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Nachrichten
von der
Königl. Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
Aus dem Jahre 1890.
Nro. 1 — 16.
Göttingen,
Dieterichsche Verlags -Buchhandlung.
1890.
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in.
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IS\ %. CsT
Man bittet die Verzeichnisse der Accessionen zugleich als Empfangsanzeigen
für die der Königl. Societät übersandten Werke betrachten zu wollen.
Register
über
die Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften
und
der Georg - Augusts - Universität
aus dem Jahre 1890.
Auerbach, F., Absolute Härtemessung. 518.
Bechtel, F., Kleine Aufsätze IL 29.
Brioschi, Fr., Ueber die Keinen entwickelung der geraden Sigma-
functionen zweier Veränderlichen. 236.
Burkhardt, H., Zur Theorie der Jacobi'schen Gleichungen 40. Gra-
des, welche bei der Transformation 3. Ordnung der Thetafunctionen
von zwei Yeränderlichen auftreten. 376.
Conze, EL, zum auswärtigen Mitgliede erwählt. 557.
Drude, P., Ueber die Größe der Wirkungssphäre der Molecular-Kräfte
und die Constitution von Lamellen der Plateau'schen Glycerin-Sei-
fen-Lösung. 482.
— — und W. N e r n s t , Einfluß der Temperatur und des Aggre-
gatzustandes auf das Verhalten des Wismuths im Magnetfelde. 471.
— — siehe Voigt, W.
Galitzine, B., Ueber das Dalton'sche Gesetz. 22.
Gildemeister, J., auswärtiges Mitglied, gestorben. 556.
Hartlaub, OL, Beitrag zur Kenntniß der Comatuliden - Fauna des
Indischen Archipels. 168.
4 Register.
Henneberg, W., ordentliches Mitglied, gestorben. 556.
Hertz, H., TJeber die Grundgleichungen der Elektrodynamik für
ruhende Körper. 106.
Hurwitz, A., Ueber die Nullstellen der hypergeometrischen Reihe.
557.
Kielhorn, F., Die Mandasor Inschrift vom Mälava Jahre 429 (= 472
n. Chr.) und Kälidäsa's Ritusamhära. 251.
— — Zu Dandin's Kävyädar9a III, 150. 434.
Klein, F., Zur Theorie der Lameschen Functionen. 85.
— — Ueber die Nullstellen der hypergeometrischen Reihe. 382
de Lagarde, P., Nachträge zu früheren Mittheilungen. 1.
kette". 95.
„Das älteste Glied der masoretischen Traditions-
— — Psalm 114 im Sidrä rabbä. 101.
— — Exodus In. 155.
— — Kleine Mittheilungen. 418.
Mark h am, Cl. R., zum Korrespondenten gewählt. 557.
Merkel, Fr., Ueber argentinische Gräberschädel. 256.
Meyer, Franz, Ueber Discriminanten und Resultanten von Singulari-
tätengleichungen. (Zweite Mittheilung). 366.
_ _ Dritte Mittheilung. 493.
Meyer, Leo, Etymologische Mittheilung. 76.
N ernst, W. , Ueber ein neues Prinzip der Molekulargewichtsbestim-
mung. 57.
— — Ueber die Verteilung eines Stoffes zwischen zwei Lö-
sungsmitteln. 401.
— — siehe Drude, P.
Oldenberg, H., zum Korrespondenten gewählt. 557.
Po ekel s, Fr., Ueber die Interferenzerscheinungen, welche Zwillings-
platten optisch einaxiger Krystalle im convergenten homogenen
polarisirten Lichte zeigen. 259.
Preisstiftungjen :
Ben eke' sehe philosophische Preisstiftung. 149.
Preisaufgaben der Gesellschaft der Wissenschaften. 216.
554.
Register. , 5
Pe 1 1 sehe- Lab arre' sehe Stiftung.
Juristische Facultät. 153.
Preisaufgaben der W e d e k i n d' sehen Preisstiftung für deutsche Ge-
schichte. 217.
Riecke, E., Ueber die Pyroelectricität des Turmalins. 188.
— — Beiträge zu der von Gibbs entworfenen Theorie der
Zustandsänderungen eines aus einer Mehrzahl von Phasen beste-
henden Systems. 223.
— — Specielle Fälle von Gleichgewichtserscheinungen eines
aus mehreren Phasen zusammengesetzten Systems. 342.
— — Ueber stufenweise Dissociation und über die Dampfdichte
des Schwefels. 360.
— — Das thermische Potential für verdünnte Lösungen. 437.
— — Ueber elektrische Ladung durch gleitende Reibung. 456.
— — Moleculartheorie der Diffusion und electrolyti sehen Lei-
tung. 509.
Sauppe, H., Bericht des beständigen Sekretärs der königl. Gesell-
schaft der Wissenschaften über das Jahr 1890. 550.
Schnitzer, E., zum Korrespondenten gewählt. 557.
Schoen flies, A., Ueber das gegenseitige Verhältniß der Theorieen
über die Structur der Krystalle. 239.
Yenske, 0., Ueber eine Abänderung des ersten Hermite'schen Be-
weises für die Transcendenz der Zahl e. 335.
Verzeichnisse :
Eingegangene Druckschriften. 38, 81, 154,253, 295,338,
383, 398, 506.
Vorlesungen. 41. 297.
Voigt, W., Ueber den Zusammenklang zweier einfacher Töne. 159.
— — Bestimmung der Elasticitäts-Constanten des brasilianischen
Turmalines. 279.
— Zur Theorie der Schwingungen gestrichener Saiten. 502.
— — und P. Drude, Bestimmung der Elasticitätsconstanten
einiger dichter Mineralien. 542.
Wallach, O., zum ordentlichen Mitgliede gewählt. 557.
Weingarten, J., Ueber particuläre Integrale der Differentialgleichung
4 V = 0 und eine mit der Theorie der Minimalflächen zusammen-
hängende Gattung von Flüssigkeitsbewegungen. 313.
6 Register.
Wieseler, Fr., Yerbesserungsvorschläge zu Euripides. 66.
— — Scaenica. 200.
— — Weibliche Satyrn und Pane in der Kunst der Griechen
und Römer. 385.
— — Nachträge dazu. 491.
Yule, H., Korrespondent, gestorben. 556.
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
22. Januar. Jfä ]# 1890.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 11. Januar 1890.
de Lagarde, Nachträge zu früheren Mittheilungen.
Riecke legt eine Arbeit des Herrn B. Galitzine in Straßburg i/E. vor:
Ueber das Daltonsche Gesetz.
Bechtel legt Kleine Aufsätze, IIL, vor.
Nachträge zu früheren Mittheilungen
von
Paul de Lagarde.
Ignoranti portum nullus suus ventus est
citiert Giordano Bruno in den italienischen "Werken 715; m meines
Abdruckes. Ich habe 791 meiner Ausgabe gebeten, mir die Stelle
nachzuweisen. Sie steht in einem von mir viel und gerne gelese-
nen , für die französischen Exercitien meiner Primaner einst stark
benutzten Autor: am 2 November 1889 brachte mir Ulrich von
Wilamowitz aus des Philosophen Seneca Briefen 71s Ignoranti
quem portum petat, nullus suus ventus est. Die Fassung Bru-
nos däucht mich genauer als die Senecas.
der Ueberlieferung habe ich in meinem Abdrucke der syrischen
Uebersetzung der dcuterokanonischen Bücher in )**»«« verwandelt,
Nachrichten von der K. G. d. W. zu Göttingen. 18W. No. 1. 1
2 Paul de Lagarde,
da JLftXfti* nusquam occurrit nisi ubi vsccvfoxog in graeco est. Mein
nusquam des Jahres 1861 ermäßigt sich, seit man durch ACeriani
(PSmith thesaurus 1607) weiß, daß JLo-oajJ ab und an auch %ai-
öccqlov wiedergibt.
1875 schrieb ThNoeldeke in seiner mandäischen Grammatik
114 zum mandäischen pifc^ an den Rand
Im Syr. ist J*«- nur im strengen Sinn &riAd£a>v .... doch
vergleiche das wunderliche, halbgriechische JLocqju, das in
den Apocryphen des A. T. und in der hexaplarischen Ueber-
setzung viel zu häufig ist, als daß man es überall mit La-
garde durch )nmi>i veavfaxog ersetzen dürfte, durch welches
es allerdings beeinflußt ist.
Seit ich wieder mehr griechische Handschriften verglichen habe,
weiß ich Bescheid. Diese Handschriften schreiben noch im zwölften
Jahrhunderte veavfaxog (zum Beispiele mein m, der Arundelianus,
von mir im August 1874 zum Besten meines Lucian verglichen) :
das heißt, die Griechen sahen vsavCöKog als eine Zusammensetzung
— viog aviGnog — an : die Syrer begnügten sich mit dem avfaxog
allein, das sie allein doch nie gelesen hatten. Denn — und das
ist das Wichtige bei den kleinen Funde — der Spiritus lenis,
also das K, konnte nur in der Mitte zwischen zwei Vokalen y
werden. Jnmi ? ist die andere Hälfte des ve-&vi6xog.
Ueber X = { = j siehe meine armenischen Studien (1877) 2
vor der Mitte, meine Uebersicht 42 r.
TertuUianea.
Dem verstorbenen, mir persönlich unbekannt gebliebenen Her-
man Roensch in Lobenstein habe ich ein viertel Jahrhundert
hindurch so viele Dienste geleistet, wie irgend möglich. Einer
dieser Dienste war, daß. ich sein Buch ;;das neue Testament Ter-
tullians" in GGA 1871 970 ff. der Aufmerksamkeit der ersten Fa-
kultät empfahl. Bei dieser Gelegenheit, und dann abermals 1878,
NGGW 1878 15 ff., als eine klägliche Ausgabe einer Schrift Ter-
tullians Veranlassung gegeben hatte, meine Tertullianstudien her-
vorzusuchen, habe ich eine Reihe Verderbnisse im Texte Tertul-
lians zu beseitigen versucht. Ich habe was ich geschrieben, da-
mals dem jetzt verstorbenen AReifferscheid überschickt, und un-
glaublicher Weise sind in der von Reiff erscheid begonnenen, von
den Herren GWissowa und WvHartel zu Ende geführten Ausgabe
des Tertullian ganzer zwei meiner Vorschläge berücksichtigt wor-
den, der Eine allerdings nur halb. Ich bin so unbescheiden, mich
mit dieser Rücksichtnahme nicht befriedigt zu halten, und lege
Nachträge zu früheren Mittheilungen. 3
daher , obwohl in meinen Symmicta 1 99 ff. 2 2 ff. das 1871 und
1878 Veröffentlichte wiederholt worden ist, meine Vorschläge noch
einmal vor.
Die von mir Sfymmicta] 2 3 gegebene Disposition des Buches
de spectaculis empfehle ich für die zweite Ausgabe des Wiener
Tertullian summarisch zur Berücksichtigung.
Wiener Tertullian 2 s Iam vero nemo est est qui non hoc
quoque praetendat. Ich S 22 iam vero non nemo est qui hoc
quoque praetendat.
W 22i optatam: Ich S 22 tributam: die Hdss. tantam.
W 225 deum norunt nisi naturali iure. Ich S 1 100 39 deum
norunt, nee norunt nisi naturali iure. Vergleiche S 1 101 14.
W 3s minus: Ich S 23 eminus.
W 4i vitam mit folgendem Comma. Ich S 1 100 42 mit fol-
gendem Punkte. Freilich beseitigte W 42 das Fragezeichen.
W 52i cum quid aliud [wo Herr von Hartel taliter, Herr
Wissowa generaliter, die Hdss. aliter], etiam specialiter interpre-
tari capit. Das durch den Zusammenhang verlangte generaliter
habe ich schon 1878 hergestellt: S 23.
W 619 habe ich in Folge der von mir mitgetheilten Disposi-
tion erkannt, daß ein Satz verloren gegangen ist. In der Hds.
A ist eine Lücke. Die nothwendigen Punkte fehlen trotz S 2s
noch immer.
W 89 superstitionis. Ich S 1 100 45 superstitiones. Dafür läßt
W das durch B gegen den nachlässigen Agobardinus bezeugte
originis fort.
W 8 16 perinde als Conjectur des Herrn Wissowa für proinde.
S 22 steht das seit zwölf Jahren. Natürlich gehört das jetzt in
den Text gesetzte, im Agobardinus fehlende „suis ut diisa nicht
in den Text.
W 922 Sessias. S 1 101 1 Sesias.
W 17 19 separamur. S 1 IOI5 separemur.
W 18 4 figura aus Hds. B, wo gula A. S 2 4i ligula = lin-
gula.
W 18 e setze ich S 2 4 hinter maledicta das Zeichen der
Lücke: es fehlt der bei Tertullian, dessen Styl ich einigermaßen
kenne, vom Schriftsteller selbst geschriebene, den sineSätzen der
Parallelglieder entsprechende sineSatz.
W 19 10 erubescant. Ich S 2 4 erubeseunt, wie die Hds. B
sogar wirklich liest.
W 24s curuatur Reifferscheid, curatur B, cu....ur A, utatur
Ursinus, calceatur EKlußmanu, Mein gütiger Weise angeführtes
1*
4 Paul de Lagarde,
scurratur S 1 101s halte ich noch nach achtzehn Jahren für das
allein richtige : das dem Worte voraufgehende Wort schließt mit s.
W 25 21 domino. Muß (S 1 101s) ein Eigenname sein.
W 2623 perinde für das überlieferte proinde. Ich S 2 4i6 schon
1878 perinde.
W 32 24 phrygio detexat. Die Hds. phrygrio testexat. Ich
5 1 101 9 phrygiotes texat.
W 3322 ist aus den nicht genannten S 1 101 10 das Citat
Enoch 99 6 [des aethiopischen Textes] an den Rand gekommen,
und irgend ein Gott, aber ein dummer und fahriger Gott, hat dem
Herrn Reifferscheid ermöglicht, des Herrn Dillmann „Henoch 72"
daneben zu citieren. Schade nur, daß et rursus, welches Anfang
des Citats, nicht Einführung desselben, ist, noch immer ungesperrt
vor dem Colon steht. G-ehörte et rursus dem Tertullian an, so
müßte doch vor dem aus Enoch genommenen Citate ein erstes an-
deres Citat stehn.
W 346 mit einem Kreuze davor ubi aeque Dauid et factores.
Seit 1871 stand S 1 101 12 das Richtige: ubi aeque damnat Dauit
et factores. Die Hds. A soll nach den alten Yergleichungen (die .
Wiener schweigen) den Eigennamen davit schreiben, vor dem
damnat ausgefallen ist.
Ich schließe diese Liste mit der erneueten Versicherung mei-
nes Dankes für die freundliche Aufnahme, welche meine Arbeiten
aller Orten finden.
Noch einmal die Schatzhohle.
Als ich — aus den in der Anzeige selbst angegebenen Grün-
den— des Herrn Bezold Ausgabe der (>^ I^ad zu besprechen
übernahm, und selbst noch, als ich wider meinen Wunsch das
Buch wirklich besprach, hatte ich die 1877 von mir gehegte
Absicht, die interessante Urkunde selbst zu bearbeiten, aufgege-
ben. Jetzt habe ich meinen alten Plan wieder aufgenommen, und
halte es für nützlich, aus meinen Arbeiten wenigstens Ein Ergeb-
nis schon jetzt mitzutheilen : es ist mir auch darum erwünscht
dies zu thun , weil ich in meiner eigenen Ausgabe der {jt^ ip^o
den Namen des Herrn Bezold gar nicht erwähnen möchte.
Herr Bezold hat die pariser Handschrift Arab. 54 benutzt :
wie dem Herrn Bezold für September bis December 1883 nach
München, so ist mir, nur auf eine kürzere Frist (zwei Monate)
der Codex nach Göttingen geschickt worden. Die Untersuchung
ergab Folgendes.
Nachträge zu früheren Mittheilimgen. 5
Cod. Parisin. Arab. 54 ist keine Handschrift der -yUGl ä.bw
sondern, was der unter dem Namen de Slane laufende Catalog im
§ 76 auch angibt, ein Clementinum. Den Catalog besitze ich seit
1883 selbst : ich glaubte, als ich dem Herrn Minister aus Bezolds
Buche die Handschrift bezeichnete, daß eine ganz andere Hand-
schrift als die von Herrn Bezold beigezogene, mir zugehn werde.
Ich bitte den, glücklicher Weise für mich behaltenen, Verdacht ab :
die von dem Donauwörth-München-Londoner Gelehrten angegebene
Signatur bezeichnet das Buch richtig, welches der Pariser Catalog
ebenso, nur nach einer anderen Richtung hin, ungenügend beschrie-
ben hat wie Herr Bezold.
Aber verhält sich die Sache, wie ich eben angegeben, so hatte
Herr Bezold erstens die Pflicht, nicht Eine, sondern vier Pariser
Handschriften der jyUGl ö;Uw zu benutzen, da die §§ 77 bis 79 je-
nes Katalogs darüber belehren, daß das in § 76 = Ancien fonds 54
beschriebene Werk noch in drei anderen Exemplaren in Paris vor-
handen ist. Zweitens hatte Herr Bezold die Pflicht, seinen Lesern
zu berichten, daß die jyUÖi HjIxa in jener Pariser Handschrift nicht
als ein selbstständiges Buch, sondern als integrierender Theil der
Apokalypse des Petrus enthalten ist, und zwar als integrierender
Theil eines Buches, das in Frage und Antwort zwischen Clemens
von Rom und Petrus verläuft. Herr Bezold, ein Schüler des ver-
storbenen Fleischer, hätte weiter aus Grersdorfs, wohl zu merken,
eines mit allen (alten) Katalogen versehenen Oberbibliothekars,
Ausgabe der Recognitiones Clementis ix ausheben müssen, was
(ohne übrigens die drei anderen zu kennen) Fleischer von Einer
der vier Handschriften der Apokalypse des Petrus schreibt:
Codex ms. Parisinus , qui inter orientales num. 70. signatur,
et inscribitur „Testamentum Christi domini ad Petrum et
omnia mysteria quae ei revelavit, auctore S. demente Ro-
mano u etc. XCI sectionibus haud pauca quidem continet, quae
ex Recognitionibus excerpta esse videntur, sed confusa ea cum
ineptiis variisque hallucinationibus ac permixta conquestioni-
bus de iniuriis et maus, quibus affligebantur saeculo post
Chr. natum decimo quinto Christiani in Oriente degentes a
Muhamedanis.
Wo zu der Zeitbestimmung des Buches anzumerken sein wird, daß
ein Werk, das schon 1176 [Archetypus des Codex 76] oder im
XIHrae siecle [Codex 78] oder 1336 [Codex 76] vorhanden war,
nur in dem Falle Thatsachen des fünfzehnten Jahrhunderts schil-
dern kann, daß sein Verfasser eine ganz einzige Begabung für
Prophetie oder Politik besaß. Wer den Slanes Namen tragenden
6 Paul de Lagarde,
neuen Katalog einsieht, erfährt , daß 70 des ancien fonds jetzt 79
heißt.
Ich muß mich hier selbst anklagen, im Juli 1888 meine Wege
nicht zu Ende gegangen zu sein. Der Pariser Katalog verweist
in § 76 darauf, daß die Petrus- Apokalypse auch in der Bodleiana
liege, worüber das gedruckte Verzeichnis 1 249 Auskunft ertheile.
Hätte ich dies Citat 1888 recht erwogen, so würde ich auch —
was ich hiermit nachhole — auf CTischendorfs 1866 erschienene
Apocalypses apocryphae xx ff. verwiesen haben, woselbst der In-
halt des Oxforder Codex genau [was hier genau heißt] zu dem In-
halte des von mir jetzt ganz , wenn auch eilig , durchgelesenen
Pariser Codex stimmend angegeben wird. Ich bin immer noch
nicht mistrauisch genug : aber wenigstens Herrn Bezold gegenüber
wird es mir, trotz der vielen berühmten Lehrer und Grönner des-
selben, nie wieder einfallen zu trauen. Herr Bezold hat auch
von den zwei Oxforder Handschriften, die er benutzt hat (die an-
dere ist nur eine moderne Abschrift der ersten) mit keiner Sylbe
gesagt, daß nicht die yJ&\ »«Li*, sondern eine die \y&\ ä.Ubo in
sich enthaltende Apokalypse des Petrus in ihnen überliefert ist.
Tischendorf citiert aaO. auch plures Codices dieser arabischen
Apocalypse des Petrus in Rom : sein Citat kann ich zur Zeit nicht
nachschlagen. Aus Nicoll und Tischendorf ist dann weiter die
Kenntnis davon zu gewinnen , was EGrrabe und Luc d'Ache*ry aus
einem Briefe des Bischofs von St. Jean d'Acre, Jacques de Vitry,
mittheilen, in welchem dieser 1219 dem Papste Honorius dem
Dritten meldet, daß Eevelationes Petri a demente in unum volu-
mus redactae ihm vorgelegt worden seien. Da nun die Pariser
Handschriften 77 78 die Apokalypse des Petrus zu Nicosia „ge-
funden" sein lassen , liegt der Verdacht nahe , daß das Buch für
die Geschichte der ersten Kreuzzüge von Belang sein werde. Ob
diese Vermuthung sich bestätigen wird, kann man nur durch sorg-
fältiges Studium des Ganzen ermitteln, welches Studium anzu-
stellen mir so gut wie gewis die Muße fehlen wird.
Steht die Sache so — Herr Bezold war verbunden, da Er
die Handschriften doch in Händen gehabt hat, den Thatbestand uns
mitzutheilen — , so dürfte diese \yü\ *\xa für die Kritik der l^io
(j^i nur mit großer Vorsicht zu benutzen sein: sie ist ja nicht,
wie das die syrische Urschrift thut, als besonderes Buch da, son-
dern sie ist in ein Sammelwerk, die Offenbarung des Petrus, hin-
eingearbeitet. Diejenigen ihrer Theile, welche über unseren syri-
schen Text überschießen, sind darauf hin zu prüfen, ob sie in den
Plan der Apokalypse des Petrus passen : thun sie dies, so werden
Nachträge zu früheren Mittheilungen. 7
sie späteren Ursprungs sein. Und auch einzelne Ausdrücke des
arabischen Buchs können dem Hedactor verdankt werden.
Dabei hat Herr Bezold 1 ix von dem aethiopischen „Clemen-
tinum" als einer Uebersetzung des „Cod. Vat. Arab. 39", eben
des Codex gesprochen, welchen er seiner Ausgabe des arabischen
Textes mit zu Grunde legt. Statt „Clementinum" zwischen An-
führungszeichen zu setzen (was fast wie Hohn aussieht), hätte er
über die aethiopische Gestalt des Buches lieber Mittheilungen
machen sollen. Allein als das Wahrscheinliche gilt mir, daß wer
sich orientieren will, alle von Herrn Bezold benutzten Handschrif-
ten selbst einsehen muß, daß also auch nach dieser Richtung be-
trachtet , das Werk des Günstlings der Akademien von München
und Berlin werthlos ist.
Aber die Verdienste des Herrn Bezold sind noch nicht ge-
nügend geschildert. Er versteht noch über andere Dinge zu
schweigen als über die so eben an das Licht gezogenen. Herr
Bezold hebt seine „Ausgabe" der \yü\ *Xxa mit einigen Reihen
Punkten an. Ich nahm 1888 diese Punkte als das Anzeichen dafür,
daß eine unerhebliche Doxologie ungedruckt geblieben sei : die Art
des Drucks fand ich geschmacklos, aber nicht unerlaubt. Jetzt weiß
ich, daß Herr Bezold so vorsichtig gewesen, die Einleitung wegzu-
lassen, weil in ihr der Plan der Apokalypse als solcher auseinan-
dergesetzt wird. Herr Bezold hat also wissentlich ein wesentli-
ches Hülfsmittel der Belehrung beseitigt.
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g Faul de Lagarde,
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Gt KSJ^> A* «>Jtk .•i^fJI £* «wijf q* *** Ltf L ^tj Uj V^tUii
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. ».I^JCä^ ^J^i OjXäJ ä^»a%u U (jP^>^ • iü^^ Wj iuvo »t\^* ^AÜ o!>^^^
j&p ju^Unmo K^j^U ^Uav^I J^^äj' P^ftjJ J^ (j^-5 ü^^b ^UvJt «Jjo
ii iujJÜl LJLaJ! ÄAJ-li «>Ji^ .wöiwO öyÄsC ^UlXj ^fi! Xwu> oUix?
Die Hds. schwankt in dem Namen 'Iotöcc zwischen i> und o4
In Ajy^ Kr^V* ^as entsprechende Schwanken.
Zufallig habe ich das Unglück, des vielbewunderten Herrn
Keßler Mani 332 aufzuschlagen (dazu ARahlfs GGA 1889 910):
wenn ich dieses Gelehrten Vermuthungen über das allerdings ver-
derbte und von Flügel, Eoediger und Müller nicht erkannte j*^y
Nachträge zu früheren Mittheilungen. 9
fFihrist 327 31] bedenke, scheint mir nöthig die Trivialität herzu-
schreiben , daß (+*j*$j* des eben mitgetheilten Textes = j^\& \l\&
das mit f->y«y« gemeinte ist: die Barne Maria1).
Noch mehr. Im Pariser Codex finden sich auch in dem von
Herrn Bezold veröffentlichten Theile Stellen, in welchen auf die
von Herrn Bezold unterschlagene Einleitung dadurch Bezug ge-
nommen wird, daß des Petrus und des Clemens gedacht wird. Ich
lege den Thatbestand vor.
P = pariser Codex 76 (alt 54),
B = zweiter Band des Herrn Bezold.
P 11 1 20 f$\ jj^=> J^ (j**JlSi <Jo \> jy&j C3tfj, auf ^j^Xäi^ B 43 g
folgend. B 43r „in P hier noch ein Zusatz : s. Anm. 223". Herr
Bezold hätte 1888 nicht vergessen sollen, daß er 1883 über die
Zahl 217 mit den Anmerkungen nicht hinausgekommen ist. Also
kann sich auch Niemand aus der Anmerkung 223 belehren.
P 24*2 v^Ut »V u****3* & li cr^ U^ B 151? druckt Herr
B aus dem Vaticanus, führt aber am Rande die Lesart Ps, jedoch
nur bis zu dem unmittelbar vor ^La-K stehenden Worten an.
Dadurch verschwindet Clemens auch am Rande.
P 25 2 7 äiytti J^l Jja JXä^o ^ u^JLit ^ü \j ü^il »l\* y»^.
B 161 1 ^gj ^ vJj^äXo^ y^A^JLäi ^jI b \Sj>y Hier druckt Herr
Bezold aus V: also ist auch V ein PseudoClementinum, und auch
das hat dieser Grelehrte verschwiegen. Uebrigens kann man den-
selben Schluß aus B 107r machen, wo ebenfalls in V die Anrede
0 mein Sohn Clemens als Variante erscheint.
P 26 1 1 *&j»S iA*j ^i Jy*^ . J^*»ä-> J^ s-y**^ f-^JM J* *^ (5^ - {^*b
#JI y*$L ,-J ltJ0! ^ Jv^ ^UlX^ L^ju Lf*JLc »»«Ju^ jaJI. B 161/163
j^joül liu,^ y«Ji ^JübS ,j^ L^JLäj ^£j ^. Varianten werden von
Herrn Bezold nicht verzeichnet: Clemens ist mithin auch für ei-
nen Arabisch lesenden Theologen beseitigt.
P 271 11 gJI ^ jui' Lr+<Xs\ & [> Jti\L B 169 5 (am Rande
erwähnt man, daß beide Codices *y^ [für o^/] schreiben,
des Clemens gedenkt man nicht) *Jt 0b 0\^\ Jä&.
P282i7 ^j^yo^Äo^üW^^t^^j^if. BI8I7
1) Der Fluß Stranga der Akten des Archelaus ist, seit ARahlfs schrieb, in
EWBudges History of Alexander the Great 75 = 134 8 zum Vorscheine gekom-
men. Der NgpOLjo^QDj = Stranga muß östlich vom Tigris, nicht zu weit von
Arbela , fließen. Unter den von FchDelitzsch „wo lag das Paradies" 185 ff. auf-
gezählten Nebenflüssen des Tigris dürften nur die beiden Zal> iu Betracht kom-
men. Doch ich gerathe in Glloffmanns Arbeitsgebiet.
10 Paul de Lag ar de,
ohne Varianten (apage, Clemens) £ *il j?;L^ £ oyb** Ufc^j**^
P 29 * 5 cfcÄ%JI yU> ü**-JlÄt ^ y vtf*il> B 1836 ,/jf l <b*%
#Ji (j***^. Da Herr Bezold 183r aus V jM für c^i^ angibt,
ist auch der Vaticanus ein PseudoClementinum.
(iU.3 ^4*131 J^ [> «ä)^lc. B 211 io ebenso , nur yM-^Jlsl ^t , was
eine Variante nicht ist.
P 33 2 21 <-jL*üü^ j^JyO ü^Xx^Jt »«xa^Jo jj^Jit ^ b LÄiyt* J*>l ^^
Iplt. B 213 u ebenso, nur J**Jo ga^A+Jlät ^t, was eine Variante
nicht ist.
P 341 i3 djLII ^ (**! li 0W! gfjj, B 2175 ebenso.
P 35 2 13 ,jL*AJlä! & li jJlat. B 229 1 ^j! ü jJUI ohne Variante.
Also ist Clemens wieder ein Mal beseitigt.
P 361 3 <s)J ks»yft «A3 U tj**Jläi ^ ü JwoUs. B 229 12 ebenso,
nur ^x+JlSf ^t , und ohne OS.
P 36*8 jJWj = B 229is.
P 37 * i ^LjJI p^KJ aSI Itft. B 235/237 ^^v^air^H l^t
P 37 2 2 jj^JIä^ Jo li. B 2397 u^-JLSi </*! l>.
Sollte Herr Bezold wirklich befugt gewesen sein, nachdem
er in seiner Einleitung verschwiegen hatte, daß die von ihm be-
nutzten arabischen Handschriften nicht Handschriften der 8,1**
:yJH , sondern ein unter vielem Anderen (wie dem Testamente
Adams) auch die \yti\ S^Ub« enthaltendes Clementinum sind, mit
keinem Worte dieser Varianten — ausdrücklich — zu gedenken, in
denen der Araber den von dem Syrer nicht erwähnten Clemens nennt?
Es vergleicht doch so leicht Niemand das Original mit einer noch
dazu erbärmlich herausgegebenen Uebersetzung so genau, daß er
ohne Herrn Bezolds ausdrücklichen Fingerzeig an den angezogenen
Stellen den Clemens von Rom entdeckte. Herr Bezold war so
schlecht geschult, daß er gar nicht merkte, was der Werth dessen
war, was er zum Theile ausmerzte, zum Theile tot schwieg.
Ich schreibe nunmehr — nicht die P 51 2 ff. stehende Liste
der von Petrus dem Clemens geweißagten 70 Haeresien, welche
mit Arius und Apollinarius schließt — , sondern einige andere
Stellen aus.
Zuerst aus einer Königsliste 54 1 1 \d£> j^ 2LP ***! ^1 . dd*
j^a&u^JJ (j^Uil tiUJt ic\$> Jixo .... ^^a^ i)*a3 0^£» <&±a jsA Jj^,
nach welchem jyie 1 J^\ SüuÄs^Jl j-m^J^LM ^1 JüjJ^^UäJi U^^j
Nachträge zu früheren Mittheilungen. 11
LgJ einbrechen. Heraclius starb erst am 11 März 641 : die wilden
Thiere der Wüste (Genesis 16 12) hatten 630 angefangen, OstRom
zu bedrohen und zu berauben: das richtige Gesetz dürfte der
Monophysitismus, also das über dessen Vernichtung klagende Buch
die Arbeit eines Monophysiten sein.
Weiter in dem Aufsatze über den (aus dem Stamme Dan
geborenen) Antichrist 87 2 Ende die Deutung der Zahl %& der
Apocalypse 13 18 aus koptischem -n^jae-rioc, griechischem c^p^nr^oo
Drittens die sich mit den Recognitiones am nächsten berüh-
rende SteUe 111 ? ff.
jlÄ^I u»pMj »UwJt ^j^ \r*&Lo Ifealt pixl\ 0\ djä\ (j*M-43t l*!j [in8]
KaU^3 u^-i-Mj ^>b u*^;^ *>*■* o^ .r^ d^ly» u0*^ [Hds. jl^>^]
**CT* er ^ o* u ^ ^ ^^ ^ **** r^ ^ cfc**~JI er
^^^Jbw AI J^ib : p^Uii iÄP *~*a$ oyü 0t w*^r. # (j*.^ ,JjtJtf Bj3^t JU$
or$ ,*W cr$ .oJl £jj,t q^^ .. j»ti*ii L^>\ ..«iU^o <^>J\ lo #i Jis^ (j«^aj
V^W li .. vüüi er , *! lit oJIäj *K~^ J*l f^& vi w^ G^ \ <*U
j^ :^t^w Lg.,)lM*.li ,JXxj *-y«^ l5^*^ er v^>y> <Äa* i<-X>i vi*o^ U ^lä
^ Jläi v au l5vJUCj Lk Lsajj läl JJifit \ % w fcjbl U JJbu Jol 3 jLä^.
vi>Jwol5 . J^-c^t Kßj^i Sy<*4} *•" Ä***-M F,yN vX^yt^J <j*-0; u*^ M . (J*M
^ÄJI 0^UL ti^su^ jjiOJÜI c^ ^^ v-tf* ^ i^J **** J^
LgXjÄ^^ .• Ipy'i j.Aäj OJi ^i y*y*"^ ^ jf^l* . fz"*^* Üi£**L\ J^c i_^>tjJt
Q^.>t *^xs ^tf c\ä *i^ .viXxa^Lj jc^ts?- j^ ^^ovX»^ .^-^^ ?*f***' ^*-»a^5
&lx>- U/yJj*JI Jwfi IhL^j^Ui*^ .lä.lc U^j ^J ^ > j^^AbÄb^'^ (j^h.^l<>
^ : viW^ l^0^^ o^*^^ ^'^ *^ ^y0^ • '^^ ^J^ fJ^^ f ^^ c^^
^c ^Lw "^ . \iyjS ^\ q* ^ ( l5j*^ *^ v»ä^^ ^**^^ &"**• l?^^ o^*-
Joij iiUJ^ .ä-ö^^UI KJü-\^o ^i »j^a^ ,^^fi f112^ '^^° y^° *^*^ er ^ ^^
it (jM/^J^ j l-^ o1^ u*4^ o^ :4^y^ irhi <^f»^ 4»^ Vi^ v^^^
^nj»**!! p.y**^ *^ l<|y^ • ^^ ^ c/y^^^ L$^b ^ *^ lt°^ v!^"^ /Ä-ÄwO
äJ Jtäj \ vi>il er «» Vi li . ^^ ,-^fi u*^y J^ • v^ ^^ ***J° & yp^
.. vj li «i [IV] pf! ,^U jLäi -..^jJLx^^^j JöU ..J53Ui J^Lä # yjK
Loj^- ool ^iXil ^yoLüi ^«m ^V**^. ^ »V^ ^ J^ :<iW CT5^ 4vü^J^ CT
JJJOcB :»yoj *-Ji vX-J .g)L£ qI^ x3l3 #vXy«^bJI iAs>i L*Jl^> vAaoS^ /J^ÄwO
^ ^L>i^ wj^i i^W UJuüj '••»y^ L^^ [li] W^>^5 .LJLä> lAjkaä^ #»yit
12 Paul de Lagarde,
»yj <i)J ^A $o \ jÜAao!! iUo IJU .. »lyi'ii L^äjI #l$J JLäs :Ä3vXuaJ}
JLjü J^ '&>}jZ* , *^U^ ^^ CT ***$; xLicX* CT 8j/°t ^ •• f*/^ #*£*^
. (jm+aIS^ LLaLaLa*ä5 <jJL»«3 ^ JLiü Si)\ KaIS xLo ^ ^1^ . (jh^o*mjS> äJ
LIj UaSI XJuJ^ LI «AaoäJJ ^5jüt l5^% ****fj & J* *M*k (i^ ^^° ***y
:x£il fu22] gfc&taMt fcfcSLP l^*^ l£^V ,«a*aaJ [?] y>\ÄJ ,j*J3j^u Sui^
j KaS^ui xa^xo At 6y>\ [H] *^ <** ü*^ r^ 0^5 * ^^^ #£■
Ojä U öjaa*' l^fcAAv y^JuNÄli v_j^i !tÄS> öiXJLj £ .. a^I Lfc>l .. Lü # &a>LoJ
. [am Rande von erster Hand I^IJm g^uaii] ^Ja* L^J JLäj ^^ [so]
^3-^ (^JuX^^ .^j>; Xaj*-U» ^ LfL>-i ^ si>^>y> i^; J^xi^ ol^s . ^ÄAa^!
UaJLc c^aoxs • j^\ '^-^y • 'J^xJ^ J**5 (j^-di! jaxaoÜ ^Sji} U*bÄh^ift
i^Ai»- ^ä-5*-^ c^J-ß U5 J^^Ij-mJI (jia*j ^1 lil v^a^Iav^ • wJjit La f»3 +> »«Ji
[Hds. ^avI] *A-äi U . «^i>l *J vJl& : x)UJi »^ ^ £^^ % [Hds. ^]
^UaiJ vi>ol^ ääaoJI »ÄP Jsi^ • K-y^ . ^3>\ ^ LöjI j,l5 . ^^UXsP. v^utX^I t(Ä5>
ojtä^ U^ii c^-Sj .• U^aj«A> Hl Jtt vi^xr^ Ui ••• j^ü^ ^ Lü y»£ (j^-
ipMJ UXii [1131] vU*ju UJÜi ^JJt *Ali^> ^^ #oJl35 vi^-Ou^ U^Jlr
Lä5^ olo^U U^ÄJac^ L^j^. [Hds. U^jJ^s-jJ U^Ci'tX.^ ,\jy^\JsLA L^Ool bl^
LutXi^ OjLöj Ä-üs^^Üi }>j^Xa g vi^Ji »iU3 ,3 jj^aJLäI lii v^aa^j : L^-JLc
^t .. ^»aä b .. »(Aaäj c>J5 (^^^ v^^ (j^5 . *^ oülä^ u*»^äj jJL*ii il
Lf) !clXs : UfÄxaÄ <j»S=u ^ vi^Aai^ v U£j\XJi_5 b^ # ^Lül 0^.^^ ^jAaJLj
£-^r^ % O^^1^ ^.^5 d\J ^»AJI ^.avÜ ^y*o ^1 JLJ |ji #Ji^ jJUXt
C^A9^ J »>^>^l U^AJ>I^ L?AJ|5 ^^^ öUaJ J4^F' qI .# Up-05 I^AAJ
Nachträge zu früheren Mittheilungen. 13
v^^o. .• l0*Liaiül £1 u^4 l?^** (J^ k*2^ ^ . l^^ vi^5> c^^fw Uli
(j^Lu ,Jl*ii Lf*2A> vi*U *j/3 ^JJJ ^-obuail y^+Jit ^ i«AP #ü^.Aftil
JjJI^ £* jjbot litj £t t^kij . L$j j>b'^ j^>>t wJi j iCu^ii £t &^o
U*^ jJlxJJ "tflSj . «Lot c^K to # Up* OlXJ^j cXix> £"# :i*U3 J^s Uuls
btx»> [1132] UääaäI .•L^o^/ Ux>\ ,^s**w Uli .\Ü*I jjjo jj^-Jil Ij8 Ut
Ij^oxj j^ £3^. u*-ku LlJLjw l£^ k)y*XÄ sbu o^j^ [Hds. j**^?-]
«s)L> v^-cfu^u ^4i q\ (JLjti ^^ # jJU^JJ Idäj . [Hds. u*^] l*3**
Jläs vsi^-y« y ^^^ J^J . 1^^ j^> ÄiyM o* **^ -^U*j UX dUL*j^
Qtf Q\ #r<Jt ^^ e>otxj 0i guUVgy**. ^lXu« JU ls! ,<JUtt Ul
*-*£^r. ,Jü> «^xä q* j&olst j «wJl o^yto •**■%'■ qK q!^ . [Hds. ^^j L^
^Ji ,J^5 (V**^ J^Säw^ *^y««A3 v^axas (j*jJbj jJjlLI f»l§9 v^iXic f£**
^(Axil ^T OtX*c5^ <iUwu\S *Uw ^T vi^uP e£<ÄJi *£-**"^ P^J ^5'^**^
litLL* L;yAhrl ^JJI c^JU, . £LJt ^1 ^a^^jü <jaJL£d fd/*V s^usit
j»üi iütj.i «a*j q^ ^-^^ Cr* j»)^ ISJ*^ »sjmJj . v>j-£-Jf ^»^ ^ L^Äxlo ^1
pt 0tf U> j?*\i^ j^JI e**jf3 #(*-p>^ *^L^ ^cX-yO^Lj {^^ .^'cXc^t U/
[Rd. r>iy» ^ £ und] ^ ^ |Jc KaS^L si^ö>it üiU*3 ^ Q^ * U*o
rechts davon, jetzt verwischt und rechts beschnitten j (••••£]
t Jyb^ i-^U £-*v*j ^^3 • ^y^° äJLjL^> l-j'l^ ^1 IjJäi .* *J'Xo q« ci LJi
lJ^äao* (jixui »ytÄj ( xäj^üJL sü^xJ vLu itJ»c % Jaii\ [Hds. ^^ ?]
lfc>t #*I Jljj u-jtaj jJUIi *Jt ;^>i : jyUJI v-i^*aJI^ [Rd. pr. m. j^w]
*J JLäs x^Mcpül r^' ^ [II41] *^' *^ : ^J*^ er ^ ^ ****' •• ^v^^
Uiä .• ^x-ÄJi j»bL^ j^->-^ ,j*>-#-JLäi lil o*»xfw LJLs v ^äaoä äJLä ^jaäs : ooi
|JL*Ii aJ vJ^» v L&j Uüilcj LlJLc Jaiu^ •> 5j>^I »"^ C)t ^aAII jb'^ . *£y*\
•• (scu qj-äx^ efr^ {^JtXfiä <-x-J-< er?) (H*x rP^ l5j^^ o^xäs U # *J
s-^yt v'^'J JL«.^ ^Ji J^l* £1 >Lyt^ £jax er (!^. vX j zr^ ^^
:\llds.j^>] \yj>r^tx>i^\ [Hds. J^>i] U>t oüc>5 U .(J^^^bpJ^
14 Paul de Lagarde,
U^^&J! jj^J i^^J L/ *p-j i^f**. s-»% t^iU k^ **^ vü^jj . JuöIc
feU X**»j o^lä iXJ^o i5 . fS^ ^ °^ ***** o* ^ r*^ l^x:
\3\J-\ ^)yti «Uo*j ,Jl*tt u»j^ vyas . 9Lo <aU3 U*^o £ ^j Jjj : ^li
vJyü ^ [ii42] o^Jl J^ & ^y i «W £ & v1^ *• ^ • ^ c5^
^jJü x*^ ^Aäii ^.5, J^ ^^ v^ r^ k** [II] »^.5 : o1*^ <#**
öUj q* LJLio^ : *pj*JN er ^ *Ml$ *^ g>**^ «^^ l5^ u***^
LücXjJ J^ o^i^ . J^F^i »)LA*J j>yö Sj^aT t^w- Ljj U$3 K<£#U1 At £tojlt
Ich muß mich kurz fassen, und hebe deshalb nur Einen Punkt
hervor. Des Clemens Mutter heißt bei Rufin Mattidia, in dem
von mir herausgegebenen syrischen Texte Metrodora: ich habe
aus diesem Metrodora schon 1855 [jetzt: gesammelte Abhandlun-
gen 145 10] geschlossen, daß dieser Text nach NordWestKleinAsien
gehört, wie ich aus dem in den dtard^sig s 20 sich findenden Da-
tum Symmicta 1 6819 (so auch JFreudenthal ebenda 118 20) ge-
schlossen habe, daß die ersten sechs Bücher der dtaxd^eas in Ephe-
sus zu Hause sind : worauf GrBickell in der Innsbrucker Zeitschrift
3 392 r aufmerksam gemacht hat. Indem ich hier für die auch in
diesem Falle mir bewiesene Theilnahme öffentlich quittiere, mache
ich geltend, daß unser Araber wie mein Syrer von Metrodora redet.
Dieses Arabers ^Ja^i = Constans und \jJiaXW»*2 oder y^JLJaAiwJ
= KcavöTccvtlvog ist erst in Aegypten durch Verwechselung von
5 und 3 aus <&ccv6tos und <&ccv6zi,v[iccv]6q entstanden : der Vater
des Clemens heißt dem Araber ^ bu»y> oder u^Liav«> für ^j^y^
in Folge einer Verwechselung von i£&q^cdq3 mit trsoßmoi. Daß
ich 1864 erwiesen habe, daß und wie unsere Faustsage aus der
Clemenssage entstanden (darüber G-ESteitz in den Studien und
Kritiken 1867 556 ff.) - jetzt Mittheilungen 1 47 ff. — , darf ich
wohl in die Erinnerung zurückrufen, nachdem sehr zu meiner
Freude unlängst Ulrich von Wilamowitz (Euripides Herakles 1 284 ff.)
darauf zu reden gekommen ist. Meine deutschen Schriften 163.
Den kitäb almagäll erläutere man sich aus ASprengers Mu-
hammed 1 94. Ich bemerke zum Schlüsse nur, daß der abge-
druckte Text aus Einer Handschrift genommen ist, nicht, wa» ich
Nachträge zu früheren Mittheilungen. 15
zu thun außer Stande war, aus den sechs oder noch mehreren,
welche vorhanden sind. An jeder deutschen Universität werden
die Mitglieder der ersten Fakultät Gelehrte finden, welche ihnen
das Mitgetheilte übersetzen. Ich habe keine Muße eine Ueber-
setzung zu liefern, und hätte an dieser Stelle keinen Raum, eine
Uebersetzung zu veröffentlichen.
Es ist mir unwahrscheinlich, daß ich die yyü\ s^li* je drucken
werde : denn nicht sie liegt in den bis jetzt bekannten Handschrif-
ten vor, sondern ein neben vielem Anderen auch sie enthaltendes
Sammelwerk, die Apokalypse des Petrus, zu dessen Bearbeitung
ich in meinen Jahren, und durch die „Grönner" noch so weit ab
von meinem Ziele , mir Zeit zu nehmen mich nicht mehr für be-
rechtigt erachte. Das syrische Original hoffe ich im zweiten oder
dritten Bande meiner Bibliotheca Syriaca zu veröffentlichen. Vom
ersten Bande dieser Bibliotheca sind zwanzig Quartbogen bereits
gedruckt 1).
In den gesammelten Abhandlungen 24 s habe ich uaj;;jä xvrjtitg
aus t[trp = persischem ^ = sqfr und sim = awestischem fctt2KT
(vgl. (äLc>-^ und quiiif-wuiiuL) erklärt. Mit i/Jrp ^ anhebende Wörter
sind im Armenischen und NeuPersischen häufig: jeder Eranisch
redende Syrer kannte ihrer eine Menge.
Wie wir superklug, superfein bilden, bildeten die Syrer JL^joj ^
Schwanzriemen, Jb^, ^a Brustriemen (Hoffmanns Glosse 2612), ^a
(^al -= JLaJO? •+=> und (trotz des von PSmith 598 angeführten l^a
6*->>'ojl) das in meinen Mittheilungen 3 204 behandelte ($qjl •+&.
JLtJL»^ : J$c>t ^ = (jM*M Elias aus Nisibis 13 1 = Praetermissa 36 24.
Für „Lautphysiologen" wird von Interesse sein, daß in yo^L
und in ä.yilj das . verschwunden ist. Analog ist , daß in ^Äs^f^*
(das doch J&snOssJ se^n wird) v^zu w geworden.
habe ich in meiner Uebersicht 178 1 für ^ erklärt. Ich habe, in
1) Der uns im December 1889 leider entrissene Bischof von Durhara, JBLight-
foot, hatte die Absicht, die Recognitionen des Clemens herauszugeben. Er hatte
zu diesem Behufe durch einen deutschen Gelehrten die zwei, in Italien liegenden,
Haupthandschriften des Buches vergleichen heißen. Am 24 Oktober 1885 bat er
mich um mein Material, das er nicht vollständig kannte, andererseits aber auch
überschätzte. Da Lightfoot unverheirathet war, weiß ich — nach WWrights
Tode — nicht, an wen seine Mauuscripte gekommen sind. Sollten die eben er-
wähnten Collationen mittheilbar sein, so bitte ich auf diesem Wege, sie mir nicht
vorzuenthalten.
16 Paul de Lagarde,
höchster Eile schreibend, und mit einem schwer kranken, seitdem
verstorbenen Setzer kämpfend, »ji^ö« für mich anzuführen ver-
gessen: »IJ^qju« zu DtT> wie »(^3« zu »A^. Als Einzelform ist
!|ä = fidat anzusetzen, ^b^n und 11+& sind selbstständige Wör-
ter: um so wichtiger ist die Uebereinstimmung der Wurzel. kXs\^
Anwalt „der Unterhändler, welcher kommt um die Freilassung zu
erwirken", Wellhausen Vaqidi 390 r. IBtf stammt von "IStf, nicht
Itü von IBK. (1*3 **=>jStl\ Elias aus Nisibis 13 1 — Praetermissa
36 26. Die iLc^yS erklärt KDozy Supplement 2 248 robe flottante,
faite ordinairement de drap, ä manches amples et longues qui de-
passent un peu l'extremite des doigts, et qui ne sont point fendues.
Dozy schöpft hier schweigend aus EWLanes thousand and one
nights 44i = 1 288 [1883], aus dem er noch hätte beifügen müs-
sen Is is worn chiefly by persons of the learned professions. Castle
citiert Avicenna 2 3329.
Der Codex des ben Ascher
ist von mir in meinen Mittheilungen 2 50 ff. am 1 Juni 1886 er-
wähnt worden. Seitdem ist mir des Herrn Wickes, im Mai 1887
erschienenes treatise on the accentuation of the prose books of
the old testament, und in ihm ein Lichtbild Einer Seite jenes
Codex vor Augen gekommen. Danach gehört der Codex nach
Deutschland, und stammt aus dem vierzehnten Jahrhunderte, ist
also für die Wissenschaft werthlos. Ich bitte, den Dresdener Codex
des "("Sfi , den ich einmal im Hause gehabt, und Tafel 41 des (Men-
tal Series des Palaeographical society zu vergleichen: wobei man
allerdings zu bedenken haben wird, daß das Bild des Herrn Wic-
kes sehr stark verkleinert ist.
Caifajphas
ist von mir in der Uebersicht 97r lllr besprochen worden, an wel-
chen Stellen ich Iohannes 11 49 18 u hätte beiziehen müssen. Nicht be-
kannt war mir, als ich über Jla^o und JLa^o handelte, daß ich ge-
gen Herrn IDerenbourg aus Frank el-Graetzens Monatsschrift 21
257 eine Mittheilung des Herrn Perles hätte anführen können,
welcher aus Nathans -pHUJ einen 5JJJ? als zum O'HlnSp iTO [== trov
Kav&rjQcc] gehörig namhaft macht. Ich habe nicht die nöthige
Muße, nachzusuchen, ob des Herrn Perles Aufsatz der ersten Fa-
kultät bekannt geworden ist : ich habe nur meine eigene Unwissen-
heit hier gut machen wollen.
Wenn Herr Kautzsch was ich in den Mittheilungen 1 116
über die bei Matthaeus 27 46 Marcus 15 84 vorliegenden Varianten
Nachträge zu früheren Mittheilungen. |7
gesagt h$be, in der Grammatik des biblisch- Aramäischen 11 mit
dem Satze abfertigt ,.de Lagarde findet in dem Ganzen einen Be-
weis für frühzeitige systematische Correcturen im neutest. Text",
so darf ich freilich nicht erwarten, daß was ich in der Uebersicht
97 r über Katcpctg Kccidyccg vorgetragen habe, verstanden werden
werde.
Gregorius von Nazianz. Dionys der Areopagite.
Herr IohDräseke hat einen Band „gesammelte patristische Ab-
handlungen" herausgegeben, zu dessen vierter und zweiter Num-
mer ich einiges des Lesens Werthe anzumerken habe.
Ich habe 1858 in meinen Analecta Syriaca 31 — 67 Texte ver-
öffentlicht, welche in der Bibliothek des Klosters von Sihet unter
dem Namen des Gregorius d'ccv^aTovQyög oder (wie ihn ein im Osten
verstorbener Ordinarius der Kirchengeschichte zu verdeutschen
pflegte) Gregor von Thaumaturgien sich erhalten haben, und bis
auf Eines, das von AMai herausgegeben worden war, mir, als ich
druckte, für unbekannt galten. Ich bitte, meine Symmicta 2 112
113 nachzulesen: man wird erfahren, daß mir noch 1859 die Be-
nutzung der königlichen Bibliothek sehr erschwert worden ist, und
wird mir in Folge davon zu Gute halten, daß ich damals wenigstens
Eines der von Herrn VRyssel noch 1880 gleich mir für unge-
druckte Arbeiten Gregors „von Thaumaturgien" gehaltenen Bücher
falsch beurtheilt habe.
Herr IohDräseke hat 1881 [siehe a. oben a. 0. 103] entdeckt,
daß das Eine der angeblichen Inedita griechisch unter den "Wer-
ken des Gregor von Nazianz steht : für diese Entdeckung verdient
er den Dank der betheiligten Kreise, den meinen an erster Stelle.
Allerdings habe ich 1858 etwas gethan, was 1880 dem Herrn
Ryssel hätte helfen können, welcher keinen Granius Licinianus zu
büßen hatte, und der mit dem Herrn Oberbibliothekare LKrehl,
wie aus seiner Widmung und seiner Vorrede zu schließen ist, so
gut stand, wie ich mit dem verstorbenen Collaboratorenverächter
und treuen Vater GHPertz schlecht. Ich habe nämlich in der Vor-
'ede zu meinen Analecta xij zu 64 io wohlweislich angemerkt, daß
die von mir aaO. abgeklatschte Handschrift an Einem Orte, in dem
Verzeichnisse der im Codex enthaltenen Stücke [136 *], als Verfasser
des in Rede stehenden Aufsatzes den Gregor Bischof von NeuCae-
sarea in Pontus, aber an einer anderen Gregor den Großen nennt.
Damit war den Leuten, welche ein Lesezimmer zu benutzen Zeit,
oder das Recht hatten, ohne jedesmal frisch einzuholendes Ja Per-
tzens, Folianten nach Hause zu nehmen, der Weg gewiesen.
Nachrichten ton der K. G. d. W. zn Göttingen. 1890, No. 1. 2
18 Paul de Lagarde,
Nicht allein Herr VRyssel ist diesen Weg nicht gegangen,
sondern auch seine drei hochwürdigen Herren Beurtheiler (Dräseke
123 r) haben es nicht gethan: von denen Einer, Herr Consistorial-
rath FrBaethgen, GGA 1880 1 889, Syrisch lesen kann, und meine
Analecta kennen mußte.
Bei dem zweiten Aufsatze des Herrn Dräseke, 32 ff., kommt
es darauf an, zu erfahren, wie eine von Hipler und dem diesen bis
auf die Schreib- und Druckfehler, auch wo er ihn bekämpft, ab-
klatschenden Herrn BFoss (über den Abt Hilduin von St. Denis und
Dionysius Areopagita) benutzte Stelle des Dionysius Areopagita
in der sehr alten syrischen Ueber Setzung lautet. Herr EWBudge
hat die Güte gehabt, mir aus drei Handschriften des brittischen
Museums (Add. 12151 96 12152, io 14539 59) das in Frage Kommende
auszuschreiben. Hier ist es : die Varianten stehn zwischen [
im Texte:
©»ijLfck. ^oo* ^a t otj JLa^vo ^lL\ ^o (JL^»o yöKj^o (>pJM ^Vfl>} \uz+l')
— (J&s^o£äS ö>\sv>v>> lksA.+*,oo IKJl+i {io »N\y> [so] 00t ccoö^9o ofifl\»
y+l \o^a^> tk \> (tjüu »Ka ^o yöo^^o )j64-o uii'|\ \b©£^ kwjLuU ^o^aO
uNsia» spJ^ >Ka ^99 bt^( JLjmqjd wj/jjlio ypo+NriS. .- jlootSS to-a-n
o^o # {00t *ojL!» ch^d t-o (M >ä^j J^o ^!) [;a^ ==] ^ iKio^Ss
oM-io ^juaJStAtti ^ot )^? (ioslojt joot otJLoo - om^o o<w !oo» uajai
., o£^ 000t ^t-i?o .. oCv 000t ^jL!»o ©£w OOOf ^Y>A? ^*J \p<X^D ^00
[^jUboo =] ^jkao jLo£so {o£s ^0 %^ VÄ^gv» •. o^ ooot ^^t* ^°
omm [^äbäoii; =s] 0^Mi{9 ^f ^ ^ ;£{ |boo : w©*ok*(? !o<*
Dionysius, der angebliche Areopagit, nennt sich selbst einen
Schüler des Hierotheus, also nicht des Apostels Paulus. Er
schreibt an Gaius, Titus, Carpus: er erwähnt einen Iacobus und
einen Petrus, einen Bartholomaeus, einen Clemens, einen Elymas,
einen Simon als Zeitgenossen.
Ich denke, diese Namen alle seien zu verstehn wie die Na-
men des vor Karl dem Großen versammelten Kreises von Gelehr-
ten; sie sind die^Masken, unter denen sich die Mitglieder einer
Nachträge zu frühereu Mittheilungen. |9
platonischen Akademie versteckten, unter denen sie ihre Gegner
bezeichneten.
Erst die sorgsame Vergleichung der Handschriften wird leh-
ren, ob diese meine Vermuthung richtig ist.
Dabei wird sich empfehlen, ehe man über adeXfpofteog aus der
Theorie der griechischen Wortbildung urtheilt, aus Estienne und
DuCange zu lernen, was ädekyöfreog im Leben bedeutete. Ich wäre
sehr dumm, wenn ich Hektoliter von k'xtog herleitete, weil hundert
ixcctöv heißt, wenn ich Antipyrin für ein Gegenmittel gegen den
Weizen hielte, weil das Fieber bekanntlich nicht nvQÖg, sondern
7tvQstög genannt wird.
Der Syrer liest nicht fteCav, sondern frsccv, nicht etj^iatog, son-
dern 66{iccTog: den äösXcpöd'sog hat er wie unsere Drucke. Uebri-
gens kann ich weder mit dem Griechischen [1 343 der Venediger
Ausgabe] noch mit dem Syrischen viel anfangen.
m
als Nebenform für ^n habe ich in meiner Uebersicht 75 r in Aßev-
vriQ AßtööaC Aße6öaX<o[i Aßsööove nachgewiesen. Es gibt noch
einen Namen , der dies ^n» enthält : "JSSÄ Iudd. 12 s heißt in ©
Aßai<56av oder Aßeöcfdv, in © vi^l » d. **• die richtige Aussprache
ist "jsta« = ]S )1X , welche Form sich zu vj*a| verhält wie Aßea-
Gove zu yitthaÄ. Für mich ist durch Aßeöödv @5s erwiesen, daß ©
einer sehr guten Ueberlieferung folgte : kein Nachdenken hätte
einen alexandrinischen Juden darauf gebracht, l&Qtt auszusprechen.
Ich weiß nicht, ob es schon jetzt erlaubt ist, die Vermuthung
zu äußern, aßen für ben sei südPalaestinisch.
Vulfilas Ezäras.
Als ich zu Ostern 1857 das jetzt in meinen gesammelten Ab-
handlungen 85 ff. bequem nachzulesende Programm de novo testa-
mento ad versionum orientalium fidem edendo herausgab , meinte
ich, einen weiten Schritt vorwärts gethan zu haben. Karl Lach-
mann war darauf ausgewesen, die im Osten und im Westen vor-
handenen ältesten Zeugen des Textes des neuen Testaments gegen
einander zu hören, und aus ihrer Uebereinstimmung zu schließen.
Lachmann hatte kein Recht, an den Erfolg seines Unternehmens
zu glauben, da er erstens was er abhörte, aus unzuverlässigen
Vergleichungen abhörte, da er zweitens alle alten Uebersetzungen
außer der als Ganzes nicht vorliegenden lateinischen Version bei
Seite ließ. Ich machte geltend, daß in amtlichem Gebrauche be-
findliche Uebersetzungen sichereren Werthes seien als beliebig auf-
2*
20 Paul de Lagarde,
gelesene griechische Handschriften, deren Herkunft man nicht
kenne, und ich verlangte die griechischen Handschriften durch jene
Versionen — jetzt setze ich hinzu: durch die Lectionare — kon-
trolliert zu sehen. Ich maß dann zweitens an den Testimoniis,
deren Benutzung bei Lachmann ebenso willkürlich war wie die
der Handschriften und der lateinischen Version.
Ich erkannte weiter, daß zu irgend einer Zeit eine durchgrei-
fende Revision des Textes vorgenommen worden ist, und forderte
die nicht recensierten von den recensierten Codices zu scheiden:
die Einen dürften, so lehrte ich, gar nicht mit den andern zusam-
mengehalten werden.
Für die an letzter Stelle dargelegte Ueberzeugung hatte ich
in gewissem Sinne an unserm IDMichaelis und dessen Vorarbeitern
Vorgänger: die latinizantes des vorigen Jahrhunderts waren von den
Michaelis scharf vom Reste geschieden, und von diesen in der Wolle
gefärbten Protestanten , eben weil latinizantes , geächtet worden.
Daß D der Evangelien vielfach mit den Uebersetzungen des Mor-
genlands stimmte, hatte IDMichaelis nach seinem Vater und An-
deren richtig erkannt. Ich drehte gerade wegen dieser Ueberein-
stimmung den Spieß um, und lehrte : wo die Lateiner mit dem Sy-
rer, den Aegyptern, dem Aethiopen, dem Gothen stimmen, haben
wir den alten, nicht recensierten Text: die in diese Gruppe nicht
gehörenden Zeugen bieten die recensio, d. h. die contaminatio. Das
heißt : sie gehn uns nur in zweiter Linie etwas an.
Wie mir dies Programm bekommen ist, sehe man in den in
den Abhandlungen 85 und in der Uebersicht 4r angeführten Schrif-
ten nach, sowie in den Symmicta 2 28 29.
Die für das N.T. geltend gemachten Grundsätze habe ich nach-
mals auf die Septuaginta angewandt. Ich sehe auch auf diesem Ge-
biete meine Forderung als einen wesentlichen Fortschritt an, nicht
griechische Handschriften, sondern die drei nach des Hieronymus
Zeugnis amtlich vorhandenen Recensionen des Lucian , des He-
sychius und Palaestinas zu vergleichen : mehr amtliche Recensionen,
falls es deren mehr als die von Hieronymus genannten gibt.
Daraus folgte für mich ohne Weiteres, daß ich Vulfilas und
des alten Slaven Text, da Vulfila wie der Slave im Sprengel von
Constantinopel arbeiteten, als den in diesem Sprengel und dem von
Antiochia geltenden Text Lucians anzusehen hatte.
Daß des Holmes Handschriften 19 108 118 und die Ausgabe von
Alcala de Henarez zusammengehören, hat Holmes selbst zu 19 108
118 vor dem Pentateuche gesagt: alles Weitere erhellt aus des
Holmes Apparate sofort für jeden, der hintereinander gestellte
Nachträge zu früheren Mittheilungen. 21
Zahlen zu lesen versteht. Es brauchte von Niemandem entdeckt
zu werden.
Daß dieser Text der Text Lucians , also der Antiochias und
Constantinopels , also auch der Vulfilas und des Slaven sei, ergab
sich im December 1868, als ich in Schleusingen mein Register der
von Chrysostomus (Savileschen Drucks) angeführten Bibelstellen
beendigt hatte und zu benutzen anneng.
Herr Otto Ohrloff hat im Jahre 1876 in einer greifswalder
Promotionsschrift, von der bis heute der goettinger Bibliothek ein
Exemplar nicht geliefert worden ist, die ich aber unlängst gekauft
habe , ohne von dem so eben Auseinandergesetzten etwas zu wis-
sen, zum Theil ohne von ihm etwas wissen zu können, nur aus
dem Apparate des Holmes - Parsons — also empirisch, wie Rosen-
müller und Olshausen was sie über den Archetypus des alten Te-
staments gelehrt, aus Kennicott empirisch gelernt haben — gefun-
den, daß dessen Handschriften 19 82 93 108 den von Vulfila über-
setzten Text des Ezdras enthalten : daß Vulfila selbst diese Ueber-
setzung gemacht, leugnet Ohrloif.
Aber schon 1873 hatte Herr Alexander Kisch in des Herrn
[Frankel] Hirsch Graetz Monatsschrift für Geschichte und Wissen-
schaft des Judenthums 22 42—46 85—89 die Frage nach dem Ori-
ginale des gothischen Ezdras behandelt, und war zu dem charak-
teristisch ausgedrückten (man beachte das e in Codeces, wo . für i),
nicht erheblichen Ergebnisse gelangt
Aus dem Gesagten geht klar hervor, daß der dem Ulfilas
vorgelegene Septuagintatext nicht unwesentlich von unseren
jetzigen Codeces dieser Uebersetzung verschieden war.
Dies bitte ich zu meiner Pars prior Lucians xiv wie zu mei-
nen Mittheilungen 2 52r nachzutragen. Ich bemerke noch, daß
Frankeis Zeitschrift auf der goettinger Bibliothek nicht gehalten
wurde, und erst auf meinen Betrieb — ich weiß nicht mehr wann —
in einer Reihe von Bänden auf einmal gekauft, und dann fortge-
setzt worden ist. Des Herrn Kisch Aufsatz ist mir erst im lau-
fenden Semester durch Zufall bekannt geworden.
22 B. Galitzine
Ueber das Dalton'sche Gesetz.
Von
B. Galitzine.
Vorgelegt von R i e c k e.
Das Dalton' sehe Gesetz sagt bekanntlich aus : erstens , der
G-esammtdruck eines Gemisches zweier Gase setzt sich einfach aus
den Partial drucken jedes einzelnen Bestandtheiles zusammen ; zwei-
tens, die Spannkraft des gesättigten Dampfes einer Flüssigkeit in
einem Gase ist derjenigen im Vacuum gleich.
Dieses Gesetz ist von verschiedenen Experimentatoren geprüft
worden , unter anderen von Dalton1), Henry2), Gay-Lus-
sac8), Magnus4), Regnault5), Andrews6), Guglielmo und
Musina7), F. Braun8). Doch gehen ihre Ansichten sehr aus-
einander, insbesondere hinsichtlich der Spannkraft eines gesättigten
Dampfes in einem Gas. Die einen, außer den ersten Beobachtern
auch B/egnault, erkannten das Dalton' sehe Gesetz als ein
theoretisches an; die großen Unterschiede, welche Kegnault
zwischen der Spannkraft des Aetherdampfes in Luft und im Va-
cuum fand, führte er auf eine störende Einwirkung der Gefäß-
wände zurück. Andere schrieben dem Dalton' sehen Gesetz blos
eine beschränkte Gültigkeit zu.
So zum Beispiel erhoben sich beiWüllner 9) nach besonderen
Versuchen Zweifel an der Richtigkeit der Regnaul t' sehen Er-
klärung, da er, wie später auch Guglielmo und Musina, nach-
weisen zu können glaubte, daß die Adhäsion des Dampfes an den
Gefaßwänden auf die Spannkraft eines gesättigten Dampfes in
1) Manch, philol. soc. 5, p. 535, 1802; Gilbert's Ann. 12 p.385, 1803 und
15 p. 21.
2) Nicholson' s Journ. 8 p. 297. 1804; Gilb. Ann. 21. p. 393. 1805.
3) Ann. de Chimie. 95. p. 314. 1815. Auch Biot. Tratte* de Physique 1.
p. 298.
4) Pogg. Ann. 38. p. 488. 1836.
5) Mem. de l'Ac. des Sc. 26. pp. 256, 679 und folg.
6) Phil. Mag. (5). 1. p. 84. 1876; Phil. Trans. 178 A. p. 45. 1887.
7) Riv. Sc- Ind. di Firenze. Anno XIX. N. 16-17. p. 185. 1887. Auch
Beibl. XII. p. 464. 1888.
8) Wied. Ann. 34. p. 943. 1888.
9) Wied. Ann. 11. p. 545. 1880. Auch Wüllner Lehrbuch der Experi-
mentalphysik. Bd. III. p. 704. IV. Aufl.
über das Dalton'sche Gesetz. 23
einem Gras von minimalem Einflüsse sei. In dem Verhalten reiner
Dämpfe fand er dagegen ganz sonderbare Anomalien , welche auf
einen Verilüssigungs Verzug hindeuten und zu der Vermuthung
führen, daß die Spannkraft des gesättigten Dampfes einer Flüssig-
keit nicht, wie es bisher angenommen wurde, eine genau bestimmte
Größe ist , sondern zwischen gewissen Grenzen schwanken kann.
Dieses anomale Verhalten gesättigter Dämpfe wurde auch von an-
deren beobachtet und besprochen x), und noch in neuester Zeit hat
Blümcke2) interessante Mittheilungen darüber gemacht. Bei
G-emischen sollen diese Anomalien in viel stärkerem Maß und viel
leichter hervortreten.
Auch bei Guglielmo und Mu s i n a , und ebenso bei F.
Braun stellten sich Abweichungen vom D alt on' sehen Gesetz
heraus, doch waren dieselben immer sehr gering. Andrews da-
gegen constatierte zuweilen ganz beträchtliche Abweichungen. So
fand er z. B., daß ein Gemisch von 3 Vol. CO2 mit 4 Vol. N2
unter keinem Drucke flüssig gemacht werden könne, so lange nicht
die Temperatur des Gemisches auf — 20° C. gebracht wird. Bei
höherer Temperatur kann also eine Verflüssigung der im Gemische
vorhandenen CO* überhaupt nicht stattfinden, obgleich die kri-
tische Temperatur der CO2 erst bei 31° C. liegt.
Ein Zusatz eines indifferenten Gases hat also eine Erniedri-
gung der kritischen Temperatur der betreffenden Flüssigkeit zur
Folge. Diese Erscheinung , welche mit dem Verhalten von Ge-
mischen zum Dal ton' sehen Gesetz in unmittelbarem Zusammen-
hang steht, ist auch von anderen Experimentatoren, wie Cail-
letet8), Hannay4), Ansdell5), Strauß6), Pawlewski7) und
anderen beobachtet worden. Pawlewski fand bei Versuchen
mit Flüssigkeitsgemischen, daß wenn man a Gewichtstheilchen
einer Flüssigkeit mit ß Gewichtstheilchen einer anderen mischt,
die kritische Temperatur Tm des Gemisches sich nach der folgen-
den einfachen Formel berechnen läßt:
1) Man sehe z. B. Van der Waals, Die Continuität des gasförmigen und
flüssigen Zustandes. p. 90. Leipzig 1881.
2) Wied. Ann. 36. p. 911. 1889.
3) C. R. 90. p. 210. 1880; Journ. de Ph. 9. p. 192. 1880.
4) Proc. Roy. Soc. 81. p. 520. 1881.
5) Proc. Roy. Soc. 34. p. 113. 1882.
6) J. d. russ. phys. -ehem. Gesellschaft. 12 p. 207. 1880; 14 p. 510. 1882.
Auch Beibl. VI p. 282. 1882 und VII p. 676. 1883.
7) Chem. Ber. 15. Jahrg. p. 460. 1882.
24 B. Galit zine,
g^ + pj,
worin 1\ und T2 die kritischen Temperaturen der Bestan dtkeile
bedeuten. Die flüchtigere Flüssigkeit kann man offenbar bei der
Temperatur Tm als ein Gas (Definition Andrews') betrachten und
somit von einer Erniedrigung der kritischen Temperatur der an-
deren Flüssigkeit sprechen. Die Richtigkeit desPawlewski'schen
Gesetzes wird jedoch nicht allgemein anerkannt.
Da sich also verschiedene Ansichten bezüglich des Dalton'-
schen Gesetzes , so wie auch der kritischen Temperatur von Ge-
mischen gegenüberstehen, habe auch ich versucht, durch einige ex-
perimentelle und theoretische Untersuchungen diese Frage ihrer
Lösung näher zu bringen.
Der erste Theil der experimentellen Untersuchungen ist im
wesentlichen nur eine Erweiterung der Versuche Regnault's auf
höhere Temperaturen (bis zu 100° C). So wurde die Spannkraft
in Luft der gesättigten Dämpfe von Wasser , Aethyl - Aether und
Chloraethyl bestimmt. Die Versuche mit Wasser wurden außer-
dem mit Gefäßen von verschiedener Form ausgeführt , wodurch
man sich zugleich ein Urtheil über den Einfluß der Gefäßwände
auf die Spannkraft des gesättigten Dampfes in Luft bilden konnte.
In dem zweiten Theile dieser experimentellen Untersuchungen
beschäftigte ich mich mit der Bestimmung der kritischen Tempe-
ratur verschiedener Mischungen von Aceton und Schwefelkohlen-
stoff mit Aethyl - Aether , ferner mit der Untersuchung des Ein-
flusses eines kleinen Zusatzes von Luft auf die Erniedrigung der
kritischen Temperatur einer Flüssigkeit.
Durch Zusammenstellung der früheren, theilweise von mir ver-
arbeiteten Untersuchungen, mit meinen eigenen, bin ich zu Resul-
taten gelangt, welche ich hier in aller Kürze vorläufig mittheile.
Das D alt on' sehe Gesetz für Gasgemische ist kein allgemein
gültiges Naturgesetz.
Die Spannkraft des gesättigten Dampfes einer Flüssigkeit in
einem Gase ist im Allgemeinen mit derjenigen im Vacuum nicht
identisch, folglich ist auch für Dämpfe das Dal ton' sehe Gesetz
nicht genau richtig und nicht einmal ein theoretisches, wie es von
Regnault behauptet worden ist.
Die Summe der Partialdrucke zweier Gase ist im Allgemeinen
größer als der gesammte von der Mischung ausgeübte Druck:
der Unterschied, welchen ich mit A bezeichne, kann bei starken
über das Dalton'sche Gesetz. 26
Drucken ganz beträchtlich sein *). Bei weiterer Verkleinerung des
von der Mischung eingenommenen Volumens nimmt A ab. Bei
einem gewissen verhältnißmäßig sehr kleinen Volumen wird A = 0,
also das Dal ton' sehe Gesetz in aller Strenge anwendbar; bei
weiter fortschreitender Verminderung des Volumens wird A ne-
gativ, und zwar erreicht es bald sehr hohe negative Werthe. Die-
ses eigenthümliche Verhalten von A läßt sich sowohl auf die wech-
selseitige Cohäsion , als auch auf die räumliche Ausdehnung der
Moleküle der beiden Gase zurückführen.
Auch bei kleineren Drucken ist ein Unterschied zwischen der
Summe der Partialdrucke und dem Gesammtdrucke der Mischung-
vorhanden, obgleich hier die absoluten Werthe von A sehr klein
sind. Das Vorzeichen von A hängt von der Natur der gemischten
Gase wesentlich ab. Für Mischungen mit Wasserstoff, welcher
bekanntlich eine sehr kleine Cohäsion besitzt, werden die Abwei-
chungen A gewöhnlich negativ, also die Summe der Partialdrucke
kleiner als der Gesammtdruck der Mischung.
Ueberhaupt sind bei höheren Temperaturen, insbesondere, wenn
dieselben die kritische übersteigen, die Abweichungen vom Dal-
t o n' sehen Gesetz auch bei starken Compressionen im Allgemeinen
immer sehr gering.
Die Spannkraft des gesättigten Dampfes einer Flüssigkeit in
einem Gase ist im Allgemeinen kleiner als die entsprechende
Spannkraft im Vacuum, doch für sehr große Compressionen kann
der Fall eintreten, daß der weniger flüchtige Körper sich bei dem
normalen Drucke seines gesättigten Dampfes nicht mehr verflüs-
sigt, da seine kritische Temperatur durch das Vorhandensein des
anderen indifferenten Gases zuweilen ganz beträchtlich erniedrigt
werden kann.
Die sehr großen und unregelmäßig verlaufenden Werthe von
A . welche Regnault für die Spannkraft des Aetherdampfes in
Luft gefunden hat, erklären sich in der That theilweise durch die
störende Einwirkung der Gefäßwänden, respective die Verzögerung
in der Diffusion des Aetherdampfes durch die Luft, was sich be-
sonders bei sehr großen Gefäßen, mit welchen Regnault ja auch
gearbeitet hat, geltend macht.
Die Behauptung Wüllner's, Guglielmo's und Musina's,
daß der Einfluß der Adhäsion minimal sei , scheint mir unzulässig
zu sein. Die Beobachtungen Regnaults, so wie meine eigenen
mit verschiedenen Gefäßen ausgeführten Versuche lassen eine sto-
1) A ist zugleich Maß für die Abweichung vom Dal ton' sehen Gesetz.
26 B. Galitziue,
rende Einwirkung der Wände bei großen und langen Gefäßen ganz:
gut erkennen. Für kleine Volumina allerdings, wo sich die Diffu-
sion des Dampfes rasch vollziehen kann, scheint der Einfluß der
Adhäsion sehr klein zu sein.
Obgleich die Spannkraft des gesättigten Dampfes einer Flüs-
sigkeit in einem Gase kleiner ist, als im Vacuum, ist doch dieser
Unterschied bis zu 100° hinauf verhältnißmäßig immer noch gering
und jedenfalls viel kleiner, als man nach Regnaul t's Beobach-
tungen erwarten könnte.
Hier mögen einige Zahlen folgen.
t bedeutet die Temperatur
p den Druck der Luft
— 100 die procentische Abweichung vom Dal ton' sehen
Gesetz (e ist die Spannkraft im Vacuum).
Für Aethyl-Aether
t
P
A
e
100
63°,6 C.
628 »
L . o,i
%')
78,0
647
0,6
99,8
684
1,4.
ür Chloraethyl
t
P
Aioo
e
63°,6 C.
316 ■/.
(1,4
'/•
77,5
324
kleiner als
1,6
100,5
340
2,6.
Für "Wasserdampf in Luft von etwa V* Atmosphäre Druck ist
bei 100° der wahrscheinlichste absolute Werth von A nicht größer
als 4—5 m/m.
Man kann also bis zu 100° hinauf das D a 1 1 o n' sehe Gesetz
für gesättigte Dämpfe bis auf 1 oder 2 % als richtig ansehen,
vorausgesetzt, daß der Druck der Luft nicht zu groß ist.
Die Bestimmung der Spannkraft des gesättigten Dampfes einer
Flüssigkeit in einem Gase wird durch die Erscheinungen des Ver-
flüssigungsverzuges , respective Siedeverzuges , welche sehr leicht
auftreten können , ganz besonders erschwert. Ein Verflüssigungs-
und Siedeverzug kann auch bei reinen Substanzen eintreten.
Die Spannkraft des gesättigten Dampfes einer Flüssigkeit in
l) Der erste Werth ist wahrscheinlich zu klein.
über das Dalton'sche Gesetz. 27
einem Grase ist eine ziemlich unbestimmte Größe, die zwischen ge-
wissen Grenzen schwankt.
Die Lehre von der Spannkraft gesättigter Dämpfe bedarf einer
Erweiterung und Vervollständigung. Untersuchungen über die
wirkliche Gestalt der Isotherme in der Nähe des Verflüssigungs-
punktes und eine Vergleichung derselben mit der theoretischen
Isotherme sind sehr erwünscht1).
Wenn ein indifferentes Gas die Spannkraft des gesättigten
Dampfes einer Flüssigkeit verkleinert , so erniedrigt es auch die
kritische Temperatur derselben. Die Richtigkeit dieses Satzes
ergiebt sich auch aus thermodynamischen Betrachtungen.
Ein ganz geringer Zusatz von Luft kann eine Erniedrigung
der kritischen Temperatur einer Flüssigkeit hervorrufen.
Das oben erwähnte Gesetz von Pawlewski ist nicht allge-
mein gültig, obgleich es zuweilen Resultate liefert, welche mit den
Beobachtungen gut übereinstimmen.
Die Erscheinungen , welche das Eintreten des kritischen Zu-
standes charakterisiren haben bei Gemischen denselben Verlauf,
wie bei homogenen Körpern. Man scheint also berechtigt zu sein,
ein Gemisch im gewissen Sinne als ein Individuum zu betrachten2).
An diese Erfahrungsthatsachen knüpfe ich einige theoretische Be-
trachtungen an ; obgleich dieselben eine Vervollständigung und Er-
weiterung, insbesondere was die Ausarbeitung der Zustandsgieichung
der Gase betrifft , bedürfen werden , führen sie schon jetzt zu Re-
sultaten, welche in ihren Hauptzügen mit den Erfahrungsthat-
sachen in Uebereinstimmung stehen.
Die Theorie geht aus von Betrachtungen, über die Verzö-
gerung, welche die Bewegungen der Moleküle eines Gases durch
andere Gasmoleküle erleiden, und führt zu einem Ausdruck für
die innere Cohäsion der Gase , welcher mit demjenigen in der be-
kannten ersten Clausius' sehen Zustandsgieichung3)
vollständig identisch ist. Die einzige zulässige Annahme über die
1) Vergl. Margules Wien. Ber. Sitzung vom 6. Juni 1889.
2) Vergl. Van der Waals Continuität etc. p. 142.
3) Wied. Ann. 9. p. 337. 1880. Diese Zustandsgieichung scheint nach den
leueren Untersuchungen Nadeschdin's (Exners Rep. 23 pp. 617, 685 und
759) eine sehr allgemeine Gültigkeit zu besitzen und auch auf den flüssigen Zu-
stand in gewissen Grenzen angewendet werden zu dürfen.
28 B. Galitzine,
Art und Weise der gegenseitigen Einwirkung verschiedener Mole-
küle , wenn sie sicli umgekehrt proportional der nten Potenz ihrer
Entfernung anziehen , ist , daß auch die kleinsten Theilchen der
Materie, die Moleküle, dem Newton' sehen Gesetz folgen1). An-
dere Annahmen über n führen zu Ausdrücken , welche mit den
synthetischen Eigenschaften der inneren Cohäsion , wie sie durch
experimentelle Thatsachen festgestellt sind, im Widerspruch ste-
hen. Auch die Notwendigkeit des Covolumens ß im Ausdrucke
für die innere Cohäsion ergiebt sich aus theoretischen Gründen.
Durch Verallgemeinerung lassen sich diese theoretischen Be-
trachtungen auf ein Gemisch zweier Gase übertragen. Die so er-
haltene Gleichung enthält Glieder, welche von der einfachen und
wechselseitigen Cohässion, sowie auch von der räumlichen Aus-
dehnung der Moleküle beider Gase abhängen. Die Cohäsion und
räumliche Ausdehnung der Moleküle sind eben die» beiden Haupt-
factoren, welche die Abweichungen vom Dal ton' sehen Gesetz
hervorrufen. Die so erhaltene verallgemeinerte Zustand sgleichung
gestattet die wirklichen Partialdrucke beider Gase zu berechnen.
Bei Anwendung dieser Theorie auf die Beobachtungen An-
drews' über die Zusammendrückbarkeit eines Gemisches von
3 Vol. CO2 mit 4 Vol. N2 hat sich herausgestellt, daß bei den
hohen von Andrews angewendeten Drucken, wenn also der Ab-
stand der Moleküle durchschnittlich ein sehr kleiner ist, neue
Kräfte ins Spiel kommen, welche bedingen, daß die ungleicharti-
gen Moleküle in diesem Falle sich etwas schwächer anziehen, als
es das Newton' sehe Gesetz fordern würde. Man gewinnt also
auf diesem Wege einen Einblick in gewisse Eigenschaften der Mo-
leküle selber.
Unter Einsetzung der Werthe der Constanten, soweit sie be-
kannt sind, in der charakteristischen Zustandsgieichung einiger
Körper, ergab sich nach dieser Theorie im Allgemeinen eine gute
Uebereinstimmung zwischen den berechneten und den beobachteten
Werthen von A. Auch die negativen Werthe von A, welche auf
den ersten Blick auffallen könnten, ergeben sich aus theoretischen
Gründen als in der Natur der Sache liegend.
Ein Ausdruck für die Erniedrigung der kritischen Temperatur
einer Flüssigkeit bei Anwesenheit eines indifferenten Gases laßt
sich aus der verallgemeinerten Zustandsgieichung unmittelbar ab-
leiten.
1) Vergl. auch P. Bohl Wied. Ann. 36. p. 334. 1889. B. Galitzine Zeit-
schr. für phys. Chemie IV. 4. p. 417. 1889.
über das Dalton'sche Gesetz. 99
Die so ausgebildete Theorie sielit auch die Möglichkeit solcher
Fälle voraus, wo die kritische Temperatur eines Gemisches außer-
halb derjenigen seiner Bestandteile liegt 1).
Physikalisches Institut Straßburg i. E.
December 1889.
Kleine Aufsätze.
Von
F. Bechtel.
10. dcotg.
In dem Hymnus auf Demeter wird erzählt, daß die Göttin,
s sie von Helios gehört, Zeus habe dem Hades ihre Tochter ge-
geben , die Gestalt einer Alten angenommen und die Städte der
Menschen aufgesucht habe. Zuletzt sei sie nach Eleusis gekom-
men , und habe sich beim Jungfrauenbrunnen im Schatten eines
Oelbaumes niedergelassen. Da treten die vier Töchter des Keleos
zum Brunnen, Wasser zu schöpfen; auf die Frage der Mädchen,
wer sie sei, antwortet sie (V. 122)
dfog i{ioi y1 ÖVoft' satt,
und berichtet, Seeräuber haben sie aus Kreta entführt.
Der Versanfang ist verdorben. Man hat ihn manchfach zu
heilen gesucht. Am weitesten Verbreitung hat der Vorschlag ge-
funden 4y]cö für Jag zu lesen. Aber er ist aus zwei Gründen
unhaltbar. Erstens ist die Entstellung von 4r\6 in 46g um so
unwahrscheinlicher, als Jr\6 ganz verständlich und schon V. 47 vor-
gekommen war (Baumeister Hymni Homerici 295). Zweitens würde
Demeter, hätte sie drjcb als ihren Namen angegeben, sich der Gefahr
ausgesetzt haben ihr Geheimnis sofort zu verraten : ein Dichter,
der die Koseform dr\& dreimal als seinen Hörern ganz geläu-
figes Aequivalent von <drniyjtr}Q gebraucht , kann nicht ohne Wei-
teres voraussetzen, den Töchtern des Keleos sei sie nicht ge-
läufig gewesen. Die Lesung ist also paläographisch wie sachlich
gleich unwahrscheinlich.
Die Wahrheit hat GHermann schon im Jahre 1806 ausge-
sprochen. »Quam late pateat coniecturae campus, non inficeteHer-
1) Man ist in der That gewissermaßen berechtigt zu vermutheu, daß solche
Ausnahmefälle in Wirklichkeit vorkommen können. Vergleiche z. R. Van der
"Waals Continuität etc. pp. 142 und 143,
30 F- Bech tef,
mannus ostendit, quum luderet scribi posse etiam 4&tg velz/coag«,
Baumeister 296. Ließe sich zeigen, daß 4 mg grammatisch und
sachlich untadelhaft ist, so müßte dieser Lesung die höchste Wahr-
scheinlichkeit zugesprochen werden, da sie mittelst der geringfü-
gigsten Aenderung gewonnen werden könnte: AcoC wäre zunächst
aus ACOC verdorben , A^C zu der Zeit , als man Iota adscriptum
zu subscribieren pflegte, für zweisilbiges, nicht mehr verstandenes,
AcolC in den Text geraten. Kann nun eine Form 4mg gramma-
tisch wie sachlich gerechtfertigt werden ?
Ich glaube, ja. Unter den auf der Stätte des alten äolischen
Aigai jüngst entdeckten Inschriften, die bei Bohn Altertümer von
Aigai publiciert sind, finde ich eine, auf der Schuchardt mit Sicher-
heit den Genetiv [4]6[^i]atQog hergestellt hat (a. a. 0. 42). Schon
früher war eine Münze von Kyme mit der Legende 4a>nccTQiog
(Mionnet Suppl. 6. 10) *) bekannt ; die Zweifel an der Richtigkeit
der Lesung müssen jetzt verstummen. Es ist also ausgemacht,
daß neben 4ccpäxriQ eine Form 4o^dxriQ bestanden hat, die in der
Aiolis im Gebrauche war. Daß ä mit ö im Ablautsverhältnisse
steht, ist seit Sauseure bekannt; mit dem Verhältnisse von 4oc^d-
trjQ zu jdco^dzriQ vergleiche man das von %äXagy6g (Soph. El. 861)
zu XcolccQyög (Pferdename auf einer attischen Vase , Kretschmer
K. Z. 29. 411) 2). Ist aber 4coiidtrjQ nachgewiesen, so ist auch
4mg erklärt. 4mg ist gebildet wie Zcotg, ist eine Koseform, die
überall da möglich und verständlich war , wo als Vollname der
Göttin Jco^dtrjQ galt. Damit ist zugleich gesagt, wie diese Ko-
seform gerade an unsere Stelle kommt: in Eleusis, wo die Göttin
unter dem Namen 4t\^xriQ verehrt wird, setzt sie sich nicht der
Gefahr aus ihre wahre Gestalt zu verraten, wenn sie den Töch-
tern der Stadt, die sie nach ihrem Namen fragen, 4mhg als sol-
chen angibt. Es ist ganz geschickt von dem Dichter, daß er ihr
1) Die Münze mit AOMATPIOI, die Mionnet 3. 8 nach dem handschrift-
lichen Kataloge des Cabinet Cousinäry mitteilt, ist identisch mit der oben er-
wähnten. »Da die ehemalige Cousinery'sche Sammlung in München ist, habe ich
an Dr. Riggauer geschrieben , der mir so eben berichtet , daß zweifellos AßM . .
da steht«, Brief Imhoof- Blumers.
2) Auf der gleichen Seite constatiert Kretschmer diesen Ablaut in der
auf attischen Vasen zweimal belegten Form KAMO* des Satyrnamens Kaipos,
und vergleicht, ähnlich wie GMeyer Gr. Gr.2 51, das Verhältnis von att. »äxog zu
zu hom. »toxog. Ich verstehe weder, wie im Attischen ein altes ä in dieser Lage
sich gehalten haben , noch wie &dxos als Beleg für ein solches ä angeführt wer-
den kann, da die Glosse &dßaxov • 9Sxot>. ?} 9q6vov (Hes.) das attische « als con-
trahiert erweist.
Kleine Aufsätze. 31
diese Hindeutung auf eine seltener gebrauchte Form ihres Namens
in den Mund legt.
11. Ionismen auf Kos.
Statt d£t%G) , eöeila , dideiypcu sagt Herodot bekanntlich de%G),
ede%a, deöey^iat; das Präsens dixvv^i ist auf der wichtigsten In-
schrift von Chios (Röhl no. 381 c Z. 14/15) zu Tage gekommen.
Eine Form dieses ionischen Verbums kann ich auf Kos nachwei-
sen : es handelt sich um die Inschrift bei Newton Ancient Greek
Inscriptions in the British Museum no. 260. Der Stein ist im
Apollontempel zu Kalymna gefunden; wie Newton richtig be-
merkt, enthält er den Schluß eines von Kos ausgestellten Decrets,
dessen avtiyocc<pov den Kalymniern mitgeteilt wird. Die Kalymnier
hatten einen koischen Arzt öffentlich belobt und den Wunsch aus-
gesprochen, das Lob des Gefeierten möchte auch in seiner Heimat
verkündigt, zugleich ein Mann mit Errichtung der Stele beauf-
tragt werden. Die Koer beschließen zu willfahren ; hinsichtlich der
Errichtung der Stele wird bestimmt: \aTto'\\§£%)<kv%to dl xccl toi
7iQ06Tccrca [isrä xov Csoecog toi cc[LQ£&ev]\tsg , xa& ov xa %q6vov cc
äva&EOLg tag ötcclccg yivY\tai, tol\ov\ \ ög xa doxy] avtolg iititdöetog
?Hlev. Man sieht : äitods^dvta im Werte und an Stelle von d%o-
dsi^ccvtco ; zum Ueberflusse steht auf einem andren , leider stark
beschädigten, Steine von Kos bei einer analogen Bestimmung eine
Form von aitob*uxvv\jLt\ Bull, de Corr. hell. 5. 223 Z. 11 f. xccl
dvayodilja[c | ] tbv a7tod£L%&rj66[isvov.
Die Inschrift Newtons gehört der Schrift nach ( M , Z , X )
in das 3. Jahrh. v. Chr. Sie ist die einzige, auf der ich das Ver-
bum dexvv[ii im Gebrauche gefunden habe. Auf anderen fungiert
öbCxw^ll: zu der oben angeführten kommt Bull, de Corr. hell. 5.
238 no. 26 , wo ENAFOA YIOAI (Z. 6) für delxvvpi, zeugt.
Aber trotz ihrer Vereinzelung steht die Form ds^dvtca für Kos
fest, da der Steinmetz augenscheinlich mit großer Sorgfalt gear-
beitet hat. Mit der Tatsache eines koischen gös^a haben wir also
zu rechnen; wie ist sie zu erklären?
Wären öexw^it, de%G) durch ein speciell ionisches Lautgesetz
aus ösixvv^t , dsfltfo entstanden , so müßten die genannten Formen,
wo sie auf nicht-ionischem Boden erscheinen, unweigerlich auf Ent-
lehnung zurückgeführt werden. Aber jene Voraussetzung ist wahr-
scheinlich irrig (so schon GMeyer2 130), jedenfalls nicht zu be-
weisen; daher a priori ein ösxvvfit, ds^co, das auf nicht-ionischem
32 F. Bechtel,
Gebiete angetroffen würde , mit gleichem Rechte für Fortsetzung
einer nrgriechischen Form gelten müßte , wie das in einem ioni-
schen Texte stehende Wort. Und doch kann kein Zweifel dar-
über obwalten , daß ccTCode^dvtcj nicht auf Kos gewachsen sondern
von Ionien aus eingeführt ist. Die Insel liegt dem Chersonese
gegenüber, auf dem Halikarnassos , die ionisch redende Stadt, er-
baut ist. Verkehr der Insel mit dem Festlande war schon durch
dessen Nähe gegeben ; es kam dazu das hohe Ansehen des Askle-
piostempels und der Ruhm der Aerzte von Kos. Aber Verkehr
mit den Nachbarn bedingt noch nicht Einfluß der Nachbarn auf
das geistige Leben , auf die Sprache : es kommt auch darauf an,
was der Nachbar zu bieten hat. Die Ionier des fünften Jahrhun-
dert waren im Besitze einer nationalen Litteratur, im Besitze einer
Schriftsprache (vgl. Wilamowitz Zeitschr. f. Gymnasialwesen 31.
645) ; die Dorer in ihrer Umgebung nicht. Vermöge dieser
geistigen Hegemonie wirken sie auf die Dorer der Hexapolis ein.
Daher schreibt Hippokrates von Kos, schreibt später Ktesias
von Knidos in schriftionischem Dialekte, daher tragen die Silber-
münzen von Ialysos neben lAAY^IOI auch die Legende IEAYCIOI
(Head Hist. num. 538) , wird *Ir(kv(iioi die stehende Orthographie
der attischen Tributlisten. Also im 5. Jahrhundert ist der Ein-
fluß der ionischen Bildung so groß , daß Hippokrates die ionische
Schriftsprache wählt. Ist es da ein Wunder, wenn uns in spä-
teren Zeiten auf Kos vereinzelt Ionismen begegnen? Zu ihrer
Erklärung bieten sich zwei Wege. Entweder sie entstammen der
Umgangssprache, in die sie von Ionien aus zu der gleichen Zeit
eingedrungen waren , in der die ionische Schriftsprache auf Kos
adoptiert wurde. Oder sie haben kein wirkliches Leben geführt,
sind rein äußerlich von der späteren Schriftsprache aus der frü-
heren übernommen. Diese zweite Erklärung würde auf alle Aus-
drücke passen, die formelhafte Wendungen oder Teile solcher
Wendungen vorstellen; also gerade auf den Imperativ ccTtods^cctw,
unodE^avxG), da die Verbindung caiods^cci üvöqcc zur Formel gewor-
den ist. Unser Material reicht noch nicht dazu aus eine Entschei-
dung zu treffen ; vielleicht bringt uns das angekündigte Werk des
Herrn Paton weiter.
Daß meine Auffassung des koischen a7tode%dvT<o richtig ist,
wird durch eine zweite Spur ionischen Einflusses auf Kos bewie-
sen. Auf dem überaus wichtigen Festkalender von Kos, dessen
Fragmente von Hicks Journal of Hellenic Studies 9. 323 ff. zu-
sammengestellt und besprochen sind, finde ich zweimal (S. 334
Z. 56. 61) die Schreibung xvsoticc neben einmaligem xvevöcc (S. 327
Kleine Aufsätze. 33
Z. 2). Diese Orthographie ist von Ionien entlehnt; sie begegnet
freilich auch bei andern Dorern, aber nur bei solchen, die in ioni-
scher Umgebung oder unter ionischem Einflüsse leben. Ein kni-
disches Tetradrachmon vom Ende des 5. Jahrhunderts trägt die
Aufschrift EOBQAO[€], Head Hist. num. 524. Nach Knidos gehört
vielleicht auch der Henkel CIGr. no. 2121 'Eni KaXUa. \ Eönd[iovog,
der in Phanagoreia gefunden wurde. Im Gebiete des alten Theo-
dosia ist die Grrabschrift IIvQQog | Eöqw6(io[v] f Hga^Xstatag
(Samml. no. 3083) ausgegraben; der Verstorbene war aus He-
rakleia unter Ionier gewandert, und Der, der ihm die Grrabschrift
setzte, schrieb sie in ionischer Orthographie. Also sicher ist, daß,
wo Dorer EO für EY schreiben, Ionier ihre Lehrer gewesen sein
können. Und darum halte ich xveoöcc für einen Beweis der Ein-
wirkung ionischer Schriftsprache auf Kos — für einen zweiten Be-
weis, wenn man den Imperativ cc7Code%dvTG) auf die Schriftsprache
beschränkt wissen will.
Hicks hat auch in dem ' Ayi(piaQY[ig des erwähnten Kalenders
(Bull, de Corr. hell. 5. 220 Face A Z. 7 = Hicks 326) einen Io-
nismus sehen wollen. Aber die korinthische Vaseninschrift 'Jn<pia-
qyjos (Blass Samml. no. 3140, Kretschmer K. Z. 29. 172 no. 35),
nach der die entsprechenden Aufschriften einiger attischer Vasen
beurteilt werden müssen (Kretschmer a. a. 0. 415 f.), widerlegt
diese Ansicht, indem sie lehrt, daß als urgriechische Form des my-
thischen Namens ' A[icpidQripog anzusetzen ist (Wackernagel K. Z.
27. 265), ' A(i(piccQritg also in Einer Linie steht mit dem von Hicks
selbst angeführten Namen 'AXxrjtdeg1) (334 Z. 60). Das rj dieser
Bildung ist urgriechisch, und braucht um so weniger aus Ionien
nach Kos importiert zu sein, als es hier in einer enge verwandten
Kategorie ebenfalls zu Tage tritt, wo es auf ionische Rechnung
gar nicht gesetzt werden kann: im Dat. Sg. der eu- Stämme (77b-
kt% Ma%avr\l bei Hicks 328 a 11, 13 und sonst), in dem die alte
Länge bei den Ioniern bekanntlich fast ganz ausgemerzt ist. —
Eher könnte eine andere Bildung , die Hicks überall eliminiert,
den Ioniern zugeschoben werden. Bull, de Corr. hell. 5. 220 A
Z. 5 steht ixiQBtha TEAEQN, Hicks 328 Z. 13 und 14/15 faeg
tQstg TEAEQI, 334 Z. 61 '6lg TEAEQN. An der Existenz eines koi-
schen Nom. Sg. Masc. TEAEQI ist also nicht zu zweifeln. Wie
aber diese Form zu dem gewöhnlichen riksiog , von dem man es
rl) AlxtjU ist Femininum zu Akxtvg , der grammatischen Voraussetzung zu
kxeidas. Der Name hängt mit der Verehrung des Herakles zusammen, die für
os jetzt auch durch das erste Fragment des Festkalenders bezeugt wird.
r "" '
81 f. Bechtel,
nicht trennen mag , sich verhalte , weiß ich nicht zu sagen. Das
APNEQ^ der attischen Inschrift CIA. 2 no. 844 bringt nns nicht
weiter. Hätte Meisterhans (Gramm, d. att. Inschr.2 100) Recht
das Wort mit ägveiog zu identifizieren , so ständen wir in Attika
vor dem gleichen Rätsel. Ich sehe nicht, wie man auf lautlichem
Wege von -uog zu -sog kommen will, und habe auf der anderen
Seite keine Lust mich bei einer nach der Formel fO öqkxcov yuQ
iött iiccxqov o % alkäg ccv hccxqov aufgestellten analogistischen Er-
klärung zu beruhigen.
12. Der Ursprung der TccvQoxcc&dipLct.
Der nachfolgende Aufsatz ist bei einem Versuche den Dialekt
von Kos zu begreifen nebenher abgefallen. Ich glaube ein neues
Zeugnis für die Geschichtlichkeit der im SchifFskataloge niederge-
legten Sage beibringen zu können, die die ältesten griechischen
Besiedler der Insel von Thessalien ausgehn läßt. Es ist für mich
hier gleichgiltig , ob diese Achäer direct von Thessalien aus oder
über Epidauros nach Kos gekommen sind: bloß darauf, daß über-
haupt ein Zusammenhang zwischen den beiden Gebieten besteht,
kommt es mir an.
Wir wissen, daß bei den Thessalern bis in die Zeit Theodo-
sius des Großen das Fest der TuvQoxa&atyiu in hohem Ansehen ge-
standen hat (die Stellen bei Böckh zu Schol. Pind. Pyth. 2. 79).
Eine gottesdienstliche Grundlage dieses Festes hat schon KFHer-
mann (Gottesd. Altert.2 446) vermutet und an den »in Thessalien
sehr verbreiteten Cult des Poseidon« (451) gedacht. Ich glaube
eine abweichende Meinung rechtfertigen zu können : Ausgangspunkt
war nicht der Cult des Poseidon, sondern das jährlich dem Zeus
Polieus unter charakteristischen Cärimonien dargebrachte Opfer,
das ich auf Grund der folgenden Erwägungen den Thessalern zu-
weisen möchte.
Was ist das Wesentliche des thessalischen Volksfestes? Das
lehrt ein Ausdruck, der auf einer von Lolling (Mittheil, des ar-
chäol. Instit. 7. 346 a = Prellwitz De dial. thessal. 2 no. III)
publicierten Inschrift steht und von dem Herausgeber schlagend
richtig auf die TavQoxcc&ccipicc *) bezogen wird : tccvqov TtstpsLQ&xov-
1) Lolling schreibt Tuvyoxa&ayia ; in Rücksicht auf die Glosse des Hesych
Kleine Aufsätze. 35
[reg], attisch xavQov xs&rjQuxoxeg. Dieser Ausdruck erläutert zu-
gleich den Namen Bov&rjgccg, der auf mehreren nordgriechischen
Inschriften belegt ist: ein Aeniarch heißt "l7C7taQ%og 2fov$ifp[a],
Coli. no. 1431 a6, ähnlich ein Archont der Lamier --iGxog Bov-
&YJ(Q)a Coli. no. 14459. Also das Treiben von Stieren ist das We-
sentliche der TavQOxad-ccipicc.
Das Treiben von Stieren ist aber auch das Wesentliche inner-
halb einer bestimmten, auf Kos vorgeschriebenen Culthandlung,
von der wir kürzlich Kunde erhalten haben. Das zweite der von
WEPaton entdeckten Fragmente des Festkalenders von Kos (Hicks
a. a. 0. 332 f.) enthält eine genaue Beschreibung der Cärimonien,
unter denen das Fest des Zeus Polieus jährlich am 19. und 20.
Tage des Monats Batromios begangen werden soll. Die Ausführ-
lichkeit, mit der die rituellen Vorschriften behandelt werden, läßt
auf das Ansehen schließen, in dem das Fest gestanden haben muß.
Der erste Act besteht in der Auswahl des Ochsen, der als Opfer
zu fallen hat. Und bei dieser Auswahl spielt das Jagen von Rin-
dern die Hauptrolle. Es wird angeordnet, daß eine bestimmte
Anzahl Ochsen über den Markt getrieben (iXccvxcj) und zwar an
die tgaitsla herangetrieben werden {insldvxG)) , an der isgevg und
iEQ07toioc Platz genommen haben. Zunächst stellt jede der drei
Phylen, die nach Hicks' höchst ansprechender Vermutung je drei
liXiatixvsg umfassen, dreimal je drei (also je einen auf die yilictGxvg)
ihrer schönsten Ochsen zur Auswahl. Hat keines der 3x3x3
Tiere die Probe bestanden, so soll noch einmal aus jeder yiXiaöxvg
ein Ochse ausgewählt werden {sitixQivovxai) ; nach Hicks' Vermu-
tung wären also noch ein viertes Mal 3x3 Ochsen gegen die xqcl-
7t6& getrieben worden. Das erwählte Opfertier wird dann durch
Herolde auf den Markt (zurück) geführt ; der bisherige Eigentümer
oder dessen Bevollmächtigter ruft aus »Kmoig nagiio xbv ßovv*,
worauf der isQsvg das Schlachtopfer bekränzt (öxstcxsl; vgl. igsTixo
ZU SQ8(p(0).
Nehmen wir an , daß diese Culthandlung einst auch in Thes-
salien heimisch gewesen ist, so haben wir die sacrale Grundlage
des späteren Volksfestes gefunden : in den Tcivgoxadatyia dürfen
wir dann die Entartung eines alten Cultgebrauches zum Sporte
erkennen. Allein — sind wir berechtigt zu jener Annahme?
Zunächst ist zuzugeben, daß das Treiben von Rindern als Teil
einer Opferhandlung nicht auf Kos, ja nicht einmal auf das Hel-
ätpiaf ioQTai. Adxwvtqt Aber auf einer Inschrift aus Smyma CIG. no. 3212
Steht TctVQOXn&aipiaov ^fitQa ß.
3*
36 F. Bechtel,
lenentum beschränkt ist. Um das Bekannteste anzuführen: Athen und
Iguvium kennen die Sitte. In Athen werden an den Dipolien, also
an einem ebenfalls dem Zeus Polieus geheiligten Feste, eine An-
zahl Ochsen gegen des Gottes Altar getrieben, auf den die heilige
Gerste gestreut ist ; das erste Tier, das von der Gerste frißt, wird
von dem CsQSvg 6 ßovcpövog erschlagen (Litteratur bei Band De
Diipoliorum sacro Atheniensium, Leipziger Dissertation von 1873).
Zu Iguvium bildet das Jagen und Opfern von Kühen den Abschluß
der Entsühnung des Volks. Der Adfertor und seine beiden Ge-
hülfen J) treiben nach der älteren Recension drei , nach der jünge-
ren zwölf2) Kühe über das Comitium (super kumne); unten am
Forum (hondra furo) werden die drei, resp. drei von den zwölfen,
eingefangen und der Tursa Iovia geopfert. Man beachte, daß es
auch in Umbrien eine in den Kreis des alten Himmelsgottes gehö-
rende Gottheit ist, der das Rindertreiben und Rinderopfern gilt.
Was mich aber bestimmt den thessalischen Sport und den
koischen Opfergebrauch mit einander in Zusammenhang zu bringen,
also den Cultus des Zeus Polieus mit seinem chrakteristischen Cä-
remoniell den Thessalern zuzuschreiben, ist die Tatsache, daß die
uralte Verbindung zwischen Thessalien und Kos von der Sage be-
hauptet, durch die Einbürgerung des in Thessalien heimischen As-
klepiosdienstes auf Kos bewiesen wird (Wilamowitz Isyllos 52 ff.).
Es ist also gerade ein religiöses Moment, in welchem die von der
Sage vorausgesetzte Abhängigkeit der Insel von Thessalien ihren
Ausdruck findet. Um so weniger darf die Uebereinstimmung in
der Sitte des Stierjagens für Zufall gehalten werden. Der Cultus,
bei dem sie auf Kos noch im 4. Jahrhundert bestand, ist von den
gleichen Leuten ausgegangen , die den Cultus des Asklepios nach
Kos brachten. Und so sehe ich in der Möglichkeit das profane
thessalische Fest aus einer auf Kos geltenden sacralen Institution
abzuleiten eine weitere Bestätigung der alten Sage, die zwei Söhne
des Thessalos zu den Herren von Kos macht.
1) Dem porse perca arsmatia habiest entspricht auf Kos der fcoevs ix<av xav
Qaßdov tuv Ugdv (so von Hicks ergänzt), den prinvatur die Ugonoioi, deren An-
zahl freilich nicht angegeben wird.
2) So nach Büchelers richtiger Auffassung (Umbrica 117). Aber seine Ueber-
setzung der Verbalform ehiato (Tafel VII b Z. 3) mit 'emissas' hätte Bücheier
nicht wiederholen sollen, da umbr. ehiato sich Laut für Laut mit lat. egeatur deckt,
Kleine Aufsätze. 37
13. Kvgdvcc.
Unter den Argumenten, mit denen Studniezka (Kyrene, Eine
altgriechiscke Göttin) die ttiessalische Herkunft der vordorischen
Colonisten von Thera begründet, steht die Thatsache im Vorder-
grunde, daß „die Eponyme der neuen Stadt [Kyrene] die Tochter
eines thessalischen Königs ist und von Thessalien nach Kyrene
entführt wird" (132). Im Laufe der Untersuchung versucht Stud-
niezka auch eine Etymologie des Namens Kvguvcc : er stellt ihn
zu xvQLog (151). Ich halte diese Etymologie für verfehlt, schon
aus dem Grunde, weil die Quantität der Vocale der ersten Silbe
in unerklärbarer Weise differiert1). Denn xv'giog gehört zunächst
zu sskr. Qu' ras ; ein Ablaut ü : u wird für diese Wortsippe durch
das Hineinziehen von gr. ixvQÖg , sskr. gväguras nicht erwiesen,
auch ist xvgog nicht aus xvQöog entstanden, der Vocal der Wurzel-
silbe vielmehr schon vorgriechisch ü gewesen. Auch andere Ety-
mologien des gedankenreichen Buches sind nicht glücklich. Für
KvQava glaube ich eine abweichende vorschlagen zu können, die
den Lauten keine Gewalt antut : Kvgdva hängt aufs engste zusam-
men mit KoQcovig , dem Namen der anderen Lapithenjungfrau , der
Apollon seine Liebe schenkte.
KoQ&vig ist das Feminum zu. KoQ&vog , Kogavög eine Erwei-
terung von Koqcdv , KoQGiv Koseform zu Vollnamen wie KÖQOißog.
Auf der großen Inschrift von Larisa werden hinter einander ' Avxi-
(pdvsig KoQOvveiog, ' AQiG\xo\(pix.v8ig KoQovvstog genannt; KoQovveiog
kann Patronymicum zu Köqcov wie zu KoQtovög sein. Von Köqchv
abgeleitet ist Koq6vt\\ so heißt eine Tochter des Apollon, und
eine Stadt in Messene, in der nach Pausanias ein ' Anollcav Koqv-
Öog verehrt wurde (Baunack Stud. 1. 156 f.). Die Koseformen
auf -v sind dadurch ausgezeichnet, daß der volle Dreiklang cc yj w
als Ablaut in ihrer Endung erscheint. Für die Koseformen auf
~cav bedarf es weiterer Belege nicht. Die auf -?jt/ sind bisher
am häufigsten auf Münzen von Dyrrhachion und Apollonia beob-
achtet (Blass Coli. no. 3225). Sie sind von den erstgenannten
deutlich durch den Accent geschieden: Adpav , Avöav, IIv&m>
neben Aa^v , Avöqv , Ilvftr\v (Fick GGA. 1880. 425). Die dritte
Gruppe wird durch eine stattliche Reihe von Völkernamen gebil-
det: 'Afc&vsg, ' Afran&veg, Alvi&veg, 'AxccQvaveg, ' Azivtäveg, EvQVtä-
veg, KsyaXXävtg. &oiTiäveg (Böckh zu CIG. no. 1793) ; wie man sieht,
1) Diese Schwierigkeit hat Wilaniowitz in einer Unterhaltung mit mir her-
vorgehoben.
38 F. B e ö h t el , Kleine Aufsätze.
gehören sie größten Teils nordwestgriechischen Stammen an. Daß
a nicht etwa, wie das ä von 'AXx^idcv, durch Contraction entstan-
den ist, beweist das ionisch-attische v\ in * A%v\vsq und KscpallilvEg.
Nach Nordwestgriechenland gehört auch der wichtigste dieser Na-
men, "EXXäv ; der wichtigste darum , weil wir zu ihm allein den
Vollnamen kennen, "ElXoty. Womit der Wechsel des Accents zu-
sammenhänge, weiß ich nicht; eben so wenig, auf welche Weise
das ä dieser dritten Gruppe mit dem rj und eo der beiden ersten
in Verbindung stehe. Hier handelt es sich nur um den Beweis, daß
als Koseformen neben Koqwv sowol Kogiqy wie Koqüv oder Koqiä'v
theoretisch denkbar sind. Zu Köqcov nun ist das Feminum Ko-
Qavä, Koqwvyi erhalten. Zu Koqyjv würde analog Kog^vä gehören;
ein derartiges Femininum könnte in' AXxpriva gesehen werden, wenn
die Ueberlieferung bei Pindar (Ahrens Dial. Dor. 134) altes Sprach-
gut gewahrt haben sollte. Und endlich, das Femininum der
dritten Koseform liegt in KvQavä vor; v für o ist thessalisch,
die Ersetzung des o durch v auch in dem Stadtnamen rvQtav
(rYPTQNIQN auf Münzen von 400—200, Head Hist. num. 251) zu
belegen, der von ToQtvv nicht getrennt werden darf.
Bei der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften einge-
gangene Druckschriften.
Man bittet diese Verzeichnisse zugleich als Empfangsanzeigen ansehen zu wollen.
November 1889.
(Fortsetzung.)
Societa R. di Napoli. Atti d. A. d. scienze fisicbe e matematiche. Serie se-
conda. Vol. DI. 1889.
Biblioteca Nazionale Centrale di Firenze. Bollettino delle pubblicazioni italiane.
1889. N. 9-^—94.
Archives Neerlandaises des sciences exactes et naturelles. Tome XXIII. Livr. 3.
Harlem 1889.
Adam et Christus. Epistola ad Abraham. Carmina probata ab Academia Regia.
Amsterdam.
Koninklijke Akademie van Wetenschappen. Amsterdam.
a. Verhandelingen. Afdeeling Letterkunde. Deel 18. 1889.
b. Verslagen en Mededeelingen. Afdeeling Letterkunde. 3de Reeks. 5. Deel.
1889.
c. Verslagen en Mededeelingen. Afd. Letterkunde. 3de Reeks. 5. Deel. 1888.
d. Jaarboek voor 1888. Amsterdam.
Bergens Museums Aarsberetning for 1888. Bergen 1889.
Finlands Geologiska Undersökning
a. Kartbladed 12, 13, 14.
b. Beakrifning tili kartbladed. N. 12, 13, 14, 15.
39
Journal de sciencias mathematicas e astronomicas. Vol. IX.*1 N. 3. Coinibra 1889.
Anales de la sociedad cientifica Argentina. Jun — Agosto 1889 = T. 27. 6 und
T. 28 i. 2. Buenos Aires. 1889.
Nachträge.
H. M. S. Chal lenger 1873-78. Zoology. Vol. XXXII.
Lotos. Jahrbuch für Naturwissenschaft. Neue Folge. Band X. D. g. R. 38ster
Band. Wien 1890.
Jahrbuch der Hamburgischen wissenschaftlichen Anstalten. Jahrg. VI. 2te
Hälfte. 1888. Hamburg 1889.
Natural history of Victoria. Prodromus of the Zoology of Victoria; etc. De-
cade XVIII. Melbourne and London 1889.
December 1889.
Sitzungsberichte d. K. Pr. Akademie d. Wissenschaften zu Berlin. XLVU
XLVIII. XLIX. L. LI. LH.
Festschrift der mathematischen Gesellschaft in Hamburg anläßlich ihres 200jäh-
rigen Jubelfestes 1890. Theii 1. Leipzig 1890.
Fünfzehn Vorträge aus der Brandenburgisch - Preußischen Rechts- u. Staatsge-
schichte v. Ad. Stölzel. Berlin 1889.
Leopoldina. Heft XXV. N. 21—22. Halle a. d. Saale.
Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik. Band XIX. Jahrgang 1887.
Heft 1. Berlin 1889.
Heinrich von Dechen, ein Lebensbild von H. Laspeyres. Bonn 1889.
Deutsches Meteorologisches Jahrbuch für 1887.
Beobachtungssystem des Königreiches Sachsen. Hälfte 1. Abth. 1 u. 2. Hälfte 2
od. Abth. III. V. Jahrg. 1887. Chemnitz 1888/89.
Vierteljahrsschrift der Astronomischen Gesellschaft. Jahrg. 24. Heft 4°. Leip-
zig 1889.
Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien:
a. Denkschriften Mathematisch -naturwissensch. Classe. Band 55. Wien 1889.
b. Sitzungsberichte.
1. Philosophisch-historische Classe. Band CXVII. Jahrg. 1888. Band CXVIII.
Jahrg. 1889.
2. Mathematisch -naturwissenschaftliche Classe. Erste Abtheilung. 1888.
Band XCVII. VI. u. VII. Heft. VHI. bis X. Heft. 1889. Band XCVIII.
1—3. Heft.
3. Mathem.-naturwissensch. Classe. Abth. IIa. 1888. Band XCVII. Heft VIII.
Heft IX— X. 1889. Band XCVIII. Heft I, II u. III.
4. Math. u. naturw. Classe. Abtheilung IIb. 1888. Band XCVII. Heft
VIII — X. 1889. Band XCVIII. Heft I — 113.
5. Math. u. naturw. Classe. Abtheilung HI. 1888. Band XCVH. Heft VII
-X. 1889. Band XCVIII. Heft 1-4.
c. Archiv für österreichische Geschichte. Band 74. Hälfte 1. Hälfte 2. 1889.
d. Almanach. Jahrg. 39. 1889.
e. Register zu den Bänden 91 — 96 der Sitzungsberichte. Math.-phys. Classe. XII.
Wien 1888.
f. Mittheilungen aus dem Vaticanischen Archive. Band 1. Wien 1889.
g. Venetianische Depeschen vom Kaiserhofe. Band 1. Wien 1889.
Meteorologische Zeitschrift. Jahrg. 6. 1889. Heft 12. Dez. Band XXIV der
Zeitschrift d. Oesterr. Ges. für Meteorologie. Wien.
Mittheilungen des Musealvereins für Krain. Jahrgang 1. Leibach 1866. Jahrg. II.
Leibach 1889.
Anzeiger der Akademie der Wissenschaften in Krakau 1889. Oktober, Novem-
ber. Krakau 1889.
Ungarische Revue. Heft X. 1889. Neunter Jahrgang. Budapest 1889.
The collected mathematical papers of Arthur Cayley. Vol.Il. Cambridge 1889.
40
Nature. Vol. 41. N. 1049-1053.
Journal of the R. microscopical society 1889. Part 6. December. London and
Edinburgh.
Monthly notices of the R. astronomical society. Vol. L. N. 1. 1889.
a. Teckeuingar ur svenska etatens historiska Museum. Forsta haftet. Serie IV.
Andra haftet. Serie VI. Tredje haftet. Serie V. By Br. E. Hildebrand
och Hans Hildebrand. Stockholm.
b. Svenska Sigiller fran Medeltiden afBr. E. Hildebrand. 1. 2. Stockholm
1862-67.
c. Anglosachsiska mynt: Sv. Kongl. Mynt kabinet ordnade och beskrifna of
Br. E. Hildebrand. Erste und zweite Auflage. Stockholm 1846 u. 1881.
d. Akademiens Mänadsblad, argange 1882 — 1889.
e. Sveriges och svenska Konungahusets minne spenningar praktmynt och be-
lönnings medaljer. Del 1 och 2. By Br. E. Hildebrand. Stockholm
1874—75.
f. Minnespenningar öfver enskilda svenska man och qvinnor af Bror. Emil
Hildebrand. Stockholm 1860.
g. Antiqvarisk Tidskrift for Sverige del II, III 1, 2, 3—4. IV 1, 2, 3 u. 4. V 1,
2, 3. VI 1, 2, 3, 4. VII 1-3, 4. VIII 1 u. 2. IX 1 u. 2. XI u. 2, 3 u. 4,
5. By Br. E. Hilde brand och Hans Hildebrand. Stockholm.
Bulletin de TAcadämie Imp. de sciences de St. Petersbourg. Nouvelle se"rie 1.
(XXXIII). N. 2.
Bulletin de la societe Imp. des naturalistes de Moscou. Anne"e 1889. N. 2.
Moscou 1889.
Bulletin de l'Academie Royale de Belgique. Annee 59. serie 3. tome 18.
N. 9—10, N. 11. Bruxelles 1889.
Atti della R. Accademia dei Lincei 1889. Rendiconti. Vol. V. fasc. 5, 6. Roma.
Biblioteca nazionale centrale di Firenze. Bollettino delle publicazioni italiane.
1889. N. 95. 96.
Me*rnoires de l'Academie des sciences et lettres de Montpellier. Tome VIII.
fasc. III. Annee 1888-89. Montpellier.
Journal de l'e*cole polytechnique. 58. cahier. Paris 1889.
Societe des Antiquaires de Pieardie:
a. Memoires. 3eme serie. Tome X.
b. Bulletin. Annee 1889. N. 1. Titelblatt u. Reg. zu B. XVI.
Annales du musee Guimet. Revue de l'histoire des religions. Xieme annee.
Tome XIX. N. 1, 2, 3. Paris.
Annales de la societe Linneenne de Lyon. Annee 1885, 86, 87. Tome 32, 33, 34.
Annales de la societe d'agriculture , histoire naturelle et arts utiles de Lyon.
5ieme serie. Tome 9 et 10. 1886 et 1887. 6*«™ se'rie. Tome I. 1888. Lyon-
Paris.
Memoires de l'Academie des sciences, belles lettres et arts de Lyon :
a. Classe des sciences. Vol. 28 et Vol. 29.
b. Classe des lettres. Vol. 24, 25, 26. Paris et Lyon.
Le proces de la nomenclature botanique et zoologique par le Dr. Saint-Lager.
Paris 1886.
Recherches sur les anciens herbaria par le Dr. Saint-Lager. Paris 1886.
Bulletin de la socie'te mathematique de France. Tome XVII. N. 5.
Bibliotheque nationale. Manuscrits arabes. Fasc. 2. 1889. pag. 337 — 656.
(Fortsetzung folgt.)
Inhalt von No. 1.
Faul de Laga/rde, Nachträge zu früheren Mittheilungen. — B. Galitzine, über das Dalton'sche Gesetz.
F. Bechtd, Kleine Mittheilnngen. — Eingegangene Druckschriften.
Für die Redaction verantwortlich: H. Sauppe, Secretair d. K. Ges. d. Wiss.
Commissions - Verlag der Bieterich' sehen Verlags -Buchhandlung.
Druck der Dieterich' sehen Univ. -Buchdrucker ei (W. Fr. Kaestner).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
26. Februar. Jfg % 1890.
Universität,
Verzeichniß der Vorlesungen
auf der Georg-Augusts-Universität zu Göttingen
während des Sommerhalbjahrs 1890.
Die Vorlesungen beginnen den 15. April und enden den 15. August.
Theologie.
Geschichte Israels : Prof. Smend viermal um 10 Uhr.
Alttestamentliche Theologie : Prof. Schulte fünfmal um 10 Uhr.
Erklärung der Psalmen : Prof. Smend viermal um 11 Uhr.
Einleitung in das Neue Testament: Lic. Weiss fünfmal um
7 Uhr.
Synoptische Erklärung der drei ersten Evangelien : Prof. L?V-
nemann sechsstündig um 9 Uhr.
Erklärung des Evangeliums Johaunis : Prof. Wtesingcr fünf-
stündig um 9 Uhr.
Erklärung des Hebräerbriefs: Prof. Häring dreistündig, Mon-
tags. Dienstags und Mittwochs um 9 Uhr.
Kirchengeschichte des Alterthums und Mittelalters : Prof. Wa-
genmann sechsmal um 8 Uhr.
Kirchengeschichte der neueren Zeit von der Reformation bis
zur Gegenwart : Prof. Tschackert fünfmal um 8 Uhr.
Kirchengeschichte von Hannover und Braunschweig: Prof.
Wagenmann viermal um 7 Uhr.
Nachrichten von der K. G. d. W. in Göttingen. 1800. No. 2. 4
42 Verzeichniß der Vorlesungen auf der Georg-Augusts-Universität zu Göttingen
Apologie des Christentimms : Prof. Schultz fünfmal um 12 Uhr.
Dogmatik II. Theil: Prof. Iläring fünfmal um 11 Uhr.
Symbolik : Prof. Tschackert fünfmal um 4 Uhr.
Praktische Theologie: Prof. Wiesinger vierstündig um 3 Uhr.
Geschichte und System der Pädagogik : Prof. Knoke viermal
um 5 Uhr.
Praktisch-theologische Erklärung des kleinen Katechismus von
Martin Luther: Derselbe dreistündig, Montags. Dienstags und Don-
nerstags um 4 Uhr.
Kirchenrecht s. unter Rechtswissenschaft S. 43.
Die alttestamentlichen Uebungen der wissenschaftlichen Ab-
theilung des theologischen Seminars leitet Prof. Smend Dienst, um
6 Uhr; die neutestamentlichen Prof. Wiesinger Montags um 6; die
kirchen- und dogmenhistorischen Prof. Wogenmann Freitags um 6;
die dogmatischen Prof. Schultz Donnerstags um 6 Uhr.
Die homiletischen Uebungen der praktischen Abtheilung des
theologischen Seminars leiten abwechslungsweise Prof. Schultz und
Prof. Knoke Sonnabends 9—11 Uhr öffentlich; die katechetischen
Uebungen Prof. Wiesinger am Mittwoch von 2—3 Uhr und Prof.
Knoke Sonnabends 2 — 3 Uhr öffentlich ; die liturgischen Uebungen
Derselbe Sonnabends 9 — 10 und 11 — 12 Uhr öffentlich.
Ein dogmatisches Conversatorium hält Prof. Häring einmal
Öffentlich.
Kirchengeschichtliche Uebungen: Prof. Tschackert Montags von
5 — 7 Uhr privatissime und gratis.
Exegetische Uebungen hält privatissime und gratis Lic. Weiss.
Rechtswissenschaft.
Institutionen des römischen Rechts: Montag bis Freitag von
8 — 9 Uhr und Mittwoch von 7 — 8 Uhr Prof. Begelsberger.
G-eschichte des römischen Rechts: Montag, Dienstag, Donners-
tag und Freitag von 7—8 Uhr Prof. J. Merkel.
Pandekten I. Teil (Allgemeine Lehren, Sachenrecht, Obliga-
tionenrecht): Montag, Mittwoch, Donnerstag, Sonnabend von 8—10,
Dienstag und Freitag von 8—9 Uhr Prof. J. Merkel.
Pandekten II. Teil (Familien- und Erbrecht) : Montag, Dienstag,
Donnerstag, Freitag von 7—8 Uhr Prof. Begelsberger.
Pandektenpraktikum : Mont. , Mittw. , Freitag von 12—1 Uhr
Prof. v. Jhering.
während des Sommerhalbjahrs 1890. '" 43
Exegetische Hebungen in den Digesten : Montag von 5 — 7 Uhr
Prof. Regelsberger.
Conversatorium über Pandekten : Montag, Dienstag. Donnerstag
und Freitag von 4 — 5 Uhr Dr. Göldschmidt.
Deutsche Rechtsgeschichte : Montag bis Freitag von 7—8 Uhr
Vorm. Prof. Dove.
Deutsches Privatrecht mit Lehnrecht : Montag bis Freitag von
12—1 Uhr Prof. Ehrenberg.
Handels- Wechsel- und Seerecht : Montag bis Freitag von
8—9 Uhr Prof. Frensdorff.
Preußisches Privatrecht : Dienstag bis Freitag von 10 — 11 Uhr
Prof. Zieh art h.
Vergleichendes Erbrecht: Sonnabend von 10 — 11 Uhr Prof.
Ziebarth (Öffentlich).
Die Grundzüge des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs
für das deutsche Reich II. Teil (Familien- und Erbrecht): Freit,
von 5-6 Uhr Prof. Planck (öffentlich).
Der privatrechtliche Inhalt der deutschen Socialgesetzgebung :
Sonnabend von 11 — 1 Uhr Dr. Goldschmidt (öffentlich).
Strafrecht : Dienst, bis Sonn, von 11—12 Uhr Prof. Ziebarth,
Deutsches Staatsrecht : Mont. bis Freit, von 9 — 10 Uhr Prof.
Frensdorff.
Kirchenrecht : Montag bis Freitag von 8 — 9 Uhr Prof. Dove.
Civilprozeß : Montag bis Freit, von 10—11 Uhr Prof. v. Bar.
Strafprozeß : Mont,. Dienst., Donnerst., Freit, von 11 — 12 Uhr
Prof. v. Bar.
Vorlesungen über Staatswissenschaft s. S. 51.
Medicin.
Zoologie, Botanik, Chemie s. unter Naturwissenschaften.
Knochen- und Bänderlehre trägt Prof. Fr. Merkel am Dienst.,
Donnerstag u. Sonnabend von 11 — 12 Uhr vor.
Der systematischen Anatomie IL Theil , Gefäß- und Nerven-
lehre, lehrt Prof. Fr. Merkel täglich von 12—1 Uhr.
Allgemeine Anatomie lehrt Prof. Fr. Merkel Mont., Mittwoch
u. Freitag, von 11 12 Uhr,
4*
44 Verzeichniß der Vorlesungen auf der Georg-Augnsts-Universität zu Göttingen
Mikroskopische Uebungen für Anfänger hält Prof. Fr. Merkel
mit Dr. Bisse Montag von 5 — 7 Uhr u. Donnerstag von 4 — 5 Uhr.
Anatomische Untersuchungen leitet Prof. Fr. Merkel öffentlich
in zu bestimmenden Stunden.
Mikroskopische Uebungen für Geübtere hält vierstündlich Dr.
Disse.
Mikroskopische Curse in der speciellen Histologie hält Prof.
Krause viermal wöchentlich um 2 Uhr oder zu passender Zeit.
Physiologie mit Erläuterungen durch Versuche und mikrosko-
pische Demonstrationen trägt Prof. Herbst 6 Stunden wöchentlich
um 10 Uhr vor.
Experiinentalphysiologie I. Theil lehrt Prof. Meissner täglich
um 10 Uhr.
Physiologie der Zeugung und Embryologie lehrt Prof. Meissner
Freitag von 5—7 Uhr.
Arbeiten im physiol. Institut leitet Prof. Meissner^
Allgemeine Aetiologie lehrt Prof. Orth Montag u. Mittwoch
von 3 — 4 öffentlich.
Allgemeine Pathologie lehrt privatim Prof. Orth Montag bis
Freitag von 12—1 Uhr.
Pr actische Uebungen in der patholog. Histologie hält Prof. Orth
Dienstag und Freitag von 3—5 Uhr.
Sections- und diagnostische Uebungen leitet Prof. Orth in pas-
senden Stunden.
Physikalische Diagnostik verbunden mit Uebungen lehrt Prof.
Damsch Dienstag, Mittwoch u. Freitag von 4 — 5 Uhr.
Ueber physikalische Heilmethoden mit besoderer Berücksich-
tigung der Elektrotherapie und mit Uebungen am Krankenbett trägt
Prof. Damsch Montag u. Donnerstag von 4 — 5 Uhr vor.
Laryngoskopische Uebungen hält Prof. Damsch Sonnabend von
12-1 Uhr.
Ueber Impftechnik, verbunden mit Uebungen im Impfen trägt
Prof. Damsch zu passenden Stunden vor.
Arzneimittellehre und Receptirkunde verbunden mit Experi-
menten und Demonstrationen sowie mit praktischen Uebungen im
Receptiren und Dispensiren lehrt Prof. Manne dreimal wöchentlich,
Montag, Dienstag und Donnerstag von 5 — 6 Uhr.
Specielle Toxicologie, I. Th. , für ältere Mediciner lehrt in
Verbindung mit Experimenten zweimal wöchentlich, Montag und
Donnerstag von 2—3 Uhr, Prof. Marme.
während des Sommerhalbjahrs 1890. 45
Die Arzneiverordnungslehre trägt Prof. Husemann 3 mal wö-
chentlich in später zu bestimmenden Stunden vor.
Ueber eßbare und giftige Pilze trägt Prof. Husemann öffent-
lich Donnerstag von 5 — 6 Uhr vor.
Ein pharmakognostisches Practicum mit mikroskopischen "He-
bungen hält für Pharmaceuten Prof. M arme Mittwoch von 10 — 12 Uhr.
Arbeiten im pharmakologischen Institut leitet Prof. Marme tägl.
Specielle Pathologie und Therapie I. Hälfte lehrt Prof. Eb-
stein täglich außer Montag, von 7 — 8 Uhr.
Die medicinische Klinik hält Prof. Ebstein täglich , und zwar
fünfmal von 103A-12 Uhr, Sonnabend von 974— 103A Uhr.
Die Untersuchung des Harns und Sputums mit practischen
Uebungen leitet Prof. Ebstein mit Dr. Nicolaier 1 mal wöchentlich
in zu verabredender Stunde.
Allgemeine Chirurgie lehrt Prof. Rosenbach dreimal wöchent-
lich von 8 — 9 Uhr Morgens, Dienstag, Mittwoch und Freitag.
Allgemeine Chirurgie lehrt Prof. Lohnet/er fünfmal wöchent-
lich von 8—9 Uhr.
Chirurgische Klinik hält Prof. König täglich mit Ausnahme
Sonnabends von 9'A — 108A Uhr.
Medicinische Poliklinik hält Prof. Dänisch täglich von 12 Uhr
an öffentlich.
Chirurgische Poliklinik hält .Prof. König gemeinsam mit Prof.
Jiosenbach Sonnabend 103A Uhr öffentlich.
Einen chirurgisch-diagnostischen Cursus hält Prof. Rosenbach
zweimal wöchentlich. Dienstag und Freitag von 3—4 Uhr.
Operationscursus an Leichen hält Prof. König täglich von
5 — 7 Uhr, Sonnabend ausgenommen.
Ueber Fracturen u. Luxationen liest Dr. 0. Hildebrand zwei-
mal wöchentlich.
Die Klinik der Augenkrankheiten hält Prof. Lebet- Montag,
Dienstag, Donnerstag, Freitag von 12—1 Uhr.
Augen spiegelcursus hält Dr. Wagenmann Mittwoch und Sonn-
abend von 12 — 1 Uhr.
Augenoperation scursus hält Dr. Wagenmann Sonnabend von
8-9 Uhr.
Einen Cursus über Functionsprüfung des Auges hält Dr. Schir-
mer Mittwoch u. Sonnabend von 7 — 8 Uhr.
Ueber die practiseh wichtigen Abschnitte der Ohrenheilkunde
mit Uebungen im Ohrenspiegel trägt Prof. Bürhner Dienstag und
Freitag von 2—3 Uhr oder zu besser passender Zeit vor.
46 Verzeichniß der Vorlesungen auf der Georg-Augusts-Universität zu Göttingen
Poliklinik für Ohrenkranke hält Prof. Bürhner (für Geübtere)
Mittwoch und Sonnabend von 12 — 1 Uhr.
Geburtshülflich-gynaekologische Klinik u. Poliklinik hält Mon-
tag, Dienstag, Donnerstag und Freitag um 8 Uhr Prof. Bunge.
Einen gynaekologischen Operationscursus hält mit beschränkter
Anzahl von Zuhörern Prof. Bunge privatissime.
Diagnostischen und operativen Cursus am geburtshültiichen
Phantom hält Prof. Runge Montag, Mittwoch, Donnerstag 3 — 4 Uhr.
Ueber Frauenkrankheiten liest dreistündig in zu verabredender
Stunde Dr. Broysen.
Psychiatrische Klinik verbunden mit Vorlesungen über Gei-
steskrankheiten hält Prof. Meyer wöchentlich in vier Stunden
Montag und Donnerstag von 3—5 Uhr.
Gerichtliche Psychiatrie mit casuistischen Demonstrationen
lehrt (für Juristen) Prof. Meyer wöchentlich in zwei nach Verab-
redung festzusetzenden Stunden.
Hygiene, IL Theil, lehrt Dienstag, Donnerstag und Freitag-
früh 7—8 Uhr Prof. Wolffhügel
Practische Uebungen und Excursionen im Anschluß an die
Vorlesung über Hygiene hält unentgeltlich Prof. Wolffhügel Mitt-
woch und Sonnabend von 7 — 8 oder von 8 — 9 Uhr Vormittags.
Hygienische und bakteriologische Curse giebt Prof. Wolffhügel
in passenden Stunden.
Arbeiten im hygienischen Institut leitet Prof. Wolffhügel täg-
lich von 9 — 5 Uhr.
Die äußeren Krankheiten der Hausthiere, sowie Beurthei-
lungslehre des Pferdes und Kindes trägt Prof. Esser wöchentlich
fünfmal von 8—9 Uhr vor.
Klinische Demonstrationen im Thierhospitale wird Prof. Esser
in zu verabredenden Stunden halten.
Philosophie.
Geschichte der alten Philosophie mit Anhang über orientalische
Philosophie: Prof. Baumann, Mont., Dienst., Donnerst., Freit. 5 Uhr
Geschichte der Philosophie : Prof. Behnisch, 5 Stunden, 12 Uhr!
Logik: Prof. G. E. Müller, Montag, Dienstag, Donnerstag.
Freitag 4 Uhr.
Psychologie: Vvoi.Peipers, Mont., Dienst., Donn., Freit, 7 Uhr,, früh.
während des Sommerhalbjahrs 1890. 47
Ausgewählte Kapitel der Metaphysik : Prof. Rehnisch, zu pas-
sender Stunde, Öffentlich.
Moralphilosophie mit der Lehre von der Willens- und Cha-
rakterbildung: Prof. Baumann, Mont., Dienst., Donn., Freit. 9 Uhr.
Die Hebungen des K. pädagogischen Seminars leitet Prof . Sauppe,
Mont. und Donnerst. 11 Uhr, öffentlich.
In einer philosophischen Societät wird Prof. Baumann Xeno-
phons Denkwürdigkeiten des Socrates behandeln, Dienstag 6 Uhr.
In einer psychologischen Societät wird Prof. G. E. Müller
Uebungen auf dem Gebiete der experimentellen Psychologie an-
stellen (in noch zu bestimmenden Stunden).
In einer philosophischen Societät erklärt Prof. Peipers ausge-
wählte Abschnitte aus Kants Kritik der reinen Vernunft, Freitag
6 Uhr, öffentlich.
Mathematik, Astronomie und theoretische Physik.
Algebraische Analysis : Dr. Schönflies, Montag, Dienstag, Don-
nerstag, Freitag, 8 Uhr. Dazu unentgeltlich eine Uebungsstunde.
Integralrechnung: Prof. Schwarz, Montag bis Freitag 11 Uhr.
Elemente der Theorie der bestimmten Integrale : Dr. Schönflies,
Mittwoch und Sonnabend 8 Uhr.
Theorie der Flächen II. Grades : Dr. BurMardt , Montag,
Dienstag, Donnerstag 4 Uhr. (Uebungen dazu, privatissime, aber
unentgeltlich : Freitag 4 Uhr)»
Theorie der analytischen Funktionen, zweiter Theil: Prof.
Schwarz, Mont. bis Freit. 9 Uhr.
Gewöhnliche Differentialgleichungen: Prof. Klein, Montag.
Dienst., Donnerst., Freitag 11 Uhr.
Nicht-Euklidische Geometrie , Fortsetzung : Prof. Klein , Mitt-
woch 11 — 1 Uhr.
Einleitung in die Potentialtheorie : Dr. Drude, Dienstag, Frei-
tag 8 Uhr.
Molecular-Mechanik : Prof. Schering, Dienst., Mittw., Donnerst.,
Freitag 7 Uhr, früh.
Akustik : Prof. Voigt , Montag , Dienstag , Donnerstag , Frei-
tag 10 Uhr.
Theorie des Magnetismus : Dr. Hugo Meyer , Donnerstag und
Freitag 11 Uhr.
Populäre Astronomie, II. Theil : Prof. Schur, Sonnabend 11 Uhr.
48 Verzeichnis der Vorlesungen auf der Georg-Augusts-Universität zu Göttingen
Ueber die Berechnung der Störungen der Planetenbahnen:
Prof. Schur, Moni, Dienst., Donnerst., Freit. 11 Uhr.
Geometrische Constructionsübungen : Prof. Schwarz, Mittwoch
und Sonnabend 3 — 6 Uhr, öffentlich.
Mathematische Colloquien wird Prof. Schwärs privatissime,
unentgeltlich, wie bisher zweistündig wöchentlich veranstalten.
Praktische Uebungen an den Instrumenten der Sternwarte :
Prof. Schur, täglich.
Magnetische Beobachtungen im Gauss - Observatorium leitet
Prof. Schering in Gemeinschaft mit dem Assistenten W. Felgenträger,
Freitag 6 Uhr Abend.
Im K. mathematisch -physikalischen Seminar wird Prof. Riecke
ausgewählte Kapitel der mathematischen und Experimentalphysik
(Donnerst. 2 Uhr) behandeln, Prof. Schering mathematische Uebun-
gen Freitag 5 Uhr leiten, Prof. Schwarz Sonnabend 9 Uhr solche
veranstalten, Prof. Voigt ausgewählte Kapitel der Mechanik starrer
Körper (Mittwoch 10 Uhr) und Prof. Klein ausgewählte Kapitel
nichteuklidischer Geometrie behandeln (Sonnabend 11 — 1 Uhr),
Prof. Schur astronomische Uebungen (Dienstag Abend 7 Uhr)
veranstalten.
Experimentalphysik: siehe Naturwissenschaften S. 49.
Naturwissenschaften .
Allgemeine Zoologie : Prof. Ehlers, Mont. bis Donnerst. 8 Uhr.
Spezielle Zoologie, erster Theil (Protozoen und Coelenteraten) :
Prof. Ehlers, Freitag und Sonnabend 8 Uhr.
Entwickelungsgeschichte des Menschen, nebst unentgeltlichem
Praktikum, Untersuchung und Anleitung zur Conservirung des
Eies im Brutofen : Dr. Hamann , Montag und Donnerstag 5 Uhr.
Die Existenzbedingungen der Thiere (Biologie), einschließlich
der Wechselbeziehungen zwischen Thieren und Pflanzen: Dr. Ha-
mann, unentgeltlich.
Allgemeine Einführung in die Kenntniß der Insekten : Dr.
Henking, Dienst, und Donnerst. 4 Uhr.
Zootomischer Curs : Prof. Ehlers, Dienst, u. Mittw. 10—12 Uhr.
Zoologische Uebungen: Prof. Ehlers, wie bisher, täglich (mit
Ausnahme des Sonnabends) von 9—1 Uhr.
Demonstrationen in dem K. zoologischen Museum : Dr. Henking,
Freitag 4 Uhr.
Grundzüge der Botanik: Prof. Berthold, Dienst, bis Sonnab.,
früh 7 Uhr.
während des Sommerhalbjahrs 1890. 49
Systematik und Morphologie der Blüthenpflanzen : Prof. Peter,
Dienstag, Donnerstag. Freitag 3 Uhr.
Biologie der Pflanzen: Dr. Koch, 1 Stunde unentgeltlich.
Ueber Krankheiten der Culturpflanzen : Dr. Koch, Mont. 6 Uhr.
Hebungen im Untersuchen und Bestimmen der Phanerogamen :
Prof. Peter, Donnerstag 5 — 7 Uhr.
Uebungeu im Untersuchen und Bestimmen der Kryptogamen:
Prof. Peter, Freitag 5-7 Uhr.
Botanische Excursionen und Demonstrationen: Prof. Peter,
Sonnabend Nachmittag.
Demonstrationen im botanischen Garten : Prof. Berthold, öffentl.
Mikroskopisch-botanischer Kursus: Prof. Berthold, Sonnabend
1» 1 Uhr.
Mikroskopisch-botanisches Practicum für Anfänger: Prof. Peter,
Mittwoch Vormittag.
Tägliche Arbeiten im plianzenphysiologischen Institut: Prof.
Berthold.
Leitung botanischer Arbeiten, täglich: Prof. Peter.
Mineralogie, erster Theil : Prof. Liebisch, Montag, Dienstag,
Donnerstag, Freitag 12 Uhr.
Petrographie : Prof. Liebisch, dreistündig.
Tägliche Arbeiten im mineralogisch -petrographischen Institut :
Prof. Liebisch, öffentlich.
Palaeontologie : Prof. v. Kocnen, 5 St., Dienst, bis Sonnab. 7 Uhr.
Ueber die geologischen Verhältnisse Norddeutschlands : Prof.
r. Koenen, Sonnabend 12 Uhr, verbunden mit Excursionen und
Uebungen.
Geologische und palaeontologische Uebungen : Prof. v. Koenen,
täglich, privatissime, aber unentgeltlich.
Experimentalphysik, erster Theil (Mechanik , Akustik, Optik) :
Prof. liierte, Mont. und Freit. 4 Uhr, Dienst, und Donnerst. 5 Uhr.
Die praktischen Uebungen im physikalischen Institut werden
die Prof. Rieche und Voigt, in Gemeinschaft mit den Assistenten
Dr. Drude und Dr. fernst leiten, Dienstag und Freitag 2—4 Uhr
für Mathematiker und Physiker, Sonnabend 9—1 Uhr für Chemiker.
Akustik und Magnetismus : siehe Mathematik S. 47.
Physikalisches Colloquium für Pharmaceuten : Dr. Hugo Meyer
in zwei zu verabredenden Stunden.
Mathematisch-physikalisches Seminar : vgl, Mathematik S. 48.
50 Verzeichnis der Vorlesungen auf der Georg-Augusts-Universität zu Göttingen
Allgemeine Chemie, organischer Theil (Organische Experimen-
talchemie): Prof. Wallach, täglich (außer Sonnabend), 9 Uhr.
Organische Chemie , für Mediciner : Prof. von Uslar , 4 Stun-
den, 9 Uhr.
Gerichtlich - chemische Analyse: Prof. Polstorff, Dienstag und
Freitag 8 Uhr.
Pharmaceutische Chemie (anorgan. Theil) : Prof. Polstorff, Mon-
tag, Dienstag, Donnerstag, Freitag 4 Uhr.
Ueber die stickstoffhaltigen KohlenstofFverbindungen mit ring-
förmiger Schließung des Moleküls : Dr. BuchJca, Montag. Mittwoch,
Donnerstag 8 Uhr.
Analytische Chemie : Dr. Buchka, Mittw. u. Donnerst. 12 Uhr.
Pharmacie: Prof. von Uslar, 4 Stunden, 3 Uhr. — Vgl. unter
Median S. 45.
Pflanzenernährungslehre (Agriculturchemie) : Prof. Tollens,
Montag, Dienstag, Mittwoch 10 Uhr.
Grundzüge der Chemie, I. Theil : Dr. Pfeiffer^ Dienst., Donnerst.,
Freit. 9 Uhr.
Die chemischen Uebungen und wissenschaftlichen Arbeiten im
akademischen Laboratorium leitet Prof. Wallach, in Gemeinschaft
mit Prof. Polstorff und Dr. Buchka, und zwar 1) Vollpracticum,
Montag bis Freitag 8 — 12 und 3—6 Uhr; 2) Halbpracticum , je
Vor- und Nachmittags, zu denselben Stunden ; 3) Chemisches An-
fänger-Practicum für Mediciner, Nachmittags.
Chemisches Colloquium für Mediciner mit Anschluß an das
Practicum: Prof. Wallach, öffentlich, t Montag 3 Uhr.
Praktische Uebungen im agricultur - chemischen Laboratorium
leitet Prof. Tollens, in Gemeinschaft mit Dr. Dubbers, Montag bis
Freitag 8—12 und 2—4 Uhr.
Historische Wissenschaften.
Lateinische Paläographie I. Theil (bis zum 13. Jahrhundert):
Prof. Steindorff, Mont., Dienst., Donnerst, und Freit. 10 Uhr.
Diplomatische Uebungen : Prof. Steindorff, Mittwoch 10—12 Uhr.
privatissime, unentgeltlich.
Geschichte des alten Aegyptens: Prof. Pietschmann, Dienst,
und Freit. 5 Uhr.
Römische Geschichte bis zur Zeit der Bürgerkriege : Prof.
Volquardsen, Mont., Dienst., Donnerst., Freit. 8 Uhr.
Einleitung in die Culturgeschichte des Mittelalters : Dr. von
Kap-herr, Dienstag und Freitag 11 Uhr, unentgeltlich.
während des Sommerhalbjahrs 1890. 51
Allgemeine Verfassungsgeschichte der germanischen und ro-
manischen Völker des Mittelalters: Prof. Weiland, Hont., Dienst.,
Donnerst., Freit. 9 Uhr.
Preußische Geschichte: Prof. KlucJchohn, Montag, Dienstag.
Donnerstag, Freitag 12 Uhr.
Geschichte der Jahre 1866—1871 : Prof. KlucJchohn, Mittwoch
12 Uhr, öffentlich.
Geschichte Italiens seit dem Beginn des Mittelalters: Prof.
77/. Wüstenfeld, Moni.. Dienst., Donnerst, u. Freit. 10 Uhr, unent-
geltlich, in seiner Wohnung.
Historische Uebungen leitet Prof. Weiland, Freitag 6 Uhr.
privatissime, unentgeltlich.
Historische Uebungen leitet Prof. Volquardsen, Dienstag 6 Uhr,
öffentlich.
Historische Uebungen leitet Prof. Klnchhohn, Montag 6 Uhr,
privatissime, unentgeltlich.
Kirchengeschichte : s. unter Theologie S. 41.
Erd- und Völkerkunde.
Allgemeine physische Erdkunde I: Prof. Wagner, Mont., Dienst,,
Donnerst., Freit. 11 Uhr.
Geographische Uebungen : Prof. Wagner, Sonnabend Vormittag,
privatissime, unentgeltlich.
Staatswissenschaft und Landwirthschaftslekre.
Praktische Nationalökonomie (Wirtschaftspolitik) mit be-
sonderer Rücksicht auf die Gesetzgebung des deutschen Reiches:
Prof. Colin, Mont., Dienst., Donnerst., Freit. 5 Uhr.
Allgemeine Nationalökonomie: Prof. Lexis, Dienstag bis Frei-
tag 10 Uhr.
Staatswissenschaftliche Uebungen : Prof. Colin, Mittw. 5 — 7 Uhr,
privatissime, unentgeltlich.
Statistische Uebungen: Prof. Lexis, 2 Stunden,
Landwirtschaft lirlir Bodenkunde: Prof. Kirchner, Mittwoch
und Sonnabend 11 Uhr.
Specielle Ackerbaulehre (Piianzenbaulehre) : Dr. Rümker, Mont.,
Dienst., Donnerst., Freit. 11 Uhr.
Allgemeine Thierzucht: Prof. Kirchner, Montag, Dienstag,
Donnerstag, Freitag 11 Uhr.
Besondere Thierzucht (Pferde- und Schafzucht) : Prof. Kirchner,
Freit, und Sonnabend 10 Uhr.
52 Verzeichniß der Vorlesungen anf der Georg-Augusts-Universität zu Göttingen
Allgemeine und specielle landwirtschaftliche Thierzüchtungs-
lehre: Prof. Griepenkerl, Montag und Dienstag 5 Uhr.
Specielle landwirtschaftliche Rassenkunde: Prof. Griepenkerl,
Mittw. 5 Uhr, öffentlich.
Die Ackerbausysteme (Feldgraswirthschaft, Felderwirthschaft,
Fruchtwechselwirthschaft u. s. w.) : Prof. Griepenkerl , Donnerstag
und Freitag 4 Uhr.
Im Anschluß an diese Vorlesungen werden Excursionen nach
benachbarten Landgütern und Fabriken veranstaltet von Prof.
Griepenkerl.
Rassenkunde und Züchtungslehre der Kulturpflanzen: Dr.
Bümker, Mittw. 12—1 Uhr.
Drainage und Wiesenbau : Dr. Bümker, Sonnabend 12 Uhr.
Demonstrationen und praktische Uebungen im Veredeln (Kreu-
zen) der Kulturpflanzen : Dr. Bümker, Donn. 5 Uhr, unentgeltlich.
Ausgewählte Kapitel aus der lanclwirthschaftlichen Thierer-
nährungslehre : Dr. Lehmann, 1 Stunde.
Uebungen im landw. -physiologischen Laboratorium : Prof. Kirch-
ner, Mont. bis Freit. 8—4 Uhr.
Landwirthschaftliche Excursionen: Prof. Kirchner, Sonnabend
3—6 Uhr.
Krankheiten der Hausthiere: Vgl. Mediän S. 46.
Agricultur chemie, Agriculturchemisches Practicum : Vgl. Natur-
wissenschaf ten*ß. 50.
Literatur- und Kunstgeschichte.
Buchwesen des Alterthums und des Mittelalters : Prof. Dziatzko,
Montag, Dienstag, Donnerstag 8 Uhr.
Ausgewählte Kapitel aus der deutschen Literaturgeschichte
des 19. Jahrhunderts : Prof. Boethe , Montag , Donnerstag 6 Uhr
Abends.
Geschichte der romantischen Schule in Frankreich (in franz.
Sprache): Lector Ebray, 2 mal wöchentlich, privatissime.
Shakspere's Vorgänger und Zeitgenossen : siehe Neuere Spra-
chen S. 55.
Vorträge über Pope und seine Zeitgenossen : Lector Miller,
(in englischer Sprache).
Allgemeine europäische Kunstgeschichte des Mittelalters und
der Renaissance: Prof. Lange, Dienstag und Freitag 6—8 Uhr
Abends.
Rafaels Leben und Werke : Prof. Lange, Mittw. 12 Uhr, öffentl.
Während des Sommerhalbjahrs 1890. 53
Kunstgeschichtliche Uebungen: Prof. Lange, privatissime, un-
entgeltlich, Montag 6—8 Uhr Abends.
Altertimmskunde.
Ueber die athenische Burg und andere griechische Cultstätten :
Prof. v. Wilamowitz-Moellendorff, Mont. u. Dienst. 4 Uhr, öffentlich.
Museographie der griechischen und römischen Kunstwerke
wird Prof. Wieseler vortragen und durch Abbildungen erläutern ;
2 bis 3 Stunden, 12 Uhr.
Griechische Ikonographie: Prof. Dilthey, Montag, Dienstag,
Donnerstag, Freitag 12 Uhr.
Ausgewählte Kunstwerke läßt im K. archäolog. Seminar er-
klären Prof. Wieseler, Sonnabend 12 Uhr, öffentlich.
Die Abhandlungen der Mitglieder des K. archäolog. Seminars
wird Prof. Wieseler privatissime beurtheilen, wie bisher.
Archäologische Uebungen: Prof. Dilthey, Sonnab. 10—12 Uhr.
Vgl. Beutsehe Sprache S. 54.
Vergleichende Sprachlehre.
Vergleichende Lautlehre des Sanskrit, Griechischen und Deut-
schen : Prof. Bechtel, Dienstag, Donnerstag, Freitag von 8 — 9 Uhr.
Altnordische Grammatik: siehe unter Deutsche Sprache S. 54.
Orientalische Sprachen.
Die Vorlesungen über das A. Testament s. u. Theologie S. 41.
Altaegyptische Schrift und Sprache: Prof. Pietschmann, in zu
verabredenden Stunden.
Ausgewählte Stücke aus arabischen Schriftstellern erklärt
Prof. Wüstenfeld, privatissime.
Syrisch lehrt dreimal, Mont. bis Mittw., 12 Uhr, Prof. de Lagarde.
Uebungen im Hebräisch Schreiben leitet zweimal, Donnerstag
und Freitag 12 Uhr: Prof. de Lagarde.
Grammatik der Sanskritsprache : Prof. Kielhorn, Mont., Mittw.,
Sonnab. 7 Uhr.
Erklärung der Hymnen des 7. Mandala des Rigveda: Prof.
Kielhorn, Mittw. und Sonnab. 8 Uhr.
In zwei Stunden wird Prof. Kielhorn Subandhu's Väsavadatta
erklären lassen und Dandin's Kävyädarsa erklären, öffentlich.
Orientalische Kunst: v 'gl. Literatur und Kunstgeschichte S. 52.
54 Verzeichnis der Vorlesungen auf der Georg-Augusts-Universität in Göttingen
Griechische und lateinische Sprache.
Metrik der Griechen und Römer: Prof. Leo, Mont. , Mittw.,
Donnerst., 11 Uhr, Sonnab. 12 Uhr.
Erklärung der Gedichte des Kallimachos : Prof. v. Wilamowitz-
Mocllendorff, Mont., Mittw., Donn. 10 Uhr, Dienst, u. Freit. 4 Uhr.
Piatons Gastmahl: Prof. Sauppe , Mont.. Dienst., Donnerst.,
Freit. 9 Uhr.
Tibullus : Prof. Leo} Dienst., Donnerst., Freit. 8 Uhr.
Im K. philologischen Seminar leiten die schriftlichen Arbeiten
und Disputationen Prof. Sauppe und Prof. v. Wilamowitz-Moellen-
dorff, Mittwoch 12 Uhr, lassen Lucretius B. 5 Prof. Sauppe, Diens-
tag und Freitag 11 Uhr , und die Gedichte des Solon Prof. von
Wilamowitz-Moellendorff erklären, Dienstag und Freitag 10 Uhr,
alles öffentlich.
Im K. philologischen Proseminar leitet die schriftlichen Ue-
bungen und läßt Seneca de Beneficiis erklären Prof. Leo, Mittw.
8—10 Uhr, öffentlich.
Paläographische Uebungen zu lateinischen Classikern: Prof.
DdatzJw, Freit. 3 Uhr, privatissime, aber unentgeltlich.
Philologische Uebungen : Prof. Leo. privatissime.
Deutsehe Sprache.
Einleitung in das Studium des Mittelhochdeutschen (Grammatik
mit Syntax, Metrik und Poetik, Handschriftenkunde, Synonymik.
Alterthümer) : Prof. Roethe, Mont., Dienst., Donnerst., Freit. 3 Uhr.
Vergleichende Grammatik der altgermanischen Dialekte (Laut-
und Flexionslehre) : Prof. Heyne, 4 Stunden, Abends 5 Uhr.
Altnordische Grammatik: Prof. Rechtet, Dienstag und Freitag
6 Uhr, öffentlich.
Im K. deutschen Seminar hält Prof. Heyne altsächsische und
altfriesische Uebungen, Freit. 12 Uhr, läßt Prof. Roethe des Minnesangs
Frühling , herausg. von Lachmann und Haupt , erklären , Dienst.
12 Uhr, und bespricht Prof. Roethe die schriftlichen Arbeiten der
Mitglieder , Donnerstag 12 Uhr , alles privatissime , aber unent-
geltlich.
Im K. deutschen Proseminar läßt Prof. Heyne den Winsbeke
erklären, Sonnabend 12 Uhr, öffentlich, und hält Prof. Roethe alt-
hochdeutsche Uebungen für Anfänger (Otfried nach Braune' s Lese-
buch) Mittw. 12 Uhr, öffentlich.
Geschichte der deutschen Literatur: Vgl. Literaturgeschichte S. 52.
während des Sommerhalbjahrs 1890.
55
Neuere Sprachen.
Geschichte der französischen Literatur: Ygl.Literaturgesch. S.52 .
Historische Formenlehre der französischen Sprache I: Prof.
Vollmöller, Mont., Dienst., Mittw., Donnerst. 12 Uhr.
Erklärung der ältesten französischen Sprachdenkmäler: Dr.
Cloetta, Mont. und Freit. 11 Uhr.
Die Gedichte Bertran's de Born, nebst einer Einleitung über
dessen Leben: Dr. Andresen, Mont. und Dienst. 10 Uhr.
Neufranzösische Uebungen auf historischer Grundlage: Dr.
Cloetta, Dienst, und Donnerst. 11 Uhr.
Grundzüge der Lautphysiologie und wissenschaftliche Anleitung
zur modern - englischen Aussprache : Prof. Brandl , Dienstag und
Sonnab. 7 Uhr, früh.
Shakspere's Vorgänger und Zeitgenossen: Prof. Brandt, Mitt-
woch und Freitag 7 Uhr früh.
Anfangsgründe der angelsächsischen Grammatik : Dr. Holthausen,
2 mal wöchentlich.
Lektüre und Erklärung von Marlowe's Doctor Faustus : Dr.
Holthausen, 2 mal wöchentlich.
Im Seminar für Romanische Sprachen hält Prof. Vollmöller
grammatische Uebungen, Mittw. 10 — 12 Uhr; französische Uebun-
gen Dr. Anäresen, Montag 6 Uhr; leitet Dr. Cloetta die Erklärung
von Dantes Komödie, Donnerst. 6 — 8 Uhr; hält Lector Ebray
Neufranzösische Uebungen, unentgeltlich dreimal wöchentlich (a. Ue-
bersetzung eines deutschen Schriftstellers ins Französische, b. eines
französischen ins Deutsche, c. Konversation).
Im englischen Seminar hält Prof. Brandt Uebungen im kri-
tischen Herausgeben mittelenglischer Texte, Freitag 6 — 8 Uhr
Abends. Ferner stellt Prof. Brandl mit Lector Miller neuenglische
Uebungen an, Montag und Freitag 6 — 8 Uhr, und zwar a) in Gram-
matik und Stilistik, b) Leetüre von Holme's Autocrat of the Break-
fast Table, c) Uebersetzung von Heine, das Buch le Grand, d) Vor-
träge über Pope und seine Zeitgenossen, in englischer Sprache.
Schöne Künste. — Fertigkeiten.
Unterricht im Zeichnen ertheilt Zeichenlehrer Beters, Mitt-
woch 2 — 4 Uhr, unentgeltlich.
Unterricht im Malen Derselbe in zu verabredenden Stunden.
Harmonie- und Kompositionslehre, verbunden mit praktischen
Uebungen: Prof. Hüle} in passenden Stunden.
Harmonielehre: Vvoi. Freiberg, 2 Stunden wöchentlich, öffentlich.
oft Verz. d. Vorlesungen auf d. Georg- Augusts-Üniversität zu Göttingeu u. s. vr.
Zur Theilnahme an den Uebnngen der Singakademie und des
Orchesterspielvereins ladet Prof. Hille ein.
Hebungen im Ensemblespiel hält Prof. Freiberg.
Reitunterricht ertheilt in der K. Universitäts - Reitbahn der
Univ.-Stallmeister, Rittmeister a. D. Schwappe, Montag, Dienstag,
Donnerstag, Freitag, Sonnabend, Morgens von 7 — 11 und Nachm.
(außer Sonnabend) von 4 — 5 Uhr.
Fechtkunst lehrt der Universitätsfechtmeister Grüneklee, in
zu verabredenden Stunden, Tanzkunst der Universitätstanzmeister
HöHske (Montag und Donnerstag 8 — 10 Uhr Abends).
Öffentliche Sammlungen.
In der Universitätsbibliothek ist das Ausleihezimmer an den Wochentagen
von 11 — 1 und von 2— 3 Uhr, der Lesesaal von 10 — 4 Uhr geöffnet. Verliehen
werden Bücher nach Abgabe einer Semesterkarte mit der Bürgschaft eines Professors.
Die Gemäldesammlung (Aula, 1 Treppe hoch links) ist Sonntags von 11 — 1
Ubr geöffnet.
Der botanische Garten ist, die Sonn- und Festtage ausgenommen, täglich
T0I1 7—12 und von 2—6 Uhr geöffnet.
Die mineralogische und die geologisch- paläontologische Schausammlung sind
im Sommerhalbjahr Sonnabends von 2 bis 4 Uhr dem Publikum geöffnet.
Die Sammlungen des landwirthschaftlichen Instituts sind dem Publicum Mitt«
woch Nachmittag von 2—4 Uhr zugänglich. Anmeldung im Institntsgebäude.
Besuchszeit des agricultur chemischen Laboratoriums Donnerst, v. 10— 12 Uhr.
Ueber den Besuch und die Benutzung der theologischen Seminarbibliothek,
des Theatrum anatomicum, des physiologischen Instituts, der pathologischen Samm-
lung , der Sammlung mathematischer Instrumente und Modelle, des zoologischen
und ethnographischen Museums, des botanischen Gartens und des pßanzenphysio-
logischen Instituts, der Sternwarte, des physikalischen Kabinets und Laboratoriums,
der mineralogischen und der geognostisch-paläontologischen Sammlung, der chemi-
schen Laboratorien , des archäologischen Museums, der Gemäldesammlung, der Bi-
bliothek des K. philologischen Seminars, der Bibliothek und des Arbeitszimmers
des K. deutschen Seminars, der Bibliothek und des Lesezimmers des K. mathe-
matisch-physikalischen Seminars, des diplomatischen Apparats, der Sammlungen des
landwirthschaftlichen Instituts bestimmen besondere Reglements das Nähere.
Bei dem Logiscommissar, Pedell Mankel (Jüdenstrasse 11), können die, welche
Wohnungen suchen, sowohl über die Preise, als andere Umstände Auskunft er-
halten und auch im voraus Bestellungen machen.
Für die Redaction verantwortlich: H. Sauppe, Secretair d. K. Ges. d. Wiss.
Commissions - Verlag der Dieterich' sehen Verlags -Buchhandlung.
Druck dei- Dieterich' sehen Univ.-Buchdrmkmei (W. Fr. Kaesttier).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
26. Februar. Jfä 3, 1890.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 1. Februar.
Riecke legt einen Aufsatz des Herrn Dr. Nernst vor: „über ein neues
Prinzip der Molekulargewichtsbestimmung".
Wie sei er kündigt einen kurzen Aufsatz an: „Verbesserungsvorschläge
zu Euripides."
Sauppe legt eine „Etymologische Mittheilung Sfjfiai- (2^jna) Zeichen" von
Herrn Professor Leo Meyer in Dorpat, Korrespondenten der Gesellschaft, vor.
Ueber ein neues Prinzip der Molekular-
gewichtsbestimmung.
Von
W. Nernst.
Vorgelegt von Ei ecke.
Bekanntlich können bei gleicher Temperatur nur dann ver-
schiedenartige Gremische miteinander im Gleichgewicht sein, wenn
der gesättigte Dampf jedes derselben gleiche Zusammensetzung
und Dichte besitzt.
Zwei derartige coexistierende „Phasen", um den von W. Gibbs
eingeführten Ausdruck zu gebrauchen, sind z. B. ein fester Körper
in Berührung mit seiner gesättigten Lösung in irgend einem Lösungs-
mittel. Der Dampfdruck des festen Körpers ist also ebenso groß,
wie der Partialdruck dieses Körpers in dem über seiner gesättigten
Nachrichten von der K. Q. d. W. zu Göttingen. 1890. Nr. 8. 5
&8 W. Nernst,
Lösung in einem beliebigen Lösungsmittel lagernden Gasgemische.
Ersterer ist in den seltensten Fällen direkt zu bestimmen ; letzteren
hingegen könnte man unschwer ermitteln, wenn man die stets ge-
sättigt erhaltene Lösung isotherm abdestillieren läßt. Dieselbe
liefert dann ein (xasgemenge, in welchem die Bestandteile im Ver-
hältnis des gesuchten Partialdrucks des gelösten Körpers zum
Dampfdrucke -des Lösungsmittels stehen; den letzteren kennt man
aber mit Hülfe der van't Hoff'schen Dampf druckformel aus der
Konzentration des gelösten Körpers und dem Dampfdruck des
Lösungsmittels , und wird so der Dampfdruck des festen Körpers
der Messung zugänglich.
Auf zwei Flüssigkeiten A und B, die sich gegenseitig nur
theilweise lösen, angewendet, führt das eingangs erwähnte Theorem
zu dem von Konowalow1) begründeten Satz , daß sowohl die
gesättigte Lösung von A in B wie diejenige von B in A Dampf
von gleicher Zusammensetzung und Dichte entsendet.
Lösen sich die beiden Flüssigkeiten einander nur wenig, so
läßt sich ihr Dampfdruck aus der van'tH off sehen Dampfdruck-
formel berechnen , wonach die relative Dampfdruckerniedrigung,
Welche ein Lösungsmittel durch Auflösen eines fremden Körpers
erfährt, gleich der Anzahl Moleküle des gelösten Körpers zu der
des Lösungsmittels ist. Enthält nämlich die Flüssigkeit A b Mole-
küle von B auf 100 eigene, und ebenso die Flüssigkeit B a Mole-
küle von A auf 100 eigene bei gegenseitiger Sättigung, so besteht
zwischen den Dampfdrucken P0 und p0 der reinen Lösungsmittel und
denen P und p nach ihrer gegenseitigen Sättigung die Beziehung
w P " 100' p "' 100"
Sowohl die von v a n't H o f f wie die von Planck gegebene theo-
retische Ableitung läßt es unbestimmt, ob im Nenner P oder P0
bez. p oder p0 einzusetzen ist. Da aber Raoult's wie Beck-
m a n n's experimentelle Forschungen für die unter (1) gegebene
Form sprechen, so soll mit ihr im Folgenden gerechnet werden.
Beschränkt man sich auf große Verdünnungen, in unserm Falle
auf einander nur verschwindend wenig lösende Flüssigkeiten, so
wird natürlich P und P0 bez. p und p0 einander äußerst nahe gleich.
Es entsendet also jede der beiden Lösungen JL und B Dampf
von der Zusammensetzung den Drucken P0y™ — r + Atää — "
1) Wied. Ann. U 219 (1881).
über ein neues Prinzip der Molekulargewichtsbestimmung. 59
entsprechend. Man kann also aus der gegenseitigen Löslichkeit
von A und B und den Dampfdrücken der reinen Lösungsmittel
die Absorptionskoeffizienten des Dampfes von A gegen-
über B — und vice versa — berechnen.
Bringen wir nun in das System einen dritten, in A und B
löslichen Körper N, so wird er sich im allgemeinen zwischen den
beiden „Phasen" theilen. Ist N in solcher Menge zugegen, daß er
sich in den beiden Flüssigkeitschichten bis gerade zur Sättigung
lösen kann, so vertheilt er sich, wie schon Ostwald1) gelegent-
lich hervorhob, im Verhältnis der Löslichkeit in den beiden flüssigen
Gemischen multiplizirt mit ihren Volumen. In erster Annäherung
wird dies nun auch der Fall sein, wenn N in geringerer Menge
zugegen ist. Es würde dies, wie nebenbei bemerkt sei, genau
der Fall sein , wenn der Dampf von N gegenüber A und B dem
Henry' sehen Absorptionsgesetze folgte.
Bleiben wir aber bei der vereinfachenden Voraussetzung stehen,
daß N in A leicht , in B schwer löslich sei , also großentheils in
das Flüssigkeitsgemisch A übergeht, gegenseitige chemische Ein-
wirkung hier wie im Folgenden ausgeschlossen. N sei gelöst in A
zur Konzentration n Moleküle auf 100 von A, in B hingegen sei
seine Konzentration nahezu null; A hat also die Fähigkeit, den
Körper N B zu entziehen , wie bekanntlich z. B. eine wässerige
Jodlösung mit Aether geschüttelt, fast ihr gesamtes Jod an jenen
abgiebt. Infolge des Dazwischentretens von N mögen sich nun
die oben eingeführten Größen P, p, a, b in P', p', a', b', verwan-
deln. Nach van'tHoffs Formel erhalten wir
M Po-? _ * + K Po-Pf _ a>
P' 100 ' p 100*
Wir machen nun die Voraussetzung , daß der Dampf von A
gegenüber B und vice versa dem Henry' sehen Gasabsorptions-
gesetz folge — , eine Voraussetzung, welche nach van'tHoff2)
damit identisch ist, daß beide Flüssigkeiten in Lösung wie im
Gaszustande das gleiche Molekulargewicht besitzen, und welche
in der übergroßen Mehrzahl der Fälle (von Elektrolyten abgesehen)
erfüllt ist. Dann wird
a a' b
(3) p — pM
P P
1) Lehrbuch d. allg. Chemie I S. 402 (1885).
2) Zeitschrift f. physikal. Chemie 4 S. 488 (1887).
5*
60 W. N ernst,
»
Führen wir in (3) die aus (1) und (2) berechneten Werte von
P, P' p, p ein, so wird
g— a' n + b'—b b V
W a' ~~ 100 + b ' 100 + a =" 100 + a"
a, a', &, 6' sind klein gegen 100; wenn also a sich auch erheblich
(etwa 10 %) ändert, so wird trotzdem b' von b nur äußerst wenig
verschieden sein ; können wir außerdem b gegen 100 vernachlässigen,
so wird einfach
a — o! n
(5) ~d~~ ~~ 1Ö0
in Worten : die relative Löslichkeitserniedrigung, welche A durch
Auflösen eines fremden Körpers gegenüber B erfährt, ist gleich
der Anzahl Moleküle des gelösten Körpers zur Anzahl Moleküle
des Lösungsmittels A.
Ersetzen wir Flüssigkeit JB durch das Vakuum, so tritt an
Stelle der Löslichkeit die Dampftension von A, und obige Formel
geht in die bekannte v a n't H o f f - P 1 a n c k' sehe Dampf druckformel
über. Die Analogie zwischen den Vorgängen der Auflösung und
Verdampfung tritt also auch hier deutlich zu Tage, und man kann,
wie ich bereits gelegentlich andeutete *) , zu den Gleichungen (4)
und (5) einfacher dadurch gelangen, daß man auf die gegenseitigen
„Lösungstensionen" der beiden Flüssigkeiten die für die Dampf-
tension gefundenen Beziehungen durch Analogieschluß einfach über-
trägt. Es liegt nahe, auch für die „elektrolytische Lösungstension"
nach ähnlichen Beziehungen zu suchen.
Beobachtungen, an denen die Eichtigkeit von Formel (5) zu
prüfen wäre, liegen, soviel mir bekannt, nicht vor. Eine dies-
bezügliche Experimentaluntersuchung bot auch aus dem Grunde
einiges Interesse, weil Gleichung (5) zu einer neuen Gattung von
Molekulargewichtbestimmungen für in Lösung befindliche Körper
führt. Aus der Abnahme der Löslichkeit kann man darnach das
Molekulargewicht in ähnlicher Weise berechnen, wie aus der Ab-
nahme des Dampfdrucks und dem Sinken des Gefrierpunkts des
Lösungsmittels .
Zu einer genaueren quantitativen Prüfung wäre es erwünscht
gewesen, zwei Flüssigkeiten aufzufinden, die sich gegenseitig nur
wenig, etwa 1—2 %, lösen und von denen die eine in der andern
1) Zeitschrift f. physikal. Chemie 4 383 (1889).
über ei neues Prinzip der Molekulargewichtsbestimmung. 61
scharf analysiert werden kann. Wäre die Ausführung der Analyse
gleichzeitig eine bequeme und schnelle , so würde diese Methode
vielleicht im Laboratorium praktische Anwendung finden können.
Wenn sich eine solche Versuchanordnung nun auch noch nicht hat
finden lassen , so setzen die Bestimmungen , welche mit den nach-
folgend aufgeführten Lösungsmitteln angestellt sind, doch wenig-
stens die Richtigkeit der abgeleiteten Beziehungen außer Zweifel.
Als Flüssigkeit B, dem gegenüber die Löslichkeit des Lösungs-
mittels zu bestimmen ist, diente in allen Fällen Wasser.
1. Valeriansäure.
Valeriansäure empfahl sich zunächst wegen ihrer leichten Ana-
lysirbarkeit , indem sie mit Phenolphtalein als Indikatur scharf
mittelst Kalilauge titriert werden kann. Die gesättigte wässerige
Lösung enthält etwa 5 % der Säure. Leider ist das Arbeiten mit
diesem höchst übelriechenden Körper ein sehr widerwärtiges und
außerdem seine Reindarstellung nicht einfach.
Ich verwendete ein von Dr. König -Leipzig bezogenes Prä-
parat vom spezifischen Gewicht 0.928 bei 15 ° ; 5 cc desselben mit
10 cc Wasser geschüttelt brachten letzteres auf den Säuretiter
0.541 normal. Die Säure war nicht einheitlich, sondern vermutlich
ein Gemisch isomer Säuren; wendete ich statt 5 cc Säure 3 bez.
8 an, so ergab sich der Titer der wässerigen Lösung 1 % kleiner
bez. 1.5 % größer. Aber indem ich stets unter gleichem Verhältnis
von Säure zu Wasser arbeitete, nämlich immer 5 cc Valeriansäure
in einem kleinen Reagenzgläschen mit 10 cc Wasser schüttelte,
erhielt ich anscheinend wohl vergleichbare Resultate; ihre ver-
hältnismäßig unerwartet gute Uebereinstimmung mit obigen Formeln
veranlaßt mich, die folgenden, ursprünglich nur zur eigenen Orien-
tierung angestellten Versuche kurz mitzuteilen.
Dieselben sind bei 13° angestellt; die Löslichkeit der reinen
sowie der mit fremdem Zusatz versehenen Säure wurde in der
Weise ermittelt, daß nach der Abscheidung einer klaren wässe-
rigen Lösung unter der leichteren Valeriansäure 2 cc vorsichtig
abpipettiert und mit Kalilauge titriert wurde; die Versuchsergeb-
nisse sind in der folgenden Tabelle niedergelegt. Kolumne I ent-
hält die in Valeriansäure gelösten, in Wasser unlöslichen Körper N,
deren Einfluß auf die Löslichkeit derselben untersucht werden
sollte; II enthält die Molekulargewichte, HI die Mengen x in g,
welche zu den 5 cc Valeriansäure hinzugefügt wurden , IV die
beobachteten Löslichkeiten L , d. h. die Anzahl cc Kalilauge , die
2 cc der wässerigen Lösung entsprachen.
62
W. Nernst,
I
N
II
M
Tab.
in
X
I.
IV
L
V
L—L M
L x
VI
Jfber.
Benzol
78
0.182
9.90
25.2
75
»
78
0.431
9.39
20.9
89
Chloroform
119.5
0.150
10.17
24.2
118
Menthol
156
0.246
10.11
23.6
161
Campher
152
0.160
10.18
27.9
132
T)
152
0.970
8.81
29.7
123
Xylol
106
0.376
9.76
20.9
122
Stearinsäure
284
0.165
10.34
23.4
291.
Tab. I lehrt zunächst, daß im Sinne unserer Entwickelungen die
Löslichkeit infolge fremden Zusatzes stets kleiner wird, da L0
die Löslichkeit der Valeriansäure ohne fremden Zusatz 10.48 be-
trug. Zur quantitativen Prüfung schreiben wir Grl. (5) in der Form
m L°~~— - °°m - 245 -
102 ist das Molekulargewicht der Valeriansäure und 4.13 die An-
zahl g, welche x g des fremden Zusatzes gelöst enthielten, indem
von den 5 cc Säure = 4.64 g 0.51 g an das Wasser abgegeben
wurden. Der Ausdruck — ^ — • — ist in Kolumne V berechnet ;
L x
der theoretische Wert dieser Konstante beträgt 24.5 und that-
sächlich weisen die Zahlen der Kolumne V eine immerhin bemerkens-
werte Konstanz auf und entfernen sich von dem theoretischen
Werte nicht zu sehr. Als wahrscheinlichsten empirischen Wert
der Konstante wähle ich 24 ; berechnet man mit dieser umgekehrt
die Molekulargewichte M , so findet man die unter VI verzeich-
neten Zahlen. Man erkennt, daß obige Methode trotz ihrer rohen
Form immerhin auch praktisch brauchbare Werte liefern kann;
an Handlichkeit ließe sie wenig zu wünschen übrig, da man ja
das gesuchte Molekulargewicht mittelst einer Titration findet, doch
stehen einer Anwendbarkeit die unangenehmen Eigenschaften der
Valeriansäure sehr im Wege.
Aether.
In Ermangelung besserer Methoden bestimmte ich den Aether-
gehalt der wässerigen Lösungen aus ihrem spezifischen Gewicht.
Ein Pyknometer der Sprengel- Ost wald' sehen Form enthielt
mit Wasser von 18 ° gefüllt 20.038 g ; als anstatt Wasser eine mit
über ein neues Prinzip der Molekulargewichtsbestimmung. 63
Aether gesättigte wässerige Lösung unter besonderen Vorsichts-
maßregeln, um Verdunstung zu vermeiden, eingeführt wurde, sank
sein Gewicht um 284.3 mg, und als Wasser anstatt mit reinem
Aether in Berührung mit Aether, welcher einen fremden, in Wasser
nicht löslichen Körper enthielt, gebracht wurde, war die Gewichts-
abnahme d stets kleiner als 284.3 mg, zum Zeichen, daß weniger
Aether an das Wasser abgegeben war. Man kann d unbedenklich
dem Aethergehalte proportional setzen , und so wird Gl. (5) für
diesen Fall
d • 74 • ol
M =
(284.3 — d)
wo ol die Anzahl g des fremden Körpers auf 1 g Aether, und 74
das Molekulargewicht des Aethers bedeutet.
Tab. IL
I
II
in
IV
V
N
M
a
d
M ber.
Benzol
78
0.078
265.5
81
n
78
0.212
235.0
75
Chloroform
119.5
0.083
269.6
113
Jod
254
0.087
276.3
222
Jodoform
394
0.095
279.8
437
Tab. II zeigt, daß auch hier die Löslichkeitserniedrigung der
Theorie entspricht und daß dieselbe nach Maßgabe der Molekular-
gewichte der Körper N erfolgt. Die Abweichungen zwischen den
gefundenen und den thatsächlichen Molekulargewichten liegen inner-
halb der hier recht beträchtlichen Fehlerquellen bei Bestimmung
von d. Der Jodmolekel kommt nach obigem in ätherischer Lösung
die Molekulargröße J2 zu, entsprechend den jüngst von Beck-
mann nach der Siedemethode erhaltenen Resultaten.
Phenol.
Phenol und Wasser lösen sich gegenseitig in zu beträchtlicher
Menge, um einen genaueren Anschluß der Gl. (5) an die Erfahrung
zu erwarten; gleichwohl ließ sich auch hier sicher nachweisen
1) daß in Phenol gelöste Körper dessen Löslichkeit in Wasser
ihrem Molekulargewicht umgekehrt proportional erniedrigen, 2) daß
die absolute Größe dieser Erniedrigung sich annähernd aus den
Molekulargewichten des Lösungsmittels (Phenol) und der gelösten
Körper (Benzol, Chloroform, Jodoform) berechnen läßt. Die Ana-
lyse des Phenols im Wass er geschah aus dem Brechungsvermögen
64 W. Nernst,
der wässerigen Lösung, welches ich mit Hülfe des handlichen
Pulfrich' sehen Totalreflektometers bestimmte.
Aethylacetat.
Auch bei diesem Lösungsmittel überzeugte ich mich leicht
durch Bestimmung des Brechungsvermögens der wässerigen Lösung,
daß Zusatz eines fremden Körpers die Löslichkeit des Aethylacetats
in Wasser herunterdrückt.
Zur quantitativen Messung der hier obwaltenden Verhältnisse
bot sich jedoch ein anderer Weg dar, welche an Sicherheit und
Bequemlichkeit wenig zu wünschen übrig läßt. Kühlt man näm-
lich ein Gemisch der gegenseitigen Lösungen von Wasser und
Aethylacetat ab, so wird offenbar Eis bei der Temperatur auszu-
frieren beginnen, welche der durch die Konzentration des in das
Wasser übergegangenen Aethylacetats hervorgerufenen Gefrier-
punktserniedrigung entspricht. Löst man nun im Ester einen
andern, in Wasser unlöslichen Körper auf, so wird nach unsern
Formeln die Konzentration des Esters im Wasser eine geringere
werden und demgemäß der Gefrierpunkt steigen. Unter der
nahe zutreffenden Voraussetzung, daß die Gefrierpunktserniedri-
gung, die das Wasser durch seinen G-ehalt an Ester erfährt, jenem
proportional ist, wird nach Gl. (5)
t0 — t m
t 100 • M \
wo t0 und t die Gefrierpunktserniedrigungen des Wassers vor und
nach dem Zusatz eines fremden Körpers zum Ester, m die Anzahl
Gramme des fremden Körpers auf 100 g Molekeln des Esters und
M das Molekulargewicht des fremden Körpers bedeuten.
Aethylacetat besitzt in Wasser ein normales Molekulargewicht ;
Messungen nach Raoult's Methode, die ich mittelst des von
Beckmann angegebenen Apparats ausführte, lieferten für die
Molekulargröße dieses Körpers bei Erniedrigungen von 0.371 und
1.11° die Werte 86 und 88, dem aus der Formel des Esters be-
rechneten (88) entsprechend. Indem ich zu Wasser so lange
Aethylacetat zusetzte, bis letzteres ungelöst blieb und somit der
Gefrierpunkt unabhängig von dessen Menge wurde, ermittelte ich,
daß bei — 2.430°, dem Gefrierpunkte einer gesättigten wässerigen
Lösung, 10 g Wasser 1.1 g des Esters lösen. Wasser wird vom
Ester nur wenig (2 — 3 %) gelöst.
Die Messungen wurden nun in der Weise ausgeführt, daß ich
20 cc Aethylacetat = 18.02 g und 4.4 g Wasser in Beckmanns
über ein neues Prinzip der Molekulargewichtsbestimmung. 66
Gefrierapparat einführte ; dann gehen 0.4 g Wasser in den Ester,
und die zurückbleibenden 4 g Wasser lösen ihrerseits 0.44 des
Esters. Nach Bestimmung der Temperatur, bei der Wasser aus-
zufrieren beginnt und das Thermometer einen konstanten Stand
annimmt, wurde der in Wasser unlösliche Körper, dessen Einfluß
auf die Löslichkeit des Aethylacetats untersucht werden sollte, in
successive immer größeren Mengen zugeführt, wobei ich genau, wie
von Beckmann beschrieben1), verfuhr. Die Bestimmung des
Gefrierpunkts konnte mit aller Schärfe, bis auf wenige tausendstel
Grad, geschehen, und zwar nach meinen bisherigen Erfahrungen
mit größerer Genauigkeit, als dies bei der Bestimmung des Gefrier-
punkts gewöhnlicher Lösungen möglich ist. Es rührt dies wohl
daher, daß man bei diesen Eis nicht in größerer Menge ausfrieren
lassen kann, ohne gleichzeitig die Konzentration der Lösung erheb-
lich zu ändern, was wiederum auf den Gefrierpunkt zurückwirkt;
um aber konstante Temperatur zu erzielen, darf wieder die Menge
des ausgeschiedenen Eises nicht unter eine gewisse Größe sinken.
Wenn hingegen bei meiner Versuchsanordnung Wasser selbst in
größeren Mengen ausfriert, so ändert sich die Konzentration des
Esters, auf die es allein ankommt, äußerst unbedeutend. Wesent-
lich aber ist ein energisches Umrühren der beiden im Gefrier-
apparat vorhandenen Flüssigkeitsschichten , damit der etwas kom-
plizierte Gleichgewichtszustand zwischen den drei Körpern, die
zugegen sind, sich richtig einstellt.
Folgende Tabelle enthält die Versuchsresultate.
Tab.
in.
I
II
in
IV
V
N
M
m
t~i
M ber.
Benzol
78
395
0.123
74
580
0.170
77
890
0.245
79
Naphthalin
128
309
0.061
120
417
0.078
126
710
0.118
139
1180
0.184
144
Phenylbenzoat
198
195
0.022
213
835
0.081
242
Wie man sieht, ist die Uebereinstimmung zwischen den durch
die Gefrierpunktserhöhung gemessenen und den nach der chemischen
1) Zeitschrift f. physik. Chemie 2 (1889).
66 Friedrich Wieseler.
Formel berechneten- Molekulargrößen nahe ebenso gut, wie es bei
den nach Kaoult's Methode ermittelten Molekulargewichten der
Fall ist. Abweichungen bis zu 10 % kommen auch dort vor, ohne
daß man sie sich erklären könnte. Größer scheinen die Abweichungen
hier auch nicht zu sein, und beim Phenylbenzoat dürfte bei noch
größerer Verdünnung der normale Wert erreicht werden. Es
scheint so thatsächlich ermöglicht, Lösungsmittel wie Aethyläther,
Aethylacetat u. dergl. zur Molekulargewichtsbestimmung im Gefrier-
apparate zu verwenden ; doch darf nicht verschwiegen werden, daß
die Gegenwart eines dritten Körpers außer Lösungsmittel und ge-
löstem Körper, des Wassers, bisweilen zu weiteren Komplikationen
Veranlassung geben kann.
Wichtiger aber als die Aussicht, zu den bereits ziemlich zahl-
reich vorhandenen Methoden der Molekulargewichtsbestimmung von
in Lösung befindlichen Körpern neue hinzuzufügen, scheint mir die
durch die mitgetheilten Messungen wohl außer Zweifel gesetzte
Thatsache zu sein, daß die von dem Vorgange der Verdampfung
auf den der Auflösung in beliebigen Lösungsmitteln durch Analogie-
schluß übertragenen Gesetzmäßigkeiten, wie schon früher wieder-
holt, so auch hier an der Erfahrung sich bestätigen.
Verbesserungsvorschläge zu Euripides.
Von
Friedrich Wieseler.
Medea.
Die Vorschläge für die Medea sind meist unmittelbar nach
dem Erscheinen der Arnim'schen Ausgabe dieses Drama geschrieben
und in Beziehung auf dieselbe. H. von Arnim hat, wie auch an-
dere Herausgeber, keine Kunde gehabt von meiner Recension der
Schöne'schen Ausgabe der Medea in den Götting. gel. Anzeigen 1855
S. 1659 fg. Ich werde in dem Folgenden auch diejenigen von mir
selbständig vorgeschlagenen Verbesserungen aufführen, die von
ihm nach Anderen in den Text aufgenommen sind. Der hier aus-
geschriebene Text und die Verszählung sind nach der Nauck'schen
Ausgabe.
Vs 158
sagt der Chor zu Medea:
Zsvg 0oi t68s öwdixtfäsi.
Verbesserungsvorschläge zu Euripides. 67
Darauf Medea:
a> [isyccÄcc, ®spi xai itoxvi " Aqxs\ii
XsvGtisx et Ttaöpa.
Endlich ihre Amme zum Chor:
xkvsfir ola ksyst xccTtifioaxai
&i{iiv svxxaiav Zf(vd $ og oqxcov
ftvaxolg xa\x(ag vsvo\iiGxoli ;
Daß man an den Worten der Medea keinen Anstoß genommen
hat, ist mir unbegreiflich. Man hat zur Erklärung der Anrufung
der Artemis gesagt: „ zu Artemis stand Medea in einem speciellen
Verhältniß, da sie in den Tlshddsg des Euripides als Priesterin
derselben auftrat". Es läßt sich noch hinzufügen, daß Artemis
auch sonst als über das Thun der Menschen Aufsicht übend und
ihre Frevel strafend vorkommt. Ob aber die vorliegende Stelle
hierher gehört, ist mir mehr als zweifelhaft. Wie kommt es, daß
die Amme von der Artemis gar nicht spricht ? Mit welchem Scheine
kann man sagen: „ der Relativsatz og oqxov u. s. w. soll rechtferti-
gen, daß die Amme hier den Zeus nennt, obgleich Medea ihn nicht
namentlich angerufen hatte?" Das könnte ja ganz aussehen wie
ein Vorwurf gegen Medea, der um so schwerer wiegen würde, als
der Chor unmittelbar vorher ihr den Zeus genannt hatte. Daß
aber Medea den Zeus nicht etwa absichtlich ignorirt, geht hervor
aus ihren Anrufungen in Vs 332 und 764 <b Zsv ACxr\ xs Z^vög.
Vgl. auch was der Chor Vs 207 fg. sagt. Sicherlich waren in
Vs 160 Zeus und Themis erwähnt, nicht aber Artemis. Ich schlug
in den Grötting. gel. Anz. a. a. 0. S. 1660 vor:
g) psydXs Zsv itöxvid x' (5 ®s{ii,.
Noch leichter würde es sein zu schreiben:
a psydls Zsv xai itoxv tag @s pi.
Die seltenere Form noxväg für %6xvia findet sich bei Euripides
auch Orest. Vs 318.
Vs 282 fg.
lassen die Handschriften den Kreon zu Medea sagen:
ösöoixd 0% ovdsv dst TtttooLpTtsysiv Xöyovg,
[itf poC xi ÖQcc^fjg itald' dvr\xsdxov xaxöv,
GmißdAÄsxai, ös rtöXAcc xovös dsipccxog.
Daß in dem letzten Vers ein Fehler steckt, ist schon längst be-
merkt. Weil hat für ömißdXXsxcu vermuthet dvXXaiißdvst und H.
von Arnim dieses, obwohl zweifelnd, in den Text aufgenommen.
Er vergleicht Vs 946:
6vXXr}iljoiicct, ds xovös 6ov xayfo rtövot.
Diese Stelle ist aber wesentlich verschieden. Ich habe in den
68 Friedrich Wieseler,
Gott. gel. Anz. a. a. 0. S. 1661 vermuthet, daß für dsinatog zu
schreiben sei: d Elypa % a, ein Wort, das auch sonst bei Euripides
vorkommt: „es treffen aber viele Anzeigen dafür zusammen".
Vs 336 fg.
MH. pi} drjtcc tovtö y\ alld <? ahov[icu, Kqeov —
KP. oyXov %aqi%Eig^ ag soixag cb yvvav.
MH. cpEv^ovpsft' ' ov rov-fr' IXEXEVÖa 6ov xvyEiv.
KP. xi tfav ßtd^SL xovx ärtaXlatieiEi x&ovog;
Man nimmt an, daß Medea von Kreon Vs 337 unterbrochen werde.
Ich möchte lieber in Vs 336 für alld schreiben: aXXa. Dafür
spricht meines Erachtens auch Vs. 338, in Betreff dessen bei den
Erklärern ein merkwürdiges Stillschweigen herrscht. Ich kann
die Worte ov xovtf u. s. w. nicht verstehen und glaube , daß in
6ov xv%eiv ein Fehler steckt , daß ursprünglich geschrieben war :
6'evxv%eIv „nicht um in Betreff dieses, des cpsvyeG&ai) gutes
Gelingen zu haben". Bei dem Worte aixov[iai soll Medea Kreons
Hand ergreifen. Für %&ov6g in Vs. 339 soll zu schreiben sein :
%EQog. Bei dem Ixexeveiv fanden allerdings verschiedene Geberden
statt, auch das Fassen der rechten Hand, vgl. Eur. Hec. 752 fg.
' Ay&yLEp,vov, lxsxevco 0e x&vds yovvdxmv
Kai 0ov yEVEuov ös^iäg x EvdaCpovog.
Aber das Berühren der Knie ist die hauptsächlichste und daß
dieses hier gemeint ist, geht nicht allein hervor aus Vs 324, son-
dern auch aus Vs 370 :
01)6* CCV 7lQ06El7tOV OVO' CCV fllbd{ir}V %SQOLV.
Ist also x&oiög verderbt, was auch ich für wahrscheinlich halte,
so wird %Qo6g zu schreiben sein, was der handschriftlichen Les-
art auch noch näher steht als %SQÖg. Xofog ist vom ganzen Körper
auch unten Vs. 689 und 787 gebraucht.
In Vs. 339 ist mit Andern xi d'ovv zu schreiben.
Vs 460
habe auch ich schon vorlängst tb 6ov ds für xoöövds vermuthet.
Vs 584
hat nach H. von Arnim (S. 117) „die Interpunktion nach 6v, welche
der Stelle erst recht aufhilft, zuerst Witzschel gesetzt". Ich be-
hauptete schon in den Gott. gel. Anz. a. a. 0. S. 1661 fg., daß zu
schreiben sei: mg xal 6v'^ vvv-ysvrj, während Schöne heraus-
gegeben hatte: ag xal 6v plr vvv — cpavst.
Vs 656
hat nicht bloß Nauck sondern auch H. von Arnim Musgrave's
cixuöEv statt des handschriftlichen ohne Zweifel verderbten $xxsiqs
Verbesserangsvorschläge zu Euripides. 69
in den Text gesetzt. Ich habe schon in den Gott. gel. Anz. a. a. 0.
S. 1662 als das Wahrscheinlichste vorgeschlagen: o ixte qsv, mit
der Bemerkung, daß dieselbe Form auch bei Aeschylos Fragm. 210
Vs. 6 Herrn, vorkomme. Dasselbe möchte lieber Nauck in der
1871 erschienenen Ausgabe des Euripides Vol. II, p. XXIV.
Vs 695
bezeichnet H. von Arnim das von ihm aufgenommene ft?j itov als
„Emendation von Schenkl". Auch ich habe selbständig in den
Gott, gel. Anz. so geschrieben.
Vs 723 fg.
steht in den Handschriften als von Aegeus zu Medea gesprochen
ovrca fteisi poi,' 6ov [nlv itöovörjg x&övcc,
TtEiQ&GoyLoC 60V jcqo^svsIv dixaiog ibv.
Ich habe schon in den Gott. gel. Anz. a. a. 0. bemerkt , daß x&öva
allein unmöglich geduldet werden kann, sondern Aegeus sein
Land ausdrücklich bezeichnen muß. Von den beiden dort vor-
geschlagenen Aenderungen ist die leichteste und wahrscheinlichste
'ftov für 6ov.
Vs 734 fg.
sagt Medea zu Aegeus :
tff'jtofctftr TlskCov ff ix&Qog &6tC poi döpog
Koecjv ts, Tovtoig & 6qxlol6c yisv £vy£Lgt
ayovtiiv ov {is&el' äv ix yaCag ip,4"
X6yoig de övpßäg firj ftecbv iv6^iotog
(pCXog ysvoC av xcc7tLxr}Qvxev[iccTa
tax ccv Tti&ot, 6e.
Für [iii bieten in Vs 737 die Handschriften xccl, für xcatLxrjQvxev-
Ilcctu in Vs 738 xa7UxriQvx£V{ia6i, jenes las aber der Scholiast.
In Vs 739 steht anstatt rcfy' in den Handschriften ovx und
bieten dieselben tcl&oio statt tii&ol 6s,
In dieser schwierigen Stelle habe ich in den Gott. gel. Anz.
a. a. 0. S. 1663 , indem ich Vs 735 und 736 unverändert ließ , in
Vs 737 für xccl fteüv avapotog geschrieben : xaxä &sav ccvd)(iotog.
Die Redensart b^vvvm xoctd xivog ist ja bekannt.
Für cpttog in Vs 738 schlug Nauck vor <prj^6g. Allerdings ist
jenes Wort sicherlich verderbt. Aber ein Wort mit dem Begriffe
von „betrügerisch" darf man doch schwerlich der Medea dem Aegeus
gegenüber in den Mund geben, wohl dagegen eins, durch welches
Beweglichkeit, Schwanken bezeichnet wurde. Sollte etwa 6<prjlbg
geschrieben gewesen sein? Bei Hesychios finden wir: 6yr\k6v
Aoj-öV. nvxvov. dxivtixov. "Adyr{kQv öl tö äxivt^tov, also = äö<pccXsS'
70 Friedrich Wieseler,
Stesichoros nannte den Herakles sQLöcprjXog, „sehr erschütternd",
nach Etym. Magn.
Im letzten Verse ist Ttiftoio nicht zu ändern, wenn man nur
die handschriftliche Lesart %(X7tixriQvx£v[ia6i im vorletzten annimmt.
Für ovx im letzten Verse paßt recht wohl rcfy', „vielleicht wohl";
doch würde l*i leichter sein.
Vs 773
sagt Medea zum Chor:
de%ov ös {iri 7tQog f}dovi}v Xöyovö.
Man deutet : erwarte nicht, daß ich Fröhliches sagen werde. Dieser
Gedanke ist meiner Ansicht nach unpassend. Ich schlage vor, für
^ zu schreiben: ftot, „nimm meine Worte so auf, wie es mir
Freude macht, wie ich es wünsche".
Vs 789
bieten die Handschriften:
toiolgds %Qi6(Q (paQ[icixoig da)Qrj{iccza.
Daran hat keiner der Erklärer Anstoß genommen, wohl aber ein
Mitglied meines archäologischen Seminars, welches in einer Arbeit
über das Scenische in der Medea richtig bemerkte, daß die Sprecherin
im Folgenden die Bühne nicht verläßt. Der Anstoß wird beseitigt,
wenn man mit mir schreibt : r oiotäd' £%Qt,6a.
Vs 1065
xccl örj jtl xqcczI ötEtpccvog, iv 71B7cIol6l dl
vv[icpr} rvQavvog öAAvrca, <5acp oid' iyd).
Da Kreusa ebensowohl durch den Kranz auf dem Haupte ' als
durch das angelegte Grewand ihren Untergang fand (s. Vs 784 fg.,
983, 949 fg.), so ist es wahrscheinlich, daß geschrieben war:
ötiyuvov (sc. £%ov6a) iv itmloiGi rs.
Vs 1077 fg.
sagt Medea zu ihren Kindern nach den besten Handschriften:
%G}QSZTS %G)QelT • OVxit ti\Jb\ JtQOößlSTtSlV
olcx, V ig v[iäg, allä vLX(b[ica xaxotg.
Man hat hier mit Recht an der Verbindung von TtQoßßkiiteiv mit
ig Anstoß genommen und Prinz deshalb vorgeschlagen: re itaid ccg.
Aber leichter ist es doch jedenfalls zu schreiben : styl nag fikiiteiv.
Daß die Kinder nach xcjqsZt' und vor ovxev schon fortgegangen
sein sollten, hat zudem keine Wahrscheinlichkeit.
Vs 1121
redet der Trabant des Iason die Medea an mit den Worten i
in deivbv igyov 7taQccv6[ia)g elgya^fievri.
VerbesseruDgsvorschläge zu Euripides. 71
Dieselben sind von Lenting für unecht erklärt und ihm stimmt
H. von Arnim bei, indem er bemerkt, der Hauptgrund liege in
itccQccvopcog , welches für Medeias That im Munde des Boten ein
armseliger Ausdruck sei. Daß Tcagavö^iag durchaus nicht passe,
gebe auch ich zu. Aber läßt sich nicht an ein Adverbium denken,
das „unsinnig, wahnsinnig" bedeutete? Das Nächststehende wäre
wohl 7taQccvÖG)g. Das Adjektiv Ttagdvovg findet sich in Aeschyl.
Agam. 1134.
Vs 1157 fg.
berichtet der Trabant des Iason über dessen Gemahlin der Medea :
&XX TJVSö' CCVÖQi 71CCVTCC' Ttul TCQIV 6X ÖÖ^ICOV
liaxgäv ajtsivcu Ttatega xal Ttaldag 68dsv,
kaßovöa 7tS7tXovg icoixCkovg r\^itC6isto.
In den besten Handschriften steht tc&xsqu xal texva tie'&sv, welches
letzte Wort im cod. Laurent, fehlt, während der cod. S. es bietet.
Die ursprüngliche Schreibart des zweiten Verses ist allerdings
nicht mit Sicherheit zu erkennen. Indessen ist doch wohl das
Wahrscheinlichste , daß icatiga verderbt ist aus xav d Qa, wozu
der Ausfall des v vor d, der sich auch sonst nicht selten findet,
Veranlassung gegeben haben mag.
Vs 1181 fg.:
i}6ri dy av e'Xxcov x&Xov extcH&qov öqo^lol
tayyg ßadiöxrig xeq{i6vg)v äv&7]7Ct€to,
r] d' i% ävavdov xal [ivGavtog ofi^iarog
dsivbv 6T£vd£,a6'> f\ xalaiv r\yeiQSto.
Die handschriftliche Lesart in Vs. 1181 ist ävikxov. Daß weder
dieses noch ekxcjv paßt, ist wohl klar; aber dasselbe gilt auch
von Zqtccov, einer Conjectur Usener's , welche H. von Arnim sogar
in den Text aufgenommen hat. Dagegen scheint uns sehr passend :
äveXfrav. 'AvsQ%£6&ai paßt in der Bedeutung von „zurückkehren"
vortrefflich, da es bei dem dlavkog auf das Wiederanlangen am
Auslaufsziel ankommt. Ja es scheint uns nöthig, daß ausdrücklich
angedeutet war, daß es sich um öiavlov ftätsQov xaXov (Aesch.
Agam. 344) handele. Da ein av nicht fehlen kann, wird mit Mus-
grave in Vs. 1182 av ri%teto zu schreiben sein. Wenn H. von Arnim
den Ausdruck ßadcötrig für auffallend hält, so glaube ich, daß der-
selbe absichtlich gewählt ist, um den Läufer zu Fuß gegenüber
einem ÖQo^isvg, welcher öiäöovg diavXovg titmxovg öltjvvös (Eurip.
Eleotr. Vs. 824) zu bezeichnen.
Daß Niemand an o[i[iatog in Vs. 1183 Anstoß genommen hat,
ist sonderbar. Gewiß war xd)^atog geschrieben. Das pveiv be-
zieht sich hier nicht auf die Augen, sondern auf die Lippen.
72 Friedrich Wiesele*,
Vs 1185 fg.
heißt es weiter über die Grlauke :
di,7tXovv yaQ avtfi 7tr\yb iitsöt qcct svsto.
XQveovg [iev äpipl xquxi xeipsvog %X6xog
&av{jLci6rbv Z$t vä^ia Tta^ifpdyov TtvQÖg'
itinloi de XsrtTOi, 6&v tixvcov öcsQ^ata,
Xiitvriv sdanrov öccqxcc rrjg dvädatiiovog.
(pevyei d' avcctitäö' ix &q6v(ov TtvQOVfiivri.
In Vs. 1188 wird ganz so gesprochen, als gehörte der %qv6ov$
nXöxog nicht zu den tixvcov dc3Qrf[iccTcc. Sicherlich sollten aber
diese Worte auch zu jenen Apposition bilden. Dazu bedarf es
nicht bloß der Veränderung des df hinter itiitXoi in ts, sondern
auch einer, durch welche edccTtrov in Vs 1189 auch zum Prädicat
von %Qv<5ovg %X6xog wird. Zu diesem Behufe genügt eine sehr
leichte Correctur in Vs 1187: ftavuuGtbv tetg. Das [iev in Vs 1186
entspricht dem d' in Vs 1190. Das diTtXovv 7tfj^ia besteht darin,
daß der nXoxog und die iteitkoi Xsvx^v (denn so ist statt XsTtti\v
zu lesen) ZSoutrov GaQxcc und daß Grlauke durch ihr Aufspringen
und ihre Bewegung des Kopfes das Unheil noch vergrößert.
Vs 1204 fg.:
TtatiiQ d' 6 rXtfiicov 6v[iq)0Qäg ayvcoGia
CCq)V(D TtCCQSKd'CDV Öß)(l<X, JtQOÖJtfovSL VEXQG)'
(filia^e d' sv&vg, xal itSQiTttvZag öifiag
xvvet.
IlaQsX&fov in Vs 1205 hat Nauck für das handschriftlich über-
lieferte 7Cqo6sX&c3v eingesetzt. H. von Arnim ist ihm gefolgt, da
dieses nicht das Eintreten bedeuten könne. Unter da^ia könnte
doch wohl nur die Gynaikonitis verstanden sein, die man sich
als im Augenblick offen stehend zu denken hätte, und das hat
wenig Wahrscheinlichkeit. Vermuthlich war ösl^ia geschrieben:
„ Schreckensbild", vgl. deivbv &ea[icc Vs 1202. — Was sv&tig in
Vs 1206 soll, ist gar nicht einzusehen. Ich dachte zunächst an
svvig d. i. kindlos. Ueber dieses Wort und sein Vorkommen
bei den Tragikern: Blomfield's Glossar, in Aesch. Persas vs 294.
Aber es ist noch eine andere Veränderung möglich, ja wahrschein-
licher, nämlich ig tgcg, d.i. dreimal, was auch sonst bei den Tra-
gikern in der Bedeutung von tglg vorkommt.
Vs 1296 fg.
sagte Iason in Beziehung auf Medea:
dsl yaQ viv r\xoi yr\g 6cps xQvy&rivut, xcctci,
ij Ttxvivbv aQcu, Gay? ig cd&SQog ßd&og.
Verbesserungsvorschläge zu Euripides. 73
Da öcpe hier neben viv nicht geduldet werden kann , so hat man
Verschiedenes vorgeschlagen. Ich glaube nun, daß xQvyft^vai
hervorgegangen ist aus dem selteneren Aoristus sec. XQV(pr}vai
(Soph. Aj. 1145) und schlage vor zu schreiben: yr\g vjco XQvyrjvai.
Der Tribrachys an der vierten Stelle finden wir in der Medea
auch Vs 479 und 505.
Vs 1359
bieten die Handschriften:
xal HxvXXav 7] TvQörivbv axrjösv %idov.
Daß das letzte Wort verderbt ist, scheint zweifellos, obgleich
H. von Arnim daran keinen Anstoß genommen hat. Man hat
<57teog, 7t£TQccv, TtitQov vermuthet. Uns ist das Wahrscheinlichste:
tcoqov. Vgl. Lycophr. Vs 1085 : vtieq tcöqov TaQ6r\v6v. Die Ver-
derbniß in iti dov entstand dadurch , daß köqov in IIEPON ver-
schrieben war.
Rasender Herakles.
Vs 861 fg. :
slfit y' ovtb rtovtog ovtco xv\ia6i Gxev&v läßgog
ovrs yrjg 6Ei6{ibg xsQawov i?oi6tQog wdtvccg 7tv£(av,
oV sya ötddta dQa{iov{iccL Gzeqvov stg 'HQccxÄeovg
XOl XCCTCCQQYi^G) [lEAccd'QCC XCCL d6{lOVg BTtS^ßakG)^
xexv ccTtoxTEivccöa 7tQcbTOv' ö ds xavhv ovx sfäetiu
7Caldccg ovg etixt' ivatgcov, tiqIv av ifiäg Xv60ag acpfj,
r[V iöov xal dr\ ttvccGöst, xgära ßalßCöcav aito
xal diccöTQÖcpovg e~M<56el öiya yoQya)7tovg xoQccg,
a[i7tvoag d' ov <5g)<pqovliIei, tavQog wg ig E^ßoXrjv,
öslva pvxaxai öe KrJQctg ävaxaktibv tag TaQtaQov.
Eine außerordentlich verderbte Stelle, in welcher die zahl-
reichen Fehler meist nicht geahnt sind.
Daß man in Vs. 862 oodlvag sich hat gefallen lassen, ist höchst
wunderbar. Ohne Zweifel war von einer besonders gewaltigen
Wirkung des xsQccvvbg die Rede. Der xsQocvvbg setzt die Luft in
Bewegung, bringt Wind, im Besonderen Sturmwind, Wirbelwind
zuwege. Man erinnere sich nur des Wortes itQrjöxtfQ , das sowohl
von diesem als dem Blitze gebraucht wurde, und an die Redensarten
fulminis ventis afflare (Verg. Aen. IV, 246), fulminis turbo (Ammian.
Marc. XVII, 8) , an den xsgavvbg kXixiag (Tzetzes zu Lykophron
Vs 156) , 6 6v0tQO(päg (doch wohl avipov Phrynich. p. 178) xal
shxag Ttoicbv , vgl. Schol. zu Aeschyl. Prometh. Vs 359 bei C. Gr.
Haupt, Aeschyl. quaest. spec. primum p. 264 und 373, und Aristot.
de mundo 4, p. 395 Bekker. So konnte der Dichter sehr wohl
Nachrichten ?oa der K. G. d. W. iu Göttingeu. ,1890. N'o. t. 6
74 Friedrich Wieseler,
ein Hauchen von Wirbelwinden erwähnt haben und das ist der Fall,
wenn man schreibt : xeqccvvov y olötQog ot;, dlvag Ttvicov. Durch
das ys wird der nsgawog sehr passend besonders hervorgehoben.
Was dann Vs 864 fg. betrifft, so ist es schon an sich lächer-
lich, die Lytta sagen zu lassen, daß sie die dopoL auf die nieder-
gerissenen [isAccd'Qa werfen werde. Es widerspricht aber auch
dem Thatbestand, wie wir ihn unten finden, indem das Dach nieder-
gerissen wird, der Palast selbst aber mit Ausnahme einer zer-
brochenen Säule stehen bleibt, vgl. Vs 904 fg. und 1006 fg. dopovg
in Vs 864 muß also verderbt sein. Ferner paßt nicht, daß Lytta
sagt, das Niederreißen der iiila&Qa werde geschehen, nachdem sie
die Kinder getödtet habe, und noch weniger, daß sie sich das
Tödten zuschreibt, da dasselbe . wenn es auch durch ihre Einwir-
kung geschah (Vs 886) , doch ausdrücklich dem Herakles zuge-
schrieben werden müßte, wie es auch in den Worten ö de xavcov
der Fall ist. Die handschriftliche Schreibart äitoKreCvaGa kann
unmöglich richtig sein. Was endlich das JtQ&tov soll , ist gar
nicht einzusehen. Herakles tödtet ja nicht die Kinder zuerst,
wenigstens das dritte erst zugleich mit seiner Gemahlin Me-
gara, vgl. Vs 1000. Das 6v\x%iitxuv ötsyrjg (Vs 905), die tif.Gyi-
\iaxa <5%&yY\g (Vs 1007) haben jedenfalls schon vor der Tödtung
die Kinder statt. Also auch hq&tov kann unmöglich von dem
Dichter herrühren. Ich schlage vor zu schreiben: %al xataQQ^co
lieXccd'QCC nag vööovg (oder xul vo6oig) 6 y iite p, ßalco texv
CCJtOKTSLVS IV tCCQCCXTÖV.
NÖ0OL bezieht sich auf den Wahnsinn, den Lytta einflößt
(Soph. Aj.59: [iccviddsg vöäoi, 452: lv666drig vööog). Mit dem Aus-
druck ig vööovg oder voöoig i^ißdllsiv vgl. man die bekannten
ig vödov 7ti7ttsiv, vööog ipitiitru nvC.
2J(ps soll sich natürlich auf den im vorhergehenden Verse aus-
drücklich genannten Herakles beziehen.
TaQaxtbv bedurfte des Zusatzes von cpQsvag nicht , nicht bloß
deshalb , weil durch vööol der Wahnsinn bezeichnet ist , sondern
auch insofern, als Iris vorher in Vs 835 fg. der Lytta aufgetragen
hatte, dem Herakles einzuflößen [iccviag xccl TtcudoKzövovg cpQsvav
rccQCcynovg.
In Vs 866 hat wenigstens Gr. Hermann Anstoß genommen an
den Worten itylv ccv ipäg Avööccg occpfj. Er vermuthete : i[irjg lv66rig
vyfj. Nach meinem Dafürhalten mußte ausdrücklich bezeichnet
sein, daß Lytta die von ihr eingeflößte Raserei von dem Herakles
genommen habe. Ich schlage also vor zu schreiben: äcpcb, ohne
andersweitige Aenderung.
Verbesserungsvorschläge fu Euripides. 75
Daß man in Vs. 867 den Ausdruck ßcdßidav dito sich hat
gefallen lassen können, ist staunenswerth. Was soll denn der
Gedanke „von der Stufe, Schwelle her", wie man gedeutet hat?
Offenbar war für ßalßldcov geschrieben: Bax%LdG>v. Die Form
Bax%lg gebraucht unter den Tragikern auch Sophokles Antig. 1129.
"A%o wird wohl aus vo^icp entstanden sein, wenigstens ist diese
Herstellung die leichteste, da das v am Anfang des Wortes wegen
des v am Schlüsse des vorhergehenden leicht ausfallen konnte und
% mit jl oft genug verwechselt wird. Doch kann für cctco auch
tQÖ7tov geschrieben gewesen sein. Daß gerade bei den Mänaden
das tLvdöösiv kquxu. in Schrift und Bild besonders hervorgehoben
wird, ist bekannt genug.
Kaum weniger auffallend ist es, daß man an ölya im Vs 868
keinen Anstoß genommen hat. Wie paßt jenes Wort zu den
Worten detvä ^ivKätai im Ys 870? Will man etwa glauben, daß
Herakles beim Verdrehen der Augen noch schweigt, unmittelbar
darauf aber zu schnaufen und zu brüllen beginnt wie ein Stier?
Gewiß sollen das Verdrehen der Augen und das Brüllen gleich-
zeitig nebeneinander ergehen. Statt ölya wird geschrieben ge-
wesen sein: elkka, der adverbial gebrauchte Plural, neutr. von
ötkkog. Dieses Wort kommt vor bei Lucian Lexiph. C. 3 : iyco de,
r\ d9 og, titkkog cb deöJtota yeyivr\\iai 6s 7Lsqioqg)v. Das Verbum öukkovv
erklärt Photius Lex. p. 512, 1 : tovg ocpd'ak^iovg rjQs^a TKxoayeQeiv'
ovtmg " Aq%i%%og. Dieselbe Erklärung giebt Ael. Dion. bei Eustath.
p. 204, 27, indem er nach TcaQatpiostv hinzufügt iv reo dia(pccvki£siv
nal ÖLCCÖVQSIV.
Vs 906 fg.:
r] r] tt $Qäg, et Aibg Tial; iiekd&Qav
TccQCcytia tccotdosLOV, ag
in' 'Eynekddcp Ttoxe Ilakkdg, stg öö^iovg itipitzig.
Daß in diesen Worten des Chors kein Fehler stecke, ist mir un-
glaublich. Wenn dac2g in Vs 906 und itipnug in Vs 908 das
Richtige wäre, wer könnte dann mit Aibg itccl in Vs 906 gemeint
sein ? Man müßte annehmen , daß Lytta bezeichnet sei und etwa
schreiben: Nvxtbg cb itui, also eine ziemlich starke Veränderung
vornehmen , die aber nöthig sein würde , weil es nach Vs 864
keinem Zweifel unterliegen kann, daß das öqüv und das itipitELv
von der Lytta ausgehe. Selbst wenn es glaublich wäre , daß die
in Vs 906 angeredete Person Hera sein solle , unter deren Ein-
wirkung Lytta handele, müßte für nal ein Wort in der Bedeutung
von dapctQ eingesetzt werden. Man kann aber mit einer viel leich-
teren Veränderung abkommen , indem man in Vers 906 schreibt ;
6*
7f> Leo Meyer,
xi ÖQa 0' und in Vs 908 iti^icsi. Dann ist mitz/tös ital Herakles
gemeint und zu dpa und %£\jltiu das Subjekt Lytta, welche noch
Vs 899 ausdrücklich erwähnt wird in den Worten:
OVTIOX* CCKQCCVTCC d6[lOL<3l Av<56tt ßa7i%£V0eL.
Unter usAccd'Qcc ist wie in Vs 864 nur das Dach, die Decke zu ver-
stehen, ebenso wie in Vs 905 und 1007 unter ßtsyrj.
Etymologische Mittheilung.
Von
Leo Meyer.
Uri^iar- (2Jfj fia) , Zeichen'.
Fast alle zunächst zu vergleichenden Bildungen haben im
Griechischen noch lebendige Verbalformen zur Seite, so jjpaT-
,Wurf (II. 23, 891; — $tt IL 1, 382; 2, 309; l^iv IL 3, 12;
21, 158; ftf IL 1, 479; 4, 397), ßfj^iat- , Schritt, Gang' (Aesch.
Ch. 799; Soph. Oed. Kol. 193; EL 163; — sßrj IL 1, 311; 424;
ßij IL 1, 34; 44; ß^v IL 8, 115; 12, 330), -örj^iar- gebun-
denes' (in i)7t6-dr}}iar- , Sohle' Od. 15,369; 18, 361; äv-drj^iar- , Stirn-
band' Pind. Bruchst. 179; - datier 11.5,730; 23,854; öiörj 11.11,
105), ftritiat- , Gesetztes' (Soph. Bruchst. 498 ; auch in ava-&rniar-
,Aufge setzte s , Schmuck' Od. 1, 152; 21, 430; fW-ab^ar- , Deckel'
II. 24, 228; — Zfrrpev II. 1, 2; 3, 330; tC^^lv IL 4,83; 11, 392;
rföri IL 1, 441; 446), vrj[iar- , Gesponnenes , Faden' (Od. 2, 98;
4, 134; — eTt-svrjös IL 20, 128; vr\Uvza Plat. Polit. 282, E; vtjsc
Hes. Werke 777), krj^iar- , Wille, Entschlossenheit' (Pind. Pyth.
3, 25; 8, 45; Nem. 1, 57; 3, 83; Aesch. Sieben 448; 616; 706; —
kfjg Epich. 44; 94, 7; Ar. Lys. 95; kfj Epich. 94, 8; Ar. Lys. 1163),
ar\ p a x - (aus altem ä- privat-) , das Wehen ' (Aesch. Ag. 1418 ; Eum.
905; Soph. Ai. 674; — äprjöt, Her. Werke 516, = altind. vati , er
weht' RV. 4, 7, 10; 10, 142, 4; <^rov IL 9, 5; äfV Od. 12, 325;
14, 458), xtrjiiaT- ,Besitzthum' (IL 3, 70; 72; — K%r\<Saxo Od. 14,
4 ; 450 ; iwcvfiftai IL 9, 402) r6rrjticcT- , das Stehende ' (in Zusamen-
setzungen wie i%i-6%ri\ka%- , das Draufstehende, Grabdenkmal ' Plat.
legg. 12, 958, E ; 6v-6zrniat- ,aus Theilen bestehendes Ganzes ' Plat.
Phil. 17, D; Epin. 991, E; öuk-6%r\\x,ax- Zwischenraum' Plat. Tim.
36, A; Phil. 17, C; — £<5tn , er stellte sich' IL 5, 108; 309; ^
II. 1, 197; 2, 20; txvfri II. 22, 222; 23, 97; xa&-£<srfi , stelle' II.
9, 202), 6 nrj pect- gestrichenes, Salbe' (Philox. bei Athen. 9;
Etymologische Mitteilung. 77
409, E. — tf^tfcfytavot Hdt. 4, 73; S7ti-6tifj Ar. Thesm. 389; c^v
Luk. Lexiphan. 3), xvrj^ccx- , Abgeschabtes ' {xyr^taxa * %v6paxa
Hippokr. in Galens Lex. — xvrj 11. 11, 639 ; xviififtai Plat. Gorg.
494, C; s%-£xv7]0£ Hdt. 7, 239), xg^^iax- ,Loch' (Ar. Wespen 141;
Plat. Gorg. 494, B; — %vv-£XQr\<5av Plat. Tim. 91, A; xixqt\xai
Hdt. 4, 158; di-£xixqr\ Appian Lib. 122), %Qrjiiax- gebrauchtes,
Besitzthum' (Od. 2, 78; 203; — xqtjxccl Aesch. Ag. 953; ii^daxo
Soph. Kön. Oed. 117; ximxo Od. 14, 421; 16, 398), ^ftat- (aus
altem fQ^ax-) , Gesagtes, Wort' (Pind. Pyth. 4, 278; Nem. 4, 6;
- fapgriTcu H. 4, 363; fQ^evu Od. 18, 413 = 20, 322), xXrJiiax-
, Füllung' (Hesych: nX^a' TtXrJQWiia. — itXr\xo IL 17, 499; 21, 16;
iv-iitXt^av Od. 17, 503; %L\k%Xri<5i Aesch. Bruchst. 57, 4), ßXrj^iax-
,Wurf, Schuß ' (Hdt. 3, 35 ; Eur. Schutzfl. 330 ; auch in Zusammen-
setzungen wie 7tQÖ-ßXrmat- , Vorgehaltenes , Schirm' Aesch. Sieben
540; 676; — ßXr\xo II. 4, 518; 16, 570; ßißXrixai H. 5, 103; ißXförj
Thuk. 8, 84), xXr\^ax- , Gerufenes, Angeführtes' (in ky-xX^ax-
Beschuldigung, Vorwurf Soph. Phil. 323; Trach. 361, und liti-
-xXr\p,ax- , Beschuldigung, Vorwurf Soph. Kon. Oed. 227; 529; —
xixXr\xai II. 10, 259; ixXrj&rjv Soph. Kön. Oed. 1359), 6xXrj[iax-
, Austrocknung' (Galen. lex. Hippokr.: 6xr\Xri^axi ' öxsteteia, öv[i7tx6ö£^
wo zu lesen sein wird GxXrßLaxi. — d%o-6xXfivav Ar. Wespen 160;
i%-£6xXrix6x£g Epich. 106 ; &7to-6xXrj6r] Antipatr. in Anth. 11, 37, 6),
livfiiiat- , Andenken' (IL 23, 619; Od. 15, 126; — \ii\ivr\xai IL 8,
362; \xvv\<5£i Od. 12, 38; \ki\iv'r\6x£ Od. 14, 169), xprjiiccx- abge-
schnittenes, Stück' (Plat. Polit. 267, B; — x£x^rniivov Od. 17, 195;
xax-£x\ir\ftv\ Hdt. 2, 108), %%y\\lu%- ,Flug' (Suidas: %xv\\La * itxrfiig
olcovcbv. — i%-£7ixri Hes. Werke 98 ; £%i-%x,tp£xai Hdt. 7, 15), ö^ftat-
, Haltung, das Aeußere' (Aesch. Sieben 488; Soph. Phil. 223; —
6%i6io IL 17, 182; 24, 670; iöx^xaöt Plat. legg. 6, 765, A; jrap-
-£<5%riyL£vbq Xen. an. 7, 6, 11). — Zu it^ax- ,Leid' (IL 3, 50; 160)
scheint %aft- , leiden' (itdftw IL 24, 7; Od. 1, 4) die nächste Grund-
lage zu bilden ; ein Hervorgehen von jr^atr- aus ndd'fiax- aber, wie
es gewöhnlich angenommen wird, ist sehr wenig wahrscheinlich. —
Neben xX^ax- , Zweig' (Ar. Ekkl. 1031; Xen. Oek. 19, 8;
Plat. Staat 1, 353, A), das mit xX&v- , Zweig' (Eur. EL 324; Ion
423; Xen. Jagd 10, 7) und xXddo-s , Zweig' (Aesch. Schutzfl. 23;
159 ; Eum. 43) ohne Zweifel nahe zusammenhängt, bietet sich kein
unmittelbar zugehÖriges(Verb, da xX&v ,abbrechen' {ivi-xXav IL 8, 408 ;
dia-xXdööccg IL 5, 216 ; xtä<5£ Od. 6, 128 ; ixXdtör} 11.11,584; ivano-
-xixXaöxo Thuk. 4, 34), von dem das substantivische xXdö(iax~ ab-
gebrochenes, Bruchstück' (Plut. Tib. Gr. 19; Lukill. in Anth. 11,
153, 3) ausging, als solches nicht gelten kann.
78 Leo Meyer,
Die gegebene Uebersicht weist den Weg zur Beurtheilung der
Verbalgrundform, von der öfj^iar- ausgegangen sein wird. Es bleibt
nun noch die Frage nach der Vorgeschichte seines anlautenden
Zischlauts zu erwägen.
Rein — das heißt vor unmittelbar folgendem Vocal — an-
lautendes 6 steht so gut wie niemals an der Stelle von altem
Zischlaut. Es ging vielmehr aus sehr verschiedenartigen Laut-
verbindungen hervor und zwar wesentlich in Folge von Lautassi-
milationen. Die homerische Sprache zeigt das darin noch sehr
deutlich, daß sie bei Vorfügung von kurzen Vocalen, sei es präfi-
xalen oder wortstammauslautenden, sei es dem Augment oder dem
£ einer Reduplicationssilbe , das <? der in Frage stehenden Wort-
formen gewöhnlich verdoppelt.
So stehen neben den versbeginnenden cfsvcovrai ,sie setzen
sich in rasche Bewegung, sie rennen, sie stürmen daher' (IL 11,
415) und causativ öeve ,er setzte in rasche Bewegung, trieb fort'
11.6,133) die Formen e7U-66evedd'ai (11.15,347), XaJ-o-Cöofo-g ,das
Kriegsvolk erregend oder antreibend' (IL 13, 128; 17, 398; 20,
48; 79), idöEva (II. 5, 208), eeaevs (IL 11, 147; 14,413), iööetiovto
(II. 2, 150; 808; 9, 80), iööetuvro (IL 11, 549 = 15, 272), äwvpat
(IL 13, 79), faöwat, (Od. 10, 484; ix-dttvtcu, IL 1, 173; 6, 361;
9, 42), iöövpivo-g (IL 11,554 = 17,663; 13,142), ittttviiivag (11.3,
85; 15,698; 23,55). Zum Perfectstamm gehören wohl auch söövto
(II. 2, 809 = 8, 58; 14, 519), eößvo (IL 16, 585; Od. 9, 447) und
äjt-edcivps&a (Od. 9, 236 und 396; STt-eööv^a Od. 4, 454). Un-
zweifelhaft aoristische Form aber ist das vereinzelte augmentlose
övxo (IL 21, 167). Bei freierer Stellung im Satz findet sich vor
dem anlautenden 6 des in Frage stehenden Verbs kurzer Vocal
metrisch lang gebraucht IL 17, 463 (cparag, ots ösvcclto) und IL 23,
198 (vlr\ te asvmto Tcafrj^svaL), an welchen beiden Stellen 'aber die
Ueberlieferung sehr schwankt.
Neben öslcdv , schüttelnd, schwingend' (IL 5, 563; 9, 583) be-
gegnen £711-66 EL&V (IL 15, 230), £1tl-66£ir\6lV (IL 4, 167), TtEQl-66 ElOVTO
(IL 19, 382 und 22, 315), i)7io-66eCov6vv (Od. 9, 385) und iööeuovro
(IL 20, 59), dagegen bei freierer Stellung im Satz IL 14, 285:
äxQOtdtT} de tcoö&v vtco öaCsxo vly\ ohne durch das 6 bewirkte
metrische Dehnung.
Weiter sind hier anzuführen TtEQi-66aivov6i (Od. 16, 10), tieql-
-66awov (Od. 16, 4) und %Eqi-66aCvovxEg (Od. 10, 215) neben Gccivov
, sie wedelten ' (Od. 10, 219) , denen gegenüber ein augmentirtes
$6Y[vs (Od. 17, 302 : otigf} per q o yE6r\vE) sehr auffällt. Man darf
dafür wohl e66k\ve (? ovqtj \jlev q £66rjvs) vermuthen.
Etymologische Mittheilung. 7y
Ferner gehört hieher novi-66aXo-g , aufgewirbelter Staub ' (H.
3, 13; 5, 503; 22,401), als dessen Schlußtheil das einfache 6dXo-g
, unruhige, schwankende Bewegung ' (Eur. Hek. 28 : sv novxov 6aX<p,
Iph. Taur. 1443: TtovrCa Xaßav ödXcp) wird gelten dürfen.
Noch ist hier zu nennen das häufige Beiwort der Schiffe sv-
-ö6sX^io-g ,mit gutem Verdeck ' oder ,mit guten Ruderbänken' (II.
2, 170; 358; 390; 613), als dessen Schlußtheil eine Nebenform zu
ösXpax- ,Verdeck, Ruderbank ' (Hom. hymn. 6, 47 ; Aesch. Ag. 1442 ;
Pers. 358) sich ergiebt, die sich von Hesych (<5sX[ic3v • Gavld&v) auf-
bewahrt findet.
Aus s7tL-66G3tQ0-v , Metallbeschlag der Radfelgen ' (IL 5, 725 ;
11, 537; 20, 394; 502; 23, 505; 519. — Pollux 1, 144: xnv ds
tcsqlslXov^svcjv xä a^ovi XQo%cbv xb [isv Ttsqü xalg h\>l6i 6i$yjqovv
ETtoöcotQOv, r\ ds aiplg xccl G&xqcc xaXstxcu) ist das einfache 6cbTQ0-v
, Radfelge' (Pollux an der angeführten Stelle und 10, 53) zu ent-
nehmen.
Weiter gehört hieher auch noch der Eigenname 'Ev-<56a)Qo-g
(IL 6, 8: vtbv ' Ev66(oqov ' Anapavt rjvv xs \isyav ra), der mit öcjQÖ-g
, Haufen, Vorrath' (Hes. Werke 778 ; Hdt. 1,22; 6,125) als Schluß-
theil gebildet sein wird. —
Eine von der so eben dargelegten abweichende Behandlung
des 6 zeigt sich in drei homerischen Zusammensetzungen mit dem
beraubenden äv- («-), nämlich a-örjuavxo-g ,ungeleitet, ungerührt'
(II. 10, 485 : ag ds Xs'cdv [iyjXoiölv dörj^dvxotöiv s7tsXd"d)v , wo viel-
leicht vermuthet werden darf fi^Aottf' cc66rj^dvtoL6Lv), ä-öixo-g ,ohne
Essen' (Od. 4, 788: xslx ccq aöixog cc7tcc6xog, wo etwa zu lesen sein
würde xslx cc66txog) und atiivsg- , unverletzt' (Od. 11, 110 = 12,
137: tag sl psv %' ccövviag sfdug, wo etwa gemuthmaßt werden
kann tag sl tc äööcvsag).
Dann giebt es aber auch noch ein paar weitere das 6 be-
treifende Ausnahmen, nämlich das reduplicirte 6s67\ns (IL 2, 135;
daneben <5r\Ttsxai IL 24, 414) und die folgenden augmentirten Formen :
sdri^vavxo (IL 7, 175), sövXsvov (IL 5, 48), itvXa (II. 4, 105; 5,
164; 6, 28; 11, 110; 15, 524; 17, 60; 22, 368), tafart (IL 4, 12;
11, 752 ; 14, 259 und öfter ; sWWa Od. 5, 130) und iöda&sv (Od.
3, 185).
Wie weit etwa xoXoetvQxö-g ,Lärm, Getümmel' (IL 12, 147;
13, 472; Hes. theog. 880), ddvcpriXo-g , schnöde, ungebührlich' (IL
9, 647; 24, 767), otdsvööcoQo-g ,werthlos , verächtlich' (TL 8, 178)
und aXotivdvr} , meerentsprossen ' (?) (H. 20, 207; Od. 4, 404) hier
noch in Frage kommen können, lassen wir bei ihrer geringeren
etymologischen Durchsichtigkeit ununtersucht.
80 Leo Meyer,
Ohne auf eine etymologische Untersuchung der Mehrzahl
der oben aufgeführten Wörter, wie sie jüngst von einem meiner
Schüler , Herrn Ludwig Weidenbaum, in einer vortreff-
lichen des Druckes werthen Candidatenschrift ausgeführt wor-
den, hier näher einzugehen, mag nur einmal wieder darauf hin-
gewiesen sein, daß das griechische 6sve6%'ai auf dem selben Grunde
ruht mit altind. cjav-: cjdvatai ,er setzt sich in Bewegung', für
das ein paar Stellen aus dem Rgvedas angeführt sein mögen:
1, 167, 8: cjavantai äcjutd dhruväni ,es geräth in Bewegung das
unbewegliche Feste ' ; 10, 124, 4 : agnis sdamas vdrunas tdi cjavanti
,Agnis, Somas, Varunas, die bewegen sich'. Das Causativ (cjd-
vdjati , er setzt in Bewegung') dazu findet sich beispielsweise
E.V. 5, 56, 4 : girim prä cjävajanti jämabhis , (die Marute) bewegen
den Berg auf ihren Fahrten ' und RV. 2, 24, 2 : prä acjdvajat dcjutd
hrdhmanas paus , Brahmanaspatis hat das Unbewegliche in Bewe-
gung gebracht'. Von weiter zugehörigen Wörtern nennen wir
noch die zusammengesetzten hästa-cjuti- , rasche Bewegung der
Hände' (RV. 7, 1, 1) und bhuvana-cjavä- , weltbewegend, welt-
erschütternd' (RV. 10, 103, 9), welches letztere in seinem Sehluß-
theil genau mit dem von lapo-666po-g übereinstimmt.
Der altindischen Lautverbindung cj stellt sich im Griechischen
auf Grund des sogenannten assibilirenden (d. i. den Zischlaut hervor-
rufenden) Einflusses des j und dann von Assimilation 66 (dafür im
Anlaut einfaches 6) gegenüber, ganz wie zum Beispiel in 7ti66st
,er kocht' (IL 4, 513; 24, 617), das in altindischem Gewände
pdcjati (die Medialform begegnet RV. 1, 135, 8 : pdcjatai jdvas , es
kocht ' — oder , es reift ' ? — , die Gerste ') lauten würde.
Gar nicht selten hat sich 66 auch aus der Verbindung des ;
mit dem aspirirten Guttural entwickelt, wie zum Beispiel in 6qv66slv
, graben ' (Od. 10, 305) aus öqv%jslv, oder in &ä66ov , schneller, sehr
schnell' (IL 2, 440; 4, 64; 6, 143) aus &d%jov. Auch für vv66eiv
, stoßen , stechen ' (vv66cov IL 16, 704 ; vv%e , er stieß ' IL 5, 46 ;
579; 11, 96) darf man solchen Ursprung des 66 muthmaßen, da
der Gedanke an etymologischen Zusammenhang mit qvv%- , Klaue,
Kralle, Fingernagel' (IL 8, 248; 12, 202; Hes. Schüd 266) und
altind. naJchd- , Fingernagel, Fußzehe, Vogelkralle' (RV. 1, 162, 9;
10, 28, 10) sehr nahe liegt.
Das Gegebene führt uns auch zu dem gesuchten Aufschluß
über 6rjiiaz-: sein anlautendes 6 (für 66) führt auf eine alte Ver-
bindung von ; mit aspirirtem Guttural zurück und als ihm zu
Grunde liegende Verbalform ergiebt sich das altindische Jchjd:
hhjdti ,er sieht, er schaut, er betrachtet', das im Rgvedas nur in
Etymologische Mittheilung. gl
Verbindung mit Präfixen, später auch in unzusammengesetzten
passivischen oder causativen Formen, wie dem participiellen khjdtdr
, bekannt' (eigentlich , gesehen', oder dann auch , gezeigt, verkündet,
angesagt'), begegnet. Wir geben einige Beispiele: RV. 8,47, 11:
dditjd dva hi khjdta ddhi kuldt iva spdgas ,Aditja, schauet herab,
wie von der Höhe die Späher ' ; RV. 7, 13, 3 : gdtds jdd agnai
bhüvand vi dJchjas pagiln nd gaupds , als du geboren , o Agnis , die
Wesen beschautest, wie ein Hirt das Vieh ' ; RV. 10, 10, 2 : vir eis
. . . urvijd pari Mjan , die Helden schauten weit umher ' ; RV. 9,
101, 7: paus vigvasja bhümanas vi akhjat räudasi ubhdi ,als Herr
der ganzen Welt betrachtete er (Somas) beide Welthälften'.
Die Bedeutung des , Sehens, Aufblickens' ging bei Jchjd ohne
Zweifel von der des , Aufleuchtens ' aus , da auch diese mehrere
Male im Rgvedas entgegentritt , wie RV. 1 , 46 , 10 : vi akhjat
gihvdjd dsitas , wo Ludwig übersetzt ,der Schwarze leuchtete
empor mit der Zunge' und Gr aß mann , schwarz an der Zunge
flammt die Grluth'. Weiter gehören hieher auch wohl RV. 10,
45, 4: sadjds gagndnds vi hi im iddhds akhjat , (Agnis) im Augen-
blick geboren leuchtete auf (so nach B öhtl.-R. ; L. , schaute auf,
Gr. , erblickt er ') entflammt ' ; RV. 10, 127, 1 : rcitri vi akhjat djatt
purutrd daivi akshdbhis ,die Nacht leuchtete auf (so nach B.-R.;
L. ,hat ausgeblickt') , hinkommend nach vielen Seiten, die Göttinn,
mit ihren Augen'; RV. 1, 123, 2: uccd vi akhjat juvatis punarbhüs
d ushäs agam ,hoch leuchtete sie auf (so nach B.-R.; L. ,hat sie
ausgeblickt ' ; Gr. , sie blickt empor ') , die jugendliche wieder-
kehrende, die Morgenröthe, sie kam heran'.
Man darf darnach für örjtiat-, das in altindischem Gewände
als *khjäman- zu erwarten gewesen wäre, als Grundbedeutung
wohl ,das Leuchtende' vermuthen.
Dorpat, Januar 1890.
Bei der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften einge-
gangene Druckschriften.
Man bittet diese Verzeichnisse zugleich als Empfangsanzeigen ansehen zu wollen.
December 1889.
(Fortsetzung.)
United States coast and geodetic survey. Report 1887. Part I Text. Part II
Plates (sketches). Washington 1889.
a. Pennsylvania geological survey 1889. Dictionary of fossils. Vol. I. A — M.
P. 4. Harrisburg 1889.
Nachrichten von der K.G. d.W. zu Göttingen. 1800. No. 8. 7
82
b. Annual report 1887.
c. Museum catalogue 3.
d. Atlas Northern Anthracite field. Part III, IV. A. A.
e. Atlas to report H H, and H H H.
f. South Mountain sheets C. 1, 2, 3, 4. D. 2, 3, 4, 5. D. 6. Harrisbury.
Johns Hopkins Universtity studies.
a. American Journal of Mathematics. Vol. XI. N. 4.
b. Historical and political science. Seventh series. VII— VIII— IX. The River
towns of Connecticut. Baltimore.
o. Circulars. Vol. IX. — N. 76. Nov. 1889.
Bulletin of the Museum of comparative Zoology. Vol. XVII.f N. 5. Vol. XVIII.
Cambridge. U. S. A.
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Anuario del observatorio astronomico nacional de Taenbaya para el Ano de
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Nachträge.
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von E. Schulze u. E. Steiger. Preisgekrönt von d. K. G. d. W. zu Göt-
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Process da strieng H. C a'v i e z e 1. Chur 1889.
Proceedings of the London mathematical society. N. 359 — 363.
Proceedings of the R. physical society. Session 1888—89. Edinburgh 1889.
Die Indogermanischen Verwandtschaften von Berthold Delbrück. Des XI.
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N. V. Leipzig 1889.
Berichte und Verhandlungen d. Kgl. Ges. d. Wiss. zu Leipzig. Philolog.-hist.
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Januar 1890.
Sitzungsberichte d. K. Pr. Akademie d. Wissenschaften zu Berlin. 1889. LIII
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Nova acta academiae Caesareae Leopoldino-Carolinae Germanicae naturae curio-
sorum. Band 52 u. 53. Halle 1888 u. 89.
Katalog der Bibliothek der K. Leopoldinischen- Carolinischen deutschen Aka-
demie der Naturforscher. Liefr. 2. 1889.
Verhandlungen des historischen Vereins von Oberpfalz und Regensburg. Band 43
der gesammten Verhandlungen. Band 35 der neuen Folge. Regensburg 1889.
Jahresbericht des physikalischen Vereins zu Frankfurt a. Main für 1887 — 1888.
Frankfurt a. M. 1889.
Abhandlungen aus dem Gebiete der Naturwissenschaften, herausgegeben vom
naturwissenschaftlichen Verein in Hamburg. Band XI Heft 1. Hamburg 1889.
Festschrift, herausgegeben von der Mathematischen Gesellschaft in Hamburg zu
ihrem 200 jährigen Jubelfest 1890. Theilll, wissenschaftl. Abhandlungen, zugl.
Band II der »Mittheilungen«. Leipzig 1890.
Mittheilungen des Geschichts- und Alterthumsvereins für Leisnig im Königreich
Sachsen. Heft 8. Leisnig 1889.
Leopoldina. Heft XXV, Jahrg. 1889, N. 23—24. Titel u. Register. Halle a. S. 1889.
8a
Bemerkungen zu dem Aufsatze : Untersuchung der Eigenschaften einer Gattung
von unendlichen Reihen v. R. Li psehitz in Bonn. Sonderabdruck aus
»Journal für reine und angewandte Mathematik«. Heft 1. B. 106.
v. Kölliker, Histologische Mittheilungen aus den Sitzungsberichten der Würz-
burger Phys.-med. Gesellschaft. 18*9. 15. Sitzung vom 23. Nov. 1889.
Urkundliche Geschichte des Reichsritterlichen Geschlechts Eberstein. Aus den
Quellen bearb. v.L. F. Freiherr von Eber stein. Band 1,2, 3. Berlin 1889.
2. Ausgabe.
Historische Nachrichten über den zur Gräflich -Mansfeld'schen Herrschaft Hel-
drungen gehörenden Marktflecken Gehofen und die Aemter Leinungen und
Morungen. Von Fr. v. Eberstein. Berlin 1889.
Kriegsberichte des Kön. Dan. Generalfeldmarschalls Ernst Albrecht von Eber-
stein aus dem zweiten schwedisch- dänischen Kriege. Herausgeg. v. L. F.
Freiherr von Eber stein. Berlin 1889.
Korrespondenz zwischen Landgraf Georg n. von Hessen-Darmstadt u. s. General-
Lieutenant E. A. v. Eberstein auf Gehofen und Reinsdorf. Herausgeg. von
L. F. Freiherr von Eberstein. Berlin 1889.
Memoirs and proceedings of the Manchester literary and philosophical society.
Vol. H fourth series. Manchester 1889.
Records of the geological survey of India. Vol. XXH. Pars 4. Calcutta 1889.
Nature. Vol. 41. 1054—1057.
Proceedings of the Royal society. Vol. XLVI N. 284.
Monthly notices of the Royal astronomical society. Vol. L. N. 2. Dec. 1889.
Verhandlungen der Kaiserl. Königl. zoologisch-botanischen Gesellschaft in Wien.
Jahrg. 1889. Band XXXIX. III. u. IV. Quartal. Wien 1889.
Verhandlungen der K. K. geologischen Reichsanstalt 1889. N. 13, 14, 15, 16 u. 17.
Meteorologische Zeitschrift zu Jahrgang 6. XXIV. Band der Zeitschrift der
Oesterr. Ges. für Meteorologie 1889. Namen- u. Sachregister. Wien.
Ungarische Revue. Heft I. Januar 1890. 10. Jahrgang. Budapest 1890.
Foldtnni Kozlöny 1889. Kötet XIX, füzet 7—8, 9—10, 11—12. Budapest 1889.
Zweiter Nachtrag zum Katalog der Bibliothek und allgemeinen Kartensamm-
lung der Kgl. Ung. geol. Anstalt 1886—1888. Budapest 1889.
Anzeiger der Akademie der Wissenschaften in Krakau 1889. December. Krakau
1889.
Atti della Reale Accademia dei Lincei. Anno CCLXXXVI 1889. Serie quarta
Rendiconti. Vol. V. fasc. 7. 8. 2. semestre. Roma 1889.
Rendiconti del circolo matematico di Palermo. Tomo III fasc. VI. Nov.-Dec.
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Memorie della R. Accademia delle scienze del ietitut. di Bologna. Serie IV.
Tomo IX. fasc. 1, 2, 3, 4. Bologna 1888—1889. >
Nouveaux progres de la question du calendrier universel et du me'ridian uni-
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a. Memoires. Bd. 20 1—2. 211-2 et Atlas (Handlingar). Stockholm 1883— 87.
b. Supplement aux mdmoires. Bd. 9 1—2, 10 1-2, 11 1-2, 12 1—4, 13 1—4
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c. Bulletin Arg.: 41—45. 1884—1888 (öfverreigt). Stockholm 1885—89.
d. Observations metdorolopiques. Bd. 22-26. 2. Ser. Bd. 8— 12. 1880—1884.
(Meteorologiska Jak Hagelser). Stockholm 1885 — 89.
e. Biographies des membres. Bd. 2 Heft 3. (Lefnadsteckningar). Stock-
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f. Table des matieres 1826—1883. (Förteckning). Stockholm 1884.
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Academie Roy. de Copenhague
a. Memoires. Sdrie 6. Classe des sciences. Vol. 5 N. 12. 1889.
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b. Me*moires. Serie 6. Classe des lettres. Vol. II N. 6. Vol. III N. 1. 1889.
c. Oversigt over det Kongelige D. Videnskabernes Selskabsforhandlinger i,
Aaret 1889. N. 2. Kobenhavn.
Bijdragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde van Nederlandsch-Indie. 5. Volgreeks
5. Deel. 1 Aflever. S'Gravenhage 1890.
Flora Batava. Aflever 287, 288. Titel and register van het 18e Deel. Leiden.
Memoires de l'Academie Inip. des sciences de St. Petersbourg. Serie VII. Tome
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Repertorium für Meteorologie, hrsg. .von der Kais. Akad. d. W. Band XII.
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Annalen des Physikalischen Central - Observatoriums. Jahrg. 1888. Theil 1.
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Proceedings of the American pharmaceutical association 1889. Vol. 37. Phila-
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Annual report of the Curator of the Museum of comparative Zoology at Har-
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Die fossilen Pferde der Pampasformation. Nachtrag beschr. v. Dr. Hermann
Burmeister. Buenos Aires 1889.
Journal of the College of science Imp. University Japan. Vol. III. Part. III.
Tokyo 1889.
Nachträge.
Report of the scientific results of the exploring voyage of H. M. S. Challenger
1873—76. Physics and Chemistry. Vol. II. 1889.
Astronomische Beobachtungen an der K. K. Sternwarte zu Prag in den Jahren
1885, 1886 und 1887. Enthaltend Originalzeichnungen des Mondes. Appen-
dix zum 46., 47. und 48. Jahrgang. Prag 1890.
Orvos Termeszettudomanyi Ertesitö
a. I. Orvosi Szak II— III füzet.
b. II. Termeszettudomanyi szak III füzet.
c. III. Nepszerii szak III füzet. Kolozsvart 1889.
Astronomische Mittheilungen von Dr. Rud. Wolf. N. 74. October 1889.
Memorial des cinquante premieres annees *de la societe d'histoire et d'archeo-
logie de Geneve 1838—1888 par Ed. Favre. Geneve 1889.
(Fortsetzung folgt.)
Druckfehler.
Nachrichten S. 55 ist I hinter Formenlehre der französischen
Sprache zu tilgen.
Inhalt von No. 3.
Dr. Nernsi, über ein neues Prinzip der Molekulargewichtsbestimmung. — Friedrich Wieseler, Verbesserungs-
vorschläge zuEuripides. — Leo Meyer, etymologische Mittheilung. — Eingegangene Druckschriften.
Für die Redaction verantwortlich: H. Sauppe, Secretair d. K. Ges. d. Wiss.
Commissions - Verlag der Dieterich' sehen Verlags -Buchhandlung.
Druck der Dieterich' sehen Univ.- Buchdruckerei ( W. Fr. Kaestuer).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
19. März. M 4 1890.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 1. März 1890.
Klein, Zur Theorie der Lame'schen Functionen.
Wüstenfeld legt eine Abhandlung vor: >Der Imäm el Schäfi'i, seine Schüler
und Anhänger bis zum J. 300 d. H.« (Erscheint im Band 36.)
deLagarde, I. »Das älteste Glied der masoretischen Traditionskette«.
II. Psalm 114 im Sidrä rabbä.
Hertz, Ueber die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruhende Körper.
(Nachträglich vorgelegt von Voigt.)
Zur Theorie der Lam6schen Functionen.
Von
F. Klein.
Eine Vorlesung über Lame'sehe Functionen, welche ich wäh-
rend des nun zu Ende gehenden Wintersemesters hielt, gab mir
Gelegenheit, zu Auffassungen und Fragestellungen zurückzukeh-
ren, mit denen ich mich im Winter 1880 — 81 beschäftigt hatte1).
Ich zweifelte von vornherein nicht, daß es gelingen müsse, auf
dem damals eingeschlagenen Wege noch ein Stück weiter zu kom-
men. Ich hatte mir auch die Ansicht gebildet, daß eine richtige,
von geometrischen,' beziehungsweise physikalischen Gesichtspunc-
ten ausgehende Theorie der Lame'schen Functionen für die all-
gemeine Lehre von den linearen Differentialgleichungen zweiter
1) Vergl. zwei Aufsätze im 18ten Bande der mathematischen Annalen : »Ueber
Lemdsche Functionen«, »Ueber Körper, welche von confocalen Flächen zweiten
Grades begränzt sind«.
Naclirichten Ton der K. G. d. W. zu G6ttinjf«n. 1890. No. 4. 8
/
86 F. Klein,
Ordnung vorbildlich sein müsse. Der K. Gesellschaft der Wissen-
schaften möchte ich nachstehend einige Resultate vorlegen, welche
ich in der hiermit bezeichneten Eichtung gefunden habe.
"Wir fragen zunächst nach der zweckmäßigsten Definition der
zu einem w-fach ausgedehnten Räume (Bn) gehörigen Lameschen
Differentialgleichung. In dieser Hinsicht beginnt man herkömm-
licher Weise mit dem System der confocalen Flächen zweiten
Grades
und findet durch bekannte Umformungen der Potentialgleichung
die Lamesche Gleichung in der Gestalt:
(2) -^ = (AV-*+ BV-°+ N)E,
wo
(3) t - /y=» m | fe-ü • • • • (*-«.);
ich habe schon bei früherer Gelegenheit hervorgehoben (in dem
zweiten der soeben citirten Aufsätze), daß es zweckmäßig ist, die
hier auftretenden Constanten A, ~B, . . . N zunächst als unbe-
schränkt veränderlich zu betrachten und dadurch der gewöhnli-
chen Begriffsbestimmung der Lameschen Functionen gegenüber
eine Erweiterung eintreten zu lassen1). Nun kann man aber den
durch (1) gegebenen Ausgangspunkt beanstanden. In der Poten-
tialtheorie, wo fortgesetzt Transformationen durch reciproke Ra-
dien in Betracht zu ziehen sind, ist das System der confocalen
Flächen zweiten Grades kein wirklich allgemeines Orthogonalsy-
stem; als solches erscheint vielmehr erst das von Darboux und
Moutard im Jahre 1864 aufgestellte System der confocalen
Cycliden, ein System von Flächen vierter Ordnung, das sich
bei Verwendung überzähliger, homogener Coordinaten (xx xn+2)
[sogenannter polysphärischer Coordinaten] durch die zwei Glei-
chungen darstellen läßt:
(4) 14 = 0, 1^ - = 0.
i i A ex
1) Lame* und Heine bestimmen A, B, . . . bekanntlich so, daß eine Par»
ticularlösung von (2) algebraisch wird; Her mite führt bei seinen allgemeineren,
auf n = 3 bezüglichen Untersuchungen, für A immer noch den besonderen im
algebraischen Falle eintretenden Werth — iü_t_-2- ein (wo n eine positive ganze
£ahl) und läßt dann freilich B beliebig.
zur Theorie der Lame'schen Functionen. 87
Herr Wangerin ist der Erste gewesen, der nachwies, daß man
nnter Zugrundelegung eines solchen Cyclidensystems in der That
eine Theorie ganz ähnlich der Lame'schen aufbauen kann1). Seine
Rechnungen beziehen sich allerdings nur auf n = 3 ; es ist aber
nicht schwer, sein Resultat auf beliebiges n zu übertragen; es
tritt dann an Stelle von (2) die folgende Differentialgleichung :
wo t wiederum das Integral bezeichnet:
(6) *= f~ß=,
f(X) aber die Function (w + 2)ten Grades bedeutet:
(7) f{X) = (i-«,) . (A-^2).
Offenbar kann man statt (5) auch schreiben:
wo nun die a, • • • n beliebig. Es scheint fast, als habe man die-
sen Gleichungen (5), (8) bisher nur wenig Bedeutung beigelegt.
Sicher kann man die Gleichung (2) als Specialfall derselben auf-
fassen (der entsteht, wenn man eH+1 und en+2 unendlich werden
läßt), aber es lag naher, (5) oder (8) als besonderen Fall derjeni-
gen Gleichungen (2) zu deuten, die dem Räume von (n + 2) Dimen-
sionen entsprechen. Und dieser Fall schien kein besonderes In-
teresse darzubieten, weil man die (w— 1) bei ihm noch zur Ver-
fügung stehenden Constanten keineswegs so bestimmen kann, daß
ein3 der zugehörigen E algebraisch wird. Auch hat die Form
der neuen Differentialgleichung zunächst wenig Ansprechendes.
Singulare Puncte hat dieselbe, wie dies natürlich scheint, bei
X = ev . . . e1t+2 ; aber auch X = oo , d. h. ein Werth , der für
das Cyclidensystem (4) vom geometrischen Standpuncte aus ohne
jede specifische Bedeutung ist, erscheint als singulärer Punct. Die
zu ex . . . en+2 gehörigen Exponenten berechnen sich dabei als V*
und 0, die zu oo gehörigen als
1) Journal für Mathematik, Bd. 82, 1876. Vergl. auch Darboux in den
Comptes Rendus der Pariser Akademie, 1876, II.
8*
8g F. Klein,
+ 1 und — j
4 . 4
Inzwischen gelingt es durch eine ganz unbedeutende formale Ab-
änderung unsere Gleichung in ganz anderem Lichte erscheinen zu
lassen. Die bei X = oo auftretenden Exponenten leiten auf den
richtigen Weg. Man setze nämlich, homogen machend,
und schreibe
(9) E(i) = V fffOlwaÜb
wo F jetzt eine homogene Function (eine Form) von ax, A2 vom
Grade
2 — n
4
sein wird, die ich gleich als Lamesche Form bezeichnen will.
Sei ferner jetzt unter f die Form (w + 2)ten Grades verstanden:
(10) f=* (A-M2) (K-en+2X2).
Man erhält dann (nach kurzer Umrechnung mittelst des Euler' -
schen Theorems) ein Resultat, welches nur noch von der Form f
als solcher abhängig ist; man findet nämlich:
(ii) (f,n = v-F,
wo (f,F)2 die zweite Ueberschiebung der Formen /"und F
vorstellt, (p aber eine durchaus beliebige rationale
ganze Form (n — 2)ten Grades ist. Dieses Resultat erscheint
so einfach, daß man nicht umhin kann, dasselbe überhaupt an die
Spitze der Theorie der Lameschen Functionen zu stellen und dem-
entsprechend Lame'sche Functionen, oder vielmehr La-
mesche Formen, des Bn geradezu als solche Formen
^\ten
j— ) Grades von XXX2 zu definiren, welche, zwei-
mal über eine gegebene fn+2 geschoben, sich selbst bis
auf einen Factor <pM_2 reproduciren1). Die einzigen sin-
(
1) Das gleiche Mittel der Einführung homogener Variabler gebrauchen be-
reits in demselben Sinne Pick und Halphen (Berichte der Wiener Akademie,
von 1887 ; Traitö des fonctions elliptiques, Bd. II, 1888) ; nur handelt es sich bei
ihnen um eine ganz specielle Untersuchung, nämlich um eine geschickte (nur in
diesem Falle mögliche) Transformation höheren Grades der für n = 3 geltenden
zur Theorie der Lame'schen Functionen. 89
gulären Stellen der so definirten F sind, wie bereits angedeutet,
die Wurzeln von */^t= 0. Sind diese Wurzeln alle getrennt (wie
wir bisher stflllchweigend voraussetzten), so gehören zu jeder ein-
zelnen derselben die soeben genannten Exponenten 1/* und 0, —
rücken aber irgendwo zwei oder mehrere derselben zusammen, so
erhält man höhere Exponenten, bez. irreguläres Verhalten. Der
gewöhnliche Fall der durch (2) definirten Functionen entsteht,
wenn f eine Doppel würz el erhält (die man dann nach A = oo wirft).
Uebrigens kann man, wenn f mit beliebig vielfachen Wurzeln aus-
statten will und sich vorhält, von der Form F der homogenen
Variabelen Ax, A2 durch Zufügung irgend welcher Factoren zu
Functionen von X zurückzugehen, sämmtliche lineare Diffe-
rentialgleichungen zweiter Ordnung mit rationalen
Coefficienten unter (11) rubriciren. Die Lame'sche Differen-
tialgleichung hat also in der That eine wesentlich allgemeine Be-
deutung. Die Differentialgleichung der hypergeometrischen Reihe
z. B. entsteht aus (11) , wenn man f als eine Form sechsten Gra-
des einführt, die ein volles Quadrat ist. Noch ein weiterer Ge-
sichtspunct spielt hier herein. Wählt man f wieder als Form
sechsten Grades, aber nun mit getrennten Wurzeln, so definirt
(11) solche Formen F vom Grade — 7* > welche auf dem hy-
perelliptischen Gebilde \jf durchaus unverzweigt
sind. Man überzeugt sich leicht, daß diese F unter allen For-
men, die einer linearen Differentialgleichung zweiter Ordnung mit
rationalen Coefficienten genügen, die einzigen sind, welche die ge-
nannte Eigenschaft besitzen. Nicht so bei höherem Grade von f.
Sei n = 2p gesetzt, p aber :> 2 genommen, so werden die allge-
meinsten zum hyperelliptischen Gebilde \f2p+2 gehörigen unver-
zweigten F durch die Gleichung geliefert:
(12) (f,F)} = fa^ + trdn-F,
die sich von (11) durch das Glied mit \jf unterscheidet. Die An-
zahl der hier in q> und ip zusammen enthaltenen willkürlichen
30 — 1
Constanten ist 3 p— 3, der Grad von F gleich — ^-~— -. Die Theo-
rie von (11) wird als Vorbereitung der allgemeinen Theorie der
Gleichungen (12) erachtet werden können1).
Differentialgleichung (2). Es ist wohl kein Zweifel, daß die geeignete Verwen-
dung homogener Variabler in der Theorie der linearen Differentialgleichungen
noch vielfache Vereinfachungen nach sich ziehen wird.
1) Sind Flt F% irgend zwei Particularlösungen von (12), so ist der Quotient
..
90 F. Klein,
Ich muß nun etwas genauer auf die zweite der beiden zu An-
fang genannten Arbeiten aus Band 18 der mathematischen Anna-
len eingehen (Ueber Körper, welche von confocalen Flächen zwei-
ten Grades begränzt sind). Indem ich mir , für den besonderen
Fall n = 3, unter Zugrundelegung der confocalen Flächen zwei-
ten Grades (1) die geometrische Bedeutung der in der Potential-
theorie auftretenden Producte Lamescher Functionen klar machte,
wurde ich dort für die zugehörige Lamesche Differentialgleichung :
(13) ^- = {Äl + B)E
zu einem Theorem geführt, welches ich kurz als Oscillations-
theorem bezeichnen möchte, weil in demselben von den Oscil-
lationen die Rede ist, welche geeignete Particularlösungen E(l)
von (13) in gegebenen Intervallen der A-Axe ausführen. Ich be-
merkte nämlich, daß man die in (13) auftretenden Constanten A, B
gerade auf eine Weise so bestimmen kann , daß für zwei
beliebig gegebene Segmente S, T der A-Axe (welche nur über kei-
nen singulären Punct hinausgreifen sollen) je eine Particularlösung
E(X) existirt, welche, für ihr Segment, die Bedingungen befriedigt :
JE'
an den beiden Enden des Segmentes gegebene Werthe von -=1
darzubieten (wo E' = -=— ) , innerhalb des Segmentes aber eine
vorgeschriebene Anzahl von Malen zu verschwinden. Die gewöhn-
lich allein betrachteten, zur Gleichungsform (13) gehörigen alge-
braischen E(X) erhielt ich dabei , indem ich die Segmente £, T
mit den von ex bis e2, bez. von e2 bis e3 reichenden Stücken der
j? = F1:F2 eine auf dem hyperelliptischen Gebilde unverzweigte »Function«,
welche bei jedem geschlossenen Umlaufe über die zu v7/ gehörige Riemann'sche
Fläche hin sich in der Gestalt —^~ reproducirt. Daß es auf jedem algebrai-
sehen Gebilde, dessen p > 1, oo8y~8 wesentlich verschiedene (durch ihre Differen-
tialgleichung unterschiedene) derartige »/-Functionen gibt, ist bekannt (vergl. z.B.
meine »Neuen Beiträge zur Riemann'schen Functionentheorie« im 21ten Bande
der math. Annalen, 1882); man hatte aber bisher, so viel ich weiß, diese »/ noch
nicht in zwei Formen Fx, Fi als Zähler und Nenner derart gespalten, daß jF,
und F2 für sich genommen auf dem algebraischen Gebilde gleichfalls unverzweigt
sind. Dies gelingt aber sofort allgemein, wenn man diejenigen Erläuterungen
heranzieht, die ich über die auf beliebigen algebraischen Gebilden existirenden
Formen neuerdings gegeben habe (Zur Theorie der Abel'schen Functionen, Math.
Annalen Bd. 36). Der Grad der betr. Fx , Fs in den zum Gebilde gehörigen
Formen <f> ist allemal gleich — 1/i, — in Uebereinstimmung mit dem, was im
Texte speciell für hyperelliptische Gebilde bemerkt ist.
zur Theorie der Lamdschen Functionen. 91
A-Axe zusammenfallen ließ, und bei jedem einzelnen ' ei E = 0
oder auch E' = 0 als Gränzbedingung vorschrieb. Hieran schloß
sich der Nachweis, daß man bei allgemeiner Wahl der S, T Func-
tionen E erhält, mittelst deren man für einen beliebigen von sechs
confocalen Flächen zweiten Grades begränzten Körper Reihenent-
wickelungen aufstellen kann, die für diesen das fundamentale Po-
tentialproblem in derselben Weise lösen, wie dies Lamers eigene
Reihen für das dreiaxige Ellipsoid thun. Es ist leicht, alle diese
Betrachtungen mutatis mutandis an die allgemeine (einem beliebi-
gen Werthe von n zugehörige) Differentialgleichung (11) anzu-
knüpfen: die (w— 1) dortselbst in <p enthaltenen unbestimmten
Constanten werden festgelegt werden können, indem man betreffs
(n — 1) auf der A-Axe gegebener Segmente geeignete Forderungen
stellt ; die fundamentale Potentialaufgabe wird sich dann für solche
Raumtheile des Bn behandelen lassen , die von 2n confocalen Cy-
cliden begränzt sind. Die solchergestalt entstehenden Lösungen
begreifen die große Mehrzahl aller Reihenentwickelungen (und In-
tegraldarstellungen) in sich, welche die Potentialtheorie kennt;
es wird so in einem Gebiete, in welchem bislang viele Einzelhei-
ten unvermittelt neben einander standen, Ueber sieht und Ordnung
eingeführt. Es ist nicht meine Absicht, dies hier genauer durch-
zuführen ; es muß dies einer ausführlichen Einzeldarstellung vor-
behalten bleiben. Die folgenden Bemerkungen sollen sich viel-
mehr darauf beziehen, aus dem genannten Oscillationstheoreme
Folgerungen nach einer anderen Seite zu ziehen. Ich werde näm-
lich A fortan als eine complexe Variable betrachten und von der
conformen Abbildung handeln, welche der Quotient rj irgend
zweier Particularlösungen F1 , F2 einer durch das Oscillationstheo-
rem festgelegten Lameschen Differentialgleichung von der Halb-
ebene A entwirft.
Sei f = 0 der Einfachheit halber mit durchaus reellen, ge-
trennten Wurzeln vorausgesetzt. Der allgemeine Charakter des
in der ^-Ebene gelegenen Abbildes ist dann mit Rücksicht auf
die über die singulären Punkte ev . . . en+2 früher gemachten Angaben
durch ein bekanntes, zuerst von Hrn. Schwarz aufgestelltes
Theorem festgelegt. Es wird sich in der ^-Ebene um ein Kreis-
bogenpolygon handeln, dessen Inneres keinen Windungspunct
einschließt, dessen sämmtliche Winkel rechte sind, und dessen
(n + 2) Seiten selbstverständlich den aufeinanderfolgenden Stücken
der A-Axe von ex bis e2, von e2 bis e8, . . . ., von en+% bis ex ent-
sprechen. Ich will nun weiter, der Einfachheit halber, annehmen,
daß die Segmente Öf T} . . . ., von denen das Oscillationstheorem
92 F. Klein,
handelt, je von einem singulären Puncte ei bis zum nächstfolgen-
den ei+1 hinreichen; daß ferner die Particularlösungen F, welche
den einzelnen Segmenten zugehören (und die also innerhalb dieser
Segmente je eine vorgeschriebene Anzahl von Nullstellen haben)
an den Enden des Segmentes F = 0 oder F' = 0 befriedigen
sollen. Die Behauptung ist, daß unter so bewandten Umständen
dieLänge desjenigen Kreisbogenstückes der ^-Ebene,
welches dem einzelnen Segmente ei — e.+1 zugehört, ge-
nau angegeben werden kann. Es genügt zu dem Zwecke,
neben dem zu unserem Segmente gehörigen, in diesem Segmente
reellen F irgend eine andere im Segmente reelle Particularlösung
F
(F) zu betrachten und zunächst r\ = ™- zu setzen. Indem sich
die Nullstellen von F und (F) innerhalb des Segmentes nothwen-
dig wechselseitig separiren, ergibt sich sofort :
Satz 1. Wenn in e. und ei+1 für die zum Segmente gehörige
Particularlösung übereinstimmend F = 0 vorgeschrieben ist, so
überschlägt sich der dem Segmente in der 17-Ebene
zugehörige Kreisbogen genau (m-f-l)mal (unter m die
Anzahl der Nullstellen von F im Segmente verstanden). Die Bil-
der von ei und ei#M fallen also auf dem betreffenden Kreisbogen
zusammen. Von ihnen aus biegen dann die weiteren Kreisbogen,
die den jenseits e. und ei+1 folgenden Stücken der A-Axe entspre-
chen , rechtwinklig ab , berühren sich also in ihrer gemeinsamen
Einmündungsstelle. 4^jU-
Etwas mehr Muhe verursacht die Erledigung der anderen
Fälle; ich führe dies nicht im Einzelnen aus, sondern gebe gleich
die Resultate. Man erhält:
S at z 2. Ist in e. F = 0, dagegen in ei+l _F"= 0 vorgeschrie-
ben, so wird es sich in der 17-Ebene, sozusagen, nur noch um
(m + V2)malige Umspannung eines Kreises handeln. Die
Bilder von et und ei+l werden nämlich auf dem sie verbinden Kreis-
bogen derartig getrennt liegen, daß der in e.+1 rechtwinklig abbie-
gende Kreisbogen (welcher dem jenseits e.+1 folgenden Stücke der
A-Axe entspricht) verlängert durch e. hindurchgeht (und dort dann
den anderen, von e. rechtwinklig abbiegenden Kreisbogen berührt).
Satz 3. Ist endlich sowohl in ei wie in e.+1 F' = 0 gegeben,
so wird unsere Polygonseite ihren Kreis nur noch wenig mehr
als w-fach umspannen; die beiden weiteren Polygonseiten,
welche in ei und ei+l rechtwinkelig abbiegen, werden sich auch
jetzt berühren, aber in einem von ei und ei+1 verschiede-
nen Puncte (der übrigens selbstverständlich seinerseits auch
zur Theorie der Lameschen Functionen. 93
dem Kreise angehört, längst dessen sich die erste Polygonseite
erstreckt).
Die Bedeutung des Oscillationstheorems aber wird die, daß
bei gegebenem f, d. h. bei gegebenen ^ . . . . en+a , d a s
zugehörige Kreisbogenpolygon der 17 -Ebene völlig
bestimmt ist1), sobald ich von (n — 1) seiner Seiten ein
Verhalten im Sinne von Satz 1, 2 oder 3 vorschreibe.
Ich zwenele nicht, daß dieser Satz eine allgemeine Bedeutung für
die Theorie der linearen Differentialgleichungen zweiter Ordnung
besitzt. Denn er führt dazu, wenn die singulären Stellen einer
Differentialgleichung mit den zugehörigen Exponenten gegeben
sind, als weitere Bestimmungsstücke der Differentialgleichung all-
gemein die Längen der in der 17-Ebene auftretenden Polygonsei-
ten einzuführen.
Möge hier aus unserem Satze nur eine, ganz particuläre Fol-
gerung gezogen werden. Sei f insbesondere vom sechsten Grade ; wir
nehmen die Verschwindungspuncte von f wieder getrennt und reell,
und benennen sie nach ihrer Aufeinanderfolge auf der A-Axe mit
exi e%i • • • ee- Icn werde nun die drei Intervalle von ex bis ea,
von e3 bis e4, von e& bis e6 in's Auge fassen und für jedes dersel-
ben ein Verhalten im Sinne von Satz 2) vorschreiben, indem ich
gleichzeitig die zugehörigen m sämmtlich gleich Null setze. Mö-
gen wir jetzt r\ insbesondere so wählen, daß das Bild des von e%
bis ex reichenden Stückes der A-Axe in der rj- Ebene geradlinig
wird. Eine leichte geometrische Ueberlegung zeigt dann, daß in
Folge von 2) und der allgemeinen dadurch entstehenden Lagever-
hältnisse, die Bilder der Intervalle von e% bis e3 und von et bis e6
gleichfalls geradlinig werden und in dieselbe gerade Linie
hineinfallen. Den Intervallen et — e2 , e3 — e4 , e5 — e6 aber
entsprechen einfach von dieser geraden Linie begränzte
Halbkreise. (Das Polygon der 17-Ebene läßt sich am kürzesten
beschreiben als eine von einer Geraden begränzte Halbebene, aus
welcher man, vom Rande aus, drei halbe Kreisscheiben herausge-
schnitten hat). Wollen wir jetzt die ganze A-Ebene in Betracht
ziehen, nachdem wir dieselbe längs der drei ^egmente ex — ev es — ev
e6 — ea der reellen Axe mit Einschnitten versenen haben ! Offen-
bar entspricht derselben jetzt ein schlichtes, von drei Voll-
kreisen umgränztes Stück der ^-Ebene. Wir erhalten
hieraus ein Bild der zur hyperelliptischen Irrationalität \] f ge-
hörigen Biemann' sehen Fläche, indem wir dem genannten Stücke
1) d. h. von linearen Transformationen des 7 abgesehen völlig bestimmt ist.
94 f. Klein
der 17-Ebene noch eines derjenigen hinzufügen , welche sich ans
ihm durch Inversion an einem seiner drei Begränzungskreise er-
geben. Hiermit aber ist für den Fall des hyperellip-
tischen Gebildes \jf diejenige conforme Abbildung
geleistet, deren Möglichkeit und Bestimmtheit ich
in Band 19 der mathematischen Annalen (Weihnachten
1881) für beliebige algebraische Gebilde behauptet
habe1). Es war bis jetzt nicht gelungen, dieses letztere Theo-
rem auf andere Art als durch Continuitätsbetrachtungen zu er-
weisen , die von der in der 17-Ebene gelegenen Figur ihren Aus-
gang nehmen : hier haben wir , allerdings nur für den einfachen
Fall eines hyperelliptischen Gebildes mit sechs reellen Verzwei-
gungspuncten, eine Construction des betr. rj vom gegebenen alge-
braischen Gebilde aus.
Es knüpft sich hieran noch eine weitere neue Bemerkung,
welche auf die oben gegebene Einführung homogener Variabler
zurückgeht. Bekanntlich sind A und \J /"(A) in dem soeben gefun-
denen r} eindeutig; sie stellen solche eindeutige Functionen von
r} vor, welche sich bei unendlich vielen linearen Substitutionen
von t\ reproduciren (ich möchte vorschlagen , solche Functionen
überhaupt automorphe Functionen von yj zu nennen). Auch
die Integrale
ux = fkx dco , u2 = fl2 da) ,
wo
slmv
werden eindeutig in r\. Nun hatten wir doch von vorneherein
v\ = FX\F% gesetzt, wo Fti F2 Formen (— V2)ter Dimension in
A, , A2 waren. Man findet hieraus unter Benutzung der Differen-
tialgleichung (11) :
(14) F2dF — FxdF2 = Tida,
wo x eine unbestimmt bleibende numerische Constante. Jetzt ist
drj ■
_ F2dF,
-FtdF2
Fl
Wir erhalten also :
(15)
K =
x 2
dux
A - —
A2 XT2
£ 2
( du,
dr}
1) Ueber eindeutige Functionen mit linearen Transformationen in sich.
zur Theorie der Lamdschen Functionen, 95
so daß sich Xv A2 als eindeutige Formen ( — 2)ten Gra-
des von Fx, F2 darstellen. Uebrigens weist man leicht nach
(oder schließt es aus (14)), daß Fl , F2 den unendlich vielen linea-
ren Substitutionen von r\ entsprechend selber binäre lineare Sub-
stitutionen von der Determinante 1 erleiden. Bei diesen bleiben
dann A1? Az ungeändert; ich schlage dementsprechend vor, die-
selben als automorphe Formen von Flt F2 zu bezeich-
nen.
Auch 'dieses Resultat verallgemeinert sich auf beliebige alge-
braische Gebilde. Sei nämlich t\ auf einem solchen Gebilde un-
verzweigt. Setzt man dann t\ gleich dem Quotienten
zweier Formen Fl} Fai welche auf dem algebraischen
Gebilde selber unverzweigt sind (ver gl. die Note zu p. 90),
so hat man immer Formel (14). Dabei bedeutet dco denjeni-
gen zum algebraischen Gebilde gehörigen Differentialausdruck, wel-
chen ich im vorigen Jahre in meiner ersten der Societät vorgelegten
Note : »Zur Theorie der Abelschen Functionen« eingeführt habe 1).
»Das älteste Glied der masoretischen Traditions-
kette«
von
Paul de Lagarde.
Man weiß aus meinen Mittheilungen 1 91 ff. , daß ich einiges
Interesse für die Geschichte der iTViDü habe, obwohl ich nicht
einmal ihren Namen sicher auszusprechen verstehe. Man kann
sich meine Freude denken, als ich im LCB vom 25 Januar 1890
Folgendes las:
In der alten masoretischen [so] Traditionskette, zuletzt mitgetheilt in Dik-
duke ha-Teamim, ed. Baer und Strack, S. 56, figuriert als das älteste Glied der-
selben ein ^pDTS. Wie viele Verschlimmbesserungen dieser Name erlitten
hat, weil man mit ihm nichts anzufangen wußte, ersieht man aus den ver-
zweifelten [so] Versuchen, welche die Varianten bieten. Wir treffen aber den-
selben Namen, allerdings wiederum vielfach entstellt, in einer Erzählung, die
in beiden Talmuden und in mehreren Midrasch-Parallelen mitgetheilt wird.
Nur an einer dieser Stellen , in der alten Pesikta nämlich , hrsg. von Buber,
Bl. 90, erscheint der Name richtig, wie bereits angegeben. Wir lernen den
1) Vergl. auch den schon oben genannten Aufsatz in Bd. 36 der mathemati-
schen Annalen.
96 Paul de Lagarde,
Träger desselben alsSafra kennen, d.h. [so] als Gelehrter [so] der Massorah
[so], er lebt unmittelbar in der Nähe von Tiberias, wo eben [so] der Sitz jener
massoretischen [so] Studien war, und er tritt dort gegen seinen Zeitgenossen
Simon ben Iochai auf. Wir können somit [so] die Persönlichkeit des ältesten
Massoreten [so] sicher feststellen. Aber auch den Namen selbst können wir
als einen bei den Römern [so] üblichen nachweisen. Denn er wird als Manna-
chius auf einer Inschrift (Corp. Inscr. Lat. IX, 1128) erwähnt; ist als Man-
nacius sogar der Name eines römischen Juden [so] , auf einer Inschrift in der
jüdischen Katakombe an der Vigna Kandanini in Rom (Garrucci, Nuove
Epitaf. 24).
Der in Eede stehende Artikel des LCB ist mit »A. Br.« un-
terzeichnet.
Auf der von Herrn »Br« angezogenen Seite der D^SJtar» ^JWpl
findet sich als § 69 Folgendes :
Das ist die [oder: eine] Ueberlieferung , welche TObtf *Q Xtftl
*>D£K "O überliefert hat, der [nämlich ÄDII] sie von »Rabbi«
rvnrv dem Babylonier empfangen hat, der sie von p^lö sei-
nem Vater empfangen hat : und dieser hat sie vom »Rab«
tKHi/t empfangen: und »Rab« 8*18 hat sie vom »Rab« Wir/Oft
empfangen, welcher sie an einen Mann aus »$T*m"0« weiterge-
geben hat: und er [wer?] hat sie von ^pift [das sind Punc-
tatoren : nach der aaO. unter dem Texte stehenden Glosse der
Herren Baer und Strack D^lpS] empfangen, welche aus dem
Lande Israels nach Babylonien vertrieben worden waren
[Plural] , welchen [Singular] Rufus vertrieben hatte , damit
nicht im Lande Israel das Gesetz sei. Und sie summierten
das Gesetz und die Propheten und die Hagiographen, die 24
Bücher, welche sie summierten ohne sich zu versehen, zwei
Myriaden und drei Tausende und zweihundert und drei, nicht
weniger und nicht mehr.
Wo ich nur damit geschrieben habe, steht im Urtexte 8b^ W*3;
ich finde in mir zugänglichen Büchern keine Belehrung über Ohn *0.
Ich habe HpiBfc* für ö»n°>( genommen : auch dies mag unsicher sein.
Alles Andere steht fest.
Und damit steht erstens fest, daß am angezogenen Orte gar
nicht von »der masoretischen Traditionskette« im Ganzen, sondern
nur (wie in § 68, wo ein Generaltitel) davon gehandelt wird, wie
viel »Verse« im jüdischen Canon vorhanden sind. Es steht zwei-
tens fest, daß Herr »Br« ^psn gelesen hat, wo ^pitt gedruckt ist :
die Herausgeber haben die Vokabel selbst punktiert, und das
Wort ausdrücklich erklärt. Herr »Br« hat unmöglich das Buch der
Herren Strack und Baer genau angesehen, und wagt gleichwohl
zu »entdecken«, und das Wörterbuch des Herrn Levy, das an
das älteste Glied der masoretischen Traditionskette. 97
wenig zuverlässiger Waare reich genug ist, mit noch mehr unzu-
verlässiger Waare zu »bereichern«.
Jetzt zu Bubers Pesikta [welche 1868 zu Lyck gedruckt ist].
Herr Wünsche dient den Juden sogar vor Gericht als »Sachver-
ständiger« : er ist aber ein hastiger Dilettant schlimmster Art, und
das wissen die Juden natürlich selbst in mancher Beziehung noch
genauer als die Nicht Juden. Ich rufe trotz dieses Urtheils hier
die Hülfe des Herrn Wünsche an, um nicht sachverständigen Le-
sern das Urtheil zu erleichtern. Herr Wünsche hat nämlich die
von Buber herausgegebene Pesikta 1885 in das Deutsche über-
setzt. Bubers Seite 901 lautet bei Herrn Wünsche wie folgt
[113 Zeile 6 von unten] :
Ich gehe und werde mich an diesem alten Juden belustigen. Was machte
er? Er nahm einen Todten und verscharrte ihn auf einer Strasse, welche
der Rabbi gereinigt hatte. Der Cuthäer ging zu R. Simeon ben Jochai und
sprach zu ihm: Hast du nicht die und die Strasse gereinigt? Ja wohl, ver-
setzte der Rabbi. Wie denn aber, fuhr der Cuthäer fort, wenn nach dir
noch ein Todter zum Vorschein kommt? Zeige ihn mir! sprach der Rabbi.
R. Simeon ben Jochai erschaute aber im heiligen Geiste, dass der Todte von
jenem Manne dahin gelegt worden war. Daher sprach er : Ich verhänge
über die Oberen, dass sie hinabsinken, und über die Unteren, dass sie her-
aufkommen. Und so geschah es. Als er fortging, kam er an dem Versamm-
lungshause vorüber und hörte die Stimme der Kinder der Schule von Magdala.
Da sprach einer (wahrscheinlich der Lehrer der Schule) : *) Siehe, Bar Jochai
Die Anmerkung des Herrn Wünsche lautet:
Nach Schabb. fol. 34a sprach ein Alter diese Worte und er wurde zu einem
Knochenhaufen.
Der Name ^pyn steht, trotz der Versicherung des Herrn »Br« in
Bubers Texte nicht, und auch in des Herrn Wünsche Uebersetzung
nicht. Der gemeinte Satz lautet tibnyni »ns>0 ^paw JTbp *Wi.
Bubers Anmerkung 180 berichtet, man lese auch (in den Parallel-
stellen) fcnfiül JTbp und «"ISO iKpan [mbp] , wo in itfpD ein Eigen-
name gesehen werde. Buber lehnt letzteres anzunehmen ab : er
selbst erklärt n&on in'OB pi^n btt blp Wätö , und beruft sich auf
eine Stelle im Midrasch zu den Threnis, welche er unartiger
Weise nicht genauer citiert : • vneo *tb b* • übtriTb xna ornfctta in
■patT^ ipWfl WO» , was er hebräisch gibt D"Hbi K»ai "i&on mnb tfa
D*WV\ Was Herr Wünsche mit dem Suffixe in rv*bp anfangen
will, ist Seine Sache.
Also in Bubers Pesikta erscheint der Name ^pÄJ nicht, son-
dern im Texte ^p5*W der Kinder, und am Rande als eine, aber
Verworfene Variante ^tfpD [vgl. Levy2 3 438 *]. Davon, daß es
sich in der Pesikta um einen »Masoreten« handele, ist nicht ein
Schimmer zu entdecken.
98 Paul de Lagarde,
In des Herrn "Wünsche Uebersetzung des Buches ni"! tt^töÄIS'
389 hat ein Herr Fürst ausführlich über die in der PesiqTä ste-
hende Sage gehandelt, auch dem Citate aus ^ma^i ro^tf eine Seiten-
zahl beigefügt. Den ausgesucht albernen Text der fO^ n^tDÄ^l
mag man bei Herrn Wünsche nachlesen : man soll nur nicht ver-
gessen, daß weniger als Herr Wünsche gelehrte Leute (Wilnaer
Ausgabe 85p1 12) 8^60 ^8pn 8bp kaum »die Stimme eines Schrei-
bers, Namens Dankai« übersetzen werden, da das mit dem Arti-
kel versehene 8bp, falls jener Schreiber Dankai hieße, ^tfpDYl nach
sich ziehen müßte: Symmicta 1 92 20.
Aber die Herren Baer und Strack verweisen — was Herr »Br«
nicht erwähnt — auf ihrer von Herrn »Br« angeführten Seite 56
auf ein zu vergleichendes Buch RKirchheims : »ein Commentar zur
Chronik aus dem 10[ten]. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1874, S. 56«.
In diesem, nicht in den Diqdüqaß ha6Öeqomim, erscheint ^pSTQ al-
lerdings, und zwar, neben dem ^p3 der Turiner Handschrift 56s,
aus einem Yenediger Drucke 5623, neben handschriftlichem ^pU
5632 und ^p3 5636 und '">p5 57 11 deutlich als Eigennamen da, wo
die Herren Baer und Strack ohne Variante 'HJMfc drucken, und
Punctatoren übersetzt haben wollen. Der Turiner Codex »124«
wird der sein, welcher in dem 1880 erschienenen Kataloge des
Herrn Bernardino Peyron Seite 2 2 A 1. 2. heißt. Allerdings ent-
hält dieser »Rasci«-Codex nach Peyron die Paralipomena »mutila
in fine« , während der Gelehrte des Herrn Bub er aus 124 ein
Stück abgeschrieben hat, das nur das Ende sein kann. Es lohnt
aus Kirchheims Buch iij r Folgendes herzusetzen :
Wenn auch, was diese Traditionskette betrifft, die individuelle Existenz der
darin aufgeführten Namen nicht anzuzweifeln wäre, so ist doch unzweifelhaft
diese überlieferte Tradition nur fictiv und hat nicht mehr historischen Werth
als die sinaitische und karäische ; denn eine Wissenschaft wie die Massoreth,
die in Schrift und Wort verbreitet wurde, ist keine Geheimlehre, die nur
Einzelnen anvertraut wäre.
Da die Paralipomena den Canon der Juden schließen, ist in
der Ordnung, daß an ihrem Ende die Schreiber melden, wie viel
Verse im ganzen Canon enthalten sind. Die Turiner Hds. gibt
mutatis mutandis was Baer-Strack als § 69 drucken, die Rostocker
gibt es nicht. Beide Hdss. haben als wirklichen Schluß ein Stück,
daß ich in beiden Redactionen, aber so drucke, daß das Entspre-
chende sich gegenübersteht :
das älteste Glied der maso-retischen Traditionskette. 99
Turin Rostock
mbbD nsoa iposroi i
D^bnbn mrop mnap
Dam ia ipo^riD nsrnnffi D*m in iporns mn nton
barwi ^Ȋi barian ibarwa Tanan Kanaan
^arca iöuti itane 5 ^batn ptsn p-ra
n^bnbn mamp mbb
d^od mp» trtioö mpaa
ippm
Tip* b* ^rwnb 10 ppv b? 7mMr6
rrab» nirrowai ■naraai
b»w ^nba 'n d?e
■p* pa omu
Hier ist klar, daß sich T 1 2 E 6 auf Cant. 5n bezieht: ich
kann diese Worte wie die Segensformeln T 11 12 R 13 für mei-
nen Zweck auf sich beruhen lassen. Es ist mir wahrscheinlich,
daß D^OB mpil in einer Höhle von Götzenbildern eine Metropole
des christlichen Cultus bezeichnet , vielleicht Rom selbst : man
kennt ja die freundlichen Ausdrücke, welche die Religionsschrif-
ten der allezeit toleranten Juden für die Christen haben.
Die von RKirchheim benutzte Abschrift Ts ist ihm von Herrn
ABerliner überlassen worden, welcher dafür von der nicht in den
Buchhandel gelangten Arbeit Kirchheims 25 Exemplare bezogen
hat (Vorrede viij): Eines dieser 25 werde ich besitzen, denn ich
habe das Buch irgend wann erkauft. Die Abschrift Ts hat Herr
Berliner nicht selbst gemacht (Vorrede ij): sie ist kaum verläßli-
cher als das von mir in den Mittheilungen 2 290 r besprochene Stück
(wo fcnta für Veoure). Kirchheim (Mittheilungen 2 155) las ncoi
fiTH für nmirwi;, mehrfach ) für % ibtttDl für ^ann : in T 7 suche
ich 6u%o[ieTQicc — tf^ttttiD^ötf. Das scheint sicher, daß das von
RKirchheim veröffentlichte Stück die sonst vielfach zu findende
Liste der Verszähler durch vier neue Namen vervollständigt. » Jiream
aus [der Stadt, oder aus der Familie] Magdiel« lebte nach Kirch-
heim v »in oder kurz nach der Zeit Saadia'sc Der in der Turi-
ner Handschrift erscheinende **p5 wird sein Dasein vielleicht nur
dem ungelehrten Freunde des Herrn Berliner verdanken, der vor
^pStt ein ya ausgelassen hat. Freilich fanden wir oben einen ^ap3.
Daß der Verse zählende wpSü in Magdala gewohnt hat, ist
auffallend : ob man tfb^ttl »TOD für der Schriftgelehrte aus Magdala
sagen konnte, müssen jüdische Gelehrte wissen. Keines Falls spricht
§ 69 der Diqdüqse haööeqomim von mehr als von Leuten , welche
100 Paul de Lagarde,
die Verse der Bibel gezählt haben: daß sie auch andere gleich
nützliche und gleich geisttötende Künste getrieben haben, ist
möglich, wird aber nicht gesagt.
*Hp3E — i-ipD [so] ss ^p5 [so] ss ^pSE können sehr wohl ein und
derselben Name, und ^pDE kann die ursprüngliche Gestalt dieses
Namens sein. Von vorne herein bezweifele ich, daß ein auf *»,
also auf konsonantisches y, ausgehendes ^p5E Mannac[h]ius sein
könne : ich bezweifele, daß das nn und daß das erste a des Manna-
chius sich aus ^piB erklären lasse. ARosenberg, das aramäische
Verbum im babylonischen Talmud 52, weist mir die passiven
vebyn und 'pbä'a 'pöDfc nach. Bis auf Weiteres glaube ich ^pja,
wenn es überhaupt richtig ist, Menaqqay sprechen zu müssen, also
gereinigt: ■ ^«^ oblatus, consecratus. Die Variante ^tfpD spricht
durch ihr X für mich.
Was nun das Citat anlangt, welches Herr »Br« aus Garrucci
gibt, so ist ein Buch dieses Jesuiten, das »Nuove Epitaf.« hieße,
ich will nicht sagen : mir , der ich ein Bibliograph nicht bin, son-
dern den Beamten der Goettinger Bibliothek nicht bekannt. Ich
kannte nur (aus Schuerers Programm vom Jahre 1879) Garruccis
dissertazioni archeologiche , welche Herr »Br« auch in des Herrn
Ascoli in den Schriften des zu Florenz abgehaltenen Orientalisten-
congresses zu findendem Aufsatze angeführt finden wird. In die-
sen dissertazioni steht seit dem Jahre 1865 »post« 2 166 folgende
in der Vigna Randanini gefundene Inschrift (siehe unten):
Mannacius. sorori. Crysidi. dulcissime. proselyte.
Klar ist, daß Chrysis keine geborene Jüdin war : und darum wird
auch wohl ihr Bruder Mannacius ein geborener Jude nicht sein.
Es würde sich empfohlen haben, nicht »epitaf. 24« zu citieren,
sondern jenes Buch Garruccis, oder den Urdruck der betreffenden
Abhandlung Garruccis in der Civiltä cattolica Serie 5 Band 6
Seite 102 ff. (vom Jahre 1863), wobei es sich verlohnt hätte zu
sagen, daß 24 nicht eine Seite, sondern die Nummer der fraglichen
Inschrift ist, unter den nuove epigrafi ebraiche di Vigna Randa-
nini die vierundzwanzigste.
Der neunte Band des Corpus inscriptionum latinarum bietet
auf Seite 103 unter Nummer 1128 aus Mirabella eine vom ordo
civitatis Aeclanensium (le Grotte im Lande der alten Hirpiner) an-
geordnete Inschrift, welche anzeigt, daß dem fabricator Umbonius
Mannachius eine Statue gesetzt werden solle. Juden im Lande
der Hirpiner zu suchen, ist wohl trotz der Allgegenwart dieser
Nation hoffnungslos: falls ein Jude je Mannachius geheißen hat,
$o bleibt der Name immer unsemitisch, wie die Flavius, Aurelia,
das älteste Glied der masoretischen Traditionskette. 101
Iulianus usw. der römischen Zeit, die MsveXuog = DWö, 9Ioc6g)v =
9W], 'Iötd&Qog = pnar; der unter Griechen, die Adolf und Otto
== Drnitf, Ludwig und Levin = *ft, Herman = tWT, Moriz =
*Wü der unter Deutschen angesiedelten Juden dadurch, daß Juden
sie sich beigelegt haben, nicht jüdische Namen werden. Der
Schluß wäre doch wohl unzulässig, daß, weil irgend welcher ^b
sich im deutschen Reiche Ludwig schreibt, der Name Ludwig in
dem (xalilaea der Tage Hadrians gesucht werden dürfe.
Mit den Inschriften der Vigna Randanini hat sich vor Ande-
ren Herr Nicolaus Müller in Kiel beschäftigt. Ich habe mich an
diesen mir von Rom her bekannten vortrefflichsten Kenner mit
der Bitte um seine Ansicht über Mannacius gewendet. Herr
NMüller hat mich zunächst belehrt, daß die Inschrift (nach Grar-
rucci) auch von Engeström om Judarne S. 41 Nummer 43 behan-
delt werde: er hat mir Grarruccis Fehler proselyti verbessert, die
Punkte, welche ich oben gedruckt, ergänzt (ein schönes Blatt hin-
ter dulcissime kann ich nicht nachahmen) , und berichtet , die auf
einer weißen, Ois hohen, O49 breiten, von unten nach oben gebro-
chenen Marmortafel stehende Inschrift sei seit 1885 an der Hin-
terseite eines Erwachsenen-Loculus in der Katakombe der Vigna
Randanini befestigt. Herr Müller »möchte annehmen, daß die That-
sache der Nennung des Mannacius innerhalb eines jüdischen Coe-
meteriums die Vermuthung nahe legt, daß er in einem gleichen
oder ähnlichen Verhältnisse zum Judenthume stand wie seine
Schwester« , also nicht von Geburt Jude war (Brief vom 16 Fe-
bruar 1890).
Bis auf Weiteres wird der Hirpinische Eigenname in den
Stammtafeln der Masoreten eine Stelle nicht finden dürfen.
Psalm 114 im Sidrä rabbä.
Herr Pfarrer Wilhelm Brandt hat in seinem Buche über die
mandäische Religion 134 ff. darauf aufmerksam gemacht, daß ge-
wisse Stellen des zuerst von dem Schweden MNorberg als über
Adami , dann von IHPetermann als Thesaurus sive liber magnus
herausgegebenen Werkes sich sehr nahe mit Stellen unseres alten
Testaments berühren. Ich habe die Thatsache erst durch Brandts
Buch erfahren, und weiß mich nicht zu erinnern, sie früher ir-
gendwo , etwa bei Euting oder Noeldeke , erwähnt gefunden zu
haben. Selbstverständlich wird für mich zunächst nichts Anderes
Nachrichten ron der K. G. d. W. zu Göttingen. 1890. No. 4. 9
102 faul de Lagarde,
möglich sein, als weitere Kreise mit Einem der von Brandt an-
geführten Abschnitte des Sidra rabbä bekannt zu machen : einige
Bemerkungen daran zu knüpfen, scheint schon jetzt erlaubt.
Ich setze den vermuthlich den Lesern dieser Blätter schwer
zugänglichen Text her. Petermanns nur in hundert Exemplaren
abgezogene Autographie ruht auf dem A genannten, 1560 geschrie-
benen Pariser Codex 1, Norbergs recht seltener Druck auf dem
als B bezeichneten, 1632/3 vollendeten Pariser Codex 2.
Ich bediene mich, rein mechanisch umschreibend, des hebräi-
schen Alphabets. Ich setze Sinnzeilen ab, und interpungiere.
Brandts Uebersetzung füge ich bei, soweit sie reicht, indem ich
zwei Sprachfehler des meist richtig Deutsch schreibenden Hollän-
ders stillschweigend beseitige. Die Zeilen 21 22 meines Texts habe
ich selbst übersetzt.
Daß ich nicht wie Norberg ^D, sondern wie Brandt 1D, nur
nicht mit gehaktem 1 lese, merke ich nur an.1)
Die Parallelstellen des Psalms 114 führe ich am Rande der
Uebersetzung auf.
Ich schicke dem Texte eine Bemerkung zur mandäischen Gram-
matik vorauf, welche sich an die in meiner Uebersicht 216 gege-
bene Anschauung anknüpft , daß taqattala = büpr,rj. und aus ita-
qattala verkürzt ist.
ThNoeldeke sucht in seiner mandäischen Grammatik 222 ff.
in Formen wie WiStf fi# wird belehrt, scheidet aus ein Ettafal. Falls
Friedrich Delitzsch, was zu entscheiden ich außer Stande bin, be-
rechtigt ist, das assyrische ittafal zur arabischen Siebenten zu
ziehen (ipparis flog, ittapras flog), so dürfte lE&nsany auch Medium
einer Siebenten sein können.
Aber weder Noeldekes Erklärung der tffi!P Formen noch ein
etwa zu machender Versuch, solche Formen aus dem assyrischen
Ittafal zu deuten, reicht für alle mandäischen 8T\y aus, welche ja
füglich — ich behaupte nicht, daß sie es sind — aus verschiede-
nen Urformen zusammengefallen sein können, fifiwntfrtf in mei-
ner Zeile 23 ist \p\*ju>tj*, und gewis ist wJUl>(* und ~jlJL* an
^kjuul!* (= jetzigem spk^jLuJU) durchaus unschuldig.
Wie wäre es, wenn man Xtiy wenigstens in einzelnen Fällen
als jenes von mir vermuthete ita ansähe? Man dürfte tte in
Jfcc^jUJ (bei mir 10 fiarPTSn^) doch wohl wie die von mir in der
1) Da HZotenberg im Catalogue § 5 versichert, es erhelle aus dem von ihm
beschriebenen Codex, daß die beiden 1 nur graphisch verschieden seien, bezeichne
ich das Relativum nicht ausdrücklich, etwa durch einen RapheStrich.
Psalm 114 im Sidrä rabbä. 103
Uebersicht 11 8 ff. behandelten Bildungen auffassen. Mein aus Pe-
dro de Alcala geschöpftes Material ist reich , meine Lesung man-
däischer Texte noch nicht ausgedehnt. Vielleicht äußert sich
Noeldeke einmal über die Frage.
Meines Erachtens wäre der Beweis so zu führen, daß man
alle die Fälle sammelte, in denen eine arabische Fünfte einem he-
bräischen Hrrpaqqel, einem syrischen ^^äU und einem mandäi-
schen — JÄfi^ entspricht, ohne daß Letzterem ein Afqel oder Tafqel
passender Bedeutung zur Seite stünde. Es ist überhaupt längst
Zeit, ein vergleichendes Wörterbuch der semitischen Sprachen vor-
zulegen.
Norberg 320 J***t1 K1W »W | XFl
^rrwabv xun^iüü naana anabw
: sn»p*a a^Dtf na Da -d «bb^a ü «manan
. »nmatFin arcawi prrow* ^nna s armte
: **\a*rroa itf ab^ba awKi
. r«tPTKWi na na<T lanKTrn »pn» t o
\ roHBÄi w*tn •ja'ab .. mapr*
\nrt^H "ö IwiptfTi jinwn pzb .. »■nitt
\flwwöf» •prvwuw» {wab .. n»ma anabw 1 5
\*nap*a ■pn^bBÄta i«Bb .. k^*»* nasa na «n»ü»n»i
\ a nmaimna "pa^Eiö pr™nas ^ 12b .. a itit:
•..•pmaan* ]*rob .. ^ab^ba a^n«
A = Petermann 175 ?%tWWtfrT nr*!p | )$)£> .. tfpna
\rpw»ri rwn i«ttb .. wa«1» v^n 20
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1 Geoffenbart ist das Leben der [Dativus] Tibil,
aufgegangen Grlanz und Licht und Leben.
Das Meer, als es ihn sähe, kehrte um, 3l
und der Jordan wandte sich rückwärts: 32
5 die Berge sprangen wie Hirsche, 41
und die Hinden auf dem Felde verderbten ihre Jungen.
Und die Hügel redeten mit Ehre wie die Wolkensöhne. 4*
9*
104 Paul de Lagarde,
Die Berge Öffneten ihren Mund und gaben Lobpreis,
und die Cedern auf dem Libanon wurden gebrochen.
10 Die Erde, als sie mich sähe, zitterte und ward erschüttert.
Der König des Meeres, als er mich sähe, kehrte um. 51
Meer, wen sähest du, und kehrtest um?
Jordan, wen sähest du, und wandtest dich rückwärts? 52
Berge, wen sähet ihr, und spränget wie Hirsche? 61
15 und [ihr] Hinden auf dem Felde, warum verderbtet ihr eure Jungen ?
Hügel, für wen redetet ihr wie die Wolkensöhne mit Ehre ? 62
Berge, für wen öffnetet ihr euern Mund mit Lobpreis?
Cedern auf dem Libanon, für wen wurdet ihr gebrochen?
Erde, wen sähest du, und wurdest erschüttert?
20 König des Meeres, wen sähest du, und kehrtest um?
und [ihr] Tiefen des Meeres, warum geriethet ihr in Verwirrung ?
und [ihr] Wogen des Meeres, wem wurdet ihr sichtbar?
Vor dem Grlanz und Licht und dem Wissen des Lebens
24 und dem Grlanze und der Vollkommenheit, mit der ich die Er-
wählten bekleidet habe.
Petermann 1 174n, Norberg 1 318 Ende, Brandt 134. Die
von Petermann gesammelten Varianten 2 66 ff. sind stillschwei-
gend benutzt.
WBrandt hat richtig gesehen, daß die Wolkensöhne der Zeile 7
dem Misverstehn eines ^j wJä = yk% ^1 in ^i^>f ^iä ihr Da-
sein verdanken. Er hat nicht gesehen, oder auszusprechen nicht
der Mühe werth erachtet, daß der König des Meeres der Zeile 11
dadurch entstanden ist, daß Sjb «TD unseres Canons in -fbtt zusam-
men gelesen worden ist. EBöhl hat 1873 von einer aramäischen Volks-
bibel geschrieben. lob 8Q[ir}veveTcu ix rijg övQtaKrjg ßCßlov (Nach-
wort) : andere Bücher sind nach Ausweis der von ihnen gebrauch-
ten Vokabeln (wie ftadccfta) ebenfalls aus einem aramäischen Ori-
ginale geflossen. Ein Targum hohen Alters hat sogar für den
Pentateuch ©s (Mittheilungen 2 361 ff.) 'Ewa = ^pr\ geliefert.
Nichts hindert anzunehmen, daß die Mandäer einen alten Targum
des Psalms 114 benutzt haben, der uns verloren ist.
Brandt hat auch nicht erkannt, daß was die Mandäer entlehnt
haben, eine ursprünglichere, vollständigere, aber überladene Gestalt
unseres Psalms 114 ist, den man erst später auf den wunderbaren
Durchzug durch das rothe Meer gedeutet haben mag, und der so-
gar im Canon eine für eine Pasch aLiturgie unpassende Stelle ent-
hält, die vom Jordan, welche jetzt auf Iosue 3 bezogen wird. Es
wäre recht nützlich, wenn man einsähe, daß der Satz »il prend
Psalm 114 im Sidrä rabbä. 105
son bien partout oü il le trouve« auch von den Liturgikern gilt.
Daraus , daß Psalm 114 ein Theil des PaschaBituals ist , folgt
noch lange nicht, daß er von Hause aus geschrieben worden ist,
um ein Theil eines solchen Rituals zu sein. Psalm 55 (= vd)
mag auf Abessalom, auf Achithophel, auf Doeg, auf die Feinde
des Ieremias , auf Alcimus , auf Seleucus den Vierten gedichtet
sein — die Kirche Aegyptens hat auf alle Fälle das Recht, seine
Verse 5 bis 9 (meine von keinem Liturgiker je auch nur beroche-
nen Orientalia 1 46) über den Toten zu lesen:
Das Herz bebt mir im Leibe:
Todesgrauen überfiel mich:
Zagen und Zittern *) kam über mich :
mich übermochte Schwindel.
