e) sind gemäß M 830. X 331 als
Imperfekta zu fassen), im Imperativ durchaus und im Imperfekt über-
wiegend dichterisch (doch vgl. für das Imperfektum Hdt. 6, 69, 7 H.
Lys. fr. 8 S.[!?]) delph. Inschr. 261B,6 CoU.-Baunack [270/260
a. Ch.] ; Kaiserzeit: Schmid Attiz. 3, 44), ist es im Partizip im Ioni-
schen häufig, bei Xenophon belegt, in der Keine von Aristoteles an
gemeinüblich; vgl. z. B. außer den zahlreichen Belegen Veitchs
Pap. Leid. U. 3, 20. [1 124 Leem). Pap. Flinders Petr. II 209, 35; des
Mädchens Klage 1 11 ; Antigenes Brief an die Teier Dittenb. Syll.^
177,114 usw. Das stammt aus dem Ionischen, ist aber am ver-
ständlichsten, wenn Bedürfnis nach einer Ersatzform für q>dg be-
stand *).
Viertens opfert man sogar die Genauigkeit des Ausdrucks
und ersetzt den verpönten Einsilbler durch eine sinnverwandte,
aber nicht gleichbedeutende Form des Paradigmas, ffiefür liefert
das Latein einen Beleg. Bekanntlich wird im Imperativ von scire
seit ältester Zeit ausschließlich scUo, nie sd gesagt, was alsdann
die Bevorzugung von scitote vor scite zur Folge gehabt hat. Wol
kann man mit scUo Ausdrücke wie putato, hahetOj sie habeto zu-
sammenhalten (Neue- Wagener Formenlehre 3, 222 f.) und damit das
scito begrifflich motivieren. Aber damit ist das völlige Fehlen
von *sci nicht motiviert; putato habeto haben puta habe neben sich.
Auch der Hinweis auf die einsUbigen scis seif ist ohne Belang.
1) Vergl. Karst Histor. Grammatik des Küikisch - Armenischen S. 324 und
Meillet M^m. Soc. ling. 18, 859 über den Antritt des ursprünglich passivischen
-av in der 8 sg. einsUbiger Aoriste im Neuarmenischen.
Wortamfang und Wortform. 181
Erstens sind diese Formen lantlieh voller als sn, zweitens standen
hier keine zweisilbigen Ersatzformen nach Art von scüo za
Gebote. Eher könnte die Existenz sonstiger einsilbiger Imperative
bedenklieb machen. Aber bei den ebenfalls vokalisch anslantenden
f „gehe*'! da „gieb^! lagen die Fntnrformen des Imperativs wol
begrifflich weiter von den Präsensformen ab als bei scire. Bei
die duc fac es „sei^ nnd es „iß^ kommt zndem der konsonantische
Anslant in Betracht gemäß dem für ex^S- ^z^ festgestellten. End-
lich, and das ist entscheidend, werden im spätem Latein auch
es „sei^ und T eliminiert- Und zwar es auf dieselbe Weise, wie
im alten Latein *sci. In der lateinischen Bibel kommt es „du
bist** überaas oft vor, es ,,sei^ schlechterdings niemals. Es heißt
dafür immer (nach meiner Zählang 32 mal) esto. Unter dem Ein-
fluß des Singulars ist im Plural este unerhört, ausschließlich estote
(44 mal) gebräuchlich. Daß an manchen Stellen der Imperativ
wirklich futurisch verstanden werden, in andere eine sophistische
Exegese dies hineintragen kann, vermindert die Bedeutung dieser
Tatsache nicht. Man möchte wissen, wie lange e^s* „sei^ tatsächlich
belegt ist ; aber hiefür versagen natürlich die grammatischen Hilfs-
mittel (Neue -Wagener 3,595 beschäftigt sich bloß mit der vor-
klassischen Prosodie der Form)*).
Die Beseitigung von f kann als ein lateinischer Beleg für
diejenige fünfte Weise sich unbequemer Einsilbler zu entledigen
gelten, die Meillet M^m. Soc. ling. 13, 369 aus ganz anderm Sprach-
gebiet, nämlich mit neuarmen. khenoQ als 3 sg. von kha^ nguig"
belegt hat: ich meine ;den Tausch mit einem synonymen Stamm.
Der Vulgata ist % unbekannt; sie kennt nur vade^ das nicht
weniger als 181 mal belegt ist. Und daß an diesem Ersatz eben
nur die Einsilbigkeit schuld ist, wird einmal durch den Plural
1) Übrigens kennt die SeptoaginU Ar^* nicht, sondern setzt, wo sie nicht
das Futoram anwendet, yivw ytvoü, Ardi ProT. 8, 8. 6 ist Fehler für t^i, was
6 als Variante vorliegt, an beiden Stellen durch das Original ^) and das sfo-
ifi^üv der andern Übersetzer gefordert wird. Auch iets fehlt (Deuteron. 14, 1
v£o/ Uti nvifütv ro6 dso4) {>f»Av ist Indikativ trotz des lateinischen filii estote) ;
dafür yCv9o9i yhic^i. Für das NT. hat Blaß Gramm.* 58 das Fehlen des
Imperativs icti (wofür eben auch yCvu^i eintritt) bemerkt Im Singular wird
von den Meisten, bes. auch Paulus, Ar^* gemieden und durch yCifw yai^o« ersetzt ;
aber seltsamer Weise liest man Ar^* Matth. 2, 18. 5, 25. Mc. 5, 84. Was liegt
dem allem zu Grunde? und wie lang ist sonst Ardt lebendig? — Blaß aaO. 6
bemerkt „der Imperativ (von oldu) lautete nie anders (als Anri)" : in Wahrheit ist
weder dieses noch Ar^i in der Bibel belegt, und sind ^d-Formen von olda über-
haupt erst wieder im Gefolge des Attizismus eingedrungen (2. pl. ind. f<9rt 8 Macc.
d, 14. Hebr. 12, 17 ; tcan Acta 26, 4).
KgL Qm. d. Wl«. Maektlektoa. PkUoloff.-hittor. IUmm. 1906. H«ll 2. 13
182 J* Wackernagel,
erwiesen: er lautet 68 mal ücj nie vadite. Sodann dadorch, daß
anch sonst in der Vnlgata- Flexion von „gehen" die einsilbigen
Formen von ire, aber im Ganzen eben nur diese, vor Formen von
vadere gewichen sind. Es heißt nie is, immer (lOmal) vadis] nie
üf immer (21 maJ) vadit. Zum Teil sind hievon auch die mit e vor
Vokal beginnenden, also mit i consonans gesprochenen und dadurch
einsilbig gewordnen ursprünglichen Zweisübler des Formensystems
betroffen. Wenn die Vulgata nie iens sagt, sondern stets (16 mal)
vadens gegenüber konsequentem euntis (1) euntem (4) eunte (3) euntes
(23) euntibiis (4), so ist für andere Benrteilang kein Raum. Ebenso
gegenüber vadunt (dmal): me eunt. So wird auch verständlich, wa-
rum in der 1. sg. Präs. Ind. neben zwanzigmaligem vado bloß zweimal
eo vorliegt, und warum im Konjunktiv des Präsens die 1. und 2.
Plural ausschließlich aus ire gebildet {eamus 29 mal, ecUis 3 mal),
in den andern Formen vad- bevorzugt wird {eam 2 mal: vudam
4mal, e<is Imal: vadas 7mal, eat 4mal: vadai 16mal, eant 2mal:
vadant 6 mal). Den dezidiert zweisilbigen und den dreisilbigen
Formell von ire macht vadere fast keine Konkurrenz. Außer auf das
bereits Angeführte verweise ich auf den ausschließlichen Gebrauch
von ire, eundo, ibam usw. und den der Formen des Perfektstamms.
Das vereinzelte vadimus ludic. 19, 18 gegenüber imus Matth. 13, 28
darf auf den Einfluß der zugehörigen Singularformen und der
3 pl. vadufU zurückgeführt werden; ebenso im Futuram vadam
29 mal): ibo (8 mal), vades (Imal): ihis (5 mal), vadet (2 mal): ibit
(14 mal), vadent (2 mal): ibunf (19 mal), gegenüber alleinherrschendem
ibimtis (12 mal) und ibitis (4 mal) auf den des Konjunktivs Prä-
(sentis. — Wie durchaus diese eigenartige Mischung von i- und
vod-Formen im lebendigen volkstümlichen Gebrauch begründet
war, zeigen die romanischen Sprachen : Fortsetzungen von Formen
von vado sind hier im Ganzen nur innerhalb der di». sem Verbum in.
der Vulgata gezognen Grenzen zu treffen, also nur da wo das Latein
ursprünglich eine einsilbige oder darch Konsonantierung von e-
einsilbig gewordne Form von ire besaß. Für die richtige Bear-
teilung dieser Erscheinungen hat bereits Wölfflin Archiv f. lat^
Lex. 4, 261 im Anschluß an Entsprechendes in der Peregrinatio
Silviae den Weg gewiesen. Die Anfänge gehören gewiß schon
älterer Zeit an ; Marius Plot. GL. 6, 460, 16 ff. bringt als Beispiele
unrichtig gebrauchter Adverbien und Präpositionen neben einander
ite intus und aptid ülum vado. Petronius hat zwar vadere nichts
aber außer in Versen keine einsilbigen Formen von ire. In der
ciceronischen Zeit ist vado der strengklassischen Sprache fremd,
fehlt daher sowohl bei Caesar als in Ciceros Reden. Aber da-
Wortuinfang und Wortform. 183
neben ist es nicht bloß poetisch nnd daher dann auch den Histo-
rikern geläufig, sondern anch der läßlichen Sprache eigen (vgl
vadU Cic. Att. 14, 4, 2, vadeham 4, 10, 2).
IV.
Die gelegentliche Abneigung gegen einsilbige Formen ist längst
beobachtet. Schon von den alten lateinischen Grammatikern. Man
liest bei Grellins 12, 13, 7 f.: „tres istae voces intra cUra ultra,
qnibns certi locoram fines demonstrantnr, singolaribns apnt veteres
syllabis appellabantnr in eis uls. flaec deinde particnlae qnoniam
parvo exiguoqne sonita obscurias promebantor, addita est tribos
Omnibus eadem syllaba." Mit Berufung auf eben diese Stelle des
GeUius erklärt Lobeck Faralip. I 130 die geringe Zahl der No-
mina yerbalia radicalia des Griechischen und ihre stetige Abnahme
unter anderm auch daraus, daß die unmittelbare Folge mehrerer
Monosyllaba als unangenehm empfunden worden sei Neuerdings
spricht Karst Histor. Grammatik des Eilikisch- Armenischen S. 321
von einem „durch die ganze armenische Sprachgeschichte sich hin-
durchziehenden Abneigungsprinzip gegen einsilbige Verbalformen*',
das im Mittel- und Neuarmenischen noch stärker wirksam gewesen
sei als im Altarmenischen. Insbesondere aber hat MeiUet wieder-
holt auf die Bedeutung dieser Tendenz für die Gestaltung des
Formenbaus hingewiesen (M^m. Soc. ling. 11 , 16. Zeitschr. für
armen. Pbilol. 2,21) und in den M^moires de la Soc. de ling. 13,
369 geradezu den Satz ausgesprochen: „Les mots autonomes de
la phrase tendent dans presque toutes les langues k n'^tre pas
monosyllabiques ; seuls demeurent ou deviennent monosyllabiques
les mots accessoires, qui, le plus souvent, s'unissent dans la pro-
nonciation k des mots voisins.^
Wenn ich versucht habe die Nachweise aus dem Armeni-
schen und dem Latein, womit der ausgezeichnete französische
Forscher jenen Satz belegt, durch Beispiele aus den beiden
klassischen Sprachen und für das Augmentpräteritum auch durch
solche von anderwärts zu ergänzen, bin ich nicht der Meinung
das Problem erledigt zu haben. Eher möchte ich zum Auf-
merken auf diese Erscheinung veranlassen, damit ihr die richtigen
Grenzen gewiesen und sie auf ihre eigentlichen Gründe zurück-
geführt werden kann. Unzweifelhaft sind in ihr rhythmische
Tendenzen wirksam (vgl. Paul in seinen und Braunes Beiträgen
6,181). Aber anderseits scheinen nicht bloß manche Sprachen,
vor iJlem die modernsten, von dieser Abneigung gegen voUtönige
Einsilbler frei : auch in den Sprachen, wo die Abneigung sich gel-
13*
Ig4 J. Wackernagel, Wortamfang und Wortform.
tend macht, werden nicht alle Bedeteile gleich behandelt. Auf
die Sonderstellung des Imperativs hat Meillet hingewiesen: (wie-
wohl wir gerade aoch bei diesem in Griechisch nnd Latein Beseiti-
gong teils von Einsilblem überhaapt teils von überknrzen Ein-
silblem getroffen haben). Im griechischen Fronomen giebt es sogar
solche volltonige Formen, die aas einer auf knrzen Vokal aus-
gehenden Silbe bestehen, wie 6^6^ ei und das noch bei Flato belegbare
reflexive f. Einsilbige Formen eines Systems stützen sich offenbar
gegenseitig. Daraas ergiebt sich aber auch für das Umgekehrte,
für die Vermeidung der Einsilbigkeit, Systemzwang als eines ihrer
Motive. Ghriechisch 16%$ wurde vor *6xi nicht bloß aas rhythmischen
Gründen bevorzugt, sondern auch darum, weil Präterita und über-
haupt Verbalformen so viel häufiger zweisilbig sind als einsilbig
und der Aorist von Ixa in der Regel parallel mit zwei- und drei-
silbigen Verbalformen gebraucht wurde. Der Trieb nach Gleich-
silbigkeit gleichwertiger oder zxmi gleichen System gehöriger
Formen ist vielfach zu beobachten. Ich verweise hiefür besonders
auf Solmsen E2. 29,79 und Bezzenb. Beitr. 17, 333 ff., daneben
auf Meillet M^m. Soc. ling. 9,367. — Ist schließlich nicht die
konsequente Trilitteralitat der semitischen Wurzeln durch einen
derartigen Ausgleichungstrieb bedingt?
Nicht vermag ich vorläufig das der Ausscheidung der Ein-
silbler Entgegengesetzte, die Vermeidung überlanger Wortformen,
außerhalb der AugmentpräteritaJ zu belegen, wiewohl sie sicher
auch sonst vorgekommen und analog wie die Vermeidung der Ein-
silbler zu erklären ist. Und ebenso will ich an die Bedeutung
der Silbenzahl für diejenigen Formveränderungen, die man als
rein phonetisch zu betrachten gewohnt ist, eben nur erinnern.
IX
Etymologische Mittheilungen.
Von
Leo Heyer.
Vorgelegt in der Sitzung ^om 16. Jani 1906.
Dieb.
Wrede führt in seinem gothischen Wörterbach auf: thiufs
st. m. yDieb'. Das ist ungehörig. Das Wort ist viermal im Nomi-
nativ belegt und lautet thiubs: thiubs ni qvimUh (Joh. 10, 10), thiNÖs
vas (Joh. 12,6), svi thiubs in nctht sva qvimith (Thess. 1,5,2) und
ei 8a dctgs ievis sve thiubs gafahai. Die Ansetzung thiufs beruht
auf moderner Willkürlichkeit.
Der Plural thiubös (Matth. 6, 19 und 20 : tharei thiubos ni uf
gräband nih stüand; Joh. 10,8: thiubös sind jah vaididjans) erweist
thiuba- als Grundform des Wortes. Der Fluralgenetiv lautet
thiubi (Luk. 19, 46 : du ßigrja thiube). Das abgeleitete thiubja-
(nur Markus 7, 22 im Pluralnominativ thiubja) ist ,Diebstahl'.
Das Wort thiuba- gehört unmittelbar zum griechischen tvipkö-g
,blind'. Das Blinde ist das ,Nicht-sehende', bedeutet dann aber
auch in manchen Verbindungen das „Nicht-gesehene, das nicht ge-
sehen wird oder auch nicht gesehen werden will." Auch das ab-
geleitete gotbische thiuhjo ,heimlich' weist auf die letztgenannte
Bedeutung: es steht Joh. 11,28 {vöpida Marjan svistar seina^ thiuljö
gviihafidei) für griechisches Xäd-ga, Joh. 18, 20 {thiubjo ni rödida vaiht)
für iv XQvxt^,
Die Verbindung ömXadig tixploci in der Anthologie bezeichnet
Felsen, die man nicht sieht, die vom Meere bedeckt sind. Plutarch
nennt (Rom. 18) ein tdXfAa ßa^ xtd twpköv^ einen Sumpf tief und
unsichtbar. AehnHch heißt es bei ihm (SuUa 20) vom Fluß Melas
186 Leo Meyer,
ilg li(iv€cg tvq>las (, unsichtbare, versteckte Seee') xal H6dsig iq>avi'
Weiter mag aus Platarch noch angeführt sein Mor. 983, D,
wo es heißt, daß das Nest des Meereisvogels so geschickt angelegt
werde, daß es totg d' &Hoig tvtplbv (^unsichtbar') dvai nivxxi
xal XQikpiov Syyeiov.
Es mag genügen hier noch anzaführen, daß wir beim Karten-
spiel von einem „Blinden** sprechen, das heißt dem Mitspieler, den
man nicht sieht. Weiter pflegt man den Passagier einen „blinden**
zu nennen, der nicht bemerkt zu werd^n wünscht, ja, der geradezu
ein Dieb ist.
Kaum.
Unser adverbielles kaum^ mhd. küme, ahd. kuniOt lehnt sich
an eine adjectivische Form, die im weiten deutschen Sprachgebiet
nur hie und da und zwar namentlich im Niederdeutschen sich
lebendig erhalten hat, im Gothischen aber *kümj€h gelautet haben
wird. Georg Schambach führt das Adjectiv in seinem vortreff-
lichen Wörterbuch der niederdeutschen Mundart der Fürstenthümer
Göttingen und Grubenhagen als kume auf und erklärt es ,von
geringer Lebenskraft, matt, leidend, kränklich, schwach, hinfällig*.
Er belegt es mit den Sätzen hei süt kiime üt; hei was sau Imme^
dat he knappe upstän könne; Se gät ja sau küme.
Nächster Zusammenhang besteht offenbar mit qvimen ,kränkeln,
hinwelken, hinsiechen', neben dem die Wörterbücher auch ein gleich-
bedeutendes qvinen auffuhren (Schambach giebt dazu als Beispiel
de Kartuff ein quint), das mir aus dem Leben nicht bekannt ist.
Ln Grimmschen Wörterbuch (7, Seite 2370) ist die Form mit
innerem m gar nicht aufgeführt. Auch Schiller und Lübben haben
nur guinen ,hinsch winden, allmählich abnehmen, kränkeln', das sie
reichlich belegen.
Selbstverständlich gehört das innere n hier ebenso wenig wie
dort das innere m und auch das m in dem erschlossenen gothischen
Hümja- einer alten Verbalgrundform an, sondern sie können nur
suffixal sein.
Das innere ü von Hun^a- hat sich ebenso aus altem t; mit
nachbarlichem gedehntem A- Vokal entwickelt, wie zum Beispiel
im gothischen süfja ,süß, lieblich, ruhig' (Tim. 1, 2, 2 für griechi-
sches iiövxiov) neben altindischem svädü- ,süß, angenehm'.
Die zu Grunde liegende Verbalform läßt sich über das deutsche
Gebiet hinaus noch weit zurückverfolgen.
Wir finden sie im altindischen pind- ,alt, bejahrt' und gjd'
Etymologische Mittheilangen. 187
^altern' nebst gjäni- ,Schwxuid, Verlust', ^Gebrechlichkeit, Alters-
schwäche'.
Im Lateinischen gehört dazu: viescere ,yerschrampfen , welk
werden' (viiscentem ficum bei Colomella) nebst vietus ,welk, ver-
schrompft' (Ter. Eon. 4, 4,21: Mc est viStas, vetus, vetemosus senex;
Cic. Cato m. 2: sed tarnen necesse fuü, esse cUiqvid extrimum et,
tiinqvam in arborum bäds terraeqve fnuMmSj mätüritäte tempestivd
qvcisi vietutn et cadücum] Cic. div. 2,16: susjncäri contractum aitqvQ
Morbo bovis exile et exiguum et viitum cor et dissimile cordis fuisse).
Bas Lautverhältnis ist dasselbe wie zum Beispiel im alt-
indischen ytcd' ,lebendig' gegenüber dem lat. vivtAS^ gothischem qviva-
und unserem queck (in Quecksilber ,argentum vfvum') und er-quicken.
HohL
Nach weit verbreiteter Ansicht, die auch Kluge wenigstens
des Anfuhrens für werth gehalten hat, schließt sich unser hohl
an hehlen „umhüllend verbergen,^ während doch in zahllosen
Fällen, wie etwa ,hohle Hand, hohle Wangen', von hohl gesprochen
wird, ohne daß dabei irgendwie an „Hehlen* oder „Verhüllen*'
gedacht würde und auf der andern Seite hundertmal von „Hehlen*
oder „Verhüllen* die Rede ist, ohne daß dabei irgendwie der
Begriff von „hohl* in Frage käme. Die angeführte Ansicht ist
ohne Zweifel ganz und gar verfehlt. Unser hohl entspricht, wie
es auch anderwärts schon ausgesprochen worden ist, genau einem
gothischen "^hulu-, das mit Sicherheit aus goth. us-hulön ,aushöhlen'
(nur Matth. 27, 60 : galagida ita in niujamma seinamma hlaiva thatei
nshulöda — jHccT6(iTj66v^ — ana staina) und weiter auch aus hulundjd-
,Höhle' (nur Joh. 11,38: vasuh than huhindi jah staina ufarlagida
vas ufaro) entnommen werden kann. Solches hula- aber ist durch
dasselbe suffixale la gebildet, wie zum Beispiel unser faul, das
gothische füla- ,faul, stinkend' (nur Joh. 11,29: ju füls ist\ fidur-
dogs auk ist), das in engstem Zusammenhang steht mit lat. pü-tSre
jfaul sein, stinken', gr. x{>^e6^ai ,faulen', xvo^ ,Eiter', altind. pü'-
'jati ,er wird faul, er stinkt', pü^-ti- ,faul, stinkend'. Das in Frage
stehende hula- steht in nächstem Zusanmienbang mit lat. cavo-s
,hohl', dem gleichbedeutenden griechischen xorAo-^, das bei Homer
noch xd/iAo-g (nur Od. 22, 386 steht %otkov mit Vocalzusammen-
ziehung versbeginnend) lautet, und weiterhin mit altind. fünja-
4eer', gü'-na-m ,Leere', ,Mangel', günä- ,ge8chwollen, aufgedunsen',
die sämmtiüch zu altind. gm-: giäjati ,er schwillt an' gehören.
188 J-'CO Meyer,
Waare.
Die homerischen zn infiBO^ai, ,im Kaufgeschäft sich verschafPen,
kanfen' gehörigen Formen haben kein anlautendes /, so erweisen es
Od. 14,202: i^kk d' &vi]tii xitu {k^nQ^ IL 21,41: t;f6^ 'Ii/^6ovo$ &vov
idusnuvy n. 23,746: vlog Sh IlQiaiioio Avxdovog &vov idmtuv^ Od.
15,388 = 429: 8 *' S^^ov &vov idanuv, Od. 15,445: ixeiysti 9*
äyifov bdcUmv und Od. 15,452: 8 (f ifilv {ilvqCov &vov äktpoi. Nach
bekannter Regel: denn ursprünglich hatte dyvieö^cci anlautendes fj
wie noch aus zahlreichen augmentirten und reduplicirten nach-
homerischen Formen hervorgeht, wie
ifovo'öiiriv (aus Hj-mvovuLttii) Eup. 2,505; Andok. 1,134;
iiovif^eaxo Plut. mor. 176, C. Plut. Cic. 3 ; Earystios bei Athen.
12,60;
imvi/i^ Xen. mem. 2, 7, 12; iüvrjftai. (iftis ^feFdnftjftai) Ar. Friede
1182;
imvrifiivov Ar. Plut. 7.
Aus dem Lateinischen gehört hierher vhm* oder veno- ,Eauf-
geschäft' (nur im Accusativ venum und Dativ venui oder venö\
das am Häufigsten in den Verbindungen venire (aus vinum Ire) ,in
Kaufgeschäft gehen', d. i. ,verkauft werden' und vendere (aus venum
dare) ,in Kaufgeschäft geben' d. i. „verkaufen^ gebraucht wird.
Daß im Ghriechischen wie im Lateinischen die gedehnten inneren
Vokale — dort a>, hier i — ihre Entwicklung dem Ausfall eines
alten Zischlauts vor unmittelbar folgendem Nassal verdanken,
wird durch das Altindische erwiesen, das die durchsichtige Form
vasnd" ,Kaufpreis' als zweifellos nächstzugehörige bietet. So Rv.
4, 24, 9 : bhü'jasä vasndm acarat kdnijas „für sehr viel wollte er ge-
ringen Kaufpreis^. Dazu gehört das Particip vasnqjdnU ,feilschend',
wie Rv. 6, 47, 21 : dhan ddsd' vrshabhds vasnajdntd ,der stierkräftige
tödtete die beiden feilschenden (Miethlohn verlangenden) Dd8a\
Weiter gehört noch dazu vdsnia «verkäuflich', wie Rv. 10,34,3:
dfvasja iva gdratas vdsniasja ,wie eines alten verkäuflichen (werth-
losen) Pferdes'. Deutlich löst sich suffixales na ab und daneben
stellt sich ein vas als Verbalgrundform heraus.
Dazu aber wird unser Waare gehören mit der Bedeutung
,zu kaufendes, Eaufmaterial, Handelsmaterial'.
Das innere r wird sich aus altem Zischlaut entwickelt haben
und so läßt sich als gothische Form ein *va£fd muthmaßen. Kluge
sagt allerdings „Gothisches *war6 (aber nicht ^waeS) muß voraus-
gesetzt werden:^ für dieses „muß^ aber fehlt bei ihm jede nähere
Etymologische Mittheflungen. 189
Begrtindaxig. Er kennt ja keine Etymologie des Worts and die
Erklärung, die er yermnthet, tangt nichts.
Die alte Form mit innerem Zischlaut nnserm Waare und znm
Beispiel dem entsprechenden englischen wäre gegenüber vergleicht
sich unmittelbar dem aus unserm baar und englischem bare zu er-
schließenden gothischen ^baza-^ dessen innerer Zischlaut durch das
entsprechende altslavische bosü und litauische bdsas ,barfiißig' er-
wiesen wird.
Speck.
In Bezug auf die Etymologie des Wortes Speck beschränkt sich
Kluge auf die Bemerkung, daß diese ^^urgermanische Bezeichnung^
gern mit dem altindischen pivan- und griechischen xtov in Zusam-
menhang gebracht werde, die doch besser unausgesprochen ge-
blieben wäre, da sie gar keinen Werth hat.
Das adjectivische in't?an- = gr. nlov-^ alt xt/ov- ,fett' schließt
sich an eine alte Verbalgrundform pi oder pjä, die sich sehr weit
verfolgen läßt. Zu ihr gehört unter anderm unser feucht ^ weiter
das substantivische Fichte] ferner das lateinische pinu-s ,Fichte',
eigentlich „die fettige, die harzige", das griechische nCxv-g »Fichte'
und weiterhin zum Beispiel auch unser Fisch, goth. fiska-, lat. pisci-,
eigentlich ,der fettige, der schleimige', das sich an altind. pichär
(aus *pigcä') ,Schleim' und pichaia- ,schleimig, schlüpfrig* anschließt.
Bas Wort Speck weist nach einer ganz und gar andern Seite.
Es entspricht dem griechischen 6ii6yyO'gy das den „Schwamm^ be-
zeichnet, mit dem man abwischt, dann aber auch ,schwammartiges,
schwammiges', wie denn zum Beispiel Hippokrates (3, S. 614 bei
Kühn, zweimal) 6n6yyoi, von (schwammigen, porösen) ,Halsdrüsen'
gebraucht. Fett lost sich leicht auf, setzt kleine Theilchen ab,
macht schmutzig, während Speck, wenn auch schwammig und be-
weglich, doch eine zusammenhängende Masse zu bleiben pflegt.
Der Nasal des griechischen Wortes fehlt dem deutschen, wie
gelegentlich auch das Umgekehrte vorkommt, wie wenn unserm
Ring^ das in gothischer Form *hriggs lauten würde, das griechische
TtQixo-s gegenüber steht.
Qe- (gothisch ga-).
In Bezug auf die inWörtern möglichen Consonantenverbindungen
oder, wie maus wohl gewöhnlich nennt, consonantischen Gruppen
gilt für die indogermanischen Sprachen im Allgemeinen die Regel,
daß die meisten sich im Innern von Wörtern, das heißt also
190 Leo Meyer,
zwischen je zwei Vokalen finden, weniger im Anfang von Wörtern,
die wenigsten wortabschließend: doch giebt es davon auch manche
Ausnahmen, wie wenn zom Beispiel die lateinischen arx und merx
die dreilantige Verbindung r-k-s im Auslaut zulassen, die doch
in mersi (aus *mercsi\ und tnersus (zunächst ans *mercsus)f ursus
(zunächst aus *urcsu8) und sonst vermieden ist.
Im Gothischen findet sich £d am Wortende in hujed ,Schatz*, im
Wortinnem zum Beispiel im Dativ huzda oder zum Beispiel in
miedö ,Lohn' und mit einem noch weitem Consonanten verbunden in
huzdjan ,Schätze sammeln' (Kor. 2,12,14; hujsdjaith Matth. 6,19 und
20). Wortbeginnend aber begegnet kein sd, wie anlautendes s in
echt gothischen Wörtern überhaupt — weder vor Consonanten
noch auch vor Vocalen — nicht vorkommt.
Wortschließendes eg ist möglicher Weise vereinzelt im Gro-
thischen vorgekommen, im Wortinnem, also zwischen Vocalen, findet
sichs nur in cusgö (Matth. 11,21; Luk. 10,13; Jobanneserklärung
III c), dem althochdeutsches asca^ unser Äsche entspricht. Daß eg
kein gothisches Wort beginnt, wurde indirekt eben schon aus-
gesprochen, daß es aber einst so vorhanden gewesen ist, kann
nicht bezweifelt werden. Als bestimmtes Beispiel dafür darf
*£ga angeführt werden, aus dem das Präfix ga hervorgegangen
sein wird.
Daß das alte e kein sehr widerstandsfähiger, sondern ein sehr
schwacher Laut ist, das zeigen ein paar Wörter, in denen es, aller-
dings noch nicht auf gothischem Boden, vor unmittelbar folgendem
Consonanten, auch inlautend, ganz erloschen ist, so das althoch-
deutsche iwara (Graff* 1,573— B77), mittelhochdeutsche iuioer^ unser
etier, die in gothischer Form noch izvara- lauten. Dem gothischen
miedö ,Lohn', das dem griechischen (ii^ö^og ,Lohn* ganz nahe steht,
entspricht ahd. mieta, mhd. miäey unser Miethe, in denen der
Zischlaut erloschen ist. Auch unser zunächst niederdeutsches
Hede wird hier noch angeführt werden dürfen, da es mittelnieder-
ländischem herde «Flachsfaser' und angelsächsischem keorde gegenüber-
steht und gothisch wohl *haedjö gelautet haben wird und wohl zu
unserm Haar (goth. ^keea-?) gehört, weiterhin vielleicht zu lat.
tärere .kräuseln' (aus cäsere?), gr. xo^i] ,Haupthaar' (aus KoöiAtj?).
Das aus ga entnommene ältere ega entwickelte sieb ohne
Zweifel unter starker Betonung seines Schlußvocals aus ursprüng-
licher Zweisilbigkeit in ganz ähnlicher Weise wie zum Beispiel
das gothische ba- ,beide' neben dem unmittelbar zugehörigen 6i
,um', eigentlich ,auf beiden (Seiten*), die eine alte ganze erste Silbe
einbüßten, da sie unmittelbar zu altindischem ubhä- ,beides' gehören
Etymologische BCittheilongen. 191
und zn dem griecbschen äiupo- ,beide8' und iiiq>i ,iim\ Nur in der
letzten Form erhielt sich die alte Betonong, die in fft^o- einer
jüngeren nachgab.
Das noch yorgothische — wie man es nennen kann — £ga
entspricht genau dem altindischen sahd- (ans *saghd), das ,zasammen'
(eigentlich ,an demselben , an äinem Ort' ; Ry. 6, 62, 1 : daga gatd
sahd tasihus zehnhondert standen zusammen; 6, 63, 14: sid^ma . . scthd
jwir mögen beisammen sein') bedeutet und dann auch für ,mit' ge-
braucht wird , welches letztere ursprünglich der Instrumental
allein bedeutet, den Ewald deshalb auch lieber als ^^Comitatiy^
bezeichnet. Der erste Theil yon stihd ist dasselbe mit dem sa-,
wie es zum Beispiel in 8d'ni4a'' ^demselben Nest, demselben Wohnsitz
angehörig' enthalten ist und das als einfaches i in griechischen
Formen wie Sloxog ^demselben Lager angehörig, äinem Lager ange-
hörig' noch entgegentritt.
Ein dem altindischen sahd entsprechendes griechisches *ixd
findet sich, wie es scheint, nirgend mehr, sein Schlußtheil aber ist
noch enthalten in dixa ,in zwei Theile' (11.18,610; 20,32; 21,386),
xQiia ,in drei Theile' (11.2,665; Od. 8,606; 9,167), thgaxa ,in
vier Theüe' (Plat. Gorg. 464, C), xivxaxa ,in fünf Theüe, in fünf
Abtheilungen' (xoönri^ivteg ib. 12, 87), intaxoc ,in sieben Theile
getheilt' (Od. 14,434). Wie sich die scheinbar ganz gleichwerthigen
Formen dix^d ,in zwei Theile' (IL 16,436; Od. 1,23), xQtx^a ,in drei
Theüe' (IL 2,668; 3,363; 16,189), nrQax^d ,in yier Theüe' (D.
3, 363 ; Od. 9, 71) zu den angeführten auf j;a etymologisch yer-
halten, ist mir noch unverständlich.
Die rythmiBchen Jamben des AuBpicius.
Von
Wilhelm Meyer aus Speyer.
Vorgelegt in der Sitzung vom 16. Juni 1906.
Seit einigen Jahrhunderten ist hie und da ein Briefgedicht
gedruckt worden, welches ein Freund des Dichters Sidonius, der
Bischof Auspicius von Toul, um 460 an den Arbogast, Comes
in Trier, gerichtet hat. Wilh. Brandes in Wolfenbüttel wurde
auf dies Gedicht aufmerksam und hat es zum Jahresbericht des
Herzogl. Gymnasiums 1905 herausgegeben unter dem Titel: Des
Auspicius von Toul rythmische Epistel an Arbogastes von Trier.
Darin bespricht er 1) die Handschrift, den Codex Vaticano-Pala-
tinus in Rom, no. 869 (aus Lorsch, IX. Jahrb.), wo Bl. 19*, 19*^
und 20* dieses Gedicht überliefert ist; dann die sehr ungenügenden
Ausgaben, von denen die letzte, Monumenta G. H. Epistolae III, 1892,
S. 136, sich fast auf einen Abdruck der Handschrift beschränkt.
Zweitens gibt Brandes den Text des Gedichtes mit einem
Commentar. Hiebei hat er ziemlich viele Stellen sicher gebessert.
Drittens bespricht Brandes 'Zeit und Menschen', wobei er
zu dem Schluß kommt, der Brief sei im Jahre 475/6 geschrieben.
Viertens untersucht Brandes den 'Rythmus'. Er kommt dabei
(S. 32) zu *dem wiederholt betonten Nachweise W. Meyer gegen-
über, daß es eine frühe Stufe des rythmischen Hymnus gegeben
hat, auf der man thatsächlich und bewußt nach ganz bestimmten
Gesetzen an die Stelle der vom Yersaccente getroffenen langen
Silben der quantitier enden Vorbilder die mit starkem Wortaccent
gesprochenen Silben und an die Stelle der nicht vom Versaccent
getroffenen langen oder kurzen die mit schwachem Wortaccent
gesprochenen gerückt hat'.
Wilhelm Meyer, Die rythmischen Jamben des AoBpicius. 193
Brandes hat S. 26 Feiice Ramorino erinnert, daß er das
Gedicht des Anspidas nicht so für seine Zwecke (betr. Ursprung
der lateinischen rythmischen Dichtung) aasgenützt habe, wie er
konnte und sollte. Ramorino gibt jetzt in der Rivista Storico-
Critica delle Sdenze Teologiche, Anno ü, Fase. Y, einen Bericht
über die Arbeit von Brandes. Er gibt zuerst kritische Vorschläge
zu etlichen Versen. Dann bespricht er, Brandes folgend, kurz
den Zeilenbau des Gredichtes und findet hier eine Bestätigung seiner
und vieler Anderer Ansicht, daß in der späteren Eaiserzeit bei
dem Verderb der quantitirenden Aussprache ira i verseggiatori
di volgo si composero addirittura versi modellati sempre sui tipi
classid, ma con sostituzione dell' accento all' idus prima connesso
con la pronuncia quantitativa'. Er schließt: la cosa mi pare cosi
evidente e chiara che io non capisco come uomini eminenti, quali
Gruglielmo Meyer di Gottinga, della cui amici^ia pure mi onoro,
persistano ad affermare della ritmica latina come della greca un'
origine Orientale.
An unseren verschiedenen Theorien über den Ursprung und
über die Anfänge der rythmischen Dichtung ist zuletzt wenig
gelegen. Allein damit steht in engem Zusammenhang die Frage,
ob die rythmischen lateinischen Gedichte nach einer mechanischen
Schablone gesprochen wurden, so daß je eine betonte und eine
unbetonte Silbe sich folgten, oder ob sie durchaus nach dem Wort-
accent vorgetragen wurden, so daß der Mensch hier im Liede
ebenso sprach wie sonst im wechselvollen Leben. Die mittel-
lateinischen Lieder waren aber hauptsächlich zum Vortrag bestimmt.
Deßhalb berührt jene Frage über den Ursprung der rythmischen
Dichtung nach meinem Gefühl zugleich die Seele dieser formen-
schönen Dichtung. Und deßhalb möchte ich hier Klarheit haben.
Als Brandes seine Arbeit mir gesendet hatte, habe ich in
einem längeren Brief geantwortet. Nachdem jetzt auch Ramorino
auf den Plan tritt, scheint es mir im Interesse der Wissenschaft,
das Gedicht, an welches sie ihre Untersuchungen und Sätze ge-
knüpft haben, noch einmal zu prüfen. Ich schicke den Text
voran, zu dem ich eine Photographie benütze, welche ich der be-
währten Güte P. Ehrles, des Vorstands der Vatikanischen Biblio-
thek verdanke^).
1) Es ist eine Freude, wie heutzutage die Technik der Wissenschaft hflft.
An einem Mittwoch schrieb ich an P. Ehrle und bat um die Photographie: am
nächsten Mittwoch hatte ich die 3 Blätter schon in Händen.
194
Wilhelm Meyer,
Epistula auspici episcopi ecclesiae tüllensis
ad arbogastem comitem treverorum.
Praecelso et spectabili
bis Arbogasti comiti
Aaspidns, qai diligo,
4 salutem dico plarimam.
Magnas caelesti domino
rependo corde gratias,
qnod te TüUensi proxime
8 magnnm in urbe vidimus. 9
Mnltis me tnis actibns
laetificabas antea;
sed nunc fecistp maximo
12 me exnltare gaudio. 10
Maior et enim solito
appamisti omnibas,
nt potestatis ordinem
16 inlustri mente vinceres. 11
Cni <hic> honor debitns
maiore nobis gandio,
nondmn delatas nomine,
20 iam est conlatus meritis. 12
Plus est enim laadabile
vimm falgere actibns,
qnam praetentare lampadem
24 sine scintillae lumine. 13
Sed tu qnod totis gradibns
plas es qnam esse diceris,
erit, credo. velocins,
28 nt (nomen) reddant merita.
8 Clams et enim genere
clarns et vitae moribns
instns pndicns sobrins
32 totns inlnstris redderis.
Pater in cnnctis nobilis
fnit tibi Arigins:
cnins tu famam nobilem
36 ant renovas ant superas.
Sed tnns honor novns est
einsque tibi permanet,
et geminato lumine
40 sie tu praeluces omnibus.
Cuiusque nemo dubitet
felidtati praestitum,
ut superesset genetrix
44 tibi laudanda omnibus.
Quae te sie cunctis copiis
replet et omat pariter,
ut sis babundans usibas
48 et sis decorus actibns.
Congratulandum tibi est,
Trevirorum civitas,
T = Codex Vaticano-Palatinufl 869 (saec. IX f. 19»): XXm EPISTULA etc.
1 et spect. : expect. Y 13 solito Brandes (subito Ramorino) : solitas T m. i,
solus m. 2; am Rand m, 2: t (7 = require, d. h, ein anderes Exemplar) 16 in-
Instrae T m, 1, illostri J m. 2 17 Cui hie Brandes: cui T, cui sie vel cnique
Chmdlaeh, sie cui Ramarino 20 collatus Y m. 2 21 laudabile Meyer-, lau-
dabilem T (le mü einem Strich, wekher van 1 atisgehend mit einem Haken über
e endet) ; *d piü lodevole che un uomo risplenda per gli atti suoi, anzi che portar
avanti una lampada spenta' Ramorino 28 lampadem oder lampadam Meyer
(T lampadae mü demselben, van d ausgebenden Striche, mit dem oben laudabilem
gesehrieben ist): lampada sonst 24 fine T m. 1: sine Y m. 2-, scintille Y
25 quod oder quia Brandes : qui Y, was mü Anakbluih Ramor. billigt 26 plus
est Y m. 1, pl. es Y m. ^ diceres Y m. i, diceris Y «. ^ 28 nomen Brandes:
fehlt in Y 37 novus oder vivus Ramorino: eius Y 40 praelucis Y ffi. 1,
praeluces Y m. 2-, am Rand Y m. 2: uel pcluis, doch praecluis wäre ryihmisch
falsch 41 mit Cuius beginnt f. 19i> in Y 41 Cuius, dasu q; m. 1 Über der
Zeile, Y 60 Treverorum Brandes, wie in der Uebersehrift.
Die lythmischen Jamben des Anspicios.
195
qnae tali viro regeris,
52 antiqnis conparabili.
14 De magno, credo, semine
descendit sai nominis.
carte virtntis eins est,
56 nt Arbogastes legitnr.
15 Scribantnr in annalibns
hnins trinmphi pariter,
sicnt et eins scripti snnt,
60 qnem snpra memoravimns.
16 Sed hoc addamns meritum
hnic, qno vere maior est,
qnod Christi nomen invocat
64 religioni deditas.
17 Fnit in armis alacer
ille antiqnns — vernm est — :
sed infidelis moritnr
68 et morte cnncta perdidit.
18 Hie autem noster strennns,
belligerosns, inclitns
et) qnod his cnnctis mains est,
72 cnltor divini nominis.
19 Nnnc antem, fili sapiens,
qnaeso, dignanter accipe
tni cnltoris paginam,
76 qnam ex amore porrigo.
20 Primnm deposco, copias
conlatas tanta gratia
in te conseryes integras
80 et bonis mnltis afflnas!
21 Unnm repelle vitinm,
ne corda pnra inqainet,
qnod esse sacris scribitnr
84 radix malomm omninm:
22 Cnpiditatem scilicet,
qnae in alnmnos '^'desaevit
nee saeva pardt rabie,
88 qnornm amore pascitnr.
23 Hos, inqnam, semper devorat,
famem edendo proferens,
et velnt ignis addito
92 snccensa crescit pabnlo.
24 Sed haec non ita dixerim,
qnod te hoc damnem crimine ;
tamen deposco diligens,
96 nt nee scintilla vnlneret.
26 Qnam si forte inprovidns
qnandoqne inescaveris,
dto flagrabit niminm
100 angendnm in incendinm.
26 Tende per mnndnm ocnlos,
ceme primates saecnli
aut interire cnpidos
104 ant in periclis vivere.
27 Conradnnt, qnaernnt, inhiant,
velnt sagaces avidi;
et haec nee ipsi possident,
108 sed nee relinqnnnt posteris.
52 conparabili Freher: conparabilem T m. 1, lis Y m, 2 54 sui Bamo-
rino: im Y, ortus Brandes 56 Arbogastis Y 57 scribentur? Brandes
59 scripta Y m. i, scripti Y m. ^ 62 quo Brandes: quem Y m, 1, qoi Y m, 2
maior est Y m. 2, maiorem Y m. 1 77 copias Brandes: copias Y 78 gratias
Y m. 2 80 afHuas Meyer: affines Y 86 qnem Y m. i, dann ist m aus-
radirt 86 desaenit ist rt/thmisch falsch und vor nee saeva häßlich 87 rabie
Brandes: rabiem Y 89 Haec? Brandes 90 edendo proferens Brandes:
edendum perferens Y (edendam Y m. 2) 91 nnd 92 addito . . pabnlo Y m. 2:
additnm . . pabulnm Y m. 1 93 non ita non dix. Y m. 1; das 2, non tilgte
Y m. 2 96 uulnere Y m. i, t seUte mu Y m, 2 99 scito Y m. 1, doch ist
das s halb getilgt] Chtndlach cito flagranit Y m. i, flagrabit Y m. 2
100 augendi rem Brandes; vgl Bcdes, 11,84 a scintilla nna angetur ignis
101 mit Tende beginnt f. 20* in Y 102 cemes? Brandes 102 primate
Y m. 1; s setzte zu Y m, 2 105 Corradunt Y m. 2 105 iniant Y m. 1^
inhiant Y m. 2 106 Über sagaces schrieb Y m. 2 vel canes.
196
Wilhelm Mejer,
28 Tarnen non generaliter 35
ista de cimctis dixerim,
sed nt pancomm dedecns
112 sit multis emendatio.
29 Ta antem, vir eximie, 36
iadex multorum providus,
tni repente pectoris
116 secreta iudex perspicel
30 Huius si ullam senseris 37
parvam veneni gattalam,
dulci perfonde oleo,
120 ne serpat in visceribas.
31 Nee hoc ignoras olemn 38
pro taa sapientia,
qnod est conctorom paapemm
124 mercatnm elemosinis.
32 Eis te exerce studiis, 39
haec concta bona perage,
ut mera tibi maneant
128 et perseverent gandia.
33 Nam parum esse noveris, 40
si qnisqaam nolla rapiat
et obdurato pectore
132 soa praeclndat miseris.
34 Non moltum sibi consnlit, 41
qui sie evitat rabiem
cupiditatis, ut simul
136 incurrat avaritiae.
Nam ista dno crimina
velut cognata genere
et geminata specie
140 nimis conioncta permanent.
Haec qni sectantnr vitia,
hoc nno distant miseri:
qaod onus horom malus est
144 et ille alter pessimns.
Unde, mi cara dignitas,
tu, quaeso, fili unice,
sie alienis abstine,
148 ut tua sanctis tribuas!
Illudque super omnia
memor in corde retine,
quod te iam sacerdotio
152 praefiguratum teneo.
Hanc, quaeso, serva gratiam
et illis cresce meritis,
ut praelocuta populi
156 vox caelo sacra veniat.
Sanctum et primum omnibus
nostrumque papam lamblichum
honora, corde dilige,
160 ut diligaris postmodum.
Cui quidquid tribueris,
tibi in Christo praeparas:
haec recepturus postmodum,
164 quae ipse seminaveris.
Explicit.
111 dedecus 1 m. 2: deditus Y m. i 112 emendatio Freher: emanatio T
113 eximiae Y 118 ueni hcU Y m. 1 zu ueneni geändert 119 dulce Y m. 1.
dulci V w. 2 122 tua Brandes: tui V 127 mea V, mera Brandes^ uera
Bamorino 130 uullam Y sOy daß das m zum Theil ausradirt ist 131 pec-
tora Y m. i, pectore Y m, 2 182 recludat Y m. 1: precludat Y m. 2
138 cognota Y m. 1: cognata Y m. 2 141 und 142 schrieb so Brandes S, 13,
Y hat: Haec qui sectantur miseri hoc unum distat uitium; Brandes S. 6: Haec
qui sectantur, miseri; hoc uno distat vitium; Z, 142 schreibt Bamorino: hoc uno
distant vitio 146 unicae Y 147 sie ab alienis Y 152 teneo =r pro
certo credo 155 praelocuta, d. h. voce 157 omnium? Brandes 158 in
que hat die 2. Hand unter dem 1, Strich des u einen Strich iibwärts gezogen und
unter dem 2, Strich einen kleinen Querstrich gezogen, als wolle sie que zu q;
ändern und hdbe vergessen^ das e zu tilgen 158 iam lychum Y 162 pre-
paras Y, reparas Freher-, tibi d. h. futuro episcopo.
Die rythmischen Jamben des Aaspicios. 197
Aufbau des Gedichtes Brandes bespricht (S. 8 — 13) den
Inhalt des Gredichtes in folgenden Abschnitten: Z. 1—4. 6—32.
33—48. 49-72. 73—100. 101—124. 12B— 144. 145—164.
So viel ich sehe, entwickelt Anspicius seine Gedanken in
folgender Weise: 18 Strophen (Lob). 1 Strophe (Uebergang).
18 Strophen (Warnung vor der Cnpiditas, 9 Strophen, und vor
der Avaritia, 9 Strophen). 4 Strophen (Schluß).
Strophe 1—18: Lob des Arbogast : Str. 1 Grruß Str.
2 nnd 3: mit Freude habe ich dich neulich in Toul begrüßt
denn (Str. 4 — 8) du, der Comes, verdienst in allen Stücken (totus)
schon jetzt den Titel des Vir inlustris, besonders wegen deiner
Abkunft (Str. 9—12) und wegen deiner eigenen Verdienste (vitae
mores = actus, Str. 13 — 18).
Uebergang: Str. 19: Nimm, weiser Sohn, eine liebevolle
Ermahnung freundlich auf.
Strophe 19—37: Ermahnung: Möge Gott deinen Besitz
dir erhalten und mehren; doch hüte dich vor ^er Cupiditas, welche
so viele hohe Herrn befleckt (Str. 20—28); anderseits übe Mild-
thätigkeit und meide ihre Kehrseite, die Avaritia, die Schwester
der Cupiditas (Str. 29-37).
Strophe 38—41: der wichtige Schluß: halte dich so, be-
sonders deßhalb, weil nach meiner Ueberzeugung du selbst noch
Bischof werden wirst; ehrst du deinen Bischof Jamblichus, so
hast du als sein einstiger Nachfolger um so mehr gleiche Ehr-
furcht zu erwarten.
Die Strophen und deren Bythmik Die Zeilen sind in der
Handschrift so geschrieben:
Multis me tuis actibus laetificabas antea
Sed nunc fecisti maximo me exultare gaudio.
Ebenso sind sie in den Monumenta gedruckt. Brandes hebt hervor,
daß er das Gedicht in Kurzzeilen zu je acht Silben drucken lasse,
und gibt dafür S. 26 auch folgenden Grund: ^Drittens fallt, wie
zwischen die Lang-, so auch zwischen die Halbzeilen durchgehends
ein syntaktischer Einschnitt, soweit dies bei so kleinen Abschnitten
möglich ist'. Damit ist eine wichtige rythmische Frage mehr
versteckt als gestellt oder beantwortet.
Es ist eine merkwürdige Erscheinung, vde die christliche
Dichtnng von ihrem ersten Auftreten an es liebt, die Kurzzeilen
zu Langzeilen und die Langzeilen zu Gruppen oder Strophen, ja
später sogar mehrere Strophen in wiederkehrende Strophen-Gruppen
zusammenzufassen (vgl. meine Ges. Abhandlungen, Register unter
KgL Qm. d. WIM. MMkrIektoa. PkUoloff.-blrtor. KImm. 1906. Htft 2. 14
198 Wilhelm Meyer,
Korzzeilen, Langzeilen, Strophengruppen). Dieses Streben steht
wohl in Verbindung mit dem Eirchengesang. Schon Commodian
setzte in dem Apologeticnm nach jedem 2. Hexameter eine stärkere
Sinnespanse (Ges. Abhandinngen 11 39), und Augostin kennzeichnete
die nach jedem 2. Achtsilber eintretende Sinnespaase noch durch
den Eeim auf e. Die jambischen Achtsilber treten in Gruppen
oder Strophen von je 4 Zeilen gebunden auf bei Prudentius, Am-
brosius, Sedulius und ihren Nachfolgern; in den Dimeter-Beihen
bei Ausonius fand ich keine regelmäßige Gruppirung, weder zu 2
noch zu 3 noch zu 4. Ich habe (Ges. Abhandlungen 11 119
Note) aufmerksam gemacht, daß Ambrosius diese vierzeilige Strophe
in 2 Gruppen von je 2 Eurzzeilen zerlegt hat, indem nach der
2. Eurzzeile fast immer eine stärkere Sinnespause steht als
zwischen der 1. und 2. oder zwischen der 3. und 4. Zeile. Die-
selbe Kegel befolgt schon Prudentius, dann Sedulius und Fortunat.
Ennodius baut zwar auch Hymnen von je 8 Strophen, wie Am-
brosius; allein die \feise, wie er jene Wohlklangsregel mißachtet,
macht deren Herrschaft bei jenen andern Dichtem um so deutlicher.
Diese Zerlegung der Strophen in kleinere Absätze ist beim
Studium aller mittelalterlichen Strophen eine wichtige Sache.
Allein es ist nur eine Wohlklangsregel, d.h. aus wichtigen
Gründen kaim sie verletzt werden. So ists ja auch in unsern
Liedern, z. B. :
Wenn dich aber hoch beflecket
deiner Weisheit stolzer Witz,
sich alsdann vor dir verstecket
wahrer Wahrheit klarer Blitz;
wenn der Buchstab dich gefangen,
kannst du nicht zum Geist gelangen.
Hier ist naturgemäß nach jeder 2. Eurzzeile oder nach jeder Lang-
zeile eine mittelstarke Sinnespause; ebenso sind noch 2 andere
Strophen des Liedes gegliedert. Dagegen in der ersten Strophe des
Lieds kann sich der Dichter nicht so schicken, sondern theilt:
Klein und arm an Herz und Munde
mußt du sein, wenn Christus soll
gehen auf in deinem Grunde;
denn die Rose und Viol
wächst im Thal der niedern Seelen,
die nichts Hohes sich erwählen.
Ebenso klar und natürlich ist die Yertheilung der Sinnespausen
z. B. in Gerhards Passionslied:
Die rythmischen Jamben dee Anspicins. 199
Wenn ich einmal soll scheiden,
so scheide nicht von mir!
wenn ich den Tod soll leiden^
so tritt du dann herfiir!
Wenn mir am allerbängsten
wird nm das Herze sein,
so reiß mich ans den Aengsten
krafft deiner Angst nnd Pein.
Und dennoch, neben dieser Strophe nnd ihren Genossen steht die
Strophe:
Dn edles Angesichte,
dafür sonst schreckt und scheut
das große Weltgerichte,
wie bist du so bespeit!
wie bist du so erbleichet!
Wer hat dein Augenlicht,
dem sonst kein Licht mehr gleichet,
so schändlich zugericht?
Ein Hexiuneter darf nie 5 Fuße haben, nie 7: aber solche Wohl-
klangsregeln dürfen hie und da verletzt werden. Aber dennoch
waren die Dichter sich ihrer bewußt, und ohne ihre Eenntniß
würde die Formschönheit der rythmischen Dichtung nicht gewür-
digt werden. So wird auch in den ambrosianischen Strophen die
schon durch die Melodien angedeutete stärkere Sinnespause nach
der 2. Eurzzeile von Ambrosius selbst vernachlässigt in etlichen
leichteren Fällen, wie Hymnus II 3 oder VIII 3 (bei Dreves 1893),
und in den schweren Ausnahmen im Hymnus VII 1, X 2, XI 1. 7,
XIII 7, xvn 8, xvni 3.
Auspicius will zunächst seine Strophen mit einer starken
Sinnespause schließen; diese Regel vernachlässigt er nur im
Schlüsse der 21. Strophe. Eine schwächere Sinnespause soll in
der Mitte jeder Strophe stehen. Der 2. Theil der Strophen be-
ginnt deßhalb so oft mit den Wörtern: sed et tamen ut quod.
Häufig ist die Sinnespause anders angedeutet. So nennt in der
1. Strophe der 1. Theil den Adressaten, der 2. den Absender:
Praecelso et spectabili his Arbogasti comiti
Auspicius, qui diligo, salutem dico plurimam.
Oder der 1. Theil enthält das Yerbum, der 2. das Objekt, wie in
Strophe 19:
Nunc antem, fili sapiens, quaeso, dignanter accipe
tui cultoris paginam, quam ex amore porrigo.
14*
200
Wilhelm Meyer,
Einige Strophen sind minder regulär gebaut:
77 Primom deposco, copias conlatas tanta gratia
in te conserves integras et bonis moltis aMaas.
Wenn 'in te' za conlatas gehört, so fehlt die Pause in der Mitte
ganz. Die Grliederung der Strophe wäre noch schlimmer, wenn
die Lesart der Handschrift 'affines' richtig, also vor 'et', als dem
Folgesatz, einzuschneiden wäre.
Die 22. Strophe, welche schon oben als auffallend bezeichnet
wurde, hat die Nebenpause nach der 1. Eurzzeile. Auffallender
ist die Grliederung der 34. Strophe:
133 Non multum sibi consulit, qui sie evitat rabiem
cupiditatis, ut simul incurrat avaritiae.
Die 35. Strophe hat keine Nebenpause, und die 36. Strophe wäre
sehr bedenklich mit der Lesart:
141 Haec qui sectantur, miseri; hoc uno distat vitium,
quod unus herum malus est et ille alter pessimus.
Diese wenigen und milden Ausnahmen erschüttern nicht die
Regel: Auspicius wollte seine Strophen am Ende durch
eine starke Sinnespause beschließen und durch eine
schwächere Sinnespause in der Mitte in 2 gleiche
Theile gliedern.
Richtig ist die Bemerkung Eberts, Geschichte der Literatur
des Mittelalters I S. 649, 'daß Beda die jambischen Dimeter der
ambrosianischen Hjrmnen als Tetrameter betrachtet und so auch
nennt, so daß er die Verse der vierzeiligen jambischen Strophe
nur als versiculi — bei ihm gleich Hemistichen — ansieht, von
denen zwei erst einen versus bilden'. Ebert hat sich freilich nicht
um den Sinn der Zeilen gekümmert. Diese jambischen Acht-
silber sind in den oben genannten Fällen als Langzeilen gedacht;
ebenso die der Angelsachsen und ihr Nachbild bei Otfrid. Diese
Zeilen sind auch in den alten Handschriften als Langzeilen ge-
schrieben.
Wie sollen min diese Zeilen gedruckt werden? Wer mehr
auf den Sinn gibt, muß gie in Langzeikm drucken lassen j wer
mehr auf praktiBche Zwecke gibt, in KurjBEeilen. Es ist die
Fraj^e, die fast alle Herausgeber — ^^^^-^Uerliclier lyrischer Ge-
ditilitt^ peinigt* Beso nders schwiad "i bei Sequenzen; vgL
a« B- nmm <tp litiiiH*«J ^'* Praktiker» wie
MoM und Di^ T&i* die RorzEeUsn«
Die rythmischen Jamben des Anspidos. 201
Der Zellenbaa des Anspleiiis.
HIatas Gab es schon im Alterthom Prosaiker, welche
darauf achteten, ob einem Vokal im Wortschloß ein Vokal im
Wortanfang folge ¥de in 'magno ansu', so ist es kein Wnnder,
daß auch in der rTthmischen Dichtung, welche nach meiner An-
sicht nur eine verfeinerte Prosa sein sollte, darauf geachtet wurde.
Das geschah in der groben Zeit der Rythmik grob, in der feinen
fein, d. h. in der Blüthezeit, im 12. und 13. Jahrhundert, war die
häufige Zulassung des Hiatus ein Fehler, in der alten war seine
seltene Zulassung ein besonderer Vorzug. Auspicius läßt in
seinen Achtsilbem 20 Mal schließenden und anfangenden Vokal
zusammenstoßen: geht also weit in der Zulassung des Hiatus.
Daktylischer Wortschlnss Wörter, wie corpSrä konnten
schon in den quantitirenden Jamben und Trochaeen der Lateiner
nur schwer ihre beiden letzten Silben unterbringen; diese beiden
schließenden Kürzen durften eigentlich weder eine zweisilbige
Senkung noch eine Hebung bilden.
Die Rolle dieser daktylischen Wortschlüsse in der Rythmik
ist noch nicht ganz erhellt. Gaston Paris hat zuerst hervor-
gehoben, daß in der Blüthezeit der mittellateinischen Dichtung
Zeilen, ¥de firröä voce fr^mitans oder t^te söspitöm sördibus, ge-
mieden wurden. In der alten Zeit finden sie sich etwas häufiger, doch
war die IJnschönheit dieser daktylischen Wortschlüsse nie ganz
vergessen. Ja, auch im rythmischen Satzschluß wurden zu allen
Zeiten die gleitenden Formen 'mdgna perföcit und magna per-
f^rat' den abstürzenden 'mdxima f^cit und mdxima f^cerat* weit
vorgezogen.
Auch Auspicius kannte und achtete diese RegeL Deßhalb
ist in dem Verse: 40 sie tu praeluces Omnibus die Aenderung
'sie tu pra^düls omnibus' schon aus diesem rythmischen Grunde
falsch; und schon deßhalb dürfen die Zeilen 13 und 29 nicht be-
tont werden: Mäior ^tSnlm sölito oder Clärus ^tSnlm g^nere.
Die Jambisehe Schablone oder blosse Silbenzihlang
Brandes findet (S. 28 und 29) in den Zeilen des Auspicius 'die
Herrschaft des Wortaccents und zwar in dem Sinne, daß dieser
sich durchgehends an die Stellen des metrischen Versaccents ge-
setzt hat' oder 'Oberstes Prinzip ist die üebereinstimmung des
Versaccents mit dem Wortaccente'.
Um klar zu machen, daß die Zeilen des Auspicius nicht, wie
ich sage, Prosa mit einem bestimmten Schlüsse seien, sondern daß
Auspicius mit Absicht die Wortaccente in die Versikten gerückt
abe, zählt Brandes ab, wie oft bei den Dichtern quantitirter
202 . Wilhelm Meyer,
Jamben, Pradentins, Ambrosias und Sednlios, die naturlich nicht
auf den Wortaccent geachtet, sondern in dieser Hinsicht Prosa
geschrieben hatten, der Wortaccent mit dem Versictns zusammen-
fällt. Seine Statistik ergibt, daß bei jenen Dichtem die Wort-
accente viel seltener mit den Versaccenten zusammenfallen als
bei Auspicius ; daß bei Auspidus Wort- und Versaccent viel häufiger
zusammen fiele, müsse also die Folge seiner bewußten Absicht
gewesen sein. Doch diese Statistik ist unrichtig. Ver-
gleichen darf man nur Gleichartiges; aber während alle ryth-
mischen jambischen Achtsilber nur mit Wörtern von 3 oder mehr
Silben schließen, zählt und verrechnet Brandes (S. 29 und 30) bei
jenen Dichtem die vielen mit zweisilbigen Wortern schließenden
Verse, wie 'coniunxit aequales viroä' oder gar 'talis decet partus
deum'. Solche Zeilen ergeben eine Fülle von Widersprüchen der
Vers- und Wortaccente, und sie ließen seine Statistik anschwellen.
Wenn Brandes nur jene Verse dieser Dichter, welche mit einem
Wort von 3 oder mehr Silben enden, als rythmische liest und
abzählt, so wird seine Statistik zwischen jenen Versen und zwischen
denen des Auspicius keine wesentlichen Unterschiede feststellen.
Sind jene, abgesehen von der Quantität, reine Prosa, so sinds auch
die Zeilen des Auspicius.
Ich habe stets als Ergebniß meiner Untersuchungen behauptet :
die Zeilen der lateinischen und griechischen rythmischen Dichtung
sind Prosa mit einer bestimmten Schluß c ad enz. Diese Cadenz
bildet die Caesur- und Zeilenschlüsse der wenigen nachgemachten
Vorbilder der quantitirenden Dichtung nach, wenigstens so gut
die lateinische Sprache kann; dabei ist ebenso wie in der quan-
titirenden Dichtung verboten, in den Schluß ein einzelnes ein-
silbiges Wort zu stellen (außer den Formen von esse). Da nun
die lateinische Betonung nur 2 Arten von Wortschlüssen kennt,
dominus und multus, so werden durch mältus, rO rv, die trochae-
ischen und spondeischen Schlüsse nachgebildet, durch dominus,
r\/ u rv, all die Schlüsse, deren vorletzte Silbe kurz ist, also die
jambischen, anapästischen, dactylischen und choriambischen: <^— ,
ou— , - uu, -.v>u — Vor diesen Schlüssen werden nur Silben
gezählt. Ein jambischer Caesur- oder Zeilenschluß kann also nur
durch ein mindestens dreisilbiges, proparoxytones Wort, wie
nübibus, rythmisch nachgebildet werden. Dieser accentuirten dritt-
letzten Silbe kann nur eine nicht accentuirte Silbe vorangehen,
da eben kein lateinisches Wort auf der letzten Silbe den Accent
hat, also in der lateinischen Rede überhaupt nicht zwei Accent«
Silben neben einander zu stehen kommen können.
Die rythmischen Jamben des Auspicios. 203
Die SchlaßwSrter der Zeilen des Auspicios sind alle Pro-
paroxytona; desaevit in Z. 86 ist sicher verderbt. Also den
Zeilenschlnß hat Auspicins rythmisch richtig gebaut, wie es
die besseren Dichter zu allen Zeiten gethan haben. Da der be-
tonten drittletzten Silbe nur eine unbetonte Silbe voran gehen
kann, so stehen also die letzten vier Silben der Zeilen des Au-
spicius zunächst außerhalb dieser Untersuchung.
Der Tonfall in den ersten 4 Silben der Zeilen des
Auspicius. Der jambischen Schablone entsprechen die häufigen
Zeilen salutem dfjco plurimam ; ihr widersprechen die Zeilen iAstus
pudl|cus sobrius und ärit cr^do | velocius. Es gibt nodi eine
dritte Klasse, an welche man gewöhnlich nicht denkt: die Zeilen-
anfänge 'faciebd|mus, tunc faci£|bam, hoc tunc fedsjsem, plus es
quam ^s|se' haben außer auf der 4. Silbe sicher noch vorher einen
Accent: aber Niemand kann sagen, ob auf der 1. oder auf der
2. Silbe; das ist Geschmacksache. Also ist die Betonung solcher
Anfange unsicher und sie dürfen nicht verrechnet werden.
Gemieden sind, wie oben (S. 201) gesagt, auch von Auspicius die
daktylischen Wortschlüsse, also Zeilen wie 'höstitim dä|mat spicul^
oder fntrat vlrgl|nls uterum'.
Die jambische Schablone 'salutem df|co plurimam'
e\j rsj r\j f\j,
also die Betonung der 2. und 4. Silbe, findet sich oft bei Au-
spicius befolgt. Sehr oft hat er auch dieselbe verletzt, wie in
Hustus pud{|cus sobrius* oder in '^rit er Mo | velocius', d. h. Au-
spicius hat die 2. und die 4. Silbe, aber auch die 1. und die 4.
oder gar die 1. und die 3. Silbe mit Wortaccenten belegt.
Brandes hat nun darauf aufmerksam gemacht, daß Auspicius die
letztere Art nur in den 5 Versen zugelassen hat: 21 plus est
^nim I laudabile , 27 ^rit cr^do | velocius , 34 f&it tibi | Arigius,
97 quam si forte | inprovidus, 161 ciäi quidquid | tribueris, während
er die erstere Verletzung der jambischen Schablone 'm&gnas cae-
l^lsti domino' in 49 Versanfängen zagelassen hat. Da nun diese
2. Art die jambische Schablone viel stärker verletzt als die erste,
so hat Brandes geschlossen, Auspicius habe die Accentuierung der
(1. und) 3. Silbe eben deßhalb gemieden, und diese Thatsache sei
ein neuer Beweis, daß die Nachahmung der jambischen Schablone
sein oberstes Prinzip gewesen sei. Da ferner in den spätem
rythmischen Achtsilbem mit jambischem Schlüsse die 3. Silbe sehr
oft accentuirt wird (wie schon bei den Angelsachsen, Mon. G. Hist.
Epist. III 240 ffl., massenhaft und z. B. noch in no. 165 *Prata
iam rident* der Carmina Burana, wo nur 10 Zeilen wie 'Dülcis
appäjres omnibus' stehen gegen 13 Zeilen wie 've vIb mfser | quid
204 Wilhelm Meyer,
fadam'^)), so constroirt er eben deßhalb S. 32 'eine frühe Stufe
des rythmischen Hymnus, auf der man thatsächlich und bewußt
nach ganz bestimmten Gesetzen an die Stelle der vom Versaccent
getroffenen langen Silben der quantitirenden Vorbilder die mit
starkem Wortaccent gesprochenen gerückt hat'. Für diese frühe
Stufe der lateinischen Rythmik hat er allerdings keinen andern
Vertreter beizubringen als eben den Auspicius.
Die Thatsache ist richtig, daß Auspicius es ziemlich meidet,
die 3. Silbe seiner Achtsilber mit Wortaccent zu belegen. Hat
er das wirklich deßhalb gemieden, weil dadurch die jambische
Schablone besonders stark verletzt wurde, dann allerdings wäre
meine Behauptung, die rythmischen Dichter hätten vor dem
Schlüsse nur Silben gezählt, sehr erschüttert. Denn natürlich
wäre Auspicius nur ein Beispiel seiner ganzen Brüderschaar, und
ftir den alten Glauben, daß die rythmischen Dichter die Füße
ihrer quantitirenden Vorbilder nachgemacht haben, wäre dann
endlich ein Beweis beigebracht. Daran könnte sich dann die
interessante Frage knüpfen, ob wirklich die von Brandes ent-
deckte frühe Stufe der rythmischen Dichtung mit Beobachtung
der quantitirenden Füße existirt hat, und wann und wie später
die von mir behauptete reine Silbenzählung eingetreten ist.
Doch all diese Mühe wäre vergeudet. Die Thatsachen liegen
ganz anders. Zunächst möge Brandes des Prudentius Periste-
phanon V prüfen. Es sind 576 Zeilen, also 3Vt Mal so viel, als
Auspicius geschrieben hat. All diese Zeilen, auch jene mit zwei-
silbigem Schlußworte, welche gewiß den Wortaccent oft verletzen,
lese er nur nach dem Wortaccent durch. Er wird unter den 576
Zeilen nur 3 finden, in welchen die 3. Silbe, d. h. die Senkung
des 2. Jambus mit Wortaccent belegt ist: 190 vindex 6vii \ volä-
minum, 350 d^nsae sp^um | caliginis, 482 rubrum sdlum | dehiscere.
Also bei dem strengen Metriker Prudentius stehen 573 Zeilen, in
welchen die 2. oder die 4. Silbe Wortaccent hat, gegen nur 3, in
welchen die 3. Silbe Wortaccent hat: der Rythmiker Auspicius,
dem Beobachtung der jambischen Schablone, d. h. die Accentuirung
der 2. und 4. Silbe oberstes Prinzip sein soll, accentuirt in seinen
164 Zeilen 5 Mal die 3. Silbe. Sollte Prudentius ein verkannter
rythmischer Dichter gewesen sein, welcher wie Johannes Damas-
cenus (Christ, Anthologia p. XL VI) das Kunststück versuchte, in
seinem Verse zugleich Quantität und Wortaccent zu beobachten?
1) Wie h&afig solche BUdoog sich von selbst ergibt, teigt auch im Anhang
die Tabelle aas Caesar, no SO— 48.
Die rythmischen Jamben des Auspidus. 205
Doch scheint uns so die Scylla zum Wortaccent zu reißen,
so reißt uns anderseits die Charybdis vom Wortaccent weg. In
dem 16. Gedichte der Carmina Barana *In Gedeonis area', welches
ich eben in der Studie 'de scismate Grandimontanomm' wieder
habe drucken lassen, haben von den 64 Zeilen 36 den jambischen
Tonfall; von diesen 36 Zeilen haben nicht weniger als 11 den
Tonfall 'et disputät | cum rhetore', d. h. die letzte Silbe eines
Proparoxytonons bekommt den Nebenaccent und bildet so die be-
tonte 4. Silbe. Das ist durchaus erlaubt, und dieser Tonfall bietet
sich unendlich oft von selbst. Von den 50 Beispielen, welche ich
aus Caesar ausgeschnitten habe (s. Anhang), haben 24 im Anfang
jambischen Tonfall (no 1—9, 15 — 29): aber von diesen 24 Fällen
ist in 13 Fällen die 4. accentuirte Silbe durch die Endsilbe eines
proparoxytonen Wortes gebildet: conviciis | a sua; ac förtitir | sen-
tentias. £s ist klar, will man rythmische Achtsilber mit jam-
bischem Schluß machen, so bietet sich diese Schlußcadenz oft von
selbst: will man aber gar die jambische Schablone schon vor dem
Schluß mit Wortaccenten ausmalen, so drängt diese Bildung des
2. Fußes, wie 'Auspici&s | qui diligo' oder 'aut r^noväs | aut su-
peras' sich massenhaft auf.
Aber Auspicius hat unter seinen 164 Zeilen nur die eben
genannten 2 Verse. Also der Mann, dessen oberstes Prinzip beim
Zeilenbau die Nachahmung der jambischen Füße sein soll, meidet
gerade die Bildung, welche ganz natürlich und richtig war und
ihn einfach zu seinem Ziele führte! Aber auch hier ist der
Metriker Prudejitius wiederum dem Rythmiker Auspicius voran.
Unter jenen 576 Zeilen des Prudentius haben nur 4 diese Bildung
des 2. Fußes : 3 quo sanguinis | merces tibi ; 466 Eumörphiö | nomen
fuit; 473 o pra^pot^ns I virtus dei, 475 quae tiirgidAm | quondam
mare.
Caesar In den Jambischen Achtsilbern Die eine von
Brandes und die andere von mir nachge¥desene Figenthümlichkeit
der rythmischen Achtsilber des Auspicius, beide habe ich schon
bei Prudentius nachweisen können. Also können beide Eigen-
thümlichkeiten nichts zu thun haben mit dem Wortaccent, sondern
müssen andere Gründe haben. Sie haben beide denselben Orund.
Beide Erscheinungen haben ein und dasselbe Charakteristikum:
es wird vermieden, daß die 4. Silbe durch die letzte Silbe eines
Wortes gebildet wird. Oeschieht dies, dann werden die 4 Jamben
in 2 völlig gleiche Theile zerschnitten: ^-/.o-c+j^-t-o-t.. Pru-
dentius hat also gemieden, die jambischen Dimeter in 2 völlig
gleiche Metra zu zerschneiden. Die Frage ist nun, ob er die Yer-
206 Wilhelm Meyer,
meidung dieser sogenannten Diaerese erleichtert hat dadurch, daß
er einen andern Einschnitt regelmäßig angebracht hat, mit an-
dern Worten, ob er in dem jambischen Dimeter eine Caesar be-
obachtet habe. Die Antwort ist : ja, Prudentins hat auch im jam-
bischen Dimeter Caesar beobachtet, and zwar dieselbe, welche
nach der Caesar des Trimeters za erwarten ist. Der Trimeter
wird im 3. oder im 4. oder in beiden Füßen zagleich zerschnitten :
mox adfataro • conistraens iter deo
amans qaod saspica|tar * vigilans somniat.
amans iratas ' mal|ta ' mentitar sibi.
Werden vom and hinten je 2 Silben abgeschnitten, so bleiben
übrig 4 Jamben mit den bei Pradentias vorkommenden Caesarea :
minister ' aljtaris dei
fias deojram ' pontifex
servire • san|xit • omnia.
Doch kommt die Caesar nar nach der 3. Silbe weniger häafig vor
als jene nach der 5. Silbe oder nach der 3. and 6. Silbe zagleich.
Diese Caesar darf natürlich nicht darch ein einzelnes einsilbiges
Wort gebildet werden, sondern nar darch trochaeische oder spon-
deische Wörter oder Wortschlüsse, selten darch 2 einsilbige Wörter;
wohl aber darf sie hie and da darch Elision verdankelt werden:
qaae corporali ergastalo.
Wichtig ist es, des Wesens dieser Caesar sich bewaßt za sein :
sie ist kein Gesetz, wie in den späten Zeiten die Caesar des Tri-
meters oder des Hexameters, sondern sie ist eine Wohlklangs-
regel, deren Beobachtang verschiedenen Schwankungen anter-
liegt. Dafür ist Pradentias selbst ein Beleg. Im Peristephanon Y
(576 Zeilen) bilden eine Aasnahme die S. 204 citierten 3 Verse, wie
vindex erit volaminam, and die S. 205 citirten 4 Verse, wie o prae-
potens virtas dei ; daza kommen die 3 Verse (2. 55. 124), wie diem
triamphalem taam, za welchen 454 corpas qaod intactam iacet za
rechnen ist, weil nach 'qaod* keine Caesar stattfinden kann: also
von den 576 Zeilen des Peristephanon V sind 11 caesarlos.
Aber von den 564 jambischen Dimetem, welche Cathemerinon
I n XI XII and die Praefatio der Apotheose enthalten, sind 25
caesarlos; ja, von den 584 Zeilen des Peristephanon U sind 44
caesarlos.
Da die Caesar im jambischen Dimeter noch nicht antersacht
za sein scheint*), will ich hier Einiges notiren: Horaz hat
1) Sehen kl sagt in seiner Ansonius-Aosgabe im 3. Index unter 'caesora':
in dimetris iambicis semiquinaria {ablativua amparationis?) usitatior est dihaeresis
Die rythmischen Jamben des Auspicios. 207
unter den 226 Dimetern der Epoden 24 caesnrlose (davon 16, wie
meae laborarint manns) nnd 13 mit ungenügenden Caesoren.
Ansonins hat unter 844 Dimetern 23 ohne Caesur und 10 mit
schlechter Caesur. Paulinus Nol. hat unter 623 Dimetern
57 caesurlose und 7 mit schlechten Caesuren. Ambrosius,
der ja nicht viel wußte von poetischer Technik, hat unter 484
Dimetern gar 81 ohne Caesur und 21 mit schlechter Caesur.
Sedulius hat unter 92 Dimetern 9 ohne Caesur und 4 mit
schlechter Caesur. Fortunat hat in den 92 Dimetern des
scherzhaften Gedichtes I 16 nicht weniger als 12 Verse ohne
Caesur und 9 mit schlechter Caesur, dagegen in dem Hymnus II 6
unter 32 Zeilen nur die 2 caesurlosen : fulget crucis | mysterium
und tendens manus | vestigia. Ennodius endlich, der arm-
selige Hymnendichter, hat unter 352 Zeilen nur 15 caesurlose und
6 mit schlechter Caesur.
Auspicius hat richtig gebildete Caesur 14 Mal nur nach
der 3. Silbe, 100 Mal nur nach der 5. Silbe und 42 Mal nach der
3. und 5. Silbe zugleich. Caesarlos sind bei Auspicius die S. 203
genannten Verse 21 27 34 97 und 161; in den Versen: 3 Au-
spicius I qui diligo und 36 aut renovas | aut superas, dann in
109 tamen non generaliter (non tamen | g.?) ist zwar nach der
5. oder 3. Silbe eingeschnitten, allein so, daß auch hier von
einer Caesur keine Rede ist. Bei Auspicius stehen also 156
regelrechte Caesuren gegen 8 Ausnahmen.
Hieraus erhellt: den jambischen Dimeter durch Caesur im
2. oder im 3. Fuße zu theilen, war nicht ein metrisches Oesetz,
sondern eine Sache des Geschmacks; ja kunstlose Versmacher,
wie Ambrosius, verzichteten ganz darauf. Auspicius hat in einer
Schule gelernt, wo die Beobachtung dieser Caesur ziemlich em-
pfohlen worden war.