Da sprach ich: Hätt' ich doch Flügel, Taubenflügel,
wie wollt' ich mir eine Heimstatt erfliegen!2)
gerne3) weit hin dehnend das Streifen,
auf der Heide Bast suchen !
wie wollt' ich eilends mir einen SchlupfOrt finden
vor wüthendem4) Winde, vor Wetter!
Was die Christen Aegyptens mit dem Psalm 55 gethan haben,
durften auch die Männer der Synagoge mit irgendwelchem Liede
ihrer eigenen Vorzeit thun.
Mit Cedern und mit dem Libanon haben die Mandäer nichts
zu schaffen gehabt. Cedern zu nennen war in Süq esslük so un-
passend, wie der berühmte Satz »wenn ich durch ein Dorf reite«
im Munde Laskers unpassend war. Der Jordan , von dem der
Psalm spricht, ist ein ganz anderer als der so oft von den Man-
däer n erwähnte.
Der Ueberschuß der Mandäer trägt hebräisches Gepräge. In
Zeile 6 ist bart misverstanden , das adCvsiv und xatccy&eiQStv be-
deutete : zum mandäischen Worte vergleiche ^-u* und »JLgu**«,
das beides zur Wurzel tfEH gehört. Aber der Ueberschuß ent-
hält außer dem echten Texte auch die Deutungen eines Targum:
ich habe zwei Bände Targum herausgegeben, und scheide (wie
ich meine, sicher) die Einlagen aus. Zum Beispiel lautete Zeile 10
vermuthlich bhrn5) y^txn ^n&n (vergleiche Psalm 114 e), und k*»jU{o
ist Glosse des Targum. Allerdings wird, wer den Urtext her-
1) Lies TOT n^n, Prophetae chaldaice 48.
2) üebersicht 209—214.
3) = HDH.
4) J^od d7rrjX&ev £<p<o8euaev ^rr/jp^aaev.
5) Ieremias 51 M gegen Psalm 97 4.
106 H. Hertz,
stellen will, um das Versmaß richtig zu erhalten, die Annahme
nicht scheuen dürfen, daß hier und da Ein Wort oder zwei Worte
uns fehlen.
Daß Psalm 114 3 H*n in *in*n zu ändern ist, scheint mir gewis.
Man hatte sich mit ruyi begnügt , um nicht zwei 1 nebeneinander
zu haben: denn ÜS^\ folgt.
Ueber die Grundgleichungen der Elektrodynamik
für ruhende Körper.
Von
H. Hertz,
Das System von Begriffen und Formeln, durch welches Max-
well die elektromagnetischen Erscheinungen darstellte , ist in
seiner möglichen Entwicklung reicher und umfassender als ein
anderes der zu gleichem Zwecke ersonnenen Systeme. Es ist ge-
wiß wünschenswerth , daß ein der Sache nach so vollkommenes
System auch der Form nach möglichst ausgebildet werde. Der
Aufbau des Systems sollte durchsichtig seine logischen Grundlagen
erkennen lassen; alle unwesentlichen Begriffe sollten aus dem-
selben entfernt und die Beziehungen der wesentlichen Begriffe
auf ihre einfachste Gestalt zurückgeführt sein. Die eigene Dar-
stellung Maxwells bezeichnet in dieser Hinsicht nicht das er-
reichbare Ziel, sie schwankt häufig hin und her zwischen den An-
schauungen, welche Maxwell vorfand, und denen, zu welchen er
gelangte. Maxwell geht aus von der Annahme unvermittelter
Fernkräfte , er untersucht die Gesetze , nach welchen sich unter
dem Einfluß solcher Fernkräfte die hypothetischen Polarisationen
des dielektrischen Aethers verändern und er endet mit der Behaup-
tung , daß diese Polarisationen sich wirklich so verändern , ohne
daß in Wahrheit Fernkräfte die Ursachen derselben seien *). Dieser
Gang hinterläßt das unbefriedigende Gefühl, als müsse entweder
das schließliche Ergebniß , oder der Weg unrichtig sein , auf wel-
chem es gewonnen wurde. Auch läßt dieser Gang in den Formeln
eine Anzahl überflüssiger, gewissermaßen rudimentärer Begriffe
1) Die gleiche Bemerkung trifft die durch v. Helmholtz im 72. Bande des
Cr eil eschen Journals gegebene Ableitung, nicht zwar allgemein, aber doch für
diejenigen besonderen Werthe der Constanten, welche in den Endresultaten die
Fernkräfte verschwinden lassen, welche also auf die hier vertretene Theorie führen.
Über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruheude Körper. 107
zurück, welche ihre eigentliche Bedeutung nur in der alten Theorie
der unvermittelten Fernwirkung besaßen. Als solche rudimentäre
Begriffe physikalischer Natur nenne ich die dielektrische Ver-
schiebung im freien Aether, unterschieden von der erzeugenden
elektrischen Kraft und das Verhältniß beider , die Dielektricitäts-
constante des Aethers. Diese Unterscheidungen haben Sinn, wenn
wir aus einem Raum den Aether entfernen , die Kraft aber in
demselben bestehen lassen können. Nach der Anschauung, von
welcher Maxwell ausging war dies denkbar, es ist nicht denkbar
nach der Anschauung , zu welcher seine Arbeiten uns geführt
haben. Als eine rudimentäre Erscheinung mathematischer Natur
nenne ich das Vorherrschen des Vectorpotentiales in den Grund-
gleichungen. Bei dem Aufbau der neuen Theorien dienten die
Potentiale als Gerüst , indem durch ihre Einführung die unstätig
an einzelnen Punkten auftretenden Fernkräfte ersetzt wurden durch
Größen, welche in jedem Punkte des Raumes nur durch die Zu-
stände der benachbarten Punkte bedingt sind. Nachdem wir aber
gelernt haben , die Kräfte selber als Größen der letzteren Art
anzusehen, hat ihr Ersatz durch Potentiale nur dann einen Zweck,
wenn damit ein mathematischer Vortheil erreicht wird. Und ein
solcher scheint mir mit der Einführung des Vektorpotentiales in
die Grundgleichungen nicht verbunden, in welcher man ohnehin
erwarten darf, Beziehungen zwischen Größen der physikalischen
Beobachtung, nicht zwischen Rechnungsgrößen zu finden.
Die erwähnten Unvollkommenheiten der Form erschweren auch
die Anwendung der Maxwell sehen Theorie auf besondre Fälle.
Aus Anlaß solcher Anwendungen habe ich mich seit längerer Zeit
bemüht, die Maxwell sehen Formeln zu sichten und versucht, die
wesentliche Meinung derselben von der zufälligen Form, in welcher
sie zuerst auftraten, abzulösen. Das Folgende ist die geordnete
Zusammenstellung meiner Ergebnisse. In gleicher Richtung hat
bereits seit 1885 Herr Oliver Heaviside gearbeitet. Die Be-
griffe, welche er aus den Maxwell sehen Gleichungen fortschafft,
sind dieselben, welche auch ich fortschaffe; die einfachste Form,
welche diese Gleichungen dadurch annehmen1), ist, von Neben-
dingen abgesehen, die gleiche zu welcher auch ich gelange. In
dieser Hinsicht also gehört Herrn Heaviside die Priorität. Trotz-
dem wird man, hoffe ich, die folgende Darstellung nicht für über-
1) Diese Gleichungen findet man im Philosophical Magazine , Februar 1888.
Daselbst wird auf frühere Arbeiten im Electrician, 1885 Bezug genommen, welche
Quelle mir unzugänglich gewesen ist.
108 H.Hertz,
flüssig halten. Eine endgültige Darstellung beansprucht dieselbe
nicht zu sein , sondern nur eine solche , von welcher sich leichter
weitere Verbesserungen anknüpfen lassen, als an die bisher gege-
benen Darstellungen.
Ich theile den Stoff in zwei Theile. In dem ersten Theile A
gebe ich die Grundbegriffe und die sie verknüpfenden Formeln.
Es werden den Formeln Erläuterungen hinzugefügt werden , aber
diese Erläuterungen sollen nicht Beweise der Formeln sein. Die
Aussagen werden vielmehr als Erfahrungsthatsachen gegeben,
und die Erfahrung soll als ihr Beweis gelten. Allerdings läßt
sich einstweilen nicht jede einzelne Formel besonders durch die
Erfahrung prüfen, sondern nur das System als Ganzes. Mit dem
Gleichungssystem der gewöhnlichen Mechanik liegt ja die Sache
kaum anders. In dem zweiten Theile B gebe ich an, in welcher
Weise die Thatsachen der unmittelbaren Wahrnehmung systema-
tisch aus den Formeln abgeleitet werden können, durch welche
Erfahrungen sich also die Richtigkeit des Systems erweist. Aus-
führlich behandelt würde dieser Theil einen sehr großen Umfang
annehmen, es kann sich hier daher nur um Andeutungen handeln.
A. Die Grundbegriffe und ihr Zusammenhang.
1. Elektrische und magnetische Kraft.
Das Innere aller Körper , den freien Aether eingeschlossen,
kann von der indifferenten Ruhe aus Störungen erfahren, welche
wir als elektrische, und andere Störungen, welche wir als magne-
tische bezeichnen. Das Wesen dieser Zustandsänderungen kennen
wir nicht, sondern nur die Erscheinungen welche ihr Vorhanden-
sein hervorruft. Diese letzteren sehen wir als bekannt an, mit
ihrer Hülfe bestimmen wir die geometrischen Verhältnisse der
Zustandsänderungen selbst. Die Störungen der elektrischen und
der magnetischen Art sind so mit einander verknüpft, daß Stö-
rungen der einen Art unabhängig von denen der andern dauernd
zu bestehen vermögen , daß dagegen Störungen keiner der beiden
Arten zeitliche Schwankungen erleiden können, ohne dadurch zu-
gleich Störungen der anderen Art hervorzurufen. Die Erzeugung
des geänderten Zustandes erfordert den Aufwand von Energie;
diese Energie wird beim Verschwinden der Störung wiederersetzt ;
das Vorhandensein der Störung stellt also einen Vorrath von
Energie dar. In einem und demselben Punkte können sich die
Zustandsänderungen einer jeden Art unterscheiden nach Richtung,
über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruhende Körper. 109
Sinn und Größe. Es ist also zur Bestimmung sowohl des elek-
trischen als des magnetischen Zustandes die Angabe einer gerich-
teten Größe oder der drei Componenten einer solchen noth wendig.
Es ist aber eine erste wichtige Voraussetzung unserer gegen-
wärtigen Theorie, daß die Angabe einer einzigen Richtungsgröße
auch hinreichend sei , um die betreifende Aenderung vollständig
zu bestimmen. Gewisse Erscheinungen, z. B. die des permanenten
Magnetismus, der Dispersion u. s. w. lassen sich von diesem Stand-
punkte aus nicht verstehen, sondern erfordern, daß die elektrischen
bezw. magnetischen Zustände eines jeden Punktes durch mehr als
eine Variabele dargestellt werden. Solche Erscheinungen treten
dadurch selbst aus dem Rahmen unserer Betrachtung in ihrem
gegenwärtigen Umfange heraus.
Diejenige Richtungsgröße , durch welche wir zunächst den
elektrischen Zustand bestimmen, nennen wir die elektrische Kraft.
Die Erscheinung durch welche wir sie definiren, ist die mechanische
Kraft , welche ein bestimmter elektrisirter Körper im elektrisch
gestörten leeren Räume erfährt. Für den leeren Raum selbst
wollen wir nämlich die Componente der elektrischen Kraft in
beliebiger Richtung proportional setzen der gleichgerichteten Com-
ponente jener mechanischen Kraft. Unter elektrischer Kraft in
einem Punkte eines ponderabelen Körpers verstehen wir die elek-
trische Kraft, welche an dem betreffenden Punkte im Innern eines
unendlich kleinen, unendlich gestreckten cylindrischen Hohlraumes
sich findet , den wir in solcher Richtung in den Körper gebohrt
haben, daß seine Richtung mit derjenigen der Kraft übereinstimmt,
— eine Anforderung, welcher erfahrungsmäßig stets genügt werden
kann. In welcher Beziehung auch immer die so gemessene Kraft
zu der wirklichen Zustandsänderung des Körpers steht, sicherlich
muß sie dieselbe gemäß unserer Voraussetzung eindeutig bestim-
men. Setzen wir überall an Stelle des Wortes „ elektrisch u das
Wort „magnetisch" und an Stelle des elektrisirten HülfskÖrpers
den Pol einer Magnetnadel , so erhalten wir die Definition der
magnetischen Kraft. Um den Sinn beider Kräfte in der conven-
tionellen Weise festzulegen, bestimmen wir noch, daß der elektri-
sirte Hülfskörper mit Glaselektricität geladen und daß derjenige
Pol der Magnetnadel benutzt werde, welcher nach Norden weist.
Die Einheiten der Kräfte sind noch vorbehalten. Die Componenten
der elektrischen Kraft in Richtung der x, y, z bezeichnen wir mit
X, Y, Z, die gleichgerichteten Componenten der magnetischen Kraft
mit L, M, N.
110 H. Hertz,
2. Die Energie des Feldes.
Der elektrische Energievorrath eines Köpervolums, in welchem
die elektrische Kraft einen constanten Werth hat, ist eine homo-
gene, quadratische Funktion der drei elektrischen Kraftcomponen-
ten. Die entsprechende Aussage gilt für den Yorrath an magne-
tischer Energie. Den gesammten Energievorrath bezeichnen wir
als den elektromagnetischen , er ist die Summe des elektrischen
und des magnetischen.
Für einen isotropen Körper ist hiernach die Energiemenge
jeder Art, berechnet auf die Volumeinheit gleich dem Produkt aus
dem Quadrat der betreffenden Gesammtkraft und einer Constanten.
Die Größe der letzteren kann verschieden sein für die elektrische
und die magnetische Energie , sie hängt ab von dem Stoffe des
Körpers und von der Wahl der Einheiten für die Energie und
für die Kräfte. Die Energie wollen wir in absolutem Gauss ischen
Maaße messen und die Einheiten der Kräfte nunmehr festsetzen
durch die Bestimmung, daß im freien Aether der Werth der Con-
stanten gleich -£— werden soll, daß also sein soll die Energie der
OTC
Volumeinheit des gestörten Aethers gleich
~ (X2 + F2 + Z2) + -i- (L2 + W + N*).
Messen wir die Kräfte in dieser Weise , so sagen wir , daß
wir sie in absolutem Gaussischen Maaße messen1). Die Dimen-
sion der elektrischen Kraft wird dieselbe wie die der magnetischen,
beide werden von solcher Art , daß ihr Quadrat die Dimension
einer Energie in der Volumeneinheit hat, sie werden also in der
üblichen Beziehungsweise gleich M » L~* T~l.
Für jeden isotropen ponderabelen Körper können wir nun
nach dem Bisherigen setzen die Energie der Volumeinheit gleich
Die neu eingeführten Constanten e und p sind nothwendig
positive reine Zahlen. Wir nennen s die Dielektricitätsconstante,
li die Magnetisirungsconstante des Stoffes. Offenbar sind s und
fi Verhältnißzahlen , durch welche wir die Energie eines Stoffes
vergleichen mit der Energie eines anderen Stoffes. Aus der Natur
eines Stoffes allein geht ein bestimmter Werth derselben nicht
hervor. Dies meinen wir , wenn wir sagen , Dielektricitäts- und
1) Siehe H. Helmholtz, Wiedemanns Amialen Bd. 17 pag. 42. 1882.
über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruhende Körper. 111
Magnetisirungsconstante seien keine innere Constanten eines Stoffes.
Es ist nicht unrichtig wenn wir sagen , diese Constanten seien
gleich Eins für den Aether , aber es enthält diese Behauptung
keine Thatsache der Erfahrung, sondern eine willkürliche Fest-
setzung unsererseits.
Für krystallinische Körper wird die Energie der Volumeinheit
gleich
J-(£nX2 + s22F2 + e33Z* + 2el2XY+2 e23YZ +2 sX3XZ)
-f^G^+^^ + ^iV2^^
Durch bestimmte Wahl der Axen läßt sich der eine oder der an-
dere Theil dieses Ausdrucks in eine Summe von drei Quadraten
transformiren. Es ist wohl wahrscheinlich daß dieselbe Wahl der
Axen für den einen wie für den andern Theil diesen Dienst leistet.
Die s und p müssen von solcher Beschaffenheit sein , daß bei der
Transformation in eine Quadratsumme alle Coefficienten positiv
werden.
3. Zusammenhang der Kräfte im Aether.
Wir nehmen an , daß das benutzte Coordinatensystem der
x, y, z von solcher Beschaffenheit ist, daß wenn die Richtung der
positiven x nach vorn, die der positiven z nach oben geht, alsdann
die y von links nach rechts hin wachsen. Unter dieser Voraus-
setzung sind die elektrischen und magnetischen Kräfte im Aether
mit einander verknüpft nach folgenden Gleichungen:
AdL_ äZ__äY_ AäX
dt dy dz dt
Q AdM dX dZ 6, A dY
3a. A-j- = -5 — 3b. 4-rr
dt dz dx dt
A— = *L — . ^ AdZ
dt dx dy dt dy dx
zu welchen die ihnen nicht widersprechenden Gleichungen
3c i^ + ^ + ^.-o dX dY dz -= 0
dx dy dx dx dy dz
als eine den Aether vor der ponderabelen Materie auszeichnende
Ergänzung hinzutreten.
Nachdem diese Gleichungen einmal gefunden sind, erscheint
es nicht mehr zweckmäßig, dieselben aus Vermuthungen über die
elektrische und magnetische Constitution des Aethers und das
dM
dN
dz
dN
dy
dL
dx
dL
dz
dM
112 H. Hertz,
Wesen der wirkenden Kräfte als aus bekannteren Dingen herzu-
leiten, wie es allerdings dem historischen Gange entsprechen würde.
Viel eher ist es zweckmäßig, an diese Gleichungen die weiteren
Vermuthungen über die Constitution des Aethers anzuknüpfen.
Da die Dimensionen der L, M, N und der X, Y, Z die
gleichen sind, so ist die Constante A eine reciproke Geschwindig-
keit. Sie ist in Wahrheit eine innere Constante des Aethers ; wir
wollen damit sagen , daß ihre Größe weder von dem Vorhanden-
sein eines andern Körpers noch von willkürlichen Festsetzungen
unsererseits abhängig ist.
Wir multipliciren unsere Gleichungen sämmtlich mit -r — j^r»
ferner einzeln der Reihe nach mit bez. L, M, N, X, Y, Z und
addiren sie sämmtlich. Wir integriren beide Seiten der entste-
henden Gleichung über einen beliebig begrenzten Raum , dessen
Oberflächenelement dca mit den Coordinatenaxen die Winkel n,xf
n,y, n,z bildet. Rechts läßt sich die Integration ausführen und
wir erhalten:
■^j f \(NY—MZ)cosn,x + (LZ— NX)cosn,y + (MX—LY)co8n,z\dG).
Das links stehende Integral ist die elektromagnetische Energie
des Raumes ; die Gleichung giebt uns also die Aenderung dieser
Energie ausgedrückt durch Größen , welche sich allein auf die
Oberfläche des Raumes beziehen,
4. Isotrope Nichtleiter.
In homogenen isotropen Nichtleitern verlaufen die Erschei-
nungen qualitativ vollkommen wie im freien Aether. Quantitativ
sind Unterschiede insofern vorhanden, als erstens die innere Con-
stante einen andern Werth hat als im Aether und als zweitens
der Energievorrath der Volumeinheit in der bereits angegebenen
Weise die Constanten s und ^ enthält. Wir entsprechen diesen
Aussagen und genügen der Erfahrung indem wir setzen:
Ä ÄL . . dZ^_dY dX _ dM dN
^ dt dy dz dt dz dy
, dM dX dZ „ . dY dN dL
4a. Aa-j— = -= — 4b. Ae—rr == ~j T~"
dt dz dx dt dx dz
A dN _ äY_äX A.e— dL dM
^ dt dx " dy dt dy dx
über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruhende Körper. 113
Denn wenn wir für einen Augenblick in dem Nichtleiter das
Maaß der Kräfte so bestimmen , wie wir es im Aether gethan
X Y Z
haben nnd demgemäß für X, Y, Z einfuhren — , — , — — und für
L M N \s \Je \e
L, M, N einführen — , — -, — , so nehmen die Gleichungen genau
V> \[i Vf
die Form der Gleichungen des Aethers an mit dem einzigen Unter-
schiede , daß an Stelle der Größe A die Größe A ^sp tritt. Be-
halten wir auf der andern Seite unser Maaß der Kräfte bei , so
können wir widerspruchsfrei der Energie den geforderten Werth
beilegen. Denn die Ausführung der gleichen Operation, welche
wir im vorigen Abschnitt anwandten, ergiebt uns hier:
-j-i-j- f\ (NY— MZ)cosn,x + (LZ—NX)cosn,y+(MX—LY)co8n,2\da.
Die allgemeinen Aussagen , durch welche wir uns auf unsere
Gleichungen haben führen lassen, versagen, wenn wir den Nicht-
leiter nicht mehr als homogen betrachten. Es fragt sich also, ob
in diesem Falle unsere Gleichungen noch gelten. Die Erfahrung
beanwortet diese Frage in bejahendem Sinne ; wir können also in
den Gleichungen 4a. und 4b. die Größen s und ji als von Punkt
zu Punkt veränderlich betrachten.
5. Krystallinische Nichtleiter.
Eine Darstellung der Vorgänge in solchen Körpern , welche
nach verschiedener Richtung verschieden entwickelt sind, deren
elektromagnetische Eigenschaften aber bei verschwindendem Aniso-
tropismus in die der isotropen Nichtleiter übergehen, erhalten wir,
wenn wir die in unsern Gleichungen links stehenden zeitlichen
Aenderungen der Kräfte als ganz allgemeine lineare Funktionen
der rechts stehenden räumlichen Aenderungen der Kräfte entge-
gengesetzter Art betrachten. Die Allgemeinheit der Form dieser
linearen Funktionen und die Auswahl ihrer Constanten wird in-
dessen beschränkt durch die Vermuthung, daß dieselbe Operation,
welche uns bisher eine Gleichung für die Aenderung der Energie
lieferte, dies allgemein thun wird, und durch die Forderung, daß
dabei die Energie selbst die bereits festgestellte Form annehmen
muß. Durch diese Ueberlegungen werden wir auf die folgenden
Gleichungen hingeleitet, welche in der That zur Darstellung der
wichtigsten Erscheinungen genügen:
114 H. flertz,
^(fu
'/ dL dM dN\ dX dZ
5a. ^ — ^ _ + flfi_) = -J---J-
( dL dM dN\ dY dX
A\^~WJr^~df + li^dt)~ dx dy
( dX dY_ dZ\ dM dN
AVn dt +£l2 dt +£l3 dt ) ~ dz " dy
( dX dY dZ\ dN dL_
5b- A\^~W + £^~df + £23~dfJ ~ dx~~~ dz
dL dM
dy dx '
( dX dY_ dZ\
A\£l3 dt +£'3 dt +£33 dt)~
Die Gleichung für die Aenderung der Energie eines Raumes
ergiebt das gleiche Resultat wie in Abschnitt 3 und 4. Auch in
den Gleichungen des gegenwärtigen Abschnittes ist es erfahrungs-
mäßig nicht nöthig, die s und ft als constant in Hinsicht des Rau-
mes anzusehen, vielmehr können dieselben beliebig von Punkt zu
Punkt veränderliche Größen sein.
6. Vertheilung der Kräfte in Leitern.
In den Körpern , welche wir bisher betrachteten , erscheint
jede Aenderung der elektrischen Kraft als bedingt durch das Vor-
handensein magnetischer Kräfte. Sind in einem endlichen Bereich
die magnetischen Kräfte gleich Null , so fällt jede Ursache für
eine solche Aenderung fort und eine vorhandene Vertheilung elek-
trischer Kraft bleibt sich selbst überlassen dauernd bestehen,
solange nicht von den Grenzen des Bereiches her eine Störung
das Innere trifft. Nicht in allen Körpern zeigen die elektrischen
Kräfte dies Verhalten. In vielen Körpern schwindet eine sich
selbst überlassene elektrische Kraft mehr oder weniger schnell
dahin, in solchen Körpern sind magnetische Kräfte oder andere
Ursachen erforderlich, um eine vorhandene Vertheilung vor der
Veränderung zu bewahren. Solche Körper bezeichnen wir aus
Gründen , die später hervortreten , als Leiter. Die einfachsten
Annahmen, welche wir in Hinsicht derselben machen können, sind
diese, daß erstens der Verlust welchen eine sich selbst überlassene
elektrische Kraft in der Zeiteinheit erleidet, der Kraft selbst pro-
portional ist , und daß zweitens unabhängig von diesem Verlust
die magnetischen Kräfte hier dieselben Aenderungen hervorzu-
bringen streben, wie in den bisher betrachteten Körpern. Führen
über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruhende Körper. H5
wir eine neue Constante A ein, so erlaubt uns die erste Annahme
zu behaupten, daß die sich selbst überlassene Kraftcomponente X
sich ändern werde nach der Gleichung Ae-j— = — 4nkAX.
Die zweite Annahme ergänzt diese erste dahin , daß , wenn mag-
netische Kräfte vorhanden sind , die Aenderung geschehen werde
nach der Gleichung Ae—rr = —3 3 4:tkAX. Die Con-
stante k heißt die specifische elektrostatisch gemessene Leitungs-
fahigkeit des Körpers. Ihre Dimension ist die einer recipro-
ken Zeit. Die Größe -j— - ist daher eine Zeit; es ist diejenige
Zeit, in welcher die sich selbst überlassene Kraft auf den eten
Theil ihres Anfangswerthes herabsinkt, die sogenannte Relaxations-
zeit. Die letztere, nicht etwa k selbst, ist, wie zuerst Herr E.
Cohn bemerkt und hervorgehoben hat1), neben der ersten eine
zweite innere Constante des betrachteten Körpers , eindeutig fest-
setzbar ohne Zuhülfenahme eines zweiten Mediums.
Unsere Ueberlegungen führen uns nun vermuthungsweise auf
folgende Gleichungen, welche den Erfahrungen genügen:
, dL dZ dY A dX
dZ
dY
dy
dX
dz
dZ
dz
dY
dx
dX
dM
dN
dz
dN
dy
dL
dx
dL
dz
dM
. dM dX dZ „, . dY
6a- A*-aT = -&r-w 6b- Äsnr -
. dN dY dX ■ dZ
A*-dF - -W—fr A°-fc = ~W~l^-AnkAZ-
Offenbar beziehen sich diese Gleichungen nur auf isotrope Körper,
dagegen ist es , was unsere bisherigen Voraussetzungen anlangt,
nicht nothwendig, daß die Körper auch homogen seien. Um indessen
in Wahrheit die VertheiluDg der Kräfte in anhomogenen Körpern
genau darzustellen, bedürfen unsere Gleichungen noch einer ge-
wissen Ergänzung. Aendert sich nämlich die Beschaffenheit eines
Körpers von Punkt zu Punkt, so sinkt im Allgemeinen die elek-
trische Kraft sich selbst überlassen nicht völlig auf Null ab, son-
dern nimmt einen gewissen von Null verschiedenen Endwerth an.
Diesen Werth , dessen Componenten X Y Z' sein mögen , nennen
wir die in dem betreffenden Punkte wirksame elektromotorische
Kraft. Wir betrachten dieselbe als unabhängig von der Zeit, sie
ist im Allgemeinen um so größer, je größer die Aenderung der
1) Vergleiche dieserhalb und in Hinsicht der Art, wie hier die Grüße k ein-
geführt wird: E. Cohn, Sitzungsber. d. Berl. Akad. Band XXVI pag. 405.
116 H. Herta,
chemischen Beschaffenheit in der Längeneinheit ist. Wir tragen
der Wirkung der elektromotorischen Kraft Rechnung, indem wir
den Abfall der sich selbst überlassenen elektrischen Kraft nicht
ihrem absoluten Werthe proportional setzen, sondern dem Unter-
schiede , welcher noch vorhanden ist zwischen diesem absoluten
Werthe und dem Endwerthe. Unsre Gleichungen werden so für
Leiter, deren Strucktur zum Auftreten elektromotorischer Kräfte
Anlaß giebt.
dL <^_d][_ a £? . dM _dK_A XA(X-X')
^ dt dy dz dt dz dy
n A dM dX dZ ßJ . dY dN dL . , \,~ _
^'A^~W = ~dz~~~d^ 6d'Ä£~df = -fa—dz—^%XA(J-Y)
U/0 U/& U/U/ uv U/U/ ua
dN_ = (W_dX ģdZ_ ^ dL__dM_4 XA(Z-Z')
^ dt dx dy dt dy dx ^ *
7. Anisotrope Leiter.
Verhält sich der Leiter nach verschiedenen Richtungen ver-
schieden , so dürfen wir nicht mehr annehmen , daß der Abfall
einer jeden Componente der sich selbst überlassenen Kraft nur
abhänge von dem Werthe dieser Componente selbst, es liegt aber
die Vermuthung nahe, daß er eine lineare Funktion der drei Com-
ponenten sei. Nehmen wir zu dieser Vermuthung die Voraus-
setzung, daß für verschwindendes Leitungsvermögen die Gleichun-
gen sich auf die eines anisotropen Nichtleiters reduziren, so gelangen
wir zu folgendem System:
( dL j-
dM dN\ dZ dY
dt +flia dt ) ~ dy dz
- .( dL , dM , dN\ dX dZ
(f
dt J dz dx
dL dM dN\ dY dX
13 dt + f*23 dt + f*33 dt) = dx dy
f dX dY dZ\ dM dN
V11 dt + *12 dt +£l3 dt) ~~ dz dy
-47tA{Xn(X-X') + X12(Y-Y') + X13(Z-Z')\
nu '( dX , dY dZ\ dN dL
7b. ^^l2_ + ,22_ + ,23_j _ -fö--~
-4^jA21(X-X') + A22(r-F) + A28(Z~Z')j
A( dX dY dZ\ dL dM
V13 dt + *23 dt +f33 dt) - dy ~~~dx~
-4mA jA31 (X-Xf) + A82(r-F) + XuiZ-Z1)].
über die Grundgleicliungen der Elektrodynamik für ruhende Körper. H7
Es ist sehr wahrscheinlich, daß für alle wirklichen Körper A12 = A21,
A31 = A13, A23 — A32 sei. Auch in den Gleichungen dieses Ab-
schnittes können die Constanten s, p, A als von Ort zu Ort ihren
Werth verändernd angesehen werden.
8. Grenzbedingungen.
Man bemerkt leicht , daß die Gleichungen 7a. und 7b. alle
früheren als besondere Fälle umfassen und daß selbst die Glei-
chungen des freien Aethers aus ihnen durch besondere Verfügung
über die Constanten hervorgehen. Da nun diese Constanten Func-
tionen des Raumes sein können, so liegt es nahe, die Grenzfläche
zweier heterogenen Körper anzusehen als eine Uebergangsschicht,
in welcher zwar die Constanten außerordentlich rasch von einem
Werth zu einem andern übergehen , in welcher dies jedoch in
solcher Weise geschieht, daß auch in der Schicht selbst jene Glei-
chungen immer noch gelten und endliche Beziehungen zwischen
den endlich bleibenden Werthen der Constanten und den ebenfalls
endlich bleibenden Kräften ausdrücken. Um aus dieser der Er-
fahrung genügenden Yermuthung die Grenzbedingungen abzuleiten,
lassen wir der Einfachheit halber das betrachtete Element der
Trennungsfläche mit der ;n/-Ebene zusammenfallen.
Beachten wir zunächst das Auftreten elektromotorischer Kräfte
zwischen den sich berührenden Körpern nicht, so ergiebt die Be-
trachtung der ersten beiden der Gleichungen 7a. und 7b. daß die
^ ,n dX dY dM dN , , T7
Größen -=— , -r— , -r— , —f— zufolge unserer Voraussetzung auch
in der Uebergangsschicht endlich bleiben müssen. Bezieht sich
also der Index 1 auf die eine , der Index 2 auf die andere Seite
der Grenzschicht, so muß sein
8a Y>-Y> = ° 8b *.-*■ = 0
öa* X-Xx = 0 ÖD* L-Lx = 0.
Die zur Grenzfläche tangentialen Componenten der Kräfte pflanzen
sich also stetig durch dieselbe fort. Die Anwendung hiervon auf
die dritten der Gleichungen 7a. und 7b. ergiebt dann weiter daß
die Ausdrücke
dL dM , dN ,
^nr+^-w+^-w und
den gleichen Werth haben müssen auf der einen und auf der an-
Nachrichten von der K. G. d. W. an Göttingen. 1890. No. 4. 10
118 H. Hertz;
dem Seite der Grenzschicht. Diese Aussage, welche die gegen-
seitige Abhängigkeit der Normalkomponenten der Kraft auf beiden
Seiten der Grenzfläche giebt, nimmt für isotrope Körper die ein-
fache Form an:
Q dNt dN2
8cL s^-s*^W = -^^Z-X*Z*)-
Schließen wir demnächst das Auftreten elektromotorischer
Kräfte in der Grenzfläche nicht aus, so haben wir zu beachten,
daß erfahrungsmäßig die zur Grenzfläche normale Componente
dieser Kräfte, also Z\ in der Uebergangsschicht selbst unendlich
wird, in solcher Weise jedoch, daß das durch die Grenzfläche hin-
durch erstreckte Integral fZ'dz einen endlichen Werth behält,
welchen uns die Versuche angeben , während sie uns über den
Verlauf von Z' selbst im Unklaren lassen. Wir genügen der Vor-
aussetzung dieses Abschnittes nunmehr durch die Annahme, daß
in der Uebergangsschicht neben L, M, N, X, Y, die Größe Z — Z'
endlich bleibe. Z wird dann daselbst unendlich, — — aber können
wir nichtsdestoweniger endlich belassen. Wir setzen ferner
8e. fZäs = fZdz = <plfV
Integriren wir nunmehr die ersten zwei der Gleichungen 7a. und
7b. nach Multiplication mit dz durch die Uebergangsschicht hin-
durch, so erhalten wir, da wegen der Kürze des Weges das Inte-
gral jeder endlichen Größe verschwindet, die Bedingungen:
y y d<plfi
8f. ' *■" *
X.-Z. = *2*
'
M,— M, = 0
8g.
JV2— j\r = 0
2 "1 dx
Die Anwendung hiervon auf die dritten der Gleichungen 7a. und
7b. ergiebt dann als Bedingungen für die Normalkräfte , daß zu
beiden Seiten der Grenzfläche die Werthe der Ausdrücke
dL dM dN
^ dt +^~df + ^~df
die gleichen sein müssen. Sind die Körper zu beiden Seiten der
Grenzfläche homogen, so hat das Vorhandensein der elektromoto-
über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruhende Körper. 119
rischen Kräfte keinen Einfluß auf die Bedingungen, durch wel-
che die zu beiden Seiten herrschenden Kräfte mit einander ver-
knüpft sind.
Da unsere Grenzbedingungen nichts andres sind , als die all-
gemeinen Gleichungen 7a. und 7b., transformirt für besondere Ver-
hältnisse, so können wir jede Aussage und jede Operation, welche
in einem bestimmten Bereich diese allgemeinen Gleichungen betrifft,
ohne Weiteres auch über die in dem Bereich vorkommenden Grenzen
heterogener Körper uns erstreckt denken, vorausgesetzt nur, daß
dieses Verfahren nicht mathematische Unzulässigkeiten einschließt,
vorausgesetzt also , daß sich unsre Aussagen und Operationen
unmittelbar oder nach geeigneter Umformung beständig in end-
lichen und bestimmten Ausdrücken bewegen. Wir werden der
hieraus entspringenden Bequemlichkeit des Oefteren uns bedienen.
Wenn wir dabei im Allgemeinen darauf verzichten , den Beweis
der Endlichkeit und Bestimmtheit aller vorkommenden Ausdrücke
zu erbringen, so geschieht dies nicht, weil wir diesen Beweis für
überflüssig hielten , sondern nur , weil für alle in Betracht kom-
menden Fälle der Beweis schon seit lange erbracht oder nach be-
kannten Mustern zu erbringen ist.
Von den bisherigen Abschnitten vermehrte ein jeder die Zahl
der von der Theorie umfaßten Thatsachen. Im Gegensatz dazu
handeln die nächstfolgenden Abschnitte von Namen und Bezeich-
nungen. Da durch Einführung derselben die Zahl der umfaßten
Thatsachen nicht vermehrt wird, so sind sie nur ein Beiwerk der
Theorie; ihr Werth besteht zum Theil in der Ermöglichung einer
kürzeren Ausdrucksweise , zum Theil aber auch nur darin , daß
sie die Verbindung unserer Theorie mit den älteren Anschauungen
der Elektricitätslehre vermitteln.
9. Elektrische und magnetische Polarisation.
Soweit sich unsere Gleichungen auf isotrope Medien beliehen«
giebt jede einzelne den im nächsten Augenblick statthabenden
Werth einer einzigen der in Betracht kommenden physikalischen
Größen ausgedrückt als eindeutige Function der im gegenwärtigen
Augenblick vorhandenen Zustände. Diese Form der Gleichungen
ist eine sehr vollkommene vom mathematischen Standpunkt aus,
weil sie uns von vornherein übersehen läßt, daß die Gleichungen
den Ablauf eines jeden willkürlich angeregten Prozesses eindeutig
10*
120 H. Hertz,
bestimmen. Sie ist sehr vollkommen auch von einem mehr philo-
sophischen Standpunkt aus , weil sie uns sogleich in der linken
Seite der Gleichung den zukünftigen Zustand , die Wirkung , er-
kennen läßt, in der rechten Seite der Gleichung aber als Ursache
den gegenwärtigen Zustand aufweist. Diejenigen unserer Glei-
chungen, welche sich auf anisotrope Medien beziehen, haben nicht
diese vollkommene Form , da sie auf der linken Seite nicht die
Aenderungen einer einzelnen physikalischen Größe, sondern Func-
tionen solcher Aenderungen enthalten. Da diese Functionen lineare
sind, kann allerdings durch Auflösung der Gleichungen nach den
einzelnen Aenderungen die gewünschte Form hergestellt werden.
Ein anderes Mittel zu gleichem Zweck, welches zugleich die Glei-
chungen vereinfacht, ist die Einführung der Größen, welche wir
Polarisationen nennen. Wir setzen:
2 = ftni + f*ialf + f*18JV £ = snX + s12Y+sl3Z
9c. Tl = ii12L + ti22M + p23N 9d. g) = e12X + £22Y+623Z
9t = piaL + pMM + puN 3 = e13X + e23Y+s33Z
und nennen die Resultante der 2, Wl, 9£ die magnetische, die Re-
sultante der 3E, g), Q die elektrische Polarisation. Für isotrope
Medien sind Polarisationen und Kräfte gleich gerichtet und das
Verhältniß ersterer zu letzteren ist die Dielektricitäts- bezw.
Magnetisirungsconstante. Für den Aether fallen Polarisationen
und Kräfte zusammen. Führen wir die Polarisationen in die
linken Seiten unserer Gleichungen ein, so giebt uns jede Gleichung
die Aenderung einer einzigen Polarisationscomponente als Folge
der augenblicklich vorhandenen Kräfte. Da die Kräfte lineare
Functionen der Polarisationen sind, so hat es keine Schwierigkeit,
auch auf der rechten Seite der Gleichungen die Polarisationen
einzuführen. Wir würden hierdurch diejenige gerichtete Größe,
durch welche wir die elektromagnetischen Zustände zuerst bestimm-
ten, die Kraft, ersetzt haben durch eine andere gerichtete Größe,
die Polarisation, welche uns das gleiche, aber wenig mehr leistet,
als jene. Daß die Einführung der Polarisationen und Kräfte neben
einander die Gleichungen wesentlich vereinfacht , ist eine erste
Andeutung dafür, daß eine vollständige Darstellung der Zustände
in ponderabeln Körpern die Angabe mindestens zweier gerichteten
Größen für den elektrischen und zweier gerichteten Größen für
den magnetischen Zustand erfordert.
Um unsere Gleichungen weiter zu vereinfachen, setzen wir
über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruhende Körper. 121
u = kAX-X) + Xn{Y-Y') + Xlz{Z-Z)
9e. v = Xn (X- X) + A22 (F-F) + A23 (Z- Z')
* = X31(X-X') + l32(Y-Y') + l3S(Z-Z').
Aus G-ründen welche im folgenden Abschnitt hervortreten, nennen
wir u v w die (elektrostatisch gemessenen) Componenten der elektri-
schen Strömung.
Unsere allgemeinsten Gleichungen nehmen nunmehr die Form an :
. d2 dZ dY . d% dM dN .
A^r- = -3 3— A—j- = -= - 4:7tAll
dt dy dz dt dz dy
Q .dSßl dX dZ Q. Adty dN dL A \
9a' ^W.^WCW 9b' AM=lte—dz—^Av
A d$t dY dX . dg dL dM A A
dt dx dy dt dy dx
und die elektromagnetische Energie der Volumeneinheit eines be-
liebigen Körpers erhält durch Einführung der Polarisationen die
Gestalt :
^@x+$Y+3Z) + -±-(2L+wiM+yiN).
In diesen Aussagen kommen keine Größen mehr vor, welche sich
auf einen besonderen Körper beziehen. Die Aussage , daß diese
Gleichungen für alle Punkte des unendlichen Raumes erfüllt sein
müssen, umfaßt alle in dies Gebiet einzureihenden Probleme, und
die unendliche Mannigfaltigkeit dieser Probleme entsteht nur da-
durch, daß die Constanten der linearen Relationen 9c, 9d, 9e, näm-
lich die 6, p, A, X', Yr, Z' in mannigfaltiger Weise Funktionen
des Raumes sein können , theils stätig , theils unstätig von Punkt
zu Punkt sich verändernd.
10. Elektricität und Magnetismus.
Es sei ein System ponderabeler Körper , in welchem elek-
tromagnetische Vorgänge sich abspielen , durch den leeren Raum
abgegrenzt gegen andere Systeme. Differentiiren wir die drei
Gleichungen 9b bezw. nach x, y, z und addiren , so erhalten wir
für alle Punkte des Systems die Gleichung:
dt\dx^dy^dzJ~ \dx T dy T dz J'
Wir multipliciren diese Gleichung mit dem Raumelement dt und
integriren über den Raum bis zu einer beliebigen das ponderabele
122 H. Hertz,
System vollständig umschließenden Fläche. Das Element dieser
Fläche sei dco , die auf dco senkrechte Richtung bilden mit den
Achsen die Winkel n,x, n,y, n,z. Wir erhalten, da die u, v, w
an der Fläche gleich Null sind
= — 4jt / (-= — f--j — \~~J~)dt== — ^ I (ucosn,x+vcosn,y+wco$n,z)dco
= 0.
Also:
10a. / (j — ^j^j rx ~ I (£cosw,#+^cosw,^+3cosw,#)efo>==47re.
Die neu eingeführte Größe e ist offenbar eine Funktion des elek-
trischen Zustandes des Systems und zwar eine solche Funktion,
welche durch keine inneren oder äußeren lediglich elektrodynami-
schen Vorgänge vermehrt oder vermindert werden kann. Diese
Unzerstörbarkeit der Größe e, welche dieselbe auch gegenüber
andern als rein elektrodynamischen Vorgängen bewahrt, so lange
sich diese Vorgänge auf das Innere des Systems beschränken, hat
die Vermuthung wachgerufen, daß e die Menge einer in dem Sy-
stem enthaltenen Substanz angebe. Entsprechend dieser Anschauung
nennen wir e die Menge der in dem ponderabelen System enthal-
tenen Elektricität. Allerdings kann e positiv oder negativ sein,
während die Menge einer Substanz nothwendig positiv ist. Man
hat deshalb die Hypothese vervollständigt durch die Annahme
zweier Elektricitäten von entgegengesetzten Eigenschaften und hat
dem e dann die Bedeutung der Differenz beider beigelegt , oder
man hat Hülfe gesucht in der Annahme , es bezeichne e nur die
Abweichung des wirklichen Gehaltes an Elektricität von dem nor-
malen. Stellt aber in einer dieser oder in einer andern Form e
die Menge einer Substanz dar, so muß jedes Raumelement dt sei-
nen bestimmten Beitrag zu dem Gesammtwerthe von e liefern.
Nur vermuthungsweise können wir das Raumintegral, welches uns
e liefert auf die einzelnen Raumelemente vertheilen. Eine erste
mögliche und augenblicklich naheliegende Vertheilung legt dem
Raumelement dt den Elektricitätsinhalt
47t \dx dy dz J
bei. Die so bestimmte Elektricitätsmenge des Raumelementes
wollen wir die wahre Elektricität desselben nennen; dement-
über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruhende Körper. 123
sprechend nennen wir im Innern eines Körpers den Ausdruck
4% V dx dy dz )
die wahre räumliche Dichte und an der Grenzfläche verschieden-
artiger Körper den Ausdruck
-^ j(3E— £) cosrc,# + (g)2— gjcos^y + (8a— 3i)cosw^j
die wahre Flächendichte der Elektricität.
Eine andere mögliche und naheliegende Vertheilung von e auf
die Raumelemente erhalten wir durch die Bemerkung , daß im
leeren Räume Polarisationen und Kräfte identisch sind, daß wir
dementsprechend also schreiben können an Stelle von 10a.
10b.
4t%e = I (Xcosn,x + Ycosn,y + Zcosn,z)d(o
r/dx , dY , dz\ ,
^J\J^+-d^+lb)dr
und weiterhin den Ausdruck
Alt \ dx dy dz J
als den Beitrag betrachten , welchen das Raumelement dx zu e
liefert. Die so bestimmte Elektricitätsmenge eines Raumelementes
nennen wir die freie Elektricität desselben, dementsprechend
1 fdX dY dZ\
4% \ dx dy dz )
die freie räumliche Dichte, und an Unstätigkeitsflächen
-j-j(X2— Xt) cos n,x + (Y2—-Y1) cos n,y + (Z2— ZJ cos n,z]
die freie Flächendichtigkeit der Elektricität. Den Unterschied
zwischen der wahren und der freien Elektricität nennen wir die
gebundene Elektricität. Unsere Bezeichnungsweise schließt sich der-
jenigen üblichen Bezeichnungsweise an , welche ihren Ursprung
aus der bisherigen Anschauung von dem Zustandekommen der
elektrischen Fernwirkungen nimmt. Nach dieser Anschauung wird
ein Theil der in einen Nichtleiter eingeführten fremden oder „ wahren u
Elektricitätsmengen durch elektrische Verschiebungen l) in den
Molekülen des umgebenden Mittels „gebunden", während der Rest
1) Welche nicht etwa mit unseren Polarisationen identisch sind.
124 H. Hertz,
„frei" bleibt, seine Fernwirkungen nach außen zu entfalten. Doch
weicht auch in manchen Aussagen unsere Bezeichnungs weise von
der üblichen ab. Da aber die letztere schwankend und nicht
immer consequent ist , so war es mir nicht möglich , eine Bezeich-
nungsweise zu finden , welche nicht in irgend einem Falle gegen
den Sprachgebrauch verstieß. Auch insofern schwankt die übliche
Ausdrucksweise, als sie unter Elektricität schlechthin ohne Unter-
schied bald die wahre, bald die freie Elektricität versteht, sogar
in wichtigen Aussagen.
Nach dem Vorangegangenen bezeichnen wir das durch 4n divi-
dirte und über eine beliebige geschlossene Fläche erstreckte Integral
f(3£ cos n, x + g) cos n, y + Q cos n,z) da>
als die von dieser Fläche umschlossene wahre Elektricität. Das
gleiche Integral erstreckt über eine nichtgeschlossene Fläche wollen wir
die Zahl der diese Fläche im Sinne der positiven Normalen durchschnei-
denden elektrischen Kraftlinien nennen. Durch diese Bezeichnung
knüpfen wir an die Vorstellung Faradays an, derzufolge die Kraft-
linien Linien sind, welche in isotropen homogenen Körpern überall
in Richtung der herrschenden Kraft laufen und zwar in einer Fülle,
welche der Größe der Kraft proportional ist. Wir haben allerdings
durch unsere Bezeichnung diese Vorstellung dahin vervollständigt,
bezw. präcisirt, daß die Kraftlinien in beliebigen Körpern überall
in Richtung der Polarisation , nicht der Kraft , laufen sollen und
haben allgemein ihre Dichte der Größe der Polarisation, nicht der
Kraft proportional gesetzt. Unsere Definitionen bringen es mit
sich, daß die mit 4jz multiplicirte Menge der in einem beliebigen
Räume enthaltenen wahren Elektricität gleich ist dem Ueberschuß
der in den Raum eintretenden Kraftlinien über die austretenden.
Jede Kraftlinie, welche überhaupt ein Ende findet, mündet demnach
an wahrer Elektricität und wir könnten die wahren Elektricitäten
definiren als die freien Enden der Kraftlinien. Ist ein gewisser
Raum in der Nachbarschaft der Fläche über welche unser Integral
erstreckt ist, frei von wahrer Elektricität, so ist der Werth des
Integrales unabhängig von der besonderen Lage der Fläche inner-
halb dieses Raumes und nur abhängig von der Lage der Grenzlinie
der Fläche. Für diesen Fall bezeichnen wir dann den Werth des
Integrales auch als die Zahl der die Umrißlinie durchsetzenden
Kraftlinien, indem wir uns die in diesem Ausdruck bleibende Viel-
deutigkeit soweit nöthig durch besondere Festsetzungen beseitigt
denken.
Wir wollen weiter die Aenderung der wahren Elektricität ew
über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruhende Körper. 125
in einem beliebig begrenzten Theile unseres Systems berechnen.
Es möge da wiederum ein Element der Grenzfläche dieses Theiles
sein. Wir erhalten
10c. -p = — / (-7 — f'Tr+TF Vr= — / (ttcosw,a?+vcosn,y+wcosn,#)<?a).
Verläuft nun unsere Grenzfläche lediglich in solchen Körpern, für
welche die X gleich Null sind, so» verschwinden an der Fläche
immer noch die u , v ; w , es ist also der Inhalt des umspannten
Raumes an wahrer Elektricität constant. Aus einem Räume,
welcher vollständig von Körpern umgeben ist , für welche die X
gleich Null sind , vermag demnach die wahre Elektricität durch
rein elektrodynamische Vorgänge nicht zu entweichen. Aus dieser
Ursache nennen und nannten wir solche Körper Nichtleiter. Geht
die Grenzfläche aber ganz oder theilweise durch Körper , in wel-
chen die l von Null verschieden sind, so ist eine Aenderung des
Elektricitätsgehaltes des umschlossenen Raumes durch rein elek-
trische Bewegungen möglich , aus diesem Grunde bezeichnen wir
Körper der letzteren Art als Leiter. Die Unterscheidung der
Körper in Leiter und Nichtleiter bezieht sich also auf die wahre
Elektricität, in Hinsicht der freien Elektricität können alle Körper
als Leiter betrachtet werden (Verschiebungsströme). Die Menge
einer Substanz kann sich in einem Räume nur mittelst Ein- und
Austrittes durch die Oberfläche hindurch verändern und zwar muß
durch jedes Oberflächenelement hindurch eine bestimmte Menge
der Substanz treten. Mit der Thatsache, daß durch jede geschlos-
sene Oberfläche in der Zeiteinheit die durch unser Integral ange-
gebene Elektricitätsmenge tritt , ist die Annahme vereinbar , daß
durch die Flächeneinheit jedes Oberflächenelementes die Menge
ucosn,x + vcosn,y + wcosn,z
trete. Entsprechend dieser Annahme nennen und nannten wir
u, v, w die Componenten der elektrischen Strömung und das über
eine nicht geschlossene Oberfläche genommene Integral
f(u cos n,x + v cos n,y + w cos n)z)d(Xi
den diese Fläche durchfließenden elektrischen Strom. Es muß in-
deß hervorgehoben werden, daß selbst wenn die Stofflichkeit der
Elektricität zugegeben ist , die obige specielle Bestimmung ihrer
Strömung in Leitern eine weitere Hypothese einschließt. Dem
gefundenen Systeme der Bewegung kann ein willkürliches in jedem
Augenblicke geschlossenes Stromsystem überdeckt werden , ohne
126 H- Hertz,
daß dadurch die Ab- oder Zunahme der Elektricität in irgend
einem Punkte sich änderte.
Ist ein Theil unseres Systemes durch lediglich elektromagne-
tische Vorgänge aus dem unelektrischen Zustand in seinen gegen-
wärtigen gelangt, oder kann er durch lediglich elektromagnetische
Veränderungen in den unelektrischen Zustand zurückkehren , so
ist in allen Nichtleitern dieses Theiles die wahre Elektricität
gleich Null. Für solche Theile eines Systemes treten dann also
zu den allgemeinen Gleichungen noch die folgenden , mit ihnen
verträglichen als Beschränkungen der zulässigen Anfangszustände
hinzu :
ü+M+i3 =0
dx dy dz
für das Innere der Nichtleiter;
(3E2— £j cos n,x + (g)2— g)i)cos n, y + (8,—^) cos n,z = 0
für die Grenze zweier heterogener Nichtleiter.
Ganz analoge Betrachtungen wie in Hinsicht der elektrischen,
lassen sich anstellen in Hinsicht der magnetischen Erscheinungen.
Indem wir auf diese eingehen und dabei die Gleichungen 9a. be-
nutzen, nennen wir für das Innere eines Körpers
4it \ dx dy dz J
die wahre räumliche Dichte , an der Grenze zweier Körper den
Ausdruck
~j— |(Sa— SJ cos »|-0 + (Tl2— Tl,) cos n,y + (%— %)cosn,z^
die wahre Flächendichtigkeit des Magnetismus und das über einen
bestimmten Theil des Raumes genommene Integral dieser Größen
den in diesem Theil enthaltenen wahren Magnetismus. Das über
eine nicht geschlossene Fläche genommene Integral
f(ß cos n, x + %Jl cos n, y + %l cos n) z) da
nennen wir die Zahl der durch diese Fläche, bezw. den Umfang
dieser Fläche tretenden magnetischen Kraftlinien. Ferner nennen
wir für das Innere eines Körpers
1 SäL dM dN\
In \dx dy dz J
4% \dx dy
die freie räumliche Dichte, an der Grenze zweier Körper
über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruhende Körper. 127
die freie Flächendichtigkeit des Magnetismus. Die Unter schiede
zwischen Leitern und Nichtleitern fallen hier fort , da die Glei-
chungen 9a. keine den u v iv der Gleichungen 9b. entsprechende
Glieder enthalten. In Hinsicht des freien Magnetismus können
alle Körper als Leiter aufgefaßt werden.
Ist ein System oder ein Theil eines solchen durch lediglich
elektromagnetische Vorgänge aus dem unmagnetischen Zustand
hervorgegangen, oder kann es durch solche Vorgänge in denselben
zurücksinken , so gelten für dies System oder diesen Theil des
Systems die Gleichungen :
dx dy dz
für das Innere der Körper und
(£2— SJ cos n,a + (2R9— Sjy cos n,y + (W2— ^Jcos n,a = 0
für die Grenzflächen heterogener Körper, welche Gleichungen zu
den allgemeinen als mit diesen verträgliche Bestimmungen über
die möglichen Anfangszustände hinzutreten.
11. Erhaltung der Energie.
Es bezeichne S die elektromagnetische Energie eines Raumes
r, welcher durch die Oberfläche co begrenzt wird. Wir berechnen
die Aenderung von S, indem wir die Gleichungen 9a. und 9b.
multipliciren sämmtlich mit -r — -irdx, alsdann der Reihe nach mit
L, M, N, X, Y, Z, Alles addiren und integriren über den Raum
r. Wir erhalten:
dS
dt
IIa.
=rA f{(NY—MZ)cosn^HLZ—N^oanJy+(MX—LY)coan,^
— f(uX + vY+wZ)dt.
Erstrecken wir den Raum t über ein vollständiges elektromagne-
tisches System , d. h. bis zu einer Fläche an welcher die Kräfte
verschwinden, so wird unsere Gleichung
cfö
dt
= _ f(uX + vY+wZ)dT.
Die Erhaltung der Energie verlangt demnach, daß in jedem System,
welches der Einwirkung von außen nicht unterliegt, in der Zeit-
128 H. Hertz,
einheit ein Energiebetrag von der Größe des rechts stehenden
Integrals in anderer als elektromagnetischer Form auftritt. Die
Erfahrung genügt dieser Forderung, sie belehrt uns weitergehend,
daß jedes einzelne Raumelement dt zum Gesammtbetrage der um-
gesetzten Energie den Beitrag (uX + vY+wZ)dr liefert und zeigt
uns, in welchen neuen Formen diese Energie auftritt. Allerdings
leistet dieses die Erfahrung genau gesprochen nicht allgemein,
sondern einstweilen nur in Hinsicht der folgenden besonderen
Fälle. Im Innern eines homogenen isotropen Leiters nimmt die
in der Zeiteinheit und Volumeinheit auftretenden Energiemenge
nach der Theorie sowohl als nach der Erfahrung die Formen an:
A(X2+F2 + Z2) = l(u2 + t;2 + 0,
sie ist stets positiv und entspricht einer Wärmeentwickelung —
der Joule 'sehen Wärme. An der Grenze zweier homogenen iso-
tropen Körper nimmt in der Uebergangsschicht die in der Volumein-
heit auftretende Energiemenge die Form an uX + vY'+ivZ', eine
Integration über die ganze Dicke der Uebergangsschicht ergiebt
daraus für die in der Flächeneinheit der Grenze auftretende Energie-
menge den Betrag
(u cos n, x + v cos n,y + w cos n, s) . cpl2
welchen Ausdruck ebenfalls die Erfahrung bestätigt. Es kann
dieser Ausdruck positiv oder negativ sein , er kann einem Ver-
schwinden oder Entstehen fremder Energieformen entsprechen.
Entweder ist die umgesetzte fremde Energie hier gleichfalls Wärme
— Peltier'sche Wärme — in diesem Falle bezeichnen wir die
thätigen elektromotorischen Kräfte als thermoelektrische. Oder
es wird neben Wärme auch chemische Energie umgesetzt, in diesem
Falle bezeichnen wir die Kräfte als elektrochemische. Fassen wir
nunmehr einen beliebig begrenzten Theil unseres Systems ins Auge
und berechnen die Zunahme der gesammten Energie dieses Theiles,
also der Größe
dS_
dt '
f(uX + vY+tvZ)dT
so finden wir nach dem Vorigen diese Zunahme gleich einem über
die Oberfläche des Eaumes genommenem Integral. Die Aenderung
des Energievorrathes dieses und damit eines jeden Eaumes wird
also richtig berechnet, wenn wir annehmen, die Energie trete nach
Art einer Substanz durch die Oberfläche ein, und zwar in solcher
über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruhende Körper. 129
Fülle, daß durch die Flächeneinheit einer jeden Oberfläche die Menge
__!_ {(NY— MZ)cosnJx + (LZ— NX)cosn,y + (MX— LY)cosn,z\
tritt. Eine geometrische Discussion dieses Ausdrucks ergiebt, daß
unsere Annahme identisch ist mit der Aussage, die Energie bewege
sich überall in einer Richtung , welche auf den Richtungen der
magnetischen und der elektrischen Kraft senkrecht steht und in
solcher Fülle, daß in dieser Richtung in der Zeiteinheit durch die
Flächeneinheit eine Menge trete gleich dem Produkt der beiden
Kräfte, dem Sinus des eingeschlossenen Winkels und dem Faktor
-s — r. Es ist dies die höchst bemerkenswerthe Theorie des Herrn
4tiA
Poynting über die Bewegung der Energie im elektromagneti-
schen Felde1). Bei Beurtheilung der physikalischen Bedeutung
derselben muß erstens hervorgehoben werden, daß die Zerlegung
unseres Oberflächenintegrales in seine Elemente eine hypotheti-
sche war und daß das Ergebniß derselben nicht immer ein wahr-
scheinliches ist. Ruht ein Magnet dauernd neben einem elektri-
sirten Körper, so muß zufolge dieses Resultats die Energie der
Nachbarschaft sich in beständiger Bewegung befinden, allerdings
in geschlossenen Bahnen. Ein größeres Bedenken scheint mir in
der Frage zu liegen, wie weit bei unsern gegenwärtigen Kennt-
nissen von der Energie die Lokalisation derselben und ihre Ver-
folgung von Punkt zu Punkt überhaupt Sinn und Bedeutung hat.
Derartige Betrachtungen sind noch nicht durchgeführt bei den
einfachsten Energieumsätzen der gewöhnlichen Mechanik; es ist
daher die Frage noch unerledigt , ob und in welchem Umfange
der Begriff der Energie eine solche Behandlungsweise zuläßt.
12. Ponderomotorische Kräfte.
Die mechanischen Kräfte , welche wir im elektromagnetisch
gestörten Felde zwischen den ponderabelen Körpern wahrnehmen,
sehen wir an als die Resultanten mechanischer Druckkräfte, welche
durch das Vorhandensein der elektromagnetischen Störungen im
Aether und in den übrigen Körpern wachgerufen werden. Zufolge
dieser Anschauung sind die auf einen ponderabeln Körper wirken-
den mechanischen Kräfte vollständig bestimmt durch den elektro-
magnetischen Zustand seiner unmittelbaren Umgebung, ohne daß
es darauf ankäme, welche Ursachen weiterhin diesen Zustand her-
1) J. H. Poynting, Phil. Transactions 1884. II. p. 343.
130 H. Hertz,
vorgerufen haben. Wir setzen ferner voraus, daß die unterstellten
Druckkräfte von solcher Art sind , daß sie keine Resultanten
ergeben, welche das Innere des Aethers selbst in Bewegung zu
setzen streben. Ohne diese Voraussetzung wäre unser System noth-
wendig unrichtig oder doch unvollständig, denn ohne sie konnte
man von elektromagnetischen Kräften im ruhenden Aether allgemein
gar nicht reden. Eine nothwendige Folge dieser Voraussetzung
ist es , daß die an den ponderabeln Körpern zu beobachtenden
mechanischen Kräfte dem Prinzip der Gleichheit von Wirkung
und Gegenwirkung genügen.
Es fragt sich nun ob sich Druckkräfte angeben lassen, welche
diesen Anschauungen entsprechen und geeignet sind, die wirklich
beobachteten Resultanten zu ergeben. Maxwell und in allge-
meinerer Form von Helmholtz haben Formen der Druckkräfte
angegeben, welche allen Ansprüchen genügen für statische und
stationäre Zustände. Aber für den allgemeinen veränderlichen
Zustand als gültig angenommen würden diese Drucke das Innere
des Aethers selbst in Bewegung setzen. Wir nehmen deshalb an,
daß die vollständigen Formen noch nicht gefunden seien, vermeiden
es, bestimmte Angaben über die Größe der Drucke zu machen und
ziehen es vor, die ponderomotorischen Kräfte abzuleiten mit Hülfe
der Voraussetzungen , welche wir bereits angegeben haben , mit
Hülfe des Prinzips von der Erhaltung der Energie und mit Hülfe
der folgenden Erfahrungsthatsache : Werden die ponderabelen Kör-
per eines elektrisch oder magnetisch erregten Systems , welches
dem statischen Zustand stets unendlich nahe bleibt, gegen einander
bewegt und gleichzeitig die in jedem Element der Körper befind-
liche Menge der wahren Elektricität und des wahren Magnetismus
als unveränderlich und an dem Elemente haftend behandelt , so
findet die zur Bewegung der Körper verbrauchte mechanische Ar-
beit ihre einzige Compensation in der Vermehrung der elektromag-
netischen Energie des Systems, ist also dieser gleich.
Es bleibt die Frage offen , ob sich überhaupt Formen der
Druckkräfte angeben lassen, welche den von uns gestellten Anfor-
derungen allgemein und genau genügen. Sollte dies nicht der Fall
sein, so enthält die Gesammtheit unserer Voraussetzungen einen
innern Widerspruch, welche durch eine Correction an einer oder
an mehreren dieser Voraussetzungen gehoben werden muß. Die
erforderlichen Verbesserungen sind aber jedenfalls von solcher Art,
daß sie in keiner der bisher beobachteten Erscheinungen ihre Wir-
kung geltend machen. Im Uebrigen ist hervorzuheben, daß wenn
sich hier eine Lücke in unserer Theorie findet , dies nicht eine
über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruhende Körper. 131
Lücke in den Grundlagen , sondern eine solche in den Ausläufern
der Theorie ist. Denn die erregten mechanischen Kräfte sind von
unsern Standpunkte aus eine secundäre Folgeerscheinung der elek-
tromagnetischen Kräfte; wir könnten die Theorie der letzteren
behandeln, ohne die er st er en auch nur zu erwähnen, wie wir denn
ja auch alle übrigen minder wichtigen Folgeerscheinungen des
elektromagnetischen Zustandes von der Besprechung ausgeschlossen
haben.
B. Ableitung der Erscheinungen aus den Grundgleichungen.
Wir theilen die durch unsre Gleichungen dargestellten Er-
scheinungen ein in statische, stationäre und dynamische. Damit
eine Erscheinung zu den statischen oder stationären rechne, ist
nöthig, daß sie keine Aenderungen der elektrischen und magneti-
schen Kräfte mit der Zeit bedinge, daß also die linken Seiten der
Gleichungen 9 a und 9 b verschwinden. Damit eine Erscheinung
weitergehend als eine statische bezeichnet werde, ist außerdem
nöthig, daß sie überhaupt nicht von Aenderungen in der Zeit be-
gleitet werde, daß also insbesondere durch sie kein dauernder
Energieumsatz in andre Formen bedingt werde. Hierfür ist die
hinreichende und nothwendige Bedingung, daß auch die Großen
u, v, w in den Gleichungen 9a und 9b verschwinden.
Statische Erscheinungen.
Wenn in den Gleichungen 9a und 9b die linken Seiten und
die u, v) w verschwinden, so zerfällt das System in zwei von ein-
ander unabhängige Systeme, von welchen das eine nur die elektri-
schen, das andere nur die magnetischen Kräfte enthält. Wir er-
halten so zwei Gruppen von Problemen, von denen die eine als
Elektrostatik , die andere als Lehre vom ruhenden Magnetismus
bezeichnet zu werden pflegt.
13. Elektrostatik.
Vom Auftreten elektromotorischer Kräfte sehen wir in diesem
Abschnitt ab, weil, wenn dieselben das Zustandekommen des sta-
tischen Zustandes überhaupt gestatten, ihre Wirkung zu schwach
132 H. Hertz,
ist, um in den interessirenden Problemen in Betracht zu kommen.
Hiernach müssen alsdann in den Leitern , woselbst die X nicht
verschwinden, die Kräfte X Y Z verschwinden. In den Nichtleitern
nehmen die Gleichungen 9a die Form an
dZ dY
dX
dZ
dY
dX
dy dz
dz
dx
dx
dy
Die Kräfte besitzen demnach ein Potential (p , dessen negati-
ven Differentialquotienten sie gleich gesetzt werden können. Da
die Kräfte überall endlich sind, ist (p überall stetig, es kann auch
durch die Leiter hindurch fortgesetzt werden und ist alsdann in
diesen als constant zu betrachten. An einer Grenzfläche setzen
sich die zur Grenzfläche tangentialen Differentialquotienten von (p
stetig durch die Fläche fort. Bezeichnet im Uebrigen ef die räum-
liche Dichte der freien Elektricität , so genügt nach Abschnitt 10
das Potential (p überall im Räume der Gleichung 4cp = —4^,
welche im freien Aether die Form Aq> = 0 annimmt, und deren
sinngemäße Umformung für die Trennungsfläche heterogener Kör-
per daselbst die Bedingung ergiebt
\ dn/3
-(© = -"•*;.
unter e'f die Flächendichtigkeit der freien Elektricität verstanden.
Aus der Gesammtheit dieser Bedingungen folgt für cp der bis auf
eine willkürlich bleibende Constante eindeutig bestimmte Werth:
<p = / —f- dx , das Integral über den ganzen Raum, unter sinnge-
mäßer Berücksichtigung der Grenzflächen erstreckt. Bei gleicher
Vertheilung des Potentials und der Kräfte in verschiedenen Nicht-
leitern sind also die freien Elektricitäten die gleichen. Die ent-
sprechenden Mengen der wahren Elektricitäten aber sind verschie-
den und stehen für das Innere zweier homogenen Nichtleiter im
Verhältniß der Dielektricitätsconstanten. Die Bedingung dafür,
daß die Dichtigkeit der wahren Elektricität im Innern der Nicht-
leiter gegebene Werthe ew habe, ist, wenn wir uns für den Au-
genblick auf isotrope Körper beschränken:
*{&)+£YM%£(,M) = -4«.,
dx \ dx/ dy \ dy/ dz \ dz / mi
welche an der Grenze zweier isotroper Körper die Form annimmt
über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruhende Körper. 133
unter e'w die Flächendichte der wahren Elektricität verstanden.
Werfen wir noch unser Augenmerk auf den Energievorrath
eines elektrostatischen Systemes. Wir erhalten denselben der
Reihe nach in den Formen:
- &m +f ♦#>* - */♦«•* - W&*-
Die Integrationen sind dabei über allen Raum erstreckt ge-
dacht, in welchem elektrische Störungen vorkommen, also bis zu
Grenzen, an welchen die Störungen verschwinden, und die sinnge-
mäße Umformung der Integrale an den Grenzflächen ist stillschwei-
gend unterstellt. Die Zunahme, welche ein jeder dieser Ausdrücke
erleidet, wenn bei eintretender Bewegung der ponderabelen Körper
die an den Körperelementen haftenden Mengen der wahren Elek-
tricität constant bleiben, ist nach Abschnitt 12 gleich der von den
mechanischen Kräften bei dieser Bewegung geleisteten Arbeit.
Besteht also unser System aus zwei Elektricitätsmengen E1 und
E2, welche im Aether in einem gegen ihre eigenen Dimensionen
sehr großen Abstand B von einander sich befinden, so vermindert
sich bei Vermehrung des Abstandes beider um dB die elektrische
Energie des Raumes um ^(E1E2+E2E1)-^2-f der Ausdruck ' '
stellt also die mechanische Kraft dar, mit welcher beide Elektri-
citäten sich von einander zu entfernen trachten. Das Coulomb-
sche Gesetz , welches in den älteren Theorien den Ausgangspunkt
aller Betrachtung bildete, erscheint jetzt als ein entferntes End-
resultat.
In Hinsicht der allgemeinen Bestimmung der ponderomotori-
schen Kräfte müssen wir uns hier begnügen , darauf hinzuweisen,
daß die letzten beiden für die Energie des Systems erlangten Aus-
drücke dieselben sind, deren Aenderung auch nach der gewöhnli-
chen Elektrostatik die bei der Bewegung der Körper geleistete
Arbeit ergiebt, und daraus zu folgern, daß wir aus den Aen-
derungen dieser Ausdrücke dieselben Kräfte bereclnißn werden,
von welchen die gewöhnliche Elektrostatik ausgeht und welche an
der Erfahrung geprüft sind. Insbesondere wird sich zeigen lassen,
Nachrichten von der K. G. d. VY. zu Göttingen. 1890. No. 4. 11
134 H. Hertz,
daß auf ein Körperelement, welches die Menge e an wahrer Elek-
tricität enthält, die mechanischen Kraftcomponenten eX, eY, eZ
einwirken. Wir kommen dadurch auf die Aussagen zurück, durch
deren Hülfe wir zuerst die elektrischen Kräfte einführten.
14. Ruhender Magnetismus.
Die Gleichungen, welche die Componenten ruhender magne-
tischer Kräfte verbinden, sind die gleichen, welche zwischen den
Componenten ruhender elektrischer Kräfte obwalten. Alle Be-
merkungen des vorigen Abschnittes lassen sich daher hier unter
entsprechender Aenderung der Bezeichnungen wiederholen. Wenn
gleichwohl die in diesem Gebiet interessirenden Probleme sich
auch in mathematischer Beziehung von denen der Elektrostatik
unterscheiden, so liegt das vorzugsweise an folgenden Gründen:
1) Es fällt hier die Klasse der als Leiter zu bezeichnenden
Körper fort.
2) In allen Körpern, mit Ausnahme solcher, welche permanenten
oder remanenten Magnetismus zeigen, kommt wahrer Magnetismus
nicht vor. Im Innern derartiger Körper, sofern sie isotrop sind,
gilt daher für das magnetische Potential ty nothwendig stets die
Gleichung :
d ( äi\>\ d ( dtl>\, d ( d^\
welche an der Grenze derartiger Körper übergeht in die Gleichung
'.(£),-<•■(£),- »•
Etwas verwickeitere, aber leicht angebbare Gleichungen gelten für
das Innere und die Grenzen krystallinischer Körper und kommen
in Betracht, wenn wir die Erscheinungen der sogenannten Magne-
krystallkraft behandeln wollen.
3) Während die Dielektricitätsconstante aller bekannten Körper
größer als Eins ist, ist die Magnetisirungsconstante für viele Kör-
per auch kleiner als Eins. Solche Körper bezeichnen wir als dia-
magnetische, im Gegensatz dazu die übrigen als paramagnetische.
Die freie magnetische Dichte an der Oberfläche eines an den leeren
Raum grenzenden isotropen Körpers ist gleich dem (1 — f*) fachen
der im Innern des Körpers normal zur Oberfläche gerichteten Kraft.
über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruhende Körper. 135
Bei gleichem Sinn der Kraft ist also das Vorzeichen der Belegung
eines diamagnetischen Körpers demjenigen der Belegung eines pa-
ramagnetischen Körpers entgegengesetzt.
Die Lehre vom ruhenden Magnetismus gewinnt ferner ein be-
sonderes Ansehen durch den Umstand, daß gerade die in Hinsicht
der magnetischen Erscheinungen wichtigsten Körper , Eisen- und
Stahlsorten, sich der Theorie nur in ganz roher Annäherung fü-
gen. Diese Körper zeigen permanenten und remanenten Magnetis-
mus, es ist also in ihnen die Polarisation des ponderabelen Stoffes
theilweise unabhängig von der herrschenden Kraft, und also der
magnetische Zustand nicht vollständig durch eine einzige Richtungs-
größe zu definiren. Da außerdem die Beziehungen zwischen der
Kraft und den durch sie bewirkten Störungen keine linearen sind,
so treten diese Körper aus doppeltem Grunde aus dem Rahmen
der gegenwärtigen Theorie heraus. Um sie nicht ganz von der
Betrachtung ausschließen zu müssen, ersetzen wir sie durch den
jedesmal nächst stehen den zweier Idealkörper, des vollkommen
weichen Eisens oder des vollkommen harten Stahles. Ersteres de-
finiren wir als einen Körper, welcher unsern Gleichungen folgt,
und für welchen ft einen sehr großen Werth hat. Indem wir die-
sen Werth je nach der Natur des behandelten Problems verschie-
den wählen, erzielen wir eine weitere Annäherung. Den vollkom-
men harten Stahl definiren wir als einen unsern Gleichungen fol-
genden Körper von den Magnetisirungsconstanten Eins, in dessen
Innern wahrer Magnetismus vorkommen kann in beliebiger Verthei-
lung, jedoch so, daß die Gesammtmenge des in jedem Stahlstück vor-
handenen wahren Magnetismus wiederum von Null nicht abweicht.
Stationäre Zustände.
Für den Zustand der stationären Bewegungen gelten in den
Nichtleitern die gleichen Bedingungen, wie für den statischen Zu-
stand; in den Leitern, welche wir in diesem Abschnitt der Ein-
fachheit halber als isotrop vorausetzen, nehmen die in Betracht
kommenden Gleichungen 9a, 9b, 9e die Form an:
dZ dY A dM dN ; .
— — = 0 -j =- = 4 7t Au
dy dz dz dy
dX dZ ,w dN dL A . lr,
— -— = 0 15a. -5 -=— = 4«.4t> 15b.
dz dx dx dz
dY dX dL dM A A
— — - = 0 -5 j— = 4 71 Aw
dx dy dy ax
11*
136 H. Öerts,
15c. u = A(X-X'), v = l(Y- F), w = %(Z-Z).
Differenziren wir die Gleichungen 15b beziehlich nach x, y, z und
addiren sie, so folgt
dx dy dz ' " '
welche Gleichung an Flächen, an welchen sich die Strömungen
sprungweise ändern, die Form annimmt:
15 e. (u2 — w,) cos n, x + (v2 — vt) cos w, y + (w2 — wx) cos n, z = 0.
Fügen wir die Gleichungen 15 d und 15 e den Gleichungen 15 a und
15 c hinzu, so erhalten wir ein System, welches lediglich die elek-
trischen Kräfte enthält. Dasselbe kann ohne Rücksicht auf die
magnetischen Kräfte behandelt werden und giebt uns die Theorie
der Stromvertheilung. Sind die Componenten u, v, w der Strö-
mung gefunden, so ergiebt uns weiter die Behandlung der Gleich-
ungen 15 b die von diesen Strömungen ausgeübten magnetischen
Kräfte.
15. Vertheilung stationärer Ströme.
Es erhellt aus den Gleichungen 15 a, daß die Kräfte auch im
Innern der durchströmten Leiter noch als die negativen Differen-
tialquotien einer Function (p, des Potentials, dargestellt werden
können, welches durch die Bedingung bestimmt ist, daß überall
sein muß:
-iw-i^-
An der Grenzfläche zweier heterogener Leiter nimmt diese Gleich-
ung die Form von
15g. ^(g^-A^g)^ ^<Ät35^il1Z0cosn^-(A2Fi-A1Fl)
cos n, y — (l2Z[ — A^) cos n, z,
also an der Grenze eines Leiters gegen einen Nichtleiter die Form :
über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruhende Körper. 137
j
~- = — X' cos n, x — Y cos n,y — Z' cos n, z. 15h.
Zu diesen Grenzbedingungen kommt noch in solchen Grenzflächen,
in welchen die elektromotorischen Kräfte unendlich werden, nach
Abschnitt 8 die weitere Bedingung hinzu :
(pl — (p2 = J(Xcos n, x + Fcosn,y-|- Z cos n,z)dn
= $(X'coan,x + Ycosn,y + Z,cosn,z)dn 15i.
Die Gesammtheit dieser Bedingungen bestimmt <p eindeutig für
das ganze Innere der Leiter bis auf eine Constante, welche von
den Zuständen außerhalb der Leiter abhängig bleibt. Für homo-
gene Leiter nehmen die Gleichungen 15f— 15i die einfacheren Ge-
stalten an :
4(p = 0 für das Innere der Leiter,
A^-—) = ä2( 7 ) für die Grenze zweier Leiter, 15k.
— ?- = 0 für die Grenze gegen einen Nichtleiter,
(pi— (p2 = yx 2 an einer elektromotorisch wirksamen Grenzfläche.
Die so erlangten Gleichungen gestatten die unmittelbare An-
wendung auf Probleme der Stromvertheilung in dreifach ausge-
dehnten Körpern. Ihre Anwendung auf die Strömung in flächen-
förmig ausgedehnten Leitern oder auf lineare Stromträger ist leicht
und ergiebt die Definition des Widerstands, das Ohmsche Gesetz
für geschlossene Strombahnen, die Kirchoff sehen Sätze für be-
liebige Verzweigungen, sowie die übrigen allgemeinen Sätze über
die Vertheilung stationärer Ströme.
16. Magnetische Kräfte stationärer Ströme.
Um zunächst überall aus den nunmehr bekannten Stromkom-
ponenten u, v, w die durch sie hervorgerufenen Kräfte Lf M, N
zu bestimmen, führen wir als HülfsgrÖßen die sogenannten Com-
ponenten des Vectropotentiales ein, indem wir setzen:
^'/£*. *-/7*. *-/
— dt
r
138 H. Hertz,
Die Integrale sind über den ganzen Kaum zu erstrecken, in Folge
der Bedingungen des stationären Zustandes wird dabei
du . dV , dW n
H — j — = u.
dx dy dz
Wir setzen nun :
\dz dy J
16a. M = a(™-™)
\ dx dz J
\ dy dx J
Diese L, M, N sind Lösungen der Gleichungen 15 b und genügen
der Gleichung
§L_ dM_ dN_ _
dx dy dz
Wenn sich also auch die wirklich vorhandenen Kräfte von ihnen
unterscheiden können , so genügen doch die Unterschiede beider
den Bedingungen für die Kräfte ruhender Magnetismen , und kön-
nen als von solchen herrührend angesehen werden , wobei «nicht
ausgeschlossen ist , daß diese Magnetismen ihrerseits wiederum
durch die Strömungen veranlaßt seien. Sind aber insbesondere
ruhende Magnetismen nicht vorhanden, so stellen die angegebenen
Formen die vorhandenen magnetischen Kräfte vollständig dar.
Haben wir es nur mit linearen Stromleitern zu thun, in wel-
cher die Stromstärke i herrscht, so treten in den Werthen der U,
V, W an Stelle der Ausdrücke udr, vdt, wdt die Ausdrücke idx,
idy, idZj wobei dx, dy, dy die Projectionen des Elementes ds der
Strombahn auf die drei Axen sind, und die Integrationen alsdann
längs der Stromwege um deren ganzen Umfang genommen werden
müssen. Wollen wir die magnetischen Kräfte der gesammten
Strömung als die Summen der Wirkungen der einzelnen Stromele-
mente ansehen, so giebt eine ihren Resultaten nach zulässige Zer-
legung unserer Integrale für die Wirkung des Stromelementes idx
auf den Punkt x' y' z', wenn wir zur Vereinfachung der Formeln
das Element in den Nullpunkt und den Punkt x' y' z' in die xy
Ebene bringen :
über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruhende Körper. 139
1 = 0, M=0,N = Aidx£- = ~^.y-,
dy r2 r '
welche Formeln der Ampere sehen Regel und dem Biot-Savart'-
schen Gesetz Ausdruck verleihen.
Die gefundenen Werthe der Kräfte müssen zufolge der Gleich-
ungen 15b überall da, wo die u, v, w verschwinden, also überall
außerhalb der durchströmten Leiter ein Potential ty besitzen, des-
sen negativen Differentialquotienten wir sie gleich setzen können.
Rühren die Kräfte nur her von einer einzigen geschlossenen li-
nearen Strombahn, so kann dies Potential dargestellt werden in
der Form
/d-
-— deo + constans 16 b.
worin deo das Element einer beliebigen durch die Strombahn ge-
legten Fläche, w die Normale dieser Fläche bedeutet und die Inte-
gration über den ganzen von der Strombahn begrenzten Bereich
der Fläche zu erstrecken ist. Als positiv ist dabei diejenige Seite
der Fläche gerechnet, von welcher aus gesehen der positiv gerech-
nete Strom im Sinne der Drehung des Uhrzeigers fließt. Durch
bekannte Integraltransformationen werden nämlich die negativen
Differentialquotienten des angegebenen Ausdrucks überall in die
für L, M, N gefundenen Formen gebracht, diese Differentialquo-
tienten sind also überall außer in der Strombahn selbst endlich
und stätig, und wenn auch das in ^ enthaltene Integral an der
Fläche co unstätig wird, so kann dem ganzen ip nichtsdestoweniger
die erforderliche Stätigkeit verliehen werden, indem wir die darin
enthaltene Constante als unendlich vieldeutig betrachten und je-
desmal einen um 4:7t Ai geänderten Werth derselben benutzen, so-
bald wir die Fläche co durchschreiten. Das Potential wird dadurch
selbst unendlich vieldeutig und ändert sich um An Ai, sobald wir
nach einmaliger Umkreisung der Strombahn zum Ausgangspunkte
zurückkehren.
Dem Integralausdruck, welcher in ^ vorkommt, können ver-
schiedene Deutungen untergelegt werden. Er kann zunächst be-
trachtet werden als das Potential einer magnetischen Doppelschicht.
Durch Verfolg dieser Auffassung gelangen wir zu der Ampere-
schen Theorie des Magnetismus, Es kann andererseits mit Gauss
der Werth jenes Integrals in einem bestimmten Punkte gedeutet
werden als der sphärische Winkel, unter welchem von dem Punkte
aus gesehen die Strombahn erscheint. Von hieraus ergiebt uns
140 H. Hertz,
ein leichter Ueb ergang die Richtigkeit der Aussage: es stelle jenes
Integral für einen Punkt die Zahl der Kraftlinien dar, welche ein
in dem Punkte aufgestellter Einheitspol durch die Strombahn sen-
det. Das ganze Potential einschließlich seiner Vieldeutigkeit kann
hieran anknüpfend gedeutet werden durch die Aussage: es sei die
Differenz seiner Werthe in zwei Punkten gleich der mit Ai mul-
tiplicirten Zahl der Kraftlinien, welche in bestimmter Richtung
die Strombahn durchschneiden, wenn ein Einheitspol auf beliebigem
Wege aus dem einen Punkt in der andern übergeführt wird.
Die letztgenannte Deutung ist von unserm Standpunkte aus
die angemessenste , auch erlaubt sie uns unter Berufung auf die
Lehren der Abschnitte 12 und 14 die folgenden Schlüsse an einan-
der zu reihen. Erstens : Die mechanische Arbeit, welche geleistet
werden muß, um einen Magnetpol oder auch ein System unverän-
derlicher Magnetismen in der Nähe eines constant gehaltenen li-
nearen Stromes zu verschieben, ist gleich der Zahl der Kraftlinien
des Magnetpoles oder des magnetischen Systemes , welche bei der
Bewegung die Strombahn in bestimmter Richtung durchschneiden,
multiplicirt mit der Stromstärke und der Constanten A. Zweitens :
Die mechanische Arbeit, welche geleistet werden muß, um einen
constant gehaltenen Strom in einem beliebigen magnetischen Felde
zu verschieben, ist gleich der Zahl der Kraftlinien, welche bei der
Verschiebung von der Strombahn durchschnitten werden, multipli-
cirt mit der Stärke des Stromes und der Constanten A. Endlich
also im Besonderen : Die mechanische Arbeit, welche geleistet wer-
den muß, um einen constant gehaltenen Strom 1 in der Nähe eines
constant gehaltenen Stromes 2 zu verschieben, ist gleich der Zahl
der magnetischen Kraftlinien der Strombahn 2, welche von der
Strombahn 1 bei der Bewegung durchschnitten werden, multiplicirt
mit der Stromstärke in 1 und der Constanten A. Mit dem gleichen
Rechte ist diese Arbeit auch gleich der Zahl der Kraftlinien des
Stromes 1 , welche bei der Verschiebung die Strombahn 2 durch-
schneiden, multiplicirt mit der Stromstärke in 2 und der Con-
stanten A. Beide Aussagen führen zu dem gleichen Resultat j wir
beweisen dies, indem wir das Produkt aus der Intensität der einen
Strombahn und der Zahl der sie durchsetzenden Kraftlinien der
andern Strombahn durch einen in Hinsicht beider symmetrischen
Ausdruck darstellen. Beziehen sich nämlich die Bezeichnungen i,
äs, auf die Strombahn 1, •', äs', IT, F, W, L\ M, N' auf die
Strombahn 2, so ist die mit Ai multiplicirte Zahl der Kraftlinien
von 2, welche 1 durchsetzen gleich:
über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruhende Körper. 141
Ai I (X'cosn, #+M'cosw, y + Ncosn, z)d(o
i2.f\(dV dW\ fdW dü'\ fdW dV'\
cos n, z\da)
= — AH I ( U' cos 5, x -f F cos s, y + W cos s, z) ds
.«,.., C fcosSjXcoss'y x-\-coss,ycoas\ «/ + cos 5,^ cos 5', # , , ,
= -AHi![f—*-dsds,
worin e den Winkel bezeichnet, welchen die beiden Stromelemente
im Raum mit einander bilden. Der erlangte Ausdruck ist sym-
metrisch in Bezug auf beide Strombahnen. Man weiß, daß in der
That die Aenderungen dieses Ausdrucks, des mit AHi' multipli-
cirten Neu mann sehen Potentiales der einen Strombahn auf die
andre die zur gegenseitigen Verschiebung geschlossener Ströme
erforderliche Arbeit und daraus die zwischen den ruhenden Strö-
men auftretenden ponderomotorischen Kräfte ergeben. Man weiß
auch, daß diese Aussage Alles enthält , was man in Hinsicht der
zwischen Strömen auftretenden ponderomotorischen Kräfte mit
Sicherheit behaupten kann.
Wir berechnen noch die magnetische Energie eines Raumes,
in welchem die stationären Stromkomponenten u v tu und die un-
veränderlichen magnetischen Dichten m vertheilt sind, unter der
beschränkenden Voraussetzung, daß sich magnetisirbare Körper in
dem Räume nicht vorfinden. Bezeichnen wir mit ty das Potential
der Magnetismen m, so erhalten wir die Energie successive in den
Formen :
-^- f(U + M2 + N2) dt = 16c.
o7C J
142 H. Hertz,
BseJ l \ä& dy A dx ) \ dx ' dz A dy )
N(dU dV 1 d1>\\d
V dy dx A dz/)
, 1 C,(dL dM dN\J
= ±rA2j (Uu + rv + Ww)dt + i f^mdr,
oder in Anwendung auf lineare Ströme
= |i2 / / u cosi. dsds'+ \ I ipmdt ,
wobei in dem ersten Theil der letzten Form die Integration so-
wohl nach ds als nach ds' über alle vorhandenen Ströme auszu-
dehnen ist. Es erhellt aus dieser letzten Form , daß die Ver-
schiebung unveränderlicher Magnete und unveränderlicher Ströme
gegeneinander die magnetische Energie des Raumes nicht verän-
dert. Es findet daher auch die mechanische Arbeit, welche bei
solcher Verschiebung verbraucht wird, nicht in der Aenderung der
magnetischen Energie des Raumes ihre Compensation , wie es bei
der Verschiebung unveränderlicher Magnete gegen einander der
Fall ist, sondern es muß von dem Verbleib der aufgewandten Ar-
beitsmenge anderweitig Rechenschaft abgelegt werden. Es erhellt
ferner aus der gleichen Form, daß die Verschiebung constant ge-
haltener Ströme gegen einander allerdings eine Aenderung der
Energie des Eaumes bedingt, welche dem absoluten Werth nach
der aufgewandten mechanischen Arbeit gleich ist. Aber die Be-
rücksichtigung der Vorzeichen ergiebt, daß diese Aenderung nicht
in solchem Sinne erfolgt, daß dieselbe als Compensation der ver-
lorenen mechanischen Energie könnte angesehen werden, sondern
in entgegengesetztem Sinne. Es ist also in diesem Falle noch
Rechenschaft abzulegen über den Verbleib des Doppelten der Ar-
beitsmenge, welche die mechanischen Kräfte bei der relativen Ver-
schiebung der Strombahnen leisten. Diese Rechenschaft wird am
Ende des folgenden Abschnittes abgelegt werden.
über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruhende Körper. 143
Dynamische Erscheinungen.
Aus der unendlichen Mannigfaltigkeit der möglichen Formen
des veränderlichen Zustandes sind bisher verhältnißmäßig wenige
Gruppen von Erscheinungen der Beobachtung entgegengetreten.
Wir führen diese Gruppen auf, ohne das Gebiet durch eine syste-
matische Eintheilung damit erschöpfen zu wollen.
17. Induction in geschlossenen Bahnen.
In einem sich verändernden magnetischen Felde müssen zu-
folge der Gleichungen 9 a nothwendiger Weise elektrische Kräfte
verbreitet sein. Diese Kräfte sind im Allgemeinen sehr schwach,
weil ihre Werthe den sehr kleinen Faktor A enthalten , sie sind
aus diesem Grunde der Wahrnehmung nur zugänglich durch den
Strom, welchen sie in geschlossenen Leitungsbahnen erregen oder
dadurch , daß sich ihre Wirkung in sehr langen , bis auf einen
kleinen Bruchtheil ihrer Länge geschlossenen linearen Bahnen ad-
dirt. Die in den Versuchen meßbar werdenden Wirkungen geben
uns daher stets nur die Integralwirkung der elektrischen Kraft
in einer geschlossenen Bahn, also das Integral \{Xdx + Ydy + Zdz)
genommen über eine in sich zurücklaufende Linie. Nach einer
schon benutzten bekannten Integraltransformation ist dies Linien-
integral gleich dem Flächenintegral
C\(dZ dY\ fdX dZ\ SdY dX\ K
genommen über eine von der fraglichen Linie rings begrenzte,
übrigens aber beliebige Fläche a. Unter Benutzung der Gleich-
ungen 9 a wird aber dieser Ausdruck gleich
A-j- I (QcoanjX + Wlcos^y + yi cos w, z) da .
In Worten ausgedrückt ist demnach die in einer geschlossenen
Strombahn sich zeigende elektromo torische Kraft gleich der mit
A multiplicirten Aenderung der Anzahl der die Strombahn durch-
setzenden magnetischen Kraftlinien, berechnet auf die Zeiteinheit.
Rührt insbesondere die Induction her von einem geschlossenen
144 H.Hertz,
veränderlichen Strome, und ist die Nachbarschaft magnetisirbarer
Körper ausgeschlossen, so ist die erregte elektromotorische Kraft
nach den Ergebnissen des vorigen Abschnittes gleich dem mit A%
multiplicirten Produkt des Neumann sehen Potentials der beiden
Strombahnen auf einander und der auf die Zeiteinheit berechneten
Aenderung der Intensität des inducirenden Stromes. Diese Sätze,
von welchen der erstere der allgemeinere ist, umfassen in ihren
Folgerungen vollständig die thatsächlich beobachteten Erscheinun-
gen in ruhenden Leitern.
Die Induction in bewegten Leitern liegt im Grunde außerhalb
des Gebietes auf welches sich die gegenwärtige Untersuchung be-
schränkt. Handelt es sich aber um lineare Leiter, so können wir
diese Form der Induction an die Induction in ruhenden Leitern
anschließen durch die Aussage, daß es für die elektromotorische
Kraft in einer geschlossenen Bahn gleichgültig sei, ob das unmit-
telbar umgebende magnetische Feld sich ändert in Folge von Be-
wegung ponderabeler Körper oder in Folge rein elektromagnetischer
Zustandsänderungen , dafern nur die Aenderung des unmittelbar
umgebenden magnetischen Feldes die gleiche sei. Zufolge dieser
Aussage und des Vorangegangenen ist die in einer bewegten Strom-
leitung inducirte elektrische Kraft gleich der «mit A multiplicirten
Zahl der magnetischen Kraftlinien, welche in der Zeiteinheit von
der Strombahn in bestimmter Richtung durchschnitten werden.
Das Produkt aus dieser elektrischen Kraft und der Intensität des
Stromes in der bewegten Strombahn giebt nach Abschnitt 11 die
in der Strombahn vermittelst der Induction erzeugte thermische
oder chemische Arbeit an. Dieselbe ist demnach zufolge der Er-
gebnisse des vorigen Abschnittes , ergänzt durch eine genaue Be-
rücksichtigung der Vorzeichen gleich der mechanischen Arbeit,
welche die den Stromkreis bewegenden äußeren Kräfte leisten
müssen. Wird also ein constant gehaltener Strom bewegt gegen
feste Magnete , so compensirt die in dem Stromkreis erzeugte
thermische und chemische Energie die geleistete mechanische Ar-
beit , während die magnetische Energie des Systems unberührt
bleibt. Wird dagegen ein constant gehaltener Strom bewegt gegen
einen anderen constant gehaltenen Strom, so compensirt die in dem
einen Stromkreise in Folge der Bewegung mehrauftretende chemi-
sche und thermische Energie die geleistete mechanische Arbeit;
die gleiche in dem andern Stromkreise in Folge der Bewegung
mehrauftretende Energie compensirt die Verminderung der magne-
tischen Energie des Feldes. Oder genauer gesprochen, es compen-
sirt die Summe der erstgenannten Energiemengen die Summe der
über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruhende Körper. 145
letztgenannten. Die am Schlüsse des Abschnittes 16 geforderte
Rechenschaft ist damit abgelegt.
18. Elektrodynamik nngeschlossener Ströme.
In Hinsicht der möglichen Erfahrung ist dieses Gebiet das
reichste von allen, denn es umfaßt alle diejenigen Probleme, welche
wir nicht als besondere Fälle anderen Gebieten zutheilen können.
In Hinsicht der wirklichen Erfahrung ist es indessen bislang sehr
arm. Die Schwingungen ungeschlossener Inductionsapparate oder
sich entladender Leydener Flaschen können in hinreichender An-
näherung nach den Grundsätzen des vorigen Abschnittes behandelt
werden und im eigentlichen Verstände gehören demnach hierher
bislang nur die elektrischen "Wellen und Schwingungen von kurzer
Wellenlänge , welche erst kürzlich die Aufmerksamkeit auf sich
gezogen haben. Für die theoretische Behandlung dieses Abschnittes
genüge es daher hervorzuheben, daß eine Eintheilung der elektri-
schen Kraft in einen elektrostatischen und einen elektrodynami-
schen Theil in diesen allgemeinen Problemen weder eine klar zu
fassende physikalische Bedeutung noch einen nennenswerthen mathe-
matischen Nutzen mit sich führt, daher von uns im Gegensatz zu
früheren Behandlungsweisen zweckmäßig vermieden wird.
19. Lichtbewegung in isotropen Körpern.
In das Gebiet der Optik verweisen wir diejenigen elektrody-
namischen Bewegungen, welche der Zeit nach rein periodisch sind
und deren Periode einen sehr kleinen Bruchtheil der Secunde,
sagen wir den billionten Theil derselben nicht überschreitet. Kei-
nes der Mittel, durch welches wir befähigt sind, solche Bewegungen
wahrzunehmen, gestattet uns die magnetischen und elektrischen
Kräfte als solche zu erkennen; was wir wahrzunehmen vermögen
sind lediglich die geometrischen Verhältnisse nach welchen sich
die vorhandene Bewegung in verschiedener Richtung mit verschie-
dener Intensität fortpflanzt. Auch die mathematische Darstellung
der Erscheinungen wird sich daher darauf beschränken dürfen,
nach Elimination der entgegengesetzten Art die Ausbreitung einer
der beiden Kraftarten zu verfolgen, und es wird gleichgültig sein,
an welche von beiden Arten dabei die Betrachtung anknüpft. Be-
schränken wir uns auf homogene isotrope Nichtleiter, so erhalten
wir aus den Gleichungen 4a. und 4b. durch Elimination, das eine
Mal der elektrischen, das andere Mal der magnetischen Kraft-
146 H. Hertz,
componenten die hier zu l)enutzen Formen
19a. A'ep^jr = 4$ 19b. ^V^ = ^^
d# (?«/ <^ äx dy dz
deren Lösungen , rein periodische Bewegungen vorausgesetzt,
stets auch Lösungen der Gleichungen 4a. und 4b. sind. Jedes
der beiden Gleichungssysteme 19a. und 19b. läßt die Möglich-
keit von Transversalwellen, die Unmöglichkeit von Longitudi-
nalwellen erkennen; jedes der beiden Systeme ergiebt für die
Geschwindigkeit der möglichen Wellen den Werth — , aus
A S/ap
jedem der beiden Systeme lassen sich die Erscheinungen der ge-
radlinigen Ausbreitung, der Beugung, der Interferenz des natürlichen
und des polarisirten Lichtes ableiten und die verschiedenen Arten
der Polarisation verstehen. Ein Zurückgreifen auf die Gleichungen
4a. und 4b. ergiebt dabei, daß die Richtungen der gleichzeitigen
elektrischen und magnetischen Kraft in einem jeden Punkte einer
ebenen Welle beständig auf einander senkrecht stehen.
Lassen wir die Grenzebene zweier isotropen , homogenen
Nichtleiter mit der xy-JLhene zusammenfallen, so gelten an dieser
Grenzebene zufolge des Abschnittes 8 und unter Berücksichtigung
des Umstandes, daß wir es nur mit periodischen Bewegungen zu
thun haben, die Bedingungen:
19c.
Jedes dieser Systeme von Grenzgleichungen ergiebt zusammen mit
den zugehörigen Gleichungen für das Innere beider Körper die
Gesetze der Reflexion, der Brechung, der totalen Reflexion, also
die Grundlagen der geometrischen Optik. Jedes derselben läßt
auch erkennen , daß die Intensität reflectirter und gebrochener
Wellen von der Art ihrer Polarisation abhängig ist und ergiebt
Lt = L2
Xx = X2
Mx = M \
19d.
% = Y2
V>iNx = [i2N2
K% = *A
über die Grundgleichuugen der Elektrodynamik für ruhende Körper. 147
für diese Abhängigkeit sowie für die Phasenverzögerung der total
reflectirten Wellen die F r e s n e 1 ' sehen Formeln. Leiten wir diese
Formeln aus den Gleichungen der elektrischen Kräfte 19b. und 19d.
her, so entspricht unsere Entwickelung der von Fresnel selbst
gegebenen Ableitung dieser Formeln. Halten wir uns an die
Gleichungen der magnetischen Kraft 19a. und 19c, so nähern wir
uns dem von F. Neumann zur Ableitung der F r e s n e l'schen Glei-
chungen angegebenen Pfade. Von unserem allgemeineren Stand-
punkte aus läßt sich nicht allein von vorn herein überblicken, daß
beide Wege zum gleichen Ziele führen müssen, sondern auch er-
kennen , daß beide mit gleicher Berechtigung beschritten werden
können. Daß in den wirklich beobachteten Erscheinungen der
Reflexion die elektrischen und magnetischen Kräfte nicht völlig
mit einander vertauschbar sind und beide Wege verschieden er-
scheinen, hat seinen Grund in dem Umstände, daß für alle in Be-
tracht kommenden Körper die Magnetisirungsconstanten fast gleich
und gleich Eins sind, während die Dielektricitätsconstanten merk-
lich verschieden sind und daß also hauptsächlich die elektrischen
Eigenschaften der Körper deren optisches Verhalten bestimmen.
Bildet die xy- Ebene die Grenze unseres Nichtleiters gegen
einen vollkommenen Leiter , so gelten in dieser Ebene die Glei-
chungen
19e. N = 0 19f. * ~ j]
Dieselben lassen zusammen mit den zugehörigen Gleichungen für
das Innere des Nichtleiters erkennen, daß bei jedem Einfallswinkel
und jedem Azimuth der Polarisation die Reflexion eine totale ist.
Da die wirklichen Leiter zwischen den vollkommenen Leitern und
den Nichtleitern die Mitte halten, so wird die Reflexion an ihnen
einen Uebergang bilden zwischen der totalen Reflexion und der
Reflexion an durchsichtigen Körpern. Da die Metallreflexion eine
derartige Stellung einnimmt , so läßt sich übersehen , daß unsere
Gleichungen geeignet sein werden, ein allgemeines Bild auch der
Metallreflexion zu geben. Wie weit in die Einzelheiten hinein
aber die Wiedergabe durch passende Wahl der Constanten sich
erstrecken läßt , scheint bisher noch nicht genügend untersucht
zu sein.
Daß die Erscheinungen der Dispersion die Einführung minde-
stens zweier elektrischen oder zweier magnetischen Größen erfor-
dern und deshalb außerhalb des Bereichs unserer gegenwärtigen
Theorie liegen, ist schon im ersten Abschnitt erwähnt worden.
148 H. Hertz,
20. Krystalloptik.
Wir beschränken unsere Betrachtung auf die Lichtbewegung
im Innern eines homogenen vollkommen durchsichtigen Krystalles,
von welchem wir des Weiteren voraussetzen, daß die Symmetrie-
axen der elektrischen und der magnetischen Energie zusammenfallen.
Legen wir die Coordinatenaxen diesen gemeinschaftlichen Symme-
trieaxen parallel und setzen der Einfachheit halber für
£1V f22> 6SSJ f*HJ ^22> ^33 j©tzt €„ £2, £3, ft,j /i2, fa
so nehmen die in Betracht kommenden Gleichungen 5a. und 5b.
die Form an:
dL dZ__dY dX_
^ dt ~ dy dz ' dt
i- l dM dX dZ on, . dY
20a. ^_ = _-_ 20b. A^ —
äN dY dX . dZ
Ac
dt dx dy 3 dt dy dx
dM
dN
dz
dN
dy
dL
dx
dL
dz
dM
Diese Gleichungen werden integrirt durch die Annahme ebener
Wellen geradlinig polarisirten Lichtes, welche den folgenden Aus-
sagen entsprechen : Auf der elektrischen Polarisation steht die mag-
netische Kraft , auf der magnetischen Polarisation die elektri-
sche Kraft senkrecht. Die Richtung der beiden Kräfte tritt im
Allgemeinen aus der Wellenebene heraus , die Richtung der beiden
Polarisationen liegt in der Wellenebene. Die Richtung, welche auf
den beiden Polarisationen senkrecht steht, ist also die Wellennor-
male ; die Richtung, welche auf den beiden Kräften senkrecht steht,
ist die Richtung, in welcher sich zufolge Abschnitt 11 die Energie
fortpflanzt, sie heißt in der Optik der Strahl. Jeder gegebenen
Lage der Wellennormale entsprechen im Allgemeinen zwei mög-
liche Wellen von verschiedener Polarisation , verschiedener Ge-
schwindigkeit und verschiedener Lage des zugehörigen Strahles.
Lassen wir in einem bestimmten Augenblicke vom Nullpunkt des
Coordinatensystems ebene Wellen mit allen möglichen Lagen der
Wellennormale ausgehen , so umhüllen diese Wellenebenen nach
der Zeiteinheit eine Fläche , die sogenannte Wellenfläche. Jede
einzelne Wellenebene berührt die Wellenfläche in einem Punkte
des durch den Nullpunkt gelegten zugehörigen Strahles. Als
Gleichung der von den Wellenebenen umhüllten Fläche wird ge-
funden ;
20c.
über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruhende Körper. 149
V*l *2 «»'Vi f*2 f*s' *1^1 Vf*3 ^2'
-JffiU -1-)— *-(-L+ J_) + _ 1_ = o.
*2r*.V*ir*S *3r*l' «5f»8-V«lf*. *.f*l' «1*2*3^2^3
Die durch diese Gleichung dargestellte Fläche vierten Grades
schneidet die Coordinatenebenen in je zwei Ellipsen. In einer der
Coordinatenebenen schneiden sich die beiden Ellipsen in vier Punk-
ten, welches vier Nabelpunkte der Fläche sind ; in den beiden an-
dern Coordinatenebenen umschließt die eine Ellipse die andere,
und zwar gelten diese Aussagen, welches auch die Werthe
der f. und ^ sind. Für alle wirklichen Krystalle ist mit sehr
großer Annäherung px =*= p,t = ^ = 1 j für diesen Fall reduzirt
sich die allgemeine Form der Gleichung auf die der Fresnel' sehen
Wellenfläche und von den beiden Ellipsen, in welchen die Fläche
jede der Coordinatenebenen schneidet , reduzirt sich je eine auf
einen Kreis.
Man weiß, daß sich an die Betrachtung der Wellenfläche und
ihrer Ausartungen in besonderen Fällen die Erklärung der Doppel-
brechung , der Reflexion an Krystallflächen , vieler der in Kry-
stallen beobachteten Interferenzerscheinungen anknüpft. Andere
Thatsachen der Krystalloptik lassen sich hinwiederum nicht bewäl-
tigen durch den Verfolg einer einzigen elektrischen und einer
einzigen magnetischen Richtungsgröße , diese Thatsachen liegen
daher außerhalb des Bereiches unserer Theorie in ihrem gegen-
wärtigen Umfang.
Wir haben in den Nummern 17 — 20 die Aufzählung derjeni-
gen Fälle des veränderlichen Zustandes erschöpft , deren Wich-
tigkeit bislang zur Entwickelung besonderer Theorien Veranlas-
sung gegeben hat.
Bonn, im März 1890.
Universität,
i
Beneke'sche Preisstiftung.
Am 11. März 1890, als dem Geburtstage des Stifters, Carl
Gustav Beneke, wurde vorschriftsgemäß in öffentlicher Sitzung
der Fakultät das Ergebniß der Preisbewerbung für das Jahr 1890
verkündet.
Die im Jahre 1887 gestellte Aufgabe lautete wie folgt:
Zenonis, Cleanthis, Chrysippi stoieorum prineipum et disci-
Nachrichten von der K. G. d. W. zu Göttingen. 1890. Nr. 4. 12
150 Beneke'sche Preisstiftung.
pulorum quae supersunt reliquiae ad res ethicas politicas
divinas spectantes colligantur et pertractentur ita , ut libri
cujusque quantum quidem fieri possit et argumentum illustre-
tur et vestigia apud posteriores scriptores latentia indagentur.
Es sind zwei Bewerbungs Schriften rechtzeitig eingegangen,
über welche das Urtheil der Fakultät folgendermaßen lautet:
Die erste Bewerbungsschrift, mit dem Motto :
Msxqov tov ßiov rb xcdöv
behandelt Zenon , Kleanthes , Ariston , Chrysippos. Sie kann
aber nur für Zenon und allenfalls Ariston als vollendet gel-
ten. Kleanthes und Mehreres von Chrysippos ist so gut wie eine
bloße Reproduction älterer Arbeiten , anderes giebt nur wenig
obenhin zusammengerafftes Material. Nur Chrysippos 7C8ql Ttuftfov
ist noch sorgfältiger behandelt.
Der Verfasser ist auf die Textkritik der Bruchstücke und
die literärgeschichtliche Forschung über die einzelnen Schriften
und Schriftsteller fast gar nicht eingegangen , und auch die
Analyse der Hauptautoren, denen die Bruchstücke entnommen sind,
ist kaum gefördert. Der Verfasser hat vielmehr seiner eigenen
Angabe nach nur einen sehr engen Kreis der einschläglichen
Literatur selbst durchforscht. Sein Interesse ist fast ausschließlich
dem Erfassen der Lehrmeinungen der Stoa zugewandt, jedoch auch
nach dieser Seite treten bedeutende und gesicherte Ergebnisse
nicht hervor. Der Preis kann ihm also nicht zuerkannt werden.
Die zweite Arbeit trägt das Motto:
'Ev otxtcug [lei^oöi ita^aitiitru tiva TtCxvga xal 7to6ol Jtvgol uveg.
Sie hat sich auf die Sammlung der Bruchstücke des Chrysippos
beschränkt, von welchem sie allerdings alle Schriften, nicht bloß
die in dem Thema bezeichneten, heranzieht.
Beigegeben ist eine Reihe von umfassenden und eindringenden
Untersuchungen, vornehmlich über das Verhältniß der Quellen-
schriftsteller zu einander und zu den verlorenen Schriften.
Die Sammlung der Fragmente giebt die ausgeschriebenen
Stellen nur mit kritischem Apparate versehen ohne jede Erklärung
und nur durch die gewählte Anordnung verbunden. * Die Bearbei-
tung ist also unvollendet. Das Fortlassen von Zenon und Klean-
thes begründet der Verfasser damit, daß er nicht hätte reprodu-
ciren wollen und eine Vermehrung der Bruchstücke über das
bisher gesammelte hinaus nicht zu leisten wäre.
Die Fakultät kann diese Ansicht nicht theilen, sie würde es
vielmehr lebhaft bedauern, wenn der Verfasser bei der Veröffent-
lichung seines Werkes die Reste der älteren Stoa ausschließen
Beneke'sche Preisstiftung. 151
wollte, ja es dürfte angezeigt sein, noch die nächsten Anhänger
des Chrysippos bis auf Antipatros zuzuziehen. Indessen unter der
Voraussetzung, welche sich der Verfasser von der singulären Bedeu-
tung des Chrysippos gebildet hat, und angesichts der Masse antiker
Literatur, welche er mit Recht zu durchforschen unternommen
hat, steht die Fakultät nicht an, diese Einschränkung des Themas
als praktisch zulässig gelten zu lassen und somit seine Chrysippea
als den Versuch einer Lösung der gestellten Aufgabe anzusehen.
So unfertig hiernach die Fragmentsammlung auch noch erscheint,
so ist doch des werthvollsten neuen Materials soviel erschlossen
und ist in den Forschungen über die Quellenschriftsteller so viel
theils festgestellt, theils mit Scharfsinn und Umsicht vermuthet,
daß das Werk in seiner Vollendung eine bedeutende Förderung
der Wissenschaft sowohl nach philologischer wie nach philosophi-
scher Seite verspricht, und die Fakultät trägt deßhalb kein Be-
denken, dem Verfasser den ersten Preis zuzuerkennen.
Die Eröffnung des mit dem Motto:
' Ev otxiaig iisl^oöi TtagccTtiTtrsi xiva TtirvQa %ccl 7to6ol xvqoI xivig
versehenen Briefes ergab als Verfasser Herrn
Dr. phil. Hans von Arnim Fredenwalde zu Halle a./Saale.
Für das Jahr 1893 stellt die philosophische Fakultät fol-
gende neue
Beneke'sche philosophische Preisaufgabe:
Die Bahnbewegung des in mehrfacher Beziehung so sehr
interessanten Biela' sehen Kometen hat im Jahre 1861
durch Hubbard insofern eine ausgezeichnete Bearbeitung
gefunden, als dieser Astronom die Beobachtungen der beiden
Componenten des Kometen während der Erscheinungen in
den Jahren 1845/46 und 1852 mit Berücksichtigung der
inzwischen durch die großen Planeten verursachten Störungen
mit einander in Verbindung gebracht und daraus Elementen-
systeme hergeleitet hat, welche den Vorausberechnungen
für die freilich erfolglosen Nachforschungen während der
zu erwartenden Wiedererscheinungen als Grundlage ge-
dient haben.
Die philosophische Fakultät stellt nun die Aufgabe,
daß eine strenge , nach einheitlichen Grundsätzen und mit
Benutzung der neusten und besten Hülfsmittel in Bezug
auf die Oerter der Vergleichsterne und die angewandten
Sonnen- und Planeten- Tafeln sowie die Planetenmassen
153 Beneke'sche Preisstiftung.
ausgeführte Untersuchung mit Berücksichtigung aller in
Betracht kommenden Störungen auch über die vorherge-
gangenen Erscheinungen in den Jahren 1832, 1826, 1805/6
bis zu 1772 zurück ausgeführt werde und daß diese Unter-
suchung , wenn auch der Komet nach 1852 nicht wieder
aufgefunden worden ist, mit Innehaltung der dazu erfor-
derlichen Genauigkeitsgrenzen in der Rechnung und mit
Rücksicht auf die fernerhin erfolgten größeren Störungen
bis zum Jahre 1872 ausgedehnt werde, um neue Aufschlüsse
über die noch nicht aufgeklärte Beziehung dieses Kometen
zu dem nach Klinkerfues' Anzeige von P o g s o n aufgefun-
denen kometenartigen Object zu erhalten, Es wird dabei
Gewicht darauf gelegt , daß die Störungswerthe in der ein-
zureichenden Abhandlung nicht nur in ihrer Gesammtwirkung
von einer Erscheinung zur andern , sondern wenigstens
für die hauptsächlich in Betracht kommenden Planeten Erde
und Jupiter in den Endresultaten in geeigneten Abständen
für den ganzen Zeitraum mitgetheilt werden, um zu Zeiten
der wiederholten großen Annäherungen des Kometen die
Wirkungen einzeln erkennen zu können; ferner dürfte noch
die Frage zu erörtern sein, ob die von Winnecke
besprochenen Anzeichen einer schon im Jahre 1805 ange-
deuteten Duplicität des Kometen (siehe Vierteljahrsschrift
der Astronomischen Gesellschaft Jahrgang 15) bei der
gesonderten Behandlung der Bewegung der beiden Compo-
nenten eine Bestätigung finden.
Es wird hierbei daran erinnert, daß nach statutarischer Be-
stimmung bei der Stellung und der Bearbeitung der Beneke'schen
Aufgaben das Gebiet der sogenannten speculativen Philosophie zu
vermeiden ist.
Bewerbungsschriften sind entweder in deutscher oder in latei-
nischer oder in französischer oder in englischer Sprache, auf dem
Titelblatte mit einem Spruche versehen, bis zum 31. August 1892
an uns einzusenden. Der Bewerbungsschrift ist ein versiegelter
Brief beizugeben , welcher auf der Außenseite mit dem Spruche
der Abhandlung bezeichnet ist und innerhalb Namen , Stand und
Wohnort des Verfassers angiebt. In anderer Weise darf der
Name des Verfassers nicht angegeben sein.
Auf dem Titelblatte der Arbeit muß ferner die Adresse be-
zeichnet sein , an welche die Arbeit für den Fall , daß sie nicht
preiswürdig befunden wird, zurückzusenden ist.
Der erste Preis beträgt 1700 Mark, der zweite 680 Mark.
Beneke'sche Preisstiftung. Preisstiftung der Witwe Petsche geb. Labarre. 153
Die etwaige Zuerkennung dieser Preise erfolgt am 11. März
1893, dem Geburtstage des Stifters, in öffentlicher Sitzung der
philosophischen Fakultät zu Göttingen.
Die gekrönten Arbeiten bleiben unbeschränktes Eigenthum
der Verfasser.
Die Preisaufgaben, für welche die Bewerbungsschriften bis
zum 31. August 1890 und bis zum 31. August 1891 einzusenden
sind , finden sich in den Nachrichten von der Königlichen Gesell-
schaft der Wissenschaften und der Georg -Augusts -Universität zu
Göttingen im Jahrgange 1888 auf Seite 132 und im Jahrgange 1889
auf Seite 345.
Göttingen, den 1. April 1890.
Die philosophische Fakultät
der Dekan.
C. A. Volquardsen.
Preisstiftung
der Witwe Petsche geb. Labarre.
Gemäß den Statuten der genannten unterm 10. März 1873
genehmigten Stiftung schreibt die juristische Facultät folgende
Preisaufgabe aus:
„Der Zwangsvergleich , seine geschichtliche Entwicklung und
heutige Gestalt."
Der Preis „250 Mk. Zweihundertfünfzig Mark" kann nur einer
solchen Arbeit zuerkannt werden, deren Verfasser in diesem oder
dem folgenden Semester als Studierender unserer Universität an-
gehört. Die Preisarbeiten müssen spätestens am 1. Januar 1891
dem Dekan der juristischen Fakultät übergeben werden, ohne Namens-
unterschrift, jedoch mit einem versiegelten den Namen des Ver-
fassers enthaltenden Zettel. Arbeit und Zettel müssen ein gleich-
lautendes Motto tragen.
Göttingen, den 26. Aprü 1890.
F. Kegelsberger
z. Z. Dekan der juristischen Fakultät.
Nachrichten Ton der K.O. d.W. xn Göttingen. 1890. Nr. 4. 13
154
Bei der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften einge-
gangene Druckschriften.
Man bittet diese Verzeichnisse zugleich als Empfangsanzeigen ansehen zn wollen.
Februar 1890.
Sitzungsberichte der K. Preuss. Akademie der Wissensch. zu Berlin. III, IV,
V, VI, VII, VIII, IX.
Preisschriften gekrönt u. herausgeg. von der Fürstlich Iablonowskischen Gesell-
schaft zu Leipzig. N. X. Der mathematisch-naturwissensch. Section. XXVII.
A. Looss. Leipzig 1889.
Deutsches meteorologisches Lehrbuch für 1888. Beobachtungssystem des Königr.
Sachsen. 1. Hälfte. Abth. 1 u. 2 des Jahrbuches d. K. Sächsischen meteoro-
logischen Instituts. VI. Jahrg. 1888. Chemnitz 1889.
Neues Lausitzisches Magazin. Band 65. Heft 2. Görlitz 1889.
Leopoldina. Heft XXVI. Nr. 1-2. Jan. 1890. Halle a. S.
Jahresbericht u. Abhandlungen des naturwissensch. Vereins in Magdeburg. 1888.
Magdeburg 1889.
Eine Wächterstimme für die Gemeinde des wahren Christenthums. Febr. 1890.
Heft 2. Jahrg. 2. 1890. Haydau b. Altmorschen.
Nature. Vol. 41. Nr. 1058-1060.
Proceedings of the Royal society. Vol. XLVI. Nr. 285, 286.
Proceedings of the London mathematical society. N. 364—367.
Monthly notices of the R. astronomical society. Vol. L. Nr. 3. Jan. 1890.
Journal of the R. microscopical society 1889. Part 6a. Supplementary num-
ber. December 1890. Part. 1.
Reports from the laboratory of the R. College of physicians, Edinburgh. Vol. II.
Edinburgh and London 1890.
Proceedings of the Canadian Institute Toronto. Third series. Vol. Vü. Fase.
Nr. 1. Whole N. Vol. XXV. Nr. 152. Toronto.
A bibliography of Indian geology : published by order of h. Ex. the Governor
General of India in Council. Preliminary issue. Calcutta 1888.
Corpus inscriptionum Indicarum. Vol. III. By John Faithfull Fleet. Cal-
cutta 1888.
Memoires de l'academie Imp. des sciences de St. Petersbourg. VII. sdrie.
Tome XXXVII. N. 3. St. Petersbourg 1889.
Bulletin de l'Acade'mie R. des sciences des lettres et des beaux arts de Belgique.
Annee 59. 3. serie. Tome 18. Nr. 12. Annee 60. 3. se'rie. Tome 19. N. 1.
Annales de la faculte des lettres de Bordeaux 1888. N. 2. Paris 1888.
Archives Neerlandaises des sciences exaetes et naturelles. Tome XXIV. Livr. 1.
Harlem 1890.
Atti della societä Toscana di science naturali in Pisa:
a. Memorie. Vol. X.
b. Processi verbali. Vol. VI adunanza del di 7 Juglio 1889.
c. » » Vol. VH » » » 17 Nov. 1889.
(Fortsetzung folgt.)
Inhalt von No. 4.
F. Klein, Zur Theorie der Lame'schen Functionen. — Paul de Lagarde, I. „Das älteste Glied der masore-
tischen Traditionskette". II. Psalm 114 im Sidrä rabhä. — H. Hertz, Ueher die Grundgleichungen der
Elektrodynamik für ruhende Körper. — Beneke'sche Preisstiftung. — Preisstiftung der Witwe Petsche
geh. Laharre. — Eingegangene Druckschriften.
Für die Eedaction verantwortlich: E. Sauppe, Secretair d. K. Ges. d. Wiss.
Commissions - Verlag der Bieter ich' sehen Verlags -Buchhandlung.
Brück der Bieterich' sehen Univ.- Buchdruckerei (W. Fr. Kaestner).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
28. Mai. Jfä 5. 1890.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 3. Mai.
Ehlers legt vor: »Beitrag zur Kenntniß der Comatuliden- Fauna des indischen
Archipels. Vorläufige Mittheilung von Dr. Clemens Hartlaub.«
W i e s el e r : Scenische Untersuchungen,
de Lagarde: Exodus 1M.
Riecke: Ueber die Pyroelektricität des Turmalins.
Voigt: Ueber den Zusammenklang zweier einfacher Töne.
Exodus lu.
Von
Paul de Lagarde.
Der Eigenname ü&osn findet sich in der in Palaestina heimi-
schen Gestalt des jüdischen Canons fünf mal.
Der ältere Elohist, der nach meinen Mittheilungen 3 228 etwa
um das Jahr 600 vor Christus schrieb, redet in der Genesis 47 n
von ODttSn jpn», was man zunächst (vorausgesetzt, daß man die
Punctation zu ändern sich entschließt) als die irgendwie mit einem
Ramesses in Beziehung stehende Landschaft verstehn wird. Den
Namen Ramesses schrieben die Aegypter *) mit zwei, Rä und mes
zu lesenden, Ideogrammen und darauf folgenden zwei — 1| — : mithin
1) Der Kürze halber verweise ich auf EA Wallis Budges Catalogue of the
Egyptian antiquities des Harrow School Museum (Sir Gardner Wilkinson) 21 § b7.
Nachrichten von der K. G. d. W. zn üöttingen. 18W. Nr. ß. 14
156 P. de Lagarde,
muß Ü&QT) gesprochen werden, wenn die Konsonanten tüWi wirk-
lich jenen Königsnamen wiederzugeben bestimmt sind. @5 meint
mit seinem Pa^ieööTJ wohl einen Genetiv, der sich zu Pa^ieööijg ver-
hielte, wie tov Mccvccöörj zu einem nicht unbelegbaren 6 MavaöGrjg
(Ijs n.uiJkuiu könnte von ps jnnv>s$ beeinflußt sein), wie Mcjvöyj zu
Mcavtiijg: nähere Untersuchung muß vorbehalten bleiben.
DD'ölJH ist Exodus 12 37 wie Numeri 33 3 33 s der Ort, von wel-
chem der Auszug der in Aegypten utilisierten Israeliten ausgieng.
Exodus In bauen die noch in Aegypten weilenden Israeliten
dem Pharaon MbSöü *tj, und zwar öDttfTMtfl DMö-Mtf . Bei ® der
römischen Ausgabe itoletg b%vQdgy x^v te Ttei&co %ul §a{ie66fj xal
xbv, 7] iötiv ^KiovitoUg. Seit 1868 ist es unerlaubt, diese Gestalt
des Septuagintatextes für die echte zu halten. Denn seit 1868 ist
aus Cerianis Monumenta sacra et profana 2 127 [seit 1880 aus
meinen Fragmenta quinque 78, demnächst aus meiner B(ibliotheca)
S(yriaea) 50 31] bekannt, daß die in einer Abschrift des Jahres 697
vorliegende syrische Uebersetzung der Septuaginta das vor Qocpsöör}
stehende not als dem Aquila , Symmachus , Theodotion angehörig,
also als eine dem Texte Aegyptens fremde Zuthat bezeichnet. Al-
lerdings ist zu dem Jmv>v;N\o 1 iöd (*• jenes Syrers zweierlei zu
bemerken. Erstens, daß er dem Eigennamen die Form wenigstens
halb bewahrt hat , in der er bei © vorliegt (<nn»nnviv;N,) : das
thut der Mann aber in den meisten Fällen sogar ganz. Zweitens,
daß J<yiviv;N\o* genau genommen %%alj tyjv Qa^e66r\ wiedergibt.
Allein das erklärt sich daraus, daß ohne den Zusatz des V der Text
unverständlich geworden wäre: ThSEoerdam libri Judicum et
Ruth, Vorrede Seite 18 24. Danach hätte der Text Sfts zu lauten
öDttiSp DM3D"MfcjM, das von ßamesses gegründete, im RamessesLande
belegene DMB . Mit Notwendigkeit folgt, daß es auch noch andere
DMB gegeben hat als dieses : was für die Deutung des Namens OMB
von Erheblichkeit sein dürfte.
% hat das ßamessesLand auch Genesis 4628. Dort bietet W
ritt nrw *iaä^ nsttfc Y»»b rninb sidM» T*iBb rbt rr#r- ntfi, und©
tbv de 'Iovdccv äjteötetlev e^atQOöd'ev avtov TtQog' I&ärjcp övvavtfjöai
avttp xcc& (Hq6g)v itoXiv elg yr\v cPcc[ie<3<jij, wo in z xuif 'Hq&wv
7t6Xiv, in D elg yijv 'Pa[ie66fj fehlt, und die letzten Worte äfts [BS
497] von einem Späteren durch xxul fjX&ev [so] ev yfj reße^i/ er-
gänzt werden.
So viel steht fest , daß )1Ü^ und yrj 'Pa^eööil diesem Uebersetzer,
der doch in Aegypten Bescheid wußte, für identisch galten.
t hat Genesis 46 28 eepeqi e£oA ;6&>,xaicj g& ne^uiAi ^ä*.ki ;6eit
hk^oi np^jn^ccH, das bedeutet, (Hq6o)v Ttokig ist ihm ne-auiAi. Der
Exodus ln. 157
Unglückliche! sein Werk heißt deshalb bei dem Herrn Akademiker
ADillmann, Exodus 2 7 [1880] , »die hier ganz unzuverlässige mem-
phitische Uebersetzung«. Herr Dillmann weiß, daß diese Ueber-
setzung »Hqcocjv xofog, wie sonst auch Etham, durch Pithom wie-
dergibt«. Zunächst: ! schreibt Genes. 4628 nicht meuijuL, sondern
ne-fruiAi., was zu denken gibt. Weiter: Dfitf kommt nach Brecher
10, Jones 1201 [Hiller 805, Simonis 458] vier Mal vor: ! bietet
Exod 1320 6-eoA*. (ich setze für die Feigen, die stets nicht lesen
können, wann sie nicht verstehn wollen, die griechischen Cursiven
daneben) = o&op , Num336 337 Äo^-e^w = ßov&ccv, undNum33s
gar nichts, da dort ®, und also auch seine Töchter, nicht äfts Text
haben.
Jenes TJöb trmb der G-enesis 4628 ist von Allen, denen der
Glaube in den Knochen liegt »Gottes Wort« müsse, weil »Gottes
Wort«, auch verständlich sein, Jahrhunderte hindurch verstanden
worden. ©s ^vvavt^ai avx^t steht oben: wer Tromm befragt,
wird an dem Glauben irre werden, daß "Pjsb fihWj und övvuvrrjöcci,
avt(p sich decken. Aquila (cpati&iv stg xb 7tQÖ6a)7tov ccvzov) und
Symmachus (driXaöcci enfcca) sind sogar ohne Tromm an © irre ge-
worden. Herr Dillmann meint, © habe friert? gefunden: dies hat
(wie Dillmann bemerkt) © = wotoaojja oujLA&w , und der Sa-
mariter = TWpb ^Tnrab. Herr Dillmann hier:
durch 1^8 8^1 29 wird diese Lesart gesichert: also: mit
dem Auftrag, dass er (Jos.) vor ihm erscheinen, ihm entge-
genkommen solle nach Goschen.
und zu 29
und
Ioseph
gab sich ihm
dem Iacob
zu sehen-, zeigte sich ihm; ein gewählterer Ausdruck, wie
er sich für die Erscheinung eines so hohen Herrn wohl ziemt.
Herr Dillmann hat nicht genau gelesen : ■pb« »w und rmnnb
VJfcb zeigen verschiedene Construction, haben mithin auch verschie-
denen Sinn, und darum ist das von Plüschke aufgestellte Gesetz,
das Dillmann zu Genesis 5 19 in maiorem apologetarum gloriam
wohl hätte citieren dürfen (mein Psalterium Hieronymi 163), hier
auch nicht einmal in einer Modifikation anwendbar.
Vater Iacob (so etwa denkt sich Herr Dillmann den Hergang)
schickt seiner Durchlaucht dem Reichskanzler («c ^luvrt eqomg)
Ioseph die Weisung, vor ihm (in Gala?) zu »erscheinen« -- hier
ist offenbar Iacob der »hohe Herr« (man las HvEleist) — , uml
14*
158 £• de Lagard e,
Ioseph zieht sich zum "Wiedersehen mit dem lange entbehrten al-
ten Vater die große Uniform an, und »erscheint« — hier ist aber-
mals Iacob »der hohe Herr«. Isaias I12.
150b «l*n$ und btf Hfcpi und ihren Unterschied zu besprechen,
gestattet der beschränkte Raum dieser Blätter nicht.
EKautzsch und ASocin bemerken in ihrer Uebersetzung der
Genesis : »Mit ni^inb ist nichts anzufangen , aber mit dem fflfcHnb
bei .... ebensowenig«. Sie führen das mit seltenem, und gewis
unbekömmlichem Muthe weiter aus.
Herr ADillmann ist in den SBAW 1885 889 ff. noch einmal auf
die Angelegenheit zurückgekommen. Daselbst 891:
Nimmt man dann zu dem bis jetzt Ge sagten noch hinzu
(Naville [the Store-City of Pithom . . . London 1885] p. 6. f.),
dass für Kcctf 'Hqcjcdv tcoIlv eig yfjv rPa[ie66rj, was die LXX
in Gen. 46, 28 f. für ftittt setzen, die Memphitische Ueber-
setzung g*vne-&uiju[s0] 'f&^Kj s&en. nK^gi npeuudtCCH , d. h. »bei
Stern § 551.
Pithom[so] der Stadt im Lande des Ramses« gibt, man also
damals noch gewusst zu haben scheint, dass das spätere Hero
bei oder an der Stelle des älteren Pithom gelegen hat, so
Erfreulich ist, daß f nicht mehr denunciiert wird, und daß nicht
mehr m^uum, sondern ne-»auu. erscheint. Aber daß jene sechs grie-
chischen Worte zu nichts da sein sollen als um RStfe zu übertra-
gen, das will mir nicht einleuchten.
Unter der Regierung der Kaiser Valentinian und Theodosius
ereignete sich nach Sozomenus £ 15 10 (Hussey) Folgendes : qpatfl
tOV VOLOV TOtfaoU XOXB XUd'CUQOVtieVOV, TLVtt TG)V Xak0V{lSVG)V iSQoykv-
(piK(bv xaQaKtrJQCJV , Cxuvqov örj^istG) i^icpSQElg iyaeya^ay^ivoig tolg
M&oig äva(pavfivav TtaQ E7Ci6tri^6v(ov de tä roidös SQiiqvsvd'elöav
ör^iävai tavtr\v vr\v yQayY\v Jgj^v STteQxo^dvriv. Späte ijuöTYjtioveg
tä roiads werden sonst verschollene Königsnamen Aegyptens mit-
telbar an Masqüdi gebracht haben.
So ist wohl möglich , daß als die Genesis in das Griechische
übersetzt wurde — das wird mehr als ein halbes Jahrtausend vor jenem
Valentinianus geschehen sein — , man noch gewußt hat , daß cHq6(ov
7i6Xig und neenijui Ein und dieselbe Stadt bezeichnen. Als charak-
teristisch hebe ich hervor, daß Herr ADillmann Exodus 2 (1880) 7
Genesis 5 (1886) 432 Numeri 2 (1886) 203 für tH96(üv 716hg, und
was daranhängt, EQuatremeres memoires sur l'Egypte 1 151 — 189
nicht citiert, während er am 30 Juli 1885 SBAW 895 »die be*
kannte Abhandlung vonQuatremere . . . hier voraussetzt« : Lehrer und
Lernende der ersten Fakultät werden im Allgemeinen kaum den
Exodus lu. 159
Namen Quatremeres, geschweige denn Quatremeres Bücher, oder
gar den Inhalt dieser Bücher kennen : es war mithin schon früher
noth wendig jene »bekannte« Abhandlung anzuziehen.
äfts Text ist doch wohl verderbter — und herstellbarer —
als Herr Dillmann meint.
Daß 28 2 fMi nrw TÄV1 in © fehlt, habe ich schon angemerkt.
Ich vermuthe, daß auch 29 fiSflW zu viel ist.
28 I^Äb minb ist = xa& (Hq6g)v jtöXiv, und enthält den Ac-
cusativ *p!3ö . . wnb , nur mit hebräischen Zeichen geschrieben. PCW
ist, wie schon bemerkt, = elg yrjv Pa{ie66ij.
Ich übersetze : Den Iuda entsandte er vor sich her an Ioseph
nach Heroopolis in der Provinz des Ramesses. Als Iuda den That-
bestand gemeldet hatte, hieß Ioseph anspannen, und fuhr seinem
Vater Iacob [an die Landesgrenze] entgegen.
Für die Aegyptologen wird hier noch viel zu thun sein : mei-
nes Erachtens nur für sie.
[Hero zu m-kgrap Peyron 171 = t\jf$\ Castle 884?] ^789
Ueber denZusammenklang zweier einfacher Töne.
Von
W. Voigt.
Bezüglich des in der Ueberschrift genannten Problemes liegen
einander scheinbar stark widersprechende Beobachtungen vor.
Während Herr vonHelmholtz *) u. A. beim gleichzeitigen Erklin-
gen zweier einfacher Töne von den Schwingungszahlen n1 und na,
von denen n2<znl sein mag, noch Töne von den Schwingungszahlen
n2 — nx und n2-\-nt
wahrgenommen hat , so findet Herr R. König2) Töne von den
Schwingungszahlen
n2—m1} (v-fl)*^ — na,
— vorausgesetzt, daß v eine ganze Zahl ist, also vnt und (v + l)n,
die Schwingungszahlen derjenigen beiden harmonischen Obertöne
1) v. Helmholtz, Pogg. Ann. XCIX p. 497, 1865, Akustik (Braunschweig
1870) p. 239.
2) R. König, Pogg. Ann. CLVII p. 177, 1876, Quelques expdriences d'Acou-
stique, (Paris 1882) p. 87, Wied. Ann. XXXIX p. 395, 1890.
160 W. Voigt,
des tieferen Tones sind, welche den höheren unmittelbar ein-
schließen; die vorgenannten Töne dagegen vermochte Herr König
in so wenigen und unsichern Fällen zu hören, daß er die Ansicht
ausspricht:
L'existence de sons diflförentiels et de sons d'addition ne peut
etre demontree jusqu'ä present avec quelque certitude par aucune
experience *).
"Was die Erklärung der beobachteten Erscheinungen angeht,
so hat Herr von Helmholtz bekanntlich die Annahme gemacht,
daß in den Fällen, wo Combinationstöne gehört werden, die pri-
mären Töne durch Schwingungen von so großer Amplitude her-
vorgebracht werden, daß die Anwendung der gewöhnlichen linearen
Differentialgleichungen nicht mehr zulässig ist. Zugegeben indeß,
daß in dem Fall der Sirene und der Zungeiipfeifen, wo neben den
Schwingungen zugleich Luftströmungen stattfinden , diese Voraus-
setzungen zutreffen, so ist doch in dem besonders wichtigen Falle
von Stimmgabeltönen, die fast allein einfache Sinusschwingen lie-
fern, diese Annahme umsomehr abzuweisen, als durch neue Be-
obachtungen von Herrn Kayser2) gezeigt ist, daß bei solchen
innerhalb weitester Grenzen der Intensität die Fortpflanzungsge-
schwindigkeit des Schalles constant ist, also die linearen Schall-
gleichungen merklich erfüllt sind.
Herr König hingegen erklärt die von ihm beobachteten
Töne , wie zuerst Lagrange3), aus den Stößen der primären
Töne und weist durch besondere sinnreiche Experimente nach,
daß unser Ohr die Eigenschaft besitzt, regelmäßig wiederkehrende
einzelne Impulse, deren Intensität periodisch wechselt, zu einem
Ton zusammenzufassen von der Höhe, welche ein einfacher Ton
mit gleicher Periode besitzt.
Das Princip der Erklärung scheint mir hierdurch für die-
jenigen Fälle der Zusammen wirkung zweier einfacher Töne, welche
die Benutzung der linearen Schallgleichungen gestatten, völlig sicher-
gestellt zu sein, — es fehlte aber bisher noch die strenge theore-
tische Ableitung der verschiedenen möglichen Combinations- oder
Stoßtöne aus demselben.
Als ich diese nun kürzlich versuchte, bemerkte ich sehr bald,
daß aus dem aufgestellten Princip je nach Umständen sowohl
1) Berichtigung des Pogg. Ann. CLVII p. 236 unter III ausgesprochenen
Satzes in des Autors Buch „Quelques expe'riences d'Acoustique", p. 147, No. III.
2) H. Kayser, Wied. Ann. VI p. 465, 1879.
3) Lagrange, Mise. Soc. Taur. 1759.
über den Zusammenklang zweier einfacher Töne. 161
die Helmholtz' sehen — ich benutze der Kürze wegen diese
Bezeichnung — Differenz- und Summationstöne als die König*
sehen Stoßtöne folgen, und daß die für das eine und andere maß-
gebenden Bedingungen sicher bei den König' sehen, sehr wahr-
scheinlich bei den Helmholtz' sehen Beobachtungen vorgelegen
haben.
Die Ableitung der hiermit skizzirten Resultate bildet den In-
halt der folgenden Mittheilung. —
Der allgemeinste Ansatz für eine aus zwei einfachen Sinus-
schwingungen zusammengesetzte Bewegung ist :
u = ax sin (t^ — 8J -f a2 sin (r2t — o2). 1.)
Hierin ist tä kurz für 2iz/Th gesetzt; es ist xA also mit der Schwin-
gungszahl nh proportional und mag beiläufig „Schwingungs-
index" genannt werden. Der absolute Werth der Verzögerungen
ox und o2 kann durch Veränderung des Anfangspunktes für die
Zeit t um gleiche Beträge geändert worden; gegeben zu denken ist
nur die Differenz o2— 8, = 8. Wir setzen demgemäß (^ = 0 82 = 8.
Maxima und Minima von u finden statt für Werthe th von t)
gegeben durch die Gleichung :
0 = axTl cos zjh + a2x2 cos (x2th — 8) ; 2.)
die ihnen entsprechenden Werthe von u seien mit Uh bezeichnet,
sodaß also gilt:
TJh = at sin t,*a + a2 sin (z2t, — 8). 3.)
Die Wurzeln th der Gleichung (2) folgen im Allgemeinen kei
nem einfachen Gesetz , indessen sind zwei specielle , in gewisser
Hinsicht extreme Fälle leicht zu erledigen.
I. Es sei
Vi = V2
d. h. die lebendige Kraft beider zur Wechselwirkung gelangenden
einfachen Schwingungen sei gleich1).
Dann schreibt sich die Gleichung (2)
cosH^ + tJ^-^.cosJ^-t^^-S) = Oj
sie ergiebt zwei Gattungen von Wurzeln, die durch t[ und t"k be-
zeichnet seien und deren Werthe folgen aus
1) Dieser Fall ist von demjenigen gleicher Amplitude ax = «2, der mit-
unter für theoretische Betrachtungen benutzt wird, wohl zu unterscheiden.
162 W. Voigt,
(T. + T.K-8 = (2*+l)*,
Die ihnen entsprechenden beiden Gattungen extremer Werthe von
w, nämlich TFh und V'l finden wir am einfachsten, indem wir schreiben :
/ , \ • (T2 + Tl) h — 8 (T2 — Tl) th — S
JJh = (a2 + a1)sm-^ |frr cos-^ |M
+ (a2 - aj sm -^ p cos — -^-^ i
(2Ä+ 1 \
— 2~- 7i J = (—1)* ist, so giebt sich:
5.)
ül = (-l)»(a2 + «,)cos(T' XM -±
DT = (-l)t(a2-a,)cos(T8+T^"-5.
Diese Werthe ergeben aber, wenn man sie durch die stetig wach-
senden th entsprechende Sinuslinien verbindet, wegen des Factors
( — l)h keine einfache Sinuscurve, sondern die Superposition je
zweier gleicher, welche um die halbe betreffende Periode gegen-
einander verschoben sind; diese Combination besitzt die
halbe Periode einer einfachen Reihe.
Hieraus folgt, daß bei der gemachten Voraussetzung gleicher
lebendiger Kraft die beiden einfachen Sinusschwingungen absolute
Maxima und Minima der resultirenden Amplituden liefern, in Pe-
rioden, wie sie zwei einfachen Tönen mit den Indices
x2 — Tj und T2 + Tj
entsprechen.
Die Wahrnehmung der beiden Grattungen von Perioden durch
das Ohr wird um so deutlicher sein, je mehr Glieder der ganzen
Reihen der U'h resp. TJ'l in einer jeden Periode vorhanden sind.
Man erkennt aus den Formeln (5) sogleich , daß wegen der
Nenner, welche t'h und fh in den Ausdrücken
R. ., (2ft + l)7r + S (2ft + l)TC + 5
b.) th = — — , th = — -
T2 + Tl T2 — Tl
besitzen, stets eine erheblich größere Zahl Glieder der ü'h in eine
Periode fallen, als der £7"; daraus folgt aber schon allein und
ganz abgesehen von der Amplitude, daß bei den gemachten An-
nahmen die Differenztöne (t2 — t,) ungleich deutlicher wahrnehmbar
sein müssen, als die Summationstöne.
über den Zusammenklang zweier einfacher Töne. 163
Dies übersieht man noch deutlicher, wenn man die Schwingungs-
zeiten dieser Töne und die Perioden der sie bildenden Uk in's
Auge faßt. Für die Differenztöne sind die Schwingungsdauern T_
nämlich resp.
T T
die Perioden P_ der IPh gleich
p Li r'r°
Tr + T,
1
für die Summationstöne umgekehrt, sodaß bei letzteren höchstens
ein extremer Werth TJ'l in jede Periode fällt.
Bildet man den vollständigen Werth
DI' = (" !/(«. - O cos föz^(a* + 1) | + -&-), 7.)
so erkennt man, daß für Töne, deren Indices dem Gesetz
xx : t2 = n : n + 1
folgen , wie dies bei den Gliedern der Oktave , Quinte , Quarte,
großer und kleiner Terz gilt, U" die Form annimmt:
V': = (~l)A(a2~a1)cos((2w + l)(2^ + l)|- + M8),
= {-lf{a2-ax)^m{nl).
Hieraus folgt , daß in den angegebenen Fällen die Glieder der
Reihe der U'h' sämmtlich gleich sind; die dem Summationston ent-
sprechende Periode dürfte hiernach für das Ohr ganz unwahr-
nehmbar sein, denn dieses wird eine Reihe gleicher Impulse offen-
bar nur als ein Ton derjenigen Schwingungsdauer empfunden werden,
die dem Abstand der Impulse entspricht, d.h. hier als Differenzton.
Gilt ferner
VTjj = n:n + 2,
wie dies bei der Duodecime und großen Sexte stattfindet, so ha-
ben wir
Vi. = (-l)ÄK-al)cos((n+l)(2Ä + l)|- + ^)
( _ !)<*+«> (a2 _ aj sin Q£j für gerades n ,
'(— ly+~r\a2 — ajcosy-ä-j für ungerades n.
164 W.Voigt,
Hier treten die Glieder der Reihe der ü" zwar absolut gleich,
aber mit entgegengesetzten Vorzeichen auf ; wenn auch im Ganzen
sehr unwahrscheinlich, dürfte hier schon eher die Wahrnehmung
eines Summationstones möglich sein.
Erst Töne mit dem Verhältniß
Tj : t2 = n : n + m für m > 3
geben den U^' verschiedene absolute Werthe; von den Intervallen
mit m = 3 kommt besonders die kleine Sexte in Betracht.
Nach dem im Vorstehenden Entwickelten kann es nicht Wun-
der nehmen, wenn die Frage der Wahrnehmbarkeit, ja der „Existenz"
der Summationstöne sehr häufig in durchaus negativer Weise be-
antwortet wird. Selbst bei den im Obigen gemachten , wie wir
sehen werden, günstigen Abnahmen erscheint ihre Beobachtung
im Falle die primären Töne das Intervall der Octave, Quinte,
Quarte und Terz besitzen, fast ausgeschlossen, bei großer Sexte
und Duodecime sehr fraglich.
Wenn also trotzdem von einzelnen Beobachtern Summationstöne
gehört worden sind, so ist, falls diese Töne objectiv im äußern
Luftraum nachweisbar waren, wahrscheinlich, daß bei ihren Expe-
rimenten die Schwingungen so große Elongationen besaßen, daß
die lineare Form der Schallgleichungen nicht mehr zulässig wa-
ren, — falls sie nur im Ohre zu Stande kamen, daß sie zu meist
durch dessen anatomische Eigenthümlichkeiten bedingt waren1).
Wesentlich aber ist das Resultat, daß bei zwei einfachen Tö-
nen gleicher lebendiger Kraft Differenztöne und Summationstöne
theoretisch auch in Fällen auftreten können, wo das Princip der
Coexistenz der Schwingungen anwendbar ist.
II. Sind die Amplituden des höheren Tones (t2) so viel kleiner,
als die des tieferen (tx), daß die Zusammen wirkung beider nur eine
Veränderung der Maxima und Minima der dem letzteren ent-
sprechenden Elongationen ulf aber keine neuen Maxima und Mi-
nima hervorruft, so ist in der Gleichung (2) a2x2 als klein gegen
a1T1 zu betrachten.
Damit ist noch nicht vorausgesetzt, daß die wahrgenommene
Intensität des höheren Tones erheblich unterhalb derjenigen des
tieferen sein muß ; es scheint vielmehr , daß bei zwei Tönen , die
sich beträchtlich in ihrer Höhe unterscheiden — und auf diesen
Fall kommt es im Folgenden besonders an — der tiefere uns erst
1) Vergl. übrigens W. Preyer, Wied. Ann. XXXVIII, p. 131, 1889.
über den Zusammenklang zweier einfacher Töne. 165
bei erheblich größerer lebendigen Kraft der ausgesandten Bewe-
gung vernehmbar wird, als der höhere.
Die Gleichung (2) läßt sich in diesem Falle durch eine An-
nährung behandeln, indem man die Wurzeln th, welche sich aus
dem Verschwinden des ersten Gliedes allein als erste Näherung
ergeben, nämlich
(2Ä+1)*
2t,
in das zweite einsetzt, um dadurch eine zweite Näherung zu er-
halten. Dies führt zu
axTx cos Txth + a2T2 cos ( - — Q J 2 8 ) = 0
woraus folgt , wenn man das zweite Glied mit dem Factor
(— 1)A sin t^ , welcher in erster Näherung gleich 1 ist, multiplicirt :
Wir erhalten also, indem wir das zweite Glied, welches erster
Ordnung ist, kurz mit 7jA bezeichnen, als Resultat:
Der Werth von r^h ist hier nur für die Beurtheilung des Grades der
Annährung von Bedeutung. Setzen wir nämlich das Resultat (8)
in die Gleichung (3) ein, so folgt, wenn wir wieder zweite Ord-
nung vernachlässigen, der von 7jA freie Werth:
^#a1(-l)»+a,8in(i^i*^B)1. 10.)
Diesen Ausdruck können wir umformen, indem wir entweder
t2 = vt. + A' 11.)
oder x2 = (v + 1)t,- A"
setzen, worin also A' + A" = t, sein muß und A' und A" positiv
sein mag.
Ist v eine ganze Zahl , so sind vxt und (v -f 1) t, die Indices
derjenigen harmonischen Obertönen des tieferen Tones, welche den
höheren Ton direct einschließen.
Zugleich treten dann Glieder unter dem sinus in (10) hervor,
166 W.Voigt,
sodaß die Periode des zweiten Gliedes variirt, Wir erhalten
nämlich
I.) falls v gerade, = 2fA ist,
die beiden Formen
(OD, - «,(-l)» + a»(- iysm(^- *t+±«-i\
12.)
(u1'), = ai(-iy+a,(- iy* cos (^1*+!«+«),
II.) falls v ungerade, = 2[a+1 ist, die anderen
cify - «.(- !)1 + «. (- ir* cos (£ i*+i„-s),
W)„ = ^(-lr + ^-irsin^-^+irc+s).
Die Periode dieser Ausdrücke, welche wegen der mit h wechseln-
den Vorzeichen einiger Glieder nicht sofort hervortritt , erkennt
man am besten durch Betrachtung einer schematischen Figur,
welche die Uh als Ordinaten über einer Abscisse, auf welcher h
(oder th) aufgetragen ist, darstellt. Die sämmtlichen Werthe Uh
stellen sich dann dar als discrete Punkte zweier gleicher Sinus-
linien, deren eine um a oberhalb, die andere um a unterhalb der
Abscissenaxe liegt. Bei (#][), und (U'h')n besitzen die vertical über-
einanderliegenden Punkte gleiche Phase, bei (ü'h)XI und (#£')/ um
tu verschiedene.
Die Periode in Bezug auf th ist
für (UJ), und (ü'h)u gleich 2*/A'
für (Ul'), und (ü'h% gleich 2*/A"
also übereinstimmend mit der zweier einfacher Töne von den In-
dices
A'-^-vt,, A'^Cv + IK-t,
Wiederum wird diejenige Periode von beiden am hervortre-
tendsten, derjenige Ton am deutlichsten sein, für welchen
die größte Zahl von Werthen Uh innerhalb einer Periode auftritt,
und dies ist ersichtlich immer derjenige, für welchen der Index A'
resp. A" der kleinere ist.
Wenn hierin eine vollständige Analogie zu den Resultaten des
vorigen Abschnittes besteht, so findet in anderer Hinsicht eine
wichtige Abweichung statt.
Dort ergab sich das Vorhandensein von zwei Arten extre-
über den Zusammenklang zweier einfacher Töne. 167
mer Werthe Uh , die für sich je eine verschiedene Periode be-
sitzen.
Hier ergiebt sich nur eine Art von extremen Werthen,
aber sie haben die Eigenschaft, sich als Ordinaten zweier verschie-
dener Curven mit zwei verschiedenen Perioden ansehen zu lassen.
Offenbar liegt hierin ein Moment, welches es dem Ohr erschweren
muß, die beiden Perioden gesondert wahrzunehmen.
Daß Herr König unter Umständen beobachtet hat, welche den
vorstehend gemachten Voraussetzungen nahe entsprechen, möchte
man schon daraus schließen, daß bei angeschlagenen Stimmgabeln-
die höheren Töne wegen der inneren Reibung schneller zur Ruhe
kommen, als die tieferen, — die Betrachtung der Curven, die er
mit seinen Stimmgabeln aufgezeichnet hat, macht es zur Gewiß-
heit. Denn obwohl dieselben natürlich mit möglichst großen Elon-
gationen, also im Anfang des Zusammenklanges hergestellt sind
und kaum das Intervall einiger Secunden umfassen dürften, ist
nach dem Ende desselben hin das Eintreten des von uns voraus-
gesetzten Zustandes , daß der höhere Ton nur die Maxima der
Elongationen des tieferen verändert , aber keine neuen hervor-
bringt, deutlich vorbereitet, bei einigen schon eingetreten, indem
nämlich die Kräuselungen der Curven keine Gipfel mehr haben,
sondern nur die Gestalt abgerundeter Stufen besitzen.
In der That stimmen alle oben gezogenen theoretischen Fol-
gerungen auf das Genauste mit den von Herrn König gemachten
Beobachtungen, was ich des Raumes wegen hier auszuführen un-
terlassen will. —
In den Fällen , die zwischen den oben betrachteten extremen
liegen, wird sich ein mittlerer Zustand einstellen. Je mehr die
lebendige Kraft des obern Tones von der Gleichheit mit der des
tieferen aus abnimmt, um so mehr müssen die Helmholt z' sehen
Differenz- und Summationstöne verschwinden und die König'schen
hervortreten und umgekehrt.
Damit stimmt überein , daß Herr König in einigen wenigen
Fällen neben seinen „ Stoßtönen" einen von ihnen abweichenden
Differenzton gehört hat.
Göttingen, 3. Mai 1890.
168 Cl. Hartlaub,
Beitrag zur Kenntniß der Comatuliden-Fauna
des Indischen Archipels.
Vorläufige Mittheilung
von
Clemens Hartlaub.
(Vorgelegt von Ehlers.)
Unter der reichen zoologischen Ausbeute, welche der leider
so früh verstorbene Prof. J. Brock im Indischen Archipel, und
zwar vorwiegend auf Amboina gesammelt, und der Sammlung des
zoolog.-zootomischen Instituts in Göttingen überwiesen hat, neh-
men die Comatuliden einen hervorragenden Platz ein sowohl durch
eine verhältnißmäßig große Artenzahl als auch durch die Menge der
von einzelnen Species mitgebrachten Exemplare.
Da die Bearbeitung dieser Sammlung Veranlassung zu einem
Besuch einiger größerer Museen gab, stellte es sich als wünschens-
werth heraus, auch das Material dieser in den Kreis der Unter-
suchung zu ziehen. So wurden besonders die neuen Arten des
Berliner und Hamburger Museums beschrieben und unter ihnen
auch manche unter Lütkenschen M. S. Namen bereits bekannte
Form.
Bis zur Veröffentlichung meiner mit zahlreichen Abbildungen
versehenen Arbeit dürfte noch einige Zeit hingehen, und erlaube
ich mir daher die Beschreibungen der neuen Arten in Kürze schon,
jetzt mitzutheilen.
Uebersicht der neuen Arten.
I. Genus Antedon de Fr 6min vi 11 e.
A. 10 Arme.
I. »Langgliedrige untere Pinnulae« (Tenella-Gruppe Carp.)
a. Pinnulae des zweiten und vierten Brachiale ganz kurz 1) nana
b. Pinnula des 2ten Br. 3 mal so lang wie die des 4ten . . 2) Hupferi.
II. >das erste Paar Pinnulae relativ klein und die sie zusammen-
setzenden Glieder nur wenig länger wie breit; Eine oder
mehrere Pinnulae des zweiten dritten und vierten Paares
sind länger und massiver mit dickeren Gliedern als die
darauf folgenden« (Milberti-Gruppe Carp.)
a. 40 — 50 Cirren ohne Dornen. Armglieder scheibenförmig.
— (Große, plumpe Form) 3) afra Ltk.M.S.
b. circa 19 Cirren ; die äußeren Glieder dornig. Armglieder
stumpf keilförmig. — (Kleine zierliche Form.) .... 4) japonica.
Beitrag zur Kenntniß der Comatuliden-Fauna des Indischen Archipels. 169
Mehr als 10 Arme.
I. »Arten mit zweigliedrigen Distichalstämmen, deren radiale
Axillaria und zunächst folgende Glieder abgeplattete Seiten
haben und deren Pinnulae ein deutliches Ambulacralskelett
besitzen« (Spinifera-Gruppe Carp.)
Centrodorsale conisch. Girren in 10 vertikalen Reihen . 5) conifera.
II. »Arten mit zweigliedrigen Distichalstämmen, einer nicht ge-
täfelten Scheibe und keinem bestimmten Ambulacralskelett.
Die Seiten der unteren Brachialia sind nicht oder nur sehr
wenig abgeplattet. Die erste Pinnula kleiner als die fol-
genden« (Palmata-Gruppe Carp.)
a. Keine Pinnula am 3ten Brachiale 6) Clarae.
b. Eine Pinnula am 3ten Brachiale ; Zwei oder mehrere post-
radiale Axillaria; zweite Pinnula länger wie die dritte.
1) die Radien seitlich mehr oder minder frei,
a) die zweite Pinnula hat 25 oder mehr Glieder, die
nicht besonders verlängert sind.
«') Die unteren Pinnulae nicht steif und griffeiförmig.
») Zweite Radialia vollkommen frei.
»') Nicht über 20 Arme. Die Radien weichen
stark auseinander.
Glieder der unteren Pinnulae mit vorstehen-
den distalen Rändern 7) bella.
Glieder der unteren Pinnuiae glatt ... 8) Klunzingeri.
i") Ueber 20 Arme ; die Radien weichen schwach
auseinander 9) lepida.
ii) Zweite Radialia mehr oder minder vereinigt.
Ueber 20 Arme. 60—80 Cirrusglieder. Die
Seiten der Radien häufig abgeplattet . ' . . .10) Finschii.
ß) Die ersten vier Paar Pinnulae steif und griffei-
förmig 11) erinacea.
ß) Die zweite Pinnula steif und griffeiförmig mit 12
—18 stark verlängerten Gliedern.
«') Erste Pinnula wie die zweite 12) tenuipinna.
ß') Erste Pinnula kürzer wie die zweite, aber aus
zahlreicheren Gliedern zusammengesetzt.
t) Die Radien haben Erhabenheiten an ihrem Rande.
Dritte äußere Pinnula von dem Charakter der
zweiten und wenig oder gar nicht kürzer . . 13) oxyacantha.
Dritte Pinnula viel kürzer als die zweite und
nicht steif und griffeiförmig 14) monacantha.
«) Die Radien haben keine Erhabenheiten an ih-
rem Rande.
12 Arme. Zweite Pinnula mit 8—10 langen
Gliedern 15) spinipinna.
2) die Radien seitlich mehr oder minder in Berührung.
«) Die unteren Pinnulae größer an den äußeren Ar-
men eines jeden Distichunis als an den inneren.
170 Cl. Hartlaub,
«') Zweite Pinnula kräftig ; dritte ganz kurz . . .16) protecta.
ß') Untere Pinnulae sehr dünn, mit Neigung zur
Kielung 17) tenera. (Ltk.
ß) Die unteren Pinnulae annähernd gleich groß an al- [M.S.)
len Armen.
a) Keine Postpalmaria 18) amboinensis.
ß') Postpalmaria tenera. (Ltk. M.S.)
III. »Drei Distichalia ; Scheibe ungetäfelt; kein bestimmtes Am-
bulacralskelett ; die Basis der Radien seitlich nicht abge-
plattet« (Savignyi-Gruppe Carp.)
a. Keine Palmaria.
Untere Pinnulae gekielt. Aeußere Cirrusglieder dornig. 19) bengalensis.
b. Palmaria.
1) Zwei Palmaria, das Axillare ohne Syzygie.
a) Distichale Pinnula sehr dick.
Die Armglieder haben vom dritten an stark aufge-
worfene distale Ränder. Die Gliedergröße der di-
stichalen Pinnula nimmt sprungweise ab. 20) Martensi.
Die basalen Armglieder sind glatter verbunden als
die übrigen. Die Dicke der distichalen Pinnula
nimmt nach ihrem Ende allmälig ab. 21) Kraepelini.
ß) Distichale Pinnula nicht durch besondere Dicke aus-
gezeichnet.
a ) 25—35 Cirrusglieder.
Glieder der unteren Pinnulae mit vorstehenden,
dornigen distalen Rändern 22) Brockii
Pinnulae der proximalen Armregion gekielt . . 23) affinis
ß') 35—55 Cirrusglieder, äußere Cirrusglieder dornig 24) nematodon
(Ltk. M. S.)
2) Zweigliedrige und dreigliedrige Palmarserien . . .25) crassipinna
II. Genus Actinometra J. Müller.
I. >Drei distichale Arten mit einer Pinnula am ersten Brachiale
und einer Syzygie im zweiten. Die palmaren und postpal-
maren Stämme, wenn vorhanden, bestehen aus zwei Gliedern,
von denen das erste eine Pinnula trägt und das zweite
(Axillare) eine Syzygie enthält.« (Fimbriata-ßruppe Carp.)
Centrodorsale klein, flach, ohne eine Spur von Cirren . 26) macrobra-
chius(Ltk. M.S.)
II. Drei Distichalia. Zwei Palmaria; letztere durch Syzygie
verbunden. Erste Armsyzygie zwischen erstem und zweitem
Brachiale.
Centrodorsale klein ; keine Spur von Cirren 27) gracilis.
1. Antedon nana u. sp.
Syn. Antedon macropygus Ltk. M. S.
Centrodorsale ziemlich groß, convex. 30—40 zarte Cirren in
Beitrag zur Kenntniß der Comatuliden-Fauna des Indischen Archipels. 171
3 Reihen. Cirren 6 mm lang mit 10—12 stundenglasförmigen,
stark verlängerten Gliedern; vorletzte mit starkem Dorn.
Erste Radiale verborgen, zweite auch ein wenig. Axillare
rhombisch.
10 glatte Arme mit ziemlich großen Gliedern. Erstes Glied
ganz kurz, in geringer Berührung mit dem des Nachbararmes.
Zweite bedeutend länger, von unregelmäßiger Form. Glieder vom
9ten an fast dreieckig mit einer spitzen, übergreifenden Hervor-
ragung auf der langen Seite. Syzygiale Glieder ziemlich lang.
Zweite Syzygie im 8ten Brachiale, dann eine im 12ten und die
folgenden in Zwischenräumen von 2.
Die unteren Pinnulae haben stark verlängerte Glieder, die
beiden ersten Paare ganz kurz und ziemlich gleichförmig ; 25 mm
lang; 7 — 9 Glieder. Pin. des 6ten Br. 7 mm lang mit —16 stark
verlängerten Gliedern. Die folgende (8te Br.) beträchtlich kürzer ;
dann nimmt die Länge wieder zu und erreicht 7 mm.
Scheibe: 3 mm Dm.
Klafterung: 5 — 6 cm.
Amboina (Göttingen). Tonga-Inseln (Hamburg).
2. Antedon Hupferl n. sp.
Centrodorsale scheibenförmig von mäßiger Große. Etwa 25
dünne Cirren in drei Reihen. Die Cirren messen 11 mm ; 15 ziem-
lich stark verlängerte Glieder; nur das vorletzte mit Dorn.
Erste Radialia ein wenig sichtbar; die zweiten breit und
kurz, durch einen dünnen plattenförmigen Seitenfortsatz des äuße-
ren Randes verbunden. Axillare dreieckig, mit sehr spitzem dista-
len Winkel. Seine Basis ein wenig nach hinten ausgeschweift,
die Seiten leicht eingekrümmt.
10 Arme von ziemlich glatter Oberfläche. Glieder vom lOten
an dreieckig, weiterhin stumpfer keilförmig.
Zweite Syzygie im 8tenBr., die folgenden in Zwischenräumen
von 2 — 3 Gliedern.
Pin. des 2ten Br. etwa 10 mm lang mit etwa 20 stark verlän-
gerten Gliedern, von denen die äußeren vortretende, Dörnchen tra-
gende distale Ränder besitzen. Pin. des 4ten Br. meist nur */* so
lang mit etwa 8 Gliedern, von denen die 3 basalen ziemlich ver-
breitert, die übrigen aber lang sind. Die distalen Pin. erreichen
9 mm Länge. Sacculi an den Pin. ziemlich weitläufig stehend und
klein.
Scheibe: 7 mm Dm. nicht eingeschnitten.
Klafterung: 7 cm.
Nachrichten von der E. G. d. W. zu Göttingoa. 1890. No. £». 15
172 Cl. Hartlaub,
Farbe: schmutzig weiß.
Wapoo. (W. Africa.) 21 Faden. Ein Exemplar. (Hamburg,
durch Capitain Hupf er.)
3. Antedon afra (Ltk. M. S.) n. sp.
Centrodorsale dick, abgestumpft conisch. 40 — 50 Cirren in 2
oder stellenweise 3 regelmäßigen Reihen. Cirren sehr dick ; 30 mm
lang, mit etwa 30 sehr gleichförmigen, dornenlosen, kurzen Gliedern.
Auch das vorletzte Glied meist ohne Dorn.
Erste Radialia ein wenig sichtbar; die zweiten kurz, in seit-
licher Berührung. Axillaria kurz, dreieckig.
10 sehr massive Arme , von rauher Oberfläche. Sämmtliche
Glieder scheibenförmig. Die beiden ersten beträchtlich größer als
die übrigen. Glieder vom 9ten an sehr kurz , mit stark vorstehen-
dem, häufig etwas wellig gebogenem distalen Rande.
Zweite Syzygie im 8ten Br., die folgenden in Zwischenräumen
von 2 — 3.
Die Pin. des 2tenBr. 28 mm, die des 3ten 20 mm lang. Beide
in ihrer proximalen Hälfte mit der Scheibe verwachsen. Sie ver-
dünnen sich stark in ihrer distalen Hälfte und sind nicht so dick
und fleischig wie die folgenden. Pin. des 4ten Br. so lang wie
die des zweiten. Pin. des 6ten Br. etwas länger. Dann nimmt
die Länge ganz allmälig ab bis zum Ende des ersten Arm vierteis,
wo sie noch 14 mm beträgt. Mit Ausnahme des ersten Paares ha-
ben alle diese Pinnulae stark entwickelte Genitaldrüsen. Die Pin-
nulae messen am Ende des ersten Armviertels etwa 24 mm.
Scheibe: 25 mm Dm., nicht eingeschnitten.
Klafterung: wahrscheinlich 38 cm.
Farbe: schwarz.
Bowen. Ein Exemplar. (Hamburg.)
4. Antedon japonica n. sp.
Centrodorsale ziemlich dick scheibenförmig mit leicht einge-
senkter Oberfläche. Ungefähr 19 randständige Cirren in 2 Reihen ;
circa 20 kurze Glieder , von denen die äußeren kleine dornige
Transversalleisten haben können.
Erste Radialia etwas sichtbar; zweite seitlich frei. Axillare
kurz, pentagonal. Ein kleiner Höcker auf der Verbindung des
zweiten mit dem Axillare.
10 Arme von ziemlich rauher Oberfläche. Auf der Verbindung
der beiden ersten Glieder ein kleiner Höcker. Glieder vom lOten an,
Beitrag zur Kenntniß der Comatuliden-Fauna des Indischen Archipels. 173
mit Ausnahme der syzygialen, keilförmig, etwas übergreifend, mit
vorstehenden distalen Rändern.
Zweite Syzygie meist im 8ten Gliede; die folgenden häufig in
Zwischenräumen von 2 — 3.
Pinnula des 2ten Brachiale sich schnell verdünnend nach den
basalen Gliedern, die Neigung zur Kielung haben; 2/s oder fast
so lang wie die Pin. des 4ten und 6ten Br., die sich allmäliger ver-
dünnen. Diese messen 5 mm und bestehen, wie die erste aus etwa
12 ziemlich flachen, breiten Gliedern. Die zwei folgenden Pinnulae
(8te und lOte Br.) nehmen an Länge ab.
Scheibe : verloren.
Klafterung: circa 8 cm.
Japan. Ein Exemplar. (Berlin , durch F. Hilgendorf).
Die Art steht am nächsten Antedon serripinna Carp.
5. Antedon conifera n. sp.
Centrodorsale conisch, mit weiter, pentagonal sternförmiger
Basis und interradial nach abwärts vorspringenden Ecken. Gegen
40 Cirrusdillen in 10 verticalen Reihen , jede zu 4 Cirren. Die
Reihen sind getrennt durch ziemlich niedrige radiale und interra-
diale Leisten, von denen die letzteren länger sind und bis an die
Ecken der pentagonalen Basis des Centrodorsale reichen. Die 10
Leisten sind von gleicher Stärke. Cirren ziemlich dick, 45 mm lang.
Circa 70 Glieder ; an den äußeren ein dorsales Knöpfchen ; keine
eigentlichen Dornen. Cirren sind, wenn trocken, elfenbeinähnlich.
Erste Radialia eben sichtbar ; die zweiten kurz , seitlich ver-
einigt. Axillare rhombisch. Theilung der Radien zweifach. 2Di-
stichalia, das Axillare ohne Syzygie. Radialia, Distichalia und
erste Brachialia haben abgeplattete Seiten. Auf der Verbindung
der Axillaria mit dem vorhergehenden Gliede ein Höcker.
20 dicke Arme von rauher Oberfläche. Erstes Glied ziemlich
kurz, rhombisch, eng vereinigt mit dem Nachbargliede. Zweites
Glied bedeutend länger. Glieder, etwa vom lOten an, dreieckig, über-
greifend; weiterhin stumpfer keilförmig. Alle Glieder haben vor-
stehende, fein gezähnte distale Ränder. Der äußerste Theil des
Armes hat eine scharfe dorsale Längsleiste.
Zweite Syzygie vom 18ten— 25sten Br. , meist im 26sten. Die
folgenden in Zwischenräumen von 3—7. Die syzygialen Verbin-
dungen sind nicht glatt, sondern ganz ähnlich den gelenkigen.
Das erste Paar Pinnulae 11 mm lang mit 15—20 relativ rund-
lichen Gliedern, von denen die basalen ziemlich dick, die übrigen
dünn sind. Die drei folgenden Paare nehmen allmälig an Länge
15*
174 ÖL Hartlaub,
ab. Ihre Glieder flacher und breiter. Pin. des 9ten Br. 4 mm.
Die äußeren Pinnulae erreichen 11 mm. Sacculi klein und spärlich.
Pin. Ambulacra getäfelt.
Scheibe: 14 mm Dm.
Klafterung: wahrscheinlich 14 cm.
Färbung des Skelettes: bräunlich weiß.
Japan. Ein Exemplar. (Berlin durch F. Hilgendorf.)
Die nächstverwandte Art ist Antedon quinquecostata Carp.
Distichalia 2gliedrig.
6. Antedon Clarae n. sp.
Centrodorsale mäßig groß, leicht gehöhlt. 21 randständige Cir-
ren in einer regelmäßigen Reihe; ungefähr 25 kurze und ziemlich
gleichförmige Glieder. Dieselben tragen im proximalen Cirrus-
theile eine dorsale Querleiste, die im distalen Theile allmälig in
kleine Dornen übergeht.
Erste Radialia ein wenig sichtbar; zweite ganz frei seitlich.
Axillaria pentagonal. Keine Palmaria. Zwei Distichalserien vor-
handen, eine zweigliedrig, die andere dreigliedrig, Axillaria ohne
Syzygie. Aeußerer Rand der Radien glatt. Verbindungen der
Axillaria mit dem vorhergehenden Gliede etwas buckelig.
12 glatte Arme mit kurzen Gliedern. Glieder keilförmig.
Zweite Syzygie vom 8ten — 13ten Gliede, die folgenden in
Zwischenräumen von 4 — 8.
Das 3te Brachiale trägt keine Pinnula. Pin. des 2ten Br. nahezu
so lang wie die des 4ten. Diese ist ziemlich schlank, mißt 7 mm und
besteht aus 15 — 20 cylindrischen Gliedern. Die darauf zunächst
folgenden Pinnulae bedeutend kürzer. Länge nimmt vom lOten
Gliede an wieder zu und erreicht 12 mm.
Scheibe nur schwach eingeschnitten. 12 mm. Dm.
Klafterung: 20 cm.
Amboina. Ein Exemplar.
7. Antedon bella n. sp.
Centrodorsale mäßig dick. Cirrusfreie Oberfläche klein. 10 —
20 dicke Cirren von circa 40 gleichförmigen Gliedern und 23 mm
Länge. Aeußere Glieder mit zwei dorsalen Dörnchen.
Erste Radiale zuweilen theilweise verborgen; die zweiten
manchmal ganz frei seitlich. Radien treten weit auseinander. Ihr
äußerer Rand zeigt ziemlich starke Verdickungen. Verbindung der
Axillaria toiit dem ihnen vorangehenden Gliede buckelig. Keine
Postpalmaria.
Nicht mehr als 20 Arme, von denen gelegentlich einige erster
Beitrag zur Kenntniß der Comatuliden-Fauna des Indischen Archipels. 175
Ordnung1). Glieder dreieckig und weiterhin stumpfer keilförmig;
Ihre Eänder vortretend, fein gezähnt, und etwas übergreifend.
Zweite Syzygie vom 23sten — 50sten Gliede, die folgenden in
Zwischenräumen von meist 9—10.
Pinnula des 2ten Brachiale halb so lang wie die folgende, von
relativ glatten Gliedern. Die des 4ten Br. bedeutend dicker und
ziemlich steif; Länge 8 — 9 mm; 12 — 22 Glieder mit stark vor-
tretenden distalen Rändern, die fein gezähnt oder selbst dornig
sind. Die folgende Pin. (6te Br.) viel kleiner, kürzer als die des
2ten Br., von glatten Gliedern und dem Charakter der nachstehenden
Pinnulae, welche an Länge zunehmen.
Skelett der Arme und Pinnulae von einer eigenthümlichen dicken,
graublauen Haut bekleidet, die sich auch auf die Randblättchen
der Pin. erstreckt und sie sehr augenfällig macht.
Scheibe stark eingeschnitten; 11 mm Dm.
Klafterung: 23 cm.
Färbung des Skelettes graublau mit rothbrauner Punktirung
von theilweise regelmäßiger Vertheilung.
Noordwachter Eiland. 15 — 20 Faden. (Göttingen.)
8. Antedon Klunzingeri n. sp.
Centrodorsale annähernd halbkuglig, ganz bedeckt mit Cirrus-
dillen. Zahl der Cirren wahrscheinlich etwa 30.
Erste Badialia etwas sichtbar; zweite vollkommen frei seit-
lich; Axillaria pentagonal, nicht doppelt so lang wie die zweiten
Radialia, mit ziemlich spitzem Winkel und leicht eingebogenen di-
stalen Gelenkseiten. Theilungsart der Radien unregelmäßig. Keine
Postpalmaria. Höchste Armzahl eines Radius 4.
17 Arme von glatter Oberfläche und ziemlich kurzen Gliedern.
Glieder vom 9ten an zuerst dreieckig aber bald in mehr scheiben-
förmige übergehend.
Zweite Syzygie im 14ten Brachiale ; die folgenden in Zwischen-
räumen von 7—10 Gliedern.
Erste Pinnula etwa 8 mm lang, etwas dünner und kürzer als
die folgende. Diese (4te Br.) mißt etwa 10 mm mit 15—20, der
Mehrzahl nach länglichen, glatten Gliedern. Die folgende Pin.
1) Arme erster Ordnung nenne ich solche, die von einem Radiale axillare
entspringen, Arme zweiter Ordnung solche, die von einem Distichale axillare ihren
Ursprung nehmen u. s. f. Die radialen, distichalen, palmaren etc. Theilungsserien
bezeichne ich im Gegensatz zu den sich nicht weitertheilenden »Armenc als
»Stämme« und zwar die radialen als Stämme erster Ordnung, die distichalen als
Stämme zweiter Ordnung u. s. w.
176 Cl. Hartlaub,
(6te Br.) hat die Größe der ersten. Dann kommt die kürzeste, nach
welcher die Länge wieder zunimmt und etwa 13 mm erreicht, so
daß also die größte Länge der äußeren Pinnulae die des zweiten
Paares übertrifft.
Scheibe fehlt.
Klafterung: 20 cm.
Färbung: schmutzig weiß, mit hellbraunen Binden auf den
Armen.
Koseir. Ein Exemplar, (Stuttgart durch Klunzinger.)
9. Antedon lepida n. sp.
Centrodorsale convex, etwa 18 Cirren von 12 mm Länge und
20 — 25 Gliedern. Aeußere Glieder dornig.
Erste Radialia etwas sichtbar ; die zweiten kurz , frei an den
Seiten. Axillaria kurz. Keine Postpalmaria. Palmaria nur von
der Außenseite der distichalen Axillaria. 6 Arme zu jedem Radius.
Badien weichen nur wenig auseinander.
30 Arme von glatter Oberfläche. Glieder dreieckig, weiterhin
stumpfer keilförmig.
Zweite Syzygie um das 14te Brachiale ; die folgenden in Zwi-
schenräumen von 5 — 6 Gliedern.
Untere Pinnulae von sehr zartem Bau. Pin. des 2ten Br. 4 mm ;
die des 4ten Br. 9 mm, mit etwa 20 Gliedern, von denen die äußeren
etwas länglich sind. Die folgende Pin. (6te Br.) annähernd von
gleicher Länge, ein bischen kleiner. Die des 8tenBr. beträchtlich
kleiner ; die des lOten u. 12ten Br. 3 mm. Dann nimmt die Länge
zu und erreicht 5 mm.
Scheibe : 10 mm Dm. Tief eingeschnitten.
Klafterung: 8 cm.
Tonga-Inseln. 2 Exemplare. (Hamburg.)
Die Art ist durch sehr zierlichen Bau ausgezeichnet sowie da-
durch, daß die 3te Pin. fast die Länge der zweiten hat. Charakte-
ristisch sind ferner die Dornen der äußeren Cirrusglieder , sowie
der Umstand, daß die zweiten Radialia sich seitlich nicht berühren,
trotzdem die Radien sehr wenig auseinanderweichen.
10. Antedon Finschii n. sp.
Centrodorsale halbkuglig, mehr oder minder vollständig be-
deckt mit langen, dünnen Cirren, von 6 cm Länge und 60 — 80 Glie-
dern ; äußere Glieder dornig.
Erste Radialia zuweilen ganz sichtbar, ziemlich vertical ste-
hend;! die zweiten theilweise seitlich vereinigt. Axillaria relativ
Beitrag zur Kenntniß der Comatuliden*Fauna des Indischen Archipels. 177
lang, pentagonal. Theilung der Radien dreifach, einzeln vierfach.
Postpalmaria, wenn vorhanden, entspringen von der Innenseite der
inneren palmaren Axillaria. Verbindung der Axillaria mit dem
ihnen vorangehenden Gliede buckelig. An den Außenrändern der
Radien gelegentlich stark vorspringende Leisten mit abgeplatteter
Außenseite oder starken Kerben.
Etwa 40 glatte, lange, ziemlich dünne Arme, deren unterste
Glieder abgeplattete Seiten haben. 3tes Glied (Syzygie) länger wie
breit. Mehrzahl der Glieder ziemlich kurz , dreieckig.
Zweite Syzygie vom 38sten — 45sten Gliede. Die folgenden
häufig in Zwischenräumen von 4 — 9.
Untere Pinnulae auf beiden Armseiten gleich lang. Pin. des
2ten Br. meist so lang wie die des 4ten. Diese ist etwas dicker, 11 mm.
lang und von 20 ziemlich gleichförmigen Gliedern. Die 3 oder 4
folgenden Pinnulae nehmen an Länge ab ; kleinste 5 mm.
Scheibe : stark eingeschnitten. 16 mm Dm.
Klafterung: 28 cm.
Neu - Britannien. Vier Exemplare , (Berlin , durch Dr. 0.
Finsch).
11. Antcdon erinacea n. sp.
Centrodorsale groß, halbkuglig, fast ganz mit Cirren bedeckt;
Die Cirren, etwa 25 an Zahl, ziemlich dünn und schlank; Länge
4 cm; Gliederzahl 50 — 60; an den äußeren Gliedern manchmal
kleine Dornen.
Erste Radialia fast verborgen; die zweiten seitlich halb ver-
einigt. Axillaria pentagonal. Theilung der Radien vierfach. Post-
palmaria nur von der Außenseite der palmaren Axillaria entsprin-
gend. Aeußerer Rand der Radien glatt. Auf der Verbindung der
Axillaria mit dem ihnen vorangehenden Gliede ein kleiner Höcker.
51, vollkommen glatte, dünne Arme von relativ geringer Länge.
Glieder ziemlich scharf keilförmig , weiterhin abgestumpfter.
Zweite Syzygie vom 40sten— 50sten Gliede; die folgenden in
Zwischenräumen von 8 — 9.
Die Scheibe ist umgeben von einem dichten Kranz gestreckt
dornartiger Pinnulae. Pin. des 2ten und 4ten Brachiale etwa 14 mm
lang; ganz steif und spitz dornförmig; beide mit 25 kurzen Glie-
dern. Die folgenden zwei Pinnulae von gleichem Charakter, an
Länge abnehmend. Am äußeren Arme auch die Pinnula des lOten
Br. noch steif ; 5 mm lang. Pin. des 12ten u. 14ten Br. ganz klein,
dann nimmt die Länge zu.
Scheibe fehlt.
178 Cl. Hartlaub,
Klafterung etwa 21 cm.
Cebu Islands. Ein Exemplar. (Hamburg, durch Capitän Ringe.)
12. Antcdon tenuipinna n. sp.
Centrodorsale convex. 15 Cirren ; circa 20 Glieder, davon das
6te — 8te verlängert ; vom 9ten an mit einem aufgerichteten, scharfen
Dorne und zwei horizontalen Dornen, je einem an jedem Ende des
Gliedes.
Erste Radialia sichtbar; zweite seitlich ganz frei. Axillaria
pentagonal. Zwei Radien theilen sich zweifach, einer dreifach und
zwei einfach. Aeußerer Rand gekerbt. — Dorsal keine Höcker.
16 glatte, schlanke Arme, von ziemlich langen Gliedern. Glie-
der stumpf keilförmig. Die syzygialen Glieder lang.
Die zweite Syzygie (mit Ausnahme der Arme erster Ordnung)
um das 15te Glied herum, die folgenden in Zwischenräumen von 4 — 7.
Die zwei ersten Pinnulae (2te u. 4te Br.) gleich lang und dick,
7 mm , steif und gerade dornförmig ; etwa 8 stark verlängerte
Glieder. Folgende von gleichem Charakter, aber nur 4 mm lang.
Pin. des 8ten ßr. weniger steif und nicht 3 mm erreichend. — Die
distalen Pinnulae sehr zart und haarähnlich; bis 7 mm. Sacculi
nicht zahlreich.
Scheibe: 11 mm Dm. nur wenig eingeschnitten.
Klafterung: 12,5 cm.
Neu-Britannien. Ein Exemplar. (Berlin, durch Dr. 0. Finsch.)
13. Antedon oxyacantlia n. sp.
Centrodorsale dick, seitlich gewölbt. 30—35 ziemlich dünne,
etwas comprimirte Cirren in 2 unregelmäßigen Reihen; circa 25
Glieder; Länge 28 mm.
Erste Radialia verborgen; zweite seitlich ganz frei. Keine
Postpalmaria; Palmaria entspringen nur von der Außenseite der
distichalen Axillaria, so daß zu jedem Radius 6 Arme gehören.
Auf der Verbindung der Axillaria mit dem vorangehenden Gliede
ein Höcker. Aeußerer Rand der Radien mit kleinen Verdickungen.
In der Regel 30 Arme, von ziemlich glatter Oberfläche. Glie-
der kurz, dreieckig und weiterhin stumpfer keilförmig.
Zweite Syzygie vom 12ten bis 25sten Brachiale; die folgen-
den in Zwischenräumen von 7 — 10 Gliedern.
Erste Pinnula schlank und geißeiförmig ; 27 etwas längliche
Glieder; 15 mm lang. Die drei oder vier folgenden Pin. dicker,
ganz steif und gestreckt dornförmig, mit wenigen, stark verlän-
Beitrag zur Kenntniß der Comatuliden-Fauna des Indischen Archipels. 179
gerten Gliedern, Pin. des 4ten u. 6ten Br. bis 20 mm lang ; 12 — 13
Glieder.
Scheibe: eingeschnitten; 15 mm Dm.
Klafterung: 20—28 cm,
Amboina.
Die Art unterscheidet sich von der nahe verwandten Antedon
spicata Carp. durch die Beschaffenheit ihrer äußeren Pinulae, die
nicht „slender and filiform" sind, und ferner dadurch, daß die Pin.
des 4ten — lOten Br. steif und dornförmig sein können, während bei
Antedon spicata nur die des 4ten und 6ten Br. diesen Charakter besitzen.
Auch ist die Gliederzahl der Pin. des 4ten Br. bei letzterer Art eine
größere („16 und mehr"). Durch die geringe Gliederzahl und große
Länge der Glieder dieser Pinnula nähert sich die neue Species der
Antedon tuberctdata Carp. Bemerkenswerth ist schließlich die ge-
ringe Längendifferenz zwischen der 2ten und 3ten Pin. unsrer Art ;
die Pin. des 4ten Br. kann sogar die des 6ten an Länge übertreffen.
14. Antedon monacantha n. sp.
Centrodorsale gewölbt. Etwa 30 Cirren in 3 unregelmäßigen
Reihen. Gliederzahl circa 20.
Erste Radialia ein bischen sichtbar ; zweite ganz frei seitlich.
Keine Palmaria. Aeußerer Rand der Radien (vom 2ten Radiale bis
1. Br.) mit ziemlich starken unregelmäßigen Verdickungen. Ver-
bindung der Axillaria mit dem ihnen vorangehenden Gliede etwas
buckelig.
17 glatte Arme, wovon 3 erster Ordnung. Glieder vom 8ten
an fast dreieckig , aber weiterhin bald stumpfer keilförmig.
Zweite Syzygie (mit Ausnahme von Armen erster Ordnung)
um das 12te Glied herum. Die folgenden in Zwischenräumen von 2 — 4.
Pinnula des 2ten Br. schlank und biegsam, etwa halb so lang
wie die folgende ; 15 Glieder, Mehrzahl länger wie dick. Pin. des 4ten
Br. viel dicker, dabei ganz steif, grade und dornförmig ; 9—10 mm
lang; circa 12 sehr verlängerte Glieder. Pin. des 6ten Br. nicht
halb so lang, biegsam und vom Charakter der folgenden Pinnulae.
Länge dieser nimmt zu vom 7ten Paare an.
Scheibe: 11 mm Dm. Stark eingeschnitten.
Klafterung: 17 cm.
Mortlock-Inseln. (Göttingen; Hamburg.) Torres-Str.
15. Antedon spinipinna n. sp.
Centrodorsale convex. 15—20 feine und etwas comprimirte
Cirren, in 2 unregelmäßigen Reihen ; etwa 15 Glieder, 4te — 9te ver-
längert.
180 Cl. Hartlaub,,
Erste Eadialia sichtbar; zweite frei seitlich. Mehrzahl der
Radien theilt sich einfach. Keine Palmaria. Aeußerer Eand glatt ;
keine Höcker auf den Verbindungen der Stammglieder.
12 glatte Arme. Glieder keilförmig.
Zweite Syzygie im 8ten Brachiale; dann in Zwischenräumen
von 2—3 Gliedern.
Pinnula des 2ten Br. etwas steif und griffeiförmig ; ungefähr 12
verlängerte Glieder. Die des 4ten Br. bedeutend dicker und ein gu-
tes Theil länger ; ganz steif und griffeiförmig, einem graden spitzen
Dorne gleichend ; Länge 6 mm ; 8 — 10 sehr lange Glieder. Die
beiden folgenden Pinnulae weniger steif und an Länge abnehmend.
Scheibe : 7 mm Dm. Nicht eingeschnitten.
Klafterung: 7 cm.
Amboina. Ein Exemplar.
16. Antedon protecta (Ltk. M. S.) n. sp.
?Syn. : Antedon imparipinna Carp.
Centro dorsale mäßig groß bis groß. 25 — 46 Cirren in 2 oder
theilweise 3 Eeihen ; 22 — 25 ziemlich gleichmäßige Glieder ; Dorn
des vorletzten gewöhnlich schwach.
Erste Eadialia theilweise oder ganz verborgen; zweite meist
in partieller Berührung ; kurz. Axillaria pentagonal. Die Eadien
meist in ziemlich enger Berührung. Eadien theilen sich dreifach.
Außenrand der Stämme gelegentlich gekerbt.
Gewöhnlich gegen 40 Arme. Mehrzahl der Glieder dreieckig
und stumpfer keilförmig.
Zweite Armsyzygie vom 12ten — 16ten Gliede; die folgen-
den in Zwischenräumen von 7—10.
Die beiden äußeren der 4 zu einer distichalen Gruppe gehö-
renden Arme tragen größere untere Pinnulae als die inneren.
Pinnula des 2ten Brachiale dünn ; 12 — 35 Glieder ; etwa so lang
wie die folgende. Pin. des 4ten Br. viel dicker, ziemlich steif und
bei weitem die stärkste Pin. des Armes; 14 bis über 30 glatte,
cylindrische Glieder; Länge 10 — 17 mm. Pin. des 6ten Br. ganz
klein und^die folgende noch kleiner.
Scheibe: Tief eingeschnitten. Ungefähr 17 mm Dm.
Klafterung: 14 cm.
Indischer Archipel und Polynesien.
17. Antedon tenera (Ltk. M. S.) n. sp.
Centrodorsale mäßig groß und flach. 30 — 40 zierlich gebaute
Beitrag zur Kenutniß der Comatuliden-Fauna des Indischen Archipels. 181
Cirren, in 2, oder stellenweise 3 Reihen; 20 — 30 Glieder; die äu-
ßeren mit einem dorsalen Knöpfchen.
Erste Radialia theilweise sichtbar; zweite ganz frei. Axil-
laria pentagonal. Theilung der Radien nicht mehr wie 4fach.
Aeußerer Rand derselben glatt.
32 — 43 glatte , dünne Arme. Glieder dreieckig und später
stumpfer keilförmig."
Zweite Syzygie meist im 15ten Br., folgende in Zwischenräu-
men von 9 — 17 Gliedern.
Untere Pinnulae stets dünn und gewöhnlich klein ; mit Nei-
gung zur Kielung. Die der äußeren Arme manchmal länger wie
die der inneren. Pin. des 2ten Br. am äußeren Arme 8 mm ; die des
4ten Br. meist 10 mm mit circa 25 länglichen Gliedern; kaum
dicker als die des 2ten. Die 3 folgenden Paare klein, von ziemlich
gleicher Länge, 4 — 5 mm.
Scheibe: 10 mm Dm. Stark eingeschnitten.
Klafterung: 13 cm.
Queensland. (Göttingen.) Torres-Str.
18. Antedon amboinensis n. sp.
Centrodorsale flach scheibenförmig. 25 randständige Cirren
in 2 Reihen; 14—17 mm lang; 20—25 Glieder, äußere zuweilen
gekielt oder mit Dorn.
Erste Radialia fast ganz verborgen; zweite seitlich vollstän-
dig vereinigt. Axillaria kurz. Keine Postpalmaria. Palmaria nur
von der Außenseite der distichalen Axillaria. 6 Arme zu jedem
Radius. Die benachbarten Radien in Berührung.
Nicht über 30 Arme, meist gegen 30. Kurze Glieder, dreieckige
und stumpfer keilförmige.
Zweite Syzygie vom 13ten— 22sten Gliede, die folgenden ge-
wöhnlich in Zwischenräumen von 8 — 9.
Untere Pinnulae ziemlich steif , aber nicht gestreckt ; an bei-
den Armseiten ziemlich gleich lang. Pin. des 2ten Br. dünn, nament-
lich gegen die Spitze ; 16—20 längliche Glieder; ein gutes Theil kür-
zer als die folgende. Diese (4te Br.) ist bedeutend steifer und dicker;
10 — 12 mm lang, mit 12 — 20 Gliedern, von denen die Mehrzahl
länger wie breit ist. Pin. des 6ten Br. kürzer und schwächer, aber
länger wie die erste. Die zwei folgenden nehmen noch an Länge ab.
Scheibe stark eingeschnitten. 14—16 mm Dm.
Klafterung: 15 — 19 cm.
Amboina.
Die Art erinnert an AnU brevicuneata Carp., unterscheidet sich
182 Cl. Hartlaub,
aber von dieser durch den gänzlichen Mangel einer seitlichen Ab-
plattung der Armbasis.
Distichalia 3gliedrig.
19. Antedon bengalensis n. sp.
Centrodorsale ziemlich groß, convex. 17 Cirren, in einer oder
stellenweise zwei Reihen; 13 mm lang; 22 — 24 Glieder, die vom
9ten an dornig sind.
Erste Radialia theilweise sichtbar; zweite kurz und breit;
frei oder in partieller Berührung seitlich. Axillaria kurz, breit,
pentagonal. Nur eine distichale Serie.
11 Arme. Die Rückenlinie stumpf gesägt. Sehr kurze Glieder;
die ersten 8 oder 9, das 3te nicht ausgenommen , so kurz wie die
übrigen. Glieder vom lOten an abgestumpft keilförmig und wei-
terhin mehr scheibenförmig.
Zweite Syzygie im 8ten Br., die folgenden in Zwischenräumen
von 2 — 5. Zweite Syzygie in Armen zweiter Ordnung im 15ten
Gliede, die folgenden in Zwischenräumen von 7 — 9.
Untere Pinnula ziemlich steif; distichale resp. die des 2ten Br.
kurz, 20 Glieder. Die zweite und dritte derselben Seite 7 mm;
die folgenden Pinnulae nehmen an Länge ab bis zum 6ten Paare.
Die proximalen Glieder aller dieser Pinnulae sind kurz und breit
und an den 8 — 9 ersten Paaren deutlich gekielt,
Scheibe: 8 mm Dm. Stark eingeschnitten.
Klafterung: wahrscheinlich 10 cm.
Golf von Bengalen. Ein Exemplar. (Göttingen.)
20. Antedon Martensi n. sp.
Centrodorsale dick scheibenförmig, mit flacher Oberfläche.
Etwa 20 dicke Cirren in 2 Reihen; 18 mm lang; circa 25 Glie-
der, die äußeren einzeln mit schwachen Dornen; Distale Ränder
der Glieder vortretend.
Erste Radiale eben sichtbar ; zweite ganz frei seitlich. Axil-
lare pentagonal. Palmare Serien zweigliedrig, das Axillare ohne
Syzygie. Die Verbindungen der Axillaria mit dem vorangehenden
Gliede glatt. Der äußere Rand der Radien mit schwachen Ver-
dickungen an dem Rad. Axill. und dem ersten Distichale.
Wahrscheinlich nicht mehr als 30 Arme. Kurze übergreifende
Glieder mit stark vorstehenden distalen Rändern.
Zweite Syzygie um das 23ste Brachiale.
Die distichale Pinnula ist sehr dick und steif, ^twa 9 mm lang,
mit 12 — 15 Gliedern, von denen die 3 basalen sehr groß sind. Die
folgenden Glieder werden sprungweise kleiner. Pin. des 2ten Br.
Beitrag zur Kenntniß der Comatuliden-Fauna des Indischen Archipels. 183
kleiner mit ebenfalls relativ großen basalen Gliedern. Die Pin. des
4ten Br. viel kleiner nnd nicht ganz 4 mm lang. Sacculi spärlich.
Scheibe: 10 mm Dm. Stark eingeschnitten.
Färbung des Skelettes: graubraun.
Singapore. Ein schlecht erhaltenes Exemplar (Berlin, durch
Ed. v. Martens).
21. Antedon Kraepelini n. sp.
Centrodorsale dick, in der Mitte stark ausgehöhlt , die Seiten
gewölbt. Circa 30 Cirren (nur 2 Stummel erhalten).
Erste Kadialia nur wenig sichtbar ; zweite vollkommen frei
seitlich. Axillaria ziemlich kurz, pentagonal. Palmar-Serien , in-
nere stets zweigliedrig, äußere oft dreigliedrig das Axillare mit
Syzygie. Keine Postpalmaria. Proximale Verbindung der Axil-
laria glatt.
33 rauhe, ziemlich kurze Arme, die sich rasch verjüngen. Glieder
vom 8ten an sehr kurz, und abgestumpft keilförmig mit ziemlich
stark vorspringenden distalen Rändern ; in der zweiten Armhälfte
mehr scheibenförmig, mit glatterer Verbindung.
Zweite Syzygie um das 23ste Brachiale herum. Dann in Zwi-
schenräumen von 8 Gliedern.
Distichale und palmare Pinnula dick. Erstere 13 mm lang mit
etwa 18 annähernd quadratischen rundlichen Gliedern, die gegen
das Ende der Pinnula allmälig dünner werden. Die folgende Pin.
derselben Seite von gleichem Charakter, etwas kürzer. Die nächste
viel kürzer, nach den basalen Gliedern schnell dünner werdend.
Pin. des 3ten Br. außerordentlich klein. Die folgenden Pin., besonders
vom 6ten Br. ab, sehr winzig ; ihre Länge nimmt erst vom 14ten Br.
wieder zu und erreicht nicht mehr als 5 mm. Sacculi klein und spärlich.
Scheibe fehlt.
Klafterung : 8 — 10 cm.
Akyab. Ein. Exemplar. (Hamburg.)
22. Antedon Brockii n. sp.
Centrodorsale groß und dick mit flacher Oberfläche. Circa 30
kräftige Cirren in 2 oder stellenweise 3 Reihen; Länge 30 mm;
30—37 Glieder mit starkem Dorn vom lOten oder 12ten an.
Erste Radialia sehr wenig zu sehen; zweite kurz, theilweise
vereinigt. Axillaria sehr kurz, pentagonal. Palmaria zweigliedrig,
das Axillare nicht syzygial, nur von der Innenseite der distichalen
Axillaria entspringend. Die Verbindung zweier auf ein Axillare
184
Ci. Hartlaub
folgenden Glieder etwas buckelig, am meisten die der beiden ersten
Brachialia. Keine Postpalmaria.
28 Arme mit ziemlich langen Pinnnlae. Kurze Glieder mit
vorstellenden distalen Rändern. Vom lOten etwa an abgestumpft
keilförmig und bald mehr scheibenförmig. Basis des Armes von
unebener Oberfläche in Folge von alternirend seitlich gelegenen
Höckern auf den Verbindungen der unteren Glieder.
Zweite Syzygie vom 22sten — 26sten Brachiale, die folgenden
in Zwischenräumen von 7 — 9.
Distichale Pinnula (oder die des 2tenBr. in Armen erster Ord-
nung) schlank und fein, 11 mm. Die darauf folgende Pin. des 2ten
Br. (resp. 4ten Br.) beträchtlich größer und fast so lang wie die des
4ten. Diese ist die längste und erreicht 20 mm mit 30—35 Gliedern.
Dieselbe ist schlank und wird sehr dünn in ihrem äußeren Theile.
Die Glieder dieser längeren Pinnulae haben vorstehende gezähnte
distale Ränder. Pin. des 6ten Br. bedeutend kürzer als die des
4ten. Die äußeren Pin. erreichen 12 mm.
Scheibe: 15 mm Dm. Stark eingeschnitten.
Klafterung: 25 cm.
Farbe: schwärzlich braun.
Amboina. Ein Exemplar.
23. Antedon affinis n. sp.
Centrodorsale ziemlich klein, scheibenförmig; etwa 24 Cirren
in 2 unregelmäßigen Reihen. Länge 20 mm. 25 — 30 Glieder, die
äußeren stark comprimirt, gekielt oder mit kleinem Dorn.
Erste Radialia sehr wenig zu sehen; zweite theilweise mit
einander vereinigt. Axillaria ziemlich kurz, pentagonal. Es ent-
springt von ihnen ein definitiver Arm, neben einem sich weiter-
theilenden Stamm. Palmare Stämme zweigliedrig. Keine Post-
palmaria. — 18 schlanke ziemlich glatte Arme. Drittes Glied (Sy-
zygie) breiter als lang. Vom lOten an dreieckige Glieder, die wei-
terhin stumpfer keilförmig und endlich scheibenförmig werden.
Zweite Syzygie vom lOten — 13ten Gliede; die folgenden in
Zwischenräumen von 8 — 10. Die Zwischenräume in Armen erster
Ordnung betragen 4 — 5 Glieder.
Die erste Pinnula an der äußeren Seite des Radius klein und
zart, mit relativ großen gekielten Gliedern an der Basis. Die auf
eine distichale Pin. folgende Pin. des 2ten Br. beträchtlich länger,
— 9 mm. Pin. des 3ten Br. stets sehr klein. Pin. der 4ten Br. 12 mm.
Dann nimmt die Länge ab bis zum 12ten Gliede. An Armen erster
Ordnung ist die Pin. des 6ten Br. fast so lang wie die des 4ten. Die
Beitrag zur Kenntniß der Comatuliden-Fauna des Indischen Archipels. 185
Pin. etwa der ersten 20 Br. haben einige gekielte Glieder an der
Basis. Länge der äußeren Pin. 7 mm.
Scheibe: eingeschnitten; 13 mm Dm.
Klafterung: wahrscheinlich nur 13 cm.
Färbung des Skelettes: hell chokoladebraun.
Amboina. Ein Exemplar.
Die Art ist aufs nächste verwandt mit Antedon LudoviciCarip.
Möglicherweise wird sie sich später als identisch mit dieser erwei-
sen lassen.
24. Antedon nematodon (Ltk. M. S.) n. sp.
Centrodorsale dick, convex. 30 Cirren in 2 und stellenweise
3 unregelmäßigen Reihen. 40 — 50 annähernd gleichförmige Glieder,
von denen keins länger als breit; die äußeren mit kräftigen Dor-
nen. Länge der Cirren 25 mm.
Erste Radialia nicht sichtbar; zweite sehr kurz, vollkommen
frei seitlich. Axillaria fast dreieckig. Einzelne distichale Serien
2-gliedrig. Palmarserien 2-gliedrig, aber 3-gliedrig, wenn sie auf
2-gliedrige Distichalserien folgen. Keine Postpalmaria. — 38 rauhe
Arme von kurzen scheibenförmigen Gliedern, deren distale Ränder
ziemlich stark vortreten.
Zweite Syzygie oft um das 30ste Brachiale herum, manchmal
erst um das 40ste. Die folgenden in Zwischenräumen von 12 — 20.
Die unteren Pinnulae von feiner Struktur. Distichale Pin. 12
mm lang , mit circa 25 Gliedern , von denen die unteren ziemlich
dick, die äußeren sehr dünn sind. Pin. des 2tenBr. von ähnlichem
Aussehen, 13 mm lang ; verjüngt sich allmäliger. Die Pin. des 3ten
Br. sehr klein. Die auf das 2te Br. folgenden Pin. nehmen ziemlich
sprungweise an Länge ab bis zum 12ten Gliede. Die äußeren
Pin. erreichen 10 mm.
Scheibe: 15 mm Dm. Tief eingeschnitten.
Farbe: tief schwärzlich braun.
Bowen. Ein Exemplar. (Hamburg.)
25. Antedon crassipinna n. sp.
Centrodorsale dick und groß, manchmal tief ausgehöhlt. Un-
gefähr 37 dicke, ziemlich lange, randständige Cirren in 3 Reihen;
Länge 46 mm; 30—40 gleichförmige Glieder, von denen keins
länger wie breit ist. Aeußerste Glieder manchmal ein wenig dornig.
Erste Radialia zuweilen ganz verborgen ; zweite seitlich theil-
weise vereinigt. Axillaria pentagonal. Einzelne distichale Stämme
zweigliedrig, das Axillare ohne Syzygie. Zwei oder drei post-
186
Cl. Hartlaub,
distichale Axillaria. Dreigliedrige und zweigliedrige Palmarserien
von gelegentlich gesetzmäßiger Vertheilung , der Art, daß die in-
neren zweigliedrig, die äußeren dreigliedrig sind ; zuweilen die drei-
gliedrigen an Zahl überwiegend. Alle Postpalmaria dreigliedrig,
das Axillare mit Syzygie. Die Verbindungen der Axillaria mit
dem ihnen vorangehenden Gliede buckelig.
46 — 56 Arme von rauher Oberfläche und kurzen scheibenför-
migen Gliedern.
Zweite Syzygie vom 22sten — 30sten Brachiale ; die folgenden in
Zwischenräumen von 12 — 15.
Distichale , palmare und postpalmare Pinnulae steif und sehr
dick. 20 mm lang. Die Pin. des 2ten Br. hat denselben Charakter,
ist aber kleiner, 16 mm. Die Glieder dieser Pin. haben vortre-
tende distale Ränder. Pin. des 4ten Br. beträchtlich kleiner. Die
Länge nimmt ab bis zum lOten Br.
Scheibe: 32 mm. Dm.
Klafterung: 40 cm.
Färbung des Skelettes: purpurviolett oder Chokoladebraun.
Amboina. 3 Exemplare. (Göttingen.) Cochinchina. (Hamburg.)
26. Aetinometra macrobrachius (Ltk. M. S.) n. sp.
Centrodorsale klein, flach, fünfeckig, ohne eine Spur von Cirren.
' Erste Radialia vollkommen sichtbar ; zweite ziemlich kurz und
breit, seitlich vereinigt. Axillaria fünfeckig, breit und kurz; ihr
distaler Winkel spitz. Die Radien theilen sich 3 mal, einzelne 4
mal. Die distichalen Serien dreigliedrig, das Axillare syzygial.
Die folgenden Theilungsserien zweigliedrig, ohne Syzygie im
Axillare.
42 lange Arme von nur mäßig rauher Oberfläche. Glieder
ziemlich kurz. Vom 6ten an keilförmig, nach dem proximalen Arm-
drittel abgestumpfter keilförmig und bald einfach scheibenförmig.
Die Basis des Armes ist dünn, größte Dicke des Armes um das
12te Glied.
Erste Syzygie im 2ten Brachiale ; die nächste vom 20sten — 25sten
Grliede; dann in Zwischenräumen von 7 — 10 Gliedern.
Distichale Pinnula 16 mm lang, schlank und dünn, mit kurzem
schwach entwickelten Kamm. Palmare Pin. nur etwa 10 mm. Pin.
des 2ten Br. bedeutend dünner, 8—9 mm. Die des 3ten Br. 5 mm.
Beitrag zur Kenntniß der Comatuliden-Fauna des Indischen Archipels. 187
Die nächst folgenden von gleicher Größe und auch dann nur wenig
länger werdend und überall von feiner Struktur.
Scheibe nackt. 16 mm Dm.
Mund: radial.
Färbung des Skelettes : hellgelblichbraun.
Klafterung: 34 cm.
China-See. Ein Exemplar. (Hamburg.)
Die neue Species gehört zu Carp enters „Fimbriata- Gruppe u.
27. Actinometra gracilis n. sp.
Centrodorsale klein , ganz flacn , kaum erhaben über dem Ni-
veau der ersten Radialia; von fünfeckigem Umriß, mit leicht ein-
gebogenen Seiten ; im Centrum eine Aushöhlung ; keine Spur von
Cirren.
Erste Radialia vollkommen sichtbar ; zweite seitlich ganz frei,
von der Länge des pentagonalen Axillare. Die Radien weichen
beträchtlich auseinander und theilen sich nicht mehr wie viermal.
Die Stämme und Arme sind dünn. Die distichalen Serien drei-
gliedrig, das Axillare mit Syzygie. Die postdistichalen Serien
zweigliedrig; das Axillare ohne Syzygie, aber mit dem vorherge-
henden Gliede durch Syzygie verbunden.
48 Arme, die sehr schlank sind und sich besonders in ihrem
äußeren Theile außerordentlich verdünnen. Glieder ziemlich lang,
vom etwa 8ten an stumpf keilförmig mit etwas vorstehendem,
feingezähntem distalen Rande.
Erste Syzygie zwischen erstem und zweitem Brachiale; die
nächste im 9ten oder lOten Gliede. Dann in Zwischenräumen von 2.
Die unteren Pinnulae dünn. Kamm unbedeutend. Distichale
Pinnula 13 mm lang, mit zahlreichen Gliedern. Die nächste kür-
zer, die dann folgenden drei ganz bedeutend kleiner. Dann nimmt
die Länge erheblich zu und erreicht etwa 10 mm. Die Glieder der
äußeren Pin. sehr dornig.
Scheibe 15 mm Dm.; etwas eingeschnitten, mit feinen Kalk-
borsten bedeckt. Mund fast central.
Klafterung : 22 cm.
Färbung: hellgraubrauner Gesammtton mit sehr hübscher
Zeichnung.
Pulo Edam. Ein Exemplar. (Göttingen.)
Die Species ist nahe verwandt mit Antedon typica Loven.
Nachrichten von ilor K. G. d. W. zu Göttingen. 1890. No. 5. IG
l$g Eduard Riecke,
Ueber die Pyroelectricität des Turmalins.
Von
Eduard ßiccke.
Die Untersuchungen über die Pyroelektricität des Turmalins,
von welchen ich früher1) berichtet habe, führten zu der Erkennt-
niß, daß die elektrische Erregung der Crystalle nicht allein ab-
hängig ist von der Abkühlung beziehungsweise der Erwärmung,
sondern wesentlich mitbedingt wird durch die elektrische Leitungs-
fähigkeit, deren Einfluß bei den gewöhnlichen Methoden der Be-
obachtung nicht ausgeschlossen werden kann. Ich habe daher in
der ersten Abhandlung eine Beobachtungsmethode befolgt, welche
eine Berechnung der Leitungsfähigkeit aus dem zeitlichen Ver-
laufe der elektrischen Ladung ermöglicht ; ich habe gezeigt , wie
man bei gegebener Leitungsfähigkeit die ganze bei der Abkühlung
entwickelte Elektricitätsmenge berechnen kann aus der wirklich
beobachteten. Die Leitungsfähigkeit selbst hat aber einen dop-
pelten Ursprung ; entweder hat man es mit einer durch die höhere
Temperatur bedingten Leitungsfähigkeit der ganzen Masse des
Turmalins zu thun, oder mit einer Leitung seiner Oberfläche,
welche wohl als Folge einer an derselben stattfindenden Conden-
sation von Wasserdampf oder Gas anzusehen ist. Das schnellere
oder langsamere Verschwinden der bei der Abkühlung auftreten-
den Ladung ist bedingt durch diese letztere; in dem Maase, in
welchem die Bildung einer adsorbirten Gasschichte verzögert wird,
muß auch die elektrische Ladung langsamer verschwinden. Diese
Vermuthung fand ihre Bestätigung durch die in' der zweiten Ab-
handlung beschriebenen Versuche, bei welchen Turmaline in wohl-
getrocknetem, luftverdünntem Räume die bei der Abkühlung ent-
wickelte elektrische Ladung tagelang behielten. Die Formeln,
welche ich für die Elektricitätsentwicklung eines frei sich abküh-
lenden Turmalines aufgestellt hatte, konnten indeß nur auf einen
Theil der Beobachtungen in Anwendung gebracht werden, da sie
auf der Voraussetzung einer von der Zeit unabhängigen Leitungs-
fähigkeit beruhen; bei einer größeren Zahl von Beobachtungen,
so insbesondere bei den mit einem Elbaer Turmaline angestellten,
war aber die Leitungsfähigkeit während der Abkühlung einer
fortdauernden Aenderung unterworfen. Eine andere Erscheinung,
1) Gott. Nachr. 1885 & 405, 1887 S. 151.
über die Pyroelectricität des Turmalins. 189
welche im Allgemeinen gleichfalls die Anwendung der Theorie
unmöglich macht, trat bei einem brasilianischen Turmaline (BI)
hinzu; die elektrische Ladung desselben erlitt insbesondere bei
stärkerer Erhitzung plötzliche Abfälle , welche wohl nur durch
eine Selbstentladung des Turmalines erklärt werden können.
Die Methode der freien Abkühlung der isolirt aufgehängten
Turmaline hat den großen Vorzug, daß sie wenigstens principiell
die Möglichkeit gewährt, alle für die Pyroelektricität wichtigen
Größen, die elektrische Ladung, die elektrische Leitungstätigkeit,
die Abkühlungskonstante gleichzeitig zu ermitteln. Gegenüber
den praktischen Schwierigkeiten aber, welche der allgemeinen
Durchführung ihrer Theorie aus den angeführten Gründen erwach-
sen, erschien es zweckmäßig, auch die von Gaugain zuerst be-
nutzte ßeobachtungsmethode weiter zu verfolgen, als deren Ziel
wir die Elimination des von der Leitungsfähigkeit ausgehenden
Einflusses bezeichnen können. Am vollständigsten würde dieser
Zweck erreicht, wenn man die mit metallischen Belegen versehe-
nen Endflächen der Turmaline während der Abkühlung mit einem
Galvanometer verbände. Statt dessen wurde bei den Versuchen
von Gaugain und ebenso bei den meinigen das eine Ende der
Turmaline mit der Erde , das andere mit einem zur Selbstentla-
dung eingerichteten Elektroskop verbunden ; die entwickelte Elek-
tricität wurde gemessen durch die Zahl der aufeinanderfolgenden
Selbstentladungen. Daß dabei das Resultat der Beobachtung durch
eine etwaige Leitungsfähigkeit des Turmalines beeinflußt wird,
leuchtet ein. Durch eine solche wird einmal die Zeit zwischen
zwei aufeinanderfolgenden Selbstentladungen verlängert, anderer-
seits die Zahl der Selbstentladungen verkleinert. Wenn der Tur-
malin vollkommen isolirt, so gilt nach der von mir entwickelten
Theorie für die elektrische Ladung während der Abkühlung die
Formel
i = E(l-e-at)
wo z die Zeit bezeichnet. Eine stärkere Leitungsfahigkeit des
Turmalines muß sich dadurch verrathen, daß der beobachtete Ver-
lauf der elektrischen Ladung von dem durch die Formel gegebe-
nen Typus einer einfachen Exponentialkurve abweicht; eine ge-
ringere Leitungsfähigkeit aber braucht die Anwendbarkeit der
Formel nicht wesentlich zu beeinträchtigen und könnte trotzdem
den Gesammtbetrag der beobachteten Ladung in etwas verkleinern*
Wenn aber auch die absoluten Werthe der elektrischen Ladungen,
wie sie bei dem Gaugain' sehen Verfahren beobachtet werden,
IG*
190 Eduard Riecke,
voraussichtlich etwas zu klein sind, so erscheint dasselbe doch
wohl anwendbar, wenn es sich um die Vergleichung der Elektri-
citätsmengen handelt, welche ein und derselbe Turmalin nach
verschiedener Erhitzung entwickelt, oder um diejenigen, welche
verschiedene Turmaline unter gleichen Umständen erzeugen. Von
diesem Gesichtspunkt aus sind die zahlreichen Beobachtungen zu
beurtheilen, deren Resultate im Folgenden vorgelegt werden. Für
die Ausführung derselben bin ich den Herren H. Meyer, Krü-
ger und Meissner zu Danke verpflichtet, ebenso Herrn Pocke ls
für die Ausführung einer Reihe von Controlrechnungen.
Die Absicht, welche bei den folgenden Untersu-
chungen verfolgt wurde, war eine doppelte. Es sollte
einmal die Grültigkeit der Formel
e = E(l-e-a*)
in weiterem Umfange geprüft werden, andererseits
sollte für eine grössere Zahl von Turmalinen die Ab-
hängigkeit der bei der Abkühlung entwickeltenElek-
tricitätsmenge von der Differenz zwischen der An-
fangs- und der End-temperatur ermittelt werden.
Die Prüfung der für die entwickelte Elektricitätsmenge auf-
gestellten Formel erstreckte sich nach drei verschiedenen Richtun-
gen. Zuerst wurde untersucht , in wie weit jede einzelne Abküh-
lungsbeobachtung dem Gesetze folgte. Dabei ergab schon
der oberflächliche Anblick der Beobachtungsreihen
die Existenz zweier typisch verschiedener Fälle,
von welchen die in Fig. 1 und Fig. 2 gezeichneten Curven eine
Anschauung gewähren. Die erste bezieht sich auf den Turmalin
M II. Die Abkühlungszeiten sind auf der Horizontalen aufgetra-
gen , die Menge der entwickelten Elektricität , d.h. die Zahl der
Selbstentladungen des Elektroskopes in der dazu senkrechten
Richtung ; die den einzelnen Beobachtungen entsprechenden Punkte
sind markirt, die ausgezogene Curve entspricht der aus den Be-
obachtungen berechneten Formel
e = 49,2(l-e-°'217*).
Die Figur giebt also für diesen Fall gleichzeitig ein Bild von der
zwischen Beobachtung und Rechnung herrschenden Uebereinstim-
mung. Die Fig. 2 bezieht sich auf den Turmalin P I. Die Curve
besitzt in diesem Fall einen Wendepunkt, sie ist zu Anfang ge-
über die Pyroölectricität des Turmalins. 191
gen die Axe z konvex und weicht nur ganz langsam von dersel-
ben ab in Folge der auffallenden Verzögerung, welche der Eintritt
der ersten Selbstentladung des Elektroskopes erleidet. Von 22
untersuchten Crystallen gehörten 12 vollständig dem ersten Typus
an; es sind dieß 5 Crystalle von Brasilien, 2 rothe Crystalle von
Mursinsk, ein Turmalin von Elba, E III, einer von Prevale, P II,
einer von Unterdrauburg , und einer vom Gouverneur. Einen
Ueb ergang zum zweiten Typus bilden 4 schwarze Crystalle von
Mursinsk. Bis zu Erhitzungen von etwa 140° zeigen dieselben
keine Verzögerung der ersten Entladung; bei höheren Tempera-
turen tritt eine Verzögerung ein; immer aber bleibt dieselbe so
klein, daß der Gresammtcharakter der den Verlauf der elektrischen
Ladung darstellenden Curven durch die anfängliche Störung kaum
beeinflußt wird. Dasselbe Verhalten zeigt ein Turmalin von HÖrl-
berg. Eine der mit diesem Turmalin angestellten Beobachtungs-
reihen wird dargestellt durch Fig. 3. Mit Bezug auf die Turma-
line von Mursinsk ist noch hervorzuheben, daß die Verzögerung
der ersten Entladung zu Anfang der ganzen Untersuchung auch
bei den höchsten Temperaturen kaum merklich war, daß sie erst
im Verlauf der Untersuchung deutlicher hervortrat. Es scheint,
daß in der Natur dieser Crystalle durch die wiederholten bis auf
190° steigenden Erhitzungen eine Aenderung hervorgebracht wurde.
Dasselbe ist, nur in sehr viel höherem Maase, der Fall bei 3 Cry-
stallen von Elba; auch diese zeigten anfangs nur geringe Abwei-
chungen von dem ersten Typus, bei welchem die elektrische La-
dung während der Abkühlung durch eine Exponentialkurve dar-
gestellt wird; während der Untersuchung aber nahm die Verzö-
gerung der ersten Entladung zu und erreichte schließlich ziemlich
erhebliche Beträge. Endlich bleiben nun noch 3 Crystalle übrig,
ein schwarzer von Mursinsk (MI, a), der bereits erwähnte von
Prevale, P I, und einer von Sarapulsk ; die beiden ersten ergaben
von vornherein und unter allen Umständen sehr große Verzöge-
rungen der ersten Entladung und erscheinen daher als vollstän-
dige Repräsentanten des zweiten Typus, welcher in seinem Ver-
halten der Curve der Fig. 2 entspricht.
Der Crystall von Sarapulsk dagegen nimmt eine besondere
Stellung ein, indem er in höheren Temperaturen eine kleine, da-
gegen in tieferen eine sehr erhebliche Verzögerung der ersten Ent-
ladung erleidet, wie sich dieß aus der folgenden Tabelle ergiebt.
T 12 3 4 5
167.9 0.84 1.04 1.20 1.38 1.53
105.6 3.41 4.11 4.87 5.73 6.88
192 Eduard Riecke,
In derselben sind für zwei verschiedene Erhitzungstempera«
turen die Zeiten der 5 ersten Entladungen angegeben.
Zu einer genaueren Prüfung der Formel
wurden nun Beobachtungen mit denjenigen Turmalinen verwandt,
welche dem ersten Typus angehören oder doch nur geringere Ab-
weichungen von demselben zeigen. Es wurden also die Beobach-
tungen mit den zuletzt genannten Crystallen PI und MIa zu-
nächst ausgeschlossen. Der Theorie zufolge sollte a während der
Abkühlung einen konstanten Werth behalten; es traf dieß nur
bei einem Theil der Turmaline zu, während bei anderen der "Werth
von a bei der Abkühlung gewissen Veränderungen unterworfen
war. Nach dem Verhalten von a während der Abküh-
lung konnten die Turmaline des ersten Typus ihrer-
seits wieder in drei Gruppen geschieden werden.
Bei der ersten erwies sich a während der Abküh-
lung als vollkommen konstant. Es gehören in diese
Gruppe die 5 Cry stalle von Brasilien , der Turmalin P II, die
Crystalle von Unterdrauburg und vom Gouverneur. Bei einer
zweiten Gruppe war a während der Abkühlung
konstant, so lange dieErhitzung einen bestimmten
Betrag nicht überschritt; bei höheren Anfangstem-
peraturen d agegen war der Werth von a während
der ersten Minuten der Abkühlung kleiner, erhob
sich dann aber schnell zu einem konstant bleiben-
den Betrage. Zu dieser zweiten Gruppe gehören 5 Crystalle
von Mursinsk, der Elbaer Turmalin EIII, der Crystall vom
Hörlberg. Die bei denselben vorhandene Veränderlichkeit von a
möge durch die in der folgenden Tabelle beispielsweise mitge-
theilten Zahlen wer the erläutert werden.
£=12 3 4 56 7 89 10 12
n 190° 0.113 0.148 0.166 0.177 0.185 0.190 0.194 0.195 0.196 0.196 0.196
142° 0.200 0.205 0.209 0.211 0.212 0.213 0.213 0.213 0.214 0.215 0.215
J1730 0.134 0.139 0.143 0.146 0.149 0.150 0.151 0.152 0.152 0.152 0.152
155° 0.145 0.150 0.152 0.154 0.155 0.156 0.157 0.157 0.157 0.156 0.156
In der ersten Horizontalreihe sind die Abkühlungszeiten in
Minuten, in den darunter stehenden die entsprechenden Werthe
der Abkühlungskoefficienten angegeben ; die in der ersten Verti-
kalreihe stehenden Zahlen geben die Erhitzungstemperaturen an.
über die Pyroölectricität des Turmalins. 193
Die dritte Gruppe wird gebildet durch drei
Crystalle von Elba, EIN, EN und ENI. Bei diesen
steigt gleichfalls derWerth von a während der
Abkühlung aber ohne einen konstanten Grenz-
werth zu erreichen; es wird dieses Verhalten anschaulich
gemacht durch die Zahlen der folgenden Tabelle.
* = 1 2 3 4 56 78 9 10 12
168° 0.138 0.143 0.150 0.156 0.165 0.173 0.180 0.184 0.186 0.190 0.193
V 122° 0.185 0.190 0.192 0.195 0.196 0.198 0.199 0.199 0.200 0.202
EY
161° 0.178 0.185 0.191 0.200 0.206 0.212 0.220 0.225
122° 0.226 0.230 0.231 0.235 0.240 0.245 0.249
Der Crystall von Sarapulsk kann ebensogut zu der zweiten,
wie zu der dritten Gruppe gerechnet werden. In höheren Tem-
peraturen erreicht der Werth von a bei der Abkühlung ein Maxi-
mum; bei tieferen Temperaturen tritt die Annäherung an ein
Maximum nicht mehr hervor, die Verzögerung der ersten Entla-
dung nimmt wie schon erwähnt bei abnehmender Anfangstempera-
tur stark zu.
Untersucht man die Crystalle dieser 3 Gruppen mit Rücksicht
auf den verzögerten Eintritt der ersten Entladung so bemerkt
man, daß die Crystalle der ersten Gruppe keine Verzögerung auf-
weisen; die der zweiten Gruppe zeigen eine Verzögerung bei hö-
herer Temperatur; die der dritten Gruppe gaben nach wiederhol-
ter Erhitzung Verzögerung auch bei tieferen Temperaturen. Es
ist hiernach wahrscheinlich, daß die Veränderlichkeit von a durch
dieselbe Ursache bedingt wird, wie die Verzögerung der ersten
Entladung und zwar dürfte es das natürlichste sein, die Ursache
in einer bei höherer Temperatur eintretenden Leitungsfähigkeit
des Turmalines zu suchen.
Die im Vorhergehenden besprochene Eintheilung der Turma-
line, welche auf der Verzögerung der ersten Entladung und auf
dem Verhalten des Coefficienten a während der einzelnen Abküh-
lung beruht, wird bestätigt durch das Ergebniß einer dritten Un-
tersuchung. Für alle einzelnen Abkühlungsbeobachtungen wurden
die Coefficienten a berechnet; bei den Turmalinen der ersten
Gruppe wurden aus den einzelnen von einander nur wenig abwei-
chenden Werthen die Mittel genommen; bei den Turmalinen der
zweiten Gruppe wurden die konstanten Grenzwerthe von a bei
der weiteren Betrachtung benutzt; bei den Crystallen der dritten
Gruppe wurden die für die Mitte der Abkühlungsperiode gelten-
194 Eduard Riecke,
den Werthe von a durch Interpolation bestimmt und weiterhin
der Untersuchung zu Grunde gelegt. Diese war darauf gerichtet,
ob die den einzelnen Abkühlungen entsprechenden
Werthe von a konstant, d.h. von der anfänglichen Er-
hitzung der Turmaline unabhängig sind, oder ob der
Abkühlungskoefficient mit der Temperatur sich ver-
ändert.
Es wurden im Ganzen 239 Abkühlungsbeobachtungen benutzt
und dementsprechend 239 Werthe des Coefficienten a in der an-
gegebenen Weise berechnet.
Constanz der Abkühlung skoefficienten ergab sich
bei den Crystallen von Brasilien, von Unterdrauburg , vom Gou-
verneur, vom Hörlberg, bei PII und MBU, im Allgemeinen also
bei den Crystallen der ersten Gruppe.
Constanz bis zu Erhitzungstemperaturen von
beiläufig 140° Graden, Abnahme bei höheren Tempe-
raturen ergab sich bei den Turmalinen von Mursinsk, und Sa-
rapulsk, im Wesentlichen also bei den Crystallen der zweiten
Gruppe.
Einen unregelmäßigeren Verlauf zeigen die
Werthe von a bei den Turmalinen von Elba. Sie er-
weisen sich als ziemlich konstant bis zu Temperaturen
von etwa 100°, dann nehmen sie rasch ab, erreichen
einen Minimalwerth bei einer Erhitzung auf etwa
140° und nehmen bei stärkerer Erhitzung wieder zu.
Diese Verhältnisse werden anschaulich gemacht durch die
folgende Tabelle.
1. Turmaline von Brasilien.
T 175° 153° 130° 106° 82° 56°
BIII 0.249 0.248 0.249 0.246 0.248 0.245
BV 0.227 0.235 0.228 0.228 0.228 0.231
2. Tur mal in vom Gouverneur.
T 172° 159° 155° 145° 139° 121° 110° 91°
a 0.267 0.266 0.267 0.266 0.267 0.266 0.268 0.268
3. Schwarze Turmaline von Mursinsk.
T 190° 170° 145° 125° 110° 85° 70° 45°
MII 0.195 0.194 0.214 0.223 2.223 0.221 0.224 0.222
M III 0.213 0.210 0.225 0.241 0.241 0.241 0.243 0.247
t%u S^iecMeföroefaclricität cleö Sürmaähö,
über die Pyroelectricität des Turmalins. 195
4. Rothe Crystalle von Mursinsk.
T 172° 159° 155° 145° 139° 130° 126° 110° 91°
MBl 0.152 0.154 0.157 0.157 0.159 0.160 0.161 0.161 0.153
MBU 0.111 0.113 0.116 0.115 0.112 0.115 0.115 0.111 0.109
5. Turmaline von Elba.
T 164° 147° 122° 104° 82° 67° 59° 45°
#111 0.404 0.378 0.449 0.446 0.472 0.433 0.472
EY 0.205 0.175 0.241 0.255 0.245 0.241
Wir schließen hiermit den Bericht über den ersten Theil der
Untersuchung, welcher sich auf die Prüfung der Formel
s = E(l-e-*')
und auf das Verhalten der Abkühlungskoefficienten a richtet, und
gehen nun über zu der Frage nach der Abhängigkeit der
entwickelten Elektricitätsmenge von der Tempera-
tur der Erhitzung. Zunächst traten dabei wieder Verschie-
denheiten hervor, welche der früheren Eintheilung der Turmaline
in drei Gruppen entsprachen. Bezeichnet man mit 8 die Diffe-
renz zwischen der Anfangs- und der End-temperatur der Turma-
line, so konnte bei den Turmalinen von Brasilien die fragliche
Abhängigkeit dargestellt werden durch eine Formel von der Gestalt
«
E = aB + hS2.
Dagegen ergab sich bei den Turmalinen von Elba die Formel
E = aB-662.
Bei den schwarzen Crystallen von Mursinsk mußte zur Darstel-
lung der Beobachtungen ein dreigliedriger Ausdruck benutzt
werden
E = a0 + &B2-c63.
Die Gruppirung der Turmaline, wie sie sich auf Grund der
für die entwickelten Elektricitätsmengen geltenden Interpolations-
formeln ausführen läßt, stimmt aber mit der durch das Verhalten
des Abkühlungskoefficienten bedingten doch nicht ganz überein in
Folge eines abweichenden Verhaltens der rothen Turmaline von
Mursinsk, der Turmaline PII, S und G, welche bei der früheren
Untersuchung in unsere erste oder zweite Gruppe sich eingeordnet
hatten. Bei diesen Crystallen konnte unterhalb gewisser Tempe-
raturen überhaupt keine meßbare elektrische Erregung erhalten
196 Eduard Riecke,
werden, während nach Ueberschreitung derselben die entwickelten
Elektricitätsmengen sehr schnell mit der Temperatur wuchsen.
Die zur Darstellung der elektrischen Ladungen benutzte Formel ist
E = a©-A.
Es dürfte dieses Verhalten durch die Annahme zu erklären
sein, daß diese Turmaline bei gewöhnlicher Temperatur eine er-
hebliche Leitungsfähigkeit besitzen, welche durch Erhitzung auf
Temperaturen von 30° bis 50° keine Veränderung erleidet, dage-
gen in höheren Temperaturen verschwindet und sich dann auch
während der Dauer der Abkühlung nicht wieder herstellt.
Die Abhängigkeit der elektrischen Ladung von
der Temperatur der Erhitzung führt hiernach zu der
Aufstellung von 4 verschiedenen Gruppen von Tur-
malinen; die vierte Grruppe enthält Turmaline, wel-
che nach dem Verhalten des Abkühlungskoefficien-
ten zu den Turmalinen von Brasilien oderMursinsk
zu stellen sein würden. Beispiele für das Verhalten der 4
Gruppen geben die Fig. 4 — 7, in welchen die beobachteten Werthe
der Ladung den berechneten Curven hinzugefügt sind.
Würde die Form der Turmaline die eines Cylinders mit G-e-
radendflächen , würde überdieß die elektrische Ladung vollständig
auf diese Flächen koncentrirt sein, so wäre das elektrische Mo-
ment gleich der Ladung der positiven Endfläche multiplicirt mit
der Länge der Turmaline. Durch Division mit der Masse würde
man dann das elektrische Moment der Masseneinheit erhalten und
würde damit eine für die einzelnen Turmaline charakteristische Größe
gefunden haben. In Wirklichkeit treffen die gemachten Voraus-
setzungen nicht zu ; das specifische elektrische Moment kann nur
dadurch bestimmt werden , daß man an Stelle der Länge den
Mittelwerth aus einer gewissen Anzahl von Kantenlängen oder
Abständen parallel der Axe einführt. Die Werthe, welche man
erhält, wenn man die beobachteten Electricitätsmengen mit jenen
mittleren Längen multiplicirt und mit der Masse dividirt, werden
von den wahren specifischen Momenten um einen Betrag abwei-
chen, der wesentlich abhängig ist von der Gestalt der Turmaline
und von der Ausbreitung der Ladung auf die Seitenflächen. Im-
merhin werden die erhaltenen Werthe eine wenn auch nicht voll-
kommen exakte Vergleichung der Erregbarkeit der einzelnen Tur-
maline ermöglichen. In der folgenden Tabelle sind
daher die in der angegebenen Weise berechne-
über die Pyroelectricität des Turmalins.
LOT
ten specifischen Momente als Funktionen d e r A b-
kühlung B dargestellt.
£1
0.1123 e
+0.000182 0»
biii
o.io7i e
+0.000374 02
BIY
0.0951 8
+0.000415 02
BY
0.0564 6
+0.000676 02
BYI
0.0840 9
+0.000450 02
H
0.1058 0
Mla
0.0404 e
+0.000911 02
—0.00000452 08
Mlb
0.1138 0
-0.00000061 0»
MIT
0.0972 0
+0.000473 02
—0.00000263 es
MIII
0.0678 0
+0.000901 02
—0.00000439 08
MTV
0.0786 0
+0.000186 02
-0.00000141 0S
EII1
0.1165 0
—0.000021 02
EIY
0.0971 0
—0.000062 02
EY
0.0550 02
—0.000114 02
EYI
0.0860 02
—0.000197 02
PI
0.0736 0
—2.3
PII
0.1200 0
—1.9
MEI
0.165 0
—1.8
MBU
0.151 0
—4.8
S
0.172 0
—9.3
a
0.128 0
—4.1
0.092 0
—0.6
Wir fügen endlich noch eine Tabelle hinzu, in welcher die
Turmaline geordnet sind nach der Größe der elektrischen Mo-
mente, welche einer Abkühlung um 100° entsprechen.
MRI BIII BIY BI BYI BY MII ü MIII EUI JflB
14.7 14.4 13.6 13.0 12.9 12.4 12.1 11.8 11.4 11.4 10.8
H MRII PII EIY Mla G MIY S EYI PI EY
10.6 10.3 10.1 9.1 8.6 8.6 8.3 7.9 6.6 5.1 4.4
Es stimmt diese Tabelle wohl überein mit einer Zusammen-
stellung elektrischer Momente, welche ich in der Abhandlung des
Jahres 1887 veröffentlicht habe. Dieselbe bezieht sich aut einen
Theil der Turmaline, welche in der gegenwärtigen Arbeit behan-
delt worden sind. Die Abkühlungstemperatur, welche damals be-
nutzt wurde, war im Mittel gleich 84°; doch ist die Größe der
Abkühlung bei den verschiedenen Turmalinen um einige Grade
verschieden, da nur auf eine einzige Temperatur erhitzt und auf
198 Eduard Kiecke,
die Gleichheit derselben bei den verschiedenen Turmalinen kein
besonderes Gewicht gelegt worden war.
Zur Erläuterung der Tabellen mögen noch einige Bemerkun-
gen hinzugefügt werden, von welchen die erste die Turmaline
PI und Mla betrifft. Die in den Tabellen benutzten Werthe der
elektrischen Ladung sind nicht unmittelbar beobachtet, sondern in
der folgenden Weise berechnet. Wir haben bemerkt, daß die
Curven, welche bei diesen Turmalinen die elektrische Ladung
während der Abkühlung darstellen, einen Wendepunkt besitzen.
Nun zeigt sich, daß die Curven in einigem Abstände von dem
Wendepunkte der gewöhnlichen Exponentialformel entsprechen.
Verlängert man die durch die Rechnung bestimmten Curven rück-
wärts bis zum Schnitt mit der Axe der s, so erhält man diejeni-
gen elektrischen Ladungen, welche bei abwesender Leitungsfähig-
keit eingetreten sein würden, indem man zu den beobachteten
Werthen von s den für 9 = 0 geltenden Werth hinzufügt. In
dieser Weise sind die in den Tabellen benutzten Werthe gefun-
den. Es ist dadurch die Ausnahmestellung beseitigt, welche der
Turmalin Mla in der früheren Tabelle eingenommen hatte.
Immerhin bleibt die Verschiedenheit, welche in dem Verhal-
ten der beiden Bruchstücke Mla und Mlb desselben Crystalls zu
Tage tritt, auffallend genug.
Was den Crystall vom Gouverneur anbelangt, so führten die
zwei Beobachtungsreihen, welche mit demselben angestellt worden
waren , zu Resultaten , welche nicht in einer Formel vereinigt
werden konnten. Es müssen Veränderungen in der Natur dieses
Crystalls während der Dauer der Untersuchung angenommen wer-
den und zwar im Sinne einer Verminderung der Leitungsfähigkeit,
welche der Crystall bei niedriger Temperatur besitzt. Höheren
Erhitzungen gegenüber machen sich die Unterschiede wenig be-
merklich; die für eine Temperaturdifferenz von 100° auftretende
elektrische Ladung ist bei beiden Reihen nahezu dieselbe, so daß
in der letzten Tabelle nur ein Mittelwerth angenommen worden ist.
Bei dem Crystalle von Sarapulsk genügt die Zahl der Beob-
achtungen nicht zur Aufstellung einer Interpolationsformel; der in
der letzten Tabelle enthaltene Werth ist aus den bei benachbar-
ten Temperaturen erhaltenen Ladungen abgeleitet.
Es erübrigt endlich noch die Frage nach dem Werthe der
elektrischen Momente in absolutem elektrostati-
schem Maase. Um hie für einen Anhaltspunkt zu gewinnen
gehen wir zurück auf die absoluten Bestimmungen, welche ich im
Jahre 1885 für den Turmalin B I ausgeführt habe, indem derselbe
über die Pyroelectricität des Turmalins. 199
über einem Goldblattelektroskop isolirt aufgehängt sich frei ab-
kühlte. Die Verwerthung der Beobachtungen ist eine einiger-
maßen unsichere in Folge der Störungen, welche namentlich in
höheren Temperaturen eintraten. Greift man aus den verschiede-
nen Beobachtungsreihen eine bei einer Abkühlung von 6 = 60.5°
angestellte ziemlich regelmäßig verlaufende heraus, so ergiebt sich
eine Oberflächendichtigkeit von 32 elektrostatischen Einheiten im
cm. g. s. System. Hiernach wird das unmittelbar beobachtete
elektrische Moment der Gewichtseinheit nahezu gleich 10 (cm. g. s.).
Es entspricht aber dieser Werth keineswegs der ganzen wäh-
rend der Abkühlung des Turmalins entwickelten Elektricitäts-
menge ; das dieser entsprechende Moment ergiebt sich, wenn wir
den beobachteten Werth mit dem Faktor (q/a)^-a multipliciren,
in welchem q die Leitungsfähigkeit des Turmalines, a den Ab-
kühlungskoefncienten bezeichnet. Eine genaue Bestimmung von a
und q aus den vorliegenden Beobachtungen ist nicht möglich.
Dem ansteigenden Theile der Curve entspricht man durch die
Annahme a = 0.19 und q = 0.23. Damit ergiebt sich dann für
das elektrische Moment der Gewichtseinheit, wie es bei verschwin-
dender Leitungsfähigkeit auftreten würde, der Werth von 30 Ein-
heiten des cm. g. s. Systems. Andererseits ergiebt unsere Inter-
polationsformel für dieselbe Abkühlung den Betrag des Momentes
zu 7.3 unserer willkürlichen Maaßeinheiten. Hiernach würden
alle in den beiden letzten Tabellen enthaltene Zahlen mit dem
Faktor 4 zu multipliciren sein, um die elektrischen Momente in
Einheiten des cm. g. s. Systems zu geben.
Die elektrische Dichtigkeit, welche der Turmalin MRI bei
einer Abkühlung um 100° und bei isolirender Masse und Oberfläche
entwickelt, kann hiernach beiläufig zu 60 Einheiten des cra. g. 9.
Systems angenommen werden. Das bedeutet eine Stärke der
elektrischen Ladung, welche die bei den gewöhnlichen elektrosta-
tischen Apparaten auftretenden weit übertrifft; zum Beispiel habe
ich bei einer Influenzmaschine zweiter Art die größte Dichtigkeit
der auf den rotirenden Scheiben angesammelten Elektricität zu
6 Einheiten (cm. g. s.) bestimmt. Die scheinbar an der Oberfläche
eines Turmalines auftretende Ladung bildet aber nach der von
mir entwickelten Theorie der Pyroelektricität nur einen sehr klei-
nen Bruchtheil seiner molekularen Elektricität. Die wahren elek-
trischen Momente , welche die Gewichtseinheiten der Turmaline
in Folge der elektrischen Polarisation ihrer Molekeln besitzen,
gehören ohne Zweifel einer wesentlich höheren Größenordnung an
als die wirklich gemessenen.
200 Friedrich Wieseler,
Scaenica.
Von
Friedrich Wieseler.
Es giebt noch manche Stellen bei den Gewährsmännern über
das alte Theater, welche einer Berichtigung des Inhaltes oder einer
Verbesserung des Textes und zugleich einer genaueren Erörterung
bedürfen. Ueber einige derselben soll in dem Folgenden zunächst
die Rede sein.
1.
Pollux Onom. IV, 129 fg. : r) di(3xsyta tcoxs [ilv iv ol'K<p ßccöi-
keia diijQsg dcondtiov, olov cccp'' ob iv OoiviGöaig r) "Avxiyoviq ßkiitei
xbv Gxoccxöv, Ttors de xal Kioccpog , ay? ov ßdllovöi x<p KSQa^np' iv
ds TKo^Kpöia ccTtb xr\g diGxEyCag TtoqvoßoöKoC xi %axo7CX8vov<Siv r] yqd-
dia r) yvvaia nuxaßXsTiei.
Antigone begiebt sich, wie der Pädagog in Eurip. Phoen. 90
sagt, {iskdd'QCov ig dirjosg a^aroi; , d. h. auf das flache Dach des
zweistöckigen Palastes1). Der Ausdruck öcj^dxiov bei Pollux paßt
also durchaus nicht.
Albert Müller bezieht ihn in den Grriech. Bühnenalterth. S. 141
auf einen „kleinen Oberbau". Aber ein solcher läßt sich ohne
Zweifel nicht annehmen. Wer wird glauben wollen, daß der Kö-
nigspalast im Wesentlichen nur ein einstöckiger Bau war, kein
über das ganze Unterstock hinlaufendes oberes hatte?2). Auch in
sprachlicher Beziehung hat die Deutung des Ausdruckes difjoeg
dcoiidtiov auf einen besonderen Oberbau Bedenken. Wenn Pol-
lux I, 81 schreibt: slxcc tiiteocpcc oixrj^iaxa xä <T avxcc Kai ölyjqyj9
so meint er Gemächer, Zimmer im zweiten Stockwerk. Ebenso
ist der Ausdruck vTisotpog olnog zu verstehen im Etymol. M. 274,
26: ^LYJQYjg, 6 vitao&og olnog, und p. 780, 19, und der Ausdruck
dcoiidtLcc bei Herodian I, 12, 16: sl'g xe xä d&pdxiu dvaßdvxeg Xi-
1) Eigenthümlich und ohne Zweifel irrig ist K. 0. Müller's Meinung in
dem Handb. d. Archäol. der Kunst S. 293, Anm. 2, daß Antigone „auf dem Söller
über dem Parthenon in der diaieyia" erscheine. Vgl. unten Anm. 3.
2) So etwas läßt sich für ein Privathaus in der alten Kommödie immerhin
annehmen.
Scaenica.
201
ftoig xcci xegapoig sßaXXov tovg iTtitslg. Man könnte daran denken
daß bei Pollux IV, 129 geschrieben war: dirJQeg dmfidtcov, welches
letztere Wort dem neXccftgav in den Phönissen durchaus ent-
sprechen würde. Allein dieser Veränderung steht sowohl der Um-
stand entgegen, daß durch sie die Worte iv ol'xc) fast überflüssig
würden, jedenfalls eigenthümlich erschienen, als auch der, daß
Pollux mit seiner Angabe nicht allein steht. Auch im Etym. M.
274, 26 finden wir dasselbe angegeben, indem hinter olxog hinzu-
gefügt wird : EvQLTtidrjg iv (frouvCöGaig. Die Stelle in den Phönissen
wurde also schon von alten Erklärern falsch gedeutet. Wir be-
merken noch, daß das Wort diöreyia nur das zweite Stockwerk,
natürlich mit Inbegriff des Daches, bezeichnet, nicht auch, wie
man gemeint hat, ein Haus mit zwei Stockwerken. Dasselbe gilt
von den substantivisch gebrauchten Ausdrücken dirjQsg und vits*
QGJov. Sollte das Dach genauer bezeichnet werden, so bedurfte
es eines Beiwortes, wie £<5%vlxqv bei Euripides hinzugefügt ist.
Nicht minder auffallend ist die sonst nirgends vorkommende
Angabe bei Pollux, nach welcher diötsyicc und xegapog gleich sein
sollen, zumal wenn man mit A. Müller (a. a. 0. Anm. 5) annehmen
will, daß bei Pollux unter xegapog schwerlich ein schräges Dach
zu verstehen sei. Thut man dagegen dieses — was doch selbst-
verständlich erscheint — und nimmt man zugleich an, daß das
Dach hoch zu denken sei, so ließe sich etwa sagen, daß der Raum
unterhalb des Daches als eine Art von zweitem Stockwerk zu
betrachten sei.
Ein anderer bedenklicher Umstand ist es, daß Pollux ganz so
spricht, als gehöre das über xigapog Gesagte nur in die Tragödie,
wie es denn außer A. Müller allein auf das „Ziegeldach in der
Tragödie" bezogen wird. Ich weiß mich in der That keines Fal-
les in den erhaltenen Tragödien zu erinnern; wohl aber eines
nahe stehenden aus der Komödie, vgl. Aristoph. Vesp. Vs 203 fg.
Wenn A. Müller a. a. 0. äußert, die difSxsyCa werde in der
Komödie als einfaches plattes Dach bezeichnet, so ist das in Be-
treff des Pollux eben so wenig richtig als hinsichtlich der von
ihm in Anm. 8 angeführten Stellen aus Aristophanes' Kkldc-iazu-
sen. Es wird vielmehr bei beiden Schriftstellern an Gfomftoher
im oberen Stockwerk gedacht, die nach außen hin Penfltei haben,
auf welche sich die Ausdrücke itaQaxv7txstv und diccxvittsiv bezie-
hen. So ist es auch klar und deutlich zu sehen auf den beiden
den letzten Worten des Pollux entsprechenden Vasenbildern in
meinen Denkmälern des Bühnenwesens Taf. IX, n. 11 u. 12. Uebri-
gens beachte man, daß Pollux das Herausblicken aus den Fenstern
202 Friedrieb Wieseler,
in der Distegie nur von der Komödie berichtet, und darin hat er
Recht1).
2.
Pollux fährt unmittelbar nach den obigen Worten IV, 130
fort über das KSQavvo6xo7tetov zu sprechen, über welches er aber
nichts Weiteres sagt, als daß es 7tQLaxtog vijjrjXt] sei. Er meint, da
er das KeQccvvoöxoTtetov auf das Engste mit dem ßgovretov zusam-
menstellt, ohne Zweifel die Maschine zur Herstellung des ksquv-
vog. Aber diese Bedeutung liegt nicht in jenem Worte. Somit
halte ich dafür, daß dasselbe verderbt sei. Ein äußerlich nahe
stehendes Wort würde sein xsQccvvoGxrjTtTstov, das sich frei-
lich sonst nicht nachweisen läßt (wie ja auch x8Qavvo<5xo7teiov nicht),
aber untadelhaft gebildet ist und hinsichtlich der Bedeutung vor-
trefflich passen würde. Man denke nur an die Redensart <5%v\'X%uv
ßilog bei Aeschylos Agam. 378 Weckl.
Auch die Worte, welche die Erklärung enthalten, sind ohne
Zweifel verderbt. Daß die von Yitruv V, 68 als zur Herstellung
plötzlichen Donners dienend erwähnte Periakte nicht gemeint sein
kann , liegt wohl auf der Hand. Der Ausdruck t^A^' befremdet
durchaus.
Die Vorkehrungen zur Herstellung der Blitze waren gewiß
verschieden, je nach der Verschiedenheit der Blitze selbst. Von
sonstigen Angaben alter Gewährsmänner hat A. Müller a. a. 0»
S. 157, A. 2 nur eine beigebracht, nämlich die des Grammat. de
comoed. bei Dübner, Scholia Gr. in Aristophanem p. XX, 31 fg.,
wo von ßvQöcug 7tatayov(5aig und xslqotivuxtg) %vqi die Rede ist
(hinsichtlich welches letzteren der von Müller angeführte Muhl
sicherlich irrt). Lucian erwähnt Philopatris 24 tö KSQccvvoßöXov
äyyelov xal tö ßQovtoitoibv do%eiov. Hier erhalten wir also die
Kunde , daß man den xeQccvvög aus einem Gefäße warf. Die Be-
zeichnung dieses wird bei Pollux in dem verderbten faftriAtf ent-
1) In den erhaltenen Tragödien kommt nichts Aehnliches vor. Denn wenn
Geppert Altgr. Bühne S. 144 meint, daß Antigone im Anfang der Phönissen aus
ihrem Gemach im oberen Stocke des Palastes erscheine und das Dach besteige,
und J. Geel Eurip. Phoen. p 87 äußert: Apparent Paedagogus et Antigone in
ostio tov dtijgovg, quod habueritne portam necne nihil refert; non habuisse pro*
babilius est. Ante hoc ostium est prominens tabulatum (nostrum balcon) unde
Paedagogus prospicit ad explorandam viam, dum Antigone in ostio adstat. — Ab
hoc tabulato per scalam oblique parieti appositam escenditur in tectum: per hanc
igitur scalam Antigone ope senis altiorem locum petit, so ist daß sicherlich ir-
rig. Antigone erscheint mit dem Pädagogen vor der Hauptthür des Palastes und
die alte Treppe aus Cedernholz führt von dem Vorplatze dieses unmittelbar auf
das Dach.
Scaenica. 203
halten gewesen sein. Das nächstliegende Wort ist gewiß xvirdXii,
mit welchem jedes leere Gefäß bezeichnet werden konnte, wohl
auch ein cylindrisches, bienenkorbförmiges, unserem in der Haus-
wirthschaft und im Kriege gebräuchlichen Mörser entsprechendes.
Dann wird nsaiaxrog zum Adjectiv. Philo Vet. mathemat. opera
ed. Thevenot. p. 97 erwähnt ^irjxav^ata itsgiaxta, „drehbare Wurf-
maschienen", im Kriege. Sollte nicht die nsQLaxtog xvtyeXri Dei
Pollux eine gewisse Aehnlichkeit mit denselben gehabt haben?
3.
Der Grammat. de comoedia bei Dübner Schol. Gr. in Aristo-
phanem berichtet p. XX, 28 fg. : xatsöxevd^ero ^ Gxt\v$\ tgiogöyoig
otxodoprjuaöi, 7CS7toixiX^evrj TtaQaTCetda^iaöL xccl ö&ovaig Xsvxalg xal
{isXccivcag — stg rvitov &cdcc66r]g, tccqtccqov, adov, XEQawfbv 'xal
ßgovrcbv, yr\g xal vvxtog, ovqccvov, fjusoag xal avaxtoQaov , xal ndv-
rcov ccrtÄcbg' avkdg ts ov iiixoäg sI%ev i^eiQyaö^ievag xal cciftldag sig
tvTtov öqg)v. Daß die Worte von yrjg an nicht in Ordnung sind,
liegt auf der Hand. Muhl hat die ersten mit Billigung A. Müller 's
a. a. 0. S. 111, A. 8 so geordnet : rmegag xal vvxtog, yrjg xal ovga-
vov, ävaxrÖQcov. Ich halte es für wahrscheinlicher daß die Folge
der Worte war: yr\g xal oi)q.9 r){i. xal vvxtog. An ävaxtÖQ&v ha-
ben Muhl und Müller keinen Anstoß genommen. Wie kommen
aber die dvdxtooa hieher, wo von den Weltkörpern und Naturer-
scheinungen die Rede ist, nachdem die Paläste schon gleich am
Anfange erwähnt waren? Gewiß ist dvaxtÖQcov verderbt und am
Wahrscheinlichsten aus dötsQwv. Dieses Wort paßt gerade
in Verbindung mit vvxtog besonders gut. Unmittelbar vor ihm
wird xal gestanden haben, wie es noch bei Dübner vor avaxtö-
qcov steht, während es in dem Vorhergehenden einmal ausgefallen
ist. Daß selbst in den erhaltenen Dramen des Euripides noch
Stellen vorkommen, welche auf eine bildliche Darstellung der Ge-
stirne deuten, habe ich schon in den scenischen und kritischen Be-
merkungen zum Kyklops, Gott. 1881, S. 9 vermuthet.
Endlich ist es mir auffallend, daß Niemand an avldg in dem
letzten Satze Anstoß genommen hat. Was soll das Wort hier,
in welcher Bedeutung man auch avXdg fassen möge? Sicherlich
war vlag „waldige Partieen" geschrieben, welche zu den im fol-
genden erwähnten Bergen vortrefflich passen. Aehnlich erwähnt
Naevius bei Nonius p. 95, 27 zusammen saxa, silvas, lapides, mon-
tes. Das i&Qyd&G&at, geschah selbstverständlich durch Malerei.
Nachrichten von der K. G. d. W. zu Göttingen. 1890. Nr. 5.
17
204 Friedrich Wieseler,
n.
Zum Dionysostheater in Athen.
1.
Unter den auf dieses Theater bezüglichen Schriftstellen ist
von besonderer Wichtigkeit Andocid. de myster. § 38, p. 19 Reisk.,
wo Diokleides hinsichtlich der Hermokopiden Folgendes aussagt :
ävaötäg de TtQCoii tyevGd'elg trjg agag ßadfteiv elvai de 7tccv6eXrjvov
eitel de 7tagä ro TtQOTtvXatov to# AiovvGov *}v, bqav äv&Q&jtovg 7toXXovg
ccTtb xov tbdeuov xataßaCvovtag elg xr\v ÖQ%rj0TQav detöag de avtovg,
efaeX&av vjtb r^v Gxiäv xccd'd£e<fd'cu iiercc^v tot) xiovog xal trjg 6xy\kr[g^
e<p ?) 6 ötgatriyög eGtiv 6 ya'kxovg' oquv de ccvd,Qco7tovg xbv [iev
aQL&iibv ticcXiöTU TQcaxoöLOvg, eördvat de xvxXco ävä itevxe xal dexa
avdgag, rovg de ävä ei'xoöLV 6qg>v de avrcbv TtQog xr^v öeArjvrjv tä
rtQÖöcoTia tcbv Ttkeiötcov yiv&Gxeiv.
Freilich hat Loeschke „Die Enneakrunosepisode bei Pausanias",
Dorpater Universitätsprogr. 1883, S. 4 und 6 die Orchestra für
die auf der Agora belegene gehalten. Aber schon Milchhöfer ist
gegen ihn mit Recht für die des Dionysostheaters eingetreten,
bei Baumeister Denkm. d. klass. Altert. I, S. 192, an welchem ich,
der ich diese Stelle schon lange vorher in meinen Vorlesungen
für die Kunde des Dionysostheaters benutzt habe, von Anfang an
auch nicht den mindesten Zweifel hegte l).
Nach der Stelle des Andokides haben wir da, wo sich der
östliche Eingang in die Orchestra befand , ein mit diesem in Zu-
sammenhang stehendes Propyläon anzunehmen, über welches wir
allerdings anderswoher keine Kunde haben. Der Platz, an wel-
chem Diokleides sich niedersetzte, muß zwischen der letzten Säule
des Propyläon nach der Ochestra zu und der Stele mit dem Stra-
tegen nach der Bühne zu belegen gedacht werden. Von diesem
Schlupfwinkel aus konnte man den zwischen den untersten Zu-
schauersitzen liegenden Theil der Orchestra am Besten übersehen.
Die Größe derselben erscheint nach dem, was der Sclave über die
Zahl der in ihr stehenden Männer und die Art, wie sie in verschie-
denen Partien zusammenstanden, angiebt, als eine recht bedeutende.
1) Wenn Loeschke daran Anstoß nahm, daß in der Orchestra eines Theaters
ein Stratege aufgestellt sei, so erinnerte er sich nicht daran, daß im Theater zu
Sikyon eine Statue des Aratos mit dem Schild sogar auf der Bühne stand (Pau-
san. II, 7, 5), um von der besonders schönen Gruppe von Kämpfenden im Thea-
ter von Argos (Pausan. II, 20, 6) zu schweigen, sowie von dem Diomed im Th,
zu Athen (W. Gurlitt „Ueber Pausanias" S.267).
Öcaenica. 205
Ein größerer steinerner Bau, als welcher die Thymele noch in
Strack's Theatergebäude dargestellt ist, kann in ihr nicht vorhan-
den gewesen sein.
Hinsichtlich des „ehernen Strategen" erfahren wir durch die
Scholien zu Aristides p. 202, Frommel, Vol. III, p. 535. Dindorf :
dvo stölv dvögtavteg iv x<p 'A&rjvflöi &scctqg), 6 plv ix de%t,ä>v ®£-
liiöroxXeovg, 6 d' i% svcovv^cov MiXuddov, nX-tfiCov ds avtav ixaxi-
qov IleQGrjg al%iux.kG)xo$. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß
von diesen beiden Strategen einer der bei Andokides erwähnte ist,
wenn auch bei dem Scholiasten weder das Material noch der Platz
im Theater genauer angegeben ist, und bei Andokides nichts über
den Persischen Gefangenen verlautet. Aus jenem erhellt, daß der
eherne Stratege am östlichen Eingang in die Orchestra stand. Ist
nun mit jenem der Miltiades oder der Themistokles gemeint?
Man könnte sagen , daß zu Andokides' Zeit erst ein Stratege
vorhanden gewesen sei. Aber das würde schon an sich ebenso
unwahrscheinlich sein, als wenn man aus dem Schweigen des Red-
ners den Schluß ziehen wollte, daß der Persische Gefangene in
der Nähe des Strategen damals noch nicht dagewesen sei. Die
beiden Gruppen von Miltiades und von Themistokles entsprechen
sich so durchaus, daß die eine ohne die andere nicht wohl ge-
dacht werden kann. Beide haben aber gewiß nicht an dem einen
östlichen Eingang in die Orchestra gestanden, die eine dort rechts,
die andere links. Schon die Worte bei Andokides verbieten das
anzunehmen; zudem würde die links (von der Orchestra aus ge-
rechnet) den Zuschauern nur höchst ungenügend zu Gesicht ge-
kommen sein. Also wird die andere der beiden Gruppen an dem
anderen Eingang in die Orchestra aufgestellt gewesen sein und
zwar an der ganz entsprechenden Stelle. Das Rechts und Links
in der Orchestra bezieht sich aber auf die Zuschauer. Demnach
war der Strateg links Miltiades, der rechts Themistokles.
Daß beide Gruppen aus demselben Material waren, also aus
Erz, ist unzweifelhaft, und dieses Material spricht dafür, daß die
Herstellung derselben nicht eben viel früher statthatte, als zur
Zeit des Andokides , vgl. Demosthenes in Aristocrat. § 196 : ot
ndkai — ®£iil<5tokXscc — xccl MiXxMr\v — xal nokkovg &XXovgy ovx
face tolg vvv öTQcctri'yolg äycefi-ä stoyaönsvovg , ot) %alxovg iözctöav
OJ)d' V7t6QYjyd7tCüV.
Da das Propyläon gewiß nicht aus Holz hergestellt war, 80
darf man wohl voraussetzen, daß zu der Zeit des Andokides auch
der Zuschauerraum und ein Theil des Bühnengebäudes aus Stein
bestanden.
17*
206 Friedrich Wieseier,
2.
Ein Scholiast zu Aristophanes' Frieden Vs 725 berichtet:
aycdiia %v iv np &edTQ<p trjg 'JfrYjväg. Diese Worte dienen zur
Begründung der Antwort, welche Hermes, der Thürhüter des Pa-
lastes des Zeus, dem Trygäos, der von dem Olymp wieder zur
Erde hinabgehen will, auf seine Frage Ttag dtjr iyco Tcaraßriöo^iai, ;
giebt , indem er sagt : &aQ6ei TtccX&g trjdl nag av%r[v x^v &eov.
Der Scholiast bezieht nämlich den Ausdruck „die Göttin" auf die
Athena. Fr. Volkm. Fritzsche, welcher der Angabe des Scholia-
sten durchaus Glauben schenkt, obgleich er keinen anderen Ge-
währsmann für das Vorhandensein dieser Statue im Theater zu
Athen kennt, denkt sich dieselbe als auf der Bühne, dem Logeion
aufgestellt in der Ausgabe der Thesmophoriazusen des Aristophanes
p. 724. Auch Geppert (Die altgriech. Bühne S. 103, Anm. 5), der
die Annahme des Scholiasten ebenfalls nicht bezweifelt, bemerkt,
aus den Worten des Dichters selbst gehe hervor, daß sich Trygäos
auf der Scene befand, wenn schon es allerdings nicht glaublich
sei, daß man das Bild der Göttin auch während des Schauspiels
hin stehen ließ. Die letzten Worte können allerdings dazu bei-
tragen , anzunehmen , daß der Scholiast irrt , indem er annimmt,
der Ausdruck rr\v &s6v beziehe sich auf ein Bild der Athena.
In der That ist mit jenem Eirene gemeint, die einzige gegenwär-
tige weibliche Person, welche als „Göttin" bezeichnet werden
konnte, auch die einzige, welche im Olymp zurückbleibt, während
die beiden anderen, Opora und Theoria, mit Trygäos auf die Erde
hinabgehen. Die richtige Beziehung jenes Ausdrucks findet sich
schon bei einem Scholiasten zu Vs 725. Sie ist auch von A.
Schönborn „Skene der Hellenen" S. 338 fg. mit Recht gebilligt. Die
Meinung Fritzsche' s und Geppert's, daß das Bild der Athena auf
der gewöhnlichen Bühne gestanden habe, ist durchaus irrig. Die
Handlung auf dem Olymp geht ja nicht auf dieser vor sich , son-
dern auf einer Bühne in der Höhe über jener, nämlich dem Theo-
logeion. Dieses erkannte, wie ich hinterdrein sehe, schon G. Her-
mann in der Leipz. Litteratur-Ztg 1817, n. 59, S. 460. Das Theo-
logeion im Frieden ist das einzige uns in dem erhaltenen Dramen
überkommene Beispiel desselben. Man ersieht aus diesem Stücke
auch, daß es sich um eine feste, dem Logeion entsprechende Bühne
handelt, welche übrigens nur dann angebracht wurde, wenn die
Handlung auch auf dem Olymp vor sich ging. Daß auf dieser
Bühne nicht der Deus ex machina erschien (A. Müller S. 155 A. 3)
ist unzweifelhaft.
Scaenica.
207
Nach dem Obigen kann es scheinen, als beruhe die Athena
im Theater zu Athen bloß auf einer irrigen Erklärung des Aus-
drucks tijv &£Öv im Frieden Vs 725. Doch wagen wir das nicht
zu behaupten. Nur das steht uns sicher, daß, wenn im Bühnen-
gebäude des Dionysostheaters zu Athen sich ein Bild der Athena
befand, dieses an der steinernen Hinterwand (dem Proskenion) in
der Höhe angebracht war. So erhellt auch, wie jene irrige Er-
klärung der Worte des Aristophanes veranlaßt werden konnte.
Daß das Bild schon zur Zeit des Dichters vorhanden war, steht
aber keinesweges sicher.
m.
Platz der Handlung in Aeschylos' Persern und Platz
der Grabmäler in den erhaltenen Tragödien.
Man nimmt an, daß in den Persern die Handlung auf dem
Vorplatze des Königspalastes zu Susa vor sich gehe. Dieser
Palast kommt als früher dem Dareios und jetzt der Atossa zur
Wohnung dienend vor Vs 162 fg. Weckl., 33, 611, 835, 851 fg.
Er ist derselbe, in welchem auch der neue Großkönig Xerxes, der
bei dem Beginne des Drama noch abwesend ist, residirt. Daß es
sich aber in den Decorationen an der Hinterwand der Bühne um
diesen Palast nicht handelt, geht aus mehreren Gründen hervor.
Zuerst daraus, daß Atossa, als sie zum ersten Male auf der Bühne
erscheint, zu Wagen gekommen ist, vgl. Vs 610 fg. Freilich hat
man in der vorgefaßten Meinung, daß der Königspalast am Pro-
skenion dargestellt sei, das Wort dx^ccta auf einen Thronsessel
bezogen, auf welchen Atossa aus dem Palaste auf den Vorplatz
desselben getragen werde. Aber diese schon in sprachlicher Hin-
sicht nicht unbedenkliche Erklärung würde auch die Anerkennung
eines Verfahrens bedingen, von welchem sonst in keiner der uns
erhaltenen Tragödien ein auch annähernd entsprechendes Beispiel
vorkommt. Wenn Schönborn „Skena der Hell." S. 194 behau]
ein mit Rossen bespannter Wagen sei auf der antiken Bühne ni<lit
nachzuweisen, so ist das ein sehr großer Irrthum. L-li erinnere
nur, um bloß ein Beispiel aus Aeschylos beizubringen, an Aga-
memnon und Kassandra im Agamemon, wo der Wagen ohne Zwei-
fel auf der Bühne erscheint. Natürlich kommt nichts darauf an,
ob der Wagen mit Kossen oder mit Maulthieren bespannt ist,
208 Friedrich Wieseler,
welche letztere wie bei dem des Agamemnon nnd der Kassandra,
so auch bei den der Atossa vorauszusetzen sein werden *).
Wer, der die Stellen Vs 231 fg., 525 fg., 532 fg., 610 fg.,
834 fg., 851 fg., 1077, aufmerksam durchliest und mit einander
vergleicht, wird glauben, daß Atossa aus dem an der Hinterwand
der Bühne dargestellten Gebäude komme und in dasselbe zurück-
kehre, oder daß Xerxes von dem Chore in dieses Gebäude und
nicht in ein ferner liegendes geleitet werde ? Endlich betrachte
man besonders die Worte des Chorführers in Vs 143 fg. :
yAXX aye, IIsq6ccl,
röd* ivs^ö^isvoi titeyog ccq%ccIov,
(pQOvrida xsövrjv %a\ ßad'vßovXov
d'cbllEd'CC.
Wie können sich die Greise ohne Weiteres in den königlichen Pa-
last setzen , wenn sie auch von Xerxes gewählt waren %6Qag
itpoQEveiv (Vs 7) ? Es liegt klar zu Tage, daß das titiyog aQ%alov
das Rathhaus sein soll.
Wie paßt es aber dazu, daß vor diesem Hause auf dem Lo-
geion das Grabmal des Dareios sich befindet2)?
Grabmäler von Fürsten finden wir in den erhaltenen Tragö-
dien sonst noch in der Helena des Euripides und in Aeschylos'
Choephoren.
In der Helena handelt es sich um das des Proteus, welches
dicht vor seinem Palaste sich befindet, wo es von seinem Sohn
und Nachfolger Theoklymenos errichtet ist, der Vs 1165 fg. Nauck
selbst den Grund für diesen Platz angiebt:
G) %cctQe 7CatQog (ivfjfj ' &ii £%6öol6l yäg
S&tttytt, IlQG)T£V, tf £V£K S^g 7tQ06Q7]6£COg'
äsl 06 <£ £%1&V t£ kslölcjv dö{iovg
QeoxXviievog italg ode 7tQ06£W£7t£i, 7tdt£Q,
Was die Choephoren betrifft, so hat Schönborn Sk. d. Hell.
S. 224 angenommen , daß die erste Abtheilung dieses Dramas , in
welcher, und zwar gleich am Anfang Vs 4 fg., das Grabmal des
1) Daß der Wagen auf der Bühne erschien, ist jetzt allgemeine Annahme
der Kenner, vgl. A. Müller a.a.O. S. 134, wo aber der der Atossa gar nicht er-
wähnt wird.
2) Einige haben freilich gemeint, daß das Grabmal sich neben dem Palaste
an der Hinterwand der Bühne befinde, wie auch darüber verschiedene Meinungen
geäußert sind, ob das Grabmal als tempelähnliches Heroon dargestellt gewesen
sei oder als Tumulus. Ohne Zweifel ist an einen solchen zu denken, der frei-
stehend dargestellt war. Doch diese Fragen berühren unsere Hauptfrage nicht
und brauchen deshalb hier nicht weiter erörtert zu werden.
Scaenica.
209
Agamemnon als auf der Bühne gegenwärtig erscheint, nicht vor
dem Atridenpalaste spiele , sondern in einer öden Gegend. Erst
nach Vs 648 Weckl. komme in den veränderten Decorationen jener
Palast zum Vorschein. Das ist aber ohne Zweifel irrig. Ich will
nur darauf aufmerksam machen, daß Orestes in Vs 552 äußert,
Elektra solle <5%d%£iv söa, ein Ausdruck, welcher gewiß nicht zu
dem Aufenthalt in der öden Gegend paßt, sondern nur dann, wenn
Orestes und Elektra vor dem Atridenpalaste stehen, und daß in
Vs 581 fg. :
tä <T aXXa rovTfi) devg Eit07trev6at, Xsyco
%L(pr}(p6QOvg aycbvccg OQ&aöccvTi poi,
wo unter ovtog Apollo zu verstehen ist und zwar aller Wahr-
scheinlichkeit nach derselbe Agyieus vor dem Atridenpalaste, wel-
cher im Agamemnon von Kassandra angerufen wird, während
nicht abzusehen ist, wie Apollon in die „öde Gegend" neben dem
Grabmal versetzt werden konnte.
Aber wie paßt das Grabmal des Agamemnon vor den Palast,
in welchem jetzt Klytämnestra und Aegisthos wohnen? Das Mo-
tiv, jenes hier anzulegen kann, kein solches gewesen sein, wie wir
es oben in der Helena hinsichtlich des Theoklymenos gefunden
haben. Aber die Mörder des Agamemnon durften sich nicht wei-
gern, den Gemordeten auf dem Platze vor ihrem Wohnsitze zu
bestatten, wenn jener ein solcher war, der zum Ehrenbegräbnisse
des berühmten Anführers gegen Troja besonders geeignet war.
Nehmen wir an, daß der vordere Theil des Logeion und die Or-
chestra die Agora vorstellt, so paßt diese als Begräbnißplatz des
als Heros geltenden Agamemnon durchaus (Xenoph. Hell. VIT, 2
a. E.). Ob die Orchestra und der vordere Theil des Logeion
auch in der vor dem Atridenpalast spielenden Elektra die Agora
repräsentirte , läßt sich allerdings bezweifeln (Comment. de So-
phocl. in dem Ind. schol. in Academia Georgia Augusta per sem.
hib. MDCCCLXXXV — MDCCCLXXXVI hab., p. 5). Das Grab-
mal von der Form eines Tumulus (tv^ißov 'öx&og Vs 4) wird auf
der rechten Seite des Logeion nach der Seite der Fremde hin
etwas entfernt von dem Eingang in den Palast gestanden haben,
sodaß Orestes und Pylades sich leicht unbemerkt, nachdem sie
die aus der in der Mitte des Palastes befindlichen Thür nebst
dem Chor herauskommende Elektra gesehen haben (Vs 10 fg.), in
den von rechts auf die Bühne kommenden Eingang zurückziehen
können (nach Vs 20). Da Orestes gleich am Anfang den Hermes
Chthonios anredet und auch Elektra dasselbe thut (Vs 124), so
es wahrscheinlich, daß ein Bild dieses Gottes auf dem Tumulus
210 Friedrich Wieseler,
gestanden habe, wohl eine Herme, die nach Cicero de leg. II, 26,
65 auf Gräbern häufiger vorkam.
Entsprechend verhält es sich mit der Anbringung des Grab-
mals des Dareios auf dem Logeion in Aeschylos' Persern. Da
das öts'yoQ aQ%alov an der Mitte der Hinterwand der Bühne das
Eathhaus war, läßt es sich mit besonderem Scheine annehmen,
daß Logeion und Orchestra als Agora betrachtet wurden. Als auf
der Agora begraben gilt Dareios, der Heros der Perser, ganz
nach Griechischem Gebrauche , wie die Todten - und Unterwelts-
götter der Perser dieselben waren wie bei den Griechen (vgl. Vs
631 fg., 643 fg.). Sein Grabmal ist auch ein Tumulus , wie das
des Agamemnon in den Choephoren vgl. Pers. Vs 650. Es befand
sich aber gerade in der Mitte der Bühne, so daß es den Eingang
in das Eathhaus den Zuschauern zum Theil verdeckte. Diesen
Platz muß man ihm geben, damit Dareios, welcher auf seiner Höhe
erscheint und von da aus längere Zeit spricht, so gehörig sichtbar
war, und man könnte es um so mehr, als die Thür des Rathhau-
ses überall ja nicht zum Gebrauch kommt. Dareios steigt aus
seinem Grabe empor und erscheint den Zuschauern vollständig
zuerst oben auf denselben. Das Grabmal brauchte hinten nicht
ausgeführt zu sein. Aus dem Räume unter dem Logeion führte
eine unsichtbare Treppe, die %aQ(bvioi TcU^iaxsg (Pollux IV, 132) den
oben abgeplatteten Tumulus herauf.
IV.
Ueber die verschiedene Beziehung und Bedeutung
des Logeion und der Orchestra, auch über die Deco-
ration des ersteren in den Fällen, daß die Handlung
in einem Heiligthum mit oder ohne Tempel dann vor
sich geht.
Diese Gegenstände sind noch nicht genügend, namentlich nicht
im Zusammenhange und übersichtlich behandelt.
Als erstes Beispiel betrachten wir das Apollinische Heiligthum
zu Delphi bei Aeschylos in den Eumeniden und bei Euripides im Ion.
Bei Aeschylos finden sich nur einige Andeutungen , die mit
größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit auf die Decorationen
bezogen werden können. Doch fehlt es nicht an einigen Stellen,
aus welchen die Beziehung und die Herstellung des Logeion
sowie der Umstand, daß die Orchestra hinsichtlich jener von dem
Logeion verschieden ist, ermittelt werden kann, wenn die betreffen-
den Stellen richtig gedeutet und zum Theil geändert sein werden.
Scaenica, 211
In seiner Rede zu den Erinyen von Vs 179 Weckl. an sagt
Apollon :
«|o, ksXsvg), tavde daiicctGov Ta%og
%G)Q£iT\ CC7CakA,K0666d'6 iictvuxav (IVfiaV,
und später:
und nachher noch;
keovtog avtQov aL^iatoQQÖcpov
olxslv roiavxag stxög, ov %Qrj0triQioig
iv rolöds 7tXri6ioi6i XQifieGd'aL pvöog.
Man hat aus den beiden ersten Stellen geschlossen, daß die Eri-
nyen sich im Tempel des Apollon befinden und sogar angenommen,
daß vor Vs 64 ein Ekkyklem stattgefunden habe (Schönborn a. a. 0.
S. 209 fg. , A. Müller a. a. 0. S. 145 , A. 7). Jenem Umstände
widerspricht aber die dritte Stelle durch den Ausdruck xQrjörrjQcotg
7tXrj0LOLöi. Oder wollte man etwa annehmen, daß hier der hin-
tere Theil des Tempels, das Adyton, in welchem die Orakel er-
theilt wurden, bezeichnet werden solle? Uns ist diese Annahme
der Unterscheidung zwischen dem Tempel und dem Adyton schon
deshalb unwahrscheinlich, weil in Beziehung auf xQV0TV9lcc dieselbe
Hinweisung mit tdös statthat, als hinsichtlich der daparcc und
do^ioc, das Adyton aber nicht zum Vorschein kam, sondern nur die
Fronte des Tempels. Das Wort %lt\0ioi0i ist ohne Zweifel ver-
derbt. Auch das Wort da^iata müßte verderbt sein , wenn es
nichts Anderes als den Tempel bezeichnen könnte. Die Erinyen
befinden sich ohne Zweifel auf dem Platze vor diesem und mit
ihnen Apollon, Orestes und Hermes. An ein Ekkyklem ist gar
nicht zu denken. Warum sollte aber ein eingefriedigter Platz
vor dem Tempel, mit einem Altar und einem Bilde versehen, nicht
d&iicc, döjiog genannt werden können?
In der Andromache des Euripides findet man jene unter freiem
Himmel vor dem Thetideion an dem Altar der Göttin sitzen. Sie
wird Vs 129 fg., Nauck, aufgefordert ihren Platz zu verlassen:
Aeiite ös^riXov
döpov tag itovtCag fteov.
Daß der Vorplatz des Tempels zu Delphi , & Qotfiov frvpeXct vab
vccotg (Eur. Ion Vs 114 fg.) , auf welchem der große Opferaltar
stand und der nicht Jedem ohne Weiteres zugänglich war, eine
Umfriedigung hatte , erhellt aus Euripides' Ion , Vs 1320 fg. , wo
die Pythia zu Ion sagt:
212 Friedrich Wieseler,
i7ti<S%ss, & 7tal' TQi7to$a yaQ %qyi6tijqiov
Iltcovök &QiyKOv tovd'' iiTtSQßaXXGi itödcc. *)
Diese Umfriedigung bezieht sich auf die Heiligkeit des Platzes,
wie denn auch die Grabstätte der Semele in den Bakchen einge-
hegt war , vgl. Eur. Bacch. Vs 10 fg. In Betreff der Heiligkeit
des Vorplatzes des Delphischen Tempels, welcher im Ion Vs 124
als dccjtedov &eov bezeichnet wird, in Vs 104 als sl'öodou <J>oißov,
in Vs 220 fg. als yvciXcav2) ßcdög, und Vs 79 als 7tvXco^iatcc (denn
hier ist für tiqo vccov gewiß nicht zu schreiben 7tQovdov, obgleich
der Delphische Tempel einen ngövccog hatte, da Ion Vs 124 selbst
sagt, daß er dem Phöbos 7tQo döfiav diene) , vgl. man Vs. 220 fg.
und 226 fg. Natürlich hatte der &Qiyxog vorn nach der Orchestra
und hinten nach dem Tempel zu je eine Thür , die geschlossen
und geöffnet werden konnte.
Kehren wir jetzt zu den oben angeführten Stellen der Eume-
niden zurück, so läßt sich mit Wahrscheinlichkeit eine Verbesse-
rung des verderbten tcX^ölolöl in Vs 195 geben , welche zeigen
kann , daß auch bei Aeschylos jene Umfriedigung erwähnt war
Pauw wollte tiIovöiolöi schreiben , Meineke im Philologus XIX,
S. 400 TtavÖLOiöi, Wecklein A^nrottft, von welchen Conjecturen ohne
Zweifel keine das Richtige trifft. Ich glaube , daß zu lesen sei
1) Mit dieser Stelle ist zusammenzuhalten die Vs 156 fg.:
olvSgo firj xQty'rttzw Sptynoig
jur/d' eis xpvätfpMS ol'xovg.
Es liegt ja deutlich zu Tage, daß die Spiynoi von den oinoi, dem Tempel, ge-
schieden werden, jene sich nicht an diesem befanden. — Sollte nicht auch der
avXd im Corp. inscr. Graec. n. 1688, Z. 35 (T. I, p. 807) hieher gehören?
2) Der Ausdruck yvaXa findet sich in Beziehung auf das Apollinische Hei-
ligthum zu Delphi häufiger, vgl. Eur. Ian Vs 76 (ßa.<pvGo8?i yvaXa tdSs) , 235
{yvaXa tdSs) , 245 (y. Seov), Phoen. 237 (ßEöö/xcpaXa y. $oißov) , Androm.
1092 fg. (ßiaöreixsi Seov %Pv(^ov yijuorta y., Srjdavpovg ßpor&v). Er ist
immer zur Bezeichnung des heiligen Peribolos zu Delphi gebraucht , und daher
erklärt sich auch der zweite Theil der Bemerkung bei Hesychios: TvaXov
xoiXov, äXXoi 7t spiß oXov. Dieselbe Beziehung hat er in den das Trojanische
Heiligthum betreffenden Worten in Aristophanes' Thesm. 109 fg.
$dißov, Bg iSpvdaro x&pas
yvaXa ZSi/iowriSi ya.
Wenn Fritzsche (in d. Thesm. a. a. 0.) zu den auf Delphi bezüglichen Stellen stets
das Adyton verstanden wissen wollte, so ist das ein grosser Irrthum. Bei Ari-
stophanes ist allerdings wohl der auf der Burg zu Troja verehrte (Homer. II. V,
446 , VII , 83) Apollo , auf welchen der Mauerbau zu beziehen ist , zu verstehen,
aber der Ausdruck yvaXa nicht auf die Mauer zu beziehen, sondern auf den
mit Höhlen versehenen Berg, auf welchem die Burg lag.
Scaenica.
213
xXi6toi6i oder xXeiöio iGi. Dieses Wort wird bei Pausanias
IV, 1, 5 von einem verschließbaren Ort, örjxög, saeptum gebraucht.
In den Eumeniden ist unter xXfaicc der besonders heilige Platz, wo
die &v{isXri war, zu verstehen *).
An die Eumeniden und den Ion schließen wir zuerst die Schutz-
flehenden des Euripides.
Auch hier finden wir an der Hinterwand der Bühne in der
Mitte ein Tempelgebäude dargestellt , den Tempel der Demeter
und der Persephone (vaovg Vs 2).
Von diesem ist verschieden der 6r\x6g , von welchem Aethra
in Vs 28 fg. spricht:
xvy%avGi d' v%\q ypovbg
ccqotov TtQod'vovd' ix öö^cdv eX&ovcf £{iav
rtQog rovde öqxöv, ev&cc jcq&tcc cpaCveTui, 2)
tpQi^ag V7VSQ yrjg tfjgds xccQ7tL^iog Gtdyvg.
ds6[ibv Ö3 adsöpov tovff k'%ov6cc cpvXXdöog
[isvG) 7tgbg ayvalg £<5%KQaig dvolv fi-salv
KÖQqg rs xal 4rj[ir}TQog s).
Die mit einem Zugange versehene Umfriedigung , der Grjxög , ist
derselbe Platz , welchen der Chor Vs 64 nennt de&itvQovg &eav
&v[isXag, und Vs 271 als fega ddnsda IleQClscpoveiccg bezeichnet.
Nun erwähnen wir noch drei Tragödien , in denen das Vor-
handensein eines Tempels an der Hinterwand der Bühne nicht
statthat oder wenigstens nicht nachweisbar ist, aber es sich doch
um ein Heiligthum handelt.
In den Schutzflehenden des Aeschylos geht die Handlung vor
sich an der Küste des Argivischen Landes , und zwar , wie wir
aus Vs 32 erfahren , einer %6Q0og aöcodrig. Vermuthlich ist der
Platz jenes %(oqCov 'Andfiaftpoi, welches der Sage nach als die Stätte
1) An diesem wurden, nach Euripides zu urtheilen, auch Orakel gegeben.
Vgl. Ion Vs 226 fg. :
ei HEV iSvdate itkXavov npb 86fioov
Hai zi itvSedSai xpy&*£ $olßov,
itdpix aig Sv/xiXag,
und Vs 413 fg. :
&OV. dXXk ris 7[pog>rfTsvei $sov\
IHN. f/jiieig td y 8£cof tgov 8' idoo äXXotg ßiiXtt.
Diese Bemerkung kann auch zur genaueren Deutung des Adj. xPVteypiois dienen.
2) Sollte nicht zu schreiben sein: npwx' i<palraxo?
3) Mit den letzten Worten ist zu vergleichen, daß Aethra von Theseus Vi 290
bezeichnet wird. als 6Efivdi6i Jrjovg iöxdpais nap^hrj.
214 Friedrich Wieseler,
galt, an der Danaos gelandet war (Pausan. II, 38, 4). Mitten an
der Hinterwand der Bühne erblickt man einen Hügel {nuyog Vs. 195)
der als Altar (ßco^iög, Vs 196, 377) der äymvioc &so£ (Vs 248, 335,
359) dient, deren Bilder, gewiß Rundwerke aus Holz (ßgersa,
Vs 436, 472) an dem Altar, etwa auf den Stufen desselben aufge-
stellt waren. Der Altar hatte eine nicht unbeträchtliche Höhe,
da er Vs 721 als ixstaSöxog öxoiti/j bezeichnet wird. Die Bilder
waren mit den Attributen der Götter versehen, Zeus mit dem Adler
(Vs 218), wie man, schwerlich mit Recht, annimmt *), Poseidon mit
der Triaina (Vs 224) 2) , Hermes vermuthlich mit dem Kerykeion
(Vs 226 fg.). Wenn E. Curtius Att. Studien I, S. 39 fg. aus dem
Ausdruck edgäv 7CoXv^£cov (Vs 429 fg.) schließt, daß eine Anzahl an-
derer Altäre dargestellt sei, so irrt er sicherlich.
Der Altar, der im Hintergrunde der Bühne in der Mitte an-
gebracht gewesen sein wird, lag sv äyva (Vs 229). Die Orchestra
wird als Isvq6v und zwar ßsßrjAov altiog, d. i. „eine flache, Jedem
zugängliche, ungeweihte Gegend bezeichnet Vs 517 fg. An einen
Hain mit Bäumen, wie Schönborn wollte, der nicht erkannte, daß
es sich um die Orchestra handelt, ist natürlich nicht zu denken.
Ob der Raum auf dem Logeion, wo der große Altar stand, eingehegt
war, wird nicht angedeutet. Doch ist es durchaus wahrscheinlich.
In Aeschylos' Sieben gegen Theben geht die Handlung auf
der Akropolis vor sich, vgl. den Chor Vs 226 fg. Weckl.
tdvdi iv axQÖTttofov,
tL{iiov edog, fa6[iccv.
Gewöhnlich nimmt man an, daß an der Hinterwand der Bühne
der königliche Palast dargestellt war. Allerdings erfahren wir
durch Pausanias IX, 12, 3, daß der Palast des Kadmos sich auf
der Akropolis befand an der Stelle der späteren Agora und neben
ihm der Thalamos der Semele , welche beiden Baulichkeiten in
Euripides' Bakchen dargestellt waren. Aber in den Sieben findet
sich keine Spur von dem Königspalaste an der Hinterwand der
1) Vgl. Vs 218 fg.:
dA. nai Zrjvbg Spviv tövSe vvv ntukrjöHete.
XO. HaXovfiev avyocg fjXiov dGotrjpiovg,
dcyvov x 'ArtoWoo, <pvydd' art3 ovpavov Seov.
Dass im ersten Vers ein Fehler steckt, ist klar. Zeus ist schon in Vs 215 vom
Chore angerufen. Was soll da noch die Anrufung des ihm heiligen Vogels ? Fer-
ner , wie können die avyal fjhiov als der Vogel des Zeus betrachtet werden ?
Ohne Zweifel war geschrieben: Iviv.
2) Die tpiaivai , welche in Vs 763 erwähnt werden , gehören nicht hieher,
da das betreffende Wort ohne Zweifel verderbt ist.
Scaenica. 215
Bühne. Hier werden dagegen als vor Augen befindlich erwähnt
die aQxala ßQ8trj itoXiööovxav fteav Vs 165, 195 fg., 93, (vgl. auch
Vs 205 fg.: ftecbv ade itavayvQig) , von welchen in keiner der Tra-
gödien , in denen die Handlung auf dem Vorplatz des Thebani-
schen Königspalastes vor sich geht, die Rede ist. Ob man anneh-
men darf, daß diese Bilder auf der Agora aufgestellt waren, steht
dahin, ist jedoch nicht unwahrscheinlich. Der Chor befand sich
auf der Bühne innerhalb derselben. Eteokles weist ihn 251 fg.
in die Orchestra hinab :
ixtbg ovo' aycd{iccTG)v
ev%ov xä xqslöGg) %v{i{Ld%ovg elvai ftsovg.
Die Bilder waren also entweder auf dem vorderen Rande des
Logeion in einer Reihe aufgestellt, oder auf dem Logeion weiter
nach hinten in einem Kreise. Dieses ist gewiß das Wahrschein-
lichere, da die Zuschauer sonst sämmtliche Bilder von hinten
zu G-esicht bekommen haben würden. Das Logeion galt ohne
Zweifel als heilige Stätte. Daß das in Betreff der Orchestra nicht
der Fall war , wird nicht ausdrücklich angedeutet , ist jedoch mit
Sicherheit anzunehmen.
Im Oedipus auf Kolonos des Sophokles ist nach der Seite der
Fremde hin der Eumenidenhain an der Hinterwand der Bühne
durch Malerei dargestellt. In das Innere des Hains, in welches
sich Oedipus begiebt (Vs 113 fg.) , gelangte derselbe durch eine
Oeffnung etwa in der Mitte der Hinterwand, hinter welcher man
gemalte Bäume erblickte , so daß man eine Art von Allee vor
sich zu haben glauben konnte. Das Eumenidenheiligthum nahm
auch einen Platz auf dem Logeion ein, der durch Steine bezeichnet
war. Vgl. darüber meine Comment. de Sophocl. in dem Index
lect. der G.-A. Univ. zum Wintersem. 1875—1876, p. 15 fg.
Der vorderste Theil des Logeion enthält einen betretbaren Weg.
Auch die Orchestra ist für Jeden zugänglich.
Nachtrag zu S. 214, Anm. 1.
Auf die Conjectur Ivtv ist, wie ich hinterdrein aus Wecklein's Ausg. von Aesch.
fab. Vol. II, p. 103 sehe, schon Kiehl verfallen.
A U U V u » , <
216 Preisangaben der K. Gesellschaft.
Preisaufgaben der K. Gesellschaft der Wissenschaften.
Für das Jahr 1890 lautet die Aufgabe der Physikalischen
Klasse:
Es ist allgemein bekannt und anerkannt, daß dichte oder kry-
stallinische Kalke, zumal des Mittel-Devon, allerlei Umwandlungen
erlitten haben , sei es durch Veränderung ihrer Structur , sei es
durch Stoffaustausch u. s. w. Die mechanischen und chemischen
Vorgänge, welche hierbei mitwirken, sind jedoch durchaus nicht ge-
nügend bekannt. Es wird daher gewünscht, daß diese Umwand-
lungen mit Hülfe chemischer und mikroskopischer Untersuchungen
verfolgt und erklärt werden möchten.
Die Aufgabe für 1891 lautet nach dem Vorschlag der Ma-
thematischen Klasse:
Die Aufgabe der conformen Abbildung eines ebenen Dereiches
auf ein Stück einer krummen Fläche, deren Krümmungsmaß überall
den constanten Werth k besitzt, hängt zusammen mit der Aufgabe
die partielle Differentialgleichung
&u
dx2 ' dy*
vorgeschriebenen Grenz- und Unstetigkeitsbedingungen gemäß zu
integriren.
Für diese Aufgabe kommen zunächst die von Riemann in sei-
ner Theorie der Abelschen Functionen angegebenen Grenz- und
Unstetigkeitsbedingungen in Detracht.
Die Königliche Gesellschaft wünscht die Frage, ob es möglich ist,
die angegebene partielle Differentialgleichung für einen gegebenen
Dereich unter vorgeschriebenen Grenz- und Unstetigkeitsbedingungen
der angegebenen Art zu integriren, vorausgesetzt, daß der Kon-
stanten k negative Werthe beigelegt werden, vollständig beanU
wortet zu sehen.
Insbesondere wünscht die Königliche Gesellschaft den Fall
der angeführten Aufgabe behandelt zu sehen, in welchem der be-
trachtete ebene Dereich eine geschlossene mehrfach zusammen-
hängende Riemann sehe Fläche ist, während die Function u keine
anderen als logarithmische Unstetigkeiten annehmen soll.
Die Aufgabe der Historisch-Philologischen Klasse
für 1892 ist folgende:
Für die älteste Geschichte Attikas ist es von außerordentlicher
Dedeutung , zu wissen, an welchen Orten sich Heiligthümer der
verschiedenen Götter und Heroen fanden, sowol in Athen selbst,
als in der gesammten Landschaft, soweit es nach dem jetzigen
Pf eisaufgaben der K. Gesellschaft. 217
Stande der topographischen, epigraphischen, genealogischen For-
schungen möglich ist. Die Historisch-philologische Klasse stellt da-
her für 1892 die Aufgabe, daß eine sorgfältige lieber sieht der
Kultstätten in Attiha nach den Oertlichlteiten , an denen sie sich
fanden, gegeben und, was sich daraus für die älteste Geschichte
Attihas folgern lasse, gegeben werde.
Die zur Bewerbung um einen der Preise bestimmten Arbeiten
müssen, mit einem Spruch versehn, vor Ablauf des Septembers des
bestimmten Jahres an die Kön. Gesellschaft der Wissenschaften
portofrei eingesandt werden und von einem versiegelten Zettel
begleitet sein, welcher außen den Spruch trägt, der die Arbeit be-
zeichnet, und innen Namen und Wohnort des Verfassers angiebt.
Der Preis für jede Aufgabe beträgt 500 Mk.
Preisaufgaben
der
Wedekindschen Preisstiftung
für Deutsche Geschichte.
Wiederholt aus Nr. 4 der Nachrichten vom Jahr 1887 S. 69 ff.
Der Verwaltungsrath der Wedekindschen Preisstiftung für
Deutsche Geschichte macht hierdurch die Aufgaben bekannt, welche
von ihm für den fünften Verwaltungszeitraum, vom 14. März 1886
bis zum 14. März 1896, nach den Ordnungen der Stiftung (§ 20)
gestellt werden.
Für den ersten Preis
wiederholt der Verwaltungsrath die für den vorigen Verwaltungs-
zeitraum gestellte Aufgabe: er verlangt eine allen Anforderungen
der Wissenschaft entsprechende Ausgabe der von dem Mainzer
Eberhard Windeck verfaßten Denkwürdigkeiten über Leben und
Zeit Kaiser Sigismunds.
Es gilt den völlig werthlosen und unbrauchbaren Abdruck bei
Mencken durch eine nach Seite der Sprache wie des Inhalts gleich
tüchtige Ausgabe zu ersetzen.
Nach den älteren Vorarbeiten von Du mg 6, Mone, Asch-
bach, Droysen hat neuerdings v. Hagen in der Einleitung zu
seiner Uebersetzung (Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit,
Lief. 79. Leipzig 1886) über das Verhältniß von dreien der wich-
tigsten Handschriften (Gotha, Cheltenham, Hannover) zu einander
gehandelt und danach zwei von dem Verfasser selbst herrührende
Bedactionen unterschieden, auch die Annahme abgewiesen, daß die
218 Preisaufgaben der Wedekindschen Preisstiftung
Handschrift zu Cheltenham ein Original sei. Für den Bearbeiter
ist die Heranziehung der anderen bekannten und von v. Hagen
S. YII , Anm. 2 aufgeführten Hdsch. schon deßhalb erforderlich,
um die Richtigkeit der Aufstellung v. H a g e n ' s zu prüfen und fest-
zustellen, ob etwa noch mehr als zwei Ausgaben des Werkes vorliegen.
Von den drei im Archiv III, 429 verzeichneten Vaticanischen
Hdsch. wird der Ver waltun gsrath demnächst Beschreibungen an-
fertigen lassen, welche ihre Classificirung ermöglichen. Diese Be-
schreibungen sollen dem Bearbeiter durch Vermittelung der Ver-
waltung der Kgl. Universitätsbibliothek zur Verfügung stehen.
Von der Heranziehung dieser drei Hdsch. zur Textconstitution
glaubt der Verwaltungsrath im übrigen den Bearbeiter befreien
zu sollen1).
Bei der Bearbeitung des Textes wird es vor allem darauf an-
kommen , daß die von dem Verfasser herrührenden Unterschiede
der verschiedenen Redactionen klar und übersichtlich zur Erschei-
nung kommen, davon auch äußerlich dasjenige geschieden und ge-
kennzeichnet werde, was etwa fremder Ueberarbeitung seinen Ur-
sprung verdankt. Die originalen Rubriken und Capitelüberschriften
sind in die Ausgabe aufzunehmen.
Die Urkunden und Aktenstücke aller Art, welche dem Werke
zahlreich eingefügt sind, erfordern genaue Untersuchung in Bezug
auf Herkunft , Wiedergabe und anderweitige Benutzung. Sind
von denselben abweichende Texte oder die Originale bekannt, so
ist darauf in den Anmerkungen hinzuweisen, geeigneten Falls der
abweichende Text zum Abdruck in der Anmerkung zu bringen.
Desgleichen ist wenigstens annäherungsweise der Versuch zu machen
für die rein erzählenden Theile Ursprung oder Quelle beizubringen,
namentlich in Bezug auf An- und Abwesenheit des Verfassers.
Es darf dem Text an Erläuterung in sprachlicher und sachlicher
Hinsicht nicht fehlen.
Die Einleitung soll sowohl die bei der Untersuchung und
Herstellung des Textes befolgte Methode klarlegen, als auch eine
eingehende Erörterung über die Lebensschicksale des Verfassers,
die Beziehungen zu seiner Vaterstadt , seine Reisen , sein Ver-
hältniß zum Kaiser und anderen namhaften Zeitgenossen , seine
übrigen Werke in Prosa und Dichtung geben.
Die sprachliche Behandlung des Textes hat sich, falls nicht
etwa eine Originalhandschrilt auftauchen sollte , nach den von
Weizsäcker im I. Bande der Reichstagsakten für die Vereinfachung
1) Vgl. den Bericht über diese Hss. in den Nachrichten 1888 S. 11 ff.
für Deutsche Geschichte. 219
der Schreibung spätmittelalterlicher deutscher Texte aufgestellten
Grundsätzen zu richten.
Der Ausgabe ist ein Wortverzeichniß, entsprechend demjenigen des
1. Bandes der Mainzer Chroniken (Städtechroniken Bd. XVII), sowie
ein ungetrenntes Verzeichnis der Personen- und Ortsnamen beizufügen.
Von der Cheltenhamer Handschrift befindet sich eine genaue
Abschrift auf der Kgl. Universitätsbibliothek, welche bereitwilligst
von der Bibliotheksverwaltung zur Benutzung ausgeliehen wird.
Für den zweiten Preis
schreibt der Verwaltungsrath
eine Geschichte des Herzogthums Schwaben vom Beginn
des 10. bis in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts
aus.
Nach einem einleitenden Rückblicke auf die karolingische Zeit
ist der Schwerpunkt der Arbeit in die Verfassungsgeschichte des
bezeichneten Zeitraums zu legen , da die politische Geschichte
Schwabens zur Genüge behandelt worden ist. Das schwäbische
Herzogthum ist in seiner Entwicklung bis zur Auflösung zu ver-
folgen , sein Verhältnis zu der königlichen Gewalt einerseits wie
zu den Bisthümern , Grafschaften , Herrschaften und Städten an-
dererseits darzulegen. Nach der gründlichen und erschöpfenden
Untersuchung des Einzelnen erwartet der Verwaltungsrath eine
zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse der Untersuchung.
Neben den Nachrichten der Geschichtsschreiber hat der Bearbeiter
dem reichen Urkundenmaterial eingehendste Aufmerksamkeit zu
widmen und es nach allen Richtungen für den bezeichneten Zweck
auszubeuten. Als Beilage der Arbeit wünscht der Verwaltungs-
rath Regesten der Urkunden, an welchen die Herzöge von Schwaben
in irgend einer Eigenschaft betheiligt sind oder in welchen sie
Erwähnung finden.
In Beziehung auf die Bewerbung um diese Preise , die Er-
theilung des dritten Preises und die Rechte der Preisgewinnenden
wird aus den Ordnungen der Stiftung Folgendes wiederholt:
1. Ueber die zwei ersten Preise. Die Arbeiten können in
deutscher oder lateinischer Sprache abgefaßt sein.
Jeder dieser Preise beträgt 1000 Thaler in Gold (3300 Reichs-
mark) und muß jedesmal ganz, oder kann gar nicht zuerkannt werden.
2. Ueber den dritten Preis. Für den dritten Preis wird
keine bestimmte Aufgabe ausgeschrieben , sondern die Wahl des
Stoffes bleibt den Bewerbern nach Maßgabe der folgenden Bestim-
mungen überlassen.
Nachrichten von dor K. O. d. W. zu Göttingen. 1890. No. 5. 18
220 Preisaufgaben der Wedekindschen Preisstiftung
Vorzugsweise verlangt der Stifter für denselben ein deutsch
geschriebenes Geschichtsbuch, für welches sorgfältige und geprüfte
Zusammenstellung der Thatsachen zur ersten, und Kunst der Dar-
stellung zur zweiten Hauptbedingung gemacht wird. Es ist aber
damit nicht bloß eine gut geschriebene historische Abhandlung,
sondern ein umfassendes historisches Werk gemeint. Speciallandes-
geschichten sind nicht ausgeschlossen , doch werden vorzugsweise
nur diejenigen der größten (15) deutschen Staaten berücksichtigt.
Zur Erlangung des Preises sind die zu diesem Zwecke hand-
schriftlich eingeschickten Arbeiten und die von dem Einsendungs-
tage des vorigen Verwaltungszeitraums bis zu demselben Tage des
laufenden Zeitraums (dem 14. März des neunten Jahres) gedruckt
erschienenen Werke dieser Art gleichmäßig berechtigt. Dabei
findet indessen der Unterschied statt, daß die ersteren, sofern sie
in das Eigenthum der Stiftung übergehen , den vollen Preis von
1000 Thalern in Gold, die bereits gedruckten aber, welche Eigen-
thum des Verfassers bleiben, oder über welche als sein Eigenthum
er bereits verfügt hat , die Hälfte des Preises mit 500 Thalern
Gold empfangen.
Wenn keine preiswürdigen Schriften der bezeichneten Art vor-
handen sind, so darf der dritte Preis angewendet werden, um die
Verfasser solcher Schriften zu belohnen, welche durch Entdeckung
und zweckmäßige Bearbeitung unbekannter oder unbenutzter hi-
storischer Quellen, Denkmäler und Urkundensammlungen sich um
die deutsche Geschichte verdient gemacht haben. Solchen Schriften
darf aber nur die Hälfte des Preises zuerkannt werden.
Es steht Jedem frei, für diesen zweiten Fall Werke der be-
zeichneten Art auch handschriftlich einzusenden. Mit denselben
sind aber ebenfalls alle gleichartigen Werke, welche vor dem Ein-
sendungstage des laufenden Zeitraums gedruckt erschienen sind,
für diesen Preis gleich berechtigt. Wird ein handschriftliches
Werk gekrönt, so erhält dasselbe einen Preis von 500 Thalern in
Gold; gedruckt erschienenen Schriften können nach dem Grade
ihrer Bedeutung Preise von 250 Thlr. oder 500 Thlr. Gold zuer-
kannt werden.
Aus dem Vorstehenden ergiebt sich von selbst, daß der dritte
Preis auch Mehreren zugleich zu Theil werden kann.
3. Rechte der Erben der gekrönten Schriftsteller. Sämmt-
liche Preise fallen , wenn die Verfasser der Preisschriften bereits
gestorben sein sollten , deren Erben zu. Der dritte Preis kann
auch gedruckten Schriften zuerkannt werden , deren Verfasser
schon gestorben sind, und fällt alsdann den Erben derselben zu.
für Deutsche Geschichte. 221
4. Form der Preisschriften und ihrer Einsendung. Bei
den handschriftlichen Werken, welche sich um die beiden ersten
Preise bewerben, müssen alle äußeren Zeichen vermieden werden,
an welchen die Verfasser erkannt werden können. Wird ein Ver-
fasser durch eigene Schuld erkannt, so ist seine Schrift zur Preis-
bewerbung nicht mehr zulässig. Daher wird ein jeder, der nicht
gewiß sein kann , daß seine Handschrift den Preisrichtern unbe-
kannt ist, wohlthun, sein Werk von fremder Hand abschreiben zu
lassen. Jede Schrift ist mit einem Sinnspruche zu versehen , und
es ist derselben ein versiegelter Zettel beizulegen , auf dessen
Außenseite derselbe Sinnspruch sich findet , während inwendig
Name. Stand und Wohnort des Verfassers angegeben sind.
Die handschriftlichen Werke, welche sich um den dritten
Preis bewerben, können mit dem Namen des Verfassers ver-
sehen, oder ohne denselben eingesandt werden.
Alle diese Schriften müssen im Laufe des neunten Jahres, vor
dem 14. März 1895 , dem Direktor zugesendet sein , welcher auf
Verlangen an die Vermittler der Uebersendung Empfangsbeschei-
nigungen auszustellen hat.
5. lieber Zulässigkeit zur Preisbewegung. Die Mitglieder
der Königlichen Societät, welche nicht zum Preisgerichte gehören,
dürfen sich wie jeder Andere um alle Preise bewerben. Dagegen
leisten die Mitglieder des Preisgerichts auf jede Preisbewerbung
Verzicht.
6. Verkündigung der Preise. An dem 14. März, mit welchem
der neue Verwaltungszeitraum beginnt, werden in einer Sitzung
der Societät die Berichte über die Preisarbeiten vorgetragen , die
Zettel , welche zu den gekrönten Schriften gehören , eröffnet , und
die Namen der Sieger verkündet, die übrigen Zettel aber verbrannt.
Jene Berichte werden in den Nachrichten über die Königliche So-
cietät , dem Beiblatte der Göttingischen gelehrten Anzeigen , ab-
gedruckt. Die Verfasser der gekrönten Schriften oder deren Erben
werden noch besonders durch den Direktor von den ihnen zugefalle-
nen Preisen benachrichtigt, und können dieselben bei dem letzteren
gegen Quittung sogleich in Empfang nehmen.