Dieser Auffassung entspricht ja auch die Stellung der Acht-
silber in der Metrik wie in der Rythmik. Die Zeilen von 7 und
weniger Silben sind unbedingt Eurzzeilen, d. h. bei ihnen ist nie
die Rede von einer Caesur. Die Zeilen von 9 und von mehr
Silben sind zu lang als daß sie mit ^inem Athemholen gesprochen
werden ; deßhalb werden sie wenigstens in der Rythmik als Lang-
zeilen behandelt und nach der Regel durch Caesur in 2 Eurzzeilen
zerlegt. So ist wahrscheinlich der berühmte mittellateinische
po8t priorem dipodiam, intercedente nonnamqaam ellsione, cf. III 2, 3—9. praeter
semiqainariam etiam post tertiam inciditur syllabam. Also nach der 3. oder 4.
oder 5. Silbe, also alles Mögliche!
208 Wilhelm Meyer,
Zehnsilber, 4 + 6u., entstanden ans der im frühen Mittelalter
beliebten daktylischen Zeile — uu — uu — uurv: sede pia procnl
exigitnr; die Bythmiker wollten eine feste Caesnr nnd setzten
sie nach der 4. Silbe (vgl. Ges. Abhandinngen I 301 Note). An
der Q-renze der Knrzzeilen nnd der Langzeilen stand die Zeile zu
8 Silben. Es ist längst bemerkt, daß die schwerere Zeile von 8
Silben mit sinkendem Schiasse, 8..^, zn allen Zeiten häufiger in 2
Yiersilber mit sinkendem Schlüsse zerlegt anftrat, daß aber daneben
zn allen Zeiten Achtsilber mit sinkendem Schlüsse ohne diese
Caesnr vorkommen:
Stabat mater | dolorosa. Caius ani|mam gementem.
Becordare | Jesu pie. Donom fac rejmissionis.
Jeder Viersilber mit sinkendem Schlüsse kann nur den Tonfall
riß rsj rsj f\j haben , also haben diese zerlegten Achtsilber voll-
kommen die Schablone des trochaeischen Dimeters. Deßhalb sind
Manche hier ähnliche Wege gegangen, wie Brandes, nnd haben die
Wirkung für die IJrsacbe genommen und gesagt: da diese so
häufigen sinkenden Achtsilber (die erste Kurzzeile des trochae-
ischen Septenars) genau die Füße des trochaeischen Dimeters
wiedergeben, so haben wir hier, was man sucht, den Uebergang
der quantitirenden zur accentuirenden Dichtung, wo die Wort-
accente in die Stellen der Versikte eingetreten sind; die ryth-
mischen Achtsilber, welche diese Schablone nicht befolgen, sind
Ausnahmen. Abgesehen von dem Complex der Erscheinungen
ist schon im ältesten Denkmale der lateinischen Bythmik, im Psalm
des Augustin, von trochaeischen Füßen vor dem Schlüsse keine
Bede, und auch nachher wird zu allen Zeiten im Achtsilber mit
sinkendem Schluß so oft die Caesnr und der trochaeische Fall der
Accente vernachlässigt, daß man sieht, hier hat es sich nicht um
das Grundgesetz der rythmischen Zeilen oder auch nur dieser
rythmischen Achtsilber gehandelt, sondern um eine Wohlklangs-
regel, eine von den Bythmikem eingeführte Caesnr, deren Befol-
gung bei der Eintönigkeit des lateinischen Wortaccents unvermeid-
lich Zusammenfall der Wortaccente mit der trochaeischen Schablone
bewirken mußte.
Beim Achtsilber mit jambischem d.h. steigendem Schlüsse (8w— )
hat man bis jetzt nicht von Caesnr gesprochen. Bei den nächsten
Nachfolgern des Auspicius, den Westgothen, Iren (Antiphonar von
Bangor) und Angelsachsen (MGU Epistolae III) ist von dieser
Caesnr nichts zu verspüren, ebenso nicht im guten Mittelalter.
Das ist kein Wunder. Denn diese Caesnr ist selbst in der Zeit
des Auspicius Geschmacksache gewesen; er hat sie in der Schule
Die rythmischen Jamben des Auspicios. 209
gelernt und angewendet; andere Zeitgenossen, deren Gedichte
verloren oder noch nicht festgestellt sind, können genug solcher
rythmischen Achtsilber ohne Caesar gemacht haben.
Die rythmischen Dichter haben bei Nachbildung der gewöhn-
lichsten römischen Zeilenarten sorgfältig die Caesar beachtet. So
wurde der rythmische Trimeter nach der 5. Silbe sinkend getheilt:
Tua qui iussa * nequivi ut condecet
pangere öre • styloque contexere
recte ut v&lent * edissere metrici
scripsi per prösa • ut oratiunculam.
(Wie hier 697 der Magister Stephanus seine rythmischen Verse
Prosa genannt hat, so ist es nicht selten von Andern geschehen!).
In den Versen, die man gewöhnlich Alexandriner nennt,'
A tauro torrida | lampade Cynthii
fundente iacula | ferventis radii,
zeigt eben die Caesur, daß sie dem Asklepiadeer nachgebildet
sind, wie
Maecenas atavis edite regibus
Multos castra iuvant et lituo tubae.
Freilich gab und gibt es auch Deutsche genug, welche diese mittel-
lateinischen Verse für Jamben gehalten und darnach die abscheu-
liche Zeile von 3-f-3 Jamben fabricirt haben:
Die Folgen dieses Worts, ich seh sie klar voraus:
ich sehe einen Mann und Kinder und ein Haus.
Die mittellateinischen Dichter haben diese Zeile nie für jam-
bisch angesehen; ebenso nicht ihre mittelalterlichen Nachahmer,
die altfranzösischen Dichter.
Welche Wirkung hat die Caesur auf den Accent-
fall der Achtsilber mit jambischem Schluß? Eine
sinkende Caesur, wie d^us oder conlätas, bindet 3 Silben: denn
auch vor der betonten Silbe kann nur eine nicht accentuirte stehen.
Die Folge ist, daß bei Caesur nach der 3. Silbe der Tonfall des
ganzen Achtsilbers gebunden ist: antlquis * compardbili; conr&dunt '
quaörunt * inhiant; und daß bei Caesur nur nach der 6. Silbe die
letzten 6 Silben gebunden sind, also nur in den 2 ersten Silben
kleine Freiheit der Accente bleibt, d. h. bei Caesur nur nach der
5. Silbe steht entweder auf der 1. Silbe voller Accent 'idstus
pudfcus • söbrius ; darus et vltae ' möribus', oder die beiden ersten
Silben haben unklaren Accent : cupiditätem * scflicet ; haec recep-
tiirus * pöstmodum ; haec qui sectintur * vitia ; et haec nee f psi *
pössident. Sobald ja auf der 2. Silbe voller Accent steht, muß
210 Wilhelm Meyer,
nach der 3. Wortende sein, also kann man von Caesnr nach der
3. Silbe Sprechen, wie oben : conrddant ' qna^rnnt ' fnhiant.
Also jede lateinische Silbengrappe, deren 6. Silbe Wortaccent
hat, mnß, wenn die 3. Silbe sinkenden Wortschloß bildet, dorch-
aus jambischen Tonfall haben; bildet nur die 6. Silbe sinkenden
Wortschlnß, nicht auch die 3., dann hat der Anfang der Gruppe
entweder daktylischen Tonfall oder es ist da nur von unsichern
Nebenaccenten die Rede. All das kann nicht anders sein.
Damit nun klar werde, wie bei der Mechanik der lateinischen
Rede die Wortaccente fallen müssen, wenn man eine propar-
oxytone Gruppe von 8 Silben nach der 3. oder nach der 5. Silbe
mit sinkendem Wortschluß einschneidet, nehme ich aus Prudentius
Peristephanon V 156 Zeilen (zwischen Z. 1 und 217), welche, wie
die Zeilen des Auspicius, mit einem Wort von mindestens 3 Silben
schließen, dann entweder nach der 3. oder der 5. Silbe Caesur haben
und nicht durch Elision zu sehr verdunkelt sind. Von diesen
156 Zeilen haben 14 nur Caesur nach der 3. Silbe: sie schließen
also mit einem Wort oder einer Wortgruppe von 5 Silben und
haben stets durchaus jambischen Fall der Wortaccente: Quam
töstis • indomdbilis; 40 Datiäne • confit^bimur; 41 Hie llle • idm
commötior. Die übrigen 142 Zeilen des Prudentius haben alle
sinkende Caesur nach der 6. Silbe, also die 4. Silbe hat vollen
Accent. Es fragt sich nun, ob die 1. oder die 2. Silbe Accent
hat. In 41 Fällen ist das unsicher : 143 refrigeräti * sanguinis ;
93 his intondntem * mdrtyrem ; 136 ars et dolörum * vlncitur;
401 quin si qua cldngens * inprobe. Zur sichern Beurtheilung
bleiben von den 142 Zeilen also 101. Von diesen ist in 60 Zeilen
die 2. Silbe mit sicherm Accent belegt; so in Z. 1 6 8 14 15 17
18 21 22 usw.: 1 Bedte • mdrty r • pröspera ; 17 ac v^rba • prlmum •
m611ia. Dagegen in den übrigen 41 Zeilen hat die 1. Silbe den
sichern Wortaccent und zwar in 38 (12 24 36 48 56 68 usw.) in
der Form : 12 rlvis cruöris • läveras ; 24 prfsds deörum • cältibus,
und nur 3 Mal (77 85 und 151) in der Form: 77 ddsunt et illic •
Spiritus.
Auspicius und die jambische Schablone Prudentius
kümmert sich nichts um den Tonfall der Wortaccente. In dieser
Hinsicht gelten seine Zeilen wie Prosa. Vergleichen wir nun die
Zeilen des Auspicius, welcher nach meiner Ansicht Prosa mit
einer bestimmten Schlußcadeuz schreiben wollte, nach der alten
Ansicht aber Accentjamben. Auspicius hat 8 caesurlose Verse.
Seltsam ist schon, daß er von der Art, bei welcher die jambische
Schablone durchaus gewahrt ist 'Ausplciös qui dUigo', nur 2 Zeilen
Die rythmischen Jamben des Aaspicius. 211
hat, dagegen 5 oder 6 (109?) von der Art, bei welcher die jam-
bische Schablone verletzt werden mnß. Von den übrigen 156
(auch bei Pradentias 156) haben zunächst 14 (auch bei Pradentios
14) die Caesar nnr nach der 3. Silbe; dann schließt ein Wort
oder eine Wortgruppe von 5 Silben mit Proparoxjrtonon auf der
6. Silbe; zwischen der accentuirten 2. und 6. Silbe liegen 3 Silben,
von denen also die mittlere, die 4., einen Nebenaccent erhält:
1 praec^lso * ^t spectdbili; 62 antfquis * cönpardbili; 57 scribäntur '
inanndHbus; ebenso 60 98 100 112 113 120 122 124 136 151 164.
In diesen Zeilen hätte Auspicius jambischen Tonfall nicht ver-
meiden können, selbst wenn er gewollt hätte.
Von den übrigen 142 Zeilen (auch Prudentius 142), welche
nach der 5. Silbe Caesur haben, sind nicht weniger als 52 (bei
Prudentius 41) unsicher: wie 64 religiöni * d^ditus ; 23 quam
praetentäre * lämpada ; 76 quam ex amöre * pörrigo ; 26 plus es
quam ^sse * diceris. Hier kann Niemand entscheiden, ob auf die
erste oder auf die 2. Silbe Accent oder Nebenaccent fällt.
Es bleiben also 90 (bei Prudentius 101) Zeilen, in welchen im
Bereiqh der beiden ersten Silben ein fester Wortaccent sich findet.
Eier allein kann sich nun entscheiden, ob Auspicius
jambische Accent-Füße bilden wollte oder ob er nur
Silben zählte. Hat er wirklich accentuirte Jamben bilden wollen,
so mußte er hier immer die 2. Silbe accentuiren, nie die erste.
Bei Prudentius haben von 101 Zeilen 60 die 2. Silbe betont, also
jambischen Schablonentakt; 41 haben die 1. Silbe betont; aber er
hat ja an Wortaccente und an Accentfüße nicht gedacht. A u-
spicius, dessen oberstes Prinzip die Uebereinstimmung des Wort-
accentes mit dem Versaccent gewesen sein soll, hat von den 90
Zeilen, in denen er seine Absicht zeigen mußte, nur 42 auf der
2. Silbe accentuirt: z. B. 4 6 16 18 28 37 38 haben jambischen
Tonfall, wie 41 quae tili * viro * r^geris ; 78 conlätas * tdnta ' grdtia.
Aber in nicht weniger als in 48 Zeilen hat Auspicius die 1. Silbe
accentuirt, also die jambische Schablone verlassen, und zwar 29
Mal in der Art von 5 mdgnas coel^sti * dömino (vgl. 22 24 31 32
44 55 usw.) und 19 Mal in der Art von 8 mdgnum in ürbe ' vi-
dimus (vgL 9 13 29 30 33 35 usw.).
Also der Mann, welcher beabsichtigt haben soll, jambischen
Tonfall der Wortaccente zu fugen, hat an der einzigen Stelle, wo
er dies zeigen konnte, denselben öfter verletzt als eingehalten.
Ja, er müßte das fast mit böswilliger Absicht gethan haben.
Denn fast alle jene Verletzungen der jambischen Schablone hätte
er leicht vermeiden können:
212 Wilhelm Meyer,
Aospicms Schablone
5 mdgnas cael^sti domino cael^sti mdgnas domino.
8 mdgnom in urbe vidimus in ürbe mägnum vidimus.
9 mdltis me tuis actibus me mältis tdis actibus.
13 mdior et ^nim solito et ^nim müor solito.
19 n6ndnni deldtns nomine delätns nöndom nomine.
22 virnm folgere actibns folgere viram actibns
nnd so weiter; es ist kinderleicht, fast alle Verse des Anspicius
mit Taktwechsel zu jambischen Klapperversen zu machen. Was
soll das heißen, wenn dem Anspicios die Accent-Jamben wirklich
das oberste Prinzip gewesen sind?
Brandes hatte das Caesnrgesetz des Anspicins nicht erkannt,
also auch nicht, daß für Anspicius die beiden ersten Silben der
Zeile die einzige Stelle waren, wo er zeigen konnte, daß er mit
Absicht Jamben baue. Aber selbst Brandes empfand bei Anspicius
die häufige Mißachtung der Schablone im 1. Faße so schwer, daß
er nach einem Grunde suchte. Nicht ohne Heiterkeit las ich, daß
er (S. 30) nur eine ästhetische Ursache für diesen Widerspruch
in seiner Rythmik des Anspicius fand, gerade das, was ich schon
vor 20 Jahren (Ges. Abhandlungen I 273, auch II 130—136) als
unbewußte Folge des ursprünglichen rythmischen Zeilenbaus ange-
geben habe. Doch der Bischof von Toni um 473 war kein ästhe-
tisirender Rythmiker, auch nicht seine Vorgänger, wie Augustin.
Schablone oder Prosa? Anspicius hatte in der Schule
von Caesur im jambischen Dimeter gehört und hat diese in seinen
rythmischen Achtsilbern mit jambischem Schluß festzuhalten ge-
sucht. In Folge dessen blieb nur der Tonfall der 2 ersten Silben
frei; nur hier konnte er zeigen, ob er Accent-Jamben bilden
wollte. Er hat hier gezeigt, daß er Accent-Jamben nicht hat
bilden wollen. Er hat in Wahrheit nur Zeilen geschrieben, wie
Prudentius in den oben besprochenen Versen sie geschrieben hat,
wenn wir bei ihnen die Quantität vergessen, d. h. Gruppen von
je 8 Silben, deren 6. Silbe Wortaccent hat, und* welche nach der
3. oder 5. Silbe, mit sinkender Caesur durchschnitten sind. Die
Caesur in jambischen Dimetern war aber nicht einmal von allen
quantitirenden Dichtern anerkannt. Vielleicht haben schon frühere
oder zeitgenössische Dichter, sicher aber haben die Nachfolger
des Auspicius in Achtsilbem mit steigendem Schluß sich nichts
um Caesur gekümmert, und so treten denn bei ihnen allen die 3
überhaupt möglichen Tonfalle (s. Ges. Abhandlungen I 263) auf :
Die rytfamischen Jamben des Auspicios. 213
b Pldngit cor m^om mfsere,
c qufa cäret soMtio.
a si volles höc cognöscere,
c b^ne pösses, ut s^ntio.
c tu virgo piJchÄrriina,
c 81 non a&diä me misermn,
c mihi mors est asp^rrima.
Die Behanptang von Brandes und Ramorino, daß Auspidus
mit Bewußtsein jambische Ftiße gebildet habe, ist unrichtig. Mein
alter Satz, daß die lateinischen rythmischen Zeilen, wie später
so schon von Anbeginn, silbenzählende Prosa mit einer bestimmten
Schlußcadenz gewesen seien, bat sich auch bei den Achtsilbern
des Auspicius von etwa 476 als richtig erwiesen.
Der Sehlass der rythmischen Zeilen.
Vor dem Schlüsse der rythmischen Zeilen sind, wie bisher ge-
zeigt, nur die Silben gezählt worden. So bleibt den Anhängern der
gewöhnlichen Lehre als Zuflucht nur eben dieser Schluß der Zeilen.
Bier ist mit Hilfe der allein zu Grebot stehenden 2 Schlüsse der
lateinischen Wörter, des sinkenden mälta d^us, und des steigenden
plürima pepulerant, der Schluß der gewöhnlichsten quantitirenden
Zeilen nachgemacht, so gut es eben ging. In diesem Schlüsse
haben die rythmischen Dichter Accentfüße gebildet: also, lautet
die Folgerung, haben sie auch vor diesem Schluß Accentfüße ge-
wollt. Diese Folgerung ist nichtig, und die Thatsachen zeigen
unerbittlich, daß schon die frühesten Rythmiker vor dem
Zeilenschlusse keine Accentfüße gebildet haben. Die steigend
schließenden Achtsilber:
Aethereus qui omnia mundi herus molimina
verbi tantum cum numine formasti in origine
mihi nova qui nutibus adgredior nutantibus
nennt z. B. vor 706 der Angelsachse Aethilwald (Monumenta G-. H.
Epistolae in 239): non pedum mensura elucubratos, sed octonis
syllabis in uno quolibet versu conpositis . . cursim calamo pera-
rante caraxatos. Diese Dichter mußten doch besser wissen, was
sie wollten, als die modernen Theoretiker; sie gaben wenig auf
den Accentfuß im Schluße und bezeichneten ihre Zeilen a parte
potiori als Prosa oder als prosaische Silbengruppen.
Die Thatsache ist sicher: die rythmischen Dichter waren des
Accentfußes im Schlüsse sich wohl bewußt ; da sie aber vor diesem
Schlüsse höchstens daktylische Wortschlüsse meiden, sonst sich
Kffl. Om. 4. Wi«. Nftckriehtra. PhUoloc.-hiitor. KImm 190«. Hefl S. 15
214 Wilhelm Meyer,
nichts um Accentfasse kummem, so beweist das, daß sie hier wie
dort mit Konstbewaßtsein arbeiteten^).
Aber, wenn die frühesten rythmischen Dichter der Lateiner
die Silbenzählnng als Prinzip ihres Zeilenbanes wählten, weßhalb
sind sie nicht dabei stehen geblieben, weßhalb haben sie nicht bi^
ans Ende ihrer Zeilen nur Silben gezahlt? Das haben doch z. B.
die Semiten gethan und jedenfalls der griechische üebersetzer des
Ephrem (s. Ges. Abhandlangen I 8):
n&g iyh &nccQr(oXbg iisötbg srAi^fififAi^fichrcDV
dwrfiBlviv i^BixBlv xa ifiol insgoyxa;
Weßhalb haben die lateinischen Rythmiker die abgezählten Silben-
reihen mit einer bestimmten Schloßkadenz versehen?
Früher hatte ich hiefür nur allgemeine Gründe beizubringen:
Dichtungen sind zum Gesang oder mindestens zur declamirenden
Recitation bestimmt ; sie sollen also schön klingen ; bei allem Vor-
trag aber, besonders in den romanischen Sprachen, ist der Klang
des Schlusses vor Sinnespausen wichtiger als der des Lmem der
vorangehenden Wörterreihe ; die Ohren der Lateiner, welche durch
fast 600 jährige Kunstübung verfeinert waren, mußten beleidigt
werden, wenn kurze, sonst ganz gliche Silbenreihen in wildem
Durcheinander steigend und sinkend ausklangen.
(Der rythmische Satzschluß). Nachher habe ich
nachweisen können, daß ich mit diesen allgemeinen Sätzen auf dem
richtigen Wege gewesen war. Seit etwa 250 bis etwa 1400 nach
Christus bestand für die feine lateinische Prosa die Regel, daß
man die Schlüsse vor Sinnespausen in bestimmten Cadenzen formen
solle (Ges. Abhandlungen II 236 — 286). Diese Cadenzen be-
herrschten das letzte Wort und wesentliche Theile des vorletzten
Wortes. Natürlich durfte die Form nicht eine einzige sein, son-
1) Das, was Brandes S. 31/32 von der Entwicklung des rythmischen ZeUen-
banes sagt, schüdert nur dessen roheste Auswüchse im 7.-9. Jahrhundert,
durchaus nicht die wirkliche und schulmäßige Rythmik. Auch in den Garmina
Burana finden neben den vielen formschönen Qedichten sich einige, deren Formen
roh sind — oder von uns noch nicht verstanden werden. Wenn z. 6. in Bur. 22
S. 24 'Fides cum Idolatria' Achtsüber zu 8<^^ und Siebensilber zu 7—^ einander
gleich gesetzt sind : Novissimus fit primus Et primus fit novissimus (Str. 3, 6
bessere *ad faeces usque sceleris' nach Jes. 51, 17 und nach Ezech. 23, 24)t so
kann nach der damaligen deutschen Art 7-^v^ = 8^ul- gesetzt sein ; wenn
man femer in dem verderbten Text von Bur. 17 (S. 14) In huius mundi patria'
die wenigen Zeilen zu 5_w, zu 8-^u oder zu 9 Silben bei Seite l&ßt, so ist
vielleicht in ähnlicher Weise der Wirrwarr von 6— u, 7u— , 7^u undSv-' —
als Nachahmung des mittelhochdeutschen Baus der vierhebigen Zeile zu erklären
/s. . Oes. Abhandlungen 1 256).
Die rythmischen Jamben des Anspicins. gl5
dem sie maßte Abwechselung ermöglichen. Von etwa 250 — 400
waren diese Schloßcadenzen nach der Quantität gebaut, in fol-
genden 3 Grundformen : — u r\j] ^^ u^^»; <%-»uru+_u — u
oder ^N^urv + u rsj^ also: magna cürämus; magna curävlmus;
maxima rexörämus oder mazima rägebämus. Diese 3 Grundformen
konnten, besonders durch Auflösung der Längen, mannigfedtig
ausgestaltet werden. Diese Grundformen wurden seit kurz vor
400 mit Schablonen der Wortaccente ausgedrückt : rl^ rsj rsj rlj r>j -
Ajr\j f\j risjyjf^'j rOuru + r^rv»^ru; also konnten etwas später,
als hier jede Nebenrücksicht auf die Quantität geschwunden war,
folgende Schlüsse als regelrecht gelten: d^us pet^bat; döus pe-
tferat; tötiens faci^bam.
Schon von Anfang an haben viele christliche Schriftsteller ,
wie schon Minudus und der Meister Cyprian, die quantitirende
Art dieses kunstreichen rythmischen Satzschlusses angewendet,
und zwar häufiger als die heidnischen Schriftsteller; nachher im
6. und 6. Jahrhundert ist die Accentform des rythmischen Satz-
schlusses von der Mehrzahl der christlichen Schriftsteller ange-
wendet worden. Also den Christen und schon denen des 4. Jahr-
hunderts galt es als wünschenswerth, daß feine Prosa vor den
Sinnespausen ganz bestimmte Cadenzen habe; diese wurden bis
etwa 380 nach der Quantität, später hauptsächlich nach dem Wort-
accent gebaut. Um 380 begannen auch die Griechen, ihre Prosa
mit dem Satzschluß zu zieren. Sie haben fast dieselben Grund-
formen, kennen aber nur den Bau nach dem Wortaccent; also
haben sie denselben wahrscheinlich den Lateinern abgelernt.
(Eintritt des rythmischen Schlusses in die ryth-
mische Dichtung). Die rythmischen Dichter sind von An-
fang an Christen gewesen; ein von einem Heiden geschriebenes
rythmisches G^edicht in lateinischer oder in griechischer Sprache
gibt es nicht. Die dichterischen Zeilen dieser christlichen ryth-
mischen Dichter sollten abgezählte Silbengruppen, also Prosa,
sein: da aber jedes Gedicht etwas Feineres sein will, so war es
fast selbstverständlich, daß die rythmischen Dichter auch für die
Schlüsse ihrer abgezählten prosaischen Silbengruppen bestimmte
Cadenzen annahmen, wie solche in der Prosa allgemein üblich
waren.
Die Sätze der Prosa waren von verschiedener Länge und die
Schlußformen mußten einige Abwechselung ermöglichen. Dagegen
die rythmischen Dichter hatten in jedem Falle eine bestimmte
und ziemlich kleine Silbenzahl in ihren Zeilen: also setzten sie
auch für jede einzelne Eurzzeile von tiner bestimmten Silbenzahl
15*
216 Wilhelm Meyer,
nur ^ine bestimmte Scfalaßform fest and ließen diese so knrz sein
als möglich : r\j r\j rsj oder rsj rsj : föcerat oder föcit.
Also haben die lateinischen Christen , welche die Sätze ihrer
feinen Prosa mit bestimmten Cadenzen schlössen, anch die silben-
zählende Prosa ihrer rythmischen Zeilen mit bestimmten Cadenzen
geschlossen, und zwar eine bestimmte Zahl von Silben mit einer
bestimmten Cadenz. Die Knrzzeilen aller Dichtung sind nur
wenige: 4 5 6 7 oder 8 Silben. Die rythmischen Dichter der
Lateiner wollten mit ihrem eigenen Zeilenban die geläofigsten
Zeilen der qnantitirenden Dichtimg, trochaeische Septenare, jam-
bische Trimeter and Dimeter, ja sogar Hexameter, nachbilden.
Deßhalb haben sie von deren metrischer Norm die Caesar, die
Silbenzahl der dadnrch entstehenden Knrzzeilen und die Cadenzen
der Schlüsse copirt, so gat es eben ging.
Kampf und Sieg des Wortaccents
Ramorino meint (S. 9) die Verseggiatori di volgo' hätten die
rythmische Dichtung eingeführt. Wir sehen allmählich ein, daß
onsere sogenannten Volkslieder zum größten Theil nicht von dem
Volk gedichtet, sondern nar von ihm übernommen and verbreitet
worden sind. Der größte Theil dieser Volksdichtang ist von
Lenten gedichtet, welche für ihre Zeit oder Umgebang gebildet
oder sehr gebildet waren; ein anderer großer Theil besteht aas
mehr oder minder dentlichen Umformangen oder Nacbahmnngen
von Liedern der 1. Art. Was ist z. B. das Oberammerganer
Passionsspiel Anderes als ein dürftiger Rest and Aaszag? and
anch dieser Rest ist nicht vom Volk selbst, sondern von Pfarrern
and Schalmeistern aas einem großen Ganzen aasgeschnitten and
ängstlich hergerichtet worden. Es ist geradeso, wie wenn man
die herrlichen, feinen Lieder der Carmina Barana von sittlich
verderbten and verrohten and bettelnd im Land nmherziehenden
Mönchen oder Geistlichen gedichtet glanbt.
Femer arbeitet sich allmählig doch eine andere Vorstellnng
darch von der Knltar and insbesondere von der Literatnr des
4. Jahrhanderts. Das steht längst fest: im 4. Jahrhnndert ist
die römische Gesetzgebang and die Verwaltnngsform gefestigt
worden, welche dann all die siegreichen Germanenstämme besiegt
and beherrscht hat. Allein anch die Literatar ist im 4. Jahr-
handert gewaltig amgestaltet worden. Das mag zanächst veran-
laßt worden sein darch das Bedürfniß, die christliche Lehre fest-
znsetzen, and dabei mögen vielfach die Formen der heidnischen
philosophischen Erörternng geführt haben. Aber dabei ist doch
eine Fülle nener Gedanken and, wie schon die Sammlang der Ge-
Die rythmiscben Jamben des Anspicins. 217
dichte des Prudentins lehren kann, auch neuer Gattungen der
literarischen Produktion empor gekommen. Damals aber ist
auch die römische Schule nicht ausgestorben, sondern sie hat im
Gegentheil damals all die Provinzen des Reiches umklammert^
und mit ihrer Hilfe hat bald die römische Kirche ihre starke
Kette um die europäischen Nationen gelegt. Ich selbst habe bei
Arbeiten über die späte lateinische Metrik hervorgehoben, wie
auch hierin im 4. Jahrhundert ein starker Aufschwung sich zeigt.
Die Anfertigung von Hexametern ist damals verfeinert worden
und ist dann bis in das 16. Jahrhundert lebendig geblieben. Die
Schule herrschte damals und noch lange in Italien und in den
Provinzen. Allein die Sprache erlitt eine starke Veränderung,
indem die Quantität, deren mühsame Kenntniß die quantitirende
Dichtung fortan zur Schuldichtung machte, einen mächtigen Gegner
gefunden hatte.
Im 4. Jahrhundert trat in der Aussprache der Wörter bei
den Lateinern der Wortaccent stark hervor. Die alte römische
Aussprache der Wörter muß ein rythmisches Kunststück gewesen
sein. In läbörlösös die Länge und Kürze jeder Silbe hervortreten
zu lassen und zugleich den Wortaccent: das muß eine Kunst ge-
wesen sein, welche z. B. diejenigen von uns würdigen können,
deren Zungen in unsem Schulen ein schwacher Nachhall dieser
Cantilena hat angequält werden sollen. In dem Hexenkessel des
römischen Reiches breitete das Lateinische sich aus und wurde in
manchen Theilen zur Reichssprache. Den so verschiedenen Zungen
der Germanen, der Kelten, der Semiten war die fein abwägende
Aussprache der Römer vielfach unmöglich. Hier mußte erleichtert,
d. h. vereinfacht werden. Nun mußte man bei der quanti-
tirenden Aussprache von läbörlösös die Eigenschaften von 6 Silben
kennen, bei der accentuirenden nur die eine Thatsache, daß die
vorletzte Silbe zu betonen sei: labori6sos. Beim Massenbetrieb
siegt das Einfachere: gewiß ist nicht die schwierige deutsche
Sprache zur Weltsprache geeignet, sondern die abgeschlifPenste.
So war es natürlich, daß in den Zeiten, wo das römische Reich
hauptsächlich in den Provinzen bestand, die Aussprache nach dem
Wortaccent siegte und man sich weniger und weniger um die
Quantität kümmerte. Die verschiedensten Provinzen lieferten
weitaus die Mehrzahl der durch Geist oder Thaten hervorragenden
Männer; diese konnten weder die Aussprache nach der Quantität
erlernen noch ging es an, sie deßhalb auszulachen. So wurde die
Aussprache nach dem Wortaccent im römischen Reich allgemein.
218 Wilhelm Meyer,
Diese ganze Entwicklang wurde, sozusagen, durch Naturgewalt
herbei gefuhrt.
Die Entwicklung solchen geheimen Schaffens ist meistens
schwer zu fassen; erst an den Früchten kann man sie erkennen.
Dazu glaube ich einen Weg gewiesen zu haben. Ich habe nach-
gewiesen, daß um 400 der qaantitirende Satzschluß überging in
den accentuirten (Gres. Abhandlungen II 261—266). Wenn Ammian
um 390 Schlüsse, wie escäs effüdit, 6rät stäturae, sälüs et gloria,
welche quantitirend falsch sind, häufig gebrauchen konnte, so
sieht man, daß damals der accentuierte Satzschluß schon fertig
war. In denselben Jahrzehnten ist auch bei den Griechen, bei
welchen noch keinerlei quantitirender Satzschluß nachgewiesen ist
und welche höchst wahrscheinlich hierin die Lateiner copirt haben,
zuerst der accentuirte Satzschluß nachzuweisen (Ges. Abhand-
lungen II 214 ffi.) Es wäre zu wünschen, daß die von mir ge-
zeichneten Umrisse dieses Uebergangs durch gewissenhafte Einzel-
forschung deutlicher nnd sicherer ausgeführt würden. Denn diese
Thatsache ist wichtig. Es handelt sich hier nicht um ein
Gassenlied, sondern um den Satzschluß der Prosa, also um gelehrte
und gezierte Prosa, von welcher die Plebs keine Ahnung hatte.
Als es dem Wortaccent gelang, hier einzudringen, sich zunächst
neben die Quantität zu setzen, dann sie hieraus zu vertreiben, da
war sein Sieg erreicht; er war offiziell anerkannt in den Kanz-
leien und von Gelehrten und Schulmeistern. Das ist, wie gezeigt,
in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts geschehen.
[Das Abnehmen zweisilbiger Wörter im quanti-
tirenden jambischen Zeilenschluß. Der Schluß der
Zeilen fitllt besonders ins Ohr; deßhalb wurde er auch von den
quantitirenden Dichtern besonders beachtet. Nun ist es sicher,
daß die späten quantitirenden Dichter es mehr und mehr gemieden
haben, den jambischen Zeilenschluß, wie in jambischen Dimetem und
Trimetern und in trochaeischen Septenaren, durch ein zweisilbiges
Wort zu bilden; also selten: grande virtutis genas, sondern fast
immer: quisque dextram porrigit oder prodigam pecuniae oder
ferre supplicantibus. Da die rythmischen jambischen Schlüsse
nur durch Wörter von 3 oder mehr Silben, nicht durch zweisilbige
Wörter gebildet werden können, so fanden Manche in jenem Ge-
brauch der quantitirenden Dichter einer geheimnißvollen Zusammen-
hang mit der rythmischen Dichtung.
Nach meiner Ansicht steht diese Erscheinung nur in Zu-
sammenhang damit, daß der Wortaccent offidell gesiegt und auch
den rythmischen Satzschluß sich unterworfen hatte. Aus Gründen,
Die rythmischen Jamben des Aaspicios. 219
die hier nicht zu erörtern sind, fielen seit Ovid in den beiden
letzten Füßen aller Hexameter die Wortaccente mit den Vers*
accenten zasammen: noctisque fngdnte; ümida siirgant; Mavörtis
in nrbe; Schloßworter von 4 und mehr Silben sind verboten. Da-
gegen in dem jambischen Zeilenschloß finden sich Wörter von 2
bis 6 Silben: antiqna fanornm parens; iam Roma Christo dedita;
caeteris praestantior ; miles invictissime. Das Eindringen des
Wortaccents in die Bildung des rjrthmischen Satzschlnsses hatte
das Ohr für den Accentfall der Schlüsse geschärft; die quanti-
tirenden Dichter fanden nan, daß in den Hexameterschlfissen Wort-
accent und Versictns immer zusammenfielen, im Pentameter immer
sich widersprachen, in den jambischen Schlüssen bald zusammen-
fielen, wie in dedita; praestdntior ; invictissime, bald sich schroff
widersprachen, wie in dictis virum oder fanorum parens. Durch
die große Neuerung, die Einführung des Satzschlusses, waren
sie ohnedies an Eegelmäßigkeit in den Schlüssen gewohnt; in
diesen widerspruchsvollen jambischen Schlüssen war leicht durch
eine kleine Neuerung zu helfen: wie im Hexameter Schlußwörter
von mehr als 3 Silben und im Pentameter Schlußwörter von
mehr als 2 Silben verboten waren, so verboten sie im jambi-
schen quantitirenden Zeilenschluß die zweisilbigen Schlußwörter-
Wie im Hexameter fielen dann auch in den jambischen Schlüssen
Wort und Versikten der 2 letzten Füße zusammen. Diese Neue-
rung tritt erst nach dem Siege des Wortaccents auf und ist nur
für wenige Dichter mehr gewesen als eine Wohlklangsregel].
(Der Eintritt des Accent-Schlusses in die silben-
zählende Dichtung). Mit der Erkenntniß, daß erst in der
zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts der qaantitirende Satzschloß
der schönen Prosa sich in den accentuirten wandelte, läßt auch
die Entwicklung der rythmischen Dichtungsweise sich erkennen.
Zwei Entwicklungsstufen sind natürlich. Zuerst hatte man im
lateinischen Sprachgebiet nur das Ziel des Silbenzählens vor Augen
und mißachtete deßbalb die quantitirenden Füße im Innern der Zeile.
Wollte man nach dem Vorbilde des einheimischen Satzschlnsses
der Prosa auch in den neuen Dichtungszeilen bestimmte Schluß-
cadenz bilden, so konnte, da noch Niemand an eine accentuirte
Form des Satzschlusses dachte, auch die Schloßcadenz der neuen
Zeilen nur eine quantitirende sein, d. h. natürlich die der nachge-
machten einheimischen Zeilen. Auf dieser ersten Stufe der Ent-
wicklung steht Commodian. Nach der Mitte des 4. Jahrhunderts
errang die Aussprache nach dem Wortaccent sich officielle Aner-
kennung und drang in den bisher nur quantitirenden Satzschliiß
220 Wilhelm Meyer,
der Prosa ein; ja der Satzschloß, welcher in dieser Zeit in die
griedusche Prosa eingeführt wurde, kennt überhaupt keine Spur
von Quantität. Hatten die rythmischen Neuerer früher den aus-
landischen Silbenzählem zu Liebe die qnantitirenden Füße aufge-
geben und nur, dem einheimischen qnantitirenden Satzschluß zu
Liebe, am Ende der Zeilen den qnantitirenden Schluß der nachge-
bildeten Zeilen festgehalten, so war es jetzt, nachdem der Wort-
accent emporgekommen und sogar im Satzschluß der Prosa aner-
kannt war, selbstverständlich, daß auch die rythmischen Dichter
diese Neuerung mitmachten und jetzt ihre rythmischen silben-
zählenden Zeilen mit einem der beiden allein möglichen Accent-
schlüsse schlössen: ficiat oder fäcit. Auf dieser Entwicklungs-
stufe steht der Psalm des Augustin.
[Dem Commodian, der nach neueren Forschem nicht schon
im 3., sondern in der 1. Hälfte des 4. Jahrhunderts gelebt hat,
war die Hauptsache die Bildung des Caesur- und des Zeilen-
schlusses. Die letzte SUbe ist anceps, aber die vorletzte so gut
wie immer quantitirend richtig ; so haben von den 490 zweisilbigen
Schlußworten! des Carmen apologeticum nur 2, die und magum,
die 1. Silbe kurz. Je mehr vom Schlüsse nach vorn, desto mehr
werden die Silben nur gezählt. Der Wortaccent fallt, wie bei
allen Hexameterdichtern seit Ovid, in dem 6. und 6. Fuß mit den
Yersikten zusammen, sonst ist nicht von ihm die Rede. YgL
meine Ges. Abhandlungen II 32.
Bei dem griechischen Hymnas des MethodiusMartyr ist
der Text sehr unsicher. Unsicher ist sogar die Abtheilung der
Zeilen, so daß eine Untersachung der Zeilenschlüsse hier nichts
ergibt. Sicher sind hier quantitirende Jamben, aber oft ist die
Quantität verletzt. Da die Jamben ohne AußösuDg gebaut sind,
so ergibt sich von selbt bestimmte Silbenzahl. Vom Wortaccent
ist nichts zu merken. Vgl. Ges. Abhandlungen II 46.
Von den beiden Denkmälern der 2. Entwicklungsstufe sind
die beiden Hymnen des Gregor von Nazianz (Ges. Abhandlungen
II 48 und 144) vor 389, der Psalm des Augustin gegen die
Donatisten (Ges. Abhandlimgen 11 20) um das Jahr 393/394 ver-
faßt. Von Quantität ist keine Rede mehr, auch nicht von Füßen ;
Augustin sagt selbst (Retractationes I 20): ideo non aliquo car-
minis genere id fieri volui, ne me nesessitas metrica ad aliqua
verba, qnae vulgo minus sunt usitata, compelleret. Die Silben-
zahl schwankt bei Gregor in den Langzeilen von 14 zu 16; bei
Augustin ist die Bestimmung der Silbenzahl sehr erschwert; doch
scheint sicher, daß neben der großen Mehrzahl von Kurzzeilen zu
Die rythmischen Jamben des Aüspicius. 221
8 Silben etliche von 7 oder von 9 Silben ursprünglich sind. Im
Zeilenschlnß und bei Augnstin auch im Caesurschloß regiert der
Wortaccent fast schon vollständig; fast immer ist die vorletzte
Silbe accentuirt. Innerhalb der Kurzzeilen meidet nur Gregor
die 5. Silbe zu accentuiren ; sonst stehen die Accente wie's der
Zufall gibt; besonders bei Augustin führen vor dem Schlüsse die
Wortaccente einen wilden Tanz auf, aus dem auch ein Fanatiker
nicht den trochaeischen Takt heraushören könnte].
Bei Augustin und Gregor ist die Quantität gänzlich aufge-
geben und ihre Füße. In den Zeilen herrscht die Silbenzählung,
im Schluß der Wortaccent. Bei diesen beiden Dichtern verräth
noch einiges Schwanken die Neuheit der Kunstübung. Es war
natürlich nur geringe Thätigkeit noth wendig, dann war die reine
Form der rythmischen Zeile fertig : gleiche Silbenzahl und gleicher
Accentfuß im Schlüsse. Das Vordringen imd der Sieg des
Wortaccents ist durch die Allgewalt der Verhältnisse, durch das
Bedürfniß einer einfachen Verkebrsausspracbe herbeigeführt. Das
eine Hauptstück der rythmischen Zeile, der Accentfuß im Schlüsse,
ist eine Nachahmung des durch Wortaccente gebildeten Satz-
schlusses der feinen Prosa. Dieses Stück hat also nichts zu thun
mit der Plebs oder mit ihren Sangeskünstlem und Bänkelsängern,
sondern hier haben Schule und Gelehrsamksit geholfen. Es bleibt
die Frage: woher stammt das ältere Hauptstück des rythmischen
Zeilenbaues, das Silbenzählen?
Woher stammt die SUbenzShliing tu den rythmischen Zellen I
Ich gehe nun über zu meinem größten Verbrechen: ich habe be-
hauptet, der merkwürdige Gedanke, die Zeilen nicht mehr mit
quantitirenden Füßen auszubauen, sondern nur Silben zu zählen,
sei in den griechischen oder den lateinischen Christen geweckt
und dann gestärkt worden dadurch, daß sie einige Kenntniß davon
erhielten, daß ihre semitischen Glaubensbrüder, besonders die
Syrer, schöne christliche Gedichte schufen, indem sie nicht lange und
kurze Silben und daraus zusammengesetzte bestimmte Füße zu
Zeilen zusammenfügten, sondern indem sie Kurzzeilen von je 4
oder 6 oder 6 oder 7 oder 8 Silben bildeten und dann solche Kurz-
zeilen in verschiedener Weise zu Langzeilen, zu Gruppen oder zu
Strophen zusammensetzten.
Man erwäge die Thatsachen ! Durch 600 Jahre hatte die latei-
nische Dichtung sorgfältig lang und kurz abgewogen und Füße
gebaut und hatte eine so vielgestaltige Metrik geschaffen, daß
wir noch jetzt nicht behaupten dürfen, die metrische Kunst des
Ausonius oder des Prudentius in allen Stücken wieder erkannt zu
222 Wilhelm Meyer,
Laben. Eine äußere Nothwendigkeit, die Quantität aufzugeben,
lag nicht vor. Denn die Quantität hat in der lateinischen Dich-
tung nachher noch 1000 Jahre bestanden; gerade der Bedarf der
Kirche ist nicht nur von Prudentius und Ambrosius, sondern bis
zum Jahre 1000 von der Mehrzahl der Dichter mit quantitirenden
Gedichten befriedigt worden, und z. B. von den Achtsilbem der
Westgothen (Liturgia Mozarabica bei Dreves, Analecta hynmica
Band 27) wollen sehr viele qnantitirend sein, und von den *ryth-
mici versus iambici dimetri\ welche der Index des 2. Bandes der
Poetae aevi Carolini (S. 721) aufzählt, ist in Wirklichkeit nur
ein Gedicht rythmisch (S. 197); die andern sind quantitirend (auch
das S. 296 mit dem dort nicht erkannten Akrostichon: ijius
MAMMETis). Also Natumothwcndigkeit ist es nicht gewesen, wenn
einige Dichter um 300 nach Christus die Quantität bei Seite schoben.
Anderseits hat nicht die Naturgewalt des vordringenden Wort-
accents den rythmischen Zeilenbau geschaffen. Denn die Anfänge
der neuen Dichterweise fallen früher als der Wortaccent in der
Literatur und im Satzschluß der Prosa bekannt ist, und diese
Anfänge kümmern sich bei Commodian und bei Methodius gar
nichts um den Wortaccent. Nachdem später in der 2. Hälfte des
4. Jahrhunderts der Wortaccent im Satzschluß der feinen Prosa
anerkannt ist, wird der Wortaccent auch in den rythmischen
Zeilen nur im Schlüsse der Zeilen eingeführt; der Innenbau der
rythmischen Zeile kümmert sich nichts um den Wortaccent, weder
bei Augustin oder Gregor von Nazianz, noch fast 100 Jahre
später bei Auspicius. Und doch wäre es, wie gezeigt, kinderleicht
gewesen, genau wie dies im Satzschluß der Prosa geschehen ist,
so auch in den rythmischen Zeilen die Wortaccente in die Stelle
der Versikte zu rücken, also auch im Innern der Zeile regelmäßig
wiederkehrende Accentfüße zu bilden. Das ist aber weder vor
noch nach 400 geschehen.
Wenn also der tief eingewurzelte und noch lang lebende
quantitirende Zeilenbau von christlichen Dichtern des 4. Jahr-
hunderts verlassen ist und wenn der Wortaccent diese Abtrünnig-
keit nicht veranlaßt hat, was denn hat jenen Dichtem die Kühn-
heit, ja auch nur den Gedanken zu einer so auflMlenden Neuerung
eingegeben ? Wo im griechischen oder im lateinischen Sprachgebiet
spielt das Abzählen der Silben eine solche Rolle, daß man auf
den Gedanken kommen konnte, darch dieses Abzählen das Gewe be
der langen und kurzen Silben zu ersetzen? Wenn Jemand diese
dunkle Macht im Gebiet dieser Sprachen nachweisen kann, werde
ich ihm zustimmen. Bis jetzt hat dies noch Niemand vermocht.
Die rythmischen Jamben des Aoapicios. 223
Einflüsse der syrischen oder gnostischen theologischen Lite-
ratur auf die griechische oder lateinische anzunehmen, wird kein
Theologe sich sträuben. Christliche Dichtungen des Bardesanes
hatten schon vor 300 Aufsehen erregt. Im griechischen und latei-
nischen Occident gab es, wie bezeugt, fanatische Christen genug,
welche besonders die alten heidnischen Dichter haßten, da ihre
einschmeichelnden schönen Formen das Gift des Heidenthums, be-
sonders des Götterglaubens, leicht in die Seelen der Volksgenossen
einflößten. Von diesen erfuhren einige, daß ihre syrischen Glau-
bensgenossen schöne christliche Dichtungen schrieben, daß aber
deren Formen nichts zu thun hatten mit den Formen der gehaßten
heidnischen Dichter, dagegen wahrscheinlich nicht sehr fern ständen
dem Bau der biblischen Psalmen. Neue, die bisherigen Bahnen
verlassende G^anken haben die griechischen und lateinischen
Christen im 3. und 4. Jahrhundert viele gefaßt ; nicht der kühnste
wäre der Plan Einiger gewesen, christliche Gedichte nicht in der
heidnischen quantitirenden Form zu schreiben, sondern sich der
Form ihrer semitischen Glaubensbrüder zu nähern.
Trotzdem solche Versuche sehr schwierig waren und wie die
des Conmiodian und Methodius daran krankten, daß sie nicht ganz
brachen mit der Quantität, wurden sie doch nicht bald aufgegeben.
Wie die Aufinerksamkeit der Griechen auf diese Formen gelenkt
war, zeigt die Thatsache, daß in den syrisch-griechischen Grenz-
landen noch vor Ephrem^s Tod ein Grieche es wagen konnte, be-"
rühmte Dichtungen desselben in Versen zu übersetzen, in denen
absolut nur Silben gezählt werden, in denen aber keine Spur von
Rücksicht auf Quantität oder Wortaccent sich findet:
T6xs ^QtivsV dsiv&g l)^ov näöa t^ff xal öXBvdisi
Stav ndvtsg' ^Bdöovtai ^klifiv ina-ga^v^tov
ti^v nBQii-xovöav ccifxo'bg vihctoQ xb xaV (iBff ii^igaV
xal (yddcciiov* Bvgiöxovöiv i(inXfi6^fjvai,' t&v ßQ(0(idta}v,
Diese umfangreiche griechische Uebersetzung ist gewiß weit ver-
breitet worden. Bis jetzt haben wir kein Zeugniß, ob im Occident
ein Grieche oder Lateiner jener Zeit es gewagt hat, ähnliche, nur
silbenzählende Zeilen zu schreiben. Allein ein wichtiges Zeichen
der Zeit sind diese rein silbenzählenden Zeilen.
In der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts wurde der Wortaccent
im rythmischen Satzschluß der Prosa anerkannt. Damit war die
Möglichkeit geboten, von den bisherigen rythmischen Zeilen den
fremdartigen Bestandtheil , die quantitirende Schlußcadenz , abzu-
streifen und an ihre Stelle den in der Prosa herrschenden Wort-
accent zu setzen. So waren im Anfang des 5. Jahrhunderts die
224 Wilhelm Meyer,
beiden Elemente des ryihmischen Zeilenbanes vereinigt, das Silben-
zählen nnd der geregelte Accentscbloß. Woher das Silbenzählen
eigentlich stammte , dessen waren vielleicht schon damals nur
Wenige noch sich bewoßt. Allein die beiden Theile paßten jetzt
doch gut zusammen. Denn sowohl der Anfang nnd die Mitte, wie
das Ende der rythmischen Zeile wurden wie Prosa mit den ge-
wöhnlichen Wortaccenten betont. Damit komme ich zn dem Pnnkte^
welcher mich einst zu all diesen Studien veranlaßt hat.
Wie wurden die rythmischen Zellen vorgetragen?
Diejenigen, welche behaupten, daß die Achtsilber mit jam-
bischem Schlüsse nach der jambischen Schablone gedichtet seien^
müssen auch behaupten, daß die Dichter selbst ihre Zeilen jam-
bisch betont wissen wollten, müssen also auch selbst sie so be-
tonen (vgl. dagegen oben S. 212/213) :
Planglt cor m^um mlsere,
quid car^t solätio.
si volles höc cognöscere,
ben^ poss^s, ut s^ntio.
tu virgö pulch^rrima,
si n6n audis me miserum,
mihi mors ^st asp^rrima.
Diese ZeUen sind nicht quantitirend gebaut; aber die Worter plangit
quid, car^t ben^ poss^s virg6 audis mihi wären auch nicht nach
dem Wortaccent betont. Aber nach was denn? Nach der einge-
bildeten Schablone. Wenn man auch in diesen Dingen Alles er-
lebt (vgl. meine Ges. Abhandlungen, die Noten zu I 184, II 8
und 136), so geniren sich doch die meisten Theoretiker, die Blöße
ihrer Theorie so nackt zu zeigen, und suchen dieselbe mit dem
Feigenblatt der ^schwebenden Betonung* zu decken.
Was ist 'schwebende Betonung'? Bamorino erklärt
S. 10 zu den Zeilen des Auspicius: In principio di verso awiene
talvolta (una cinquantina di casi su 164 versi — vgl. aber S. 211)
che, usandosi una parola bisillaba, questa non possa essere pro-
nunziata con forte accento suUa prima sillaba a motivo del ritmo
giambico, es. : magnum in ürhe vidimus ; niidtis me tüis dctibus. In
tali casi lapronunzia sorvolava sulT accento del primo
bisillabo, restando pressochi atona fino alla quarta
sillaba, colla quäle il ritmo ripigliava il $uo impero.
Nehmen wir als Beispiel die 8. Strophe des Auspicius:
Claras et önim g^nere,
clarus et vitae möribus,
iustus, pudicus, s6brius
totus inliistris rödderis.
Die rythmischen Jamben des Aospicius. 225
Hörte Anspicios diese Zeflen vorlesen (dazu waren sie ja bestimmt)
nach Bamorino's Anweisung, er wärde heftigen Einspruch erheben :
iustus sei ihm völlig so wichtig als pudicus; clarus habe er eben
des Nachdrucks halber rhetorisch wiederholt, und auch totus sei
ihm ein wichtiges Wort, da es die 3 ersten Zeilen zusammen-
fasse; wenn diese 4 Anfangswörter mit einer pronunzia sorvo-
lante e pressoch^ atona vorgelesen würden, geschehe ihm, dem
Dichter, bitter Uiirecht.
Aber noch schlimmer ist Folgendes : in Zeilen, wie ^erit crMo
velocius*, wie weit flattert da die Stimme? Auspicius hat nur B
solche Verse: allein. die ganze Folgezeit hat sehr viele; z. B. in
der oben citirten Strophe Tlangit' haben von 7 Zeilen 5 vollen
Aecent auf der 3. Silbe. Besonders viele finden sich schon bei
den Angelsachsen, also nur gut 200 Jahre nach Auspidos; z. B.
begann Aldhelm ein Gedicht an Aethilwald (Mon. G. H. Epist.
111 246; vor dem Jahr 706) mit den Zeilen:
Vale, vdle, fidissime philochriste carissime,
2 quem in cördis cubiculo clngo amoris vinculo.
Have, hdve, altissime, olim s6des sanctissime,
4 salutätus supplicibns, Aethilwälde, cum vodbus.
Tete h^rus in omnibus cldrum creavit actibas,
6 Forma et visu virilem, facto et dicto senilem.
Tuam primam propaginem per profdndam indaginem
8 curi6se conicere mentis dtque inspicere
nullus vdlet volucribus summi c^li sub nubibus.
Man beachte hier zunächst die bewußte, starke Alliteration, die
ebenso den vordem wie den hintern TheU dieser Zeilen belegt,
welche klingen als seien sie von Erz. Diese Zdlen widersprechen
1.) sämmÜich der jambischen Schablone; denn von all den 77
Zeilen sind 2 ganz unsicher (13 a und 22 b), 2 haben jetzt jam-
bischen Tonfall (36 b robüstum per suffragium und 37 b cael^stis
sceptri gremium): allein alle 73 übrigen beginnen mit einer Silbe,
die vollen Aecent oder Nebenaccent hat*). Die vielen Zeilen,
welche auf der 1. und 4. Silbe Aecent haben, müßte man bis zur 4. SUbe
mit unsicherer Stimme lesen; aber in denen, welche auf der 3.
Silbe Aecent haben, also in den meisten, müßte man die 5 ersten
Silben mit leiserer Stimme sprechen und dürfte erst der 6. Silbe
den gewöhnlichen Nachdruck geben. Mir kommt ein solcher Vor-
trag dieser wie Erz tönenden Zeilen vor, als wenn Sarastro in
1) Die andern Achtsilber dieser Angelsachsen beginnen oft mit einer He-
bung, aber nicht regelmäßig, wie diese des Aldhebn. Sollte Aldhelm hier angel-
sächsischer Vortragsweise gefolgt sein?
226 Wilhelm Meyer,
der Zanberflöte seine ernsten Verse so vortragen sollte, wie Papa-
geno und der Mohr, als sie einander zuerst sehen, eine Reihe von
nnterdröckten AngsÜanten schnell hervorstoßen und diese immer
mit einem schrillen Anfschrei schließen.
Noch klarer wird die IJnnatar dieser Theorie, wenn man
einen Blick wirft anf die beiden wichtigsten Zeilenarten der
Blüthezeit des Mittelalters, des 11. — 13. Jahrhunderts, anf den
Zehnsilber nnd auf den Alexandriner:
Vltam pötest de mörte fdcere,
qui mörtuös iubet resurgere.
Höstis insidians cunctis mortälibas.
hie m^ntem dnxiat et c6git s^dulo.
Im 2iehnsilber ist ein meistens sinkend, oft steigend schließender
Viersilber verbanden mit einem steigend schließenden Sechssilber
(4+6u_); im Alexandriner folgen sich 2 gleiche, beide steigend
schließenden Sechssilber (6u-_ + 6u— ).
Der Bau and Vortrag dieser Sechssilber ist nach meinen
Regeln einfach: vor dem schließenden Proparoxytonon hat bald
die 1. bald die 2. Silbe der Zeile vollen Wortaccent:
tötum calcäverat mundum sub pädibus,
ut cunctis iustior probätis m6ribus,
bald ist unsicher, ob der Nebenaccent auf der 1. oder auf der 2.
Silbe der Zeile liegt:
inestimdbilis plus commendäbilis.
et ad neg6cii et quem sub p^bus.
Also im Anfang der Sechssilber Abwechselung, im Schlüsse Gleich-
förmigkeit der Accente.
Die Theoretiker, welche aach hier nach einer bestimmten
Schablone Accentfüße haben wollen, kommen hier in bittere Ver-
legenheit. Denn dazu muß man wenigstens wissen, was das quan-
titirende Vorbild ist; allein beim Zehnsilber ist das quantitirende
Vorbild noch heute strittig; den Alexandriner sah man bisher als
eine Vereinigung von 3 + 3 Jamben an. Wahrscheinlich ist das
Vorbild des Zehnsilbers die Reihe von 3^» Daktylen: — v^o-.uo
— v^u— urbe potens populis locuples; hier also wäre der Sechs-
silber gleich v^u-^uu— gesetzt. Das quantitirende Vorbild des
Alexandriners ist der Asklepiadeer : Maecenas atavis edite regibus ;
also wäre uu— das Vorbild des 1., — ou — u— das Vorbild
des 2. Sechssilbers. Allein weder v^u-_uu— noch — ^.-.v^v^ —
kann rythmisch genau wiedergegeben werden.
Den Schablonenfreunden bleibt nichts übrig als die rythmi-
schen Sechssilber mit Proparoxytonon zu schließen und im An-
Die rytbmischen Jamben des Anspidns. 227
fang entweder einen Accent-Daktylns oder einen Accent-Jambns
anzunehmen. Welchen von beiden Anfangen sie sich erlesen, stets
werden sie beim Alexandriner ebenso viele schablonenwidrige, als
schablonenmäßige Sechssilber haben, werden also den Anfang
der Hälfte sämtlicher Knrzzeilen im Flüsterton sprechen müssen.
Ein merkwürdiges Monstrum würde die schwebende Betonung
ans dem Vortrag des Zehnsilbers machen. Denn ob man nnn den
sinkend oder den steigend schließenden Yiersilber, ob man den
mit Hebung oder den mit Senkung beginnenden Sechssilber für
regelmäßig erkläre, in jedem Falle wird der Zahl der regel-
mäßigen Kurzzeilen eine fast ebenso große Zahl unregelmäßiger
entgegen stehen. Beim Vortrag werden nun alle unregelmäßigen
Viersilber ganz im Flüsterton gesprochen werden müssen und
dann der Anfang etwa der Hälfte der Sechssüber. Wenn z. B.
als schablonenwidrig gilt der Viersilber qui mArtuös und der
Sechssilber iäbet resurgere, so wird beim Vortrag des Zehnsilbers
qui mortuos iubet resörgere die Stimme die ersten 7 Silben
flüstern und erst die 8. Silbe wie gewöhnlich sprechen.
Von dem Sequenzengesang ausgehend, haben die Nordländer,
besonders die Franzosen, seit dem Beginn des 12. Jahrhunderts
die Musik neu gestaltet; im 14. und 15. Jahrhungert haben diese
Nordländer, besonders die Flamen, die päbstliche Kapelle und dann
viele neu gegründeten fürstlichen Kapellen beherrscht, und Leute
wie Palestrina waren ihre Schüler. Es ist mehr als ein Unrecht,
den Vorgängern und Brüdern dieser Musiker, den mittellateinischen
Dichtem Frankreichs, Deutschlands und Englands im 11., 12. und
13. Jahrhundert, deren Dichtungen voll Wohllaut sind, zuzutrauen,
daß sie ihre Dichtungen so unnatürlich und abscheulich vortrugen
oder vorgetragen haben wollten, wie die Schablonenfreunde ihnen
zumuthen.
'Man lese nach den Accenten' hat Lachmann schon 1829
gemahnt (s. meine G^s. Abhandlungen 11 297), und ich sagte mir
dasselbe, als ich allmählich der schönen Formen der mittellatei-
nischen Dichtung mir bewußt wurde, und deshalb hauptsächlich bin
ich zu den vieljährigen Studien über die lateinische Rjthmik ge-
kommen, weil ich die Art und den Ursprung dieser merkwürdigen
Erscheinung verstehen wollte. Die mittellateinischen und die
modernen Dichtungsformen packen uns moderne Menschen deshalb
mehr als die antiken quantitirend gebauten, weil wir hier in der
Dichtung die Worte ebenso betont hören, wie wir im Leben und
im Verkehr sie betonen, wenn uns die Gefühle bewegen, denen
der Dichter in seiner Dichtung schönen Ausdruck gibt. Allerdings
Wilhelm Meyer»
fallen im Anfang und in der Mitte der lateinischen und der ro-
manischen Zeilen die Wortaccente bald aaf diese bald auf jene
Silbe, doch wenigstens in der mittellateinischeu Dichtung sind
die 80 entstehenden Accentwellen stets wohlklingend, da nie 2
Hebungen zusammenstoßen. Die vorn mannigfaltig tonenden Zeilen
klingen stets in die gleiche Schlußcadenz aus. Wer diese Schönheit
der mittellateinischen Rythmik durch schabloneDhaftes Lesen oder
durch schwebende Betonung zerstört, begeht nach meiner lieber-
Zeugung starkes Unrecht an diesen Dichtern , welchen die schöne
Form und der richtige Vortrag weit wichtiger waren als sie es
den modernen Dichtern sind.
Anhang.
Die Wenigsten von denen, welche über mittellateimsche Hjtlitiiik ur-
theilen, hallen sich gebührend vor Augeu, wie mechanisch die baiytotte
lateinische Wortbetonung ist und wie beachräukt die Zahl der möglichem
Variationen des Accentfalls. Damit ftir die Untersuchungen auf S. 203^-213
diese unerbittliche Mechanik im Anfang der ateigend aehließenden Acht-
silber deutlicher vor Augen gestellt sei, habe ich am dem Anfang von
Caesar de hello civili alle Silbengruppen ausgeacltnitton^ welche, viie jene
Achtsilber, auf der 6. Silbe vollen Accent Laben. Ich habe nur die zur
Untersuchung unbrauchbaren weggelassen^ d. h, jene unsichem, wo man
nicht weiB, ob die 1. oder die 2. Silbe Nebenaocent hat, wie *et retiiw^re
eas'; 8. oben S. 203 und 211. Außer diesen unsichem habe ich alle Silben -
gruppen, welche die 6. Silbe accentmrt haben, hierher gesetzt, aber sie nach
den Einschnitten im Anfang geordnet.
No 1 — 9 sind nach der 3. Silbe sinkend eingeschnitten ; s. S. 209 fil.
no 10 — 14 sind nach der 5. Silbe sinkend eiDgeschnitten und haben einen
festen Accent auf der 1. Silbe; s. S. 209 ffl. no 15 und 16 sind aowohl
nach der 3. als nach der 5. Silbe sinkend eingeschnitten; s. S. 209 fifl.
no 17 — 43 sind nach der 4. Silbe eingeschnitten (a. S, 205), und ^wat
no 17 — 29 so, daß die 2. Silbe vollen Accent hat (vgl S* 205), no 50 — 43
so, daß die 3. Silbe vollen Accent hat, S. 203. Daktylischen Einschnitt
(s. S. 201 und 203) haben no 44—48 (und 10) nach der 3„ no 49 nach der
5. Silbe. no 50 ist nur nach der 2. Silbe eingeschnitten,
No 10,44 — 49 wären des daktylischen Wort Schlusses halber (vgl. S. 201)
bei allen guten Rythmikem verboten; no 17 — 43 und 50 wären bei Au-
spicius, weil die Caesur fehlt, verboten; aber no 1 — 9, II — 43 und no 50
wären für die mittellateinischen Ryihmiker alle regelrecht.
Die rythiidBchen Jamben des Auspidot.
229
1 est sAmma tri-|lraiionim
rec^ptnm in | eandem
8 de^eee ei | aenatoB
aequ^tnr ai | conctetor
5 in iahe hi-|bebatnr
f
ief<&rri quim \ ddeetoa
7 cenaAMit At \ Pompeina
f
dnAbna l^|g^onibua
9 Pomp^ua vi-|deretnr
rMditia a^lgre ab hia
11 öre Pomp^|i mitti
äaaet ann6-|nim canaa
18 catiaa tim^|re Caeaarem
före mati-|tia rebna
15 conctetor dt-|qtie agat
conacHpti ^-|aent qno
17 aendtni | reique
ac förtit^r | aententiaa
19 si Ca^aar^ | respiciant
f
tempöribüa | ae aibi
f
21 conaHi^ | capttinim
•
anxlli^ I ai poatea
28 convicÜB | a ana
aent^ntito | ttt primo
25 ex&rcihia | conacripti
et Ubei^ I aenatna
27 decdrner^ | änderet
aentäitito | Calidü
29 pert^rrit^ | oonvidia
impeträtnm | eat anmma
f
81 impetriri | non potnit
81 audicter | ac fortiter
88 in e^dem | aententiam
ai aenätna | aeqnatnr
85 Sdpiönia | oratio
quod aentoiB in nrbe
f
87 leniörem | aententiam
f
ad aenätmn | referri
f
89 ne qua äaaet | armorum
ne ad ^na | periculmn
41 pa^cia fiäre | mntatia
sequebitor | hi omnea
f
48 se omnino | negavit
litteria ad | aenatmn
45 cönaulea de | repnblica
Aderat ex | ipeina
47 ^iqnia le-|niorem
bdbiti et | exercitoa
f
49 quo prae8idi-|a tato
•
pl^bia conten- tione
Uebenlekt S. 194 Text S. 197 Aufbau des Gedichts. Strophenbaa.
S. 201 Zeilenbaa: Hiatus. Daktylischer Wortschloß. Jambische Scha-
blone oder Sflbena&hlong? S. 203 Accente der ersten 4 Sflben. S. 205 Caesar
in So—. (S. 208 Caesnr in 8 — u). S. 209 Caesnr und Accente in So—.
S. 218 Zeilen-Schluß. S. 214 quantitirender rythmischer Satzschluß, 8. 215
in den rythmischen Versen. S. 216 Wortaccent, S. 21S im rythm. Satzschlni.
(8. 219 zweisflbige Wörter im quant jambischen Zeilenschluß). S. 219 Wort-
accent im rythm. Yersschlnß. S. 221 Ursprung der Sflbenzfchlung : Semiten.
S. 224 Vortrag der rythmischen Zeflen, schwebende Betonung.
Cffl. Gm. d. WiM. NMkriöktra. Plüloloff.-bift. KltMt 190S. Htfl 8.
16
^
Ueber ein megarisches Grabepigramm.
Von
Bmno Keil.
Vorgelegt von E. Seh wart z in der Sitzung vom 28. Juli 1906.
Ad. Wilhelm hat soeben in den Ath. Mitt. 1906 XXXI 89 ff.
eine Inschrift aas Megara veröffentlicht, welche in den allein eine
Lesung gestattenden vier letzten Zeilen das Schloßdistichon eines
G-rabepigramms enthält. Die in Stoichedonschrift gegebenen Zeilen
lauten^):
2 KAETON n>OK
ABp^TA lABN PIAS
4 ^A i TBKAAAE-KAI K
AAE©A>t^ENTE'ABT>
6 OPO I POiiii
Wilhelm liest und ergänzt:
Aa]xXfl tbv ügoxliog' täi ö^ivxCÖB^^ aly ts xä &Xri'
xol xaXfl^aifev tflds tgöxoi x6[kto]g.
„ Tai bezieht sich auf die in dem verlorenen Teil des Gedichtes
erwähnte Mutter oder Frau des Verstorbenen ; sie lebt in Aengsten
— ach! (al als Ausruf des Schmerzes) — und in Verzweiflung.^
Dabei wird ivxideg, „der Verbindung mit &kti wegen, . . . von den
bangen Gedanken trauriger Zukunft^ verstanden.
Das Verständniß der Verse hat der Herausgeber sehr durch
die Erhenntniß des xä als vorvokalischer Form von x<d und die
Deutung von ivnidßg = iXnideg gefördert, wenn ich auch der
1) E hat die Form ^, in der 2. Zeile etwas nach rechts geneigt, sonst
senkrecht. N liegend, der untere Winkel schwebt über der Linie. Vom P ist die
rechte Vertikalhasta sehr tief herabgezogen , namentlich in der 6. Zeile , wo sie
der linken fast gleich ist. Das Beta ist durchgehends eckig, das Rho groß >,
das Omikron rund.
Kffl. GM. d. Wi». Nachrichten. Phllolof .-hift. KImm. 1906. Mtfl 8. 17
232 Bruno Keil,
Form «NPtdcff sehr starkes Mistrauen entgegenbringe; denn des
Verdachtes kann ich mich nicht erwehren, daß die genau über
den beiden fraglichen Bachstaben stehenden gleichen Zeichen NP
ein Versehen des Steinmetzen in der unteren Zeile veranlaßt haben.
Doch die Hauptsache bleibt die Deutung des Wortes. In diesen
beiden Punkten sowie in der darch die Stoichedonanordnung ge-
sicherten Ergänzung Ä6[Ato]5 folge ich ganz Wilhelm ^). Im übrigen
vermag ich mir seine Lesung und Erklärung nicht anzueignen.
Der Autorität einer der ersten Epigraphiker gegenüber muß ich
meine Bedenken formulieren.
1) Die ionische Form &Xri^) ist in diesem alten dorischen Ge-
dichte unmöglich; Wilhelm selbst setzt es mit eingehender paläo-
graphischer Begründung in die ersten Jahrzehnte des 5. Jhdts.
1) WUbelms Ergänzung des Eigennamens zu Aa]yiXfjg ist sehr wahrsclieinlicb ;
die schräge Hasta vor alrig ist auch auf dem FaksimUe zu erkennen. Fehlen für
diesen Namen auch noch die Belege, so ist drifio%Xijs gute Parallele. Solche würde
bei Fa-xX^ (Weihename an Ffi, wie rdttfiog : Bechtel-Fick, Griech. Eigenn. S. 83)
fehlen, nicht so bei dQu-nifls (zu dQ&vai, Bechtel-Fick, a. a. 0. S. 103), wo Jgo-
lio%Xfls (ebda S. 104) und J(fofio%l£^das (Delphi oft) vorhanden sind; aber der
Stamm dga- ist zu selten in der Eigennamenbildung. — Hierbei eine Frage.
0. Uoffmann hat eben in seinem Buche über „Die Makedonen** S. 131 den Nameu
neffd^riKag mit nigdt^ zusammengebracht. Ich glaube, man hat vielmehr negdt-
als regelrechte makedon. Vertretung von ÜBg^i- zu fassen und in dem zweiton
Bestandteil -xxa; die Kurzform zu '%gdTrig zu sehen, wie Hoffmann selbst (S. 225)
Bigi'%-Mcg sicher richtig als makedon. Kurzform zu ^Bgi'%gd%rig nach Analogie
von dodonäischem 'Av6g6'%%ag und dyrrhach. MBvi-%%ag erklärt Also üegSi-xnag
= Ileg^i - xgdtrig, Präsensbildung wie in üsid't - xXfjg u. s. w. ; zur Bedeutung
Tlavöi-Ttgatrig, 'Ovaöi-%gdxT\g. Der Stamm itsg^- erscheint m. W. hier zum ersten
Male in griechischen Personennamen, was natürlich nicht gegen die Herleitung
spricht ; denn von dem mythischen Tlogd'dav, IIogd-Bvg ist füglich abzusehen. Viel-
leicht gelingt es noch ein zweites Beispiel nachzuweisen. Bechtel-Fick, a. a. 0.
S. 240, erklären den ersten Bestandteil von Ilogtsoi-Xaog: „nog^'sei'^ nogxBCi'
kretisch für itgocBöi- zu ngoö^rifU'^ vgl. ftfrftfi-". Das Vorkommen des Namens
auch auf Samos (Dittenberger, Syll. *673; nachmakedonischer Zeit) beruhe auf
Import. Ich möchte den Namen lieber zum Stamme ntgt- stellen. IIogQ'föC-Xaog
hat bei dieser Analyse reichliche Bedeutungsparallelen: Ni>%aai-noXig^ Ninriöi-Xag,
Nin6-drifiogf AvaC-noXtg, AvaC-druiog, Avöi-Xs(og. Es ist ein aristokratischer
Eigenname. Schwierigkeit macht , wie mir J. Wackemagel mündlich einwandte,
der starke Stamm: man erwartet ÜBgtBai-Xaog Allein hier hat ein synonymes epi-
sches Epitheton adliger Helden eingewirkt : ÜBgd'Bai-Xaog ist dasselbe wie n(x)oX£'
nog^og (r\j AvaiXBtogy AvclnoXig) und mit Umkehrung (SB6tpiXog r\j ^tX6^Bog,
KXBoyivrig r\j rBvo-nXfjg vl a.) darnach gebildet; daher das unregelmäßige o im
IIogd'Bai'Xaog,
2) Da£ Wilhelm nicht einen Plural äXri von einem, wenn auch unbelegten,
doch wohl denkbaren tb &Xog verstanden wissen will, ¥rie der parallele Plural ivnidsg
vermuten lassen könnte, zeigt seine Interpretation S. 91.
über ein megarisches Grabepigramm. 283
2) Die Lesung alti erfordert die Verlegenheitsannahine eines
örixog (leiovgog; denn für das Substantiv läßt sich der unten zu
besprechende lange Stamm äl nicht so ohne weiteres ansetzen, was
übrigens Wilhelm auch nicht tut.
3) x€ schwebt in der Luft; man darf Parallelen dafür fordern,
daß das Enklitikon von seinem Stützwort durch eine Interjektion
getrennt werden kann.
4) Ein xdX{X)ä {i^a^Bv) kann mit seinem kurzen Schluß-a nicht
Synalöphe mit dem s des folgenden Umlautes eingehen, so daß
xaA(A)l}da^6v entstünde, sondern mußte elidiert werden, womit der
Vers in die Brüche geht. Denn die Berufung auf Lucius, De crasi
et aphaeresi (Diss. Argent. IX) p. 371 ist hinfallig; das hier aus
Selinus angeführte Beispiel x'fycißAk{k)ovta ist bis auf den einen
Buchstaben o eine ganze freie Ergänzung Roehls (JGrA. 515).
Sonst führt Lucius (p. 372) nur aus der lokrischen Bronze ti}v
Na%mdxt<oi (JGrA. 321,23) an, ein Beispiel, welches für den mega-
rischen Dialekt nicht in Betracht kommt, ganz abgesehen davon,
daß mau ebenso gut tiv lesen kann; da.s ^vI&l des „ältesten
griechischen Briefes" zeigt ja die Verbreitung der Aphärese beim
Artikel in der älteren Sprache auch über das Eleische hinaus.
Im Uebrigen ist eine Elrasis zwischen Artikel und dem folgenden
Worte nicht ohne weiteres mit der zwischen zwei selbständigen
Worten zu vergleichen, von denen das eine nach gemeingriechischem
Brauche elidierbaren Schlußvokal hat.
5) Die Lesung xdk(X)H^ai>6v verlangt femer, daß man das
E als € faßt ; dies kurze 6 wird tünfmal mit B gegeben ; mit E ist
dagegen in xA^ 2 das 17, in xEde 5 sicher eine Länge bezeichnet.
Ich drücke mich jetzt noch absichtlich so vorsichtig aus.
6) Die Anknüpfung des Pentameters mit xal befriedigt nicht ;
ebenso klingt das xdX{X)a wie Versfüllsel; die Prädicierung ist zu
wenig individuell.
7) Die Stilisierung der zweiten Hälfte des Hexameters kommt
mir wenigstens für ein so altes Gedicht ganz fremdartig vor.
Das ist mehr gestammelt als gesprochen; besonders verletzt —
ganz abgesehen von der unangemessenen Stellung — die Inter-
jektion al an sich. Das Otfioi d)Qxdda(i€ ho Ilv^ia I^Xivovvuog
(SQ-DJ. 3044) klingt ganz anders. Aus römischer Zeit finden sich
Beispiele mit alat] allein — und das sind gewichtige Unterschiede
— im Anfange des Verses und in dieser Doppelung {alat Aeiifv-
dQiov). Wenn von Wilamowitz in dem alten Diokleasepigramm
aus Pharsalos (Hoffmann, Syll. Epigr. Gr. n. 55, 3) alat Jio]xXia hat
herstellen wollen, so widerlegt sich m. E. dieser Versuch durch die
17*
234 Bruno Keil,
Beobachtnng, daß der ädsXqfsog, der in dem gleichen Verse erwähnt
ist, nicht ohne Namen bleiben kann. Q-anz gleich, ob -xXda Yoeativ
oder Grenetiv (des Namens des Vaters) ist: im Anfang mnß der
Name des Bruders ergänzt werden, unser Gedicht erhält durch
das schneidende al ein grelles Pathos; weniger Pathos, mehr
Ethos wäre nach meinem Empfinden stilgerechter.
Das Gewicht und die Zahl dieser Bedenken gegen Wilhelms
Lesung wird es rechtfertigen, wenn ich eine andere Deutung zur
Diskussion stelle. Ich wurde es zufrieden sein, wenn ich damit
der endgültigen Deutung den Weg geebnet hätte.
Ich gehe davon aus, daß atts^) richtiges episches Relativ ist,
welches sich also auf ivnläes bezieht und demgemäß einen Neben-
satz eröffnet, in welchem eine Aussage über die „Hoffnungen **
gemacht war. Es fragt sich, wie weit dieser Relativsatz ging.
Sicher schloß er vor ^a^Ev\ denn -xA^ xhv ÜQoxXiog ist ersichtlich
von diesem Verb regiert. Mithin steckt in den Worten ans xa
aXtj xcuTcaXi] der Relativsatz; unsicher bleibt nur, ob sie ganz zu
ihm gehören, oder ob etwa die den Pentametereingang bildenden
Silben schon zu dem Hauptsatz mit ^cctlfEv zu ziehen sind. Die
Entscheidung bringt sofort die Frage nach dem vermutlichen In-
halte des Relativsatzes. Was tun die Hoffnungen? Sie um-
schmeicheln den Menschen: Aeschyl. Ch. 194 öaivofiat d* M
iXntdog, vgl. Bakchyl. 1, 163 ff. 6 S" si igömf d^soi}g iXnidv xvdgo-
tiga öaivst xiag. Dasselbe besagt der Eingang des Pentameters:
xalxAXe steht mit archaischer Haplographie des X und Krasis für
xol alxdXXe. Bei den Lexikographen ist öaivstv die solenne
Erklärung von aixdXXsiVj wofür die Belege in Steph. Thes. ;
deshalb auch die ebendort angeführte Verbindung bei Athenae.
99 E alxdXXetv . . . ngoööoUvsiv. Hiermit ist zunächst die Schlußstelle
des Relativsatzes gewonnen. Es folgt weiter aus dem xol vor
aixdX{X)e , daß dieser Relativsatz zweigliedrig gebaut war , d. h.
ein anderes, dem €clxdX{X)£ parallel stehendes Verb enthielt. Das
kann dann nur in AAE stecken. Dieses Verbum muß entweder
ein Synonym zu alxdXXsiv sein oder eine zweite Qualificierung der
iXnläsg bringen. Vom *Trug' der Hoffnung ist oft die Rede : x€v(«)i},
xovq>ifi {doX6\a66a Bakchyl. 3, 76) sind nicht seltene Epitheta zu
iXiiig. Wie es von der yXvxata . . . xagälav itdXXoiöa . . . iXnig
heißt, daß sie fuiXiöta ^ar&v itoXv6tgofpov yvAfiav xvßsgv^ (Pind.
1) Die PsUose bietet keine Gegeninstanz. Beispiele für oder wider bieten
bis jetzt die meganschen Inschriften nicht. Selinus beweist nichts, aber auch
hier schon frühes Schwanken (Bechtel zu SGDJ. 3045 B 2).
über ein megarisches Grabepigramm. 235
frg. 214), 80 wird die falsche HoffQung den Sinn der Menschen
betören gleich der dok6(iriTtg änaxa^ von der Aeschyl. Fers. 98
sagt (piX6(pQa}v yäg (3CSQi)öaivov6a tb ng&tov \ nagdysL^)] vgl.
Soph. Ant. 616 & yäg di) xoXvxXayxtog ikxlg xokXotg fihv Svccötg
ivdQ&Vy xoXXotg d' indta xovg>ov6(ov igdmov. Sie täuscht so die
Menschen: n6XX iXnidsg ifsvdovöt xal Xoyoi ßgoxotig Enrip. firg.
660, sie ;,läßt sie irren^. aXaofMci heißt irren; die Q-rammatiker
haben dazu das Transitivnm: Et. M. 67,8 äXaög' ... xccgä tb &X&j xb
xXav&. Diese Form ist vielleicht nur Grammatikerfiktion, aber nichts
hindert, daß es in den Dialekten tatsächlich ein Transitivnm za
iXdo(UKi gab , wie z. B. die kretischen Inschriften ein xsii^m za
Ttwd'dvoiiai kennen gelehrt haben. Wenn nun, in iXi ein solches
Transitivnm vorliegt, welche grammatische Formation hat man
ihm zu geben? Dafür ist zunächst eine korze paläographische
Bemerkong von nöten.
Es handelt sich um die Bedeatnng des E in unserer Inschrift.
Ihr Alphabet zeigt das korinthische B = 6; man hat also alles
Recht zu fragen, ob die Aehnlichkeit der Schriftgebung in diesem
6-Zeichen sich auch auf das andere e-Zeichen erstrecke. In Korinth
wird E wie für unechtes so auch für echtes st geschrieben : z. B.
üoxEddvy JFE.viag (altatt. AEhtag), Ich meine, nichts hindert aXE
auch als aXst zu lesen, wie sich ja auch in xEde der alte dor.
Locativ xetds erkennen läßt. Man wende nicht ein, in der alten
megarischen Inschrift JGr VII 36 sei AvxBlo = AvxBlfo geschrieben.
Die korinthischen Weihtäfelchen zeigen ebenfaUs gelegentlich TIo-
xB\ädv statt iloiBdav (vgl. Fränkel zu JG IV 244). Und auch der
Unterschied bildet keine Gegeninstanz, daß B kor. = b und % in
unserer Inschrift B nur = b sei. Die megarische Inschrift JG YU 37
mit t&v dBxccra[i/] d^i/B^Bxon; zeigt, daß auch in Megara B =: c und
fl gebraucht werden konnte. Diese Unterschiede soll man nicht
urgieren; die Schriftgebung ist in so verwandten Zeichen nach
Zeiten und Personen leicht willkürlich. Haben doch die korinthi-
schen Kolonieen den Unterschied, den die Mutterstadt zwischen
E = «t und B und B = « und i^ machte, nicht übernommen. Die
Ursache muß in der etwas verschiedenen Aussprache gesucht werden,
wie das auch von Kretschmar geschehen ist. Bezeichnete man in
Megara das gedehnte b mit dem gleichen Buchstaben wie das alte
1], d. h. mit E, so konnte die Bezeichnung des echten Bt mit E ein-
1) Die Rechtferdgong meiner Lesung der Stelle kann ich hier nicht geben;
ich halte die Behandlung, die die Strophe wie Antistrophe bisher erhalten haben,
für verunglückt, weil z. T. für viel zu gewaltsam.
236 Bruno Keil,
treten, wenn das gedehnte i, d. b. das anechte eij ebenso wie das echte
st in der Aussprache dem i] sich stärker näherten als in Korinth,
wo man s und rj durch B von e und sv = E zn scheiden noch für
nötig befand. Wir haben somit die Wahl aXsi oder aXri ^^ lesen.
In jenem Falle liegt ein Indikativ vor, in diesem muß man den
alten vom Indikativ noch nicht beeinflußten Konjunktiv auf -r^g,
-ri erkennen, wie er besonders im Arkadisch-Kyprischen (Hoffmann,
Griech. Dial. I 260), vereinzelt auch im Böotischen und Argolischen
(Meyer , Ghriech. Gramm. * S. 538) erhalten ist. Die Entscheidung
wird sich weiterhin aus dem Inhalt ergeben; hier zunächst noch
von der Form.
Die Länge der ersten Silbe in ike ist hier durch das Metrum
gefordert; daher ist das einfache Aktiv zu ccAacfiai, dessen Stamm-
silbe kurz ist, ausgeschlossen, wenn auch die Form iXfj (= iXUi)
ans iXdfi erklärbar wäre. Es giebt aber auch den langen Stamm äl
neben äl. Er liegt in drei Bildungen vor. 1) Die Wurzel erscheint
in ((pQivag) i}A^ (Hom. 128) ; '/jX-aiv-a scheint nur alexandrinische
Analogiebidung zu dem alten aXaiva nach '/jXäöxo) u. s. w. zu sein
(Theokr. Thal. 23; Kallim. III 261). 2) Einen Stamm 4A-a- setzen
ifXd-öxOy '/jXa'öX'dico voraus. 3) Den Stamm 4A«- {^Xs-) zeigten
'^Xböq aus '^Xs'i-ög (Hoffmann, a. a. 0. II S. 136) und '^Xs-fi-ato-g
mit doppeltem Superlativsuffix (wie ißd-o-fi-aro-g, jcv-fi-ato-g), wie
auch seine Bedeutung „ganz elend" (vgl. von Wilamowitz, Text-
gesch. der griech. Bukoliker S. 48, 1) beweist. Wurzelverben mit
ä, woneben die schwache Stufe mit a, sind bekannt {Xäd^a : iXa%ov\
aber meines Wissens kein solches mit dem Wurzelausgang auf A,
wie &X(o (woneben aXri in schwacher Stufe) es wäre. Diese Er-
klärung fällt also. Ob das aus iiXAöxm zu erschließende hX-am
hier vorliegt; hängt davon ab, ob überhaupt der Konjunktiv iA^
hier stehen kann. Von dem Stamme äXs- kommen wir auf keine
einfache Weise zu einem äXBl oder &Xf^ : denn da dieser Stamm allein
adjektivisch für uns erscheint, kann man füglich nur ein &Xb'6(o
davon bilden. So bliebe nur hXfi von *hXa(o, Allein wir sind nicht
auf diese drei Eventualitäten, welche der lange Stamm bietet,
angewiesen. aXa kann wie aixdX{X)'i mit Haplographie für ein
&X{K)b stehen, welches dem Metrum genügte. £AAcd (aus fiA-j^-G?)
neben dem Nominalstamm äX-a (mit fehlendem vokalischen Stamm-
ausgang) ist durchaus regelrecht gebildet. Es steht alsdann
%aXifi : ^aAAcD (setze in Schwingung) = fiAi^ : fiAA© (setze in Irrtum).
Dieses &X{X)b kann nun sowohl der Indik. £AA£i wie der Konjimkt.
RXXri sein; wir sind hier nicht, wie bei der Ableitung von *ÄAaai
nur auf den letzteren (iXf() beschränkt. — Diesen formalen Er-
über ein megarisches Grabepigramm. 237
läuterimgen ist endlich noch die syntaktische zuzufügen, daß in der
Verbindung ivTcideg aits . . . &Xe xccl aCxdXi der Singular des Verbs
zum Plural des Subjekts nach dem sog. ffxfifia IlivdaQtxov getreten
ist. Diese Annahme kann Bedenken erregen, weil der Singular
des Verbs unmittelbar an das pluralische Subjekt stoßt; allein
auch Pindar frg. 75, 18 ixst t b^upaC, Zudem sind in Gelegenheits-
dichtung, zu der die Grabepigrammatik gehört, stilistische Härten
eine Konsequenz der Mache.
Die Worte xca.8 bis alxdXs bilden auf alle Fälle eine Paren-
these, wie schon Wilhelm im Prinzip erkannte; denn -xXij tbv
ÜQOxXiog hängen notwendig von d'a^fEv ab. Sie wird gebildet von
einem Hauptsatze tatÖ ivnläsg und dem ihn präcisierenden relativi-
schen Nebensatze oIxb xxk. Wie ist der Hauptsatz zu verstehen?
Tai d* ivnidBg kann man nicht mehr lesen, nachdem der Relativ-
satz gewonnen ist; denn die beiden Worte al und äXf}, in deren
Verbindung dieses Substantiv die Bedeutung gewinnen kann, welche
Wilhelm dafür in Anspruch nimmt, sind jetzt teils in den Relativ-
satz verschlungen teils ganz beseitigt. So bleibt also nur die
Lesung tal d* oder rcUS* ivicCösg^ wobei Ellipse der Kopula auf der
Hand liegt. Natürlich trifft nur die zweite Diastixis zu; dem
Relativ aXta entspricht das Demonstrativ xoCÖb. Also wörtlich
„dieses (sind) Hoffnungen^ oder „so sind Hoffnungen^. xalÖB ist
gleich einem prosaischen xo^axh^a. Dann kann der Relativsatz
nur die in der Natur der Hoffnungen liegende Folge ausdrücken,
so daß das Relativ den Sinn 'eines &6xb gewinnt: xoiovxovg yQccqxo
koyovg^ oi xal xijv x6Xiv ßXanxov6v xaL xoi>g vsandgovg diatp^sigovöi
(Isokr. XV 56) ~ xaCS* ivitCdag aXxe xa{l) ßX(k)6i xaixaX{X)Bi. So
wäre denn das E der beiden Verben tatsächlich als £t zu lesen.
Dabei verkenne ich nicht, daß dieser Relativsatz sich auch kon-
junktivisch ausdrücken ließe. Aber der Sinn wird dann ein anderer ;
aus dem adjektivischen Satze vnrd dann ein attributiver, dessen
Bestimmungen nur eintreten können, nicht als tatsächlich an
dem Beziehungsworte vorhandene erscheinen; und das, meine ich,
verlangt hier der Sinn. Wii* brauchen so hier auch nicht den
alten Konjunktiv zu erkennen, dessen Annahme bei seiner Selten-
heit außerhalb des arkadisch -kyprischen Dialektgebietes immer
etwas von einer Notlesung an sich hätte. Das xa aber darf man
nicht für die Lesung als Konjunktiv anführen; denn wenn ein
Hiat im allgemeinen gerade an dieser Versstelle sich wohl recht-
fertigen ließe, die Partikel xa an sich und die Kollision zweier ganz
gleicher Vokale in xa aXai schließen hier den Hiat aus. Ich halte
an Wilhelms xä =^ xal fest. Endlich spricht für die vorgeschlagene
238 Bruno Keil,
Lesung noch dies: xal SXXei xal alTcaXXec ist ein Wortspiel, ob ein
hier zuerst gebildetes oder ein sprichwörtliches, muß unentschieden
bleiben. Das Elangspiel kommt am reinsten in eben dieser Lesung
heraus.
d'o^Ev faßt man zunächst leicht als d-aifsv. Es spricht dafür die
Typologie der Qrabepigramme ; dagegen spricht die dann nötige
Wertung des E als 6. Das E zwingt ^«^^ zu lesen ; und diese Auf-
fassung wird durch das ivnidsg des Hexameters begünstigt. Nicht,
daß von diesem Substantiv selbst der Infin. Fut. abhinge ; das ver-
bieten mehrere Gründe. 1) Die Wortstellung: Der Sinn könnte
dann nur sein: „nicht das waren die Hoffnungen, welche so
täuschten, daß er (sie) den Sohn des Prokies begraben werde".
Li diesem Falle müßte die Negation direkt vor taiÖs stehen,
müßte femer ivitidsg in dieser einfachen Sprache dem abhängigen
Akk. tbv IIqoxUos voraufgehen: o^ taids (latiQi (fiii) iimidsg tbv
ÜQOxXiog ^aifiiv. 2) Der Relativsatz könnte nicht im Präsens
stehen ; das Lnperfekt wäre erfordert. 3) Die Ellipse eines Imper-
fekts bei iimidss wäre recht hart. Aber wenn es heißt „so sind
die täuschenden Hoffnungen" und gar in einer Parenthese, so muß
vorher schon von andern Hoffnungen die Rede gewesen sein. Also
war der Sinn: ;,nicht das hatte er, der (sie, die) in dem Einde
eine Stütze sah, erwartet, daß er (sie) ihn — so sind die Hoff-
nungen mit ihrem täuschenden Schmeicheln — begraben werde".
So hat das E in d-cntn^v die regelmäßige Deutung gefanden.
Aus seinem täids hatte Wilhelm erschlossen, daß in dem ver-
lorenen Anfang des Gedichtes die Mutter oder Frau des Ver-
storbenen genannt waren. Dieser Grund ist mit der Lesang tccids
beseitigt. Grleichwohl, denke ich, hat er recht gesehen. Hätte
der Vater die Stele aufgestellt, so wäre tbv ügoxkiog unnatürlich.
An einen Bruder lassen die ivnidsg noch weniger als an die G-attin
denken. Wo eine solche ihren Mann begräbt, spricht sie in dieser
Epigrammatik gemeinhin nicht von den Hoffnungen, die sie ent-
täuschten, sondern von dem Liebesglück, das nun vernichtet ist.
Die Eltern setzen die Hoffnung auf die Kinder; nach welcher
Richtung hin besonders, sagt — die Beispiele dafür sind ja fast
unzählig — jenes schon (S. 234) herangezogene Pindarfragment (214)
yXvxitd oC xccQÖia itdXXoiöa (vgl. alxdXXsi) ytiQOXQÖtpog öwccogst
iXnig, & (läXiöta xtX. Ist der Vater hier ausgeschlossen, so be-
klagt also die Mutter, daß die Hoffnung sie betrog und daß sie
ihren Sohn hier begraben mußte tgonoi n6[XLo]gj d. h. &g id'og
(v6(iog) tat noXi. Dieser Sitte entsprach sie durch die Errichtung
der Stele: so werden Bürger bestattet.
über ein megarisches Grabepigramm. 239
Ich verstehe aJso: [„Nicht das hatte die Mutter (Name) er-
wartet, daß sie ihr Kind (xcctda), das ihres Alters Stütze und
Stolz sein sollte, Lajkles den Sohn des Frokles — so sind Hoff-
nungen, die da täuschen and schmeicheln — begraben werde hier,
wie es Brauch in der Bürgerschaft.
jia]KXij tbv ÜQOxXdog — taiif iimidag, atts xä &k{X)Bi,
X€UxaX(X)6i — ^o^v tstds tQÖxmv jt6[lio]g.
Straßburg i.E.
Ueber ein megarisches Grabepigramm
Von
E. Schwartz
Vorgelegt in der Sitzung vom 28. Juli 1906
Die alte megarische Inschrift, die Wilhelm in den Athen.
Mitthlg. 31, 90 ff. veröffentlicht hat, hat Keil in der vorstehenden
Mittheilung anders und in vielem glücklicher als der erste Heraus-
geber gedeutet. Zur Bequemlichkeit meiner Leser setze ich den
Text der Inschrift noch einmal her:
KARTON PPOK
ABO^TAIA^N PI AB
^A ITBKAAAe-KAlK
^^^®^>v^u^^ abtp
opoinoiii^
Daß die Doppelconsonanz nicht geschrieben wird und ^ nur
12 oder si, sei es echter Diphthong sei es ?, bedeutet, nicht aber
Sj wird Keil jeder zugeben ; er hat mit diesen beiden Erkenntnissen
der Deutung erst bestimmte Grenzen gewiesen. Aber seiner eige-
nen Lösung, die man bei ihm selbst nachlesen möge, kann ich mich
nicht anschließen. Ich vermisse in der Correspondenz von ta(S*
ivTcidsg . . . alrs die einfache Schärfe der alten Sprache, und komme
über das <fxrifia IIvvdaQixöv nicht hinweg. Es hat im megarischen
Dialect sicher Wörter gegeben, die dem uns bekannten Sprach-
schatz fehlen; es ist nur fraglich, ob gerade solche dialectischen
Wörter in ein Epigramm gesetzt wurden.
d'ccfifsv kann, wie Keil betont, nur Inf. Fut. sein; ob man
ihn d'dttfBLVy ^a^BlVy d'cnt^fiv ausspricht, ist einerlei. Der Infinitiv
schließt sich am natürlichsten an ivTciösg = iXjcCq iött an. Damit
ist die Deutung von aixs = alte unmöglich; es steht aber nichts
£. Schwartz, über ein megarisches Grabepigramm. 241
im Wege atts dor. = stte ion. att. darin zu sehen. Es war nicht
gut zu postuliren, daß {nQo)xXil von d'difsiv abhängt. Das führt
zu gezwungenen Deutungen von ivxiäsg . . . ^d^Biv, Da der An-
fang verloren ist, kann auch das Yerbum regens verloren sein, ja
es muß einst dagestanden haben. Es lassen sich nämlich ivjtidsg
und ^a^Biv nur dann verbinden, wenn der Satz ein logisches Sub-
ject hat; das steckt in TAlA = x&v d*: (i7(»o)xAi} muß von einem
Verb, mit femininem Subject abhängen. So weit führt das logisch-
grammatische Raisonnement ; es bleibt übrig die bösen Zeichen
AITBKAAA^ : KAIKAA^ so zu deuten, daß sie in den erschlossenen
Rahmen passen. Ich schlage vor zu trausscribiren :
/7(»o]xA^ xhv ügoxliog* rät d* ivicCäag atts xcc(l) &X{X)6l
xal x&X ^ ^a^Biv tstde tgönov (oder tgöxmi) nöhog.
Ein Distichon fehlt oder nur ein Hexameter, wenn die Q-rab-
schrift der älteren Weise folgt. Darin war ein weiblicher Name
genannt, der Mutter oder Frau des Todten ; das Verb mag iötaöe
oder so etwas gewesen sein. Die erhaltenen Verse sagen was auf den
Grabstein gehört, daß das Grab ein Eenotaph sei; in merkwürdiger
Verschiedenheit von den sentimentalen Klagen späterer Zeiten wird
an Stelle der Aussage die Hoffnung gesetzt den Todten entweder
anderswo und dann auf anständige Weise oder in der Heimat nach
dem Brauch zu bestatten.
Katharina II von Rußland und ein Göttingscher
Zeitungsschreiber.
Von
F. Frensdorff.
Nachtrag.
Vorgelegt in der Sitzung vom 25. November 1905.
Dem unter vorstehendem Titel in den Nachrichten Jahrgg.
1905 S. 305 ff. veröffentlichten Aufsätze habe ich einen Nachtrag
hinzoznfiigeny weil sich nnter den Briefen der Kaiserin Katharina
an den Leibarzt Zimmermann, die die Königliche Bibliothek in
Hannover besitzt, das früher vermißte Original des Briefes ge-
funden hat, der von mir in jenem Aufsätze nur nach einer deut-
schen üebersetzung aus dem Cod. ms. Heyne n. 132 der Göttinger
Bibliothek mitgetheilt werden konnte, und inzwischen in der Aus-
gabe des „Briefwechsels zwischen der Kaiserin Katharina von
Rußland und Joh. Georg Zimmermann*' (Hannover 1906) von E.
Bodemann unter Nr. 57 S. 120 veröffentlicht ist.
Der jetzt vorliegende französische Text des Briefes vom 4./15.
Januar 1790 widerlegt den Verdacht, den ich gegen die Treue
der deutschen Üebersetzung in meiner Abhandlung S. 314 geäußert
habe. Zimmermann hat in der That nichts von dem Seinigen
hinzugethan. Die lebhaften Ausdrücke, die mich mistrauisch
machten, sind Eigenthum der Kaiserin. Man muß im G^gentheil
anerkennen, daß Zimmermann das Original getreu und zugleich
gewandt wiedergegeben hat. Er hat den Brief der Kaiserin aller-
dings nicht vollständig nach Göttingen mitgetheilt, sondern nur
etwa die erste Hälfte. Doch das rechtfertigt sich durch den
ganzen Zweck der Correspondenz. Es kam damals nur darauf
an, das zu berichtigen, was die in Göttingen erscheinende »Poli-
Katharina II von Rußland und ein Göttingscher Zeitungsschreiber. 243
tische Staatenzeitang'' Irrthümliches über Suwarow und seine
Herkunft gemeldet hatte.
Von Interesse wäre allerdings die Mitteilung des Satzes ge-
wesen, der sich unmittelbar an die Berichtigung anschließt. Der
Göttingsche Zeitungsschreiber hatte behauptet, Suwarow sei der
Sohn eines Hildesheimer Schlachters. Daran anknüpfend fährt
die Kaiserin fort : il me paroit que la viUe de Hildesbeim est une
ville k pretention; denn wie jetzt Suwarow, so hatte sie vor
kurzem den General Michelson für sich in Anspruch genommen.
Das hatte allerdings nicht die politische Staatenzeitung gethan,
sondern wahrscheinlich niemand anders als — der Correspondent
Katharinens, Zimmermann. In seinem Briefe vom 8. September
1789 hatte er der Kaiserin für die Mittheilung der Erfolge ge-
dankt, welche die russischen Waffen im Kriege gegen Schweden
durch den General Michelson errungen hatten, und dem Namen
des Generals hinzugesetzt: natif du pays d'Hanover (S. 108).
Das hatte die Kaiserin sofort in ihrem Briefe vom 6./17. October
1789 widerlegt (S. 111). Im folgenden Januar kam sie darauf
zurück (121). Vermuthlich warf sie in ihrer Erinnerung Hildes-
heim und Hannover zusammen. Sonst müßte noch von anderer
Seite eine solche Aeußerung über Michelsons Herkunft der Kaiserin
begegnet sein. Das wäre dann ein weiterer Beweis der Verbrei-
tung jenes Gerüchts. In jedem Falle war es grundlos. Der Ge-
neral Iwan Iwanowitsch Michelson (1735 — 1807) war ein gebomer
Livländer, dessen Vater schon in russischen Kriegsdiensten ge-
standen hatte. Er war besonders in dem großen Kosakenauf-
stande des J. 1774 bekannt geworden und hatte das Beste zur
Niederwerfung Pugatschews und seines Anhangs gethan. Das
Argument, das die Kaiserin der griechisch-katholischen Religion
des Generals zur Widerlegung seiner niedersächsischen Herkunft
entnimmt (111. 121), klingt befremdlich, wenn man sich der eigenen
Geschichte Katharinens erinnert, ist aber gerechtfertigt, wenn
man erwägt, daß die Fremden, die in russische Staatsdienste
traten, nicht zum Uebertritt zur russischen Kirche genöthigt
wurden. Die Zugehörigkeit Michelsons zur griechisch-katholischen
Kirche konnte daher als ein Zeichen seiner Eigenschaft als In-
länder geltend gemacht werden.
Die Aenßerungen der Göttingschen Zeitung wie Zimmermanns
zeigen, daß damals in Norddeutschland Gerüchte in Umlauf waren,
welche hervorragende Persönlichkeiten des russischen Staatslebens,
insbesondere auch des Heeres, Rußland streitig machten und ge-
wissermaßen einen Theil ihres Ruhmes für das Land ihrer angeb-
244 F. Frensdorff,
liehen Herkunft reclamierten. Woher stammten alle diese falschen
Nachrichten? Oder vielmehr: was führte zn ihrer Erfindong?
Man muß sich zunächst erinnern, wie sehr das russische Reich
seit dem Anfange des 18. Jahrh. die Aufmerksamkeit der euro-
päischen Welt und namentlich Deutschlands fesselte. Ist es in der
Gegenwart das russische Volk, dem sich erst in der Litteratur,
dann in der Politik das öfltentliche Interesse zuwandte, dessen
wirtschaftliche, religiöse, geistige Zustände studiert werden, so
war es im 18. Jahrh. der Staat und seine Herrscher, neben
ihrem Streben, europäische Cultur in diese halbbarbarischen Lande
zu verpflanzen, ihr erfolgreiches Bemühen, einen Platz unter den
Großstaaten, avoir voix en chapitre, wie K. Katharina II sagt,
zu gewinnen. Nicht weniger als von diesen prinzipiellen Gesichts-
punkten aus mußte das Pablicura beschäftigt werden durch den
dramatischen Wechsel auf der politischen Bühne, das Ringen der
Parteien am Hofe, namentlich der Fremden mit den Einheimischen,
die Palastrevolutionen, die Verflechtung deutscher Fürstenhäuser
in die dynastischen Geschicke, die Herrschaft der Frauen und das
davon unzertrennliche Auf- und Niedersteigen der Günstlinge.
Nicht zuletzt waren es die großen Persönlichkeiten der rnssischen
Geschichte, auf die sich die Augen Aller richteten. In einem Jahr-
hundert hat sie zwei eminente Herrschercharaktere aufzuweisen :
einen Mann und eine Frau, einen Originalrussen und eine Frau
deutschen Geblüts. Mit ihrem Uebertritt zur griechisch-katho-
lischen Kirche identificierte sich Katharina mit der russischen
Nationalität. Aber sie eignete sich zugleich die ganze Bildung des
18. Jahrhunderts an. Ihre Memoiren erzählen, wie sie die Zeit
unter der Kaiserin Elisabeth neben allen Anforderungen, die das
Hofleben an sie stellt, nützlich mit Leetüre verbringt. Sie liest
viel und vielerlei, Tacitus und Plato und Montesquieu, nachdem
sie ein ganzes Jahr hindurch nichts als Romane verschlungen
hatte. Es liefert zugleich einen BegriflP ihrer Consequenz und
Geistesstärke, wenn sie sich systematisch in zwei Jahren durch
das Baylesche Dictionnaire, alle sechs Monate einen Band, durch-
arbeitete, und einen Beweis ihrer Geduld, wenn sie die zehn Bände
des Pere Barre über deutsche Geschichte, denen auch Friedrich
der Große seine historische Kenntniß von Deutschland 'verdankte,
hier allerdings alle acht Tage einen Band, durchlas. Vor allem
war es aber Voltaire, den sie sich zu eigen machte^). Ihn ver-
ehrt sie als ihren Meister und Lehrer. Sie trat in Briefwechsel
1) Memoiren Katbarinas % 67, 98, 180, 204 ff.
Katharina II von Rußland und ein Göttingscher Zeitungsschreiber. 245
mit den G-rößen der Zeit. Baron Grimm, den sie persönlich kennen
gelernt hatte, als er in Begleitung der Landgräfin Caroline von
Hessen 1773 Petersburg besuchte, hielt sie durch seine fortlau-
fende Correspondenz in Kenntniß von allen Vorkommnissen des
französischen Lebens. Ihre Briefe zeigen die Kraft und Anmuth
ihres Geistes und auch was deutsch in ihrem Wesen geblieben
war. Unter allen Fährlichkeiten des Lebens bewahrt sie sich
ein fröhliches Herz. Wie sie sich selbst ihrer in Braunschweig
verbrachten Mädchenjahre nicht anders erinnert als : j'etois alors
une ^tourdie de profession, mais fort gaie (Briefw. mit Zimmer-
mann S. 16), so feiert sie Voltaire bei seinem Tode: c'^tait lui
qni ^tait la divinitä de la gait^ (Brückner, Katharina S. 573).
Die kleine Prinzessin von Anhalt-Zerbst die Gebieterin des
heiligen Rußland! Vor eine gigantische Aufgabe gestellt, geht
sie mit festem Vorsatz an ihre Lösung und führt sie mit Kunst,
mit Verschlagenheit, mit Kraft durch. Eine Gestalt nach dem
Herzen des 18. Jahrhunderts! Mit der Kraftfülle des aufgeklärten
Despotismus herrscht sie über ein Land von ungeheuren Dimensionen,
das sich unter ihren Kriegen und Siegen noch nach allen Seiten
erweitert. Das imponirte namentlich in Deutschland mit seinen
zerrissenen Territorialfetzen. In einer der angesehensten deutschen
Zeitschriften, dem deutschen Museum v. Boie und Dobm heraus-
gegeben, erschien 1776 ein Aufsatz unter der Ueberschrif t : Katha-
rina II ein Gemäld ohne Schatten^). „Sie entwarf den kühnsten
Plan, der in die Seele eines Monarchen gekommen, ihre Nation aus
dem Stande der Unmündigkeit, Abhängigkeit und Nachahmung
anderer Völker zu ziehen, ihr einen eigenthümlichen beständigen
Charakter zu geben, ein Originalvolk zu bilden. Die Majestät in
der Hülle der erhabensten Menschenliebe. Zugleich die höflichste
Frau des ganzen Hofes ^. Der Erfolg ihrer Bemühungen für ihre
Hauptstadt wird zusammengedrängt in die Worte: „sie hat Pe-
tersburg hölzern gefunden und wird es steinern hinterlassen".
An den Vorgängen in Rußland nahm man in Deutschland
nicht blos als unparteiischer Zuschauer Theil. Wie deutsche
Fürstenhäuser in die Familiengeschicke verflochten waren — Hol-
stein-Gottorp, Anhalt-Zerbst, Braunschweig -Wolfenbüttel — so
hatten auch zahlreiche deutsche Private dort ihre Angehörigen.
Unter den Günstlingen der ersten Kaiserinnen waren nicht wenige
Deutsche gewesen. Deutsche waren zahlreich herangezogen zu
den Arbeiten, die auf die Erziehung des russischen Volkes oder
1) S. 383. Mai.
246 F. Frensdorff,
anf die Hebimg der Coltor des Landes berechnet waren: als In-
stmcteure und Officiere für die Armee, als Ingenieare für die
Erbanong von Straßen und Kanälen, als Aerzte für die nen ge-
wonnenen Gebiete. Der Briefwechsel Eatharinens mit Zimmer-
mann lehrt uns eine ganze Reihe von deutschen Aerzten kennen,
die sich 1786 u. ff. in Rußland niederließen (S. 34 ff.). Rußland
galt als das Land, wo man sein Gluck machen konnte. Schon in
den Zeiten der Hansa war das Contor von Nowgorod dafür be-
rühmt, daß man dort am leichtesten mit geringem Gelde zum Manne
gedeihen könne').
In dem interessanten Bruchstück einer Selbstbiographie, in
der Schlözer seinen Aufenthalt in Rußland, die Jahre 1761—65,
schildert, in denen er geschmiedet ward vom Schicksal und sich
schmiedete, wie Therese Huber sein stolzes „nosmet fortunae
nostrae fabros" wiedergiebt *), datiert er vom J, 1760 die Zeit
da das Laufen and Rennen nach Rußland, sonderlich von Stu-
dirten, inmier stärker wurde'). Er exemplificirt dabei auf den
Grafen Ostermann. „Die Toren wänten*' — so schrieb Schlözer,
der selbst zu den Thoren gehörte — „nirgends ließe sich leichter
Fortune machen als da; vielen stak der aus Jena relegirte Stu-
diosus Theologiä Ostermann, der zuletzt russischer Reichskanzler
geworden war, im Kopf. Sohn eines Pastors in Bochum, hatte
er als Jenenser Student seinen Gegner im Duell getödtet und
war nach Holland geflüchtet, wo er durch einen holländischen
Admiral Feter dem Großen empfohlen zunächst in den russischen
Seedienst kam. Alsbald zu wichtigen politischen Geschäften ver-
wandt, stieg er unter der E. Anna zum Minister der auswärtigen
Angelegenheiten auf, wurde in den Grafenstand erhoben und
stürzte, als EUsabetb 1742 den Thron bestieg. Zum Tode verur-
theilt, wurde er auf dem Blutgerüst zur Verbannung nach Sibirien
begnadigt, wo er 1747 starb. In dem Artikel der Patriotischen
Fhantasieen, in welchem Justus Moser zu einer Biographie für
Westfalen anregen will *), heißt es : die Geschichte solcher Landes-
leute, die sich durch eigne Verdienste haben heben müssen, bleibt
allemal angenehm und nützlich; und das Leben eines Grafen von
Ostermann ist wichtiger als die Sammlung aller Thaten von man-
1) Hansische Geschichtsblätter 1893 S. 92.
2) Geiger, Th. Huber (1901) S. 26.
8) A. L. Schlözer, öffentl. and Privatleben von ihm selbst beschrieben (Gott.
1802) 8. 31.
4) Sämtl. W. I 439, (geschrieben 1770).
Katharina II von Baßland und ein Oöttingscb er Zeitongsschreiber. 247
ehern gebomen Beichsfürsten. — Gleichzeitig mit Ostermann war
Mann ich nach Raßland gekommen, ans einer oldenbnrgischen
Deichgräfenfamilie stammend, Officier in Diensten des Landgrafen
Karl von Hessen, in denen er sich durch Leistungen des Krieges wie
des Friedens auszeichnete, u. a. die Hafen und Canal-Anlagen um
Karlshafen forderte. Auch in Rußland, wohin er als Ingenieur-
officier gieng, machte er sich zuerst durch Wasserbauten bekannt.
Er erbaute den großen Ladogakanal, wurde Organisator der russi-
schen Truppen und ihr siegreicher Führer in den Kämpfen gegen
Polen und Türken. Ihn ereilte das gleiche Geschick wie Oster-
mann: als Anhänger der gestürzten Regentin Anna wurde er auf
Befehl der Kaiserin Elisabeth verhaftet, zum Tode yerurtheilt
und nach Sibirien geschickt. Nur daß er lange genug lebte, um
1762 unter Peter DI und Katharina rehabilitirt zu werden. —
Aehnliche Wechsel des Schicksals erlebte Joh. Herrmann TEstocq,
der aus einer niedrigeren Schicht emporstieg als die Genannten.
Er war 1692 in Celle als Sohn eines Baders geboren und war
selbst Bader. Die Familie stammte aus Frankreich, yon wo sie
um der Religion willen vertrieben war. Hermann l'Estocq kam
1713 an den russischen Hof zu medicinischen Hülfsdiensten. Unter
Elisabeth, deren Gelangung zum Thron nicht zum wenigsten ihm
zu danken war, wurde er erster Leibarzt und Geheimer Rath,
bis er, nachdem er eben eine Ehrendame der Kaiserin, Fräulein
von Mengden, unter Theilnahme des Hofes geheiratet hatte, Ende
1748 durch die Partei der Einheimischen unter Bestuscheff ge-
stürzt und in die Verbannung geschickt wurde. Peter III setzte
ihn wieder in Freiheit. Er lebte dann bis an sein Ende (1767) in
Petersburg, wo ihn Büsching als Mitglied der französisch - refor-
mirten Gemeinde kennen lernte*).
Die Beispiele dieser aus Niedersachsen und Westfalen stam-
menden Männer, die in Bußland zu hohen Ehren gekommen waren,
werden sich noch vermehren lassen. Auch der nachherige Graf
General v. Bennigsen, der, früher hannoverscher Officier, 1773 in
russische Dienste übergetreten war, würde hierher gehören; doch
fällt seine große Zeit erst nach dem J. 1790. Die Laufbahn dieser
Männer prägte sich trotz des Mißgeschicks , das den meisten von
ihnen bei allen Erfolgen begegnete, dem Yolksgemüth tief ein,
und so mochten die Gerüchte entstehen, wenn ein Staatsmann
oder General in russischen Diensten die öffentliche Aufmerksam-
1) Botermund, gel. Hannover I S. CXXXXVUI; Memoiren Katharinas S. 91;
Koser, Friedrich d. Q. I 467 u. 632; Büsching, Magazin f. d. Historie H 435 ff.
Kfl. Gas. d. WiM. Naohriehtan. Philolofr.-hiftor. KIum 1906. Heft 3. 18
248 F. Frensdorff,
keit erregte, er sei kein Rnsse, stamme aus Norddeutschland und
sei womöglich von niederer Herkunft.
Ich habe in dem früheren Aufsatze die Beziehungen erwähnt,
die sich zwischen der Universität Göttingen und der Kai-
serin Katharina anknüpften und um derentwillen die Verbreitung
jener unwahren Nachrichten über Suwarow dnrch eine Gröttinger
Zeitung ihren vollen Unwillen hervorrief. Auch dazu läßt sich
jetzt ein Nachtrag liefern. Der früher angeführte Artikel Heyne's
in den Götting. Gel. Anzeigen über die wissenschaftlichen und die
gesetzgeberischen Unternehmungen der Kaiserin (1785 Dec. 19)
war nicht ganz ohne Nebenabsicht geschrieben. Wie sich aus
einem Briefe Heynes an Zimmermann vom 22. Dec. 1785 ergiebtM,
war es im Plane, die Kaiserin zu einer werkthätigen Unterstützung
der Gelehrten Anzeigen zu bewegen. Heyne schrieb damals: ,,68
macht mir keine geringe Freude , mein theuerster Herr Hofrath,
daß Sie das Blatt der Gelehrten Anzeigen nicht ganz zweckwidrig
gefunden haben. Der Gedanke, der Kaiserin einzugeben, daß sie
eine Anzahl Exemplarien der Gelehrten Anzeigen kaufen und
vertheilen möchte, ist vortrefflich, und ich bitte inständig den
Versuch zu wagen, und wenn es auch nur 50 Exemplarien wären,
es würde immer das Seinige bey tragen und helfen". Bei der
Wichtigkeit, die Heyne dem Vertrieb der Gelehrten Anzeigen für
das Ansehen der Universität namentlich nach außen bin beilegte,
ist dieser Schritt erklärlich. Ob er von Erfolg war, läßt die
weitere Correspondenz nicht erkennen. Ich fürchte, sie würde den
Antrag, wenn er an sie gelangt wäre, zu akademisch gefunden
haben; Voltaires Werke in hundert Exemplaren zu vertheilen,
wäre sie bereit gewesen*).
Zu den deutschen Gelehrten, die ihr Heil in Rußland ver-
suchten, hat auch Göttingen sein Contingent gestellt. Außer
Schlözer und Büsching gehören Grellmann und Buhle hierher,
jene der Zeit nach 1760, diese dem Anfange des folgenden Jahr-
hunderts angehörig: Grellmann, der 1804 als Professor der Sta-
tistik aus einer ordentlichen Professur der Philosophie, die er seit
1794 in Göttingen inne hatte, nach Moskau gieng, wo er aber
schon im Jahre seiner Ankunft starb; Buhle, der sein Nachfolger
wurde, war gleichfalls seit 1794 Ordinarius in Göttingen gewesen,
hatte sich durch eine Ausgabe des Aristoteles in der Zweibrücker
1) Ans Zimmermanns Nachlaß mitgetheUt von £. Bodemann in der Ztschr.
des histor. Vereins f. N.-Sachsen 1878 S. 227.
2) Lettres de Catherine k Grimm hg. ▼. Grot (Petersbg. 1878) S. 104.
Katharina II von Baßland und ein Göttingscher Zeitungsschreiber. 249
Sammlang und eine Geschichte der Philosophie bekannt gemacht
und wirkte in Moskau bis z. J. 1814, wo er an das Carolinum in
ßraunschweig kam. Einen Göttinger, der zu den am frühesten
nach Rußland gekommenen gehörte, traf ein fürchterliches Ge-
schick. In den fünfziger Jahren wurde eine Colonie von Gelehrten
von Nürnberg nach Göttingen gezogen, um die Studien der Mathe-
matik, Astronomie und Geographie zu fördern. Der berühmte
Mathematiker und Astronom Tobias Mayer hatte ihnen Bahn ge-
macht. Er zog seine beiden Collegen aus dem Homannschen Land-
karteninstitut, Franz und Lowitz, nach sich; der erste wurde
Professor der praktischen Mathematik, der andere der Geographie.
Die kosmographische Gesellschaft, die nach Göttingen verpflanzt
wurde, von Franz und Lowitz dirigirt, setzte sich zur beson-
dem Aufgabe, neben der bisher gepflegten kartographischen Dar-
stellung der Erde und ihrer Theile eine plastische in Gang zu
bringen und zu verbreiten. Auf die Herstellung von Erd- und
Himmelsgloben wurde eine große Subskription eröffnet, und die
hannoversche Regierung bewilligte einen zinsfreien Vorschuß von
2000 Thalem. Die Mitleidenschaft, in welche Göttingen durch
den siebenjährigen Krieg gezogen wurde, die ausbrechende Theue-
rung, der Tod von Tobias Mayer und von Franz, dazu häusUche
Verhältnisse brachten Lowitz in eine schwierige Lage. Er hatte
sich in Göttingen zum zweitenmal verheiratet, mit einer Tochter
des Bürgermeisters Riepenbausen , aber das dadurch erworbene
Vermögen gieng für die Rückzahlung der gewährten Vorschüsse
darauf, das Kugelwerk, wie man es nannte, gerieth ins Stocken,
und die Pränumeranten hofften vergebens auf ihre Globen. Lo-
witz, ein Mann , dessen großen Fähigkeiten die sachverständigen
Zeitgenossen volle Anerkennung zollen, der leicht viel versprach ^),
konnte sich nicht halten, legte erst die Direction der Sternwarte,
dann die Professur nieder. Im Jahre darauf, 1764, gieng er nach
Rußland, wo er eine Anstellung bei der Akademie und den Auf-
trag, astronomische Ortsbestimmungen auszuführen, erhielt. An
der Wolga in der Nähe von Dimitriewsk im Gouvernement Astra-
chan mit Aufnahmen beschäftigt, gerieth er im Sommer 1774 den
aufständischen Kosaken in die Hände und wurde, nachdem man
ihn vor Pugatschew gebracht hatte, am 13./24. August erst ge-
spießt und dann gehangen. Die Nachrichten über den Hergang
1) Vgl. Lichtenberg, Briefe I 103. Der Bd. II 125 vorkommeDde Lowitz
ist sein Sohn, der auf öffentUche Kosten erzogen wurde und eine Zeitlang auch
in Qöttingen studirte.
18*
250 F. Fr en sdorf f, Katharina IIt. Baßland u. ein Oöttingsch. Zeitungsschreiber.
gelangten dnrch den Begleiter Lowitzens, den Adjnncten der
Petersbarger Sternwarte Inochodzow, der einst selbst in Q-ottingen
stndirt hatte, an seinen alten Lehrer Kästner, der den Brief im
Deutschen Masetun, Februar 1776 veröffentlichte. Die allzu große
Gewissenhaftigkeit Lowitzens, der sich in der Genauigkeit seiner
Untersuchungen nie genug thun konnte, scheint das traurige Ende
herbeigeführt zu haben. Kästner hat von ihm geurtheilt: Lowitz
hat viel gearbeitet und wenig vollendet. Daran war zum Theil
sein Bestreben nach der größten Vollkommenheit schuld^).
1) Deutsches Museum I (1777) 8. 257 als Berichtigung gegen Büsching
wöchentL Nachrichten ▼. neuen Landcharten m (1775) St. 8, wo die frühe-
sten Nachrichten über Lowitz gegeben waren.
Zur Datierung des Beowulfepos.
Von
Lorenz Morsbueh.
Vorgelegt in der Sitzung vom SO. Juni 1906.
Die Frage nach dem Alter des uns in einer einzigen Hand-
schrift aas dem Ende des 10. Jahrhunderts überlieferten Beowulf-
epos ist meist mit der Entstehongsfrage des Gedichts verknüpft
worden, üeber die letztere gehen aber die Ansichten sehr
auseinander. Ten Brink setzte die erste Beowulfredaktion um
das Jahr 690, die zweite um das Jahr 710 an. Die Gesamt-
redaktion, durch welche beide kontaminiert wurden, gehöre ver-
mutlich noch dem achten Jahrhundert an, und in dasselbe Jahr-
hundert fielen wohl auch die Zusätze des letzten nennenswerten
Interpolators (Beowulf , Untersuchungen, B. LXII der Q. F. 1888
S. 235). Nach Sarrazin sollen dem ae. Beowulf direkt oder in-
direkt Lieder zu Grunde liegen, die von Starkadhr herrührten,
also um 700 verfaßt wären (Engl. Stud. XXIII S. 247). Die letzte
Bearbeitung des Beowulf rühre von Eynewulf , dem Dichter des
Andreas her (S. 266 a. a. 0.). Die meisten übrigen Forscher (ich
nenne nur Arnold, Trautmann, Barnouw, Brandl, Holthausen) setzen
das Epos übereinstimmend in das 7. Jahrhundert, entweder nur
allgemein oder meist mit der Beschränkung auf die zweite Hälfte
dieses Jahrhunderts.
Leider geben uns die vereinzelten historischen Anspielungen,
die wir aus anderen Quellen sicher datieren können, keinen Auf-
schluß. Das Beowulfepos enthält zwar ohne Frage eine Menge
geschichtliches Detail, vornehmlich aus der skandinavischen Ge-
schichte, aber es erzählt nur von längst vergangenen Zeiten und
nimmt auf die Gegenwart nicht den mindesten Bezug. Es nützt
252 Lorenz Morsbach,
uns für die Datierungsfrage des uns überlieferten Epos (oder wie
einige lieber sagen würden, der uns erhaltenen Fassang oder Re-
daktion) gar nichts, daß der Kampf Hy5eläcs (= „Chochilaicns")
mit den Friesen und Franken in die Jahre 512 — 520 fällt. Aber
auch die Erwähnung der fränkischen Könige als Merowinger
(v. 2921 Merewioin^e), deren Dynastie 752 ein Ende hat, giebt uns
keine obere Grenze (terminus ad quem) für die Datierung, wie
man vielfach behauptet hat. Auch dies Kriterium muß gänzlich
ausscheiden, da der Dichter dort nur von Ereignissen erzählt, die
sich zur Zeit der Merowinger abgespielt haben, nicht aber sagt
oder andeutet, daß sie zu seiner Zeit noch regierten. Dazu kommt,
worauf mich der Kollege Edward Schröder hinweist, daß derartige
Namen oft noch lange nach dem Aussterben der Dynastie gebräuch-
lich blieben. So werden die Franzosen in der deutschen Dichtung
noch bis ins 13. Jahrhundert Karlinge genannt. Und bekanntlich
heißt es in den Annales Quedlinburgenses (ca. 1003): olim omnes
Franci Hugones vocabantur a suo quodam duce Hugone.
Da die historischen Anspielungen für die Datierungsfrage
versagten, so hat man längst versucht, durch sprachliche und
metrische Kriterien der Sache beizukommen. Die bisher auf
diesem Wege angewandten Kriterien haben aber für die Chrono-
logie der ae. poetischen Denkmäler nicht einmal zu festen rela-
tiven Zeitabschätzungen geführt. Auch ist ihr Wert vielfach
übertrieben worden. In der folgenden Abhandlung soll nun der
Versuch gemacht werden, dem Problem auf anderem Wege bei-
zukonmien. Freilich sind es auch sprachlich- metrische Kriterien,
aber sie sind doch gänzlich anderer Art und wie ich glaube,
durchaus zuverlässig. Ich gehe von gewissen Lautgesetzen (lieber
möchte ich mit Jespersen Lautregeln sagen) aus, die sich um 700
in England durchgesetzt haben und einen Spracbzustand schufen,
den wir mit Hülfe der metrischen Technik im Beowulf als dort
vorhanden nachweisen können. Es handelt sich um folgende
Fragen: 1) Wann ist auslautendes -u nach langer Tonsilbe im
ae. geschwunden ? 2) Wann ist postkonsonantisches -h- vor Vokal
verstummt? 3) Wie stellt sich unser Beowulftext zu den beiden
Lautgesetzen, die wir trotz der verhältnismäßig dürftigen Ueber-
lieferung genau datieren können? Diese Datierung hat zwar schon
Bülbring in seinem ausgezeichneten Elementarbuch des Alteng-
lischen auf Grund eigener und anderer Forschung vorgenommen.
Es wird sich zeigen, daß auch ich im Q-anzen zu demselben Re-
sultat gekommen bin. Da jedoch hieraus die weittragendsten
Konsequenzen gezogen werden können, besonders für die Datie-
zur Datierung des Beowulfepos. 253
rang des Beowulfepos, so habe ich es doch für notwendig ge-
halten, auch diese Fragen noch einmal genan zu ontersnchen,
zomal da ein so angesehener Forscher wie Chadwick, der sich ein-
gehend mit diesen Dingen beschäftigt hat, zu wesentlich anderen
Schlüssen gelangt ist.
Die erste Frage, die uns hier beschäftigen maß, ist also die:
Wann ist arenglisch aaslaatendes -u nach langer Wurzelsilbe in
ursprünglich zweisilbigen Wörtern verstummt? Läßt sich dafür
ein einigermaßen sicheres Datum ermitteln? Diese Frage ist
zuletzt von Chadwick, Studies in Old English (Transactions of
the Cambridge Philological Society Vol IV Part II) London 1899
S. 166 ff. und von Bülbring in seinem Altenglischen Elementar-
buch Heidelberg 1902 (§ 358. 529 Anm. 2) beantwortet worden.
Beide setzen den Abfall des -u in das 7. Jahrb., Bülbring in das
Ende des siebten Jahrhunderts (§ 351), Chadwick bedeutend
früher und mit einer Einschränkung: „On the whole it seems prob-
able that the loss of final -u did not take place very long be-
fore 650, while the loss of -u at the end of the first member of
a Compound can scarcely fall before 700. Eine nochmalige Prüfung
der Ueberlieferung bat mir jedoch die üeberzeugung aufgedrängt,
daß der fragliche Schwund des -m, wenigstens nach langer haupt-
toniger Silbe, nicht vor Ende des 7. Jahrb. stattgefunden hat.
Betrachten wir zunächst die Fälle, in denen -u nach langer
Wurzelsilbe in der ältesten üeberlieferang noch erhalten ist.
Ich schließe natürlich die Composita mit ein. Folgende Belege
kommen in Betracht:
1) scanmödu auf sehr alter Münzinschrift, vielleicht nicht
später als Ende des 6. Jahrb., doch nicht ganz sicher zu deuten;
s. darüber Chadwick a. a. 0. S. 156.
2) flodu nom. sing, auf dem Bunenkästchen. Der betr. Vers
lautet: fisc flödu ahöf on fergenberig {= den Fisch erhob die Flut
auf den Berghügel bez. die Waldhöhe). Die Form flödu ist völlig
gesichert (v. die übereinstimmenden Lesungen von Wadstein in
The Clermont Runic Casket 1900 und Vietor, das ags. Runen-
kästchen (Heft 2) 1891; bes. Napier in FumivaU Miscellany Ox-
ford 1901 S. 337 f. und Holthausen, Anglia Beiblatt XVI S.229f.)
und fügt sich auch trefflich in das Metrum. Wir haben einen
D-Typus von der Art -£./-«.xx-i, der auch im Beowulf gesichert
ist (v. Sievers Beitr. X 301). Holthausen (Lit. Blatt 21 Sp. 212)
sieht darin eine — allerdings recht frühe — Neubildung nach
264 Lorenz Morsbach,
Analogie der knrzsilbigen Stamme. Doch kann von einer solchen
keineswegs die Rede sein, da die gesamte ae. Ueberliefemng kein
anderes Beispiel einer derartigen Keubildong aufweist. Und wozu
überhaupt die Annahme? Die Inschrift ist alt genng, wie wir
später sehen werden, um die Erhaltung eines -u zu rechtfertigen.
Chadwick a. a. 0. S. 156 will die Form für einen Archaismus
halten, und zwar wegen des Fehlens von -u in tinnej und wahr-
scheinlich auch wegen der falschen Bildung liupeasu (^^probably also
by its wrong Insertion in yußecisu^ S. 166). Dem ist aber ent-
gegenzuhalten, daß wir in unnd^ keinen Abfall von -u anzunehmen
haben, wie auch das alts. näh zeigt, über das man Holthausen
Alts. Elementarbuch § 361 Anm. 2 vergleiche. Yergl. übrigens
auch Bülbring Elem. § 466A., Holthausen Alts. El. § 166 b und
Schlüter in Dieters Laut- u. Formenlehre der altg. Dial. 1898
S. 276. Aber selbst wenn man Chadwicks angeblichen Abfall von
-M hier zugeben könnte, wäre unn^i noch kein Gegenbeweis gegen
flödu^ da in letzterem Falle das auslautende -m in einem zweisil-
bigen Worte unmittelbar nach langer Tonsilbe steht, in unns^
aber das -u in einem ursprünglich dreisilbigen Worte nach langer
nebentoniger Silbe abgefallen wäre. Es ist sehr gut denkbar und
wird auch durch die freilich spärliche Ueberliefemng nahe gelegt
(s. weiter unten), daß das -u nach langer nebentoniger Silbe etwas
früher] abgefallen ist als unmittelbar nach der Tonsilbe. Was
aber das angebliche yupeasu betrifft, so liegt gar kein zwingender
Grund vor, das u der Inschrift zum Worte yupeas zu schlagen,
ja es liegt viel näher an einen genit. ^iupea zu denken und die
Buchstaben su als den Anfang eines unvollständig gelassenen Wortes
zu betrachten. Die Vermutung Bradleys, daß ursprünglich vielleicht
pußea sutnce da gestanden habe, ist jedenfalls sehr ansprechend.
Napier bemerkt zu der Stelle (S. 370 a. a. 0.): j^Oiupeasu is an
impossible form ; if a nom. pL, we should expect giupeaSj 'the Jews'.
The most plausible explanation is fumished by Mr. H. Bradley's
very ingenious Suggestion that we should read giußea sumce ^some
of the Jews , a portion of their army' I The giupeasu stands at
the end of a division in the inscription, and the carver, proceeding
to the next, might easilyl forget the mce^. Noch ansprechender
scheint mir die Vermutung v. Grienberger's (Z. f. d. Phil. 23;
Anglia 27 S. 447 f.) , welcher liußea sufnaj vorschlägt. Dagegen
Burgs Deutung des u als latein. uftj, wodurch sich dann der Kon-
junktiv Jugiant" der darauf folgenden lat. Worte erkläre, scheint
mir deshalb weniger glaubwürdig, weil die ae. Sicilen sich durch-
weg als gute Verse lesen lassen, allerdings z. T. mit einer auf-
zur Datierong des Beownlfepos. 255
fölligen Yemachlässigimg der Beimstäbe (v. auch Vietor und v.
Q-rienberger a. a. 0.)< Sehr beachtenswert aber ist die Beobach-
tung von Binz (Lit. Blatt 25 Sp. 154), daß su von yupea anch
deshalb zn trennen sei, weil es dnrch ein sich anch sonst findendes
Trennungszeichen von dem Einritzer der Runen davon abgesondert
werde. Da die Inschrift sonst keine Fälle enthält, in denen mög-
licherweise ein -u abgefallen wäre, so bleibt allein das obige flödu
als unanfechtbares Zeugnis für Erhaltung des -u nach langer
Tonsilbe, während fär den Abfall eines -u auch nach langer
nebentoniger Silbe sich kein sicheres Beispiel findet. Es liegt
daher auch nicht der mindeste Grund vor, mit Chadwick flödu als
einen Archaismus zu betrachten, der an und für sich auch mehr
als unwahrscheinlich wäre. Napier a. a. 0. S. 380 Anm. 2 bemerkt
mit Recht: „I attach great weight to to the preservation of u in
flodu. This form cannot have been copied from an older original,
as the inscription on this side was evidently composed for the
occasion, viz. the stranding of the whale". Welcher Zeit gehört
nun flödu an ? Binz und Symons setzen die Inschrift aus sprach-
lichen Gründen in die Zeit vor 750, Wadstein nicht nach 760,
doch ist dieser Endtermin schon wegen des flödu ganz unmöglich.
Vigtor setzt sie (gleichfalls aus sprachlichen Gründen) um 700 an
(a. a. 0: S. 11 f.). Napier , der die Frage am besten erörtert hat
(a. a. 0. S. 380 f.) , setzt die Inschrift (ebenfalls aus sprachlichen
Gründen) in den Anfang des 8. Jahrhunderts. Es fragt sich
aber , ob wir wegen des abgefallenen -n in sefu und des f (statt h)
in wylif, sefu soweit heruntergehen müssen. Wie wir unten (S. 259.
265. 269) sehen werden, wird man die Inschrift wohl am passend-
sten in das Ende des 7. Jahrh. setzen, da flödu stärker ins Gewicht
fallt als die übrigen Kriterien. Denn das b für f ist früher auf-
gegeben worden als i und Beda hat wohl schon zwischen b und f
geschwankt (Sievers, Anglia XIII S. 16). Obwohl die ältesten
Texte mehr oder minder regelmäßig b haben, „kommt daneben
von Anfang an, obwohl zunächst selten, auch schon die jün-
gere Schreibung f vor**; v. Chadwick S. 232 ff. und Bülbring
Elem. § 484 nebst der dort verzeichneten Literatur. Auch der
AbfaU des -n ist schon durch die ältesten north. Texte bezeugt,
obwohl es dort daneben „noch in größerem Umfang erhalten** ist;
vergl. Bülbring El. § 657 Anm. und Wuest, Zwei neue Hand-
schriften von Caedmons Hymnus (Z. f. d. A. N. F. XXXVI 1906
S. 219 ff.). Vergleiche ferner Napier (OE. Glosses Oxford 1900
S. XXXII) zu den Vatic. north. Glossen aus dem Anfang des
8. Jahrh. (sifu). Was aber die Lokalisierung der Inschrift betrifft,
256 Lorenz Morsbach,
80 gehört sie ohne Zweifel dem northumbrischen Gebiete an, wie
vor allem der Abfall des -n sicher bezeugt. Vergl. auch Napier
S. 379 f. und Vietor S. 12.
3) olwfwolpu, wie man früher las (angeblich für wolfwolpu),
auf der Säule von Bewcastle ist durch Victors North. Runensteine
Marburg 1895 S. 15 beseitigt. Dagegen könnte das „fast un-
zweifelhafte^ -^är für Abfall eines -u nach langer Wurzelsilbe
sprechen, doch ist wieder zu beachten, daß hier das -u nicht un-
mittelbar nach der langen haupttonigen Wurzelsilbe, sondern nach
dem Nebenton stand. Andererseits könnte man das „wahrschein-
liche" Alcfriäu (nach Bülbring Anglia Beiblatt 9, 77 wohl für
Alhfridi4\ obwohl es sich hier um einen kurzsilbigen Stamm handelt,
für Erhaltung des alten auslautenden -u geltend machen, da das
'U in dieser Stellung seit dem 8. Jahrh. auch in Northumbrien
geschwunden ist (v. Müller, die Namen des north. Liber Vitae,
Palaestra IX § 90, 8). Aber weder das auslautende -u der In-
schrift ist völlig gesichert, noch auch der casus (vielleicht liegt
der Dativ vor), so daß wir in diesem Falle kein sicheres Zeugnis
besitzen. Wenn Müller a. a. O., der Vietors Schrift übersehen hat,
sich außer auf olwfwolpu und alcfriäu auch noch auf ecgfnäu beruft,
so hat auch hier Vietor a. a. 0. S. 16 gezeigt, daß diese Namens-
form auf der Säule von Bewcastle nur erraten war. Die Säule
von Bewcastle bietet also keinen sicheren Fall von Erhaltung
eines urae. -u nach langer haupttoniger Wurzelsilbe, aber einen
sehr wahrscheinlichen Fall von abgefallenem auslautendem -u nach
langer nebentoniger Wurzelsilbe. Da die Säule von Bewcastle
nach Vietor (S. 46) aus inhaltlichen Gründen nicht vor 664 oder 665
errichtet worden sein kann, da Alcfridu nach Beda um diese Zeit aus
der Geschichte verschwinde, aber andererseits die Wahrscheinlich-
keit vorliegt, daß sie wie das Kreuz von ßuthwell in die Zeit
der Regierung Aldfrids des Weisen (685—726) fällt (Vietor S.48f.
und Bülbring, Anglia Beiblatt IX S. 66), so kann man das Datum
der Inschrift mindestens bis hart an das Ende des 7. Jahrh. hin-
unterrücken. Jedenfalls liegt kein zwingender Grund vor, wie
Stephens und Vietor vermuten, daß das Denkmal »gegen 670 oder
doch nicht viel später" , also schon einige Jahre nach dem Tode
Alcfrids errichtet sei. Den Tod dieses Fürsten setzt Plummer
(Beda II 1896 S. 119) zwischen 664 und 672 an. Schließlich mag
noch bemerkt werden, daß seit den Lesungen Vietors nichts mehr
darauf hinweist, daß wir es, wie Sievers noch auf Grund der vielen
alten falschen L^ '•mutete, mit einer jüngeren Kopie der Bew-
castler Säule *^^ Anglia Beiblatt IX S. 66.
W^.
zur Datierung des Beowulfepos. 267
4) aetiaru im Erfurter Glossar ist nach Chadwick (S. 157)
wahrscheinlich Schreibfehler für das in den Epinaler und Corpus-
glossen überlieferte aetiaeru (< *'gaiziu). Diese Annahme ist aber
unnötig, da es sowohl einen urae. nom. sing. m. *aetiam als auch
einen nom sing. n. *aet}fleri (vgl. auch Müller, Liber Vitae § 82 I)
geben konnte. Dann wäre aet^aru in Erf. als nom. sing., dagegen
aet^aeru in Ep. und Corp. als nom. pl. zu fassen. Somit ist das
überlieferte aet-^aru in Erf. nicht unwahrscheinlich. Da aber die
erwähnten Glossensammlungen auf einen gemeinsamen Grundstock
zurückgehen (Chadwick S. 248 setzt den Archetypus I zwischen
680 und 720 an), so kann das aet^aru des Erf. Glossars noch aus
dem Ende des siebenten Jahrhunderts stammen. Es würde dann
freiUch der einzige Fall eines erhaltenen auslautenden -u nach
langer Wurzelsilbe in den erwähnten Glossaren sein. Doch darf
man aus diesem Grunde allein die überlieferte Form nicht ver-
dächtigen.
5) audubcUdi in Bedas Kirchengeschichte M. II, 10, 11 stellt,
wie schon der Diphthong au zeigt, keine englische Namensform
dar; man vergleiche auch die dort daneben überlieferten englischen
eadbaldi^ eadbcddum. Vergl. auch Chadwick S. 158.
6) äweoru nom. s. f. im mercischen Vesp. Hymnus 7, 8. 39 aus
der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts (vergl. auch Max Förster,
Anglia Beibl. XTT S. 358 f.) kann natürlich nicht als diveoru gelesen
werden. Auch Chadwicks Deutung eines kurzen äweoru aus äl-
terem *dweorhu mit Erhaltung des alten -u, nachdem das inlautende
-A- schon vor der Ebnung („palatal-Umlaut") und ohne Dehnung
des ^ geschwunden sei, widerspricht nicht nur den übrigen Ver-
hältnissen dieser Mundart, sondern auch allem was sonst über die
Zeit der Ebnung auf anglischem Boden bisher ermittelt ist. Die
unzweifelhaft richtige Erklärung des eo in dweoi-u hat schon Zeuner
(die Sprache des kent. Psalters Halle 1882 S. 85 Anm. 1) gegeben
und das daneben stehende dweoran^ das Chadwick ebenso wie äweoru
deutet, ist von Sievers Gram.* § 295 A. 1 und Bülbring Elem.
§ 230 Anm. (abgesehen von der Dehnungsfrage durch Ausfall des
-A-) ganz in Zeuners Sinne erklärt worden. Das eo in äweoru^
äw^oran beruht auf m- bezw. a* -Umlaut eines e durch Ebnung, der
noch nach dem Schwund des inlautenden -A- gewirkt hat. Wenn
in äw^oran das ausgefallene -A- keine Dehnung erzeugt hat, so ist
das der Einwirkung der Formen mit erhaltenem -A (z. B. äwcrh nom.
s. m.) zuzuschreiben. Dagegen die Form äweoru kann nur eine
Neubildung sein, durch Anlehnung an die sonstigen kurzsilbigen
Nominative fem. gen. wie wonu , micelu etc. (Zeuner S, 137 f.) , da
258 Lorenz Morsbach,
das ärmere. *dwerhu zxx äwerh werden mußte, welches aach im
Psalm 100, 4 {heorte äwerh) tatsachlich bezeugt und nicht als eine
unflektierte Form anzusprechen ist. Die Analogie lag um so näher,
als seit dem Ausfall des -/t- die analogischen Kurzformen, wie
dw^an zeigt, die herrschenden geworden waren. Es ist anzu-
nehmen, daß die seit dem Ausfall des -A- zwischen Kons, und
Vokal entstandenen analogischen Kürzen in der Nominalflexion im
Altenglischen immer häufiger geworden sind. Das me. setzt hier
fast nur Kurzformen voraus ; vergl. meine Bemerkong zu Björkman,
Loanw. S. 105 Anm. 1 und Koeppel im Archiv CIV S. 9 f.
In äw^u ist also auslautendes -u auch nicht nach kurzer
Tonsilbe erhalten, sondern analogisch angetreten. Die Form
scheidet also aus unserer Untersuchung über den AbfaU eines
auslautenden -u aus. Ja sie gehört überhaupt nicht hierher und
ich würde sie unerwähnt gelassen haben, wenn nicht Chadwick
aus ihr die weittragendsten Schlüsse gezogen hätte.
7) Auch in nSolädanj nioweste des Vesp. Psalters will Chadwick
(S. 158) Erhaltung des -u nach langer Wurzelsilbe im ersten
Kompositionsgliede bis über den Schwund des -h- hinaus annehmen.
Chadwick betrachtet also die Silbe n^o- als eine Kontraktion aus
*n€hu- (S. 150), was unmöglich richtig sein kann, da das auf h
ursprünglich folgende tv (v. got. nehw, nthwa) in dieser Umgebung
schon in vorae. Zeit abgefallen, nicht aber urae. im Auslaut zu u
vokalisiert ist. Vergl. das oben bei unn^i unter 1) Gesagte und
die dort verzeichnete Literatur. Auch Bülbring hatte Anglia
Beibl. IX S. 107 noch dieselbe Ansicht wie Chadvdck vertreten,
bringt aber in seinem Altengl. Elementarbnch § 146 die richtige
Lösung dieses schwierigen Problems, indem er mercisches nöoliedan
und neowest durch Brechung aus anglischem € < westg. ä hervorgehen
läßt, also westg. *naxlaikian ansetzt. Der Schwund des h vor l
fallt dann vor die Zeit der Ebnung (Bülbring § 528). Auch Sievers,
Zum ags. Vokalismus (Dekanatsprogramm Leipzig 1900) S. 37
Anm. 1 giebt die Entwicklungsreihe: urangl. *nehlcec- > *nBohl€eC'
> nSoTäC'.
n€ol€Böan und nSoweste scheiden also für unsere Frage gleich-
falls aus.
8) das northumbrische tiu-f tto-, in Eigennamen bei Beda
{tiouulfinga ccestir U, 16, Moore Ms.) und im Liber Vitae (z. B.
tioicald) will Chadwick (S. 158 und 142 f.) ebenfalls durch Vokali-
sierung des auslautenden w > u und nachfolgende Kontraktion
erklären, da wohl sicher altes tlwa-e zu Grunde liegt. Doch ist
zu beachten, daß es sich hier um eine besondere Lautgruppe (-ftc^-)
zur Datierung des Beowolfepos. 259
handelt y die im Liber Yitae als iu, io erscheint; B. Müller, über
die Namen des north. Liber Yitae (Palaestra IX 1901) § 46 und
§ 14, 3b. Aber auch sonst noch ist iu für Jtoa bezeugt, wie in
sliu (für *8titca') bei Napier O.E. Glosses (Oxford 1900) 53, 36 in
Hs. aus dem 11. Jahrb., aber nach einem mercischen Original aus
dem Anfang („early part**) des 8. Jahrh. (Napier S. XXII). Vergl.
ferner in den Glossen bei Wright-Wiilker slSow 447 j 37 and ^faw
(für *3fM;a-) Geier 284, 5. Neben den Nominativen Jw (durch An-
lehnung an die flektierten Easus) muß es also auch solche gegeben
haben, die für -iw ein iuw, low hatten und sich wie diese Laut-
gruppe im Englischen weiter entvdckelten ; v. auch Oxf. Dict.
unter bree. Die obigen Namen beweisen also nichts für längere
Erhaltung eines -u nach langer Wurzelsilbe.
9) Anders als mit dem vorhergehenden Namen tio- verhält es
sich mit dem im Moore Ms. von Bedas Eirchengeschichte und in
der northumbrischen Eönigsliste derselben Hs. stets gleichlautend
überlieferten Namen Omti; vergl. Beda M II, 5. III. III 11, 12,
21, 22 etc. Die north. Eönigsliste hat einen Beleg. S. Sweet's
Oldest E. Texts. Die Deutung von -wiu ist unsicher; vergl. auch
Müller, Liber Vitae § 82, I (S. 133) und § 30, 2 a. Falls hier
-titu tatsächlich .auf älteres *wihu bezw. *wihiva zurückgeht, wäre
nach dem Schwund des intervok. -h- regelrecht Eontraktion zu Tu
eingetreten.
10) Wohl aber könnte man das einmal belegte Inguburg im Liber
Vitae 19 für Erhaltung des -u nach langer Tonsilbe in Anspruch
nehmen, da hier der Stamm ingwa- gesichert scheint. Vergl. auch
Müller, Liber V. S. 106. Es ist ja sehr wahrscheinlich, daß sich
grade in Eigennamen, im Gegensatz zu den appellativen, derartige
nicht synkopierte Formen etwas länger traditionell erhalten haben.
Sonst aber ist im liber Vitae -u sicher geschwunden in den zahl-
reichen Eigennamen mit '^ar oder j^ar-^ v. Müller' L. V. S. 120.
Dagegen die dort gleichfalls von Müller auf Grund des unächten
olwfwolpu als -u Stämme angesprochenen Eigennamen mit -wald
oder wald' sind zweifellos alte a-Stämme.
Mit diesen teils ächten teils angeblichen unächten Zeugnissen
für die Erhaltung eines ausl. -u nach langer Tonsilbe in unserer
ältesten Ueberlieferung ist die Reihe geschlossen. Wir fanden nur
einen einzigen unanfechtbaren und sprachlich völlig gesicherten Fall
von Erhaltung des -u vor, und zwar in flödu auf dem Bunen-
kästchen, dessen Inschrift kaum früher als in das Ende des 7. Jahrh.
gesetzt werden darf. Die übrigen Belege, soweit sie bloß wahr-
scheinlich oder möglich waren, widersprechen dieser Datierung nicht.
260 Lorenz Morsbach,
Nehmen wir nun die Kehrseite und fragen wir: In welchen
Fällen erseheint das ausl. -ii in der fraglichen Stellung in unserer
ältesten Ueberlieferung als abgefallen und welchen Schluß dürfen
wir daraus für die Datierung ziehen? Die Belege sind folgende:
1) '-^är als zweites Glied eines Compositums auf der Säule
von Bewcastle haben wir oben unter 3) besprochen und die Lesung
mit Victor als ;,fa8t unzweifelhaft" bezeichnet. Da die Inschrift
nicht vor 700 geschrieben sein muß, kann der Abfall des -w nach
langer nebentoniger Silbe für diese Zeit Zeugnis ablegen. Dagegen
unne-^ auf dem Runenkästchen mußten wir als nicht beweisend ab-
lehnen.
2) eoh auf der Inschrift von Kirkheaton, die nach Chadwick
S. 116 möglicherweise noch in die 1. Hälfte des 7. Jahrh. fällt. Doch
hat das Wort auch für Chadwick mit Recht (S. 156) keine Beweis-
kraft. Er sagt darüber : . . . . „since the syncope here is irregulär,
it is not certain that -w after long syllables was already lost."
3) Tidßrth (= 'früh) auf dem Steine von Monk Wearmouth
(Victor, N. Runensteine S. 18), doch ist die Datierung unsicher.
Vergl. auch Bericifrid (north.) in einer Hs. des 9. Jahrb., wahr-
scheinlich nach einem Original aus dem Anfang des 8. Jahrh. bei
Napier, Old English Glosses Oxford 1900 S. XXXII.
4) Die kleineren Runendenkmäler (Sweet, Oldest Engl.
Texts S. 127 ff.) sind nicht genau zu datieren und daher für unsere
Frage belanglos. Das Kreuz von Ruthwell (Victor, North. Runen-
steine S. 2ff.) hat keine beweisenden Formen, weder für Erhaltung
noch für Abfall des fraglichen -m. Die Inschrift ist nach Victor
(S. 48 f.) sehr wahrscheinlich jünger als die Säule von Bewcastle, soll
ihr aber zeitlich nahe stehen, lieber das Alter der letzteren s. oben
S. 255. Brandl (Sitz, der k. preuß. Akad. d. Wiss. zu Berlin, 13.
Juli 1905) setzt das entsprechende Gedicht in den Anfang des
8. Jahrhunderts, Cook (in Ausg. The Dream of the Rood etc.
Oxford 1906) bedeutend später, da es Cynewulf angehöre. Vergl.
auch Klaeber, Anglia Beibl. (1906) S. 98 ff. Da das Gedicht wohl
sicher erst dem 8. Jahrh. angehört, verzichte ich darauf zu unter-
suchen, ob sich darin Fälle des apokopierten -m metrisch nach-
weisen lassen.
5) uuidmundesfelt in einer Urkunde aus Essex von 692 oder
693 (Sweet, Oldest Texts S. 426). lieber ^ für d in -feit vergl.
Sievers Gr.® § 224. Da das Wort feld noch häufiger Reste der
alten w-Deklination im ae. zeigt (Sievers Gr.' § 272 f.), so haben
wir hier einen sicheren Fall von geschwundenem -w nach langer
nebentoniger Silbe aus dem Ende des 7. Jahrh.
zur Datierung des Beownlfepos. 261
6) hreyiniford in einer Urkunde ans Middlesex von 693 — 731
(Sweet Oldest Texte S. 427). Es gilt von diesem Worte (-ford)
dasselbe, was wir unter 5) von feld gesagt haben, doch ist die
Urkunde nicht genau zu datieren. Jedenfalls ist der Abfall von
-H hier vor 731 bezeugt.
7) Die ältesten ae. Glossare haben außer dem oben als mög-
lich bezeichneten aetxiäru kein auslautendes -u mehr. Wir dürfen
daraus schließen, daß das fragliche -u im Anfang des 8, Jahrb. in
Südmercien schon geschwnnden war.
8) Das etwa 737 geschriebene Moore Ms. von Bedas Kirchen-
geschicbte enthält (abgesehen von den früher besprochenen Eigen-
namen tiouulfinga-y Osuiu) nur apokopierte Formen, die zahlreich
belegt sind; vergl. die Ortsnamen mit -ford („vadum") in herut-
ford IV, 5, hreutford IV, 16, Stanford V, 19; lyccidfeUh, IV, 3,
hefenfelth HI, 2, haethfeUh II, 20. IV, 17 und die Personennamen
Htghard, HI, 29, IV, IV, 1; auch stets -frid (friä), sehr oft belegt.
Auch die north. Königliste in derselben Hs. hat nur -frid in Eigen-
namen (3 mal belegt). Anderweitige Belege (außer Osuiu, s. oben)
finden sich dort nicht.
9) Hetfled (= Hcethfeld = ne. Hatfield); es steht unter den
ags. Namen in der Vita s. Gregorii I, die von einem Northumbrer
in Streoneshealh, dem späteren Whitby c. 700 — 731, wahrscheinlich
vor 713 verfaßt und in Hs. Sankt Gallen 567 (in fränkischer Mi-
nuskel) um 825 überliefert ist. Vergl. Liebermann, Northumbrische
Laute um 710 im Archiv f. n. Spr. 108 S. 370 f.
Wir haben also nur sicher datierbare Fälle für den Abfall eines
-w nach langer nebentoniger Sübe nnd zwar in uuidniundesfelt
(Essex 692-693) und hrex^untford (Middlesex 693—731); auch das
-jor auf der Säule von Bewcastle (Northumberland 664—725) sowie
Hetfled (wahrsch. vor 713) fallen sehr ins Gewicht. Wir dürfen
daher den Abfall des -w nach langer nebentoniger Sübe wobl für
das gesamte englische Gebiet spätestens in das Ende des 7. Jahrh.
verlegen. Mit diesem Resultate stimmen völlig die ans den ältesten
Glossen nnd dem Moore Ms. (ca. 737) gewonnenen Ergebnisse,
welche uns zugleich zeigen, daß der Abfall des -w sowohl nach
haupttoniger wie langer nebentoniger Silbe im Anfang des 8. Jahrh.
auf anglischem Boden schon vollzogen war.
Fassen wir die positiven und negativen Zeugnisse zusammen,
so ergiebt sich also als Gesamtresultat: Das ausl. -t* schwindet
nach langer haupttoniger Silbe nicht vor Ende des 7. Jahrb., da-
gegen nach langer nebentoniger Silbe wahrscheinlich schon etwas
früher. Der Abfall scheint sich auf dem ganzen englischen Ge-
262 Lorenz Morsbach,
biete gleichzeitig vollzogen zu haben, obwohl die Zeugnisse nicht
für alle Gegenden aasreichen ; am besten ist er fiir das Anglische
bezeugt.
n.
Die zweite ans hier interessierende Frage ist die: Wann
schwindet postkonsonantisches h vor Vokal? Chadwick (S. 106 ff.,
bes. 117) setzt den Schwand des intersonantischen -h- überhaupt
etwa zwischen 650 and 680 oder etwas später an (doch vor dem
Ende des 7. Jahrh. Chadw. S. IIB). Bülbring El. § B26. B28.
529 unterscheidet die einzelnen Fälle genauer und nimmt auch,
wie wir gleich sehen werden, verschiedene Zeiten für den Schwund
des -Ä- an.
Die Fälle, in denen intersonantisches -A- schwindet, sind nun
die folgenden:
1) -A- am Anfang zweiter Glieder von £ompositis, sobald diese
nicht mehr als solche empfunden wurden: örettan^ önettan. Der
Schwund datiert z. T. schon seit ,,frühester urenglischer Zeit, aber
auch später wiederholt sich derselbe Vorgang noch oft** (Bülbr.
El. § 526).
2) -A- zwischen Vokal und stimmhaftem Konsonanten : nSoläöan.
Der Ausfall des -ä- ist urenglisch und fallt noch in die Zeit vor
der Ebnung. Bülbring § 528.
3) 'h' zwischen Konsonant und Vokal. Bülbring (§ 529) setzt
den Schwund des -h- in die Zeit nach der Ebnung und zwar bei
Beginn unserer Ueberlieferung (ums Jahr 700).
4) -A- zwischen Vokalen. Bülbring § 529 setzt den Schwund
des -A- in dieselbe Zeit wie den von nr. 3), also ums Jahr 700.
Die Fälle 1) und 2) sind für unsere Frage belanglos. Uns
interessiert eigentlich nur der Fall 3). Da aber nach Bülbring
der Schwund des -A- in 3) zeitlich mit dem von -A- in 4) zusammen-
fallt, so müssen wir diesen Punkt mit untersuchen. Ich knüpfe
dabei an Chadwick an, welcher (S. 115 ff.) die älteste Ueberliefe-
rung darüber schon durchmustert hat.
a) -A- zwischen Vokalen:
1) Schon in den ältesten Urkunden ist -A- geschwunden. So
heißt es in einer Urk. aus Kent schon vom Jahre 679: terram in
tenid quae appellatur uuestanae^ d. h. uuestan ae. Das ac, das auch
später noch vorkommt (neben S) ist dativ zum nom. ea (got. ahuHi).