7. Zurückfordcrung der nicht gekrönten Schriften. Die
Verfasser der nicht gekrönten Schriften können dieselben unter
Angabe ihres Sinnspruches und Einsendung des etwa erhaltenen
Empfangsscheines innerhalb eines halben Jahres zurückfordern
oder zurückfordern lassen. Sofern sich innerhalb dieses halben
Jahres kein Anstand ergiebt , werden dieselben am 14. October
von dem Direktor den zur Empfangnahme bezeichneten Personen
222 Preisaufgaben der Wedekindschen Preisstiftuug für Deutsche Geschichte.
portofrei zugesendet. Nach Ablauf dieser Frist ist das Recht zur
Zurückforderung erloschen.
8. Druck der Preisschriften. Die handschriftlichen Werke,
welche den Preis erhalten haben , gehen in das Eigenthum der
Stiftung für diejenige Zeit über , in welcher dasselbe den Ver-
fassern und deren Erben gesetzlich zustehen würde. Der Ver-
waltuugsrath wird dieselben einem Verleger gegen einen Ehrensold
überlassen oder , wenn sich ein solcher nicht findet , auf Kosten
der Stiftung drucken lassen, und in diesem letzteren Falle den
Vertrieb einer zuverlässigen und thätigen Buchhandlung über-
tragen. Die Aufsicht über Verlag und Verkauf führt der Director.
Der Ertrag der ersten Auflage , welche ausschließlich der
Freiexemplare höchstens 1000 Exemplare stark sein darf, fällt dem
verfügbaren Capitale zu , da der Verfasser den erhaltenen Preis
als sein Honorar zu betrachten hat. Wenn indessen jener Ertrag
ungewöhnlich groß ist , d. h. wenn derselbe die Druckkosten um
das Doppelte übersteigt , so wird die Königliche Societät auf den
Vortrag des Verwaltungsrathes erwägen, ob dem Verfasser nicht
eine außerordentliche Vergeltung zuzubilligen sei.
Findet die Königliche Societät fernere Auflagen erforderlich,
so wird sie den Verfasser oder , falls derselbe nicht mehr leben
sollte , einen andern dazu geeigneten Gelehrten zur Bearbeitung
derselben veranlassen. Der reine Ertrag der neuen Auflagen soll
alsdann zu außerordentlichen Bewilligungen für den Verfasser, oder,
falls derselbe verstorben ist , für dessen Erben , und den neuen
Bearbeiter nach einem von der Königlichen Societät festzustellen-
den Verhältnisse bestimmt werden.
9. Bemerkung auf dem Titel derselben. Jede von der
Stiftung gekrönte und herausgegebene Schrift wird auf dem Titel
die Bemerkung haben:
Von der Königlichen Societät der Wissenschaften in
Göttingen mit einem Wedekindschen Preise gekrönt und
herausgegeben.
10. Freiexemplare. Von den Preisschriften, welche die Stif-
tung herausgiebt, erhalten die Verfasser je zehn Freiexemplare.
Göttingen, den 14. März 1887.
Der Verwaltung srath der Wedekindschen Preisstiftung.
Inhalt von No. 5.
Paul de Lagarde, Exodus In. — W. Voigt, über den Zusammenklang zweier einfacher Töne. — Cl. Hart-
laub, Beitrag zur Kenntniss der Comatuliden-Fauna des Indischen Archipels. — Eduard Rieche, über die
Pyroelectricität des Turmalins. — Friedrich Wieseler, Scaenica. — Preisaufgaben der K. Gesellschaft.
— Preisaufgaben der Wedekindschen Preisstiftung für Deutsche Geschichte.
Für die Redaction verantwortlich: H. Sauppe, Secretär d. K. Ges. d. Wies.
Commissions-Verlag der Dieterich' sehen Verlags- Buchhandlung.
Druck der THeterich'nch«n Vniv.-Buchdruckerei ( W. Fr. Kaestnei).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
25. Juni. M 6. 1890.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 7. Juni 1890.
Riecke: Beiträge zu der von Gibbs entworfenen Theorie der Zustands-
änderungen eines aus einer Mehrzahl von Phasen bestehenden Systems.
Klein legt vor:
a) Franc. Brioschi in Mailand, ausw. Mitglied der mathem. Klasse :
Ueber die Reihenentwickelung der Sigmafunctionen zweier Veränder-
lichen.
b) Dr. Schoenfliess: Ueber das gegenseitige Verhältniß der Theo-
rieen über die Structur der Krystalle.
de Lagarde: Septuagintastudien. I. (Für die Abhandlungen.)
Kiel hörn: Die Mandasor-Inschrift vom Mälava Jahre 529 (= 472 n. Chr.)
und Kälidäsa's Ritusamhra.
Beiträge zu der von Gibbs entworfenen Theorie
derZustandsänderungen eines aus einer Mehr-
zahl von Phasen bestehenden Systems.
Von
Eduard Blecke.
Die Untersuchungen, welche von den Herren van't Hoff und
Reicher, Roozeboom, Meyerhoffer und Stortenbeker
im Laufe der letzten Jahre veröffentlicht worden sind, haben auf
einem früher kaum betretenen Gebiete ein reiches Material von
experimentellen Thatsachen zu Tage gefördert. Dabei haben sich
die allgemeinen Sätze, welche von Willard G-ibbs über Gleich-
gewichtszustände eines aus einer Mehrzahl von Phasen bestehenden
Naclirichton von der K. G. d. W. zu Göttingen. 1890. No. 6. 19
224 Eduard Riecke,
Systemes aufgestellt worden sind, als ein wichtiger Leitfaden für
die Untersuchung und als ein werthvolles Hülfsmittel für die Dar-
stellung der beobachteten Erscheinungen erwiesen. Mit Bezug
hierauf dürften die folgenden Betrachtungen, welche, auf dem von
G i b b s gelegten Fundamente ruhend , eine weitere Ausführung
seiner Sätze besonders nach der geometrischen Seite enthalten,
nicht ohne Interesse sein. Des leichteren Verständnisses halber
mußten auch die Grundgleichungen der Gibbs'schen Theorie repro-
ducirt werden; dabei habe ich eine Darstellung befolgt, welche
von der von Gibbs selbst gegebenen in einigen Punkten abweicht.
I. Erinnerung an die Fundamentalgleichungen
von Gibb s.
Wir betrachten eine Substanz, welche aus mehreren chemischen
Componenten zusammengesetzt, welche aber in physikalischer wie
in chemischer Hinsicht in ihrer ganzen Ausdehnung homogen ist.
Wir bezeichnen durch e die Energie, durch yj die Entropie, durch
v das Volumen , durch mt , m2 , m3 . . . die Massen der einzelnen
chemischen Componenten ; dann wird eine Vergrößerung der Entropie,
des Volumens , der Massen ml , m2 . . . nach einem beliebigen Ver-
hältniß eine Vergrößerung von £ nach demselben Verhältniß zur
Folge haben , d. h. es wird £ eine homogene lineare Funktion von
rh v, mv m2 . . . sein, welche der Gleichung genügt
ös , ös , ös ,ös
öy] ' dv dmt l< dm2 2
Bezeichnen wir durch \it, [x2 . . . die partiellen Differential-
quotienten von s nach m1 , m2 . . . , so ist andererseits der Zuwachs
der Energie gegeben durch
1. dz = Täi\ — pdv + \Ltdmt -f \i2dm2 + . . .
Die Verbindung beider Gleichungen giebt :
£ = Tf] — pv + [x1m1 + [x2m2 + . . .
Und
2. 0 = r^dT — vdp + mxd^ + m2d^2 + . .
Ist entsprechend Gleichung 1 die Energie gegeben als Funk-
tion von 7] , v , mx , m2 . . . , so ist :
T ÖS Ö£ Ö£ Ö£
dti ' t dv ' ri " ' dml ' r2 ' ' dm, ' "
Beiträge zu der von Gibbs entworfenen Theorie der Zustandsänderungen etc. 225
Ist in Gleichung 2 p gegeben als Funktion von T, \iv jx2 . . . , so ist
7j dp ml dp m2 dp
Gleichungen von der Form /' (s , yj , v, m1, m2 . . .) = 0 und
von der Form f (p, T, \Lt, [*.,...) =0 können demnach benützt
werden, um die in der Gleichung selbst nicht auftretenden Zu-
standsgrößen, beziehungsweise ihre Verhältnisse, zu bestimmen.
Gibbs nennt sie Fundamentalgleichungen.
Führen wir an Stelle der gesammten Energie die freie Energie
£ — Tri e^n> welche durch <f bezeichnet werden möge, so ergiebt sich
dty = — ridT— pdv + \isldm1 + \L2dm2 -f . .
Es besitzt demnach auch eine Gleichung zwischen i]>, T, v, mv m2...
den Charakter einer Fundamentalgleichung.
Dasselbe gilt endlich von den Gleichungen, welche man erhält,
wenn man in der Gleichung 1 an Stelle von £ die Funktionen
% = e-\-pv oder C = £ — Tr^ -\-pv einführt, deren letztere iden-
tisch ist mit Duhem's thermodynamischem Potential bei konstantem
Druck.
II. Gleichgewicht eines Systems von Körpern.
Gegeben sei ein System von Körpern, welche in verschiedener
Weise aus einer bestimmten Zahl von chemischen Componenten
zusammengesetzt sind und welche gleichzeitig in verschiedenen
Aggregatzuständen sich befinden. Ein solches System kann dem-
nach enthalten : einen Theil , in welchem die verschiedenen gas-
förmigen Körper gleichmäßig mit einander gemischt sind, ver-
schiedene flüssige Theile, entsprechend der Existenz von flüssigen
Körpern oder Lösungen, welche mit einander nicht mischbar sind,
verschiedene feste Theile , entsprechend den in festem Aggregat-
zustand vorhandenen Körpern.
Jeden solchen physikalisch und chemisch homo-
genen Theil des Systems bezeichnen wir nach Gibbs
als eine Phase desselben.
Gleichgewicht kann in einem System von der Art des betrach-
teten nur dann vorhanden sein, wenn Temperatur und Druck überall
dieselben sind. Die Gesammten ergie des Systems, welche gleich
der Summe der Energieen der einzelnen Phasen ist, bezeichnen
wir durch e, die Gesammtentropie , gleich der Summe der Entro-
pieen der einzelnen Phasen, durch tj, das Gesammtvolumen durch v.
Bleiben die Massenverhältnisse der einzelnen Phasen ungeändert,
19*
226 Eduard Riecke,
und wird die Energie in umkehrbarer Weise durch eine Vermehrung
der Entropie und des Volumens geändert, so ist
8 s = Td-q —pdv.
Allgemein haben wir die Energie s aufzufassen als eine Funk-
tion der Entropie ij , des Volumens v und der Massen der chemi-
schen Componenten , welche in den einzelnen Phasen vorhanden
sind. Bezeichnen wir die in der ersten Phase vorhandenen Massen
durch mj, m2, m3, . ., die in der zweiten vorhandenen durch m",
m*i m9 • ■■• • u- s- w-> so ergiebt sich:
De = Tdr\ — pdv + fij dm[ + \l'2 dm'2 + p'3 dm'3 + . .
+ ti'dm? + ti'dm',' + tfdm',' + . .
Nach dem Princip von der Vermehrung der Entropie befindet
sich unser System im neutralen Gleichgewicht , d. h. es sind alle
mit den Bedingungen desselben verträglichen Variationen umkehr-
bar, wenn
De - Tdrt+pdv = 0.
Zerlegen wir die Aenderung der Energie in denjenigen Theil
8s, welcher lediglich durch eine etwa zuerst vorgenommene Aen-
derung von 7j und v, und denjenigen Theil de, welcher durch die
nachfolgende Aenderung der Massen bedingt wird, so erhalten
wir, wenn das System während der ganzen Aenderung im Gleich-
gewicht sich befand:
8s + de - Tdri + pdv = 0.
Wenn aber die Aenderungen von 7] und v für sich umkehrbar
sind, so ist 8s — Td-q + pdv = 0. Es ergiebt sich daher als Be-
dingung für das neutrale Gleichgewicht :
de = {jl[ dm[ + p2 dm2 + \l3 dm'3 + . . .
+ tfdm'S + yJ2'dm2' + \L3dm'3' + . . .
+ . . . .
= 0.
Wenn diese Bedingung nicht erfüllt ist, so verläuft der natür-
liche Proceß stets so, daß
De - Td-q+pdv < 0
oder l^'dni' + 2\t,"drn" + 2ptndm'" + . . < 0.
Hier beziehen sich die Summen auf die einzelnen Phasen,
welche in dem System vorhanden sind; für jede Phase ist die
Summe zu erstrecken über alle in derselben vertretenen chemischen
Beiträge zu der von Gibbs entworfenen Theorie der Zustandsänderuugen etc. 227
Componenten. Die Faktoren fr mit welchen die Zuwüchse der
einzelnen Massen multiplicirt erscheinen, sind nichts anderes als
die partiellen Differentialquotienten der Energie nach jenen Massen.
Gibbs bezeichnet dieselben als die Potentiale der chemi-
schen Componenten.
III. Die geometrische Repräsentation der coexistiren-
den Phasen.
Die Zahl der nebeneinander in dem gegebenen Systeme vor-
handenen Phasen sei •-, die Zahl der chemischen Componenten 7c.
Das System ist im Gleichgewicht, wenn
2\L'dm' + 2^" dm" + 2p'"dm'" + . . . = 0,
während gleichzeitig die Zuwüchse dm den Bedingungen unter-
worfen sind
2dmt = 0 , 2dm2 = 0 , 2dm3 = 0 . . .
Es muß daher, wenn Xv A3, A3 . . konstante Faktoren bedeuten,
2 (fr - K) dnh + 2 (fr - K) #»i + 2 (fr — X3) dm3 +...== 0
sein. Somit besitzen im Gleichgewichtszustand die Potentiale der
einzelnen chemischen Componenten in allen Phasen des Systems
je einen bestimmten konstanten Werth; ist Gleichgewicht vor-
handen, so sind die Bedingungen erfüllt
vi
= tf = V>[" = •
■ • = K
vi
= vi' = K" = •
■ • «* vi
vi
-'k' = vi' = •
■ = vl
Ein System von ik — Je Gleichungen.
Für jede einzelne Phase muß außerdem eine Zustandsgieichung
existiren, welche man in verschiedenen Formen aufstellen kann.
Der gewöhnlichen Darstellung wird es entsprechen, wenn wir den
Druck ausdrücken durch eine Funktion von
T mt m2 m3
' v » v ' *«'•'••
Wir erhalten dann die weiteren i Gleichungen
„ -- ffr < < \ . . Ar ^ m* S
228 Eduard Riecke,
Als Unbekannte sind zu betrachten
P, T,
L 2 ""1 "v2 - "vl "v2
i > „.'?*' ..f/ '•» 177/ > • • • „.< j i.i >
ihre Zahl ist t& + 2. Die Bedingungen des Gleichgewichtes werden
durch ein bestimmtes Werthsystem der Veränderlichen befriedigt
werden , wenn die Zahl dieser letzteren gleich ist der Zahl der
Gleichungen, d. h. wenn
ih — Je + i = ih + 2
oder i = Je + 2.
IstdieZahl der chemischen Componenten gleich Je,
so existirt ein bestimmtes System von zusammen-
gehörigen Werthen des Druckes, der Temperatur,
der Dichtigkeiten — , bei welchem Je + 2 verschiedene
Phasen im Gleichgewicht sich befinden.
Coexistenz einer größeren Phasenzahl ist nicht
möglich, da sonst die Zahl der Gleichungen die der
Unbekannten übertreffen würde. Ist die Zahl der
coexistirenden Phasen kleiner als ft + 2, so bleibt
eine entsprechende Zahl von Variabein unbestimmt.
Zu demselben Resultate gelangt man in einfacherer Weise,
wenn man, wie dies im Folgenden in der Regel geschehen wird,
den Druck darstellt durch eine Funktion von T, jjlx, |i2, . . .\Lk und
wenn man dementsprechend die Größen p, T, \l[ , \l'2 , . . . \l[' , |i2',
. . . \l\ , [*,£, . . . als unabhängige Veränderliche behandelt. Beachtet
man nun, daß ^ = j£ = . . . ^ p4 == :tf == \ . . = p«, . . . . pjj =
ji*i' = . . . = jjl* , so reducirt sich die Zahl der Unbekannten auf
Je -f 2 , nämlich p, T, ^ , [x2 , ... \Lk. Zu ihrer Bestimmung sind
Je + 2 Gleichungen erforderlich ; im Falle der Coexistenz von & + 2
Phasen sind diese gegeben durch die Je -f 2 Zustandsgieichungen.
Im Falle eines Gleichgewichtes zwischen Je -f 1 Phasen bleibt eine
Variable, im Falle des Gleichgewichtes zwischen Je Phasen bleiben
zwei Variable willkürlich.
Wir nehmen an, ,es. seien diejenigen Werthe des Druckes, der
m
Temperatur, der Potentiale \l oder der Dichtigkeiten — berechnet
bei welchen Je + 2 bestimmte Phasen unseres Systems coexistiren
können. Benützen wir ein rechtwinkliges Coordinaten-
system mit den Axen p, T, so werden wir durch die
gefundenen Werthe von p und T einen Punkt in der
Coordinatenebene bestimmen können, welcher als ein
Beiträge zu der von Gibbs entworfenen Theorie der Zustandsänderungen etc. 229
Bild für denZustand des Systems während derCoexi-
stenz jener Je + 2 Phasen betrachtet werden kann.
Derselbe wird im Folgenden durch A bezeichnet.
Nehmen wir aus der ganzen Zahl der Phasen eine, etwa die
Phase 1, weg, so sind die Bedingungen für die Coexistenz der
übrig bleibenden Phasen
H» = ü" = . . = jC2
tf -*;"-■■•• = ^+°
^ = (C = -- = !>r2
Hiezu kommen noch die Zustandsgieichungen der Phasen
p = f"(T, i», f» . . K') = f"(T, K". ti" ■ ■ K")
= .... =r%T,ti+\v.i+\.v.:+*)
Bezeichnen wir die gemeinsamen Werthe, welche die Potentiale
der verschiedenen chemischen Componenten in den einzelnen Phasen
besitzen durch \l[, \l'2, . . \i'k , so reducirt sich die Zahl der Unbe-
kannten wie früher auf Je -f 2 , die Zahl der Zustandsgieichungen
beträgt Je + 1 , sie ist um 1 kleiner als die Zahl der Variabein.
Eliminiren wir aus den Gleichungen die Je Variabein \l, so bleibt
eine Gleichung zwischen p und T übrig, welche in der Coordinaten-
ebene durch eine Curve dargestellt wird.
In jedem Punkte dieser Curve können die betrachteten Je -f 1
Phasen nebeneinander im Gleichgewichte bestehen, in jedem Punkte
sind aber außer den Werthen von Temperatur und Druck auch die
Potentiale \l1 , \l2 . . . \Lk , beziehungsweise die Dichtigkeiten — der
Componenten bestimmt.
Lassen wir aus der Zahl der in dem Punkte A
coexistirenden Je + 2 Phasen der Reihe nach je eine
weg, so erhalten wir H2Curven in derCoordinaten-
ebene, welche sich in dem Punkte A durchschneiden
müssen. Greift man nämlich aus der ganzen Zahl der Curven
zwei beliebige heraus , so sind in ihrem Schnittpunkt alle Bedin-
gungen erfüllt, durch welche wir früher den Punkt A bestimmt
haben ; der Punkt A ist also der Schnittpunkt von je zwei jener
Curven, d. h. der gemeinsame Schnittpunkt aller.
Wir bezeichnen im Folgenden die von dem Punkte A
auslaufenden Je + 2 Curven durch c', c", c,'"...c* + , und
zwar verstehen wir unter einem beliebigen ch die-
jenige Curve, längs welcher die Phase Ji fehlt. In dem
Punkte A sind die Dichten der Componenten in den einzelnen
230
Eduard Riecke
Phasen, die Werthe von
m
m
mlt
ferner die Dichten
der Entropie in den einzelnen Phasen, die Werthe von — r , -77 , . .
gegeben. Schreiten wir von dem Punkte A ans auf der Curve c'
fort um die Strecke dp', dT, so gilt für die Veränderung jeder
einzelnen Phase die Gleichung 2. Wir erhalten also für die Phasen
2 bis h -f- 2 die Gleichungen
01;
fc+2 fc+2 ^fc+2 wi+2
Da die ß + 1 Phasen 2 bis & + 2 längs c' miteinander im
Gleichgewichte sind, so hat jede einzelne chemische Componente
in allen Phasen dasselbe Potential; es hat somit auch d]x[ in all
den vorhergehenden Gleichungen denselben Werth; ebenso dp»
d^[ . . d\L'k. Durch Elimination dieser Differentiale ergiebt sich die
Gleichung :
11
,fc+2
1 <:
v'" v'"
<'
,fc+2
ff
<
<
m
v"
v"
v" '
"U
V"
mm
<'
mi
v'"
V77
v'" '
' V
v_2
,fc+2
m •
„.fc+2
Diese schon von Gibbs aufgestellte Gleichung bestimmt in
unserem Falle die Tangente des Winkels, welchen die Curve c' in
ihrem Ausgangspunkte A mit der Axe T einschließt; sie giebt
allgemein die Neigung der Curve in einem beliebigen ihrer Punkte,
Y) Wh
wenn man in derselben an Stelle von — und — die jenem Punkte
entsprechenden Werthe setzt.
Zwischen den Richtungstangenten (^C), \-jm) ,
/ rJn\'" / rl'n\k+2 ^als \al/
\äT) ••••vfl) >welcliedieH2Curvenc',c")c'"...cw
in ihrem gemeinsamen Ausgangspunkt e A besitzen,
Beiträge zu der von Gibbs entworfenen Theorie der Zustandsänderungen etc. 231
bestehen h + 2 Gleichungen, welche in symbolischer
Form folgendermaßen geschrieben werden können:
(il zl
\dp v
V
m2
V
v /
(dp v
\dT Y
m2
f dp v
\dT mx
1
m2
ml
(dp v
\dT m2
m2
1 . .
*0 = o
(dp v
w2
.')_.
4.
Hier sind die Klammern gesetzt an Stelle von Je + 2 gliedrigen
Determinanten, welche ans den in den Klammern stehenden Aus-
drücken in folgender Weise zu entwickeln sind. Man ertheilt
beispielsweise in der ersten Klammer dem Differentialquotienten
dT
-=— den der Curve c' entsprechenden Werth; gleichzeitig setzt
m.
w.
DL
dp
man für — ,
V V V V
Ausdrücke in dem Punkte A für die erste Phase besitzen.
Reihe
diejenigen Werthe, welche diese
Die
dT\ 2L üi 2*1
dp/ v' ' v
m'
repräsentirt dann die erste Horizontalreihe der entsprechenden
Determinante; in derselben Weise ergeben sich die folgenden
Reihen und demzufolge erhält man:
(dT 7]
\dp v
V
m2
V
v *
(äT\ V
\dpJ v'
v'
m'2
?
<
••• v'
\dp) v"
<
v"
v"
<
... v„
(dTY+'rf*2
\dp) vk+2
mk+2
vk+2
• • • v».
0.
In derselben Weise ergeben sich die übrigen Determinanten.
232
Eduard Riccke,
Aus dem ganzen Büschel der von A auslaufenden Curven
greifen wir wiederum die Curve c' heraus. In jedem Punkt der-
selben haben nicht nur p und T ', sondern auch die Potentiale
V*\i K> t*i> • • • \?i bestimmte Werthe. Tragen wir in jedem Punkt
der Curve c' den zugehörigen Werth von jx[ senkrecht zu der
Ebenem, Tauf, so erhalten wir eine Raumcurve , deren einzelne
Punkte die zusammengehörigen Werthe von p, T und \l[ repräsen-
tiren. Eine ebensolche Curve repräsentirt die zusammengehörigen
Werthe von p, T, \l'v von p, T, \l'3 u. s. w. ; wir erhalten also über
der Curve c' ein System von 7c Raumcurven entsprechend den Je
verschiedenen chemischen Componenten.
Gehen wir auf der ersten dieser Curven von einem beliebigen
Punkte aus um die Strecken dp', dT', d\L[ weiter, so finden die
Beziehungen statt
w
M»
dp'idT'idti
. ml' m[!
m
w:
V"
v"
1
m
..tu
1
m
~t
Die durch die zusammengehörigen Werthe von
p't T\ |xj bestimmte Raumcurve, auf welche sich die
vorhergehenden Formeln beziehen, möge im Folgen-
den durch Ä bezeichnet werden.
Nehmen wir aus der Zahl der h + 1 Phasen, welche längs der
Curve c' im Gleichgewichte mit einander sich befinden, eine weitere
hinweg, so bleiben zwischen unseren 7c + 2 Variabein p, T, \l1 . . . . \Lk
noch 7c Gleichungen bestehen; aus diesen werden die Potentiale jx
zu berechnen sein als Funktionen von p und T, während diese
letzteren Variabein unbestimmt bleiben. Richten wir unsere Auf-
merksamkeit insbesondere auf denjenigen Ausdruck, durch welchen
\l1 gegeben wird als Funktion von p und T, so wird derselbe in
einem rechtwinkligen Coordinatensystem mit denAxen p, Tund \lx
dargestellt werden durch eine Fläche. Lassen wir aus der
Zahl der Phasen, welche in c' coexistiren, der Reihe
nach diePhasen 2, 3...ß + 2 weg, so erhalten wir 7c + 1
verschiedene Systeme von Gleichungen; jedem der-
selben entspricht eine besondere Beziehung zwischen
p, T und |xx, jedem derselben eine besondere durch
Beiträge zu der von Gibbs entworfenen Theorie der Zustandsänderungen etc. 233
jene Beziehung dargestellte Oberfläche. Wir be-
zeichnen diese Flächen der Reihe nach durch f'2, flfl, . . /1;*fa die
ihnen angehörenden Werthe der Variabein durch p12, T19, ^2; pia,
Ti3, [jl]8 ; . . . . In der Schnittlinie von irgend zweien dieser Flächen
sind alle diejenigen Gleichungen erfüllt, durch welche wir die Curve
A' bestimmt haben. Die Curve A! ist somit die Schnittlinie jener
Flächen und ebenso der übrigen durch die zusammengehörigen
Werthe von p, T, \ll gegebenen. Die Curve A' bildet somit
die gemeinsame Schnittlinie der Je + 1 Flächen /ia, /l8
. . . f1,M, längs welcher je Je Phasen im Gleichgewichte
sich befinden, aus derenZahl die Phase 1 ein für alle-
mal ausgeschlossen ist.
Ebenso, wie wir der Curve c' eine Raumkurve A! zugeordnet
haben , können wir der Curve c" eine Raumkurve A" zuordnen.
Wir erhalten, indem wir dies für alle Curven c ausführen , ein
System von Je + 2 Raumkurven, welche sich alle in einem und dem-
selben senkrecht über A gelegenen Punkte durchschneiden müssen.
Jede dieser Curven bildet ihrerseits wieder die Axe für Je + 1
fächerförmig von derselben ausstrahlende Flächen, längs welcher
je Je Phasen mit einander im Gleichgewichte sich befinden. Die
(Je + 2) (Je -f- 1)
Zahl dieser Flächen ist demnach ^ ~ und jede derselben
geht durch zwei von den Curven A hindurch.
Kehren wir zurück zu der Fläche /'12, so ergiebt sich aus der
Anwendung der Gleichung 2 auf die in derselben coexistirenden
Phasen die folgende Beziehung zwischen den Coordinatenunter-
schieden zweier auf der Fläche benachbarter Punkte :
5)
dT12
dp12
m.
m:
1 ?ÜL
J- in
V
m
1 .
ma
v"
+ ^ia
mt
m.
234
Eduard Rieck e,
Liegt das die beiden Punkte verbindende Linienelement in
einer zu der Ebene p, T parallelen Ebene, so ist dp12 = 0 und
wir erhalten:
6)
m2 ma
1 v" lr
K
1 vIV '
= 8T12
Hl
Wh
m.
v"
V
v"
vIV
•
•
Auf der Curve A', längs welcher die h + 1 Phasen 2, 3 . . h + 2
im Gleichgewichte sich befinden, nehmen wir einen beliebigen Punkt
B, welchem der Potential werth \i.[ angehören möge. Ohne dass
der Zustand des Systems aus dem Punkte B sich entfernt, können
wir nun eine der Phasen etwa 2 zum Verschwinden bringen. Ist
dies erreicht, so wird bei einer nunmehr eintretenden Aenderung
von Temperatur und Druck der Zustand des Systems längs der
Fläche f12 sich fortbewegen. "Wir setzen voraus, daß jene Aende-
rungen so vorgenommen werden, daß dabei das Potential \i\ seinen
Werth nicht ändert, dann bewegt sich der Zustand des Systems
auf der Linie, in welcher die Fläche f12 von der Ebene \i[ = Const.
durchschnitten wird. Die Neigung, welche diese Linie in dem
Punkt B gegen die Axen p und T besitzt , wird bestimmt durch
die Gleichung, welche wir im Vorhergehenden zwischen op12 und
8 T12 aufgestellt haben. Wir können nun in derselben Weise die
Phase 3 zum Verschwinden bringen; ändern wir dann wiederum
bei konstant erhaltenem Werthe ^ die Werthe von p und T, so
bewegt sich der Zustand des Systems auf der Curve , in welcher
die Fläche f13 von der Ebene \i\ — Const. geschnitten wird. In
dem Punkte B wird die Neigung der Curve gegen die Axen p
und T bestimmt durch die Gleichung:
6')
Sp1
me
1 ?±L
X. II
V V
m
hT
IL
mx
ii
V
v"
riir
mn
vIV
vlv
•
m*
Wenn wir in derselben Weise weitergehen, so erhalten wir
in der durch den Punkt B hindurchgelegten Ebene \i[ = Const.
ein System von Je + 1 Curven , welche durch gewisse Gleichungen
zwischen den Veränderlichen p und T bestimmt sein werden. Auf
Beiträge zu der von Gibbs entworfenen Theorie der Zustaudsänderungen etc. 235
der Curve dVi findet Gleichgewicht statt zwischen den Phasen 3, 4
... Je + 2, auf der Curve d13 Gleichgewicht zwischen 2, 4 ... Je + 2
u. s. w. immer unter der Voraussetzung , daß die Veränderungen
von p und T so gewählt werden , daß dabei p.'x konstant bleibt.
Die Neigungen der Curven gegen die Axen p und T werden in
ihrem Ausgangspunkte B bestimmt durch Gleichungen von der
Art der im Vorhergehenden gegebenen ; die in denselben auftre-
tenden Determinanten sind ganz ebenso gebaut, wie die in den
Gleichungen 3 und 4 vorkommenden. Daraus ergiebt sich, dass
zwischen den Je -f 1 Richtungstangenten der Curven d12, d13 . . .
d1,k+2Je + l Gleichungen bestehen, welche den Gleichungen 4 voll-
kommen analog sind.
Wir kommen auf diesem Wege zu dem folgenden
geometrischen Bild für den Zusammenhang unseres
Phasensysteme s. Den Ausgangspunkt bildet der Punkt A,
in welchem die Maximalzahl von Je + 2 Phasen im Gleichgewichte
sich befindet. Wir ziehen von diesem Punkte aus die Je +2 Curven
c, längs welcher je Je + 1 Phasen im Gleichgewichte sind. Indem
wir nun als weitere Variable das Potential einer beliebigen unter
unseren chemischen Componenten einführen, etwa plf konstruiren
wir über dem System der Curven c das System der Raumkurven
(Je + 1) (Je + 2)
A. Wir verbinden diese durch die ~ Flächen, längs
welcher je Je von unseren Phasen mit einander im Gleichgewicht
sind.
Nehmen wir nun auf einer der Raumkurven A etwa A\ längs
welcher die Phase 1 fehlt, einen Punkt B, legen wir durch diesen
eine Ebene parallel zu der Coordinatenebene p T1 so erhalten wir
Je -f 1 Schnittkurven d1 mit den durch A! hindurchgehenden Flächen.
Auf diesen Curven sind je Je Phasen mit einander im Gleichge-
wicht ; die Phase 1 fehlt auf allen und alle Veränderungen des
Systems sind der Bedingung unterworfen, daß das Potential der
ersten chemischen Componente denselben Werth behält.
In dem Curven System dl finden sich die Eigenschaften des
Systemes c hinsichtlich der Neigungen, welche die einzelnen Curven
in ihrem Ausgangspunkte gegen die Axen p und T besitzen voll-
ständig reproducirt. Man kann an das Curvensystem dl ganz die-
selben Betrachtungen anknüpfen wie an das System c und gelangt
so zu dem Satze :
Ein System von Je + 1 Phasen, in welchem das Potential einer
chemischen Componente konstant erhalten wird, verhält sich ge-
236 Eduard Riecke, Beiträge zu der von Gibbsentworfenen Theorie etc.
rade so, wie ein System von k+2 Phasen bei unbeschränkter Ver-
änderlichkeit der Potentiale.
Die Fortsetzung derselben Betrachtungen führt zu dem allge-
meinen Satze :
Ein System von i Phasen, in welchem die Poten-
tiale von Jc-\-2 — i chemischen Komponenten festge-
halten werden, besitzt dieselben Eigenschaften, wie
ein System von Je + 2 Phasen bei unbeschränkter Ver-
änderlichkeit der Potentiale. Die Maximalzahl der coexi-
stirenden Phasen bleibt dabei immer um 2 größer als die Zahl der
chemischen Componenten mit veränderlichem Potential.
Man sieht, daß durch die vorhergehenden Sätze ein Schema
gegeben wird , in welches alle möglichen Zustände eines aus Je
chemischen Componenten zusammengesetzten Systemes eingeordnet
werden können.
Ueber die Reihenentwickelung der geraden Sig-
mafunetionen zweier Veränderlichen.
(Aus einem Briefe an Herrn Prof. Wiltheiss in Halle1).)
Von
Fr. Brioschi in Mailand.
(Vorgelegt von F. Klein.)
Nachstehend wünsche ich , Ihnen eine Transformation der
Differentialgleichung für die geraden Funktionen o (uv u2) mitzuthei-
len, welche, wie mir scheint, das Problem der Reihenentwicklung
vollständig löst.
Wie Sie wissen, wenn man mit a. eine Wurzel der Gleichung
f = 0 bezeichnet und
i da.' i ' dai ' < ' da.
setzt, so hat man bei der Bezeichnung eines Gliedes der Reihen-
entwicklung mit N die Beziehungen
1) Die Resultate des Herrn Wiltheiss, auf welche Herr Brioschi im
Texte Bezug nimmt, sind in dessen Abhandlung : „Ueber eine Covarianten bildende
Operation, Theil II" enthalten und in Bd. 36, Heft 1 der mathematischen Anna-
len bereits veröffentlicht. Kl.
Fr. Brioschi, Keihenentwickelung von Sigmafunctionen. 237
wo die gerade Zahl m die Ordnung von N bedeutet und 8X = 2 a. ist.
Es sei nun /* = 9.^ und ar eine der Wurzeln von <p = 0, as
eine der Wurzeln von <\> = 0. Ich bezeichne mit 6r0, Gv G2 die
drei Operationssymbole
«.<»>-?f-?f.
wo
setze
und verstehe unter D das Operationszeichen
D = ß[^2G0 + 2\}12Gi + bnG2] + J[ulG0^2utu2G1^ulGi]1
wo
1 ^20
?u =
Sei nun
so besteht zwischen den drei Funktionen Sn, Sn_v #n_a die Relation
(1) 8. = D(S„.,) + (4n-3)S1S,.1-2i(n-l)(2n-3)kS..2,
(wo & = k(ff)i)', eine Relation, die ganz analog ist derjenigen
für die elliptischen o - Functionen. Man kann leicht zeigen , daß,
wenn M eine simultane Invariante pten Grades von <p und ty ist,
D(M) eine simultane Covariante zweiter Ordnung und (p + 2)ten
Grades wird und daß, wenn M eine simultane Covariante vom pten
Grade und mter Ordnung ist , D (M) eine simultane Covariante
(p + 2)ten Grades und (m + 2)ter Ordnung wird. Und da nun
8. - f (?+).
238 Fr. Brioschi, Reihenentwickelung von Sigmafunctionen.
eine simultane Covariante zweiten Grades und zweiter Ordnung
ist, so wird Sn eine solche vom 2üten Grade und 2wter Ordnung sein.
Die Operation D beschränkt die Anzahl der simultanen Inva-
rianten und Covarianten, welche die Glieder der Reihenentwicklung,
St , iSL ... bilden. Sie theilen mir in Ihrem Briefe mit , daß Sie
auf anderm Wege zu demselbem Resultate gelangt seien. Aber
es scheint mir, daß die Operation D diesen wichtigen Punkt besser
präcisirt.
Angenommen
J(<pcp)2 = a, (<p<|*), = b, Htft = c,
(ca) = ß, (ca)2 = T, (5ß)f == |(Xfi) = x,
so bestehen die Glieder Sv ßr . . . aus
drei simultanen Invarianten: J, y, x,
drei simultanen Covarianten : b, ß, Xjx von der zweiten Ordnung,
zwei simultanen Covarianten: d, ac von der vierten Ordnung,
einer simultanen Covariante: <p<]; von der sechsten Ordnung,
d. h. aus neun simultanen Formen. Man hat in der That
D(b) = 2(JÜ + 24:ac — 662),
D{J) = — 6(J6 + 6ß),
D(ft) = 4J><|> — 1860,
D(ac) = 12 ßfr,
D(<p<|0 = — 18&2,
D(p) = 2(Jrac + 6T0 — 3&ß),
D(T) = -8^ + 12 Afi,
D(X{x) = 8(ßx-Ji)ü + ±Jb$ + 3ß(F-*(b*) + 12(12i—J2)ac,
D(k) = — 6x& + 36Tß — 2<A[i,
welche Ausdrücke zeigen, daß der Kreis der Formen, die durch
die Operation D entstehen, ein geschlossener ist. Man hat überdies
10x = — Jü + 6ac + ib2,
und demnach muß man zu Folge der Relation (1) dasselbe von Sn
sagen.
Mailand, den 6. April 1890.
A. Schoenflies, Theorieen der Krystallstructur. 239
Ueber das gegenseitige Verhältniß der Theorieen
über die Structur der Krystalle.
Von
A. Schoenflies1),
(Vorgelegt von F. Klein.)
1. Die folgende Mittheilung ist bestimmt, für diejenigen geo-
metrischen Fragen, welche das Verhältniß der Structurtheorieen
zu einander betreffen , eine übersichtliche Darstellung zu geben,
zu dem Zweck , eine abschließende Beurtheilung derselben zu er-
möglichen. In der Auffassung der einschlägigen Verhältnisse hat
es bislang an der erwünschten Uebereinstimmung sehr gefehlt. Es
dürfte genügen, wenn ich hierfür auf die vor kurzem erschienene
Arbeit des Herrn Blasius verweise2), in welcher Herr Blasius
sich ebenfalls die Aufgabe stellt, die bisher bekannten Structur-
theorieen nach geometrisch - krystallographischen Gesichtspunkten
mit einander zu vergleichen. Wenn das Ergebniß dieses Ver-
gleichs weder als überzeugend noch als abschließend bezeichnet
werden kann, so liegt dies daran, daß einerseits gewisse gruppen-
theoretische Thatsachen , die auf diesem Gebiet an erster Stelle
figuriren sollten, nicht berücksichtigt werden und daß andrerseits,
wie dies übrigens bisher stets üblich gewesen ist, bei der Prüfung
der Symmetrieverhältnisse ausschließlich mit P u n k t Systemen ope-
rirt wird. Zur Vermeidung von Irrthümern scheint es jedoch
zweckmäßig, für die geometrischen Untersuchungen die Molekeln
selbst in's Auge zu fassen; wenigstens ist es diesem Umstände
zu danken , wenn es mir , wie ich hoffe , gelungen ist , zu einem
endgiltigen Resultat zu kommen.
2. Drei verschiedene Theorieen kommen in Frage, nämlich
1) die Theorie von Bravais und Wulff, 2) die Theorie von
Wiener und Sohncke, und 3) diejenige, welche ich selbst in
diesen Nachrichten kürzlich dargestellt habe3). Ich bemerke, daß
die Notwendigkeit, die Theorie so weiterzubilden, wie es dort
geschehen ist, mir gegenüber zuerst von Herrn Klein betont
worden ist. Auf die a. a. 0. benutzten Punktsysteme war übrigens
1) Die ausführliche Darstellung wird binnen Kurzem erscheinen.
2) Ueber die Beziehungen zwischen den Theorieen der Krystallstructur etc.
Ber. d. Münch. Akad. 1889. Bd. 19. S. 47.
3) Jahrg. 1889. S. 483.
Nachrichten von der K. Q. d. W. zu üöttingen. 18W. Nr. 0. 20
240 A. Schoenflies,
schon vorher von Herrn P. Curie1), und wie ich erst kürzlich
erfahren habe, auch von Herrn Fedoroff2) hingewiesen worden.
Vom geometrischen Gesichtspunkt aus handelt es sich bei
jeder Theorie in erster Linie um die Erklärung der Kry-
stallsymme trie aus der Natur und der Anordnung
der Krystallmolekeln. In dieser Hinsicht ist zu verlangen,
daß jede Theorie — soll sie anders als zulässig zu betrachten
sein — für alle bekannten , resp. theoretisch möglichen Kry stall-
gestalten Molekelhaufen von unbegrenzter Ausdehnung zu construi-
ren vermag , welche genau dieselbe Symmetrie 3) aufweisen , wie
der bezügliche Krystall selbst4). Nun zerfallen bekanntlich die
Krystalle rücksichtlich ihrer Symmetrie in 32 von einander ver-
schiedene Klassen , welche den 32 Gruppen von Symmetrieen um
einen Punkt entsprechen5). Danach ist evident, daß eine Structur-
theorie der eben gestellten Forderung immer und nur dann genügt,
wenn sie für jede dieser 32 Klassen Molekelhaufen 6) von analogem
Symmetriecharacter enthält.
Diese Bedingung ist für jede der genannten drei
Theorieen ausnahmslos erfüllt.
3. Die Fragen, welche an dieser Stelle beantwortet werden
sollen, präcisire ich nun folgendermaßen:
In welchen mathematischen Thatsachen ist es be-
gründet, daß — auf Grund der Hypothese über den regelmäßigen
Aufbau der Krystallmasse — verschiedene Theorieen ne-
ben einander existiren können, die in dem eben ge-
nannten Sinne gleichwerthig sind; und zweitens, wie
viel Theorieen dieser Art sind überhaupt möglich.
Die Antwort, die hierauf zu ertheilen ist, beruht auf einigen
wenigen gruppentheoretischen Ueberlegungen.
Die regelmässigen Molekelhaufen, in welche sich die Krystall-
masse auflösen läßt, entstehen bekanntlich in jedem Fall dadurch,
1) On n'a pas encore etudie d'une fagon complete la symetrie d'une matiere
cristallisee etc. Bull, de la soc. min. de France. Bd. 7. S. 453 (1884).
2) Vgl. die russisch geschriebenen „Elemente der Lehre von den Figuren".
Petersburg 1885. S. 239 und 240.
3) Das Wort „Symmetrie" ist hier, wie im Folgenden immer im krystallo-
graphischen Sinn gebraucht.
4) Dieser Standpunkt deckt sich allerdings nicht mit demjenigen des Herrn
Blasius. Hierauf gehe ich in der ausführlichen Darstellung genauer ein.
5) Diese 32 Gruppen werde ich, da sie gruppentheoretisch zuerst von Herrn
Minnigerode abgeleitet sind, im Folgenden stets als die Minnige rode sehen
Gruppen bezeichnen.
6) Es sind immer Molekelhaufen von unbegrenzter Ausdehnung gemeint.
Theorieen der Krystallstructur. 241
daß eine beliebige Molekel Wl den säramtlichen Operationen einer
Gruppe von Raumtransformationen — sie heisse T — unterworfen
wird. In jeden Fundament alb er eich, der zugehörigen Raumth eilung
fällt eine Molekel. Ist die Gruppe eine Bewegungsgruppe, so sind
alle Molekeln in Form und Qualität einander congruent; im all-
gemeinen Fall dagegen ist der Molekelhaufen offenbar zur Hälfte
aus congruenten Molekeln aufgebaut, zur Hälfte aus solchen, welche
der Ausgangsmolekel spiegelbildlich gleich sind.
Jede Gruppe T von Raumtransformationen ist, wie ich bewiesen
habe, einer der 32 Minniger o de sehen Gruppen G isomorph1).
Dies findet so statt , daß jeder Operation von G unendlich viele
analoge Operationen von V entsprechen; beispielsweise finden sich
zu jeder n - zähligen Symmetrieaxe von G unendlich viele ihr pa-
rallele w-zählige Drehungsaxen resp. Schraubenaxen von T. Nun
wird der Symmetriecharacter eines Molekelhaufens, wie unmittelbar
einleuchtet, genau durch diejenigen Operationen bestimmt, welche
ihn so in sich überführen, daß jede Molekel wieder mit einer Mo-
lekel zur Deckung gelangt 2). Dies sind, wenn wir eine beliebig
gewählte Ausgangsmolekel benutzen , keine andern als diejenigen,
durch welche der Molekelhaufen erzeugt wurde , d. h. die Opera-
tionen von T. Die vorstehend genannten Molekelhaufen sind also
bezüglich ihrer Symmetrie genau den 32 Krystallclassen zuzuordnen.
Dies ist die Auffassung, welche der von mir selbst dargestell-
ten Theorie zu Grunde liegt. Krystallographisch läuft sie darauf
hinaus , daß jede der Molekeln als isolirter Krystallbaustein zu
betrachten ist , und daß die Symmetrie der Krystallmasse aus-
schließlich auf der Anordnung der Molekeln, d.h. auf der Struc-
tur8) beruht.
4. Wenn der besondere Fall eintritt, daß die Molekel äft
selbst mit Symmetrieeigenschaften begabt ist , so kann der aus
ihr vermittelst der Gruppe T erzeugte Molekelhaufen dadurch
ebenfalls höheren Symmetriecharacter erhalten; d. h. es kann der
Fall eintreten, daß er noch durch andere Operationen in sich über-
geht, als diejenigen von T. Hierin liegt, wie sich zeigen
wird, die gruppentheoretische Erklärung der That-
sache, daß mehrere Structurtheorieen nebeneinander
bestehen können. Dieser Punkt soll nun genauer analysirt
1) Vgl. Math. Annalen, Bd. 29, S. 50 u. Bd. 34, S. 179.
2) Dabei bleibt es zunächst eine offene Frage, ob die bezüglichen Operatio-
nen jede Molekel 3Ji in eine andere überführen, oder nicht.
3) Es dürfte dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechen, wenn unter Struc-
tur nur die Anordnung der Molekeln im Raum verstanden wird.
20*
242 A. S che- enf lies,
werden. Zu diesem Zweck wollen wir zunächst ganz allgemein
die Frage untersuchen , auf welchen geometrischen Ver-
hältnissen überhaupt die Symmetrie eines Molekel-
haufens beruhen kann.
Um an Bekanntes anzuknüpfen, möge zunächst auf die bezüg-
lichen Verhältnisse der B r a v a i s sehen Gitter hingewiesen werden.
Die Bravais sehen Molekelhaufen, welche irgend einer der 32
Gruppen G entsprechen, werden stets so gebildet, daß zur Erzeu-
gung eine Molekel benutzt wird, welche bei allen Operationen
der Gruppe G in sich übergeht , deren Symmetrie also durch die
Gruppe G gekennzeichnet ist. Diese wird den sämmtlichen Bewe-
gungen einer gewissen Translationsgruppe T unterworfen. Bilden
wir nun diejenige Gruppe T, welche sich durch Multiplication von
G und T ergiebt; so ist klar, daß jede ihrer Operationen den
Molekelhaufen in sich überführt. Die Symmetrie des Molekel-
haufens ist daher durch die Gruppe F characterisirt ; andrerseits
ist evident , daß sie nur zum Theil auf der Structur , zum Theil
aber auch auf der Qualität der Molekel beruht.
Es wird sich zeigen, daß allemal, wenn die Qualität
der Molekel von Einfluß auf die Symmetrie des Mo-
lekelhaufens ist, Verhältnisse vorliegen, die den
eben geschilderten analog sind. Dies ergiebt sich wie folgt.
5. Es sei § irgend ein regelmäßiger Molekelhaufen, Wl eine
seiner Molekeln, und T die Gruppe von Raumtransformationen,
die ihn in sich überführen. Diese Gruppe bestimmt, wie bereits
oben hervorgehoben, die Symmetrie des Molekelhaufens. Nun sind
zwei Fälle möglich. Entweder giebt es unter den Operationen
von r — abgesehen von der Identität — keine, welche die Molekel
$1 mit sich selbst zur Deckung bringt, oder es giebt solche Ope-
rationen. Im ersteren Fall entsteht der Molekelhaufen , wie die
oben erwähnten so, daß die Molekel 9# den sämmtlichen Operatio-
nen von T unterworfen wird , und seine Symmetrie ist nur von
der Structur abhängig. Im letzteren Fall gilt dies nicht mehr.
Die Operationen, welche die Molekel Wl in sich überführen, bilden
alsdann offenbar stets eine der 32 Min nige ro de sehen Gruppen G,
welche in T als Untergruppe enthalten ist. In diesem Fall giebt
es aber stets eine in T enthaltene Untergruppe F von der Art,
daß T durch Multiplication von G und F gebildet werden kann1);
1) Dies läßt sich leicht einsehen, wenn statt T — was ja ausreicht — eben-
falls eine der 32 Minnige rode sehen Gruppen gesetzt wird. Man vgl. übrigens
auch meine Mittheilung über „reguläre Gebietstheilungen des Raumes" (diese
Theorieen der Krystallstructur. 243
der Molekelhaufen § kann daher einfach so erzeugt werden, daß
die symmetrische Molekel $1 allein den Operationen der Gruppe V
unterworfen wird.
Der Symmetriecharakter dieses Molekelhaufens hängt nun
nicht mehr von der Structur allein ab , sondern theils von der
Structur, theils von der Qualität der Molekel, mit welcher er auf-
gebaut ist; die Structur ist durch die Gruppe F, die Molekel-
qualität durch die Gruppe G charakterisirt. Damit ist bewiesen,
daß die Molekelqrialität in der That die Symmetrie nur in der
Weise beeinflussen kann , wie es bei den Bravais sehen Gittern
der Fall ist.
6. Geometrisch resp. gruppentheoretisch ist es offenbar gleich-
giltig, ob wir uns die Molekel Wl als eine körperliche Einheit vor-
stellen, oder ob wir annehmen, daß dieselbe aus einzelnen kleineren
Bestandtheilen besteht. Im Besondern ist es zulässig zu bestimmen,
daß sie aus einem Körperelement Mt mittelst der verschiedenen
Operationen von G gebildet ist, also gleichsam als Complex klei-
nerer Molekeln aufzufassen ist. Wenn wir dieser Auffassung für
jede Molekel folgen, und nun die Elemente äft, als die letzten Be-
standteile des Krystallaufbaues betrachten, so geht der Molekel-
haufen § in einen solchen über , dessen Symmetrie nach wie vor
durch die Gruppe T gegeben ist, aber einzig und allein auf der
Structur beruht.
Aus den vorstehenden Erörterungen ziehen wir noch eine letzte
Folgerung. Es sei wieder § ein Molekelhaufen, welcher mittelst
einer Gruppe F aus einer beliebigen Ausgangsmolekel W abgeleitet
ist. Wir nehmen an , daß die Gruppe V Untergruppen G und V
enthält, wie wir sie eben betrachtet haben1). Ist dies der Fall,
so steht, wie aus dem Obigen folgt, geometrisch nichts im Wege,
den Molekelcomplex, welcher sich aus 9R mittelst der Operationen
von G ergiebt, als eine höhere Einheit aufzufassen und anzunehmen,
daß der Molekelhaufen mittelst der Untergruppe V aus diesem
Molekelcomplex erzeugt ist. Es läuft dies übrigens darauf hinaus,
bei der Raumtheüung , welche durch T bestimmt ist, nicht den
Fundamentalbereich von f selbst als letzten individuellen Gebiets-
Nachr. 1888. S. 231). Den gruppentheoretischen Satz, der hier zu Grunde liegt,
findet man bei Netto, Theorie der Substitutionen, § 38.
Ich bemerke noch, daß solcher Gruppen P im Allgemeinen mehrere innerhalb
der Gruppe T gleichberechtigte existiren. Jede derselben kann zu dem obigen
Zweck benutzt werden.
1) Diese Bedingung ist bekanntlich für die meisten Gruppen T erfüllt.
244 A. Schoenflies,
theil anzusehen, sondern das Aggregat solcher w-Bereiche, welche
durch die Operationen von G in sich übergehen l).
Ist somit die Vorstellung, welche wir mit dem Molekelhaufen §
verbinden können, wechselnder Natur, so kann doch, wie das Vor-
stehende zeigt, die Symmetrie von § dadurch in keiner Weise
beeinflußt werden. Dieselbe ist ja auch eine innere geometrische
Eigenschaft und kann daher unmöglich von dem subjectiven Er-
messen abhängig sein, was wir als letzte individuelle Einheit des
Krystallaufbaues betrachten wollen.
7. An der Hand der vorstehenden Bemerkungen läßt sich die
oben aufgeworfene Frage nunmehr leicht beantworten. Wir denken
uns wieder den mittelst Y erzeugten Molekelhaufen £). Derselbe
hat einen ganz bestimmten Symmetriecharakter , und entspricht
daher den Krystallgestalten einer gewissen Krystallklasse, näm-
lich derjenigen, deren Symmetrie mit Y isomorph ist. Dagegen
ist, wie das Vorstehende zeigt, die Auffassung, welche wir uns
über die Structur, d. h. über den Krystallaufbau, zu bilden haben,
im Allgemeinen keineswegs bestimmt und kann noch mannigfach
variirt werden. Dies hängt davon ab, ob sich für Y Untergruppen
G und F der oben genannten Art finden lassen. Durch jedes
derartige Paar von Gruppen G und V' wird eine an-
dere Auffassung über denAufbau der Kry s.tallmasse
ermöglicht. Sie ist, wie bereits oben bemerkt, in
jedemFall dadurch gekennz eichnet, daß die Structur
immer durch P charakterisirt ist, während dieGrruppe
G den Krystallb austeinen eine gewisse Symmetrie
aufprägt.
8. An und für sich läßt sich von geometrischer Seite keine der
hiermit angedeuteten Auffassungen abweisen und man kann daher
bei den bezüglichen Molekelhaufen die Symmetrie in mannigfacher
Weise begründen. Historisch liegt allerdings die Sache so, daß
im Wesentlichen nur zwei dieser Auffassungen zur Ausgestaltung
von Structurtheorieen benutzt worden sind, nämlich diejenigen,
für welche Y' eine gewisse ausgezeichnete Untergruppe von Y
wird2), und zwar entweder die Translationsgruppe oder die größte
in T enthaltene Bewegungsgruppe. Ist diese Untergruppe
die Gruppe der Translationen, so haben wir die
1) Vgl. „Reguläre Gebietstheilungen des Raumes", a.a.O. S. 231.
2) Allerdings kommen auch andere Zusammenfassungen vor, besonders bei
Herrn Wulff; vgl. über die regelmäßigen Punktsysteme, Zeitschr. f. Krystallogr.
Bd. 13, S. 505 ff. Vgl. auch die von Herrn Bar low erörterten Punktsysteme.
(Nature, Bd. 29, S. 186 u. 205.)
Theorieen der Krystallstructur. 245
Bravaissche Gittertheorie, und die Gruppe G ist, wie
schon oben erwähnt, allemal mit derjenigen unter den 32 Minni-
g e r o d e sehen Gruppen identisch, welche für die bezügliche Krystall-
form charakteristisch ist. Für jede dieser Gruppen G giebt es
bekanntlich Gruppen V, welche eine solche Auffassung der Molekel-
haufen zulassen. Andrerseits ist aber zu bemerken, daß dies nicht
bei jedem Molekelhaufen § möglich ist ; es trifft eben nur für die-
jenigen Transformationsgruppen T zu, welche durch Multiplication
der 32 Gruppen G mit einer Translationsgruppe gebildet werden
können *).
9. Für die S o h n c k e sehe Theorie sind die einschlägigen Ver-
hältnisse noch nicht hinreichend erörtert worden. Ich gebe zu-
nächst an , zu welchem Resultat eine eingehende Betrachtung
hinführt.
Die S o h n c k e sehe Theorie stimmt theilweise mit der von mir
dargestellten Theorie überein, erklärt also zum Theil die Symmetrie
nur aus der Structur. Dies trifft z. B. für alle diejenigen Kry stalle
zu, welche nur Axensymmetrie besitzen. Für die andern Krystalle
ist dies aber nicht immer der Fall; im Besondern wird (vgl. 10b)
für die mit Ebenensymmetrie begabten Kry stall-
gestalten durchgehends die Symmetrie nur zum
Theil aus der Structur, zum Theil aus der Molekel-
qualität abgeleitet; und zwar ist die ausgezeichnete Unter-
gruppe von T, welche die Structur definirt, diejenige Bewegungs-
gruppe F, aus welcher T durch Multiplication mit einer Spiegelung
erzeugt werden kann, während die Molekel des Aufbaues, wie die
Natur der Gruppe G zeigt, sich selbst spiegelbildlich gleich ist.
Die vorstehenden Behauptungen ergeben sich bei richtiger mole-
kularer Interpretation der S o h n c k e sehen Anschauungen als not-
wendige Consequenzen der Theorie. Sie beruhen auf Folgerungen,
auf welche zwar noch nicht hingewiesen wurde, die aber implicite
mit der Theorie verbunden sind. Sie ergeben sich nämlich aus
der besonderen Eigenschaft des Punktes, daß er als geometrisches
Gebilde die Symmetrie einer homogenen Kugel be-
sitzt. Diese Thatsache ist bisher übersehen worden; sie zeigt
aber , daß , wenn man bloß mit Punktsystemen operirt,
dies nicht mehr und nicht weniger bedeutet, als daß
man den Molekeln stillschweigend die höchste Sym-
metrie beilegt, die es giebt. Natürlich können die für
1) Diese Verhältnisse sind bereits mehrfach erörtert worden. Vgl. z. B. B 1 a s i us,
a. a. 0. S. 56.
246 A. Schoenflies,
Punktsysteme abgeleiteten Resultate auch für beliebige Molekeln
giltig bleiben; es kann aber auch umgekehrt die Einführung der
Punkte von Einfluß auf die Qualität der Molekel sein , welche
durch den Punkt repräsentirt wird.
10. Hierüber sind einige ausführlichere Bemerkungen am Platze,
und zwar scheint es am zweckmäßigsten, damit eine eingehendere
Erörterung der S o h n c k e sehen Theorie zu verbinden.
Da die obige Charakteristik sowohl die ursprüngliche als die
erweiterte Form der S oh nck eschen Theorie trifft, so genügt es,
wenn wir unsere Bemerkungen an die letztere anschließen.
Die erweiterte S ohne ke sehe Theorie1) operirt bekanntlich
mit Punktsystemen, die mit w-Punktnern gebildet sind. Die bezüg-
lichen Molekelhaufen entstehen so, daß n Constructionspunkte den
sämmtlichen Bewegungen einer Bewegungsgruppe unterworfen wer-
den. Jeder dieser Punkte bedeutet einen Krystallbaustein ; in jeden
Fundamentalbereich der zugehörigen Raumtheilung kommt ein Com-
plex von n solchen Punkten. Diese Molekelhaufen zeigen, so lange
der w-Punktner beliebig bleibt, in ihrer Structur nur Axen Symmetrie.
Höhere Symmetrie erhalten sie nur dadurch, daß der Atomcomplex,
welchen der w-Punktner vertritt, aus zwei Atomen besteht, die
sich selbst spiegelbildlich gleich sind.
Der Sohn cke sehe n-Punktner wird aber keineswegs immer
in dem eben genannten Sinne benutzt, ebensowenig wird dem
mit der Bewegungsgruppe erzeugten Molekelhaufen der höhere
Symmetriecharakter stets durch Benutzung eines geeigneten
w-Punktners aufgeprägt. Mit Bezug hierauf haben wir Folgendes
zu unterscheiden.
a) Es giebt eine Krystallklasse , für welche die von Herrn
Sohn cke angegebene Construction des Molekelhaufens mit der
von mir dargestellten Theorie so gut wie ganz übereinstimmt.
Dies ist für die rhomboedrische Tetartoedrie des hexagonalen
Systems der Fall ; für sie werden Zweipunktner resp. zwei Molekeln
eingeführt, die nach Form und Qualität spiegelbildlich gleich an-
zunehmen sind2).
b) Molekelhaufen mit Ebenensymmetrie werden durchgängig
so construirt, daß ein Ausgangspunkt in einer besonderen
Lage angenommen wird, nämlich in derjenigen Ebene, welche
Symmetrieebene werden soll8). Dadurch wird aber den bezüg-
1) Vgl. Zeitschrift für Krystall. Bd. 14, S. 433.
2) Vgl. a. a. 0. S. 438.
3) a. a. 0. S. 436. Vgl. auch Entwicklung einer Theorie der Krystallstructur,
z.B. S. 187, 193 u.s.w.
Theorieen der Krystallstructur. 247
liehen Molekeln Symmetrie beigelegt; denn die Molekel muß ja
durch Spiegelung an dieser Ebene in sich übergeben. Ueberhaupt
ist zu sagen, daß jede Ortsbeschränkung des Construc-
tionspunktes auf eine Specialisirung der Molekel
hinausläuft. Die genannten S o h n c k e sehen Punktsysteme
haben also den ihnen eigenthümlichen Symmetriecharakter in der
That nur dann, wenn jeder Punkt eine symmetrische Molekel
vertritt.
c) Die Verwendung der w-Punktner hat in den meisten Fällen
gar nicht den Zweck, die Symmetrie des Molekelhaufens positiv
zu beeinflussen, sie dient vielmehr dazu, Molekeln anzudeuten, die
gewisse Eigenschaften nicht besitzen. Dies findet z.B. bei solchen
Punktsystemen statt, welche nur Drehungsaxen einer einzigen
Richtung besitzen, deren Gruppen also durch Multiplication einer
einfachen cyclischen Gruppe mit einer geeigneten Translations-
gruppe entstehen. Für diese Punktsysteme giebt es Symmetrie-
ebenen senkrecht zur Axenrichtung , was daraus ersichtlich ist,
daß sowohl die cyclische Gruppe wie auch die Translationsgruppe
und der Punkt durch Spiegelung an diesen Ebenen in sich über-
geht. Jede Netzebene ist eine solche Symmetrieebene ; aber natür-
lich nur so lange, als wir mit wirklichen Punkten operiren ; der
Molekelhaufen, der mit beliebigen Molekeln gebildet ist, besitzt
diese Symmetrieebenen im Allgemeinen nicht1). Um nun ein Punkt-
system zu erhalten, welches ebenfalls von der genannten Symme-
trie frei wird, verwendet Herr Sohncke einen Zweipunkter als
Element des Aufbaues 2). Es ist aber evident, daß der Zweipunkter
der Molekel, die er vertritt, keine positive Qualität auferlegt; er
soll vielmehr nur ausdrücken, daß ihr eine gewisse Qualität nicht
zukommen darf. Die hierdurch skizzirte Benutzung von w-Punkt-
nern ist daher, sobald man festhält, daß der Punkt eine beliebige
Molekel andeuten soll, überflüssig.
d) Endlich bemerke ich, daß die Sohncke sehe Theorie, wenn
als w-Punktner ein geeigneter Zweipunktner gewählt wird, oder
präciser gesprochen, wenn wir zum Aufbau des Molekelhaufens zwei
einander spiegelbildlich gleiche Bausteine in passender Lage ver-
wenden, auch wirklich zu allen oben (3) charakterisirten Molekel-
haufen hinführt , d. h. zu allen , welche für die Begründung der
Symmetrie Verhältnisse einzig und allein in Frage kommen. Diese
1) Die in meinem Beitrag zur Krystallstructur (diese Nachr. 1889, S. 495)
enthaltenen Bemerkungen werden dadurch hinfällig.
2) a.a.O. S. 435 ff.
248 A- Schoenflies,
Bausteine müssen immer so gewählt werden, daß durch gewisse
Deckoperationen zweiter Art einer aus dem andern hervorgeht1).
Für die Symmetrie des Molekelhaufens sind daher beide Bausteine
als geometrisch gleichwerthig anzusehen, genau wie in dem oben
unter a) erwähnten Fall. Für derartige Molekelhaufen ist daher
eine Differenz zwischen der S oh nck eschen und der von mir ver-
tretenen Auffassung kaum mehr vorhanden, sie läuft schließlich
auf Unterschiede in der Benennung heraus. Dagegen betreffen die
unter b) und c) angestellten Erwägungen sachliche Irrthümer der
S o h n c k e sehen Auffassung, deren Quelle, wie oben erwähnt, darin
liegt, daß die molekulare Uebersetzung der geometrischen Annahmen
bisher von keiner Seite gegeben worden ist.
11. Für die Entscheidung über den Werth der Theorieen können
verschiedene Gesichtspunkte in Frage kommen. Daß sie sämmt-
lich eine ausnahmslose Begründung der Symmetrie Verhältnisse
geben, haben wir bereits oben gesehen. In gewissem Sinne lassen
sich diejenigen Theorieen, welche mit allgemeinen regelmäßigen
Molekelhaufen operiren, der Gittertheorie als übergeordnet be-
trachten , aus dem Grunde , weil die Gittertheorie nicht zu allen
regelmäßigen Structuren führt2). Endlich könnte man auch das
Verlangen stellen , daß die Theorie die Symmetrieverhältnisse für
alle Krystallgestalten auf gleiche Weise begründen soll. Läßt man
sich von dieser Forderung leiten, so würde wieder die Sohnckesche
Theorie sowohl gegen die allgemeine wie auch gegen die Bravais sehe
Theorie zurückstehen.
Das letzte Wort kann meines Erachtens allerdings nur an
der Hand krystallographischer Erfahrungen gesprochen werden.
Es genügt nämlich nicht, wenn der Molekelhaufen, welcher den
Krystall darzustellen bestimmt ist, die Symmetrie des Krystalles
wiederspiegelt; es müssen sich vielmehr auch die sämmtlichen
physikalischen resp. chemischen Eigenschaften aus seiner Eigenart
erklären lassen. Dies wird einerseits von der Structur des Haufens,
andererseits von der besonderen Natur der Molekel abhängen;
Structur und Molekelqualität müssen daher, soll die Theorie wirk-
lich brauchbar sein, zweckentsprechend angenommen werden können.
Eine Theorie wird demnach nur dann eigentlichen
krystallographischen Werth beanspruchen dürfen,
wenn es im Rahmen derselben in allen Fällen mög-
1) Welche Lagenverhältnisse zu diesem Zweck nothwendig und hinreichend
sind, habe ich in den math. Annalen, Bd. 34, S. 172 ff. entwickelt.
2) Vgl. hierüber Sohncke, Theorie der Krystallstructur, S.23.
Theorieen der Krystallstructur. 249
lieh ist, die Structur so auszuwählen, undForm wie
Qualität der Molekeln so zu specialisiren, wie es
durch die Natur der physikalisch en r es p. chemi sehen
Erscheinungen unbedingt gefordert wird1).
Es ist daher als unerläßlich zu betrachten, daß für jede Theorie
genau bekannt ist, welche speciellen Annahmen über die Molekel-
qualität sie implicite enthält. Da dies bei der Darstellung der
Theorieen bisher nicht immer angegeben wurde, so möge hier noch
eine kurze Darstellung der drei Theorieen folgen , welche im Be-
sondern auch die Molekelqualität berücksichtigt2).
I. Die Bravaissche Theorie. Die Molekeln sind raum-
gitterartig angeordnet. Jede Molekel ist mit Symmetrie begabt,
im übrigen aber beliebig ; sie kann als Polyeder, als Atomcomplex
etc. gedacht werden. Ihre Symmetrie entspricht genau der Sym-
metrie des Krystalles. Dies gilt für jede mögliche Krystallklasse.
II. Die Sohnckesche Theorie. Alle Molekeln resp.
Molekelcomplexe 3) sind nach Form und Qualität absolut congruent.
Die Symmetrie der Molekelhaufen beruht in einigen Fällen allein
anf der Structur ; für die Mehrzahl der Krystallklassen , nämlich
für diejenigen, welche auch Ebenensymmetrie besitzen, werden
jedoch Molekeln benutzt, die sich selbst spiegelbildlich gleich sind.
Im übrigen sind die Krystallbausteine ganz beliebig. Sie können
sowohl eine einheitliche Partikel bilden , als auch auf jede mög-
liche Art in kleinere Einzelbestandtheile zerfallen, und jede weitere
Bestimmung, die sich physikalisch als nothwendig oder zweck-
mäßig erweisen sollte, kann ihnen beigelegt werden.
III. Die erweiterte Theorie. Sie bedarf keinerlei An-
nahmen über die Qualität der Molekeln resp. der letzten Bausteine ;
sowohl ihre Form und Zusammensetzung als auch ihre Wirkungs-
weise unterliegt keinerlei Beschränkung4). Dagegen nimmt sie
1) Bekanntlich wird diese Möglichkeit für die B ravaissche Theorie bestritten.
2) Es scheint um so mehr angemessen, die Bedingungen, welche jede Theorie
für die Natur der Molekel statuiren muß , genau zu kennen , als Speculationen
hierüber von krystallographischer Seite bereits mehrfach mit Erfolg angestellt
sind. Vgl. z. B. die Grothsche Rede über die Molekularbeschaffenheit der Kry-
stalle. München 1888.
3) Welche Molekelkomplexe allein in Betracht zu ziehen sind, ist oben unter
10a und d angegeben.
4) Allerdings ist für gewisse Molekelhaufen (vgl. 10c) auszuschließen, daß
die Molekel sich spiegelbildlich gleich ist und überdies eine bestimmte Lage hat.
Analoge Beschränkungen gelten übrigens für jede Theorie. Beispielsweise darf
man auch innerhalb der Bravais sehen Theorie den Molekeln im Allgemeinen
250 A. Schoenflies, Theorieen der Krystallstructur.
an, daß dieselben in zwei verschiedene Arten zerfallen, die der
einen Art sind denen der andern Art spiegelbildlich gleich. Ans
ihnen sind die Krystalle zn gleichen Theilen anfgebant; mit Aus-
nahme derjenigen, welche nur Symmetrieaxen besitzen, die also
in enantiomorphen Gestalten auftreten können. Diese bestehen
aus lauter unter sich congruenten Molekeln. Von zwei enantio-
morphen Krystallen wird der eine allein von Molekeln der einen
Art , der andere von Molekeln der andern Art gebildet *). Die
Symmetrie des Molekelhaufens beruht für alle Krystallklassen
allein auf der Structur.
Erst mit dieser Theorie ist also das Ziel erreicht,
daß die Symmetrie ihre Erklärung einzig und allein
in derStructur findet, während im Gegensatz hierzu
für jede specielle physikalische oder chemische
Eigenschaft desKrystalles die Qualität der Molekel
zur Disposition steht. Dies ist aber auch das Resultat,
welches den jetzigen Wünschen der Krystallographen entsprechen
dürfte; denn das Feld für die Speculationen über die Molekel-
qualität ist damit absolut freigemacht.
Bemerkung. Für diejenigen Krystalle, welche nur Sym-
metrieaxen besitzen , stimmt die S o h n c k e sehe Theorie mit der
erweiterten überein. Im besondern muß die S o h n c k e sehe Theorie
zum Aufbau zweier enantiomorphen Krystalle ebenfalls Molekeln
von zweierlei Typus verwenden 2). Wenn wir ferner diejenigen
S o h n c k e sehen Molekeln, welche sich selbst spiegelbildlich gleich
sind, in zwei getrennte Bestandtheile auflösen, und diese als die
letzten Bausteine betrachten und das Gleiche für die bezüglichen
Zweipunktner thun , deren die S o h n c k e sehe Theorie allein be-
darf (vgl. 10a und d) , so geht die Sohnckesche Theorie direct
in die von mir dargestellte Theorie über.
keine höhere Symmetrie beilegen, als ihnen in jedem bezüglichen Fall zukommt.
Eine eigentliche Beschränkung liegt also darin nicht vor.
1) Läßt man Molekeln zu, die sich selbst spiegelbildlich gleich sind, so kann
die Enantiomorphie auch auf der Structur allein beruhen ; die bezüglichen Punkt-
systeme sind eigentliche Schraubensysteme.
2) Vgl. vorstehende Anmerkung.
F. Kiel hörn, die Mandasor Inschrift vom Mälava Jahre 529 u. s. w. 251
Die Mandasor Inschrift vom Mälava Jahre 529
(=472 n.Chr.) und Kalidäsa's Ritusamhära.
Von
F. Kielhorn.
Dr. Bhänolärkar hat in einem der Asiatischen Gesellschaft
von Bombay am 1. August 1889 vorgelegten Aufsatze über die
Epoche der Grupta Aera einen Vers der Mandasor Inschrift des
Kumäragupta und Bandhuvarman behandelt, der in Fleet's Texte
also lautet !) : —
Rämä- sanätha-[ra]chane dara-bhäskar-ämcu-vahni-pratäpa-
subhage jala-lina-mme | chandrämcu-harmyatala-ehandana-
tälavyinta - här - opabhodha(ga) - rahite hima - dagdha -padme ||
Die fünf Composita dieses Verses sind Adjective, die das im fol-
genden Verse stehende Substantivum ~käle näher bestimmen, und
sind zusammen mit diesem von Fleet übersetzt worden: —
„In that season which unites men witb (their) lovely mi-
stresses ; which is agreeable with the warmth of the fire
of the rays of the sun (shining) in the glens ; in which the
fishes lie low down in the water ; which (on account of the
cold) is destitute of the enjoyment of the beams of the moon,
and (sitting in the open air on) the flat roofs of houses, and
sandal-wood perfumes, and palmleaf fans, and necklaces ; in
which the water-lilies are bitten by the frost."
Bhändärkar hat gezeigt, daß Fleet's Uebersetzung des ersten Com-
positums (rämä-sanätha-[ra]chane) falsch ist, und daß die richtige
Uebersetzung desselben keinen Sinn gibt. Er hat ferner darauf
aufmerksam gemacht, daß die von Fleet in jenem Worte cha ge-
lesene Sylbe im Originale va ist, hat, statt der von Fleet ergänz-
ten Sylbe ra} bha ergänzt, und das so von ihm restituirte
rämä-sanätha-[bha]vane
übersetzt durch „that [time] in which there are lovely women in
the houses, i. e. when there is no Separation between husband and
wife". Außerdem hat er Einspruch erhoben gegen Fleet's Ueber-
setzung des ersten "Wortes (dara) des zweiten Compositums durch
„in the glens", weil es nicht bloß die Thäler seien, die die Sonne
in der kalten Jahreszeit erwärme. Dara sei vielmehr gleichbe-
1) Corpus Inscr. Ind., Bd. III, S. 83, Zeile 17.
252 F. Kielhorn,
deutend mit ishad „little , in a small degree , moderate", und das
zweite Compositum sei demnach zu übersetzen — „which is agree-
able with the moderated heat of the fire of the rays of tue sun".
Auch ich halte Fleet's Text und Uebersetzung für falsch,
und ich stimme mit Bhändärkar darin überein, daß wir im ersten
Compositum bha statt ra ergänzen und die folgende Sylbe va le-
sen müssen. Aber Bhäncjärkar's Erklärung des zweiten Composi-
tums befriedigt mich ebenso wenig wie Fleet's. Dara ist zu weit
von pratäpa entfernt als daß wir es auf dies beziehen* könnten ;
und es scheint mir unpassend die geringe Wärme der Sonnen-
strahlen zu loben, gerade wenn wir uns wärmen wollen. Außer-
dem wäre bei Bhändärkar's (und Fleet's) Erklärung das Wort
vahni überflüssig. Natürlicher wäre es zu sagen, daß uns im
Winter die Strahlen der Sonne und die Wärme eines Feuers an-
genehm sind. Aber auch bei dieser Erklärung wäre dara unpas-
send, denn kein Dichter würde von kleinen (svalpa) Sonnenstrah-
len reden.
Prüfen wir in der Photographie das (von Fleet und Bhändär-
kar ne gelesene) Zeichen für die letzte Sylbe des ersten Compo-
situms sorgfältiger, so finden wir, daß dasselbe genau so aussieht
wie das Zeichen für die zweite Sylbe des Wortes manoharaih in
Zeile 20. Die Sylbe ist also no , nicht ne , und die richtige Le-
sung des Eingangs des Verses ist —
Rämä-sanätha-[bha]vanodara-bhäskarämcu-vahnipratäpa-subhage.
Hiermit ist jegliche Schwierigkeit entfernt. Die kalte Jah-
reszeit ist dem Manne dadurch angenehm daß sie ihn im Innern
des Hauses hält wo er mit der Frau oder Geliebten zusammen
ist; wenn es kalt ist, freut er sich der Strahlen der Sonne und
der Wärme eines Feuers.
Der Vers der Inschrift lautet also —
Rämä-sanätha-bhavanodara-bhäskarämcu-
vahnipratäpa-subhage jala-lma-mine |
Chandrämcu-harmyatala-chandana-tälavrinta-
här-opabhogarahite hima-dagdha-padme ||
Betrachten wir den Bau und den Wortlaut dieses Verses näher,
so ergibt sich, denke ich, mit Sicherheit, daß der Dichter bei Ab-
fassung desselben die folgenden Verse aus Kälidäsa's Ritusamhära *)
vor Augen hatte: —
1) Ritusamhära, Sarga V, 2 und 3.
die Mandasor Inschrift vom Mälava Jahre 529 (== 472 n. Chr.) u. s. w. 253
Niruddhavätäyana-mandirodaram
hutäcano bhänumato gabhastayah |
Guruni väsämsy^abaläh sayauvanäh
prayänti käle4ra janasya sevyatäm ||
Na chandanarii chandramarichi-citalam #
na harmyaprishtham caradindu-nirmalam |
Na väyavah sändratushära-citalä
janasya chittam ramayanti sämpratam ||
Es wäre überflüssig meine Fachgenossen auf die genaue Ueber-
einstimmung der Gedanken und des Ausdrucks im Einzelnen auf-
merksam zu machen, und ich will nur bemerken, daß der Verfas-
ser der Inschrift dem ersten Verse Kälidäsa's im Wesentlichen
nur den durch jala-lma-mine, und dem zweiten Verse den durch
hima-dagdha-padme ausgedrückten Gedanken hinzugefügt hat.
Das Resultat ist, daß Kälidäsa's Ritusamhära vor dem Jahre
472 n. Chr. verfaßt sein muß.
Bei der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften einge-
gangene Druckschriften.
Man bittet diese Verzeichnisse zugleich als Empfangsanzeigen ansehen zu wollen.
Februar 1890.
(Fortsetzung.)
Atti della R. Accademia dei Lincei. Anno CCLXXXVI. 1889. Rendiconti. Vol.
V. Fase. 9, 10, 11, 12. 2. semestre. Roma 1889.
Einatite di Stromboli d. G. Struever (estratto dalle Memorie d. Classe di sc. fis.
mat. e nat. Vol. VI. 1889).
Bulletino di bibliografia e di storia delle scienze matematiche e fisiche. Schluss-
lieferung zu Tomo XX. Ind. =p. 697-749. Roma 1890.
Rendiconto dell' Accademia delle scienze fisiche e matematiche (sezione della
societä R. di Napoli. Serie 2a. Vol. III. Fase. 1—12. 1889. Napoli.
Bollettino delle publicazioni italiane ricevute per diritto di stampa. 1890. Nr.
98, 90. Firenze 1890.
Transactions of the astronomical observatory of Yale University. Vol. 1.
Part II. New Haven 1889.
Bulletin of the Museum of Comparative Zoology at Harvard College. Whole
series. Vol. XVI. Nr. 6. Geol. Ser. Vol. II. Vol. XVU. Nr. 6. Cambridge, ü.
S. A. 1889.
Transactions of the Wagner free Institute of science of Philadelphia. Vol. II.
Philadelphia 1889.
Johns Hopkins university circulars. Vol. IX. Nr. 78. Baltimore 1890.
Anales de la soziedad cientifica Argentina. Tomo XXVIII. Entrega III, IV.
Buenos-Aires 1889.
Nachtrag.
Verhandlungen d. K. K. geologischen Reichsanstalt. Nr. 18. 1889. Nr. 1.2. 1890.
Anzeiger d. Akademie der Wissenschaften in Krakau 1890. Januar. Krakau 1890.
Ungarische Revue. Heft 2. 1890. Jahrg. 10. Budapest 1890.
254
Tijdscbrift voor Nederlandsche Taal- en Letterkunde, uitgeven vanwege de
Maatschappij der Nederlandsche Letterkunde te Leiden. Jaarg. 1 — 8. Leiden
1881—88.
a. Notulen van de Algemeene en Bestuerrs-Vergaderingen van het Bataviaasche
Genootschap van Künsten en Wetenschappen. Deel XXVII. 1889. Afle-
vering II, III.
bjrRegister op de notulen der Vergaderingen over de Jaren 1879 t/m. 1888.
Batavia, s'Hage 1889.
c. Tijdschrift door Indische Taal- Land- en Volkenkunde. Deel XXXIII. Afle-
vering 2, 3 en 4. Batavia, s'Hage 1889.
d. De Derde Javaansche Successie-Orlog 1746 — 1755. Voor P. J. F. Louro.
Uitgegeven door het Bat. Genoots v. K. en W.
Regenwaarnemingen in Nederlandsch-Indie. Jaarg. 10. 1888. Batavia 1889.
Nederlandsch-Indie Plakaatboek. 1602—1811. Deel VI. 1750-1754. Batavia,
s'Hage 1889.
Observation made as the Magnesical and Meteorological observatory at Batavia.
Vol. XI. 1888. Batavia 1889.
Herbarium musei fennici editio secunda. I. Plantae vasculares.
Meddelanden at' societas pro fauna et flora fennica 15 haftet (1889).
Acta societatis pro fauna et flora fennica. Vol. V. Pars I.
Notae conspectus florae fennicae auctore Hj. Hjelt. Helsingforsiae 1888 — 89.
März und April.
Sitzungsberichte der Königl. Preuß. Akademie der Wissenschaften in Berlin.
X-XIX. 1890.
Bemerkungen über den Bau der Menschen- und Affenplacenta. VonW .W a 1 d e y e r.
Bonn 1890.
Zeitschrift für Naturwissenschaften. Herausgeg. im Auftrage des naturw. Vereins
für Sachsen und Thüringen. D. ganzen Reihe LXII. Band; Vierte Folge;
Achter Band; Heft 3/4. 5 u. 6. Halle a. S. 1889.
Leopoldina. Heft XXVI, No. 3-4, 5-6.
Acta Mathematica. 14, 1. Stockholm-Berlin 1890.
Rede zum Geburtstage S. M. d. K.K. Wilhelm U. in der Aula d. K. Technischen
Hochschule zu Berlin. Von E. Jacobsthal. Berlin 1890.
Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik. Band XIX; Jahrgang 1887;
Heft 2. Berlin 1890.
Vierteljahrsschrift der Astronomischen Gesellschaft. Jahrgang 25; Heft 1.
Leipzig 1890.
Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Band 43; Heft 4.
Leipzig 1889.
Berichte über die Verhandlungen der K. Sächsischen Gesellschaft der Wissen-
schaften zu Leipzig. Philologisch-historische Classe. 1889. IV. Leipzig 1890.
Die technische Produktion und die bezüglichen römisch-rechtlichen Erwerbtitel.
Von Moritz Voigt. (Des XI. Bandes der Abhandlungen der philologisch-
historischen Classe der Kön. Sachs. Gesellsoh. d. Wissenschaften No. VI.)
Leipzig 1890.
Sitzungsberichte d. Kön. Baier. Akademie d. Wissensch. zu München
a. Philosophisch - philologische u. historische Classe. 1889, Band II, Heft 2;
1890, Heft 1.
b. Mathematisch-physikalische Classe. 1889, Heft 3.
(Fortsetzung folgt.)
Inhalt von No. 6.
Eduard Riecke, Beiträge zu der von Gibbs entworfenen Theorie der Zustandsänderungen eines aus einer
Mehrzahl von Phasen bestehenden Systems. — Franc. Brioschi, Ueber die Eeihenentwickelung der ge-
raden Sigmafunctionen zweier Veränderlichen. — A. Schoenflies, Ueber das gegenseitige Verbältniss der
Theorieen über die Structur der Krystalle. — F. Kielharn, Die Mandasor-Inschrift vom Mälava Jahre 529
(= 472 n. Chr.) und Kälidäsa's Bitusamhära. — Eingegangene Druckschriften.
Für die Eedaction verantwortlich : H. Sauppe , Secretair d. K. Ges. d. Wiss.
Commissions - Verlag der Dieterich' sehen Verlags -Buchhandlung.
Druck der Dieterich' sehen Univ.- Buchdruckerei ( W. Fr. Kaestner).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
5. Juli. Jfä 7. 1890.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 5. Juli 1890.
Merkel: Ueber argentinische Gräberschädel.
Liebisch legt einen Aufsatz des Herrn Dr. Fr. Pockels vor: Ueber die
Interferenzerscheinungen, welche Zwillingsplatten optisch einaxiger Krystalle im
convergenten homogenen polarisirten Lichte zeigen.
Schwarz legt vor:
a) einen Aufsatz von Prof. Julius Weingarten in Charlottenburg,
Korrespond. der mathem. Klasse : Ueber particuläre Integrale der
Differentialgleichung
und eine mit der Theorie der Minimalflächen zusammenhängende
Gattung von Flüssigkeitsbewegungen.
b) einen Aufsatz von 0. Venske: Ueber eine Abänderung des ersten
Hermiteschen Beweises für die Transcendenz der Zahl e.
Voigt legt vor: Bestimmung der Elasticitätsconstanten des brasilianischen
Turmalins.
Wieseler legt vor: Weibliche Satyrn und Pane in der Kunst der Griechen
und Römer.
de Lagarde kündigt für den Band 3G der Abhandlungen an: Nachträge
und Regesten zu der im Band 35 erschienenen Uebersicht über die Bildung der
Nomina im Aramaeischen, Arabischen und Hebräischen.
Wagner legt einen Aufsatz vor: Ueber ein spät mittelalterliches Ver-
zeichniß geographischer Coordinatenwerte.
Nachrichten von der £. G. U. W. zu Göttingen. 1890. Nr. 7. *J
256 Fr. Merkel,
Ueber argentinische Gräberschädel.
Von
Fr. Merkel.
Die Schädel-Sammlung des hiesigen anatomischen Institutes,
welche unter dem Namen der „Blumenbach' sehen Sammlung"
einen Weltruf genießt, erhielt im Frühling dieses Jahres durch
die freundliche und sehr dankenswerthe Schenkung1) des Herrn
Professor Bodenbender in Cordoba, Argentinien, drei Indianer-
Schädel aus einer Grab statte zwischen Rio Agrio und Rio Ca-
tanlil , am oberen Arroyo Corunco in Argentinien , welche der
freundliche Greber von einer wissenschaftlichen Expedition in jene
fast völlig unbekannten Gegenden mitgebracht hatte. Die Schädel
sind um so werthvoller, da solche aus dem Innern Südamerikas über-
haupt nur äußerst spärlich in europäischen Sammlungen vertreten
sind und solche aus jenen kaum von Weißen betretenen Theilen
Argentiniens überhaupt nicht vorhanden sein dürften. Alle drei
Schädel sind defect, doch lassen sich an ihnen die wichtigsten
Maaße ohne Schwierigkeit nehmen. Ihr Erhaltungszustand ist ein
verschiedener, während einer (No. III) noch ziemlich recent erscheint,
sehen die beiden anderen so aus, als hätten sie sehr lange in der
Erde gelegen. Doch möchte ich ihnen dieses Aussehens wegen
noch nicht ein sehr hohes Alter vindiciren, da man ja weiß, wie
zuweilen die Bodenbeschaffenheit die Knochensubstanz zu ver-
ändern geeignet ist und wie der Stoffwechsel einer tropischen
Vegetation es vermag, deren Textur anzugreifen.
Zwei Schädel gehören erwachsenen Personen, vermuthlich
männlichen Geschlechtes, an, der dritte ist der eines Kindes, nach
Ausweis der Zähne und anderer Merkmale, von 8 — 9 Jahren. Bei
allen Schädeln sind die Zähne, soweit sie vorhanden sind, zwar
gesprungen, im Uebrigen aber wohlerhalten und weder cariös ver-
ändert, noch abgeschliffen, noch auch gefeilt. Die Nähte von No. I
sind zum guten Theil verstrichen, diejenigen von No. II und III
sind vollständig erhalten. Von anatomischen Eigenthümlichkeiten
der Schädel ist zu berichten , daß bei No. I die Lineae nuchae
suprema und superior am Seitenwinkel der Hinterhauptsschuppe
in einen leistenförmigen Knochenlappen ausgezogen ist, während
das System der Hinterhauptslinien im Uebrigen nichts Auffallendes
zeigt. Bei den beiden andereren Schädeln ist Nichts dergleichen
zu bemerken, auch die Indianerschädel unserer Sammlung, welche
1) Für die Vermittelung der Schenkung ist das Institut Herrn Prof. v.
Konen zu Dank verpflichtet.
über argentinische Gräberschädel. 257
ich daraufhin durchgesehen habe, zeigen die beschriebene Eigen-
tümlichkeit nicht.
Was die ganze Form der Schädel anlangt, so sehe ich von
dem kindlichen (No. III) ab und benutze nur die beiden erwach-
senen zur Vergleichung. Nach Ausweis der unten angeführten
Maaße ist No. I brachycephal und an der Grenze der Orthocephalie
stehend, No. II hyperbrachycephal zu nennen. Das Obergesicht
ist bei beiden breit, dabei erweist sich aber der eine (No. 1) lep-
torrhin, der andere (No. II) platyrrhin. Die Augenhöhlen von
No. I sind mesokonch die von No. II hypsikonch. Der Gaumen
ist bei No. I mesostaphylin, fast brachystaphylin, bei No. II wirk-
lich brachystaphylin. Prognathie ist weder bei dem Schädel No. 1
vorhanden, noch auch bei No. II, wo der Profilwinkel wegen Be-
schädigung nicht gemessen werden konnte. Vergleicht man die
Schädel mit anderen Amerikanerschädeln , dann findet man , daß
bei letzteren neben Langschädeln ganz abweichender Form auch
solche vorkommen, welche mit den in Rede stehenden viel Ver-
wandtes zeigen und zwar findet man sie sowohl in der nördlichen,
wie der südlichen Hälfte des Continentes. Aber „doch ist die Form
der Argentinischen Cranien eine sehr eigenthümliche, in der Norma
verticalis fast viereckige, ein Bild, welches wesentlich durch eine
außerordentlich starke Abplattung des Hinterhauptes hervorge-
rufen wird. Besonders bei dem sehr brachycephalen Schädel No. II
kann man sich des Argwohnes nicht erwehren, daß man es mit
einer künstlichen Abplattung zu thun hat. Es würde dies für
Amerika nichts Auffallendes sein , da ja sowohl bei gewissen
Stämmen Nordamerikas, wie bei den Peruanern und Mexicanern die
künstliche Deformirung des Schädels im Schwange war. Die
Gründe, welche mich zweifeln lassen, sind drei. Erstens zeigt der
kindliche Schädel ein normal gewölbtes Hinterhaupt, an welchem
von einer Verunstaltung Nichts wahrnehmbar ist und zweitens sind
auch bei dem besonders kurzen Schädel No. II Gaumen, Nase und
Augenhöhlen so gestaltet, wie sie einem sehr kurzen Schädel zu-
kommen. Drittens muß hervorgehoben werden, daß die Form
des Schädels an sich von der aller anderen deformirten Schädel
abweicht. Man müßte daher annehmen, daß in den argenti-
nischen Gegenden eine ganz eigenthümliche, sonst nicht geübte Um-
formungsweise im Gebrauch war. Zu einer solchen Annahme wird
man sich jedoch erst dann entschließen, wenn noch mehr Objecte
zum Vergleich zu Gebote stehen; es ist daher sehr zu wünschen,
daß es gelingen möchte, noch neues anthropologisches Material vom
Arroyo Corunco herbeizuschaffen.
21*
258
Fr. Merkel, über argentinische Gräberschädel.
2.2
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Fr. Pockels, Interferenzerscheinungen in Zwillingsplatten etc. 259
Ueber die Interferenzerscheinungen, welche Zwil-
lingsplatten optisch einaxiger Krystalle im con-
vergenten homogenen polarisirten Lichte zeigen.
Von
Fr, Pockels,
(Vorgelegt von Th.. Liebisch.).
In der vorliegenden Abhandlung sollen diejenigen Interferenz-
erscheinungen berechnet und discutirt werden, welche man in einem
Polarisationsapparate bei Anwendung von convergentem homogenem
Lichte an einer Combination von zwei planparallelen, aus einem
einaxigen Krystall unter gleicher Neigung gegen die optische Axe
geschnittenen Platten beobachtet, welche so übereinander gelegt
sind, daß ihre Hauptschnitte zusammenfallen, die optischen Axen
aber in entgegengesetztem Sinne gegen die gemeinsame Platten-
normale geneigt sind , so daß die Combination eine künstliche
Zwillingsplatte darstellt. — Diese Interferenzerscheinungen sind
zum ersten Male von Langberg theoretisch untersucht (und auch
wohl zuerst beobachtet) worden1). Derselbe hat eine allgemeine
Formel für die Intensität des durch zwei übereinander liegende,
beliebig orientirte einaxige Krystallplatten hindurchgegangenen
Lichtes aufgestellt, aber bei deren Anwendung auf specielle Fälle
immer die Schwingungsrichtungen im ganzen Gesichtsfelde als
constant angenommen. Daher fand er in dem einzigen von ihm
untersuchten Falle einer Zwillingsplatte, nämlich in demjenigen,
wo die optischen Axen der beiden Platten ± 45° mit der Platten-
normale bilden, nur ein System von Ellipsen (Curven gleichen
Grangunterschiedes), deren Discussion (1. c. p. 541) bei ihm übrigens
auch unvollständig geblieben ist.
Eine im Jahre 1853 erschienene sehr umfangreiche Arbeit von
Ohm („Erklärung aller in Platten einaxiger Krystalle im gerad-
linig polarisirten Lichte warnehmbareu Interferenzerscheinungen") 2)
enthält unter Anderem eine mathematische Behandlung der Inter-
1) Analyse der Interferenzerscheinungen in combinirten einaxigen Krystallen.
Pogg. Ann. Erg.-Bd. I, 1842, p. 529—565.
2) Abhandl. der Bayerischen Akad., math.-phys. Classe, Bd. VII, p. 43— 149
und 265—370. Ein übersichtliches Referat über diese Arbeit hat C. Neumann
in den Fortschr. d. Phys. Bd. XI, 1855, p. 287—294, gegeben.
260 Fr- Pockels,
ferenzerscheinungen in Zwillingsplatten von beliebiger Neigung
der optischen Axen. Auch Ohm hat die resultirende Intensität
allgemein berechnet, aber bei der Anwendung der Intensitätsformel,
welcher er übrigens eine recht übersichtliche Form gegeben hat,
die veränderliche Lage der Schwingungsrichtungen für convergente
Strahlen nicht berücksichtigt. Daher konnte er nur die Curven
gleichen Gangunterschiedes erklären, welche man nahe der Mitte
des Gesichtsfeldes wahrnimmt. Er fand, daß die am Schlüsse
seiner Arbeit beschriebenen Erscheinungen , welche er an einer
Zwillingsplatte mit kleinem Neigungswinkel (5°) der optischen
Axen gegen die Plattennormale beobachtete , gänzlich im Wider-
spruch zu seinen Formeln ständen (p. 363—364) ; übrigens hat er
p. 366 — 367 selbst den wahren Grund dieses Widerspruches, wenn
auch etwas unbestimmt, angedeutet. — Später hat van der
Willigen1) den Gangunterschied der durch einaxige Krystall-
platten hindurchgegangenen Strahlen mit möglichster Strenge be-
rechnet und auch für den speciellen Fall einer Zwillingsplatte, in
welcher die optischen Axen ± 45° mit der Plattennormale bilden,
diejenigen vier Curvensy steine discutirt, auf denen der Gangunter-
schied, welchen die beiden Strahlen in je einer der beiden com-
binirten Platten erleiden , bezw. die Summe und die Differenz
dieser Gangunterschiede constant sind. Er sagt schließlich, die
an der Zwillingsplatte beobachtete Interferenzerscheinung bestehe
aus einer Ueberlagerung jener vier Curvensysteme , und es müsse
noch die Intensität berechnet werden, mit welcher dabei jedes von
ihnen auftritt.
Eine vollständige und übersichtliche Discussion über die Curven,
auf welchen die S u m m e der Gangunterschiede constant ist, (sowie
vorher über die jeder einzelnen Platte zukommenden Curven gleichen
Gangunterschiedes), hat Bert in2) gegeben. Derselbe hat aber
die resultirende Intensität gar nicht allgemein berechnet und da-
her auch die Unterbrechungen der dunklen Ellipsen und Hy-
perbeln, welche bei den in Rede stehenden Erscheinungen gerade
auffallen, nicht erklären können, ebensowenig die unter Um-
ständen auftretenden geradlinigen Streifen. Bertin hat, wie er
1. c. p. 508 erwähnt , die Interferenzerscheinungen in homogenem
(violettem) Lichte photographirt ; die seiner Abhandlung beigefügten
Figuren sind aber, einer Bemerkung p. 506 zufolge, nur Zeichnungen
und stellen auch, höchstens die Fig. 8 ausgenommen , die Erschei-
l)Arch.dumusäeTeyler,III, p.241, 1873. Pogg. Ann. Jubelbd.p. 491-497, 1874.
2) Ann. de Chim. et de Phys., (6), II, 1884, p. 485—508.
Interferenzerscheinungen in Zwillingsplatten optisch einaxiger Krystalle. 261
nungen unrichtig dar ; die in diesen Figuren hervortretende Asym-
metrie ist vermuthlich einer ungenauen Orientirung der beiden
Platten gegeneinander bei den Beobachtungen ßertin's zuzu-
schreiben. —
Wenn nun auch von den genannten Autoren die vier Systeme
von Curven gleichen Gangunterschiedes, welche in Zwillingsplatten
der betrachteten Art überhaupt unter Umständen auftreten können,
an und für sich bereits berechnet worden sind, so fehlt doch bis-
her eine auf Berücksichtigung der innerhalb des Gesichtsfeldes
veränderlichen Lage der Schwingungsrichtungen beruhende Unter-
suchung darüber, in welcher Weise sich jene Curvensysteme schein-
bar überlagern bezw. sich gegenseitig unterbrechen, und unter
welchen Umständen oder in welchen Theilen des Gesichtsfeldes
das eine oder andere Curvensystem allein auftritt. Durch eine
solche Untersuchung die Einzelheiten der merkwürdigen , von
Zwillingsplatten der bezeichneten Art dargebotenen Interferenz-
erscheinungen zu erklären, ist der Zweck der vorliegenden Arbeit.
Die unmittelbare Veranlassung zu derselben bot die von Herrn
Prof. Liebisch im hiesigen mineralogischen Institut ausgeführte
photographische Aufnahme jener Erscheinungen im Natriumlicht ;
auf die nach diesen Photographieen hergestellten Lichtdrucktafeln *)
wird bei der üiscussion wiederholt hingewiesen werden. Die der
vorliegenden Abhandlung beigefügten Figuren 3 — 6 haben nur
schematische Bedeutung; sie sollen erläutern, wie die Gebiete, wo
die einzelnen Curvensysteme bezw. dunkle Flecke auftreten, im Ge-
sichtsfelde zu einander liegen.
Es wird vorausgesetzt, daß die optischen Axen der beiden
übereinanderliegenden Platten gegen die Plattennormale gleich
geneigt sind, daß also, wenn auf der Kugelfläche durch 0 die
Plattennormale, durch Av A2 die optischen Axen der beiden Platten
dargestellt werden (Fig. 1), OA , = OA2 = St ist.
Ist N eine beliebige Wellennormale in der Platte, so werde
gesetzt
ON = #, AtON = <p,
OAtN = 180° - 4, OA, N - i,v
In erster Annäherung kann angenommen werden , daß die
Richtung N in beiden Platten dieselbe ist, d. h. daß beim Eintritt
einer Welle aus der ersten in die zweite Platte keine merkliche
Brechung stattfindet.
l)Th. Liebisch, Physikalische Krystallographie , Leipzig 1890. Tafel
VII und VIII.
262 Fr- Pockels,
Die Ebenen NAt und NA2 sind die Schwingungs- (Polarisations-)
Ebenen der ordinären Welle in der ersten und zweiten Platte.
Die von der Axenebene an gerechneten Azimuthe Vi und V2 dieser
Schwingungsebenen bestimmen sieb aus den Gleichungen:
T . , sin # sin <p . . sin # sin <p
I. sinV, = — -. — iaA y , sinl = — -. — n-r— .
7* sin NAt ' ^2 sin NA2
Ferner ist
cos NAt — cos ft cos Sl + sin # sin Sl cos <p,
II . .
cos j^42 = cos # cos <ß — sin %• sin ü cos 9.
Das Azimutb der Schwingungsebene des Polarisators (P) bezw.
des Analysators (Ä) sei a bezw. ß, immer von der Ebene A2AX
an in positivem Sinne gerechnet (vergl. Fig. 2).
Die einfallende Schwingung A cos t wird beim Eintritt in die
erste Platte zerlegt in die Componenten:
|j = A cos (Vt — a) cos r parallel NAt
und q£ = -1 sin (V, — a) cos t senkrecht zu NAV
Beim Austritt aus der ersten Platte ist:
|4 = A cos Oj - a) cos (r — d'0),
rjt = A sin (V2 — a) cos (r — d,'),
wo d^, d' die Verzögerungen der ordinären bezw. extraordinären
Welle in der ersten Platte sind.
Diese Schwingung wird beim Eintritt in die zweite Platte
zerlegt in:
|2 = %x cos (V2 — pj + r\t sin (ih — ^1) parallel zu NA„
^2 = — |, sin (V2 — Vi) + ^1 cos (V2 — Vi) senkrecht zu JVJ.a.
Sind d'J, d'J die Verzögerungen der ordinären und extraor-
dinären Welle in der Richtung N in der zweiten Platte , so sind
demnach die Componenten der aus der Zwillingsplatte austretenden
Schwingung :
£ = 1 " j cos (« - Vi) cos (V2 - Vi) cos (t-ö'0- d'J)
+ sin (a - Vi) sin (V2 - Vi) cos (r — d[ - d'J) j ,
Ü = A \ — cos (a — Vi) sin (V2 — Vi) cos (r - d'0 — <?,")
+ sin (a — Vi) cos (V2 — Vi) cos (r — d'e — d") j .
Nach dem Durchgang durch den Analysator resultirt schließ-
lich die Schwingung:
Interferenzerscheinungen in Zwillingsplatten optisch einaxiger Krystalle. 263
i;cos(^-i3)-^sin(^-^),
deren Intensität J nun berechnet werden soll.
Dieselbe ist = A2(C* + S2), wenn i;cos(4>2-/3) - >?2sin(4>a-/3)
auf die Form C cos r -f S sin t gebracht ist.
Man findet:
C = { cos 0 - 40 cos («y - 40 cos (dj + dj')
+ sin {a - 40 sin (4>2 - 40 cos (d[ + dj') } cos (0 - 40
+ j cos (a - 40 sin (^ - «J cos (dj + *J')
+ sin (a - 40 cos (4>2 — fc) cos (dj + d,") j sin (ß - 40,
S = j cos (« - 40 cos (4>2 - 40 sin (d^ + dj')
+ sin (a~- 40 sin (4>2 — 40 sin (d,r + d'J) J cos (0 - 4>2)
+ | cos 0 - 40 sin (^ - 40 sin (dj + ö[')
+ cos (a - 1/0 cos (4>2 - 40 sin (d[ + d.") } sin (ß - 40-
Hieraus ergiebt sich
<7 + >S2 =
cos2(^-^)icos2(a-^2) -isin2(a-^)sin2(^2-^)(l-cos(d:-d:))j
+sin2(/3-40 j sin f (« - 40+i sin2 («- 40 sin2 (&-*$ 1 - cos (d^ - ö't)) j
+ sin2(/3-40 j cos 2 (a-^) sin 2 (^-^2) cos (d^-d;')
+ i sin 2 (a - ^) cos 2 (^2-^) cos (di-d.') cos (di'-d,")
-Jsin2(«-^)sin(d:-d:)sin(d;-d:')J.
Führt man die Bezeichnungen :
J, = S'0-S'„ 4i = K'-s"
ein und nimmt mit obigem Ausdrucke für C2 + S2 einige weitere
Umformungen vor, so erhält man für J schließlich die Formel:
J = A2 cos2(0-a) - sin 2 (a- 40 sin 2 (/3- 40 sin9 4r
- sin2 (« - 40 sin 2(ß- 40 sin2 4r
2
— 2sin2(cx— 40sin2(ß— 40sin-^sin^f cos-^cos-ö2 — sin— sin-~cos2(4>2 — 40 ) j
Die Größen z/, und z/2, d. h. die relative Verzögerung der
ordinären Welle gegen die extraordinäre in der 1. und 2. Platte,
sind gegeben durch die Ausdrücke:
264 Fr. Pockels,
„ B. nz o2 — a2 sin2 NA. n D. , x sin2 NAt
2A v2 cos«- A v ° eJ cos# '
' ^ 0 D2n3 g>2 - <x>l sin2 NA2 0 D2 ' , sin2JV^2
^ = 2*TT-V-" ~^T = 2*1T (*.-"•> —o^
worin ra0, ra, die beiden Hauptlichtgeseh windigkeiten , wo, ne die
Hauptbrechungsindices , w den mittleren Brechungsindex des Kry-
stalles, v und Ä die Lichtgeschwindigkeit und Wellenlänge in Luft,
Dv D2 die Dicken der beiden Platten bezeichnen.
sin2^^! und sin2iV^L2 sind mittelst der Formin II durch <p
und &, d. h. durch die Bestimmungsstücke der Richtung N, aus-
zudrücken.
Bei schwach convergentem Lichte kann man # und <p direkt
als die Polarcoordinaten der betrachteten Stelle der Zwillingsplatte
ansehen; im Allgemeinen sind sin & und cp jene Polarcoordinaten.
Im Folgenden sollen nur die beiden speciellen Falle näher
untersucht werden, daß die Nicols gekreuzt sind, also ß — cc =
± 90° ist, und zugleich die Axenebene Ax A2 entweder 0° und 90°
oder ± 45° mit den Schwingungsebenen der Nicols bildet.
Im ersten Falle, d. h. bei der Normalstellung der Platte,
wird
IV. J = A2 \ sin2 2 ift sin2 4r + sin2 2 ^2 sin2 4r
+2sin2#1sin2#asin -~ sin —1 cos ~ cos-^2— sin-^sin-^cos2(^2— ft) ,
dagegen im zweiten Falle, also bei der Diagonalstellung,
V. J = A2 \ cos2 2^ sin2 4r + cos2 2^2 sin2 4r
+20082^0082^8^1 -—- sin — cos-^cos-^2-— -sin —sm-^ 0082(^2 — ^0 •
In beiden Fällen hat J die Form
«2 + h2 + 2ab cos y,
wo im ersten Falle
a = -äsu^^sin-gS & = -isn^^sin-^-,
im zweiten
a = .4 cos 2^ sin -.p b — A cos 2 ^2 sin -~,
Interferenzerscheinungen in Zwillingsplatten optisch einaxiger Krystalle. 265
und in beiden Fällen
cos y = cos-^ cos -~- — sin -~ sin -~ cos 2(^2 — ^J
ist.
Die Intensität kann = 0 werden nur für
« = + &, cosy = - 1,
oder a = —b, cosy = + 1.
Dies sind, wenn man sich ^t, #g, z/x, z/2 mittelst der Formeln
I, II und III durch # und tp ausgedrückt denkt, je 2 Gleichungen
zwischen & und op; es giebt also eine Anzahl von Werthepaaren
#, <p, für welche J = 0 wird. Dies bedeutet , daß es (bei An-
wendung homogenen Lichtes) nicht ganz dunkle Curven,
sondern nur ganz dunkle Punkte giebt, welche die Schnitt-
punkte der Curvensysteme mit den Gleichungen a=±&, cosy = :pl
sind.
Diese letzteren würden aber , wenn man sie als Gleichungen
zwischen # und op schriebe, viel zu complicirt, um zur Discussion
brauchbar zu sein. Noch weniger gestatten die Formeln die Un-
tersuchung der Curven constanter Intensität , welche übrigens
auch für die Ableitung der wahrgenommenen Erscheinungen nicht
wesentlich ist. —
Bevor die beiden Fälle der Normalstellung und der Diagonal-
stellung getrennt näher betrachtet werden, sei bemerkt, daß, wie
die Formeln IV und V zeigen , bei gekreuzten Nicols
immer vollkommene Dunkelheit herrscht in den
Schnittpunkten derjenigen beiden Curvensysteme,
für welche
sin-^- bb 0, also — = hit
bezw. sin -~ = 0, also -^- = h %
ist. Dies sind diejenigen Curven, welche in jeder einzelnen
Platte ganz dunkel erscheinen würden; sie mögen daher im
Folgenden als das erste und zweite „primäre" Curven-
System bezeichnet werden.
Die Gleichung des ersten von ihnen ist
sin2iVA h Dt , x . , ,
---L = — wo c = -r1 (n0 — nt) ist , oder
cosfr c} l v ° '
266 Fr. Pockels,
sin2Ä+cos2ü sin2# — sin252 cos2cp sin2#— i sin2& sin2# cosg> = — cos#.
Man kann sin # cosgp und sin -fr sing? als rechtwinklige Coor-
dinaten x und y eines Punktes des Gesichtsfeldes betrachten, indem
man sich die Erscheinung auf eine Ebene im Abstände 1 vom Di-
vergenzpunkt der Strahlen projicirt denkt; ferner kann man, wenn,
wie künftig immer vorausgesetzt werden soll, nicht sehr stark
convergentes Licht angewendet wird,
= 1 + Jsin2# = l+±(?t* + tf)
eos#
setzen, wodurch man für die der ersten Platte zugehörigen pri-
mären dunklen Curven näherungsweise folgende Gleichung
erhält :
sin2 Sl (1+ J (x2+y2)) + cos2 Sl (x2+y2) - sin2 Sl . x2 - sin 2 Sl • x = -,
h
^2(cos2ß-^sin2ß) + «/2(cos2^ + isin21ß) -#sin2ß = sin2&.
c
Diese Gleichung stellt eine Schaar ähnlicher und con-
centrischer Curven zweiten Grades dar, deren gemein-
samer Mittelpunkt weder mit dem Mittelpunkte des Gesichtsfeldes,
noch mit dem Axenaustrittspunkte zusammenfällt, aber im Haupt-
schnitte (auf der X-Axe) liegt. Die Curven sind:
Ellipsen, wenn Sl <: arctg \/2 oder < 54° 44' ist,
Parabeln, wenn Sl = arctg \J2 = 54° 44' ist,
Hyperbeln, wenn Sl >■ artcg ^2 ist.
Das Axenverhältniß der Ellipsen ist— V/q — ?~rW>
r V l-f-Jtg2^
der durch die X-Axe halbirte Asymptotenwinkel der Hyperbeln
-2arct*V/i^EL
-Jarctgyitg2ß + 1
Diese Curven sind bereits von Ohm, van der Willigen
und Bertin discutirt worden.
Das der zweiten Platte angehörende primäre Curvensystem
geht bei gleicher Dicke der Platten aus dem primären Curven-
systeme der ersten Platte natürlich durch eine Drehung von 180°
um die Plattennormale hervor; dementsprechend hat Sl entgegen-
gesetztes Vorzeichen.
Für die weitere Untersuchung ist es nützlich, die Formeln
IV und V umzugestalten, indem man in dieselben einsetzt
Interferenzerscheinungen in Zwillingsplatten optisch einaxiger Krystalle. 267
2SH1-Ö1 sm -g2- cos -y- cos -± = | ^sin1 —
+ A
sin'
Jsin5
^i+^2
2sin24-sin2^2- = sin2 ^ + sin2 ^
und nun die Glieder mit sin2 -q1, bezw. sin2 ~-, sin
*-4
2
)■
,2 ^i+Z/2
und
sm
VIII.
2 ' ™"; — 2' ~ 2
2— i^ — -zusammenfaßt. Die Formeln IV und V nehmen dann
die Form an1):
VH. J= J0 jalSin8^ + a2sin2 ^+&lSin2^±^+&2sin2^^|;
darin ist J0 für A2 gesetzt und, wie sich nach einigen einfachen
Umformungen ergiebt, für die Normalstellung
ax = a\ = sin2#1cos2#2sin2(#1— -VO»
a2 = ft2 = 8^2^0032^8^2(^3 — ^1)»
6x = b\ = sin2^1sin2^2cos2(^2— 1^,),
^2 = K = ~ sin2^1sin2i/;2sin2(i/;2— #,),
dagegen für die Diagonalstellung
«j = aj = sin2^2cos2^, sin2(V>2— VO = aj,
a2 = a2 = sin 2^ cos 2#2 sin 2(^—^1) = a°v
bx = 6J = cos 2^0082^ cos2 (#,— ^J,
&2 = &£ = — 0082^008^ sin2 (^2— ^i)-
Aus dieser Darstellung von J" als Summe von 4 Gliedern
geht hervor, daß man die ganze Erscheinung auffassen kann als
Superposition von 4 Curvensystemen, deren Intensitäten
gegeben sind durch
IX.
^ 4
«iSin- 2 ,
gl sin
A, 6lsin'4±^, 6ssin«^
Diese Superposition hat indessen im Allgemeinen nur mathe-
matische Bedeutung, da von den Größen gl, aa, bv b3 immer zwei
negativ sind. Wenn aber z.B. eine der Größen gl, aa, bx, b%
nahe = 1 ist, während die drei anderen sehr klein sind, so kann
man schließen, daß dasjenige Curvensystem, dessen Intensität jene
erstere Größe als Faktor enthält, allein wahrnehmbar sein muß.
Da nun immer je drei der Größen axl a„ bv bt einen Faktor ge-
1) Ohm, Art. XXXVI, XXXVII.
268 Fr- Pockels,
meinsam haben, so giebt es in der That im Allgemeinen
solche Stellen des Gesichtsfeldes, wo nur eine der
vier Größen von 0 verschieden und folglich nur eines
der vier Cur vensysteme sichtbar ist. Bevor hierauf
näher eingegangen wird , sollen aber jene vier Curvensysteme,
welche überhaupt auftreten können , untersucht werden. Die
dunklen Curven, mit den Gleichungen
siny = 0 und siiiy- = 0
sind die bereits oben discutirten beiden „primären a Curven-
systeme.
Das dritte Curvensystem ist gegeben durch
sin-^ — = » Const.
und möge das secundäre Curvensystem erster Art ge-
nannt werden. Die Gleichung der Curven dieses Systems ist in
rechtwinkligen Coordinaten
x%co&2Sl^^sm2£l)+y\G082Sl+^m2a)^x^^^sin2^ = C-sin2ß;
A 1
speciell für die dunklen Curven ist C = h ^ , -r, • .
r Dl+Da n—ne
Diese Gleichung gilt in derselben Annäherung, wie die oben
für die primären Curven angegebene , und unterscheidet sich von
der letzteren nur durch den Faktor von x und die Größe von G.
DieCurven des secundären Systems erster Art unter-
scheiden sich demnach von den primären Curven nur
durch die Lage des Mittelpunktes und die absolute Größe1).
Ist Dx = D2, sind also die Platten gleich dick, so fällt
der Mittelpunkt der Curven mit demjenigen des
Gesichtsfeldes zusammen, da dann das lineare Glied ver-
schwindet. In dem Grenzfalle iß = 54° 44', wo der Coefficient von
x2 verschwindet, werden dann die Curven keine Parabeln, sondern
1) Daß in den Fig. 3 u. 5, Tafel VII, in Liebisch' s „Physikalischer Kry-
stallographie" die primären Curven noch sehr kreisähnlich erscheinen, während
die secundären Curven erster Art deutlich elliptisch sind , rührt wohl von der
Verzerrung der ersteren in Folge ihrer Lage nahe dem Rande des Gesichts-
feldes her.
Interferenzerscheinungen in Zwillingsplatten optisch einaxiger Krystalle. 269
ger ad e Linien, welche der die beiden Axen enthal-
tenden Ebene parallel sind1).
Das Curvensystem, welches durch
sin — —<< — - = Const.
gegeben ist, möge das secundäre zweiter Art genannt
werden.
Die Gleichung desselben ist
*2(cos2&- Jsin2ß)+2/2(cos2ß + isin2ß)-^^±^sin2ß = C"-sin2Ä,
A 1
wo ü — h -ä ti ist für die dunklen Curven.
Dx-B2 n-ne
Demnach unterscheiden sich auch diese Curven
von den primären nur durch die Lage des Mittel-
punktes auf der x-Axe.
Wird aber Dt = D2, so rückt der Mittelpunkt in unendliche
Entfernung und die Gleichung der Curven wird
X ~ sin2ß'
wo für die dunklen Curven
C" = h ~^ — — = C
ist. Bei gleicher Dicke der beiden Platten sind also
die secundären Curven zweiter Art immer zur Axen-
ebene senkrechte gerade Linien; die Größe des Winkels
& hat nur auf den gegenseitigen Abstand der dunklen Streifen
Einfluß ; sie sind um so gedrängter, je größer & ist 2).
Es soll nun erörtert werden , welche Erscheinungen in den
beiden Fällen der Normal- und Diagonalstellung an verschiedenen
Stellen des Gesichtsfeldes auftreten. Diese Untersuchung muß sich
indessen auf die gesonderte Betrachtung solcher Stellen des
Gesichtsfeldes beschränken, wo iffv ip9 oder 1>9 — #, b e-
1) Diesen Fall hat Ohm besonders hervorgehoben ; die obige Gleichung nebst
einer Discussion für den Fall Dx = D% findet sich in der angeführten Abhand-
lung Bertin's S. 501—503.
2) Diese parallelen Streifen hat für den speciellen Fall Sl — 45° van der
Willigen berechnet; Ohm und Bertin erwähnen ihr Auftreten, ohne dasselbe
zu erklären; Bertin nennt sie „franges de Delezenne."
270 Fr- Pockels,
stimmte als constant anzusehende Werthe haben;
denn die allgemeine Discussion der Formeln für J würde sehr
umständlich sein und wahrscheinlich auch wenig anschauliche Re-
sultate liefern.
I. Normalstellung.
Es war gefunden (Formeln VII und VIII)
J = J0 |<sin2^ + a\ sin2 4. + b\ sin2 ^J-^2- + b\ sin2^-^|,
a\ = sin2^1cos2^2sin2(^1— ^2),
a\ = 8^2^0082^8^2(^2—^),
b\ = sin2^1sin2^2cos2(^2— i^,),
b°2 — — sin2i/;1sin2^2sin2(^2— ipt).
1. Zunächst ist ersichtlich, daß a°v a% b°v b°2 sämmtlich ver-
schwinden, wenn tyx = 0 oder 180° und mithin zugleich ip2 = 0
oder 180° ist, was auf der X-Axe eintritt ; demnach erscheint ein
durch den Mittelpunkt des Gesichtsfeldes gehender,
der Axenebene paralleler, schwarzer Balken, welcher
um so breiter ist, je größer die Neigung & ist1).
2. Für f2 = ± 90° ist nur a\ = sin22^x, und für 4i—± 90°
nur a°2 = sin2 2^2 von 0 verschieden ; folglich sind auf den zur
Axenebene senkrechten Linien , welche die dunklen Balken
der zweiten bezw. ersten primären Interferenzfigur
sein würden, nur das erste bezw. zweite primäre Cur-
vensystem sichtbar, und zwar mit einer Intensität der hellen
Curven, welche mit der Entfernung von den Axenpunkten wächst.
In letzteren selbst ist jene Intensität 0 und auch auf einer beträcht-
lichen Strecke seitwärts noch sehr gering, und da dies die Inten-
sität der hellsten Curven ist, so müssen die betrachteten Balken
der primären Kreuze relativ dunkel erscheinen, namentlich in
der Nähe der Axenpunkte. — Diese Erscheinung kommt natürlich
nur dann in Betracht, wenn & so klein ist, daß die optischen
Axen im Gesichtsfelde austreten2).
3. Für f2-tt = ± 90° bleibt nur b°2 = sin2 2^ übrig.
Es ist nun ty2—if>i = — 90° auf demjenigen Kreise,
welcher durch die Axenpunkte geht und deren Ver-
1) Vergl. Liebisch, Physikalische Krystallographie, Tafel VII, Fig. 3, 5
und VIII, 1, 3. — Schematische Fig. 3, a; 4, a.
2) Liebisch, Phys. Kryst, Tafel VII, Fig. 3. — Schematische Fig. 3,b,
Interferenzerscheinungen in Zwillingsplatten optisch einaxiger Krystalle. 271
bindungslinie zum Durchmesser hat. Auf diesem Kreise
und in seiner nächsten Umgebung ist also das secundäre
Curvensystem zweiter Art allein vorhanden1). Die
Intensitätsmaxima sind am größten = J0 an denjenigen Stellen,
welche auf dem zur Axenebene senkrechten Durchmesser liegen ;
dort ist auch bei nahezu gleicher Dicke der Platten — — ~ — - für
einen der Streifen = 0, und es sind daher an diesen Stellen im
weißen Lichte farbige geradlinige Streifen sichtbar.
Eine Krümmung dieser Streifen deutet auf einen Dickenunterschied
der beiden Platten hin. — Der Fall, daß nur h\ von 0 verschieden
ist, ist bei der Normalstellung nicht möglich ; daher können keine
ganz dunklen Curven des secundären Systems erster
Art auftreten. Es soll nun untersucht werden, welche Erscheinung
in der Nähe des schwarzen Balkens und des eben erwähnten
Kreises wahrzunehmen sein muß.
4. Für die dem seh war z en Balken benachbarten
Stellen in der Mitte des Gesichtsfeldes kann man
setzen
*, = ± (180»-«), t2 = ±e,
unter e einen kleinen Winkel verstanden.
Dann wird
a\ == a\ = 8*2, b\ = — 16*4, h\ ■— - ±s\
man kann daher b\ vernachlässigen und erhält
J mm J04e* J2sin2^+2sin2^-sin'^±^j
= Jm |^in2^ + Jsin2^-isin2^±^j.
Für 4±^ = (tt+1)"} wird
<T= ^|isin2^+Jcos2^-jj =iJ„;
es sind also Curven des secundären Systems erster
Art vorhanden, auf welchen die Intensisät constant = J der
1) Lieb i seh, Phys. Kryst., T. VII, 3. — Schematische Fig. 8,c.
Nachrichten d. K. G. d.W. zu Göttingon. 1890. Nr. 7. 22
272 Fr. Pockels,
Maximalintensität ist, und welche daher als relativ dunkle
continuirliche Curven sichtbar sein müssen1).
Auf den zwischen denselben liegenden secundären Curven
erster Art:
ist
J == J^sin2 -~- oder = /„sin2 — ~ — - für gerades h, = J^cos2— ~ — -
für ungerades h. Auf diesen Curven wechselt daher J zwischen 0
und Jm und zwar in der Weise, daß die Strecken, wo 0 <: J<c \ Jm1
und diejenigen, wo %Jm<J-<Jm ist, gleich breit sind. Rechnet
man, daß diejenigen Stellen als dunkle erscheinen, wo J <z \ Jm ist,
so sind demnach die dunklen Strecken auf den secundären Curven
erster Art schmaler als die hellen.
Für Jl^J* = 2ä* wird
J=Jm (sin2 &p ~ i sin2 ÜfiJÄ) = Jjsb
und für ^~^2 = (2Ä+1)*
J = /„cos* x4 2.
Hieraus folgt, daß die gleich langen Stücke, welche durch die
Curven constanter Intensität — ~ — - = — ~ — % au^ ^en secun'
dären Curven zweiter Art — ~ — - — Jut abgeschnitten werden,
abwechselnd dunkel (von einer Intensität zwischen 0 und ^ JJ und
hell (von einer Intensität zwischen \ Jm und Jm) sind. Da nun die
secundären Curven zweiter Art diejenigen erster Art in der Mitte
des G-esichtsfeldes nahezu senkrecht schneiden ( — gleiche Dicken
der Platten vorausgesetzt — ), und da ferner die ersteren viel ge-
ringere gegenseitige Abstände haben, als die letzteren ( — weil
Jx+d2 im Mittelpunkte des Gesichtsfeldes ein Minimum hat, Jx—J2
aber nicht — ), so wird die wahrgenommene Erscheinung im We-
1) Liebisch, Phys. Kryst, T. VII, Fig. 3, 5 und VIII, 1, 3. — Schemat.
Fig. 4, b ; diese und Fig. 6 sind für den speciellen Fall gezeichnet, wo die secun-
dären Curven 1. Art zur Axenebene parallele Gerade sind.
Interferenzerscheinungen in Zwillingsplatten optisch einaxiger Krystalle. 273
sentlichen aus den relativ dunklen continuirlichen secundären
Curven erster Art und aus zwischen denselben liegenden dunklen
Flecken bestehen, welche etwa wie die dunklen Felder eines
Schachbrettes angeordnet sind, aber in der zur Axenebene
senkrechten Richtung gestreckt erscheinen1).
Wenn der Winkel Sl groß ist, etwa > 45°, so sind im ganzen
Gesichtsfelde ^ und ip2 wenig von ± 180° bezw. 0° verschieden,
und die beschriebene Erscheinung ist daher im ganzen Ge-
sichtsfelde allein wahrzunehmen ; der schwarze Balken ist dann
sehr breit wegen der langsamen Aenderung von il>t und ^2 beim
Fortschreiten nach den Seiten hin. Dies gilt also immer, wenn
die secundären Curven erster Art sehr gestreckte Ellipsen
oder Hyperbeln sind2).
5. An denjenigen Stellen des Gesichtsfeldes, welche in der
Nachbarschaft des oben erwähnten, durch die Axen-
punkte gehenden Kreises liegen, ist, t2~^i wenig von 90°
verschieden, und man kann, wenn tp2 — il>x = ± 90° ± e gesetzt wird,
nach Potenzen von e entwickeln.
Dann wird
a\ = +sin2^1cos(2^1±2f)-2£ = + £• sin^-f 4a2 sin2 2 i}>v
a\ = ±cos2t^1sin(2t/;1±2f)-2£ = ±e- sin4#1 + 4«*cos82^1,
b\ =-sin22^1.£2,
b\ = sin2^1sin(2^1±2£)(l-£2) = sin22^1±f.sin4^1~262sin22^1,
J = Jo jsin22^1(l±2£Cos2^-2£2sin2^1)-sin2^1~^2
+ s-sin^i ( sin2-^1 — sin2-^2- J
+ a2 ('4sin22^1sin2^+4cos22^1sin2^-sin22^1sina^^ J .
Nun ist sin2 "ö1 — sin2-— = sin l~I 2 sin — ^ — ?, folglich ver-
schwindet das Glied mit e auf den secundären Curven zweiter
Art, für welche ,■ ■17.,-i' = ^ ist, und die Intensität auf diesen
Curven wird durch das Glied mit e2 allein gegeben, welches
1) Vergl. die Mitte der Fig. 3, 5, Tafel VII, in Liebisch, Phys. Kryst.
Schemat. Fig. 4.
2) Liebisch, Phys. Kryst., VIII, 1 u. 3.
22*
274 Fr. Pockels,
für das betrachtete Grebiet sehr klein ist. Daraus folgt, daß
die secundären Curven zweiter Art auf einer ziemlich
beträchtlichen Strecke zu beiden Seiten des mehrerwähnten
Kreises noch merklich ganz dunkel erscheinen1).
6. Um zu sehen, wie der Uebergang von der unter 4) be-
schriebenen Erscheinung zu den ganz dunklen secundären Curven
zweiter Art stattfindet, werde noch diejenige Stelle betrachtet, wo
^ = 180°-22i°, ^2 = 22£° ist. Es wird
-r , -r i • 2 ^1 . «2^2 i • 2^1+^2 , 1 • 2^l"~^2)
J = |/0 jsm^+sm2-^-- |sin2-^-^- + isin2 ^ 2j.
Man erhält daher
fü, 4±A - ?w
2 — 2
J-=iJ„(l + sin'^-2-A)
die Curven —L-^ — - haben also nicht mehr constante, sondern eine
m
zwischen \J0 und \J0 wechselnde Intensität, so daß sie für die
Wahrnehmung nicht mehr so stark wie im Falle 4) hervortreten.
Ferner wird
für *¥* = 2to J = ^^(l+cos'4^),
für
2
4+4 = (2JM-1)* J = ^cos2^-^(l + sin2 ^JÄ)
woraus folgt, daß beim Fortschreiten längs der Curven
von einem dunklen Punkte aus die Intensität jetzt schneller zu-
nimmt, als im Falle 4, so daß die dunklen Stücke der Curven
X~Z — = Jat in der Eichtung der secundären Curven erster Art
noch schmaler erscheinen, als dort. Endlich ist:
für 1±=± = 2hx J= Jl sin« ^4A-,
1) 1. c. T. VII, Fig. 8. — Schemat. Fig. 3, c.
Interferenzerscheinungen in Zwillingsplatten optisch einaxiger Krystalle. 275
für ^~± = (2Ä+1> J = J>B*4±4;
für den Wechsel der Intensität anf den secundären Curven zweiter
Art gilt also das unter 4) Gesagte.
Bei der Beobachtung werden demnach an der jetzt unter-
suchten Stelle des Gesichtsfeldes nur die isolirt liegenden dunklen
Stücke der secundären Curven zweiter Art auffallen •).
7. Endlich ist noch zu erwähnen, daß für tp1 = ± 45° oder
± 135° und von ± 180° wenig verschiedene Werthe von \p2 a\ stark
überwiegt, ebenso a\ für kleines \px und ip2 = ± 45°, ± 135°, woraus
folgt, daß das erste bezw. zweite primäre Curven system in der
Nähe des ersten bezw. zweiten Axenpunktes in der Mitte der
zwischen den primären dunklen Kreuzen liegenden Sectoren stark
hervortritt 2).
II. Diagonalstellung.
Es wurde gefunden
<7 = /oja;sin2^ + a;sin2^H-5;sin2^^ + ^sin2^Aj,
a[ = sin2V2cos2ViSin2(V2— Vi)>
a2 = sin 2 xjj1 cos 2 \p2 sin 2 (tp1 — tp2),
b[ — cos 2 \plvos2ip2 cos2 (t/>2— Vi)>
h'2 = — cos 2 ip1Gos2i/J2 sin2 (V2— Vi)«
1. Für die Ax en ebene, wo xpx = 0, xp2 = ± 180° ist
(oder V, = xp2 = 0 oder 180°), ist nur 6; von 0 verschieden und
zwar nahe = 1 ; es ist dort folglich das ungestörte secun-
däre Curvensystem erster Art sichtbar, und zwar mit der
größten möglichen Intensität8).
2. Für Vi = ± 45° oder ± 135° ist nur a2 = cos22Va von 0
verschieden, ebenso für ip2 = ± 45° oder ± 135° nur a[ = cos22Vi«
Dies tritt ein auf den Balken der Kreuze, welche in der von
der ersten bezw. zweiten Platte herrührenden primären Inter-
ferenzfigur schwarz erscheinen würden. Auf diesen Balken tritt
also das zweite bezw. erste primäre Curvensystem
1) 1. c. VII, 3 ; äußere Partieen von VIII, 1. — Schemat. Fig. 3, d.
2) 1. c. T. VIII, 1, 3. — Schemat. Fig. 3, e.
3) I.e. am besten in Fig. 6, T. VII und Fig. 4, T.VIII. - Schemat. Fig. 5,
276 Fr- Pockels,
allein auf *), wobei die Intensität der hellen Curven nach den
Axenpunkten hin zunimmt.
An denjenigen Stellen, wo tpt = ± 135°, \p2 = ± 45° ist, wo
sich also je 2 Arme der primären Kreuze schneiden, wird Jr= 0,
dort befinden sich also 2 absolut dunkle Punkte, deren Um-
gebungen wegen der langsamen Aenderung von tp1 und ip2 als zwei
ziemlich ausgedehnte dunkle Flecke erscheinen2).
3. Für ^2— Vi — — 90°, also auf dem durch die Axen-
punkte gehenden Kreise, bleibt nur h'a = cos22^j übrig;
dort ist also das secundäre Curvensystem zweiter Art
allein sichtbar, wie im Falle I, nur mit dem Unterschiede, daß
die Maximalintensität jetzt nach den Axenpunkten hin zu-
nimmt3).
4. In der Mitte des Gesichtsfeldes auf beiden
Seiten der X-Axe ist y/t *= ± (180°— e), \p2 — ± s, wo e ein
kleiner Winkel ist; es wird daher
a'1 = a'2 == 8a2, b'2 = - 4a2, b[ = 1 - 8s2.
Da b[ stark überwiegt, so sind die secundären Curven erster
Art , für welche — ^ — - = h% ist, noch als relativ dunkle Curven
vorhanden, aber die Intensität ist auf denselben nicht mehr con-
stant = 0, sondern
oder = 16f2 «70 sin4 -J-r — - für gerades h,
= 16a2 J0 cos4— x—9 — *- für ungerades h.
Jede der erwähnten relativ dunklen Curven wird demnach
durch die secundären Curven zweiter Art
1) 1. c. VII, 4 u. 6. Die nach den Axenpunkten hin convergirenden relativ
dunklen Büschel fallen nicht mit den Balken der primären Kreuze zusammen. —
Schemat. Fig. 5, b.
2) 1. c. VII, 4, 6. - Schemat. Fig. 5, c.
3) Schemat. Fig. 5, d. — 1. c. VII, 4, 6, in letzterer Fig. nur ganz schwach
sichtbar. Die scheinbare Unregelmäßigkeit der Curven in der Nähe der Axen-
punkte, welche in Fig. VII, 4 auffällt, rührt daher, daß die Regionen, in welchen
entweder nur ein primäres oder nur eines der beiden secundären Curvensysteme
allein sichtbar ist, in den Axenpunkten zusammentreffen.
Interferenzerscheinungen in Zwillingsplatten optisch einaxiger Krystalle. 277
J,-J, 2Ä+1
—2~ = ~~2~ ü
in abwechselnd hellere und dunklere Stücke getheilt; auf den
dunklen ist 4s* J0 > J > 0, auf den helleren 16s2 J, > J" > 4f2 J0.
Die relativ dunklen secundären Curven erster Art
erscheinen also durch hellere Stellen unterbrochen1),
und diese Unterbrechung wird schon in geringer Entfernung von
der X-Axe merklich, weil lfij0€* die Maximalintensität ist.
Die Curven —4— — l = — - — % erscheinen noch ziemlich
— —
gleichmäßig hell, solange 16a2 klein gegen 1 ist, da dann
1 — 8s2 gegenüber den drei variabeln Gliedern überwiegt. Beim
Fortschreiten auf einer Curve
^h^ = Const.
ändert sich die Intensität ungefähr wie sin2 — ^ — -; hieraus und
aus dem durch sin4 — l—^ — - bezw. cos4 — 1—^ — - gegebenen Gesetze
der Helligkeitsänderung längs der secundären Curven erster Art
folgt, daß die dunklen Flecke viel weniger in der Richtung normal
zur X-Axe gestreckt erscheinen , als bei der Normalstellung, und
daß sie in größerer Entfernung von der Axenebene, wo der Ab-
stand der secundären Curven erster Art im Verhältniß zu dem der
secundären Curven zweiter Art nicht mehr so groß ist, sogar
tangential zu den secundären Curven erster Art ge-
streckt erscheinen2). — Dies ist die bei großem Sl im ganzen
Gesichtsfelde auftretende Erscheinung. Wird Sl nahe = 90°, so
erscheinen die Hyperbeln erster Art höchstens noch am äußersten
Rande des Gesichtsfeldes unterbrochen und die Erscheinung unter-
scheidet sich von derjenigen, welche eine einfache Platte, die
unter dem Winkel Sl gegen die optische Axe geschnitten ist, dar-
bietet, nur noch durch die centrische Lage der Hyperbeln 3).
5. Für die dem unter 3) erwähnten Kreise benach-
barten Stellen gilt das im Falle I, 5) Gesagte; doch sind bei
der Diagonalstellung die secundären Streifen zweiter Art weniger
1) Schemat. Fig. 5, e und 6.
2) 1. c. VII, 6 und VIII, 2, 4. — Schemat. Fig. 6.
3) 1. c. VIII, 5 und 6.
278 Fr- Pockels, Interferenzerscheinungen in Zwillingsplatten etc.
gut wahrnehmbar , als bei der Normalstellung, weil gerade dort,
wo sonst jene Streifen am besten sichtbar sind , die unter 2) er-
wähnten dunklen Flecke liegen.
6. Für diejenigen Stellen, wo^ = ± (180°-22i°), tp2 = ± 22f
ist, erhält man
K = i, K = -h
J = i J0jsm2^ + sin2-^ + isin2--^-^- Jsm2-^--^|.
Diese Formel geht aus der für den Fall I, 6) angegebenen
dadurch hervor, daß man — }-~- - mit — — — - vertauscht ; die Be-
trachtungen , welche unter I, 6) angestellt wurden , werden also
hier zutreffen, wenn man das zweite und erste secundäre Curven-
system mit einander vertauscht. Folglich unterscheidet sich die
Interferenzfigur von der unter I, 6) beschriebenen nur dadurch, daß
die Längsrichtung der dunklen Flecke oder Striche mehr tangential
als normal zu den secundären Curven erster Art liegt, und daß
statt der relativ dunklen Curven erster Art solche der
zweiten Art auftreten1), nämlich die Curven
l + sm8-^--^ j j
auf welchen J — J T ist, also zwischen —£• und -£-
4 4 2
variirt.
Der Uebergang dieser Interferenzfigur in die secundären
Streifen zweiter Art wird bei der Diagonalstellung nicht gut zu
verfolgen sein, weil bei wachsender Entfernung vom Centrum Jo
bald sehr abnimmt, indem man sich den dunklen Flecken nähert.
1) Aeußere Partieen der Fig. 2, T. VIII, 1. c. — Schemat. Fig. 6, a.
Nachr. d. Ksil. Ges. d.Wiss. 1890. N°7. S. 259.
Ml Fi$-2-
Fig. 3.
Fif f.
I_l I I t T
i:i:i:i:i:Cj5:
ftllii
,1. 1,1,1. ■,-
'■'■'■■■'■'.'»
Fii. 5.
Fi§. 6.
mmmmmm * *\ iura 111
* — I UTJ
A W.PimoT K-dchfl &oiiin$ef\
W. Voigt, Bestimmimg der Klasticitäts - Constauten etc. 279
Bestimmung der Elasticitäts-Constanten des
brasilianischen Turmalines.
Von
W. Voigt.
Die bekannten Eigenschaften des Turmalines, durch Temperatur-
oder Druckänderung electrisch erregt zu werden, geben den Be-
stimmungen seiner Elasticitäts - Constanten ein ganz besonderes
Interesse, denn offenbar ist ihre Kenntniß für die genaue Beur-
theilung der bei Compression oder Erwärmung in ihm auftretenden
Deformationen und Spannungen nothwendig. Außerdem verspricht
ihre Kenntniß einige Aufklärung darüber, ob die Polarität der
Moleküle, welche wir zur Erklärung der elastischen Erscheinungen
annehmen müssen, eine electrische ist, insofern sie in diesem Falle
bei hervorragend pyroelectrischen Krystallen sich auch mit beson-
derer Stärke geltend machen müßte.
Geleitet durch diese Ueberlegungen habe ich schon seit Jahren
versucht, für die Elasticitätsbeobachtungen genügendes Material
von Turmalin zu beschaffen, aber erst vor Kurzem ist mir solches
durch Vermittelung von Herrn C. F. Pech in Berlin zugegangen.
Der sehr kostbare Turmalinkrystall , den ich ihm verdanke,
stammt aus Brasilien und maß bei einer Länge von ca. 9 cm nahe
3 cm in der Dicke ; beide Enden waren verbrochen , die Seiten-
flächen durch abwechselndes Auftreten des trigonalen und hexa-
gonalen Prismas in bekannter Weise gestreift ; der Querschnitt
zeigte ungefähr ein gleichseitiges Dreieck. Die Farbe des Kry-
stalls war tiefgrün und in großen Strecken völlig homogen ; in
anderen deutete ein leichter Wechsel derselben auf schaaligen
Aufbau in der Richtung der Hauptaxe. Sprünge waren leider
mehrfach verhanden und konnten wegen der dunkeln Färbung erst
wahrgenommen werden, nachdem der Kry stall in Platten resp. in
Stäbchen zerlegt war ; sie ließen sich demgemäß also nur mit
Schwierigkeit vermeiden.
Die zur Beobachtung benutzten Prismen hat Herr Dr. W. Steeg
und Reuter in Bad Homburg angefertigt.
Den Krystall denke ich mir wie gewöhnlich aufgestellt, wähle
die Hauptaxe zur Z-Axe, eine Symmetrieebene zur FZ-Ebene und
lasse die + Y-Axe aus einer um die + Z-Richtung gelagerten Fläche
des Rhomboeders + B austreten. Bezeichne ich dann die Richtungs-
280 W. Voigt,
cosinus der Länge L, Breite B, Dicke D des zu betrachtenden
rechtwinkligen Prismas nach dem folgenden Schema
X
r
Z
L
a
ß
T
B
*i
P,
t,
D
«2
ß2
T2
so ist die Bezeichnung und Orientirung der benutzten Gattungen
von Stäbchen durch folgende Zusammenstellung gegeben
. 1(0») a = ß = 0, T = 1, Tl = y2 = 0;
I(+45°) « = 0, ß = T = 1/V2, Tl = 0;
I(_4B°) b = 0, -ß = +T = 1A/2, Tt = 0;
11(90») a = 1, ß = i = 0, Tl = 0, Tl = 1 ;
II'(90») ■ = 1, ß = t = 0, T, = 0, Tl = 1.
Hierbei deutet I auf die Lage der Längsaxe im ersten
Hauptschnitt, nämlich der Symmetrieebene, II auf die Lage im
zweiten zum ersten normalen Hauptschnitt.
Bezüglich der für rhomboedrisch - hemiedrische Krystalle gül-
tigen Formeln — welche auch auf den hemimorphen Turmalin
anwendbar sind — verweise ich auf die gelegentlich der Unter-
suchung des Kalkspaths gegebene Zusammenstellung1).
Hier sei nur noch der Ausdruck für den Dehnungscoeffi-
cienten E und den Drillungscoefficienten T angeführt;
es gilt nämlich
1) E = Sn(l-fy + s3^ + (sii+2st3)f(l-f) + 2sll?-;(^-n
2) T = s« + (2 (sa - sj - sj Yl + 4 (s„ + sa - slt - 2s13) f fj
+ 4U(Tß1 + ßT,)(3««-ßß1)--ß2T2].
E = 1/E, T = 1/T sind die bezüglichen Dehnungs- und
Drillungswiderstände.
Aus den obigen allgemeinen Werthen folgen die für die beob-
achteten Stäbchen gültigen speciellen:
o\ E0 = s33, L^45 = ¥ (sn + s33 + s44 + J (s13 :p s^)), L90 = £i90 = 5n,
^90 ==: ^(5ll~512j? IflO == 544'
1) W. Voigt, Gott. Nachr. v. 1889, No. 19, p. 483. Dort finden sich alle
Formeln, auf welche im Folgenden Bezug genommen wird.
Bestimmung der Elasticitäts-Constauten des brasilianischen Turmalines. 281
Sie gestatten die Bestimmung der shk oder „Elasticitäts-
moduln" ans den beobachteten Deformationscoefficienten EundT;
ans ihnen folgen dann die eigentlichen Elasticitäts-Con-
stanten chk nach den Formeln:
ca + eu =
BÄ
Slt + ^i2
Cn ~- ~~ C,0 —
c1/L =
544(5ll~S12)"~25j4 '
4)
533(5n + S12)-24'
C = Sn~si2
Su(SU~~S12)~%s2U
Die folgenden Beobachtungstabellen sind in derselben Anord-
nung und Bezeichnung aufgestellt, wie die entsprechenden in meinen
früheren Arbeiten. Die Einheiten der Längen L des Stäbchens
sind Millimeter, die der Breiten JB und Dicken D Trommel theile
des Sphärometers gleich 1/992,6 mm. Die Art und Weise, wie
die Beobachtungen der Dimensionen verwerthet sind, ist früher
auseinandergesetzt worden.
Die Bestimmung der Dimensionen und eines Theiles der Bie-
gungen hat, wie schon früher, Herr Dr. Drude ausgeführt.
B = 5700 + ß
ß = 59 79 98 Xi3 i49 178
61 79 97 118 146 180
Dimensionen.
1(0°) No. 1. D = 900 + 5
8 = 106,9 100,7 96>° 95>x 97'9 io4;° JII>9
108.1 101,5 97.5 97,* 99;8 io5.4 "2,9
108,0 101,7 97,0 97,1 99,3 105,4 iia,6 Mittel 60 79 98 120 147 179 199
114,8 103,4 99,8 98,8 101,7 io7,8 "M
Mittel 111,9 101,8 97,6 97,1 99,7 105,6 113,4
ber. 110,6 102,7 98>x 97;° 99>3 I05»1 IJ4»4
\ = 97»o» 8i = °»62' 82 = I>7*-
1(0°) No. 2. D = 900+ 5
0 = 117,5 109,3 101,6 98,6 99,4 102,3 Io8>5
118,3 II0»3 I04»4 99>7 IOO>3 103>4 108,2
118,8 109,7 102,8 99,6 100,0 102,5 Io8>3
121.2 109,1 103,5 100,2 99,5 102,8 108,1
Mittel 119,0 109,6 103,1 99,5 99,8 102,7 Io8»3
ber. 119,1 109,5 103,0 99,8 99,6 102,5 Io8»7
&o = 99>8» \ = I>74, \ = i>58-
1(0°) No. 3. D = 700+5
5 = 53>8 5^0 52,0 54,5 59,o 67,0 77,0
56,0 54,9 54,9 57,3 63,0 70,3 79,5
56,5 55,3 55,o 57,8 63,0 70,9 80,2
59;° 57,5 58>o 6'»' 67»° 74,5 8a,7
Mittel 56,4 54,7 55,0 57,7 63,0 70,7 79,9
ber. 56,5 54,6 55,0 57,8 63,0 70,4 80,3
&o = 57,8, \ = 3,96, 5a = 1,18
JB - 5700 + ß
ß = 45 68 88 107 136 164 193
49 68 89 in 136 166 193
Mittel 47 68 89 109 136 165 193
B = 5400 -f ß
36
46 54 63 68 75 *»
38
47 55 6* 7o 76 79
Mittel 37 46 55 62 69 76 80
282
W. Voigt,
1(0°) No. 4. D =
5 = 79,8 80,2
88,o 87,2
90,3 90,2
97»5 96,6
Mittel 88,9 88,5
ber. 89,4 87,4
80 = 89,2, \
I(+450) No. 1. D =
8 = 71,0 74,5
74,* 75,5
72,8 76,6
73,o 76,3
900 + 8
80,1 85,3 92,2
88,0 93,1 99,0
89,9 95,8 100,5
97,4 103,1 109,3
88.8 94,3 100,2
89,2 93,6 100,8
= 2,85, 82 = 1,47.
700 + 8
78,6 83,5 90,5
81,0 86,0 92,2
80,5 84,8 92,9
80.9 85,9 95,2
Mittel 72,8 75,7
ber. 72,7 75,7
80 = 80,0 8j :
1(4-45°) No. 2. D =
8 = 81,9 82,1
83,8 84,8
85,0 85,6
87,0 87,1
Mittel 84,4 84,9
ber. 85,1 84,1
80 = 84)8, \ =
1(4-45°) No. 3. D =
8 = 91,0 90,0
91,9 90,0
92,8 91,7
92,4 90,2
80,2 85,0 92,7
80,0 85,5 92,3
= 4,9, 52 = °>62-
700 -j- 8
81,9 84,0 88,0
85,2 85,9 91,7
84.6 87,0 90,7
87,2 89,0 93,3
84.7 86,5 90,9
84.8 86,9 90,5
= i,35, \ = o,74
= 700 + 8
89,0 90,4 92,2
92,0 91,0 96,8
91,4 90,7 93,5
90,8 92,4 96,3
Mittel 92,0 90,5
ber. 91,9 90,6
80 = 90,6, 8t
I(+45°) No. 4. D =
& = 75,7 75,7
80,1 79,8
8i,3 80,5
85,1 85,0
90,8 91,1 94,7
90,6 91,8 94,1
= o,55, 82 = 0,61.
: 700 4" 8
77,2 79,2 83,2
80,5 85,0 88,0
8i)4 85,1 88,9
85,5 88,3 91,7
Mittel 80,5 80,3
ber. 80,6 8o,i
80 = 81,25, 8,
I(-45°) No. 1. D --
s = 33,8 35,1
50,2 51,0
50,0 5i,4
65,9 65>6
Mittel 50,0 50,8
ber. 49,7 5i>3
so = 54,5» \
81.1 84,4 88,0
81.2 84,0 88,3
= i,93, 52 = °)8o-
= 700 4- 8
38,9 44,0 49,9
55,2 6o,8 65,3
54,8 60,0 66,0
69,0 75,0 81,2
B = 5400 + ß
ß = 56 69 82 93 113
58 71 86 95 108
Mittel 57 70 84 94 in
B = 4300 + ß
ß = 67 75 80 87 97
69 74 82 88 102
Mitter68~ 75 81 87 100
B = 4300 4- ß
ß = 83 89 96 106 115
83 90 98 106 116
Mittel 83 90 97 106 115
B = 4300 4- ß
ß = 77 84 92 101 110
78 87 93 102 109
Mittel 77 86 93 101 109
B = 4300 + ß
ß = 69 73 79 86 92
66 71 75 82 90
Mittel 67 72 77 84 91
B = 43oo f ß
ß = 29 37 45 58 68
*9 39 45 56 65
Mittel 29 38 45 57 67
54,5 60,0 65,6
54,5 59,4 65,9
= 4>i> 8a = °>83-
Bestimmung der Elasticitäts-Constanten des brasilianischen Turmalines. 283
I(— 45°) No. 2. D = 700 + 5
8 = 48,4 51,5 56,7 63,i 73.4
54,o 58,5 6*>5 69,7 80,0
55,9 58,3 64»o 71,6 81,8
60,3 64,3 68,6 75,8 85,9
Mittel 54,6 58,1 62,9 70,0 80,3
her. 54,9 57,7 62,9 70,3 80,1
50 — 62,9, 5t = 6,3,
1,14.
I(— 45°) No. 3. D = 700 + 5
5 = 72,5 74,0 77,8 82,6 87,1
73,9 75,7 78,5 83,3 90,0
75.0 77,0 80,2 85,0 93,0
77,2 79,9 82,0 86,0 92,0
Mittel 74,6 76,6 79,6 84,2 90,5
ber. 74,8 76,5 79,6 84,3 90,4
\ = 79,6, 8X = 3,9, S2 = 0,74.
I(— 45°) No. 4. D = 700 + 8
8 = 76,9 76,9 76,0 80,8 85,3
84.1 83,3 84,5 87,0 90,2
83.7 83,1 84,2 86,5 90,0
83.8 84,0 85,3 88,8 90,5
Mittel 82,1 81,8 83,0 85,8 89,0
ber. 82,0 81,9 83,1 85,5 89,3
\ = 83,05, \ = 1,82, 8a = 0,64.
11(90°) No. 2. D = 6oo + 5
8 = 76,1 78,0 81,4 82,9 86,2
77,8 80,1 81,3 84,3 87,2
78,6 79,5 81,6 84,3 87,4
8o,6 81,6 83,2 85,5 88,2
Mittel 78,3 79,8 81,9 84,2 • 87,2
ber. 78,3 79,8 81,9 84,3 87,1
60 = 81,85, 8t = 2,22, 5a = 0,21.
11(90°) No. 3. D = 600 + 5
8 = 78,2 80,0 81,3 82,1 83,0
78,4 80,6 82,2 83,4 83,6
78,6 80,7 82,8 83,5 83,5
79,4 82,1 83,1 83,9 84,8
Mittel 78,7 80,8 82,3 83,2 83,7
ber. 78,7 80,8 82,3 83,2 83,7
\ = 82,3, 8j = 1,23, 82 = — 0,28.
11(90°) No. 4. D — 700 + 5
5 = 92,6 96,0 100,1 105,8 110,2
98,0 101,2 105,3 108,4 **M
99,0 103,4 108,0 112,2 114,3
103,5 108,2 112,0 «6,3 119,7
Mittel 98,3 102,2 106,3 110,7 114,1.
B = 4300 + ß
ß == 62 56 45 37 30
61 54 46 36 29
Mittel 61 55 46 37 29
B = 4300 + ß
ß = 71 60 51 43 36
72 62 52 45 38
Mittel 71 61 52 44 37
B = 4300 + ß
ß = 34 4i 49 58 70
32 41 48 57 67
Mittel 33 41 49 59 69
B = 4300 + ß
ß = 42 44 35 32 27
40 47 33 33 30
Mittel 41 46 34 32 29
B = 4200 + ß
ß = 88 98 102 107 m
90 100 105 107 112
Mittel 89 99 104 107 in
B = 5000 + ß
ß = 41 43 43 42 40
4> 44 44 4» 39
Mittel 42 43 43 42 40
284
W. Voigt,
11(90°) No. 5. D = 800 + 8
8 = 22,0 23,6 25,0 27,1 27,3
24,0 25,0 26,1 27,4 30,2
25.2 26,4 28,3 28,8 30,6
23,9 26,4 28,1 28,9 30,7
Mittel 23,8 25,3 26,9 28,0 29,7.
II'(90°) No. 1. D = 600 + 8
8 ss 80,1 82,6 84,5 87,8 93,3
83.3 84,8 86,2 89,5 94,0
83,3 84,8 86,8 89,5 94,0
84,8 86,7 87,6 91,3 96,3
Mittel 82,9 84,7 86,3 89,5 94,4
ber. 83,4 84,3 86;4 89,7 94,*
80 ss 86,4, ht = 2,7, 82 = 0,60.
II'(90°) No. 2. D = 600 + 8
8 = 86,0 86,3 88,i 90,8 93,8
89,1 89,0 90,4 92,2 95,4
88,4 88,5 89,4 91,7 94,9
88,9 9°,3 9^4 9*>7 96>°
Mittel 88,1 88,5 89,8 91,8 95,0
ber. 88,1 88,5 89,8 91,9 94,9
80 = 89,8, \ = 1,7, 82 = 0,44.
IF(90°) No. 3. D = 600 + 8
8 == 91,5 90,9 92,3 94,7 98,7
9<>,9 91,0 92,8 94,9 98,5
91,9 90,9 92,8 95,6 98,0
91,7 91,2 92,8 94,7 98,7
Mittel 91,5 91,0 92,7 95,0 98,5
ber. 91,1 91,4 92,7 95,0 98,3
\ = 9*»7, 8i = i>8, 82 = °>5*-
B — 5000 + ß
ß = 56 56 58 56 53
58 58 59 58 55
Mittel 57 57 58 57 54
B — 5100 + ß
ß = 21 29 42 49 58
*3 35 44 51 6°
Mittel
22 32 43 50 59
B = 5100 -|- ß
ß = 28 39 47 57 65
28 39 49 56 65
Mittel 28 39 48 56 65
B ss 5100+ ß
ß = 69 62 55 51 36
74 63 57 49 31
Mittel 72 62 56 50 34
B ie gungen.
Die Einheiten für die Größe der Biegungen 7j sind Millimeter
der Beobachtungsscala , welche je 0,0002954 mm am Apparat ent-
sprechen. Durch Combination der Beobachtung desselben Stäbchens
in zwei Längen ist die Eindrückung r{ der Schneiden bestimmt;
(73') ist der der Berechnung zum Grunde gelegte Mittelwerth aus
den auf verschiedene Stäbchen derselben Gattung bezüglichen
Resultaten. P ist die in Grammen ausgedrückte Belastung.
Die Beobachtungen sind bei etwa 18 ° C. angestellt.
1(0°) No. 1.
= 60,07, B = 5825, D = 998,6,
P p= 105,
1. Lage f\ = 198,4 198,4 198,4
2. Lage r\ = 198,6 198,7 198,7
*)106 = '98,5, (V) = lß$.l
JE ss 16330000,
Bestimmung der Elasticitäts-Constanten des brasilianischen Turmalines. 285
1(0°) No. 2. L = 60,07, B — 5814, D === 1001,2, P == 105,
1. Lage q m 197,8 197,7 ^7,8
2. Lage yj = 197,3 »97,3 J97,*
I105 = J97,5, (V) = 1,05, J2 = 16320000.
1(0°) No. 3. L = 14,07, ^ = 546i, 2> = 758,8, P = I05,
1. Lage yj = 7,2 7,2 7,3
2. Lage yj = 7,2 7.3 7,*
%oö = 7,2, V = 1,03.
L = 45,07,
1. Lage r) = 203,6 203,8 203,7
2. Lage yj = 203,6 203,6 203,6
rho5 = 203,65, (l') = !,05, -E = 16340000
1(0°) No. 4. L = 14,07, B = 5483, D — 989,9, p = 105,
1. Lage yj == 4,0 4,0 3,9
2. Lage yj = 3,9 3,8 3,9
%o5 = 3,9, *)' 1,08.
L = 40,07,
1. Lage yj = 66,i 66,1 66,2
2. Lage yj = 66,1 66,3 66,1
rj106 = 66,15, 0)') = *& (E = I6O30000.) *)
Gesammtmittel E0 = 16330000, E0 == 6,124. I0"8
wahrscheinlicher Fehler + 4000, + 0,002.
I(+ 45°) No. 1. L = 28,07, B = 4382, D = 780,2 P = 135,
1. Lage yj =a= 70,4 70,5 70,5
2. Lage yj = 70,6 70,7 70,6
?)i35 = 7o,55, (V) = M. E = 17150000.
I(-f 45°) No. 2. L = 14,07, -B = 4398, -D = 785,1, P = 135,
1. Lage yj = 10,4 10,7 10,6 io,6
2. Lage yj s= 10,4 10,5 10,7 10,8
^iss = IO,6, Y — M*
L = 30,07,
1. Lage yj = 84,8 84,8 84,9
2. Lage yj = 84,7 84,9 84,9
*Ji86 = 84,83, (*»)') = 1,8, E = 1707 0000.
1(4-45°) No. 3. L = 14,07, ^ = 4393, P> = 790,8, P = 135,
1. Lage yj = 10,1 9,9 10,1 io,i
2. Lage yj = 10,3 9,8 9,9 9,9
*)l85 = IC,02, Yj' m 1,7-
L = 30,07,
1. Lage yj bbs 82,9 82,9 82,8
2. Lage yj = 82,5 82,4 82,3
^185 = 82,63, (V) = J»8» B = 17180000.
1) Von der Berechnung des Mittelwerthes von E ausgeschlossen, da im
Innern des Stäbchens kleine Sprünge sichtbar waren.
286 w. Voigt,
I(+45°) No. 4. L = 14,07, B = 4378, D = 781,5, P == 135,
1. Lage i) = 10,3 10,3 10,5
2. Lage yj = 10,4 10,3 10,3
Im = IO»35» i}' = i>7-
L = 25,07,
1. Lage yj es 50,4 50,5 50,5
2. Lage yj = 50,5 50,5 50,5
^185 = 5°»5» (*)') = M, * = 17170000.
Gesammtmittel E+45 = I7I6oooo, E+46 = 5,82s. I0~8
wahrscheinlicher Fehler + 18000. + 0,006.
( —450) No. 1. L = 34,07, 5 = 4347» 2> = 754,8 P = 135,
1. Lage Y] sb 152,3 152,3 152,5
2. Lage yj = 152,3 152,3 152,1
^lss = J5*»3> (ff) = i»76, 13 =s I56ooooo.
I(-45°) No. 2. i = 29,07, B = 4346, D = 763,4, P = 135,
1. Lage yj = 92,4 92,4 92,5
2. Lage yj = 92,6 92,6 92,6
^135 = 9*»5» (ff) = !»76» -E = 15550000,
I(— 45°) No. 3. L = 14,07, -B = 4350, B == 779.9» -P = «35i
1. Lage yj = 11,0 11,0 11, 1
2. Lage yj = 11,8 11,7 11,7
Y]185 = 11,4, Yj' s= 1,79.
L = 32,07,
1. Lage yj = 114,8 114,9 "4>8
2. Lage yj = 116,1 116,4 116,3
*)i8ö = "5»55 (ff) = *»76 ^ = 15590000.
I(— 45°) No. 4. L = 14,07 B ss 4349» ■*> = 783»4» P = ^35»
1. Lage yj = 11,0 10,9 11,1
2. Lage yj = 11,7 11,4 11,5
nki = "'3. ff = i»73-
L SB 34,07
1. Lage yj = 137,9 *37»8 *37»9
2. Lage yj = 137,4 137,7 137,6
*)i85 = i37,7 (ff) = i»76, JE = 15490000.
Gesammtmittel JE_45 = l556oooo, E_45 = 6,427.I0~8
wahrscheinlicher Fehler + 17000. + 0,007.
II (90°) No. 2. L = 14,07, 5 = 4337, D = 682,0, P = 105,
1. Lage yj = 8,3 8,4 8,4
2. Lage yj = 8,5 8,3 8,3
''Qioö = 8»4» ff = i»56-
L — 23,07, ,
1. Lage yj = 31,7 31,7 31,7
2. Lage yj = 31,8 31,7 31,6
*ho5 = 3»»7» (ff) = i»5» « =r 25490000.
Bestimmung der Elasticitäts-Constanten des brasilianischen Turmalines. 287
11(90°) No. 3. L = 14,07, B = 4302, D = 682,2, P = 105,
1. Lage y] ss 8,3 8,2 8,2
2. Lage yj = 8,4 8,3 8,4
%0S = 8>3, *]' — M*-
L = 23,07,
1. Lage yj = 31,9 31,8 31,9
2. Lage y) = 31,7 31,7 31,7
lios = 3*»77. (Y) = i«5i E = 256iooüo.
II'(90°) No. 1. L — 14,07, B = 5141, D = 686,6, P = 105,
1. Lage 7) = 6,8 6,9 6,7
2. Lage yj = 6,8 6,7 6,8
riio5 = M, V = M5-
X == 27,07,
1. Lage y) = 41,5 41,4 41,4
2. Lage yj = 41,4 41,4 41,3
Tj105 = 41,40, yj' = i,i9, E = 255yoooo.
IF(90°) No. 2. L = 14,07, .5 = 5148, D == 690,0, P = 105,
1. Lage t] = 6,9 6,9 6,8
2. Lage yj = 6,7 6,6 6,6
*)io5 = 6,75, r{ = 1,23.
i = 28,07,
1. Lage 7) = 44,9 44,9 44,8
2. Lage yj = 45,4 45,3 45,1
1)105 = 45,o7, (V) = M9, Ä - 25710000.
II'(90°) No. 3. L = 27,07, B = 5155, D = 692,9, P = 105,
1. Lage yj = 40,4 40,4 40,4
2. Lage yj = 40,5 40,5 40,5
i]io6 = 40,45, W = 1,19» « !■ 25430000.
Gesammtmittel JE90 = 2557oooo, E^ = 3-91 1 .I0~8
wahrscheinlicher Fehler + 34000. + 0,005.
Die vorstellenden Werthe sind nun noch deswegen zu corri-
giren, daß die beobachteten Stäbchen nicht genau die voraus-
gesetzten Orientirungen besaßen. Für die Grattungen 1(0°) und
11(90°) hat ein Fehler der Richtung der Längsaxe nur einen
Einfluß von zweiter Ordnung, aber bei den Gattungen I(+45°)
und I( — 45°) kommt er wesentlich in Betracht.
Da Turmalin keine deutliche Spaltbarkeit besitzt, so war der
beste Weg, den Fehler der Orientirung zu bestimmen, der, mit
dem Anlegegoniometer den Winkel der für die Herstellung der
Stäbchen durch eine parallel der Axe hergestellte Platte des
Kry stall es ausgeführten Schnitte gegen eine Längskante zu
messen ; dabei ist vorausgesetzt, daß die Orientirung der Stäbchen
durch das Abschleifen nicht merklich geändert ist — eine Annahme,
die bei einem so harten Material wie Turmalin nahezu erfüllt
gewesen sein wird,
Nachrichten von der K. G. d. W. zu Göttingen 1890. No. 7. 23
288 W. Voigt,
Die angestellte Messung ergab für die Gattung I (+ 45°) einen
Winkel von
+ 44,°5,
für die Gattung I(— 45°) einen Winkel von
-44,°9
zwischen der Längsaxe des Stäbchens und der Hauptaxe des Kry-
stalles. Dem entspricht eine Correction von + 0,024.10~8 für die
erstere, von — 0,003. 10~8 für die letztere Gattung, so daß nurmehr
folgendes System von Werthen resultirt:
E0 = (6,124 ± 0,002) . 10-8,
E+45= (5,852 ± 0,006). 10-8,
E_45= (6,424 ± 0,007). 10"8,
Efl0 = (3,911 ± 0,005). 10-8.
Aus ihm folgen die Werthe der in Formel (1) auftretenden
Aggregate der shk-, es ist nämlich:
sn = ( 3,911 ± 0,005). 10-8,
m s33 = ( 6,124 ± 0,002). 10-8,
; 8u = ( 0,572 ± 0,009). lO"8,
s^ + 2si3 = (14,517 ± 0,014). KT8.
Demgemäß lautet jetzt das allgemeine Gesetz des Dehnungs-
coefficienten für Turmalin:
6) E = (3,911. (l~Y2)2+6,124.-1,+14,517Y2(l-Y2)+l,144.ßT(3a2-ß2)).10-.
Setzt man hierin
a = 0, y = cos<|>, ß = sin^,
so erhält man das Entsprechende für die Symmetrieebene des
Kr y stalles ; Maxima und Minima liegen etwa bei den Winkeln
fc = - 35°, *n = 0°, fa = 25°, fc = 78,5°
und haben die Werthe :
Ei = 6,56.10"3, En = 6,12.10-3, Em = 6,31.10-8, EIV = 3,96.10"8.
Figur 1 auf der beigegebenen Tafel stellt den Verlai1^ von
E in der Symmetrieebene oder dem ersten Hauptschnitt dar.
Setzt man in (6)
ß = 0, 7 = cos<|>, a = sin<|>,
so resultirt das Gesetz für die Ebene normal zur Symmetrieebene
Bestimmung der Elasticitäts-Constanten des brasilianischen Turmalines. 289
oder den zweiten Hauptschnitt. Figur 2 giebt die entsprechende
Curve.
Drillungen.
Die Drillungsbeobachtungen stießen bei den Stäbchen 11(90°),
deren Breitseiten normal zur Krystallaxe liegen, auf eine eigen-
thümliche Schwierigkeit.
An der einen Seite des Krystalles, dessen Querschnitt, wie
oben gesagt, angenähert ein gleichseitiges Dreieck war, befand
sich, wie es schien auf der ganzen Länge, eine etwas dunkler
gefärbte Partie, welche gegen die Hauptmasse des Krystalles
durch einige Flächen des hexagonalen Prismas begrenzt war.
Längs dieser Flächen scheint eine Störung der Fortwachsung
stattgefunden zu haben und zwar war besonders an dem einen
Ende des Krystalles die Verbindung eine unvollkommene, denn
die erste normal zur Krystallaxe abgeschnittene Platte zersprang
von selbst in zwei Theile längs dieser Grenze. Aus einer zweiten
derartigen Platte wurden die ersten drei Stäbchen der Gattung
11(90°) hergestellt, die beim Schleifen und Poliren den Zusammen-
hang behielten. No. 2 und 3 gaben bei den Biegungsbeobachtungen
gut übereinstimmende Werthe für E, No. 1 wurde seiner geringen
Länge wegen nicht gebogen.
Bei der Drillung gab No. 3 den größten Werth für T, No. 2
einen viel kleineren und No. 1 zersprang längs einer der beschrie-
benen Grenzen bei einer Belastung, welche die beiden anderen
Stäbchen bereits ausgehalten hatten. Da ich überdies in No. 2
mit der Loupe eine Störung in jener Grenze zu sehen glaubte,
in No. 3 nicht, so nahm ich an, daß dieselbe von dem einen ver-
brochenen Ende des Krystalles her bis etwa in die Tiefe von
No. 2 mit abnehmender Stärke sich fortgesetzt habe.
Um sichere Werthe für T zu erhalten, ließ ich aus einer
dritten Platte parallel einer andern Kante noch drei Stäbchen
(No. 4, 5, 6) herstellen. Freilich waren in denselben kleine Sprünge
vorhanden, welche No. 6 völlig, No. 4 und 5 fast zur Hälfte un-
brauchbar machten, aber die Reste gestatteten noch die Beobach-
tung und gaben mit No. 3 gut stimmende Werthe, welche, da
die Stäbchen sichtlich ziemlich homogen waren, als die wahren
der bezüglichen Orientirung entsprechenden zu betrachten sind.
No. 3 und 5 als regelmäßiger in der Form sind je zwei Mal, No. 4
als unregelmäßiger nur ein Mal beobachtet.
Die Stäbchen der Gattung II'(90°) waren in der Farbe völlig
homogen und gaben zu keinen Bedenken Anlaß.
290 W. Voigt,
Bei den Drillimgsbeobachtungen war der Abstand zwischen
Spiegel nnd Scala 5174 mm, die Millimeter der Scala waren um
0,00374 zu groß ; der mittlere Hebelarm, an welchem die Belastung
G + P wirkte (G das Gewicht der Waagschaale), hatte die Länge
von 36,80 mm. Die beobachteten Verschiebungen a sind bereits
von der Tangente auf den Bogen reducirt; p ist die Größe der
Axenreibung in Millimetern der Scala.
Bezüglich der Berechnung von T und T verweise ich auf die
früheren Arbeiten.
11(90°)
No.
2.
L =
: 18,89, B ~
= 4337,
D .
= 682,0
,
rR.
O 4
5o»
0 = 95,6
95,5
95.4
95,5,
p = 2,2
G
+
25,
0 = 51,9
5i,7
5!,3
5i,5,
P = J,7
G
»
0 = 7,8
7,8
7,7
7,8,
P = 2,1
1R.
G
+
5o»
0 = 96,5
96,5
96,3
96,6,
p = 0,8
G
+
*5i
<J = 5*»5
S*»5
5M
5^,4,
P = 0,9
G
>
0 = 8,7
o5o = 87,73
8,6
8,6
8,7,
P = 0,9
{T = 987oooo.) *)
L
= 18,07
1R.
G
4-
50,
0 = 92,4
9*,3
92,1
92,3,
P = 2,4
G
+
*5>
0 = 50,5
5o,4
50,4
50,2,
P — 2,2
G
»
a ob 8,2
°5o = 84,33
8,2
8,0
P = 2,0
{T = 9820000.)1)
11(90°)
No.
3.
L =
20,95, B =
= 4303,
D :
= 682,1
»
rR.
G
+
50,
0 = 103,0
102,8
102
,8 102
,6, p = 2,7
G
+
*S>
0 = 55,*
55,3
55
2 55
0, p = 3,2
G
»
0 = 7,9
8,1
8
,0
P = 3,3
1R.
G
+
50,
0 = 103,7
103,7
103,9 103
,8, p = 2,4
G
+
fa
0 = 56,0
56,1
55,9 56
,1, p = 2,6
G
,
a = 8,4
o50 = 95,oo
8,5
L = 1
8
9,J7
,3
, P = 2,7
T = 10190000.
1R.
G
+
50,
° = 94,5
94,8
94,5
94,7,
P = 4,2
G
+
25,
0 == 50,8
51,0
50,9
50,8,
P = 4,4
G
5
0 = 6,8
6,8
6,5
,
P *= 4,6
rR.
G
+
50,
0 = 96,2
95,6
95,4
95,5,
P = 1,8
G
+
**!
0 = 51,8
51,8
5i,7
5i,7,
P = 2,4
G
,
0 = 8,0
°5o = 87,9°
7,9
7,9
,
P = 2,5
T = l007oooo.
11(90°)
No.
4.
L =
11,93, B =
B 5042,
D =
= 806,3
rR.
G
+
40,
0 = 24,7
24,6
H,7
24,7,
p = 0,7
G
f
ao,
0 == 13,6
13,5
i3,5
13,5,
p = 0,6
G
»
0 = 2,5
2,7
2,6
»
p = 0,7
1R.
G
+
40,
0 = 25,1
25,2
25,1
25,0,
p = 0,2
G
+
20,
0 = f3,9
13,9
13,8
13,9,
p = 0,2
G
,
0 = 2,8
"40 = 22,37
2,7
*,7
•
p = 0,2
T = I020oooo.
1) Von_der_Berechnung des Gesammtmittels nach Obigem ausgeschlossen.
Bestimmung der Elasticitäts-Constanten des brasilianischen Turmalines. 291
11(90°)
No.
5.
L =
= ",74, ^ =
= 5057, -D =
826,7
1R.
G
+ 5o,
0 SS 28,0
27,8 27,9 27,8, p
= o,5
G + 25,
0 == 15.3
15,0 15,1 15,2, p
= 0,5
G
»
0 = 2,4
°5o = *5>5o
2,3 2>4
L = 10,91
*»4, P
= 0,6
10210000.
1R.
G
+ 40,
0 = 21,6
21,5 21,3 21,4, p
= 0,6
G
+ 20,
0 = n,7
11,8 11,8 11,9. p
= 0,5
G
,
o = 2,2
2,2 2,2
» P
m 0,6
rR.
G
+ 40,
0 = 21,4
21,4 21,3 21.4, p
= 0,4
G + 20,
0 = u,7
11,6 11,7 n,6, p
ss 0,4
G
»
o = 2,4
°4o = J9,09
2,4 2,4
i J
= 0,5
T =
IOI4oooo.
Gesammtmittel TQ0 =
= IOI60000, T90 =
9.843.I0"8
wahrscheinlicher Fehler + 17000
+
0,016.
II'(90°)
No.
1.
L =
= 22,68, B =
= 5142, D ==
686,8,
1R.
G
+ 50,
0 = 132,8
132,9 132,7
13^,9,
p ss 1,2
G
+ 25,
0 = 72,2
71,8 72,0
Ihh
P = i,3
G
>
0 = 11,5
",4 ",5
n,6
p — i,7
rR.
G
+ 50,
(gestörte Beobachtung)
■
G
+ *5i
0 = 71,2
71,1 71,0
7o,9,
p = 4,2
G
»
0 = 10,7
10,5 10,4
10,6,
P = 4,3
o50 = 121,1
(T =s 666sooo.)1)
L = 22,75
rR.
G
+ 50,
0 = 128,9
128,9 128,6
128,6,
P = 5,8
G
+ 25,
0 == 68,9
68,9 68,5
68,7,
P = 6,3
G
»
0 = 9,0
9,2 9,0
9,°,
P = 6,5
1R.
G
+ 50»
0 = 131,1
13M *3*>*
131,3,
P = i,5
G + 25,
0 = 71,2
7M 1hl
7i,3»
P = i,7
G
>
0 = 11,3
o60 = 119,8
",2 11,3
,
p s= 2,0
T =
6763000.
II'(90°)
No.
2.
L =
= 23,84, B =
= 5148, B =
690,0
1R.
G + 50,
0 = 136,6
136,6 136,9
136,7,
p = 0,2
G
+ »5,
0 = 74,3
74,3 74,4
74,4,
P = °
G
5
0 = 12,5
12,1 12,2
,
P = °
rR.
G
+ 50,
0 = 135,9
136,4 136,4
136,5,
P = i,3
G
+ *$,
0 = 74,1
74,o 74,2
74,o,
p = i,5
G
»
0 = 12,0
o60 = 124,3
11,8 11,9
>
p = 2,0
T =
6733000.
II'(90°)
No.
3.
X =
: 22,69, B =
= 5156, D =
692,9
rR.
G
+ 50,
0 = 127,8
138,0 127,8
127,8,
p = 2,2
S£
+ 25,
0 == 69,5
69,2 69,4
69,4,
p = 2,4
G
1
0 = 10,6
10,8 10,7
io,7,
P = 2,9
1R.
G
+ 50,
0 = 128,7
128,7 128,7
128,6,
p = 0,6
G
+ 10.
0 == 70,2
70,2 70,0
70,i,
P = o,7
G
)
0 = 11,8
o60 = 117,0
u,9 ">8
n,8,
P = 0,7
T =
6725000.
Gesammtmittel Tl0 =
s 674oooo, T90 =
4,837. I0-8
wahrscheinlicher Fehler ± 9000,
±
0,019.
1) Die Beobachtung war sichtlich durch mangelhaftes Einkitten des Stäb-
chens in den Fassungen gestört und ist von der Berechnung ausgeschlossen.
292 W. Voigt,
Eine Abweichung der Längsaxe der Stäbchen 11(90°) und
II' (90°) von der Richtung normal zur Symmetrieebene 'giebt nur
einen Fehler zweiter Ordnung in den Werthen von T] dagegen
hat ein Fehler in der Orientirung der Querdimensionen größeren
Einfluß. Leider giebt es kein Mittel, deren Genauigkeit mit Schärfe
zu prüfen, und man kann höchstens die Größenordnung der Unsicher-
heit schätzen, welche in Folge des erwähnten Umstandes den
obigen Resultaten anhaftet.
Der Einfluß der Orientirung der Querdimensionen auf T folgt
aus Formel (2), wenn man in ihr a — 1, ß = y = 0, y2 = cos <p,
ß2 = sin cp setzt, also bildet
7) (T) == 544 + (2(su — *„) — sM) cos 2<p - 4su sin <p cos <p
und dies nach <p differentiirt. Man erhält so
8) o(T) = (-(2(s11-s12)-sJsm2?-4sucos2<p)h<p
und, wenn man berücksichtigt, daß
für die Gattung II (90°) <p = 0
für die Gattung IT(900) » = -f
ist,
ST90 = 6T;0 = -4Slih9.
Bei Kalkspath blieb der Fehler hf laut der früher mitgetheilten
Beobachtung unter 30r ; bei Turmalin liegen die Verhältnisse in
sofern noch günstiger, als die prismatische Form des Krystalles
die Schnitte normal zur Axe mit großer Genauigkeit herzustellen
gestattet. Macht man aber die ungünstige Annahme ± h<p = 30'
= 0,0088, so ergiebt sich wegen sru — 0,572 der absolute Werth
von oT es 0,020, also nur wenig größer als der directe Beobach-
tungsfehler. Dieser geringe Einfluß hängt damit zusammen, daß
die Maxima und Minima von (T) für Winkel <p eintreten, die nicht
allzuweit von den benutzten beiden abweichen; die Formel (8)
ergiebt nämlich, daß dieselben bei
f c== 12° 18' und 102° 18'
stattfinden.
Den ganzen Verlauf von (T) giebt die Figur (3) an; in ihr
ist die Größe des Drillungscofficienten für ein rechteckiges Prisma,
dessen Längsaxe in die Normale zur Symmetrieebene fällt, als
Function der Richtung der kleineren Querdimension (D) auf-
getragen. — -
Bestimmung der Elasticitäts-Constanten des brasilianischen Turmalines. 293
Die durch Drillungsbeobachtungen gefundenen Resultate sind
nach Obigem also :
2(sn-sl2) = (9,843 + 0,016)10-
su = (14,837 + 0,019) lO"8; ;
sie ergeben zusammen mit den durch Biegung erhaltenen (5) alle
in der allgemeinen Formel (2) für den Drillungscoefficienten T
eines rechteckigen Prismas auftretenden Coefficienten und somit
das allgemeine Gesetz selbst. Uebersichtlicher ist der Werth des
Drillungscoefficienten T° für einen Kreiscy linder, welcher nur von
der Orientirung der Längsaxe abhängt. Man erhält hierfür
T ° = (24,68 - 12,94 f + 17,93 T4 - 4,58 ß T (3 a2 - ß2)) 10~8 ; 10)
Figur 4 und 5 stellt den Verlauf dieser Function für den ersten
irad zweiten Hauptschnitt dar.
Resultate.
Aus den Werthen (5) und (9) folgt zunächst das ganze System
der Moduln shk:
sn = ( 3,911 + 0,005). 10-8, sl2 = - (1,011 ± 0,009). 10"8,
s83 = ( 6,124 + 0,002). 10-8, s13 = - (0,160 + 0,017). 10"8, 11)
544 = (14,837 + 0,019). lO"8, su = + (0,572 + 0,009). 10"8.
Hieraus ergeben sich die Coefficienten der linearen Compres-
sion parallel den Coordinatenaxen bei allseitig gleichem Druck:
A, = A2 = 2,74.10 , A3 = 5,80. 10'8, 12)
sowie desjenigen der cubischen Compression:
M = 11,28. 10"3.
Die Flasticitätsconstanten chk erhalten folgende Werthe:
cn = 27,54.10«, c12 = +7,04.108,
c83 = 16,38.10°, c18 = +0,90.106, 13)
c44 = 6,80 . 10°, cM = - 0,79 . 10e.
Alle vorstehenden Werthe gelten für brasilianischen Turmalin
bei der Temperatur von ca. 18° C.
Bekanntlich verlangt die Poisson'sche Theorie, welche die
elastischen Kräfte aus Wechselwirkungen der nicht polarisirten
Moleküle ableitet, für alle Gruppen des hexagonalen Krystall-
systems die Beziehungen
cu = 3cn.
294 W.Voigt,
Die zweite ist nicht erfüllt, wenn die Richtungen normal zur
Hauptaxe Differenzen bezüglich der Attraction zeigen, die erste,
wenn die Hauptaxe (Z) von der (X)- und (Y)-Axe abweicht.
Bildet man diese Werthe für die bisher von mir untersuchten
hexagonalen Krystalle so erhält man folgende Tabelle.
Beryll c13 = 6,74 c44 = 6,66 cn = 27,46 3c12 = 29,40
Bergkrystall =1,44 =5,82 = 8,68 = 2,13
Kalkspath =4,60 =3,49 =13,97 =13,95
Turmalin =0,90 =6,80 =27,54 =21,12
Man erkennt, daß bei Beryll und Kalkspath beide Relationen
theils genau, theils angenähert gelten ; bei Turmalin ist besonders
die erste, bei Bergkrystall auch die zweite nicht erfüllt. Die
hierin liegende Analogie mit der pyroelectrischen Polarisation
dieser Krystalle ist wohl nicht zufällig. —
Benutzt man die von Pf äff1) gegebenen Werthe der ther-
mischen linearen Ausdehnungscoefficienten
at = a2 = 7,73. 10-6, a3 = 9,37. KT6,
so folgen die Werthe der thermischen Drucke parallel den Axen:
14) qt = q2 = 275,8, qa = 167,5.
Die Unterschiede der isothermischen und adiabatischen Elasti-
citätsmoduln (shk und ahk) und Elasticitätsconstanten (chk und yhk)
berechnen sich bei Einführung des Werthes der absoluten Tem-
peratur 0 = 291, des mechanischen Wärmeäquivalentes A = 426000,
der Dichte des Turmalins 2) s = 3,116. 10"3, der gewöhnlichen
specifischen Wärme 3) c = 0,245, nach den früher gegebenen For-
meln folgendermaßen:
r«-A, = Tn-iL = 0,068.10°,
15) t» - eu = 0,052 . 10«, T33 - c33 = 0,031 . 10ö,
Yl4 — C14 == 7*4 C44 === 0 7
*u - °n = 5i2 — °i2 = 0,0067 . 10"8,
16) 9lt - o» = 0,0081 . 10-8 ; s33 - a33 = 0,0098 . 10~3,
8U - o14 = su — o44 = 0.
Endlich findet sich die Differenz der specifischen Wärmen
bei constanter Spannung cp und constanter Deformation ca
1) F. Pfaff, Pogg. Ann. CVII, 148, 1859.
2) E. Riecke, Gott. Nachr. 1885, p. 410.
3) E. Riecke, ib. p. 423.
Bestimmung der Elasticitäts-Constanten des brasilianischen Turmalines. 295
cP - cd m 0,00128,
und ihr Verhältniß
5l = x m 1,0052.
Bemerkung. Herr Elie1) hat versucht, die Anzahl der
Constanten der rhomboedrisch-hemiedrischen Kry stalle dadurch zu
reduciren, daß er annahm, das elastische Potential besitze auf die
Kanten eines Rhomboeders — dessen Wahl er, wie es scheint
freiläßt — als schiefwinklige Coordinatenaxen bezogen, die Rhoni-
boederflächen als analytische Symmetrieebenen.
So unwahrscheinlich diese Annahme von vorn herein erscheint,
so habe ich doch im Falle des Kalkspathes, wo wohl kein Zweifel
darüber sein kann, daß wenn überhaupt eines, so das Spaltungs-
rhomboeder eine ausgezeichnete Bedeutung besitzt, dieselbe unter
Benutzung der früher von mir gefundenen Constantenwerthe durch
Rechnung geprüft.
Die drei von Herrn Elie selbst aufgestellten Bedingungen
für die Zulässigkeit seiner Annahme führen auf die Widersprüche
0,025 = - 5,70, 22,4 — - 5,3, 33,6 = - 5,94,
woraus deren Unhaltbarkeit wohl klar hervorgeht.
1) B. Elie, J. de phys. (2) 5, p. 204, 1886.
Göttingen, am 5. Juli 1890.
Bei der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften einge-
gangene Druckschriften.
Man bittet diese Verzeichnisse zugleich als Empfangsanzeigen ansehen zu wollen.
März und April 1890.
(Fortsetzung.)
A. Kölliker: Ueber den feineren Bau des Rückenmarkes. Aus den Sitzungsbe-
richten der Würzburger Phys. med. Gesellschaft 1890. VI. Sitzung.
Mittheilungen aus dem naturwissenschaftlichen Verein für Neu- Vorpommern
und Rügen in Greifswald. Jahrgang 21. 1889. Berlin 1890.
60. Jahresbericht des Voigtländischen Alterthumsforschenden Vereins zu Ilohen-
leuben. Weida 1889.
Germanisches Museum in Nürnberg.
a. Mittheilungen. II. Band. 3. Heft. Jahrgang 1889.
b. Anzeiger. II. Band. 3. Heft. Seite 179 und 288. Jahrgang 1889.
c. Katalog der im G. M. vorhandenen interessanten Bucheinbände. Nürn-
berg 1889.
Nachrichten von der K. G. d. W. zu Göltingen 1800. No. 7. 24
296
Musikalische Werke Friedrich des Grossen. Leipzig.
Proceedings of the R. society. Vol. XLVII. Nr. 287. London.
Proceedings of the Cambridge philosophical society. Vol. VII. Part. 1. 1889.
Appendices by Prof. J. C. Adams. M. A. T. R. S. Cambridge.
Journal of the R. Microscopical society 1890. Part IL April.
Proceedings of the London mathematical society. Nr. 368 — 369.
Monthly notices of the R. Astronomical society. Vol. L. Nro. 4, 5. 1890.
The transactions of the R. Irish Academy. Vol. XXIX. Part XII.
Proceedings of the R. Irish Academy. Third series. Vol. I. Nro. 2.
Nature. Vol. 41. Nro. 1061-1069.
Annual report of the Canadian Institute. Session 1888 — 1889. Toronto 1889.
Geological and natural history survey of Canada.
a) Annual report. (New series.) Vol. III. Part I, II. 1887—1888. Reports
A. B. C. E. F.
b. Maps etc. to accompany Annual Report. Vol. III. N. S. 1887 — 1888.
Montreal 1889.
llecords of the Geological survey of India. Vol. XXIII. Parti. Calcutta 1890.
Natural history of Victoria. Prodromus of the Zoology of Victoria. Decade XIX.
Melbourne 1889.
Journal and proceedings of the R. society of New-South Wales. Vol. XXIII.
1889. Part 1. Sidney.
Catalogue of the scientific books in the library of the R. S. of New-South
Wales. Part. 1. General catalogue. Sidney 1889.
Report of the first meeting of the Australian association for the advancement
of science. Sidney 1887. Vol. I. Sidney 1889.
Abhandlungen der K. K. geologischen Reichsanstalt.
a. Die Liburnische Stufe und deren Grenzhorizonte. Heft 1. Abth. 1. Geo-
logische Uebersicht und Beschreibung der Faunen und Florenreste. (Ab-
handl. d. geol. Reichsanst.) Band XIII. Heft 1.
b. Ueber die Liasischen Brachiopoden des Hierlatz bei Hallstadt. (Band XV.
Heft 1. Abh. d. K. K. Geolog. Reichsanst.) Wien 1889.
Jahrbuch d. K. K. geologischen Reichsanstalt. Jahrg. 1889. Band XXXIX.
Heft 3, 4. Wien 1889.
Verhandlungen d. K. K. geologischen Reichsanstalt. Nro. 4. 5. 1890.
Sitzungsberichte d. K. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften. Mathema-
tisch-naturwissenschaftliche Classe 1889. II.
Philos.-histor.-philog. Classe 1889.
Jahresbericht d. K. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften für das Jahr
1889. I. Prag 1890.
Archiv des Vereines für siebenbürgische Landeskunde. Neue Folge. Band 22.
3. Heft. Hermannstadt 1890.
Jahresbericht d. Vereines für siebenbürg. Landeskunde. Vereinsjahr 1888 — 1890.
Hermanstadt 1889.
Ungarische Revue 1890. Heft III, IV. Budapest 1890.
Anzeiger der Akademie der Wissenschaften in Krakau 1890. Jan. Febr. März.
Inhaltsverzeichniss von 1889.
Verhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft in Basel. Theil 8. Heft 3.
Schluss. Basel 1890.
Memoires de la societe de Physique et d'Histoire naturelle de Geneve. Tome
XXX. Seconde partie. Geneve 1889—1890.
Wolf: Astronomische Mittheilungen. (LXXV.) Dezember 1889. Zürich.
(Fortsetzung folgt.)
Inhalt von No. 7.
Fr. Merkel, über argentinische Gräberschädel. — Fr, rockeis, über die Interferenzerscheinungen, welche
Zwillingsplatten optisch einaxiger Krystalle im convergenten homogenen polarisirten Lichte zeigen. —
W. Voigt, Bestimmung der Elasticitäts-Constanten des brasilianischen Tnrmalines.
Für die Redaction verantwortlich: H. Sauppe, Secretär d. K. Ges. d. Wiss.
Commissions-Verlag der Dieterich' sehen Verlags- Buchhandlung.
Druck der Dieterich' sehen Univ.- Buchdruckerei ( W. Fr. Kaestner).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
13. August. Jfä 8. 1890.
Universität.
Verzeichniß der Vorlesungen
auf der Georg-Augusts-Universität zu Göttingen
während des Winterhalbjahrs 1890/91.
Die Vorlesungen beginnen den 15. October und enden den 14. März.
Theologie,
Einleitung in das Alte Testament: Prof. Smend fünfstündig
um 4 Uhr.
Geschichte des Kanons und des Textes des alten Testaments :
Derselbe Sonnabend um 12 Uhr publice.
Erklärung des Buches Jesajas : Prof. Schultz fünfstündig um lOUhr.
Neutestamentliche Theologie : Prof. Wiesinger fünfmal um 9 Uhr.
Ueber die Evangelienfrage: Prof. Weiss zweimal um 12 Uhr
publice.
Erklärung der synoptischen Evangelien: Prof. Weiss fünfmal
um 9 Uhr.
Erklärung des Evangeliums Johannis : Prof. Lünemann vier-
stündig um 9 Uhr.
Erklärung der Apostelgeschichte: Prof. Weiss dreimal um 12 Uhr.
Erklärung des Briefes Pauli an die Philipper: Prof. Häring.
Kirchengeschichte der ersten acht Jahrhunderte : Prof. Tschackert
fünfmal um 11 Uhr.
Kirchengeschichte Theil II. : Prof. Wagenmann fünfmal um 8 Uhr.
Kirchengeschichte des neunzehnten Jahrhunderts : Derselbe
vier bis fünfmal um 4 Uhr.
Nachrichten von der E.G. d.W. zu Uöttingen. 1890. Nr. 8. 25
298 Verzeichniß der Vorlesungen auf der Georg-Augusts-Universität zu Göttingen
Dogmengeschichte der alten Kirche und des Mittelalters : Prof.
Tschackert fünfmal um 10 Uhr.
Dogmatik Theil I : Prof. Schultz fünfstündig um 12 Uhr.
Theologische Ethik: Prof. Häring fünfstündig um 11 Uhr.
Praktische Theologie : Prof. Knoke fünfstündig um 5 Uhr.
Praktische Auslegung der Perikopen verbunden mit homile-
tischen Meditationsübungen : Derselbe zweimal um 8 Uhr.
Kirchenrecht siehe unter Rechtswissenschaft S. 299.
Die alttestamentlichen Uebungen der wissenschaftlichen Abthei-
lung des theologischen Seminars leitet Prof. Smend Dienstag um
6 Uhr; die neutestamentlichen Prof. Wiesinger Montags um 6 Uhr;
die kirchen- und dogmenhistorischen Prof. Tschackert Freitags um
6 Uhr ; die dogmatischen Prof. Häring Mittwochs um 6 Uhr.
Die Uebungen des königl. homiletischen Seminars leiten Prof.
Schultz und Prof. Knoke Sonnabends von 9 — 11 Uhr öffentlich ; die
Uebungen des liturgischen Seminars leitet Prof. Knoke Sonnabends
um 9 und um 11 Uhr; die Uebungen des katechetischen Seminars
Prof. Wiesinger Mittwochs von 2 — 3 Uhr, Prof. Knoke Sonnabends
von 2 — 3 Uhr öffentlich.
Eine historisch-theologische Societät hält Prof. Wagenmann
einmal in geeigneten Stunden ; biblisch- theologische Uebungen Prof.
Weiss einmal privatissime und gratis.
Rechtswissenschaft.
Institutionen des römischen Privatrechts: Montag, Dienstag,
Mittwoch, Donnerstag, Freitag von 9— -10 Uhr Prof. Merkel.
Römische Rechtsgeschichte : Montag, Dienstag, Donnerstag von
3 — 4 Uhr Prof. Regelsberger.
Römischer Civilproceß: Mittwoch und Sonnabend von 12—1
Uhr Dr. Goldschmidt.
Lektüre eines juristischen Schriftstellers aus der römischen
Kaiserzeit : Mittwoch von 10—11 Uhr Prof. Merkel (unentgeltlich).
Pandekten , I. Theil (Allgemeine Lehren , Obligationenrecht,
Pfandrecht): Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag von 8— 10 Uhr
Prof. Regelsberger.
Römisches Sachenrecht : Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag
von 12—1 Uhr Prof. v. Jhering.
Pandekten , IL Theil (Erbrecht und Familienrecht) : Montag,
Dienstag, Donnerstag, Freitag von 10—11 Uhr Prof. Merkel
während des Winterhalbjahrs 1890/91. 299
Conversatorium über Pandekten : Dienstag, Mittwoch, Donnerstag,
Freitag von 6 — 7 Uhr Dr. Goldschmidt.
Pandektenprakticum : Freitag von 4 — 6 Uhr Prof. Regelsberger.
Exegetische Uebungen im corpus juris : Montag von 5—7 Uhr
Prof. MerM.
Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte: Montag, Dienstag,
Donnerstag, Freitag von 11—12 Uhr Prof. Frensdorff.
Deutsches Privatrecht: Montag bis Freitag von 9—10 Uhr
Prof. Ehrenberg.
Handels-, Wechsel- und Seerecht: Montag bis Freitag von
10—11 Uhr Prof. Ehrenberg.
Preußisches Privatrecht : viermal von 11 — 12 Uhr Prof. Ziebarth.
Die neuen Rechtsbegriffe im deutschen Arbeiterversiche-
rungsrecht: Sonnabend von 11—12 Uhr Dr. Goldschmidt öffentlich.
Uebungen im Anschluß an die deutsche Rechtsgeschichte:
Donnerstag von 6 — 7 Uhr Prof. Frensdorff öffentlich.
Strafrecht: Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag von
3-4 Uhr Prof. Ziebarth.
Deutsches Reichs- und Landesstaatsrecht eingeleitet durch eine
Uebersicht über das allgemeine Staatsrecht: fünfmal wöchentlich
von 9—10 Uhr Prof. Bove.
Verwaltungsrecht: Dienstag, Donnerstag, Freitag von 12—1
Uhr Prof. Frensdorff.
Völkerrecht: Mittwoch von 12—1 Uhr und Sonnabend von
11-1 Uhr Prof. v. Bar.
Kirchenrecht : täglich von 8—9 Uhr Prof. Bove.
Civilproceß : Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag
von 11—12 Uhr Prof. Betmold.
Strafproceß : Montag , Dienstag , Donnerstag , Freitag von
10—11 Uhr Prof. Ziebarth.
Civilproceßprakticum : Dienstag von 4—6 Uhr Prof. von Bar.
Criminalistische Uebungen: Mittw. von 4— 6 Uhr Prof. Ziebarth.
Vorlesungen über Staatswissenschaft s. S. 307.
Medicin.
Zoologie, vergleichende Anatomie, Botanik, Chemie, siehe unter
Naturwissenschaften.
Knochen- u. Bänderlehre lehrt Dr. Bisse Montag, Mittwoch
und Freitag von 11—12 Uhr.
25*
300 Verzcichniß der Vorlesungen auf der Georg- Augusts-Universität zu Göttingen
Systematische Anatomie, I. Theil, trägt vor Prof. Fr. Merkel
tägl. von 12-1 Uhr.
Anatomie des Gehirns lehrt Dr. Bisse Montag von 2 — 3 Uhr
öffentlich.
Topographische Anatomie lehrt Prof. Fr. Merkel Dienstag,
Donnerstag, Freitag von 2 — 3 Uhr.
Examinatorium der Anatomie hält Prof. Merkel in passenden
Stunden.
Präparirübnngen leitet Prof. Fr. Merkel täglich von 9—4 Uhr.
Mikroskopische Uebungen für Geübtere hält Dr. Bisse Diens-
tag und Donnerstag von 4 — 6 Uhr.
»Uebungen in der normalen Histologie hält Prof. Krause vier-
mal wöchentlich für Anfänger um 11 Uhr, für Geübtere um 2 Uhr
oder zu anderen passenden Stunden.
Specielle Histologie der Sinnesorgane lehrt Prof. Krause öffent-
lich am Mittwoch um 4 Uhr oder zu passender Stunde.
Physiologie mit Erläuterungen durch Experimente u. mikros-
kopische Demonstrationen lehrt Prof. Herbst in 6 Stunden wöchent-
lich um 10 Uhr.
Experimentalphysiologie, II. Theil (Physiologie des Nervensy-
stems u. der Sinnesorgane) lehrt Prof. Meissner täglich von 10 — 11 Uhr.
Arbeiten im physiologischen Institut leitet Prof. Meissner
täglich in passenden Stunden.
Pathologische Anatomie der Knochen und Muskeln trägt öffent-
lich vor Prof. Orth Montag von 6—7 Uhr.
Specielle pathologische Anatomie lehrt Prof. Orth Montag,
Dienstag, Donnerstag, Freitag von 2—3 Uhr.
Pathologisch - anatomische Demonstrationen hält Prof. Orth
privatissime Mittwoch und Sonnabend von 2—4 Uhr.
Praktische Uebungen in der pathologischen Histologie leitet
Prof. Orth Dienstag u. Freitag von 6—8 Uhr.
Physikalische Diagnostik verbunden mit Uebungen lehrt Prof.
Bamsch Montag, Mittwoch, Donnerstag von 5—6 Uhr.
Laryngoskopische Uebungen hält Prof. Bamsch Sonnabend von
12-1 Uhr.
Arzneimittellehre und Keceptirkunde verbunden mit Experi-
menten und praktischen Uebungen im Eeceptiren und Dispensiren
lehrt Prof. Marme Dienstag, Donnerstag u. Freitag von 12—1 Uhr.
Die gesammte Arzneimittellehre trägt Prof. Husemann viermal
wöchentlich von 3 — 4 Uhr vor.
Uebungen im Verschreiben der Arzneimittel leitet Prof. Hu-
semann Freitags von 3—4 Uhr.
während des Winterhalbjahrs 1890/91. 3
Specielle Toxikologie, II. Theil, verbunden mit Experimente
trägt Prof. Marme für ältere Mediciner vor Montag u. Donnerstag
von 3 — 4 Uhr.
Arbeiten im pharmakologischen Institut leitet Prof. Marme
täglich in passenden Stunden.
Pharmakognosie lehrt Prof. Marme dreimal wöchentlich Dienstag
bis Donnerstag von 8 — 9 Uhr.
Pharmakognotisch-mikroskopische Uebungen hält Prof. Marme
Mittwoch von 10—12 Uhr.
Specielle Pathologie und Therapie, II. Hälfte, trägt vor Prof.
Ebstein Montag, Dienstag, Donnerstag u. Freitag von 4—5 Uhr.
Medicinische Klinik leitet Prof. Ebstein fünfmal wöchentlich
von 1072— 12 Uhr, Sonnabend von 97<i-103/4 Uhr.
Kinderheilkunde lehrt Montag u. Donnerstag von 6—7 Uhr
und Dienstag von 5 — 6 Uhr Prof. Dänisch.
Medicinische Poliklinik hält Prof. Damsch täglich um 12 Uhr
öffentlich.
Die Untersuchung des Harns u. Sputums mit praktischen
Uebungen leitet Prof. Ebstein mit Dr. Nicolaier einmal wöchentlich
in zu verabredender Stunde.
Specielle Chirurgie , IL Theil , lehrt Prof. König viermal
wöchentlich von 4 — 5 Uhr.
Specielle Chirurgie lehrt Prof. Lohmeyer fünfmal wöchentlich
von 8—9 Uhr.
Einen chirurgisch-diagnotischen Cursus hält Prof. Eosenbach
Dienstag u. Freitag von 3 — 4 Uhr.
Die Lehre von den chirurgischen Operationen trägt Prof.
Eosenbach dreimal wöchentlich in zu verabredenden Stunden vor.
Chirurgische Klinik leitet Prof. König von 972 ohne academ.
Viertel bis IO72 Uhr täglich außer Sonnabend.
Chirurgische Poliklinik wird Öffentlich Sonnabend von 108/* — 12
Uhr von Prof. König u. Prof. Eosenbach gemeinschaftlich gehalten.
Einen Verbandcursus leitet Dr. Hildebrand dreimal wöchentlich
in passenden Stunden.
Ausgewählte Capitel aus der speciellen Chirurgie liest Dr.
Hildebrand.
Klinik der Augenkrankheiten hält Prof. Schmidt- Eimplcr Montag,
Dienstag, Donnerstag u. Freitag von 12 — 1 Uhr.
Augenspiegel- und Operation scursus hält Prof. Schmidt-Eimpler
Mittwoch u. Sonnabend von 12—1 Uhr.
Ueber Krankheiten des vorderen Bulbusabschnittes liest Dr.
302 Verzeichniß der Vorlesungen auf der Georg-Augusts-Universität zu Göttingen
Schirmer Donnerstag von 8 — 9 Uhr und in einer zweiten zu bestim-
menden Stunde privatim.
Ueber die praktisch wichtigen Abschnitte der Ohrenheilkunde
mit Uebungen im Ohrenspiegeln spricht Prof. Bürlmer Dienstag
und Freitag von 2 — 3 Uhr oder zu besser passender Zeit.
Poliklinik für Ohrenkranke hält Prof. Bürlmer (für Geübtere)
Mittwoch u. Sonnabend von 12 — 1 Uhr.
Geburtshülflich-gynaekologische Klinik und Poliklinik leitet
Prof. Bunge Dienstag, Mittwoch, Freitag, Sonnabend von 8 — 9 Uhr.
Geburtshülflich.-gynäkologischen Untersuchungscursus hält Prof.
Bunge Dienstag, Freitag von 4—5 Uhr.
Geburtshülfe lehrt Montag u. Donnerstag von 3—4 Uhr Prof.
Bunge.
Physiologie und Pathologie des Wochenbetts bespricht Mitt-
woch von 4 — 5 Uhr Prof. Bunge.
Ueber Frauenkrankheiten: Dr. Droysen Mittwoch und Sonn-
abend von 8 — 9 Uhr und in einer zu bestimmenden Stunde.
Psychiatrische Klinik in Verbindung mit systematischen Vor-
trägen über Geisteskrankheiten hält Prof. L. Meyer Montag und
Donnerstag von 4—6 Uhr.
Forensische Psychiatrie mit casuistischen Demonstrationen
lehrt (für Juristen) Prof. L. Meyer wöchentlich in 2 zu verabre-
denden Stunden.
Hygiene, I. Theil, lehrt Prof. Wdlffhügel Montag, Mittwoch
und Donnerstag von 5 — 6 Uhr.
Praktische Uebungen im Anschluß an die Vorlesung über
Hygiene hält Prof. Wolffhügel unentgeltlich Dienstag und Freitag
von 3 — 4 Uhr.
Hygienische u. bakteriologische Curse giebt Prof. Wolffhügel
in passenden Stunden.
Arbeiten im hygienischen Institut leitet täglich von 9 — 5 Uhr
Prof. Wolffhügel.
Anatomie u. Physiologie der Hausthiere sowie die Lehre von
den inneren Krankheiten derselben trägt Prof. Esser fünfmal
wöchentlich von 9—10 Uhr vor.
Klinische Demonstrationen im Thierhospitale hält Prof. Esser
in zu verabredenden Stunden.
Philosophie.
Geschichte der neueren Philosophie mit Ueberblick über Pa-
tristik und Scholastik unter Zugrundelegung seines Buches ^Ge-
während des Winterhalbjahrs 1890/91. 303
schichte der Philosophie nach Ideengehalt und Beweisen u : Prof.
Baumann, Donnerstag und Freitag 5 Uhr.
Kurze Uebersicht über die deutsche Philosophie seit Kant:
Prof. Behnisch, Sonnabend öffentlich.
Logik unter Zugrundelegung seines Buches : „Elemente der
Philosophie" : Prof. Baumann, Montag u. Dienstag 5 Uhr.
Logik: Prof. Behnisch, 4 St. 12 Uhr.
Metaphysik und Erkenntnißtheorie : Prof. Peipers, Mont., Dienst.,
Donn., Freit., 10 Uhr.
Psychologie: Prof. G. E. Müller, Montag, Dienstag, Donners-
tag, Freitag 4 Uhr.
Ueber die Eigentümlichkeiten der lebenden Materie: Prof.
G. E. Muller, Mittwoch 6 Uhr, öffentlich.
Darstellung und Kritik der neueren Theorien über das Wesen
des Willens : Prof. Peipers, Freitag 6 Uhr, öffentlich.
Philosophische Uebungen hält Prof. Baumann im Anschluß an
seine Vorlesungen 1) über Trendelenburgs elementa logices aristo-
teleae Mittw. 4 Uhr ; 2) über Leibniz' Nouveaux essais sur l'enten-
dement humain, Mittw. 5 Uhr, beide öffentlich.
Die Uebungen des K. pädagogischen Seminars leitet Prof.
Sauppe, Dienstag und Freitag 11 Uhr öffentlich.
Mathematik, Astronomie und theoretische Physik.
Differentialrechnung : Dr. Schön flies , Montag , Dienstag , Don-
nerstag, Freitag 9 Uhr.
Projective Geometrie: Dr. Burlchardt, Montag, Dienstag, Mitt-
woch, Donnerstag 8 Uhr.
Krumme Flächen und Curven doppelter Krümmung: Prof.
Schwarz, Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag 11 Uhr.
Theorie der elliptischen Functionen: Prof. Schivarz, Montag
bis Freitag 9 Uhr.
Gewöhnliche Differentialgleichungen, Theil II: Prof. Klein
Mittwoch 11—1 Uhr.
Die exacten Wissenschaften im Alterthume: Dr. BurJchardt,
Mittwoch 6 Uhr, unentgeltlich.
Analytische Mechanik: Prof. Klein, Montag, Dienstag, Don-
nerstag, Freitag 12 Uhr.
Elektrostatik: Dr. Drude, Montag und Donnerstag 3 Uhr.
Hydrodynamik : Prof. Voigt, Montag , Dienstag , Donnerstag,
Freitag 10 Uhr.
Mathematische Untersuchungen über die Constitution der Mo-
lecüle: Prof. Schering, Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag 4 Uhr.
304 Verzeichniß der Vorlesungen auf der Georg-Augusts-Universität zu Göttingen
Theorie und Geschichte der Bestimmung von Doppelsternen:
Prof. Schur, Montag, Donnerstag, Sonnabend 11 Uhr.
Ueber die Hülfsmittel der Berechnung historischer Sonnen- u.
Mondfinsternisse: Prof. Schur, Dienstag, Freitag 11 Uhr.
Uebungen in geometrischen Constructionen : Prof. Schwarz,
Mittwoch und Sonnabend 3 — 6 Uhr.
Uebungen in der Differentialrechnung : Dr. Schönflies, Mittwoch
9 Uhr.
Uebungen in projectiver Geometrie: Dr. BurJchardt, Freitag
8 Uhr, unentgeltlich.
Mathematische Colloquien wird Prof. Schwarz unentgeltlich, wie
bisher Dienstag 5 — 7 Uhr, privatissime veranstalten.
Practische Uebungen an den Instrumenten der Königl. Stern-
warte : Prof. Schur, täglich.
Erdmagnetische Beobachtungen wird im Gaussobservatorium
Prof. Schering, Montag 7 Uhr zusammen mit dem Assistenten Herrn
Felgenträger veranstalten.
Im Kgl. math.-phys. Seminare wird Prof. BiecJce über Elek-
trooptik vortragen Donnerstag 2 Uhr, Prof. Schering mathem.
Uebungen Montag 6 Uhr, Prof. Schwarz mathem. Uebungen Sonn-
abend 9 Uhr veranstalten, Prof. Voigt ausgewählte Kapitel aus
der Lehre vom Galvanismus vortragen Mittwoch 10 Uhr, Prof.
Klein ausgewählte Kapitel aus der Theorie der gewöhnlichen Diffe-
rentialgleichungen Sonnabend 11 — 1 Uhr behandeln, Prof. Schur
astronomische Uebungen veranstalten Dienstag 7 Uhr.
Experimentalphysik s. Naturwissenschaften.
Naturwissenschaften.
Specielle Zoologie II.Theil: Prof. Ehlers, Mont. -Freit. 9 Uhr.
Anthropologie : Prof. Ehlers, Mont., Dienst., Mittw. 6 Uhr.
Vergleichende Osteologie : Dr. Henlcing, Mont. u. Dienst. 3 Uhr.
Die Parasiten des Menschen mit Demonstrationen am Skiop-
tikon: Dr. Hamann, Freitag 6 Uhr.
Kritik des Darwinismus (Descendenzlehre und Selektionshy-
pothese): Dr. Hamann, Mittwoch 6 Uhr unentgeltlich.
Vergleichende Entwicklungsgeschichte der Wirbellosen, Dr.
Hamann in 2 zu bestimmenden Stunden.
Ueber Darwinismus (mit Demonstrationen): Dr. Henking, Don-
nerstag 6 Uhr, unentgeltlich.
Zootomischer Kurs : Prof. Ehlers, Dienst, u. Mittw. 10—12 Uhr.
Zoologische Uebungen wird Prof. Ehlers täglich (mit Ausnahme
des Sonnabend) von 10—1 Uhr anstellen.
während des Winterhalbjahrs 1890/91. 305
Zoologische Societät für Vorgeschrittenere : Prof. Ehlers un-
entgeltlich.
Morphologie und Systematik der Thallophyten : Prof. Peter,
Dienst., Mittw., Freit. 6 Uhr.
Pflanzengeographie: Prof. Peter, Mont., Dienst., Donn. 3 Uhr.
Pflanzenanatomie und Entwickelungsgeschichte : Prof. Berthold,
Dienst., Donnerst., Freit. 12 Uhr.
Ueber die Vegetation des Meeres : Prof. Berthold , Mittwoch
12 Uhr, öffentlich.
Demonstrationen an lebenden Pflanzen und Präparaten : Prof.
Peter, Mittwoch 1078—12 Uhr öffentlich.
Ueber Bakterien und Hefen: s. Landwirthschaft S. 308.
Mikroskopisch-botanischer Kursus für Anfänger: Prof. Bert-
hold, Sonnabend von 9—1 Uhr.
Mikroskopisch-botanischer Kursus für Anfänger: Prof. Peter,
vierstündig, Sonnabend Vormittag.
Tägliche Arbeiten im pflanzenphysiologischen Institut: Prof.
Berthold.
Leitung botanischer Arbeiten für Vorgeschrittenere: Prof.
Peter, täglich, privatissime.
Mineralogie 2. Theil: Prof. Liebisch, Mont., Dienst., Donn.,
Freit. 12 Uhr.
Physikalische Krystallographie : Prof. Liebisch, Mittwoch und
Sonnabend 12 Uhr.
Arbeiten im mineralogisch-petrographischen Institut: Prof.
Liebisch, öffentlich.
Geologie: Prof. von Koenen, Montag bis Freitag 8 Uhr.
Ueber einzelne Klassen von Fossilien: Prof. von Koenen,
Sonnabend 8 Uhr, öffentlich.
Geologische und palaeontologische Uebungen : Prof. von Koenen
2 Stunden, öffentlich.
Uebungen im Bestimmen : Prof. von Koenen, täglich privatissime,
aber unentgeltlich.
Experimentalphysik, zweiter Theil: Magnetismus, Elektricität
und Wärme : Prof. Rieche, Mont., Dienst., Donnerst., Freit., 5 Uhr.
Die Uebungen im physikalischen Institute leiten die Prof.
Rieche und Voigt, in Gemeinschaft mit den Assistenten Dr. Brude
und Dr. Nernst. Für Mathematiker und Physiker: Dienstag und
Freitag 2—4 Uhr; für Chemiker: Sonnabend 9 — 1 Uhr.
Vgl. Mathematisch-physikal. Seminar S. 304.
306 Verzeichnis der Vorlesungen auf der Georg-Augusts-Universität zu Göttingen
Allgemeine Chemie, unorganischer Theil (unorganische Experi«
mentalchemie) : Prof. Wallach, sechs Stunden 9 Uhr.
Die Lehre von der chemischen Verwandtschaft: Dr. Nernst,
Dienst, und Freit. 6 Uhr.
Organische Chemie für Mediciner : Prof. von Uslar, 4 St., 9 Uhr.
Chemie der Benzolderivate: Dr. BucKka, Dienst., Mittw. und
Donnerst. 8 Uhr.
Pharmaceutische Chemie (organischer Theil) : Prof. Polstorff,
Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag 4 Uhr.
Ueber die Verunreinigungen und Verfälschungen der Nahrungs-
und Genußmittel und deren Erkennung: Prof. Polstorff, Montag
und Mittwoch 12 Uhr.
Pharmacie: Prof. von Uslar, viermal 3 Uhr.
Chemisches Colloquium für Mediciner (im Anschluß an das
Practicum) : Prof. Wallach, öffentlich, Mittwoch 3 Uhr.
Technische Chemie für Landwirthe (Zuckerfabrikation, Gäh-
rungsindustrien , Molkerei): Prof. Tollens, Mont., Dienst., Mittw.
10 Uhr.
Grundzüge der Chemie, II. Theil: Dr. Pfeiffer, Donnerstag
und Freitag 10 Uhr.
Zuckerbestimmungen , besonders durch Polarisation : Prof.
Tollem, 1 Stunde, öffentlich.
Agriculturchemische Untersuchungsmethoden : Dr. Pfeiffer , in
zu verabredender Stunde.
Die chemischen Uebungen und wissenschaftlichen Arbeiten im
akadem. Laboratorium leitet Prof. Wallach in Gemeinschaft mit
Prof. Polstorff und Dr. BuchJca und zwar : 1) Vollprakticum, Mont.
bis Freit, von 9 — 1 und von 3 bis 6 Uhr; 2) Halbprakticum , je
Vor- und Nachmittags zu denselben Stunden; 3) Chemisches An-
fängerprakticum für Mediciner Nachmittags.
Prof. Tollens leitet die praktischen Uebungen im agricultur-
chemischen Laboratorium in Gemeinschaft mit Dr. Bubbers Montags
bis Freitags 8—12 und 2—4 Uhr.
Historische Wissenschaften.
Lateinische Paläographie, IL Theil: Prof. Steindorff, Mont. u.
Dienst. 10 Uhr.
Mittelalterliche Siegelkunde: Prof. Steindorff, Donn. u. Freit.
10 Uhr.
Historisch-diplomatische Uebungen leitet Prof. Steindorff, Mitt-
woch 10 Uhr, privatissime, aber unentgeltlich.
während des Winterhalbjahrs 1890/91. 307
Geschichte des alten Aegyptens : Prof. Pietschmann , Dienst,
und Freitag 6 Uhr, öffentlich.
Allgemeine Geschichte des ausgehenden Mittelalters und der
Reformationszeit : Prof. KhicJchohn, viermal wöchentlich 12 Uhr.
Deutsche Geschichte bis 1816: Prof. Weiland, 5 St. 9 Uhr.
Geschichte der deutschen Kaiserzeit : Dr. v. Kap-herr, Dienst,
bis Freit. 11 Uhr.
Geschichte der deutschen Historiographie seit dem Ausgange
des Mittelalters: Prof. KlucJchohn, zweimal wöchentlich 8 Uhr.
Geschichte Italiens im Mittelalter: Prof. Theod. Wüstenfeld,
Mont., Dienst., Donn., Freit. 10 Uhr, öffentlich in seiner Wohnung.
Historische Uebungen leitet Prof. Volquardsen, Dienstag 6 Uhr,
öffentlich.
Historische Uebungen: Prof. Weiland, Freitag 6 Uhr, priva-
tissime, aber unentgeltlich.
Historische Uebungen : Prof. KlucJchohn, Montag 6 Uhr, priva-
tissime, aber unentgeltlich.
Kirchengeschichte : s. unter Theologie S. 297 — 298.
Erd- und Völkerkunde.
Allgemeine Erdkunde, Theil II (Morphologie der Erdoberfläche,
Ozeanographie, Klimatologie : Prof. Wagner, Mont., Dienst, Don-
nerst., Freit. 11 Uhr.
Kartographischer Kursus für Anfänger: Prof. Wagner, Sonn-
abend 9—12 Uhr, privatissime.
Geographisches Colloquium: Prof. Wagner, privatissime, aber
unentgeltlich, in später zu bestimmenden Stunden.
Staatswissenschaft.
Nationalökonomie, grundlegender Theil, als Einleitung in
das Studium der Staatswissenschaften : Prof. Cohn, Montag, Diens-
tag, Donnerstag, Freitag 4 Uhr.
Praktische Nationalökonomie oder Volkswirthschaftspolitik :
Prof. Lexis, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag 10 Uhr.
Finanzwissenschaft, mit besonderer Rücksicht auf die deutsche
und preußische Steuergesetzgebung : Prof. Cohn, Montag, Dienstag,
Donnerstag, Freitag 5 Uhr.
Statistische Uebungen: Prof. Lexis, 2 Stunden.
Nationalökonomische Zeitfragen: Prof. Mithoff, Mittw. 5 Uhr,
öffentlich.
Staatswissenschaftliche Uebungen: Prof. Cohn, Mittw. 5—7
Uhr, privatissime, unentgeltlich.
308 Verzeichniß der Vorlesungen auf der Georg- Augusts-Universität zu Göttingen
Landwirtschaft.
Einleitung in das landwirthschaftliche Studium : Prof. Liebscher,
in noch zu bestimmenden Stunden.
Allgemeine Ackerbaulehre: Prof. Liebscher, Mont. , Dienst.,
Donnerst., Freit. 12 Uhr.
Betriebslehre: Prof. Liebscher, an denselben Tagen, 11 Uhr.
Thierernährungslehre, I. Theil: Dr. Lehmann, Donn. u. Freit.
10 Uhr.
Die allgemeine und specielle landwirthschaftliche Thierzüch-
tungslehre : Prof. GriepenJcerl, Montag, Dienstag, 5 Uhr.
Die landwirthschaftliche Rassenkunde : Prof. GriepenJcerl, Mitt-
woch 5 — 7 Uhr, Öffentlich.
Die Ackerbausysteme (Felderwirthschaft, Feldgraswirthschaft,
Fruchtwechselwirthschaft u. s. w.) : Prof. GriepenJcerl, Donnerst, und
Freit. 5 Uhr.
Im Anschluß an diese Vorlesungen werden Excursionen nach
benachbarten Landgütern und Fabriken veranstaltet werden.
Ueber Bakterien und Hefen: Dr. Koch, Mont. 6 Uhr.
Praktische Uebungen im Cultiviren der Bakterien und Hefen
hält für Studierende der Landwirthschaft im Anschluß an seine
Vorlesung in 2 St. Dr. Koch.
Landwirthschaftliche Maschinenkunde : Dr. EümJcer, Montag u.
Donnerstag, 3 Uhr.
Prof. Henneberg wird Vorlesungen anzeigen, sobald er wieder
hergestellt ist.
Molkereiwesen: Dr. EümJcer, Mittwoch u. Sonnabend 12 Uhr.
Uebungen im landw. Laboratorium, Prof. Liebscher, Mittw.
und Sonnabd. 9 — 1 Uhr, privatissime.
Landwirthschaftl. Seminar : Prof. Liebscher, in noch zu bestim-
menden Stunden, privatissime, unentgeltlich.
Chemie und praktisch - chemische Uebungen für Landwirthe:
vgl. Naturivissenschaften S. 306.
Anatomie , Physiologie und Pathologie der Hausthiere : vgl.
Meäicin S. 302.
Literär- und Kunstgeschichte.
Geschichte der Buchdruckerkunst und des Buchhandels im
15. Jahrh. : Prof. DsiatzJco, Montag, Dienstag, Donnerst. 3 Uhr.
Bibliographische Uebungen: Prof. DziatzJco, Freit. 3 Uhr, pri-
vatissime, unentgeltlich.
Geschichte der indischen Grammatik : s.Oriental. Sprachen^. 309 f.
Geschichte der griechischen Literatur von Alexander bis auf
Mithradates: Prof. von Wilaniowite-Moellendorff, 4c Stunden, 4 Uhr.
während des Winterhalbjahrs 1890/91. 309
Geschichte der deutschen Literatur von Anfang des 16. bis
zu Ende des 18. Jahrh.: Prof. Heyne, 4 Stunden, 5 Uhr.
Ueber die Hauptströmungen der neuern deutschen Literatur
seit Goethes Tode: Prof. Roethe, Donnerst. 6 Uhr.
Geschichte der altfranzösischen Literatur, IL : Prof. Vollmöller,
Mont. Dienst. Mittw. Donn. 12 Uhr.
Geschichte der dramatischen Literatur in Frankreich im XVIII.
Jahrh.: Lektor Ebray, 2 mal wöch. in franz. Sprache.
Shaksperes Leben und Dichtungen: Prof. Brandl, Mittwoch,
Freitag und Sonnabend, 6 Uhr Abends.
Geschichte der europäischen Kunst im Mittelalter: Prof. Lange,
Dienst. 6—8 Uhr Abends.
Kunstgeschichte Italiens und Deutschlands im Zeitalter der
Renaissance: Prof. Lange, Montag 6 — 8 Uhr Abends.
Alterthumskunde.
Griechische Alterthümer: Prof. Volquardsen, Montag, Dienstag,
Donnerstag, Freitag 8 Uhr.
Ueber Pompei, mit besonderer Berücksichtigung der Wand-
malereien: Prof. Dilthey, Dienst., Donn., Freit., 12 Uhr.
Im K. archäologischen Seminar wird Prof. Wieseler ausge-
wählte Kunstwerke, namentlich Griechische und Römische Münzen,
zur Erklärung vorlegen, Sonnabend 12 Uhr öffentlich.
Die eingereichten Abhandlungen der Mitglieder des K. archäo-
logischen Seminars wird er privatissime beurtheilen.
Archäologische Uebungen: Prof. Dilthey, Sonnabend 10 — 12 Uhr,
öffentlich.
Vergleichende Sprachlehre.
Vergleichende Flexionslehre des Sanskrit , Griechischen und
Germanischen : Prof. Bechtel, Dienst., Donnerst, u. Freitag, 9 Uhr.
Uebungen auf dem Gebiete der vergleichenden Lautlehre:
Prof. Bechtel, privatissime, gratis, Sonnabend, 12 Uhr.
Orientalische Sprachen.
Die Vorlesungen über das alte Testament s. unter Theologie S.297.
Anfangsgründe des Arabischen: Prof. Wüstenfeld, privatissime.
Die arabische Grammatik lehrt 5 mal um 11 Uhr Prof. de Lagarde,
der auch den 1. Band der Beiruter Chrestomathie erklären läßt.
Eine syrische Gesellschaft leitet zu noch zu bestimmenden
Stunden Prof. de Lagarde, privatissime, aber unentgeltlich.
Fortsetzung der Sanskritgrammatik und Erklärung des Hito-
padeca: Prof. Kielhorn, Mittwoch und Sonnabend 8 Uhr,
310 Verzeichniß der Vorlesungen auf der Georg- Augusts-Universität zu Göttingen
Erklärung von Bhavabhüti's Uttararämacharita : Prof. Kiel*
hörn, Montag, Mittwoch 9 Uhr.
Erklärung ausgewählter Hymnen des Bigveda mit Säyana's
Commentare : Prof. Kielhom, Mont. 8 Uhr, und Sonnab. 9 Uhr, Öffentl.
Erklärung der Lacqukaumudi : Prof. Kielhom, einmal wöchent-
lich, privatissime u. gratis.
Schrift und Sprache des alten Aegypten , 2. Cursus : Prof.
Pietschmann, in zu verabredender Stunde, privatissime, unentgeltlich.
Griechische und Lateinische Sprache.
Syntax der griechischen Sprache: Prof. Sauppe, Mont., Dienst.,
Donnerst., Freit., 9 Uhr.
Euripides Schutzflehende : Prof v. Wilamowitz-Moellendorff, vier-
stündig 8 Uhr.
Ueber Cicero's Leben und Schriften, mit Interpretation der
Briefe an Atticus: Prof. Leo, Mont., Dienst., Donn., Freit. 10 Uhr.
Interpretation der ältesten italischen Sprachdenkmäler: Prof.
Leo, privatissime.
Im K. philologischen Seminar leiten die schriftlichen Arbeiten
und Disputationen Prof. Sauppe und Prof. von Wilamowitz-Moellen-
dorff, Mittwoch 11 Uhr; läßt Lysias R. 13 erklären Prof. Sauppe,
Mont. und Donn., 11 Uhr; läßt Catulls Hochzeitslieder erklären
Prof. v. Wilanioivitz , Dienst, und Freit., 11 Uhr, alles Öffentlich.
Im K. philologischen Proseminar wird Prof. Leo Aristophanes
Plutus interpretiren lassen, sowie die Disputationen über die Ar-
beiten der Mitglieder leiten, Mittw. 9—11 Uhr, öffentlich.
Deutsche Sprache,
Einleitung in die niederdeutsche Sprache und Literatur mit
Erklärung ausgewählter Stellen des Heliand und Reineke Vos:
Prof. Eoethe, Mont., Mittw., Freit. 3 Uhr.
Erklärung der Gudrun (nach Martins kleiner Ausgabe) : Prof.
Boethe, Dienstag, Donnerstag 3 Uhr.
Im K. deutschen Seminar läßt Prof. Heyne den guten Ger-
hard des Rudolf von Ems erklären, Freitag 12 Uhr, behandelt
Prof. Boethe Goethes Faust, Dienstag 12 Uhr, und bespricht Prof.
Boethe die Arbeiten der Mitglieder, Donnerst. 12 Uhr, alles priva-
tissime aber unentgeltlich.
Im deutschen Proseminar leitet Prof. Heyne althochdeutsche
Uebungen, Sonnabend 12 Uhr, öffentlich; erklärt Prof. Boethe für
Anfänger den Gregorius Hartmanns, von Aue nach Pauls Ausgabe,
Mittwoch 12 Uhr, öffentlich.
Geschichte der deutschen Literatur: s. Liter Urgeschichte S. 309.
während des Winterhalbjahrs 1890/91. 311
Neuere Sprachen.
Geschichte der altfranzösischen Litteratur : s. Lit. Gesch. S. 309.
Französische Metrik: Dr. Andresen, Mont. u. Dienst., 10 Uhr.
Einführung in die provenzalische Sprache und Erklärung aus-
gewählter provenzalischer Denkmäler : Dr. Cloetta, Mont. und Don-
nerst. 11 Uhr.
Erklärung verschiedenartiger altfranzösischer Texte: Dr. Cloetta.
Historische Grammatik des Alt- und Mittel - Englischen mit
besonderer Rücksicht auf Dialekte und Schriftsprache : Prof. Brandt,
Dienst., Donnerst, und Sonnabend 8 Uhr Morgens.
Shaksperes Leben und Dichtungen : s. Lit. Gesch. S. 309.
Erklärung von Cynewulfs Elene : Dr. F. Holthausen, 2 mal wöch.
Englische Metrik: Dr. F. Holthausen, 2 mal wöch.
Im romanischen Seminar giebt Prof. Vollmöller, Dienstag 6 — 8
Uhr , die Erklärung des Chevalier au Lyon von Christian von
Troyes; provenzalische Uebungen leitet Dr. Andresen, Mont. 6 Uhr;
Dr. Cloetta leitet die Erklärung von Dante's Komödie , Donnerst.
6—8 Uhr.
Neufranzösische Uebungen: Lektor Ebray, drei Stunden, im
romanischen Seminar (a. Uebersetzung eines deutschen Schriftstel-
lers ins Franz., b. eines französ. ins Deutsche, c. Conversation).
Im englischen Seminar hält Prof. Brandl Uebungen im Ueber-
setzen ins Altenglische : 6 — 8 Uhr Abends an einem zu bestimmen-
den Tage.
Neuenglische Uebungen stellt im englischen Seminar Lektor
Dr. Miller an zwei Tagen 6 — 8 Uhr an, a) in Grammatik und Sti-
listik, b) Lektüre von Thackeray's Book of Snobs, c) Uebersetzung
von Hauff „das Wirthshaus im Spessart", d) Vorträge über John-
son und seine Zeitgenossen, in englischer Sprache.
Schöne Künste. — - Fertigkeiten.
Uebungen im Erklären und Bestimmen der Handzeichnungen
alter Meister in der Universitätssammlung : Prof. Lange, Sonnabend
12 Uhr.
Harmonielehre : Prof. Freiberg, wöch. 2 Stunden, öffentlich. —
Auch hält er Uebungen im Ensemblespiel.
Harmonie- und Kompositionslehre , verbunden mit praktischen
Uebungen: Prof. Hille, in passenden Stunden.
Zur Theilnahme an den Uebungen der Singakademie und des
Orchesterspielvereins ladet Prof. Hille ein.
312 Verz. d. Vorlesungen auf d. Georg- Augusts-Universität zu Göttingen u. s. w.
Unterricht im Zeichnen ertheilt Zeichenlehrer Peters, Sonn-
abend 2 — 4 Uhr, unentgeltlich.
Unterricht im Malen Derselbe in zu verabredenden Stunden.
Reitunterricht ertheilt in der K. Universitäts - Reitbahn der
Univ. Stallmeister, Rittmeister a.D. Schtveppe, Montag, Dienstag,
Donnerstag, Freitag, Sonnabend, Vormittags v. 8 — 12, und Nachm.
(außer Sonnab.) v. 3 — 4 Uhr.
Fechtkunst lehrt der Universitätsfechtmeister Grüneklee, Tanz-
kunst der Universitätstanzmeister Höltzke, Montag und Donnerstag
8—10 Uhr Abends.
Oeffentliche Sammlungen.
In der Universitätsbibliothek ist das Ausleihezimrner an den Wochentagen
von 11 — 1 und von 2 — 3 Uhr, der Lesesaal von 10 — 4 Uhr geöffnet. Verliehen
werden Bücher nach Abgabe einer Semesterkarte mit der Bürgschaft eines Professors.
Die Gemäldesammlung (Aula, 1 Treppe hoch links) ist Sonntags von 1 1 — 1
Uhr geöffnet.
Der botanische Garten ist, die Sonn- und Festtage ausgenommen, täglich
von 7—12 und von 2—6 Uhr geöffnet.
Die mineralogische und die geologisch- paläontologische Schausammlung sind
im Winterhalbjahr bis zum 11, December Sonnabends von 2 bis 4 Uhr dem
Publicum geöffnet.
Die Sammlungen des landwirtschaftlichen Instituts sind dem Publicum Mitt-
woch Nachmittag von 2—4 Uhr zugänglich. Anmeldung im Institutsgebäude.
Besuchszeit des agricultur chemischen Laboratoriums Donnerst, v. 10— 12 Uhr.
Ueber den Besuch und die Benutzung der theologischen Seminarbibliothek,
des Theatrum anatomicum, des physiologischen Instituts, der pathologischen Samm-
lung , der Sammlung mathematischer Instrumente und Modelle, des zoologischen
und ethnographischen Museums , des botanischen Gartens und des pflanzenphysio-
logischen Instituts, der Sternwarte, des physikalischen Kabinets und Laboratoriums}
der mineralogischen und der geognostisch-paläontologischen Sammlung, der chemi-
schen Laboratorien , des archäologischen Museums, der Gemäldesammlung, der Bi-
bliothek des K. philologischen Seminars , der Bibliothek und des Arbeitszimmers
des ÜT. deutschen Semmars, der Bibliothek und des Lesezimmers des K. mathe-
matisch-physikalischen Seminars, des diplomatischen Apparats, der Sammlungen des
landwirtschaftlichen Instituts bestimmen besondere Reglements das Nähere.
Bei dem Logiscommissar, Pedell Mankel (Jüdenstrasse 11), können die, welche
Wohnungen suchen, sowohl über die Preise, als andere Umstände Auskunft er-
halten und auch im voraus Bestellungen machen.
Für die Redaction verantwortlich: H. Sauppe, Secretair d. K. Ges. d. Wiss.
Commissions - Verlag der Dieterich 'sehen Verlags -Buchhandlung.
Druck der Dieterich' sehen Univ.- Buchdruckerei ( W. Fr. Kaestner).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
20. August.
M 9.
1890.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 5. Juli.
Ueber particuläre Integrale der Differential-
gleichung
d'2V JPV d*V_
dx2 ' dy* ' dz2
und eine mit der Theorie der Minimalflächen zu-
sammenhängende Gattung von Flüssigkeitsbe-
wegungen.
Von
Julius Weingarten, Corresp.
Bekanntlich entspricht jeder in einem begrenzten Räume ein-
deutigen die Zeit nicht explicite enthaltenden Lösung der L a p 1 a c e'-
schen Differentialgleichung eine in diesem Räume mögliche statio-
näre Bewegung einer äußeren Kräften nicht unterworfenen homo-
genen incompressiblen Flüssigkeit.
Für diese Bewegung sind die Flächen gleichen hydrodynami-
schen Druckes zugleich Flächen gleicher Geschwindigkeit der in
ihnen enthaltenen Flüssigkeitstheilchen. Unter den mannigfachen
Bewegungen, welche den verschiedenen Lösungen jener Differential-
gleichung entsprechen, beanspruchen diejenigen ein besonderes In-
Nachrichten von der K. G. d. W. zu üöttingen. 1890. Nr. 9. 26
314 Julius Weingarten,
teresse, für welche eine oder mehrere der Flächen gleichen Druckes
aus Stromlinien gebildet sind.
Herr von Helmholtz hat zuerst Beispiele solcher Bewe-
gungen entdeckt und dargestellt, bei denen Stromflächen auftreten,
deren Stromlinien nicht in ihrem ganzen Verlaufe, sondern nur
theilweise mit derselben constanten Geschwindigkeit durchlaufen
werden. Diese Beispiele entsprechen der Anwendung von Poten-
tialfun ctionen, die nur von zweien der rechtwinkligen Coordinaten
der Punkte des Raumes abhängen , oder auf solche zurückführbar
sind. Allein selbst wenn man auf die Bedingung verzichtet, daß
nur einzelne Theile einer Stromfläche Flächen gleichen Druckes
sein sollen, so scheint doch bisher kein Beispiel einer allgemeinen
räumlichen Potentialfunction gegeben worden zu sein, welchem eine
Flüssigkeitsbewegung entspricht, für die eine Stromfläche zugleich
Fläche gleichen Druckes wird. Auch scheinen die bisher fast aus-
schließlich untersuchten im ganzen unendlichen Räume eindeutigen
Potentialfunctionen zur Darstellung solcher Bewegungen nicht ge-
eignet zu sein.
Für die von Herrn von Helmholtz entdeckten Bewegungen
findet die Eigenthümlichkeit statt, daß zwischen den Componenten
der Greschwindigkeit jedes bewegten Punktes der Flüssigkeit, d. h.
zwischen den 3 ersten Derivirten des betreifenden Geschwindig-
keitspotentials, eine und dieselbe lineare Gleichung mit constanten
Coefficienten besteht. Diese Bemerkung führt dazu, zu unter-
suchen, ob unter denjenigen Potentialfunctionen, zwischen deren
ersten Derivirten überhaupt eine und dieselbe Gleichung besteht,
solche gefunden werden können, welche zur Darstellung von Be-
wegungen der in Rede stehenden Art geeignet sind. Der Erfolg
bestätigt diese Vermuthung.
I.
Wir beschäftigen uns zunächst mit der Aufsuchung derjenigen
Potentialfunctionen, zwischen deren ersten Derivirten in jedem
durch rechtwinklige Coordinaten %,y,z bestimmten Punkte des Rau-
mes eine und dieselbe Gleichung besteht, oder mit anderen Wor-
ten, derjenigen Potentialfunctionen, deren Hesse' sehe Determi-
nante identisch verschwindet.
Wenn für eine Function V der Variablen xt y, 0, deren Diffe-
rential durch die Gleichung
(1.) dV = idx + ndy + Zda
über particuläre Integrale der Differentialgleichung JV = 0. 315
gegeben sei, eine nicht lineare G-leichung zwischen den ersten De-
rivirten |, rj, f besteht, so können die Größen jj, ^, £ als die recht-
winkligen Coordinaten der Punkte einer krummen Fläche aufge-
faßt, und als Functionen zweier unabhängiger Variablen p, q dar-
gestellt gedacht werden, welche Functionen wir, wenigstens in
den in Betracht kommenden Gebieten der Argumente jp, q) als ein-
deutig voraussetzen wollen.
Die Differentialgleichung (1) kann in die nachstehende:
umgeformt werden, und diese sagt aus, daß unter der gemachten
Voraussetzung die nachstehenden Gleichungen, in denen 0 eine
Function der Größen p, q allein bezeichnet ,
xt + yri + zt-V = 0
_^i. + ? .$1 + 3*%. = Üt (2)
dp dp dp ' ' dp * '
dq dq dq dq
statthaben müssen. Hiernach bestimmen die Gleichungen
v = xt + yn + zz-e = zxl-e (3.)
A di drj dt dd _: d£ dO
dp J dp dp dp dp dp v y
n d£ dv d£ dO _ ög de '\
dg ^ dq dq dq dq dq v J
in denen £, 17, g und 0 irgendwelche Functionen der Größen p, g
bezeichnen, alle Functionen V, deren Hesse'sche Determinante
identisch verschwindet. Wird noch die Function 6 als eindeutig
vorausgesetzt, so folgt aus den Gleichungen (4) und (5), daß je-
dem bestimmten Werthepaare der Größen p, q eine und nur eine
Gerade im Räume entspricht, und daß bei entsprechender Einschrän-
kung des Größengebiets der Argumente p, q zweien von einander
verschiedenen Werthepaaren nie dieselbe Gerade zugehört. In
dem durch die Gleichungen (4, 5) dargestellten Strahlensystem
entspricht daher bei solcher Einschränkung des Gebietes (j), q) je-
dem Strahle nur ein bestimmtes Werthepaar p, q.
Innerhalb eines Raumgebietes, für welches jeder Punkt (x, y, z)
nur von einem Strahle des Systems getroffen wird, sind daher die
26*
316 Julius Weingarten,
Werthe der Größen p und q eindeutig durch die Coordinaten x, y, z
dieses Punktes bestimmt, und demnach vermöge der Gleichung (3)
auch die Function V.
Zur Darstellung der zweiten Differentialquotienten der Func-
tion V sind zunächst vermöge der Gleichungen (4) und (5), welche
die Veränderlichen p und q implicite als Functionen der Coordi-
naten %, y, z definiren, die ersten Differentialquotienten dieser
Veränderlichen in Bezug auf die Coordinaten zu ermitteln. Man
erhält durch partielle Differentiation in Bezug auf die Coordinate
x die Gleichungen:
o - *t i (zx8* ^Y* iCzxff: a'gV**
dp \ dp2 dp* ) äx \ öpdq öpöqj dx
dq V äpöq öpdq J dz \ dq2 dq2 ) dx
und zwei ähnliche zur Bestimmung der Derivirten in Bezug auf
jede der Coordinaten y und z. Nach Einführung der Bezeichnungen:
c„ =
ö2Ö
dp2
d2t r
x dp2 ' 12
d26
dpdq
-2%
, d2e
dpdq '
C22
d2e
~~ dq2"
-2a
(6.)
ö
= On(
-/22
v»
ergeben sich:
(7.)
dp
~dx '
r et
Vz2dp
Cn
ei
dq
dq_
dx
e,
'dq'
12 dp
ö
und durch Vertauschung von g mit r\ oder g die betreffenden De-
rivirten von p, q in Bezug auf die Coordinaten y oder z.
Wenn man die Functionen f, % % als die Coordinaten der
Punkte einer krummen Fläche (£, % £) betrachtet, so erweist es
sich als vortheilhaft , die Ausdrücke für die Größen Cik mit Hülfe
einiger allgemeinen Formeln der Theorie der krummen Flächen
umzugestalten. Ich werde diese Formeln in derjenigen Form be-
nutzen, in der ich sie in der Abhandlung „Ueber die Deformation
einer biegsamen unausdehnbaren Fläche." (Journal für Mathematik
Bd. 100, pag. 300—301) mitgetheilt habe.
Bezeichnen noch X, Y, Z die Coordinaten der nach Gauss
vermittelten Abbildung eines Punktes der Fläche (|, rj, £) auf eine
Kugel mit dem Radius Eins, und setzt man das Bestehen der
Gleichungen
über particuläre Integrale der Differentialgleichung JV = 0. 317
dg + ärf + ä? = andp2 + 2andpdq+a22dq2
dXd£ + dYdri + dZdZ = cndp2 + 2c12dpdq + c22dq2
voraus, so ist bekanntlich die Summe der Hauptkrümmungen in
einem bestimmten Punkte der Fläche (g, % g) durch die Gleichung
9 9
__ g22qil"2C12^2 + Cliq2
«ii««— «i
gegeben, und es gelten für die zweiten Differentialquotienten der
Coordinate {j die Relationen:
cuX
3*6
c^2 =
(«1 , (iijöl
cjp + 1 2 1 ö£
d2g
d<Z2
1 Jöjp
+
02
(8.)
m^U- x
dp + ( 2
Ö0
so wie die entsprechenden für die Coordinaten rj, g. (A. a. 0.
pag. 301).
Mit Hilfe dieser letzteren Gleichungen gehen die Werthe der
durch die Gleichungen (6) bestimmten Größen Cik in die nachste-
henden über:
d26 (njjW titl»
öq2 i1) dp \2\dq
R = Xx+Yy + Zs = 27Xs.
0„ =
CS2 —
I« log
dq
+cuR
(9.)
Vermöge der Gleichungen (7) erhalt man nunmehr für die Diffe-
rentialquotienten der Derivirten jj, % £ in Bezug auf die Coordi-
naten Xj y, z oder für die entsprechenden zweiten Differentialquo-
tienten der Function V die Ausdrücke :
dx2
dy2
dz2
i["..(f)'-'..(f)(f)^..(f)i
318 Julius Weingarten,
aus deren Addition die Gleichung
d*v , d2v d2v lr . 0 , , ,1
(10.) ~ds?~ ^ 'dq2' ~d^~ ~ ~§Yl^{y^~~^a^{j^a^^\
hervorgeht. Nach Einführung der Werthe der Ausdrücke Cik aus
(9.) und nachdem man bemerkt hat, daß einer bekannten Umfor-
mung zufolge
/(^ (22)^ (22)d0\ o„ (JW__ flllÖÖ Jl2)Ö0\
**\tif In dp \2]dqJ 12\dpdq \ i ] dp \*\dqJ
wenn ^/(ö) den zweiten Differentialparameter der Function 6 für
die Fläche (jj, ^, J) bezeichnet, verwandelt sich die Gleichung (10.) in :
Diese Gleichung beweist, daß eine Function F, deren Hesse' sehe
Determinante verschwindet, die Potentialgleichung stets dann und
nur dann erfüllt, wenn gleichzeitig den Bedingungen
1 + 1 = 0, 4(0) = 0
Genüge geschieht, d. h. wenn erstens die Fläche (g, ^, f) eine
Minimalfläche ist, und zweitens der zweite Differentialpara-
meter der Function 6 identisch verschwindet. Diese letztere Be-
dingung erfordert, in anderer Form ausgesprochen, das 0 irgend
ein Integral der Differentialgleichung:
da"dp ai2öq fr dg a'2 dp
(12.) Vä>22-< V«ii«M--qT 12; 0
dp dq
sei, von welcher Gleichung im Falle der Minimalflächen J, % g be-
kanntlich selbst Integrale sind.
Wenn andererseits die Hesse' sehe Determinante einer Poten-
tialfunction verschwindet, so besteht zwischen den ersten Derivir-
ten dieser Function nothwendig eine Gleichung, welche mit einer
Gleichung zwischen den rechtwinkligen Coordinaten der Punkte
einer Minimalfläche übereinstimmt.
über particuläre Integrale der Differentialgleichung JV = 0. 319
Wir wollen nunmehr in der weiteren Folge unter J, rj, £ stets
die Coordinaten eines Punktes einer Minimal fläche als Func-
tionen der, zwei Curvenschaaren dieser Fläche bestimmenden, Pa-
rameter p , q dargestellt , verstehen , und unter 0 irgend ein Inte-
gral der Differentialgleichung (12). Alsdann ergeben die Glei-
chungen :
F= xt + yrt + zl-0 (3.*)
dp J dp dp dp K ' J
eine, oder besser, jede Potentialfunction V von verschwindender
Hesse' scher Determinante. Der analytische Charakter, die Ver-
zweigung dieser Function im Räume , wird wesentlich durch die
geometrischen Eigenschaften des durch die Gleichungen (4*, 5*)
bestimmten Strahlensystems bedingt sein, welche Gleichungen die
Parameter p, q als Function der Coordinaten x, y, z definiren.
Der Kürze wegen, und ohne die Allgemeinheit zu beeinträch-
tigen, wollen wir in den ferneren Entwickelungen die Parameter
p, q durchweg als orthogonalen isothermen Curvenschaaren der
Minimalfläche angehörig betrachten, mit anderen "Worten, wir setzen
voraus , daß das Quadrat der Länge des Linienelementes der Mi-
nimalfläche (£, rj, £) durch Einführung dieser Parameter die Form
«f + dn2+ d? = p (dp2+ dq2) (13.)
annehme. Diese Voraussetzung hat bekanntlich auch das Beste-
hen einer Gleichung von der Form
dX2+dY2+dZ2 = X(dp2+dq2) (14.)
zur nothwendigen Folge.
Alsdann verwandelt sich die Gleichung (12) in
d2B , d20 A
welcher Differentialgleichung die Function 6 sowie die Functionen
£, rj, % der Gleichungen 3*, 4* und 5* zu genügen haben.
Es möge daran erinnert werden, daß für die Minimalflächen
sowohl Parameter der Krümmungslinien wie auch Parameter der
asymptotischen Linien die von nun an für die Parameter p, q vor-
ausgesetzte Eigenschaft besitzen.
320 Julius Weingarten,
Ehe wir zur Untersuchung der geometrischen Eigenschaften
des, bei der Bestimmung der Function V auftretenden Strahlen-
systems übergehen, wollen wir noch hervorheben, daß die iso-
thermen Parameter p, q, wenn man sie den Gleichungen (4*, 5*)
gemäß als Functionen der Coordinaten x, y, ß auffaßt, selbst Po-
tentialfunctionen sind. Der Beweis dieser Behauptung ergiebt sich
leicht mit Hilfe eines Theorems von Jacobi (Jacobi Gesammelte
Werke Bd. II. pag. 208) x), nach welchem jede Größe <?, die als
Function von x, y, z durch die Gleichung
Ax + By + Cz + D = 0
bestimmt wird, in welcher A, B, C beliebige Functionen von 6 be-
deuten, die der Gleichung
A*+B2+C2 = 0
genügen, eine Potentialfunction ist.
Die zwei Gleichungen (4*, 5*) lassen sich nämlich durch die eine :
Q~X\to lda)+iAdp % da)+S\6p l dq)+ dp %
ersetzen. Für diese Gleichung verschwindet offenbar, wegen der
Voraussetzung isothermer Parameter, die Summe der Quadrate der
Coefficienten von x, y, z. Ferner sind sämmtliche Coefficienten
derselben, in Folge der für die Functionen £, rj, £ und 6 geltenden
Gleichung (12*) der Differentialgleichung
dp öq
unterworfen , welche aussagt , daß diese Coefficienten Functionen
der Größe 6 = p + qi sind. Es ist daher 6 selbst, und folglich
auch jede der Größen p, q eine Potentialfunction.
Um jetzt die Gleichungen (4*, 5*) des bei unseren Betrachtungen
auftretenden Strahlensystems in eine angemessene Form zu setzen,
wollen wir drei neue Functionen u, v, w der Parameter p, q in.
die Rechnung einführen, welche der Bedingung genügen, daß
(13.) dß = ud% + vdr} + wd£
wird. Bei Erfüllung dieser Bedingung gehen die Gleichungen des
Strahlensystems über in die folgenden:
1) Journal für Mathematik. Bd. 36. pag. 113—134.
über particuläre Integrale dir Differentialgleichung JV = 0. 321
(,_„)« +(,_,)|( + (,-»)g = o
aus denen folgt:
x — u = rX, y — v — rF, -2? — td = rZ (4.**)
welche das Strahlensystem als ein von den Punkten einer Fläche
(w, v, w) ausgehendes darstellen und zeigen , daß jeder von einem
Punkte (u, v, w) ausgehende Strahl die Richtungscosinus X, Y, Z
besitzt. Drei Functionen u, v, 10 , welche der Bedingung (13)
genügen, verlieren offenbar diese Eigenschaft nicht, wenn man
sie beziehungsweise um tX, tF, xZ vermehrt, unter r eine will-
kürliche Function von p) q verstanden ; eine Operation , durch
welche das Strahlen System nur auf eine andere Anfangsfläche be-
zogen wird.
Die Gleichung (13) erfordert erstens die Erfüllung der Inte-
grabilitätsbedingung
du 6>g dv ötj div dt, du 6% dv drj dw _e?£ ,.. . .
dp dq dp dq dp dq ' ' dq dp dq dp dq dp
und wegen der für die Function 0 geltenden Gleichung (12*) die
auch die Functionen g, 17, £ beherrscht, das Bestehen der Gleichung :
ftÜL ^i j_ ^L. !^L 4. ^HL ^L\^u ^a^l^Li ^L ^1. — o (l 5 ^
dp dp dp dp ~dp dq ~dq~dq dq dq dq dq ~
Um die Bedeutung dieser Gleichungen in einfacherer Form
zu übersehen, wollen wir für einen Augenblick den isothermen Pa-
rametern p, q die Bedeutung von Parametern der Krümmungslinien
der Minimalfläche g, % % beilegen. Bezeichnet alsdann q den Haupt-
krümmungsradius dieser Minimalfläche im Punkte (p, q), so gelten
die Gleichungen :
ö|it ÖX f_ __ dX
dp B ^ dp ' dq ^ dq
und entsprechende für die Diiferentialquotienten von rj und £. Die
Gleichungen (15.) und (16.) gehen alsdann mit Hilfe der vorste-
henden über in :
^?X foW d^dZ öw^.jto öF,^ 6^ ^
dp dq dp dq dp dq dq dp dq dp dq dp \ ' )
322 Julius Weingarten,
a du dX dv dY dw dZ =_ du dX dv dY div dZ
* ' ' dp dp dp dp dp dp dq dq dq dq dq dq
denen genügt wird , wenn man die Functionen u, v, w der Bedin-
gung :
(16.) dXdu + dYdv + dZdiv = 0
unterwirft, welche keine andere ist, als diejenige, die die unend-
lich kleinen Deformationen einer Kugel vom Radius Eins be-
stimmt. Die Linienelemente der durch sie bestimmten Fläche
(u, v, w) correspondiren den betreifenden der Kugel rechtwinklig.
. Aus dreien dieser Bedingung genügenden Functionen u, v, w
kann man , wie oben bemerkt , drei andere allgemeinere ableiten.
Allein es erweist sich als vortheilhaft , gerade diese Functionen
u, v, w zur Bestimmung der Ausgangsfläche des betrachteten Strah-
lensystsms zu wählen, da sie die Coordinaten der Mittelfläche des-
selben bestimmen.
In der im Anfange angeführten Abhandlung über die unend-
lich kleinen Deformationen einer krummen Fläche ist die Bestim-
mung der durch die Gleichung (16) definirten Functionen u, v, iv
auf die Integration einer linearen partiellen Differentialgleichung
zweiter Ordnung, zurückgeführt worden. Auch ohne die dort ge-
gebenen Entwickelungen verfolgen zu müssen , wird man aus den
nachstehend mitgetheilten Formeln für die Functionen u, v, w das
Bestehen der Gleichung (16) ohne Weiteres verificiren können.
Ergiebt sich für die betrachtete Minimalfläche, für irgend
welche Parameter p, q zweier orthogonalen isothermen Curven-
schaaren die Gleichung:
(14.) dX2 + dY2 + dZ2 = l(dp2+dq2)
und ist <p irgend ein Integral der partiellen Differentialgleichung
so bestimmen die Gleichungen
du vdw dX du „d(p , dX
dp dq dq dq dp dp
/-.on dv vd<P dY dv „dy , dY
dp dq T dq dq dp x dp
die gesuchten Functionen w, v, w durch Quadraturen.
über particuläre Integrale der Differentialgleichung J V = 0. 323
Das allgemeine Integral der Differentialgleichung (17) ist
durch die Gleichung
d> t dlogA dl> 1 dlogl dl>
^ ' dpdq * dq dp * dp dq
gegeben, wenn ty irgend eine Lösung der Differentialgleichung:
dp* + dq*
bezeichnet, von welcher Behauptung man sich leicht durch eine
directe Rechnung überzeugt. "Wenn man den obigen Werth von
(p zur Darstellung der Functionen u, v, tv durch die Gleichungen
(18) benutzt , so erweisen sich die erforderten Quadraturen als
ausführbar, und man erhält für u, v, tv die Bestimmungen
u ' SIX--6^ ÖX Öt dX
dp dp dq dq
ny_dl_dY_ d^dY
dp dp ^ dq dq (18.*)
w ..o7 d* dZ d* dZ
dp dp dq dq
d2j> , ^logA dij> 1 dlogX dtj>
durch welche die Gleichung (16) sich nach unmittelbarer Rech-
nung allgemein erfüllt erweist.
Der Differentialgleichung (17) genügt bekanntlich das vom
Anfangspunkte der Coordinaten g, 17, £ auf die im Punkte (p, q)
der betrachteten Minimalfläche stattfindende Tangentialebene ge-
fällte Loth
Führt man dasselbe als gegebene unabhängige Variable in die
Rechnung ein, so kann man aus den Gleichungen (18) die Fol-
gerungen:
„ du öv ^dw ^ dq> dP
ydu , dv ^dw „ dip , dP
ziehen, und hiernach der Function 0 die Gestalt
324 Julius Weingarten,
0 = ul-\-vr\-\-wt,— I (%du + rjdv + Z;dw)
geben.
Das System der Gleichungen (3*, 4*, 5*), welches jede Poten-
tialfunction V mit verschwindender Hesse' scher Determinante de-
finirt, läßt sich hiernach unter Benutzung der Gleichungen (4**)
auch in das nachstehende verwandeln:
x = u + rX
(B.) y = v +rY
s = w-\-rZ
welches vermöge der Gleichungen (B) die Variablen p, q, r als Func-
tionen der Coordinaten eines Punktes (#, y, z) des Raumes be-
stimmt , und nach geschehner Bestimmung für V eine Potential-
function mit verschwindender Hesse' scher Determinante ergiebt.
Zur Darstellung dieser Gattung von Potentialfunctionen ist da-
her die Kenntniß irgend zweier orthogonalen isothermen Curvenschaa-
ren der Kugel und die Kenntniß irgend zweier Integrale P, (p der
Differentialgleichung (17) ausreichend. Das Strahlensystem (B) ist
von der Wahl der Function P unabhängig, während die Differen-
tialquotienten von V in Bezug auf die Coordinaten x, y, z die Coordi-
naten 6, 7], g eines Punktes irgend einer Minimalfläche angeben.
Von welcher besonderen Wahl einer Minimalfläche fj, rj, g man
auch ausgehe , um eine Potentialfunction von verschwindender
Hesse' scher Determinante zu bestimmen, so wird man doch stets
zur Bestimmung der Parameter p, q als Functionen der Coordinaten
x, y, z auf das nämliche Strahlensystem (B) geführt werden , das
keine Beziehung zu dieser besonderen Wahl mehr enthält, sondern
nur eine solche zur Wahl der Function 0.
Was dieses Strahlensystem selbst anbetrifft, so lassen sich
vermöge der von Herrn Kummer gegebenen Formeln mit Hilfe
der Gleichung
dXdu + dYdv + dZdw = 0
die allgemeinen geometrischen Eigenschaften desselben sofort über-
sehen. Diese Formeln ergeben für die Werthe r\ /' der Abscissen
r der Brennpunkte dieses Systems unmittelbar die Gleichungen
über particuläre Integrale der Differentialgleichung äV = 0. 325
/+/' = 0 r'r" = <p\
welche zeigen, daß die Fläche u, v, w die Mittelfläche des Systems
darstellt , und daß dasselbe ein Strahlen System mit imaginären
Brennpunkten ist. Nur für solche Werthe p, q, für welche die Func-
tion <p der Null gleich wird, findet ein Schneiden zweier Nachbar-
strahlen in der Fläche (w, v, w) selbst statt, und alsdann stellt die
Curve r = 0, cp = 0 eine in dieser Fläche liegende vereinzelte
Brennlinie dar.
Das Strahlensystem (B) ist schon längst als ein mit der Theorie
der Minimalflächen auf das Innigste verknüpftes von Herrn Ri-
baucour (Etüde des elassoides ou surfaces a courbure moyenne
nulle) erkannt und in die Theorie derselben eingeführt worden.
Um in der Folge nicht durch Nebenbetrachtungen aufgehalten
zu werden, wollen wir noch die durch die Formeln (9) bestimmten
Ausdrücke Cik durch die Einführung der Function cp anstatt der
Function 0 in eine andere Form setzen.
Aus den Gleichungen:
dp dp dp dp
de di' d$i •• 0£
dq dq dq dq
ergeben sich durch Differentiation in Beziehung auf die Größen
p und q die folgenden:
dp2 dp dp* dp*
J1L r^öi, T„ _d2j_ T&i öS . r 02S
dpdq ' dq dp*ZjUdpdq ~ dp~dj + *Ud£3q
&l_,zdud$ 02|
dq' ~ dq dq+ZjU~dtf>
welche mit Hilfe der Gleichungen (8) und der Gleichungen (18)
in die nachstehenden übergeben:
020 (ii)00 jii|Ö0 „vv
&0 ji2)00 ii2)dO vv
dpdq~~ ( i S'dp ~~ j a j 'dq "" ^"c'j2;Xm ■■" -9Cn-c„2Xu
M (22)00 (22)00 vv
326 Julius Weingarten,
Aus ihnen ergeben sich die Ausdrücke Cik als durch die Glei-
chungen
Cu = — cpc12— cnr
(19.) C12 = (pcn~c12r =
bestimmt. Man bemerkt leicht die Beziehung cn + c22 = 0, welche
der Voraussetzung isothermer Parameter p1 q für die betrachtete
Minimal fläche entspricht.
Sind insbesondere jp, q Parameter der asymptotischen Linien
dieser Minimalfläche, so werden bekanntlich cn = c22 = 0, c12 = 1
und die Ausdrücke Cik ergeben sich als :
Cn = - (p
(19.*) Ct2 = -r
C22 = cp.
n.
Bezeichnen |, yj, £ die drei nach den rechtwinkligen Coordina-
tenaxen x, y, z geschätzten Componenten der Geschwindigkeit eines
Theilchens einer stationär bewegten und incompressiblen Flüs-
sigkeit, auf welche äußere Kräfte nicht wirken, und werden diese
Componenten als die Differentialquotienten eines Geschwindigkeits-
potentials V vorausgesetzt, so besteht zwischen ihnen und dem
Drucke 77 in einen beliebigen Punkt (%, y, z) dieser Flüssigkeit
bekanntlich die Gleichung
-n = Const-J(£2+if+£2)
in welcher q die constante Dichtigkeit der Flüssigkeit bezeichnet.
In einer Fläche, für welche der Druck TT eine Constante ist, hat
daher auch die Große |2 + rf + £2 , welche wir durch 2 1 bezeichnen
wollen, einen constanten Werth, und es drückt die Gleichung
(20.) 2r = r + tf+f = a2
die Gleichung einer bestimmten Fläche constanten Druckes in der
Flüssigkeit aus, falls der Größe a ein bestimmter constanter Werth
beigelegt wird. Soll für diesen bestimmten Werth a die durch
die Gleichung (20) dargestellte Fläche gleichzeitig eine Stromfläche
in der Flüssigkeit darstellen, so ist es nothwendig, daß jedes zur
Zeit t im Punkte (x, y, z) dieser Fläche befindliche Theilchen, nach
über particuläre Integrale der Differentialgleichung JV = 0. 327
Verlauf eines Zeitelementes dt wiederum in einen Punkt derselben
Fläche geführt werde, oder mit anderen Worten, daß die Coordi-
naten x + £dt, y + qdt, z + £dt, in welche nach Ablauf des Zeitele-
mentes dt die Coordinaten x, y, z übergegangen sein werden, der
Gleichung (20) Genüge leisten.
Diese Bedingung erfordert, daß für alle Werthe der Coordi-
naten x} y, z , für welche die Gleichung (20) besteht, auch die
Gleichung
bestehe. Bezeichnet man die totale Aenderung, welche eine, an
das Flüssigkeitstheilchen gebundene Function ty der Coordinaten
x, y, z desselben im Zeitelemente dt erleidet, durch rity , setzt also
dip k dip dip dip
dt ~ § dx ~*~v dy " dz '
so ist die vorstehende Gleichung gleichbedeutend mit der folgenden :
Wir wollen voraussetzen, daß man als Geschwindigkeitspotential V
eine Potentialfunction mit verschwindender Hesse' scher Deter-
minante gewählt habe. Alsdann lassen sich die Geschwindigkeits-
componenten J, r\ , £ als die durch Functionen zweier Parameter
p, q auszudrückenden Coordinaten jedes Punktes einer Minimal-
fläche darstellen, für welche diese Parameter die Bedeutung von
Parametern der asymptotischen Linien besitzen mögen. Man
findet alsdann die totalen Aenderungen dieser Componenten im
Zeitelemente dt durch die Gleichungen
dt dp dt "*■ dq dt P?\|
und zwei ähnliche für rj, f, in denen die Werthe von -~ , ~-
ut dt
durch die Formeln
dt ~~ *dx ^V dy^5dz
dt ™ * dx * n dy * ^ dz
gegeben sind. Unter Hinzuziehung der Gleichungen (7) und mit
I
528 Julius Weingarteü,
Hilfe der Formeln (19*) des ersten Abschnittes gehen die letzte-
ren Gleichungen in
dp 1 / dt dt \
dq 1 ( ^r __ dt\
-fit ~~ ~~^T2+V V ~dp"^~dq)
über. Wenn man die linken Seiten der Gleichungen (23) der
Reihe nach mit g, % g multiplicirt und die Producte addirt, so er-
giebt sich unter Benutzung der vorstehenden Gleichungen:
dt
1t
1 F (d?/ Sr'V. q ör örl
— 9)2+r2L9?V^2 öp2J+ dp dq]
Soll daher die dem eingeführten Geschwindigkeitspotentiale ent-
sprechende Flüssigkeitsbewegung die Fläche 2t — a2 = 0 als eine
Stromfläche enthalten, so müssen die Gleichungen
(20.) 2r-a2 = £2+?f-K2-«2 = 0
(22.) ^___j + 2,^^==0
für die betreffenden Werthe von p, q, r gleichzeitig bestehen.
Die letzte beider Gleichungen verlangt hierfür die Bedingung:
dt dt 0
dp dq
welche lehrt, daß mit 2 t— a2 gleichzeitig entweder nur einer, oder
beide Differentialquotienten der Function t verschwinden müssen.
dt
Ist die erste dieser beiden Bedingungen erfüllt, und ist -^—
der nicht verschwindende Differentialquotient, so muß wegen
dt = 0 die Gleichung
%fc T °
bestehen, also für 2 t— a2 = 0, die Größe p selbst einen constanten
Werth p0 besitzen. Unter diesen Verhältnissen muß die Gleichung
für p = p0 erfüllt sein , oder mit anderen Worten , die dem Ge-
schwindigkeitspotential V entsprechende Minimalfläche muß eine
sphärische Asymptotenlinie vom Kugelradius a besitzen.
über particuläre Integrale der Differentialgleichung JV = 0. 329
Wird alsdann noch die der Gleichung (17) genügende, sonst
willkürliche Function (p der Bedingung unterworfen , für p = p0
zu verschwinden , die sich auf unendlich viele Arten erfüllen läßt,
so bestehen die Gleichungen (20, 22) in der That gleichzeitig.
Der Bedingung p = pQ entsprechen im Räume (#, y, z) die
Punkte einer Fläche, welche den Gleichungen (4*, 5*) zufolge eine
geradlinige sein wird. Da aber für p = p0 die Function (p ver-
schwindet, so werden sich zufolge der früheren Bemerkung hinsicht-
lich der Brennpunkte des betreifenden Strahlensystems die Gera-
den dieser Fläche auf der vereinzelten Abwickelbaren dieses Strah-
lensystems befinden.
Jeder Minimalfläche, welche eine sphärische Asymptotenlinie
besitzt, lassen sich daher Potentialfunctionen zuordnen, welchen
eine Flüssigkeitsbewegung entspricht, für die eine abwickelbare
Oberfläche gleichzeitig Stromfläche und Fläche constanten Druckes
der Flüssigkeit wird. Die Flüssigkeitstheilchen dieser Oberfläche
bewegen sich längs geodätischer Linien derselben mit der Ge-
schwindigkeit a.
Bei Erfüllung der zweiten der oben erwähnten Bedingungen,
wenn nämlich für 2r — a2 = 0 beide DifFerentialquotienten von r
verschwinden, werden die Gleichungen (20, 22) für jede Function <jp
ohne Weiteres gleichzeitig erfüllt.
In diesem Falle sagen die Bedingungen
aus, daß die zu Grunde gelegte Minimalfläche durch eine Kugel
vom Radius a längs einer in ihr liegenden Curve berührt werden
müsse , und umgekehrt sind unter Zugrundelegung einer solchen
Minimalfläche die vorstehenden Gleichungen stets gleichzeitig erfüllt.
Jeder Minimalfläche, die längs einer in ihr befindlichen Curve
durch eine Kugel berührt werden kann , lassen sich daher unend-
lich viele Potentialfunctionen zuordnen, denen Flüssigkeitsbewe-
gungen entsprechen, für welche eine geradlinige Fläche gleich-
zeitig Stromfläche und Fläche constanten Druckes der Flüssigkeit
wird.
Da in Folge des gleichzeitigen Verschwindens der DifFerential-
quotienten tb—, -jr- auch die totalen Differentiale dp und dq der
betreffenden Veränderlichen p) q verschwinden , so behalten dieje-
nigen Flüssigkeitstheilchen, welche auf dieser geradlinigen Fläche
sich befinden , dieselben Parameter p, q , während ihrer weiteren
Nachrichten von dor K. G. d. W. in Göttingon. 1890. No. 9. 27
380 Julius Weingarten,
Bewegung bei und durchlaufen die geraden Linien dieser Fache
mit der constanten Geschwindigkeit a.
In Beziehung auf die, den Potentialfunctionen von verschwin-
dender Hesse' scher Determinante entsprechenden Flüssigkeitsbe-
wegungen ist es noch wesentlich hervorzuheben, daß für diejenigen
Werthe der Parameter p) q , welche zu unendlich fernen Punkten
der vorausgesetzten Minimalfläche führen, die Geschwindigkeits-
componenten in allen Punkten der betreffenden Strahlen des Strah-
lensystems (4*, 5*) unendlich große Werthe annehmen. Der von
Flüssigkeit erfüllte Baum darf daher diese Strahlen nicht enthal-
ten. Die Flüssigkeit muß in Folge dessen durch feste aus Strom-
linien gebildete Wände auf einen sich ins Unendliche *) erstrecken-
den Baum beschränkt gedacht werden, innerhalb dessen gesamm-
ter, durch diese Wände und die freien Grenzen dargestellten, Be-
grenzung die erwähnten Strahlen nicht liegen.
Beispiele, welche die vorgetragenen Entwickelungen zu erläu-
tern geeignet sind, erfordern die Darstellung solcher Minimal-
flächen , die entweder eine sphärische Asymptotenlinie besitzen,
oder von einer Kugel längs einer Curve berührt werden. Beide
Gruppen von Minimalflächen lassen sich in aller Allgemeinheit
durch bekannte von Herrn Schwarz gegebene Formeln darstel-
len. Allein die Benutzung dieser Formeln ist wegen der in ihnen
auftretenden Quadraturen auch für einfachere Beispiele mit mannig-
fachen Schwierigkeiten verknüpft, so daß man genöthigt wird, an-
dere Wege zu betreten.
In endlicher Form ist mir nur die Angabe einer Minimalfläche
gelungen, deren sphärische Asymptotenlinie eine sphärische Schrau-
benlinie ist. Das sich an dieselbe knüpfende Beispiel einer inter-
essanten Flüssigkeitsbewegung erscheint für eine Mittheilung an
dieser Stelle noch zu verwickelt. Dagegen bietet das Catenoid
ein einfaches Beispiel für die Bewegungen der zweiten Art, für
welche die Stromcurven in der Fläche constanten Drucks gerad-
linig sind.
Durch die Gleichungen:
(a.) g = ^Ccosg, *? = -^-Csing, ( — -^(p0— P + C0S0)
in denen p0 eine willkürliche positive Größe bezeichnet, während
C, S und CQ, S0 die Functionen
1) Eine stationäre Bewegung in einem endlichen Räume, der ein
Geschwindigkeitspotential zukommt, besteht nach einem bekannten Satz von Herrn
von Helmholtz nicht.
über particuläre Integrale der Differentialgleichung JV = 0. 331
bedeuten, ist offenbar ein Catenoid dargestellt, für welches
2t - f+ tf + f '- $ [C2+ (P.-P + W] (b.)
wird. Die Coordinaten X, Y, Z der sphärischen Abbildung des-
selben ergeben sich durch die Gleichungen
cosg Y sing 7 _ S
C ' C~~' c
Für die Functionen u, v, w wählen wir der Keine nach die Werthe
bY, — bX, 0, welche offenbar der für diese Functionen aufgestellten
Bedingungsgleichung
dudX + dvdY+dwdZ = 0
genügen.
Diese Wahl entspricht allgemein der Annahme (p = bZ oder
0 = b%, wenn durch £,!),§ die Coordinaten der Bonn et' sehen
Adjungirten der Fläche g, % £ bezeichnet werden.
Das Strahlensystem , welches die Werthe der Parameter p, q
den Punkten (#, «/, z) des Raumes zuordnet, wird nunmehr durch
die Gleichungen:
X = bY + rX
y = -bX + rY
z = rZ
gegeben. Die Ausgangsfläche dieses Strahlensystems ist eine in
der Ebene z = 0 liegende Kreisfläche, deren Radius gleich b ist
und deren Mittelpunkt mit dem Coordinatenanfangspunkte zusam-
menfällt. Wenn man die Veränderlichkeit des Parameters p auf
positive Werthe beschränkt, während der Parameter q jeden reel-
len Werth annehmen kann , so entspricht jedem Punkte dieser
Kreisfläche nur ein von ihm ausgehender Strahl. Die Größe Z
bleibt auf positive Werthe beschränkt. Durch Elimination der
Größen r und q ergibt sich aus (c) die Gleichung:
x2 + y> z*
— 1 ,
b\l-Z2) VZ%
welche zeigt , daß diejenigen Flächen , in denen der Parameter p
constante Werthe annimmt, eine Schaar confocaler Rotationshyper-
332 Julius Weingarten,
boloide bilden, welche für p = 0 in eine den Kreis der Ausgangs-
fläche ausschließende Ebene , für p = oo in die Z-Axq ausarten.
Diese Gleichung besitzt für bestimmt gegebene Werthe der Coor-
dinaten x, y, z nur eine positive Wurzel Z. Es ist daher sowohl
die Größe Z als auch die Größe p durch die Angabe der Werthe
der Coordinaten x, y, z eindeutig bestimmt. Hiernach ergiebt sich
die Größe r ebenfalls eindeutig bestimmt aus der Gleichung
z
so lange p > 0 ist. Die Größe r verschwindet zugleich mit der
Coordinate z in allen Punkten der Ausgangsfläche. In Folge des-
sen sind auch die Größen X, Y und cosq, sing, durch die Coor-
dinaten x, y, z eindeutig bestimmt. Durch die Gleichungen (a) des
Catenoids, welches der Bildung der Geschwindigkeitscomponenten
£, rj, £ zu Grunde liegt, sind die Bedingungen
2r = a2, -^— = 0, -^- = 0
1 dp ' dq
für p = p0 offenbar erfüllt. Es wird daher für eine Flüssigkeits-
bewegung, der in jedem Punkte des Raumes die durch die Größen
I > V j £ gegebenen Geschwindigkeitscomponenten zukommen , die
Fläche p = p0 , oder das durch die Gleichung
x2+y2 z2 _ i
b2(l-Z\) ' b2Z
bestimmte Rotationshyperboloid , sowohl eine Stromfläche, als auch
eine Fläche gleichen Druckes sein.
Die dritte der Gleichungen (a) zeigt, daß für alle Punkte des
Raumes, in denen 2)~<p0 + S0C0 ist, die Geschwindigkeitscomponente
£ positiv ausfällt, die in ihnen strömenden Flüssigkeitstheilchen
also von kleineren zu größeren Werthen der Coordinate z überge-
hen. Wir bezeichnen der Kürze wegen durch px den Werth von
Po + £<A und durch Zx den Werth von Z für p = pt.
Man construire nunmehr in der Ebene * = 0 um den Coordina-
tenanfangspunkt als Mittelpunkt einen Kreis, dessen Radius zwischen
den Werthen b\Jl — Z20 und b^l—Z\ enthalten ist, und für jeden
Punkt dieser Kreislinie die durch denselben hindurchgehende Strom-
curve. Eine solche Stromcurve wendet sich zunächst nach der Seite
der wachsenden Werthe der Coordinate z, da der Punkt, von dem sie
ausgeht, in dem Räume der positiven Werthe der Größe £ enthalten
über particuläre Integrale der Differentialgleichung JV = 0. 333
ist , und schreitet dauernd nach Orten abnehmender Werthe
des Parameters p fort. Denn das Vorzeichen der Ableitung -—■
erweist sich für Werthe von p, die größer als p0 sind und für
positive Werthe von r, als stets negativ. Mit wachsender Zeit
nähert sich für das betrachtete Flüssigkeitstheilchen der Werth
des Parameters p dem Werthe pQ unbegrenzt, und seine Bahn fällt
immer näher mit einem Individuum derjenigen Schaar der Erzeu-
genden des Hyperboloids zusammen, längs welcher die Flüssig-
keitstheilchen der unter constanten Druck stehenden Grenzfläche
sich bewegen. Der Inbegriff der durch alle Punkte des construir-
ten Kreises gezogenen Stromlinien führt zu einer nach zwei Seiten
sich ins Unendliche erstreckenden Fläche, die sich im Unendlichen
dem Hyperboloide p = pQ unbegrenzt annähert. Wählt man diese
Fläche zu einer festen Wand, und denkt man sich die Flüssig-
keit auf den zwischen ihr und dem Rotationshyperboloid p = pQ
liegenden Theil des Raumes beschränkt, so erhält man das Bei-
spiel eines sich ins Unendliche erstreckenden stationären Wasser-
strahls von der äußeren Gestalt eines Rotationshyperboloids, der
im Fließen einen sich ebenfalls ins Unendliche erstreckenden festen
Körper bespült; in der freien Begrenzungsfläche dieses Strahles
ist überall der Druck constant; die Bewegung der Flüssigkeits-
theilchen in ihr ist geradlinig und erfolgt mit constanter Geschwin-
digkeit. Im Unendlichen ist die bespülende Wasserschicht un-
endlich dünn, und die Form des festen Körpers hyperboloidisch.
Construirt man andrerseits zwischen irgend zwei Punkten,
welche auf demjenigen Kreise liegen , in dem das Hyperboloid
p = p0 von der Ebene z = 0 geschnitten wird , eine sich selbst
nicht schneidende Curve, die nirgends in das Innere des in der-
selben Ebene mit dem Radius h \/l — Z\ gezeichneten concentrischen
Kreises eintritt , und faßt den Inbegriff aller , die Punkte dieser
Curve passirenden Stromlinien als eine feste Wand bildend auf,
so erhält man das Beispiel einer stationären Flüssigkeitsbewegung
in einem sich nach zwei Seiten ins Unendliche erstreckenden Bette,
dessen Ufer durch zwei windschiefe Gerade gebildet werden. Die
freie unter constantem Drucke stehende Oberfläche der strömenden
Flüssigkeit hat die Gestalt eines Theils eines Rotationshyperbo-
loids , und die Bewegung in ihr geschieht geradlinig. Das Bett
selbst verflacht und erweitert sich im Unendlichen unbegrenzt.
Entsprechende Constructionen kann man auch für den Raum,
der der äußeren Seite des Hyperboloids p = p0 anliegt, ausführen,
und Beispiele anderer Bewegungsformen darstellen. Man muß aber
334 Julius Weingarten,
aus diesem Räume stets den Begrenzungskreis vom Radius b der
Ausgangsfläche des Strahlensystems ausgeschlossen halten, in des-
sen Punkten die Beschleunigungen -=7- , -~ , ~ unendlich große
Werthe erlangen würden, in gleicher Weise wie bisher mit den
Räumen, in denen g negativ wird, auch die z-Axe ausgeschlossen
wurde, in welcher die Geschwindigkeitscomponenten selbst unend-
lich groß werden.
Längs der gesammten hyperboloidischen Oberfläche p = pQ
verschwinden in Folge der in ihr statthabenden geradlinigen gleich-
förmigen Bewegung der Flüssigkeitstheilchen die Werthe der Be-
schleunigungen -~ , -jj- , -gT- , und daher auch die Differential-
quotienten
en en dn
d& ' dy ' dz
Es behält daher der Druck 77 in unendlicher Nähe dieser Fläche
denselben constanten Werth bei, der auf dem Hyperboloid selbst
stattfindet. Es ist hiernach, den früheren Constructionen folgend,
möglich, eine unendlich dünne Flüssigkeitsschale, deren Gestalt
annähernd die eines hyperboloidischen Mantels ist, herauszuheben,
welche einen freien Flüssigkeitsstrahl darstellt, auf dessen äußerer
und innerer Seite der Druck 77 denselben Werth hat, wie im gan-
zen Inneren desselben.
Die Bestimmung der endlichen Gleichungen der Stromlinien
für das vorstehend behandelte Beispiel einer Flüssigkeitsbewegung
ist, wie man leicht bemerkt, auf Quadraturen zurückführbar. Das
Geschwindigkeitspotential der in Rede stehenden Bewegung er-
weist sich als eine vieldeutige Function der Coordinaten x, y, z.
Am Schlüsse sei es gestattet, noch zu bemerken, daß den vor-
getragenen ähnliche Betrachtungen sich auch an Potentialfunctionen
von verschwindender Hesse' scher Determinante knüpfen lassen,
welche die Zeit t explicite enthalten. Die durch das Gleichungs-
system
V = xt + yri + zi + td-O
dp ^ dp dp dp dp
0 = x-^ + y-^+z-^ + t-- *-
dq J dq dq dq dq
definirten Potentialfunctionen, in denen g, 17, £ die als Functionen
über particuläre Integrale der Differentialgleichung A V — 0. 335
zweier Variablen p, q gegebenen Coordinaten eines Punktes einer
Minimalfläche , # und 0 zwei Functionen derselben Variablen mit
verschwindendem zweiten Differentialparameter für diese Minimal-
fläche darstellen, erlauben Beispiele von nicht stationären Bewe-
gungen einer incompressiblen Flüssigkeit mit freien Grenzen von
constantem Drucke darzustellen , falls auf die Flüssigkeit äußere
Kräfte nicht wirken.
Ueber eine Abänderung des ersten Hermite'schen
Beweises für die Transcendenz der Zahl e.
Von
0. Yenske.
(Vorgelegt von H. A. Schwarz.)
Die berühmte Hermite' sehe Abhandlung „Sur la fonction
exponentielle" (Paris 1874) enthält zwei Beweise für den Satz,
daß die Grundzahl e des natürlichen Logarithmensystems keine
algebraische Zahl ist. Bei dem ersten dieser beiden Beweise,
welcher sich vor dem zweiten durch größere Einfachheit der an-
gewendeten Hülfsmittel auszeichnet, handelt es sich hauptsächlich
darum , den Nachweis zu führen , daß eine gewisse Determinante
z40, deren Elemente bestimmte Integrale sind, einen von Null ver-
schiedenen Werth besitzt. Für den allgemeinen Fall hat Herr
Her mite diesen Nachweis geführt; es giebt jedoch Ausnahme-
fälle , auf welche sich sein Nachweis nicht erstreckt. Dies ist
wohl der Grund, weshalb Herr Hermite zu dem ersten Be-
weise, um seine eigenen Worte zu gebrauchen, „une seconde
demonstration plus rigoureuse u hinzugefügt hat. Während Herr
Hermite bei dem ersten Beweise von der besonderen Annahme
ausgeht, daß gewissen in der erwähnten Abhandlung mit fiv
^a i • • • > Pn bezeichneten ganzzahligen Exponenten stets derselbe
Werth [i beigelegt wird, giebt er bei seinem zweiten Beweise
diesen Exponenten zwar auch specielle, aber doch solche Werthe,
welche nicht sämmtlich einander gleich sind. Wie ich gefunden
habe, ist es möglich, dadurch daß den Exponenten
w + 1 von einander verschiedene passend gewählte Werthereihen
beigelegt werden, den ersten der beiden Hermite' sehen Beweise
336 0. Venske,
abzuändern, ohne die Einfachheit desselben zu beeinträchtigen, und,
ohne daß es nöthig wird, einen Ausnahmefall zu berücksichtigen,
allgemein den Nachweis zu führen, daß die in Betracht kommende
Determinante einen von Null verschiedenen Werth besitzt.
Es seien
0,,J (*,) (#* = 0, 1, ..., n)
zwei Systeme ganzer positiver Zahlen, welche nur der Beschrän-
kung unterliegen, daß
JV-/\i = h-li Q = !> 2> ...,w)
ferner sei
h w ~~ dzv \
dann ist P h eine ganze Zahl, und es besteht nach einem bekann-
ten Satze der Integralrechnung die Formel
(1) ez*P0ih-e*«Pgih = £ß& ft—FM**.
Unterwirft man fi00 der weiteren Bedingung, so groß zu sein, daß
der absolute Betrag der auf der rechten Seite dieser Gleichung
stehenden Größe hinreichend klein wird, so müßte, wenn e der
ganzzahligen algebraischen Gleichung
(2) TgNge**=0
genügte, für jeden Werth des Index h auch
sein.
Das gleichzeitige Bestehen der Gleichungen (3) erfordert, daß
die Determinante
Abänderung eines Hermite' sehen Beweises. 337
KJ = 0 (4)
ist. Eine einfache Rechnung ergiebt, daß die Größe e~*z*\Pgth\
folgender Determinante gleich ist
\e-*oP0i -e-z>Plih, e-ziPh-e-*>P2ih, ..., <T*-*P^ -e"^PM, e~z*Pnih\.
Benutzt man zur Abkürzung die Bezeichnung
e-zPh{z)äz, (*»+i= oo)
so ist mit Rücksicht auf (1) die Gleichung
eine Folge der Gleichung (4).
Im Widerspruch hiermit lassen sich, wie sogleich gezeigt wer-
den wird, den gestellten Bedingungen genügende Exponenten-
systeme (f*ftA) finden, für welche die Determinante der Integrale JSih
nicht verschwindet.
Es werde, unter m eine positive ganze Zahl verstanden, welche
höchstens gleich n ist, für die Determinante
\J*,i\ (k,l = m,in+l, ..., n)
und für die Subdeterminanten ihrer ersten Horizontalreihe (l = m)
bezw. die Bezeichnung z/m und <dkffn eingeführt, nach welcher die
Identitäten
m,m m -f- 1
bestehen.
Setzt man die Determinante J ., von Null verschieden voraus
m -r 1
und wählt, was mindestens auf eine Art möglich ist, die Expo-
nenten pgim in der Weise, daß alle von Null verschiedenen Glieder
der Reihe
dasselbe Zeichen haben, so erhält auch Am einen von Null ver-
schiedenen Werth. Denn, da die Größen
zeichengleich sind, so gilt bei der angegebenen Wahl dasselbe von
den Größen
Nachrichten von der K. G. d. W. zu üöttingen. 1890. Nr. 9. 28
I
338 0. V e n s k e , Abänderung eines H e r m i t e' sehen Beweises.
Die erste derselben ist von Null verschieden, also hat auch ihre
Summe
einen von Null verschiedenen Werth.
Nun verschwindet
bei keiner Wahl der Exponenten [i0 n , . . . , ^w n. Durch wiederholte
Anwendung des angedeuteten Verfahrens gelangt man also zu
Exponentensystemen, für welche die Determinanten
einzeln von Null verschieden sind.
Hierdurch ist die oben aufgestellte Behauptung gerechtfertigt
und nachgewiesen, daß die Annahme (2) auf einen Widerspruch
führt.
Bei der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften einge-
gangene Druckschriften.
Man bittet diese Verzeichnisse zugleich als Empfangsanzeigen ansehen zu wollen.
März und April 1890.
(Fortsetzung.)
a. Memoires de l'Academie Imp. de St. Petersbourg. VII. serie. Tome XXXVII.
N. 4. 5. 1889/90.
b. Bulletin de l'Acad. Imp. de St. P. Nouvelle serie. I. (XXXIII). N. 3.
Aimalen des physikalischen Central-Observatoriums. Jahrgang 1888. Theil IL
St. Petersburg 1889.
3anncKH KieöcKaro 06mecTBa EcTecTBOHcnwiaTe^eH. X, 2. KieBX
1889. (Memoires de la Societe' des Naturalistes de Kiew. Tome X. Hvr. 2.
Kiew 1889.)
Bulletin de la Societe Imp. des Naturalistes de Moscou. Annee 1889. N. 3.
Moscou 1889.
Meteorologische Beobachtungen der landwirtschaftlichen Akademie bei Moskau.
(Jahrg. 1889, erste Hälfte). Moskau 1889.
3anncKH MaTeMaTHHecKaro 0T6*.ieHm HoBopoccincKaro 06in;ecTBa
EcTeCTBOHCntlTaTeJeH. X. O^ecca 1889. (Memoires de la section ma-
thämatique de la Societe des Naturalistes de la Nouvelle Russie. Odessa 1889.
T. X.)
3aroicKH HOBopoccincKaro o6m,ecTBa ecTecTBOHcm>iTaTe.ieH XIV, 2.
O^ecca 1889. (Memoires de la Societe des Naturalistes de la Nouvelle
Russie. (Odessa). T. XIV. Part, 2. Odessa 1889.)
339
Meteorologische Beobachtungen des Tifliser physikalischen Observatoriums in
den Jahren 1887—1888. Tiflis 1889.
Differentes formes de grelons observe's au sud - ouest de la Russie. Notice par
prof. A. Klossowsky.
Meteorologische Beobachtungen der Sternwarte in Dorpat. Ende 1888. Jan.—
Mai 1889.
Acadeinie Royale de Belgique. Bulletin. Annäe 60. 3. Serie. Tome 19. N. 2. 3.
Bruxelles.
C. W. Borchardt et son oeuvre par M. M. d'Ocagne (Extraits de la
Revue des questions scientifiques.) Bruxelles 1890.
Annales de la Societe geologique de Belgique. Tome XVII. 1. Livr. Lie»e
1890.
Sur quelques plantes dans le Test calcaire des mollusques par M. Ed. Born et.
et C h. Flahault. (Extrait du Bulletin de la Societe botanique de France.
Tome XXXVI.) Paris 1889.
Bulletin de la Societe mathematique de France. Tome XVII. N. 6 et dernier
Tome XVIII. N. 2. 3 et 4. Paris 1890.
Bijdragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde van Nederlandsch-Indie. 5. vol
greeks — 5. deel. 2de Aflevering. S 'Gravenhage 1890.
Programma certaminis poetici ab Academia regia disciplinarum Nederlandica
ex legato Hoeufftiano in annum 1891 indicti. Amsterdam 1890.
Kongl. vitterhets historie och antiquitets Akademiens Mänadsblad. 9. 10 Ar-
gangen. 1880, 1881. Stockholm 1881, 82.
Nephoscope marin de C. C. Fineraan. Upsala 1890.
Jornal de sciencias mathematicas e astronomicas. Vol. IX. N. 4. Coimbral889.
Atti della R. Accademia dei Lincei. 1889. Rendiconti. Vol. V. fasc. 13. 1889.
Rendiconti. Vol. VI. fasc. 1—4. Roma 1890.
Atti e rendiconti della Accademia medico-chirurgica di Perugia. Vol. II. fasc. 1.
Perugia 1890.
Rendiconti del circolo matematico di Palermo, fasc. 1. 2. Tome IV. Anno 1890.
Annuario del circ. matem. di Palermo. 1890.
Annuario della Societa R. di Napoli con le notizie istoriche. Napoli 1890.
La regione vulcanica fluorifera della Campania seconda edizione. (Estratto dal
vol. IV. parte 1. delle memorie del Reg. Comitato Geologico d'Italia) per A.
Scacchi. Firenze 1890.
Appendice alla prima memoria sulla Lava Vesuviana del 1631 per A. Scacchi.
(Estratta dal Tomo VII, serie 3a, N. 7 della Societa Italiana delle Scienze
(detta XL) per A. Scacchi.) Napoli 1889.
Atti della Societa Toscana di Scienze Naturali. Processi verbali. Vol. VII.
p. 21—48.
Atti della R. Accademia delle Scienze diTorino. Vol. XXV. Disp. 3, 4, 5, 6, 7.
Elenco degli Academici. 1889 — 1890.
Rendiconti delle sessioni d. R. Accademia delle Scienze dell' Istituto di Bologna.
Anno 1880—81, 1881-82, 1882—83, 1883—84, 1884—85, 1885—86, 1886—87,
1887—88, 1888—89.
Bollettino della Biblioteca nazionale centrale Vittorio Emanuele di Roma. Opere
straniere. Vol. IV. N. 4. 1889.
Bollettino delle pubblicazioni italiane delle Bibliot. nationale centrale di Firenze.
1890. N. 100-103.
United States Geological Survey by J. W. Powell. 7th annual report 1885 —
1886. Washington 1888.
Proceedings of the U. S. National Museum. Vol. 10, 11. 1887,88. Washington.
Bulletin of the United States National Museum. N. 33—37. Washington 1889.
Bulletin of the American Geographical Society. Vol. XXI Supplement 1889.
Vol. XXII. N. 1. March 31. 1890. New York.
Report on the observations of the total eclipse of the sun of jan. 1. 1889 publ.
by the Lick observatory.
Proceedings of the American Philosophical Society. Vol. XXVI. N. 130. Phi-
ladelphia.
Proceedings of the Boston Society of Natural History. Part II. Vol XXIV.
Part I, ET. Boston 1888, 1889.
340
Resultados del Observatorio national Argentino en Cördoba. Vol. XI. Buenos
Aires 1889.
Anales de la Sociedad Cientifica Argentina. Tomo XXVIII. Entrega V, VI.
1889. Tomo XXIX. Entrega 1. Buenos Aires 1890.
Boletin de la Academia Nacional de Ciencias en Cördoba. (Republica Argen-
tina). Tomo X. Entrega 3. Buenos Aires. 1889.
Boletins da Commissäo geographica e geologica da provincia de S. Paulo.
N. 1. 2. 3. St. Paulo 1889.
Mittheilungen der deutschen Gesellschaft für Natur- u. Völkerkunde in Tokio.
Heft 43. Band V. Seite 83—144. Yokohama 1890.
Nachträge.
I proietti agglutinanti dell' incendio vesuviano del 1631. Nota d. A. Scacchi.
(Estratto dal Rendiconto della R. Accademia (delle Scienze fisiche e matema-
tiche. fasc. 10. 1889).
Bulletin of the Museum of comparative Zoology at Harvard College. Vol. XVI.
N. 7. Vol. XIX. N. 1.
Memoirs of the Mus. of comp. Zoology at H. College. Vol. XVII. N. 1. Cam-
bridge Ü.S.A. 1890.
Proceedings and transactions of the Nova Scotian Institute of Natural Science.
Vol. VII. 1888-89. Part III. Halifax 1889.
Proceedings of the Academy of Natural Sciences of Philadelphia. Part H. 1889.
Philadelphia 1889.
North American Lepidoptera.
a. Revised check list of the North American Noctuidae. Parti. Bremen 1890.
b. The Hawk Moths of North America by Radcl. Grote. Bremen 1886.
Johns Hopkins University circulars. Vol. IX. N. 79. Baltimore.
Bulletin of the U. S. Coast and Geodetic Survey. N. 14, 15, 16, 17. 1889.
Proceedings of the American Academy of Arts and Sciences. N. S. vol. XV =
Whole Ser. Vol. XXIII. Part II. Boston 1888.
Mai.
Sitzungsberichte der Berliner Akademie der Wissensch. 1890. XX, XXI, XXII
XXIII, XXIV, XXV.
Abhandlungen der Kön. Bair. Akad. der Wissenschaften.
a. Historische Klasse. Band 19. Abth. 1.
b. Mathematisch-physikalische Klasse. Band 17. Abth. 1. München 1889.
Physikalisch-medizinische Gesellschaft in Würzburg.
a. Sitzungsberichte. Jahrg. 1889.
b. Verhandlungen. Neue Folge. Band XXIII. Würzburg 1890.
Zur feineren Anatomie des centralen Nervensystems. Erster Beitrag : Das Klein-
hirn von A. Kölliker. Separatabdr. aus: Zeitschrift für Wissenschaft!. Zoo-
logie. XLIX. 4.
(Fortsetzung folgt.)
Inhalt von No. 9.
Julius Weingarten , über particuläre Integrale der Differentialgleichung ä V = 0 und eine mit der Theo-
rie der Minimalflächen zusammenhängende Gattung von Flüssigkeitsbewegungen. — 0. Yenske, über eine
Abänderung des ersten Hermite'schen Beweises für die Transcendenz der Zahl e. — Eingegangene
Druckschriften.
Für die Redaction verantwortlich: H. Sauppe, Secretär d. K. Ges. d. Wiss.
Commissions-Verlag der Dieterich' sehen Verlags- Buchhandlung.
Druck der Dieterich' sehen Vniv.-Buchdruc\erei ( W. Fr. Katstna).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
27. August. Jfä 10. 1890.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 2. August.
Riecke legt a. von sich vor: Ueber stufenweise Dissociation und über die Dampf-
dichte des Schwefels.
b. von sich: Ueber specielle Fälle von Gleichgewichtserscheinungen eines aus
mehreren Phasen zusammengesetzten Systemes.
c. von Herrn Privatdocenten Dr. Nernst: Ueber die Theilung eines Stoffes
zwischen zwei Lösungsmitteln.
Voigt a. eine kurze Notiz zur Theorie der Schwingungen gestrichener Saiten,
b. für den 36. Band der Abhandlungen: Allgemeine Theorie der piezo- und
pyroelectrischen Erscheinungen an Krystallen.
Schwarz: a. Bestimmung derjenigen Minimalflächen, welche eine Schaar reeller
Curven zweiten Grades enthalten,
b. Ueber den Kreisbogen als Lösung einer von Delaunay gestellten Aufgabe
der Variationsrechnung.
Klein: a. von Dr. Franz Meyer, Prof. in Clausthal: Ueber Discriminanten
und Resultanten von Singularitätengleichungen. (Zweite Mittheilung.)
b. vom Privatdocenten Dr. Burckhardt: Zur Theorie der Jacobischen Glei-
chungen 40. Grades.
c. von sich: Ueber die Nullstellen der hypergeometrischen Reihe.
Nachrichten von der K.6. d. W. zu Üöttingen. 1890. Nr. 10. 29
342 Eduard Riecke,
Specielle Fälle von Gleichgewichtserscheinun-
gen eines aus mehreren Phasen zusammengesetz-
ten Systemes.
Von
Eduard Riecke.
Im Anschluß an die in einer früheren Mittheilung *) enthalte-
nen allgemeinen Sätze sollen im Folgenden einige specielle Fälle
von Gleichgewichtserscheinungen einer etwas eingehenderen Unter-
suchung unterworfen werden. Es handelt sich zunächst darum, an
bestimmten Beispielen zu untersuchen, wie die wirkliche Entwick-
lung der Zustandsänderungen und Gleichgewichtserscheinungen eines
Körpers oder Körpersystems in das durch jene allgemeinen Sätze
gegebene Schema sich einordnet. Dabei wird sich dann zeigen,
daß jenes Schema noch einer gewissen Ergänzung bedarf, wenn
eine vollständige Beschreibung jener Erscheinungen gegeben wer-
den soll.
I. Zustandsänderungen einer einzigen Substanz.
Wenn die Zahl der chemischen Componenten sich auf 1 redu-
cirt, so ist die größte mögliche Zahl koexistirender Phasen gleich
3. Durch diejenigen Werthe von Druck und Temperatur, für wel-
che 3 verschiedene Phasen im Gleichgewichte neben einander be-
stehen können, bestimmen wir ebenso wie in dem früher betrach-
teten allgemeinen Falle einen Punkt der ^T-Ebene, welcher jetzt
als ein dreifacher Punkt bezeichnet wird. Ist die Gesammtzahl
der Phasen, welche die gegebene Substanz anzunehmen vermag,
gleich n, so ist die Anzahl der möglichen Tripelpunkte gleich
— 1 o 5 Würden all diese Punkte in Wirklichkeit exi-
stiren, so würden sie verbunden sein durch — \ — ^- Grenzcurven,
längs welcher je zwei verschiedene Phasen im Gleichgewichte sich
befinden. In den Feldern , in welche die Ebene p , T durch die
Grenzcurven getheilt wird, würde endlich nur je eine Phase be-
stehen können.
Ist n = 4, so würde hiernach die Anzahl der möglichen Tripel-
punkte gleich 4, die Anzahl der möglichen Grenzen gleich 6 sein.
1) Gott. Nachr. 1890, S. 223.
specielle Fälle von Gleichgewichtserscheinungen etc. 343
Als Beispiel für diesen Fall können wir den Phosphor be-
nützen. Von den möglichen Tripelpunkten sind 2 bekannt, in dem
einen bestehen im Gleichgewicht neben einander fester und flüssi-
ger gelber und gasförmiger Phosphor; in dem anderen flüssiger
gelber Phosphor, rother Phosphor und gasförmiger Phosphor.
Der Schmelzpunkt des gewöhnlichen Phosphors liegt bei dem
Druck einer Atmosphäre bei 44°. Das specifische Gewicht ist bei
0° gleich 1,83. Die specifischen Volumina des flüssigen und festen
gelben Phosphors bei der Schmelztemperatur ergeben sich zu 0,575
und 0,556 (g. cm). Die Schmelzwärme des gelben Phosphors be-
zogen auf 1 g und ausgedrückt in kleinen Kalorieen ist gleich 5,03.
Benützen wir als Einheit des Drucks den Druck von 1 g auf 1 cm2,
so wird das Wärmeäquivalent gleich 42700, und somit die Aen-
derung der Schmelztemperatur mit dem Drucke
ät_ 317 x 0,019
dp ~ 42700 x 5,03 *
Nehmen wir als Einheit des Druckes den Druck von 1 Atmosphäre,
so wird:
dt 317 x 0,019 x 1033
dp " 42700x5,03
= 0,029,
d. h. für eine Zunahme des Druckes um 1 Atm. steigt die Schmelz-
temperatur um 0,03° Cels. Wenn wir den Druck nach Atmosphä-
ren rechnen, so ist hiernach die Grenzcurve zwischen dem flüssi-
gen und festen gelben Phosphor eine gerade Linie, welche gegen
die Axe des Druckes unter einem Winkel von 1,7° geneigt ist.
Den Beobachtungen von Schrötter und von Troost und
Hautefeuille entsprechend kann die Grenze zwischen flüssigem
gelbem und zwischen dampfförmigem Phosphor dargestellt werden
durch die Gleichung
logp = —2,7502 + 2,064 log T— ^-.
Setzen wir hier für T die absolute Schmelztemperatur des Phos-
phors, so ergeben sich für den ersten dreifachen Punkt desselben
die Coordinaten p = 0,0038 Atm. T = 317°.
Bezeichnen wir die Phasen des dampfförmigen, des flüssigen
und des festen gelben Phosphors als die Phasen 1, 2 und 3, so
sind die specifischen Volumina derselben in dem dreifachen Punkt
in ccm
vx — 55100, v2 = 0,575, va = 0,556.
29*
344 Eduard Riecke,
Bezeichnen wir durch (|^, (f)^, (f-)^ die Richtnngs-
tangenten der in dem dreifachen Punkte zusammenlaufenden Grenz-
curven, so ist
(l)„<».-».> *(.¥).<*-<> +(f)„(«.-.)-»
/#\ /#\ 0,-0, fjfcS
v dt /3i > S /12 t>x V ^ /23#
ist :
(-f)„- 0,000826, (f)-«,5,
12 v a* / 23
somit
dt /31
(■
(
In dem zweiten dreifachen Punkt des Phosphors sind mit
einander im Gleichgewicht gasförmiger Phosphor, fester rother und
flüssiger gelber Phosphor. Die Coordinaten desselben sind:
p = 0,56 Atm. , T == 499°.
Die Grenzcurve zwischen dem gasförmigen und flüssigen gelben
Phosphor besitzt in diesem Punkte die Richtungstangente:
'Mr °<0103-
Die specifischen Volumina des gasförmigen, flüssigen gelben und
festen rothen Phosphors haben in dem Tripelpunkte die Werthe
v, = 582, v2 = 0,628, vi = 0,511 ccm.
Die beiden letzteren Werthe sind unsicher in Folge unserer man-
gelhaften Kenntniß der Ausdehnungskoeffizienten. Die Uebergangs-
wärme zwischen flüssigem gelbem und rothem Phosphor kann gleich
880 cal gesetzt werden. Hiernach wird die Neigung der Grenz-
curve zwischen flüssigem gelbem und rothem Phosphor gegeben
durch die Gleichung:
(d$\ 42700 x 880 _
\dt/2~ 499x0,117x1033 ~
Mit Hülfe dieser Werthe ergiebt sich dann für die Richtungs-
tangente der die Phasen 1 und 4 trennenden Grenzcurven der
Werth
\dtJu
0,115.
speeielle Fülle von Gleichgewichtserscheiuungen etc. 345
Benützt man außer den im vorhergehenden enthaltenen Anga-
ben noch die von T r o o s t und Hautefeuille beobachteten Werthe
der Dampfspannungen über rothem Phosphor, so ergiebt sich für
die Zustandsänderungen dieses Stoffes das in Figur 1 gezeichnete
Bild. A und B sind die beiden dreifachen Punkte; die horizon-
talen geraden Linien sind die Grenzen zwischen festem gelbem und
flüssigem gelbem Phosphor , sowie zwischen flüssigem gelbem und
rothem Phosphor; AB ist die Curve der Dampfspannung des flüs-
sigen gelben Phosphors ; BD die labile Verlängerung derselben
jenseits der Umwandlungstemperatur von gelbem und rothem Phos-
phor. EF ist die Cnrve der beobachteten Dampfspannungen des
rothen Phosphors , B G die Tangente der Grenzcurve zwischen
rothem Phosphor und Phosphordampf in dem Tripelpunkte. Die
Dampf spannungscurve des rothen Phosphors würde hiernach durch
eine Linie zu ergänzen sein, deren Verlauf durch das Curvenstück
BE angedeutet ist. Das von der gasförmigen Phase des Phosphors
eingenommene Gebiet I wird durch diese Curve in zwei Theile
zerlegt, welche mit einander nur durch einen schmalen Streifen
zusammenhängen. In dem an AB grenzenden Theile des Gebietes
findet Sublimation des Phosphors von kälteren nach heißeren Stel-
len des von demselben eingenommenen Raumes statt.
II. Zwei chemische Componenten mit 5 verschiedenen Phasen.
Die Maximalzahl der Phasen, welche im Gleichgewicht neben
einander existiren können, ist gleich 4; die mögliche Anzahl der
vierfachen Punkte gleich 5, der sie verbindenden Grenzen gleich 10.
Das einfachste Beispiel für diesen Fall bieten zwei Substan-
zen, welche chemisch nicht auf einander wirken, und
welche sich im flüssigen Zustande weder mischen
noch lösen. Wir haben dann zwei feste, zwei flüssige und eine
gasförmige Phase.