Chadwick sagt mit Recht von diesem ae: ;,apparently a case of
contraction** (S. 115). Dagegen spricht nicht, daß dieselbe Ur-
kunde noch erhaltenes postkonsonantisches A in uelhisci hat, denn
/iV
zur Daderong des Beowolfepos. 263
der Schwand des intervokalischen und postkonsonantischen h braucht
zeitlich nicht zusammen zu fallen. In einer anderen ürk., gleich-
falls aus Kent, die zwischen 700 und 715 fällt, heißt es: fluminis
quae appellatur liminaea, also limin + aea (nom.) Auch die späteren
Urkunden haben keinen Fall von erhaltenem -A-, wohl aber gegen-
teilige Fälle.
2) Das Ranenkästchen hat keinen Beleg, ebensowenig die
north. Runensteine.
3) Das Moore Ms. (ca. 737) von Bedas Kirchengeschichte hat
zahlreiche Fälle von geschwundenem -A-; ich gebe nur eine Aus-
wahl: selceseu (= ^insula vituli marini") IV 13; farne („in insula")
IV 29 u. s. w. Vergl. auch Pogatscher, Engl. Stud. XIX 347 A. 2
und Chadwick S. 116. Darnach war das -A- im Anfang des 8. Jahrh.
durchaus geschwunden.
4) Die alten north. Fassungen von Caedmons Hymnus haben
Uad(e (< *tihod(e) bezw. tiade] vgl. Wuest, Z.f.d. A. N.F. XXXVI
S. 219. Der Beweis gilt nur für die 1. Hälfte des 8. Jahrh.
Bedas Sterbegesang hat keinen Beleg.
6) In den ältesten Glossensammlungen ist das -A- noch viel-
fach erhalten (bes. in Epinal.). 8. Näheres bei Chadwick S. 229 ff.
Daneben ist es freilich auch schon in ziemlichem Umfang ge-
schwunden (bes. in Corpus). Chadwick schließt aus der überein-
stimmenden Schreibang einiger („severaP) Glossen, daß der
Archetypus I (ca. 680 — 720) schon kontrahierte Formen ohne h ent-
halten habe. Doch ist dieser Schluß nichts weniger als zwingend. Da
zur Zeit der Abfassung unserer Glossen das -h- geschwunden war,
wie die zahlreichen Fälle ohne -/»- zeigen, die ursprüngliche Vor-
lage (Archet. I) aber noch -A- hatte (auch intervokalisches), wie
die in den Glossen traditionell erhaltenen -h- zeigen, so kann die
gelegentliche tibereinstimmende Schreibung mit -h- sehr gut auf
Zufall beruhen. Da die Glossen etwa um 700 (Bülbring £1. § 19)
oder spätestens Anfang des 8. Jahrh. zu datieren sind, so muß
der Archetypus I früher fallen, also noch in das 7. Jahrhundert.
Da er noch intervokalisches -A- hatte, müßte man ihn, wenn hier
intervok. -A- wie in Kent um 680 geschwunden war, schon vorher
ansetzen. Doch die Ueberlieferung der Glossen scheint dafür zu
sprechen, daß im südl. Mercien intervok. und postkonson. -A- zu
gleicher Zeit verstummt sind, da -A- in beiden Stellungen hier in
gleicher Weise noch z. T. erhalten ist. Wollten wir dagegen mit
Chadwick annehmen, daß im Archetypus I schon Formen mit und
ohne -A- (wenn auch im letzteren Falle selten) gestanden haben,
so würde der Arch. I aus der Zeit stammen, wo auch postkonso-
Ktl. Oflt. d. Wte. NMhriebUB. PhUolosr.-hiator. KImm lOOe. H«fl 8. 19
264 Lorenz Morsbacb,
nautisches -A- za schwinden begann. Diese Annahme verwickelt
nns nicht nur in die größten Schwierigkeiten, sondern widerspricht
auch dem, was wir unten über die längere Erhaltung des post-
konsonantischen 'h' gegenüber dem späteren Schwund des -u nach
langer Tonsilbe ermitteln werden. Damit stimmt aufs beste über-
ein, daß in den Glossen zwar noch -h- in beiden Stellungen viel-
fach erhalten, aber -u (mit Ausnahme des fraglichen cetiaru) völlig
geschwunden ist.
6) Die Namen des north. Liber Yitae, die noch manche alte
Schreibung erhalten haben, enthalten nur Fälle mit geschwundenem
-A- (Müller, G, V. § 30, 2 a). Eine genauere chronologische Fixie-
rung des fraglichen Lautgesetzes läßt sich hieraus nicht gewinnen.
Aus dem gesamten angeführten Material dürfen wir nur den
Schluß ziehen, daß das intervokalische -A- in Kent um 680 schon
geschwunden war. Dagegen im südl. Mercien können wir den
Schwund erst um 700 konstatieren und dasselbe gilt auch für
Northumbrien. Daneben bleibt die Möglichkeit bestehen, daß auch
hier intervokalisches -A- etwas früher geschwunden ist als post-
konsonantisches.
b) Postkonsonantisches -A vor Vokal:
1) Die ältesten Urkunden haben nur einen Beleg und zwar
für Erhaltung des fraglichen -A- in dem oben schon erwähnten
uelhisci 679 (Kent).
2) romwalus und reumwalus auf dem Runenkästchen, für die
lat. Namen Romulus imd Remus. Pogatscher Engl. Stud. XIX
347 sieht darin eine allerdings „etwas befremdliche Umdeutung^
nach dem Muster von ae. Rümtcälas = Römer, und nimmt daher
für unser Denkmal (das „kaum vor 700 entstanden sein wird")
schon den Schwund des postkons. -A- an. Wadstein (a. a. 0.) ver-
mutet in diesen Namen volksetymologische Anlehnung an ae.
Namen auf -wealh. Retnulus statt Remus komme auch sonst vor.
V. Grienberger (Anglia 27, 447) sagt, diese Umbildungen der
beiden römischen Namen müßten natürlich der intern ags. üeber-
lieferung angehören und seien auf Grund von älteren Entleh-
nungen *Romul(u) und *Eeniul(u) (= lat. Remulus, das er mehrfach
nachweist) nach der Kategorie der ags. Personennamen auf -walh
geformt. Doch könne sehr wohl auch *Reumu (mit u-Umlaut) aus
einfachem R^nus erklärt werden und die sekundäre Umformung
dieses zu einem Compositum mit -tccUhj -walus als ags. Analogie-
bildung nach dem ersten Namen des Brüderpaares gefaßt werden.
Die Umschrift von germ. -tcalh in lat. -tcalus finde sich auch auf
dem Continent, so westfränk. BemvcUus 9. Jahrh. Pol. Irm. So-
zur Datierung des Beownlfepos. 265
viel steht also fest : Rotnwalus and Reumtcalus sind latinisierte ags.
Umbildungen von Romains and Remnlas (gleichviel ob Remalas
erst ags. Angleichnng an Romalas ist oder als solches schon über-
liefert war) and zwar im Sinne der ags. komponierten Namen mit
'Walh (vielleicht anter gleichzeitiger Anlehnung an Rumwalas
„Römer" and Br etwalas „Kelten in Wales"). Doch brauchen
Romwalus und Reumtcalus darum noch keine direkten Latinisie-
rungen von umgebildetem *Romwalh und *ReumwaIh zu sein (so
Grienberger, der gleichfalls Synkope des h annimmt), sondern es
können ebensogut Kreuzungen vorliegen , d. h. Mischformen aus
*Romwälh und Ttomulus mit dem Resultate Romwalus; und ebenso
Reumwalh+ Reumulus > Reumwalus] also -walh + -ulus > walus. Uebri-
gens ergab ein latinisierter Name auf -walh auch später noch im
ags. ein -walhus (mit Anhängung von -us an den nom. -walh), wie
Dunuualhi (genit.) in einer Urk. von 740 (Sweet, Oldest Engl. Texts
S. 429 oben) zeigt. Es braucht also in Romwalus und Reumwalus
kein Ausfall eines -Ä- vorzuliegen. Auch werden wir unten sehen,
daß postkons. -Ä- erst nach dem Abfall von -m nach langer Ton-
silbe geschwunden ist. Da das Runenkästchen aber, wie wir
früher gezeigt haben, das fragliche auslautende -u noch kennt, so
kann postkonsonantisches -Ä- in dieser Zeit noch nicht geschwun-
den sein.
3) Das Moore Ms. von Bedas Kirchengeschichte. Auch die
postkons. -A- sind hier durchweg geschwunden.
4) Die ältesten Glossen; s. das Nähere oben bei intervok. -Ä-.
5) Die äußerst spärlichen Vatican North. Glosses, die Napier
in den Anfang des 8. Jahrh. setzt, haben zweimal geschwundenes
-A- in selaes, selas, sonst überhaupt keine Belege; v. Napier OE.
Glosses (Oxford 1900) Nr. B4.
6) Die XJeberlieferung von Caedmons Hymnus hat einen Fall:
flrum] vergl. auch Wuest a. a. 0. S. 219. Dagegen Bedas Sterbe-
gesang enthält keinen Beleg.
Schlußfolgerung : In Kent ist postkons. -A- noch 679 erhalten.
Für die späteren Dezennien haben wir keine Belege. Dagegen
aus der mercischen und north. Ueberlieferung ergiebt sich unter
Berücksichtigung des oben über die ältesten Glossen Gesagten für
den Schwund des postk. -A- das ungefähre Datum 700. Einen
weiteren Anhaltspunkt und zugleich eine Bestätigung dafür er-
giebt uns aber die Erwägung, daß postk. -A- erst nach dem Abfall
des -u nach langer Tonsilbe geschwunden ist. Dasselbe nimmt
auch Chadwick im allgemeinen an. Bülbring El. § 529 schließt
aus Formen wie ws. feorh und ä^oh (nom. acc. pl.),' daß der
19*
266 Lorenz Morsbach,
Schwnnd des -A- wahrscheinlich später eintrat als der von -ti.
Ein anderer Schluß scheint mir überhaupt nicht möglich zu sein,
ja ich gestehe, daß ich ihn für absolut zwingend halte. Denn die
Einwände, die Chadwick (S. 167) für gewisse Fälle dagegen geltend
gemacht hat, beruhen auf falschen Voraussetzungen. Die angeb-
lich längere Erhaltung des -u in ätoearu im Vesp. Ps. haben wir
oben schon zurückgewiesen. Die nom. Formen die Chadwick (S.
157) für den Vesp. Ps. lediglich auf Grrund des äw&oru voraussetzt:
♦/iirw, *feoru, *fu>ras (^fearas) gegenüber ws. /iirÄ, feorh, north, fitas,
sind schon deshalb hinfallig. Aber wir hatten oben auch schon
im Vesp. Ps. einen nom. s. fem. duerh {<*duerhu) nachgewiesen;
dazu gesellt sich ein anderer unzweifelhafter Beleg aus dem
Frühmercischen , nämlich mid-ferh (= iuventus) in den Corpus
Glossen 1164. Auch ist nicht einzusehen, warum der Vesp. Ps.
hier eine andere Entwicklung voraussetzen sollte, als in den übrigen
Denkmälern bezw. Mundarten stattgefonden hat. Für Chadwick
hängt die Frage freilich noch mit einer andern zusammen, näm-
lich mit der Dehnungsfrage nach dem Schwund des postkons. -A-.
Er sagt auf S. 167: ^Again there is nothing to show that the
loss of -Ä- ("X") after -r- involved lengthening of the preceding
vowel. Such was not the case with -JA-, though here the loss of
-Ä- was subsequent to palatal umlaut.** Als einziger Beweis für
den ersten Fall gilt ihm das oben besprochene ätoeoru, für den
zweiten Fall führt er die nach seiner Meinung unzweifelhaft kurz
zu lesenden feie, filed (zum inf. -fealan bergen) an; v. S. 100. Wir
wollen daher auch diese Frage noch kurz erledigen. Wegen der
Literatur vergleiche ich auf Sievers Beitr. X S. 487, femer
Sievers Gram.' § 218 und Bülbring Elem. § 529. Dehnung des
vorhergehenden kurzen Vokals oder Diphthongen (durch Sievers
in zahlreichen Fällen auch metrisch gesichert) ist nach Schwund
des postkons. -A- lautgesetzlich die Regel. Die Regel wird be-
stätigt: 1) durch die ae. festen Längen, wie fk-as, stclra, s%aU>ra
{stveorajy ^5, bei denen Analogiewirkung von vornherein entw.
ausgeschlossen oder femliegend war; daher auch nachweislich keine
Doppelqnantitäten hier; 2) durch das me. Ein me. mere „Stute*^
hat nur enges e, kann also nur auf ae. m&re beruhen; femer me.
ne. fvy. 3) durch die zahlreichen Doppelqnantitäten in der Nominal-
fiexion. Die Längen stellen, wie Sievers längst richtig gesehen
hat, die lautgesetzliche Dehnung dar, die daneben sich früh ein-
stellenden Kürzen dagegen die durch die Flexionsformen mit aus-
lau t. -h entstandenen Analogieformen. Es ist schon früher (bei
dweoru) gesagt worden, daß das me. hier fast nur Kurzformen
t^
zur Datierung des Beowolfepos. 267
voranssetzt. Die Analogieformen haben daher allmählich im ae.
die Oberhand bekommen. Es wäre wünschenswert einmal die ae.
poetischen Denkmäler darauf hin alle durchzusehen. So scheint
z. B. Cynewulf gegenüber Beowulf nur Kurzformen zu haben; v.
Trautmann, Kynewulf, Bonn 1898 S. 27; femer Mürkens, Unters,
über die altenglische Exodus (Bonner Beiträge 11 1899 S. 103 f.).
Gegen die allgemeine Regel scheinen jedoch allerlei Ausnahmen
zu sprechen, die aber bei näherem Zusehen sich doch erklären
lassen und mithin die Regel bestätigen; sie zerfallen in folgende
Gruppen: a) Geschwundenes -ä- im Anlaut zweiter verstümmelter
Glieder von Compositis. Hier finden sich in manchen Fällen feste
Längen, in andern zweifellose Kürzen. Feste Längen haben z. B.
önetian und örettan (Bülbr. El. § 626). Das spätws. örrettan hat
mit unserer Dehnungsfrage nichts zu tun ; vergl. Bülbr. El. § 349.
l^ftg^eii zweifellose Kürze haben wir in eofot und eofdsian (Bülbr.
El. § 230 Anm. § 377, b und § 424). Warum also in einem Falle
Länge, im andern Kürze? Die Gründe sind offenbar die fol-
genden : Wir haben von der Tatsache auszugehen, daß es für der-
artige Compositionen oft nebeneinanderliegende Doppelformen mit
und ohne h- gab (z. B. llchama und llcuma, Bülbr. El. § 526);
neben dem verdunkelten Compositum der naiven Volkssprache
lagen offenbar z. T. noch die volleren Compositionen der gebildeten
und gehobenen Sprache. Da die Bedeutung in beiden Fällen die-
selbe war, konnte die verstümmelte Form wieder durch die vollere
lautlich beeinflußt werden, wie z. B. das a von d)hat in den Epinal.
Gl. gegenüber eofot deutlich zeigt. Es konnte also die Kürze der
volleren Form (mit erhaltenem -A-) auch in die geschwächte Form
(mit geschwundenem -A-) durch Analogiewirkung eindringen, so
daß sich entweder Doppelquantitäten ergaben oder sich die Kürze
trotz des verstummenden -Ä- von vornherein festsetzte, b) Auch
in der Verbalflexion konnten durch Analogiewirkung Kurzformen
entstehen. So im ws. beßolan (got. fUhan) durch Anlehnung an 2.
3. sing. *ßlhsf, *filhd. Dagegen die anglischen Formen dieses Zeit-
worts machen einige Schwierigkeit. Der Vesp. Ps. hat unzweifel-
haft kurzes fealan inf. (mit a^. Umlaut), sehr wahrscheinlich auch
kurzes ßed 3. sing, und feie 1. s. opt. Zum Teil hat dort schon
Uebertritt in die Klasse stelan stattgefunden; daher praet. (cet)-
ßlun. Zeuner, Die Sprache d. Kent. Ps. S. 105 will den Ueber-
tritt in die andere Ablautklasse von dem praes. feolu, files^ filed
etc. aus , in dem h lautgesetzlich geschwunden sei, erklären und
Sievers Beitr. X 489 sagt gleichfalls, daß das Verb nach Verlust
des h wenigstens teilweise übergetreten sei. Dann müßten wir
268 Lorenz Morsbach,
aber doch wohl die Möglichkeit annehmen, daß postkons. h ohne
Hinterlassung von Dehnung schwinden konnte, denn die Analogie-
wirkung, die wir oben für das Ws. annahmen, versagt für das
Anglische, da hier das praes. nicht synkopierte Formen hat. Es
muß der XJebertritt also schon vor dem Schwund des Ä erfolgt
sein und das läßt sich durchaus wahrscheinlich machen; zugleich
werden dann auch die Kurzformen verständlich. Ich setze also
folgende Entwicklungsreihen an, wobei ich die Formen, von denen
die Analogiewirkimg ausging und in denen sie sich vollzog, durch
den Druck hervorhebe.
*felhan, .
*falh.
*fuliun.
*fol^€en
yelhan
falh
felun
[folen]
*felan
falh
felun
[folen]
fealan
falh
felun
[folen]
Ps.
Das part. folen ist zufallig im V. Ps. nicht belegt, aber sonst
gut bezeugt. Die Analogiewirkung vollzog sich also vor dem
Schwund des h vom praesens und partic. pt. aus. — Das von
Sievers Gr.' als kurz angesetzte {dwyrian <*pwiorhjan) würde der
allgemeinen Dehnungsregel widersprechen, falls man nicht An-
lehnung an äwe(o)rh annehmen will. Doch Napier OE. Glosses
(Oxford 1900) setzt wohl richtiger ein pwyrian mit Länge an; cf.
Anm. zu 4492. Das Verbum kommt in der poetischen Literatur
nicht vor und ist überhaupt erst spät belegt. lieber ptceorian zu
pweorh s. Schuldt, die Bildung der schwachen Verba im Alteng-
lischen (Kieler Studien N. F. 1) 1905 § 131. c) Einige besondere
Fälle in der Nominalflexion: Das mercische äw^ru haben wir
früher schon klar gestellt. Es bildet keine Ausnahme, da Sweoru
Neubildung ist. Schwieriger ist ae. moru f. Möhre zu erklären.
Das Wort flektiert schwach; der nom. s. lautet noch in der äl-
testen UeberUeferung auf -ce (e) aus, wie auch sonst die schwachen
Feminina (Sievers Gr.' § 278 Anm. 1), später haben wir moru,
dessen -u Sievers durch Anlehnung an die kurzsilbigen ä-Stämme
erklärt. Dagegen Kluge Et. W. setzt ae. *morhu voraus, das uns
leicht zu einem kurzen moru führt. Ein urae. *morhu vorausgesetzt,
würde die Flexion zunächst die folgende gewesen sein: nom. s.
*morh (mit Schwund des -«), gen. dat. mSran mit doppelter Quan-
tität (wie feorh, ßores). Zu dem kurzen möran hätte sich dann ein
neuer nom. s. auf -m gebildet nach Analogie der übrigen schwachen
kurzsilbigen fem. wie cinu, fadu, hosu etc. Wie sich auch die
Sache verhalten mag, dieser eine zweifelhafte Fall, in welchem h
ohne Hinterlassung von Dehnung ausgefallen scheinen könnte, ist
nicht im stände die allgemeine Regel umzustoßen.
i
ZOT Datierung des Beowolfepos. 269
m.
Unsere üntersachung hat gezeigt, daß das auslaatende -u nach
langer Haupttonsilbe nicht vor Ende des 7. Jahrh. , nach langer
nebentoniger Silbe wahrscheinlich schon etwas früher geschwunden
ist; und femer, daß das postkonsonantische -A- vor Vokal kurz
nach dem Schwund des -u nach haupttoniger Silbe etwa um 700
ausgefallen ist. Hiermit gewinnen wir aber zugleich ein unzweifel-
haftes Kriterium für die Datierung unserer ältesten ae. poetlsehdn
Denkmller, und zwar eine obere Grenze (terminus a quo), inso-
fern sich aus ihnen durch die Metrik nachweisen läßt, daß die
genannten Lautgesetze der Sprache schon ihren neuen Typus auf-
geprägt hatten. In erster Linie wird die Frage für die Datierung
des „Beowulf" entscheidend werden. Doch will ich vorher kurz
die ältesten kleineren poetischen Denkmäler, die aus sprachlichen
Gründen der Ueberlieferung noch vor 750 geschrieben sein müssen,
von diesem Gesichtspunkt aus beleuchten.
Ich beginne mit Caedmons Hymnus. Nur in einem Worte
kann es sich eventuell um auslaut. -u handeln, nämlich in öt v. 4b,
das auch durch den neuesten schönen Fund Wuests (Z. f. d. A.
XL Vni 1904 S. 205 ff.) gegenüber der anderen Ueberlieferung ord
gesichert ist. Dieses dr, das sich bei Pogatscher nicht findet,
führt Holthausen im Glossar zu seiner Beowulf- Ausgabe mit Recht
auf lat. öra zurück ; es erscheint im Beowulf 3 mal und zwar als
st. n. der a-Dekl. Nach Pogatscher (Lehnworte S. 157 f.) treten
die lat. feminina auf -a entweder in die starke Dekl. (nom. urae.
-M, das nach langer Tonsilbe entfällt) oder in die schwache Dekl.
über. Für Caedmons Zeit wäre also noch ein *öru vorauszusetzen
und der Halbvers müßte lauten: öru ästalde als Typus A mit
2silbiger Mittelsenkung, was durchaus korrekt wäre (Sievers Beitr.
10, 226 f.) , wenn man die Technik des Beowulf hier gelten läßt,
woran in diesem Falle wohl nicht zu zweifeln ist.
Für die -Ä-Frage haben wir gleichfalls nur einen Beleg : ffrum
(s. oben) ; hierfür hat jedenfalls früher *firhum gestanden, wodurch
das Metrum freilich nicht verändert wird.
Bedas Hterbegesang enthält für die f^-Frage 2 Belege : 1) pan
him tharf sie v. 2 b. Wenn wir das ältere *parfu einsetzen, hätten
wir, wenn wir sie Isilbig lesen, einen guten B-Typus; wenn wir
sie 28ilbig lesen, einen A-Typus mit 2silbigem Auftakt und 1 sil-
biger Mittelsenkung, was der Beowulf- Technik widersprechen
würde (Sievers Beitr. X 234 f.). Wie der Halbvers überliefert ist,
ergiebt er einen geläufigen C-Typus (mit 2silbem sie). Dieser Fall
kann also nichts beweisen. Dagegen der Halbvers B a aefter dioth-
270 Lorenz Morsbach,
dce^e würde, wenn wir *deothudce}^e einsetzten, wohl einen unmög-
lichen Vers ergeben. Damach wäre für Beda, falls die Verse tat-
sächlich von ihm herrühren, der Abfall des -u gesichert, was zu
Beda's Lebenszeit (673 — 736) vortrefflich passen würde.
Für die -A-Frage findet sich kein Beleg.
Das Leidener BitseL Sievers AngliaXIU S. 16ff. hat schon
gezeigt, daß einige der Rätsel bis in die erste Hälfte des 8. Jahrh.
zurückgehen und Rätsel 24 wahrscheinlich sogar bis in den Anfang
dieses Jahrhunderts. Es wäre daher interessant, auf sämmtliche
Rätsel einmal unsere Kriterien anzuwenden, besonders aber die
Zahl der eventuellen Kurzformen wie ßares etc. Da das Leidener
Rätsel der überlieferten Sprachformen wegen noch in die 1. Hälfte
des 8. Jahrh. fallt, wollen wir es hier nicht übergehen. Für die
-A-Frage findet sich kein Beleg, für die «-Frage nur ein einziger
Fall : V. 1 a mec se wSta toon^, ein korrekter und geläufiger B-Typus.
Setzen wir dafür ein älteres *ujoniu ein, so erhalten wir einen
A-Typus, der für den Beowulf sehr zweifelhaft ist (s. unten zu
Beowulf V. 1950 a ofer fealone flöd). Will man diesem Falle Be-
weiskraft zusprechen, so kann das Rätsel nicht vor 700 gedichtet
sein. Natürlich wird man nur mit dieser Methode völlig sicher
operieren können, wo es sich um größere Denkmäler handelt,
deren metrische Technik sich bis ins kleinste ermitteln läßt.
Damit kommen wir zu unserer Hauptfrage, der Datierung des uns
überlieferten Beowulfepos.
Beowulf. Für die t<-Frage wird es nicht nötig sein, sämt-
liche hier in Betracht kommenden möglichen Fälle zu untersuchen,
sondern an einer ausreichenden Anzahl sicherer Belege den Beweis
für den Schwund des ausl. -u nach langer Tonsilbe imd des post-
konsonantischen 'h' zu erbringen. Ich habe bei der M-Frage mein
Augenmerk ausschließlich auf solche Wörter gerichtet, die sich
auch aus andern Gründen als alte t/-Stämme im Ae. erweisen
lassen (v. Sievers Gramm.' § 272. 273). Sehr viele Fälle im Beo-
wulf geben uns natürlich auf unsere Fragen keine bestimmte
Antwort, ich führe daher nur solche an, in denen die metrische
Technik des Dichters uns sicheren Aufschluß bietet.
Ich beginne mit der u-Frage:
flöd: V. 1950a lautet ofer fealone flöd; wenn wir *flödu ein-
setzen, bekommen wir einen A-Typus mit 2silbigem Auftakt und
1 silbiger Mittelsenkung. Solche Halbverse sind uns im BeowuK
allerdings an 8 Stellen scheinbar überliefert, aber Sievers hat
Beitr. X, 273 f. gezeigt, daß diese Halbverse falsch sind und mit
kleinen Aenderungen, die nicht nur zur sonstigen metrischen Technik,
zur Datierung des Beowulfepos. 271
sondern auch zu der alten Sprache des Dichters stimmen, anders
gelesen werden müssen. Daher hat Holthausen in seiner neuen
Ausgabe hier überall das Richtige durch diakritische Zeichen an-
gedeutet oder eingesetzt.
V. S13Sa flöd fceämian. Wenn wir *flödu läsen, hätten wir
einen gesteigerten D-Typus (Beitr. X 302 ff.)- Kes^r hat aber
im Beowulf stets einen deutlichen Nebeniktus auf der 2. Silbe des
2. Fußes oder auf der Schlußsilbe des 2. Fußes (ich behalte natür-
lich die Sieverssche Terminologie bei). Fälle mit der Betonung
von fceämian kommen nicht vor. Entsprechende Halbverse mit
maäehde können nicht verglichen werden, weil -ode hier einen stär-
keren Nebenton hatte. Auch in zweiten Halbversen dieses Typus
wie 840 und 3032 ist zu lesen : toundqr scdaician (so auch Holthausen).
hond: v. 686 a on swa hwceßere hond. Setzen wir *hondu ein,
so bekommen wir denselben Fall wie flöd 1950.
V. 2575 b Hond üp äbrcbd und v. 2609 b hcmd rond j^efeng. Bei
Einsetzung von *hondu hätten wir eine Erweitenmg des Unter-
typus D (-t./-/. X >k) die sonst in diesem Halbvers nicht vorkommt
(Sievers Beitr. X 257 ff.). Und ebenso zu beurteilen ist der v. 983 b
hand scSawedon (Beitr. X 264 unten); femer v. 2405b purh äces
tneldan hand] wenn wir *hondu läsen, hätten wir A-Typus mit
28ilbigem Auftakt, der hier nicht vorkommt (Beitr. X 234).
häd: V. 1297 a on yMes had. Derselbe Fall wie oben flöd v. 1950 a.
eard: v. 104ih* ftffilcynnes eard; setzen wir *eardu ein, so be-
kommen wir einen ganz unmöglichen Halbvers, wie er im ganzen
Beowulf und auch wohl sonst nirgends belegt ist.
Nehmen wir noch einige Falle von ursprünglich auslautendem
-M nach langer nebentoniger Silbe hinzu, v. 367 b ^fcedmöd Hröd^är.
Die Einsetzung eines *nröd^äru würde einen der metrischen Technik
unseres Dichters fremden Halbvers hineinbringen, der nicht mit
gesteigerten D- Typen wie Beowulf Scyldinia^ dohtor Hröd^ares
verglichen werden darf, weil die unbetonte Silbe nach der ersten
Hebung keinen starken Nebenton hat (Sievers Beitr. X 255). Auch
die öfter wiederkehrenden Hröd^är maäelode, Wulf^ar madtlode
(Beitr. X 303) würden mit *Hröd^aru, * Wulf}^aru von der Beowulf-
technik abweichen. Man könnte sie zwar rhythmisch mit Halb- *
versen wie selllce scedracan^ fyrdsearu füllte a vergleichen (Beitr.
X 304 oben), doch haben die letzteren stets Doppelalliteration,
was bei *Hröd}yäru madelode etc. nicht der Fall wäre.
Diese Beispiele werden genügen. Wer den ganzen Beowulf
in der angegebenen Richtung durchforscht, wird ohne Zweifel
noch eine ganze Reihe gleicher oder ähnlicher Fälle finden. Nun
272 Lorenz Morsbach,
werden manche skeptische Gemüter einwenden (und der ernste
Forscher soll ja eine gate Dosis Skepsis besitzen), daß die hypo-
thetischen Halbverse vielfach nur geringe Abweichungen zeigen
und daß man trotz der feinen Sieversschen Ermittlungen über die
Verstechnik des Beowulf einen gewissen Spielraum lassen müsse,
da selbst ein so umfangreiches Epos wie der Beowulf nicht die
gesamte Yerstechnik eines Dichters wiederspiegele und andere
Möglichkeiten nicht ausschließe. Dem ist aber folgendes entgegenzu-
halten. Mag man auch über die prinzipielle Auffassung des alten
Alliterationsverses denken wie man will, das Verdienst wird man
Sievers nicht bestreiten können, daß er zuerst gezeigt hat, inner-
halb welcher Grenzen sich die Verstechnik im Beowulf bewegt
(und im ae. Vers überhaupt) und ferner, worauf ich das größte
Gewicht lege und was Sievers' Aufstellungen innere Beweiskraft
verleiht, daß Verstechnik (oder Versrhythmus) mit dem Wort- und
Satzaccent aufs feinste und innigste verknüpft ist. Gewiß lassen
die Sieversschen Typen noch einen gewissen Spielraum und gewisse
Möglichkeiten im ein-zelnen zu, aber es giebt auch feste Grenzen,
die der Dichter nicht überschritten hat, weil er sie nicht über-
schreiten wollte. Die Einführung der hypothetischen Halbverse
würde die Verstechnik des Beowulf völlig über den Haufen werfen
und eine große Anzahl von Halbversen in die Dichtung bringen,
die sowohl ihr selbst sonst völlig fremd wie zum größten Teil der
gesamten ae. Verstechnik unbekannt sind. Ja, wir dürfen den Spieß
getrost umkehren: Wären die hypothetischen Verse erlaubt bezw.
richtig, warum kehren sie dann sonst im Beowulf nirgend wieder ?
Wie richtig Sievers' Aufschlüsse über die Verstechnik sind, hat sich
nicht zum wenigsten auch darin gezeigt, daß er auf Grund der
Verstechnik eine ganze Reihe von ae. Quantitäten feststellen
konnte , die sich z. T. auch durch anderweitige sprachliche Kri-
terien als richtig herausgestellt haben. Mag man daher auch einen
oder den andern der obigen Fälle vielleicht anzweifeln wollen,
an dem gesamten Resultate wird man darum doch nichts ändern.
Der Beowalf - Dichter hat also das fragliche ausl. -u nicht
mehr gehabt. Wie steht es nun mit der andern Frage? Hat er
auch zu einer Zeit gedichtet, wo das postkonsonantische -ä- vor
Vokal schon verstummt war? Die Frage läßt sich unbedingt mit
„Ja" beantworten. Denn das Epos hat, wie Sievers längst er-
mittelt hat, einige metrisch gesicherte Kurzformen und zwar in
ganz verschiedenen Teüen des Epos: v. 73b o» ßorum ^umena,
V. 933 b tö widan fvore und v. 1848 a on swä ^eonium ßare (Beitr.
X 488). Wollte man hier *feor]ie (bezw. ^ferh(B) einsetzen, so
zur Datierung des Beowolfepc^s. 273
kämen wir zu denselben Konseqnenzen wie oben bei den hypothe-
tischen ti- Versen. Es ist aber oben (im Anschluß an andere For-
scher und in üebereinstimmnng mit ihnen) gezeigt worden, daß
solche Kürzen wie f^e nur durch Analogiewirkung nach dem
Schwund des -ä- entstehen konnten. Zugleich aber hatten wir
gesehen, daß das postkons. -h- erst nach dem Schwund des ausl.
-t« verstummt ist. Da von den beiden Lautgesetzen das letztere
kurz vor Ende des 7. Jahrb., das erstere etwa um 700 (keines-
wegs früher) eingetreten ist, so ist der Beweis erbracht, daß der
Beowulf, in welchem jene Lautgesetze sich schon als wirksam
gezeigt haben, erst nach 700 verfaßt sein kann.
IV.
Haben wir somit für die Datierung des BeowuK eine feste
obere Grenze gewonnen, so fragt es sich weiter, ob es nicht mög-
lich ist, auch eine ebenso feste untere Grenze (einen terminus ad
quem) für die Dichtung zu ermitteln. Es muß von vorn herein
gesagt werden, daß wir uns hier in einer weit weniger günstigen
Lage befinden, falls nicht unvorhergesehene Dinge sich ereignen.
Denn im 8. Jahrh. (später ist der Beowulf sicher nicht entstanden
und nach den Einfällen der Wikinger in England, die 787 be-
ginnen, doch wohl kaum denkbar) sind keine sprachlichen Verän-
derungen im ae. eingetreten, die auf die metrische Technik wesent-
lichen Einfluß ausüben konnten. Es fehlen uns also solche Kri-
terien, wie wir sie oben für den terminus a quo geltend machen
konnten. Man wird also hier zunächst nur auf eine gewisse Ab-
schätzung angewiesen sein, die sich auf allerhand Dinge stützen
könnte. Das verläßlichste Kriterium ist noch immer der Gebrauch
des bestimmten Artikels. Aber auch hiernach ist die Altersab-
schätzung noch wenig sicher, trotz der sorgfältigen aber metho-
disch unzureichenden Arbeit Barnouws. Vergl. Schücking in den
Götting. gelehrt. Anzeigen Nr. 9 (1905) S. 730 ff. Eine genauere
Datierung mit Hülfe dieses Kriteriums hat Brandl im Anschluß
an Guthlac A versucht (Herrigs Archiv und Sitzungsberichte der
Berliner Akad. philol.-hist. Kl. XXXV 1905 S. 718 f.). Dieses
Gedicht setzt Brandl etwa um die Mitte des 8. Jahrh. an, weil
der Dichter von dem 714 gestorbenen Heiligen noch durch Augen-
zeugen, die zu des Verfassers Zeit noch lebten, Kunde habe. Die
betr. Stellen hat Forstmann in den Bonner Beitr. XII S. 3 f. zu-
sammengestellt, von denen aber nur zwei streng beweisend sind,
nämlich die Verse 124 b ff. und 724 ff. Ich setze die beiden Stellen
hierher :
274 Lorenz Morsbach,
He ^ecostad weard
in gemyndiya monna tldum,
dära ße nä j^na ßurh yesüicu
wundoi' weordiad J his toTsdömes
Ulsan healdad, pcet se halia peow
eine yeode^
Hwcet! WS pissa wundra ^ewUan sindon:
call päs yeodon in üssera
tlda timan;
Daß es sich hier um noch lebende Zeitgenossen des verstor-
benen G-athlac handelt, zeigen besonders dentlich die Praesens-
formen weordiad und healdad. Es war also ein guter Gedanke
Brandls, den Gruthlac A, weil er einigermaßen genau zu datieren
ist, zu einem festen Ausgangspunkt zu machen. Nur eine Schwie-
rigkeit blieb bestehen. Wie weit sollte man den Abstand zwischen
Gruthlac A und Beowulf an der Hand des Artikel-Kriteriums ab-
schätzen? Brandl nahm einen großen Abstand an, indem er den
Beowulf ins 7. Jahrh. setzte, der aber wegen seiner christlichen
Elemente nicht vor die Mitte des 7. Jahrhunderts zurückzudatieren
sei. Zu andern Resultaten gelangte Barnouw (Textkritische Unter-
suchungen nach dem Gebrauch des bestimmten Artikels und des
schwachen Adjektivs in der altenglischen Poesie, Leiden 1902), in-
dem er den Beowulf um 660 und den Guthlac A sogar zwischen
800—830 ansetzte. Und Trautmann (Kynewulf , der Bischof und
Dichter, Bonn 1898 S. 121 f.) machte auf Grund von allerlei sprach-
lichen und metrischen Beobachtungen folgende Ansätze : 640—660 :
die Hauptmasse des Beowulf; 700—740 Gudlac der Einsiedler
(d. h. Guthlac A). Aus diesen verschiedenen Angaben kann man
so recht den relativen Wert der bisherigen Kriterien entnehmen.
Da wir nun gesehen haben, daß der Beowulf keinesfalls vor 700
datiert werden kann, der Guthlac A mit Brandl aber nicht aus
sprachlich-metrischen sondern aus einem andern äußeren Grunde
etwa um 750 oder auch etwas später anzusetzen ist, so werden
wir den Beowulf, da er doch wohl sicher einige Dezennien älter
sein dürfte als Guthlac A zwischen 700 und etwa 730 datieren müssen.
Von diesen beiden Zahlen darf die erstere als sicher gelten, die
letztere nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit beanspruchen.
V.
Der Beowalf fällt also in eine erheblich spätere Zeit als die
meisten neueren Forscher bisher angenommen hatten. Dadurch
zur Datierung des Beowulfepos. 276
ergeben sich aber völlig neue Perspektiven, sowohl für die Beur-
teilung des Epos selbst wie auch für die Chronologie der poe-
tischen ae. Denkmäler überhaupt.
Ich will davon nur einiges kurz andeuten. Für die Datierung
der meisten poetischen Erzeugnisse der ae. Zeit hatten wir bisher
nur wenig sichere Anhaltspunkte. Namentlich die Chronologie der
umfangreichen geistlichen Epik schwebte z. T. fast völlig in der
Luft. Zu den sicher datierten oder leicht zu datierenden Gedichten
gehörten vor allem die sogenannten historischen und Annalisten-
gedichte, die aber alle in eine späte Zeit fallen, von welcher ge-
nauere Rückschlüsse auf die früheren Jahrhunderte schwer zu ge-
winnen waren. Für andere Dichtungen hatte Sievers aus sprach-
lichen Grründen festere Ansätze ermittelt , indem er z. B. von
einigen Rätseln nachwies, daß sie noch vor etwa 750 verfaßt sind
und vor allem, daß die dichterische Tätigkeit Cynewulfs nicht
vor die Mitte des 8. Jahrhunderts fallen könne. Die Datierung
des „Traumgesichts vom Kreuze Christi" , auf Grund des Stein-
kreuzes zu Ruthwell hat zwar Cook wieder in Frage gezogen, sie
kann aber durch Victors Runensteine und Brandls erwähnten Auf-
satz (vergl. auch oben S. 256 und 260) als ziemlich gesichert gelten.
Und schließlich hatte Brandl dem Guthlac A ein festes Datum zuge-
wiesen. Zu allem diesem kommt nun die neue und wie ich zuver-
sichtlich hofiPe auch sichere Datierung des Beowulf. Da dieses Epos
ohne Zweifel mit zu den ältesten uns überlieferten poetischen Denk-
mälern gehört und wegen seines großen Umfangs reiches Beob-
achtungsmaterial bietet, so haben wir nun auch für die ältere Zeit
überhaupt einen festen Boden gewonnen, dessen weitere Bestellung
auch für die Chronologie anderer bisher nur schlecht datierbarer
Gedichte reiche Früchte tragen kann. Das hat natürlich zur Vor-
aussetzung, daß der Beowulf in Sprache und Metrik ein durchaus
einheitliches Epos darstellt, das zu einer bestimmten Zeit von
einem Manne nicht aus älteren ae. Dichtungen zusammengeschweißt
ist, sondern (abgesehen vom Inhalt) seine persönliche Schöpfung ist.
Die neueste Forschung hat sich ja auch von den Traditionen Lach-
manns, MüUenhoffs, ten Brinks mit vollem Rechte abgewandt.
Der in Sprache und Metrik einheitliche Guß des Epos wird von
den meisten heute unumwunden zugegeben, selbst wenn ältere ae.
Lieder zu Grunde liegen sollten, was ich jedoch nicht glaube, da
der Dichter wohl nur aus nordischen Quellen geschöpft hat.
Bei dieser Voraussetzung rückt das Epos nun auf Grund der an-
gegebenen Datierung in eine völlig neue Beleuchtung. Es ent-
stand zu einer Zeit, wo die geistliche Epik, deren Aera nach
276 Lorenz Morsbach,
Bedas unanfechtbarem Zeugnisse Caedmon eröffiaet hatte, kräftig
aufgeblüht war; steht doch auch die Exodus, wie die sprachlich-
metrischen Kriterien wahrscheinKch gemacht haben, der Zeit
des Beowulf-Dichters äußerst nahe. So erklärt sich denn auch
der breite epische Stil, dessen Erfindung Heusler aus anderen
Gründen den Angelsachsen zuschreibt (A. f. d. A. XXX S. 34 ff.
und „Lied und Epos" , Dortmund 1905). Man wird die neue
epische Weise den geistlichen Dichtern zuweisen dürfen, die für
die eindringliche Schilderung so gewaltiger Stoffmassen, wie sie schon
Caedmon in Angriff genommen hatte, mit dem hergebrachten knap-
peren Liedstiel nicht mehr auszukommen glaubten. Brandl (Herrigs
Archiv 108 S. 155) hat schon vermutet, daß das Herauswachsen
über die Rhapsodie zum Epos dem Einfluß und Vorbilde der Bibel
zuzuschreiben sei, die ja in gewissem Sinne, altes und neues
Testament, große epische Gebilde darstellt. Es ist sehr gut mög-
lich, ja wahrscheinlich, daß der Beowulfdichter , nicht durch die
Bibel selbst, sondern durch die geistlichen Epiker angeregt worden
ist, ein größeres Epos im neuen Stile zu schreiben. Die letzteren
aber knüpfen ihrerseits vielleicht z. T. wieder an die noch ältere
mitteUateinische Epik an, so daß auch hier die Brücke zum klas-
sischen Altertum geschlagen würde. Vielleicht wollte der welt-
liche Sänger, der zwar Christ war, aber für ritterliche Mannes-
tugenden erglühte , wie sie die heidnische Zeit so großartig ver-
körpert hatte und wie sie an den Höfen trotz des Christen-
tums weiter gepflegt wurden, der geistlichen Epik ein Q-egen-
stück setzen, an dem auch der christliche Held sich noch er-
quicken durfte. Die Feindschaft, mit der die Kirche die heid-
nischen XJeberlieferungen auszurotten suchte (»Quid Hinieldus cum
Christo?"), wird in den Kreisen des Adels auf harten Widerstand
gestoßen sein. Das Beowulfepos könnte sehr wohl als eine lite-
rarische Reaktion gegen die geistliche Epik aufgefaßt werden. Der
besondere Inhalt des Epos hat freilich noch andere Voraussetzungen.
Denn das Interesse an der skandinavischen Vergangenheit, wie es
hier zu Tage tritt und sich bis in Einzelheiten verliert, mußte
den Engländern damals durchaus fremd sein. Das Epos ist weder
ein nationales Epos im Sinne des Nibelungenliedes, noch hat es
(nach Edw. Schröder) wohl überhaupt jemals eine zentrale Stellxmg
in der ae. Literatur eingenommen, wie man das aus den zahl-
reichen Parallelstellen anderer Dichtxmgen^erweisen wollte. Auch
das wird man jetzt in anderem Lichte sehen dürfen. Wie ein
angelsächsischer Dichter in jener Zeit zu diesem Stoffe kam, läßt
sich einstweilen nur vermuten. Da es ein höfisches Epos ist, so
zur Datierung des Beowulfepos. 772
liegt der Gedanke nahe, den auch Brandl schon angedeutet hat,
daß das Epos an einem (northumbrischen) Fürstenhofe entstanden
ist, wo vielleicht durch verwandschaftliche Beziehungen zu Däne-
mark skandinavische Traditionen sich zäh erhalten hatten. Denn
nach der spätüberlieferten Hrölfssaga kraka, „worin gute alte
Tradition gerettet ist" (Olrik und Heusler), war Hröarr (=
Bröd^är) mit einer Königstochter aus England vermählt (Sarrazin,
Engl. Stud. XXTTI S. 228 ff.)- Die Prinzessin wird daselbst zu
einer Tochter eines Königs Nordhri gemacht, der in Nordhymbra-
land wohnen soll. Zwar soll nach Sarrazin hier ein Mißverständnis
vorliegen; die Königin entstamme in Wirklichkeit dem Nordfolke
(Noräfolc in England); aus dem Namen dieses Volkes wäre der
Name eines mythischen Königs konstruiert, wie Nor aus Norwegen
und Dan aus Dänemark. Doch scheint mir diese Annahme trotz
der vorgebrachten Gründe unnötig. Da das Beowulfepos aus
sprachlichen Gründen, wie Sievers gezeigt hat, sehr wahrscheinlich
aus Northumbrien stammt, (die spärlichen lexikalischen Momente,
die R. Jordan, Eigentümlichkeiten des anglischen Wortschatzes
— Heft 17 der angl. Forsch, herausg. von Hoops — Heidelberg 1906,
S. 64 f. für Mercien in die Wagschale wirft, haben weniger Beweis-
kraft), so liegt es nahe, hier die Fäden des sprachlichen Beweises
und der skandinavischen sagenhaften Ueberlieferung zu verknüpfen.
Und dies um so mehr, als der Name der Königin im ae. Epos,
WealhpeoWj gar kein ags. Name ist, sondern aus der skandina-
vischen Quelle entlehnt sein muß. Edward Schröder hat mich
freundlichBt darauf hingewiesen, daß dem Ags. Namen dieser Bil-
dungsweise fremd sind. Der Beowulf enthält außer Wealhßeow als
Frauennamen noch die beiden Männemamen Ecipeow und Onienpeow,
die gleichfalls in Skandinavien bezeugt sind^).
Mit diesen Ausblicken will ich schließen; sie sollten nur zu
weiterer Forschung anregen.
1) Wie mir Schröder mitteilt, lauten die Namen im Altnordischen: Eggp^r
(auch Eggdir) aas runisch -bewaR (Noreen' §350, 4. 233, 2) = ae. -peow; An-
gant^r (mit Anlehnung an den Gott T^-Ziu); Val-pjöfr mit einer wunderlichen
Entstellung, worüber zuletzt Bugge, Arkiv 6, 225 ff. gehandelt hat. Schröder fügt
hinzu: „Die Namen Ec^peow, On5en])6ow, Wealhpeow scheinen auf ags. Boden die ein-
zigen ihrer Bildungsweise zu sein. Bei Searle, Onomasticon Anglo-Saxonicum S. 445
sind auschließlich diese Formen und nur die Beowulf-Belege gegeben. Die Bildungs-
weise ist aber jedenfalls in England niemals lebendig gewesen. Schwerlich haben
sie die Einwanderer überhaupt mitgebracht." Der Name On5endtheow findet sich
auch Widsith y. 31 als Name eines schwedischen Königs. Und wenn in der ags.
Chronik (BC a. 626. A 755) in den mercischen Königslisten auch ein An5eltheow
aufgeführt wird, als Vorfahre des mercischen Stammkönigs Creoda, so haben wir
es hier nicht mit einem alten ags. Namen, sondern (wie Schröder urteilt) mit
einer gelehrten Bildung des 8. Jahrb. zu tun.
Studien zum Braunschweigschen Stadtrecht.
Von
F. Frensdorff.
Zweiter Beitrag.
Vorgelegt in der Sitzung vom 14. Juli 1906.
Die Jura Indaginis.
Man pflegt Braonschweig eine weifische Stadt zu nennen nnd den
Städtegründungen der Zähringer im Süden die der Weifen im Norden
gegenüberzustellen. Aber schon ein Jahrhundert bevor die Weifen
in Norddeutschland Fuß faßten, existierte ein Ort Braunschweig. Er
gab dem weifischen Geschlechte den landesfürstlichen Namen, nnter
dem es in der Geschichte bekannt wurde : das Haus Braunschweig,
und in weiterer XJebertragung dem Gebiete, das es beherrschte,
den Namen des Landes Braunschweig.
Die geschichtliche Ueberlieferung hat der Stadt Braunschweig
vielfach ihre Gunst erwiesen. Dazu gehört, daß sich in ihrem
Archiv eine Originalarkunde erhalten hat, die das Bestehen eines
Orts Braunschweig im J. 1031 und die Einweihung der Magni-
kirche daselbst bezeugt. Dieses Document, erst in neuerer Zeit
aus dem Staatsarchiv in das der Stadt zurückgelangt, eröffnet das
städtische Urkundenbuch ^). Lange bleibt es einsam. Ein Jahr-
hundert hindurch schweigt die Sammlung. Als sie wieder zu reden
beginnt, beschränkt sie sich auf die Verzeichnung von Urkunden,
die durch ihre Zeugennamen eine Beziehung zu Braunschweig ver-
rathen, aber für die Geschichte des Orts nicht mehr austragen,
als daß sie einen advocatus de Brunswic erwähnen *). Daß die
1) ÜB. der Stadt Braunschweig bg. y. L. Hänselmann Bd. II (1900) Nr. 1.
Diese Urk.-Sammlg. ist nachher immer schlechtweg mit U6. bezeichnet.
2) 1130 und 11S4 ÜB. U n. 4. und 6.
J
i
Studien zum Braonschweigschen Stadtrecht. II. 279
Unterbrechung der orkondlichen Ueberlieferang nicht die Folge
späterer Verluste ist, zeigt die zu Ende des 13. Jahrhunderts
entstandene Braunschweigsche Beimchronik , deren Verfasser sich
sorgsam nach alten Quellen umgesehen, aber doch nicht mehr als
die genannte Urkunde von 1031 ermittelt hat ^). Als Jacob Grimm
die Chronik in der Ausgabe des unfähigen und unglücklichen
Scheller 1826 kennen lernte, schalt er sie ein dürres und lang-
weiliges Gedicht '). Poetischer ist sie in der fünfzig Jahre jün-
geren Ausgabe Weilands nicht geworden "); aber die Mühe, die er
auf sie verwandt, wird durch die guten geschichtlichen Nachrichten
belohnt, die sie neben manchem Ungeschichtlichen bringt. Zu den
werthvollen Bestandteilen dieser der Geschichte des Fürstenhauses
Braunschweig gewidmeten Chronik gehört, was sie über die Ent-
stehung und lokale Entwicklung der Stadt Braunschweig zu er-
zählen weiß.
Die älteste Form des Stadtnamens ist nach jener Urkunde
von 1031 Brunesguik. Er weist auf ein Herrengeschlecht, das zur
Zeit in diesen Gegenden mächtig war. Zu Ende des 11. und zu
Anfang des 12. Jahrhunderts starben nach einander wie die Bru-
nonen die Billunger, die Northeimer im Mannsstamme aus; der
große AUodialbesitz sammelte sich wiederholt in weiblicher Hand,
und die aus Schwaben stammenden Weifen wurden durch Heirat
die Erben der großen sächsischen Geschlechter. Zuerst Heinrich
der Schwarze, der um 1107 die Tochter des letzten Billungers und
mit ihr die Feste Lüneburg und reichen Besitz im östlichen
Sachsen gewann; zwanzig Jahr später sein Sohn Heinrich der
Stolze, Herzog von Baiern, der die Erbin der brunonischen und
northeimschen Güter, Gertrud, die Tochter Kaiser Lothars, hei-
rathete und von seinem Schwiegervater mit dem Herzogtum Sachsen
belehnt wurde. Von dem Sohn dieser Ehe, dem großen Löwen,
wie ihn die Beimchronik nennt{^), sagt Heim*, v. Herford prägnant:
„ex patre obtinuit ducatum Bajoariae et Saxonie , ex matre heredi-
tatem Bruneswic^. Die politische Wirkung dieser Machtstellung
zeichnet nicht minder treffend Albert von Stade in den Worten : „et
quia potens et dives erat, contra imperium se erexit^ *).
1) V. 1688 ff.
2) Gdtt. gel. Anz. 1826 St. 96 S. 946 ff.; wiederabgedmckt in Kl. Sehr. IV
(1869) S. 886.
3) M. 0. histor., deutsche Chron. II (1877) 8. 480 ff.
4) V. 2634.
6) Chron. ed. Potthast (1869) S. 147. — M. G. SS. XVI 846.
XfL Gm. d. Wi«. NftckriekUn. Philolof .-U«t. KImm. 1906. Utft 8. 20
276 Lorenz Morsbach,
Bedas unanfechtbarem Zeugnisse Caedmon eröffiaet hatte, kräftig
aufgeblüht war; steht doch auch die Exodus, wie die sprachlich-
metrischen Kriterien wahrscheinlich gemacht haben, der Zeit
des Beowulf-Dichters äußerst nahe. So erklärt sich denn auch
der breite epische Stil, dessen Erfindung Heusler aus anderen
Gründen den Angelsachsen zuschreibt (A. f. d. A. XXX S. 34 ff,
und „Lied und Epos" , Dortmund 1905). Man wird die neue
epische Weise den geistlichen Dichtern zuweisen dürfen, die für
die eindringliche Schilderung so gewaltiger Stoffmassen, wie sie schon
Caedmon in Angriff genommen hatte, mit dem hergebrachten knap-
peren Liedstiel nicht mehr auszukommen glaubten. Brandl (Herrigs
Archiv 108 S. 155) hat schon vermutet, daß das Herauswachsen
über die Rhapsodie zum Epos dem Einfluß und Vorbilde der Bibel
zuzuschreiben sei, die ja in gewissem Sinne, altes und neues
Testament, große epische Gebilde darstellt. Es ist sehr gut mög-
lich, ja wahrscheinlich, daß der Beowulfdichter , nicht durch die
Bibel selbst, sondern durch die geistlichen Epiker angeregt worden
ist, ein größeres Epos im neuen Stile zu schreiben. Die letzteren
aber knüpfen ihrerseits vielleicht z. T. wieder an die noch ältere
mittellateinische Epik an, so daß auch hier die Brücke znm klas-
sischen Altertum geschlagen würde. Vielleicht wollte der welt-
liche Sänger, der zwar Christ war, aber für ritterliche Mannes-
tugenden erglühte , wie sie die heidnische Zeit so großartig ver-
körpert hatte und wie sie an den Höfen trotz des Christen-
tums weiter gepflegt wurden, der geistlichen Epik ein Gegen-
stück setzen, an dem auch der christliche Held sich noch er-
quicken durfte. Die Feindschaft, mit der die Kirche die heid-
nischen XJeberlieferungen auszurotten suchte („Quid Hinieldus cum
Christo?"), wird in den Kreisen des Adels auf harten Widerstand
gestoßen sein. Das Beowulfepos könnte sehr wohl als eine lite-
rarische Reaktion gegen die geistliche Epik aufgefaßt werden. Der
besondere Inhalt des Epos hat freilich noch andere Voraussetzungen.
Denn das Interesse an der skandinavischen Vergangenheit, wie es
hier zu Tage tritt und sich bis in Einzelheiten verliert, mußte
den Engländern damals durchaus fremd sein. Das Epos ist weder
ein nationales Epos im Sinne des Nibelungenliedes, noch hat es
(nach Edw. Schröder) wohl überhaupt jemals eine zentrale Stellung
in der ae. Literatur eingenommen, wie man das aus den zahl-
reichen Parallelstellen anderer Dichtxmgen^erweisen wollte. Auch
das wird man jetzt in anderem Lichte sehen dürfen. Wie ein
angelsächsischer Dichter in jener Zeit zu diesem Stoffe kam, läßt
sich einstweilen nur vermuten. Da es ein höfisches Epos ist, so
Stadien zum Braonschweigschen St&dtrecht. II. 281
gange als Jura et libertates Indaginis bezeichnet. Eine
Zusammenstellung von 15 Rechtssätzen in lateinischer Sprache,
meist kurz und schlicht, aber von hohem Interesse. Erst vor etwa
sechzig Jahren nach langer Verborgenheit durch den Fleiß eines
Sammlers, dem manch schöner Fund zur Braunschweigschen Stadt-
geschichte geglückt ist, den Begistrator Sack am Ereisgericht
Braunsohweig , wieder entdeckt, hat die Urkunde großen Werth
nicht blos für die Greschichte dieser Stadt, sondern für die deutsche
Städtegeschichte überhaupt. Deshalb ist sie denn auch Gregen-
stand mannigfacher Erörterung, und, wie unvermeidlich, mannig-
facher Controverse geworden. Ihr Alter, ihre Entstehung und
ihr Inhalt: alles das hat im Laufe der Jahre Anlaß zur Debatte
gegeben. Meine Beschäftigung mit dem alten und nicht genügend
gewürdigten Stadtrechte Braunschweigs , von der ich im letzten
Jahre zwei Proben vorgelegt habe*), mußte mich auch auf die
Jura Indaginis führen. Im Folgenden soll zuerst die Rechtsauf-
zeichnung selbst (I) ^, dann ihre Stellung in der städtischen Rechts-
geschichte, insbesondere ihr Yerhältniß zum Ottonianum (II) unter-
sucht werden.
Die Jura Indaginis sind nicht so gut überliefert wie die Ur-
kunde von 1031 ; aber doch immer noch durch ein Document von
hohem Alter: den äußern Merkmalen zufolge eine Urkunde aus
der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, mit einem Siegel versehen,
das Herzog Otto I (f 1252) angeHört. Also in der äußern Er-
scheinung der Ueberlieferung des Ottonianum ähnlich. Die Facsi-
miles der beiden Stadtrechte in den ;, Urkunden aus dem Stadt-
archive zu Braxinschweig^ ") bestätigen dies Urtheil. Hänselmann
hat die Herkunft des Ottonianum aus der städtischen Kanzlei und
aus der Feder des Lutbert scriptor, der den Innungsbrief der
Altstädter Goldschmiede von 1231 schrieb und als Zeuge beur-
kundet*), wahrscheinlich gemacht*). Er nennt deshalb die Jura
1) Nachrichten v. d. Kgl. Qes. der Wise. 1905 S. 1 ff. Zeitschrift der
Sayigny-Stiftang f. Rechtsgesch. Bd. 26 (1905) S. 19ö.
2) Abgedruckt ist die ürk. auBer im ÜB. bei Gengier C. jur. munic. (1863)
S. 286 und bei Keutgen, ürk. e. st&dt. Yerf.-Gesch. (1901) Nr. 151 S. 177.
3) Hg. durch George Behrens' Kunstanstalt (Brschwg. 1889) Nr. lY (Hagen-
urkunde), V (Ottonianum).
4) ÜB. I n. 3.
5) bie ältesten Stadtrechte Braunschweigs (Hans. (^ch.-Bl. 1892 S. 63).
Diese Abhandlung ist im folgenden schlechthin mit Hänselmann citirt.
9n*
282 F. Frensdorff,
Indag. und das Otton. zwei Schwesterarknnden. Man mag das
insoweit zugeben, als die Kiederschrift der beiden Docomente, wie
sie jetzt vorliegen, zu gleicher Zeit erfolgt ist, ihrem Inhalte
nach können sie nicht gleichzeitig entstanden sein. Ist das Otto-
nianum im J. 1227 aufgezeichnet, so sind die Jura Indaginis damals
nur nach vorhandenen Vorlagen neu zusammengestellt worden, um
die Bestätigung des Herzogs Otto zu erlangen. Sprache und
Inhalt begründen zwischen beiden Urkunden einen Abstand von
mindestens einem halben Jahrhundert. Die Gleichzeitigkeit ist
schon durch die Sprache ausgeschlossen. Die Jura Indaginis sind
lateinisch, das Ottonianum ist deutsch abgefaßt. In dem einen wie
dem andern Falle haben wir die originale Fassung vor uns. Das
Ottonianum ist nicht aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt,
die Jura Indag. sind nicht aus dem Deutschen ins Lateinische
zurückübersetzt. Begründet schon das Idiom eine Präsumtion
für das höhere Alter der Jura Indag., so wird sie durch Ver-
gleichung des Inhalts^) zur Gewißheit erhoben.
Indago heißt das nordöstlichste der fünf Weichbilde, aus denen
Braunschweig erwuchs. Das lateinische Femininum Indago ist
früher in den Braunschweigschen Quellen bezeugt als das deutsche
Hagen, zu dessen üebersetzung es dient. Beide Worte drücken
zunächst eine Umzäunung aus, wie sie eine lebendige Hecke be-
wirkt; dann den eingehegten Raum, die eingehegte Stätte. Hag,
Hagen für Städte und Stadtheile ist nichts ungewöhnliches. Außer
den bei Grimm Wb. lY, 2 Sp. 151 beigebrachten Beispielen sei
an Hagen in Westfalen, 's Graven Haag in Holland, an einen in
Hildesheim mit Hagen bezeichneten Stadttheil') und an die zahl-
reichen mit -hagen zusammengesetzten Ortsnamen erinnert. Ein
älterer Beleg für Indago in Braunschweig als unsere Urkunde ist
nicht vorhanden.
Die Aufzeichnung giebt als Urheber der in ihr verbrieften
Rechte den „illuster vir Heinricus dux Saxonie atque Bawarie^,
und als die Entstehungszeit die ;,a prima fundatione ipsius civi-
tatis^ an. Civitas ist in dem gisoizen Schriftstück Bezeichnung
für den Stadttheil, das Weichbild. Daß Heinrich der Löwe auch
der Begründer des Weichbilds war, ist nicht direct ausgesprochen.
Beides schreibt aber ein altes urkundliches Zeugniß Herzog Hein-
rich dem L. zu. Als Herzog Albrecht I, der Sohn Ottos des
1) Hassebrauk (Z. des histor. V. f.NS. 1896 S. 172) yennisst für eine solche
VergleichuDg das tertiun comparationis. Daß die deutsche Stadtrechtsgeschichte
dafür genug Mittel bietet, wird das folgende zeigen.
2) midesh. ÜB. I n. 365 vom J. 12SB.
Stadien zum Braonschweigschen St&dtrecht II. 283
Kindes, 1268 den Lakenmachern des Hagens ihr Innangsrecht er-
weiterte, berief er sich auf die Aussagen alter und erfahrener
Männer des Hagens, daß Herzog Heinrich ;,Indaginem Bruneswich
primo fnndaret et construeret ac ei jura burgimondii et libertates
daret " ^). B u r g i m u n d i u m ist ein eigentümlich gebildetes, sonst
nicht belegbares Wort. Die deutsch denkenden und lateinisch
schreibenden Urkundenverfasser haben zu mancherlei lateinischen
Wortbildungen greifen müssen, um den deutschen technischen Aus-
druck wiederzugeben: so wenn der Redactor des ältesten Soester
Statuts Grondstück durch predium faudale oder der der ältesten
Läbischen Statuten : torfaht egen durch cespitalitatum proprietas
übersetzt. „Jura burgimundii^ wollen besagen, daß dem Hagen
nicht schlechthin jura et libertates, sondern speciell stadtrechtliche
Rechte gewährt worden sind. Ein chronikalisches Zeugnis, das zu
dem urkundlichen hinzutritt, bestätigt die Gründung des Weich-
bildes durch Herzog Heinrich und erläutert das ;,fundaret et con-
strueret** der Urkunde:
„von dhissem vursten gar gemeyt
wart gewidet und gebreyt
dhe veste zo Bruneswich,
went her uzgab daz blich,
daz geheyzen ist dhe Hage^ ^).
„Dat blek utgeven** , wie die entscheidenden Worte wieder-
zugeben wären, bedeutet: eine Grundfläche zur Ansiedelung aus-
thun und unter Colonisten vertheilen. In dem Weichbild des
Hagens gab es nachmals ein Wendenthor und eine Wendenthor-
Bauerschaft. Obschon das früh mit porta Slavorum übersetzt
wird und auch eine platea Slavorum hier vorkommt, ist doch nicht
an eine wendische Bewohnerschaft zu denken, sondern der Name
hier wie anderwärts blos zu deuten auf die ins Wendenland füh-
renden Straßen undThore'). Als erste Anbauer werden wir viel-
mehr Flanderer zu denken haben, da wir durch einen Hildesheimer
Rechtsbrief v. J. 1196 wissen, daß vom dortigen Moritzstift eine
Colonie von Flandrem am Damme angesiedelt war und Rechte
erhielt, deren Einzelaufzählung sich die Urkunde durch Verwei-
sung auf das „jus aliorum Flandrensium qui morantur Brunswic
vel circa Albim***) erspart.
1) ÜB. I n. 7.
2) Brschwg. Reimchronik Y. 2678 ff. (S. 493).
8) Heinr. Meier, die Straßennamen der Stadt Braonschweig (Qa. a. Forscbgn.
z. Braunschw. Qesch. I, 1904) S. 107 ff.
4) ÜB. II n. 27 S. 11.
284 F. Frensdorff,
Den oben ausgehobenen Worten der Urkunde von 1268: ^j^""*
burgimundii et libertates daret" schließt sich der Satz an: sicut
fieri solet. Wie bei anderen Gründungen von Städten ihnen
zugleich ßechtsausstattungen zu Theil werden, so ist auch bei
der Q-ründung des Hagens verfahren. Doch unterscheidet sich die
Hagenurkunde in einer Beziehung von andern Urkunden gleicher
Art. Sie enthält nichts über die Q-ründung selbst, die neue An-
lage, die Auftheilung und Anweisung von Grund und Boden, über
das Verhältniß des Grundeigenthums zum Stadtherm ^). Im Uebrigen
sind die Sätze des Indago einfach in ihrer Form, behandeln die-
selben Gegenstände wie in städtischen Anfangsprivilegien üblich
ist und weisen auch gleich jenen Sätze aus den verschiedenen
Theilen des Bechts neben einander auf.
Wann Heinrich der Löwe den Hagen gründete, ist nirgends
angegeben. Man wird die Zeit um 1160 dafür ansetzen können,
wo der Herzog, aus Italien zurückgekehrt, seine Thätigkeit den
innem Verhältnissen seiner Länder zuwandte. Es war keine Neu-
schöpfung auf jungfräulichem Boden, was hier entstand, wie wenn
„gebure en nie dorp besettet von wilder wortelen*^ (Ssp. III 79, 1).
Es gab in der nächsten Nachbarschaft schon eine städtische Nieder-
lassung. Die Hagenurkunde erwähnt selbst „Bruneswic** (2); die
Urkunde H. Albrechts von 1268 nennt den Hagen Indaginem
Bruneswich; die Reimchronik sagt a. a. O., Heinrich der L. habe
durch die Anlage des neuen Bleks die „Veste zo Bruneswich''
erweitert und ausgebreitet. Was verstand man in allen diesen
Aeußerungen unter dem Namen Braunschweig, was umfaßte er
von den fünf spätem Weichbilden? Als er zum erstenmal ge-
braucht wurde, galt er von der Gegend am östlichen Okerufer,
in der die Magnikirche 1031 errichtet wurde (oben S. 278)*). Sie
hieß später Altenwik, in veteri vico, urkundlich zum erstenmale
1196'): ein Name, der erst nach dem Entstehen neuer Stadttheile
aufkommen konnte, die jene Anfangsstätte überflügelt hatten. Der
Name Braunschweig blieb deshalb auch nicht an ihr haften; sie
hieß das alte Dorf, wie das in andern niedersächsischen Orten, in
Göttingen *), in Alfeld *) wiederkehrt. Der Name Braunschweig
1) Vgl. Freiburger StR. 1120 init. (Keutgen, S. 117) und die eben citierte
Hildesbeimsche Ansiedlungsurkunde v. 1196.
2) Rietschel, Markt und Stadt (1897) S. 95.
3) Uß. U n. 24.
4) G. Schmidt, Hans. Gescb.-Bl. Id78 S. 6.
5) Mithoff, Kunstdenkm. u. Alterth. 111 (1875) S. 12. Auf eine „autiqua
Villa" gleicher Bedeutung in Stendal macht Rietschel S. 120 aufmerksam.
Stadien zum Braunschweigschen Stadtrecht II. 285
gieng über auf die am linken Okerufer entstandene Stadt; die
dortige Michaeliskirche wird als „in Bmnswic" gelegen 1158 ur-
kundlich bezeichnet'). Seit 1160 beginnt die Ausstellung herzog-
licher Urkunden in Bruniswik, in civitate nostra Bruneswich
(1175)*). Burgenses nostri de ßruneswic, cives nostri de civitate
nostra de Bruneswic kommen zum erstenmal in den Urkunden
K. Otto IV von 1199 und 1204 vor»). Kann an der ersten Stelle
die Bezeichnung eine generelle Bedeutung haben, so sind an der
zweiten die Bürger gemeint, die zur Pfarrei von St. Martin ge-
hören. Das ist der Theil der Stadt, der als der Haupttheil gilt;
wie denn seine Kirche Marktkirche zubenannt wird (que forensis
dicitur)*). „Altstadt" konnte er erst heißen, seitdem es eine Neu-
stadt gab ; in Urkunden finde ich die Bezeichnung „antiqua civitas"
nicht vor 1227 oder 1231 ^). Zu der Zeit als der Hagen gegründet
wurde, bestand schon die Altstadt, ob auch die Neustadt ist frag-
lich. Es spricht für die Reihenfolge: Altstadt Hagen Neustadt,
daß in der Urkunde von 1269 über die Einigung der drei Weich-
bilde die gleiche Ordnung beobachtet wird % und ebenso auch in
andern Urkunden^).
Der aus den Urkunden dargelegten lokalen Entwicklung der
Stadt und der damit verbundenen Wanderung und Ausdehnung
des Namens Braunschweig entspricht die Darstellung der Reim-
chronik »), die Herzog Ludolf (f 1038) für den Erbauer der Stadt hält :
1) ÜB. II n. 10.
2) Das. n. 12, 13 ; n. 19, 24.
3) Das. n. 30 und 33.
4) n. 33. Dazu vgl. m. Aufsatz: Die Stadtverfassong Hannovers (Hans.
Gesch.-Bl. 1882 S. 12).
6) ÜB. II n. 76. I n. 3.
6) ÜB. I n. 8. Gelegentlich sei bemerkt, dass sich auf diese Einung nicht,
wie Hänselmann (ÜB. II 696), Mack (Braunschwg. Jahrb. III [1904] S. 7 ange-
nommen haben und Hassebrauk S. 176 wiederholt, der Satz der Statuten beziehen
kann: der stat ghemene ne mach nicht vorjaren. Er kommt zuerst in der Aus-
fertigung des Brschwg. R. für Duderstadt v. 1279 vor (ÜB. II n. 294 a. 75) und
heißt weiter nichts als: an Gemeindegut der Stadt kann keine Verjährung ein-
treten. In anderen Städten wurde dasselbe dadurch erreicht, daB in jeder Bur-
sprake die libertates civitatis durch „Bisprake" d. h. Einspruch gegen Verjährung
geschützt wurden, vergL Techen, Bürgersprachen der Stadt Wismar (Hans.
Gesch.-Qu. N. F. HI [1906] S. 58 ff.). Es ist bezeichnend, daB auch in Braun-
scbweig der Satz später nicht in den Statuten, sondern im Echtding seinen Platz
erhielt, zuerst ED. II a. 95 (ÜB. I S. 69). Mit der richtigen Auslegung des
Braunschweigschen Statutensatzes fallen auch die Consequenzen zusammen , die
darauf gebaut sind.
7) ÜB. II n. 173, I n. 23, 24, 26. StR. v. 1402 a. 221.
8) V. 1401—1410.
286 F. Frensdorff,
dher ze ersten, als ich las,
dbe veste buwen began,
daz den namen Bnineswich sint gewan.
dhe borch men do Thanqaarderode jach.
en dhorph dha nahe bi lach,
dha nn ist dhe Aide Wich,
daz heiz men do Broneswich.
darnach de aide stat began,
dhe nuwe nnde dhe Haghe, daz sint gewan
dhen namen, als ich gesprochen han«
Der 'Reimchronist unterscheidet also veste und borch. Veste
ist ihm die Stadt als Ganzes; so aach oben dhe veste zo Brones-
wich (S. 283), die erweitert wird dorch die Erbaoong des Hagens.
Die ;,Borg'' ist das alte „castrom illod Tanqoarderoth^, wie es in
dem Privilegiom Kaiser Lothars für das Aegidienkloster von
1134 heißt ^). Der Name Tanqoarderode verschwindet dann ans
den Urkonden, die einzelnen Teile der Borg treten an seine Stelle :
in palatio nostro Broneswich 1219, 1223 *) ; in domo nostra Brons-
wich 1224, Broneswich in nostra kemnata 1224^). Aoch nrbs
wird für Borg gesetzt. So in der Stelle der Annales Stadenses
z. J. 1166: Heinricos dox soper basem leonis effigiem erexit et
orbem fossa et vallo circomdedit^), wo die Zostammenstellong
mit der Errichtong des Lowenbildes ^) beweist, daß die Borg ge-
meint ist. Die coria, das Gerichtshaos in der Borg^ erwähnen
die libert. Indag. (4); der herren höve in der borch, de herren
ote der borch das älteste Echtding (88. 89) 0.
Bestand demnach zor Zeit, als der Hagen gegründet worde,
der nachher als Altstadt bezeichnete Stadttheil, so gab es aoch
ein Recht, das hier galt. Urkonden sind ons aber nicht erhalten,
ond wenn je solche existirt haben, so waren sie schon om 1340
verschollen. Ein altes ans dieser Zeit überliefertes Urkonden-
verzeichniß ^) führt keine ältere Urkonde als vom Ende des 12.
1) ÜB. n n. 7.
2) ÜB. n 8. 687, n. 60.
3) ÜB. II n. 62, 63.
4) M. G. SS. XVI 345.
5) palatiam, in quo qoievenmt sponsus et sponsa (K. Wühelm v. Holland ond
Elisabeth, die Tochter Herzogs Otto I) in Bronswich jnxta leonem penitus ezarsit
1252 Jaun. 25. Ann. Stad. das. S. 373. — Reimchronik v. 2895 ff.
6) Bethmann S. 544.
7) ÜB. I n. 39. S. 48.
8) ÜB. m n. 622 S. 501.
Studien zum Braunscbweigschen Stadtrecht. II. 287
Jahrhunderts auf: den Anfang machen die Privilegien K. Ottos IV
von 1199 und 1204^). Von Stadtrechten (jura civitatis) erwähnt
es nur das Ottonianum und das Albertinum. Gegen die Voll-
ständigkeit des Verzeichnisses ließe sich geltend machen, daß es
der Jura et libertates Indaginis nicht gedenkt. Aber als das
Recht blos eines Stadttheils wurde es wohl in der Kiste nicht mit
aufbewahrt, deren Inhalt das Verzeich niß beschreiben will.
Die Urkunde, die das Hagenrecht überliefert, ist eine Auf-
zeichnung über das Recht, nicht die Rechtsgewährung selbst, her-
vorgegangen aus der Hand ihres Urhebers. „Notum sit omnibus
haue paginam videntibus^ lautet ihr Eingang. Die Zusammenstel-
lung dieser Notitia ist durch die bevdrkt, zu deren Gunsten die
aufgezählten jura et libertates bestimmt sind und die sie jetzt
zum Zweck der Anerkennung durch den Stadtherrn vorlegen.
Der Text der Urkunde ist nicht fehlerlos. In Art. 2, der von der
Freiheit der Schiffahrt zwischen Braunschweig und Bremen han-
delt, heißt es von den aufwärts fahrenden Schiffen: Bruneswic
deposita earum sardna et soluto ibidem absque omni impedimento
libere descendant. Gengier hat darauf aufmerksam ge-
macht, daß nach soluto ein Wort für eine zu entrichtende Gebuhr,
etwa denario oder theloneo fehle ^). Art 12 handelt von dem
Fatronatrecht, das den Bürgern des Hagens für die Kirche ihres
Weichbilds, die Eatharinenkirche , zustehen soll: burgenses jus
habeant sacerdotem eligendi et dominus civitatis jus eundem in-
vestigandi et presentandi. Gemeint ist doch offenbar: inve-
stiendi, wie eligere und investire regelmäßig bei den Verleihungen
des Patronatsrechts wiederkehren: 1204 Kaiser Otto IV für die
Martinskirche: jus eligendi sacerdotem, jure tamen ipsum inve-
stiendi nobis conservato*); 11B8 Bischof Bruno v. Hildesheim für
die Michaeliskirche: debent cives presbyterum . . eligere et decano
s. Blasii investiendum offerre ^). Der niederdeutsche Schreiber der
Hagenurkimde schob seiner Mundart gemäß ^) zwischen die zusam-
mentreffenden Vocale sein g ein wie in Klages, und da ihm bei
seiner Kenntnis des Lateinischen investigendi zu befremdlich er-
1) U6. II D. 30 und 33.
2) Codex j. manic. S. 296. Da die völUge Zoll- and Abgabenfreiheit als
ein Recht der Bürger Braonschweigs hervorgehoben wird (vgl. Priv. f. Hannover
V. 1241, Doebner, die Städteprivil. H. Ottos [1882] S. 23), so ist vielleicht die
Correctur in „solata" (sc. navi, nachdem das Schiff gelöscht hat) vorzuziehen.
3) ÜB. II n. 33 S. 15».
4) ÜB. II n. 10 S. 6»o.
6) Mnd. Wb. II S. 1. Lübben, Mnd. Gram. (1882) S. 56.
288 F. Frensdorff,
schien, machte er daraus investigandi. Das Glossar des Urkimden-
bachs erklärt investigare mit Bezug auf unsere Stelle durch aus-
findig machen*); aber wie wäre ein solches Recht des Stadtherm
mit dem den Bürgern zugestandenen Wahlrechte in Einklang zu
bringen? In dem Ottonianum heißt es denn auch an der entspre-
chenden Stelle, die Bürger sollen den von ihnen gewählten Priester
„vor unsen herren bringen unde he sal ime de kerken lygen"
(54). Die bezeichneten Fehler legen die Vermuthung nahe, daß
die Hagenurkunde nicht die erste Zusammenstellung der Rechte
des Weichbilds enthält, sondern die Abschrift eines Originals ist,
die man zum Zweck der Vorlage im J. 1227 anfertigte ^).
Wenn auch nach dem Zeugniß des fl. Albrecht von 1268 (oben
S. 283) sein Ahnherr Heinrich der Gründer des Hagens und der
Schöpfer seines Rechts war, so stellt doch, wenn auch beides
zeitlich zusammengetroffen sein sollte, das uns überlieferte Hagen-
recht nicht das Recht dar, wie es den Bürgern bei Gründung des
Hagens gewährt wurde. Denn einmal sagt die Urkunde selbst,
sie enthalte die Rechte, welche die Bürger nicht bei, sondern seit
der Gründung, von der Gründung ab vom Herzog erhalten haben
(libertates quas burgenses a prima fundatione ipsius civitatis ab
illustri viro Heinrico obtinuerunt). Außerdem weicht der Schluß-
satz der Urkunde nach Form und Inhalt von den voranfgehenden
ab. Während sie von dem Stadtherrn in dritter Person reden,
läßt ihn der Schlußsatz in erster Person sprechen: den Bürgern
wird Zollfreiheit in Lüneburg gewährt „et alias quocunque ad
nostram juris dicionem declinaverint" (16). Auch der vorletzte
Artikel kann nicht von dem Alter sein, daß er in die Gründungs-
1) ÜB. II S. 705. Hegel, Entstehung des deutscheu Städtewesens S. 165
übersetzt investigare mit prüfen; wäre prüfen gemeint, so hätte ein anderes la-
teinisches Wort näher gelegen.
2) .^uch das Ottonianum hat einzelne Fehler. Zweimal setzt die Urkunde
nach einem Comparativ statt wan (als) von (14 und 31), beidemale in der Wen-
dung bat behalden, von. Das Albertinum wiederholt die beiden Fehler, was um
so mehr auffallt, als es sich sonst kleine Verbesserungen anzubringen bemüht
(Schottclius, d. Otton. Stadtrecht [Gott. 1904] S. 30). Audi die Urkunde f. Duder-
stadt v. 1279 (I) 32 = 0. 31) liest von statt wan; der Artikel 14 ist nicht in
D aufgenommen. Die spätem Statutenredacfionen haben an beiden Stellen richtig
wan (wen, wenne) : S. 30, N 29; L(eibnit.) I 12 und 26; St. v. 1402 Art. 38 und
40. — Ein zweiter Fehler in ist overvest statt vorvest (29); auch das kehrt
im Albert, wieder, während die jungem Redactioneu meistens richtig vorvest, vor-
vestet lesen , S. 29 overvestit. Die Verwechselung von over und vor passirt den
Schreibern auch sonst vgl. D 43 und ebenso S 41. Das Mnd. Wb. III 284 ver-
zeichnet ein overvesten nur nach den Stellen des Brschwg. Stadtrechts.
Studien zum Braunschweigscben Stadtrecht. II. 289
zeit des Hagens oder die nächsten Jahrzehnte hinaufreichte : „Bar-
genses suos consoles habeant, sicut habere consneverant, qnoram
consilio civitas regatnr" (IB). Für die Altstadt Braunschweig ist das
Vorkommen eines Raths nicht vor 1231 nachweisbar ^). Selbst wenn
man die 23 cives de Bmneswic in der Urkunde K. Otto IV von
1204^ als Rathmannen der Altstadt ansehen will, wird man dem
Hagen nicht schon 1160 oder 1180 eine Rathseinrichtung zuschreiben
können. Die Stellung der beiden Sätze am Schlüsse des Ganzen
macht es höchst wahrscheinlich , daß sie der Aufzeichnung* erst
zugefügt wurden, als sie Herzog Otto 1227 vorgelegt wurde. Die
Worte im vorletzten Satze ;, sicut habere consueverunt" nöthigen
nicht zu der Annahme, die Rathsverfassung im Hagen sei damit
als eine schon von Alters her bestehende Institution anerkannt.
Eine Wendung dieser Art verträgt sich im mittelalterlichen Ur-
kundenstyl auch mit Einrichtungen verhältnismäßig jungen Datums.
Die beiden eben behandelten Sätze bilden den Schluß der
Aufzeichnung. Nicht blos aus diesem Grrunde ist es abzulehnen,
wenn Gengier einem weiter nach vom stehenden Artikel gleich-
falls den Charakter eines Zusatzes beilegen will ^). Er beanstandet
das Alter des Art. 11,' in dem die Kirche des Hagenweichbildes,
die Katharinenkirche , vorkommt, weil sie nicht vor 1224 in Ur-
kunden nachgewiesen werden könne*). Damit ist aber noch nicht
ihre frühere Existenz ausgeschlossen. Ich mag mich nicht auf
Botho berufen, der Heinrich dem Löwen mit der Gründung des
Hagens auch die Erbauung der Katharinenkirche zuschreibt *). Das
kann sehr wohl nachträgliche Weisheit des 15.* Jahrhunderts sein.
Wenn aber schon 1252 ein Neubau der Katharinenkirche vom
Pfarrer und den Pfarreingesessenen opere sumptuoso ins Werk
gesetzt war, so wird man annehmen dürfen, daß der erste Bau
schon geraume Zeit vorher bestanden hat®).
Unter den Sätzen der Hagenurkunde kann man drei Classen
unterscheiden. Nur wenige unter ihnen haben einen rein lokalen
Charakter (12,4). Die Mehrzahl ist so beschaffen, daß sie ebenso-
wohl für andere Städte, jedenfalls für jedes der übrigen Weich-
1) ÜB I n. 3.
2) ÜB. II n. 33 S. 16
^) Gengier a. a. 0. S. 286 A 4.
4) Nach Dürre, Gesch. der Stadt Braunschweig (1861) S. 456. Gemeint ist
wohl ÜB. II n. 70 von 1226, unter deren Zeugen sich ein plebanus sancte Kate-
rinae in Bruneswic findet
5) Leibnitz Sb. rer. Brunsvic. III (1711) S. 349 z. J. 1172. Oben S. 2öü.
6) ÜB. n n. 142, 143.
290 F. Frensdorff,
bilde Braunschweigs hätte bestimmt sein können. Das trifft zu
für die strafrechtlichen Sätze (5. 6. 8), für die Ausschließung des
Zweikampfs (7), für die Erwerbung der persönlichen Freiheit durch
unangesprochenen Aufenthalt von Jahr xind Tag (9), für den ge-
sicherten Erwerb von Grundeigenthum durch gerichtliche Auf-
lassang und ruhigen Besitz von Jahr und Tag (10). Eine dritte
Kategorie bilden Sätze, deren Aufnahme in die Hagenurkunde nur
den Sinn haben kann, ihre Geltung auf dies Weichbild auszudehnen.
Sätze wie die Gewährong von Zollfreiheit in den Gebieten des
Herzogs (16), die Freiheit der Schiffahrt zwischen Bremen und
Braunschweig (2), die Beseitigung der Grundruhr (3) können nicht
für den Hagen entstanden sein. Sie enthalten alle Vergünstigungen
des Stadtherrn für Handel und Schiffahrt seiner Bürger. Wie
hätten sie den Ansiedlem des Hagens zu Theil werden können,
wenn sie nicht längst den Bürgern der Altstadt zugestanden
hätten? Das was für „Bruneswik" galt (2), ward also auf die
Bewohner des Hagens ausgedehnt. Urkundliche Privilegien, durch
die sie den Bürgern der Altstadt eingeräumt worden wären, haben
sich nicht erhalten, und schon in der Mitte des 14. Jahrhunderts
besaß man keine ältere Gewährung zu Gunsten von Handel und
Schiffahrt der Stadt als die K. Ottos IV. von 1199, durch welche
er „familiäres burgenses nostri de Bruneswic** von allen Zöllen
und Abgaben im Reich befreite '), eine Urkunde , von Otto ausge-
stellt, als er nach seiner Elrönung und dem sich anschließenden
Feldzuge zum ersten Mal (Janaar 1199) heimkehrte. Daß aber
ältere Bechtsgewährungen ähnlichen Inhalts existirt haben müssen,
ist aus der Hagenurkunde zu schließen.
Das Vorkommen dieser allgemein gültigen Privilegien in der
Specialurkunde des Hagens führte mich zu der früher vorgetra-
genen Ansicht, das Hagenrecht sei ein einzelnes Exemplar des
auch für die übrigen Weichbilde geltenden Rechts, das, da die
Ueberlieferung bei diesen versage, für uns den Anschein eines be-
sondern Rechts erlangt habe •). Die Ansicht hat bei R. Schröder *)
und K. Hegel ^) Beifall gefanden. Nach den obigen Ausführungen
muß ich meine Meinung dahin modificiren, daß das Hagenrecht uns
1) ÜB. n. 30. Oben S. 285, daB darin keine Bedefreiheit, sondern nur Zoll-
freiheit gewährt ist, zeigen die Worte „per universos imperii fines" nnd eine Ver-
gleichong etwa mit dem kaiserlichen Privüeg forHagenaa v. 1164 (Keatgen S. 134
a. 2 und 4).
2) Hans. Qesch.-BU. 1876 S. 123.
3) Lehrb. der deutschen Rechtsgeschichte* (1902) S. 683.
4) Entstehung des Städtewesens (1898) S. 165.
Stadien zum Braonschweigschen Stadtrecht. IL 291
eine Yorstellang von dem Recht zu geben geeignet ist, das für
das Braonschweig des 12. Jahrhunderts galt : also für die Altstadt
und den Hagen. Nicht alles, was die Hagenurkande enthält, war
Gemeingut ; aber doch der größere Theil ihrer Sätze, ein kleinerer
galt nur für den Hagen. Dahin gehören der von der Pfarrwahl
handelnde Satz, wie schon Hänselmann monirt hat ^), und die ver-
fassungsrechtlichen Bestimmungen.
Die weitreichenden Rechte, die den Bürgern (burgenses 1. 4.
11 ff., illi de Indagine ÜB. I n. 7, burgenses de Indagine das. n. 10)
des Hagens in Staat und Kirche, in Gericht und Verwaltung ein-
geräumt sind, hat Hegel aus dem Bestreben erklärt, das neue
Weichbild zu einem Anziehungspunkt für Ansiedler zu machen*).
Und es trifft z.B. mit dem Gründungsprivileg für Freiburg zu-
sammen, dafi auch dort den Bürgern das Recht der Wahl für
Vogt und Priester eingeräumt wird').
Die Bürger des Hagens haben das Recht, für die Kirche ihres
Weichbildes , die Katharinenkirche (oben S. 289), den Priester zu
wählen, den gewählten investirt der Stadtherr und präsentirt ihn
dem Bischof von Halberstadt, zu dessen Diöcese die rechts der
Ocker, während die links derselben gelegenen Stadttheile zur Diö-
cese Hildesheim gehören^). Mit der Gründung der Kirche im
Hagen zumal auf seinem eigenen Grund und Boden hatte Herzog
Heinrich die patronatischen Rechte erworben. Von den ihm zu-
stehenden Rechten übertrug er das Recht der Pfarrwahl auf die
Bürger, während er sich selbst die Belehnung des Gewählten vor-
behielt. Aebnliche Hergänge ans andern Städten zeigen die Ur-
kunden für Freiburg, Holzminden 1245, Lübeck für die Marien-
pfarrkirche 1160, Frankfurt 1219 (Lüb. ÜB. I n. 7 S. 10. Böhmer,
C. dipl. Moenofr. S. 28. Gengier, Stadtrechte S. 206 § 1. Hinschius,
Kirchenrecht n (1878) S. 638).
Zur Verwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten haben die
Bürger einen Rath (consules, ob. S. 289). Auch wenn das erst
im 13. Jahrhundert zugefügt ist, mußte die Bürgerschaft schon
vorher eine Organisation, eine irgendwie geartete Vertretung be-
sitzen. Das zeigt die Bestimmung, wonach erbloses Gut während
eines Jahres „in potestate burgensium^ aufbewahrt werden soll
(11). Von Beamten werden erwähnt judex (B. 6), advocatus (4),
1) Hänsebnann S. 40.
2) Städte and Qüden 11 (1891) S. 415.
8) Eeutgen S. 118 a. 4.
4) Hänselmann in St&dtechron. XVI S. XII.
292 ^\ Frensdorff,
bodellas (13). Schwierigkeit macht der advocatus selbst and sein
Verhältniß zum judex. Zum advocatus sind die Bürger berechtigt
einen aus ihrer Mitte zu erwählen (4) *). Seine Thätigkeit wird
bezeichnet, als judicare „judicia". Die Einkünfte, die er dabei er-
zielt, hat er zu einem Drittel an die „curia" abzuliefern d. h. das
herzogliche Gerichtshaus (oben S. 286), zwei Drittel werden „ad
usus et necessitates civitatis" d. i. des Weichbildes verwendet. Damit
ist ein Zusammenhang der „judicia", welche der Vogt hält, mit dem
Weichbild des Hagens, seiner Gemeinde, gesichert. Eine gleiche
Vertheilung der Gerichtseinktinfte zeigt das Privileg Heinrichs
des Löwen für Lübeck hinsichtlich der Strafgelder, auf welche
die Rathmannen wegen Uebertretung der Rathsstatute (köre) er-
kennen: duas partes civitati, tertiam judid exhibebunt (consules).
Eine Verwendung gewisser Gerichtseinkünfte für das Beste der
Gemeinde und ein gleich bemessener Antheil der Gemeinde bestand
also in Braunschweig und in Lübeck. Man darf folgern, die „ju-
dicia^ des Hagenvogts, durch welche die Einkünfte gewonnen wer-
den, waren ähnlichen Inhalts, dienten ähnlichen Aufgaben, wie die
amtliche Thätigkeit der Rathmannen in Lübeck. Judicium, judi-
care hat im mittelalterlichen Latein eine weite Bedeutung und
umfaßt alle Beamtenthätigkeit. Nicht umsonst wird der unge-
wöhnliche Ausdruck per judicia conquirere (4) gewählt sein. Dem
Vogt des Hagens ist vermuthlich eine Gerichtsbarkeit beigelegt,
wie sie der Bauermei^ter des Sachsenspiegels übt, „over unrechte
mate und unrechte wage, over valschen kop" und kleinen Dieb-
stahl (11 13, 1 u. 2). Die Anfänge der städtischen Selbstgerichts-
barkeit werden in diesem Gerichte wahrgenommen sein ; und seine
Thätigkeit wird sich insbesondere auf XJebertretungen der Markt-
polizei u. dgl. bezogen haben.
Von diesem gewählten Vogt ist unterschieden der belehnte
Vogt, der judex der Hagenurkunde*). Er ist der vom Herzog
bestellte Richter. Die ihm zu zahlende Wette von 60 Schillingen
erweist ihn als den den £önigsbann handhabenden Richter (5).
Die in seinem Gericht erkannten Strafen werden zwischen ihm
und dem Verletzten getheilt (5 und 6). Als vor sein Gericht ge-
hörig erwähnt die Urkunde Verletzungen an Leib und Leben und
Realinjurien. Er ist der Richter des Stadtherm für den ganzen
1) In dem Satze: burgenses advocatum unnm de suis conciyibas eligant ist
offenbar unnm mit de s. conciv. zu verbinden.
2) So richtig Varges, Oerichtsverf. der St. Braunschweig (1890) S. 18. Hegel,
Entstehung S. 165 h< sie nicht auseinander.
Stadien zum Braunschweigschen Stadtrecht. 11. 293
Stadtbereich; der gewählte Vogt ist nur für das eine Weichbild
zuständig.
Hänselmann hat zur Erklärung der Rechtsstellung des Hagens
das Privileg für die bei Hildesheim angesiedelten Flandrer (oben
S. 283) herangezogen ^). XJebereinstimmungen zwischen den beider-
seitigen Rechtsaufzeichnungen vermag er aber nicht anzuführen *).
Nur eine Bestimmung der Hildesheimer Urkunde verdient für un-
sem Zusammenhang Beachtung: advocatus secundarium
advocatum eis non constituet, set magistrum civilem habebunt
quem elegerint^. Dem Vogte des Moritzstifts wird also unter-
sagt, den Ansiedlern der Dammstadt einen Untervogt zu setzen;
vielmehr erhalten sie das Recht sich einen magister civilis zu er-
wählen. In Hildesheim besteht demnach wie im Hagen ein Recht
der Gemeinde, sich selbst einen richterlichen Beamten untergeord-
neter Stellung zu setzen. Im Hagenrecht heißt er advocatus im
Gegensatz zum judex; in Hildesheim magister civilis. Im Schwe-
riner Stadtrecht konunt ein Beamter in ähnlicher Stellung unter
dem Namen magister civium vor. Ebenso in Hannover*). Daß
diese Bezeichnungen nicht auf einen Bürgermeister zu beziehen
sind, braucht nicht erst hervorgehoben zu werden. Die Titel sind
vielmehr mit Bauermeister wiederzugeben, wie die später vorkom-
menden magister civium in Indagine, magister civium de via la-
pidea zeigen*). Hat aber der advocatus der Hagenurkunde mit
diesen etwas gemein? Gewiß nicht mit den Bauermeistern, die in
allen Weichbilden Braunschweigs als lokale Unterbeamte der städti-
schen Verwaltung vorkommen, entsprechend den Gliederungen der
Weichbilde in Bauerschaften. Den advocatus des Hagens dagegen
mit dem magister civilis von HUdesheim, dem magister civium von
Schwerin und Hannover auf eine Linie zu stellen, bestimmt mich
einmal seine Bestellung durch die Gemeinde, zweitens seine Wahr-
nehmung communaler Functionen, die ich aus der Vorschrift über
die von ihm vereinnahmten Strafgelder folgere. Wie der advo-
catus des Hagens haben die Rathmannen von Lübeck, der magister
civium von Schwerin und von Hannover den Ertrag ihrer Gerichts-
1) Hans. Gesch.-Bl. a. a. 0. S. 86.
2) S. 38 ff. sind lauter Verschiedenheiten angegeben ; auch Yarges führt trotz
seiner Behauptung einer „großen Verwandtschaft'' zwischen beiden nur Ab-
weichungen an (S. 18 ff).
3) ÜB. II n. 27 S. 11.
4) Priy. v. 1241, (Doebner S. 23). Stadtverf. Hannovers (oben 8. 286) 8. 9.
5) 1239 ÜB. II n. 92.
294 F. Frensdorff,
barkeit an andere Berechtigte, den Richter and die Stadt , abzu-
liefern and haben selbst keinen Antheil daran *).
Die citirte Stelle der Hildesheimer Urkande bietet noch ein
anderes Interesse. Das an den Vogt gerichtete Verbot eioen ad-
vocatos secandarios zu ernennen berührt sich mit einer in den
Stadtrechten dieser Zeit wiederholt begegnenden Beschwerde.
Gerade die Braonschweigschen Stadtrechte beschäftigen sich mit
dem Mißbrauch der Substitutionsbefugniß der Stadtvögte, die
Stellvertreter fangieren ließen und hintennach dem Anerkennung
verweigerten, was vor ihnen rechtmäßig zu Stande gekommen
war*). Wirksamer als durch das Verbot solches Verfahrens, das
der oft wiederholte Eingang des Ottonianums ausspricht, wurde
dem Mißbrauch begegnet, wenn dem Vogte die Substitutions-
befugniß ganz entzogen wurde.
Nach alledem wird man den advocatus der Hagenurkunde als
einen Vorgänger der spätem Unter- oder Theilvögte aufzufassen
haben, über denen der herzogliche Vogt für die Gesamtstadt steht ^.
Das Besondere liegt aber darin, daß dem Hagenvogt eine Com-
petenz communaler Art zukommt, bis die Rathsbehörde entsteht,
die die Befugnisse der Marktpolizei in die Hand nimmt und ent-
wickelt*). Die weitere Aufklärung über diesen Punkt hängt mit
der Lösung der schwierigen Fragen zusammen, die sich an die
Vogtei der Stadt Braunschweig knüpfen und meüies Erachtens
noch nicht befriedigend beantwortet sind*).
U.
Solch grundlegende Bestimmungen des Verfassungsrechts wie
die Hagenurkunde bietet das Ottonianum nicht. Es bedurfte ihrer
nicht. Es setzte sie voraus und konnte auf ihrer Grundlage sich
mit der Ordnung anderer Materien und der Aufstellung detail-
1) Böhlau Z. f. BQ. IX S. 283. Priy. f. Hannover v. 1241 : magister civiom
corriget omnes indebitas mensoras 5 solidis', quorum tercia pars cedit adyocato,
dae vero cintati.
2) Die gleiche gegen den Vogt gerichtete Tendenz spricht sich in den Artt
0. 44, 64, 22, 15 ans. Es ist schwer einzusehen, wie Hassebraok S. 173 das
verkennen kann.
3) Vgl. ühlirz in Mittheilongen des Instituts f. oesterr. Geschichtsforschung
XVn (1896) S. 337.
4) Die duo magistri der Urk. v. 1268 (ÜB. I n. 7), an die Yarges S. 18 als
Fortsetzer des Hagenvogts denkt, sind nichts als die Innungsmeister der Laken-
macher des Hagens.
5) Vgl. unten.
Stadien zum Braunschweigschen Stadtrecht. II. 295
lirterer Rechtssätze beschäftigen, als sie dort möglich gewesen
wäre. Zeigt schon die allgemeine Yergleichnng des Inhalts der
beiden Rechtsdenkmäler diesen Unterschied, so wird das noch
verstärkt, wenn man Sätze, die denselben Gegenstand behandeln,
neben einander stellt. Ich habe früher im Einzelnen nachgewiesen,
wie sich in wiederkehrende Sätze des Ind. darch bessere logische
Anordnung, größere Abstractionsfahigkeit und durch ihr Streben
zu vervollständigen tmd zu verallgemeinern auszeichnen '). Hänsel-
mann hat den Unterschied nicht verkannt, aber ihn aus dem ver-
schiedenen Maß der Fähigkeit, mit welcher die Redactoren der
beiden Urkunden verfuhren, erklären wollen*). Eine genauere
Vergleichung wird aber zeigen, daß der Redactor von Ind. nichts
weniger als ein unkundiger, im Aufstellen und Formuliren von
Rechtssätzen ungeschickter Mann war; daß seine Arbeit sich in
Form und Inhalt, in Kraft und Präcision des Ausdrucks sehr wohl
mit dem Nachfolger messen kann. Den Ausschlag in unserer
Streitfrage muß jedoch die inhaltliche Vergleichung der Rechtssätze
in Ind. und geben. Zunächst kommt in Betracht, daß Sätze
aufweist, die einen sachlichen Fortschritt, eine Weiterentwicklung
des Rechts bekunden, während sich in Sätzen von Ind. Anzeichen
einer größern Alterthümlichkeit behaupten. Weiter dann, daß wo
Ind. einen Rechtssatz in seiner einfachen Gestaltung vorträgt,
sich in einer Differenzirung ergeht. Regelmäßig wird in Folge
dessen umständlicher sein als Ind., aber das ist nicht immer
der Fall: so wenn es gelingt, das Wesentliche eines Rechts-
satzes herauszuschälen und praktisch zu verwerthen, wo Ind. auch
unwesentliche Voraussetzungen mit in die Rechtsbestimmung auf-
nimmt. Die Vergleichung wird zugleich ergeben, daß die Ver-
schiedenheiten zwischen Ind. und auch nicht durch rechtliche
und wirthschaftliche Verschiedenheiten unter den beiden Stadt-
theilen hervorgerufen sind, wie immer wieder behauptet wird.
Solche Verschiedenheiten mögen bestanden, in Standes- und Grund-
besitzverhältnissen sich geäußert haben, Rechtsbestimmungen, in
welchen sie zu Tage getreten wären, hat noch niemand gezeigt.
Es gilt hier ganz dasselbe wie von den sg. Sonderstatuten der
Weichbilde, die man in den Aufzeichnungen, die das Stadtrecht
(0) in den verschiedenen Degedingsbüchem erfahren hat, erblicken
will '). Die wahre Bedeuttmg, die ihnen zukommt, habe ich früher
1) Hans. Gesch. BU. 1876 S. 124 fif.
2) Hänselmann S. 40.
S) Hassebrauk S. 180.
Kgl. Om. d. Wi«. MaohriohioiL PkUolog.-hiifcor. KImm 1906. H«fl 8. 21
296 F. Frensdorff,
nachgewiesen. Wären sie Sonderstatute, so würde doch ihr Inhalt
einmal eine besondere Beziehung auf das besondere Weichbild dar-
bieten. Statt dessen ist der Inhalt der allgemeinsten Art, für die
ganze Stadt so gut brauchbar wie für den einzelnen Theil. Sie
sind ja auch zum Tbeil später in die großen Statutensammlungen
übergegangen. liest man diese, so merkt man kaum etwas von
einer Scheidung der Stadt in fünf Weichbilde. Nur in wenigen
Bestimmungen, namentlich solchen die den Gewerbebetrieb an-
gehen, findet man sie beachtet^).
Die Unterschiede zwischen Ind. und 0. sollen zunächst an
drei wichtigen Bechtsbestimmungen dargelegt werden, an denen
über erbloses Gut, über die Festnahme säumiger Schuldner durch
den Gläubiger und über den Erwerb der Freiheit durch ruhigen
Besitz während Jahr und Tag.
1. [Erbloses Gut.] Die Materie des erblosen Nachlasses
hat alle alten Stadtrechte beschäftigt'). Der lebhafte Fremden-
verkehr in den Städten, die Zuflucht, welche einzelne, familienlose
Personen in ihnen fanden, richterliche und fiskalische Ansprüche,
welche sich an Vermögen knüpften, für die keine Erben vorhanden
oder bekannt waren, machten es früh nothwendig, über diesen
Gegenstand Bestimmungen zu treffen. 0. und Ind. behandeln beide
den Gegenstand, gehen aber von verschiedenen Voraussetzungen
aus und treffen abweichende Vorschriften. Ind. 11 behandelt Gut,
das ein im Weichbilde verstorbener „exul sive advena", ein Ver-
bannter, der sich nach Braunschweig geflüchtet hat, oder ein
Fremder hinterläßt. Auf exules in Braunschweig nimmt auch die
Urkunde v. 1158 Rücksicht, welche die Michaeliskirche (oben S. 285)
zur Grablege bestimmt für : perigrini tantum et exules et prorsus
inopes*). Die Voraussetzung, daß keine Erben anwesend seien,
brauchte Ind. nicht hervorzuheben, da es sich um Nachlässe von
exules oder advenae handelte. Der advena ist der Fremde, der
inkomen man des Ssp. I 30*). Sein Erbe erwirbt die Erbschaft
1) z. B. St. 147, 153. Außerdem 221, 69.
2) K. Fr. Eichhorn in Z. f. gesch. Rechtswiss. XUI (1846) S. 341, ein auf-
fallend selten in dieser Lehre beachteter Aufsatz. £r gieng aus einem auf Er-
fordern des Preußischen Justizministers v. Mühler 1840 erstatteten Gutachten
hervor, ob der Stadt Greifswald das von ihr nach lübischem Recht beanspruchte
Heimfallsrecht zustehe (v. Schulte, K. F. Eichhorn (1884) S. 242 u. 252).
3) ÜB. n n. 10 S. 6.
4) Der advena kehrt überall wieder; in Lüneburg 1247 vir advena und ad-
vena, deutsch: welik eilende man (Kraut, StR. v. Lüneburg [1846] S. 6 und 7);
Urk. für die Ansiedler in Eschershausen um 1133 (A. imp. sei. II [1870] n. 1129):
eodem advena populo assensum praestante, das. sacerdos eorundem advenarum.
Stadien zum Braonschweigschen Stadtrecht. II. 297
„secundum justiciam", seil, civitatis, wie der inkomen man des Ssp.
,,erve ontveit na des landes rechte unde nicht na des mannes''.
Nachlässe solcher Personen werden zunächst der Bürgergemeinde
zur Aufbewahrung überwiesen. Kommt während eines Jahres ein
Erbe und erweist sein Recht, so wird ihm der Nachlaß ausge-
händigt ; wenn nicht, so wird der Nachlaß nach Dritteln unter die
Katharinenkirche, den Richter und die Armen vertheilt^). — Das
Ottonianum (43) behandelt den Fall, daß für ein herewede kein
berechtigter Erbe in der Stadt oder im Lande vorhanden ist').
Auch hier Uebergabe „in gemene haut" und Aufbewahrung während
Jahr und Tag. Nach unbenutztem Ablauf dieser Frist muß das
Herwede ganz dem Vogte (des Stadtherrn) ausgeantwortet
werden, nur soll er den Harnisch den Erben des Verstorbenen
übergeben, damit sie ihrer städtischen Wachtpflicht genügen können.
Für die Fortbildung des Rechts genügte die Bestimmung in
nicht. Es gab doch nicht blos erblose Herwedes. Die Ergänzung
entnahm man aus Ind., nachdem man dem Artikel eine verall-
gemeinernde und modernere Fassung gegeben hatte. Die exules
xmd advenae verschwanden ; sie wurden ersetzt durch : swelich
mensche sterft ane erve; die Katharinenkirche durch die Kirche
des Kirchspiels, in dem der xmbeerbte Erblasser gestorben war.
Die Vorschriften über Aufbewahrung und Vertheilung des Nach-
lasses wurden beibehalten. Die 1279 für Duderstadt gemachte
Statutenzusammenstellung zeigt zuerst den Artikel in der neuen
Passung (41)^), und alle folgenden haben ihn in gleicher Weise
übernommen*); auch mit dem Zusatz, der ihm in D (Duderstadt)
gegeben ist und dem Fortschritt entspricht, den das Recht in den
hundert Jahren seit dem Ind. gemacht hat: hat der Erblasser
eine letztwillige Verfügung über seinen Nachlaß getroffen, so geht
sie dem Gesetze vor.
Die Bestimmung über die Aufbewahrung erbloser Nachlässe
steht im Zusammenhang mit deren endlichem Schicksal. Die Städte
Vgl. Waitz, Verf.-Gesch. V« S. 314. Die cit. ü. f. Eschershausen erwähnt auch
die exules: in causis secularibus discutiendis advocatum accipient, quem discretio
episcopi utpote exulibus providerit
1) Eine Dreitheüung unter die fast gleichen Adressaten auch im ältesten
Freiburger StR. (Keutgen S. 118).
2) Auch das Priv. K. Friedrichs L für Bremen v. 1186 behandelt nur den
Fall des erblosen Herwedes, bestimmt aber nichts über dessen endliches Schicksal,
sondern nur über dessen einstweilige Aufbewahrung (ÜB. der St. Bremen I n. 65).
3) ÜB. n S. 131.
4) Rh. der Neustadt 39, des Sackes 39, Leibnitianum II 39, StR. t. 1402
art. 122.
21*
298 F- Frensdorff,
suchen durch das Anfbewahrnngsrecht einen Einfluß auf die Dis-
position über den Nachlaß zu gewinnen. Wo das Recht auf den
Nachlaß zu den fructus jurisdictionis gerechnet wird wie im
Sachsenspiegel I 28, kommt dem Richter auch Recht und Pflicht
der Aufbewahrung zu. In Braunschweig wird erbloses Erbe und
Herwede in gemeine Hand zur Aufbewahrung genommen. Das
Gemeindeorgan liefert dann die Antheile an die Berechtigten aus.
Auch beim Herwede trifft das zu. Der Vogt hat keinen Anspruch
auf die gesamten zur Herwede gehörigen Gegenstände, ein beson-
ders wertvoller Theil, der Harnisch, wird an Erben ausgeant-
wortet, die zwar nicht in das Herwede, aber in das übrige Erbe
des Verstorbenen zu succediren berechtigt sind. Sachlich erinnert
die Bestimmung, als deren Zweck angegeben wird: de stat mede
to hodene, an die in Zunftstatuten vorkommende Vorschrift, daß
der Harnisch, den sich der Handwerksmeister beim Meisterwerden
unter Aufsicht der Aelterleute anschaffen muß, bei seinem Tode
„schal in dat ampt sterven^*).
2. [Das Besetzungsrecht des Gläubigers.] Für die
Berücksichtigung eines Artikels des Ind., den 0. unbeachtet ge-
lassen hat, durch eine spätere Rechtsredaction, findet sich neben
dem eben besprochenen ein zweites Beispiel. 15: swelich man
deme anderen sculdich is, unde begeit he ene binnen deme wicbilde,
he mot ine wol ophalden mit sinen borgeren, hebt eine wesentliche
Voraussetzung des dem Gläubiger gegebenen Rechts seinen Schuld-
ner festzunehmen nicht ausdrücklich hervor, nemlich daß es sich
um einen auswärtigen Schuldner handeln muß. Ind. 13 hatte
das nicht vergessen, denn hier heißt es ausdrücklich: quicumque
extra civitatem manens alicui burgensium teneatur in debito.
Das Albertinum von 1266, das sonst nichts als eine hin und wieder
stilistisch verbesserte Abschrift des Ottonianum ist, greift auf Ind.
zurück, wenn es betont: swelic vromedhe man sculdich is*).
Die spätem Statutenredactionen wiederholen den Worlaut von 0,
da sie vermuthlich jene Voraussetzung für selbstverständlich hielten.
Das Besetzungsrecht (detinere, ophalden) des Gläubigers ist
in zwei Artikeln des Ind. (13. 14) behandelt: zuerst für den Fall,
daß der Schuldner ein Auswärtiger (13), dann für den daß er ein
„miles, clericus aut rusticus^ ist. In 0. sind daraus vier geworden
(15. 17—19). Am wenigsten ist Ind. 13 verändert; sachlich ist
nur die Bemerkung hinzugekommen, daß der Gläubiger durch seinen
1) Lübecker Kistenmaker 1608 bei Wehrmann, Zunftrollen 8. 255. Gierke,
Genossenschaftsrecht II 903 n. 4.
2) ÜB. I n. 6 a. 16.
Stadien zum Braunschweigschen Stadtrecht IL 299
Gebranch der Selbsthiüfe das Recht des Vogts nicht verletzt und
ihm keine Wette schuldig wird^). Formell ist aber beachtens-
wert, wie concret sich Ind. ausdrückt, und wie sehr sich 0. um
eine abstracte Formulierung des Satzes bemüht. Der Gläubiger,
der seinen Schuldner antrifft, darf „ine wol ophalden mit sinen
borgeren, of he des richtes nicht heblen ne mach to dere tit*'. In
Ind. (der Gläubiger) „assumet secum bodellum et eum (debitorem)
detinebit; si autem bodellum habere non possit^ cum duobus suis
concivibus eum poterit detinere". Ebenso auch was über den Zweck
des detinere in Ind. gesagt wird: „eum poterit detinere et ad
Judicium pertrahere", im Otton.: „wante he ime vorgelde ofte
rechtes plege". Endlich zeigt sich auch der Fortschritt in der
Kunst umsichtiger Redaction in der lokalen Begrenzung. Ind. 13
si viderit eum (den Schuldner) in civitate ist in 0. 15 zimächst
wörtlich wiedergegeben durch : begeit he ene binnen deme wicbilde ;
aber zugleich ist das Bedürfiiiß der Erweiterung erkannt. Es
wird ihm implidte entsprochen in dem neu eingefügten Artikel
0. 16. Er handelt von einem Gläubiger, dem der zahiungsxmfähige
Schuldner „binnen wicbilde oder binnen der muren vor gerichte*
zugesprochen ist (16). Ich verstehe das so: mag der Gläubiger
den Schuldner in seinem Weichbilde oder in einem andern Theile
der Stadt vor Gericht gebracht und für seine Forderung „er-
worben" haben, er kann ihn jetzt in seine Were bringen und bis
zu seiner Befriedigung in Schuldhaft halten. Binnen der muren
ist der Gesamtumfang der Stadt. Das zeigt auch 0. 44 in seinem
Gegensatz: binnen der muren und'^buten der stat.
Der zweite das Besetzungsrecht behandelnde Art. hat es mit
Schuldnern zu thun, die zwar nicht Fremde, aber doch einer andern
Gerichtsbarkeit als die Bürger unterworfen sind. Von den drei
Ständen des Ind. 14 übergeht 0. den rusticus völlig. Den miles
und den clericus behandelt es in gesonderten Artikeln imd ab-
weichend (17. 19). Ind. hatte nur einseitig die Klage des Bürgers
gegen den Dienstmann behandelt; ergänzt das und ordnet in
einem neuen Artikel auch den umgekehrten Fall (18). Gemäß dem
Grui^satze actor forum rei sequitur verklagt der Bürger seinen
Schuldner vor dem Marschalk, der Dienstmann vor dem Vogte
nach Stadtrecht (17. 18). Das Besetzungsrecht des Gläubigers
erkannte Ind. gegenüber allen drei Classen von Schuldnern gleich-
mäßig an : er durfte ihre Person wie ihre Habe festhalten, bis sie
ihre Schuld bezahlt hatten oder vor Gericht freigesprochen waren
1) Oben S. 294 Anin. 2.
300 F. Frensdorff,
(14). 0. erkennt ein Becht des bürgerlichen Grläubigers den schuld-
nerischen Ministerialen festzunehmen gar nicht mehr an, sondern
giebt ihm nur noch als ein Zwangsmittel gegen den Marschalk,
der ihm das Recht verweigert, die Befugniß den in der Stadt an-
getroffenen Wagen des Dienstmanns solange anzuhalten, bis er
wegen seiner Forderung befriedigt ist (17).
Ist der Schuldner des Bürgers ein Pfaffe, so geht das Recht
weniger rücksichtsvoll zu Werke. Hier gestattet 0. wie Ind. dem
Gläubiger, den Schuldner, seinen Wagen oder seine sonstige Habe
zu besetzen und fügt hinzu, dadurch erspare sich der Gläubiger
das Anrufen des geistlichen Gerichts, des Sendgerichts (19)^). Es
stimmt das ganz mit dem entschiedenen Auftreten des Braun-
schweigschen Raths gegen die Geistlichkeit, das Hänselmann be-
obachtet hat*).
Die Bestimmungen des Braunschweigschen Stadtrechts und
zwar in ihrer altern Fassung haben weithin gewirkt. Amira hat
in seinem „nordgermanischen Obligationenrecht" Bd. I (1882) S. 168
darauf aufmerksam gemacht, daß sich das schwedische etwa um
1300 aufgezeichnete Bjärköaraetten in seinem das Besetzungsrecht
behandelnden § 40 ^) die Bestimmungen der Jura Indag. hat zum
Muster dienen lassen. In dem Satze des schwedischen Stadtrechts
steht allerdings noch mehr als in Ind. und 0., aber eine Ueber-
einstinmiung in dem Grundzuge ist vorhanden, tmd der „miles
clericus aut rusticus*^ kehrt in dem „hofman prestaer aeller bonde"
wieder.
3. [Erwerb der Freiheit.] Ind. enthält einen der be-
kanntesten Sätze des Stadtrechts: quicumque annum et diem in
civitate manserit sine alicujus impetitione, de cetero liber per-
manebit (9). 0. wiederholt das in der Form: sweUch man to
Bruneswich is jar unde dach borgere sunder ansprake, dene ne
mach neman gevorderen (42). Die Aufnahme des Rechtssatzes in
Ind. ist eins der frühesten Zeugnisse seiner Gelttmg. Ungefähr
gleichen Alters ist seine Anerkennung in Lübeck, da er in dem
Theil des Privilegs v. 1188 vorkommt, der aus dem alten Freibrief
1) Vor dem Sendgericht standen nicht bfos Geistliche zu Recht (Has^brauk
178); ebenso ist es irrig, daB die Statuten nach dem Albertinnm 19 sollten
weggelassen haben; der Art. findet sich nicht nur D 20, N 17, S 19 wieder, son-
dern diese Sammlungen haben noch einen neuen das Sendgericht anerkennenden
Artikel aufgenommen: D 46, N 43, S 44. ÜB. II n. 453 enthält ein Weisthum
über die Competenz des Sendgerichts von c. 1300. Die von Hassebrauk ange-
rufene Urkunde von 1256 (ÜB. I n. 70) hat hiermit nichts zu thun.
2) Stftdtechron. XVI S. XI ff.
8) Schlyter, Corpus juris Sueo-Gotorum antiqui VI (1844) S. 183.
Stadien zum Braunschweigschen Stadtrecht. II. 301
Herzog Heinrichs stammt^). Da das Schweriner Stadtrecht den-
selben Rechtssatz kennt und auch dieses auf Heinrich den Löwen
zurückgeführt wird ^)f so hat Hegel den Herzog zum Vater dieses
städtischen Grundrechts machen wollen. Nicht daß er es erfanden
hätte: er soll es in England, dem Lande seines Schwiegervaters,
K. Heinrichs II. (1154 — 1184), kennen gelernt und nach Deatsch-
land verpflanzt haben'). So viel Besprechungen auch das Buch
Hegels gefunden hat*), diese merkwürdige Hypothese ist wenig
beachtet worden. Die Recension Belows in den G. G. Anzeigen
äußert sich zweifelnd^). Der einzige, der Hegel zugestimmt hat,
ist, soviel ich sehe, Uhlirz *). Die Hypothese Hegels muß m. E.
in ihren beiden Gliedern zurückgewiesen werden: der Satz stammt
nicht aus England, und Heinrich der Löwe ist nicht sein Urheber.
Die Aufstellung Hegels ist weder bewiesen noch beweisbar.
An Uebertragungen aus dem Ausland hat es im deutschen
Städtewesen nicht gefehlt. Hegel hat selbst in seiner berühmten
Schrift, die die Herleitung der deutschen Städteverfassung aus
dem römischen Rechte beseitigte, es wahrscheinlich gemacht, daß
der Consultitel aus Italien stammte und unter Vermittlung Hein-
richs des Löwen sich nach Deutschland verpflanzte^). Das mag
mitgewirkt haben zur Aufstellung dieser neuen Hypothese, mit
der Hegel hier wie dort sein Werk schließt. Was sind ihre
Stützen? Hegel beruft sich auf die Anerkennung des Grundsatzes
in den Gesetzen Wilhelms des Eroberers und in dem Tractat
Glanvillas de legibus et consuetudinibus Angliae *). Die unter dem
Namen Wilhelms des Eroberers laufende Rechtssammlung ist
nicht älter als aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts und eine aus
privater' Thätigkeit hervorgegangene Aufzeichnung. Was sie als
Gesetz vorträgt, ist eine Abstraction ihres Verfassers aus den
Rechten einzelner Städte, denen ihre Herren durch Privileg diese
Freiheit gewährt hatten % Nicht anders ist es mit GlanviUa. In
1) Lüb. ÜB. I n. 7 S. 11. Frensdorff, Lübecks Stadt- u. Gerichtsverf. 8. 32.
Die Bedenken von Dhlirz (Mitthlgo. S. 334) gegen die Zugehörigkeit dieses Satzes
zu dem Privileg Heinrichs (Keutgen S. 185 a. 16) theile ich nicht.
2) Böhlau S. 285 a. 23 vgl. S. 267
3) K. Hegel, Städte und OUden II (1891) S. 507.
4) Litt. Centralbl. 1892 8. 516; Deutsche Litt- Ztg. 1892 S. 55 (0. Gierke);
Sybels histor. Ztschr. 1892 S. 483 ff. (Ugen).
5) 1892 S. 420.
6) Mittheilungen des oesterr. Instituts XYII (1896) S. 334.
7) Gesch. der St&dteverf. von Italien II (1847) S. 464.
8) Städte und Gilden I 58, 64, 67.
9) Liebermann, über die leges Anglorum saec. XIU iueunte Londinii coUectae
(1894) S. 36.
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Studien zum Braunschweigschen Stadtrecht. II. 303
sie kein festeres Datnm anzageben, so ergänzt das die Eeore von
Nieuport vom J. 1163, die von dem Grafen Philipp von Flandern
herrührt und die Anerkennung des Rechtssatzes außerhalb des
von Heinrich dem L. beherrschten Machtbereichs bezeugt^).
Nachdem eine große Zahl von Städten darch Privileg die
Sicherstellung ihrer Einwohner gegen die Abforderung ihrer bis-
herigen Herren oder gegen Leistung von Abgaben an sie erlangt
hatten, mochte der Grundsatz, den man heute mit den Worten:
die Luft in den Städten macht frei, ausdrückt, als selbstverständ-
licher Bestandtheil des Stadtrechts gelten, und eine Stadt sich
für befugt erachten, einen entsprechenden Artikel in ihre Statuten
aufzunehmen, auch wenn sie den Erwerb eines solchen Bechts
durch Privileg nicht nachzuweisen im Stande war.
In Braunschweig liegt beides vor: die Gewährung durch
Privileg (Ind. 9) und die Wiederholung durch Statut (0. 42). Die
Aufnahme des Satzes in das Hagenprivileg bedeutete kein Sonder-
recht für den Hagen; er gehörte zu denen, die nur für dies
Weichbild wiederholten, was schon für die Altstadt Rechtens war
(oben S. 290). Aber es ist bezeichnend, daß Ind. die ältere, 0. die
jüngere Form des Rechtssatzes wiedergiebt. Gengier hat in seiner
Sammlung von Belegen auf den Unterschied aufmerksam gemacht^,
daß nach den altern Quellenstellen zur Sicherung gegen Rück-
forderung der ungestörte Aufenthalt während Jahr und Tag ge-
nügt, nach den jungem der Erwerb des Bürgerrechts hinzukommen
muß. Darin liegt einmal ein Zeichen der weiter entwickelten
innem Organisation der Städte und der Abschließung ihrer Ein-
wohnerschaft zu einem Bürgerthum. Aber es kommt auch der
Umstand in Betracht, daß der Unfreie sich nicht blos seinem
Herrn entzogen hat, sondern auch von einer Gemeinschaft zu ihrem
MitgUede aufgenommen und ihm entzogen ist. Sie ist also an der
Verletzung der Herrenrechte betheiligt; und die Rückforderung
des Herrn richtet sich jetzt auch gegen die Gemeinschaft, die
seinen Leibeigenen zum Bürger aufgenommen hat. Beide, die
Stadtgemeinde und der ehemals Unfreie, werden durch das Privileg
und eventuell das Stadtrecht gegen die Ansprüche des Herrn ge-
sichert.
Aus diesem Zusammenhange wird es auch erklärlich, daß in
der Stadt Braunschweig Laten und Eigenleute, wie das Stadtrecht
1) Warnkönig, Flandr. Staats- u. Rechtsgesch. II 2 (1837) S. 88 (ÜB.) art.
10: quiconque hie per annum unam et diem uuum manserit, Über erit. Auf die
Stelle hat Branner, Grandzüge' (1903) S. 89 aufmerksam gemacht.
2) a. a. 0. S. 420 ff.
304 F. Frensdorff,
zeigt, vorkamen. Das sind nicht etwa blos solche Einwohner, für
die die Rückfordernngsfrist von Jahr und Tag noch nicht ab-
gelaufen war, sondern auch solche, die nicht Aufnahme in das
Bürgerrecht erlangt hatten. Sie waren Zurücksetzungen im Recht
unterworfen, vor allem unfähig zum Besitz von Grundstücken. War
einem Unfreien ein Grundstück zu Theil geworden, so mußte er
es binnen einem Vierteljahr wieder verkaufen, widrigenfalls der
Rath es einzogt). Die spätem Echtdinge und Statuten wieder-
holen diesen Satz nicht. Vermuthlich weil der Besitz eines Grund-
stücks in der Stadt nur Bürgern gestattet war, und der Weg,
auf dem einem Unfreien ein Grundstück zu Theil werden konnte,
das Erbrecht, abgeschnitten wurde durch die seit dem 14. Jahrh.
aufkommende statutarische Bestimmung, daß „eyn lath eft eyn
eghen ne mach nycht nemen herwede noch erve enes borgheres
in der stat". Diese Beschränkung der Erbfähigkeit der Unfreien
setzte sich bis in die Reformation des Stadtrechts fort^).
Um den Verwickelungen mit auswärtigen Herren zu entgehen,
verfuhr man vorsichtig bei der Aufnahme in das Bürgerrecht und
strafte den, der sich bei der Aufnahme als frei und niemanden
zugehörig ausgegeben hatte, wenn er hinterdrein des Gegentheils
überführt wurde ^). Dieser Satz des ältesten Echtdings, der sich
als eine Neuerung ankündigt, gieng in alle folgenden über ^). Ein
Unfreier war nicht imfähig, Bürger in Braunschweig zu werden;
es sollte nur niemand unter Verschweigung seines frühem Standes
sich in die Bürgerschaft einschleichen dürfen. Wurde er nach
Erwerbung des Bürgerrechts binnen Jahr und Tag von einer
Herrschaft angesprochen, so sollte die Stadt ihn nicht weiter für
einen Bürger halten, wenn er sich nicht mit seiner Herrschaft
verglichen hatte % Diese Bestimmung gieng aus dem ersten Hulde-
briefe in alle folgenden über. Ein Beispiel eines Vergleichs, der
mit dem Herzog über seine eigenen Leute abgeschlossen wurde,
liefert ein Vorgang von 1314, wo die Stadt eine Anzahl von
1) Echtding 1 8 (ÜB. I n. 39 S. 44).
2) Der Art. kommt zuerst in dem Braunscbweig-Celler R. (Stud. I S. 26) vor,
ist dann in L II 6 und in St 130 wörtlich, in Ref. 131 modificirt übergegangen.
3) ED. I 30 (ÜB. I S. 46).
4) we na desser tyd use borghere wert unde sprikt vor deme rade, wanne
be de burscap wint, he si vry noch he en besta nemende, wert he des dama be-
draghen (überführt), dat he iemendes lat eder eghen si, de rad wel eme volghen
mit ener vestinghe. ED. II 34; IH 28 (ÜB. I S. 65, 130). VgL Ssp. II 16, 1:
vor sinen heren, dem he bestat.
5) Huldebrief H. Ottos v. 1318 (ÜB. I n. 23) a. 4 S. 31.
Stadien zum Braonschweigschen Stadtrecht. II. 305
Bürgern und Bürgerinnen vom Herzog freikaufte ^). Einen Erwerb
der Freiheit durch ein Privatrechtsgeschäft sah die Stadt selbst
als einen besonders gesicherten Besitz an. Auf eine Anfrage von
Duderstadt, wo der Herzog jemanden als eigen angesprochen hatte,
antwortete Braunschweig: swelk use borghere mit uns sit jar
unde dhach ane ansprake, dhene hebbe we vor enen vryen borg-
here; na dem male aver, dat he sik fry kofte, so is sin recht
diste betere^).
Der Erwerb der Freiheit durch unbehelligten Besitz des
Bürgerrechts und Wohnen in der Stadt muß trotz seines Alters
in der Folge noch mannigfachen Anfechtungen ausgesetzt gewesen
sein. Das ergiebt sich aus dem dauernden Bestreben der Stadt,
Anerkennungen dieses Rechts zu erwerben und aus dem Inhalt
dieser Anerkennungsurkunden. Nicht genug an den Bestätigungen
der Huldebriefe und einem besonders mit diesem Gegenstande sich
beschäftigenden Privileg Herzog Ottos v. 1314, das sich in die
Form einer Freilassung der gegenwärtigen Bürger und ihrer Nach-
kommen kleidet *), erwirkte die Stadt durch ihren nach Constanz
entsandten Vertreter von Kaiser Sigmtmd eine feierliche gewiß
mit schwerem Gelde erkaufte Urkunde*), worin der Aussteller
den alten Grundsatz, daß wer in Braunschweig unangesprochen
Jahr und Tag „offenlich huslich oder heblich gesessen und ge-
wonet" habe, „von eygenschaft embunden fry und ledig" sein solle,
bestätigt und ihn theils auf die Gewohnheit „in ettwevil des richs
steten und landen", theils auf „keyserlich gesetzt" stützt*).
Die bisher angestellten Vergleichungen reichen aus zur Er-
kenntniß des richtigen Verhältnisses zwischen Ind. und 0. Ich
füge noch einige Gegenüberstellungen mehr formeller Art hinzu,
um einer Ansicht entgegenzutreten, die ein genetisches Verhältniß
zwischen Ind. und 0. zwar anerkennt, aber es gradezu umkehrt.
„Das Ottonische Stadtrecht war das Vorbild, wonach die Jura
Indaginis ausgestaltet sind", so drückte sich Hänselmann aus®).
Ich würde auf die Ansicht nicht mehr einzugehen für nöthig
halten, wenn sich nicht Mack noch neuerdings für sie erklärt
hätte ^.
1) ÜB. 11 n. 752 S. 415.
2) Das. n. 843 (um 1318) S. 481.
3) 1314 ÜB. I n. 22 S. 29. Die Urkunde ist erst durch Drucke seit dem
17. Jahrh. überliefert und weist mehrere völlig entstellte Zeugennamen auf.
4) Städtechron. VI S 220 ff.
5) 1417 ÜB. 1 n. 75 S. 204.
6) Hans. Qesch.-BU. 1892 S. 39.
7) Z. des histor. Y. f. NS. 1904 S. 450.
306 F. Frensdorff,
Ind. enthält karze klare Rechtssätze; auch 0. kennt solche
(11. 13. 59), daneben aber auch Artikel, die sich in detaillirten
Unterscheidungen und Auseinandersetzungen ergehen, wie der über
den Anfang (23, 24) oder der über das Verfahren gegen den ein-
heimischen säumigen Schuldner (21). Ueber gerichtliche Auflassung
handeln Ind. 10 und 64. Was mehr enthält als Ind., läßt
erkennen: der einfache Satz des alten Rechts genügte schon nicht
mehr, der Vogt weigerte sich wohl einmal, dem Erwerber eines
Grundstücks Friede zu wirken. legte deshalb dem Rathe die
subsidiäre Befugniß bei, Friede zu wirken und erklärte die vor
dem Rathe vorgenommene Auflassung für ebenso rechtswirksam
wie die vor dem herzoglichen Vogte. Dieselbe Richtung schlägt
22 ein, der die „vor den borgeren" vorgenommene Verpfändung
eines Hauses für ebenso rechtsbeständig erklärt wie die vor dem
Vogte. Hier wie dort benutzte man Erfahrungen und suchte sich
durch neue Rechtssätze, die das städtische Organ, den Rath,
heranzogen und dem Vogte an die Seite rückten, für die Zukxmft
zu schützen. Der gleichen Art ist die dem Artikel über Selbst-
hülfe angehängte Bemerkung: wer gegen seinen Schuldner in
legalen Formen Selbsthülfe übt, verletzt damit das Recht des
Vogts, des Wahrers der Rechtsordnung, nicht und kann von ihm
nicht mit einer Wette belegt werden (0 IB).
Das Verfahren der Diff^erenzirimg, das oben S. 298 an den
die Verhaftung stadtfremder Schuldner behandelnden Artikeln
verfolgt ist, wiederholt sich bei den Bestimmungen über das
Strafrecht. Ind. 5 und 6 entsprechen in 5 — 10. Ind. handelt
blos von Wunden, denen Blutvergießen gleichgestellt ist, und
Ohrfeigen. unterscheidet: Lähmung (5) und Verwundung ohne
Lähmung (6) und schiebt ähnlich wie oben S. 299 die Erörterung
verwandter Materien wie Verwundung im Raufhandel (7), Haus-
friedensbruch (8), Ueberfall in der Straße (9) ein, um zuletzt
wieder zu Ind. (6) und seiner Realinjurie (10) zurückzukehren.
Auch hier hat erweitert: dem orslach (alapa) ist der duntslach
an die Seite gestellt und als Bedingung der Strafbarkeit hervor-
gehoben: der Geschlagene müsse „en gut man** sein. Während
Ind. sich begnügt, die Bedingung allgemein zu formulieren: nisi
forte se per justiciam valeat expurgare (6), gibt concret an,
welche Einrede der Beklagte wirksam vorschützen könne. Die
Forderung, die im mittelalterlichen Sinne nicht moralisch, sondern
social zu verstehen ist, kehrt ähnlich in anderen Zeugnissen wieder
z. B. im Brünner StR., das zwischen dem gueten menschen (bonus
homo) und dem geringen oder unersamen menschen (levis vel in-
Stadien zum Braunschweigscben Stadtrecht. II. 307
honesta persona) unterscheidet. Beweist der Thäter, daß der
Geschlagene „es .verdient" hat, so bleibt er straflos ^).
Bezeichnend ist die Behandlung des Zweikampfs. Ind. 7
schließt seine strafrechtlichen Normen mit dem prinzipiellen Aus-
spruch: nuUus alium pro aliquo excessu ad Judicium duelli vocare
aut cogere poterit. 5 verflicht das Verbot des Zweikampfs in
den Artikel über die Lähmung, da in dem bei diesem Delict be-
obachteten Verfahren das Beweismittel des Zweikampfs seine
wichtigste Rolle spielte: Ssp. I 48, 2; 68, 3^). spricht deshalb
das Verbot in der Form aus: der Verletzer hat seine Hand ver-
wirkt, die jedoch durch Zahlungen an das Gericht, die Stadt und
den Kläger abgekauft werden kann, und muß dem Verletzten seine
Bnße bezahlen; der Kläger kann den Thäter nicht zum Kampfe
grüßen, sondern muß sich an seiner Buße genügen lassen.
Beide Urkunden behandeln die Freiheit von der Grundruhr,
Ind. 3 im unmittelbaren Zusammenhange mit der Freiheit der
Schiffahrt zwischen Braunschweig und Bremen, 56 in einem für
sich stehenden Satze, getrennt von dem Artikel, der Handel- xmd
Schiffeihrtsfreiheit in sich aufgenommen hat (0 60). Die Formu-
lierung des Grundsatzes ist dem Verfasser von in knapper und
kurzer "Weise gelungen: wer zwischen hier und der „salten se"
schiffbrüchig wird, bleibt Herr seines Gutes ; was er bergen kann,
ist sein, und niemand hat ein Recht etwas von ihm zu fordern.
Der Wortlaut, in dem Ind. den Gegenstand behandelt, hat nichts
von dieser volksthümlichen Kürze, sondern bewegt sich in ab-
strakten und gekünstelten Wendxmgen, die unmittelbar dem latei-
nischen Privileg nachgeschrieben sein könnten.
So spricht aus überall ein gereifterer, auf eine längere
Erfahrung sich stützender gesetzgeberischer Wille und eine ver-
feinerte Handhabung der Rechtsredaction, wo die Jura Indaginis
einen jugendlichen Charakter zeigen und Rechtssätze aufstellen,
die sich erst in der Anwendung bewähren sollen.
Unverkennbar ist der verschiedene juristische Typus. Ind. ist
ein Privileg, ein Statut. Ind. hat seinen Ursprung in dem
Gesetzgebungsrecht des Stadtherrn, in der Autonomie der Stadt.
Die Form, in der Ind. überliefert ist, hat von der eines Privilegs
viel eingebüßt ; es ist eine Notitia über geltendes oder beanspruchtes
Recht. Wie in die städtischen Privilegien manches aufgenommen
wird, was nicht erst kraft der Gewährung des Stadtherrn gilt,
1) Rößler. Stadtrechte v. Brunn (1852) S. 365.
2) Schröder, Rechtsgeschichte* S. 761. Homeyer, Richtsteig Landrechts
8. 446.
308 F- Frensdorff,
sondern ans dem eigenen Grewohnheitsrecht der Stadt stammt
oder dem anderer Städte entlehnt oder nachgeWldet ist, so ist
auch hier verfahre^. Aber es bleibt genug an Rechten übrig, die
dem Weichbild des Hagens nur deshalb zustehen, weil sie ihm
vom Stadtherm eingeräumt sind. Der Stadtherr ist in diesem
Falle zugleich ein mächtiger Landesherr nnd kann seiner Stadt
Rechte verschaffen, die weit über ihre Mauern hinausreichen.
Am 28. April 1227 starb der letzte Sohn Heinrichs des Löwen,
Pfalzgraf Heinrich, der im Juli 1223 seinen Neffen Otto dux de
Luneborch, wie er ihn nennt, zu seinem Erben eingesetzt und ihm
„cupheo nostro a capite dempto" *) die Stadt Braunschweig samt
allem Zubehör an Dienstmannen, Schlössern und Grütem übergeben
hatte *). Die ihm mit dem Tode des Pfalzgrafen angefallene Erb-
schaft in Besitz zu nehmen, bedurfte es für Otto noch eines harten
Kampfes mit den staufischen Parteigängern, zu denen sich selbst
bisherige Dienstmannen des Pfalzgrafen geschlagen hatten, während
die Stadt Braunschweig den Weifen treu blieb. Aber Otto siegte
in dem Kampfe, der selbst noch innerhalb der Stadt fortgesetzt
wurde, und nahm Braunschweig ein. Daß damit auch Rechts-
gewährimgen an die Bürger verbünden waren, bezeugt die Reim-
chronik ausdrücklich :
sus quam daz kint von Luneborch
mit menghem ritter worch
in de borch zo Bruneswich
und wart dha gar weldich
und gaph den borgeren gnade vil*).
Die Worte sind schon früher auf das Ottonianum, das man damals
allein kannte, bezogen worden. Sie passen auch auf die Hagen-
urkunde. Nach dem Bericht der Reimchronik hatten sich die
Bürger des Hagens bei der Einnahme der Stadt im J. 1227 be-
sonders ausgezeichnet: Otto „wart ingelazen zo dhem Hagen"*).
Billig ward ihnen dafür die Belohnung des Herzogs zu Theil.
Ausdrücklich bezeugt sein Sohn Albrecht 1268, daß „cum pater
noster felicis memorie intraret civitatem Bruneswich", er den
1) ÜB. U n. 60. Diese Stelle ist die in Grimms RA. I 204 (Symbol des
Huts) aus Ducange nachgetragene.
2) Winkelmann, Kaiser Friedrich 11. Bd. 1 (1889) S. 504 ff.
3) V. 7515—21, S. 552. üeber worch, das die Reimchronik gern als Reim
auf borch verwendet, vgl. J. Grimm, Kl. Sehr. IV (oben S. 279) S. 889. Der Sinn
lässig, mangelhaft paftt hier wie an manchen andern Stellen der Reimchronik
nicht. Strauch im Glossar S. 707.
4) V. 7500 (S. 552).
Studien zum Brannschweigschen Stadtrecht. IL 309
Bürgern des Hagens eine von Altersher den Lakenmachern ge-
währte Gnade bestätigt habe *). Es spricht also alle Wahrschein-
lichkeit dafür, daß damals beide Urkunden, die ihrer Schrift nach
einer Zeit angehören, die Anerkennung Herzog Ottos erhielten.
Nur bestand der Unterschied, daß ein Recht des Hagens längst
und in schriftlicher Form vorhanden, das Recht der Altstadt neu
zusammengestellt war. Dort wurde ein Privilegium erneuert und
vermehrt ; hier einer statutarischen Aufzeichnung die Bestätigung
des Stadtherrn ertheilt.
Für diese Anerkennung steht nur ein kurzer Zeitraum des
J. 1227 zur Verfügung. Eine genauere Datirung der Einnahme
Braunschweigs durch Otto ist in Ermangelung aller weitern An-
gaben der Quellen nicht möglich. Ein terminus ad quem wird
durch die Theilnahme Ottos an der Schlacht bei Bornhöved
(22. Juli 1227) gesetzt. An der Seite seines Oheims, des Königs
von Dänemark, fechtend, gerieth er in Gefangenschaft, in der er
bis zu Ende des folgendes Jahres blieb *).
Für die Gleichzeitigkeit und Datirung der beiden Urkunden
ihre Siegel heranzuziehen, ist immer mißlicher geworden. Die
beiden Ottonischen Siegel dieser Urkunden sind die einzigen ihrer
Art, kehren an keiner andern Urkunde Ottos wieder •) und zeigen
unter sich selbst kleine Abweichungen*). Für die Datirung der
Urkunden ist deshalb mit ihnen wenig anzufangen *); sie ist jedoch
durch den historischen Zusammenhang hinreichend gesichert, und
der Inhalt der beiden Urkunden ist der Art, daß ein Verdacht
der Fälschung nicht aufkommen kann ^). Als 1265 das Albertinum
zusammengestellt wurde und die Herzöge Albrecht und Johann
ihre Siegel daran hiengen, waren das Ottonianum und, wie oben
S. 298 gezeigt, das Hagenrecht die Vorlagen, die man benutzte "O-
Unter die den Bürgern 1227 gewährten Gnaden außer Ind.
und noch eine dritte Urkunde zu zahlen, nemlich die über die
Vogtei der Altstadt % halte ich für unzulässig, solange wir über
diese Gewährung nichts sicheres wissen. Sicher ist, daß eine
1) ÜB. I n. 7.
2) Winkelmann Bd. ü (1897) S. 63.
3) HäDselmann S. 23.
4) HänselmaiiD , das.; Mack, Deutsche Litt-Ztg. 1891 S. 1537; Keutgen,
Aemter und Zünfte (Jena 1903) S. 197.
5) So auch Uhlirz in Mittheüungen a. a. 0. S. 337.
6) Von einem unechten Stadtrechte (Keutgen S. 253) l&ßt sich deshalh nicht
sprechen.
7) ÜB. I n. 6.
8) Hänselmann S. 21.
310 F. Frensdorff,
Urkunde des Herzogs Otto I „super advocacia" existiert hat.
Das oben S. 286 erwähnte Urkunden Verzeichnis von 1340 fiiliirfc
sie auf*). Darunter aber die in einer schlechten Abschrift des
16. Jahrh. überlieferte Urkunde des H. Otto von 1227^ zu ver-
stehen^, ist nach Form und Inhalt bedenklich. Besonders auch
weil sie nicht dem entspricht, was das Yerzeichniß über den Inhalt
der herzoglichen Urkunde angiebt ; denn vollständig lauten dessen
Worte: littera ... super advocacia consulibus censualiter
data. Die Statute des 13. und 14. Jahrh. enthalten zahlreiche
Beweise für die Fortdauer der herzoglichen Vogtei. Nach der
angeblichen Schenkung der Vogtei an die Altstadt wurde 1279
das Braunschwg. Recht zum Zweck der Mittfaeilung an Duderstadt
zusammengestellt. Von einem Uebergang der Vogtei an den Rath
ist nichts darin wahrzunehmen, eher noch eine Verstärkung der
herzoglichen Vogtei. Wiederholt wird betont: vor unsis herren
vogede^). Huldebriefe, Einzelstatute und Urkxmden bestätigen
das Verbleiben der Vogtei in der Hand des Herzogs*). Nur die
Einnahmen aus der Vogtei oder ein bestimmter Theil derselben
wurden an die Stadt überlassen: eine wichtige Seite in dem
Rechtsgeschäfte Ottos mit der Stadt, welche die Urkunde nach
der Ueberlieferung des 16. Jahrhundert gar nicht erkennen läßt.
Vielleicht wurde um den Anschein einer wirklichen Abtretung der
Vogtei zu erwecken, die Urkunde des 16. Jahrh. hergestellt und
die ächte des 13. Jahrh. bei der Gelegenheit beseitigt.
Die statutarische Aufzeichnung nimmt wiederholt Bezug auf
Rechtsgewährangen früherer Stadtherren, namentlich dessen, den
sie „den alden herren'* nennt (60. 66), eine Bezeichnung, deren
Deutung auf Heinrich d. L. Hänselmann sehr wahrscheinlich gemacht
hat, und schließt sie alle mit in die Geltung des Ganzen ein. Eine
directe Hinweisung auf das Hagenprivileg erblicke ich in den
Worten : also gedan recht alse de borgere von Bruneswich hadden
bi unses alden herren tiden an lande unde an watere, dat
selve recht hebbe we nu von unses herren genaden (60). Haben
diese "Worte ursprünglich den Schluß von gebildet und die Artt.
61 — 66 die Natur von Zusätzen, so wäre damit an sehr passender
Stelle auf die Jura Indaginis mit ihren Privilegien zu Gunsten
der Schiffahrt und des Landhandels hingedeutet.
1) ÜB. III S. 501.
2) ÜB. U n. 75.
8) Wie Heinemann I 308 und Hänselmann in der städtischen Festschrift v.
1897 S. 5 thun.
4) ÜB. II n. 294 art. 42. 43.
5} Eine nähere Ausführung behalte ich mir für eine spätere Gelegenheit vor.
lÜ
Stadien zum Braunscbweigschen Stadtrecht. IL 311
Nach ihrer juristischen Natur bilden Ind. und Gegensätze,
aber sie ergänzen einander. Das Hagenrecht repräsentirt uns das
12., das Ottonianum das 13. Jahrhundert. Darin liegt der große
Werth der Jura Indag., und man giebt die ganze Bedeutung dieses
Fundes, dieses werthvoUen Besitzes der Braunscbweigschen Rechts-
geschichte, Preis, wenn man es zu einem Erzeugniß des 13. Jahr-
hunderts herabdrückt und seinen Charakter in einer Nachbildung
von erblickt. Aus dem eine Rechtsur künde wie Ind. „aus-
zugestalten^, dazu hätte übrigens, beüäufig bemerkt, eine mindestens
so große geistige Kraft gehört, als die Gegner dem Verfasser des
zugestehen wollen und dem des Ind. absprechen.
In der Fülle der deutschen Stadtrechte nehmen die beiden
Braunscbweigschen Urkunden eine bevorzugte Stellung ein. Darf
das Ottonianum als das älteste Stadtrecht in deutscher Sprache
gelten, so kann das Hagenrecht zwar nicht den gleichen Platz
unter den lateinischen Stadtrechten beanspruchen, aber unter den
für niedersächsische Städte unternommenen Rechtsaufzeichnungen
ist wohl keine, die ihm den Rang streitig machen könnte. In
Westfalen geht ihm Soest vor, während das Privileg für Mede-
bach von 1165^) ihm xmgefahr an Alter gleichsteht.
Kann, um zum Anfang zurückzukehren, auch nicht die ganze
Stadt Braunschweig als eine weifische Gründung gelten, so ist
doch der Hagen eine solche, und es ist bezeichnend, daß sich für
dies Weichbild ein Privileg, das sich auf den Gründer, Heinrich
den Löwen, zurückführt, erhalten hat.
1) Gengler, Stadtrechte S. 282; Keutgen S. 145.
Untersuchungen zur Textgeschichte der Biblio-
thek des Diodor.
Von
B. Laqueor.
Vorgelegt von E. Schwartz in der Sitzung vom 27. October 1906.
I. Der Parisfnus 1659 und der NeapolKanue III. B. 16.
In seiner grundlegenden Ausgabe der Bibliothek Diodord
teilte Wesseling Collationen des damaligen Parisinas 2062 mit.
De La Barre hatte die Handschrift antersacht, wie Wesseling in
der praefatio berichtet, nnd auf diesen Collationen beruhten auch
weiterhin die Angaben Dindorfs in der großen Ausgabe (1828 ff.).
Dindorf identificierte richtig den Parisinus 2062 Wesselings mit
dem heutigen Parisinus 1659 und nannte die Handschrift E. Eine
eingehende Untersuchung stellte sodann Jacob mit dem Codex an
und veröffentlichte deren Resultate in den M^langes G-raux S. 626 ff.
Aus diesem ihm zur Verfügung stehenden Material konnte Vogel
(I. S. XU) den richtigen Schluß ziehen, daß E zu Beginn von
Buch I und in Buch V in letzter Linie auf den Vindobonensis D
zurückgehe, während in den dazwischen liegenden Partieen eine
dem Vaticanus C nahe stehende Handschrift benutzt sei ^). Eine
Erklärung fiir diese eigentümliche Tatsache konnte Vogel nicht
geben und darum möchte ich hier auf dieses Problem eingehen,
dessen Lösung für die Textgeschichte der historischen Bibliothek
von besonderer Bedeutung ist.
1) Der Text der 5 ersten Bücher Diodors hat sich anfzubauen auf dem
Vindobonensis D, dem Vaticanus C und dem Vaticanus 996, den ich S nenne.
Second&r muß für einige Partieen auch der Lanrentianos LXX, 1 herangezogen
werden.
Kf I. Qm. d. WIM. HMhriehtMU Plülolof.-kifUr. Umm 1906. Heft 4. 23
314 ' ^ Laqnenr,
£ ist eine Papierhandschrift des XVL Jahrhunderts, omfassend
die Bficher 1 — 5, g^chiieben mit schwarzer Tinte, 30 Zeilen aof
der Seite, von einem Schreiber. Rote Tinte ist verwandt zu
den TJeberschriften, den Anfangsbuchstaben der ersten Worte der
Argomente nnd zn den diesen beigeschriebenen Zahlen. Anf dem
Deckblatt: di^odA^av ötxsXidnov tötoQÜci b' at MoXov^uvai flißlio-
%i/pcri. Der Codex besteht ansschließlich ans Qninionen, nnd zwar
im ganzen 22; doch ist der letzte, welcher die Folien 211 — 220
nmfaßt, nur bis 218^ beschrieben, wo das 5. Bnch schließt. Eigen-
tümlidier Weise setzt nnn die Stählung dieser Qninionen erst bei
dem 4. ein. Anf FoL 31' steht a, 41': /5, 51': y . . . . 211': i».
Die drei ersten Qninionen sind also weder gezahlt noch auch bei
der Zahlnng der spateren berücksichtigt. Diese Beobachtung führte
auf die Lösung der von Vogel au%edeckten Aporie. Es zeigte
sich nämlich, daß gerade zwischen den Folien 30^ und 31' der
Umschlag der Quelle eingetreten ist, von dem wir oben sprachen.
Zum Zweck des Beweises lege ich das notwendige Material vor,
indem ich, einem späteren Resultat unserer Untersuchung vor-
greifend, außer den Collationen von £ auch die seiner Quelle, des
Marcianus 374 = V, anführe^).
Vogel L 98. 6. xtxvxa] taütag EV
10. tiiv] fehlt EV
11. &qv^b] &Qviav EV
18. Tov] Tovrov EV
20. fC/teroff] i^ßaxog EV
21. 8v66fpo8an(ixri] 8v6eq>o8e6xaxti EV
23. vevov6av\ ßkinov6av xal vevovöav EV
99.11. nrjxmv] xrixiorv EV
13. TOT)] fehlt EV.
16. ain&v\ fehlt EV
26. xa^Axi] xa^iTCBQ EV
27. xfi^] fehlt EV
6ag
100. 14. SC iQstijv] 8i ixäcrig yf}g V 8C &nd6ag yi^gE.
Mit den Worten ocal nagä rotg &XXoig (100, 24) beginnt in E
Folio 31' und sofort trennen sich die beiden Handschriften:
100. 27. ro6(wto W toöovrov WY
101. 3. tiiv ISCav elxöva E r^v slxdva xijy ISiav V
1) Wenn ich bereits in Paris auf diesen Weg gewiesen wurde, so Terd&nke
ich das Tor allem Herrn Professor Bethe, der mir seine reichen Notizen über
italienische Diodorhandschriften in freigebigster Weise zur Yerfugong stellte. Ihm
sei auch an dieser Stelle mein herzlichster Dank ausgesprochen.
UntersQcbongen zur Textgeschichte der Bibliothek des Diodor. 316
4. ngb tilg rot) E xgbg iri} V.
4 a. 6. 6B6A6XQidog E. esöomöiog V.
4. iQxuQsifg E CsQBifg V.
6. inBQtd^sncu E* imBQßißrpiB E"V
8. i^iT^fl^ xol £i&9>pay^£l$ E fi6f^Blg V
8. 6novda6Bw E* 6%ovdA6<o E*V
9. XBiffd-Bifi xal ivaicoiiB^vri E Xsig>^Biri Y
19. nach xoivmviav interpoliert E ^irv9>A(6di7 yÄp
xol ^x^rvo^; in V fehlt diese Interpolation, die
dann auch von E' getilgt wurde.
20, iiv&oXoyov6i. E xad'oiioXoyovCi, V
21/22. tb y&Q ^Bi^fia xatrixövttf^B W iv & xBiiia^öiisvög
noxB xb ipBQÖiiBvov ^Br^fia xaxrpcövxi^B E^V.
25. i^ipakBiag E noXvcogiag Y.
Wir sehen also, daß E von den Worten xal xagä xotg äkkoig an
auf eine andere Handschrift zurückgeht, und daß Y nur noch zu
Correcturen herangezogen wurde ^). Wenn mithin mit Folio 31'
ein Quellenwechsel eintritt, und eben der die Folien 31 — 40 um-
fassende Quinio die Zahl a trägt, so mußte geschlossen werden,
daß einstmals der Codex mit den Worten xal nccgä xotg &XXotg
einsetzte und nachträglich erweitert wurde. Freilich sind auf
Folio 30^ nicht solche Spuren nachzuweisen, wie man sie sonst
wohl findet, wenn ein Schreiber auf gegebenem Raum bis zu einer
bestimmten Stelle kommen muß, aber die ganze Partie ist gleich-
mäßig enger geschrieben , als die folgenden Folien ') , und der
Schreiber hat sich geschickt einzurichten gewußt. —
Mit den inmitten eines Satzes stehenden Worten xal nagä
xotg &XXoig konnte ein Schreiber seinen Codex nur dann beginnen
lassen, wenn die von ihm als Quelle benutzte Handschrift eben
bis zu diesen Worten zerstört war. Eine Handschrift, welche diese
Bedingungen voll und ganz erfiillt, liegt uns nun tatsächlich noch
vor, und zwar in dem Neapolitanus IIL B. 16. Ich nenne diesen
bisher unbekannten Codex N. N ist eine Bombycinhandschrift
des XIY. Jahrhunderts, geschrieben mit schwarzer Tinte, 27 Zeilen
auf der Seite. Rote Tinte ist wie in E verwandt zu den Ueber-
schriften, den Anfangsbuchstaben der ersten Worte in den Argu-
menten und zu den diesen beigeschriebenen Zahlen. Auf dem
1) Diese Correcturen finden sich, ziemlich zahbreich, bis Folio 60^ ; hier hören
sie plötzlich auf.
2) Unter Zugrundelegung der späteren Schrift hätte der Schreiber etwa 33
Folien gebraucht, während er in Wirklichkeit mit 30 auskommt.
23*
316 R- Laqueur,
heutigen Folio 1 beginnt N mit den von uns postulierten Worten
xal^) nagä tolg Rkkotg (Vogel I. 100. 24), während er auf Folio
201' mit den Worten xotilöai y^iy^iutza alg t^v (Vogel II. 81. 27)
abbricht. Aber auch in der Mitte hat die Handschrift an 3 Stellen
Verluste erlitten:
1) Zwischen Vogel I. 175. 9 und I. 180. IB sind 2 FoUen
ausgefallen; die dadurch entstehende Lücke wurde von 2.
Hand auf 1 Folio (32) ergänzt.
2) Zwischen Vogel I. 3B2. 20 und I. 411. 4 sind 24 Folien
ausgefallen; der fehlende Text wurde von 2. Hand auf 14
Folien (104—117) nach^tragen.
3) Zwischen Vogel I. 485. 16 und I. 487. 26 ist ein Folio
ausgefallen, die Lücke wurde von 3. Hand auf einem Folio
(150) ergänzt.
Also umfaßte die Handschrift ursprünglich von den Worten xal
xagä totg &Xkoig bis xof/il^av ygäiiiiata alg r^ 212 Folien, von denen
185 (31 + 71 + 32 + 51) erhalten und 27 (2 + 24 + 1) verloren sind.
Diese 212 Folien verteilen sich auf 26 Quaternionen (1 —208)
und ein Gebilde von 4 Folien (209 — 212), über dessen Wesen sich
jedoch bei der Zerstörung des Codex nichts ausmachen läßt. Spuren
einer Zählung der Quaternionen habe ich nicht aufdecken können.
Da N erst mit den Worten xal xagä totg äkkoig einsetzt, so fehlen
zu Beginn der Handschrift rund 2640 Zeilen des Vogelschen
Textes. Ein Folio von N entspricht etwa 66 Zeilen, also ver-
teilen sich die 2640 Zeilen auf 40 Folien, d. h. 5 Quaternionen.
Wo diese Rechnung so glatt aufgeht, dürfen wir nicht daran
zweifeln, daß N ursprünglich den Text von Beginn des 1.
Buches gab, und daß durch mechanischen Verlust von 5 Qua-
ternionen der heutige Zustand der Handschrift herbeigeführt
worden ist*).
Ueber den Wert von N spricht sich Cyrill mit folgenden
durchaus treffenden Worten aus: Saepe textus corruptus depre-
henditur ob frequentes notas, quae ex margine in textum ipsum
irrepserunt; quod praecipue animadvertere debet quicumque hunc
1) Wenn Cyrill im Catalog der griechischen Handschriften Neapels (U. 818)
die Handschrift mit den Worten nagä toig &llots einsetzen läilt, so ist zu sagen,
dail %al jetzt zwar stark verwischt ist, aber seine Spuren noch deutlich sind.
2) Das Argument vor Buch I, das in allen Ausgaben steht, ist eine mo-
derne Fiction. In N stand es natürlich eben so wenig, wie in allen andern Hand-
schriften. Aber es ist bezeichnend für die Kenntnis der Diodorüberlieferung
wenn Yogel zu dieser Erfindung des XYI. Jahrhunderts bemerkt: haec omnia
desunt in D, argumentum aliud finxit A.
Untersuchungen zur Textgescbichte der Bibliothek des Diodor. 317
codicem alinnde minimam spernendum consulere velit. Die
guten Lesarten, die Cyrill aufgefallen sind, stammen dnrcliweg
aus dem Yaticanus 130 =? C, dessen bisher bekannte CoUationen
in keiner Weise genügen, und darum erörtere ich zunächst das
Verhältnis von N zu C, ohne auf £ Rücksicht zu nehmen.
Die engen Beziehungen zwischen N und C erhellen aus einer
großen Zahl von Stellen, wo diese beiden Handschriften gegen-
über der gesamten Ueberlief erung *) zusammenstehen").
Vogel L:
105. 6. rov xüQtcdsdoiidvov fehlt
110. 10. itBQoi CN. [CN.
110.12. tvdgaiva CN.
111. 16. ngo^sritaxfo CN.