Die Zahl der vierfachen Punkte , welche wirklich existiren
können, ist gleich 3 ; in dem ersten koexistiren die festen und die
flüssigen Phasen der beiden Componenten, in dem zweiten die dampf-
förmige Phase mit den beiden festen Phasen und der flüssigen
Phase der ersten Componente, in dem dritten die dampfförmige
Phase mit den beiden flüssigen Phasen und der festen Phase der
zweiten Componente. Bezeichnen wir die verschiedenen Phasen
durch die Buchstaben g, lv l2, 8V s2, so können wir die drei vier-
fachen Punkte A, B, C charakterisiren durch die Symbole (lt lt si sa),
i9^sisi)) (9hhsi)* In (lem Quadrupelpunkt A (Fig. 2) durch-
346 Eduard Riecke,
schneiden sich die Schmelzcurven der beiden Substanzen ; längs
der vier von A ausgehenden Curven koexistiren die Phasen (l1sls2),
(h si sa) i Qi h s2) un(i (h h sx) > a^so immer zwei Phasen der einen
mit einer Phase der anderen Componente. Gehen wir von den
Grenzlinien nach der einen oder anderen Seite ab , so kann jene
letztere Phase natürlich nicht verschwinden, da ja sonst die ent-
sprechende Componente aus dem System ausscheiden würde. Da-
durch werden die Phasen , welche in den 4 in A zusammenstoßen-
den "Winkelräumen im Gleichgewicht sich befinden, vollkommen be-
stimmt, sobald nur auf stabile Zustände Rücksicht genommen wird.
Man hat in dem einen die Phasen (s1sa), in dem gegenüberliegen-
den (lt l2), in den zwischenliegenden Winkeln {l1 s2) und (^sj.
Wir gehen über zu dem vierfachen Punkte B, in welchem die
gasförmige Phase, g, koexistirt mit den beiden festen Phasen s„ s2
und mit der flüssigen Phase der ersten Componente lv Betrachten
wir die vier von B auslaufenden Grenzen, so findet auf der schon
zuvor betrachteten Grenze BA Gleichgewicht statt zwischen den
Phasen (lt sx s2) ; längs einer zweiten Grenze BFt koexistiren die
Phasen (g \ $t) ; diese zweite Grenze wird bestimmt durch die Be-
dingung, daß auf derselben die Potentiale [i[ und p", welche der
flüssigen und festen Phase der Componente 1 entsprechen, einander
gleich sind; die Grenze ist also nichts anderes als die Schmelzcurve
dieser Componente und fällt mit der Verlängerung von AB zusammen.
Auf einer dritten von B auslaufenden Curve BS haben wir Gleich-
gewicht zwischen den Phasen (g st s2). Setzen wir die Potentiale
der beiden Componenten in ihrer gasförmigen Mischung gleich ih-
ren Potentialen im festen Zustand, so werden durch die Gleichun-
gen (it = p'J und p2 = fi'2' die Partialdrucke der beiden gasför-
migen Componenten als Funktionen der Temperatur bestimmt ; der
Gesammtdruck p ergiebt sich als Summe der Partialdrucke durch
eine Gleichung von der Form
und diese ist dann auch die Gleichung der Grenze (g st s2). Durch
cpl , cvl und cp2 , cv2 sind die specifischen Wärmen der beiden Com-
ponenten im Gaszustande, durch c" und c2 ihre specifischen Wär-
men im festen Zustande bezeichnet. Ganz ebenso ergiebt sich die
Gleichung der vierten von B ausgehenden Grenze BC — {glxs2).
Verstehen wir unter c[ die specifische Wärme der ersten Compo-
nente im flüssigen Zustande, so wird dieselbe:
specielle Fälle von Gleichgewichtserscheinungen etc. 347
c i — o[ cp2-cl<
Gehen wir endlich noch über zu der Betrachtung des Punktes
C = (gl, l2 s2) ; die Grenzen (lx l2 s2) = CA und (# Z2 s2) = CF2
sind repräsentirt durch die Schmelzcurve der Componente 2; die
Gleichung der Grenze (g lx s2) = CB ist bereits angegeben ; die
Gleichung der Grenze (g lx l2) ist
c\
'jA
p = Ä'1Tc><-c°>e-B[lT+A'2Tc»-c'»e-ByT,
wo unter c2 die specifische "Wärme der zweiten Componente im
flüssigen Zustande zu verstehen ist.
Während bei den in A zusammenstoßenden Win-
kelräumen die in denselben koexistirenden Phasen
vollkommen bestimmt waren, ist dies nicht der Fall
bei den an Z?und C stoßenden jenseits der Curve
SBCL liegenden Räumen; in dem Räume SBFx können zu-
sammenbestehen entweder die Phasen (g sx) oder (g s2) ; in FXBCF2
entweder (gl,) oder (g s2) ; in F2CL entweder (gl,) oder (g l2).
Welcher dieser verschiedenen Fälle in Wirklichkeit eintritt, das
hängt ab von den besonderen Verhältnissen des Systems; dem
allgemeinen Schema werden dadurch noch gewisse
nähere Bestimmungen hinzugefügt, mit deren Ent-
wicklung wir uns im Folgenden beschäftigen wollen.
Wir betrachten zunächst die Verhältnisse an der Grenze SB.
In einem beliebigen Punkt derselben haben wir Gleichgewicht zwi-
schen den festen Componenten und ihren Dämpfen. Wir bezeich-
nen den ganzen von dem System eingenommenen Raum mit V, den
von Dämpfen erfüllten Theil desselben mit v, die Volumina der
festen Theile der Componenten mit v[' und v2. Sind d, und ö2
die specifischen Gewichte der gesättigten Dämpfe, 0, und <J2
die der festen Körper, M, und M2 die gesainmten Massen, welche
von den beiden Componenten vorhanden sind, so ist
_ V-MJ^-MJe.
■ i_*l/tfl _»,/«,
_ jf,/tf, (l- dj6,)-aj<!l(v-M,/0,)
1-SJe-dJa,
348 Eduard Riecke,
Bezeichnen wir durch mx und m2 die Massen der dampfförmi-
gen Theile beider Componenten, durch px und p2 ihre Partialdrucke,
so findet jederzeit die Beziehung statt
BtT B2T
v = m. — ! — = m9 — — .
JPi P%
So lange wir uns in einem Punkt der Grenze SB befinden, sind
für px und p2 die Sättigungsdrucke der beiden Componenten zu
setzen , welche im Folgenden durch itt und it2 bezeichnet werden
mögen.
Lassen wir das Gesammtvolumen V wachsen, so wird das
Volumen v der dampfförmigen Phase zunehmen, dagegen werden
die Volumina der festen Phasen sich verringern, und zwar wird
zuerst v" gleich Null, wenn
f^-ih^f^-ih
oder -ö7<~t
dagegen zuerst v2 gleich Null, wenn
Mx( 82\ M2 M2( 9t\ Jk
oder -^- > -ji .
"Wir untersuchen zunächst den ersteren Fall; in dem Augen-
blick, in welchem v" verschwindet, ist die erste Componente nur
noch in der gasförmigen Phase enthalten. Ihr Partialdruck , wel-
cher erst noch gleich dem Sättigungsdrucke %x war, nimmt ab,
sobald das Gresammtvolumen V noch weiter vergrößert wird. Da-
gegen bleibt der Partialdruck der zweiten Componente gleich ihrem
Sättigungsdrucke, so lange dieselbe noch in ihrer festen Phase
vorhanden ist. Die Volumina der gasförmigen und der festen
Phase bestimmen sich durch die Gleichungen
. V-MJ62 . M2/62-d2/62V
V- l-dj*a ' % 1-9J6, V
Der Partialdruck der ersten Componente ergiebt sich aus der
Gleichung
__ MxBtT m2B2T
~~ Pl *2 '
specielle Fälle von Gleichgewichtserscheinungen etc. 349
M
Lassen wir V fortwährend wachsen, so wird schließlich V = -Ir3-
2
und damit v" gleich Null; die beiden festen Phasen sind jetzt
vollkommen verschwunden ; in der gasförmigen Phase hat die erste
Componente den Partialdruck px = ' l a2 , der Gesammtdruck
ist somit
er unterscheidet sich von dem Sättigungsdruck der zweiten Com-
ponente durch einen Faktor, welcher abhängig ist von der Natur
der beiden Componenten und von dem Verhältniß ihrer Massen.
Sobald man das Volumen V noch weiter wachsen läßt, kann nur
die gasförmige Phase existiren, deren Druck von nun an durch
das Boyle'sche Gesetz bestimmt wird. Die Curve
/ M~R \ -*1 — -i-2-
stellt hiernach eine weitere Grenzcurve dar, längs
welcher die gasförmige Phase im Gleichgewicht sich
befindet mit der festen Phase s2 allein. Mit Be-
zug auf die Lage dieser Grenzcurve möge folgendes bemerkt
werden. Ist M. \ = 0 , so fällt dieselbe zusammen mit der Curve
des Sättigungsdruckes der Componente 2 ; andererseits ist nach
unserer Voraussetzung — ■ — L nothwendig kleiner als — "-,
— L und
M2B2 < u
* = <1+Mji;)
<Z Äj + Äa
Wird _.x* = — *- so ist p = 7t1 + 7t2.
M2R2 jt2 x- 1 2
Man sieht hieraus, daß die neue Grenzcurve (gst)
unter allen Umständen beschränkt ist auf den Raum
zwischen der Curve des Sättigungsdruckes it2 und der
Grenze SB.
Ganz in derselben Weise erledigt sich natürlich der zweite
Fall, in welchem * '■ > — - . Jenseits der Grenze ist Gleichge-
M2E2 n2
wicht zwischen der gasförmigen Phase und der festen Phase sv
350 Eduard Riecke,
Bei einem bestimmten Drucke verschwindet aber die feste Phase
und es existirt wieder eine Curve, längs welcher Gleichgewicht
vorhanden ist zwischen g und sx , Die Gleichung dieser Curve
ist gegeben durch
Sie ist unter allen Umständen eingeschlossen zwischen der Grenze
SB und der Curve des Sättigungsdruckes itt.
Ganz analog gestalten sich die Verhältnisse in den Räumen
FtBCF2 und F2CL.
Aus den vorhergehenden Betrachtungen ergiebt sich, daß zu
der graphischen Darstellung der Zustandsänderungen unseres Sy-
stems die zuerst betrachteten in den Quadrupelpunkten sich schnei-
denden Linien, auf welchen je drei Phasen im Gleichgewicht sich
befinden, nicht genügen. Es treten vielmehr zu diesen Linien noch
andere hinzu, auf welchen Gleichgewicht vorhanden ist zwischen
zwei Phasen, jenseits welcher nur noch eine einzige Phase existirt.
Zwischen den beiden Arten von Linien ist aber ein
charakteristischer Unterschied; die ersten sind al-
lein abhängig von den allgemeinen physikalischen
Constanten der b eiden Componenten, die letzteren
außerdem von dem Yerhältniß ihrer Massen, also von
den speciellen Bedingungen des Versuches. Wir be-
zeichnen diese letzteren Grenzen als Grenzen zweiter Ord-
nung, die ersteren als Grenzen erster Ordnung oder
Hauptgrenzen.
Mit Benutzung dieser verschiedenen Grenzlinien ist nun das
Verhalten unserer Substanz Veränderungen der Temperatur und
des Druckes gegenüber in folgender Weise darzustellen. Wir kon-
struiren die Curven der Schmelztemperatur für beide Componen-
ten und die Curve des Dampfdruckes , p = %x -f- apa , die Grenzen
erster Ordnung. Wir zeichnen außerdem die Curven
A , MJLX\ , A , M2B2\
p> = **\} + Tfc) und * = ä'11+mJ'
Nun sind drei Fälle denkbar.
1. Die Curve p2 liegt in dem Räume , welcher von der Axe
T einerseits , der Curve p = itx + tc2 andererseits begrenzt wird.
MM 7t
In diesem Falle ist ' * < — L ; und die Componente 2 geht über
M2K2 7€2 ^
die Grenze SBCL hinüber; p2 repräsentirt eine Grenze zweiter
Ordnung, auf welcher Gleichgewicht besteht zwischen den Phasen
specielle Fälle von Gleichgewichtsersckeinungen etc. 351
s2 , g unterhalb der Haupt-Grenze CF2 , zwischen den Phasen l2 , g
oberhalb derselben. Die Grenze erster Ordnung BFt verliert in die-
sem Falle ihre reelle Bedeutung, da mit Ausnahme des Punktes B
die Phasen g,l1,s1 nirgends zusammen existiren. Längs CF2 haben
wir Gleichgewicht zwischen l2, sv g ; da aber jenseits der Curve p2
nur noch die Phase g existirt, so hat eine Verlängerung von CF2
über die Curve p2 hinaus keinen Zweck. Die Curve px liegt von
der Axe T überall weiter ab als die Curve itx + %2 und kommt
bei der Beschreibung der Zustandsänderungen nicht in Betracht.
2. Die Curve p2 liegt von der Axe der Temperatur aus ge-
rechnet jenseits der Curve itx + %2 , pt diesseits. Ueber die Grenze
SBCL geht in diesem Falle die Componente 1 ; px ist eine Grenze
zweiter Ordnung, auf welcher die Phasen g, sx beziehungsweise g, lx
koexistiren ; auf dem bis zu derselben reichenden Stücke der Haupt-
grenze BFX koexistiren die Phasen g, lvs1. Die Curve p2 und die
Grenze CF2 sind ohne Bedeutung.
3. Die Curven px und p2 treffen in einem Punkte G der
Grenze Jtx -f 7t2 zusammen , d. h. es existirt eine bestimmte Tempe-
ratur für welche '-r,1 = — -. In diesem Fall wird der Raum,
M2R2 7t2
welcher allein von der Phase g erfüllt wird, begrenzt durch die
beiden von G ausgehenden und dießseits der Curve itx + tc2 liegen-
den Zweige der Curven px und p2 ; in dem durch itx + it2 und jp,
begrenzten Streifen geht die Componente 1 , in dem durch itx + jr2
und p2 begrenzten die Componente 2 über die Grenze. Je nach
der Lage von G und der Lage der in Betracht kommenden Cur-
venzweige px und p2 ist eine Reihe verschiedener Fälle möglich,
mit deren Aufzählung wir uns nicht aufhalten wollen.
III, Zwei Componenten, welche mit einander ein Kryohydrat
bilden.
In diesem Falle existiren 4 Phasen, eine gasförmige, g, eine
flüssige, l, zwei feste, ^und-s^ und daher nur ein Quadrupel-
punkt A, Fig. 3, dem Gleichgewichte (glsxs2) entsprechend. Auf
den 4 von A ausgehenden Grenzen erster Ordnung findet Gleich-
gewicht statt zwischen den Phasen (lslsi)1 (gs1si), (glsj, (gls%).
Wir betrachten zunächst die Grenze AF = (lsxs2). Bezeich-
nen wir durch \l\' und ^' die Potentiale der beiden Componenten
in ihrer flüssigen Mischung durch pj" und p,'t" ihre Potentiale im
festen Zustande, so haben wir zur Bestimmung der Grenze die
Gleichungen
352 Eduard Riecke,
Ü{p, ?,.$', $)«>*& T)
( ' m" m"2\
~- und -4- sind die Dichtigkeiten der beiden Componenten in der
flüssigen Phase. Ist die Temperatur gegeben, so können wir aus
diesen Gleichungen p , —£- und —~ als Funktionen der Temperatur
berechnen. Wir erhalten also zunächst die Gleichung der Grenze,
außerdem aber in jedem derselben angehörenden Punkt p, T voll-
ii ii
ständig bestimmte Werthe der Dichtigkeiten — iJ- und — £ ; in j e-
dem Punkt der Grenze hat somit die flüssige Phase
eine ganz bestimmte Zusammensetzung. Führen wir
Wärme zu, so werden die beiden festen Körper schmelzen, aber
in einem solchen Verhältniß, daß die Zusammensetzung der Phase
l dieselbe bleibt.
Gehen wir über zu der Betrachtung der beiden längs der
Grenze AF zusammenhängenden Flächenräume. Auf der unter-
halb AF liegenden, tieferen Temperaturen entsprechenden Fläche
existiren nebeneinander die beiden festen Phasen. In dem ober-
halb AF liegenden Räume koexistiren je nach den Verhältnissen
des Versuches entweder die Phasen l und st oder die Phasen l und s%.
Wir setzen das im Allgemeinen von Temperatur und Druck
abhängende Mischungsverhältniß der beiden Componenten in der
ii
flüssigen Phase — g- = a] ist nun das Verhältniß der ganzen von
m* M
beiden Componenten vorhandenen Mengen -—- > a , so tritt die
Componente 1 über die Grenze. In dem oberhalb der Grenze AF
liegenden Räume sind dann die Bedingungen des Gleichgewichtes
( w ml[ M2-
»-p\T,^, -^
Ist p und T gegeben, so bestimmen diese Gleichungen die Dichtig-
fyi" ]\J
keiten -—- und — £ , also auch das Volumen v" der flüssigen
v v
specielle Fälle von Gleichgewichtserscheinungen etc. 353
Phase. Halten wir den Druck konstant, so können wir den Zu-
stand unseres Systems ändern durch Wärmezufuhr; ist der Zu-
stand zuerst gegeben durch einen Punkt der Grenze AF, so bleibt
die Temperatur bei Wärmezufuhr konstant, bis die Phase s2 voll-
ständig verschwunden ist. Von nun an steigt die Temperatur,
und die feste Componente s, schmilzt in einem solchen Verhältniß
ab , daß die flüssige Phase jederzeit die durch Temperatur und
Druck bestimmte Zusammensetzung hat. Schließlich wird in Folge
hievon auch die Phase st verschwinden. Die Temperatur, bei wel-
cher dieß geschieht, ergiebt sich aus der Zusammensetzung der
flüssigen Phase nach dem Verschwinden von st , bei welcher jetzt
auf Mt Gewicht stheile der ersten Componente M2 Gewichtstheile
der zweiten kommen ; der Concentration MJMl entspricht eine
Erniedrigung des normalen Gefrierpunktes der Componente 1; ist
diese bekannt, so ist damit auch die Temperatur bestimmt, bei
welcher die Phase st verschwindet; oberhalb dieser Temperatur
existirt nur noch die Phase l. Wenn wir denselben Proceß bei
anderen Drucken wiederholen, so gelangen wir zu anderen Ver-
schwindungspunkten der Phase sr Es ergiebt sich auf diese
Weise die Existenz einer Grenze zweiter Ordnung,
ob er halb welcher nur noch die flüssige Phase exi-
stirt. Es ist diese Grenze nichts anderes als die
Curve der Schmelztemperaturen der Componente 1
erniedrigt durch die Lösung von .M2Theilen der
Componente 2 in Mx T heilen von 1. Die Curve ist ande-
rerseits dadurch bestimmt, daß für sie das Mischungsverhältniß a
der beiden Componenten den konstanten Werth MJM2 besitzt.
Besonders bemerkenswerth ist der Fall, daß das Mischungs-
verhältniß cc der flüssigen Phase für einen Punkt der Grenze AF
gleich ist MJM2. Es bildet dann unser System in diesem Punkt
ein reines Kryohydrat und schmilzt bei Wärmezufuhr ohne Rest wie
ein homogener fester Körper. Ist nun für einen kleineren Werth des
Druckes MJM2 größer als das demselben entsprechende Mischungs-
verhältniß cc , geht also hier bei Wärmezufuhr die Phase st über
die Grenze AF, so wird im Allgemeinen bei einem höheren Drucke
MJM2 kleiner als a sein; es geht also dann umgekehrt die Phase s2
über die Grenze AF. Die zuvor betrachtete Grenze zweiter Ord-
nung berührt die Hauptgrenze AF in dem Punkte, für welchen
M
cc = -j—'j in dem zwischen den beiden Grenzen liegenden Räume
koexistiren auf der einen Seite von dem Berührungspunkte die
Phasen l und sv auf der andern die Phasen l und sr
354 Eduard Riecke,
Bezeichnen wir die Richtungstangente der Curve AF durch
(-77^7 so ergiebt sich:
/dp V/p» v'l m'2 v2 \ ^ ^_€__m±_ r^_
\dT )\mll ml m" m2 ) ' ' m[ m\" m" ml'
Setzen wir die Entropie der Phase l gleich ifc + ifi, so können
wir diese Gleichung auf die Form bringen
\dTj\m\' m'l m[ m2 ) ' m\ m\" m\\m2 m2J'
Die rechte Seite der Gleichung ist dann nichts ande-
res als die Wärme, welche konsumirt wird, so oft ein
Gramm der Componente 1 aus dem festen Zustande
in den Zustand der Lösung l übergeht, dieselbe noch
dividirt durch die absolute Temperatur.
Wir gehen nun über zu der Grenze AS = (gsxs2). Mit Be-
zug auf diese gelten dieselben Bemerkungen, wie in dem vorher-
gehenden Falle zweier Substanzen , bei welchen nur die Dämpfe
mischbar sind. Die RichtungstangeDte der Grenzkurve wird be-
stimmt durch die Gleichung
/ dp XV v <' m2 v2\ ^ % _ ff [K(n't L jtfV
\dT/ \m\ m'i' m[ m2 J ' ' m[ nC m[ \m2 m'2J'
Die Bedeutung der rechten Seite ist analog der bei der Curve
AF angegebenen, das Verhältniß — ~ = 2 * . Es ergiebt sich
//'j 7t.JX2
ferner die selbstverständliche Beziehung
/ dp Y dn1 d%2
VdrJ ~~ ~dT + dT '
Die dritte zu betrachtende Grenzcurve sei diejenige, auf wel-
cher Gleichgewicht besteht zwischen den Phasen g, l und s2. Die
Bedingungen für das Gleichgewicht sind, wenn durch itx und %2
wieder die Drucke der gesättigten Dämpfe bezeichnet werden
n'fo, T) = $($, T,^-, -£) = fCÜ>, T)
fn, ml K\
specielle Fälle von Gleichgewichtserscheinungen etc. 355
Für die Richtungstangente der Curve ergiebt sich der Werth j
\dTJ \m2 m2 ~ m2 m[\m2 m2 ))
m2 m2 m2 m[ \m'2 m2 )'
Setzen wir rj = i^' + ik, n" = Vi + vl so ergiebt sich:
(dp\"\ V' V* «j£ m>2 ( V" V2 \ I
\dTJ im; m'; ^>;U; w;vl
_ fr % . K f fr fr ^ ml ml ( fr v7 \
m2 m2 m2 \m\ m\) m2 m[ \m2 m2)%
Multipliciren wir mit der absoluten Temperatur, so ist ( -% — -■ \ ) T
r r \m2 m2 /
die Wärmemenge, welche zur Verdampfung von 1 Gramm der Phase
s2 erforderlich ist ; damit der Dampf die den vorhandenen Verhält-
nissen der Temperatur und des Druckes entsprechende Mischung
behalte, ist gleichzeitig nothwendig, daß aus der Phase l von der
ersten Componente die Menge — ? verdampfe, wozu die Wärme-
menge — t [-^7 — -^n)T erforderlich ist. Wenn aber aus der
° m9 \m1 m.J ,
Flüssigkeit die Menge — \- von der ersten Componente ausschei-
det, so muß gleichzeitig von der zweiten die Menge — r • — £- in
fester Form ausscheiden, damit die Concentration der flüssigen
Phase dieselbe bleibe. Die hierbei frei werdende Wärme ist
\m" ml'J
Es ergiebt sich hieraus, daß die auf der rechten
Seite unser er Gleichung stehende Summe nichts
anderes ist, als die Wärmemenge, welche kon-
sumirt wird, so oft 1 Gramm der zweiten Componente
aus dem festen Zustande in die gasförmige Ph a s e
übergeht, dieselbe noch dividirt durch die abso-
lute Temperatur.
Die für \-pp) aufgestellte Gleichung kann auch in folgender
Form geschrieben werden:
356 Eduard Riecke,
\dTs \m[ m[ m2 wj^iwj m2J)
y gl' . ^2^2 n%\ ml(vl tfy
wj mj mj V^ WgV mj VWg m"/ '
Der auf der rechten Seite der Gleichung stehende Ausdruck ist
dann gleich der Wärme, welche konsumirt wird, sobald 1 Gramm
der ersten Componente aus der Phase l übergeht in die Phase g,
dieselbe noch dividirt durch die absolute Temperatur.
Ganz ebenso gestalten sich natürlich die Beziehungen für die
vierte Grenzcurve, AB, auf welcher die Phasen g, l, sx koexistiren.
Für die Richtungstangente derselben ergiebt sich die Gleichung:
(dp \IV( v _ vi*' m, m" / v" vi\\
XdT/ \m[ wi'i m[ m'2\mx mxJ)
m[ mx" m[ \m2 m"2J m[ m"2 Vm" nixu) '
Die mit T multiplicirte rechte Seite giebt die Wärme, welche für
jedes Gramm der ersten Componente konsumirt wird, welches von
der Phase sx übergeht in die Phase g.
Die zweite Form dieser Gleichung wird:
( äp\IV\ v' m'x v'i gi f v" v'i \ (
\dT/ \m2 m2 mx rri2 VmJ m™s j
vi n% | m'i( n't v'i\i m'i ( v" v'"\
m2 m"2 m2 \ m'x mx J m2 \ mx m™ J '
Zwischen den Richtung stangenten der 4 von A auslaufenden Grenz-
curven finden die Beziehungen statt
( dP Y'f — _!Ül Ül. _ ü!» ( v" Ül \ \
\dT/ I m\ m'x m2 m"x\m"2 m'2J)
/dp\"(v' v" m2 v2) (dpYiv v"
\dt ) \ mx mx" m\ m2 \ \ dt J \ m"x mx
\dtJ \m2 m2 mx" m'2\m'x mx"J)
\dt) \m2~m < m2 m[ \ \dt ) \m\ < m\ ' < 1
Näherungsweise
m2 v2
1 ""2
V
_■ r».
Sl
y$
>s
-
§4
5
s
« <• ,
i
>
-
^
I
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s
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^
\\\
\\\
V**\
** w
\^\ \
Ä
^
b»
>:
91
und
specielle Fälle von Gleichgewichtsersckeinungen etc. 357
fdp_\"_ ydpy mj rfr' <_< K\f&^
\dtJ~~\dtJ v \ m[ m\" m[ m'2" \\dt)
V <W / ~~ V ^ ) V Im; ml mu2 m[ \\dt )
\dtj \dt)~~ m'2 m'lWdt) ~~\dt) V
Mit Benützung der früher für (-rr) gegebenen Gleichung er-
geben sich noch die Formeln :
(äp\" = /dp V mj l'if. ^ix **% n\\
V dt J \dt ) v \m[ m* m[ m'2" I
\ dt J \ dt ) v \ m\ ml ml m" ( '
In dem Quadrupelpunkte A fallen hiernach die
Grenzcurven (^sj und (^s2) gegen die Axe des Druckes
steiler ab als die Grenze {gsxs^).
Die vorhergehenden Formeln zeigen die bemerkenswerthe Ei-
genschaft, daß die eine nur die Richtungstangente (-77^ ) , die
/ rin \iy \d>J-y
andere nur (-^r) enthält. Die allgemeinen Formeln, welche ich
in einer vorhergehenden Mittheilung *) aufgestellt habe, lassen er-
kennen, daß ein solches Verhalten immer eintrifft, wenn eine Phase
des Systems nur die eine oder die andere Componente enthält.
Es hängt damit aber weiter zusammen , daß bei einem empirisch
gegebenen System immer nur die eine der beiden Curven von re-
eller Bedeutung ist. Es ergiebt sich dieß aus der folgenden Ueber-
legung. Wir bezeichnen diejenige Componente, deren feste Phase
seitlich von dem Punkte A die Grenze AF überschreitet, mit 1.
Es ist dann wenigstens für den ersten Theil der von A auslaufen-
M
den Curve AF -~- > a ; in dem oberhalb desselben liegenden Ge-
biete koexistiren die Phasen l und sx. Gegen die Axe der Tem-
peraturen hin muß dieses Gebiet begrenzt sein von der Grenz-
curve AB = (glsj. Nun kann die Phase l die Grenze nicht über-
schreiten ; denn in diesem Fall müßte nach unten hin in dem
1) Gott. Nachrichten. 1890. S. 223.
Nachrichten d. K.O. d.W. zu Göttingen. 1890. Nr. 10. 30
358 Eduard Riecke,
Dampfgebiet eine Grenze auftreten, längs welcher entweder die
Phasen g, l7 st oder die Phase g, l, s2 koexistirten ; beides ist nicht
möglich wegen der Neigungsverhältnisse der Curven (gs^J, (glst) und
(gls2). Wenn wir also von einem Punkt der Grenze AB ausge-
hend den Zustand des Systems durch allmälige Vergrößerung des
Volumens verändern, so muß zuerst die Phase l verschwinden, wäh-
rend die Phase sx die Grenze überschreitet. Daraus ergiebt sich,
daß unter allen Umständen die Bedingung erfüllt ist
a>— 4-.
m2
Würde nemlich umgekehrt a kleiner als m'Jm'2 sein, so würde man
das Verhältniß der gesammten Mengen der beiden Componenten
so wählen können , daß a <c ^=4- <; — r ; dann würde zuerst die
M2 m2 ;
feste Phase st verschwinden und die Phase l die Grenze überschrei-
ten. Die Verhältnisse der drei gleichzeitig aus den Phasen l und st
verdampfenden Mengen der zweiten und ersten Componente sind
gegeben durch — \ '• cc — r ' 1—a — r. Ist a> — \-, so ist die letzte
00 mt mx mx m2
Differenz negativ, d. h. es tritt keine Verdampfung, sondern um-
gekehrt eine Condensation der Phase st ein, wenn wir durch Vo-
lumvergrößerung eine Verdampfung der flüssigen Phase herbei-
führen.
Aus dem Vorhergehenden ergiebt sich nun, daß auf der Grenze
AB nur die Phasen l und g zum Verschwinden gebracht werden
können; es folgt daraus weiter, daß in dem Quadrupelpunkt A nur
die Phasen s2 und l gleichzeitig verschwinden können; dann kann
aber auch auf der unteren Grenze AS nur s2 und nicht st zum
Verschwinden gebracht werden. Wir sind somit zu dem Resul-
tate gelangt.
Wenn in dem von den Curven AF = (lsts2) und AB
= (glsj zunächst dem vierfachen Punkte begrenzten
Winkelraum Gleichgewicht besteht zwischen den
Phasen l und sx , so tritt die letztere Phase in den
von Dampf erfüllten Raum über und wir haben in
diesem zunächst der Grenze Gleichgewicht zwischen
den Phasen # und sx. Es folgt hieraus weiter die
Existenz einer Grenze zweiter Ordnung, jenseits
welcher nur noch die gasförmige Phase existirt. Die
Gleichung dieser Grenze ist ebenso wie bei dem früheren Problem
specielle Fälle von Gleichgewichtserscheinungen etc. 359
px = TcAl + M2 p2 ) • Da nach unserer Voraussetzung -~->a und
7txR2 71 \ MXBX %x ,. , ". ,. f2 ,
«>-^ so ist auch ^^ >"JT;' durch die vorhergehende
Gleichung bestimmte Curve liegt somit ganz in der zwischen den
Grenzen SA, AB und der Temperaturaxe eingeschlossenen Fläche.
Die Grenze AB wird die Curve durchschneiden, durch welche
das Gebiet der Phasen sx, l geschieden wird von demjenigen, in
welchem nur noch die flüssige Phase existirt. Der Schnittpunkt
sei B, die von demselben ausgehende Grenze zweiter Ordnung BE.
Wenn wir von einem beliebigen Punkt dieser Grenze ausgehen,
und die Temperatur erhöhen, so wird in jedem Punkt das Volu-
men der Phase l bestimmt sein durch eine Funktion des Drucks
der Temperatur und der in der Phase vorhandenen Mengen der
Componenten Mx und M2. Bei allmälig steigender Temperatur
werden wir aber noth wendig einen Punkt erreichen, in welchem
die flüssige Phase verdampft. In diesem Punkt sind die Bedin-
gungen erfüllt:
fm Mx M2\
Eliminirt man aus denselben die Größen xx, it%) v" , so bleibt
eine Gleichung zwischen p und T. Diese bestimmt eine neue
Grenze zweiter Ordnung B'D, durch welche der Raum,
in welchem allein die Phase l existirt, geschieden
wird von demjenigen, in welchem l und g koexistiren.
Das Verhalten des aus der flüssigen Phase längs der Curve B'D
gebildeten Dampfes ist im Allgemeinen folgendes. Bei steigender
Temperatur entwickeln sich Dämpfe der beiden Componenten; da
aber nach dem Vorhergehenden wenigstens zunächst der Grenze
AB -~- :> ' T>2 so wird schließlich noch ein Theil der Compo-
M2 n2Rx *
nente 1 in flüssigem Zustande übrig bleiben. Oberhalb der Curve
B'D wird sich eine Grenze hinziehen , welche das Gebiet der
koexistirenden Phasen (lg) scheidet von dem Gebiete der Phasen
(lxg). Gegen den allein von der gasförmigen Phase eingenomme-
nen Raum wird das betreffende Gebiet abgegrenzt durch die schon
30*
360 Eduard Riecke,
früher betrachtete Curve px = nx ( 1 4- ju-pj • Bezeichnen wir
durch C den Punkt, in welchem die neue Grenze (glt) (gl) die Linie
AB durchschneidet , so zieht sich durch diesen bis zu der Curve
p eine Grenzlinie CH hin, oberhalb welcher g und llt unterhalb
welcher g und st koexistiren und welche nichts anderes ist als ein
Stück der gewöhnlichen Schmelzcurve der Componente 1. Es ist
denkbar, daß die Curve p die Grenze (gif) in einem Punkte J trifft.
In diesem müßte dann die flüssige Phase l ohne Rest in Dampf-
form sich verwandeln. Für höheren Druck müßte dann umgekehrt
die Componente 2 bei der Verdampfung im Rest bleiben ; es würde
also von J an das Gebiet des von Dampf allein erfüllten Raumes be-
grenzt sein durch die Curve p2 = %A 1 + - *.J ) ; "jrr~ <7tjn2
in dem Schnittpunkt der beiden Curven müßte die Bedingung er-
füllt sein
M2R2
Ueber stufenweise Dissociation und über die
Dampfdichte des Schwefels.
Von
Eduard Riecke.
Wenn eine Molekel einer chemischen Verbindung aus mehre-
ren Theilmolekeln besteht, so ist der Fall denkbar, daß die Disso-
ciation stufenweise sich vollzieht; beispielsweise kann eine Ver-
bindung, deren Zusammensetzung durch das Symbol (a b c d) an-
gegeben wird, sich zunächst in die Molekeln (a b c) und d spalten
und weiterhin kann die Molekel (a b c) sich in die Molekeln a,b, c
dissociiren. Beispiele derartiger Erscheinungen bieten die mehr-
basischen Säuren in wässriger Lösung und nach den Dampfdichte-
bestimmungen von Biltz1) wahrscheinlich auch der Schwefel.
Die Dissociationstheorie bietet die Mittel, die Gesetze derar-
tiger Erscheinungen in großer Allgemeinheit zu entwickeln; wir
beschränken uns im Folgenden auf den im Vorhergehenden schon
als Beispiel angeführten Fall, welcher zu einer Vergleichung der
Theorie mit der Erfahrung vorzugsweise Veranlassung bieten dürfte.
1) Biltz, Zeitschrift für physikalische Chemie. Bd. II. 1888.
über stufenweise Dissociation und über die Dampfdichte des Schwefels. 361
I. Gesetz der stufenweise Dissociation.
Wir bezeichnen die unzersetzte Substanz durch ©, ihr Mole-
kulargewicht durch tf; die Theilmolekeln durch (5X, @a, @3 und (£4,
ihre Molekulargewichte durch at1 cc2, cc3 und a4. Die chemische
Zusammensetzung von © wird dann gegeben durch die Formel
Ebenso setzen wir:
t% = <*& + <*& + aa®s.
Die Dissociation erfolge so, daß zuerst die gasförmigen Molekeln
von <S zerfallen in die Gasmolekeln % und (54 und hierauf die Mo-
lekeln % in ©j, ©2, @8. Die Potentiale von © im gasförmigen,
flüssigen und festen Zustand seien ft, ja', ja"; die Potentiale der
Gase % (£,, ©2, ©3, ©4 seien {ia, plt ^2, it3, it4. Die Mengen der
einzelnen Bestandtheile m, m', m", ma1 m1, m2, ms, m4. Dann sind
die Gleichgewichtsbedingungen :
(i"dm"+ iidm'+ päm + [iadma+ ^dm^ [i2dm2+ pzdmz+ ^dm4 = 0
cc cc
dmA — L {dm"+ dm'-\- dm) -f ~ dma = 0
dm2+ -^ (dm"+ dm'+ dm) + & dma = 0
dm3+ -^.(^"+ dm'+dm) + ^-dma = 0
(7 T
dm4+ -^- (dm"+ c?m'+ dm) = 0 .
Die Potentiale der verschiedenen Componenten müssen somit den
Bedingungen genügen:
p = $' = 1? 1).
Die erste Gleichung ist der Ausdruck des allgemeinen Satzes,
daß das Potential einer chemischen Componente in allen Phasen
eines Systems denselben Werth haben muß, wenn Gleichgewicht
vorhanden ist. Der partielle Sättigungsdruck von © hängt hier-
nach von der Temperatur nahezu in derselben Weise ab, wie wenn
die gasförmigen Molekeln von © der Dissociation nicht unterwor-
fen sein würden.
362 Eduard Riecke,
Für den Gaszustand sind Potential und Entropie durch die
Formeln gegeben
H = E+T\B\ogd-<äc logT+W^-H}
ri/m = JET+5lcvlogr — Rlogd
wo E und H gewisse durch den Normalzustand bestimmte Con-
stanten, d die Dichte, cv, cp die specifischen Wärmen und T die ab-
solute Temperatur bezeichnen. H ist das mechanische Aequivalent
der Wärme, R die Constante des Boyle-GayLussac sehen Ge-
setzes. Mit Benützung dieser Werthe geben die Gleichungen 2
V
rEa + a,E4-0E + ^T\rcpa+a,cpi-0ct
= T [triJm^a^Jm^— örj/m] = Q
und
axEl + a%E% + azEt-xEa + KT\alcpX+a%cpt+azcPt--xcJ
= T j ax riJm, + cc2 7jjm2 + cc3 %/w, - x r}Jm,a } = Qa.
Q und Qa sind nichts^anderes als die Umwandlungswärmen, welche
den Uebergängen ö <S -> x X + a4 ©4 und
r£-> ^^ + ^©2 + ^3 ©3
entsprechen, bezogen auf eine Grammmolekel der Substanzen <S
und %.
Mit Benützung dieser Werthe von Q und Qa und mit Rück-
sicht auf die Beziehung Bla1 = R2cc2 = R3a3 = R4cc4 = i2ar = i?(?
lassen sich die Gleichungen 2 auf die Form bringen:
d
3).
wo zur Abkürzung gesetzt ist:
© Ä e^a+^S,-^He-QiTT%(tcva+aiCvi-öcv)
Zur Bestimmung der 6 in den Gleichungen 3 auftretenden
Dichten hat man zunächst noch die Bedingung, daß die Summe
der Partialdrucke der einzelnen gasförmigen Bestandtheile gleich
ist dem Gesammtdruck. Verstehen wir, ebenso wie oben, unter
■^u -^2; ^a? -^*> Ra un(i R die Constanten des Boyle-GayLus-
sa c* sehen Gesetzes für die einzelnen Componenten, so folgt hier-
aus die Gleichung:
über stufenweise Dissociation und über die Dampfdichte des Schwefels. 363
Riai + Bad9+Bsda + B1kdt + Bada + Bd = p/T. 4).
Dazu kommen endlich noch die Gleichungen
und
5).
dx
A.
. A
«i
«2
<*3
<*4
=
+
r
durch welche den Verhältnissen der chemischen Zusammensetzung
Rechnung getragen wird. Die 6 Gleichungen 3, 4 und 5 be-
stimmen vollständig die Dichten der einzelnen gasförmigen Be-
standteile. Will man außerdem die Dampfdichte A des in Disso-
ciation begriffenen Gases einführen, so hat man die Gleichung hin-
zuzufügen
d^d. + d.+d. + d^d = 4^—. 6).
Hier bezeichnet A die Dampfdichte bezogen auf Luft, P die Con-
stante des Gasgesetzes für Luft.
II. Dampfdichte des Schwefels.
Die vorhergehenden allgemeinen Gleichungen mögen nun in
Anwendung gebracht werden auf die Dissociation des Schwefels.
Die Untersuchungen von Beckmann1) und Schall2) haben ge-
zeigt, daß Schwefelmolekeln von der Formel Ss existiren. Die
Untersuchungen von B i 1 1 z machen es wahrscheinlich, daß bei der
Verdampfung des Schwefels unter dem Drucke einer Atmosphäre
zunächst Molekeln Ss sich entwickeln , daß diese sich spalten in
#6 und #2 und daß im weiteren Verlaufe der Dissociation auch die
Molekeln S6 sich auflösen in je drei Molekeln Sr Dieser Annahme
entsprechend haben wir in den allgemeinen Gleichungen zu setzen
at = a2 = «3 = a4 , t = 3 at , 0 = 4 av
dx = d2 = d3.
Wir erhalten dann zur Berechnung der unbekannten Dichten d,
da) dt und d4 die Gleichungen
dadA = ®d
ä\ = ®Ja
3^-K + K + i^ =pIRJ 7).
d, = dt + \da.
1) Beckmann, Zeitschrift für phys. Chem. Bd. V. 1890.
2) Schall, Berichte der D. chem. Gesellschaft. Jahrg. 28.
364 Eduard Riecke,
Eliminiren wir aus diesen Gleichungen ä und dv so ergiebt sich :
*.(*.+3<y = 40(^-2^-12^)
und durch Elimination von dx
9). < + 3^V/@Ä + 8©^ + 18©^@X = Uß-fy-
Nun ist für T == 0 auch © und ®a gleich Null. Somit ergiebt
sich aus den Gleichungen 9, 8 und 7 für T = 0
da = ^ = $4 ss 0 und
4p
<2 =
KT'
Die Dampfdichte des gasförmigen Schwefels bezogen
auf Luft hat demnach für T = 0 den Werth:
4P
V* Bx '
Für T = 00 ist 0 = ©a = 00. Somit ergiebt sich aus den
Gleichungen 8 und 9
da = 0, dx = i-^-und^ = 0,
ferner vermöge der letzten der Gleichungen 7
Die gesammte Dichte des gasförmigen Schwefels
wird für T = 00
3^ + ^4 = -^^ und die Dampfdichte
Wir denken uns aus den Gleichungen 9 und 7 die Dichten da und
dx berechnet ; wir lassen den Gesammtdruck p, unter welchem sich
der gasförmige Schwefel befindet, unverändert und lassen die Tem-
peratur wachsen von T = 0 bis T — 00. Die für eine beliebige
Temperatur sich ergebenden Werthe von da und dx dividiren wir
•s
ä
^
1
8
p
J
\
'
V
j
C5
M ,
*
«q
i
^ ^
£
/
*st
/
N
V
^ /
f
X /
/
/
/
3
X
s /
>
R| / 1
)
£ t
^ \
* \
S \
J%
\
1
-
Y
\
i
i
i
8
über stufenweise Dissociation und über die Dampfdichte des Schwefels. 365
durch die den gegebenen Werthen von T und p entsprechende
Dichte der Luft und bezeichnen diese Quotienten durch Da und Dx.
Bei konstantem p wird dann Da eine Function der Temperatur
sein, welche für T = 0 ebenfalls Null ist, welche mit wachsender
Temperatur bis zu einem gewissen Maximum ansteigt und für
T = oo wieder zu Null wird. Gleichzeitig ist Bl für T = 0
gleich Null und nähert sich bei wachsender Temperatur dem
p
Grenzwerthe Bx = }-«-«
PT PT
Setzen wir weiter d. = D4, d = D so ergiebt sich
4 p 4 p
wo d die Dampf dichte des gasförmigen Schwefels.
Die Größen DA und D werden durch die Gleichungen
D4 = Dt + ID.
bestimmt; mit Benützung derselben ergiebt sich
Sind D, und Da bei einem konstanten Drucke als Funktionen der
Temperatur gegeben, so ergiebt sich mit Hülfe dieser Gleichung
die Dampf dichte des in der von uns angenommenen "Weise sich
dissociirenden Schwefels.
Da eine allgemeine Auflösung der Gleichung 9 nicht möglich
ist, so wurden die für die Dissociation des Schwefels entwickelten
Formeln dadurch geprüft, daß Curven für die Größen Da und Dt
in einer den allgemeinen Bedingungen entsprechenden Weise ge-
gezogen und mit Hülfe derselben die Curve für die Dampfdichte
d konstruirt wurde.
Daß es auf diesem Wege in der That möglich ist, eine
mit den Beobachtungen übereinstimmende Curve zu erhalten , er-
giebt sich aus der Betrachtung der Figur , in welcher die von
Biltz bestimmten Werthe der Dampfdichte mit Kreuzen bezeich-
net sind. Die numerische Vergleichung der beobachteten und be-
rechneten Werthe der Dampfdichte ergiebt sich aus der folgenden
Tabelle.
366 Eduard Riecke, üb, stufenweise Dissociation u. üb, die Dampfdichte etc.
T
DA
• P
D Ä
z/Aber.
z/^-beob.
741
0,31
0
3,59
3,58
753
0,47
0
3,37
3,36
755
0,50
0
3,33
3,29
775
0,58
0,005
3,17
3,17
791
0,55
0,010
3,15
3,17
797
0,52
0,015
3,13
3,19
807
0,48
0,025
3,06
3,15
854
0,20
0,110
2,41
2,49
879
0,11
0,14
2,17
2,14
4P
Die der Zusammensetzung S8 entsprechende Dampfdichte -5-
wird von dem Schwefel bei dem Drucke einer Atmosphäre nicht
erreicht, da schon vorher die Condensation zu flüssigem Schwefel
eintritt.
Eine genauere Prüfung der entwickelten Formeln sowie eine
Entscheidung der Frage, ob nicht außer den Molekeln von der
Zusammensetzung S8, Se und S2 auch noch Molekeln $4 oder Se
existiren, ist ohne eine schwierige und zeitraubende Rechnung
nicht ausführbar. Es müßten zu diesem Zweck aus den Werthen
von Da und D1 noch die "Werthe von D4 und D berechnet werden ;
die entsprechenden "Werthe von da, dlt ä± und d würden dann mit
Hülfe der Gleichungen 7 zur Kenntniß von 0 und ®a führen.
Endlich würde zu untersuchen sein, ob diese Größen in der durch
die Theorie geforderten Weise als Functionen der Temperatur
sich darstellen lassen.
Ueber Discriminanten und Resultanten von Sin-
gular itätengleichungen.
Von
Franz Meyer in Clausthal.
(Zweite Mittheilung) 1).
Vorgelegt von F. Klein.
Unsere Kenntnisse von den Singularitäten auf Raumcurven
1) Vgl. Göttinger Nachrichten 1888, pag. 73.
Singularitätengleichungen. 367
reichen wohl so weit, daß wir, wenigstens in den einfacheren Fällen,
die Art ihres Entstehens übersehen können. Insbesondere erlaubt
die geometrische Anschauung die verschiedenen Möglichkeiten des
Zusammenrückens je zweier n einfacher u Singularitäten (d. i. solcher,
die bei jeder Curve vorkommen) zu erschöpfen.
Indessen bleibt die innere Seite derartiger Vorgänge davon
unberührt: erweist sich schon die geometrische Abzahlung bei der
Bestimmung der Anzahl von elementaren Singularitäten, welche
in eine höhere eintreten, als unzureichend, so wird die verschieden-
artige Geschwindigkeit, mit der die einzelnen singulären Punkte,
Geraden, Ebenen eoineidiren, gar nicht berücksichtigt.
Im Folgenden wird ein erster Versuch in dieser Richtung
gemacht, indem die einschlägigen Verhältnisse auf einer allgemei-
nen Ordnungscurve vom Geschlecht Null mit algebraischen Hülfs-
mitteln studirt werden.
In einer früheren Mittheilung x) hatte ich die Discriminanten
und Resultanten der bei einer allgemeinen ebenen Ordnungscurve
jß* vom Geschlecht Null in Betracht kommenden Singularitäten-
formen in ihre Elementarfactoren zerlegt. Indem ich die analoge
Aufgabe für die Raumcurven Wn in Angriff nehme, beschränke ich
mich auf die nächstliegende Erweiterung jener Singularitäten,
nämlich auf die („Hyperosculations"-)Ebenen „a4", die ("Schmiegungs-
berühr- ^Ebenen „a*ß2U und die (,,, Treff- a) Tangenten „(cc2ß)".
Die binären Formen , welche , gleich Null gesetzt , die Argu-
mente cc der genannten drei Singularitäten liefern, mögen durch
eckige Klammern 2) bezeichnet werden. Alsdann lautet die in
Rede stehende Aufgabe : „Sind die Punktcoordinaten einer
punktallgemeinen, rationalen Raumcurve Ban durch
ein System von vier binären Formen fiter Ordnung
gegeben:
x,:x2:xz:x, - fx(X) ifty if,(X) iffl)>
so sollen die Discriminanten und Resultanten der
Singularitätenformen [a4], [a8ßa], [(<**ß)] in Elementar-
1) Vgl. Göttinger Nachrichten 1888, pag. 73.
2) Desgleichen sollen weiterhin eckige Klammern im Falle einer Coincidenz
zweier Singularitäten die betr. Invariante selbst angeben, deren Verschwinden das
Criterium für das Eintreten der fraglichen Coincidenz ist. Innerhalb einer der-
artigen Klammer sollen noch die singulären Ebenen, Geraden und Punkte sich
dadurch von einander abheben, daß die auf eine Gerade bezüglichen Argumente
durch eine runde, und die auf einen Punkt bezüglichen durch zwei runde Klam-
mern eingeschlossen werden.
368 Franz Meyer
factoren zerlegt werden, welche in den vierreihigen
Coefficientendeterminanten d der ft(X) ganz rational
und irreducibel sind".
Um die gemeinten Factoren rein herzustellen , bedienen wir
uns vor Allem zweierlei Hülfsmittel: Einmal werden die erforder-
lichen Eliminationen nicht sowohl an die fi (A) , sondern an das
System ihrer conjugirten *) Formen „<ph(X)u geknüpft; sodann aber
denken wir uns vielfach die Curven R3n als Projectionen2) einer
im vierdimensionalen Räume gelegenen R*n , und zwar wird der
Punkt P, von dem aus die letztere projicirt wird, gerade der Be-
dingung unterworfen, daß für die Projectionscurve B3n ein bestimm-
ter unter jenen Elementarfactoren (und nur er allein) verschwindet.
Die bei dieser Projectionsmethode zur Anwendung gelangenden
Hülfssätze sollen gleich hier im Zusammenhange besprochen werden.
Es liege eine punktallgemeine R^ vor :
x.ix.ix.ix.ix, = gx{X) : g2(X) : gz{X) : g,(X) : #5(A).
Welches ist dann der geometrische Punktort („Raum") , der von
solchen „Ebenen" (a2ß) beschrieben wird, daß die Argumente a, ß
noch einer algebraischen Bedingung <p(a, ß) = 0 genügen.
Die Coordinaten pm = \xixkxl\ einer Ebene (a2 ß) sind ganze
Functionen von a, ß ; in cc vom Grade 2 (n — 2) , in ß vom Grade
n — 2:
2(n-2), («-2)
PiU = Piu{ <*> , ß ).
Zur Ermittelung der Ordnung des fraglichen Raumes der (p)
schneide man in bekannter "Weise mit einer Geraden qmn. Die
beiden Gleichungen
2P«Q~ - 0, <p(a,ß) = 0
besitzen (n — 2) (p + 2i>) Lösungssysteme cc, ß: dies ist
dann zugleich im Allgemeinen d. h. wenn jede der die
Gerade q treffenden Ebenen p nur einmal3) zu zählen
ist, die Ordnung unseres Raumes.
Als Beispiel diene der Ort der Ebenen (cc2ßy). Soll eine Ebene
(a2 ß) die Curve J?* noch einmal , in y treffen , so müssen , wenn
man unter ipmln(k = 1, 2, .. n — 4) die zu den #.(A) conjugirten
1) Vgl. des Verfassers Schrift: „Äpolarität und rationale Curven" Cap. I.
2) Diese Methode des Projicirens bezwecks Ausführung von Eliminationen
ist wohl vereinzelt auch sonst schon angewendet; cf. z. B. Klein, Zur Theorie
der Ab el' sehen Functionen, Math. Ann. XXXVI, § 19.
3) Zählt dagegen jede der betr. Ebenen p-fach, so ist selbstredend die ange-
gebene Anzahl durch q zu dividiren.
Singularitätengleichungen. 369
Formen versteht, (n — 4) Gleichungen von der Form:
noch einfach unendlich viele Werthsysteme (A5, A6, . . An) bei con-
stanten a, ß, y zulassen. Denkt man sich für den Augenblick der
Größe cc einen numerischen Werth beigelegt, so wird die vorlie-
gende Eliminationsaufgabe äquivalent mit der einfacheren , die
Gleichung für die Argumente ß, y der Doppelpunkte einer E\_x
aufzusuchen. Dieselbe ist (nach Elimination von y) bekanntlich
vom Grade (n — 3) (n — 4) in ß , mithin von doppelt so hohem
Grade in cc. Die Bedingungsgleichung <p = 0 lautet also:
2 (n-8) (n-4), (n-3) (n-4)
9>( « , ß ) - 0,
und (n — 2)(f* + 2v) = 4(> — 2)(w — 3)(n — 4) Ebenen (a90y) be-
gegnen nach Obigem einer beliebigen Geraden. Da aber jede
dieser Ebenen doppelt vorkommt, als Ebene (cc2ß) und als Ebene
(cc2y) , so ist die Ordnung des Raumes „(cc2ßy)u nur gleich
20 — 2)0 — 3)0 — 4).
Für das Folgende ist noch die Ordnung des Ortes sämmtlicher
Sehnen der E* zu eruiren. Die Coordinaten pik = \x.xk\ einer
Sehne ((cc, ß)) sind in cc, ß symmetrisch und vom Grade n — 1.
Schneidet man wiederum mit einer Graden qlm = \yz\, so führt
das auf die Aufgabe , alle Werthsysteme cc, ß zu bestimmen , für
welche die sämmtlichen Determinanten der Matrix
\9i("), 9<(ß), Vh 4=.Ö
verschwinden. Die nach bekannter Methode resultirende Anzahl *)
•* -^ = ist die Ordnung des Raumes ((cc, ß)).
Nunmehr kehren wir zur Curve El zurück, und nehmen an,
daß für sie einer jener „Elementarfactoren" verschwinde, also das
Criterium für ein bestimmtes Zusammenrücken zweier einfacher
Singularitäten erfüllt sei. Dann ist es gestattet, und zwar noch
auf mannigfaltige Art, die E8n als Projection einer allgemeinen E*n
anzusehen, so, daß der Projectionspunkt P auf einem bestimmten
„Räume" liegt, und eben dadurch das Zustandekommen der frag-
lichen höheren Singularität für die Projectionscurve , (oder auch
den Projectionskegel) allein ermöglicht.
Hier gilt der fundamentale Satz:
„Der Grad irgend eines Elementarfactors der E*H
in den d ist genau gleich der Ordnung des Raumes,
1) Diese Anzahl als Grad der „Doppelpunktsinvariante" einer Ä* findet sich
auf andere Art abgeleitet bei H. Brill, Math. Ann. III, pag. 45G.
370
Franz Meyer,
dem der Projeetionspunkt P der entsprechenden B*
angehört".
Der Beweis fließt unmittelbar aus den Grundeigenschaften
der zu den g conjugirten Formen if/. Fügt man nämlich dem Sy-
steme der n — 4 Formen ifj eine beliebige weitere hinzu , so stellt
das so erweiterte System in projectivischem Sinne diejenige Rsn dar,
welche aus der R*n durch Protection von einem bestimmten Punkte
P auf eine beliebige Ebene hervorgeht: die Coefficienten der neu
hinzugetretenen Form i\> sind geradezu die (polyedralen) Coordi-
naten von P. Die linke Seite der Gleichung des, einem bestimmten
Elementarfactor der B3n entsprechenden Raumes der Punkte P
stimmt dann mit dem Elementarfactor selber überein.
Vermöge der beiden soeben explicirten Hülfssätze lassen sich
die Criterien für singulare Geraden und Punkte der R3n bilden,
insofern die jedesmal noch erforderlichen Eliminationen auf bekannte
Art ausführbar sind. Das Letztere gilt auch ohne Weiteres für
die singulären Ebenen, sowie für die Aufstellung der drei Singu-
laritätenformen selbst.
Um auch hierfür ein Beispiel anzugeben, so ist zum Eintreten
einer Ebene a3ß2y2 das gleichzeitige Bestehen von n — 3 Gleichungen :
nothwendig und hinreichend : die Elimination sämmtlicher Argumente
führt zu einer Bildung vom Grade 6 (w — 4) (n — 5) (n — 6) in den d.
Es sei gestattet, mit Uebergehung der einzelnen Zwischenrech-
nungen, die Endergebnisse in Gestalt zweier Tabellen mitzutheilen.
I. Tabelle der Invarianten.
Bezeichnung 1).
Grad in den d.
1.
[«•]
6(n — 4)
2.
[<**ß2]
S{n — 4)(n — 5)
3.
WP*\
t(n — 4)(n — 5)
4.
[<*W]
6(n — 4)(n — 5)(w — 6)
5.
K"3)]
3(w — 2)
6.
Wßy)]
2(n — 2)0 — 3)(n — 4)
7.
[«•/*■,(«•«]
7(n — 2)(n — 4)
8.
[< («■«]
ß(n — 2)(n — 4)
9.
[«T,(«»l
10(» — 2)(» — 4)(n — 5)
10.
[((«»)]
i(n-l)(n-2).
1) Wegen der Bezeichnungen verweise ich noch einmal auf die Anm. pag. 367.
Singularitätengleichungen.
II. Tabelle der Singularitätenformen.
371
Bezeichnung.
Grad in A.
Grad in den ö.
2(n — 4)
f»-2).
40 — 3)
6(w — 3)(» — 4)
2(n — 2)(» — 3)
So bedeutet in der I. Tabelle [a3ß2, (a2/3)] die linke Seite des Cri-
teriums für das Eintreten einer derartigen „Schmiegungsberührebene"
a3 ß2, daß die Tangente (a2) die Curve R3n noch einmal in ß trifft u. s. w.
Daran mögen gleich die beiden weiteren Tabellen für die
Grade, wie für die Zerlegungen der Discriminanten und Resultan-
ten der drei Singularitätenformen angeschlossen werden.
HE. Die Discriminanten und Resultanten der Singu-
laritätenformen.
A. Die Grade in den d.
D[a*] 2(4ra — 13)
D [a3 ß'] 4 (» — 4) (ßn2 — 42n + 71)
D [(«■ ß)] 2 (n - 2) (2n2 — 10» + 11)
R\[a4],[a3ß2}\ 14 (n — 3)(w — 4)
ÄjM, [(«•«]) 6(»-2)(n-3)
^ I [«3 0"]> [(«" ft] ! 10 (n — 2) (n — 3) (n — 4)
B. Die Zerlegungen in Elementarfactoren.
D[«4] = [«•].[(«■)] *)
i) [a3/32] = [(«8)](M)(M). [a8] . [a4/32] . [a3/33]6 [a3/*2/]2 [a3 ß\ («*/})]
B[{a2ß)] = [(«»)]. [(«i/Jy)],[((«/0)],[«,/3,,(«,ft]
B }[«*], [«■/*■]} = [«4ffl.[(«,)],0^,.[«T
*{[«'/*■], [(«"«]} = [(«T^-^T, («2/3)]2.[«T, («"y)].
Da die Existenz der einzelnen Elementarfactoren rein geometrisch
1) Diese Zerlegung gilt ganz allgemein , wie bereits von H. B r i 1 1 bewiesen
ist. Vgl. Math. Ann. XX, pag. 338. Aber auch die fünf weiteren Zerlegungen
gestatten eine Ausdehnung auf Curven Rdn im Räume von d Dimensionen. Diese
Ausdehnung erklärt erst die Besonderheiten und Verschiedenheiten der Fälle
d = 2 und d = 3.
372 Franz Meyer,
a priori eingesehen werden kann, so handelt es sich nur um die
Ermittelung ihrer Vielfachheit.
Nimmt man die bezüglichen Exponenten als Unbekannte, so
wird die Gradvergleichung beider Seiten je auf eine Anzahl dio-
phantischer Gleichungen führen. Daß die Auflösung der letzteren
in der That immer nur auf eine einzige Art bewerkstelligt werden
kann, soll nunmehr im Einzelnen nachgewiesen werden.
Die Zerfällung der Discriminante D[«4] in der angegebenen
Weise folgt unmittelbar aus den bezüglichen Formeln der Tabel-
len I und II.
Bezüglich der Discriminante D[a3ß2] bemerke man vorab, daß
durch eine Tangente (a3) genau 2n — 8 Ebenen gehen , welche die
Curve Rl noch einmal berühren. Der Exponent des Factors [(a3)]
muß also, bis auf einen noch unbekannten positiv rationalzahligen
Factor a, die Anzahl der Paare darstellen, welche sich aus jenen
2n — 8 Ebenen bilden lassen, somit die Form a(n — 4)(2w — 9)
besitzen.
Bedeuten des Weiteren b, c, d, e, f positive , ganze Zahlen , so
kann der Character der fraglichen Zerlegung nur der folgende sein :
D[asß*] = [(a3)]a(w-4)(2rt-9\[aT[«^2]c[a3^]d[a3^>T[«3/32, («W-
Mit Rücksicht auf die hier in Betracht kommenden Formeln in
I und II herrscht demnach (nach beiderseitiger Hebung des Fac-
tors n — 4) die Identität:
4(6n2 — 42n + 71) = 3a{n — 2)(2n — 9) + 56 + 8c(w— 5) + fd(w — 5)
+ ße(n — 5)(n — 6) + 7f(n — 2).
Die Vergleichung der Coefficienten von n2 liefert
a + e = 4,
sodaß auch a ganzzahlig ausfallen muß : ferner wird für n = 2 :
44 = 5& — 24c — ^-d + 72e,
endlich für n = 5 :
44 = 56 + 9a + 21/,
woraus durch Subtraction entsteht:
0 = 3a + 8c + 7/'+|^ — 24e.
Für a und e sind vorerst die drei Möglichkeiten denkbar:
a = l,e = 3; a = e = 2; a = 3,e = l.
Von diesen kommt die dritte wegen der letztbemerkten Relation
Singularitätengleichungen. 373
in Wegfall, insofern die Summe 3a + 8c + 7/ + fd sicher denWerth
24 übersteigt.
Wäre andererseits a = 1, so hätte man:
35 = 56 + 21/*,
was keine branchbaren Lösungen für b und f zulassen würde.
Somit bleibt nur die Annahme a = e = 2. Dadurch kommt
nunmehr :
26 = 56 + 21/, 42 = 8c + 7/ + fd.
Die erste Beziehung hat b = /* = 1 zur Folge, und dies wiederum,
in die zweite eingesetzt:
35 = 8c + fd,
was sich nur mit den Werthen c = 1, d = 6 verträgt. Damit
ist die zweite der Zerlegungen HIB bewiesen. Bezeichnen hin-
sichtlich der dritten Discriminante D [(a2 ß)] wiederum a, b, c, d po-
sitive ganze Zahlen, so kommt zunächst durch Grradvergleichung
(nach Hebung von n — 2):
2(2w2 — 10n + ll) = Sa + 2b(n-3)(n — 4) + ~(n— l) + 7d(n— 4).
Unmittelbar geht daraus 26 = 4i. e. b = 2 hervor. Hierauf ge-
stützt, erhält man für n = 4:
2 = « + f
also
a = 1, c = 2.
Endlich liefert die Einsetzung der gefundenen Werthe in die für
n = 0 resultirende Beziehung:
22 = 50 — 2Sd
d. i. d = 1, womit die dritte Formel von HIB hergeleitet ist.
Aehnlich erledigen sich die drei Kesultanten.
Die Form der ersten Zerlegung lautet:
B\w,[*m\ = [«4^]".[(«')]aM"-<,.[«T,
wo a, b, c positive Zahlen, die erste und dritte ganz, die mittlere
eventuell rational zu bestimmen sind. Die Eigenart des Exponen-
ten von [(a3)] rührt daher, daß für jede der oben bereits erwähnten
2 (n — 4) durch die Tangente (a8) an die Curve gehenden Berühr-
ebenen o? ß2 eine Coincidenz des Argumentes a der Tangente mit dem
Argument a der zugehörigen Hyperosculationsebene a4 stattfindet.
Nachrichten von der K. G. d. W. zu Göttingen 1890. No. 10. 31
374 Franz Meyer,
Es wird jetzt identisch:
Un — 42 = n(ßa + 6b) — (40a + 126 — 5c)
und demnach
7 = 4a + 36, 42 == 40a + 126 — 5c.
Die erstere Relation könnte nur durch 6 = 1, a = 1, oder aber durch
6 = 2, a = J erfüllt werden ; der letztere Fall ist nicht realisir-
bar, da er ein negatives c im Gefolge hätte, der erstere führt
zum Werthe c = 2.
Die Zerspaltung der zweiten Resultante in III b gestaltet sich
so einfach, daß sie übergangen werden kann. Für die letzte end-
lich gilt, ähnlich wie bei der ersten, der Ansatz:
wo wieder 6 und c ganze, a möglicherweise eine rationale positive
Zahl ist. Die Gleichheit der beiderseitigen Grade drückt sich hier
in der Identität aus:
10 (n — 3) = 6a + 76 + 10c(w — 5).
Es ist demgemäß sicher c = 1 und für a und b kommt:
20 = 6a + 76
13
d. i. entweder 6 = 1, a = -~-, oder aber 6 = 2, a = 1.
Das Erstere ist unstatthaft, wie leicht zu sehen. Denn für
n = 5 wird n — 4 gleich der Einheit, sodatö nothwendig 2a ganz
sein muß.
Die Tabelle I der zehn Invarianten läßt sich noch durchsich-
tiger machen, wenn man statt der Grade in den d geeignet nor-
mirte Gewichte einführt. Schreibt man die Darstellungsformen
f{(l) der B\ explicite, wie folgt:
und legt der Coefficientendeterminante diklm = \aialcalam\ das Ge-
wicht i + Je + 1 + m — 6 bei, so lehrt eine leicht beweisbare Verall-
gemeinerung eines sehr bekannten Invariantensatzes, daß für jede
Invariant - Combinante der f der Grad in den d vermöge Multipli-
cation mit 2 (n — 3) in das zugehörige Gewicht übergeht. Die
demgemäß umgeformte Tabelle I ist:
SingularitäteDgleichungen.
375
Bezeichnung.
Gewicht in den d.
1.
m
10 (n-
-3)(n — 4)
2.
[a*ß>]
16 (n-
-3)(w — 4)(w — 5)
3.
VF]
9(w-
-3)0 — 4)0 — 5)
4.
l*?f\
12 (n-
-3)(w — 4)(» — 5)(w-
-6)
5.
K«3)]
6(w-
-2)(n — 3)
6.
[(a'ßy)]
4(n-
-2)(w — 3)2(w — 4)
7.
Wß\{u*ß)}
U(n-
-2)(n — 3)(n — 4)
8.
K(«2/*)]
12 (n -
-2)0 — 3)(n — 4)
9.
W («"?)]
20(n-
-2)(n — 3)(n — 4)(»-
-5)
LO.
[((««)]
(n-
-1)0 — 2)0 — 3)
Es zeigen sich hier einige beachtenswerthe Eigenthümlich-
keiten. Die Anzahl der Linearfactoren rechter Hand ist stets um
Eins größer, als die Anzahl der links vorkommenden, von einander
verschiedenen Argumente. Der Aufbau der Linearfactoren ist ein
nach der Mitte zu symmetrischer. Durch ihr Verschwinden zeigen
sie die Ordnung derjenigen R3n an, für welche das jeweilige Vor-
kommniß noch nicht eintreten kann. Aber auch das Nichtauftreten
des Factors n — 1 resp. n — 2 resp. beider erlaubt eine einfache
Deutung. Nämlich sämmtliche Singularitäten, mit Ausnahme der
letzten , können auch im Falle einer Geraden , wenn auch nur in
uneigentlichem Sinne , zum Vorschein kommen , und das Gleiche
gilt von den vier ersten , d. i. den singulären Ebenen im Falle
eines Kegelschnitts.
Für die entsprechende Tabelle bei den B2n können ähnliche
Bemerkungen gemacht werden, nur daß es dort des Multiplicators
| (n — 2) bedarf, um von den Graden zu den Gewichten überzugehen.
Die Analogien endlich, wie auch die Verschiedenheiten zwischen
den sechs Zerlegungen hier und dort liegen so auf der Hand, daß
ihre Verfolgung dem Leser überlassen werden kann.
Clausthal, Juli 1890.
31
376 Heinrich Burkhardt,
Zur Theorie der Jacobi'schen Gleichungen 40.
Grades, welche bei der Transformation 3. Ord-
nung der Thetafunctionen von zwei Veränder-
lichen auftreten.
Von
Heinrich Burkhardt in G-öttingen.
(Vorgelegt von F. Klein.)
Die von Herrn F. Klein in seinen Vorlesungen eingeführten
h2 linear unabhängigen J a c o b i ' sehen Functionen 7cter (ungerader)
Ordnung von zwei Veränderlichen, Xap, welche zu einer bestimm-
ten geraden Charakteristik gehören , liefern | {¥ — 1) ungerade
Functionen
Zafi = Xaß X-a-ß
und %(k2 + T) gerade Functionen:
1) Yafi = J(Xaj$-|- X_„_^).
Die ersteren sind von den Herrn Witting1) und Maschke2)
untersucht worden; mit den letzteren habe ich mich beschäftigt
im Anschluß an meine frühere Arbeit über eine hyperelliptische
Multiplicatorgleichung , von der s. Z. in diesen Nachrichten ein
Auszug erschien3). Indem ich mir erlaube, meine Resultate der
Societät vorzulegen , muß ich für die Ableitung derselben wieder
auf die später in den mathematischen Annalen erscheinende aus-
führliche Darstellung verweisen.
Seien die fünf für h = 3 verhandenen Functionen Yaß kurz
mit Y0 Yl Ys Y3 Y4 bezeichnet. Bei linearer Transformation der Pe-
rioden, welche die Charakteristik festläßt, erfahren dieselben eine
Gruppe 6r von 25920 linearen Substitutionen, welche aus folgenden
vier Operationen erzeugt werden kann:
1) Ueber eine der Hesse' sehen Configuration der ebenen Curve 3. Ordnung
analoge Configuration im Räume, Gott. Diss. (Dresden 1887).
2) Vgl. (auch für Bezeichnungen und weitere Literaturangaben) die kurze
Mitteilung im Jahrg. 1888 dieser Nachr. (p. 78 ff.), sowie die ausführlichere Dar-
stellung in den mathem. Annalen, Bd. 33, p. 317 ff.
3) Jahrg. 1889, p. 553 ff. Die dort angekündigte ausführlichere Darstellung
ist inzwischen in Bd. 36 der mathem. Ann. p. 371 ff. erschienen.
Jacobi'scke Gleichiuigen 40. Grades.
377
B
G
D
%l
r.
-T3{Y°+2¥d
*4
-Fe
Y0
Y[
-w(r°-Fi)
*i
-Y2
eYt
r,
— ^(r,+r. + rj
*ü
-Yt
Y,
Y's
-±{Yi + eYa + e>Yt)
F,
-T,
«r.
rk
-^(r2 + /r3 + £r4)
£
-Yt
sr4.
2ni
Dabei ist s = e 3 gesetzt.
II. Zunächst mögen einige Angaben über Untergruppen dieser
Gruppe zusammengestellt werden:
1) C, D, S'1 erzeugen eine Gruppe G0 von 648 Substitutionen,
welche Y0 unär, Yv Ya1 F3, F4 unter sich quaternär umsetzen ; die
letzteren werden dabei auf alle möglichen Arten unter sich ver-
tauscht und auf alle möglichen Arten so mit dritten Einheitswurzeln
multiplicirt, daß das Produkt Yt Y2 Y3 F4 ungeändert bleibt. Diese
Untergruppe ist demnach zusammengesetzt; die Reihenfolge der
Factoren ihrer Zusammensetzung ist:
2, 3, 2, 2, 3, 3, 3.
Aus dem Räume Y0 = 0 gehen bei den Substitutionen von
6r 40 „Haupträume I. Art" hervor ; ebenso aus dem Punkte
Y1 = Y2 = Y3 = F4 = 0 40 „Hauptpunkte I. Art".
2) B, C, S'1 erzeugen eine Untergruppe H von ebenfalls 648
Substitutionen, welche Y01 Yx binär nach einer Tetraedergruppe,
F2, YB, F4 ternär nach einer Hesse 'sehen Gruppe umsetzen, die
ein syzygetisches Büschel von Curven dritter Ordnung in sich
überführt. Beide Gruppen sind dadurch mit einander verbunden,
daß der Parameter dieses Büschels bei geeigneter Normirung sich
ebenso substituirt wie F0, Yx. Die Reihenfolge der Factoren der
Zusammensetzung dieser Untergruppe H ist:
3, 2, 2, 2, 3, 3, 3.
Aus Y0 = Yt == 0 gehen 40 „Hauptebenen", aus Y2 = Y3 = F4 = 0
40 „Hauptgerade • unserer Gruppe hervor.
3) B, D, S~l erzeugen eine Untergruppe K von 576 Operatio-
378 Heinrich Burkhardt, -
nen, welche F8 — F4 unär, Y0, Yv F2, Y8 + Yi quaternar umsetzt,
und zwar so, daß die Fläche II. Ordnung:
2) r0(r3+r4)-2r1r2 = o
fest bleibt, während ihre beiden Geradenscharen sowol jede für
sich nach einer Tetraedergruppe substituirt, als auch unter sich
vertauscht werden können.
Die Zusammensetzung dieser Untergruppe wird durch das
Schema :
dargestellt.
Aus F3 — F4 = 0 gehen bei den Operationen von G 45 „Haupt-
räume IL Art*, aus Y0 = Yx = Y2 = F3 + Y4 = 0 45 „Haupt-
punkte II. Art* hervor. Jeder der ersteren enthält 12 der letzte-
ren, jeder der letzteren liegt in 12 der ersteren.
4) Man kann auf 27 verschiedene Arten fünf Haupträume
II. Art (ein „Pentatop II. Art*) so auswählen , daß je zwei der-
selben keine Hauptgerade gemein haben. Ein solches Pentatop
II. Art bleibt fest bei einer Untergruppe L von 960 Operationen,
welche seine Räume auf jede gerade Art vertauschen (und außer-
dem die linken Seiten ihrer Gleichungen mit bestimmten 6. Ein-
heitswurzeln multipliciren).
5) Je zwei solche Pentatope II. Art , welche keinen Raum
gemein haben, sind einander gleichzeitig ein- und umbeschrieben
und conjugirt in Bezug auf einen quadratischen Raum u = 0 (z. B.
Y20-{-4Y1Y2 + 4Y3Y4l = 0), der für noch 5 andere Paare von Pen-
tatopen II. Art dieselbe Eigenschaft hat. Solcher quadratischen
Räume gibt es 36; der einzelne derselben bleibt bei einer Unter-
gruppe M von 720 Operationen invariant. Diese ist zwar zur
Gruppe der Permutationen von 6 Dingen isomorph , kann aber
nicht durch die Vertauschungen von 6 überzähligen Punktcoordi-
naten dargestellt werden.
III. Die Invarianten der Gruppe G habe ich davon aus-
gehend berechnet , daß sie zugleich Invarianten von G0 und von
H sein müssen. Invarianten von G0 sind F0, das Produkt F, F2 F3 F4,
die symmetrischen und alternirenden Functionen von FJ, F2, FJ, Ff;
Invarianten von H sind einmal die Tetraederformen in F0, Ylf
dann die (von Maschke a.a.O. mitgeteilten) Invarianten der
Hesse' sehen Gruppe in F2, F8, F4, endlich eine Anzahl Formen,
welche beide Reihen von Variabein enthalten und auf Grund der
oben erwähnten Cogredienz des Büschelparameters mit F0 : Yt durch
Jacobi'sche Gleichungen 40. Grades 379
Polarenbildung gewonnen werden können. Bildet man dann aus
den Formen von H Combinationen mit unbestimmten Coefficienten
und bestimmt letztere aus den durch G0 geforderten Symmetrie-
eigenschaften, so erhält man Invarianten von G. So findet man *) :
eine Invariante vierten Grades :
jr4 im r; + 8r02?i^ + 48r1rfr,r4; 3)
eine Invariante sechsten Grades :
J, = Yl-20YlUYl + 3Q0YlY1Y2Y3Y, + S0UY3lYl-8i:Yl', 4)
eine Invariante zehnten Grades :
J„ = Yl ft Y2 Ys Yt-Y\E Y\ IJ+ JJJB Y\ Y2 Ya Yt 5)
+ 9YIYIYIYIYI + Y0SYIYI — &Y0SY\YIYI
-2ZY\ Y, Yz Yt + 2ZY\ Y\ Fs Yt;
eine Invariante zwölften Grades :
Jt2 = SYIY^Y^ + ^YIUYIYI-SSYIUYIY^Y, 6)
+ 243 yj Y\ Y\ Y\ Y\ — Y\EY\ Y\ — 102 Y\ Z Y \ Y\ Y\
+ 30 y202;y;y2y3y4 + 78 y^yjy^y3y4
— 108 y0 Z Y\YIY\Y\ — ±2J Yl Y\ + HoE Y\Y\
— %2Y\Y\Yl + 168 Y\YIYIYI,
eine Invariante achtzehnten Grades:
j18 = ZYi«Y\YiYiYi-±YizY\Y\Yi + i2YizY\Y\Y3Yt 7)
— 3QYIUYI Y[ Yl yj - Y\ZY\ Y\ + 10YIZY\ Y\ Y\
+ 96 yj Y\ Y\ Yl Yl - \2Y\ZY\ Y\ Y3 Y4
— 90 y* ZY\ Yl Yl y4 + 27Y12JYI Yl Y\ Y\
+ 108 yj z y\ y\ yi y\ + 2Y> z yjy^—sy* z yjyj-yj
+ 4yj2;yjy«y«— 168 yj 2; yjy^yjyj
+ 6y;2;y1i0yjy3y4— 24y;^^y^y3y4
+ I2yj2;y; y* yj y4 + 3i5y20 rj y; y\ y;
+ i2y02:y;1 y* y» yj + 18 y02;yj y26 y\ y\
— 21Y«ZY\Y\YlY\ — ZY\*Yl + 2EY1?Y\Y\
+ 2ZY\Y\ — 2ZY\Y\Yl — %ZY\Y\Y\Y\
+ 62; Y\ Y\ y36 + 82YI Y\ Yl Y\.
Außerdem existirt eine Invariante 45. Grades «7"45 , nämlich
die Functionaldeterminante der fünf ebengenannten Formen, zu-
1) Die Summen sind jedesmal zu erstrecken über alle diejenigen verschie-
denen Ausdrücke, welche aus den angegebenen durch Permutation von T%% F2, Y9} J\
entstehen.
380 Heinrich Burkhardt,
gleich bis auf einen Zahlenfactor das Produkt der linken Seiten
der Gleichungen der 45 Haupträume II. Art (s. o. unter II, 3).
Mit diesen sechs Invarianten ist das Formensystem unserer
Gruppe vollständig. Insbesondere läßt sich das Produkt J40
der linken Seiten der Gleichungen der 40 Haupträume I. Art
(s. o. unter II, 1) durch diese Invarianten rational und ganz aus-
drücken, und zwar wie folgt:
8) 3-Ju = [J1(J1-2V12) + 2'8J10]2
- 2'» [J. J, - 28 3 JJ [J\ J„ - 2" 3 Jl„] + 2" Jl.
IV. Sind die Werte der Invarianten J"4, J6, J10, J1V J"18, J"46
gegeben, so stellt die Aufgabe, aus ihnen die Y0, Ylt Y2, Y3} Y± zu
berechnen, ein „Formenproblem" im Sinne der von Herrn
Klein in seinen „Vorlesungen über das Ikosaeder" *) eingeführten
Terminologie dar. Die Lösungen dieses Formenproblems lassen
sich rational aus den Lösungen des zugehörigen % Gleichung s-
systems" berechnen.
Will man Resolventen dieses Problems aufstellen, so wird
man sein Augenmerk zunächst auf solche resolvirenden Functionen
richten, für welche das Produkt aus ihrem Grade in den Y in die
Anzahl ihrer conjugirten Werte möglichst klein ist. Mit Rück-
sicht hierauf würde in erster Linie die Resolvente der unter II, 5
erwähnten quadratischen Formen u in Betracht kommen , deren
Anfangsglieder sind:
9) «-_6J-4«»-|j.«-+^Jl«»+(^jr4Ji+^J-„)tt«+.. =0;
dann aber diejenige, welcher Y20 genügt. Die Anfangsglieder der
letzteren sind:
4 T m 16 „ ™ . 146
10) jtf-^YV-^rJ.Yl' + ^f-JlY?
+ -J- (160 J, J6 - 153600 Jl0) rj°
+ -pr (-- 8028 J\ - 1472 J\ + 952320 J12) Y™ + ■ . ;
ihr letztes Glied ist das Quadrat der unter III, Gleichung 8 an-
gegebenen Form Ji0.
V. Von der letzten Gleichung repraesentirt nun die früher
1) Leipzig, Teubner, 1884.
Jacobi'sche Gleichungen 40. Grades. 381
(s. o.) von mir untersuchte Multiplicatorgleichung einen
Specialfall. Setzt man nämlich die Argumente vx = v2 = 0, so
reduciren sich die Y auf Modulformen, die mit y und nach Weg-
lassung ihres gemeinsamen Nenners \Dn mit (y) bezeichnet werden
sollen. Die aus diesen (y) gebildeten Invarianten (i) sind dann
rationale und wie sich zeigt ganze Functionen der a. a. 0. benutz-
ten Simultaninvarianten von zwei cubischen Binärformen, \/D ein-
gerechnet; durch Vergleich der Reihenentwicklungen findet man:
(V) - 272)*; (v) - 9^3 BD*; (i12) = |^JED*j 11)
ft.) = ^^.
32
Zwischen den 5 von nur 4 unabhängigen Veränderlichen abhän-
gigen Größen (y) muß dabei eine Relation bestehen; es stellt sich
heraus, daß dieselbe
(y = o i2)
ist. Durch Einführung dieser Werthe reducirt sich Gleichung (10)
in der That auf die damals mitgetheilte Multiplicatorgleichung;
man hat nur zu beachten, daß das dort benutzte x = 3(y0f war.
Bei Gelegenheit dieser Untersuchungen ergab sich mir noch
ein in anderer Richtung liegendes Resultat, dessen Mittheilung
ich vielleicht anschließen darf. Eine Reduction der pag. 376 f. an-
gegebenen erzeugenden Operationen der Gruppe auf eine geringere
Anzahl erwies sich als zwar ausführbar, aber für die vorliegende
Untersuchung nicht zweckmäßig. Darüber hinaus aber führten
die hiebei sich ergebenden Resultate zu der Vermuthung, daß solche
Reduction für die allgemeine Gruppe der linearen Perioden-
transformationen (p = 2) möglich sein müsse. In der That
lassen sich die bisher benutzten 4 Erzeugenden die-
ser Gruppe, A, B, (7, D1) aus nur zwei Operationen zu-
sammensetzen, z.B. aus den beiden folgenden:
A (von der Periode 6):
< = — *>3 , 13)
w3 = «i — <»4,
1) Vgl. Mathem. Annalen, Bd. 35, p. 209, wo auch die Literatur angegeben
ist. — Die J, B des Textes sind übrigens nur ein Beispiel (vielleicht nicht ein-
mal das einfachste) eines Paares von Erzeugenden.
Nachrichten von der K. G. d. W. zu Göttingen. 1890. Wo. 10. 32
382 Heinrich Burkhardt, Jaeobi'sche Gleichung 40. Grades,
und:
B (von der Periode 10):
man erhält nämlich:
*>; =
G>2 = — C>i
«3 = — Wl
<02 + G>s
+ 03 + G>4
+ o3
ll •
< =
02
5
11 ,
A
B
0
D
= B*A\
= ABA2B\
= (A'B'AyiB4
= A\
A*)2(A3B)3,
14)
Als Corollar ergibt sich hieraus , daß für p > 2 alle linearen Pe-
riodentransformationen aus drei Erzeugenden sich zusammensetzen
lassen; ob auch schon aus zweien, habe ich nicht untersucht.
Gröttingen, August 1890.
Ueber die Nullstellen der hypergeometrisehen Reihe.
Von
FeMx Flefn.
Eine Frage , die sich bei den Anwendungen sozusagen von
selbst aufdrängt, die aber bislang, so viel ich weiß, von speciellen
Fällen abgesehen noch nicht beantwortet wurde, ist folgende : W i e
oft verschwindet die hypergeometrische Reihe
rv 7 x i ; a.b , a.a + l.b .b + 1 „ ,
F(a,b,c,x) = l+T-^x + rs--—fT^ + ...
zwischen x = 0 und x = 1? Durch geometrische Betrach-
tungen über conforme Abbildung, welche sich an die Untersuchungen
von Herrn Schwarz in Bd. 75 des Journals für Mathematik an-
schließen (1872), bin ich zu folgendem Resultat gelangt:
Es seien [a — b] etc. die absoluten Beträge der jeweils einge-
klammerten Größen, E aber bezeichne die größte ganze positive
Zahl, welche von dem Ausdrucke
[fl — 5] — [1 — c] — [c — a — q + l
2
überschritten wird.
Felix Klein, über die Nullstellen der hypergeometrischen Reihe. 383
Ist nun (1 — c) negativ oder Null, so ist die gesuchte Zahl
der Nullstellen von F gleich E.
Ist aber (1 — c) positiv, so ist dieselbe ebenfalls = E, falls
F für x = 1 verschwinden sollte , anderenfalls aber wird man
zwischen E und E + 1 nach dem Grundsatze wählen , daß F zwi-
schen 0 und 1 selbstverständlich eine gerade Anzahl von Null-
stellen hat, wenn F für x = 1 positiv (endlich oder unendlich)
ausfällt, dagegen eine ungerade Anzahl, wenn es für x = 1 nega-
tiv ist.
Bei der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften einge-
gangene Druckschriften.
Man bittet diese Verzeichnisse zugleich als Empfangsanzeigen ansehen zu wollen.
Mai 1890.
(Fortsetzung.)
Kön. S. Ges. d. Wissensch. zu Leipzig :
a. Berichte über die Verhandlungen d. Mathem. -physikalische Classe. II. III. IV.
b. Abhandlungen d. mathem. - physik. Classe: d. XV. Bandes N. VII, VIII, IX.
1890.
Register zu d. Jahrg. 184G — 1885 der Berichte über die Verhandlungen u. zu
den Bänden I — XII der Abhandlungen der math.-phys. Classe. Leipzig 1889.
Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Band 44. Heft 1.
Leipzig 1890.
Sitzungsberichte der physikalisch-medicinischen Societät in Erlangen. Heft 21.
1889. München 1890.
Leopoldina. Heft XXVI. N. 7. 8. Halle a. S.
74. Jahresbericht der Naturforschenden Gesellschaft in Emden pro 1888/89 nebst
Festschrift des 75jährigen Bestehens. Emden 1890.
Mittheilungen der Geschichts- und Alterthumsforschenden Gesellschaft des Oster-
landes. Band X. Heft 2. Altenburg 1890.
Jahrbücher der K. Akademie gemeinnütziger Wissensch. zu Erfurt. Neue Folge.
Heft XVI. 1890.
Abhandlungen d. K. K. geologischen Reichsanstalt. Band XV. Heft 2. Zur
Kenntniss der Fauna der >Grauen Kalke der Süd-Alpen«. Wien 1890.
VII. Bericht der meteorologischen Commission des naturforschenden Vereins in
Brunn. Brunn 1889.
Verhandlungen des naturforschenden Vereins in Brunn. Band XXVII. 1888.
Brunn 1889.
Jahresbericht der Lese- und Redehalle der deutschen Studenten in Prag für
1889. Prag 1890.
Anzeiger der Akademie d. Wissenschaften in Krakau. 1890. April. Krakau 1890.
Royal Irish Academy »Cunningham memoirs«. N. 5. The red stars : Observa-
tion and catalogue. New edition. Dublin 1890.
Zoological Society of London :
a. Proceedings of the scientific meetings. 1889. Part IV.
b. Transactions. Vol. XII. Part 10. London 1890.
Nature. Vol. 42. N. 1070-1074.
Proceedings of the London mathematical Society. N. 372 — 376.
Proceedings of the Royal Society. Vol. XLVI1. N. 288. London 1890.
Monthly notices of the R. astronomical Society. Vol. L. N. 6. 1890.
384
Bibliotheca Indica a collection of oriental works published by the Asiatic So-
ciety of Bengal. New series. N. 711, 715—727, 729—746, 748. Calcutta
1889—90.
Oeuvres de Fourier publies par Gaston Darboux. Tome II. Paris 1890.
Bulletin de la Socidte mathematique de France. Tome XVIII. N. 1. Paris 1890.
Me'raoires de la Societö R. des Sciences de Liege. Deuxieme serie. Tome XVI.
Bruxelles 1890.
Bulletin de TAcade'mie R. des Sciences des lettres et des beaux arts de Belgique.
60e annde, 3e sdrie, tome 19. No. 4. Bruxelles 1890.
Observations de Poulkova. Vol. VIII. St. Petersbourg 1889.
Photometrische Bestimmung der Grössenclassen der Bonna-Durchmusterung von
Ed. Lindemann. Supplement II aux observations de Poulkova. St. Pe-
tersbourg 1889.
Memoires de l'Academie Imp. des Sciences de St. Petersbourg. VII. serie.
Tome XXXVII. N. 6, 7. St. Petersbourg 1890.
Tabulae quantitatium Besselianarum pro annis 1890—1894 computatae , ed. O.
Struve. Petropoli 1889.
Dorpater meteorologische Beobachtungen. Juni — Dezember 1889.
Fondation Teyler :
a. Archives du Musee Teyler. Serie II, vol. 3. 4ime Partie.
b. Catalogue de la bibliotheque dresse par C. Ekama. Deuxieme volume. Au-
teurs Grecs et Latins. Livr. 1. 2. 3. Harlem 1889.
Dagh-Register gehonden int Casteel Batavia. Anno 1661. Batavia 1889.
Sur la temperature nocturne de l'air ä differentes hauteurs par Julius Juhlin.
Presente a la Society R. des Sciences d'Upsal. Upsal 1890.
Om Caryophyllaceernes Blomster af C. Warming. Kjobenhavn 1890.
l'Academie R. de Copenhague :
a. Memoires. Classe des Sciences. Vol. VI. N. 1.
b. Oversigt over det Kong. Danske Videnskabernes Selskabs Forhandlinger.
1889, N 3. 1890, N. 1.
Lunde Domkapitels Gaveboger og Nekrologum ET. Kjobenhavn 1889.
Atti della Reale Accademia dei Lincei 1890. Serie quarta. Rendiconti. Vol. VI.
fasc. 5. 6. Roma 1890.
Atti della R. Accademia delle Science di Torino. Vol. XXV. Disp. 8. 9. 10a.
1889-90. Torino.
Osservationi meteorologiche fatte nell' anno 1888 all' osservatorio della universita
di Torino. Torino 1890.
Rendiconti del circolo matematico di Palermo. Tomo IV, fasc. III. IV.
Pubblicazioni del R. Istituto di studi superiori pratici e di perfezionamento di
Firenze :
a. Sezione di medicina e chirurgia. Archivio della scuola d'anatomia pato-
logica. Vol. III. IV. Firenze 1885—1886.
b. Sezione di filosofia e filologia. Maestri e Scolari nell' India brahmanica,
Saggio di Girolamo Donati. Firenze 1888.
c. Sezione di Scienze fisiche e naturali. 1. Osservazioni continue delln elettri-
cita atmosferica fatte a Firenze nel 1884. Seconda memoria di L. Pasqualini
eA.Röiti. ... fatte a Firenze negli anni 1883 — 86. Memoria del Dott. Franco
Magrini. Firenze 1885/88. 2. Saggio sperimentale sul meccanismo dei movi-
menti volontari nella testuggine palustre del Dott. Giulio Fano. Firenze 1884.
(Fortsetzung folgt.)
Inhalt von No. 10.
Eduard Rücke, specielle Fälle von Gleichgewichtserscheinungen eines ans mehreren Phasen zusammen-
gesetzten Systemes. — Derselbe, über stufenweise Dissociation und über die Dampfdichte des Schwefels.
— Franz Meifer, über Discriminanten und Resultanten von Singularitätengleichungen. — Heinrich Burk-
hardt , zur Theorie der Jacobi'schen Gleichungen 40. Grades, welche bei der Transformation 3. Ordnung
der Thetafunctionen von zwei Veränderlichen auftreten. — Felix Klein, über die Nullstellen der
hypergeometrischen Reihe. — Eingegangene Druckschriften.
Für die Redaction verantwortlich: H. Sauppe, Secretär d. K. Ges. d. Wigs.
Commissions-Verlag der Dieterich' sehen Verlags- Buchhandlung.
Druck der Dieterich' sehen Untv.- Buchdruckerei ( TV. it. Kaesinw).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
8. October. MW. 189°-
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 5. Juli.
Weibliche Satyrn und Pane in der Kunst der
Griechen und Römer.
Von
Friedrich Wieseler.
Die bildlichen Darstellungen weiblicher Satyrn und Pane sind
keineswegs so sehr selten, wie noch in neuerer Zeit manche sonst
sehr kundige Archäologen gemeint haben. Es dürfte deshalb zweck-
mäßig sein, die uns bekannt gewordenen Beispiele übersichtlich zu-
sammenzustellen.
Man wird sehen, daß eine nicht unbeträchtliche Anzahl ein-
schlägiger Darstellungen bis in das achtzehnte Jahrhundert und
in die jetzige Zeit sich erhalten hat, von denen einige freilich un-
sicher sind, eine offenbar gefälscht ist.
Die ältesten der betreifenden Darstellungen reichen bis in die
Hellenistische Zeit hinein, die meisten gehören erst der Römischen an.
I.
Satyrae.
Weibliche Satyrn finden sich in Bildwerken verschiedener Gat-
tungen der Kunstübung. Am Meisten sind sie uns in Marmorwer-
Nachrichten you der K. G. d. W. ü Uöttingen. 1890. Nr. 11. 33
386 Friedrich Wieseler,
ken erhalten. Ja nach Em. Gralichon Graz, des Beaux-Arts, Bd. II,
1861, p. 232, soll eine ausgezeichnete fast lebensgrosse Gruppe eines
Faune avec une Faunisque sich im Louvre befinden. Aber hier liegt
ohne Zweifel ein lrrthum zu Grunde. Gemeint ist gewiß die von
W. Fröhner Notice de la sculpt. ant. n. 260 verzeichnete Gruppe,
die von mir im J. 1859 bei Louis Fould gesehen wurde und 1860
in den Louvre überging. Hier handelt es sich nicht um une Fau-
nisque, sondern um ein Satyrknäbchen.
Ob eine Einzelstatue einer Satyra sicher steht, ist die
Frage.
J. Burckhardt schrieb im Cicerone II, 1860, S. 482 „Eine junge
Satyrin in der Villa Albani (Nebengalerie rechts) zeigt in ihrem
zwar aufgesetzten aber doch wohl echten Köpfchen die Merkmale
ihrer Gattung, auch das Stumpfnäschen, in das Mädchenhafte über-
setzt ; ihr schwebender Tanzschritt veranlaßte, vielleicht mit Recht,
eine Restauration der Hände mit Klingplatt en". Ich muß diese
Annahme ganz auf sich beruhen lassen, bezweifle aber die „Saty-
rin", da die charakteristischen Ohren fehlen1).
Noch mehr gilt das in Betreff der von demselben Gelehrten
a. a. 0. als Satyrin betrachteten Statue im Conservatorenpalaste
auf dem Capitol, deren Kopf er selbst für zweifelhaft hält.
In der Sammlung zu Broadlands befindet sich eine Herme
(Terminal bust.) nach A. Michaelis Anc. marbles. in Great Britain
p. 224, n. 26.
Bedeutender ist die Anzahl von Köpfen.
Schon vor längerer Zeit ist das zu einer Büste ergänzte Köpf-
chen zu Venedig abgebildet in Statue di S. Marco und danach in
meinen Denkm. der a. Kst. II, 45, 562. Zuletzt besprochen von
Dütschke Ant. Bildw. in Oberital. V, n. 68.
In derselben Sammlung, dem Mus. archeologico , befindet sich
ein vortrefflicher Colossalkopf, Pendant zu einem Colossalkopf eines
männlichen Satyrs. Jener besprochen von Valentinelli Marmi scol-
piti del mus. arch. della Marciana, Prato 1866, p. 249 fg. zu
n. 299, Wieseler Nachr. d. K. GL d. Wiss. zu Göttingen, 1874,
S. 587, und zuletzt von Dütschke a. a. 0. n. 363, beide abgebildet
bei Valentinelli a. a. 0. t. XLIV.
"W. Fröhner verzeichnet in der Not. de la sculpt. ant. du
Louvre, n. 286 als aus der Sammlung Campana stammend den Kopf
mit orcilles de chevre et deux touffes de poil (ytJQecc) als den einen
Satyra.
1) Allem Anscheine nach ist das von Platner in der Beschr. d. Stadt Rom
III, 2, S. 498, n. 2 als „Statue einer Bakchantin" aufgeführte Werk gemeint.
weibliche Satyrn und Pane in der Kunst der Griechen und Römer. 387
Mehr Beispiele lernen wir durch Benndorfs und Schöne's aus-
gezeichnetes Werk „Die ant. Bilder des Lateranens. Mus." kennen.
Unter n. 140 geben dieselben eine Beschreibung und auf Taf. III,
Fig. 2 eine Abbildung eines jugendlichen Satyrnköpfchens; unter
n. 174 verzeichnen sie einen weiblichen Satyrkopf mit kleinen An-
sätzen von Hörnern, unter n. 273 den Kopf einer Satyra mit zwei
kleinen Hörnern und gespitzten Ohren; außerdem führen sie als
aus Marmor bestehend S. 402, n. 594 an „Satyra (?) weibliches
Kinderköpfchen mit satyreskem Ausdruck".
Kekule führt „Das akad. Kunstmus. zu Bonn", 1872 , n. 361
auch den von Benndorf und Schöne Taf. III, Fig. 1 abbildlich mit-
getheilten und n. 96 als den einer jugendlichen Bakchantin bezeich-
neten Kopf wenigstens frageweise als „Kopf eines Satyrmädchens"
auf, was uns schon wegen der Stirnbinde bedenklich erscheint.
Die beiden genannten Beschreiber des Lateranens. Mus. be-
merken S. 86 zu n. 140: „Unter den kleinen Marmorn im Museo
nazionale eine Doppelherme eines Silen mit einer jugendlichen Sa-
tyra. — Weiblich scheint auch der Kopf zu sein, den L. Grerlach
Wörlitzer Antiken Heft I Titelblatt als Satyr publicirt hat *). Ein
schöner weiblicher Satyrkopf im Museum Kircherianum."
Von Matz-Duhn Ant. Bildw. in Rom Bd. I, n. 470 wird als
in Palazzo Corsini befindlich aufgeführt der Kopf eines lachenden
Satyrmädchens", aber mit dem Zusatz: „vielleicht modern".
Ebenda erfahren wir unter n. 469, daß im Besitz des Stud.
Jerichau sich befinde „ein ganz satyrhaft gebildeter weiblicher
Kopf — der Mund geöffnet und augenscheinlich als Wasserspeier
benutzt, wozu wohl paßt, daß der Kopf hinten maskenartig hohl
ausgearbeitet ist. Die Ohren sind nicht sichtbar."
Keller und Bursian haben in dem Anzeiger für Schweizeri-
sche Alterthumskunde III, 1870, S. 198 fg. einen bei Lausanne ge-
fundenen, auf Taf. XXVII, Fig. 1 abgebildeten „Statuenkopf" aus
Pentelischem Marmor besprochen, indem sie äußern, man könne
schwanken, ob er männlich oder weiblich sei."
Auch an Darstellungen in Marmorreliefs fehlt es nicht.
Zwei derselben kennen wir durch Besprechung und Abbildungen
von Benndorf und Schöne a. a. 0. n. 373, S. 252 und n. 408, S. 287,
von denen auch die frühere Literatur angegeben ist. Beide Male
handelt es sich um Bakchische Sarkophage. Auf dem unter n. 373
wird an der rechten Nebenseite „das Obertheil einer mit einem
1) Auch W. Hosaeus Wörlitzer Antiken, S. 18 fg., n. 6 spricht von „Kopf
und Rumpf eines Faunen", indem er bemerkt, die Bildung habe etwas Weichliches.
33*
388 Friedrich Wieseler,
gegürteten ärmellosen Chiton bekleideten Satyra sichtbar", welche
ihre Rechte auf die r. Schulter eines Satyrs legt und über seine
Achsel dem Tränken eines Panthers von Seiten dieses zuschaut.
Auf dem Sarkophag unter n. 408 ist an der rechten Nebenseite
in der Mitte ein Baum dargestellt. Links von ihm tanzt ein Satyr
lebhaft nach rechts. Rechts von ihm tanzt eine Satyra gleichfalls
nach r., den Kopf dem Satyr zugewendet; sie trägt das Haar am
Hinterkopf zusammengebunden und ist mit einem ärmellosen gegür-
teten Chiton und einem Obergewand bekleidet, das sie zierlich in
der Rechten erhebt".
Auch auf dem Relieffragment eines Bakchischen Sarkophags
im Cortile des Palazzo Riccardi zu Florenz hat sich nach Dütschke
Ant. Bildw. in Oberitalien II, n. 153 erhalten „der Oberkörper
einer vermuthlich sitzenden Satyressa , an ihren spitzen Ohren
kenntlich; das lockige Haar ist zurückgestrichen und hinten in
einen Knoten zusammengebunden. Sie trägt einen Chiton und ein
Obergewand, das hinter ihr im Bogen flattert."
Wenn von Stephani in den Parerga arch. XXVI auf dem von
ihm abbildlich mitgetheilten Bakchischen Sarkophag in der Er-
mitage zu St. Petersburg zwei musicirende Weiber im langen Chi-
ton und mit bogenförmig flatterndem Obergewand, „denen, wie
den Satyren, spitze Ohren verliehen sind", trotzdem als „Maena-
den" bezeichnet werden, so sind dieselben vielmehr als Satyrae
zu betrachten.
Auch auf anderen Reliefs als an solchen auf Römischen
Sarkophagen kommen Satyrae vor.
Hieher gehört das Relief im Mus. Capitolinum IX, 36. Dann
nach Dütschke a.a.O. IV, n. 860, S. 374 das bei Labus Museo
della Reale accademia di Mantova II, t. XXIX abgebildete Relief
zu Mantua, welches auch deshalb von Belang ist, wenn es, wie
Dütschke annimmt, auf die Hellenistische Zeit zurückgeht. Auf
ihm steht nach dieses Gelehrten Angaben hinter einem jungen Sa-
tyr „eine Satyra mit angesetztem aber wohl antikem und zuge-
hörigem Kopfe (erg. Nase von Gips), welcher mit Weinlaub be-
kränzt ist. Auf dem Kranze, von welchem Bänder auf die Brust
flattern, scheint ein Tuch zu liegen, wenn dies nicht erg. ist. Ihr
Chiton ist etwas von der 1. Schulter herabgesunken."
L. von Sybel erwähnt im Katalog der Skulpturen zu Athen
n. 995 eine Satyressa als „Pfeilerfigur", doch ist im Index S. XIV
die Angabe mit einem Fragezeichen versehen.
Daß die Darstellung einer ihr Kind auf ihrem Fuße tanzen
lassenden Satyra in einem Relief aus rosso antico zu Wilton House
weibliche Satyrn und Pane in der Kunst der Griechen und Römer. 389
moderne Copie einer Florentinischen Gemme (s. unten S. 389) sei,
hat schon Michaelis Anc. marbles. in Great Britain p. 691 , zu n.
101 bemerkt.
Ein fragmentirtes Marmorrelief zu Göttingen zeigt eine von
G. Hubo „Originalwerke in der archäol. Abt. des arch.-numism.
Instituts der Georg- Augusts-Univ. S. 127 fg. n. 760, erkannte „kau-
ernde nackte Satyra."
An einem großen Candelaber im Louvre, gewahrt man nach
FrÖhner Not. de la sculpt. ant. n. 312, S. 304 (der auch die Ab-
bildungen angiebt), unter quatre masques colossaux d'une beaute*
achevee, pose*s sur des bases carrees celui d'une jeune Satyra, cou-
ronnee de lierre en fleur, reuni ä un masque semblable.
Unter den Bronzewerken ist namentlich durch die Abbil-
dung im Mus. Borb. X, 13 = Denkm. d. a. K. II, 561 bekannt die
Doppelbüste eines pinienbekränzten gehörnten Satyrs mit aufge-
sträubtem Haare und einer epheubekränzten langlockigen Satyra.
Im Berliner Antiquarium befindet sich die Doppelherme eines
Satyrs und Satyrmädchens mit Schaft unten am Ende, wahrschein-
lich aus einem Gitter stammend.
Hoffmann erwähnt in den Antiquites, See. Partie, Paris 1888,
p. 23 n. 480 eine zu Torre del Greco gefundene Panisca und Sa-
tyra, die als couronnement de terme gedient haben.
Eine im Brit. Mus. befindliche bekleidete Bronzebüste einer
Satyra (female Faua) von guter römischer Arbeit mit Augen, Zäh-
nen und (priQea aus Silber ist in den Specim. of ant. sculpt. Vol.
II, pl. LVII abbildlich mitgetheilt.
Auch zwei Terracotta köpfe sind uns bekannt, vgl. F.
Dümmler De figuris plasticis quibusdam Tarenti repertis in den
Ann. d. inst. T. LV, 1883, p. 203, n. 6.
Anscheinend giebt es auch eine hieher gehörende Goldmünze.
Barclay Head führt in der Hist. numorum p. 456, n. 282 eine
solche von Lampsakos an, die einen weiblichen Profilkopf mit
einem Geißohr zeige. Er hält denselben für den einer Bakchantin
oder des Dionysos, welche beiden Deutungen unzulässig sind. Ist
ein wirklich weibliches Wesen gemeint, so kann nur eine Satyra
gemeint sein.
Einige Beispiele finden sich auf geschnittenen Steinen.
Am Meisten bekannt ist der Florentinische in den Denkm. d. a. K.
II, 45, 563 abbildlich mitgetheilte, welcher die vollständige Figur
in einer Handlung zeigt. Damit ist zusammenzustellen der bei de
la Chausse Gemme ant. fig. t. 114, auf welchem die Satyra das in
der Vorderansicht dargestellte Kind auf ihrem Fuße tanzen läßt,
390 Friedrich Wieseler,
während sie ihm eine Traube hinhält. Beide Satyrae sind voll-
ständig nackt und nur durch das Schwänzchen hinten zu erkennen.
Das dritte Beispiel bietet ein aus der Sammlung Blacas stam-
mender Stein im Brit. Mus. , welchen Murray A catal. of engrav.
gems, London 1888, unter n. f 1061 so aufführt: Maenad (?) bust
of, to front, with ears and face of satyr, but with female breasts ;
soy wreath on head, this drapery fastened on r. Shoulder, Sard.
Das Kreuzzeichen vor der Nummer bezieht sich auf zweifelhafte
Echtheit der Gemme. Doch ist an jene in dem vorliegenden Falle
wohl nicht zu denken, da Murray' s Bezweifelung der Echtheit ver-
muthlich nur auf der ihn befremdenden Darstellung beruhte, welche
wir schon oben als die einer Satyra nachgewiesen haben.
Selbst in einem Vasengemälde dürfen wir wohl die Dar-
stellung einer Satyra annehmen. Wir meinen das mit gelblichen
Figuren , welches die Rückführung des Hephästos durch Dionysos
und seinen Thiasos darstellt und zuletzt in Ch. Lenormant's u. J.
de Witte's Elite d. mon. ceramogr. Vol. I pl. XL VII abbildlich
mitgetheilt ist. Hier erblickt man ein epheubekränztes Weib in
langem Grewande mit Oenochoe und brennender Fackel in den Hän-
den, welches ganz deutlich Satyrohren hat. Die Vergleichung na-
mentlich des oben S. 388 erwähnten Petersburger Sarkophagreliefs
weist auf eine Satyra hin, wogegen nicht spricht, daß in der ent-
sprechenden Darstellung in der El. ceramogr. Vol. I, pl. XLV A
eine fackeltragende Maenade erscheint.
Auch auf Wandgemälden aus den verschütteten Städten am
Vesuv finden sich Satyrae.
Heibig verzeichnet unter n. 442, b die „Herme einer zarten
Satyriskin."
Auf dem mehrfach abgebildeten Wandgemälde (Mus. Borbon.
III, 4, Ternite's Wandgem. erkl. von Welcker III, Taf. 2, Wie-
seler Theatergeb. u. Denkm. d. Bühnenwes. Taf. X, n. 1, Arch.
Ztg. XIII, 1855, Taf. LXXXII, n. 1 ist unter den Genossen des
Dionysos, welcher die Komödie einsetzt, ein mit Satyrohren ver-
sehenes, mit einem Chiton bekleidetes Mädchen zu sehen, welches
man mit Recht als Satyra faßt. So auch Welcker noch in den
A. Denkmälern, Th. IV, S. 7 und Otto Jahn in der Arch. Ztg.
a.a.O. S. 146 *).
A. Mau beschreibt eine Satiressa in Verbindung mit einer an-
1) Heibig erwähnt a. a. 0. n. 408 die betreffende Figur wohl als Mädchen,
nicht aber als Satyra, indem er die kennzeichnenden Ohren irrthümlich bei einer
anderen, männlichen Figur voraussetzt.
weibliche Satyrn und Pane in der Kunst der Griechen und Römer. 391
dem weiblichen Figur Bullett. d. Inst. 1876 p. 241 fg. , vgl. auch
Fiorelli Giorn. d. Scavi Pomp. N. S. HI, p. 152, A. Sogliano Le
pitture murali Campane in Pompei e la regione sotterrata dal Ve-
suvio, Napoli MDCCCLXXIX, P. E, n, 236, p. 129 fg.
n.
Faniscae.
Auch weibliche Pane finden sich in erhaltenen Bildwerken
und zwar wiederum auf denen verschiedener Grattungen der Kunst-
übung und häufiger als bisher allgemein bekannt ist.
Gehen wir zunächst von den Marmorwerken über, so ha-
ben wir auch hier eine zuvörderst statuarische Gruppe eine Panin
mit Pankindern darstellend zu berühren.
"Wir lernen dieselbe besonders kennen durch E. Braun's Be-
sprechung in den Annali d. inst. arch. XVIII, 1846, p. 240 fg.
und die dazu gehörende Abbildung auf tav. d'agg. N. I u. II, die
nach einer Zeichnung gemacht ist, welche Conte Orti di Manara
an Braun übersandte. Später ist das Monument spurlos ver-
schwunden. Es unterliegt aber wohl keinem Zweifel, daß es mo-
dern war, wie auch Brunn Ann. d. inst. arch. XXXVI, 1864, p.
385 urtheilt , während Welcker zu Müllers Hdb. d. Arch. § 388
A. 2 an der Echtheit nicht zweifelt.
Als Einzelstatue ist an erster Stelle zu nennen die bekannte
hübsche Statuette in Villa Albani-Torlonia zu Rom, von welcher
Clarac Mus. de sculpt. T. IV, pl. 727, n. 1732 eine Abbildung
giebt. Die behörnte ziegenbeinige jugendliche Figur, deren Tracht
in einer um den Hals geknüpften Wolfshaut besteht, erscheint als
Flötenspielerin dargestellt. Wenn auch dieser Umstand nur auf
moderner Ergänzung beruht, so ist doch an der wesentlichen Rich-
tigkeit dieser nicht zu zweifeln wegen der espressione della fiso-
nomia (E. Braun Ann. a.a.O.).
„In der Gallerie zu Florenz ist die Marmorstatue einer Pa-
nin, die in dem ledernen Gewände, das um ihre Schultern befestigt
ist, einen Paniscus trägt" : A. Hirt im Bilderbuch für Mythol. Ar-
chäol. und Kunst H. II, S. 163. Ueber dieses Werk hören wir
sonst kein Wort und doch ist an dessen Vorhandensein in der
Gal. d. UfFizj vor dem J. 1816 gewiß nicht zu zweifeln.
Dann erwähnen wir den „Kopf einer Paniska" im Lateranisi-
schen Museum zu Rom, nach Benndorf und Schöne Ant. Bildw. d.
Lateran. Mus. n. 101 : „Die Ohren sind spitz ; oberhalb der Stirn
ziehen sich r. und 1. von dem nur angedeuteten Scheitel zwei am
392 Friedrich Wieseler,
Kopf aufliegende, nicht von ihm abstehende Hörner in die Höhe.
Das Gesicht mit mürrisch vorgeschobenem Munde ist von feinem
liebenswürdigen Ausdruck."
Für den Kopf einer Panisca hält Bernoulli den in Wilton
House bei Michaelis Anc. marbles in Grreat Britain p. 710, n. 180,
während Michaelis denselben als Head of a young Pan or a Satyr
bezeichnet.
Ob die Ansicht Benndorf s und Schone's a. a. 0. S. 106, n. 188
richtig sei, nach welcher die in G-arrucci's Mus. Lateranense t. XXYI,
n. 2 abbildlich mitgetheilte Herme für die einer Panin zu halten
sein soll, müssen wir sehr bezweifeln. Nach der Abbildung sieht
es ganz so aus, als ob die betreffende Figur bärtig sei.
Auch an Relief darstellungen von Paninnen fehlt es nicht.
In demMuseo archeologico zu Venedig befindet sich das Frag-
ment eines Hochreliefs mit zwei Centauren und einer schlafenden
weiblichen Figur, welche letztere man in neuerer Zeit als Centau-
rin gefaßt hat, vgl. Dütschke Ant. Bildw. in Oberitalien S. 108 fg.,
n. 286, während schon Zanetti zu der ersten Abbildung in den
Statue di S. Marco II, 32 im J. 1743 dieselbe als Satirina faßte.
Es handelt sich auf allen Abbildungen ganz deutlich um eine
Panin J).
Außerdem kennen wir noch zwei Reliefdarstellungen, die auf
der aus Tusculum stammenden runden Scheibe in den Denkm. d.
a. Kst. II, 43, 536 und die auf dem berüchtigten Sarkophag im
Mus. naz. zu Neapel, ebenda II, 44, 548.
Dort ist ein naschhaftes Panweibchen in Verbindung mit ih-
rem Manne dargestellt; hier die Unzucht einer Panin.
Endlich sind noch zwei nicht durch Abbildung, wohl aber durch
Beschreibung bekannte Paninnen in Reliefdarstellungen zu erwäh-
nen, vgl. Gerhard in der Beschr. der Stadt Rom von Platner,
Bunsen, Gerhard u.s.w. Bd. II, Abth. 2, S.251 und Bd. II, Abth.
2, S. 182 , n. 59 (wo aber Kopf und Füße fehlen).
Wir wenden uns jetzt zu den einschlägigen Werken aus
Bronze.
Wir erwähnen zunächst die isolirten Rund werke.
1) Vermuthlich meint auch Hirt Bilderbuch S. 163 dieses Werk, wenn er
nach den oben S. 391 ausgeschriebenen Worten fortfährt: „andere sind in der Villa
Albani und in der Sammlung der Marcusbibliothek zu Venedig". Er hat sich nur
nicht genau genug ausgedrückt, indem er nicht angab, daß es sich um eine Re-
liefdarstellung handele. Von dem Vorhandensein einer statuarischen Darstellung
einer Panin in der Marciana zu irgendwelcher Zeit findet sich soiist keine Spur.
weibliche Satyrn und Pane in der Kunst der Griechen und Römer. 393
Ein Kopf, damals in der Sammlung Fejervari, ist bekannt ge-
macht und erklärt von E. Braun in den Monum.; ined. Ann. d.
Inst. arch. 1854, p. 89. Das nächst erscheinende Heft der Denkm.
d. a. Kst. wird Taf. XLV, n. 561, a die Abbildung wiederholt
bringen. Er zeigt nach Braun corna ed orecchie Vaccine und wird
von ihm als einer der Panische della specie vaccina zugehörig be-
trachtet. Von diesen findet sich aber unseres Wissens sonst keine
Spur. Wohl aber werden die Satyrn von Nonnes als ßovxEQccoi,
ßovxQcagoi, xavQocpvelg bezeichnet und ihnen eine tavQ&Ttig ^OQ(f^
zugeschrieben (Dionys. X, 209—247, 559). Sollte es also nicht
gerathener sein, den Kopf für den einer Satyra zu halten? An
den der Io, welchen man vor Braun annahm, ist gewiß nicht zu
denken.
Die Darstellung einer Panisca aus Bronze , vermuthlich einer
Herme, ist schon oben S. 389 nach Hoffmann angeführt.
Die vollständige Statuette einer begehrlichen Panin mit einem
Apfel in der Hand gab schon Gori Mus. Etrusc. T. I, t. 64, n. 2
u. 3 heraus.
Eine andere hörnerlose ist von Bursian Aventicum Helv. in den
Mitth. der antiquar. Gesellsch. zu Zürich Bd. XVI, Abth. 1, 1869,
S. 43 fg. besprochen und Taf. XIV abbildlich mitgetheilt. Die mit
Epheu bekränzte sitzende Figur von guter Komischer Arbeit bläst
ebenso wie die Marmorstatuette der Villa Albani die Doppelflöte.
Welcker erwähnt zu Müller Handb. der Arch. § 388 Anm. 2
eine Panin in Bronze als in Florenz im Cab. der Münzen befind-
lich. Andererseits hören wir durch E. Braun in den Annali a. a. 0.
von einer im Mus. Florentino im Saale der geschnittenen Steine
aufbewahrten Panin mit der Angabe , daß sie porta un secchio o
paniera, aber ohne daß das Material angegeben wird. Weder jene
noch diese Figur ist uns anderweitig bekannt. Es hat aber mehr
als Wahrscheinlichkeit, daß eine und dieselbe Statuette gemeint
und diese von Bronze ist.
Zu den nicht isolirten , sondern ursprünglich an einem G e-
räthe zur Decoration angebrachten Rundwerken ge-
hört meines Erachtens ein von Montfaucon Ant. expl. T. I, P. 2,
t. CLXVIII, n. 6 aus der Sammlung C. Fontaine herausgegebenes
Werk, obgleich nicht gesagt wird, daß es von Bronze sei. Es
stellt eine wohlgearbeitete Panin mit großen Hörnern und den bei
den Panen mehrfach vorkommenden langen herabhängenden Ohren
dar, mit welchen beiden Attributen auch der unter n. 5 abgebil-
dete männliche Pan aus derselben Sammlung versehen ist.
Dann erwähnen wir ein ebenfalls schon vorlängst heraus-
394 Friedrich Wieseler,
gegebenes, aber vergessenes Werk: die bis unterhalb der Brüste
•wohl erhaltene kleine Büste aus Bronze bei Caylus Recueil d'an-
'tiquite* T. I, pl. LXXII n. II, von deren Aufenthaltsort nichts
verlautet. Der Herausgeber bezeichnet dieses als von guter Römi-
scher Arbeit, fin et delicat, gracieux. Er nennt es: femme d'un
Faune. Es handelt sich um ein jugendliches Mädchen mit kleinen
Hörnchen über der Stirn und wohlgeordnetem Haare, dessen Nase
nicht die gewöhnliche Stumpfnase der Satyrae ist, sondern eine
etwas längere, etwas gebogene, so daß die Panin wohl sicher steht.
Ein Rundwerk zum Theil, aber kein isolirtes , sondern ein zu
einem Geräthe gehörendes ist die jetzt zu Brüssel im Musee Royal
d'antiquite's et d'armure befindliche Werk, welches herausgegeben
ist von Brunn in den Monum. d. Inst. Vol. VIII, t. XII, n. 8 und
besprochen von demselben in den Annali XXXVI, 1864, p. 385 fg. ;
außerdem ist das Werk beschrieben von dem früheren Besitzer so-
wohl in dem von ihm selbst verlegten Catalog unter dem Titel
Muse*e de Ravestein, Bruxelles 1870, T. I p. 368, n. 883, als auch
in dem von dem Mus. Roy. herausgegebenen Catalog. Mus. de Ra-
vestein, notice par E. Meester de Ravestein, deuxieme edition,
Bruxelles 1884, p. 261, n. 884. Freilich stimmen die Angaben von
Meester de Ravestein und von Brunn nicht ganz überein. Jener
bezeichnet noch in der zweiten Ausg. den Gegenstand als une
faune tenant sur le bras gauche un enfant auquel eile presente
le sein, indem er des Weiteren bemerkt: cette charmante nymphe
est placee dans un feuillage d'ornement qui cache une partie de
ses cuisses et ses jambes. Elle est representee ayant toute la
forme humaine, moins les oreilles, qui, plus allongees a leur som-
met, se terminent comme les oreilles des chevres. Elle a ä l'ex-
tremite de l'epine dorsale ni une queue, ni meme un bouquet de
poils. Brunn bezeichnet den Gegenstand „Panisca con Satiretto."
Wir hören durch ihn noch Genaueres in Betreif des Kindes und
der Panin : ;?il bambino ha bensi una piccola coda, ma non le gambe
e le zampe, che dovremmo aspettar nel figlio d'una Panisca, ma
che sarebbero brutte in un bambino tenuto sul braccio d'una donna
di forme umane almeno nella parte superiore. La metamorphosi
poi di questa comincia soltanto dalle coscie ed e accennata in oltre
mediante le corna e le orecchie caprine. Zudem behauptet Brunn,
che il Satiretto non vien allattato, ma soltanto tenuto in braccio,
und darin hat er allem Anscheine nach Recht. Wie E. Meester
vergessen hat, die ganz klar zu Tage liegenden Hörner der Panin
anzugeben, so hat er auch übersehen, daß dieselbe an den Hüften
der Vorderseite unverkennbare Haare hat, welche die Abbildung
weibliche Satyrn und Pane in der Kunst der Griechen und Römer. 395
zeigt, deren Treue auch in dieser Beziehung gewiß nicht angezwei-
felt werden darf. Dieser Umstand beweist gewiß, daß man an
eine ziegenbeinige und ziegenfüßige Panin zu denken habe. Eine
bis auf die Hörner ganz menschlich gebildete Panin werden wir
unten auf einem schon vorlängst herausgegebenen unteritalischen
Vasenbilde kennen lernen, ist aber hier nicht anzunehmen. Der
vermeintliche, bis auf das Schwänzchen scheinbar menschlich ge-
bildete Satiretto soll gewiß das Kind der Panin sein. Der Fuss
kommt nicht zum Vorschein, ist aber als Bocksfuss zu denken.
Wenn Brunn annimmt, daß die eben besprochene Gruppe von
der früher im "Besitz von Vescovali befindlichen nicht verschieden
ßei, so hat das nach unserem Dafürhalten die größte Wahrschein-
lichkeit.
Auch an einem vermuthlich hieher gehörenden Bronzerelief
fehlt es nicht. Auf einem bronzenen Kruge im Mus. nazion. zu
Neapel ist nach Gerhard und Panofka ant. Bildw. S. 195 der Kopf
einer Panin eher als der einer Satyra zu erkennen.
Selbst in Bildwerken aus Blei finden wir eine Panisca
dargestellt.
Dütschke beschreibt in den Ant. Bildw. aus Oberitalien III,
S. 252, n. 555 eine freilich stark ergänzte Statuette einer solchen.
Auch auf einem Griechischen Bleistempel ist eine Darstellung
dieses Wesens entdeckt von Benndorf in den GÖtting. gel. Anz.
1869, II, S. 2075. Das Blei ist von Postolacca in den Monum. d. inst.
VIII, t. LH unter n. 375 herausgegeben und wird in dem dritten
nächstens zu veröffentlichenden Hefte der Denkm. d. a. Kst. Taf.
XLIII, n. 538 a wiederholt erscheinen. Man erblickt im Profil
dargestellt eine nackte sitzende weibliche Figur, welche bis über
das Knie ganz menschlich gestaltet ist und eine spitze Mütze trägt
(wie sie auch sonst bei dem Pan vorkommt, vgl. D. a. K. a.a.O.
n. 534) , auf dem Trigonon spielend.
Von Werken aus Terracotta haben wir zwei zu Statuetten
gehörende Köpfe beizubringen , für deren Echtheit wir freilich nicht
einstehen können.
Fr(Öhner) hat in dem Verkauf sverzeichniß der Collection Cam.
Lecuyer, 1889, p. 52 des Textes als auf eine Panin bezüglich in
Abbildung mitgetheilt einen alten und häßlichen Kopf mit sehr
gesträubtem Haar, zwei Hörnern und zwei Ziegenohren, an dessen
Halse sich unterhalb des Kinnes zwei yiJQecc befinden, wie sie aus
Bildwerken bei Satyrn häufiger, aber unseres Wissens sonst nicht
bei Panen nachweisbar sind.
Ein anderer Kopf ist auf der beigegebenen Tafel XXIX, n. 7 ab-
396 Friedrich Wieseler,
gebildet mit rundlicherem und jugendlicherem Gesicht, einer Stumpf-
nase, welcher gesträubtes Haar nur zwischen den Hörnern zeigt,
ähnlich wie der Pankopf (nach Anderen Satyrkopf) aus Pompeji
in meinen Denkm. d. a. K. II, 42, 522.
Endlich haben wir noch ein unteritalisches Vasenbild als
hieher gehörig zu verzeichnen. Dasselbe ist schon in Avellino's
Bullett. arch. Napol. T. IV, t. IV, n. 1 abbildlich mitgetheilt. Es
stellt eine bis auf die Hörner vollkommen menschliche mit einem
um den Hals geschlungenen Zeuggewande bekleidete Panin dar,
welche einen Wedel auf der linken Achsel haltend und auf der
Doppelflöte vor einem Thymiaterion stehend bläst. '
Auch auf geschnittenen Steinen fehlt es nicht an Dar-
stellungen von Paninnen.
Bei Gori Gemm. mus. Florent. I, 93, 1 ist eine Panin mit
einem shawlartig über die Arme geworfenen Zeuggewande und
hinter ihr ein Pan mit einer erhobenen brennenden Fackel auf
einem brennenden Altar, wahrscheinlich des Priapus, dessen Bild
hinter dem Altar sichtbar zu werden scheint, zuschreitend dargestellt.
Auf derselben Tafel des Gori'schen Werkes erblickt man un-
ter n. 9 eine im Stehen auf der Doppelflöte blasende Panin.
In Lippert's Daktyliothek Supplem. n. 291 und Hirt's Bilder-
buch Taf. XXI, n. 3 , ist eine Gemme mit einer Unzucht treiben-
den Panin dargestellt, welche die größte Aehnlichkeit hat mit der
einen entsprechenden Darstellung an dem schon oben S. 392 er-
wähnten Sarkophagrelief zu Neapel.
Endlich glauben wir auch auf einer Münze, oder zweien,
den Kopf einer Panin voraussetzen zu dürfen.
Wir meinen die Silbermünze von Metapont, welche Reg. Stuart
Poole Catal. of the Greek coins in the Brit. Mus., Italy, p. 249,
n. 90 so beschreibt : Female Dionysiac head, r., with goat's hörn
above forehead, bound with ivy-wreath, indem er Carelli Num.
Ital. vet. t. CLVII, n. 148 vergleicht. In der Erklärung dieses
letzteren Exemplars p. 113 spricht Cavedoni nur von einem caput
juveniile ohne des ganz deutlichen Horns Erwähnung zu thun.
Dieses Hörn gleicht aber nicht wohl denen der Satyrn , sondern
denen der Pane. Demnach halten wir den Kopf für den einer Panin.
Von thierischen Ohren ist weder bei Poole noch bei Cavedoni die
Rede, in der Abbildung bei Carelli auch nichts zu sehen. Das
thut aber der Annahme einer Panin keinen Eintrag , da Pane mit
menschlichen Ohren grade auf unteritalischen Werken mehrfach
vorkommen. Die Nase ist keine Stumpfnase.
weibliche Satyrn und Pane in der Kunst der Griechen und Römer. 397
Nachträge.
Zu S. 386, Z. 29. In dem Verzeichniß der Collection Castel-
lani wird unter n. 277 und 278 eine Herme, gewiß von Marmor,
erwähnt mit den Worten: deux Faunisques, male et jeune fille.
Bei art grec.
Zu S. 386, Z. 32 fg. Einen mit kleinen Hörnern versehenen
schönen sicher stehenden Kopf eines weiblichen Satyrkindes er-
wähnt A. Furtwaengler in den Annali dell' inst. arch. Vol. XLIX,
p. 209, Anm. als in der Gall. dei candel. des Vatican. Mus. n. 136
befindlich.
Zu S. 389. Die Münze von Lampsakos ist bei Percy Gard-
ner Types of Gr. coins Taf. X, 40 abgebildet. Er hält den Kopf
für den einer Maenade und setzt die Prägung zwischen 371 — 335
v. Chr. an, gewiß zu früh.
Zu S. 391 , nach Z. 9 v. u. Eine „stark ergänzte Statuette
einer Paniska" wird nach H. Dütschke in den unteren Räumen
der Gall. der Ufnzien zu Florenz aufbewahrt (Ant. Bildw. in
Oberitalien III, S. 252, n. 555).
Zu S. 393. Im Museum zu Bern befindet sich nach F. Deycks
in den Jahrb. von Alterthumsfr. im Rheinlande XI, 1847, S. 2 fg.
eine „zu Muri im J. 1660 gefundene Bronze einer Panin mit Pa-
niscus, leider durch Vergoldung und auch wohl andere Ergänzun-
gen, welche der erste Besitzer damit vornehmen ließ, sehr ent-
stellt/
Zu S. 396, Mitte. Das Berliner Mus. besitzt nach Toelken Erkl.
Verzeichn. d. vertieft geschn. Steine S. 212, Kl. III, Abth. 3,
n. 1163 einen „Achatonyx", dessen Darstellung so beschrieben wird:
„zwei bocksfüßige weibliche Satyren, deren eine einen Palmenzweig
hält, beschäftigen sich sehr eifrig bei einer Herme des Priap."
Der mir vorliegende Abdruck des Steins zeigt, daß es sich um
zwei Paninnen handelt, von denen die eine dasselbe vornimmt,
wie die Panin auf dem oben S. 392 erwähnten Neapolitan. Relief
und auf der S. 396 angeführten Gemme bei Lippert und Hirt,
indem sie die linke Hand an den Kopf der nicht behörnten Herme
legt, die andere auf einem Altar knieend zuschaut. Von einem
Palmzweige kann ich nichts sehen. Ist er vorhanden, so kann er
nur als Wedel gefaßt werden.
398
Bei der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften einge-
gangene Druckschriften.
Man bittet diese Verzeichnisse zugleich als Empfangsanzeigen ansehen zu wollen.
Mai 1890.
(Fortsetzung.)
Atti della Societa Toscana di Scienze naturali. Processi verbali. Vol. VII,
p4 49 — 80. Adunanza del di 2. marzo 1890.
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1890. N. 104. 105. 106. Firenze 1890.
Pennsylvanian Geological Survey 1889. A. A. Atlas. Southern Anthracite field.
Part II. A. A. Atlas. Eastern Middle Anthracite field. Part III. A. A. At-
las. Northern Anthracite field. Part V.
The Geological and Natural History Survey of Minnesota Bulletin. N. 1. 5.
St. Paul 1889.
Museum of comparative Zoölogy at Harvard College :
a. Bulletin. Vol. XIX. N. 2. 3.
b. Memoirs. Vol. XVI. N. 3. Cambridge 1889.
Juni 1890.
Sitzungsberichte der K. Pr. Akademie der Wissensch. zu Berlin. 1890. XXVI/
XXVII.
Leopoldina. Heft XXVI. N. 9/10.
Physikalisch-medicinische Gesellschaft zu Würzburg :
a. Sitzungsberichte 1890. N. 1—5.
b. Verhandlungen. Neue Folge. Band XXIV. N. 1—4.
Acta mathematica. 14, 2. Stockholm 1890.
Sitzungsberichte der philosophisch-philol. u. historischen Classe d. k. b. Akade-
mie d. W. zu München. 1890. Heft IL
Zeitschrift für Naturwissenschaften. Band 63. Heft 1. Halle-Saale 1890.
Jahresbericht des Physikalischen Vereins zu Frankfurt a. M. für 1888 — 89.
Frankfurt a. M. 1890.
Neues Lausitzisches Magazin. Band 66. Heft 1. Görlitz 1890.
Naturwissenschaftlicher Verein zu Bremen :
a. Abhandlungen. Band XL Heft 2, Schluß.
b. Festschrift zur Feier des 25jährigen Bestehens. Bremen 1890. 89.
Die Grenzschichten zwischen Hilsthon und Wealden bei Bersinghausen am Dei-
ster von C. Struck mann in Hannover. (Separatabdruck des Jahrb. d. k.
preuß. geologischen Landesanstalt für 1889. Berlin 1890.
Ueber Feuerbestattung. Vortrag von Prof. Dr. Fr. Goppelsröder. Mühl-
hausen i. Eis. 1890.
Abhandlungen der K. Sachs. Gesellschaft d. Wissensch. zu Leipzig :
a. Philol.-histor. Classe. Bd. XL No. Vn. Umrisse zur Naturlehre der Demo-
kratie v. W. Röscher. Leipzig 1890.
b. Mathem.-physische Classe. Bd. XVI. No. IL 1. Ueber Aufnahme und Aus-
gabe ungelöster Körper. 2. Zur Kenntniß der Plasmahaut u. der Vacuolen
etc. Ebd. 1890.
Beiträge zu der Theorie der gleichzeitigen Transformation von zwei quadrati-
schen oder bilinearen Formen v. R. Lipschitz. (Aus den Sitzungsberichten
d. K. Pr. Ak. d. W. zu Berlin 1890. XXVI.)
Jahresbericht der Fürstl. Iablonowski'schen Gesellschaft. Leipzig. März 1890.
Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich. Band XXII. Heft 6,
Leipzig 1890.
399
XIX. Jahresbericht der historisch -antiq. Gesellschaft von Graubünden. Jahrg.
1889. Chur.
Abhandlungen d. königl. böhmischen Ges. d. W. Prag 1890:
a. Mathematisch-naturwissenschaftliche CJasse. VII. Folge. 3. Bd.
b. Philosophische, geschichtliche u. philologische Classe. VII. Folge. 3. Band.
Die spekulative Idee der Freiheit etc. v. J. H. Loewe. Herausgegeben v. d.
k. böhm. Ges. d. Wiss. Prag 1890.
Anzeiger der Akademie d. Wiss. in Krakau 1890. Mai. Krakau 1890.
Kgl. Ung. Geologische Anstalt :
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Ungarische Revue 1890. V./VI. Heft. Mai/Juni. Budapest 1890.
J^rtesitö az Erdelyi Muzeum-Egylet orvos - termeszettudoniänyi szakosztälyäböl.
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a. I. Orvosi szak. 1. füzet.
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c. III. Nepszerü szak. 1. füzet. Budapest 1890.
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kelzuckung. (Des XVI. Bandes der Abhandlungen der mathematisch - physi-
schen Classe der Kön. Sächsischen Ges. d. Wiss. N. 1. Leipzig 1890.
Veröffentlichungen des Kgl. Preuß. Geodätischen Institutes. Astronomisch -geo-
dätische Arbeiten 1. Ordnung. Telegraphische Längenbestimmmungen in den
Jahren 1888 u. 1889 etc. Berlin 1890.
(Fortsetzung folgt.)
Inhalt von No. 11.
Friedrich Wieseler, weibliche Satyrn und Pane in der Kunst der Griechen und Römer.
Eingegangene Druckschriften.
Für die Redaction verantwortlich: E. Sauppe, Secretär d. K. Ges. d. Wiss.
Commissions- Verlag der Dieterich' sehen Verlags' Buchhandlung.
Druck der DitUricK sehen Dniv.- Buchdruckerei (W. Fr. Kaestner).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
15. October. Jfä 12. 1890.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 2. August.
Ueber die Verteilung eines Stoffes zwischen
zwei Lösungsmitteln.
Von
W. Nernst.
Henry's Absorptionsgesetz der Gase in Flüssigkeiten ist
neuerdings zu ganz besonderer Bedeutung gelangt; von van 't Hoff *)
nämlich wurde bekanntlich der Beweis erbracht , daß ein Gas,
welches sich in einem beliebigen Lösungsmittel dem Drucke pro-
portional löst , bei gleicher räumlicher Konzentration als solches
und im Zustande der Lösung gleichen Gas- bez. osmotischen Druck
ausübt.
Umgekehrt, wenn ein Stoff wie Rohrzucker Pf e ff er' s Mes-
sungen zufolge in wässeriger Lösung den gleichen Druck ausübt,
wie ihn der Dampf des Rohrzuckers bei gleicher räumlicher Kon-
zentration aufweisen würde, so kann daraus mit voller Sicherheit
gefolgert werden, daß der Dampf des Rohrzuckers dem Wasser
gegenüber Henry's Gesetze gehorcht, daß mit anderen Worten
der Partialdruck des Rohrzuckers in dem über einer wässerigen
1) van t'Hoff, Zeitschrift für physik. Chemie. 7, 488 (1887).
Nachrichten von der E.G. d.W. zu (iöttingen. 1890. Nr. 12. 34
402 W. Nernst,
Losung lagernden Dampfe proportional der Konzentration des im
Wasser gelösten Zuckers ist. Ein Stoff wie Chlorwasserstoff hin-
gegen, welcher in Lösung einen dem entsprechenden Gasdrucke
nahe um das doppelte überlegenen osmotischen Druck aufweist, ist
demgemäß auch weit davon entfernt, sich unter Henry's Gesetz
zu fügen, wie allgemein die exceptionelle Stellung der Elektrolyte
u. A. sich darin zeigt, daß sie sich keineswegs ihrem Partialdrucke
proportional in Wasser lösen.
In welcher Weise das Absorptionsgesetz unter solchen Um-
ständen sich modifiziert, läßt sich unschwer mittelst eines dem von
van 'tHoff mitgeteilten analogen Kreisprozesses unabhängig von
jeder Molekularhypothese entwickeln; einfacher gestalten sich aber
die Betrachtungen, wenn wir von dem Satze Gebrauch machen, daß
in einer Lösung ebensoviel gelöste Moleküle sich befinden, wie im
gleichen Gasvolum bei gleicher Temperatur, in welchem der Gas-
druck ebensogroß ist wie dort der osmotische Druck. Dann lautet
van 'tHoffs Satz einfach: Nur diejenigen Stoffe folgen
Henry's Gesetz, welche mit unveränderter Molekular-
größe in Lösung gehen.
Betrachten wir nun einen Stoff, welcher im Zustande der Lö-
sung und als Gas verschiedenen Molekularzustand besitzt,
d. h. sich sowohl in Lösung wie als Gas im Dissociationszustande
befindet , der aber in beiden Fällen ein sehr verschiedener sein
kann. Dann ist nach Analogie des Dal ton' sehen Gesetzes, wo-
nach bei einem Gemisch von Gasen sich jedes einzeln seinem Par-
tialdrucke und Ab sorptionsko effizienten gemäß löst, auch hier vor-
auszusehen, daß obiger Satz für jede einzelne Molekülgattung Gül-
tigkeit behält , d. h. daß für jede Molekülgattung das Verhältnis
der räumlichen Konzentrationen im Gas- und im Lösungszustande
bei gleicher Temperatur unabhängig von der Konzentration ist.
In der That, betrachten wir z. B. die Bildung einer Doppelmolekel
aus zwei Einzelmolekülen, und bezeichnen wir mit gx und g2 den
Partialdruck der einfachen und der verdoppelten Moleküle im Gas-
zustande, und mit \ und l2 den entsprechenden osmotischen Druck
der gleichen Moleküle in der Lösung, so muß nach der Gleichung
der Dissociationsisotherme
g\ = h'g2 und l\ = h"l2
sein. Bringen wir das Gas und somit auch die damit in Berüh-
rung befindliche Lösung auf sehr große Verdünnung, so wird das
Verhältnis der Konzentrationen gleich ^- und von der Konzentra-
h
über die Verteilung eines Stoffes zwischen zwei Lösungsmitteln. 403
tion unabhängig; die einfachste Annahme ist nun die, daß dies
auch bei größeren Drucken bestehen bleibt, und dann muß nach
obigen Gleichungen auch -y1 konstant sein, d. h. für beide Mole-
külgattungen findet ein von der Konzentration unabhängiges Tei-
lungsverhältnis statt.
Wenn ein Körper im Gaszustande fast vollständig aus Dop-
pelmolekülen besteht, in Lösung aber fast vollständig in die Ein-
zelmoleküle zerfallen ist, so muß die Konzentration desselben im
Gaszustande der zweiten Potenz der Konzentration in der Lösung
proportional sein ; der Dampf der Essigsäure etwa, der bekanntlich
bei niederen Temperaturen, nach seiner Dampfdichte zu schließen,
aus Doppelmolekeln besteht, würde dem Wasser gegenüber, worin
Essigsäure, von der geringfügigen elektrolytischen Dissociation ab-
gesehen, aus Molekülen normaler Molekulargröße besteht, in so
auffälliger Weise vom Henry' sehen Gesetze abweichen, während
er sich in Benzol, worin Essigsäure bimolekular ist, dem Drucke
proportional lösen müßte. Die Notwendigkeit dieses Verhaltens
läßt sich übrigens, worauf schon hingewiesen wurde, auch thermo-
dynamisch in aller Strenge ableiten.
Ich hoffe alsbald die obigen Gesetze an einigen Eällen veri-
fizieren zu können ; man übersieht nämlich bereits , daß sich aus
der Dampfspannung von Lösungen flüchtiger Stoffe in ihrer Ab-
hängigkeit von der Konzentration Folgerungen über das Verhält-
nis der Molekulargrößen ergeben, welche dem gelösten Stoffe in
der Lösung und im Gaszustande zukommen. Zur Messung der
Dampfspannung könnte man sich wohl am besten des Beck mann'-
sehen Siedeapparates bedienen, dessen Theorie sich unschwer mit
Hülfe der obigen Prinzipien auch auf die Anwendung flüchtiger
Stoffe als gelöster Körper erweitern läßt. Hier jedoch seien die-
selben nach einer andern Seite hin weitergeführt, wobei man zu
einigen einfachen und an der Erfahrung scharf zu prüfenden Re-
sultaten gelangt.
Wir wollen unter dem Teilungskoeffizienten eines
Stoffes zwischen zwei Lösungsmitteln dasjenige Kon-
zentrationsverhältnis verstehen, bei welchem der betreffende Stoff
in den über den beiden Lösungen lagernden Gasgemischen gleichen
Partialdruck besitzt. In der That schaltet man zwischen zwei
derartige Lösungen eine nur für den gelösten Stoff durchlässige
Wand ein, so wird keine der andern von dem gelösten Stoffe ent-
ziehen, sondern ein Gleichgewichtszustand bestehen bleiben. Nach
dem Früheren ergeben sich dann sofort die Sätze:
34*
404 W. Nernst,
1) Besitzt der gelöste Stoff in beiden Lösungsmitteln gleiche
Molekulargröße, so kommt ihm ein von der Konzentration unab-
hängiger Teilungskoeffizient zu und umgekehrt.
2) Besteht der gelöste Stoff aus Molekülen verschiedener
Größe oder Zusammensetzung, so gilt der erste Satz für jede be-
liebig herausgegriffene Gattung von Molekülen.
3) Kommt dem gelösten Stoffe im zweiten Lösungsmittel also
etwa die doppelte Molekulargröße zu (vorwiegend) wie im ersten,
so ist — von der Konzentration unabhängig, wobei cx und c2 die
Konzentration in beiden Lösungsmitteln bezeichnen.
Was nun die experimentelle Bestimmung des oben definierten
Teilungskoeffizienten anlangt , so wäre dazu nur notwendig , die
Dampfspannung des betreffenden Stoffes zu ermitteln, während
derselbe in den beiden Lösungsmitteln zu wechselnden Konzentra-
tionen gelöst ist, wobei man freilich häufig auf sehr bedeutende
experimentelle Schwierigkeiten stoßen würde. Nur an einem Punkte
ist die Bestimmung des Teilungskoeffizienten leicht ausführbar, bei
derjenigen Dampfspannung nämlich, welche der reinen festen Sub-
stanz entspricht; denn die Löslichkeit des Dampfes von diesem
Drucke ist ja gleich der Löslichkeit des festen Körpers und der
Teilungskoeffizient demgemäß einfach gleich dem Verhältnis der
Löslichkeiten.
Ganz einfach hingegen für jede beliebige Konzentration ge-
staltet sich die Bestimmung des Teilungskoefficienten eines Stoffes
zwischen zwei einander nur äußerst wenig lösende Flüssigkeiten,
indem hier nur mittelst Analyse der beiden Lösungen, welche mit
einander im Gleichgewichte sind, zu ermitteln ist, wie viel von
dem dritten Stoffe jedes der beiden Lösungsmittel enthält. In
diesem Falle wird also der von uns eingeführte Teilungskoeffizient
identisch mit dem B er thelot' sehen1); aber er verliert keineswegs
seine Bedeutung Flüssigkeiten gegenüber, welche sich stark ein-
ander lösen oder gar in allen Verhältnissen mischen; nur seine
experimentelle Bestimmung wird unter solchen Umständen schwie-
riger.
Der Mittheilung der eigenen Versuchsresultate sei eine kurze
Diskussion der von Berthelot und Jung fleisch erhaltenen
Zahlen vorausgeschickt. Die genannten Forscher finden den Tei-
lungskoefficienten unabhängig von den Mengenverhältnissen der
1) Berthelot und Jungfleisch, Ann. eh. ph. [4], 26, 396 (1872). Ber-
thelot, ibidem 408.
über die Verteilung eines Stoffes zwischen zwei Lösungsmitteln. 405
beiden Lösungsmittel, jedoch, wenn auch nicht bedeutend, veränder-
lich mit der Konzentration und der Temperatur. Der erste Satz
ist ohne weiteres einleuchtend; was die geringe Veränderlichkeit
mit der Temperatur anbetrifft, so sei daran erinnert, daß auch der
Absorptionskoeffizient der Grase mit der Temperatur selten beträcht-
lich variiert; die Veränderlichkeit mit der Konzentration haben
wir auf verschiedene Molekularkonstitution zurückgeführt und
kann dieselbe, wie wir später sehen werden, zuweilen außerordent-
lich bedeutend werden.
Berthelot1) konstatiert ferner , daß Gemische von gelösten
Stoffen, die auf einander nicht chemisch reagiren, sich so vertei-
len, wie wenn jeder allein vorhanden wäre, ein völliges Analogon,
worauf schon Berthelot selber hinweist, zu dem Satze der unab-
hängigen Löslichkeit der zu einem Gemische vereinigten Gase.
Im Einzelnen ergab sich Berthelot und Jungfleisch, daß
Brom sowohl wie Jod sich zwischen Wasser und Schwefelkohlen-
stoff in fast konstantem Verhältnis teilen, und zwar schwankt
letzteres nur um wenige Prozente, während die Konzentrationen
wie 1 : 10 variieren. Beide Elemente besitzen also in diesen Lö-
sungsmitteln gleiches Molekulargewicht ; da für in Schwefelkohlen-
stoff gelöstes Jod die Molekulargröße J2 erwiesen ist2), so kommt
auch dem in Wasser gelöstem Jod die normale Molekulargröße
zu und auch beim Brom kann es sich hier wohl nur um JBr2 han-
deln. Wir treffen hier also die erwarteten Verhältnisse an.
Außerdem finden sich in der genannten Abhandlung noch eine
Anzahl Versuche über die Verteilung organischer Säuren zwischen
Aether und Wasser. Allerdings findet hier eine Komplikation in-
sofern statt, als diese beiden Lösungsmittel sich bekanntlich ge-
genseitig nicht unbeträchtlich lösen und ferner diese gegenseitige
Löslichkeit sich infolge Gegenwart dritter Körper nach den neu-
lich dargelegten Gesetzen3) (übrigens in einer der Berechnung
völlig zugänglichen Weise) nicht unbeträchtlich ändert. Gleich-
wohl können wir über die Molekulargröße der betreffenden Säuren
in ätherischer Lösung durchaus sichere Schlußfolgerungen ziehn.
Als in 10 cc Wasser 0-121, 0-070, 0-024 g Bernsteinsäure
gelöst waren, betrug die entsprechende Menge in 10 cc der äthe-
rischen Lösung 0-022, 0*013, 0-0046. Das Verhältnis dieser Zahlen
ist recht konstant (5*4, 5-2, 5-2) und da bei obigen Konzentrationen
nur wenige Prozent in wässeriger Lösung elektrolytisch dissociiert
1) 1. c. 417.
2) E. Beckmann, Zeitschrift für physik. Chemie. 5, 76 (1890).
3) N ernst, diese Nachrichten vom 26. Februar 1890.
406 w- Nernst,
sind1), die in Wasser gelöste Bernsteinsäure also weitaus vorwie-
gend aus Molekülen normaler Größe besteht, so besitzt auch die
in Aether gelöste Bernsteinsäure normale Molekulargröße, wie es
ja auch nach aller Analogie zu erwarten stand.
Oxalsäure wies bei den Konzentrationen 0*473, 0*436,
0*304, 0*203 g die Teilungskoeffizienten (Verhältnis der in 10 cc
Wasser zu der in 10 cc Aether gelösten Menge) 9*0, 9*5, 9*8, 9*9
auf. Bei obigen hohen Konzentrationen (0*45 g in 10 cc Lösung
entspricht einer Normallösung) ist jedenfalls die elektrolytische
Dissociation nicht übermäßig weit (wenigstens nicht über die Hälfte)
fortgeschritten 2) ; der Zunahme der elektrolytischen Dissociation
mit der Verdünnung entspricht die, besonders wenn man die ver-
hältnismäßig kleinen Aenderungen der Konzentration in Betracht
zieht, nicht unerhebliche Zunahme der Teilungskoeffizienten, und
man überzeugt sich leicht, daß, wenn man den Quotienten aus
dem nicht dissociierten Anteile der Oxalsäure zu der im Aether
befindlichen Mengen bildet, bedeutend weniger variierende Werthe
des Teilungskoeffizienten resultieren. Demgemäß kann kein Zweifel
darüber bestehen bleiben, daß auch die Oxalsäure in Aether ge-
löst normale Molekulargr ö ße besitzt. Denn wenn sie etwa
in Aether bimolekular wäre , müßte der Teilungskoeffizient von
den Konzentrationen 0*473 bis 0.203 auf etwa das 5*4 fache zu-
nehmen, also eine Variation ganz anderer Größenordnung zeigen.
Ebenso sprechen die mit Aepfelsäure und Weinsäure an-
gestellten Messungen entschieden für die normale Molekulargröße
dieser Stoffe in ätherischer Lösung, wenn auch hier die Kon-
zentrationen in der wässerigen Lösung schon so bedeutend (bis
10 %) sind , daß die Anwendbarkeit der nur für verdünnte Lö-
sungen streng gültigen Verteilungsgesetze einigermaßen einge-
schränkt wird. Bei der Essigsäure, die bei den Konzentrationen
0*3 und 0*1 der wässerigen Lösung den Teilungskoefficienten 1*8
und 2*3 besitzt, dürfte sich die Abnahme desselben mit steigen-
der Konzentration dadurch erklären, daß sich bei den entspre-
chenden Konzentrationen der ätherischen Lösung bereits theil-
weise Doppelmoleküle bilden, wozu ja dieser Stoff bekanntlich
Neigung besitzt. Ebenso verschwindet bei der Benzoesäure,
welche bei den Konzentrationen 0*00304, 0*00258, 0*00150, 0*00110 g
auf 10 cc wässeriger Lösung die Teilungskoeffizienten 1/di, Vss,
78o, 1/n besitzt, die Zunahme mit der Verdünnung zwar zum
großen Theile, wenn man die mit der Verdünnung zunehmende
1) W. Ostwald, Zeitschrift für physikal. Chemie. 3, 370.
2) Ostwald, 1. c. 281.
über die Verteilung eines Stoffes zwischen zwei Lösungsmitteln. 407
elektrolytische Dissociation in Betracht zieht (dieselbe beträgt bei
der größten Konzentration 14, bei der kleinsten bereits 21 %),
doch bleibt immerhin noch ein merkliches Anwachsen zurück, was
auf eine, wenn auch nur nach wenigen Prozenten zählende Bildung
von Doppelmolekeln in den verhältnismäßig konzentrierten (bis zu
vierproz entigen) ätherischen Lösungen hindeutet. Natürlich setzen
obige Zahlen es in Evidenz, daß auch Benzoesäure in Aether ge-
löst bei nicht zu hohem Gehalt sich normal verhält.
Bei meinen eigenen Versuchen habe ich solche Stoffe gewählt,
welche ein besonders charakteristisches Verhalten vorhersehen
ließen. Ganz auffallende Verhältnisse waren nämlich bei der Un-
tersuchung eines Stoffes zu erwarten, welcher in den beiden Lö-
sungsmitteln in ganz verschiedenen Molekularzustande sich befindet ;
während bei den Versuchen von Berthelot und Jung fleisch
immerhin noch von einer wenigstens genäherten Konstanz des Tei-
lungskoeffizienten gesprochen werden kann, darf nach der Theorie
im obigen Falle auch nicht entfernt davon die Rede sein. Solche
Stoffe sind u. A. Essigsäure und Phenol , die nach den Gefrier-
punktsbestimmungen in Wasser sich normal verhalten, in Benzol
hingegen bei nicht zu kleinen Konzentrationen bimolekular sind.
Der Versuch entsprach der Erwartung vollkommen; derselbe
wurde bei der Essigsäure in der "Weise ausgeführt, daß B eck-
mann's Gefrierapparat mit 5*075 g Wasser und 31*5 g Benzol
beschickt, der Gefrierpunkt des Gemenges, welcher bei der gerin-
gen Löslichkeit des Wassers in Benzol von demjenigen des reinen
Benzols (5*9 °) nur wenig verschieden war , ermittelt sowie das
Sinken desselben verfolgt wurde, als man successive gewogene
Mengen von Essigsäure hinzufügte. Letzteres erfolgt natürlich
demjenigen Bruchteile der Essigsäure entsprechend, welcher in das
Benzol übergeht; um diesen kennen zu lernen, wurde in einer be-
sonderen Versuchsreihe der Einfluß hinzugefügter Essigsäure auf
den Gefrierpunkt von mit nur wenig , zur Sättigung gerade hin-
reichendem Wasser versetztem Benzol untersucht. Auffallender
Weise ergeben sich hier nicht unerheblich stärkere Depressionen,
als die vonHentschel1), Beckmann u. A. bei Anwendung was-
serfreien Benzols gefundenen. Als ich zu 31*5 g Benzol successive
0*0173, 0*0650, 0-292 g Essigsäure hinzusetzte, betrugen die De-
pressionen 0-033, 0*110, 0-450°, während Beckmann bei ent-
sprechendem Gehalte um 16 bis 17 °/o kleinere Werte erhielt. Die
1) Hentschel, Zeitschr. f. physik. Chemie. 2, 491 (1888); E. Beckmann,
ib. 2, 729 (1888).
408 w- Nernst,
einfachste Erklärung dieser die Beobachtungsfehler weit überstei-
genden Abweichung ist wohl die Annahme, daß Wasser sich in
mit Essigsäure versetztem reichlicher löst als in reinem Benzol.
Natürlich wird die Sicherheit der analytischen Bestimmung der
Essigsäure in Benzol mittelst des Gefrierapparates dadurch in
keiner Weise beeinträchtigt. In Tab. I finden sich die Versuchs-
resultate ; unter t steht die beobachtete Gefrierpunktserniedrigung,
unter c, die Anzahl g Essigsäure, welche hiernach in den 31*5 g
Benzol vorhanden waren; c2, die Anzahl g Essigsäure, welche in
die 5'075 g Wasser übergegangen waren, ergaben sich, indem man
Cj von der hinzugesetzten Gesamtmenge subtrahierte. Strenge ge-
nommen sind die Zahlen nicht völlig vergleichbar, weil sie nicht
bei der gleichen Temperatur gewonnen sind ; doch dürfte der hier-
durch erzeugte Fehler bei der geringen Veränderlichkeit der Ver-
teilungskoeffizienten mit der Temperatur, von der auch ich mich
wiederholt überzeugte, durchaus verschwindend sein.
TabeUe I.
t
4
c2
0-075°
0-043
0-245
5-7
1-40
0-120
0-071
0-314
4-4
1-39
0-158
0-094
0-375
4-0
1-49
0-240
0-149
0-500
3-4
1-67
Wie vorauszusehn, ist der Teilungskoeffizient — keineswegs kon-
stant, sondern nimmt mit der Konzentration stark ab, wohingegen —
i
viel weniger variiert; daraus, daß letzterer Ausdruck umgekehrt
mit steigender Konzentration merklich ansteigt, haben wir zu
schließen, daß Essigsäure in Benzol gelöst zwar zum weitaus
größten Teile aus Doppelmolekeln besteht, bei geringerer Konzen-
tration aber auch Moleküle normaler Größe in nicht ganz unbe-
trächtlicher Menge enthält. Zu demselben Resultate gelangte be-
kanntlich Beckmann1) auf einem ganz anderen Wege, nämlich
durch Molekulargewichtsbestimmungen nach Eaoult's Methode.
^ Aehnliche Resultate lieferte Phenol, dessen Verteilungsweise
zwischen Benzol und Wasser ich nach der gleichen Methode unter-
suchte. Als ich zunächst behufs Aichung des Apparats zu mit
wenig Wasser versetzten Benzol gewogenen Mengen Phenol hin-
1) Beckmann, 1. c. S. 730.
über die Verteilung eines Stoffes zwischen zwei Lösungsmitteln. 409
zufügte, beobachtete ich auch hier um 17 bis 20 °/o höhere Depres-
sionen als die von Beckmann mit wasserfreien Substanzen er-
haltenen. In folgender Tabelle sind die den daneben stehenden
Prozentgehalten (g Phenol auf 100 g Benzol) entsprechenden De-
pressionen t verzeichnet.
Tabelle II.
°/o Gehalt
t
0-104
0-041°
0-352
0-139
0-68
0-257
0-89
0-354
2-20
0-765
3-68
1-270
4-90
1-472
Mit Hülfe dieser Zahlen sind aus den Gefrierpunktserniedrigungen,
welche durch Hinzufügen von Phenol zu 13*46 g Benzol und 30 g
Wasser erzeugt wurden, folgende Werte für cx und c2 abgeleitet.
Tabelle HL
?1
*
ü
^i
1
0-017
0-038
2-24
0-085
0-051
0-077
1.51
0.116
0-123
0-159
1-30
0-205
0.327
0-253
0-77
0-196
0-75
0-39
0<52
0-203
Die Beobachtungen, welche hier über ein weiteres Gebiet er-
streckt werden konnten, zeigen bei außerordentlicher Veränderlich-
keit von ~ eine bei höherer Konzentration recht nahe erfüllte
Konstanz von — . Da nun bekanntlich Phenol in Wasser gelöst
i
normale Molekulargröße besitzt, muß es also in Benzol bei obigen
Konzentrationen weitaus vorwiegend aus Doppelmolekeln bestehen,
die jedoch bei den niederen Konzentrationen in erheblichem Maaße
sich spalten. Hiermit stimmen wiederum Beckmann' s Messun-
gen trefflich überein, welcher bei einem dem größten und kleinsten
Werte von c, in obiger Tabelle entsprechendem Gehalte die Mole-
kulargrößen 178 und ca. 140 fand, während das normale Moleku-
largewicht 94 beträgt.
410 W. Nernst,
Man kann übrigens ans obigen Zahlen ancb den Dissociations-
zustand ziemlich sicher berechnen ; ans den bei großen Konzentra-
tionen erhaltenen Zahlen schließen wir, daß die Anzahl von Dop-
c2
pelmolekeln des im Benzol gelösten Phenols tt-Att beträgt nnd sich
daher für die beiden größten Verdünnungen zu 0*0072 und 0*0277
berechnet. Demgemäß ergiebt sich die Anzahl der dissociierten
Molekeln zu 0*010 und 0*023. Gilt nun für die in Benzollösung
sich abspielende Reaktion
(C6H5OH)8 = CeHsOH + CeHsOH
die Gleichung der Dissociationsisotherme, so muß das Quadrat der
Konzentration der Einzelmoleküle dividiert durch die Anzahl der
Doppelmoleküle konstant sein. Thatsächlich finden wir
°-°ia = 0-014 und Ä = 0-019
0*0072 0*0277
kaum über die Versuchsfehler hinaus verschieden, welche sich in
obigen Ausdrücken in ganz außerordentlicher Weise vervielfäl-
tigen.
Schließlich sei noch erwähnt, daß Alkohol, welcher in Benzol
bei nicht zu hohen Konzentrationen1) sowie in Wasser normale
Molekulargröße besitzt, sich demgemäß auch unabhängig von
der Konzentration zwischen die obigen Lösungsmittel verteilt, wenn
auch die hier ausgeführten Messungen wegen der geringen Menge
des in das Benzol übergehenden Alkohols (er verteilt sich zwischen
gleiche Gewichtsteile Benzol und Wasser etwa im Verhältnis 1 : 60)
und der infolgedessen nur sehr kleinen Gefrierpunktserniedrigungen
keine große Genauigkeit beanspruchen können.
Obwohl das bisher mitgeteilte Zahlenmaterial den eingangs
theoretisch abgeleiteten Sätzen bereits eine sichere experimentelle
Unterlage verleihen dürfte, so empfahl es sich doch zur Entschei-
dung gewisser anderer Fragen einerseits die Verteilung eines
Stoffes innerhalb weiterer Aenderungen der Konzentration und
anderseits, was ja ganz besonderes Interesse beansprucht, den
Einfluß der elektrolytischen Dissociation zu untersuchen. Ich habe
derartige Messungen mit Benzoesäure und Salicylsäure ausgeführt,
Stoffe, von denen der erstere als der Repräsentant eines nur we-
nig, der zweite als derjenige eines verhältnismäßig stark disso-
1) Beckmann, 1. c. 728.
über die Verteilung eines Stoffes zwischen zwei Lösungsmitteln. 411
ciierten Elektrolyten dienen kann. In Benzol sind beide Stoffe
bei denjenigen Konzentrationen, für welche die Raoult' sehe Me-
thoden noch genügende Genauigkeit liefern, bimolekular; doch lie-
gen Anzeichen vor, daß sie bereits beginnen, sich in ihre Einzel-
moleküle aufzulösen1). Thatsächlich werden wir denn auch kon-
statieren, daß die genannten Stoffe, bei Verdünnungen freilich erst,
bei denen die früheren Methoden völlig versagen, normale Mole-
kulargröße annehmen.
Es ist leicht auf Grund dieser Angaben sich im Voraus ein Bild
von dem qualitativen Verlauf der Erscheinungen zu machen. Benzoe-
säure, welche bei großen Verdünnungen in beiden Lösungsmitteln, ab-
gesehen von der geringfügigen elektrolytischen Dissociation, normale
Molekulargröße besitzt, muß demgemäß hier sich in konstantem
Verhältnisse theilen ; bei höheren Konzentrationen, wo dieser Stoff
im Benzol in Gestalt von Doppelmolekeln gelöst ist , haben wir
c2
Konstanz des Ausdruckes — zu erwarten und dazwischen liegt
°2
das Dissociationsgebiet. Salicylsäure hingegen, welche bei höherer
Konzentration, wo die elektrolytische Dissociation zu vernachläs-
sigen ist, sich wie die Benzoesäure verhalten muß, wird bei großen
Verdünnungen sich keineswegs in konstantem Verhältnisse theilen,
sondern mit zunehmender Jonenspaltung immer reichlicher an das
Wasser abgegeben werden.
Was die Versuche selber anlangt, so verfuhr ich bei der Ben-
zoesäure einfach in der Weise, daß ich sie in gewogenen Mengen
successive in einen Scheidetrichter einführte, welcher 250 cc Was-
ser und 100 cc Benzol enthielt. Nach Herstellung des Gleichge-
wichtszustandes2) , welcher nach mehrmaligem Schütteln schnell
und präcise sich einstellte , wurden 50 cc der wässerigen Schicht
mittelst Barytwasser und Phenolphtalein als Indikator titriert; die
dem Scheidetrichter entnommenen Wassermengen wurden stets
wieder ersetzt, wobei darauf geachtet wurde, daß nur von Kohlen-
säure befreites, nämlich mit Phenolphtalein und Barytwasser bis
zur schwachen Rosafärbung versetztes Wasser in Anwendung kam.
Da man durch Wägung die gesamte zugeführte, durch Titration
die an das Wasser abgegebene sowie auch die im Laufe des Ver-
1) Beckmann, 1. c. 730.
2) Berthelot's Bemerkung (I.e. 398), wonach der Gleichgewichtszustand
sich erst nach einigen Stunden herstellt, kann ich nach meinen Versuchen nicht
bestätigen, war vielmehr in allen Fällen erstaunt über die Geschwindigkeit und
Sicherheit, mit welcher das schließliche Teilungsverhältnis erreicht wird.
412 W. Nernst,
suches zur Titration verbrauchte Menge Benzoesäure kannte, so
bot die Berechnung der Versuche keine Schwierigkeit. Mehrfache
Wiederholungen zeigten, daß auf diese Weise scharfe Resultate
zu erhalten sind; die Yersuchsfehler werden um so geringer, je
größer die an das Benzol abgegebene im Verhältnis zur gesamten
Menge der Säure ist , und wenn die an das Wasser abgegebene
Menge gegen jene verschwindet, so werden die Bestimmungen der
Konzentration im Benzol so genau als man wägt, und derjenigen
im Wasser so genau als man titriert. Schwankungen der nahe
20° betragenden Temperatur wurden während des Versuches nach
Möglichkeit vermieden.
Bei der Salicylsäure, wo eine Ausdehnung der Messungen bis
auf sehr große Verdünnungen wünschenswert erschien, geschah
die Analyse mittelst des elektrischen Leitungsvermögens. Zunächst
wurde durch Hinzufügen gewogener Mengen einer Salicylsäurelö-
sung von bekanntem Gehalt zu einer ebenfalls gewogenen in einem
Ar rhenius' sehen Widerstandsgefäße befindlichen Wassermenge
eine empirische Skala für die Abhängigkeit des Widerstandes von
der Konzentration gewonnen, welcher nach Kohlrausch's Me-
thode unter Anwendung einer Brückenwalze bestimmt wurde. Die
Messungen ließen sich bei größeren Konzentrationen vortrefflich
durch folgende Formel darstellen, welche eine Umformung der
Ostwald' sehen Dissociationsgleichung der Elektrolyte darstellt:
w w
G und w bedeuten den Gehalt und den Widerstand der Lösung,
A und B sind Konstante. Bei größeren Verdünnungen ließ sich
der Gehalt einfach durch Interpolation aus dem Leitungsvermögen
mit hinreichender Sicherheit ermitteln. Mit der Darstellung ge-
nügend reinen Wassers hatte ich anfänglich Schwierigkeiten , er-
zielte schließlich aber solches (Je = 2xl0~10) einfach durch Aus-
frieren des gewöhnlichen destillierten Wassers. Die Versuchstem-
peratur wurde stets auf 18° gehalten.
Die eigentlichen Messungen geschahen nun in der Weise, daß
entweder zu einer im Widerstandsgefäße befindlichen Salicylsäure-
lösung gewogene Mengen Benzol hinzugefügt und die Abnahme
des Leitungsvermögens bestimmt, oder zu im Widerstandsgefäße
befindlichem Wasser und Benzol gewogene Mengen einer Salicyl-
säurelösung hinzugesetzt und die Zunahme des Leitungsvermögens
der wässerigen Schicht ermittelt wurde. Das über dem Wasser
befindliche Benzol hindert die Bestimmung des Widerstandes kei-
über die Verteilung eines Stoffes zwischen zwei Lösungsmitteln. 413
neswegs, auch nicht, wie ich mich durch besondere Versuche über-
zeugte, etwa in der Weise, daß Benzol an den Platinplatten des
Widerstandsgefäßes adhäriert und Veranlassung zu einem Ueber-
gangs wider stände giebt. Einige Kontroll versuche wurden auch
bei der Salicylsäure mittelst Titration ausgeführt. c2 bedeutet die
an das Wasser [100 bez. 544 g] , c, die an das Benzol [100 cc
bez. 544 g] abgegebene Menge der Säuren.
Tabelle IV.
Verteilung von Benzoesäure zwischen 100 cc Wasser u. 100 cc Benzol.
i = 20°.
c2ing
et mg
m
c2(l-m)
m'
c^—m'
m"
ct — m'
0-0163
00535
0-190
0-0132
0-0377
0-0158
0-090
0-0197
0-0753
0-178
0*0162
0-0462
0-0291
0073
0-0244
0-099
0-159
0-0205
0-0584
0-0306
0-111
0-0369
0-194
0-132
0-0321
0-0915
0-1025
0-081
0-0452
0-273
0-118
0-0398
0-1135
0-160
0-080
0-0596
0-444
0-104
0-0534
0-1522
0-292
0-079
0-0788
0-737
0-092
0-0716
0-2041
0-533
0-078
0-0976
1-050
0-081
0-0897
0-256
0-794
0-083
0-1500
2-42
0-066
0-1401
0-399
2-02
0-079
01952
4-12
0-058
0-1839
0-524
3-60
0-077
0-289
9-7
0-048
0-275
Tabelle V.
0-784
8-9
0-069
Verteilung der Salicylsäure zwischen 544 g Wasser u. 544 g Benzol.
t = 18°.
c2 mg
o, in0
m
c2(l-m)
m'
cx— m'
0-0363
0-0184
' 0-739
0-0095
—
—
0-0668
0-0504
0-626
0-0250
—
—
—
0-094
0-0977
0-563
0-0411
0-0863
0-0114
0-65
0-126
0-146
0-532
0-0590
0-124
0-022
0-70
0-210
0-329
0-446
0-1163
0-244
0-085
0-70
0-283
0-533
0-402
0-1693
0-354
0-179
0-70
0-558
1-65
0-307
0-387
0-813
0-84
0-79
0-756
2-81
0-271
0-551
1-16
1-65
0-81
0-912
4-34
0-251
0-683
1-48
2-91
0-70
414 W. Nernst,
Konstatieren wir zunächst, daß die Zahlen obiger Tabellen
durchaus den erwarteten Verlauf zeigen; bei den drei höchsten
Konzentrationen (die höchste ist in beiden Fällen der Sättigung
c2
nahe) nimmt der Ausdruck -*- die Werte 0*0093 , 92 , 87 bei der
Benzoesäure und 0*194, 0-203, 0*192 bei der Salicylsäure an; bei
den größten Verdünnungen sind bei ersterem Stoffe c2 und ct ein-
ander proportional, aber selbst nicht annähernd bei dem zweiten.
Behufs der genaueren Berechnung gehen wir am einfachsten
von einer bestimmten Molekülgattung, etwa der normalen, aus.
Bedeutet m den Grad der elektrolytischen Dissociation , so erhal-
ten wir in dem Ausdruck c2 (1 — m) die Anzahl der normalen Mo-
leküle im Wasser und nach unserem Gesetz muß dieser die ent-
sprechende Größe für die Benzollösung proportional sein. Da elek-
troly tisch dissociierte Moleküle im Benzol jedenfalls nur in absolut
verschwindender Anzahl vorkommen (ich überzeugte mich zum
Ueberfluß, daß eine an Benzoesäure oder Salicylsäure gesättigte
Benzollösung keine Spur elektrischer Leitfähigkeit zeigt) so erhält
man durch Subtraktion der normalen Moleküle von der Gesamt-
menge die Anzahl der im Benzol befindlichen Doppelmoleküle.
Der Dissociationsgrad l) m ist bekanntlich in seiner Abhän-
gigkeit von dem Volumen v, in welchem eine #- Molekel gelöst
ist, durch die Formel
(1 — m)v
und demgemäß
gegeben , worin h die Dissociationskonstante bedeutet. Für Ben-
zoesäure und Salicylsäure besitzt nach Ostwald' s Messungen2)
k die Werte 0*000060 und 0-00102. Da ferner 122 und 138 die
Molekulargewichte dieser beiden Substanzen betragen, so ergiebt
sich für die Benzoesäure
0-000366
m =
\V1 + 0-000183 V
und für die Salicylsäure
1) W. Ostwald, Zeitschrift f. phys. Chemie. 2, 270 (1888).
2) W. Ostwald, Zeitschr. f. physik. Chemie. 3, 246 (1889).
über die Verteilung eines Stoffes zwischen zwei Lösungsmitteln. 415
x VV1^ 0-0192 V
m =
Der Umstand, daß sich Ostwald' s Zahlen auf eine etwas hö-
here Temperatur (25°) beziehen als die, welche bei unsern Mes-
sungen inne gehalten wurde, dürfte bei der geringen Veränderlich-
keit von 7c mit der Temperatur1) nicht zu sehr ins Gewicht fallen.
In Kolumne III und IV obiger Tabellen finden sich die mit Hülfe
obiger Formeln für m und für c2(l — m), die Anzahl der normalen
Moleküle im "Wasser, berechneten Werte.
Den bei geringeren Konzentrationen gefundenen Werten ent-
nehmen wir für den Teilungskoeffizienten des normalen Benzoe-
säure- bez. Salicylsäuremoleküls die Werte 2*85 und 2*1; durch
Multiplikation dieser Zahlen mit c2 (1 — m) finden wir die Konzen-
tration m' der normalen Moleküle und im Ausdruck ct — m' dem-
gemäß die Konzentration der Doppelmoleküle im Benzol. Diese
Größen sind in Kolumne V und VI verzeichnet.
Hiermit sind wir nun in die Lage versetzt, eine für die Theorie
der Lösungen wohl nicht ganz unwichtige Frage zu entscheiden.
Wenn nämlich die in Benzollösung vor sich gehenden umkehrbaren
Reaktionen
(C6H5COOH)2 = CeHsCOOH + C6H5COOH und
(C6H4(OH)COOH)2 = C6H4(OH)COOH + C6H4(OH)COOH
dem Gesetze der chemischen Massenwirkung folgen, so muß der
m"
Ausdruck von der Konzentration unabhängig sein, die ge-
wöhnlichen Dissociationsgesetze bewahren mit anderen Worten
auch dann ihre Gültigkeit, wenn der Zerfall des zusammengesetz-
teren Moleküls in die einfacheren in Lösung vor sich geht. Be-
kanntlich würde dies bei der in wässeriger Lösung sich abspie-
lenden elektrolytischen Dissociation im Allgemeinen nicht der Fall
sein, wenn das elektrische Leitungs vermögen ein exaktes Maaß für
den Dissociationszustand darstellt, und nur bei den schwachen
Säuren fandOstwald einen, hier allerdings vorzüglichen Anschluß
der Gleichung der Dissociationsisotherme an die Beobachtungen.
Die Erledigung der Frage, ob die beobachteten Abweichungen ihre
Erklärung in dem Umstände finden, daß für den Dissociationszu-
stand das Leitungsvermögen kein genaues Maaß liefert, oder ob
thatsächlich unsere Anschauungen über die Konstitution der Salze
in wässeriger Lösung noch einer kleinen Korrektur bedürfen,
1) S. Arrhenius, Zeitsclir. f. phys. Chemie. 4, 96 (1889).
416 "W. Nernst, über die Verteilung eines Stoffes zwischen zwei Lösungsmitteln.
scheint mir von größter Wichtigkeit zu sein , und um so lieber
nahm ich denn hier die Gelegenheit war, auf einem gänzlich un-
abhängigen Wege eine Prüfung der Frage vorzunehmen, ob die in
Lösung sich abspielenden Dissociationen durch die bekannten Ge-
setze geregelt werden oder nicht. Die Antwort fiel entschieden
bejahend aus; denn wenn die in der letzten Kolumne von Tab. IV
und V verzeichneten Werte für — — 75 — auch nicht unbedeutende
m
Schwankungen aufweisen, so spricht die Regellosigkeit derselben
einerseits zweifellos dafür, daß sie mindestens zum großen Theil
von den in obigen Werten außerordentlich stark hervortretenden
Unsicherheiten der Messungen herrühren, und andrerseits wird,
wenn man die im Verhältnis von etwa 1 zu 200 variierenden Ge-
samtkonzentrationen in Betracht zieht, die bei alledem zu Tage
tretende Konstanz einigermaaßen überraschen.
Schließlich sei noch auf die große Veränderlichkeit des Tei-
lungskoeffizienten mit der Konzentration hingewiesen; während
bei großen Gehalten Benzoesäure sowohl wie Salicylsäure zum
weitaus größten Teile an das Benzol abgegeben werden, geht letz-
terer Stoff bei den erreichten Verdünnungsgraden zum größeren
Teile in das Wasser über und der Gang der Zahlen läßt kaum
einen Zweifel darüber aufkommen, daß bei außerordentlich gerin-
gen Konzentrationen beide Säuren überhaupt nur zu einem ver-
schwindenden Bruchteil an das Benzol abgegeben werden; die
ganz exceptionelle Stellung gerade des Wassers als Lösungsmit-
tels, welche sich in der Fähigkeit zeigt, die in ihm gelösten Stoffe
elektrolytisch zu dissociieren und ihnen ungewöhnliche Reaktions-
fähigkeit zu erteilen, erscheint hier in einem neuem Lichte. Hand
in Hand mit obigen Eigenschaften geht das deutlich ausgesprochene
Vermögen des Wassers, die letzten Teile gelöster Substanz frem-
den Lösungsmitteln gegenüber mit außerordentlicher Zähigkeit fest
zu halten.
Inhalt von No. 12.
W. Nernst, über die Verteilung eines Stoffes zwischen zwei Lösungsmitteln.
Für die Redaction verantwortlich: H. Sauppe, Secretair d. K. Ges. d. Wiss.
Commissions- Verlag der Dieterich' sehen Verlags -Buchhandlung.
Druck dei- DieUrich' sehen Univ.- Buchdruckerei ( W. Fr. Kaestner).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
19. November. J|g 13. 1890.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 8. November.
Riecke legt von sich vor a. „Das thermische Potential für verdünnte Lösungen".
b. „Ueber elektrische Ladung durch gleitende Reibung." c. von den Herrn
Privatdocenten P. Drude und W. Nernst „Ueber das Verhalten des Wis-
muth im Magnetfelde in seiner Abhängigkeit von der Temperatur und der
molekularen Beschaffenheit".
Voigt legt vor a. von Herrn Privatdocenten P. Drude, „Ueber die Größe der
Wirkungssphäre der Molekularkräfte und die Konstitutionskonstanten der
Platauxschen Glycerin -Seifen - Lösung", b. von Herrn Privatdocenten W.
Venske „Zur Integration der Gleichung J du = 0".
Klein legt von Herrn Franz Meyer, Prof. in Clausthal, vor: „Ueber Discri-
minanten und Resultanten von Singularitätengleichungen". Dritte Mittheilung.
(Vgl. Sitzung vom 2. August d. J.)
'Wüstenfeld legt für die Abhandlungen (Bd. 37) vor: „Die gelehrten Schäfi'iten
des IV. Jahrhunderts d. H."
Wiesel er legt „Einige Nachträge zu dem Aufsatze über weibliche Satyrn und
Pane in der Kunst der Griechen und Römer" vor. (Nachr. 1890 S. 385 ff.)
de Lagarde legt vor a. „Die Inschrift von Aduli". b. „Das hebräische Wort
ge"bhim". c. „Der Fluß Orontes". d. „Die Stichometrie der syrisch-hexapla-
rischen Uebersetzung des alten Testaments", e. „Xeiaapa".
F. Kiel hörn legt vor: „Erklärung zweier Stellen des Kävyädarca.
Weiland legt für die Abhandlungen (Bd. 37) vor: „Beiträge zur Kritik der
Chronik des Matthias von Neuenburg".
Nachrichten von der K.U. d.W. zu Uöttingea. 1890. Mr. 13. 35
418 Paul de Lagarde,
Kleine Mittheilungen.
Von
Paul de Lagarde.
Die Inschrift von Aduli.
Es war meine Absicht , mich in den goettingischen gelehrten
Anzeigen ausführlich über Eduard Glasers Skizzen der Geschichte
und Geographie Arabiens zu äußern.
Diese Absicht habe ich nicht ausführen können. Einmal nicht,
weil die zum Urtheilen nöthigen Akten (die ich übrigens, soweit
sie aus Inschriften bestehn, nur mit großer Vorsicht würde haben
brauchen dürfen) nicht allein noch nicht vollständig, sondern sogar
sehr unvollständig vorliegen. Zweitens nicht, weil aus der Be-
urtheilung, wenn sie hätte taugen sollen, ein Buch hätte werden
müssen, nicht ein Heft.
Ich greife daher für unsere Nachrichten Einen der vielen Punkte
heraus , die in einer Recension jener Skizzen zu erörtern ge-
wesen wären — man wird sehen, daß es so ganz leicht nicht ist,
Glasers Werk zu recensieren — , aber ehe ich an die Arbeit gehe,
spreche ich Herrn Eduard Glaser, dem hocherfreulicher Weise die
Philosophen Greifswalds den Doctorhut honoris causa aufgesetzt
haben, auch öffentlich meine Bewunderung für den Muth, die Opfer-
willigkeit und die Umsicht aus, mit denen er in Arabien gereist
ist, und den Wunsch, daß er noch lange Jahre mit gleichem Er-
folge wie bisher, und weniger als bisher angefeindet, der Wissen-
schaft möge dienen können.
Es handelt sich für mich jetzt um einen zwischen EGlaser
und ADillmann (Glaser , Skizzen 2 475 ff.) über die Inschrift von
Aduli entbrannten Streit.
Aduli schreibe ich, weil die Griechen (siehe unten) einen Ge-
netiv 'AöodXeüx; brauchen, also yA8ooXt<; gehört haben müssen. Daß
Yäqüt 3 623 15 ädaulay sprechen heißt, weiß ich: ebenso weiß ich,
daß mein Lehrer Friedrich Rückert in seiner , Symmicta 1 198 ff.
gedruckten, Uebersetzung der Muällaqa des Oarafa von Schiffen von
Adauli redet. Adauli = Adoli wird sich zu vA£ooXi-<; umgekehrt
Kleine Mittheilungen. 419
verhalten wie yA£a)(i.a zu dem nachmals im Lande üblichen Aksüm,
und J^cXc wird mit dem in der Uebersicht 549 ff. besprochenen d!w
zusammengehören.
Wer Aduli auf einer Karte aufsuchen will, bediene sich der
englischen Admiralitätskarte *) „Red Sea, Sheet 4", und suche süd-
lich des jetzt viel genannten „Massaua" (die Engländer schreiben
Musawwa) die Annesley-Bay : an dieser — aber jetzt durch eine
Stunde Sand von der See getrennt — lag und liegt Aduli, auf
italienischem Gebiete.
In diesem Aduli fand sich einst eine von Ptolemaeus Euerge-
tes und eine andere von einem eingeborenen, aber griechisch re-
denden , Könige gesetzte griechische Inschrift. Beide sind in der
Urschrift verloren, aber der Anfang der ersten, das Ende der an-
deren ist in einem griechischen Werke des sechsten Jahrhunderts
erhalten, durch einen Mann erhalten, der gar nicht merkte, daß
er die Bruchstücke zweier durch viele Jahre von einander getrenn-
ten Titel vereinigte.
Dieser Mann heißt Koalas 6 'IvSiTtoTrXsöoTY]«;, nicht, wie (meines
Wissens ohne Vorlage) IBekker im Register zu Photius 556 schreibt,
'IvSo7rXeuaTYjc : er schiffte ja nicht auf dem 'IvSöc, sondern auf dem
ivStxöv niXa^oQ. Man sehe über ihn des IAFabricius bibliotheca
graeca (Harles) 4 251 ff.
Von wem alles das in Rede stehende Monstrum von Inschrift
abgedruckt ist (sogar unser Lohenstein hat es in seine Cleopatra
aufgenommen) , lerne man von Fabricius a. a. 0. und von Boeckh
CIG 3 5127. Das Buch des Cosmas, aus dem zuerst Leo Allatius
die Inschrift herausfischte , ist vollständig von BdeMontfaucon in
der Nova collectio patrum 2 im Jahre 1706 hinausgegeben worden.
Eine neue Ausgabe thut dringend Noth: die ganze Cosmasfrage
muß von Neuem aufgeworfen werden.
Daß August Boeckh nicht auf die Handschriften des Cosmas
zurückgegangen ist, nimmt Wunder. Daß Herr August Dillmann es
nicht gethan hat, nimmt nicht Wunder, da wer Abraham Berliners
Onkelos als abschließende Meisterleistung feiern, wer die diploma-
tische Bezeugung des jüdischen Canons via ac ratione vor aller
Exegese zu untersuchen für unnöthig, ja schädlich halten kann,
offenbar andere Anschauungen von Kritik hegt, als seit Richard Bent-
ley bei uns gewöhnlicheren Philologen verbreitet sind. Was ich 1882,
mich auch auf FrField und FrDübner berufend, in meiner Ankün-
digung 50 über BdeMontfaucon geurtheilt habe, konnte der 1879
1) Zu kaufen bei JDPotter, 31 Poultry, London, und nicht theuer.
35*
420 Paul de Lagarde,
scli leibende Herr Dillmann nicht gelesen, er würde es freilich auch
wenn er es gelesen hätte, mit der allen meinen Arbeiten gegen-
über bei ihm üblichen grimmen Unlust bei Seite geschoben haben.
EGlaser war als Astronom nicht verbunden die Methode der Philo-
logie und den Ruf Montfaucons zu kennen.
Was Herr August Dillmann zu thun für unnütz erachtet hat,
habe ich jüngst gethan: mich um die Handschriften des Cosmas
gekümmert.
Vaticanus graecus 699, wirklich quadratus, in zwei Spalten
auf der Seite beschrieben, mit Bildern geziert, deren Farben star-
ken Schaden gelitten haben, enthält auf Blatt 1385 bis Blatt 14*i9
die in Rede stehende Inschrift, soweit sie mich angeht. Die Accente
sind zu der späten Unciale noch später zugesetzt: ich nehme auf
sie so wenig Rücksicht wie auf die werthlosen und zum Theil
selbstverständlichen Aenderungen des mit dem Accentuierenden
wohl identischen Correctors : einiges Wenige, was ich gebe, schien
nothwendig. Was ich mit Cursiva habe drucken heißen, steht 4
27 — 29 32/33 35 40 — 43, ausdrücklich als 7rapaYpa<p7] bezeichnet, im
Texte, hingegen 10/11 16 21/22 von der Hand des Textes am Rande:
wo sich im Texte rcapaypa^T] findet , hören die Obelen auf , durch
welche die Inschrift vor der Zeile als Citat bezeichnet wird. Die
Anmerkungen, die als wirkliche ;rapaYpa<pal am Rande erscheinen,
sind durch dasselbe QuecksilberRoth, mit dem vom Schreiber selbst
7rapaYpa<pY] geschrieben wird, sicher in den Text eingewiesen.
Florentinus der Laurentiana 1X28, Blatt 391 u bis 4022. Ban-
dini ist leicht einzusehen. Angeblich aus dem zehnten Jahrhundert.
Der Wiener Codex kommt nicht in Betracht, da das kleine Stück
über das schon Lambeck 3 9 handelte, wie bereits Montfaucon be-
richtet hat, nur wenige Seiten umfaßt, und (was Montfaucon nicht
gemeldet) die Inschrift von Aduli nicht enthält. Ich wandte mich
mit der Bitte zu helfen an WvHartel, der seinen Schüler, Herrn
Doctor Rudolf Beer, mit allem Weiteren betraute. Ich bin dem
Herrn von Hartel wie Herrn Doctor Beer zu warmem Danke für
ihre Unterstützung verpflichtet. Herr Rudolf Beer schrieb an Hartel :
Ich habe mir den Codex, heute Theol. graec. 230, kommen
lassen und folgendes gefunden.
Nach dem von Lambeck und Nessel mitgeth eilten Titel
folgt noch der von ihnen ausgelassene Zusatz jisptttd * jxaXXov
8e rcpös töv s£ö) ; also jedenfalls Bruchstücke, schon vom Ab-
schreiber so gekennzeichnet. Die ersten Worte Trpwrov piev
oov stimmen nicht mit dem Anfang; sie finden sich Mont-
faucon p. 117 D; dann geht der Text der Hds weiter bis
Kleine Mittheilungen. 421
fol 32a xa rcaVTa oox lott (Montfaucon 124 B Anfang) und mit
der Schlußnotiz t£Xo<; za rcepl toötoo.
Die zweite Abtheilung beginnt gleich darauf mit den
Worten : X^st toivov 6 0-slos 7toa«ioYpa<poq Mwöot^ (Montfaucon
p. 126 A Ende) und geht — mit einigen Auslassungen — fort
bis fol 34a (Montfauc. p. 130 B Ende) 8i7]ifoövcai tyjv §ö£av
-9-soö mit einigen wenigen Zeilen, einem Appendix über ein
erklärendes Schema.
v Da nun der Text der Urschrift bei Montfaucon p. 141
beginnt, so ergibt sich klar, daß unsere Handschrift den
gewünschten Text nicht enthält, beziehungsweise nicht so
weit reicht.
Natürlich kam für eine von Cosmas mitgetheilte Urkunde der
Styl des Cosmas nicht in Betracht : wohl aber kamen die 7rapaYpa-
^ai und o^öXia für mich in Betracht, die Cosmas in seinem Buche
bietet. Ich habe, so lange ich auch Montfaucons nova collectio
besitze und benutze, über diese rcapafpoupai und o/öXia Studien nicht
gemacht, weil ich sie ohne die Handschriften verglichen zu haben,
nicht machen konnte. An diesem Punkte bin ich also verwundbar.
Ich theile zunächst den Text des Vaticanus [R] so wie er
von der ersten Hand geschrieben ist, mit, und lege ihm die Va-
rianten des Laurentianus [F] unter. Danach werde ich die Ur-
schrift hergestellt geben, mit richtiger Eintheilung, und werde Er-
läuterungen beifügen, die für Dillmann gegen Glaser entscheiden.
Auf Geographisches darf ich mich nicht einlassen : mir fehlt die
Muße, mich ausreichend zu orientieren.
1 {isfr' a ÄvSpiwaag m jjiv e^fiata ioö ßaaiXeioo s&vy] elpTjveuead-at xe-
&9-VOC srcoXip/yjoa, ercita Afa^s vtai Xiyoyjvs vix^aas , tyjv i^toiav rcdv-
i dtvopeuoaaa F Licht von zwei Seiten einfiel) das /j die-
i nach ßaöiXefou + fxoo F ses Worts auf einer Rasur zu stehn
2 zu yaCT) hat die erste Hand in F später 3 ui^tjv £vha]<ja F. Zu seinem oiyürjv
ein a hinzugefügt, am rechts beschnit- hat F unmittelbar hinter dem zu z an-
tenen Rande hatF o/dXtov ya'Crjv X^yet xoi>c geführten a/dXtov, aber mit eigenem Ver-
[d]^{ü[).kaa aypi [jap xal] xoo vuv dyccCir) du- Weisungszeichen, am rechts beschnittenen
xoua <Svofj.d[Cou]ai Rande, aiy6r)v *« [«»] öouaxivixo [***] xotl
3 eOvrj F xd iyyba dox<üv 20vr)
3 ImnoL F 3 ^(aetav F
3 ayot|j.7] und dem vielleicht später ein 3/4 7ravxu)v bis aua Rs ersetzt F durch
v nachgefügt F: mich däuchte (an ei- xßv *ap' doxota kccvxwv xal aOxwv £p.epi-
nem dunkelen Morgen, au dem mir das cwtjwQv aoa
422
Paul de Lagarde,
T(OV twv rcap5 atkois xal aov £|xep7]aa|i,... Aoa Tiajua, xovg Xeyo/xevovg
5 TZictfioo, na\ xovg TafxßeXa nal xa iyyvg avxov Xkyei l%vr) xa. itepav
tov NeiXov xal Ziv^aß^vs xat Ayfaßs Tcal TtafJiaa Kai Aftayaoo? xal
KaXaa xai Sajitve l'ftvo«; rcspav toö NsiXoo Iv SooßÄTOu; xal XL0lk~
vibSsoi opsoi olxoövta?, Iv otc 8ia Traviöc vi<psioi xai xpörj xai yiovzc,
ßafttai, <*><; [li/pi YovdTcov xaraSosiv tov avöpa, töv nom\Lbv Siaßd?
10 ürc£Ta£a. IrctTa Aaatvs xai Zaa xai TaßaXa \xa\vxa M^vr; [&»]g xrjg
6fine[pov\ otixaog naXovvxai olxoövcac Trap' o'peat -ö-epfwov oSdxwv ßX6-
ovtt xal xarapUTot), AiaX^to Ttal Bsya xal xa aov ahzolc, s&vyj Tudvira.
TaYYatTwv ^a {li/P1 tü>v ty]<; Aiyutttoo opiwv olxoövTa? orcoT&£as rcs-
Ceöea&ai sTtoirjoa ttjv 6Söv arcö twv t^<; s^c ßaaiXias totcoüv (Ji/pi
4 auv vonRczu auxouv ergänzt, duxwv F
4 Rc hat r] von e(j.ep7jaafx zu t radiert,
und leider das Ende dieses Wortes so ver-
schmiert, daß ich weder was Er gewollt
noch was R geschrieben, entziffern kann.
R°s Accentuierung weist auf IfjieptaafXYjv,
das F wirklich bietet
4—6 die 7rapaYpacp)] hat F im Texte
4 Tiafxa R, xou Ttafxöi F
5 F betont xCtapiüi und yap-ßeXd
5 duxoiv F
6 CtYYotß-jrjve F
6 zu ayyaße hat am Rande F a^o'Xiov xd
lyyua d8o6X X^yet eftv?) xü>v xiyp7]xavöiv, WO
der Name der Stadt am unteren rechten
Ende des X den bekannten Strich, und über
dem X eine mir unlesbare Abkürzung dar-
bietet
6 ttafxa F
7 GefATJvat F
7/8 /toviuSeaiv opeaiv F
7 möglich daß die Rasur Rs den rechten
Schenkel eines o> vertilgte: mir geht sie
dafür allerdings zu tief nach unten: 0
ist aus etwas Anderem hergestellt
9 ßcc#6xaxot [so] F
9 xaxa&uveiv ohne folgendes tov F
10 ?7retxa F
10 das Verweisungszeichen in R schon
bei Xaaive. Der Rand links beschnitten:
was ich ergänze, steht zwischen []. xaüxa
2$vt] könnte sich hier finden, wie es sich
33 wirklich findet: vergleiche zu 23, aber
auch 45. Die Beischrift xo/n fehlt inF
11 opeat klar die Hdss. Wir brauchen
einen Singular, da ßXuovxi und xaxapuxw
folgt. Da der Mann 44 46 'Apeet schreibt,
traue ich ihm hier opeei zu
11/12 ßXuCouat F, aber Coua von erster
Hand auf Rasur
12 natürlich leistet Rc xaxappux<o. xa-
xappuxoia F , aber 0 halb , ia ganz , von
erster Hand auf Rasur
12 zu axaX;xw an dem links beschnit-
tenen Rande F [xo]ua ßX^uaa [*] waty
xaXouaiv ol dtth'oTtea : xay[ya£xa]a xaXet xoua
axia**' xal xoua d§pa**a: — , wo das xi von
dxta mir nicht sicher ist
13 .x.ayyouxaa (das umpunktierte x steht
in der Hds. dicht am a) F, dessen Akut
jünger als der Text ist, während der
rechte Theil des letzten a und das ganze
ö von erster Hand auf Rasur stehn
13 statt xd F jetzt xoua, indem aus 0
ein « hergestellt ist. Der rechts unten lie-
gende Theil des a ist von erster Hand.
Der über a stehende Gravis ist jung.
Vermuthlich stand zuerst xwv da
13/14 ich merke an, daß auf dem Bil-
derblatte, das vor 13 vorhergeht, aiOioTres
TceCeuovxe? abgebildet sind : ein kupferfar-
biger Mann , der über der linken Schul-
ter einen Stab trägt, und am hinteren Ende
des Stabes hangend, eine Last
14 ßaaiXefaa F
14 zu (J^XP1 fügte man in F später
(nicht das in F meist auch am Schlüsse
der Wörter verwandte a, sondern) c hinzu
Kleine Mittheilungen.
423
15 AIy&ätod. £rctta Avvtjvs xai Msttvs Iv aTroxpi^voic oixoövtac opsai.
Xeaea [r]a xr\g Bapßa[p]iag $$vrj ivravSa SrjXol l'#VO<; iftoX£[Uoa, 00«;
xai [jiytarov *ai Soaßardratov opos dvcX&övras rcspuppoopTJaag xaiTJ-
yayov xai a^sXs^a^YjV i{xaoT(p tou? ts vsoog aDTwv xal Y^vaixac xai
7:aiSa<; xai TrapftsvotK xai rcaaav ttjV ü7rdp/ooaav aoTOt? xtiotv Paoaä)
20 s'^vy] jj.saoyia Xißavotocpöpcov ßapßdpwv otxoövra ivcös TraiStcav [isydcXcov
avoSpcov. xai EoXars 2oXate XeydfxEvoi ai oi nopo% oi in\ rrjv
Bapßapiav g-9-voc urceta^a, olc, xai toü? atYtaXouc ti)c -ö-aXdaoT]«; <po-
Xdaosiv sxsXsoaa. Tauta 8k rcdvra xd s^vyj opsot la/opoic 7re<ppoo-
pvjpisva aoiöc £y<b ^v Ta^ ^Xat^ rcapoov viXTJaa? xai 07T0Td£ac, l^a-
25 piad{iY]v aoioic rcdaa«; xd<; /wpac Iftl <pöpoi?. aXXa ös rcXtOTa I&vt]
ixovca 67T£idYYj [aoi sttl <pöpoi£. xai 7r§pav Ss Trj<; ipuftpas -ö-aXdaaYjc
olxoövrac 'Appaßiiac xai KtvsSoxoXTCi'cac 'Appaßitag na\ KivaidonoX-
itixag tovg eis tbr rO]X7)pitr\v örjfxairEi, xovx iörl tolg £v ty svdai/tovi
'Jppaßia, OTpdTSO(xa vaoaxöv xai ttsCixöv Sia7U£[i/j;d^svoc xai 07roTa£as
15 eTceixa F
15 dwt've F. dazu am links beschnit-
tenen Rande [dvvi've] xal \xzzhz : e^xi xai]
vuv xaüxa xd e[#v7] ojuxw xaXoüvxai: — ,
wo l der Hds. gegen meine Ergänzung
nichts beweist: vergleiche dxufxoXoyfa =
exoi|xoXoyfo GHoffmann ZDMG 32 736
15 öbroxp^jAvota F
15 opeaiv F
16 die Randschrift Rs links vom Buch-
binder beschnitten : die Randschrift fehlt
in F
16 iz.6ki\irfx F
17 öuaßaxioxaxov F
18 d von d7:eXe^d{XTjV von Rc , der am
rechten Ende der Columne seine Auf-
frischungskünste getrieben hat. eVeXe-
(jdfATrjv F
19 XT7JGIV F
19 jtauaüv F. dazu am links beschnit-
tenen Rande [xd] x9ja ßapßapfaa £[öv]r)
>iyei, worin das erste ßap von ßapßapfaa,
nicht von erster Hand, über der Zeile
20 pieao'yeia F
20 Xeißavioxocpo'piovF1, Xißavwxocpdpiov F2
20 ofxoüvxaa dvxoa Tteohov [j.ey(ax<üv F
21 aiüXdxe F. dazu am links beschnit-
tenen Rande [a]ioXdxe ydp, xoua [xaxd x]tjv
ßapßapi'av [xiy]pr)xaa xoua 7ia[paX]foua \i-
yei. die erste Zeile des Scholion war als
erste eingezogen, daher nur Ein Buch-
stab ergänzt zu werden braucht, xiy in
xtyprjxa« und paX in napaXioua ist durch
die zu 23 folgende Glosse sicher
21/22 die Glosse Rs fehlt in F. Sie
steht am oberen Rande des Blatts, und
ist sehr verblichen
21 7iopo& könnte uopeft gelesen werden
23 zu ix^Xeuaa am unteren Rande Fs
die Glosse fj^xpt xoü vüv 6'Xoi ol xiypVjxat,
xd 7rapdXia oJxoüai fjiprj. ütco dSouX/ [über
X noch ein Abkürzungszeichen, das ich,
da darum umherradiert ist, nicht aufzu-
lösen verstehe] fxfypi x<Lv xrja ßapßaptaa
xd7TUJV
23 xd R am ZeilenEnde: vielleicht Zu-
satz Rcs
23 opeaiv F
25 7iXeIaxa F
27 das andere p im ersten dppaß^xaa
in F (vielleicht, aber kaum, von erster
Hand) über der Zeile. Dazu am rechts
beschnittenen Rande dpaßfxaa (ein ande-
res p hinzugeschrieben) eVr[aüOa] xoua
6(j.Tjp(xaa [xa]Xe!: xal xivat8ox[oX7r(]xaa, xoua
7rap' dX[Xoia] d8av£xaa xaX[oujj.^voua]
27 Mitte xivat5oxoX7r(xaa F
27 — 29 die Beischrift fehlt in F
28 xoi« am ZeilenEnde in Rcs HandR
424
Paul de Lagarde,
30 autwv toü<; ßaoiX£as , (pdpoos ttjc f^S rsXstv IxeXsoaa xai oSsoea&ai
jieT5 etpTJvirj? xai TcX^afrat. arcd is Xeoxtjs xo^Y]«; Ioös t<üv Eaßaiaw
/wpac iTCoXd{JL7]Oa eis xh fxipr} x&v BAs/ifiVGor idxlv Hoojxrf naXovjxkvr}
xb AevHoyTjy. 7üavta 8e Taöta sß-VT] 7up6yco<; xai (iövo<; ßaaiXecov
täv 7rpö S[ioö bitizaia, dC t)v s/co Trpög töv ^syiotov fteöv [ioovAp7jV
35 e&^apiaieiav ^aßaioov x^Pa tf^Aiv ete ibv cOjnrfpix7]v idtiv oc, {is xai
£7§WT]ae, St' oo Tcdvia xa £\>vt] ia 6[Xopoövca t^ I{i^ 7^ octüö |i£V a-
vatoX^? t^XP7] ^ Xtßavot:o(pöpoo, arcö 8s Suasw? [Ji/pT] twv T7)<; Al-
dioTria«; xai laaoD töttcov 61c5 i^aoTÖv £iroi7]oa..ev aorö«; 870) sX$<bv
xai vixVjaac , a §£ 8ia7T£|i7rd[i£VOs , xai iv eipTJvifl xaraor^aac rcavta
40 TÖV Oft' £[*oi XÖGJJIOV a{5r77 ^ 2adov x&>Pa vdxäxr\ idtiv x&v AlSiö-
itoov , UvSct Tiai rto\v xpvöiov idxiv xb Xeyöuevov xayxapa<s. ineneiva
öh xavxijg b oaneavbg napdcHEixca, &d7tsp uoä x&v Bapßapeoox&v x&v nai
xbv Xißavov i/*7topevojLiivGov, xaTTjXaJ-OV SIQ TTjV ASooXl T(j) Alt Xai Tt]>
vAp££i xai t(j> IlootSwvi ftoaiaaai orc&p twv ^Xol*Co{i£vcov. aftpoaag §£
45 [J.00 ta OTpaTEü^ata xai i^' §v ftonjoac Im toutij) T(j> totccj), xaft^aa«;
TÖvSe töv öi<ppov 7uapa&7]XY]v t(j) vAp££i Ircoiiqaa, Itt vqq £|X7js ßaat-
Xsiac xC.
31 xdpL7]a F. zu XeuxTJa xdpnqa F am
rechts beschnittenen Rande Xeuxrjv xdi^v
xfaXet] to Xeydfjievov Xeu[****] hei xd (jiprj
T<I>v ß[X£(ji](X'ju)v, ov roxpd $[dXaaaav]
31 aaßewv F. dazu am rechts beschnit-
tenen Rande aaßewv ywpau** xov 6(j.r|ptX7]v.
ich kann nur 0, nicht v, lesen
32/33 die Beischrift fehlt in F
33 nach xauxa -}- xd F
34 Trpo;>F
35 eftyjxptaxefav auch F1, lu^apioxtav F2
35 die Glosse fehlt in F
36 zu tiaro F am rechts beschnittenen
Rande adaou xai Xißavu>[xo]cpdpov xaXeT,
tolg xü>v dtfti<$7riuv ^(upa[a] pirjadcou, e^a
vo[tov] xai Buatv xet(x^v7j[v] X7jv Se ßapßa-
p[(av] efc vdxov xai dvax[oXr]v] xet^vr^v
ßap[ßap(a] 8i dsxiv, ^j xov Xi'ßafvov] 7roiouaa
yi]. +i h[i] adaou X^Pa' üax[dxrj] laxl xaiv
dtötd7r(ov. Ivd[a xai] ttoXu 5(pua(ov iaxl x[6
Xe]Ydfxevov xdy^apa;. [d7ti]xeiva 8e xaoxirja
[6 i?j]xeavoa 7iapdxetxat. a>a[7rep] xai xdiv
ßapßapetoxüiv [xüiv] xov X(ßavov ^fjnropeuo-
fjivwv. Man sieht, daß die Ergänzungen
nicht gleich groß sind : man wird sich
auf die Notwendigkeit, kleine Aenderun-
gen aus einer vollständigen Hds. aufneh-
men zu müssen, gefaßt zu halten haben.
Die Worte xov Xtßavov IjjLTropeuofj-evwv stehn
nicht zur Seite, sondern unter der Kolumne
37 beide Male jxlypi F
37 Xtßavcoxocpo'pou F
38 [j.tjv von e7Toi7]aap]v Rcs jetzt ver-
schmiert: vier Buchstaben sind in R
dagewesen , vor v jedenfalls ein t. was
R gehabt hat, das hat F noch heute,
und druckte aus F Montfaucon, nämlich
i7rofa)<5a & jjtlv
40—43 das kursiv Gedruckte fehlt in F
43 doouXrjv F, in dem der Accent jetzt
radiert ist
43 aSouXi von Rc in aSouXrj geändert
44 d'pe't F
44 TcoöetSwvi F
44 0 von TrXo't'Copiivwv in F auf Rasur:
war wohl einst u>
44 d&pofoaa F
45 vKp' F
45 xaJHaaa F
46 d'pe't F
46 Ixi auch F1: Ixet Fa, in dem et auf
Rasur steht
47 itxoaxü) eßSdfxca F (ohne 1 adscr),
wo eßSo'fjuu alt auf Rasur
Kleine Mittheilungen. 425
Ich heiße nunmehr die Inschrift in der Gestalt wiederholen,
in der sie modernen Gelehrten , die wenigstens noch ein griechi-
sches Wörterbuch zu benutzen verstehn, verständlich sein wird.
A 1 fie$' & dvdpEicböag ,
2 xa /mv Uyyiöxa xov ßaöiXsiov fxov l%vr\ ElprjvEvEöSai nsXEvdag,
3 ijtoXk/xrjda, nai vitkxaB,a fidxaig, xa. vitoyEypa/x/ikva ^vrj.
lTd8,rj% £$vrj iitoXk/.ir}6a.
2$7t£ixa Aya/ie nai 2iyvrjvs b vmrjöag , xrfv f/ßiöEiav ndvxoov x&v
itap' avxoig nai avxdov i/xEpiödfxrjv.
3Ava nai Ziyyaßrjve nai Ayyaßsc nai Tia/iad nai ASayaovg nai
KaXaa nai Sajaivs , £$vog itkpav xov NeiXov iv dvdßdxoig nai
XiovdoSEdi öpEöi oinovvxag , iv olg Sia itavxbg viq>£Xoi nai npvrj
nai x^oveg ßaSeiai, dag fxkxpt yovdxcov naxaövEiv xbv ävSpa, xbv
noxafibv diaßag vitkxaB,a.
A£it£ixa Aa6iv£e nai Zaa nai TaßaXa, oinovvxag nap öpEEi $£pn6av
vSdxoov ßXvovxi nai naxapvxa) ,
bAxaXfj,Go nai Bsya nai xa 6vv avxoig ^vr\ itävxa.
^Tayya'ixobv xa fikxp^ t&r xrjg Aiyvnxov bpioov oinovvxag vitoxd^ag,
itESyEvEd^ai iitoir}6a xr\v böbv dito xgüv xfjg ßaöiXsiag xdnoov
jUEXPi Aiyvitxov.
^IrtEixa Avvive f nai Mexive iv &7tonprjfivoig oinovvxag öpsdi.
*2E6£a £$vog inoXkurfda, ovg nai fxkyi6xov nai Svößaxcoxaxov öpog
dvEXSövxag 7t£pi<ppovpydag naxrjyayov , nai iit£XEB,d/nr]v ipiavxa)
xovg xe vkovg avxdbv nai yvvainag nai TtaiSag nai itapSkvovg
nai 7tä6av xr/v vndpxovöav avxoig nxf\6iv.
9Pavdoove £$vrf, /jLEöoyEia XißavGoxoq>6pGov ßapßdpoov oinovvxa ivxbg
7tEÖicov fiEydXoDV dvvdpaov, nai 2oXax£h £$vog bitkxaB,ay olg nai
xovg aiyiaXovg xrjg SaXddör/g cpvXdööEiv inkXEvöa1.
a TctCTj li'(ii tous ÄSüifj-tTa;* ot/pt ydp Reichs 196. ^Lib räth mir, Genesis
xal vüv ÄyaCr| a6xou; <ivo|j.dCöuai. Der 1080 -)£^ herzustellen, Mittheilungeu
Scholiast weiß sich also der Zeit nach 2 26
von dem schreibenden Könige unterschie- e xauxa xd eihnr) g(o; tt); a^fxepov oütoo
den. Cosmas selbst glaubte Sätze des xaXoüvxat
Ptolemaeus Euergetes zu lesen. Ag:äzi, f Ixt xal vüv xaüxa xd g&vi) oöxiü xa-
Dillmann WB 1189 Xoövxat
b das Scholion zu XtyuTjve ist (wenigstens g xd xy); Bapßapta« IOvtj Uyzi
von mir) nicht herstellbar: siehe oben h SioXdxe ydp xou; xaxd xrjv Bapßapfav
c xd lYY^^'ASouXecus X^yei eftvTj xöiv Tiyprj- Tiyprjxa« xou? raxpaXfouc X£yei F. Rs Glosse
xavüiv ^ sehe man oben im Texte : sie ist zum
d Tiafxa xou; Xeyo|jivou; TCtafxui xal xou« Theil unleserlich , aber auch sie sucht
Ta|j.ßeXd xal xd lyfjz a6xwv )Ayei Iftvrj xd ihre SoXaxe in der Bapßapfa
7r^pav xoü NefXou. Aethiopisch geschrie- i |jiypi xou vüv 6'Xoi ol TtypfjXat xd nca-
ben Qeyam auf der Inschrift von Aksum: pdXia oixoö<n (jiprj dno 'A?o6Xeu); p^ypt
Dillmann, die Anfänge des axumitischen xwv xffi Bapßapfa; x^ttcuv
426
Paul de Lagarde,
4 xavxa 81 nävxa xa ^vrj öpsdi Idxvpoig nEtppovprfjuEva avxbg iyoo iv
xaig fiäxaig napoov vinrjdag nai vnoxä£>ag, ixapiddßtjv avxolg nädag
xag x^PaS txl <pdpoig.
5 äXXa 8e nXEidxa iSvrj kndvxa i)nExdyr\ fxoi inl cpopoig.
B Kai nipav 8e xfjg ipvSpäg SaXäddrjg oinovvxag Apaßixag* nai Kivai-
SonoXnixag dxpdxEvjia vavxinbv nai nsginov Siansjuipdfisvog , nai
vnoxäZag avxobv xovg ßadiXeag, qtopovg xr\g yfjg xeXeiv iniXsvda,
nai böevedSai hex elpTfvrjg nai nXssdSai dno xe ÄEvnfjg HGo/urjg1 ewg
xgdv 2aßaicovm x^PaS inoXEfxr\da.
C nävxa 8e xavxa xa £%vr] np&xog nai juovog ßadiX&oov x&v npb ifxov
v7t£xaB,a Si r\v k^x00 xpbg xbv jusyidxov Seov ßov "Apr/v svxapidxiav,
8g jue xal iyivvrjdE , 8i oh nävxa xa £$vrj xa bjuopovvxa xfj i/ifi
yy äitb juev dvaxoXfjg juixpi rVS XißavGoxocpopov , dnb 81 dvdEGog
juixoi xobv xrjg AlSioniag nai 2ädovn xonoov -ön ijuavxbv inoirjda,
et filv avxbg iyoo iXSoov nai vinrjdag, ä ös 8ianEjanöju.Evog.
D Kai iv Eipf)vrf naxadxr/dag itävxa xbv -bn' ijtiol nödjuov , naxf/XSov sig
xr/v ASovXi, xgd Jil nai x<& "ApEEi nai xgü TLodEiÖGovi Svdiädai vnsp
XGOV 7tXGDl£0JJ,EVGDV.
dSpoidag 8e ßov xa dxpaxEvjnaxa nai vg> sv noir/dag inl xovxcp reo
xonoo, naSidag xovSe xbv Sicppov napa$f)nr/v x&> "ApEEi inoirjda
Ixei xfjg ifirjg ßadiXsiag n$.
k 'Apaßixas £vxaü$a xous *OfJt//jpixas xa-
Xa , xal Kivai8oxoX7rixas xous Tiap' d'XXot?
'ASavt'xa? xaXouf/ivou? F. 'Apaßixas xal
KivaiSoxoXTrtxa? xoo? d<; xdv 'Ofr/jpi'xTjv ar)-
(j-aivei, xoüx' iax\ xou« iv xtj euSaifxovi'Apa-
ß(a R
1 Xeux7jv x(i){A7]v xaXeT xo Xeydfxevov Aeu-
**** ^7tl xa fxepYj xuiv BXe|x(jLUU)v ov Ttapd
fta'XaaaavF. Da die Blemmyer ohne Frage
in Afrika wohnen, undHaurä ohne Frage
in Arabien liegt, kann der Satz desScho-
liasten nur bedeuten , Haurä liege der
Stelle der africanischen Küste gegenüber,
an der die Blemmyer sitzen. Elz xd jiipr)
xüiv BXe[xp.uü>v icrxlv xwpiv] xaXouptivr) xo
AeoxoYTjV R
m Saßafcov /(upa udXiv e{; xov'OfxrjptxYjv
laxh R. über F siehe zu Zeile 31
n V) 2daou /wpa £)axdxr] iaxlv xüiv A(-
Üi6tuüv, h%a xal 7:oXu ypuafov iaxlv xo Xe-
ydp.evov xayyapa;. liz&xzwa U xauxyj; 6
ibxeavo; Tcapdxetxat, wcfTOp xal xüiv Bapßa-
psojxüiv xüiv xal xöv Xfßavov i(j.7ropeuo{xdvouv
R. F Sdaou xal Xtßavioxotpö'pov xaXeT xd;
xüiv A{$id7Tü)v ywpa?. xal xyjv pi-ev 2daou
d<; votov xal Buötv xeiptivrjv, xtjv 8e Bapßa-
ptav elz voxov xal dvaxoX7]v xet{j.^vrjv. Bap-
ßap(a Se daxlv ^ x6v Xißavov Tiotoüaa y7). ^
oe Sdaou ytopa üaxdxirj laxl xüiv A^iottiov,
iv&a xal TtoXu ypuafov daxl xo Xsyo'pievov xay-
yjapac i7iixeiva Se xauxrj? 6 (uxeavog 7ia-
pdxetxat, wöTiep xal xüiv Bapßapeüixiüv xüiv
xov Xfßavov £{ji7ropeuo[jiviov. Ueber xayyapas
vergleiche man was ich 1856 aus MVde-
LaCrozes armenischem Wörterbuche in
meinen Reliquiae iuris ecclesiastici anti-
quissimi graece ix x mitgetheilt und selbst
gesammelt habe, ferner meine 1866 er-
schienenen gesammelten Abhandlungen
22718ff., CHaeberlins Schrift de carmini-
bus Graecorum figuratis und die eben
erschienenen Nachträge zu derselben im
Philologus von 1890 Seite 279 wegen der
dort gegebenen Nachweise. ADillmann,
über die Anfänge des axumitischen Reichs
200, hätte ausschreiben sollen, was er
aus Cosmas [1394] citiert ypuafov u>; $£p-
(xta x6 Xeydfjtevov xayydpav [Accusativ].
Kleine Mittheilungen. 427
Der Barbarenfürst hat seine Inschrift, wie man nunmehr wohl
zugeben wird, gut disponiert. Da manche Zeitgenossen die Disposi-
tion bisher noch nicht begriffen haben, wird es nützlich sein, außer
durch die durch die Art meines Satzes gegebenen Hülfsmittel noch
durch »adminiculierendes Beiwerk« den Gedanken des afrikanischen
Königs Verständnis zu schaffen.
Wenn bei B mit xai — §s Arabien auftritt , so ist vor B von
Arabien nicht die Rede. Folglich wohnen alle in A vorkommenden
Völker in Africa. In C nennt unser König zuerst die von Osten
bis zum Weihrauchlande, dann die vom Westen bis nach Aethio-
pien und dem Lande Sdaoo an sein Stammgebiet grenzenden Völ-
ker. Da ich nicht weiß, wie weit seine Majestät Griechisch ver-
standen hat, möchte ich aus der von ihr zweimal angewandten
Phrase octtö— [li^P1 nichts schließen. Hier werden die Geographen
uns das Griechische verstehn lehren müssen, nicht wird das Grie-
chische der Inschrift Aufschluß über Probleme der Geographie ge-
ben. Der Usurpator gieng vom Binnenlande aus. Die Xtßavo)ro(pöpoi
ßdpßapoi, von denen die Inschrift redet, wohnten in Africa : Kenner
der Pflanzengeographie und der Botanik müssen sagen wo dort
die Weihrauchstaude vorkommt : dann werden wir auch wissen
wo die A 39 genannten Paoaoi gewohnt haben. Ich habe zu mei-
ner Belehrung nur AErmans »Aegypten und aegyptisches Leben«
659 ff., Jacob Kraus Schrift über das Land Punt (Sitzungsberichte
der Wiener Akademie der Wissenschaften, historisch-philologische
Klasse 1890) und JLiebleins Aufsatz »der Handel des Landes Pun«
ZAegSpr 24 7 ff. zur Verfügung : HBrugsch ebenda 20 33.
Durch das Land der Ta^aizai hindurch sicherte sich der Kö-
nig eine von seinem Stammgebiete nach Aegypten führende Kara-
wanenstraße, auf der man [durch Neger] Lasten tragen lassen
konnte (A 3 e) : er sicherte den Waaren in Arabien von Aeuxy] Ttwfnrj
= altjaurä (bei dem die 'Apaßtiai gesucht werden müssen) bis
Adan (wo nach der Glosse und nach dem Zusammenhange die Kt-
vatSoTtoXTutiai zu suchen sind) den Durchzug, und sicherte ihnen
Fahrt auf dem mit dem Landwege parallel laufenden Meerwege.
FdCrj sind Afa\Lix<xi: daraus folgt mir, daß der Redende, der
sie bekriegt, nicht zu ihnen gehörte , nicht in Aksum von Anfang
an zu Hause war. Er mag ein Condottiere gewesen sein, der sich
Aksums bemächtigte, und von da aus sich die Nachbaren dienstbar
machte, so weit es für seine Pläne nöthig schien. Er behandelte
die verschiedenen Völker verschieden.
428 Paul de Lagarde,
Und die Zeit der Inschrift?
Hätte Deutschland nicht versäumt, zur rechten Stunde gegen
Rußland Krieg zu führen, so würde England die sich ihm in Africa
bietende Gelegenheit, für das auf alle Fälle einmal irgendwie ihm
verloren gehende Indien Ersatz zu finden , nicht gegen Deutsch-
land, Frankreich und Italien habe benutzen können. Indien wäre
ihm dann auch kaum bedroht gewesen. Die Analogie ist schla-
gend. Unser Africaner wird durch die Lage der zwischen Parthern
(oder aber Persern) und Römern schwebenden Politik in den Stand
gesetzt worden sein, sich am rothen Meere einen Handelsstaat zu
gründen, der dies Meer bis Bäb almandab schließen konnte. Er
war also ein Feind der Römer, aber kein offener, da er mit Aegyp-
ten handelte : er hatte sich durch seine Politik die Möglichkeit ge-
schaffen, den von Clysma und Aelana ausgehenden Handel Roms
lahm zu legen. Er that das vermuthlich ohne darüber zu reden
daß er es that. Sein vAp-qq ist der in meinen Mittheilungen 1 108r
vorgestellte persische VereTraGna = Bahräm = Mahram. Persien
und Rom müssen beide gehindert gewesen sein, in Erythraea sich
unnütz zu machen, als dieser Usurpator sein Reich gründete.
Bapßapia ist, was ausdrücklich zu sagen angezeigt scheint,
nach Ptolemaeus (Ald-ioiziaq zy\z £>7rö Aiydtctov -frsais) zu verstehn:
MöooXol D7iep zb 6{j.ü)vu(jlov oapov zai i|X7röpiov 7) §£ Ivisödev (Ji^pi toö
Paftroö TUOTajioö 7uapaXio<; Tudaa , Bapßapia [isv 'q rcap&Xto<; , 'ACavia Ss
*}} ivSoispa), iv ^ 7cXslaToi iXs^avcec. Der Periplus und Cosmas 138 ff.
lehren mehr. Barbara Yäqüt 1 5439 ff., und die Quellen Yäqüts.
Das s am Ende vieler Namen sehe ich wie ^ am Ende neu-
Armenischer Wörter, wie das endende b t> der slavischen Sprachen,
als Rest eines volleren Vokals an. Daß Aftafaoos ein griechischer
Accusativ ist, scheint bestreitbar. e-^Tig gäbe die Form her, in
der y für w eingetreten wäre : daß AUKorcsc neben A-8-aYaoog vor-
kommt, beweist für besonnene Forscher nicht gegen meine Ver-
muthung. Auf die TiYpfjrai der Noten, die zur Zeit unseres Kö-
nigs wo anders wohnen als später, mache ich besonders aufmerksam.
Ueber das Wort gebhim Regnomm y 69.
Als ich jüngst in Rom war, gieng in meinem Kreise außer über
Anderes auch über die Kuppel des Pantheon die Rede hin und
wieder. Ein verstorbener Genosse römischer Tage, Henri Jordan,
hatte 1885 am Pantheon untersucht: ein Oesterreicher war unlängst
weiter als Er gekommen. Ich erwähnte, daß ich ein Kuppel bedeu-
tendes Wort im alten Testamente gefunden. Ueber den Fund soll
Kleine Mittheilungen. 429
ich ausführlicher berichten als bisher (armenische Studien § 499,
Orientalia 2 89, Mittheilungen 1 211 ff. , Uebersicht 155r — von
1877 bis 1889) geschehen war.
Vorerst die sogenannte Ueberlieferung.
§ wry& tfHkp erca rwrn* jfeen.
® xai sxoiXooTaft^Tjosv xov olxov xe§pois, ohne Variante, da As
Zusatz (pwrvwosaiv (Andere <p(üTVcb(iaan/) xai Stata^soiv in BS 19827
unter 2< steht, also erst aus § nachgetragen ist.
NPTOI, was die Londoner Polyglotte »et operuit domum trabibus
cavis , et supra illis erat ordo multiplex capitum tignorum cedri-
norum« übersetzt. Nathan hat für fWOn keine Erklärung: Bux-
torf leistet 626 cantherii, trabes, tigna trabes leviter incurvae
et fornicatae. Levy1 1 203 kanalartige80, gehöhlte80 Balken. Beide
ohne Beweis. TinDÜ könnte persisch sein, und zu ^ff*yS und q^>^
und ^JCi^Jüt gehören : von tue würde *hantoka = *ärTta? regelrecht
gebildet werden, und Vernähung = Verzapfung, aber auch sehr
vieles Andere, bedeuten können : zur Wurzel \J^>yi = togis, Sym-
mieta 2 14. Das ist natürlich nur eine Vermuthung. % hat D*0$
zu verstehn gemeint, was nicht gegen mich, er hat zur Ueber-
setzung eine eranische[?] Vokabel gebraucht, was in soferne für mich
spricht als es lehrt, daß die Eranier in der Baukunst wenigstens
in gewissen Punkten Lehrer der Semiten gewesen sind. Nicht
gegen mich, da ja aus "pDinsn nichts darüber folgt, daß X gerade
D*OÄ gelesen hat.
© U'ili jly.mi JLäo^a {k.^N oC^o. Dies Wort bespricht
PSmith 670 ff. , indem er aus »Bar Ali« und Bar Bahlül verschie-
dene Erklärungen beibringt : unter diesen leuchtet ihm ö^j^^o ^ils^
am meisten ein. Mir nicht. Erstens nicht, weil nicht abzusehen ist,
wie Jüa^. zu der Bedeutung Bretter hat kommen sollen. Zwei-
tens nicht, weil die Bretter gesägte zu nennen wenig bezeichnet hätte.
Drittens nicht, weil man die Decke eines Tempels doch kaum bloß
aus »Brettern« herstellen wird. Ich greife also auf »Bar Ali«s
^JLcovä ^vjoi^io ^äjq^v) JLjJ^lqju, zumal O^jS der Perser jenes
♦ajq-^ bestätigt.
Mir ist nicht zweifelhaft — des Aggaeus I4 "pBD r^ä = oixoe
Y.oikoaza$\i.oz = uinub i^jyirß^/Ttuj beweist es mir — , daß § nichts
als D^nxa rUSpTTHj IBD^ gehabt, und daß © xai ixotXooTa^(j.Yjoev
töv oixov x^Spot? übersetzt, daß dann eine Glosse jenes "jBD^ durch
n*"i7En Ü^tt erklärt, daß ©c [Ax?] dies durch <paTva)|j.aatv xai Staxd-
£eaiv wiedergegeben hat, während @X schon die Glosse im Texte fan-
den, und daher, so gut sie vermochten, von Hause aus übersetzten.
430 Paul de Lagarde,
72$ = lXxa? = yjyhß- würde also immerhin im alten Testa-
mente vorkommen, aber in einer Glosse unbekannter Zeit. Falls
xotXoarattyetv wölben bedeutet, würde )ZO (vergleiche TXPtü die %oikr\
vaöc) genügen, um Wölbungen, nicht aber, um Kuppelbauten, auch
in den guten Zeiten der israelitischen Nation deren Baumeistern
bekannt zu glauben. Was ein werthvolles Ergebnis der Unter-
suchung nicht ist.
Wie sich das arabische 6^Xs>- zu \&Js*> verhält, wird nur
untersuchen dürfen, wer in arabischen Texten belesener ist als ich.
Der Fluß Orontes.
In der Zeitschrift für aegyptische Sprache und Alterthums-
kunde 27 39 ff. hat Adolf Erman unlängst (1889) den »syrischen
Feldzug Amenophis des Zweiten« besprochen. Die Stele von Amada,
auf der von diesem Feldzuge gehandelt wird, berichtet, der König
sei über die msdt von 'irnt gesetzt. So, nicht 5irst, lesen Brugsch
und Maspero. Diese beiden Gelehrten deuten 3irnt als Orontes,
und Erman nennt diese Vermuthung »gewis richtig«.
Der Orontes, um den es sich hier handelt, ist der ^o^, der
Widerspenstige, der aus Trotz nicht den nächsten, sondern den
weitesten Weg in die See laufende Fluß Coelesyriens. Er er-
gießt sich nördlich von Laodicea in das Meer, Socin2 456. Wie
dieser Fluß in ältester Zeit geheißen hat , weiß man nicht sicher :
den Namen 'Opdvnjs trug er [ärcö] tod Ys^opcoaavcos afköv 'Opövcoo, xa-
Xoo^svos TipÖTspov To<pa>v, nach Strabo ic, 2 7 = 750 Casaubon. Aus-
führlich handelte über 'OpövcYjc EBurnouf commentaire sur le Yacna
248 ff. Add. 181 : später (LDindorf zu Stephanus s. v.) 'Opdvtrjc.
«Ai*jl noch bei Firdosi der Tigris in seinem oberen Laufe.
Es wird also entweder die DoppelNachricht Strabos (und sei-
ner von Burnouf citierten Genossen) als irrig nachzuweisen, oder
aber die Deutung jenes Irnt durch 5OpövcY]<; aufzugeben sein.
Die Stichometrie der syrisch-hexaplarischen
Uebersetzung des alten Testaments.
Da ThBirt in seiner Arbeit über das antike Buchwesen [mein
Specimen psalterii graeci 82] die Stichometrie der Bibel nicht mit
der gehörigen Sorgfalt behandelt hat, lege ich hier aus dem ersten
Bande meiner Bibliotheca syriaca eine Probe derselben vor, und
bin unter Umständen bereit, mehr mitzutheilen.
Kleine Mittheilungen.
431
Schon vor fast einem Vierteljahrhundert hatte AMCeriani in
seinen monumenta sacra et profana die syrisch-hexaplarische Ueber-
setzung der Genesis und eines Theils des Exodus, soweit beide erhal-
ten sind, herausgegeben : ich veröffentlichte 1880 veteris testamenti
ab Origene recensiti fragmenta apud Syros servata quinque, ein Buch,
das für wirkliche , d. h. das Ethos mehr als das Dogma und die
Partei schätzende Theologen allein schon um der Nöthe willen be-
achtenswerth war, unter denen es an das Licht getreten ist (siehe die
Vorrede, und auch die Citate Mittheilungen 3 80), das aber von den
Mitgliedern der ersten Facultät selbstverständlich gar nicht be-
achtet, von einem berühmten Mitgliede einer vierten Facultät we-
gen seines hebräischen Kleides (ich hatte keine syrische Schrift zur
Verfügung) mit Spott verfolgt worden ist. Herr Birt ist, wie die
Sachen liegen, entschuldigt, daß er von ihm nichts erfahren hat.
Ich lese vom Rande meiner Bibliotheca Syriaca, deren erster
Band vor dem October 1891 nicht wird ausgegeben werden können,
die Stichennotierung ab, die von den syrischen Schreibern nicht zu
Worten, sondern zu Zeilen, und auch das nur ungefähr genau, zu-
gesetzt, von mir aber stets zu einem Sinnanfange bezogen worden
ist. Die Syrer reden von ^cu^ÄvS = Itctj , nicht von axiyoi.
Grenesis
300
400
500
Grenesis
BS 34 e
35 21
37 2
5 9 xal sCyjosv :
5 21 00 §£ M^Tfl1
8 16 !£&&*:
Lücken in der Handschrift
1400: 32 1 xal 'Iaxwß : 39 13
Das Ende der Grenesis , unvollständig erhalten , enthält zufäl-
liger Weise gerade die Stellen nicht, auf welche die Stichennotie-
rung getroffen hatte.
Exodus
100
: Exodus 2 16 ^apa^svö^svai :
52«
200
: 4 3 xal slrcev :
53 18
300
5 s xal si7T£V :
54 32
400
: 620 xal l'Xaßev:
56 12
500
ungefähr 7 28:
5723
600
: 9i streev 8k:
59 7
700
10 3 eloTjUev 8k:
61 2
800:
11 4 xal el7rev:
62 14
900:
12 28 xal aTceXO-dviec :
63 33
1000
vom Schreiber nicht angemerkt
1100
1424 xal £7r£ßXe<|>ev :
6629
1200
16 2 Si£Y^TT°^0V :
68 6
1300
16 36 xb 8k YO[iop:
6923
1400
18 19 vöv oov :
71 4
432
Paul de Lagarde,
Exodus 1500
Exodus
20 5 £?<*> T^P:
BS 7226
1600
21 20 lav 8i «ctc :
75 1
1700
2222 xai xexpA£avtec:
76 16
1800
233i xai thjaco:
778o
1900
25 20 aoaxi&Covcec :
79 10
2000
26 19 §6o ßaaeic :
80 24
2100
28 1 xai at>:
82 7
2200
28 42 xai rcomjoeic :
8330
2300
29 31 xai töv xpiöv :
85s
2400
30 2s xai sXaXTjoev :
8617
2500
32 7 xai IXaXYjoev :
8732
2600 2700
vom Schreiber nicht angemerkt
2800
35 20 xai ££ijX$sv:
92 18
2900
3620
9333
3000
37 19
95 13
3100
38 27 xai lYsy^-ö-r] :
9623
3200
3932
97 33
3300
40 32
99 10
Numeri 100
Numeri lss Tüdvra aposvixa:
993i
200
2 28 S6va[ug:
100,38
300:
333 ohzoi:
101 30
Lücke in der Handschrift
1000
10 e ungefähr :
102 32
1100
11 10 xai 7]xoooe :
1045
1200
12 8 oz6\lol xara :
105 15
1300
14 1 xai avaXaßoöaa:
106 28
1400
14 36 xai 01 av&p(ö7coi :
108e
1500 1600 werden
in eine Lücke der Hds. fallen
1700
18 1 xai 06 xai ol:
111 18
1800
19 1 xai £XdX7]asv :
11229
1900
20 e xai &<p#Y] :
11332
2000
21 15 xai todg x^appooc:
115 17
2100
22 15 ungefähr:
1172
2200 wird
in eine
Lücke der Hds. fallen
2300:
2420 xai lS<bv:
11925
Iosue 100 wird
in eine
Lücke der Hds. fallen
200
44 xai avaxaXead{j.£Vog :
123 11
300
5 11 xai l<pdYoaav:
126e
400
627 xai ^v xopios:
1287
500:
83 xai av£am]:
12922
600:
8 30 töte <jwo8<5[i,Y]oav '
131 18
700
i
10 1 Ueberschrift :
134 7
Kleine Mittheilungen.
433
Iosue
Iudices
Ruth
80C
1 [codex 900]: Iosue 10 29 xai aTnjXftov :
BS 135 17
900
: 11 17 xai lax; Baa^aS:
138 1
1000
: 139 arcö AptoYjp :
1403
1100
: 14 12 sav ouv :
142 12
1200
: 15 45 'Axxapwv:
144 17
1300
: 17 12 xai o6x:
1472
1400
: 19 1 xai I^Xftsv :
1498
1500
: 19 51 xai £7rope6'ib]aav :
1522
1600
: 21 32 xai §x r/jg «poX^s :
1543
1700
: 22 13 xal aTusatsdav :
15523
1800
: 23 3 ou xupio<; :
157 18
1900
: 24 14 xai vöv (poßyj'ö-YjTs :
159 14
2000
: 2429 etwa
160 13
3 100 wird in eine Lücke der Hds. fallen
200
: 2 20 av&5 d>v oaa :
163 13
300
: 3 30 xai IvsTpd^Y] :
16424
400
: 5 4 xopis sv r§ i£d§(p:
1653i
500
: 67 xai ky&vszo wc:
167 10
600
: 638 xai Iysvsto ootü)s:
168 25
700
: 723 xai sßÖYjaav:
16933
800
: 8 27 xai kitoirpsv :
1713
900-
9 23 xai i£a7r£aT£tXsv :
172 5
1000.
9 52 anderes xai fjfYtosv :
173 10
1100
vom Schreiber nicht angemerkt
1200
12 2 xai ol oioi 3A{X{j.wv :
175 34
1300:
13 20 xai Mavwe :
177 10
1400
1500 vom Schreiber nicht angemerkt
1600:
16 31 xai xaT^ßyjaav :
180 22
1700:
18 18 tC 6{X£t<;:
181 36
1800:
19 9 xai opO-ptsite:
18236
1900:
20 7 Söts:
184s
2000:
20 40 xai £7r£ßX£<j>£V :
185 18
2100:
21 24 av/jp :
186 25
100:
Ruth 2 10 xai Itceoev:
1888
EEtaapa
wird in den Hdss. entweder asioapa, oder (k) <3£iaapa betont. Das
Letztere ist das Richtige. Wenn der Ton auf der Letzten lag,
mußte der Vokal der offenen Vorletzten vor betonter Letzter re-
gelrecht halbiert werden. So entstand das fcoo^o der Tiberienser.
NacuricliUm d. K. (i. d. W. zu üöttingen. 1890. Nr. 13.
36
434 F. Kielhom,
Zu Dandin's Kavyädar^a III, 150.
Von
F. Kielhorn.
Während des Druckes seiner Uebersetzung des Kävyädarca
fragte micli von Böhtlingk nach der Bedeutung des vom in-
dischen Commentator zu den Versen III, 150 und 151 citierten
Satzes „karmädi-vishaye 'py^avivakshite karmädau saihbandha-vi-
vakshäyäni shashtbi". Was ich dem verehrten Gelehrten damals
antwortete, hat er in einer Anmerkung mitgetheilt. Seitdem habe
ich Gelegenheit gehabt Dandin's Werk wieder einmal sorgfältiger
zu lesen, und habe gefunden, daß der Commentator seinen Autor
an der bezeichneten Stelle nicht verstanden, und auch von Böht-
lingk irre geführt hat.
Die beiden Verse , um die es sich handelt , lauten mit von
Böhtlingk's Uebersetzung: —
Dakshinädrer-upasaran^märutac-chüta-pädapän |
kurute lalitädhüta - prabälärikura - cobhinah || 150 ||
Ityädi cästra - mähätmya-darcan - älasa - chetasäm |
apabhäshanavad 5 bhäti na cha' saubhägyam=ujjhati || 151 ||
150. „Der an das Malaja - Gebirge herankommende Wind
macht , daß die Mangobäume mit ihren leise bewegten jungen
Sprossen prangen".
151. Dieses und Aehnliches erscheint denjenigen, deren Geist
zu träge ist die würdevollen Lehrbücher einzusehen, als fehler-
hafte Sprache, bleibt aber trotzdem reizend.
Der Sinn des zweiten Verses ist klar. Leuten , die keine
gründliche Kenntniß der Grammatik besitzen, mag Etwas fehler-
haft erscheinen , das in Wahrheit nicht nur correct ist , sondern
dem Ausdrucke sogar einen besonderen Reiz verleiht. Ein Beispiel
hierfür soll der erste Vers enthalten. Nach dem Commentare und
der Uebersetzung wäre der Fehler, den der Vers enthält, der, daß
der Dichter statt des zu erwartenden Accusativs dalcshinädrim den
Genetiv dakshinädreh gebraucht hätte. Der Fehler wäre aber nur
ein scheinbarer, weil sich auch der Genetiv durch das Maxim der
Grammatiker karmädinäm=api sambandhamätra-vivakshäyäm shash-
thy=eva erklären ließe.
Betrachten wir den Vers näher, so muß uns zunächst auf-
fallen, daß der Dichter von dem an das Malaya-Gebirge heran-
kommenden Winde reden soll. Denn gewöhnlich ist es der von
zu Dandin's Kävyädarga III, 150. 435
Süden kommende Wind, der im Frühlinge die Mangobäume sprossen
macht ; und hätten wir den Commentar nicht, so würden wir auch
hier ohne Weiteres „der vom Malaya - Gebirge kommende Wind"
übersetzen. Angenommen aber, Dan<Jin hätte wirklich den Genetiv
statt des Accusativs gebraucht, so würden wir doch vergeblich
nach dem besonderen Reize suchen, den der Genetiv an Stelle des
Accusativs dem Verse verleihen sollte. Und endlich möchte ich
behaupten, daß kein respectabler Grammatiker Indiens einen auf
die Frage Wohin? gebrauchten Genetiv durch den vom Commen-
tator citierten Satz rechtfertigen würde. Man mag über die in-
dische Grammatik denken wie man will ; sicher ist , daß der in-
dische Grammatiker auch mit seinen Kunstgriffen nur den cishta-
pra}Toga zu erklären sucht. Der Satz karmädinäm-avivakshä ceshah
würde demnach zwar für den Genetiv mäshdndm in mäshdndm^
agniydt gelten1), weil der Gebildete wirklich so sagt; aber nicht
für adrer-upasarati „er kommt an den Berg heran", denn Niemand
bedient sich auf die Frage Wohin? des Genetivs. Die Erklärung
des Commentators ist also in jeder Hinsicht unhaltbar.
In Wirklichkeit liegt der scheinbare Fehler des ersten Verses
in dem Worte apasaran, und gerade der Gebrauch dieses Wortes
mußte dem gebildeten Leser reizend erscheinen. Pänini lehrt in
VII, 3, 78, daß die Wurzel Sri ihre Specialtempora von dhau bildet.
Für den, der nur die Regeln der Ashtädhyäyi kennt, scheint upa-
saran deshalb fehlerhaft gebraucht zu sein statt des richtigen
upadhdvan. Wer aber Grammatik gründlicher studiert hat, wer
z. B. die Käcikä-Vritti oder die Grammatik des Cäkatäyana kennt,
weiß, daß dhau für Sri nur dann eintritt, wenn von einer schnellen
oder stürmischen Bewegung die Rede ist 2). üpasaran ist also
grammatisch correct in der Bedeutung „langsam , oder sanft, oder
leise herankommend", und die Worte dahshinädrer* üpasaran *märu-
tah (wo dahshinddrch natürlich Ablativ ist) bedeuten „der leise vom
Malaya-Gebirge herankommende Wind". Das Ansprechende des
Ausdrucks liegt darin, daß der Sinn des in Versen ähnlichen In-
halts gebrauchten Adjectivs manda3) schon durch das gewählte
Verbum bezeichnet wird.
1) Vgl. z. B. Säyana zu Rigveda I, 20, 6.
2) Vgl. Käcikä-Vritti zu P. VII, 3, 78: sarter*vegitäyäih gatau dhäv-ädec.am=
ichchhanti | anyatra sarati anusarafcityseva bhavati | . Qäkatäyana hat die Regel
sarter^dhau vege; Hemachandra, vege sarter^lhäv, und das Gegenbeispiel priyäni;
anusarati. In der Mädhavfya Dhätu-vritti lesen wir: yad=äyam saratir=vegita-ga-
mane vartate tada, päghrädinä ^it-pratyaye dhäv-ädc^e dhävat^ityädi.
3) Vgl. z. B. gärngadhara's Paddhati 3789, 3791, 3808, 3813, 3816.
36*
436 F. Kielhorn, zu Dandin's Kävyädar$a III. 150.
Mit Recht benutzt meines Erachtens der indische Commen-
tator den oben erwähnten Satz der Grammatiker zur Erklärung
eines Genetivs in Vers II, 149 des Kävyädarca, wo von Böhtlingk
seinen eignen Weg gegangen ist. Der Vers lautet, mit der ge-
druckten Uebersetzung : —
Kshanam darcana - viglmäya pakshma - spandäya kupyatah |
premnah prayänam tvain brühi mayä tasy ~ eshtam = ishyate ||
„Verkünde, da mir erwünscht ist, was der Zuneigung er-
wünscht ist, daß diese sich auf die Reise begebe, diese Zuneigung,
die schon über das Blinzeln der Augenlider, dieser flüchtigen Stö-
rung für's Sehen, zürnt u.
Von Böhtlingk macht hier den Genetiv premnah von prayänam
abhängig. Der Commentator erklärt, der Genetiv stehe an Stelle
des Accusativs , abhängig vom Verbum brühi. Welche Erklärung
die richtige sei, ist nicht schwer zu entscheiden. Der Vers ist
ein Beispiel für den Paravacäkshepa. Ein Verliebter bittet die
Geliebte, ihn zu entlassen; sie, die ganz die Sklavin ihrer Liebe
ist und darum selbst Nichts zu erlauben hat, antwortet: „Sag es
meiner Liebe, daß Du gehn willst, — der Liebe, die schon dem
Blinzeln der Augenlider grollt, wenn es Dich den Blicken einen
Moment entzieht; ich will, was sie will". Es ist klar, daß Dan-
<}in hier, statt nach der Regel bruvi-cäsi-gunena cha yat-sachate
das Verbum brü mit doppeltem Accusative zu construieren , an
Stelle des Accusativs den Genetiv der Person gesetzt hat, — ein
Gebrauch, für den sich Beispiele genug beibringen ließen ; und der
Commentator war zweifellos berechtigt, sich diesen Genetiv durch
das von ihm angeführte karmatv - ävivakshäyäm sambandha - vi-
vakshayä shashthi zu erklären.
Daß übrigens der Commentator selbst in Dingen, die er hätte
verstehn sollen , keineswegs unfehlbar ist , mag man z. B. aus
seiner Erklärung von I, 43 ersehen , wo er die Worte mälati-mälä
loläli-kalilä für ein Beispiel des glishta ausgibt, während sie
doch von Dandin gerade angeführt werden um zu zeigen, was
unter githila, dem Gegentheile von clishta, zu verstehn sei.
Die falsche Erklärung des Commentators hat in der Uebersetzung
des Verses 44 natürlich die Hinzufügung eines doppelten ;?auch„
nothwendig gemacht, das sich im Originale nicht findet.
Inhalt von No. 13.
Füul de Lagarde, Kleine Mittheilungen. — F. Kielhorn, zu Dandin's Kävyädarca III, 150.
Für die Redaction verantwortlich: H. Sauppe , Secretair d. K. Ges. d. Wiss.
Commissions- Verlag der Dieterich: sehen Verlags -Buchhandlung.
Druck der Dieterich' achm Univ.- Buchdruckerei (W. Fr. Kaeatner).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
10. December. J(g 14. 1890.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 8. November.
Das thermischePotential für verdünnte Lösungen.
Von
Eduard Riecke.
In der folgenden Mittheilung wird zunächst im Anschluß an
die Untersuchungen von Planck1) das Potential für dieComponen-
ten einer verdünnten Lösung berechnet. Es werden sodann die
gefundenen Werthe benützt, um die Gesetze der Dampfspan-
nungs-, Gefrierpunkts- und Löslichkeitserniedrigung,
der Dissociation in verdünnter Lösung, der Verthei-
lung eines Stoffes zwischen 2 Lösungsmitteln, das
Gesetz des osmotischen Druckes und das Henry-Dal-
ton'sche Gesetz zu ermitteln. Es deckt sich demnach der In-
halt der folgenden Zeilen zu einem Theile mit den Untersuchun-
gen, welche Planck über verdünnte Lösungen angestellt hat; es
schien mir aber nicht überflüssig, zu zeigen , wie die betreffenden
Beweise auf dem Boden der Potentialtheorie zu führen sind. Daß
die analytischen Entwicklungen, wie sie in der Theorie von Planck
sich gestalten, jederzeit in die Potentialtheorie übertragen werden
1) Planck, Wied. Ann. Bd. 32. S. 485.
Nachrichten Ton der K. G. d. W. su tiöttingen. 1890. Nr. 14. 3»
438 Eduard Riecke,
können, ergiebt sich daraus, daß der Unterschied der beiden Theo-
rieen zunächst als ein rein formaler aufgefaßt werden kann. Mit
Bezug hierauf möge noch Folgendes bemerkt werden.
Die Theorie von Gibbs geht aus von der Gleichung:
de = Tdri—pdv + [i1dm1 + ti2dm2 + ...
in welcher die Entropie rj, das Volumen v, und die Massen m der
chemischen Componenten als unabhängige Veränderliche erschei-
nen; den Uebergang zu den Variabein p\ T, m1} m% . . . macht
G-ibbs durch die Einführung der Function £ = e — qT+pv, für
welche
dt, — —tidT + vdp + iildml+{i2dm2 + ...
und
= ^
dm. dm
Die Funktion £ ist gleich der von Planck benützten Funktion O
negativ genommen und multiplicirt mit der absoluten Temperatur.
Der Vorzug, welchen die Darstellung von Gribbs besitzt, beruht
auf der Einführung des Namens „Potential" für die Differential-
quotienten jt, auf der Einfachheit des Ausdruckes, welcher hier-
durch für den fundamentalen Satz der Theorie1), auf der Ueber-
sichtlichkeit des Schemas, welches für die weiteren Rechnungen
gewonnen wird.
I. Potentiale der Componenten eines Gasgemisches.
Der ganze von den Grasen eingenommene Raum sei v; die
Massen der einzelnen Gase mt , m2 , m3 . . , ihre Partialdrucke pv
pv ps . . , ihr Gresammtdruck p ; bezeichnen wir durch nx1 n2J ns . . .
die Anzahl der Grammmolekeln , welche von den einzelnen Gasen
in dem Volumen v enthalten sind, so ergiebt sich für g. und cm.
als Einheiten nach dem Boyle-GayLussac' sehen Gesetz :
vpt == 84511 ntT, vp2 == 84511 n2T, . . .
und
1) vp = 84511 (n, + n2 + n3 + . . .) T.
Verstehen wir unter cpl , cvl , cp2 , cv2 , .. . . die speeifischen Wärmen
1) Es ist dies der Satz : Zwischen den Phasen eines aus mehreren physika-
lisch und chemisch verschiedenen Theilen zusammengesetzten Systemes besteht
Gleichgewicht, wenn das Potential jeder einzelnen chemischen Componente in
allen Phasen je einen und denselben Werth hat.
das thermische Potential für verdünnte Lösungen. 439
der einzelnen Componenten , unter JR, , R2 . . die denselben nach
dem B oyle -Gray Lussac' sehen Gesetze entsprechenden Constan-
ten, so sind ihre Potentiale gegeben durch die Ausdrücke
^ = ^H-TJÄ.iog^-^iogT+a^-fi;!
[i2 = Et+T\Rtlog?£—Vc„logT + ne„-H,\
Hier sind die E und H Constante, deren Werthe lediglich von den
Normalzuständen der einzelnen Componenten abhängen, 21 das me-
chanische Aequivalent der Wärme, T die Temperatur.
Setzen wir für v den aus der Gleichung 1 sich ergebenden
Werth, so erhalten wir:
ft - ^1 + TJ2l1loglsg^ä~a«^logr+«e,1-Ä,|
oder, wenn wir durch yx das Molekulargewicht der ersten Compo-
nente bezeichnen
f», = JB. + rJB.log-^r + ü.log-
84511 ' * °»1+«, + n, + ..|
-«c-iogr+Äc^-fli'.
Nun ist j^jß, = 84511, und somit
* « q+ifah,^^ 2)
Durch entsprechende Ausdrücke werden die Potentiale der übrigen
Componenten dargestellt.
II. Potentiale der Componenten einer verdünnten Lösung.
Nach dem Vorgange von Planck1) setzen wir die Energie
s und das Volumen v der Lösung gleich linearen Funktionen der
Massen der einzelnen Componenten ;
s = ml «, + mt £9 + m9 ss ■+- . . .
v = w1t>1 + w8v2-f-wst>8+. . .
1) 1. c. S. 486.
37
440 Eduard Riecke,
Für die Entropie der Lösung ergiebt sich dann ein Ausdruck von
der Form
n = mi (Vx + *x) + m2 i% + K) + • • •
wo die Größen v\x , r\2 . . . nur von p und T, die Integrationskon-
stanten Jcx , Jc2 . . . nur von den Massen m abhängig sind. Nun ge-
nügen die Potentiale (iv p2 . . . der einzelnen Componenten der Dif-
ferentialgleichung
mldfil + mad(ii-\- .. . = vdp—ridT
3) = mx{vxdp—rixdT-hxdT)
+ m2(v2dp—r}2dT-7c2dT)
+
Da diese Gleichung für alle möglichen Werthe von mx , m2 . .
erfüllt sein muß, so ergiebt sich
dpx = vxdp—rjxdT—JcxdT,
dp2 = v2dp—ri2dT—Jc2dT
und hieraus:
^ = MX-\T, <i2 = Jf.-Ä.T, . . .
Uebertragen wir die von Planck mit Bezug auf die Entro-
pie geführte Untersuchung auf das Potential, so ergiebt sich, daß
das in px auftretende Glied —~kxT mit demjenigen Terme des Poten-
tials der gasförmigen Componente übereinstimmen muß, welcher
von den Massen, beziehungsweise den Anzahlen der Grammmole-
keln abhängig ist. Die Größen Je müssen also die "Werthe be-
sitzen
Jcx = -Rxlog ^ n\ - — , Jc2 = -i22log
nx + n2 + nz+.. ° nx + n2 + n3 + . .
Für die Potentiale der einzelnen Componenten der
Lösung ergeben sich somit die Gleichungen:
4) px = Mx + RxTlog-—^~—-, ii2 = M2 + R2Tlog
nx + n2 + ...7 k ' ■■■ " °-ni + Wf + ...
in welchen die Größen M x , M2, nur abhängig sind
von p und T.
Zu dem Falle einer verdünnten Lösung, bei welcher die erste
Componente durch das Lösungsmittel gebildet wird, gelangen wir,
das thermische Potential für verdünnte Lösungen. 441
wenn wir die Zahlen n2, n3 . . . als sehr klein annehmen gegenüber
von nv Für das Potential des Lösungsmittels ergiebt
sich dann der Ausdruck:
lli = M-Bl^±^+—T. 4')
Hier ist Mx nichts anderes als das Potential des rei-
nen Lösungsmittels entsprechend den gegebenen Werthen
von Temperatur und Druck und kann daher durch den Ausdruck
dargestellt werden
mx = ^ + T(acF1-fi1-ac,1iogr)+^-p ; 5)
III. Anwendung der Theorie vonGribfos auf verdünnte Lösungen.
1. Erniedrigung der Dampfspannung.
Die Temperatur werde konstant erhalten auf dem Betrage T.
Dann wird die Dampfspannung p0 des reinen Lösungsmittels nach
dem Fundamentalsatze bestimmt durch die Gleichung
li(p0,T) = p'(p0,T)
wo p und ft' die Potentiale des Lösungsmittels im gasförmigen
und flüssigen Zustand bezeichnen. Es werden nun in dem gege-
benen Mittel geringe Mengen irgend welcher Körper gelöst, so
daß auf n Grammmolekeln des Lösungsmittels nlt nti n8 . . . Gramm -
molekeln von denselben kommen; ist die hierdurch bedingte Er-
niedrigung der Dampfspannung gleich tc, so ist das neue Potential
der gasförmigen Phase des Lösungsmittels gleich
Andererseits ist das neue Potential der flüssigen Phase
= ,-(yo,r)-jg*-i^+"^+--T.
Gleichgewicht zwischen der flüssigen und gasförmigen Phase ist
vorhanden, wenn das Potential des Lösungsmittels in beiden den-
selben Werth besitzt. Es ergiebt sich somit die Bedingung
dp dp' \ p Wl+Mf + wa + •
(JJL-JbL\x =
^ äPo dPo )
B ' ' 8 r ' T ' * T.
dp0 dp0 ) n
442 Eduard 11 i ecke,
Im Falle einer einzigen Componente ist aber nach Gl. 3)
dp/dp0 = v/m, dn'/dpQ = v'/m' , wo v und v' die Volumina, m
und m* die Massen der beiden Phasen bezeichnen; vernachlässigen
wir v'/m' gegen v/m, so ergiebt sich
JLX = Bnl + na+..T
m n
oder mit Rücksicht auf das Boyle GayLus s ac' sehe Gesetz
jt_ nx + n%+ . .
Po ' n
Vernachlässigt man die Aenderung, welche das Potential der flüs-
sigen Phase durch die Aenderung des Druckes erleidet, so ergiebt
sich mit Hülfe des im ersten Abschnitte gegebenen Ausdruckes
für das Potential eines gasförmigen Körpers die allgemeiner
gültige Beziehung
p0 _ n + nx + n, + .. ^^ 7t = nt+n% + ..
p n p
wo p der erniedrigte Dampfdruck.
Nimmt man den Druck konstant, die Temperatur variabel, so
ergiebt sich mit Rücksicht auf die Beziehung dp/dT = — r\\m das
Gesetz der Siedepunktserhöhung #
&W n, + n% + . .
wo W die Verdampfungswärme, ©0 der normale Siedepunkt.
2. Gef r ierp un k ts er nie dr igung.
Der Gefrierpunkt des reinen Lösungsmittels wird bestimmt
durch die Gleichung
P'{P,T0) = ii"(p,Ta)
wo [i" das Potential der festen Phase bezeichnet. Durch Lösung
von nv n2J ns . . . Grammmolekeln irgend welcher anderer Körper
in n Grammmolekeln des Lösungsmittels wird der Gefrierpunkt
erniedrigt um t; die neuen Potentiale sind
?{p, T,-t)-MT0^^±^ = t.'(p, T„)
Oft'
6T0
_BTnl + n, + ...
(l"(p,Tt-r) = fl»(p,T0)-^rT.
das thermische Potential für rerdünnte Lösungen. 443
Die Gleichsetzung der Potentiale giebt:
(dp" äf*'\ PTvK + ..
\W-Wjx - ET° n
oder mit Benützung von Gleichung 3)
V m m J
»,+», + ..
n
Bezeichnen wir durch Q die Schmelzwärme für die Gewichtsein-
heit des Lösungsmittels, so ergiebt sich:
tQ nx+n% + . ■
ETI n
Benützen wir als Einheit der Kraft den Druck von 1 g auf 1 cm3, so ist
für Wasser als Lösungsmittel Q = 80x42800, 22 = ^^ = 4695
und somit
102 == n
3. Dissociation in verdünnter Lösung.
In der Lösung sei eine beliebige Zahl von Stoffen enthalten,
welche der Dissociation, beziehungsweise der wechselseitigen Um-
wandlung fähig sind; wir bezeichnen sie durch ©a, ©t, ©,, ©d . . .
Dieselben seien in bekannter Weise zusammengesetzt aus einer
gewissen Zahl anderer Stoffe , welche ihrerseits bei allen in der
Lösung vor sich gehenden Umwandlungen völlig unzersetzt blei-
ben mögen ; wir bezeichnen diese letzteren durch ©t, St, 6, . ; .
Die chemische Zusammensetzung der Componenten ©a , ©6,
©, , €>d . . . sei gegeben durch die Formeln :
a<5a = a1©1 + a8@9+a8©«+ ...
c<5t = y%&t + y9<52 + y3 ©3 + . . .
d<3d = *, ©, + *,©, + *,©,+ ...
Bezeichnen wir durch ^a , /fc6 , f*„ , ^rf . . . die Potentiale der in der
Lösung befindlichen Componenten , durch ma , mh , w, , md ... die
von denselben vorhandenen Massen, so besteht Gleichgewicht
wenn:
444 Eduard Riecke,
vorausgesetzt, daß das Lösungsmittel selbst an den Reaktionen
der gelösten Stoffe nicht betheiligt ist. Nun sind aber die Ver-
änderungen der Massen m der Bedingung unterworfen, daß durch
dieselben die Masse der Stoffe {B1 , ©2 , €>3 . . . nicht verändert
werden kann. Wir erhalten somit für die Variationen dma , dmb,
dme, dmd ... die Gleichungen :
Tdm-+Tdm> + 1'
+ £Ldmb + ?±dnic+-±dnid+ ... = 0
(X 0 C d
■^dma + ^-dmb + ^-dmc + ^-dmd + ... = 0
(X O C (X
Durch diese werden die Verhältnisse der dm im Allgemeinen nur
dann bestimmt, wenn ihre Zahl um die Einheit kleiner ist als die
Zahl der Componenten a, b, c, d ... Die Zahl der Gleichungen
stimmt überein mit der Zahl der Stoffe ©,, ©2, €>8 . . . Die
Verhältnisse der chemische n Umwandlung sind also
im Allgemeinen nur dann in eindeutiger Weise be-
stimmt, wenn die Zahl der unveränderlichen Be-
standteile um eins kleiner ist, als die Zahl der ver-
änderlichen Componenten. Verstehen wir unter kv A2,
A3 . . . gewisse unbekannte Faktoren, so erhalten wir aus den obi-
gen Bedingungen die Formeln:
ft+^+^ + A, •§■+••• = 0
^ + 1^ + ^ + ^ + 0
fc+*4+a.£ + a»£ + ...-o
Ist die im Vorhergehenden besprochene Bedingung erfüllt, so ist
die Zahl dieser Gleichungen um Eins größer als die Zahl der un-
bekannten Faktoren lx , Aa , A3 ... und wir erhalten durch Elimi-
das thermische Potential für verdünnte Lösungen. 445
mination derselben eine Gleichung von der Form
Apm + Bpb + rp9 + Jii,d + . . . . = o.
Setzen wir für die Potentiale die in den Gleichungen 4 aufgestell-
ten Ausdrücke, so ergiebt sich:
AMa + BMb + rMe + ...
T
Die auf der linken Seite dieser Grleichung stehende
Funktion der Zahlen n ist dieselbe, wie in dem Falle
einer Mischung gasförmiger Componenten, die auf der
rechten Seite stehende Funktion vonp und Tist eine
andere.
Die Gleichungen
— äma + ±t- dmb + ^-dme +
o c
a
*****
dmc +
= 0
= 0
Y*
— dma + ¥-dtnb+-t±dm.+ ... = 0
a o c
bestimmen die Verhältnisse der dma) dmb1 dmc . . . auch bei gleicher
Zahl der veränderlichen Componenten ©a , ©6 , &s . . . und der un-
veränderlichen Bestandtheile ©x , @, , @s . . . , sobald die Deter-
minante
a
a
a
K
b
K
b
K
b
c
c
c
verschwindet. Es ist dieß der Fall bei den Umsetzungen
in Folge doppelter Wahlverwandtschaft und das
Problem der Dissociation ist daher auch in diesem
Falle ein vollkommen bestimmtes.
Wir betrachten noch zwei allgemeinere Fälle von
Dissociation. Zunächst nehmen wir an, es sei der eine
44ß Eduard ßiecke,
der in der Losung befindlichen Körper, etwa ©a,
gleichzeitig auch in festem und in gasförmigem Zu-
stand vorhanden. Wir bezeichnen die Massen , welche den
verschiedenen Zuständen entsprechen durch ma, m'a, m'J, die Po-
tentiale durch pa, f*i, p". Wir erhalten die Grleichgewichtsbe-
dingungen :
iiadma + /*; dm'a + ti'Jdm'J + pb dmb + ^ dmc + . . . = 0
-^- (dma + dm'a + dm'J) + 4r dm> + — dmc + • • • = °
a o c
^ (dma + dm'a + <K') +-&-dmb + l*-dmc + .. . = 0
(X 0 c
Woraus
fc+*4+'^+-
. . = 0
^+^+*'T+--
. . = 0
*'+v5- + *.*-+..
. . = 0
ft +4.4-+*»4-+- •
. . = 0
ft+*r5-'*A|5,+- •
. . = 0
Man sieht sofort daß p" — j-c/ = fta und daß außerdem zwischen
den Potentialen fta, f*6, ^c . . . dieselben Beziehungen bestehen wie
früher.
Allgemein ergiebt sich das Resultat: Wenn irgend welche
Componenten außer in der Lösung noch in festem oder gasförmi-
gem Zustand vorhanden sind , so wird dadurch die Beziehung
zwischen den Potentialen der gelößten Bestandtheile nicht verän-
dert, es tritt zu derselben nur noch die Bedingung hinzu, daß für
jede Componente das Potential in den verschiedenen Phasen den-
selben Werth besitzen muß.
Wir behandeln endlich noch den Fall, daß die chemische
Reaktion in der Lösung keine bestimmtelist, d.h. daß
die Zahl der unveränderlichen Bestandtheile um mehr als Eins
kleiner ist, als die Zahl der veränderlichen Componenten. Wir
erhalten in diesem Falle die Gleichungen :
das thermische Potential für verdünnte Lösungen. 447
Padnia + pbdmb + titdmt + = 0
— dma + ^dmb + ^-dme + = 0
ab c
~dma + @£dmb + ^dme + = 0
a b c
Nehmen wir an, die Zahl der unveränderlichen Bestandtheile
@n <S2, @3 . . . sei um 2 kleiner als die Zahl der Componenten
©B , ©6 , ©f . . . Die Zahl der Bedingungsgleichungen , welche
sich auf Grund der stöchiometrischen Verhältnisse für die Zu-
wüchse dma, dmb, dmc . . . ergeben, ist dann gleichfalls um 2 klei-
ner als die Zahl der dm ; werden 2 von den Zuwüchsen dm will-
kürlich gewählt, so sind die übrigen bestimmt. Wir können zu-
nächst den Zuwachs dma gleich Null setzen; die ihm entsprechende
chemische Componente scheidet dann aus der Reaktion aus , diese
verläuft in vollkommen eindeutiger Weise zwischen den übrigen
Componenten und ihre Potentiale genügen der früher entwickelten
Gleichung; eine zweite solche Gleichung erhalten wir, wenn wir
dmb = 0 setzen u. s. f. Am übersichtlichsten ergiebt sich das
System der von den Potentialen zu erfüllenden Gleichungen, wenn
man zu dem System der Bediogungsgleichungen der dm noch eine
lineare homogene Gleichung zwischen dma) dmb, dme . . . hinzufügt.
udma + vdmb + wdme + . . . = 0.
Die Zahl der Gleichungen stimmt dann überein mit der Zahl der
Zuwüchse; bildet man nun die Determinante der Coefficienten, so
erhält man die gesuchten Gleichungen, indem man die Unterdeter-
minanten nach u, v, w . . . gleich Null setzt.
Ein einfaches Beispiel für den zuletzt betrachteten Fall giebt
die Dissociation zweier binärer Elektrolyte mit ei-
nem gemeinsamen Bestandtheil. Die stöchiometrischen Glei-
chungen sind:
a@a = «!©, + ««©•
b®b - AS. + A6. •
wo ct3 = ßa. Bezeichnet man mit na, nb die Anzahlen der nicht
dissociirten .^-Molekeln, mit nv n2, na die Zahl der durch Disso-
ciation gebildeten ^-Molekeln von ©t , ©2 , ©8 , mit N die Zahl
der (/-Molekeln des Lösungsmittels, so ergeben sich die Gleichungen
•i/n, tö Nlcana, n%n% M» JSk>n>
448 Eduard Eiecke,
wo w8 = Wj+Wjj wir bezeichnen ferner durch Na = na+nlf
Nb = nb + n2 die Zahl der ursprünglich vorhandenenen <7-Molekeln
der Stoffe €>a und ©6. Zunächst ergiebt sich:
Setzt man hiernach
so ergiebt sich
1 + Kx
hbNbx
K
1+M
Nb
l + kbx
KbX
2 ' i+Kx '
Die Dissociationsgrade werden :
hax
V« == l + kax ' Vh ' l+lcbx '
Endlich ergiebt sich zur Bestimmung von x die Gleichung
Befindet sich in der Lösung nur der eine Elektrolyt, etwa ©a, so
gelten die auf Molekelzahlen und Dissociationsgrade sich bezie-
henden Gleichungen unverändert, nur die Gleichung zur Bestim-
mung von x wird eine andere, nemlich
— = N.
1+kx
Betrachtet man N als eine veränderliche Ordinate , so gehen die
durch die vorhergehenden Gleichungen bestimmten Curven für sehr
kleine Werthe von x und N in Parabeln über, welche durch die
Gleichungen gegeben sind
(JcaNa + JcbNb)x* = N und laNax* = K
Für sehr große Werthe von x und N werden die Curven gerad-
linig und zwar sind ihre Richtungstangenten gegen die #-Axe ge-
geben durch Na + Nb, beziehungsweise Na.
Aus dem hierdurch bestimmten Verlauf der durch die beiden
Gleichungen dargestellten Curven ergiebt sich, daß bei gegebenem
Werthe von N die zweite Gleichung einen größeren Werth von x
liefert als die erste. Daraus folgt aber weiter der Satz:
dag thermische Potential für verdünnte Lösungen. 449
Wird der Lösung eines Elektrolyten ein zweiter
Elektrolyt zugesetzt, welcher mit dem ersten ein Jon
gemeinschaftlich besitzt, so wird der Dissocia-
tionsgrad des ersten vermindert.
Dieser Satz wurde von Nernst1) und von Arthur Noyes2)
einer experimentellen Prüfung unterworfen. Die Verhältnisse der
angestellten Versuche waren aber einfacher in so fern , als bei
denselben gesättigte Lösungen zur Anwendung kamen. Dadurch
ergeben sich für die Potentiale der gelößten und nicht dissociirten
Componenten noch zwei weitere Gleichungen , welche sich auf die
Form bringen lassen na = Nla und nb = Nlb, unter la und lb zwei
nur von Temperatur und Druck abhängende Größen verstanden8).
4. Vertheilung eines Stoffes zwischen zwei
Lösungsmitteln.
Von den beiden Lösungsmitteln, welche sich wechselseitig nicht
lösen sollen, seien N und N' ^-Molekeln gegeben; in dem ersten
seien n , in dem zweiten n' ^-Molekeln eines dritten Körpers ge-
lÖßt. Gleichgewicht ist vorhanden, wenn
M(p, T) + RT\og J = M (p, T) + J?Tlog *£ .
Die Brüche n/N und n'/N' bezeichnen wir als die Lößlichkeitskoef-
ficienten des dritten Körpers. Setzen wir sie gleich X und k'7 so
ergiebt sich:
Das Verhältniß der Lößlichkeiten bleibt dasselbe,
welches auch die Concentrationen, d.h. die Werthe von
n und n', sind. Dieß gilt nicht mehr, wenn der gelößte
Stoff in dem einen der beiden Lösungsmittel der
Dissociation unterworfen ist. Wir nehmen an, daß von
den n (/-Molekeln des Stoffes, welche sich in dem ersten Lösungs-
mittel befinden, nx nicht dissociirt, ni dissociirt seien und zwar so
daß jede Molekel in zwei zerfalle. Wir erhalten dann die Glei-
chungen
N n' - A> VnJ + "
1) Zeitschr. f. phys. Chem. Bd. IV. S. 372.
2) Inauguraldiss. Leipzig 1890.
3) Vgl. noch: Arrhenius, Zeitschr. f. phys. Chem. Bd. II. S. 284. Bd.V. S.l.
450 Eduard Riecke,
wo A und B gewisse Funktionen von Druck und Temperatur.
Die Löslichkeitskoefficienten sind:
_ Ä + »L und ܱW
N
"Wir erhalten
U'W^f-
L
v v
Bezeichnen wir den Dissociationsgrad des Stoffes in dem ersten
vi
Lösungsmittel durch x = — ^ — » s0 ergiebt sicn :
■ MP '
Der Dissociationsgrad nimmt ab mit wachsender Concentration.
Noch etwas komplicirter gestalten sich die Verhältnisse in
dem von N e r n s t *) behandelten Falle , in welchem- der gelöste
Körper in beiden Lösungsmitteln der Dissociation
unterworfen ist. Wir beschränken uns dabei, mit Beziehung
auf die von N ernst ausgeführten Experimentaluntersuchungen,
auf die Dissociation einer Molekel in zwei unter sich gleiche. Es
seien wieder N und N' die Anzahlen der ^-Molekeln, welche von
den beiden Lösungsmitteln gegeben sind, nx sei die Zahl der nor-
malen, n2 die Zahl der dissociirten Molekeln in dem ersten Lö-
sungsmittel; n[ und n2 haben dieselbe Bedeutung für das zweite
Mittel. Bezeichnen wir das Molekulargewicht für die normalen
Molekeln durch yv für die durch Dissociation entstehenden durch
y2, so ist y2 = yj2. Ist Bt die Constante des Grasgesetzes für
die normalen Molekeln, B2 dieselbe Constante für die durch Dis-
sociation gebildeten, so ist Btyt = B2y2, also R2 = 2BX. Die
Werthe der vier in Betracht zu ziehenden Potentiale sind:
fc = M , (p, T) + B, Tlog -j*- , tf = U{ <J>, T) + R,T log |j-
p, = Ma (p, T) + B, Tlog £, ^ = M',(p, T) + B2T log ^ .
Zwischen denselben bestehen die vier Gleichungen:
1) Nernst, Gott. Nachr. 1890. N. 12.
das thermische Potential für verdünnte Lösungen. 451
Dieselben sind nicht von einander unabhängig , denn wenn man
von der Summe der beiden links stehenden die Summe der beiden
rechts stehenden abzieht, so ist das Resultat Null. Die Auflösung
der Gleichungen giebt :
M[-Mx
M!,-M2
nt N BtT N
ff, N B,T N
w; ~ N' e '" N' f*
Mx-M2
M[—M!2
< AT BtT *Tl
—L = Ne = Nie ;
<
Die nur von p und T abhängenden Großen lt und Z2 können wir
als Theilungskonstanten , die ebenfalls nur von p und T abhän-
genden Größen k und k' als Dissociationskonstanten bezeichnen.
Zwischen denselben besteht die Beziehung
iL ±
lt k' '
Bezeichnen wir die Dissociationsgrade in den beiden Lösungsmit-
teln durch
x = — und x =
. / 1 — /
so wird :
1— 2 1—x'
Somit das Theilungsverhältniß :
«f + »9 x'f(l — x) Nk
n[ + n'2 x2(l-x') N'k' '
Da die Dissociationsgrade abhängig sind von der Concentration,
so gilt gleiches von dem Theilungsverhältniß. Von den mannig-
fachen Ausdrücken, welche für dieses letztere aus den obigen
Gleichungen abgeleitet werden können , möge noch der folgende
angeführt werden :
w, + wf
N S/nt+\/Nk
*;+»;
~ N' \fc sjWk
452 Eduard Riecke,
durch welchen das Teilungsverhältniß in seiner Abhängigkeit von
der Zahl der normalen Molekeln in dem ersten Lösungsmittel dar-
gestellt wird.
Betrachtet man nl} w2, n[, n'2J Je, Je', l17 l2 als Unbekannte, so
müssen zu den obigen Gleichungen noch 4 weitere hinzugefügt
werden, um ihre Berechnung zu ermöglichen. Nernst hat zu
diesem Zwecke die Gesammtzahl der in den beiden Lösungsmitteln
enthaltenen (/-Molekeln bestimmt nx + w2 = cv n[-\-n'2 = c\ ; ferner
betrachtet er h und lt als gegeben.
5. Gesetz des osmotischen Druckes.
Dieses Gesetz ist kürzlich von Planck1) aus den allgemeinen
Principien der Thermodynamik hergeleitet worden. Ich füge im
Folgenden den auf der Benützung des Potentiales beruhenden Be-
weis hinzu, welchen ich schon vor längerer Zeit gefunden hatte.
Im Inneren einer von einer halbdurchlässigen Membran umschlos-
senen Zelle befinde sich eine Lösung , in welcher auf n ^r-Molekeln
des Lösungsmittels nt , n2 , n3 . . . ^-Molekeln der gelößten Kör-
per kommen; der Druck sei p; außerhalb der Zelle stehe das reine
Lösungsmittel unter dem Drucke p0. Ist Gleichgewicht vorhan-
den , so muß das Potential des Lösungsmittels zu beiden Seiten
der Zellwand nach Gibbs2) denselben Werth haben; es ergiebt
sich somit die Gleichung:
M(p, T)-RTn^nl+-- = Jffo, T)
IV
oder mit Rücksicht auf den für M in Gleichung 5 gegebenen Werth
— (P—Po) = (*! + »*+■ • •)•
m n
Verstehen wir unter v das Volumen der Zelle, unter m das Ge-
wicht des in derselben enthaltenen Lösungsmittels , so ist m/n
gleich dem Molekulargewicht des Lösungsmittels und demnach
M|
B — = 84511; somit ergiebt sich für den osmotischen
Druck p—p0 = % die Gleichung des Boyle-Gay Lus-
sac'schen Gesetzes
vit = 84511^ + »,+ ...) T.
Diesem Resultat entsprechend liegt es nahe, die Ur-
1) Planck, Zeitschrift f. phys. Chem. V, S. 187.
2) Gibbs, Transactions of the Connecticut. Äc. III, 138.
das thermische Potential für verdünnte Lösungen. 453
sache des osmotischen Druckes in den Stößen zu su-
chen, welche von den Molekeln des gelößten Körpers
auf die Membran ausgeübt werden. Daß nach dieser von
van t'Hoff begründeten Anschauung der osmotische Druck in
der That gleich ist der Differenz der hydrostatischen Drucke zu
beiden Seiten der Membran ergiebt sich aus der folgenden Ueber-
legung. Die Zelle sei hergestellt aus einer durch die Membran
unten verschlossenen Glasröhre, welche mit Salzlösung gefüllt und
in ein mit dem Lösungsmittel gefülltes Gefäß gestellt wird. Die
freie Oberfläche der Salzlösung wird durch die gegen sie gerich-
teten Stöße gehoben , bis der Druck der gehobenen Säule gleich
dem osmotischen durch die Stöße verursachten Druck ist. Der
Druck der gehobenen Säule ist aber andererseits gleich der Diffe-
renz der hydrostatischen Drucke zu beiden Seiten der Membran,
womit die Behauptung bewiesen ist.
Unter der Voraussetzung , daß der osmotische Druck durch
die Stöße der Molekeln gegen die halbdurchlässige Membran, be-
ziehungsweise gegen die freie Oberfläche der Flüssigkeit hervor-
gebracht werde, ergiebt sich aber andererseits
n1(ilg\ + n1ittg\ + ..
71 = i
3 V
wo /ti das Molekulargewicht , g die Geschwindigkeit der gelößten
Molekeln. Ist diese letztere dieselbe wie im Gaszustande, so ist
das Gesetz identisch mit dem entsprechenden Gesetze der Gas-
theorie. Der Unterschied zwischen einem freien und einem in Lö-
sung befindlichen Gase würde dann wesentlich durch die verschie-
dene Länge der freien Wege begründet sein.
Wir geben endlich noch zwei Anwendungen der Potential-
theorie , welche nicht eben so sicher erscheinen, wie die im Vor-
hergehenden behandelten , da sie zwei weitere Annahmen von ei-
nigermaßen hypothetischer Natur nothwendig machen. Die erste
Annahme besteht darin , daß wir die Potentialtheorie auch für
solche Veränderungen als gültig betrachten, welche zu labilen Zu-
ständen der Ueber- oder Untersättigung führen. Die zweite An-
nahme ist, daß die in den Gleichungen 4 gegebenen Ausdrücke auch
für die Potentiale gesättigter Lösungen gelten, vorausgesetzt, daß
die gelösten Körper in dem Lösungsmittel nur wenig lößlich sind.
Nachrichten d. E. G. d. W. zu Göttinnen. 1890. Nr. 14. 38
454 Eduard Riecke
6. Erniedrigung der Löslichkeit.
Wir betrachten mit N ernst1) zwei Flüssigkeiten a und &,
welche nur wenig in einander löslich sind; schichten wir diesel-
ben über einander , so bilden sich zwei Lösungen, von welchen die
eine auf na (/-Molekeln von avb ^-Molekeln von b, die zweite auf
nb 0- Molekeln von b va ^-Molekeln von a enthalten möge. Die
G-leicbgewichtsbedingungen sind :
a b
^(p,T)-BbT^- = Mi(p,T)+BbTlog^.
Es mögen nun in der Componente a irgend welche in b nicht lös-
liche Körper in geringer Menge gelößt werden; die Folge davon
wird sein , daß ein Theil der va ^-Molekeln von a , welche bisher
in b gelößt waren, nach a zurückwandert; es bildet sich ein neuer
Gleichgewichtszustand zwischen den beiden Lösungen aus , bei
welchem einerseits auf na ^-Molekeln von a v[ ^-Molekeln von b,
und nv n2, n3 . . . (/-Molekeln der fremden Körper, andererseits auf
nb Molekeln b v'a Molekeln von a kommen. Die neuen Gleichge-
wichtsbedingungen sind :
h{P,T)-B.Tvi+n^n'+-- = M„{p, T) + R Jlog^-
* (P, T)-BbT^- = Mb (p, T) + BbTlog^-.
Die Verbindung dieser Gleichungen mit den vorhergehenden giebt :
»»-*£- «+**+•■•) . lo K
na va
Va—K
va
y — y1
V*~~Va . Wl + W2+. . .
oder allgemeiner mit Benützung der Gleichung 4
K—K nt + n2 + . .
und dieß ist der von Nernst in einer Reihe von Fällen experi-
mentell bestätigte Satz.
1) Zeitschr. f. phys. Chemie. VI, S. 16.
das thermische Potential für verdünnte Lösungen. 455
7. Das Henry'sche Absorptionsgesetz.
Betrachten wir den in Gleichung 4 gegebenen Ausdruck für
das Potential eines in geringer Menge in einer Flüssigkeit geloßten
Stoffes als gültig auch für den Fall der Absorption eines Gases
durch eine Flüssigkeit, so ergiebt sich durch Gleichsetzen der Po-
tentiale des freien und des absorbirten Gases
RT\ogplR + E+T(yLcp-H-WcvlogT) = M+RTlogn/N.
Hier bezeichnet n die Anzahl der absorbirten Grammmolekeln des
Gases , N die Zahl der Molekeln der absorbirenden Flüssigkeit.
Setzen wir zur Abkürzung
Slcp~If— %cv\ogT — R®, so ergiebt sich
n = Np-
R
Soll das Henry' sehe Gesetz erfüllt sein , so muß in dem Falle
eines absorbirten Gases die im allgemeinen von p und T abhän-
gende Function M sich auf eine Function von T allein reduciren.
Mit Hülfe desselben Ansatzes ergiebt sich , wie man leicht
sieht, auch das Dalton'sche Gesetz über die Absorption eines
Gasgemenges.
Wir betrachten endlich noch den Fall eines Gases, wel-
ches sich bei der Absorption dissoeiirt. Der Einfach-
heit halber nehmen wir an, daß jede Molekel des Gases in zwei
Theilmolekeln zerfalle. Ist nx die Anzahl der nicht dissoeiirten
^/-Molekeln in der Flüssigkeit, n2 die Anzahl der dissoeiirten, so
erhalten wir die beiden Gleichungen
nt = NÄp und ^- = NB
wo A allein abhängig ist von der Temperatur, B von Temperatur
und Druck. Hiernach ergiebt sich für die Gesammtzahl der ab-
sorbirten ^-Molekeln der Werth
nl + n, = NAp(l + \/-2-)
Ap
dieselbe ist dem Drucke nicht mehr proportional.
38
456 Eduard Riecke,
Ueber elektrische Ladung durch gleitende Reibung.
Von
Eduard Riecke.
Riess1) hat im Jahre 1876 eine Reihe von Versuchen mit-
getheilt , welche sich auf die Bestimmung der durch Reibung er-
regten Elektricitätsmengen bezogen. Die kreisförmige Fläche des
Reibzeuges hatte einen Durchmesser von 4 cm; sie bestand aus
Leder, welches mit einer dünnen Schichte von Kienmayers
Amalgam überzogen war. Die geriebene Fläche bestand aus einer
Tafel von Hartgummi mit glänzender Oberfläche, von 73 cm Länge
und 32,5 cm Breite. Seine Versuche beschreibt Riess in folgen-
der Weise. Das unbeschwerte Reibzeug wurde auf die Hart-
gummitafel gestellt und mit Hülfe eines isolirenden Handgriffes
in gerader Linie um 1 Zoll = 2,7 cm behutsam fortgeführt. Die
dabei stattgefundene Reibung wird zur Einheit der Reibungsmenge
genommen. Dann wurde das Reibzeug behutsam abgenommen,
auf eine frische Stelle der Platte gesetzt , wiederum einen Zoll
weit fortgeführt u. s. w. Die Anzahl dieser Operationen bestimmte
den Werth der Reibungsmenge. War die gewünschte Menge er-
reicht, so wurde mit dem Reiber der Knopf eines Sinuselektro-
meters berührt und die erregte Elektricitätsmenge gemessen. Bei
einer zweiten Versuchsreihe wurden die Reibungsmengen dadurch
gewonnen, daß der Reiber in einem Zuge über eine größere oder
geringere Strecke der Hartgummitafel fortgezogen wurde. Als
Resultat dieser Untersuchungen ergaben sich die folgenden Sätze:
„Durch fortgesetzte Reibung wird desto weniger Elektricität
erregt, je größer die vorangegangene Reibung war."
„An zwei vorläufig elektrisirten Flächen erregt die Reibung
eine kleinere Elektricitätsmenge, als wenn die eine Fläche unelek-
trisch ist.".
Durch die Versuche von Riess wurde ich veranlaßt zu dem
Versuche einer Theorie der Elektricitätserregung durch Reibung 2),
welche auf den folgenden Grundlagen beruht. Es wird zunächst
angenommen, daß der Reiber die Gestalt eines Rechteckes besitzt,
dessen Breite äußerst klein ist im Vergleich zu seiner Länge.
Wird ein solcher Reiber parallel mit seiner Breite über die ge-
riebene Fläche fortgeführt, so wird die erregte Elektricitätsmenge
1) Berl. Monatsber. 1876. S. 301.
2) Gott. Nachr. 1877. Nr. 25. Wied. Ann. Bd. 3. S. 414.
über elektrische Ladung durch gleitende Reibung. 457
proportional der Oberfläche des Reibers und proportional der ge-
riebenen Fläche gesetzt: außerdem wird angenommen, daß eine
fortdauernde Wiedervereinigung der geschiedenen Elektricitäten
erfolge nach demselben Gesetze , welches für die Zerstreuung der
Elektricität in der Luft gilt. Die theoretischen Folgerungen aus
diesen Annahmen standen in Uebereinstimmung mit den Versuchen
von Riess und ebenso mit den Beobachtungen, welche Carl Sche-
ring auf meine Veranlassung hin ausgeführt hat1).
Der Zweck von Beobachtungen, welche ich im Februar und
März 1888 angestellt habe, war es , das zur Zeit noch sehr unzu-
längliche Beobachtungsmaterial zu vermehren; dabei wurde im
Wesentlichen die von Riess angegebene Methode der Beobachtung
beibehalten, dieselbe wurde nur auf eine größere Zahl verschieden-
artiger Körper in Anwendung gebracht ; zur Messung der erregten
Elektricitätsmengen wurde ein Goldblattelektroskop benützt und
es wurden endlich die an diesem Elektroskop beobachteten Aus-
schläge auf absolutes elektrostatisches Maaß reducirt.
1. Die reibenden Körper.
Als reibende Körper wurden benützt: Platten von Bernstein,
Glas, Hartgummi, Holz , Nickel , Schellack , Schwefel und Siegel-
lack. Dieselben hatten meist eine rechteckige beziehungsweise
quadratische Form; eine von einem natürlichen Schwefelkrystall
abgeschnittene Platte hatte die Gestalt eines Parallelogramms,
eine zweite ebensolche die Gestalt eines Paralleltrapezes; zwei
Holzplatten waren kreisförmig begrenzt. In der Mitte war an
allen Platten ein dünner Stil von Hartgummi befestigt von einer
Länge von beiläufig 15 mm; oben trug dieser Stil ein rechtwink-
liges Kreuz von Hartgummi, dessen Arme eine Länge von 30 mm
besaßen. Bei der Reibung wurden die Platten mit den Spitzen
von 4 Fingern in den Endpunkten des Kreuzes gefaßt und mit
mäßigem Drucke und geeigneter Geschwindigkeit über eine zuvor
abgemessene Strecke der geriebenen Fläche hinweggeführt. Sie
wurden sodann abgehoben und mit dem einen Arme des Kreuzes
über dem Knopfe des Goldblattelektroskopes aufgehängt, welches
zur Messung der Elektricitätsmengen diente. Die Entfernung
zwischen den Platten und dem Knopfe des Elektroskops betrug
etwa 6 cm.
2. Die geriebenen Flächen.
Als geriebene Körper wurden vorzugsweise verwandt Flanell
und Seide; bei einer kleineren Zahl von Versuchen aucli Katzen-
1) Wied. Ann. Bd. 3. S. 465.
458 Eduard Riecke,
pelz. Flanell und Seide wurden in rechteckigen Stücken ver-
wandt, welche aus mehreren Lagen über einander bestanden; ihre
Länge betrug 83 cm, ihre Breite 11 cm. An ihren breiten Seiten
waren die Stücke auf Hartgummicylindern befestigt; diese wurden
mit ihren vorstehenden Enden in zwei feste Lager eingelegt, so
daß die geriebenen Flächen zwischen denselben in horizontaler
Richtung sich ausdehnten. Um eine ebene Reibungsfläche von ge-
nügender Festigkeit herzustellen, wurde gegen die Flanell- oder
Seidenstücke von unten eine horizontal gestellte Glasplatte ge-
drückt, so daß dieselben straff gespannt waren und keine Faltung
zeigten. Wurde die Länge der geriebenen Flächen von dem Rei-
ber mehrmals durchlaufen, so wurde darauf geachtet, daß dieß
stets an einer neuen Stelle geschah. Nach jedem einzelnen Versuch
wurde die geriebene Fläche durch Bestreichen mit einem Spitzen-
kamm, die Fläche des Reibers mit Hülfe einer Flamme entladen.
3. Das Elektroskop.
Das Elektroskop war ein einfaches Goldblattelektroskop, wel-
ches zum Schutze gegen äußere Störungen in einen metallenen
Kasten eingeschlossen war. Dieser war an zwei einander gegen-
überliegenden Stellen mit Oeffnungen versehen, so daß die Ver-
bindungslinie derselben senkrecht zu der Divergenzebene der Blät-
ter stand. Die hintere Oeffnung diente zur Beleuchtung der Blät-
ter ; die vordere trug eine Linse, durch welche das Bild der Blätter
auf den Grlasmaaßstab geworfen wurde, an welchem ihre Diver-
genz beobachtet wurde.
Die Reduktion der Ausschläge des Elektroskopes auf abso-
lutes elektrostatisches Maaß geschah in folgender Weise. Ueber
den Knopf des Elektroskops wurde die geladene Standkugel einer
elektrischen Drehwage gestellt und der hierdurch erzeugte Aus-
schlag gemessen; es wurde hierauf die Standkugel in die Dreh-
wage gebracht und die Abstoßung ihres Balkens beobachtet. So-
dann wurde die Standkugel in das Elektroskop zurückgestellt und
von neuem der Ausschlag gemessen; diese alternirenden Beobach-
tungen wurden fortgesetzt, bis die Ausschläge in Folge der Zer-
streuung auf einen nur noch kleinen Betrag gesunken waren. Die
elektrische Ladung der beweglichen Kugel der Drehwage war
zu Anfang der ganzen Beobachtungsreihe in absolutem Maaße be-
stimmt worden; ihre Abnahme im Verlauf der Beobachtungen
wurde berechnet mit Hülfe des Werthes , welcher sich aus den
Messungen selbst für den Zerstreuungskoefficienten in der Dreh-
wage ergab.
über elektrische Ladung durch gleitende Reibung. 459
Wir stellen zunächst die Ladungen ex der Standkugel (mm,
mg, sec) zusammen mit den entsprechenden Ausschlägen A des
Elektroskopes und dem Verhältniß eJA.
et 8770 5378 5203 4830 4200 2055
A 28.3 16.7 18.4 15.4 13.9 6.7
eJA 303 322 283 314 303 307.
Im Mittel ist eJA = 304.
Bezeichnen wir durch qn die Capacität der Standkugel der
Drehwage, wenn sie dem Knopfe des Elektroskops gegenüberge-
stellt ist, durch q12 die Capacität dieses letzteren, so ergiebt sich
für die Ladung der Groldblätter der Werth
Qu
Die Capacitäten ergeben sich mit Hülfe der Formeln , welche ich
in einer früheren Abhandlung1) entwickelt habe, aus den Durch-
messern und dem Centralab stand der beiden Kugeln. Nun war
der Halbmesser der Standkugel a = 6,07 mm, der Halbmesser
der Kugel des Elektroskopes b = 5,80 mm; der Centralab stand
c = 18,62 mm. Hiernach ergiebt sich:
qn = 6,867, q12 = -2,163
und somit die elektrische Ladung der Goldblätter in mm, mg, sec
e3 = 96^1.
Dieses Resultat stimmt nahe überein mit dem in der ange-
führten früheren Arbeit gefundenen, obwohl die Verhältnisse des
Versuches wesentlich andere sind. Der früher gefundene Werth
ist e3 = 97 A (mm, mg, sec).
Es mögen endlich noch die Formeln angeführt werden, mit
Hülfe deren die auf den Reiberflächen erzeugten elektrischen Dich-
tigkeiten aus den Ausschlägen des Elektroskops berechnet wurden.
Vorausgesetzt ist, daß die Fläche der Platten senkrecht stehe
gegen die Linie, welche den Mittelpunkt der Elektroskopkugel mit
dem Mittelpunkt der Platten verbindet. Bezeichnen wir den Ab-
stand einer Platte von dem Mittelpunkt der Kugel durch d, den
Halbmesser der Kugel durch a, die elektrische Dichtigkeit an der
Oberfläche der Platte durch e , so wird die Menge der in der Ku-
gel inducirten ungleichnamigen, der in den Groldblättern sich sam-
melnden gleichnamigen Influenzelektricität gegeben durch
1) Gütt. Nachr. 1885. S. 4J6. Wied. Ann. Bd. 28. S. 55.
460 Eduard Riecke,
+ Z/2 + &/2
"iL
ä%äri
6/2
| und r\ sind die rechtwinkligen Coordinaten mit Bezug auf
zwei in der Ebene der Platte durch ihren Mittelpunkt hindurch-
gelegte Axen, l ist die Länge, b die Breite der Platte. Die In-
tegration nach 17 giebt:
e3 = q8+LilogV/g±gg±g + ^.
Woraus durch partielle Integration:
V5P|
a ? £ los: — — a& « /
4/^2 , r+*>2 *« J7,0(^2+S2)^2
t ^H--1-^ 6/2 -Z/2
und
V/*+££ + »/2 V^ + ^ + V*
e, = a^log — h a& flog — =
— 4: aas arc sin
4:\/d2 + V/4:\Jd2 + l2/4:
Sind die Dimensionen der Platte klein gegen die Entfernung d,
so kann man setzen:
Führt man an Stelle der elektrischen Ladung der Groldblätter ihre
Divergenz A ein, so ergiebt sich zur Berechnung der elektrischen
Dichtigkeit e die Formel
•»tt-m-**
Ist die Platte durch einen Kreis vom Halbmesser r begrenzt, so
lautet dieselbe:
«"■SCH?)-*"
über elektrische Ladung durch gleitende Reibung.
461
4. Versuche mit Hartgummischeiben.
Es war nothwendig, zunächst mit Benützung eines und des-
selben Stoffes eine etwas größere Zahl von Versuchen auszuführen,
um ein Urtheil über den gesetzmäßigen Verlauf derselben und die
Constanz der Resultate zu erhalten. Es wurden zu diesem Zwecke
drei Platten von Hartgummi benützt, welche aus einer Tafel von
6,5 mm Dicke herausgeschnitten waren. Die Ergebnisse der Ver-
suche sind in den folgenden Tabellen zusammengestellt. Die
Länge der Platten ist mit l , ihre Breite mit b bezeichnet ; T ist
die Temperatur , q die relative Feuchtigkeit , A der beobachtete
Ausschlag des Elektroskops , 5 die von der Platte durchlaufene
Strecke in cm. Bei zwei Scheiben wurden je drei, bei der dritten
vier korrespondirende Versuchsreihen ausgeführt. Die geriebene
Fläche bestand aus Flanell.
I. Scheibe. I = 29,2 (mm) b = 10,4 (mm)
A„ = 15,5 a = 25,2 (cm).
T
19.9
19.1
19.5
Q
52
51
47
A
A
s (cm)
A
Mittel
berechn.
25
8.4
10.3
10.0
9.6
9.8
50
13.8
12.7
14.2
13.6
13.3
75
15.4
14.2
14.7
14.8
14.7
150
15.5
14.3
14.8
14.9
15.5
300
15.5
14.7
15.4
15.2
15.5
Die berechneten Werthe sind erhalten mittelst der Formel
= ^„d-e «)■
Führt man die Platte über eine Strecke von a = 25,2 cm der
geriebenen Flanelloberfläche hinweg, so erhält man hiernach 63%
der schließlich erreichten elektrischen Ladung. In derselben Weise
sind auch die Beobachtungen der folgenden Tabellen berechnet.
462
Eduard Riecke,
II. Scheibe. I = 29.9 (mm) b = 19.9 (mm)
A„ = 22.7 a = 29.9 (cm).
T
17.2
17.5
18.8
Q
51
53
50
A
A
s (cm)
A
Mittel
berechn.
25
11.2
13.4
12.8
12.5
12.8
50
17.4
19.5
19.1
18.7
18.4
75
20.4
21.7
21.0
21.0
20.9
150
21.1
22.2
22.3
21.9
22.6
300
22.8
22.3
22.5
22.7
III. Scheibe. I = b == 30.1 (mm)
An = 27.7 a == 42.7 (cm)
T
19.0
19.2
17.9
17.3
Q
50
53
51
48
A
A
s (cm)
1
L
Mittel
berechn.
25
6.5
12.1
15.4
14.6
12.1
12.3
50
14.8
19.6
20.3
22.6
19.3
19.1
75
20.7
26.3
24.2
25.7
24.2
23.0
150
25.6
27.2
27.6
27.2
26.9
26.8
300
27.8
28.8
27.8
27.2
27.7
27.7
Mit Bezug auf die Art und Weise in welcher die vorhergehenden
Beobachtungsreihen gewonnen wurden, möge noch Folgendes be-
merkt werden.
Aus einer Reihe von vorläufigen Versuchen ergab sich, daß
die elektrische Erregbarkeit der Platten durch den Proceß der
Reibung selbst vermehrt wurde. Von einem Versuche zum ande-
ren wurden dieselben in einem mit koncentrirter Schwefelsäure
getrockneten Recipienten aufbewahrt. Wurde nun eine Platte aus
diesem Räume herausgenommen und über eine bestimmte Strecke
des in derselben Weise aufbewahrten Flanellstückes weggeführt,
so ergab sich zunächst eine ziemlich schwache elektrische Ladung.
Diese steigerte sich aber bei jeder Wiederholung der Operation
bis zu einem schließlichen konstant bleibenden Betrage.
Es möge dieß an einem Beispiele erläutert werden. Der Ver-
such wurde ausgeführt mit der quadratischen Hartgummischeibe;
die geriebene Flanellstrecke hatte eine Länge von 75 cm. Die bei
Wiederholung der Reibung der Reihe nach beobachteten Ausschläge
des Elektroskopes waren folgende:
über elektrische Ladung durch gleitende Reibung. 463
10.6 14.5 15.3 18.0 18.4 18.6
19.4 21.6 21.8 22.1 22.8 23.9
23.6 23.9 22.0 23.3 22.5 23.0.
Um nun die Beobachtungen von dem Einfluß dieser Veränderung
zu befreien , wurde jede Beobachtungsreihe damit begonnen , daß
die zu untersuchende Platte wiederholt über eine Strecke von
75 cm gerieben wurde, bis schließlich keine Vermehrung der elek-
trischen Ladung mehr zu beobachten war. Erst nachdem auf diese
Weise eine konstante Oberflächenbeschaffenheit der Platte herge-
stellt war , wurde mit der eigentlichen Versuchsreihe begonnen,
bei welcher in der Regel von kleinen Reibungsstrecken zu größe-
ren fortgeschritten wurde. In dieser Weise schloß sich an die
Versuche, deren Ergebniß in den obigen Zahlen enthalten ist, die
folgende Beobachtungsreihe an.
Reibungsstrecke s = 25 cm.
Ausschläge des Elektroskops bei den einzelnen auf einander-
folgenden Versuchen :
A = 13.0
12.5
14.5
13.0
14.2
15.7
13.9
13.6
15.3
13.7
14.7
16.7
15.0
15.5
15.0
17.2
17.4
16.8
Mittel A = 15.4.
Reibungsstrecke s =
50 cm.
Ausschläge: A = 18.8
19.0
20.9
21.2
19.7
20.8
20.1
21.6
20.3
20.3
20.6
20.3
Mittel A = 20.3.
Reibungsstrecke s =
75 cm.
Ausschläge: A = 25.7
23.2
26.0
24.5
25.0
24.7
24.4
23.1
24.0
24.0
24.4
24.4
Mittel A = 24.4.
Reibungsstrecke s =
150 cm.
Ausschläge: A = 27.9
24.0
26.0
29.0
26.0
28.0
27.0
29.9
26.3
29.3
27.5
27.6
Mittel 27.6.
Reibungsstrecke s =
300 cm.
Ausschläge: A = 26.3
27.6
29.3
28.0
28.1
27.0
26.7
29.3
27.7
28.7
27.8
27.5
Mittel 27.8.
Man sieht daß bei dieser Beobachtungsreihe auch durch die
vorausgegangene wiederholte Reibung keine vollkommen konstante
Beschaffenheit der Oberfläche erreicht war; es findet bei den bei-
den kleinsten Reibungsstrecken noch ein deutliches Ansteigen der
Ladung bei wiederholter Reibung statt, und der bei der Strecke
464
Eduard Riecke,
s = 75 cm erreichte Betrag der Ladung ist größer als bei den
Vorversuchen. Uebrigens muß hervorgehoben werden, daß mit
Bezug hierauf die Beobachtungsreihen im Granzen günstigere Ver-
hältnisse darbieten als die hier mitgetheilte.
5. Zusammenstellung der Dimensionen der bei
den Versuchen benützten Platten.
Die Länge derselben ist ebenso wie früher mit 7, die Breite
mit b} die Dicke mit h bezeichnet; d ist der Abstand, in welchem
die geriebene Fläche der in das Elektroskop gehängten Platten
von dem Mittelpunkte der Kugel sich befand; die Angaben be-
ziehen sich auf das mm als Längeneinheit.
i
b
h
d
I
27.9
27.9
4.8
72.3
Bernstein
II
III
25.4
25.2
20.1
23.2
2.4
1.9
73.9
75.1
IV
27.5
19.4
3.3
73.7
I
29.1
29.1
2.1
73.8
Glas
II
29.8
14.7
2.1
73.7
III
29.6
29.6
1.0
74.8
IV
29.7
14.8
1.0
75.2
I
30.1
30.1
6.5
69.8
II
29.9
19.9
6.5
69.8
Hartgummi
III
29.2
10.4
6.5
69.9
IV
29.7
29.7
2.0
74.8
V
30.1
20.2
2.0
74.7
VI
29.8
10.1
2.0
74.8
Holz
I
r =
15.6
6.0
70.0
II
r =
15.1
6.0
70.0
Nickel
I
20.4
20.4
2.8
73.8
II
20.4
20.4
2.8
73.7
Schellack
I
28.6
28.6
6.0
71.3
II
29.7
14.4
6.0
70.9
I
30.6
30.6
6.2
70.7
Schwefel
II
30.3
15.0
6.2
69.9
rri
22.9
14.8
5.0
68.8
IV
24.6
12.8
5.4
69.5
Siegellack
i
ii
29.4
29.4
29.4
14.8
6.0
6.0
70.9
71.7
Von den beiden Holzplatten war die erste aus Buchsbaumholz, die
zweite aus einem schwarzen, harten Holze kreisförmig ausgedreht.
Von den Schwefelplatten bestanden die beiden ersten aus käufli-
chem Stangenschwefel, die dritte und vierte waren aus einem na-
türlichen Schwefelkrystall geschnitten, und zwar die dritte in der
Form eines Paralleltrapezes parallel einer Oktaederfläche, die vierte
über elektrische Ladung durch gleitende Reibung.
465
in der Form eines Parallelogramms parallel der Geradendfläche ; bei
der dritten bedeutet l die halbe Summe der parallelen Seiten, bei
der vierten b die Höhe des Parallelogramms.
Von den Glasplatten stammten die beiden ersten von einer
Scheibe farblosen, die dritte und vierte von einer Scheibe grünen
Glases. Die beiden ersten Bernsteinplatten waren durchsichtig,
gelb, die dritte und vierte milchig getrübt.
6. Die beobachteten Maxima der elektrischen
Ladung und die Flächen dichtigk eiten der Reibungs-
electricität.
Im Folgenden sind für die einzelnen Platten die Ausschläge,
A oo, zusammengestellt, welche sich bei fortgesetzter Vergrößerung
der beim Reiben durchlaufenen Strecke schließlich ergaben; es
sind außerdem die elektrischen Dichtigkeiten in cm. g. s. angegeben,
welche mit Hülfe der früher angeführten Formel aus den betref-
fenden Werthen von A<*> folgen.
Bernstein
Glas
Hartgummi
Holz
Nickel
Schellack
Schwefel
Siegellack
I
24.5
3.89
i
22.3
II
18.7
4.56
11.9
2.90
18.0
III
17.0
3.69
IV
17.1
4.00
16.8
I
15.4
II
11.3
3.21
11.8
III
12.0
1.76
10.4
IV
9.8
2.84
10.9
I
27.7
3.88
23.6
II
22.7
4.54
12.7
2.54
20.9
in
15.5
6.00
13.8
IV
22.9
3.34
20.6
V
17.0
3.55
11.0
2.30
17.1
VI
12.5
5.21
11.1
i
22.4
3.43
13.2
ii
6.8
1.11
i
10.8
3.45
11.0
ii
10.9
i
23.0
3.47
22.0
ii
21.6
6.07
11.6
3.26
19.8
i
27.2
3.54
25.9
H
21.6
5.64
14.0
3.65
21.3
III
11.7
IV
12.5
I
25.8
3.66
25.0
II
22.0
6.11 I
13.3
3.70
20.8
3.55
4.39
3.93
2.31
3.35
1.53
3.16
3.30
4.18
5.34
3.01
3.57
4.63
2.02
3.52
3.49
3.32
5.56
3.37
5.56
3.99
4.55
3.55
5.78
466
Eduard Riecke,
Aus dieser Zusammenstellung ergiebt sich zunächst
unzweideutig die Thatsache, daß die durch die
Reibung erzeugte maximale elektrische Dichtigkeit
um so kleiner ist, je größer die Fläche des Reibers.