164. 16. iiivmog CN.
171. 15. nk€{6tovg CN.
172. 16. eovöaviav CN.
259. 13. diaXdttovtag CN.
260. 26. tiiyBei}g{QtB.ttiid6ov) CN.
262. 6. t&v (statt h&v) CN.
262. 7. di,ag>vil CN.
263. 25. nokXä rb xa»6Xov CN.
270. 8. 6vyxivdwsve(u CN.
528.22. inbtflgCN (tilg die ühT.)
530.11. diaxoölovg fehlt CN.
530. 22. diaXAtxovxa CN.
109. 6. 81 fehlt CN.
110.11. %oul6^m CN.
110. 25. xov fehlt CN.
162. 19. fufAmv (statt 6vUq<ov) CN.
169. 17. ivsyQdifaiisv CN.
172. 12. iidxQi' fehlt CN.
258.29. xataetQiifav CN.
260. 3. dl fehlt CN.
261. 10. 6wdyovr6g CN.
262. 8. fig i^'Stav CN.
263. 2. d^ccvfiaöiav CN.
270. 6. xcc^yoviiivov CN.
273. 6. alQBtaL CN^
529. 23. inoiovvto y&Q CN.
530. 15. vvv CN.
630. 28. ÜQ&n^ CN.
1) Füglich darf ich den Vaticanus Palatinus 423 aus dem XVI. Jahrhundert
bei Seite lassen. In diesem aus mehreren Einzelhandschriften bestehenden Sammel-
codex trägt Diodor die Spezialnummer 414. Im ganzen sind von Diodor erhalten
3 Quatemionen, auf welchen der Text von Buch I bis ixal^ toh£ (Vogel I. 94. 8)
steht, und dann noch ein einzelnes Folio, enthaltend die Worte ^ataiikvciLo^
(Vogel II. 115. 16) — %al xoig &lXoig %a%B%kriQo^%ric%v (ebda. 119. 12). Diese
Handschrift, die uns also in sehr trümmerhaftem Znstand vorliegt, geht selbst-
ständig auf den Vaticanus C zurück. Interessant ist die Tatsache, daß sich
in dieser Handschrift die Trennung des Vorworts der Bibliothek (Cap. 1—5) und
des eigentlichen Textes, wie wir sie in C finden, noch erhalten hat. Sollten vielleicht
diese Bruchstücke nichts anderes sein, als Ueberreste der Ergänzungsblätter, die
ursprünglich für den Neapolitanus bestimmt gewesen und dann hierher verschollen
wären? (vgl das weiter unten Bemerkte).
2) Das Material stammt aus den ersten und letzten Capiteln eines jeden
Buches, die ich in allen Handschriften collationiert habe. Nur wo besondere
GrüiMe vorlagen, wurden auch Stichproben aus der Mitte der einzelnen Bücher
entnommen.
318 ß Laqneur,
531. 3. diffvwv CN. 531. 7. x£xxriiUvf(v CN.
533. 4. XQOBxJ&iiuvov CN. 533. 8. pLci iyaxXvtbv CN.
Vogel n. 1. 22. xotA rauriyv CN. 4. 4. Ixii^yraiir CN.
6. 20. dl xavtas CN. 6. 22. oQMayiig nai xf^g CN.
6. 8. iwdgog CN. 8. 18. ^ fehlt CN.
Das durch diese Auswahl bewiesene enge Verhältnis der beiden
Handschriften laßt sich genauer dahin bestimmen, das N in di-
rekter Linie auf C zurückgeht. Indem ich vorausschicke, daß N,
von einigen unwesentlichen Orthographica abgesehen, gegenüber
C nie die ursprüngliche Lesart bewahrt hat, dagegen häufig ver-
dorben ist, wo C die alte Lesart erhalten hat, gebe ich einige
Fälle, die zeigen sollen, daß in N die Correcturen berücksichtigt
sind, die in C von jüngerer Hand stammen.
Vogel L 260. 1 hat C iaunig ausgelassen ; ein Leser conjiderte
am Band ^ivhg^ das N in den Text aufnimmt.
L 265. 20 lesen alle Handschriften, inclusive C\ duiqfvlitxBL]
C* corrigiert dies in diccqyuXdxxov und so liest auch N.
I. 273. 26 ist die allgemeine Ueberlieferung xavxti 81 fii^h
In C wurde dh ausradiert und darum fehlt es auch in N.
I. 267. 7 liest C^ mit der übrigen Ueberlieferung iQocßtxbv,
C verändert in igQaßixbv, das auch N aufiiimmt.
I. 104. 26/27 xoikov dl xagadedoiidvov C^D; xovxov dl naga-
dedoiidvov C^ ;
I. 260. 2/3 liest C xcd xa^dxsQ imnX6xidag cebxatg ixxeqnmdvtUj
diese unverständlichen Worte strich ein Leser in C aus, und
so fehlen sie auch in N.
Wir werden bei der Besprechung der Literpolationen von N wahr-
scheinlich machen, daß die durch diese Fälle bewiesene Abhängig-
keit des Neapolitanus vom Vaticanus keine directe ist; minde-
stens eine, inzwischen verlorene, Handschrift muß das Mittelglied
gebildet haben,. Daß auch der Ergänzer der in N verlorenen
Partieen, also N*, in letzter Linie auf C zurückgeht, wird durch
folgende Fälle bewiesen:
Vogel I. 175. 10 hat der Schreiber von C nach oivf indem
sein Auge auf das ovv von Zeile 9 übersprang, xal fia^övxag
xiiv ulxCav hinzugefügt und fuhr darauf richtig mit abxb
xoiiiöavxag . . . fort. C nahm an diesem unsinnigen Satz
mit Recht Anstoß; um ihn zu heilen, corrigierte er xol in
xomovg und interpolierte nach aixiav: xccl, C* liest also
si^vg oiv xoikovg {ucd'övxag xi[v alxCav xal ainh xofiiöavxag
und diese auf Grund des verdorbenen Textes von C durch
Conjectur gewonnene Fassung nimmt N* auf.
UntersuchUDgen zur Textgeschichte der Bibliothek des Diodor. 319
177. 9 hat C nach Xifiivog ans Zeile 8/9 tß iivQiidag txitBtg
dh livgiovg xal dt6xiXiovg interpoliert. Ein Leser nahm an
der Wiederholung Anstoß nnd tilgte tnxetg 81 iivgiovg xal
ii^xiXiovg, ließ aber iß fivQtddag stehen, weil in C tstga-
xo6iag (die Zahl der_ Schiffe) ausgefallen war. N* liest wie
C i^ ivbg Xiiidvog iß iivQtädag.
178. 23 liest C nQ&tov iihv oiv xoXXS>v 6dbv (liXkovöa diaxo-
Q6iiB6^aiy C nahm richtig an noXX&v Anstoß nnd schrieb
darüber ii(i8Q&v ^ TCoXXiiv d. h. er läßt dem Leser die Wahl,
ob er noXX&v f^fUQ&v 6dbv oder TCoXXijv 6dbv lesen will. N'
entscheidet sich für letzteres, während die richtige Fassung
TCoXX&v i^iBQ&v 68bv ist.
Daß auch N^ nur durch die Vermittlung eines inzwischen ver-
lorenen Codex auf C zurückgegangen wäre, wie wir es von N*
annehmen müssen, läßt sich nicht nachweisen. Im G-egenteil spricht
vielleicht für die unmittelbare Abhängigkeit des Ergänzers
eine interessante Randnotiz in C. Zu den Worten oi {lövov nagä
totg [bqsvöiVj iXXä xal na^ä xolg äXXoig alyvnxloig (Vogel I. 100. 24)
schrieb eine jüngere Hand: &%qi Tdd'(I) [bqbvciv. Das ist eine
Anweisung an einen Schreiber, den Text von C bis tBQBv6iv abzu-
schreiben. Da nun N mit xal xagä totg äXXoLg einsetzt, so paßt
die Randnotiz für einen Ergänzer von N, und es ist wohl nahe-
liegend, dies mit späteren Ergänzungen von N zu combinieren.
Man müßte nur etwa annehmen, daß die zur Ergänzung dienenden
Blätter verschlagen wären. (Vgl. S. 5 Anm. 1). Sicher ^) ist diese
Combination nicht; es bleibt die Möglichkeit, daß C zur Ergänzung
eines Apographons von N herangezogen werden sollte, so wie wir
es von V nachweisen werden , und daß N* dasselbe Apographon
von C zu Grunde gelegt hat, wie N*.
Ist somit die Abstammung des Neapolitanus N von dem Vati-
canus C festgelegt, so wenden wir uns jetzt seinem Verhältnis
zum Parisinus E zu. Wir haben bereits oben festgestellt, daß
der Parisinus E ursprünglich mit den Worten Tcal Tcagä rotg &XXoig
begonnen hat, mit denen N einsetzt, seit er auf mechanischem
Wege Quatemionenverlust erlitten hat. Schon in dieser Tatsache
1) Herr Professor üülsen teüt mir gütigst mit, daß die Endpunkte der
in N ergänzten 3 Partieen in C dadurch kenntUch gemacht sind, daß bei toig
ßacUstoig xal xanenevaeev (180. 15) am Rand li<og &de steht, während 411. 4 und
487.26 im Text resp. am Rand ein Strich gezogen ist. Dadurch ist die im Text
ausgesprochene Vermutung, daß der Ergänzer yon N den Vaticanus selbst benutzt
hat, bestätigt. [Nachschrift bei der Correctur].
320 R- Laqueur,
liegt der Beweis, daß E ans N stammt. Zam Ueberfioß wird das
ans der G-eschichte von E gewonnene Resultat dnreh die Einzel-
nntersnchnng der beiden Handschriften bestätigt. Der Text von
N ist, wie Cyrill hervorhob, durch das Eindringen zahlreicher
Interpolationen entstellt worden. Ich gebe Proben:
ilCd'slg] fjö^slg xal sifpQov^Blg.
ksifp^eirl] XBLq>^sCri xal ivanoiieivq,
xoivcovicev] %OLvmvCav' ixvtpkd}^ yä(f xal
ixBtvog.
il^Uaexöiisvog] i^ikaöxöiisvog xomiöxiv ei-
(isvlg xovto TCBifi iavxbv noiovfisvog.
vt^s^d'cu] vllB6%tti xai 7ck'6vB6^ai.
XQtiönbv] %Qri6\ihv xaL xi[v iiavxsiav.
{msQ<mxix&g] xmaQOXxtx&g Ttal ikcti/ovix&g.
iflLvva6%m\ ifiiivaed'ai xal ti,fi<DQii6aC^(u.
XSLQm^dvtog] xsiQfo^dvxog xal xgaxrfi'dvxog.
inuix&g] imsix&g xal nffdcog.
xoifg iivxxrigag'] toig iivxtUQag xal tag ^Ivag.
Diese Interpolationen wurden von einer jüngeren Hand ge-
tilgt; aber die Striche, mit welchen N' die Interpolationen unter-
resp. durchgestrichen hat, sind teils sehr stark, teils so fein ge-
zogen, daß nur ein scharfes Auge sie erkennen kann. Ich habe
mir in Neapel vor der Handschrift notiert, daß von den eben an-
geführten Interpolationen diejenigen von S. 101,8; 101, 9; 102, 2;
102, 9; 102, 17; 103, 6 sehr fein durchgestrichen sind^), während
bei den andern ein sehr starker Strich gezogen ist. Und nun
zeigt sich, daß von den Interpolationen, die sich im Text von N
finden, diejenigen in E übergegangen sind *), welche in N nur fein
durchgestrichen oder unterstrichen sind, während alle andern,
welche deutlich in N vernichtet sind, auch in E fehlen.
Im weiteren Verlauf des Codex verschwindet der Unterschied,
den wir zu Anfang constatieren müssen. Die Tilgungszeichen in
N werden gleichmäßig, und die Folge davon ist, daß nunmehr
regelmäßig alle die Interpolationen von'N in E übergehen, welche
in N nicht getilgt sind, während alle andern fehlen. Ich gebe
L.
101
. 8.
9.
19.
24.
. 102
. 2.
9.
17.
20.
24.
26.
103.
6.
1) Bei der Stelle 101. 19 bin ich mir vor der Handschrift nicht darüber
klar geworden, ob die Interpolation getilgt ist; ich führe das an, am zu zeigen,
wie fein die Linien gezogen sind,
2) Natürlich kommt nur E' in Betracht; nachträglich worden die Interpo-
lationen in E auch getilgt, aber auf Grund der Yergleichung mit dem Marcianus V.
UntersnchimgeD zur Textgeschichte der Bibliothek des Diodor. 321
Beispiele aas den verschiedenen Teilen der Handschriften, begin-
nend mit den in N getilgten Interpolationen.
Vogel I. 165. 18. vea xal tbv vabv W vshv N«E.
166. 14. d tatst Qitpivai xtd diatgi^at N^ diatstifi-
<pivai N«E.
167. 1. xcctaxaiv(D6t xal xaxax6^m6i N^ xataxaC-
V(D6L N^E.
170. 23. SiioQov xal yeitova N^ SfioQov N'E.
17h 22. inlQQoia xal iniggoii W iniggota N*E.
171. 28. exaöta xal xatä iiigog N' ixaöta N'E.
174. 11. ngoöxöifaöav xal %go6xgo'66a6av N^ ngoö-
x6Hfa6av N'E.
176. 3. ivtavöiov dl xal xQOvtaiovJi^ iviavöiov dh
N«E.
176. 5. ^«oxv4{;ovtfa$ xal xontoiiöas N^ inoxvi'
tov0as N«E.
inavtövtag xal igxofiivovg N ^ ixaviivtag N*E.
ya^iBlv xal Big ydfiov Xafißdvsiv N^ yafietv
N»E.
naigalBtui, xal doxtfidlBtat W itBigä^Btai N'E.
cU^iOJt^ag fjyow itjföyovg N^ al^toxflag N*E.
Xi^itbg xal %^B6i,v6g N^ %f^il6g N*E.
yLBtä datta Tcal Big datta N^ fiBtä datta N*E.
Bxovto xal i^xoAovO'otn/ N* Bxovto N*E.
Xaßövtag tovti^tiv inb l^ivov dovXa)d'ivtag N^
Xaß6vtag WE.
niXoig xal xBvtovxXoig N^ niXotg N'E.
ixtix&g xal xaff il^iv xal did^B6iv l^(iovov N^
£xtix&g N*E.
ßaöilda fjyow xgoxgivBi N^ ßaeiXia N'E.
atgBi^Blg xal xgoxgii^Blg N^ atgBi^Blg N'E.
diccitri tB xal diayayij N* diaitri ts N*E.
i^T'X^/ifvov xal xviyöfiBvov N^ iyxö^iBvov
N«E.
Ich lasse nunmehr die Stellen folgen, wo in N die Interpo-
lation nicht nachträglich getilgt warde, nnd wo sie sich daher
anch in E findet.
Vogel I. 166. 3. nach xax&v: Sti t& ävdgl fiBVBkdm didanuv
fl iXivri q)dg(iaxov dt^ oi imXiffifuxnf yiyovB
ndvt(ov &v ixa^B dt' ainifpf NE.
166. 13. nBÖiov fjroi y^v tiva NE,
175.
7.
262.
10.
263.
9.
269.
26.
269.
27.
269.
27.
269.
27.
270.
3.
271.
19.
272.
26.
273.
6.
273.
9.
273.
9.
273.
28.
322 K- Laquenr,
170. 11. iXxifL€ov xai l6%vQ&v NE.
170. 13, inr^Xw ml ^vov NE.
173. 10. itegöfirixeg xal iitiXXay^iivov t& fiijxsi NE.
174. 6. tifisvog xal vab$ NE.
263. 13. xsQivavtia xal IXiyyov fisfftä NE.
263. 16. XrlfifiatSi xal g)Q0vii(ia6iv NE.
263. 23. iiiitätsig ocal diaöxdösig tov üdccrog NE.
264. 4. ivaidriv xal iXev^iQog NE.
264. 14. aAxoyidxfov fjyow xaöxdvayv xagiianf xal t&v
Xoix&v NE.
264. 21. ööxQioig fjyovv rrj xoyxvXrj NE.
266. 1. xBvayAdsig xal ßoQßogmdBvg NE.
269. 3. in^XvSBg xal livoi NE.
270. 26. IXvog xai övQtpsxov NE.
271. 20. nBQUönBiQa^kivoig xdi jtBQiiCBnXsyiiivoig NE.
272. 8. öwri^Xtfii^ivrig^ tovxiötiv inh xifonf^g xai tii-
n(ov idi(ov xiv&v &xofivrifiovsvoiiivaiv totg
xäöi xad'^ ixdötip/ Stä xoivöxrixa NE.
272. 26. avayivAöxovöij tovxi^xiv^ Znag ^iXovöi diy-
liavetv xai xaQaärjX&öai 8iä rfjg öwri^eiag,
^g i%ov6L %bqI tijv xön/ gcicoi/ Idiöxrixa, bIxb
fpavXri bIxb iya^if^ iöxtvaüxt]^ xaiha ivaQy&g
Stä ygafpfig fjxot Bixövog xön/ £(6g}i/ nagvö-
tööi. NE.
273. 4. x<ofidfi(ov xal öviixoöidicDv NE.
273. 19. fiB^iöxfjöiv ' Söoi y&Q il^cDQiiovxOy tilg diä xov
^avdxov xi^iimgCag iXvovxOj ixaxoxfxovvxo dh
xij i^OQLa NE.
274. 1. fiBLio) xov nXrifi^BXi/lfiaxog, dt' o6 ifiBXXBv Big
i^OQiav öwBXa&fjvai NE.
631. 1. öwayxBiag xaL 6vvriQBq>Cag xoiL nvxvöxrixog
divÖQOiv NE.
ivBifidvov xal dvaxBi^ivov NE.
lö^libv Sg iöxi öxBvij xig yf^ xBiyLivq fidöov
Svo ^aXa66&v NE.
dvaQQayfjvM xal ixoxoxfivai NE.
ivaxBnxa^dvov xal '}iicX(Ofiivov NE.
dxQaxi/JQLOv j xovxiöxi %&6at, xal Big yf^v iiBta-
^Bttl^aij 5itBQ ^ ^dXccööa ngöxBQOv NE.
Vogel U. 3. 10. %BtQi6ii,& xal ^Bxa%Bt,Ql6Bi NE.
ö. 11. ivi^QOxa xal &vaQOXQCa6xa NE.
631.
2.
532.
8.
532.
10.
532.
17.
532.
19.
UntersuchoDgen zur Textgeschichte der Bibliothek des Diodor. 323
6. 12. jtvQol xol ettoi NE.
5. 13. iQi6xAqyvkov xal ixb (isydkmv etagyvk&v yivö-
lisvov NE.
5. 13. äiiBi xal oü^h NE.
6. 9. inötofiog xal ixoTCixo^iivog NE.
6. 11. &X6fi xal xata(pvtovg tönovg NE.
6. 12. XHfißyiHxg xal xoQadsieovg NE.
6. 12. €krj xal xadiiyQovg töxovg NE.
Die Interpolationen verteilen sich, wie man sieht, gleichmäßig
über den ganzen Codex N, aber nur, soweit N^ vorliegt. Weder
N* noch N' interpoliert, und da auch E in den Partieen, in wel-
chen die Ergänzer von N gearbeitet haben, keine Interpolationen
hat, so ist bewiesen, daß^E ans N abgeschrieben worden ist, nach-
dem in N die Lücken ausgefüllt waren").
Im Anschluß hieran sei noch auf einige Fälle hingewiesen, die
zeigen, wie E seine Quelle N benutzt hat. In der Vorlage von
N war zu nvQafiidmv (Vogel 1. 106. 12) am Rand notiert: t&v
dCxTjfv nvQog i%ov0S)v tiiv xaxa07CBvi^v &nb na%vtiQ(ov &Qxofiiv(ov xal
slg fJi'b i)g tb xvq kviyov0&v xal ix roO xvQbg XQo6ayoQ6vo(iivmv
xvQa(iCd(ov. N interpoliet*te dieses Scholion in den Text und zwar
an falscher Stelle nach intd, N' strich, um die Interpolation zu
tilgen, die Worte bis kriyov6&v durch, während er das folgende
1) Die meisten Interpolationen von N bestehen darin, daß ein Synonjmon
oder eine Umschreibung durch xal an das überlieferte Wort angeschlossen worden
ist. Wahrscheinlich standen - und das ist der Grund, weshalb ich eine Mittel -
quelle zwischen C und N annehmen möchte — über einzelnen Worten in der von
N benutzten Handschrift Scholien. An einigen Stellen sind diese Verhältnisse
auch in N rein erhalten, so in dem Karkinoscitat (V. 5)', wo über düvai: ^hv-
bX^bCv^ über (isXaiKpasCg: cnoteivohg u. s. w. notiert ist. Einige Scholien lassen
sic:h bereits in C nachweisen. Zu Xiiniueoiv (I. 268. 16) ist am Rand notiert:
Ifiltp^cc tb tpQ6vfiiucy Ifjpiuc tb d&Qov. N macht daraus Xi/ifuiaci xal tpifovi/ii/kaöiv.
Zu &%Qodifioa)v (I. 264. 13) notierte C: ijtoi naatdvmv lucQvmv. N interpoliert
nach aiftofidtmv : f^yovv macxdvtov naQ^mv %al t&v loin&v. Zu nCXois notiert C
am Rand: nClov tb xoivdff %ivtw%Xov (I. 271. 19). K liest nCXotg %aX %Bvto{f%ko^.
Den Worten cxvtdXoiq {vl^troi?, wie C* liest, resp. c%vxdXai9 ivXivaig^ wie C*
verbessert, (1 276. 16) ist am Rand von C das Scholion beigeschrieben : oi>% öitoiois
ttj Xanovinij «ntvraXtj* iM^vri ya^ ^vXov ^v nBQintnXtyiiivov CH^ei xal diQiiatiy
dies steht in N im Text nach ducyoav^ovtai. Was N an Interpolationen bietet,
die nicht in Scholien von C ihren Ursprung haben , ist durchweg wertlos. — Für
eine Mittelquelle z¥rischen N und C sprechen vor allem auch Fälle, wie der oben
zu I. 165. 3 notierte, wo eine kurze Inhaltsangabe, die sich nicht in C findet,
in den Text von N geraten ist. Diese Notiz muB einmal am Rande gestanden
haben, und da es nicht in C der Fall ist, so bleibt nichts übrig, als ein Mittel-
glied zwischen C und N anzunehmen.
324 ^' Laqaear,
darch unterstreichen beseitigte. E verstand dies nicht nnd liest:
nvQafiidatv t&v iv tots inxä xal ix xov nvgbg XQ06ayoQ€voiiivmv xv-
Qa^kCdtav tols inifpavB6xAxotg igyotg igi^fiovfiivayv.
Vogel n. 5. 19/20 läßt E t6 XQCjtstov — 8h tag aus; diese
Lücke füllt in N gerade eine Zeile und zwar die letzte von Folio
171^. Diese Beispiele werden genügen, um die Abhängigkeit des
Parisinus vom Neapolitanus, die wir oben aus der Greschichte der
Handschriften erschlossen haben, voll zu erhärten. Wie N gegen-
über C, so ist E gegenüber N wertlos. Ich bemerke noch, daß
irgend welche brauchbare Conjecturen weder in N noch in E
stehen ^).
Wenn der Schreiber von E seinen Text mit den Worten be-
gonnen hat, mit denen N einsetzte, so hat er diese Handschrift
doch nicht so weit benutzt, als es möglich war. Daß zu Beginn
von Buch 5 N noch Quelle von E war, folgt aus den oben ange-
führten Collationen. Der Quellenwechsel wird vorgenommen, als
E mit Folio 200 an das Ende eines Quinio gelangt war und be-
merkte , das N bald darauf abbrach. Vogel 11. 61. 9 läßt E mit
N die Worte di — inxA aus, auf S. 62. 1 liest er ^SQivbg mit der
D Elasse, wo N x^^M^P^^^^ bietet. Zwischen diesen beiden Stellen
beginnt E mit den Worten aix&v iv (S. 61. 26) seinen neuen
Quinio und greift zu einer andern Handschrift.
Man wird es von vorn herein als wahrscheinlich bezeichnen,
daß E wieder zu derselben Quelle greift, die er am Anfang be-
nutzt hat, um den Text der in N fehlenden 100 ersten Teubner-
seiten zu ergänzen. Dazu stimmte die allgemeine Lage der Hand-
schrift und der Lesungen ; denn E stellte sich am Schluß , genau
wie am Anfang, als eine der von D direkt oder indirekt abhän-
gigen Handschriften da. Die Folgerung, welche ich aus diesen
Tatsachen zog, erhielt eine ganz unerwartete Bestätigung in
Venedig.
Aus der Bibliothek des Bessarion kam im Jahre 1468 der
heutige Marcianus 374 in den Besitz der Bibliothek von S. Marco.
Vorn trägt die Handschrift die Notiz:
öiodaQOv dix^Aot) Cöxoqlxov ßtßXia xivxe xä XQ&xa &v xb a?^
diUiQstxai Big dvo. itfxtv i^iov ßrfiöaQiayvog xagätiPiXecog rot)
x&v xovöxkcDV.
1) Auf eine allerdings schlechte Coiyectur von N sei hingewiesen, um Vogels
Apparat zu der Stelle richtig zu stellen. I. 176. 1 lesen alle Handschriften: %al
To^ äXXovg vo(ietg iv t& cx6yMti. Ein Leser von N fügte nach vo^L^ti üher der
Zeile Un6vxa9 hinzu, das denn auch in E eingedrungen ist.
Untersuchongen zur Textgeschichte der Bibliothek des Diodor. 325
Diodori Sicali historici libri qainqae primi. est meas b. card.
Tnscolaiii.
Es ist eine Papierhandschrift in klein 4^, mit schwarzer Tinte
geschrieben in der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts. 29 Zeilen
auf der Seite. Rote Tinte ist verwandt zn den Ueberschriften,
Snbscriptionen , den Initialen der Argamente und den diesen bei-
geschriebenen Zahlen. Die Handschrift — ich nenne sie V — be-
steht aus 31 Qnatemionen; diese sind gezählt und zwar finden
sich die Zahlenangaben aaf Folio 1' und 8^ eines jeden Qnaternio.
Vom 31. Qnaternio sind nur 2 Folien beschrieben, so daß der
Text auf Folio 242' schließt. Ueber die allgemeine Stellung, die
V in der Geschichte der Ueberlieferung einnimmt, muß an anderer
Stelle gehandelt werden, hier hebe ich nur dasjenige hervor, was
zur Beurteilung von E nötig ist.
Wir haben gesehen, daß E von den Worten 9cal jtagä totg
äkkoig (I. 100. 24) bis Qit&v xal Söa (ihv (II. 61. 26) sich der Hand-
schrift N als Quelle bedient, während in den vorausgehenden und
folgenden Teilen eine Handschrift der D Klasse zu Grunde gelegt
war. Und nun finden sich in V gerade an diesen beiden Stellen
eigentümliche Linien eingeritzt,, die weitläufig an die modernen
Setzerzeichen erinnern. Die Linien sind nicht mit Tinte einge-
tragen, sondern, wie ich. vermute, mit dem Fingernagel einge-
drückt. Auf Folio 35', 6. Zeile welche Vogel I. 100. 24 entspricht,
steht ikXä (xal nagä totg &lXoig] entsprechend erkenne ich auf
Fol. 222^ 10. Zeile, welche den Text Vogel II. 61. 26 enthält,
t&v ^if^(bv xal Zöa fihv) air&v iv iya^ yfj xifpvxBv, Wir sehen
also, daß der Text von V, soweit E aus N schöpfte, gleichsam
eingerahmt ist; wir haben mithin offenbar die Zeichen vor uns,
welche dem Schreiber von E Anweisung geben sollten, bis zu
welchem Punkte, resp. von welchem Punkte ab der Text von V
abzuschreiben war. Schon in diesem umstand glaube ich den
sicheren Beweis dafür erkennen zu dürfen, daß V Quelle von E
gewesen ist, soweit nicht N seine Grundlage darstellt. An sich
wäre ja auch die Möglichkeit denkbar, daß V zur Ergänzung
eines zweiten Apographon von N bestimmt gewesen sei. Aber
wir müssen diesen Gedanken deshalb sofort wieder fallen lassen,
weil wir oben constatierten, daß E den Neapolitanus N nicht ganz
ausschöpfte, sondern nur soweit, als er ganze Quinionen mit ihm
anfüllen konnte. Das Zeichen auf Fol. 222"" kann in der Tat nur
mit Rücksicht auf E eingetragen sein.
Und zu diesem aus der Geschichte der Handschrift gewonnenen
Resultat stimmen die Collationen vollständig. Ich nahm bereits
326 ^' Laqueur,
oben Veranlassung, darauf hinzuweisen, wie eng die Lesungen von
E und die von V zu einander stehen, ehe E zu dem Neapolitanus
gegriffen hat'). Dieselbe Beobachtung machen wir am Schluß,
wo ich einiges hervorhebe.
Vogel II. 62. 1. ^sQivbg EV.
11/12. rotavT« fehlt EV.
27. olxitcu EV.
63. 18. ix tovrov EV.
64. 4. xaporat EV.
8. olxEtav xiiv XQÖtfotlfiv EV.
12. 7tdxB6t xal fisydkoLg EV,
21. in' i6i&xmv EV.
24. xaJ ylvxikriTi tehlt EV.
Endlich weise ich noch auf eine ganz schlagende Stelle hin.
Vogel IL 117.12 steht V mit seiner Lesung der gesamten übrigen
Ueberlieferung — den engsten Verwandten von V, den Ambrosianus
J 110 sup.^), eingeschlossen — gegenüber, indem er liest: iviov
äi (paöiv avtäg fiaxaQODv vilöovg ävoiidöd^av iicb Maxccgiog xal "Imvog
TcaCS(ov tä)v dwa6t£v6dvt<ov avr&v^). So war der Satz sehr unklar
und ein Leser von V fügte darum nach iitb ein t&v über der
Linie hinzu, wodurch zwar der Inhalt ganz anders wurde, die
Construction aber gewann: In E lesen wir, ebenso wie in A^),
den Text von V mit dem von jüngerer Hand zugefügten röv.
1) Zur Ergänzung trage ich Folgendes nach. Jacob a. a. 0. S. 527 hatte
richtig beobachtet, daß E und der Coislinianus A, über den ich an anderm Orte
berichten werde, Brüder sind. Ihre gemeinsame Quelle, den Marcianus V, kamite
er aber nicht, und so wurde sein Urteü über den Wert der Genauigkeit beider
Handschriften schief. E schreibt genauer ab, als A, welches vielfach, mitunter
gut, conjiciert. ¬ayiuit€ov I. 2. 13 ist nicht Fehler von E, denn auch V liest
so ; vielmehr ist änoxsvyfidtoDV gute Conjectur von A. tfjs insivtov I. 3. 6 hat V
ebenso wie E. A conjiciert ra? iiis^vmv. roig almviov I. 5. 13. lesen E und V.
A verbessert richtig rijg altovlav. intßovXljg und inißovXTiv I, 6. 26 und 28
VE AS verbessert von A*; xQriain6tSQov I. 8. 8. VEA», slg noXX&v xgdvoiv 1.9.8
VEA*; in beiden Fällen verbessert von A*; iiaxi(i6tata I. 9. 27 VE; A ist frag-
lich. Also E giebt den Text von V reiner wieder, als A. Ich bemerke weiterhin,
daß die von Jacob S. 529 angeführten, ebenso wie sämtliche andern Varianten,
die E und A gemeinsam sind, sich in Y in gleicher Weise finden.
2) In dem soeben ersrhienenen Katalog der griechischen Handschriften von
MiirtiTii und BaRsi fuhrt er liiV Xr oöL
B) al^rSv, waa au^er V und seinen A|>ographa, keine HaiidscLril't h^tt, viif-
liankt «einen Unprung wohl dein Umstände ^ daß die Ueberlicferunf? zwischen
^vva^fvedvjtov und Svvaijtw6prmp schwankt. Aus einer übergeBchriobeneö Virt-
uole mag «e#r&v entat^uden sein.
4) Ygl 3. m$ Antn. 1.
Untersachongen zur Textgeschichte der Bibliothek des Diodor. 327
So bestätigen denn die Lesungen von EV, was wir ans der
Geschichte der Handschriften erschlossen haben, nnd ich darf es
wohl als ein sicheres Resultat unserer Untersuchung betrachten,
wenn ich zusammenfassend sage: E benutzte als Quelle den
Neapolitanus N von Vogel I. 100.24—11. 61. 26, und zwar
hatte damals N bereits dasselbe Aussehen, wie heute: d. h. die
mittleren Partieen waren von jüngerer Hand, so weit sie fehlten,
ergänzt. Für den Beginn von Buchl und für das Ende
von Buch y bildete der Marcianus V die Grundlage
von E.
Der Parisinus E wird zum ersten Mal erwähnt in dem im
Parisinus graecas 3064 erhaltenen Katalog der 50 Handschriften,
die Hieronymus Fondulus im Jahre 1529 an Franz I nach Fon-
tainebleau sandte '). Hier wird unter Nr. 18 unser Parisinus E
mit den Worten: diodAgov öixekiAtov nivxB xä ngSna angeführt.
Wir finden den Codex wieder unter Nr. 9 in dem Katalog der
Handschriften von Fontainebleau, der zwischen 1544 und 1546
gemacht wurde'). Auch die späteren Kataloge erwähnen durch-
gehends unsem Codex. Ich hebe daraus nur hervor, daß der
Hauptkatalog von Fontainebleau, der E unter 159 anführt, ihn
außerdem als diödwQog /l bezeichnet ~ dies J steht noch heute
auf dem Deckblatt der Handschrift. Als schließlich bei der Ver-
legung der Bibliothek von Fontainebleau nach Paris unter Karl IX
die Handschriften von neuem katalogisiert wurden, erhielt E die
Nr. 521 \ — Wir wissen, daß Hieronymus Fondulus, dem Franz I
unsern Diodorcodex zu verdanken hat, fast ausschließlich in Ve-
nedig tätig war^). Da wir nun oben festgestellt haben, daß E
aus dem Marcianus V stammt, der seit 1468 nachweislich in Ve-
nedig ist, so wird man wohl vermuten dürfen, daß Hieronymus
Fondulus die Copie anfertigen ließ. Tatsache ist jedenfalls, daß
um die Zeit, in welcher Hieronymus in Venedig weilte, oder
doch nur kurz vorher E in Venedig geschrieben wurde. Daraus
folgt aber weiterhin, daß auch der Neapolitanus N, der in gleicher
Weise wie V von E benutzt wurde, um das Jahr 1500 in Venedig
1) Ueraosgegeben von Omont, Catalognes des manuscrits de Fontainebleau 871.
2) Aach dieser ist erhalten im Parisinus 8064 und von Omont herausgegeben
worden (a. a. 0. 355 ff.).
8) Omont (a. a. 0. 447). Dem gelehrten Herausgeber des Katalogs ist ein
Versehen bei der Identification der Diodorhandschriften unterlaufen, das ich hier
berichtigen möchte. Der ^iMdta^oi T ist = 158 des großen Katalogs; B = 157;
A = 156; ä = 159. Bei Omont sind aUe diese Ziffern um 1 SteUe zu hoch.
4) Vgl. Boivin bei Delisle, Cabinet des manuscrits I. 151.
328 R- Laqueur,
war. Allerdings ist es mir nicht gelungen, in den alten Kata-
logen von Venedig den Neapolitanas nachzuweisen. Tomasini,
dem wir unsere Kenntnisse von Venedigs Bibliotheken im we-
sentlichen verdanken ^), führt außer den jetzt in der Marciana be-
findlichen Diodorhandschriften nur zwei an. Die eine (Tomasini
S. 99) : „Diodorus Siculus 4. membran.^ war im Besitz des Alexander
Ziliolus (l. Hfte des XVU. Jahrhunderts). Sollte wirklich hier
ein griechischer Codex ^) gemeint sein, so war es sicher nicht der
Neapolitanus , der eine Bombycinhandschrift ist. Die zweite, von
Tomasini S. 110 erwähnte Diodorhandschrift war im Besitz des
Vincentius Grimani, unter dessen Büchern „Diodori historia et
Apollodori bibliotheca graec. fol.^ angeführt wird. Diodor und
Apollodor erscheinen, zu einem Codex verbunden, nur in dem
Parisinus 1658, und auch hier ist die Verbindung keine organische,
sondern ein aus dem 16. Jahrhundert stammender Diodorcodex ist
mit einem Apollodor aus dem 16. Jahrhundert rein äußerlich zu-
sammengesetzt worden*). Ich vermutete sofort, daß die Hand-
schrift des Grimani und der Parisinus 1658 identisch seien. Der
Parisinus 1658 stammt aus dem Besitz des Triebet du Fresne,
der als Bibliothekar der Königin Christine von Schweden in Italien
reiste. Seine Handschriften, die in die Nationalbibliothek ge-
kommen sind, findet man zusammengestellt von Omont (Inventaire
des manuscrits grecs XCII). Vergleicht man den Tomasinischen
Katalog der Handschriften des Vincentius Grimani und den Omont-
schen Katalog der Triebet du Fresne's, so kann an der Identifi-
cation der beiden Sammlungen kein Zweifel sein, wenn auch einer-
seits einige Handschriften Grimanis bei du Fresne fehlen, anderer-
seits bei diesem Codices nachweisbar sind, die Grimani nicht hatte.
Ich führe Grimanis griechische Codices an und setze die ent-
sprechenden Nmnmern im Katalog du Fresne's und in dem Omonts
in Klammern bei.
1) Tomasini, bibliotbecae Venetae manascriptae Utini 1650. Die Indices
sind vollkommen ungenügend und vor ihrer Benatzung ist eindringlich zu warnen.
2) Ziliolus besitzt im übrigen ausschließlich lateinische und itaUenische
Bücher. Dazu kommt, daß wir von allen erhaltenen Pergamentcodices nachweisen
können, wo sie zu Beginn des XYII. Jahrhunderts waren. Daß aber nachher
noch eine Handschrift verloren gegangen sein sollte, glaube ich nicht recht.
Wahrscheinlich besaß Ziliolus eine Uebersetzung Diodors.
3) Mit dem Beginn des Apollodortextes setzt eine neue Quatemionenzäh-
lung ein.
Untersuchungen zur Textgeschichte der Bibliothek des Diodor. 329
Paulas Aegineta [10. 221B]
Evangelia cum comment. Chrysost. Titi et alioram [5 — 6. 201]
Theophil, in Matthae. [3. 205]
Galeni opera [12. 2156]
De terrae motu et reb. metheor. [8. 1991]
Nicolai Calconditae histor. Turcarum [13. 1726]
Theodori Staditae opera [11. 891]
Demosthenis orationes [36. 2935]
Polybü fragmenta [31. 1650] ^)
Maximns Monachns [47.' 886]
Emannelis Moscopuli, Synesii Theoduli et Cyprii opera
[23—27. 2629]
Scolarii orat. et alia [28. 1191 1
Photii bibUotheca [32. 1226]
Photii de rebus eccles. in membr. [34. 1324 (?)]
Diodori historia et Apollodori bibÜotheca [20. 1658]
Heronis Spiritalia et alia [14—18. 2428]
lamblichus: ^sbg 6 t&v = de mysteriis [9. 1978]
Astrologia diversorum [52. 2397]
Strabonis geograph. [38. 1408]
Psalmista graec. lat. [48. 31]
Acta concilii Florent. [29—30. 423]
Vita Euripidis [44. 2808]
Officium recitand. in festis [43. 335J
Themistius [40. 2050]
Die übrigen von Tomasini [als griechisch^) aufgeführten Co-
dices sind entweder zu ungenau beschrieben, um sie bestimmt
identificieren zu können (opera diversorum graeca; opera Jo. Chry-
sost.), oder doch für uns verschollen, wie ein Libanius. Jedenfalls
ist deutlich, daß die Handschriften der G-rimanischen Bibliothek
nur in Paris zu finden sind*); der in Venedig gesuchte Neapoli-
tanus ist dort nicht nachweisbar. Moglicherweise war er in der
Mardana, aus der manche Handschriften verschwunden sind ^), aber
1) Das bei Toroasini hinter Polybü historia gedruckte antiqaas bezieht sich
aof die vorangehende Demostheneshandschrift (XI. Jahrhundert).
2) In dem Katalog erscheinen griechische und lateinische Handschriften,
Originale und Uebersetzungen durcheinander.
3) Es sei hier darauf hingewiesen, daß nachweislich der Parisinus 1668,
soweit er Diodor enthält, aus dem Marcian. append. VIL cod. VH (ehemals in
S. Giovanni e Paolo) abgeschrieben ist — d. h. eben in Venedig.
4) Castellani. Atti del R. Istituto Yeneto di Scienze lettere ed arti 1896/7
811 ff.
KffL Qaf . d. WiM. NMhriohtott. PkUolog^kiitor. EUot 1906. H«ft 4. 24
330 R- Laqueur, Untenachangen z. Textgeschichte d Bibliothek d. Diodor.
aach eine der zahlreichen kleinen Bibliotheken, über deren Unter-
gang wir eben so schlecht unterrichtet sind, wie über die Be-
stände der in Keapel zusammengeflossenen Bibliotheken, mag den
Codex geborgen haben ^).
1) Da N nach gütiger Mitteilung von Herrn Martini zu den von Paul III. ge-
sammelten Handschriften gehört, so steht auch Ton dieser Seite unserer Annahme
nichts im Wege.
Ueber den Namen Göttingen.
Von
Leo Heyer.
Vorgelegt in der Sitzung vom 24. November 1906.
In dem weiten Gebiete indogermanischer Wortbildong machen
in Bezng anf etymologisches Verständniss im Allgemeinen die
größesten Schwierigkeiten die Eigennamen, das heißt die Be-
nennungen einzelner Individuen. Dabei aber handelt sichs vor-
wiegend mn Personennamen und um Ortsnamen. Gar manche
unter ihnen erscheinen auf den ersten Blick allerdings etymolo-
gisch ganz verständlich, daß damit aber die wirkliche Erklärung
durchaus noch nicht gegeben ist, das zeigen beispielsweise Personen-
namen wie Kaiser ^ König, Papst ^ Bischof , Hereog, Graf und andere^
die durchaus nicht etwa erweisen, daß der betreffende Stammvater
wirklich Kaiser, König und so weiter gewesen sei. Man darf im
Allgemeinen behaupten, daß von wirklicher Erklärung eines Eigen-
namens nur die Rede sein kann, wenn sich feststellen läßt, zu
welcher Zeit und von wem ein Eigenname gegeben worden ist.
Doch aber läßt sich nach vielen Sichtungen auch eine mehr
oder weniger große Wahrscheinlichkeit der Erklärung von den
Eigennamen gewinnen. Bei umfangreicherer Betrachtung von
Eigennamen ergeben sich wohl manche mehr oder weniger reiche
Gruppen von Bildungen, deren Gleichartigkeit sich gar nicht ver-
kennen läßt und die in dieser Gleichartigkeit auf ganz bestimmte
Bildnngsgesetze hinweisen.
Neben zahlreichen Ortsnamen mit dem Schlußtheil -feld, wie
Zdlerfeld, Elberfeld, Dransfeld, Kreftld, JUatisfeld, giebt es auch
manche, deren Schlußtheil -felde lautet, wie Bursfelde, Bodenfelde,
24*
332 Leo Meyer,
Mollenfdde, Leinefelde, Lichter felde, Barfelde, Heiligenfelde, Bartol-
feldej Friedrichsfdde, Oebisfelde, Blanhenfelde, Grafeide (im Kreise
Alfeld), Lasfelde, Rehfelde^ Hasselfelde, Siptenfelde, Parsfelde (im
Harz), Heisfelde (bei Leer), Eothenfdde (bei Osnabrück), Birken-
felde, Langenfelde (unweit Altona), Marienfelde, Honigfelde, Obern-
fdde, Steinfelde, Mentedsfelde (unweit Lippstadt), Neuenfdde, Oestring-
felde (bei Jever), Vorsfelde, Hirschfelde, Bochsfelde und andere.
Ganz ähnlich wie solche Bildungen auf -felde und -fdd liegen
neben einander solche auf -berge und -berg, wie zum Beispiel Heidel-
berg, Andreasberg, Hereberg, Königsberg und auf der andern Seite
Lippoldsberge, Wittemberge, Baalberge (bei Köthen), Weinberge (bei
Liebenwerda), Günthersberge (im Ostharz), Finkenierge, Hoberge (bei
Bielefeld), Cadenberge, Kälkberge (bei Berlin), Hereberge (bei Berlin),
Hausberge (bei Minden).
Und weiter lassen sich hier auch noch Doppelformen anfuhren
auf -^ald und -toalde, wie beispielsweise Greifswald, Osterwald,
Steuerwald und auf der anderen Seite Gierswalde, Eberswalde,
Ärnswalde, Rügenwalde, Julienwalde, Heinrichswalde (in Preußen),
Hauswalde (anweit Elbing), Finsterwalde, Freienwalde, Friedrichs-
walde, Neuenwalde, Stefanswalde, Gottswalde (in Ostpreußen), Eich-
walde, Königswalde, Altenwalde (im Lande Hadeln), Friedewalde,
Regenwalde (in Pommern), Sonnenwalde, Fürstenwalde, Ringenwalde,
Neumittelwalde, Leisenwalde, Sommerswalde, Tillwalde, Lichtenwalde,
Kaiserswalde, Steffenswalde, Hertigswalde, Luckenwalde, Grünewalde
(bei Schönebeck).
Warum im einzelnen Fall die einfache Wortform oder die
Form auf e sich endgültig festgesetzt hat, wird sich schwer be-
stimmen lassen, und vielfach wird sicher auch ein Schwanken nach
der einen oder andern Seite vorgekommen sein, wie zum Beispiel
neben Greifswald aus alter Zeit die Nebenform Grippiswalde bei-
gebracht wird. Uns genügt hier auszusprechen, daß die ange-
führten Formen auf e nicht etwa bewahrte alterthümliche Formen
auf einen auslautenden Vocal sind — Feld würde auch schon
gothisch einsilbig lauten *ßth, Berg gothisch *bairgs — , sondern die
Wortschlußtheile -felde, -berge, -walde sind dativische Formen, die
aus dem lebendigen Gebrauch der Sprache entnonmien und so
gleichsam erstarrt sind.
Es kann ja ausgesprochen werden, daß alle Ortsnamen , mag
man sie auch an und für sich in ebenso mannichfaltigen Satz-
gestaltungen wie beliebig andere substantivisch selbständige Wörter,
also in jedem verschiedenen Casus, denken können, doch natürlicher
Weise tausendmal häufiger, als irgend wie anders, in localer Be-
über den Namen Göttingen. 333
deutnng gebraacht werden. Dabei aber überwiegt im Deutschen
durcbaas die dativische Form, das heißt immer inVerbindong mit
Präpositionen. Während der Römer sagt Romam proficisd, RonMe
viverCy Roma vinit, heißt es im Deutschen „nach der Stadt Rom
reisen, in der Stadt Rom leben, er kam von der Stadt Rom^.
Besonders hänfig and besonders deutlich tritt diese dativische
Bildung bei den Ortsnamen entgegen, die mit einem Adjectiv an
erster Stelle zusammengesetzt sind, wie zum Beispiel im Namen
Rothenburg, Man kam eben „von der rothen Burg, weilte auf der
rothen Burg, begab sich nach der rothen Burg^. Andere Beispiele
sind Weißenburg ^ Blankenburg, Oldenburg, ÄUenburg^ Liebenburg ^
Wittenburg , Langenburg , Hohenburg , Festenburg , Neuenburg ; —
Schwär eenberg, Lichtenberg^ Schar feriberg^ Oldenberg, Ältenberg^ Lan-
genberg^ Hohenberg^ Heiligenberg (in Hessen), Wittenberg, Altenberg,
Liebenberg; — Rothenkirchen, Neuenkirchen, Hohenkirchen (bei Cassel),
Obemkirchen, Ältenkirchen; — Heiligenstadt, Seligenstadt; — Weißen-
fds, Lichtenfels, Hohen fels; — Lichtenstein, Altenstein, Breitenstein,
Scharfenstein^ Hohenstein, Dürrenstein] — Gelbensande; — Breiten-
bach] — Großenhain; — Langendamm, Heiligendamm; — Blankenheim,
Langenheim; — Langenfeld, Breitenfeld, Neuenfelde, Heiligenfelde,
Rothenfelde; — Neuenwalde, Altenwalde, Freienwalde, Heiligenwald,
Lichtenwalde; — Rothenbrunnen (inG-raubünden), Weißenbom, Kalten-
bom, Lichtenborn, Schwär eenborn; — Rothenmoor; — Neuenhaus; —
Lichtenhagen, Langenhagen, Freienhagen; — Kaltenweide; — Rothen-
ditmold] — Neuenhof; — Langenbrügge ; — Großenrode; — Heiligen-
see, Langensee, Weißensee; — Hohendorf, Altendorf; — Hoheneiche;
— Langensalza; — Altenbruch; — Weißenthumt; — Lautenthal,
Deutschenthal; — Altenwied] — Alteneaun (in der Altmark); —
Grünenplan; — Heiligenhafen; — Hannover, das in hochdeutscher
Form Hohenufer lauten würde; — Neuendettelsau, }Mttenau, Altenau.
Als ich einst mit zwei lieben Freunden im Harz auf dem Wege
von Clausthal nach Altenau war, fragten wir eine begegnende
ältere Frau, ob wir auf dem richtigen Wege nach Altenau wären,
und sie erwiderte: „ja dort kommen Sie nach der alten Au^. Sie
gebrauchte also den Namen nach ganz nach der alten lebendigen
Weise.
Besonders deutliche dativische Formen liegen auch noch vor
in den zahlreichen Ortsnamen auf -hausen. Woher diese Form,
die in unserer Flexion des Wortes Haus, das in jenen Namen doch
gar nicht verkannt werden kann, gar nicht mehr vorkommt? In
weitestem Umfang nehmen unsere einsilbigen neutralen Substantive
zur Bildung des Plurals ein suffixales er an, das ursprünglich mit
334 Leo Meyer,
der Flnralbildimg als solcher gar nichts zn thnn hat, sondern von
einer kleinen Grrappe mit jenem Snffix gebildeter Nominalformen
aasging, später aber immer weiter nm sich griff nnd geradezu
plaralbildend aufgefaßt wurde, ganz ähnlich wie zum Beispiel
Pluralformen wie Ochsen, Grafen, Buben und andere uns wohl den
Eindruck machen, in dem en ein pluralbildendes en zu enthalten,
in ihm aber ursprünglich vielmehr ein nominales Suffix enthalten,
neben dem die Suffixe des pluralen Casus früh eingebüßt wurden.
Im Mittel- und Althochdeutschen haben die einsilbigem Neutral-
substantive im Nominativ (nnd Accusativ) in der Regel gar kein
Casuszeichen mehr und so lautet zum Beispiel zu unserm Kind
der althochdeutsche Plural auch Kindj der mittelhochdeutsche Kint
(daneben auch schon Kinder).
Das allmähliche weitere Umsichgreifen des suffixalen er in den
Pluralformen findet seine natürliche Erklärung in dem Bedür&ifl,
den Nominativ (und Accusativ) des Plurals von dem des Singulars
in der Form deutlicher zu unterscheiden.
Der plaraldativische Ausgang -hausen entspricht seinem Inhalt
nach genau unserm Häuseru, so daß also zum Beispiel der Orts-
name Friedrichshausen (im Solling) für uns seine Erklärung findet
in Wendungen, wie „er kam von Friedrichs Häusern, er war in
Friedrichs Häusern, er begab sich nach Friedrichs Häusern^. Das
'hausen aber weist in die sehr alte Zeit zurück, wo die Pluralform
zum Substantiv Haus noch ohne das suffixale er gebildet zu
werden pflegte.
Daß die Ortsnamen auf -hausen im Allgemeinen schon sehr
alt sind, ergiebt sich wie insbesondere aus der soeben erläuterten
Form an und für sich, weiter auch deutlich daraus, daß die meisten
nicht ihre Erklärnng gleichsam deutlich an der Stirn tragen, wie
es zum Beispiel das oben angeführte Friedrichshausen thut. In
ihm ist ganz deutlich der Ort nach einer Persönlichkeit genannt
und ebenso, darf man vermuthen, wird es überhaupt bei den Orts-
namen auf 'fuxusen der Fall gewesen sein. An solchen, in denen
dieser Ursprung noch ganz deutlich ist, wird man anführen dürfen:
Wiebrechtshausen (bei Northeim) , Waltershausen , Sieboldshausen,
Cruntershausen , Wolframshausen , Lippoldshausen , Landolfshausen,
Hüdburijhausen^ Älbrechtshausen (bei Catlenburg), Wollbrechtshausen,
BadolfsJiausen, Lutterhausen^ Deppoldshausen , Wolbrandshausen, Lu-
dolfshausen und andere.
Besonders zahlreich ist diese Art der Ortsnamenbildung in
der engeren und weiteren Umgebung Göttingens vertreten, wie in
Herherhausen, Ellershausen, Ediehausen, Hetjershausen, SeUmarshausen,
über den Namen Göttingen. 385
Mengershausen, Bishausen^ Eddigehat^sen, JReyershausen, Giershausen,
Stockhausen, Beinhausen, Ballenhausen, Sudershausen, Bülingshausenf
Bösiehausen, OeUiehausen, Benniehausen, Bischhausen, Bittmarshausen,
Sattenhausen, Grermershausen , Wüeenhäusen, CHeboldehausen , Bits-
hausen, Elvershausen, Schwiegershausen, Wollershausen, Thüdinghausen,
Volpriehausen, Wachenhausen, Berwartshausen, Bdliehausen, Uessing-
hausen, Werliehausen, Bernshausen, Reifenhausen, Ateenhausen, Dinket-
hausen, Allershausen, Reitliehausen , Sievershausen, Dankershausen,
Embshausen und anderen.
In manchen Formen ist das alte -hüsen zu einfachem sen ver-
kürzt, wie in Hardegsen, Adelebsen, Hettensen, Bollensen, Lödingsen,
Bennigsen, Holtensen, Pattensen, für das, wie mir von befreundeter
Seite mitgetheilt wird, ein altes Pattenhüsen nachgewiesen ist.
Doch verfolgen wir das hier nicht weiter.
Ans Ernst Förstemanns Altdeutschem Namenbuch (Band 2,
zweiter Auflage, 1872), dieser reichsten Fundgrube für deutsche
Namenforschung, die aber nur die Namen verzeichnet, die bis zum
Jahre 1100 nachgewiesen sind, ergiebt sich, daß die zahlreichsten
deutschen Ortsnamen die mit dem Schlußtheil -heim sind, wie
Hildesheim, Mannheim, Eüdesheim, Oeisenheitn und die übrigen.
Die Namen mit dem hüs (Haus) im Schlußtheil stehen in Bezug
auf ihre Häufigkeit erst an dritter Stelle. An zweiter aber stehen
die Ortsnamen auf ingen, von denen noch einiges zu sagen ist.
Wörter mit suffixalem ingen — von geringeren Schwankangen
in den Formen sehen wir hier ganz ab — giebt es im Deutschen
nicht, abgesehen eben von den Ortsnamen und hier und da aus
ihnen auch wieder hervorgegangenen Personennamen. Im Gebiete
der Ortsnamen aber sind die Formen auf ingen ursprünglich ebenso
wie die auf hausen (hüsen) plurale Dative, mit ihnen aber werden,
während in den Namen auf hausen deutlich Oertliches bezeichnet
wird, ursprünglich Persönlichkeiten bezeichnet.
Das plorale ingen führt auf ein singulares ing zurück, von
dem im Allgemeinen zu bemerken ist, daß es, abgesehen von den
im Allgemeinen nur sehr modernen Formen auf ling, wie LiMing,
Flüchtling, Feigling, Wüstling, Neuling und anderen, in neuhoch-
deutschen gewöhnlichen Wörtern sehr selten ist, etwas häufiger im
Mittelhochdeutschen, wieder etwas häufiger, aber im Ganzen doch
auch nicht übermäßig häufig, im Althochdeutschen, wie Jacob Grimm
im zweiten Theile seiner deutschen Grammatik (Seite 360 und
352) nachweist.
Sehr beachtenswerth aber ist, daß das suffixale ing außer-
ordentlich häufig in Personennamen auftritt und zwar bis ins
336 Leo Meyer,
neuhochdeutsche Gebiet hinein. So führt zum Beispiel das Adreß-
buch der Stadt Hannover für dieses Jahr ihrer über 600 auf.
Das muß seinen Grund in besonderer Bedeutung der Wörter auf
ing haben, es muß diese Bedeutung sich vorwiegend auf persönliche
Verhältnisse beziehen. Und so ist es am deutlichsten noch der
Fall im Angelsächsischen, wo das suffixale ing gai^ gewöhnlich
patronymiscb gebraucht wird« Jacob Grimm führt als Beispiel
unter andern die Reihe an: ida väs eopping (das ist ,Ida war der
Sohn Eoppa's'), eoppa esing (,Eoppa war der Sohn Esa's'), esa inging,
inga angenvitingf angenvit alocing, aioc h'eonocing, beonoc branding,
brand baeldäging, baeldäg vödening y vöden fridhovulfing , fridhovtdf
siuning^ siun godvulfitig, godvulf geäting (,der Sohn des Gedt oder
Gedta').
Es kann nicht wohl bezweifelt werden, daß die patronymische
Bedeutung des suffixalen ing nicht auf das Angelsächsische be-
schränkt, sondern in früherer Zeit auch über das weitere ger-
manische Gebiet ausgebreitet gewesen ist. So darf man als Grund-
lage für alle die zahlreichen Personennamen auf ing und damit
auch für die aus ihnen hervorgegangenen Ortsnamen auf ingen also
auch Personennamen muthmaßen.
Dabei aber ist noch ein besonderes zu bemerken. Als Haupt-
regel für alle echten deutschen Personennamen, wie dann auch
für alle indogermanischen Personennamen überhaupt, gilt, daß sie
aus je zwei Theilen zusammengesetzt sind, wie man es auch noch
in der großen Fülle der neuhochdeutschen Namen erkennen kann,
wie Oottfridj Friedrich^ Wilhelm, Konrad, Ludtvig, Rudolf, Gerhard,
Hartmann, Otfried, Bernhard, Herbert, Hermann, Albert, Helmbrecht,
Arnold, Berthold, Dankwart, Reinhard, Wolfgang, Siegfried, Crünt-her,
Walt'her, Reinhold, Oswald, Roderich, Robert, Erhard, Erwin.
Während so die Mehrzahl der oben schon kurz besprochenen
Ortsnamen mit dem Schlußtheil -hausen an der ersten Stelle mehr-,
in der Kegel, zweisilbige Formen, weil alte Personennamen, ent-
hält, scheint es sehr aufilQlig, daß die Personennamen auf ing
und die von ihm ausgegangenen Ortsnamen auf ingen vor diesem
Suffix in weitaus den meisten Fällen, obwohl ihre Grundlagen in
der Regel als Personennamen werden gelten dürfen, nur einsilbige
Wortformen enthalten. Mehrsilbige Formen an dieser Wortstelle,
wie Sigmaringen, Göderingen, Hemelingen, Hösseringen und andere,
sind selten.
Die Einsilbigkeit der Stammformen in der Mehrzahl der
Namen auf ing und ingen beruht auf eigenthümlicher Formenver-
kürzung. Franz Stark hat in einer Abhandlung unter dem Titel
über den Namen Qöttingen. 337
„die Kosenamen der Germanen^, deren erster Tbeil im 62. Bande
(Heft 4, Jahrgang 1866 April), der zweite im B3. Bande (Heft 3)
der Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften
in Wien, philosophisch-historische Classe, veröffentlicht worden
ist, eingehend darüber gehandelt. Er zeigt im weitesten umfang,
wie anch in solchen Verkürzongen Gesetz und Ordnung za erkennen
ist. Anch bei ans finden sich noch ganze Gruppen bestimmt ge-
kennzeichneter Namen Verkürzungen, wie zum Beispiel die auf e, wie
Frite (aus Friedrich), Oötjs (aus Gottfried), Heine (aus Heinrich),
Diea (aus Dietrich), Kum (aus Konrad), Setz (aus Seifried = Sieg-
fried), Walz (aus Walter), Lutz (aus Ludwig), Utz (aus Ulrich).
Wie alt diese Art der Verkürzung schon ist, zeigt beispielsweise
die Anführung aus einer Urkunde des zehnten Jahrhunderts, die
Förstemann (Personennamen Seite 781) bietet: Uodalricum ob
lepörem vocäverunt Uozdnem. Seite B19 bringt Förstemann die
Form Gislezo bei als von Giselbert ausgegangen. Noch mögen aus
Stark angeführt sein Henz (aus Heinrich 1,319), Sizo (aus Sieg-
fried 1,326), Bezdo (aus Heinrich 1,333), Opizo (aus Otbert 2,467).
Zahlreiche Namen auf o sind alte verkürzte, so Benno (aus
Bernhard), Hugo (aus Hugbert), Otto (aus Ottmar oder irgend einer
andern Zusammensetzung mit Ott), Udo (aus Udalrich, Ulrich,
Stark 1, 291), Bodo^ Ado (aus Adolf), Heino (aus Heinrich), Bruno ^
Theudo (aus Theodorich; Stark 1,272), Kuno (aus Konrad), Fredo
(aus Fredibert; Stark 1,273), Gundo (aus Gundfrit; Stark 1,274),
Bucco (aus Burchard; Stark 1,280), Immo (aus Ermenfrid; Stark
1,280), Ebbo (aus Eberhard; Stark 1,292), Reino (aus Reimund;
Stark 1,2%), üffo (aus Liudulf, mit Assimilation von If zu ff ;
Stark 1, 271 und 270).
Viele haben neben der Verkürzung auch noch deminutivische
Suffixe angenommen, so Liideke und noch weiter verkürzt Luke
(aus Ludwig), Reineke (aus Reinhard), Meineke (aus Meinhard),
Gödeke (aus Gottfried; Stark 1,303), JSöldeke (aus Arnold), Löseke,
Pinneke, Steineke, Seineke^ Henke (aus Heinrich; Stark 1, 31B),
Brunke (aus Brunhard; Stark 1,32B), Giseke (aus Giselbert ; Stark
1,303), Gercke (aus Gerhard; Stark 1,303), Wüke (aus Wilhelm).
Noch andere verkürzte Namen erhielten das deminutivische
Suffix el, wie Göbel^ Geibel, Seidel^ Riedel, Oerdely Runimelj Henkel,
Jenkel, Bökel, Siebel (aus Sigbold; Stark 2,473), Abel (aus Adel-
bold; Stark 2,473), Ebel (aus Eberhard).
Und so ließe sich noch manches anführen. Es mag hier genügen,
aus Franz Starks Anführungen noch die folgenden zu entnehmen:
Rode (aus Rudolf; 1,273), Wolf (aus Wolfhard; 1,274), Lampe
338 Leo Meyer,
(aus Lampert = Landpert; 2,442), Evert (aas Eberliard); 2,455),
Gert (aus Gerhard ; 2, 456) , Bernd (aus Bernhard ; 2, 456), Ärnd
(aus Arnold; 2,465), DtVcÄ (aus Dietrich; 2,468), Curt (aus Konrad;
2,460), Rolf (aus Rudolf; 2,461), Lüder (aus Liudhard: 2,491),
Gerber (aus Gerbrand; 2,496).
Wir beschränken uns im üebrigen darauf, noch ein paar
Formen auf ivg zusammenzustellen, in deren erstem Theil alte
Verkürzungen vorliegen : Henning (zu Heinrich), Oetting (neben Otto
zu Ottmar), Gerding (zu Gerhard), Reining (zu Reinhard), Dier-
hing (zu Dietrich), Gering (zu Gerhard), Nölting (zu Arnold),
Frerhing (zu Friedrich), lieinking (zunächst aus Reineke, weiter
aus Reinhard), Meineking (zu Meinhard), Rühling (zu Rudolf).
Aus der großen Fülle der Ortsnamen auf ingen^ die, wie oben
schon angeführt, aus Personennamen auf ing hervorgegangen sind,
mögen hier noch genannt sein: Oettingen (zu Otto), Wiäfingen (zu
Wolfgang oder irgend einer andern Zusammensetzung mit Wolf-),
Heringen (zu Hermann), Meiningen (zu Meinhard), Heiningen (zu
Heinrich).
Zu solchen zahlreichen Namen auf ingen gehört nun auch
unser GöUingen. Ohne Zweifel schließt es sich an das Wort Gott,
dabei ist aber zu bemerken, daß es daraus durchaus nicht ohne
Weiteres hervorgegangen sein wird. Vielmehr liegt in der Bil-
dung des Wortes eine besondere Verkürzung vor. Das Gott darin
ist der Rest eines alten mit Gott als erstem Tbeil zusammenge-
setzten Personennamens, wie deren vorliegen in Gottfried, Goitwald,
Gotibald, Gotthard, Gottbert^ Gottwin, Gottwart und andere (Förste-
mann Personennamen Seite 531 ff.). Es ist nicht unwahrscheinlich,
daß der zu Grande liegende alte volle Namen ohne weitere Um-
bildung einfach zu Gott verkürzt worden ist, ganz ähnlich wie zum
Beispiel der noch lebendige Familienname Volck nicht unmittelbar
aus dem Worte Volk entnommen sein wird, sondern aus einen dar
mit gebildeten zusammengesetzten Personennamen, wie etwa Volk-
mar, Volkbrecht (daraus Vollhrechl), Volkwart, Volkwin.
In meinem Geburtsort Bledeln unweit Hannover hieß früher
der wohlhabendste Landbesitzer Gott — sein Sohn August Gott
war mein erster Spielgenosse — , dessen Ahnherr gewiß nicht ge-
radezu als „Gott" bezeichnet sein wird, sondern seinen Namen
als Abkürzung aus irgend einer Zusammensetzung mit Gott-,
wie oben einige angeführt worden sind, erhalten haben wird.
Aus dem so durch Verkürzung entstandenen Namen Gott
wurde zunächst abgeleitet Götting, das noch als Familienname
geläufig ist, das ursprünglich den „Sohn'' und dann auch gewiß
über den Namen Götüngen. 339
allgemein den „Nachkommen eines Gott-" bezeichnet haben wird.
Ans dem Plural dazu aber wurde das dativische Cröttingen ge-
bildet: „Man kam von den Göttingen , fuhr zu den Göitingen, war
bei den Göttingen^j und aus solchen und ähnlichen Wendungen ent-
wickelte sich nach und nach der Ortsname, wie ganz ähnlich
zum Beispiel auch Landesnamen, wie Sachsen, Schwaben, Franken,
Hessen und andere sich aus alten Yolksnamen entwickelt haben.
Mit der Verschiebung der Bedeutung vergaß sich der ur-
sprüngliche Werth der Form vollständig, so daß man nun auch
von der Umgebung Gvttingens sprechen kann und Ableitungen
bilden, wie Göttingische gelehrte Anzeigen, Göttinger Mettwurst
und andere.
Sprachwissenschaft ist keine Mathematik, und so kann auch
niemand behaupten wollen, daß die gegebene Erklärung des Kamens
Göttingen mathematisch sicher und absolut richtig sei, sie ist aber
die einfachste und natürlichste, die sich geben läßt. Eine etwa
ganz abweichende Muthmaßung ihr entgegen stellen zu wollen,
würde nur dann als berechtigt gelten können, wenn nach irgend
einer Richtung hin bestimmt orientirendes Beweismaterial beschafft
werden könnte.
Die Aeren von Gerasa und Eleutheropolis
Von
E. Schwartz
Vorgelegt in der Sitzung vom 23. November 1906
Griechen and Körner datieren nach eponymen Beamten oder
Priestern; erst die gelehrten Geschichtsschreiber bringen die Sitte
auf von einer bestimmten Epoche an die Jahre durchzuzählen,
und diese Sitte ist nur spät nnd vereinzelt in die officiellen Da-
tierungen eingedrungen. Anders im Osten: da bietet die s. g.
Selenkidenära das älteste nnd imposanteste Beispiel einer Dnrch-
zählong; sie dürfte ans der Weiterzahlung der Regienmgsjahre
des Seleuhos entstanden sein ^). Die bithynisch-pontische Eönigsära
sowie die parthische des Arsakes sind Contrafacturen der seien-
kidischen. Und wie sich in diesen Nachahmungen ausprägt, daß
die Partherkönige und Mithridat Großkönige sein wollen wie
die Seleukiden, so setzt der römische Senat für die Provinzen
Makedonien und Asien nach dem Aufhören der hellenistischen Dy-
nastien neue Zählungen fest; eine Rechnung von einer bestimmten
Epoche an documentiert so präds wie nichts anderes den Beginn
einer ^neuen Aera'. In buntester Mannigfaltigkeit wuchern femer
aus der Seleukidenära die Jahreszählungen hervor, mit denen die
Städte des verfallenen Seleukidenreichs den Beginn ihrer Freiheit
feiern, mag diese selbständig gewonnen oder, was sehr viel häu-
figer, von den[ Römern geschenkt sein. Das große Aufräumen das
1) Auf den babylonischen astronomischen Tafeln [Zeitschr. f. Assyr. 8, 108 ff.]
steht regelmäßig neben der Ziffer der Aera der Name des regierenden Königs*
Das ist offenbar die älteste und legitime Form der Aera.
die Aeren von Gerasa und Eleutheropolis 341
Fompeius in Syrien unter den einheimischen Dynasten anrichtete,
wnrde von den hellenistischen Städten die die barbarischen Herr-
scher nicht liebten, freudig begrüßt und hat in den Daten der
Münzen und Inschriften zahlreidie Spuren hinterlassen. Man redet
daher noch inuner von einer pompeianischen Aera, obgleich der
Name die Sache nicht trifft und leicht zu falschen Vorstellungen
führt ^). Denn jene Jahreszählungen, die man mit diesem Namen
zusammenfaßt, sind einander nicht gleich und sind weder zur
selben Zeit noch von Fompeius eingeführt. Es sind alles Stadt-
ären, geschaffen zum Andenken daran daß die Städte ,die Auto-
nomie' erhalten hatten, d. h. darch die Neuordnung des Fompeius
als autonome üntertanenstädte der römischen Frovinz Syrien zu-
gewiesen waren. Sie sind nicht von den Römern, sondern von den
Stadtgemeinden selbst eingeführt, natürlich nachdem die römische
Regierung ihre Zustimmung gegeben hatte*). Eine syrische Fro-
vinzialaera giebt es nicht.
Das Aerenjahr einer Stadt ist zugleich das des in ihr gel-
tenden Kalenders; der Epochentag fallt mit dem bürgerlichen
Neujahr zusammen. Am klarsten zeigt sich das an dem s. g.
arabischen Kalender und der arabischen Frovincialaera : sie hängen
bis in späte Zeit fest und unauflöslich miteinander zusammen.
Damaskus hat den arabischen Kalender, zählt aber die Jahre se-
leukidisch: daher ist hier die Epoche der Seleukidenära nach der
julianischen Reform nicht der 1. October 312 v. Chr., sondern, ge-
mäß dem Neujahr des arabischen Kalenders, der 22. März 311^.
Es ist so gut wie sicher, daß in den weitaus meisten Städten
der Frovinz Syrien der lunisolare makedonische Kalender in G-e-
brauch gewesen ist, dessen Neujahrstag bei richtiger Schaltung
der Neumond nach der Herbstnachtgleiche war. Die Schaltung
wurde offenbar mangelhaft und unregelmäßig gehandhabt; es ist
daher unmöglich die vorjulianischen Epochentage der syrischen
Stadtären exact zu berechnen, und man muß sich begnügen im
Allgemeinen den Herbst eines Jahres als Anfang zu bezeichnen.
Fompeius kam im Frühling 63 nach Damaskus und eroberte Je-
1) Das Richtige steht bei Kubitschek, Archäol.-epigr. Mitthlg. aus Oester-
reich 13, 200 ff.
2) Ob nach dem Jahr 1 immer schon wirklich datiert ist, bezweifle ich;
die Epochen werden öfter durch Rückzählung festgesetzt sein. Für die Rechnung
macht das um so weniger aus, als es sich nie um mehr als wenige Jahre handeln
kann.
3) Vgl. Clermont-Ganneau, Recueil d'arch^ol. Orient 1,10 und schon vor
ihm Gutschmid bei Euting, nabataeische Inschriften 86.
342 E. SchwartE
rnsalem im Sommer desselben Jahres ; Scanms , dem er 62 die
Provinz übergab, schloß in diesem oder dem folgenden Jahre den
Frieden mit dem' Kabatäerkönig Aretas [los. A. I. 14,81]. Die
Freiheitsären laafen fast alle auf das Jahr der Befreiung von
jüdischer oder nabatäischer Herrschaft znrück; nimmt man hinzu
daß sie, gemäß dem makedonischen Kalender, im Herbst beginnen
müssen, so ergiebt sich, daß das Jahr 1 einer solchen Freiheitsära
frühestens = Herbst 64/63 sein kann.
Die jnlianische Ealenderreform hat auch die syrische Zeit-
rechnung umgestaltet ; aber wie die Acren dort ein buntes Durch-
einander bieten, so aach die Kalender. Die römische Regierang
hat offenbar auf der Einführung des julianischen Jahres bestanden,
es aber den einzelnen Stadtgemeinden überlassen, wie sie den
lunisolaren Kalender dem Sonnenjahr von 366V4 Tagen accommo-
diren wollten. Die Hemerologien *) zeigen, daß dabei in verschie-
dener Weise verfahren ist. Es kommt zweierlei in Betracht: die
von der Dauer der einzelnen Monate abhängige Construction des
Kalenders, die ohne Schwierigkeit aas den Hemerologien ent-
nommen werden kann, and der Neujahrstag, den sie nicht bezeichnen.
Was die Construction des Kalenders anbelangt, so wurden von
Antiochien, Seleukeia, Sidon und Tyros die römischen Sltägigen
Monate übernommen, so fremd sie den Griechen und Orientalen
waren, und zwar so, daß die ersten drei Städte an den römischen
Monaten nichts änderten als die Kamen, Tyros aber den einen
Monat zu 28 Tagen aufgab, und die 7 Monate vom Loos [beginnt
20. August] bis Peritios [beginnt 16. FebruarJ zu 30, die B vom
Dystros [beginnt 18. MärzJ bis Fanemos [beginnt 20. Juli] zu 31
Tagen zählte ^. Dagegen acceptirten Gaza und Askalon die aegyp-
tische Art das Jahr in 12 Monate zu 30 Tagen und fünf Epa-
gomenen zuteilen. Ueber die Schaltung ist nichts überliefert; sie
ist aber eigentlich nur im tyrischen Kalender zweifelhaft. Die
Namen der Monate sind durchweg die makedonischen in der üb-
lichen Reihenfolge, nar in Seleukeia sind sie seltsam durchein-
ander gerathen und mit anderen untermischt.
Der Neujahrsmonat des hellenistischen makedonischen Ka-
lenders war der Dios; das zeigt am deutlichsten die aegyptische
1) Leider ist man noch immer auf die gänzlich ungenügende Ausgabe Ton
St. Croix in Histoire de Pacad^mie royale des inscriptions et belles-lettres t. 47
[1809], 66 ff. angewiesen. Eine Publication mit getreuen Facsimiles der Hss. ist
unbedingt notwendig.
2) Niese Herrn. 28, 208 f., nach selbständiger Abschrift des florentiner He-
merologs.
die Aeren von Gerasa und Eleutheropolis 343
Gleichung Bios = Thoth [Strack, Rh. Mus. B3, 419]. Wenn nnn
die Sidonier den Dios so von seiner ursprünglichen Stellung im
Kalender wegrucken, daß sie ihn dem römischen Januar gleich-
setzen, so kann das nichts anderes bedeuten, als daß sie das rö-
mische Neujahr annehmen; die Ljkier haben es ebenso gemacht
[Kubitschek, Jahresh. d. oesterr. archaeol. Inst. 8, 118]. Dagegen
setzten die Gkkzaeer das Neujahr auf den 1. Dios = 28. October
= 1. Athjr des julianischen aegyptischen Jahres ^). Auch in den
übrigen syrischen Kalendern ist der Dios vom Herbstaequinoctium
mehr oder weniger weit abgerückt; in Antiochien ist er = 1
November, in Tyros = 18. November, in Askalon == 27. No-
vember (== 1. Choiak aegypt.). Der Grund kann nur der sein,
daß in Folge zu starker Schaltung in den lunisolaren Kalendern
das Neujahr von seiner legitimen Stelle, dem Neumond nach dem
Herbstaequinoctium, sich entfernt hatte'), und man andererseits bei
der Einführung des julianischen Kalenders die Monate möglichst
an der Stelle lassen wollte, die sie gerade einnahmen. Die Con-
struction des gazäischen Kalenders steht zu diesem altmake-
donischen Neujahrstag des 1. Dios in einem seltsamen Widerspruch,
aus dem sich wichtige Schlüsse ziehen lassen. Die dreißigtägigen
Monate der Gazaeer entsprechen genau denen des julianischen
aegyptischen Kalenders : der 1. Gorpiaeos ist gleich dem 1. Thoth
und fällt wie dieser auf den 29. August; dadurch sind auch die
übrigen Gleichungen mit den römischen und aegyptischen Daten
bestimmt. Die Epagomenen sind an der Stelle geblieben, die sie
im aegyptischen Kalender einnehmen, zwischen Mesore und Thoth
[24 — 28. August]. Da nun aber die Gazaeer das makedonische
1) Das Zeugniß des Marcos Diaconus, Vita Porphyr. 19, ist seit Ideler oft
angefahrt.
2) Es maß aaffallen, daß in Tier syrischen Kalendern vor der jalianischen
Reform za stark geschaltet ist: wenn die Gemeinden in der Regalierang des
lanisolaren Jahres aatonom waren, sollte man erwarten, daß aach der entgegen-
gesetzte Fehler sich einmal geltend macht. Das legt doch den Gedanken nahe,
daß die Schaltung in der Provinz Syrien Tor der jalianischen Reform einheitlich
regolirt war; die yerschiedenen Ansätze des 1. Dios in den reformierten Kalen-
dern lassen sich auf einen Statas des lanisolaren Kalenders zorUckfÜhren, in dem
dorch anrichtige Schaltang der 1. Dios darchschnittlich bis in die erste H&lfte des
Novembers vorgerückt war. Merkwürdig ist allerdings, daß bei der Einführong
der Reform den Gemeinden verstattet warde selbständig vorzagehn: das scheint
wiederam voraaszasetzen daß die Regalierang des lanisolaren Kalenders den
Städten überlassen war. Beides läßt sich vereinigen darch die Hypothese daß
der Schaltcyclas von der römischen Provindalverwaltang geregelt wurde, der Gang
des Kalenders im Einzelnen Sache der monidpalen fidiörden war.
344
E. SchwartE
Neujahr am 1. Dios beibehalten, verlieren die Epagomenen ihren
natürlichen Platz am Ende des Jahres nnd unterbrechen in nn-
logischer Weise den regelmäßigen Lauf der SOtägigen Monate.
Ebenso roh ist der Kalender von Askalon aus dem makedonischen
nnd aegyptischen zusammengeflickt. Auch hier sind die Monate
des festen aegyptischen Jahres beibehalten, nur werden sie anders
genannt als in Gaza: der 1. Thoth ist in Askalon nicht gleich
dem 1. Gorpiaeos, sondern gleich dem 1. Loos. Die Epagomenen
liegen aber an derselben Stelle, und das Neujahr fiel sicher nach
dem Gorpiaeos, wahrscheinlich ebenfalls auf den 1. Dios, der aber
nicht = 28. October, sondern = 27. November ist [Herm. 19, 417 AT.]
Zur besseren Ilebersicht füge ich eine Tabelle bei:
Aegyptisch
Guza
Askalon
Tyros
julianisch
1. ecDd
1. roQXtatog
1. A&og
10. A&og
29. August
1. Oaa}(pi.
l/Tjt€Q߀Q6Tatog
1. roQXtatog
10. roQTCicctog
28. September
1. 'AdVQ
1. Jtos Neujahr
1. 'TTteQßsQBtatog
lO.TxsQßeQetatog
28. October
1. Xo^ax
1. 'ATCsXXatog
1. ^roff Neujahr?
10. Jtog
27. November
1. Tv/Jt
1- Aidwatog
1. An;€Xkatog
10. AxsXXatog
27. December
1. MB%BiQ
1. nsQvuog
1. Aidwatog
10. AidwäCog
26. Januar
1. 0aiit6V(od'
1. AiöXQog
1. IIsQhiog
10. ÜSQiriog
2B. Februar
1. tfapftoi^t
1. Sccv^i^xög
1. AiiötQog
10. JiiöTQog
27. März
1. na%ayv
1. ^AQT6(Ai6l,0g
1. Sav^ixög
9. Sav'&txög
26. April
1. Ilawi
1. Aaiöiog
1. 'AQXB^lötog
8. AQre(Ai6i,og
26. Mai
1. 'Ejts^ip
1. ndvti(Aog
1. Aaiötog
7. Jaiövog
2B. Juni
1. MsÖOQfi
1. A&og
1. ndvri(iog
6. ndvtji^og
25. JuU
^Exayönevai.
^E7Cay6(A6vcu
*E7tay6(ABvai
B— 9. A&og
24.-28. August
Aus diesem Widerspruch, in dem das wirkliche Neujahr der
Grazaeer und Askaloniten zu dem virtuellen Neujahr steht, das
durch die Epagomenen angedeutet wird, erhellt daß das julianische
aegyptische Jahr in Gaza und Askalon einfach recipiert und ihm
unorganisch das makedonische Neujahr aufgepfropft wurde. Dann
aber ist es ausgeschlossen, daß das vorjulianische aegyptische
Wandeljahr in Gaza und Askalon vor der Beform, etwa als ein
Rest der ehemaligen ptolemaeischen Herrschaft, existierte : wäre
das der Fall gewesen, so hätte sich jenes Jahr genau so fixieren
lassen, wie es in Alexandrien und Aegypten geschehen ist. Viel-
mehr muß dort ebenso wie im übrigen Syrien der lunisolare make-
donische Elalender gebraucht sein ; als die Gtizaeer und Askaloniten
vor der Frage standen wie sie diesen julianisieren wollten, griffen
die Aeren von Gerasa und Eleutheropolis 345
sie lieber zu dem aegyptischen als zum römischen Kalender. Auch
auf die tyrische Modification des julianischen Kalenders hat die
aegyptische Art Einfluß gehabt *) : die Tyrier rechnen vom Loos
an, der bei ihnen zu zwei Dritteln dem Thoth gleicht, die Monate
zu 30 Tagen wie die Aegypter, aber sie verteilen die B Epago-
menen auf die 5 Monate die ihnen vorangehen, so daß dieser
Kalender eine in ihrer Art vollendete Musterkarte aus makedoni-
schen, aegyptischen and römischen Elementen ist.
Die Elalender der beiden Philisterstädte sowie die von Sidon
und Seleukeia sind schwerlich über die, z. Th. allerdings recht
ausgedehnte, Feldmark dieser Gemeinden hinausgedrungen. Anders
steht es mit dem von Tyros und der Provinzialhauptstadt Anti-
ochien. Dieser war zu Anfang des 4. Jahrhunderts sicher in
Caesarea recipiert, wie die Daten in Eusebius palaestinischen Mär-
tyrern beweisen; ebenso steht fest, dass die edessenischen Syrer
ihn angenommen haben. Nach dem tyrischen Kalender datiert
losephus; da er das nie sagt, sondern als selbstverständlich vor-
aussetzt, muß diese Form des julianischen Kalenders in Judaea
eingeführt sein, wie ich vermuthen möchte, schon von Herodes').
In Syrien und Judaea treten an Stelle der makedonischen Monats-
namen die babylonisch-aramäischen.
Das antiochenische Neujahr war, bis, nicht vor dem 7. Jahrb.,
das Indictionsneujahr des 1. September eindrang, der 1. Hyper-
beretaeos = 1. October. Hier galt die Stellung die der Monat
bei der Einführung der Beform unmittelbar nach dem Aequinoc-
tium einnahm, mehr als der Name. Den durchschlagenden Beweis
liefert der syrische Kalender, in dem der Hyperberetaeos w;aL
^^ 'erster TeSri', der Dios w;^^ wptL zweiter *Te§ri' heißt : die
1) Im Wesentlichen richtig von Kubitschek beobachtet, Jahresh. d. österr.
arch. Inst. 8,96.
2) Vgl. Abhdlg. VIII, 6 cap. 9. Meine Recensenten, die mir den Talmud
entgegenhalten und von dem Glauben an einen doppelten Kalender bei losephus
nicht lassen wollen, fordere ich auf sich die Gleichungen zwischen den Daten
des losephus und der Megillat Ta*ntt genauer zu überlegen als sie es zu tun für
n6thig gehalten haben: das ist wirklich jadische Ueberlieferung , aus den juristi-
schen Speculationen des Talmud ist für die' {üdischen Institutionen "^vor der Kata-
strophe unter Hadrian nichts zu lernen. Daß die jüdischen Mondfeste keinen
lunisolaren bürgerlichen Kalender verlangen, bezeugt die von mir gefundene Oster-
tafel unwiderleglich. Es ist wohl zu beachten, daß im N. T. die Opposition
gegen die römischen Steuern sich vernehmlich äußert; von einem Widerstand
gegen die bürgerliche Zeitrechnung ist nicht die leiseste Spur zu finden, weil es
keinen ,heiligen* Kalender neben dem profanen gab.
KgL Gag. d. Wia. Nftdirichten. Phflolor.-I&ittor. KUva 190«. Haft 4. 26
346 E. Schwartz,
Namen mächen es unmöglich den Jahresanfang zwischen Hyper-
beretaeos und Dios zu legen. Freilich behauptet der Kaiser lulian
einmal [Misopogon p. 361^], die Antiochener nennten ja wohl ihren
10. Monat Leos, und Eubitschek [Jahresh. d. oest. arch. Inst. 8, 104]
ist kühn genug gewesen daraus zu schließen daß erst nach lulian
das Neujahr vom 1. Dios auf den 1. Hyperberetaeos verlegt sei.
Der edessenische Kalender ist aber älter als lulian; das s. g.
syrische Martyrologium genügt zum Beweis. Einen Irrtum des
Kaisers anzunehmen macht um so weniger Schwierigkeiten als
die Stelle deutlich verräth daß lulian an den Kalender von Asien
dachte, wo er aufgewachsen war: dort war der Loos der 10.
Monat, dort wurden aber auch die Monate oft nur gezählt und
nicht benannt, was in Antiocbien nicht vorkommt.
Auch in Tyrus muß das Neujahr auf den 1. Hyperberetaeos
= 19. October gelegt sein. Denn losephus gleicht den Pascha-
monat Nisan, den der Pentateuch den ersten nennt, mit dem
makedonischen Xanthikos; dann ist der siebente Monat des Pen-
tateuchs, der aramaeische Teäri, dessen 1. das Neujahr ist, gleich
dem Hyperberetaeos. Niese [Hermes 28, 212] hätte das bürger-
liche Neujahr der Juden nicht auf den 1. Xanthikos setzen sollen.
Der Versuch des nachexilischen Priestercodex den babylonischen
Jahresanfang im Frühjahr einzuführen, ist gescheitert, schon unter
Nehemia fäUt das bürgerliche Neujahr auf den 1. Tiäri, in den
Herbst*) und ist immer drauf geblieben, auch in dem von den
ßabbinen erfundenen Kalender, der jetzt noch gilt. Aus den
Darstellungen des s. g. Mosaiks von Kabr Hiram, das einst die
Christophoruskirche bei Tyrus schmückte , folgt für das tyrische
Neujahr nichts. Kubitschek [Jahresh. d. österr. arch. Inst. 8, 98 ff.]
setzt die auf dem Mosaik vorhandene Anordnung der Monatsnamen,
die über das Neujahr nichts besagt, in eine hypothetische Reihen-
folge um und zieht dann aus dieser Hypothese weitere Schlüsse;
das ist mir zu verwegen. Wer will außerdem bestreiten, daß das
Zeichen des Mosaiks einer Vorlage folgt, die nicht speciell den
tyrischen, sondern den hellenistischen Kalender überhaupt dar-
stellte: er hatte doch dem Prindp nach zu den Jahreszeiten ein
festes Verhältniß.
Von den syrischen Kalendern sind noch zwei übrig, die ge-
sondert betrachtet werden müssen]: der von Heliopolis und der
s. g. arabische , der in Damaskus und der Provincia Arabia galt.
Sie haben das Gemeinsame, daß beide von aramaisirten Arabern
1) Wellhausen, Israelit, und jüd. Gesch. 175.
die Aeren Ton Gerasa und Eleatheropolis
347
gebraucht werden. Die Provinz Arabien deckt sich fast genau
mit dem ehemaligen Reich der Nabatäer [itsis], eines arabischen
Stammes, der, nach den Inschriften zu urteilen, aramaeisch,
allerdings mit einem deutlichen arabischen Einschlag, sprach. Araber
waren es auch, die im 1. vorchristlichen Jahrhundert in die Sen-
kung zwischen Libanon und Antilibanon eingedrungen waren und
dort Raubfurstentümer gegründet hatten, wie das *Haus des Ly-
sanias* um Chalkis am oberen Barada ^) und die Herrschaft des
Sampsikeramos in Homs. Dazwischen liegt Heliopolis-Baalbek,
dessen Kalender verräth, daß aramaisierte Araber in der alten
kananäischen Cultstätte dominierten. Die Hemerologien bieten ihn
in folgender Form:
Heliopo]
liB
jnlianisch
Provinz Asien
1. uiß
30 T.
23. September
1. KalOttif = ä 31 T.
1. 'IXovX
30 T
23. October
31. Kataaff
l.'^y
31 T.
22. November
30. '^«eXüalog = MO T.
1. esgQiv*)
30 T.
23. December
31. Aidvatog = y 31 T.
1. TEAQN »)
30 T.
22. Januar
30. üsgirios = * 31 T.
(J^TQog 28 T.)
1. Xocvov
31 T.
21. Febrnar
1. Sav»ix6s = c 31 T.
1. £oßa»
30 T.
24. März
1. yiQXBitieimv = { 30 T.
1. 'AduQ*)
31 T.
23. Aprü
1. Jaigiog = Ä 31 T.
1. Neittav
31 T.
24. Mai
1. Ildvfinog = «• 30 T.
1. 7«p»)
30 T.
24. Juni
2. J&og = r 31 T.
1. 'ßgw«)
30 T.
24. JuU-
1. roQXiatog = Ic 31 T.
1. Bafiiia
31 T.
23. Aagost
31. roQxiatog
(T^KSQßsQstatog 30 T.)
Die Monatsnamen sind bis auf zwei, Uy und rEAQN, die
1) loseph. AI 15,344 tbv otnov tbv Avcaviav^ das ist deutlich das semi-
tische 1^13 = Herrschaft.
2) 6E<C>PIN ist aus 60PIN ZQ emendieren, vgl. Wellhansen, Skizzen
und Vorarbeiten 3,97.
3) Auch TTEAQN ist überliefert. Der Name ist noch nicht gedeutet und
wahrscheinlich verdorben.
4) So für 'Adad zu lesen , die Verschreibung erklärt sich aus dem aramaei-
sehen Alphabet. Also hat der ursprüngliche Verfasser des Hemerologions für
den Kalender von Heliopolis eine aramaeische Vorlage gehabt.
5) Für laf^if,
6) Das ist der edessenische ^^.
25*
348 E. Schwartz
aramäischen. It4y, = ^^ nav^yvgig^ ist der Festmonat des Ssbs
li.iyi.6tog ' HkiojCüUrtig. Das ist arabisch; bei den Nabatäern be-
gegnet ein gleicher Monatsname, und im mnhammedanischea Ka-
lender giebt es ebenfalls einen jü^J^ ^^9 d. i. der Monat des Hagg,
der Pilgerfahrt nach Mekka ^). So wird Wellhansen [Skizzen und
Vorarbeiten 3, 97] Recht haben, wenn er auch in FEAQN einen
arabischen Namen vermuthet. Die aramaisierten Araber haben
dem griechischen Wesen kräftiger widerstanden als die eigentlichen
Aramaeer; daher haben sich die nichtgriechischen Monatsnamen
in Heliopolis behauptet, wie ja auch nur wenig griechische In-
schriften dort gefunden sind^).
Der Kalender selbst ist freilich alles andere als echt arabisch
oder aramäisch, sondern genau so künstlich construiert wie die an-
deren julianischen Kalender Syriens. Dadurch daß der 28tägige
Monat vermieden und B Monate zu 31 Tagen eingesetzt werden, be-
rührt er sich mit dem tyrischen : nur sind diese Monate hier über das
ganze Jahr hin verstreut, so daß jede sichtbare Beziehung zum
aegyptischen Kalender verschwunden ist. Das Neujahr ist nicht
überliefert, aber es ist kaum Zufall, daß der 1. Oct. auf den 23.
September, den G-eburtstag des Kaisers Augustus fällt. Der war
in Asien zum Neujahr gemacht, und es ist um so eher zu ver-
muthen, daß in Heliopolis das gleiche geschehen ist, als sich die
asiatische, den Syrern fremde Gewohnheit die Monate zu zählen
hier wiederfindet. Vgl. die Inschrift die Clermont-Gtmneau [Etudes
d'arch^ol. or. 2 (= Bibl. de Töcole des hautes ötudes 113), 147]
veröffentlicht hat:
Kt(6(ia tcöqI
6\)v %m y 1^1 Ma
xBÖAvmv
Ivdl ^ I gji*^
Unter t/ [d. i. der Abkürzungsstrich] kann nichts anderes ver-
standen werden als der 10. Monat der Makedonen. Die Bezifferung
heißt 'makedonisch' im G-egensatzj zu den aramäischen Monats-
namen. Das Jahr 947 Sei. ist = 1. Oct. 63B/6, die IX Indiction
= 1. Sept. 63B/636. Wenn die Ziffern der Monate ebenso laufen
wie in Asien, ist der 26. Juni 636 gemeint. Wie die Priester-
1) Vgl. auch Waddington 2370 4 ^0^ t&v .SoaSriväiv [= es- SuwM& =
Dionysias im Haor&n] äfitm t& ^8& AAov X [nach dem arabischen Kalender =:
18. August].
2) Jahrb. d. arch. Instit. 16, p. 21 des Sep.- Abdrucks.
die/Aeren von Qerasa und Eleutheropolis 349
scliaft von Baalbek darauf gekommen ist, sich den asiatischen
Kalender theilweise zDm Master zu nehmen, weiß ich nicht.
Wellhansen stellt a. a. 0. mit Recht den 'Ay mit dem ersten Tiäri
der Syrer zusammen ; es folgt ans dem Abstand vom Nisan. Setzt
man ihn als den alten Nenjahrsmonat gleich dem makedonischen
Dios, so zeigt sich die gleiche Verschiebung wie in den jnlianisirten
Kalendern (von Gaza, Askalon, Tyros, Antiochien: das ist ein
neuer Beweis, daß, wenn auch nicht der gesammte Innisolare Ka-
lender, so doch wenigstens der Schaltcyclas in der Provinz Syrien
bis znr jnlianischen Reform einheitlich geregelt war.
Der s. g. arabische Kalender war folgender Maßen constmiert;
die Angaben der Eemerologien werden dorch die Datierungen der
neu gefundenen Inschriften von Bi*r-es-Seba* bestätigt:
Savf^ixög beginnt 22. März = P''3^) 30 Tage
= n^Ä 30 „
= Ziovav^ 30 „
= noch nicht nach- 30 „
gewiesen
= a« 30 „
= bnb« 30 „
= -»rnDn 30 „
= noch nicht nach- 30 ;,
gewiesen
= *0D 30 „
= nM») 30 ^
= OOT 30 „
= m« 30 „
= noch nicht nach- 5 „
gewiesen.
Das Neujahr ist bezeugt durch die berühmte, von Ideler ci-
tierte Stelle des Simplicius, an der er die verschiedenen Neujahrs-
tage als Beispiele der igxal ^iösi anführt [comment. in Aristot.
phys. £p. 87B, 19 ed. Diels]: &g 81 f^fiBlg notoii(is^a ägxäg ivcavtoi^
Hhv jcbqI ^SQiväg rgoxäg &g 'Ad'tivatot, ^ icsqI (ABtoiCfOQiväg &g oC
^AqtBikCöiog
n
21. April
JaCöiog
7)
21. Mai
ndvfi(Aog
f)
20. Joni
ji&og
n
20. JaH
roQXiatog
r>
19. August
TxsQßsQStatog
»
18. September
^tog
n
18. October
'Amkkatog
T>
17. November
A'bdvatog
n
17. December
IlsQixiog
jj
16. Januar
JiiöXQog
f)
IB. Februar
'Exay6(A6vai
»
17. März
1) Die aramäischen Monatsnamen die auf den nabatäischen Inschriften vor-
kommen, hat Clermont-Ganneau [Ätudes d'arcb^ol. Orient. 2 (= Biblioth. de
Pdcole des hautes Stades 113), 62 nnd Recueil d'arch^ol. 2,226] zusammengestellt.
2) BrOnnow-Domaszewski, Provincia Arabia 1, 222 1%W9 Qva [arabische Pro-
Tinzialära] iirtph^ Ikovav %<: = 15. Juni 256.
3) Palestine Exploration Fond Quarterly Statement 1895, 57 nr. 42 ist za
lesen [T]sß[sd' Zahl] %al %a^ TEUtjvaff A[4fS}vlvaüiv] d. Das zweite Datum war
nach antiocbenischem Kalender gegeben.
350 E. Schwartz
^bqI tijv vvv KaXov(iivfiv ^Aötav^ ^ xbqI xsL(ieQLväg &g ^PiogiatoL^ ^
jcegl iagiv&g bg "Agaßag xcd ztcciiaöxrivoij iirivbg di st nvag igxiiv
ti^v TCavoiXrjvov Xdyovöiv ^ r^ vdov^), d'iösi. iöovxai aintu. Es ist
nach dieser Stelle nicht za bezweifeln, daß der 1. Xanthikos-Nisan
= 22. März das 'arabische' Jahr begann, und daß dies Datnm
für das des Frühlingsanfangs gelten sollte. Das ist babylonisch;
dort beginnt das Jahr mit dem Nisan, ond eine auf das Frühjahr
311 V. Chr. gestellte Modification der Selenkidenära ist auf
astronomischen Eeils.chrifttexten hellenistischer Zeit aufgetaucht^:
nach ihr wird in Damaskus datirt [s. o. S. 341]. Der Nisan wird
dem Xanthikos, der TiSri dem Hyperberetaios geglichen, wie in
Antiochien und Tyros; den Prindpien des altmakedonischen Ka-
lenders hätte es mehr entsprochen, wenn der Nisan zum Arte-
misios, der TiSri zum Dios gemacht wäre. So muß, obgleich die
Verschiebung nicht so stark zu sein scheint, wie in den syrischen
Kalendern, doch auch für das 'arabische' Jahr eine lunisolare
Vorstufe angenommen werden, die ebenfalls durch zu starke
Schaltung den Dios vom Herbstaequinoctium weggeschoben hatte.
Das ist kein zwingender Beweis, aber doch ein nicht zu ver-
achtendes Anzeichen dafür daß der s. g. 'arabische' Kalender
nicht außerhalb der Grenzen der römischen Provinz Syrien ent-
standen ist.
Wo das nun aber auch gewesen sein mag, jedenfalls zog man
dort die aegjptische Art das Jahr zu teilen der römischen vor,
weil sie einfacher und praktischer war. Im arabischen Kalender
sind auch die Epagomenen an das Ende des Jahres gestellt, nicht
in unorganischer Weise, wie in Gaza und Askalon, an dem Platz
gelassen, den sie im aegyptischen Kalender einnahmen. Auch hier
aber ist das feste aegyptische Jahr das Vorbild gewesen, und es
ist ebenso wenig wie in Gaza und Askalon daran zu denken, daß
ein aegyptisches Wandeljahr durch den arabischen Kalender fixirt
sei. Man braucht diesen {Einfall nur einmal bis in seine Conse-
quenzen zu verfolgen um zu sehen, daß er falsch ist. Es müßte
dann außer dem aegyptischen noch ein zweites Wandeljahr an
dem Ursprnngsort des arabischen Kalenders gegeben haben, mit
einem gänzlich verschiedenen Neujahr, das zur Zeit der julianischen
1) Wahre Mondmonate gab es in den bürgerlichen Kalendern zu Simplicios
Zeit längst nicht mehr ; aber die christlichen Ostertafeln operierten mit Neu- und
Vollmonden. Sollte er an diese gedacht haben?
2) Epping, Astronomisches aus Babylon. Ich entnehme das Citat ans Strack,
Rhein. Mus. 63,417; das Buch fehlt hier. Mit der Aera natu XaldaCovg , die
vom Herbst 311 v. Chr. ab läuft, ist diese nicht identisch.
die Aeren von Gerasa und Elcutheropolis 361
Reform auf die Frühlings cQ^htgleiehe gerückt war. Und trotz
dieser Differenz glich dies Jajir mit seinen SOtägigen Monaten
nnd seinen 6 Epagomenen dem aegyptischen wie ein ^i dem andern.
Ganz davon zu schweigen, daß das aegyptische Jahr von 365 Tagen
eine so merkwürdige, für das conservative aegyptische Wesen
charakteristische Form der Zeitrechnung ist, daß uur eine über
alle historische WahrscheinUchkeit hinwegspringende Specu^atio^
annehmen kann, es habe dies Jahr auc^ anderswo, unabhängig
von den Aegyptern, gegeben, ^lle Schwierigkeiten verschwinden,
so bald man annimmt daß das julianische aegyptische tfahr nach-
geahmt ist.
£s sind noch zwei Kalender bekannt^, die ebenfalls das Jahr
nach der aegyptischen Weise teilen, der des kyprischen Salamis
und der kappadokische. Für jenen ist ein Neujahr api 4. Sep-
tember mit ziemlicher Sicherheit erschlossen; offenbar ist das
aegyptische julianische Jahr aus jrgend welchen Gründen lejcht
verschoben, wie ja auch die Reihenfolge der aegyptischen Monate
etwas verändert ist, vielleicht weil einzelne zu Ehren des Augußjiu^
umgenannt waren *). TJeber den kappa4o]tischen Kalender ist
wenig bekannt. Die Hemerologien sind entstellt, stimmen auc|^
mit Epiphanius nicht überein ^). Es scheint freilich so als hajbe der
von ihnen tabulirte Kalender 12 Monate zu 30 Tagen und 5 Epa-
gomenen gehabt, mit einem Neujahr am 12. Dezember. DJe Mo-
natsnamen sind iranisch, zeigen aber eine junge Stufe der Sprache :
wie diese iranische Anleihe zu beurteilen ist, lehren der fabricirte
Stammbaum der kappadokischen Könige und die Inschriften des
Königs Antiochos von Kommagene, der von den makedonischen
und persischen Königen zugleich abstammen will und die griechi-
schen und iranischen Götter identificirt. Die iranischen Monats-
namen sind ebenso in hellenistischer Zeit einem lunisolaren Ka-
lender angeklebt, wie die Monate zu 30 Tagen bei der julianischen
Reform dem aegyptischen Kalender nachgebildet sind. Es ist eitel
Schwindel von einem uralten Zusanunenbang des kappadokischei).
Jahres mit dem fabelhaften altpersischen zu phantasieren, von
1) Für (las Einzelne vgl. Kubitschek Jahresh. d. österr. archäol. Instit. 8, 114.
2) Die Hemerologien zählen vom 7.— 31. December ^naY{6fiBvai) 5 — h«,
vom 1. — 10. Januar Xvxavoa (corrupt) %a-X. Danach setzt man gewöhnlich das
Neujahr auf den 12. December, die Epagomenen auf den 7.— 11. Epiphanius
gleicht den 6. Januar mit dem 13. Atafftaßa (also ist der 1. dieses Monats =
25. December), den 8. November mit dem 15. 'jQatatciy was als 1. den 25. October
ergiebt. Dann muß dieser kappadokische Kalender 31 tägige Monate gehabt
haben.
352 E. Schwartz
dem niemand etwas weiß^). Solche Combinationen werden schon
durch die nicht wegznraisonnirenden Thatsaclien widerlegt, daß
der Kalender des Achaemenidenreichs nach Ausweis der Inschriften
des Darios der aramäische war, daß die dort den aramäischen
gleichgesetzten altpersischen Monatsnamen mit den kappadokischen
nichts zn tnn haben und daß die Verwaltungssprache der kappa-
dokischen Satrapie aramäisch, nicht persisch war, wie die Münzen
lehren. Es war also zur Zeit ^der Achaemeniden in Eappadokien
gar keine altpersische Zeitrechnung da, die sich durch die helle-
nistische Periode hindurch bis zur Kaiserzeit hätte erhalten können.
Der arabische Kalender hatte officielle Gültigkeit in der 106
n. Chr. von Traian eingerichteten Provinz Arabien. Er behielt sie
auch in dem Teil der Provinz der später abgetrennt wurde und
an Falaestina Salutaris kam, und ist wahrscheinlich auch in den
Districten eingeführt, die erst nach 106 zur Provinz Arabien
geschlagen wurden. Es sind das die Batanaea, die Trachonitis
und der nördliche flaurän. Sie gehörten Agrippa II., wurden
nach seinem Tode eingezogen rmd der Provinz Syrien einverleibt.
Während hier im 2. und 3. Jahrh. nach Kaiserjahren datiert wird,
herrscht vom Ende des 3. Jahrh. ab die arabische Provinzialära:
daraus ist schon von Waddington ^) mit Recht gefolgert, daß sie
später zur Provinz Arabien gehörten. Die Aera setzt aber den
Kalender voraus *). Dagegen haben einzelne Städte die eine ältere
1) Aas den klaren und nücbteroen Berichten AI Bironi'e geht hervor, daB
die persischen Astrologen der muhammedanischen Zeit eine Aera gebrauchten, die
mit dem 16. Juni 682, dem Datum der Thronbesteigung des letzten Sassaniden,
begann und aus Wandeljabren Ton 865 Tagen bestand. Das ist ohne alle Frage
eine Contrafactur der Königsära nach der die griechischen Astronomen rechnen.
Was die Perser dann von einer Periode von 120 Jahren erzählen, nach deren
Ablauf ein Monat geschaltet sei um das Wandeljahr von Neuem zu fixieren, ist
Speculation; man braucht die Berichte bei AI Biruni nur zu lesen um zu sehen
daß das keine geschichtliche Ueberlieferung ist. Ob unter den letzten Sassaniden
unter astrologischem Einfluß wirklich ein Wandeljahr gebräuchlich gewesen ist,
mögen Berufenere entscheiden; eine altpersische Institution war es auf keinen
Fall.
2) Ich begnüge mich vorläufig auf Waddington zu nr. 2081 und Wright in
Palest. Fxplor. Fund. Quarterly Stat. 1895, 74 £f. zu verweisen; an anderer Stelle
werde ich ausführlicher über die Datierungen nach Eaiseijahren handeln.
8) Die Herausgeber von datierten Inschriften reducieren öfters falsch nach
dem antiochenischen statt nach dem arabischen Kalender. Z. B. Dussaud und
Macler, nouvelL arch. d. missions sdent. 10, 678 nr. 108 ['Anz, Haurän] iv h cvq
J^OQOv [so] c = 20. Febr. [nicht 5. März] 862. p. 693 nr. 155 = Rev. bibL
1905, 698 [et-Tajjibeh] (tri AAov b %q. i] [M.] xoif itovg vns = 24. Juli 690
[ind. Vm = 1. Sept. 589/590]. p. 694 nr. 163 [Kharabä] kt o%y ^Tns^ß m] =
die Aeren von Gerasa luid £leutheropoli8 353
Aera hatten, nicht nur diese sondern anch ihren Kalender beibe-
halten dürfen, als sie der Provinz zngeteilt wurden: ein sicheres
Beispiel ist Gerasa.
Außerhalb der Provinz galt der Kalender sicher in der Stadt
Damaskus und deren, recht ausgedehntem, Gebiet'). Das ist ans
der Stelle des Simplicius längst erschlossen, an der für jeden
Jahresanfang ein Kalender genannt wird und dem ^aiiaöxrivol xal
^jdgaßsg in den übrigen Gliedern nur je ein Subjekt entspricht.
Damaskus war seit Pompeius römisch *) und hat jedenfalls ebenso
wie die übrige Provinz Syrien seinen Kalender julianisiren müssen.
Bei dieser Gelegenheit werden die aegyptischen SOtägigen Monate
an Stelle des alten Wechsels von hohlen und vollen Mondmonaten
getreten sein. Die makedonischen Namen blieben, auch das baby-
lonische Neujahr, nur daß es jetzt nicht mehr mit dem Neumond
nach der Frühlingsnachtgleiche hin und her ging, sondern auf das
Aequinoctium selbst fixirt wurde. Die ganze Reform ist hier so
sachktmdig und verständig durchgeführt, daß der Gedanke nahe-
liegt*, daß Chaldäer d. h. Astrologen dem damaskenischen Ge-
meinderat gehoKen haben; war doch schon das vom makedonischen
abweichende Neujahr, das gewiß älter als die julianische Reform
ist, das 'chaldäische'.
Bei den Nabatäem werden schon in der Königszeit, vor 106,
durchweg die aramäischen Monatsnamen gebraucht. Dagegen be-
zeichnete das Hemerologion aus dem Epiphanias [61, 24 p. 446^.
447*] die Entsprechiingen zum 6. Januar und 8. November abge-
schrieben hat, die Monate mit anderen, nicht aramäischen Namen.
Es setzte den 6. Januar = 21. AACQN*): die Reduction paßt nur
auf den nabatäischen 21. j^iSvatog = 21. HM. Der 8. November
6. October 328. p. 717 JJUjC^ 7 ^^ 223 sü/jjt^ das Todesdatum vom Imm 'Iqais
= 23. November [nicht 7. December]r328. Dussaud und Macler, voyage arch^ol.
au Saf& p. 177 nr. 46 [Pnäk = 'Ivaxog] It* ^ß Usgitiov %a = 5. Februar.
1) Dussaud und Macler voyage arcb^olog. p. 209 nr. 102 hovg d^x -Aitov
ß% SS 10. Aug. 318. nr. 103 hovg (ov Savdi%oi^ ty [so deutlich das Facsimile]
= 3. April 166 [nicht 167]. nr. 103^*« itovg l... Iligitiov * = 25. Jan.
2) Daß Kaiser Caligula die Stadt an die Nabatäer geschenkt hätte, ist ein
falscher Schluß aus 2. Kor. 11,32. Ich komme darauf zurück.
3) So der alte Marcianus, dXcoojt» nur in der Basler Ausgabe. Der Monat
liegt allerdings an derselben Stelle wie der fEAQN in Heliopolis, aber ein plau-
sibler Name auf den sich beide Schreibungen zurückführen ließen, ist noch nicht
gefunden. Wo eine Controlle möglich ist, ergibt sich, daß die Namen bei Epi-
phaniQs besser überliefert sind als in den Hemerologien ; man muß also von
AACQN ausgehen.
35 4 E. Schwartz
war in demselben Hemerologion = 22. AfAGAABAeiÖ^), worin
Fleischer längst v;>oLJi ä^ erkannt hat. Das ist in Ansdrnck ond
Sache arabisch nnd bedeutet die Panegyris des (heiligen) Hanses,
d. h. des Heiligtums das den als Gott verehrten Stein umschließt
oder zu dem dieser Stein, wie in Mekka, erweitert ist [Wellhausen,
Skizzen und Vorarb. 69 ff.]. Wahrscheinlich galt der Hagg nach
dem der Monat hieß, dem Du Sarä = Jovödgrjs in Petra. Das
war ein schwarzer, viereckiger, unbehauener Stein, Ka 'bu ge-
nannt, wie sein S.ival im Higäz, der es soviel weiter in der Hei-
ligkeit bringen sollte; er stand in einem kostbaren Tempel*).
Seine Panegyris wird durch Inschriften römischer Zeit bezeugt,
die Leute von Adraa ernannten dafür einen eigenen TiavfiyvQidgxfig
der die Festpilger anzuführen hatte [Brünnow-Domaszewski, Prov.
Arabia 1, 220]. Leider hat der aramäische Name den die Nabatäer
für den Festmonat, ihren Pu '1 Higga, um mekkanisch zu reden,
verwandten, sich bis jetzt nicht gefunden, was um so mehr zu
bedauern ist, als grade dieser Monat in den aramäischen Kalendern
verschieden genannt wird : "p» in Palmy ra, ptDmtt bei den Juden,
die Edessener haben keinen Namen für ihn, sondern nennen ihn
den zweiten TeSri. Er ist im arabischen Kalender gleicji dem
makedonischen Jtog,
Zu diesen hemerologischen Zeugnissen ist noch ein inschrift-
liches ^ gekommen, Corp. inscr. sem. 2 nr. 349 , auf der Basis einer
1) Im Marcianus ist überliefert äyaG'acißaBid'y es braucht nur ein \ als A
gelesen zu werden, dann ist alles richtig.
2) Die Hauptstellen sind Epiphan. 51,22, wo die Deutung äaaJ' = J^^QV
ein im Arabischen naheliegendes Mißverständniß ist, und Suidas Sevcdgrig] aus
gelehrten Katalogen Clem. protr. 46, 2. Max. Tyr. 8, 8 p. 142 Reiske. Vgl. Well-
hausen , Skizzen und Vorarbeiten 8, 46. Den Sonnengott konnte Domaszewski
ruhig aus dem Spiele lassen [Provincia Arabia 1, 189].
3) Gildemeister [Zeitschr. d. deutsch. Palästina- Vereins 11,43] glaubte einen
arabischen Monatsnamen zu erkennen auf der Inschrift in Zeizün bei Tell-eS-Sihäb
(nicht weit von Der*a = "ASgaa, Karte : Zeitschr. d. Pal.-Vereins 20) , die von
G. Schumacher [Across tbe lordan 240] und Fossey [Kuli, de cor. hell. 21,44]
abgeschrieben ist: itov [so] nx (iri 'TnBgßtQBtiov « [22. Sept. 485] AYEIZIZIOYC-
Richtig transscribieren die Herausgeber der Inscr. gr. ad res. Rom. pertin. 3,1165
a{$£i Zi^LOvg. a^^i = a^^oi, (uiuat crescai floreat) findet sich auf syrischen
Inschriften nicht selten und ist zuerst der Sache nach von Clermont-Ganneau
[Recueil d'arch^ol. Orient. 4,119 und bei Dussaud und Macler, voyage archdol.
au Safä 191] richtig erklärt; es ist nur kein Imperativ, sondern Optativ, sowie
auch xccgri = xccgs^ri zu setzen ist. Die Kritzeleien auf der von Dussaud a. a. 0.
abgeschriebenen Inschrift lese ich a-ßjt *PoyaTo[ff] und [6] G'sdg fiov ['A']iß[o]v
a[^]^aiag [= a^^eag = a^^eiag]. Wadd. 2130 erkennt Dussaud a^^i Atßsa
noXXd und faßt Asßsa vielleicht richtig als Ortsnamen; ibid. 2415, besser Nouv.
die Aeren von Gerasa und Eleutheropolis 355
Statue die dem König der Nabatäer Rab'el gesetzt und später
erneuert ist: als Datum der Restauration wird angegeben nn^^a
Ksbtt nnnnb 16 [niö] «nT«^) *in *1T *0S, 'im Monat XüöbXbv^ welcher
ist fiWnü, Jahr 16 HaritaVs des Königs,
Leider ist gerade diese Inschrift besonders schwierig zu da-
tieren. Der König Kab^el, dessen 24. Jahr auf einer Inschrift
[C. I. Semit. 2, 161] mit dem Jahr 405 der damascenischen Seleu-
kidenära [= 94/95, vgl. Gutschmid bei Euting, Nabat. Inschr. 86]
geglichen wird, kann nicht gemeint sein; denn die Dynastie der
Nabatäer hörte schon 106 auf zu regieren. In der Herrscherreihe
die von Obädas, dem Zeitgenossen Herodes d. Gr. bis zu dem
eben genannten Rab'el lückenlos bekannt ist, kommt kein zweiter
Bab'el vor, und wenn auch zwisclien Aretas 0ikdXXtiv der 62 v.
Chr. mit Scaurus Frieden schloß, und Malchos, der zuerst im Jahre
47 vorkommt [vgl. Gutschmid a. a. 0. 85], Platz genug für einen
König ist, der Bab*el gehießen haben kann, so ist doch von diesem
nichts bekannt. Clermont-Ganneau [Rec. d'archöoL 2, 221 ff.] hat
den König Rab'el herangezogen, der nach Uranius [Steph. Byz.
Mmd'O)] den ^Makedonen Antigonos' in Motbo tödtete^): das kann
richtig sein, hlKt aber auch nicht weiter. Denn Gutschmids Ein-
fall [a.a.O. 84], es sei unter dem *Makedonen Antigonos' der
letzte Seleukide, Antiocbos Dionysos, gemeint, der allerdings auf
einem Feldzug gegen die Nabatäer fiel, ist ohne jede Frage falsch.
Man könnte sich die Aenderung jlvxiyovog in ^AvxCo%og gefallen
lassen, aber es ist mit Kecht darauf hingewiesen, daß der Zusatz
arch. d. miss. scient. 10,647 nr. 18 ist AYEONIMAKAP = «^Jov ^ yM%uQ.
Nouvell. Archiv, des miss. scientifiques 10, 654 nr. 82 a^girco (= a^ioito) Avdri
%\ Jßißa&f ebenso Clermont-Ganneau Rec. d'arcb. 7,209 [Inschrift aus Asdod]
a^^itm 6 %6iirig Ji[oyivrig], Richtig vergleicht Cl.-Q. a. a. 0. den syrischen GruB,
mit dem man den Bischof anredet ^po^cct^oi d. i. a^^vg = cc^ioig: o^ trans-
scribirt v. Anders ist die Transscription in den Kephalaia zu den Festbriefen
des Athanasius, vgl. Nachr. 1904, 345. — Wadd. 2081 ^Avndog JaSov inoirios xfj
*A^v& CeNNOTOY a^ ist CeNNOTOY weder rUlT, wie Waddington meinte,
noch ein Monatsname, woran Gildemeister denkt, sondern N. pr. das von r^t
'A^vai abhängt; über solche Gen. poss. bei Göttern vgl. Nöldeke zu Euting,
Nabat. Inschr. 47. 63.
1) Oder i<1DB^; das nabatäische Alphabet unterscheidet nicht zwischen ^
und •).
2) So transscribiren die Makkabäerbücher.
3) MeA'ta %d>iiri 'jQaߣag, iv fn iG'avsv *Avxiyovog 6 Maxsdav ^nb ^Pttß^ov
toü ßcicdi(og t&v 'Jgaßiciv, cbff Obgaviog iv nifintmi. Z hxi tfjt 'Agdßmv qpooy^t
t6nog d'avdtov.
366 ^- Schwartz
6 Muxs86v nicht auf einen König paßt, ferner stimmt die Geo-
graphie nicht*).
Nun ist freilich die Inschrift nicht nach dem König Rab'el,
sondern nach Rarität = ''Agira^ datirt, aber anch dies Datum ist,
theoretisch wenigstens, doppeldeutig, da zwei nabatäische Könige
dieses Namens in Frage kommen. Der jüngere kam in den
letzten Jahren des Her ödes zur Herrschaft*); das letzte Re-
giertmgsjahr das sich auf den nabatäischen Inschriften findet, ist
das 48. Er führt regelmäßig den Beinamen T\üP Dm 'der sein
Volk liebt', im Gegensatz zu Herodes und seinen Nachfolgern,
die nicht müde werden sich (piXoTcaiöageg und (piXogAiiaioi^ zu titu-
lieren. Clermont - Ganneau hat daraus daß auf dieser Inschrift
der Beiname fehlt, geschlossen daß der ältere Aretas gemeint
sei, dem nach dem Tod des Antiochos Dionysos das Diadem der
Seleukiden angeboten wurde imd der 62 mit Scaurus Frieden
schloß. Der Schluß ist sehr kühn: denn es gibt keine nabatäische
Inschrift die mit Sicherheit der Zeit vor dem jüngeren Aretas
Zugewiesen werden könnte, und das will um so mehr sagen als
sie unter diesem in Massen gesetzt sind. Es sieht ganz so aus,
als habe dieser Herrscher dem es glückte den allmächtigen Vezier
seines Vorgängers zu stürzen, für die Cultur und Civilisation
seines Landes ebensoviel getan wie sein Nachbar Herodes: das
plötzliche Auftreten einer Menge Inschriften die nach ihm datiei*t
sind, während die Regierung *Obädas' nie vorkommt, kann kein
Zufall sein. Es ist daher sehr gewagt zu leugnen daß eine In-
schrift die nach dem Namen des Aretas den Beinamen wegläßt,
auf den jüngeren bezogen werden könne. Er fehlt auch C. I. Sem.
1) M(oG'(o ist das heutige Mo'ta [Brünnow und Domaszewski, Provinz Arabia
1, 104. 2, 328] in der Moabitis. Antiochos zog aber längs der Meeresküste gegen
Petra [los. AI 13, 390 f. B. I. 1,99 f.], und man sieht nicht, wie er dazu konunen
sollte rund um das Südufer des Todten Meeres nach Moab zu marschieren.
2) Genau läBt sich das Jahr nicht bestimmen. Gutschmid gab selbst an,
daß das von ihm berechnete Jahr 9 v. Chr. nur approximativ sei [a. a. 0. 85] ;
man sollte also nicht immer wieder mit den Regierungsjahren des Aretas wie mit
sicheren Daten operieren. Uebrigens glaube ich an die s. g. dritte Reise des
Herodes nach Rom nicht. los. A. I. 16, 270 ist in dem Satz inoti/jcaro dh %al
cvv^nag Big *P<S}firiv iX^itv mindestens xhv 'JXi^avdgov ausgefallen, wie die
Parallelstelle B. I. 1,510 lehrt, wo einer Reise des Herodes mit keinem Wort
gedacht wird. 16, 217 ysvofiivai dh iv 'P6>fiTii ti&xbC^bv inain/jxovti bezieht sich
auf die zweite Reise, wie aus 273 deutlich hervorgeht; ich habe nie begriffen,
wie losephus diese dritte Reise so summarisch, um nicht zu sagen undeutlich hätte
erzählen können. Springt aber 16,271 die Erzählung auf 16, 90 ff. zurück, so
stürzen die Combinationen Gutschmid's zusammen.
die Aeren von Gerasa und £leatheropoIi8 367
2f 442, die auf den älteren za beziehen kein Grund vorliegt, and
es ist sehr fraglich ob nr. 160 Raum genug da ist um TXüiP Dm
zu ergänzen. Der jüngere Rab'el führt den Beinamen '^'^nÄ ''l
nw awi (etwa = Zbrijp), und doch gibt es Inschriften die un-
zweifelhaft ihm zugehören und den Ehrentitel weglassen [Clermont-
Ganneau, Recueil d'archiol. 4, 177J.
Wenn aber die Inschrift in die Zeit des jüngeren Aretas
gesetzt werden kann, ja muß, dann ergiebt sich die Erklärung
des doppelten Monatsnamens leicht und von selbst. Es war ein
neuer Kalender eingeführt, der die aramäischen Monatsnamen an
Stelle der einheimischen setzte. Eine Ealenderreform aber, die
um den Anfang unserer Zeitrechnung auftritt, muß mit der Ein-
führung des julianischen Kalenders in Zusammenhang stehn, und
ich wage die Vermuthung, daß Qaritat Rähem-^ammeh den juliani-
sirten Kalender von Damaskus in seinem Reiche angenommen hat.
Die Nabatäer waren ein Handelsvolk, das auf den Verkehr mit
dem römischen Reich angewiesen war: es wäre töricht und un-
praktisch gewesen, wenn sie den Vorteil der dort eingeführten
festen Zeitrechnung sich hätten entgehen lassen. Die aramäischen
Monatsnamen die in fester Gleichung den makedonischen ent-
sprachen und im semitischen Orient überall verstanden wurden,
wurden mit den einheimischen identificiert und verdrängten sie
rasch: außer der behandelten Inschrift sind jene bis jetzt auf den
Steinen nicht aufgetaucht, und das Hemerologion des Epiphanius
das sie aufführt, muß in früher Zeit zusanmiengestellt sein. Als
die Römer das Nabatäerreich zur Provinz machten, ließen sie den
damascenischen Kalender bestehn.
In Palmyra wird nach aramäischen tmd makedonischen Mo-
naten datiert. Man reducirt die Daten jetzt auf den antiocheni-
schen Kalender; es ist aber sehr zu erwägen ob nicht Clermont-
Ganneau [Etudes d'arch^ol. Orient. 2,75] Recht hat, wenn er die
Möglichkeit betont, daß die Daten auf den arabischen Kalender
gestellt sind^). Ein Datum mit der Ziffer 31 ist noch nicht ge-
funden, freilich auch keins mit einer Epagomene. Die Frage ist
also noch offen; sollte sie zu Gunsten des arabischen Kalenders
entschieden werden, so ist dieser auch nach Palmyra von Damaskus
gekonmien.
1) Damit habe ich nicht gesagt daB ich die Speculadoneo des geistvollen
französischen Orientalisten über den yorjolianischen palmyrenischen Kalender
für richtig halte; im Gegenteil leugne ich entschieden, daft auf diesem Wege vor-
w&rts zQ dringen ist.
358 K. Schwartz
losephus zählt A. I. 14,75 [= B. L 1,155 f.] die Städte anf,
die durch Pompeius von der Herrschaft der Hasmonäer befreit
wurden; z. Th. wurden sie *nea aufgebaut'. Im Binnenlande lagen:
Gadara [Mukßs], Hippos fSüsijah], Skythopolis [B^sän], Pella [Ta-
baqät Fahl], Dion, Samaria, Marisa [Teil Sandabanna bei Beth
Gibrin, vgl. Mitthlg. d. deutsch. Paläst.- Vereins 1902, 40], Asdod,
lamnia und Aretbusa *) ; am Meer Gaza, loppe, Dora, Stratons-
türm, das Herodes später zu Caesarea umgründete.
Die Aera von Gaza ist nach der julianischen Reform auf den
28. October 61 v. Chr. gestellt [Clermont-Ganneau, Archeol. Re-
searches in Palestine 2, 41 9 ff.]; soweit die bis jetzt zuverlässig be-
kannten Münzen ein Urteil verstatten, beginnen die Acren von
Dora und Raphia in etwa derselben Zeit*). Pompeius verließ
Syrien Herbst 63 oder Frühjahr 62; seine Anordnungen wurden
en bloc erst 69 unter Caesars Consulat durch einen Volksbeschluß
bestätigt. Trotzdem müssen diese Jahreszählungen, die nur als
Freiheitsären gedeutet werden können, irgendwie' mit den Ver-
fügungen des Pompeius zusammenhängen ; sollte ein Senatsbeschluß
des Jahres 60, der sich speciell auf diese Küstenstädte bezog, da-
hinter stecken?
Von den Städten des Binnenlandes die losephus aufzählt,
zählen Gadara, Hippos, Skythopolis, Pella und Dion auf den
Münzen ihre Jahre nach einer Freiheitsära, die zu den s. g. pom-
peianischen gehören muß. Genauer bestimmen läßt sich das Jahr 1
zunächst nur für Gadara. Es gibt gadarenische Münzen Neros
[de Saulcy, num. de la terre sainte 295 ff.] mit der Ziffer AAP.
Nach dem was ich eben über die Kalender ausgeführt habe, muß
für Gadara eines der in Syrien üblichen, mit dem Herbst be-
ginnenden Jahre angenommen werden. Setzt man Jahr 1 =
Herbst 64/63 v. Chr. , so fallen jene Münzen in das letzte Jahr
Neros 67/68 n. Chr. Mit dem Kopf Elagabals zusammen tritt
die Jahreszahl ATTC auf; auch dies ist richtig, wenn das Jahr 1
1) Unbekannt, aber nicLt mit dem Aretbusa zu feiwccfaseliii dai ^^tigcheli
Hamatl] tiDd tloma lag.
2) Deber Bora weiß ich nithtß bessereB lu sagen aJi was bei Kubttnehek,
&reb&oL epigr, Mitthlg. au« Oesteir. 13^ 209 itebi. Für Raf^hia kommc*n in Be*
triebt eine Münze [de Saulc)-, duid. de la Terre sainte 238] mit ATTO KOMO*
AOC 'UJ*1 ZAC tind eine Elagabals [a, a. 0* 239] mit ATTC l jo^iß verhteißi Jalir l
Tor Herbst t)i;60t diese nach Herbst 60/59 iüsutietzen. Mit Gabiui^e Procomilil
hat dio Aera nichts ixl toiu
j
die Aeren von Gerasa nnd Elentheropolis 359
erst im Herbst 64 begann. Dann ist 281 = 217/8 v. Chr. ; Elagabal
wurde Kaiser im Juni 218. Im Britischen Museum befindet sich
unter den Münzen von Gadara eine des Antoninus Pius mit der
Ziflfer TKC und eine des Marcus aus dem folgenden Jahr AKC [Cata-
logue of Greek coins, Galatia, Cappadoda and Syria 304J. Pius
starb am 7. März 161. Die Gleichung 1 = 64/63 v. Chr. ergiebt
die Jahre Herbst 1B9/160 und 160/161. Es wäre in diesem Falle,
sowie bei den erwähnten Münzen Elagabals, auch möglich von 68/62
V. Chr. auszugehn; das wird durch die Münzen Neros aus dem
Jahr AAP ausgeschlossen. Denn das Jahr Herbst 68/69, das dann
herauskäme, ist für Nero schon zu spät. Ich erwähne nebenbei,
daß die Stadt den Beinamen Pompeia erst seit Antoninus Pius
auf die Münzen setzt.
Eine mit dieser identische oder wenigstens ihr sehr ähnliche
Aera erscheint auf einer Inschrift, die in Tell-el-AS^ari ^) ge-
funden ist und am besten von Clermont-Ganneau [Recueil d'arch^ol.
5,23, in Majuskeln bei Fossey, bull, de corr. hellen. 21,47 =
Inscr. gr. ad res Rom. pert. 3, 1164] veröffentlicht ist:
Z*) ßXg inig xr^q Ai>xoxQi\xoQOs Eeßa
ötov Mdgxov 'Ü^covog öcatrjlgiag *AxoX
Xoq)[dv]rig /fioydvovg xatiiQ 7c\6Xe(Dg ti^v
6xoäv 6i)v [t\alg Sv6l tljaXCöi olx^oSdyi'qöBv
ix [x&v ISCiov BiöBlßCag xagtv t . . .
Otho hat nur vom Januar bis April 69 regiert ; die Gleichung
Jahr 1 = Herbst 64/63 v. Chr. erfüllt auch hier alle Bedingungen.
63/2 ist ausgeschlossen. Es muß also unter dem Tell-el-A§*ari
eine Griechenstadt gelegen haben, die durch Pompeius 'befreit'
wurde. Der Ort liegt da, wo die jüdische Peräa und Batanäa
aneinander stoßen, und die Vermutung ist erlaubt, daß die Has-
monäerherrschaft von Alexander lannäus bis hierher ausgedehnt
ist ■). Unter den Städten , die durch Pompeius den Juden ge-
1) Karte: Zeitschr. d. deutsch. Palästina-Vereins 20. Beschreibong : ebenda
167. Schumacher, Across the lordan 203. Die Schrift desselben Verfassers
Abüa of the Decapolis, London 1889 fehlt auf der hiesigen Bibliothek.
2) Die alezandrinische Abkürzung von hovg ist zu beachten; sie findet sich
auch auf nr. 9 der gerasenischen Inschriften , zufUlig mit derselben Ziffer zu-
sammen: LßlQ, in Damaskus [Clermont-Ganneau, Rec. d'archäol. Orient. 4, »8], im
Haur&n [Bull, de corr. heU. 21,41]; man wird noch mehr zusammenbringen
können.
3) Vgl. Eus. onom. 136, 2 NivBvri . . . iöti dl %al lovdaimv iig hi 9^
%6XiQ Nivivfi xuXovfiivri mgl tfjv yanflav r^; 'Jgaßücf. Hieronymus setzt hinzu
quam nunc eorrupte Nauen uoeant. Nawä liegt ca. 20 Kilometer n. von TeU-d-
Ai'aA.
360 E. Schwartz
nommen wurden, ist bis jetzt Dion niclit bestimmt: ich glaube
daß dies auf dem Tell-el-AS'ari gelegen hat. losephus erwähnt
die Stadt außer der schon dtirten Stelle noch A. I. 14, 47 =: B. I.
1, 132 ^). Aristobul und Hyrkan sind in Damaskus bei Pompeius
gewesen; in Dion verläßt Aristobul Pompeius, der gegen die Na-
batäer ziehen will, und kehrt nach Judäa zurück. Da Pompeius
sofort den Krieg gegen Judäa beginnt und über Pella und Sky-
thopolis ins Jordanthal marschiert, muß Dion nördlich, nicht weit
von Damaskus gelegen haben; sonst hätte der Anmarsch des
Pompeius eine andere Richtung genommen. In dem Krieg, den
Herodes vor der Schlacht bei Actium gegen die Nabatäer lührte,
fand die erste Schlacht, in der Herodes Sieger blieb, bei Dion
statt*), die Nabatäer sammelten dann ein neues Aufgebot bei
E^anata [el Qanawät]. Ein Blick auf die Karte zeigt, daß die
beiden Orte am w. und ö. Rand der Ebene von Batanäa, einander
grade gegenüber liegen. Damascius im Leben Isidors [Phot. bibl.
242 p. 347^ 29] beschreibt diese Ebene mit den Worten nadlov tf^g
^AQaßCaq ivTptXa)(idvov inb tijg eoD fidxQi^ ^Cag r^g igi^iiov nöXsiog.
Er schildert dann wie diese Ebene plötzlich in ein steiles, tief
eingeschnittenes Wädi [aöAciv] übergeht, das weiter unten sehr
fruchtbar ist; in ihm sei ein großer Wasserfall. Sw. und w. von
Tell-el-AS*ari sind zwei hohe Wasserfälle, bei Tell-eS-Sih&b und
bei Zdzün [vgl. die Beschreibungen bei Schumacher, Across the
lordan 29. 32]: die Umgegend von Tell-eS-Sihäb wird wegen
ihrer Obstgärten tmd Weizenfelder [xilnoi 9ud yecoQyiai Damascius
a. a. 0. p. 347** 38] gerühmt. Die Namensform Jia ist in nach-
constantinischer Zeit die gewöhnliche [vgl. Geizer zu Georg. Cypr.
p. 203]: daß ^fia und Jtov identisch sind, beweist das Excerpt
aus loseph. A. I. 13, 395—397 bei Georg. Syncell. 559, 1 wo Jiav
[überliefert Aiav] unter den Städten steht, die Alexander lannäus
eroberte; in der arg zerstörten Stelle des losephus ist der Name
ausgefallen'*). Schumacher [Across the lordan 207] bemerkt über
1) Der Name ist an beiden Stellen durch die z. Th. verkehrten Correkturen
einer Verschreibung entstellt. In der Archäologie ist überliefert Big AHAION
%6Uv: das führt auf AION> das teils in AION» teils in HAION corrigiert wurde.
Im B. I. geben die Hss. AIOCHAIOY ndXsm oder AlOC n6X8mg: hier ist aus
AIOY sowohl AlOC als HAIOY gemacht.
2) Die griechische Ueberlieferung giebt auch hier an beiden Stellen A. I.
15,111 und B. I. 1,366 Jt6cnoXtv: aber der Lateiner hat in der Archäologie das
Richtige dio ciuüatem erhalten.
3) Dagegen ist A. I. 13,393 AIAN falsch; im B. I. 1,104 steht richüg
nillav. Denn daß Alexander lannäus über Tell-el-AS*ari nach Gerasa und von
die Aeren von Gerasa und Eleutheropolis 361
die Ruinen : the extent of the remains praves that the ruins of Teil
el AslCari must be the site of what was an impartant cüy in an-
cient dnys, with an acropolis on the hill above, lying north of the
toten, Ausgrabungen werden sich um so mehr lohnen, als die
Stadt im 5. Jahrhundert, zur Zeit des Damascius, verlassen
war, altes also erhalten sein kann. Die wenigen Münzen von
Dion [de Saulcy 378 ff.; Catalogue of Greek coins, Galatia, Cappa-
docia, Syria 303] zählen die Jahre nach einer Aera, die auf 64/3
zurückgeführt werden kann. Die von de Saulcy angeführte, sehr
häufige Münze AKT- AIOY- A hat mit Dion nichts zu thun; sie ist
parthisch, jdtog bedeutet den Monat und das Jahr ist nach der
Arsakidenära auf 24 v. Chr. zu reducieren.
Als nach dem Tode des Antiochos Sidetes [129 v. Chr.] das
Seleukidenreich sich auflöste, setzte sich in Philadelphia = Rabbath
Amman ein Fürst arabischer Abstammung, Zenon Kotylas fest
[los. A. I. 13,235]; ihm folgte sein Sohn Theodoros. Das Fürsten-
tum breitete sich aus, Gerasa [A. I. 13, 393 = B. I. 1, 104] und
Amathus [A. I. 13, 356. 374 = B. I. 1, 86. 89] gehörten dazu.
Jenes wurde von Alexander lannaeus erobert, aber nicht behauptet:
denn unter den Städten die Pompeius von der jüdischen Herrschaft
befreite, zahlt losephus [s. o. S. 19] es nicht auf. Trotzdem be-
weisen die Aeren von Philadelphia und Gerasa, die, wie sich her-
ausstellen wird, übereinstimmen, daß auch diese von Pompeius
'befreit' sein müssen : wahrscheinlich hat losephus die Erfolge des
Hasmonäers übertrieben und war es diesem nicht gelungen das
Fürstentum des Theodoros zu zertrümmern.
Die Epoche der Aera von Philadelphia war nach dem Chron.
pasch, p. 351, 16 ol. 179, 2 = 63/2 v. Chr. 0. Nach der gerase-
nischen Aera wird vielfach auf Inschriften von Gerasa datiert.
Nach Lucas freilich, der in den Mitthlg. und Nachr. des deutschen
Pal.- Vereins 1901, 50 ff. eine sehr nützliche Sammlung dieser In-
schriften veranstaltet hat, und den Herausgebern des 3. Bandes
der Inscr. graecae ad res Rom. pertinentes hätte in Gerasa ein
bunter Wirrwarr von Aeren geherrscht: der muß zunächst be-
seitigt werden.
Lucas nimmt die Seleukidenära an in nr. 8, eine genaue Ab-
schrift in Maiuskeln steht bei Brünnow-Domaszewski, die Prov.
Arabia 2,253 nr. 2:
da ins G61än gezogen wäre, ist onglaubUch; der normale Weg nach Qerasa ist
über Skythopolis-Pella. CTTIAIAN ist ans l9rl<TT€A>AAN verschrieben.
1) Die Consnlate sind in diesen Partien des Chronicon paschale wertlos,
▼gl. Paoly-Wissowa R£ 8, 2464.
Xfl- <}•■• ^ Wlv. KMkrioktM. Fldloloff.-hirtor. KImm 1906. H«fl 4. 26
362 E. Schwartz
Ssßaöx&v 6(o\xYiQiag xal xrig zov di^iiov
6fio\voiag ZaßöCmv lAgtötondxov \ Csgaöä-
lAsvos Tißsgiov KcUöoQog \ TOEITETOYZ
iniä(ox6v ix x&v \ ISCmv sig xiiv oixodofiriv
xov tsQ\ov dgaxiiäg xUiag siföeßsiag \ Svbxsv.
Ein Datum steckt sicher in der nicht transscribierten Stelle,
vgl. die Inschrift von Laodicea Inscr. gr. 3, 1011 [sQuöaiiivTiv tö
älg ixBi [= 116/7 n. Chr.] xf^g xvgCag 'Jgxiiiidog. Nach der Seien-
kidenära wäre es 3/2 v. Chr. Dazu paßt weder ein Priestertum des
Tiberins noch der Plural Ueßaöxoi, der unter Augustns unerhört
ist und nur Tiberius und Livia bezeichnen kann. Die französischen
Herausgeber der Inscr. gr. [3,1344] schlagen daher vor xo{v) b%
ixovg zu transscribieren und treffen damit den Nagel auf den
Kopf. Nimmt man nach der Aera von Philadelphia an, daß das
Jahr 1 = 63/62 war, so kommt 22/23 n. Chr. heraus.
Am Anfang von Lucas nr. 70 = Dittenberger Inscr. Orient. 621
'Jya^^ xvxi]]l, ''Exovg diiQ[ .... xfi]g Zeßaöxfig
€lQi^v[rig inl x]ilg igxvg ^AnoXX(Dvio[v j4gi6]xiG)'
vog ngoiSgov xal . . . ov JrnirjftgCov Sexaxg}^)
\8iä ß\iov 7i6Xs(Dg xal ^^vxi6x[ov . . . .] mvog
&gx6vx(ov xal !SBg[... X\aigiov yga(ifiatB'6ovxog
ergänzten die früheren Herausgeber inb tilg UBßaöxfig Blg'^vqg und
redeten von der 'actischen' Aera. Das wird schon durch sachliche
Gründe verboten; denn in Syrien ist die s. g. actische Aera, das
ixog xflg vCx'qg der Münzen, nur ein Name für die Zählung der
Regierungsjahre des Augustns, die in den ersten Jahren des Tibe-
rius aufhört [Mommsen , Staatsrecht 2, 803, 2]. Außerdem wird
nach dem Text der Inschrift nicht von der Schlacht bei Actium,
sondern von der Fax Augusta an gezählt, und Dittenberger ver-
sucht wirklich die Aera auf 9 n. Chr., das Jahr in dem die Ära
Pacis dediciert wurde, zu reducieren, wundert sich freilich über
diese singulare Rechnung. Ich hatte längst statt inö ergänzt
{mig, als ich fand daß Kubitschek an einer versteckten Stelle,
die sogar Dittenbergers Späberaugen entgangen ist [Mitthlg. der
k. k. geogr. Gesellsch. zu Wien 43, 370], auf denselben Gedanken
gekommen war. Auch hier liegt die Freiheitsära vor; gemeint
ist, wie sich noch zeigen wird, das Jahr 66/67 n. Chr.
1) Abkürzung ftir dtncati
die Aeren von Qerasa und Eleotheropolis 363
Am unglücklichsten ist die Aera von Gerasa von F. Allen
[American Journal of philology 6, 192] behandelt; man brauchte
nicht viele Worte darüber zu verlieren, wenn ihm nicht die Heraus-
geber der Inscr. gr. gefolgt wären nnd ein Nebeneinander einer
speciellen Aera von Gerasa und einer 'Pompeiusära' construiert
hätten, das einen schweren historischen Fehler enthält. Eine s.g.
Pompeiusära ist nie etwas anderes als eine Freiheitsära einer
einzelnen Stadt, und es ist undenkbar, daß die Gerasener zwei
Freiheitsären durch einander gebrauchten. Allen basiert seine
Hypothese auf einer sehr schlecht abgeschriebenen Inschrift, nr. 29
bei Lucas = Inscr. gr. 3, 1356
i[xovg tiXq {;(«i)p rfjg tdbv Ufßaöt&v öarijQiag
PAlAN HITHEPANnYAH [ix
tdb]y IdCmv iv(d)^xav xal
..EIQNOY KOM . . OYnPr
In der letzten Zeile ergänzt Allen j^vrcivsivov Ko(i6dov XQ[oxQitov
x^g vs6xfitog](\) f behauptet, das wäre der Kaiser Commodus, tmd
schließt 'we have good reason for fixitig^ provisioYudly at least, the
era of Gerctsa in the spring (l) of 44 A. D. Wenn aus dem Tenor
der Inschrift etwas mit Sicherheit hervorgeht, so ist es das, daß
in der letzten Zeile kein Kaiser und am allerwenigsten der Kaiser
Commodus gemeint ist. Die letzten Buchstaben fähren auf ngeö-
ßsvtoi> kgati, und der Name Kbl(ov{()ov Kofiödov ist nicht zu ver-
kennen. Reduciert man das Jahr 138 auf 75/76 n. Chr., so stellt
sich heraus, daß von dem Consul des Jahres 78, L. Ceionius Com-
modus, die Rede ist. Er kann freilich 76/76 nicht Legat von
Syrien gewesen sein, wenn er erst zwei Jahre nachher zum Con-
sulat gelangte, außerdem steht durch Münzen fest, daß 76/7 der
Vater des späteren Kaisers Traian Statthalter von Syrien war
[Catalogue of Greek coins. Galatia, Cappadocia nnd Syria 180].
Aber nichts hindert anzunehmen, daß Ceionius Conmiodus damals
leg, leg. war.
An und fiir sich wäre es nicht undenkbar, daß in späterer
Zeit die arabische Provinzialaera [Epoche = 22. März 106 n. Chr.]
in Gerasa herrschte, wie sie in Kanatha eine Freiheitsära abge-
löst hat. Die Stadt wurde nach 151 [vgl. Lucas nr. 16] aber
noch unter Antoninus Pius [Lucas nr. 12 vgl. CIL VI 1383] von
Syrien abgetrennt und zu Arabien geschlagen^); nach 195 scheint
1) Antoninos Pias war im Winter 155/156 in Syrien, weil von den Parthem
Krieg drohte, Tgl. Abhdlg. YIII 6,184. Damit wird die Aenderong der Pro-
Tindalgrenzen zusammenhängen.
26*
364 E. Schwartz
sie eine Zeit lang zu Syria Phoenice gehört zu haben [Perdrizeti
Eev. d'archtol. 1899, 39 ff.] , wurde aber nachher wieder mit
Arabien vereinigt [Gteorg. Cypr. 1063. Hierocl. 722,7]. Aber
anch diese Aera wird ausgeschlossen durch mehrere Bauinschriften
später Zeit, auf denen neben der Jahresziffer die Indiction steht.
Sie stimmt nicht zu der Reduction nach der arabischen Aera,
vortrefflich dagegen zu der Epoche 63/62 v, Chr.
Lucas nr. 28. Irovg dq> roQXidov ivdexdxtig ivdtx, ind. XI =
1. Sept. 442/3.
nr. 25. r& Tqp in JCov %q6v(ov iCQ&xrig Ivd. ind. 1 = 1. Sept.
447/8.
n
nr. 30. xaQLU rov ^v i^siisXiAd'fi [toiko tb ii]aQtijQiov fi ^ica
tflg [xq] y Ivd x/ äv^l^sv rä {m^Q]&vQa iv (i ^im ttig s
[iv]d rot) a^ h. ind. V = 1. Sept. 496/7.
nr. 32. t& ixq> itsi xQ Y ivd. ind. lU = 1. Sept. 464/5.
Der Vergleich zwischen nr. 28 und 25. 30 zeigt , daß das
Neujahr in die Zeit zwischen Gorpiaeos und Dios, also in den
Herbst fallen muß. Damit ist der arabische Kalender ausge-
schlossen; ich halte es für das weitaus Wahrscheinlichste, daß in
Grerasa der antiochenische Kalender gebraucht wurde, so da£ nr.
28 in den Sept. 442, nr. 25 und 30 in den November 447 und
496^) gehören. Wie dem aber auch sei: die Acren von Gerasa
und Philadelphia können höchstens um 1 — 2 Monate differiert
haben: ihr Jahr 1 ist Herbst 63/62 v. Chr.
Auf dieses Jahr sind sämtliche Daten gerasenischer Inschriften
und Mfinzen zu reduderen. Man soll sich durch paläographische
Ghrände, die bei Inschriften des Orients immer ein sehr gefähr-
liches Argument sind, nicht irre machen lassen. Nr. 7 Lucas =
Inscr. gr. 3, 1343 Itovg ßi6 ^cueiov ä ist wahrscheinlich am 1. Juni,
sicher im Jahre 160 gesetzt, trotz der Ligaturen, und nr. 5 «
Inscr. gr. 8, 1363
!Aya9il irt^ijt. TStovg ßfLQ imlg ti^g t(bv Ikßa6v(bv 6anriQtag
^AQtifLiii, xvQÜK tiiv 6toäv iniifiöav ix %(bv litmv ot ösßö"
(iivoi^j X€ct tbv kixxov iv tib ß^^ hsi
1) Theoretisch möglich ist die Reduktion nach sidonischem Kalender; de
ergiebt für nr. 28 den November 442 , für nr. 25 und 80 den Januar 448 und
497. Aber ich sehe nicht wie die Gerasener dazu hätten kommen soUen, denlo-
calen Kalender Ton Sidon zu gebrauchen. Dann könnte man eher an den tyrischen
denken.
2) So nach Puchsteins Abschrift.
die Aeren von Gerasa und Eleutheropolis 365
gehört in die Jahre 79/80 und 69/70: die Schreibung iicvriöav ist
den Beispielen bei Blaß, Ansspr. d. Griech. 70 hinzuzufügen.
Das Epochenjahr der Aeren von Gerasa und Philadelphia ist
später als das der Aeren von Gadara und Dion: der Raubstaat
des Zenon Eotylas und des Theodoros ist erst nach der Erobe-
rung Jerusalems zertrümmert, wahrscheinlich nicht von Fompeius
selbst. Gerasa und Philadelphia hatten mit Gadara und Dion
nichts gemein als daß alle vier Griechenstädte waren, denen die
römische Herrschaft lieber war als die der semitischen Orientalen.
Sie sollen freiL'ch alle vier zur s. g. Dekapolis gehört haben, und
grade an der s. g. pompeianischen Aera haftet immer noch die
unbestimmte Vorstellung als sei sie von dem ,Städtebund^ der
Dekapolis gemeinsam eingeführt. Diese Vorstellung wird noch
unbestimmter, nachdem der Beweis geführt ist, daß die Städte
der Dekapolis keine gemeinschaftliche Aera gehabt haben, und
sich von Neuem herausgestellt hat, daß es keine pompeianische
Aera gibt, sondern nur Freiheitsären einzelner Städte, die von der
römischen Regiertmg die Erlaubniß erhalten haben ihre Jahre
statt nach der Seleukidenära, von dem Jahr an zu zählen, in dem
sie, direct oder indirect, durch Fompeius autonome Unterthanen-
gemeinden des S. P. Q. R. geworden waren. Es lohnt sich aber
einmal schärfer zuzusehen, was denn die s. g. Dekapolis eigentlich
gewesen ist.
Die Hauptstelle steht bei Plinius 5,74; sie ist leider stark
verdorben :
iungitur ei (nämlich ludaeae) latere Syriae Dccapolitana
regio a numero oppidorumy in quo non omnes eadem obseruatUj
plurimum tarnen Damascum epoto riguis amne Chrysorhoa ') fer*
tilem, Philadelphiam , Rhaphanam^) , omnia in AraUmm rece-
1) D. i. der Barada. XiivaoQ6ag wird öfter in Syrien für Flüsse gebraucht,
die durch Irrigationscanäle für ein Gebiet nutzbar gemacht werden; auch der
FluB von Gerasa heißt so und noch jetzt giebt es ö. von Aleppo ein Wftdi ed-
Dahab, ^daa aeinm Namen „Oddbach'^ durch die immense Fruchtbarkeit seines
Flußgebietes rethtfertigC [M. von Oppenheim, Byzant. Zeitschr. 14,6]. Ueber das
W&di ed-Dahab in der südlichen Batan&a bemerkt Schumacher [Zeitschr. d. d. Pal.
Vereins 20,92]: ^Naeh einer alten Tradition rüihrt die Benennung *Ooldniederung*
davon her, daß es ewischen *Otamän und el-Oharijät 6 Tage lang OcHd regnet,..,;
richtiger dürfte es jedoch sein , die Benennung auf die Fruchtbarkeit der Gegend
Murüeksu/ Uhren*. Vgl. die Einzelschilderung 187 ff. Der griechische Name des
ZarafSan, des Flusses von Samarkand, Ilolvtiftfitogf dürfte ähnlich zu erklären sein.
2) D. i. *Pt<pAv 1 Makk. 5, 87, an einem x'H'^99^^ (W&dl) gelegen. Es
ist noch nicht wiedergefunden. Der Name dürfte mit D^Hfi") zusammenhängen.
366 £• Schwarte
dentia, Scytkopolim, antea Nysam a Libero patre sepuUa nutrice
ibi, (post) ^) Srythis deductiSy Gadara Hieromyce praefluenie, et tarn
didum [B, 71] Hippon^ Dion^ Fellam aquis diuitem , Gerasam
\paJasam codcL], Canathatn. intercurrunt cinguntque has urbes
ieirarchiae, {quae)^ regnorum instar singulae ad [et codd.]')
regna contribuuntur, Trachonitis, Panias in qua Caesarea cum
supra dicto [5,71] fönte [des lordan], Abila arca^) ampeloessa^
Gabe.
üeber Damaskus hat am besten P. y. £ohden [De Palaestma
et Arabia. Berl. Diss. 1885,5] gehandelt; auch in dem Benzinger-
schen Artikel der Pauly - Wissowaschen RE ist das Material gut
gesammelt. Die Stadt war der Herrschaftssitz der letzten Seleu-
kiden: Demetrios mit dem Spitznamen "Axaigog [loseph. A. 1. 13,
870] und Antiochos Dionysos [los. a. a. 0. 387] haben dort residiert.
Nach des letzteren Tod wurde von Damaskus aus dem Nabatäer-
könig Aretas Philhellen das Diadem der Seleukiden angeboten
[los. a. a. 0. 392 B. 1. 1, 103] ; es sind dort auch Münzen mit der
Legende Ba6iXBC3g ^Agixa 0tXikkip/og /Iq (^Agäßtov?) geprägt. Doch
ist seine Herrschaft nie mehr als nominell gewesen und hat keines-
falls lange gedauert. Er hatte Damaskus gegen den ebenfalls
arabischen Fürsten Ptolemaeos Menneu, der am oberen Barada
und um Chalkis einen Raubstaat gegründet hatte, [vgl. oben S. 347]
schützen sollen: wenn bald nachher die hasmonäische Königin
Salma ihren Sohn Aristobul nach Damaskus schickte um diesen
Schutz zu leisten, so sieht man darin mit Recht ein Anzeichen
dafür daß Aretas damals nichts mehr in Damaskus zu sagen
hatte ^). Ein weiterer Beweis liegt darin daß Damaskus, als es
durch Pompeius römisch wurde, keine Freiheitsära einführte, son-
vgl. Gen. 14,5. Deut. 3, 13. los. 12,4. Sebr weit von Der'a wird die Stadt nicht
gelegen haben.
1) Die Er;?änziing ist unsicher, aber der überlieferte Text muß etwa in
dieser Weise verständlich gemacht werden.
2) So glaube ich die sinnlose Ueberlieferung emendieren zu können, vgl.
5, 77 Dtcapoiitana regio praedictae cum ea tetrarchiae und 5, 82 praeUr tetrarMas
in regna discriptas. Diese Stelle zeigt, daß tetrarchiae allein Subject und der
Gattungsbegriff für die folgenden Namen ist ; von diesen ist aber keine Tetrarchie
jemals isoliert gewesen, sondern sie haben stets Teile eines Reichs, sei es des
Herodes, sei es des Philippus oder der beiden Agrippa gebildet. Aus diesem Ge>
dankengang ergeben sich die leichten Verbesserungen von selbst.
3) Verdorben, s. u.
4) Die Münze mit Jafuccx, L ai^y [Frühjahr 68,9] darf man für die Auto-
nomie nicht anführen ; sie ist nur durch Sesüni bezeugt [de Saucy, numism. de
la Terre sainte 31 nr. 9].
die Aeren von Gerasa und Eleutheropolis 367
dern fortfuhr nach der babylonischen Seleakidenära zu datieren,
deren Epoche nach der Einführnng des jolianischen Kalenders aof
den 22. März 311 v. Chr. normiert wurde [vgl. oben S. 341]. Die
Nabatäer in dem benachbarten Pm6r nennen diese Zählung ge-
radezu die ,römische^^), und am Gebrauch der Seleukidenära läßt
sich erkennen y ob ein Ort zum Stadtgebiet von Damaskus gehört
hat*), wenigstens nach S. hin: im W. versagt das Kennzeichen, da
in der Abilene ebenfalls die Seleukidenära sich behauptet hat.
Seit Pompeius ist Damaskus römisch geblieben. Für das erste
nachchristliche Jahrhundert wird das, außer durch gelegentliche
Erwähnungen bei losephus, durch die Münzen bewiesen, die unter
Tiberius und Nero geschlagen sind [Saulcy, nnmism. de la Terre
sainte 36]. Sie fehlen aus der Zeit des Gaius und Claudius, durch
Zufall oder weil die communale Prägung damals unterblieben war.
Man würde diesen ganz gleichgültigen Umstand, für den sich un-
zählige Analogien beibringen ließen, nicht beachtet haben, hätte
man ihn nicht unglücklicher Weise mit einer Stelle des zweiten
Korintherbrief es combiniert [11,32]: iv j^a^aöxm 6 idvägitiQ l/dgita
tov ßa6iXd(og iq>Q0VQSi f^v x6kiv /Ia{ka6xriv&v xidöai (i€ xal diä
^vgiöog iv öaQydvrii ixaka6%riv diä tov tsixovg xal i^dtpvyov tag xstgag
aitov. Es ist ein grobes Mißverständniß daraus zu schließen daß
damals Damaskus nabatäisch war. Hätte der Ethnarch des Nabatäer-
königs in Damaskus die obrigkeitliche Gewalt gehabt, so konnte
er Paulus ohne Weiteres festnehmen lassen; es hätte ihm anch
die heimliche Flucht durch ein Fenster in der Mauer nichts ge-
nutzt, da mit der Stadt auch die Feldmark den Nabatäern gehört
haben müßte. Der Ethnarch hatte eben in Damaskus nichts zn
sagen. Darum grifip er zu dem Mittel, an den Wegen die aus Da-
maskus hinausführten, Beduinen in den Hinterhalt zu legen, die
den Apostel aufheben und über die nahe Grenze schaffen sollten;
Pmer war ja nabatäisch. Panlus erfuhr davon und entkam auf die
angegebene Weise. Daß dies der Sinn der Stelle ist, ergiebt die
Fassung in der derselbe Vorfall in der kanonischen Apostelge-
schichte erzählt wird [9, 23 ff.]. Die Juden planten Saulus zu
1) c. I. Sem. 2, 161 «^Sd Sn^S 24 ruu' "»n n K^DiniK yiD2 'i^^'* nm
Im Jähr 405 [Frühjahr 94/95 n. Chr.] nach dtr j^ähtunt/ der Mkomärr , wdchiM
ist das Jähr 24 des Königs Bab'el CleriiKmt*GanD@Au [U^^, d'ärcbi^ol orionl,
1,42 ff.] meint mit der ^QW^riaig ^PmiMt^mv ä€i der juJianitdio KaieiidcT i^omdüt,
bat aber mit Recht keinen Beifall gefunden: denn ca werden J^brif fogllc
und nicht Monate. Außerdem ist M'^^Ü ~ &^£^finmg dm tecknitidia Wn
Aramaeiscben für Aera.
2) Vgl. unten S. 885.