Man kann zunächst vermuthen, daß der Unterschied zwischen den
beobachteten Dichtigkeiten nicht sowohl durch die Verschieden-
heit der Größe, als durch die der Form bedingt ist; daß aber die
Form für die schließlich erreichten elektrischen Dichtigkeiten we-
nigstens nur von untergeordneter Bedeutung ist , ergiebt sich aus
Versuchen, bei welchen Platten von länglicher Form das eine mal
der Breite, das andere mal der Länge nach fortgeführt wurden;
die hierbei beobachteten Ausschläge A sind im Folgenden zusam-
mengestellt.
Der Breite nach
Der Länge nach
Hartgummi
Schwefel
II
225
III
75
in
150
VI
150
IV
75
20.0
13.2
13.2
10.6
12.5
20.4
13.8
12.3
11.1
11.0
Um eine Vergleichung der bei den verschiedenen Körpern auf-
tretenden elektrischen Dichtigkeiten zu erhalten, kann man die
beobachteten Werthe von s^ auf gleichen Inhalt der Reiberflächen
reduciren. Es empfiehlt sich zu diesem Zwecke eine Fläche von
5 cma und mit Bezug auf diese ergaben sich dann die folgenden
Werthe.
Maximale elektris che Dichtigkeit bei einer Rei-
berfläche von 5 cm2 Inhalt.
Reibung an Wolle
foo
Reibung an Seide
foo
Siegellack
5.70
Siegellack
5.40
Schellack
5.57
Schwefel
5.39
Schwefel
5.48
Schellack
5.12
Hartgummi I — III
4.82
Hartgummi I — III
4.43
Bernstein I u. II
4.60
Bernstein I u. II
4.40
Bernstein III u. IV
4.18
Bernstein III u. IV
4.11
Hartgummi IV — VI
3.90
Hartgummi IV — VI
3.80
Glas I u. II
3.18
Glas in u. IV
2.65
Glas in u. IV
2.90
Bei den Holzplatten, den Nickelplatten und den aus einem Schwe-
felkrystall geschnittenen Platten ist eine Reduktion auf einen Flä-
über elektrische Ladung durch gleitende Reibung. 467
cheninhalt von 5 cm2 nicht ausführbar. Bei einem Flächeninhalt
von 7.6 cm2 würden die Hartgummiplatten III — VI eine elektrische
Dichtigkeit e«> = 3.42 liefern ; es würde also die erste Holzplatte
eine elektrische Erregung zeigen von derselben Stärke wie die
zweite Reihe der Hartgummiplatten. Die bei der Reibung der
Nickelplatten an Seide erregte elektrische Dichtigkeit stimmt ebenso
überein mit der durch die Reibung einer gleich großen Fläche der
ersten Glassorte erzeugten. Die Erregbarkeit der nach der Gerad-
endfläche des Crystalls geschnittenen Schwefelplatte erweist sich
als nahezu gleich der Erregbarkeit der zweiten Hartgummisorte;
die Erregbarkeit der der Oktaederfläche parallelen Platte ist ge-
ringer. Eine sehr schwache Erregbarkeit zeigt endlich die Holz-
platte II.
Aus der Betrachtung der im Vorhergehenden gegebenen Zu-
sammenstellung ergiebt sich Folgendes.
Alle Körper, welche mit Wolle und Seide gerieben
negativ elektrisch werden, geben mit Wolle größere
elektrische Dichtigkeiten als mit Seide.
Glas, welches bei der Reibung an Wolle und Seide
positiv elektrisch wurde, giebt mit Seide eine größere
elektrische Dichtigkeit als mit Wolle.
Ordnet man die als Reiber benützten Stoffe nach
der bei gleicher reibender Fläche erreichten elek-
trischen Dichtigkeit, so ist, mit einer einzigen kleinen
Ausnahme, die Reihenfolge dieselbe bei Wolle, wie bei
Seide.
Besteht für die Spannungen, welche durch Reibung verschieden-
artiger Stoffe an ihrer Oberfläche erzeugt werden, ein dem Volta-
schen Spannungsgesetze analoges Gesetz, so würde die Differenz
der Dichtigkeiten , welche bei \ der Reibung eines und desselben
Körpers an Wolle und Seide auftreten, der Dichtigkeit entsprechen,
welche durch Reibung von Seide an Wolle erzeugt wird.
Den in der vorhergehenden Tabelle enthaltenen Zahlen zufolge
schwankt jene Differenz zwischen 0.09 und 0.45 ; im Mittel ist sie
gleich 0.23. Hiernach lassen sich die Resultate, unse-
rer Messungen in der einen Spannungsreihe ver-
einigen:
Glas I— H Glas III— IV Wolle Seide Holz II Nickel
2.95 2.65 0 0.23
Hartgummi IV — VI Bernstein III, IV Bernstein I, II
Holz I
3,90 4.18 4.60
468
Eduard Riecke,
Hartgummi I — III
4.82
Schwefel
5.48
Schellack
5.57
Siegellack
5.70.
Die unter den Stoffen stehenden Zahlen geben die elektrischen
Dichtigkeiten in cm, g, sec, welche bei der Reibung von 5 cm2
großen Flächen an Wolle erzeugt wurden.
7. Ueber die Zunahme der electrischen Ladung
mit wachsender Reibungsstrecke.
Wir haben im vierten Abschnitte die mit den Hartgummi-
platten bei der Reibung an Wolle erhaltenen Beobachtungen mit
Hülfe der Exponentialformel
0
Ä = Aoo(l-e~"")
dargestellt. Die Zahl a , welche den Nenner des Exponenten bil-
det, giebt die Strecke an , über welche der Reiber hinweggeführt
werden muß, damit die erreichte Ladung 63 % der schließlichen
Ladung beträgt. In diesem Sinne würde die Angabe der Zahl a
auch dann zur Charakterisirung der Versuchsergebnisse dienen,
wenn das obige Gesetz nur näherungsweise gültig sein würde.
Nur bei einem Theile der Beobachtungen lag eine solche Zahl zu-
sammengehörender Werthe von A und s vor, daß eine Berechnung
der Wege a versucht werden konnte. Für diese sind im Folgen-
den die maximalen elektrischen Dichtigkeiten mit den entsprechen-
den Werthen von cc zusammengestellt; die letzteren sind in cm
angegeben.
WoUe
Seide
«oo «
«oo «
Bernstein
I
m
3.69
41
3.55
39
i
2.31
260
Glas
n
3.21
350
3.35
160
in
1.76
400
i
3.88
43
3.30
22
n
4.54
30
4.18
55
Hartgummi
ni
IV
6.00
3.34
25
37
5.34
3.01
15
25
V
3.55
33
3.57
37
VI
5.21
28
4.63
16
Holz
i
3.43
52
Nickel
i
3.45
32
über elektrische Ladung durch gleitende Reibung.
469
Wolle
Seide
«oo CC
«00 «
Schellack
I
n
3.47
6.07
46
63
3.32
35
Schwefel
i
h
3.54
5.64
83
37
Siegellack
i
3.55 j
39
Nimmt man von den in dieser Tabelle enthaltenen Werthen die
Mittel, so ergiebt sich die folgende Zusammenstellung, welche eine
Vergleichung der den einzelnen Stoffen entsprechenden Wege we-
nigstens der Größen-Ordnung nach gestattet.
Bernstein Glas' Hartgummi I — HE Hartgummi IV — VI
«(cm) 40 290 32 29
Holz Nickel Schellack Schwefel Siegellack
«(cm) 52 32 51 60 39.
Hiernach ist die Größenordnung von a bei der Mehrzahl der
Stoffe dieselbe; nur das Glas zeichnet sich aus durch den großen
Betrag, welchen « insbesondere bei der Reibung an Wolle er-
reicht. Dem entspricht der Umstand, daß bei den Glasplatten die
Reibung in der Regel bis zu einer Strecke von 12 m ausgedehnt
wurde, um den Maximalbetrag der Ladung zu erhalten, während
bei den übrigen Platten eine Strecke von 3 m im Allgemeinen ge-
nügend war.
Den von mir früher auf theoretischem Wege abgeleiteten For-
meln nach müßte zwischen den Größen s^ und a ein gewisser Zu-
sammenhang bestehen. Bezeichnet man nemlich durch u die Ge-
schwindigkeit, mit welcher der Reiber gegen die geriebene Fläche
bewegt wird , durch q den Coefficienten der Zerstreuung bei der
Berührung zwischen Reiber und Reibzeug, durch x einen Coeffi-
cienten , welcher der elektrischen Spannung zwischen den beiden
sich berührenden Flächen proportional ist, so würden die Bezie-
hungen stattfinden
e^ = xu/q und a = ujq
und es müßte hiernach £oo/« eine für die Reibung zweier Stoffe
charakteristische Constante sein. Man überzeugt sich leicht, daß
diese Beziehung durch die in der vorhergehenden Tabelle zusam-
mengestellten Zahlen nicht bestätigt wird. Es mag dieß seine Er-
klärung zunächst darin linden, daß die Voraussetzungen der Theorie
Nachrichten von der K. G. d. W. m Göttingen 1890. No. 14. 39
470 Eduard Riecke, über elektrische Ladung durch gleitende Reibung.
bei den Versuchen nicht erfüllt sind. Diese letztere beruht auf
der Annahme einer konstanten Geschwindigkeit u. Bei den Ver-
suchen war die Geschwindigkeit am Anfang und Ende der Strecke
von 75 cm, welche jeweilig in einem Zuge durchlaufen werden
konnte, jedenfalls geringer als in der Mitte derselben. Die Theo-
rie betrachtet ferner die an einander geriebenen Flächen als voll-
kommen isolirend ; sie sieht ab von den Elektricitätsmengen, welche
an die Luft und an die nicht berührten Stellen der geriebenen
Oberflächen abgegeben werden; sie nimmt endlich keine Rücksicht
auf die Aenderung der Ladungen, welche durch dielektrische Po-
larisation der Platten bedingt ist. Außerdem muß aber hervorge-
hoben werden, daß die Werthe von cc, wie sie aus den Beobach-
tungen abgeleitet wurden , mit einer ziemlichen Unsicherheit be-
haftet sind. Die für Hartgummi mitgetheilten Tabellen zeigen,
daß in den einzelnen Beobachtungsreihen zwar die schließlich er-
reichten Ladungen nahezu dieselben sind , daß aber in der Art
des Ansteigens der Ladung große Verschiedenheiten obwalten.
Ferner ist die Zahl der zu der Berechnung von a verwendba-
ren Werthpaare A, s eine sehr kleine, in den meisten Fällen höch-
stens gleich 3, bei Glas gleich 4 — 6. Durch diese Umstände wird
es bedingt, daß die mitgetheilten Werthe von a im Allgemeinen
nur bis auf 10 Einheiten, bei Glas bis auf 50 Einheiten als rich-
tig zu betrachten sind. Die genauere Bestimmung des Zerstreu-
ungskoefficienten erscheint als eine Aufgabe von großem Interesse.
Man kann nemlich vermuthen, daß eine Spannungsreihe existirt für
die Constanten %\ mit dieser Reihe würden die aus der Beobach-
tung der maximalen Ladung sich ergebenden nur dann überein-
stimmen , wenn die Zerstreuung für alle an einander geriebenen
Stoffe die gleiche wäre; Abweichungen verschiedener Reihen kön-
nen durch die Verschiedenheit der Zerstreuung bedingt sein. Durch
die vorhergehenden Untersuchungen ist mit Sicherheit nachgewie-
sen, daß der Weg a für Glas wesentlich größer, die Zerstreuung
also wesentlich kleiner ist als bei den anderen Stoffen. Würde
man also den Uebergang machen von den maximalen Dichtigkeiten
£oo zu den Constanten x, so würde zwar die aufgestellte Reihe die-
selbe bleiben, aber es würde das Glas der Wolle erheblich näher
rücken.
P. D r u d e u. W. N e r n s t, Einfluß d. Temperatur u. des Aggregatzustandes etc. 471
Einfluß der Temperatur und des Aggregatzustan-
des auf das Verhalten des Wismuths im Magnet-
felde.
(Mit 3 Fig.).
Von
P. Drude und W. Nernst.
In den letzten Jahren sind eine Anzahl eigentümlicher Er-
scheinungen aufgefunden worden, welche in aus metallisch leiten-
dem Materiale gefertigten Platten auftreten, wenn dieselben sich
senkrecht zu den Kraftlinien eines magnetischen Feldes befinden
und entweder von einem galvanischen oder von einem Wärme-
strome durchflössen werden. Es sind dies die von Hall entdeckte
Drehung der Aequipotentiallinien eines galvanischen Stromes, die
von Eighi zuerst beobachtete Widerstandszunahme (Hall' scher
LongitudinalefFekt) ; ferner die thermomagnetischen Transversal-
und Longitudinaleffekte, welche in von einem Wärmestrome durch-
flossenen Platten auftreten (von Ettingshausen und Nernst),
sowie die Umkehrungen derselben, nämlich der galvanomagnetische
Transversaleffekt (von Ettingshausen) und der galvanomagne-
tische LongitudinalefFekt (Nernst), welche wiederum in von einem
galvanischen Strome flurchflossenen Platten beobachtet werden.
Das Interesse, welches den soeben aufgeführten Phänomenen an
sich dargebracht werden muß, weil sie einer neuen Wechselwirkung
zwischen den magnetischen und elektrischen Kräften sowie der
strömenden Wärme ihre Entstehung verdanken, wird noch er-
höht dadurch, daß sie allen Anzeichen nach einst eine gewisse Be-
deutung erlangen werden, wenn es sich um die Lösung der Frage
nach der Natur der galvanischen Stromleitung in den Metallen
handelt. So haben wir es denn unternommen, zu dem experimen-
tellen Studium dieser Phänomene einen Beitrag nach einer Seite
hin zu bringen, welche bisher nur ganz vereinzelt gestreift wurde,
nämlich zu der Frage, wie dieselben , speciell beim Wismuth, von
der Temperatur und dein Aggregatzustande beeinflußt werden,
und zwar wählten wir unter ihnen die beiden zuerst aufgezählten,
weil der Untersuchung der übrigen in ihrer Abhängigkeit von der
Temperatur nicht unbedeutende Schwierigkeiten im Wege stehen.
Der Elektromagnet, dessen wir uns bei unsern Versuchen be-
dienten , besitzt aufrechtstehende Schenkel , auf denen zwei Pol-
39*
472 ?• Drude und W. Nernst,
schuhe horizontal verschoben werden können; dieselbe ist nach
den Angaben von Herrn Prof. Riecke gebaut und hat einige
Aehnlichkeit mit dem großen Elektromagneten der Berliner Aka-
demie J). Der magnetisierende Strom wurde von einer Dynamo-
maschine geliefert und schwankte bei unsern sämtlichen Versuchen
nur wenig um den Mittelwert 10 Ampere; die Intensität des mag-
netischen Feldes , welche dieser Stromstärke und dem bei unsern
Versuchen ebenfalls konstant erhaltenen Abstände der beiden Pol-
schuhe (Länge 20 cm , Breite und Dicke 4 cm) entsprach , betrug
etwa 7000 cgs, wie wir aus der Größe des Halleffektes und der
Widerstandszunahme des Wismuths schätzten.
Das Galvanometer , an dem der Halleffekt und die Wider-
standszunahme gemessen wurde, war eines der bekannten Wie-
demann' sehen Form; es besitzt zwei dickdrähtige Rollen von
zusammen etwa zwei S.E Widerstand und war durch Astasierung
auf genügende Empfindlichkeit gebracht. Es befand sich außerdem
in hinreichendem Abstände vom Elektromagneten, um nicht von
der direkten Fernewirkung desselben in störender Weise beein-
flußt zu werden.
Bei messenden Versuchen ist es natürlich unbedingt erforder-
lich, die zu untersuchenden Platten auf konstanter Temperatur zu
erhalten, damit nicht durch Thermoströme und durch die Beein-
flussung, welche diese und die in der Platte verlaufenden Wärme-
strömungen durch den Magnetismus erfahren, die Beobachtung der
betreffenden Wirkungen unmöglich gemacht oder wenigstens sehr
gestört würde. Wir erzielten die gewünschten hohen Temperatu-
ren durch Dampfbäder , in welche die Platten direkt eintauchten ;
als Heizflüssigkeiten verwendeten wir Wasser (Siedepunkt 100°)
Benzoesäureamylester (254°) und Diphenylamin (310°).
Der Erhitzungsapparat mußte im Hinblick darauf konstruiert
werden, daß der zur Verfügung stehende Raum bei der geringen
Ausdehnung, welche man einem magnetischen Felde geben darf,
wenn man nicht auf Homogenität und Stärke verzichten will, ein
sehr beschränkbar ist. Wir haben schließlich den beistehend
(Fig. 1) abgebildeten Apparat als in jeder Hinsicht zweckmäßig
gefunden ; dieselbe besteht aus einem 7 cm breiten , 23 cm hohen
und 1 cm dicken Kasten, welcher aus 0*8 mm dicken Messingblech
gefertigt und in allen seinen Theilen hart gelöthet war. Der
Kasten wurde zwischen die Polschuhe PP des Elektromagnets
1) Man sehe die Zeichnung bei Quincke, Wied. Ann. 24. 359 (1885).
Einfluß der Temperatur und des Aggregatzustandes etc. 473
fest eingeklemmt ( cf. Fig. 1 ),
an der direkten Berührnng je-
doch durch Asbestpappe gehin-
dert. Um ein Entweichen der
siedenden Dämpfe zu verhüten,
waren an sein oberes Ende zwei
Messingkästen angelöthet, wel-
che mit Wasser gefüllt nach
Art eines Rückflußkühlers in
so vollständiger Weise wirkten,
daß ein Verschluß des mittle-
ren Kasten überflüssig war,
ein Umstand, welcher der be-
quemen Einführung der zu un-
tersuchenden Platten im hohen -t!lS- *•
Grade förderlich war. In die unmittelbare Nähe der Platten
wurde stets die Quecksilberkugel eines Thermometers gebracht.
Um einerseits eine intensive Erwärmung des Kastens zu erzielen,
andrerseits aber die Rollen des Elektromagnets , welche für die
Anbringung der Heizflammen nur einen sehr beschränkten Raum
übrig ließen, nicht der Gefahr des Verbrennens auszusetzen, kon-
struierten wir aus einem einseitig geschlossenen und seitwärts mit
fünf Löchern versehenen Messingrohre einen Brenner, der mit einem
Gemisch von Leuchtgas und Luft gespeist wurde ; letzteres wurde
dadurch erzeugt , daß ein vor den Brenner geschaltetes T-Rohr
mit der Gasleitung und mit einem Wassergebläse kommunizierte.
Diese Vorrichtung gefährdete die Umspinnung der Rollen, welche
durch Messingbleche vor direkter Strahlung geschützt wurden,
nicht im geringsten und lieferte zugleich Wärme genug, um auch
die hochsiedenden Flüssigkeiten nach wenigen Minuten in heftiges
Kochen zu bringen.
Das bei den nachstehend beschriebenen Versuchen benutzte
Wismuth schmolz bei 267° und war jedenfalls sehr rein; es ist
gleicher Herkunft wie dasjenige, welches das Material zu Platte
No. II lieferte, die früher1) von mir bezüglich der Hall' sehen
Wirkung eingehend untersucht worden ist, und hat auch sonst
mehrfach zu ähnlichen Versuchen gedient.
Hallphänomen im Wismuth. Eine quadratförmige,
0*5 cm dicke Wismuthplatte war mit vier an den Mitten ihrer
1) von Ettingshausen u. Nernst, Wiener Sitzungeber. 94. 592 (1886).
Vgl. auch Nernst, Wied. Ann. 31. 772 (1887).
474
P. Drude und W. N ernst,
Seiten angeschmolzenen Kupferdrähten versehen , von denen alter-
nierend zwei zu einem Bunsenelemente , welches den Primärstrom
lieferte, und zwei zum Galvanometer führten , an dem der Trans-
versaleffekt beobachtet wurde. Indem so die Anwendung von
Loth vermieden war, konnte die Platte bis auf den Schmelzpunkt
nahe Temperaturen erhitzt werden , ohne daß die Zuleitungen,
welche gleichzeitig der Platte als Träger dienten , sich lösten.
Als die letztere in der untenstehenden Reihenfolge auf die Tem-
peraturen t gebracht wurde, beobachteten wir folgende, auf gleichen
Primärstrom bezogene elektromotorischer Kräfte e des Hall'schen
Stromes, diejenige bei der Anfangstemperatur gleich eins gesetzt.
t e
20° 1-000
254° 0-418
23° 1-005 .
Da nach obigen Zahlen der Halleffekt kurz vor dem Schmelz-
punkte, wenn auch erheblich schwächer wie bei gewöhnlicher Tem-
peratur, doch immerhin in mit anderen Metallen verglichen großer
Stärke zu konstatieren war, so erschien der Versuch, denselben
auch in flüssigem Wismuth zu untersuchen, besonders verlockend,
weil man aus dessen Verhalten am ehesten zu schließen geneigt
sein wird, ob das Hall' sehe Phänomen vorwiegend an den kry-
stallinischen Zustand gebunden ist oder nicht. Der diesbezügliche
Versuch ergab, daß bei der zur Verwendung gelangten Probe von
geschmolzenen Wismuth das Ha 11' sehe Drehungsvermögen, wenn
überhaupt meßbar, so doch sicherlich weniger wie 1/co, wahrschein-
lich weniger wie 1/ioo von dem bei Zimmertem-
peratur beobachteten Werte beträgt.
Die Untersuchung des geschmolzenen Wis-
muths gelang in einer unten zugeschmolzenen,
aufgeblasenen und hierauf platt gedrückten
Glasröhre, welche mit drei eingeschmolzenen
Platindrähten versehen war (cf. Fig. 2). Die
vierte Zuleitung geschah mittelst eines von
oben eingeführten Platin draht es. Das Rohr
wurde leer in den Dampf des siedenden Di-
phenylamins gebracht, hierauf mit Wismuth
beschickt, indem dieses in kleinen Stückchen
durch das 0-5 cm weite Glasrohr hineinge-
worfen wurde, und sodann unter den gleichen
Fig. 2. Bedingungen wie die erste Platte untersucht.
Mit Kommutieren des magnetisierenden Stromes trat allerdings
Einfluß der Temperatur des Aggregatzustandes etc. 475
eine deutliche Ablenkung auf, die jedoch mit der Richtung des
Primärstromes nicht die eigne wechselte, also keinesfalls von einer
H all' sehen Wirkung herrührte. Worauf dieselbe beruht, müssen
wir vorläufig dahingestellt sein lassen; sie verschwand, als man den
Primärstrom öffnete, schien jedoch im übrigen mehr sekundären Ur-
sprungs zu sein. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist sie an den flüssi-
gen Zustand gebunden, wie daraus geschlossen werden kann, daß eine
ähnliche Wirkung und zwar etwa gleich stark auch dann auftrat, als
der Apparat mit Quecksilber anstatt mit flüssigem Wismuth beschickt
war (s. u.), und daß sie verschwand, sowie das Wismuth erstarrte.
Unmittelbar nachdem das Wismuth fest geworden und bis auf
50° abgekühlt war, wobei wider Erwarten das Glasgefäß von dem
beim Ersteren sich ausdehnenden Wismuth nicht gesprengt wurde,
konnten wir den Halleffekt in einer der Dicke dör Platte ent-
sprechenden Größe beobachten; bei weiterer Abkühlung bis auf
15° wurde er um etwa 2 °/o kleiner.
Mit der unveränderten Platte stellten wir hierauf, um uns über
die Abhängigkeit des Transversaleffektes von der Temperatur bis in
die Nähe des Schmelzpunktes zu orientiren, folgende Messungen an :
t e
14° 1-00
243° 0-23
100° 1-23
14° 1-16.
Das Wismuth kehrte beim Abkühlen somit nicht ganz in den
früheren Zustand zurück, eine bei der vielfach beobachteten Ab-
hängigkeit des Transversaleffektes von der Behandlung, welche
man dem Metall hat angedeihen lassen, nicht unerwartete Erschei-
nung. Auch dieser Versuch zeigt, daß das Hall' sehe Drehungs-
vermögen beim Abkühlen von 100° auf 14° abnimmt, was mit einer
älteren Beobachtung in Uebereinstimmung sich befindet ') ; die Ab-
nahme desselben bei höherer Temperatur ist hier nicht unerheblich
größer wie bei der ersten Platte. Jedenfalls ist aber die Ab-
nahme in dem Intervall von 243° bis 310°, in welches die Verflüs-
sigung des Wismuths fällt, eine außerordentlich viel stärkere, wie
in dem ganzen übrigen untersuchten.
Widerstandszunahme des Wismuths im Magnet-
1) von Ettingshausen und Nernst, Wiener Sitzungsber. 94. 593 (1886).
Eine zweite , aus Wismuth anderer Herkunft gefertigte Platte hingegen lieferte
bei den Temperaturen 0, 21, 99° für das Drehungsvermögen die Werte 8-1, 73,
4*1, zeigte also eine starke Abnahme schon bei gewöhnlicher Temperatur. Vgl.
auch Le-duc, CR. 102. 358 (1886).
476
P. Drude und W. Nernst,
fei de. Wie bekannt1) übt der Magnetismus außer dem Halleffekt
noch eine zweite "Wirkung auf ein von einem galvanischen Strome
senkrecht zu den Kraftlinien des Feldes durchflossene Wismuth-
platte aus, welche gewöhnlich als Widerstandsänderung gedeutet
wird, aber natürlich mit gleichem Rechte als eine durch den Mag-
netismus erzeugte elektromotorische Gegenkraft, d. h. als longitu-
dinaler Halleffekt aufgefaßt werden kann2).
Ueber den Einfluß der Temperatur auf die Größe dieses Effektes
liegen bis jetzt nur einige vereinzelte Angaben vor, welche sich auf
ein beschränktes Intervall erstrecken. So konstatierte bereits R i g h i
(1. c.) , daß bis 100° die Widerstands Vermehrung infolge Erregung
des Magnetfeldes kleiner wird. E. v o n A u b e 1 3) theilte kürzlich einen
Versuch mit, wonach dieselbe bei 99'7° nur 0*415 °/o betrug, während
sie unter sonst gleichen Umständen bei 0° 2*9 ü/o war, konstatierte
also eine sehr bedeutende Veränderlichkeit mit der Temperatur,
was die nun mitzuteilenden eigenen Versuche durchaus bestätigen.
Bei unseren Messungen , welche sich wiederum bis über den
Schmelzpunkt hinaus erstrecken, befand sich das Wismuth im In-
nern einer dünnwandigen Glaskapillare , welche senkrecht zu den
Kraftlinien des Feldes in den Erhitzungsapparat eingeführt wurde
(cf. Fig. 3). Die Zuleitungen des Primärstroms
/] / \ / un<^ ^e Ableitungen zum Galvanometer wur-
den durch je zwei , zur gegenseitigen Isola-
tion mit Glaskapillaren überzogene Platin-
drähte vermittelt. Der Ausschlag, welchen
das Galvanometer bei geschlossenem Primär-
strome anzeigt, ist dem Widerstände des Wis-
muthstäbchens proportional und kann durch
ihn die Zunahme dieses bequem gemessen
werden. Zur besseren Ausnützung der Skala
des Galvanometers wurde gewöhnlich mittelst
einer durch Abzweigung von einem Hülfsele-
mente erzeugten elektromotorischen Kraft der
Aussschlag kompensiert. Diese Methode hat
den großen Vortheil, unabhängig von etwai-
gen Uebergangswiderständen zu sein, welche an den Zuleitungen
zum Wismuth ihren Sitz haben könnten. Auch die Glaskapillaren
sprangen nicht, wenn das Wismuth wieder festen Aggregatzustand
annahm.
1) Righi, Journ. de Phys. [2]. 3. 355 (1884).
2) Nernst, Wied. Ann. 31. 783 (1887).
3)E. von Au bei, Phil. Mag. [5]. 28. 342 (1889).
Einfluß der Temperatur und des Aggregatzustandes etc. 477
In der folgenden Tabelle sind die bei den daneben stehenden
Temperaturen t beobachteten Werthe für die Widerstandszunahme
infolge der Magnetisierung Jw in °/o verzeichnet; in der dritten
Kolumne befindet sich der Widerstand iv des Wismuthstäbchens
in SE.
t Jw w
16° 219 0-250
100° 8-0 0-227
223° 0-96 0-250
290° 0-41 0-117
35° 15-1 0207
18° 18-6 0-208.
Die Zahlen sind in der Reihenfolge mitgetheilt, in der wir sie er-
hielten ; zwischen der vorletzten und letzten Messung lag ein Zeit-
raum von mehreren Stunden. Sowohl an der Widerstandszunahme
wie besonders an seiner absoluten Größe ohne den Einfluß des
Magnetismus ist deutlich erkennbar , daß beim Abkühlen sich der
frühere Zustand nicht genau wieder herstellte. Möglicherweise
wirkte hier eine Auflösung des Platins der Zuleitungsdrähte im
geschmolzenen Wismuth mit, welche bei der leichten Legierbarkeit
dieser Metalle mindestens spurenweise erfolgen muß.
Bei 290° war das Wismuth geschmolzen ; die Erscheinung, daß
der specifische Widerstand dieses Metalles beim Schmelzpunkte
plötzlich sehr viel kleiner wird , ist bereits wiederholt *) beobach-
tet worden und findet sich auch in den von uns für w gefundenen
Werten ganz auffallend wieder. Die Widerstandszunahme des
flüssigen Wismuths infolge der Magnetisierung war unzweifelhaft
vorhanden, wenn auch außerordentlich viel kleiner, wie die des
festen Metalls bei gewöhnlicher Temperatur. Ob dieselbe in bei-
den Fällen einer gleichen Wirkung entspringt, oder ob vielleicht
Strömungen , welche infolge der vom Elektromagneten auf den
flüssigen Leiter ausgeübten ponderomotorischen Kraft entstehen
können , eine sekundäre Rolle spielen , muß vorläufig dahingestellt
werden2). Jedenfalls zeigen longitudinaler wie transversaler Hall-
1) Insbesondere sind unsere Resultate im Einklang mit den Beobachtungen
von C. L. Weber (Wied. Ann. 27 1886, p. 145), sowohl was die bedeutende Wi-
derstandsabnahme beim Schmelzen, wie den Umstand anlangt, daß beim Abkühlen
sich häufig der frühere Zustand nicht wieder herstellt.
2) Für die letztere Annahme spricht ein inzwischen von uns angestellter Ver-
such, wonach auch Quecksilber bei Zimmertemperatur in gleicher Weise un-
tersucht eine nach einigen °/00 zählende, unzweifelhafte Wide r Standszunahme
zeigte. (Anm. bei der Correktur.)
478 P. Drude und W. Nernst,
effekt beide die Erscheinung, daß sie bei hoher Temperatur an
Intensität sehr stark abnehmen ; aber der Grad der Abnahme geht
keineswegs bei beiden parallel. Während die Widerstandszunahme
schon bei erheblich unter dem Schmelzpunkte liegenden Tempera-
turen einen sehr kleinen Betrag annimmt , liegt beim Halleffekt
das Gebiet der rapiden Abnahme entweder sehr nahe beim Schmelz-
punkt oder aber er verschwindet plötzlich , wenn das Wismuth
den flüssigen Aggregatzustand annimmt. Die Entscheidung zwi-
schen letzteren beiden Möglichkeiten dürfte erhebliches Interesse
bieten, war uns zu treffen bisher aber nicht möglich.
Mit einer zweiten von Wismuth gleicher Herkunft beschickten
Kapillare fanden wir die Werte:
t
A w
29°
16 %
310°
O'l */o
254°
1-2 %
32°
20%
100°
9-1 %
34°
22,0 %
t
Aw
25°
33-3 °A
310°
0-4 °/c
und mit einer dritten
Resultate, welche mit dem früheren Ergebnis in Uebereinstimmung
sich befinden.
Aus den bisherigen Ergebnissen kann man wohl mit einiger
Sicherheit den Schluß ziehen , daß auch die therm omagnetischen
Phänomene bei hohen Temperaturen an Stärke bedeutend einbüßen
werden; thatsächlich ist denn auch bereits früher von Einem von
uns eine Abnahme derselben mit zunehmender Temperatur mehr-
fach konstatiert worden1). Denn wenn auch eine zahlenmäßige
Beziehung zwischen den Intensitäten, mit welchen die verschiede-
nen magnetischen Effekte des Wismuth s auftreten , bisher sich
nicht hat auffinden lassen, so ist doch ein inniger Zusammenhang
durch die Versuche anWismuth-Zinnlegirungen2) wohl außer Zweifel
gestellt.
Vielleicht wird einst bei der Beantwortung der Frage, welche
Eigenschaften die Aktivität der Metalle im magnetischen Felde
bestimmen, die große Veränderlichkeit derselben mit der Tempe-
1) Nernst, 1. c. 772 und 781.
2) E. v. Ettinghausen und Nernst, Wied. Ann. 33. 790 (1888).
Einfluß der Temperatur und des Aggregatzustandes. 479
ratur beim Wismuth, des aktivsten aller Metalle, einen Fingerzeig
bieten. Hier sei nur noch darauf hingewiesen, daß bekanntlich
Wismuth bei höherer Temperatur die für dies Metall so charak-
teristische Sprödigkeit verliert und sich in Drathform pressen1),
ja sogar bei Temperaturen von 230 bis 260° mit Anwendung einiger
Kraft kneten läßt2). Es stimmt dies auch mit den sonstigen Er-
scheinungen überein; denn es läßt sich im Großen und Ganzen
nicht verkennen , daß auch außer Wismuth gerade die durch ihre
Sprödigkeit ausgezeichneten, metallisch leitenden Stoffe, wie Kohle,
Antimon und besonders Tellur, sich besonders aktiv erweisen.
Hallphänomen im Antimon. In der gleichen Weise,
wie beim Wismuth, bestimmten wir auch beim Antimon den Ein-
fluß der Temperatur , wobei wir uns einer viereckigen Platte,
welche mit vier am Rande als Elektroden mittelst einer Stich-
flamme angeschmolzenen Platindrähten versehen war und eine
Dicke von 0*201 cm besaß, bedienten. Wir erhielten der Reihe
nach folgende Werte:
t
e
17°
1
210°
0-78
250°
0-72
30°
0.76
23°
0.91.
Es fällt bei diesen Zahlen auf, wie geringfügig der Einfluß der
Temperatur beim Antimon verglichen mit Wismuth ist. Hiermit
steht vielleicht wieder der Umstand in Zusammenhang , daß Anti-
mon sich erst bei erheblich höheren Temperaturen als Wismuth
und auch da nur mit Anwendung viel größeren Druckes zu Draht
pressen läßt3).
Hallphänomen im Quecksilber. In dem gleichen Ap-
parate, in welchem geschmolzenes Wismuth zur Untersuchung ge-
langt war (Fig. 2), wurde Quecksilber der Messung unterworfen.
Wir beobachteten, wie schon erwähnt, einen deutlichen Ausschlag
bei Kommutieren des magnetisierenden Stromes , welcher jedoch
mit der Richtung des das Quecksilber durchfließenden Stromes
die eigene nicht wechselte und demgemäß nicht von einer HalT-
schen Wirkung herrührte ; und zwar betrugen die wegen der di-
rekten Fernewirkung des Elektromagnets auf die Galvanometerna-
del korrigierten Nadelausweicliungeen bei beiden Richtungen des
1) Matt hi essen, Pogg. Ann. 100. 177 (1857).
2) PL. Lenard, Wied. Ann. 39. 641 (1890).
3) Lenard 1. c. 639,
480 P. Drude und W. Nernst,
Primärstromes 49 bez. 46 Skalentheile. Das Quecksilber Hatte
Zimmertemperatur. Als das Glasgefäß, in welchem sieb jenes be-
fand , zur Verminderung etwaiger durch Peltiereffekte oder
Joule' sehen Wärme erzeugter Temperaturverschiedenheiten in
ein Gefäß mit Wasser gesetzt wurde, betrugen unter sonst glei-
chen Umständen die bei den Erregungen des Magneten auftreten-
den Ausschläge 53 bez. 48 Skalentheile. Bei der Größe der stö-
renden Nebenwirkung wäre es gewagt , die halben Differenzen,
welche in beiden Fällen mit gleichem Vorzeichen bei Umkehr des
Primärstomes auftreten und 1*5 im ersten , 25 Skalentheile im
zweiten Falle betragen, als Ha 11' sehe Wirkung zu deuten; doch
sei der Vollständigkeit halber angeführt, daß dieselben einer Ha 11'-
schen Wirkung entsprechen würden , welche in gleicher Richtung
aber etwa 300 mal schwächer aufträte , wie beim Wismuth unter
sonst gleichen Bedingungen.
Göttingen, Physikal. Inst. Oct. 1890.
Anhang.
Es wurde vor einiger Zeit das Wismuth auf eine eventuelle
Aenderung seiner optischen Konstanten im Magnetfelde durch Be-
obachtung von reflectirtem Lichte untersucht1); das einfallende Licht
war linear unter dem Azimuth 45° gegen die Einfallsebene pola-
risiert. Es wurde eine Wismuthsorte untersucht von großer Rein-
heit, welche bei den oben angeführten Versuchen eine starke Wi-
derstandsänderung im Magnetfelde zeigte und eine weniger reine
Sorte, welche nicht hinsichtlich des letzteren Verhaltens geprüft ist.
Die beiden Pole des Elektromagneten waren stets sehr genä-
hert, zum Theil bis auf 3 mm. Wenn der Gang der Lichtstrahlen
es gestattete, waren die Wismuthspiegel in der Mitte zwischen
den Polen angebracht, sodaß sie sich in sehr starkem magneti-
schem Felde befanden.
Es wurden die drei Fälle untersucht: 1) daß die Kraftlinien
senkrecht zum Spiegel verliefen, oder 2) parallel dem Spiegel und
in der Einfallsebene des Lichtes oder 3) parallel dem Spiegel und
senkrecht zur Einfallsebene. In keinem Falle war eine Aende-
rung der optischen Konstanten zu constatiren weder eine solche,
welche sich mit der Magnetisirungs-Richtung umkehrte, noch eine
solche, welche von der Richtung unabhängig und die eventuell nur
an das Vorhandensein des magnetischen Feldes überhaupt geknüpft
1) Die hier beschriebenen Messungen sind von P. Drude angestellt.
Einfluß der Temperatur und des Aggregatzustandes etc. 481
gewesen wäre. Dieser letztere Fall wäre ja denkbar gewesen,
wenn die Aendernng der optischen Konstanten des Wismuths ganz
parallel verliefe mit der des elektrischen Widerstandes. Dieser
ist ja bekanntlich von der Magnetisirungs - Richtung unabhängig,
jedoch verschieden parallel oder senkrecht zu den Kraftlinien. Im
letzteren Falle müßte der Wismuth Spiegel sich wie ein reflectiren-
der absorbirender Krystall verhalten und diese Erscheinung müßte
daran zu erkennen sein, daß die elliptische Polarisation des re-
flectirten Lichtes durch Erregung des Magnetfeldes geändert und
dann von der Lage der Einfallsebene abhängig würde. In keinem
Falle war aber eine solche Modifikation deutlich zu bemerken, in-
dem sowohl die relative Phasenverzögerung als auch das Amplitu-
denverhältniß des reflectirten Lichtes bei unerregtem magnetischen
Felde dieselben waren, wie bei erregtem und zwar in allen oben
angeführten drei Versuchsanordnungen.
"Wenn eine Aenderung der Natur des reflectirten Lichtes ein-
treten sollte , welche sich mit der Magnetisirungs-Richtung um-
kehrt, so würde dies ein dem von K e r r entdeckten Verhalten der
magnetischen Metalle Eisen , Nickel , Kobalt analoges Phänomen
sein. Um eine solche eventuelle Aenderung noch besser entdecken
zu können, wurde mit sehr intensivem weißen Lichte beobachtet,
welches in oder senkrecht zur Einfallsebene polarisirt war. Eine
Drehung der Polarisationsebene in dem Betrage von 1/ wäre noch
zu constatiren gewesen. Es war aber eine solche nicht vorhanden.
Bei einem Stahlspiegel war bei denselben Versuchsanordnungen das
Kerr'sche Phänomen sehr deutlich zu beobachten, unter gewissen
Bedingungen1) ergaben sich Drehungen der reflectirten Polarisa-
tionsebene bei commutirtem Magnetfeld bis zum Betrage von 32'.
Das sich aus meinen Beobachtungen ergebende negative Re-
sultat am Wismuth befindet sich im Widerspruch mit Beobachtun-
gen Herrn Hurion's2), nach welchem am Wismuth das Ker r'-
sche Phänomen bei senkrechter Incidenz den Betrage von 18' er-
reichen soll. Ich halte indeß dieses Beobachtungsresultat nicht
für sicher, da das Licht zweimal eine Glasplatte durchsetzte, welche
der Polarisationsebene eine sehr starke elektromagnetische Drehung
ertheilte. Bei meiner Versuchsanordnung waren solche Glasplatten
vermieden und das Resultat ist aus derselben also jedenfalls in
direkterer Weise abgeleitet, als bei Herrn Hurion.
1) Wenn nämlich die magnetische Axe senkrecht zum Spiegel stand, der Einfalls
Winkel 68° betrug und das einfallende Licht parallel zur Einfallsebene polarisirt war
2) Hurion, Journal de Physique 1884.
482 p- Drude,
Ueber die Größe der Wirkungssphäre der Mole-
cular-Kräfte und die Constitution von Lamellen
der Pia te au'schen Gly cerin-Seifen-Lösung.
Von
P. Drude.
Die Untersuchung dünner Flüssigkeitslamellen bietet von zwei
Gesichtspunkten aus gewisses physikalisches Interesse, insofern
als dieselbe
1) zur Beantwortung der Frage dienen kann , an welche Be-
dingungen das Zustandekommen einer dünnen Lamelle geknüpft ist;
2) einen Beitrag zu der Vorstellung von der Größe der Wir-
kungssphäre der Molecularkräfte liefern kann.
Hinsichtlich des ersten Punktes geht bekanntlich die Plateau'-
schen Ansicht dahin1), daß eine Flüssigkeit dann im Stande ist,
dauerhafte Lamellen zu bilden, wenn sich eine geringe Oberflächen-
spannung verknüpft mit einer großen Zähigkeit der Oberfläche.
Diese Bedingungen sind bei der Glycerin-Seifenlösung erfüllt. Die
Oberflächenspannung ist verhältnißmäßig gering und außerdem ha-
ben direkte Versuche Plateau' s eine bedeutende Reibung in
ihrer Oberfläche constatirt, die bei weitem größer ist, als im In-
nern derselben. Diese Versuche sind später von Herrn Ober-
beck2) bestätigt.
Es würde demnach die genannte Flüssigkeit nicht im Ganzen
homogen sein, sondern sie müßte eine Oberflächenschicht mit be-
deutend gegen das Innere gesteigerter Zähigkeit, quasi ein festes
Häutchen besitzen. Wie sich dieses bilden kann, mag hier uner-
örtert bleiben.
Die Ansicht, daß eine Seifenlösung mit einer Oberflächenschicht
bedeckt sei, welche zu ihrer Bildung eine endliche Zeit nöthig hat,
hat eine Stütze durch Versuche von Dupre3) und Lord Ray-
leigh4) gefunden, welche constatirten , daß die Oberflächenspan-
nung von Seifenlösungen nach der Methode der Wellenlängenmes-
sung eines frisch sich aus dem Innern der Lösung gebildeten ca-
1) Plateau, Statique des Liquides.
2) A. Ob erbeck, Wied. Ann. 11, p. 634. 1887.
3) Dupre", Theorie mdcanique de la chaleur. § 161.
4) Lord Rayleigh, Proc. Roy. Soc. 28. März 1890.
über die Größe der Wirkungssphäre der Molekular-Kräfte etc. 483
pillaren Strahles gemessen ungefähr der des reinen Wassers gleich
ist, während sie nach den gewöhnlichen statischen Methoden viel
kleiner ausfällt.
Um gewisse Anhaltspunkte für die Beurtheilung der Größe
der Wirkungssphäre der Molecularkäfte zu gewinnen, hat man die
Flüssigkeitslamellen auf Grund folgender Ueberlegungen benutzt:
Falls die Dicke einer Flüssigkeitsschicht kleiner wird, als der
doppelte Radius der Wirkungssphäre , so muß ihre Oberflächen-
spannung abnehmen. Infolge hiervon würde die Lamelle an einer
solchen Stelle, deren Dicke unterhalb jener Größe liegt, durch
Wirkung der Nachbarstellen mit größerer Oberflächen Spannung
noch weiter verdünnt werden, d. h. die Lamelle wäre in instabilem
Gleichgewicht und würde platzen. Aus der geringsten möglichen
Dicke einer Seifenlamelle hat man daher eine obere Grenze für
den Radius der Wirkungssphäre der Molecularkräfte abgeleitet,
Plateau bestimmt sie so zu 59.10" 6 mm, indem die kleinste
beobachtete Dicke bei Seifenlamellen 118. 10~6 mm war.
In neuerer Zeit hat Herr Sohncke1) eine untere Grenze für
den genannten Radius aus Versuchen über die Ausbreitung von
Oel tropfen auf Wasser abgeleitet, wobei man von der Ansicht aus-
gehen muß , daß das Zerplatzen des Tropfens wirklich erst dann
stattfindet, wenn die Dicke oder die doppelte Dicke die Größe je-
nes Radius erreicht. Die gewonnenen Zahlen schließen sich nahe
an die Plateau' sehe obere Grenze an.
Mit diesen Werthen stimmen überraschend gut die von Herrn
Quincke2) gegebenen Zahlen über die Größe der Wirkungssphäre
in Metallen, welche aus Beobachtungen des Randwinkels von Flüs-
sigkeiten an Metall-Keilen abgeleitet sind.
Wenn man der Vorstellung beipflichtet, daß die Wirkungs-
sphäre der Molecularkräfte ungefähr unabhängig von der Substanz
und besonderen Art der physikalischen Erscheinung, bei der sie
in Wirksamkeit treten , sind , eine Vorstellung , welche die eben
angeführten Versuche zu einer plausiblen machen können , so wi-
dersprechen ihr wieder Versuche von Hrn. Ob erb eck3), welcher
aus dem Verhalten der elektrischen Potentialdifferenz zweier Me-
talle die Wirkungssphäre zu nur 1 bis 2.10-6 mm angiebt. Auch
konnten die Herren Warburg und Ihmori4) Spuren von mole-
1)L. Sohncke, Wied. Ann. 40. p. 345. 1890.
2) Q. Quincke, Pogg. Ann. 137. p. 402. 1869.
3) A. Ober b eck, Wied. Ann. 31. p. 337. 1887.
4) E. Warburg und T. Ihmori, Wied. Ann. 27. p. 481. 1886.
484 p- Drude,
ciliarer Attraction des Wassers an Glas noch nicht in einer Ent-
fernung von 2.10- 6 mm nachweisen.
Ferner lehren neuere Versuche der Herren Röntgen1) und
Lord Rayleigh2), daß sich Fettschichten auf reinem Wasser bis
zu einer weit geringeren Dicke (etwas unter 2.10~6 mm) ausbreiten,
als wie die oben citirten Sohncke' sehen Versuche ergeben.
Schließlich können auch die Plateau' sehen Zahlen hinsichtlich
der geringstmöglichen Dicke von Seifenlamellen noch weit verklei-
nert werden. Unter geeigneten Versuchsbedingungen zeigen näm-
lich Seifenlamellen schwarze Flecke , deren Dicke weit unter
118.10-6 mm liegen muß. — Ich habe gefunden , daß sie sich am
besten ausbilden als horizontale Lamellen an vertikalen Glaswän-
den. Ich habe so kreisrunde Flecke von 5 cm Durchmesser er-
halten. Noch größere erhält man in einer verschlossenen Flasche,
welche die Lösung enthält und in welcher durch Schütteln Lamel-
len gebildet werden.
Eigenthümlich ist das scharfe Absetzen des schwarzen Theiles
gegenüber dem farbigen, was auf einen plötzlichen Sprung in der
Dicke hindeutet.
Auf die mir denkbare Erklärung dieses Verhaltens will ich
nachher eingehen.
Die Dicke dieser schwarzen Flecke ist von den Herren ßei-
nold und Rück er3) aus der Beobachtung des elektrischen Lei-
tungswiderstandes zu 12. 10-6 mm bestimmt.
Hiernach müßte man, auf Grund der Ueberlegung, daß bei ei-
ner Lamelle die kleinste mögliche Dicke die doppelte obere Grenze
der Wirkungssphäre ihrer Molecularkräfte sein muß, weil sie sonst
unstabil wird, letztere zu 6.10~~6 mm annehmen, also bedeutend
kleiner als die oben angeführten Zahlen.
Am besten kann man die Frsge , ob die Molecularkräfte noch
auf eine Distanz wirken, welche gleich der halben Dicke der
schwarzen Flecke ist, beantworten, wenn man die Oberflächen-
spannung der schwarzen Flecke direkt vergleicht mit der der far-
bigen Theile.
Schon vor etlichen Jahren glaubte Hr. Lü dt ge4) einen Unter-
schied in der Oberflächenspannung verschieden dicker Seifenlamel-
len constatirt zu haben. Durch Messung der Dimensionen von
1) W. C. Röntgen, Wied. Ann. 41. p. 321. 1890.
2) Lord Rayleigh, Proc. Roy. Soc. 28. März 1890.
3) A. W. Reinold and A. W. Rücker, Proc. Roy. Soc. p. 334. 1877.
4) Lttdtge, Pogg. Ann. 139. p. 628. 1844.
über die Größe der Wirkungssphäre der Molecularkräfte etc. 485
Seifenkalotten, die an den beiden Enden ein und desselben Rohres
angebracht waren, erhielt er das Resultat, daß an der früher ge-
bildeten, d. h. dünneren Lamelle der Krümmungsradius, d. h. auch
die Oberflächenspannung größer sei, als an einer dickeren Lamelle.
Dies Resultat würde mit den theoretischen Ansichten in Wider-
spruch stehen.
Diese Beobachtungen sind später von Hrn. Mensbrugghe1)
wiederholt und zwar in der That mit ganz anderem Resultate:
Es zeigte sich gar kein Unterschied im Krümmungsradius bei dün-
nen und dicken Lamellen, falls der Ueberdruck auf den Seiten der
Lamelle der gleiche war. — Indeß bezogen sich diese Messungen
immer nur auf noch gefärbte Lamellen und die Methode der Di-
mensionsbestimmung der Kugelkalotte gestattete nur einen Mittel-
werth des Krümmungsradius im Ganzen , d. h. einen Mittel werth
der Oberflächenspannung der an verschiedenen Stellen verschieden
dicken Lamelle zu bestimmen.
Ich habe durch Messung des Krümmungsradius einer über
einem Gefäß gebildeten Lamelle, welches dasselbe abschloß und
einen geringen Ueberdruck im Innern enthielt, die Oberflächen-
spannung derselben in verschiedenen Dicken bis zu der der schwar-
zen Flecke hin verglichen. — Die Methode war die, daß die Größe
des virtuellen Bildes, welches die flach kugelförmig aufgeblasene
Lamelle von einem Gegenstande entwarf, in einem stark ver-
größernden Fernrohr mit einem Okular-Schrauben-Mikrometer ge-
messen wurde. Es konnte so eine Aenderung der Bildgröße um
1/i % noch constatirt werden. — Es wurde eine Lamelle von un-
gefähr 10 cm Krümmungsradius und eine zweite von ungefähr
14 cm Krümmungsradius untersucht. Bei der Versuchsanordnung
hätte eine Aenderung der Größe des Bildes um 1 °/o einer Aende-
rung der Größe des Krümmungsradius, d. h. auch einer Aenderung der
Größe der Oberflächenspannung um l,ll°/o resp. 1,16% entsprechen.
Durch eine vor das Objektiv des Fernrohrs gesetzte Blende
war es möglich, den Krümmungsradius an einer Stelle der Lamelle
von einer Ausdehnung von nur 2'/2 mm im Durchmesser zu be-
obachten, und durch Verschiebung dieser Blende konnte ich in
dicht aufeinander folgenden Zeitmomenten den Krümmungsradius
an verschieden gefärbten, d. h. verschieden dicken Stellen der La-
melle messen. Hierdurch war ausgeschlossen, daß eine Tempera-
turschwankung in dem geschlossenen Gefäß und eine dadurch be-
dingte Druckschwankung das Resultat beeinflussen konnte.
1) v. d. Mensbrugghe, Pogg. Ann. 141. p. 608. 1845.
Nachrichten yon der K. G. d. W. zu Oöttingen. 1890. Nr. 14. 4U
486 P. Drude,
Durch die Versuche habe ich constatirt daß die Oberflächen-
spannung der Lamelle von sehr dicken Stellen, d. h. weiß gefärb-
ten, bis zu den schwarzen Stellen hin sich jedenfalls um nicht
V» % ändert. Durch eine besondere Anordnung konnte ich mich
noch überzeugen , daß bei der Einstellung der Blende auf die
schwarzen Stellen wirklich nur Lichtstrahlen ins Fernrohr gelang-
ten, welche allein von dem schwarzen Theile der Lamelle reflec-
tirt wurden. Die schwarzen Theile hatten bei den Versuchen eine
Größe von 3 resp. 5 mm im Durchmesser.
Aus diesen Versuchen könnte man geneigt sein, zu schließen,
daß die halbe Dicke der schwarzen Flecke, d.h. wenn man die
R e i n o 1 d-R ü c k e r'schen Zahlen benutzt, eine Dicke von 6.10-6 mm
eine obere Grenze für die Wirkungssphäre der hier auftretenden
Molecularkräfte sei, eine Zahl, die weit unter der Plateau' sehen
oberen Grenze und der S o h n c k e' sehen unteren Grenze liegt. Diese
untere Grenze müßte dann also jedenfalls zu groß sein.
Indeß ist dieser Schluß noch nicht einwandsfrei , weil die
schwarzen Lamellentheile eine andere Eigenthümlichkeit besitzen,
von welcher ich jetzt sprechen werde.
Durch Beobachtung des Polarisationswinkels kann man an
einer dünnen Lamelle den Brechungsexponenten ebenso bestimmen,
wie an einer Flüssigkeit, bei welcher Reflexion nur an einer Ober-
fläche stattfindet. Wir wollen eine solche Flüssigkeit im Gegen-
satz zur lamellar ausgebreiteten eine massive nennen.
Der Polarisationswinkel wurde mit Hülfe eines Spektrometers
mit polarisirendem und analysirendem Nickel gemessen. Es wurde
mit Sonnenlicht beleuchtet. Es tritt im Gesichtsfeld des Oculars
ein schwarzer farbig gesäumter Streifen auf, durch dessen Ein-
stellung auf das Fadenkreuz des Oculars man das Azimut des
Analysators sehr bequem und genau bestimmen kann (bis auf 1').
Solange nun das Licht von einer farbigen Stelle einer Seifenla-
melle reflectirt wurde, blieb der schwarze Streifen völlig unver-
rückt, sowie aber die Reflexion an einer schwarzen Stelle statt-
fand, sprang der Streifen aus dem Fadenkreuz, und das analysi-
rende Nickel mußte um etwa 17' gedreht werden, um den Streifen
wieder ins Fadenkreuz zu bringen.
Bei den Versuchen kam es darauf an, daß der Gang der Licht-
strahlen in den verschiedenen Theilen des Spektrometers genau
unverändert blieb, weil sonst sich der schwarze Streifen etwas
verschob, allein durch veränderten Gang der Lichtstrahlen. Fer-
ner kam es darauf an, möglichst schnell hintereinander die farbi-
gen Stellen vergleichen zu können mit den schwarzen, um sich
über die Größe der Wirkungssphäre der Molecular-Kräfte etc. 487
von störender Temperatur und eventuell Feuchtigkeitsänderungen
der Umgebung frei zu machen. — Es wurde diesen Anforderungen
entsprochen, durch eine geeignete Vorrichtung, die ich an anderer
Stelle genauer zu beschreiben gedenke.
Es folgt aus diesem Resultat, das unter verschiedenen Um-
ständen und oft wiederholt ist, daß die schwarzen Theile eine an-
dere optische Natur besitzen, als die farbigen. Der Brechungsex-
ponent der ersteren ist um 1 Einheit der zweiten Decimale klei-
ner, als der letzteren. Für die farbigen Theile war n = 1,430,
für die schwarzen n = 1,420.
Ich stellte mir nun die Aufgabe, die Dicke dieser schwarzen
Stellen unabhängig von jeder willkührlichen Annahme zu bestim-
men. Das Reinold -Rücker' sehe Verfahren, die Dicke aus der
elektrischen Leitungsfähigkeit zu bestimmen, falls man das speeif.
Leitungsvermögen der Lösung, zu der man ein elektrolytisch lei-
tendes Salz zusetzt, kennt, ist nicht einwandsfrei. Denn man muß
dann die Annahme machen , daß die Concentration des Salzes und
die Dissociation in der Lamelle und speciell in ihren schwarzen
Theilen dieselbe sei , wie in der massiven Lösung und ebenso das
speeifische Leitungs vermögen. Letztere Annahme trifft aber sehr
wahrscheinlich nicht zu, denn sowie die gewöhnliche innere Rei-
bung an den Oberflächentheilen der Seifenlösung bedeutend größer
ist, als im Innern, so würden auch die Salz -Jonen in der Ober-
fläche, d. h. auch in den schwarzen Stellen einer Lamelle größere
Reibungswiderstände , als im Innern der Lösung zu überwinden
haben, sodaß das spec. Leitungsvermögen der Lamelle geringer ist,
als das der massiven Lösung. Sollte dies zutreffen, so müßten
Reinold-Rücker die Dicke zu klein bestimmt haben.
Die Resultate indeß, die sie sonst gewonnen haben, daß näm-
lich die Dicke der schwarzen Stellen längs ihrer ganzen Ausdeh-
nung constant sei , von der seit ihrer Bildung verflossenen Zeit
unabhängig sowie von der Farbe , d. h. Dicke der angrenzenden
Theile, ferner stets die gleiche bei verschiedenen Lamellen dersel-
ben Flüssigkeit, würden von der obigen Annahme nicht beeinflußt
werden.
Ich habe nun in der That die letztgenannten Resultate bestä-
tigt gefunden , während ich die Dicke selbst etwas größer fand,
nämlich gleich 17.10-6 mm. Die Methode ist die , daß man unter
schiefem Einfallswinkel (65 — 75°) linear polarisirtes Licht von den
schwarzen Theilen reflectiren läßt. Wenn der Brechungsexponent
bekannt ist, so kann man aus der durch die Reflexion herbeige-
führte Drehung der Polarisationsebene des Lichtes sowie der El-
488 p- Drude,
lipticität die Dicke berechnen. Der wahrscheinliche Fehler bei der
gewonnenen Zahl ist kleiner als 5 °/o, ein Umstand , der die Me-
thode empfiehlt, wenn es sich um die Bestimmung von Dicken
handelt, welche klein gegen die Wellenlänge des Lichtes sind, wo
also die sonst üblichen Methoden versagen.
Die gewonnenen Resultate können zu zwei verschiedenen Schlüs-
sen führen, je nachdem man annimmt, daß die Schicht, welche den
schwarzen Fleck bildet, denen n also = 1,42 ist, auch die farbigen
Theile der Lamelle als Oberflächenschicht mit einer Dicke von
8V2.10-6 mm bedeckt, oder daß sie wirklich nur an den Stellen der
schwarzen Theile vorhanden ist. Im ersten Falle würde 8V2.10-6 mm
eine obere Grenze der Wirkungssphäre der Molecularkräfte sein,
im letzteren eine untere, ja es könnte die untere Grenze des Mo-
lekularradius sogar noch größer sein.
Bleiben wir zunächst noch bei der Betrachtung der ersten An-
nahme stehen, so kann man sich die überall constante Dicke der
schwarzen Stellen, welche sich auch mit der Zeit nicht ändert (ich
konnte in einem Zeitraum von 3 Stunden diese Konstanz beobach-
ten), so erklären: die Seifenlamellen, ebenso eine massive Seifen-
lösung bedeckt sich an der Oberfläche mit einer sehr zähen Haut,
deren Brechungsexponent etwas niedriger ist, als der des homo-
genen Innern. Die schwarzen Stellen entstehen dadurch, daß diese
auf beiden Seiten einer Lamelle gebildeten Häute zusammenstoßen,
indem die Flüssigkeit zwischen ihnen fortgeschoben ist. Infolge
der großen Zähigkeit der Häute bleibt die Dicke der schwarzen
Stellen der Zeit nach constant. Daß sie längs der ganzen Aus-
dehnung dieselbe ist , ergiebt sich nach dieser Vorstellung von
selbst. — Diese Ansicht würde eine Stütze erfahren durch die
von Plateau und Oberbeck beobachtete Zunahme der inneren
Reibung an der Oberfläche, sowie durch die Versuche von D u p r e
und Raylei gh über den Unterschied der Oberflächenspannung
frisch gebildeter und alter Oberflächen von Seifenlösung.
Da eine alte Seifenlamelle nach dieser Ansicht aus einer ober-
flächlich überall gleichen Schicht besteht, so würde aus der Kon-
stanz ihres Krümmungsradius folgen, daß die Dicke des Häutchens,
d. h. 8.10-6 mm eine obere Grenze für die Wirkungssphäre der
Molecular-Kräfte ist, d. h. daß sie weiter jedenfalls nicht wirken.
Die Möglichkeit einer Flüssigkeit , dauerhafte Lamellen zu
bilden, wäre danach geknüpft an das Zustandekommen einer zähen
Oberflächenschicht.
Ich wende mich jetzt zu der zweiten Annahme, daß nämlich
die farbigen Lamellentheile eine homogene Schicht vom Brechungs-
über die Größe der Wirkungssphäre der Molecular-Kräfte etc. 489
exponenten 1,43 bilden, während die schwarzen Stellen eine davon
verschiedene Zusammensetzung und den Brechungsexponenten 1,42
besitzen. — Man könnte dieser Annahme folgende Vorstellungen
zu Grunde legen : Angenommen die farbige Lamelle erreicht durch
allmähliges Herabrinnen der Flüssigkeitstheile eine Dicke, welche
etwas kleiner als die doppelte Wirkungssphäre der Molecularkräfte
ist. Die Oberflächenspannung wird dadurch kleiner, und infolge
der größeren Oberflächenspannung der Nachbartheile wird die
Dicke an der betrachteten Stelle rapide verringert. Falls die
Dicke innerhalb des doppelten Wirkungsradius liegt, ist aber je-
denfalls auch die Dampfspannung des in der Seifenlösung enthal-
tenen Wassers eine andere, als in der massiven Lösung, oder in
einer dickeren Lamelle. Die Lamelle enthält nun im Gleichge-
wichtszustände soviel Wasser , daß der Dampfdruck in ihr gleich
ist dem Dampfdruck des Wassers in der umgebenden Luft. Wenn
der Dampfdruck einer unterhalb der fraglichen Dicke liegenden
Lamelle kleiner ist, als der der farbigen , d. h. sehr dicken Lamel-
lentheile , so wird eine solch dünne Stelle daher Wasser aus der
umgebenden Luft aufnehmen. Durch einen größeren Wassergehalt
wird die Oberflächenspannung zunehmen. Die Lamelle wird daher
bis auf eine solche Dünne herabsinken , daß durch das aufgenom-
mene Wasser die dünnen Stellen eine Oberflächenspannung be-
sitzen, welche gleich ist der Oberflächenspannung der dickeren,
weniger Wasser enthaltenden angrenzenden Lamellen-Theile. Dann
ist nämlich der Zustand wieder ein stabiler, denn ein weiteres
Abnehmen der Dicke würde eine Zunahme von Wasserdampf und
ein Wachsen der Oberflächenspannung hervorrufen; infolge davon
würde sich die betreffende Stelle wieder zu verdickern streben,
da sie eine größere Oberflächenspannung besitzt, als die Nachbar-
schaft, — ein Wachsen der Dicke würde aber eine Abnahme von
Wasser, d. h. eine Abnahme der Oberflächenspannung hervorrufen,
und daher wurde eine solche Stelle durch Wirkung der Nachbar-
schaft mit größerer Oberflächenspannung gedehnt , d. h. die Dicke
würde wieder abnehmen.
Diese Auffassung würde nicht nur die längs ihrer ganzen Aus-
dehnung und im Laufe der Zeit constante Dicke der schwarzen
Stellen, sondern auch besonders natürlich den plötzlichen Sprung
in der Dicke einer Lamelle, der sich in der Nachbarschaft einer
schwarzen Stelle vollzieht, erklären. Die doppelte Wirkungssphäre
der Molecularkträfte würde demnach schon merkbar sein für die
geringste Dicke , welche in der Lamelle an die schwarzen Theile
angrenzen kann und noch den höheren Brechungsexponenten be-
490 P- Drude, Über die Größe der Wirkungssphäre der Molekular-Kräfte etc.
sitzt. Es ist dies das Weiß 1. Ordnung, ich habe diese Decke zu
ungefähr 120.106- mm gemessen. Es würde demnach 60.10-8 mm
eine untere Grenze für die Wirkungsspsäre der Molecularkräfte
sein.
Experimentell würde zwischen beiden auseinander gesetzten
Ansichten entschieden werden können, wenn man durch Beobach-
tung nachweisen kann, ob auf einer massiven Seifenlösung oder
auf einer farbigen Lamelle derselben eine Oberflächenschicht vom
Brechungsexponenten gleich dem der schwarzen Theile Und von
deren halber Dicke existirt oder nicht. — Bei der Kleinheit des
Unterschiedes der Brechungsexponenten der schwarzen und farbi-
gen Lamellentheile hat indeß ein solcher experimenteller Nachweis
mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen.
Indeß ist auf Grund theoretischer Ueberlegungen die zweite
Ansicht nicht zulässig. Dieselbe stützt sich auf die Annahme,
daß der Druck des gesättigten Dampfes einer Lamelle, falls ihre
Dicke unterhalb der doppelten "Wirkungssphäre der Molekular-
kräfte sinkt, kleiner ist, als der Dampfdruck einer dickeren La-
melle. Jedoch hat Hr. "Warburg1) durch Betrachtung eines ge-
wissen Kreisprocesses nachgewiesen, daß das Umgekehrte der Fall
sein muß.
Es bleibt daher nur die erste Ansicht übrig und es können
die Resultate wie folgt zusammengefaßt werden:
Besultate :
1) Die schwarzen Theile einer aus Plateau' scher
Flüssigkeit gebildeten Lamelle besitzen einen Bre-
chungsexponenten, welcher um eine Einheit der
zweiten Decimale kleiner ist, als der Brechungsex-
ponent der farbigen Theile.
2) Die Dicke der schwarzen Theile ist constant
und gleich 17.10-6 mm.
3) Die Größe der "Wirkungssphäre der Molekular-
kräfte liegt unterhalb 8,5.10-6 mm.
1) E. War bürg, Wied. Ann. 28. p. 399. 1886.
Göttingen, Phys. Inst. Sommer-Semester 1890.
Friedrich Wie sei er, Nachrtäge zu dem Aufsatze üb. weibl. Satyrn etc. 491
Nachträge
zu dem Aufsatze über weibliche Satyrn und Pane in der
Kunst der Griechen und Kömer in den Nachr. vom 9. October
1890, No. 11, S. 385 fg.
Von
Friedrich Wieseler.
Die zuvorkommende Gefälligkeit der Herrn R. v. Schneider
zu Wien und Th. Schreiber zu Leipzig hat mich in den Stand
gesetzt, schon jetzt folgende Nachträge mittheilen zu können. In-
dem ich ihnen dafür den verbindlichsten Dank sage, bitte ich auch
andere competente G-elehrte mir ähnliche Zusätze zukommen lassen
zu wollen.
Zu S. 388, Z. 27 fg Hr. Schreiber bemerkt mir: „Die beiden
mantuaner Reliefs Dütschke nr. 858 u. 860, von denen Sie das
letztere auf S. 388 anführen, sind sicher modern, obgleich sie
wiederholt neuerdings untersucht und nicht bezweifelt worden
sind, z.B. ersteres nicht von Brunn.
ITeber diese Stücke notierte ich mir vor den Originalen:
Beide Reliefs sind modern und von Anfang an war nicht mehr
gearbeitet, als vorhanden ist. Bei Vervollständigung der Relief-
platten würden in der Composition große, nicht auszufüllende
Lücken entstehen. In nr. 858 bleibt zwischen dem Silen links und
Faun rechts ein großer freier Platz auf der Platte. Die linke
untere Ecke ist von dem Fälscher des Reliefs selbst angesetzt,
ebenso die rechte obere Ecke des anderen Reliefs nr. 860. Die
Komposition beidemale durchaus gegen griechische Gesetze. Die
Proportionen zum Theil verfehlt. Die Arbeit nicht ungeschickt,
aber der flotte Stil verräth die moderne Erfindung. Nicht antik
ist der Gesichtstypus des jungen Fauns in nr. 858 und des Pans
in 860."
Zu S. 391 , Z. 9 fg. (wo in Z. 9 für „von" zu schreiben ist
„zu" und in Z. 10 „hier zuvörderst eine") bemerkt Hr. Schreiber:
„Das von Ihnen S. 391 erwähnte Monument Ann. d. Inst. 1846
tav. N. 1. 2 ist ein gutes Specimen alexandrinischer Plastik und
wird durch eine große Reihe mehr oder weniger verwandter Bild-
werke gestützt. Mit am nächsten steht die von Michaelis Arch.
Z. 1879 Taf. 13 publicirte Gruppe Eros in der Weinlaube". Den
492 FriedrichWiesel er, Nachträge zu dem Aufsatze üb. weibl. Satyrn etc.
jetzigen Aufbewahrungsort des Monuments erwähnt Hr. Schreiber
nicht.
Zu S. 392, Z. 14 fg. Das Relief zu Venedig erklärt sowohl
Hr. Schreiber als Hr. von Schneider für modern. Dieser verweist
auf Gr. Frizzoni: Notizia d'opere di disegno pubbl. da D. Jac. Mo-
relli, 2da edizione riv. ed aum. Bologna: Zanichelli 1884, p. 37,
247 sq. ; indem er hinzufügt : „Ich halte das Relief nämlich für eine
italienische Arbeit aus dem Ende des 15. Jahrhunderts oder dem
Anfange des 16. Auch darf ich versichern, daß das liegende weib-
liche Wesen wirklich eine Kentaurin ist. Die Vorderbeine sind
nur in Folge der Verkürzung nicht sichtbar, aber vor dem Origi-
nale sieht man deutlich , daß der Frauenrücken als Pferdeleib
endigt. u
Zu S. 392, unten. Ueber ein Relief mit einer Panin bemerkt
Hr. Schreiber : „Leider habe ich bisher noch nichts genaueres über
das merkwürdige Hochrelief nr. 183 des Museums in Toulouse er-
fahren, auch noch keine Photographie erlangen können. Stark,
Städteleben in Frankreich p. 607 beschreibt es als Panin mit Kind
an der Brust und ruhender Pan unter einem Palmbaum. u
Zu S. 393, nach Z. 23. Hr. Schreiber berichtet: „Eine präch-
tige kleine Bronze mit Büste eines Satyrmädchens skizzierte ich
mir im Museo di Antichita zu Turin, Sala dei bronzi, Wandschrank
G-, comp. I. Rundes Köpfchen mit Stumpfnäschen und Grübchen
im Kinn. Rechte Hand an die rechte entblöste Brust gelegt, linke
Schulter mit Hasenfell bedeckt. Blätterwerk als Büstenabschluß."
Inhalt von No. 14.
Eduard Riecke, das thermische Potential für verdünnte Lösungen. — Derselbe, über elektrische Ladung
durch gleitende Reibung. — P. Drude und W. Nernst, Einfluss der Temperatur und des Aggregatzustan-
des auf das Verhalten des Wismuths im Magnetfelde. — P. Drude, über die Grösse der Wirkungssphäre
der Molecular-Kräfte und die Constitution von Lamellen der Plateau'schen Glycerin-Seifen-Lösang. —
Friedrich Wieseler, Nachträge zu dem Aufsatze über weibliche Satyrn und Pane in der Kunst der Grie-
chen und Römer in den Nachr. vom 9. October 1890, No. 11, S. 385 fg.
Für die Redaction verantwortlich: 27. Sauppe, Secretair d. K. Ges. d. Wiss.
Commissions- Verlag der DietericK sehen Verlags -Buchhandlung.
Druck der Dieterich' 'sehen Univ.- Buchdruckerei (W. Fr. Kaestner),
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
17. December. JK 15. 1890.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 8. November.
Ueber Discriminanten und Resultanten von
Singularitätengleichungen.
Von
Franz Meyer in Clausthal.
(Dritte Mittheilung1).
Vorgelegt von F. Klein.
Die in der voraufgegangenen Note mitgetheilten Principien
reichen aus, um die für Curven R2n und R8n angegebenen sechs Zer-
legungsgleichungen allgemein für Curven Rdn aufzustellen.
Was die Bezeichnungen angeht, so sei die rationale, punkt-
allgemeine Curve Rdn — im linearen Räume Md von d Dimensionen
— in Punktcoordinaten x dargestellt durch:
x0:x1:x2:...:xd = £($ :£(A) :/f(ij : . . . :fd{X)
Die aus irgend d + 1 Verticalreihen der a gebildeten Determi-
nante | ako akl . . . akd | möge wiederum durch #*0>*1#...*4 = # bezeich-
net werden; wir legen ihr das Gewicht 2Jk ~ — - bei.
1) Vgl. Göttinger Nachrichten. 1888 No. 5 und 1890 No. 10.
Nachrichten Ton der K. G. d. W. xu Göttinnen. 1890. No. 15. 41
494 Franz Meyer,
Innerhalb des Raumes Md gelegene Linearräume von d— 1,
d— 2, d— 3 Ausdehnungen (solche kommen allein hier in Betracht)
erhalten die Zeichen Md_t, Md_2, Md_3. Schnitt- und Berührungs-
eigenschaften derselben, in ihrem Verhalten zur Curve Bd sollen
resp. durch keine, eine, zwei runde Klammern angedeutet werden,
endlich darauf bezügliche binäre Darstellungsformen, oder auch In-
variantencriterien allgemein durch eine eckige Klammer.
Dann sind die unmittelbaren Analoga der in Ebene und Raum
bereits betrachteten Singularitäten:
1. Md_x „ ccd+1", welche mit der Curve Rd an einer Stelle cc
d+1 consecutive Punkte gemein haben,
2. Md_1 n ccdß2 u, für welche an einer ersten Stelle cc d Punkte,
an einer zweiten (von cc verschiedenen) Stelle ß zwei Punkte der
Curve coincidiren,
3. Md_2 „ (ad-4ß)", welche der Curve in d—1 benachbarten
Punkten cc begegnen, und sie außerdem noch einmal, in ß treffen.
Die Argumente cc, und damit die Gesammtheit der jeweiligen
singulären Mannigfaltigkeiten M werden durch drei binäre Formen
[ad+1], [ccdß3], [(ad^ß)] repräsentirt. Die Grade derselben, einmal
in cc, andererseits in den d giebt die Zusammenstellung (A) an:
A. Singularitätenformen.
Grad in cc. Grad in den d.
1. [***] (d + l)(w~(Z) 1
2. [ccdß*] 2d(n~d)(n-d-l) 2(n-d-l)
3. [«*#] (d-l)(n-d + l)(n-d) n-d + 1.
Die Discriminanten und Resultanten dieser drei binären Formen
lassen sich in ;; Elementarfactoren u — welche bez. der 8 irredu-
cibel sind — zerlegen, wie folgt:
B. Zerlegungen der Discriminanten und Resultanten.
(1) DK'] = [(«<)]•[«**]
(2) Z>[«^2] = [(ad)]J<»-d-'>«-«-»>.[a'«^,(aa-'/3)].[K<'/3y]»[a'!+»][a''+'/32]|-a<!/j3]3
(3) B[(a^ß)] = [(««)]. W(«<WM.[^)1
(1.2) R\ [«•«■'], [«"/»»] } == [(ad)Y{"-d-,\[a°*'Y.[ad+1ß*
(2.3) M\[cCß>], [(«'-0)) = [(a«)]"«-'-".[a^a, («d-'ß)]\[«"ß\(«d"y)]
(1.3) R | [«*«], [(a<->ß)] j = [(«*)]'. [«*« (a^-Wj.
Singularitätengleichungen. 495
Die geometrische Bedeutung der einzelnen Elementarfactoren geht
aus ihrer Bezeichnung hervor : es sind die linken Seiten der inva-
rianten Kriterien, welche aussagen, daß das innerhalb einer eckigen
Klammer characterisirte singulare Vorkommniß, resp. die beiden
singulären Vorkommnisse gleichzeitig eintreten.
Endlich sind die Grade, wie Gewichte (in den ö) dieser zehn
Invarianten, geordnet nach der Anzahl der darin auftretenden Ar-
gumente cc, ß, y, in der Tabelle (C) niedergelegt:
C. Grad und Gewicht der 10 Elementarfactoren in
den d.
Grad
K) K+2] (d + 2) (n-d-l)
K) [(**)] d(n-d + l)
(bt) [ad+1ß2] 2(d + l)(n-d-l)(n-d-2)
(b2) [adß3] Zd (n-d-l) (n-d-2)
(b3) [ad+1, (ad~xß)} 2d(n-d + l)(n-d-l)
(6J [adß\ (a^ß)] (3d-2) (n-d + 1) (n-d-l)
(&.) [(H))] (d-2)(n-d + 2)(n-d + l)
(cj [adß2f] 2d(n-d-l)(n-d-2)(n-d-3)
(c2) [(cc^ßy)] (d-l)(n-d+l) (n-d) (n-d-l)
(c«) [«T, (ccd~1y)]2(2d-l)(n-d + l)(n-d-l)(n-d-2)
Gewicht
i(d + l)(d + 2)(n-d)(w-d-l)
£d (d + 1) (n- (2 + 1) (n - d)
(e* + 1)2 (n-d) (n-d- l)(n-d-2)
%d(d + l)(n-d)(n-d-l)(n-d-2)
d(d + l)(n-d + l)(n-d)(n-d-l)
i(3d-2)(d + l)(n-d + l)(n-d)(n-d-l)
\ (d-2) (d + l)(n-d + 2) (n-d + 1) (n-d)
d(d + l)(n-d)(n-d-l)(n-d-2)(n-d-3)
$ (d-l)(d + l) (n-d + 1) (n-d)2 (n-d-l)
(2d-l)(d + l)(n-d+l)(n-d) (n-d-l) (n-d-2).
Die Gradzahlen gehen durch einfache Multiplication mit %(d + l)
(n—d) in die betr. Gewichtszahlen über: die letzteren sind nur
im Hinblick auf ihre größere Durchsichtigkeit explicite hinzuge-
fügt worden. Im Uebrigen lassen sich die bei Gelegenheit des
Falles d = 3 gemachten Bemerkungen fast wörtlich auf den Fall
eines beliebigen d übertragen.
41*
496 Franz Meyer
Die soeben unter (B) notirten allgemeinen Zerlegungsformeln
können vor Allem dazu dienen, einige auffällige Besonderheiten
und Verschiedenheiten der früher behandelten Fälle d = 2 und
d = 3 aufzuklären.
Für d = 3 wird zuvörderst der Factor [ccdß9] wegen alsdann
eintretender Symmetrie in a, ß das Quadrat eines irreducibeln Aus-
drucks: der letztere, damals selbst mit [asß3] bezeichnet, kommt
demnach unter den Elementarfactoren von B [a3/32] nicht drei- son-
dern sechsfach vor.
Genau das Entsprechende gilt für die Invariante [((ad-2ß))],
sodaß bei der Zerfällung von D [(cc2ß)] der unter [(aß)] aufgeführte
Elementarfactor auf die zweite (statt der ersten) Potenz zu er-
heben ist.
Für d = 2 dagegen kann der gemeinte Factor überhaupt noch
nicht erscheinen , was damit übereinstimmt , daß in der Gradzahl
von [(ad~2ß)] d—2 als Factor enthalten ist.
Für d = 2 ist weiterhin zu bemerken, daß alsdann die beiden
Invarianten [ccd+lß*] und [ccdß3] in ein- und dieselbe [a3ß'] = [a2/33]
coincidiren. Somit vereinigen sich die in der allgemeinen Formel
für D \adß%\ figurirenden Exponenten 1 und 3 jener beiden Factoren
nunmehr zum Gesammtexponenten 1 + 3 = 4.
Ferner wird der Ausdruck [ad/32, (ad~lß)] für d = 2 wiederum
symmetrisch in cc, ß , also das Quadrat des damals als Selbstbe-
rühr ungsfactor [42Ta] verzeichneten Ausdrucks. Demnach erhöhen
sich die in den allgemeinen Formeln stehenden Exponenten 1 resp.
2 der in Eede stehenden Invariante jetzt zu 2 resp. 4.
Endlich weisen die beiden Factoren [ad/32y2] und [{pf^ßYJ] im
Falle d = 2 eine dreifache Symmetrie auf, werden also dann zu
Cuben irreducibler Größen, insofern jetzt jedes der drei Argumente
cc,ß,y die Eolle von a übernehmen kann. Jene beiden Elementar-
factoren, damals mit den Zeichen [TJ, [z/8] versehen, zeigen somit
den Exponenten 6 statt 2.
Nachdem so die formale Untersuchung der drei Singularitäten
(A) einen Abschluß erreicht hat, kann man nunmehr der zu Be-
ginn der vorigen Mittheilung aufgeworfenen Frage näher treten,
in welcher Art und Weise sich das Zusammenrücken zweier ein-
facher Singularitäten in eine nächst höhere vollzieht. Es soll
dazu ein Verfahren eingeschlagen werden, welches in einfacheren
Fällen einen neuen, anschaulichen Beweis für die Vielfachheit der
bezüglichen Elementarfactoren in den Zerlegungsformeln liefert,
für welches indessen umgekehrt die letzteren in allen Fällen eine
vollständige Controlle bieten, sodaß erst durch die vereinigte Wir-
Singularitätengleichungen. 497
kung beider Hülfsmittel eine ausreichende Einsicht in die gemein-
ten Vorgänge ermöglicht wird.
Der Deutlichkeit halber legen wir der Untersuchung zunächst
wiederum den Fall d = 2 *) unter.
Anstatt nun z. B. den „Cuspidalfactor" [(a2)] allgemein zu be-
rechnen, also das Kriterium für Eintreten einer Spitze überhaupt
bei einer R2n, lege man dem Argument a den canonischen Werth
Null (oder auch Unendlich) bei, und frage nach den Bedingungen
dafür, daß die Curve gerade an der Stelle Null eine Spitze erhält.
Dieselben sind offenbar durch das gleichzeitige Bestehen der Glei-
chungen änn_hk = 0 (Je = 0, 1, 2 . . n— 2) ausgedrückt. Man setze
demnach
#„,„-1,*= £*„,«-,,*, Em« = 0,
wo die Größen r nicht zugleich mit s verschwinden sollen. Da-
durch wird die Invariante [(a2)] sicher mit £ proportional; wie man
leicht erkennt, ist aber auch nur die erste Potenz von a in [(a2)]
als Factor enthalten.
Folglich muß sich aus den Discriminanten und Resultanten
der drei Singularitätenformen der Factor £ in genau der nem-
lichen Vielfachheit abscheiden lassen, als der Exponent von [(a2)]
in den einzelnen Zerlegungsformeln angiebt. Andererseits erweist
sich bei directer Berechnung das Bild für die Entwickelung der
drei Singularitätenformen bei Anordnung nach steigenden Potenzen
des Parameters a als das folgende:
[as] =& = sco0 + 8<ola + co2a'-f- . .
[(aß)] == A = el0 + sX.a + X2a* + . .
wo die Coefficienten cj, /tt, k nicht weiter durch s theilbar sind.
Aus der B 6* z 0 u t' sehen Determinantenform der Discriminanten
und Resultanten jener drei binären Formen liest man ab, daß die
Größe s in ihnen zum Mindesten in folgenden Potenzen vorkommt :
D[a*]: s1 ; R\[a*], [«f/32]j : *a<-8)
D [a'ß2] : *«•"***-* ; B j [«»/*■], [(aß } : J*"*
DK««]:*1 ;B\[a>), [(aß))\ : «■ .
Es könnte in Folge der besonderen Natur der Größen a>, p, l aller-
1) Vgl. Brill „Ueber Singularitäten ebener algebraischer Curven und eine
neue Cunrenspecies". Math. Ann. XYI.
498 Franz Meyer,
dings geschehen (und ein derartiger Ausnahmefall wird uns in der
That weiterhin begegnen), daß der mit einer der angegebenen Po-
tenzen von s multiplicirte Entwickelungscoefficient (und eventuell
noch einige nächstfolgende) verschwinden, und daß sich dadurch
die heraustretende Potenz von s erhöht.
Aber die dazu erforderliche, oft sehr mühsame Specialunter-
suchung jener Anfangscoefficienten wird eben hier, wie in den
meisten Fällen, durch Vergleiehung mit den uns bereits bekannten
Zerlegungsformeln von vornherein überflüssig: denn diese Ver-
gleichung zeigt sofort, daß die obigen Potenzen von e die genau
richtigen sind.
Vermöge der Entwickelungsformen von [a3] , [a2/32] , [(aß)] ist
jetzt die gegenseitige Geschwindigkeit1) der zu einer Spitze sich
vereinigenden Wendepunkts-, Doppeltangenten- und Doppelpunkts-
elemente ohne Weiteres statuirbar. Denn während jedes der
2(w— 3) Argumente von Doppeltangentenelementen mit s selbst
proportional wird, wenn man e hinreichend klein werden läßt, so
werden die der beiden Wendepunkte, wie auch der beiden Doppel-
punktsschnittelemente mit \fs vergleichbar. Die Geschwindigkeit,
mit der die letztern zwei Punktepaare sich der schließlichen Spitze
nähern, ist somit eine unendlich langsamere, als die jener erstge-
nannten 2(w— 3) Punkte.
Dieses Sachverhältniß bleibt im Wesentlichen für ein beliebi-
ges d bestehen, nur daß an Stelle der Zahl w— 3 die Zahl n—d—1
tritt, also die Entwickelung der Form [adß2] mit der 2(n— d— l)ten
Potenz von s beginnt, gemäß den 2(n— d— 1) Stellen a von Md_x :
[adß2], welche im Grenzfalle in die Singularität [(ccd)] hin einrücken.
Weit einfacher läßt sich der Einfluß des Factors [ccd+2] verfol-
gen. Greift man wiederum auf d = 2 zurück, so hat man als
Bedingung für eine „Undulation" an der Stelle 0 das simultane
Verschwinden der aus der Matrix | an an_, an_2 an_3 | zu bildenden
Determinanten d. Macht man demnach die letzteren wieder mit
einer beliebig kleinen Größe s proportional, so lauten die Anfangs-
glieder der Formen Sl und M:
fl = [a8] = EG)0 + 8(o1a-\-(Xi2tt2-\- . .
M~ [a2ß*] = e(i0 + £[1^ + 11^' + ..
Die beiden Discriminanten werden mit e, die Resultante aber mit
e2 vergleichbar, was mit den Exponenten des Elementarfactors fa4]
in den zugehörigen Zerlegungen völlig concordirt.
1) Als Maß der Geschwindigkeit wird dabei der Grad des Unendlichklein-
werdens von c angesehen.
Singularitätengleichungen. 499
Das ist auf den Fall eines beliebigen d fast wörtlich über-
tragbar.
Der Kürze halber soll für die weiteren Singularitäten nur
noch das Fortschreitungsgesetz der je zu berücksichtigenden Sin-
gularitätenformen nach Potenzen von s angezeigt werden.
Bei einer Selbstberührung [z/2T2] = [a2/32, (aß)] ist es zweck-
mäßig, das Argument a an die Stelle 0, das Argument ß an die
Stelle oo zu verlegen. Es wird:
A = [{aß)} = .*,+ «*,«+•■• +*«"-"(-2)- iMMH + «M"^M.
Die Discriminanten enthalten s zur zweiten, die Resultante zur
vierten Potenz.
Für d > 2 tritt die Aenderung ein, daß nur noch die Anfangs-
glieder von [ccdß2] und [(ad_1ß)] denselben Character beibehalten,
während die Endglieder nicht mehr zugleich mit s verschwinden.
Folglich werden nunmehr die beiden Discriminanten nur noch mit
e} die Resultante mit s2 vergleichbar.
In ähnlicher Weise erledigt sich für d = 2 der „Trinodal"-
und der „Tritangentenfactor". Läßt man mit Uebergehung der
Zwischenbetrachtung nur noch das eine Argument a einen canoni-
schen Werth, nemlich Null, annehmen, so hat man für z/3 = [(0/fy)] :
A = [(aß)] = e^-MV-f-...
und für T3 = [02/3V] :
M= [a2ß2] = «V0 + %«+...
Die Discriminante erhält also beidemal vom Argument a = 0 her
den Factor a2; da aber alle drei Argumente a, ß, y einen gleich-
mäßigen Einfluß ausüben , so tritt jener Factor s* dreimal i. e. s
in der sechsten Potenz auf.
Für c?>2 kommt die letztere Bemerkung in Wegfall, der
zweiten Potenz von s correspondirt dann die zweite Potenz von
[(«"fcOl «sp. [«W]-
Der Factor [SIA] = [a3, (aß)] führt zu den Entwickelungen :
Sl == [«•] = «d0 + ..., A = [(aß)] = fV+v;;,
sodaß die Resultante mit s selbst vergleichbar wird.
Der Fall eines beliebigen d verursacht hier keine Aenderung.
Dieselbe Erscheinung bietet sich bezüglich (AM) = [a*ß2, (ay)]
500 Franz Meyer,
bei den beiden in Betracht kommenden Formen Ä und M, und
desgleichen im allgemeinen Falle.
Eigenartig wirkt der Factor [SIM] = [a8/32]. Für a = 0,
ß = oo gestalten sich die Formen Sl und M, wie folgt:
Sl== [cc>] = £ö0 + ...
M =[a>ß>] = «f*.+ W+- . .+^^-a)("-8)->4(n.2)(n_3)_1+6V^"-2)(«-'>4(n_3)(n_8) .
Die Resultante wird nur mit der ersten Potenz von s vergleichbar,
wie denn auch ]SIM] unter den Factoren von B\SI,M\ nur einmal
vorkommt.
Der Beitrag von [SIM] zur Discriminante von M setzt sich
wiederum aus zwei Theilen zusammen. Von a = 0 rührt die
erste Potenz von e als Factor her, während ß = oo die zweite
Potenz zu liefern scheint. Hier tritt indessen der Ausnahmefall
wirklich ein, daß der Coefficient von s-s2 = ss in der Entwicke-
lung der Discriminante von M (nicht aber der nächstfolgende) ver-
schwindet, und zwar eben durch die Kraft der in ß = oo gelege-
nen Singularität.
Um sich davon zu überzeugen, gehe man in der Canonisirung
noch einen Schritt weiter. Man lege nemlich je einem Doppel-
tangentenberührpunkt cc, ß von vornherein das Argument 0, oo
bei, und fordere demgemäß die Bedingungen dafür, daß die Tan-
gente der Curve R2n in ß — oo an einer weiteren Stelle a = 0
osculire. Dazu müssen sämmtliche Determinanten der Matrix
I ao i axi a»-2 ? a»-i > an I verschwinden , während zugleich noch
die Grleichung M = 0 eine Wurzel oo, sowie eine Wurzel 0 be-
sitzen soll.
Hält man sodann nur an der letztgenannten Bedingung x) fest,
und macht vorderhand wiederum jene Determinanten soweit sie
nicht schon verschwinden , einer beliebig kleinen Größe s propor-
tional, so resultirt zuvörderst, daß sich aus der Invariante [SIM]
= [cc3ß2] die zweite Potenz von s ausscheidet.
Die Form M nimmt aber jetzt folgende Grestalt an :
M = [a'ß2] = 0 + e^a + . . . + £ V(n-a)(n-s)- V^^-J- 0 . «*<»-»<"-»>.
Die Folge ist, daß nunmehr in die Discriminante von M die Fac-
toren s2 und s6 also im Ganzen der Factor e8 eintreten. Damit ist
der gewünschte Beweis erbracht, denn dem letzteren Factor £8
1) Dieselbe ist ersichtlich dadurch fixirt, daß die Determinanten der Matrix
ao> av «*-»> % | fest gleich Null gesetzt werden.
Singularitätengleichungen. 501
muß bei der früheren Constellation , wo [SIM] mit s selbst ver-
gleichbar war, die dritte Potenz von e correspondiren.
Wie schon weiter oben bemerkt, treten die beiden, soeben für
d = 2 erörterten Vorkommnisse völlig auseinander , sobald d > 2
wird. Man hat daher nur die angegebenen Entwicklungen in zwei
Theile zu spalten: bezüglich des Factors [ad+1ß2] = [0d+1ß2] bewah-
ren die Anfangsglieder ihren Character, während die Endglieder
den Factor e nicht mehr aufweisen, und genau umgekehrt ver-
hält es sich bezüglich der Invariante [vdßs] = [adoo3], wo übrigens
nur die Form [ccdß2] in Betracht kommt.
So erklärt es sich, weßhalb die Resultante der Singularitäten-
formen [ad+1] und [adß2] den Factor [ad+1ß2] nur einfach, und die
Discriminante von [adß2] denselben Factor ebenfalls nur einfach,
dagegen den Factor [ccdß*] dreifach zuläßt.
Um in dem vornehmlich interessanten Falle d = 2 die letzten
Ergebnisse noch einmal zusammenzufassen, so hat man sich die
Singularität [cc3ß2] so entstanden zu denken, daß eine "Wendetan-
gente a + 8 mit zwei Doppeltangenten vom Typus : (lim s = 0)
( a + d^t ) ( a + d[e$ I
( ß + d2e + dß ) ( ß + d2e-d3e% )
coincidirt, wo die d mit s nicht verschwindende Größen bedeuten
Der Unterschied der beiden in die Stelle ß rückenden Doppeltan-
gentenberührungspunkte ist mit s* vergleichbar. Man kann leicht
eine Figur entwerfen, welche diese Verhältnisse wiederspiegelt.
Was endlich noch die Invariante [((ccd~2ß))] angeht, so wird
für lim a = 0 :
KO*)] = 4> +«*!«+.. .
und somit die Discriminante der Form mit s selbst proportional.
Für d = 3 liefert das Argument ß den Factor s noch einmal.
Damit hat die Erörterung der verschiedenen, nur eine Bedin-
gung erfordernden Vereinigungen von Singularitäten ad+l, adß2)
(cx,d~lß) auf „ allgemeinen u Bd einen gewissen Abschluß erhalten.
Die auf Raumcurven Ban sich weiter noch darbietenden Singulari-
täten cc2ß2y2 und (ccßyd) zu berücksichtigen, möge einer weiteren
Mittheilung vorbehalten bleiben.
Clausthal 2. September 1890.
502 W.Voigt,
Zur Theorie der Schwingungen gestrichner Saiten.
Von
W. Voigt.
(Vorgelegt in der Sitzung vom 2. August 1890.)
Herr von Helmholtz hat bekanntlich eine Theorie für die
Bewegung einer mit einem Bogen gestrichenen Saite durch geist-
volle Combination der Beobachtung mit der Berechnung ent-
wickelt1). Diese Theorie ist vielfach acceptirt worden2), sie ent-
hält aber einige Fehler, welche sie in der gegenwärtigen Form
unhaltbar erscheinen lassen. Ich werde zunächst diese Behauptung
nachweisen und sodann diejenige Aenderung resp. Verallgemeine-
rung der Grundannahmen des Herrn von Helmholtz, welche
den von ihm angegebenen Weg der Entwickelung einwurfsfrei
durchzuführen gestattet, mittheilen und in ihren Folgerungen un-
tersuchen.
Herr von Helmholtz hat durch die Beobachtung mit dem
Vibrationsmikroscop festgestellt, daß ein jeder Punkt der ange-
strichenen Saite eine Bewegung ausführt, gegeben durch das fol-
gende Gesetz für die Elongation y innerhalb einer Periode T:
0<*<X y = ft + h,
%<t<T y = g(T-t) + h,
wobei
2) f% = g{T-%)
sein muß.
Die Entwickelung dieses Gesetzes in eine Fourier'sche
Reihe ergiebt
Diese Formel vergleicht Herr von Helmholtz mit dem allge-
1) H. v. Helmholtz, Phil. Mag. (4) 21, 393—396. 1860. Lehre von den
Tonempfindungen, Braunschweig 1870, p. 595, Gesammelte Abhandlungen, Leipzig
1882, p. 410.
2) S. z.B. Rayleigh, Theorie des Schalles, deutsch v. Neesen, Braun-
schweig 1880, Bd. I, p. 225.
zur Theorie der Schwingungen gestrichner Saiten. 503
meinen Gesetz für die Bewegungen einer beiderseits befestigten
Saite von der Länge L
4)
t - 2 1 jCn am [—L-) sm -y- (*-y)
+Asin(__jC0S__^__jj
und gelangt zu dem Schlüsse, daß zur Uebereinstimmung
2>. - 0, T - r , 0. - -^ , 5)
also f-fcp von # unabhängig sein muß. Durch Einführung der Am-
plitude p an der Stelle x und der Amplitude P in der Mitte der
Saite erhält er noch die Beziehungen
4:Px(L-x) s SP(L-x) SPx ßv
Die Discussion dieser Formeln liefert ihm die an der citirten
Stelle mitgetheilten Gesetze für die Schwingungen gestrichner
Saiten.
Allein diese Gesetze können schon deshalb nicht richtig sein,
weil der Ansatz (4) keine Lösung der allgemeinen Differential-
gleichung ist, sobald % nicht constant sondern = xT/L ist, und
demnach ist unter Beibehaltung des von Helmholt z' sehen An-
satzes (1) die Durchführung seines Weges überhaupt unmöglich.
Der Grund ist leicht ersichtlich, — jener Ansatz ist so spe-
ciell, daß das Problem überbestimmt ist; denn es ent-
hält die stillschweigende Annahme, daß alle Punkte
der Saite mit gleicher Phase schwingen. Läßt man
diese Annahme fallen, so bietet die Durchführung der Theorie
keine Schwierigkeit.
Ich setze demgemäß
*0<:*<:£-M0, y = f(t-t0) + h,
wo nun t0 die Verschiedenheit der Phase an verschiedenen Stellen
mißt und h und t0 Functionen von x sein können. Entwickelt man
diesen Ansatz in eine F o u r i e r' sehe Reihe , so erhält man
504 W.Voigt,
Hieraus kann man ebenso wie Herr von Helmholtz durch
Vergleich mit (4) schließen, daß
9) Z/T = x/L
sein muß, außerdem folgt aber, daß
t0 + -^ = Const (x)
also
io) ^ = «-S
sein muß, falls a eine Constante bezeichnet, welche durch die Wahl
des Anfangspunktes für t jederzeit zu Null gemacht werden kann.
Nunmehr sind die Folgerungen (6) berechtigt, aber die Glei-
chungen (1) werden durch ihr Einsetzen zunächst nicht linear, son-
dern geben
^ * o- SP(L-x) /■ , xT\ ; ,
11)
Diese Resultate stehen aber mit der Formel
10x 8PW=°° 1 . Ttnx . 27tnt
12) ^tJ^8111^8111-^
im Widerspruch, so lange man h constant nimmt, denn diese For-
mel verglichen mit der bekannten Reihe
2~bU n ^,°° 1 . nTCX . nita
«> ■"■•■?;
welche
— =■ sin —j— sm — y—
für 0<x<:a yt = —
für a<c#<cZ/ yt = b-^
giebt, zeigt, daß y für jedes t durch zwei lineare Functionen von x
gegeben sein muß. Für 0<t<zT/2 muß die Abscisse a = 2tL/T,
die Amplitude
zur Theorie der Schwingungen gestrichner Saiten. 505
4Pa(X-q) SPt
b = jp '- = -— (T-2*) 14)
sein; es läuft hiernach der Schnittpunkt der beiden Geraden in
der Zeit t = T/2 über die ganze Länge der Saite und es wächst
zugleich die Amplitude b von 0 bis P und nimmt wieder bis 0 ab.
Für T/2<t<T muß a = 2L(T-i)/T sein und
8 = - 4P«g-«) = _8P(T_tm_T). 1B)
der Schnittpunkt läuft also mit derselben Geschwindigkeit zum
Anfangspunkt zurück, während die Amplituden die entsprechen-
den negativen Werthe annehmen.
Da der Ansatz (12) hiernach eine lineare Relation zwischen
x und y ergiebt, so muß h eine Function zweiten Grades in x sein.
Die Vergleichung von (12) und (13) ergiebt unter Rücksicht
auf (14) und (15)
4Px(L-x)
wie dies auch der unmittelbaren Anschauung entspricht. Der An-
satz (7) ist hiernach in allen Theilen bestimmt und liefert für
xT xT 8P(L-x)t
2L ' 2L ü LT
xT ^.(2L-x)T 8Px(T-2t).
+ jL<t<: 2L y~~LT. 2 '
zur Zeit t = xT/2L geben beide Ausdrücke für y denselben
Werth p.
Göttingen, d. 1. August 1890.
Bemerkung. Nach Einreichung der vorstehenden Notiz ist
mir die Arbeit von Herrn Lindemann1) über dasselbe Problem
bekannt geworden. In derselben sind die richtigen Formeln für
die Schwingungen der gestrichenen Saite auf einem andern als
dem Helmholtz' sehen Wege abgeleitet, die eigentliche Ursache
der Abweichung des neuen Resultates von dem früheren ist aber
nicht aufgedeckt. Die obige Notiz bildet somit eine Art Ergän-
zung jener Untersuchung.
1) F. LindemanE. Ber. d. naturf. Ges. in Freiburg i. B. VII, 500, 1880.
606
Bei der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften einge-
gangene Druckschriften.
Man bittet diese Verzeichnisse zugleich als Empfangsanzeigen ansehen zu wollen.
Juli 1890.
(Fortsetzung.)
Verhandlungen der neunten allgemeinen Conferenz der internationalen Erdmes-
sung (in Paris) und deren permanente Commission. Redigirt von A. Hirsch.
Berlin und Neuchatel 1890.
Mitteilungen der Pollichia. XLVIII. Jahresbericht. N. 3. 1889. Neustadt
a. d. Hart 1889.
Verhandlungen der k. k. geologischen Reichsanstalt. N. 6 — 9. 1890. Wien 1890.
Verhandlungen der k. k. zoologisch- botanischen Gesellschaft in Wien. Jahr-
gang 1890. (XL. Band.) Quartal 1 und 2. Wien 1890.
Anzeiger der Akademie der Wissenschaften in Krakau. 1890. Juni. Krakau 1890.
Mittheilungen des Musealvereines für Krain. Jahrg. 3. Laibach 1890.
Mittheiluugen des Vereines der Aerzte in Steiermark. XXVI. Vereinsjahr. 1889.
Graz 1890.
Jahresbericht der Lese- und Redehalle der deutschen Studenten in Prag für
1888. Prag 1889.
Archiv des Vereines für siebenbürgische Landeskunde. Neue Folge. Band 23.
Heft 1. Hermannstadt 1890.
Programm des evangelischen Gymnasiums A. B. etc. zu Hermannstadt für
1889/90. Hermannstadt 1890.
Astronomische Mittheilungen von Dr. Rud. Wolf. LXXVI. Juni 1890.
(Zürich 1890.)
Nature. Vol. 42. N. 1079—1082.
Proceedings of the London Mathematical Society. Vol. XXI. N. 377—380.
Proceedings of the Royal Society. Vol. XLVII. N. 291. London 1890.
Monthly notices of the R. Astronomical Society. Vol. L. N. 8. (London.) 1890.
Geometry in religion and the exact dates in biblical history after the monu-
ments; etc. London 1890.
Proceedings of the R. Irish Academy. Third series. Vol. I. N. 3. Dublin 1890.
Proceedings of the Canadian Institute, Toronto. April 1890. Vol. XXV. N. 153.
Toronto 1890.
Notes on the peare and chank fisheries and marine fauna of the golf of Manoar
by Edgar Thurston. Madras 1890.
Catalogue of the Batrachia Salientia and Apoda of Southern India by Edgar
Thurston. Madras 1888s.
Records of the geological urvey of India. Vol. XXIII. Part 2. Mai 1890.
(Calcutta 1890.)
Second systematic census of Australian plants by Baron F. v. Mu eller. Parti.
Vasculares. Melbourne 1889.
Bulletin mensuel de l'observatoire meteorologique de l'universite d'Upsal. Vol.
XXI. Annee 1889. Upsal 1889-90.
Regiae societatis scientiarum Upsalensis:
a. Nova Acta: Seriei tertiae. Vol. XIV. Fase. 1. Upsaliae 1890.
b. Catalogue methodique des Acta et Nova Acta . . . 1744—1889. Upsala(1889).
Publication der Norwegischen Commission der Europäischen Gradmessung.
Geodätische Arbeiten. Heft VI und VII je zwei Exemplare. Christiania
1888—1890.
Bijdragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde van Nederlandsch-Indie. 5. vol-
greeks. 5. deel. (Deel XXXIX der geheele reeks.) Derde Afler. s'Gra-
venhago 1890.
507
Annales de lMcole polytechnique de Delft. Tome V. 1890. 3me et 4me livr.
Leide 1890.
Archives Neerlandaises des sciences exactes et naturelles. Tome XXIV. 2me
et 3me livr. Harlem 1890.
Bulletin de l'Acadäuiie Royale des sciences, des lettres et des beaux-arts de
Belgique. 60. annde. 3. se'rie. Tome 19. N. 6. Bruxelles 1890.
Jornal de sciencias mathematicas e astronomicas. Vol. IX. N. 5. Coimbra 1889.
Oeuvres completes d'Augustin Cauchy. Publiees par l'Academie des sciences
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Kgl. Preuss. Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
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Politische Correspondenz Friedrichs des Grossen. 18. Bd. 1. Hälfte. (Jan. bis
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Leopoldina. Heft XXVI. No. 13/14. 15/16. 17/18. Juli- Sept. 1890. Halle.
Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik begr. v. C. O h r t m a n n.
Bd. XIX. Jahrg. 1887. Heft 3. Berlin 1890.
Jahresbericht der Naturhistorischen Gesellschaft zu Nürnberg. 1889 nebst Abhdl.
VIII. Bd. Bogen 8-13. Nürnberg 1890.
67. Jahresbericht der Schlesischen Gesellschaft f. vaterländ. Cultur 1889. Bres-
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b. Sitzungsberichte. Jahrgang 1890. No. 6. 7.
Kgl. Bayer. Akademie der Wissenschaften zu München. München 1890.
a. Sitzungsberichte. 1. Philos.-philol. u. hist. Classe. 1890. Bd. I. Heft III.
Bd. II. Heft I.
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b. Bericht des Sekretariats über die 31. Plenarversammlung der histor. Kom-
mission.
Kölliker, A.: Ueber die erste Entwicklung der Nervi olfactorii. (Aus d.
Sitzgsber. d. physik.-medic. Gesellsch. zu Würzburg. 1890. XIV. Sitzung.)
Zeitschrift für Naturwissenschaften hrsg. v. O. L u e d e c k e. 63. Bd. 2. u. 3.
Heft. Halle 1890.
Mitteilungen der Pollichia. XLVII. Jahresber. 1888. No. 1.2. Dürkheima. H.
Veröffentlichung des Kg). Preuss. Geodätischen Institutes. Das Mittelwasser
der Ostsee bei Swinemünde. 2. Mittheil. (v. Prof. Dr. Wilh. S e i b t.)
Berlin 1890.
(Fortsetzung folgt.)
Inhalt von No. 1«.
Franz Meyer, über Discriminanten und Resultanten Ton Singularitätengleichungen. — W. Voigt, znr
Theorie der Schwingungen gestrichener Saiten. —
Eingegangene Druckschriften.
Für die Kedaction verantwortlich: H. Sauppe, Secretär d. E. Ges. d. Wiss.
Commissions-Verlag der Dieterich' sehen Verlags- Buchhandlung.
Druck der Dieterich' sehen Üniv.-Buchdruckerei ( W. Fr. Kaestner).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
31. December. Jfot 16. 1890.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 6. December.
Riecke legt einen Aufsatz vor : Molekulartheorie der Diffusion und elektro-
lytischen Leitung.
Voigt legt a) von Herrn Prof. Auerbach in Jena eine Abhandlung vor:
über absolute Härtemessung, und b) von sich und P. Drude, Privatdocenten .
Bestimmung von den Elasticitätskonstanten einiger dichten Mineralien (2. Reihe)
Klein legt eine Abhandlung von Prof. Hur witz in Königsbeig i. Pr. : über
die Nullstellen der hypergeometrischen Reihe vor.
Jahresbericht des beständigen Sekretärs.
Moleculartheorie der Diffusion und electro-
lytischen Leitung.
Von
Eduard Riecke.
Wie man in der allgemeinen Mechanik zuerst gelernt hat,
Aufgaben des Gleichgewichtes der Körper unter der Wirkung
verschiedenartiger Kräfte zu behandeln und erst sehr viel später
in den Besitz der Mittel gekommen ist, welche die Vorausbestim-
mung der durch Kräfte erzeugten Bewegungen ermöglichen, so
ist man auch in der Lehre von der molekularen Constitution der
Körper ausgegangen von statischen Vorstellungen , bei welchen
man von den Bewegungen, in welchen die kleinsten Theilchen der
Körper ohne Zweifel begriffen sind, abgesehen hat. Bis jetzt ist
Nachrichten von der K. ü. d. W. zu Göttin gen. 1890. Nr. 16. 42
g^O Eduard Riecke,
es nur für die gasförmigen Körper gelungen, eine Theorie zu ent-
werfen, welche die Bewegungen der Molekeln nicht allein in Rech-
nung zieht, sondern zur Grundlage der ganzen Entwicklung macht.
Eine Ausdehnung der auf dem Boden der Gastheorie gewonnenen
Anschauungen auf ein neues Gebiet von Erscheinungen verdanken wir
einem überraschenden und glücklichen Gedanken von vant'Hoff,
welcher nach verschiedenen Richtungen hin als fruchtbar und an-
regend sich erwiesen hat. In seiner im Jahre 1884 erschienenen
Abhandlung „die Rolle des osmotischen Druckes in der Analogie
zwischen Lösungen und Gasen" hat van t'Hoff gezeigt, daß der
osmotische Druck in einer verdünnten Lösung durch dasselbe Ge-
setz bestimmt wird, wie der Druck eines Gases, und daß ebenso
wie dieser letztere auch der osmotische Druck erklärt werden
kann durch Stöße der Molekeln gegen die umschließende Wand.
Um die Ideen, welche der Theorie von van t'Hoff zu Grunde
liegen , verständlich zu machen , möge erinnert werden an den
Grundversuch der Osmose. Wir füllen eine unten mit einer thieri-
schen Blase verschlossene Röhre mit Salzlösung und setzen die-
selbe in ein größeres mit Wasser gefülltes Gefäß , so daß das
Niveau der Flüssigkeit in der Röhre ebenso hoch steht, wie in
dem Gefäße. Es geht dann sofort Wasser durch die Membran
hindurch zu der Salzlösung hinüber und die Folge hievon ist das
bekannte Ansteigen der Flüssigkeit in der Röhre; hat die in der
Röhre befindliche Flüssigkeitssäule ihre größte Höhe erreicht, so
herrscht in ihr ein gewisser Ueberdruck , welcher durch das Ge-
wicht der über das freie Niveau des Wassers gehobenen Säule
gemessen wird. Diesen Druck nennen wir den osmotischen Druck ;
van t'Hoff hat nun uachgewiesen , daß dieser Druck genau der-
jenige ist, welchen die Molekeln des gelösten Salzes ausüben
würden , falls sie im Gaszustande den von der Lösung eingenom-
menen Raum erfüllten. Dadurch wird nun eine von der früheren
wesentlich verschiedene Auffassung der osmotischen Erscheinungen
nahegelegt. Man pflegte die osmotischen Vorgänge aufzufassen
als Diffusionserscheinungen, welche zunächst in einem wechsel-
seitigen Uebergang von Molekeln der Salzlösung einerseits, des
Wassers andererseits durch die Membran hindurch bestehen wür-
den. Es sei nun die Diffusionsgeschwindigkeit des reinen Wassers
eine sehr viel größere als die der Salzlösung; dann wird in Folge
des überwiegenden Eintritts von Wasser die Flüssigkeit in der
Röhre steigen ; gleichzeitig wird aber ein Ueberdruck in derselben
entstehen, welcher einen Rückstrom der Flüssigkeit durch die
Poren der Membran hindurch veranlaßt ; die Stärke desselben wird
Molekulartheorie der Diffusion und efectrolytischen Leitung. 511
durch das Gesetz von Poiseuille zu bestimmen sein. "Wenn die
Einwanderung der Wassermolekeln mit diesem Rückstrom sich im
Gleichgewicht befindet, so ist die maximale Steighöhe der Flüssig-
keit erreicht ; der osmotische Druck ist hiernach derjenige Druck,
welcher den Diffusionsstrom zu kompensiren vermag. Zu einer
vollständigen Erklärung der osmotischen Erscheinungen reichen
diese Annahmen nicht aus, weil die Natur der trennenden Mem-
bran einen wesentlichen Einfluß auf den Verlauf der Erscheinungen
ausübt; es muß also noch die Vorstellung von specifischen Affini-
täten der Membran auf die Molekeln des Salzes einerseits, die
Molekeln des Wassers andererseits hinzugenommen werden.
Demgegenüber würde nun nach van t'Hoff in dem Falle
einer halbdurchlässigen Membran, welche nur den Molekeln des
Wassers , aber nicht den Molekeln des Salzes den Durchgang ge-
stattet, die Theorie der Osmose in folgender Weise zu entwickeln
sein. In der Lösung befinden sich die Molekeln des Salzes in
einer Bewegung, welche ihrer Bewegung im gasförmigen Zustand
durchaus ähnlich ist , d. h. sie gehen in gerader Linie mit gleich-
förmiger Geschwindigkeit so lange fort, bis sie entweder mit einer
Wassermolekel oder mit einer anderen Salzmolekel zusammen-
stoßen. Bei jedem Zusammenstoße erleiden sie eine Ablenkung
aus der bisherigen Bewegungsrichtung , und es besteht daher die
Bahn der Salzmolekeln in Lösung ebenso wie im Gaszustände aus
lauter kleinen, geradlinigen, zickzackförmig unter den verschieden-
sten Winkeln aneinandergereihten Strecken. Wenn nun eine Mo-
lekel des Salzes im Verlauf ihrer Bewegung an die freie Ober-
fläche der Flüssigkeit kommt, so muß sie an dieser verhindert
werden , aus dem Innern der Flüssigkeit herauszufliegen ; wir
werden also gezwungen sein , anziehende Kräfte zwischen den
Molekeln des Salzes und denen des Wassers anzunehmen , welche
sich in einer gegen den Molekular ab stand großen Entfernung von
der Oberfläche zu einer gegen diese senkrecht gerichteten Resul-
tante vereinigen werden. Umgekehrt aber werden die Molekeln
des Salzes, welche an die freie Oberfläche der Flüssigkeit gelangen,
auf diese einen Druck ausüben, der von ihrer Masse, Geschwindig-
keit und Anzahl in derselben Weise abhängt, wie der Druck eines
Gases gegen die begrenzende Wand. Ganz ebenso erleidet auch
die Membran durch die gegen sie stoßenden und von ihr zurück-
geworfenen Molekeln einen Druck, dessen Größe gleich $Nmu9
ist , wo N die Zahl der in der Volumeinheit befindlichen Salz-
molekeln , m ihre Masse , u ihre mittlere Geschwindigkeit. Die
Membran wird durch diesen Druck in Spannung versetzt ; die freie
42*
512 Eduard Riecke,
Oberfläche der Salzlösung aber ist beweglich, da ja die Membran
dem unterhalb befindlichen Wasser den freien Durchgang gestattet,
sie wird also durch den gegen sie gerichteten Druck der Salz-
molekeln gehoben, bis das Gewicht der gehobenen Säule, der
osmotische Druck , gleich dem nach oben gerichteten Molekular-
drucke ist. Der Satz , daß der osmotische Druck gleich dem ent-
sprechenden Drucke gasförmiger Molekeln ist, steht mit den experi-
mentellen Thatsachen in guter Uebereinstimmung. Bezeichnen wir
nun das Volumen der in einem cm3 enthaltenen Wassermolekeln durch
ö, durch N die Zahl der Salzmolekeln, welche in 1 cm3 der Lösung
sich befinden, so ist der von diesen wirklich eingenommene Raum
gleich 1 — (o ; die Zahl der in einem cm3 enthaltenen Molekeln also
n
thatsächlich N = -z . Denken wir uns das Wasser entfernt
1 03
und die zurückbleibenden Molekeln des Salzes im Graszustande
den Raum der Flüssigkeit erfüllend, so ist der von ihnen aus-
geübte Druck gleich \ Hmv2, wenn v die mittlere Geschwindigkeit
der gasförmigen Molekeln bezeichnet; Gleichheit des osmotischen
Druckes mit dem Gasdruck ist vorhanden, wenn Nu2 — Hv2,
u — v \Jl — ca. Gleichheit der beiden Geschwindigkeiten , welche
die Molekeln des Salzes in Lösung und im Gaszustande besitzen,
ist vorhanden, wenn das Volumen der in 1 cm3 enthaltenen Wasser-
molekeln vernachlässigt werden kann gegen 1. Diese Voraus-
setzung wird im Folgenden der Einfachheit halber festgehalten
werden.
Wir werden nun die im Vorhergehenden entwickelten Prin-
cipien zunächst in Anwendung bringen auf die Diffusion eines
in wässeriger Lösung nicht dissociirten Körpers,
etwa des Rohrzuckers. Die Geschwindigkeit, mit welcher die
Molekeln des gelösten Körpers sich bewegen , betrachten wir als
konstant und als gleich der Geschwindigkeit, welche die Molekeln
im Gaszustand besitzen würden. Wir setzen ferner voraus, daß
die Concentration der Lösung allenthalben eine so geringe sei, daß
die Zusammenstöße zwischen zwei Molekeln des gelösten Körpers
an Zahl verschwinden gegenüber den Zusammenstößen mit Molekeln
des Lösungsmittels ; jede einzelne Molekel des gelösten Körpers
wird sich dann so bewegen , als ob sie allein in dem Lösungs-
mittel enthalten wäre ; die mittlere Länge der geradlinigen Stücke,
aus welchen die Zickzackbahnen der Molekeln sich zusammen-
setzen , wird lediglich bedingt durch die Anstöße der gelösten
Molekeln an die Molekeln des Lösungsmittels; die mittlere mole-
kulare Weglänge ist also unabhängig von der Concentration,
Molekulartheorie der Diffusion und electrolytischen Leitung. 513
Gleiches gilt natürlich auch von der Zeit T, welche zwischen zwei
aufeinanderfolgenden Anstößen vergeht oder von der Anzahl der
Anstöße in der Zeiteinheit. Es möge nun die Lösung eingeschlos-
sen sein in einem cylindrischen Gefäß; in jeder zu der Axe des
Cylinders senkrechten Ebene sei die Concentration dieselbe, dage-
gen nehme die Concentration in der Richtung der Cylinderaxe
nach einem gegebenen Gesetze ab. Betrachten wir irgend eine
zu der Cylinderaxe senkrechte Ebene und in dieser eine Fläche
von 1 cm2 Inhalt, so werden von beiden Seiten her Molekeln des
gelößten Körpers durch dieselbe hindurch gehen; es wird aber
offenbar die Zahl der Molekeln , welche von der Seite größerer
Concentration herkommen, größer sein, als die Zahl der von der
Seite geringerer Concentration kommenden. Im Ganzen bleibt also
ein Ueberschuß von Molekeln, welche von der Seite größerer nach
der Seite kleinerer Concentration übergehen und dieser stellt den
Diffusionsstrom dar. Bezeichnen wir die Concentration , d. h. die
Zahl der Grammmolekeln, welche in 1 cm3 der Lösung enthalten
sind, durch N, die molekulare Geschwindigkeit der gelößten Mo-
lekeln durch u, die molekulare Weglänge, d. h. die mittlere Länge
der geradlinigen Stücke der Zickzackwege, durch l, endlich durch
z die Richtung der Cylinderaxe, so ergiebt sich für die Zahl der
von der Seite größerer Concentration kommenden Grammmolekeln
der Ausdruck
n 1 AT , 1 dN 7
4 2*3 dz
Für die Zahl der von Seiten kleinerer Concentration kommenden
Hiernach wird der Diffusionsstrom gegeben sein durch
Q-Q' = *«$f
und der Diffusionskoefficient für den Tag als Zeiteinheit:
h = 8,64x10*-^.
Setzt man für u die aus dem Gasgesetze zu berechnende Geschwin-
digkeit, so ergiebt sich beispielsweise für Rohrzucker
l = 0,077 X IQ"8 cm.
5^4 Eduard Riecke,
Wir gehen über zu dem Problem der elektro lyti sehen
Leitung. Wir setzen dabei voraus, daß die Lösung des Elek-
trolyten so verdünnt sei, daß derselbe vollständig in die beiden
Jonen gespalten ist. Wir können dann bei der Berechnung der Be-
wegungen die positiven und negativen Jonen vollständig unabhängig
von einander behandeln und bestimmen schließlich die Stromstärke
durch eine Superposition der gefundenen Einzel-Bewegungen. Die
Zahl der positiven Jonen, welche in 1 cm3 der Lösung sich befin-
den, sei N; die Masse eines Jons sei ft?, die mit derselben ver-
bundene Menge von positiver Elektricität s. Wir denken uns den
Elektrolyten eingeschlossen in einem Cylinder; die elektromoto-
rische Kraft wirke längs seiner Axe, und besitze, bezogen auf die
elektrostatische Einheit der positiven Elektricität, die Stärke Z.
Betrachten wir ein Volumelement dt im Inneren des Elektroly-
ten, so wird von diesem in 1 sec eine Zahl von Ndt/T Jonen nach
allen Seiten des Raumes ausgeschleudert werden, entsprechend
der Zahl der Anstöße, welche die in dem Volumelement enthaltenen
Jonen in 1 sec erhalten. Ein großer Theil der letzteren wird schon
nach kurzer Zeit von benachbarten Molekeln des Lösungsmittels
aufgefangen und von der ursprünglichen Wurfrichtung abgelenkt
werden, andere Jonen werden sich weiter entfernen, aber schließ-
lich werden alle der ablenkenden Wirkung von Molekeln des Lö-
sungsmittels unterliegen. Verfolgen wir die von dt ausgehenden
Jonen nur bis zu den Endpunkten ihrer geraden Wurfrichtungen,
so werden dieselben über eine um dt beschriebene Kugel in kon-
centrischen Schichten sich vertheilen, deren Dichte nach außen hin
rasch abnehmen wird. Die elektromotorische Kraft Z wirkt auf
die von dt ausgesandten Jonen ganz ebenso, wie die Schwerkraft
auf einen geworfenen Stein , sie ertheilt allen Jonen eine Ablen-
kung von der geradlinigen Wurfrichtung, welche sich nach dem
Fallgesetze berechnen läßt; dieselbe wächst mit dem Abstand bis
zu dem sich die Jonen von dem Elemente dt entfernen, sie ist
größer für die äußeren, kleiner für die inneren Schichten der er-
wähnten Kugel. Mit Rücksicht hierauf wie auf die verschiedene
Dichtigkeit der Jonen in den aufeinanderfolgenden koncentrischen
Kugelschalen ergiebt sich der Mittelwerth % der Verschiebung,
welche die in 1 sec von dem Volumelement dt ausgesandten Jo-
nen durch die elektromotorische Kraft erleiden,
wo l9 die Weglänge, up die molekulare Geschwindigkeit; multipli-
Molekulartheorie der Diffusion und elektrolytischen Leitung. 515
ciren wir die Verschiebung % mit der Zahl N/T der Jonen, welche
in der Volumeinheit während 1 sec neue Wege beginnen , so er-
halten wir die Menge positiver Jonen , Qp , welche in 1 sec durch
die Querschnitts einheit des Leiters hindurchgehen
T, iy«; tipup
Ebenso findet man die entsprechende Menge negativer Jonen
Qn = Nb-^-Z.
Es wird somit die Ueberführungszahl
ln /(ln un
n =
hlL>>PUP + lJPnK
oder mit Rücksicht auf die zwischen Molekulargewicht und mole-
kularer Geschwindigkeit bestehende Beziehung
n =
p p ' n «
und die elektrische Leitfähigkeit
l
Wir werden nun N auch betrachten können als die Zahl der
Grammionen in 1 cm8 der Lösung ; bezeichnen wir außerdem durch
A die Anzahl der g Wasserstoff, welche in 1 sec durch einen
Strom abgeschieden werden, der nach elektromagnetischem Maaße
die Stärke 1 besitzt. (A = 0,0001047 g) , so stellt der Bruch
N/k die Anzahl der elektrolytischen Aequivalente dar, welche in
1 cm8 der Lösung enthalten sind. Drücken wir nun die Leitfähig-
keit der Lösung aus in elektromagnetischem Maaße, dividiren wir
dieselbe durch die in elektrolytischen Aequivalenten gemessene
Concentration, so ergiebt sich die Größe, welche F. Kohlrausch
als molekulare Leitfähigkeit bezeichnet hat. Wir finden
i (J*-+Ji.) = ü+r.
A \ppup pnun;
Hier sind U und V die von F. Kohlrausch berechneten abso-
luten Beweglichkeiten der Jonen; für die letzteren ergeben sich
somit aus unserer kinetischen Theorie die Werthe
516 Eduard Riecke,
Bezeichnet man durch a die Geschwindigkeit einer Wasserstoff-
molekel bei der Temperatur unseres Elektrolyten, so ist
Somit ergeben sich die Beziehungen:
.2
und
ppup 2a>2 ' ^Mwn 2ra2
ff.Jfi* F= U"
2Aco2' 2Ao9!
Setzt man für wy und un die dem Graszustand entsprechenden Ge-
schwindigkeiten , so ergeben sich beispielsweise die folgenden
Werthe der molekularen Weglängen:
Li Na K F Gl Br J
IxW (cm) 0,16 0,44 0,88 0,12 0,86 1,39 1,76.
Die Anwendung der kinetischen Theorie auf die Theorie der elek-
trolytischen Leitung ist von Interesse deßhalb , weil hier eine
Prüfung der B,esultate durch die entsprechende Theorie der Dif-
fusion des Elektrolyten ermöglicht wird. Wir denken uns
den Elektrolyten wieder eingeschlossen in ein cylindrisches Gefäß ;
die Concentration nehme in der Richtung der Axe ab, sie sei aber
überall so klein, daß die Molekeln des Elektrolyten vollständig in
die beiden Jonen zerfallen sind. Wir könnten zunächst die Diffu-
sion der beiden Arten von Jonen von einander unabhängig in der
zu Anfang angegebenen Weise berechnen ; wenn aber z. B. die
Diffusionsgeschwindigkeit des negativen Jons eine größere ist, als
die des positiven , so wird in Folge der Diffusion eine positive
elektrische Ladung auf der einen , eine negative auf der anderen
Seite des Cylinders sich einstellen und diese würde die Diffusions-
geschwindigkeit der negativen Jonen vermindern, die der positiven
vermehren. Der Bewegungszustand ist ein stationärer offenbar nur
dann, wenn der durch die Potentialdifferenz bedingte elektrische
Strom sich zu dem Diffusionsstrom in ein solches Verhältniß ge-
setzt hat, daß durch den Querschnitt des Diffusionscylinders je-
derzeit ebenso viel positive wie negative Jonen hindurchgehen.
.Bezeichnen wir die hiezu nothwendige elektromotorische Kraft
mit Z, so giebt die Verbindung der Formeln, welche wir im Vor-
hergehenden für Diffusion und Elektrolyse entwickelt haben, für
Molekulartheorie der Diffusion und electroly tischen Leitung. 517
die Anzahl der Grammmolekeln des positiven Jons, welche in 1 sec
durch eine Fläche von 1 cm2 hindurchgehen,
h^dN + N£_K_Zt
p 3 de [ipup
Ebenso für das negative Jon
= JA,«yf Jl_ z.
o az [inun
Bestimmen wir den Werth von Ne Z durch die Bedingung Sp = SH
so ergiebt sich :
n ,7 n dN
wo n die Ueberführungszahl bezeichnet. Der Diffusionskoefficient
bezogen auf die sec. als Zeiteinheit ist somit:
Drückt man n und lpup durch die absoluten Beweglichkeiten ü
und 7 aus , so ergiebt sich die Formel
welche mit der von N e r n s t auf anderem Wege gefundenen über-
einstimmt; für die numerische Rechnung ist es am bequemsten,
die Formel in der Form
V = \ktfnU
zu schreiben. Setzt man für A und a ihre Werthe und berechnet
man den Diffusionskoefficienten für den Tag als Zeiteinheit, so er-
giebt sich
Je = 40,lw*7xl010.
Beispielsweise ist für HCl n = 0,19 und U = 300 xlO-18, somit
Je = 2,44
während der beobachtete Werth 2,30 ist.
Man würde eine Prüfung der Formel natürlich auch in der
Weise ausführen können, daß man mit Hülfe der Werthe von Je,
n und u die molekulare Weglänge berechnete. Die so aus der
Diffusionskonstanten sich ergebenden Weglängen würden mit den
aus der Leitfähigkeit berechneten in vollkommen befriedigender
•Uebereinstimmung stehen.
518 F. Auerbach,
Absolute Härtemessung.
Von
F. Auerbach in Jena.
Einleitung.
In Anbetracht des Umstandes, daß die Härte eine der auf-
fälligsten nnd wichtigsten Eigenschaften der festen Körper ist,
muß es Wunder nehmen, daß das in ihr liegende Problem bis zum
heutigen Tage ohne eine wissenschaftlich befriedigende Lösung
geblieben ist. Zwar ist die Zahl der einschlägigen Bemühungen
eine überaus große , aber der Erfolg steht hierzu in einem sehr
ungünstigen Verhältnisse. Das Problem, das eine physikalische
Eigenschaft der Körper darbietet, kann ganz allgemein in drei
Theilprobleme zerlegt werden, nämlich erstens: die wissenschaft-
liche Definition des betreifenden Begriffs als einer mathematischen
Größe; zweitens: die Angabe einer Methode und die Construktion
eines Apparates zur Bestimmung dieser Größe ; drittens : die wirk-
liche Ausführung derartiger Messungen. Dabei kommt es zunächst
durchaus nicht auf die Einfachheit und praktische Brauchbarkeit
des Verfahrens an — diese Frage gehört vielmehr einem viel
späteren Stadium der Untersuchung an — , sondern lediglich auf
die wissenschaftliche Exaktheit der Definition, der Methode, des
Apparates und der Messungen.
Historisch-Kritisches.
Ein kurzer Blick auf die bisherigen Härtemessungen zeigt,
daß sie begründeten Anspruch auf wissenschaftliche Exaktheit
nicht erheben können. Der erste Versuch, die Härte zu definiren,
liegt in dem bekannten Ausspruche : Ein Körper ist härter als ein
andrer , wenn eine ebne Fläche des ersteren von dem in Form
einer Spitze angewandten letzteren nicht geritzt wird; wird sie
dagegen geritzt, so ist er weicher. Diese Definition würde, wenn
sie überhaupt eine solche wäre, den fundamentalen Fehler haben,
eine Spitze des einen Materials mit einer ebenen Fläche des andern
zu vergleichen, also eine Vergleichung unter gar nicht vergleich-
baren Umständen zu versuchen; und diesem Fehler reihen sich
zahlreiche andre an. Aber der Auspruch enthält gar keine ma-
thematische Definition, er sowohl, wie die auf ihn gegründeten,
absolute Härtemessung. 519
allgemein verbreiteten Härteskalen, liefern keine Härte-
zahlen, sondern nur Härtenummern, und selbst diese haben
aus den obigen Gründen oft einen zweifelhaften Werth.
Um wirkliche Härtezahlen zu erhalten, hat man dann an die
Thatsache angeknüpft, daß das Auftreten eines Ritzes von dem
Drucke abhängt, unter welchem die Spitze während ihrer Bewe-
gung steht , und man hat geradezu diesen , in Gewichten ausge-
drückten Druck als Maaß der Härte bezeichnet. Von äußeren
Schwierigkeiten abgesehen ist dieser Definition ihre sehr spezielle
Bedeutung vorzuwerfen; speziell ist dabei 1) das Material der
Spitze, 2) ihre Form, also im wesentlichen der Grad ihrer Spitzig-
keit, der sich überdies der exakten Angabe meist entzieht, end-
lich 3) ein fast völlig unbeachtet gebliebener Umstand , nämlich
die Geschwindigkeit, mit welcher, und die Neigung, unter
welcher die Spitze fortbewegt wird; auf die Größe des zu mes-
senden normal zur Ebene wirkenden Druckes müssen beide Um-
stände von Einfluß sein. Diese Betrachtung führt zugleich auf
einen den bisher genannten Methoden gemeinsamen principiellen
Fehler, der darin liegt , daß man einen statischen Begriff, wie
die Härte, durch einen Bewegungsvorgang, wie das Ritzen,
messen wollte — ein Abweg, auf den man jedenfalls nur aus
dem praktischen Grunde gerathen ist, daß ein linienförmiger Ein-
druck sich besser beobachten läßt , als ein punktförmiger. Am
deutlichsten zeigt sich die Fehlerhaftigkeit dieser Auffassung in
dem Umstände, daß die so definirte Härte für eine und dieselbe
Krystallfläche in verschiedenen Richtungen verschiedene Werthe
annimmt, was mit der wahren Härte nichts zu thun hat, und nur
daher rührt, daß der ausgeübte schiefe Druck außer der normalen
auch eine laterale, in verschiedenen Richtungen verschiedene Com-
ponente hat.
Es ist daher als ein Fortschritt zu bezeichnen , daß die sta-
tische Methode , die übrigens älter als die dynamische ist , in
neuerer Zeit von verschiedenen Seiten wieder aufgenommen worden
ist, wobei freilich hinzugefügt werden muß , daß diese Methoden
statisch nur insoweit sind, als laterale Bewegungen dabei nicht
auftreten. Man schlägt , bohrt oder preßt eine Spitze in eine
ebene Fläche des zu untersuchenden Materials ein und definirt die
Härte entweder als das zur Erreichung einer bestimmten Tiefe
des Eindringens erforderliche Belastungsgewicht, oder als die
Tiefe dieses Eindringens bei gegebner Belastung, oder auch als
die Zeit, welche bei gegebner Belastung nothwendig ist, um
bei gleichmäßigem Eindringen eine bestimmte Tiefe zu er-
520 F. Auerbach,
reichen. Man ersieht aber schon aus dieser Zusammenstellung,
daß hier verschiedene Momente ineinandergreifen, und zwar in
einer nicht allgemein anzugebenden Weise. Dazu kommt als
weiterer Uebelstand, daß hier das betreffende Material nicht nur
sehr stark beansprucht, sondern an der zu untersuchenden Stelle
geradezu zerstört wird, daß man also in dem Augenblicke, wo
man die Härte mißt, gar nicht mehr den ursprünglichen Körper
vor sich hat. Aus diesen Gründen ergiebt sich, daß auch die so
erhaltene Größe ein die Härte in ausreichendem und nothwendigem
Grade charakterisirendes Maaß nicht sein wird.
Das Verdienst, die principiellen Fehler, von denen hier die
Rede war , richtig erkannt und durch eine neue Definition der
Härte im wesentlichen vermieden zu haben, gebührt Hertz1).
Erstens ersetzt er die Spitze durch eine kugelförmige Endfläche
oder, richtiger gesagt — da doch die Spitze nichts anderes als
eine derartige Kugelfläche mit sehr kleinem Radius ist — er giebt
ihr eine beliebige, aber genau meßbare Krümmung; zweitens
läßt er dahingestellt , aus welchem Material die Spitze bestehe,
derart daß man hierfür , wenn man es für wünschenswerth er-
achtet, auch denjenigen Stoff wählen, kann, aus welchem der zu
untersuchende Körper besteht; das Ergebniß hängt alsdann über-
haupt von keinem fremden Material ab; drittens endlich bringt
er dem zu untersuchenden Körper keine Verletzung von bestimmtem
Grade bei, sondern läßt ihn nur eben seine Elasticitätsgrenze er-
reichen. Hiernach lautet die Definition der Härte folgendermaßen :
Die Härte ist die Elasticitätsgrenze eines Körpers bei Berührung
einer ebenen Fläche desselben mit einer kugelförmigen Fläche
eines andern Körpers. Damit ist zugleich der Begriff der Härte
eingereiht unter die übrigen analogen Begriffe , welche sich auf
die Vorgänge des Zuges, der Biegung u. s.w. beziehen. Während
es Hertz gelang durch eine höchst scharfsinnige, exakte Entwicke-
lung des Berührungsproblems 2) die theoretische Grundlage des
Härte-Problems zu sichern und somit das erste der eingangs ge-
nannten drei Theilprobleme vollständig zu lösen, war er bei seinen
Versuchen, eine geeignete Methode festzustellen und wirkliche
Härtemessungen vorzunehmen , weniger erfolgreich , sodaß er nach
den ersten Vorversuchen die Angelegenheit fallen ließ. Ich will
hier auf eine Untersuchung der Umstände, die dabei maaßgebend
waren, nicht eingehen. Dagegen glaube ich, daß es mir gelungen
1) H. Hertz, Verh. Berl. physik. Ges. 1882, p. 67.
2) Hertz, Crelle's J. 92, p. 156. (1882).
absolute Härtemessung. 521
ist , eine durchaus brauchbare und einer genügenden , zum Theil
sogar überraschenden Genauigkeit fähige Methode aufzufinden, und
will diese , ihre Theorie , den darauf gegründeten Apparat und
einige Messungen hier mittheilen , bemerke aber , daß diese letz-
teren zunächst nur den Zweck haben, zu zeigen, daß die Methode
und die Resultate, die sie liefert, als eine befriedigende Lösung
des zweiten und dritten Theilproblems zu betrachten sind.
Theorie.
Wenn eine ebene Fläche eines Körpers und eine kugelförmige
Fläche eines andern Körpers sich ohne Druck berühren, so thun
sie dies in einem Punkte. Wird jetzt ein bestimmter, gegen die
Ebene normaler Druck ausgeübt, so verändern sich beide Flächen,
die Ebene krümmt sich, die Kugelfläche plattet sich bis zu einem
gewissen Grade ab, und damit geht der Berührungspunkt in eine
beiden Körpern gemeinsame Fläche über. Diese Fläche heißt die
Druckfläche; sie ist weder eben, noch von der Krümmung
der Kugelfläche , ihre Krümmung liegt vielmehr zwischen beiden
Werthen ; wie groß sie ist , hängt nicht nur von der Krümmung
der Kugelfläche, sondern auch von den Elasticitätsverhältnissen
der beiden Körper ab; begrenzt endlich ist die Druckfläche durch
eine Kreislinie.
Wird der ausgeübte Druck gesteigert, so nimmt die Druck-
fläche an Größe zu, und der gesteigerte Druck vertheilt sich somit
auf eine größere Fläche. Nun hängt die Beanspruchung des Ma-
terials offenbar nicht von dem ausgeübten Gesammtdruck, sondern
von dem Druck auf die Flächeneinheit ab ; es kommt daher darauf
an, wie sich diese letztere Größe bei Steigerung des Gesammt-
druckes verhält, resp. nach welchem Gesetze sie selbst wächst —
denn daß auch der Druck pro Flächeneinheit wächst, folgt schon
aus den bekanntesten Erfahrungsthatsachen. Nach welchem Ge-
setze der Einheitsdruck mit dem Gesammtdrucke zunehmen
wird , hängt von dem Gesetze ab , nach welchem die Druckfläche
mit dem Gesammtdrucke wächst. Die Theorie zeigt nun, daß der
Radius der Druckfläche (genauer : der Radius der sie begrenzenden
Kreislinie) wie die Kubikwurzel aus dem Gesammtdruck wächst,
also die Druckfläche selbst wie die 2/3. Potenz desselben ; so viel
also geht durch Vertheilung verloren, und der Einheitsdruck steigt
nur wie die Kubikwurzel aus dem Gesammtdruck. Auch die Frage,
wie sich der Gesammtdruck auf die Fläche vertheilt, wird von
der Theorie beantwortet, und zwar dahin, daß der Druck zu einer
522 F. Auerbach,
bestimmten Zeit vom Mittelpunkte der Druckfläche aus, wo er am
größten ist, nach dem Rande hin, wo er null ist, allmälich ab-
nimmt; der oben schlechthin als solcher bezeichnete Einheitsdruck
hat also nur die Bedeutung eines Durchschnittswerthes , der im
Mittelpunkt stattfindende Maximalwerth verhält sich zu ihm wie
3 : 2. Wächst nun der Gesammtdruck mehr und mehr , so wird
auch der letztgenannte Maximaldruck immer größer, und bei einem
bestimmten Werthe desselben wird der Eine der beiden Körper
oder werden beide , falls sie aus demselben Stoffe bestehen , die
Elasticitätsgrenze erreichen, was sich darin zeigen wird, daß, bei
einem plastischen Körper, eine dauernde Deformation eintritt, also
eine Doformation , die auch nach Aufhebung des Drucks bestehen
bleibt, daß dagegen, bei einem spröden Körper, der Zusammen-
hang der Theile an gewissen Stellen, also durch einen Sprung,
aufgehoben wird. Dieser Grenzwerth des im Mittelpunkte der
Druckfläche herrschenden Einheitsdrucks ist nach der Definition
von Hertz die Härte des betreffenden Körpers.
Bisher wurde ein bestimmtes System zweier sich berührenden
Körper angenommen. Es entsteht jetzt die Frage , wie sich die
Verhältnisse ändern, wenn es durch ein andres, in irgend einer
Weise von jenem abweichendes , ersetzt wird. Die Abweichung
kann im Wesentlichen nur zwei Punkte betreffen ; es kann nämlich
1) die Kugelfläche eine andre Krümmung haben , und es können
2) die Körper aus Stoffen andrer Elasticität bestehen. Was den
ersten Punkt betrifft, so zeigt die Theorie, daß, bei sonst gleichen
Umständen, der Radius der Druckfläche der Kubikwurzel aus dem
Krümmungsradius der Kugelfläche, also die Druckfläche selbst
seiner 2/3. Potenz direkt proportional ist. Bei gleichem Gesammt-
druck ist also der Einheitsdruck und folglich auch der Maximal-
druck der Kubikwurzel aus dem Krümmungsradius proportional.
Ist nun dieser Maximaldruck die maaßgebende Größe, so muß sein
der Elasticitätsgrenze entsprechender Grenzwerth unabhängig vom
Krümmungsradius sein. Es muß also der Grenzwerth des Ge-
sammtdruckes dem Quadrate des Grenzradius der Druckfläche
proportional sein, oder, wenn man hierin mit Hilfe der obigen
Beziehungen den Radius der Druckfläche durch Gesammtdruck
und Krümmungsradius ausdrückt, es muß der Grenzwerth des Ge-
sammtdrucks mit dem Quadrate des Krümmungsradius wachsen.
Auf den zweiten Punkt soll hier zunächst nicht näher eingegangen
werden, es sei nur bemerkt, daß unter sonst gleichen Umständen
die Größe der Druckfläche von einer Combination der Elasticitäts-
constanten der Stoffe abhängt; in dem hier vorerst ausschließlich
absolute Härtemessung. 523
zu betrachtenden Falle , daß die beiden Körper aus dem gleichen
Stoffe bestehen, wird diese Abhängigkeit natürlich eine besonders
einfache.
Um die angeführten Gesetze in Formeln zu bringen, sollen
folgende Bezeichnungen eingeführt werden. Es sei:
q der Krümmungsradius der Kugelfläche in mm.
p der ausgeübte Druck in kgr.
P sein Grenzwerth, d. h. sein Werth im Augenblicke des Ein-
tritts einer bleibenden Deformation,
pi der Einheitsdruck im Mittelpunkte der Druckfläche, also
der Maximaldruck, in kgr pro qmm.
Pi sein Grenzwerth, also die „ theoretische Härte u.
d der Durchmesser der Druckfläche in mm (da er in den Be-
obachtungen unmittelbar auftritt, ist er dem oben stets be-
trachteten Radius vorzuziehen).
D sein Grenzwerth in mm.
H die wahre Härte, die, wie sich zeigen wird, von der theo-
retischen in einer gewissen Hinsicht verschieden ist.
q zur Abkürzung der Quotient p/d3.
Q sein Grenzwerth.
f die Größe der Druckfläche in qmm.
F ihr Grenzwerth.
E der Elasticitätsmodul des Materials in kgr. pro qmm.
\i seine Elasticitätszahl d. h. das Verhältniß der Quercon-
traktion zur Längsdilatation.
E' zur Abkürzung der Quotient E/(l — ft2).
Schließlich sollen eckige Klammern bedeuten, daß die einge-
schlossene Größe nicht in obigen absoluten Maaßen , sondern in
den zufälligen Beobachtungsmaaßen ausgedrückt ist.
Hiernach ergeben sich folgende Formeln:
?-:£>■
F = — D2
4
3 p
6 P P
% d*'
2 F ~~ 7t D>
d d*
für ein und daselbe q und E' : -== = const, also — = const.
\P P
also
q = const, (1)
ein constanter Werth, mit dem also auch der Grenzwerth Q über-
524
F. Auerbach.
Pt
einstimmt. Folglich für gleiches q und E': -~ = const. Für ver-
schiedene q, aber ein und dasselbe E' : -y= = const, also
(2)
gq = const;
für verschiedene q und E': d = \-jjjP> D = V ~E^; für
schiedene q, aber gleiches E':
ver-
r p
(3) pa = const, also ,
w
=
const
p
=
const
B
const
Q
drei Gleichungen, welche nur verschiedene Ausdrucksweisen einer
und derselben Beziehung sind. Endlich für ein bestimmtes q und
E' die theoretische Härte:
(4)
P ,11 = 11/11^=1^
und nebenbei die Elasticitätsconstante E' ' :
(5) F = 129q.
Methode.
Aus dem Vorstehenden ergiebt sich , daß man , um aus den
Erscheinungen bei der Berührung einer ebenen und einer kugel-
förmigen Fläche gleichen Materials die Härte desselben ableiten
zu können , den Druck , unter welchem die Berührung stattfindet,
bis zur Elasticitätsgrenze steigern, den Augenblick, in welchem
diese erreicht ist, genau feststellen und in diesem Augenblicke
zwei Größen : den Gesammtdruck und den Durchmesser der Druck-
fläche, messen muß. Die erste der Formeln (4) giebt dann die
theoretische Härte. Für die Genauigkeit des Ergebnisses ist es
offenbar mißlich, daß man jede der beiden Größen P und D nur
einmal messen kann, und es erscheint wünschenswerth, wenigstens
absolute Hcärtemessung. 525
für die Große JD — denn für P ist es augenscheinlich nicht mög-
lich — hierin Wandel zu schaffen ; dazu können die beiden andern
Formeln (4) Anwendung finden. Die eine von ihnen erfordert,
außer der Messung von P noch die Kenntniß von q und E' ;
während man nun q als aus der Herstellung der Kugelfläche be-
kannt annehmen kann, würde man gezwungen sein, E' , also E
und ji entweder aus den für den betreffenden Stoff vorliegenden
Messungen zu entlehnen, oder diese Messung an andern Stücken
desselben Materials selbst vorzunehmen, beides wenig empfehlens-
werthe Auskunftsmittel, da die Elasticitätsverhältnisse bekanntlich
mit der kleinsten Verschiedenheit des Stoffs und selbst von indi-
viduellem Stück zu Stück oft nicht unerheblich variiren. Dagegen
ist die letzte der Formeln (4) in jeder dieser Hinsichten durchaus
brauchbar ; sie setzt nämlich außer der Messung von P lediglich
die Kenntniß von q voraus , die man sich , da bei zunehmendem
Gesammtdruck q constant bleibt, aus einer größeren Zahl von
Messungen bei wachsenden p verschaffen kann , für die man also
nicht auf die Messung des einzigen Grenzwerthes beschränkt ist.
Im Gegentheil, es kann sogar nur vortheilhaft sein, diesen Grenz-
werth Q, falls er von den übrigen Werthen abweichen sollte,
nicht mit zur Bildung des Mittelwerthes von q zu benutzen, da
in dem Augenblicke , wo man ihn beobachten kann , der Körper
schon eine bleibende Deformation erfahren hat. Daß man auf
diese Weise gezwungen wird, die Drucksteigerung nach und nach
vorzunehmen, kommt nicht in Betracht, da ein solches Verfahren
ohnehin geboten ist, wenn man nicht für den Grenzdruck einen
falschen Werth zu finden Gefahr laufen will.
Der Eintritt der Elasticitätsgrenze ist am einfachsten bei
sog. spröden Körpern mit Genauigkeit festzustellen, und zwar
durch das plötzliche Auftreten eines Sprunges, von welchem gleich
hier angeführt werden möge, daß er z. B. bei Glas genau kreisförmig,
mit der Druckfläche concentrisch und sehr klein im Verhältniß zum
Krümmungsradius der Kugelfläche ist. Demgemäß ist in dieser
Mittheilung nur von spröden Körpern die Rede. Die meisten
spröden Körper sind zugleich mehr oder weniger durchsichtig, und
auf durchsichtige Körper allein ist die Methode in ihrer hier zu
beschreibenden Form unmittelbar anwendbar. Diese Methode aber
besteht in folgendem.
Der Körper mit kugelförmiger Fläche wird in Form einer
Linse von 1 bis 30 mm Krümmungsradius, der Körper mit ebener
Fläche in Form einer planparallelen Platte von rund 11,6 mm
freiem Durchmesser und 8 mm Dicke angewendet, also von einer
Nachrichten ron der K. 6. d. W. in Göttinnen. 1890. No. 16. 43
526 F. Auerbach,
im Vergleich zur Breite hinreichenden Dicke, um eine Durchbie-
gung der Platte als solcher auszuschließen. Die Platte ist fest,
die Linse frei aufgestellt; der Druck wird, durch Vermittelung
eines Hebels, durch Gewichte erzeugt. Die Druckfläche und das
Auftreten des Sprunges werden, um naheliegenden Einwänden zu
begegnen, in unveränderter Drucklage von Platte und Linsen be-
obachtet , und zwar , da es sich um sehr kleine Größen handelt,
mit einem Mikroskop , normal durch die Platte hindurch. Die
Druckfläche erscheint dabei als ein dunkler, kreisförmiger Fleck,
der ebenso wie die ihn umgebenden Ringe als Interferenzerschei-
nung aufzufassen ist ; übrigens finden auch die Durchmesser dieser
Ringe, wie sich zeigen wird, bei den Beobachtungen Verwerthung.
Die Einzelheiten der Methode müssen an der Hand des Apparates
besprochen werden.
Apparat.
Der durch freundliche Vermittelung von Herrn Abbe in dem
hiesigen optischen Institute von Z e i s s ausgeführte Apparat , bei
dessen Construcktion meine hiesigen Fachgenossen , insbesondere
aber Herr Abbe selbst , mir mit werthvollen Rathschlägen zur
Hand gingen, ist in der Figur in einem schematischen Schnitt
mit Fortlassung nebensächlicher Dinge dargestellt. Er ist so ge-
baut, daß er genügende Festigkeit besitzt, um den großen Drucken,
denen er auszusetzen ist, gewachsen zu sein; zugleich ist er zur
möglichsten Vermeidung von Erschütterungen an einem Pfeiler
eines Kellerzimmers mittelst starker Bänder montirt. Die guß-
eiserne Grundplatte G G' hat T-förmigen Querschnitt, 730 mm
Länge, 75 mm Breite und der Länge nach einen centralen Schlitz.
Der auf ihr aufgeschraubte Träger T enthält die Lager t für die
Schneiden D, welche den Drehpunkt für den schmiedeeisernen zwei-
armigen Hebel H H' bilden. Der kürzere linke Schenkel H hat
in 50 mm horizontalem Abstand von der Drehaxe eine ringförmige
Erweiterung l V, deren konische Höhlung zur Aufnahme des die
Linse L tragenden Zapfens Z dient. Von dem etwa zehnmal so
langen rechten Hebelarm H', der in der Schneide c endet, ist in
der Figur ein längeres Stück weggelassen. Die Platte P aus
dem zu untersuchenden Material befindet sich in der centralen
Durchbohrung der oberen Platte o o eines Trägers , welcher aus
der untern Platte u und einem Paar sie verbindender starker
Säulen besteht, von denen in der Figur, da sie mit dem Linsen-
zapfen in einer Linie liegen, nur ein Stumpf s angedeutet ist.
Zu S. 526
I
absolute Härtemessung. 527
Die Platte o o' ist 16 mm stark , mit ihrer unteren Fläche
schließt diejenige der zu untersuchenden Platte P in einer Linie
ab. Der ganze Kasten läßt sich in dem Schlitz der Grundplatte
verschieben und mittelst der kräftigen Flügelschraube St derart
feststellen, daß ein gewünschter Punkt der Platte P genau über
den höchsten Punkt der Linse L kommt. In ähnlicher Weise läßt
sich das Mikroskop M verschieben und mittelst der Flügelschraube
#2, sowie auf Grund der Form des Statives ebenfalls genau ver-
tikal über den höchsten Punkt der Linse aufstellen. Die Linse
L ist in den Zapfen Z eingekittet, die Platte P in die Platte o o'
einfach eingesetzt, am Herausfallen wird sie durch zwei über
ihren Rand geschobene Scharniere verhindert. Das Mikroskop
enthält ein Okularmikrometer m und empfangt seine Beleuchtung,
da sie von unten wegen Behinderung durch Platte und Linse nicht
möglich ist , von der Seite , und zwar durch eine Gasflamme F,
deren Strahlen durch eine Oeffnung im Rohr auf ein rechtwinke-
liges, nur dessen eine Hälfte einnehmendes, Prisma n fallen, von
hier nach unten und von dort wieder nach oben reflektirt werden,
um endlich in der freien^ Hälfte des Rohres zum Auge des Be-
obachters zu gelangen. Der rechte Hebelarm H' kann mittelst
der Schraube A in so hoher, und folglich der kurze Hebelarm
H in so tiefer Stellung festgelegt werden, daß eine vorzeitige Be-
rührung zwischen Linse und Platte ausgeschlossen ist. Wird A
herabgelassen, so würde der lange Hebelarm bei weitem das Ueber-
ge wicht gewinnen, wenn dieses nicht durch den schmiedeeisernen
Arm W mit dem Laufgewicht w ausgeglichen werden könnte; die
Form von W war durch die Umstände geboten, ihre nachtthei-
lige Wirkung auf die Empfindlichkeit des Hebels ist aber durch
Hochlegung des letzten Armgliedes mit dem Laufgewicht w wieder
aufgehoben. Letzteres wird so gestellt, daß zwischen Linse und
Platte noch ein kleiner Zwischenraum bleibt, und alsdann durch
Aufsetzen kleiner Ringe r auf den Stift q die Berührung eben
hergestellt, was sich an der Verwandlung des bunten Interferenz-
centrums in ein schwarzes zu erkennen giebt. Zur Wiederher-
stellung dieses Zustandes in jedem gewünschten Augenblicke und
gleichzeitig zur Präcisirung des Verlaufes der Versuche dient der
am Ende der Grundplatte mittelst des Trägers U aufgeschraubte
Hebel K K'. Das Gehänge R, an dessen Haken verschieden
große Waagschalen angehängt werden können, hat nämlich die
Form eines Rahmens, in dessen Innerem, in gewissem Abstände
übereinander, das Lager e und die Schneide c angebracht sind;
wird nun durch Senkung der Schraube B der Hebelarm K ge-
43*
528 F. Auerbach,
senkt, also K' gehoben, so nimmt das an diesem Hebel angebrachte
Lager e' die Schneide c des Gehänges auf, hebt dieses somit in
die Höhe und entlastet dadurch den Haupthebel H H'] wird um-
gekehrt B hochgeschraubt, so senkt sich das Gehänge, die Schneide c
nimmt e auf, und der Haupthebel wird belastet. Durch alle diese
Einrichtungen wird es erreicht, daß im Laufe einer ganzen Ver-
suchsreihe alle Stöße und plötzlichen Aenderungen ausgeschlossen
bleiben, und es erfolgt die Belastung durch hinzugefügte Gewichte,
durch Drehen der Schraube B und unter Mitwirkung der Fede-
rung des Hebelarms, in beliebig langsamer und allmählicher Weise.
Im allgemeinen wurde hiernach vor jeder Steigerung des Druckes
durch vollständige Entlastung die drucklose Berührung zwischen
Linse und Platte wiederhergestellt; es wurde aber zur Controlle
mehrfach auch umgekehrt verfahren, dabei aber, bei Annäherung
an die Elasticitätsgrenze die Vorsicht gebraucht , das letzte Zu-
satzgewicht in der Gestalt von Sand auf die Waagschale auf-
zulegen.
Constanten und Fehlerquellen.
Die zunächst zu ermittelnden Constanten des Apparats sind
der Werth eines Theiles des Okularmikrometers und das Ver-
hältniß der Hebelarme. Jener wurde durch Vergleichung mit
einem Objektmaaßstab ermittelt und zwar am genauesten schließ-
lich in der Weise, daß eine Glasplatte, in deren Unterseite zehn-
tel mm eingeritzt waren, in der Lage P beobachtet wurde. Es
fand sich:
27 sc. sb= 1 mm,
mit einer gleich zu besprechenden Abweichung am Rande. Das
Verhältniß der Hebelarme hätte bei der Gestalt des Hebels auf
direktem Wege nur ungenau ermittelt werden können ; es wurde
daher an die Stelle des Linsenzapfens Z ein Zapfen mit einer
Spitze gebracht, auf diese eine kräftige Waagschale, die unter
die Grundplatte herunterhing, gebracht und mit den aufgelegten
Gewichten in's Gleichgewicht mit einer kleineren an das Gehänge
B gehängten Waagschale nebst Gewichten gebracht. Es ergab
sich auf diese Weise die Verhältnißzahl
v = 9,8
mit einem wahrscheinlichen Fehler von ± 0,01, d. h. etwa Viooo
absolute Härtemessung. 529
des Werthes. Hiernach sind alle im Mikroskop gemessenen Längen
mit 27 zu dividiren , und aus dem beobachteten Gewicht, in dem
natürlich das Grewicht von Gehänge und Waagschale mit ent-
halten ist , ergiebt sich der wirkliche Druck zwischen Linse und
Platte durch Multiplikation mit 9,8.
Eine wichtige Frage ist ferner die, ob der im Mikroskop be-
obachtete schwarze Fleck seiner Größe nach die Druckfläche un-
mittelbar wiedergiebt, oder ob, und eventuell welche Correktionen
vorerst noch vorzunehmen sind. Es sind hier vier Correktionen
denkbar :
1) Wegen des Umstandes , daß eine fast vollständige Aus-
löschung des Lichts bekanntlich nicht nur in der Berührungsfläche
von Platte und Linse, sondern noch darüber hinaus bis zu der
Stelle stattfindet, wo der vertikale Abstand beider etwa 1/g Wel-
lenlänge beträgt, der Fleck also um so viel größer erscheint als
die wirkliche Druckfläche. Man könnte diese Correktion aus der
durch die Drucktheorie gegebnen Gestalt der Linse berechnen;
einfacher und sicherer gelangt man zum Ziele, wenn man erwägt,
daß der erste, den Fleck umgebende dunkle Ring, sich da befindet,
wo der vertikale Abstand von Linse und Platte x/2 Wellenlänge
beträgt. Auf Grund der Messung dieses Ringdurchmessers und
einer Rechnung, die hier übergangen werden möge, kann man
sich dann eine kleine Tabelle verschaffen , welche die gesuchte
Correktion in Skalentheilen als Funktion der Linsenkrümmung
und des scheinbaren Fleckdurchmessers angiebt. Hier sei nur
angeführt, daß sie zwischen 0,0 und 0,8 sc. variirt, also in vielen
Fällen nicht unberücksichtigt bleiben darf und in diesen that-
sächlich berücksichtigt worden ist.
2) Wegen der astigmatischen Verzerrung des durch die Plan-
platte beobachteten Bildes. Es genüge hier die Bemerkung, daß
bei der Kleinheit des Gesichtswinkels der betreffende Fehler über
Viooo des Werthes nicht hinausgeht, außer wenn, was nie ge-
schehen ist, an der äußersten Peripherie des Gesichtsfeldes beo-
bachtet wird.
3) Wegen des Umstandes, daß der Fleck nicht die gekrümmte
Druckfläche selbst, sondern ihre ebene Projektion wiedergiebt;
auch dieser Fehler ist verschwindend klein, da selbst bei den
kleinsten zur Anwendung gelangten Linsen und den stärksten
Drucken der Größenunterschied beider Flächen unter 2/iooo bleibt.
4) Wegen der etwaigen Wirkung der durch den Druck de-
formirten Platte als Planconcavlinse. Eine solche Wirkung würde
530 F- Auerbach,
sttattfinden , wenn das beobachtete Objekt um eine in Betracht
kommende Strecke hinter der Concavfläche läge , was denkbar
wäre, da dieses Objekt, d. h. die Peripherie des Flecks, nach dem
obigen an einer Stelle liegt, wo Platte und Linse sieht nicht mehr
berühren, und da keine Angaben darüber vorliegen, wo eigentlich
in einem Falle , wie der vorliegende , die Interferenzerscheinung
ihren Sitz hat. Durch verschiedene Beobachtungen, sowie durch
eine Grenzrechnung, stellte sich nun aber heraus, daß diese Feh-
lerquelle die vorerwähnten an Einfluß nicht oder doch nicht we-
sentlich übertrifft.
Prüfung der Theorie.
Messung der Elasticität und der Härte.
Als Material für die Versuche dienten drei von der hiesigen
Glasschmelze Schott u. Gen. herrührende Glassorten, von
denen Sorte I als ziemlich weich, II als normal, III als ziemlich
hart bezeichnet wurde; grade in Anbetracht des Umstandes, daß
es sich hierbei um drei Sorten eines und desselben Materials
handelte, also nur geringe Härteunterschiede zu erwarten waren,
mußten diese Versuche zugleich" auch über die Empfindlichkeit der
Methode entscheiden. Als viertes Material diente senkrecht zur
Axe geschnittener Bergkrystall (Quarz), und zwar ebenso wie bei
den Glassorten in der Weise, daß Linse und Platte von einem
einzigen Stück des Materials herrührten. Auf optischem Wege
überzeugte man sich davon, daß die Abweichung der schließlich
benutzten Gläser von der Isotropie, sowie die Abweichung der
Quarzplatten von der gewünschten Richtung nur eine sehr ge-
ringfügige war; wäre es nicht der Fall gewesen, so hätte sich
das übrigens auch in der Lage und Gestalt der Sprünge offen-
baren müssen, wie dies bei einigen, eigens zu diesem Zweck an-
gestellten, hier aber nicht näher zu besprechenden Versuchen in
der That der Fall war. Auch eine andere interessante Erschei-
nung soll an dieser Stelle nur eben erwähnt werden, nämlich die,
daß der Sprung zwar mit der Druckfläche concentrisch ist, mit
ihrem Rande aber nicht zusammenfällt, sondern ihn in einem meß-
baren und bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterworfenen Abstände
umschließt. Noch muß eine Frage beantwortet werden, die dem
Leser sich unwillkürlich aufgedrängt haben wird, die Frage, wie
es denn erlaubt sei , ein krystallisches Material zu wählen, wäh-
rend doch die Theorie nur für isotrope Körper gilt. Letz-
teres ist richtig; jedoch ist zu beachten, daß z. B, in der ersten
absolute Härtemessung. 531
der Formeln (4) lediglich der Zahlenfaktor unrichtig sein könnte;
erweisen sich nun die Beziehungen (1) und (2) empirisch als für
die betreffenden KrystallkÖrper erfüllt, so wird auch in der letzten
Formel (4) nur der Zahlenfaktor zweifelhaft sein können, und auch
diese Unsicherheit wird man durch Prüfung der Beziehungen (3) und
der zweiten Formel (4), sowie unter Zuhilfenahme bekannter Werthe
von E' auf ein sehr geringes Maaß zurückführen können, zumal
schon aus der Bedeutung dieses Zahlenfaktors sich ergiebt, daß
er in enge Grenzen eingeschlossen ist. Immerhin wird man zu-
geben müssen, daß die Genauigkeit der Resultate für Krystalle
vielleicht nicht ganz so groß sein wird, wie für isotrope Stoffe.
In qualitativer Hinsicht zeigt sich der Gegensatz zwischen iso-
tropen Stoffen und Krystallen in sehr auffälliger Weise ; während
nämlich bei ersteren Druckfläche wie Sprung kreisförmig sind, ist
beim Bergkrystall zwar die Druckfläche ebenfalls ein Kreis , der
Sprung aber hat für senkrecht gegen die Axe geschnittene
Platten eine Form, welche zwischen derjenigen eines Kreises
und der eines regulären Sechseckes liegt, eine Erscheinung,
deren Verfolgung einer späteren Mittheilung vorbehalten blei-
ben muß. Schließlich sei angeführt, daß die Linsen aus dem
Glase II die Krümmungsradien q = 3, 5, 10, 15 mm, die Linsen
aus den übrigen Stoffen dagegen zunächst solche von q = 4 und
12 mm hatten, und zwar bis auf 1%, meist aber kleinere Beträge,
genau; von noch stärker gekrümmten Linsen wird später die
Rede sein.
Die ersten Messungen mußten den Zweck haben, die Theorie
zu prüfen , also im wesentlichen zu untersuchen , ob und in wie
weit die obigen Formeln (1), (2) und (3) Bestätigung finden. Erst
dann konnte dazu übergegangen werden, mittelst der Formeln (4)
und (5) die Größen Px und JE' zu messen.
1) Zur Prüfung der Formel (1) q = const, also p/d* = const
wurden mit jedem Material zahlreiche Versuchsreihen unter wach-
sender Belastung ausgeführt. Hier genüge die Angabe einiger,
weder besonders günstig, noch besonders ungünstig ausgewählter
Beispiele :
532
Glas II
F. Auerbach,
q = 10 Quarz q = 12
[p]
[d]
1000 [q]
227
8,9
•321
354
10,5
306
554
12,1
313
754
13,5
307
954
14,6
306
1354
16,4
307
1554
17,1
311
1677
18,0
288
1925
18,7
294
3177
22,1
294
3225
22,2
295
3725
23,4
291
4547
24,6
306
[p]
[d] 1000 [q]
754
1254
1677
2677
3177
3677
4390
4800
4887
12,4
15,0
17,0
19,6
20,5
21,6
23,0
23,7
23,9
396
371
342
356
369
368
359
361
357
Wie man sieht, ist q in beiden Reihen in erster Annäherung
constant; bei genauerem Zusehen zeigt sich, von den unregel-
mäßigen Schwankungen abgesehen, eine geringfügige Abnahme,
welche sich z.B. darin ausspricht, daß in der einen Tabelle das
Mittel der 7 ersten Zahlen 310, das der 6 letzten 295, in der
andern Tabelle das Mittel der 5 ersten Zahlen 367, das der 4
letzten 361 ist , eine Abnahme , welche nach Formel (5) auf eine
Abnahme des Elasticitätsmoduls mit wachsendem Drucke hinweist,
also durchaus plausibel ist. Da sie meist sehr unbeträchtlich ist,
in vielen Reihen aber sogar überhaupt nicht auftritt, soll sie hier
nicht weiter verfolgt, sondern, der Theorie entsprechend, q als
constant betrachtet werden. Faßt man demgemäß sämmtliche
Schwankungen von q in einer Reihe als unregelmäßige auf und
berechnet hiernach Mittelwerth und wahrscheinlichen Fehler, so
findet man in den beiden obigen Beispielen:
[q] = 0,3028 ± 0,0016
[q] = 0,3643 ± 0,0031;
der wahrscheinliche Fehler beträgt also in der auf Glas bezüg-
lichen Reihe nur etwa XJ2 Proc, in der auf Quarz bezüglichen
immer noch weniger als 1 Proc.
Um diesen Fehler noch weiter zu verringern, wurde jede Ver-
suchsreihe mehrmals wiederholt; die Linse durfte dabei, da sie
eine Verletzung nur ausnahmsweise aufwies, immer wieder be-
nutzt werden , die gesprungene Plattenstelle natürlich nicht ; da
aber die Sprünge außerordentlich klein waren, konnten nach ein-
absolute Härtemessung.
533
ander 20 bis 30 verschiedene Stellen derselben Platte benutzt
werden, und es zeigte sich dabei, daß durch jeden Sprung der Zu-
stand der Platte nur in einer sehr beschränkten Umgebung des-
selben verändert worden war, so daß man selbst ziemlich benach-
barte Stellen verwerthen konnte ; nur wenn die Sprungkreise sich
geradezu berühren oder gar schneiden, treten veränderte Resultate
ein, die verwickelt genug sind, um den Gegenstand einer Unter-
suchung für sich zu bilden. Die für verschiedene Platten stellen
sich ergebenden Werthe von q weichen nun zwar von einander
ab, und es ist daher zu schließen, daß diese Stellen wirklich et-
was verschiedene Elasticität besitzen ; die Differenzen und die
wahrscheinlichen Fehler der Hauptmittel sind jedoch, wie die fol-
genden Beispiele zeigen,
a) Glas II 0 = 10)
q = 58,5
57,2
58,5
59,7
59,3
59,7
56,6
55,3
56,0
b) Glas l (9 = 12)
q = 39,4
38,3
38,7
40,0
39,1 ± 0,25
= 58,3 ± 0,4
c) Quarz (q = 4)
q = 208,3
208,4
214,7
210,5
209,9
q = 209,9 ± 0,9
immer noch klein genug, um weiter benutzt zu werden.
2) Daß auch die Gl. (2) der Theorie erfüllt ist, also Qq =
const, zeigen folgende Angaben:
a) Glas IL
9 =
3
5
10
15
2 =
195,4
114,9
58,3
38,3
Qq =
586
575
583
575
; Qq = 580 ± 2.
534
F. Auerbach,
b) Quarz.
Q =
1
4
12
a =
838
210
69,8
Qq =
838
840
838
Qq = 839 ± 0,5.
Man kann hiernach, was gleich hier eingeschaltet werden
möge, die Elasticitätsconstante E' ohne weiteres aus Gl. (5) be-
rechnen.
Es ergeben sich dabei folgende Zahlen:
Material
E'
Glas I
* n
„ in
Bergkrystall
5617 ± 39
6960 ± 24
7701 ± 45
10072 ± 46.
Die Constante E' setzt sich nun freilich aus den beiden üb-
lichen Elasticitätsconstanten E und [i zusammen, und diese kann
man für sich bekanntlich immer erst durch Combination der Mes-
sung zweier verschiedenartiger Deformationen ermitteln; es läßt
sich aber zeigen, daß die hier benutzte Methode auch für sich
allein schon mindestens ungefähre , in Wahrheit aber sogar ziem-
lich genaue Werthe von E liefert. Es ist dies dem Umstände zu
verdanken, daß ft in der Formel (1 — ^2) in E' enthalten ist,
diese Größe aber nur sehr wenig sich ändert, wenn für [i selbst
die äußersten Werthe eingesetzt werden. Nach den Versuchen
von Cornu, Everett, Voigt und Cantone liegt nämlich für
Glas in zwischen den extremen Werthen 0,208 und 0,264; und
wenn man die Zahlen dieser Beobachter ihrem Gewichte gemäß
combinirt, so findet man als Mittelwerth und wahrscheinlichen
Fehler n = 0,225 ± 0,008. Jenen Extremen entsprechen nun
für 1 — ft2 die Werthe 0,957 und 0,93 ; und nimmt man den dem
obigen Mittelwerth von [i entsprechenden Mittelwerth
1 — p* = 0,95 ± 0,003,
so wird man wahrscheinlich nur einen Fehler von Vs Proc. be-
gehen. Der obige Werth von p gilt nun freilich nur für kleine
Deformationen, und es folgt aus den Betrachtungen von Röntgen
absolute Härtemessung. 535
u. A., daß fi nicht constant ist, sondern mit zunehmender Defor-
mation abnimmt; bei incompressiblen Körpern, also solchen, bei
denen für kleine Deformationen ft = 0,5 ist, ist diese Abnahme
sogar sehr beträchtlich; in unserem Falle wird sie viel unbedeu-
tender sein, nach der Analogie kann man annehmen, daß man
zu setzen hat:
1 — p* = 0,97 ± 0,01,
wodurch der wahrscheinliche Fehler allerdings auf 1 Proc. ge-
stiegen ist. Hiernach erhält man den Elasticitätsmodul E, indem
man E' um 3 Proc. verkleinert; es wird also:
Material I E
Glas I
, n
„ in
5449
6751
7470.
Eine eingehende Vergleichung mit den für verschiedene Glas-
sorten von anderen Beobachtern gefundenen Werthen lassen diese
Zahlen wegen der Unbestimmtheit der Charakteristik der meisten
Glassorten nicht zu; sie halten sich aber mit jenen zwischen den-
selben Grenzen1). Es wird beabsichtigt, demnächst für eine größere
Anzahl genau charakterisirter Glassorten die Bestimmung der
Elasticitätsmoduln (im Zusammenhange mit der der Härten) syste-
matisch durchzuführen.
Für Bergkrystall hat die Größe p selbst keine Bedeutung;
der Faktor aber , mit dem man E' multipliciren muß , um den
Werth des Elasticitätsmoduls in der Axe Eo zu erhalten, ist hier
jedenfalls noch näher an 1 gelegen, sodaß man keinen wesentlichen
Fehler begehen wird, wenn man ihn geradezu gleich 1 setzt. Es
wird dann
für Bergkrystall: Eo = 10072.
Gegenüber dem Voigt'schen Werthe 10304 ist dieser um
reichlich 2°/0 kleiner, eine Differenz, welche in Anbetracht der so
verschiedenen Ableitung schon an sich nicht sonderlich groß er-
scheinen wird, zum Theil aber vermuthlich sich noch dadurch er-
1) Voigt fand z. B. für „grünliches" Glas 6480, für „weisses rheinisches
Spiegelglas" 7358.
536
F. Auerbach,
klärt, daß die Beanspruchung des Materials hier eine viel größere
ist, als bei Voigt.
3) Es bleibt nun noch übrig , die Gleichungen (3) zu prüfen
und im Anschluß daran absolute Härtezahlen zu erhalten. Hier
zeigt sich nun ein völlig unerwartetes Resultat: die Grleichungen
(3) sind nicht erfüllt , und zwar auch nicht näherungsweise ; wohl
aber lassen sich andre Beziehungen aufstellen, und zwar mit be-
friedigender Genauigkeit.
So ergab beispielsweise die Glassorte II:
Q —
3
5
10
15
P:D2
81,7
67,0
56,6
49,8
P:9*
1,64
0,96
0,50
0,32
D.Q
0,142
0,119
0,094
0,080.
Alle drei Verhältnisse nehmen also , statt constant zu sein,
mit wachsendem q ganz beträchtlich ab, das will sagen : der Druck
auf die Flächeneinheit, bei welchem ein Sprung in der Platte ein-
tritt, ist bei gleichem Material nicht unter allen Umständen der-
selbe, sondern er ist desto größer, je gekrümmter die drückende
Linse ist. Eine andre Formulirung ist die, daß der Gesammt-
druck, bei welchem der Sprung eintritt, nicht dem Quadrat des
Krümmungsradius proportional ist, eine dritte die, daß der Durch-
meser der Druckfläche beim Eintritt des Sprunges nicht dem
Krümmungsradius selbst proportional ist, sondern daß beide Größen
langsamer wachsen. Ein Blick auf die obige Tabelle zeigt nun
sofort, daß die Zahlen der zweiten Horizontalreihe fallen, wie die
q wachsen, und ähnlich einfache Wahrnehmungen lassen die andere
Reihen zu. Hiernach ergiebt sich , daß die von der Theorie ge-
forderten drei Beziehungen durch die folgenden der Beobachtung
entprechenden zu ersetzen sind:
1) P proportional nicht mit D2, sondern mit D3/2
") *- n n r> » Q > r> r> Q
3) Nicht D, sondern D8/2 proportional mit q.
In wie weit dies der Fall ist, zeigt die folgende Zusammen-
stellung
absolute Härtemessung.
537
Q
3
5
-
15
Mittel
P:D3/2
53,4
52,0
54,8
54,5
53,7 ± 0,4
P:Q
4,93
4,78
5,04
4,80
1
4,89 ± 0,04
D3/2 : Q
0,092
0,092
0,092
0,088 -
0,091 ± 0,001.
Die wahrscheinlichen Fehler betragen also sämmtlich nur 1%.
Für die drei anderen Stoffe fanden sich die Beziehungen zwar
ebenfalls erfüllt, jedoch, da hier nur je zwei Werthe von q (4 und
12 mm) vorlagen, mit geringerer beweisender Kraft. Es wurde
daher aus zweien dieser Stoffe, dem weichsten Grlase (I) und dem
Bergkry stall, noch je eine Linse mit einem dritten Radius herge-
stellt, für dessen Wahl einmal der Wunsch maßgebend war, dem
Begriff der Spitze näher zu kommen, also einen recht kleinen
Radius zu nehmen , andrerseits die Erwägung , daß , wenn der
Grenzwerth des Einheitsdrucks vom Linsenradius abhängt, der-
jenige Werth eine besondere absolute Bedeutung haben wird,
welcher dem Werthe q — 1 entspricht. Bei den Versuchen mit
diesen stark gekrümmten Linsen traten nun zwar, wie zu erwarten
war , etwas größere Unregelmäßigkeiten als bei den andern auf,
das Gesammtergebniß aber war die volle Bestätigung der
obigen Beziehung. Es genüge hier, noch die Zahlen für
Bergkry stall anzuführen.
Theoretisch constante Verhältnisse.
Q
1
4
12
P:D2
149,8
91,7
66,9
P:y
5,05
1,31
1
0,42
D:Q
0,183
0,120
0,079
538
F. Auerbach,
In Wahrheit constante Verhältnisse.
Q
SH
4
12
Mittel
P:Ds/2
64,3
63,4
65,2
1
64,3 ± 0,4
P<>
5,05
5,22
j 5,05
5,11 + 0,04
D*f-9
0,079
0,082
0,077
0,079 ± 0,001
Auch hier betragen die wahrscheinlichen Fehler rund 1%.
Somit ist die Thatsache constatiert, daß die Erfahrung zwar
in allen übrigen Punkten die Theorie mit überraschender Genauig-
keit bestätigt, in dem letzten und wichtigsten Punkte aber von
ihr ganz erheblich, und zwar nach bestimmtem Gesetze abweicht.
Diese Thatsache fordert zu erneuter Betrachtung der Voraus-
setzungen jener Theorie auf.
1) Es kann nämlich zweifelhaft erscheinen, ob die Forderung
der Theorie , daß die Druckfläche nur ein kleiner Theil der Ober-
fläche sei , erfüllt ist. Nun steigt allerdings das Verhältniß B
(Grenzradius der Druckfläche): q (Linsenradius) bei obigen Ver-
suchen bis zum Werthe 1:11, also zu einem Verhältnisse, welches
an sich gewiß nicht mehr als sehr klein zu betrachten ist ; aber
schließlich kommt es lediglich darauf an, ob dieses Verhältniß so
groß ist, daß die in der Theorie darauf basirten Annahmen, be-
treffend Druckrichtung, Druckcomponenten, Krümmung und Große
der Druckfläche , nicht mehr erfüllt sind. Das ist aber , wie zum
Theil schon aus den obigen Andeutungen hervorgeht, und sich
noch eingehender zeigen ließe , nicht der Fall ; die Abweichungen
liegen vielmehr innerhalb der Fehlergrenzen der Versuche oder
fallen höchstens ein klein wenig aus ihnen heraus.
2) Nach der Theorie kann es ferner — obwohl eine nähere
Betrachtung hierfür Anhaltspunkte giebt — befremden, daß der
Sprung die Druckfläche in einem gewissen Abstände umgiebt, und
man könnte den Vorschlag machen, bei der Berechnung der H
statt der D einmal die Sprungdurchmesser zu benutzen; das ge-
fundene empirische Gesetz bleibt dann aber unverändert bestehen.
3) Daß es nicht die relativ zu beträchtliche Größe der Druck-
fläche ist, welche die Abweichungen hervorbringt, ergiebt sich am
besten daraus, daß alsdann die Abweichungen desto kleiner werden
müßten, je günstiger d.h. je. kleiner das Verhältniß R:q wird;
das ist aber nicht der Fall, sie sind vielmehr einheitlich durch
absolute Härtemessung. 539
die obigen Beziehungen bestimmt ; und z. B. für Glas III werden
die Verhältnisse P : D2 noch für q = 4 und q == 12 kolossal ver-
schieden, nämlich 83,9 und 56,4, obgleich hier das Verhältniß R : q
nur noch 1 : 16, resp. 1 : 23 ist. Um es aber noch weiter zu ver-
kleinern , wurde von diesem Glase eine Linse von q = 30 mm
hergestellt ; für sie fand sich R : q wie 1 : 38, und es müßte sich
daher für P : D2 ein mit dem für q = 12 gefundenen überein-
stimmender oder höchstens wenig von ihm abweichender Werth
ergeben, wenn jener Standpunkt richtig wäre; es findet sich aber
39,6 gegen 56,4, also ein wiederum ganz wesentlich kleinerer
Werth, während das Verhältniß P : D3/2 wieder denselben Werth
annimmt.
4) Uebrigens ist zu beachten, daß die Endzahlen für ver-
schiedene Stoffe in einem von q ganz unabhängigen Verhältnisse
zu einander stehen, nämlich für die untersuchten Stoffe in dem
Verhältniß
Grlas I Grlas II Glas III Bergkrystall
100 : 105 : 113 : 135.
Die Gewinnung von relativen Härtezahlen ist also von den
berührten Verhältnissen gänzlich unabhängig, und für die prak-
tische Anwendung ist hiermit schon ein wesentlicher Fortschritt
erzielt.
5) Wie es kommt, daß die absoluten Werthe der Härte eine
so starke Abhängigkeit vom Krümmungsradius zeigen, dafür kann
ich Beweisendes vorläufig nicht anführen , und ich gebe zu, daß
dies eine principielle Lücke in der Lösung des Problemes läßt.
Ich möchte aber eine auf die Ausfüllung derselben bezügliche
Vermuthung nicht unerwähnt lassen.
In Anbetracht der experimentell gefundenen Beziehungen
liefert die letzte der Formeln (4) bei Benutzung verschiedener
Linsen sehr verschiedene Werthe für Pi, also, wenn Pi die Härte
ist, für die Härte der betreffenden Platte. Da dies keinen Sinn
hat, ist entweder die Definition der Härte zu verwerfen, oder es
muß eine der Voraussetzungen, unter denen die Formel (4) an-
wendbar ist, nicht erfüllt sein. Dazu gehört namentlich die, daß
Platte und Linse aus gleichem Stoff bestehen , also insbesondere
auch gleich hart sind; ist dies nicht der Fall, so muß man ent-
weder nach einer complicirteren Formel aus der bekannten Härte
des einen Körpers die des andern auf Grund der Beobachtungen
berechnen, oder man erhält, wenn man sich mit der Formel (4)
540 F. Auerbach,
begnügt , nur eine gewisse mittlere Härte von Platte und Linse.
Nun bestanden zwar bei den hier behandelten Messungen Platte
und Linse stets aus demselben Stoff, aber es ist sehr wohl denkbar,
daß die Härte eines Körpers , außer von seinem Material , auch
von seiner Oberflächenkrümmung abhänge, und zwar offen-
bar in dem Sinne, daß die Härte desto größer ist, je stärker die
Krümmung ist. Eine experimentelle Bestätigung dieser Auffassung
giebt der Umstand, daß bei richtiger und exacter Versuchsanord-
nung es immer die Platte ist, welche springt, und nicht die Linse.
Je gekrümmter also die benutzte Linse ist, desto härter würde
sie hiernach sein, und desto größer würde auch die nach (4) ge-
fundene mittlere Härte von Platte und Linse sich ergeben, wie es
thatsächlich der Fall ist. Die Härte einer Linse würde sich hier-
nach etwa durch eine Formel von der Gestalt
Q
darstellen, a würde hierin die Härte einer ebenen Fläche des-
selben Materials, also gewissermaßen die „Eigenhärte" des
Materials, b dagegen die von der Krümmung abhängige „Ober-
flächenhärte" sein, also genau dem entsprechen, was man bei
Flüssigkeiten „Oberflächenspannung" nennt1).
Bis diese Gedanken fester begründet sind, muß es genügen,
die vorliegende Untersuchung in begrenzterem Sinne zu Ende zu
führen. Hierzu genügt die Bemerkung, daß, gemäß den gefun-
denen Beziehungen, die bei Anwendung verschiedener Linsen ge-
fundenen Werthe von Pi einander gleich werden, wenn man sie
mit \q multiplicirt , und daß man demzufolge die so erhaltene,
auf die Einheit des Linsenradius bezogene Zahl als absolute Härte
bezeichnen kann. Die Größe derselben für die untersuchten Stoffe
läßt sich aus folgender Tabelle ersehen.
1) Eine andre Analogie ist die mit der Zugfestigkeit von Eisendrähten,
welche nach Baumeister (Wied. Ann. 18, p. 578, 1883) desto größer ist, je
kleiner die Dicke des Drahtes ist, und zwar, wie ich finde, nach dem, dem hier
gefundenen gleichen Gesetze F = const./y/e£
absolute Härtemessung.
541
Stoff
i1
3
4
4
5
10
»
15 |
Mittel
Glas I
210
—
216 —
— j 215
— 1 214 ± 3
II
. n
—
227
—
225
227
—
222
225 ± 2
i ni
— 1 245
—
— 237
—
241 ± 3
Bergkrystall
287
-—
292
—
__
288
289 ± 1.
Diese Zahlen weisen zunächst die Reihenfolge auf, weche zu
erwarten war. Sie zeigen ferner eine, für ein bisher noch gar-
nicht quantitativ bearbeitetes Gebiet, sehr befriedigende Genauig-
keit; es liegen z.B. selbst die extremsten, für benachbarte Glas-
sorten gefundenen Werthe noch weit genug auseinander. Manchen
wird es vielleicht Wunder nehmen , daß die Zahlen nicht noch
verschiedener sind; aber man hat zu erwägen, daß die vier hier
untersuchten Stoffe einander in Bezug auf die Härte nahe stehen,
und daß die Ausdehnung der Methode auf besonders weiche und
besonders harte Körper jedenfalls bedeutend größere Differenzen
liefern wird.
Von Interesse ist schließlich noch eine Vergleichung der
Härten mit den Elasticitätsmoduln (p. 535). Wie man sieht, ist
von den untersuchten Stoffen der elastischere zwar auch der härtere,
aber die Härte nimmt weniger stark zu als die Elasticität ; drückt
man nämlich H in Procenten von E aus , so erhält man die ab-
nehmenden Zahlen :
Glas I Glas II Glas III Bergkrystall
3,9 3,3 3,2 2,9.
Es macht sich das gleich bei den ersten Beobachtungen in
charakteristischer und überraschender Weise geltend; während
man nämlich hätte erwarten sollen, daß man bei dem härteren
Stoffe einen stärkeren Gesammtdruck würde ausüben müssen, muß
man dies meist grade bei dem weicheren thun, weil hier die Druck-
fläche sehr groß wird, also ein hoher Gesammtdruck erforderlich
ist, um selbst einen mäßigen Einheitsdruck zu erzielen.
Jena, 19. November 1890.
Nachrichten d. K. G. d.W. zu Göttingen. 1890. Nr. 16.
44
542 W. Voigt und P. Drude,
Bestimmung der Elasticitätsconstanten einiger
dichter Mineralien.
Von
W. Voigt und P. Drude.
Mitgetheilt von W. Voigt.
2. Keine.
Während die Beobachtungen der ersten Reihe1) sich auf Mi-
neralien bezogen, welche sowohl in dichten Varietäten als auch
in für die Beobachtung ausreichenden regelmäßigen Krystallen vor-
kommen, sind die Messungen der folgenden Reihe an solchen,
hauptsächlich glasartigen, Körpern angestellt, für welche eine
krystallisirte Varietät nicht bekannt ist. Das Interesse der er-
haltenen Resultate liegt daher zunächst nur darin, daß sie für
Substanzen gelten, die in sehr großen Massen, langsam und gleich-
mäßig gebildet sind und demgemäß wahrscheinlich an Homogenität
und Isotropie die künstlich hergestellten Gläser und Metalle über-
treffen. Die bei ihnen gefundenen Werthe für das Verhältniß der
beiden Elasticitätsconstanten a und b derselben Substanz gewinnen
dadurch ein besonderes Gewicht und die theilweise ganz un-
geheuerlichen Abweichungen von der Poisson'schen Relation
a = 3 b, welche sie zeigen, dürften wohl Jeden, der noch zweifelte,
überzeugen, daß die Differenz zwischen der Poisson'schen
Theorie und der Beobachtung durch Fehlerquellen irgend welcher
Art nicht erklärbar ist.
Insofern stützen diese Resultate indirect die von mir früher
für unkrystallinische Medien überhaupt und speciell für dichte
Mineralien gegebene Elasticitätstheorie ; in einigen Fällen gestatten
sie aber auch eine directere Verwendung zu diesem Zwecke.
1) W. Voigt und P. Drude, Gott. Nachr. 1889, p. 519.
Bestimmung der Elasticitätsconstauten einiger dichter Mineralien. 543
Die Beobachtungstafeln sind wiederum nur auszugsweise mit-
getheilt, und zwar in derselben Anordnung und Bezeichnung wie
diejenigen der ersten Reihe ; ihre Erläuterung findet sich an dem
oben angegebenen Orte. Die Herstellung der Stäbchen ist wie
früher in der Werkstatt von Dr. W. S t e e g und Reuter in Bad
Homburg geschehen und die Präparate sind zum größten Theil
vortrefflich ausgefallen.
1. Feuers t e in
von der Insel Rügen; von Herrn Prof. Cohen in Greifswald mir
freundlichst überlassen. Im ganzen Stück ziemlich dunkelgrau,
zu Stäbchen geschnitten im durchgehenden Licht hellgelbbraun;
darin einzelne lose schwärzliche Flocken von Markasit. Die Her-
stellung der Stäbchen hat in Folge der Zähigkeit des Materiales
große Schwierigkeiten verursacht.
AI. D = 1200 + 5 B = 6200 + ß
o = 25,4 23,0 24,2 26,0 29.3 34,2 42,4 ß = 149 143 130 117 100 82 54
ber. 25,0 23,6 23,9 25,9 29,5 34,8 41,8
8o = a5>9> \ = *& \ = °i83-
Biegung. L = 14,07, B = 6312, D = 1226,7, P = 110, & = 14.
T) = 4,8 5,2.
L = 70,07,
V = 35*»3i 3544, V = Mi -E = 7598000.
Drillung. L = 57,11, B = 6318, D = 1227,3, P = 50, & = 14,5.
0 = 88,1, 87,5, T = 3510000
A II. D = 1200 4 h B = 6300 4 ß
5 = 19,1 18,4 19,3 21,3 25,3 32,7 42,1 ß = — 8 + 9 23 36 48 67 100
ber. 19,9 18,3 18,7 21,3 *5,9 3V7 4^5
50 = 21,3, \ — 3,6, 82 = 1,04.
Biegung. L = 66,07, B — 6338> D — 1222,2, P = 110, & = 15.
Tj = 300,2, 297,2, rf = 2,1, .E = 7596000.
Drillung. L = 52,23, B = 6337, D = 1223,4, P = 50, 0 = 16.
0 = 80,6, 80,4, T = 35220 0 0.
A III. D = 1100 4 h B = 5700 4 ß
5 = 70,3 69,8 73,2 79,0 87,4 98,9 114,7 ß = 40 42 40 39 39 40 40
ber. 70,2 70,2 73,1 78,9 87,7 99,4 114,0
50 = 78,9, \ = 7,3, 88 = 1,47.
Biegung. L = 66,07, -# = 574°> -D = 1180,2, P = 110, & = 14.
t) = 368,8, 366,0, 7)' = 2,4, £ = 7583000.
44*
544 W. Voigt und P. Drude,
B I. B = 1200 + 5 B == 6400 + ß
5 = 22,1 15,3 13,2 14,0 18,7 24,3 33,3 ß = — 8 + 27 41 46 40 37 8
ber. 21,4 16,0 13,6 14,2 17,8 24,4 34,o
h0 = 14,2, 8j = 2,1, 52 = 1,5.
Biegung. L — 14,07, P = 6432, D — 1215,6, P = 110, % = 14,5.
t\ = 5>3 4.7-
X = 64,07,
tt) = 272,4, 274,0, tf = 2,1, JE = 758900 0.
Drillung. i = 56,84, B = 6438, D = 1217,1, P = 50, $ = 15.
0 = 86,9, 87,7, X = 3522000.
B II. D = 1200 + 5 -B = 6400 + ß
5 = 17,6 18,3 20,5 23,4 27,9 32,8 39,5 ß = — 16 + 29 37 41 41 38 30
ber. 17,5 18,4 20,4 23,5 27,8 33,0 39,5
&o =*= 23>5> % = 3.65, 52 = 0,55.
Biegung. L = 64,07, B = 6436, D = 1224,0, P = 110, % = 14,3.
ij äs 265,9, a65>8> V = Mi * = 7640000
Drillung. X = 55,08, B = 6437, D = 1224,6, P = 50, % = 14,5.
0 = 82,9, 83,2, 3T = 35260 00.
B III. D = 1200 + 5 P = 6400 + ß
5 = 11,8 12,3 14,3 17,7 21,8 26,6 32,4 ß = — 6 4- 29 43 48 44 40 12
ber. 11,5 12,5 *4»6 x7>6 2I>6 26,7 32,7
\ = 17,6, St = 3,53, 82 = 0,5.
Biegung. L = 62,07, •# = 6434> -^ — ***Mi ^ — II0> & — J4«
y) ss 247,4, 248,0, tf = 2,1, JE = 7568000.
Drillung. L = 48,00, B = 6441, Z) = 1218,5, P = 50, $ = 13,2.
c = 88,2, 88,0, y = 35230 00.
Gesammtmittel. E = 7597ooo, E == 13,16 . I0~8,
i 7200, + 0,012.
T = 352looo, T = 28,41. I0"8,
+ 1800, i 0,015.
Hieraus JE/3T =s 2,158 und a — 770oooo, 6 = 523ooo, a = 14,71.6.
Die vortreffliche Uebereinstimmung der bei den verschiedenen
Stäbchen erhaltenen Zahlen erweist die vollkommene Homogenität
und Isotropie des Materiales und giebt den Endresultaten einen
besonderen Werth. Um so schwerer wiegt der von dem P 0 i s-
son'schen (a = 3b) enorm abweichende Werth des Verhältnisses
der beiden Elasticitätsconstanten. Derselbe besitzt noch ein eigen-
artiges Interesse.
Nach der früher auseinander gesetzten Theorie der quasi-iso-
tropen Körper1) ist es möglich aus den Elasticitätsconstanten
eines homogenen Krystalles diejenigen eines Körpers zu berechnen,
1) W. Voigt, Gott. Abb., Bd. 84, 48, 1887, Wied. Ann. 38, 573, 1889.
Bestimmung der Elasticitätsconstanten einiger dichter Mineralien. 545
der aus durcheinander gewürfelten Krystallfragmenten besteht,
welche groß gegen die Molekularwirkungssphäre und klein gegen
die Dimensionen des betrachteten Präparates sind ; ihr Verhältnis
muß dabei nahe denselben Werth behalten, wenn zwischen den
Fragmenten kleine Lufträume geblieben sind.
Feuerstein gilt als ein inniges Gemenge von amorpher und
krystallinischer Kieselsäure, in dem letztere erheblich überwiegt ').
Für die eine krystallisirte Kieselsäure (Quarz) habe ich aber die
Elasticitätsconstanten bestimmt und früher mitgetheilt 2) ; berechnet
man aus ihnen das Verhältniß aß für quasi-isotropen Quarz, so
erhält man 3) (mit ziemlich beträchtlicher Unsicherheit)
a = 13,7. b,
welches dem für Feuerstein gefundenen abnorm großen sehr nahe
liegt. Die von mir entwickelte Theorie erhielt hierdurch eine
neue Bestätigung.
2. Opal
von Mexiko; von Herrn Prof. Liebisch mir für diese Beobach-
tungen freundlichst überlassen.
Das Stück war wasserhell , ohne Farbenspiel , von einigen
Sprüngen durchsetzt, die beim Zerlegen sich noch ausdehnten;
daher war es nur möglich drei Stäbchen von derselben Orien-
tirung herzustellen. Die Prüfung der Isotropie durch Beobachtung
der beiden Gattungen B und A war daher nicht möglich; auch
sind die Messungen der geringen Größe der Stäbchen wegen nicht
sehr genau.
I. D = 500 -h 8 B = 6100 4- ß
5 = 93>3 100,7 104,4 103,4 98,0 ß = 39 43 46 48 49
ber. 93,2 100,9 I04>3 io3>3 98>°
o0 = 104,3, \ = Mi \ = — Mf.
Biegung. L = 14,07, B = 6145, D = 603,4, P = 105, % = 14.
7) = 49,4, 49,6.
L =3 22,07,
t\ = 181,0, 181,3, V = 3»7> E = 387oooo.
Drillung. L = 17,05, B = 6146, D = 602,8, P = 10, $ = 13,5.
0 = 82,0 81,0. ar = i833ooo.
1) Naumann-Zirkel, Mineralogie, Leipzig 1877, p. 342.
2) W. Voigt, Gott. Nachr. 1886, p. 289.
3) W. Voigt, Wied. Ann. 38, 582, 1889.
546 w- Voigt und P. Drude,
II. B = 500 + l B = 6100 + ß
5 = 97,6 108,3 ioz.i ß = 44 38 15
\ = 108,3, h = h*> \ — ~ 8>3-
Biegung. L = 14,07, B = 6134, D = 607,5, p — I05, & = J4-
Y] = 48,1, 48,9.
X = 18,07,
y) = 98,3, 98,5, y)' = 3,7, £ = 3908000.
III. Z> = 500 + 8 B — 6100 -f ß
5 =3 89,1 97,6 101,5 99,7 90,9 ß = 38 42 44 47 47
ber. 88,8 98,0 101,5 99>2 9X>2
50 .= 101,5, \ — 0,6, 52 = — 2,9.
Biegung, i = 20,07, J5 = 6144, D = 600,4, B = 105, 0 = 14.
tj = 138,9, 139,7, *)' = 5»7i * = 3870000.
Drillung. L = 15,65, i? = 6144, D = 599,6, P = 10, 8 = 14,2.
0 = 76,6 76,6, T f= 18240 00.
Gesammtmittel JE = 38800 00, E = 25,8 .I0"8
T = 1829000, T = 54,7.I0"8
Hieraus E/T — 2,12 und a = 39loooo, b == 272ooo, a = 14,4.6.
Es ist sehr bemerkenswert!^ daß hiernach die amorphe Kiesel-
säure (Opal) äußerst nahe dasselbe Verhältniß der Elasticitäts-
constanten ergiebt , wie Feuerstein und hierin sich also ähnlich
verhält als bestände sie aus Krystallfragmenten der krystal-
linischen Modifikation (Quarz). Freilich sind die absoluten
Werthe jener Constanten kaum halb so groß als sie sein müßten,
wenn diese Fragmente sich lückenlos an einander schlössen.
3. Obsidian
von den liparischen Inseln; von Herrn Dr. Sella in Biella mir
freundlichst besorgt.
Farbe unregelmäßig hell- und dunkelgrau gefleckt; die Stäb-
chen sind parallel der Dickenrichtung fast durchsichtig , die Fär-
bung wird durch in der hellen Grrundmasse suspendirte dunkle
Flecken und Körnchen hervorgebracht. Dies Mineral ist also ein
ziemlich grobes Gemisch und es kann demnach die äußerste Ge-
nauigkeit der Constantenwerthe nicht erreicht werden. Die mir
verfügbaren Stücke gestatteten die Herstellung von Stäbchen in
einer Länge von nahe 11 cm; da mein Torsionsapparat aber die
Beobachtung so langer Stäbe nicht gestattet und die drei
kürzeren unter sich gut stimmende Resultate ergaben, habe ich
die längeren nicht um der Drillung willen kürzen mögen.
Bestimmuug der Elasticitätsconstanten einiger dichter Mineralien. 547
AI. D = 1400 +0 B = 5900 + ß
8 = 62,7 60,4 60,6 62,1 64,9 69,7 76,5 ß = 51 32 22 27 43 66 96
ber. 62,3 60,6 60,5 62,0 65,1 69,8 76,1
\ = 62,0, \ — 2,3, 82 = 0,8.
Biegung. L = 85,07, B = 5944, D = 1462,7, P = 60, & = 14.
tq = 246,5, 245,7, t)' = 1,5, JE = 667iooo.
Drillung. L = 65,24, 2? == 5932, D = 1463,0, P = 5c, & = 13.
0 = 80,7, 80,1, 5f = 28590 00
A II. D = 1400 + 8 .5 = 5900 + ß
5 ob 61,0 56,6 55,4 56,8 61,6 67,5 75,2 ß = 89 52 28 19 26 58 102
ber. 60,4 56,8 55,6 57,0 60,8 67,2 76,0
\ = 57A \ — 2,6, 82 = 1,25.
Biegung. L = 105,07, B = 5946, D = 1458,1, P = 60, & = 14.
y] = 470,3, 470,8, tf = 1,5, JE bb 66I5000.
A III. D = 1400 + 5 P = 5900 + ß
0 = 36,1 36,0 37,4 41,0 48,4 57,2 68,8 ß = 98 60 34 22 31 60 101
ber. 36,6 35,6 37,2 41,3 48,0 57,2 69,0
So = 4i,3> 5i = 5,4, 82 == M8-
Biegung. L = 14,07, B = 5951, D = 1442,4, P = 60, % = 14.
7) = 3,1, 2,9.
Z = 105,07
7) = 481,3, 479,7, rf = 1,5, JE = 6686000.
B I. D = 1400 4- 8 B = 6000 + ß
0 = 37,2 44,3 51,7 58,2 63,8 67,8 70,4 ß = 14 10 8 4 3 4 3
ber. 36,5 44,7 52,0 58,2 63,4 67,7 70,9
80 = 58,2, 8, = 5,73, 8a = — 0,5.
Biegung. L = 14,07, B — 6006, D = i457,7, P = 60, 0 = 14.
f\ = Mi 2>5-
X = 85,07,
y) = 245,0, 247,8, i)' = 1,5, 12 = 6659000.
Drillung. L ss 64,78, P = 6006, D = H57»*i P = 50, ft = 14,1.
o = 79,9, 80,0, T = 2846000.
B II. D = 1400 -|-8 P = 6000 + ß
8 = 63,3 61,8 61,6 63,0 64,2 66,6 67,4 ß = 30 20 9 6 4 1 3
ber. 62,8 62,2 62,2 62,8 64,0 65,8 68,2
80 = 62,8, 8X = 0,9, h2 = + 0,3.
Biegung. L = 93,07, B = 6009, D = 1463, 1, F = 60, & = 14.
t) = 318,7, 317,0, vf = 1,5, *J = 6676000.
548 W. Voigt und P. Drude,
B III. D = 1400 + 5 B = 6000 + ß
& = 56,3 5*,1 5i)3 5*,° 57,° 61,7 71,2 p = 32 as 15 6 3 1 - a
ber. 55,2 '52,1 51,1 52,4 56,1 62,1 70,2
h = 5*,4, &i = *»5, 8a = + M7-
Drillung. L = 58,27, 2? == 6010, D =■- 1454,8, P = 50, & — 13,2.
0 es 72,3, 73,2, T — 2819000.
Gesammtmittel JS = 665iooo, E = 15,03. I0~8,
+ 9000, + 0,02.
T = 284looo, T = 35,20 . I0"8,
+ 8000, + 0,10.
Hieraus JB/2T sb 2,34 und a = 7153000, b = l47oooo, a = 4,86. b.
4. Obsidian
von Arnarfells (Jökul auf Island) ; ich verdanke das Stück Herrn
Prof. C. Klein in Berlin. Farbe tiefschwarz.
Ein Beobachtungsmaterial allerersten Ranges von seltener
Homogenität, wie dies der Augenschein und die treffliche Ueber-
einstimmung der folgenden Zahlen erweist. Das schöne Stück ge-
stattete die Herstellung von Stäben , deren Längen fast 13 cm
erreichten; ihre Gestalt ist sehr regelmäßig ausgefallen.
Für die Drillungsbeobachtungen wurde ein kürzerer Stab der
Gattung B und ein in der Mitte durchgeschnittener der Gattung
A benutzt; da die an ihnen erhaltenen Zahlen sehr gut überein-
stimmten , habe ich , um das schöne Material für andere Bestim-
mungen aufzusparen, weitere Beobachtungen unterlassen.
AI. D = 1400 + 5 B sb 6000 + ß
5 = 67,4 65,8 65,6 67,3 70,9 76,3 81,7 ß = 22 16 4 o 2 74
ber. 67,4 65,7 65,7 67,4 70,7 75,7 82,4
80 = 67,4, \ = 2,5, \ = 0,83,
Bieguug. L = 100,07, -2 = 6000,5, D = 1468,1, P = 60, % — 15,1.
f] = 355)8, 355,6 V = i,3, *J = 7340000.
A II. D s= 1400 -f B B = 6000 -f ß
6 == 75,5 7^,5 70,8 72,0 75,4 82,3 87,8 ß = -2— 1 — 6— 4+2+12 — 22
ber. 75,7 72,2 71,0 72,1 75,2 81,0 88,9
50 = 72,1, \ = 2,2, 52 s= 1,3.
Biegung. L = 14,07, B = 5999, D = 1473,3, P = 60, % = 15,1.
7) = 2,2, 2,1.
L = 100,07,
f\ = 353A 35M, V = i,3- -E = 7323000.
A III. D = 1400 + 5 B — 6000 4- ß
5 = 72,6 71,7 73,0 73,4 71,7 ß = — 3 + 2 + 10 + 18 — 14.
Drillung. L = 43,99, B = 6010, JD = 1472,7, -P = 50, 0 = 14.
0 = 48,7, 48,6, ar s= 3085000.
Bestimmung der Elasticitätsconstanten einiger dichter Mineralien. 549
A IV. D = 1400 + 5 B = 6000 + ß
5 = 72,6 74,9 78,6 83,1 88,2 ß= — 3+4 + 2 — 2 — 3
Drillung. L = 46,62, -B = 6001, D — 1478,9, P = 50, ö = 13,5.
0 = 50,6, 50,7, T = 3100000.
B I. D = 1400 4 8 5 =r 6000 + ß
5 == 83,8 82,2 82,0 82,5 85,0 88,9 93,5 ß = 21 17 14 13 15 20 28
ber. 84,2 82,3 81,8 82,7 85,0 88,7 93,8
80 = 82,7, \ = 1,6, \ = 0,7.
Biegung. L = 100,07, B = 6018, D = 1483,3, P = 60, & = 15,1.
f] = 343,8, 343<3, 'l' = 1,3, * = 7345000.
B II. D = 1400 4- 5 ^ = 6000 4- ß
5 = 85,7 82,0 80,7 81,4 83,9 90,3 94,5 ß = 28 22 15 13 13 20 23
ber. 85,5 82,1 80,7 81,4 84,1 88,9 95,7
50 = 81,4, 5j = 1,7, 82 = 1,02.
Biegung. L = 14,07, i? = 6018, D = 1482,3, P = 60, & = 15,1.
7) = 2,3, 2,7.
L = 100,07,
n = 344,o, 344,7, V = 1,3, £ = 7345000.
B III. D = 1400 + 5 B = 6000 4- ß
5 = 80,3 77,4 75,5 75,5 78,9 86,5 91,3 ß = 28 23 18 16 18 24 26
ber. 81, i 76,8 75,1 75,8 78,9 84,4 92,5
\ = 75,8, \ = *,9, \ = »>*•
Biegung. L = 100,07, B = 6021, D = 1476,9, P = 60, & = 15,1.
7) = 348,1, 348,6, rf = 1,3, E = 733oooo.
B IV. 2) = 1400 + 8 5 = 6000 4- ß
5 = 78,8 77,7 77,3 78,3 80,7 84,4 90,9 ß = 25 22 18 17 17 19 25
Drillung. L = 60,55, •# = 6oi9, & — I479,7, -P = 5°, 8 = 13,1.
0 = 65,4, 65,9, ar = 3096ooo.
Gesammtmittel JE = 7337ooo, E = 13,63. 10 8,
+ 3000, + 0,005.
T = 3094ooo T = 32,31. I0"8
+ 3000, + 0,03.
Hieraus JE/5T = 2,37, o = 8OI7000, -6 = l82sooo, a = 4,39.-6.
Die beiden für die zwei Sorten Obsidian gefundenen Werth-
systeme liegen ziemlich nahe den von mir für zwei Sorten künst-
lichen Glases erhaltenen Zahlen1). Auch hier übertrifft das Ver-
hältniß a/b die Zahl 3 recht erheblich.
Göttingen, December 1890.
1) W. Voigt, Wied. Ann. 15, 497, 1882.
550 Jahresbericht.
Bericht des Beständigen Sekretärs der Königl.
Ges. d. Wiss. über das Jahr 1890.
Hoffentlich ist es Ihnen nicht unangenehm , wenn ich dem
Herkommen gemäß auch in diesem Jahre die Nachrichten mit
einem kurzen Bericht über das schließe, was uns in unsern Sitzungen
beschäftigt hat oder irgendwie für unsere Gesellschaft von einiger
Bedeutung gewesen ist.
Zunächst also eine ITebersicht über die wissenschaftlichen
Mittheilungen , welche in den Sitzungen , von denen die heutige
die 10. dieses Jahres ist, gemacht oder vorgelegt wurden.
In der Sitzung von 11. Januar gab de Lagarde Nachträge
zu früheren Mittheilungen.
Riecke legte eine Arbeit des Herrn Galizine in Straß-
burg i/E. „Ueber das Daltonsche Gesetz", und
Bechtel, „Kleine Aufsätze" vor, III. Reihe.
Am 1. Febr. Riecke theilt einen Aufsatz des Herrn Dr.
N ernst mit: „Ueber ein neues Princip der Molekulargewichts-
bestimmung".
Wieseler kündigt einen kurzen Aufsatz an : „Verbesserungs-
vorschläge zu Euripides".
Sauppe legt von Herrn Professor Leo Meyer in Dorpat,
Korrespondenten der Gesellschaft , eine „Etymologische Mitthei-
lung 2tf(iMi;-(2%ipa) Zeichen" vor.
Am 19. März. Klein legt einen Aufsatz vor: „Zur Theorie
der Lameschen Functionen".
Wüstenfeld eine Abhandlung : „Der Imäm el Schäfi'i, seine
Schüler und Anhänger bis zum Jahre 300 d. H.", die im Bd. 36
der Abhandlungen erscheint.
de Lagarde theilt 1. „Das älteste Glied der masoretischen
Traditionskette" und 2. „Psalm 114 im Sidrä rabbä" mit.
Voigt legt von Hertz, Korrespondenten der G. , eine Ar-
beit vor: „Ueber die Grundgleichungen der Elektrodynamik für
ruhende Körper".
Am 3. Mai. Ehlers legt eine vorläufige Mittheilung von
Herrn Dr. Clemens Hartlaub vor: „Beitrag zur Kenntniß
der Comatuliden-Fauna des indischen Archipels".
Wieseler theilt „scenische Untersuchungen" mit.
de Lagarde legt „Exodus 1, 11" vor.
Riecke eine Arbeit „Ueber die Pyroelektricität des Tur-
malins".
Jahresbericht. ß51
Voigt eine Abhandlung „lieber den Zusammenklang zweier
einfacher Töne".
Am 7. Juni. Riecke giebt „Beiträge zu der von G-ibbs
entworfenen Theorie der Zustandsänderungen eines aus einer Mehr-
heit von Phasen bestehenden Systems".
Klein legt a. eine Arbeit von Franc. Brioschi in Mailand,
auswärtigem Mitglied der Gesellschaft, vor: „lieber die Reihen-
entwickelung der Sigmafunctionen zweier Veränderlichen" und
b. von Dr. Schön fließ, Privatdocenten in Göttingen, eine Ar-
beit: „lieber das gegenseitige Verhältniß der Theorieen über die
Structur der Krystalle".
de Lagarde legt „Septuagintastudien I" für die Abhand-
lungen (Bd. 37) vor.
Kielhorn einen Aufsatz über „die Mandasor-Inschrift vom
Malava Jahre (529) = 472 n. Chr."
Am 5. Juli. Merkel spricht „lieber argentinische Gräber-
schädel".
Liebisch legt einen Aufsatz des Herrn Dr. Pockels vor:
„Ueber die Interferenzerscheinungen, welche Zwillingsplatten op-
tisch einaxiger Krystalle im convergenten homogenen polarisirten
Lichte zeigen".
Schwarz legt vor: a. einen Aufsatz von Prof. Julius
Weingarten in Charlottenburg, Korresp. der Gesellschaft, „lieber
particuläre Integrale der Differentialgleichung
d'V d^T cTF_
dx% dy% dz*
und eine mit der Theorie der Minimalflächen zusammenhängende
Gattung von Flüssigkeitsbewegungen" und b. einen Aufsatz von
0. Venske: „lieber eine Abkürzung des ersten Hermiteschen
Beweises der Transcendenz der Zahl eu.
Voigt legt vor: Bestimmung der Elasticitätsconstanten des
brasilianischen Turmalins".
Wieseler: „Weibliche Satyrn und Pane in der Kunst der
Griechen und Römer".
de Lagarde kündigt für den 36. Bd. der Abhandlungen an:
„Nachträge und Regesten zu der im Band 35 erschienenen Ueber-
sicht über die Bildung der Nomina im Aramaeischen, Arabischen
und Hebräischen".
Wagner legt einen Aufsatz vor: „Ueber ein spät mittel-
alterliches Verzeichniß geographischer Coordinatenwerte".
552 Jahresbericht.
Am 2. Aug. Rieeke legt von sich vor: a. „Ueber stufen-
weise Dissociation und über die Dampfdichte des Schwefels." b.
„Ueber specielle Fälle von Gleichgewichtserscheinungen eines aus
mehreren Phasen zusammengesetzten Systemes", und c. von Herrn
Privatdocenten Dr. N ernst: „Ueber die Theilung eines Stoffes
zwischen zwei Lösungsmitteln".
Voigt legt a. „Eine kurze Notiz zur Theorie der Schwin-
gungen gestrichener Saiten", b. eine Abhandlung vor: „Allge-
meine Theorie der piezo- und pyroelektrischen Erscheinungen an
Krystallen" (erscheint im 36. Band der Abhandlungen.)
Schwarz theilt mit: a. „Bestimmung derjenigen Minimal-
flächen, welche eine Schaar reeller Curven zweiten Grades ent-
halten", b. „Ueber den Kreisbogen als Lösung einer vonDelaunay
gestellten Aufgabe der Variationsrechnung".
Klein legt vor:a. von Herrn Dr. Franz Meyer, Prof.
in Clausthal: „Ueber Discriminanten und Resultanten von Singu-
laritätengleichungen, II". b. von Herrn Dr. Burokhardt, Pri-
vatdocenten: „Zur Theorie der Jacobischen Gleichungen 40.
Grades", c) von sich: „Ueber die Nullstellen der liypergeome-
trischen Reihe".
Am 8. Nov. Rieeke legt von sich vor a) „Das thermische
Potential für verdünnte Lösungen", b. „Ueber elektrische Ladung
durch gleitende Reibung" und c. von den Herrn Privatdocenten
P. Drude und W. Nernst: „Ueber das Verhalten des Wismuth
im Magnetfelde in seiner Abhängigkeit von der Temperatur und
der molekularen Beschaffenheit".
Voigt legt vor: a. von Herrn Privatdocenten P. Drude:
„Ueber die Größe der Wirkungsphäre der Molekularkräfte und
die Konstitutionskonstanten der Platauxschen Glycerin-Seifenlc5-
sung", b. von Herrn W. Venske: „Zur Integration der Glei-
chung Adu = 0".
Klein legt vor: von Herrn Professor F r a n z Meyer in
Clausthal: Ueber Discriminanten und Resultanten von Singulari-
tätengleichungen, III". (vgl. 2. August.)
Wüsten feld legt für die Abhandlungen (Bd. 37) vor: „Die
gelehrten Schau' iten des 4. Jahrhunderts d. H".
Wieseler giebt „Einige Nachträge zu dem Aufsatze (Nach-
richten 1890 S. 385 ff.) über weibliche Satyrn und Pane in der
Kunst der Griechen und Römer".
de Lagarde legt vor: a. „Die Inschrift von Aduli, b. Das
hebräische Wort gebhim, c. Der Fluß Orontes, d. Die Stichometrie
Jahresbericht. 553
der syrisch - hexaplarischen Uebersetzung des alten Testamentes,
e. UeiäccQcc".
Kielhorn legt vor: „Erklärung zweier Stellen des Kä-
vyädarca".
"Weiland legt für die Abhandlungen (Bd. 37) seine „Bei-
träge zur Kritik der Chronik des Matthias von Neuenburg" vor.
Die hier aufgeführten Mittheilungen sind, wenn nicht aus-
drücklich angegeben ist, daß sie in dem 36. oder 37. Band der
Abhandlungen gedruckt sind , in den bis jetzt erschienenen 13
Nummern der Nachrichten enthalten, die 436 Seiten füllen.
Der Band 36 der Abhandlungen, der in diesen Tagen ausge-
geben wird, enthält folgende Arbeiten:
I. Mathematische Klasse.
1. Ueber die innere Reibung der festen Körper, insbesondere der
Krystalle, I. von W. Voigt.
2. Allgemeine Theorie der piezo- und pyroelektrischen Erschei-
nungen an Krystallen, von W. Voigt.
II. Historisch-Philologische Klasse.
3. Ueber einige phönikische Inschriften, von G. Ho ff mann.
4. Die Sprache des Papyrus Westcar. Eine Vorarbeit zur Gram-
matik der älteren ägyptischen Sprache, von Adolf Erman.
5. Tafeln zur Berechnung der Jupiterjahre nach den Regeln des
Sürya Siddhänta und des Iyotistattva , von F. Kielhorn.
6. Der Imäm el Shäfi'i, seine Schüler und Anhänger bis zum
J. 300 d. H., von F. Wüstenfeld.
III. Physikalische Klasse.
7. Zur Kenntniß der Pedicellineen, von E. Ehlers. Mit 5 Tafeln.
Gedächtnisrede.
8. Julius Weizsäcker (f 3. September 1889), von Ludwig
Weiland.
Außer den Nachrichten und Abhandlungen sind auch
die Gelehrten Anzeigen fortdauernd bemüht gewesen in un-
parteiischer Gründlichkeit wissenschaftliche Kritik zu üben, soweit
es der für unsere Blätter verfügbare Raum möglich macht.
Bei der Beschränktheit der Mittel , die uns für wissenschaft-
liche Zwecke zu Gebote stehn, haben wir für die gütige Fürsorge
554 Jahresbericht.
des Königlichen Staatsministeriums der Kultus-, Unterrichts- und
Medicinalangelegenheiten, das uns für außerordentliche Ausgaben
auf das Jahr 1. April 1890/91 3000 Mk. zur Verfügung gestellt
hat, den lebhaftesten Dank auszusprechen.
Von Geschäften , welche in den Sitzungen erledigt worden
sind, verdienen folgende kurze Erwähnung.
Die mathematische Gesellschaft in Hamburg feierte am 15.
Februar ihr 200 jähriges, die physikalisch-oeconomische in Königs-
berg i./Pr. am 22. Februar ihr 100 jähriges Jubiläum. Die Kön.
Gesellschaft sendete beiden ihre warmen Glückwünsche, denen Herr
Schering für jene, Herr Peter für diese Worte geliehen hat.
In Tauschverkehr ist die Gesellschaft eingetreten mit der
Akademie der Wissenschaften zu Stockholm, mit der Kuffnerschen
Sternwarte in Ottenring bei Wien, mit dem Nova Scotian Insti-
tute of natural science in Halifax.
Die Universitätsbehörden zu Toronto (Canada) zeigten an,
daß ihre ganze Bibliothek am 14. Februar ein Raub der Flammen
geworden sei, und baten um Beiträge zu einer allmählichen Er-
setzung derselben. In Erfüllung dieses Wunsches hat die Ge-
sellschaft die Werke von Gauss in 6 Bänden und die Nach-
richten von 1884—1889 durch die Buchhandlung F. A. Brock-
haus in Leipzig nach Toronto abgesendet.
Mit Anfang Oktober ist das Direktorat der Gesellschaft an
die Mathematische Klasse übergegangen und Herr Ernst Sche-
ring durch das Kön. Kuratorium als Director bestätigt worden.
Für dies Jahr hatte die Physikalische Klasse die Preis-
aufgabe gestellt:
Es ist allgemein bekannt und anerkannt, daß dichte oder
krystallinische Kalke, zumal des Mittel-Devon, allerlei Umwand-
lungen erlitten haben, sei es durch Veränderung ihrer Structur,
sei es durch Stoffaustausch u. s. w. Die mechanischen und che-
mischen Vorgänge, welche hierbei mitwirken, sind jedoch durchaus
nicht genügend bekannt. Es wird daher gewünscht, daß diese
Umwandlungen mit Hülfe chemischer und mikroskopischer Unter-
suchungen verfolgt und erklärt werden möchten.
Es ist keine Bewerbungsschrift eingegangen.
Die Aufgabe für 1891 lautet nach dem Vorschlag der Ma-
thematischen Klasse:
Jahresbericht. 555
Die Aufgabe der conformen Abbildung eines ebenen Bereiches
auf ein Stück einer krummen Fläche, deren Krümmungsmaß überall
den constanten Werth k besitzt, hängt zusammen mit der Aufgabe,
die partielle Differentialgleichung
. d*u , d2u _7 „
Au = -r-2 + -5-0 = — 2k -e
dx2 dy2
vorgeschriebenen Grenz- und Unstetigkeitsbedingungen gemäss zu
integriren.
Für diese Aufgabe kommen zunächst die von Riemann in
seiner Theorie der Abelschen Functionen angegebenen Grenz- und
Unstetigkeitsbedingungen in Betracht.
Die Königliche Gesellschaft wünscht die Frage, ob es möglich
ist, die angegebene partielle Differentialgleichung für einen gege-
benen Bereich unter vorgeschriebenen Grenz- und Unstetigkeitsbe-
dingungen der angegebenen Art zu integriren, vorausgesetzt, daß
der Konstanten k negative Werthe beigelegt werden, vollständig
beantwortet zu sehen.
Insbesondere ivünscht die Königliche Gesellschaft den Fall der
angeführten Aufgabe behandelt zu sehen, in welchem der betrachtete
ebene Bereich eine geschlossene mehrfach zusammenhängende
lliemannsche Fläche ist, während die Function u keine anderen
als logarithmische Unstetigkeiten annehmen soll.
Die Aufgabe der Historisch-philologischen Klasse
für 1892 ist folgende (s. Nachrichten 1890 S. 116 f.) :
Für die älteste Geschichte Attikas ist es von außerordentlicher
Bedeutung zu ivisscn, an welchen Orten sich Heiligthümer der
verschiedenen Götter und Heroen fanden, sowol in Athen selbst,
als in der gesammten Landschaft, soweit es nach dem jetzigen
Stande der topographischen, epigraphischen, genealogischen For-
schungen möglich ist. Die Historisch-philologische Klasse stellt da-
her für 1892 die Aufgabe, daß eine sorgfältige Ueber sieht der
Kidtstätten in Attika nach den Oertlichkeiten , an denen sie sich
fanden, gegeben und, was sich daraus für die älteste Geschichte
Attikas folgern lasse, dargestellt werde.
Für das Jahr 1893 stellt die Gesellschaft nach dem Vorschlag
der Physikalischen Klasse die neue Aufgabe:
Aus den Untersuchungen von W. C. Röntgen und A. Kundt
über die Aenderungen der optischen Eigenschaften des Quarzes im
elektrischen Felde ergiebt sich ein enger Zusammenhang zwischen
den elektrooptischen Erscheinungen und den elastischen Deforma-
556 Jahresbericht.
tionen, welche jene piezoelektrische Substanz unter der Einwirkung
elektrostatischer Kräfte erfährt. Eine Ausdehnung dieser For-
schungen auf eine größere Reihe piezoelektrischer Krystalle von
verschiedenen Symmetrieeigenschaften erscheint in hohem Grade er-
wünscht. Gleichzeitig tvürde die Untersuchung darauf zu richten
sein, ob die elektrooptischen Erscheinungen in piezoelektrischen
Krystallen ausschließlich durch die im elektrischen Felde eintre-
tenden Deformationen oder außerdem durch eine directe Einwir-
kung der elektrostatischen Kräfte auf die Lichtbewegung hervorge-
rufen werden.
Die zur Bewerbung um einen der Preise bestimmten Arbeiten
müssen, mit einem Spruch verseben, vor Ablauf des Septembers
des bestimmten Jahres an die Kön. Gesellschaft der Wissen-
schaften portofrei eingesandt werden und von einem versiegelten
Zettel begleitet sein, welcher außen den Spruch trägt, der die
Arbeit bezeichnet, und innen Namen und Wohnort des Verfassers
angiebt.
Der Preis für jede Aufgabe beträgt 500 Mk.
Die von der Wedekindschen Preisstiftung für deutsche Ge-
schichte zur Lösung in dem am 14. März 1886 begonnenen fünften
Verwaltungszeitraum gestellten Aufgaben sind in den Nachrichten
1887 S. 69 f. bekannt gemacht, dann 1888 S. 134 ff., 1889 S. 403 ff.,
1890 S. 217 ff. wiederholt worden. Die Summe von 3000 Mk.,
die Herrn Professor Kluckhohn für Aufsuchung und Sammlung
von Akten zu einer Geschichte des Bauernkrieges in Thüringen,
Sachsen und Hessen bewilligt worden war (Nachrichten 1889
S. 561), ist ganz zur Auszahlung gekommen und die Vorberei-
tungen für die Ausgabe der Chronik Hermann Korners
sind fleißig gefördert worden, sie gehn ihrem Abschluß entgegen.
Durch den Tod verlor die Historisch-philologische Klasse der
Gesellschaft am 11. März Johann Gildemeister in Bonn,
der seit 1859 ihr als Korrespondent und seit 1884 als auswärtiges
Mitglied angehört hatte. Geboren war er am 20. Juli 1812. Am
30. December 1889 starb in London Henry Yule, der 1883
von der Gesellschaft zum Korrespondenten der Historisch-philolo-
gischen Klasse gewählt worden war. Noch in frischer Trauer ist
die Gesellschaft um den Verlust ihres ordentlichen Mitgliedes in
der Physikalischen Klasse Wilhelm Henneberg, der am 22.
November starb. Er war seit 1867 Assessor und ordentliches
Mitglied seit 1877. Geboren war er am 10. Oktober 1825.
Dagegen wählte die Gesellschaft in ihrer Sitzung am 22. No-
Jahresbericht. 557
vember zum ordentlichen Mitglied in der Physikali-
schen Kl a sse:
Dr. Otto Wallach, Professor der Chemie ;
zum auswärtigen Mitglied der Historisch- philolo-
gischen Klasse:
Dr. Alexander Conze, Generalsekretär des kaiserlich
deutschen archaeologischen Institutes in Berlin, seit 1875 Korre-
spondenten in derselben Klasse;
zu Korrespondenten in der Historisch-philolo-
gischen Klasse:
Clements Robert Markham in London, Kustos im Geo-
graphical Departement des India Office und Mitglied des Council
der R. Geographical Society of London, und
Dr. Hermann Oldenberg, Professor in Kiel;
zum Korrespondenten in der Physikalischen
Klas se :
Dr. Eduard Schnitzer, Emin Pascha, in Bagamoyo
in Ostafrika.
Ueber die Nullstellen
der hypergeometrischen Keihe.
Von
A. Hurwitz in Königsberg i. Pr.
(Vorgelegt von F. Klein).
Wenn in der Gauß'schen hypergeometrischen Reihe
/-ix -f-r/7 x 1 l-m x l(l + l)tn(m + l) x2 '
(1) F(l, m, n, x) = 1 + yy + v / \v J -kt + • • •
die Elemente l, m, n positive reelle Werte besitzen, so ist klar,
daß die Reihe für jedes positive x einen positiven Wert annimmt,
und daß es daher keinen zwischen 0 und 1 liegenden Wert von x
geben kann, welcher die Gleichung
(2) F (l, m, n, x) = 0
befriedigt. Sind dagegen die Elemente Z, m, n nicht sämmtlich
positiv, so kann die Gleichung (2) möglicher Weise für einen oder
mehrere zwischen 0 und 1 liegende Werte von x erfüllt sein, und
es entsteht die Aufgabe, genau die Anzahl der zwischen 0 und 1
liegenden Wurzeln der Gleichung (2) zu ermitteln.
Nachricht« von der K. G. d. W. tu Göttinpen. 1890. No. 16. 45
558 A- Hurwitz,
Diese Aufgabe hat Herr Klein neuerdings ganz allgemein
erledigt und zwar durch eine sehr schöne Methode, welche die
Bestimmung jener Anzahl auf die Bestimmung der möglichen Ge-
stalten von Kreisbogendreiecken zurückführt1).
Vielleicht ist es nicht ohne Interesse, daß man die in Rede
stehende Aufgabe auch auf Grund derjenigen Principien losen kann,
welche bei dem Sturm' sehen Satze von der Anzahl der reellen
Wurzeln einer algebraischen Gleichung zur Verwendung gelangen.
Dieser Sturm' sehe Satz beruht bekanntlich auf einem Lemma2),
welches ich hier zunächst in der allgemeinen Fassung, wie ich es
verwenden werde, angeben will.
Die reelle Veränderliche x werde auf das Intervall
(J) . . \ a < x % b
eingeschränkt. Ferner seien
(3) F01 F„ F„.... F,
reelle Functionen der Veränderlichen x, welche in dem Intervalle J
eindeutig und stetig sind und überdies folgenden Bedingungen
genügen :
1.) Die Function Vk soll für keinen Wert von x, welcher dem
Intervalle J angehört, verschwinden.
2.) Wenn die Function F<, wo i eine der Zahlen 1, 2, . . . Je — 1
bedeutet, an einer Stelle des Intervalles J verschwindet, so sollen
an dieser Stelle die Functionen FM und V{+v nicht verschwindende
Werte von entgegengesetztem Vorzeichen besitzen.
3.) Wenn x das Intervall J von a bis b durchläuft, so soll
beim Ueberschreiten einer Stelle, wo V0 verschwindet, der Quo-
V
tient -~ von negativen zu positiven Werten übergehen.
Unter diesen Voraussetzungen ist nun die Anzahl der Stellen,
an welchen V0 in dem Intervalle J verschwindet, gleich
xr.-N>,
wo Na resp. Nb die Anzahl der Zeichenwechsel der Reihe (3) für
x = a resp. x = b bezeichnet.
Diese Zahlen Na und Nb kann man, was für das Folgende
wichtig ist, auch als die Anzahlen der negativen Werte erklären,
welche in der Reihe
1) Vergl. die Mitteilung: „Ueber die Nullstellen der hypergeometrischen
Reihe" in No. 10 dieser Nachrichten vom Jahre 1890 (Sitzung vom 2. August),
welche weiter ausgeführt demnächst in Heft 4 des 37. Bandes der Mathematischen
Annalen erscheinen wird.
2) Vgl. etwa Serret, Cours d'algebre supdrieure, Paris 1877, Bd. 1 pag. 285.
über die Nullstellen der hypergeometrischen Reihe. 559
(4) v0r„v1v2,rir3,...ri_1rk
für x = a bez. x = b auftreten.
Indem ich mich nunmehr der Betrachtung der hypergeome-
trischen Reihe (1) zuwende, bemerke ich zunächst, daß die Reihe
offenbar sinnlos wird, wenn n gleich 0 oder gleich einer negativen
ganzen Zahl ist. Das Element n unterliegt also der Beschränkung,
daß es keinen Wert aus der Reihe
0, -1, -2, -3, ...
besitzen darf. Ich will nun, um Weitläufigkeiten zu vermeiden,
genau dieselbe Beschränkung auch den Elementen l und m auf-
erlegen.
In den hierdurch ausgeschlossenen Fällen reducirt sich die
hypergeometrische Reihe auf eine ganze rationale Function von x *)
und die nachfolgenden Betrachtungen unterliegen dann einer leichten
Modifikation.
Dies vorausgeschickt, stelle ich eine Reihe von Functionen (3)
her, in welcher die ersten Glieder V0 und V1 bez. die hypergeo-
metrische Reihe F (?, m, n, x) und deren erste Ableitung
sind. Dies gelingt leicht auf Grund der Gauß' sehen Relationen,
welche zwischen je drei aufeinanderfolgenden der Functionen :
(6) F0 = F (l, m, », x), Fl = F(l + l,m + lJn + 1, zj, . . .,
Fi = F (l -f i} m + i, n + i> x), . . .
bestehen. In der That, man setze
(7) r - ^ + 1)(^ + 1) r- (* + 2)(m + 2)
*' °" n(n + l) ' l (» + l)(w + 2) ,"M
_ {l + i + l)(m + i + l)
r* (n+^(n+i+i) »•••
und bilde nun die Functionen:
= F V = r F V — r r r F
(Ö) { _|m _lm v v _lm ^
n ** " n • • ' * "^ w
1) Für diese Functionen hat Herr Stiel tj es (Comptes Rendus, Bd. 100 p. 620)
die zugehörigen Sturm' sehen Reihen aufgestellt und bemerkt, daß man aus
diesen Reihen die Anzahl der reellen Nullstellen der Functionen leicht ableiten
kann. Auf anderem Wege gelangte Herr Hubert (Journal für die reine und
angewandte Mathematik, Bd. 103 pag. 337) zur Bestimmung dieser Anzahlen.
45*
560 A- Hurwitz,
Dann wird die Reihe
(9) V0 , Vx , V 2 , • • • • rk ,
bei geeigneter Wahl der Zahl ft, den oben genannten Bedingungen
genügen, und zwar für jedes Intervall a...b, welches ganz in dem
Intervalle 0 ... 1 enthalten ist.
Die erwähnten Gr a u ß' sehen Relationen ergeben nämlich das
Gleichungssystem :
(F = <3o K -*(1-«?)F„
(10) F = Ö. F -*(i-*)F,
lF.2= eMFM-*(l-*)F„
wobei zur Abkürzung
_ n r0r2...r2i_2 / ? + w + 4i + l N
Vai ?w rxr8. ..»■„_! V w + 2* /J
Im \ (. l + m + 3 \
^ - IT ' r0 Vi_ "^TF" *>
«*+a — — ' — ' r2r,...r2i' V n + 2i + l X)' ' '
gesetzt ist.
Die Funktion Vk unterscheidet sich nur um einen constanten,
nicht verschwindenden Factor von
Fk == F(l + 7c,m + Jc,n + 7c,x).
Wählen wir daher die Je Zahl so , daß l + &, m + k, n + Jc po-
sitiv werden, so ist Vk in dem Intervall 0 ... 1 beständig von Null
verschieden, und die Bedingung 1) ist also erfüllt. Indem wir
beachten, daß die Factoren Q0, Q1, . . . sämmtlich endlich sind,
schließen wir sodann aus dem Grleichungssystem (10), daß auch
die Bedingung 2) erfüllt ist. Endlich genügt die Reihe (9) auch
der Bedingung 3), weil V1 die Ableitung der Function V0 ist.
Beachten wir jetzt, daß
P, Vm = ^r0r1r2... r{_t F{ Fm
dasselbe Vorzeichen besitzt, wie
+ ^
(-^'^rrr-^F^,
über die Nullstellen der hypergeometrischen Reihe. 561
wo zur Abkürzung
(12) lt = 1(1 + 1) . . . (l + i-1), m{ = m(m + 1) . . . (m+i-1)
gesetzt ist, so erhalten wir den Satz:
Bedeuten aundJxi zwei zwischen 0 und 1 liegende
Größen, und bildet man die Reihe
(13) l-^F9Ft1 -^FXF2) ...'.', (~i)- 4rr^^
so giebt Na — Nb die Anzahl der Nullstellen von
F0 = FQ,m,v,x)
an, welche zwischen a und b liegen, wenn Nahez. Nb
die Anzahl der negativen Glieder bezeichnen, welche
in der Reihe (13) für x = a bez. x = b auftreten.
Die Zahl Je ist dabei nur der einen Bedingung unterworfen,
daß die Größen
l + &, m + k, n + Jc
positiv sein müssen1). Die in dem Ausspruch des Satzes benutzten
Abkürzungen werden durch die Gleichungen (6) und (12) erklärt.
Um die Gesammtzahl der Nullstellen von F (Z, m, w, x) in dem
Intervall 0 <c x <c 1 zu bestimmen, brauchen wir unseren Satz nur
auf den Fall anzuwenden , wo a in der Nähe des Wertes x = 0
und b in der Nähe des Wertes x = 1 liegt.
Wir werden also
a — e, b — 1— r\
setzen, wo s und ^ genügend klein zu wählende positive Größen
bezeichnen. Lassen wir x in 0 übergehen , so nehmen die Func-
tionen (13) die Werte an:
Um die Werte jener Functionen in der Nähe der Stelle x — 1
zu beurtheilen, werde ich die bekannte Gleichung
(15) F (l, m, n, x) = (1— x)n-l~m F (n — l, n — m, n, x)
1) Der Satz gilt auch noch, wenn eines oder jedes der Elemente l, m gleich
Null oder gleich einer negativen ganzen Zahl ist. Nnr hat man dann für h die
erste Zahl der Reihe 0, 1,2, 3,... zu wählen, für welche eine der beiden Größen
l + k, m-\k verschwindet.
562 A, Hurwitz,
benutzen. Dabei setze ich voraus, daß
(16) n S l + m
sei. Diese Voraussetzung beeinträchtigt nicht die Allgemeinheit.
Denn würde
n ;> l + m
sein, so wäre
n < (n — l) + (n — m)
und wir würden an Stelle von F (7, w, n, x) die Function F(n — l,
n — m,n,x) betrachten, welche der Gleichung (15) zufolge zwischen
0 und 1 dieselben Nullstellen besitzt wie F(l, m, n, x).
Lassen wir nun, unter der Voraussetzung, daß n<:l + m ist,
x wachsend in 1 übergehen, so geht F(n — ?, n — m, n, x) stetig in
r(n)r(l + m — n)
r(i) r(m)
über. Daher hat F (l, m, n, x) in der Nähe von x — 1 dasselbe
Vorzeichen wie
r(n)
r(i) i» -
Dieses gilt, wie man leicht erkennt, nicht nur für n<:l + m,
sondern auch für n — l + m. Da nun aus der Ungleichung (16)
folgt, daß auch
n + i < (l + i) + (m + i) (i = l, 2, 3, ...)
ist, so besitzt FtFi+1 in der Nähe von x = 1 dasselbe Vorzeichen, wie
r(n + i)r(n+i+l) __ n+i f r(n+i) V
r(l+i)r(m+i)r(l+i+l)r(m+i+l) ~" Q+i)(m+i) L^(Z+^)^(m+^)J,
also dasselbe Vorzeichen wie
n + i
(l + i)(tn+7)'
Daher haben die Glieder der Reihe (13) in der Nähe von x = 1
dieselben Vorzeichen, wie die entsprechenden Glieder der Reihe
(17) 1, -\mv \%m%, . .. . (— lr^iflW
Kommen also in der Reihe (14) 2V0 negative Glieder, in der
Reihe (17) Nt negative Glieder vor, so ist
N = W.-»i
die Anzahl der zwischen 0 und 1 liegenden Nullstellen von
F {lf m, n,x). . . „
über die Nullstelleu der hypergeometrischen Reihe.
563
Die Zahlen N0 und Nt können wir sofort näher bestimmen,
wenn wir die verschiedenen Fälle unterscheiden, welche den mög-
lichen Vorzeichencombinationen der Elemente /, ftr, n entsprechen.
Dabei wollen wir
(18)
l
m
voraussetzen, was die Allgemeinheit nicht beeinträchtigt, da
F{J, m, n, x) bei Vertauschung von l und m in sich übergeht. Fer-
ner möge, wenn l negativ ist, X die erste Zahl der Reihe 1, 2, 3, . . .
sein, für welche l + A positiv wird, so daß in der Reihe
1,1+1,1 + 2,. ...l + l — 1,1 + 1,...
l + X — 1 das letzte negative Glied ist. Die entsprechende Bedeu-
tung mögen ^ und v in Rücksicht auf m und n erhalten.
Die Discussion der verschiedenen Fälle, bei welcher man die
Ungleichungen (16) und (18) zu beachten hat, ergiebt nun die in
der nachstehenden Tabelle zusammengestellten Resultate:
1
m
n
N
I.
+
+
—
i-(-iy
2
IL
+
—
+
P
+
—
—
ft — v, für p > v
JULI.
2 , furp<v
IV.
—
—
—
1— {—Vi****
2
"Wie diese Tabelle aufzufassen ist, erhellt aus folgendem Satze :
Sind die Elemente l, m, n sämmtlich negativ (Fall IV der Ta-
belle), so verschwindet F(l}mfntx) zwischen 0 und 1 kein Mal
oder ein Mal, je nachdem X + p + v gerade oder ungerade ist.
Man wird sich leicht überzeugen, daß die Tabelle mit den von
Herrn Klein gefundenen Resultaten vollständig im Einklang steht.
Schließlich will ich noch bemerken, daß man die Frage nach
der Gresammtheit der Nullstellen von F(l1mintx)t gleichgültig ob
564 A. Hurwitz, über die Nullstellen der hypergeometrischen Reihe.
/, m, n reelle oder complexe Werte besitzen j auch auf Grund der
allgemeinen Sätze, welche ich an anderer Stelle entwickelt habe *),
in Angriff nehmen kann. Man hat dann die Wurzeln der ganzen
rationalen Functionen, welche als Nenner in den Näherungsbrüchen
der Kettenbruch - Entwicklung von — ' , — - — * ' auftreten,
ö F(l,m,n,x)
zu untersuchen. Ob diese Untersuchung auch für die imaginären
Nullstellen der hypergeometrischen Reihe zu einfachen Resultaten
führt, vermag ich indessen nicht zu übersehen.
Königsberg in Pr., 30. November 1890.
1) „Ueber die Nullstellen der Bessel' sehen Function". Mathematische
Annalen, Bd. 33.
Inhalt von No. 16.
Eduard Riede, Moleculartheorie der Diffusion und electrolytischen Leitung. — F. Auerbach, absolute
Härtemessung. — W. Yoigt und P. Drude, Bestimmung der Elasticitätsconstanten einiger dichter Mine-
ralien. — Jahresbericht des beständigen Sekretärs. — A, Ruruntz, über die Nullstelion der hypergeo-
metrischen Eeihe.
Für die Redaction verantwortlich: H. Sauppe, Secretär d. K. Ges. d. Wiss.
Commi ssions-Yerlag der DietericK sehen Yeilags- Buchhandlung.
Druck der Dieterich' sehen Univ.- Buchdruckerei (W. Fr. Katstner).
IHS
Nachrichten
von der
Königl. Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
Ans dem Jahre 1891.
Nro. 1—11.
Göttingen,
Dieterichsche Verlags-Buchhand lung.
1891.
Man bittet die Verzeichnisse der Accessionen zugleich als Empfangsanzeigen
für die der Königl. Societät übersandten Werke betrachten zu wollen.
Register
über
die Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften
und
der Georg - Augusts - Universität
aus dem Jahre 1891.
Bericht des Beständigen Secretairs. 359.
Bürger, Otto, Vorläufige Mitteilungen über Untersuchungen an
Nemertinen des Golfes von Neapel. 286.
Drude, Paul, und Kernst, Walther, Ueher die Fluorescenzwir-
kungen stehender Lichtwellen. 346.
Frobenius, G. , Ueber Potentialfunctionen , deren Hesse'sche
Determinante verschwindet. 323.
Heun, Karl, Die Schwingungsdauer des Gauß'schen Bifilarpendels.
154.
Hubert, David, Ueber die Theorie der algebraischen Invarianten.
232.
Kielhorn, Franz, Die Colebrooke'schen Pänini-Handschriften der
K. Bibliothek zu Göttingen. 101.
— — Die Vikrama-Aera. 179.
— — Die Nltimafijari des Dyä Dviveda. 182.
f de Lagard e, Paul, Thevenots cafFarre. 135.
— — Das aramäische Evangeliar des Vatikan.
140.
4 Register.
f de Lagarde, Paul, Neue Ausgabe Clementischer Schriften.
153.
— — Arabes mitrati. 160.
— — Samech. 164.
Meyer, Franz, Ueber Discriminanten und Resultanten von Singu-
laritätengleichungen 14.
— — Ueber Realitätseigenschaften von Raumcurven. 88.
— — Ueber ein Trägheitsgesetz für algebraische Glei-
chungen. 279.
N ernst, Walther, Ueber das Henry'sche Gesetz. 1.
— — sieh Drude.
— — sieh Tarn mann.
Nestle, Eberhard , Eine denkwürdige Sitzung der K. Gesell-
schaft der Wissenschaften. 187.
Preisaufgaben:
Benekestiftung. 126.
K. Gesellschaft der Wissenschaften. 363.
Petschestiftung. 125.
Wedekindstiftung. 127.
Rahlfs, Alfred, Lehrer und Schüler bei Iunilius Africanus. 242.
Riecke, Eduard, Zur Moleculartheorie der piezoelectrischen und
pyroelectrischen Erscheinungen. 191.
— — Ueber eine mit den electrischen Eigenschaften
des Turmalins zusammenhangende Fläche. 223.
— — und Voigt, Woldemar, Die piezoelectrischen
Constanten des Quarzes und Turmalins. 247.
Schilling, Fr., Ueber die geometrische Bedeutung der Formeln
der sphärischen Trigonometrie im Falle complexer Argumente.
188.
Schön flies, Arthur, Bemerkung zu Huberts Theorie der alge-
braischen Formeln. 339.
5 e 1 1 a , Alfonso , Beitrag zur Kenntnis der specifischen Wärme
der Mineralien. 311.
Tammann, Gustav, Ueber die Stromleitung durch Niederschlags-
membranen. 112.
— — Ueber die Permeabilität von Niederschlags-
membranen. 213.
Register. 5
Tara mann, Gustav, und Nernst, Walther, Ueber die Maximal-
tension, mit der Wasserstoff aus Lösungen durch Metalle in
Freiheit gesetzt wird. 202.
Tonelli, Alberto, Bemerkung über die Auflösung quadratischer
Congruenzen. 344.
Venske, Otto, Zur Integration der Gleichung z/z/w = 0 für ebene
Bereiche. 27.
— — Integration eines speciellen Systems linearer, homo-
gener Differentialgleichungen mit doppelt - periodischen Func-
tionen als Coefncienten. 85.
— — Ueber einen neuen Apparat zur Bestimmung der
inneren Wärmeleitungsfähigkeit schlecht leitender Körper in
absolutem Maaße. 121.
Verzeichnisse der eingelaufenen Druckschriften. 34 , 100,
133, 278, 310, 388.
Voigt, Woldemar, Beiträge zur Hydrodynamik I und II. 37.
— — sieh Riecke.
Wagner, Hermann, Ueber das von S. Günther 1888 herausge-
gebene spätmittelalterliche Verzeichnis geographischer Coordi-
naten werte. 256.
Wallach, Otto, Ueber einige neue Kohlenwasserstoffe mit ring-
förmiger Bindung der Kohlenstoffatome. 301.
Wieseler, Friedrich, Ueber den Stierdionysos. 367.
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg- Augusts - Universität
zu Göttingen.
25. Februar. Jfä \m 1891.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 7. Februar.
Riecke legt eine Abhandlung des Herrn Privatdocenten Dr. Nernst vor: „Ueber
das Henry'sche Gesetz."
Voigt legt: „Beiträge zur Hydrodynamik" vor.
Klein legt die Abhandlung des Herrn Prof. Franz Meyer in Clausthal vor:
„Ueber Discriminanten und Resultanten von Singularitätengleichungen." 4.
Mittheilung.
deLagarde spricht über Inhalt und Bedeutung seiner „Septuagi nta Studien
II und III", die im Band 37 der Abhandlungen erscheinen werden.
Frensdorff legt einen Aufsatz vor: „Eine Krisis in der K. Gesellschaft der
Wissenschaften."
Ueber das Henry'sche Gesetz.
Von
W. Nernst.
In der Abhandlung, welche der königlichen Gesellschaft der
Wissenschaften in der Sitzung vom 2. August vorgelegt wurde,
habe ich den Satz aufgestellt, daß jeder Molekülgattung
zwischen zwei Phasen eines inhomogenen Systems
ein konstantes Theilungsverhältnis zukomme, unab-
hängig insbesondere , welche anderen Stoffe (in nicht zu großer
Konzentration) zugegen sind. Von den Folgerungen, welche sich
Nachrichten d. K. G. d. W. zu GöUingen. 1891. Nr. 1. 1
2 W. Nernst,
aus diesem Satze für die Vertheilung eines Stoffes zwischen zwei
Lösungsmitteln ergeben, konnte ich bereits durch die Berechnung
älterer Versuche und durch eine Anzahl eigener Messungsreihen
nachweisen, daß sie an der Erfahrung eine zahlenmäßige Bestäti-
gung finden. Inzwischen habe ich nach einer in der erwähnten
Mittheilung bereits angedeuteten Methode auch den Fall experi-
mentell untersucht, daß ein Stoff sich zwischen einer flüssigen und
einer gasförmigen Phase vertheilt, worüber im Folgenden nach ei-
nigen theoretischen Betrachtungen über diesen Fall zu berichten
mir gestattet sei.
Die Anwendung obigen Satzes auf die Vertheilung von Stoffen
zwischen Lösungsmittel und dem mit diesem in Berührung befind-
lichen Gasgemische , d. h. auf die Abhängigkeit des Partialdrucks,
mit welchem ein in Lösung befindlicher Stoff in dem über der Lö-
sung lagernden Gasgemische vorhanden ist, von der Konzentration
jener, führt zu folgenden Gesetzmäßigkeiten.
1) Der Partialdruck eines gelösten Stoffes über einer Lösung
ist bei konstanter Temperatur der Konzentration desselben in der
Lösung direkt proportional, wenn derselbe in Lösung und im Gas-
zustande gleiche Molekulargröße besitzt; unter dieser Bedingung
gilt mit andern Worten Henry's Gesetz.
2) Befindet sich der gelöste Stoff im Dissociationszusstande,
so gilt der Satz für jede einzelne Molekülgattung, die in der Re-
aktionsgleichung der Dissociation vorkommt.
3) Es finde im allgemeinsten Falle zwischen den gleichzeitig
in einem beliebigen Lösungsmittel gelösten und verflüchtigten Stof-
fen eine Reaktion nach dem Schema
n1-41 + w,il8 + ... == n'tA't + n[A± + ...
statt, d. h. es treten nx Moleküle vom Körper At , n2 Moleküle vom
Körper A2 u. s. w. zusammen, um n[ Moleküle vom Körper A[ , n'2
Moleküle vom Körper A[ u. s. w. zu bilden ; Gleichgewicht sei ein-
getreten , wenn die Partialdrucke der einzelnen Molekülgattungen
Pi i P2 - - • > P[ > Pl% • • • un(l inre Konzentrationen in der Lösung
c, , c2 . . . , c[ , c[ . . . betrogen. Dann liefert die Anwendung des
Guldberg-Waage' sehen Gesetzes der chemischen Massen-
wirkung , welche in gleicher Weise für das gasförmige und flüs-
sige System gemäß den von van 't Hoff in seiner Schrift: „Lois
de l'equilibre chimique dans l'etat dilue, gazeux ou dissons" (Stock-
holm 1885) entwickelten Grundsätzen zu erfolgen hat, die beiden
Gleichungen
über das Henry'sche Gesetz
p^pp . . .
■K (1)
2Y *iV 2 • • •
\rr„^ = K' (2)
worin K und K' , die Reaktionskoefficienten , nur von der Tem-
peratur in der bekannten Weise abhängen. Der eingangs erwähnte
Satz liefert uns eine Anzahl Gleichungen
c, = p.Jc,, c2 = p2Jc2, . . . c[ = p'X, c'2 = p'2k2 ... (3)
worin Jct , h2. . . , Jc[ , 7c'2 . . . die Löslichkeitskoefficienten der einzel-
nen Molekülgattungen bedeuten, die wiederum nur von der Tem-
peratur abhängen, und zwar in einer aus der Lösungswärme der-
selben leicht zu berechnenden Weise.
Aus (1) bis (3) erschließen wir
Vn'ljr,n2
K = K' l 2 ' " . (4)
Dies Resultat ist vielleicht nicht ohne weiter gehende allgemeine
Bedeutung. In den meisten Fällen lassen sich die Löslichkeits-
koeffizienten einer Molekülgattung gegenüber einem beliebigen Lö-
sungsmittel direkt bestimmen, und es wird bei Kenntnis dieser er-
möglicht, vorherzusagen, wie eine Anzahl Stoffe in einem beliebi-
gen Lösungsmittel auf einander einwirken, wenn ihre Reaktions-
fähigkeit im Gaszustande bekannt ist, und umgekehrt.
Es muß jedoch betont werden , daß die Gleichungen (3) nur
für elektrisch neutrale Moleküle gültig sind; für eine be-
stimmte Ionengattung nämlich kann der Theilungskoefficient im
allgemeinen nicht unabhängig von der Gegenwart anderer Ionen
sein, weil infolge Ausbildung elektrischer Doppelschichten an der
Grenzfläche der verschiedenen Phasen die einfache Superposition
der Gleichungen (3) aus dem gleichen Grunde aufhört, wie die
Salze sich bei der Diffusion in wässeriger Lösung wegen der hier-
bei auftretenden Potentialdifferenzen beeinflussen. Außerdem wird
vorausgesetzt, daß die betreffenden Stoffe weder in Lösung noch
im Gaszustande in zu großer Konzentration vorhanden sind.
Satz 1) ist der bekannte van 't Ho ff sehe Satz; nimmt man
zur Bestimmung des Partialdruckes die van 't Ho ff sehe Dampf-
druckformel zu Hülfe, so gelangt man zu der von Planck1) ge-
1) M. Planck, Zeitschr. physik. Chem. 2. 405 (1888).
1*
4 W. Nernst,
gebenen Theorie der Dampfspannungen von verdünnten Lösungen
flüchtiger Stoffe; die von Planck gemachte Voraussetzung, daß
der Dampf des Lösungsmittels in großem Ueberschuß im Vergleich
zu dem des gelösten Stoffes zugegen ist, kann man ohne Weiteres
fallen lassen , da sie weder nothwendig ist noch eine merkliche
Vereinfachung mit sich bringt. Von der weiteren Beschränkung
in Planck's Theorie, daß nämlich der gelöste Stoff als solcher
und im Gaszustande gleiche Molekulargröße besitzt, kann man sich
mittelst des Satzes 2) befreien; durch wiederholte Hinzuziehung
des Satzes 3) schließlich kann ohne weiteres eine allgemeine Theo-
rie für die Dampfspannung einer Lösung gegeben werden, die be-
liebige Stoffe (in nicht zu großer Konzentration) enthält, zwischen
denen außerdem beliebige chemische Einwirkungen stattfinden kön-
nen. Die Formeln die sich bei Anwendung des Satzes 2) ergeben
werden , (bezüglich des experimentell noch nicht untersuchten
Satzes 3) mögen obige Andeutungen genügen) haben neuerdings
eine strenge thermodynamische Begründung durch Herrn Professor
B/iecke erfahren1); die unten mitzutheilenden Messungen sind
also gleichzeitig dazu geeignet, der Biecke' sehen Betrachtungs-
weise dieser und verwandter Probleme eine neue experimentelle
Bestätigung zu verleihen.
Zur Messung des Partialdruckes , mit welchem der gelöste
Stoff über der Lösung vorhanden war, bediente ich mich des
Beck mann' sehen Siedeapparates2), dessen Theorie sich unschwer
auch für den Fall erweitern läßt, daß der gelöste Stoff in merk-
licher Weise an der Verdampfung theilnimmt. Es seien in N Mo-
lekülen des Lösungsmittels n Moleküle eines fremden Stoffes ge-
löst, welche letzteren einheitlich sein können oder nicht, und im
letzteren Falle mit einander beliebig reagieren mögen. Sei B der
Barometerstand, P der Partialdruck des Lösungsmittels und p der-
jenige des gelösten Stoffes, so ist
p = B-P
und, wenn P0 den Dampfdruck des reinen Lösungsmittels bei der
betreffenden Temperatur bedeutet, so wird mit Einführung der
van 't Hof f sehen Dampf druckformel
(5) P»-P _ n
P„ N+n
1) E. Riecke, Gott. Nachr. 1890 No. 14.
2) E. Beckmann, Zeitschr. f. physik. Chem. 4. 532 (1889).
über das Henry'sche Gesetz. 5
Es sei nun t die Aenderung, welche der Siedepunkt des Lösungs-
mittels durch Hinzufügen der n Moleküle des gelösten Stoffes er-
fahren hat und die bei nicht flüchtigen Stoffen immer positiv ist,
bei flüchtigen aber sowohl positiv wie negativ sein kann ; bedeutet
a ferner die Zunahme des Dampfdruckes des Lösungsmittels, welche
einer Temperatursteigerung um 1° entspricht, so wird
P0 = B + at
und demgemäß
a kann entweder den Dampfdrucktabellen direkt entnommen
oder aus der C 1 aus ius' sehen Dampfdruckformel mittelst der
Verdampfungswärme berechnet werden; man erhält auf dem letz-
teren Wege
JBMw ~ . .,,
cc = <^m~ mm Quecksilber (8)
worin M das Molekulargewicht, w die Verdampfungswärme in g-
cal und T die absolute Siedetemperatur des Lösungsmittels be-
deuten. Handelt es sich um größere Aenderungen des Siedepunk-
tes, so muß natürlich berücksichtigt werden, daß dann der Dampf-
druck mit der Temperatur nicht mehr linear variiert; im Folgen-
den, wo diese Aenderung immer nur nach Bruchtheilen eines Gra-
des zählen wird, ist dies nicht erforderlich.
Für nicht flüchtige Substanzen wird p = 0 und es resultiert
aus (7) die von Arrhenius abgeleitete und von Beckmann veri-
ficierte Formel, welche das Molekulargewicht einer nicht flüchtigen
Substanz aus der Siedepunktserhöhung zu berechnen gestattet.
Bei Anwendung flüchtiger Substanzen als gelöster Stoffe wird Pro-
portionalität zwischen Konzentration und Temperaturänderung, die
in einer Erhöhung oder Erniedrigung des Siedepunktes bestehen
kann, nur dann stattfinden, wenn p und Konzentration proportional
sind , d. h. wenn dem gelösten Stoffe als solchem und als Gas
gleiche Molekulargröße zukommt. Ist dies nicht der Fall,
so finden (genügende Flüchtigkeit der gelösten Substanz vorausge-
setzt), sofort die grellsten Abweichungen von dieser Proportiona-
lität statt.
6 W. N ernst,
Als Beispiel von Stoffen, die in Lösung und als Gras gleiche
Molekulargröße besitzen , untersuchte ich Benzol und Chloroform
in ätherischer Lösung mittelst des Beckmann' sehen Siedeappa-
rats. Thatsächlich waren denn auch die beobachteten Siedepunkts-
erhöhungen der angewandten Konzentration proportional und um
20, bez. 10 % in beiden Fällen kleiner, als sich aus dem Moleku-
largewichte beider Substanzen unter Annahme von Nichtflüchtig-
keit berechnen würde.
Wir gehen jetzt zu den Messungen über, welche mit Anwen-
dung einer Substanz ausgeführt sind, die in Lösung und als Gas
in merklich verschiedenem Molekularzustande sich befindet. Als
Lösungsmittel wurde Benzol verwandt, als gelöste Substanz diente
Essigsäure, die nach den Gefrierpunktsbestimmungen sowie nach
den Resultaten, welche nach der Siedemethode mit anderen einba-
sischen organischen Säuren, wie Benzoesäure , Salicylsäure u. dgl.
erhalten sind und einen sicheren Analogieschluß gestatten, bei den
hier in Betracht kommenden Konzentrationen zum weitaus größten
Theile in Benzollösung bimolekular ist; in Dampfform hingegen,
wo ihr Dissociationszustand nach einer von Gibbs berechneten
Formel sich sehr genau für alle Drucke und ein großes Tempera-
turintervall berechnen läßt, werden wir sie, den Bedingungen der
Temperatur und der Druckverhältnisse entsprechend, erheblich
stärker in die normalen Moleküle dissoeiiert vorfinden.
Bei Ausführung der Messungen wurde das Hauptaugenmerk
auf Anwendung möglichst wasserfreier Substanzen gerichtet, weil
Gegenwart selbst nur geringer Spuren von Wasser die Dampf-
spannung der Lösungen aus mancherlei Gründen erheblich beein-
flussen muß. Demgemäß gelangte nur über Natiumdraht längere
Zeit getrocknetes Benzol und durch mehrmaliges Ausfrieren vor
jedem Versuch frisch gereinigte Essigsäure zur Verwendung. Es
gelang so in der That, in fünf Versuchsreihen gut miteinander
stimmende Resultate zu erhalten; zur Kontrolle des Apparats
wurde außerdem eine Bestimmung mit einer kaum flüchtigen Sub-
stanz (Diphenylamin) gemacht, die folgendes befriedigende Resul-
tat lieferte:
Tab. I.
Diphenylamin in Benzollösung.
m t M
1-51 0-229 175
3-11 0463 179
5-61 0-828 181
über das Henry'sche Gesetz. 7
m bedeutet die Anzahl g gelöster Substanz auf 100 g Benzol, t die
beobachtete Siedepunktserhöhung und M das nach der Formel
M = 267 ^
t
berechnete Molekulargewicht, welches sich nur wenig höher, der
geringen Flüchtigkeit des Diphenylamins entsprechend , als das
theoretische, 169, ergiebt.
Die Essigsäure wurde in der von Beckmann für Flüssig-
keiten vorgeschlagenen Weise *) in das siedende Benzol successive
eingeführt; auffallend war, daß sich, besonders bei größeren Kon-
zentrationen, der Siedepunkt der Lösung etwas träge konstant
einstellte, wie wenn es einiger Zeit bedurfte, damit das Gleichge-
wicht zwischen der in Lösung und im Gaszustande befindlichen
Essigsäure sich herstellte. Gleichwohl dürften die nun mitzuthei-
lenden Zahlen fast durchweg, besonders da sie großentheils das
Mittel aus mehreren gut mit einander stimmenden, unabhängigen
Versuchsreihen sind , bis auf weniger als O'Ol0 sicher sein. Der
Barometerstand schwankte bei allen Versuchen nur so wenig um
750 mm, daß er unbedenklich für alle Messungen diesem Mittel-
werthe gleichgesetzt werden kann, um so mehr, als ein außerdem
bei einem ungewöhnlich niedrigen Barometerstande, 730 mm, ausge-
führter Kontrollversuch keine merkliche Beeinflussung dieser großen
Schwankung des äußeren Druckes auf die beobachteten Siede-
punktsänderungen des Benzols durch Zusatz von Essigsäure er-
kennen ließ. Die Korrektion, welche infolge der durch die Ver-
dampfung der Essigsäure bedingten Konzentrationsänderung anzu-
bringen ist und sich aus der unten zu gewinnenden Kenntnis ihres
Partialdrucks und der Angabe, daß das Volum der Lösung und
dasjenige des Dampfraumes je ca. 50 cc betrug, leicht berechnet,
liegt vollkommen innerhalb der Versuchsfehler.
Tab. IL
Essigsäure in Benzol.
m
t
m
t
0150
-0-070
4-13
-0-066
0-663
-0-139
5-00
+ 0-032
1-64
-0-152
6-83
+ 0-063 Barome
1-87
-0-155
7-53
+ 0-118
2-60
-0132
8-42
+ 0-180.
1) Beckmann 1. c. 548.
8 W. Nernst,
Wie man sieht, ist von Proportionalität zwischen Konzentra-
tionen nnd Siedepunktsänderung t gar nicht die Rede; vielmehr
findet beim anfänglichen Zusatz eine Erniedrigung, beim weiteren
eine Erhöhung des Siedepunktes statt und wir dürfen aus dem
bloßen Anblick der Zahlen das erwartete Resultat schließen, daß
nämlich Essigsäure in den beiden Phasen des untersuchten Systems
sicherlich in merklich verschiedenem Molekularzustande sich be-
findet. Die strenge Berechnung wird uns sofort lehren, daß auch
quantitativ der absonderliche Verlaui der Zahlen der von der Theo-
rie geforderte ist.
Die Berechnung des Partialdruckes p der Essigsäure im Dampf-
raume geschieht nach Formel (7); a, die Aenderung des Dampf-
druckes des Benzols, welche einer Aenderung um 1° entspricht,
beträgt in der Nähe das dem Drucke von 750 mm entsprechenden
Temperaturpunktes der Dampf spannungskurve 22*0 mm, wie sich
aus der Formel (8)
78.93-4
a = 750
2 • 3532
berechnet. Die Anzahl Moleküle n der Essigsäure, welche auf N
Moleküle Benzol enthalten sind, ergiebt sich aus m, welche Größe
die Anzahl g Essigsäure auf N = -=q- Moleküle Benzol (78 =
Molekulargewicht des Benzols im Graszustande) bedeutet, und dem
Molekularzustande der Essigsäure im Benzol. Wie schon hervor-
gehoben , ist das Molekulargewicht der Essigsäure in Benzol
= 2x60 = 120 zu setzen (60 Molekulargewicht der Essigsäure
bei hoher Temperatur und niederem Druck im Gaszustande) , und
bedeutet x den Dissociationskoefficienten der Doppelmoleküle, so
wird
(1+*).
120
Da Essigsäure bei den hier in Betracht kommenden Konzentrationen
nur wenig dissociiert ist, so spielt x die Rolle einer Korrektionsgröße,
deren angenäherte Kenntnis wir uns aus den Gefrierpunktsbeobach-
tungen dieses Stoffes inBenzol sowie besonders aus denMessungen ver-
schaffen, welche Beckmann1) an der Benzoesäure, die sich sicher-
lich analog der Essigsäure verhält, angestellt hat. Wir schließen
daraus , daß letzterer Stoff bei dem m = 0*663 entsprechenden
1) E. Beckmann, Zeitschr. f. physikal. Chem. 6. 440 (1890).
über das Henry'sche Gesetz.
9
Gehalte zu rund 10 % dissociiert ist. Für die anderen Konzen-
trationen berechnet sich dann der Dissociationskoefficient aus der
Gleichung der Dissociationsisotherme
Setzen wir also
mx
T^x
0-663 »0-1'
0-9
m
120
(1 + x)
100 , m
W+12Ö(1 + ^
m (1 + x)
154*4 + m(l + x)
(9)
wo wir x im Nenner unbedenklich vernachlässigen können, so wird
p = 750v-22-2*(l— i/) mm Quecksüber. (10)
Wir berechnen so folgende Partialdrucke der Essigsäure, welche
den einzeln Konzentrationen entsprechen und unter p ber. 1 ver-
zeichnet sind.
Tab. in.
Partialdruck des E ssigsäur edampf es über dessen
Lösung in Benzol bei 80°.
m
X
P
ber. 1
P
ber. 2
z/
i
0-150
0-20
2-4
2-6
2-24
0-87
0-663
o-io
6-6
6-5
2-44
0-70
1-64
0-065
11-8
11-6
2-61
0 60
1-87
0-061
12-9
12-6
2-63
0-58
2-60
0-055
16-1
15-7
2-71
0-54
413
0-042
21-8
21-4
2-81
0-48
5-00
0-038
23-6
23-9
2-83
0-47
6-83
0-033
31-4
31-1
2-96
0-40
7-53
0-031
33-5
33-4
2-99
0-38
8-42
0-029
36-4
36-5
302
0-36
Was die Genauigkeit der nach Formel (10) berechneten Werthe
von p anlangt , so ist zu beachten , daß ein Fehler von 001° in
der Bestimmung von t in p mit einem Fehler von 0*2 mm Queck-
silber eingeht; es darf wohl betont werden, daß einem Versuche,
auf gewöhnliche Weise den Dampfdruck einer Lösung so genau zu
messen, kaum überwindliche Schwierigkeiten gegenüberstehen, wie
ich überhaupt der Meinung bin, daß mit Hülfe des ausgezeichneten
Siedeapparates von Beckmann sich Absorptionskoefficienten
häufig einfacher und viel genauer werden bestimmen lassen, als
10 W. Nernst,
nach, irgend einer anderen Methode. Der Partialdruck des Ben-
zols ergiebt sich natürlich zu 750 — p.
Man ersieht aus Tab. III sofort, daß Proportionalität zwischen
m und p im Sinne des Henry' sehen Gesetzes in der gewöhn-
lichen Fassung nicht einmal angenähert stattfindet; wohl aber
muß das Gesetz nach dem eingangs aufgeführten Satze gelten,
wenn man eine bestimmte Molekülgattung, etwa die normale, welche
der Formel CH3COOH entspricht, in Betracht zieht.
In Lösung ist nun die Anzahl normaler Moleküle
l/Sää m v^r=5)
m
1 m
proportional. Für den Gaszustand berechnet sich der Dissociations-
koefficient { aus der Dampfdichte A zu
(ii) l = -^^
wo 4*146 der dem Werte J = 0 entsprechende Grenzwert der
Dampfdichte der Essigsäure darstellt; für die Abhängigkeit der
Dampfdichte von Temperatur und Druck hat Gibbs1) folgende
Formel gegeben:
(12) log mlß^y/ = -^~ 11*349
worin T die absolute Temperatur bedeutet, welcher Ausdruck sich
den zahlreichen Messungen von Bineau, Naumann, Horst-
mann u. A. gut anschließt.
Wenn wir T = 273 + 80 einsetzen (80° Siedepunkt des Ben-
zols), so wird
^-2-073
(7-146 -A)p2
eine Gleichung, welche die bekannte Form der Dissociationsiso-
therme besitzt und deren Berechnung zu den in Kolumne V ver-
zeichneten Werthen von z/ und mit Hinzuziehung von Gl. (11) zu
den in Kolumne VI verzeichneten Werthen von | führt.
Die Anzahl normaler Moleküle in der Volumeinheit des Dampfes
der Essigsäure ist nun proportional dem Produkte aus der in der
Volumeinheit befindlichen Masse des Dampfes und seinem Disso-
1) W. Gibbs, Sil. Journ. 18. 371 (1879).
über das Henry'sche Gesetz. 11
ciationskoefficienten, also proportional dem Ausdruck
A 4-146 — ^ fA^Aa a\
Jp — = #(4*146—^).
Die Gültigkeit des Henry' sehen Gesetzes in der eingangs dar-
gelegten Fassung verlangt also Proportionalität zwischen den Aus-
drücken
\Jm(l-x) und i?(4-146-z/).
Thatsächlich finden wir denn auch, daß die nach Formel
p == 14-4 ^. -. L — -4- mm Quecksilber (13)
berechneten, in Kolumne IV der Tabelle III verzeichneten Druck-
werthe mit dem unmittelbaren Ergebnis des Experiments in aus-
gezeichneter Weise übereinstimmen. Diese Messungen im Verein
mit den über die Vertheilung eines Stoffes zwischen zwei Lösungs-
mitteln angestellten beweisen wohl zur Genüge, daß der Satz über
die Konstanz der Theilungskoeffizienten einer bestimmten Mole-
külgattung zwischen zwei Phasen zu mit der Erfahrung völlig
stimmenden Resultaten führt.
Der Proportionalitätsfaktor 14*4 entspricht (bei Berücksichti-
gung des in Gl. (13) befolgten Maaßsystems) dem Löslichkeitskoef-
fizienten der (CH3COOH)- Moleküle; natürlich kann in gleicher
Weise auch der Löslichkeitskoefficient der (CH3 COOH)2 - Moleküle
gefunden werden. Vernachlässigt wurde in den obigen Rechnun-
gen die bei den geringen Temperaturänderungen jedenfalls nur
äußerst geringe Aenderung des Löslichkeitkoefficienten mit der
Temperatur.
Einen zweiten Fall, der in genau der gleichen Weise behan-
delt werden kann, verdanke ich der gütigen Mittheilung von Herrn
Professor Dr. Beckmann in Leipzig, welcher bei Zusatz von
Wasser zu siedendem Aether folgende Siedepunktserniedrigungen
erhielt:
Tab. IV.
Wasser in Aether.
m
0-429
1-032
1-315
t
-0-206
—0*206 Barometerstand =
-0-324.
752 mm
12 W. Nernst,
Man sieht auch hier, daß zwischen m und t durchaus keine
Proportionalität stattfindet, daß also Wasser unter den Bedingun-
gen des Versuchs in Aether gelöst und als Gas nicht in gleichem
Molekularzustande sich befindet. Im Wasserdampfe kommen nach
Avogadro's Gesetz nun fast ausschließlich H2O- Moleküle vor,
wenn auch der ein wenig größer als dem Molekulargewichte 18
entsprechend gefundene Werth der Dampfdichte auf Bildung von
Doppelmolekülen in sehr geringer Anzahl hindeutet. Es muß dem-
nach das Wasser im Aether in einem anderen Molekularzustande
wie dem normalen vorkommen.
Dies Resultat können wir auf einem unabhängigen zweiten
Wege bestätigen. Bei der dritten Beobachtung nämlich war der
Aether mit Wasser gesättigt; der Werth m = 1*315 ist von mir
mit Hülfe der von Walker1) neulich bis zu 30° gemessenen Lös-
lichkeit des Wassers in Aether mittelst einer kleinen Extrapola-
tion bis auf 35*2° berechnet worden. Nun können wir den Partial-
druck des Wasserdampfes über mit Wasser gesättigten Aether
anderweitig berechnen; er ist nämlich gleich dem Partialdruck
des Wasserdampfes über mit Aether gesättigten Wasser bei der
gleichen Temperatur und dieser ergiebt sich, indem wir beachten,
daß durch die 9 % Aether, welche vom Wasser bei 35*2° gelöst
werden, der Dampfdruck des reinen Wassers bei dieser Tempe-
ratur, 40*0 mm, um 2*5 % erniedrigt wird, zu 39*0 mm. Der Par-
tialdruck des Aether s war nun bei dem dritten Versuch gleich
752*0 — 39*0 = 718 mm; der Dampfdruck des reinen Aethers würde
bei einer Temperaturerniedrigung um 0,324°
752- 26-7 x 0324 = 743*4 mm Quecksilber
betragen, weil der Dampfdruck des Aethers in der Nähe von 35*5°
für 1° Temperaturerniedrigung um 26*7 mm sinkt. Aus der van
't Hoff sehen Dampfdruckformel finden wir, daß
743-4 - 713 _0.0426
713
beträgt, d. h. daß beim dritten Versuch auf 100 Molekele Aether
4'26 Wassermoleküle gelöst waren.
Wäre nun Wasser im Aether in Gestalt von Doppelmolekülen
vorhanden, so müßte die relative Dampfspannungserniedrigung
1-315-74 _0.0270
36-100 -00270
1) Walker, Zeitschr. physik. Chem. B. 196 (1890).
über das Henry'sche Gesetz.
13
betragen, und sie würde doppelt so groß sein, wenn Wasser im
Aetlier in Gestalt von normalen Molekülen gelöst wäre. Aus dem
obigen Werth berechnet sich nun , daß bei dieser Konzentration
der Dissociationskoeffizient 0*58 beträgt.
Für die beiden geringeren Konzentrationen läßt sich der Par-
tialdruck des Wasserdampfes über der Lösung wiederum auf zwei
Wegen berechnen; zunächst aus den beobachteten Siedepunktser-
niedrigungen nach Gl. (7) , wo x für die betreffenden beiden Kon-
zentrationen nach der Gleichung der Dissociationsisotherme zu er-
mitteln ist; sodann mit Hülfe des Vertheilungssatzes, demzufolge
p der Anzahl der normalen Wassermoleküle proportional, also
gleich
39-0
mx
1-315. 0-58
sein muß. Auf diese Weise gelangen wir zu
Tab. V.
Partialdruck des Wasserdampfes über dessenLösung
in Aether bei 35*3°.
m
X
P
ber. 1
V
ber. 2
1-315
1-032
0-429
0-58
0-62
0-76
39-0
31-7
170
39-0
32-8
16-8
Die Uebereinstimmung zwischen den auf zwei Wegen berechneten
^-Werthen kann wohl als genügend angesehen werden. Jeden-
falls setzen es die obigen Zahlen außer Zweifel, daß Wasser in
Aether gelöst zum größeren Theile aus normalen Molekülen be-
steht, weil andernfalls die Abhängigkeit der beobachteten Siede-
punktserniedrigungen von der Konzentration eine gänzlich andere
sein müßte.
Den obigen Messungen entnehmen wir gleichzeitig das prak-
tische Resultat, daß auch bei Anwendung flüchtiger Stoffe als ge-
löster Körper der Beckmann' sehe Siedeapparat sichere Auskunft
über den Molekularzustand derselben zu liefern und uns gleich-
zeitig in den Besitz ihrer Absorptionskoefficienten zu setzen im
Stande ist.
Es sei zum Schluß noch darauf hingewiesen , daß, obwohl die
von mir gewählte Fassung des Vertheilungssatzes an molekulare
14 W. N ernst, über das Henry'sche Gesetz.
Vorstellungen anknüpft, er gleichwohl von diesen unabhängig ist,
und daß alle Folgerungen aus ihm auch dann bestehen bleiben
würden , wenn man Avogadro's Satz für Lösungen als nicht
gültig annähme. Mit der Bezeichnung, ein Stoff hat in zwei ver-
schiedenen Phasen gleiche Molekulargröße oder nicht , ist nämlich
im Obigen wie früher bei ähnlicher Gelegenheit1) keine andere
Vorstellung verbunden, als daß der betreffende Stoff in diesen bei-
den Phasen unter Partialdrucken steht, die sich wie seine Kon-
zentrationen verhalten oder nicht, oder, allgemeiner ausgedrückt,
daß die Aenderungen der freien Energie einer bestimmten Menge
des Stoffes bei gleicher procentischer Konzentrationsänderung in
beiden Phasen gleich sind oder nicht. Der methodische Verstoß,
welchen ich hierdurch gegen das Grundprinzip der Naturwissen-
schaft, niemals mit einem größeren Aufwand an Hypothese zu ope-
rieren, als unbedingt für den vorliegenden Zweck erforderlich, be-
gangen habe, möge im Hinblick darauf entschuldigt werden, daß
durch Hinzuziehung molekularer Vorstellungen die Darstellung
an Anschaulichkeit und der Ausdruck an Kürze ungemein ge-
winnt.
Physikal. Inst. GrÖttingen. Februar 1891.
1) Nernst, Zeitschr. f. physik. Chem. 6. 17 (1890).
Ueber Discriminanten und Eesultanten von
Singularitätengleichungen.
Von
Franz Meyer in Clausthal.
(Vierte Mittheilung1).
Vorgelegt von F. Klein.
In zwei voraufgegangenen Mittheilungen sind für rationale
Raumcurven Rsn die Hyperosculationsebenen ,,ctic', die Schmiegungs-
berührebenen „a3ß2" und die Treiftangenten „(cc2ß)" bezüglich der
Coincidenzen ihrer Stellen a untersucht worden.
1) Vgl. diese Nachrichten. 1888 No. 5, 1890 No. 10, 1890 No. 15.
Franz Meyer, Singularitätengleichungen. 15
Im Nachfolgenden sollen die zwei . noch übrigen Elementar-
singularitäten einer Raumcurve, nämlich die Tritangentialebenen
va*ß2yiu und die Quadrisecanten „(ccßyd)" in demselben Sinne ihre
Erledigung finden, sowohl in ihren Beziehungen zu einander, wie
zu den drei ersterwähnten Singularitäten.
Man wird wiederum die Discriminanten und Resultanten der
binären Formen , welche , gleich Null gesetzt , die Werthe a zu
Wurzeln besitzen , in Elementarfactoren auflösen , welche in dem
zu Grunde gelegten Rationalitätsbereiche der Größen d irredu-
cibel sind.
Zu dem Zwecke sind vorerst die Grade der gemeinten Ele-
mentarfactoren in den d festzustellen.
Hierzu erweisen sich indessen die bisher angewandten Hülfs-
mittel als nicht völlig zureichend, insofern bei einer Reihe von
Zerlegungen immer je ein Factor übrigbleibt, für den eine directe
Gradbestimmung auf unüberwindliche Schwierigkeiten zu stoßen
scheint.
Man kann jedoch diese Schwierigkeiten umgehen sobald man
die früher auseinandergesetzte Methode des Projicirens in geeig-
neter Weise mit dem Chasles'schen Correspondenzprincip ver-
knüpft. Dadurch gelingt es , zwischen der jedesmal gesuchten
Gradzahl und anderen, bereits bekannten eine Relation herzu-
stellen.
Es möge das Verfahren an dem Beispiel der Discriminante
der Tritangentialebenen -Form [a2/32y2] ausführlicher erläutert
werden.
Wie die geometrische Anschauung zeigt, existiren hier fünf
verschiedene Möglichkeiten für ein (durch je eine einzige Bedin-
gung herbeigeführtes) Zusammenrücken zweier Berührstellen.
Erstlich können zwei der Tritangentialebenen in der Weise
consecutiv werden, daß die drei Berührungspunkte auf deren
Schnittlinie zu liegen kommen (sodaß die letztere eine Trisecante
der Curve i2* wird).
Sodann können sich vier solcher Ebenen zu einer einzigen,
viermal berührenden Ebene vereinigen. Des Weiteren zwei solcher
Ebenen zu einer einmal osculirenden und noch zweimal berüh-
renden.
Viertens kann eine Coincidenz zweier Berührstellen ein und
derselben Tritangentialebene eintreten, sodaß die letztere einmal
hyperosculirt und außerdem noch einmal berührt.
Endlich kann es noch vorkommen, daß durch eine Tangente
16 Franz Meyer,
der Curve zwei verschiedene Ebenen gehen, welche je noch zwei-
mal berühren.
Man hat demnach, bei der eingeführten Bezeichnnngsweise,
für die Discriminante D[a2ß2y2] den Zerlegungsansatz:
wo die Exponenten a, b, c, d, e zu bestimmende ganze positive
Zahlen sind.
Nun lassen sich die Grade der vier ersten Elementarfactoren,
wie auch der Discriminante selbst, unter Benutzung der früher
angegebenen Hülfsmittel finden (vgl. die weiter unten aufgestellte
Tabelle) und es ist nur der letzte Factor rechterhand , dem man
so nicht beikommen kann.
Zuvörderst denken wir uns wiederum im vierdimensionalen
Räume eine punktallgemeine 22J nebst einer beliebigen Geraden
g und fragen: Von wieviel Punkten P auf g läßt sich die P* so
in eine P* projiciren, daß die letztere der invarianten Bedingung
cc*ß*y*, cfßly]] = 0 genügt? Die Anzahl derartiger Punkte P ist
zugleich der Grad der in Hede stehenden Invariante in den d.
Man construire nunmehr auf der Curve P* folgende Correspon-
denz. Durch irgend eine Tangente ((«J)) lassen sich 2(w — 4)(w — 5)
Räume M3 legen, welche die Curve noch zweimal berühren. Diese
Räume M3 treffen die Gerade g in ebensoviel Punkten Q. Von
jedem solchen Punkte Q gehen , außer der jeweils ihn ausschnei-
denden M3 noch J(« — 3)(w — 4)(w — 5) — 1 weitere aus, welche die
P* gleichfalls dreimal berühren. Ein Berührungspunkt der letz-
teren Art heiße ß.
Dadurch entsprechen irgend einer Stelle a auf P* im Ganzen
2(rc— 4)0— 5)j4(w— 3)(n— 4)(n— 5) — 3} Stellen ß und umgekehrt,
und es müssen demnach doppelt so viele Coincidenzen a = ß
existiren.
Diese Coincidenzen zerfallen in vier getrennte Klassen.
Die erste besteht aus Tripeln ccv a2, cc3, in denen eine M
die P* berührt und deren Verbindungsebene (av a9, a3) zugleich
g trifft. Jede Stelle a repräsentirt eine einfache Coincidenz.
Die zweite enthält die Quadrupel av cc2, a3, a4, in denen eine
M3 die P* berührt. Eine derartige Stelle cc zählt aber als Coin-
cidenz sechsfach. Denn durch eine Tangente ((aj)) gehen zunächst
die drei M3 : cc\cclal, «Ja'a^, a\a\a\. Greift man aus diesen etwa
die erste heraus, so passiren durch den Treffpunkt Q auf g außer
Singularitätengleichungen. 17
ihr noch zwei MB1 welche die Curve in ax und zudem noch zwei-
mal berühren, nämlich a2^«2,, a\alal.
Die dritte Klasse umfaßt diejenigen Stellen a, wo eine M3
osculirt und überdies noch zweimal , etwa in y und d, berührt.
Coincidenzen dieser Klasse sind siebenfach zu rechnen. Zuvörderst
entfällt von den durch eine Tangente ((a2)) legbaren Tritangen-
tial-M 3 der iü* nur eine einzige in die vorliegende : [a8y2 d2] (wie
an dem Beispiel einer JRJ leicht direct bestätigt werden kann),
dagegen durch den Treffpunkt Q auf g außer jener noch eine zweite,
wie aus dem früher studirten Verhalten der Discriminante D[cc3ß2]
hervorgeht.
Andererseits lehrt das für die Discriminante der zu einer R2n
gehörigen Doppeltangentenform [cc2ß2] Hergeleitete, daß von den
Tritangential-Jfg der R*n, welche sich in einer Tangente ((y2))
schneiden, genau zwei mit asy2d2 zur Deckung kommen, während
von dem Treffpunkt Q auf g das Nämliche gilt, wie oben. Trotz-
dem zählt die Coincidenz y wiederum dreifach (wegen des Hin-
einrückens einer Verzweigung).
Wiederholt man die letzte Betrachtung für die Stelle d, so
erkennt man in der That, daß unsere Coincidenz 1 + 3 + 3 = 7-
mal zählt.
Der letzten Klasse endlich gehören die Stellen a an, für
welche es zwei getrennte M3 : cc2y2d2, a2y\8\ giebt , deren gemein-
same Ebene die Gerade g trifft.
Offenbar sind das doppelt zählende Coincidenzen. Projicirt
man der Reihe nach für jede Klasse die .ß* von einem entspre-
chenden Punkte Q auf g, so ist die Projectionscurve R3n der Art,
daß für sie jeweils der erste, zweite, dritte und fünfte Elementar-
factor der für D[cc2ß2y2] angesetzten Zerlegung verschwindet.
Entnimmt man jetzt der Tabelle C die Grade der drei erst-
genannten Factoren, so bestimmt sich vermöge des Correspon-
denzprincips der Grad des letzten:
WV,«1^] = 2(w-4)(n-B)J4(n-3)(n-4)(n-6)-3}
-3(w-2)(w-4)(n-5)
-21(n-4)(n-B)(w-6)-8(n-4)(n-B)(n-6)(n-7)
= 2 (n-4) (n-5) (4 w8~ 52 wa + 228 n - 345).
■ Das gefundene Ergebniß läßt sich noch auf eine zweite Art
begründen, indem man sich eine ähnliche Correspondenz, statt auf
der Curve .ß*, auf der Geraden g bildet.
Nachrichten ton der K. O. d. W. in UöUingen. 1891. Nr. 1. 2
18 Franz Meyer,
Durch einen Punkt P auf g gehen f(w— 3)(w— 4)(n— 5) Jf3
von Typus a2ß2y2 ; man lege durch die Tangente ((a2)) die weiteren
Ms : a2/???'2, welche g in Punkten $ treffen mögen. So entsprechen
jedem Punkte P 4(n-3) (w -4) (n-5) { 2 (w-4)(»-5) - l) Punkte
Q u. umg., sodaß die Anzahl der Coincidenzen P = Q doppelt so
groß ist.
Man hat wiederum vier Klassen von Coincidenzen. Entweder
wird die P* von der Tangente ((a2)) aus in eine P2 mit Selbst-
berührung projicirt — solcher Stellen a giebt es 2(n— 4).2(w — 3)
(n — 5) — oder von einem Punkte P = Q aus in eine R3n mit einer
.M, : cfßYdl resp. a8/3y oder endlich mit einem lf2-Paare : a2ß2y2,
a2ß\y\- Diese vier Arten von Coincidenzen zählen der Reihe nach
einfach, 4.3.2 = 24 fach, 3 + 3 = 6 fach, 1 + 1 = 2 fach. So-
mit liefert das Correspondenzprincip als Grad der Invariante
[a2ßY , a2ß\y\] die obige Zahl :
4(w_3(n_4)(M_5) {2(»-4)(n-5) - 1 } - 8(n-4)(n-5)(n-6)(n-7)
- 18(n-4)(n-B)(n-6)- 4(n-3)(n-4)(w-B)
» 2(w-4)(n-5)(4n3~52w2 + 228w-345)
#. e. d.
Nunmehr lassen sich die unbekannten Exponenten a, b, c, d, e
des Zerlegungsansatzes :
durch Auflösung einfacher diophantischer Gleichungen ermitteln.
Nach Gleichsetzung der beiderseitigen Grade und Weglassung
des gemeinsamen Factors 2(w— 4)(w— 5) kommt:
8(n-3)(n-4)(n-5)-2 = (a- ^)(n-2) + ^y^(n-6)(n--7)
+ 3(c- ^ (W«6) +4e (n-3)(n-4)(n-B) - Be + 4d.
Der Coefficient von n3 ist links 8, rechts 4e, mithin e = 2.
Setzt man dies ein, so bleibt:
0 = (a-3)(n-2) + 5^^(n-6)(ii-7) + 3(c--7)(n--6)-4(l--(l).
Singularitätengleichungen. 19
Da der Coefficient von ri* verschwinden muß, so gilt b = 24.
Für n = 6 ergiebt sich 4(a— 3) = 4(1— d), oder a+d =4,
während für n = 2 : 3(7— c) = 1— d wird.
Von den drei Möglichkeiten a = 3, d = 1 ; a = d = 2 ; a == 1,
cZ = 3 sind die beiden letzteren auszuschließen, da sie keinen
ganzzahligen Werth von c zulassen würden.
d = 1 hat aber c = 7 zur Folge.
Demnach existirt nur das einzige Lösungssystem:
a = 3, 6 = 24, c = 7, d =w 1, 6 = 2.
Was die weiteren Zerlegungen unserer Discriminanten und
Resultanten angeht, so möge nunmehr eine kürzere Fassung ge-
stattet sein.
Für die Discriminante der Quadrisecantenform besteht die vor-
läufige Zerfällung:
D[(*ßyä)} = [(«/WN(«/WP[(«2/W-
+ [(M))r""""""-"<-S>. [(aßyö), mM
wo die Zahl d ev. auch rational sein könnte.
Der erste Factor entspricht der Erscheinung, daß zwei Qua-
drisecanten consecutiv werden (ohne sich jedoch zu schneiden);
die übrigen sind ohne Weiteres zu interpretiren. Der Grad des
fünften Factors wird wieder indirect vermöge einer geeigneten Corre-
spondenz auf der Curve JR* gewonnen, und nimmt den Werth an:
|(w~2)(n-3)(W-4){TV(w-2)(W-3)2(^-4)-li
-(n-l)(w-2)(w-4)(n-5)
~f (w-2)(w-3)(w-4)>~5) - £(ra-l)(w-2)2(w-3)(w-4)(n-5)
= ^(w-2)(w-4)(w-5)(w-6)(8w3~41wa + 30w + 111).
Durch Gradvergleichung und Weglassung des Factors (n— 2
(w— 4) gelangt man jetzt zur Identität:
2*
20 Franz Meyer,
|(»-3) U(w-2)(W-3)2(«-4)-l} = ±^£(„_1)(W_5)
+ m^(n-3)(n-4)(»-6) + 2c(n-3) + —, fc* (m-1) (w-2)(»-6)
+ ±(„_2)(,,_8)'(»-4)-^-(»-8).
Die Grleichsetzung der Coefficienten von w5 giebt e = 2. Da-
mit verwandelt sich die Identität in:
0 = £=i(n-l)(n-6) + ^^(n-3)(n-4)(n-6)
+ ^(»-l)(*-2)(n-6)
+ 2(c-l)(n-3).
Für n = 5 schließt man c = 1, sodann für n = 1 : & = 60,
endlich für n = 2 : a = 4, was von selbst d = 1 zur Folge hat.
Es resultirt daher das einzige Werthsystem :
a = 4, 6 = 60, c = 1, <I = 1, e = 2.
Von den zehn Resultanten der fünf Singularitätenformen sind
uns drei bereits von früher her bekannt ; weitere drei stellen sich
als irreducibel heraus , sodaß nur noch vier Zerlegungen in Be-
tracht kommen.
Dies sind erstens B[u*, cc2ß2y2] ; zweitens R[a8ß2, a2ß2y2] ; drittens
R[(aßyd), (*2ß)l viertens R[a2ß2y2,(cc2ß)].
Erstens. JR[a4, a.2ß2y2] = [«*, a2ß2y2 ]1. [a*ß2]\
12(fl-3)(n-4)(n-6) = 4a(»-4)(w-B)(3n-ll) + 85(n-4)(w-B).
a = 1, 6 = 1.
Zweitens. 12 [a3/32, a20V] = [a3d2, a2ß2y2f . [a^2]6 . [asß2y2]e.
20(w-3)(w-4)2(w-5) = 4a(w-4)(w-5)(5w2-38ra + 74)
+ 8& (n-4) (n-5) + 6c (w-4) (w-5) (n-6).
a = 1, & = 2, c = 2.
Drittens. J5[(a/Jy*), (a2/?)] = ((«/3))a(n-3)(n-4). [(«2^)]J. [(aftrf), (a2*)]'.
Singularitätengleichungen. 21
(n-2)2 (n-3)2 (n-4) = |(n-l)(n-2)(n-3)(n-4)
+ 2 & (n-2) (n-3) (n-4) + c (n- }) (n-2) (n-3) (n-4) (n-5).
a = 1, 6 — 2, c = 1.
Viertens i2[a20V,(a2/3)] = [«W» («W • kW» («' W •
8(n-2)(n-3)(n-4)(n-5) = 12a (n-2) (n-4) (n-5)
+ 86 (n-2) (n-4) (n-5) (n-6).
a = 2, & = 1.
Im dritten Falle ist der letzte Elementarfactor, in den beiden
ersten jedesmal der erste indirect untersucht worden , wiederum
mit Hülfe von Correspondenzen auf der jR*.
In den folgenden drei Tabellen stellen wir noch einmal alle
Ergebnisse übersichtlich zusammen ; in der ersten die fünf Singu-
laritätenformen mit ihren Graden in a, wie in den d, in der
zweiten die Zerlegungen der fünf Discriminanten und zehn Resul-
tanten, in der letzten endlich der 24 Elementarfactoren Gewichte
(aus denen vermöge Streichung des Factors 2(n— 3) die bez. Grade
hervorgehen), geordnet nach dem Grade in n.
Tabelle A.
Die fünf Singularitätenformen.
Grad in a. Grad in den d.
Ebenen [a4] 4(n-3) 1
, t [tfßP] 6(n-3)(n-4) 2 (n-4)
, , [aYf] 4(n-3)(n-4)(n-5) 2(n-4)(n-5)
Gerade [(a2ß)] 2(»-2)(n-3) n-2
, . H«A^)] i(n-2)(n-3)2(n-4) } (n-2) (n-3) (n-4).
Tabelle ß.
Die Zerlegungen der fünf Discriminanten und zehn Resultanten.
Discriminanten.
£[«'] =[(«»)] -KJ-
£[«30. = [(„.)]».-»(..-..[«.] . [„.£«] . [«.0«]. . [a'ß'y'y . [a'ß't (a'ß)]
£ [a'ßy] = K/jy , (aßv)Y [«WT [«'ßYY MD • [« W, «VW ■
£ [(«»/?)] = [(«»)] • [(a'ßy)}' [((aß))}' [«'/»', («>ß)] ■
D[(aßy6)] = [(aßyd)']'{(«ßy6e))'° [(«'/3y)] [{(^))]* '*"" '*"" '""*' '"""[(«(Sy*), («ßjA)]'
22 Franz Meyer,
Resultanten.
R
R
R
R
R
R
R
R
R
R
M, [«W} = [«•«•[(«•)],0,"]o.[«T-
M,[«WH = K«WH«W
M,[(«/Jy*)]| =K«^)].
[«•fl, [* w ] ! = [<*3<?2, « wi M*2]2 • [«WJ2
[«3A[(«W]| = [(«3)]2(n-4)[«3^(^)]2-W2J(«V)]
[«•nK«/^)]} =[«•*", («fr*)]
[« W], [(u*ß)] ) = [(a*d), « W] • [(«W, « W]2
[«f/jy],[(«/Jyd)]| - [«VC', («fr*)]
[(«•«], K«A^)]} = [((^))f-3)(w-n(«2fr)]2-[(«^),(^)].
Tabelle C.
Gre wicht e der 24 Invarianten.
1. [O 10(n— 3)(n-4)
2. [(O] 6(n-2)(w-3)
3. [a4/32] 16 (n- 3) 0-4) 0-5)
4. [a303] 9(n-3)(n-4)(n-5)
5. [a4,(«V)] 12 0-2)0-3)0-4)
6. [«3/32? 02/3)] 140-2)0-3)0-4)
7. [((«/*))] o_i)(w_2)0-3)
8. [«W] 12 0-3) 0-4) 0-5) 0-6)
9. [<*>W] 8(n-3)(n-4)(w-5)(3n-ll)
10. [a2^y,(«fr)] 40-2)0-3)0-4)0-5)
11. [(«V), «OT 20 (w~2) (w- 3) o -4) 0-5)
12. [02/3y)] 4(w^_2)0-3)20-4)
13. [«¥V,(«V)] 240-2)0-3)0-4)0-5)
14. [a2/3ya2] |0-3)0-4)0-5)0-5)0-7)
15. [«3tf2, cfßY] 80-3)0-4) 0-5) (5w2-38w + 74)
16. [(a2ö),a2ßY] 160-2)0-3)0-4)0-5)0-6)
17. [«*, («fort)] H(n_2)0-3)30-4)
18. [(ccßydy] 0-1) (w-2) 0- 3) 0-4) 0-5)
SingularitäteDgleichungeD. 23
19. [a'ßY, a'ßlyl] 4(n-3)(n-4)(n-5) (4w3-52w3-f228n-345)
20. [«V, (aßyd)] f (n-2) (w-3)3 (n-4)2
21. [(a2*), (ctfytf)] (2n-l)(n-2) (w-3)2(n-4) (n-5)
22. ' [(aßyds)] T\ (n-2) (w-3)2 (w-4)2) (n-5)
23. [«VJ", (aßyd)] 4(w-2)(rc-3)3(rc-4)2(w-5)
24. [(«^),(a/3iridO]¥V(w-2)(w~3)(w-4)(w-5)(w-6)(8n3-.41n2+30w+lll),
Man bemerkt, daß die an den Gewichtszahlen der früher be-
rechneten zehn Invarianten gemachten Beobachtungen zum Theil
auch für die neu hinzutretenden dreizehn Bildungen gültig bleiben,
zum Theil aber auch verloren gehn.
Nach wie vor ist der Grad in n um die Einheit größer, als
die Anzahl der jedesmal links stehenden, von einander verschie-
denen Argumente. Dem Auftreten der linearen Factoren (n— 1),
(n — 2), (n—S), ... entspricht es, daß das bez. singulare Ereigniß bei
Curven von der Ordnung 1, 2, 3 . . . noch nicht eintreten kann,
während umgekehrt das Fehlen des Factors n—1 resp. n— 2 ein
Zeichen dafür ist, daß die Gerade resp. der Kegelschnit die ge-
meinte Singularität (in uneigentlichem Sinne) zuläßt.
Dagegen stößt man jetzt in einigen Fällen auch auf rationale
Factoren von der Form na, wo a nicht mehr ganzzahlig ist,
wie n — % (No. 9) und n — ~ (No. 21), weiterhin auf quadratische
und cubische Factoren der Art (No. 15, 19, 24), die einer Zer-
spanung in rationale Linearfactoren widerstehn. Endlich kann
auch da, wo nur Factoren vom Typus n — 1, n — 2, n — 3 . . .
eingehen, die Symmetrie nach der Mitte hin aufgehoben sein, wie
bei No. 20, 23.
Wir gehen dazu über, nach Anleitung der letzten Mitthei-
lung auch für die neu gewonnenen Zerlegungen die Vielfachheit
der einzelnen Elementarfactoren unmittelbar aus dem Verhalten
der Anfangsglieder der Singularitätenformen selbst zu erkennen.
Indessen mag die Vorführung der Fälle, in denen der betr. Ex-
ponent die Einheit übersteigt, genügen.
Handelt es sich also z. B. um die Singularität cc'ß*, so mache
man die linken Seiten der Bedingungen, welche nothwendig und
hinreichend sind, damit dieselbe in der canonischen Form 04 /39 ein-
trete , mit einer beliebig kleinen Größe s proportional , und ent-
wickele die betheiligten Singularitätenformen nach aufsteigenden
24 Franz Meyer,
Potenzen von a soweit, als die successiven Coefficienten den Factor
8 (ein oder mehrmals) zulassen. So hat man hier:
[«*] = £ + . . .; [a5ß2] = s + aea + . . .; [a2ß2y2] = s + beu + . . .
sodaß die Resultante der ersten und zweiten, wie der ersten und
dritten Form, ferner die Discriminanten der beiden letzten Formen
mit der ersten Potenz von s vergleichbar werden, und allein die
Resultante der beiden letzten Formen mit der zweiten Potenz
von s. Damit weiß man zugleich, daß der Elementarfactor [a*ß2]
überall nur einmal auftritt , ausgenommen die Zerlegung von
J? { [a*/32], [c^2/32y2] j , wo er sich zum Quadrat erhebt.
Danach sollen die noch in Frage kommenden Vielfachheiten
der Reihe nach kurz erledigt werden.
No. 8. [a'jffy]. Zunächst kommt, bei Verlegung von a nach
der Stelle Null:
[a'ß2] = s2 + asa+. . .; [a2ß2y2] = s + bsa+. . .
Somit steigt s in der Discriminante der ersten, wie in der
Resultante beider Formen bis zum zweiten Grade an. Dagegen
ist für die Discriminante von [oc2ß2y2] die erste Potenz von s erst
ein einzelner Beitrag. Die beiden weiteren Beiträge erzielt man,
wenn man nunmehr ß resp. y zur Stelle Null macht. Dann wird:
[a2ß2y2] = s2 + ecß + . . . , [cc*ß2y2] = s2 + edy + . . .
es muß indessen, wie eine genauere Untersuchung lehrt, ganz wie
bei n = 2, beidemal die dritte Potenz von e als Factor berücksichtigt
werden. So entsteht durch Zusammenfassung die 1 + 3 + 3 = 7te
Potenz von [ccsß2y2], wie die Tabelle JB bestätigt.
No. 10. [a2/3y, (aßy)]. Jede der drei Stellen cc, ß, y ist gleich-
berechtigt. Man hat etwa für a = 0:
[a2ß2y2 ] = s + aect + . . .
und die Discriminante wird also s zur ersten, somit allgemein den
Factor [cc2ß2y2, (aßy)] zur 3 . 1 = 3ten Potenz enthalten.
Dieselbe Betrachtung ist fast wörtlich für die Invariante
No. 18: [(ccßyd)2] zu wiederholen; ihre Vielfachheit in der Discri-
minante von [(ccßyd)] muß die 4.1 = 4 fache sein.
No. 12. [(cfßy)]. Für a = 0 sind die Entwickelungen :
Singularitätengleichungen. 25
und der Factor [(a'ßy)] tritt in der That bei D[(a*ß)] und
R[[(a2ß)], [(aßyd)]} doppelt, bei D[aßyd)~] nur einmal auf.
No. 14. [a2ß2y2d2].
[a2ßY] = s 3 + axs2a + a2sa2 + . . .
Die Discriminante wird mit £6 vergleichbar. Wegen der
Gleichberechtigung der vier Argumente ist der Exponent von
[a2ß2y2d2] in der Zerlegung von D[a2ß2y2] gleich 4.6 = 24.
Ganz analog gestaltet sich die Untersuchung von No. 22:
[(aßyds)]. Die Entwicklung von [(aßyd)] beginnt mit a4, die Dis-
criminante ist noch durch e12 theilbar, also allgemein durch die
5. 12 = 60te Potenz von [(aßyds)].
No. 19. [a>ß2y2, a'ßyj.
[a2ß2y2] = s* + asa + . . .
Die Discriminante läßt e, also auch die Invariante doppelt
als Factor zu. Ganz analog für No. 24 : [(aßyd), (afty^)].
Eine besondere Stellung nimmt der Elementarfactor No. 7 :
[((aß))] ein, insofern er zu Exponenten Veranlassung giebt, die von
der Ordnung n der Curve abhängig sind. Es hat das darin seinen
(n S)(n 4)
Grund, daß durch einen Doppelpunkt ((aß)) einer R3n± ^ J-
Quadrisecanten (aßyd) an dieselbe gehen. Es gilt:
r. « v-, r, o. ftxn i(n-8)(n-« _ l(n-3)(n-4)- 1
[(a'ß)] = e + asa + . . . ; [(aßyd)] = 0 +be* .a + ...
Die Discriminante der ersten Form wird mit s\ die der
., •, (n-3)(n-4) (w-3)(n-A) 4(n-2)(n-3)(n-4)(*-5) ,,. , -. . -,-> ,
zweiten mit e 2 2 ■ = £* , endlich die Resul-
tante beider mit c*(n~ 4) vergleichbar. Wegen der Gleichberech-
tigung von a und ß erhöhen sich aber für den Elementarfactor
l((aß))] selbst die angegebenen Exponenten auf das Doppelte.