368 ^- Schwartz
tödten; er erfahr aber iliren Plan: xccQsxrjgovvto dh xal tag xiiXag
'IjfidQag XB Tucl vvxtbg Snog avtbv ivdXmöiv Xaßövteg dh oC fiad'fital
[d. h. die Christen, aitov ist ein falscher Zusatz] vtnctbg diä tov
xeixovg Ka^rpiav aixhv xakiöavxag iv önvglSi. Ob die Apostelge-
schichte aas purer Judenfeindschaft den Nabatäer ausgelassen hat
oder ob er wirklich von den Juden aufgehetzt war, mag dahin-
gestellt bleiben. Aus der Stelle folgt also das grade G-egenteil
von dem was aus ihr gefolgert wird. Es ist auch gar nicht aus-
zudenken, wie Damaskus im 1. nachchristlichen Jahrh. , in der
Zeit in der die römische Herrschaft in ungeschwächter Kraft da-
stand, in den zeitweiligen Besitz der Nabatäer hätte kommen
sollen. Von einem Krieg der für die Römer so unglücklich ab-
lief, daß sie eine ihrer wichtigsten Städte verloren, ist in der
TJeberlieferung keine Spur zu finden. Man sagt, Kaiser Gaius
hätte sie verschenkt. Ich traue Gaius viele Dummheiten zu; dies
ist aber doch auch für ihn ein zu starkes Stück. Die Nabatäer
waren nicht tpUoxaiöaQeg und (piXogüiiaioi wie die Dynastie des
Eerodes, der die Römer übrigens auch nicht Tyrus oder Antiochien
schenkten; das arabische Reich war selbständig, trotz gelegent-
licher, bloß formaler Huldigungen, und man stellt sich diese Selb-
ständigkeit sowohl wie die Bedeutung einer heUemschen Groß-
stadt wie Damaskus zu gering vor, wenn man meint, die Stadt
hätte beliebig verschenkt und wieder eingezogen werden können,
als wenn das gar nichts wäre. Es bleibt noch die Frage zu be-
antworten übrig, in welcher Beziehung der nabatäische Ethnarch
zu der römischen Stadt stand. Man könnte an den nabatäischen
Beamten denken, der in Pmer saß, würde dann aber den Titel
ötgarriyög erwarten, der auf den nabatäischen Inschriften und grade
in Pmdr [C. I. Sem. 2, 161j vorkommt. Ich halte eine andere Lö-
sung für wahrscheinlicher. Damaskus war ein wichtiger Platz für
den Handel der Nabatäer mit dem römischen Reich: Kaufleute
und Karawanenführer, die nabatäische Untertanen waren, müssen
in großer Zahl sich dort aufgehalten haben. Um diese flottante,
wegen ihrer Beziehungen zu den Beduiaen nicht ungefährliche
Bevölkerung bequemer im Zaum zu halten und eine verantworte
liehe Person zur Hand zu haben , constituierte die römische Re-
gierung die nabatäischen Fremden in Damaskus als l^vog Naßa-
taicDv (oder 'Agiß^ov) und verlangte von dem Nabatäerkönig, daß
er einen Ethnarchen ernannte, der ihr die unmittelbare Aufsicht
abnahm und an den sie sich in schwierigen Fällen halten konnte.
Zu den schwierigen Fällen wird es kaum gehört haben, wenn ein
solcher Ethnarch einem jüdischen Missionar Hinterhalte legte; um
die Aeren von Gerasa und Eleatheropolis 369
solche Spaße kümmerten sich die römischen oder die communalen
Behörden nicht.
Kanatha ist das Qanät Busrä der arabischen Historiker, das
heutige el Qanawät im westlichen Hanrän. Das semitische n wird
bald mit x, bald mit ^ transscribiert, wie 'AQixag and 'Agi^aq für
nmn stehn: Waddingtons Hjqpothese, daß zwischen Kdvaxa und
Kävad'a onterschieden werden müsse , ist von Schürer [2, 129 ff.J
und Dussaud- Macler, voyage archiol. au Safä 197 ff. widerlegt.
Die Stadt gehörte wahrscheinlich zum Reich des Herodes, sicher
zu dem Agrippas II [Wadd. 2329], und dem entsprechend wird
dort, nachdem sie zur Provinz Syrien geschlagen war [vgl. die
von Wadd. p. 53B angeführte Inschrift], nach Kaiserjahren datiert
[Wadd. 2330: 8. Jahr Traians; 2331 : 10. Jahr des Marcus, NouvelL
archives des miss. seien tifiques 10,647 nr. 18 Ixovg la xvgiov Sb-
[y^Qov^. Daneben findet sich auf den commanalen Münzen eine
Freiheitsära [Numismat. Zeitschr. 12, 68 ff.]. Es kommen in Be-
tracht: eine Münze des Claudius mit der Legende Kavarriväbv' ßt.Q,
eine Domitians mit Kdvata {;i/p, und zwei des Commodus mit Fa-
ßiiv Kava^tiv oder Faßsiv • Kavad" yvö. ^). Gesetzt daß in Ka-
natha der arabisch -damasceni sehe Kalender galt, ist das Jahr 1
aus historischen Grüüden frühestens = Frühling 64/63 v. Chr.;
als untere Grenze bestimmen die Commodasmünzen 62/1. Die
Freiheitsära ist die officielle der Stadt gewesen, doch hat im pri-
vaten Gebrauch die in diesem Theil von Syrien allgemein üb-
liche Datierung nach Regierungsjahren die Oberhand behalten.
Von jüdischer Herrschaft sind die Kanathener durch Rom
nicht ,befreit^: auch Alexander lannaeos ist nicht bis zum Haurän
vorgedrungen. Vor der Schlacht bei Actium war die Stadt in
den Händen der ,Araber* [los. A. I. IB, 1 12. B. I 1, 366]; man darf
danach vermuten, daß sie vor 62 v. Chr. den Nabatäern gehört hat.
Aber eine Griechenstadt muß es gewesen sein, das beweist die
Freiheitsära.
Die Namen der , Vierfürstentümer*, die Plinius aufführt, be-
zeichnen Landschaften; bei der Trachonitis und Panias'^) ist das
1) Es folgt daraus erstens, daB die Transscription mit t die ältere, mit d
die jüngere ist, wie bei ^Agitag und 'jlQi^g, und zweitens daß Kanatha den Bei-
namen Qabinia erst spät annahm, sowie in Gadara der Zusatz Pompeia nicht vor
Antoninus Pius auftaucht.
2) Der correcte Name von Caesarea Panias oder Caesarea Philippi war nach
Ausweis der Münzen KaufdQua intb Tlavtim. Eusebius [KQ 7, 17, 1 vgl. den
Index zum Onomastikon] nennt die Stadt mit dem 'phoenikischen^ Namen der
Landschaft Ilavidg ; bei losephus ist Panias Name der Landschaft [A. I. 17, 189
370 E. Schwarts
deaÜich. Sie gehörten zum Reich des Herodes und kamen nach
seinem Tode an Philippos. Zu dessen Herrschaft ist anch Gktbe
zu rechnen; das beweisen die Münzen mit der Umschrift KXavdt.
^ikiit. Faßi^v&v. Philipps Yierfürstentmn wurde nach seinem
Tode von Tiberins eingezogen, dann von Gains an Agrippa I. ge-
schenkt, von Claudias wiederum eingezogen, dann aber an Agrippa U.
verliehen. Dieser wird der Stadt den Beinamen Clandia gegeben
haben. Die Freiheitsära auf den communalen Münzen der Kaiser*
zeit läuft deutlich von der Zeit des Pompeius ab; nach einer
Münze Hadrians mit der Ziffer ioQ ist das Jahr 1 frühestens =
60/59 V. Chr. Wenn sich das bewähren sollte, so ist das julisehe
Gesetz das Pompeius Anordnungen bestätigte, das für die Epoche
maßgebende Datum gewesen. Mit dem galUäischen Gabai [los.
A. 1. 15,294. B. I. 3,36] = V^y am Karmel, das noch in nachcon-
stantinischer Zeit vorkommt {vgl. Georg. Cypr. 1037 mit Geizers
Anmerkung], hat dies Gabe, das zur Tetrarchie des Philippus ge-
hörte, nichts zu thun : es ist vielmehr {t>^^^ der Syrer, )iJJi^ der
Araber, dessen Ruinen bei dem gleichnamigen Teil n. w. von Nawä,
ö. von der Legä [Trachonitis] wiedergefunden sind *) ; ein Tor von
Damaskus heißt bei den Arabern .das Tor von G&bija^ Es muß
also dort eine Grieebenstadt gelegen haben, deren epichorischer
Name zugleich den umliegenden Teil der Batanäa bezeichnete; sie
gehörte vor der römischen Eroberung wahrscheinlich zu dem
Fürstentum des Arabers Ptolemäos Menneu*).
Das von Plinius beschriebene Königreich, zu dem die Tracho-
nitis, Paneas und Gabe gehören, muß das Agrippas II sein [los.
A. I. 20, 138]. Er erhielt von Claudius [vgl. los. a. a. 0. B. I.
2, 215] noch hinzu die Herrschaft Abila die zum Unterschied von
dem Abila der Dekapolis [s. u.J "AßiXa Avöaviov ^) genannt wurde :
B. 1. 1, 168] und der Stadt [A. I. 15, 360. 18, 28]. Diese wurde von Philippus un-
mittelbar nach seinem Regierungsantritt ausgebaut und mit Stadtrecht ausge-
stattet [los. A. 1. 18,28. B. 1. 1, 168] ; die Stadtära läuft nach einer Münze Ma-
crins mit %o [Catalogue of Qreek coins, Qalatia etc. 299] von 4/3 oder 8/ 2 v. Chr.
an. Nach ihr sind die Daten auf den Inschriften Brünnow-Domaszewski, die
ProYincia Arabia 2,249 qv und ..n auf 146—148 und ca. 76 zu reducieren;
die Ergänzung [ri]n kann wegen des Anfangs ^hg oayrriQÜig xAp %vqüov aifto-
nQardQtov nicht richtig sein. Vielleicht it n,
1) Vgl. die ausgezeichnete Abhandlung von Dussaud, Nouvell. arch. d. miss.
scient. 10, 444 ff., der nur an das classische Oabe nicht gedacht hat.
2) Vgl. los. A. I. 15,344. 360 B. I. 1, 898 ff. über die Verbindung Zenodors
mit der Trachonitis. Mit der Schilderung der unterirdischen Schlupfwinkel A. I.
15, 347. Strab. 16, 756 vgl. den Bericht Schumachers über die 'unterirdische Stadt'
bei Dei'ä Across the Jordan 135 ff.
3) Ptolem. 5, U.S'jißiXa ininaXovnivti Av^aißhv, los. A. I. 19,275 'ApOav
die Aeren von Gerasa und Eleutheropolis 371
sie lag am oberen Barada bei dem hentigen Saq Wädi Barada ^)
und war keine Stadt, sondern ein Bezirk. Pompeins ließ das
Ranbfürstenthom des Ptolemäos Mennea bestehen [los. A. 1. 14,39];
sein Nachfolger Lysanias wnrde von Antonius hingerichtet und
Zenodor mnßte es pachten, bis Angnstns es ihm entzog und an
Herodes gab [los. A. I. 15,343fiP.]. Dem entspricht, daß in Abila
nach der Seleukidenära datiert wird*).
Dorch Kero kam noch ein zweites Abila an Agrippa U, ') das
zam Unterschied von dem Abila des Lysanias Abila der Dekapolis ^)
hieß. Der Name gilt sowohl dem Bezirk als anch der Stadt, die
sich officiell auf ihren Münzen [de Sanlcy , nnmism. de la Terre
sainte 308 ff.] ZsXevxsia 'JßiXtjv&v nennt. Ihre Lage steht fest,
es ist das heutige Abil, zwischen Makes = Gadara und Der'ä :=
Adraa gelegen. Der offidelle Name beweist, daß es eine Grie-
chenstadt war, und die Jahresziffem auf den Münzen führen auf
eine Freiheitsära, die zur Zeit des Pompeius anfieng. Genaueres
läßt sich, bis jetzt wenigstens, nicht sagen. Es ist auch nicht be-
kannt, in wessen Besitz dies Abila vor der Zeit des Pompeius
war : unter den von der hasmonäischen Herrschaft befreiten Städten
zählt losephus es nicht auf.
tijv Avaap^ov. Dasselbe iat gemeint 20, 138 ü4}v 'AßiUm, AvaavCa Ifavxri yBy6irn
tiXQaQx^a : der Zusatz ist nur eine Umschreibung des Oenetivs. Ebenso sind
B. 1. 2, 215 itioav (iaoiXiCav x^v ÄvaavUtv %aXov(iivriv und 2, 247 tijv Avaa-
vCav ßaailtüiv zu verstehn. Aus dem geographischen Ausdruck 'Aßila AvaavCov
tSTQOifxov ist die vielberufene , falsche Datierung Luc. 8, 1 hervorgewachsen ;
denn es hat nur einen Tetrarchen Lysanias gegeben, der von Antonius hinge-
richtet wurde [los. A. I. 15, 92. Dio Cass. 49, 32]. Das zeigen deutlich die am
besten von Renan publicierten Inschriften [M^m. de FAcad. des inscr. 26,2
p. 66 ff.], auf denen Lysanias durch den Zusatz xitQaQxris von anderen Lysanias
unterschieden wird. Daß dies Abila unter Tiberius Philippus gehörte, kann gar
keinem Zweifel unterliegen; man muß es nur immer wieder sagen, weil die
Apologetik immer wieder die historischen Thatsachen verwirrt.
1) Außer Renan a. a. 0. 49 ff. vgl. Glermont-Ganneau Rev. d*arch^ol. Orient.
2, 35 ff.
2) Vgl. die Inschriften von D6r Qanun Wadd. 2557*. Bei D6r-el- ASä'ir
[Brünnow-Domaszewski, Prov. Arabia 2, 247. Wadd. 2557»>], Rahle [Brünnow-
Domaszewski a.a.O. 247. 248], Kefr Qüq [Bull, de corr. hell. 21,65], wo eben-
falls nach der Seleukidenära, nicht wie Fossey meint, nach *der Pompeiusära'
datiert wird, kann man zweifeln, ob sie zu Abila oder zu Damaskus gehören.
3) los. B. I. 2,252 rfl* 9'AyQinna ßaatUiai tiwaQag n6Ut9 ngoat^aip
ühv taCg xonaQziaig^ 'AßiXa (i,lv %al lovUdSa [in G61an B.L 2,168, an
Stelle von Bethsaida, bei der Mündung des Jordan in den See von Gennezar]
%ata djv IIsQaiav, TaQiz^iag dl %al TißeQuida tf^ raUXaiag.
4) Dittenberger, Inscr. gr. orient. 631 Uya^dpyelog 'Aßdrivbg t^g Jexan6Umg.
Auf den Münzen steht Koi{Xrig) Sv{f^Cag) als Distinctiv.
372 K. Scliwartz
Das Verzeichniß der Tetrarcbien bei Plinias umfaßt laater
Distriete des Seiches das kaiserliche Gnade nach und nach
Agrippa II. übertragen hatte. In diesen Katalog paßt das phoe-
nikische Area = Caesarea ad Libanum nicht hinein; es liegt viel
zu weit nördlich und geht weder Agrippa noch überhaupt die
idumäische Dynastie etwas an. Ferner ist ampeloessa so wie es
jetzt dasteht, unverständlich : es kann nicht das N. pr. einer Land-
schaft sein. Eusebius bemerkt daß Abila der Dekapolis die 'wein-
reiche* genannt wurde ^), und die Stadt Seleukeia der Abilener
ließ auf ihre Münzen eine Traube setzen. Beide Abila gehörten
seit Nero Agrippa II. ; ich vermuthe daher, daß ampeloessa distinc-
tives Epitheton zu dem einen Abila ist, und daß in arca der Zu-
satz steckt, der das andere differenziert : Äbila arca ampeloessa ist
verdorben aus Abila {Lysanine tetr)arc?iae {Abila} ampeloessa.
Caesarea Paneas ist wohl erst durch Philippus zur Stadt er-
hoben : Polybius [16, 18, 2. 28, 1, 3] kennt dort nur rö Udviov, den
heiligen Bezirk des Pan an der lordanquelle. Aber Seleukeia der
Abilener und Gabe in Batanaea sind hellenistische Städte; und
wie es von jenem feststeht, daß es zur Dekapolis gehörte, so wird
es auch von diesem gelten.
Steph. Byz. bemerkt in dem Artikel über Gerasa: FdgaöcCj
nöXig rfig KoCXrig SvQiaq^ rijg rsööagsöxaidsxccnöXscDg, So ist über-
liefert; die Schlimmbesserung von Saumaise dsxaxöXsog verdient
den Beifall nicht, den sie gefunden hat. Plinius bemerkt ja aus-
drücklich, daß die Zahl der Städte in der regio Decapoliiana ver-
schieden angegeben werde. Wie diese Differenzen und wie die
Namen selbst zu verstehen sind, lehrt die Analogie der Tetra-
polis an der Orontesmündung , über die Strabo bemerkt [16,749]:
fj dh UBkavxlg igiötri fidv iön tfbv ksx^siö&v (isgidav^ xaXsttai dh
TetQccjcoXig xal iöti xaxä tag i^B%ov6ag iv avti]i itöksig^ ixsl xkstovg
yi Ü6i * yiiyifixai 6\ xizxagtg^ ^Avxi6%Bia ij ixl jdd<pvriL xxl Ssksiixeia
fj iv JIiSQicci xcd ^^ndfisia öh xal Aaodixsia, ainsQ xal iXiyovxo ik-
XrjXcDv adsXq>al diä xijv 6fi6voiccv^ ^sXsvxov xov NixAxoQog xxlö-
(iccta. Auf diese 'Eintracht' bezieht man mit Recht die Münzen,
die unter Alexander Balas mit der Aufschrift idsXq)&v di^fimv ge-
schlagen sind [Catalogue of the Greek coins. Galatia etc. lölff.],
aber mit diesem ephemeren Städtebund hat der Name nichts zu
schaffen. Das zeigt der Context der Strabostelle ebenso deutlich
wie die Grammatik. Ein Bund von vier Städten heißt griechisch
1) Easeb. onom. 32, 16 äXlri n6Xi£ inicriiiog, 'AßtXa oivofp6Qog %aXov(i>ivrif
Snöt&aa radagtov aTifis^oig t/f totg itQÖg dcvatoXaCg.
die Aeren von Gerasa und Eleutlieropolis 373
aC xdööaQsg nöXaig ') oder rö r&v tsööaQfov nöksfov xoivöv: ri xBXQi"
nokig und ^ daxdnolig sind Adjective, zu denen im Seleukiden-
reiche ii^aglg zu ergänzen ist, die officielle Bezeichnung für Pro-
vinz*). Tetrapolis war der vulgäre Name, der abusiv die vier
Q-roßstädte heraushob; eigentlich hieß die Provinz, die das Cen-
trum des Reiches bilden sollte, LsXavKCg^), Genau so ist die De-
kapolis zu beurteilen. Wenn Plin. 15, IB die Notiz eines grie-
chischen Botanikers über die kleinen Oliven wiedergiebt, die Deca-
poli Syriae wachsen, so ist klar, daß der Name eine Provinz und
nicht einen Städtebund bedeutet. In Decapolitana regio 5, 74 schim-
mert noch 1^ dsxdnoXig fiSQ^g durch, und wie Strabo von der Se-
leukis bemerkt daß sie mehr als vier Städte umfaßt habe, so
schwankt hier das Zahlwort in dem zusammengesetzten Adjectiv.
Es läßt sich auch noch errathen wie die Provinz officiell hieß.
Abila der Dekapolis führt auf Münzen den differenzierenden Zusatz
KoiXrig IJvQiag, ebenso Philadelphia, das Plinius zur Dekapolis rechnet.
Damaskus war die Hauptstadt; sie steht mit Recht bei Plinius
an erster Stelle. Durch den Streit zwischen Antiochos G-rypos
und Antiochos dem Kyzikener zerfiel das Reich in Sjo'ien =
Seleukis, und in Coele^yrien [Porphyr, bei Eus. chron. 1,260]; die
Hauptstädte waren Antiochien und Damaskus. Von Damaskus
aus wurde dem Nabatäerkönig die Krone des *hohlen Syrien* an-
geboten [los. A.L 13,392 B. I. 1,103]: Strabo zählt [16,749]
Coelesyrien neben der Seleukis, Kommagene, Phoenicien und ludäa
unter den fisgidsg Syriens auf.
Fast für alle Städte der Dekapolis läßt sich ein makedoni-
scher oder griechischer Name nachweisen. Dion, das auch Ste-
phanus mit PeUa zu Coelesyrien rechnet, wollte Gründung Alexan
ders sein; Pella führt Appian. Syr. 57 auf Seleukos zurück. Hippos
hieß officiell Antiocheia am Hippos^); Seleukeia der Abilener,
Skythopolis = Nysa sprechen für sich. Gerasa grub in der
Kaiserzeit seinen hellenistischen Namen wieder aus, Antiocheia
am Chrysorhoas^); G^dara hat Antiocheia und Seleukeia gehießen
[Steph. Byz.]. Nur Raphana, Gabe und Kanatha haben ihre grie-
1) tag h xfii SvQiai Sixa 7e6lHg los. Vita 346. 410 ist affectierte Phrase
fOr JBTuinoUg vgl. u.
2) Vgl. 1 Macc. 10, 65 %al id6iaatp aiftbv 6 ßaaiUhg xal iyQatptp aiftbv
tätv nodtttov (pClatv xal i^tto aiftbv otQmriYbv xal (tSQidaQXfl^^'
8) Vgl. die Inschriften Dittenberger, Inscr. gr. orient. 219. 229.
4) De Saolcy, Numism. de la Terre sainte 344 ff.
5) Lucas nr. 54 [Bütthlg. d. d. Palftstma-Yereins 1901,68] 4 7c6Xig *Avti-
374 E. Schwartz
chis eben Namen, die sie gehabt haben müssen, sparlos eingebüßt ^),
dafür ist noch jetzt im Golän das Selüqija^) erhalten, das nur
ans losephns [Vita 187. B. L 2,574. 4,2] bekannt ist. Eigen-
tümlich liegt die Sache bei Damaskus, dem Darmsuq der Aramäer ;
da ist der epichorische Name beibehalten, aber dnrch eine Dio-
nysoslegende oder einen eponymen Heros legitimiert [Steph. ßyz.].
Die im Seleukidenreich übliche Weise den Städten makedonische
oder griechische Namen beizulegen mnß vom Gesichtspunkt des
Staatsrechts ans betrachtet werden; nur eine makedonische oder
griechische Stadt kann Stadtrecht erhalten; sie muß eine make-
donische Mutterstadt oder einen Heros oder Heroine haben, die
ihr den Namen geben, der sie sofort von den x&fiai der Barbaren
oder den tpQovQia und yaf^otpvXäxia unterscheidet, in denen kein dfjfio?
wohnt, sondern nur Soldaten und königliche Beamte. Die helle-
nistische Partei in Jerusalem macht sich anheischig [2 Macc. 4, 9]
toi)g iv ^QOöoXvnoig ^Avtioxstq ävaygdifai, d. h. an Stelle des l^og
'lovdcclmv soll ein graecisierter dijuog Idvtioxiav treten : der Namens-
wechsel gehört zur Hellenisierung, weil er das griechische Stadt-
recht anzeigt. Der römischen Oligarchie waren die seleukidischen
Erinnerungen gleichgültig; sie gab den Griechenstädten Autonomie
um sich auf sie gegen die Orientalen zu stützen, hatte aber kein
Interesse daran, die hellenistischen Namen wieder herzustellen,
die in der Zeit der orientalischen Reaction gegen die Seleukiden-
herrschaft den einheimischen hatten weichen müssen'). Dagegen
setzt die idumäische Dynastie die Politik der Seleukiden fort und
charakterisiert sich zugleich als die unterwürfige Dienerin der
augusteischen Monarchie, wenn sie ihre Gründungen nach ihren
eigenen Mitgliedern oder denen des julisch-claudischen Kaiser-
hauses nennt.
Die seleukidischen Gründungen der Dekapolis sind zu massen-
haft, sie verrathen zu deutlich den großen colonisatorischen Zug
1) Steph. Byz. Uini6xsuc . .'. nsxa^h KoiXrig SvQiag xal ^Qaßüig, Zifu-
Qa^itdog wird auf eine dieser Städte zu beziehen sein.
2) Vgl. Schumacher^ Zeitschr. d. Pal. Vereins 9, 347. Es gehörte Agrippa IL
Daß es an der Grenze lag, wie Schumacher behauptet , steht los. B. I. 4, 2 nicht
zu lesen. Zu losephus Zeit war es eine %A(iri\ aber der griechische Name be-
weist, dai es einmal eine Stadt gewesen ist.
3) Vgl die bekannte Stelle des Ammianus Marcellinus 14, 8, 6 : (Seleukos)
ex agresitbus habitacuiis (= n&iuci) urbes constrvxit muHis apibus firmas et
uiribMS, guarum ad praesens pleraegue licet Oraecis nomintbus appeUentur^ quae
isdem ad arbitrium impasita sunt conditoris [Ammian verstand den Sinn der
Namengebung nicht mehr], primigenia tarnen ncmina non amittunt, quae eis As-
syria lingua [d. h. die syrische] instüutores ueteres indiderunL
die Aeren von Qerasa and Elentheropolis 375
der die Politik des Seleukos Nikator und Antiochos Soter charak-
terisiert, als daß ich mich entscUießen könnte sie diesen abzu-
sprechen nnd in das zweite Jahrh. zn setzen, in dem die Dynastie
zwar Coelesyrien den Aegyptern abgenommen hatte, aber durch
Rom und die Parther zu schwer bedrängt war um den Erfolg
auszunutzen. Mag Antiochos Epiphanes dies oder jenes Anti-
ocheia gegründet oder erneuert haben: in der Hauptsache müssen
es seine großen Vorfahren gewesen sein, deren kraftvolles Wirken
in diesen Städten ihre Sparen hinterlassen hat. Und die Namen
Philadelphia = Rabbath Amman, Philotereia ^) am See Gennezar
erzählen noch von der Eroberung des südlichen Coelesyrien durch
Ptoleroaeos Philadelphos ; der nördliche Teil des Landes ö. vom
Jordan ist wohl erst durch Euergetes I ptolemaeisch geworden.
Ja ich vermnthe daß die Seleukidenstädte der Dekapolis gedacht
sind als eine große Festung des syrischen Reichs gegen den aegyp-
tischen Rivalen, der vom Mittelmeer in die asiatische Monarchie
Alexanders vorzustoßen drohte. Die ptolemaeischen Städte Sky-
thopolis , Philotereia , Ptolemais sollen den U>T\ Tül beherrschen,
der schon im A. T. eine Rolle spielt, den ,Meerweg' der von Da-
maskus, dem Emporium des Karawanenhandels, parallel dem larmuk
ins lordantal läuft, dies bei Skythopolis durchquert und dann
durch die 'große Ebene' ans Meer führt : um ihn kämpften in alter
Zeit die Aramäer von Damaskus mit den Königen von Israel ') und
jetzt lebt er in der geplanten Eisenbahn Damaskus - Haifa wieder
auf. Philadelphia dagegen will den Syrern den Weg nach dem
Rothen Meer und durch das Nabatäerland nach Aegypten verlegen.
Ein Städtebund ist die Dekapolis nie gewesen. Als das Se-
leukidenreich zu Grunde gieng, fielen die Städte verschiedenen
Herren zur Beute, und daß sie die pompeianische Aera durch ge-
meinsamen Beschluß eingeführt hätten, ist eine schlechte Hypo-
these der Modernen. Von einem Koivöv der Dekapolis in der
E^aiserzeit fehlt jede Spur : es giebt den provinzialen Kaisercult
Syriens und die Kaiserculte der einzelnen Städte, aber keinen der
Dekapolis. Der Name der alten seleukidischen Provinz war zum
geographischen Begriff geworden : so stellt Ptolemaeus die Städte
der Dekapolis und von Coelesyrien zusammen [6, 14, 18]; historisch
ist die Liste unbrauchbar. Bei den Juden bildete sich ein be-
sonderer Sprachgebrauch aus. Sie rechnen zur Dekapolis speciell
1) Steph. Byz. Polyb. 5, 70, 4. Es gehörte zu den £robenuigen des Alexander
lannaeos, Synkell. 559,2.
2) Auf diesen Zusammenhang bat mich B. Smend aufmerksam gemacht
376 E. Schwartz
die Städte der Peraea, die in der Hasmonäerzeit jüdisch gewesen
waren nnd in denen später noch eine zahlreiche jüdische Bevöl-
kerung wohnte. So kommt losephos zn der Behauptung [B. I.
3,446] daß Skythopolis die größte Stadt der Dekapolis sei; er
schließt, gegen den ursprünglichen Sinn des Namens, Damaskus
aus. In den Evangelien ist die Dekapolis der District der durch den
Jordan imd den See von Gennezar von Galiläa getrennt wird: er
ist im Wesentlichen mit den Feldmarken von Antiocheia am Hippos,
Gadara und Pella identisch^), wie Eusebius richtig erklärt [Onom.
80,16]; demselben Sprachgebrauch folgt Epiphanius [29,7 p. 123*.
de mens, et ponder. 15].
m
Wie die Neuordnung des Pompeius, so haben auch die Grün-
dungen der idumäischen Dynastie und die Verleihung des Stadtrechts
durch die Römer *) eine Menge von neuen Aeren hervorgerufen.
Selbst im Haurän, an der äußersten Grenze der Cultur des Im-
1) Mc. 5,20. 7,81; am deutlichsten Mt. 4,25 xal ijnolo^^aap a4ft€bi öxloi
%olXoi Scnb xf^g FaliXaCas xal J$%an6XsiDg %al ^JiQoaoX^funv %al 'lavSaücg «al
ytigap toü 'loQSdpov. Hier ist die Dekapolis die nördüche, xiQUp toü ^JoQÖdvav
die südliche Peraea, das Land jenseit des unteren Jordan. Gadara ist als BU-
dungscentrum bekannt, aber auch Antiocheia am Hippos rühmt sich hellenistischer
Weisheit, vgl. das von Perdrizet [Rev. archdol. 1899, 49] richtig verstandene Epi-
gramm das Clermont-Ganneau £tud. d'archdol. Orient. 2,142 publiciert hat:
tb ^^ol^yofi' ietlv ^Aneüov, ncttglg Si fiav
Kttl näai xoit^ rddaga xi^rictoiiovaüi '
üotpfjg S^&tp^ "Innov iatlv ^ f**{^P ^doüg.
Ein größerer Culturgegensatz ist nicht denkbar als der zwischen der Vaterstadt
Meleagers und Philodems und dem Westufer des Sees von Gennezar, wo die
Predigt Jesu begann. Dagegen ist Pella eine Judenstadt geworden, ursprünglich
durch Gewalt [los. A. I. 18, 897] : es gab dort eine sehr alte christliche Gemeinde,
die behauptete dai sie die legitime Fortsetzung der Urgemeinde sei [Eus. KG
3 p. 196,16]. Die Legende ist nach der Gründung von Aelia entstanden; wer
sie gl&ubig nacherzählt, hat sie nicht verstanden.
2) Von älteren 'Gründungen' nenne ich Flavia Neapolis und Gapitolias, das
heutige B£t-er-R&s. Dort sind zwei datierte Inschriften gefunden und von Allen
[American. Joum. of Philology 6,208] veröffentlicht, die zweite noch einmal,
nach einer besseren Abschrift von Clermont-Ganneau Recueil d'arch^l. orient 1,18
nr. 28 : nr. 25 itavg natä %tüf^v rlig %6Xiatgf die ursprüngliche Ziffer ist von einem
späteren Usurpator des Grabes radiert und dafür %i eingesetzt, und nr. 26 kovg Qc
[so bei Clermont-Ganneau, is bei Allen] ««tä «T^^tir tilg n6Xio[g']. Nr. 26 ist in
Irbid, dicht bei B^t-er-Räs gefunden, da wird eine ndtfiri [Arbela?] gelegen haben,
die Capitolias attribuiert war. Die Aera von Capitolias beginnt nach einer Münze
Macrins mit ^% 97/98 oder 98/99.
die Acren von Gerasa und Eleutberopolis 377
periwn Rontanum finden sich Städte, die ihren Stolz darein setzen,
sich in der Jahreszahlung autonom zu gerieren. In Saqqa, dem
Zaxuaia des Ptolemäos [5, 14, 20], bestand wahrscheinlich schon
eine Aera, als die Provinz Arabien von Traian geschaffen
wurde ^), und es ist begreiflich, daß diese geschont wurde; aber
es wurden noch nach 106 neue eingeführt; schwerlich hat die ro-
mische Regierung das vor dem Araberkaiser Philipp gestattet.
Unter ihm hat sicher Philippopolis mit dem Namen auch eine
Jahreszählung erhalten'), aber es ist nicht die einzige: wahr-
scheinlich hat damals auch Buräq, im s. ö. Winkel des Haurän'),
und eine andere Stadt, deren antiker Name nicht bekannt ist und
die an der Stelle des heutigen Scheich Miskfn in Batanäa^) lag,
die Erteilung irgendwelcher Titel oder Privilegien benutzt, um
eine 'neue Aera' zu beginnen*).
In Palaestina selbst macht ]£poche der Besuch des Kaisers
Septimius Severus^). Schon lange stand aus den Münzen von
1) Waddington zu 2159. Ein neues Datum ist durch die Inschrift Dussaud
und Macler, voyage arch^ologique au Safä p. 145 nr. 4 binzugekonunen. Daß es
verschiedene Aeren dort gegeben hätte, glaube ich nicht; wenn die Indictionen
nicht mit einander stimmen, so ist ein Datum verschrieben oder verlesen.
2) Waddington 2072 ht^Q aanrigüig t&p xvqCiov M. ^JovUmv ^iUnnmv Zb-
§aav&p . . . itovs n^Arov tfjg n6Xea>g. Leider ist Waddingtons schöne Identifi-
cation von Kft|jw [Suhba] mit 9iUnn6noXiq auf der Fischer-Gutheschen Karte von
Palaestina ignoriert und Philippopolis immer noch falsch bei *Ormän angesetzt.
3) Waddington 2587» ixwjg " %rfs n6lBaig ^AmUiav i^ Dussaud, nouvelles
archiv. d. missions sdentifiques et litt^aires 10, 659 nr. 50 Bs^Qmxavo . . . ., am
Schluß steht kein Datum, gar der Seleukidenära , sondern iT[€]Z[(]o>tf[av] ; auch
nr. 48 ist ü^ kein Datum, sondern eine Chiffre, wohl Q^ = &(n/ivf vgl. Glermont-
Ganneau Uecueil d'arch. or. 6, 84. 7, 225. Dagegen ist 51 eins erhalten : hovg 9"
|ft7][ir]l *TnB[X]X (statt ^AnBlXaüoi). Der Herausgeber transscribiert und reduciert
falsch.
4) Waddington zu 2418 'lovUov ^iXCnnov tb i^vtukBiov intiüBv hovg d xfjg
n6lBa>g, Der Name hängt sicher mit dem Kaiser zusammen.
5) Ein Räthsel ist bis jetzt das Datum auf der christlichen Bauinschrift,
die in der Stadtmauer von Amida [Dij&rbekr] steckt, itovg ^(iv [Byz. Zeitschr.
14,62 nr. 99]. Die Lesung steht fest; nach der Seleukidenära kann nicht re-
ducirt werden. Daß Amida in nichtrömischer Zeit eine eigene Aera sich ange-
schafft hätte, ist sehr unwahrscheinlich ; da der Stein nicht aus Amida zu stammen
braucht, ist es unmöglich zu rathen, was für eine Zeitrechnung hier vorliegt.
6) Hist. aug. 10, 17, 1 in üinere (von Syrien nach Alexandrien) PalaesUnis
plurima iura fundauit ludaeos fieri sub graui poena uetuU, idem etiam de
ChritHanis satixU. Falsch ist die Reise nach dem Consulat des Kaisers und
seines Sohnes [202] angesetzt; sie fällt nach den Aeren von Eleutheropolis und
Diospolis ins Jahr 200. Aber gut paßt die Nachricht des Eusebius [KG 6,2,2],
KCU OM. d. WiM. NMliriehteii. PUlolof .-UbI. KImm. 1906. Heft 4. 27
378 S* Schwartz
Diospolis und Eleatheropolis fest, daß diese Städte den Namen
lu Scptimia Seuer. anßer ihrer griechischen Bezeichnung ange-
nommen und eine Aera eingeführt hatten, die nicht weit von 2U0
abliegen konnte. Eine Wiener Münze Macrins [Knbitschek, Jahresh.
d. österr. arch. Inst. 6,58] trägt das Datum td; also muß Jahr 1
= 199 oder 200 gewesen sein. Genauer läßt sich die Jahrzähltmg
bestimmen dnrch die zahlreichen Grabinschriften des 6. und 7.
Jahrhunderts, die in den letzten Jafiren in Bi'r-es-Seba*, dem bib-
lischen V no "^Kn zu Tage gekommen und von den französischen
Dominicanern in Jerusalem vortrefflich publicirt sind. Ich lege
zunächst das Material, soweit es mir bekannt geworden ist, vor:
1. Rev. bibl. 1903, 428.
+ xatsxdd'ri 6 (lax ZökXsog r^ jdsöiov rgittj tvdo Va hovg +
^. 23. Mai [arab.] B18. ind. XI = 1. Sept. 517/518.
2. BrCv. bibl. 1904, 261. Jerusalem. Die Provenienz ist nicht
unbedingt zuverlässig ^). ^Sur le mont des Oliviers . . au-
dessiis de ce qu^on nomme Tonibeau des Prophetes*.
daß im 10. (alexaDdrinischen) Jahre des Severus [29. Aug. 201/2] die Christen-
Verfolgung in Alexandrien ausbrach; sie folgte unmittelbar auf den Besuch des
Kaisers.
1) Die Fundberichte differieren etwas. Nach dem Brief des P. Prosper an
Glcrmont-Ganueau [Recueil d'arch^ol 6, 144] ists so zugegangen : depuis gudgue
temps an travaihe au mur de döture des terrains que la Custodie franciscaine
posshde 8ur Vemplacement iraditionnel de Bethphagi. L'entrepreneur char.i dt
ces travatix emploie comme tnateriatix de constructian des hlocs extraits gä et läy
par les fellahs, des ruines qui couvrent lemontagne. ün de cetuc-ci, gut exploUaü
ainsi en carrihre le terrain ouaqouf situi sur le sommet sttd, au-dessus de la
Chrotte des Prophetes, y a decouvert une grande pierre d'autd et une daüe par-
tant une inscription grecque [eben die Grabschrift der Diakonissin Sophia]. Les
deux monuments sont aussitöt passis en de mains Hrangbres. Toutefois^ le P,
Prosper a pu chtenir de Vouvrier meme qui Cavaü trouvee, une copie de Vinscrip-
tion. Dagegen Rev. bibl. a. a. 0. : dans la matinie du 8 dScembre demier [also
1903], un de nos professeurs auxiliaires Grecs- üniSj M. Pabbi Batagher, se pro-
menait avec un Phre Blanc sur le Moni des Otiviers, quand au-dessus de ce qu'on
nomine le Tombeau des ProphHes, il rencontra un groupe d'ouvriers indighnes
qui itaient en train de deterrer des pierres dun monument ancieny et venaient
d^exhumer les dibris dune grande daile couverte dicriiure. Rajuster les fragments,
lire, iransscrire Vipitaphe et revenir en toute hdte ä Sainte-Anne, fut pour le
jeune archtologue Vaffaire de moins d'une heure. La copie parut si interessante
que Phres Planes et auxiliaires Grecs-unis se cotisbrent afin d*acquirir sans di-
lai le pricieux documeni, qui constitue un des omements de notre petit musie bibli-
que. Man würde sich auf diesen Doppelbericht zweier Patres verlassen, wenn
nicht eben in der Kev. bibl. 1905, 245 sehr bewegliche Klagen über das Ver-
schleppen grade der Steine von Bi'r-es-Seba* geführt und die bedenkliche Ge-
schichte erzählt würde, die zu nr. 10 zu berichten sein wird.
die Aeren von Gerasa and Eleatheropolis 379
iv^ids 7(1% ai ii dovkti \ xal v'6nq>ri rot) Xqiöxov \ Zotpia 1} did-
xovog ii Ö£v\T^Qa ^oißri [Rom. 16, 1], 1^ xoifii^töa \ iv ^piji/ij
tH xa tov^ MccqIuov ftijvög Ivd/ la \ [h] dtr^) x^Qiog 6
»ebg I <ov jcqbö .... 21. März 518. Vgl. Nr. 1.
3. Revue bibl. 1903, 275.
V
+ ivd'ddi xstxB 6 (icexagiog Kaiovfiag ^AtXijöiog ^ ivena [soj ii$
Jsöiov tc ivdl c hovg xatä 'Elsv^SQcoxokitocg dfit +• 5. Jxmi
[arab. Kalender] 543. ind. VI = 1. Sept. 642/543.
4. Revue bibl. 1903, 426.
iv^ids XBtxai ii ptaxagia Nöwa Ztstpdvov Alktiöia, xatBtijd"q
dh iv (ifiv IIsqltI iß ivd i. 27. Januar.
5. Revue bibl. 1904, 268.
+ iveitde fi (laxagia 0iXadriXq>ia ixSyv Btxo6i iv (itjvl '7?X6Q'
ßsQsrdov X xatä "Agaßag^ ivd Tä, hovg tfig 'EXsvd'SQonokitöv
tfJLtl. 7. October 647.
6. Acad. des inscr. et bell, lettr. Comptes rendus 1904, 209
= Rev. bibl. 1905, 248. pl. IX 1.
ivd'ide xatetdd'ri 6 fiaxägiog IlixQog iv (irivl l4(^Bni6iov a
ivöl y + ivxav^a xsttcu x{al) 6 fiax liß^^ccdfiiog laxQ ivanaBlg
tH rj (iriv Maiov j^QtBfiriöiov Trj ivd iß hovg t|«. 18. Arte-
misios [arab. Kai.] = 8. Mai. 564. ind. XII = 1. Sept.
663/664.
7. Rev. bibL 1904, 268.
V
+ ivBxdti 6 fiaxigiog *l(odwfig Eiloyiov iv fi ^dBötov 9 ivd
iß itovg xcctä *EkBv^BQOXokBitag xI^b + xal ivBxdti 6 [utxäQiog
'Hkiag 6 vlbg av[tov] iv (irivl */lQtBiiri6i . . [lv]d y Itovg toa.
Folgt eine Verwünscbungsformel. 24. Mai 564 und <
Apr.— 20. Mai) 670. lU = 1. Sept. 669/570. Vgl. Nr. 6.
1) Von dem ist auf der Autotypie nur der obere Bogen zu sehen, fT
sind onverkennbar. Die Lesung des Herausgebers, P. Grä, ^^cd giebt keinen
Sinn und stimmt nicht zu der Abbildung. Daß ein Datum in der Stelle steckt,
sah auch Glermont-Ganneau.
2) Die Schreibung AIAHCIOC wird durch den Herausgeber ausdrücklich
bezeugt, beweist aber nichts für die. Aussprache; so wird p. 425 428 tpSinrl, 427
t^tßovifa^ vtd geschrieben. Aus griechischen Handschriften ist jedem das X be-
kannt. Unzweifelhaft kann AiXiijüiog Aelensis *aus Aila* oder Ailana am Rothen
Meer bedeuten , wie Glermont-Ganneau [Recueil d'arch^l. Orient. 5, 869 f.] aus-
führt, aber sicher ist das nicht; denn et kann auch = Aeliensis sein, wie in
den Rescripten Gonstantins Eus. KQ 10, 5, 18 tbv ^ittwanov xt^s Xagt ayirtioüop
n6Umg als Uebersetzung von episeopum urbis Carthagmiennum steht.
27*
380 E. Schwartz*
8. Rev. bibl. 1904, 267.
V
+ ivd'dds Tuttai 6 (laxägiog Osödogog FiQuavovj ivanaelg fi
*AitQLkXiov xy, xatä di "Ag aßag *AQt€fii6iov y V*P_C &Qccv ß
Ivd c itovg xatä ^EXsvd'eQ ^3rt, t'^öag hti 1 (li^vag f. ivd^sfia
dh löTO) &nh rot) icgg xj xov vtov xj xov ayiov %vg nag
iviyfov xb nvHiia rovro, insidij yi^iai + Freitag 23. April
588 1). ind. VI = 1. Sept. 587/588.
9. Acadämie des inscr. et bell, lettr. Comptes rendus 1905,
541 = Clermont-Gannean, Becueil d'arch. 7,184.
ivBn&ri iv xcö ^HkCag Ilgöfiov öxgtv ^rivbg *IavovaQiov elxASi
Ivd fi ixovg xatä ^Elsv^sQonokixag (^v. 20. Januar 605. ind.
Vm = 1. Sept. 604/5.
10. Rev. bibl. 1903, 427. '
+ ävBn&B 6 (laxl imdvvtig 6 xgtßowö [so, statt P stellt R
n _
da] fi j^'üöxQfo xs vvd a ix vl'd (statt T V, zwischen t und
d ein Abkürztingshaken, der nichts bedeuten kann^)). 11.
März [arab.] 613. ind. 1 = 1. Sept. 612/613.
11. Rev. bibl. 1902,438»).
a n
'Icodwov (darüber fixagl) (i Savd'ix/ ä Ivd s xatä 'Eksv^egox/
vnn^ 22. März 647. ind. V = 1. Sept. 646/647.
1) Datierungen nach Wochentagen sind auf Inschriften sehr selten, mir fällt
grade ein Beispiel in die Hände aas £1 Kafr im Haorän [Palestine Exploration
Fond Quarterly Statement 1896, 277 nr. 153] tfj Ssytiga tfjs ißd ti^v [so] o^;
[so] f*»] (= ikrivbg) i<f(xd)Trig t(oO) An xqI * ^vSj ix 9^^. = Montag 30. Aprü
652 (die Ziffer nach arabischer Provinzialära). ind. X = 1. Sept. 651/652.
2) Ich habe ihn auf den Inschriften aus Syrien und Mesopotamien wieder-
gefunden, die Lukas Byzant Zeitschr. 14, 1 ff., meist nach Abschriften und Ab-
klatschen Oppenheims, Teröffentlicht hat: nr. 38 G*(a), nr. 52 6'*''^MA) ^f- ^^
n
i]%ovg i^cTA {^ 'AQtsnui^ov % [20. Mai] Ivd] 9]. Nach den Ausführungen Clermont-
Ghmneau's [Recueil d'archäol. Orient. 7, 221 ff.] kann kaum etwas anders als 916
[= 604/605, ind. YIII = 1. Sept. 604/5] gemeint sein; die Stellung der Ziffern
ist allerdings falsch, aber doch wohl durch die Sprach weise di%a intd zu ent-
schuldigen. Lucas Gerede von dem umgedrehten !F ist nichtig. Trennungsstriche
zwischen hovg und der Zahl kommen auch vor: BuU. de corr. hell. 21,65 nr. 76.
Byz. Zeitschr. 14,46 nr. 64 (wo natürlich 6 ^[n]B[Q]%ifu(y)og U&og zu lesen ist,
wie nr. 68 auch). Neu?, archiv. des missions scientif. 10,640 nr. 1 (zu lesen
itovg i(p). Vielleicht auch Wadd. 2638; das Datum ist ?on Lucas Byz. Zeitschr.
14, 17 richtig hergestellt und darum wichtig, weil hier das seleukidische Jahr
schon seinen alten Anfang am 1. Oct. verloren und den byzantinischen am 1. Sept.
angenommen hat.
8) Ueber die Provinienz wird Rev. bibl. 1905, 246 berichtet: Au mois de
juiUet 1902^ la BS. publiaä [437 88.] une inseripHon trouv6e, affimMU-on, ä Ji-
die Aeren von Qerasa and fileutheropolis Sgl
12. Kevue bibl. 1905, 2B3 pl. X 13.
Reste von Versen. Dann iv€nd[fi iv fiji^vl Pogniov T^ ivd
ß ixovg vXy 5. Sept. 638. vXy der arab. Provinzialära =
22. März B38/B39. ind. H = 1. Sept. 538/539.
13. Acad. des inscr. et bell, lettr. Comptes rendns 1904, 304
= Revue bibl. 1905, 266 pl. IX 21.
V
2k6g> (mit dem Abkürzongsstrich durch das g>) diax iv fi
J60 Lt Lvd y ix v%y, 8. Juni [arab. Kai.] (570). v\y der
arab. Provinzialära = 22. März 568/569. ind. III = 1. Sept.
569/570. {y%y der Aera von Eleutberopolis = 662. ind. UI
= 1. Sept. 659/660).
Die Lesung der Zahlen steht fest, aber sie enthalten
einen Fehler, da die Indiction zu keiner der beiden Aeren,
die in Bi'r-es-Seba* gebräuchlich waren, stimmt. Der Fehler
steckt in der Aerenzahl; die Indiction war schon damals das
wichtigste und maßgebende Element der Datierung, so daß
sie auch allein vorkommt, z. B. Rev. bibl. 1903, 425 nr. 1.
1905, 249 nr. 3. 250 nr. 4 und hier Nr. 4. 17. 18. Der
Steinmetz hat in seiner Vorlage YEE in YEf verlesen.
Einen ähnlichen Fehler weist Clermont-Ganneau [Archeol.
Researches in Palest. 2,424] auf einer Inschrift von Gaza
nach; auch da möchte ich den Fehler in der Aerenziffer,
nicht in der Indiction suchen.
14. Acad. des inscr. et bell, lettr. Comptes rendus 1904, 304
= Revue bibl. 1905, 257 pl. X 35.
n -
+ «ar«Ti{dij . . x%fiQ, X)Xßiov iv fi Savttxov a ivd id Itovs
voc:. 6 tsbg ivanaiiiffi d^ vtöv, 22. März [arab. Kalender]
581. voc: der arabischen Provinzialära =- 22. März 581/582.
ind. XIV = 1. Sept. 580/581.
16. Acad^mie des inscr. et bell, lettr. Comptes rendus 1904, 64
= Revue bibl. 1905, 253.
+ ^jipsxdti 1^ pkcocaQia j^vaöraöia ixayo^iivmv d ivd y Itovg
vq*. 20. März [arab. Kai.] 600. xAd der arab. Provinzial-
rusälem, Pour la premüre fois on reneontraity dans Vepigraphie funSraire de
PaluHne la mention d'une hre d^Eleutheropolia, Plus tard d^autres textes, ceux-lä
trauvis ä Bersdbie, cffrirent la mSme formule. Quelques parHculariUs teehniques
suggSraient ä un examen cUtentif que le texte soi-disant de Jirusalem Hau de
fnime famille que ceux de Ber sohle, üne petite enquHe, dont les details ne
peuvent guhre figurer tct, nous a donnk lacertitude qu'il est venu en effet
de cette localiti.
B82 £• Schwarte
ära = 22. März 599/600. ind. in = 1. Sept. B99/600. Die
Aera ist richtig erkannt von Clermont - Gannean, Recneil
d'arch^ol. or. 6, 125.
16. Kev. bibl. 1903, 427.
&vB%Ari 6 ficcxAQLog UgoxÖTtiog iv ^i AAov i rot) Qotp Itovg Ivi
&, 8. Aug. [arab. Kalender] 681. (lotp der arabischen Pro-
vinzialära = 22. März 681/682. ind. IX = 1. Sept. 680/681.
17. Revue bibl. 1903, 426.
n
ivsTtdti 6 iiaxaQiog 'Imdvvrjg 6 idaXipbg ÜOQtpvQ iv fi Socvd'ix
s ivd u i^Tig iötl xc MoqxCov arab. Kalender.
18. Revue bibl. 1904, 268.
_ n
+ ivsndfi 6 fucTcdQiog Ti^iöd'sog tf} ib fi Ilavifiov xatä "AQoß
Ivd iß. 4. Juli.
Die Inschriften stammen sämmtlich aus Bi^r-es-Seba* oder der
nächsten Umgebung, nur nr. 2 soll bei Jerusalem auf dem Oelberg
gefunden sein. Die früheste [nr. 1] gehört in das Jahr 518, die
späteste [nr. 16] ist 681 geschrieben; außer ihr fällt noch nr. 11
in die Zeit der muhammedanischen Herrschaft. Das ist keines-
wegs unerhört. Wadd. 2028 [Malah-es-Sarrar , Haorän] ist vom
Jahr g>X» [= 644/Ö], 1997 [Salchad, Haurän] vom Jahr g>l; [665/6],
Palestin. Explor. Fund Quarterly Stat. 1895, 277 nr. 163 [El Kafr,
Haurän] vom Jahr 652, 275 nr. 150 [ebenda] gar von xu [= 720]
datirt. Es ist eben falsch den jungen, genuin arabischen Islam
der intoleranten Culturfeindschaft anzuklagen: der Religionskrieg
galt dem rhomaeischen Kaiser, nicht einer einzelnen christlichen
Gemeinde, der es im Orient unter den Statthaltern des Propheten
meist besser gieng als unter der chalkedonischen Orthodoxie von
Constantinopel. Allerdings hören die griechischen Inschriften auf,
weil die dünne Schicht die in der arabischen Provinz und dem
östlichen Syrien Griechisch lernte, jetzt verschwand, als es nicht
mehr Reichssprache war; es fehlte auch an Gelegenheiten incor-
rectes Griechisch auf Stein zu schreiben, als das Bauen von
Kirchen, Kapellen und Klöstern zurückgieng. Ob man dies aber
als einen Rückschritt der Cultur ansehen muß, darüber dürften
die Anschauungen geteilt sein.
Die Inschriften von Bi'r-es-Seba* zeigen femer, daß der Ge-
brauch des arabischen Kalenders sich bis ins 7. Jahrhundert be-
hauptet hat, nicht nur im Zusammenhang mit der Provinzialära,
sondern auch mit der von Eleutheropolis, die, wie sich noch her-
die Aeren von Qerasa and Eleutheropolis 383
ausstellen wird, nach einem anderen Kalender läuft; vgl. nr. 10.
11. 16. 16. Auf anderen Inschriften erscheinen Daten des arabi-
schen Kalenders bis zum Ende des 6. Jahrb.: ich habe mir notirt
Nouvell. Arch. des missions sdentif. 10 nr. IBB [aus Et-Tajjibeh
= Rev. bibl. 1905, 598 nr. 6 mit der Provenienz 'westl. von
Gizeh'] fwj ji6ov b %q ri ivd rot) itovg vns [= 24. Juli 590]. Dtts-
saud und Mader, voy. arch^ol. au Safä nr. 92 [el Grharijjeh eS-
Sarqijjeh] fitivl JiiöTQ ito vöc [entweder iös oder vöc, = 581 oder
582]. Daneben dringen freilich, wie auch anderwärts, die römischen
Daten im 7. Jahrh. ein, von Constantinopel aus. Ein Wechsel
des Neujahrs ist auf Inschriften die nach der arabischen Provin-
zialära datieren, bis jetzt nicht nachgewiesen.
Endlich bestätigen die neu aufgefundenen Inschriften von
Neuem, daß die arabische Provinzialära vom 22. März 106, nicht
von 105 ab läuft, was leider immer wieder behauptet wird. Die
Angabe des Chron. pasch, p. 472, 8 zu ol. 221, 1 Jlstgatoi xcd
BoötQTivol ivtsvd'sv tovg £avt&v xQÖvovg ägid'fiovöi ist vollständig
richtig: der Epochentag der Aera liegt thatsächlich zwischen
dem 1. October lOö und dem 30. September 106. Eine glänzende
Rechtfertigung der Waddingtonschen Reduction liefern zwei von
Dussaud und Macler im Haurän entdeckte Inschriften [Nouv. arch.
d. miss. scient. 10, 652 nr. 27 und 678 nr. 108]. Die eine , aus
£1 Kafr, trägt das Doppeldatum iv ixatsCa ^Xa ZigyäCov xal OX
NiyQivianrov t&v XapLTCQOtdttav hovg öfii ti^g '/IxäQxsCag. Es sind
die Consuln des Jahres 350; das Jahr 851 ist Postconsulat. Und
wenn hier es noch möglich wäre öfis = 22. März 349/350 zu
setzen, so ist es bei der anderen Inschrift aus *Anz (unmöglich,
die ich um so lieber hersetze, als sie ein erhebliches geschicht-
liches Interesse bat:
*Exl XQutiiöBcog 0X. KX, ^lovXiavov
jiinoxQdzoQog AiyovfStov
icvC^ (= iveittj) tä Csgn xal ivoixodo-
fAijdij, xal &(pt6Qd>^fi 6 va-
bg iv it. 6v<: J'60rQov c.
Das kann nur am 20. Februar 362 gewesen sein; die franzö-
sischen Herausgeber führen mit Recht die Facta aas der Ge-
schichte des Athanasius an, die in der s. g. Historia acephala er-
halten sind [hrsg. von BatiflPol, M^langes de littir. et bist. reK-
gieuses publi^s 4 Toccasion du jubilö episcopal de Mgr. de Cabri-
fcres p. 109]: proximo uutem die meihyr X. die mensis post cons.
Tauri et tlorenti [4. Februar 362] luliani imp. preceptum propositum
384 £• Schwartz
set quod iuhebatur reddi idolis et neochoris et publice rationi que
preteritis temporibus Ulis ablata sunt.
Es darf nicht irre machen, wenn ab und zu die Synchronismen
von Aera nnd Indiction nicht stimmen. Ein solcher Fall liegt
vor nr. 13; aaf zwei andere hatte schon Waddington aufmerksam
gemacht zu 1959^ nnd 2028. Neben der gewaltigen Menge von
Inschriften auf denen Indiction und Aera sich widerspruchslos
znsammenfügen, wollen diese wenigen Falle in denen die Aerenzahl
verschrieben ist, nichts besagen, umso weniger als Wadd. 1969'^
V
nur auf einer Abschrift Seetzens beruht und nr. 2028 i]v (i M.iov
iß [Ivd] y hovg (pkt die Lesung MaCov nicht sicher ist. Liest
man MoQtiov (in Ligatur geschrieben), so ist alles richtig: tpX9'
= 22. März 644— bis 21. März 64B; ind. lU = 1. Sept. 644/64B.
Auf der von Brünnow-Domaszewski [Prov. Arabia 2, 94] heraus-
gegebenen Inschriffc ist nar die Indiction erhalten:
'Eni OX Ilavkov ivdol^loß
dovxög, 0%ovdij nitQo[v]
r&v tönov [&Q]xovtogi \i]%b
Xafing XQt6[t]oy[6]vov iv^
. . fo]5i xIq] ^ 'v*/ [^]^-
Die Chiffre am Schluß bedeutet (ifiiji/, s. o.
Auf den bis jetzt veröffentlichten Inschriften von Bi*r-es-Seba*^)
wird die arabische Provinzialära nicht besonders bezeichnet, da-
gegen steht bei der anderen Aera öfter xatä 'EX€%}^SQ07toXitag
[nr. 3. 8. 11] oder t^g 'EXßv^sQonoXit&v [nr. 6], nämlich igitfii^ösiog
dabei. Eine solche ausdrückliche Benennung der Aerenziffer ist
verhältnißmäßig selten und hat fast immer einen besonderen Grund.
Ich stelle die Fälle zusammen, soweit sie mir aufgestoßen sind,
da die Erscheinung meist nicht beachtet wird.
1) Im Beriebt des Directors der Amerikanischen Schule in Palaestina von
1904/5 [American Journal of Archeol. 2ser. 9, 1905], 36 wird mitgeteilt: Äi
Bu^eibeh (beiBi'r-es-Seba*), the important discovery was made cf moft ihan (hirty
Greeh inscripHons, Some of ihem are dated hy tndtcfton, day, manih and year.
The stones wert all left in situ [ob sie da bleiben, ist sehr die Frage] exc^t two
(hat were handed aver to the Qaimmäkam \of Bir-thSebd and the discovery was
reported to him and to the Mutassarif of Jerusalem. It is to be hoped thai they
wiü find their way to the municipal museum in Jerusalem, which is (he proper
place for snch finds. We secured good squeezes of the inscriptions ... p. 37
At Bvr el'Sd>d a numher of Qreek inscriptions were found, different from those
published by the Doniinicans, and squeezes taken. Möchte dieser Aufsatz dazu
beitragen die Wichtigkeit der Funde einzuschärfen und ihre Publikation be-
schleunigen, die, meines Wissens wenigstens, noch nicht erfolgt ist.
die Aeren von Gerasa und Eleutheropolis 386
Seleukidenära von Damaskus [Epoche: 22. März 311 v. Chr.].
Clermont-Gannean, Eecueil d* arch^ol. orient. 1 , 8 nr. 6
[Copie Loeytveds], El-Mugaidel bei Tell-el-Hära ^).
itQovCa
d'BOv 'Pbvtpos
M<iyvo[g ix t]öv lÖC
01/ nvgyov sitv
X&g i[t]iX66sv
xatä JofLaöxov [so]
hovg 9%% 22. März 378/9
ix^ iyad'otg jrpö,
(piXöxtiöta ^).
Palestine Exploration Fand. Qoarterly Statement 1896, 62
nr. 30. 'Aqraba.
fitovg ' AyLQB" 'Povtpog tä Xtd-
^a^iae kig^) Oka M&yvog d(fia &
22. März xov // ^ bCov olxod/ lxu06v xb Ein
401/2 iß ififig.
Dazwischen Monogramme, die ich weggelassen habe.
Tell-el-Hära liegt aaf damascenischem Gebiet, aber an der
Grenze der Provinz Arabien, in der eine andere Aera herrscht.
Freiheitsära von Gaza [Epoche: 28. October 61 v. Chr.].
Clermont - Ganneau , Archeologiccd Researches in Palestine
2, 410 nr. 13. Gaza.
+ ivd'äd£ xax
ov
«Tijdij fi X ^v do-
vltj Oiöia d^rydt
1JP Tifiotiov iv
__ ov
fA ^aiöiov ai, t xa- 6. Jnni 663
T« Faf/ yxx Iv
dl S"
1) SSW. von Damaskus, vgl. die Karte Zeitschr. d. Pal. Vereins 12 oder
Nonv. arch. des missions scientif. 10. 'Aqraba liegt nach der Karte an dem-
selben Teil.
2) Vgl. Byz. Zeitschr. 14,54 nr. 83 xA nvgm MXaXüo <pdo%tiatri tb xecXbif
Itncc noXXo{^) %a(idto(vs),
8) JtHfiXiSy nicht "JtutiXig steht auf dem Stein, vgl. Noav. arch. d. miss.
scient. 10, 701. Ebenda nr. 166 'Aiu^QtiXog, p. 678 Ui^ßQiX^av Siodv, ov^ d. i.
BtoSo^Xav. Dossand und Macler voyage arch^ol. an Safä p. 178 nr. 87 ^J^iQiXCavy
Mitthlg. d. Pal. -Vereins 1901, 54 nr. 14 ^JhqbiUov, ebenso Wadd. 1907. Der Name
ist arabisch, bK^lQK» ItStt ist ein beliebtes erstes Element theophorer Namen
vgl. Wellhaasen, Skizzen und Vorarbeiten 3, 8.
886 K Schwartz
Neben den zaUreichen Daten nach gazaeischer Aera haben
sich drei gefunden, die nach ganz anderer Zahlweise berechnet
sein müssen [vgl Clermont-Gannean a. a. 0. 420] :
n
1. iv (i Jaiöim di rot) yX hovg Ivd ßi
ij ov
2. iv fi ^iov ^ t d'X itovg lv8\ y
^ n — _
3. fi Jim ^ Tov ipt ix ivÖj 5-
Nach der Bnchstabenform und dem stehenden Gebrauch die
Indiction hinzuzufügen gehören diese Grabsteine der gleichen Zeit
wie die übrigen an, dem 6. Jahrhundert: die Liste der gazäischen
Daten bei Clermont-Gunneau a. a. 0. 420 beginnt mit 505 und hört
mit 609 auf. Er versuchte die Ziffern so zu erklären, daß die
Hunderte weggelassen, und sie mit Ergänzung von 9 auf die
Aera von Askalon zu reduciren seien: das ist unglaubhaft und
von Schürer [Sitzungsber. d. BerL Akad. 18%, 1086 f.] mit Recht
bestritten. Die Epoche der Aera deren Kalenderjahr dem gazäi-
schen gleichgesetzt werden darf, liegt offenbar am Ende des 5.
oder in der 1. HäKte des 6. Jahrhunderts: welche Jahre möglich
sind, mag folgende Tabelle veranschaulichen:
U. Daesios = 8. Juni 83 ind. XII = (503) 504 (518) 519 (533)534 (548)549
7. Di08 = 3. October 39 ind. 111 = 509(510) 524(525) 539(540) 554(555)
29. Di08 = 25. October 88 ind. VII = 558 (559) 573 (574) 588 (589) 603 (604).
Das würde als Jahr 1 ergeben: 471/2 486/7 BOl/2 516/7. Es
kann m. E. nur an eine Aera von Maiuma-Constantia, der Hafen-
stadt von Graza, gedacht werden. Sie hatte von Constantin Stadt-
recht und damit zugleich nach seiner Schwester den Namen Con-
stantia erhalten [Eus. Vita Const. 4, 38]; es ist interessant zu
sehen wie das Prinzip daß barbarischer Ortsname und Stadtrecht
sich ausschließen, hier noch im 4. Jahrh. wirksam ist. Unter
lulian wurde die neue Stadt von Gaza verklagt und von dem
Kaiser der älteren G-emeinde wiederum attribuirt [Sozomen. 5, 3, 7] ;
doch blieben die Bistümer getrennt. Sozomenos schrieb unter
Theodosias II.; seine Darstellung schließt mit dem Jahr 411. Ich
halte den Schluß für berechtigt, daß einer der späteren Kaiser
die Anordnung Constantins wiederhergestellt und die Gemeinde
Maiuma-Cunstantia, um die Gazaeer zu ärgern, eine eigene Aera
eingeführt hat. Unter diesen Umständen ist es motivirt, daß eine
Inschrift die auf dem Gebiet von Maiuma gesetzt, aber gazaeisch
datiert war, dies ausdrücklich bemerkte.
^
die Aeren von Qerasa und Elentheropolis 387
Caesarische Aera von Antiochien [Epoche : 1 . Hyperberetaeos
= 1. October 49 v. Chr.]. Littmann, Semifdc inscriptions [= PubK-
eations of the American Archeological Expedition to Syria in
1899—1900 parii. IV] 15 nr. 6 Khirbit Hasan:
Im Jahr 556 nach der Rechnung von Antiochien = 1. October
507/8.
31 nr. 12 Khirbit il Khatib:
Im Jahre 581 nach der Zählung von Antiochien = 1. Oct. 532/3.
34 nr. 14 Babisqä JJinoi^tt^ Ibui^t &^o ^jval.o (Jbojuaju Kta^
Außerdem ist noch eine nach der antiochenischen Aera da-
tierte Inschrift [nr. 10] der gleichen Zeit [12. Daesios (Juni) 696 =
647 n. Chr.] in dieser Gegend gefunden, sie ist zweisprachig und
hat den Zusatz ^ach der Zählung von Antiochien' nicht.
Ich kann über die Lage der Fundorte nichts genaueres sagen,
da leider dem Bande kein Orientierungskärtchen beigegeben, son-
dern auf die Karten des 1. Teils verwiesen ist, der, ebenso wie
der dritte Teil mit den griechischen Inschriften, entweder noch
nicht erschienen oder hier nicht vorbanden ist. Kur so viel läßt
sich aus Littmanns Angaben S. 4£P. entnehmen, daß die ange-
führten Inschriften alle in eine Gegend geboren, in der das Ge-
biet von Antiochien mit dem von Beroea [Aleppo] und Chalkis
zusammenstößt. Dort wird seleukidisch datiert: es ist auch hier
die Grenze, die dazu führt die Aera bestimmt zu bezeichnen.
Weitaus am häufigsten werden die Daten der arabischen Pro-
vinzialära als solche charakterisiert. Von nabatäischen Inschriften
der Art sind mir bekannt geworden:
C. L Sem. 2, 964. Sinaihalbinsel.
«^Dncnb 85 r\:m tn
'Das ist das Jahr 85 der Provim' = 22. März 190/1.
Revue bibl. 1905,692 = Clermont-Ganneau, Kec. d'arch^ol.
Orient. 7, 155 ff. Bostra.
[«^DnjDjnb 42 n:«
^Jahr 42 der Provine' = 22. März 147/8. Die Ergänzung Cler-
monts • Ganneaus ist wohl sicher; ob die vorhergehende Zeile
wirklich lautete ^am 1. Nisan\ mögen Berufenere entscheiden.
Die Nabatäer datieren vor der römischen Eroberung nach Jahren
ihrer Könige: in der Bezeichnung 'Jahr der Provinz* steckt ein
388 £• Schwartz
historischer Gegensatz^). Wenn die safaitischen Beduinen die
Aera der benachbarten Provinz auf ihren Graffiti nennen, so
thun sies, weil sie selbst, als freie Wüstenkinder , keine Jahres-
zählung haben*).
Littmann , American Journ. of Archeology 1905, 407 : the
date of at hast a large numher of the Safaitic vtscriptions is now
setÜed by the words ycr\ nn«T "püD TOO Hhe year 18 of the Romans'
[= 123/124] 'found at ü-tsawt [wo?]. Another date, not quite certain
however, is the ^year 3 in the province* (3 Kü nb^ÄD).
Die griechischen Inschriften zerfallen in zwei Klassen. Auf
denen der Trajanischen Provinz Arabien, für welche die Aera ur-
sprünglich eingeführt war, wird sie nur selten bezeichnet:
Waddington 1908 Bostra: itovg tfjg iicaQx]B{ag ixaroötov xquc-
xoötov xstdQxov = 22. März 239/240.
Waddington 1995 Salchad: iv ix rq/J ri)g inaQ%iag Ivd s =
22. März 497/8.' ind. V = 1. Sept. 496/7.
Nouv. arch. des miss. scient. 10, 656 nr. 34 Salchad : ixovg . . .
xiji\g inaQXsiag.
Ebenda 673 nr. 92 Teil Ghärijeh: iv ix[e]i 0(: rijg ^oq =
22. März 311/2.
Dagegen erscheint die Benennung der Aera sehr häufig im n.
Haurän in der Legä [Trachonitis] , sowie in der Nuqra [Ba-
tanäa]'), d. h. in dem Gebiet das abwechselnd Herodes und seinen
Nachfolgern gehörte oder römisch war; im 2. und 3. Jahrh. bil-
dete es einen Teil der Provinz Syrien und wurde wahrscheinlich
1) Nicht ausdrücklich bezeichnete Daten der Provinzialära finden sich C. I.
Sem. 2,963 (Sinaihalbinsel) ^inD^p HnSn ^V )^1 b]f HKO fOB^ «»* Jahre 100
(= 22. März 205/206) ^gleicherweise unter drei Ka%8em\ Die irea Augg. sind von
Clermont-Ganneau, Rec. d'arch^ol. Orient. 4, 184 ff. erkannt, sollte man nicht ^^
^aojT s= 6yLoC<o9 verstehen und dies auf HH /H beziehen können ? Ferner Acad.
des inscr. et bell, lettr. Compt. rend. 1904, 292 (*Abdeh) 99 nitt^ 3M HTD *»»»
Ah Jahr 9ff = 20. Juli— 18. Ang. 204.
2) Einmal scheint die Provinzialära ohne Zusatz vorzukommen : Nouv. arch.
d. miss. scient. 10,587 nr. 742 n^ rUD '^^ J^'hr lOCf nach Littmann, Semitic
inscr. 113. Dagegen zeigt sich der Mangel der Zählung in der Bestimmung des
Jahres durch das £reigniß: Ldttmann, Sem. inscr. 144 nr. 45 ^^ 3*)^ f^Q 'm
Jähr des Krieg des Nabatäer^ (ca. 105), Nouv. arch. 10, 565 nr. 554 vgl. Litt-
mann, Sem. inscr. 112 01 Sh ^*10n Din tMÜ *•"* *^^^ des Kriegs der? des?
[gewifi nicht 'der Meder\ vgl. Wellhausen, G^iA 1905, 681] gegen die Rhomaeer'.
Amer. journ. of Arch. 1905 , 407 ^j; ^^ nSoH ü^p HiD *»»• *^^^ »w dem der
der König 'fined the tribe 'Awidh\
8) Karten: Zeitschr. d. d. Palästina-Vereins 12. 20. Palestine Exploration
Fund Quarterly Statement 1895. Nouv. arch. d. miss. scient. 10.
die Aeren von Gerasa und Eleutheropolis 389
erst von Diodetian zur Provinz Arabien geschlagen. Hier wurde
vor dem Ende des 3. Jahrh. nicht nach der arabischen Aera,
sondern nach Kaiser jähren datiert; später herrscht die Aera all-
gemein, wird aber noch oft bezeichnet, weil das Bewußtsein einer
Aendernng nicht geschwanden ist.
Wadd. 2261 S&lä [vgl. 2254 ZaXafiavijatioi] iv hrj .gv tfig
inaQ%Cag = 566 — 575.
Wadd. 2238 BÜsän [vgl. 2242. 2261 B60ava] itovg 01% ri}?
inoQiiov = 22. März 322/3. 2239 ixovq cl r^^ in = 365/6.
2251 ixBi, vo^ ri)g inaQx^Caq ivdixr sc = 22. März 582/3,
ind. XV = 1. Sept. 581/2. Datienmg nach Kaiserjahren
Wadd. 2237.
Nouvelles archives d. miss. scient. 10, nr. 27 El Kefr. Die
oben [S. 383] schon angeführte Inschrift vom Jahr 350. Da-
tierung nach Jahren Agrippas and Kaiserjahren Palest,
explor. fand. Quart. Stat. 1895 nr. 135. 136 [= Wadd.
2865] und nr. 154 [= Wadd. 2286»].
Wadd. 2088 *Amrä. inl trjg a Ivd xatä BöötQa hovg vXy =
22. März 538/9. ind. 1 = 1. Sept. 537/8.
Wadd. 2110 El H^jät. iv hi voy xfjg inccQX ivd ia = 22. März
578/9. ind. XI = 1. Sept. 377/8.
Die oben aufgeführten Fundorte liegen im Haurängebirge ; znr
Nuqrä gehört
Wadd. 2412'" Nächite fiip/ög Nos^ßg y . . . ro[t)l irovg (pctj tfig
ixagx = 22. März 623/4.
Aus der Legä stammen:
Sür [Quart. Stat. 1895, nr. 61 UavQov tb xotvöv] Nouv.
arch. des miss. 10 nr. 8 iv ixv öni xf^g inaQ%Cag = 22.
März 392/3. Quart. Stat. 1895, nr. 60 ixovg diaxoöötaötov
Bixoötov TtQ^xov xijg inaQXBlag = 22. März 326/7. nr. 66
inl xfig iß Ivdj ixovg w& xijg inag = 22. März 564/6.
ind. XTT = 1. Sept. 563/4. Datierung nach Jahren
Agrippas und Kaiserjahren ebenda nr. 65. 61.
Diese Skizze lehrt daß die ausdrückliche Bezeichnung einer
Aera in der Regel einen Gegensatz andeutet, sei es zu einer
früher üblichen Jahresrechnung, sei es zu einer die in der Nach-
barschaft gebräucUich ist. Es ist drittens auch der Fall denkbar
und in der angeführten Inschrift von Gaza wohl wirklich einge-
treten, daß eine Aera angewandt wird, die nicht die ortsübliche ist.
Dieser Fall scheint bei den Datierungen der Grabsteine von Bi'r-
es-Seba* vorzuliegen. BriQoeaßa [Eus. Onom. 166,21. Not. dign.
34,6. 18], BfiQo06aßa pSfosaikkarte von Madeba], BtQO0aßa [Georg.
390 ^- Bchwartz
Cypr. 10B2]*) gehörte in der nachconstantinischen Zeit zur Pro-
vinz Palaestina Tertia, die znm weitaus größten Teil von der alten
traianischen Provinz Arabien abgetrennt war nnd das nabatäische
Petra zur Hauptstadt hatte. Die arabische Provinzialära ist dort
legitim; sie braucht nicht näher bezeichnet zu werden. Dagegen
gehört die Jahreszählung von Eleutheropolis dort nicht hin ; denn
Eleutheropolis lag in Palaestina Prima und ist stets eine palästi-
nische, nie eine arabische Stadt gewesen.
Es ist also ganz in der Ordnung, daß die Aera von Eleuthe-
ropolis wenigstens häufig durch einen Zusatz bezeichnet wird: sie
hatte in BiV-es-Seba* keine officielle Greltung. Merkwürdig ist
nur, daß sie, nach den bis jetzt gefundenen Inschriften zu urteilen,
sogar öfter vorkommt [nr. 1 — 3. 5 — 11] als die Provincialära [nr.
12 — 16]; die beiden Zeitrechnungen lösen sich auch nicht etwa
ab, sondern haben offenbar neben einander bestanden. Man ist
zwar jetzt sehr bereit, bei inschriftlichen Datierungen, wenn eine
Reduction nicht glaublich erscheint, auf irgend eine beliebige, von
der ortsüblichen abweichende Aera zu rathen und sehr leicht
damit bei der Hand ein verwirrendes Nebeneinander verschiedener
Jahresbezeichnungen anzunehmen^). Dabei werden aber nicht nur
die Forderungen des praktischen Lebens, sondern auch die staats-
rechtlichen Grundsätze außer Augen gelassen. Die Regel ist, daß
die Weise das Jahr zu bezeichnen staatlich vorgeschrieben wird
wie bei den Provinzialären, oder auf staatlicher Duldung beruht,
wie bei den Freiheits- und Gründungsären der Städte. Concurrenz
der Aeren oder der Jahresbezeichnung ist selten und als Aus-
nahme zu behandeln. Auf antiochenischen Münzen kommen Glei-
1) Auf den Wechser der Schreibangen zwischen ri und t, tf und ac kommt
nichts an; wichtig ist das o, weU in ihm die arabische Aussprache des Namens
dentlicb hervortritt.
2) So bei (ierasa; s. o. S. 861 ff. Nach dem Beiheft der Jahresh. d. österr.
archäol Inst. 3,30 soll in Homs [1], wo nur seleiüddisch datiert wird, die arabische
Provinzialära plötzlich aaftaachen. Auf der einen Inschrift [nr. 31] ist v nur un-
deutlich zu erkennen and ip möglich, auf der anderen ist die Zahl ZZP ^o^^
ans ZE<t> [= 255/6 n. Chr.] verlesen. Gegen Strzygowski [Zeitschr. d. d. Pal.
Vereins 24, 163] ma£ entschieden betont werden, daß das Datum des Mosaiks
der Christophoruskirche bei Tyrus unmöglich nach der arabischen Provinzialära [t]
berechnet werden kann: Renan [Mission de Ph^nicie 613] hat richtig nach der
tyrischen Aera reduciert, iv ii^rivl Jsc£ov toü 'tpa hovg M ^ = 19. Juni — 19.
Juli 576 n. Chr. Es ist leider auch immer noch nötbig daran zu erinnern, daS
im Orient nie nach Jahren Christi datiert ist; wenn ein frommer Mann einmal
den Abstand eines Datums von der eagntoatg berechnet, so ist das noch lange
keine Datierung.
k.
die Acren von Gerasa und Eleutheropolis 391
changen zwischen der antiochenischen Aera und Regiernngsjahren
Neros vor [Mommsen, Staatsr. 2, 803, 2], da stößt eine commnnale
Aera mit einer Jahresbezeichnung zusammen, die, wenigstens
zeitweilig, in der Provinz Syrien officiell war. Auf der schon
[S. 28] erwähnten nabatäischen Inschrift von Pm^r wird das Jahr,
der 'römischen Zählung', d. h. der damascenischen Seleukidenära
durch ein nabatäisches Regentenjahr erklärt: in dem Grenzdistrict
concnrrieren die Zählungen der römischen Großstadt und der von
Rom xuabhängigen Nabatäer. Singular sind die Datierungen auf
einer Inschrift von Medaba [Revue bibl. 189B, B90 = Inscr. gr,
ad res. Rom. pert. 3, 1381 ; vgl. Clermont-Gunneau Recueil d'archiol.
Orient. 2,13]:
xovto S[xxC\6sv [ix r]öv IdCayv ^s-
[lidkia xaxaßodöfisvos] ixaxiQt