Die bisher herangezogenen Methoden machen Verallgemeine-
rungen auf Curven Rdn in Räumen von ä Dimensionen ausführbar.
(Vgl. die dritte Mittheilung). Es mögen hier noch zwei nahelie-
gende und besonders interessante Fälle der Art eine Erwäh-
nung finden, die Zerlegungen der Discriminanten B[a\a\ . . . aj]
und D[(avaa, . . . a2d_2)]:
26 Franz Meyer, Singularitätengleichungen.
D[<W si.**Ö- K^..«',(«1<V--<ON«K- ..«*,/ '*"**%& • ■ • «1]""
2d-2 (2d-lK2d-2)(2d-S)
D[(a1a2 . . . a2d_2)] = [{axa2 . . . a2d_2) ] [faa, . . . c^J]
+ [{a\a2 . . . a2d_s)] . [foa, . . . a2d_2), (aß2 . . . ß2d.2)]2.
Lehrreich ist wiederum der Vergleich mit den untersten Fällen
d = 2 und d — 3, die einige bemerkenswerthe Besonderheiten
aufweisen.
Für d = 2 werden bei der ersten Zerlegung die Exponenten
d, (d-\- l)d(d — 1), Bd—2, 1 des ersten, zweiten, dritten und vierten
Factors genau die früher abgeleiteten 2, 6, 4, 1.
Der letzte Factor: [«£«£, «J/3J]a dagegen ergiebt die Existenz
(2n— 6)(2n— 7)
einer Spitze (a2), und liefert insofern den Bestandtheil [(cc2J]
Für d = 3 entsteht aus der Zerlegung von D[a\a\ . . . cc2d]
ohne Weiteres diejenige von D[cc2ß2y2].
Die zweite Zerlegung ist bereits für d = 3 zu modificiren.
Der letzte Factor spaltet sich nämlich in die beiden rationalen
Theile [((^))]i^-^^^>^> und [(aßyd), (ccß^d,)]2, während er für
d = 2 überhaupt noch nicht existiren kann. Dagegen verhalten
sich die übrigen Factoren regulär.
Die hiermit geleisteten Zerfällungen der Discriminanten und
Resultanten der fünf, für Raumcurven überhaupt in Betracht zu
ziehenden Singularitätenformen bilden das Substrat für eine Un-
tersuchung über die Realität der jeweils coincidirenden Singula-
ritäten: in der That hängt dieselbe nach von H. Brill angege-
benen Sätzen im Wesentlichen von den Exponenten der irredu-
cibelen Factoren jener Formen, insbesondere von deren Grerade-
resp. Ungeradesein, ab.
Clausthal, den 28. October 1890.
0. Venske, zur Integration der Gleichung JJu = 0 für ebene Bereiche. 27
Zur Integration der Gleichung ädu = 0 für ebene
Bereiche.
Von
0. Venske.
Vorgelegt in der Sitzung am 8. November 1890.
Ich werde im Folgenden einige für specielle ebene Bereiche
zur Lösung der Randwertaufgabe der Gleichung
Jju = 0
führende Methoden auseinandersetzen.
Unter „Randwertaufgabe" verstehe ich folgende Aufgabe:
Es soll eine in einem berandeten Bereiche stetige Lösung
obiger Differentialgleichung gefunden werden, welche auf dem
Rande gegebene Werte ü und -j- annimmt.
Eine Function, welche im Innern eines berandeten Bereiches
mit Ausnahme eines Punktes, in welchem sie logarithmisch unend-
lich wird, der in Rede stehenden Differentialgleichung genügt, und
welche auf dem Rande nebst der Ableitung nach der Normalen
verschwindet, spielt in der Theorie der Differentialgleichung
AAu = 0 eine ähnliche Rolle, wie die Green' sehe Function in
der Theorie des logarithmischen Potentials. Sie ermöglicht die
Berechnung von An aus den Randwerten ü und -j- durch bloße
Quadratur1). Diese Function wird im Folgenden mit v bezeichnet
und „zweite Green' sehe Function" genannt.
1.
Lösung der Randwertaufgabe für den Kreis, den Kreisring
und den Winkelraum.
Im Folgenden wird der Satz zu Grunde gelegt, daß sich jede
Lösung der Gleichung AAu = 0 in die Form bringen läßt
M = U+r2V,
wo U und V logarithmische Potentiale bedeuten , und r der Ra-
diusvector in einem Polarcoordinatensystem ist.
1) Vgl. Mathieu, Journal de Liouville 1869, pg. 385.
28 0» Venske,
a) Lösung für den Kreis.
Entwickelt man U und V in Reihen, welche nach ganzen Po-
tenzen von r fortschreiten, und macht den Ansatz
U = 2 {(a4rl+a4V+1)cost9 + (6ir'+6;r'+,)sint9)},
t = 0,l,2,...
(I/Fi
so gelingt die Coefficientenbestimmung in der Weise, daß u und -=-
auf der Kreisperipherie (r = B) gegebene Werte annehmen, mit
Hülfe des Fouri er' sehen Satzes.
Die zweite Grreen'sche Function, deren Berechnung durch
den obigen Ansatz ermöglicht ist, besitzt den Wert
•-<f^tt-0(-^)-
In dieser Formel haben die Größen q und qx die Bedeutung der
Abstände des Punktes P = (r, <p) vom Pole Q der Function v und
seinem Thomson'schen Bilde Qx bezüglich der Kreisperipherie,
b) Lösung für den Kreisring.
Wir nehmen für U und V Entwickelungen nach ansteigenden
und absteigenden Potenzen von r und setzen
~ ( (a.ri+a'iri+2+a,i'r-i+a'i"r-i+2)cosi(p)
U ^i^2f..] + (biri + blri+2+bl'r'i+l[,,r'i+2)smi(p]'
Durch den Fourier' sehen Satz lassen sich die Coefficienten
lestimmen, daß ü und -=— s
dn
rieen gegebene Werte erhalten.
so bestimmen, daß ü und -=— auf den begrenzenden Kreisperiphe-
zur Integration der Gleichung JJu = Ofür ebene Bereiche. 29
c) Lösung für den Winkelraum von der Oeffnung an.
Es werde die zu V conjugierte Function mit Vl bezeichnet
und folgende neue Benennung eingeführt:
r*Vcos^-- r»Fsin^ = W.
a a
Die Größen r und g> sind Polarcoordinaten in einem Systeme, des-
sen Anfangspunkt mit dem Scheitel, und dessen Axe mit der Hal-
bierungslinie des gegebenen Winkels zusammenfällt. Infolge der
Bedeutung, welche die Größen V und Yx haben, ist W ein logarith-
misches Potential, und die .Randwertaufgabe kommt darauf hinaus,
zwei logarithmische Potentiale U und W zu finden, welche die
Eigenschaft haben, daß auf den Schenkeln des gegebenen Winkels
die Größen
U-w, ÄÄ-If;
dq> d(p a ■
gegebene Werte annehmen. Diese Aufgabe läßt sich durch den Ansatz
U = rK^e^ + ^e-^jcosft^ + ^e^+^^sin^^l^
und einen ähnlichen für W lösen.
Die zweite Green' sehe Function , deren Berechnung somit
möglich ist, besitzt, wenn a eine ganze Zahl ist, den Wert
- - - - j_
dl(ra + r0a+2rar0°cos2^±>\
v = 2sin(g> + Ja«)(sin(qp4- Ja«) ^= - — -
1 1 L L 4.
(r«+r0a + 2r«rQa cos-^-^\
am /
i i
dl
-f-cos(g> + Ja«) —
dtp
( ra+ rQ« -2r" r° cos y y<)N\
+ l\ ?_Z
\r" + r0 ■ + 2 r «r0 ■ cos 5L±^2. J
30
0. Venske,
Hierbei ist angenommen, daß der Pol Q der Function v im
Punkte (r0, <p0) liegt.
2.
Lösung der Randwertaufgabe für den Parallelstreifen.
Es werde ein orthogonales Coordinatensystem zu Grunde gelegt.
Jede Function, welche der Differentialgleichung AAu = 0
genügt, läßt sich in die Form setzen
u = U+yV,
wo wiederum die Functionen U und V logarithmische Potentiale
sind.
Macht man nun den Ansatz
und einen ähnlichen für V, so stößt die Bestimmung der Func-
tionen fy, • • •, fyl in der Weise, daß den Randbedingungen Genüge ge-
leistet wird, auf keine Schwierigkeiten.
3.
Lösung der Randwertaufgabe für ein yon zwei Radien und
zwei concentrischen Kreisbogen begrenztes Kreisbogenrechteck.
Die beiden Kreisbogen mögen die Radien Bt und E2 besitzen.
Ihr Mittelpunkt sei Anfangspunkt eines Systems von Polarcoordi-
naten (r, g>), dessen Axe mit den geradlinigen Begrenzungsstücken
die Winkel --Jajr und -\-\a.% bildet.
Setzt man
un = rnVn1
wobei Vn eine Function von y allein bedeutet, und verlangt, daß
zur Integration der Gleichung AAu = 0 für ebene Bereiche. 31
u eine Lösung der Differentialgleichung
JJu = 0
sei, so muß Vn der Gleichung
|^+(2(n-l)2 + 2)|^+ !(«-l)<-2(»-l)°+liFn = 0
genügen. Stellt man nun noch außerdem die Forderung, daß Vn
im Allgemeinen von Null verschieden ist, für cp = i|a^ aber
die Bedingungen
erfüllt, so wird n auf eine discrete Mannigfaltigkeit von Werten
beschränkt, und Vn ist bis auf einen constanten Factor bestimmt.
Aus dem Ohm' sehen Princip, angewandt auf einen unter dem
Einfluß gewisser Energie vernichtender Kräfte schwingenden, an
beiden Enden eingeklemmten Stab, ist zu schließen, daß sich eine
beliebige Lösung u der Differentialgleichung
JJu = 0,
welche für q> = ±\a% nebst der Ableitung nach der Normalen
verschwindet, in die Reihe
entwickeln läßt. Die Coefficienten bestimmen sich aus den Rand-
werten
d2 /l \
9 /l \
32 0. Venske,
vermittels des Integralsatzes
wobei yn eine von Null verschiedene Größe ist. Nun läßt sich
u
— stets als Summe zweier Functionen darstellen, von denen unter
r
der Voraussetzung R1Ba = 1 die eine in Bezug auf den Einheitskreis
symmetrisch, die andere antisymmetrisch ist. Für beide Func-
tionen geschieht die Coefficientenbestimmung in gleicher Weise.
Es ist daher genügend, wenn die Coefficientenbestimmung nur für
Functionen der ersten Art durchgeführt wird. Diese Functionen
besitzen die Entwickelung
und man erhält
a,= mJ.jt-H-, / -4f/ + ((»»-l)ä-2)|-+2^/3 VJq>.
Rf? +■«, )J-ittn L dir1 v JBt Bßip'Jr^s, " r
Setzt man diesen Wert in die Entwickelung für — ein, so ergiebt
sich durch Differentiation
1 \dr \rU))r = Rx ™
/.+*«» ST*- BT*1 f,, 1x2 äMß^L 2d2u(Ki,il>)\rT, x~
+
Um aus dieser Gleichung
\ dir* )r*=nx
zur Integration der Gleichung JJu — 0 für ebene Bereiche. 33
durch ur=.ji und -j-( — w)r==p ausgedrückt zu erhalten, setzen wir
Ä'(y(7"))r-Ü,
^;::"ä«-^i?^P(«-«--2»"j§:a+i(-i^))^>'-'»'
<p , , . 2<p , 3<p . , . 4<p ,
= a0 cos — + o0 sm — - + cQ cos -2- + d0 sm — £■ H ,
Sn— — ^n-1+ g^i F»(y) ^nW = COS ^a, COS ^ + ö, Sin — + d8 COS — + • • • -)
+ sm— &. cos - + 0* sm h o3 cos 1 )
3<p/ t/f . 2t/> 3tf N
+ COS— ( C.COS-4-C-Sin — +C3C0S 1 )
und gewinnen die Gleichungen
a0— ^«,+^0,— a3a3 + ... = 0,
c0— c,«i + c2a2— c3a3H = 0
Aus denselben folgt bei Benutzung der Jacob i' sehen Determi-
nantenbezeichnung
m _ «o , K&t)K) , faftiOfaA) .
a == (q0&tca) (o0&1c>d,)(ak&>c4) KMXOfoAcA) ,
8 " " (oi h c9) (at t% c8 d4) (a2 &2 c8) (a, &, c8 d4 e6) (a, 6tc8^4) + ' " '
HatmandieConstantena1,cf2,-berechnet, so findet man ( ^r— ) „
\ dir' Jr^Rx
Nachrichten tos der K. G. d. W. zu üöttingea 1891. No. 1. 3
34 0. Venske, zur Integration der Gleichung Adu m 0 für ebene Bereiche,
aus der Formel
( \rU)\ _ _2_y ■ Aiax-<p
\ dir* A = J21- aÄ2j««iMa» a— •
Durch das Vorhergehende ist die Bestimmung einer stetigen Func-
tion ermöglicht, welche der Differentialgleichung
JJu = 0
genügt, für <p = ±\a% nebst ihrer Ableitung nach der Normalen
verschwindet und für r — Bti R2 sowohl selbst als auch bei Diffe-
rentiation bezüglich der Normalen gegebene Werte annimmt.
Hierdurch ist aber der Weg gebahnt zur Herstellung der
zweiten Green' sehen Function für das Kreisbogenrechteck. Man
bilde nämlich die zweite Green' sehe Function für den Winkel-
raum von der Oeffnung ait und construiere auf die soeben ausein-
andergesetzte Weise eine stetige Function, welche der partiellen
Differentialgleichung AA = 0 genügt und zu dieser Grreen' sehen
Function addiert eine Function erzeugt, die nebst ihrer Ableitung
nach der Normalen auf den Begrenzungen des Kreisbogenrechtecks
verschwindet. Diese letztere Function ist dann die zweite G-reen'-
sche Function für das Kreisbogenrechteck. Durch die Kenntnis
derselben ist aber die Lösung der Randwertaufgabe vermittels
Quadraturen ermöglicht.
Göttingen, August 1890.
Bei der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften einge-
gangene Druckschriften.
Man bittet diese Verzeichnisse zugleich als Empfangsanzeigen ansehen zn wollen.
August, September und Oktober 1890.
(Fortsetzung.)
Monographie der baltischen Bernsteinbäume v. H. Conwentz. Hrsg. v. d.
Naturforschenden Gesellschaft zu Danzig. Danzig 1890.
Kgl. Sachs. Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig. Leipzig 1890.
a. Berichte üb. d. Verhandlungen. Matbem.-phys. Classe. 1890. I.
b. Abhandlungen der mathem.-phys. Classe. Bd. XVI. No. 2. (W. Pfeffer:
I. Ueber die Aufnahme u. Ausgabe ungelöster Körper. II. Zur Kenntniss
der Plasmahaut und der Vacuolen. . . .)
35
Catalog der Astronomischen Gesellschaft. 4. Stück. Zone + 55° bis -\- 65°.
Beobachtet auf den Sternwarten Helsingfors u. Gotha. — 14. Stück. Zone
-f 1° bis -f 5°. Beobachtet auf der Sternwarte Albany. Leipzig 1890.
Jahrbuch der k. k. Geologischen Reichsanstalt. Jahrg. 1890. XL. Bd. 1. u.
2. Heft. Wien 1890.
Sitzungsberichte der Kgl. Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften. Mathem.-
naturwiss. Classe. 1890. I. Prag 1890.
Magnetische und meteorologische Beobachtungen an der k. k. Sternwarte zu
Prag i. J. 1889. 50. Jahrg. Ebd. 1890.
Mittheilungen des Naturwiss. Vereines f. Steiermark. Jahrg. 1889 (d. g. Reihe
26. Heft.) Graz 1890.
Anzeiger der Akademie' der Wissenschaften in Krakau. Juli 1890. (2 Exempl.)
Krakau 1890.
Jahres- Verwaltungs-Bericht der Akadem. Lesehalle an d. k. k. Franz - Josefs-
Universität in Czernowitz. XXIX. u. XXX. Semester. Czernowitz 1890.
Ungarische Revue. IX. Jahrg. 1889. 4—10. Heft; X. Jahrg. 1890. 1—4. 7. 8.
Heft. Budapest 1889/90.
Vierteljahrsschrift der Naturforsch. Gesellschaft in Zürich. 35. Jahrg. 1. Heft.
Zürich 1890.
Royal Society of London.
a. List of the fellows of the Society. Nov. 30. 1889.
b. Philosophical transactions f. the year 1889. Vol. 180 A. B. London 1890.
Memoirs of the R. Astronomical Society. Vol. XLIX. Part. II. 1887—1889.
Ebd. 1890.
Proceedings of the scientific meetings of the Zoological Society of London f.
the year 1890. Part IL Maren et April. London (1890).
Proceedings of the London Mathematical Society. (Vol. XXXI.) No. 381—387.
(London).
Linnean Society of London.
a. List of the Linn. Soc. Jan. 1890. London 1890.
b. Transactions. 2. Ser. Zoology. Vol. V. Part 4. Ebd. 1890.
c. Proceedings May 1890. From Nov. 1887 to June 1888. Ebd. 1890.
d. Journal. Botany. Vol. XXV. No. 171. 172. Vol. XXVI. No. 174. Vol.
XXVII. No. 181. 182. Ebd. 1889/90.
e. Journal. Zoology. Vol. XX. No. 122. 123. Vol. XXI. No. 133—135.
Vol. XXIII. No. 141—144. Ebd. 1889/90.
Journal of the R. Microscop. Society. 1890. Part 4. (2. Exempl.) Part 5.
London et Edinburgh.
Proceedings and transactions of the Liverpool Biological Society. Vol. IV.
Session 1889/90. Liverpool 1890.
Proceedings of the Literary and Philosophical Society of Liverpool. Vol. XLI.
XLII. XLIII. 1886— 1S89. Ebd. 1887—1889.
Royal Society of Edinburgh.
a. Transactions. Vol. XXXIII. Part III. Vol. XXXV. Part I-IV. Ebd.
1888/90.
b. Proceedings. Vol. XV. (1887-88.) Vol. XVI. (1888—89.)
Scientific proceedings of the R. Dublin Society. Vol. VI. (N. S.) Part 7—9.
Dublin 1889/90.
Nature. Vol. 42. No. 1083—1095. London 1890.
Records of the Geological Survey of India. Vol. XXIII. Part III. 1890. Calcutta.
Transactions of the R. Society of South Australia. Vol. XIII. Part I. Ade-
laide 1890.
Transactions of the R. Society of Victoria. Vol. I. Part II. Melbourne 1889.
Maiden, J. H. : Wattles and wattle-barks . . . (Department of public instruetion.
Technical education Series No. 6.) Sidney 1890.
Kgl. Akademie van Wetenschappen te Amsterdam.
a. Jaarboek voor 1889. Amsterdam, s. a.
b. Verhandelingen. (Afd. Natuurkunde.) Deel XXVII. Ebd. 1890.
c. Verslagen en mededeelingen. Afd. Naturkunde. Derde Reeks. Deel 6. 7.
Ebd. 1890.
36
d. Verslagen en mededeelingen. Afd. Letterkunde. Derde Reeks. Deel 6.
Ebd. 1889.
e. Amor. Carmen elegiacum Rudolphi van Oppenraij ... in certamine Hoeuff-
tiano praemio aureo ornatum. Ebd. 1890.
Tijdscbrift voor nederlandsche Taal- en Letterkunde. 9. Deel. (N. Reeks. 1.
Deel.) 3. An. Leiden 1890.
Verhandelingen rakende den natuurlijken en geopenbaarden Godsdienst uitg.
door Teylers godsgeleerd Genootschap. N. Ser. 12. Deel. Haarlem 1890.
Bijdragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde van Nederlandsch-Indie. 5. Volg-
reeks. 5. Deel. 4. An. 'sGravenhage 1880.
Flora Batava v. J. Kops en F. W. van Eeden. 289 en 290. Aflev. Leiden, s.a.
o
Acta Universitatis Lundensis. — Lunds Universitets Ars-Skrift. Tom. XXV.
1888/89. Theologi. — Medicin. — Philosophi , Spräkvetenskap och Historia.
— Mathematik och Naturvetenskap. Lund 1888/89.
Sveriges offentliga Bibliothek. Stockholm, Upsala, Lund, Göteborg. Accessions-
Katalog utg. af E. W. Dahlgren. 4. 1889. Stockholm 1890.
Bugge, S. : Etruskisch und Armenisch. Sprachvergleichende Forschungen.
1. Reihe. Universitätsprogr. f. d. 1. Halbjahr 1890. Christiania.
Memoires de TAcadämie Imper. des sciences de St. Petersbourg. VII. Sör.
Tome XXXVII. No. 8—10. St. Petersbourg 1890.
Annalen des physikalischen Central-Observatoriums hrsg. von H. Wild. Jahrg.
1889. Theil 1. Ebd. 1890.
Fritsche, H. : On chronology and the construction of the calendar with
special regard to the Chinese computation of time compared with the Euro-
pean. Ebd. 1886.
Bulletin de la Societe Impär. des Naturalistes de Moscou. Annee 1890. No. 1.
Moscou 1890.
Witterungs - Beobachtungen (des meteorolog. Observatoriums in Dorpat) vom
Jahre 1881, 1882, 1883.
Academie Royale des sciences, des lettres et des beaux-arts de Belgique. Brux-
elles 1890.
a. Bulletin. 60. Anne'e, 3. Serie, Tome 20. No. 7. 8.
b. Gasse des lettres. Programme de concours pour 1891.
Annales de la Societe gdologique de Belgique. Tome XVII. 2. Livr. Liege 1890.
Atti del Museo civico di storia naturale di Trieste. VIII. (N. Ser. vol. II.)
Trieste 1890.
R. Accademia dei Lincei.
a. Atti. Anno CCLXXXV. 1888. Serie quarta. Memorie della classe di
scienze fisiche, matematiche e naturali. Vol. V. Roma 1888.
b. Atti. Anno CCLXXXVII. 1890. Serie quarta. Rendiconti. Vol. VI.
1° semestre, fasc. 11. 12. 2° semestre, fasc. 1 — 4. Roma 1890.
Atti della Societa Toscana di scienze naturali. Processi verbali. Vol. VII. 4.
maggio 1890.
Atti della R. Accademia delle scienze di Torino. Vol. XXV. Disp. 13a. 14a.
1889/90. Torino.
Rendiconti del Circolo matematico di Palermo. Tomo IV. Anno 1890. Fasc. V.
(Palermo.)
Atti e rendiconti della Accademia medico-chirurgica di Perugia. Vol. II. Fasc. II.
Perugia 1890.
(Fortsetzung folgt.)
Inhalt von No. 1.
W. Nertist, über das Henry'sche Gesetz. — Franz Meyer, über Discriminanten und Resultante von Sin-
gularitätengleichungen. — O. Yenske, zur Integration der Gleichung JJu = 0 für ebene Bereiche. —
Eingegangene Druckschriften.
Für die Redaction verantwortlich: E. Sauppe, Secretär d. K. Ges. d. Wim.
Commissiona-Verlag der Dieterich' sehen Yerktgs- Buchhandlung.
Druck dtr DieUricK scheu Oniv.-Buchdruektrti ( W. Fr. £a$stmr).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
25. März. Jfä 2. 1891.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 7. März.
Voigt legt vor: „Beiträge zur Hydrodynamik. IL Reihe."
Klein legt von Herrn Prof. Franz Meyer an der Bergakademie in Clausthal
vor: „Ueber Realitätseigenschaften von Raumcurven."
Schering legt von Herrn Dr. Heun in Berlin vor: „Die Schwingungsdauer des
Gauss sehen Bifilarpendels."
Beiträge zur Hydrodynamik. I.
Von
W. Yoigt.
(Vorgelegt in der Sitzung vom 7. Februar 1891.)
1. Pulsirende Kugeln oder Cylinder in einer unendlichen
incompressibeln Flüssigkeit.
Die Bewegung einer unendlichen incompressibeln Flüssigkeit,
welche dem Greschwindigkeitspotentiale
A. 2itt
<p = — cos -j- , worin r> — (x-xj + {y-yj + {z-e')\ 1)
entspricht, läßt sich bekanntlich durch eine pulsirende Kugel be-
grenzen. Denn man erhält aus qp zunächst
— £jä. — ^%t
dt '' dr — r% coa~T~' *>
Naclirichten von der E. G. d. W. tu Göttingen 1891. No. 2. 4
38 W. Voigt,
und hieraus
3 STA . 2%t
r = r> 2* sm T '
worin r0 den Werth von r zur Zeit £ = 0 bezeichnet.
Ist hierin
TA klein neben rjj, so giebt dies auch
TA . 2nt
3) r - r. 2jty; sm ^ ;
man kann also die obige Bewegung als hervorgebracht ansehen
durch die abwechselnde Dilatation und Compression einer Kugel,
deren Mittelpunkt in x', y', z' verharrt und deren Radius q nach
dem Gesetz
3) q = B—aam—m-
variirt, welche Bewegung wir als „Pulsation" bezeichnen.
Es findet nun der merkwürdige Umstand statt, daß eine Summe
von (n + 1) Gliedern der obigen Form (1), auf (w -f- 1) verschiedene
Punkte ph{xh1 yh, zh) bezogen, ein Geschwindigkeitspotential er-
giebt, welches eine Bewegung darstellt, die sich durch (n + 1) iso-
chron pulsirende Kugeln von bestimmter Größenordnung begren-
zen läßt ; aber diese Kugeln haben ihre, übrigens ruhenden, Mittel-
punkte nicht an den Stellen xh, yh, zh sondern an anderen Orten.
Dieser Umstand ermöglicht eine sehr einfache Bestimmung
der durch ein System pulsirender Kugeln erregten Bewegung der
Flüssigkeit und speciell der in Folge dieser Bewegung eintreten-
den Wechselwirkung zwischen den einzelnen Kugeln, welche zuerst
auf einem viel umständlicheren Wege von Bjerknes1) untersucht
worden ist.
Für diese letztere Anwendung ist es bequem, in der Bezeich-
nung einender (n + 1) Punkten ph(xh, yh, e h) , etwa p0(xQ, yQ , *0\
von den andern auszusondern , die übrigen in eine Summe, in Be-
zug auf h von 1 bis n zu nehmen, zusammenzufassen.
Wir machen demgemäß den Ansatz
wo nun ist
r> = (*-*„)• + &-*„)• + (*-*,)•,
< = (*-*J*+(y-yJ*+(*-*J*-
1) Bjerknes, Gott. Nachr. 1876, 245; s. auch Basset, Hydrodynamik,
Cambridge 1888, I, p. 248.
Beiträge zur Hydrodynamik. I. 39
Zu dem Punkt p0 wählen wir einen Nachbarpunkt p'0 , der um
die verfügbare Strecke d in einer verfügbaren Richtung von p0 ent-
fernt liegt. Die Entfernung von p'0 nach p (x, y, z) sei mit g be-
zeichnet, der Winkel zwischen g und d — beide Strecken von p'0
hinweg positiv gerechnet — mit tp) dann ist
r2 = g2 + Ö2-2gdcos^.
Wird ferner die Entfernung von p'0 nach ph mit Eh , der Winkel
zwischen Eh und g mit ij;h bezeichnet, so ist
< = El + Q*-2EhQcos4,h.
Wir wenden nun die Formel (4) an auf ein Bereich in der Nähe
des Punktes p'0 , welches dadurch definirt ist , daß g klein neben
Eh , aber noch groß gegen ö sein soll, beides von einer sogleich zu
bestimmenden Ordnung. Dann kann man <p entwickeln und schreiben
f . ( 1 , d cos if; , \ , _, . / 1 , o cos tf>h , \1 2%t K.
Die Geschwindigkeit in der Richtung von g folgt hieraus
dg dop f . / 1 , 2dcosip , \ --, ; /cos^. , vi 2%t »N
-£=!>? =l-AK7+—?- ^±->SA(-£f±-)]cos^-.6)
Man kann für einen Werth g von g diese Geschwindigkeit bis
auf Glieder von der Ordnung Q*/Esh und d2/g2 von der Richtung
von g unabhängig machen, wenn man über die Richtung und Größe
von d so verfügt, daß
2A d cos ij> ^ . cos tyh
wird. Bezeichnet man die Richtungscosinus von g mit a, ß, y, die
von Eh mit aA, /3A, yA , die Projectionen von ö mit |, ^, 5, so zer-
fällt die letzte Gleichung, da beiderseits die Factoren von a, /3, y
für sich gleich sein müssen, in die drei :
p8 ~ ^ El ' g* 2* El ' g* ~ ^ El ' }
und es wird zugleich, falls man g% neben El vernachlässigen kann,
da A 2%t
W = —?C0S-T--
4*
40 W. Voigt,
Diese Formel verglichen mit (2) zeigt, daß man die durch (4)
gegebene Bewegung in der Nähe von p0 begrenzen kann durch
eine Kugel um den festen Punkt p'0 von einem Radius q gegeben
durch
., STA . 2«|
falls nur A so klein ist, daß innerhalb der festgesetzten Annähe-
rung in den Gleichungen (7) q als constant anzusehen ist. Dies
findet jedenfalls statt, wenn %TAß%Rz von der Ordnung von d/B
ist, und in diesem Falle ist zugleich
8) r — JR-asin-^j-,
worin a = ATßaB2 die Amplitude der Pulsation bezeichnet.
Da nun alle Punkte ph dem Punkte pQ völlig gleichwerthig
sind, so ist die obige Entwickelung für alle anwendbar, und man
kann zu jedem ph einen Nachbarpunkt p'h angeben, um den sich
eine Kugel von wechselndem Radius
8,x ^ . 2jtt
) Qh = •#*--«* sm-^-,
construiren läßt, welche die Flüssigkeit in jenem Bereich begrenzt,
wobei wieder die Amplitude der Pulsation ah = AhTß%B\ ist.
Den Ort der p'h bestimmen dabei Formeln, welche den drei (7)
analog sind ; in ihnen kann man den Entfernungen Eh , welche zu-
nächst den Abstand der Punkte ph von p'0 bezeichneten , innerhalb
der früheren Grenauigkeitsgrenze die Bedeutung der Abstände der
ph von p0 selbst beilegen , sodaß nunmehr auf den rechten Seiten
der Gleichungen (7) nur direct gegebene Größen stehen.
Um die Kräfte zu bestimmen, welche die Kugel um p'0 seitens
aller übrigen erleidet, hat man von der Formel für den Druck p
gegen dieselbe, nämlich
» P-.(o-f-f)
auszugehen und zu bilden:
X = jP cos (n., x)do, Y = fp cos (nt ,y)do, Z = fp cos (n., z) do
= —fp"do, = —fpßdo, = -fpydo.
Dabei ist
Beiträge zur Hydrodynamik.- I. 41
und nach (5) in der Nähe der Kugel um p'0 , deren Centrum jetzt
zum Coordinatenanfang gewählt werden mag,
hieraus folgt
und bei Beschränkung auf die festgesetzte Annäherung
\dx) ~l q« (>3 V Q> J Q* ^ El JC0S ~T \
so daß schließlich wird
P^f^^^^l 12)
Ferner ist
a
Setzt man diese Ausdrücke in die Integrale für X, Y, Z ein, so er-
hält man für q = q, &a,fu2do = fß2do = ,/Wo = 4 #£73 ist,
L - l^jj^g) Bin2^-(^-^)cos»2f j«jf» 13)
und ebenso die übrigen.
Nun setzen wir
q = .ß-asin-^-,
entwickeln X nach Potenzen von a und bilden den Mittelwerth 8
des Resultates für die Zeit T einer Periode; dabei verschwindet
nach (7) Alles, was von dem letzten Glied herrührt, und es bleibt
schließlich in der früher benutzten Annäherung:
m , IrfsB'a^A.a,
2, El ■
Hierin benutzen wir endlich, daß die Amplitude ah der Pulsation
für die Kugel um p[ gegeben ist durch Ah = 2%R\aJT1 und er-
42
W. Voigt,
halten so
14) g -
8x*£R2a Rlahcch
r * El '
ebenso H und Z .
Diese Formeln sagen aus, daß zwischen je zwei isochron pulsiren-
den Kugeln eine Kraft parallel der Verbindungslinie ihrer Mittel-
punkte wirkt, proportional mit den Quadraten der Radien, propor-
tional mit den Amplituden, indirect proportional dem Quadrat der
Pulsationsdauer und dem Quadrat der Entfernung der Centra von
einander. Die Kraft ist eine anziehende zwischen Kugeln, die mit
gleicher Phase, eine abstoßende zwischen solchen, die mit um
T/2 verschiedener Phase schwingen ; denn im ersteren Falle ha-
ben die Ah oder ah für beide gleiches, im letzteren entgegengesetz-
tes Vorzeichen.
Daß Herr Ei ecke1) scheinbar andere Resultate erhalten hat,
rührt davon her , daß die von ihm betrachteten bewegten Kugeln
außer einer Aenderung ihrer Radien auch eine Verschiebung ihrer
Mittelpunkte erfuhren, die Bewegung also nicht eine reine Pulsa-
tion war.
Die vorstehende Betrachtung läßt sich leicht auf den Fall aus-
dehnen, daß die gegebenen Kugeln nicht mit gleicher Phase pul-
siren, wenn nur die Pulsationsdauer allen gemeinsam bleibt.
Setzt man nämlich
15) 9 = ycos ^-^. + 2^cos ^-*S
was identisch ist mit
/A! ' L''J£\ 2ict r(Ä' , __ Ä'h\ . 2%t
falls
Ahcos —^ = A'h, Ahsm-jr± = Ä'h
gesetzt wird, so lassen sich die beiden Theile für sich genau so
behandeln, wie oben der Ansatz (4). Allerdings lassen sich die
Gleichungen (7) nicht für beide Theile durch dieselben Werthe
6,^,6 befriedigen , aber da sich %/q , tj/q , g/p selbst von der
Ordnung Q2/E2h ergeben, bleibt die dadurch entstehende Ungenauig-
keit innerhalb des Bereiches der oben vernachlässigten Größen.
Bei der Bestimmung der Kräfte X, Y, Z ist zu beachten, daß
in dem Werth (9) des Druckes p der ganze Ausdruck V2 auch jetzt
keinen Antheil zu den Resultaten liefert, hingegen in dy/dt die
1) E. Riecke, Gott. Nachr. 1888, No. 13 p. 347.
Beiträge zur Hydrodynamik. I. 43
mit A'h und A?' resp. a'h und a" proportionalen Glieder sich ein-
fach summiren. Da nun
aX + a"a;' = ««»«»2*V0
ist, so gewinnt man für die Einwirkungen, welche die Kugel vom Ra-
dius B von allen übrigen erfährt, sogleich die allgemeinen Werthe :
8x*eR>a B\ah ah 2it{th-Q
A Tri 2-1 ~J?2 0üb J" '
H = 8^2^008^=«, 16)
** ^ .Zj 1?2 UUfc> J7 •
Zu den Ausdrücken (14) treten also unter den bez. Summen die
Cosinus der Phasendifferenzen ; die ah sind in (16) sämmtlich als
absolute Großen zu betrachten. —
Genau in derselben Weise führt sich die Bestimmung der
Bewegung durch, welche in einer unendlichen incompressibeln
Flüssigkeit durch ein System isochron pulsirender Cylinder mit
parallelen Axen erregt wird.
Die Lösung des Problemes wird, wenn nur ein Cylinder vor-
handen ist, geliefert durch
2jr t
w =3 AI (e) cos — t=-, worin e2 = (#— #')2+(«/-y)2 ist; 17)
daraus folgt
und daher
de dm A 2itt
li^-it-T^rr* 18)
AT . 2nt
sin— =r-
~° ' 7t T
oder angenähert bei kleinem A
e = e-+25^am"T- 18)
Für (w+1) isochron pulsirende Cylinder ist der Ansatz zu machen
9> = (Al(e)+^Akl(eh)) cos ^, i9)
worin e% = {x-x0)2+(y-yQ)\ t\ = (x-x$ + (y-yhY ist. Zu dem
Punkt p0(x0, yQ) werde wieder ein Nachbarpunkt p'0((x0—%), (y0—y))
im Abstand ö gewählt und die Entfernung von p'0 nach p (#, y) mit
44 W. Voigt,
q, die nach ph(xh) yh) mit Eh bezeichnet; die "Winkel von q und
Eh mit ö — alle drei Richtungen von p'0 hinweg positiv gerechnet
— seien wieder ty und ^A, es gelte also
ea = Q*+d*-2Qdcoail>, e\ = E2h + Q^2EhQ cos fv
Für Entfernungen q, welche klein gegen die Eh, aber groß gegen
8 sind, läßt sich 9 schreiben
20)(, = ^(?(e)-^:±..)+SA(z(^)_ı...)]cos^i
und daraus bilden
dp/dtf wird für einen bestimmten Werth p von p bis auf Glie-
der von der Ordnung Q2/El und d2/pa von der Richtung unabhän-
gig, wenn
2 Ad cos i}> ^Ahcosfh
ist, d. h., falls a, ß wieder die Richtungscosinus von q, und ah, ßh
diejenigen von Eh sind, wenn zur Bestimmung der Richtung und
Größe von 6 die Gleichungen gelten:
2A% __ Ahah 2An Ahßh
22) -y* - i-^--, -^ - 2-^~.
Zugleich wird, wenn man p2 neben E\ vernachlässigen kann,
dö A 2itt
cos
dt Q T '
woraus zu folgern ist:
23) ^».R+^—Bn—;
damit die Gleichungen (22) bei variabelem q innerhalb der gestell-
ten Genauigkeitsgrenze erfüllt sind, muß AT/2tcR* von derselben
Größenordnung sein wie d/B. Die Flüssigkeit ist also in der Um-
gebung von p0 durch einen Cylinder vom Radius q um p'0 zu be-
grenzen; dasselbe gilt für die Umgebung eines jeden andern
Punktes ph , und es wird für die bezüglichen Cylinder allgemein
Qh — ^A + «*sin-^r-
sein, wobei ah = AhT/2xBh ist.
Beiträge zur Hydrodynamik." I.
45
Zur Bestimmung der Druckcomponenten , welche die Längen-
einheit des Cylinders um p'0 erfährt, sind die Gleichungen (9) und
(10) zu benutzen. Dabei ist zu setzen, falls man den Coordinaten-
anfang nach p'0 legt :
woraus folgt
x ' L V q2 Q* y Eh J
cos
also
r^' AA\xi,+yri) 2Ä Äh(akx + ßhy)
ebenso ergiebt sich
2itt
T '
n2%t
; 24)
sin-jr. 24')
Hieraus folgt, &a,fcc2ds = fß2ds — tcq ist,
Darin ist zu setzen
q = R + asm-p-,
X nach Potenzen von a zu entwickelen und der Mittelwerth über
die Dauer einer Periode zu bilden. Man erhält so
v __ 27t2sRa^Ahah
M rp ZmX TP 1
oder wenn man berücksichtigt, daß Ah = 2itRhaJT ist
Ä _ 4itasRa Rhahah
& — ja 2-> — ~E » '
ebenso if und Z ; das Resultat ist dem in den Formeln (16) gege-
benen vollkommen analog, nur ist die Oberfläche der Kugeln mit
der Oberfläche der Länge Eins der Cylinder vertauscht, und tritt
die Attraction indirect proportional der Entfernung an Stelle der-
jenigen, welche das Newton'sche Gesetz befolgt.
46 W. Voigt,
Die Ausdehnung dieser Resultate auf Cylinder, die in verschie-
dener Phase pulsiren, geschieht ebenso, wie oben bei Kugeln gezeigt
ist. Für (p ist der Ansatz zu machen
27) <p = (A'le+^A'Jeh)oos^-+(A"le + ^A'h'lek)sm^,
worin
%nth '. A . 2xth ...
gesetzt ist ; beide Theile von (p lassen sich behandeln wie der An-
satz (17), und das Resultat für die mittleren Kräfte, welche der
Cylinder vom Radius R seitens aller übrigen erleidet, lautet
* 4^Ra Rhahah _ 2x(th-t,)
28) A — 7jn 2j
Eh
cos
ebenso für die H- und Z-Componente.
Granz ähnlich wie vorstehend die Pulsation, läßt sich auch
die Oscillation von Kugeln oder Cylindern in einer unendlichen
incompressibeln Flüssigkeit behandeln; die oben benutzte Methode
bietet hier aber nicht so bedeutende Vortheile gegenüber der von
Kirch hoff1) bei diesem Problem angewandten, als daß sich ihre
Auseinandersetzung lohnte.
2. Stehende Wellen in einem Strome als Beispiel für die
Kirchh off sehe Theorie der Flüssigkeitsstrahlen.
Nach Kirchhoff2) erhält man bekanntlich für incompressible
Flüssigkeiten, die der Einwirkung äußerer Kräfte nicht unterlie-
gen, ebene Potentialbewegungen, welche durch freie Oberflächen
begrenzt werden können, in folgender Weise.
Sei gesetzt z = x + iy, und sei co — cp + itl>, worin <p das Ge-
schwindigkeitspotential, ty die Strömungsfunction bezeichnet, eine
Function von z, dann hat
in äz <. , .
die Eigenschaft, daß
: £, n == |r, also | = tg(F,*)f r+^-.jJr
1) Kirchhoff, Mechanik, Leipzig 1876, p. 228.
2) Kirchhoff, Mechanik, p. 290.
Beiträge zur Hydrodynamik. I. 47
ist. Wird nun eine Relation
co = /•(£) oder £ = F(a>)
aufgestellt, welche eine der Abscissenaxe in der co-Ebene paral-
lele Gerade ^ = C in der £- Ebene als ein Stück eines Kreises
£a 4- rf = p2 = c2 um den Coordinatenanfang abbildet , so ist die
durch
e =ftd(D = fF(m)äm 3)
gegebene Function qp von x und «/ das Geschwindigkeitspotential
einer Bewegung , die längs der Strom - Curve if> = C eine freie
Grenze haben kann; denn längs dieser Curve ist V constant und
dies ist , wenn Kräfte auf die Flüssigkeit nicht wirken , die be-
kannte Bedingung dafür, daß in ihr der Druck constant ist.
Soll die Flüssigkeit strömen und dabei von einer wellenartig
periodisch sich hebenden und senkenden Oberfläche begrenzt sein,
deren Berge und Thäler wir der Bequemlichkeit halber in je einer
Horizontalen liegend denken wollen, so muß die Beziehung £ = F(coi)
einen Bogen des Kreises q = c um den Anfangspunkt der £-Ebene,
welcher symmetrisch zur (j-Axe liegt, in der Weise auf eine Curve
ip = C der «-Ebene abbilden, daß dem unendlich oft wiederholten
Umlaufen des Kreisbogens die Durchmessung der ganzen Curve
ty = C von cp = — oo bis g> = +00 entspricht. Dieser Kreis-
bogen bildet dann in der J-Ebene die eine Grenze der Flüssigkeit ;
eine zweite kann in der #-Ebene nur von einer andern Stromcurve
ty = C gebildet werden, und diese muß sich nothwendig in der
J-Ebene als eine geschlossene Curve darstellen, welche den
Kreisbogen völlig umschließt.
Bedenkt man die Beziehungen, welche durch die Gleichungen
(2) zwischen den Coordinaten eines Punktes der J-Ebene und der
Größe und Richtung der Geschwindigkeit an der dem Punkt £ ent-
sprechenden Stelle der ^-Ebene gegeben sind, so erkennt man leicht
Folgendes.
Sollen innerhalb der Flüssigkeit keine Quellen und Senken
liegen, in denen die Geschwindigkeit unendlich wird, d. h. soll in
der J-Ebene das von der zweiten Curve umschlossene Gebiet den
Punkt £ = 0 nicht enthalten, so muß in der £-Ebene die zweite
Grenze selbst eine wellenartige Gestalt haben ; und zwar muß ihre
stärkste Steigung stets steiler sein als diejenige der freien Ober-
fläche. Die Wellen kommen dann dadurch zu Stande, daß der
Strom über einen unebenen Boden hinfließt, und der auf die freie
Oberfläche wirkende Druck die Flüssigkeit verhindert, jenen Boden
48 W. Voigt,
ganz zu verlassen. Von dieser Art sind die Wellchen, die in
fließendem "Wasser durch Unebenheiten des Grundes entstehen und
die weder Ort noch Höhe mit der Zeit wechseln, vorausgesetzt
nur, daß ihre Höhe so gering ist, daß in der strengen Bedingung
für die freie Oberfläche
-Y + gy + j = Const-
die Aenderung des Potentiales der Schwere gy längs der freien
Oberfläche neben dem Quadrat der Geschwindigkeit V vernachläs-
sigt werden kann.
. Dürfen innerhalb oder an der Grenze der Flüssigkeit Quellen
und Senken liegen, so kann die zweite (untere) Grenze der Flüs-
sigkeit auch eine horizontale Ebene sein. In diesem Falle stellt
sie sich in der f-Ebene als ein Stück der J-Axe dar, z.B. als de-
ren ganze negative Hälfte.
Ein Beispiel für eine Wellenbewegung der besprochenen Art
liefert die specielle Form der Beziehung zwischen co und £:
as 7 c — t , ; 1— 2iasmab
4) 2zasmob = —-— oder % = c-— --^-. — -. r .
Setzt man
2ismob = eM-e-io,b = -cos(Pb(e+Vb-e-Vb)+ismipb(e+tt'b+e-tf'b)
abgekürzt = m + i n ,
so wird
5) i^b^M±%i ,-- 2™c
(1 + amf + a2 n2 ' ' (1 + a mf + a2 n*
oder
6) ma — ' 2 , na = - , , '- — r.
Dem speciellen Werth ty = 0 entspricht m = 0 und daher
r+tf = jAj
^ = 0 giebt also eine Stromcurve, längs deren man die Flüssig-
keit an einen Luftraum von constantem Druck grenzen lassen kann,
denn ihr Bild in der g- Ebene ist ein Kreis um den Coordinaten-
anfang vom Radius c.
Beiträge zur Hydrodynamik. I. 49
Aber von diesem Kreis ergiebt nur ein gewisser Bogen das
Bild der Stromeurve i\> = 0. Denn während cp von — oo bis +00
wächst, pendelt n zwischen —2 und +2, und demgemäß bleibt £
innerhalb des Intervalles zwischen
fc = cir4^undl3==c>
dagegen r\ innerhalb desjenigen zwischen
* " "T+i^ und ^ = +T+4^'
wo sich %x und i^ resp. rj2 einerseits, |2 = c und ^ = 0 anderer-
seits entsprechen.
|j = 0 bezeichnet eine verticale Geschwindigkeit; soll diese
ausgeschlossen sein, so muß
4a2 <1 oder — I<c2a<: + 1
sein. Wenn a diese Grenzwerthe erreicht, wird rj1 = ±c.
Jeder andere Werth C von ty als ^ = 0 entspricht einer
Stromeurve, längs deren man die Flüssigkeit nur durch eine feste
Wand begrenzen kann.
Aus (4) folgt nun auch
Cc-, [2i1/l + Jc + 2ael(ob\ 1
J* U& \l-]c4-2ael(übJ J '
6
falls man kurz
setzt. Die Zerlegung in den reellen und den imaginären Theil
giebt
h sin <p b
T 2 / flsinyo \ 1
x = -CLl6arctgUosg?&~a(e+^-,-^)>)HhH'
rj^ (l + fe + 2CTe-^5cosy5)2 + 4a2g-2^&sin>6 1
y~~+CU& (l-Jc + 2ae-Vb cos tpby+We-2*0 sin* yb \'
8)
Da ^ und 1?, wie auch # und \j) die Unabhängige 9 nur in cos (<p 6)
oder sin(op6) enthalten, so sind alle diese Größen um 9 = 2ä/6
periodisch. Wir brauchen daher nur das Intervall
0<9&<c2^
zu betrachten.
50 W.Voigt,
Für (p = 0 ist r} — 0, also die Geschwindigkeit in jeder
Stromcurve horizontal, das gleiche gilt für <p == it. Der Unter-
schied der bezüglichen Y- Coordinaten ist die ganze Höhe der be-
treffenden Wellenlinie. Er läßt sich sehr einfach ausdrücken.
Man erhält nämlich sogleich
_c_ r(l + Jc + 2ae-Vb \Vl-ft--2ae--*ftV"|
und dies ist
Wegen der Bedeutung von 7s schreibt sich dies auch
cn = 2c?/l-(ft + 2qe+^)2x
; M ^l~-{k-2ae^^hfJ1
und dies zeigt, daß positive und negative Werthe von ip dieselbe
Wellenhöhe ergeben. Dem entspricht, daß y1—yi für ^ = 0, d.h.
für die Stromcurve , welche die freie Oberfläche bildet , seinen
größten Werth annimmt; man erhält nämlich hierfür
iAN _ _ rr 2c Jl-(k+2ay 2 c . 4a + S/T+Ätf
10) yi-*i = H = TT* i /i, oJm = -TT1
U \-{k-2af ' kb 4a_\/i + 4a2 *
Da nun zugleich für ty = 0 die größten Steigungen der Strom-
curven geringer sind als für alle anderen Werthe von ^, so er-
giebt sich, daß die periodischen Unebenheiten des Bodens, welche
wir als Ursache der oben behandelten Wellenbewegung betrachte-
ten, geringere Höhen, aber zugleich schärfere Krümmun-
gen haben müssen, als die Wellenberge an der freien Oberfläche.
Soll innerhalb der Flüssigkeit die Geschwindigkeit nirgends
unendlich werden , so darf £ daselbst nicht verschwinden ; dies
giebt einen Grenzwerth für ifj an ; nach (5) muß nämlich gelten
*><«+*-,«-").
a2 v y
Für die freie Oberfläche, für welche ij> = 0 ist, folgt aus (8)
n) __ c (Ic + 1) (k + 2a cos <pb)^
V "~ kb (fc-l)(Ä-2acos9>ö);
Beiträge zur Hydrodynamik.' I. 51
letzteres schreibt sich, wenn man l(k + l) — l (k — 1) mit in die In-
tegrationsconstante zieht, einfacher
c 7 (k + 2a cos yb\ ' .
y ~ leb \Jc- 2a cos <pbJ'~~ }
Auf Fälle, wo äußere Kräfte wirksam sind, ist die Kirch-
hoff'sehe Methode bisher noch nicht angewandt; in der That
verliert sie hier auch den größten Theil ihrer Vorzüge , da in
der Grenzbedingung für die freie Oberfläche
V2 + 2& = Const. 12)
das Potential <& der wirkenden Kraft sich nicht allgemein durch
£ und t\ ausdrücken läßt. Wirkt allein die Schwerkraft, und wird
die + F-Axe vertical nach oben gelegt, so lautet die Bedin-
gung (12)
F2 = Ö-20y, 12')
also unter Benutzung der Formeln (2) und (3)
¥^ = C~TJ^dm)' 13)
wo J(%) den imaginären Theile von % bezeichnet; f = F(a) lie-
fert nunmehr allein in dem Falle eine Bewegung einer schweren
Flüssigkeit, welche eine freie Grenze gestattet, wenn für irgend
einen Werth von C die Gleichung ip = 0, in £ und rj ausge-
drückt, dieselben Curven liefert, wie (13). Es giebt keine Me-
thode, solche Beziehungen f = F(<o) aufzufinden, und man ist
ausschließlich auf Versuche angewiesen.
Die Gleichung (13) wird für die Behandlung etwas bequemer,
wenn innerhalb der freien Oberfläche y so wenig variirt , daß
2g mal dieser Aenderung klein neben V2 ist. Legt man den An-
fangspunkt für y ungefähr in die Mitte zwischen dem höchsten
und tiefsten Punkt der Oberfläche und bezeichnet die dort statt-
findende Geschwindigkeit mit V0, so lautet (12')
Fa = Vt-2gy.
Läßt sich nun (2gy)* neben V\ vernachlässigen, so folgt hieraus
auch
was wir abkürzen in
v2 vy vr
— = ma+w9£; 14)
52 W. Voigt,
bei Einführung von £ und rj giebt dies
14') T + tf = m' + j-J(ftda).
Jetzt gelingt es leichter, eine Function £ = F(cd) zu finden,
welche der gestellten Bedingung genügt, daß # (|, ^) = C diesel-
ben Curven in der g-Ebene bestimmt, wie die Gleichung (14).
Setzt man nämlich
15) S = a — be~ic<»,
worin a, b, c reelle Constanten sind, so wird
| — a = — bec* cos cq>, ^ = -f&e^sincqp
und
16) ß-ay + rf = &2e2cV;
die Strömungscurven i> = 0 stellen sich also in der g- Ebene als
Kreise um den Punkt £ = a, ^ == 0 dar. Man kann ohne Be-
schränkung der Allgemeinheit für diejenige Stromcurve, welche
die freie Grenze bildet, $ = 0 setzen. Dann muß jedenfalls
a > b sein , damit der Punkt £ = 0 nicht in das Bereich der
Flüssigkeit fällt, welches Werthen ty zwischen 0 und — oo ent-
spricht ; ty = — oo giebt den Punkt £ = a, rj = 0 selbst , dem-
gemäß eine Stromcurve, welche die Gestalt einer horizontalen Ge-
raden besitzt, längs deren die Flüssigkeit mit der constanten Ge-
schwindigkeit 1/a hinströmt.
Für z erhält man nach (3)
17) z = ao + j(5~a),
c
wo die Integrationsconstante gleich Null gesetzt ist, da auf diese
Weise , wie später hervortreten wird , der Anfangspunkt für y
seine günstigste Lage erhält. Hieraus folgt allgemein
17') x = aq>-l, y = a^ + i=^,
c c
und die Oberflächenbedingung lautet in Rücksicht auf die An-
nahme 1> = 0 nach (14')
p + if mw $'*&£&•
c
damit dieselbe mit der aus (16) folgenden Formel
tt-ay + Y}2=b2
übereinstimmt, ist nur erforderlich, daß zwischen den drei ver-
fügbaren Constanten a, b, c und den Constanten m2 und w2 der
Gleichung (14') die beiden Relationen
Beiträge zur Hydrodynamik. 1. 53
2ac = n\ b2 + a? = m2 18)
bestehen; eine Constante, etwa c, bleibt also verfügbar, um ver-
schiedene Wellenbewegungen darzustellen.
a, b, c können hiernach beliebiges Vorzeichen haben, nur muß
jedenfalls ac positiv sein.
Die Gleichungen der Stromcurven werden nach (17')
x = acp e^sincqp, y = aty ect// coscqp ,
c c
und die Gleichungen der freien Oberfläche
b . b
x = acp sm ccp, y = cos c cp ;
c c
y = 0 entspricht also in der That der Mitte zwischen der höch-
sten und der tiefsten Stelle der freien Oberfläche.
Das sind, falls a, b, und c positiv sind, die Gleichungen von
Trochoiden, wie solche schon bei einem andern Problem für die
freie Oberfläche gefunden sind1). Es ist aber wohl zu beachten,
daß in jenem Falle die Flüssigkeitstheilchen geschlossene Bahnen
beschreiben und die "Wellenhäupter mit der Zeit fortschreiten,
hier aber die Wellen stille stehen und die Flüssigkeitstheilchen in's
Unendliche fortschreiten. Demgemäß stehen die Trochoiden hier
auch umgekehrt wie dort; hier nämlich rollt der erzeugende Kreis
oberhalb, dort unterhalb der horizontalen Bahngeraden.
Auf den Fall, daß a, b, c positiv sind, lassen sich alle ande-
ren Fälle zurückführen , indem man statt cp eine andere Variable,
z.B. it — cp oder % -f- (p einführt ; es genügt also , ihn allein in Be-
tracht zu ziehen.
Der Eadius E des rollenden Kreises und der Abstand r des
erzeugenden Punktes von seinem Centrum sind gegeben durch
c ' c '
der erstere ist also bei derselben Bewegung , d. h. demselben c
für alle Stromcurven constant, der letztere nimmt mit abnehmen-
dem if> gleichfalls ab und verschwindet für ip = — oo, d. h. für
y = — oo ; man kann also die Flüssigkeit in der Tiefe y = — oo
durch eine horizontale Ebene begrenzt denken.
Die Geschwindigkeitscomponenten u und v werden nach (2)
resp.
1) Kirchhoff, Mechanik p. 361.
Nachrichtan d. K. G. d.W. iu Göttingen. 1891. Nr. 2.
64 W. Voigt,
U = tt- =
d. h.
wo
F + tf' F + V
a — be cos cw oe smcw
u = ~ — v =
N N
N= a* + VeU*— 2abeCtf' cos c<p.
Speciell in der Verticalen, wo y seinen größten oder klein-
sten Werth hat, also ctp — h% ist, gilt
u = — -, v = 0;
a±bee*'
wird eine solche mit der Tiefe wechselnde horizontale Geschwin-
digkeit der Flüssigkeit in einem Querschnitt gegeben, so muß sie
weiterhin unter der Wirkung der Schwere in denjenigen Wellen
sich fortbewegen, deren Gesetze oben entwickelt sind.
Damit die Wellenlinie, welche die freie Oberfläche bildet,
keine Schleifen oder Spitzen enthält, in denen die Geschwindig-
keit unendlich wird, muß b/a = ß ein ächter Bruch, also nach (18)
ca = w*(H-/32)/4m' sein.
3. Potential-Bewegungen einer schweren Flüssigkeit mit freier
Oberfläche, behandelt durch successire Annäherung.
Die Bedingungsgleichung für die freie Oberfläche einer incom-
pressibeln in stationärer Bewegung befindlichen Flüssigkeit
1) !l + <i + L = c
bietet bekanntlich für die Behandlung sehr bedeutende Schwierig-
keiten. Ich werde zeigen , daß in den Fällen , wo diese Fläche
nur wenig von der Gleichgewichts Oberfläche abweicht, welche
die Flüssigkeit unter der Wirkung desselben Potentiales und des-
selben äußeren Druckes besitzen würde, sich eine Lösung des
Beweguiigsproblemes mitunter vorth eilhaft durch die Methode der
successiven Annäherung gewinnen läßt.
Der Grundgedanke des einzuschlagenden Verfahrens ist der
folgende.
Man suche ein Geschwindigkeitspotential (fx , welches den sonst
gestellten Bedingungen entspricht und gestattet, die Flüssigkeit
längs ihrer Gleichgewichtsoberfläche durch eine starre Wand zu
Beiträge zur Hydrodynamik. I. 55
begrenzen. Diese Function giebt dann auch eine erste Annähe-
rung für das eigentliche Problem, denn bei hinreichend kleiner
Geschwindigkeit in der Oberfläche ist dann die Grenzbedingung
(1) erfüllt. Das Einsetzen des aus (p1 folgenden Werthes der Ge-
schwindigkeit Vx in jene Formel liefert für die Gleichung der
freien Oberfläche eine zweite Annäherung, nämlich
*[(ÄMty+(*)i+*+!=«- •
Die hierdurch gegebene Oberfläche wird nun bei der
Bestimmung der zweiten Annäherung (px -f cp2 für das Geschwin-
digkeitspotential als eine feste Grenze der Flüssigkeit be-
trachtet; es wird nämlich eine Function cp2 aufgesucht, welche zu
tpx hinzugefügt ein System von Stromcurven ergiebt, von denen
eine Schaar die durch (2) gegebene freie Oberfläche erfüllt. Die
Benutzung dieses corrigirten Werthes q> = (px -f </>2 in der Grenz-
bedingung (1) giebt weiter die Gleichung der freien Oberfläche in
der dritten Annäherung :
t[(aö^)V(^±i))-+(£<2^>)-] + 4 + f = & 2,
Ebenso kann man weiter verfahren.
Auf diese Weise ist es in sehr vielen Fällen ohne Schwierig-
keit möglich, die Gleichung der freien Oberfläche in zweiter
Annäherung zu finden ; aber auch der Werth des Geschwindigkeits-
potentiales in zweiter und das Gesetz der freien Oberfläche in
dritter Annäherung ist in einigen Fällen zu gewinnen möglich.
Ich betrachte im Folgenden als wirkende Kraft ausschließlich
die Schwere, welche parallel der +Z-Axe wirken mag, und gebe
zunächst die Lösung einiger ebener Probleme.
Bei ebenen Bewegungen gehört zu jedem Geschwindigkeitspo-
tential (fi eine Strömungsfunction 6, welche die Eigenschaft hat, daß
6 = Const das System aller Stromcurven angiebt. Zwischen bei-
den Functionen besteht, falls die Bewegung in der XZ-Ebene statt-
findet, der Zusammenhang
dx dz1 dz dx' '
Es sei eine schwere Flüssigkeit von unendlicher Tiefe gege-
ben, im Ruhezustand durch die Ebene z = 0 begrenzt; in der-
selben werde in der Tiefe z = a unter der Oberfläche eine Quelle
[gebracht.
5*
56
W. Voigt,
Setzt man dann
e2 = (£-a)2 + #2,
so ist
4)
e2_ = (* + a)2+#2,
^ = ml(e-e_)
bekanntlich die erste Annäherung für op. Aus ihr folgen die Werthe
der Geschwindigkeiten
/l 1 \ ( z— a z + a\
sowie der Werth der Strömungsfunction
<* = w ( arctsr h arctg — ■ — )
1 V ö z— a ° # + a/
oder kurz
5) 6X = w (# + #_),
falls mit # und #_ die Winkel von e und e_ gegen die Z-Axe be-
zeichnet werden.
Die freie Oberfläche ist in erster Näherung die XF-Ebene, in
dieser ist
2mx — _ T
«*i = -gi-» Wi = °> Fi = «!,
falls .E2 = a2 + x2 ist; die freie Oberfläche wird also in zweiter
Annäherung gegeben sein durch
a. 2m2x2
6) -gr- = 9*-
Sie fällt also an den Stellen x = 0 und x = ±oo in das ur-
sprüngliche Niveau und ist im übrigen etwas darunter gesenkt,
am stärksten, nämlich um m2j2 a2 g, an den Stellen x — ± a.
Bildet man aus (6)
a ~~ gaE2 \eJ
und beachtet, daß xjE stets ein ächter Bruch ist, so erkennt man,
daß 2m2/gaE2 von der Ordnung des Verhältnisses der Abweichung
der Oberfläche von der Ebene zu der Tiefe der Quelle unter der
Oberfläche ist.
Um zu dem Werthe des Greschwindigkeitspotentiales op = cpx+<p2
in zweiter Annäherung überzugehen, beachte man, daß für cp2 nur
Beiträge zur Hydrodynamik. I. 57
die logarithmischen Potentiale von Massen außerhalb der Flüssig-
keit gewählt werden können, um nicht in Widerspruch mit der
Annahme nur einer Quelle innerhalb der Flüssigkeit zu kommen;
nach Symmetrie wird man diese supponirten Massen allein auf der
negativen Z-Axe anbringen können. Ihre nähere Bestimmung hat
so zu erfolgen, daß die ergänzte Strömungsfunction
6 = 6t + Ö2
für den Werth 0 = mit die Gleichung (6) der freien Oberfläche
ergiebt. Man geht demgemäß am besten direct auf die Bestim-
mung von <?2 aus.
Hierzu bemerken wir erstens, daß der Werth von 6X bis auf
Glieder zweiter Ordnung des Verhältnisses z/a exclusive lautet
, 2zx
und zweitens, daß Glieder von der Form (tf2) = --f1 , wo wieder
o z
x
%>_ = arctg ist , die Strömungsfunctionen geben zu den Ge-
schwindigkeitspotentialen
(9.) ■*■ j?u->
welche gewissen vielfachen Quellpaaren auf der —Z-Axe entsprechen.
Nun ist aber
d2&_ 2x (z + a) d9&_ _ 2ajf 4a?|_ _3
also wird
" 2x\ et " ei)
ö3#_ 3 d2#_
) - "*(£+£)
V dz3 a dz2
ein Ansatz sein, welcher der Bedingung für 62 genügt. Wählt
man speciell
A = -m3ßg
so ist das erste Glied des letzteren Ausdruckes —3m3xz/gaei
nach dem oben Gesagten nahe der freien Oberfläche von der Ord-
nung von mz2la2, also bei der benutzten Annäherung zu vernach-
lässigen. In der Nähe der freien Oberfläche reducirt sich daher
6 auf
r , 2x ( 2x2m2\l 0.
6 = „l + *a = m^ + _^ — je*-)] ö)
58 W. Voigt,
und dies giebt für 6 = mit
2x'm2
% = ~gir>
wie verlangt.
Hiernach ist das G-eschwindigkeitspotential in zweiter Annä-
herung
r7/ , mWdHe_ 3 d2le_\-]
9) 9 = <P> + <P> = w|^.^-— ^-_ + --— )J,
ihm entspricht der Werth der Strömungsfunction
r c m2 /ö3#_ 3 e'ÖLVI
Die Differentialquotienten nach # sind hierin beliebig mit denen
nach a zu vertauschen.
Um endlich die Grleichung der freien Oberfläche in dritter
Annäherung zu bestimmen , hat man für die Gleichung (2 ') nur
u = ut + u% zu berechnen , da w = w1 + w2 von erster Ordnung,
w2 also in V2 neben u2 zu vernachlässigen ist. Die Berechnung
ergiebt
2mx [ 3m3 / 8a*Y|
und hieraus folgt die gesuchte Grleichung der Oberfläche
2m* x* r\ 3m3 /, 8a4 \1
Ist mehr als eine Quelle in der Flüssigkeit vorhanden, so erhält
man die entsprechenden <pt und (p2 durch einfache Superposition
der für die einzelnen geltenden Werthe.
Diese Ueberlegung gestattet, aus den vorstehenden einfachen
Formeln die Lösungen einer ganzen Zahl complicirterer Probleme
abzuleiten.
Ein ± Quellpaar, dessen Verbindungslinie der X-Axe parallel
ist, an einem beliebigen Punkte der + Z-Axe angebracht, dazu
sein Spiegelbild in Bezug auf die X-Axe, ferner eine Quelle in
x = —oo, eine Senke in x = +oo geben zusammen eine Be-
wegung, die sich außer durch die X-Axe durch eine geschlossene
Curve, die in gewisser Annäherung kreisförmig ist, begrenzen läßt.
Man kann also setzen
11) 9>1= maj£-l(ee_)+Ux,
Beiträge zur Hydrodynamik. I, 59
wo wieder e] = (z—ay + x2, el_ = (z + a)2-\-x2 ist, um die erste Nähe-
rung für das Geschwindigkeitspotential zu haben, wenn ein unend-
lich tiefer Strom mit der Geschwindigkeit U über einen festen
Cylinder wegströmt. Der Querschnitt des letzteren ist ein Kreis
vom Radius B um den Punkt x = 0, z = a, falls R3 neben (2a)3
vernachlässigt werden kann und
m
tt(w-jäd = u
gesetzt wird. Die Gleichung der freien Oberfläche ist hier in
zweiter Annäherung, falls wieder E2 = a2-\-xi1
[2W*g-*2)+i7f=2^+tP, 11')
wo die Constante U2 rechts zugefügt ist, damit das Niveau im
Unendlichen in die XY- Ebene fällt.
Wird statt eines Quellpaares bei z = a eine unendliche Eeihe
einander gleicher in gleichen Abständen b längs der Geraden
z = a und z = — a angebracht, so ergiebt sich
d +0°
9>i = mccjzl U(ehe_h) + üx, 12)
*" — 00
worin
el = (z-ay+(x-hb)2, e2_h = (z + a)2 + (x-hb)*
gesetzt ist. Das unendliche Product läßt sich nach bekannter
Methode umformen und liefert schließlich
Mt rö / 2%i(z-a) 2nx\ , 6 7/ 2%i(z-\-a) 2itx\\ „
= w^-^cos^^-cos^) + -Z(cos-A— i-oos-g-JJ + DSr,
2itma . 2%x r
Sm-ir\ o^:/- ^ -Ö-T: + ET-77-TTx S~ \+ÜX
b b I 2iti(z-a) 2%x~x 2iti(z+a) 27tx\~r'J* 12')
»cos— — — cos— cos ^ - — COS-7— J
b b
. 2iti(z— a) . 27Ci(z+a)
sin ^ '- sin \
2nmai\ b b
- +
ai I
Li
2%%{z— a) 2%x 2%i(z+d) 2%x
cos \ - — cos — T — cos , -— cos
+ ÜZ.
f~ 7 WO 7 WS 5 OVO ,
b b b b
Hieraus folgt die Gleichung der freien Oberfläche in zweiter An-
näherung
2tcx 2jiia .,
[0 2 COS — =- — COS 7 1 T2 r ^ o -13
I COS ; cos— = — I J L 6» POS* — ^ — I
voa— b — cos-t-;
60 w- Voigt»
Die Bewegung ist nach unten zu begrenzen durch eine wellen-
förmige Stromcurve, welche zwischen 8 = 0 und 8 = a liegt , und
man kann das Resultat betrachten als die Darstellung von stehen-
den Wellen, die in einer strömenden schweren Flüssigkeit entste-
hen in Folge von periodischen Unebenheiten des Grundes. Die
Bewegung ist aber durchaus verschieden von der im vorigen Ab-
schnitte bei Nichtberücksichtigung der Schwere erhaltenen ; z. B.
liegen hier die Wellenberge an der freien Oberfläche über den
Wellenthälern des Grundes und umgekehrt, während dort Berg
über Berg, Thal über Thal liegt.
Die weitere Annäherung ist nach den Formeln (9) bis (10)
sogleich hinzuschreiben, aber sehr complicirt.
Ist die Flüssigkeit in der Tiefe 8 = a durch eine horizontale
starre Ebene begrenzt, in welcher sich eine Quelle befindet, indem
z. B. die Flüssigkeit durch einen Spalt von außen zuströmt, so er-
hält man <pt durch ein System einfacher gleicher Quellen, die sich
in gleichen Abständen 2 a auf der Z-Axe befinden, so daß wird
+ 00
13) g>, = mlj\eh
— oo
worin e\ = (8 + {2h + l)a)2 + x2 ist. Dies formt sich um in
Jn, ,/ TC8 %TCX\
13 ) (pt — ml[ cos h cos ) ,
V Cd Q> /
woraus, da
ITC . %TCX
— m — sin
a a
TC8 %TCX
cos h cos
ist,
a a
für die Gleichung der freien Oberfläche in zweiter Näherung folgt
13-) (— X.*— ; = c— x^^;-2"-
Jetzt ist das Niveau im Unendlichen nicht mehr gleich dem in
der Z-Axe, sondern um m2TC2ßga2 tiefer, da dort die Geschwindig-
keit nicht verschwindet.
Die weiteren Annäherungen sind ebenfalls nach der oben er-
örterten Methode zu bilden. —
Die Methode der suceessiven Annäherung ist ebenso bequem,
Beiträge zur Hydrodynamik. I. 61
wie auf ebene Flüssigkeitsbewegungen , auch auf solche , welche
den Character eines Rotationskörpers besitzen, anwendbar.
Zwischen dem Geschwindigkeitspotential cp und der Strömungs-
function <5 bestehen hier, falls man die Z-A.XQ zur Rotationsaxe
wählt und den Abstand eines Punktes von ihr mit e bezeichnet,
die Beziehungen
06 d(p äö dtp u
d* de ' de da
Sei nun zunächst wieder die schwere Flüssigkeit unendlich tief
und in ihr im Punkte z = a eine Quelle vorhanden, so ist die
erste Näherung für (p
9l--m(I + JL) 15)
falls r2 = (z~a)* + e\ r* = (z + a)2 + e2 ist. Hierausfolgt
( z—a z + a\
** = my-r-+——)> 15)
und die Geschwindigkeiten 5 und w normal und parallel zur Z-Axe
ergeben sich
me
\v+-rt)> * ^ wv-?-+-7i r)' 16)
Daraus folgt die Gleichung der freien Oberfläche in zweiter Nähe-
rung, falls a2 + e2 = E2 gesetzt wird,
2m2 e2
—fir- — 9* 5 17)
aus ihr ergiebt sich, daß für Punkte der freien Oberfläche z/a von
der Ordnung von 2m2/gaE4' ist.
Um zur zweiten Annäherung für g> und 6 fortzuschreiten, be-
achte man, daß bis auf Größen der Ordnung von (z/a)2 exclusive
18)
2me2z
6* - E*
ist,
sowie
daß Glieder
von der Form
62 w- Voigt,
die Strömungsfunctionen ergeben, welche (xeschwindigkeitspoten-
tialen
(9») = ^t
entsprechen.
Nun ist
V r_ ) 3e>(z + a) Ö { r_ ) »./± B(* + <0'\
also wird
iK^) «*(***) ifgÜ))
\ a*4 + a a^3 aa a*2 '
LaV arL r9 J
ein Ansatz sein, der den Bedingungen für <ya entspricht. Wählt
man noch
. 4m3
so sind die in z multiplicirten Glieder des obigen Ausdrucks * in
der Nähe der freien Oberfläche zweiter Ordnung und demgemäß
zu vernachlässigen. Das noch Uebrige aber ergiebt in der Nähe
der freien Oberfläche
19) tf = ** + << == -%>-{* ~-jjW)>
sodaß für 6 = 0 folgt
2roV
£"
= #*
wie verlangt ist.
Die gefundenen zweiten Näherungswerthe sind also
Beiträge zur Hydrodynamik. I. 63
9 = Vi + 9>2 = 20)
Tl 1 A • Idi~ A d'~ A Öäl\l
WL7+T~ 105 aa ^ d*4 a d*3 a2 ös2 ' J '
105 ag
0 = 0x + 62 =
r , /*(*£•) ^(^) .ö2(^)V
#— a #4- a 4m2 ( V r_ J 4 \ r_ J 4_ \ r / I
worin die Differentialquotienten nach e auch mit solchen nach a
zu vertauschen sind.
Aus ihnen folgt schließlich die Gleichung der freien Ober-
fläche in dritter Näherung wie oben.
Man hat nämlich
**5«HÖ]
2me [ 2mV
E* L + <?.Efi
während to von erster Ordnung in Bezug auf eja bleibt. Demge-
mäß wird die Gleichung der freien Oberfläche in dritter Annähe-
rung
Sind mehrere Quellen vorhanden, so ist die einfache Super-
position der Lösungen nur dann auch in zweiter Annäherung ge-
stattet, wenn dabei die Bewegung der Flüssigkeit den Charakter
eines Rotationskörpers behält, also die Quellen sämmtlich auf der
Z-Axe liegen.
Besitzt die Flüssigkeit die endliche Tiefe a, und befindet sich
im Boden eine kreisförmige Oeffnung um die Z-Axe vom Radius
R, durch welche Flüssigkeit etwa aus einem Rohre zuströmt nach
dem Gesetz
W - - 2^W^' 22)
worin S das ganze in der Zeiteinheit eintretende Volumen be-
zeichnet , dann bestimmt sich leicht *)
— O /* #>Cz4-p— C* dt
23)
1) Vergl. H. Weber, Crelle's Jour. 75, 76 1872.
64 w- Voigt,
wo Jh wie gewöhnlich die Bessel'sche Function ht6r Ordnung be-
zeichnet. Denn diese Function ist eine Lösung der Hauptglei-
chung J(fx = 0 und ergiebt für 0 = +a
und dies Integral ist gleich Null, falls e > R ist, und ist gleich
+ SI27tR\JW^?,
falls e < R, erfüllt also für 0 = + a die obige Bedingung (22).
Aus ihm folgt, da
dJ°x
dx
ist,
= — Jlx
U, SBS — i = +
de ' 2;ri2.,(
und hieraus durch Einsetzen in die Gleichung (2) für 0 = 0
Ist E verschwindend klein, so giebt dies
25) a«*Lj[ ec«_e-taj -«*
In diesem letzteren Fall kann man bekanntlich das Integral auch
durch eine unendliche Eeihe ausdrücken, denn für g>, gilt hier der
Ansatz
9>, = — •»£
bei welchem die supponirten Massen m sich durch das einströ-
mende Quantum S ausdrücken, sodaß m = S/2jt ist. —
Wir haben oben ausschließlich stationäre Bewegungen betrach-
tet; die Methode ist aber, wenngleich weniger einfach, auch auf
nichtstationäre anwendbar, wenn nur d<p/dt eine bestimmte Klein-
heit besitzt. Probleme, welche in der erörterten Weise sich be-
handeln lassen, bietet die Pulsation oder die verticale Fortschrei-
tung einer Kugel in einem unendlichen Teiche.
Beiträge zur Hydrodynamik. II. 65
IL Eeihe.
Vorgelegt am 7. März 1891.
4. Stationäre conibinirte Bewegungen, welche nur von zwei
Coordinaten abhängen, innerhalb einer incompressibeln Flüs-
sigkeit unter der Wirkung äusserer Kräfte, welche ein
Potential haben.
Faßt man in die Bezeichnung Sl zusammen das Aggregat
a = ez> + ^- + i V\ 1)
s
worin <& das äußere Potential und V die Lineargeschwindigkeit
der Flüssigkeit ist, so lassen sich die Eul er' sehen Grleichungen
für eine stationäre Bewegung schreiben *)
2(vt-wrj) = +— ,
2(1*6-1,0 = + ^J> 2)
dz
Aus ihnen folgt
dx dy dz
fcdÄ dSl d&l ft on
^=2Frsin(F,r);
in der letzten Gleichung bezeichnet r die resultirende Rotations-
geschwindigkeit, (V,t) den Winkel der Wirbelaxe gegen die Rich-
tung von V. und dü/dn den Differentialquotienten von £ nach der
Richtung der Normalen auf der durch die Stelle ff, y, a gehenden
Fläche St = Const.
Diese Fläche tt = Const. hat hiernach die Eigenschaft, daß
in ihr sowohl die Wirbel- als die Stromlinien liegen, welche durch
den Punkt >, y, z hindurchgehen, und daß zwischen zwei Nach-
1) Lamb-Reiff, Hydrodynamik. Freiburg 1884 p. 482.
66 W.Voigt,
berfläcben £1 = C und Sl = C + d C die Normale dn eine solche
Länge besitzt, daß
Vt dn sin (F, t)
constant ist.
Zwei specielle Fälle von Bewegungen, welche mit diesen Be-
dingungen verträglich sind, hat S t o k e s *) angegeben. Ich werde
im Folgenden sämmtliche stationäre Flüssigkeitsbewegungen ablei-
ten, welche aus Wirbel- und Potentialbewegungen combinirt und
nur von zwei Coordinaten abhängig sind.
a) Ebene combinirte Bewegungen lassen sich durch eine
einzige Function a darstellen, so daß
da da d2a , d2a . _
J dy dx dx dy
ist , falls t die resultirende Wirbelgeschwindigkeit bezeichnet.
Die Bewegung ist nämlich dann eine combinirte , wenn a einen
additiven Theil ax enthält, welcher der Gleichung dax = 0 ge-
nügt; dieser giebt für sich eine Potentialbewegung, a = Const.
giebt allgemein das System der Stromcurven.
Die Gleichungen (1) nehmen hier die Form an
n da dSl n da dSl
5) 2r-r— SP - — , 2t-^ — = — 3 — ,
; dx dx ' dy dy
woraus folgt, daß t und & Functionen von a allein, also längs
jeder Stromcurve constant sein müssen; ein Resultat, das, soweit
es t betrifft , auch aus den bekannten von Helmholt z' sehen
Sätzen über Wirbelbewegungen folgt.
Enthält a nur t, so ist, falls man kurz
da , d2a „
— - = a >', -rry = a
dt ' dt2
öclAl!
.dt , dt
6)
dy ' dx'
2 = ar2Et,
ist, und die Hauptgleichung (4) für a lautet:
7) Ja + 2t = a"Et + a'Jt + 2r = 0.
Soll sich aus derselben co als Function von t allein bestimmen, so
muß auch Et und At nur von r allein abhängen. a2Et ist aber
1) Stokes, Math, and Phys. Papers, Cambridge 1880, I p. 1.
Beiträge zur Hydrodynamik. II. 67
gleich V* und &' nach Annahme nur von r abhängig. Sonach sagt
unser Resultat aus, daß eine ebene combinirte stationäre
Bewegung unter der Wirkung von Kräften, welche
ein Potential haben, nur in der Weise stattfinden
kann, daß längs jeder Stromcurve sowohl Wirbel-
ais Lineargeschwindigkeit constant ist. Benach-
barte Stromcurven haben demzufolge in ihrem gan-
zen Verlauf auch gleichen Abstand von einander.
Um die allgemeinste Bewegung, für welche co und demgemäß
Et und z/r nur von r abhängen, wirklich zu bestimmen, ist aber
die Form (7) der Hauptgleichung für o nicht bequem, sondern es
empfiehlt sich dazu, die Ausgangsformel
z/a + 2r = 0
von den Coordinaten #, y auf ein anderes orthogonales System r
und 6 zu transformiren.
Definirt man zwei Größen P und Q dadurch, daß die Linien-
elemente dt und ds , welche normal zu den Curven r = Const.
und 6 = Const. bis zu den betr. Nachbarcurven errichtet werden
können, die Längen haben
dt = Pdt, ds = Qd6, 8)
so führt obige Gleichung bei der Transformation bekanntlich auf
Soll nun co nur von r abhängen, so gilt Gleiches von P und Q,
und hieraus folgt, daß nicht nur die Linienelemente dt, welche
auf den tf-Curven durch zwei Nachbarcurven r abgegrenzt werden,
längs derselben r-Curven constant sind, sondern daß auch die 6-
Curven, welche gleichen Zuwachsen dd des Parameters entsprechen,
auf einer und derselben r-Curve lauter gleiche Abschnitte bezeich-
nen. Letzteres läßt sich auch so aussprechen, daß ein System <J-
Curven, welches eine bestimmte r-Curve in gleich lange Elemente
ds zerlegt, auch auf allen andern r-Curven gleiche Stücke dsk ab-
grenzen muß.
Dies genügt zur vollständigen Bestimmung der Natur beider
Curvensysteme.
Denn ist q der Krümmungsradius an einer beliebigen Stelle
einer bestimmten r-Curve, ds ein auf ihr abgegrenztes Linienele-
ment, und sind dt und dtx die Normalenelemente in seinen End-
punkten bis zur Nachbarcurve , so grenzen dieselben auf der
Nachbar curve ein Element dsx ab, für welches nun
68 W. Voigt,
10) dsjds = (q ± ät)lQ
ist. Nach den obigen Resultaten soll nnn sowohl dt als dsjds
längs derselben r-Curven den gleichen Werth haben, dies ergiebt
aber, daß daselbst q constant sein mnß. Hieraus folgt das Resultat :
Die allgemeinsten mit den gestellten Bedingun-
gen verträglichen ebenen Bewegungen sindStrömun-
gen in concentrischen Kreisen oder parallelen Gera-
den, wobei das Gesetz, nach welchem die Geschwin-
digkeit von einer Stromcurve zur andern variirt,
willkürlich bleibt.
Die tf-Curven sind hiernach von einem Punkt ausgehende oder
parallele Gerade. —
Noch ist in Betracht zu ziehen, daß nach (5) wie co, so auch
Sl nur von z oder, was jetzt dasselbe ist, von co abhängen soll;
da nun für V Gleiches gilt, so muß nach (1) auch (# -f p/s) nur co
enthalten. Besitzt die Flüssigkeit eine freie Grenze, so wird
diese von einer Stromcurve gebildet und ist in ihr p constant.
Man erkennt sonach, daß auch <& in der freien Grenze constant
sein muß.
Eine Art Ausnahmestellung innerhalb der obigen allgemeinen
Betrachtung nimmt der von S t o k e s angegebene specielle Fall ein,
in welchem t in der ganzen Flüssigkeit constant ist; dann ist
auch nicht nothwendig die Geschwindigkeit längs jeder Stromcurve
constant. Ein Ansatz für co ist hier
11) co = co1 + ax* + 2bxy + cy*,
wo 4cot = 0 ist; hier ist dann
Jco = 2(a + c) = -2r.
b) Combinirte Bewegungen, welche in Ebenen durch eine Axe
und zwar rings um dieselbe in gleicher Weise stattfinden, lassen
sich gleichfalls durch eine einzige Function co darstellen.
Ist die Z-Axe die ausgezeichnete Richtung, und bezeichnet
man mit e den normalen Abstand eines Punktes von ihr, mit s
die Geschwindigkeit parallel zu e, so kann man setzen
1 0N , 1 dco 1 d co ö8o , d f 1 dco \ , 0 n
falls wieder r die resultirende Wirbelgeschwindigkeit bezeichnet.
Die Bewegung ist eine reine Potentialbewegung, wenn r = 0
ist, sie ist eine combinirte, wenn co ein additives Glied enthält,
welches für sich allein die letzte Gleichung (12) bei verschwin-
dendem t erfüllt.
Beiträge zur Hydrodynamik. II. 69
(0 = Const. giebt wiederum die Schaar der Stromcurven.
Die Euler sehen Gleichungen (2) nehmen hier die Form an
2t deo ^dSl 2t deo d&
woraus folgt, daß t/e = # und ü die Coordinaten e und z nur in
der Verbindung co enthalten, also längs der Stromcurven co = Const.
auch constant sein müssen. Soweit dies Resultat die Wirbelge-
schwindigkeit t betrifft, folgt es ebenfalls aus den bekannten
Helmholt z' sehen Sätzen über diese Große.
Enthält # nur co, so enthält auch co nur # und man erhält,
wenn man wieder abkürzt dco\dt = co', tfcojdt2 = co" :
co' d& co' d&
f'2
s = + — -t-, w = r-, also V2 = -*- £#, 14)
e dz e de e '
während die Hauptgleichung für co lautet
Soll dieselbe o als Function von # allein bestimmen, so muß so-
wohl der Factor von co", als der von co nur von # abhängen, also
längs einer Stromcurve constant sein. Ersterer unterscheidet
sich daselbst nur durch eine Constante von F8, folglich muß
bei der betrachteten Bewegung wiederum die Ge-
schwindigkeit längs jeder Stromcurve einen constan-
ten "Werth besitzen.
Die möglichen Bewegungen genauer zu erkennen, wenden wir
das oben benutzte Verfahren an und transformiren die Hauptglei-
chung für co auf ein orthogonales Coordinatensystem #•, <?. Diese
Transformation läßt sich auch für diese Gleichung, welche nicht
etwa mit der Formel deo + 2# = 0 übereinstimmt , nach der be-
kannten J a c o b i' sehen Methode für jene Gleichung ausführen und
liefert, falls analog mit (8) jetzt
dt = Pd&, ds = Qdö 16)
gesetzt wird:
vk[i(*S)*£($S)]+— * "»
Soll co nur von # abhängeu, so muß Gleiches von ePQ und eP/Q,
d. h. also von eP und Q selbst gelten.
Hieraus folgt, daß die Normalenelemente dt zwischen zwei
Nachrichten Ton der K. G. d. W. m Göttingen. 1801. No. 2. 6
70 W. Voigt,
benachbarten r-Curven mit e indirect proportional sein müssen —
in lieber ein Stimmung mit dem Inhalt der letzten Formel (3) — ,
und außerdem, daß ein System tf-Curven, deren Parameter sieb um
den constanten Betrag dö unterscheiden, auf einer und derselben
T-Curve gleiche Längen abgrenzen; oder anders ausgedrückt, daß
ein System tf-Curven, welches auf einer r-Curve gleiche Längen
ds abschneidet, auf jeder anderen r-Curve auch gleiche Längen dsh
abgrenzt.
Hierdurch bestimmt sich wiederum das System der t- und
<?-Curven ; denn die an Formel (10) angeknüpften Folgerungen führen
hier zu dem Resultat, daß längs derselben T-Curve der Krümmungs-
radius q mit e indirect proportional sein muß. Diese Bedingung ist
dieselbe , welche die capillare Oberfläche einfacher Krümmung für
eine schwere Flüssigkeit bestimmt, wenn man gegen e die Erhe-
bung oder Senkung eines Oberflächenpunktes gegen das unendliche
Niveau versteht; die bei jenem Problem möglichen Begrenzungs-
curven werden also in unserm Problem Stromcurven darstellen
können, falls es möglich ist, mit ihnen irgend ein von
^ = -oo bis #=4-oo reichendes oder ein imEnd-
lichen liegendes ringförmiges Bereich zwischen
zwei derartigen Curven den gestellten Bedingun-
gen gemäß zu erfüllen; denn es soll nicht nur eine einzelne,
sondern jede Stromcurve die gefundene Eigenschaft besitzen. Die
einfache Betrachtung der bekannten capillaren Grenzcurven zeigt
aber, daß dies nur in den beiden Fällen möglich ist, daß die
Stromcurven zur Z-Axe parallele Gerade oder in unendlicher Ent-
fernung von der Z-Axe befindliche concentrische Kreise sind ; letz-
terer Fall gehört aber im Grunde zu dem vorigen und nicht zu
diesem Problem.
Wir haben also das Resultat gewonnen:
Stationäre combinirte Bewegungen, welche in
Meridianebenen und rings um die Axe gleichmäßig
verlaufen, sind unter der Wirkung von Kräften,
welche ein Potential haben, nur so möglich, daß die
Stromcurven der Axe parallele Gerade sind.
Bezüglich des Potentiales der äußern Kräfte gilt dasselbe,
was S. 68 schon erörtert ist.
Eine Ausnahme bildet hier, wie früher, der von Stokes an-
gegebene specielle Fall, daß t/e = # innerhalb der ganzen Flüs-
sigkeit, also ganz von selbst auch längs der Stromcurven constant
ist. Hier sind die Schlüsse von S. 69 nicht anzustellen, die Ge-
schwindigkeit ist also auch nicht längs der Stromcurven constant.
Beiträge zur Hydrodynamik. II. 71
Für o kann man in diesem Fall z. B. setzen
ö = ai -f- e2 (ae* -f hez -f cz2) ,
worin c^ eine beliebige Potentialbewegnng darstellt.
Das speciellere Problem gestattet also eine viel allgemeinere
Lösung als das allgemeine.
5. Eine ans Potential- nnd Wirbelbewegung combinirte, nicht
stationäre Strömung innerhalb einer ruhenden ellipsoidisehen
Schaale.
Vollkommen durchführbare Probleme nichtstationärer Flüssig-
keitsbewegungen derjenigen Art , welche ich als „combinirte" be-
zeichnet habe, sind überaus selten. Die von Herrn Kirchhoff1)
und später von den Herrn Grröbli2) und Greenhill3) behan-
delten Bewegungen einzelner Wirbelfäden und eines elliptischen
Wirbelcylinders gehören nicht direct hierher, weil sie in einem
Theil des Baumes nur Wirbel-, in dem andern nur Potentialbe-
wegungen voraussetzen ; überdies sind sie speciell ebene Pro-
bleme.
Zu den combinirten Bewegungen gehört unter anderen der
Fall des gravitirenden flüssigen Ellipsoides , wie er zuerst von
Dirichlet, dann von Riemann u. A. behandelt ist; aber die
Schwierigkeit dieses Problemes gestattet seine Durchführung nur
in einzelnen speciellen Fällen und die in diesen erhaltenen Re-
sultate sind nicht besonders anschaulich. Ueberdies liefert es
kein Beispiel zu dem methodischen Weg der Durchführung sol-
cher Probleme, wie er z.B. von Kirchhoff4) auseinander ge-
setzt ist.
Aus diesen Ursachen dürfte das folgende einfache und ele-
gante Problem vielleicht einiges Interesse verdienen.
Es sei eine ellipsoidische Schaale, deren Glei-
chung
x2 y2 *_2
ist, mit einer incompressibeln Flüssigkeit gefüllt
1) Kirchhoff, Mechanik. Leipzig 1876 p. 257 u. f.
2) Gröbli, Specielle Probleme etc. Zürich 1877.
3) Greenhill, Quaterly Journ. of Math. 1877.
4) K i r c h h o f f 1. c. p. 253.
6*
72 w. Voigt,
und derselben eine Anfangsgeschwindigkeit derartig
ertheilt, daß die Componenten u, v, w lineare Functio-
nen der Coordinaten sind. Nach Wahrscheinlichkeit haben,
wenn äußere Kräfte entweder garnicht wirken, oder nur solche
vorhanden sind, die ein Potential besitzen, dann die Componenten
zu jeder Zeit die genannte Form.
Wir setzen
u = an x + an y + a13 z ,
2) v = a21x + ai2y + a2Sz,
w= a3lx + aSiy + aaBz,
wo die ahk die Zeit allein enthalten und nach der Incompressibili-
tätsbedingung
3) an + a22 + a38 = 0
sein muß.
Soll diese Bewegung durch das feste Ellipsoid (1) begrenzt
werden, so muß
; a2 + ¥ + c2 ~ ü
sein, d. h. für Werthe x} y, z, welche der Formel (1) genügen,
und
Z™ J_ llü "81 , "i8 u12 r "21 A
&8 + c2 "~ *7 + ^" - tf + v u
sein. Erstere Bedingung führt mit (3) auf
«11 = «22 = «33 = °>
und somit wird die Bedingung (4) jetzt allerorts erfüllt und findet
die Strömung durchaus längs der Ellipsoide statt, welche zu (1)
ähnlich sind.
Die letzteren Formeln, mit den Definitionen der Wirbelcom-
ponenten
2 £ = — _ -^ 9 du dw 9 dv du
*"dy dz' *n - dz~~~dx~> *l-Jx~~~~ty
oder
2S = «8*-«*n 2V = «is -«an 2S = «2i — «12
Beiträge zur Hydrodynamik. II. 73
combinirt, gestatten die übrigen ahle durch g, % % auszudrücken, so
daß sich findet
2c2| .. 2a*t} w 262f
5)
^2 ~ 6t+cl, «13~c2 + a8, a4l~5i+6i»
r?*!l -2c2^ -2q'e
Nun gelten, wenn die Flüssigkeit unter der Wirkung von Kräften
steht, welche ein Potential besitzen , bekanntlich die Formeln l)
ä% _ ^ d*4 du du
öfy fc 6t; 6w dt> Ä
3* =6äi + *ä* + *S' 6)
Dieselben geben in unserm Falle, wo die |, % £ nur von der Zeit ab-
hängen, die vollständigen Differentialgleichungen für diese Größen,
welche unter Rücksicht auf die obigen Werthe (5) lauten:
<% « ( 1 1 \ 2a'(^^2-c,)
cft - ^5a Vc2+a2 a2+b2J ~ ^(c2+a«)(a2+62)
*2-2tt&»(-J: L.S - • g£ 262(c»-a2) 7)
cft " " 65 W+fc2 6»+cV "" 6S(a*4-6*)(6*+c")
* 9* ,* f _L __1_^ _ t 2c>2-62)
Ä -- ^c ^2+c2 c2 + aV ~~ ^(62 + c2)(c8+^)'
Dieses System hat eine große Aehnlichkeit mit demjenigen,
welches die Rotation eines starren Körpers um einen festen Punkt
ohne Einwirkung äußerer Kräfte bestimmt , und gestattet auch
eine ähnliche Behandlung.
Zwei Integrale erhält man , indem man die drei Gleichungen
(7) resp. mit den Factoren
«'S, «Vi, n
und
6Vg cVq a%b*t
V+f c%+a2' a*+b*
zusammenfaßt, dieselben lauten
1) Helmholtz, Crelle's Journ. 55, 34, 1858; ges. Abh. I, p. 111, Leipzig 1882.
74 W. Voigt,
8) a2r+62^2+c2r = ti\
&V? cWrf a*br _ ,
yj 62 + cai"c2+a2i"a2+62 " *2'
falls ßx und &2 Integrationsconstanten bezeichnen.
Multiplicirt man die letzte Gleichung mit
(&2+c2)(c2+a2)(a2+68)/a26V,
zieht die erstere davon ab und dividirt das Resultat durch
(&V+cV+a2&2),
so resultirt
£2 <n2 t?
io) i.+j+5-v
wo &3 für das rechts auftretende constante Glied gesetzt ist.
Nun lassen sich g, ^, £ deuten als die Coordinaten des End-
punktes eines Vectors, der in jedem Moment vom Coordinatenan-
fang aus parallel der Wirbelaxe in einer Länge gleich der resul-
tirenden Wirbelgeschwindigkeit t construirt ist ; wir nennen ihn
weiterhin kurz den Vector r.
Die Gleichungen (8), (9) und (10) sagen nun aus,
daß dieser Endpunkt bei der Bewegung der Flüssig-
keit auf der Schnittcurve zweier dieser drei Ellip-
soide, die sichhiernach sämmtlich in derselben Curve
schneiden, verharren muß. Das letztere Ellipsoid ist der
durch (1) gegebenen Begrenzung der Flüssigkeit ähnlich.
Bezüglich der Integrationsconstanten h2 und Jc3, welche sich
durch den Anfangszustand bestimmen, läßt sich sagen, daß falls
a >b >c
ist, auch
11) (a>+V) >|> (b>+c>)
sein muß. Die Halbaxenquadrate der Ellipsoide (9) und (10) sind
resp.
2 - *2 fä* , », -- «1 C2a2 , ^2 — ^2 tftf ,
a\ = a2k3, b\ = b2Jc3, c\ = c%\.
Aus der Ungleichung (11) folgt sogleich, daß die beiden Ellip-
soide einander stets schneiden, denn wenn a\ <c a\ ist, so folgt
umgekehrt c\ > c\.
Beiträge zur Hydrodynamik. II. 75
Sind die a- oder c-Axen für beide nahe gleich, so hat die
Schnittcurve elliptische Gestalt und die Wirbelaxe bleibt
immer in der Nähe der bezüglichen Ellipsoidaxe ; sind die 6-Axen
nahe gleich , so hat die Schnittcurve in der Nähe derselben den
Charakter einer Hyperbel, die Wirbelaxe entfernt sich also um
endliche Winkel von ihr, auch wenn sie ihr zu irgend einer Zeit
unendlich nahe war. Dies stimmt vollständig mit den Sätzen über
die Stabilität resp. Labilität der Rotation eines starren Körpers
um die Axe größten, kleinsten oder mittleren Trägheitsmomentes
überein.
Die vollständige Lösung des Problemes geschieht durch ellip-
tische Functionen. Setzt man am(lt + (i) kurz gleich ip und
£ = Acost, rj = Bsmip, % = CJty 12)
und bezeichnet man den Modul mit x, so liefern die Gleichungen
(7) folgende drei Relationen zwischen fünf von den sechs willkür-
lichen Constanten A, B, C, x, A, p:
AI 2a2(c*-b*) Bl 2b2(c*-a*) , Ck 2c2(b*-a*)
BC~~ N ' CA" N ' * AB ~~ " N ' 1&)
worin N = (b2 + c2) (c2 + a2) (a2 + b2) bedeutet. Aus ihnen lassen
sich drei der sechs Constanten durch die übrigen ausdrücken,
diese hinwiederum bestimmen sich durch den Anfangszustand.
Wir wollen B2, A2, x2 durch die übrigen geben und erhalten,
indem wir das Verhältniß der ersten und zweiten, sowie der ersten
und dritten Formel und das Product der ersten und zweiten bilden :
D ~ a2(c4-64) ' C2 a2{c*-V) '
4CW/4 4W4 M,
14)
Was die Bestimmung der noch verfügbaren drei Constanten A, B
und [i durch den Anfangszustand anbetrifft, so liegen die Ver-
hältnisse hier einfacher, als bei dem Problem der Rotation eines
starren Körpers, weil zwischen den Geschwindigkeiten w, v, w
und den Wirbelcomponenten nach (2) und (5) lineare Beziehun-
gen bestehen, welche, wenn die Anfangsgeschwindigkeiten t*0, v0, w0
gegeben sind, ohne Schwierigkeiten die Anfangswerthe j;0, i?0, £0 an-
zugeben gestatten, und umgekehrt.
Rechnen wir die Zeit von dem Moment an, wo V = <*m (M + t1)
gleich Null ist, oder setzen wir, was dasselbe ist, ft = 0, so er-
geben die Ansätze (12)
76 w- Voigt,
&< = A, 50 = 0,
also A und C vollständig bestimmt. Das Vorzeichen von B be-
stimmt sieb durch die erste Gleichung (13), wenn dasjenige von X
festgesetzt ist. Eine Umkehrung des Zeichens von A hat Gleiches
für B zur Folge, daher ist eines der beiden völlig willkürlich zu
wählen. —
Sind die Wirbelcomponenten g, % £, wie vorstehend gezeigt,
durch elliptische Functionen der Zeit ausgedrückt, so folgen daraus
sogleich die vollständigen Werthe der Geschwindigkeiten:
\c* + a* a2+b2 J '
Wendet man diese Ausdrücke auf die Zeit t = 0 an, so erhält
man unter Berücksichtigung des oben Entwickelten
1a? Cy „,,/ Cx A* \ , 2cä Ay
diese Formeln zeigen, wie die Constanten A und C mit den An-
fangsgeschwindigkeiten zusammenhängen und geben von dem An-
fangszustand selbst eine anschauliche Vorstellung. Die XZ-Ebene
dreht sich z. B. im ersten Moment wie eine starre Platte um die
Gerade
Cx Az
a2+b2 ~~ b2+c2
mit der Winkelgeschwindigkeit
\ (b2
C2
- + — -
(62 + c2)2 ' (bz + ay
die Y-Axe um die Gerade
d2 Cx c2A#
mit der Winkelgeschwindigkeit
V (b2+c*^
a*C2
f ' (a2+bj
Beiträge zur Hydrodynamik." IL 77
Die Gleichungen der Strom- oder Geschwindigkeitscurven wer-
den erhalten, indem man in (15)
u = Vdx/ds, v = Vdy/ds, w = Vdz/ds
setzt und die Gleichungen (15) bei constanten t nach s integrirt;
ds bezeichnet dabei das Linienelement der Curven und V die resul-
tirende Geschwindigkeit.
Integrable Combinationen erhält man aus (15), wenn man die
drei Gleichungen resp. mit den Factoren
x jf e , 6VJ c2a'r} a%¥£
-?t -fe. Hr und
zusammenfaßt. Sie liefern die Integrale
xlh\& ync'a> HaW „
worin m und mx die Integrationsconstanten bezeichnen. Das erste
ergiebt eine Schaar zu der Begrenzungsfläche (1) ähnlicher Ellip-
soide, was nach S. 72 vorauszusehen war, das zweite eine Schaar
Ebenen, welche parallel sind zu der Tangentenebene, die sich an
das z w e i t e Ellipsoid (9) im Endpunkt desVectors t, d.h. an der
Stelle wo dasselbe von der augenblicklichen Wirbelaxe geschnitten
wird, construiren läßt.
Dies ergiebt den anschaulichen Satz :
Die Strom- oder Geschwindigkeitscurven sind in
jedemMoment gegeben durch die elliptischen Schnitt-
linien der Schaar zu dem begrenzenden ähnlichen
Ellipsoide mit der Schaar Ebenen, welche parallel
sind der Tangentenebene an dem zweiten Hülfsellip-
soid in dem Punkte, wo dasselbe von der momentanen
Wirbelaxe geschnitten wird.
Aber diese Ellipsen sind keineswegs zugleich die Bahncurven
der einzelnen Flüssigkeitstheilchen, da ja die Bewegung nicht sta-
tionär ist.
Diese, sowie die Bewegung der Flüssigkeitstheilchen in ihrer
Bahn zu erhalten, muß man in (15)
u = dx/dt , v = dy/dt , w = dz/dt
setzen und durch Integration x) y) z als Functionen von t bestimmen;
78 W. Voigt,
bildet man aus diesen Beziehungen durch Elimination von t zwei
von der Zeit unabhängige Gleichungen zwischen x, y, #, so geben
diese die Gleichungen der Bahn.
Wiederum sind zwei Integrale sehr leicht zu bestimmen. Denn
die Factoren x/a2 , yjb2, zjc2 geben aus (15) eine auch nach t inte-
grable Combination und damit das Integral
18) $+£ + $ = «,
welches nur aussagt, daß, wie jede Stromcurve in jedem Moment,
so auch jedes einzelne Flüssigkeitstheilchen während seines gan-
zen Laufs auf einem zu dem begrenzenden ähnlichen Ellipsoid
bleibt. Faßt man hingegen die Gleichungen (7) mit den Factoren
x/a2, y/b2, 0/c2 und die Gleichungen (15) mit den Factoren £/ct2,
rj/b2, f/c2 zusammen , so erhält man eine zweite integrable Combi-
nation, welche liefert
iyj a2+ b2 + c2 ~ n '
n ist dabei die Integrationsconstante.
Die Gleichung giebt unendlich viele Ebenen , welche parallel
sind der Tangentialebene, die sich in dem betreifenden Zeitpunkt
an dem dritten Ellipsoid (10) im Endpunkt des Vectors r ziehen
läßt und sich mit diesem bewegt.
Ein gegebener Werth der Integrationsconstanten m und n be-
stimmt eine Reihe Flüssigkeitstheilchen, die zu irgend einer Zeit
die Schnittellipse zweier bestimmter Flächen (18) und (19) erfüllen;
die letzten Formeln zeigen, daß dieser Flüssigkeitsfaden zu jedem
Zeitmoment die Gestalt der Schnittcurve dieser selben beiden
Flächen besitzt, also mit der Ebene (19) auf dem Ellipsoid (18)
herumwandert, dabei zwar immer eine elliptische Gestalt behält,
aber seine Form von Moment zu Moment ändert.
Man kann mit Hülfe der bisher gefundenen Resultate sich
schon eine recht deutliche Vorstellung von dem Verlauf der Bah-
nen auf einem der Ellipsoide (18) verschaffen. Construirt man
nämlich auf demselben für gleiche und kleine Zeitintervalle alle
Lagen öi: <?2... der Schnittcurve desselben mit der Ebene (19),
so geben diese die successiven Positionen eines und desselben Flüs-
sigkeitsfadens. Legt man ferner durch den Mittelpunkt des Ellip-
soides für jeden der gewählten Zeitpunkte die ihm entsprechende
Ebene (17), so liegt ihr parallel die Geschwindigkeit, welche in
dem betrachteten Moment alle Theile jenes Flüssigkeitsfadens ha-
Beiträge zur Hydrodynamik. TL 79
ben. Man kann also leicht Linienelemente ds zwischen den Cur-
ven 6X , o2 . . . construiren in der Richtung der Bewegung , welche
die benachbarten Flüssigkeitstheilchen besitzen, und so einen zu-
sammenhängenden Zug von Elementen ds gewinnen, der die Bahn-
curve eines Theilchens angiebt.
Unter diesen Bahnen ist eine bestimmte Schaar von beson-
derer Einfachheit und sogleich angebbar.
Für die Gleichungen (15) ist nämlich
* = «6, y = $%i * = 25 20)
ein particuläres Integral, denn durch Substitution dieser Werthe
geht das System (15) in (7) über; dieser Umstand ist ein Aus-
druck des bekannten He lmholtz' sehen Satzes, daß die Wirbel-
linien immer von denselben Theilchen gebildet werden, jene Coor-
dinaten x, y, z entsprechen nämlich Flüssigkeitstheilchen auf dem
Vector t. Hieraus folgt, daß die Schnittcurve der Ellipsoide (9)
und (10) und die ihr auf den ähnlichen Ellipsoiden (18) entspre-
chenden specielle Bahncurven sind.
Was nun endlich die Darstellung der Coordinaten x, y, z eines
jeden Flüssigkeitstheilchens als Functionen der Zeit allein anbe-
trifft, so ist ein particuläres Integral der Gleichungen (15), näm-
lich das Werthsystem (20)
*i ■* <iti Vi = av, «i = «£t
bereits oben benutzt worden. Wie man aus diesen die allgemeinen
Ausdrücke für x, y, z ableiten kann , hat Herr Dr. V e n s k e in
einer dieser Arbeit sich anschließenden Notiz gezeigt. Die allge-
meinen Resultate , die sich durch elliptische Integrale ausdrücken,
sind wenig übersichtlich.
Wir wollen uns daher eingehender nur mit dem speciellen Fall
beschäftigen, daß das Ellipsoid (1) ein Rotationsellipsoid um die
Z-Axe, also a = b ist. Hier läßt sich die vollständige Integra-
tion der Gleichungen (15) nach t ohne Schwierigkeit ausführen.
Zunächst giebt die dritte der Gleichungen (7) d%jdt = 0, wo-
raus wir £ = v schließen, falls v eine Constante bezeichnet, und
die ersten beiden nehmen die Form an:
worin kurz v—x r = A gesetzt ist.
c2+a2 ö
80 W. Voigt,
Hieraus folgt bei geeigneter Verfügung über den Anfangspunkt
der Zeit t
23) £ = jjcosA£, r\ = ^sin/U;
die Wirbelaxe wandert also mit gleichförmiger Geschwindigkeit in
einem Kreiskegel von der Oeffnung -fr, wo tg# = v/p ist, um
die Z-Axe; die Umlaufsdauer ist
24) T = ±2ä/A = ±2^(c2 + a2)/i/(c2-a2)?
also um so kleiner, je mehr das Ellipsoid von der Kugel ab-
weicht.
Für die Geschwindigkeiten erhält man nach (15) die Werthe:
u = — vy-\ [läsmAt,
25) v = + vx /ß#cosA£,
w = ^(i/cos A£— x sinkt) .
Eine particuläre Lösung dieser Gleichungen für #, ?/, e als Func-
tionen der Zeit ist bereits oben angegeben, nämlich
26) xx = gj = q^coskt, yt = ^ = q^ sinkt , *x = & £ = & v.
Eine weitere mit zwei Constanten findet man leicht direct, in-
dem man
26') £2 = q2cos(6t + Ö)
setzt; dann werden die obigen Gleichungen befriedigt durch
4. ¥>(?—*) fcos((g— k)t + d) cos ((<? + k)t+d)l
26") I ;,;.(,;;• ^
ft(y— A) r sin (((?- A) £ + d) sin ((<? + A) £ + ö)
y* = — 27~ a
L v + (<?_ A) v-(tf + A) J '
falls 6 =fa-iY+l+lx')'£ = ^LVaV-hc8^ ist.
Die Wurzel kann positiv genommen werden; das negative
Beiträge zur Hydrodynamik. II.
81
Zeichen würde sachlich dieselben Lösungen ergeben. Da nun die
gefundenen particulären Lösungen zusammen drei willkürliche Con-
stanten enthalten , und die Gleichungen (15) in Bezug auf x, y, z
linear sind, so geben
x = xx + x%, y = yt + y2, z = *x-kf%
die vollständigen Werthe der Coordinaten.
Sie lassen sich auch schreiben:
x = q1Licoskt— ^^l av cos(6 t+d) cos At—\J a^+c'ii2 sin (6t-\-d)sin lt\,
y — q^sinM— ^^\avcos(6t+d)sinXt+^a2v2+c2Li2sin(6t+ö)cosAt\1
s = qxv + g2cos (<? t -f d).
27
Führt man ein Coordinatensystem XXJ Tlt Zx ein, welches sich
mit derselben Winkelgeschwindigkeit, wie die Wirbelaxe, um die
Z-Axe dreht, setzt man also
xt = xcoslt-\-y sinkt, yt = — #sin It + ycos At , »x » jr,
so ergiebt sich
xx = gift— ** . C08 (6 1+ o) ,
LI C
Vi = -%il\Ja*v> + c2ii3sm{6t + d)
*x = ftv + ftcosfatf+tf).
28)
Hieraus folgen für die Bahn des Flüssigkeitstheilchens die Glei-
chungen
29)
fo-ffiri-^ + fo-ffi^T- = 0
und falls man
fo-giri»Q'-(*i-g,»Of^ = tf setzt,
*" y\ = JL
aV + c>9 + as (a* v8 + c' ft") f*V *
30)
Diese Formeln, deren erste sachlich mit (19) übereinstimmt,
82 W. Voigt,
geben folgende Resultate, von denen ein Theil im allgemeinen
Fall eines dreiaxigen Ellipsoides schon oben abgeleitet ist.
Die einzelnen Flüs sigkeitstheilchen bewegen
sieb in Ellipsen, welche senkrecht zu einer Meri-
dianebene durch die Z-Axe stehen, die ihrerseits mit
derselben Winkelgeschwindigkeit A, wie die Wir-
belaxe, um die Z-Axe rotirt. Die Ebene dieser Bahn-
ellipse ist die Tangentenebene an dem Ellipsoid
(10) im Endpunkt der Wirbelaxe r und demgemäß um
einen constanten Winkel & gegen die Z-Axe geneigt,
der sich bestimmt aus
_ VC?
also für alle Theilchen den gleichen Werth hat; sie
befindet sich vom Centrum des die Flüssigkeit be-
grenzenden Ellipsoides in dem Abstand
. a2v* + c*u,*
SlaW + fp?
der allein von der ersten Integrationsconstante qx
abhängt.
Die Halbaxenquadrate A2 und B2 der Ellipse sind
A% g*(aV + c>2) w g:a2(aV8 + cV2)
sie enthalten also nur die zweite Constante #2; erstere
Axe liegt in der Meridianebene, letztere normal dazu;
ihr Verhältniß ist für alle Theilchen von gleicher
Größe.
Diese rotirende Bahnellipse wird umlaufen in
der Zeit
p'2 M = *("2+c2)
6 a\]a2v2 + c2p% '
welche für alle Theilchen die gleiche G-röße hat, aber
von der Umlaufs dauer der Wirbelaxe verschieden
ist. Die Bahnen der Flüssigkeitstheilchen sind also
keine geschlossenen Curven. —
Für den Druck p, welcher innerhalb der bewegten Flüssigkeit
stattfindet, ergeben die Eul er' sehen Gleichungen
Beiträge zur Hydrodynamik. IL 83
du du du du \ sj
dt dx dy dz dx
u. s. f., falls wir das Potential O , welches sich von p/s nicht son-
dert, der Einfachheit halber gleich Null setzen, unter Benutzung
der Werthe (5) und der Differentialgleichungen (7), die Beziehungen
ittwfsf t + —?—) '*(*»+») ^ 1 = ,1 dp
a L \c\a*+by ^ b\c2+ayJ (ö2+cJj(c2+a2)K+^)J «6* '
u. s. f. Aus ihnen folgt durch Integration :
,*V rf__ 6' ^ 2foEy*+eS«* + Sq*y)| o9n
+ 2 Ua(c2+a2)2 a2(62-f-c2)V (&2 + c2)(c2 + a2)(a2+62) I' °^
Um hieraus die Kraftcomponenten und Drehungsmomente zu be-
rechnen, welche die Schaale erfährt, beachte man, daß
X = fp cos (na, x)do, L = fp (y cos (na,z) — zcos(na, y))do
ist, und ähnlich die anderen.
Hieraus ist zu gewinnen
k - St"" L = f(r£J&*
wo dk das Raumelement der Flüssigkeit bezeichnet. Da nun für
das Ellipsoid (1)
JjM = ^a*bc, ftfdk = ^raVc, ffdk m ^-abc>
ist, so resultirt sogleich:
X - Y = Z - 0,
L = PnUc'-V), M = PSS(a'-c'), 2f- P^(6'-a«), 33)
worin
32ita*b>c*e = p
1(bi+ci)(c'i+al)(ai + b>)
gesetzt ist.
84 W. Voigt, Beiträge zur Hydrodynamik. IL
Die ellipsoidische Schaale erfährt also seitens der bewegten
Flüssigkeit ein Drehungsmoment um eine Axe, deren Richtungs-
cosinus cc, ß, y gegeben sind durch
34) a:ß:y = nW-V) ■ ZW-??) ' ivQ>2-^),
von einer Größe
35) D = Prdsin(r,d);
hierin ist r die momentane Wirbelgeschwindigkeit, d die Länge
des Lothes vom Centrum der Schaale auf die Tangentenebene,
welche am ersten Ellipsoid (8) im Endpunkt der augenblicklichen
Wirbelaxe construirt werden kann, (r. d) der Winkel zwischen die-
sem Loth und der Wirbelaxe. Auch die Axe, um welche das re-
sultirende Moment wirkt, hat eine Beziehung zu diesem Ellipsoid.
Da nämlich nach (34) gilt
«6 + ßn+ ri = o und
36) aa'l + ßb'n + y&t = 0,
so steht die Axe des resultirenden Momentes stets normal zur
Ebene durch die momentane Wirbelaxe r und das Loth d.
Es haben also alle drei Ellipsoide (8), (9), (10) bei diesem Pro-
blem eine gewisse geometrische Bedeutung.
Ihre gemeinsame Schnittcurve giebt den Verlauf der resulti-
renden Wirbelgeschwindigkeit mit der Zeit an, das Ellipsoid (9)
kommt bei der Bestimmung der Strömungs- oder Geschwindig-
keitscurven , (10) bei der Bestimmung der Bahnen der einzelnen
Flüssigkeitstheilchen, endlich (8) bei der Bestimmung der Einwir-
kung in Betracht, welche die ellipsoidische Schaale seitens der
Flüssigkeit erfährt.
Göttingen, Anfang März 1891.
0. V e n s k e, Integration eines spec. Systems linearer Differentialgleichungen etc. 85
Zusatz.
Integration eines speciellen Systems linearer,
homogener Differentialgleichungen mit doppelt-
periodischen Functionen als Coefficienten.
Von
0. Venske.
Bei einer Untersuchung über nicht stationäre Wirbelbewegungen
einer idealen Flüssigkeit wurde Herr Prof. W. Voigt auf das
folgende System simultaner Differentialgleichungen geführt : j
^L — 9a* ( ■'** _ -lLS\
dt W2 + c2 a2 + 6V'
dt W + b2 c2+a2J '
In demselben bedeuten a, b, c Constanten, und g, rj, £ elliptische
Functionen von t, welche den folgenden Gleichungen genügen :
d£_ 2a2(62-c2)
dt (a2+&2)(aa+c2)^'
£_ 2*'(c2-a2) £ (B)
cft ' (&2+c2)(62+a2)
d£ 2c\a2-b2)
dt (c*+a2)(c2+&2)
Von Herrn Prof. W. Voigt aufgefordert habe ich mich mit
der Integration des Systems (A) beschäftigt. Die Resultate , zu
denen ich gelangte, teile ich im Folgenden mit.
Da das System (A) in das System (B) übergeht, wenn man
|, % £ anstatt x, y, z setzt, ist
# = £, y = Vi * — t
ein particuläres Integral des Systems (A).
Ich werde nun zeigen, wie man aus einem particularen Inte-
•ale unendlich viele andere von demselben und von einander li-
lear unabhängige particuläre Integrale gewinnen kann.
Nachrichten ron der K. 0. d. W. in Göttingen. 1891. No. 2. 7
gß 0. Venske,
xd V\i z\ sei e*n particuläres Integral des Systems (A), wel-
ches für einen bestimmten Wert t0 der unabhängig Variablen t
der Gleichung genügt
(ö) ~tf+~w+v - l:
Es existieren jedenfalls unendlich viele Systeme particulärer
Integrale x2 , y2, #2 und x3 , ?/3 , z% von der Art, daß für denselben
Wert t0 von t die Gleichungen bestehen
(6)
(c)
0>)
(e)
(f)
Die linken Seiten der Gleichungen (a), • • -,(f) sind aber Constanten,
wie ich sogleich beweisen werde.
Der Voraussetzung nach bestehen die Relationen
< , #2 ,
a2 T 6a 't'
c2
= 1,
a2 T &2 +
4
c3
= 1,
a2 ' 62 '
^1^2
c2
= 0,
#2^3 1 2/22/3 ,
a2 ' &s '
#2 #8
c2
= 0,
a2 1 62 '
c2
= 0.
cft ~ ^ Va2+c2 a2+&V'
dt ~~ U'+a2 &2+cV'
dt \c2+b2 c2+a*J'
(i = 1, 2, 3).
Multipliciert man dieselben der Reihe nach mit
(* = 1,2,3)
und addirt dann, so erhält man
- i^^ + A^ + f*.^ X* dx* V* dV* S* d**
a* dt "*" b* dt "*" c2 dt a? dt V dt c2 dt
Integration eines spec. Systems linearer, homogener Differentialgleichungen etc. 87
und hieraus
Die aufgestellte Behauptung ist also erwiesen, und damit ist dar-
gethan, daß *,, pl9 Mt\ xa, y„ #8 ; x3, y3, z3 für jeden Wert des
Argumentes t den Gleichungen (et), •••,(f) genügen.
Aus diesen Gleichungen folgt, wenn s eine zweite Einheits-
wurzel bedeutet,
X> = "^^3^-y^.)i (9)
I**, Vi, *«| = *'<&** (« = 1,2,3) ft)
Multipliciert man die Gleichungen (g) der Reihe nach mit xv xv xv
addiert sie und benutzt die Gleichung (lj>), so erhält man
xl + xl + xl = a\ (i)
Eine Relation, welche von den bisher zwischen £,,•••,#, aufge-
stellten Relationen unabhängig ist, ergiebt sich durch geeignete
Umformung des Ausdruckes
Ält*jLi*\ x*dx*+ Xsdx9+i(x9dxt-xtdx§)
ai[x^txz) — x2 + x2 '
Die rechte Seite dieser Gleichung geht bei Benutzung von (i)
und der Beziehungen
äx%
dt
_ »„*( nz> SV* \ dx3 _ ( vjz, {y. \
S/i = ^(¥a-V,), »x - -jg" (*•?•-*.&)
über in
Also hat man
7*
88 0. V e n s k e, Integration eines spec. Systems linearer Differentialgleichungen etc.
J \ x dt VJ2(c2 + «2) c\<P + W))) a*-x\
(?) xt + ix9 = e
Durch die sechs Gleichungen (b), ••-,({), (f) ist man in den Stand
gesetzt , aus einem particulären Integrale zwei weitere von dem-
selben und von einander linear unabhängige Integrale des Systems
(A) herzuleiten. Da ich nun oben ein particuläres Integral dieses
Systems angegeben habe, bietet das Vorhergehende die vollständigen
Mittel zur Berechnung des allgemeinen Integrales desselben dar.
Göttingen, März 1891.
Ueber ßealitätseigenschaften von Raumcurven.
Von
Franz Meyer in Clausthal.
Vorgelegt von F. Klein.
Unter einer „Raum curve" sei der Ort von Punkten verstan-
den, deren rechtwinklige Coordinaten x, y, z als analytische Func-
tionen eines Parameters gegeben seien.
Handelt es sich nur um die Umgebung1) einer irgendwie sin-
gulären Stelle der Curve, so läßt sich die letztere ersetzen durch
eine rationale Raumcurve, die daselbst die nämliche Singularität
besitzt und deren Ordnung zudem so niedrig angenommen werden
darf, als es überhaupt die fragliche Singularität gestattet.
Die gemeinte Ersetzung ist auch dann noch erlaubt, wenn
man sich die Coefficienten der ursprünglichen Functionen solchen
Variationen unterworfen denkt, daß die Curve in benachbarte
Curven übergeht, für welche sich die erwähnte Singularität in
einfachere „ aufgelöst" hat. Man hat dann nur die entsprechenden
Variationen an den Coefficienten der rationalen Hülfscurve anzu-
bringen.
Im Folgenden werden nur derartige benachbarte oder „penul-
timate" Zustände gewisser Singularitäten in Betracht kommen,
welche dadurch entstehen mögen, daß zwei einfachere Singularitä-
1) Vgl. die nähere Ausführung ähnlicher Ueberlegungen für ebene Curven
bei Brill „Ueber Singularitäten ebener Curven und eine neue Curvenspecies"
Math. Annalen Bd. XVI § 2.
Franz Meyer, Realitätseigenschaften von Raumcurven. 89
ten gleicher Art zusammenrücken; insbesondere soll festgestellt
werden, wieweit die Realität resp. Nichtrealität coincidirender
singulärer Curvenelemente beim Passiren des bez. Vorkommnisses
bestehen bleibt, oder aber aufgehoben wird.
Um einen abgegrenzten Bezirk solcher Erscheinungen zu um-
fassen, verstehen wir unter „gewöhnlichen Singularitäten u einer
„Raumcurve" C solche, die stets in endlicher Anzahl vorhan-
den sind und der Forderung entspringen, daß von den Schnitt-
punkten einer Ebene resp. Geraden mit C eine genügende Anzahl
von Malen mehrere consecutiv werden.
Bezeichnet man getrennte Schnittpunkte mit verschiedenen
griechischen (kleinen) Buchstaben, die Anzahl an einer Stelle a
zusammengerückter durch einen Exponenten , endlich die auf eine
Gerade sich beziehenden Punktgruppen mittelst einer Klammer, so
hat man genau fünf derartiger Vorkommnisse zu verzeichnen,
nemlich Ebenen a\ a3ß2, a2ß2f und Gerade (a2/S), (aßyd).
Indem wir uns auf solche „ Verdichtungen u beschränken, für
deren Zustandekommen das Erfülltsein einer einzigen Bedingung
zwischen den Coefficienten der Curve hinreicht, haben wir die
Coincidenzen zwischen zwei gleichberechtigten Elementen a ent-
weder einer und derselben, oder aber zweier verschiedener Singu-
laritäten des nämlichen Typus in's Auge zu fassen.
Dabei kommen uns die Zerlegungen zu Statten, die unlängst l)
für die Discriminanten (und Resultanten) der zu rationalen Raum-
curven B3n gehörigen Singularitätenformen [a4] , [a3ß2], [cc*ß*y*],
[(a2ß)], [aßyd] mitgetheilt sind, im Verein mit den Betrachtungen,
die damals über die Gestalt der Anfangsglieder jener fünf Formen
gemacht wurden.
Die Discriminanten zerfielen in Elementarfactoren, welche be-
züglich der vierreihigen Coefficientendeterminanten nd" irreducibel
waren. Solcher Elementarfactoren gab es 14, nemlich :
[«•], [(«3)L [«•/*■,(«■«], [«*«, [<W], [(«■/»?)], [((«»)]; ["TL
[<W,(«/»y)L [«Tr2<H, [«W^ffrH, li*ß?W\> [(«/»?*«)].
[(aßyd)f(aßlylöl)]f
-on denen die ersten sieben zugleich als Theiler von Resultanten
iuf traten.
Jede dieser 14 Invarianten haben wir vermöge geeigneter Va-
riationen der Coefficienten durch Null hindurchgehen zu lassen,
1) Vgl. diese Nachrichten 1890 Nr. 16 und 1891 Nr. 1, in letzterer Note ins-
jondere die Tabelle B,
<)0 Franz Meyer,
und uns dann im Einzelnen über die Realität der ein- und aus-
tretenden Elemente Rechengehaft zu geben.
Einen derartigen „Durchgang" bewerkstelligt man am Ein-
fachsten so , daß man die Größen d Üurch lineare Combinationen
d + xd' ersetzt, wo x ein neuer variabler Parameter sei. Ver-
weh windet nun irgend eine unserer Invarianten etwa für x = «„
so ist das Verhalten der Curve für Werthe von x zu prüfen,
welche xt zu neiden Seiten benachbart sind.
Vollzieht man jetzt die gleiche Substitution d + xd' an Stelle
von d in den fünf Singularitätenformen selbst, so werden diesel-
ben zu ganzen, rationalen (und reducibeln) Functionen zweier Va-
riabein a und x. Als solche seien sie bezeichnet durch:
M - Bt(*t%) - 8t, WfT\ - 89, [(«•/*)] - 4, [«•/*»/] - *„
heutet man nunmehr a und x ah Carte. ,i.:ene Koordinaten in einer
Ifiilfxebcnc. ■ ' .■•■•'." iM.'i.n v.w einer ..ehr nützlichen Abbildung
der Discriminantenzerlegungen, die einen Theil der zu erforschen-
den Vei chen läßt.
hie (jMeienungen 8 0 «teilen nämlich in der [<r, x] - Kbcnc
algebraische Ourvcn dar, deren zur K-Axe parallele (eigentliche
und n fliehe; 'i '..;■ ;ifcn vollständig durch N'ulhetzen <\^r
(bez. « gebildeten) IM wriminanten /> der Können .V geliefert werden.
Greift man daher jedesmal eine reelle Wurzel xt einer der
11 Gleichungen heraus , weleho dureli d;..; Verschwinden der oben
zusammengestellten Elementarfactoren entstehen , so finden die
Z"i!"hh,-,i '!' r Mini Üincriminanten I) fei'. Tah^lN- P> 1. c.j fol-
genden Ausdruck:
1. [«*]; die Curven 8t und #8 berühren sich einfach (und die
gerneinHiime Tangente L*t M *,)■
2. |(«8;]; #, und /S';i berühren Hieb in gleicher Wei :~:c einfach,
während 89 daselbst einen gewöhnlichen 2 (w — 4) -fachen Punkt
besitzt.
3. [cc*ß9,(a'ß)]; 89 und 8t berühren sieh einfach.
4. [a'ß2]; 82 und S4 haben eine einfache Berührung, während
#, unter endlicher Neigung gegen 89 und #, den Berührungspunkt
einfach |»a:- irf.
[a*/JVl; *m Punkte («, xt) wird die Gerade x «■ «, von
#< einfach berührt, während #a daselbst einen gewöhnlichen J) Dop-
1) Die Tangenten der hier vorkommenden vielfachen Funkte sind stets gegen
dl« betr. Gerade x = xx unter endlichem (auch von einem Rechten verschieden tu )
Realitätseigenschaften von Raumcurven. !»|
pelpnnkt aufweist. Hingegen sind die beiden Stellen (/5,x,) nnd
y, «,) gewühnlii'lie lüiikk.liij.iinl;!.« für Ä'4, deren Tangenten nicht
die «-Richtung haben.
6. | ((«/}))] ; die Gerade x » xt ist Doppol tan gento von Bv
In den lierülinmgspunkten («, xt) und (ß,^) hat 5B je einen ge-
wöhnlichen - ^- --fachen Punkt.
7. [(a'ßy)]; («,*,) verhält sich ganz wie bei (B), nur daß an
die Stelle von />,, ASa lmziehuntfsw<us»' jetzt N, , S, treten.
BHM? die zweite Reihe der noch übrigen 7 Klemenfarfaeforon
ist immer nur jeweils eine einzige Curve 8 in Betracht zu ziehen.
Ks kommt:
8. [aa/58|; x = xl verbindet zwei einfaehe IMiekkehrpunktc
von 89\ deren Tangent jene (Jerade gcuieigt sind.
9. [«\Pp*, (ctßy)\; (a, xj, (0,x,), (y, *,) sind drei einfache Be-
rühr, tollen für #4.
10. [(«/3 yd)9]; in gleicher Weise zeigt Sb vier einfache Be-
rührungen.
11. |«8ßV°"]; auf derselben Geraden % = n j oxistiron vier
gewölinliflie dreifache Punkte von 54.
12. [(«0yd «)|; dcsghuelnui besitzt ,S'ft fünf gewöhnliche vier-
fache Punkte.
!'». |«9/?aya, «*ß*yj]j (a> *0 W da gewöhnlieher I)oppel|)unkl
von Be
14. (ußyd), (aßt y{ d,)|; («,*,) ist ein ehensoleher von #n.
Was nun die mehrmaligen Berührungen (Verzweigungen) oin-
und <h i ' Ihen Curve 8 angeht, so ist unschwer abzuleiten, daß
dieselben ( oweit ie überhaupt reell ;mi l';i 1 1«-, n j, mit Ausnahme <lor
Fälle f(>) uml (H), stets auf der nämlichen Seit»? der bez. Tangen-
ÜB x - xt Htattfinderi. I)ien gilt also j'iir die Berührung nebst
den beiden Spitzen von S4 bei (5), sowie \"üv die hei (lh. (10) en,
tretenden drei, r» p, rier Berührung
Schwierig»;!- ist indessen die Peantworfung *\cv wielitigon
Frage, wie lieb einmal in den .-heu ausgeschloHHcnon Fällen
(8) die einzelne Cnrre St resp. St, anderer eil bei (L), (2), (3),
zwei verschiedene Curven 8 hinsiehflieh ihrer Uj-riiliriiiig verhal
ten, ob neulich die letzt»!rc rsehiedenen Seiten der geUifal
samen Tang«mfe erfolgt, oder über auf derselben Seite, odfll '-ml
lieh, ob bald das Eine, bald das Andere möglieh ist.
Winke) geneigt, und mit Ausnahme der eiaftabefl etteee IUI verschieden tel
einander. I)ic ModifiratieMOj welche eintreten, wenn ein reip. zwei Paare der
lififnlAren Argtnamti «, ß, ... imaginär werden, lassen sich leicht angeln n
92 Franz Meyer,
Es läßt sich nun darthun, daß wirklich alle drei Möglichkei-
ten vertreten sind. Bei [cc5] berühren sich St und S2 auf dersel-
ben Seite, desgleichen S2 und £4 bei [a4ß2]; bei [(cc3)] findet die
Berührung von St und S3 stets auf verschiedenen Seiten statt;
dagegen dürfen sich im Falle [cc3ß2, (cc2ß)] S2 und Ss jenachdem auf
derselben oder auch auf verschiedenen Seiten berühren, und das
Entsprechende gilt für die beiden Berührungspunkte resp. Spitzen
von #3 resp. #2 auf der bezüglichen Geraden x '== %t in den Fäl-
len [((aß))], [«T]-
Um darauf näher einzugehen , legen wir , wie es erlaubt ist,
jeweils eiae rationale Raumcurve E3n von möglichst niedriger Ord-
nung n zu Grunde.
Für n = 4 sind [(cc3)] und [((aß))] zu untersuchen.
Von Singularitäten existiren hier nur a4 und (cc* ß) Sei die
Form [cc4] als eine allgemeine binäre biquadratische Form
(p = tpa = q)0 + 4:(piCC + 6<p!iCC2-{-4:(psCCS + <p4ta4,
gegeben , so wird [(a2 ß)] zur Hesse' sehen Covariante H von g>,
[(cc3)] zur Discriminante D(<p) von <p, endlich [((ccß))] zur Invariante
j von <p.
In Uebereinstimmung mit der Zerlegungsformel für [(c?ß)~\
hat man , wie bekannt , für die Discriminante B (H) von H :
D(H)=fD(9).
Bei nicht verschwindendem j bedingt also die Gleichheit
zweier Wurzeln von <p das Nämliche für H u. umg.
Legt man der im Moment des Verschwindens von D((p) ent-
stehenden gemeinsamen Doppelwurzel von <p und U den Werth
Null bei, so wird ein penultimater Zustand durch
bezeichnet, wo die <p' mit der beliebig kleinen Größe e nicht zu-
gleich verschwinden.
Dann sind, in erlaubter Annäherung, die beiden, in die Stelle
Null hineinrückenden Wurzelpaare von 9 und H bestimmt durch
die quadratischen Gleichungen:
cpQ + ^^a + Q^a* = 0,
(9W3 - 9>D + 2a(qp0 9)3 -<Pi<Pi)+«i(<Po<P* + %<Px<Pa-3yl) = 0.
Die Discriminanten derselben nehmen, unter Vernachlässigung hö-
herer Potenzen von £, die Formen an :
DM = 6^;,,,, D,(H) = -3«(p;9j.^,
Realitätseigenschaften von Raumcurven. 93
sind also, falls e klein genug (positiv oder negativ) gewählt ist,
stets von entgegengesetztem Vorzeichen.
Geht demnach das eine der beiden Wurzelpaare vom Reellen
durch Null in's Imaginäre über, so befolgt das andere die umge-
kehrte Richtung.
Wir kommen zum zweiten Falle für n = 4, in dem man ;
die Null passiren läßt (während D(q>) jetzt als endlich vorausge-
setzt wird). Da die Coefficienten yx und cp3 jederzeit als ver-
schwindend angesehen werden dürfen, so braucht man nur
anzusetzen, um Zustände kurz vor resp. nach Eintreten des reel-
len Doppelpunktes ((0, oo)) anzugeben.
Die Form [(a2ß)] = H(cp) vereinfacht sich für <p1 = g>3 = 0
zu:
Die vier Wurzeln der Gleichung [(a2ß)] = 0 sind dann:
somit, wenn man die innere Quadratwurzel nach dem binomischen
Satze entwickelt und höhere Potenzen von e unterdrückt,
V 94 V 9>4 ? V <P* V £<Pt
Diese Wurzeln von [(«2ß)l = 0 bieten bei einem Durchgange von
e durch Null eine Alternative von zwei Möglichkeiten; je nach-
dem nämlich <p0 und q>i von entgegengesetztem oder von gleichem
Vorzeichen sind, gehen beide Wurzelpaare gleichzeitig vom Reel-
len in's Imaginäre über (resp. vice versa), oder aber die beiden
Paare zeigen entgegengesetzte Bewegung.
Bezüglich eines Doppelpunktes mit (conjugirt) imaginären
Argumenten braucht wohl kaum bemerkt zu werden, daß dann
die vier coincidirenden Trefftangenten (cffi) vor- wie nachher ima-
ginär sind.
Im Wesentlichen ebenso , wie [((a/3))], muß sich [a3/38] (als das
dualistische Vorkommniß) verhalten.
Wir gehen daher gleich über zum Studium von [a6] und
[cc'ß2, (ct*ß)] auf Curven ħ.
Die zugehörige Fundamentalinvolution wird durch das Büschel
von zwei Formen <p*a , ^ dargestellt. Die Singularitätenform [a*]}
94 Franz Meyer,
als Functionaldeterminante von cp und #, beginnt mit den Glie-
dern:
[a4] = it01 + 4a7t02 + 2a2 (3tt03 + B*ia) + • • •
wo zur Abkürzung steht:
Andererseits ergiebt sich die Singularitätenform [a3ß2] durch Eli-
mination von ß aus <p«3/?2 = 0, tp^p = 0; die Anfangsglieder
sind :
[a3ß2] == (4Ä01*18-Ä;2) + 4aJ2Ä01«18 + ÄM(*„-Ä0,)}
+ 2a2 (8*0jl*1,+2*u(*03+3*„)+2*01(3rM+3*83) - ä0S(ä04+4ä18) -2(^03+^11)2 j +
Das Criterium für Eintreten der Coincidenz [cc5] ist ausgedrückt
durch das Verschwinden der Resultante von <p und ip , also im
canonischen Falle cc = 0 durch das Verschwinden aller
*„(* = 1(2(...6).
Demgemäß machen wir wiederum die 7t0k mit einer beliebig
kleinen Größe e proportional:
und vergleichen die Discriminanten der Formen [«*] und [cc*ß2].
In erster Annäherung kommt:
Df[«4] - 10«.<*18, Ds[<tf] = 4.8.^>12.<,
beide Discriminanten haben also in der Nähe von e = 0 dasselbe
Vorzeichen.
Es kommt die Coincidenz [cc3ß2, (cc2ß)] an die Reihe. Da die
Ermittelung der Anfangsglieder der Form [cc2 ß] mit Weitläufig-
keiten verbunden ist, gehen wir indirect vor, indem wir für die
Argumente cc, ß der Trefftangente (cc2ß) von vornherein die ca-
nonischen Werthe cc = 0, ß = oo festsetzen, und nun eine (und
damit zugleich eine zweite) Schmiegungsberührebene a3ß2 allmäh-
lich in die Lage cc = 0, ß = oo hineinrücken lassen.
Die Tangente der B\ an der Stelle 0 trifft die Curve an
der Stelle oo unter den Bedingungen:
ä12 = 0, tc13 = 0, ^23 = 0,
wodurch sich die Entwickelung der Form [cc3ß2] zur folgenden
vereinfacht :
Realitätseigenschaften von Raumcurven. 95
Soll jetzt das Vorkommniß [a*ß, (cc*ß)] für cc = 0, ß = oo eintre-
ten , so haben außerdem noch alle übrigen a2k (x = 0, 4, 5) zu
verschwinden.
Der bezügliche penultimate Zustand der Curve läßt sich wie-
der characterisiren durch
^a* = ««i. (* = 0, 4, 5).
Entwickelt man nunmehr die Discriminante von [«3^2] nach auf-
steigenden Potenzen von e , so lautet das erste Glied :
Da aber hier das Product 3T01äu ebensowohl positiver, wie nega-
tiver Werthe fähig ist, so hat die Realität (resp. Imaginarität)
eines der beiden coincidirenden Paare a2ß2, (cc2ß) durchaus keinen
Einfluß auf die Realität des anderen Paares.
Es erübrigt noch die Besprechung der Erscheinung [«V2], bei
der zwei Ebenen a3ß2 und zugleich zwei Berührungspunkte einer
Ebene a2ß2y2 consecutiv werden. Die kleinste zulässige Ordnung
der Rl ist n = 6. Die betreffende Involution setzt sich aus drei
Formen qp«, tpl, %% zusammen, deren Coefficientendeterminanten
| tpi^Xil mit öikl bezeichnet seien.
Die Berechnung der ersten Glieder von der Singularitäten-
form [cc2ß2y2] stößt auf ungemeine Schwierigkeiten; man ist wie-
derum genöthigt, wie beim letzten Male zu verfahren, und anzu-
nehmen, daß eine Ebene bereits an den Stellen a = 0, ß = 00
und dann noch an einer weiteren y die Curve berühre; man hat
auszudrücken, daß y sich der Stelle 0 beliebig nähere.
Nun berührt eine Ebene die Curve B in 0, 00, y, sobald:
<P2 + 2<Psy + <Ptr2= 0, il>% + 2xl>3y + i>y= 0, %2 + 2%2y + %y = 0.
Andererseits müßten, wenn y wirklich den Werth Null annehmen
sollte, die Coefficienten q>2 , ty2 , %2 einzeln verschwinden. Im Grenz-
falle darf man also ansetzen :
(p2 = ecp2, ^2 = eip'2, %2 = e%'2, dtik = ed'M,
wo die qpj, 1^, %'2 und (vorderhand auch) die d2ik mit s nicht ver-
schwindende Größen sind.
Combinirt man die beiderlei Ansätze, so erkennt man, daß
die Größen y und e von derselben Ordnung der Kleinheit sind:
y = xs (x endlich),
96 Franz Meyer,
und es resultiren nach leichter Rechnung die Relationen
s2x
1
"»23 — 2 '2*' ,s* 2x 4 '
sodaß die d<28 diejenigen unter den Größen ö2ik sind, welche sogar
mit der zweiten Potenz von s proportional werden.
Auf diese Hülfsmittel gestützt, gelingt die Entscheidung über
das Vorzeichen der Discriminante der Form [cc3ß2] für kleine
Werthe von s. Die Form [a3ß2] ist selbst eine Discriminante,
nemlich diejenige der Gleichung dritten Grades für die Rest-
punkte, welche die Ebene a3 aus der R6 noch ausschneidet.
Führt man die Bildung aus, indem man sich auf die drei
ersten Coefficienten beschränkt, die letzteren nach steigenden Po-
tenzen von s entwickelt und sich wiederum mit der jeweils nie-
drigsten Potenz begnügt, so hat man:
-4.9.£M13«+...
und in Folge dessen für genügend kleine e :
i.e. unbedingt positiv. Mithin ist das Ebenenpaar asß3, welches
beim Eintreten von [a4ß2] benachbart wird, stets zugleich mit dem
Paare von coincidir enden Berührungspunkten einer Tritangential-
ebene reell (resp. imaginär).
Hiermit ist eine vollständige Einsicht in die Lage der fünf
Singularitätencurven S längs ihrer Tangenten x = xt und im Be-
sondern hinsichtlich der gegenseitigen Berührung zweier verschie-
dener Curven S gewonnen.
Das ist aber nur das Bild für die Thatsache, daß wir jetzt
sämmtliche Möglichkeiten erschöpfen können, die sich bezüglich
einer Realitätsveränderung unserer fünferlei singulären Curvenele-
mente darbieten.
Indem wir alle Uebergänge bei Seite lassen, bei denen die
betheiligten reellen (imaginären) Elemente reell (imaginär) bleiben,
beachten wir in erster Linie die isolirte Stellung, welche die vier-
fachen Sehnen (aß yd) einnehmen.
Vermöge der Coincidenz (cfßy) geht eine solche Gerade mit
vier reellen Treffpunkten über in eine solche mit nur zwei reellen,
Realitätseigenschaften von Raumcurven. 97
oder auch eine letztere über in eine solche mit keinem reellen
Treffpunkt (resp. vice versa), ohne daß irgend ein Ersatz seitens
der andern Singularitäten stattfindet.
Ebenso verhält es sich mit der Erscheinung [(aß yd)*], wo
zwei reelle Gerade, die zugleich irgend einer der eben erwähnten
Arten angehören, vom Reellen in's Imaginäre übergehen (oder
auch umgekehrt).
Ein theilweise ähnliches, theilweise aber auch anderes Ver-
halten zeigen die Tritangentialebenen a2ß2y2.
Beim Eintreten von [a2ß2y2] oder von [a*ß2y2, (aßy)] rücken
wiederum zwei reelle Ebenen a2ß2y2, sei es mit drei oder auch nur
einem reellen Berührungspunkt, zusammen, um imaginär zu wer-
den (resp. umg.), gleichfalls ohne Compensation.
Dagegen wird beim Passiren von [a*ß2] der Uebergang von
einem Paar reeller (imaginärer) Berührungspunkte einer Ebene
a2ß°~y2 in's Imaginäre (Reelle) begleitet von einem durchaus gleich-
verlaufenden eines Paares von Ebenen asß2.
Dieselbe Begleiterscheinung bemerkt man beim Ueberschreiten
von [cc5], wo sich ein Paar von Ebenen a3ß2 mit einem Paare von
Ebenen cc* in paralleler Bewegung befindet.
Bei [a*ß2, (a2ß)] fand zwischen dem Paar von Ebenen a*ß2
und demjenigen von Geraden (a2ß) keine Realitätsabhängigkeit
statt d. h. während etwa ein reelles Paar dort gewonnen wird,
kann hier ein sslches ebensogut gewonnen wie verloren werden.
Eine entsprechende Zweideutigkeit kommt den Vorgängen
[a'ß5] und [{(aß))] zu, an denen sich jedesmal zwei Paare von Ebe-
nen azß2 resp. Geraden (a2ß) betheiligen. Entweder geht die Rea-
lität beider Paare zugleich verloren (oder wird gewonnen); es
kann aber auch ein reelles Paar von einem imaginären begleitet
sein, die dann nach dem Durchgange durch das bez. Vorkommnis
nur ihre Rolle vertauscht haben.
Endlich hat die Coincidenz [(a3)] wieder etwas ihr Eigentüm-
liches, hier gesellt sich ein reelles (imaginäres) Paar von Ebenen
a4, zu einem imaginären (reellen) Paar von Geraden (a2ß), um nach
dem Durchgange je in den entgegengesetzten Zustand zu gerathen.
Um den Kern dieser Ergebnisse kurz in Zeichen zu fixiren,
sei die Anzahl der reellen Ebenen aA einer Raumcurve C mit w'
bezeichnet, der reellen Ebenen a*ß* mit *', der reellen Geraden
(a2ß) mit d'} sowie endlich die Anzahl der reellen Ebenen a%ß%yt
mit nur einem einzigen reellen Berührungspunkt mit T".
98 Franz Meyer,
„Dann bleibt bei beliebigen Deformationen der
Curve C das Aggregat1)
w'+d'-t'-2T"
entweder ganz unverändert — wie z.B. stets beim
Passiren der Coincidenzen [a5], [(u3)], [cfß*] — oder es
erfährt eine Zu- (resp. Ab-) nähme um ganze Viel-
fache von Vier, während es immer Fälle giebt, in de-
nen einzelne Bestandtheile des Aggregates nur um
Zwei sich ändern."
Ein einfaches Beispiel liefert die Raumcurve vierter Ordnung
zweiter Species B\. Hier treten nur (vier) Ebenen u* und (vier)
Gerade (a2ß) auf, sodaß sich unser Aggregat auf w'+d' reducirt.
Auf Grund des letzten Satzes bieten sich zwei Möglichkeiten;
entweder könnte w'-\-ä' = 0, 4, 8 sein, oder aber = 2,6. Ver-
möge der oben erörterten Realitätseigenschaften der Form [a4] und
ihrer Hesse' sehen : [(cc2ß)] , sowie vermöge der bekannten Bedeu-
tung, welche das Verschwinden der Invariante ; für die erstere
Form besitzt, läßt sich die Entscheidung dahin abgeben, daß die
zweite Möglichkeit w'+d' = 2, 6 überhaupt nie eintritt, und bei
der ersten allein die beiden Fälle w'-\- d' = 0, 4 existiren. Des
Näheren wird man , abgesehen von Uebergangscurven mit zusam-
mengesetzten Singularitäten , auf vier verschiedene Typen von
B\ geführt.
Geht man nämlich von einer Curve mit isolirtem Doppelpunkt
((ccß)) aus, und löst denselben auf, so hat man den ersten Typus
w' = 4, df = 0. Um den letzteren zu verlassen, muß man sich
nothwendig der Brücke einer stationären Tangente (as) bedienen,
dann kommt w' = 2, d' = 2.
In diesem Zustande kann wohl ein Doppelpunkt mit reellen
Tangenten passirt werden, ohne indessen den Typus als solchen
umzugestalten. "Will man zu einer neuen Art von B\ gelangen,
1) Wegen des Ansatzes sehe man nach bei B r i 1 1 1. c. § 7.
Besitzt die Curve auch noch die zu a4 und a2ß2y2 dualistischen Singularitä-
ten , so sind die bez. Kealitätsanzahlen von w resp. 2 T" abzuziehen.
Will man nur die Aenderungen modulo 4 hervorheben, so werden selbstre-
dend die Vorzeichen bedeutungslos.
Die Entwickelungen des Textes stützen sich zwar zunächst auf solche De-
formationen der Curve, die von nur einem willkürlichen Parameter abhängen:
indessen ist leicht zu sehen, daß auch Durchgänge durch complicirtere Coinciden-
zen zulässig sind, da man immer Nachbarwege einschlagen kann, welche jene
vermeiden.
Realitätseigenschaften von Raumcurven. 99
so muß man abermals durch (a3) Hindurch, und es wird drittens
ivr = 0, ä' = 4. Um endlich von hier aus zum letzten Typus
zu gelangen, ist als Uebergangsmittel ein Doppelpunkt mit reel-
len Tangenten erforderlich, dann entsteht w' = 0, d' = 0 mit der
Summe w'+ d' = 0, während in den drei zuvor angegebenen Fäl-
len gleichmäßig w'+d' = 4 war.
Zum Schlüsse möge ein Vergleich zwischen der bekannten,
von H. Klein1) herrührenden Relation zwischen Realitätsanzah-
len von Singularitäten ebener Curven und dem hier mitgetheilten
entsprechenden Ergebniß für Raumcurven gezogen werden.
Da macht sich sofort ein auffälliger Unterschied bemerkbar.
Während nämlich die Klein' sehe Formel im Wesentlichen
aussagt, daß ein gewisses Aggregat von Realitätsanzahlen nur
noch von der Ordnung und Klasse der ebenen Curve abhängt,
und somit irgend welchen Deformationen der Curve gegenüber in-
variant bleibt, wenn nur Ordnung und Classe die alten geblieben
sind, können wir für die bez. Realitätsanzahlen von Raumcurven
nur eine Congruenz mod. 4 constatiren, wenn eben etwas hinsicht-
lich beliebiger Deformationen Allgemeingültiges behauptet werden
soll.
Die Quelle des betonten Unterschiedes zwischen Ebene und
Raum ist offenbar darin zu suchen, daß die räumliche Ausdehnung
der Begriffe : Wendetangente „cc3U, Doppeltangente „a*ßiu und
Doppelpunkt „(aß)" für Curven je in doppelter Richtung vor sich
gehen kann — a3 spaltet sich in a4, und a3ß2, a2ß2 in a9ß2 und
a2ß2y, endlich (aß) in (a2ß) und (aß yd) — und daß infolge dessen
die Zwischenstufe des „Isolirten", wie sie bei a2ß* und (aß) in
der Ebene vorhanden ist, im Räume bei a2ß2y2 und (aß yd) zwar
zwar noch ganz analog existirt, bei a3ß2 und (a2ß) aber nicht
mehr.
Beispielsweise kann also bei einer Selbstberührung ,,[a2ß2) (aß)]u
in der Ebene ein Paar von reellen, eigentlichen Doppelpunkten
ebensowohl in Begleitung eines Paares von eben solchen Doppel-
tangenten, wie eines Paares von imaginären Doppeltangenten coin-
eidiren — völlig in derselben Weise, wie im Räume bei [a80a, (<t*ß)]
ein Paar a3ß2 und ein Paar (a2ß) — dagegen ist ein Paar von
isolirten Doppelpunkten bei der Selbstberührung stets mit einem
Paare von isolirten Doppeltangenten verknüpft, welche dann beide
zugleich in's Imaginäre übergehen, und dazu fehlt die Parallele
im Räume. Daher kann in der Ebene immer noch ein Ausgleich
1) Math. Annalen Bd. X.
100 Franz Meyer, Realitätseigenschaften von Raumcurven.
zwischen den Anzahlen der isolirten Gebilde beiderlei Art statt-
finden, während ein solcher im Räume unmöglich wird.
Hingegen tritt die Analogie hinsichtlich der Coincidenzen [a*]
und [(a2)] (Undulation und Spitze) dort, und der Coincidenzen
[a5], [a*ß2] und [(a3)] hier besonders deutlich hervor.
Clausthal, den 21. Februar 1891.
Bei der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften einge-
gangene Druckschriften.
Man bittet diesa Verzeichnisse zugleich als Empfangsanzeigen ansehen zu wollen.
August, September und Oktober 1890.
(Fortsetzung.)
Annali della R. Scuola normale superiore di Pisa. Scienze fisiche e matema-
tiche. Vol. VI. (della serie vol. XII.) Pisa 1889.
Le opere di Galileo Galilei. Ediz. nazionale sotto gli auspicii di S. M. il Re
d'ltalia. Vol. I. (2 Exempl. No. 147. 161.) Firenze 1890.
Bollettino delle publicazioni italiane. (Bibliot. naz. di Firenze.) 1890. No.
110—115. Firenze 1890. — Indice alfabetico delle opere 1889. A-Sai.
Bollettino delle opere moderne straniere. Bibliot. naz. centr. Vittorio Emanuele
di Roma.) Vol. IV. No. 6. Nov./Dic. 1889. Nebst Titelblatt. Vol. V.
No. 1. Gennaio 1890. Roma 1890.
Annuaire de l'Observatoire municipal de Montsouris pour Tan 1890. Paris.
United States Geological Survey.
a. Eighth annual report. 1886-87. Part 1. 2. Washington 1889.
b. Bulletin. No. 54-57. Ebd. 1889/90.
c. Monographs. Vol. XV. Part 1. 2. Vol. XVI. Ebd. 1889.
Annual report of the board of regents of the Smithsonian Institution for the
year ending June 30, 1886. Part 2. — ... for the year ending June 30,
1887. Part. 1. 2. Washington 1889.
Annual report of the chief signal officer. War Department. 1889. Part 1. 2
(Appendix 15). Washington 1890.
U. S. Naval Observatory.
a. Observations made during the year 1884. Washington 1889.
b. Report of the Superintendent for the year ending June 30, 1889. Ebd. 1889.
Bulletin of the Museum of comparative zoology at Harvard College. Whole
Series. Vol. XVI. No. 9. Vol. XX. No. 2. Cambridge IL S. A. 1890.
(Fortsetzung folgt.)
Inhalt von Nr. 2.
W. Voigt, Beiträge zur Hydrodynamik. I. II. — 0. Yensice, Integration eines speciellen Systems linearer,
homogener Differentialgleichungen mit doppelt-periodischen Functionen als Coefflcienten. — Franz Meyer,
über Kealitätseigenschaften von Raumcurven. — Eingegangene Druckschriften.
Für die Redaction verantwortlich: H. Sauppe, Secretär d. K. Ges. d. Wiss.
Commissions-Yerlag der Dieterich' sehen Verlags- Buchhandlung.
Druck der Dieterich' sehen Univ.- Buchdrucker ei ( W. Fr. Kaestner).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
20. Mai. J^ 3. 1891.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 7. März.
F. Kielhorn legt vor: „Die Colebrooke'schen Pänini-Handschriften der König-
lichen Bibliothek zu Göttingen."
Riecke legt eine Abhandlung des Herrn Dr. Gustav Tammann in Dorpat
vor: „Ueber die Stromleitung durch Niederschlagsmembranen."
Die Colebrooke'schen Pänini-Handschriften der
Königlichen Bibliothek zu Göttingen.
Von
F. Kielhorn.
Die Göttinger Bibliothek hat die Ehre eine kleine Sammlung
Colebrooke'scher Handschriften ihr eigen nennen zu dür-
fen. Durch welches tragische Geschick sie in den Besitz dieses
Schatzes gekommen ist , zeigt ein in den Akten der Bibliothek be-
findlicher Brief1), dem ich folgende Stellen entnehme: —
„Mein vor 15 Jahren verstorbener ältester Sohn, der Professor
Bösen in London, ordnete im Jahre 1837 auf Bitte des allmählig
ganz erblindenden T. Colebrooke die Sammlung und den sorgfal-
1) Der Schreiber des Briefes, Vater des zu früh verstorbenen Orientalisten
F. A. Rosen, studierte in Göttingen zuerst Philologie 1793—98 (Dr. phil. 1798),
dann seit 1802 Jurisprudenz (Dr. juris 1803), und war bis 1816 Docent in der
juristischen Facultät.
Nachrichten d. K. ü. d. W. zu Göttiugen. J89J. Mr. 8. 8
102 F. Kielhorn,
tigen Wiederabdruck der, hauptsächlich in den Asiatick researches,
zerstreueten , sich auf indische Sprache und Literatur beziehenden
Aufsätze (Essays) desselben an, welche denn auch im Todesjahre
Beider (1837) bekanntlich erschienen sind. Bei dieser Gelegenheit
und in Anerkennung der Mühe, welche mein Sohn von diesem Ge-
schäfte hatte, schenkte Colebrooke ihm einige Handschriften von
Sanskritwerken, die reich mit seinen beigeschriebenen Anmerkungen
grammaticalischen und lexicalischen Inhalts versehen sind , in de-
nen man Vorarbeiten zu den Werken des berühmten Sanskritisten
erkennen kann.
Diese Mspte befinden sich seit dem Tode meines Sohnes in
meinem Besitze. Herr Prof . L a s s e n in Bonn hatte vor 13 Jahren
die grosse Güte, für mich ein Verzeichniss dieser und anderer zum
literarischen Nachlasse des Verstorbenen gehörigen Handschriften
anzufertigen. Eine von diesen enthält
A grammar of the Sanscrit language from the text of Pä-
nini and the commentaries of Bamachandra, Bhattoji Dik-
shita etc. — (Devanagari-Schrift). — Herr Pr. Lassen hat
dabei bemerkt ;;es ist Pänini mit Colebrooke's handschrift-
licher Uebersetzung und wahrscheinlich die vorbereitende
Arbeit zu seiner Grammatik".
Die Colebrooke'schen Anmerkungen scheinen aus den letzten neun-
ziger Jahren des vorigen Jahrhunderts herzurühren und werden
allerdings nicht mehr im Stande seyn, dem in den letzten 50 Jah-
ren so weit geförderten Sanskritstudium noch irgend bedeutend zu
statten zu kommen ; allein die Handschriften haben sicher noch
immer hohen Werth als autographische Denkmale jenes würdigen
Gelehrten, und sie verdienen aus dem Privatbesitze eines Dilet-
tanten, wo sie später manchen Gefahren ausgesetzt sind, in eine
öffentliche Bibliothek überzugehen.
Ich biete sie dem Bücherschatze der noch immer dankbar von
mir verehrten Georgia Augusta als Geschenk an.
Bei dieser Schenkung mache ich eine einzige Bedingung. Es
ist folgende. — Nach dem Tode meines unverges suchen Sohns über-
sandten mir seine Londoner Freunde, unter andern rührenden Be-
weisen ihrer Theilnahme an meinem Verluste auch eine von Bd.
Westmacott gearbeitete Marmorbüste des Verstorbenen. Dass ich
diese Büste so lange ich lebe bewahren werde versteht sich von
selbst. Ich werde aber anordnen, dass dieselbe nach meinem nicht
mehr fernen Ableben ebenfalls an die Universitätsbibliothek in
Göttingen übersandt werde. — Nun bitte ich mir nur von der vor-
Colebrooke's Pänini-Handschriften der Königl. Bibliothek zu Göttingen. 103
gesetzten Behörde dieser Bibliothek ein schriftliches Versprechen
aus, dass die Büste, wenn Ihr dieselbe übersandt worden, in einem
der Bibliotheksäle aufgestellt werden solle. — Das Bild eines zu
früh dahingerafften Mannes, der sich nicht bloß durch Gelehrsam-
keit, sondern auch durch unermüdete Dienstfertigkeit gegen andere
Gelehrte die Achtung und Liebe seiner Zeitgenossen erworben,
und dessen Namen auch in Göttingen nicht vergessen ist, wird
diesen Sälen nicht zur Unzier gereichen.
Detmold den 25sten Sept. 1852.
Dr. Ballhorn-Rosen ,
F. Lipp. Canzler."
Die in diesem Briefe erwähnten Handschriften, neun Folio-
Bände, wurden der Bibliothek im October und December des Jah-
res 1852 übersandt, zusammen mit einem Exemplare des 7ten Ban-
des der Asiatic Besearches, das ebenfalls aus Colebrooke's Bibliothek
stammt und manche Bemerkungen von seiner Hand enthält, und
einem Exemplare seiner Essays. Die Büste Friedrich August
ßosen's ziert seit Februar 1856 den großen historischen Saal der
Bibliothek.
Es ist nicht meine Absicht, eine Beschreibung sämmtlicher
Handschriften zu liefern, die so in den Besitz der Bibliothek über-
gegangen sind; und ich brauche dies um so weniger zu thun, als
ein Verzeichniß aller unsrer Sanskrit-Handschriften1) in Professor
Wilhelm Meyer' s Kataloge der Göttinger Handschriften seine
Stelle finden wird. Aber ich halte es für meine Pflicht, hier we-
nigstens auf die darunter befindlichen Handschriften der Gramma-
tik des Pänini aufmerksam zu machen ; denn wegen der reichen
Bemerkungen Colebrooke's, die sie enthalten, besitzen diese
Handschriften noch immer einen grossen Werth. Colebrooke's Ver-
suche die Grammatik des Pänini in eine europäische Sprache zu
übertragen, mit denen wir hier bekannt werden, zeigen, daß er
sich schon gegen das Ende des vergangenen Jahrhunderts wie kein
andrer Europäer vor oder nach ihm mit der Technik der indischen
Grammatik vertraut gemacht hatte. Und die Probe einer Ueb» t-
setzung des Pänini mit erklärendem Commentare in englischer
Sprache, die eine dieser Handschriften im Anhange enthält, \
räth überall, durch wie umfassende und tiefgehende Studien im
Bereiche der grammatischen Literatur er sich für das von ihm be-
absichtigte Werk vorbereitet hatte. Es ist darum nicht zu ver-
wundern, daß Colebrooke's Uebersetzungen mancher schwierigen
1) Bearbeitet von einem meiner Schüler, Herrn H. Lüders.
8*
104
Regel, die sich in den Handschriften zerstreut finden, bis heute
kaum erreicht, viel weniger übertreffen sind; und daß das, was
er uns bietet, fast immer geeignet ist uns das Verständniß einer
Regel zu erleichtern oder den richtigen Ausdruck für ihre Ueber-
setzung finden zu lassen, auch wo wir ihm nicht ganz beistimmen
können.
Diese Handschriften des Pänini sind in den Katalogen der
Bibliothek als Cod. MS. Orient. 207, 208, und 209 bezeichnet.
Alle drei sind von Eingebornen in Devanägari Schrift auf starkem
europäischen Papiere großen Formats (etwa 48 Centimeter hoch
und 29 — 32 Centimeter breit) nach Art europäischer Bücher ge-
schrieben.
Das Papier von 208 und 209, um die weniger wichtigen Hand-
schriften vorweg zu nehmen, enthält Wasserzeichen der Jahre 1801
und 1802. In beiden ist es auf beiden Seiten beschrieben, und
jede Seite enthält zwei Coluninen mit leeren Zwischenräumen, die
von Colebrooke für eigne Bemerkungen bestimmt waren und für
solche benutzt sind.
No. 208, aus 62 Blättern bestehend, enthält nach Colebrooke's
Aufschrift „Pänini's Sütras or Rules of Grammar"; in
Wirklichkeit aber in schwarzer Schrift den Text der Sütras, und
in rother Schrift Zusatzregeln oder sonstige Bemerkungen (Yärt-
tikas, Kärikäs etc.) aus der Käsikä-Vritti. Manche Regeln sind
von Colebrooke kurz übersetzt; öfter hat er den Paragraphen sei-
ner Grammatik angegeben, in dem sich die Uebersetzung findet
oder wo der betreffende Gegenstand behandelt wird. Außerdem
hat er vielen Regeln oder Bemerkungen des Sanskrit Textes ge-
wisse Zeichen (arbitrary marks, — eine Hand, einen Stern, einen
Dolch , u. a.) vorgesetzt, durch welche er, wie er selbst angibt, an-
deuten wollte, unter welche der folgenden Rubriken eine Regel
oder Bemerkung fällt: —
1. A rule premised (d. i. eine Adhikära-regel).
2. A maxim (d. i. eine Paribhäshä).
3. An exposition (d. i. eine Samjnä-regel).
4. A rule peculiar to the Veda.
5. An emendatory rule or Värttika.
6. A remark (Ishti) extracted from the Bhäshya.
7. A metrical rule or Kärikä.
8. A memorial verse.
9. A list from the Ganapätha.
Colebrooke's in dieser Handschrift enthaltene Uebersetzungen
einiger wichtigen Regeln hoffe ich an andrer Stelle nutzbar zu
Colebrooke's Pänini-Handschriften der Königl. Bibliothek zu Göttingen. 105
machen. Hier möchte ich nur noch bemerken, daß zwischen Blatt
1 und 2 dieser Handschrift ein Blatt mit dem Wasserzeichen des
Jahres 1801 eingeheftet ist, auf dem Colebrooke die „Grammarians
named in the Preface of the Ganaratna Mahodadhi, as explained
by Bardhamäna (Pupil of Grövinda Siiri)" verzeichnet hat.
No. 209, aus 107 Blättern bestehend, wird am Anfange und
am Schlüsse vom Schreiber als Päninisütrabhäshyavärt-
tika bezeichnet, und enthält in der That die Sütras des Pänini
mit Värttikas und andern Auszügen aus dem Mahäbhäshya. Es
unterliegt keinem Zweifel, daß wir in dieser Handschrift den er-
sten Versuch vor uns haben, der Grammatik des Pänini die Form
zu geben, die sie später in der Calcuttaer Ausgabe der Ashtädhyäyi
erhalten hat. Colebrooke's handschriftliche Bemerkungen sind nicht
zahlreich. Doch kann ich auf zwei Punkte aufmerksam machen,
welche beweisen wie weit er auch in dem Verständniß und der
richtigen Erkenntniß der Natur des Mahäbhäshya seiner Zeit voraus
war. Ein formeller Punkt besteht darin daß er, bei Regeln die
er studiert hat, die Worte Jcartavya und vaJctavya, wo sie der Schrei-
ber oder Pandit an das Ende eines Värttika gesetzt hatte, als nicht
zum Texte des Värttika gehörig gestrichen hat. Und bedeutsamer
noch ist der zweite Punkt, daß nämlich Colebrooke schon hier das
Mahäbhäshya als einen Commentar zu den Värttikas bezeich-
net, und — wiederum durch arbitrary marks — dann und wann
angedeutet hat, daß gewisse Värttikas von Patafijali adoptiert, an-
dere verbessert, und noch andre vermittelst einer künstlichen Er-
klärung der Regeln des Pänini zurückgewiesen werden.
Wichtiger ist die dritte Handschrift, No. 207 unsrer Kataloge,
die von Colebrooke selbst als „A Grammar of the Sanscrit
Language; from the text of Päiiini, and the commen-
taries1) of Räma-chandra, Bhattoj i-dicshita, and
others" bezeichnet wird. Diese Handschrift enthält zunächst auf
73 Blättern , die das Wasserzeichen des Jahres 1794 tragen , den
Text der Ashtädhyäyi, so geschrieben daß rechts vom Texte reich-
licher Raum für handschriftliche Bemerkungen blieb. Da dieser
Raum indessen nicht genügte, wurden später noch 81 Blätter2),
1) Unter diesen Commentaren sind ohne Zweifel die Prakriyd-kaumudi und
die Siddhänta-kaumudi zu verstehn, die besten Werke, die sich Colebrooke für
den Anfang hätte wählen können.
2) Außerdem liegen in der Handschrift einige lose Blätter mit Uebersetzun-
gen einzelner Regeln; und ein Briefkouvert mit dem Wasserzeichen 1797, das
von Colebrooke an J. H. Harington Esq., und von diesem an H. Colebrooke Esq.
zurück adressiert ist. John Herbert Harington, Civilbeamter im Dienste der East
106 F- Kielhorn,
mit dem Wasserzeichen des Jahres 1796 , zwischen den Blättern
des Textes eingefügt. Der neben dem Texte gelassene Raum nnd
die so eingeschobenen Blätter enthalten Colebrooke's Uebersetzung
von etwa drei Vierteln sämmtlicher Regeln der Grammatik des
Pänini. Nahezu vollständig übersetzt ist Alles, was sich auf die
Technik der indischen Grammatik, auf die Lautlehre, die Declina-
tion und Conjugation, die Bildung der Feminin stamme, die Bedeu-
tung der Suffixe und die Syntax bezieht; und in den Abschnitten,
die von der Composition der Nomina , den krit und taddhita Suf-
fixen handeln, sind wenigstens die Regeln allgemeinern Inhalts er-
klärt und die sich aus den Regeln ergebenden Resultate bisweilen
durch tabellarische Uebersichten erläutert worden. Nicht übersetzt
sind im Wesentlichen nur die Regeln über die Accente und die
Sprache des Yeda. Ich hege keinen Zweifel, daß der Anfang mit
dieser Uebersetzung gemacht wurde, als Colebrooke zum ersten
Male den Pänini mit seinen Pandits studierte. Aber es ist sicher,
daß er später, als er die Commentare selbst verstehn gelernt hatte,
aber schon ehe er seine Sanskrit Grammatik veröffentlichte , das
zuerst Niedergeschriebene immer wieder zu verbessern gesucht hat.
Ich könnte mehr als eine schwierige Regel anführen, von der uns
die Handschrift drei oder vier Versuche einer Uebersetzung bietet,
die aber alle von der in Colebrooke's Grammatik gedruckten Ueber-
setzung derselben Regel noch übertroffen werden.
Ich bin überzeugt, daß Colebrooke in den letzten Jahren des
verflossenen Jahrhunderts die Absicht gehabt hat, den Text der
Grammatik des Pänini mit einer englischen Uebersetzung und einem
Commentare in englischer Sprache herauszugeben, und daß er sich
erst später, durch äußere Umstände veranlaßt, entschloß, das von
ihm gesammelte Material in seiner (leider nie vollendeten) Sans-
krit Grammatik zusammenzustellen und die Herausgabe des Textes
des Pänini den Calcuttaer Pandits zu überlassen. Auf jeden Fall
enthält unsre Handschrift in einem Anhange auf 11 Blättern Co-
lebrooke's Reinschrift einer Uebersetzung des größten Theiles des
ersten Adhyäya von Pänini' s Werke, und seinen Commentar zu
einer beträchtlichen Anzahl von Regeln. Die hier übersetzten Re-
geln sind P. I, 1, 1—58 und 60—75; 2, 1—52 und 64-73; 3, 1
—43; und 4, 1—12; commentiert sind I, 1—20, 27—37, 42—49,
India Company seit 1780, und zuletzt Member of the Supreme Council and Pre-
sident of the Board of Trade, „was also for some years honorary professor of
the laws and regulations of the British government in India in the College of
Fort William . . . and afterwards president of the Council of the College" (Dtct.
of Engl. Biogr.)
Colebrooke's Pänini-Handschriften der Königl. Bibliothek zu Göttingen. 107
und 51; 2, 27—29, und 64—73; und 3, 1—43. Außerdem ist bei
vielen Kegeln auf dem Rande bemerkt, wo sie oder die in ihnen
gelehrten Termini zur Anwendung kommen. Vieles von dem, was
unsre Handschrift bietet, hat Colebrooke in seiner Grammatik selbst
veröffentlicht. Trotzdem dürfte die Handschrift auch jetzt noch
dem, der die Grammatik des Pänini ins Englische übersetzen
wollte, sehr werthvolle Dienste zu leisten im Stande sein. Zum
Beweise hierfür gebe ich die Uebersetzung des ersten Päda der
Ashtädhyäyi, wie sie Colebrooke in seinen Handschriften selbst ge-
geben hat. Ich folge im Allgemeinen der erwähnten Reinschrift,
gestatte mir aber einzelne Ausdrücke oder Wendungen aus andern
Stellen der Handschriften aufzunehmen. Colebrooke's Anmerkun-
gen zu veröffentlichen ist hier nicht der Ort.
Pänini Adhyäya I, Päda 1.
1. A, ai and au are named vriddhi]
2. and a, e and o are called guna.
3. When the Substitution of such a letter is enjoined under these
denominations, without specifying the letter which gives place
thereto, such guna and vriddhi dement shall be substituted for
an ik vowel only.
4. The Substitution of a guna or vriddhi letter, for an ik vowel,
does not take effect in right of an ärdhadhätuka suffix on ac-
count of which some part of the verb is expunged ;
5. nor in right of an affix, which does really or fictitiously con-
tain a mute k or n;
6. nor does it take place in the verbs didhin 'to shine', or 'to
play', and vevih 'to move, to pervade, to conceive, to desire,
to throw', or 'to eat' ; nor in the prefix it.
7. Consonants, not separated by intervening vowels, are termed
conjunct.
8. An element prolated by the nose and mouth is nasal.
9. Letters, articulated near the same organ of speech and with
the same aperture for the voice, are homogeneous;
10. but a vowel and a consonant are not so.
11. I, ü and e, terminating a word in the dual number, are na-
med pragrihya (and are consequently unalterable, even though
a vowel follow in connected orthography).
12. So are the same vowels following m in the inflections of tho
pronoun adas 'this';
13. and so is äe (which is employed in the Veda, in the inflections
of the personal pronouns).
108 F. Kielhorn,
14. A particle consisting of a single vowel, except (d deduced from)
an, is likewise named pragrihya\
15. and so is o, being the final of a particle.
16. In the vocative case a final o is likewise so named, according
to Säkalya , when iti follows, unless it be in a passage of holy
writ.
17. So likewise (u deduced from) un is named pragrihya, according
to the same author, when that particle follows ;
18. and so is the nasal vowel u, which may be snbstituted for un
before the same term, according to the same anthority.
19. I and ü, terminating a word that bears the sense of the se-
venth case , are likewise named pragrihya.
20. The verbs da and dhd, and such as assume those forms, except
dop 'to cut' and daip 'to cleanse', are called ghu; {yiz. duddn
and ddn 'to give' ; do 'to cut' ; den 'to protect' ; dudhdn 'to
hold, to nourish'; and dhet 'to drink'.)
21. A single letter is liable to the same inflections as if it were
initial or final.
22. Tarap and tamap (terminations denoting the comparative and
Superlative degrees) are named gha.
23. The words bahu 'many' and gana 'a set' or 'class' *), and terms
ending in the suffixes vatu and dati are called numerals.
24. A numeral ending in sh or n 2) is named shat ;
25. and so is one, the termination whereof is deduced from the
suffix dati.
26. Kta and Jctavatu (suffixes with which are formed the participles
of the past tense) are called nishthä.
27. Sarva and certain other words, whether single or terminating
a Compound, are termed pronouns.
28. They may at pleasure be, or not be, so named in a Bahuvrihi
Compound formed of terms signifying regions of space.
29. They are not so named in any other Bahuvrihi Compound;
30. nor in a Compound, which, if resolved, would exhibit its other
term in the third case ; [nor in a phrase equivalent to such
a Compound;]
31. nor in a Dvandva Compound.
32. However, they may at pleasure be, or not be inflected as pro-
1) An andrer Stelle: „bahu and gana, unless they signify greatness or assem-
blage".
2) Oder „a numeral originally ending in sh or nu ; oder „numerals which in
their elementary^form end in sh or nB. — Siehe P. I, 1, 24, Vartt. 1.
Colebrooke's Pänini-Handschriften der Königl. Bibliothek zu Göttingen. 109
nouns, in a Dvandva Compound, with jas, the termination of
the first case in the plural number.
33. Prathama 'first', charama last', derivatives ending in taya (de-
duced from the snffix tayap), alpa little', ardha 'half, Jcatipaya
'few', and nema 'half, may at pleasure be, or not be, inflected
as pronouns in the plural number of the first case. [TJbhaya
'both', derived from ayach substituted for tayap, must be in-
flected like a pronoun in this case and number. Ordinals en-
ding in tiya may be inflected as pronouns with the suffixes
distinguished by a mute n\.
34. So may pürva 'east' or 'prior', para 'subsequent', avara 'west'
or 'posterior', dahshina 'south' or 'right', uttara 'north' or 'sub-
sequent', apara 'other' or 'inferior', and adhara 'west' or 'in-
ferior', denoting relative Situation, unless they be used as ap-
pellatives.
35. So may sva 'own', unless it be used as an appellative and
signify 'kinsman' or 'wealth' ;
36. and so may antara provided it signify 'external' or lower
garment'.
37. Svar and certain other words are indeclinable ; and so are
particles.
38. So are words ending in a taddhita suffix, to which all the
signs of cases cannot be subjoined;
39. and so are words terminated by a krit suffix ending in m or
in a diphthong;
40. or terminated by the suffixes Jävä, tosun, or Tcasun.
41. An adverbial Compound too is indeclinable.
42. Si (which is substituted for jas and sas in the inflections of
neuter nouns) is called sarvandmasthäna ;
43. and so are su, au, jas, am and aut, except in the neuter gen-
der. (The exception does not contradict the preceding rule.)
44. VibhäsJiä denotes prohibition together with Option. (It signi-
fies "not, optionally however".)
45. An ik vowel, which has been, or is to be, substituted for a
semivowel (yan) !), is called samprasdrana.
1) Bei einer etwas andern Fassung der Regel fügt Colebrooke hinzu „and
the Substitution of such a vowel for a semivowel"; and hat die Anmerkung „the
rule admits of two interpretations, and must in fact be taken in both senses, as
here translated". Er; will offenbar sagen , daß samprasdrana nicht nur den für
den Halbvocal substituierten Vocal bezeichnet, sondern auch gleichbedeutend ist
mit dem Satze „ik tritt an die Stelle von yaw". Vgl. die V;irttikas zu der Regel.
HO F. Kiel hörn,
46. That which is distinguished by a mute j, is initial ; by a mute
Je, is final;
47. and by a mute m, is subjoined to the last vowel, (whether
tbis be, or be not, followed by a consonant).
48. When a sbort vowel must be substituted for a diphthong, only
tbe %k element becomes short (but the other element is re-
jeeted) 1).
49. In rules of grammar, the sixth case imports "instead of".
50. When an element is to be substituted for another , the most
similar to the original one must be chosen out of those which
are ofFered.
51. When an an vowel is substituted for n, r must be subjoined
to it. [In like manner l is subjoined to such a vowel substi-
tuted for li.]
52. What is thus (49) directed to be substituted for a term so
exhibited in the sixth case, shall be put in the place of the
last letter thereof ;
53. and so shall a Substitute containing a mute n (even though
it consist of several efficient letters, 55).
54. A Variation of a subsequent term on aecount of a preceding
one affects its initial letter only.
55. A Substitute consisting of two or more efficient letters, (wi-
thout a mute n, 53,) or distinguished by a mute rf, shall be
put in the place of the whole term so (49) exhibited in the
sixth case.
56. The Substitute is equal to the original, except in regard to
Operations depending on the particular letters of the original.
57. That, which is substituted for a vowel on aecount of a sub-
sequent term, is equal to the original so far as the preceding
element is concerned;
58. except in regard to Operations on the termination of an in-
flected word ; in regard to the duplication of elements ; in re-
gard to the preceding element in the instance of vara ; in regard
to the expunging of y ; in regard to the tone of vowels ; in re-
gard to the Substitution of a homogeneous element ; in regard
to the Substitution of anusvära; in regard to the lengthening
of a vowel; in regard to the Substitution of a jas consonant;
and in regard to the Substitution of a char consonant.
1) An andrer Stelle: „when a short vowel must be substituted for a diph-
thong, it shall be an ik vowel".
Colebrooke's Pänini-Handschriften der Königl. Bibliothek zu Göttingen. Hl
59 l)
60. The expunging, obliterating , effacing, or omitting of an de-
ment, so that it shall be unheard and unpronounced, is called
lopa or Substitution of a blank.
61. Lulc, slu and lup are names for the expunging of suffixes with
such consequent Operations, as are denoted by these terms
respectively 2).
62. When the whole of a suffix is expunged, Operations, depending
on such a suffix, do nevertheless take place;
63. unless tbe term, by which the suffix is directed to be ex-
punged, contains the syllable lu; for, in that case, the radical
body3) remains unaffected.
64. The last vowel, together with a subsequent consonant (if any
there be), is called ti , the last syllable.
65. The dement, which precedes the last letter, is called penul-
timate.
66. When that, on account of which something is directed to be
done, is exhibited in the seventh case, the consequent Opera-
tion affects a preceding term only.
67. When it is exhibited in the fifth case, the Operation affects
a subsequent term only.
68. In grammar, the particular form only of a word (abstracted
from its sense) is meant ; excepting the technical denominations
of words, for they, not the word which designates them, are
thereby meant.
69. A vowel or a semivowel (an), or a consonant to which a mute
u is annexed, implies the homogeneous elements as well as
the particular letter, which is expressed; excepting suffixes.
70. Preceded or followed by the letter t, an dement implies the
homogeneous sounds of the same length as well as the parti-
cular one which is expressed.
71. The first term of any set, together with a final mute letter,
is a designation of all the intermediate elements as well as
of that initial term itself.
1) Diese Regel ist nirgends vollständig übersetzt.
2) An andrer Stelle : „the expunging of a suffix with such further conse-
quences as are severally denoted by the terms luk, diu, and lup, is designated
by these terms respectively".
3) Später hat Colebrooke ahga mit „inflective root" übersetzt. Vgl. seine
Grammatik, S. 14: „Luk, Üu and lup are also names for the expunging of af-
fixes ; and , when a blank is substituted under one of these denominations , the
inflective root remains unaffected by the expunged ailix".
112 F. Kiel hörn, Colebrooke's Pänini-Handschriften etc.
72. Tbat, by which, as a limitation *), a grammatical Operation is
directed, implies the whole term whereof it is the final.
73. A word, whereof the first vowel is vriddhi, is named vriddha)
74. and so are tyad and certain other pronouns ;
75. and so is a word, whereof the first vowel is e or o, provided
it be the name of an eastern country.
1) An andrer Stelle „as a restrictive term", oder „as an epithet".
Ueber die Stromleitung durch Niederschlags-
membranen.
Von
Gustav Tammann.
Vor kurzem hat Ostwald1) ein System aus Kupfersulfat
und Ferrocyankaliumlösung j getrennt durch die semipermeable
Membran von Ferrocyankupfer, electrolysirt und ist bei der Deu-
tung dieses Versuches zur Ansicht gelangt, daß die semipermea-
beln Niederschlagsmembranen die Electricität metallisch leiten.
Zur selben Zeit hatte ich gefunden, daß die semipermeabele Mem-
bran einen außerordentlich geringen Widerstand dem Durchgange
von Wechselströmen bietet2). Schon damals hatte ich mir vorge-
nommen, die Art der Electricitätsleitung durch semipermeable
Membranen näher zu untersuchen, und speciell die von Ostwald
aufgestellten Ansichten, die ich erst nach Abfassung meiner Mit-
theilung erfuhr, näher zu prüfen. Inzwischen sind von Oberbeck3)
die electromotorischen Kräfte, deren Sitz die Niederschlagsmem-
branen sind, gemessen, es hat sich dabei herausgestellt, daß ihr
Betrag von der Eigenschaft der Semipermeabilität wenig beeinflußt
wird, ja bei nicht membranartigen Niederschlägen wurden zuweilen
größere electromotorische Kräfte constatirt, als bei Systemen mit
Niederschlagsmembranen, die nach Ostwald besonders große elec-
tromotorische Kräfte ergeben sollten. Die Frage nach der Art
der Electricitätsleitung durch die Niederschlagsmembranen ist von
1) W. Ostwald, Zeitschrift f. physik. Chem. 6. p. 71. 1890.
2) G. Tammann, Zeitschrift f. physik. Chem. 6. p. 236. 1890.
3) A. Oberbeck, Wied. Ann. 42. p. 193. 1891.
GustavTammann, über die Stromleitung durch Niederschlagsmembranen. 113
Oberbeck nicht näher berührt worden; es scheint, daß er sich
der Ansicht, die Niederschlagsmembranen seien Isolatoren, hinneigt.
Wir sind über die Vorgänge bei der Electrolyse durch Nieder-
schlagsmembranen, besonders was die quantitative Seite des Phä-
nomens betrifft, so mangelhaft orientirt, daß die Frage nach Art
und Weise der Stromleitung durch Niederschlagsmembranen nicht
ohne neue Versuche zu entscheiden ist.
Sind die sogenannten semipermeabeln Membranen wirklich un-
durchlässig für die Membranogen- Jonen , so bleibt für diese Mem-
branen nur die Wahl zwischen electrolytischer oder metallischer
Leitung, sind dieselben aber ausnahmlos für, wenn auch nur ge-
ringe, Mengen anderer Stoffe und besonders für ihre Membranogene
permeabel, so könnte man ihre gute Leitfähigkeit auch der Wech-
selwirkung der Jonen in den Membranporen, wie bei den permea-
bel Membranen , erklären. Ich werde im Folgenden auf diese
Hauptfrage, giebt es Niederschlagsmembranen, die für die Jonen
ihrer Membranogene absolut undurchlässig sind? ein wenig
näher eingehn, die Gesamtheit aller meiner diesen Punkt be-
treffenden Beobachtungen mir auf ein anderes Mal versparend.
In vielen Fällen kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die
vorliegende Niederschlagsmembran für die Jonen ihrer Membrano-
gene permeabel ist. Beispiele für diesen Fall sind außerordent-
lich zahlreich.
Lösungen von Alkalien, Carbonaten, Silicaten, Phosphaten und
Sulfiden geben mit Salzen schwerer Metalle Membranen, die zuerst,
gleich nach der Aufeinanderschichtung der Lösungen, dünn sind,
sich aber bald augenscheinlich verdicken, so daß kein Zweifel da-
rüber bleibt, daß sich in den Poren der Membran die Fällung fort-
dauernd vollzieht. Ich habe früher die Bilder, die solche Systeme,
betrachtet durch den Schlierenapparat geben, beschrieben1). Diese
Bilder sind nur im Sinne einer sich beständig vollziehenden Eeac-
tion zwischen den Membranogenen zu deuten. Die von Ostwald2)
als semipermeabel angesprochene Membran aus Kupfersulfid, ge-
bildet beim Aufeinanderschichten der Lösungen von Natriumsulfid
und Kupfersulfat , verdickt sich ungemein rasch , ist also sicher
nicht semipermeabel. Auch geronnenes Eiweiß, von dem 0 s t w a 1 d
annimmt, daß es mit Kupfersulfatlösung eine für Kupferionen un-
durchdringliche Membran bildet, wird von Kupfersulfatlösung
schnell und vollständig imprägnirt. Von diesen Membranen unter-
1) G. Tammann, Wied. Ann. 34. p. 299. 1888.
2) W. Ostwald 1. c.
114 Gustav Tammann,
scheiden sich die Ferrocyankupfer , Ferrocyanzink und Ferrocyan-
guecksilbermembran schon ihrem Aussehn nach ; dieselben sind außer-
ordentlich dünn und dehnbar, sie verdicken sich während der ersten
5 — 10 Minuten lang nicht sichtbar. In concentrirten Lösungen ihrer
Membranogene ist die dünne Ferrocyankupfermembran außerordent-
lich unbeständig, in verdünnten, 0.1 normal und verdünnteren, hält
sie sich zuweilen monatelang. Die Verdickung der Ferrocyan-
kupfermembran unterscheidet sich wesentlich von der aller anderen
Niederschlagsmembranen; während die anderen sich gleichmäßig
auf ihrer ganzen Fläche und etwa proportional der Zeit verdicken,
bilden sich auf der Ferrocyankupfermembran warzenartige Aus-
wüchse. Die Fällung geht von einzelnen Punkten der Membran aus,
um dann, wenn sie einmal eingetreten ist, bald das ganze Probirglas
zu füllen. Die Ferrocyankupfermembran ist also unter Umständen
für die Jonen ihrer Membranogene impermeabel, befindet sich aber
in einem labilen Zustande, der durch unbekannte Umstände leicht
gestört wird. Die Ferrocyankupfermembran ist in der That für
eine ganze Reihe von Salzen impermeabel; man kann von vielen
Stoffen auch mit sehr empfindlichen analytischen Hülfsmitteln nicht
Spuren derselben nachweisen, auch nachdem diesen mehrere Stun-
den lang Gelegenheit geboten war, die Membran zu durchdringen.
Die Permeabilität der verschiedenen Niederschlagsmembranen für
fremde Stoffe gedenke ich in einer anderen Mittheilung ausführ-
licher zu behandeln, und die Ansichten vonOstwald über diesen
Punkt näher zu prüfen.
Drei verschiedene Arten des Electricitätstransportes wären
durch eine Niederschlagsmembran denkbar. Erstens die Jonen
der Lösung wandern durch die Poren der Membran. Auch für die
Ferrocyankupfermembran, wäre nach dem beschriebenen Verhalten
derselben dieser Fall nicht sofort von der Hand zu weisen. Zwei-
tens die Niederschlagsmembranen leiten metallisch ; und drittens
dieselben leiten electrolytisch.
Untersuchen wir zur Entscheidung der Frage die Electrolyse
eines Systems aus Kupfersulfatlösung und darüber geschichteter
Ferrocyankaliumlösung, in die Kupferlösung tauche die Anode und
in die Ferrocyankaliumlösung die Kathode:
Kathode | 4K; 4Cy,FeCy2 | 2 Cu ; 4 Cy , Fe Cy2 | 2CuS04 | Anode.
Bei der Stromleitung gehn 2 Kupfer- Jonen an die Membran,
ihnen entgegen kommt das Ferrocyan - Jon. "Wenn die Membran
metallisch leitet, so müssen sich auf ihr einerseits 2 Atome me-
über die Stromleitung durch Niederscnlagsmembranen. 115
tallisches Kupfer und andererseits ein Ferrocyan abscheiden;
letzteres geht unter Entwicklung von 2 respective 1.5 Sauerstoff-
Atomen in Ferrocyan oder Ferrocyanwasserstoffsäure über. Das
Kalium wandert zur Kathode und das Jon SO4 zur Anode.
Bei oberflächlicher Betrachtung scheint die Electrolyse, wenn
an der Membran die Stromdichte groß ist, in der That so zu ver-
laufen.
In einem Probirglase (2 cm Durchmesser) wurde über eine
Kupfersulfatlösung (1 Gramm-Molekel im Liter) eine Ferrocyan-
kaliumlösung (0.37 Gr.-M.) geschichtet und mittelst, 1.5 cm von
einander abstehender, Kupferelectroden der Strom von 4 Leclanche-
elementen durchgeschickt. Es verdickte sich die Ferrocyankupfer-
membran stark und zwar sehr viel schneller, als wenn kein Strom
durchgeschickt wurde. Unter der starken Fällung von Ferrocyan-
kupfer fand sich eine cohärente Schicht von Kupfer, die nach der
Anode hin blank und metallisch , nach der Kathode hin theils in
Kupferoxyd verwandelt war. Vom Kupferoxyd aus entwickelte
sich reichlich Sauerstoff, die Ferrocyankaliumlösung enthielt Fer-
ricyankalium und reagirte alkalisch. An der Anode wurde Kupfer
gelöst und an der Kathode Wasserstoff entwickelt.
Es scheidet sich metallisches Kupfer auf der Membran aus,
gleichzeitig bildet sich aber viel Ferrocyankupfer. Leitet die
Membran metallisch so ist nicht einzusehn, wozu sich noch eine
reichliche Menge Ferrocyankupfer bildet. Wäre es nicht möglich,
daß die Kupferabscheidung nur ein secundäres Phänomen ist?
Schaltet man in den Stromkreis der soeben benutzten Zer-
setzungszelle ein Silbervoltameter , so wurden in diesem während
24 Stunden 2.266 gr Silber abgeschieden, auf und in der Membran
wurden nur 0.314 gr metallischen Kupfers gefunden, während
0.664 gr Kupfer der ausgeschiedenen Silbermenge entsprechen
würden. Um das Kupfer vom Ferrocyankupfer zu trennen wurde
das Gemenge mit Natronlauge, verdünnter Weinsäure und stark
alkalischer Lösung von weinsaurem Natron behandelt. Schwar-
zes Kupferoxyd hat sich in diesem Falle bei geringerer Strom-
dichte gar nicht gebildet. Ein zweiter Versuch wurde in der An-
ordnung von Ostwald ausgeführt; ein mit Pergamentpapier über-
bundenes mit Ferrocyankaliumlösung gefülltes U- förmiges Rohr
(1.5 cm Durchmesser) tauchte in zwei Gefäße mit KupfersulfatlÖ-
sung, in 24 Stunden hatten sich bei geringerer Stromdichte als
im vorigen Versuch an der Kathode 0.211 gr Kupfer abgeschieden
auf der Anoden-Pergamentmembran wurden nur 6 mg metallischen
Kupfers gefunden.
l\$ Gustav Tammann,
Sorgt man für noch geringere Stromdichten an der Ferrocyan-
kupfermembran, so ist anf dieser, auch nachdem 4 grm Silber im
Silbervoltameter abgeschieden sind, keine Spur von metallischem
Kupfer zu entdecken. Füllt man eine Platin s chale , 9 cm Durch-
messer, mit Kupfersulfat-Lösung (0.1 Gr.-M.) und legt auf diese
Lösung ein die Schale allseitig überragendes Stück Pergament-
papier, auf welches man Ferrocyankaliumlosung (0.04 Gr.-M.)
bringt , so scheiden 2 Lelauche - Elemente in 3 Tagen keine Spur
von metallischem Kupfer auf dem Pergamentpapier ab und in
der Ferrocyankaliumlosung ist kein Ferricyankalium nachzuwei-
sen. In der Ferrocyankaliumlosung sind nur Spuren von SO4-
Jonen und in der Kupfersulfatlösung nur Spuren von Kaliumionen
enthalten.
Die Metallabscheidung auf der Niederschlagsmembran hängt
wohl von der Fähigkeit des Stoffes an der Kathode, unter Abgabe
von negativer Electricität in ein anderes Jon überzugehn , ab.
Folgende Systeme: Kathode | Schwefelnatrium | Schwefelkupfer |
Kupfersulfat | Anode und Kathode | Ferrocyankalium | Ferrocyan-
zink | Zinksulfat | Anode gaben auf der Membran Metallabschei-
dungen, während Systeme: Kathode | Kalilauge | Kupferoxydhy-
drat | Kupfersulfat | Anode *) und Kathode | Kohlensaures Kali |
Kupfercarbonat | Kupfersulfat | Anode, keine Metallabscheidung
gaben. Die Ausscheidung von Kupfer auf der Ferrocyankupfer-
membran hat mit der Semipermeabilität der Membran nichts zu
thun. Auf der Schwefelkupferausscheidung scheidet sich ja auch
Kupfer aus und doch ist die Schwefelkupferausscheidung sowohl
für Schwefelnatrium als auch für Kupfersulfat in hohem Grade
durchlässig.
Durch Annahme metallischer Leitfähigkeit der Ferrocyankupfer-
membran wird die Electrolyse unseres Systems schwerlich erklärt.
Betrachtet man die Niederschlagsmembran als Isolator und sucht
den Electricitätsaustausch in den Poren der Membran, so müßten
sich diese bald verstopfen und der Strom müßte sehr bedeutend
geschwächt werden, ja nach einiger Zeit nothwendig vollkommen
1) Systeme aus Kalilauge und Kupfersulfat leiten nur so lange den Strom,
als das ausgeschiedene blaue Kupferoxydhydrat sein Wasser nicht verloren hat ;
ist eine Schicht der Membran in schwarzes Kupferoxyd übergegangen, so geht
durch diese Membran fast gar kein Strom, nur Systeme, deren Lösungen verdünnter
als etwa £ normal sind, kann man längere Zeit electrolysiren. Bei concentrirteren
Lösungen wächst der Widerstand so, daß der Strom schnell auf ^0 seines Wer-
thes geschwächt wird.
über die Stromleitung durch Nicderschlagsmembranen. 117
aufhören. Aus den Beobachtungen von Overbeck1) ist ersicht-
lich, daß der Widerstand bei Membranen aus Ferrocyankupfer und
Ferrocyanzink sehr erheblich wächst, derselbe wird aber nie so
groß , daß der Strom auf mehr als J seiner anfänglichen Intensität
geschwächt wird; um die Strom Schwächung hervorzurufen genügen
die Concentrationsänderungen der Lösung um die Membran. Wir
werden sehn, daß die Schichten an der Membran sich beständig
verdünnen müssen. Außerdem konnte an der Ferrocyankupfermem-
bran Nichts beobachtet werden, was zu Gunsten einer Abscheidung
von Ferrocyankupfer in den Poren der Membran sprach. Wäre
es nicht wahrscheinlich, daß in diesem Falle die Membran ein be-
sonders festes Grefüge annehmen würde?
Die Ferrocyankupfermembran leite also den Strom electroly-
tisch. Die Kupferjonen dringen in die Ferrocyankupfermasse der
Niederschlagsmembran ein und treiben auf der anderen Seite der
Membran Kupferjonen heraus, die sich mit den ihnen begegnenden
Ferrocyanjonen zu Ferrocyankupfer vereinigen. Die Kalium- und
SO4- Jonen wandern zu den Electroden und das Resultat ist, daß
an der Membran beständig Schichten von reinem Wasser, in wel-
ches die Jonen beider Salze hineindiffundiren, gebildet werden.
Schickt man durch unser System den Strom in umgekehrter
Richtung, also: Anode | 4K; 4 Cy, FeCy2 | 2 Cu; 4 Cy,FeCy2 |
2 Cu SO4 | Kathode , so müßte , wenn die Membran sich wie eine
Metallplatte verhielte , auf der zur Anode gewandten Seite der
Membran Wasserstoff entwickelt werden und Kalilauge sich bil-
den , während auf der anderen Seite sich Sauerstoff entwickeln
und Schwefelsäure entstehn würde. Nach Ostwald2) ist die
metallisch leitende Membran aber für Kaliumjonen durchlässig.
Warum die Kaliumjonen ihre Electricität nicht der metallisch lei-
tenden Membran abgeben, ist von 0 s t w a 1 d nicht näher erörtert.
Dieselben sollen jedenfalls unberaubt ihrer Electricität durch die
Poren der Membran in der Kupfersulfatlösung gelangen , ' in der
ihnen die SO4- Jonen, die die Membran nicht durchdringen können,
begegnen. So schwer auch dieser Ansicht beizustimmen ist, so
hätte dieselbe doch etwas für sich, wenn in der Kupferlösung die
der auf der Kathode abgeschiedenen Kupfermenge aequivalente
Kaliummenge gefunden würde. Zwar dringt aus einer Lösung,
die Kalium- und SO4- Jonen enthält , ein geringer Theil derselben
1) A. Oberbech 1. c.
2) W. Ostwald 1. c.
Nachricht«!» ron der K. G. d. Vf. zu Göttinnen. 1891. No. 3.
Hg Gustav Tammann,
durch die Ferrocyankupfermembran, aber bei unseren Versuchsbe-
dingungen kann es sieb, wie ich mich überzeugt habe, nur um we-
nige Milligramm Kalium sulfat , die aus der Kupferlösung in die
Ferrocyankaliumlösung hinüber diffundiren, handeln. Trotzdem
müßte die der Summe der SO± Menge (in der Ferrocyankaliumlö-
sung) und der Kaliummenge (in der Kupfersulfatlösung) aequiva-
lente Menge von Kaliumsulfat der an der Kathode abgeschiedenen
Kupfermenge entsprechen. Die Analyse ergiebt aber in der Kupfer-
sulfatlösung nur etwa \ der erwarteten Menge von Kaliumsulfat
und in der Ferrocyankaliumlösung ist nicht mehr als J derselben
vorhanden.
In eine Platinschale (9 cm Durchmesser) wurden 300 ebem
Kupfersulfatlösung (0.1 G-.-M.) gebracht, die Lösung mit Perga-
mentpapier bedeckt und Ferrocyankaliumlösung auf das Papier
geschichtet. Es hatten sich nach 24 Stunden auf der Platinschale
0.849 gr Kupfer abgeschieden. In der Kupfersulfatlösung wurden ,
nach Ausfällung des Kupfers mit Schwefelwasserstoff, 0.671 grm
Kaliumsulfat gefunden, während die dem ausgeschiedenen Kupfer
aequivalente Kaliumsulfatmenge 2.342 gr betragen würde. Aus
der braunschwarz gefärbten Ferrocyankaliumlösung wurde das Jon
SO4 mit Baryumchlorid gefüllt, der ausgewaschene Niederschlag
mit Kali und Salpeter geschmolzen und aus der Lösung der
Schmelze die Schwefelsäure nochmals aus sauerer Lösung mit
Chlorbaryum gefällt. Es wurden so erhalten 0.544 gr Baryum-
sulfat, entsprechend 0.406 Kaliumsulfat.
Nimmt man auch an, daß die in der Ferrocyankaliumlösung
gefundene Menge von SO4- Jonen mit Kaliumjonen zusammen durch
die Membran zurück in die Ferrocyankaliumlösung getreten ist,
so könnten im Ganzen doch nur 0.671 gr + 0.406 gr = 1.077 gr
Kaliumsulfat in der Kupfersulfatlösung gebildet sein, während
nach Ostwald 2.342 gr Kaliumsulfat in der Kupferlösung vor-
gefunden werden müßten.
Bemerkenswerth ist der Umstand, daß die Ferrocyankupfer-
membran bei dieser Richtung des Stromes viel dünner ist und
bleibt, als wenn unter demselben Umständen kein Strom durch die
Membran geht.
Jener und dieser Befund können in einfacher Weise erklärt
werden, wenn man der Niederschlagsmembran electrolytisches Leit-
vermögen zuschreibt. Verfolgen wir den Strom von der Anode
aus. Das Ferrocyan scheidet sich an der Anode ab, dieselbe sei aus
Platin, und zersetzt das Wasser, indem sich Ferrocyanwasserstoff-
säure und Sauerstoff bilden. Dabei treten complicirte Oxydations-
über die Stromleitung durch Niederschlagsmembranen. 119
Wirkungen ein , die hier nicht weiter interessiren. Die 4 Kalium-
jonen wandern von der Anode zur Membran und treten in diese
an Stelle zweier Kupferjonen ein, letztere wandern durch die
Membran und die Kupfersulfatlösung zur Kathode. Von der Ka-
thode aus waudern die SOi-Jonen und treten in die Membran an
Stelle der Ferrocyanjonen , die durch die Ferrocyankaliumlösung
zur Anode wandern. Das Resultat dieses Processes ist eine be-
ständige Auflösung der Ferrocyankupfermembran und Bildung von
Kupfersulfat und Ferrocyankalium an der Membran. Natürlich
verschwindet die Membran nicht, sondern bildet sich beständig
aus den Membranogenen neu, was ja mit ihrer Feinheit unter
diesen Versuchsbedingungen übereinstimmt. Bei dieser Neubildung
der Membran gelangt ein Theil der Kaliumjonen in die Kupfer-
lösung und ein Theil der SCU-Jonen in die Ferrocyankaliumlösung.
Würden die Kalium und SO4- Jonen in den Poren der Membran
zusammentreffen , so müßten , da beide Jonen gleiche Ueber-
führungszahlen haben, auf beiden Seiten der Membran aequivalente
Mengen von Kalium und SO4 gefunden werden. Die Summe der
jenen aequivalenten Kaliumsulfatmengen müßte der ausgeschiedenen
Kupfermenge entsprechen. Ferner ist, wenn der Membran ein Iso-
lator wäre, kein Grund dafür vorhanden, daß die Membran an
Substanz verliert.
Von Interesse erschien noch der Fall, in dem sich neben der
Membran ein Salz bildet, das die Membran auch nicht in Spuren
zu durchdringen vermag. Folgendes System: Anode | Ferrocyan-
magnesium | Ferrocyankupfer | Kupfersulfat | Kathode, genügt je-
ner Bedingung. Nach Ostwalds Ansichten wäre bei der Elec-
trolyse dieses Systems eine Abscheidung von Magnesium oder
Magnesia auf der Membran zu erwarten. Eine solche fand auch
bei größeren Stromdichten nicht statt. Folgender Versuch spricht
wie die vorigen für electrolytische Leitung der Membran. Die
Versuchsanordnung war die früher beschriebene. Auf der Kathode
wurden 1.897 gr metallisches Kupfer abgeschieden, in der Kupfer-
sulfatlösung wurden 0.377 gr Magnesiumsulfat (der Kupfermenge
aequivalent wären 3.63 Mg SO4) gefunden und aus der Ferrocyan-
magnesiumlösung wurden 2.124 gr Baryumsulfat erhalten. Der
Kupfermenge aequivalent wären 7.03 gr Baryumsulfat und der in
die Kupfersulfatlösung übergetretenen Menge Magnesium wären
0.731 gr Barymsulfat aequivalent. Es sind also bei der bestän-
1) G. Tammann, Zeitschrift f. physikal. Chem. 6. p. 236. 1890.
9*
120 Gustav Tammann,
digen Neubildung der Membran, wenn ein Atom Magnesium in die
Kupfersulfatlösung trat, 3 Atome SO* in die Ferrocyanmagnesium-
losung getreten. Systeme mit Niederschlagsmembranen entwickeln
beim Durchgang des Stromes wohl ausnahmslos einen unipolaren
Widerstand.
Wie früher gezeigt besitzen Niederschlagsmembranen , die
sich nicht merkbar verdicken, für Wechselströme keinen Wider-
stand1). Anders verhalten sich aber solche Systeme gegen län-
gere Zeit constant wirkende , besonders gegen starke Ströme ; bei
der Wirkung dieser bildet sich bei einer bestimmten Richtung
des Stromes schnell ein starker Widerstand aus. Die oben aus-
einandergesetzten Verhältnisse bei der Stromleitung unserer Sy-
steme lassen diese Erscheinung vollständig verstehn.
Nach Oberbeck1) sind die elektromotorischen Kräfte der
Polarisationsströme von Systemen mit Nieder schlagsmembr an en nie
größer als ein Volt. Die Stromstärke aber nahm bei Oberbecks
Systemen in 5 Minuten auf J bis -^ ihres Betrages ab. Also
wuchs der Widerstand aufs 7 bis 9 fache, da die electromotorische
Kraft der Batterie 9 Volt betrug. Wie ich mich mehrfach bei
oben beschriebener Versuchsanordnung, Uebereinanderschichtung
der Lösungen in einer Röhre mit Electroden, überzeugt habe, ent-
wickelt sich der große Widerstand nur dann, wenn die Jonen, die
eine Membran oder nur einen Niederschlag bilden, sich gegen ein-
ander, die beiden anderen Jonen sich aber auseinander bewegen.
Dadurch entsteht an der Membran oder im Niederschlage eine sehr
verdünnte Lösung, in deren Bildung wohl die Hauptursache des
großen Widerstandes zu suchen ist. Wendet man den Strom , so
wandern die membranbildenden Jonen auseinander, die anderen
Jonen aber zur Membran, so daß die Membran oder der Nieder-
schlag jetzt von concentrirteren Schichten umgeben sein wird.
Bei der Electrolyse eines Systems aus Kupfer sulfatlösung
(1 G-.-M.) und Ferrocyankaliumlösung (0.37 Gr.-M.) mit 4 Leclauche"
Elementen fiel, wenn die membranbildenden Jonen gegen einander
wanderten, die Stromstärke in 2 Minuten auf den 10. Theil ihres
anfänglichen Werthes; rückten die membranbildenden Jonen aber
auseinander, so änderte sich die Stromstärke nur wenig. Natür-
lich hängt das Phänomen wesentlich von der Stromdichte an der
Membran ab, ist dieselbe gering, so können sich die durch den
Strom hervorgerufenen Concentrationsunterschiede sofort wieder
durch Diffusion ausgleichen, und der unipolare Widerstand wird
1) A. Oberbeck 1. c.
über die Stromleitung durch Niederschlagsmembranen. 121
nicht auftreten. Der unipolare Widerstand verschwand bei einer
Stromstärke von 10 Milli- Ampere in einem System von Kupfersul-
fat (0.05 G.-M.) und Ferrocyankaliumlösung (0.02 Gr.-M.). Für das
Auftreten des unipolaren Widerstandes ist es gleichgültig, ob eine
permeabele oder semipermeable Membran oder endlich nur ein Nie-
derschlag gebildet wird.
Obige Untersuchung der Electrolyse eines Systems aus Kupfer-
sulfat und Ferrocyankaliumlösung hat gelehrt, daß nur durch An-
nahme electrolytischer Leitfähigkeit der Membran die beobachteten
Erscheinungen genügend erklärt werden. Die electrolytische Zer-
setzbarkeit der Membran hat im Lichte Hittorf scher Anschau-
ungen Nichts befremdendes. Sind doch alle Stoffe, die unter den
Begriff Salz rubriciren, Electrolyte.
Dorpat im März 1891.
Ueber einen neuen Apparat zur Bestimmung der
inneren Wärmeleitungsfähigkeit schlecht leiten-
der Körper in absolutem Maße.
Von
0. Venske.
Bei den Schwierigkeiten, mit welchen noch heutzutage die
Ermittelung genauer Werte der Wärmeleitungsfähigkeit in ab-
solutem Maße verbunden ist, dürfte ein kurzer Bericht über einen
neuen Apparat nicht ohne Interesse sein, welcher auf Veranlas-
sung von Herrn Prof. W. Voigt construiert ist und die Bestim-
mung dieser Constante für schlecht leitende Substanzen in einfa-
cher Weise ermöglicht.
Die Messungsmethode des Herrn Prof. W. Voigt gründet
sich auf die Bestimmung der Wärmemenge, welche in der Zeitein-
heit aus einer Wassermasse von der Temperatur -9-, in eine an-
dere von ihr durch eine planparallele Wand der zu untersuchen-
den Substanz getrennte Wassermasse von der Temperatur 0^ über-
geht. Führt man folgende Bezeichnung ein :
calorimetrische Wärmeleitungsföhigkeit der Wand 7c,
äußere Wärmeleitungsfähigkeit der Wand gegen die
Wassermasse von der Temperatur ^ bezw. &2 hx bez. h%)
Dicke der Wand ö.
122
0. Venske,
Stärke der Wärmeströmung berechnet für den Querschnitt 1 Q,
so besteht, falls #, und #2 sich so langsam mit der Zeit ändern,
daß der Zustand in der Platte sich nur sehr wenig von dem sta-
tionären unterscheidet, der bei constanten Temperaturen der beiden
Bäder eintreten würde, bekanntlich die Gleichung
q^-^-j + W+k
Bestimmt man experimentell die Werte, welche die linke Seite
dieser Gleichung für verschiedene Wanddicken annimmt, so ge-
winnt man folglich Gleichungen, aus denen sich die Unbekannten
h und l/ht + l/h2 berechnen lassen. Diese Bestimmungen können
bequem und genau mit dem oben erwähnten Apparate ausgeführt
werden.
A und B sind zwei mit ihren Mündungen einander zugekehrte
cylinderförmige Gefäße, welche je eine Höhe von 5 cm und einen
neuer Apparat zur Bestimmung der inneren Wärmeleitungsfähigkeit etc. 123
Durchmesser von 10 cm haben. Dieselben befinden sich zwischen
zwei Holzkreuzen Q, Q1} welche durch die Drähte D, Bx und die
Seidenschnüre F mit einander verbunden sind. Die äußeren Enden
der Drahtstücke 1) sind mit Schraubengewinden und Muttern 8t1
S2, S3, #4 ausgestattet. Durch Anziehen der letzteren werden die
mit Gummi gefütterten Gefäßränder wasserdicht gegen eine da-
zwischengeschaltete kreisförmige Platte P aus der zu untersu-
chenden Substanz gepreßt. A und B sind mit zwei Stutzen ver-
sehen, welche dem Rande möglichst nahe liegen und zur Aufnahme
zweier in zehntel Grade geteilter Thermometer. Tx bezw. T2, die-
nen. In dem rechten Gefäß befindet sich ein Rührer in Form einer
Turbine, die durch das Rädchen B von außen bewegt wird; in
die Wand des linken sind drei Röhren L, M, N eingelötet. Die
Röhre L tritt in das Innere des Apparates und trägt an ihrem
Ende eine dem Thermometer Tx möglichst nahe stehende kreis-
förmige Scheibe von circa 8 cm Durchmesser, welche dazu bestimmt
ist, einen eintretenden Flüssigkeitsstrahl dicht an der Platte P
hinzuleiten.
Die Benutzungs weise des Apparates ist so einfach, daß wenige
Angaben zur Klarlegung genügen werden. Durch einen Vorversuch
hat man die äußere "Wärmeleitungsfähigkeit der Gefäßwände gegen
Luft zu bestimmen. Man verfährt hierbei so, daß man die Platte
P entfernt , die unmittelbar an einander gepreßten Gefäße A und B
mit warmem Wasser füllt und , während man den Rührer arbeiten
läßt, die Abkühlung bestimmt. Da die beiden Hälften des Appa-
rates sehr nahe gleiche Oberflächen besitzen, so ist die bei dem
Vorversuch gefundene Wärmeabgabe an die Umgebung das Dop-
pelte von derjenigen, die bei der Berechnung der eigentlichen
Messungen in Betracht kommt. Nachdem dies geschehen, können
die definitiven Beobachtungen angestellt werden. Man schaltet
zwischen A und B eine Platte P der zu untersuchenden Substanz
und läßt in das linke Gefäß Leitungswasser durch L ein, durch
M, N ausströmen. Hat das Thermometer Tx einen constanten Stand
angenommen, so füllt man B mit warmem Wasser, setzt die Rühr-
vorrichtung in Bewegung und bestimmt, während die Abkühlung
vor sich geht, in geeigneten Zeitabschnitten die Lufttemperatur,
die Temperatur %,1 des Kühlwassers und die Temperatur #2 des
warmen Wassers.
Von Herrn Prof. W. Voigt aufgefordert habe ich untersucht,
wie man im Einzelnen verfahren muß, wenn man die Beobachtun-
gen nach der oben aufgestellten einfachen Formel berechnen will.
Es hat sich mir Folgendes ergeben. Die Grundvoraussetzung der
124
0. Venske,
bezeichneten Formel, daß in der Platte P die Isothermen zur Be-
grenzung parallele Ebenen sind, ist dann und nur dann erfüllt,
wenn der Plattenrand durch Ueberkleben mit Stanniol gegen Wär-
meverlust durch Strahlung geschützt wird, und die Stärke des
Kühlwasserstromes sowie die des Rührens eine beträchtliche ist.
Ferner fand ich, daß die Größen \ und \ nicht nur von der Tem-
peratur, sondern auch von den beiden letztgenannten Factoren ab-
hängen. Auf Grund dieser Erfahrungen achtete ich bei den Be-
obachtungen, welche ich mit einander combinierte, darauf, daß die
Strömungsgeschwindigkeit des Kühlwassers, sowie die Umdrehungs-
geschwindigkeit des Rührers stets gleich stark war, und zwar
wurde bei denselben ein Querschnitt der Röhre L in einer Se-
cunde von 47 cm3 Wasser durchflössen, während der Rührer in
derselben Zeit 40 Touren machte. Um mich von der Veränder-
lichkeit der äußeren Wärmeleitungsfähigkeiten hv h2 mit der Tem-
peratur zu befreien, berechnete ich aus meinen Messungen, welche
ich an sieben verschieden dicken Spiegelglasplatten anstellte, die
Große
!<»,-»,)
für dieselbe bestimmte Stärke des Wärmestromes Q, nämlich für
Q = 0,0654 [S^].
Lsec. cm. J
Die Resultate, zu welchen ich gelangte, sind in der folgenden
Tabelle zusammengestellt.
d[cm.
*<•■
fsec. cm.a"|
beobachtet
gr.
berechnet
0,271
0,287
0,368
0,548
0,647
0,972
1,170
155
163
196
269
306
439
521
155
163
194
268
308
439
520.
Aus den Werten der zweiten Columne findet man bei Be-
nutzung der Formel
neuer Apparat zur Bestimmung der inneren Wärmeleitungsfähigkeit etc. 125
für die innere Wärmeleitungsfähigkeit Je und die Summe der bei-
den reeiproken äußeren Wärmeleitungsfähigkeiten — + ^- die Werte
Je = 0,00247 [-^--1 ,
Lsec. cm.J
I + * = 46,0 [sec-cm-1.
h'ha L gr. J
gr.
Mit diesen beiden Werten ist die dritte Columne berechnet.
Wie aus der guten Uebereinstimmung der Werte der 2ten
und 3ten Columne hervorgeht, kann man bei Anwendung eines
geeigneten Verfahrens die angestellten Beobachtungen nach der
einfachen Formel für linearen Wärmefluß in der Platte berechnen.
Mit Hülfe des beschriebenen Apparates läßt sich also die absolute
Wärmeleitungsfähigkeit wenigstens schlecht leitender Körper in
einfacher Weise ermitteln.
Universität.
Petsche-Stiftung.
Als Aufgabe zur Erlangung des Preises der Petschestiftung,
soweit er diesmal von der Theologischen Fakultät zu verleihen
war , (167 M.) , hat die Fakultät die folgende gestellt : „Welche
Stellung zur Lehre der Kirche hat Priscillian nach seinen neuer-
dings veröffentlichten Schriften eingenommen?" — Es ist eine
Bearbeitung derselben mit dem Motto: „Ich habs gewagt" recht-
zeitig eingegangen. Der Verfasser dieser Abhandlung hat das
Thema nicht ganz dem Sinne desselben entsprechend aufgefaßt
und es bei der Untersuchung im einzelnen an der rechten wis-
senschaftlichen Schärfe in der Bestimmung der zu untersuchen-
den Begriffe fehlen lassen, auch ist die Darstellungsweise in sprach-
licher Hinsicht nicht ohne Mängel. Der Arbeit konnte darum der
Preis nicht zuerkannt werden.
Da der Verfasser indessen auf dem von ihm eingeschlagenen
Wege das Verhältnis Priscillians zur katholischen Kirche wenig-
stens in der Hauptsache richtig dargestellt hat, so war von der
Fakultät beschlossen, ihm einen Teil des ausgesetzten Preises
(120 M.) zu bewilligen, wenn er sich bei dem Dekane meldete.
Diese Meldung ist inzwischen erfolgt, und hat ergeben, daß der
^26 Petsche-Stiftung.
Cand. theol. und Stud. hist. H. Rüther aus Nordleda die Arbeit
verfaßt hat.
Goettingen, den 1. März 1891,
Der Dekan der Theologischen Fakultät
Dr. K. Knoke.
Für das Jahr 1894 stellt die philosophische Fakultät folgende
neue
.
Beneke'sche philosophische Preisaufgabe:
Der bedeutenden Bolle, die die Sprache der kaiserlichen Kanz-
lei in der Entstehungsgeschichte der neuhochdeutschen Schrift-
sprache gespielt hat, entspricht es nicht, daß uns eine zusammen-
hängende und umfassende philologische Untersuchung jener Sprache
bisher noch völlig fehlt. Wir wünschen eine Geschichte der
deutschen kaiserlichen Kanzleisprache von ihren
Anfängen bis auf Maximilian, die in angemessenen, zeit-
lich begrenzten Abschnitten das Constante und das Schwankende
in den Laut - und Flexionsverhältnissen , sowie möglichst auch in
Wortbildung und Wortwahl zur Anschauung bringt und mundart-
lich erläutert; eine Beschränkung auf das Lautliche würde nicht
genügen; Benutzung ungedruckten Materials wird nicht verlangt.
Aeußere Verhältnisse, wie der wechselnde Sitz der Kanzlei, Hei-
mat und litterarische Beziehungen der Kaiser und Kanzleivor-
stände, die Herkunft der Schreiber, der Einfluß wichtiger Reichs-
tage , die etwaige Rücksicht auf die Mundart der Adressaten und
ähnliches sind eingehend zu berücksichtigen und darzulegen. Auch
das Verhältnis der kaiserlichen Kanzleisprache zu den Anfängen
einer oberdeutschen Kolvy] im 14. und 15. Jahrhundert darf nicht
außer Acht bleiben: namentlich wird zu untersuchen sein, ob die
Sprache der Nürnberger Kanzlei auf die der kaiserlichen einge-
wirkt habe, oder umgekehrt.
Erwünscht, wenn auch nicht unerläßlich, ist es endlich, daß
an der Sprache der Urkunden und der ältesten Drucke einiger
außerbairischen literarischen Centren Süddeutschlands die Bedeu-
tung der kaiserlichen Kanzlei für die Milderung der mundartli-
chen Gegensätze im löten Jahrhundert geprüft werde: neben
Nürnberg käme etwa Augsburg, für das Vorarbeiten vorliegen,
und Straßburg in Betracht.
Beneke'sche philosophische Preisaufgabe. 127
Bewerbungsschriften sind in deutscher Sprache abzufassen
und bis zum 31. August 1893 mit einem Spruche auf dem Titel-
blatte an uns einzusenden zusammen mit einem versiegelten Briefe,
welcher auf der Außenseite den Spruch der Abhandlung, innen
Namen , Stand und Wohnort des Verfassers anzeigt. In anderer
Weise darf der Name des Verfassers nicht angegeben sein.
Auf dem Titelblatte der Arbeit muß ferner die Adresse be-
zeichnet sein, an welches die Arbeit zurückzusenden ist, falls sie
nicht preiswürdig befunden wird.
Der erste Preis beträgt 1700 Mk., der zweite 680 Mk.
Die Zuerkennung der Preise erfolgt am 11. März 1894, dem
Geburtstage des Stifters , in öffentlicher Sitzung der philosophi-
schen Fakultät zu Göttingen.
Die gekrönten Arbeiten bleiben unbeschränktes Eigenthum
der Verfasser.
Die Preisaufgaben, für welche die Bewerbungsschriften bis
zum 31. August 1891 und 31. August 1892 einzusenden sind, finden
sich in den Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissen-
schaften und der Georg-Augusts-Universität zu Göttingen im Jahr-
gang 1889 Seite 345 und 1890 Seite 151.
Göttingen d. 1. April 1890.
Die philosophische Fakultät.
Der Dekan
A. von Koen en.
Preisaufgaben
der
Wedekindschen Preisstiftung
für Deutsche Geschichte.
Wiederholt aus Nr. 4 der Nachrichten vom Jahr 1887 S. 69 ff.
Der Verwaltungsrath der Wedekindschen Preisstiftung für
Deutsche Geschichte macht hierdurch die Aufgaben bekannt, welche
von ihm für den fünften Verwaltungszeitraum, vom 14. März 1886
bis zum 14. März 1896, nach den Ordnungen der Stiftung (§ 20)
gestellt werden.
Für den ersten Preis
wiederholt der Verwaltungsrath die für den vorigen Verwaltungs-
^28 Preisaufgaben der Wedekindschen Preisstiftung
Zeitraum gestellte Aufgabe: er verlangt eine allen Anforderungen
der "Wissenschaft entsprechende Ausgabe der von dem Mainzer
Eberhard Windeck verfaßten Denkwürdigkeiten über Leben und
Zeit Kaiser Sigismunds.
Es gilt den völlig werthlosen und unbrauchbaren Abdruck bei
Mencken durch eine nach Seite der Sprache wie des Inhalts gleich
tüchtige Ausgabe zu ersetzen.
Nach den älteren Vorarbeiten von Dümge, Mone, Asch-
bach, Droysen hat neuerdings v. Hagen in der Einleitung zu
seiner Uebersetzung (Greschichtschreiber der deutschen Vorzeit,
Lief. 79. Leipzig 1886) über das Verhältniß von dreien der wich-
tigsten Handschriften (Gotha, Cheltenham, Hannover) zu einander
gehandelt und danach zwei von dem Verfasser selbst herrührende
Redactionen unterschieden, auch die Annahme abgewiesen, daß die
Handschrift zu Cheltenham ein Original sei. Für den Bearbeiter
ist die Heranziehung der anderen bekannten und von v. Hagen
S. VII, Anm. 2 aufgeführten Hdsch. schon deßhalb erforderlich,
um die Richtigkeit der Aufstellung v. Hagen's zu prüfen und
festzustellen, ob etwa noch mehr als zwei Ausgaben des Werkes
vorliegen.
Von den drei im Archiv III, 429 verzeichneten Vaticanischen
Hdsch. wird der Verwaltungsrath demnächst Beschreibungen an-
fertigen lassen, welche ihre Classificirung ermöglichen. Diese Be-
schreibungen sollen dem Bearbeiter durch Vermittelung der Ver-
waltung der Kgl. Universitätsbibliothek zur Verfügung stehen.
Von der Heranziehung dieser drei Hdsch. zur Textconstitution
glaubt der Verwaltungsrath im übrigen den Bearbeiter befreien
zu sollen1).
Bei der Bearbeitung des Textes wird es vor allem darauf an-
kommen, daß die von dem Verfasser herrührenden Unterschiede
der verschiedenen Redactionen klar und übersichtlich zur Erschei-
nung kommen, davon auch äußerlich dasjenige geschieden und ge-
kennzeichnet werde, was etwa fremder Ueberarbeitung seinen Ur-
sprung verdankt. Die originalen Rubriken und Capitelüberschriften
sind in die Ausgabe aufzunehmen.
Die Urkunden und Aktenstücke aller Art, welche dem Werke
zahlreich eingefügt sind, erfordern genaue Untersuchung in Bezug
auf Herkunft, Wiedergabe und anderweitige Benutzung. Sind
von denselben abweichende Texte oder die Originale bekannt, so
ist darauf in den Anmerkungen hinzuweisen, geeigneten Falls der
1) Vgl. den Bericht über diese Hss. in den Nachrichten 1888 S. 11 ff.
für Deutsche Geschichte. 129
abweichende Text zum Abdruck in der Anmerkung zu bringen.
Desgleichen ist wenigstens annäherungsweise der Versuch zu machen
für die rein erzählenden Theile Ursprung oder Quelle beizubringen,
namentlich in Bezug auf An- und Abwesenheit des Verfassers.
Es darf dem Text an Erläuterung in sprachlicher und sachlicher
Hinsicht nicht fehlen.
Die Einleitung soll sowohl die bei der Untersuchung und
Herstellung des Textes befolgte Methode klarlegen, als auch eine
eingehende Erörterung über die Lebensschicksale des Verfassers,
die Beziehungen zu seiner Vaterstadt, seine Reisen, sein Ver-
hältniß zum Kaiser und anderen namhaften Zeitgenossen, seine
übrigen Werke in Prosa und Dichtung geben.
Die sprachliche Behandlung des Textes hat sich, falls nicht
etwa eine Originalhandschrift auftauchen sollte , nach den von
"Weizsäcker im I. Bande der Reichstagsakten für die Vereinfachung
der Schreibung spätmittelalterlicher deutscher Texte aufgestellten
Grundsätzen zu richten.
Der Ausgabe ist ein Wortverzeichniß, entsprechend demjenigen
des 1. Bandes der Mainzer Chroniken (Städtechroniken Bd. XVII),
sowie ein ungetrenntes Verzeichniß der Personen- und Ortsnamen
beizufügen.
Von der Cheltenhamer Handschrift befindet sich eine genaue
Abschrift auf der Kgl. Universitätsbibliothek, welche bereitwilligst
von der Bibliotheksverwaltung zur Benutzung ausgeliehen wird.
Für den zweiten Preis
schreibt der Verwaltungsrath
eine Geschichte des Herzogthums Schwaben vom Beginn
des 10. his in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts
aus.
Nach einem einleitenden Rückblicke auf die karolingische Zeit
ist der Schwerpunkt der Arbeit in die Verfassungsgeschichte des
bezeichneten Zeitraums zu legen , da die politische Geschichte
Schwabens zur Genüge behandelt worden ist. Das schwäbische
Herzogthum ist in seiner Entwicklung bis zur Auflösung zu ver-
folgen, sein .Verhältnis zu der königlichen Gewalt einerseits , wie
zu den Bisthümern, Grafschaften, Herrschaften und Städten an-
dererseits darzulegen. Nach der gründlichen und erschöpfenden
Untersuchung des Einzelnen erwartet der Verwaltungsrath eine
zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse der Untersuchung.
Neben den Nachrichten der Geschichtschreiber hat der Bearbeiter
^30 Preisaufgaben der Wedekind sehen Preisstiftnng
dem reichen Urkundenmaterial eingehendste Aufmerksamkeit zu
widmen und es nach allen Richtungen für den bezeichneten Zweck
auszubeuten. Als Beilage der Arbeit wünscht der Verwaltungs-
rath Regesten der Urkunden, an welchen die Herzöge von Schwaben
in irgend einer Eigenschaft betheiligt sind oder in welchen sie
Erwähnung finden.
In Beziehung auf die Bewerbung um diese Preise, die Er-
theilung des dritten Preises und die Rechte der Preisgewinnenden
wird aus den Ordnungen der Stiftung Folgendes wiederholt:
1. Ueber die zwei ersten Preise. Die Arbeiten können in
deutscher oder lateinischer Sprache abgefaßt sein.
Jeder dieser Preise beträgt 1000 Thaler in Gold (3300 Reichs-
mark) und muß jedesmal ganz, oder kann gar nicht zuerkannt
werden.
2. Ueber den dritten Preis. Für den dritten Preis wird
keine bestimmte Aufgabe ausgeschrieben, sondern die Wahl des
Stoifes bleibt den Bewerbern nach Maßgabe der folgenden Bestim-
mungen überlassen.
Vorzugsweise verlangt der Stifter für denselben ein deutsch
geschriebenes Geschichtsbuch, für welches sorgfältige und geprüfte
Zusammenstellung der Thatsachen zur ersten, und Kunst der Dar-
stellung zur zweiten Hauptbedingung gemacht wird. Es ist aber
damit nicht bloß eine gut geschriebene historische Abhandlung,
sondern ein umfassendes historisches Werk gemeint. Speciallandes-
geschichten sind nicht ausgeschlossen , doch werden vorzugsweise
nur diejenigen der größten (15) deutschen Staaten berücksichtigt.
Zur Erlangung des Preises sind die zu diesem Zwecke hand-
schriftlich eingeschickten Arbeiten und die von dem Einsendungs-
tage des vorigen Verwaltungszeitraums bis zu demselben Tage des
laufenden Zeitraums (dem 14. März des neunten Jahres) gedruckt
erschienenen Werke dieser Art gleichmäßig berechtigt. Dabei
findet indessen der Unterschied statt, daß die ersteren, sofern sie
in das Eigenthum der Stiftung übergehen, den vollen Preis von
1000 Thalern in Gold, die bereits gedruckten aber, welche Eigen-
thum des Verfassers bleiben, oder über welche als sein Eigenthum
er bereits verfügt hat, die Hälfte des Preises mit 500 Thalern
Gold empfangen.
Wenn keine preiswürdigen Schriften der bezeichneten Art vor-
für Deutsche Geschichte. 131
banden sind, so darf der dritte Preis angewendet werden, um die
Verfasser solcher Schriften zu belohnen, welche durch Entdeckung
und zweckmäßige Bearbeitung unbekannter oder unbenutzter hi-
storischer Quellen, Denkmäler und Urkundensammlungen sich um
die deutsche Geschichte verdient gemacht haben. Solchen Schriften
darf aber nur die Hälfte des Preises zuerkannt werden.
Es steht Jedem frei , für diesen zweiten Fall Werke der be-
zeichneten Art auch handschriftlich einzusenden. Mit denselben
sind aber ebenfalls alle gleichartigen Werke, welche vor dem Ein-
sendungstage des laufenden Zeitraums gedruckt erschienen sind,
für diesen Preis gleich berechtigt. Wird ein handschriftliches
Werk gekrönt, so erhält dasselbe einen Preis von 500 Thalern in
Gold; gedruckt erschienenen Schriften können nach dem Grade
ihrer Bedeutung Preise von 250 Thlr. oder 500 Thlr. Gold zuer-
kannt werden.
Aus dem Vorstehenden ergiebt sich von selbst, daß der dritte
Preis auch Mehreren zugleich zu Theil werden kann.
3. Rechte der Erben der gekrönten Schriftsteller. Sämmt-
liche Preise fallen, wenn die Verfasser der Preisschriften bereits
gestorben sein sollten, deren Erben zu. Der dritte Preis kann
auch gedruckten Schriften zuerkannt werden, deren Verfasser
schon gestorben sind , und fällt alsdann den Erben derselben zu.
4. Form der Preisschriften und ihrer Einsendung. Bei
den handschriftlichen Werken, welche sich um die beiden ersten
Preise bewerben, müssen alle äußeren Zeichen vermieden werden,
an welchen die Verfasser erkannt werden können. Wird ein Ver-
fasser durch eigene Schuld erkannt, so ist seine Schrift zur Preis-
bewerbung nicht mehr zulässig. Daher wird ein jeder, der nicht
gewiß sein kann , daß seine Handschrift den Preisrichtern unbe-
kannt ist, wohlthun, sein Werk von fremder Hand abschreiben zu
lassen. Jede Schrift ist mit einem Sinnspruche zu versehen, und
es ist derselben ein versiegelter Zettel beizulegen , auf dessen
Außenseite derselbe Sinnspruch sich findet, während inwendig
Name, Stand und Wohnort des Verfassers angegeben sind.
Die handschriftlichen Werke, welche sich um den dritten
Preis bewerben, können mit dem Namen des Verfassers ver-
sehen, oder ohne denselben eingesandt werden.
Alle diese Schriften müssen im Laufe des neunten Jahres, vor
dem 14. März 1896, mit dem das zehnte Jahr beginnt, dem Di-
rektor zugesendet sein, welcher auf Verlangen an die Vermittler
der Uebersendung Empfangsbescheinigungen auszustellen hat.
5. Ueber Zulässigkeit zur Preisbewerbung. Die Mitglieder
132 Preisaufgaben der Wedekindschen Preisstiftung
der Königlichen Societät, welche nicht zum Preisgerichte gehören,
dürfen sich wie jeder Andere um alle Preise bewerben. Dagegen
leisten die Mitglieder des Preisgerichts auf jede Preisbewerbung
Verzicht.
6. Verkündigung der Preise, An dem 14. März, mit welchem
der neue Verwaltungszeitraum beginnt , werden in einer Sitzung
der Societät die Berichte über die Preisarbeiten vorgetragen, die
Zettel, welche zu den gekrönten Schriften gehören, eröffnet, und
die Namen der Sieger verkündet, die übrigen Zettel aber verbrannt.
Jene Berichte werden in den Nachrichten über die Königliche So-
cietät, dem Beiblatte der Göttingischen gelehrten Anzeigen, ab-
gedruckt. Die Verfasser der gekrönten Schriften oder deren Erben
werden noch besonders durch den Direktor von den ihnen zugefalle-
nen Preisen benachrichtigt, und können dieselben bei dem letzteren
gegen Quittung sogleich in Empfang nehmen.
7. Zurückforderun g der nicht gekrönten Schriften. Die
Verfasser der nicht gekrönten Schriften können dieselben unter
Angabe ihres Sinnspruches und Einsendung des etwa erhaltenen
Empfangsscheines innerhalb eines halben Jahres zurückfordern
oder zurückfordern lassen. Sofern sich innerhalb dieses halben
Jahres kein Anstand ergiebt, werden dieselben am 14. October
von dem Direktor den zur Empfangnahme bezeichneten Personen
portofrei zugesendet. Nach Ablauf dieser Frist ist das Recht zur
Zurückforderun g erloschen.
8. Druck der Preisschriften. Die handschriftlichen Werke,
welche den Preis erhalten haben, gehen in das Eigenthum der
Stiftung für diejenige Zeit über, in welcher dasselbe den Ver-
fassern und deren Erben gesetzlich zustehen würde. Der Ver-
waltungsrath wird dieselben einem Verleger gegen einen Ehrensold
überlassen oder, wenn sich ein solcher nicht findet, auf Kosten
der Stiftung drucken lassen, und in diesem letzteren Falle den
Vertrieb einer zuverlässigen und thätigen Buchhandlung über-
tragen. Die Aufsicht über Verlag und Verkauf führt der Direktor.
Der Ertrag der ersten Auflage , welche ausschließlich der
Freiexemplare höchstens 1000 Exemplare stark sein darf, fällt dem
verfügbaren Capitale zu, da der Verfasser den erhaltenen Preis
als sein Honorar zu betrachten hat. Wenn indessen jener Ertrag
ungewöhnlich groß ist, d.h. wenn derselbe die Druckkosten um
das Doppelte übersteigt, so wird die Königliche Societät auf den
Vortrag des Verwaltungsrathes erwägen, ob dem Verfasser nicht
eine außerordentliche Vergeltung zuzubilligen sei.
Findet die Königliche Societät fernere Auflagen erforderlich,
für Deutsche Geschichte. 133
so wird sie den Verfasser oder, falls derselbe nicht mehr leben
sollte, einen andern dazu geeigneten Gelehrten zur Bearbeitung
derselben veranlassen. Der reine Ertrag der neuen Auflagen soll
alsdann zu außerordentlichen Bewilligungen für den Verfasser, oder,
falls derselbe verstorben ist , für dessen Erben , und den neuen
Bearbeiter nach einem von der Königlichen Societät festzustellen-
den Verhältnisse bestimmt werden.
9. Bemerkung auf dem Titel derselben. Jede von der
Stiftung gekrönte und herausgegebene Schrift wird auf dem Titel
die Bemerkung haben:
Von der Königlichen Societät der Wissenschaften in
Göttingen mit einem Wedekindschen Preise gekrönt und
herausgegeben.
10. Freiexemplare. Von den Preisschriften, welche die Stif-
tung herausgiebt, erhalten die Verfasser je zehn Freiexemplare.
Göttingen, den 14. März 1887.
Der Verwaltung srath der Wedekindschen Preisstiftung,
Bei der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften einge-
gangene Druckschriften.
Alan bittet dieso Verzeichnisse zugleich als Empfangsanzeigen ausüben zu wollen.
August, September und Oktober 1890.
(Fortsetzung.)
John Hopkins University:
a. American Journal of mathematics. Vol. XII. No. 3. 4. Baltimore 1890.
b. Studies in historical and political Rcience. Eighth Serie« 1/2. 3. 4. Ebd. 1890.
Transactions of the Wagner Free Institute of science of Philadelphia. Vol. III.
August 1890. Philadelphia.
The Charlemagne Tower Collection of American colonial laws. Ebd. 1890.
Proceedings of the Academy of natural sciences of Philadelphia. Part 1. Jan.
— March 1890. Philadelphia 1890.
Proceedings of the American philosophical Society. Vol. XXVII. No. 131. Vol.
XXVIII. No. 132. 133. Ebd. 1889. 90.
26tn annual report of the Alumni Association . . . for the year 1889—90. Ebd. 1890.
Proceedings of the American Academy of arts and sciences. New series. Vol.
XVI. (Whole series vol. XXIV). From May 1888 to May 1889. Boston 1889.
PublicationsoftheWashburnObservatory. Vol. VI. Partl/2. Madison. Wis. 1890.
Annales de la Oficina meteorolögica Argentina. Tomo VII. Buenos Aires 1889.
Annales de la Sociedad cientifica Argentina. Tomo XXX. 1890. Entr. 1, 2 u.
Suppl., 3. Nebst: Indice general de las volümenes I a XXIX. 1876—89. Ebd. 1890.
Actas de la Academia nacional de ciencias de la Repüblica Argentina en Cor-
doba. Tomo VI mit Atlas. Ebd. 1889.';
Nachrichten ton der E. O. d. W. zu Göttingen. 1891. No. 8. 10
134
Mittheilungen des Deutschen wissenschaftl. Vereins in Mexico. 1. Bd. 2. Heft.
Mexico 1890.
Verhandlungen des Deutschen wissenschaftl. Vereins zu Santiago. 2. Bd. 2.Hft.
Santiago 1890.
Mittheilungen der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens
in Tokio. 44. Heft. (Bd. 5 Seite 149-189.) Yokohama (u. Berlin) (1890).
Acta historica res gestas Poloniae illustrantia ab anno 1507 usque ad annum
1795. Tom. XII. Cracoviae 1890.
Akademya umiej^tnosci w Krakowie.
Sprawozdanie komisyi fizyjograficznej. Tom. 22—24. Krakow 1888. 89.
Pamigtnik a. Wydzialy: Filologiczny i historyczno-filozoficzny. Tom. VII. Ebd. 1889.
b. Wydziai Matematyczno-przyrodniczy. Tom. XVI.XVII. Ebd. 1889. 90.
Rozprawy i sprawozdania z posiedzeri Akademii umieje_tnosci.
a. Wydzialu historyczno-filozoficznego. Tom. 22—24. Ebd. 1888. 89.
b. — matematyczno-przyrodniczego. Tom. 19. 20. Ebd. 1889.90.
c. — filologicznego. ^ Tom. 13. Ebd. 1889.
Rocznik zarz;adu Akademii uraiej§tnosci w Krakowie. Rok 1888. Ebd. 1889.
Starodawne prawa Polskiego pomniki. Tom. IX. X. Cr§sc I. Ebd. 1888. 89.
Scriptores rerum Polonicarum. Tora. XIII. XIV. Ebd. 1889.
Archiwum do dziejöw literatury i oswiaty w Polsce. Tom. VI. Ebd. 1890.
Zbiör wiadomosci do antropologii Krakowej. Tom. XIII. Ebd. 1889.
Sprawozdania komisyi do badania historyi sztuki w Polsce. Tom. IV. Zeszyt
I. 2. 3. Ebd. 1889.
Atlas geologiczny Galieyi. Zeszyt 1. 2 nebst Karten. Ebd. 1887. 88.
Biblijoteka pisarzöw Polskich. 8 Hefte. Ebd. 1889. 90.
Magyar tudomänyos Akademia:
Almanach 1890. Budapest 1890.
tfvkönyv. (Jahrbuch). XVII. Köt. 7. Darab. Ebd. 1889.
ßrtesitö (Sitzungsberichte). (XIII.) 1889, 2-5. 1890. Füz. 1—5 (Jan.- Mäjus).
Ebd. 1889. 90.
Emlekbeszedek (Gedenkreden). V. Köt. 9. 10. Szäm. VI. Köt. 1.— 7. Szäm.
Ebd. 1889. 90.
Nyelvtudomanyi ^rtekezesek (Sprachwissenschaftliche Abhandlungen). XIV. Köt.
II. 12. Szäm. XV. Köt. 1.-5. Szam. Ebd. 1889. 90.
Sexti Porapei Festi de verborum significatu quae supersunt cum Pauli epitome
ed. Aem. Thewrewk. Pars I. Ebd. 1889.
Simonyi Zsigmond: A magyar hatärozök. (Die Bestimmungsworte im Ungari-
schen). I, 2. Ebd. 1890.
Nyelvtudomanyi Közleme'nyek. (Philolog. Mittheilungen). XXI. Köt. 3.-6. Füz.
Ebd. 1889. 90.
Künos Ignacz: Oszmän-török nepköltesi gyüjtemeny. (Sammlung osmano-türki-
scher Volksdichtungen). II. Köt. Ebd. 1889.
Abel Jenö: Magyarorzägi tanulök külföldön. (Studierende aus Ungarn im Aus-
lande). I. Ebd. 1890.
Törtenettudomänyi ^rtekezesek. (Historische Abhandlungen). XIV. Köt. 5.-9.
Szäm. Ebd. 1889. 90.
Tärsadalmi ]£rtekezesek. (Sozialwissenschaftl. Abhandlungen). X. Köt. 3. 5. —
10. Szäm. Ebd. 1889. 90.
(Fortsetzung folgt.)
Inhalt von Nr. 3.
F. Kielhorn, die Colebrookeschen Pänini- Handschriften der Königlichen Bibliothek zn Göttingen. -
Gustav Tammann, über die Stromleitung durch Niederschlagsmembranen. — 0. Venske, über einen neuen
Apparat zur Bestimmung der inneren Wärmeleitungsfähigkeit schlecht leitender Körper in absolutem
Masse. — Petsche-Stiftung. — Benekesche philosophische Preisaufgabe. — Preisaufgaben der Wedekind-
schen Preisstiftung für Deutsche Geschichte. — Eingegangene Druckschriften.
Für die Redaction verantwortlich: E. Sauppe, Secretär d. K. Ges. d. Wiss.
Commissions-Verlag der Lieterich' sehen Verlags- Buchhandlung.
Druck der Dieterich' sehen Univ.- Buchdruckerei ( W. Fr. Kaestner).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
3. Juni. Jfä 4 1891.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 2. Mai.
Schwarz legt einen Aufsatz des Herrn Julius Petersen in Kopenhagen vor:
„Ueber Normalformen mehrfach zusammenhängender Flächen."
Voigt legte einen Aufsatz des Herrn Dr. 0. Venske vor: „Ueber einen neuen
Apparat zur Bestimmung der inneren Wärmeleitungsfähigkeit schlecht leiten-
der Körper in absolutem Maaße".
de Lagarde zeigt schriftlich an
1. für die Nachrichten:
a. „Thevenot's caffarre."
b. „Ueber das aramäische Evangeliar des Vatican."
c. „Neue Ausgabe der Staxaiei? twv aTcoaxdXujv und der drei Gestalten
der Clementinen."
2. für die Abhandlungen (Band 38): „Septuagintastudien, 6. Stück."
Thevenots caffarre.
Von
Faul de Lagarde.
In meiner Uebersicht 89 8 229—237 habe ich 1890 dargethan,
daß fniBD dem arabischen vJjS entspricht. Es war gewis ein
Beweis, wie wenig sachverständig die Lexikographen des jüdischen
Canons und die über die Theologie des alten Testaments schrei-
benden Leute sind, daß sie diese Gleichung nicht gekannt haben.
Nachrichten ton dor K.G. d.W. zu Göttinnen. 1881. Nr. 4. 11
136 Paul de Lagarde,
ABitschl hob 1870 sein erstes größeres Werk mit dem Satze an
Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöh-
nung bildet die concrete Mitte des theologischen Systems.
In der Vorrede hatte er versichert, schon als Student darüber
klar geworden zu sein, daß er
für seine theologische Bildung vor Allem des Verständnisses
der christlichen Idee der Versöhnung bedürfe.
Er hat später
mit der nothwendigen biblisch - theologischen Substruction
die dogmatische Darstellung der bezeichneten Lehren
unternommen.
Die ihm gelieferte „ Substruction * — trotz meiner "Warnung
hat er sich mit ihr begnügt — hatte selbst noch eine „ Substruction u
nöthig : denn fr^BD ist kein Begriff des Mosaismus , sondern, weil
Arabern und Juden gemeinsam, ein Begriff des Semitismus, der von
der „Offenbarung" umgebildet worden sein kann (ob und wie das
geschehen, bleibt zu untersuchen), der aber von vorne herein der
„Offenbarung" nicht angehörte.
Dem für meine Arbeiten leider in Betracht kommenden Personale
gegenüber ist nöthig, immer aufs Neue zu sagen, daß wie jedes
Essen ein Verdauen zur Folge hat, so jede Aneignung eines Wortes
eine Deutung dieses Wortes, jede Aneignung einer Anschauung
eine Umbildung dieser Anschauung nach sich zieht. Ich verbitte
mir die Verleumdung oder aber die Dummheit, welche glauben
machen will, daß ich bei irgend einem Worte alter Zeit, wenn
noch die neue Zeit es braucht, mit dem Worte ohne Weiteres in
historischen Zeiten den ursprünglichen Begriff verbunden glaube.
Drei mal bin ich zu Ostern in Rom gewesen, und habe auf
dem Pincio und auf der Salita di S. Onofrio den Iudasbaum blühen
sehen. Der Baum heißt bei uns so, weil Iudas sich an ihm er-
henkte, und er aus Scham über die Berührung des Verräthers über
und über roth wurde. Ich wußte durch Chlos Jagemann, daß er auf
italiänisch albero di San Giuseppe genannt wird : näheres über diesen
Namen zu erfahren begierig, fragte ich oft, aber nicht suggestiv,
wie der dort blühende Baum heiße. Rothe Acacie oder Oleander,
antworteten die „Gebildeten", denen die Tracht des in Rede ste-
henden Beschämten nicht anders vorkam als die der rothen Acacie
oder des Oleander. Endlich jetzt nannte ihn mir am 26 April 1891
auf dem Gianicolo ein Gärtner Scielsine sine quastume: der Mann
buchstabierte auf meine Bitte den Namen, der aus drei Worten
bestehe. Da hat Cercis siliquastrum den albero di San Giuseppe
verdrängt. Scielsine aus Cercide: xepvtts hat %spztöo<;.
Thevenots caffarre. 137
Da hat ein neuer fremder Name den alten heimischen Namen
verdrängt: die Sache ist dieselbe geblieben. Wir Deutschen (mit
Ausnahmen natürlich) erzählen die Sage noch, die den Baum mit
Iudas in Beziehung setzt : kein mir in den Weg gelaufener Italiäner
kannte auch nur den Namen albero di San Giuseppe, geschweige,
daß er die dazu gehörige Sage gekannt hätte.
Am 5 Januar 1891 verlangte in meiner Gegenwart in der G-oet-
tinger Universitätsapotheke eine Arbeiterfrau gegen den Husten ihres
Knaben Fuchslungensaft und Schneckensaft: sie erhielt Lakrizen
und Eibisch.
Da haben also früher unbekannte Arzneien die Namen in alter
Zeit geschätzter Arzneimittel zu führen lernen müssen. Wir haben
da alte Worte für neue Dinge.
Dies ist als Ergänzung des in meiner Uebersicht ad vocem
tvnsft Vorgetragenen, aber auch für die Religionsgeschichte, zu
brauchen, in der Aehnliches vorkommt. Vergleiche meine Beiträge
zur baktrischen Lexikographie 28, wo nachgewiesen wird, daß ein
und dasselbe Wort Regenwasser, Kuhharn, Seifenkraut bedeutet
hat. Vergleiche auch was CdeHarlez JAP 1879 1 161 auseinan-
dersetzt.
Ich habe im Register zu meiner Uebersicht 69 aus Thevenot
angeführt, daß „caffarre" eine Uebergangsgebühr bezeichne, und
habe das gleichbedeutende gaffar Seetzens für identisch mit The-
venots caffarre erklärt.
Letzteres ist falsch. Herr Professor Albert Socin wies mich unter
dem 11 April 1891 auf Dozy unter jte. und auf Berggrens Guide
francais - arabe unter peage .ac ghäffar hin, womit Burckhardts
Reisen in Syrien 553 jl£ „Steuer" zu vergleichen seien. Er hätte
noch aus FrCanes anführen können
peage el tributo que se paga por pasar algun puente ö
barca J6. :
wer den gafar bezahlt, j^ : wer ihn auferlegt, g&y Entsprechend
Canes unter pontage pontazgo. ECastle 2847 ^ = vectigal, ital.
gabello [so] : über gabella die von HvKap-herr in der Zeitschrift
für Geschichtswissenschaft 1891 38 r citierten Stellen. Dies jut
erwähnt EWLane nicht: es gehört also der Volkssprache an, und
ist gerade darum werthvoll : x*(c ist mehr als jüü.
Daß m existiert, ist mithin sicher. Da das Zeitwort J&
vergab bedeutet, ist auch dies Jlc. für die Theologen von Wichtig-
keit. Mir ist lieb, daß die nothwendige Berichtigung einer meiner
Aussagen darauf hinweist, daß solche Dinge nur in großem Zu-
sammenhange besprochen werden dürfen.
11*
138 Paul de Lagarde,
Thevenot (geboren 7. 6. 1633, f zu Miana, dreißig Stunden vor
Tabriz, 28. 11. 1667) behandelt kaffarre als Femininum : und sprach
das Wort natürlich nach Analogie von bizarre. R double (lehrt
die Acade*mie francaise) se prononce comme si eile £tait simple :
die drei Arten Ausnahmen, die diese Regel erleidet, treffen auf
kaffarre nicht zu. Thevenot, ein sehr sorgsamer Mann, braucht
ein Femininum caffarre wiederholentlich : wer französisch versteht,
weiß, daß caffarre den Ton nur auf dem zweiten a gehabt haben
kann. Bis auf Weiteres wird also kaffäre als Synonymum von
gafar zu gelten haben : doch werden die Theologen gut thun, vor-
läufig für sich als Gebühr für das Recht einen Fluß oder eine
Brücke zu überschreiten nur gafar zu verwenden. Was in der
Uebersicht 229 — 237 steht, wird von der Beantwortung der Frage
ob kaffärat neben gafar vorkommt, oder aus gafar nur verhört
ist, nicht berührt. Der Interprete du Roi La Croix Paitis (oder
de la Croix) bezeugt von Thevenot (es ist nicht ohne Werth dies
hier zu wiederholen) vor dem zweiten Bande des Voyage de Levant
Ces trois langues [Turquesque, Arabesque et Persienne] qu'il
possedoit si bien, .... l'avoient rendu si profond dans toute
cette erudition Orientale ....
On ne doit pas se formaliser si Ton trouve quelque diver-
site de prononciation es mots Orientaux dans ce Livre, prin-
cipalement lors qu'il est question de Voyelles ou des Con-
sones Kha, hha, Kef et quelques autres: La difference des
Pai's fait qu'elles sont diver sement prononcees ; en des lieux
l'on prononce Nameh, Bender et Bazerghian, et en d'autres
Namah, Bendar, Bazerghion : les uns disent Kher et les au-
tres Hher, les uns Gromron, les autres Komoron, et il en est
ainsi de beaucoup d'autres ; mais les lettres figuratives se ren-
contrent toüjours aux uns et aux autres mots.
Was doch wohl beweist, daß Thevenot auf den Klang der Worte
aufmerkte.
Man wird übrigens nicht vergessen dürfen, daß Numeri 15 30
eine Versöhnung für die iW\ "Tl begangenen Sünden nicht kennt.
Es muß allerdings erst untersucht werden, ob Leviticus die Sache
ebenso ansieht wie Numeri, und ob die Gresammtanschauung , die
Israeliten und Semiten von der Schuld hatten, das Numeri 15 so
Ausgesprochene für ein Princip zu halten gestattet. Bis auf Wei-
teres wird aber behauptet werden dürfen, daß das Opfer sich nur
auf HÄJtDSi begangene Verfehlungen beziehen durfte. Dann ist aber
das Opfer nichts wesentlich Anderes als was das Recht Europas
Recognitionsgebühr nennt. Wer zum Beispiel einen Wasserlauf
Thevenots caffarre. 139
aus seinem Gebiete unter einer öffentlichen Straße durchleset,
zahlt eine solche Gebühr, meist geringen Betrages, nur zu dem
Erweise, daß er durch seine Leitung nicht ein Recht ausübt, son-
dern eine widerrufbare Vergünstigung genießt : es ist so eine Form
gefunden, unter der als Ein Recht verstattet wird was Das Recht
verbietet. Empörung gegen den König Gott ist unverzeihlich : wer
aus Irrrthum sündigt oder aus Leichtsinn, hat nur das dominium
als dominium anzuerkennen, um straflos auszugehn. Äj-nbp =
indulge : das Opfer des alten Testaments ist in der Kirche durch
die indulgentiae vertreten: es wird nicht Sünde gesühnt, sondern
die fällige Strafe der Sünde in Folge einer Satisf actio erlassen.
Gesühnt wird durch das Anerkenntnis gefehlt zu haben nichts :
Iohannes a I9. Das Opfer als n*)BD erkennt die Thatsache an,
daß man durch die mittelst des Opfers zuzudeckende Handlung
nicht hat die Rechtsordnung stören wollen: weiter thut es nichts.
Die semitische Anschauung von der kaffärat = rHBD faßt die
sühnbare Sünde als etwas nicht Erhebliches, also nicht eigent-
lich als Sünde, und kennt auch nicht sühnbare Sünden. Daß die
Kirche die Sache nicht ebenso ansieht, daß kein das Leben ken-
nender Mensch sie so ansehen darf, liegt auf der Hand. Dogma-
tiker werden daher gut thun, ihre Urtheilsfähigkeit nicht entweder
dadurch in übles Licht zu rücken, daß sie die christliche Anschau-
ung für identisch mit der des alten Testaments und der Semiten
halten, oder aber dadurch, daß sie objektive Unwerthe wie die
Sünde durch eines, nur in Folge eines Werthurtheils geltenden,
Menschen Tod beseitigen zu können meinen : es handelt sich nicht
um „Zudecken^, sondern um Vernichten der Schuld, vor Allem
aber um Vernichtung der Sünde , aus der die Schuld immer von
Neuem emporwächst. Deutsche Schriften 58. Mit dem von RALip-
sius in dem theologischen Jahresberichte für 1883 auf Seite 272 ff.
über Ritschis Theologie Vorgetragenen bin ich einverstanden.
So leicht wird jetzt niemand der mitzureden befugt ist, semi-
tisches Wesen aus indoceltischen Texten und Sprachen erklären:
Creuzer und ßähr, die in meiner Studentenzeit noch Auctoritäten
waren, sind beseitigt. Aber was der Linguist und der Historiker
nicht darf, darf mit Vorsicht der Psychologe. So setze ich aus
der Zeitschrift für deutsches Alterthum und deutsche Litteratur
35 262 her was mir während mein Aufsatz im Drucke ist, durch
Edward Schröders Güte zugeht:
Im gotischen ist gilstr Zahlung abgäbe, während die alter-
tümlichere bedeutung opfer bei ahd. gelstar erhalten ist.
140 p»ul de Lagarde,
Das opfer wird als eine abgäbe aufgefaßt, oder richtiger : es
ist die älteste form der abgäbe.
In den deutseben Schriften 379 385 unterscheide ich zwischen
Steuern und Gebühren: Ulfilas Rom. 13 6 gilstr <pöpog, Lucas 22
gilstrameleins aTCOYpa^. Jedermann verständlich gild <pöpoc Lucas
20 22, kaisaragild x^voo? [l7üi*£<pdXaiov ?] Marcus 12 u. Vergelten,
entgelten.
Ignoscere heißt „nicht kennen": die romanischen Sprachen
haben ignoscere durch pardonner und dessen Schwestern, also
durch eine romanische Uebertragung des deutschen vergeben er-
setzt, offenbar doch, weil sie eine andere Grundanschauung über
die zu bezeichnende Sache hegten als die Römer: 1863 zu Proverb.
222i (Seite 73).
Das aramäische Evangeliar des Vatican.
Das aramäische Evangeliar des Vatican ist durch den Catalog
der Bibliotheca vaticana 1 270-103 seit 1758 bekannt, durch Iac
GeChrAdlers Aufsatz in meines Vorgängers IDMichaelis Bibliothek
19 126 — 131, durch desselben Gelehrten biblisch - kritische Reise
nach Rom 118—127 und sein Buch novi testamenti versiones sy-
riacae 135—202 in den Jahren 1782 1783 1789 bekannter geworden.
Der Graf Francisco Miniscalchi-Erizzo hat es 1861 ganz gedruckt,
und 1863 mit einem Glossare und anderen Zuthaten versehen, Herr
Theodor Noeldeke hat 1868 ZDMG 22 443—527 über den in ihm ge-
brauchten Dialect in einem sehr fleißigen Aufsatze Auskunft gegeben.
Ein Evangeliar ist ein Buch, in dem die für die kirchliche
Lesung bestimmten Abschnitte der Evangelien in der Reihenfolge
der Festtage des Kirchenjahrs zusammengeschrieben oder aber -ge-
druckt sind. Es erhellt, daß man eine Stelle der Evangelien in
einem solchen Buche nur findet, wenn man den Sonn- oder Feier-
tag kennt, an dem sie in den Kirchen gelesen wird. Ein Register
kann das Finden erleichtern : immer sind von dem zur Benutzung
eines Registers Gezwungenen zwei Stellen eines Evangeliars nach-
zuschlagen, nicht Eine, wann er es für die Zwecke der Grammatik,
des Lexicons, der Kritik des Textes benutzen will.
Ich habe mir daher im Sommer 1877 eine Abschrift jenes Evan-
geliars gemacht, in der die Perikopen nach der Folge unserer
Bibeln stehn. Hätte ich gewußt, daß ich je meine Abschrift mit
dem Codex der Vaticana werde vergleichen können, so hätte ich
mir viel Zeit und Mühe dadurch erspart, daß ich Miniscalchis nur
auf der Einen Seite syrisch bedrucktes Werk zerschnitten und
Das aramäische Evangeliar des Vatican. 141
die Perikopen in der mir meine Arbeiten erleichternden Folge
aufgeklebt hätte.
Da ich nach EBertheaus Tode mich zum Semitisten umarbei-
ten mußte, habe ich meine Abschrift, nachdem ich sie mit dem
Originale verglichen hätte, in meiner Bibliotheca Syriaca zu drucken
beschlossen : denn der Dialekt, den das Buch zeigt, ist wichtig.
Ich habe allerdings auch die Absicht, durch meine Arbeit die
Urkunde für die Kritik des Evangelientextes nutzbar zu machen:
denn wenn auch der Gunst der ersten Facultäten mich nicht erfreu-
end, fühle ich mich doch stets als Theologe.
Ich bin deshalb den October 1890 wie den März und April
1891 in Rom gewesen, und werde im October 1891, um die Ver-
gleichung zu Ende zu führen, noch einmal nach Rom müssen.
Da die für die Benutzung meiner Arbeit in Betracht kom-
menden Personen theils schwer von Begriffen sind, theils absicht-
lich misverstehn, gebe ich ein Jahr vor der Zeit, in der mein
Band erscheinen kann, eine kurze Notiz, um jene an das Verstehn
des Buchs zu gewöhnen, diesen das Geltendmachen ihrer „Misver-
ständnisse" zu verleiden.
Die Handschrift ist nach 194 4 = BS 276 vom Schreiber v^**>
jüSLb (so gut wie sein Können es ihm gestattete) geschrieben wor-
den. Schwiegersohn eines Oberen konnte ein Klosterbruder nicht
sein, noch auch so leicht Sohn desselben: folglich wird man ihn wohl
für das« ihm aufgetragene (schwere) Geschäft wirklich tauglich ge-
halten haben : der Augenschein lehrt, daß der Abt sich in ihm nicht
geirrt hatte, und dies festzustellen ist Pflicht. Daß der Mann die
ihm zugemuthete Arbeit ungerne übernommen hat, und daß er be-
scheiden dachte, folgt mir daraus, daß er ausdrücklich sie als
aJölb v^ajm^s» ausgeführt bezeichnet.
Ich habe Grund zu der Annahme, daß der Schreiber nicht
den Befehl bekommen hat, ein älteres Evangeliar abzuschreiben,
sondern den, aus einem Evangelium ein Evangeliar selbst herzu-
stellen: denn offenbare Fehler wiederholen sich in mehrfach vor-
kommenden, räumlich von einander getrennten Lesestücken: da
der sorgfältige Arbeiter sich nicht mehrfach in gleicher Weise
verschrieben haben wird, nehme ich an, daß die Fehler in seiner
Vorlage standen, die zu ändern er nicht wagte.
Der Schreiber, der im Jahre 1341 der SeleucidenAera mit
seinem Buche fertig wurde, arbeitete zum Glücke für mich mit
einer honiggelben Tinte. Was er geschrieben hat, ist fast auf
allen Blättern, und zwar zu verschiedenen Zeiten und von ver-
schiedenen Händen, schwarz überfahren, geändert und um Vokal-
\42 Paul de Lagarde,
zeichen und Interpnnctionen vermehrt worden: die honiggelbe
Tinte scheint aber doch auch an vielen Stellen wo es nur auf das
mit Ihr Geschriebene ankommt, durch.
Der erste Schreiber setzt Vocale nie, Interpunctionen selten.
Er schreibt & sehr häufig, nicht selten ä, den Doppelpunkt als
Bezeichnung des Plurals nicht regelmäßig.
ä kann a mit Pluralpunkten sein: in den meisten Fällen be-
deutet es x: wenn die Zunft nicht eine so große Nichtachtung
meiner Arbeiten in ihr Programm aufgenommen hätte, würden
wenigstens die Lehrer der hebräischen Grammatik aus meiner
Genesis 6 das Scholion des Baseler Codex kennen , das zu Xoö? =
tFO anmerkt otks / oute % , aXXa \l£gov twv Söo * atoi/etov dk sativ
ap|iöiTov fj twv 'Eßpaiwv xat Eopcov yXwtt^ : gequetscht wird 1\ zu
ts, p über czuf = c. Der Dialekt des Evangeliars hatte wenigstens
zu der Zeit, in der die Handschrift des Yatican punktiert wurde,
eine (krankhafte) Neigung 1 „weich" zu sprechen (geschrieben wird
dann &), und ä mag durch seinen Doppelpunkt (der Codex kennt
auch ±>) eine noch größere „Weichheit" ausdrücken als durch 3.
Das bleibt aber Alles noch zu untersuchen, & & & scheinen sich
nicht zu unterscheiden : £ sieht in der Hds. wie & aus, da a wie
ein umgekehrtes c aussieht.
Wenn die über das Buch gekommenen Späteren — die Tinte
wie die Form der Schrift lehrt, daß ihrer mehrere waren,, die
nicht zu gleicher Zeit lebten — wenn diese Späteren nur die,
übrigens unnöthige, Mühe sich auferlegt hätten, die honiggelbe
Schrift des Ersten anzuschwärzen, so würden sie dem Vorwurfe
geschmacklose Dummköpfe gewesen zu sein nicht entgehn können.
Sie änderten aber auch, und nur der Umstand, daß sie ohne es zu
wollen, für die Geschichte der Sprache Nutzbares geliefert haben,
macht nothwendig sich um sie bekümmern.
Der Dialekt braucht die Artikelform der Nomina nur da wo im
Griechischen der Artikel steht. Allerdings habe ich gelegentlich
auch falsche Artikelformen herausgegeben, weil ich nicht sah, daß
ein Aelteres unter dem jetzt vorhandenen Texte stak : ich bin aber
überzeugt, daß diese Stellen zu emendieren sind. Vorläufig wollte
ich nur was ich sah, vorlegen.
Der Dialekt braucht noch gerne Verbindungen der Nomina mit
einem Genetive ohne j, sagt also ^Jol^ä t^j , nicht ^*o^3> ft;^( :
er braucht } vor Genetiven auch wo die Verbindungs-Form vorher-
geht. Dieses Alles ist von C geändert worden : die erste Hand ist
in diesen Fällen allen erkennbar.
Der Dialekt braucht die Participien da wo man im Schrift-
Das aramäische Evangeliar des Vatican. 143
Syrischen ^ zuzusetzen hat, ohne +a, das erst die Späteren, nicht
gleichmäßig, nachgetragen haben. Die Fälle liegen alle klar.
Es war meine Pflicht, was die erste Hand bot, in meinen
Text zu setzen, was die Correctoren (die zu scheiden ich nicht
unternehmen durfte) aus der ersten Schrift gemacht haben, am
Rande zu geben.
Wo die honiggelbe Tinte des Ersten auch nur mit einem
Scheinchen hervorleuchtete, ermöglichte Sie das Richtige zu finden.
Wo die Stiefelwichse der Späteren alles deckte, mußte ich mich
bescheiden. Und ich habe mich beschieden, weil nach langer und
wiederholter Beschäftigung mit der Handschrift es mich verboten
däuchte zu recensieren, es mir vorläufig allein erlaubt schien, die
Urkunde als Urkunde vorzulegen.
Mehr wird sich thun lassen, nachdem mein Text erschienen,
und eine Concordanz über ihn ausgearbeitet sein wird.
In der BS sind natürlich die Zeilen gezählt: die Concordanz
wird ihre Citate nicht nach Evangelien, sondern nach Seiten und
Zeilen der BS geben, weil viele Perikopen mehrfach vorkommen,
jede andere Zählung also Weiterungen verursachen müßte. Am
Rande der BS sind die Columnen der Handschrift angezeigt : jede
Columne ist ungefähr fünf Zeilen meines (Quart)Druckes lang.
Mithin ist jedes Wort, das in der Concordanz steht, ohne Mühe
in der Handschrift nachzuschlagen.
Eine endgültige Ausgabe des Textes zu liefern behalte ich
mir vor.
Die Punctation zeigt gelegentlich ostSyrische Vokale, gele-
gentlich Punkte die ich noch nicht begreife : im Allgemeinen ist
ihr Princip leicht zu durchschauen. Mein Leben ist von vorne
herein mit dadurch verwüstet worden, daß jemand der gar nichts von
der Sache verstand, über die er schrieb, obwohl ich ausdrücklich ge-
sagt hatte, ich wolle als Varianten nur geben was critici usus foret,
die Zunft mit einer Sammlung von Schreibefehlern der Einen von mir
benutzten Handschrift erfreute : die Zunft druckte und glaubte diese
Liste, und der GORR Schulze veranlaßte den Herrn von Raumer sie
zu benutzen : jetzt AErman Jahresbericht für 1880 [ZDMG-] 193, ver-
glichen mit dem für 1879 [ZDMG] 179. Ich bin also gewarnt, und
habe pedantisch treu wiedergeben wollen was die Handschrift
bietet. Ich habe in meiner Ausgabe der Didascalia (aus dem
deutschen Gelehrtenleben 76) v/vj über meine Wiedergabe der in
dem pariser Codex vorliegenden Punctation geredet: die dort an-
gebotene Liste hat nie jemand verlangt: Universitätsprofessoren
und ein unverheiratheter Direktor eines Gymnasiums erbaten lieber
144 Paul <*e Lagarde,
(wegen ihrer „Armuth") von dem Schnlamtscandidaten das ganze
Buch als Geschenk, ohne jene Liste. In meiner Ausgabe der kop-
tischen Uebersetzung des Pentateuch ix schrieb ich
etwa zu notieren „epe ist ohne Punkt, weil der Schwanz
eines darüberstehenden aj (oder eines ähnlichen Kometen)
gerade über ihm herabhängt" oder „n-re ist ohne Punkt,
weil v wie ein Schirm über n und e übersteht", das hieße
denn doch mit der Zeit leichtsinniger umgehn als man ver-
antworten kann.
Statt aber die Leute, die so etwas notiert verlangen, mit dem
danab fil zu liebkosen, habe ich versucht, die Punkte genau wie
die Handschrift zu setzen : als alter Mann wird man milde, und
mehr noch als früher geneigt, gefallig zu sein. Der Setzer hat
Feile und Messer anwenden müssen, um den Größen des Tages
zu genügen: nicht mit dem die strengen Anforderungen gewissen-
hafter Arbeiter befriedigenden Erfolge : die Punkte stehn noch immer
gelegentlich ein zehntel Millimeter schief, und da Typen, unliebens-
würdiger als die heut zu Tage typischen Menschen, nicht zur Annahme
des Grundsatzes zu bewegen sind „hier steh' ich, ich kann auch
anders", so habe ich diesem Mangel beim besten Willen nicht ab-
helfen können. Es wird sogar leider vorgekommen sein, daß ich,
obwohl manches fünfmal verglichen worden ist, sowohl beim Lesen
des Codex wie beim Lesen der Druckbogen Punkte übersehen habe.
Man vergleiche was in meinen Analectis xiv steht. Ich habe 1860
in der Vorrede zu den Geoponicis drucken heißen, wir seien was
die syrische Philologie anlange, jetzt im Zeitalter der Aldinen und
Iuntinen: die Einsicht findet sich nunmehr auch bei HWinckler,
Bezolds Zeitschrift für Assyriologie 5 311. Ich bitte meine Aus-
gabe des aramäischen Evangeliars als eine Art Aldina anzusehen.
Diese meine Aldina folgt nun der Handschrift gelegentlich
auch da, wo ein Anderer als ich ihr nicht gefolgt wäre.
Die Handschrift wechselt zwischen voi£*w und ^^ Beides
kann erklärt werden. Da der Punkt über a die „weiche" Aus-
sprache dieses Buchstaben anzeigt, ist vo nS. = DDb aus meiner
Uebersicht 1642 u leicht begriffen: das a des Zielfalles in ^ wirkte
noch auf a. Hingegen \ftiN entspricht dem Gebrauche der Ost-
Syrer, wie dem der WestSyrer, die den in dieser Handschrift vor-
liegenden Dialekt sprechen, und der durch Epiphanius (meine Mit-
theilungen 2 363) völlig sicheren Form eXt/wv = ywbf der Elcesaiten.
Anders steht es mit ^o©^ und spoi^. Der Punkt in ,o6£^
ist — mir — unerklärlich: ich habe gleichwohl .oöfs^ wo es in meiner
Vorlage deutlich stand, erhalten, darum erhalten, weil ich meine
Das aramäische Evangeliar des Vatican. 145
Leser mit dem Gedanken vertraut zu machen wünschte, daß die
Handschrift nicht unfehlbar ist.
Ein Alter (vielleicht nicht oder nicht immer der erste Schrei-
ber) braucht v •: :• als Interpunctionszeichen, aber die Neuern können
diese drei Punktgruppen nicht leiden, und, wo sie sie nicht auskratzen,
decken sie sie durch einen Zornausbruch ihrer plumpen Feder oder
durch eine Vergrößerung des nächst liegenden Consonanten zu : eine
Rasur, in welcher es Vertiefungen gibt, ist gelegentlich der einzige Be-
weis für das Dasein jener drei. Dabei läßt sich nicht immer ausmachen,
ob :• oder :• oder v gemeint war : denn die Schrift dieser Schreiber
steht nicht wie Druckschrift. Das Zeichen : scheint mir, da sein
mittelster Punkt gelegentlich dicker ist als die anderen, oder eine
Kleinigkeit ausweicht, nichts als eine durch den Raum veranlaßte
Verderbnis von .: oder :•. Wann : unter und über der Zeile ver-
theilt wird (= diducitur), ist es schwerlich Interpunction, sondern
soll zu eng sich auf dem Halse stehende Wörter trennen.
Nicht selten (alle Fälle sind am Rande verzeichnet) hebt mit
:• oder •: die Zeile an: Kenner des griechischen Lesens werden
vielleicht aus diesem Umstände etwas schließen können.
Unser Genosse, Herr Theodor Noeldeke, der selbst einige Seiten
aramäischer Texte herausgegeben hat, nannte es ZDMG- 29 89
einen „ Luxus a, alle „Punkte und Pünktchen der Hand Schriften u
wiederzugeben. Dem Evangeliare des Vatican gegenüber stand auf
jeden Fall die Sache anders, da aus dessen Punkten die noch un-
bekannte Aussprache eines Dialekts festgestellt werden muß. Zu
meiner Sicherung gegen Leute wie die im zweiten Bande der Mit-
theilungen und sonst aufbewahrten setze ich her was Herr Noeldeke
geschrieben hat.
ZDMGi- 27 492 : Ich habe unten in dem ersten Textstück die Punc-
tation der Handschrift möglichst genau wiedergegeben ; hoffent-
lich gerieth der Druck einigermaßen und wird nicht zuletzt
alles durch das unglückliche Abspringen der Punkte verdorben.
ZDMG 29 89: Mit den Ribbüi - Puncten wird grosse Verschwen-
dung getrieben Aber hier ist so wenig Consequenz
wie bei den sonstigen Puncten, namentlich den Interpunctions-
zeichen. Ich halte es für ziemlich überflüssig, bei der Heraus-
gabe grösserer Texte alle die für uns grösstentheils nur lästi-
gen Puncte und Pünctchen wiederzugeben bei denen weder
innere Consequenz noch Uebereinstimmung der verschiedenen
Handschriften Statt zu finden pflegt. Bei so kleinen Stücken
wie unseren hier kann man sich diesen Luxus eher erlauben.
Allerdings ist es schon typographisch nicht ausführbar, die
146 Paul de Lagarde,
Stellung der Puncte immer genau auszudrücken; auch will
ich es nicht für unmöglich erklären, daß mir bei diesen Puncten
trotz aller Achtsamkeit einzelne kleine Versehen begegnet
sein sollten.
Ich war im October 1890 nahe daran, die Arbeit am Evangeliare
aufzugeben, so schwierig fand ich sie, und ich habe mir nicht
verhehlt, daß die unerfreuliche Hetzjagd, in der einem pflichttreuen
Philologen und Historiker in Eom zu leben obliegt, die Güte gerade
dieser Arbeit mehr als die anderer Studien beeinträchtigen könne.
Da haben mich in ETezas Aufsatze cose armene (Atti del Istituto
Veneto 7 1) die Seiten 906 — 913 weiter zu arbeiten bestimmt : zu-
fälliger Weise hatte mir Ignazio Guidi das Heft mitgetheilt. Aller-
dings ist den Agathangelus herauszugeben leichter als das ara-
mäische Evangeliar des Vatican zu bearbeiten: jenes eine Ehein-
parthie um Pfingsten, dies eine Meerfahrt im Schneesturme wie ich
sie am 10 und 11 Januar 1853 einmal 26 Stunden hindurch aus-
zuhalten gehabt habe. Ich will aber Herrn Teza, den ich unlängst
flüchtig auf der Straße gesehen, doch öffentlich für seinen Aufsatz
danken, der in Deutschland freilich weder erscheinen noch, falls
er erschienen wäre, beherzigt werden dürfte : die principes medio-
critatis und die Fremden dulden bei uns nichts was mir helfen
oder meine Arbeiten zur Geltung bringen könnte.
Die Liste der Perikopen habe ich vor meinem Texte zusammen-
gestellt : jede Perikope trägt ihre Nummer, und diese Nummer ist
vor der Perikope im Evangelientexte zwischen [] wiederholt : das
Auffinden ist mithin ohne Mühe möglich, und eine Uebersicht über
das Kirchenjahr unserer Aramäer erleichtert. Schade, daß diese
verderbte Welt dabei um einen Heiligen gekommen ist: für „evan-
gelia leguntur ieiunio sancto Banscira" Miniscalchis 236 ist näm-
lich „evangelia quae leguntur in ieiunio sancto elg tyjv Trawo/iSa"
zu lesen (Nilles 2 237).
Das aramäische Evangeliar des Vatican gibt mir erwünschte
Gelegenheit, einmal ein Glossar einer semitischen Sprache in der
Gestalt herzustellen, die ich für die allein wissenschaftliche halte :
mein Schüler AEahlfs hat in den von ihm angefertigten Register
zu meiner Uebersicht, soweit es da thunlich war, meine Grund-
sätze schon befolgt: freilich nur intellegentibus. Vorab bitte ich
Symmicta 1 98 37 ff. Orientalia 2 1 ff. nachzulesen.
PSmith hat die Vokabeln des Evangeliars in seinen Thesaurus
aufgenommen. Haben die Grimm Berolinismen oder Allemannisches
in ihrem Werke?
Die arabischen Wörterbücher, die wir benutzen, ruhen auf
Das aramäische Evangeliar des Vatican. 147
den GlossenSammlungen und den Speculationen der arabischen
Grammatiker. Das Vollkommenste was wir auf dem Gebiete be-
sitzen, ist EWLanes Werk. Da an ein methodisches Studium der
Quellen nicht zu denken ist — aus Handschriften kann man es
nur zu eigenem Gebrauche vornehmen : die Vorlagen zu drucken ist
der großen Kosten wegen unmöglich — , so muß man für das Ara-
bische das thun was ich für das Persische zu thun vorgeschlagen
habe (persische Studien 65 , Mittheilungen 2 246 (352)) : das von
den einheimischen Lexikographen gebotene Material sauber geordnet
als das Fachwerk benutzen, in das hinein man den Wortschatz der
Classiker und der technischen Schriftsteller sammelt: den ersten,
weil die Classiker eben Classiker, also Muster und Typen für An-
dere sind, weil sie den Durchschnitt der Sprache geben : den andern,
weil nur Techniker die Sprache des Lebens bieten, da wer classisch
schreibt und für Gebildete mit deren an fünf Fingern herzuzählendem
Lebensinhalte arbeitet, die Sprache nicht erschöpft. Also die Ueber-
setzungen des Galen, Avicenna : die Botaniker usw. Als das Fach-
werk, in das hinein man auch Bemerkungen der Neueren einträgt, nur
nicht so desultorisch wie das Dozy gethan hat : und wenn man Nach-
lässe veröffentlicht, den Quatremeres, Fleischers, Thorbeckes mit-
telst der Zeichen Q4>0 geschieden, in einem und demselben Bande.
Aber den Pedro de Alcala, das Leidener Vocabular, Schiapa-
rellis Buch, den in Petersburg liegenden Diwan von Granada hat
man — und zwar falls es angeht, zusammen — in einem Sonder-
bande vorzulegen.
Für die aramäischen Dialekte sind Sonder Wörterbücher nöthig,
knappe aber concordantielle Bücher : das Ziel muß ein aramäisches
Wörterbuch sein, das was dem Edessenischen, Palaestinischen, Ba-
bylonischen usw. (Uebersicht 91r 95r 238) gemeinsam ist als Text,
das den Dialekten Eigenthümliche eingerückt in kleiner Schrift
bietet : die kleine Schrift wird mit der Zeit vielfach zu Textschrift
werden müssen.
Geht man so vor, so wird der Eine Bruder lehren was der
andere weil er es vergessen hat, nicht mehr lehren kann.
Ich habe seit vierzig und mehr Jahren den Verdacht gehegt,
daß ij*\ ^a/, die natürlich identisch sind, aus dem awestischen I^HT
(Mittheilungen 2 38 ff.) entstanden seien : Eznik und Elise schreiben
(Blender wollen sich die ihnen nöthige Gelahrtheit durch die Regi-
ster beschaffen) qjpnuub = Crooav, haben mithin wie das Awesta
(und Justi 128) keinen Vokal zwischen z und r : meine gesammelten
Abhandlungen 149 20 ff. NeuPersisch (der von dem „ großen u Jules Mohl
einst gekrönte Vullers hält qUj Zeit für arabisch, nur in der Be-
148 Va,n\ de Lagarde,
deutuiig Tod für eränisch) ^U;, armeniscli thimT Stunde, ^mJmhmli =
*3U;. Wegen des </■ gegen des Elise q_ ist J-wüh/hiufi arsacidisch :
die Wurzel st 75p- erscheint im Haikischen als &trp, Herr SFrän-
kel, CBezolds Zeitschrift für Assyriologie 3 52r, schrieb 1888
Nicht selten erfolgte die Verwandlung eines ursprünglichen
B in M unter dem Einflüsse eines benachbarten N wie in
■JET für zarvan Jxaj.
Nur durch den Dialekt des Evangeliars wird erweisbar, daß ^aj
(mit weichem B) aus dem a westischen 'jtfViT entstanden ist : denn
dies Buch schreibt ^a; , das bedeutet bei ihm , B ist nicht weich,
sondern hart, ^a; mit hartem B, also etwa zabban, [für zanban]
gesprochen, wurde zu zaban, danach zu zeßan.
In einem nach meinen Grundsätzen bearbeiteten arabischen
Wörterbuche wäre das Stichwort qLo), und hinter diesem würden
die Denominativa zamina zämana azmana auftreten.
Warum 1fST\1 in das Aramäische und Arabische aufgenommen
worden ist, weiß ich nicht, noch weiß ich pw zu erklären, das im
Evangeliare für Zeit durch mich gesichert »scheint« (**** C): schon
jetzt vermag ich zwei für die Geschichte der Religion wichtige
Vokabeln zu benutzen : ^ajd = qißal GKozoq und Jaj 7upo<p7JT/js.
Das erste erweist, daß die „qibla", die Himmelsgegend, nach
der hin diese Aramäer beteten, der Westen war : denn es kann nur
das arabische qibal gegenüber sein. Vergleiche Ezechiel 8 16, und er-
wäge daß die Praxis der Kirche den Altar zu „orientieren", im
Gegensatze zur Synagoge eingeführt ist, die nach Osten zu beten
verboten hat.
JLaj (mit Artikel regelrecht JLaj) erweist, dass diese Aramäer
ein einheimisches Wort für rcpo^pTijnjc hatten. Die Araber besaßen
wie die Totenklagelieder erhärten, ein Zeitwort %^ zeigte an, aber
ihr ^J ist, wie die entsprechende syrische Vokabel, Lehnwort, also
für tf^OD unverwendbar.
• T
Ich möchte in Anknüpfung an eine oben ausgesprochene Klage
hier noch einem Wunsche Ausdruck geben, dessen Erfüllung mich,
da voraussichtlich Ich nur noch Einmal nach Rom zu gehn haben
werde, persönlich nicht mehr interessiert, einem Wunsche, der vielen
tüchtigen Männern aus der Seele gesprochen sein dürfte.
Ich habe in Folge meiner Beziehungen zu den ffCardinälen
Pitra und Hergenröther und meiner durch WWright vermittelten
Bekanntschaft mit IohBollig S.I. in Rom Vergünstigungen genossen,
für die ich in der Ankündigung 3 und in meiner pars prior iv v
auch öffentlich gedankt habe. Daß ich, um den von mir und mei-
Das aramäische Evangeliar des Vatican. 149
nen Landsleuten für Pater Bollig gehegten Empfindungen einen blei-
benden Ausdruck zu leihen, in den Schriften der königlichen Gesell-
schaft der Wissenschaften zu Göttingen die von Bollig für den Druck
vorbereiteten Schriften des Iohannes von Euchaita herausgegeben
habe, dürfte bekannt sein. Monsignore Isidoro Carini, des Mon-
signore Stefano Ciccolini Nachfolger, hat mich ebenso verpflich-
tet, wie der wohlwollende Mann, der vor ihm in der Bibliothek
thätig war, jetzt an einer andern Stelle seinem Fürsten und seiner
Kirche dient, und mir bis heute freundlich gesinnt geblieben ist. Ich
habe mich aber stets geschämt, würdige Gelehrte, die mir an Eifer
der Wissenschaft zu dienen nicht nachstehn, nicht derselben Gunst
wie ich genießen zu sehen : ich habe zweitens nie vergessen können,
daß jede facilitä widerruflich, und zwar von Tage zu Tage wider-
ruflich, also eine ArbeitsEintheilung auch für den privilegiato im
Vatican nicht möglich ist. Da wir Alle Zeit wie Geld zu Rathe
zu halten haben, ist dieser Zustand auch den privilegiati nicht
erwünscht. Man darf nicht außer Acht lassen, daß für so gut wie
alle Gäste der Bibliotheca Vaticana die Woche, deren Donnerstage
(und Sonntage) stets wegfallen, nur zwanzig Arbeitsstunden hat.
Kein mir bekannter Gelehrter, der schon Öfter in Rom gear-
beitet hat, kann dem heiligen Stuhle die Anerkennung versagen,
daß das Wohlwollen gegen die der Bibliothek des Vatican in immer
größeren Schaaren zuströmenden Gelehrten von Jahre zu Jahre
zugenommen hat: „mehr Zeit" und „Studio auch an den Donners-
tagen" wird freilich der Anerkennung stets unmittelbar folgen.
Wir hoffen Alle, weil wir erfahren haben, daß man unsere frühe-
ren Hoffnungen zu errathen wußte.
Was die im Vatican arbeitenden Gelehrten anlangt, so dürften
sie mit dem Papste natürlich nur durch eine Bittschrift verkehren,
und in dieser nur persönliche Bitten vortragen, deren Erfüllung
meines Erachtens nicht füglich in Aussicht stehn kann. Aber da die
weitaus größeste Zahl dieser Gelehrten von den „historischen Com-
missionen" Deutschlands, Oesterreichs, Frankreichs oder aber von
Akademien beauftragt ist, so brauchen die Herren doch nur ihren
Vorgesetzten die Sachlage zu schildern : für recht viel Geld werde
wenig geleistet: was geleistet werde, könne in der Zuverlässigkeit und
in dem Umfange, in dem es wirklich zu Stande kommt, nur in Folge
ganz außerordentlicher, aufreibender Anspannung aller Kräfte zu
Stande gebracht werden, die man um so mehr vermeiden müsse als die
Kost in Rom ungenügend sei, und schon die zurückzulegenden Entfer-
nungen große Anstrengungen erforderten. Ich vermuthe, daß die KV-
gierungen sehr wohl befähigt, und eigentlich auch verpflichtet sind
150 Paul de Lagarde,
mit dem heiligen Stuhle darüber zu verhandeln, daß die Arbeitszeit der
Vaticana auf acht Stunden erhöht werde, daß man die Donnerstage
in den ArbeitstagsStand erhebe, und außer den Sonntagen und den
kirchlich gebotenen Festtagen vom ersten October bis zum letzten
Juni ununterbrochen in der Bibliothek zu arbeiten gestatte. Die
Diplomatie dürfte sich in der Wahl der für die Verhandlung zu
benutzenden Ausdrücke weniger leicht vergreifen als unser einer,
dem es freilich auf die Sache mehr ankommt, als einem ihm fremde
gelehrte Interessen vertretenden Gesandten, der aber dafür die
Kenntnis der in Betracht zu ziehenden Persönlichkeiten der päpst-
lichen Regierung, und Uebung im GeschäftsStyle nicht besitzt.
Daß ein durch Oberlicht, und nur durch dies, erleuchteter Kup-
pelsaal in ein cortile des Vatican einzubauen, daß die Sammlung
gedruckter Bücher leicht zugänglich zu machen, daß sie auf den
Gebieten der alten Philologie, der Romanistik, der Patristik, der
Geschichte des Mittelalters auf dem Laufenden zu erhalten , daß
gar manches Andere zu beschaffen sein wird, über das ich auf Be-
fehl gerne Bericht erstatten werde, das versteht sich von selbst.
Schon hier will ich versichern, daß ich an das allen Londonern
bekannte Museum-head-ake sehr wohl denke, und an die, von mir
sogar öffentlich ausgesprochene, Klage über die unter der (jetzt
Niemanden mehr belästigenden) Kuppel der Laurentiana drückende
Hitze ebenfalls: und ich will versichern, daß ich vorkommenden
Falles nicht vergessen würde, auf eine genügende Ventilation des
beantragten Kuppelsaales zu drängen.
Weiter versteht sich ganz von selbst, daß die verhandelnden Re-
gierungen einen Theil der für die neuen Einrichtungen auflaufenden
Kosten ebenso gewis werden übernehmen müssen, als die Fremden
für den Zutritt zu den Kunstsammlungen des Vatican Gebühren
zahlen. Die Regierungen sparen an Reisekosten und Diäten für die
von ihnen Beauftragten, falls diese täglich mehr Zeit zur Verfü-
gung haben als bisher, mehr als was sie etwa dem Vatican an Ein-
trittsgebühren für ihre Leute zu entrichten haben können.
Je mehr Regierungen sich zu dem von mir vorgeschlagenen
Antrage vereinigen, desto mehr Aussicht hat er, angenommen zu
werden, weil die Catholicität der Kirche durch ihn in der freund-
lichsten Form als eine Thatsache anerkannt werden würde, mit der
auch die Welt zu rechnen gehabt hat.
Die zu erbittenden Erleichterungen sind aber durchaus auch im
Interesse des heiligen Stuhls. Wer herrschen will, muß das Gute
fördern: und wer irgend ein Gutes fördert, hat schließlich immer
eine Stellung auch in der Welt. Die Vorsehung hat den Nach-
Das aramäische Evangeliar des Vatican. 151
folgern Petri eine Handschriftensammlung ohne Gleichen zu eigen
gegeben : ich glaube, die Sammlung so allgemein und so bequem wie
möglich zugänglich zu machen, müsse der Kirche als eine Aufgabe
erscheinen, weil das Ansehen der Kirche durch die gewährte Erleich-
terung erheblich wachsen wird. Legen die Orden — Jesuiten, Domi-
nicaner, Benedictiner — Werth darauf, ihre besten Leute in die Ver-
waltung der geradezu einzigen Sammlungen des Vatican zu bringen,
weil der Ruhm der Congregätion durch ihre so zu sagen vor die
Front gerufenen Angehörigen wächst, warum sollte die ganze
Kirche nicht dasselbe Mittel anwenden wie ihre Orden, um sich
als eine Macht zu erweisen ? Oesterreichs Ruf ist in der gelehrten
"Welt an dem Tage ich kann nicht sagen um wie viel gestiegen, an
dem WvHartel Oberbibliothekar in Wien wurde: die Kirche wird
ein Missionswerk thun, wenn sie ihre Bibliothek mit einem Introite
hie dii sunt so weit wie möglich öffnet. Sie macht jetzt durch
ihre Krankenpflege Propaganda : sie kann auch durch ihre Biblio-
theksverwaltung Propaganda machen. Die Wissenschaft ist unbe-
einflußbar unabhängig, aber dankbar, und \LSfakotyv/(ct. sogar dem
principiellen Akatholiken gegenüber das beste Mittel, dem jetzt fühl-
baren Mangel an Gemeinschaft zwischen Katholiken und Akatho-
liken seine Schärfe zu nehmen.
Als Theodor von Sickel 1881 die bekannte Urkunde Ottos
des Großen, über die er 1883 in einer berühmten Schrift gehandelt
hat, für authentisch erklärte, freute sich (Cardinal Hergenröther
hat mir das an dem Tage an dem es geschah, erzählt), der Papst
Leo der Dreizehnte so, daß er so ehrlichen Akatholiken das Archiv
weit zu öffnen befahl. Keiner von denen, die in der Bibliothek
arbeiten, steht den im Archive forschenden Gelehrten in der von
ThSickel natürlich für selbstverständlich erachteten Eigenschaft
der Ehrlichkeit nach: wie wäre es, wenn die oben genannten Be-
hörden dies vor dem heiligen Vater geltend machten, der, wenn auch
kein Gelehrter, doch ein gelehrter Mann (eines seiner lateinischen
Gedichte steht in der Nationalzeitung vom 27 April 1878 Nummer 195)
und obenein ein wohlwollender Herr ist wie wenige?
Die biblioteca Vittorio Emanuele ermöglicht in ihren Räumen
die Benutzung aller in den Staatsbibliotheken Italiens aufbewahr-
ten Handschriften : es wird zu erwägen sein, ob nicht die Vaticana
die den Kirchenbibliotheken gehörenden Codices zugänglich machen
kann. Mittelpunkt muß man sein, wenn man wirken will: die
Vaticana kann ein Mittelpunkt werden. Der heilige Vater genießt
in Italien Portofreiheit: Kosten erwüchsen mithin aus der von mir
so eben vorgeschlagenen Einrichtung nicht.
Nachrichten von der K. G. d. W. zu Göttingen. 1891. No. 1. 12
152 Paul de Lagarde,
Nachtrag. 30 Mai i89i.
Ueber das so vielen Abschnitten des Evangeliars voraufge-
liende JLqdo^ud ©»k*a hat sich meines Wissens nur Herr Noeldeke
ZDMGr 22 509 geäußert, und zwar nur durch eine Uebersetzung :
„in der Zeit".
Matth. 2644 ist j&kitt bjJ^ 6 autög \6^o<;: darum darf ©jk*a
JLcdo^-uo iv Ttj) aoitj) xaiptj) übersetzt werden. Ist diese Uebersetzung
richtig, so sollen die mir bis heute unverständlich gebliebenen
Worte JLooot-uD ©*k*a anzeigen, daß der auf sie folgende Abschnitt
an demselben Sonn- oder Festtage gelesen werde wie der [im Evan-
geliare] nicht mitgetheilte [nicht aus einem Evangelium entnommene],
der ihm vorhergeht. Dann aber ist das vom Verfasser des Evan-
geliars benutzte Evangelium nicht die unmittelbare Vorlage des
Schreibers gewesen, dessen Arbeit uns erhalten ist. Der Schreiber
muß dann die „ Rubriken a eines Lectionars gedankenlos kopiert
haben : erst der Verfasser des Lectionars (Proben sind aus meinen
Orientalia 1 zu beziehen) hat eine nicht überall vollständige Hand-
schrift eines Evangeliums für seine Arbeit benutzt.
Ueber die Plurale der Bildung H*$gö sagt SDLuzzatto § 23
nichts Näheres. Herr EKautzsch sieht §52c in BJDbtt „die ur-
sprüngliche Endung des status constructus \% + des „determinie-
renden ä" (vergleiche GHoffmann, ZDMG 32 759), faßt mg als
tf^lp« Ueber JUiä und die irgendwie ihm Analogen Herr Noeldeke
§ 72, Herr Duval § 259. Kautzsch hatte \ [ai, nicht ay] zu schreiben.
Die auf JL endenden Plurale des Evangeliars setzt Herr Noel-
deke ZDMGr 22 477r den auf tf?_ auslaufenden der Chaldäer des
alten Testaments gleich. Er behauptet das: ich beweise es.
JLocuä = 7teraat hat seine Pluralpunkte, weil seine andere Sylbe
wie ai = s klang. Für looSata schreibt das Evangeliar Matth.
24 16 m BS 3044 JL*<L>, Lucas I5 = BS 327 20 JL?oe** [Lucas 165 =
BS 32827 JL;oot*], Lucas 3 1 = BS 332 21 JLjoi. Also noch C (denn
diese Pluralpunkte hat C geschrieben) hat die Aussprache looSaia
dadurch angedeutet, daß er zu den einen Singular wiedergebenden
Consonanten Pluralpunkte setzte.
Folglich endete der Plural im Dialekte des Evangeliars auf ata.
Daß meine Abhandlungen 1597, meine Symmicta 1 3724 benutzt
werden könnten, ist natürlich allen, die mit den Condottieri rech-
nen, undenkbar. 4>oup§aia Mittheilungen 2 380.
Als ich oben von ^ sprach, habe ich scheint in » « gesetzt.
Denn trotz des mitunter sicheren Pk, des Codex komme ich immer
wieder auf die Vermuthung zurück, Zeit habe diesen Aramäern
1? geheißen, das von O^^ (zu dem auch *i$yü gehört) hergeleitet;
Neue Ausgabe Clementischer Schriften. 153
das Masculinum zu dem hebräischen, von Wetzstein zu Js.*^ ge-
stellten tn? = tnsr = idat wäre. Die Zeitrechnung ist immer et-
was Conventionelles, da man nach Sonne Mond oder Sternen messen,
und von einem beliebigen Anfange an rechnen kann.
Neue Ausgabe Clementischer Schriften.
Wer weiß unter welchen Mühsalen ich die Didascalia, die rel-
liquiae iuris ecclesiastici antiquissimae, die 8iard£sis twv a7roaröXü)v,
die syrische Uebersetzung der Recognitiones Clementis und die KXyj-
j/ivua hinausgegeben habe, wird zugestehn, daß der Wunsch, die ver-
besserten Wiederholungen dieser Bücher selbst zu liefern, ein na-
türlicher ist.
Ich habe meine Rechte, die vielleicht nicht in vollem Umfange
vor den Gerichten geltend zu machen sein, aber von jedem Gentle-
man als unantastbar anerkannt werden werden, stets vorbehalten :
ich kann nicht gestatten, daß unter so vielen Schwierigkeiten und
mit so vielen, nur durch große Entsagungen aufzubringenden Kosten
gesammelte Materialien von dem ersten Besten ohne Weiteres an-
geeignet werden. Vorrede zum Harizi.
Im zweiten Bande der Bibliotheca Syriaca werden Recognitio-
nes, Didascalia und andere Clementina 1893 neu erscheinen: eine
die Urkunden scheidende Ausgabe der Constitutiones apostolorum
soll (sie liegt seit vielen Jahren handschriftlich vor) im nächsten
Winter unter die Presse kommen. Die recognitiones und KX7]|jivTta
werden, erstere ohne die Handschriften von Verona und Vercelli,
deren für JBLightfoot gemachte Vergleichungen in JARobinsons
Händen sind, letztere ohne die Handschrift von Ierusalem, bearbei-
tet werden : es kommt mir nur darauf an zu zeigen , in welchem
Verhältnisse der Grieche zum Syrer steht.
Sowie meine Kosten gedeckt sind, wird meine Texte zu neuen
Ausgaben zu benutzen gestattet sein, aber nicht einen Augenblick
früher. Mittheilungen 3 254 4 138 = GGA 1890 394'.
Beiläufig berichte ich, daß die syrische Urschrift von Ephraims
Commentare zur Evangelienharmonie des Tatian gefunden sein soll.
Daß ich hinter ihr her bin, versteht sich von selbst. Constitu-
tiones vijr.
154 Karl Heun,
Die Schwingungsdauer des Gauss'schen
Bifilarpendels.
Von
Karl Heun in Berlin.
Die mathematische Theorie des Bifilarpendels kann mit Be-
nutzung von hyperelliptischen Functionen , die durch zehn Ver-
zweigungspunkte characterisirt sind, vollständig ausgeführt wer-
den. Wenn auch einer solchen Untersuchung keineswegs unüber-
windliche Schwierigkeiten entgegenstehen, so wäre doch damit
dem Eechner wenig gedient, denn die allgemeinen Gleichungen
müßten für die Bedürfnisse der Anwendungen wesentlich verein-
facht werden. Man hat sich bisher mit der von Gauss gegebe-
nen Gleichung für die Schwingungsdauer begnügt und in denjeni-
gen Fällen, wo eineCßerücksichtigung der Amplitude nothwendig
würde, nur die Gleichgewichtslage beobachtet. Diese Beschrän-
kung hat aber, wie Gauss1) zuerst hervorgehoben hat, für feine
Kräftemessungen nicht unbeträchtliche Nachtheile. Ich theile deß-
halb im Folgenden für die Schwingungsdauer des Bifilarpendels
eine Formel mit, welche auch für die verhältnißmäßig kurzen
Pendel, welche man jetzt häufig bei electrodynamischen Messungen
verwendet, ausreichen wird. Insbesondere mache ich auf die Feh-
lerschätzung aufmerksam, die für genauere Berechnungen dieser
Art geradezu unentbehrlich ist.
Die Aufhängefäden seien parallel und von gleicher Länge,
welche wir im Folgenden gleich Eins setzen. Der Abstand der
Fäden in der Ruhelage sei gleich 21. In der durch die unteren
Fadenenden gehenden horizontalen Geraden werden im Abstand
des Trägheitsradius (Je) des Pendelkörpers in gleicher Entfernung
(Je) von der Mitte zwei materielle Punkte angenommen, auf deren
Bewegung die Schwingungen des wirklichen Pendels reducirbar
sind. Der Anfangspunkt des rechtwinkligen Coordinatensystems
werde in der Mitte zwischen den beiden materiellen Punkten ge-
wählt. Die #-Axe gehe durch die verticale Schwerpunktsaxe des
Pendels nach oben und die x~Axe durch die schweren Punkte.
Jeder derselben bewegt sich dann auf einer doppelt gekrümmten
Bahn, welche bestimmt ist durch die Gleichungen:
1) Gauss Werke, herausgegeben von Schering, Bd.V p. 100.
die Schwingungsdauer, des Gauss'sclien Bifilarpendels. 155
2l\k-x) -- ha (2-*) ) }
Ist g die Beschleunigung der Erdschwere atisgedrückt in Thei-
len der Fadenlänge, dann heißt die Differentialgleichung der Be-
wegung
^ — Lm) = **(*-') II)
Hierin ist zur Abkürzung gesetzt:
s* = 4?2^(2~^)-^(2-^)2 (1)
^ bedeutet die Integrationsconstante erster Ordnung, welche durch
das Princip der lebendigen Kraft eingeführt ist.
Wird der kleinste Werth von x gleich h cos a gesetzt, so be-
stimmt sich h als Function der „Amplitude* a aus der Gleichung
Ä(2-Ä) = 2^((l-|).
Man erhält hieraus
h = l-Vl-4Psin8ia (2)
Dies ist die verticale Erhebung des Pendelkörpers, wenn die
Amplitude der Elongation gleich a wird.
Aus der Gleich. II) folgt durch Integration für die Schwin-
gungsdauer T die Gleichung
rh ^ + 4^(1-«)*
Die 10 Verzweigungspunkte dieses Integrals sind:
0, h, l-V^^IF, l+Vl11??, 2, oo
1± Jl + 2(Jc'^l') + 2\J(¥^yT¥l
Für die meisten Anwendungen besitzt nun die Potenzreihe $(#)
in der Entwicklung
«V*-* \Js(h-z)[4:l2-z(2-0)] r-'
eine genügend starke Cenvergenz. Wir werden uns deßhalb im
Folgenden auf diesen Fall beschränken und das ganze hyperellip-
tische Integral in dem Ausdruck für I nach der Gauss' sehen
156 Karl Heun,
Quadraturmethode mit Benutzung eines einzigen zweckmäßig zu
wählenden Argumentwerthes # = zx angenähert ausführen.
,
Das nach der Grau ss' sehen Methode zur Quadratur vorge-
legte Integral habe die Form
/ß
(p{x)f{x)dx)
wo y(x) eine convergente Potenzreihe von der Form
tp (je) = A0 + Xx x + A2 x2 + • • • + in inf.
bedeutet. Die Function f(x) besitzt die Verzweigungspunkte.
Soll mit einem einzigen Argumentwerthe x = xx interpolirt wer-
den, dann ist: r
y(x) = cp (xt) + lx (x — xx) + A2 (x* — x2x) + • • • + in inf.
Folglich
J = ax.q>(xx) + Al(atm~aixi) + K(aa—aixl) + • • • + in inf.
Hierin ist zur Abkürzung gesetzt
Xß
xr+1f(x)dx.
Damit nun der Fehler bei der approximativen Darstellung
/ß
(p(x)f(x)dx = ax<p(xt)
möglichst klein werde, muß man xx so wählen, daß es der Gleich.
aa—axxx = 0
genügt. Dann erhält man für den Fehler „ zweiter" Ordnung
G2 den Ausdruck
3.
Durch die lineare Substitution
s'-h + ht
nimmt der Ausdruck für T die L e gen dre' sehe Form an;
(3)
die Schwingungsdauer des Gauss'scheü Bifilarpendels.
2 ri r m \ dt
157
«•*-H^f'fe£b|)
worin
und
h (e'-e)
m
e(c'-Ä)
(4)
(5)
*M = V §P5
ist.
Wendet man nun das eben entwickelte Gauss' sehe Quadra-
turprineip auf das vorstehende Integral an, dann erhält man nach
einigen leicht erkennbaren Reductionen das Resultat:
r^(i+0)*fy| iv)
Die Größe 0 ist bestimmt durch die Gleichung
i+ö = ¥\/ä-^) v)
'erner ist
*
w^-
——0(2-0)--
U2
*'Hi
e'-h + h^ '
Ci
m2 V1 X/
VI)
TT und -E sind die ganzen elliptischen Integrale erster und zwei-
ter Gattung in der Legen dre'schen Form für den Modul m.
Die Reihenentwicklung der Function 0 (#) und die Berechnung
der Integrale a2 und a3 giebt nach Gleich, a) für die Fehlerfunc-
Lon *) den Ausdruck
C = -
2-3(*,-P)[\2t1-l
2 k"
h2JtF+(i-w]~-»- • a)
Dies ist für positive Werthe von k*—V zugleich die „obere Feh-
lergrenze", wie die Betrachtung der Coefficienten Xsi X^, etc. zeigt.
Für 0 = 0 geht die Gleichung IV) in die Gauss* sehe For-
mel für unendlich kleine Schwingungen über. Die Function 0
1) Bei der Entwicklung von Aa konnten einige einflußlose Kürzungen ange-
bracht werden, was jedoch bei den Hauptformeln V) und VI) unterblieb.
158 Karl Heu n, die Schwingungsdauer des Gauss'schen Bifilarpendels.
kann also nach einigen Vereinfachungen zur Fehlerschätzung
bei der Verwendung dieser Formel dienen.
4. ^
Um die Genauigkeit der vorstehenden Formeln für die Be-
stimmung der Schwingungsdauer eines bifilaren Pendels von sehr
ungünstigen Dimensionen anschaulich zu machen, habe ich die
Rechnung für den Fall l = TV (die Länge der Fäden) Je = J,
a= 10° durchgeführt, welche ich hier im Auszuge mittheile.
E = 0,020 204 102 86 s' = 1,979 795 897 14.
lg (6'_ s) = 0,292 165 612 1 lg h = 6,181 654 971 0
lg (s'-h) m 0,296 587 089 6 h = 0,000 151 9340
lg w2 = 7,871 793 922 7 lg K = 0,196 930 742 6
lg ^ = 9,998 379 030 7 ~ = 0,996 274 537 1
lg £ = 9,609 386 329 3 fr =* 0,500 479 539 8
V^ = o,«
lg 0 (*j = 9,999 977 4 lg \ -j—j- = 0,000 032 8
lg (1 + 6) = 0,000 824 0 6 = 0,000 189 9
' C2 = -0,000 000 054 8.
Es ist also in diesem Falle
T = 1,000 189 9 . % fV~ '
l y 9
Die Correction C2 bleibt wegen der Kleinheit ohne Berücksich-
tigung.
In dem nur selten eintretenden Falle, wenn 02 einen beträcht-
lichen Werth annimmt, kann man unter Anderem auch in der
Weise eine erheblich schärfere Bestimmung von T als die oben
ausgeführte erhalten, daß man in dem vorliegenden Beispiel die
Verzweigungspunkte
o, h, s, l- t/r+ 2 (¥ - 12) + 2 \JJ¥^ ry + h\
1-t/l + 2(F - l2) ~ 2\J (F -l2)2 + V
bei der Quadratur berücksichtigt. Die Rechnung würde aber dann
auf Rosenhain' sehe Functionen führen.
Berlin, 8. Febr. 1891.
Inhalt von Nr. 4.
Paul de Lagarde, Thevenots caffarre. — Das aramäische Evangeliar des Vatican. — Neue Ausgabe der
Siaxd^eis tü>v ÖC7TO(3ToAü)v und der drei Gestalten der Clementinen. — Karl Heun, die Schwingungs-
dauor des Gauss'schen Bifilarpendels.
Für die Redaction verantwortlich: E. Sauppe, Secretar d. K. Ges. d. Wiss.
Commissions-Verlag der Dieterich! sehen Verlags- Buchhandlung.
Druck der Dieterich' sehen Univ.- Buchdruckerei ( W. Fr. Kaestner).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg- Augusts - Universität
zu Göttingen.
9. Juli. Jfä 5# 1891,
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften,
Sitzung am 6. Juni.
Klein legt eine Arbeit des Herrn Schilling vor: Geometrische Bedeutung der
Formeln der sphärischen Trigonometrie für den Fall complexer Argumente.
R i e c k e legt vor :
a. Eine eigene Arbeit: Zur Theorie der piezoelektrischen und pyroelektri-
schen Erscheinungen.
b. Von Herrn Dr. G. T a m m a n n : Ueber die Permeabilität von Nieder-
schlagsmembranen.
c. Von den Herren Dr. G. Tarn mann und Dr. W. N ernst: Ueber die
Maximaltension, mit welcher Wasserstoff aus Lösungen durch Metalle
in Freiheit gesetzt wird.
Kielhorn legt zwei Aufsätze vor:
a. Die Vikrama-Aera.
b. Die Nitimanjari des Dyä Dviveda.
de Lagarde legt vor:
a. eine Mittheilung über Arabes mitrati.
b. über Samech
und spricht
c. über den Inhalt des 5. Stückes seiner Septuagintastudien, die er iu der
Sitzung vom 2. Mai angekündigt hatte.
de Lagarde legt eine Mittheilung des Herrn Professor E. Nestle vor: Eine
denkwürdige Sitzung der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften.
Weiland legt durch den beständigen Sekretär für den 37. Band der Abhand-
lungen die Abhandlung vor : Die Wiener Handschrift der Chronik des Matthias
von Neuenburg.
Nachrichten ton der K.ü. d.W. xu Göttinnen. 1891. Nr. 5. 13
160 Paul de Lagarde,
Arabes mitrati.
Von
Paul de Lagarde.
In meinen Mittheilungen 1 61 habe ich die Vermuthung ausge-
sprochen, das arabische Js = tag aus tag, das armenische p-m^. = &ay
in ß-wij-uii-np = ftccyccvor Kronenträger , König verhalte sich zu dem
assyrischen agü Krone (das 1881 noch für ursprünglich sumerisch
galt) wie tapdü tamlü zu den entsprechenden Stämmen. Ich er-
wähnte , daß nach einer Mittheilung PHaupts bereits vor mir an
einen Zusammenhang der Wörter _[j* und agü gedacht worden war,
ohne daß man ihn hätte erklären können. Jetzt Friedrich Delitzsch,
assyrische Grammatik § 65 32. Uebersicht 206 25.
Schon 1857 hatte JOppert ZDMG 11 135 die Yaunä takabarä
der Grabinschrift Darius des ersten, indem er sich auf die medo-
scythische und assyrische Uebersetzung des Textes berief, bezopfte
Ionier übersetzt, da im Vendidad taka für Pferdeschweif gebraucht
werde. 1864 wird in FJustis Handbuch der Zendsprache 130 1 ein
awestisches taka Pferdeschweif nicht verzeichnet , aber noch 1882
bietet in seiner Ausgabe des babylonischen Textes der Achaeme-
nideninschriften 34 35 Zeile 18 CBezold nach Oppert
lamanu sanutü sa magiduta ina kakkadisunu nasüu:
andere Ionier, welche Flechtwerh auf ihrem Kopfe tragen.
1881 lieferte FvSpiegel, die altpersischen Keilinschriften 219, unter
Berufung auf Oppert takabarä Kronen oder Flechten tragend, und
FJusti hat GGA 1882 483 ff. dazu keine Bemerkung gemacht, obwohl
die Kürze des ersten a von takabarä vielleicht einer Erklärung
bedurfte.
Um vollständig zu sein , füge ich Stellen bei , die mir meine
Erinnerung bot, und Estienne zu ergänzen gestattet hätte. Thucy-
dides a 6 ' ' A^r\valoi %Qv6(bv tstttyov svsqösl XQcoßvÄov ävadov^ievoi
rtbv iv ti} xscpahf] tql%g)v [wozu der Scholiast (bei Schöne x) 9) xqcj-
ßvXog iötlv sidog itXiy^axog robv iQiyjhv, änb ixatsQcov sig 6|v ocTto-
hrjyov]' äcp' ov xal 'I&v&v tovg TtgeößvreQovg Tcatä tö övyysvsg eni
noli) avtrj fj öxsvii Mt&6%sv. Estienne hat die andere Hälfte dieses
Satzes nicht ausgeschrieben, die Dindorf haben sie charakteristischer
Weise nicht ergänzt, und JOppert wie FrSpiegel sagen von der
ganzen Stelle und von der Sache nichts : vor Paul Güßfeldt gebildet
1) der einst in meinem Hause Thuc. 1 50 ßfy {K>c<döi in ßtaoftuici änderte.
Arabes mitrati. 161
wie sie sind : was wird erst nach Paul Güßfeldt werden ? Xenophon
Anabasis £ 4 13 el%ov KQavr\ Gxvtlvcc XQ&ßvXov £%ovtcc natu [ieöov
iyyvtdrco tLccQoeidrj, wo also der xQ(oßvXog nahezu Tiaraförmig heißt.
Neben xQcoßvXog hat Hesychius xQoßccAög, das MSchmidt in der klei-
neren Ausgabe 927 allerdings an den Rand verwiesen hat. Ich
suche in der ersten Sylbe dieser Vokabeln fsq"^ Kopf, und ver-
gleiche uuiquiuuipm = öcdccvarr Helm, woraus ich schon 1848 Üoi_cd
erklärt hatte: wenn PSmith aus meinen gesammelten Abhandlun-
gen 72 180 unter Beschweigung des uuiqutuuipm berichtet, ich habe
«XiLy» verglichen, so verleumdet er. Sarabara capitum tegmina, Isi-
dorus 1& 23 : bä^O Daniels? gesammelte Abhandlungen 206 15 ff., arme-
nische Studien § 1937.
Ueber das aus ■* entstandene tf des Armenischen habe ich in
den Mittheilungen 2 26 ff. gesprochen : ich darf es mit gleichem
Rechte g wie c umschreiben.
$iu2f/i£ = Tagik der Armenier ist eine arsacidische Vokabel,
das i derselben lang. NeuPersisch muß $ui2f/i£ ls^ °^er tJ/P lau^en-
Eine Erklärung dieser Vokabeln ist nur dann richtig, wenn sie
alle beide erklärt, da die Identität der Wörter nicht zu bezwei-
feln ist.
JJui2f^ "AQuty Maccab. ß 12 10 , der Isaias 13 20 15 7 9 Wpwpwgfc
heißt (armenische Studien § 231, wo nachgewiesen wird, daß der
Akademiker FchMüller die Uncialen (} = j tf und JJ = g 3 nicht
hat unterscheiden können). Das große Venediger Wörterbuch,
das auch die Gleichung mwäfä = jjgfei bietet, weist 2 842 2 nach,
daß inm2f/r^ Synonymum von Agarener, Saracene ist.
$uj2f/i£ übersetzt Ciakciak 1355 3 außer durch Ardbo auch durch
di veloci piedi, di rapide- corso. Er irrt : vermuthlich auf Grund der
im großen Wörterbuche 2 842 2 gegebenen Materialien. Die Schei-
dung zwischen haikischem, arsacidischem und sasanidischem Sprach-
gute, die ich für das Armenische 1866 in den gesammelten Abhand-
lungen 298 habe eintreten lassen, und die mir plaudente plebe doctä
in so bubenhafter Weise gestohlen worden ist, bewährt sich auch
hier. Piuqtrj_= &&&1 , ein vulgärarmenisches Wort, zeigt durch
sein ft = # wie durch sein ^ für zf, daß es einer anderen Periode
der Sprache als miiizf/^ = tacix angehört. fiuiqbi_ ist allerdings
ein persisches tf&b laufen, aber weder der Lautbestand noch das
Suffix ^4 == l5 gestattet, muiZC/r^ mit fJ&& zusammenzubringen.
Ein Xf, uiuiüfiti ist ein arabisches Pferd.
Endlich wwZi^'Liu^ Kantschuh, angeblich auch Bastonade, ist das
persische lüUtS Geißel, Peitsche, ein Wort, das der von JMohl einst
angekrönte JoAuVullers mit +J&Ü und 0^Ij, wie es scheint als
13*
162 Paul de Lagarde,
das laufen machende, zusammenbrachte, das aber leicht Arabisch be-
deuten kann: die Semiten sind ja gegen unterworfene Völker nie
sehr gütig gewesen.
Maccab. ß 3 s 44 22 steht Tackastan für Q>oivLwf\, armenische
Studien § 2182.
Wie 0OLVLK7} vom Armenier so übersetzt werden konnte, muß
erklärt werden.
Theodoret kennt in der von mir in meiner Uebersicht 91 aus-
gehobenen Stelle einen in (PoLVLxri gesprochenen aramäischen Dialekt.
Ich habe die über Derartiges nicht unterrichteten Leser meines Bu-
ches auf die Notitia dignitatum, Orient § 32, verwiesen. Das ge-
nügt für Menschen , die wissen , daß ein Citat gegeben wird , um
nachgeschlagen zu werden. Hier berufe ich mich noch auf Partheys
Hierocles § 51 52 und Leos in den Mittheilungen 2 176 von mir be-
nutzte %d%ig xr\g TtQOKa&sÖQiag tav äyucordtcav %atQiaQ%G)v.
Es gab zwei tl>oii?i%% die TtagaHa und die Xißavrpia. Erstere
lag da, wo jeder Schuljunge Phoenicien sucht, die andere enthielt
die Städte Emesa, Laodicea (natürlich nicht die Küstenstadt, son-
dern das südlich von Emesa belegene : KFurrer ZDPV 8 31, Schürer
21 597), Damascus, Heliopolis = Baalbekk, Abila (JßsXa trjg <&oivi%rig
Iistcc^v 4cctiu6xov xccl üavsddog Eusebius in meinen OS2 2439), Pal-
myra. Das xXlucc' Iaßgovöcov [Parthey falsch 'Ia^ißQovdcov] liegt um
Yabrüd, SocinBenzinger 377, ohne daß die Angabe Leos 990, es habe
zu (Poivixri gehört, uns viel hülfe : wichtig ist das xXvfia Maykovkcov
(denn so muß man für MayXovdtov Partheys lesen), da es beweist, daß
Ooivinri weit nördlich über Damascus hinausgriff (Fischer-Guthes
Karte 36° 32' 0), da es den Syrern als llnSsao bekannt ist, WWrights
catalogue 1344, da es noch in später Zeit £ zeigt.
Die notitia dignitatum kennt equites Saraceni indigenae als
Garnison von Betproclis , und equites Saraceni als Garnison von
Thelsee. Nur in großem Zusammenhange wird die Frage beant-
wortet werden können, wann Araber in der Q>oivUr[ XißavnGlu so
zahlreich wurden, daß man die Provinz Tackastan Araberland nen-
nen durfte.
Das zweite Buch der Maccabäer setzt voraus, daß ®oivl%r[ nicht
xoiXri Zvqicc ist, zu der doch nicht wenige der oben aufgeführten
Städte gezählt werden müssen. Für den Historiker bleibt hier also
noch viel aufzuklären. Für die Armenier scheint (Dolvlxw Araber-
land nur in einer Zeit haben heißen zu können, in der ihnen Mitren
tragende Araber nur aus der <&ot,vixri XißavY\<6ia bekannt waren.
Plinius c 162 Arabes mitrati degunt aut intonso crime, barba
abraditur praeterquam in superiore labro: aliis et haec intonsa,
Arabes mitrati. 163
Das heißt, ein Theil der Araber trug den tag, und hieß daher
tägi, was im pahlawi tagik lauten mußte.
Wie dieser tag ausgesehen hat , weiß ich nicht. Der Titel
des Wörterbuchs tag alärüs die Brautkrone [EWLane, ZDMGr 3 91
93] weist darauf hin, bei Hochzeiten sogar neuerer Zeit ein Bild
des alten tag aus der Zeit des Aelius Gallus zu suchen : denn Hoch-
zeitsgebräuche erhalten sich. Allein EWLane, manners and customs
of the modern Egyptians, sagt 1 210 nur Upon the head of the bride
is placed a small pasteboard cap, or crown. Daß die griechische
Kirche für die ihr angehörende Braut ebenfalls eine Krone braucht,
soll angemerkt werden.
Die Araber gelten für ein kriegerisches Volk, haben aber nach
Wetzsteins Zeugnis die Vorsicht stets für den besseren Theil der
Tapferkeit erachtet: die mitra, die einige von ihnen täglich trugen,
war gewis kein Helm. Wie der Helm ausgesehen haben kann, muß
sich nach der Waffe entscheiden lassen, gegen die er zu schützen
hatte , und nach der Art , in der diese Waffe geführt wurde. Ich
weiß darüber nichts, wenn es sich um die Zeit des Aelius Grallus,
überhaupt um die ältere Kaiserzeit handelt.
Denn die arabische Litteratur ist jung. Alle Welt weiß wann
Muhammad gelebt hat: und was an arabischen Schriften älter als
Muhammad wäre, wie viel und wie authentisch ist es? Ein Paar
Notizen über die Helme der Araber gibt GWFreytag, Einleitung
in das Studium der arabischen Sprache, 255. Später entlehnten
die Araber xcovog als ,j*JjS, meine Symmicta 1 59 24 [1871], SFränkel,
die aramäischen Fremdwörter im Arabischen 54 241 [1886] 1).
Das persische isL^>lj oder ^-[i ist offenbar mit S^M identisch :
es bezeichnet Ureinwohner Eräns, solche die in Erän weder Araber
noch Türken sind. EQuatremere hat zu Maqrizis histoire des sultans
mamlouks 2 2 154 schon 1845 Sw^ti l53^ nn(^ *M)& ^r identisch er-
klärt. Ich habe nie etwas Anderes in diesen Tagik gesehen, als
Leute, welche die altpersische Kopfbedeckung gegen den Fez und
Turban der semitischen Eroberer beibehalten haben.
EQuatremere erklärt anders. Er leitet die Worte von ^b
ab (er schreibt ^Lb), dem Namen einer Gruppe arabischer Stämme,
der den Syrern ul% Araber geliefert habe. Wie »Leute, die weder
Araber noch Türken sind« und in OstErän wohnen, von dem ara-
bischen Stamme ©ayy haben benannt werden können, wie aus ^b
je &j\[i = (Cjlj hat entstehn können, das dürfen wir den gelehrten
1) Herr Fränkel durfte 238 meine gesammelten Abhandlungen 24 89 und die
armenischen Studien §524 für jo^ (in deutschen Eigennamen [auch Gott ist aus
Eran entlehnt] (lund-), 239 meine Beiträge 75 10 fl'. i'iir^X^x = j£&J nicht anführen.
164 Paul de Lagarde,
Mann nicht fragen, der nicht einmal an ^^ = Einivohner von Bai
[= ^4, ClHuart, JAP 1885 2 502] als Parallele zu seinem Jo Jfß
gedacht hat. <cj&w = umi^li aus Sacastene gebürtig heißt .Rostom.
*= * Uructatakma, Symmicta 1 120 24. Auch Käqänis von Khany-
kow JAP 1864 2 155 nicht verstandenes ^^y» gehört hierher: es
ist soviel wie ^ß)}?* Yäqüt 4 507 i Margianer (die gewis sehr bos-
hafte Aeußerung Käqänis verstehe übrigens auch ich nicht). Ich
vermuthe, daß <^j = ^> in ^:>jj = ^$y\j ungefähr dasselbe sei was
^ in den Namen der awgänischen Stämme ist. Das ^j der Kur-
den wechselt mit U, da PLerch in den Melanges asiatiques 2 631
beräzi Neffe väterlicher, xoarzi Neffe mütterlicher Seite schreibt, wo
Justi 41 2 bräzä bräza, 161 1 kvärza bietet, und auf persisch *M:.<>U
und *ö\\j$\yz> deutet : bei Socin, Curdica 1 285 finde ich bräzik Nichte.
Ich darf nicht wagen, die Gestalt der von den Arabern getra-
genen Mitren näher anzugeben : schon ARichs Wörterbuch des rö-
mischen Alterthums genügt zu erweisen, daß die Alten verschiedene
mitrae kannten. Der den Darius begleitende Perser der Mosaik von
Pompeii hat eine andere mitra als Paris und die Amazonen. Robert
Sinker gibt in dem Dictionary of Christian antiquities viel Material
und die wichtigste Litteratur.
^yJCi gesammelte Abhandlungen 843, i*a£j Quatremeres Maq-
rizi 2 2 190.
Samech.
1
Der Name Samech findet sich als £upe% dann und wann bei
©, wo ein alphabetisch geordnetes Stück ihn zu nennen räth. Er
findet sich in Folge davon auch bei christlichen Theologen, grie-
chischer wie lateinischer Zunge. Samech mandatum humile, Hie-
ronymus OS2 51 12. Samech firmamentum : quidam erectionem vel
adiutorium sive fulturam putant, ebenda 7929. Samech firmamen-
tum, licet quidam erectionem vel adiutorium vel fulturam putant,
ebenda 191 9. Samech enim auxilium nostro sermone vocatur, die
alte Murbacher Hds. in meinem Psalterium Hieronymi xiv 15. Ver-
gleiche Omont bibliotheque de l'e'cole des chartes 1881 429, JBonnard
revue des etudes juives 4 255, ADarmesteter ebenda 259. Isidorus
Origines £. Hieronymus, Brief an Paula über Psalm Qtri, Vallarsi 1
1 144 ff., Ambrosius expositio in psalmum cxviij § 15, und die meist
nur aus diesen zweien schöpfenden späteren Ausleger der Psalmen.
Zur Deutung tpa *»£ mandatum humile1), Gr -pöD iGvrJQL&v und
*) W "£C Isaias 28 18 übersetzt Symmachus 4vtoX7j o6x iv-coXrj, hat also in ^
Saraech.
165
dessen Zusammensetzungen, iTti%r\Y.Ev^ ävteXdßsto^ a7tr}QSL6ato : siehe
Konrad Kirchers Concordanz. Ueber ^yiad belehrt PSmith. Ein
arabisches Aequivalent fehlt. Eiypa müßte [§ 11] *nD'öp sein = dem
archaischen (das Femininum noch durch i ausdrückenden) kovirr»,
2
Ich bin Historiker, meine Gegner sind Rationalisten. Unbequem
für beide Theile ist, daß ich als Historiker durch einen Bericht
über die Thaten meiner Vorgänger meine Versuche als erlaubt nach-
weisen muß.
Ueber 0 reden HE wald8 § 50 und Fßöttcher 1 § 148 hin und
her. IOlshausen schweigt. Herr BStade belehrt uns § 68
0 verhält sich zu n wie T zu % es entspricht unserem tonlosen s,
ohne zu wissen , daß in natura rerum 1 sich zu T verhält , wie n
zu tO, und daß in der Lehre von den Dentalen, Assibilaten, Sibi-
lanten D gar keine Rolle spielt. Herr König Seite 35
D ist der tonlose Sibilant, das anlautende s im Deutschen.
Man sollte meinen, daß die Herrschaften Moses, David, Isaias,
Aggaeus, diese durch viele Jahre von einander getrennten und doch
die Buchstaben gleich aussprechenden Männer, bei sich zu Tische ge-
habt haben, oder daß sie vorEdisonsche Phonographen besitzen, in
denen das von jenen Hineingesprochene jeder Zeit erweckbar auf-
gespeichert liegt.
3
Die Erfinder der semitischen Schrift haben die Entdeckung ge-
macht, die Consonanten ihrer Rede seien aus dieser Rede als Con-
sonanten ausscheidbar , die Griechen sind ihnen mit der anderen
Entdeckung gefolgt, daß es Vokale a s r\ i o gebe, und sie haben
den Muth gefunden, ftitiei die Consonantenzeichen der Semiten
» n n ^, für welche sie eine Verwendung in ihrer Consonanten-
schrift nicht hatten, zu Zeichen der Vokale zu machen.
Was nach der Ausscheidung der zu Vokalen erklärten xnn^
im phoenicischen Alphabete übrig bleibt, entspricht von ß bis r der
Reihe nach den Consonanten der Hellenen.
4
Bemerkungen sind hier nur zu 0 y TD zu machen.
Ich setze die bekannten Stellen her, auf die es ankommt.
die Negation ^S gesehen, wie ich Mittheilungen 3 257 r in dem mit langem a ge-
sprochenen ^ des Namens ij&. ÄrfCctpoc. Isaias 33 81 derselbe Symmachus ^ £vtoX^.
Da von ;-|V£ U kein Nomen cav herzuleiten, und Isaias 33 91 ^ überliefert ist,
muß Symmachus i^ gelesen haben, das sich zu ;-j^ verhält wie vj Brandmal
zu ITD, wie «^ Steppe zu nn¥- I)aß "p = r^20 Tomeiv^ sein kann, folgt aus
Levit. 25 89 27 8 und aus Aquilas DfOD TaTreiv&pptuv xal (frdouc Psalm 10 x.
166 Paul de Lagarde,
Herodot berichtet a 139 von den Persern tä ovvö^iatd 6<pi iövtcc
önolcc tolöt Gcoiiaöi xccl tfj ^isyaXo7tQS7istrj, tshevtcböo itävta ig t&vtb
yQoi^cc, rö dcoQieeg iiev öäv xccXeovöt, "Imvsg de 6iy^a. ig tovto
di£rJiievog B^Q^eig xübv TleQ^icov tä ovv6{iccta, ov tä [tsv, tä tfov,
äXXä Ttävta.
Herr FrSpiegel hat 1867 in seiner Grammatik der altbaktri-
schen [wo gibt es NeuBaktrisch ?] Sprache § 47 48 104 und 1881
in seinem Buche über die altpersischen Keilinschriften2 172 x) die
Notiz Herodots nicht erwähnt. Herodots Angabe wird durch den
Befund nicht bestätigt, soweit der Awesta und die Keilinschriften in
Betracht kommen. Nur auf u oder i ausgehende Mannsnamen ha-
ben einen auf einen Sibilanten ausgehenden Nominativ. Das alte
Testament aber zeigt, daß wenigstens auch der Name des Xerxes 2)
der von Herodot aufgestellten Regel folgte : denn zu thb = Kuru-s
und OTTJ = Därayäwu-s gesellt sich tthlTÖnx als Nominativ von
ksayärsä = ^Lmpz_ armenische Studien § 1688 [persische Studien 76].
oto^o der Syrer kann payog sein, wie «Jtojj sldog ist, und
JLadd TtavGai, : es kann aber auch aus der Beobachtung Herodots
erklärt werden, ^ajl aus al<5%Q6g.
Aus Herodots Worten folgt, daß dorisches 6av, ionisches ötyiicc,
das Nominativzeichen der persischen Mannsnamen und das E der
Hebräer einen und denselben Laut hatten.
Athenaeus bespricht icc 30 die yga^atiTiä ix7t6^iata , und ci-
tiert dabei Verse des Tragikers Achaeus, in denen öccv als ein im
Namen des Gottes dimvvöog vorkommender Buchstabe erwähnt wird.
1) Eine Schmach für Deutschland ist es, daß Spiegel noch 1881 Seite 139 dem
verstorbenen ChrLassen »die Entdeckung« zuschreiben kann, daß »die bei Niebuhr
mit I bezeichnete Inschrift ein Völkerverzeichnis enthalte«. Nicht ChrLassen hat
das entdeckt, sondern Eugene Burnouf. Dies aufs Neue hervorzuheben, ist ge-
rade jetzt Pflicht, da EBurnoufs Briefe, von seiner Tochter gesammelt, so eben er-
schienen sind , und das Bild des edlen Mannes , der von einem in Deutschland
wohnenden Norweger so ehrlos bestohlen worden ist, frisch vor die Seele rufen.
Ich habe schwer dafür zu leiden gehabt , daß ich im Januar 1854 vor dem Hefte
»zur Urgeschichte der Armenier« , nachdem AHoltzmann aus Lassens eigenhändi-
gen Briefen an PvBohlen des Bonner Professors Büberei öffentlich erwiesen hatte,
den Satz drucken hieß »Nur einen großen Diebstahl hat die Zunft ohne obligate
sittliche Entrüstung gelassen«. Meine Symmicta 2 129 ff., Mittheilungen 2 314 ff..
Lassens an PvBohlen geschriebener Satz »Burnouf hat die Namen aller altpersischen
Provinzen aus einer der großen Keilinschriften entziffert« geht eben auf Niebuhrs I,
die bei Herrn von Spiegel auf Seite 49 abgedruckt steht.
2) Herodot <; 98 ist von mir in den gesammelten Abhandlungen 182 bespro-
chen worden: ich wünschte wohl, daß ein Philologe sich ansähe was da steht:
es ist mit dem 45 Gesagten, mit Purim 51 ff. 40 * und Agathangelus 136 ff. zu-
sammen zu benutzen.
Samech. 167
Die bei Achaeus sprechenden HäxvQoi
tb öäv ävtl xov 6iy{ia dagoxag etQqxaöLV. oC yäg {wvGixot,
xadaneQ TtoXXdxig ' Aqi6t6%ev6g (pv\6i , tb öty^ia leyeiv ita-
Qfltovvto diä tb öxkrjQÖötoiiov elvai xal dve7titr\deiov avAco, tb
de Qcb dcä tb evxolov itoXXdxig 7taQccÄa[ißccvov<3L. xal tovg i7C7tovg
tovg tb 3 *) eyxe%aoay\x,evov e%ovtag Ga[icp6Qccg xalovöcv,
was aus des Aristophanes Wolken 122 belegt wird.
xal IICvdaQog de (prjtil
7tglv {iev elQjte öypivoteveid t dotdä
xal tb <5av xißdtjXov a%b 6tO[idtcov.
Es darf aus Herodots Worten allerdings gefolgert werden, daß öäv
und aiyiia ihm als gleichlautend galten. Aus den von Athenaeus
beigebrachten Zeugnissen des Aristoxenus ergibt sich aber das Gregen-
theil : diesem Sachverständigen ist Gav für die Musik bequemer als
öiy^ia erschienen. Distingue tempora [et regiones], et concordabit
scriptura.
Später ist 6av der amWortEnde, öiy^ia der in der Wortmitte
stehende Sibilant. Philosophumena c 49 : vergleiche Epiphanius kd S,
Irenaeus a 8n = a 12 1 = a 15 1.
5
i ist wie 10 und D in die Alphabete Griechenlands und Italiens
übergegangen : es ist hier nicht meine Aufgabe über 2 zu sprechen,
da eine Verweisung auf AKirchhoffs bekanntes Buch und auf WCors-
sens Werk über Aussprache, Yokalismus und Betonung der latei-
nischen Sprache2 1 277 für mich ausreicht. Ich merke an , daß ©
ien Namen des 1 töadr], Hieronymus (ich habe nur wenige Hdss.
zur Verfügung gehabt) OS2 79 1 191 12 Sade schreibt, und füge zu
den in den Mittheilungen 1 234 384 von mir veröffentlichten Gleichun-
gen "^TjK 3jo [Uebersicht 179 r 2 3] GtvQ-ai, und yn öltitög die neue
wjv>^ äyQco6ti-g. Ueber die 2 und "0 vertretenden griechischen
Zeichen wird meinem Leserkreise genügen was mir selbst genügt
hat, Boeckhs Staatshaushaltung der Athener, an den durch das Re-
gister der anderen Ausgabe unter ü zu suchenden Stellen.
6
Wie sich aCy^a und öav , 0 und 10 wirklich zu einander ver-
halten, wird zu erforschen sein: aber man kann ohne Maßstab
nicht messen. Man kann dies Verhältnis untersuchen , indem man
0 und 10 haltende Wörter untersucht, die in nichtSemitischer Schrift
— der aegyptischen, assyrischen, griechischen — aufgezeichnet sind,
1) Ich habe 3 eingesetzt, ich hätte auch p einsetzen können. Noch Kaibel
lruckt C.
168 Paul de Lagarde,
und indem man zweitens innerhalb des Semitismus studiert, wie
0 tD Tö sich zu einander verhalten.
Aber was wissen wir von der Aussprache der aegyptischen,
assyrischen, griechischen Buchstaben?^
Ich stehe der Aegyptologie und Assyriologie als Laie, aber
doch mit dem Bewußtsein gegenüber, daß der Stand unserer Kennt-
nisse noch nicht hoch genug ist, um für Untersuchungen wie die hier
zu führende , weit genug sehen zu lassen. Die Eine Bemerkung,
die GSteindorff in den von FDelitzsch und PHaupt herausgegebe-
nen Beiträgen zur Assyriologie 1 344 über einen der verständlich-
sten Eigennamen o^mSD = Patarisi = peteres Südland macht, wird
zu meiner Entschuldigung ausreichen. Ich will aber noch hinzu-
fügen, daß mir ein s in den Pronominibus su si sunu (Delitzsch
§ 56) gegen feWI Kin *$> an und für sich, und darum unwahrschein-
lich ist, weil das alt Aegyp tische bei Adolf Erman, die Sprache des
Papyrus Westcar 2l, als Aequivalent des »sunu« sn zeigt: ich
kann mich von dem Glauben nicht losmachen, daß das älteste Ae-
gyptische mit dem Semitischen näher zusammenhängt, als jetzt an-
genommen wird. Ich halte es für sehr schädlich i daß man sich
gewöhnt hat, das Assyrische uns nur in lateinischem Gewände vor-
zustellen : der Entscheidung des Lesers ist dadurch noch weit schlim-
mer als in den von mir in den Mittheilungen 1 157 zur Sprache
gebrachten Fällen (^_ und J) vorgegriffen : die Originalgestalt des
Assyrischen nach den großen Londoner Drucken zu ermitteln habe
Ich keine Muße.
^bpfjuiuj = WHP neben ^£oj\ Mittheilungen 3 208. ]_ = <jl ti ty
Mittheilungen 2 15 3 23 4 192 "und sonst.
Ich habe früher, wann ich für TD s setzte, nie einen Vorbehalt
gemacht, da ich die allgemeine Annahme, daß Tö s bedeute, als Theo-
loge zu untersuchen keine Veranlassung gehabt hatte. Jetzt mache
ich einen Vorbehalt, weil ich nicht mehr für sicher halte, daß tö den
Laut s = seh überall und von jeher gehabt hat.
Ich habe 1883 (jetzt Mittheilungen 1 152) aus des IFaber Sta-
pulensis Psalterium (das 1509 erschien) die Notiz ausgezogen, daß
die am Eheine vorkommenden Juden für tß s, die spanischen Juden
s sagten. Herr DKaufmann »machte« den Herrn DHMüller, der
natürlich von dem so eben Citierten nichts wissen darf, »aufmerk-
sam« [derselbe Idiotismus wie im Dialekte von OberSitzko, Mitthei-
lungen 2 179], daß die in Littauen wohnenden Juden TÖ wie s , TD
wie s sprechen. Seit 1864 konnte man aus ZDMG 18 338 ff. [jetzt
HLFleischer »kleinere« Schriften 3 436 ff.] wissen, daß die im Mag-
rib (dem Kaiserreiche Marokko) vorhandenen Juden, wann sie (was
Samech. 169
oft geschieht) arabisch mit hebräischen Buchstaben schreiben, 0 für
(jo und (ja, f für y*, 10 für ^ setzen. Fleischer macht die Bemerkung
Die Vertauschung des . . . gfc mit ^ und des ^ mit (fi
das ist elend unlogisch ausgedrückt
gehört speciell dem Jüdisch-Arabischen
so steht wirklich da
an, und es ist merkwürdig, daß zwischen den beiden . . .
Buchstaben hier dasselbe Verhältniss wie im Althebräischen
und Arabischen wiederkehrt.
Auch hier läßt die Logik grüßen.
Fleischer versichert die Sache »merkwürdig« zu finden, wie er
denn je und je auf dem Standpunkte der MirabiliaSchreiber gestan-
den hat, und meint damit alles Nothwendige gethan zu haben.
Auf das von mir am 15. 4. 1887 (Mittheilungen 2 259) über
(j* jfc Vorgetragene dürfen die kleinen Semitisten nicht Rücksicht
nehmen, da sonst der Ruhm der »großen« Semitisten in die Brüche
gienge. Das Alphabet dient auch als Zahlzeichenreihe. Auf 0 = v
= 50 folgt im Naski c^-Äy uasuu», in der Schrift des Magrib, die
ich auf das Küfi zurückgeführt habe, ^^^^ \jasuuo. Das heißt für
len, der so etwas zu lesen versteht, 0 ist bei einem Theile der
j?aber durch y*, bei einem anderen Theile durch (jo, 10 bei einem
'heile der Araber durch (j&, bei einem anderen Theile, der Jb als
teu erfundenen Buchstaben an das Ende des Alphabets stellt, durch
wv vertreten.
Ich habe im Mai 1882 g, das Ende des Wortes ccQL&iiög , also
las oben aus den Philo sophumena von mir nachgewiesene öav, als
ias Vorbild des \Jb erkannt, durch das die arabischen Mathematiker
ie Unbekannte bezeichnen : ich habe vermuthet, daß ^ ujei genannt
worden, und so 2^-ä = cosa (die Kos des sechszehnten Jahrhunderts)
der Name für die Unbekannte geworden sei. 8 hieß nicht |t, sondern
;si : der Murbacher Psalter vor meinem Psalterium Hieronymi xv ig
:ei gradum viduae moderatur rite secundum, wozu ich der ersten
'acultät durch Citierung der Constitutiones y 1 zu der Uebersetzung
verhelfen zu müssen geglaubt habe »Eine Witwe darf nicht vor
irem sechzigsten Lebensjahre in das %yiqix6v der Kirche aufge-
Lommen werden«. Ich will erwähnen, daß die Syrer etdogals +,0^1
iahen, wo * nur Lesemutter ist: auffällig ist (mit Artikel) Jütjl.
Die Juden des Magrib haben nicht in der Schrift »^ mit jb,
mit Jk} v& mit y*« vertauscht, sondern sie haben 0 bald wie <jo,
)ald wie yü, f w ie^ [punktiert), X0 wie y» auszusprechen gelernt.
las heißt, die ihnen gewordene Ueberlieferung war eine andere als
lie Schule des ff Gesenius und Ewald, die sich grundsätzlich um
170 Paul de Lagarde,
Geschichte nicht kümmert, annimmt. Hingegen eine andere Ueber-
lieferung anders dachte.
Welche der beiden vorhandenen Aussprachen die ursprüngliche
ist, weiß noch Niemand, wird vielleicht auch nie jemand wissen.
Die Frage nach den »Sibilanten« der semitischen Sprachen wird
aber nicht eher beantwortet werden dürfen, als bis der von mir
gestellten Vorfrage ihr Eecht geworden sein wird. Die Wahrheits-
liebe unserer »großen Männer« ist nicht erheblich: man wird sich
schon Zeit nehmen und vorläufig zu der Waffe greifen (deutsche
Schriften, Vorrede), die am nächsten liegt.
Wenn ich nun auf das Edessenische und das Targumische Be-
zug nehme, so finde ich, daß in
ronto
K\>.ÄV
J^rp [<?a/fa#a © Regn. d 25 17]
SB*
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^H-ä
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V..A.AWW
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ou-j» [Orientalia 2 53 ff.]
bfctoto
oU-Ä
N^&Ä
*3to
ZyÜ
\k£o [X besser ^ö]
^fei
j*&
isüob
nsto
X.JLvi
JLaud [oft Jama JIäqd : PSmith]
te von den im Magrib und in Littauen wohnenden Juden so gespro-
chen worden ist , daß sein Laut mit dem in den entsprechenden
arabischen Vokabeln gebrauchten identisch war, daß ihm aber im
Aramäischen, sowohl dem Edessas wie dem Palaestinas (denn der
Targum ist in Palaestina zu Hause, nicht in Babylonien) ein ixjd D
gegenübersteht.
Wenn ich danach folgende Reihe überlege
T
in:tj \*m JLut
so erhellt, daß 10 von den im Magrib, in Spanien, in Littauen woh-
nenden Juden so gesprochen wurde, daß sein Laut mit dem in de]
entsprechenden arabischen Vokabeln identisch war, daß ihm abei
im Aramäischen, sowohl dem Edessas wie dem Palaestinas , ein
gegenübersteht.
Daß die Juden Littauens mit denen Maroccos und Spaniens übe]
einstimmen, ist ein Beweis dafür, daß wir es mit einer wirkliche]
JU
"M*
xL-Um
P^u
?*?•■
Samech. 171
Ueb erlief erung zu thun haben. Es muß untersucht werden, »woher
haben die am Rheine angesiedelten Juden den ihnen 1509 von Jacques
Lefevre d'Etaples bezeugten Laut s für TD?«.
Was Herr Schreiner in des Herrn Stade Zeitschrift 6 213 — 259
»zur Geschichte der Aussprache des Hebräischen« geschrieben, hilft
uns sehr wenig.
Wären nicht die littauischen Juden , so wäre vielleicht die
Annahme gestattet, daß die unter Arabern wohnenden Israeliten
1TW darum saheD lasen, weil die Araber ihnen alle Tage sahida
vorsprachen. Man kann aber auch behaupten, die nach Deutsch-
land verschlagenen Juden seien aus aramäischen Gegenden herge-
kommen, und hätten dort 1T10 nach jo^cd gemodelt. »Auffassen« läßt
sich Alles.
In den von französischen Juden hebräisch geschriebenen Bü-
chern finden sich französische Vokabeln in hebräischer Schrift. Ein
Glossar, das her gehört, ist durch Herr ANeubauer im ersten Bande
der romanischen Studien des Herrn Boehmer veröffentlicht worden :
zusammenfassend arbeitete Herr Darmesteter, glosses et glossaires
hebreux franeais [Paris 1878] (über ihn ABerliner in meinen Mit-
theilungen 2 290r). Man wird in diesen Glossen und Glossaren für das
französische s nicht D, sondern 10 finden.
Spanien liefert ähnliches Material.
Natürlich wird man die »rabbinische« Bibel, die man besitzt,
bei Iudices 12 6 einsehen. Ich gewinne dadurch aus Yichäqi (Bux-
torf Blatt mnv), daß die Ephraimiten ^mtiXü: und David Qamhi
(ebenda) braucht denselben Ausdruck : Levy 2 1 339 vergleicht
*^W>- [= he spoke indistinctly Lane 449 * = &k+& Lane 2289 3, Harizi
Durra bei SdeSacy Anthologie 64 1]. David Qamhi macht dann die
mich hier viel angehende Bemerkung über die Ephraimiten JW1 ^bltf
ipxmp\ yion vnpb d^do -patö nö*is ^u»» iod ht onb arb Dana -na
Wi W TOD nn^, Diese Stelle citiert Lipman Zunz, die synago-
gale Poesie des Mittelalters 2 [= die Ritus des synagogalen Gottes-
diensts] 55 ohne sie auszuschreiben (ich verdanke das Citat Herrn
Schreiner ZATW 6 258 r), wo er lehrt
in Aegypten, Palästina, Magreb, überhaupt bei den mostara-
bischen
hier nicht christiano, sondern Judeo mezclado con los Alara-
res, meine Evangelien arabisch xvj : ein in Deutschland lebender Jude
rare ^#*.4J£**>a
Gemeinden, wie man im Gegensatze zu den aus Europa ein-
gewanderten die Eingeborenen in Aegypten, Tripolis, Syrien
nennt, die später auch unter dem Namen Moriscos vorkom-
172 Paul de Lagarde,
men. Sie unterscheiden sich in manchen bürgerlichen Ein-
richtungen , in der Sprache , in der Aussprache des Lautes
Schin, welches die spanischen und französischen nicht von
Sin unterschieden.
David Qamhi (sein Satz steht oben) sagt von den jüdischen
Grasten CarePaTs aus, daß sie statt TB (ohne Punkt) weiches n sprachen.
Was LZunz weiß, dankt er also nicht diesem David Qamhi, den er
mithin gar nicht nennen durfte. Vielleicht steht es bei »Asulai
fcjCfii ^SHl zu Tur 1 50«, welches Buch ich nicht nachschlagen kann.
Z\W ^ 2H3 Kniee Josephs stammt aus Genesis 50 23 : der Titel sagt
nur aus, daß das Buch von einem Joseph verfaßt worden ist. Den
Titel 5|D^ !WÖ bespricht Beniacob unter § 629 : Hayyim IoseP DäwiD
Azüläi aus Livorno hat D^Dfib TOI D^Tftn DTE ^SO geschrieben, aus
deren Wilnaer Drucke von 1852 ich mich nicht habe unterrichten
können: seine in Livorno gedruckte Kniee Josephs sind mir unzu-
gänglich. Meine WJInaer Ausgabe der B***YfB 21^8 enthält nichts
mir hier Brauchbares. DHofFmann , der Schulchan Aruch [Berlin
1885] , hat mich im Stiche gelassen : ebenso des Herrn von Pavly
Uebersetzung 1 212 ff. und Loewes Uebersetzung 4 20 ff. l). Es wird
mithin des f Zunz Ausgabe noch von Kundigeren auf ihre Begrün-
dung zu prüfen sein.
Auf einen in Chartres liegenden Psalter, der den Urtext in
lateinischer Umschreibung bietet, verwies ich — ohne Nutzen, na-
türlich! — in der Vorrede zu meinem Psalterium iuxta Hebraeos
Hieronymi.
Man wird sich aber bei diesen Untersuchungen gegenwärtig
zu halten haben, daß wer die 1891 irgendwo — dies Wort gehört
nothwendig in meinen Text — übliche Aussprache eines französischen
Buchstaben kennt, darum noch lange nicht weiß, wie ihn Yichäqi
1050 in Troyes ausgesprochen hat.
JFoerster, spanische Sprachlehre 13 § 9
wir finden im dialogo de las lenguas angegeben »en muchas
partes de Castilla convierten la s en j [x] y por sastre dicen
xastre« . . . d. h. man sprach es wie seh, denn so klang da-
mals j oder x.
GrMayans y Siscar, origenes de la lengua espanola, Madrid
1737, 1 150
S, mudada en J, que tiene el mismo valor que la Gr gutural.
1) Es handelt sich in den Paragraphen 46 bis 57 um das Hersagen der vor-
geschriebenen Segenssprüche. Bei dieser Gelegenheit konnte es aber wohl kom-
men, daß die Aussprache gewisser Buchstaben berührt wurde. Von »Chajim Josef
David Asulai« (etwa 1726 bis 1807) spricht DCassel, Lehrbuch 419.
Samech. 173
A sapone jabon, salgma jalma, a Salone Jalön rio, Saetabis
Jativa, sirop Arabe jarope, a succo jugo .... Los Arabes
regularmente pronuncian Jota donde nosotros S, diciendo Jan
por San, Genor por Seüor, Gimon por Simon, pajas por passas.
Es genügt, im Yäqüt, der seine Namen bequem nach den Anfangs-
buchstaben ordnet, KJ^äI = ^L}-*-&J = Olyssipo = Lissabon, jlJLaa-äJ
= Hispalis = Sevilla und die vielen mit v-*wL£ = Sant anheben-
den Artikel aufzuschlagen, um zu wissen, daß das hispanische S dem
Yäqüt als <j£ zugekommen ist, die flispanier also vor Yäqüt s. wie
s gesprochen haben. <jfc ist ohne Zweifel s, die Namenformen sind
durch die Reihe, in der sie stehn, sicher.
Vorläufig ist unter Vorbehalt (unten warne ich) anzusetzen:
t wurde s gesprochen, und ist mit ^ identisch : für 10 haben die
Aramäer m. 10 wurde s gesprochen, und ist mit {ß identisch : für
te = ^ haben die Aramäer o»,
7
Es läßt sich denken, daß eine Hieroglyphenschrift, die vielleicht
allerhand Geheimnisse anzudeuten oder Winke zu geben hätte, die
auf gefällige, dem vorhandenen Räume entsprechende Anordnung
ihrer Zeilen zu sinnen veranlaßt wäre, mehr als Ein Zeichen für
ein und dasselbe Wort vorräthig hielte. Es läßt sich denken, daß
ein Volk, das eine entlehnte Schrift verwandte, ebenso wohl über-
flüssigen Reichthum vor sich sähe, wie ich sehr viel mehr ♦ und *^
von dem Gießzettellosen Drugulin erhalten habe, als ich verwenden
kann: die Griechen haben ja drei Formen des »tf« zur Verfügung
gehabt, 0 2 W. Es läßt sich aber nicht denken, daß die Semiten,
wenn sie sich selbst eine Schrift erfanden, D erfunden haben soll-
ten, wenn sie für den durch 0 bezeichneten Laut schon tu oder X
besaßen. Mit anderen Worten: ist 10 oder £ s, so ist D nicht s.
Und umgekehrt.
Vergleichen wir das griechische Alphabet mit dem semitischen,
so ist 0 = %. So kann jeder Secundaner schließen. Ursprünglich
ist D £, schließt ein vorsichtiger Mann, und wenn er so viel grund-
böses und gedankenloses Volk vor sich hat, wie der arme Schreiber
dieser Zeilen, so erläutert er sein »ursprünglich« durch die Anmer-
kung »so wenig aus dem Cicerone wie es Iosue Carducci oderSan-
sone (vulgo Salvatore) Barzilai der Galaadit spricht, folgt, daß
KiHeQav der Griechen unrichtig sei, so wenig folgt daraus, daß 0,
das, als vor der ersten Olympiade die Griechen es übernahmen, j;
ausdrückte, auch für Moses Maimonides oder Abraham Berliner
wie | klang und klingt.
AlsPHaupt was ich in meinen Symmicta 1 11522 geschrieben,
174 Paul de Lagarde,
gelesen hatte , theilte er mir — NGGW 1883 99 r — mit (ich habe
das in den Mittheilnngen 1 152 weiter gegeben), daß 1866 auchEHinks
die Secnndanergleichnng 0 = £ aufgestellt habe.
8
Seit Adolf Kirchhofes bekanntem Buche ist leicht zu ersehen,
daß die griechische Welt , was das von ihr gebrauchte Alphabet
anlangt, in vier große Gruppen zerfällt:
in die, welche die nichtphoenicischen Zeichen cp%ijj und das phoeni-
cische | nicht verwendet:
in die, welche g als |, und die nichtphoenicischen Zeichen cp%ip in
in dem uns geläufigen Sinne braucht:
in die , welche cp und % wie wir benutzt , aber | durch %<5 und i\>
durch (p<5 ersetzt:
in die, welche £ als x nicht kennt, und den nicht phoenicischen
Zeichen q>x^ die Werthung von q&$ verleiht,
wozu anzumerken lohnt, daß das lateinische X sein Dasein dieser
letzten Uebung dankt.
Die Epigraphiker haben sich mit der Feststellung dieser That-
sache begnügt : nach dem Grunde der allgemein zugestandenen
Thatsache hat meines Wissens noch keiner von ihnen gefragt.
Mir folgt aus dem von AKirchhoff formulierten Thatbestande,
daß ö , so wie es ursprünglich gesprochen wurde , ein nicht allen
Griechen bekannter oder genehmer Laut war. Wenn als Regel
ausgesprochen wird (eine Ausnahme bei FBechtel, die Inschriften
des ionischen Dialekts 41r), daß £ da nicht vorkommt wo man %<5
schrieb , so gilt mir als ausgemacht, daß das 0 , wie es zur Zeit
der Uebernahme des phoenicischen Alphabets bei den Phoeniciern
lautete, nicht %6 lautete, sondern irgendwie, nur nicht so, daß ein
Grieche des das Alphabet übernehmenden Stammes — dieser Ge-
netiv ist das Wesentliche — den Laut in seiner Sprache vorfand.
Es folgt für mich aus der Vorlage weiter, daß da wo £ ge-
schrieben wurde, ursprünglich der Laut des £ mit dem — phoenici-
schen? — D sich deckte.
9
Zu meinem Bedauern bin ich, um mich über die älteste Schrift
der Semiten zu belehren, auf die Tafel, dieEuting 1882 Chwolsons
Corpus inscriptionum hebraicarum, und auf die andere Tafel ange-
wiesen, die eben dieser Euting 1889 des Herrn Kautz seh »Gesenius«
beigegeben hat. Kautzsch lobte erstere 1884 in seiner Grammatik
des biblisch-Aramäischen § 9, er fügte die letztere der Jubelausgabe
seines Gesenius an, muß sie also für tadellos erklärt haben, und
Samech. 175
Kautzsch ist, wie sein Buch über die Moabitica lehrt, Epigraphiker
von Beruf. Das nabatäische 0 bespricht ESachau, ZDMG 38 537.
Mir ist allerdings gewis, daß Herr Euting 1889 die auf dem
MesaSteine vorkommende Form des ö noch ebenso unrichtig wider-
gibt wie 1882. Bei Smend-Socin 12 nanto*\ 18 DTOnoffi, 21 fiöob
25 ftana, 26 nböftP, 29 inao^ (Smend-Socin arbeiteten 3 Jahre vor
1889) erblicke ich als moabitisch nicht das von Herrn Euting vor-
gestellte D, sondern das 0 der Cyprischen Fragmenta aenea, die
Herr Euting auf Chwolsons Tafel »circa 700« ansetzt.
Man darf nicht so unbillig sein, zu verlangen, daß ich, als Mann
von 61 Jahren gezwungen umzusatteln und den Semitisten zumachen,
alsbald in allen Sätteln der Semologie gerecht sein solle : ich komme
den semologischen Kattenbusch zuvor, und gestehe freiwillig ein,
daß ich dilettiere : müssen die Männer der ersten Facultät entschul-
digen, daß ich ab und zu etwa über das "Weihnachtsfest oder den
Bibeltext dilettiere, so können die Herren des vierten Ordo sehr
wohl eine Duldung für meinen Dilettantismus in Semiticis gestatten.
Ich finde nun von Eutings »Meisterhand« zwei Formen des ö
gezeichnet, die Ich für verschiedene Werthe anspreche, die in Moab
und auf Cypern übliche, welche ersichtlich den Griechen ihr 8 gelie-
fert hat, und die in Phoenicien usw. vorkommende, welche ich für eine
Ligatur aus p und tu ansehe , welche die Griechen, weil sie Qoppa,
nicht Kappa, enthielt, nicht brauchen konnten. So vermuthe ich.
Wenn ich von Vermuthen rede, meine ich Vermuthen. Die an der
Quelle Siloe gefundene Inschrift enthält kein o.
10
Ich habe 1881 in den Mittheilungen 1 69 HLFleischers Dissertatio
de glossis Habichtianis 58, WSpittas Grammatik 18, GAWallin ZDMG
9 60, Sacys anthologie grammaticale 267 zu dem Erweise citiert,
daß die &q(c zwischen y» und [ß anders wechselt als die iüü. Flei-
scher bemerkt aaO., <j* werde mitunter in <J» verwandelt, ut per
pleniorem quandam pronuntiationem ipsa significatio quasi plenior
fiat et validior. Ich habe bemerkt, daß Wallins von mir citierter
Aufsatz »für 0 = | ganz besonders in Betracht kommt«. Länger
als zehn Jahre will ich nun nicht abwarten , daß ein weniger als
ich überbürdeter Mensch diese Bemerkung ausnutze: ich nutze sie
selbst aus, wenigstens so weit Ich es vermag.
Gerade bei den echtesten Beduinen in Nagd und Iräq wird
für g) jetzt, wie das vor Alters beim Stamme Rabi: der Fall war,
war, ks gesprochen. Auch ks kommt vor. Ferner wird k zu ts,
schließlich zu ts.
Ich setze die Gleichung an: D zu D wie S zu p. War das 0
Nachrichten d. K. G. d. W. zn Göttingen. 1891. Nr. 5. 14
176 Paul d e Lagarde,
irgend welcher Semiten — ich bitte die Gerechten, namentlich die
Lautphysiologen, um Vergebung, wenn der Ausdruck dem gelahrten
Jargon des laufenden Semesters nicht entspricht — war D in der von
Wallin geschilderten Weise eine Quetschung des D, so konnten die
Griechen dieses 0 für J = ks schreiben, s ist entweder Assibi-
ation von s£ = Jö oder Quetschung von p = c, Uebersicht 30 r 2 6
129 r 2i: die Qarräer sprechen £ c, JHaleVy Revue des etudes jui-
ves 21 233 Ende, während in den Texten meiner persischen Studien
erst das punktierte & das c der Perser vertritt.
Bewährt sich was ich oben über TD und to vorgetragen habe, so
zeigt das Aramäische diesen zwei Buchstaben gegenüber eine Laut-
verschiebung. Es verhielte sich aber tö = y« zu *a wie to = <j& zu
d», nicht wie tö = £j zu t oder wie S = Jo zu v£, nicht wie t = 3
zu j (wo die Stufen vorhanden sind), noch auch wie £ = <jo = >x,
oder p = f der Badawiyyina (wo eine Lautspaltung [c + $ = (j»,
k -f V = p], nicht eine Lautverschiebung vorliegt).
Wie das aao der Aramäer in ältester Zeit ausgesprochen wor-
den ist, weiß keine Seele : daß es spitz lautete , folgt nur daraus,
daß a dick lautete : es wäre kein gesunder Sachverhalt, wenn coo von
<j& nicht in derselben Entfernung abstände wie ot von ,j*.
Ich muß, um nicht mehr unseres knappen und theuren Raumes
zu verbrauchen, als unumgänglich ist, hier abbrechen, gebe aber noch
zu bedenken, daß angeblich der ganze Canon, jedenfalls ein nicht
kleiner Theil des Canons aus der althebräischen Schrift in die so-
genannte assyrische, jetzt von uns benutzte Schrift umgeschrie-
ben worden ist : man lese über J21 ninD und des Epiphanius »deession«
GHoffmann 1881 in ZWAT 1 334 ff. Der einfache senkrechte Keil
der Assyrer, auf den ich mich 1877 in den armenischen Studien
§ 2274 r zur Erläuterung des von mir gegen pn aus Nathans tp-tf
festgestellten ph berufen habe , steht 1889 bei FDelitzsch, Gram-
matik 35 Nummer 204, als dis tis tiz tis. Daß bei dieser Umschrei-
bung allerhand vorgekommen ist was Uns ärmsten Semologen, na-
mentlich mir, dem €xtqg>[icc dieser Gesellschaft, unsere Arbeit er-
schwert, ist einem Manne nicht zweifelhaft, der, selbstloser als die
regierenden Meister der Zunft, so viele Handschriften abgeschrieben
und verglichen, und so viele Correcturbogen gelesen hat wie ich.
Ich weiß noch wie heute, mit welcher Freude Ernst Freiherr
von Deutsch mir als Geschenk den Aufsatz über die cyprischen
Inschriften brachte, den HLAhrens in den Band 35 des Philolo-
gus geschrieben hat. Ahrens bespricht § 13, 22 ff., das Zeichen, das
Iohannes Brandis unter Nummer 14 (SBAW 187365s) mit 0 um-
schreibt, das Moriz Schmidt zuerst |, dann 00 oder 6 gelesen hat ;
Samech. .177
Ahrens selbst lehrt 24, es sei nicht ein £, sondern ein dickerer
Zischlaut gemeint.
Die cyprische Schrift ist stark stylisiert. In jenem hier nicht
zu druckenden Zeichen erblicke ich das aus p und 10 zusammenge-
setzte D Phoeniciens, das vom g der Moabiter nicht bloß der Form
nach verschieden sein dürfte.
Ahrens 23 zieht den von Hesychius erhaltenen paphischen Satz
zur Erläuterung heran iönotf eQitsg = [ix] no&sv yxEcg [= egiesig].
Durch Georg Meyer, dessen ich in meiner Abhandlung NeuGriechi-
sches aus KleinAsien 6 gedachte, habe ich (Bezzenbergers Beiträge
zur Kunde der indogermanischen Sprachen 10 177) erfahren, daß
das karische -a66ig mit -a&g wechselt, also ' AQvafyg mit ' ÄQvuGGig,
BQvafyg mit BQvccGöig, und daß wer archaisiert, jj, nicht 66, anwendet.
Da hätten wir also den Weg, auf dem von qs zu ss gegangen
worden ist, vor uns. Ueber öö der griechischen Steine FBlaß in
der Satura philologa für Herman Sauppe 121 ff.
Falls OID (Lotz, die Inschriften Tiglathpilesers des Ersten
160 ff.), das zuerst den Elephanten, erst nachher das Ross bezeich-
nete, ein Fremdwort ist, so kann die Sprache, der es entnommen
wurde , noch einmal die Probe auf meine Rechnung machen. 5pö
ist "xoofq (Peyron 400 *), HBrugsch in meinen Mittheilungen 2 261.
Aus dem Buche der Richter 12 e ist bekannt, daß die östlich vom
Jordan wohnenden Galaaditer Mbätö, die westlich von ihm sitzen-
den Ephraimiten fibiap sagten, und letztere gar nicht im Stande
waren nbiaiO auszusprechen. Mas:üdi berichtet in der Histoire des
Sultans Mamlouks EQuatremeres 2 2i89, daß im Jahre 1302 die
HaQari des Qa:id [?] daran erkannt wurden, daß sie die *• in /j^
richtig leisten konnten.
Die Nachricht, daß Ephraim das 10 Galaads durch D ersetzte,
oder aber Galaad das 0 Ephraims durch 10 — denn welche der
beiden Formulierungen die richtige ist, weiß noch niemand : da auch
die Iudäer nbap haben, ist freilich die erste die wahrscheinlichere
— , diese Nachricht ist werthvoll. Sie sagt allerdings nichts über
die Lautung aus, aber sie mahnt, erstens, vorsichtig in der Annahme
des oben über 10 10 Vorgetragenen zu sein. Denn s kann sich leich-
ter sowohl zu s als zu 6-% ändern, als s zu x oder etwas Aehnli-
chem. Bei 6-% denke ich an die Geschichte von dem Münsterländer,
der im Palais Royal einen umhersuchenden Herrn mit der Frage
anredete Que s-/ers-xez Vous ?, und die Antwort erhielt Je s-/ers-
/e mon s-/apeau, worauf dann das Gespräch auf Münsterländisch
fortgesetzt wurde. Die Geschichte mahnt zweitens , vorsichtig in
der Schätzung der Lautverschiebungen zu sein. Das hasa des c
14*
178 Paul de Lagarde, Samech.
wie h sprechenden Florentiners verhält sich zu casa nicht, wie
das deutsche Hund zum griechischen nvcav : Galaaditer und Ephrai-
miten bleiben trotz des Wechsels von 10 und 0 beide Israeliten.
11
2fylia scheint mir zu beweisen, daß k^a nicht der ursprüng-
liche Namen des £ ist : habe ich darin Recht, so ist auch der Satz
^yiqp nicht in der ursprünglichen Gestalt erhalten. Auf die Ge-
fahr hin, einem ribaldo irgend eines Condottiere in die Hände zu
fallen, will ich bemerken, daß ich die ältere Form des Satzes yv>m
in DDT2J ZJcxipa (Uebersicht 57 15) Schulter zu erkennen glaube : (5Cypu =
HüpTp. Ich will weiter bekennen (und behalte mir Näheres vor),
daß ich die bei den Griechen übliche Benennung des j-, nämlich ^ei,
als Bestätigung meiner eben ausgesprochenen Ansicht ansehe, daß
das 0 der Moabiter und das D der Phoenicier von Hause aus zwei
verschiedene Buchstaben gewesen sind : von ^00 führt kein Weg zu
Ist. Ich will drittens bekennen, daß, wenn das sexagesimale Zah-
lensystem von seiner in Babylonien liegenden Heimath aus (ich
bitte Lehmanns Aufsätze nachzulesen) sich weiter verbreitet hat,
die Uebereinstimmung von m und 1010 (öcbööog) und deren so vielfach
wechselnden, durch Volksetymologien entstellten Nebenformen sich
daraus erklärt, daß der ursprüngliche Name für 6 und 60 mit dem
sexagesimalen Systeme gewandert ist — a% sex, die awestischen For-
men dieser Zahlen mit ihrem aus drei Consonanten bestehenden An-
laute, usw., wären Lehnworte — : wüßte ich über die älteste Gestalt
von cooy Bescheid, so würde ich möglicher Weise %si zu coo*y stel-
len. In das System der semitischen Zahlen passt die Vokabel ÖtJ
nicht hinein, da in«, tnilö, «btt, 211«, EWI, 21TB, ftf»«, SWi, *W9t
HÄtt, fcjbtf drei Wurzelconsonanten zeigen, und sicher noch einmal
deutbar werden werden: daß sie deuten zu können von höchstem
Nutzen für die älteste Geschichte sein würde, bedarf keiner Aus-
einandersetzung. ijhöLm ist eine künstliche Parallele zu <&Jl$, so zu
sagen ein tthTÖ neben thld A^JL: Ka fällt ebenso aus aller Lautver-
schiebung heraus wie die awestische Form tCWilöD [— *kswaks?]
£av ist kaum sinn = "pÖ, in welcher Vokabel der Vokal *
haftet. Bai — ujei kann sich zu "ptD = "plö * verhalten wie sich zai
(Psalterium Hieronymi xiv 1) zu jpT = ftt verhält. )1ö = öav kann
der (wegen ä nicht hochSemitische) Nominativus Dualis des Gene-
tivus Dualis fit sein, wie |rt3 wenn nicht eine falsche Lesart, der
Nominativus Dualis zu dem Genetivus Dualis prft ist. th zu »i^ •
Uebersicht 82 1. @s %<5av kann für %<5aiv stehn.
12
Nach den Zeitungen besitzt man in Berlin aramäische Inschriften
F. Kielhoru, die Vikrama Äera. 179
aus der Zeit des Isaias. Goettingen, die «"HB Berlins, ist nicht in
der Lage, von diesen Inschriften eher etwas zu erfahren als Buxte-
hude : ich muß mich daher darauf gefaßt machen , daß was ich so
eben vorgetragen habe, vielleicht bald beseitigt oder geändert sein
werde : ich hoffe auf alle Fälle einige neue Gesichtspunkte angege-
ben zu haben.
Die Vikrama Aera.
Von
F. Kielhorn.
Die Entdeckungen der letzten Jahre haben gezeigt, daß die
von James Fergusson aufgestellte und durch Max Müller
berühmt gewordene Hypothese, nach welcher die Vikrama Aera
erst im sechsten Jahrhundert, oder genauer, nach dem Jahre 543
n. Chr. von einem Könige Vikramäditya erfunden sein sollte, un-
haltbar ist. Mit Recht schrieb Max Müller im Jahre 1883, daß
die ganze Theorie Fergussons zusammenbrechen würde, wenn sich
ein einziger Stein finden sollte, der (zeitgenössisch) von 543 n. Chr.,
d. i. vom Vikrama Jahre 600 , oder früher datiert wäre. Solche
Steine, aus den Vikrama Jahren 529 und 589, um nur die in je-
der Hinsicht sichern Daten hier zu erwähnen, haben sich gefun-
den1); und wir wissen jetzt, daß die Vikrama Aera in der That
vor 543 n. Chr. im Gebrauche war, daß die Jahre derselben aber
als Jahre nach der Zählung der Mälavas, Jahre der
Mälava Herrscher u. s. w. bezeichnet wurden. Kann die Aera
somit nicht erst im sechsten Jahrhundert von einem Könige Vi-
kramäditya gestiftet sein, so tritt von Neuem die Frage an uns
heran, wie es zuging, daß sie in späterer Zeit mit einem Könige
jenes Namens in Verbindung gebracht wurde. Ich will mit we-
nigen Worten zu zeigen versuchen, wie ich mir die Lösung dieses
Räthsels denke.
Das älteste bekannt gewordene Datum, in dem das Wort
vikrama erscheint, findet sich auf der Dholpur Steininschrift des
1) Vgl. meine chronologische Liste der Vikrama Daten im Ind. Antiquary^
Band XX, S. 125.
130 F- Kielhorn
Chauhän Chancjamahäsena x), in der das Jahr 898 durch die eigen-
thümliche Wendung —
vasu nava [a]shtau varshä gatasya Jcdlasya vihramdkhyasya
„898 Jahre der viJcrama-benannten (verflossenen) Zeit" —
bezeichnet wird. Auch sonst ist gerade dieses Datum für uns
von ganz besonderem Interesse. Es ist das frühste sichre Datum
der sogenannten Vikrama Aera, dessen Correctheit wir bewei-
sen können; und seine Berechnung zeigt, daß das in ihm er-
wähnte Jahr mit dem Monate Kärttika (October-November), nicht-
wie das Saka Jahr, mit Chaitra (März-April) angefangen haben
muß. Anzunehmen, daß der Schreiber des Datums mit dem Worte
vikrama eine Person bezeichnen wollte, die er sich als Stifter
der Aera dachte, liegen zwingende Gründe nicht vor. Die älteste
Steininschrift, deren Datum von einem Manne Vikrama spricht,
ist die Grwälior Säsbahü Tempel Inschrift des Mahipäla 2) vom
Jahre V. 1150. C
Die älteste echte Kupferplatte, deren Datum das Wort vikrama
enthält, ist die Eädhanpur Urkunde 3) des Chaulukya Bhimadeva L,
deren Jahr als vikrama-samvat 1086 „das vikrama Jahr 1086" be-
zeichnet wird. Ihr folgt die Sünak Kupferplatte 4) des Chaulukya
Karnadeva von vikrama-samvat 1148. Auch bei diesen Daten würde
keine Notwendigkeit vorliegen das Wort vikrama auf eine Person
zu beziehen; doch darf ich hierauf kein Gewicht legen, weil wir
aus dem Datum von Amitagati's Subhäshita-ratna-samdoha 5) wis-
sen, daß die Aera, von der ich spreche, schon in V. 1050 mit ei-
nem Fürsten Vikrama in Verbindung gebracht war. Sicher aber
ist, daß sich bis jetzt kein Datum vor V. 1050 gefunden hat, das
einen König Vikrama erwähnt, und daß das frühste sichre Datum
vom Jahre V. 898 zwar die Zeit , zu der es gehört , als die vi-
krama -Zeit bezeichnet, eine Beziehung auf einen persönlichen Vi-
krama aber nicht enthält.
Fragen wir, wodurch sich das Vikrama Jahr von dem Jahre
der viel allgemeiner gebräuchlichen Saka Aera in besonders auf-
fälliger Weise unterschied, so kann die Antwort nur die sein,
daß das Vikrama Jahr mit dem Monate Kärttika (October-Novem-
ber), das Saka Jahr dagegen mit dem Monate Chaitra (März-
1) Vgl. Ind. Antiquary, Band XIX, S. 35, wo ich die Berechnung des Datums
gegeben habe.
2) Ib., Band XX, S. 129, No. 58.
3) Ib., S. 128, No. 47.
4) Ib., S. 129, No. 57.
5) Ib., Band XIX, S. 361.
die Vikrama Äera. 181
April) anfing. Auf diesen ursprünglichen Unterschied der Jahre
der beiden großen Aeren haben schon Andere aufmerksam ge-
macht, und ich habe oben bemerkt, daß das Jahr des ältesten
berechenbaren Vikrama Datums unzweifelhaft ein KärttiJcädi, nicht
ein Chaiträdi Jahr war. Das Vikrama Jahr fing im Herbst, das
Saka Jahr im Frühling an.
Nun ist der Herbst (sarad) die Zeit des Auszugs zum Kriege ;
er ist in eminentem Grade der vikrama-käla. Das wissen die
Dichter ebenso gut wie die Verfasser der Niti- und Dharma-
sästras. Raghu unternimmt seinen digvijaya im Herbste. Der
Herbst, geschmückt mit Lotusblumen, naht sich ihm wie eine
zweite Räjalakshmi ; er lädt ihn ein auszuziehen, noch ehe Raghu
selbst einen Entschluß gefaßt hat; im Herbste suchen selbst die
Stiere es ihm an vikrama gleich zu thun *). Wie Kälidäsa hier,
so spricht Bhäravi vom Herbste beim Auszuge Arjunas2). Im
Herbste zieht Eäma aus Rävana zu erschlagen und Sita wieder-
zugewinnen3). Im Graüolavaho bricht Yasovarman am Ende der
Regenzeit, im Herbste, auf, sich den ganzen Erdkreis botmäßig zu
machen 4). Im Harshacharita erklärt Bäna die graubärtigen Wan-
gen eines greisen Feldherrn dadurch, daß er den Besitzer den
mit seinen blühenden Gräsern weißen Herbstanfang (sarad -äram-
hha) wieder von sich geben läßt, den er zur Kriegszeit (vikrama-
käle) getrunken hatte 5).
Vom Herbste (sarad), als dem eigentlichen vikrama-käla , zum
Jahre (sarad) als vikrama-käla ist nur ein kurzer Schritt; und
ich glaube, daß die Inder in der That diesen Schritt gethan ha-
ben, und daß die spätere Bezeichnung der Mälava Aera
1) Raghuvamsa IV, 22.
2) Kirätärjuniya IV.
3) Vgl. Setubandha I, 14 und 16; GoWschmidts Uebersetzung : —
„Mühsam gieng dem Dägarathi dahin die Regenzeit — die Verfinsterung für
die Sonne seines Entschlusses, die starke Fessel für den Elefanten seines
Zornes, der Käfig für den Löwen seines Sieges."
„Da naht — für den Affenfürsten der Weg des Ruhms, für das Leben des
Räghava die erste Stütze, für Sita die Hemmung der Tränen, für den Zehn-
köpfigen der Tag des Todes — es naht der Herbst."
Vgl. auch I, 34, mit der Erklärung des Scholiasten.
4) Gaüdavaho 192.
5) Die Stelle, welche im 6ten uchchhväsa (auf S. 156 der schlechten Calcut-
taer Ausgabe) steht, ist schon von S. P. Pandit, Gaüdavaho, Introduction, S. 102
Anm., erwähnt, aber von ihm in ganz andrer Weise erklärt worden. Auch der
Text, den er citiert, giebt keinen Sinn. Ich lese: vamann iva vikramakalapttara
akälepi vikasikäs'akänanavisadam saradärambham,
182 F. Kielhorn,
als der eines Königs Vikrama ihren Ursprung einem
Mißverständnisse verdankt. War man gewohnt vom Herbste
(sarad) als viJcrama-Mla zu sprechen, so war durch das Wort sarad
die Beziehung auf das Jahr gegeben; und die Bezeichnung des
Jahres als viJcrama-leäla lag um so näher als man dadurch zunächst
gerade das zum Ausdruck brachte was das Mälava Jahr vom
Saka Jahre unterschied : das Factum nämlich , daß das Mälava
Jahr im Herbste anfing. Hatte man sich aber gewöhnt von Jahren
als vikrama-käla oder von vikrama- Jahren zu reden, so war Nichts
natürlicher als daß spätere Geschlechter sich diese Bezeichnung
im Sinne ihrer Zeit zu deuten suchten und so die Stiftung der
Aera einem Könige Vikrama zuschrieben, der die Jahre, wie
ihre eignen Könige , von seinem Regierungsantritte l) gezählt hatte.
1) Was die Saka Aera betrifft, so möchte ich hier bemerken, daß ich in
den Worten Saka-nripal/hräjyäbhisheJca-samvatsaresJiu der Bädämi Inschrift des
Mahgalisvara in keiner Weise mit meinem Freunde Fleet eine Spur einer alten
Tradition über den Anfang der Saka Aera entdecken kann. Mir sagen die be-
treffenden Worte nur, — was uns aus der Haidaräbäd Urkunde des Pulikesin II.
bekannt ist — , daß es zur Zeit des Schreibers üblich war die Jahre vom räjyä-
bhisheJca eines Königs zu zählen.
Die Nitimanjari des Dyä Dviveda.
Von
F. Kielhorn.
Als ich vor fünfzehn Jahren im 5ten Bande des Indian Anti-
quary einen kurzen Aufsatz über dieNitimaiijaridesDyäDvi-
v e d a veröffentlichte, glaubte ich nicht, daß ich mich nochmal mit
diesem Werke, dem nur die im Commentare enthaltenen Citate
einigen Werth verleihen, befassen würde. Der Grund, weshalb ich
es jetzt dennoch thue, ist folgender. In dem erwähnten Aufsatze
hatte ich behauptet, daß Dyä Dviveda aus Säyanas Commentar
zum Rigveda abgeschrieben hätte und deshalb natürlich später als
Säyana, also nach der Mitte des 14ten Jahrhunderts gelebt haben
müsse. Seitdem hat Professor Peterson auf S. 8 seines Second
Report of Operations in search of Sanskrit MSS. über eine in der
Bibliothek des Mahäräja von Alwar befindliche HS. der Nitiman-
jari berichtet, in der das Vikrama Jahr 1110 = 1053 n. Chr. als
das Jahr bezeichnet sein soll, in dem Dyä Dviveda sein Werk
j
Die Nitimanjari des Dyä DviVeda. 183
vollendete. Obgleich diese Mittheilung meines Erachtens auf ei-
nem Irrthum beruht, halte ich es doch für richtig, meinen Fach-
genossen ein Specimen von Dya Dvivedas Commentare vorzulegen,
aus dem sie selbst ersehen mögen, ob Säyana von Dya oder Dya
von Säyana abgeschrieben hat. Was ich mittheile , ist nicht ge-
rade sehr schön, wird aber einen Begriff von Dya Dvivedas Gre-
schmacke geben.
Was das erwähnte Datum betrifft, so kann ich nur sagen,
daß die von Professor Peterson auf S. 103 citierten Worte des
Originals — bindusivaikena mite samvaty ambudhivatsare — , die
1110 bedeuten sollen, mir unverständlich sind. Es ist wahr, bindu
bedeutet 0, siva mag, wie isvara, samkara, 11 bedeuten, und eka
ist 1; aber daß etwas mit diesem Datum nicht in Ordnung ist,
zeigen die Worte ambudhivatsare, die, wenn bindusivaika 1110 be-
deuten, keinen Sinn geben. Und ich möchte hinzufügen, daß ich
das Wort samvat, decliniert, bis jetzt nur in ganz modernen Daten
gefunden habe. Daß aber Dya Dviveda lange nach 1053 n. Chr.
gelebt hat, folgt schon daraus, daß er Shadgurusishyas Commen-
tar zur Sarvänukramani citiert, für dessen Abfassungszeit der
Verfasser selbst uns den Tag des Kaliyuga 1565132 , d. i. den
24ten März 1184 n. Chr., oder, mit andern Worten, den Tag der
Meshasamkränti , mit dem Kaliyuga 4285 — Saka 1106 endete,
gegeben hat.
Die folgenden zwei Verse samt ihrer Erklärung sind dem
zweiten Capitel der Nitimanjari entnommen.
Apräptayauvanayä saha safigo na kärya ita aha |
Sahäromakayä saügo nakartavyo naraih striyä |
Bhävayavyobhaj aj jnätvä Romasärii präptaromakäm ||
Aromakayäpräptalomnyä striyä saha sango narair na kartavyah |
Bhävayavyadrishtäntena dradhayati | yathä Bhävayavyo räjä Ro-
mas'äih striyaiii präptaromakärii jätalomnim jnätväbhajat bheje ||
Akhyänapürvike richau1) |
Agadhitä pärigadhitä ya kas'ikeVa jäügahe |
dädäti mähyaiii yaduri yäsünäm bhojyä s'atä' ||
üpopa me pärä mris'a mä' me dabhrä'ni manyathäh |
särvähäm asmi romas'ä' gandharinäm ivävikä' ||
Bhävayavya-Romasayor dampatyoh samväda ity anukramani ||
Tathä Brihaddevatä2) |
Panchämandän Bhävayavyasya gitä
jäyäpatyor dve richau sampravädah |
1) Rigveda I, 126, 6 und 7.
2) Ygl. Brihaddevatu III, 155-IV, 3.
184 F. Kielhorn,
prädäch clia tarn Homasäih näma sämnä
Brihaspatir Bhävayavyäya räjne ||
Tatas tat sarvam Harivän viditvä
priyaiii sakhäyam Svanayam didrikshuh |
abhyäjagämätha S achisametah
pratyarchitas tad vidhinä cha räjnä ||
Abhyäjagämängirasi cha tatra
drishtvä tayoli sä charanau vavande |
Indrah sakhitväd atha tarn uvächa
romäni te santi [na santi] *) räjfii ||
Sä bälabhäväd^ atba samjagäda
romäni me Sakra parämriseti |
Sambhogäya prärthito Bhävayavyah svabhäryäiii 2) Romasäm aprau-
dhärii matvä parihasann anushtubhäha || Ayam artbah | bbojyä bbo-
gayogyaishägadhitä ä samantäd gribitä svikritä 3) | tatbä parigadhitä
parito gadbitä | ädarärthaiii punarvacbanam | gadhyam grihnäter iti
Yäskah | yadvä ägadhitä ä samantäd bbävena mis'rayanti | äntaram
prajananena4) bähyam bhnjädibbir ity arthah | gadbyatir misribhäva-
karmeti Yäskah | pürvapakshe purushasya prädhänyam nttarapakshe
yoshita iti bhedah | kidrisa sä | yä5) jangahe atyartham grihnäti
kadäpi na mnnchati | atyäge drishtäntah kas'ikeva | kasikä näma
sütavatsä 6) nakuli sä yathä patyä saha chirakälam kridati kadäpi
na munchati tathaishäpi | kimchaishä bhojyä 7) yäduri | yädur ity
ndakam | retolakshanam udakam räti8) ädadäti | bahuretoyuktety
arthah | tädrisi sati yäsTmäm saihbhogänäm | yäsnr iti prajanana-
näma | tatsaiiibandhini karmäni yäsuni bhogäh | teshäm satä satäni
mahyaiii dadätiti parihasantam svabhartäram praty äha | upopa ma
iti | bhoh pate me mäm | dvitiyärthe chaturthi | upopa upetyopetya
parämris'a samyak spris'a | bhogayogyäm avagachchhety arthah | me
mamäiigäni dabhräni alparomäni | dabhram arbhakam alpasyeti Yäs-
kah | mä manyathä mä budhyasva | adabhratvaih visadayati | aharii
sarvä romas'ä bahuromayuktäsmi | yatoham ldri&y atah sampürnäva-
yaväsmi | romas'atve drishtänto gandhäririäm avikeva | Gandhärä
desäs teshäm sambandhiny avijätir iva | taddesasthä avayo meshä
1) Die Worte in Klammern fehlen.
2) MS. svabhävam.
3) MS. tsvikritä; vielleicht matsvikritä.
4) MS. prajanena.
5) MS. om.
6) MS. sütavatsä yä nakuli sä kadäpi na munchati yathä.
7) MS. bhogyä.
8) MS. udakam eti.
Die Nitimanjari des Dyä Dviveda. 185
yathä romas'äs tathäham asmi | yadvä yatliä gandhärinäm garbhadhä-
rininäm strinäm avikätyantam tarpayanti yonir iva | täsäiii äprasa-
varii romädikartanasya s'ästre nishiddhatväd yoni romas'ä bhavati | ya-
toham idris'y ato mäm apraudhäm mä budhyasveti || Sämagrihye1) |
näjätalomnyopahäsam ichchhed iti || Tatbä Karmapradipe |
ajätavyafijanälomni na tayä saha samvis'ed iti ||
Agnir ärädhya ity artha aha |
Dhimadbhiragnirärädhyoyamvinänasukhibhavet|
mukto Dirghatamäh s'äpäd agninä lii Brihaspateh ||
Dhiinadbhir buddhimadbhir viprair agnir ärädliyo yam agnim vinä
na sukhi bhavet | brähmanasyägneh sukham bhavatity artbah | bi
yasmäd Dirgbatamä rishir Bribaspateh säpäd agninä mocbitah 2) ||
Taddarsanäyetibäsah3) | Uebathya-Brihaspatinämänau dväv
risbi ästäm | tatrocbatbyasya Mamatä näma bbäryä sä cba garbbini
täm Bribaspatir gribitväramayat | s'ukranirgamanävasare präpte gar-
bbastbaiii retah prävädit | be mune reto mä tyäksbih pürvam abam
samvasämi retahsaihkaraih mä kärsbir iti | evam nkto Bribaspatir
balät pratiruddbaretaskab saii s'asäpa | be garbba tvarii yato reto-
rodbam akaror atas tvaih dirgbam tamah präpnubi jätyandbo bba-
veti | evam s'äpato Dirgbatamä ajäyata4) | sa ntpannas tamovya-
yäy agnim astausbit | sa cba stntyä prita ändhyam paryabarad
iti||Tatbänukramanibbäsbye5) |
Itibäso hetubhüto vispasbtäya pravarnyate ||
Prajäpateb pntra äsid Afigirä näma vai munih |
tasya puträs trayas tv äsams tretägnisamatejasah ||
Ucbatbyo jyesbtba ity eva madbyamas tu Bribaspatih |
Samvartas tu kanishtbotba jyesbtbo gunaganair vibbuh ||
Ucbatbyabbäryä Mamatä nämnäsid varavarnini 6) |
Ucbathyähitagarbhäm täm cbakametba Brihaspatih ||
Ucbathyaputro Mamatägarbbastbovocbad uttaram |
jyesbthapatnim mätrikalpäih mainäiii7) ganturii manah kritbäb ||
amogbaretäs tvam cbäsi na dvayor iba sambbavah |
iti garbbavacbab srutvä s'as'äpaiiiam Bribaspatih ||
dirgham tamas tvam [pravisa ma] 8)dväkyäd andha eva vä |
tato Dirgbatamä näma Ucbathyatanayobbavat ||
1) Vgl. Gobhiliyagrihyasütra III, 5, 3.
2) MS. hat hier noch agneh sukhi bhavety arthah.
3) Vgl. Säyana zu Rigveda I, 147, 3.
4) MS. ajäyateti.
5) Vgl. Shadgurusishyas Vedärthadipikä, Macdonell's Ausgabe, S. 127.
6) MS. vamsavarniiii.
7) MS. nainäm gantu mano krithäh.
8) Die Sylben in Klammern fehlen im MS.
136 F. Kiel hörn, Die Nitimanjari des Dyä Dviveda.
Tathä Brihaddevata1) |
Dvä Uchathya-Brihaspati rishiputrau babhüvatuh |
äsid Uchathyabhäryä tu Mamatä näma Bhärgavi ||
tarn yaviyän 2) Brihaspatir maithunäyopachakrame |
s'ukrasyotsargakäle tu garbhas tarn pratishedhati ||
ibäsmin 8) pürvasambbüto na käryah s'ukrasamkarah |
taiii s'ukrapratighätam tu Brihaspatir amarsbayat 4) ||
sa vyäjahära garbham taiii tamas 5) te dirgham astv iti |
sa cha Dirghatamä näma babbüvarshir Uchathyajah ||
sa jätobbyätapad 6) de van akasmäd andhatäm gatah |
dadau devah stuto 7) netre tatonandbo babbüva sah || iti ||
Asminn artha rik8) |
Ye päyävo mämateyäih te agnepasyanto andham duriti'd arakshan |
raraksha täh sukrito visvavedä dipsanta ld ripavo nä'ha debhuh ||
Dirghatamäs trishtubhägniiii tushtäva | he agne te
tava sambandhino ye-päyayah prasiddhäh pälayitäro rasmayo mä-
mateyäih Mamatäyäii putram Dirghatamasam andham pasyanto 9)
rakshaniyosmäbhir ity avagachchhanto duritäd duhkhäd ändhyäd 10)
arakshams tan ras'mm sukritah sukhakartrin vis'vavedä visvapraj-
nogni raraksha rakshati | asmatpälanäyeti bhävah | tair asmän raksha-
tity arthah | evam rakshitän asmän dipsanto dambhitum ichchhanto
ripavah kämädayo näha debhuh | na khalu dambhitum s'aknuvanti ||
tän | ähuh sakärodayayos takäram11) iti nakärasya pakshe takä-
rägamah || Evam dhimadbhir agnir ärädhya iti siddham | uktam
cha |
Ekäham api karmastho yognirii s'usrüshanah suchih |
nayaty atra tad eväsya s'atäham divi jäyate || iti ||
1) Vgl. Brihaddevata IV, 11—15.
2) MS. täm abravid Brihaspatir.
3) Lies ihäsmi.
4) Lies amarshayan (?), und vgl. die Ausgabe.
5) MS. tatas.
6) Lies abhyäpatad (?).
7) MS. stutam.
8) Rigveda I, 147, 3.
9) MS. pasyantah ikshaniyo.
10) MS. ändhyatväd.
11) Rikprätisäkhya IV, 6.
E. N e s 1 1 e, eine denkwürdige Sitzung der K. Gesellschaft der Wissenschaften. 187
Eine denkwürdige Sitzung der königlichen
Gesellschaft der Wissenschaften.
Von
Eberhard Nestle.
Vorgelegt von Paul de Lagarde1).
Eine denkwürdige Sitzung der K. Gesellschaft der Wissen-
schaften war und bleibt diejenige, in welcher Gr. F. Grotefend
seine praevia de cuneatis, quas vocant, inscriptionibus Persepoli-
tanis legendis et explicandis relatio der Gesellschaft vorlegte und
die Entzifferung der ganzen Keilschrift-Litteratur begründete. Da
einer der Hauptassyriologen Deutschlands neuerdings zweimal das
atum jener Sitzung falsch angegeben hat — Friedrich De-
itzsch 1889 in seiner Assyrischen Grammatik (S. 4) und nach 2
ahren aufs neue in seiner -»Geschichte JBabyloniens und Assyriens«
Zweite Auflage des gleichnamigen Werks von F. Mürdter, Calw
und Stuttgart 1891 S. 8) , beidemal als 14. Sept. 1802 — , so sei
gestattet, hier festzustellen, daß die andern Recht haben, welche
als Tag jener Sitzung den 4. Sept. des genannten Jahrs verzeichnen.
S. den 2. Band der Anzeigen von 1802, Stück 149 vom 18. Sept.
Zu dem, was Fr. Hommel in seiner »Geschichte JBabyloniens und
Assyriens« S. 65 ff. aus der angeführten Nummer ausgezogen hat,
möge weiter hier bemerkt werden, daß der Bericht über Grote-
fend's relatio nicht bloß *wahr scheinlich Prof. Tychsen zum Verf.
hatte«, sondern sicher von demselben herrührt. Die Tübinger Uni-
versitätsbibliothek besitzt von den Anzeigen das Exemplar, das
einst dem trefflichen Jerem. Eeuß gehörte, dem Schwiegersohn
ihres damaligen Herausgebers Heyne, in welchem Reuß durch lange
Jahrgänge hindurch allen Anzeigen die Namen ihrer Verf. beige-
schrieben hat, so dem hier genannten den Tychsen s. Bestätigt
wird dies durch die seither von Wüstenfeld veranstaltete Zu-
sammenstellung: Die Mitarbeiter an den Göttingischen Gelehrten
Anzeigen in den Jahren 1801—1830, (Beilage zu den Nachrichten
von 1887 S. 80).
Einen weiteren Irrthum über jene »epochemachende Abhandlung
Grotefend's« verbreitet Kaulen noch in der vierten Auflage
1) [ Vergleiche löhFlemming in den von FDelitzsch und PHaujot herausgegebenen
Beiträgen zur Assyriologie 1 86.]
188 Fr- Schilling,
seines Werks »Assyrien und Babylonien (1891)«, wenn er S. 118
sagt, daß erst nach 13 Jahren Heeren »dieselbe als Beilage zur
dritten Auflage seiner bekannten Ideen über die Geschichte der
alten Völker« veröffentlicht habe. Was das genannte Werk I, 1
563 — 603 von (xrotefend enthält, ist nicht jene grundlegende
praevia relatio selber. Endlich nennt keiner den Namen »des ersten
Gehilfen und Freundes«, der ihn zu seinem Entzifferungsversuch
überhaupt angeregt, ihm in den ersten 8—14 Tagen treulich bei-
stand und die »für einen einzelnen Menschen ohnehin allzumühse-
lige Arbeit sehr erleichtern half«, den des damaligen Bibliothek-
sekretärs, nachherigen mag. leg. Fiorillo (s. Grotefend bei
Heeren, 1. c. und noch »Tributverzeichnisse« 1852 S. 3. 89); und
keiner erwähnt, was jene Sitzung doppelt denkwürdig erscheinen
läßt, daß in derselben gleichzeitig über den Stein von Rosette die
ersten genaueren Mitteilungen in Deutschland gemacht wurden.
Heyne berichtete damals über das von London gekommene Fak-
simile des griechischen Teils der Inschrift »welche vielleicht der
Schlüssel werden kann, die heilige und die gemeine ägyptische Schrift,
wo nicht zu enträthseln, doch etwas näheres davon zu errathen« (s. Stück
148 der Anzeigen vom 16. Sept. 1802). So damals, und heute!
Wären wir so weit, als wir sind, wenn jene Alten nicht vielfach
etwas pünktlicher gewesen wären, als viele Neueren? denen man
immer wieder das Wort B eng eis zurufen muß, das Weste ott-
H o r t nicht umsonst an den Schluß ihres Neuen Testaments gesetzt
haben: »eorum qui praecessere neque defectum exagitabimus neque
ad eum nos adstringemus ; eorum qui sequentur profectum neque
postulabimus in praesenti neque praecludemus in posterum : quaeli-
bet aetas pro sua facultate veritatem investigare et amplecti fideli-
tatemque in minimis et maximis praestare debet.
Tübingen, 13. Mai 1891.
Ueber die geometrische Bedeutung der Formeln
der sphärischen Trigonometrie im Falle
complexer Argumente.
Von
Fr. Schilling.
(Vorgelegt von F. Klein).
Die Formeln der gewöhnlichen sphärischen Trigonometrie las-
sen sich bekanntlich ansehen als Relationen zwischen den 3 Kan-
zur sphärischen Trigonometrie. 189
tenwinkeln A, {i, v und den 3 Seitenwinkeln l, m, n eines räumli-
chen Dreikants, dessen Scheitel im Kugelmittelpunkt liegt, und
dessen Kanten die Schnittgeraden der 3 Seitenebenen des vorlie-
genden sphärischen Dreiecks sind. Von diesem Umstände ausge-
hend kann man die Frage stellen :
„Lassen die Formeln der sphärischen Trigonome-
trie nicht auch eine einfache geometrische Deutung
zu, wenn man in denselben den Größen A, p, v; l, m, n
nicht mehr reelle, sondern komplexe Werte beilegt?"
Ich habe in Beantwortung dieser Frage folgendes gefunden:
Man setze zunächst:
k == K + *Ki l = v + *'*"»
p = fi'+ i[i", m== m'+ im",
v = v + iv"; n—n'+ in".
Man betrachte alsdann das Gebilde dreier beliebig im Räume
gelegenen, gegen einander windschiefen Geraden I, II, III, welche
die Kugel in reellen Punkten schneiden, und konstruiere die drei
inneren kürzesten Abstände, welche im Sinne der nicht-Euklidi-
schen Geometrie oder (um jedes Streifen metaphysischer Fragen
zu vermeiden) im Sinne der auf die Kugel zu gründenden projek-
tiven Maßgeometrie zwischen je zweien der Geraden I, II, III
stattfinden. Es sei hierbei allgemein der Abstand zweier Punkte
wie der Winkel zweier Ebenen definirt als ~ • log DF, wo DV
das Doppelverhältnis bedeutet, welches die beiden Punkte resp.
Ebenen mit den reellen oder imaginären Elementen ihres Trägers
bilden, die der Fundamentalfläche angehören, [d.h. mit den Schnitt-
punkten der Verbindungslinie der beiden Punkte mit der Kugel
resp. den Tangentialebenen durch die Schnittgerade der beiden
Ebenen an die Kugel]. Man bezeichne dann den Winkel der je-
desmaligen beiden Ebenen , welche durch je eine der Geraden I,
II, III und die zu ihr gehörigen kürzesten Abstände sich legen
lassen, bez. mit X\ \jl , v, dagegen die durch die kürzesten Abstände
auf den Geraden I, II, III abgeschnittenen Längen mit il", iji", iv".
Entsprechend setze man den Winkel der beiden Ebenen, die sich
durch je einen der kürzesten Abstände und die zugehörigen bei-
den Geraden legen lassen, gleich l', m', n', die Länge der kürzesten
Abstände selbst gleich il", im", in", wo sich V und il" z.B. auf
den kürzesten Abstand der Geraden II, III beziehen sollen.
Das Resultat meiner Betrachtung war dann das folgende;
190 Fr. Schilling, zur sphärischen Trigonometrie.
„Setzt man die so definirten Größen in der oben
angegebenen Weise zn den 6 Größen A, [i, v\ l, m, n
zusammen, so bestehen zwischen den letzteren
grade die Formeln, wie sie die Relationen der ge-
wöhnlichen sphärischen Trigonometrie darstel-
len.«
Es ist nicht schwer, die hiermit angedeuteten allgemeinen Be-
trachtungen für den Fall, daß die drei Geraden I, II, III sich in-
nerhalb oder außerhalb der Kugel in einem Punkte schneiden
oder in einer Ebene liegen, zu spezialisieren.
Ich möchte diesen Angaben jedoch noch die folgende Bemer-
kung hinzufügen:
Die angegebene Erweiterung der Bedeutung der sphärischen
Formeln hängt auf's engste zusammen mit folgender Beziehung:
"Wenn man im Falle, daß die drei Geraden I, II, III sich
im Mittelpunkte der Kugel schneiden, um dieselben nach einan-
der Drehungen des Gesammtraumes (im nicht-Euklidischen , oder,
was auf dasselbe hinauskommt, im gewöhnlichen Euklidischen
Sinne) ausführt entspr. um die doppelten Winkel des zugehörigen
sphärischen Dreiecks, so geht der Raum bekanntlich in sich selbst
über. (Vgl. Hamilton, Lectures on Quaternions 1853, Art. 280
und 346). Dem entspricht nun bei unseren windschiefen Geraden
I, II, III der folgende Satz:
„Führt man um die Geraden I, II, III als Schrau-
benaxennach einander drei nicht-Euklidische Schrau-
benbewegungen aus, deren Drehwinkel und Ver-
schiebungsgröße beziehungsweise gegeben sind durch
2(A' + U"), 2(p' + ip"), 2(v'+iv"),
so kommt der Raum gleichfalls in seine ursp rüng-
liche Lage zurück.«
Der Beweis dieses letzten Satzes ist besonders einfach mii
Benutzung des Hülfssatzes zu führen, daß jede Schraubenbewe-
gung sich durch die Aufeinanderfolge zweier Rotationen von dei
Periode 2 ersetzen läßt.
Inhalt von Nr. 5.
Paul de Lagarde , Arabes mitrati. — Samech. — F. Kielhom, dio Vikrama-Aera. — Die Nitimanjari de
des Dyä Dviveda. — Eberhard Nesüe, eine denkwürdige Sitzung der königlichen Gesellschaft der Wissen-
schaften. — Fr. Schilling, über die geometrische Bedeutung der Formeln der sphärischen Trigonometr
im Falle complexer Argumente.
Für die Kedaction verantwortlich: H. Sauppe, Secretar d. K. Ges. d. Wiss.
Commissions-Verlag der Dieterich' sehen Verlags- Buchhandlung.
Druck der Dieterich' sehen Univ.- Buchdruckerei ( W. Fr. Kaestner).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg- Augusts - Universität
zu Göttingen.
12. August. Jfä 6. 1891,
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 6. Juni.
Zur Moleculartheorie der piezoelectrischen und
pyroelectrischen Erscheinungen.
Von
Eduard Blecke.
Als ich begann, mich mit den pyroelektrischen Erscheinungen
des Turmalins in ausführlicherer Weise zu beschäftigen, war meine
Absicht später in entsprechender Weise die piezoelektrischen Er-
scheinungen desselben zu untersuchen und der Bearbeitung des
Turmalins eine möglichst umfassende quantitative Erforschung der
beim Quarz beobachteten Erscheinungen folgen zu lassen. Es war
im Wesentlichen ein molekulartheoretisches Interesse, welches sich
für mich an jene Studien knüpfte. Die längst bekannten Erschei-
mngen des Turmalins schienen zu der Auffassung zu drängen,
laß den Molekeln desselben eine elektrische Polarität in der
Achtung der Hauptaxe von Hause aus zukomme, eine Auffassung,
reiche zuerst von William Thomson ausgesprochen worden ist.
>ie Gesetze, welche auf Grund dieser Vorstellung für die pyro-
ilektrischen Erscheinungen des Turmalins sich ergeben , habe ich
durch eine große Zahl von Beobachtungen bestätigt. Es lag nun
Nachrichten Ton der K.G. d. W. tu liöUingen. 1891. Nr. 6. 15
J92 Eduard Riecfee,
die Vermuthung nahe, daß auch die elektrischen Erscheinungen
anderer Crystalle durch die Annahme einer elektrischen Polarität
ihrer Molekeln zu erklären sein würden; was die Vertheilung
der Pole anbelangt, so war es natürlich, anzunehmen, daß dieselbe
mit den Symmetrieverhältnissen des betreffenden Crystalls in Ueber-
einstimmung sich befinde ; so habe ich gelegentlich *) die Vermuthung
ausgesprochen, daß die Molekeln des Quarzes in einer zu der Axe
desselben senkrechten Ebene von einem Systeme von Polen um-
geben sein könnten, welche abwechselnd positiv und negativ die
Ecken eines regulären Sechseckes bildeten. Zu einer weiteren
Verfolgung dieser Vorstellung, zur Aufstellung irgend einer be-
stimmten Hypothese, wie aus derselben die bei elastischen oder
thermischen Deformationen des Quarzes auftretenden elektrischen
Wirkungen zu entwickeln sein würden, war ich noch nicht gelangt.
Ich glaubte aber eine weitere Stütze für dieselbe in dem elastischen
Verhalten der Crystalle finden zu dürfen. Mein verehrter Freund
Voigt hat gezeigt, daß man die allgemeine Form des elastischen
Potentiales, wie sie den Crystallen zukommt, auf Grund moleku-
lartheoretischer Anschauungen gewinnen kann, sobald man den Mo-
lekeln eine polare Wechselwirkung zuschreibt. Auf der anderen
Seite schienen mir die Beobachtungen von Voigt zu zeigen, daß
diejenigen Crystalle, welche kräftige elektrische Wirkungen äußern,
auch in ihrem elastischen Verhalten eine starke polare Wirkung
der Molekeln erkennen lassen, und daran knüpfte ich die Vermu-
thung, daß die elastischen Eigenschaften der Crystalle gleichfalls
auf einer elektrischen Polarität der Molekeln beruhen möchten2).
Inzwischen hat die Lehre von den piezoelektrischen und pyroelek-
trischen Erscheinungen einen ungemeinen Fortschritt gemacht durch
die von Voigt aufgestellte allgemeine Theorie. Als das wesent-
liche Fundament derselben erscheint der Gedanke , daß bei Cry-
stallen durch elastische oder thermische Deformationen elektrische
Momente erzeugt werden können, deren Componenten lineare Func-
tionen der Dilatationen sind. Indem Voigt diese letzteren den
durch die Symmetrieverhältnisse der einzelnen Crystallgruppen ge-
gebenen Bedingungen unterwarf, gelang es ihm, den Zusammen-
hang der elektrischen Erscheinungen für sämmtliche Crystallformen
in übersichtlicher Weise zu entwickeln. Die von ihm aufgestellten
Formeln sind von uns beiden bei Turmalin und Quarz einer ex-
perimentellen Prüfung unterworfen worden, durch welche ihre Kich-
1) Chem. Ber. 1888. S. 950.
2) Nachr. v. d. K. G. d. W. zu Göttingen. 1887. S. 151.
zur Moleculartheorie der piezoelectrischen u. pyroelectrischen Erscheinungen. 193
tigkeit erwiesen sein dürfte. Das Bedürfniß der experimentellen
Physik ist hiernach dnrch die von Voigt gegebene Theorie voll-
ständig befriedigt; alle Crystalle, welche kein Centrum der Sym-
metrie besitzen , erscheinen der elektrischen Erregung fähig ; bei
allen lassen sich die Erscheinungen, welche bei irgend einer gege-
benen Vertheilung des Druckes oder der Temperatur eintreten müs-
sen, zum Voraus berechnen, wenn gewisse piezo- oder pyro-elektri-
sche Constanten bestimmt sind, deren Anzahl von den Symmetrie-
eigenschaften des Crystalls abhängig ist. Immerhin ist es aber
nicht ohne Interesse, die Frage weiter zu verfolgen, wie es mög-
lich ist, daß eine einfache elastische oder thermische Verschiebung
der Molekeln zur Entstehung von elektrischen Momenten, also zu
elektrischen Verschiebungen Veranlassung giebt. Mit Bezug hier-
auf ist es von Wichtigkeit, daß die früher mit Bezug auf die elek-
trische Natur des Turmalins aufgestellte Anschauung ihrem we-
sentlichen Inhalte nach durch die allgemeinere Theorie von Voigt
gleichfalls gefordert wird. Nach derselben existiert zwar für den
Turmalin eine bestimmte Reihe zusammengehöriger, durch eine
lineare Eelation verbundener Werthe der Temperatur und des all-
seitig gleichen Druckes, bei welchen das elektrische Moment in
der Richtung der Hauptaxe verschwindet j bei allen anderen Tem-
peraturen und Drucken ist aber ein permanentes Moment in der
Richtung der Axe vorhanden, welches durch eine entgegengesetzt
elektrische Obernäckenschicht in seinen Fernwirkungen kompen-
siert sein muß. Die Existenz eines solchen permanenten Mo-
mentes wird aber kaum anders zu deuten sein, als durch die frü-
here Annahme einer elektrischen Polarisation der Molekeln in der
Richtung der Axe. Was nun die Crystalle anbelangt, welchen
wie dem Quarz ein permanentes elektrisches Moment nicht zukom-
men kann, so muß man doch jedenfalls annehmen, daß in denselben
in Folge einer Deformation elektromotorische Kräfte enstehen,
welche in den einzelnen Volumelementen elektrische Momente in-
ducieren. Diese elektromotorischen Kräfte müssen ihre Existenz
irgend einer Vertheilung elektrischer Massen verdanken und es
liegt nun wiederum nahe, anzunehmen, daß diese elektrischen Mas-
sen nicht erst durch die Deformation ezeugt werden, sondern daß
sie schon vorher vorhanden sind und nur in ihrer Wirkung modi-
ficiert werden, so daß inducierende Kräfte entstehen, welche den
beobachteten elektrischen Ladungen entsprechen.
Somit gelangen wir zu der folgenden Vorstellung. D i e M o 1 e-
keln derCrystalle sind umgeben vonSystemen elek-
trischer Pole, welche in ihrer Anordnung dieselben
15*
194 Eduard Riecke,
Sy mmetrieeigenschaften besitzen wie die Crystalle
selbst. Sofern die hierdurch gegebene Vertheilung elektrischer
Massen an und für sich ein elektrisches Moment besitzt, sind ihre
Fernwirkungen durch eine dem Crystall äußerlich aufliegende ent-
gegengesetzt elektrische Schichte kompensiert. Wird der Zustand
des Druckes und der Temperatur, unter welchen sich der Crystall
befand, irgendwie geändert, so werden die Mittelpunkte der Mo-
lekeln bestimmte, gegenseitige Verschiebungen erleiden; es werden
außerdem die Molekeln um ihre Mittelpunkte gedreht und es wer-
den endlich auch die mit ihnen verbundenen Polsysteme Verände-
rungen erleiden können. Von dieser letzteren Möglichkeit werden
wir im Folgenden absehen und uns beschränken auf die Unter-
suchung der Wirkung, welche von den beiden ersten Veränderun-
gen herrührt. Es ergiebt sich, daß in Folge derselben auf die
Mittelpunkte der Molekeln elektromotorische Kräfte ausgeübt wer-
den, welche von den gegebenen Dilatationen abhängig und für alle
Molekeln dieselben sind. Wir zerlegen diese Kräfte in Compo-
nenten nach den Axen eines Coordinatensystems , dessen Lage
den Symmetrieverhältnissen des Crystalls entspricht; wir machen
die Annahme , daß in den Molekeln des Crystalls elektrische Mo-
mente erzeugt werden, welche gleich den Componenten der indu-
cierenden Kraft multipliciert mit gewissen dem Crystall eigen thüm-
lichen Constanten sind. Man erhält auf diese Weise Formeln, durch
welche die in der Richtung der Coordinatenaxen inducierten Mo-
mente mit Hilfe der gegebenen Dilatationen dargestellt werden und
es ergiebt sich, daß diese Formeln identisch sind mit den Grrund-
formeln der Voigt' sehen Theorie. Es ist damit gezeigt, daß die
von mir vorgeschlagene Molekulartheorie zu demselben Resultate
führt, wie der allgemeine Ansatz der Voigt' sehen Theorie in Ver-
bindung mit den Symmetrieeigenschaften der Crystalle.
Wir beschränken uns im Folgenden auf die Betrachtung der
Gestalten des quadratischen, hexagonalen und regu-
lären Systems. In den beiden ersteren Fällen wählen wir die
£-Axe so, daß sie mit der krystallographischen Hauptaxe zusam-
menfällt. Es sei A der Mittelpunkt einer Crystallmolekel , B der
Mittelpunkt einer zweiten, deren Coordinaten mit Bezug auf ein
System, dessen Mittelpunkt in A liegt, durch xx) yv zx bezeich-
net werden mögen. Die von der Molekel B auf den Punkt A aus-
geübte elektrische Kraft habe die Componenten Z„ F„ ZtJ die
Verschiebung der Molekel B mit Bezug auf A sei gegeben durch
die Formeln:
zur Molekulartheorie der piezoelectrischen u. pyroelectrischen Erscheinungen. 195
u = aux1+a12yl + a13^1, v = a„ «, + aM yx + a„ ^
w = a%xxt + an yx + aZizx
wo aik = aw sein soll.
Im Falle des quadratischen und hexagonalen Systems tritt zu
der Verschiebung der Molekeln eine Drehung um die Axen x und
y, welche zufolge der von Voigt entwickelten Elasticitätstheorie
gegeben ist durch l = ca23, m = — ca13, wo c eine durch die ela-
stischen Verhältnisse bestimmte Constante ist. Bezeichnen wir durch
3, H, Z die CompoAnten der in Folge der Verschiebung, durch
jff H\ Z' die Componenten der in Folge der Drehung neu entste-
henden elektrischen Kräfte, so wird:
w ^ dXt , ~, dX. « dX,
8 = au2-5~*it«M2-£rfc+a*t2
dxt l l "^ dyt *a ' 33^ d*s l
, /^ axt , ^ dxx \ , /^ ax, , ax, \
i /\i özt , ^ ax, \
+ölf(2^+2-^>
Entsprechende Formeln gelten für H und Z. Ferner ergiebt sich :
Wir wenden uns nun zu der Betrachtung gewisser specieller
Systeme elektrischen Pole.
1. Einaxiges Polsystem.
Die Molekeln des Crystalls seien verbunden mit je zwei ent-
gegengesetzten elektrischen Polen ; die sie verbindende Axe habe bei
allen dieselbe Richtung und sei parallel der #-Axe des Coordinaten-
systems ; das von den Mittelpunkten der Molekeln gebildete Punkt-
system, welches quadratischen oder hexagonalen Typus besitzen
kann, sei symmetrisch mit Bezug auf die Coordinatenebenen. Ver-
stehen wir unter xt , yx , sx die Coordinaten des Mittelpunktes für
irgend eine Molekel, so ist das von derselben auf einen Punkt x,
y, z ausgeübte Potential
196 Eduard Riecke,
Der Mittelpunkt des Coordinatensystems falle zusammen mit
dem Mittelpunkt einer Molekel, für diese ergiebt sich dann :
S = 3r(s^-io^)«I8, H = 3r(2^-io^)aM
z = 3r(s^-54^)aa+3r(s5-54i>M+3r(23$-5j)«33
Z = 0.
Sowohl für das quadratische, als für das hexagonale System ist
r* — ^ y* »
somit ergeben sich für die inducierten elektrischen Momente die
Formeln :
(1) a = 2pals , b = 2p an, c = q{an+a22) + raSB.
Dieselben entsprechen den hemimorph-hemie drisch en Grup-
pen des quadratischen und des hexagonalen Systems.
2. Trigonales Polsystem.
Durch den Mittelpunkt einer Molekel legen wir eine Ebene
senkrecht zu der #-Axe des Coordinatensystems. In dieser zeich-
nen wir ein mit der Molekel koncentrisches gleichseitiges Dreieck,
dessen Ecken mit positiven elektrischen Polen besetzt werden. Die
Ecken eines zweiten gleichseitigen Dreiecks, welche mit den Ecken
des ersten ein regelmäßiges Sechseck bilden, werden mit negativen
Polen von gleicher Stärke besetzt. Die Mittelpunkte der Molekeln
bilden ein regelmäßiges Punktsystem, dessen Projektion auf die xy-
Ebene durch ein Netz von gleichseitigen Dreiecken gebildet wird.
Die x-Axe sei parallel der einen Seite der Dreiecke, die y-Axe pa-
rallel der entsprechenden Höhe. Als erste Hauptlage der Polsy-
steme bezeichnen wir diejenige , bei welcher der von dem Mittel-
punkt der Molekel nach einem positiven Pole gezogene Radius Vek-
tor mit der x-Axe des Coordinatensystems parallel ist, als zweite
Hauptlage die, bei welcher jener Radius Vektor der ?/-Axe parallel ist.
A. Erste Hauptlage.
Sind xv yv zt die Coordinaten des Mittelpunktes der Molekel,
so ist ihr Potential auf einen Punkt mit den Coordinaten x, y, z
gegeben durch die Kugelfunktion
zur Molekulartheorie der piezoelectrischen u. pyroelectrischen Erscheinungen. 197
F== d(ag-g,),-3(g-a;I)(y-yiy
r7
Mit Rücksicht auf die Symmetrieeigenschaften eines hexago-
nalen Punktsystems ergiebt sich :
S = Ä (S-6J- + 28 * + 63 **-?**) (an-a„)
Z = 0 und ebenso $ = H! = Z' = 0.
Hieraus folgen dann für die inducierten elektrischen Momente
die Formeln der sphenoidisch-hemiedrischen Gruppe des
hexagonalen Systems.
a = s(au — a22), b = — 2sa12, c = 0. (2A)
Zweite Hauptlage.
Es ergeben sich ebenso die Formeln
a = -2s'a12, b = - $'(«„— a22), c = 0. (2B)
Die Superposition der beiden Hauptlagen des trigonalen Pol-
systems führt zu den Formeln der sphenoidisch- tetar doe-
drischen Gruppe des hexagonalen Systems
a = s(an-a22)-2s'al2
b = — *'(an-aM)-2$a„ (2A, 2ß)
c = 0.
Combiniert man das trigonale Polsystem in der zweiten Haupt-
lage mit dem einaxigen Polsystem, so ergiebt sich durch Addition
der Formeln 1 und 2B
a = 2pal3-2s'a12J b = 2pa23-s'(an-a22) „ ^
c = «(«u+O + 'aas-
Es sind dies die Formeln der zweiten hemimorph-t etar-
toedrischen Gruppe des hexagonalen Systems, (Turmalin).
3. Dihexagonales Polsystem.
Durch den Mittelpunkt einer Molekel legen wir eine Axe pa-
rallel zu der #-Axe des Coordinatensystems ; auf ihr nehmen wir
in gleichem Abstand von dem Mittelpunkt zu beiden Seiten dessel-
198 Eduard Riecke,
ben zwei Punkte und legen durch sie Ebenen senkrecht zu der z-
Axe. In der oberen zeichnen wir ein regelmäßiges Zwölfeck, des-
sen aufeinander folgende Ecken mit 1, 2, 3 . . . bezeichnet werden
mögen. In der zweiten Ebene zeichnen wir ein mit dem ersten
kongruentes Zwölfeck, dessen Ecken 13, 14, 15 ... 24 senkrecht
unter den Ecken 1, 2, 3 ... 12 liegen. Die Ecken des Sechseckes
1, 3, 5, 7, 9, 11 besetzen wir mit positiven Polen, die Ecken des
Sechseckes 2, 4, 6, 8, 10, 12 mit negativen Polen von gleicher
Stärke. Umgekehrt die Ecken 13, 15, 17, 19, 21, 23, mit negati-
ven , die Ecken 14 , 16 , 18 , 20 , 22 , 24 mit positiven Polen ; das
ganze Polsystem sei so orientiert, daß die durch seine Hauptaxe
und die Pole 1 und 13 hindurchgehende Ebene mit der ^a-Ebene
den Winkel tc/12 einschließt. Sind wieder xly1z1 die Coordinaten
des Mittelpunktes der Molekel, so ist das Potential auf einen Punkt
x, y, z gegeben durch die Kugelfunktion:
Ferner ergiebt sich mit Benützung der Symmetrieeigenschaf-
ten des hexagonalen Punktsystems:
^=-2^J2^M(l-15;|)}«2,
H'= 24£cJs^t5?M(1_15^)Ja18.
Die inducierten elektrischen Momente werden dargestellt durch
die Formeln:
(3) a = 2ta23i b = -2ta13} c = 0.
Es sind das die Gleichungen, welche der trapezoedrisch-
hemiedrischen Gruppe des hexagonalen Systems entsprechen.
Combinieren wir das einaxige Polsystem mit dem dihexagona-
len , so ergeben sich die entsprechenden Momente durch Addition
der Gleichungen 1 und 3 ; es wird also ;
zur Molekulartheorie der piezoelectrischen u. pyroelectrischen Erscheinungen. 199
a = 2pa13 + 2ta23, b = 2pa23-2ta13 ^ ~
c = q (ou + «„) + ran. '
Formeln der ersten hemimorph tetartoedrischen
Gruppe des hexagonalen Systems.
Verbindet man das trigonale Polsystem in der ersten Haupt-
lage mit dem dihexagonalen, so ergiebt sieb das Gleicbungs System
der trapezoedriscb tetartoedrischen Gruppe des Hexa-
gonalsystems
a = s{at-a22) + 2ta23) b = -2sa12~2ta13, c = 0. (2A, 3)
Combiniert man endlicb das einaxige Polsystem mit dem tri-
gonalen in seinen beiden Hauptlagen und mit dem dihexagonalen,
so gelangt man zu den Formeln der ogdoedriseben Gruppe
a = 2f)al3+s(an-a22)~2s'a12+2ta23
b = 2pa23-s'(a11-a22)~2sa12-2ta13 (1, 2A, 2B, 3)
womit sämmtlicbe Formen des bexagonalen Systems, bei welcben
piezoelektrische oder pyroelektrische Erregung überhaupt möglieb
ist, erschöpft sind.
4. Tetraedriscbes Polsystem.
Vier positive Pole liegen in den Ecken eines Tetraeders, vier
negative von gleicher Stärke in den Ecken eines zweiten Tetrae-
ders, dureb welches das erste zum Würfel ergänzt wird.
A. Erste Hauptlage.
Die s-Axe des Coordinatensystems stebt senkreebt auf einer
Würfelfläche, die Ebenen zx und zy sind parallel den Würfelseiten.
Das Potential wird:
r1
Ferner ergiebt sich:
( r7 r9 ru )
Z = ^26^-7^1-63^ L
( r7 r* rli )
m
Z = 0
200 Eduard Riecke,
und dem entsprechend
(4A) a = 7cai3, b = ka3l , c = k'a12.
Diese Formeln gehören zu der sphenoidisch-hemiedri-
schen Grruppe des quadratischenSystems. Ist das Punkt-
system ein reguläres, so wird die £-Axe mit x und y gleichbe-
rechtigt und wir erhalten die Formeln des regulärenSystems
(4A)' a = Jca2S1 b = ka13, c = kair
B. Zweite Hauptlage.
Die zx- und die z «/-Ebene gehen durch die Kanten des Wür-
fels hindurch, während die Stellung der z-Axe unverändert bleibt.
Das Potential wird
Ferner ergiebt sich:
B- ^jS^-21^-|^M(l-18^)ja31
Z = -^S$(l-7|)-^^(l-9Ä)j(ail-aJ
Z' = 0,
und hieraus
(4B) a = uai3i b = —ua28) c = »(«„-«„).
Combinieren wir die beiden Hauptstellungen des tetraedrischen
Polsystems, so resultieren die Formeln der sphenoidisch te-
tartoedrischen Gruppe des quadratischen Systems
(A\ Am a = Jca23 + ual8, b = £a18-wa23,
5. Ditetragonal es Polsy stem.
Zwei regelmäßige Achtecke stehen zu einander und zu der em
Axe des Coordinatensystems in derselben Beziehung wie die Zwölf-
zur Molekulartheorie der piezoelectrischen u. pyroelectrischen Erscheinungen. 201
ecke des dihexagonalen Systems ; sie werden in derselben Weise
wie jene mit elektrischen Polen besetzt. Bezeichnen wir eine po-
sitive Ecke des oberen Achteckes mit 1, die darunter liegende ne-
gative Ecke des unteren Achteckes mit 9, so soll die Ebene, wel-
che durch die Hauptaxe des Polsystems und die Punkte 1 und 9
hindurchgeht mit der ##-Ebene den Winkel ä/s einschließen. Das
Potential wird:
Ferner ergiebt sich:
s=-@jsi^(i-ii|)j«,3
z = Z' = 0
und somit
a = 2iva23, b = —2wa13, c = 0 (5)
dieFormeln der trapezoedrisch-hemiedrischen Gruppe des
quadratischen Systems.
Combiniert man diese Formeln mit denjenigen, welche dem ein-
axigen Polsystem entsprechen , so ergiebt sich :
a = 2pals + 2wau9 b = 2pan-2wal9, (1, 5)
C = tfOu + öÜ + ^ss-
Es sind dieß die Formeln der hemimorph-tetardoedri-
schen Gruppe des quadratischen Systems und damit sind auch
alle der elektrischen Erregung fähigen Gruppen dieses Systems
erschöpft.
Alle auf die elektrische Erregung der Crystalle des regulären,
des hexagonalen und des quadratischen Systems bezüglichen For-
meln können hiernach durch die Combination von nur 5 ver-
schiedenartigen elektrischen Polsystemen erhalten werden, Es
202 EduardRiecke, z. Molekulartheorie d. piezoeletr. u. pyroelectr. Erscheingn.
ist zu übersehen, daß auf demselben Wege auch die Gleichungen
für die noch übrigen 5 hemimorphen oder hemiedrischen Formen,
welche dem rhombischen, monoklinen und triklinen System ange-
hören, zu gewinnen sind.
Ueber die Maximaltension, mit welcher Wasser-
stoff aus Lösungen durch Metalle in Freiheit
gesetzt wird.
Mit 1 Figur.
Von
GL Tammann und W. Nernst.
(Aus dem physikalischen Institut zu Göttingen.)
(Vorgelegt von Eduard Riecke.)
A. Theoretischer Theil.
Bringt man ein Metall mit einer wässerigen Lösung in Berüh-
rung, so geschieht es häufig, daß jenes in Lösung geht und die
elektrisch äquivalente Wasserstoffmenge in Freiheit setzt,
Diese Reaktion ist mit einer beträchtlichen Volumvermehrung
verbunden ; nach den bekannten Gesetzen über den Einfluß des
Druckes auf die Reaktionsfähigkeit der Stoffe wird es möglich
sein, durch Anwendung genügend großen Druckes die Reaktion in
der Richtung vor sich gehen zu lassen , welche mit einer Volum-
verminderung verbunden ist, und es muß also im Allgemeinen zu
erzielen sein, durch mit genügend hohem Druck in wässerige Lö-
sungen gepreßten Wasserstoff die in Lösung befindlichen Metalle
auszufällen.
Denjenigen Partialdruck des Wasserstoffs, bei welchem dieses
Gas mit der Lösung und dem Metalle im Gleichgewicht sich befin-
det, wollen wir als die »Maximal Spannung« des in Freiheit
gesetzten Wasserstoffs bezeichnen ; die Analogie dieser Druckgröße
mit einer Dampf- oder Dissociationsspannung springt in die Augen.
Dieser Druck ist gleichzeitig das Maaß der Arbeit, welche in
maximo bei der Auflösung der Metalle in .Säuren gewonnen wer-
den kann; da bekanntlich die elektromotorische Kraft der soge-
nannten umkehrbaren galvanischen Elemente ein Maaß für die gleiche
Energiegröße ist, so erkennen wir bereits, daß jener Druck mit
G. Tammann und W. Kernst, über die Maximaltension etc. 203
der elektromotorischen Wirksamkeit auf das innigste verknüpft
sein muß, wie es auch die nähere Betrachtung alsbald ergeben wird.
Bei der Maximalspannung des Wasserstoffs ist die Reaktion
vollkommen reversibel; die Aenderung jener mit der Temperatur
muß also mit der Wärmetönung und der Volumänderung der Reak-
tion in der analogen Beziehung stehen, wie sie für die Verdampfung
durch die bekannte C laus ius 'sehe Formel
Q = -T%{^-V) (1)
gegeben ist; nur bedeutet in unserem Falle q die Wärmemenge,
welche bei der Auflösung von z. B. 1 g - Aequivalent Zink in
einer beliebigen Säurelösung entwickelt wird, v das der Maximal-
spannung p entsprechende Volum von 1 g Wasserstoff und v' die
Volumabnahme, welche das aus Metall und Lösung bestehende Sy-
stem durch die Abgabe des Wasserstoffs erfährt. In den meisten
Fällen wird man v' gegen v vernachlässigen dürfen.
Betrachten wir ein reversibeles galvanisches Element, z. B. das
DanielTsche nach den Typus
Zn | Zn SO^-Lsg \ Cu SO^Lsg | Cu
zusammengesetzte. Es betrage die Maximaltension des Wasser-
stoffes für das System Zink-Zinkvitriollösung px , für das System
Kupfer - Kupfervitriollösung p2. Dann können wir die maximale
Arbeit , welche bei der Auflösung des Zinkes und Ausfällung der
äquivalenten Menge Kupfer gewonnen werden kann, einmal aus
der elektromotorischen Kraft des Elementes, sodann aus dem Unter-
schiede der beiden Maximaltensionen erhalten. Wir können also
aus den Maximaltensionen der Metalle gegenüber den betreffenden
Lösungen die elektromotorische Kraft des aus ihnen kombinirten
Elementes berechnen.
Die Arbeit, welche bei der Entwickelung von 2 g Wasserstoff
und der Ueberführung des entwickelten Gases unter Normaldruck
P gewonnen werden kann, beträgt
A = pv + RTln-^,
worin p die Maximalspannung und R die Gaskonstante bedeutet;
zählen wir das Volum in Litern und den Druck in Atmosphären,
so ist für eine ^-Molekel eines Gases bekanntlich
pv = R I = 0.0819 T
204 G- Tammann und W. Nernst,
und nach Einführung der Gasgleichung wird
A = 0-0819 r(i + z»|-)
Die Arbeit , welche im Daniellelemente bei Auflösung einer
g-Molekel Zink und Ausfällung einer g-Molekel Kupfer gewonnen
werden kann, beträgt also
A-it, = 0-0819 T In ^-.
Diese Arbeit ist gleich der elekromotorischen Kraft E; es
wird also
(2) E = 0-0819 Tln^-
oder nach Einführung des üblichen Maaßsystems l)
E = 0-430 T x 10"4^-^-Volt.
Durch die vorstehende Gleichung ist zum ersten Male für die
elektromotorische Kraft der umkehrbaren, aus zwei verschiedenen
Metallen kombinierten galvanischen Elemente ein Ausdruck ermit-
telt worden, welcher dieselbe aus anderweitigen, der Messung di-
rekt zugänglichen Größen im absoluten Maaße zu berechnen ge-
stattet; doch sei daran erinnert, daß obige Gleichung nur unter
der Voraussetzung gültig ist, daß auch bei dem der Maximalten-
sion entsprechenden WasserstofFdrucke der Austausch derElektri-
cität zwischen Metallen und Lösung nur durch die Ionen der be-
treffenden Metalle und nicht etwa gleichzeitig durch die in der
Lösung befindlichen WasserstofFionen oder durch den in den Me-
tallen gelösten Wasserstoff vermittelt wird. Inwieweit und bei
welchen Metallen diese Voraussetzung erfüllt ist, bedarf erst nä-
herer Untersuchung. Ist die Maximaltension des Wasserstoffs zu
groß, als daß letzterer noch den Gasgesetzen gehorcht, so läßt sich
leicht ein strengerer Ausdruck ableiten.
Formel (1) schreibt sich bei Vernachlässigung von v'
(3) Q = -0-0819 r^-.
Die Wärmetönung im Elemente entspricht der Differenz der
Auflösungswärme des Zinks und des Kupfers:
1) Vgl. z. B. Zeitschr. f. physik. Chem. 4 138 und 176 (1889).
über die Maximaltension etc. 205
dln~
W = Qi-q2 = -0-0819 T*-jp-. W
Differenzieren wir Gl (2), so wird
dlnPl
4| = '0-0819 ln^- + 0-0819 T —J^-
dl pa dl
oder in (4) eingeführt:
Dies ist aber die bekannte G-leichung, welche v. Helmholtz
direkt durch Anwendung der thermo dynamischen Principien auf
die umkehrbaren galvanischen Elemente gefunden hat, und zu der
wir soeben auf einem zwar etwas umständlicheren aber dafür viel-
leicht in mancher Hinsicht anschaulicheren Wege gelangt sind.
"Was den Mechanismus der von uns behandelten Reaktion
betrifft, so lassen sich vom Standpunkte der neueren Lösungs-
theorie und in weiterer Fortführung der Anschauungen , welche
einer von uns1) über den Vorgang der Auflösung von Metallen
entwickelt hat, darüber folgende Bemerkungen machen. Das mit
der Lösung in Berührung befindliche Metall sucht vermöge einer
als »elektrolytischen Lösungstension« bezeichneten Expansivskraft
seine positiv geladenen Ionen in die Lösung hineinzubefördern ;
der Vorgang kann zum Stillstand gebracht werden entweder durch
die mit dem Uebertritt der metallischen Ionen in die Lösung her-
vorgerufenen elektrostatischen Ladungen , indem nämlich sich die
Flüssigkeit positiv, das Metall negativ electrisch ladet und so durch
die elektrostatische Wirkung der entstandenen Doppelschicht der
Lösungstension das Gleichgewicht gehalten wird, oder aber durch
den osmotischen Partialdruck der in Lösung befindlichen Ionen
des betreffenden Metalls, welcher ebenfalls der Lösungstension ent-
gegenwirkt. Im allgemeinen werden natürlich beide Wirkungen
sich superponieren.
Die elektrolytische Lösungstension kann nun aber auch einen
solchen Betrag erreichen, daß eine derartige Kompensation ausge-
schlossen ist; es kann vorkommen, daß an Stelle der positiven
Ionen, die aus dem Metalle austreten, anderweitige gleichartige
Ionen aus der Lösung heraus gedrängt werden und sich auf
dem Metalle niederschlagen. Dies geschieht bei der Verdrängung
1) N ernst, diese Zeitschr. 4 150 (1889).
206 6. Tamman n und W. Nernst
eines Metalles durch ein anderes (z. B. des Kupfers durch Eisen)
aus der Lösung und bei der Entwickelung von Wasserstoff, in
welchem Falle für die metallischen Ionen , die in Lösung gehen,
die äquivalente Menge Wasserstoffionen im Metalle sich lösen; daß
die Löslichkeit des Wasserstoffs in Metallen eine allgemeine Er-
scheinung ist, haben ja u. A. die Untersuchungen von Thoma1)
gelehrt. Aus seiner Lösung im Metalle vermag der Wasserstoff
dann unelektrisch zu entweichen, sobald seine Tension hinreichend
groß geworden ist. Freiwillige Wasserstoffentwickelung kann hier-
nach nur in dem Falle stattfinden, daß der Druck des Wasserstoffs
über seiner »festen« Lösung im Metall größer wird als der einer At-
mosphäre. Auch diese spezielleren Anschauungen führen zu den oben
für die Maximaltension des entweichenden Wasserstoffs entwickelten
Beziehungen, und sie lassen auch unmittelbar erkennen, daß obige
Maximaltension ein Maaß der elektromotorischen Wirksamkeit des
betreffenden Metalles, sein muß. Auf die Folgerungen, welche sich
hieraus für die galvanische Polarisation ergeben, kann
hier nicht näher eingegangen werden.
B. Experimenteller Theil.
Das chemische Gleichgewicht, welches den Gegenstand unserer
Untersuchung bildet, läßt sich von zwei Seiten her erreichen, in-
dem man entweder in eine Metallsalzlösung Wasserstoff bis zu
solchem Drucke einpreßt, daß das Metall ausfällt, oder aber indem
man den Druck bestimmt, bei welchen die Wasserstoffentwicke-
lung des aus Lösung und festem Metall gebildeten Systemes aufhört.
Von älteren diesbezüglichen Versuchen seien vor allen Dingen
diejenigen N. N. Beketoffs2) erwähnt. Beketoff suchte den
Druck zu bestimmen, unter dem der in die Lösung des Metallsalzes
gepreßte Wasserstoff das Metall aus der Lösung zu fallen beginnt.
Er zeigte, daß Wasserstoff beim Drucke einer Atmosphäre aus einer
Lösung von Silberacetat metallisches Silber abscheidet, daß bei hö-
heren Drucken bis zu 10 Atmosphären verdünnte Lösungen von Mer-
kuronitrat, Silbernitrat, Silbersulfat und ammoniakalische Silberchlo-
ridlösung gefällt werden, ferner daß Kupfer- und Bleinitratlösung
von Wasserstoff unter Drucken bis zu 10 Atmosphären nicht ge-
fällt werden, daß aber die Fällung eintritt, wenn in die Lösungen
ein Platindraht taucht. Betreffs der besonnenen und äußerst sorg-
1) Zeitschr. f. physik. Chemie. 3 69 (1889).
2) N. N. Beketoff, Compt. rend. 48, p. 442, 1859, und Untersuchungen
über die Erscheinungen der gegenseitigen Ausscheidung der Elemente aus ihren
Verbindungen. Dissertation, Charkow 1865.
über die Maxinjaltension etc.
207
fältigen Versuchstechnik Beketoffs muß auf seine Abhandlung ver-
wiesen werden. C. Brunner1) fand, daß eine verdünnte Lösung
von Silbernitrat von Platinchlorid und Palladiumchlorid schon beim
Durchleiten von Wasserstoff das Metall abscheidet.
Cailletet2) brachte gewogene Zinkplatten in eine Lösung
von Schwefelsäure und ließ die Wasserstoffentwickelung unter be-
stimmten Drucken vor sich gehen. Wie zu erwarten, fand Caille-
tet die Geschwindigkeit der Auflösung beim Wachsen des Wasser-
stoffdruckes stark abnehmend; schließlich hört bei einem gewissen
Druck, für den aber die Zusammensetzung der Lösung leider nicht
bestimmt wurde, die WasserstofFentwickelung gänzlich auf. Ferner
zeigte Cailletet, daß Natriumamalgam aus seinen Salzlösungen
bei hohen Drucken nicht mehr Wasserstoff entwickelt; bricht
man aber das Rohr , in dem sich alles im Gleichgewicht befand,
auf, so tritt wiederum lebhafte Gasentwickelung ein.
Da es von vorneherein aussichtslos erschien, den Druck, bei
welchem die Fällung des Metalls beginnt, auch nur annähernd zu
bestimmen, so waren wir auf die Messung des Druckes, bei wel-
chem die WasserstofFentwickelung aufhört, angewiesen. Der Ap-
parat, dessen wir uns bei unsern Versuchen bedienten, bestand aus
einer starkwandigen Glasröhre a b (cf. Fig.) von etwa 1 cm innerer
Weite und etwa 20 cm Länge, an welche ein geschlos-
senes von einer Kapillare gebildetes Luftmanometer an-
gesetzt war. Die Füllung geschah in folgender Weise.
Nachdem das Manometer mit trockner Luft erfüllt und
mit Quecksilber beschickt war, wurde in dem in um-
gekehrter Stellung befindlichen Apparat durch b das
zu untersuchende Metall, eine zum Bedecken desselben
erforderliche Menge Chloroform, ein Glasstäbchen und
schließlich die Lösung eingeführt; da das Metall vor
dem Angriff seitens der Säure durch das Chloroform
geschützt war, konnte keine Wasserstoffentwickelung
stattfinden und das Abschmelzen bei b unter möglich-
ster Vermeidung eines schädlichen Luftvolumens er-
folgen. Drehte man den Apparat hingegen um, so fiel das schwe-
rere Chloroform nach unten, während das Metall durch das Glas-
stäbchen oberhalb des Chloroforms und innerhalb der Lösung ge-
tragen wurde ; es entwickelte sich Wasserstoff mit immer steigen-
dem Drucke, der an dem Luftmanometer abgelesen wurde. Die
1) C. Brunner, Pogg. Ann. 122, p. 153, 1864.
2) Cailletet, Compt. rend. 68, p. 395, 1869.
Nachrichten ton der K. G. d. W. zu Göttingen. 18W1. No. 6.
16
6. Tammann und W. Nernst,
Genauigkeit der Ablesung wurde übrigens sehr dadurch vergrö-
ßert, daß das zu messende Luftvolum cd beiderseits von Queck-
silberfäden abgeschlossen war (cf. Figur) , deren Differenz sich
leicht bis auf 0*1 mm messen ließ, und so eine Berücksichtigung
der Verjüngung des Lumens am oberen Ende der Kapillare ver-
mieden war. Die Länge des abgeschlossenen Luftvolumens betrug
bei Barometerdruck meistens gegen 40 cm.
Bei Beginn der Reaktion war die Wasserstoffentwickelung
gewöhnlich sehr stürmisch, ließ aber bald nach und schien den An-
gaben des Manometers zufolge nach einigen Tagen, bisweilen auch
Wochen, ihr Ende erreicht zu haben. Die Schnelligkeit, mit wel-
cher das Gleichgewicht erreicht wurde, hing natürlich im höchsten
Maaße von der Große des bei a befindlichen Luftbläschens ab.
Häufiges Umrühren der Lösung, welches durch wiederholtes Um-
kehren des Apparats und das Hin- und Hergleiten des darin be-
findlichen Metalles erzielt wurde, war unbedingt erforderlich.
Die Apparate befanden sich sämmtlich in einem großen Wasser-
bade, welches im ungeheizten Zimmer aufgestellt war und dessen
Temperatur nur wenig um 4° variierte.
Die Messung des Druckes ließ sich mit mehr als hinreichender
Genauigkeit ausführen ; schwieriger war die Ermittelung der End-
konzentration der Lösung , welche von der ursprünglichen häufig
merklich verschieden war. An eine Analyse der Lösung am
Ende des Versuches war nicht zu denken, weil dieselbe beim
Oeffnen des Apparats sich in Gestalt feiner Tröpfchen zerstäubte,
und mußte daher die entwickelte Wasserstoffmenge geschätzt und
so die Abnahme des Säuretiters und die entstandene Salzmenge
berechnet werden.
Der entwickelte Wasserstoff befindet sich zum Theil gelöst,
zum Theil in Luftbläschen bei a, dessen Größe im Vergleich zum
Gesamtvolum der Lösung nur durch Schätzung sich ermitteln ließ.
Der Absorptionskoefficient des Wasserstoffs beträgt bei 4° 0*0208 J) ;
die beim Druck P Atmosphären in Lösung befindliche Menge von
Wasserstoff entspricht also einer Abnahme des Säuretiters der
Lösung um
D 0-0208 A . , T.,
P ■j.p Aequivalente pro Liter
weil 1 g H (= 1 Aequivalent) bei 0° im Räume = 1 Liter befind-
lich unter dem Drucke von 11*2 Atmosphären steht.
1) Tim o feie w, Zeitschr. f. physik. Chemie. 6 147 (1890).
über die Maximaltension etc. 2(39
Bezeichnet ferner n den Bruchtheil, welchen das Volum des
Luftbläschens vom Gesamtvolum der Lösung ausmacht, so sind
p
11to Aequivalente pro Liter
Säure zur Erzeugung des der Lösung entzogenen Wasserstoffs
verbraucht worden, weil bei der Versuchstemperatur von 4° 1 g H
im Räume = 1 Liter befindlich unter dem Drucke von 11*3
Atmosphären steht. Insgesamt beträgt also die Abnahme des
Säuretiters
p(00O186 + Iiy
und die äquivalente Menge Metall ist natürlich in das Salz der
Säure übergegangen.
Im Folgenden sind die Drucke P angeführt, welche sich bei
den einzelnen Metallen und den betreffenden Endkonzentrationen C,
ausgedrückt in #-Aequivalenten pro Liter, ergeben haben und ihrer
Konstanz zufolge als Maximaltensionen anzusehen waren. Häufig
wandten wir die Metalle platiniert an, wodurch bekanntlich die Ge-
schwindigkeit der Wasserstoffentwickelung sehr beschleunigt wird ;
daß Gegenwart von Platin den Absolutwerth der Maximalspannung
ändern sollte, ist wohl von vornherein im höchsten Maaße unwahr-
scheinlich und gaben unsere Versuche auch keinen Anhalt zu dieser
Annahme.
Zink. Dasselbe kam in auf der Drehbank aus Stücken reinen
Metalls gedrehten Spiralen zur Verwendung.
1) 0 = 0-13 i/,SÖ4+ 1-3 ZnSO^ P = 18 Atm.
2) C = 0-11 H2SO,+ 1-2 ZnSO,; P = 235 Atm.
3) C = 0-29 H2 SO, + 17 ZnSO,) P = 25'6 Atm.
4) C = 020 H2SO, + 03ßZnSO,; P = 57 Atm.
5) C = 0-35 H2 SO, + 1-15 Zn SOA) P = 29 Atm.
6) C = 0-34 H2SO,+ 1-16 ZnSOA; P = 40*2 Atm.
Apparate, die mit reiner normaler Schwefelsäure oder mit l.Bfacli
normaler Schwefelsäure und doppeltnormaler Zinkvitriollösung be-
schickt waren, explodierten bei Drucken von 70 bis 80 Atmosphä-
ren. Wenn die Zahlen untereinander auch zum Theil stark diffe-
rieren, (vgl. z.B. 1 und 2, 5 und 6), so ersieht man doch mit
Sicherheit, daß mit zunehmender Säurekonzentration der Druck
tjtark zunimmt und anderseits durch Gegenwart von Neutralsalz
jtark heruntergedrückt wird. Leider erreichte die Korrektion
wegen der Abnahme des Säuretiters einen sehr hohen Betrag;
16*
210 G. Tarn mann und W. N ernst,
da so die Endkonzentrationen der Säure mit einiger Unsicherheit
behaftet sind, können die vorstehenden Zahlen nur zur ersten Orien-
tirung dienen.
7) C = 0-68 HCl + 0-30 Zn Cl2 + 1 Zn SO, ; P = 48 Atm.
8) C = » » » » P = 52 Atm.
Apparate, die mit normaler Salzsäure beschickt waren , explodier-
ten bei Drucken von 70 bis 80 Atm., wobei der Säuretiter etwa
auf 0'7 bis 0#8 gesunken war. Dasselbe geschah bei einem mit
normaler Essigsäure gefüllten Apparate.
Kadmium. C = 0-62 HCl + 0-3 CdCl2 , P ca. 44 Atm.
Eisen. Es kamen eiserne Nägel zur Verwendung.
C = 0.46 H2 SO, + 1-04 FeSOt-, P = 6*4 Atm.
Während hier bereits nach 3 Tagen Konstanz eingetreten war,
ließ ein mit normaler Schwefelsäure beschickter Apparat ein so
langsames Ansteigendes Druckes erkennen,' wie es in keinem an-
dern Falle beobachtet war. Nach 8 Tagen betrug der Druck erst
5 Atm., nach 14 Tagen erst 6 Atm. ; im Laufe eines Vierteljahrs
erreichte er den Wert von 34 Atm., ohne daß jedoch der Grleich-
gewichtszustand erreicht zu sein schien. Die Abnahme des Säure-
titers ist auf 11% zu schätzen. Aehnlich verhielt sich ein mit
normaler Salzsäure beschickter Apparat. Bei Anwendung doppelt-
normaler Schwefelsäure fand bei einem Drucke von 90 Atm. Zer-
trümmerung des Apparats statt.
Mangan in Stückenform lieferte mit normaler Salzsäure in Be-
rührung einen Druck von 52 Atm. Abnahme des Säuretiters ca. 11%.
Nickel. Das Metall kam in Stückenform und platiniert zur
Verwendung; die Konstanz des Druckes trat hier schneller ein
als bei andern Metallen.
1) C = 0-94: H2 SO, + 0'07M SO,; P = 7-5 Atm.
2) C = 1-52 H2SO,+ 0-50 MSO,; P = 42 Atm.
3) C = 0-86 HCl +0-1S NiCl,-, P = 23*1 Atm.
4) C = 0-88 HCl +0-15 NiCl2; P = 29«0 Atm.
Vielleicht ist gerade dieses Metall zu weiteren Versuchen
über die Abhängigkeit der Maximaltension von der Konzentration,
Temperatur etc. besonders geeignet.
Aluminium. Selbst bei Anwendung von 0*25 normaler Salz-
säure waren die Apparate nicht widerstandsfähig genug, obwohl
im Laufe der Eeaktion der Titer sicherlich bis auf 0'15 herunter-
gieng. Die Zertrümmerung trat hier übrigens erst nach 20 Tagei
ein ; ein mit normaler HCl beschickter Apparat explodierte bereits
wenige Stunden nach seiner Zusammensetzung.
über die Maximaltension etc. 211
Magnesium. Eine Anzahl mit 025 H2SOv 025 HCl, Ol CHfiOOH
mit und ohne Gegenwart von Neutralsalz beschickter Apparate
explodierten theils nach einigen Stunden, theils nacli einigen Wochen.
Ein mit neutraler doppelt normaler Magnesiumsulfatlösung und
mit von Platindraht umwickeltem Magnesiumdraht zusammenge-
setzter Apparat zeigte nach 8 Tagen einen Druck von 95 Atm.
und zersprang schließlich.
Natrium. Selbst bei Anwendung eines einprocentigen Amal-
gams und einer zehnfachnormalen Natronlösung fand Zertrümme-
rung des Apparats infolge eines Drucks von 90 Atm. statt.
Kupfer und Silber, die mit Säuren bekanntlich Wasserstoff nicht
entwickeln, können demgemäß nur nach Bruchtheilen einer Atmos-
phäre zählende Maximaltensionen besitzen.
Wir enthalten uns vorläufig, weitere Schlüsse aus dem vorlie-
genden Beobachtungsmaterial zu ziehen und wollen nur noch darauf
hinweisen, daß die Spannungsreihe, in welche nach den Versuchen
von Fr. Streintz1) die in Lösungen ihrer Nitrate oder Chloride
befindlichen Metalle sich einordnen lassen ,
Mg, Zn, AI, Cd, Fe, Ni, Cu, Ag
offenbar auch den auf vergleichbare Konzentrationen der Lösun-
gen reducierten Werthen der Maximaltensionen entspricht ; nur
würde bei einer Ordnung der Metalle nach der Größe ihrer Maxi-
maltensionen das Aluminiu m vor dem Zin k zu stehen kommen.
Allerdings sind unsere Beobachtungen dem Einwände ausge-
setzt, daß bei ihnen möglicherweise der Gleichgewichtszustand noch
nicht erreicht und der Fortschritt der Reaktion nur stark verzö-
gert sei. Wenn er auch in anbetracht des Umstandes, daß in vie-
len Fällen die Maximaltension ziemlich schnell erreicht wurde und
daß einer rapiden Zunahme des Druckes ein Zustand folgte , wo
er während sehr langer Zeit sich wenigstens nicht nachweisbar
änderte , wenig Wahrscheinlichkeit für sich hat , so wäre es doch
im höchsten Maaße erwünscht, denselben Gleichgewichtszustand
von der anderen Seite her zu erreichen. Der direkte Weg wäre
natürlich die Bestimmung des Druckes, mit welchem man Wasser-
stoff in Metallsalzlösungen hineinpressen muß, um gerade noch
Metallabscheidung zu erhalten; allein in Anbetracht der Thatsache,
die auch wir gelegentlich konstatierten, daß man nämlich mit Kupfer-
sulfatlösung Tage lang WasserstofFgas von nach mehreren Atmos-
phären zählenden Drucke in Berührung bringen kann, ohne Aus-
fällung metallischen Kupfers zu erzielen, trotzdem die Maximal-
1) Wien. Ber. 77 410 (1878).
212 G. Tammann und W. Nernst, über die Maximaltension etc.
tension von Kupfer in Berührung mit seinen neutralen Lösungen
sicherlich nur nach kleinen Bruchtheilen einer Atmosphäre zählt,
müssen wir schließen , daß der von uns studierte Gleichgewichts-
• zustand von der entgegengesetzten Seite aus noch ungleich schwie-
riger zu erreichen ist.
Ein anderer Weg, der ebenfalls zur gesuchten Maximaltension
führen dürfte, würde darin bestehen, daß man die Metallsalzlösung
elektrolysiert und den Druck bestimmt, bei welchem an der Ka-
thode die Wasserstoffentwickelung aufhört und die Metallabschei-
dung beginnt. Thatsächlich beobachteten wir denn auch, wie bei
der Elektrolyse eine bezüglich des Gehaltes an Schwefelsäure und
Zinksulfat je 05-normalen Lösung, wobei als Anode Zinkamalgam
und als Kathode ein Platindraht diente, mit zunehmendem Druck
eine immer reichlichere Zinkabscheidung stattfand; allein sie war
immer noch von Wassenstoffentwickelung begleitet, bis der Appa-
rat schließlich zersprfang , und ein scharfer Uebergangspunkt ließ
sich nicht konstatieren. Wahrscheinlich wirken die durch die Elek-
trolyse in der Nähe der Kathode hervorgerufenen Konzentrations -
änderungen im hohen Maaße störend.
Wir wollen unsere Mittheilung nicht ohne den Hinweis schlie-
ßen, daß wir in den Ergebnissen unserer bisherigen, übrigens nicht
ganz einfachen und gefahrlosen Versuche nur den ersten An-
fang einer eingehenderen Erforschung eines chemischen Gleichge-
wichtszustandes erblicken, dessen hohes theoretisches Interesse
aus den im ersten Theile unserer Notiz mitgetheilten Beobach-
tungen wohl zur Genüge erhellt. Da wir äußerer Umstände willen
die gemeinschaftliche Fortführung unserer Versuche abbrechen
mußten, veröffentlichen wir jetzt schon die bisherigen Resultate,
deren Unvollständigkeit Niemand mehr empfinden kann, als wir
selber ; doch wir entschlossen uns zur Publikation in der Hoffnung,
die Aufmerksamkeit auf ein bisher zu wenig beachtetes Gebiet zu
lenken, für dessen Erforschung wir die leitenden Prinzipien gegeben
zu haben glauben , welches seinen experimentellen Ausbau jedoch
noch fast völlig von der Zukunft zu erwarten hat.
Dorpat und Göttingen im. Juni 1891.
G. Tarn mann, über die Permeabilität von Niederschlagsmembranen. 213
Ueber die Permeabilität von Niederschlags-
membran en,
Von
0. Tainmann.
Um die Thatsache der Semipermeabilitität zu erklären, hat
M. Traube1) in den Niederschlagsmembranen Poren angenommen,
durch die wohl die Wassermoleküle hindurch diffundiren, die aber
von den Molekülen gewisser anderer Stoffe nicht passirt werden
können. Nach Traube sind die Niederschlagsmembranen Atom-
siebe, mit deren Hülfe man die relative Größe der Moleküldurch-
messer bestimmen kann. Aus der Porentheorie T raube's folgt
der Satz: Moleküle, die durch die Niederschlagsmembranen mit
weiten Poren nicht hindurchgehn, können durch Niederschlagsmem-
branen mit engen Poren erst recht nicht durchtreten. Sollten sich
Thatsachen finden, die gegen diesen Satz sprechen, so wäre die
Porentheorie T r a u b e 's hinfällig.
In jüngster Zeit hat 0 s t w a 1 d *) die Anschauungen Tra u b e 's
auf die Ionen der gelösten Stoffe übertragen und darauf aufmerk-
sam gemacht, daß man nicht von der Durchlässigkeit der Membran
für ein Salz , sondern von der für bestimmte Ionen zu sprechen
hätte. Ein Salz kann nur dann durch die Membran treten , wenn
beide Ionen desselben die Membran zu durchdringen vermögen.
Vermag auch nur eines der Ionen die Membren nicht zu durch-
dringen, so wird auf der anderen Seite der Membran das Salz nie
nachgewiesen werden können. Aus Ostwalds Anschauungen
ergiebt sich betreffs des Verhaltens von Salzen gegenüber Nieder-
schlagsmembranen ein allgemeiner Satz, nämlich der: daß alle Ver-
bindungen eines Ions, welches die Membran nicht durchdringt,
ebenfalls nicht durch die Membran diffundiren. Dieser Satz könnte
durch das Verhalten des nichtdissociirten Antheils mannigfache Ein-
schränkungen erleiden , da ja immerhin der Fall denkbar wäre,
daß, wenn auch beide Ionen durch die Membran nicht diffundiren,
es doch der nicht dissociirte Antheil thut. Einen Satz zu schaffen,
wie den : kann eine der Ionen oder beide Ionen die Membran nicht
durchdringen, so kann es der nicht dissociirte Antheil auch nicht,
wäre mindestens verfrüht, da die Beobachtungen von Pfeffer8)
1) M. Traube, Archiv f. Anatomie und Physiologie 1867, p. 87.
2) W. Ostwald, Zeitschrift f. phys. Chcm. VI, p. 71, 1890.
3) W. Pfeffer, Abhandlungen der sächsischen Gesellsch. IG, p. 338, 1890.
214 GL Tarn mann,
am Protoplasma strickt gegen die auf dem Boden der Porentheorie
stehende Ansicht sprechen, nämlich die: ein Stoff geht um so leich-
ter durch eine Membran, je weniger Atome in seinem Molekül ent-
halten sind. Es ist nicht bekannt , ob bei der Diffusion eines
Elektrolyten durch eine Niederschlagsmembran die Ionen oder der
nichtdissociirte Antheil oder beide Arten von Molekülen diffundiren.
Es werden später einige Messungen über die durch eine Nieder-
schlagsmembran durchdiffundirten Mengen verschiedener Säuren mit-
getheilt werden, aus denen allerdings zu folgen scheint, daß haupt-
sächlich die Ionen die Membran durchdringen.
Zur Prüfung der Anschauungen von Traube und Ostwald
habe ich eine Reihe von Versuchen , theils schon vor mehreren
Jahren, ausgeführt. Die einzigen mir bekannten Angaben über
die Permeabilität von Niederschlagsmembranen rühren von M.
Traube1) und mir2} her; da unter denselben einige widerspre-
chende Angaben vorkommen , so habe ich sie bei anderer Ver-
suchsanordnung nochmals geprüft.
1. Ist man berechtigt die Nie der schlagsmembra-
nen als Molekül siebe zu betrachten? Zur Entscheidung
dieser Frage wurden mit den Membranen, die sich bei der Berührung
der Lösungen von Gerbsäure und Leim, von Ferrocyankalium und
Zinksulfat und von Ferrocyankalium und Cupfersulfat bilden, Ver-
suche betreffs ihrer Permeabilität für Farbstoffe angestellt. Die Con-
centrationen der Membranogene waren folgende ; Gerbsäure 1% Leim,
1% Lösung; Cupfersulfat, Zinksulfat und Ferrocyankalium 0.05 g
Molekül in Liter. Zu den Lösungen der Gerbsäure und des Ferro-
cyankaliums wurde ein wenig der tabellirten Farbstoffe gesetzt, und
deren Lösungen dann vorsichtig in einem Reagensrohr auf die Leim-,
die Kupfer- und Zinksulfatlösung geschichtet. Nach einer Stunde
wurde nachgesehen ob durch die Membran etwas vom Farbstoff
durchgedrungen war. Blieb die Grenze zwischen der angefärbten
Lösung und der farblosen scharf, wie gleich nach dem Uebereinander-
schichten, so wurde in der Tabelle impermeabel verzeichnet. Hatte
sich dagegen um die Membran ein nach unten hin heller abschat-
tirter Hof gebildet, so wurde in der Tabelle permeabel notirt. Ich
habe dabei drei verschiedene Grade der Permeabilität unterschie-
den ; die Abkürzungen in der Tabelle bedeuten : perm. sp. nur eine
leichte Andeutung des Hofes, perm. eine sehr deutliche Ausbildung
1) M. Traube, loc. cit. p. 133—141.
2) G. Tammann, Wied. Ann. 34, p. 310, 1888 und Memoires de l'Acad.
<Je St. Petersbourg 35, N. 9, p. 169, 1887.
über die Permeabilität von Niederschlagsmembranen.
215
des Hofes und sehr perm. ein sofortiges Erscheinen des Farbstoffes
in der angefärbten Lösung. In diesem letzteren Falle wird die
ganze farblose Lösung bald gefärbt. Geht der Farbstoff sehr lang-
sam durch die Membran, so haben sich die osmotischen Druckdif-
ferenzen schon ausgeglichen bevor der Farbstoff in deutlich wahr-
nehmbarer Menge durch die Membran diffundirt ist, und die Be-
dingung zur Ausbildung des gefärbten Hofes, das Fehlen störender
Convectionsströme ist vorhanden. Geht aber Farbstoff in großen
Quantitäten durch die Membran, so wird, da der osmotische Strom
anfangs seine volle Thätigkeit entwickelt, die ganze Lösung durch
die Convectionsströme gefärbt. In den ersten 6 Stunden war bei
keinem Farbstoffe, wenn derselbe nicht innerhalb der ersten Stunde
durchgetreten war, eine Diffusion durch die Membran zu bemerken.
Nach 24 Stunden aber hatte sich an der gerbsauren Leim und der
Ferrocyankupfermembran eine starke Fällung gebildet; in Folge
dessen waren in die Leimlösung alle in der Tabelle verzeichneten
Farbstoffe, mit Ausnahme von Lackmus gelangt; ebenso in die
Kupferlösung alle mit Ausnahme von Methyl violett 2B, Brillant-
grün, Baumwollenblau, Methylorange und Lackmus. In der Zink-
sulfatlösung war nach 24 Stunden nichts, was nicht schon in der
ersten Stunde bemerkt wurde, durchgetreten. Die Ferrocyanzink-
membran hatte sich aber auch nur wenig verdickt, sie war trübe
geworden, starke Fällungen bilden sich an ihr nie aus. Fast alle
der untersuchten Farbstoffe sind Salze, nur Eosin und Methyleosin
sind freie Säuren und gerade diese sind am reichlichsten durch
alle Membranen hindurchgetreten. Wie wir später sehn werden,
gehn alle Säuren durch die Niederschlagsmembranen. Alle anderen
Farbstoffe sind Salze, und zwar haben wir 2 Gruppen zu unter-
scheiden: I. Salze, deren Basen gefärbt sind, untersucht wurden
Chloride, Oxalate, Pikrate; II. Natronsalze, deren Säureradieale
gefärbt sind und die größtenteils zu den Sulfonsäuren gehören.
Die Stoffe sind der Kürze wegen mit ihren Handelsnamen bezeich-
net, und innerhalb jeder Gruppe nach der Anzahl von Atomen im
im gefärbten Ion geordnet.
Membran aus ge
saurem Leim
perm.
perm. sp.
perm.
imper.
perm. sp.
perm.
imper.
I. Salze gefärbter Basen.
Fuchsin Chlorid
Diamantfuchsin Chlorid
Safrania-Chlorid
Methylviolett 2B Chlorid
Brillantgrün-Oxalat
Anilingrün-Pikrat
Methylviolett^BChlorid
aus Fcrro-
aus Ferro-
cyanzink ;
cyankupfer.
imper.
perm. 1
imper.
perm.'sp. 2
imper.
imper.
imper.
imper.
imper.
imper.
perm. sp.
imper.
imper.
iinper.
216
G. Tammann,
II. Natronsalze der
Membran aus gerb
• aus Ferro-
aus Ferro-
Sulfonsäuren.
saurem Leim;
cyanzink ;
cyankupfer.
Methylorange
perm.
imper.
imper.
Orange 2
imperm.
imper.
imper.
Bordeaux R
perm. sp.
perm.
imper.
3.
Ponceau 3R
perm. sp.
perm. sp.
perm.
4.
Marineblau
imper.
imper.
imper.
Baumwollenblau
imper.
perm.
imper.
5.
Erytrosin extra, Tetrajod-
fluorescennatrium
perm.
sehr perm.
imper.
6.
Lackmussaures-Kali
imper.
imper.
imper.
Säuren.
Eosin
sehr perm.
perm.
sehr perm
.7.
Methylosin
sehr perm.
sehr perm.
sehr perm
Von 17 Farbstoffen gehen 11 durch die Membran aus Gerb-
säure und Leim, 7 durch die Ferrocyanzinkmembran und nur 5
durch die Ferro cyankupfermembr an. Betrachtet man die Mem-
branen als Atomsiebe, so hätte man damit die Reihenfolge der
Lochweiten in den Sieben festgestellt. Notwendigerweise darf
aber ein Atom, welches durchs Sieb mit größter Lochweite nicht
hindurchgeht, ein Sieb mit engen Löchern erst recht nicht passiren.
Man kann sich leicht in der Tabelle überzeugen, daß dieser Be-
dingung nicht genügt wird. Es kommen 7 Ausnahmen vor, die
in der Tabelle mit Ziffern bezeichnet sind.
2. Diffusion der Säuren durch die Ferrocyankupfer-
membran. Alle Säuren durchdringen die Niederschlagsmembran aus
Ferro cyankupf er, und zwar diffundiren die schwachen Säuren wenig,
die starken Säuren in großer Menge durch die Membran. Man kann
die Diffusion der Säuren durch eine Ferro cyankupfermembr an leicht in
folgender Weise verfolgen. Ueber eine Lösung der Säure (0.05 GM.)
und des entsprechenden Kupfersalzes (0.05 GM.) wird in einem
schief gehaltenen Reagensglase eine mit Lackmus gefärbte Lösung
von Ferro cyankalium (0.1 GM.) geschichtet. Bei den starken Säuren :
Salzsäure, Salpetersäure, Schwefelsäure, Pseudocumolsulfonsäure und
Trib^omessigsäure nimmt man dicht über der Ferrocyankupfer-
membran eine scharf ausgebildete rothe Zone wahr , aus der sich
rothe Schlieren durch die Ferrocyankaliumlösung erheben, oben
sammeln sich die verdünnten Lösungsschichten der Ferrocyankalium-
lösung an , und in einer Minute färbt sich etwa 1 cm Lösungs-
säule von oben herab nach unten hin roth. Bei schwachen Säuren
ist der rothe Saum über der Ferrocyankupfermembran nicht zu
beobachten, sonst geht wie früher die Rothfärbung der Lösung
über die Permeabilität der Niederschlagsmembranen. 217
nur langsam, von oben herab vor sich. Die untersuchten schwa-
chen Säuren sind : Essigsäure, Propionsäure, Isobuttersäure, Milch-
säure , Bernsteinsäure, Malonsäure, Weinsäure, Citronensäure,
Mono-, Di- und Trichloressigsäure. Natürlich kann man bei an-
ders gewählten Concentrationen der Lösungen auch andere Bilder
beobachten. Herrscht in der Lösung der Säure und des Kupfer-
salzes höherer osmotischer Druck als in der Ferrocyankaliumlö-
sung, so tritt die Rothfärbung ebenfalls an der oberen Seite der
Membran auf, um sich aber von unten nach oben langsam, ent-
sprechend der Diffusion der Säure, zu verbreiten.
Die Beobachtung, daß starke Säuren augenscheinlich in bedeu-
tend größerer Menge als die schwachen Säuren durch die Ferrocyan-
kupfermembran treten, machte einige quantitative Parallelversuche
mit verschiedenen Säuren wünschenswerth. In eine flache Schale
von 10.5 cm Durchmesser wurden 80 cbcm einer Lösung von Ferro-
cyankalium (0.05 GrM.) gebracht , die Lösung mit einem Stück
Pergamentpapier überdeckt und auf dieses immer 100 cbcm einer
Lösung von Säure mit dem Zusatz des entsprechenden Kupfer-
salzes gebracht. Nach einer kurzen Zeit wurde die überdiffun-
dirte Säure in der ganzen Portion der Ferrocyankaliumlösung mit
normaler Natronlauge titirt. In folgender Tabelle sind für jeden
Versuch die Anzahl von verbrauchten cbcm Natronlauge neben der
seit Beginn des Versuchs verflossenen Zeit in Minuten notirt.
0.5 GM. HCl -f 0.05 GM. CuCl9 0.5 GM. HN08 + 0.05 GM. Cu (N08)9
Zeit cbcm norm. Natronl. Zeit cbcm norm. Natronl.
8
2.6
10
3.6
11
4.2
14
5.6
16
8.7
18
7.7
30
9.4
33
11.7
70
16.0
45
14.8
70
15.9
62
18.0
80
18.0
102
21.9
120
21.8
0.25. GM.
H,S04
-f- 0.05 GM.
CuS04
0.5GM.CH8
COOH + 0.05 GM. Cu (CH COO)a
Zeit
cbcm
norm. Natronl.
Zeit
cbcm
norm. Natronl.
10
2.6
12
1.0
22
3.4
20
1.6
60
8.2
62
3.9
84
9.7
120
6.2
120
12.2
180
7.9
318
17.5
376
12.5
Nach Eintritt des Gleichgewichts
, nachdem auf beiden Seiten der
218 GL Tammann,
Membran die Concentration der Säure dieselbe geworden ist, müß-
ten 22 cbcm norm. Natronlauge zur Sättigung in den 80 cbcm Fer-
rocyankaliumlösung verbraucht werden. Am schnellsten wird dieser
Gleichgewichtszustand bei Salpetersäure und Salzsäure erreicht. Die
durch den osmotischen Wasserstrom hervorgerufenen Convections-
ströme beschleunigen den Eintritt des Gleichgewichts in hohem
Maasse. Durch ein Stück Pergamentpapier diffundirte von oben
nach unten durch Pergamentpapier unter ganz ähnlichen Bedin-
gungen, nur waren die beiden Membranogene nicht zugefügt wor-
den, in 70 Minuten 0*0043 GM., während in derselben Zeit durch
die Pergamentschicht mit einer Ferrocyankupfermembran 0.0160 GM.,
also die vierfache Menge hindurch diffundirte. Nach 15 Minuten
sind in Grammmolekülen durch die Ferrocyankupfermembran hin-
durch diffundirt
Salzsäure 0.0070 GM
Salpetersäure 0.0060
Schwefelsäure 0.0034
Essigsäure 0.0011.
Unter denselben Bedingungen, mit der Abweichung, daß die Schale
Ferrocyankaliumlösung von 0.025 GM. und die Lösung auf dem
Pergamentpapier 0.25 GM. der folgenden Säuren plus 0.025 GM.
des Kupfersalzes der entsprechenden Säure enthält, sind in 75 Mi-
nuten in Grammmolekülen durch die Ferrocyankupfermembran hin-
durchdiffundirt
Salzsäure 0.0090 GM.
Trichloressigsäure 0.0066
Monochloressigsäure 0.0033
Essigsäure 0.0026.
Bei verschiedenen Säuren ordnen sich die durch die Ferrocyan-
kupfermembran hindurchdiffundirten Mengen in der Reihenfolge
der Gehalte jener Lösungen an dissociirten Molekülen. Ob die dif-
fundirten Mengen wirklich proportional der Anzahl von Ionen in
den Lösungen sind , läßt sich nicht entscheiden , da man die Con-
centration der Säurelösung an der Ferrocyankupfermembran nicht
kennt. Die Säurelösung wird ja beständig durch den osmotischen
Strom verdünnt. Die Frage, ob die nicht dissociirten Antheile die
Membran durchdringen, kann also auf Grund jener Versuche weder
bejaht noch verneint werden. Man darf nur behaupten, daß haupt-
sächlich die Ionen die Membran durchdringen.
3. Diffusion von Salzen durch Niederschlagsmembra-
nen. Traube1) hat von der Ferrocyankupfermembran angegeben,
1) M. Traube, loc. cit. p. 133— Hl.
über die Permeabilität von Niederschlagsmembranen. 219
daß sie für Chlorkalium, Chlornatrium und Chlorammonium permeabel,
für Baryumchlorid und Nitrat, Calciumchlorid, Kalium und Ammo-
niumsulfat impermeabel ist. Ich habe früher die Angabe für Ka-
liumsulfat bestätigt, habe mich aber jetzt überzeugt, daß alle die
von Traube angegebenen Salze, mit Ausnahme von Calciumchlo-
rid , die Membran zu durchdringen vermögen. Von der Membran
aus gerbsaurem Leim giebt Traube an, daß sie von Chlorammo-
nium, Ammoniumsulfat, Baryumnitrat und Schwefelsäure durch-
drungen wird ; impermeabel soll dieselbe für Ferrocyankalium sein.
Die letzte Angabe ist nicht richtig ; denn eine Membran aus gerb-
saurem Leim vermehrt den Widerstand einer Ferrocyankaliumlö-
sung, die vor ihr in zwei untereinander nicht zusammenhängende
Theile getrennt wird, und außerdem kann man leicht nach dem
unten beschriebenen Verfahren zeigen , daß Ferrocyankalium wie
auch Cupfersulfat in recht bedeutenden Mengen durch die Membran
treten. Man kennt also für die Membran aus gerbsaurem Leim
kein Metallsalz, für welches die Membran impermeabel ist.
Schichtet man in einem schief gehaltenen Probirglase über
eine Lösung von Ferrocyankalium eine Lösung von Cupfersulfat
und Kaliumsulfat, so kann man nach 10 Minuten in der Ferrocyan-
kaliumlösung eine geringe Menge von Kaliumsulfat nachweisen.
Da aber gewöhnlich während dieser Zeit eine stärkere Fällung
von Ferrocyankupfer eintritt , und da auch ohne Zusatz von Ka-
liumsulfat zur Kupfersulfatlösung nach der Bildung einer starken
Fällung Kaliumsulfat in der Ferrocyankaliumlösung nachweisbar
ist, so bleibt man im Zweifel, ob das Kaliumsulfat durch die Mem-
kbran hindurchdiffundirt oder bei der Bildung der Fällung in die
Ferrocyankaliumlösung gelangt ist. Man kann Versuche über die
Permeabilität der Ferrocyankupfermembran Salzen gegenüber mit
viel größerer Sicherheit anstellen, wenn man die Ferrocyankupfer-
haut, wie es Pfeffer1) gethan, in Pergamentpapier einlagert.
Dadurch verzögert man das Eintreten der störenden Fällung sehr
bedeutend. Nach 1 Stunde ist auf dem Pergamentpapier nur eine
braune Färbung entstanden, und auch nach 3 und 4 Stunden ist
die Fällung von Ferrocyankupfer so gering, daß es nicht gelingt,
in der Ferrocyankaliumlösung Kaliumsulfat nachzuweisen. All die
untersuchten Salze gehen sehr leicht durch das Pergamentpapier
hindurch, so daß diese die Resultate wenigstens in qualitativer Rich-
tung hin nicht beeinflussen kann. Zur Ausführung der folgenden
Prüfungen wurde auf ein kleines Uhrglas eine Lösung von Ferro-
1) W. Pfeffer, Osmotische Untersuchungen 1877, p. 12.
220 Ö. Tammann,
cyankalium (0.1 GM) gebracht, nach dem Bedecken dieser mit Per-
gamentpapier, wurde aufs Papier eine Lösung, die 0.1 GM. des zu
prüfenden Salzes und 0.1 GM. des entsprechenden Kupfersalzes ent-
hielt, gegossen. Entweder wurde auf das diesen beiden Salzen
gemeinsame Ion, oder auf das dritte vorhandene Ion in der Ferro-
cyankaliumlösung geprüft. Die Concentrationen der Lösungen sind
so gewählt, daß der osmotische Strom Convectionsströme veranlaßt,
die für Vertheilung des durchgetretenen Stoffes in der Ferrocyan-
kaliumlösung sorgten. Wenn nicht eine andere Zeit angegeben ist,
so blieben die Lösungen eine Stunde lang in Berührung.
Von den Sulfaten diffundiren durch die Ferrocyankupfermem-
bran in geringer Menge Ammoniumsulfat, in bedeutend geringerer
Menge Kaliumsulfat und Natriumsulfat und in Spuren Lithium-
sulfat. Für Magnesiumsulfat ist die Membran ganz impermeabel,
auch nach 5 Stunden war in der Ferrocyankaliumlösung keine
Schwefelsäure nachzuweisen. Ueber das Verhalten der Chloride,
Bromide, Nitrate und Dithionate der alkalischen Erdmetalle giebt
folgende Zusammenstellung einen Ueberblick. Es wurde nach 1
und 3 Stunden in der Ferrocyankaliumlösung auf das Vorhandensein
des Salzes der alkalischen Erde mit kohlensaurem Natron geprüft.
Cl2
Br2
(N03)2
s*o6
Ba
perm.
perm.
perm.
imp.
S2
perm.
perm.
imp.
perm
Ca
imp.
imp.
imp.
imp.
Mg
imp.
imp.
imp.
—
Chlorbaryum war am meisten durchgetreten, von allen anderen
Salzen nur Spuren. Von den Kalk- und Magnesiumsalzen diffun-
dirt kein einziges durch die Membran. Die Chloride, Bromide und
Nitrate von Kalium , Ammonium , Natrium und Lithium gehn alle
in reichlicher Menge, vielmehr als die entsprechenden Sulfate, durch
die Membran. Die folgenden Salze wurden zur Ferrocyankalium-
lösung gesetzt und nach 1 und 3 Stunden wurde die Kupfersulfat-
lösung abgedampft und erhitzt ; trat eine Verfärbung des hellblauen
Kupfersulfats ein, so war damit der Durchtritt der Salze bewiesen.
Von den Kalisalzen der Carbonsäuren geht am meisten ameisen-
saures, dann essigsaures, schließlich propionsaures und malonsaures
Kalium durch. Isobuttersaures und isovaleransaures, bernsteinsaures,
weinsaures und citronensaures Kalium diffundiren nicht durch die
Membran.
Die Ferrocyanzinkmembran verhält sich, so weit dieselbe auf
das Verhalten von Salzen geprüft wurde, ganz ähnlich der Ferro-
cyankupfermembran. So gelten die über das Verhalten der Sul-
über die Permeabilität von Niederschlagsmembranen. 221
fate gemachten Angaben im selben Wortlaut auch für die Ferro-
cy anzinkmembr an .
Bernsteinsäure, Weinsäure, Citronensäure und Isobuttersäure
durchdringen die Ferrocyankupfermembran, für die Kalisalze dieser
Säure ist aber dieselbe Membran impermeabel. Die Chloride und
Nitrate der Alkalien gehn in großen Mengen durch die Membran,
ebenso tritt viel Schwefelsäure durch dieselbe. Also finden weder
die Ionen Kalium, Natrium, Ammonium, Lithium und andererseits
das Ion SO4 an der Membran einen bedeutenden Widerstand, und
doch gehn die Sulfate von Kalium, Natrium und Lithium nur in
sehr geringer Menge durch die Membran. Kaliumdithionat durch-
wandert die Membran, nicht aber Strontiumdithionat, das ja auch
diffundiren müßte, da ja Strontiumchlorid, -bromid und -nitrat die
Membran durchdringen.
Diese Befunde sprechen gegen die Ansicht Ostwalds: alle
Salze, in denen ein Ion enthalten ist, welches durch die Membran
nicht diffundirt, können ebenfalls die Membran nicht passiren.
4. Um die Semipermeabilität von Niederschlagsmembranen zu
erklären, hat Traube die Poren theorie aufgestellt. Es giebt aber
noch eine Reihe von anderen semipermeabeln Substanzen, auf die
man die Porentheorie nicht anzuwenden braucht, um ihre Semiper-
meabilität zu erklären. Nach Deville und Troost1) und Th.
Graham2) durchdringt Wasserstoff, besonders leicht bei höherer
Temperatur, Eisen, Platin und Palladium; von diesen Metallen
wies Gr r a h a m nach, daß sich in ihnen Wasserstoff auflöst. Ler-
mite zeigte Osmose in einem System von Aether, Wasser und
Chloroform. Schichtete er diese Flüssigkeit in einem Rohr über-
einander, so nahm das Chloroform an Volumen zu, indem der Aether,
der sich in Wasser löst, durch dieses zum Chloroform diffundirt.
Für Stoffe , die sich in Membranen aus jenen Materialien lösen,
sind diese Membranen permeabel, für solche, die in jenen Mem-
branen sich nicht lösen, sind sie impermeabel. N ernst hat in
dieser Weise die Semipermeabilität z. B. fürs Protoplasma erklärt.
In ganz derselben Weise kann man auch die Semipermeabilität der
Niederschlagsmembranen verstehn. Alle Niederschlagsmembranen
sind hydratische Stoffe. Für diese Hydrate ist es, wie für Kiesel-
säurehydrat, wahrscheinlich, daß die Curven ihrer Dampfspannun-
1) M. Deville und Troost, Compt. rend. 66. 977. 1863.
2) Th, Graham, Phil. Mg. (4) 32 p. 401. 1866.
3) L'hermite Ann. ehem. phys. [3] 43 p. 420. 1854.
4) W. Nernst, Zeitschrift f. phys. Chem. VI, p. 40, 1890.
222 G. Tarn mann, über die Permeabilität von Niederschlagsmembranen.
gen nach dem Wassergehalt des Hydrats hin dnrch eine stetig
gekrümmte Linie , ohne Sprünge wie bei gewissen Salzhydraten,
dargestellt wird. Man darf ferner annehmen, daß durch das Im-
bitationswasser , das colloide Stoffe , zu denen die Niederschlags-
membran gehören , aufnehmen , die Dampfspannung einer solchen
hydratischen Niederschlagsmembran sehr nahe der des reinen Was-
sers wird. Der osmotische Strom in einem System einer Lösung
einer Niederschlagsmembran und einer Lösung, käme dann durch
einen Destillationsproceß zustande. Der Wassergehalt der Mem-
bran müßte von den Dampfspannungen der sie umgebenden Lö-
sungen abhängen. Hat die Lösung A größeren osmotischen Druck
als die Lösung ß, so würde zuerst Wasser von B in die Membran,
durch diese in die Lösung A destilliren oder diffundiren. Ob ein
Stoff außer Wasser die Membran passiren kann, hängt nur von
der Löslichkeit jenes in der Membran ab. Wir haben früher ge-
sehn, daß die Thatsachen den Folgerungen aus der Porentheorie
nicht genügen. Regeln für die Permeabilität kann man aus den
oben entwickelten Anschauungen nicht ableiten. Besitzen wir 'doch
überhaupt keine Regeln , die uns in Stand setzen, etwas über die
Löslichkeit zweier Stoffe in einander vorauszusagen.
Dorpat, 10. Mai 1891.
Inhalt von Nr. 6.
Eduard Rieche, zur Theorie der piezoelektrischen und pyroelektrischen Erscheinungen. — 0. Tammann
und W. Nernst, über die Maximaltension, mit welcher Wasserstoff aus Lösungen durch Metalle in Freiheit
gesetzt wird. — Q. Tammann , über die Permeabilität von Niederschlagsmembranen.
Für die Redaction verantwortlich: E. Sauppe, Secretar d. K. Ges. d. Wia».
Commissions-Verlag der Dieterich' sehen Verlags- Buchhandlung.
Druck der Dieterich' sehen Univ.- Buchdrucker ei ( W. Fr. Kaestner).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
19. August. J|g 7. 1891.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 4. Juli.
Sc he ring legt eine neue Lösung der Kepplerschen Gleichung vor.
Schwarz macht eine Mittheilung über ein demnächst zu veröffentlichendes Ver-
zeichniß aller (oder wenigstens der Mehrzahl) derjenigen Schriften, welche
seit dem Jahre 1761 veröffentlicht sind und sich mit der Theorie der Flächen
kleinsten Flächeninhalts beschäftigen.
R i e c k e legt eine Abhandlung vor : ȟber eine mit den elektrischen Eigenschaften
des Turmalins zusammenhängende Fläche 4. Ordnung«.
Klein legt eine Arbeit des Herrn Dr. Hubert in Königsberg vor: >über die
Theorie der algebraischen Invarianten«.
Wüsten fei d übergiebt für den Band 37 der Abhandlungen eine Fortsetzung
seiner früheren Arbeiten über : »Die gelehrten Schäfi'iten des 5. Jahrhunderts
der H.«
de Lagarde legt einen Aufsatz des Herrn Dr. Rahlfs: ȟber Lehrer und
Schüler bei Junilius Africanus« vor.
IJeber eine mit den electrisclien Eigenschaften
des Turmalins zusammenhängende Fläche.
Von
Eduard Riecke.
Wir beziehen den Turmalin auf ein rechtwinkliges Coordi-
natensystem, dessen z-Axe mit der dreizähligen Symmetrieaxe zu-
sammenfällt, während die #-Axe auf einer Symmetrieebene Benk-
fcueurichten von d. K. (i.d. W. zn Göttinnen. 189J. Nr. 7. y] '
224 Eduard Riecke,
recht steht. Es sei eine beliebige Richtung dadurch bestimmt, daß
ihre Cosinusse mit Bezug auf die Coordinatenaxen gleich yv y„ ys
sind. Durch einen in dieser Richtung ausgeübten Druck p werden
in den einzelnen Volumelementen des Turmalins elektrische Mo-
mente erzeugt, welche bezogen auf die Einheit des Volumens die
Componenten a, b, c besitzen mögen. Nach den von Voigt aufge-
stellten Gleichungen ist:
a/p = Yi&ytQ + nR)
b/p = (y?-rf)ö+yfytÄ
dp = s+yiT
wo Q , R , S und T gewisse dem Turmalin eigenthümliche Con-
stante sind.
Trägt man nun die einem bestimmten Drucke entsprechenden
Werthe von a/p, b/p, c/p auf den Coordinatenaxen auf, so bestim-
men sie einen Punkt, p , welcher eine gewisse Fläche beschreiben
wird, wenn man dem Druck alle möglichen Richtungen im Räume
ertheilt. Die Eigenschaften . dieser Fläche sollen im Folgenden
untersucht werden. Man bemerkt zunächst, daß jeder gegebenen
Druckrichtung ein bestimmter Punkt der Fläche entspricht ; der
Radius Vektor dieses Punktes giebt durch seine Richtung die Rich-
tung des piezoelektrischen Momentes, durch seine Länge die Größe
des Momentes an.
Es ist zweckmäßig, an Stelle der rechtwinkligen Coordinaten
Polarkoordinaten einzuführen, indem man
yt = sin © cos 3>, y2 = sin @ sin <&, y3 = cos &
a/p = psin#cos<p, b/p = q sin # sin cp, c/p = ecos#
und zur Abkürzung noch
psin# = 6
setzt. Die Voigt 'sehen Gleichungen werden dann:
| = <y cos <p = Q sin2 0 sin 2$ -f R sin 0 cos 0 cos #
rj = (5 sin <p = Q sin2 0 cos 2$ -f R sin 0 cos 0 sin 3>
t = Qcosfr = S+Tcos20
Wir betrachten zunächst die Schnitte der Fläche durch Ebenen,
welche senkrecht zu der ^-Axe gelegt werden; die einer solchen
Schnittkurve angehörenden Flächenpunkte entsprechen Druckrich-
tungen, welche einen um die #-Axe als Rotationsaxe beschriebenen
Kreiskegel bilden. Es ergiebt sich dieß aus der für die #-Coor-
über eine m. den electr. Eigenschaften d. Turmalins zusammenhängende Fläche. 225
dinate eines beliebigen Flächenpunktes geltenden Gleichung £ — S
= T cos2 ©. Setzen wir :
so wird
#sin20 = Q', iZsin0cos0 = R'
£ = #'sin2<£ + 22'cos#
n = Q'cos2$ + .ß'sin#.
Die Größen Q', R' und £ — S können mit Hülfe einer einfachen
geometrischen Construktion gefunden werden, sobald Q, R, T und
O gegeben sind.
Die einem bestimmten Werthe des Winkels 0 entsprechende
Schnittkurve, beziehungsweise ihre Projektion auf die #y-Ebene
kann nun in folgender Weise konstruirt werden. Wir beschreiben
in der x «/-Ebene um den Anfangspunkt des Coordinatensystems
einen Kreis mit dem Halbmesser R' ; durch den Anfangspunkt
ziehen wir einen Radius Vektor, welcher mit der x-Axe den Win-
kel (P einschließt und welcher demzufolge in der durch die Druck-
richtung gehenden Meridianebene liegt. Durchschneidet dieser Ra-
dius den mit R' beschriebenen Kreis in dem Punkte c, so ziehen
wir durch c eine Linie, welche mit der y-Axe den Winkel 2 <P ein-
schließt und schneiden auf dieser von c aus die Strecke Q' ab;
der so erhaltene Punkt ist die Projektion eines Punktes der Ober-
fläche, welcher das der Druckrichtung (0, 0) entsprechende elek-
trische Moment repräsentirt.
Wir wollen nun untersuchen, welche Werthe des Winkels &
dem Winkel q> = tc/6 entsprechen. Die Gleichungen sind
<ycosjr/6 = Q'sm2& + R'co3&, ösmjc/6 = Q'coa20 + R'sm$
woraus
Q' cos (2$ + * /6) = -R' sin (#-«/6) oder
#'sin2 (0> - */6) = R' sm'(Q-x/6).
Eine Lösung dieser Gleichung erhält man, indem man 3> = tf/6
setzt ; in diesem Falle liegt also die Richtung des piezoelektrischen
Momentes in derselben durch die Hauptaxe gehenden Ebene , wie
die Druckrichtung. Da allgemein
<y* vm e'2 + ir + 2Ö'JR'sin30>,
so wird für ® = tt/6 : ff = R'+Q'.
17*
226 Eduard Riecke,
Zwei weitere Wurzeln der für <& geltenden Gleichung sind:
^ ft _i_ R'
* = -g-±arccosw.
Ist Q' <c R'/2 so sind die dieser Gleichung entsprechenden Winkel
imaginär. Es existieren in diesem Falle keine weiteren Druckrich-
tungen, für welche das elektrische Moment in das Azimut jt/6 fällt.
Ist Q' — R'/2, so sind die beiden anderen Wurzeln der Gleichung
ebenfalls gleich ä/6. Wenn aber Q'> R'/2, so existieren noch zwei
andere Azimute 3>, für welche das Azimut des elektrischen Mo-
mentes gleich 7t/6 wird. Es ergiebt sich in diesem Falle
^=^2 + e'2 + 2JR'Ö'sin(|-±3arccos~)
m R'2 + Q" + 2 R' Q' cos (3 arc cos ^)
Setzen wir hier für R' und Qf ihre Werthe in Q, R und 0, so er-
giebt sich:
Da
nun
öQ = i22cos20-()2sin2@.
cos30 = i^,
so erhält man die Gleichung
TQ(6 + Q) = (R* + (?)$- S)..
In dieser Gleichung ist die folgende merkwürdige Eigenschaft
unserer Fläche ausgesprochen. Wir haben gesehen, daß die betrach-
tete Curve auf dem durch <p = tt/6 bestimmten Radius Vektor jeden-
falls einen Punkt besitzt, für welchen 0 = R' + Q' undd> ebenfalls
gleich jr/6. Außerdem hat aber die Curve auf demselben Radius noch
einen Doppelpunkt, wenn #' ;> 2 .R' ; für diesen ist 6Q = R2cos2&
—Q* sin2 0 und # = jt/6 ± arc cos R'/2 Q'. Auf der Oberfläche selbst
liegt die betrachtete Curve in einer zur #-Axe senkrechten Ebene,
deren Abstand von der ay-Ebene durch g = S+Tcos2@ gegeben
ist. Nun zeigt die letzte Gleichung, daß zwischen 6 und g eine lineare
Gleichung besteht ; d. h. die Doppelpunkte der in den verschiedenen
über eine m. den electr. Eigenschaften d. Turmalins zusammenhängende Fläche. 227
auf einanderfolgenden Schnittebenen befindlichen Curven liegen auf
einer geraden Linie.
72
Für Q' = R' oder tg S = -j wird 6 = 0 und <& = jr/2 oder
gleich — % /6.
Aus den Gleichungen £ = ,-ß' cos <& + $' sin 2 3> und rj =
R' sin 3> + Q' cos2 tf> ergiebt sich, daß die zu untersuchenden Schnitt-
kurven Hypocykloiden sind , welche in folgender Weise kon-
struirt werden können. In der xy-Ehene beschreiben wir um den
Anfangspunkt 0 des Coordinatensystems einen Kreis mit dem Halb-
messer 3 R'ß ; in diesem lassen wir einen zweiten Kreis rollen,
dessen Halbmesser gleich R'ß ist; nehmen wir auf dem rollen-
den Kreis einen Punkt, jr, im Abstände Q' von seinem Mittelpunkt
c und stellen wir den Kreis so, daß die Azimute der Linien Oc
und Oit gegen die #-Axe gleichzeitig den Werth jr/6 annehmen,
so beschreibt der Punkt it die zu untersuchende Schnittkurve.
Es ist hiernach leicht, einen Ueberblick über die verschiedenen
Gestalten zu gewinnen, welche die Schnittkurve annimmt, wenn 0
von 0 bis jr/2 wächst und dem entsprechend g von S + T bis S ab-
nimmt. Für sehr kleine Werthe von 0 ist R' = R 0 und Q' = Q 0* ;
die entsprechende Hypocykloide weicht demnach nur sehr wenig
ab von einem mit dem Halbmesser R' beschriebenen Kreise. Da
der Halbmesser des rollenden Kreises gleich dem dritten Theil von
demjenigen des Bahnkreises ist , so kehrt der erstere genau in
seine Anfangslage zurück, wenn er drei Umwälzungen vollzogen
hat. Die Hypocykloide bildet eine geschlossene Curve ; sie ist
symmetrisch mit Bezug auf drei durch den Mittelpunkt des Bahn-
kreises gezogene Durchmesser, welche mit der x-Axe die Winkel
jr/6, 5 Tt/ß, 9 jt/6 einschließen. Der Radius Vektor der Hypocykloide
hat seinen größten Werth R' -f- Q' in den Azimuten <p = jr/6,
= 5 jr/6, = 9 jz/6, seinen kleinsten Werth R'— Q' in den Azimuten
cp = 3jt/6, = 7jt/6, = 11ä/6. Die Cykloide ist eine verkürzte,
so lange. Q'<R'ß. Wird Q' = R'ß, also tg 0 = RßQ und
402 T
g = S + 4/324. pi~ > so erhalten wir eine gewöhnliche Hypocykloide
mit 3 Spitzen. Wird Q' > R'ß , so wird die Hypocykloide eine
verlängerte, mit Doppelpunkten in den Richtungen <p = ä/6, = 5jz/6,
= 9^/6. Für Q' = R' geht die Cykloide durch den Mittelpunkt
des Bahnkreises hindurch , die drei Doppelpunkte fallen in einen
dreifachen Punkt zusammen. Wird Q' :> R', so fallen die Doppel-
punkte in die Azimute q> = 7 jr/6, = 11 7t/6, = 3/ä6. Wenn end-
lich 0 nahe an %ß rückt, so wird Q' = Q und R' = R (jr/2 — 0);
228 Eduard Riecke,
für 0 == ar/2 geht die Cykloide über in einen Kreis mit dem Halb-
messer Q ; gleichzeitig wird % === 8 und für die Doppelpunkte 0 = — Q.
"Wir wenden uns nun zu der Untersuchung der Meridian-
schnitte der Fläche. Zuerst mögen die in einer der Sym-
metrieebenen liegenden Curven betrachtet werden. Setzen wir
(p = ar/6, so wird für die Maximalwerthe B' + Q' des Radius Vek-
tors auch O = jr/6 ; lassen wir O wachsen von 0 bis ar/2, so sind
jene Maximalwerthe gegeben durch 6 = B sin 0 cos O + Q sin2 0, die
entsprechenden Werthe der -e-Coordinate durch £ = # + Teos20.
Die in derselben Symmetrieebene liegenden Minima der Radien Vek-
toren , B' — Q' = B sin 0 cos 0 — $ sin2 Q erhalten wir, wenn wir
<p = 7ä/6, und dem entsprechend auch O = 7ä/6 setzen und dann
wiederum O von 0 bis jr/2 wachsen lassen. Die zugehörigen *-Coor-
dinaten sind wieder gegeben durch J = S -f Tcos2 0. Wenn wir nun
in der betrachteten /Symmetrieebene für die beiden in Frage kom-
menden Quadranten die positive Richtung von ö so wählen, daß
sie mit der Maximalrichtung des Radius Vektors übereinstimmt,
so haben wir das Vorzeichen des Minimalwerthes umzukehren und
erhalten , wenn 0 in dem Quadranten #, + 6 liegt : 6 = Q sin2 0
+ .ß sin 0 cos 0 , wenn 0 in dem Quadranten e, — 6 liegt: (? =
Q sin2 0—B sin 0 cos 0. Beide Ausdrücke können in den einen 6 =
Q sin2 0 + J?sin 0 cos 0 zusammengefaßt werden, wenn wir 0 selbst
in dem ersteren Quadranten positiv, in dem zweiten negativ neh-
men. Bezeichnet man durch 6 und 6' die beiden Radien, welche
einem und demselben absoluten Werthe von 0 entsprechen, so wird
— g— = Q sin 0 und daher + * g = 1.
Es ergiebt sich somit der Satz : Zieht man in der Symmetrie-
ebene Linien senkrecht zu der #-Axe, so schneiden diese die Ober-
fläche in zwei Punkten ; die Halbierungspunkte der durch die Schnitt-
punkte gebildeten Segmente liegen in einer geraden Linie, welche die
Punkte mit den Coordinaten £ = S, 6 = 6' = Q und g •= S + T,
6 = ar = 0 verbindet. Setzt man nun
so ergiebt sich^durch Elimination von 0:
(Tr + QZX+B'g* = £2T2/4.
Die betrachtete Curve ist somit eine Ellipse, deren Mittelpunkt
in dem ursprünglichen System die Coordinaten tf = Q/2, £ = &+ T/2
über eine m. den electr. Eigenschaften d. Turmalius zusammenhängende Fläche. 22 9
it und welche von einer zu der x «/-Ebene in der Entfernung S
gelegten Parallelebene im Abstände Q von der £-Axe , von einer
in der Entfernung S + T gelegten Parallelebene in der z-Axe selbst
berührt wird.
Diese Ellipse repräsentiert aber nicht den ganzen Schnitt der
Fläche durch die dem Azimut q> = ä/6 entsprechende Symmetrie-
ebene; denn in dieser Ebene liegen noch die Doppelpunkte der
Hypocykloiden ; die von diesen gebildete gerade Linie
TQ(e+Q) = (B* + «■)»-«)
402T
genommen zwischen den Ordinaten J = S und g = # + -r-^ — =5-
muß der Ellipse noch hinzugefügt werden, um den vollständigen
Schnitt zu erhalten. Aus dem Folgenden geht hervor, daß die
gerade Linie als eine doppelt zählende zu betrachten ist.
Für eine beliebige Meridianebene erhält man die Gleichung
der Schnittkurve am einfachsten, wenn man zunächst die Glei-
chung der zu der x «/-Ebene parallelen Schnittkurven in rechtwin-
keligen Coordinaten aufstellt. Setzt man zu diesem Zweck in den
Gleichungen
g = E'cos# + 2<)'sin<Z>cos<2>
rj = R' sin O + Q' (cos2 ©-sin2 *)
cosÖ> = — •, sin* = — ,
z ' z '
so erhält man die in x, y und z homogenen Gleichungen
2Q'xy + R'xz-£z2 = 0
Q'x2— Q'if + R'yz-riz2 = 0
x2 + y2-z2 = 0.
Eliminiert man aus diesen Gleichungen xt y, z und setzt man zu-
gleich für R! und Q' ihre Werthe in R, Q und 0, so ergiebt sich
als Gleichung der Hypocykloiden in rechtwinkligen Coordinaten:
lSQ2(? + ri2)};2 + <iQR2cos20(4r1i-9?)ri
- 8 (2 Q2 sin2 0 + R2 cos2 0) (Q* sin9 0 -.ß9 cos2 0) £9
+ (4 Q2 sin2 0- R2 cos9 0)2 tf + 8 sin2 0 (ff sin9 0-i*9 cos9 0)8
= 0.
Setzt man hier an Stelle von cos9 0 und sin" 0 die Ausdrücke
230
Eduard Riecke,
COS90
T *
sin2©
#+ r-t
so erhält man die Gleichung der piezoelektrischen Fläche in recht-
winkligen Coordinaten, welche darnach von der vierten Ordnung ist.
Setzt man >/ = 0, so erhält man die Gleichung der Curve, in
welcher die Fläche durch die .>:- Ebene geschnitten wird:
16 Q' |* -8 (2 Q' sin" 0 + R' cos9 G) (Q* sin9 0 - R* cos9 0) |3
+ 8 sin9 0 (Q* sin9 0 - R* cos9 0)3 = 0.
Die Schnittkurve ist symmetrisch gegen die z-Axe. Ihre Gestalt wird
durch die beistehende Figur 1 anschaulich gemacht; gleichzeitig
giebl Figur 2 die Schnittkurve in einer Meridianebene, deren Azi-
mut (p = jr/12 ist, Figur 3 die Schnittkurve in der Symmetrieebene
mit (p = »/6. Man sieht, daß die in der letzteren Figur auftretende
gerade Linie in der Thal aus dem Zusammenfallen zweier Curven-
zweige entsteht.
Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3.
Es bleibt endlich noch zu untersuchen, welche Curven der
Endpunkt des elektrischen Momentes auf dvr piezoelektrischen
Fläche beschreibt, wenn vier Druck in einer und derselben Meli-
dianebene alle möglichen Richtungen durchläuft. Eliminieren wir
cos0 und sin0 aus je zweien der Gleichungen
| = J?cosÖ>sin0cos0 + Qsin2Ö>sin*0
if — .Rsintf>sin0cos0 + Öcos2<&sin90
so erhalten wir die Projektionen der gesuchten Curven auf die
drei Coordinatenebenen.
Die Elimination ans den ersten beiden Gleichungen giebt:
(Q sin2 0t)-Qoos2 0£y+(Rcos <&q-2Ssin 0%) (Rcos 0 }}-R sin O*
-jRÖcos30) = 0.
Die Projektion der Curve auf die «y-Ebene ist somit eine
Ellipse, welche durch den Anfangspunkt des Coordinatensystems
hindurchgeht. Für 0 = */6 wird die Gleichung m cos 0 - ? sin 0 = 0 .
über eine m. den electr. Eigenschaften d. Turmalins zusammenhängende Fläche. 231
d.h. die Ellipse geht über in eine gerade Linie , welche der mit
#-Axe den Winkel jt/6 einschließt. Für 0 = 0 ergiebt sich
R7/4 "*" Q*/4 "~
Für 0 = ä/2 : |2 = 0, die Ellipse geht über in ein doppelt
zn zählendes Stück der Axe r\1 ebenso wie in der ersten Sym-
metrieebene, für welche 0 = jr/6 ist.
Für die Projektionen der auf der piezoelektrischen Fläche ver-
laufenden Curven auf die beiden anderen Coordinatenebenen erhält
man die Gleichungen :
\Qcos20(S+T— g)-Tri\2-R2 sin2 0(S+T-£)(S-S) = 0
\Qsm20(S+T-S)-T*\2-R2cos20(S+T-t)(S-S) = 0.
Multipliciert man dieselben beziehungsweise mit cos2 0 und sin2tf>,
so ergiebt sich durch Subtraktion:
(S+T-£)#(cos2<Pcos<2> + sin2<Psin<Z>) = T^cos + gsin tf>).
Die für konstante Wert he von 0 auf der piezo-
elektrischen Fläche sich ergebenden Curven sind
somit ebene Curven; da aber ihre Projektion auf die xy-
Ebene eine Ellipse ist, so müssen auch die auf der Fläche liegen-
den Curven selbst Ellipsen sein. Ob in der vorhergehenden Glei-
chung das positive oder negative Zeichen zu wählen ist, ergiebt
sich, wenn man den aus derselben folgenden Werth von S + T— %
in der Gleichung
\Qcos20(S+T-g)-Tri\2-R2sin20(S + T-g)(Z-S) = 0
substituiert ; die resultierende Gleichung muß identisch sein mit
der zuvor für die Projektion auf die # «/-Ebene gefundenen. Aus
dieser Bedingung ergiebt sich, daß das negative Zeichen das rich-
tige ist. Die Gleichung der Ebenen der Ellipsen wird somit
(S+T-£) Qcos30 = Tfacos©— gsinfl).
Für 0 = 0 wird dieselbe
(S+T-QQ = TV.
Wenn der Druck alle möglichen Richtungen in der a^-Ebene
annimmt, so beschreibt der Endpunkt des piezoelektrischen Mo-
mentes eine zur y^-Ebene senkrecht stehende Ellipse.
232 David Hubert,
Ueber die Theorie der algebraischen Invarianten.
Von
David Hubert aus Königsberg in Pr.
(Vorgelegt von F. Klei n.)
Es sei eine Grundform mit beliebig vielen Veränderlichen und
Veränderlichenreihen vorgelegt. "Wir betrachten die ganzen ratio-
nalen Invarianten dieser Grundform d. h. alle solchen ganzen ra-
tionalen homogenen Funktionen der Coefficienten C jener Form,
welche sich nur um einen die Substitutionscoefficienten enthalten-
den Faktor ändern, _wenn man die Coefficienten C durch die ent-
sprechenden Coefficienten C der linear transformirten Grundform
ersetzt. Diese Invarianten bilden ein System von ganzen ratio-
nalen homogenen Funktionen, denen folgende fundamentalen Eigen-
schaften zukommen:
1. Die Invarianten des Systems lassen die linearen Trans-
formationen einer gewissen continuirlichen Gruppe zu.
2. Die Invarianten des Systems genügen gewissen partiellen
linearen Differentialgleichungen.
3. Jede ganze rationale Funktion der Invarianten, welche in
den Coefficienten C der Grundform homogen wird, ist wiederum
eine Invariante: das System aller Invarianten bildet einen Inte-
gritätsbereich. Im Folgenden verstehen wir unter »Invariante«
ohne weiteren Zusatz stets eine ganze rationale Invariante d. h.
eine Invariante des eben definirten Integritätsbereiches.
4. Jede algebraische — sowie überhaupt jede analytische —
Funktion von beliebig vielen Invarianten, welche einer ganzen ra-
tionalen homogenen Funktion der Coefficienten G gleich wird, ist
wiederum eine Invariante?
5. Wenn das Produkt zweier ganzen rationalen Funktionen
der Coefficienten C eine Invariante ist, so. ist jeder der beiden
Faktoren eine Invariante.
6. Es giebt eine endliche Anzahl von Invarianten, durch
welche sich jede andere Invariante in ganzer rationaler Weise
ausdrücken läßt; wir sagen kurz: der durch die Invarianten be-
stimmte Integritätsbereich besitzt eine endliche Basis.
Die Sätze 1 und 2 gestatten die Umkehrung. Satz 5 sagt
aus, daß in dem durch die Invarianten bestimmten Integritätsbe-
zur Theorie der algebraischen Invarianten. 233
reiche die gewöhnlichen Teilbarkeitsgesetze gültig sind: Jede In-
variante läßt sich auf eine und nur auf eine "Weise als Erodukt
von nicht zerlegbaren Invarianten darstellen.
Es bietet sich die Aufgbabe, zu untersuchen, welche der auf-
gezählten Eigenschaften sich gegenseitig bedingen und welche ge-
trennt von einander für ein Funktionensystem möglich sind. Ich
hebe hier kurz hervor, daß es Systeme von unbegrenzt vielen gan-
zen rationalen homogenen Funktionen giebt, denen die Eigenschaft
3 zukommt, ohne daß der Satzt 6 gilt. Ein solches System ist
beispielsweise das System aller derjenigen ganzen rationalen ho-
mogenen Funktionen von x und y, welche sich ganz und rational
aus Funktionen der Reihe xy, x2yx , x*y9, x*y™ , . . . zusammen-
setzen lassen. Denn angenommen, man könnte eine Funktion
xkyk2 durch die vorhergehenden Funktionem der Reihe ganz und
rational ausdrücken und es wäre etwa xa ya2 - x?yP2 . . . xly12 ein
Glied dieses Ausdruckes, so müssten für die ganzen positiven Zah-
len a, ß, . . ., I die beiden Gleichungen
« +ß + • • -+A = K
CC*+ß2+ • • --M2 = K2
erfüllt sein, was unmöglich ist.
Es giebt ferner Funktionensysteme , denen die Eigenschaften
2, 3, 4, 6 zukommen, ohne daß der Satz 5 für dieselben gilt. Als
Beispiel diene das System aller ganzen rationalen homogenen Funk-
tionen f von x) y} z, t, welche der Differentialgleichung
df df df . df ft
dx u dy dz dt
genügen. Der durch diese Funktionen bestimmte Integritätsbe-
reich besitzt die endliche Basis xy, xtr y z, zt. Wie man sieht
sind x, y, z, t Faktoren von Funktionen des Systems, ohne selbst
zum System zu gehören : die Funktionen xy} xt, yz, zt sind sämt-
lich in dem betrachteten Integritätsbereiche . unzerlegbar und die
Identität
xy>zt = xt-yz
zeigt, daß die gewöhnlichen Teilbarkeitsgesetze in jenem Integri-
tätsbereiche nicht gültig sind.
Der Satz 6 ist die Grundlage für die tiefer eindringenden
Untersuchungen über Invariantensysteme. An diesen Satz schlie-
ßen sich zunächst zwei weitere Sätze, welche unmittelbar aus raei-
234 David Hubert,
nen allgemeinen Untersuchungen über die Theorie der algebraischen
Formen 1) folgen , nämlich der Satz von der Endlichkeit der irre-
duciblen Syzygien und der Satz von der Syzygienkette, welche im
Endlichen abbricht. Ich werde in der vorliegenden Note zeigen,
daß diesen Endlichkeitstheoremen keineswegs lediglich eine prin-
cipielle Bedeutung zukommt, sondern daß mit ihrer Hülfe die ge-
naue Erledigung einer Reihe besonderer Fragen über die Aufstel-
lung und Struktur voller Invariantensysteme möglich ist. Zugleich
werden wir Methoden gewinnen zur Behandlung der bekannten
Aufgabe, Formen zu bestimmen, deren Invarianten gegebene Werte
besitzen..
Der Kürze und Anschaulichkeit wegen entwickle ich die fol-
genden Sätze nur für den Fall einer einzigen binären Grundform
f von der wten Ordnung, obwohl die Methoden und Resultate ganz
allgemein gültig sinjL Die endliche Basis des Invariantensystems
bestehe aus den Invarianten iv i2, ...,«. und diese seien bezie-
hungsweise von den Graden vx) v2, . . ., vm in den Coefficienien
der Grundform. Wir bezeichnen das Produkt dieser Grade vx1
v„, . . ., vm mit % und bilden die Invarianten
l» = ln
welche sämmtlich vom nämlichen Grade tc in den Coefficienten der
Grundform sind. Ist m größer als n — 2, so besteht zwischen den
m Invarianten i'1} ij, . . ., i'm jedenfalls eine Relation von der Gestalt
F(i[, »;, . . ., i'j - o,
wo F eine ganze rationale homogene .Funktion der Invarianten i[,
Ki • - -j i'm bedeutet. Wir führen nun eine lineare Transformation
dieser m Invarianten aus, indem wir setzen
wo für die Coeffiicienten aiv . . ., amm solche Zahlenwerte gewählt
sein mögen, daß in der linear transformirten Funktion G(i" , i'2' ,
. . ., £') der Coefficient der höchsten Potenz von i'Jl gleich Eins
wird. Hieraus geht hervor, daß alle Invarianten der Grundform
ganze algebraische Funktionen der m— 1 Invarianten i"f tj', . . ., i'J_t
1) Mathematische Annalen Bd. 36. S. 534.
zur Theorie der algebraischen Invarianten. 235
sind. Durch wiederholte Anwendung dieses Verfahrens gelangen
wir zu dem Satze :
Es giebt n— 2 Invarianten Iv I2, ... Iw_2 derart, daß
eine jede andere Invariante sich als ganze algebrai-
sche Funktion derselben ausdrückt.
Hieraus folgt unmittelbar die weitere Thatsache:
Wenn man den Coef ficient en der Grundform sol-
che besonderen Werte erteilt, daß jene n— 2 In Varian-
ten gleich Null werden, so verschwinden auch zu-
gleich sämmtliche übrigen Invarianten der Grund-
form.
Im allgemeineren Falle einer Grundform mit beliebig vielen
Veränderlich enreihen tritt an Stelle der Zahl n — 2 die Zahl <3 der
algebraisch unabhängigen Invarianten der Grundform.
Es ist nun von größter Bedeutung für die ganze hier zu ent-
wickelnde Theorie, daß die in dem letzten Satze ausgesprochene
Eigenschaft allemal nothwendig die im voranstehenden Satze aus-
gesprochene Eigenschaft bedingt. Um den Nachweis hiervon zu
führen , entwickeln wir zunächst ein Theorem , welches sich als
drittes allgemeines Theorem aus der Theorie der algebraischen
Funktionen den beiden in Abschnitt I und III meiner vorhin ci-
tirten Arbeit zugesellt. Dieses Theorem lautet:
Es seien F, F', F", . . . ganze rationale homogene
Funktionen der n Veränderlichen xv x2, . . ., xn von
der Beschaffenheit, daß sie für alle diejenigen Wert-
systeme dieser Veränderlichen verschwinden, für
welche gewisse m vorgelegte ganze rationale homo-
gene Funktionen fv f2) . . ., fm der nämlichen Veränder-
lichen xv x2, . . . xn gleich Null sind: dann ist es stets
möglich eine ganze Zahl./* zu bestimmen derart, daß
jedes Produkt P von r beliebigen Funktionen der
Reihe F, F, F" , . . . dargestellt werden kann in der
Gestalt
wo o„ a2, . . ., am geeignet gewählte ganze rationale
homogene Funktionen der Veränderlichen #„ x2, . . ., xn
sind.
Der Beweis dieses Satzes ist mir durch den Schluß von n auf
n + 1 Veränderliche gelungen. Im besonderen ist nach diesem
Satze die rte Potenz irgend einer von jenen Formen F, F', F" , . . .
in der angegebenen Gestalt darstellbar, eine Thatsache, welche für
236 David Hubert,
den speciellen Fall zweier nicht homogenen Veränderlichen bereits
von E. Netto1) ausgesprochen und bewiesen worden ist.
Es seien nun ^ Invarianten Iv I2, . . . , 1^ der Grundform
vorgelegt von der Beschaffenheit, daß allemal, wenn man den Coef-
ficienten der Grundform solche besonderen Werte erteilt, welche
diese [i Invarianten Iv I2, . . . , 1^ zu Null machen , nothwendig
sämmtliche Invarianten 'der Grundform verschwinden. Es giebt
dann dem vorigen allgemeinen Theoreme zufolge eine Zahl r der-
art, daß jedes Produkt P von irgend r oder mehr Invarianten der
Grundform in der Gestalt
P = a^ + a^-f-- • •-r-fy-k
darstellbar ist, wo a1( «„ . , ., fy ganze rationale Funktionen der
Coefficienten der Grundform sind. Nunmehr denken wir uns die
endliche Basis ix, ?2, . . ., im der Invarianten des Systems ermittelt
und es sei v die größte von den Gradzahlen dieser Invarianten :
dann stellt sich offenbar eine jede Invariante i, deren Grad>vr
ist, als Summe von Produkten P dar und es gilt daher die Formel
wo bv b2, . . . , bp wiederum ganze rationale Funktionen der Coef-
ficienten der Grundform sind. Nach den Entwickelungen des letzten
Abschnittes meiner oben citirten Abhandlung2) kann man in der
letzten Formel die Ausdrücke bv b2, . . . , bu stets durch Inva-
rianten i'v ir2, . . ., iL ersetzen, so daß wir die Gleichung
i = i[Il + i^lM + . . .-KI
behalten. Die Invarianten i'v i'„ . . ., ^ sind sämmtlich von nie-
derem Grade in den Coefficienten der Grundform als die Invariante
i] sie können ihrerseits wiederum in der nämlichen Weise durch
lineare Combination der Invarianten It, J2, . . . 1^ erhalten werden
und dieses Verfahren läßt sich so lange fortsetzen, bis wir zu
Invarianten gelangen, deren Grad <Cvr ist. Wir denken uns sämmt-
liche linear unabhängige Invarianten , deren Grad <vr ist , auf-
gestellt und bezeichnen dieselben mit Jcv Jc2, • • •, Jcw. Für eine
beliebige Invariante i der Grunform besteht dann ein System von
w Gleichungen der folgenden Gestalt
1) Vgl. Acta mathematica Bd. 7, S. 101.
2) Vgl. Mathematische Annalen Bd. 36, S. 527.
zur Theorie der algebraischen Invarianten. 237
**, = ^», + 0*^+. • . + ©«*.,
wo öf* , . . . , (r^} ganze rationale Funktionen der Invarianten
Iv I2, . . ., Ju bedeuten. Durch Elimination von K) Ki - • - K
folgt die Gleichung
0?>-f G? . . . &?
. SV
Gf
G22)-i
£<«>
£<;> . . . G«-*
= 0,
welche zeigt, daß i eine ganze algebraische Funktion von jT,
I2, . . . , 1^ ist. Wir gelangen somit zu folgendem Satze, welcher
den Kern der zu entwickelnden Theorie der algebraischen Inva-
rianten enthält:
Wenn irgend ft Invarianten Iv J2, . . . , 1^ die Eigen-
schaft bes itz en, daß das Ver schwinden derselben
stets nothwendig das Vers chwinden aller Invarian-
ten der Grundform zur Folge hat, so sind alle In-
varianten ganze algebraische Funktionen jener p
Invarianten Jj, J2, ..., 7U.
Der Satz findet in allen besonderen bisher berechneten Fällen
die schönste Bestätigung, wie folgende Beispiele zeigen.
Für die binäre Form 5ter Ordnung erfüllen die 3 Invarianten
A, B, C von den Graden beziehentlich 4, 8, 12 die Bedingungen
des Satzes. Denn das gleichzeitige Verschwinden derselben bedingt
notwendig das Auftreten eines dreifachen Linearfaktors in f und
dieser Umstand wiederum hat, wie man leicht einsieht, zur Folge,
daß alle Invarianten der binären Form gleich Null sind. Nach
unserem Satze müssen daher alle Invarianten ganze algebraische
Funktionen von A, B, C sein und in der That enthält das volle
System nur noch eine weitere Invariante nämlich die schiefe In-
variante B, deren Quadrat bekanntlich eine ganze rationale Funk-
tion von Af jft, G ist.
Die binäre Form 6ter Ordnung besitzt, wie leicht einzusehen
ist, 4 Invarianten A7 B> C, D von den Graden beziehentlich 2, 4,
6, 10, deren gleichzeitiges Verschwinden nothwendig das Auftreten
eines vierfachen Linearfaktors bedingt. Dieser Umstand hat zur
Folge, daß alle Invarianten der Form gleich null sind: in der
238 David Hubert,
That ist entsprechend unserem Satze die noch übrige schiefe In-
variante B der Grundform eine ganze algebraische Funktion von
A, B, C, 2>, nämlich gleieh der Quadratwurzel aus einer ganzen
rationalen Funktion dieser 4 Invarianten.
Um die simultanen Invarianten zweier binären cubischen For-
men /*, g aufzustellen, bilden wir eine lineare Combination nf+kg
derselben und entwickeln die Diskriminante von dieser Form nach
den unbestimmten Parametern % und A, wie folgt:
Die 5 Invarianten D0, Dx, D2; D3, D4 sind offenbar nur dann sämmt-
lich gleich null, wenn die cubischen Formen /' und g beide den
nämlichen Linearfaktor zweifach enthalten und dieser Umstand
wiederum hat zur Folge, daß auch alle übrigen Simultaninvarianten
null sind. Unserem /Satze zufolge müssen daher alle simultanen
Invarianten der beiden cubischen Formen /' und g ganze algebrai-
sche Funktionen von D0, Dl7 D2, D3, D4 sein. Das volle Invarianten-
system enthält nun außer diesen 5 Invarianten nur noch 2 weitere
Invarianten nämlich die Ueb er Schiebung (/*, g\ und die Resultante
E der beiden Formen : man findet in der That , daß diese beiden
Invarianten ganze algebraische Funktionen jener 5 Invarianten sind.
Um die entsprechende Untersuchung für zwei binäre biquadra-
tische Formen /' und g durchzuführen, setzen wir
Es folgt dann aus entsprechenden Gründen wie vorhin , daß jede
Simultaninvariante der beiden Formen f und g eine ganze alge-
Funktion der 7 Invarianten ioy it, i%i j01 jv ;2, ;, ist.
"Wir betrachten ferner zwei ternäre cubische Formen f und g ;
wir combinieren dieselben linear und bilden die beiden Invarianten
S(Kf+lg) = S0k* + . . . + £**,
T(xf + lg)= 1>6 + . . . + T.V.
Aus unserem Satze folgt dann , daß alle simultanen Invarianten
der beiden Formen f und g ganze algebraische Funktionen der 12
Invarianten S01 . . . , #4, T0, . . . , T6 sind und hieraus schließt
man zugleich, daß dieselben von einander algebraisch unabhängig sind.
Betrachten wir eine binäre Form f von der 5ten Ordnung und
eine lineare Form l, so ergiebt sich, daß alle simultanen Invarianten
dieser beiden Formen ganze algebraische Funktionen von A, JB, C,
zur Theorie der algebraischen Invarianten. 239
fc 1% (Ä> l% (\ fy sind, wo h = (f, f)t und • = (f, f), gesetzt
ist; es drücken sieb also alle 23 Formen des vollen Invariantensy-
stems einer binären Grundform als ganze algebraische Funktionen
von seebs derselben aus.
Wir bebandlen endlich noch ein allgemeineres Beispiel, näm-
lich das System von v binären linearen Formen
I, = axx + bxy, l2 = a2x + b2y, . . ., lv = avx + bvy.
Das volle Invariantensystem besteht aus den Determinanten
P*k = aA - »**<(♦> * = 1, 2, . . ., i/).
Wir bilden die beiden binären Formen v — lter Ordnung
und berechnen die Funktionaldeterminante derselben
Die Coefficienten P0, P4, . . ., P2r_4 sind als lineare Combinationen
der Determinanten pik selber Invarianten der linearen Grundformen,
und man erkennt leicht, daß, wenn diese Invarianten P0, Pv . . .,
P2V,_4 sämmtlich Null sind, nothwendig entweder alle Coefficienten
der Form cp oder diejenigen von ty verschwinden oder beide Formen
bis auf einen numerischen Faktor mit einander übereinstimmen.
In allen diesen Fällen sind sämmtliche Determinanten pik gleich
null und hieraus folgt mit Hülfe unseres Satzes, daß die Deter-
minanten pik ganze algebraische Funktionen von P0J Pv . . . P^^
sind1), woraus zugleich die Unabhängigkeit der letzteren 2v— 3 In-
varianten geschlossen werden kann.
Bei dem Beweise unseres allgemeinen Satzes wurde die Eigen-
schaft 6 der Invarianten wesentlich benutzt; aber es folgt auch
umgekehrt aus diesem Satze die Endlichkeit des vollen Invarianten-
systems. Wenn nämlich Il% 72; . . ., 1^ ein System von Invarianten
ist, durch welche alle anderen Invarianten als ganze algebraische
Funktionen dargestellt werden können, so kann man einen von
L. Kronecker2) gegebenen fundamentalen Satz der Theorie der
1) Das nämliche Resultat habe ich auf einem völlig anderen Wege erhalten
in meiner Arbeit : Ueber Büschel von binären Formen mit vorgeschriebener Funk-
tionaldeterminante; Mathematische Annalen Bd. 33. S. 238.
2) Grundzüge einer arithmetischen Theorie der algebraischen Größen § 6.
Na.i.richten von der K.G. d.W. *n «öttingen. 1881. Nr. 7. 18
240 David Hubert
algebraischen Funktionen anwenden und findet so in dem durch
alle Invarianten bestimmten Rationalitätsbereiche eine endliche
Zahl i„ i2, . . ., iM von ganzen algebraischen Funktionen der Grö-
ßen In I2, . . . , 1^ von der Art, daß jede andere ganze alge-
braische Funktion I des betrachteten Eationalitätsbereiches in der
Gestalt
1 = at *, + <!,»,+ • • • +aJM
dargestellt werden kann, wo a1} a2, . . . , aM ganze rationale Funk-
tionen von Iv Iv . . ., 1^ sind. Nun sind ix, »„.'.. iM ganze ra-
tionale Invarianten ; denn es kann leicht gezeigt werden, daß jede
rationale Invariante, welche eine ganze algebraische Funktion der
ganzen rationalen Invarianten Iv 12, . . ., Ifl ist, nothwendig selber
eine ganze rationale Invariante ist. Die Invarianten Iv J2, . . ., I ,
i>v *»•••» K bilden folglich eine endliche Basis des Systems aller
Invarianten der Grundform. Nach Kenntniß eines Systems
von Invarianten lt, J2, . . ., J^, durch welche sich alle
Invarianten als ganze algebraische Funktionen aus-
drücken lassen, erfordert also die Aufstellung des
vollen Invariantensystems nur noch die Lösung einer
elementaren Aufgabe aus der arithmetischen Theorie
der algebraischen Funktionen. Bei der wirklichen Aus-
führung der Rechnung kommt es vor allem auf die Berechnung
der Diskriminante einer den Rationalitätsbereich bestimmenden
Gleichung an, da bei der Darstellung der Funktionen des Funda-
mentalsystems diese Diskriminante allein im Nenner auftreten kann.
Um beispielsweise zu dem bekannten vollen Formensysteme
einer binären Form 5ter Ordnung zu gelangen, hat man ein Fun-
damentalsystem im Systeme aller derjenigen Funktionen zu be-
stimmen, welche ganze algebraische Funktionen der oben angege-
benen invarianten Bildungen, A, 2?, C, f, h = (f, f)2, i = (/, f)i
und zugleich rationale Funktionen vou /, h, (f, ä)2, i, (f} h)z sind.
Nach den obigen Entwickelungen ist es für das Studium der
Invarianten einer Grundform von größter Wichtigkeit, dasjenige
algebraische Gebilde Z zu kennen, welches durch Nullsetzen aller
Invarianten bestimmt ist. Bedeutet 6 die Anzahl der algebraisch
unabhängigen Invarianten, so giebt es, wie oben gezeigt worden
ist, stets 6 Invarianten, durch deren Nullsetzen das Gebilde Z
bereits völlig bestimmt ist; aus unserem allgemeinen Satze kann
zugleich geschlossen werden, daß es nicht möglich ist, eine klei-
nere Zahl von Invarianten anzugeben, durch deren Nullsetzen das
Gebilde Z ebenfalls schon bestimmt wird. Für den Fall einer bi-
zur Theorie der algebraischen Invarianten. 241
xiären Grundform läßt sich das Nullgebilde Z allgemein angeben,
wie der folgende Satz zeigt :
"Wenn alle Invarianten einer binären Grundform
von der Ordnung n = 2v beziehungsweise n = 2v + l
gleich null sind, so besitzt die Grundform einen v + 1-
f achen Line arfaktor und umgekehrt, wenn dieselbe
einen v + l-f achen Linear faktor besitzt, so sindsämmt-
liche Invarianten gleich null.
Auf entsprechende Untersuchungen für Formen mit mehr Ver-
änderlichen gehe ich hier nicht ein.
Die Fruchtbarkeit der im Obigen dargelegten Principien be-
währt sich insbesondere , wenn man dieselben mit denjenigen auf
allgemeine Moduln bezüglichen Methoden in Verbindung bringt,
welche ich in Abschnitt III und IV meiner Abhandlung »TJeber
die Theorie der algebraischen Formen« entwickelt habe. Um das
einzuschlagende Verfahren an einem Beispiele kurz zu kennzeichnen,
stellen wir uns die Aufgabe, die »charakteristische Funktion« des-
jenigen algebraischen Gebildes zu bestimmen, welches man erhält,
wenn man
Pik = «A-«A(*t ä = 1, 2, . . ., v)
setzt und hierin die Größen pile , als die Veränderlichen und die
Größen a{) b< als willkürliche Parameter auffaßt. Man sieht leicht
ein, daß die charakteristische Funktion dieses Gebildes gleich ist
der Anzahl der linear unabhängigen Invarianten vom Grade 2E
in den Coefficienten der v binären linearen Formen :
a.x + b^, a2x + b2y} . . ., avx+bvy,
und diese Anzahl stellt sich nach dem Cayley -Sylvester 'sehen
Abzählungssatze l) als Differenz zwischen Anzahlen von Lösungen
gewisser linearer diophantischer Gleichung dar. Nach einer ein-
fachen Rechnung erhalten wir für die gesuchte charakteristische
Funktion den Wert
«(*) = („-i)iV-"Wi (*+i)(fl+g)'*+3)'- • • (R+v-2y(B+v~i).
Die Funktion ist, wie man sieht, vom 2v— 4ten Grade in R: jenes
algebraische Gebilde ist mithin von der Dimension d = 2v— 4.
1) Vgl. Cayley, Philosophical Transactions. London 185G, S. 107 und Syl-
vester, Crelle's Journal Bd. 85, S. 89,
18*
242 Alfred Rahlfs
Der Coeflicient der dten Potenz, von B ist -. -^-r-, -^-r- ; derselbe
(v— 1)1 (v— 2)1 7
giebt mit d\ multipliciert die Ordnung jenes algebraischen Ge-
bildes an1). Diese beiden Resultate bestätigen die bekannten That-
sachen2), daß es zu jeder gegebenen binären Form gerader Ord-
nung 2v — 4 Büschel von binären Formen giebt, deren Funktional-
determinante jener gegebenen Form gleich sind und daß die An-
(2v— 4)'
zahl dieser Formenbüschel gleich 7— ^-t-, , 0s . wird.
{y — l)\{y— 2) !
1) Vgl. meine Abhandlung: »Ueber die Theorie der algebraischen Formen«.
Mathematische Annalen Bd. 36, S. 520.
2) Vgl. meine Arbeit: »Ueber Büschel von binären Formen mit vorgeschrie-
bener Funktionaldeterminante«, Mathematische Annalen Bd. 33, S. 227, sowie die
dort ausführlich citirte Litteratur.
Königsberg i. P£ den 30. Juni 1891.
Lehrer und Schüler bei Iunilius Africanus.
Von
Alfred Rahlfs.
Vorgelegt von Paul de La gar de.
Die Instituta regularia divinae legis des Iunilius Africanus,
deren kritische Ausgabe wir H. Kihn *) verdanken , sind in Form
eines Gespräches zwischen Lehrer und Schülern abgefaßt. Das
Gespräch verläuft in Fragen und Antworten; jenen hat Iunilius
jedesmal ein z/, diesen ein M vorgesetzt. Den Grund, welcher ihn
veranlaßt hat, diese griechischen Buchstaben zu wählen, während
er doch sonst sein Buch in lateinischer Sprache schreibt, gibt er
selbst in der dem Buche vorausgeschickten Widmung an Prima-
sius an. Die Worte lauten bei Kihn 468 17 — 4692
Et ne aliqua confusio per antiquariorum, ut adsolet, negle-
gentiam proveniret, magistro M graecam litter am, discipulis
A praeposui, ut ex peregrinis characteribus et quibus latina
scriptura non utitur, error omnis penitus auferatur.
Wir sehen : Iunilius mistraut den Abschreibern gründlich, und er
hat Recht mit seinem Mistrauen. Denn trotz seiner Vorsicht ha-
1) Theodor von Mopsuestia und Junilius Africanus, Freiburg i. B. 1880,
S. 465—528.
Lehrer und Schüler bei Iunilius Africanus. 243
ben sie ihm eine confusio in sein Buch gebracht, welche sich über-
all sehen lassen kann.
Es liegt auf der Hand, daß Iunilius, wenn er die griechi-
schen Buchstaben z/ und M zur Bezeichnung von Lehrer und Schü-
lern gebraucht, damit die griechischen Wörter diddöxcckog und
Had-rjTai meint. Und bei dieser Deutung von z/ und M ist auch
alles im Reinen. Denn da es zur Zeit des Iunilius, ebenso wie
noch heut zu Tage , so hergegangen sein wird , daß der Lehrer
fragte und die Schüler antworteten, so ist es ganz richtig, wenn
die Fragen dem z/ = dLddöxaAog, die Antworten den M = paftrixaC
zugewiesen werden.
Nun fangen aber unglücklicher Weise die Wörter für Lehrer
und Schüler im Lateinischen mit denselben Buchstaben an, wie
im Griechischen , und zwar umgekehrt mit denselben Buchstaben:
der Lehrer, der im Griechischen dida6iiakog heißt, heißt im Latei-
nischen magister, der Schüler, der sich dort fiatb^'g nennt, nennt
sich hier discipulus. Dies hat die trefflichen antiquarii bewogen,
M als magister, z/ als discipuli zu deuten und in der angeführten
Stelle
magistro M graecam litteram, discipulis z/ praeposui
zu schreiben, während es natürlich heißen muß
magistro z/ graecam litteram, discipulis M praeposui.
Nur Eine Handschrift, Kihns D, hat das Richtige erhalten.
Wie aber überhaupt ein Unglück selten allein kommt, so ist
es auch hier gegangen. Die erste Verwirrung hat eine zweite
nach sich gezogen.
Iunilius spricht sich in den der oben ausgeschriebenen Stelle
unmittelbar vorangehenden Worten über die Anlage seines Werkes
aus. Er sagt, er habe demselben »ipsius dictionis, quantum potui,
utilem formam« gegeben,
ut velut magistro interrogante et respondentibus discipulis
breviter singula et perlucide dicerentur.
Diese Worte , welche so nur in NF erhalten sind , geben die An-
lage des Buches durchaus richtig und klar an. Aber sobald man
z/ als discipuli, M als magister versteht, widersprechen sie dem
Thatbestande, denn z/ fragt und M antwortet. Dieser Widerspruch
hat den Schreiber von F nicht angefochten. Die übrigen haben
ihn zu beseitigen gesucht. Zu diesem Zwecke haben sie zweier-
lei Wege eingeschlagen.
Das Gros der Handschriften , AGMD ^LPR , dreht die Sache
1) Es ist sehr auffällig, daß D, welcher in Air zuerst besprochenen Stelle
allein das Richtige bewahrt hatte , hier (nach iuhu) das Falsche hat , da diese
244 Alfred Rahlfs,
einfach um und schreibt
ut velut discipulis interrogantibus et magistro respondente etc.
Doch hat A
discipulo interrogante
im Singular und verrät dadurch noch, daß dort ursprünglich ma-
gistro interrogante gestanden hat.
Dem Schreiber von N dagegen ist es zu dumm gewesen, die
Schüler fragen und den Lehrer antworten zu lassen. Daher hat
er eine Radikalkur gebraucht und die A und M im ganzen Buche
vertauscht (Kihn 471 er).
Alle älteren Ausgaben, welche ich verglichen habe, die editio
princeps Basel 1545, und die Abdrücke bei de la Bigne 2 I Paris
1589, Grallandi XII Venedig 1778 und Migne LXVIII (vgl. Kihn
299 — 302), haben die falschen Lesarten, weil sie diese in ihrer
Vorlage fanden. De la Bigne , Grallandi und Migne sind auf dem
von den antiquarii eingeschlagenen Wege noch weiter gegangen :
sie haben die — jetzt allerdings sinnlos gewordenen — griechischen
Buchstaben durch lateinische ersetzt. Kihn fand das Ursprüng-
liche in einigen Handschriften vor, wurde aber jedenfalls durch
die Menge und das Alter (vgl. unten) der dagegen stehenden Zeu-
gen gehindert, es als ursprünglich zu erkennen und in den Text
einzusetzen.
Man darf Kihn hieraus keinen Vorwurf machen, sondern muß
ihm dankbar sein, daß er durch seine vollständige Mitteilung des
textkritischen Materials auch diejenigen, welche die Handschriften
nicht einsehen können, in den Stand gesetzt hat, seinen Text zu
controllieren und eventuell zu berichtigen. Es versteht sich von
selbst, daß der, welcher einen so verderbten Text, wie den des
Iunilius, zum ersten Male kritisch herausgibt, nicht überall gleich
das Richtige trifft. Trotzdem muß es auffällig erscheinen, daß Kihn
hier an dem Richtigen so achtlos vorübergegangen ist, da er den
alten Text nicht gedankenlos übernommen, sondern sich über die in
demselben angegebene, sonderbare Anlage des Werkes Rechenschaft
zu geben versucht hat. Er sagt 222:
Die Fragen der Schüler, welche sich unterrichten lassen,
dienen lediglich zur Vermittlung der Uebergänge in dem
Vortrage des Lehrers, der ihnen Belehrung ertheilt
und zieht am Rande als Parallele die »24 Collationes patrum«
Cassians herbei,
zweite confusio erst eine Folge jener ersten ist. Falls Kihns Angabe nicht auf
einem Irrtum beruht, muß Ds Text ein Mischtext sein.
Lehrer und Schüler bei Iunilius Africanus. 245
wo die Freunde nach kurzen Zwischenreden vom fragenden
oder befragten ,Vater' unterrichtet werden.
Aber mit dieser Erklärung ist Kihn ganz unglücklich gefahren.
Die Fragen bei Iunilius sind keineswegs, wie die bei Cassian,
gleichgültige Uebergangsformeln , vielmehr bilden sie das Gerippe
des ganzen Werkes ; nähme man sie fort , so würde das Uebrig-
bleibende in unzusammenhangende Stücke zerfallen. In den Fragen
liegt die Disposition des Buches ; nur derjenige kann sie stellen,
welcher den ganzen Stoff beherrscht und das Gespräch völlig ziel-
bewußt leitet, also nur der Lehrer, nicht die Schüler. Und dann
die Form der Fragen ! Man braucht nur einige derselben zu lesen,
etwa im 4. Kapitel des 1. Buches
Quid est prophetia?
Da in praeteritis prophetiam!
Da in praesentibus !
Da in futuris!
Quare in definitione positum est ,latentium'?
Proba hoc divinae scripturae testimonio!
Quare addidimus ,ex divina inspiratione' ?,
um zu sehen , daß so nicht der Schüler , sondern nur der Lehrer
fragen kann. Das Buch des Iunilius ist ein »Katechismus«, dessen
Antworten die Schüler auswendig zu lernen und dem Lehrer auf
seine Fragen herzusagen haben. Das »Gespräch« zwischen Lehrer
und Schülern hat nicht, wie ein platonischer Dialog, den Zweck,
durch gemeinsames Forschen neue Wahrheiten zu entdecken, son-
dern den, die festgestellten Regeln den Schülern einzupauken, —
lateinisch gesagt — regulis discipulorum animos imbuere (Iunilius'
Widmung Kihn 468 e/s). Die entgegengesetzte Vorstellung, daß
die Schüler — NB. im Plural — den Lehrer katechesieren, und er
als geduldiges Opferlamm alle ihre unverschämten Fragen beant-
wortet, widerlegt sich selbst. Eine solche Vorstellung kann man
nur so lange für möglich halten, als man sich ein lebendiges Bild
von dem Hergange in praxi zu machen versäumt.
Ich schließe mit einer Nutzanwendung für die Textkritik ins-
gemein.
Der vorliegende Fall beweist, daß Eine Handschrift allen an-
deren gegenüber Recht haben kann.
Er beweist ferner, daß selbst bei Stellen, die in so engem Zu-
sammenhange stehn, wie die besprochenen, doch verschiedene Hand-
schriften das Richtige bewahrt haben können, sodaß ein eklekti-
sches Verfahren zur Herstellung des ursprünglichen Textes erfor-
derlich ist.
246 Alfred Rahlfs, Lehrer und Schüler bei Juniluis Africanus.
Er beweist endlich, daß man in dem hohen Alter einer Hand-
schrift keine Garantie für die Richtigkeit der von ihr gebotenen
Lesarten sehen und bei der Reconstruction eines Textes sein Ur-
teil nicht durch das Alter oder die Jugend der Handschriften be-
stimmen lassen darf. Kihns älteste Handschrift, G, welche nach
ihm aus der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts, also aus der Zeit
kurz nach Abfassung des im Jahre 551 geschriebenen Buches
(vgl. Kihn 275 — 289) stammt, hat an beiden Stellen das Falsche.
Der Codex D , welcher an der ersten Stelle den ursprünglichen
Text bewahrt hat, gehört dem 9. Jahrhundert an; die Codices NF,
welche ihn an der anderen Stelle bewahrt haben, zählen, da N im
10. oder im Anfange des 11. , F im 11. Jahrhundert geschrieben
ist, sogar zu den jüngsten Handschriften: nur noch Eine Hand-
schrift (E) stammt aus dem 11. Jahrhundert, alle übrigen sind
älter.
Dies sind keine neuen Sätze, sondern neue Beweise für alte
Sätze. Ich führe sie an, weil sie die Richtigkeit der alten Sätze
so schlagend und unwiderleglich darthun.
Wenn man will, kann man aus dem ersten Satze weiter auf
das Recht der Emendation, vulgo Conjectur, schließen: wäre D
verloren, so müßten wir ohne Zeugen emendieren. Ich darf wohl
erwähnen, daß ich wirklich in vorliegendem Falle die Emendation
gemacht habe, ehe ich die Bestätigung ihrer Richtigkeit in Kihns
Apparate fand; was ja in diesem Falle nicht schwer war.
Inhalt von Nr. 7.
Eduard Riecke, über eine mit den electrischen Eigenschaften des Tnrmalins zusammenhängende Fläche.
— D. Hubert, über die Theorie der algebraischen Invarianten. — Alfred Rahlfs, über Lehrer und Schüler
bei Junilius Africanus.
Für die Eedaction verantwortlich: H. Sauppe, Secretar d. K. Ges. d. Wiss.
Commissions-Verlag der Dieterich' sehen Verlags- Buchhandlung.
Druck der Dieters eh' sehen Univ.-Buchdruckerei (W. Fr. Kaestner).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
11. November. Jfä 8. 1891
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 1. August.
Kiecke kündigt eine Arbeit von sich und Voigt an: „Bestimmung der elektri-
schen Constanten des Turmalins und Quarzes".
Voigt kündigt eine Abhandlung an: „Bestimmung der Constanten der innern
Reibung für einige Krystalle".
Kiel hörn kündigt „Tafeln aus indischen Inschriften und Handschriften" an.
Die piezoelectrischen Constanten des Quarzes
und Turmalins.
Von
E. Äiecke und W. Voigt.
1. Allgemeine Angaben über die Methode der
Beobachtung.
Die untersuchten Crystallstücke besaßen die Form rechtwink-
liger Prismen, deren Kanten gegen die Hauptaxen der Crystalle
in bestimmter Weise orientirt waren. Die Anordnung des Appa-
rates, welcher zur Belastung der Prismen diente, war eine etwas
verschiedene , je nachdem die elektrische Erregung auf den gepreß-
ten Flächen selbst beobachtet werden sollte oder auf den Seiten-
flächen. Im ersteren Falle war die Einrichtung folgende. Ein
parallelepipedisches Messingstück M von 13J cm Länge, 3 cm Breite,
1 £ cm Höhe war auf einem großen mit Gewichten beschwerten Holz-
klotze so befestigt, daß es über den Rand des Klotzes um 3 cm
Nachrichten von der K. G. d. W. in Oottingea. 1891. Mr. 8. 19
248 E. R i e c k e und W. V o i g t,
vorstand. Die Cry stalle wurden von einer Klemme gefaßt , deren
Backen aus federnden Streifen von hartem Kupferblech bestanden
und durch ein Hartgummistück von einander isolirt waren. An
den Enden der Backen waren nach innen zu Blei- oder Kupfer-
platten angelöthet, deren Distanz so regulirt war, daß die Cry-
stalle zwischen ihnen mit mäßigem Drucke festgehalten wurden.
Auf der oberen Backe war nach außen ein kleines Stahlstück be-
festigt , dachförmig abgeschrägt , so daß sich in seiner Mitte eine
scharfe Kante von etwa 0,3 cm Länge bildete, parallel zu der
Längsrichtung der Klemme. Die Crystalle wurden so in die
Klemme gebracht, daß jene Kante genau über der Mitte der ge-
preßten Crystallflächen lag. Die Klemme mit dem von ihr gehal-
tenen Crystall wurde auf das Messingstück M gestellt, so daß der
Crystall auf dem überragenden Theile desselben sich befand und
daß die Kante des Stahlklötzchens der Längsrichtung von M pa-
rallel war. Nun wurde ein aus einem rechteckigen Rahmen be-
stehender Bügel über die Klemme gehängt, dessen oberes horizon-
tales Stück eine nach innen gekehrte scharfe Schneide besaß. Mit
dieser wurde der Bügel über die an dem Stahlklötzchen befindliche
Schneide gehängt, so daß der Berührungspunkt der beiden Schnei-
den genau über der Mitte der gepreßten Crystallflächen sich be-
fand. An seinem unteren Ende trug der Bügel einen starken Draht,
an welchen die zur Aufnahme der Gewichtsstücke dienende Wag-
schale angehängt wurde. Zufolge der geschilderten Einrichtung
stand die untere Klemme in metallischer Berührung mit dem als
Unterlage dienenden Messingstücke ; sie wurde ein für allemal mit
der Grasleitung verbunden. Der Holzblock, auf welchem die Vor-
richtung ruhte, war mit Stanniolstreifen überzogen und gleichfalls
abgeleitet. Die obere Feder und damit auch die obere Endfläche
des Crystalls wurde mit dem einen Quadrantenpaar eines von Stöh-
rer konstruirten Thomson'schen Elektrometers verbunden ; das an-
dere Quadrantenpaar war abgeleitet, die Nadel mit Hülfe einer
trockenen Säule geladen. Die ganze Einrichtung befand sich auf
einem festen Tische in einem Glaskasten, welcher auf seiner in-
neren Seite mit Gittern von Messingdraht ausgekleidet war. Die
Oberfläche des Tisches war gleichfalls mit Stanniol überzogen und
abgeleitet; der die Wagschale tragende Draht gieng durch eine
Auskehlung des Tischrandes nach unten. Durch einen federnden
Contakt konnte der die obere Crystallfläche mit dem Elektrometer
verbindende Draht abgeleitet werden. Die Bewegung des Con-
taktes erfolgte mit Hülfe einer Schnur, welche durch eine Durch-
bohrung der Decke in das Innere hineingeführt war.
die piezoelectrischen Constanten des Quarzes und Turmalins. 249
Sollte die elektrische Ladung auf den Seitenflächen der Cry-
stalle beobachtet werden, so wurden die Klemmen entfernt. Auf
das Messingstück M wurde eine Hartgummiplatte als isolirende
Unterlage gelegt, und auf diese der Crystall gestellt, so daß er
sich wieder auf dem überragenden Theile von M befand. Die zur
Aufnahme des Bügels dienenden Stahlklötzchen waren gleichfalls
auf Hartgummiplatten befestigt; sie wurden mit diesen frei auf
die oberen Flächen der Crystallprismen aufgesetzt, so daß die
Schneiden über der Mitte der gepreßten Flächen sich befanden.
Der Bügel und die zur Belastung dienenden Gewichte wurden
ebenso angebracht wie früher. Die Seitenflächen, auf welchen die
elektrische Erregung gemessen werden sollte, wurden mit Stanniol
überzogen ; sie wurden wieder von den beiden Backen einer federn-
den Klemme gefaßt, welche von der Seite her angeschoben wurde.
Die eine der beiden von einander isolirten Federn wurde mit der
Grasleitung, die andere mit dem Elektrometer verbunden.
Bei jeder Beobachtungsreihe wurde die Empfindlichkeit des
Elektrometers bestimmt, indem dasselbe Quadrantenpaar, welches
bei den piezoelektrischen Versuchen mit der Crystallfläche verbun-
den war, durch ein Clarkelement geladen wurde, dessen anderer
Pol zur Erde abgeleitet war. Die Verbindungen der Pole konnten
durch einen eingeschalteten Commutator vertauscht werden. Nach-
dem das Clarkelement entfernt war, wurde die Verbindung der
Crystallfläche mit dem Quadrantenpaar hergestellt und durch
Schließen des erwähnten Federkontaktes die Ableitung nach der
Erde bewerkstelligt. Diejenige Stellung, welche das Elektrometer
unter diesen Umständen annimmt, wird im Folgenden als Null-
stellung bezeichnet. Die Crystallprismen wurden zunächst dauernd
mit einem Gewichte belastet, welches je nach der Größe der ge-
preßten Fläche zwischen 3 und 4 kgm schwankte. Durch Aufheben
des Federkontaktes wurde die Crystallfläche sammt dem mit ihr
verbundenen Quadrantenpaar isolirt. Hierauf wurden 2 kgm auf
der Wagschale zugelegt und der hierdurch verursachte Ausschlag
gemessen. Die Nadel des Elektrometers wurde sodann durch Schlie-
ßen des Contaktes in die Nullstellung zurückgeführt, der Contakt
jetzt abermals unterbrochen, die zuvor aufgelegten 2 kgm wieder
abgenommen und der nun nach der entgegengesetzten Seite erfol-
gende Ausschlag beobachtet. So wurde bei abwechselnder Bela-
stung und Entlastung eine größere Zahl von Ausschlägen nach der
einen und der anderen Seite hin beobachtet ; die Differenz der bei-
derseitigen Ablesungen gab ein Maaß für die entwickelte Elektri-
citätsmenge. Dividirt man die Hälfte der Differenz d. h. den einer
19*
250 E. Ri e c k e und W. V o i g t ,
Belastung von 1 kgm entsprechenden doppelten Ausschlag, durch
den entsprechenden von dem Clarkelement bei der Vertauschung
der Pole erzeugten, so erhält man das Potential V, bis zu wel-
chem das Quadrantenpaar des Elektrometers bei einer Belastung
von 1 kgm geladen wird, in der Einheit des Clark. Bezeichnet
man durch Q die Kapacität des Quadrantenpaares, durch X die
der Crystallfläche und der verbindenden Drähte , so ist die ent-
wickelte Elektricitätsmenge
e = (Q + X)V.
Die Verhältnisse der auf den verschiedenen Crystallflächen
entwickelten Elektricitätsm engen sind gegeben durch die entspre-
chenden Werthe von V, wenn die Verschiedenheiten von X für
die verschiedenen Flächen zu vernachlässigen sind. Daß dies bei
der gewählten Anordnung der Versuche in der That gestattet war,
wurde durch eine besondere Versuchsreihe nachgewiesen. Bestimmt
man die Kapacität Q + X in elektrostatischem Maaße und drückt
man ebenso das Potential V statt in Clark in absolutem elektro-
statischem Maaße aus, so ergiebt sich die Menge der entwickelten
Elektricität in den Einheiten der Elektrostatik.
2. Die piezoelectrischen Constanten des Quarzes.
Bei den Versuchen wurden zunächst 3 Prismen benutzt, welche
im Folgenden durch B, C und D bezeichnet sind. Alle drei wa-
ren aus einer und derselben Platte geschnitten , welche senkrecht
zu einer polaren Queraxe x des Crystalles lag. Die Dicken der
Platten in der Richtung der x-Axe waren in cm.
BGB
1,921 1,912 1,919.
Die Lage der Prismen in der i/^-Ebene werde dadurch be-
stimmt, daß die Winkel ihrer Höhen oder Seiten gegen die Haupt-
axe z des Quarzes angegeben werden. Die Winkel sind positiv
gerechnet im Sinne einer Drehung von der z-Axe zu der y-Axe.
Quarz
B
C
D
Der Quarz B wurde später senkrecht zu seiner Höhe in zwei
gleiche Stücke zerlegt, welche mit B1 und B2 bezeichnet werden
mögen. Die Längen ihrer Seiten und ihre Orientirung gegen die
z-Axe sind im Folgenden gegeben.
Höhe
Winkel gegen die z-Axe
5,402
45°
5,239
135°
3,437
22J°
3,501
1124°.
die piezoelectrischen Constanten des Quarzes und Turmalins. 251
Quarz Seite Winkel gegen die z-Axe
n 2,498 45°
^ 2,279 135°
2,492 45°
^2 2,274 135°.
Als Einheit der Länge ist das cm benutzt.
Die belegten Flächen, auf welchen die Ladung gemessen wurde,
waren bei allen Crystallen die zur x-Axe senkrecht stehenden.
Die Prismen B und C wurden nur parallel ihren Höhen, also in
den Azimuten 45° und 135° gepreßt; bei B wurde der Druck in
der Richtung der beiden Seiten, also in den Azimuten 22j° und
112^°, ausgeübt. Ebenso bei den beiden Stücken Bx und B2 ent-
sprechend den Azimuten 45° und 135°. Endlich wurden die Pris-
men Bt und B2 auch noch in der Richtung der x-Axe gepreßt und
die auf den gedrückten Flächen selbst erzeugten Electricitätsmen-
gen gemessen. Man erhält dadurch indirekt die Ladung für das
Azimut von 90° eines in der Ebene zy ausgeübten Druckes , d. h.
die Ladung , welche durch einen Druck in der Richtung der y-Axe
auf einer zur x-Axe senkrechten Seitenfläche erzeugt wird.
Bezeichnet man mit mx die auf der belegten zur x-Axe senk-
rechten Fläche erzeugte Ladung, durch qx ihren Flächeninhalt, durch
p die Belastung, durch q den Querschnitt der gepreßten Fläche,
durch 0 das Azimut der Druckrichtung, so ist
-^X- — — 8nsin2& + 6\2sin0cos& = — v.
p v.
Die für die verschiedenen Druckrichtungen aus den Beobach-
tungen sich ergebenden Werthe von — - X — = v sind :
22J° 45° 90° 112£° 135°
v 0,044 0,119 0,186 0,151 0,076.
Hieraus ergeben sich die folgenden Werthe der Constanten
öu und o14
on = 0,1908 51# = —0,0431
und die mit Hülfe dieser Werthe berechneten piezoelectrischen
Momente v
22£° 45° 90° 112£° 135°
v ber. 0,043 0,117 0,191 0,148 0,074
welche mit den beobachteten in befriedigender Uebereinstimmung
stehen. Als Einheit des Druckes ist dabei das kgm, als Einheit
der Electricitätsmenge diejenige benutzt, mit welcher das Qua-
drantenpaar des Electrometers durch 1 Clarkelement geladen wird.
252
E. ßiecke und W. Voigt,
3. Die piezoelectrischen Constanten des Turmalins.
Es waren für die Zwecke der Untersuchung 4 Prismen aus
demselben Crystall , einem brasilianischen von grüner Farbe, ge-
schnitten worden , welche im Folgenden durch A, B, C, D bezeich-
net werden. Die Länge, Breite und Höhe dieser Prismen, soweit
ihre Kenntniß für die Berechnung nothwendig ist, wird in der
folgenden Tabelle in cm angegeben.
I b h
A 1,159 0,595 0,519
C 0,892 0,538
D 1,206 0,689.
Die Orientirung der Prismen gegen die Axen des Crystalls
werde durch die Bichtungskosinusse ihrer Kanten bestimmt; dabei
ist das Coordinatenäystem so gewählt, daß die £-Axe mit der drei-
zähligen Hauptaxe, die y-Axe mit einer Symmetrieebene des Cry-
stalls zusammenfällt.
X
y
z
l
1
0
0
A
b
0
1
0
h
0
0
1
l
0
1
0
B
b
1
0
0
h
0
0
1
l
0
m
1A/2
C
b
1
0
0
h
0
-1/V2
m
p
1
0
l/V'2
0
1/V2
1/V2
0
1/V2
Die Beobachtungen ergaben für einen Druck von 1 kgm die
folgenden Potentiale in der Einheit des Clarkelementes.
1. Druckrichtung parallel der #-Axe. Beobachtung der La-
dung auf der zu der £-Axe senkrechten Fläche. Turmaline A
und B.
V = 0,172.
die piezoelectrischen Constanten des Quarzes und Turmalins. 253
2. Druckrichtung parallel der y-Axe. Beobachtung der La-
dung auf einer zu der y-Axe senkrechten Fläche. Turmaline A
und B.
V = 0,0205.
3. Die Richtungskosinusse der Druckrichtung sind 0, -r=-, -4^.
Ladung auf der zu der Druckrichtung senkrechten Fläche. Tur-
maline C und D.
V = 0,177.
4. Die Richtungskosinusse der Druckrichtung sind 0, =,
1 V2
—j=r. Ladung auf der zu der Druckrichtung senkrechten Fläche.
Turmaline C und D.
V = 0,191.
5. Druckrichtung parallel der x-Axe. Ladung auf der zur
tf-Axe senkrechten Fläche. Turmalin A.
V = 0,061.
6. Druckrichtung parallel der y-Axe. Ladung auf der zur
#-Axe senkrechten Fläche. Turmalin A.
V == 0,028.
7. Richtungskosinusse der Druckrichtung 0, — , ""p"- ^a"
11 . V2 V2
düng in der Richtung 0, — — , — — . Turmalin D.
V = 0,097.
8. Vergleichende Messung der bei den Turmalinen C und D
auftretenden seitlichen Ladungen, wenn bei C die Richtungskosi-
nusse des Druckes 0, — — , — — , die der Ladung 0, j=r, —=
V2 V2 V2 V2
sind, während D unter denselben Verhältnissen beobachtet wird
wie zuvor.
V0 = 0,062 VB = 0,092.
Bei dem Turmalin werden die electrischen Momente a, b, c der
Volumeinheit für den Druck p gegeben durch die Gleichungen
£ = 2r,T,öM — TiT,8«
P
- = (t;-y;)3„— TtTt«,.
Ir
| = _8,1+(5sl-8„)irJ-
254 E. Riecke und W. Voigt,
Wenden wir diese Formeln auf die im Vorhergehenden mit-
getheilten Beobachtungsresultate an, so ergeben sich die folgenden
Gleichungen zur Berechnung der piezoelectrischen Moduln.
1. -833 = 0,172
2. 822 = 0,020
3. — 8„— S33-831-822 = 2^2 x 0,177 = 0,500
4. _S15-833-88I + S22 = 2^2 x 0,191 = 0,539
5. — 881 = 0,061 x ^^ = 0,027
6. -831 = 0,028 x jgg = 0,025
7- -8„ + 822 + 838 + 831 = 2\/2 X 0,097 X ygg = 0,156
o -818-8a/+833 + 83, _ Om _ 0^ «*■ i6^
-8I5 + 82! + 8S3+831 ~ 0,092 ^ 0,892 X 1,206'
Aus diesen Gleichungen ergeben sich die folgenden Werthe
der piezoelectrischen Moduln.
( 0,020 \
8l6 = -0,326 822 = ] 0,019 =0,020
( 0,022 )
*. - US = *** «■ - ESSI - -
4. Die piezoelectrischen Moduln in absolutem Maaße.
Durch Vergleichung mit einem Luftkondensator ergab sich für
die Kapacität des mit dem Crystall verbundenen Quadrantenpaares
und der verbindenden Conduktortheile
Q + X = 57 (cm. g. s.).
Die electromotorische Kraft eines Clarkelementes ist in elec-
trostatischem Maaße gleich 0,48 X 10~2. Endlich entspricht der
Druck von 1 kgm einer Anzahl von 9,81 X 105 Dynen. Die frü-
her gegebenen Werthe der electrischen Moduln müssen daher durch
Multiplikation mit dem Faktor 27,8 X 10"8 auf absolutes Maaß re-
ducirt werden. Ihre Werthe im cm. g. s. System sind somit
1. Quarz.
5U = 5,31 x 10-8 ou = -1,20 x lO"8.
2. Turmalin.
8„ — —9,07 x lO"8 822 = 0,55 x 10~8
K — —0,71 x lO"8 833 = —4,70 X lO'8.
die piezoelektrischen Constanten des Quarzes und Turmalins. 255
Dagegen findet Curie bei Quarz on = 6,3 x 10~8, bei Tur-
malin o33 = -5,3 X 10"8.
5. Die pyroelectrische Constante des Turmalins.
Es mögen die im Vorhergehenden für den Turmalin gefunde-
nen Zahlen noch benutzt werden zur Berechnung seiner pyroe-
lectrischen Constanten und zu einer Vergleichung derselben
mit dem Werthe, welchen der eine von uns bei directer Messung
des durch Erwärmung erzeugten electrischen Momentes gefunden
hat. Für das durch eine Erwärmung um b Grade erregte electri-
sche Moment gilt die Formel *)
c = 0 (2s31a2 + s33«3)-
Hier sind a2 und a3 die Ausdehnungscoeflicienten des Turma-
lins in der Richtung der y- und der «s'-Axe. Ferner ist:
£31 == °31CU + °33C13> S33 == °31 C31 + °33 C33*
Für die Elasticitätsconstanten c ergeben sich, wenn man als
Einheit des Zuges die Dyne und als Einheit der Fläche das cm*
benützt , die "Werthe :
cn = 270 X 1010 c33 = 161 x 1010
e„ = 9 x 1010 = cai.
Somit ist
£31 = -234 x 102, s33 = — 763 x 102.
Da ferner
a2 = 7,73 x 10"6, a3 = 9,34 x 10-
so wird schließlich
c = — 1,08 X ft.
Dagegen führen die an 5 verschiedenen brasilianischen Tur-
malinen angestellten Messungen pyroelectrischer Momente 2) im Mit-
tel zu der Formel
c = —1,18 X ft
welche mit der aus der allgemeinen Theorie sich ergebenden in
hinreichender Uebereinstimmung steht.
1) Voigt, Allgem. Theorie der electr. Erscheinungen an Crystallen. Ab-
handl. d. Ges. d. Wiss. zu Goettingen 1890. S. 69.
2) Riecke, über die Pyroelectricität des Turmalins. Wied. Ann. 1890 Bd.
XL S. 303 u. 305.
256 Hermann Wagner,
Ueber das von S. Günther
1888 herausgegebene spätmittelalterliche Ver-
zeichnis geographischer Koordinatenwerte.
Methodische Bedenken
von
Hermann Wagner.
(Vorgelegt in der Sitzung vom 2. Juli 1890. Nachträge 1891.)
Im Besitz des Herrn Stadtsekretairs Markus Schüßler
in Nürnberg findet sich eine aus dem 15. Jahrhundert stammende
Handschrift von 71 Blättern in gr. Quarto, aus welcher der durch
zahlreiche Arbeiten auf dem Gebiete der älteren Geschichte der
Mathematik und mathematischen Geographie bekannte Sigis-
mund Günther 1888 zwei Tabellen geographischer Positionen
mitgeteilt und eingehend analysirt hat (Zeitschr. f. wissensch.
Geogr. VI. 1888. S. 160 — 164). Derselbe sucht nachzuweisen, daß
die ganze Handschrift in Libau oder mindestens in
den heutigen Ostseeprovinzen entstanden sei.
Diese Behauptung erschien mir schon beim flüchtigen Lesen
seiner Darlegungen im hohen Grade unwahrscheinlich. Bei näherer
Betrachtung ergaben sich meines Erachtens so viele Einzelmisver-
ständnisse, ja historisch wie geographisch ganz unmögliche An-
nahmen und Beweisführungen, daß es sich wohl im Interesse der
methodischen Behandlung derartiger Fragen verlohnte , den Irr-
gängen des Herausgebers nachzugehen , auch wenn das Objekt an
sich und in isolirter Betrachtung von keiner hervorragenden Be-
deutung ist. Es gehört dasselbe zu den mittelalterlichen sog.
Tabulae regionum; diese verhältnismäßig im Umfang meist be-
schränkten Tabellen sind eine bis jetzt noch zu wenig beachtete
und bearbeitete Klasse von Dokumenten zur Geschichte der Geo-
graphie im Mittelalter, für welche man meist nur die uns über-
lieferten kartographischen Darstellungen verwertete. Aber in Hand-
schriften vergraben, bereiten sie der bloßen Sammlung schon nicht
unerhebliche Schwierigkeit. Ich habe eine solche seit längerer
Zeit begonnen. Aber durch andere Arbeiten an dem Abschluß
einer darauf bezüglichen Monographie voraussichtlich auf länger
verhindert, lege ich einige methodische Winke, die an ein bereits
bearbeitetes Beispiel unmittelbar anknüpfen und an demselben ge-
über ein spätmittelalterl. Verzeichnis geogr. Koordinatenwerte etc. 257
prüft werden können, den Freunden der Geschichte der Erdkunde
im Mittelalter vor. Dieselben könnten vielleicht insofern von eini-
gem Werte sein, als die Zahl der Bearbeiter wie der Kenner jenes
Abschnittes der Geschichte noch so äußerst gering ist, daß diesen
wenigen eine verhältnismäßig große Auctorität innewohnt. Zu die-
sen letztern gehört mein Freund Sigismund Günther in Mün-
chen, dessen außerordentlichem Spürsinn und Sammeleifer es be-
reits gelungen ist, manche vergessene Thatsache aus der Geschichte
der Grenzgebiete zwischen Geographie, Physik und Mathematik
an das Licht zu ziehen.
Mehr und mehr habe ich mich jedoch überzeugen müssen, daß
Günther über der Freude der Entdeckung der litter arhistori sehen
Einzelnotiz das wichtige Erfordernis eines Geschichtsschreibers
der Wissenschaften zu sehr außer Acht läßt , nämlich die Ver-
senkung in den Zeitgeist, in das ganze wissenschaftliche Können,
sowie den litterarischen Gesichtskreis einer Gruppe von Forschern
der jeweilig in Betracht kommenden Perioden. Dadurch müssen
aber sicher unrichtige und schiefe Auffassungen im Leser ent-
stehen, welchen sich, wie ich an immer zahlreichern Beispielen er-
kennen mußte, oft ein ganz anderes Bild enthüllt, als es von
G. mit wenigen Strichen gezeichnet wird, — jedoch nie ohne eine
fast erdrückende Fülle von Citaten beizufügen, die sich bei näherer
Einsicht nicht selten als irrig, ja als wertlos, weil nicht den Origi-
nalschriften entnommen oder gegeneinander in ihrem Werte ab-
gewogen , ergeben. Andererseits kann aber eine richtige Beach-
tung des gesammten geistigen Niveaus, in welchem sich ein Einzel-
autor oder eine Gelehrtenschule befand, oft ein besseres Mittel
zur Datirung und Erklärung eines historischen Dokumentes ab-
geben, als ein einzelnes Kennzeichen.
Diese Zwischenbemerkung glaube ich an dieser Stelle ein-
schieben zu müssen, da sich meine methodischen Bedenken im vor-
liegenden Falle nicht gegen einen einzelnen Irrtum, sondern die
ganze Arbeitsweise eines Fachgenossen, und zugleich eines Freun-
des und Mitarbeiters, richten müssen. Nicht leicht wird mir der
Ausspruch, daß die angedeuteten Erfahrungen mit der Zeit aus
dem einstigen Bewunderer seiner Gelehrsamkeit einen starken
Skeptiker haben werden lassen, der jedoch nichts aufrichtiger
wünscht , als daß G. die unschätzbaren Dienste , die er vermöge
seiner ausgebreiteten Kenntnisse, seinem unübertroffenen Sammel-
eifer und hervorragendem mathematischen Wissen unserer Disziplin
— ich rede hier nur von der Geschichte der Geographie — leisten
könnte, durch eine wirkliche Vertiefung in den zu behandelnden
258 Hermann Wagner,
Gegenstand und gründlichere Quellenkritik zu zuverlässigen und
wahren wissenschaftlichen Hülfeleistungen gestaltete.
Die Einwürfe, die ich im vorliegenden Falle gegen die Gün-
ther sehe Beweisführung zu machen habe, sind kurz die folgenden :
1) Der fragliche Kodex enthält keine einheitliche Schrift, son-
dern besteht aus drei ganz heterogenen Bestandteilen. Derjenige,
welcher die für den Geographen interessanten Ortstabellen enthält,
hat aller Wahrscheinlichkeit nach Nürnberg zum Ursprungsort, in
keinem Fall aber „die Länder des deutschen Ordens u .
2) Günther hat von der Wichtigkeit, welche man im Mittel-
alter auf die Kenntnis guter Polhöhen legte — der Konstruktion
der Sonnenuhren wegen (S. 160) — eine viel zu günstige und darum
unrichtige Vorstellung.
3) Irreführend ist ferner seine Ansicht über den hohen Grad
von Genauigkeit der Beobachtungen damaliger Zeit. Günther
verwechselt viel zu oft die rein rechnerische Exaktheit, die sich
z.B. bei fortgesetzter Teilung von Winkelgrößen in den Tabellen
ergibt, mit derjenigen, welche die Beobachtungsinstrumente hätten
ergeben müssen, thatsächlich aber erst Jahrhunderte später in
Folge ihrer Vervollkommnung zuließen. Und diese Ansichten führen
ihn im vorliegenden Falle auf ganz seltsame Abwege.
Der erste Punkt ist formaler Natur und rasch zu erledigen.
Herr Schüßler hatte die Freundlichkeit, mir den Kodex zu
näherer Einsicht zu überlassen, und meinem gelehrten Kollegen
Wilhelm Meyer hieselbst verdanke ich noch verschiedene die
Handschrift betreffende Erläuterungen. Dieselbe enthält auf den
ersten 20 Blättern einen Kalender, der mit dem Jahre 1439 be-
ginnt und von Johann von Gmünd stammt. Er ist identisch
mit einer auch auf der Göttinger Bibliothek befindlichen Hand-
schrift (im Cod. Gotting. theolog. 234) ; (ausführlich berichtet über
denselben Stern in Ersch u. Gruber 1843 unter Joh.v. Gmunden).
Dieser Kalender interessirt uns hier nicht. — Ganz unabhängig da-
von ist das zweite Manuskript von 36 Blättern — die zwei Blätter
der vierten Kustode d sind herausgeschnitten, ebenso die vier
letzten der Kustode e — , das in schöner Handschrift, die etwa
auf die Mitte des 15. Jahrhunderts hinweist (W. Meyer), eine
Ars componenda horologia enthält, welcher verschiedene Abhand-
lungen über den Quadranten, z.B. der „Prologus Prophatii Judaei
in quadrantem novus", ein traetatus chilindri etc., folgen. Das dritte
über ein spätmittelalterl. Verzeichnis geogr. Koordinatenwerte etc. 259
beigeheftete Stück , wie das erste eine große Krone als Wasser-
zeichen tragend, während das zweite den kleinen Ochsenkopf zeigt,
ist teils chronologischen Inhalts — eine Ostertabelle mit dem Jahre
1477 beginnend bildet den Anhang — , teils behandelt es die Theorie
und Praxis der Sonnenuhren. Die Handschrift ist eine vom zweiten
Teile vollkommen verschiedene ; die 5 z. B. ist der unsrigen fast
gleich, in den altern Teilen des Kodex gleicht sie der oben offenen
9. Schon hiernach ist eine Abhängigkeit dieses letzten Stückes
von den Ortstabellen des zweiten oder umgekehrt, wie sie Gün-
ther (1. c. 160) behauptet, unwahrscheinlich. Die verschiedenen
Wasserzeichen des Papiers bestätigen dies. Unter den Blättern
des mittlem Stücks finden sich nun einige , auf welchen — ohne
Zusammenhang mit dem übrigen Inhalt — die beiden Verzeichnisse
geographischer Namen und Koordinaten geschrieben sind, die den
Gegenstand der Untersuchung bilden : eine Liste , die wesentlich
aus Landschaftsnamen mit beigefügter Breitenlage (tabula regionum
Tab. I) und eine solche von Städten (tabula civitatum) , mit einer
dreiziffrigen Zahlenreihe ohne Tabellenkopf versehen, welche G.
für Längenangaben nach Stunden, Minuten und Sekunden hielt.
Entgegen den Anschauungen Günthers leugne ich den innern
Zusammenhang beider Tabellen ; ich halte die erstere für älter und
historisch interessanter; sie stammt aus einer ganz andern Quelle
als die zweite , die sicher auf Regiomontan selbst zurückgeführt
werden muß ; im übrigen ist es zweckmäßiger, beide ganz getrennt
zu betrachten.
II.
1. Für die Analyse der Tafel der Landschaften ist die im
Original gegebene Reihenfolge nicht ohne Bedeutung. Wir drucken
sie daher hier nochmals ab, zugleich einige Versehen berichtigend,
die Günther bei der Abschrift untergelaufen sind. Die laufen-
den Nummern finden sich im Originale nicht.
I. Elevationes seu altitudines poli arctici in variis regionibus :
1. Norvegia
2. Swecia
3. Bussia alba
4. Dada
5. Samaicia
6. Asia
7. Litphania
8. Darpht
9. Scocia
10. Liphania
11. Pomerania
60 gradus
} 59
i 58
56
12. Frisia
13. Hernest ed
14. Marchia vetus
15. Prussia
16. Hibernia
17. Holandria
18. Saxonia
19. Marchia nova
20. Bussia media
{Prussia media Gr.)
55 gradus
54
260
Hermann
Wagner,
21. Anglia
f 53 gradus
51. Francia 1
22. Britannia
52. Burgundia
23. Brabancia
53. Swaicia
24. Geliea
54. Carinthia
25. Westfalia
55. Bulgaria
26. Thuringia
>52
56. Yberia
27. .Msna
57. Hastringis
28. Ata«
58. Gabaudia
29. Colonia
59. Cumanna
30. Flandria
60. Venecia
31. Jw/cä
61. Coneolla
32. Lowanium
(Concolla Gr.)
33. Leodium
62. Croacia
(Leodunum Gr.)
51
63. Palespontus
34. Bemis
64. Magna insula
35. Hassia
Calchus
36. Lusacia
65. Albania
37. Bussia parva r
66. 2w ^ede montis
38. Normandia
67. Prewencia
39. Pacardia
68. Toscana
40. FatfnZ
69. Wandalicia
41. Franconiü
>50
70. Delphinatus
42. Bawaria
71. JRoma
43. Bohemia
72. Narwarra
44. Morawia
73. Primania
45. Luthringia j
46. Swevia
47. Austria 1
74. Cracia
49
(Gracia Gr.)
1
75. Pontus
48. Elsacia i
49. Äino
50. Walachia 1
76. Ellespontus insula
48
47 gradus
}46
45
>44
An die Tabelle schließt sich unmittelbar der nachfolgende Text :
„Si maximam solis declinationem vel elevationem habere velis primo
oportet sciri elevationem poli mundi sive equinoctialis in eadem regione.
Tunc ad elevationem equinoctialis quoad maximam elevationem adde
23 gradus et 32 minuta. Sed quoad maximam (sie!) declinationem
tunc eosdem ab elevatione equinoctialis subtrahe et hdbebis. Tunc
quanta erit elevatio maxima tanta erit etiam elevatio poli aretici sive
poli celi.u
2. Es ist nun zunächst der letzte Passus, von welchem Gün-
ther bei seinen Betrachtungen ausgeht. Mit riecht vermutet er,
daß im zweiten Satz ein Fehler des Abschreibers — maximam
statt minimam — vorliege; um so mehr muß man sich allerdings
wundern, daß Günther auf den sinnlosen letzten Satz hin, wo-
nach die Polhöhe so groß wie die Sonnenhöhe z. Z. des Sommersol-
stitiums sein müßte, den Schluß aufbaut, die Handschrift sei
in den Ostseeprovinzen entstanden. „Der unwissende
über ein spätraittelalterl. Verzeichnis geogr. Koordinatenwerte etc. 261
Abschreiber hat mit jenem Satz", meint Günther, „einen argen
Verstoß sich zu schulden kommen lassen, allein eben dadurch hat
er uns auch einen wertvollen Fingerzeig hinsichtlich seines Auf-
enthaltsortes gegeben. Soll nämlich seine Regel richtig sein, so
muß
cp = In und 90°— <p = cp — 23° 32'
folglich cp = £ (90 + 23° 32') = 56° 46'
sein. Dies ist aber die geographische Breite vonLibau etwa, und
es gab somit in dem vom Kompilator bewohnten Lande einen Punkt,
für welchen seine Vorschrift genau, und viele Punkte, für welche
sie annähernd stimmte, und mit diesem Grade von Uebereinstim-
mung gab sich der Abschreiber zufrieden."
Diese Beweisführung leidet nun m. E. in größtem Maße an
innerer Unwahrscheinlichkeit. Im vorliegenden Fall schreibt Gün-
ther die Genügsamkeit in Bezug auf die Genauigkeit der Person
des Abschreibers zu, im allgemeinen ist die Wichtigkeit, die man
in jenen Jahrhunderten allgemein auf gute Polhöhen legte, eine
seiner Prämissen. Man könne hiefür nicht die richtige Vorstellung
gewinnen, wenn man bloß die gedruckten Bücher berücksichtige,
wie es Peschel gethan , man müsse das zahlreich vorhandene
handschriftliche Material zu Kate ziehen, um zu erkennen, daß
man auf die Kenntnis guter Polhöhen schon um deswillen natur-
gemäß Wert legen mußte, da diese Kenntnis die erste Vorbedin-
gung für die Konstruktion jeder Sonnenuhr sei. Dieser Satz läßt
jeden Unbefangenen vermuten, daß man gegen Ende des Mittel-
alters , d. h. doch nichts anderes als vor Erneuerung der Astrono-
mie durch die Wiener Schule, vor allem durch Peurbach und
Regiomontan schon zahlreiche gute Polhöhenbestimmungen be-
sessen habe. Wie kommt es dann, daß uns davon so ungemein
wenige überliefert sind? Warum gräbt man sie mühsam aus dem
handschriftlichen Material noch heute im Interesse der Geschichte
der Wissenschaft aus? Einfach, weil man sie nur in höchst be-
scheidenem Maße besaß und man sich selbst in Gegenden, wo man
durch leidliche Wege die Lage mancher Punkte auf einen fester
bestimmten Ort beziehen konnte , mit ganz rohen Annäherungen
begnügen mußte. Die uns überlieferten Karten beweisen dies zur
Genüge und die gewaltigen Verzerrungen der europäischen Län-
der in westöstlicher Richtung, an die Günther gar nicht gedacht
zu haben scheint, hängen nicht nur von den Mängeln der Kenntnis
der Längen, sondern zum Teil auch von den fehlerhaften Breiten-
annahmen ab.
262 Hermann Wagner,
Die in unserer Handschrift mitgeteilte Tabula regionum I
spricht gleichfalls für die Genügsamkeit der Zeit, wenn ich so
sagen darf. Es werden in ihr Landschaften aufgezählt, die an-
nähernd unter gleicher Breite liegen. Sie dürfte, das ist wohl mit
Sicherheit anzunehmen, einer Karte entnommen sein, an deren Rand
nach ptolemäischer Art neben den Klimaten auch die Gradzahlen
angesetzt waren. Dies ist der natürliche Uebergang zu den spä-
tem genauem Angaben der Lage, wenn wir von den äußerst
wenigen, astronomisch bestimmten Punkten absehen (s. u.).
Aber Günther, die Zeitverhältnisse schon in diesem Punkte
verkennend, will uns beweisen, daß der Verfasser, den er uns auf
Grund des völlig verkehrten Satzes „quanta erit elevatio maxima
(sc. solis) tanta erit etiam elevatio poli arctici sive poli celi" als
einen unwissenden Kompilator schildert, doch vielleicht selbst für
seinen Aufenthaltsort mittelst des Gnomon oder des Baculus die
Polhöhe gemessen habe! (p. 162). War dies letztere der Fall, so
erscheinen die theoretischen Misverständnisse noch ungeheuerlicher.
Andererseits konnte er sich mittelst des Gnomon kaum um mehrere
Grade irren, wenn er nicht ein ebenso ungeschickter Beobachter
wie Theoretiker war. In der That schließt Günther die Rich-
tigkeit seiner „Messung" aus dem Umstände, daß Frussia, das eigent-
liche Deutschordensterritorium, mit 55° der Breite ganz gut weg-
gekommen sei *). Wie reimt sich nun mit der eigenen Beobachtung
von 55° die vermeintliche Uebereinstimmung zwischen der größten
Sonnenhöhe hx und der Polhöhe am Beobachtungsort, da aus
<p = \ und <p — 23° 32' = 90°— cp
ja unbedingt <p = 56° 46' also fast 2° mehr folgt? Diese Breite
ist, sagt Günther trotzdem, etwa diejenige von Libau und es
gab somit in dem vom Kompilator bewohnten Lande einen Punkt,
für welchen seine Vorschrift genau, und viele Punkte, für welche
sie annähernd stimmte.
Ein weiteres Argument für den Ursprungsort der Handschrift
im Ordenslande ist nach Günther ferner, daß in derselben an
einer andern Stelle als gnomonisches Beispiel die Anfertigung einer
Sonnenuhr „in Prusia" gelehrt werde. Indessen zeigt die betreffende
Figur, neben welcher „in Prusia" steht, genau die gleiche Unwissen-
heit des Abschreibers in den ersten Elementen der Ortsbestimmung.
1) Was das von G. als „unter der topographischen Bezeichnung Prussia
media wenig bekannte Mittelpreußen" betrifft, welches ebenfalls gut bestimmt sei
(S. 162), so existirt dieses in der Handschrift nicht ; es steht dort deutlich „Bussia
media11.
über ein spätmittelalterl. Verzeichnis geogr. Koordinatenwerte etc. 263
Denn nach derselben bildet, was Günther entgangen ist, imMeri-
diandnrchschnitt die linea eqninoctialis einen Winkel von 55°, die
Axis einen Winkel von 35° mit dem Horizont; während es für
Orte unter 55° Br. gerade umgekehrt sein müßte. Unmöglich
kann zwischen dem Misverständnis „quanta erit" und diesem „in
Prusia" irgend ein Zusammenhang bestehen , da in dem ersten
Falle die größte Höhe der Sonne (also zur Zeit des Sommer-Sol-
stitiums), im zweiten die Aequatorhöhe derselben, (also zur Zeit
der Aequinoctien) mit der Polhöhe bezw. der geographischen Breite
identifizirt wird. Und der Mann also, der sich solche Verstöße
zu Schulden kommen läßt, sollte im Stande gewesen sein die Pol-
höhe durch Gnomon oder gar durch den Baculus zu bestimmen1)?
3. Vorausgesetzt der Abschreiber habe wirklich in jenen Ge-
genden gewohnt, wie stimmen nun seine Ansichten über die gegen-
seitige Lage der in Frage kommenden Landschaften mit der Wirk-
lichkeit überein ? — es werden Samaicia, Litphania, Liphania, Prus-
sia genannt, nebst Darpht, ein Name, der hinter Litphania folgt.
Unter Darpht ist gewiß, wie G. ausführt, nichts anderes zu ver-
stehen als Dorpat {Tarbatimi) und für diesen Ort (587s ° N.) stimmt
die Breite von 57° wenigstens nicht schlechter, als für manche
andere Orte. Dorpat liegt aber, und lag doch auch niemals
in Lithauen (Litphania). Doch wie dem auch sei, wie sollte ein
in jenen Gegenden wohnender Klosterbruder nun Livonia (Livlanil).
südlich von Litthauen setzen? „Gerade dieser Umstand spricht
dafür", sagt G. (S. 162 ob.) , „daß ein Preuße die Beschreibung
anfertigte , denn ein solcher bezeichnete eben mit dem Wort LH-
thauen das ganze Gebiet des Ordenslandes bis hoch in den Nor-
den" (! ?). In der That eine seltsame Argumentation. Denn nie-
mals konnte eine so generelle Bezeichnung es zuwege bringen, daß
man deshalb glaubte, der Weg von Preußen führe durch das Ge-
biet von Litthauen südwärts nach Livland. Aber selbst wenn
beide Namen zu vertauschen wären, sodaß an erster Stelle
Liphania (57°), an zweiter Litphania (56°) stände, so müßte die
Stellung von Samaicia unter 58° die Vermutung, der V<
habe in Prussia gewohnt, ganz über den Haufen werfen. Denn
für Samaicien liegt ein Schreibfehler in keinem Fall vor. Sarmatia
1) Das letztere Instrument ist doch vor Regiomontan sicher nur in den Han-
den von astronomisch durchgebildeten Männer gewesen, wenn wirklich auf Grund
der neuern Handschriftenfunde die Existenz desselben gegenüber deu frohem
Ansichten um hundert und dreißig Jahre zurück datirt werden muß (s. Günther,
Martin Behaim. Bamberg 1890. p. 63. Anm. 55 u. ders. in Enettröm't Bibliotheca
mathematica 1890. 73—80).
Nachrichten von der K. 0. d. W. in Göttingen. 1891. No. 8. 20
264 Hermann Wagner ,
dafür einsetzen zu wollen bei der besondern Aufzählung von Rus-
sia alba, media, parva hat keinen Sinn. Samaicia mit Samland zu
identificiren, wie Gr. es bedingungsweise thut, ohne zu bedenken, daß
dadurch der Breitenunterschied zwischen Prussia (55°) und Sam-
land (58°) ja noch viel unerklärlicher bei einem „Preußen" wäre,
ist ebensowenig angängig, da Samland im Mittelalter Sambia oder
Zambia hieß. Samaicia ist vielmehr nichts anderes als die unzwei-
felhaft zu Litthauen gehörige Landschaft Sameytha , das Land der
Samogiten, durch die Swiatha (jetzt Swenta, rechter Nebenfluß der
Wilija) von Litthauen getrennt, kurz also eine südlich von Liv-
land gelegene Landschaft. Roger Baco, der über die gegensei-
tige Lage dieser Landschaften (Opus majus. Lond. 1733 p. 226)
schon weit besser orientirt war, als die Tabelle unserer Hand-
schrift , verlegt Semi-gallia (Samogitia) östlich von Livland. Es
muß also gerade ausjlem Umstand, daß die Tabula regionum im
Nordosten so außerordentlich fehlerhaft ist, von neuem geschlossen
werden, daß ihr Ursprung in jenen Gregenden nicht zu suchen ist.
4. Aber zu Gunsten seiner Auffassung führt Gr. weiter den
doppelten Umstand an, daß einerseits mit weiterem Fortschreiten
gegen Süden die Unsicherheit der Angaben mehr und mehr wächst,
und daß andererseits die Breiten, wenn Fehler mit unterlaufen,
nur vergrößert niemals verkleinert werden. Auch diese Behaup-
tung ist, wie sich aus der Einzelanalyse der Tabelle ergeben wird,
in ihrer Allgemeinheit faktisch unrichtig. Einige ganz auffallende
Misverständnisse in Bezug auf gewisse Namen mögen teilweise
Veranlassung zu der irrtümlichen Auffassung gegeben haben (s. u.
Dada und Wandalicia) ; im übrigen hätte eine geographische Un-
tersuchungsmethode den Interpret sicher zu andern Ansichten
geführt. Es zeigt sich nämlich bei einer solchen, daß die Breiten-
lagen am besten für die westdeutschen Landschaften stimmen, etwa
zwischen 52° und 47°, daß die Fehler sich von hier aus nordost-
wärts und südostwärts am meisten vergrößern, und zwar sind die
östlichen Landschaften fast alle zuweit nach Norden gerückt, wo-
für man auch eine plausible Erklärung geben könnte. Dies soll
indessen, da es näher belegt werden müßte, für jetzt nicht gesche-
hen. Wir wollen die Tabelle selbst näher betrachten, sie in drei
Abteilungen zerlegend.
a) Schreibt man zunächst die Landschaften mit einer Polhöhe
von mehr als 53 ° nach ihrer Breitenlage, wie folgt, in horizontalen
Reihen neben bezw. übereinander, so weicht unter den 22 Namen
nur Pomerania (Nr. 11 in Tab. I) von der Regel ab, daß in jeder
Breitenzone die Aufzählung mit der westlichen Landschaft beginnt :
über ein spätmittelalterl. Verzeichnis geogr. Koordinatenwerte etc. 265
Breite
60 ° Norvegia
59° Svecia JRussia alba
58° Dada Samaicia Asia
57 ° Litphania
56° Scocia Pomerania. Liphania
55° Frisia. Hernested. Marchia vetus. Prussia
54° Hibernia. Holandria. Saxonia. Marchia nova Bussia media
53 ° Anglia. Britannia.
Zunächst weist diese Anordnung schon unzweideutig auf die
Identität von Dada und Bania oder Dänemark hin, auch wenn
nicht jede Ptolemäusausgabe den Namen Dada im südlichen Scho-
nen bezw. im Gebiet der Inseln trüge und derselbe Name sich auf
zahlreichen handschriftlichen und gedruckten andern Karten des 15.
u. 16. Jahrhunderts (Rey seh, Orontius Finaeus, J.Vadian u.a.)
fände , sodaß es in der That verwunderlich ist , wie Gr. darüber
Erörterungen noch anstellen konnte, daß „mit jenem Namen Dada
(das unter 58° verlegt ist!), wohl etwas anderes gemeint sein müsse
als das Daden zur Römer Zeit" (bekanntlich in ca. 45° Br. !)
Nur der Name Hernested macht Schwierigkeit. Mir scheint
jedoch die Karte des Cl. Clavus v. J. 1427 den Schlüssel zu
geben. Dort steht (ca. 5772° nach Ptolemaeus, 5372° nach
Clavus, also im Mittel 55°) die Inselgruppe Haelieland (Helgo-
land), wie Gr. Waitz (Nordalbingische Studien I. 1844) aus dem
aus dem schwer zu entziffernden Namen gelesen; ich lese Haelgae-
land. Das von Nordens kjöld (Studien u. Forschungen. Lpz.
1885. Taf. II) herausgegebene Facsimile der Karte des Clavus
zeigt den Namen etwa wie: J><*!afttc3, dessen letzte Hälfte leicht als
sted gelesen werden könnte. Die Aufzählung hinter Frisia spricht
jedenfalls nicht gegen diese Konjektur.
b) Auffallend ist, daß keiner deutschen Landschaft die Pol-
höhe von 53° gegeben wird. Auf der andern Seite zeigt sich so-
fort, daß die Namen Nr. 23 — 35, die sich mit Ausnahme von Bus-
sia parva und Walachia auf Mitteleuropa beziehen, in annähernd
richtiger Breite und westöstlicher richtiger Folge
aufgezählt sind. Die fünf Ortsnamen lassen wir zunächst aus der
Uebersicht fort.
Breite
52° Brabancia. Geliea. Westfalia. Thuringia. Misna Siesta.
51 ° Flandria. Hassia. Lusacia.
50 • Normandia. Pacardia. Vestril. Franconia. Baicaria. Bohemia.Moratcia.
49° Lutlvringia. Swevia. Austria.
48 ° Elsacia. Stiria.
47° Francia. Burgundia. Swaicia.
20*
266 Hermann Wagner,
Daraus ergibt sich , daß die östlichen Landschaften z.T. um
1° zuweit nördlich gerückt sind , dies gilt von Thuringia , Misna,
Slesia, Bawaria, Austria, Stiria, während man für die Lausitz und
Böhmen den 51° bezw. 50° als mittlere Breite annehmen kann.
Unter den westlichen Landschaften macht uns Veslril Schwierig-
keit. Verstümmelt oder verschrieben ist der Name gewiß. Einen
Schlüssel für die Erklärung kann jedoch die Aufzählung zwi-
schen Picardia und Franconia abgeben; nach meiner Vermutung
handelt es sich um den Namen Westrich {Vestric). Der Name rührt
bekanntlich von Neustria oder Westria {Austrasia) her und umfaßte
im Mittelalter die Landschaften zwischen Elsaß, Lothringen , Trier
und Pfalz, also jedenfalls einen größern Landkomplex als später, wo
man darunter den südwestlichen Teil der Pfalz verstand. Schon
des Nie. Cusanus Germania (ca. um 1460, gestochen 1491) x) gibt
der Landschaft diesen beschränkten Umfang.
Es ist ferner bemerkenswert, daß sich sämmtliche Ortsnamen
in der Tabelle mit Ausnahme von Darpht und Bemis auf bekannte
Städte u. zw. meist Bischofsitze in der schmalen Zone zwischen
Köln und Löwen beziehen, nämlich Colonia selbst, Julh {Jülich),
Lowanium {Löwen) und Leodium {Lüttich), und daß die Breitenfehler
für dieselben, sobald man unter den Ziffern nicht Parallelkreise,
sondern Breitengrade versteht, hier ziemlich gering sind. Beims
freilich ist in der Lage erheblich falsch gesetzt (und vielleicht erst
später eingeschoben). Immerhin könnte jener Umstand in Verbin-
dung mit der ziemlich richtigen Lage der Landschaften im rheini-
schen Deutschland plausibler auf den Ursprungsort hindeuten, als
auf irgend eine andere (regend Mitteleuropas.
c) Die Fehler vergrößern sich von neuem für die südlichen,
mehr noch für die südöstlichen Landschaften und wenn die Brei-
tenlage auch .für einige (norditalische) gut paßt , so fällt es auf,
daß die Ordnung der Aufzählung in westöstlicher
Richtung fast ganz durchbrochen wird. Dadurch wird
die Lokalisirung der nicht ohne weiteres verständlichen Namen
erschwert. Wir trennen die westlichen von den östlichen Land-
schaften :
54. Carinthia
57. Hastringis
58. Gabaudia
60. Venezia
61. Coneolla
62. Croacia
>46
66. In pede montis
67. Prewenzia
68. Tuscana
69. Wandalicia
70. Delphinatus
71. Borna
>45'
72. Narwarra I440
73. Primania J
1) S. die photolithographische Reproduktion der kürzlich wiedergefundenen
Karte, herausg. v. S. Rüge im Globus Bd. LX. 1891.
über ein spätmittelalterl. Verzeichnis geogr. Koordinatenwerte etc. 267
In dieser Tafel ist Nr. 54 Hastringis nicht zu erklären. Der
Umstand, daß er vor Gabaudia (oder, wie G. schon sagt, Sdbaudia
d. h. Savoyen) genannt wird , könnte vielleicht ihn in Zusammen-
hang mit einer westlichen Landschaft (Gastinois um Nemours??)
bringen. Für die Vermutung G.'s, daß man unter Carniolla
Kr ain zu verstehen habe, spricht in der That der Umstand,
daß dort Coneolla und nicht Concolla steht und zwar vor Croacien auf-
gezählt wird. — Ganz entschieden müssen wir uns gegen die
Uebersetzung von Wandalicia mit Andalusien erklären. Schon der
gewaltige, alle andern Irrthümer weit übersteigende Fehler von 8°
in der Breite spricht gegen diese Annahme. Ebenso scheint aber
auch die Latinisirung des Namens Andalusia, der erst aus der ara-
bischen Geographie spät in die mittelalterliche übergegangen ist,
in der Form Wandalicia eine sehr selten gebrauchte und jedenfalls
sehr späten Datums zu sein. Während der Name Andalus sich
auf den arabischen Karten des 10. Jahrh. schon zeigt, tritt er in
den Karten der Abendländer erst am Ende des 16. Jahrh. auf,
aber stets in der Form „Andalusia11. Die Karten zu den Ptolemäus-
ausgaben nennen auch auf den sog. Tabulae novae jene Land-
schaft Baetica , ebenso fehlt Wandalicia oder Vandalicia im The-
saurus geogr. von Ortelius v. J. 1587, wogegen auch in diesem
Andalusia mit Baetica latinisirt wird. Wie sollte ferner plötzlich
diese eine südspanische Landschaft in die Gruppe der norditali-
schen kommen , während sonst überhaupt keine von so südlicher
Breite genannt werden? Es dürfte daher wenig Zweifel sein,
daß Wandalicia für Vindelicia steht, und die wiedergefundene Karte
des Cusanus, die jedenfalls spätem Datums (s. vor. S.), bestä-
tigt, daß der Name ähnlich wie Westrich im 15. Jahrh. noch nicht
obsolet geworden war. — Mit Narwarra (Navarra) und Primania
erreichen wir im Westen die südlichsten Landschaften. Ob Roman ia
für Primania zu lesen ist, so daß dieses für den ganzen Kirchen-
staat zu stehen hätte, muß dahin gestellt sein. Doch wüßte ich
auch zunächst keinen andern Ausweg, nur kann nicht der nörd-
liche Teil des ehemaligen Kirchenstaates, Roma</na im engern
Sinne, gemeint sein, wie G. vermutet.
Als östliche Landschaften bleiben dann noch die folgenden
55. Bulgaria
56. Yberia
57. Cumanna
58. Palespontus
64. Magna insula Calchus
65. Albania
46
74. Cracia
75. Pontu8
76. Ellespontus insula
\ 44°
268 Hermann Wagner,
Auch hier also beträchtliche Nordverschiebung, die jedoch
3 Breitengrade nicht übersteigt, wenn wir bedenken, daß Cracia
(Graecia) nicht dem heutigen Griechenland, sondern dem Rumpf der
türkischen Halbinsel entspricht. Unter Cumanna ist Cumanenland
d.h. Ungarn zu verstehen (Gr.) Yberia, Colchis und Albania führen
uns in die Kaukasusländer bezw. das südlichste Rußland. Die
Form Palespontus vermag ich für jetzt auch nicht zu erklären.
Da Pontus noch besonders — südlicher von jenem gelegen — . ge-
nannt wird, kann man vielleicht an den Asow'schen Busen den-
ken und irgend eine Kombination von Talus und Pontus vermuten (??)
5. Fassen wir die ganze Tabelle zusammen, so entbehrt sie
in ihrer Gruppirung nicht des Interesses und ist eine nicht un-
wichtige Ergänzung der kartographischen Darstellungen aus dem An-
fang (?) des 15. Jahrhunderts. Denn älter als des Cusanus (1464) Ger-
mania ist sie gewiß. Zur Zeit ist mir jedoch weder eine Karte
bekannt, die als Quelle der Aufstellung angesehen werden könnte,
noch eine anderweitige Tabula regionum, an die sie sich an-
schließt. Gerade die Beschränkung auf Landschaften des mitt-
lem und nördlichen Europa gibt ihr ein Alter vor dem allgemei-
nern Bekanntwerden der Geographie des Ptolemäus im Abendland
(die erste lateinische Uebersetzung durch den Florentiner Jacob o
Angelo ward bekanntlich 1410 vollendet, was hier nur erwähnt
wird, weil G. den Italiener (1. c. 160 Anm. 2) schlankweg zu
einem Deutschen Jakob Engels, macht). Setzt die geord-
nete Reihenfolge , in welcher die Landschaften nördlich des 46 °
mit geringen Ausnahmen aufgezählt werden, m. E. voraus, daß
der ursprüngliche Verfasser eine Karte vor sich hatte , welche
am Rande eine Einteilung nach Klimaten und Einzelgraden hatte,
so kann dieselbe nicht ganz klein, nach Art der Imago mundi des
Petrus d'Ailly, gewesen sein; dies könnte höchstens von einer
zweiten Karte gelten, aus der vielleicht die Landschaften zwischen
44° und 46° entnommen sind, wobei die richtige Aufzählung nach
Breitenzonen größere Schwierigkeit bot, denn unwahrscheinlich ist
es, wie gesagt, daß eine solche überhaupt ohne eine die räumliche
Vorstellung unterstützende Kartenskizze erfolgt sein sollte. In-
dessen mag das Weitere bis zur Durchmusterung noch anderen
Materials zurückgestellt werden.
in.
Nur ein Kriterium gibt es noch für die Datirung zu erörtern,
welches G-. nicht weiter beachtet hat, nämlich die Annahme der
Schiefe der Ekliptik zu 23°32'. Ueber diesen Punkt enthält
über ein spätmittelalterl. Verzeichnis geogr. Koordinatenwerte etc. 269
die Gr.'sche Darstellung nur die Worte „die Schiefe der Ekliptik
ward von Peurbach zu 23°33' angesetzt, von Coppernikus
zu 23° 29', unsere Quelle bedient sich eines zwischen diesen beiden
Zahlen liegenden Wertes". Diese Darstellung ist in den Ziffern-
angaben des erstem Teils unrichtig, in ihrem zweiten m. E.
irreführend. Ich muß über diesen Punkt etwas weiter ausholen.
Jener Ausdruck kann doch wohl nicht anders verstanden werden,
als daß Peurbach selbstständig die Schiefe zu 23° 33' bestimmt
habe, ebenso wie später Coppernikus zu 23° 29'. Aber für
diese Behauptungen liegen keine Belege vor. Ich berühre dabei
einen wunden Punkt in der Geschichte der astronomischen Wis-
senschaft. Trotzdem im Laufe der letzten drei Jahrhunderte die
Geschichte der Bestimmungen der Schiefe der Ekliptik (meist un-
ter dem Stichwort der säkularen Aenderung bezw. Abnahme der-
selben) oft in kosmographischen oder astronomischen Werken be-
handelt ist , fehlt es , so viel mir bekannt , noch ganz an einer
vollständigen und wirklich quellenmäßigen Darstel-
lung *). Meist wird in den Einzelhinweisen nicht auf die Origi-
nalquellen zurückgegangen. Für seine Zeit am vollständigsten
hat wohl ßiccioli im Almagestum novum Bonon. 1661. p. 160 —
161 berichtet 1). Sonst pflegt der eine Autor diesen, der andere
jenen Urheber in ziemlich willkührlicher Weise fort zu lassen oder
er nimmt einen solchen auf, ohne das Gewicht desselben für die
Entwickelung der Wissenschaft erst abzuwägen. So schiebt Gün-
ther neuerdings (Handbuch der math. Geogr. 1890. S. 736) auf
eine zufällige , neue litterarhistorische Notiz hin 2) in eine alte
Mädler'sche Tabelle von nur vier Namen (die Versetzung Alba-
täni's oder des Albategnius a. a. 0. ins 10. statt ins 9. Jahrh.
darf nicht auf Mädlers Rechnung gestellt werden) zwischen
Arzachel und Coppernicus noch den Lehrer des letztern,
Novara, ein, den Copp. selbst nicht einmal nennt und dessen
Bestimmung keinerlei Einfluß auf die Berechnungen seiner oder
1) Wenn G. in seinem Handbuch der math. Geogr. 1890. S. 736 sagt: „Im
Zusammenhang studirt die aus älterer Zeit überlieferten Messungsergebnisse La-
place in seinem den Conn. des temps von 1841 einverleibten Aufsatze: Sur la
diminution de l'obliq. de l'e'clipt. qui resulte des observ. des Anciens" (sie, statt
ancieunes) so kann G. die Arbeit unmöglich selbst eingesehen haben, denn erstens
steht dieselbe in den Conn. des temps 1811, sodann beschäftigt sie sich nur mit
den Messungen der Chinesen, älterer Griechen excl. Ptolemaeus und einiger Ara-
ber und Perser, aber nicht mit denen des 15. und 16. Jahrhunderts.
2) Leben d. Coppernikus v. Prowe I. 1885. S. 244, wo die Autorschaft des
Novara für den Wert 23° 29' durch handschriftliche Notizen festgestellt wird.
270 Hermann Wagner,
späterer Zeiten geübt hat, während z.B. weder Prophatius,
noch Peurbach und Regie-montan, noch Werner etc. von Gr.
in die Liste gestellt werden.
G-enug die Bestimmung des Coppernicus ist nicht 23° 29', son-
dern 23°28'24" (wie GL auch in seinem Handbuch anführt), wofür
in seinem Hauptwerk auch öfters 23° 28' 30" gesetzt wird1). Aber
mehr interessirt uns zur Zeit Peurbach, von dem feststeht, daß
er 1460 mit Regiomontan zugleich die Ekliptikschiefe zu 23°28'
bestimmt hat , so daß Coppernikus mit Recht sagen konnte,
die von ihm gefundenen Werte stimmen mit dem von P. u. R.
erhaltenen wohl überein 2). Das rein fach wissenschaftliche Inter-
esse knüpft sich bei solchen Werten bekanntlich mehr an die Be-
deutung derselben für die Kenntnis der wahren Verhältnisse zu
1) Nie. Coppernicufsl Ueber die Kreisbewegung der Himmelskörper, übers,
mit Anm. v. M. Menzzer. Thorn 1879. S. 60. 135. 143.
2) Menzzer gibt (I.e. Anm. 102 u. 103) nur einige biogr. Notizen über
Peurbach und Regie-montan, aber sagt nichts über ihre Bestimmung. Da-
her mögen folgende Belegstellen folgen. M. Ptolemei alex. in Magnam Construc-
tionem Georgii purbachii ejusque diseipuli Joh. de Regio monte Astronomicon
Epitoma (Venetiis 1496). Lib. I prop. XVII: Nos autem invenimus arcum alt.
trop. hiem. 65 graduum 6 minutorum et arcum alt. trop. estualis 18 gr. 10 min.
Ideoque nunc distantia tropicorum est 46 gr. 56 min., ergo declinatio solis maxima
nostro tempore est 23 gr. 28 min." — Ferner ist der in Nürnberg aufbewahrte
und von Murr (Memorabilia biblioth. publ. Norimb. 1786. I.) veröffentlichte
Briefwechsel Regiomontans mit Bianchini von Wichtigkeit. Anfang 1464
(1. c. 148—149) schreibt R. an B.: „Nos autem, praeeeptor meus et ego, instru-
mentis reperimus declinationem solis maximam 23 gr. minutorum 28 fere. M.
Paulum florentinum et D. Baptistam de Alberthis sepe audivi dicentes se diligen-
ter observasse et non reperisse majorem gr. 23 minutis 30 que res etiam tabulas
nostras videlicet tabulam declinationis et ceteras que super eam fundantur inno-
vare persuadet". Es ist dies die Stelle, in welcher sich R. sehr eingehend mit
einer Kritik auch der altern Werte beschäftigt. Wenn, beiläufig, Günther in
seinen Studien z. Gesch. d. math. u. phys. Geographie (Halle 1877. Heft 2. S. 77) ge-
genüber Mädler (Gesch. der Himmeskunde I, 123) behauptet, es sei ein Irrtum
des letztern, daß Peurbach bereits etwas von der Veränderung der Schiefe der
Ekliptik gewußt habe , so kann G. wohl nicht die Theorica motus oetavae sphä-
rae (den letzten Teil der 1460 geschriebenen Theoricae novae planetarum), selbst
eingesehen haben, deren vorletzter Abschnitt: „de mutatione declinationum solis
maximarum" mit dem Worten beginnt : „Unde fit, ut maximae Zodiaci declinatio-
nes variabiles existant ; majores namque reperta sunt a Ptolemeo quam
ab Almeone" etc. Erst hinterher folgte jener Anhang: „Theorica oetavae sphärae
seeundum Thebit". Wenn ferner Peurbach im Eingang seiner Theorica oct.
sphaerae dem „tertius motus" derselben hinzufügte: „qui motus trepidationis voca-
tur", warum nennt Günther a.a.O. diesen von Delambre gebrauchten Aus-
druck einen ganz und gar unhistorischen"?
über eiii spätmittelalterl. Verzeichnis geogr. Koordinaten werte etc. 271
gewissen Zeiten, sodaß man die event. von den Beobachtern noch
vernachlässigten Korrektionen, wie in unserm Fall besonders die-
jenigen der Refraktion, anbringt, sie also gleichsam wissenschaft-
lich zustutzt. Aber das historische Interesse verweilt mehr bei den
Originalziffern selbst und deren Einfluß auf die Arbeiten der
Zeit. Wenn nun einerseits keine Frage ist , daß eine ganze
Reihe von Tafeln Regiomontans und seiner unmittelbaren Nach-
folger bezw. Herausgeber auf jenen Wert von 23°28', der von ihm
und Peurbach ein Jahr vor des letztern Tode gefunden ward,
gegründet sind, so steht andererseits fest, daß beide und besonders
Peurbach während des größern Teil seines Lebens hindurch sich
an einen der altern Werte hielten und zwar wesentlich an die
Zahl 23° 33' 30", den Regiomontan ausdrücklich als den üblichen
bezeichnet1) und gelegentlich auf Thebit (ben Korra um 900) 2)
zurückführt, woneben gelegentlich auch 23° 33' oder wohl auch
rund 2372° angewandt wird.
Der in unserm Manuskript vorkommende Wert 23u32' hat also
mit den eben genannten Zahlen nichts zu thun und dieser ist mit
Sicherheit auf Pr ophatius Judaeus (Jacob ben Machir um 1300)
zurückzuführen, wobei ich mich ohne weitere Erörterungen auf die
ausführlichen Darlegungen Menzzer's8) die er zum Teil dem
gelehrten M. Steinschneider verdankt, beziehen kann; nur
mag hinzugefügt werden, daß die Kommentatoren Peurbachs und
Regimontan's den Prophatius auch bereits mit zu nennen
pflegten 4). Jedenfalls geht hieraus hervor , daß uns diese Zahl
nicht etwa auf eine zeitlich zwischen Peurbach und Copper-
nicus fallende Periode führt, wie man leicht aus Günthers
Worten herauslesen konnte. Nicht daß wir die Ortstabelle auf
1) Regiomontan an Bianchini 23. Juli 1463 (Murr 1. c, 76): „utor
enim declinatione maxima solis usitata gr. 23 min. 33 sec. 30" und als Bianchini
(p. 81), .den Wert gr. 23 m. 30 sec. 30 supponirt „sicut ipsara multociens cum
instrumento at in diversis temporilms consideravi diligenter" antwortet R. (p. 85),
daß er bei Berechnung der ihm von Bl. gestellten Frage die größte Deklination
der Sonne zu 23 gr. 30 min. angenommen habe „que declinatione maxima conve-
nienter usitata minor fere est tribus minutis".
2) Reg. im Brief an Bianchini 1464 (Murr. I.e. p. 146): „post eos Te-
bith declinationem invenit maximam gr. 23 minnta 33 fere. Vergl. auch Peur-
bach: Theor. oct. sphaerae sec. Thebit: Eelyptica fixa semper secat equatorem
ad angulum semper eundum, puta 23 gr. 33 min. et 30 sec.
3) Nie. Copp.: Ueber d. Kreisbewegungen etc. s.o. Anm. 89.
4) S. z.B. Chr. Vurstisius: Quaest. novae iu theor. planet. Basel. 1578.
S. 421, wo jedoch Prophatius mit 23° 22' min. angeführt wird, oder Peurbach:
theor. nov. planet, ed. Ed. Reinholdo. Wittenb. 1601 p. 238.
272
Hermann Wagner,
die Zeit des Prophatius zurück datiren wollen, aber da Regio-
montan dessen Berechnung der Ekliptikschiefe niemals erwähnt, so
folgt wohl hieraus von neuem, daß wir jene Tabelle auf eine Zeit
vor Reformation der Astronomie durch die Wiener Schule zurück-
rücken dürfen.
IV.
1. Die Ortstabelle (Tabula civitatum) unseres Manuskripts,
unter deren 62 Namen sich einige wenige Landschaftsnamen finden,
ist die folgende. Ein Tabellenkopf fehlt.
1.
Hibernia
m
1 16 59
33.
Erffort
4 51
2.
Scocia
m
0 36 59
34.
Lips
10 51
3.
Oxonium
m
0 52 53
35.
Ingelstadium
4.
Compostellum
m
1 40 45
(Ingelstadum Gr.)
4 49
5.
Lisibona
m
1 40 41
36.
Nurenberga a
0 0 49
6.
Toletum
m
1 27 41
37.
Ratisbona a
0 6 49
7.
Corduba
m
1 21 38
38.
Ulma a
0 0 47
8.
Cesaraugusta
m
1 6 41
39.
Praga a
0 24 50
9.
Rhotomagus
m
0 43 50
40.
Vratislavia a
0 40 51
10.
Parsiiis (sie)
m
0 30 48
41.
Cracovia a
0 50 51
11.
Lugdunum
m
0 31 45
42.
Caschovia
56 50
12.
Burdigalia
m
0 52 45
43.
Buda
50 47
13.
? "
m
0 32 44
44.
Segnia
14.
Tolosa
m
0 43 43
(Seguia GL)
32 45
15.
Vienna provincie
m
0 30 44
45.
Vienna anno"
15 48
16.
Massilia
m
0 28 43
46.
Patavia
10 48
17.
Pragis
m
0 36 52
47.
Saltzeburga
12 48
18.
Gandanüm
m
0 24 52
48.
Iudeburgum
14 47
19.
Trajectum
m
0 12 53
49.
Vdlacum
13 46
20.
Colonia
m
0 13 51
50.
Brixina
8 45
21.
Machdia
m
0 24 51
51.
Venetie
10 45
22.
Maguntia
m
0 15 50
52.
Ancona
14 44
23.
Herpipolis
m
0 4 50
53.
Roma
20 42
24.
Arg entin a
m
0 12 45
54.
Tarentum
44 40
25.
Constantia
m
0 10 46
55.
Brudusium (sie
) 40 39
26.
August a Vindeli-
56.
Neapolis
36 41
corum
A 0
57.
Florentia
10 42
27.
Dada
a
0 36 58
58.
Mediolanum
0 44
28.
Swetia
26 62
59.
Taurinum m
0 43
29.
Bubeca
16 56
60.
Genua m
0 4
30.
Dantiscum
56 56
61.
Sardinia a
0 2 38
31.
Prunswigum
a
0 0 53
62.
Sicilia a
0 30 37
32.
Magdeburgum
16 54
(sie)
2. „Man wird zugestehen müssen", sagt Günther, „daß diese
Tafel, welcher auch nicht ein Schatten von Erklärung beigegeben
ist, demjenigen, der sie betrachtet, zunächst ein ßäthsel aufgibt."
Muß schon diese Frage der ohne Weiteres verständlichen Tabelle
gegenüber verwundern, wieviel mehr die Lösung, daß man es
über ein spätmittelalterl. Verzeichnis geogr. Koordinatenwerte etc. 273
hier mit einer Tafel ausschließlich der Längen zu
thun habe und obige Ziffern den Längen in Stunden,
Minuten und Sekunden entsprächen!! Hier darf man
wohl mit Recht fragen, welche Fortschritte für den so notwendigen
streng wissenschaftlichen Betrieb der Erdkunde zu erwarten sind,
wenn ein Autor, der seit mehr als einem Jahrzehnt mit besonderer
Vorliebe die historische Seite der mathematischen Geographie trak-
tirt und uns der Führer durch das nicht leicht verständliche Ge-
biet sein könnte, der u. a. über Peurbach, Regiomontan,
Joh. Werner, Apian, Keppler kleinere oder größere Mono-
graphien geschrieben , eine so einfache Tabelle jener Zeit total
misversteht, und die beigegebenen Grade der Breite für Längen-
sekunden erklärt ! Man würde es für ein Versehen allzu flüchtiger
Betrachtung ansehen , wie es einem so unendlich vielschreibenden
Autor einmal unterlaufen kann, wenn G. sich nicht diesmal beson-
ders Zeit genommen hätte und sich des Langen und Breiten ab-
mühte, aus den so verkannten Zahlen den Mittelmeridian heraus-
zukonstruiren. Zuvor erklärt er offen: „Wir sind außer Stande
anzugeben , von welchen Worten a und m als Anfangsbuchstaben
zu denken sind." Wunderbar, daß nicht wenigstens dem Mathe-
matiker G. und Verfasser einer Geschichte des mathematischen
Unterrichts die Ausdrücke „adde" und „minue" oder „addendum"
und „minuendum" eingefallen sind , wofür in den deutschen Aus-
gaben der Tabelle, von denen die Rede sein wird, g (zugeben) und
n (abnehmen) steht. „Da somit", sagt G., „ein offenbarer Fehler
vorliegt, so gilt es eine möglichst schonende Verbesserung anzu-
bringen; so sehr wir uns die Schwierigkeit vor Augen stellen, in
ein solches Zahlenheer, vielleicht von einem unwissenden Kopisten
mit allen möglichen Versehen zusammengeschrieben, Konjekturen
hineinzutragen, so wird sich doch im gegebenen Falle dieses Wagnis
nicht ganz vermeiden lassen." Ich finde die einzige Erklärung für
das totale Verkennen der Zahlen der dritten Spalte (von denen,
wohl bemerkt, keine unter 37 herabgeht) als Zeitsekunden in
der irrigen Vorstellung, welche sich G. über den Grad der Ge-
nauigkeit für die Beobachtungen jener Zeit gebildet hat, vielleicht
verführt durch die langen Ziffernreihen der astronomischen Tabelien-
werke, wie z. B. der Libros del saber des Königs Alphons. Hier han-
delt es sich jedoch einfach um rechnerische Operationen, die belie-
big weit ausgedehnt werden konnten und mit dem Genauigkeits-
grad, mit dem man sich bei Beobachtungen begnügen mußte, nichts
gemein haben.
Die obige Tabelle, welche wir als eine weit verbreitete aus
274 Hermann Wagner,
dem Kalender und deniEphemeriden des Regiomontan ohne Schwie-
rigkeit werden nachweisen können, gibt, obwohl sie bereits aus
der Zeit der Reformation der Astronomie durch diesen großen
Mathematiker stammt, ein neues Zeugnis für die Genügsamkeit
jener Zeit. Die vermeintlichen Zeitsekunden geben die Breitenlage
zwischen 62° und 37° in ganzen Graden an und die Längenangaben
in Stunden und Minuten bieten nur für fünf Orte eine ungerade
Zahl von Minuten , d. h. im Bogenmaß eine Genauigkeit bis auf
Viertelgrade. Für weitere 11 gerade, aber nicht durch vier teil-
bare Zahlen , also eine Genauigkeit nur bis auf halbe Grade , alle
übrigen (durch 4 teilbaren) Längenangaben würden im Bogenmaß
ausgedrückt für die Lage nur ganze Grade ergeben !
Die völlig falsche Prämisse, daß man es hier nur mit Längen-
angaben in Stunden, Minuten und Sekunden zu thun habe, sind
begreiflicher Weise Schuld, daß Günthers Versuche den ange-
nommenen Mittelmeridian aus der Tabelle herauszulesen , völlig
hinfällig sind. Wir brauchen uns dabei nicht aufzuhalten, da
sich derselbe aus der Lauge 0h 0m von selbst ergibt; es ist die
durch Braunschweig, Nürnberg, Ulm und Mailand ziehende Mittags-
linie, die von selbst schon auf Nürnberg als den Ursprungsort der
Tabelle hinweist.
3. Natürlich mußten auch die Versuche , die veralteten Orts-
namen in die uns geläufige Form umzuschreiben , durch das Ver-
kennen vor allem der Bedeutung der dritten Zahlenspalte leiden.
Es könne nicht entschieden werden, sagt G., ob Lugdunum (Nro. 11)
Leyden oder Lyon sei. Der Zusatz 45, d. h. 45° d. Br., läßt ohne
Weiteres erkennen, äaüLyon gemeint ist. Dada entspricht natür-
lich auch in dieser Tabelle Dänemark. Auch würde G. sich bei
Neapel nicht verlesen und 45° gesetzt haben , wenn er die Ziffern
als Breiten erkannt hätte (die Zahl 41 ist nicht gut geschrieben).
Ebenso hätte er die fehlenden Zahlen bei Neapel (0 ° 2 m L.) und
Genua (43 ° Br.) ergänzen können. Im übrigen halten wir uns bei
den leichtverständlichen Namen nicht auf, die an der Hand der
häufigen Reproduktionen durch den Druck leicht identificirt wer-
den können, auch wenn sie hier verschrieben sind (Pragis statt
Prugis, Bubeca statt Lubeca, Argentina 45° statt 47° etc.).
Nur gegen der Vermutung G.'s , daß man unter Segnia (nicht
Seguia, wie G. gelesen) der Bischofssitz Secleau in Steiermark zu ver-
stehen sei, wollen wir uns mit Entschiedenheit erklären. Eine geo-
graphische Untersuchungsmethode ist von G. nicht angewandt, es bot
ihm offenbar nur die Namen sähnlichkeit den Anhalt. SecJcau liegt
jedoch nicht 20 Kil. nordöstlich von Judenburg. Man vergleiche da-
über ein spätmittelalterl. Verzeichnis geogr. Koordinatenwerte etc. 275
mit den Längenunterschied nach obiger Tabelle; nach dieser liegt
Segnia 18 m = 4}j* Längengrade oder ca. 350 Kil. östlich von Juden-
burg. Solcher Fehler wird dem Autor der Tabelle also bei zwei
ganz benachbarten Orten imputirt! Indessen ist m. E. gar kein
Zweifel, daß man Segnia mit dem heutigen Zengg in Dalmatien zu
identifiziren hat, wofür nicht nur jener Längenunterschied, sondern
auch die Breite von 45° spricht. Außerdem findet sich der alte
Name für Zengg als Senia, Signia, Segnia auf zahlreichen Karten
des Mittelalters, sowie der Ptolemäusausgaben. Selbst Spruner-
Menkes Atlas genügt zur Erläuterung.
4. Wie schon angedeutet, ist es ebenso verwunderlich, daß der
Biograph des Regiomontan, der uns eine genaue Inhaltsangabe
seines berühmten Kalenders (Allg. deutsche Biographie Bd. 22
Joh. Müller) mitteilt, die vorliegende Ortstabelle nicht
sofort als diejenige erkannt hat, die sich nicht nur
in fast allen Ausgaben des lateinischen Calendarium,
wie des deutschen Kalenders , sondern auch in den
Ephemeriden und dem Almana ch desselben als „Tabula
regionum" figurirt und von hier aus auch in die Ausgaben der
Alphonsinischen Tafeln übergegangen ist , um , später allmählich
erweitert, im 16. Jahrhundert noch oft abgedruckt zu werden. Frei-
lich müssen wir auch nach der rein litterarhistorischen Seite G-. einer
seltsamen Unkenntnis zeihen, wenn er nach — doch hoffentlich
aus der Autopsie geschöpften — Beschreibung des deutschen Ka-
lenders von 1475 mit der Tafel der „Landt und stet" (das eben
ist unsere Tabelle) in der Allg. deutschen Biographie, die das
Zuverlässigste enthalten sollte, was gegeben werden kann, fort-
fährt: „G-anz ähnlich war auch der z. Z. in Göttingen — vielleicht
in dem einzigen noch übrigen Exemplar — befindliche latein. Ka-
lender , der 1485 zu Venedig erschien" etc. Hätte G. einmal in
Hain's Repertorium bibliograph. 1836—38 geblickt, so würde er
mit Nro. 13 775 beginnend allein gegen 15 Ausgaben des Kalen-
ders, davon 9 lateinischen, neben 5 Ausgaben der Ephemeriden und
zweien des Almanach , welche bis 1500 im Druck erschienen , be-
gegnet sein, und nach den mit einem * bezeichneten, von Hain
selbst gesehenen Ausgaben, darf angenommen werden, daß die
Münchener Bibliothek eine ganze Reihe dieser Kalender besitzt,
ganz abgesehen von den nach 1500 gedruckten. Das Göttinger
Exemplar ist nebenbei die 1482 in Venedig erschienene (Hain
13 777) Ausgabe. Uebrigens sind die Hain'schen Zusammenstellun-
gen sowohl Stern (Ersch u. Gruber 1843 Joh. de monte regio)
als R. Wolf (Gesch. der Astronomie 1877, S. 96) entgangen.
276 Hermann Wagner,
Durch Einsicht in eine dieser Ausgaben hätte sich auch die
Lücke Nro. 13 mit Avignon ausfüllen lassen und der „räthselhafte
Zusatz u annoe bei Wien hätte sich als Vienna pannonie im Gegen-
satz zum Vienna provincie entpuppt. Auf die kleinen Abwei-
chungen, welche die verschiedenen Ausgaben der tabula regionum
haben, verlohnt es hier kaum einzugehen. Mit Hibernia beginnend
und mit Sicüia endigend füllt sie fast immer eine Seite kl. 4° in
den genannten Werken. In der Ausgabe der Alphonsinischen Tafeln
von 1483 (Alfontii regis tab. astron., cur. Erh. rato ldt) befindet
sich noch eine Kombination der altern Tabula regionum und der
neuen, geordnet nach der Länge von W. nach 0. und mit Angabe
der Längen in Graden und Minuten (letztere meist auf 10 abge-
rundet) und der Breiten in Graden, nur daß bei 9 Orten auch noch
Breitenminuten eingesetzt sind. In der hier in Göttingen befind-
lichen Ausgabe der Alph. regis tab. astr. vom Jahre 1498 steht
dagegen genau die gleiche wie im Regiomontans Kalender, wo-
bei die Längen in Stunden und Minuten ausgedrückt sind 1).
5. In dem einen Punkte glaube ich Günther beistimmen zu
müssen, daß hier die erste Ortstabelle vorliegt, in wel-
cher die Längen durchweg in Zeit angegeben sind,
und nach allem, was zur Zeit bekannt, dürfen wir wohl nur !Re-
giomontan als den Urheber dieser Neuerung ansehen, welche
im engen Zusammenhang mit der Herausgabe neuer Ephemeriden
stehen dürfte. Daß derselbe früher sich der üblichen Bezeichnung
im Bogenmaß, mit dem Anfang an der Westgrenze der bewohnten
Erde, bediente, geht u. A. unzweideutig aus dem Briefwechsel mit
Joh. Bianchini, Jac. Spira, Christian Roder in Erfurt
1463 — 71 hervor. Noch im letzten Brief vom 4. Juli 1471 an
Roder heißt es (Murr I.e. 195): „Urbs roma longitudinem habet
ab oeeidente graduum 35 et latitudinem ab equinoctiali 42 graduum."
Ob die erste Ausgabe des Kalender Regiomontans bereits 1473
oder erst 1474 erschienen, ist mir zur Zeit nicht bekannt. Die
k. Bibliotheksverwaltung zu Berlin teilte mir mit, daß die dort be-
findliche Ausgabe von 1473 (sie) eine Tabula regionum nicht habe,
wohl aber die von 1475. Da nun die erste 1474 gedruckte Aus-
gabe der Ephemeriden für 1475— 1506 2) (s. Wolf, Gesch. d. Astron.
1877, S. 96, Hain Nro. 13 790) die Tabula gleichfalls enthält, so
muß wohl 1474 bezw. 1475 als das Jahr des ersten Erscheinens
1) Nicht also zuerst in den alphonsinischen Tafeln erschienen diese Listen
neuer Breitenbestimmungen, wie S. Rüge (Globus Bd. LX. 1891) meint.
2) Gallois (s. folg. S.) gibt S. 7 irrtümlich 1405—1506 an.
über ein spätmittelalterl. Verzeichnis geogr. Koordinatenwerte etc. 277
der Tabula mit Angaben der Längen in Zeit angesetzt werden.
Damit ist dann auch unsere handschriftliche Tabelle datirt, welche
nach allem nichts anderes sein kann , als eine Kopie aus dem
Kalender selbst, vielleicht eine Abschrift des handschriftlichen
Originals. Damit werden wir in Betreff der Herstellung dieses
Mittelstücks wieder auf Nürnberg hingeführt und zwar auf die Zeit,
in welcher Regiomontan sich dort aufhielt (1471 — 75).
6. Zum Schluß lenken wir die Aufmerksamkeit nochmals auf
die „Genügsamkeit der Zeit in Betreff guter Polhöhen". Nicht,
daß es zu jener Zeit nicht eine Reihe von Städten gegeben hätte,
für welche man bessere Werte hätte einsetzen können, wie Wien,
Nürnberg, Erfurt, Würzburg, Mainz, Paris, Oxford, London u. A.,
aber kaum wird sich aus unserer Tabelle ein Dutzend Orte heraus-
heben lassen, für welche man Polhöhen hatte, die man anders als
auf halbe Grade abzurunden wagte. Da sie fast verschwanden
gegenüber den unsicher bestimmten , ließ man die Minuten auch
bei den genauer bekannten fort, trotzdem auf diese Weise geogra-
phische Ungereimtheiten sich ergaben , wenn man die Tabelle zur
unmittelbaren Eintragung in eine Karte hätte benutzen wollen,
wo Salzburg und Passau, ebenso Begensburg, Ingolstadt und Nürn-
berg auf eine westöstliche Linie gerückt worden wären. Es zeigt
sich daraus , daß die Tabelle wesentlich zu astronomischem Ge-
brauch , nicht zu geographischen Zwecken zusammengestellt war
und daß sie in den Ephemeriden ihren eigentlichen Platz hatte.
Die Bevorzugung der Längen durch Angabe der Zeitminuten ist
natürlich mehr scheinbar , da , wie oben nachgewiesen , für nicht
weniger als 44 Orte bezw. Landschaften die Zeitmaße nur ganzen
Graden der Länge im Bogenmaß entsprechen. Die nähere Unter-
suchung wird jedoch auch diese Tabelle in den Kreis ihrer Be-
trachtung ziehen müssen, wenn es gilt die Kartographen zu nennen,
welche die Feststellungen der Astronomen in Mitteleuropa zuerst
mit ausnutzten. Für jetzt fragen wir, ob aus dieser Tabelle nicht
von neuem hervorgeht, daß es in damaliger Zeit an guten Polhöhen
noch ganz außerordentlich gefehlt haben muß, und man sich dem-
nach mit den rohesten Annäherungen zufrieden geben mußte. Von
diesem Standpunkt aus erfährt der von Günther begangene Irr-
tum von Längenangaben bis auf einzelne Zeitsekunden zu sprechen
(in unsern Breiten entspricht die Differenz einer Zeitsekunde einer
Längendifferenz im Wegemaß von ca. Vs Kilometer) eine neue Be-
leuchtung.
Nachträglich sei auf die mir erst 1891 zugekommene Arbeit von
L. Gallois, Les göographes allemands de la renaissance (Biblio-
278 H.Wagner, über ein Spätmittelalter]. Verzeichnis geogr. Koordinatenwerte.
theque de la faculte des lettres de Lyon T. XIII 1890. Paris,
E. Leroux) hingewiesen, in welcher sich der Verfasser eingehender
mit den altern im Druck erschienenen Tabulae regionum (Regio-
montan , StÖffler , Schoener , Apian , Münster) beschäftigt , die er
zum Abdruck bringt (App. I — VI). Er vergleicht dabei teils Re-
giomontans Positionen mit solchen aus Ptolemaeus , teils die der
andern mit den wirklichen nach unserer heutigen Kenntnis. Daß
die Tabula regionum Regiomontans auch im Calendarium enthalten
war, scheint dem Verfasser entgangen zu sein. Hinsichtlich des
Zwecks der Ortstabellen in den Ephemeriden kommt Gallo is zu
den gleichen Resultaten, wie ich sie oben angeführt habe (1. c. p. 8).
Der Vollständigkeit wegen mag noch hinzugefügt werden, daß
R. Wolf schon 1872 (Vierteljahrsschr. Zürich, nat. Ges. 1872. 17
S. 378) einen kleinen Auszug (6 Orte) aus Regiomontans Orts-
tabelle von 62 Namen mitteilte.
r
Bei der Kg]. Gesellschaft der Wissenschaften einge-
gangene Druckschriften.
Man bittet diese Verzeichnisse zugleich als Empfangsanzeigen ansehen zu wollen.
August, September und Oktober 1890.
(Fortsetzung.)
Bölcseszettudomänyi Ertekezesek. (Philosoph. Abhandlungen). III. Köt. 2. Szäm.
Ebd. 1889.
Ballagi Aladär: Colbert Mäsadik Resz. Ebd. 1887/90.
Czänki Dezsö: Magyarorzäg törtenelmi földrajza a Hunyadiak koräban. (Ge-
schichtliche Geographie Ungarns im 15. Jahrh.). i. Köt. Ebd. 1890.
Monumenta Hungariae juridico-historica. Corpus statutorum Hungariae niunici-
palium. Tom. II. Pars I. Ebd. 1890.
Demkö Kaiman: A felsö magyarorzagi värosok elete'röl a XV.— XVII. szäzadban.
(Das Leben oberungarischer Städte im 15. — 17. Jahrh). Ebd. 1890.
Koväcs, Perd. : Index alphabeticas codicis diplomatici Arpadiani continuati per
G. Wenzel editi. Ebd. 1889.
Monumenta comitialia regni Hungariae. X. Köt. (1602- 1604). Ebd. 1890.
Monumenta comitialia regni Transsylvaniae. XIV. Köt. (1664 — 1669). Ebd. 1889.
(Fortsetzung folgt.)
Inhalt von Nr. 8.
E. Riecke und W. Voigt, die piezoelektrischen Constanten des Quarzes und Turmalins. — Hermann Wag'
ner, über das von S. Günther 1888 herausgegehene spätmittelalterliche Verzeichnis geographischer Koor-
dinatenwerte. — Eingegangene Druckschriften.
Für die ßedaction verantwortlich: R. Sauppe, Secretar d. K. Ges. d. Wiss.
Commissions-Verlag der Dieterich' sehen Verlags- Btichhandlung .
Druck der Dieterich' sehen Dniv.- Buchdruckerei ( W. Fr. Kaestner),
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
25. November. Jfä 9. 1891.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 7. November.
deLagarde, A) Worterklärungen: Cicisbeo, Caparra, SatQanrig, B) dritter
Brief des Paulus an die Korinther.
Schering theilt von Herrn Alberto Tonelli „eine Notiz über die Auflösung
quadratischer Congruenzen" mit.
Klein legt einen Aufsatz von Herrn Prof. Franz Meyer in Clausthal vor:
„Ueber ein Trägheitsgesetz für algebraische Gleichungen".
Ehlers legt einen Aufsatz von Herrn Privatdocenten Dr. Bürger vor: „Vor-
läufige Mittheilungen über Untersuchung an Nemertinen von Neapel".
Wallach legt eine Mittheilung vor „Ueber einige neue Kohlenwasserstoffe mit
ringförmiger Bindung der Kohlenstoffatome".
Ueber ein Trägheitsgesetz für algebraische
Gleichungen.
Von Franz Meyer in Clausthal.
(Vorgelegt von Herrn F. Klein).
1. Sei gegeben eine Gleichung wten Grades
(1) f(X) = a0 + M,A + ^zR a>A. + . . . + M. = o
mit reellen Coefficienten und ungleichen Wurzeln, so kann man
nach einem endlichen System von Gleichungen
(2) AW = 0, fM{X) = 0, ... /V(A) = 0
Nachrichten von der K. (i. d.W. zu Göttinnen. 1891. Mr. 0. 21
280 Franz Meyer,
fragen, so, daß die Gesammtanzahl der reellen Wurzeln aller v + 1-
Gleichungen (1), (2), von Uebergangsfällen abgesehen, unverändert
dieselbe bleibt, wie auch die ursprüngliche Gleichung (1) ausge-
wählt sein mag.
Beschränken wir uns auf den Fall, wo die Gleichungen (2)
vermöge Annahme von (1) bereits völlig und zwar rational mitbe-
stimmt sind , so werden die Formen f\, f2 . . . fv rationale Co-
varianten der Form /' sein.
Das Gleichungen System (1), (2) wird — falls Complicationen
vermieden werden sollen — die Eigenschaft besitzen müssen , daß,
sobald für irgend eine derselben in Folge geeigneter Variationen
der Coefficienten a zwei reelle Wurzeln in's Imaginäre übergehen
(resp. vice versa), genau umgekehrt zwei Wurzeln einer der übri-
gen Gleichungen aus dem imaginären Größengebiet in das reelle
übertreten (resp. vice versa).
Daß eine derartige Erscheinung möglich ist, lehrt das be-
3
kannte Beispiel einer cubischen Form f(X) und ihrer Hesse' sehen
2
Covariante f\ (A). Sind nämlich die drei Wurzeln von f = 0 reell,
so fallen die beiden von ft = 0 imaginär aus (u. umg.); ist hin-
gegen nur eine Wurzel von /' = 0 reell, so müssen es auch die
von ft — 0 sein (u. umg.). Oder anders ausgedrückt, die Pro-
ductgleichung ffx = 0 hat die constante Anzahl von drei reellen
Wurzeln.
Der algebraische Grund dieser Eigenthümlichkeit ist offenbar
der, daß die Discriminanten der beiden Formen /' und f\ überein-
stimmen.
2. Wir beweisen zunächst folgenden Satz :
n
„Ist f0 — f{X) eine binäre Form ungerader Ordnung
w = 2v + 1 , und bildet man die Reihe der Ueberschie-
bungen:
(3) u = (fjy, u = (f.jy, h = (/;,/r, •••/; = (/Um
so erfüllen die Discriminanten der v + 1 Formen f.
die Kette von Beziehungen:
(4) D(f) _ 2>0, JD{Q = D0Dt, JD(Q « DXD„ . . .
!>(/;_,) = A.2A-n #(/;) = A->,
wo sämmtliche B irreducible Invarianten der Form f0
sind/
Das Bildungsgesetz der Covarianten f. (3) tritt noch deutli-
cher hervor, wenn wir dasjenige ihrer Leitglieder berücksichtigen.
über ein Trägheitsgesetz algebraischer Gleichungen.
281
Es ist nemlich das Leitglied von f. nichts Anderes, als die
Determinante j{:
(5)
J,
«0,
«,, •
• ' «<-! ,
<*<
«,.
«2> •
. . a{ ,
«m
•
•
. . .
•
.
.
.
au
<VH> •
• • au-i i
a2i
= (0, i, ...t-i,i).
Hieraus geht sofort der Ausdruck für den nächstfolgenden
Coefficienten von fi hervor; derselbe ist (bis auf einen Zahlenfac-
tor) gleich der Determinante j' :
(6)
;; =
alt a
a;
\ > •
• • «<_!>
fm
'2 l
. . at1
«<+2
. . .
•
.
. . . .
•
h+u
• • • a2i-l'
«2<+l
= (0,l,...i-l,i+l).
<*0>
a„ .
. . av_x, av,
«r+l
«1»
«2, •
. . av , av^ ,
«r+2
.
•
. . .
•
av,
«v+n •
. . «n_2, #n-l>
a„
Die weiteren Coefficienten von f{ setzen sich linear aus Deter-
minanten zusammen, von denen wenigstens eine noch andere Co-
lonnen von Größen a enthält, als die in ft und j[ auftretenden.
Eine Ausnahme dieser Regel findet nur bei der letzten Cova-
riante fv = fn_^ der sog. Canonizante von f0 statt, deren Coeffi-
cienten bekanntlich die Determinanten der Matrix:
(7)
sind.
Mit fv bricht offenbar die Reihe der Bildungen f. von selbst ab.
Der Grad von f{ in A ist (i + l)(n~2i), derjenige in' den Coef-
ficienten a ist (i + 1) , mithin der Grad der Discriminante von f
in den a gleich 2(t + 1) { (i + 1) (w— 2i) — lj.
3. Es fragt sich nunmehr, unter welchen Umständen die
Discriminante von f{ verschwinden kann. Denkt man sich die dann
entstehende Doppelwurzel von f{ = 0 an die Stelle A = 0 ver-
legt, so kommt die Frage darauf hinaus, wann die beiden Deter-
minanten jt und j[ gleichzeitig Null sind.
Zufolge eines bekannten Determinantensatzes kann dies nur
dann stattfinden, wenn entweder von der einen, oder aber der an-
dern der beiden Matrices:
21*
282
Franz Meyer,
(8)
*«+!>
a0, on
ax, a2,
&i 1 ßix,
. . a.
sämmtliclie vollständige Determinannten verschwinden.
Im ersten Falle verschwinden dann aber auch die beiden er-
sten Coefficienten j^x , //_- von f._x (indessen keine weiteren , auch
keine sonstigen Größen j) , im letzteren die beiden ersten Coeffi-
cienten yi+1 , j!+1 von fi+1 (mit dem entsprechenden Zusätze).
Eine eigenthümliche Schwierigkeit bietet hierbei die letzte
Covariante fy. Zuvörderst gilt allerdings wiederum der Schluß,
daß das Verschwinden der beiden ersten Coefficienten jv, j'v ent-
weder das von jv_v j[_x nach sich zieht, oder aber dasjenige sämmt-
licher Coefficienten von fv.
Nun bemerkt man aber leicht, daß die Covariante fv nicht
einmal dann identisch verschwindet , wenn die ersten v -f 1 Coeffi-
cienten a0 , at, ... av von f0 gleich Null gesetzt werden , während
alle übrigen Bedingungen (j = 0, f = 0) sicher dadurch erfüllt
werden.
Nach einem Satze von H. Hubert1) kann daher einzig und
allein das identische Verschwinden von fv nicht durch das Ver-
schwinden von Invarianten der Form f0 ersetzt werden d. h. die
Discriminante von fv kann überhaupt keinen Factor (der doch
eine Invariante sein müßte) aufweisen, der dem in Rede stehen-
den Falle entspräche.
4. Durch das Vorhergehende ist bereits begründet, daß eine
Kette von Zerlegungen der Art (4) existiren muß : es wäre nur
möglich, daß die dort mit D. bezeichneten Ausdrücke Potenzen
irreducibler Invarianten di% und daß sogar die beiden Potenzen
von Ai in D(/V) und D(fi+1) verschiedene sind.
Diesem Einwände begegnet man durch wirkliche Aufstellung
der T)i und nachfolgende Gradvergleichung.
Zu dem Behuf betrachte man die Gleichung :
(9)
a 2^~{)
lo', %u ^2» • • • h ; ,"0) fi» ,"2»
fU
mm 0
als eine in den i + 1 Größen p identische ; von den damit äquiva-
lenten i + 2 Gleichungen bilde man die Resultante bez. der Grö-
ßen X.
Es wird behauptet, daß diese Resultante B. mit der Inva-
riante Di übereinstimmt.
1) Vgl. diese Nachrichten vom laufenden Jahre Nr. 7.
über ein Trägheitsgesetz algebraischer Gleichungen. 283
In der That ist die nothwendige und hinreichende Bedingung
dafür , daß jene i + 2 Gleichungen für ein Werthsystem A0 = 0,
Aj, X2, . . . X{ zusammenbestehen, genau durch das Verschwinden
aller Determinanten der zweiten , unter (8) angegebenen Matrix
characterisirt.
Wie man ferner durch geeignete Specialisirungen der Coeffi-
cienten a erkennt, ist die Resultante Rt auch nicht die Potenz
einer andern Bildung. Mithin konnte D{ nur noch eine Potenz
von R{ sein.
Nun ist aber B} vom Grade (i -f- 1) (i + 2) (n—2i— 1) in den a,
somit der Gesammtgrad von Bi_lBi gleich 2(i+l) Mi+l)(n— 2i) — 1 j
d. i. gleich dem Grade von D(Q. Also folgt Dt = Ri. q. e. d.
5. Nach diesen Vorbereitungen können wir zum Beweise des
Hauptsatzes übergehen :
„Ist f0 = f(k) wiederum eine binäre Form ungera-
der Ordnung n = 2v + 1, und sind f{ (i = 1, . . . v) die
unter (3) aufgestellten Covarianten, so besitzt die
Productgleichung:
(io) /ivfi.Ä . . ./; = o
eine unveränderliche1) Anzahl von reellen "Wurzeln".
Man lasse etwa die Invariante Dt_x vermöge Variation der
Coefficienten a den Werth Null passiren. Im „penultimaten" Zu-
stande befinden sich dann sowohl unter den Wurzeln von f{^ = 0,
wie unter denen von f. = 0 zwei nahezu coincidirende. Es han-
delt sich um den Nachweis , daß diese beiden Wurzelpaare von
ungleichem Realitäts-Character sind, sodaß stets eines der beiden
Paare reell, das andere imaginär ausfällt.
6. Zu dem Zwecke ist eine explicite Darstellung der drei
ersten Coefficienten der Covariante ft erforderlich.
Die Werthe der beiden ersten entnehmen wir aus (5) und (6) :
(5) ;• = (0, 1, . . . i-1, i); (6) j\ = (0, 1, . . . i-1, i+1),
sodaß die Entwickelung von fK beginnt , wie folgt :
(11) f. = h + M\l + {)i.'+---
Der Zahlenfactor ^ berechnet sich leicht als
(12) ^ = n-2«.
1) sc. mit Ausschluß der Uebergangsfälle , wo eine oder mehrere der Inva-
rianten Di verschwinden.
284 Franz Meyer,
Um zu einer übersichtlichen Darstellung des Coefficienten von
A2 in (11) zu gelangen, wählen wir eine Entstehung von /., die
derjenigen von Dt in Nr. 4 analog ist.
Versteht man nämlich unter :
(13) a"~2i} t = 0
eine in den p identisch erfüllte Gleichung, so fließen daraus i -f 1
Gleichungen, aus denen die Größen Au A2, . . . li eliminirt werden
können. Das Eliminationsresultat ist eine Covariante mit dem
Leitgliede jv die demnach mit ft übereinstimmen muß.
Es kommt so für /J die Determinante (von der es genügt, die
erste Zeile zu notiren):
(14) K = |«0 + fta1A + ?^=^M' + ...,
«.+ f «i * + ^"^ a, *> • • • , . . . , a(+ (*%, A + ^"^a^ /l2+
•I
Bedient man sich entsprechender Abkürzungen, wie bei (5)
und (6), so hat man für den Factor von A2:
(15) fcl)(0,l,..j_l,i + 2) + (^-^)(0Il,..M + l)
= |j(ft-l)(0,l)...i-l,i + 2) + (ft + l)(0,l,...*,i + l)j,
und die Entwickelung von ft fängt mit nachstehenden drei Glie-
dern an:
(16) | = (0, 1, . . . i-1, i) + [l(0,l,... i-1, i + 1)1
+ |j(ft-l)(0,l,...i-l,i + 2) + (ft + l)(0,l,...i,i + l)JA2+.-.
= *■,(*■) + •••
7. Indem wir jetzt die Bedingungen , unter denen die Glei-
chungen fi=0 und fi+1 = 0 eine gemeinsame Doppelwurzel Null
erhalten, nahezu als erfüllt ansehen, werden wir zeigen müssen,
daß alsdann die Discriminanten der beiden quadratischen Formen
Fi und Fi+l stets verschiedene Vorzeichen besitzen.
Dieser Beweis soll indessen hier unter einer vereinfachenden
Annahme geführt werden.
Die fraglichen Bedingungen werden zweifellos befriedigt, wenn
man alle Coefficienten a{, a.+1, . . ., a2i+1 verschwinden läßt. Da-
gegen bleiben dabei sämmtliche Invarianten Bk (Je >: i) von Null
verschieden.
über ein Flüssigkeitsgesetz algebraischer Gleichungen. 285
Demgemäß ergiebt sich ein penultimater Znstand, wenn man
setzt :
(17) a. = €ccn a4+l = £«,+1, . . ., aam = saii+1
wo s eine beliebig kleine, positive resp. negative reelle Große be-
deutet, während die a endlich und reell sind.
Berücksichtigt man beim Hinschreiben der Formen Fi und
Fi+I immer nur die niedrigsten Potenzen von s, so liefert eine
leichte Rechnung mit Rücksicht auf (16):
(18)
Die Factoren von ek sind nur angedeutet, da sie bedeutungs-
los sind. Stellt man nemlich nunmehr die beiderseitigen Discri-
minanten auf, so beginnen dieselben mit der ersten Potenz von e,
wie folgt:
D(F) = -2(n-2i)(n-2i-l)a2iL1a2ia2i+2 *+...
D(Fi+1) = +2(n-2i-2)(fi-2i~l)ai1«waiH^+- • • ,
sind also in der That stets von ungleichen Vorzeichen : die letz-
teren vertauschen sich nur, wenn e durch Null hindurchgeht.
Für % = 0 und i = 1 treten hinsichtlich der Vorzeichen der
einzelnen Glieder in (18) kleine Modificationen ein , die aber das
Endergebniß (19) nicht beeinflussen.
(19)
Damit ist gezeigt, daß die Anfangs aufgeworfene Realitäts-
frage für Gleichungen ungeraden Grades eine einfache Lösung !)
zuläßt.
Für Gleichungen von geradem Grade versagt indessen eine
entsprechende Beantwortung, wenigstens auf dem hier eingeschla-
genen einfachsten Wege.
Allerdings ist auch hier die geschlossene Reihe der Ueber-
schiebungen
u = (f<ff< u = (A,/y, • • • 4 = (4... f)-
1) Die sich naturgemäß anschließende Frage nach der Größe der als con-
stant nachgewiesenen Gesammtanzahl von reellen Wurzeln zu beantworten, ist
mir vorderhand nicht möglich.
286 O^o Bürger,
vorhanden , aber die letzte derselben ist vom Grade Null in A,
kann also keine Discriminante liefern.
Obgleich demnach alle Schlüsse des Vorhergehenden bis zur
vorletzten Form fn gültig bleiben , so hört es eben bei dieser * )
auf d. i. wenn die Invariante fn durch Null hindurchgeht, so kann
Y
die Gleichung fn = 0 reelle Wurzeln verlieren oder gewinnen,
ohne daß ein Ausgleich stattfindet.
1) Uebrigens tritt hier noch die weitere Aenderung hinzu, daß der zweite
Factor der Discriminante von fm gleich der ( — j Potenz von fn wird.
2/
Clausthal, den 24. October 1891.
Vorläufige Mittheilungen über Untersuchungen
an Nemertinen des Golfes von Neapel.
Von
Dr. Otto Bürger, Privatdozent in Göttingen.
(Vorgelegt von Ehlers.)
Der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin bin
ich zu großem Dank verpflichtet, da sie mir einen längeren Aufent-
halt an der zoologischen Station zu Neapel ermöglichte. Es wurde
mir somit nicht nur Gelegenheit gegeben, reiches Material zu sam-
meln, sondern auch eine Reihe von Beobachtungen am lebenden
Thier zu machen, die unerläßlich sind, sobald man eine vielseitige
Bearbeitung einer Thiergruppe ins Auge gefaßt hat. Einige der
gewonnenen Resultate erlaube ich mir vorläufig mitzuteilen.
Die Nemertinenfauna des Neapler Golfes erscheint bisher als die
bedeutendste der Welt. Erstaunlich ist die Menge, in der sich viele
Arten zu allen Zeiten vorfinden, und überraschend der Formen-
reichtum. Durch Hubrecht sind bislang 52 Arten registriert
worden. Nur 5 von diesen sind mir während der sechs Monate,
die ich am Golfe weilte, nicht zu Gesicht bekommen, dagegen
über 30 von Hubrecht noch nicht beschriebene und überhaupt
mit wenigen Ausnahmen neue Formen.
Es ist bekannt, daß fast alle in der Nordsee aufgefundenen
Nemertinenformen auch im Golfe Neapels angetroffen sind. Man
vorläufige Mittheilungen über Untersuchungen an Nemertinen von Neapel. 287
macht aber die sehr augenfällige Beobachtung, daß die Nemertinen
des mittelländischen Meeres klein sind im Vergleich zu ihren nor-
dischen Verwandten , die z. B. an den englischen und amerikani-
schen Küsten gefischt sind. Solch riesig lange Nemertinen wie sie
Mc. Intosh und Verrill (Lineus marinus [Montg.] 15 — 30 und
Macronemertes gigantea [Verr.] 10 Fuß) gesehen haben , sind , wie
mir der Herr Conservator Lo-Bianko versicherte, niemals ge-
dredgt worden und somit auch wohl nicht dort. Ein Schauexemplar,
ein Cerebratulus marginatus , welcher conserviert fast noch 1 m
lang und 3 cm breit ist, wird in der Sammlung der Station als
ein Unicum von Größe aufbewahrt.
Die Arten der waffenlosen Nemertinen dokumentieren sich
als solche meist durch Färbung und characteristische Zeichnung,
Merkmale, die nur bei relativ wenig bewaffneten sich vorfinden.
Es bedarf daher bei letzteren der eingehendsten und oft sehr lang-
wieriger Untersuchungen, Art- ja selbst Gattungsmerkmale auf-
zufinden.
Aus der Zahl der bewaffneten Nemertinen hebe ich heute nur
drei sehr dünne Nemertinen hervor , welche im Sande mit Lineus
lacteus und Amphioxus zusammen leben. Sie besitzen Otolithen
und Nemertinen mit diesen Organen ausgestattetet sind soviel ich
weiß in Neapel überhaupt noch nicht und sonst nur vereinzelt
aufgefunden worden.
Die Otolithen kommen nur paarig vor, jede Gehirnhälfte besitzt
eine Otolithenblase von ovaler Form. In ihr liegt ein je nach der
Art verschieden gestalteter Otolith. Ich fand solche in Hantel-
form (man muß das Verbindungsstück der Kugeln nur sehr ver-
kürzt denken) und solche die eine Rosette bilden. In jeder Blase
liegt nur ein Otolith. Claparede1) fand eine sehr kleine Ne-
mertine Oerstedia pallida (Kef.) mit ein Paar Otolithenblasen deren
jede drei Otolithen enthielt, die durch schwingende Wimpern in
zitternde Bewegung versetzt wurden.
Die Otolithen der von mir beobachteten Nemertinen rührten
sich nicht. Auch Wimpern vermochte ich in der Blase nicht zu
konstatieren.
Ich bemerkte schon daß die Arten der unbewaffneten Nemer-
tinen gut gekennzeichnet sind. Auch ihre Gattungen zeigen viel-
fach einen bestimmten auffälligen Habitus.
So sind alle Arten der Gattung Carinella durch den sehr
1) Beobachtungen über Anatomie und Entwickelungsgeschichte wirbelloser
Thiere. Leipzig 1863.
288 Otto Bürger,
breiten nach hinten durch die Furchen der Seitenorgane scharf
abgesetzten discusartige Kopf kenntlich. Sie ähneln so den Ange-
hörigen der Gattung Enpolia , aber alle Enpoliiden vermögen den
Kopf völlig einzuziehen im Gegensatz zu den Carinelliden.
Von Kennel beschrieb letzterdings *) eine ziemlich transpa-
rente Nemertine, welche er früher in Neapel erhalten hatte unter
dem Namen Balanocephalus pellucidus.
Sie soll den Kopf völlig einziehen können. Kennel sagt:
„dass kein Vergleich so passend erscheint wie der mit der Glans-
penis und dem sich darüberziehenden Praeputium":
Es ist kein Zweifel, nach der guten Beschreibung, welche der
Autor beifügte, diese Nemertine mit dem characteristischen Vor-
derende ist eine Eupolia. Sie ist dreimal während meines Aufent-
haltes in Neapel zu Tage gefördert worden. — Der discusartig
geformte retractile Kopf, die vielen Augen, die Furchen am Kopfe,
das sehr kurze Rhynchocoelom mit dem entsprechend kurzen Rüssel:
das alles sind Charactere einer Eupolia. Dass diese Nemertine
ventrale seitliche Spalten besitzt, von derem hintersten Ende die
Kanäle der Seitenorgane in die Tiefe ziehen, so beschreibt Ken-
nel, wird uns nicht verleiten, sie vom Genus Eupolia abzutrennen. Im
Gegenteil es sind auch diese ventralen wohl etwas flachen Spalten
wie ich schon früher Gelegenheit hatte nachzuweisen, Eigentümlich-
keiten vieler Eupoliiden. — Eupolia pellucida würde man sie nennen
müssen; vielleicht ist sie auch identisch mit Eup. minor Hubr. Eine
andere systematische berichtigende Bemerkung finde hier noch Platz.
Von Joubin2) ist unter anderen Nemertinen eine Carinella
Aragoi nov. sp. beschrieben worden.
Es ist diese Carinella dieselbe, welche Mc. Intosh3) als
Carinella annulata beschrieben und abgebildet hat. Aber letztere
ist nicht ein Synonym von Valencinia ornata Quatrefages, wie Mc.
Intosh angiebt. Nämlich Valencinia ornata zeichnen auf roth-
brauner Grundfarbe drei dorsale und eine ventrale weisse Längs-
linie, die vom Kopf bis zum Schwanzende verlaufen. Die mittlere
dorsale Längslinie führt aber bis zur äußersten Kopfspitze. Außer-
dem sind weiße Querringel vorhanden , deren vorderster um den
Kopf geht. Derselbe schneidet ein vorderes rothbraunes Feld, ein
Stirnfeld ab , daß von der dorsalen Mittellinie natürlich halbiert
1) Ueber einige Nemertinen. Sitzungsberichte der Dorpater Naturforscher Ge-
sellschaft. Jahrg. 1890.
2) Recherches sur les Turbellarie's des cötes de France. Nemertes. Arch. d.
Zoolog, exp. T. 8. 1890.
3) A. Monograph of the British Annelids. Part I. Nemerteans.
vorläufige Mittheilungen über Untersuchungen an Nemertinen von Neapel. 289
wird. Es folgen dann 3 Ringel in sehr weiten Abständen. Dann
erst beginnt die Region in welcher die Ringel sehr nahe gerückt
sind, sodaß etwa 10 Ringel auf jeden der beiden von den voraufge-
henden durch die 3 Ringel begrenzten weiten Abstände kommen wür-
den. Carinella annulata Mc. I n t o s h hat eine gelbrothe Grundfarbe.
Wir vermissen die ventrale weiße Längslinie, die mittlere dorsale
reicht nur bis an den Kopfringel hinan, sodaß das Stirnfeld unge-
teilt bleibt. Die nachfolgenden Ouerringel rücken ganz allmählich
von vorn nach hinten zu dichter zusammen , aber nicht so dicht
wie bei Valencinia ornata die Ringel in der hinteren Körperregion.
Hubrecht1) führt sowohl Valencinia ornata Ouatrf. als auch
Carinella annulata Mc. Int. als Syn. seiner Carinella annulata an.
Beide Carinellen sind in Neapel nicht selten. Ich möchte der
Anciennität gemäß folgendermaßen nominieren.
Syn. Valencinia ornata Ouatrf. Syn. Carinella annulata Mc. Int.
„ Carinella annulata Joub. „ Carinella Aragoi Joub.
Carinella annulata (Montagu. Johnst.) Carinella Mc.
Intoshii (mihi).
Leicht kenntlich sind auch die Vertreter der Gattung Valen-
cinia an dem pfriemenförmig zugespitzten Kopfende.
Unter die Gattung Cerebratulus faßt Hubrecht eine Anzahl
von Arten zusammen, die Mc. Intosh in Cerebratulus, Mikrura
und Lineus sondert.
Ich habe mich bereits überzeugt , daß sich mindestens in
diese 3 Gattungen auch die Neapler Cerebratuliden Hubrechts
verteilen.
Nämlich erstens im Schlamm ziemlich seicht wohnen breite
kräftige Formen , die sich durch ihre raschen Bewegungen aus-
zeichnen. Sie sind vorzügliche Schwimmer; mit schlängelnden
aalartigen Bewegungen durchmessen sie das Bassin. Solche Thiere
sieht man, wie mir Herr Conservator Lo Bianko versicherte,
gelegentlich an der Oberfläche des Meeres sich rasch schwimmend
fortbewegen. Ihr Kopf ist lanzettlich zugeschärft , der breite
Körper ist platt und mit stark hervortretenden Seitenrändern ver-
sehen. Diese Thiere vermögen sich wohl wie eine Spirale aufzu-
rollen, aber nicht zu Klumpen aufzuknäueln. Sie besitzen aus-
nahmelos ein weißliches Schwänzchen.
Zweitens, finden sich in größeren Tiefen, zwischen Corallineen
wohnend, kleine im Verhältnis zur Länge dünne Formen mit spatel-
fÖrmigem Kopf; sie sind weich und können sich zu Klumpen zu-
1) The Genera of European Nemerteans critically revised with description
of several new species. Notes from tlie Leydeu Museum N. 44.
290
Otto Bürger,
sammenknäueln , aber sie vermögen sich nicht durch Schwimm-
bewegungen fortzubewegen. Die Ortsveränderung geschieht ledig-
lich durch kriechen. Im Bassin können sie am Wasserspiegel durch
Flimmerbewegung hingleiten. Auch sie besitzen ein Schwänzchen.
Drittens giebt es Formen, welche den letzt characterisierten
im Habitus nahe stehen — aber sie besitzen kein Schwänzchen.
Die Vertreter der Gattung Langia , die von Hubrecht auf-
gestellt wurde , sind kenntlich an den nach oben aufgebogenen
Seitenrändern. Sie stehen der ersten der eben skizzierten 3 Grup-
pen nahe. In Neapel ist nur eine Art bislang gefunden worden
eine zweite wurde von Joubin1) beschrieben. Diese kommt an
der französischen Küste vor.
Nicht minder characteristisch ist der Habitus der Gattung
Borlasia. Ich war so glücklich eine zweite Art derselben zube-
kommen. —
Ein bis ins Einzelne ausgearbeitetes System der Nemertinen
ist mir noch nicht zur Hand allein für die Anordnung der Haupt-
gruppen auf phylogenetischer Grundlage , deren Plan ich bereits
früher angedeutet habe, sammelte ich weitere Erfahrungen, die in
mir die Ueberzeugung , daß das Hub recht sehe System und mit-
hin auch dasjenige von Max Schulze ein künstliches, befestigten.
Ich gebe ein Schema.
ß-
b. ; CephalothrixCarinoma
Nemertes Prosorochmus Prosadenoporus
Geonemertes
Oerstedia Tetrastemma
Amphiporus Drepanophorus
Malacobdella Pelagonemertes.
Polia Valencinia
Lineus Borlasia
Mikrura
Cerebratulus Langia
a) Bei Carinina liegen die Seitenstämme epithelial, bei Ca-
rinella sind sie bis unter die Basalmembran gesunken, also
liegen sie der Ringmuskulatnr außen an.
1) L' Anatomie d'une Nemerte d'Obock.
Zoolog, exp. 1887.
Langia Obockiania. Archiv d.
vorläufige Mittheilungen über Untersuchungen an Nemertinen von Neapel. 291
b) bei Cephalothrix und Carinoma haben sie auch die Ring-
muskulatur durchbrochen und liegen bereits inmitten der Längs-
muskulatur.
c) Bei Nemertes-Malacobdella (Hoplonemertinen Hubrechts)
haben sie die Längsmuskulatur völlig durchbrochen und liegen
innen von ihr im Leibesparenchym.
ß) Bei Polia-Langia sind die Seitenstämme in der Lage wie
sie sich uns bei Carinella darstellten , liegen geblieben , aber es
hat sich zwischen Ringmuskulatur und Epithel eine Schicht von
Drüsenzellen , Bindegewebe und Längsmuskeln gebildet. Somit
liegen die Seitenstämme auch hier in der Tiefe.
Man beachte , von a nach b zu c sind die Seitenstämme ge-
rückt, aber in die Lage wie sie bei ß statt hat gerückt worden.
Anordnung der Gattungen in den Rechtecken c und ß ist eine
durchaus provisorische ; ich stütze mich wesentlich auf die von
Hubrecht gegebene (op. cit.). Ebenso bemerke ich ausdrücklich,
daß ich weder Cephalothrix noch Carinoma für die Uebergangs-
formen von a zu c halte ; ich fasse sie als Verwandte der wahren
Zwischenform auf, die wir bisher nicht kennen. Das habe ich
durch das leere Rechteck anzudeuten versucht.
Jedenfalls ist es meines Erachtens nicht möglich den Stamm-
baum anders zu construieren , nachdem wir Nemertinen mit der
characteristischen Mittellage der Seitenstämme kennen lernten, de-
ren eine, selbst wenn auch sie durch das Fehlen der Seitenorgane
eine abweichende Form darstellt, so doch — ich habe Carinoma im
Auge — durch den Bau der Körperwand, durch die Nephridien und
das Blutgefäßsystem ferner durch die eigentümliche innere Ringmus-
kulatur sehr an Carinella erinnert; füge ich nun noch andrerseits
hinzu , daß Carinoma Darmtaschen besitzt , die im hinteren Kör-
perabschnitt ungemein tief sind , daß diese metamer angeordnet
mit Genitaltaschen wechseln — so wird sich der Leser , wenn er
die tiefe Lage der Seitenstämme bedenkt ein Querschnittsbild
contruiren können, das sehr an das z. B. einer Nemertes erinnert.
In der eben gegebenen Darlegung der inneren Bauverhältnisse
von Carinoma Armandi (Mc. Int. Oud.) bin ich in wesentlichen
Punkten von derjenigen Oudemans1) abgewichen. Ich gedenke
die meine bald zu rechtfertigen.
Indem ich die systematischen Betrachtungen schließe, ich weiß
ich habe nichts weiter gegeben als einige Ideen zu einem Bauplane,
1) The circulatory and nephridial Apparatus of the Nemertea. Ou. Journ.
of micr. Sc. Vol 25. N. S. 1886.
292 Otto Bürger,
füge ich zunächst einige Beobachtungen über die Organisation der
Neraertinen an, welche fast ausschließlich am lebenden Object ge-
macht wurden,
Bei sehr vielen bewaffneten Nemertinen so Amphiporus, Dre-
panophorus, Tetrastemma habe ich bemerkt wie sich an der Kopf-
spitze bald ein rundlicher Hügel vorwölbt, bald dieser wieder
verschwindet; er ist mit borstenartigen Haaren besetzt, die be-
deutend kürzer sind als die Wimpern des Körperepithels. Er ist
ohne Frage ein vorstülpbarer Sinneshügel, ein Sinnesorgan, das
über der Rüsselöffnung gelegen ist und zum Tasten dient. Aber
an der nämlichen Stelle müßte ja die Mündung der Kopfdrüse sich
befinden *) ! Gewiß. Wir entsinnen uns , daß die Kopfdrüsen in
eine terminale flaschenförmige Grube einmünden , und ich zweifle
nicht, daß es dieses Grübchen ist, das sich handschuhfingerartig
aus- und einzustülpe^T vermag. Ich fand früher2) auch bei ver-
schiedenen Cerebratuliden an Schnittpraeparaten am Kopfende
3 kleine Grübchen und bemerkte nunmehr auch am lebenden Ne-
mertinen (z. B. Mikrura purpurea Mc. Int.) 3 kleine mit langen
Haaren besetzte Hügel , die bald hervorragten bald eingezogen
wurden 3).
Lange als Tasthaare zu deutende einzeln stehende Borsten
bemerkte ich außer in der Kopfregion , bei den Tetrastemmaarten
vor allem, am Schwanzende. Aber vorne und hinten sind sie immer
nur in sehr geringer Anzahl eingepflanzt.
Von neuem überzeugte ich mich von der Existenz der tiefen
Gruben, welche in nächster Nähe der äußerlich auch mit der Lupe
nicht sichtbaren Nephridialöffnungen gelegen sind, welche ich früher
als ein zweites Paar von Seitenorganen bei Carinella polymorpha
und annulata beschrieb. Diese eben sind auch mit unbewaffne-
tem Auge leicht erkennbar. Bei anderen Carinellaarten habe ich
sie bisher nicht aufgefunden.
Ein eingehendes Studium widmete ich dem Nervensystem, an-
geregt durch die Ehrlichsche Färbmethode mittels Methylenblau.
Die Ergebnisse dieser Experimente sind, kurz gefaßt, diese.
1) Bürger zu Anatomie und Histologie der Nemertinen nebst Beiträgen z.
Systematik. Zeitschrift f. wiss. Zoolog. Bd. 50. 1890.
2) Bürger, Beiträge zur Kenntnis der Nemertinen. Nachricht, der König].
Gesellschaft d. Wissenschaften zu Göttingen. 1888. No. 17.
3) Hubrecht erwähnt von Meckelia Ehrenbergii (Diesing) : „an der Rüssel-
üffnung fanden sich 3 kleine mit längeren Flimmern besetzte Papillen vor".
Untersuchungen über Nemertinen a. d. Golf von Neapel. Niederiänd. Archiv
für Zoologie. Bd. II. 1873.
vorläufige Mittheilungen über Untersuchungen an Nemertinen von Neapel. 293
Der Ganglienbelag des Gehirns und der Seitenstämme besteht
nur aus unipolaren Zellen, deren jede einen Fortsatz in die Cen-
tralsubstanz (Punktsubstanz) sendet. Aber die Centralsubstanz,
welche quantitativ mächtig entwickelt ist, besteht nur zur gering-
sten Masse aus nervösem Gewebe , es stellt vielmehr die Central-
substanz des Gehirnes , Kugeln , die der Seitenstämme Cylinder
aus einem feinverfilzten Bindegewebe gebildet dar. In der binde-
gewebigen Grundmasse der Centralsubstanz des Seitenstammes be-
findet sich nun bei vielen Nemertinen nur ein einziger sehr dünner
mehr oder minder central gelegener Längsstrang, welcher aus ner-
vösen Fibrillen besteht. Diese Fibrillen sind die Fortsätze der
Ganglienzellen. Den Strang, zu welchem sie sich inmitten der
bindegewebigen Centralsubstanz vereinigen, habe ich Central-
strang genannt. Einen zweiten Längsstrang finden wir dort,
wo Neurochordzellen vorhanden sind, da deren Fortsätze sich
nicht mit den Fortsätzen anderer Ganglienzellen mischen. Dem
Centralstrang entspringen Fibrillen , die in oder an dem Haut-
muskelschlauch abgehen. Mit andern Worten: aus dem Central-
strang gehen die Nervenfasern der ,, Spinalnerven" ab , die ihre
beträchtliche Dicke (man kann sie auch auf Schnitten gut consta-
tieren) wiederum bindegewebigen Hüllen verdanken.
Es gelang mir nicht selten , eine Nervenfaser , die sich im
Hautmuskelschlauch hinzog , zurück in dem Centralstrang und
schließlich bis an die Ganglienzelle zu verfolgen.
Niemals sah ich aus dem Strang der Nenrochorde eine Nerven-
faser entspringen. Dagegen gehen vom Seitenstamm feine und
dickere Nervenfasern ab, denn es besteht auch sein Ganglienbelag
aus kleinen und größeren Ganglienzellen. — Wie man zwei Arten
von Ganglienzellen außer dem Neurochordzellen am Seitenstamm
scharf unterscheiden kann, wird man auch zwei Arten von Nerven-
fasern immer constatiren müssen. Ich betone dies, da ich der
Meinung bin, daß die dickeren Nervenfasern die motorischen, die
dünneren die sensiblen darstellen. Beiderlei Fasern verfolgte ich
bis zu Ganglienzellen zurück. Ich kann mithin nicht an die dop-
pelte Ursprungsweise der Nervenfasern und den verst hioilrnartigen
Ursprung der motorischen und sensiblen glauben. Die abgehenden
Nervenfasern gehen sämmtlich unter ziemlich gleichem stumpfem
Winkel in symmetrischer Weise ab, es kreuzen sich also eine
große Anzahl von Nervenfasern, die Ganglienzellen entstammen,
welche vorne im Thierkörper liegen mit solchen, welche mit
Ganglienzellen verbunden sind, die wir hinten suchen müssen.
Es besitzen die Fibrillen des Centralstranges feinste Aestchen.
294 Otto Bürger,
Nennen wir die Fibrillen Stammfortsätze der Ganglienzellen , so
müssen wir sagen, der Stammfortsatz hat Nebenfortsätze und zwar
nicht nur in seinem ersten Abschnitt, nicht nur unmittelbar nach
seinem Eintritt in die Centralsubstanz, sondern vielleicht in seiner
ganzen Länge, sicher wenigstens in einer sehr langen Strecke seines
Verlaufes innerhalb der Centralsubstanz des Seitenstammes. Die
Fibrillen des Centralstranges ebenso wie die Nervenfasern (wie wir
jene Fibrillen ja nennen, nachdem sie sich aus dem Seitenstamm
herausbegeben haben zur Innervation der Muskulatur u. s. f.) sind
mit unzähligen Verdickungen besetzt, die ihnen ein perlschnur-
artiges Aussehen verleihen.
Eine merkwürdige Erscheinung sind bekanntlich die peripheren
Nervenschichten, welche vor allem bei den Formen auftreten, deren
Seitenstämme auf der Grenze zweier Schichten der Körperwand
liegen. Also weder die Hoplonemertinen noch die Arten von
Cephalothrix, noch Carinoma besitzen sie in typischer Ausbildung
wie Hu brecht1) sie uns bei Carinella, Eupolia, Cerebratulus, Lan-
gia kennen lehrte. Durchaus nicht aufgeklärt ist auch die Be-
deutung der medianen Nerven, die ich den kleinen und
großen Rückennerven nannte.
Ich fand: die periphere Nervenschicht, deren reticulären Cha-
racter ich früher schon betonte, besteht zum Wesentlichen aus
demselben Bindegewebe wie die Centralsubstanz der Seitenstämme.
In dieses sind die Nervenfasern , welche dem Seitenstamm ent-
springen, eingebettet.
Die Rückennerven haben nicht die Bedeutung von
Nerven, welche Organe innervieren wie die Schlund-
nerven, die Augennerven u. s. f. Es steht nur der obere
große Rückennerv (Carinella) in direkter Verbindung
mit dem Gehirn durch die dorsale Commissur, der
untere Rückennerv wird gebildet, indem Fasern des
oberen die Ringmuskulatur durchdringen und unter
dieser über dem Rhynch ocoelom nach hinten ziehen.
Aber fortgesetzt in sehr engen Abständen steigen immer wieder
Fasern vom oberen Rückennerven zum unteren herab, diesen unab-
lässig verstärkend.
Oberer und unterer Rückennerv bilden ein Strickleitersystem.
Mit dem oberen Rückennerven treten die „ Spinalnerven" in engste
Beziehung. Sämmtliche Spinalnerven, die bei Carinella,
1) Hubrecht, The peripheral nervous System in Palaeo- and Schizonemert
etc. Ou Journ. of micr. Sc. Vol. 20.
vorläufige Mittheilungen über Untersuchungen an Nemertinen von Neapel. 295
welche ich im Auge habe, ziemlich regellos vom Seitenstamm ent-
springen verflechten sich mit dem oberen Rücken-
nerven und vermischen sich mit seinen stammeigenen Fasern,
die, wie gesagt , teils der dorsalen Commissur entspringen , teils
aber von einem sehr spärlichen eigenen Belag von unipolaren
Ganglienzellen abstammen. Es ist nachzuweisen, daß mindestens
ein Theil der „Spinalnervenfasern" im Rückennerven fortzieht und
sich auch nunmehr an der Bildung des kleinen Rückennerven be-
teiligt , aber es ist auch zweifellos , daß die Fasern der „ Spinal-
nerven u teilweise durch den großen Rückennerven hindurch dringen
und mithin Nervenfasern, welche vom linken Seiten stamme kommen
bis in die rechte Körperhälfte sich fortsetzen.
Der große Rückennerv ist also ein Längsstrang nervöser Fasern,
die teilweise vom Gehirn herkommen , teilweise eigenen Ganglien-
zellen entspringen , vor allem aber von den Fasern der Nerven
der Seitenstämme sich herleiten. Diese drei nach dem Ursprung
verschiedenartigen Nervenfasern verflechten sich in ihm.
Ich möchte einAnalogon heranziehen und glaube ein solches
bei den Wirbeltieren im Grenzstrang des Sympathicus zu
finden.
Leider gelang es mir nicht, die Nervenfasern, welche ich
einerseits wohl zu den zugehörigen Ganglienzellen verfolgen konnte,
andererseits bis zu den Endigungen hinzu verfolgen, und zwar weder
bis zu Zellelementen motorischer noch sensibler Art.
Darin war ich glücklicher bei der Untersuchung des Rüssels.
Im bewaffneten Rüssel befindet sich eine wechselnde für die Art
constante Anzahl von Nerven, deren jeder mit einem Ganglienbelag
ausgestattet sind. Die Ganglienzellen liegen zwischen den im Rüssel
parallel verlaufenden Längsnerven und zwar sind die einzig
unipolaren Ganglienzellen fast ausnahmslos mit den aufgebauch-
ten Enden aneinander gepreßt. Immer je ein Paar Ganglien-
zellen liegt zusammen. Wir haben Geschwisterzellen
im Rüssel vor uns. Jede Zelle sendet ihren einzigen Fortsatz
in einen anderen Nerven.
Auch der Rüsselnerv besteht quantitativ der Hauptsache nach
aus verfilztem Bindegewebe. In jedem Nerven, wie ich diesen
Strang auch in seiner Gesammtheit trotzdem nennen will, bilden
die Ganglienzellfortsätze einen sehr feinen Centralstrang. Aus
diesem gehen feine Fibrillen ab, Nervenfasern, welche den Muskel-
schlauch des Rüssels innervieren und deren Endigungen zwis<
den Muskelzellen deutlich zu sehen sind, ferner entspringen dem
Centralstrang zugweise auch jene Nervenfasern, von denen man
Nachrichten von der E. G. d. W. zu Göttingen. 1891. No. 9. 22
296 Otto Bürger,
jede einzelne an eine Zelle der Papillen herantreten sieht. Doch
nicht direkt ; zwischen beiden, zwischen Nervenfibrille und Papillen-
zelle ist noch eine Zelle, eine Nervenzelle eingeschaltet.
Was bedeutet aber der Reichtum an Ganglienzellen, die ich
(was die physiologische Bedeutung anbetrifft) in scharfem Gegen-
satz zu den Nervenzellen stelle, für den Rüssel? Nur durch den
Besitz von Ganglienzellen , mit denen das Rüsselnervensystem in
so hohem Maße ausgezeichnet ist, kann man es erklären , daß der
Rüssel so wenig abhängig vom Centralnervensystem ist, so wenig,
daß derselbe vom Körper getrennt nicht leblos erscheint, sondern
fast alles leistet, was er leistete als er mit ihm noch eins war:
Er stülpt sich ein und aus, er klebt sich vermöge seiner Papillen-
zellen fest und läßt sich wieder los, ja er kriecht; er zeigt mit
einem Worte die bedeutendsten Lebenserscheinungen. Vermöchte
er das, wenn nicht sein eigener nervöser Apparat ein dem centralen
fast gleichwertiger wäre?
Am wichtigsten von vorn herein erschien mir die Aufgabe,
die Art der Endigungen des Excretionsgefäßsystemes
festzustellen.
Den Angaben Oudemans1), wonach die Canäle des Nephri-
dialapparates in offner Verbindung mit den Blutgefäßen
stehen sollen, vermochte ich nicht Zutrauen zu schenken.
An stark comprimirten dünnen Nemertinen wie Nemertes
gracilis und einer noch unbeschriebenen durch den Besitz von
4 Augen ausgezeichneten sehr langen, ziemlich durchsichtigen
Nemertine beobachtete ich zuerst Wimp er flammen als letzte
Enden der verzweigten Nephridialcanäle.
Die Nephridialcanäle sind bei diesen Formen sehr lang, sie
sind vom Gehirn bis in die hintere Körperregion zu verfolgen, wo
sie auch noch zwischen den Geschlechtsorganen entlang ziehen
und auch die Wimperkölbchen überall erkannt werden können.
Das Excretionsgefäßsystem jener Nemertinenarten ist mithin
ganz anders als das eines Amphiporus oder Drepanophorus , wo
die Nephridialcanäle lediglich in der Oesophagalregion sich aus-
breiten , oder richtiger jederseits mit ihren vielen Aesten ein
Knäuel bilden, durch das die seitlichen Blutgefäße hindurchgehen.
Aber auch ihre letzten Enden sind Wimperkölbchen, von denen
sich unzählige in die Wand der seitlichen Blutgefäße einbohren.
Eine Beziehung zwischen Blutgefäßsystem und Nephridial-
apparat besteht mithin, aber sie ist ganz anderer Art wie die von
1) Op. cit.
vorläufige Mittheilungen über Untersuchungen an Nemertinen von Neapel. 297
Oudemans beschriebene: Es bohren sieb die blindge-
schlossenen Enden der Nephridialcanäle in die Wan-
dung derBlutgefäße ein, nicht allein bei den Hoplo-
nemertinen, von denen ich soeben einige Vertreter heranzog,
sondern auch bei Carinella und Carinoma. Bei diesen
ursprünglicheren Formen hat Oudemans derartige Enden, wie
ich später beweisen werde, für offene gehalten, obwohl dieselben
immer vom Endothel der Blutgefäße vollständig bekleidet sind.
Auf Grund meiner Nachuntersuchung darf ich es als höchst-
wahrscheinlich hinstellen, daß auch in dem blindgeschlossenen, in
das Blutgefäß hineinragenden Enden der Excretionsgefäße von
Carinoma Armandi Wimperflammen sich befinden. Solcher Enden
finden sich bei Carinoma aber nur wenige, kaum in und an jedem
Blutgefäß mehr als 10.
Das Excretionsgefäßsystem der Nemertinen weist auf das der
Turbellarien hin.
Der histologische Bau freilich beider ist sehr verschieden.
Die Excretionscanäle der Nemertinen haben eine zellige Ausklei-
dung, deren einzelne Elemente hohe Cylinderzellen darstellen, die
denen des Körperepithels sehr ähnlich sind. Doch trägt jede Zelle
nur eine Wimper oder doch nur ein Paar Flimmern. Auch die
Endkölbchen, in welchen der lange dicke Wimperschopf schwingt,
besitzen ein aus sehr vielen kleinen , hier freilich etwas flachen
Zellen sich zusammensetzendes Epithel.
Bei den Turbellarien aber ist das Zellmaterial , aus welchem
die Excretionscanäle sich aufbauen, bekanntlich ein sehr spärliches,
es sollen die Canäle z. B. bei den Polycladen nach Lang eine
Durchbohrung von linearen Zellreihen darstellen. Das Endkölb-
chen besteht aus einer einzigen Zelle.
Auf große Schwierigkeiten stieß in Neapel die Beschaffung
von Material zwecks entwicklungsgeschichtlicher Studien.
Obwohl ich ein halbes Jahr lang verschiedene Arten, teilweis
sehr massenhaft, in Aquarien gehalten habe, welche Geschlechts-
produkte enthielten und Männchen und Weibchen vorhanden waren,
war ich nicht so glücklich , je einmal Eier zu bekommen. Die
Thiere, Lineus lacteus, Eupolia delineata und curta und Nemertes
gracilis hielten sich Monate lang sehr gut , aber dann begannen
viele Exemplare , besonders von Lineus lacteus , zu zerstückeln.
Es gelang mir nicht, die Ursachen ihres Unterganges festzustellen.
Die Nemertinenarten, welche in größeren Tiefen leben, halten
sich überhaupt nur wenige Tage mit Ausnahme einiger Amphi-
porusarten und Drepanophorus serraticollis , den ich außerordent-
22*
298 Otto Bürger,
lieh lange im Aquarium am Leben erhalten konnte. Merkwürdiger
Weise ganz im Gegensatz zu seinem nahen Verwandten Drepano-
phorus rubrostriatus , der die Gefangenschaft gar nicht erträgt.
Auch mit den großen im Schlamm lebenden Cerebratulusarten
habe ich unglücklich experimentirt. Indes war ich so glücklich,
von draußen einmal ein Thier , Nemertes gracilis , zu bekommen,
das sofort Eier ablegte , die sich ungemein schnell entwickelten.
Die Furchung war eine totale aequale, und noch in der Eihülle
entwickelte sich ein Embryo, der ein dichtes Wimperkleid besitzt,
und an dessen einem Ende — er hat eine länglich ovale Form
angenommen — zwei lange Geißeln schwingen. Es wurden zwei
Eichtungskörper, welche in diesem Entwicklimgsstadium sich noch
vorfanden, gebildet.
Der Embryo wächst, durchbricht die Eihülle und bewegt sich
mit Hilfe seiner beiden^ Geißeln im Wasser umher. Seine weitere
Entwicklung habe ich nicht beobachten können.
Deshalb war es mir eine außerordentlich erwünschte Hilfe,
als mir Herr Professor Kor otneff, Director der Zoologischen
Station in Villa Franca, seine Unterstützung zusicherte, indem
derselbe mir lebendes und conserviertes Material von Prosoroch-
mus Claparedii versprach und mir auch wiederholt Sendungen
dieser lebendig gebärenden von Claparede an der Küste der Nor-
man die entdeckten Nemertine zukommen ließ.
Besonders erfreulich war es aber, als ich diese Nemertine
auch in Neapel zwischen dem Materiale, das die Fischer besorgen,
mit Nemertes gracilis vergesellschaftet fand.
Herrn Professor Korotneff bin ich zu großem Danke ver-
pflichtet, ich erlaube mir denselben an dieser Stelle auszusprechen.
Obwohl sich die Exemplare von Prosorochmus Claparedii, welche
von Villa Franca und aus dem Neapler Golf stammen , in Gestalt
und Färbung gleichen , ist doch die Bewaffnung des Rüssels ein
derartig verschiedene , daß man in Versuchung kommt , zwei Pro-
sorochmusarten , zu unterscheiden, mindestens aber Varietäten als
Pr. Claparedii (Nizza) und Pr. Claparedii (Napoli).
Nämlich die Prosorochmus-Individuen von Villa Franca zeigen in
jeder Seitentasche des Eüssels 4Nebenstilette. Das untere Ende
derselben bildet einen glatten kugligen Knau f , diejenigen aber
des Golfes besitzen stets nur je2Nebenstilette in jeder Tasche ;
aber der Knauf ist fünfteilig, er bildet eine Rosette. Dement-
sprechend ist natürlich auch der Knauf des Hauptstilettes gestaltet.
Ein Prosorochmus enthält oft alle Entwicklungsstadien. Wäh-
rend vorn noch Eier sich befinden, sieht man im hintersten Ende
vorläufige Mittheilungen über Untersuchungen an Nemertinen von Neapel. 299
des Thieres Embryonen, in welchen man bereits die Nebenstilette
bemerkt. Aus Villa Franca bekam icb Thiere mit Embryonen im
Mai und Anfang Juni, in Neapel im Juli.
Die Entwicklungsperiode wird aucb wohl in Neapel früher
fallen und schon lange begonnen haben, ehe ich die ersten Proso-
rochmen dort auffand, immerhin ist zu bedenken, daß sich dieses
Jahr ein ausnahmslos ungünstiger Frühling in Neapel geltend ge-
macht hat, sodaß die heurigen klimatischen Verhältnisse an der
Riviera vielleicht günstiger waren , als bei uns am soviel weiter
südlich gelegenen Golfe Neapels. Jedenfalls wird man doch min-
destens auf 5 — 6 Wochen rechnen können , während welcher man
fortgesetzt trächtige Thiere erwarten darf.
Wo sind die Männchen von Prosorochmus ? Ich habe sie bis-
lang nicht gefunden.
Beim Weibchen sind die Grenitaltaschen mit Eier prall gefüllt.
Dieselben alterniren mit den Darmtaschen. Aber nur wenige,
meist nur ein einziges Ei kommt von einem Haufen von Eiern zur
Entwicklung. Das sich entwickelnde nährt sich von den anderen
Eiern. Es bildet sich eine Hülle um das in die Embryonalent-
wicklung eintretende Ei und in dieser liegen anfangs zahlreich
andere Eier eingeschlossen. Je mehr aber die Entwicklung fort-
schreitet , je kleiner werden die im Follikel eingeschlossenen Eier
und schließlich, wenn sich ein Embryo entwickelt hat, an dem der
Kopf sich schon formt, sind auch die letzten Eireste verschwunden.
Von der Entwicklung des Embryo will ich nichts vorweg
nehmen, da ich die nach lebenden Entwicklungsstadien aufgezeich-
neten Befunde erst noch am conservierten Material, das mir reich-
lich zur Verfügung steht, prüfen und weiter verfolgen möchte.
Nur über die Entwicklung des Stilettapparates des Rüssels
will ich gleich folgendes bemerken. Man ist sich nicht darüber
einig , wo das Hauptstilett herkommt. Man behauptet , es werde
aus den Seitenstiletttaschen bezogen und nennt dementsprechend
die Stilette, welche in den seitlichen Taschen enthalten sind, Reserve-
stilette , man behauptet aber dem entgegengesetzt auch , das
Hauptstilett habe nichts mit den sog. Reservestiletten zu thun, das
Hauptstilett entstehe nicht in deren Tasche, sondern an Ort und Stelle.
Die Beweise, welche Max Schultze1) für seine Ansicht
bringen konnte , waren , wenn auch nicht völlig exacte , so doch
sehr beachtenswerte. Er war der Meinung, das Hauptstilett stamme
aus den Seitentaschen.
1) Max Schultze. Beiträge zur Naturgeschichte der Turbellarien. Greifs-
wald 1851.
300 0tt0 Bürger,
In dem sich entwickelnden Rüssel von Pr. Claparedii treten zu-
erst die Reservestilette auf und zwar sind sie, in jeder Tasche ein
Paar, schon ziemlich fertig, wenn die Basis des Hauptstilettes erst
im Entstehen begriffen ist. Diese wird geschaffen, indem sich ein
Sekret, das einem Drüsenkranze entstammt, der sich in der Stilett-
region sehr frühzeitig ausbildet und zeitlebens erhält, in eine
Form ergießt, die von der inneren Muskulatur des Rüssels gebildet
wird. Die Rüsselmuskulatur bildet nämlich eine trichterförmige
Mulde und daher hat auch die Basis des Hauptstilettes anfangs
in eine pyramidale Gestalt, welche sich erst später ändert und
die Form eines (nicht mathematischen) Kegels annimmt.
Man kann die Bildung der Basis in allen Stadien verfolgen,
man wird aber nichts von einer doch gleichzeitig notwendigen
Bildung des Hauptstilettes an diesem Orte wahrnehmen, obwohl
schon im Embryo die Basis ein Stilett erhält. Man macht nun
stets die Beobachtung, daß, sobald die Basis bepflanzt ist, in einer
der Seitentaschen 1 Stilett fehlt.
Wie die Stilette aus der Reservetasche zur Basis gelangen,
ist mir nicht klar geworden. Ich habe sie nie auf halbem Wege
gesehen, sondern ich constatierte nur stets das vollendete Factum.
Ich war aber so glücklich, einmal ein Stilett in der Basis
eingeschlossen zu erblicken. Die Basis war in dem bereits aus-
geschlüpften Thier aber auch bepflanzt und in der einen Seiten-
tasche waren zwei, in der anderen nur ein Reservestilett enthalten.
Das zeugte davon, daß die Basis erst kürzlich besetzt war, denn
die Reservestilette bilden sich ungemein rasch, um die übliche
Zahl in den Taschen wieder herzustellen. Es ist dies Bild nicht
anders zu deuten, als daß das Reservestillett zu früh zur Basis,
ehe sie vollendet war , gelangte und nunmehr verschüttet wurde.
Man findet derartige Bilder auch in Mc. Intosh's Monographie
gezeichnet. Ich deute sie nicht anders.
Um die Frage nach der Herkunft der Hauptstilette zu studieren,
habe ich mehreren Exemplaren von Drepanophorus serraticollis die
Rüssel exstirpiert. Dieselben wurden bald regeneriert. Und in jedem
der neuen Rüssel legten sich am frühzeitigsten die Taschen der Re-
ser-vestilette an , welche ja hier so ungemein zahlreich sind. Den
20 Hauptstiletten entsprechen 18 Taschen mit etwa 12 Reserve-
stiletten. (Häufig stimmt sogar die Zahl der Hauptstilette mit
derjenigen der Reservestiletttaschen genau überein.) Viel später
erst, nachdem sich eine größere Anzahl der Nebenstiletttaschen
gebildet hatte, begann die Basis zu entstehen, mit der jede Tasche
durch einen Schlauch in Verbindung gesetzt ist. Nie sieht man
vorläufige Mittheilungen über Untersuchungen an Nemertinen von Neapel. 301
in oder an der Basis kleine Stilette, die Entstehungsherde sind
die Seitentaschen. Wohl aber habe ich vereinzelt in den Schläu-
chen Stilette jedenfalls auf dem "Wege zur Basis begriffen, con-
statiert.
Auch diese meine Beobachtungen stützen mit den Befunden
Schultzes, die sie ergänzen können, nur den Satz : Die Haupt-
stilette kommen aus den Seitentaschen. Die Stilette
der Seitentaschen sind Reservestilette und nicht Gebilde, die im
Lauf der Stammesgeschichte der Nemertinen außer Funktion ge-
setzt sind und nunmehr, obwohl zwecklos geworden, als Ballast
mitgeschleppt werden.
In wenigen Jahren hoffe ich die Neapler Repräsentanten der
Nemertinen, dieser merkwürdigen Thiergruppe, von welcher H a 1 1 e r
bei Gelegenheit seiner Studien über die Textur des Centralnerven-
systems höherer Würmer die Anneliden, Arthropoden, Mollusken
und Vertebraten ableitet, den Fachgenossen in Wort und Bild vor-
führen zu können.
Göttingen, im November 1891.
Ueber einige neue Kohlenwasserstoffe mit ring-
förmiger Bindung der Kohlenstoffatome.
Von
Otto Wallach.
Die Eigenschaften der Kohlenwasserstoffe und ihrer Derivate
sind bekanntlich in hohem Grade abhängig von der Art der Bin-
dung der in ihnen enthaltenen Kohlenstoffatome. Bei den organi-
schen Verbindungen mit kettenförmiger Anordnung der Atome
sind die Eigenschaftsänderungen , welche mit dem Vorhandensein
mehrfacher oder bloß einfacher Kohlenstoffbindungen Hand in
Hand gehen, bereits sehr eingehend studirt. Dasselbe gilt für die
Kohlenwasserstoffe mit ringförmiger Kohlenstoffbindung vom Ty-
pus des Benzol , Naphtalin u. s. w. Weniger gut sind diejenigen
Substanzen bekannt, welche durch theilweise oder vollständige
Hydrirung von Verbindungen des letztgenannten Typus entstehen.
Neuere Arbeiten, vorzüglich von v. Baeyer und von Bamber-
ger, haben unsere Kenntniß auch nach dieser Richtung zwar sehr
erweitert, doch ist es bei dem großen theoretischen Interesse,
welches die hier ins Spiel kommenden Verhältnisse bieten, er-
302 0tt0 Wallach,
wünscht, die diesbezügliche Forschung auch nach neuen Richtun-
gen hin auszudehnen.
Ich bin nun gelegentlich meiner Arbeiten über die Terpene,
von denen einige unzweifelhaft als hydrirte , jedoch ungesättigte
Kohlenwasserstoffe mit ringförmiger Bindung der Atome ange-
sprochen werden müssen, auch zu gesättigten, vollkommen hydrir-
ten Kohlenwasserstoffen mit ringförmiger Bindung gelangt. Die-
selben dürften z. Th. einem neuen Verbindungstypus angehören.
Ueber diese Substanzen und den Weg zu ihrer Darstellung
möchte ich mir erlauben kurz zu berichten.
Den Campher CioHieO hat man in eigenthümlicher Weise zu
Verbindungen mit geringerem Kohlenstoffgehalt abzubauen ge-
lernt. Man stellt durch Umsetzung des Camphers mit Hydro-
xylamin das Campheroxim, CioHiöNOH, dar. Es gelingt dann
leicht aus dieser Verbindung 1 Mol Wasser abzuspalten. Der so
resultirende Körper Cio H15 N verhält sich wie ein Säurenitril, also
wie C9 H15 . CN. Durch Kochen mit Alkali kann man aus ihm
das dem Campheroxim isomere Amid C9 H15 . CONH2 und dann die
Campholensäure C9 H15 . COOH erhalten. Die Campholensäure ih-
rerseits verliert unter geeigneten Bedingungen Kohlensäure und
verwandelt sich in das Campholen, C9H16.
Für das Campholen, 'dessen Siedepunkt von Goldschmidt
(Ber. d. ehem. Gres. XX, 484) zu 130° — 140° angegeben wird, hat
Bamberger (1. c. XXI, 1131) die Formel aufgestellt:
C-C3H7
H2C/^ ^CH2
Ei
\
CH-CHs
Danach wäre also das Campholen ein Fettkohlenwasserstoff mit
zwei Aethylenbindungen. Diese Annahme hat die andere zur
Voraussetzung, daß bei dem Uebergang von Campheroxim in sein
Anhydrid eine Sprengung des im Campher anzunehmenden Koh-
lenstoffringes eintritt. Bamberger denkt sich den Vorgang in
folgender Weise :
über einige neue Kohlenwasserstoffe mit ringförmiger Bindung etc. 303
H C3H7 C3H7
c c
H2C CH* H2C CH2
| = H20 + |
HC C = NOH HC CN
i
CH3 CH3
Campheroxim Nitril
Die sehr merkwürdige Reaction kann indeß , meiner Ansicht nach,
auch ganz anders aufgefaßt werden. Es ist allerdings wahrschein-
lich, daß bei dem Uebergang des Campheroxims in das Nitril der
durch sechs Kohlenstoffatome gebildete Ring sich vorübergehend
öffnet. Aber in demselben Augenblick könnte [unter Eintritt
einer Bindungs ver Schiebung , falls man die Bredt'sche Campher-
formel der Betrachtung zu Grunde legt] eine erneute Ringschlie-
ßung zwischen fünf Kohlenstoffatomen sich vollziehen. Es würde
dann der Nitril-artigen Verbindung etwa die Formel zukommen :
Auch an das Vorhandensein eines Rings von vier Kohlenstoff-
atomen könnte man denken, doch soll das eben außer Betracht
bleiben.
Sonach ergeben sich zwei ganz verschiedene Auffassungen
bezüglich der Natur der Campholensäure und des Campholens.
Nach Bamberger würde der Kohlenwasserstoff zwei Aethylen-
bindungen enthalten, der ihm zugehörige gesättigte Kohlenwasser-
stoff hätte die Formel C9H20 und wäre nichts anderes als ein
304 Otto Wallach,
Nonylwasserstoff. Meiner Ansicht nach enthielte indeß das Cam-
pholen nur eine Aethylenbindung , sein Hydrirungsproduct hätte
die Formel C9H18 und ihm zu Grunde würde ein Kohlenwasser-
stoff von eigenthümlichem Typus mit ringförmiger Bindung von
fünf (oder auch von vier) Kohlenstoffatomen liegen.
Es ist mir nun in sehr einfacher Weise gelungen durch einen
Versuch die Richtigkeit der letztentwickelten Ansicht wahrschein-
lich zu machen.
Freie Campholensäure wurde in Portionen von je 5 Gr mit
6 G-r Jodwasserstoffsäure vom spec. Gew. 1,96 8 Stunden auf 200°
erhitzt. Das entstandene Product wurde dann mit Wasserdampf
abdestillirt, mit Natronlauge gewaschen, mit festem Kali getrock-
net und fractionirt. Die Hauptmenge des erhaltenen flüssigen
Kohlenwasserstoffs ging zwischen 135° — 140° über. Analysirt
wurde eine Mittelfraction vom Siedepunkt 134° — 136°.
0.1005 Grr Substanz gaben
0.3150 CO2 = 85.48% C
0.1302 H2O = 14.40 „ H
Berechnet für Gefunden
C9H20 C10H22 C9H18 C10H20
C 84.34 84.47 85.68 85.72 . . . 85.48
H 15.66 15.53 14.32 14.28 . . . 14.40
Die Dampfdichtebestimmung ergab :
0.0512 Gr lieferten 9.8 ccm V bei 17° und 751mm B.
sirt
Berechnet für Gefunden
C9 H20 C10 H22 C9 Hi8 C10 H20
2
D = 4.43 4.91 4.36 4.84 4.45
Die analytisch gefundenen Daten schließen demnach für den Koh-
lenwasserstoff die Formeln C9 H20 und C10H22 aus, nach den Dampf-
dichtebestimmungen wäre weiter die Formel C9H18 wahrscheinli-
cher als C10H20. Für die Formel C9H18 spricht auch der niedrige
Siedepunkt der Verbindung (c. 135°) und das specif. Gewicht,
das bei 20° == 0.773 ermittelt wurde.
Der Brechungsexponent für Natriumlicht wurde gefunden
nD = 1.42491
Setzt man nun in die bekannte Lorenz' sehe Formel
("2-i)p
(n2 + 2)d
über einige neue Kohlenwasserstoffe mit ringförmiger Bindung etc. 305
den eben angegebenen Wertli von nD ein, einmal aber p = 126
(CgHis), das andere Mal p = 140 (C10H20), so ergiebt sich als
Molecularrefraction (M)
für C9 His : M = 41.66
für C10H20 : M = 46.29
Es würde aber verlangen :
C9 H,8 : M = 41.43
ein gesättigter Kohlenwasserstoff
IS
C10H20
' ( C9 Hl8^
ein ungesättigter Kohlenwasserstoff <
/ Ciohbof
M m 46.03
M = 43.13
M = 47.74
Der gefundene Werth zeigt demnach an, daß eine gesättigte Ver-
bindung vorliegt, die Bestimmung des Refractionswerthes giebt
aber ebensowenig wie die Analyse sichere Auskunft darüber , ob
der vorliegende Kohlenwasserstoff die Formel C9H18 oder C10H20
besitzt.
Die wichtige Thatsache, daß man es jedenfalls mit einer völ-
lig gesättigten Verbindung zu thun hat, wird durch das chemische
Verhalten des Kohlenwasserstoffs ganz außer Zweifel gestellt. Er
ist nicht im Stande Brom zu entfärben, dagegen entwickelt er in
Berührung mit dem Halogen alsbald sehr lebhaft Bromwasserstoff-
gas und es entsteht ein Substitutionsproduct.
Diese Thatsachen genügen nun, um die Unrichtigkeit der von
Bamberger für das Campholen und die Campholensäure entwickel-
ten Formeln zu erweisen. Aus Verbindungen, denen jene Formeln
zukommen, könnten als gesättigte Reductionsproducte nur Kohlen-
wasserstoffe der Formel C9H20 oder C10H22 entstehen. Ist hinge-
gen im Campholen und in der Campholensäure eine ringförmige
Schließung von Kohlenstoffatomen — etwa in der oben von mir
angegebenen Weise — enthalten , so muß bei der Reduction der
Campholensäure, ganz der gemachten Beobachtung entsprechend,
ein Kohlenwasserstoff C9H18 oder C10H20 sich bilden. Das letztere
wird der Fall sein , wenn die Carboxyl- Gruppe der Säure bei der
Reduction in eine Methylgruppe CHs übergeht , das erstere , wenn
die Säure bei der hohen während der Reduction herrschenden Tem-
peratur gleichzeitig Kohlensäure abspaltet.
Ob also dem neuen Kohlenwasserstoff die Formel eines Bi-
hydrocampholens, C9 His , oder eines Bihydromethylcampholens,
C10H20, zukommt, ist für die theoretische Frage, die hier entschie-
den werden sollte, ganz gleichgültig. Jedenfalls liegt eben ein
neuer gesättigter Kohlenwasserstoff mit ringförmiger Bindung vor,
306 0tt0 "Wallach,
dessen weiteres Studium großes Interesse beanspruchen und auch
Rückschlüsse auf die Constitution des Camphers erlauben dürfte.
Die eben beschriebenen Versuche sind im Gefolge von Erfah-
rungen angestellt worden, welche ich gelegentlich anderer Unter-
suchungen gesammelt hatte.
Vor einiger Zeit habe ich den Nachweis geliefert , daß eine
im Fenchelöl vorkommende Verbindung Cio Hi6 0 , das Fenchon,
mit Campher isomer und auch in Hinsicht auf fast alle ihre R,e-
actionen jener Verbindung unmittelbar an die Seite zu stellen ist.
Auch aus dem Fenchon läßt sich leicht ein Oxim &o Hi6 NOH und
aus diesem eine Nitril-artige Verbindung, C9H15CN, gewinnen.
Letztere verseift sich sehr viel schwerer als die entsprechende
Campherverbindung. Es entsteht daraus bei mehrtägigem Erwär-
men mit alkoholischem Kali nur wenig Säure und ganz überwie-
gend das s. g. a-Isoxim C9 H15 CONH2 , dessen Schmelzpunkt bei
114° liegt. Nach einer neuerlich gemachten Beobachtung verwan-
delt sich diese Substanz beim Ermärmen mit verdünnter Schwe-
felsäure in eine isomere , schön krystallisirende , erst bei 137°
schmelzende Verbindung, welche als ß-Isoxim bezeichnet werden
soll. Auch durch andere Säuren als Schwefelsäure kann man das
a-Ixosim in das ß-Ixosim umwandeln. Das ß-Isoxim krystallisirt
besonders gut aus Alkohol, ist aber auch in Wasser verhältniß-
mäßig löslich. Er hat einen ausgeprägt basischen Character. Lei-
tet man in seine ätherische Lösung Salzsäuregas, so fällt ein
Chlorhydrat aus, welches mit Platinchlorid ein Doppelsalz scheint
geben zu können. Beim Kochen mit alkoholischem Kali oder mit
Säuren wird das ß-Ixosim nicht leichter angegriffen als das a-Iso-
xim. Erwärmt man es aber mit Phosphorsäure- Anhydrid, so wird
Wasser abgespalten und es entsteht ein Oel von den Eigenschaf-
ten des aus dem a-Oxim unter dem Einfluß selbst verdünnter
wäßriger Säuren sich so leicht bildenden nitrilartigen Körpers.
Von Wichtigkeit war es zu wissen, ob bei dem Uebergang
von Fenchon in das a- und ß-Isoxim sich vielleicht eine ganz
durchgreifende Aenderung der Atomconfiguration im Molecül voll-
zogen habe. Um darüber Aufschluß zu erhalten, wurde das ß-Iso-
xim in schwefelsaurer Lösung mit Kaliumpermanganat oxydirt.
Als Oxydationsproduct wurde eine reichliche Menge Dimethylma-
lonsäure gewonnen, also dieselbe Säure, welche nach früheren Ver-
suchen auch bei der Oxydation des Fenchon selbst entsteht.
Die bezüglich der Umwandlungsfähigkeit des a-Fenchon-Iso-
xims in die ß- Verbindung gemachten Erfahrungen haben beiläufig
über einige neue Kohlenwasserstoffe mit ringförmiger Bindung etc. 307
Veranlassung gegeben , auch das Iso-Campheroxim nach dieser
Richtung zu untersuchen. Beim Kochen der letztgenannten Ver-
bindung mit verdünnter Schwefelsäure wurden bisher aber nur
ölförmige Producte erhalten.
Wenn es, wie erst bemerkt, auch Schwierigkeiten bietet, das
aus dem a-Oxim des Fenchons entstehende Anhydrid C9H15CN zu
verseifen , so gelingt doch immerhin bei tagelangem Kochen mit
alkoholischem Kali eine theilweise Ueberführung in die Fencholen-
säure C9H15COOH. Der Versuch, aus dieser durch Kohlensäure-
Abspaltung glatt das Fencholen C9H16 darzustellen, hat bisher
nicht ganz den gewünschten Erfolg gehabt, da ein Gemenge zwi-
schen weiten Grenzen siedender Kohlenwasserstoffe erhalten wurde.
Hingegen ließ sich sehr scharf der Nachweis führen, daß die Fen-
cholensäure eine ungesättigte Säure ist. Sie addirt nämlich Ha-
logenwasserstoffsäure und geht dabei in krystallisirte Producte
über. Die Hydrochlorfencholen säure, C10H16CICO2H, schmilzt bei
97° — 98°, giebt in Berührung mit Alkali aber leicht wieder Salz-
säure ab, unter Rückbildung der flüssigen Fencholensäure.
Beim Erhitzen mit Jodwasserstoffsäure und Phosphor wird
die Fencholensäure, ebenso wie die Campholensäure , leicht redu-
cirt und in einen Kohlenwasserstoff übergeführt, dessen Haupt-
menge zwischen 138° — 145° siedete. Zur näheren Untersuchung
gelangte eine zwischen 141° — 142° siedende Fraction, deren Ana-
lyse folgende Werthe ergab :
0.1335 Gr gaben 0.4191 C02 = 85.62 % C
0.1726 H2O = 14.40 „ H
0.1395 „ „ 0.4368 C02 = 85.40 „ C
0.1788 H2O = 14.28 „ H
0.1368 „ „ 0.4284 C02 = 85.41 n C.
Bei einer Dampfdichtebestimmung lieferten
0.048 Gr Substanz 9.4 cem V bei 18° und 748mm B,
woraus sich ergiebt
D = 4.38.
Das speeif. Gewicht des flüssigen Kohlenwasserstoffs wurde
bei 20° = 0.7900 gefunden, als Brechungsexponent
nD = 1.43146.
Die analytischen Werthe zeigen eine große Uebereinstimmung
mit denjenigen, welche für das Reductionsproduct aus Campholen-
säure ermittelt wurden. Auch die Siedepunkte der aus den ana-
308 0tt0 Wallach,
logen Säuren gewonnenen Kohlenwasserstoffe stimmen überein.
Nur das specifische Gewicht der Verbindung der Fenchonreihe
liegt etwas höher. Daß die Ursache dafür in zufälligen Verun-
reinigungen gesucht werden müßte, ist nicht wahrscheinlich. Eher
wäre wohl anzunehmen, daß hier ein Gemenge eines Kohlenwas-
serstoffs C9H18 mit dem höheren Homologen C10H20 vorliegt, da,
wie erst auseinander gesetzt wurde, beide Kohlenwasserstoffe aus
der Säure C9H15CO2H sich bilden können. Die Entscheidung die-
ser Frage muß zukünftigen Untersuchungen überlassen bleiben.
Für den Augenblick ist noch der Versuch angestellt worden, ob
man nicht, direct von dem Nitril C9H15CN ausgehend, ebensogut
zu dem Kohlenwasserstoff gelangen könne, als wenn man erst das
Nitril in die schwerer zugängliche Säure überführt. Zu dem
Zweck wurde die durch "Wasserabspaltung aus dem Fenchonoxim
gewonnene Verbindung mit Jodwasserstoffsäure und Phosphor er-
hitzt. Aus dem Reactionsproduct konnte leicht ein Kohlenwasser-
stoff isolirt werden, der dem erst beschriebenen, aus Fencholensäure
erhaltenen, sehr ähnelt. Die Hauptmenge siedete von 135°— 145°.
Von Einzelfractionen zeigte die von 136° — 138° siedende ein spe-
cif. Gewicht = 0.775 bei 18°, die vom Siedepunkt 140° — 142° ein
specif. Gewicht = 0.7785 bei 19°. Auch hier könnte also ein Ge-
menge von Kohlenwasserstoffen vorliegen, falls die Schwankungen
im specif. Gewicht nicht einer Verunreinigung durch Jod-haltige
Verbindungen zuzuschreiben sind.
Ob das aus der Fencholensäure durch Reduction dargestellte
Product die Formel C10H20 oder C9H18 besitzt, ist noch nicht
sicher zu entscheiden gewesen. Man mußte aber einen gesättigten
Kohlenwasserstoff C10H20 aus dem Fenchon jedenfalls auch in an-
derer Weise herstellen können, durch Reduction nämlich des Fen-
chylalkohols oder des Fenchons selbst. Die entsprechenden Ver-
suche hat nun auf meine Veranlassung Hr. Wicke angestellt,
Sie sollen hier nicht eingehender beschrieben und nur erwähnt
werden, daß der aus dem Fenchylalkohol C10H17OH, durch Ee-
duction sehr leicht entstehende gesättigte Kohlenwasserstoff C10H20
folgende Eigenschaften hat :
Siedepunkt = 160°— 465°, specif. Gewicht == 0,7945 bei 22°,
Brechungsexponent nD = 1.43701 bei 22°.
Der Siedepunkt dieses Kohlenwasserstoffs liegt also um etwa 25°
höher als die Siedepunkte der aus der Fencholensäure und Cam-
pholensäure gewonnenen Verbindungen. Entsprechend höher ist
auch das specifische Gewicht. Man hat es demnach unzweifelhaft mit
ganz verschiedenartigen Producten zu thun. Bei directer Reduc-
über einige neue Kohlenwasserstoffe mit ringförmiger Bindung ete. 309
tion des Fenchons entsteht ein Kohlenwasserstoff, der dieselben
physikalischen Eigenschaften besitzt, wie der zuletzt beschriebene.
Auf einen noch anderen Wege, den ich in Gemeinschaft mit
Herrn A. Berkenheim aus Moskau eingeschlagen habe , ist es
gelungen zu einem weiteren isomeren gesättigten Kohlenwasser-
stoff C10H20 zu gelangen.
Pinenhydrochlorid , C10H17CI, wurde mit Jodwasserstoff und
Phosphor auf 200° erhitzt, das Reactionsproduct durch Destillation
mit Wasserdampf, Waschen mit Alkali und Trocknen mit metalli-
schem Natrium gereinigt und dann sorgfältig fractionirt. Die
Hauptmenge siedete von 162° — 163Q. Von einem genau bei 162°
übergehenden Antheil wurden Analysen ausgeführt und die phy-
sikalischen Constanten bestimmt.
0.1334 Gr Substanz lieferten 0.11397 C02 = 85.46% C
0.1740 H20 = 14.46 „ H
0.2784 „ „ „ 0.8579 C02 = 85.77 „ C
0.3584 H20 = 14.30 „ H.
Für C10H20 berechnet sich C = 85.72%, H = 14.28%.
0.0547 Gr lieferten bei der Dichtebestimmung 9,6 ccm V, bei
17°,2 und 751mm B. D = 4.86, berechnet = 4,83.
Das specifische Gewicht ergab sich zu 0,795 bei 20°, der
Brechungsexponent nD -- 1.43703 bei 20°; berechnet M = 46,03,
gefunden = 46.13.
Die physicalischen Eigenschaften stimmen demnach für die
beiden aus dem Fenchon und aus dem Pinen erhaltenen Kohlen-
wasserstoffe C10H20 sehr nahe überein und beide weichen, na-
mentlich in den Siedepunkten, erheblich von den aus Fencholen-
säure und Campholensäure erhaltenen ab.
Alle neu beschriebenen Kohlenwasserstoffe sind gesättigt und
müssen daher ihrer Zusammensetzung gemäß eine ringförmige Ver-
knüpfung von Kohlenstoffatomen enthalten. Sie sind selbst in der
Wärme durch Kaliumpermanganat ganz ungemein schwer oxydir-
bar. Brom wirkt substituirend. Rauchende Salpetersäure ist in
der Kälte ohne Wirkung, erst beim Erhitzen erfolgt lebhafte
Reaction.
Eine nähere Erforschung des chemischen Verhaltens der hier
vorliegenden neuen Verbindungen wird den Gegenstand weiterer
Arbeiten bilden.
310
Bei der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften einge-
gangene Druckschriften.
Man bittet diese Verzeichnisse zugleich als Empfangsanzeigen ansehen zu wollen.
August, September und Oktober 1890.
(Fortsetzung.)
Archivum Räköczianum. Sectio 1. Tom. X. Ebd. 1889.
Oväry Lipöt: A törtenelmi bizottsägänak oklevel-mäsolatai. (Abschriften der
Urkunden der historischen Conimission d. Ungar. Akad.). Füz. I. Ebd. 1890.
Archaeologiai Ertesitö. (Archäolog. Anzeiger. Neue Folge). IX. Köt. 3.— 5. Szäm.
X. Köt. 1. 2. Szäm. Ebd. 1889. 90.
Termeszettudomänyi l^rtekezesek. (Naturwissenschaft!. Abhandlungen). XVIII.
Köt. 6. 7. Szäm. XIX. Köt. 1.— 10. Szäm. Ebd. 1889. 90.
Mathematikai jßrtekezesek. (Mathematische Abhandlungen). XIV. Köt. 2. 3. Szäm.
Ebd. 1889.
Mathematikai es termeszettudomänyi Ertesitö. (Mathematischer und naturwis-
senschaftl. Anzeiger). VII. Köt. 4/5. 6/7. 8/9. Szäm. TOI. Köt. 1. 2. 3/4/5.
Szäm. Ebd. 1889. 90.
Mathematikai es termeszettudomänyi Közlemenyek. (Mathematische und natur-
wissenschaftl. Mittheilungen). XXIII. Köt. 4. Szäm. Eb i. 1889.
A magyar. Tud. Akademia kiadäsäban megjelent munkäk es folyöiratok betö-
rendes czim- es tartalomjegyzeke. 1830 — 1889. (Alphabetische Zusammenstel-
lung der Werke, welche im Verlage der Ungar. Akad. der Wissenschaften er-
schienen sind. 1830—1889). Ebd. 1890.
Mathematische und naturwissenschaftliche Berichte aus Ungarn. VII. Bd. Ber-
lin u. Budapest 1890.
Aoyodociu rwv xcträ tu xd' hoq yivofiivoiv (1888 — 1889) vnb 2. Mnakavov. *Kv
U^vcttg 1890.
November 1890.
Sitzungsberichte der Kön. Pr. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. XLL XLII
u. XL1II. 1890.
Sitzungsberichte der philos.-philol.- u. historischen Classe d. k. B. Akademie d.
Wissensch. zu München. 1890. Bd. II. Heft IL
Berichte über die Verhandlungen d. K. Sachs. Gesellsch. d. Wissensch. zu Leip-
zig. Philologisch historische Classe. 1890. I. Leipzig. 1890.
Deutsches Meteorologisches Jahrbuch für 1888. Beobachtungssystem des Königr.
Sachsen. Bericht über die Thätigkeit im K. sächsischen meteorol. Institut f.
d. J. 1888. IL Hälfte oder Abth. III des Jahrbuches des König], sächs. meteo-
rolog. Inst. VI. Jahrg. 1888. Chemnitz 1890.
Zeitschrift für Naturwissenschaften. 63. Band. (5. Folge 1. Band). 4/5 Heft.
Halle-Saale 1890.
Mitteilungen der Pollichia. XL VII. Jahresbericht 1888. Nr. 1/2. XLVIII. Jahres-
ber. 1889/90. Nr. 3.4. Dürkheim a/H.
Leopoldina. Heft XXVI. Nr. 19-20. Oktober 1890. Halle a/S.
Sitzungsberichte der Naturforschenden Gesellschaft zu Leipzig. 15. u. 16. Jahrg.
1888/1889 u. 1890. (Bis Febr.). Leipzig 1890.
(Fortsetzung folgt.)
Inhalt von Nr. 9.
Frans Meyer, über ein Trägheitsgesetz für algebraische Gleichungen. — Otto Bürger, vorläufige Mitthei-
lungen über Untersuchungen an Nemertinen von Neapel. — Otto Wallach, üher einige neue Kohlenwas-
serstoffe mit ringförmiger Bindung der Kohlenstoffatome. — Eingegangene Druckschriften.
Für die Redaction verantwortlich: E Sauppe, Secretar d. K. Ges. d. Wiss.
Commissions-Verlag der Dieterich' sehen Verlags- Buchhandlung.
Druck der Dieterich' sehen Univ.- Buchdrucker ei (W. Fr. Kaestnei).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
imd der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
23. December. Jfä ]0. 1891
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 5. December.
Riecke spricht zum Gedächtniß von Wilhelm Weber.
Wieseler kündigt einen Aufsatz „über Stierdienst" an.
Voigt legt a. einen Aufsatz von den Herrn Prof. W. Nernst und Herrn Pri-
vatdocenten Dr. P. Drude vor : „über die Fluorescenzwirkungen stehender
Lichtwellen".
b. einen Aufsatz von Herrn Dr. A. Sella in Rom „Beitrag zur Kenntniß
der specifischen Wärme der Mineralien".
Klein legt vor a. eine Mittheilung von Herrn Prof. Dr. G. Frobenius in Zü-
rich, Korrespondenten der Math. Klasse : „über Potentialfunctionen, deren Hes-
sesche Determinante verschwindet".
b. einen Aufsatz von Herrn Privatdocenten Dr. Schönflies: „Bemerkung
zu Huberts Theorie der algebraischen Formen".
Bericht des Beständigen Sekretärs über das J. 1891.
Beitrag zur Kenntniß der specifiscben Wärme
der Mineralien.
Von
Alfonso Sella in Rom.
Einleitung. — Nur gering ist die Zahl der physikalischen
Eigenschaften der Mineralien, welche mit unseren jetzigen Beob-
achtungsmitteln genauen Messungen unterworfen werden können.
Obwohl nun die Bestimmung der specifischenWärme für die
meisten Mineralien durchführbar ist, liegen doch noch verhältniß-
NachrichUn von d. K. G. d. W. in Göttingen. 1891. Nr. 10. 23
312 Alfonso Sella,
mäßig wenige Beobachtungen darüber vor und die bezüglichen
Data werden in der Mehrzahl der Lehrbücher der Mineralogie
nicht einmal angegeben; so geringes Interesse wurde daran ge-
knüpft.
Die erste und größte Schwierigkeit, welche bei der Bestim-
mung der spec. Wärme sich darbietet, liegt in der Beschaffung
eines reinen Materials. Dabei stellen sich als bedenklich heraus
nicht bloß die mikroskopischen Einschlüsse, welche nicht zu ent-
fernen sind und doch niemals fehlen, sondern auch die makrosko-
pischen, deren Nichtvorhandensein in opaken Mineralien schwer
festzustellen ist, da das Untersuchungsmaterial in nicht zu kleinen
Stücken angewandt werden muß , damit nicht andrerseits wegen
der Beobachtungsmethode neue Fehlerquellen eintreten, welche
das Resultat noch mehr beeinflussen könnten. Bei den vielen Mi-
neralclassen, bei welchen Isomorphismus auftritt, wäre ferner eine
directe chemische Analyse des untersuchten Materiales sehr er-
wünscht. Die chemische Zusammensetzung nämlich ist zweifellos
in erster Linie bestimmend für die specifische Wärme , da die
über die Aenderung der letzteren mit der physikalischen Beschaf-
fenheit der Mineralien angestellten Untersuchungen diese Aenderung
als ziemlich gering erweisen. Ich will hierfür nur die bekannten
Beispiele von Pyrit und Strahlkies, Kalkspath und Aragonit, Rutil
und Brookit1) anführen.
Die subtilen Speculationen von Joly (On the specific heat of
Minerals. Proc. Royal Soc. Vol. XLI, 1886) über einige Variatio-
nen der spec. Wärme bei chemisch und krystallographisch durch-
aus identischen Mineralien beziehen sich auf zu wenige Fälle, als
daß ihnen eine allgemeine Bedeutung beigelegt werden könnte;
außerdem würde es schwer zu erklären sein, wie in Körpern, die
in den übrigen chemischen und physikalischen Eigenschaften über-
einstimmen, die Molekeln eine verschiedene „ thermische Freiheit"
(nach der Joly' sehen Ausdrucksweise) besitzen könnten.
Großes Interesse würde die Bestimmung der speeifischen
Wärme bei verschiedenen Temperaturen darbieten; die sehr be-
deutenden Aenderungen, welche in dieser Hinsicht für die Ele-
mente Kohlenstoff, Bor, Silicium und Beryllium gefunden worden
sind , führen uns zur Vermuthung , daß etwas ähnliches auch bei
zusammengesetzten Körpern stattfinden könnte. Vielleicht mag
dadurch ein Theil der Abweichungen der von verschiedenen Be-
1) Ich habe mich durch besondere Bestimmung überzeugt, daß Anatas (gelbe
Krystalle vom Binnenthal) denselben Werth wie die beiden anderen Modifikatio-
nen von TiO, liefert.
Beitrag zur Kenntniß der specifischen Wärme der Mineralien. 313
obachtern angegebenen Werthe zn erklären sein. Jedenfalls ist
es zn bedauern, daß so wenige Untersuchungen in dieser Richtung
vorliegen.
Ich habe im physikalischen Institut zu Göttingen während
des Winters 1889/90 die specifische Wärme einer Reihe von Mi-
neralien aus der Classe der Sulfide bestimmt und werde die er-
haltenen Werthe vom Gesichtspunkt des Wo estyn' sehen Ge-
setzes discutiren. Leider hat die Bestimmung der spec. Wärme
als Unterscheidungsmerkmal für die hier in Betracht kom-
menden Mineralien einen geringen Werth , da die Differenzen zwi-
schen den den verschiedenen Mineralien zukommenden Werthen
oft so gering sind , daß sie bei einer approximativen Bestimmung
nicht zu Tage treten, und andererseits eine Bestimmung von der
erforderlichen Genauigkeit umständliche Vorarbeiten verlangt. —
Beschreibung der Beobachtungsmethode.
Die Bestimmungen wurden nach der Mischungsmethode ausge-
führt ; ich werde hier über den Apparat und die Beobachtungsme-
thode nur dasjenige berichten, was mir als neu einiges Interesse
zu haben scheint.
Der angewandte Erhitzungs- Apparat ist im Wesentlichen mit
dem ;;N e um ann' sehen Hahn" identisch, von welchem er sich in-
sofern unterscheidet, daß statt des inneren Kegels der äußere
Mantel beweglich ist. Der Raum, in welchen der zu erwärmende
Körper hineingebracht wird, ist von einem verticalen Cylinder1)
begrenzt, welcher den inneren Kegel durchbricht. Die Einfüllung
der zu untersuchenden Stücke geschieht dadurch leichter als bei
der alten Einrichtung : man braucht dazu nur den äußeren Mantel
so weit zu drehen, bis seine Oeffnung auf die obere Oeffnung
des verticalen Cylinders zu liegen kommt. Die untere Oeffnung
des Cylinders ist mit einer Klappe versehen, welche den Körper
vor dem Fett schützen soll, mit welchem man die zwei Kegelflä-
chen schmieren muß, damit sie dampfdicht auf einander gleiten.
Es wurde ferner versucht, eine Fehlerquelle zu eliminiren,
welche in der That ziemlich bedeutend erscheint. Wenn nämlich
auch die Fallhöhe des Körpers bis ins Calorimeter gering ist, ist
es doch nicht gänzlich zu vermeiden, daß der fallende Körper ein
Ausspritzen des Wassers bewirkt. Nun können die herausfallen-
1) Es wäre zu empfehlen, statt eines Cylinders einen nach unten sich ver-
breitenden Kegel zu gebrauchen, da sonst manchmal die Stücke durch die Wär-
meausdehnung sich klemmen und nicht mehr herausfallen.
23'*
314
Alfonso Sella,
den Wassertropfen in Berührung mit dem Körper gewesen sein,
daher eine hohe Temperatur angenommen haben und dadurch ei-
nen merklichen Wärmeverlust verursachen, welcher nicht abge-
schätzt werden kann. Diesen Nachtheil zu vermeiden, wurde in
mancherlei Weise versucht. Ein Blatt von sehr feinem Papier
auf dem Wasser schwimmend erwies sich als nicht dazu geeignet.
In der That ist das Spritzen meist nicht dem Schlag des fallenden
Körpers auf das Wasser zuzuschreiben: die Stücke fallen viel-
mehr auf das Papier und sinken wie in einem Sack unter; das
Wasser stürzt herum um den hinterlassenen Luftraum zu erfüllen
und an der Spitze des dabei entstandenen Wasserbergs nimmt es
eine sehr große Geschwindigkeit an, welche das Spritzen verur-
sacht. Aus anderen Gründen erwies es sich nicht als zweckmäßig,
ein feines metallisches Drahtnetz dicht auf der Oberfläche durch
Korkstücken schwimmen zu lassen, welches durch ein geringes
Uebergewicht untersinken sollte.
Die endgültig angewandte Einrichtung war die folgende,
welche aus der beigegebenen Figur leicht verständlich sein wird.
<^
Die Gabel G trägt durch die 3 Spitzen A, B, C ein Körb-
chen , dessen Wand aus feinem Kupferblech und dessen Boden
aus Drahtnetz besteht. Die Gabel allein stützt sich auf den Rand
des Calorimeters und das Drahtnetz liegt dicht über der Ober-
fläche des Wassers. Sobald nun der Körper in's Körbchen ge-
fallen ist, wird die Gabel in der Richtung des Pfeiles zurückge-
zogen. Das frei gewordene Körbchen sinkt alsdann mit dem Kör-
per ins Wasser.
Freilich bleibt eine gewisse persönliche Unsicherheit bei der
Aufgabe, die Gabel genau in dem Augenblick zu verschieben, in
welchem der Körper gefallen ist; und es entsteht dadurch in der
That eine Fehlerquelle in der Operation, da eine genaue Correc-
Beitrag zur Kenntniß der specifischen Wärme der Mineralien. 315
tion nicht möglich ist. Da aber die verschiedenen mit derselben
Substanz erhaltenen Werthe untereinander und in besonderen dazu
ausgewählten Fällen mit den von anderen Beobachtern angegebe-
nen in befriedigender "Weise übereinstimmen, so scheint ein stö-
render Einfluß ausgeschlossen zu sein.
Das Calorimeter wurde mittelst seitlich befestigter Seidenfa-
den aufgehängt und mit einer metallischen polirten Hülle umge-
ben, welche sich als vollkommen genügend erwies, um die äußere
Strahlung abzuhalten.
Ein Vortheil scheint mir auch die Einrichtung zur Umrührung
des Wassers zu sein, welche aus einer kleinen im Calorimeter be-
findlichen Turbine besteht, die von einer anderen durch die Wasser-
leitung getriebenen Turbine mittelst eines Transmissionsfadens in
Bewegung gesetzt wird. Der Abstand zwischen den beiden Tur-
binen betrug etwa 2 m : dadurch war ermöglicht , daß die Be-
wegung auch stattfinden konnte, während das Calorimeter unter
den Hahn und zurück gebracht wurde. Diese Einrichtung ermög-
licht zweifellos die vollkommenste Umrührung, wie durch die sehr
regelmäßige Wärmeabgabe des Körpers an die Flüssigkeit erwie-
sen wurde; es zeigten sich dabei nicht jene Temperaturschwan-
kungen, welche sonst stattfinden, je nachdem eine Welle von hei-
ßem oder kaltem Wasser mit dem Thermometer in Berührung
kommt. Außerdem bildet sich das thermische Gleichgewicht zwi-
schen Körper und Flüssigkeit sehr schnell aus ; dies bewirkt, daß
die Correctionen wegen des Wärmeverlustes nach außen äußerst
gering sind (bei günstigen Verhältnissen der anfänglichen Tempe-
ratur des Wassers und der Zimmertemperatur erreichten diese
kaum 0,02 Grad) ; ferner waren dieselben gleich , je nachdem die
eine oder die andere der dazu vorgeschlagenen Correctionsmetho-
den gebraucht wurde.
Es sei mir gestattet, an dieser Stelle eine Bemerkung über
diese Correctionen zu machen. Die sämmtlichen Correctionsmetho-
den, welche man nach der K^gnault' sehen und der Neumann'-
schen classificiren kann , beruhen auf der Annahme , daß die Flüs-
sigkeit überall dieselbe Temperatur besitze, d. h. daß das Ther-
mometer genau die Temperatur der ausstrahlenden Oberfläche
zeige. Da dies schwer ohne eine sehr vollkommene Umrührung
der Fall sein kann, so folgt, daß die Correctionen, die man ange-
bracht hat, oft illusorisch gewesen sein müssen. Ich kann
daher nicht genügend die Anwendung der Turbine empfehlen.
Das oben besprochene Körbchen konnte nur bis etwa auf die
Mitte der Höhe des Cnlorimeters sinken, da dort zwei horizontale
316 Alfonso Sella,
Kupferdrähte von einer Seite der Wand des letzteren zur ande-
ren gezogen waren. Das Thermometer lag mit seinem Quecksil-
bergefäß unmittelbar darunter und war mittelst eines Korkes ho-
rizontal befestigt, Die bewegte Flüssigkeit strömte vom Körper
zum Thermometer, also von oben nach unten, während sie im Tur-
binenrohr emporgehoben wurde.
Das Thermometer wurde durch ein Fernrohr abgelesen , und
die Zeit der Ablesungen nach einer Uhr, welche 15 Sekunden schlug,
notirt. Das Thermometer (von Müller in Bonn) war in Zehntel
Grade getheilt und corrigirt.
Während sich das Calorimeter unter dem Hahn befand, wurde
es vor der Strahlung des Hahnes durch einen doppelwandigen
kupfernen Schirm geschützt. Der Körper wurde mehrere Stunden
im Hahn gelassen , obwohl ich mich durch besondere Versuche
überzeugt hatte , daß > der Körper eine constante Temperatur viel
früher annahm. Es wurde angenommen , daß die Mineralstücke,
welche ja direct in Berührung mit den allseitig von Wasserdampf
umgebenen Wänden standen, dann die Temperatur des Dampfes,
also die dem herrschenden Luftdruck entsprechende Siedetempera-
tur des Wassers, besaßen.
Die anfängliche Temperatur des Calorimeters war ungefähr
10°; demnach sind die gefundenen specifischen Wärmen die Mit-
telwerthe für das Intervall von 10 bis 100°. Das Wasseräquiva-
lent des gefüllten Calorimeters nebst Körbchen , Turbine , sowie
Thermometerkugel betrug durchschnittlich circa 114 gr.
Beobachtungsresultate.
Manganblende von Nagyag, Siebenbürgen. Derbe krystalli-
nische Stücke von unebenem Bruch; eisenschwarz. Mittel aus 4
Versuchen (angewandte Menge 16 bis 36 Gramm) : c = 0,1392.
Arsenhies von Freiberg in Sachsen. Isolirte Krystalle [(HO),
(014), auch Zwillinge] lichtstahlgrau , mit kleinen fremden Ein-
schlüssen, c = 0,1030.
Arseneisen von Breitenbrunnen in Sachsen. Derbe, etwas stän-
gelige Stücke: zinnweiß, 'von Epidot durchwachsen. Mittel aus 3
Versuchen (angew. Menge Gr. 51 bis 61) : c = 0,0864.
Kobaltglans von Tunaberg in Schweden. Isolirte Krystalle
[(111), (110)]. Mittel aus 4 Versuchen (angew. M. Gr. 30 bis 32):
c = 0,0991.
Speishobalt von Schneeberg in Sachsen, Grube Kurfürst Wil-
helm. Derbe Stücke, zinnweiß bis blaugrau; ursprünglich mit
Beitrag zur Kenntuiß der specitischen Wärme der Mineralien. 317
Kalkspatli verunreinigt. Mittel aus 3 Versuchen (angew. M. Gr.
43 bis 57) : c = 0,0866.
SpeisJcobalt von Frauenbreitungen in Sachsen -Meiningen. Derbe
krystallinische zinnweiße Stücke, fast frei von Einschlüssen. Mittel
aus 3 Versuchen (angew. M. Gr. 34 bis 59): c = 0,0830.
Silberglanz von Schneeberg in Sachsen, Grube Wolfgang Mas-
sen. Derbe krystallinische Stücke von hackigem Bruch; schwärz-
lich blaugrau. Mittel aus 4 Versuchen (angew. M. Gr. 15 bis 44) :
c = 0,0746.
Antimonsilber von Andreasberg im Harz, Grube Samson. Ziem-
lich große, prismatische, längsgestreifte, unregelmäßig ausgebildete
Krystalle ; silberweiß ; in Kalkspath eingewachsen, mit verdünnter
warmer Essigsäure isolirt. Mittel aus 5 Versuchen (angew. M.
Gr. 72) : c = 0,0558.
ArsenJcupfer vom Loake Superior, Nordamerika. Derbe Stücke
von feinkörnigem Gefüge, auf frischem Bruch zinnweiß, Oberfläche
leicht und stark anlaufend. Mittel aus 3 Versuchen (Gr. 57 bis
61) : c = 0,0949.
Bunthupfererz von Bristol, Connecticut. Derbe Stücke von
der charakteristischen Farbe. Mittel aus 3 Versuchen (angew. M.
Gr. 53 bis 55) : c = 0,1177.
Boumonit von Neudorf im Harz. Bruchstücke von großen Kry-
stallen von stahlgrauer Farbe und muscheligem stark glänzendem
Bruch. Mittel aus 3 Versuchen (angew. M. Gr. 20 bis 97) : c =
0,0730.
Proustit von Joachimsthal in Böhmen. Durchscheinende rothe
krystallinische Aggregate. Mittel aus 3 Versuchen (angew. M.
Gr. 17) : c = 0,0807.
Pyrargyrit von Freiberg in Sachsen. Krystallinische Aggre-
gate von metallischem Diamantglanz. Mittel aus 3 Versuchen
(angew. M. Gr. 27) : c = 0,0757.
id. von Andreasberg im Harz. Krystallinische , röthlich ei-
sengraue Stücke ; halb metallischer Glanz. Mittel aus 2 Versu-
chen (angew. M. Gr. 47 bis 81): c = 0,0754.
Fahlerz von Clausthal im Harz. Auf Eisen spath aufgewach-
sene Krystalle , ursprünglich mit Kupferkies überzogen , Bruch
muschelig , eisengrau , stark glänzend. Mittel aus 3 Versuchen
(angew. M. Gr. 47) : c = 0,0987.
Enargit von Famatina, Kioja, Argentinische Republik, San
Pedro mina. Krystallinische stängelige Aggregate, bläulich eisen-
grau. Mittel aus 3 Versuchen (angew. M. Gr. 20 bis 31): c =
0,1202.
318
Alfon so Sellft,
Zinnkies von Whealrock St. Agnes. Com wall. Derbe Stücke,
Bruch stahlgrau und metallglänzend ; geringe Verunreinigungen
aus Kupferkies. Mittel aus 3 Versuchen (angew. M. Gr. 27) : c =
0,1088.
Die Dimensionen der angewandten Stücke betrugen bei den
meisten durchschnittlich '/i °is 2 Centimeter; beim Kobaltglanz
und Pyrargyrit aus Freiberg waren die Stücke etwas kleiner.
In einem einzigen Falle habe ich eine freilich sehr geringe
der Temperatur zuzuschreibenden Zersetzung des Minerals beob-
tet, und zwar beim Mangansulfid, welches die inneren Wände des
Cy linders schwarz anlaufen ließ.
Discussion.
Das Woestyn'sche Gesetz:
Sa,
oder c
2phCA
drückt die spec. Wärme c eines zusammengesetzten Körpers durch
die spec. Wärme cA, das Atomgewicht ah, die Zahl der vorhande-
nen Atome uh der einzelnen Elemente, oder durch ch und die Pro-
cente pk der einzelnen Bestandteile aus.
Zur Berechnung der theoretischen Werthe nach jener Formel
wurden folgende Werthe zu Grunde gelegt.
As
Sb
s
Bi
Mo
Zn
Mn
Fe
Co
Ni
Cu
Pb
Äg
Hg
Sn
Nach der Wo estyn' sehen Formel wurde für die obigen Mi-
neralien die spec. Wärme berechnet. Die chemischen Analysen
wurden aus der Mineralchemie von .Rammeisberg entnommen;
dabei steht der Name des betreffenden Analytikers.
»»
<V
Temp.
Beobachter.
74.90
0,0830
2°— 68°
Bettendorff u. Wüllner
119,60
0,0495
0—10
Bunsen
31,98
0,1764
15—97
Regnault
207,50
0,0298
9—102
Bede
95,90
0,0659
5—15
Delarive u. Marcet
64,88
0,0929
50
Naccari
54,80
0,1217
14—97
Regnault
55,88
0,1113
50
Naccari
58,60
0,1067
»
n
58,60
0,1090
;;
;?
63,18
0,0932
n
»
206,39
0,0304
7}
>
107,66
0,0556
V
;?
199,80
0,0331
»
7)
117,35
0,0545
0—100
Bunsen.
Beitrag zur Kenntniß dei specifischen Wärme der Mineralien. 319
Arfvedson
Stromeyer
Behnke
Arzruni
Behnke
M'Cay
Jäckel
Kobell
M'Cay
id/
id.
id.
Bull
Grenth
id.
id.
Frenzel
Bodemann
Analysen.
Mang anblende, Nagyag.
S Mn
137,9 |62,1 |
Arsenkies, Freiberg.
S As Fe
21,08:42,88136,04
20,38144,83 34,32
20,83:44,11135,06
Arseneisen, Breitenbrunnen.
S As Sb Fe
1,10169,85! 1,0527,41!
6,73:61,40j — 31,20|
Kobaltglanz , Tunaberg.
CoAsS
Speiskobalt, Schneeberg.
S As Co Ni Fe
0,4966,06;21,21| — 11,60
— 72,08; 9,44 — 18,48
1,38 71,5318,07 1,02 7,31
0,73 75,40 3,42J11,90 7,50
1,32 76,0012,61: 3,05 5,22
1,80 74,35 13,80' 3,60 5,05
— 75,85 3,3212,04 6,52
Cu
8,41
0,01!
0,39!
0.60!
1,20
0,94
Speiskobalt , Frauenbreitungen.
Silber glänz , Schneeberg.
AgaS
Antimonsilber, Andreasberg.
Ag8Sb
Ag8Sb
Arsenkupfer , Lake Superior.
As Cu Ag
12,28
16,72
29,25
28,39
87,48
82,35
70,68
72,02
0,04
0,30
Spec.
ber.
Wärmen
sef.
0,1424| 0,1392
0,1129
0,1119
0,1124
0,0915
0,0982
0,1030
0,0864
0,1094| 0,0991
0,0919
0,0905 ,
0,0910
0,0898^0,0866
0,0896 1
0,0905 ]
0,0899
— 0,0830
0,0712| 0,0746
0,0546
0,0540
0,0919
0,0914
0,0902
0,0903
0,0558
0,0949
Buntkupfererz , Bristol (Connecticut)
S Cu Fe
|25,59|62,64jll,67( 0,1167| 0,1177
320
Alfonso Sella^
Bournonil , Neudorf
Rose
Linding
Bromeis
id.
Rammeisberg
Rose
Rethwisch
Bonsdorff
Petersen
Rethwisch
id.
Sander
Schindling
Rose
Kuhlemann
Tschermak
S
20,31
19,63
18,99
19,49
20,15
Sb Pb
26,2840,84
25,68 41.38
24,82 40,04
24,6040,42
24,54141,83
Cu
12,65
12,68
15,16
13,06
13,48
Spec
ber.
0,0730 )
0,0722
0,0728
0,0728
0,0730 !
Wärmen
gef.
0,0730
Proustit , Joachimsthal.
S As Sb Ag
|19,51|15,09| 0,69|64,67|
Pyrargyrit , Freiberg.
S Sb As Ag
|17,9B|18,58| 2,62|60,63|
Pyrargyrit , Andreasberg.
As
0,0833| 0,0807
0,0769| 0,0757
0,0757
0,07611 0Q754
0,0756 ( U'U'°4
0,0769
0,0989
0,1016 (00qo7
0,0999 ' '
0,1032
Enargit, Sierra Famatina.
S As Sb Cn Fe Zn Pb
|13,80|16,59|2,51|47,75|1,21|0,44|0,70| 0,1158| 0,1202
S Sb
17,78123,26
17,7022.35
17,65 22J36
17,99118,63
1,01
3,01
Fahlere
Ag
58,96
58,03
59,73
60,78
Clausthal.
s
Sb
Ag
Cn
Fe
Zn
24,10
25,63
24,73
25,54
26,80
28,52
28,24
27,64
8,90
5,13
4,97
3,18
35,70
33,14
34,48
34,59
4,50
2,73
2,27
6,23
0,90
5,77
5,55
3,43
Zinnkies , Whealrock St. Agnes.
S
Sn
Cn
Fe
Cn
Klaproth
Kudernatsch
Mallet
Rammeisberg
30,50
29,95
29,51
29,83
26,50
25,81
26,90
27,34
30,00
29,69
29,23
29,83
12,00
12,57
6,74
5,08
1,79
7,271
7,7l|
0,1104
0,1110
0,1086
0,1084
0,1088
Aus der vorstehenden Tabelle folgt, daß das Woestyn'sche
Gresetz ziemlich gut der "Wahrheit entspricht, wenigstens mit je-
ner Annäherung, mit welcher ähnliche physikalische Gesetze als
geltend angesehen werden. In den Fällen, wo ein größerer Werth
gefunden worden ist, kann man wohl eine eventuelle Unreinheit
Beitrag zur Kenntniß der specifischen Wärme der Mineralien. 321
des Materials in Betracht ziehen, welche in nnserem Falle, wo
wir es mit Sulfiden . zn thun haben , beinahe stets auf eine Zu-
nahme des Werthes der spec. Wärme führt (z. B. wenn Oxydation
oder Beimengung von Grangmineralien, d. h. Silicaten , Kalkspath
etc. oder noch ein kleiner Wassergehalt vorhanden ist). Auffal-
lend kleiner als die berechneten sind aber die gefundenen Werthe
für Speiskobalt, Kobaltglanz, Arseneisen, Arsenkies. Stellt man
damit zusammen den für den Pyrit von Jolly gefundenen Werth,
welcher dem Regnault' sehen sehr nahe kommt, so würde man
folgende Reihe erhalten:
FeS2 0,131
FeAs2 0,0864
CoAsS 0,0991
FeCoNi(As6) 0,0866
FeAsS 0,103.
Nimmt man aber an , daß dem Eisen , Kobalt und Nickel in den
Zusammensetzungen dieselbe speeifische Wärme wie im freiem
Zustande zukommt und berechnet aus den gefundenen specifischen
Wärmen von Pyrit und Arseneisen den sozusagen theoretischen
Werth der spec. Wärme für Schwefel und Arsen, so erhält man
für die übrigen von den obigen Verbindungen :
her.
gef.
FeAsS
0,1028
0,103
CoAsS
0,1013
0,0991
FeCoNiAse
0,0860
0,0866
Dadurch wird also die Uebereinstimmung befriedigend; dieses Er-
gebnis besagt übrigens nichts anders als das Neumann' sehe
Gesetz.
Zum Schluß theile ich eine Tabelle der bisher beobachteten
spec. Wärmen der zur Classe der Sulfide gehörenden Körper mit.
Die berechneten Werthe folgen aus den den Mineraliennamen bei-
gefügten Formeln, außer für Geokronit, Fahlerz, Enargit, für wel-
che die Analysen von Nordenskiöld, Rose, Tschermak
benutzt worden sind.
322 Alfonso Sella, Beitrag zur Kenntniß der specifischen Wärme etc.
Formel
Bäg-
nault
Neu-
mann
Kopp
Jolly
Oe-
berg
Sella
ber.
Realgar
AsS
0,1111
0,1109
Auripigment
Asa S8
0,1132
0,1195
Antimonit
SbaS8
0,0840
0,0907
0,0858
Bisrautit
Bi2S8
0,0600
0,0573
Molybdaenit
MoS2
0,1233
0,1067
0,1101
Sphalerit
ZnS
0,1230
0,1145
0,1200
0.1154
0,1205
Manganblende
MnS
0,1392
0,1419
Troilit
FeS
0,1357
0,1350
Schwefelkobalt
CoS
0,1251
0,1313
Millerit
NiS
0,1281
0,1328
Magnetkies
Fe7S8
0,1602
0,1533
0,1370
Eisenkies
FeS2
0,1301
0,1275
0,126
0,1315
0,1460
Strahlkies
FeSa
0,1332
0,1460
Arsenkies
Fe AsS
0,1012
0,121
0,103
0,1111
Arseneisen
Fe As2
0,0864
0,0907
Kobaltglanz
Co AsS
Fe Co As2 S2
Co As2
0,107
0,0920
0,097
0,0991
0,1094
0,1102
0,0897
Speiskobalt J
Ni As2
FeCoNiAs6
0,0848
0,0900
0,0902
Kupferglanz
CuaS
0,1212
0,120
0,1100
Bleiglanz
PbS
0,0509
0,053
0,049
0,0520
0,0500
Silberglanz
Ag2S
0,0746
0,0746
0,0712
Antimonsilber
Ag2Sb
0,0558
0,0534
Arsenkupfer
Cu3 As
0,0919
0,0903
Zinnober
HgS
0,0512
0,0520
0,0517
0,0529
Kupferkies
Cu Fe S2
0,1289
0,131
0,1271
0,1291
0,1278
Buntkupfererz
Cu3FeS3
0,1177
0,1195
Bournonit
PbS3CuSb
0,0730
0,0722
Proustit
Ag3AsS3
0,0807
0,0832
Pyrargurit
Ag8SbS8
SnS
SnS2
0,0837
0,1793
0,0755
0,0758
0,0806
0,0975
Geokronit
0,066
0,0660
Fahlerz
0,0987
0,0999
Enargit
0,1202
0,1158
Zinnkies
Cua Fe Sn S4
0,1088
0,1086
Es sei mir zum Schluß gestattet, Herrn Prof. Voigt, welcher
mich mit Rat und That unterstüzt hat, und Herrn Prof. Lie-
bisch, welcher mir das Material für die Beobachtungen freund-
lichst zur Verfügung gestellt hat, meinen innigsten Dank auszu-
sprechen.
Rom, November 1891.
G. Frobenius, Potentialfunctionen etc. 323
Ueber Potentialfunctionen, deren Hesse'sche
Determinante verschwindet.
Von
G. Frobenius in Zürich.
(Vorgelegt von Herrn F. Klein).
Sind die drei partiellen Ableitungen erster Ordnung einer
Potentialfunction nicht von einander unabhängig, so stellt die
zwischen ihnen bestehende Gleichung, falls man jene Ableitungen
selbst als Coordinaten betrachtet, eine Minimalfläche dar. Für
diesen interessanten Satz, welchen Herr Weingarten vor kur-
zem (1890) in diesen Nachrichten hergeleitet hat, will ich hier
einen anderen Beweis entwickeln uud zugleich einige weitere mit
dieser Untersuchung zusammenhängende Ergebnisse mittheilen.
§ L
Seien xv x„ x3 drei von einander unabhängige Veränderliche,
s eine Function derselben , sa = - — und sa* = s#a = -r — -^ — .
oxa oxa 0X$
Wenn die Hesse'sche Determinante von 5 verschwindet
(1) | s.ß\ = 0, (a,ß = 1,2,3)
so besteht zwischen sv s2, s3 eine Gleichung
(2) 0(8» S2, 8$) =0.
Betrachtet man dieselbe als die Gleichung einer Fläche, so be-
zeichne ich die Richtungscosinus ihrer Normale im Punkte sv s2, ss
dp
mit rv rw r3 und setze rap = -~-A Da die Coordinaten sa der
Punkte dieser Fläche als Funktionen von drei unabhängigen Va-
riabein Xß dargestellt sind, so wird die Veränderlichkeit der
Größen sa im allgemeinen nicht beschränkt, wenn man zwischen den
Größen Xp eine willkürliche Gleichung annimmt, z. B. eine dersel-
ben als constant betrachtet. Ist nun sa -f- ds« der unendlich nahe
Punkt von 5« auf einer Krümmungslinie der Fläche (2) , und ist
q der zugehörige Hauptkrümmungsradius, so bestehen die Glei-
chungen
(3) gdr-ds* = 0, 2 (q ra* - 8a(t) dx? = 0 (« = 1, 2, 3).
Da man diesen drei homogenen linearen Gleichungen zwischen
324 G. Frobenius,
den Differentialen dxß auch dann genügen kann , wenn das Diffe-
rential einer willkürlichen Function der Größen Xß verschwindet,
so müssen in dem System ihrer Coefficienten alle Determinanten
zweiten Grades Null sein. Es muß also auch die Summe der
drei Hauptunterdeterminanten verschwinden
{Qr2i-s22)(Qr33-s33) - (Qr28- s23)(Qr32- s32)
+ {Qr33-s33)(Qrn-sn) - fcr^— «J.feiy- s„)
+ (Qrn-su)(Qr2*-s22) - (Qr12-s12)(Qr2l-s2l) = 0.
Bezeichnet man die linke Seite dieser Gleichung mit
(4) ag*-c'Q + V = 0, .
so ist
= 0 n + r22 + rn) (sn + s22 + s33) - 2Jraß sßa.
Setzt man also zur Abkürzung
(5) a = rn + r22 + r33, b = sn + s22 + s33,
so ist
(6) 2 r aß $*„ = äb~c.
Differentiirt man aber die Gleichung
(7) Er asaß = 0
nach Xßy so erhält man
Zra(isaß + 2rasaßß = 0,
a a
also weil saß = Sßa ist,
a,ß a U>ba
und mithin
" ÖXa ÖXa
oder
(8)
c,_.E8Q>ra)
Ist nun s eine Potentialfunction, also b = 0, so ist auch c' = 0,
und folglich stellt nach Formel (4) die Gleichung 0 = 0 eine
Potentialfunctionen, deren Hesse'sche Determinante verschwindet. 325
Minimalfläche dar. Es können nämlich in diesem Falle nicht etwa
alle Coefficienten der Gleichung (4) verschwinden. Denn da
(9) a = rnru
' 23' 32 "• *3J ^u ^11^*13 l^*H ^22 ^12 ^21 J
&'= «21*88
S23 + 533 SU S31 + *H 522 ~~ 512
ist, so ist
(10)
V-2V = Zsl?.
a,ß
Ist also s reell, so kann b' nicht zugleich mit b verschwinden.
Damit aber die Fläche (2) eine Minimalfläche sei, ist nicht
nothwendig, daß b = 0 ist, sondern wenn man
1 dl) 2* = *.%
setzt, nur daß b der partiellen Differentialgleichung Dcp = — acp
genügt. Diese kann man so integriren: Nach Gleichung (7) sind,
weil saß = 8ßa ist, die Functionen sp drei particuläre Integrale
der Differentialgleichung Dcp = 0, von denen zwei unabhängig
sind, und mithin ist ihr allgemeines Integral eine willkürliche
Funktion der Größen Sp Z. B. ist, da r$ eine Function der Coor-
dinaten sa ist, Dr^ = 0 oder
(12) Zrarßa = 0.
a
Bezeichnet man die Unterdeterminanten der Determinante (1) mit
Saß, so ist den Gleichungen (7) zufolge SUß = Jcrarß, und weil
(13) Sri = 1
«
ist, b' = ZSaa = k, also
(14) Saft = VraVß.
Nun sind aber Sn, Sn, S31 die drei Determinanten, welche sich
aus den partiellen Ableitungen erster Ordnung der beiden Func-
tionen s2 und s8 bilden lassen, und mithin besteht zwischen ihnen
die Gleichung E -^ = 0 oder U ^ " — = 0 ; also weil nach
ÖXa ÖXa
dr
Gleichung (12) 2>ß — -1- = 0 ist, ergiebt sich
uxa
2d-&ti = 0, BV = -aV.
öXa
Daher ist
326 G. Frobenius,
M <v) < I + l
** r<* ~ÄZ = 17 ~ ~T + ~7r
öXa 0 Q Q
die Summe der beiden Hauptkrümmungen. Soll nun b der Be-
dingung c = 0 oder Db = —ab genügen, so ist D f y,J = 0,
und mithin ist t? eine Function der Coordinaten sa. Setzt man
6
also eap = 0 oder 1, je nachdem a = ß ist, oder nicht, so erhält
man den Satz :
Verschwindet die Hesse'sche Determinante | saß | einer Func-
tion s von 'drei Parametern, so besteht zwischen ihren partiellen
Ableitungen erster Ordnung sa eine Gleichung. Damit dieselbe
eine Minimalfläche darstelle, ist nothwendig und hinreichend, daß
die Summe der reciproken Werthe der beiden Wurzeln der Glei-
chung — | saß — A eaß | = 0 eine Function der Coordinaten sa ist.
Der Coefficient a in der Gleichung (4) läßt sich in ähnlicher
Weise darstellen, wie nach Formel (8) der Coefficient c. Mit
Hülfe der Gleichung (12) erhält man nämlich
Da = JBra%& = 27rÄ = -Er^r^ = - «« + 2a'
a,ß OXa OXß { '
und demnach
ZdJfA = 2a, Da = 2a'-»2.
a OXa
Da endlich der Gleichung (4) zufolge -tt und jt Functionen der
Coordinaten stt sind, so ist D (jj-j = 0 und D(-jt-) = 0, und
mithin ergeben sich die Formeln
(15) Da' = - aa', Db' = - ab', De' = - ac',
Da = 2a'— a2, Db — c' — ab, De = — ac.
Die letzte, welche ich der Vollständigkeit wegen mit aufgeführt
habe, bezieht sich auf eine Größe c, die ich erst später benutzen
werde, und die so definirt ist: Aus der Gleichung (13) folgt
(16) UraVap - 0
a
und daraus in Verbindung mit (12) 2ra(raß —rßa) = 0,* also1)
1) Sind die Größen ra drei beliebige Functionen der Variabein xSi so hat
Potentialfunctionen, deren Hesse'sche Determinante verschwindet. 327
' •• * so »oi » <• 13 21
/■* rj\ ' »8 '88 ' 31 IS __ ' 1» ' 81 . - •
ri ' a 's
so daß
(18) c = r, (rM - rM) + ra (r81 - r J + r3 (Vlf - r21) ,
ca = (r„ - r,,)1 + (rfl - r18)8 + (rM - rw)'
ist. Aus der identischen Gleichung
dfca-O , a(ysi~ris) + d(r„-r21) ^ 0
öa?t dx2 dxs
ergiebt sich daher die Relation De = — ac. Aus den Gleichun-
gen (15) leitet man die wichtigen Beziehungen ab
Der nämlichen Differentialgleichung Dcp = 1 genügt auch jede
der beiden Wurzeln der Gleichung a'Aa— ak + 1 = 0, sowie auch
der Ausdruck 2Jraxa.
§ 2.
Da man aus der Gleichung c' = 0 nicht schließen kann, daß
& = 0 ist, so genügt der entwickelte Satz noch nicht zur Lösung
der Aufgabe, alle Potentialfunctionen zu finden, deren Hesse'sche
Determinante verschwindet. Um dies Ziel zu erreichen, stellt
Herr Weingarten folgenden weiteren Satz auf:
Ist Jcp der zweite Differentialparameter der Function q>(svsi,ss)
für die Fläche O = 0, so ist
(1) t = 27 s« xa — s
eine Function der Coordinaten s„, welche der Gleichung 4t = 0
genügt.
Für den zweiten Differentialparameter hat Herr Beltrami
(Math. Ann. Bd. 1, S. 581) den Ausdruck
^ = Z*3> - 27r.r,/2- - (^ ♦ 4) »„ £
T dsl p ds« dsp \q q / ds„
der Pfaffsche Differentialausdruck Zradxa die Klasse 1, wenn die drei Größen
raß~rßa verschwinden, die Klasse 2, wenn dies nicht der Fall ist, aber die Größe
ctzsr^rjg-fs^ + r,^— r18) + r,(r18— r„) = 0 ist, und die Klasse 3, wenn c von
Null verschieden ist. Der Gleichung (17) zufolge hat der oben untersuchte Aus-
druck niemals die Klasse 2.
Nachrichten von der K.G. d. W. m (iftttingen. 1891. Nr. 10. 24
328 G- Frobenius,
angegeben. Benutzt man die drei linearen Differentialparameter
(2)
dm _
OSa ß '
dq)
ds/t
so kann man diese Gleichung auf die elegante Form
(3) 4<p = 2J4l<p
bringen , wie ich nächstens in einer ausführlicheren Arbeit darle-
gen werde. Das Zeichen z/«g> bedeutet hier z/tt(z/a<p), d.h. die
Operation Aa soll auf den Ausdruck 4a<p angewendet werden.
Der Beweis des oben ausgesprochenen Satzes beruht auf der fol-
genden identischen Gleichung (vgl. Borchardt, Crelle's Journ.
Bd. 30, Seite 44,(9)):
Ist | Xeaß— aap | = A3— aA2 + a'A — a" die charakteristische De-
terminante der bilinearen Form /"== 2Jaap uaVß, und ist f° = 2Jmvx,
/"' = E-J--J-. so ist die adiungirte Form von f
(4)
f'-af+a?
Wendet man diesen Satz auf die quadratische Form UsaßUaUß an,
deren adjungirte Form 2JS((ßUaUß = b'(Erctuc)2 ist, und setzt man
(5) s'aß = 27««i*/u'i
so erhält man
(6) Zs'apUaUß = 2J(Zsaßußy = b 2saßuau*-b' Zul + V [Sraua)\
a ß
oder wenn man u„ durch dxa ersetzt,
(7)
Sdsl — b Edsadxa - b' Edxl + V (Zra dxa)\
dt
Setzt man nun — = fe, so folgt aus dt = Zxadsa = 2Jtadsc<
und £ruds« = 0, daß xa—ta — pra ist, wo p ein Proportionali-
tätsfactor ist. Daher ist
also
(8)
Jat = ta — ruErßtß = xa—pra—raUrß(xß-prß),
4at = xa — ra2ra$ß.
ß
Zu demselben Resultat gelangt man mittelst der Formel
Potentialfunctionen, deren Hesse'sche Determinante verschwindet. 329
die sich aus der Gleichung (6) und den Relationen
dw ^ dop dg
dxu i ' dSj ' * ' dxi
df -Es.,* S..,^-**.,^
Setzt man EraX* = r, so ist, wie oben bemerkt Dr = 2?«-^ — = 1-
oxa
ergiebt
Set:
Da ferner Uras((ß = 0 ist, so ist
¥M. i Sb'J.^.Q = i2*S£^J^&E£t± =
« oxu «,i ' ax.i
3b — b — brZraa— 2Jsua + r äs^ r((i ,
also nach (5) und (6) § 1
(10) VAt = b-c' (Zraxa) ,--£- = E~^r~'
Ist also b = 0 und demnach auch c' = 0, so ist auch d 1 = 0.
Nunmehr lassen sich die Sätze des Herrn Weingarten um-
kehren. Seien sv s2, s3 rechtwinklige Coordinaten, sei 0 (sv s2, ss) = 0
die G-leichung einer Fläche und t eine beliebige Function der
Coordinaten 5«. Berechnet man dann aus den vier Gleichungen
ta + pra — xu und & = 0 die vier Größen sa und p , und setzt
man die erhaltenen Werthe in den Ausdruck 5 = Esaxa — t ein,
so wird 5 eine Function der Variabein x((, deren partielle Abiei-
ds
tungen — = sa sind, und der Gleichung <& = 0 zufolge ver-
oxa
schwindet die Determinante \ sttß |. Stellt nun die Gleichung
0 = 0 eine Minimalfläche dar, so ist c' = 0 , und genügt ferner
t der Differentialgleichung Acp = 0, so ist nach Formel (10) auch
b = 0, also ist 5 eine Potentiaifunction.
Will man allgemein die Transformation des zweiten Differen-
tialparameters durchführen, so ergiebt sich aus der Formel (9)
VA^^Zb^^-ZsJ^
K^J a äXa 0tß ' äXfl
weil
Z— (bJa(p -- Es«? Jfa)),
dsa(i _ düSqq _ db_
dxa dxp dxp
24
330 G. Frobeniu»,
st. Nun ist aber
also nach Formel (6) gleich
v dxa ß p dxß
Denn weil <p eine Function der Coordinaten 5« ist, so ist
*-£ - »•
Demnach ergiebt sich
§ 3.
Die Transformation des zweiten Differentialparameters läßt
sich auch durch einen besonderen Kunstgriff auf den bekannten
Satz von Jacobi (Gesammelte Werke, Bd. 2, Seite 196) zurück-
führen :
Ist 2Jaaß dxadXß ein quadratischer Differentialausdruck, dessen
Determinante A = | aap \ von Null verschieden ist , und ist Aap
der Coefficient von aap in dieser Determinante, so ist
-4=- 2-L \-L ZA ^2-1
\JA « dxa L sJa ß aß äxß J
eine dem Ausdruck zugeordnete Form, welche bei jeder Trans-
formation desselben invariant bleibt.
Da die Coordinaten sa der Gleichung 0 = 0 genügen , so
lassen sie sich durch zwei unabhängige Variabein px und p2 aus-
drücken, welche Functionen der Größen Xp sind. Sei p3 eine dritte
von jenen unabhängige Function dieser Großen und
(1) 2Jradxa = Zqadpa,
Dann ist, weil px und p9 Functionen der Coordinaten sa sind,
?% = *
Srar„ = 1,
dxadps
ZppL = o,
dxa dp,
_ dxa
mithin
Potentialfun ctionen, deren Hesse'sche Determinante verschwindet.
(2) ^r = *.'«•
331
Daher ist, weil ra von ps unabhängig ist,
dp,
dPi
(*•©-<£(*£)
öpx
öjPx dpt *8 aPl
also
(3)
a& = 0^3 a?a __ a?3
öp, " ' aPl ' ap, " " ap, '
a& = a^\
dp* ' dp/'
noch mehr zu vereinfachen, wähle ich p3 so, daß Dp,
(aber nicht nothwendig
Um aber die Darstellung
1 ist1),
setze also z. B. ps = 5-7 (vgl. (19) § 1). Dann wird
&
2a
dPs
dp3 dxa dp,
a#a a#« ap, a^3
und mithin sind den Gleichungen (3) zufolge qt und g2 von p3 un-
abhängig 2).
Ist nun Edsa = au dp] -f 2a12 ^ dp, 4- a22 dp2 , so geht der ter-
näre quadratische Differentialausdruck
(4) an dp\ + 2a13 dpx dp2 + a82 d^J + (27 g« djp«)1
durch Einführung der Variabein Xß in
(5) E s'aß dxa dxß -f- (2J ra dxa)*
über. Die Determinante des Ausdrucks (4) ist
«u + ff! a» + & ft ffi
ihre Unterdeterminanten sind
1) Die Größe p, ist von Herrn Weingarten mit r, von mir im vorigen §
mit p bezeichnet worden. Durch die Annahme pa = —7 wird die von Herrn
Weingarten, S. 322, aufgestellte Bedingung (16) erfüllt.
2) Die Klasse des Differentialausdrucks 2radxa ist also gleich 1 oder 8,
je nachdem qx dp, + & dp% ein vollständiges Differential ist, oder nicht, und kann
folglich nie gleich 2 sein.
332
G. Fr ob en i'us,
An $22 > ^12 ö12>
^"22 #11
man nun
As = «llft— ÖM01> ^23 = «12&-an2V
Demnach sind J., J.13 und Ä23 von #3 unabhängig Setzt
— d 1 [ dq> d<p~\ . d 1 T doo öool
(6) V^^^^^haJ-^ä^J+^^L-^äK + ^äJ'
so ist die dem Ausdruck (4) zugeordnete Form gleich
^* + \jä 1*, Vy/i ep,; + aP, v^ ^; r ap3 v^ ap,; j +
+ 4L^'a^öÄ+^öAöp3J'
also weuu <jp von ps unabhängig ist, gleich J<p.
Um die Determinante und die adjungirte Form des Ausdrucks
(5) zu berechnen, bemerke ich, daß
-1
,2, sa3 |2 = | Safl + rarri+ VuaUp
Xut lu2 lu3
Xut s'lt + rl Ktf+f* 4 + ^n
lu2 s'21+r2r1 s'n4r\ s'23+r2r3
au3 s3l + r3rx s32 -f f8 ^2 5'33 ~f~ ^'s
Daher ist die gesuchte Determinante das constante Glied und die
adjungirte Form der Coefficient von A2 in diesem Ausdruck. Die
Determinante ist folglich die Summe der Quadrate von 4 Deter-
minanten, von denen eine | $«* | = 0 ist. Eine der drei andern ist
| ra, sal, sa2 | = 2Sa*ru = b'r3Zrl
und die Summe ihrer Quadrate ist b'2.
Die adjungirte Form aber ist die Summe der Quadrate von
6 Determinanten. Drei derselben haben die Form
| w«, sal , sa2 | = 2JSaSUa = b'rzSraua)
die Summe ihrer Quadrate ist b,2(Uraua)2.
der drei übrigen Determinanten ist
Das Quadrat einer
«*1
r,
*ii
2
2:w2«
2
UaTa
2uasal
u2
r2
«21
=
Zuara
1
0
Us
r*
531
ZUaSax
0
£*£
und ihre Summe ist nach (10) § 1
(fc2 - 26') [Ä2 - (Zxa uuy] - 2 (2$a9 ua)\
p «
Potentialfunctionen, deren Hesse'sche Determinante verschwindet. 333
also nach Formel (6) § 2 gleich
(62 - V) [Hui - (£ra uay] - b SfyUtUp
Mithin ist die Determinante des Ausdrucks (5) gleich b"* und ihre
Unterdeterminanten sind die Coefficienten der Form
(7) (b* - b') Ual - b Zsafi uu Ui + (V* + b' - V) {2ra ua)\
Ist nun <p von ps unabhängig, so ist £ra ^*- = 0, und mithin ist
die Form (11) § 2 die dem Ausdruck (5) zugehörige Form.
§4.
Die vorangehenden Entwicklungen hängen, wie schon die
Gleichung (4) § 2 zeigt, aufs engste mit der Theorie der Ma-
tricen zusammen oder der Formen, wie ich sie in meiner
Arbeit Ueber lineare Substitutionen und bilineare
Formen (Crelle's Journal Bd. 84) genannt habe. Ist
| XE-A j = A3- ak% + a'X - a" = <p(X)
die charakteristische Function einer ternären Form A = Eattpiit<r-i.
so genügt A der Gleichung
(1) <p(A) = 0, A3-aA2 + a'A - a"E = 0.
Den Coefficienten a, den ich im Folgenden oft gebrauche, will
ich nach dem Vorgange des Herrn D e d e k i n d die Spur der
Form A nennen. Da a" die Determinante der Form A ist, so ist
o!'A~l ihre adjungirte Form, die ich mit A bezeichnen will. Aus
der Gleichung (1) ergiebt sich dann, wenn a' von Null verschie-
den ist,
(2) Ä = A2-aA + a'E.
Da aber beide Seiten dieser Gleichung, welche mit der Formel
(4) §2 übereinstimmt, ganze Functionen der Coefficienten auH sind,
so gilt sie auch, wenn a" = 0 ist.
Im Folgenden handelt es sich nun um die Beziehungen zwi-
schen den drei Formen
R =
und denen, welche durch Zusammensetzung aus ihnen entstehen.
Von diesen Formen ist S symmetrisch und T alternirend.
Bezeichnet man die conjugirte Form von R mit TT, so ist
nach (17) § 1
fll
r*
v
'*u
*tl
V
0
r,
-*%
'«
r~n
'..
, s =
*«
*«
^88
, t±
-•"•
ö
rx
r«
's.
^38,
>»«
*H
*.s.
r*
-*l
0
334 Ö. Frobeniug,
(3) R-Rf = cT.
Nach Satz (1) genügen diese Formen den Gleichungen
(4) R9-aR2 + a'R = 0, S*-bS2 + 6'fif = 0, T3 + T = 0.
Die adjungirte Form von T ist
' r\ rxr% rx
(5) E+ T2 = rart r\ r,
Nach den Formeln (7), (12) und (16) § 1 verschwinden die Pro-
ducte R(E+T2), (E+T2)R, S(E+F) und (E+T*)S. Demnach
ist
(6) RT2 = TR = -.R, £T8= T8£ = -S.
Denselben Gleichungen zufolge können sich die Unterdeter-
minanten der Form R von den Elementen (5) nur um einen ge-
meinsamen Factor h unterscheiden, und mithin ist die adjungirte
Form von R
R = R2-aR + a'E = k(E + T*
Multiplicirt man diese Gleichung mit E -f T2, so erhält man nach
(4) und (6) o! = Je. Auf diesem Wege findet man die Gleichungen
(7) R* = aR + a'F, S2 = bS + VT2.
Die nämliche Methode kann man auch auf die Form
(8) X = QR + eS+rT+öT*
anwenden, wo q, tf, r, & willkürliche Constanten sind. Ihre Spur
ist
(9) f = qo, + 6b -2&.
Mithin ist
(10) X> = fX+gT>,
und ich werde zeigen , daß
(11) g(g, 6, t, &) = a'Q*-\-V6* + x2 + %<%+c'Q(> + CQT-~ a,Q&— be&
ist. Daß in dieser quadratischen Form die Coefficienten von
q2, <52, t2, &2, q&, öd, tfr richtig bestimmt sind, ergiebt sich aus
den Gleichungen (6) und (7). Es ist also nur noch nachzuweisen,
daß in den Gleichungen
RS+SR = aS + bR + c'T2
(12) RT+TR = aT+cT*
ST + ST = bT
Potentialfunctionen, deren Hesse'sche Determinante verschwindet. 335
die Coefficienten von T2 die angegebenen Werthe haben. Dies
folgt für die letzte daraus, daß ST + TS eine alternirende Form
ist, weil die conjugirte Form von AB gleich B'A' ist, und für
die vorletzte daraus, daß nach (3) BT + TR' = BT + TB-cF
eine alternirende Form ist. Um endlich die erste Gleichung dar-
zuthun , genügt die Bemerkung, daß die Spur l) von BS und von
SB nach (6) § 1 gleich 2rapSpa = ctb — c' und die von T2 nach
(5) gleich — 2 ist. Ein specieller Fall der Formel (10) ist die
G-leichung
(9B-Sy = (a<>->b)(QR-S) + (a'Q'-c'Q + V)T2,
welche die Grundlage des in § 1 geführten Beweises bildet.
Nach Gleichung (10) haben sämmtliche Formen der Schaar
qB -f- öS + r T + frT2 (von einem scalaren Factor abgesehen) die-
selbe adjungirte Form E + T2, und eine leichte Abzahlung zeigt,
daß umgekehrt alle Formen, die den Bedingungen X(E + T2) =
( E -f- T2) X = 0 genügen, in dieser Schaar enthalten sind. Die
Unterdeterminanten der Derminante dieser Formenschaar sind alle
durch die quadratische Form gfe, 6, t, fr) theilbar, und unter-
scheiden sich von einander nur durch Factoren, die von q, 6, r, -fr
unabhängig sind. Da aber ein Product von beliebig vielen der
Formen B, S, T den nämlichen Bedingungen genügt, so lassen
sich alle diese Producte aus vier unter ihnen linear zusammen-
setzen. Die dazu nöthigen Formeln kann man so erhalten.
Differentiirt man die Gleichung Z!sa?,rx = 0 nach xp, so er-
hält man SSgirxß = —£saßxrx. Mithin ist die Form SB sym-
metrisch
(13) SB = BS
Ebenso ist ST— TS symmetrisch und auch BT— TB, weil nach
(3) BT- TB = -TB + B'T ist. Nach (12) ist
(ST-TSy = (2ST-bT)(-^2TS + bT) = 4(S2-bS)-b2 T2,
und auf diesem Wege findet man die Gleichungen
(14) (ST-TS)2= -(b2-4b')T2, (BT-TB)2= -(a8 + c'-4a')r.
1) Die Formen AB und BA haben immer dieselbe Spur. Sind nämlich zu-
nächst die Coefficienten von B willkürliche Größen, so sind die Formen BA und
AB = B~l (BA)B ähnlich, haben also beide dieselbe charakteristische Function.
Da aber deren Coefficienten ganze Functionen der Coefficienten von B sind , so
haben AB und BA auch dann dieselbe charakteristische Function, wenn die De-
terminante von B verschwindet.
336 G. Frobenius,
Da die Wurzeln der Gleichungen
| saß - leaß | = 0 und | raß -f rßa — Xeaß | = 0
reell sind, so sind b2 — 4bf und a2 + c2— 4a' positiv. Ferner er
giebt sich mittelst der Formeln (12) und (13)
(ET- TB) (ST- TS) = (2BT-aT-cT2)(-2TS + bT) m
2(2R-cT)S-2(aS + bR) + bcT-abT
= 2(B + B')S-2(BS + SB-c'T2) + bcT-abT2 = bcT-(ab-2c')T2
und mithin, indem man auch zu den conjugirten Formen übergeht,
(15) (BT- TB) (ST- TS) = bcT-(ab-2c')T2
(ST-TS)(BT-TB) = -bcT-(ab-2c')T2.
Endlich ist
T(ST-T$) = T(-2TS + bT) = 25 + 6T2,
und indem man auch zu den conjugirten Formen übergeht, erhält
man die Relationen
(16) T(ST-TS) = -(ST-TS)T = 2S +bT2
T(BT-TB) = -(BT-TB)T = 2B-cT+aT2.
Multiplicirt man also die erste der Gleichungen (15) links mit T
und rechts mit ST— TS, so findet man
(17) bc(ST-TS)= -(b2-4b')(2B-cT+aT2) + (ab-2c)(2S+bT2).
Multiplicirt man die zweite jener Gleichungen links mit T und
rechts mit BT— TB, so findet man
(18) bc(BT- TB) = -(ab-2c')(2B-cT+aT2)+(ai+c2--Aa^2S+bT2).
Ferner ist
2SB = SB + B'S = (SB + RS) - cTS
und mithin nach (12) und (17)
(19) bSR = b'(2R-cT + aT2) + (ab-c')S.
Endlich ist R'R = R2-cTR und folglich nach (7), (12) und (18)
(20) IB'B = c'(2B-cT + aT2) + (a2 + c2~±a')S-ba'T2.
Aus der identischen Gleichung
(S2-bS)B'B + S\B2-aB) = S(SB'+ SB-aS-bB')B
ergiebt sich mittelst der Formeln (3), (7), (12) und (13) ;die Re-
lation
(21) VB'B-c'SB + a'S2= 0.
Potentialfunctioiien, deren Hesse'sche Determinante verschwindet. 337
Da die Spur von TB nach (12) gleich — c ist, so ist die von
R'B = B*-cTB = aB + a'T*-cTB gleich a* + c2-2a'.
Die Spur von S* = bS+b'T2 ist b*-2V, und die von S£, wie
schon oben erwähnt, gleich ab—c'. Daher ergiebt sich aus der
letzten Formel die merkwürdige Relation
(22) c^-Aa'V + b2a'-bac' + (a* + c*)b' = 0,
(b2-4b'){a2 + c2-Aa') - {ab-2c')2 = b*c2.
Betrachtet man die symmetrischen Formen als quadratische For-
men mit den Variabein dxa, so erkennt man in der symbolischen
Beziehung (21) die für die Theorie der Flächen wichtige Glei-
chung (vgl. Weingarten, Sitzungsberichte der Berl. Akad.
1886, S.83)
(23) V Udrl-c'2JdrC( dsa + a' Udsl ,
in welcher die Coefficienten dieselben sind, wie in der Gleichung
(4) § 1.
Mit Hülfe der entwickelten Formeln lassen sich nun die For-
men B, S, T und die Producte von beliebig vielen derselben alle
durch vier unter ihnen linear ausdrücken. Setzt man
(24) U = 2S + bT2, V = ST- TS, k = 63- Ab',
so erhält man für jene Beziehungen die besonders einfachen For-
meln
(25) U* == V1 = -IT, UV = - Vü == IT,
TV = -VT = U , ÜT = -TU = V,
oder es bestehen zwischen den vier Formen
e/0 = — T , Jl = T, J j = 77== U, J3 =
dieselben Relationen, wie zwischen den Einheiten der Quaternio-
nen. Da
(26) 2S = U-bT2, 21cB — k{cT-aT%) + {ab-2c')U-bcV
ist, so läßt sich die quadratische Form (11) durch eine reelle
Substitution in eine Summe von 2 positiven und 2 negativen Qua-
draten transformiren
338 GK Frobenius, Potentialfunctionen, etc.
(27) 4^(9,^r^)=[a(>+^-2#]a+[cp+2T]*~i[(a6-2c>4-H2-^V^
oder sie hat den Trägheitsindex 2 (während die analoge quadra-
tische Form in der Theorie der Quaternionen eine Summe von 4
Quadraten ist). Die nämlichen Formeln (25) erhält man, wenn
man
(28) ü = 2R-cT+aT2, V=RT-TR, h = a2 + c2 - 4a'
setzt. Daß die 4 Formen T, T2, ü, V linear unabhängig sind,
ist leicht zu sehen. Denn ist aT + ßT2 + yU -f öV = 0, so muß,
weil T alternirend, T2, U und V symmetrisch sind, a = 0 sein.
Multiplicirt man nun die Grleichung mit T, V oder U, so erkennt
man durch denselben Schluß , daß auch ß, y und d verschwinden.
Der Relation (10) zufolge genügt die Form X der Gleichung
(29) X*-fX* + gX = 0
und hat demnach die charakteristische Function
(30) | qR + 08 + rT+ &T> + IE | — A3 + A2+#A = A^(p,tf,r,«— A).
Bildet man daraus die Grleichung , der die Form X + &E genugt,
so findet man nach (2) für ihre adjungirte Form den Ausdruck
(31) X + IE = g(E + T2) - X(X-fE) + A2J£.
Z. B. hat die Form
S2 + E + T8 = bS + (6' + 1)2" + E
die Determinante 6'2 und die adjungirte Form
(V' + V-b^r-bS + V'E,
wie in § 3 direct durch Eechnung gezeigt worden ist.
A. Schönflies, Theorie der algebraischen Formen. 339
Bemerkung zu Hilbert's Theorie der algebrai-
schen Formen.
Von
A. Schönflies.
(Vorgelegt von F. Klein).
Die folgende Note bezieht sich auf die unlängst von Herrn
Hubert aufgestellten fundamentalen Theoreme über Systeme
algebraischer Formen1). Wie Herr Hubert nachgewiesen hat,
führt die Aufgabe, alle linear von einander unabhängigen For-
men einer bestimmten Ordnung zu finden , welche in Bezug auf
einen gegebenen Modul (Fv Ft . . . Fm) der Null congruent sind,
d. h. also der Gleichung
F1X1 + F,X2 + ...+FmXm = 0
genügen, auf eine stets endliche Kette von ähnlich gebildeten
Gleichungssystemen , deren Zahl höchstens gleich der Zahl der in
den homogenen Formen F1} F2 . . . Fm auftretenden Variabein
Xt , x2 . . . xm ist. Die Gesammtheit der von einander linear un-
abhängigen Lösungen eines solchen Gleichungssystems , durch
welche sich jede andere Lösung linear so ausdrücken läßt, daß
die Coefficienten beliebige Formen von x1 . . . xn sind, heißt ein
volles Lösungssystem. Zur Kennzeichnung dieses Satzes
behandelt Herr Hubert im besondern den einfachen Modul
(xi, x2 . . . xn) und beweist für ihn den folgenden Satz:
Wird für die Gleichung
xtXt + x2X2 + '.'+xnXn = 0
die Kette der abgeleiteten Gleichungssysteme aufge-
stellt, so besteht allgemein das ste Gleichungssy-
stem dieser Kette aus (^ Gleichungen, während für
dasselbe die Zahl der zu bestimmenden Formen gleich
(") und die Zahl der Lösungen des vollen Lösungssy-
stems gleich (,£,) ist. Die Coefficienten der abgelei-
teten Gleichungen sind sämmtlich lineare Formen.
Der Beweis dieses Satzes wird in der Hilbertschen Arbeit
unter Benutzung desselben Gedankens geführt, welcher für den
1) Ueber die Theorie der algebraischen Formen, Math. Annalen , Bd. 36,
S. 473.
340 A- Scliönflies,
Beweis des grundlegenden Theorems III, das sich auf einen belie-
bigen Modul bezieht, benutzt worden ist, nämlich durch den Schluß
von n— 1 auf n. Es scheint bisher nicht bemerkt worden zu sein,
daß sich in diesem Fall die gesammte Kette der abgelei-
teten Gleichungen in expliciter Form direct ange-
ben läßt. Da dieses Beispiel eine gewisse principielle Bedeu-
tung besitzt, so erscheint es ganz erwünscht, die volle Kette der
zugehörigen abgeleiteten Gleichungssysteme unmittelbar übersehen
zu können; dieselbe möge daher hier mitgetheilt werden. Uebri-
gens unterscheiden sich diese Grleichungssysteme auch insofern
von denjenigen, welche im Hilbertschen Beweis auftreten, als die
in der Aufgabe liegende Symmetrie nach den Variabein x1} x2 . . . xn
den abgeleiteten Gleichungssystemen ausnahmslos erhalten bleibt.
Die Coefficienten dieser Gleichungssysteme, welche nach obigem
Satz immer lineare Formen sind , reduciren sich dabei auf die
Variabein xv x2 . . . xn selber, wie dies auch in dem von Herrn
Hubert behandelten Beispiel n = 4 der Fall ist.
Sind X und \i irgend zwei der Zahlen 1, 2 ... n und ist A <c ft,
so können die sämmtlichen (J) linear unabhängigen Lösungen,
welche das volle Lösungssystem von
1) xt Xx + *% Xt + •<'*+*. XB = 0
bilden, durch Gleichungen von der Form
X, = 0, X2 = 0, . . . XA = Xfi, . . . X, = -x,, . . . 2. = 0
dargestellt werden. Daraus folgt, daß sich jede Lösung der
Gleichung 1) in die Gestalt
Xx = 0 + aia x2 + • • • -f aln xn
2) X2 = an xx + 0 + • • • + a2n xn
Xn = «.,»i + an2x2 + • •• +0
bringen läßt, mit der Maßgabe, daß die Coefficienten ailt homogene
ganze Functionen von xt, x2 . . . xn von gleicher Dimension sind
und daß
ist. Jede Lösung ist nämlich aus obigen (2) Lösungen mittelst
der gleichen (£) Coefficienten zu bilden. Nun leuchtet ein, daß
von Null verschiedene Beiträge in jede Form Xt nur aus solchen
Lösungen eingehen, in denen Xt nicht Null ist; es können daher
in ihr auch nur diejenigen Coefficienten aih auftreten, die einen
Index l enthalten.
Theorie der algebraischen Formen. 341
Das abgeleitete Gleicbungssystem nimmt daher, wenn wir
außer den in dasselbe eingehenden ( J) Formen XAu (A <: ft) im In-
teresse der Symmetrie auch die Formen
in die Gleichungen aufnehmen, folgende Gestalt an :
0 + x2Xl2 + ... + xHXln = 0
3) xxXn+ 0 + ...+xnX2n = Q
x1Xnl + x2Xna + ..- + 0 =0.
Diesem Gleichungssystem genügt man nun in allgemeinster Weise
durch folgende (J) Gleichungen
4) 3* = ««*i + «tt2^2 + • • • + a^s,
mit der Maßgabe, daß die Coefficienten von xi und xk Null sind,
und daß alle Coefficienten aikl, welche in den Indices übereinstim-
men , dem absoluten Werthe nach einander gleich sind , während
das Vorzeichen in bekannter Weise davon abhängt, ob die be-
zügliche Permutation der Indices eine gerade oder eine ungerade
ist. Um dies einzusehen, betrachte man die Ite der Gleichungen
3), also
xx Xn + x2Xl2+. • • + xt_x Xhl_x + xm Xltl+l + • • • + xn Xln = 0,
denke sich die Werthe 4) eingesetzt, und betrachte diejenigen
Glieder, welche explicite den Factor x{xk enthalten, deren Coeffi-
cienten also , absolut genommen , gleich aiH sind. Diese Glieder
stammen nur aus Xu und Xlk, und zwar ist
Xu = amxt + ali2x2 + • • • + alikxk + • • • + alinxn
Xlk = alkix, + alk2x2 + • • • + alkix{ + • • • + alknxt.
Hieraus folgt nun, daß in dem Ausdruck
xkXli-hxiXlk
ein Glied mit xtxk nicht auftreten kann. Denn welches auch im-
mer die natürliche Reihenfolge der Indices i, k, l ist, so haben
die Permutationen lik und Iki stets verschiedenes Vorzeichen.
Damit ist die obige Behauptung erwiesen.
Die Gleichungen 4) geben diejenige Form an , in welche sich
jede Lösung des Gleichungssystems 3) bringen läßt. Diese Lösung
läßt sich nämlich, wie leicht ersichtlich, aus ( J ) einfachen Lösun-
gen zusammensetzen, von denen diejenige, welcher man das Sym-
bol (X(iv) ertheilen kann, durch
342 A- Schönflies,
5) Xuv = ± xkJ XvX = ± x^, X¥ = ± xv
characterisirt ist, während alle übrigen Größen Xik den Werth
Null haben, und zwar ist das Vorzeichen wiederum positiv oder
negativ, je nachdem die in der bezüglichen Lösung enthaltene
Reihenfolge der Indices einer geraden oder ungeraden Permutation
entspricht. In der That können ja in dem Ausdruck einer jeden
Lösung Xik von Null verschiedene Beiträge nur aus solchen Lö-
sungen 5) stammen, in denen X.k nicht selbst Null ist, es können
daher in ihm auch nur diejenigen Coefficienten a^v auftreten,
welche die Indices ih enthalten. Was endlich das Vorzeichen die-
ser Coefficienten betrifft, so muß es infolge der vorstehenden Be-
stimmungen genau dasjenige sein, welches den oben getroffenen
Festsetzungen entspricht.
In dieser Weise können die weiteren Grleichungs- und Lö-
sungssysteme ebenfalls direct angegeben werden. Das nächste
Gleichungssystem ist durch die (J) Gleichungen von der Form
6) xxXikx + x2Xik2+...+xnXihn = 0
in denen xi und xk fehlen, dargestellt, und man genügt ihm durch
Lösungen, welche sich in analoger Weise, wie oben, aus (£) Lö-
sungen
Xpvq = ±xn %vQ\ = ±^i XQhA = ±xv, X^v = ±x9
zusammensetzen , wo die Vorzeicheu wieder von der Art der be-
züglichen Indicespermutation abhängen u. s. w. Das vorletzte Glei-
chungssystem ist, wenn wir zur Abkürzung alle Formen, welche
aus X12...._v+1...n durch Permutation der Indices entstehen, durch
X! bezeichnen, von der Form
x, X'k + xk X'. = 0
und zwar ist jedes X[ wiederum als positiv oder negativ zu wäh-
len, je nachdem die bezügliche Permutation der Indices gerade
oder ungerade ist. Das Gleichungssystem besteht aus (J) Glei-
chungen, enthält n Formen, und läßt nur noch eine einzige Haupt-
lösung zu, nämlich
x; - *„ x> = Xl . . . xi = xn
so daß jede Lösung derselben in die Form
x; = Axlt x2 = äx2 . . . x'n = äxh
gebracht werden kann. Das letzte Gleichungssystem ist
xtX! = 0, x2 X' = 0 . . . xn X' = 0
und läßt keine Lösung mehr zu.
Theorie der algebraischen Formen. 343
Beispielsweise ergiebt sich für n = 4 folgende Kette von
Gleichungen. Der Gleichung
xx Xx + x2 X2 + x3 X8 + Xt X4 = 0
genügen sechs linear unabhängige Lösungen, so daß die allge-
meinste Lösung folgende Form hat
Xx = 0 + ax2 x2 + aX3 x3 + axl z4
X2 ■= atl xt + 0 + aM i», + «24 a?<
X4 = a41 xx + a42 #2 + a43 #3 + 0.
Diese Lösung führt zu folgendem Gleichungssystem für die sechs
Formen XAu
0 +s2Xlf+3,XM+a;,X14 = 0
0, X21+ 0 +#3 X23+ #4 X24 = 0
xx X31 + x2 X82+ 0 + z4 X34 = 0
xlXn+x%X„+x%XM+ 0 ==0
Die allgemeinste Lösung dieses Gleichungssystems ist
X12 = 0+0 +aX23xs + aX2,x,
XX3 = 0 + a132#2 + 0 + a134#4
X14 = 0 + aI42 x2 + a143 #3 + 0
X2s = «281^1+ 0+0 + a234#4
X24 = a241^+ 0 +a§tMx%+ 0
X84 = «i«aJi+o>«*i+ 0+0
und demgemäß ergiebt sich für die Formen X?,lv folgendes Glei-
chungssystem
X% -A-128 ~^~ *^4 -^124 == 0 #j A231 + X± A234 = U
x, X182 + z4 X134 = 0 xx Xul + #8 X248 = 0
x2 X142 + x3 X148 = 0 *, X841 + xt X843 = 0.
Diesem System genügt man nun durch
-^■128 == ^1234 ^4 5 X124 = ^1248^8? ^184 == ^1842 ^2 > ^284 == Ö2M1 ^1
so daß als letztes Gleichungssystem, das keine Lösung mehr zu-
läßt
XiM4 3«—0> XxmxB = 0, Xima, — 0, Z^ä.-bO
resultirt.
Kachrichten von der E. 0. d. W. in Göttingen. 1891. No. 10. 25
344 A. Schönflies, Theorie der algebraischen Formen.
Hiermit ist die oben ausgesprochene Behauptung dargethan.
Ich bemerke übrigens, daß man auf Grund der vorstehenden Ent-
wicklungen auch den im Eingang dieser Note angegebenen Satz
selbst erweisen kann. Man überzeugt sich nämlich leicht, daß
die (,+J Lösungssysteme des sten Gleichungssystems in allen Fäl-
len linear unabhängig sind , und daß weitere von einander li-
near unabhängige Lösungen nicht existiren können. Zu letzterem
Behuf könnte man übrigens auch die von Herrn Hubert für
jeden Modul angegebene characteristische Function % (B) benutzen.
Da nämlich offenbar jede Form der Bten Ordnung nach dem Mo-
dul (xt . . . xn) der Null congruent ist , so ist % (B) = 0 ; ande-
rerseits kann der allgemeinen Gestalt von % (B), deren Beschaffen-
heit sich auf Grund des allgemeinen Theorems III direct angeben
läßt, nur durch diejenigen Coefncienten genügt werden, welche
mit den im obigen &atz figurirenden Zahlen identisch sind. Dies
ist auch dann noch der Fall, wenn der Grad B der bezüglichen
Formen kleiner als n ist; in diesem Fall bricht zwar die Kette
der abgeleiteten Gleichungen vor dem wten Gleichungssystem ab,
die auf dasselbe bezüglichen Schlüsse werden aber dadurch in kei-
ner Weise tangirt.
Bemerkung über die Auflösung quadratischer
Congruenzen.
Von
Alberto Tonelli in Rom.
(Vorgelegt von Ernst Schering am 7. November.)
Auszug aus Briefen vom 18. April und 15. Juni 1891.
Das bekannte Verfahren zur allgemeinen Auflösung einer qua-
dratischen Congruenz für einen Modul, welcher eine von der Form
4Ä + 1 verschiedene Primzahl ist, habe ich in der Weise verall-
gemeinert, daß es auch auf Primzahlen dieser letzteren Form
anwendbar wird.
Wenn die Congruenz
xx = c (mod. p)
zur Auflösung vorgegeben ist und noch ein beliebiger quadratischer
Nichtrest g (mod. p) bekannt ist, so besteht dies Verfahren im
Folgenden.
Alberto Toneil i, Bemerkung üb. die Auflösung quadratischer Congruenzen . 345
Es sei p = a 2° + 1 , worin a ungerade s > 1 ist, dann wird
nach dem Eul er sehen Satze
^a-'s + l, g«2>->=E__1 (mod> p)m
Wenn noch s>2 ist, folgt aus der ersteren dieser beiden
Congruenzen die neue
ca2"l = ±l (mod. p).
Es sei nun s0 = 0 wenn das obere (+)Zeichen, et = 1 wenn
das untere ( — )Zeichen stattfindet, so daß immer
0«.«2-V«^s + l (mod. p)
wird. Wenn nun noch s > 3 ist , so folgt hieraus
gs0a2^ca2^=±1 (mod py
Gilt hier das obere (+)Zeichen, so setze ich £x = 0, gilt das
unter ( — )Zeichen, so setze ich st = 1, so daß immer
gel«2>->gs0u2-*ca2°-*- + 1 (m0(L p)
wird. Auf diese Weise erhält man die Congruenz
g***{*9 + sx2+ . . . -f *„&-*) c*2r*- »sl (mod> p)
so lange noch h < s ist ; also für h = s — 1 wird
gCc2(s0 + 812+ . . . +±*r*>emmi (m0(i. p)
und demnach
#= ±# v °^ * ^ ^ ' 2 yc * (mod. i>)
gesetzt, gibt die Wurzeln der Congruenz
xx = c (mod. p).
Aus dieser Lösung erhält man durch
fH ^-2^4-1
#, = # c 2 " (mod. .p )
eine allgemeine Auflösung der Congruenz
xx xt = c (mod. #*),
wie man sich leicht mit Anwendung des verallgemeinerten F er-
matschen Satzes und des Satzes überzeugt, daß wenn
a = 6 (mod. p) ist, auch al>'~~' =b^'1 (mod. px)
wird.
25*
346 p- Drudi und W. N ernst,
Diese Formeln für die Wurzeln sind nicht nur theoretisch
bemerkenswerth , sondern sie können auch in Fällen, wo andere
besondere Methoden ihren Dienst versagen, von praktischer Be-
deutung zur Berechnung der Wurzel der quadratischen Congru-
enzen sein.
Ueber die Fluorescenzwirkungen stehender
Lichtwellen.
Von
P. Drude und W. Nernst.
Es bietet ein erhebliches Interesse, die bekannten Untersu-
chungen Hrn. Wien er' s1) über die photographische Wirksamkeit
stehender Lichtwellen auch auf andere Erscheinungen, durch welche
Lichtbewegung objektiv zur Darstellung gebracht werden kann,
auszudehnen, und für möglichst verschiedene Arten derselben fol-
gende beiden Fragen zu beantworten :
1) Griebt es bei stehenden Lichtwellen Maxima und Minima
der Wirkungsweise?
2) Fallen bei ein und derselben stehenden Lichtwelle die
Maxima der Wirkung für die verschiedenen , zur Untersuchung
gelangten Erscheinungsklassen zusammen ?
Wirkungen des Lichtes sind auf vielen, recht verschieden-
artigen Gebieten beobachtet; außer der durch Belichtung hervor-
gebrachten Erwärmung , Fluorescenz , und der Erscheinung der
Hauchbilder , wie von Wiener erwähnt ist , möchten wir hier
noch die durch Belichtung hervorgerufene Entladung negativ
elektrisch geladener Körper, die Widerstandsänderungen des Selen's
oder Chlorsilbers 2), den Einfluß des Lichtes auf elektrische Funken-
entladung 8) und die photoelektrischen (Becquere l'schen4)) Ströme
nennen.
Die Schwierigkeit der Untersuchung stehender Lichtwellen
beruht hauptsächlich in zwei Punkten : einmal muß der Körper,
durch dessen Verhalten die Wirkung der Bäuche und Knoten der
stehenden Lichtwelle untersucht werden soll, dünn sein im Vergleich
1) 0. Wiener, Wied. Ann. 40, p. 203, 1890.
2) Sr. Arrhenius, Wiener Ber. 96, p. 831. 1887.
3) H. Hertz, Wied. Ann. 31, p. 983, 1887.
4) Ed. Becquerel, La lumiere, T. 2, p. 121, Paris 1868.
über die Fluorescenzwirkungen stehender Lichtwellen. 347
zur Wellenlänge des angewandten Lichtes, damit bei dem benutz-
ten lichtempfindlichen Körper nicht die Wirkung von Schwingungs-
bauch und Schwingungsknoten gleichzeitig vorhanden ist ; eine
andere Schwierigkeit wird durch die Herstellungsart stehender
Lichtwellen hervorgebracht. Eine stehende Lichtwelle wird erzeugt
durch die Interferenz zweier in entgegengesetzter Richtung sich
fortpflanzender Wellenzüge von gleicher Amplitude. Dies wird
mit großer Annäherung durch Reflexion des Lichtes an einem
Silberspiegel erreicht , da über 90 % des einfallenden Lichtes am
Silber reflectirt werden. Das lichtempfindliche Häutchen, wie
kurz der Körper genannt werden möge, an welchem irgend eine
Art der Wirkung stehender Lichtwellen untersucht werden soll,
muß nun nahezu dem Silberspiegel parallel liegen, damit sich ge-
nügend weit räumlich auf dem Häutchen der Wellenbauch von
dem Wellenthal trennt und zwar in einem Abstand von dem Spie-
gel, welcher um so kleiner sein muß, je weniger homogen die zur
Wirkung gelangende Lichtsorte ist, damit nicht der Schwingungs-
bauch und Schwingungsknoten für zwei Lichtstrahlen verschie-
dener Wellenlänge auf dem lichtempfindlichen Häutchen zusammen-
fallen und dadurch die Wirkung von Bauch und Knoten gar nicht
getrennt werden kann. Man wird daher das einfallende Licht
spectral zerlegen müssen , falls man den Abstand des Häutchens
vom Spiegel nicht beliebig klein machen kann. Enthält jede Stelle
im erzeugten Spectrum Licht von streng einerlei Wellenlänge und
Richtung so würde man den Abstand des Häutchens vom Spiegel
beliebig groß wählen können. Indeß kann man ein derartiges
Spectrum nicht mit genügender Lichtintensität herstellen , vor
Allem bei Erscheinungen , welche nicht , wie die photographische
Wirkung, durch längere Exposition verstärkt werden können.
Denn bei der gewöhnlichen Herstellungsart des Spectrums durch
Spalt, Collimatorlinse, Prisma und Sammellinse ist das Spectrum
nur für einen sehr schmalen Spalt hinreichend rein. Man wird
dem Spalt meist eine gewisse Breite geben, um überhaupt deutliche
Licht Wirkung zu bekommen und daher das lichtempfindliche Häut-
chen in sehr kurzen Abstand vom Silberspiegel bringen müssen.
Die große Nähe desselben verursacht experimentelle Schwierigkeiten
hauptsächlich für die Beobachtung der elektrischen Lichtwirkungen,
während die Herstellung eines genügend dünnen lichtempfindlichen
Körpers auch für diese Klasse von Erscheinungen wohl möglich
zu sein scheint. — Man könnte ferner stehende Lichtwellen er-
zeugen durch Reflexion an zwei Spiegeln , (am besten totalreflec-
tirenden Prismen), welche unter 45° gegen einen einfallenden
348 P- Drude und W. N ernst,
Wellenzug geneigt sind und sich einander zuwenden. In dem
Zwischenraum zwischen beiden Spiegeln würden sich stehende
Lichtwellen bilden. Bringt man das lichtempfindliche Häutchen
nahezu in die Ebene, zu welcher beide Spiegel symmetrisch liegen,
so würden auf ihm Schwingungsbauch und Schwingungknoten ge-
nügend weit räumlich getrennt werden können und zwar wäre
ihre Lage unabhängig von der Wellenlänge des angewandten
Lichtes. Letzteres brauchte daher nicht homogen zu sein, wohl
aber sehr streng von einerlei Richtung und daher wird auch diese
Methode zunächst auf Schwierigkeiten stoßen. — Eine dritte Un-
tersuchungsmethode der Wirkung stehender Wellen bietet sich
in der Totalreflexion, bei der man die Nähe eines Metallspiegels
vermeidet ; es wird davon weiter unten näher die Rede sein.
Von den erwähnten Lichtwirkungen haben wir zunächst nur
bei der Fluorescenz Resultate erhalten, welche für die Beobachtung
die bequemste ist und wobei wir uns in allen wesentlichen Punkten
an die Wien er' sehe Versuchsanordnung anschlössen. Als Licht-
quelle diente das elektrische Bogenlicht, welches, namentlich wenn
man die Kohlenspitzen in eine größere Distanz (etwa V« cni) von
einander bringt, sodaß ein großer Lichtbogen entsteht, die kräftig-
sten Fluorescenzwirkungen der zu Gebote stehenden Lichtquellen
besitzt. Das Bogenlicht wurde durch eine Dynamomaschine ge-
liefert, die Stromstärke auf 15 bis 20 Amp. regulirt, für gro-
ßen Abstand der Kohlenspitzen war durch Veränderung der
Regulirgewichte der Lampe Sorge getragen. Letztere befand sich
in einem anderen Zimmer, als der Beobachtungsraum, welcher völ-
lig verdunkelt werden konnte. Das Spaltrohr eines Spektrome-
ters war lichtdicht durch ein Loch in der Thüre des Beobach-
tungsraumes geschoben, der Spalt empfing die Strahlen der Koh-
lenspitzen meist direkt, ohne dazwischen geschaltete Linse. Es
zeigte sich, daß man so durch Annäherung der Kohlenspitzen an
den Spalt eine größere Intensität des Fluorescenzlichtes im Beob-
achtungsraum erhielt, als wenn das Bogenlicht durch ein Grlas-
linsensystem auf den Spalt concentrirt wurde.
In dem Spaltrohr befand sich als Collimaterlinse eine Quarz-
linse, das durch diese parallel austretende Licht wurde durch ein
auf dem Spektrometertischchen im Minimum der Ablenkung auf-
gestelltes Flintglasprisma von 45° brechenden Winkel spectral
zerlegt, und fiel dann auf die ebenfalls aus Quarz bestehende Ob-
jektivlinse des Spektrometerfernrohrs, dessen Ocular herausgenom-
men war. In der Brennebene der Objektivlinse entsteht dann ein
Spektrum des Bogenlichtes, und durch einen in der Ebene liegenden
über die Fluorescenzwirkungen stehender Lichtwellen. 349
Spalt (Ocularspalt) konnte ein beliebiger Theil des Spektrums ausge-
blendet werden. Das zerlegende Flintglasprisma fluorescirte unter
der Wirkung des Bogenlichtes und mußte daher die wirksamen
Strahlen etwas absorbiren. Indeß erwies sich durch direkte Ver-
suche, indem das Glasprisma durch ein Quarzprisma ersetzt wurde,
die Absorption als so gering, daß ersterem wegen des Fehlens
der Doppelbrechung der Vorzug vor letzterem gegeben wurde. —
Sehr verschiedenartige Substanzen (auch Papier, Holz, Gelatine)
fluoresciren mehr oder weniger stark, wenn auf sie das Spektrum
des Bogenlichtes geworfen wurde. Für alle lag das Maximum
des Fluorescenzlichtes in zwei breiteren violetten Banden, welche
ziemlich nahe an der Stelle, wo die H-Linien des Sonnen Spektrums
auftreten, sich befinden und zwar von diesen aus nach dem brech-
bareren Ende des Spektrums hin. Besonders die den H-Linien zu-
nächst benachbarte Bande zeichnet sich durch sehr starke Fluores-
cenzwirkung aus und wurde daher allein bei den schließlichen Ver-
suchen benutzt. Beide Banden liegen noch im sichtbaren Theil des
Spectrums, wenn auch das Licht der brechbareren Bande nur noch
wenig intensiv ist. Die mittlere Wellenlänge der benutzten Bande
ergab sich mit Hülfe eines Glasgitters von 0,0045 mm Strich-
Abstand zu 0.000386 mm. Die Messung wurde in der Weise vor-
genommen, daß eine Glasplatte, auf welcher eine gelatinöse wäss-
rige Lösung von Fluorescein zu einer etwa 1/100 mm dicken Haut
eingetrocknet war, in der Brennebene des Objectivs befestigt wurde.
Die beiden wirksamen Banden kennzeichnen sich durch zwei hell-
glänzende grüne Linien, welche man bei schiefer Durchsicht auf
der Glasplatte wahr nimmt. Indem man das Fernrohr des Spek-
trometers so dreht, daß die der zu untersuchenden ersten Bande
angehörige Linie auf eine bestimmte Marke der Glasplatte fällt,
erhält man den durch das Gitter erzeugten Ablenkungswinkel der
Bande und daher auch ihre Wellenlänge.
Eine nach der beschriebenen Art hergestellte fluorescirende
Platte ist für alle Versuche über Fluorescenz sehr bequem, einer-
seits der Handlichkeit wegen, andrerseits weil wegen der geringen
Dicke der fluorescirenden Schicht die wirksamen Banden des Spek-
trums sich scharf auf der Platte abzeichnen.
Es handelte sich nun um Herstellung einer Haut von der
Dicke eines Bruchtheils der Wellenlänge, welche noch deutliche
Fluorescenz aufwies. Dazu muß eine Sahstanz gewählt werden,
welche in wässriger Lösung ein starkes FluorescenzvermögeiJ aufweist
und welche eine hinreichend große Lößlichkeit in Wasser besitzt,
weil die in wässriger Lösung wirksamen Stoffe im krystallisirten
350 p- Drude und W. Nernst,
Zustande nicht fluoresciren. — Den genannten Anforderungen ge-
nügte in ausreichenden Maße das Natronsalz des Fluoresceins.
Es wurde eine Reihe von verschieden concentrirten wässrigen
Losungen dieser Substanz hergestellt , diesen Lösungen Gelatine
im Verhältniß 1 : 600 zugesetzt und Glasplatten mit ihnen benetzt.
Nach dem Eintrocknen der Lösung blieb auf ihnen eine Haut
zurück, welche ungefähr den GOOsten Theil der Dicke der ursprüng-
lichen Wasserhaut besitzt. Man erhält so leicht Häute , welche
im reflectirten weißen Lichte die eisengraue Farbe der New-
ton'sehen Skala zeigen und welche eine Dicke von 1/20 bis 1/30
der mittleren Wellenlänge des weißen Lichtes besitzen. Diese
Dicke wurde auch direkt gemessen, indem auf der Glasplatte mit
der Spitze eines Messers eine schmale Partie der Haut weggeschabt,
und dann eine andere Glasplatte fest gegen die erste angedrückt
wurde. Die Dicke der Gelatine-Haut bestimmt sich dann leicht
durch die Gestalt der Interferenzstreifen, welche bei homogener
Beleuchtung an der zwischen beiden Platten befindlichen Luft-
schicht erzeugt werden und an der geschabten Stelle eine Dis-
continuität zeigen.
Gleichdicke Stellen der verschiedenen Häute, welche aus den
einzelnen Lösungen hergestellt waren, wurden dann auf ihr Fluores-
cenzvermögen hin geprüft, indem man sie in die wirksame Bande
des Bogenlicht-Spektrums brachte. Es erwieß sich eine Lösung,
welche das Fluorescein in der Concentration 1 : 500 ursprünglich
(vor dem Eintrocknen) enthalten hatte, am günstigsten ; mit dieser
sind die weiteren Versuche angestellt.
Zum Zweck größerer Lichtintensität wurde der Spalt des Col-
limatorrohrs etwa 2 mm breit gemacht. Das Fluorescenzlicht
erwieß sich dann auf einigen Platten so stark, daß es auch im
nicht verdunkelten Beobachtungszimmer deutlich wahrzunehmen
war. Die erste wirksame Bande im Spectrum des Bogenlichtes
zeichnete sich als fast 3 mm breites grünes Lichtband auf den
fluorescirenden Substanzen ab. Es konnte ein Ocularspalt von
dieser Breite eingesetzt werden , welcher also das unwirksame
Licht abblendete.
Auf einer ungefähr 3 mm dicken planparallel geschliffenen Glas-
platte , welche im Bogenlicht nicht merklich fluorescirte , wurde
eine fluorescirende Haut auf die beschriebene Weise hergestellt,
und diese dann auf eine andere ebengeschliffene chemisch versil-
berte Glasplatte gelegt, deren Silberbelegung durch einen weichen
Lederlappen, auf welchem sich ein wenig Pariser Roth befand,
gut polirt war. Die fluorescirende Haut war dem Silberspiegel
über die Fluorescenzwirkungen stehender Lichtwellen. 351
zugewandt. Zunächst rief die wirksame Bande des Bogenlichtes
nur eine gleichmäßige Fluorescenz in der Haut hervor. Dies war
eine Folge der mangelnden Homogenität des Spektrums, welche
•durch die beträchtliche Breite des Collimatorspaltes verursacht
war. Denn als durch Hin- und Herschieben der Glasplatte der
Abstand der Haut vom Silberspiegel so verringert wurde, daß im
reflectirten weißen Lichte die Newton' sehen Farben der höheren
Ordnungen sichtbar wurden , erschien das grüne Lichtband des
Fluorescenzlichtes deutlich von schwarzen Minimis durchzogen.
Die Lage derselben entsprach der Lage der im weißen reflectirten
Lichte auftretenden Newton' sehen Farben, nur war der Abstand
ersterer (entsprechend der kleineren Wellenlänge der wirksamen
Bande des Bogenlichtes) kleiner, als der der letzteren. Die
Fluorescenz - Minima wanderten auf der Platte, falls man durch
Drücken mit dem Finger ihren Abstand vom Silberspiegel änderte,
ein Beweis dafür, daß die Streifung nicht durch ungleichmäßige
Dicke der fluorescirenden Haut hervorgebracht sein konnte. Die
Erscheinung zeigte sich um so mehr in grüner Farbe, unter je
schieferem Winkel man die Platte betrachtete. Falls sich die
Lage des Auges dem Reflexionswinkel näherte, schlug die Er-
scheinung mehr in die der wirksamen Bande angehörige violette
Farbe um, offenbar, weil das vom Silberspiegel diffus reflec-
tirte violette Licht mit ins Auge gelangte. Daß dieses nicht
etwa allein eine Interferenzfigur aufwies, welche scheinbar auch
die Interferenzfigur der Fluorescenz hervorgebracht hätte, konnte
deutlich durch folgenden Versuch nachgewiesen werden. Die
fluorescirende Haut war in einer Breite von 2 mm auf der Glas-
platte entfernt. Dieser Streifen war dem Ocularspalt parallel,
während die Platte auf den Silberspiegel so angedrückt und fest-
gebunden wurde , daß die Interferenzstreifen senkrecht zu dem
Ocularspalt und dem geschabten Streifen verliefen. Sowie nun
bei unveränderter Stellung des Auges des Beobachters die Platten-
kombination so bewegt wurde, daß der Streifen, auf welchem die
fluorescirende Haut weggeschabt war , in den belichteten Theil
trat , erschien derselbe in gleichmäßigen violetten Lichte ohne
durchziehende schwarze Streifen, während die unmittelbar angren-
zenden Stellen, auf welchem sich Fluorescein befand, dieselben
deutlich aufwiesen.
Daß schließlich die Erscheinung wirklich lediglich durch die
Einwirkung der stehenden Lichtwellen auf die Fluorescenz her-
vorgebracht wurde , ergab sich auch daraus, daß, wenn man den
Ocularspalt entfernte, sodaß ein breiteres Spektrum des Bogen-
352
lichtes auf die Platten-Kombination fiel, das grüne von schwarzen
Streifen durchzogene Lichtband nur an der Stelle der wirksamen
Bande des Spektrums auftrat, während an den unmittelbar anlie-
genden Theilen desselben, welche fluorescirend nicht wirken, Dun-
kelheit oder gleichmäßig diffuses blaues Licht herrschte. — Zur
weiteren Controlle wurde auch eine Plattencombination hergestellt,
bei der die hintere Glasplatte nicht mit Silber belegt war. Es
traten im reflectirten Lichte sehr scharf Newton' sehe Ringe auf,
weit deutlicher, als bei der vorigen Plattencombination mit Silber-
spiegel. Die Lichterscheinung der fluorescirenden dünnen Haut
der vorderen Glasplatte war aber kaum merklich von dunkleren
Partieen durchzogen, welche fast ganz verschwanden, als die Platten-
combination umgekehrt wurde, sodaß die fluorescirende Haut sich
auf der hinteren Glasplatte befand. Alles dies erklärt sich voll-
ständig aus der geringen Reflexion des Lichtes am Glase , welche
nur in sehr unvollkommender Weise stehende Lichtwellen zu Stande
kommen läßt.
Es ist also durch diese Versuche als erwiesen an-
zusehen, daß stehende Lichtwellen Maxima und Mi-
nima der Fluo r escenzwirkung haben.
Es handelte sich nun darum , die zweite der oben genannten
Fragen zu entscheiden, ob nämlich die Maxima der Fluorescenz
mit den Maximis der photographischen Wirkung zusammenfielen.
Schon durch Betrachtung der Plattenkombination unter verschie-
denen Einfallswinkeln ließ sich diese Frage entscheiden. Denn
falls man die Platten so gegen die Fernrohraxe des Spektrometers
neigte, daß direkt reflectirte Strahlen ins Auge des Beobachters
gelangten, waren, wenn auch nur undeutlich, Newton' sehe In-
terferenzfransen zu sehen. Die Maxima des direkt reflectirten
Lichtes fielen zusammen mit den Maximis des Fluorescenzlichtes,
wie sie am besten bei recht schiefer Betrachtung der Platten ge-
sehen wurden. Dasselbe Resultat ergiebt sich aus den Wie-
ner'sehen Untersuchungen, d. h. die Maxima der Fluores-
cenz Wirkungen stehender Lichtwellen fallen mit
den Maximis ihrer photographischen Wirkung zu-
sammen.
Um dieses Resultat völlig sicher zu erhalten, wurden Ver-
suche mit rechtwinklig sich schneidenden Wellen gemacht, analog
wie sie Wiener für die photographische Wirkung angestellt hat.
Abweichend von der Wien er' sehen Anordnung war nur, daß
erst hinter dem (vertikalen) Ocularspalt ein etwa 3 cm dickes,
wasserhelles Kalkspath - Parallelepiped mit horizontal liegendem
über die Fluorescenzwirkungen stehender Lichtwellen. 353
Hauptschnitt aufgestellt wurde. Durch eine dahinter befindliche
Linse von kurzer Brennweite wurden in einer Distanz von unge-
fähr 20 cm vom Ocularspalt zwei nebeneinander liegende reelle
Bilder desselben erzeugt, deren Polarisationsebene bezw. vertikal
und horizontal lagen. Es wurde dann auf die zu den bisherigen
Versuchen benutzte Plattencombination ein rechtwinkliges Glas-
prisma mit seiner Hypothenusenfläche aufgesetzt, dessen eine Ka-
thetenfläche senkrecht gegen die einfallenden Lichtstrahlen gestellt
wurde. Behufs Vermeidung von Totalreflexion ließen wir zwischen
fluorescirender Haut und Silberspiegel einen Tropfen Benzol ein-
saugen (welches die Gelatine - Haut nicht auflößt1)), und etwas
Wasser zwischen Prisma und vorderer Glasplatte (Kanadabalsam
ist nicht anzuwenden wegen seiner starken Fluorescenz). Von den
beiden auf der Gelatinehaut hervorgerufenen Streifen Fluorescenz-
lichtes erschien nur der eine von schwarzen Minimis durchzogen,
während der andere gleichförmig hell war. Dabei wechselten die
beiden vom Ocularspalt entworfenen reellen Bilder ihre Rollen, wenn
einmal die Einfallsebene der Gelatinehaut horizontal, und wenn
sie ein zweites Mal vertikal lag, und zwar rief immer das-
jenige Bild Streifung im Fluore s cenzlicht hervor,
dessen Polarisations e b ene mit der Einfallsebene
zusammmenfiel. Diese Erscheinung ist am besten zu sehen
bei Betrachtung der Plattencombination durch die dem einfallenden
Lichte zugekehrte Kathetenfläche des rechtwinkligen Prismas, da
dadurch alle Spuren diffus vom Silber reflectirten violetten Lichtes
vermieden werden. Die Betrachtung der Platten in beiden Lagen
(mit horizontaler und vertikaler Einfallsebene) geschah deshalb,
um dadurch den Einwand gegen die Beweiskraft der Versuche zu
vermeiden, daß die beiden reellen Bilder des Ocularspaltes infolge
der durch Brechung im zerlegenden Prisma hervorgerufenen Pola-
risation des Bogenlichtes nicht völlig gleiche Intensität besitzen.
Da die Fluorescenz im angewandten rechtwinkligen Glas-
prisma die Deutlichkeit der Erscheinung beeinflußte, haben wir
auf einer Seite eines gleichzeitigen Quarzprismas, dessen brechende
Kanten der optischen Axe parallel lag, eine etwa 1/15 Wellen-
länge dicke fluorescirende Haut hergestellt, und diese dicht gegen
einen Silberspiegel gedrückt, sodaß im reflectirten weißen Lichte
1) Um sicher zu sein, daß dies Vorhandensein des Benzols die Fluorescenz
nicht modificirte, wurde auch die Plattencombination ohne rechtwinkliges Glas-
prisma mit eingesogenem Benzol bei senkrechter Iucidenz des einfallenden Lichtes
untersucht. Es traten ebenfalls deutliche schwarze Minima im Streifen des Fluores-
cenzlichtes auf.
354 p- Drude und W. Nernst,
Newton' sehe Farben der höheren Ordnungen auftraten. Die
Fluorescenz dieser Haut ist so stark, daß sie schon im diffusen
Tageslichte als grüner Schimmer wahrnehmbar ist. Läßt man
zwischen Silberspiegel und Quarzprisma einen Tropfen Benzol
einsaugen und bringt eine Fläche des Quarzprismas in eine solche
Lage gegen das einfallende Licht , daß es ungefähr unter 45 °
gegen die Hinterfläche des Prismas gebrochen wird, so traten die
beschriebenen Erscheinungen sehr deutlich auf und sind auch im
nicht verdunkelten Zimmer gut zu beobachten1).
Diese Versuche beweisen vollständig, daß die Maxima der
Fluorescenz mit den Maximis der photographischen Wirkung zu-
sammenfallen, da für letztere Wiener ganz analoge Resultate
erhalten hat.
Mit den gewonnenen Resultaten steht ein anderer, einfacher
Versuch im Einklang; Eine Quarzplatte wurde zum Theil ver-
silbert und dann mit einer fluorescirenden Haut überzogen, welche
in Richtungen, die senkrecht zur Trennungslinie des versilberten
vom un versilberten Theil lagen, nahezu gleiche Dicke besaß. Es
konnte dies erreicht werden, indem beim Eintrocknen der auf die
Quarzplatte gebrachten fluorescirenden Lösung erstere schräg ge-
stellt wurde, sodaß obige Trennungslinie am stärksten gegen den
Horizont geneigt war. Es wurde die so präparirte Quarzplatte
in die wirksame Bande des Spektrums des Bogenlichtes senkrecht
zu den Lichtstrahlen gebracht, und zwar derart, daß die Tren-
nungslinie des versilberten Theiles der Quarzplatte von dem
unversilberten Theil senkrecht zum Ocularspalt verlief, sodaß
gleiche dicke Stellen der fluorescirenden Haut dem Lichte aus-
gesetzt wurden, welche theils auf Silber, theils auf Quarz lagen ;
unter diesen Bedingungen fluorescirten letztere Stellen deutlicher
als erstere, solange die Haut dünn (kleiner als die halbe Wellen-
länge) war. An Stellen der Haut, welche dicker als eine halbe
Wellenlänge des einfallenden Lichtes waren, kehrte sich die Er-
scheinung um, indem die Stellen auf der Silberbelegung stärker
fluorescirten, als die auf der Quarzfläche. Dies Phänomen erklärt
sich vollständig dadurch, daß die Fluorescenz einer dünnen auf
1) Diese Fluorescenzerscheinung bietet so ein bequemeres Mittel zur Demon-
stration der Wirkung stehender Wellen, als die Photographie, da die Plattencom-
bination für alle Zeit brauehbar bleibt. Vielleicht kann sie daher zum Vorle-
sungsexperiment verwandt werden. Bei geringer Dicke der zwischenlagernden
Luftschicht sind die Erscheinungen auch bei Beleuchtung mit nicht spektral zer-
legten Bogenlicht wahrnehmbar. — Auch im violetten Theil des Sonnenspectrums
war eine allerdings undeutliche Streifung des Fluorescenzlichtes wahrzunehmen.
über die Fluorescenzwirkuugen stehender Lichtwelleii. 355
Silber liegenden Haut durch die Wirkung der in ihr zu Stande
kommenden stehenden Lichtwelle zerstört wird, da nach den Ver-
suchen am Spiegel selbst ein Minimum der Wirkung liegt.
Belegt man die eine Fläche eines Prismas einer durchsichtigen
Substanz (Glas, oder Quarz) mit einer fluorescirenden Haut, welche
dünn im Vergleich zur Wellenlänge ist, und dreht man das Prisma,
indem die Seite mit der überziehenden Haut den einfallenden
Lichtstrahlen abgewandt ist, so daß man allmählig von partieller
Reflexion derselben an der Hinterfläche des Prismas zur Total-
reflexion gelangt, so tritt bei letzteren eine bedeutende Verstärkung
der Fluorescenz der Haut gegenüber der bei partieller Reflexion
der einfallenden Lichtstrahlen hervorgerufenen ein1).
Läßt man auf die Vorderfläche des Prismas die beiden senk-
recht zu einander polarisirten Bilder fallen, welche man nach der
beschriebenen Anordnung mit Hülfe des Doppelspaths erhält, und
wählt die Einfallsebene der Hinterfläche des Prismas mit der
einen der Polarisationsebenen der beiden Bilder zusammenfallend,
so läßt sich aus dem Verhältniß der Intensität, mit welcher in
beiden Bildern bei der Totalreflexion Fluorescenz erregt wird,
auf die Wirkungsweise der stehenden Wellen schließen, und zwar
nach folgender Ueberlegung:
Nehmen wir der Einfachheit halber an, das Licht fiele im
Innern des Prismas unter 45 ° auf seine Hinterfläche und es wäre
der Brechungsexponent der dünnen Gelatinehaut dem des Prismas
gleich, sodaß auch in dieser durch Reflexion zwei senkrecht sich
kreuzende Wellenzüge für jeden der beiden vom Ocularspalt ge-
bildeten Lichtstreifen sich fortpflanzen. Setzt man voraus , daß
ein Maximum von Fluorescenzwirkung eintritt im Schwingungs-
bauche einer gewissen Vectorgröße, die infolge der Lichtbewegung
periodische Aenderungen erleidet, so wird die Intensität der
Fluorescenz in demjenigen Lichtstreifen, in welchem jener Vector
parallel zur Einfallsebene gerichtet ist, proportional der doppelten
Summe des Quadrates der Amplitude des betreffenden Lichtvectors
sein: in demjenigen Lichtstreifen indessen, in welchem der Vec-
tor senkrecht zur Einfallsebene schwingt, ist die Intensität der
1) Diese Thatsache, welche auch bei dickeren Häutchen vorhanden ist,
kann daher zur Konstruktion eines fluorescirenden Oculars benutzt werden, wenn
man mit Hülfe desselben die Fluorescenzwirkungen verschiedener Spektralbereiche
bei direkter Durchsicht studiren will. Abgesehen von der Verstärkung der
Fluorescenz durch Totalreflexion ist die letztere noch deshalb nützlich, weil sie
alles Licht, welches nicht Fluorescenz hervorruft, völlig vom Auge des Beobach-
ters abschneidet.
356 p- Drude und W. Nernst,
Fluorescens proportional der vierfachen Amplitude des Vectors
oder gleich Null, je nachdem für denselben bei der Total-
reflexion an der reflectirenden Fläche ein Schwingungsbauch oder
Schwingungsknoten liegt. Dabei ist abgesehen von Phasenän-
derungen, welche durch Totalreflexion im Allgemeinen herbeige-
führt werden, welche aber beliebig klein gemacht werden können,
wenn man den Einfallswinkel des Lichtes im Prisma genügend
nahe am Grenzwinkel der Totalreflexion wählt.
Nun liegt aber für den zuletzt genannten Lichtvector an der
totalreflectirenden Fläche selbst ein Schwingungsbauch, wie dies
sowohl die Reflexionsformeln der F r e s n e 1' sehen als auch der N e u-
mann' sehen Theorie zeigen, und um einen der in jenen Formeln
auftretenden Lichtvectoren muß es sich hier handeln. — Es folgt
daher, daß wenn der Einfallswinkel 45 ° genügend nahe am Grenz-
winkel der Totalreflexion liegt, einer der beiden Fluorescenz-
streifen auf der Hypothenusenfläche des Prismas die doppelte
Helligkeit haben muß, als der andere, und zwar derjenige, dessen
Lichtvector (im obigen Sinne) senkrecht zur Einfallsebene schwingt.
Dies Resultat haben wir durch die Beobachtung bestätigen
können. Wenn man ein Glasprisma, welches einen niederen Brech-
ungsexponenten besaß , sodaß der Grenzwinkel der Totalreflexion
nicht sehr von 45° verschieden war, gegen das einfallende Licht
allmählich so drehte, daß an der Hypothenusenfläche des Prismas,
welches mit einer dünnen fluorescirenden Haut überzogen war,
zunächst keine Totalreflexion und dann solche eintrat, so war für
letztere Stellungen des Prismas die Fluorescenz in demjenigen
der beiden Lichtstreifen die hellere, für welchen die Polarisations-
ebene mit der Einfallsebene zusammenfiel. Dies Resultat wurde
erhalten, sowohl wenn die Einfallsebene der Hypothenusenfläche
horizontal, wie wenn sie vertikal stand. — Vom quantitativen
Messungen der Helligkeit der Fluorescenz konnte bei der beschrie-
benen Anordnung nicht die Rede sein. Denn das einfallende Licht
war nicht genügend parallel, da es zuletzt eine Linse von kurzer
Brennweite passirt hatte und die absoluten Phasenänderungen
durch Totalreflexion variiren sehr schnell mit dem Einfallswinkel.
Auch hätte, weil der Einfallswinkel nicht genau 45° war, eine
kleine Korrektion an dem Helligkeitsverhältniß der beiden Fluores-
cenzbilder angebracht werden müssen.
Jedenfalls stand aber diese Beobachtung qualitativ im Ein-
klang mit den bisherigen, daß nämlich der Lichtvector,
in dessem Schwingungsbauche das Maximum der
Fluorescenz liegt, senkrecht zur Polarisationsebene
über die Fluorescenzwirkuugen stehender Lichtwellen. 357
schwingt. Außerdem bietet letztere Beobachtung einen Finger-
zeig, wie man vielleicht die Wirkungsweise stehender Wellen bei
anderen lichtempfindlichen Phänomenen, wie z.B. beim Elektrici-
tätsverlust durch Bestrahlung, oder bei den Becquerel'schen
Strömen untersuchen kann.
Was übrigens die eingangs erwähnten anderen zur Unter-
suchung der Wirkung stehender Wellen geeigneten Phänomene
anlangt, so haben wir bisher betreffs der Becquerel'schen Ströme
nur vorläufige Messungen gemacht, welche uns bewiesen, daß
diese Beobachtungen mit Schwierigkeiten verknüpft sein werden,
wenn man zu zuverlässigen Resultaten gelangen will. Dieselben
liegen einerseits daran , daß die kleinste Erschütterung schon
merklich die elektromotorische Kraft einer lichtempfindlichen Zelle
verändert, und andererseits daran, daß das Licht in gewissen Be-
reichen des Spektrums, welche je nach der Beschaffenheit der
angewandten lichtempfindlichen Elektroden (Silber, Jodsilber, Chlor-
silber, Bromsilber, auch je nachdem sie einmal auf hohe Tempe-
ratur gebracht sind, oder nicht) verschieden sind, sensibilatorisch
wirken für ein gewisses anderes Spektralbereich, daß aber nach
einmaligen Belichten der Elektrode mit letzterem seine Lichtem-
pfindlichkeit wieder verloren geht, sie aber durch Bestrahlung
mit dem sensibilatorischem Theile des Spektrums wieder gewonnen
werden kann.
Bei Vorversuchen, welche wir behufs bolometrischer Prüfung
der Wärmewirkungen stehender Lichtwellen anstellten, stießen
wir insofern auf Schwierigkeiten , als dünnes auf Glas niederge-
schlagenes Silber oder auf G-las aufgeklebtes Blattgold ein mit
der Temperatur sehr wenig und dabei unregelmäßig variirendes
Leitungsvermögen aufwiesen; Grelatinhäute von der erforderlichen
Dünne leiteten auch bei reichlichem Zusatz guter Elektrolyte
überhaupt nicht nachweisbar, sobald sie eingetrocknet waren,
während sie nach schwachem Anhauchen infolge rascher Verdun-
stung eine sehr inkonstante Leitfähigkeit besaßen. Wegen des
unvergleichlich viel größeren Temperaturkoefficienten würden sich
natürlich Leiter zweiter Klasse besonders empfehlen. — Es ist
in gewisser Weise plausibel, daß die Wärmewirkung stehender
Wellen an denselben Stellen liegt, wie ihre Fluorescenzwirkung.
Denn man kann die Erwärmung eines Körpers durch Lichtstrahlen
als eine Art Fluorescenz auffassen , indem die Lichtstrahlen ab-
sorbirt werden und der Körper Strahlen größerer Wellenlänge
wieder aussendet. Bei der wirklichen Fluorescenz fallen diese in
den sichtbaren Theil des Spektrums , bei der Erwärmung in den
358 P. D r u d e u. W. N e r n s t, üb. die Fluorescenzwirkungen stehender Licht wellen.
unsichtbaren , ultrarotben. Aus dem angeführten Grunde
halten wir es für wahrscheinlich, daß die Wärme-
wirkungen stehen der Lieh twellen mit den Fluores-
wirkungen (und den photographischen) zusammen-
fallen.
Wir versuchten auch, die Erscheinung der Diffusion des
Lichtes an unregelmäßigen Partikelchen zum Studium stehender
Wellen zu verwerthen. Es scheinen aber bei diesem Phänomen
nicht gegeneinander gerichtete Wellenzüge in gegenseitigen Ein-
fluß gesetzt zu werden, sondern sie scheinen durch das allei-
nige Verhalten eines in einer Richtung (und zwar ins Auge des
Beobachters) sich fortpflanzenden Wellenzuges bestimmt zu sein,
gerade wie z.B. die Newton' sehen Einge im reflectirten Licht. —
Man kann eine Fläche, welche das Licht diffundirt, durch Be-
hauchen einer kalten Glasplatte herstellen. Legt man eine solche,
sehr dünn behauchte , auf eine warme , so setzen sich die im
direkten Licht gebildeten Newton' sehen Interferenzstreifen (bei
homogener Beleuchtung) weit fort in den Theil, von welchem
direktes Licht nicht mehr ins Auge reflectirt wird. Dreht man
die Plattencombination um, sodaß nur die Hinterfläche behaucht
ist, so sind Interferenzstreifen im diffusen Licht nicht wahrnehm-
bar, sondern nur eine gleichmäßige Helligkeit1). — Ersetzt
man die hintere (unbehauchte) Glasplatte durch einen angewärmten
Silberspiegel, so werden die Interferenzstreifen im diffusen
Licht nicht deutlicher, sondern undeutlicher als vordem; dies
zeigt zur Genüge, daß nicht das Verhalten stehender Wellen bei
dieser Erscheinung maßgebend ist und daß die Lage der Inter-
ferenzstreifen denselben Gesetzen unterworfen ist, wie die Lage
der im direkt reflectirten Lichte sichtbaren New ton' sehen Streifen.
Aus letzterem kann man ja aber bekanntlich nicht eine Entschei-
dung dafür treffen, welcher Lichtvector für sie maßgebend ist,
wenn man unter dem Worte „maßgebend" versteht, daß bei ste-
hender Wellenbewegung der betreffende Lichtvector im Schwin-
gungshauche ein Maximum der Wirkung besitzen soll.
1) Diese Erscheinungen zeigen sich nur bald nach dem Aufeinanderlegen der
Platten, da nach längerer Zeit sich ihre Temperaturen ausgleichen und "Wasser-
tröpfchen auf beiden Flächen haften.
Jahresbericht. 359
Bericht des Beständigen Sekretärs der Königl.
Ges. d. Wiss. über das Jahr 1891.
Zur Geschichte unserer Gesellschaft geben wir zunächst die
wissenschaftlichen Mittheilungen an , welche in den 8 Sitzungen
gemacht worden sind.
Am 7. Februar 1891. ßiecke legte eine Abhandlung des
Privatdocenten Dr. Nernst vor: „Ueber das Henrysche Gesetz".
Voigt legt „Beiträge zur Hydrodynamik" vor.
Klein legt die Abhandlung des Herrn Prof. Fr an z Meyer
in Clausthal vor : „Ueber Discriminanten und Resultanten von Sin-
gularitätengleichungen". 4. Mittheilung.
de Lagarde spricht über Inhalt und Bedeutung seiner Septua-
gintastudien II und III, die im 38. Band der Abhandlungen er-
scheinen werden.
Frensdorff legt einen Aufsatz vor: „Eine Krisis in der
Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.
Am 7. März: Voigt legt: „Beiträge zur Hydrodynamik.
2. Theil." vor.
Klein legt vor: Abhandlung des Herrn Prof. Franz Meyer
in Clausthal: „Realitäteneigenschaften von Raumcurven".
Schering legt von Dr. Heim in Berlin vor: „Die Schwin-
gungsdauer des Gaussschen Bifilarpendels".
Am 2. Mai: Schwarz legt einen Aufsatz des Herrn Julius
Petersen in Kopenhagen vor: „Ueber Normalformen mehrfach
zusammenhängender Flächen".
Voigt legt einen Aufsatz des Herrn Dr. 0. Venske vor:
„Ueber einen neuen Apparat zur Bestimmung der innern Wärme-
leitungsfähigkeit schlecht leitender Körper in absolutem Maasse.
de Lagarde kündigt schriftlich für die Nachrichten an :
a. Thevenots KafFarre.
b. Ueber das aramäische Evangeliar des Vatikans.
c. Neue Ausgabe der dtatd^ug r(ov a7to6t6lov und der drei
Gestalten der Clementinen.
und für die Abhandlungen (Bd. 38) : Septuagintastudien, 4. Stück.
Am 6. Juni: Klein legt eine Arbeit von Dr. Fr. Schilling
vor : „Ueber die geometrische Bedeutung der Formeln der sphäri-
schen Trigonometrie im Falle complexer Argumente".
Riecke legt a. eine eigne Arbeit vor: „Zur Theorie der pie-
zoelectrischen und pyroelectrischen Erscheinungen.
Nachrichten von der E. 0. d. W. ru Göttingen. 18dl. üo. 10. 26
360 Jahresbericht.
b. eine Arbeit des Herrn Dr. Tammann: „Ueber die Per-
meabilität von Niederschlags-Membranen.
c. eine Arbeit des Herrn Dr. Tammann nnd des Privatdo-
centen Dr. N e rn s t : „Ueber die Maximaltension, mit welcher Was-
serstoff aus Losungen durch Metalle in Freiheit gesetzt wird".
Kielhorn legt vor:
a. die Vikrama-Aera.
b. die Nitimanjari des Dyä Dviveda.
de Lagarde: 1. Arabes mitrati. 2. Samech. 3. Ueber den
Inhalt des 4. Stücks der Septuagintastudien, die er in der Sitzung
vom 2. Mai angekündigt hatte.
"Weiland legt für die Abhandlungen durch den beständigen
Sekretär vor: „Die Wiener Handschrift der Chronik des Matthias
von Neuenburg". (Gedruckt im 37. Band der Abhandlungen.)
Am 4. Juli. Schering legt eine neue Lösung der Keppler-
schen Gleichung vor.
Schwarz macht eine Mittheilung über ein nächstens zu ver-
öffentlichendes Verzeichniß aller (oder wenigstens der Mehrzahl)
derjenigen Schriften, welche seit dem J. 1761 veröffentlicht sind
und mit der Theorie der Flächen kleinsten Flächeninhalts sich
beschäftigen.
Riecke legt eine Abhandlung vor: „Ueber eine mit den elek-
trischen Eigenschaften des Turmalins zusammenhängende Fläche
4. Ordnung".
Klein legt eine Arbeit des Herrn Dr. Hubert in Königs-
berg vor: „Ueber die Theorie der algebraischen Invarianten".
Wüstenfeld legt eine Abhandlung vor: „Die gelehrten
Schäfi'iten des V. Jahrhunderts der H. (Gedruckt im 37. B. der
Abhandlungen.)
de Lagarde legt einen Aufsatz des Herrn Dr. Rahlfs
vor: „Ueber Lehrer und Schüler bei Junilius Africanus".
Am 1. August. Riecke kündigt eine Arbeit von sich und
Voigt an: „Bestimmung der elektrischen Konstanten des Tur-
malins und Quarzes".
Voigt kündigt eine Abhandlung an: „Bestimmung der Kon-
stanten der innern Reibung für einige Krystalle".
Kielhorn kündigt „Tafeln aus indischen Inschriften und
Handschriften" an.
Am 7. November, de Lagarde zeigte schriftlich Mitthei-
lungen an: 1. Worterklärungen: Cicisbeo, Caparra, ZatQd7tr}g.
2. über den dritten Brief des Paulus an -die Korinther.
Jahresbericht. 361
Schering theilt eine Notiz von Alberto Tonelli mit:
„Ueber die Auflösung quadratischer Congruenzen6.
Klein legt einen Aufsatz von Herrn Prof. Franz Meyer
in Clausthal vor: „Ueber ein Trägheitsgesetz für algebraische
Gleichungen".
Ehlers legt einen Aufsatz des Herrn Privatdocenten Dr.
Bürger vor : „Vorläufige Mittheilungen über Untersuchung an
Nemertinen von Neapel6'.
Wallach legt eine Abhandlung vor: „Ueber einige neue
Kohlenwasserstoffe mit ringförmiger Bindung der Kohlenstoffatome6.
Alle diese Arbeiten sind oder werden, wenn nicht Anderes
ausdrücklich angegeben ist , in den Nachrichten gedruckt. Von
diesen sind , soweit sie bis zum 15. November gedruckt werden
konnten, 7 Nummern erschienen, mit 246 Seiten.
Außer den Nachrichten und Abhandlungen haben auch die
Gelehrten Anzeigen in gewohnter Weise ihre Fortsetzung
gefunden.
Auch dies Jahr hat das Kön. Staatsministerium der Geistlichen,
Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten die geringen Mittel,
über die wir zur Förderung wissenschaftlicher Zwecke verfügen
können , durch eine außerordentliche Bewilligung von 3000 Mk.
(Reskr. vom 1. April) vermehrt und uns dadurch zum lebhaftesten
Dank verpflichtet.
Von dem, was sonst in den Sitzungen verhandelt worden ist,
möge ferner erwähnt werden:
Die Gesellschaft fühlte sich verpflichtet, die Aufzeichnungen
ihres früh verstorbenen ordentlichen Mitgliedes, Karl von See-
bach, Professors der Palaeontologie, über seine wissenschaftliche
Reise in Mittelamerika zum Druck zu bringen und beschloß des-
halb am 7. Februar sie im 38. Band der Abhandlungen heraus-
zugeben.
Sie betrachtet es ferner als eine ehrenvolle Pflicht , für eine
vollständige , mit größter Sorgfalt vorbereitete , äußerlich würdig
ausgestattete Ausgabe der Werke ihres großen Genossen, Wil-
helm Weber, zu sorgen. Dieselbe wird in fünf Bänden unter
der Aufsicht des Herrn Professor Heinrich Weber in Braunschweig
und Geheimen Raths Braune in Leipzig erscheinen. Dies aber
auszuführen, würde uns nicht möglich gewesen sein, wenn nicht
die Königlich Sächsische Gesellschaft der Wissenschaften in Leipzig
auf unser Ersuchen sich auch bereit erklärt hätte , uns die in
ihren Veröffentlichungen erschienenen Abhandlungen Webers zum
26*
3(32 Jahresbericht.
Abdruck in den "Werken zu überlassen. Wir sind überzeugt, daß
alle Freunde der Wissenschaft im aufrichtigsten Dank für dies
Zugeständniß mit uns übereinstimmen. In Folge unseres Beschlusses
vom 7. März ist über den Verlag der Ausgabe ein Kontrakt mit
der Springerschen Buchhandlung in Berlin abgeschlossen worden.
Auf den Wunsch des Herrn Professor Dr. Schur hat die
Gesellschaft am 7. November beschlossen , daß der 2. Theil der
astronomischen Mittheilungen der Kon. Sternwarte zu Göttingen
„Sternkatalog enthaltend 6900 Sternörter für 1860.0. Nach den
von Professor Klinkerfues in den Jahren 1858 bis 1863 angestellten
Zonen-Beobachtungen abgeleitet von Professor Dr. Schur" auf
ihre Kosten gedruckt werden soll. Die Kosten sind von der
Druckerei auf 808 Mark angeschlagen worden.
Die Gesellschaft beschließt am 7. März dem Wunsch der K.
Akad. der Wiss. in Berlin und der Academie des Sciences zu Paris
zu entsprechen und ihnen einige Briefe von J a c o b i und Lagrange
an Gauss wissenschaftlichen Inhaltes aus den Gaussschen Samm-
lungen zum Abdruck in den bezüglichen Gesammtausgaben der
genannten Mathematiker mitzutheilen.
Die Gesellschaft beschließt am 4. Juli gegen die von Herrn
Dr. Rud. Wackernagel in Basel in Nr. 9 der G. G. Anz. d. J
erschienene Anzeige des zürcher Urkundenbuches eine Erklä-
rung zu veröffentlichen, die in Nr. 15 der G. G. Anz. gedruckt ist.
In den Tauschverein ist die Gesellschaft den gegen sie aus-
gesprochenen Wünschen zufolge eingetreten
1) mit der mathematischen Gesellschaft in Moskau (10. Februar),
2) mit der Universität Cincinnati, IL St. A., Journal of com-
parative Neurologie (4. Juli).
3) mit dem naturwissenschaftlichen Verein für Schleswig-Hol-
stein (1. August).
4) mit der Rassegna delle scienze geologiche in Rom (7. Novbr.).
Am 2. Mai beschloß die Gesellschaft, daß der beständige
Sekretär Herrn GRR. H a n s s e n am 13. Mai zu seinem sechzig-
jährigen Doctorjubiläum ihre herzlichen Glückwünsche darbrin-
gen solle.
Am 9. August feierte Herr GRR. A. von Hof mann in Berlin,
auswärtiges Mitglied in der Physikalischen Klasse , sein fünfzig-
jähriges Professorenjubiläum. Die Gesellschaft beschloß ihm ihre
freudige Theilnahme und lebhaften Glückwünsche in einer deut-
schen Zuschrift auszusprechen. Herr Wallach übernahm die
Abfassung.
Jahresbericht. 363
Se. Excellenz Herr Hermann von Helmholtz wurde am
31. September 70 Jahr alt, aber die Feier war auf den 2. November
verlegt worden. Auch unsere Gesellschaft beschloß am 4. Juli
sich durch eine deutsche Zuschrift an dieser Feier zu betheiligen
und ihre tiefe Verehrung und herzlichen Glückwünsche auszu-
sprechen. Herr Prof. Ei ecke übernahm die Abfassung und über-
reichte sie dem Jubilar selbst.
An Stelle des Herrn GRR. Schering trat am 1. Oktober
der Senior der Historisch-philologischen Klasse, Herr Wüstenfeld,
und wurde durch das Kuratorialreskript vom 7. Oktober bestätigt.
Für dies Jahr hatte die Mathematische Klasse die
Preisaufgabe gestellt:
Die Aufgabe der conformen Abbildung eines ebenen Bereiches
auf ein Stück einer krummen Fläche, deren Krümmungsmaß überall
den constanten Werth k besitzt, hängt zusammen mit der Aufgabe,
die partielle Differentialgleichung
d2u d2u
AU U U 11 Ä -
u = -^+-3-72 = —2k-eu
vorgeschriebenen Grenz- und TJnstetigkeitsbedingungen gemäß zu
integriren.
Für diese Aufgabe kommen zunächst die von Riemann in
seiner Theorie der Abelschen Functionen angegebenen Grenz- und
Unstetigkeitsbcdingungen in Betracht.
Die Königliche Gesellschaft wünscht die Frage, ob es möglich
ist, die angegebene partielle Differentialgleichung für einen gege-
benen Bereich unter vorgeschriebenen Grenz- und Unstetigkeitsbc-
dingungen der angegebenen Art zu integriren, vorausgesetzt, daß
der Constanten k negative Werthe beigelegt werden, vollständig
beantwortet zu sehen.
Insbesondere wünscht die Königliche Gesellschaft den Fall der
angeführten Aufgabe behandelt zu sehen, in welchem der betrachtete
ebene Bereich eine geschlossene mehrfach zusammenhängende
Riemann sehe Fläche ist, während die Function u keine anderen
als logarithmische Unstetigkeiten annehmen soll.
Zur Bewerbung um den Preis der Mathematischen Klasse für
das J. 1891 war am 28. September eine Arbeit mit dem Spruche
bezeichnet : „Der schönste Lohn der Arbeit ist die Arbeit selbst" ein-
gegangen. Nach dem Urtheil der mathematischen Klasse genügt die
364 Jahresbericht.
eingereichte Abhandlung weder hinsichtlich ihrer Form, noch hinsicht-
lich ihres Inhalts den an eine Preisbewerbungsschrift zu stellenden
Anforderungen, enthält auch überhaupt keine Lösung der gestellten
Preisaufgabe. Die Gesellschaft kann also der Abhandlung den
Preis nicht zuerkennen.
Die Aufgabe der Historisch-philologischen Klas s e
für 1892 ist folgende:
Für die älteste Geschichte Athens ist es von außerordentlicher
Bedeutung zu wissen, an welchen Orten sich Heiligthümer der
verschiedenen Götter und Heroen fanden, sowol in Athen selbst,
als in der gesammten Landschaft, soweit es nach dem jetzigen
Stande der topographischen, epigraphischen, genealogischen For-
schungen möglich ist. Die Historisch-philologische Klasse stellt da-
her für 1892 die Aufgabe, daß eine sorgfältige lieber sieht der
Kultstätten in Attikg nach den OertlichJceiten , in denen sie sich
fanden, gegeben und, was sich daraus für die älteste Geschichte
Attikas folgern lasse, dargestellt werde.
Für das Jahr 1893 stellte die Gesellschaft nach dem Vorschlag
der Physikalischen Klasse die Aufgabe:
Aus den Untersuchungen von W. C. Röntgen und A. Kundt
über die Aenderungen der optischen Eigenschaften des Quarzes im
elektrischen Felde ergiebt sich ein enger Zusammenhang zwischen
den elektrooptischen Erscheinungen und den elastischen Deforma-
tionen , ivelche jene piezoelektrische Substanz unter der Einwirkung
elektrostatischer Kräfte erfährt. Eine Ausdehnung dieser For-
schungen auf eine größere Reihe piezoelektrischer Krystalle von
verschiedenen Symmetrieeigenschaften erscheint in hohem Grade er-
wünscht. Gleichzeitig würde die Untersuchung darauf zu richten
sein, ob die elektrooptischen Erscheinungen in piezoelektrischen
Krystallen ausschließlich durch die im elektrischen Felde eintre-
tenden Deformationen oder außerdem durch eine direkte Einwir-
kung der elektrostatischen Kräfte auf die Lichtbewegung hervorge-
rufen werden.
Für das Jahr 1894 stellt die Mathematische Klasse fol-
gende neue Aufgabe:
„Zwischen dem Zustand eines harten elastischen Körpers und
dem einer Flüssigkeit liegt eine Reihe von Zwischenzuständen;
durch geeignete Mischung von festen Körpern mit flüssigen kann
man alle möglichen Grade von Weichheit oder Zähflüssigkeit, einen
ganz allmähligen Uebergang von einem festen Körper zu einem
flüssigen erzeugen. Unsere Kenntnisse von den Eigenschaften jenes
Zwischenzustandes sind aber noch sehr unvollständig und es wird
Jahresbericht. 365
daher verlangt, dieselben -durch erneute Experiment alunter suchungen
zu fördern. Insbesondere soll ermittelt werden , wie sich bei zäh-
flüssigen Körpern die Gesetze solcher Bewegungen verändern, welche
bei Flüssigkeiten von geringer Viscosität zur Bestimmung der
innern Beibung verwandt werden können.1'1
Die zur Bewerbung um einen der Preise bestimmten Arbeiten
müssen , mit einem Spruch versehen , vor Ablauf des Septembers
des bestimmten Jahres an die Kön. Gesellschaft der Wissenschaften
portofrei eingesandt werden und von einem versiegelten Zettel
begleitet sein, welcher außen den Spruch trägt, der die Arbeit
bezeichnet und innen Namen und Wohnort des Verfassers angiebt.
' Der Preis für jede Aufgabe beträgt 500 Mk.
Die von der Wedekindschen Preisstiftung für deutsche Ge-
schichte zur Lösung im fünften Verwaltungszeitraum, der am
14. März 1886 begonnen hat, gestellten Aufgaben sind in den
Nachrichten 1887 S. 69 f. bekannt gemacht, dann 1888 S. 134 ff.,
1889 S. 403 ff., 1890 S. 217 ff., 1891 S. 127 ff. wiederholt worden.
Gern erwähnen wir, daß der Verein für hansische Geschichte
in dem Vorwort zum Band VI der Hansischen Geschichtsquellen
(Hansaakten aus England 1275 bis 1412) Halle 1891 und der
Historische Verein für Niedersachsen im Vorwort seiner
Ausgabe der ebstorferWeltkarte, die von Ernst Sommerbrodt
besorgt ist (Hannover 1891), der Unterstützung erwähnen, durch
welche unsere Gesellschaft ihre trefflichen Bemühungen zu fördern
im Stande gewesen ist. — Die Arbeiten für die Herausgabe der
Kornerschen Chronik sind regelmäßig fortgesetzt worden und sehen
baldiger Vollendung entgegen.
Durch den Tod wurde der Gesellschaft im Laufe des Jahres
am 23. Juni der Mann entrissen, der fast zwei Menschenalter ihr
Stolz und ihre Zierde gewesen war und dessen Andenken sie in
Treue bewahren wird, derWirkl. Geheime Eath Wilhelm Ernst
Weber, Excellenz, geboren am 24. September 1804, Ehrenmitglied
seit 1887, vorher ordentliches Mitglied der mathematischen Klasse
seit 1831.
Ferner sind gestorben die auswärtigen Mitglieder
1. der Historisch-philologischen Klasse :
George Bancroftin Washington, den 17. Januar. Geboren
den 3. Oktober 1800. Ausw. Mitglied seit 1868.
Franz Miklosich in Wien, den 7. März. Geboren 1813.
Ausw. Mitglied seit 1868.
366 Jahresbericht.
2. der Physikalischen Klasse:
Karl W. von Nägeli in München, den 11. Mai. Geboren
den 30. März 1817. Ausw. Mitglied seit 1877.
Ferner die Korrespondenten
1. der Historisch-philologischen Klasse:
Ludwig Müller in Kopenhagen, den 6. Sept., Korrespondent
seit 1871.
Xavier Heuschling in Brüssel, Korrespondent seit 1874,
(Sein Tod ist erst seit kurzem zu unserer Kenntniß gekommen.)
An die erledigten Stellen wurden am 4. November einstimmig
gewählt : L. Duchesne in Paris, Mitglied des Instituts,
und
Max Müller, Professor in Oxford, seit 1861 Korrespondent,
zu auswärtigen Mitgliedern der Historisch-Philologischen Klasse.
Dr. Karl Gegenbaur, Professor, Geh. Hofrath, in Heidelberg,
zum auswärtigen Mitglied der Physikalischen Klasse,
ferner
Wilhelm Fröhner in Paris,
und
Dr. Charles Groß in Cambridge (Mass. U. St. A.)
zu Korrespondenten der Philol. Historischen Klasse.
F. Fouque", Mitglied des Instituts, Professor am College de
France, in Paris,
zum Korrespondenten in der Physikalischen, und
Dr. Friedrich Prym, Professor der Universität Würzburg,
zum Korrespondenten in der Mathematischen Klasse.
Wilhelm Fraatz aus Göttingen ist am 15. Februar als
Diener der Gesellschaft angenommen und verpflichtet worden.
Inhalt von Nr. 10.
AI/onso Sella , Beitrag zur Kenntniss der specifischen Wärme der Mineralien. — 0. Frobenius , über Po-
tentialfunctionen, deren Hesse'sche Determinante verschwindet. — A. Schönflies, Bemerkung zu Hilbert's
Theorie der algebraischen Formen. — Alfcnso Tonelli, Bemerkung über die Auflösung quadratischer Con-
gruenzen. — P. Drude und W. Nernst, über die Fluorescenzwirkungen stehender Lichtwellen. — Bericht
des Beständigen Sekretärs der Königl. Ges. d. Wiss. über das Jahr 1891.
Für die Redaction verantwortlich: H. Sauppe, Secretar d. K. Ges. d. Wiss.
Commissions-Verlag der Dieter ich' sehen Yei'lags- Buchhandlung.
Druck der Dieterich' sehen Univ.- Buchdruckerei ( W. Fr. Kaestner).
Nachrichten
von der
Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften
und der
Georg - Augusts - Universität
zu Göttingen.
30. December. JK" II- 1891<
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften.
Sitzung am 5. December.
Ueber den Stierdionysos.
Von
Friedrich Wieseler.
Ueber den Stierdionysos ist mehrfach im Zusammenhange ge-
handelt, am eingehendsten von Stephani im Compte rendu de
la commission imp. archeol. pour Fann. 1863, p. 110 fg., und R o-
bert Schneider „Ueber zwei Bronzebilder des gehörnten Diony-
sos u in den Jahrb. der Kunstsammlungen des allerhöchsten Kai-
serhauses Bd. II, S. 41 fg. , zuletzt von A. W. C u r t i u s „Der
Stier des Dionysos" Inaugural -Dissertation der phil. Fac. zu Jena,
1882, und Thraemer „Dionysos in der Kunst" in W. H. Ro-
se h e r s Lexikon der Griech. u. Rom. Mythologie, von beiden ohne
auf Stephani und Schneider Rücksicht zu nehmen.
Dionysos erscheint nach den bisherigen Annahmen 1) als
vollständiger Stier, 2) als Stier mit Menschengesicht, 3) in
menschlicher Gestalt mit Stierkopf, 4) in menschlicher Gestalt
mit Stierhörnern und Stierohren . und 5) ganz besonders mit
Stierhörnern allein, endlich 6) auch ohne Hörner mit großen Ohren
oder ohne diese, mit anderen Theilen vom Stiere und mit ange-
deuteten oder verhüllten Hörnern.
Nachrichten von d. K. G. d. W. zu. Göttingen. 1891. Nr. 11. 27
368 Friedrich Wieseler.
1.
Die Auffassung des Gottes in der Gestalt eines vollständigen
Stieres erhellt deutlich aus Schriftstellen, namentlich aus dem Ge-
bet der Elischen Frauen bei Plutarch Quaest. Gr. 36 und de Isid. et
Osir. 35. Der an erster Stelle vorkommende Umstand, daß Dionysos
mit den Chariten kommen möge , macht es durchaas wahrschein-
lich, daß der Stier auf dem schönen geschnittenen Steine in den
Denkm. d. a. Kunst II, 33, 383, den Gott selbst darstellen solle.
Dieses gilt ebenfalls wohl von dem ebenda unter n. 382 wieder-
holten geschnittenen Steine und den entsprechenden von Stephani
a. a. 0. S. 123, A. 1 angeführten. Wenn dann Stephani meint,
daß der auf Münzen von Kyzikos „zwar ohne bakchische Attri-
bute, aber doch in der Stellung des vßQLötrjg" angebrachte Stier
wohl den Dionysos selbst darstellen könne , wie Panofka Ann.
dell' Inst. T. V, p. 282 vermuthet , so ist diese Beziehung auch
von Thraemer a.a.O. S. 114 für wahrscheinlich gehalten, und
gewiß mit Recht. Auch auf der von Head Hist. num. p. 344 be-
schriebenen Drachme von Phlius, welche von ihm ungefähr zwi-
schen 430 — 322 v. Chr. gesetzt wird, ist der ohne ein Bakchisches
Attribut dargestellte Stier mit gesenktem Haupte sicherlich als
Dionysos zu fassen. Der Flußgott Asopos, an den Head auch
denkt, kann gegen jenen nicht in Betracht kommen. Münzen von
Phlius aus der Kaiserzeit zeigen auf der Vorderseite den Kopf
des Dionysos und auf der Rückseite einen stoßenden Stier und
den Thyrsos oder auf der Vorderseite einen stoßenden Stier und
auf der Rückseite Epheu und Trauben (Imhoof-Blumer und Percy
Gardner Numism. commentary on Pausanias reprinted from the
Journal ofHellenic studies I, 1885, p. 32, n. 5). Für den letzteren
Fall scheint es, daß der Stier als der Gott selbst zu fassen sei,
hinsichtlich des ersten wird man wohl nicht anstehen den Stier
als Attribut des Gottes zu fassen , wie auch den stoßenden Zebu
auf dem Revers der Münze den Kibyraten mit der Büste des
Dionysos auf dem Avers bei Imhoof-Blumer Griech. Münzen , in
den Abhandlungen der philos.-philol. Classe der K. Bayer. Akad.
d. Wissensch., München 1890, n. 72. Zu den Darstellungen des
Dionysos in vollständiger Stiergestalt hat man auch den bekann-
ten ßovg ftovQLog auf den Münzen von Thurium gerechnet (auch
Welcker Griech. Götterlehre II, S. 599). Aber die gehörige Auf-
merksamkeit auf die Nebentypen (vgl. namentlich das in Catal. of
the Greek coins in the Brit. Mus., Italy, p. 293, 70 beschriebene
Exemplar) zeigt deutlich, daß es sich um den Flußgott Krathis
über den Stierdionysos. 369
handelt. Vgl. auch Head Hist. num. p. 72. Als vollständiger
Stier oder als Stier mit menschlichem Gesichte wurde er nach Plu-
tarch de Iside et Osir. 35 zu urtheilen noch in späterer Zeit von
den Hellenen gebildet; denn wenn es hier heißt ravQ6^0Q(pa zlio-
vvöov Ttoiovöi äycck{iccTcc 7tokXol tcov 'EXXtivcov, so läßt sich das
erste Wort unmöglich als nur „stierhörnige" fassen, wie Thrae-
mer a.a.O. S. 1151 will, und schon Welcker A. Denkm. V, S. 37
und Griech. Götterlehre II, S. 598 annahm, dem R. Schneider
im Jahrb. a. a. 0. S. 45, 6 sich anschließt.
Ueber den Stier mit dem Menschengesichte auf den Münzen
von Unteritalien und Sicilien hat in neuerer Zeit besonders ausführ-
lich gesprochen Streber in den Abhandlungen der philos.- philol.
Classe der K. Bayerischen Akademie der Wissenschaften Bd. II, S.
453 fg., und später kürzer H. Nissen „DasTemplum", 1869, S. 132 fg.,
A. W. Curtius a. a. 0. S. 23 fg. und Andere ; vgl. Thraemer a. a. 0.
S. 1150. Es steht fest, daß die meisten Darstellungen dieser Art
sich auf Flußgottheiten beziehen, namentlich die auf den Münzen
Unteritaliens. So urtheilte schon 0. Jahn in der Arch. Ztg.
1862 , S. 313 fg. und nicht anders Stephani a. a. 0. S. 115. Den-
noch hat man noch in neuester Zeit betreffs der Darstellungen
auf Münzen Campaniens , namentlich der Stadt Neapolis , an den
Bachus Hebon gedacht, vgl. Head Hist. num. p. 331). Selbst Ste-
phani, der übrigens die in Rede stehende Bildung dem Dionysos
nur als Wassergott zustehend betrachtet, ist a.a.O. S. 118 ge-
neigt den Averstypus einer Münze von Katane auf diesen Gott zu
beziehen. Die Münze ist die in der ersten Ausgabe der Denkm. d.
a. Kunst II, 33, 380 nach Streber a. a. 0. wiederholte. Der Ty-
pus wurde schon von Anderen auf den Stierdionysos bezogen,
1) Die von Head gegebene Deutung bezieht sich zunächst auf die von ihm
abbildlich mitgetheilten Darstellungen des schreitenden Stiers mit Menschenge-
sicht. Aber sollte dieser Stier eine andere Beziehung haben wie der schwim-
mende (Catal. of the Gr. coins in the Brit. Mus., Italy, p. 95, 104, 109, 112,
398), der einmal nicht bloß schwimmend, sondern auch Wasser speiend vor-
kommt (Arch. Ztg. 1862, Taf. CLXVIII, n. 7) und ohne Zweifel als Flußgott zu
betrachten ist? Der Stern, welehen der im Catal. p. 109 abgebildete auf den
angegebenen Wogen schwimmende Stier am Körper trägt, findet sich auch über
dem p. 119 des Catal. abbildlich mitgetheilten schreiteudeu Stier. Daß bei He-
bon Stierbildung nicht nachweisbar ist, hat Jahn in der Arch. Ztg. 1862, S. 326,
A. 47 bemerkt. Vgl. über denselben auch Welcker Griech. Götterl. II, S. 66,
A. 135.
27*
370 Friedrich Wieseler,
von Eckhel, von Streber, znletzt noch von Curtius a.a.O. S.27.
Eine ganz ähnliche Münze beschreibt Percy Gardner Cat. of the
Greek coins in the Brit. Museum , Italy, p. 42, n. 4, der p.41fg.
auch Abbildungen von entsprechenden Münztypen derselben Stadt
giebt, vgl. auch Head Hist. num. p. 114. Ueber dem Stier ge-
wahrt man den knieenden Silen, unterhalb des Stieres nach Gard-
ner eine pistrix. Andere Nebentypen bestehen in dem Zweig
einer Flußpflanze, einem Flußfisch, einem Wasservogel. Der Si-
len bezieht sich nicht auf einen Stierdionysos , sondern geht nur
das Wasser an. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß es sich
um den Flußgott Amenanos handelt, wenn auch Head diese Be-
ziehung nur als der auf den taüriform Dionysos vielleicht vorzu-
ziehende betrachtet.
Ein anderes Bildwerk , hinsichtlich dessen es wahrscheinlich
ist , daß auf ihm ein Stier mit Menschengesicht dargestellt sei,
welcher sich auf den Wassergott Dionysos beziehe , ist das Ge-
mälde auf der aus Nola stammenden Vase, welche aus der Samm-
lung Blacas in das Britische Museum übergegangen ist. Sie ist
in Mus6*e Blacas pl. 32 abgebildet und von Ch. Newton in den
Guide to the second vase room P. I, p. 8, n. 46 so beschrieben :
A female figure holding a hydria and sitting on a bull with hu-
man face, which approaches a large marble laver; an Androgy-
nous winged figure is crowning the female figure; on the left,
another female figure, with a mirror and an oinochoe; in the Up-
per right-hand cornes, a veiled female figure looking through a
window. Leider hat Stephani nicht gesagt , welche Umstände ihm
die Beziehung des Stieres auf Dionysos wahrscheinlich machten.
Newton läßt dahingestellt sein, ob man den Dionysos oder einen
Flußgott zu erkennen habe. Es kann schwerlich zur Erklärung
beitragen, daß der Stier mit Menschengesicht auch auf Nolanischen
Münzen vorkommt. Auch die Beziehung der ganzen Darstellung
ist schwer zu ergründen. Daß ein gewöhnlicher nicht sagenbe-
rühmter Flußgott gemeint sei, ist nicht wohl glaublich. Unter
den Flußgottheiten würde nur Acheloos passen. Der Platz der
Handlung ist der Vorplatz eines Palastes, welcher durch das Fen-
ster mit dem herausschauenden Weibe angedeutet wird. Es
scheint sich um eine Liebesgeschichte zu handeln. Liebschaften
hatte Acheloos mehrere.
Ein sicheres Beispiel des Dionysos als Stier mit Menschenge-
sicht erkennt Stephani S. 115 fg. auf einem auch von Streber
a. a. 0. S. 533 fg. auf Dionysos als Herrn der feuchten Natur be-
zogenen Carneol der Florentiner Sammlung, der mehrfach, auch
über den Stierdionysos. 371
in unsern Denkm. d. a. K. II, 45, 578, abgebildet ist, s. Stepliani
a. a. 0., A. 8. ,,Man sieht einen Stier mit menschlichem Antlitz
in wilder Wuth durch die Fluthen galoppiren. Eine Maenade
mit flatterndem Gewand sitzt auf seinem Rücken und sucht ihn
mit der Spitze ihres Thyrsos zu noch größerer Hast aufzusta-
cheln". Stephani glaubt diese Darstellung auf den Argivischen
Cult des Dionysos zurückfuhren zu müssen. Es ist mir aber ge-
radezu unglaublich, daß die Mänade den Dionysos so behandeln
solle , während es durchaus nicht unglaublich ist , daß sie einen
Flußdämon so behandeln könne. Diese Dämonen können aber
ebensowohl als zum Bacchischen Thiasos gehörend betrachtet wer-
den wie Silen und die Nymphen; Man vergleiche auch den von
einer Mänade zu wilder Eile angetriebenen Kentauren in den
Denkm. d. a. K. II, 46, 594.
Dagegen könnte man recht wohl in Betreff des Vordertheils
eines Stiers mit Menschenantlitz auf Münzen von Kyzikos an Dio-
nysos denken, welche Darstellung Head Hist. num. p. 452 er-
wähnt, indem er sie mit der auf Münzen von Gela p. 121, Fig. 75
vergleicht. Warum auf den Münzen von Kyzikos ein Flußgott
dargestellt wurde, ist schwer einzusehen. Dagegen paßt Dionysos
auf diese Münzen vortrefflich, s. oben S. 368. Wenn man sich
aber daran erinnert, daß auf denselben Münzen manche rein At-
tische Typen vorkommen, so wird man es nicht für unmöglich hal-
ten, daß der bei den Athenern so hoch verehrte Flußgott Kephis-
sos oder auch der dort gleichfalls einen Cultus habende Ache-
loos gemeint sein könne.
3.
Stephani meint, daß Dionysos auch als Mensch mit Stierkopf
gebildet sei und führt als entscheidend für diese Ansicht zwei
nur durch Beschreibung bekannte Bildwerke an S. 119 fg. : 1) eine
früher im Palazzo Grimani befindliche, jetzt verschollene Marmor-
basis , welche von Fr. Thiersch Reisen in Italien S. 257 verzeich-
net ist. Man gewahrte an der einen Nebenseite , umgeben von
vier Frauen, ein Kind mit Stierhaupt. Thiersch bezeichnete es als
Minotauros. Dagegen bemerkt Stephani , daß die Geburt und
Pflege des Minotauros von der Sage nirgends betont werde. Als
n. 2 erwähnt er das Gemälde im Inneren einer Kylix , welche
sich früher im Besitze des Duc de Luynes befand, jetzt in der
Nationalbibliothek zu Paris aufbewahrt wird. Das Gemälde ist
beschrieben von E. Braun im Bullett. arch. 1847, p. 121, vgl. Ger-
hard's Arch. Anzeiger 1847, S. 9*, von Panofka ebenda S. 22*,
372 Friedrich "Wieseler
n. 15, nach welchem die Pasiphae „mit Strahlenkrone geschmückt"
ist, und nach J. de Witte in der Arch. Zeitung 1850, S. 213, n. 9.
Hier heißt es über das Innenbild : „Pasiphae sitzend, mit dem klei-
nen stierköpfigen Minotaur auf ihrem Schoß ; sie ist myrthen-
bekränzt und langbekleidet und drückt in Gesicht und Bewegung
ihr Entsetzen über den Neugeborenen aus. Aufgehängt ist eine
Cista; zu Pasiphae's Füßen ein Schwan". Später ist das Innen-
bild abbildlich mitgetheilt und ausführlich besprochen von Fr. Le-
normant in der Gazette archeol. cinq. annee 1879, pl. 3 als nais-
sance de Zagreus, wo auch die Außenbilder der Schale mitge-
theilt sind auf pl. 4 und 5 p. 18 fg.1). Er folgt also der Deutung
von Stephani. Dieser findet es unbegreiflich, daß in diesem Bilde
allgemein die Geburt des Minotauros vorausgesetzt sei, nicht die
des Dionysos; „denn nicht nur ist dem kleinen Gott eine Gans
oder ein Schwan beigesellt , sondern es sind auch die in den Bil-
dern der Außenseite auftretenden Personen sämmtlich vollkommen
deutlich bezeichnete Satyrn und Maenaden , welche Thyrsos-Stäbe
und Glieder eines Menschen in den Händen halten, den sie in
wilder Raserei zerrissen haben". Auch Rob. Schneider äußert im
Jahrb. a. a. 0. S. 45 in Bezug auf das Innenbild der Kylix : „man
gab ihm (dem Dionysos) vielleicht auch die Form des Minotauros,
auf dem Menschenleib das Stierhaupt". Es ist allerdings aus
mehreren Gründen wahrscheinlich , daß Dionysos Zagreus , nicht
der Minotauros, gemeint sei. Das wesentlichste Bedenken gegen
jenen erregt der Stierkopf. Doch glaubt Stephani diesen bei Dio-
nysos auch durch Schriftstellen belegen zu können. Er bemerkt,
daß von Dionysos bei Tzetzes z. Lykophr. 1237 gesagt werde:
tavQOKEcpccXog cpavralsxai Kai ^ygacpEitm xal iv EvQntCdri' %al
öd) KeQutcc xqcctI TiQoöitscpvxhvat, , und weiter: tccvQÖXQavog de £oo-
ygcccpelTcu xccl cpavtd&Tai, rj xsQaöcpoQog. Aber die Worte des Eu-
ripides sind ohne Zweifel von menschlicher Gestalt mit Stierhör-
nern zu verstehen und an der zweiten Stelle soll das § gewiß
1) Außer den obigen beiden Darstellungen giebt es noch eine dritte, welche
auf den Minotauros als Kind bezogen ist. Dieselbe befindet sich auf einem Etrus-
kischen Relief von einer Todtenkiste, über welches schon 0. Jahn Arch. Beitr.
S. 240 nach der Sammlung von Zeichnungen im Berliner Museum Mittheilung
gemacht hat. Stephani meint aber S. 120, A. 4, man könne sich über das Re-
lief gar keine Meinung bilden, so lange nicht einmal gewiß sei, ob das Kind ei-
nen Stierkopf habe oder nicht. Das ist sehr verwunderlich, da Jahn denselben
ausdrücklich bezeugt. Auch Gerhard im Arch. Anz. 1847, S. 9* zweifelt nicht
an dem Stierkopfe und bemerkt, daß schon Inghirami das Kind auf Minotauros
gedeutet habe.
über den Stierdionysos. 373
nicht so zu fassen sein als sei xsQccecpÖQog von T<xvg6xQccvog ver-
schieden. Vgl. auch Tzetzes zu Lykophr. 209 : Tavgcp ' rca Aio-
vv6cp j ort x8Qaxo(poQOv avrbv ygäcpovöLV, cjg xal EvQntCdr\g nal 6a
neQccza u. s. w. Die Stellen des Nonnos Dion. VII, 321 u. XVIII,
95 , in denen Dionysos ßovxQcuQog genannt wird , will Stephani
nicht auch veranschlagen, obgleich „man meinen sollte, daß Nonnos
von einem vollständigen Stierkopf spreche", weil dieser Dichter
bei der Wahl seiner Ausdrücke mit so wenig Sorgfalt zu Werke
gegangen sei, daß man nichts daraus schließen könne (was doch
gewiß zu viel gesagt ist). Das Wort ßovxQaLQog ist ohne Zweifel
von Stierhörnern zu verstehen , vgl. Nonn. Dion. XXVII, 24 faö-
xQcciQog. In dem Hymn. Orph. XLV (44) Herrn, wird Dionysos
als tavQoiisTG>7tog bezeichnet. Damit ist gewiß nicht gemeint, daß
der Gott einen Stierkopf habe, sondern nur, daß er mit Stierhör-
nern an der Stirn versehen sei, und wesentlich dasselbe bedeutet
auch TccvQOKQccvog. Inzwischen steht es doch fest, daß Zagreus
mit Hörnern am Kopfe gedacht wurde, vgl. Orph. hymn. XXX, 3,
Nonn. Dion. VI, 165, 209. Außerdem heißt er tavQog Clemens
Alexandr. Protrept. II, p. 14 Potter, vgl. auch Lycophr. AI. 209
und Nonn. Dion. V, 564, und ravQÖ^ioQcpog Clem. AI. Prot. II, p. 14;
vgl. auch Arnobius adv. gentes V, 21.
4.
Außer den Hörnern erscheinen als einziger thierischer Be-
standteil am menschlich gebildeten Kopfe des Dionysos die Ohren.
Diese finden sich nicht bloß bei dem bärtigen Dionysos, son-
dern auch bei dem unbärtigen.
Bärtige Köpfe a) in Hermen: Ammon und Dionysos im Ber-
liner Mus. (Conze Verzeichn. der ant. Skulpt. n. 11), abgebildet
in Mon. inedit. inst. arch. IV, 49 und Ann. 1848, tav. J, jetzt
auch in der Beschr. der ant. Skulpt. des Kgl.. Mus. zu Berlin
S. 9 zu n. 11. Archaistische Herme im Lateranens. Mus. (vgl.
Benndorf u. Schöne S. 402, n. 599). b) auf Etruskischen Bronze-
schildern wie dem in den Denkm. a. Kunst I, 60, 303, in Betreff
deren O. Jahn Ber. d. K. Sachs. Gres. d. Wissenschaften 1854 S.
49 an eine Satyrmaske denkt, während Stephani a. a. 0. S. 114 fg.
gewiß wahrscheinlicher eine Dionysosmaske annimmt, sowie an
einem Bronzekopf bei E. v. Sacken die ant. Bronzen des K. K.
Münz- und Ant.-Cab. in Wien Taf. XXVI, n. 6, in Betreff dessen
Thraemer a. a. 0. die Beziehung auf Dionysos abweist. Ein ähn-
licher Kopf auf einer Münze stellt Acheloos dar (Arch. Ztg.
1862, T. CLXVI1I, n. 10). c) in Terracotten wie die bei Pa-
374 Friedrich Wieseler,
nofka Terracotten des Berl. Mus. Taf. 47 und im Bull. arch.
Napol. T. III, t. 5, vgl. Stephani a. a. 0. d) auf geschnittenen
Steinen: Raspe Cat. n. 4179, Toelken Erkl. Verz. III, 3, 927
= Denkm. d. a. K. II, 33, 379. Diese Köpfe sind von Raspe und
Toelken für die eines Dionysos gehalten. Winckelmann bezieht
jedoch den Berliner in der Descr. d. pierr. grav. de Stosch. p.
327 zu Cl. III, n. 75 auf den Minotauros und Stephani bemerkt
gegen die Deutung auf Dionysos a. a. 0., S. 114, daß man wenig-
stens mit gleichem Rechte auch an einen Flußgott denken könnte.
Das ist allerdings richtig. Auch H. Blümner erklärt sich gegen
einen Dionysos zu Lessing's Laokoon S. 121. Er ist wegen des
Gesichtsausdruckes und des struppigen Bartes eher geneigt ein
„satyrhaftes Wesen" anzuerkennen, was minder wahrscheinlich ist.
Desgleichen lehnt Thraemer a. a. 0. S. 1150 die Beziehung auf
Dionysos ab, weil der Kopf rohen Gesichtsausdruck und Stier oh-
ren zeige, die seiues Wissens auf Doppelköpfe des Dionysos und
Ammon beschränkt seien , von welchen beiden Gründen der erste
unzulänglich, der andere irrig ist. Die Möglichkeit daß es sich
um einen Dionysos handele, wird ebenso wenig in Abrede gestellt
werden können wie die, daß ein Flußgott gemeint sei. — Wir er-
wähnen schließlich hier eine nur etwas bärtige Bronzebüste mit
eigenthümlichem wilden Gesichtsausdruck zu Neapel (Bronzi d'
Ercolano T. I, t. V) mit Stierhörnern und Stierohren. Sie wird
von Welcker A. Denkm. V, S. 38 fg. ohne Bedenken auf Diony-
sos bezogen. Nach R. Schneider, Jahrb. a.a.O. S. 46, ist sie
unter allen bekannten Bildern des Dionysos dasjenige , welches
die Charakteristik desselben nach dem Thierischen hin am weite-
sten durchführt. „Der Kopf, welchem das mystische Attribut der
um Rücken und Schultern sich ringelnden, von der erhobenen
Rechten gefaßten Schlange noch phantastischeres Aussehen ver-
leiht, ist nach rechts geneigt, heftig zurückgeworfen und richtet
den Blick in die Höhe. Außer den aus dem struppigen Haupt-
haar hervorstehenden Hörnern und den schräg abstehenden Thier-
ohren erinnert der Hals noch weit entschiedener als an der Maske
aus Gizeh (s. u. S. 382 fg.) an die Wamme des Stiers ; des ungeachtet
setzt sich ein menschliches Bruchstück daran. Haar wächst auf der
Stirn über der dicken Nasenwurzel, als kurzer Backenbart unter
den Ohren, auf der Brust und um den Brustwarzen". Stephani
äußert im Compte rend. p. 1863, p. 103, minder bestimmt, man
werde die Büste in Folge der als Attribut hinzugefügten Schlange
vielleicht auf den jugendlichen Dionysos beziehen können J).
1) Daß gerade die Schlange für diesen beweiskräftig sein soll, erscheint be-
über den Stierdionysos. 375
Unbärtige Kopfe. a) Doppelherme des Ammon und des
jugendlichen Stier-Bacchus im Palazzo GJ-iustiniani Orsato Recanati
sulle Zattere in Venedig, 19 cm hoch („die Hörner des Diony-
sos liegen in dem aufstehenden mit der Corona tortilis geschmück-
ten Haare und sind gleich den Thierohren abgestoßen", wie R.
Schneider „lieber eine Bacchische Maske aus Cilli" in den Mittei-
lungen der K. K. Central - Commission zur Erhaltung und Erfor-
schung der Kunst- und historischen Denkmäler. Jahrg. 1885, S. 86,
A. 2 bemerkt). Doppelbüste beider Gottheiten früher im Besitz
des Ritters Azara , jetzt unbekannten Aufbewahrungsortes, abge-
bildet im Mus. Pio-Clem. Vol. V, tav. A, n. 3. Desgleichen in
Madrid, s. Overbeck Griech. Kunstmythol. I, S. 287 fg. n. 37.
Drei Doppelhermenköpfe im Berliner Mus. (Conze Verzeichn. d.
ant. Skulpt. n. 13. 14. 15). Der eine bärtige Kopf stellt ohne
Zweifel den Ammon dar, der andere unbärtige mit thierischen
Ohren und kurzen Stierhörnern nach den Meisten Dionysos, nach
Einigen den Triton. Diese letztere Deutung wurde von K. Böt-
ticher aufgestellt im Nachtrag zum Verz. der Bildhauerwerke in
Berlin 1867 n. 985 fg. bes. 987. Overbeck, der im Atlas zur Kunst-
myth. III, 12 Abbildung von einem Exemplare gegeben hat , be-
merkt im Texte a. a. 0. S. 287, wenngleich für diese neue Deu-
tung auch keine zwingende Notwendigkeit vorzuliegen scheine, so
lasse sich nicht verkennen , daß Manches für dieselbe spreche.
Auch Conze läßt unbestimmt , ob Dionysos oder Triton gemeint
sei. AI. Thiele führt in dem Verz. der Sammlung Bergau mit
vertieft geschnittenen Steinen die „Doppelherme des unbärtigen
jugendlichen Ammon und des unbärtigen stiergehörnten Triton
an , von welcher er auf Tafel I, n. 1 eine Abbildung giebt. Ver-
muthlich rührt die Benennung „Triton" von den drei eben erwähn-
denklich, wenn Thraemer a.a.O. S. 1111 mit Recht behauptet, daß die Schlange
neben der Gestalt des Dionysos keine Rolle spiele. Aber diese Behauptung ist
irrig, wenn es auch wahr ist, daß die Schlange als Attribut des Gottes nur sel-
ten vorkommt. Als solches erscheint sie auf Vasenbildern (vgl. Gerhard Auserl.
Vasenb. I, 63 = Denkm. d. a. K. II, 37, 433, und Fröhner Les muse'es de France
pl. 6, welches in der zweiten Ausgabe der Denkm. II, 433 wiederholt ist), denn
daß es sich hier um eine Andeutung der Verwandlung des Dionysos handele
(Thraemer S. 1095 nach Robert), ist gewiß irrig. Auf einem Berliner geschnit-
tenen Steine richtet sich nach Toelken Erkl. Verz. Kl. III, 3, 960 neben dem
Bacchus am Boden eine Schlange auf. Die Marmorstatuette des Dionysos mit der
Stierhaut bei Welcker A. Denkm. V, Taf. II hat eiue Schlange neben sich, die
sich um einen Baumstamm windet. Ich zweifle nicht daran , daß die Hercula-
nensische Bronze sich auf Dionysos bezieht; an einen Sabazios wird schwer-
lich zu denken sein.
376 Friedrich Wieseler,
ten Doppelhermenköpfen her. Für die Beziehung der Berliner
Köpfe auf Dionysos spricht sich aus einleuchtenden Gründen auch
R. Schneider Jahrb. S. 47 aus. Der beste der Köpfe n. 14 ist
nach Kekule* Beschr. S. 10 „von edlem Typus pathetisch erregt
aufwärts blickend". Auch die Gemme Bergau stellt nach der
Abbildung zu urtheilen gewiß nicht den Triton sondern den Dio-
nysos dar. — Desgleichen in der Galler. geogr. des Vatican , vgl.
Gerhard Beschr. d. Stadt Rom Th. II, 2, S. 281, n. 33 , Stephani
Compte rend. pour 1862, p. 77 fg., Overbeck a.a.O., S. 289 fg.,
ungenügende Abbildung bei Pistolesi II Vaticano descr. ed illustr.
Vol. VI, t. 103. Während Gerhard und Stephani an dem Dionysos
nicht zweifeln, meint Overbeck, daß die Doppelbüste ganz aus die-
sem Kreise zu entfernen sei, gewiß mit Unrecht. Der stierge-
hörnte Kopf ist, wie R. Schneider Jahrb. a. a. 0. S. 47 bemerkt,
der auch an der Hiehergehörigkeit der Doppelherme nicht zwei-
felt, sehr breit, mit stark hervortretenden Backenknochen, von
finsterem Ausdrucke; seine Ohren stehen aufrecht, seine Hörner
sind im weiten Abstände von einander im struppigen Haare an-
gebracht, nach vorne gerichtet und etwas gewunden; die Stirn-
leiste zwischen denselben scheint angedeutet zu sein, b) Bronze-
kopf: „Kopf des sehr jugendlichen gehörnten Dionysos mit Thier-
ohren und mit einem Diadem geschmückt, oben ein Henkel", (R.
Gaedechens die Antiken des Fürstl. Waldeck'schen Museums zu
Arolsen n. 113. c) Antefix aus Terracotta aus Tarent: Journal
of Hellenic studies IV, pl. 32. d) Geschnittener Stein und Paste :
Catal. du mus. Fol, Antiq. P. II. Geneve 1875, p. 156 fg., n. 1957
u. 1960.
5.
Viel häufiger wird Dionysos nur mit Hörnern versehen auf
den Bildwerken gefunden, wenn auch lange nicht so oft als man
nach den Schriftstellern erwarten sollte, und zwar namentlich der
unbärtige und jugendliche, aber auch der bärtige.
Dieser letztere findet sich in der Doppelherme des Mus.
Chiaramonti des Vaticans , welche bei Mbby Mus. Chiaram. Vol.
III, t. VIII nicht eben getreu abgebildet ist und als „Zagreo e
Dionysio" gefaßt wird.
Man findet den bärtigen gehörnten Dionysos ferner in Dop-
pelmasken auf Gemmen. So auf einer Paste und einem Iaspis zu
Göttingen , vgl. G. Hubo Originalwerke der arch. Abt. d. arch.-
numism. Instituts der Georg-Augusts-Universität n. 1528 u. 396
über den Stierdionysos. 377
und Bernhard Müller Dreizehn Gemmen der Göttinger Universi-
tätssamml., Abbild, n. 2 u. 1. Von AI. Thiele Die Samml. ßergau
S. 11, n. 206 wird ein „Doppelkopf des Silen und des bärtigen
gehörnten Bacchus" angeführt; doch nimmt sich der letztere Kopf
in der Abbildung auf Taf. III eher als der des Pan aus.
Auch Münztypen gehören hierher. Freilich hat man einige
früher mit Unrecht in Anschlag gebracht. Wenn Welcker A.
Denkm. V, S. 39, A. 18 schrieb: „der bärtige Dionysos soll ge-
hörnt nur auf Münzen von Naxos vorkommen", so irrte er zwie-
fach. Bisher ist keine derartige Münze von Naxos bekannt ge-
worden. S. auch Stephani im Compte rend. p. 1863, p. 113. A.
W. Curtius nahm an dem bärtigen gehörnten Dionysos einer Boeo-
tischen Münze, die nach Pellerin Rec. T. I, pl. 24, 8 in den Denkm.
d. a. K. II, 33, 378 abgebildet ist, keinen Anstoß. Aber schon
Stephani bemerkte a. a. 0., es bleibe sehr ungewiß , in wie weit
jener Abbildung Pellerin's Glauben beizumessen sei. Thraemer
vermuthet a. a. 0. S. 1150 mit größter Wahrscheinlichkeit, daß
man das Hörn in der Abbildung Pellerins nur für ein verkann-
tes (weil schlecht erhaltenes) Epheublatt (resp. Ranke) halten
kann. Ohne Zweifel gehört diese Münze nicht hierher. Erst in
neuester Zeit ist der bärtige gehörnte Dionysos mit Sicherheit
auf Münzen nachgewiesen worden von Imhoof-Blumer „Griech.
Münzen" in den Abhandl. der K. Bayer. Akad. der Wissensch.,
München 1890 , der S. 628 fg. sein Vorkommen auf Münzen von
Skepsis dargethan und solche auf Taf. VIII, n. 6 fg. abbildlich
mitgetheilt hat.
Ungemein viel größer ist die Zahl der Darstellungen des ge-
hörnten unbärtigen Dionysos selbst nach Abzug der fälschlich
oder unsicher hierhergezogenen Beispiele. Ueber alle ihm bekann-
ten Fälle , deren Zahl aber von uns bedeutend vermehrt werden
wird, hat Stephani a. a. 0. p. 111 fg. gesprochen. Hier sind auch
die verdächtigen oder unsicheren Beispiele als solche bezeichnet,
doch hat auch er manche mit Unrecht hierhergezogen. So — um
hier nur ein sicheres anzuführen — p. 111, A. 1 die ithyphallische
Herme auf dem Vasenbilde bei Gerhard Hermenbilder Taf. V, n. 2
= Ges. Abhandl. LXXVII, 2, in welcher Gattung der Kunstübung
überall kein stiergehörnter Dionysos nachzuweisen ist (vgl. auch
Thraemer S. 1151). Die betreffende Herme stellt den Hermes dar,
wie ich schon vorlängst einsah und nachher auch bei Thraemer
a. a. 0. S. 1122 u. 1151 bemerkt fand. Ueber einige andere ver-
muthlich auch nicht hierhergehörende Bildwerke wird besser im
Folgenden gehandelt werden können.
378 Friedrich Wieseler,
Wir betrachten zunächst die Werke aus Marmor oder anderem
Stein. Einen Kopf, „der vermuthlich einer Statue angehört hat
und dessen Züge einen dem Apoxyomenos verwandten Typus tra-
gen", verzeichnen Benndorf und Schöne „Die ant. Bildw. des Late-
ran. Mus." S. 153, n. 236*. Eine „Doppelherme des bärtigen und des
gehörnten unbärtigen Dionysos in der Galleria dei Candelabri des
Vatican (n. 360)" erwähnt mit dem Zusätze „das Gesicht des Letz-
teren ist breit, aber nicht satyresk; vom Haare hängen Lemnis-
ken auf die Brust herab; das linke Hörn ist ergänzt" R. Schneider
Jahrb. a. a. 0. S. 48. Eine Doppelherme aus Marmor in Pompeji
wird im Bull. delT inst. arch. 1847 p. 138 == Arch. Ztg. 1847, S. 148
bezeichnet als „Bacchus Hebon und der jugendliche mit Stier-
hörnern". Eine Marmorherme mit Stierhörnern zwischen den Haa-
ren im Vatican ist nach Mus. Pio-Clement. T. VI, t. 6, n. 1 abgebil-
det in den Denkm. d. a. K. II, 33, 376 = 379 d. zweit. Ausg.
Eine andere Abbildung in Hirt's Bilderbuch Taf. X, n. 3. Durch
R. Schneider Jahrb. a.a.O. S. 48 erfahren wir: ,,der Mund ist
etwas geöffnet, so daß die obere Reihe der Zähne sichtbar wird".
Schneider äußert ferner, in dem freundlich lächelnden Gesicht ver-
möge er nicht ,,fast satyrartige" Züge zu erkennen und glaube,
daß E. Q. Visconti a. a. 0. p. 10 das Werk im Ganzen genommen
getreuer charakterisiere , wenn er sage : il volto del dio di Nisa
mantiene la sua bellezza e la sua gioventü, ma le sembianze di
lui non han nulla di femminile ed una maschia venustä si diffonde
sul suo volto e sulle sue forme, quäl conviene a quella mesco-
lanza di toro; della quäle non solo ritiene le picciole corna, ma i
capelli irti in mezzo alla fronte, e'l collo toroso e largo simigliante
assai a quello d'Ercole : oltredicciö le labbra tumide alquanto, e
rilevate piü del dovere ; acorescono anch' esse , ' senza altrarne
gran fatto la beltä, quella rassomiglianza e il carattere di quel
misto si artificioso. Hirt erwähnt S. 79 nach Visconti eine ganz
ähnliche Herme, an welcher die Hörner ursprünglich aus ande-
rem Material eingesetzt gewesen zu sein scheinen. Er meint
die in der Descr. de la Villa Albani aujourd'hui Torlonia, Rome
1869, p. 22, n. 119 (vgl. Beschr. der Stadt Rom III, 2, 460) als
die d'un personnage inconnu bezeichnete Herme von „Griechi-
schem Marmor". Eine andere Wiederholung sah ich im Jahre
1846 zu Poggio Imperiale, über welche sich bei Dütschke Ant.
Bildw. in Oberitalien II, S. 47 fg. keine Auskunft findet. Ich no-
tirte mir „Büste des stiergehörnten Bacchus mit der Corona tor-
tilis, Haar vor der Stirn ganz gleich wie bei der in den Denkm.
d. a. K. II, 33, 376, die Neigung des Hauptes nach links noch
über den Stierdionysos. 379
etwas tiefer, das Gesicht (mit tief ausgeführten Augensternen)
noch finstrer, die Hörner abgestoßen. Eine vierte Wiederholung
fand ich im J. 1873 im Varvakion zu Athen , vgl. Fr. "Wieseler
Arch. Bericht über seine Reise nach Griechenland S. 52 , welche
im Sybel'schen Catalog nicht erwähnt ist. Auch der oben an er-
ster Stelle der Marmor werke aufgeführte Kopf des Lateran. Mus.
gehört sicherlich hierher. Eine anscheinend ähnliche Herme des
Lateran. Mus. beschr. von Benndorf und Schöne S. 348, n. 489*
zeigt über der Stirn aus dem Haar statt der Hörner Epheutrau-
ben hervorstehend. Auch an der früher als Ariadne , jetzt mit
Recht als Dionysos gefaßten Büste des Capitolin. Mus. (Denkm.
d. a. K. II, 33, 375 = 377 d. zw. Ausg.) aus hellenistischer Zeit
wird noch jetzt das Vorhandensein von Hörnern als sicher ange-
nommen , obgleich schon C. Friedrichs an dem Berliner Gipsab-
güsse die Hörner vergebens suchte, vgl. Bausteine zur Gesch. d.
Griech.-Röm. Plastik I, n. 628. In der Ausgabe dieses Werkes
von Wolters wird n. 1490 für möglich, wenn auch nicht sicher
gehalten , daß der Künstler unter dem Haare versteckt kleine
Stierhörner angebracht habe. Eine genaue Untersuchung des Ori-
ginals, die ich im Anfang des J. 1846 in Gemeinschaft mit einem
Freunde unternahm, zeigte, daß von Hörnern keine Spur vorhan-
den ist. Die Büste eines jugendlichen Dionysos mit Hörnern, die
über der Stirn hervorsprießen (nicht „am Diadem befestigt" sind,
wie Blümner Lessing's Laokoon S. 104 angiebt) aus grünem Basalt
im Berliner Mus. (Conze Verz. d. ant. Skulpt. S. 28 n. 120), abgebil-
det in Beger's Thes. Brandenburgicus III, p. 240, bei Hirt Bilder-
buch S. 23, Vign. 2 und danach in der zw. Ausg. der Denkm. d.
a. K. IV, 33, 378, so wie eben in der Beschr. d. ant. Skulpt. des
K. Mus. zu Berlin zu n. 120, ist nach Conze „vielleicht moderner
Arbeit", wie auch Puchstein bei R. Schneider Jahrb. S. 48 sie
als „des modernen Ursprungs nicht ganz unverdächtig" bezeich-
net, und Kekule* als „vielleicht moderne Arbeit". Eine Marmor-
büste des jugendlichen gehörnten Dionysos befindet sich in der
Marciana zu Venedig, vgl. Nachrichten von der K. Ges. d. Wis.-
sensch. zu Göttingen 1874, S. 587. Ein kleiner mit Epheu und
Weintrauben bekränzter , mit Stierhörnern versehener Kopf zu
Turin ist in denselben Nachrichten 1877, S. 671 verzeichnet, [in
dem Dütschke'schen Verzeichniß habe ich ihn aber nicht finden
können.
Auch in Reliefs kommt der jugendliche Dionysos gehörnt vor,
wenn auch nur sehr selten. So, wie es scheint, auf dem Felsrelief
von Philippi bei Heuzey et Daumet Mission arch. de Mac^doine pl.
380 Friedrich Wieseler,
III, 2, Rev. arch. nouv.ser.. Vol. XI, 1865, p. 450, einer spätem Griechi-
schen Arbeit, vgl. Mission p. 79 fg. = Rev. arch. p. 449 fg. , Thrae-
mer a. a. 0. S. 1111 fg.; vielleicht auch der in Hautrelief ausgear-
beitete Kopf des Lateran ens. Mus. bei Benndorf u. Schöne n. 240.
Ferner bringt man hierher mehrere Werke aus Thon. Ste-
phani erwähnt im Compte rend. p. 1863, p. 111 ein Thongefäß,
welches die Form eines jugendlichen mit Stierhörnern versehenen
Kopfes habe, und bezieht diesen auf Dionysos. Es handelt sich
um das in der Arch. Ztg. 1851, Taf. 32 abgebildete Gefäß. E.
Gerhard hielt den Kopf für entschieden weiblich und war beson-
ders geneigt ihn auf Kora zu beziehen (Arch. Ztg. 1851, S. 369 fg.).
Aber wenn auch das Gesicht sich ganz weiblich ausnimmt, so er-
scheint doch das Haar mehr männlich und der Kalathos nebst
anderem Kopfschmuck würde wohl zu einem Dionysos passen. Die
Hauptsache ist, daß bei Annahme eines Weibes keine wahrschein-
liche Deutung möglich ist. Das Gefäß soll nach Gerhard aus
Unteritalien stammen. Dann glaubt Stephani a. a. 0., daß die an
den Voluten der unteritalischen großen Amphoren so häufig wie-
derkehrenden kleinen Köpfe mit weißen Stierhörnern den Dionysos
darstellen , vgl. Stephani Vasensammlung der K. Ermitage Th. I,
n. 351, S. 166, n. 354, S. 173, n.423, S. 223, n. 778, S. 306, n. 787,
S.316, Th.II, n.1286, S. 116. Die Köpfe sind regelmäßig dem
Beschauer zugewendet. Uns scheinen Medusenköpfe gemeint zu
sein, die in jenen späteren Zeiten auch mit Hörnern dargestellt wur-
den. Endlich nimmt Stephani im Compte rend. a. a. 0. an, daß ein
an einem kleinen schwarzen Thongefäße der Ermitage in flachem
Relief dargestellter jugendlicher mit Weinlaub bekränzter und mit
Stierhörnern versehener Kopf den Dionysos darstelle. Aber in dem
später erschienenen Verzeichn. der Vasensammlung Th. I, n. 505
heißt es „ein jugendlicher Kopf mit reichem Haar , spitzen Ohren
und kleinen Hörnern (Satyr) u. Sicher stehen folgende von Ste-
phani meist nicht erwähnten Beispiele. Auf einer Lampe in den
Lucernae fict. Mus. Passer. II, 37 ist die Büste des unbärtigen ge-
hörnten Dionysos mit etwas in die Stirn herabfallendem Haare
und finsterem Gesichtsausdruck dargestellt. Ein aus Kleinasien
stammendes Terracottaköpfchen des jugendlichen gehörnten Diony-
sos im K. Antiquarium zu Berlin erwähnt nach Furtwängler R.
Schneider a. a. 0. S.46, Anm. Eine Terracottenstatuette des ge-
hörnten jugendlichen Dionysos mit Stierhörnern ist bei J. de Witte
Rec. de terres cuites de Janze" pl. 23 abgebildet.
Mehr ist uns von hierhergehörenden Bronzen erhalten. Ste-
phani erwähnt zwei Statuen Compte rend. p. 1863, p. 111 nebst
über den Stierdionysos. 381
Anm. 4. „Die eine ist bei Clarac Mus. de sculpt. pl. 684, n. 1603"
oder vielmehr 1601, „die andere , an welcher sich die Hörner fast
der Form von Ziegenhörnern nähern , in den Bronzi d' Ercolan.
T. II, p. 203 und bei Piroli Ant. <T Hercul. T. V, pl. 27, Kayser
Hercul. und Pomp. Th. V, 1, Taf. 101, Clarac Mus. de sc. pl. 770 A,
n. 1919", vielmehr 1909, „D abgebildet". Aber die letztere be-
trachtet E. Schneider Jahrbuch a. a. 0. S. 45 fg. A. 5 als ent-
schieden nicht hierhergehörig; auch die andere wagt er nicht als
sicher auf den gehörnten Dionysos bezüglich zu betrachten, „da
in den beiden andern Abbildungen Bronzi di Ercolano Vol. II,
t. XXXVI, Roux und Bouchet Herculanum et Pompei T, V, Ser. 1,
pl. XL VI die angeblichen Hörner wie zwei Haarlocken aussehen".
Dagegen kommt jedenfalls die Sitzfigur in der K. Ant.-Sammlung
zu Wien aus der früheren Diadochenzeit in Betracht, welche E. v.
Sacken in den arch.-epigraph. Mittheil, aus Oesterr. Jahrg. III, S.
128 fg., n. 2 auf den Stierdionysos bezieht, nachdem sie Furtwäng-
ler in den Mittheilungen des Deutschen arch. Instituts in Athen
Bd. III, S. 294 Anm. für einen Diadochenkönig als Dionysos ge-
halten hatte. Die von Robert Schneider in dem Jahrb. a. a. 0.
S. 42 u. Taf. IV abbildlich mitgetheilte Figur wurde um 1877 im
Peloponnes gefunden. „Sie zeigt uns den jugendlichen Gott, wie
er sich auf ein Felsstück niedergelassen hat. Er ist nackt. Das
um den linken Vorderarm gewickelte Gewand dient als weiche
Unterlage auf dem rauhen Sitze und hängt über den nackten
Oberschenkel herab. Der nach rechts gewendete Kopf, den ge-
wohnten Bildungen des Dionysos wenig ähnlich, ist von breit und
kräftig gebautem Knochengerüste und düsterem Ausdrucke. Eine
tiefe von Schläfe zu Schläfe sich hinziehende Furche theilt die
fleischige Stirne in zwei Hälften, deren untere ungefähr wie an
den Köpfen des Zeus über der Nasenwurzel stark ausgebaucht ist.
Die Nase ist klein, der Mund groß, die Lippen dick. Das Haar,
aus dem rechts und links die kleinen Hörner des jungen Stiers
hervorragen , schmiegt sich dem flachen , verhältnißmäßig kleinen
Hinterhaupte an , umgiebt dasselbe mit den wirr durcheinander
geworfenen Enden gleich einem Kranze, fließt rechts und links
vom Gesichte in reicher Fülle über den starken Nacken herab
und verleiht dem Kopfe, den es größer erscheinen läßt als er
wirklich ist, ein fast majestätisches Ansehen. Blick und Wendung
des Kopfes gelten offenbar der Figur, welche auf dem nach rechts
sich fortsetzenden jetzt leeren Theile der Basis angebracht war.
Am nächsten liegt es hier, an das Lieblingsthier des Dionysos, den
Panther zu denken, der nach dem Becher oder nach der Traube
382 Friedrich Wieseler,
aufschaut, Dinge die vielleicht mit mehr Wahrscheinlichkeit in
der erhobenen Rechten des Gottes vorausgesetzt werden dürften
als Thyrsos oder Zepter". Sehr interessant ist das auf einem
Throne sitzende Cultusbild des Dionysos aus vergoldeter Bronze,
mit den Ansätzen (punte) zweier Hörner auf der Stirne (Sogliano
Le pitt. murali Campane n. 241 , in Pompei e la regione sotterra-
ta dal Vesuvio Napoli 1879, P. 2, p. 131. Außerdem führt R.
Schneider S. 48 an ein „Brustbild aus Bronze gefunden bei Es-
sek um 1870, im Besitze des Herrn Julius Herz, 24 cm hoch
und 26 cm breit. Es gehört der derberen Charakteristik des
Weingottes nach sichtlich einer späteren Kunstepoche an. Der
freundlichlächelnde Kopf ist nach rechts geneigt. Wangen und
Kinn sowie die Brust sind von fast weiblicher Fülle. Das in der
Mitte gescheitelte und mit einer Corona tortilis geschmückte Haar
fällt in aufgelösten Strähnen auf die Schulter und ist mit Trau-
ben schwer behangen. Winzige Hörnchen wachsen aus beiden
Stirnhöckern heraus, und über dieselben zieht sich eine schmale
Binde hin, welche sich jederseits im Haare verbirgt. Auf der
linken Schulter ist das quer über die Brust laufende, mit beson-
derem Fleiß ausgeführte Ziegenfell geknüpft. Die Bronze ist
vortrefflich erhalten , mit schöner Patina überzogen und obwohl
nachhadrianischer Zeit angehörig, von guter, freilich etwas trok-
kener Arbeit. Sie ist hohl und war als Zierrath in senkrechter
Lage an irgend einem Greräthe befestigt". Ein halblebensgroßer
Kopf von Bronze mit sehr kleinen Stierhörnchen wird in dem Jahrb.
d. K. Deutschen arch. Inst. Bd. V, Arch. Anz. 1890, 3, S. 91 er-
wähnt und abbildlich mitgetheilt von Furtwängler , der bemerkt,
daß der Kopf in Kleinasien gefunden sei und eine Arbeit späte-
rer hellenistischer oder frührömischer Zeit zu sein scheine. Zwei
schöne Köpfchen auf einem durch die Künstlerinschrift interessan-
ten Bronzeplättchen erwähnt Overbeck Pompeji S. 430 der vier-
ten Aufl. Schönes Köpfchen aus der Gegend von Corneto Bull,
d. inst. arch. 1866, p. 232. Besonders interessant ist der von
R. Schneider im Jahrb. a. a. 0. S. 44 abbildlich mitgetheilte und
S. 43 fg. besprochene Bronzehenkel eines Gefäßes aus Aegypten
im K. Mus. zu Wien : „Auf dem massiv gegossenen und trefflich
erhaltenen , 25,5 cm hohen Henkel , erhebt sich in hohem Relief
als ein ursprünglich in dem weichen Stoffe gesondert modellirtes
Stück eine 9 cm hohe Maske des gehörnten Dionysos. Der nach
rechts gewendete Kopf, dessen Bedeutung das Weinblatt außer
Zweifel setzt, entnimmt außer den beiden Hörnern, welche spitzi-
ger und größer als an der peloponnesischen Figur, auch morpho-
über den Stierdionysos. 383
logisch richtiger aus den Stirnhöckern hervorsprießen, dem Stiere
noch die freilich nicht naturalistisch abstehenden, sondern mit der
Spitze nach aufwärts gekehrten Ohren. Auch der Hals ahmt mit
seiner schlaffen faltenreichen Haut entschieden die hängende
Wamme des Stieres nach. In vollem Einklang mit der weiterge-
henden Aufnahme thierischer Formen sind auch die etwas finste-
ren Züge der Maske weit weniger edel als an dem Kopfe der
Statuette. Im Gesichte überwiegen die unteren Theile, die Wan-
gen sind voll, die Nase ist stumpf und fleischig. Die niedere
Stirne ist zwar gleichfalls über Brauen und Nasenwurzel stark
angeschwollen, giebt aber dem Kopf keineswegs das zeusartige
Gepräge der peloponnesischen Figur. Das Haar ist spärlich und
hinter Hörnern und Ohren unter Epheublättern verborgen l). „Mas-
ken des gehörnten Bacchus, wie es scheint" am Schlüsse der Hen-
kel eines eimerförmigen Bronzegefäßes nach Friederichs Berlins
ant. Bildw. II, S. 163, n. 679.
Von den hierher gehörenden Münzen ist sicher und belang-
reich die aus Bronze mit dem Brustbild des epheubekränzten un-
bärtigen Dionysos mit Stierhörnern an den Schläfen mit eigen-
thümlichem an die Marmore oben S. 374 fg. und die Lampendarstel-
lung S. 380 erinnernden Gesichtsausdruck unter Seleukos I von
Syrien geprägte , welche Percy Gardner The types of Gr. coins
pl. XIV, n. 11 und Catal. of Gr. coins in the Brit. Mus., Seleu-
cid. kings of Syria, pl. XXVIII, n. 1 herausgegeben hat und die
zweite Ausg. d. Denkm. d. a. K. II, 33, 380 wiedergeben wird.
Andere hierhergezogene Münztypen hat schon Stephani Compte
rend. p. 1863, p. 112 fg. als nicht hierher gehörig oder unsicher
bezeichnet. Anlangend die hier S. 113 erwähnten Bruttischen
Münzen, so sind dieselben noch öfter besprochen oder abgebildet
als er angiebt ; zuerst von Eckhel Numi anecd. p. 41 u. t. III, 20,
ferner von R. Stuart Poole Catal. of Gr. coins in the Brit. Mus.,
Italy, p. 321 , welcher der betreffenden Figur in der Linken eine
lange Fackel zuschreibt, von Friedländer und Sallet Münzkab. zu
Berlin n. 548 = 752 d. 2. Aufl., welche angeben , daß die Figur
in der Linken ein Scepter halte , von Garrucci , Mon. dell' Italia
ant. t. CXXIV, n. 13 u. 14. Alle schreiben der Figur Hörn er
zu , Stephani bemerkt dagegen : „einige sehr wohl erhaltene
Exemplare der kais. Eremitage lassen die vermeintlichen Hör-
ner vielmehr als eine Zackenkrone erscheinen und so sind sie
1) Die obigen Beschreibungen It. Schneider's zeigen, daß die Angabe bei
Friedrichs und Wolters a. a. 0. n. 1730 irrig ist.
Nachrichten von der K. G. d. W. m Göttingen. 1891. No. 11. 28
384 Friedrich Wieseler,
auch in den von Carelli gegebenen Abbildungen aufgefaßt".
Das Attribut in der Linken ist weder als Fackel noch als Scep-
ter aufzufassen, sondern als Speer. Die Figur ist früher theils
als Dionysos theils als Flußgott aufgefaßt. Wenn Stephani äu-
ßert, es erscheine ihm sehr zweifelhaft, ob überhaupt an Dionysos
zu denken sei , so kann ich nur zustimmen ; vermuthlich ist Pan
gemeint. Außer diesem Münztypus bezieht A. W. Curtius a. a. 0.
S. 20 den auf einer Münze von Gela (Streber a. a. 0. S. 474. 477
und Kupfertaf.) dargestellten gehörnten jugendlichen Kopf, den
Streber für den Flußgott Gelas ausgebe, für den jugendlichen Stier-
dionysos, während er den „Stiermenschen auf der Aversseite"
für den Fluß Gelas hält. Aber das ist durchaus irrig, auch abge-
sehen davon , daß der Kopf gar nicht so aussieht , wie der eines
Dionysos. Der unbärtige gehörnte Kopf kommt mehrfach auf der
Vorderseite der Silber- und Kupfermünzen von Gela vor und ist
als der Flußgott durch die Attribute und selbst durch Inschrift
als Gelas bezeichnet. Der Typus auf der Rückseite der Kupfer-
münzen ist ausnahmsweise ein Stier mit menschlichem Gesicht,
während sonst ein schreitender Stier vorkommt. Die Inschrift
TEAZ findet sich allerdings einige Male auf der Rückseite bei
dem Stiere, aber dennoch ist dieser auch als der Flußgott Gelas
zu betrachten , der also zwei Male , einmal als Mensch mit Stier-
hörnern, das andere Mal als vollständiger Stier dargestellt ist.
Die Bildung als vollständiger Stier bezeugt Timäos in den schol.
Pindar. Pyth. I, 135 : xbv yäg ev rfj Ttökst dsLXVv^isvov (tccvqov) [iij
slvcci rov <&cdccQLdog, — aAA' sizöva ttlu rov Ttoxa^ov.
Von hierher gehörenden geschnittenen Steinen giebt es kein
sicheres Beispiel. Vgl. Stephani Compt. rend. 1863, p. 113 fg.
Wenn es hier p. 114, A. 1 heißt: „ein roh gearbeiteter Sard der
Sammlung in Berlin (Toelken Verz. p. 186, n. 928) stellt vielleicht
den jugendlichen Dionysos dar, allein die ihm gegebenen Hörner
gleichen mehr den Ziegenhörnern als denen der Stiere", so er-
kannte schon Winckelmann Descr. d. pierr. grav. Stosch Cl. II,
n. 1487, p. 239 die Ziegenhörner und bezog deshalb die Darstel-
lung auf eine tete d'un Faune. Toelken, der von der Art der Hörner
nichts sagt, zweifelt nicht an einem „Kopf des Bacchus". Er be-
merkt indessen , daß der mit Epheu bekränzte Kopf einen stren-
gen , fremdartigen Ausdruck habe und über der einen Schulter
der Thyrsos, über der andern das Pedum erscheine. Dieses
konnte allerdings auch dem Dionysos gegeben werden. Die Zie-
genhörner sind aber unzweifelhaft. Stephani hat die oben S. 381
besprochene Bronzestatue aus Herculaneum, trotz seiner Wahrneh-
über den Stierdionysos. 385
mung, „daß sich die Hörner fast der Form von Ziegenhörnern nä-
hern" unbedenklich als Dionysos gefaßt. Eine prächtige bärtige
Bronzemaske ans Macedonien mit Ziegenohren bei Froehner Col-
lect. J. Greau, Catal. des bronzes ant. p. 36, n. 167 wird von dem
Heransgeber p. 37 auf Dionysos bezogen. Er bemerkt, daß die
Ziegenohren ein detail peu commun sei. Ich kenne es bei keinem
anderen sicheren Dionysoskopf. Freilich hat Head Hist. num. p.457
einen auf p. 456, F. 282 abgebildeten epheubekränzten unbärtigen
Kopf mit Ziegenohren auf den jugendlichen Dionysos bezogen, aber
er denkt auch an eine Bacchante und von Percy Gardner Types of
Gr. coins zu pl. X, 40, wo derselbe Typus abgebildet ist, wird er
nur auf eine Maenade bezogen. Man hat an eine Satyra zu den-
ken , vgl. Nachr. der Kgl. Ges. d. Wissensch. 1890, S. 388. Die
in Rede stehende früher im Besitz von Gröau befindliche Maske
hat manche Aehnlichkeit mit der früher Milanischen und der von
Cilli, welche R. Schneider zusammen herausgegeben hat. Auch
diese haben thierische Ohren und sind wegen des Gesichtsaus-
drucks nicht auf Dionysos , sondern zunächst auf den Silen zu
beziehen l). — Indessen wird im Cat. du mus. Fol. Ant., P. II, n.
1935 eine Paste als mit zwei kleinen Stierhörnern versehen be-
zeichnet , mit dem Zusätze la figure est rieuse , und n. 1941 das
Fragment eines Onyx, an welchem man sur les tempes deux petites
cornes gewahre.
Wie Philostratos Imag. I, 15 in der Beschreibung eines Ge-
mäldes mit der Darstellung des Dionysos und der Ariadne jenem
als sein Kennzeichen Hörner ex rav xQotdcpcov (gewiß des Stieres)
beilegt, so sehen wir auf einem Wandgemälde mit demselben
Gegenstande (Bullett. Napol. nuov. ser. T. II, p. 67, Heibig Wand-
gem. d. verschütt. Städte v. 1239) den jugendlichen gehörnten
Gott dargestellt. Ein anderes Pompejanisches Wandgemälde,
das ihn als Cultusbild zeigt, ist schon oben S. 382 erwähnt. Auch
Albricus Phil, de deor. imag. CXIX beschreibt ein Gemälde des
Dionysos mit gehörntem Kopfe.
Auch ein aus Rom stammendes Mosaikbild ist bekannt durch
die Abbildung bei Bartoli Le pitture ant. delle grotte di Roma
tav. XX.
Darstellungen des Dionysos bloß mit Stierhörnern werden bei
den Schriftstellern etwa seit der Mitte des fünften Jahrhunderts
v. Chr. erwähnt. In Bildwerken sind sie vor der Zeit Alexanders des
1) Mit Unrecht werden diese beiden Masken bei Friedrichs-Wolters n. 2032
u. 2033 auf Dionysos bezogen.
28*
386 Friedrich Wieseler,
Großen nicht nachzuweisen. Sie scheinen im Peloponnesos aufge-
kommen und namentlich durch Lysippos und dessen Schule aus-
gebildet zu sein , vgl. R. Schneider Jahrb. a. a. 0. S. 50 fg. , auch
oben S. 378 fg.
In der Zeit der Diadochen finden wir auch diese mit Stier-
hörnern dargestellt , ohne Zweifel um sie als neue Dionysen zu
bezeichnen. So zuerst Seleukos I von Syrien , vgl. die Münze in
den Denkm. d. a. K. I, 49, 220 m = Catal. of the Gr. coins in
the Brit. Mus. , Seleucid. kings , pl. I, n. 6, und die ebenda n. 11
u. 13, die erste auch bei Head Hist. num. p. 638, F. 336. Dann
Demetrios Poliorketes auf der Münze D. a. K. I, 50 p. 221 b,
Head H. num. p. 202, F. 144, dem geschnittenen Steine des Brit.
Mus. (Murray Cat. of engrav. gems pl. I. n. 1526, vgl. p. 171,
und in der Bronzestatuette D. d. a. K. I, 50, 221 a, wenn dieselbe
ihn wirklich darstellen soll. Ein gewiß nicht mit Recht auf Alex-
ander bezogener Hermenkopf aus Herculaneum , abgebildet bei
Comparetti e de Petra La villa dei Pisoni tav. XX, 3, stellt je-
denfalls das heroisirte Porträt eines DiadochenkÖnigs dar. Dazu
kommt noch der Marmorkopf eines gleichfalls unbestimmbaren Dia-
dochen, zuletzt besprochen von Heibig „Die öffentlichen Samm-
lungen klassischer Alterthümer in Rom" I, S. 173 fg., n. 247.
Von besonderem Interesse ist die Tetradrachme Seleukos' I.
Der König trägt einen Helm von Stierleder mit dem Ohr und
dem Hörn eines Stieres daran (also auch hier wie oben S. 373 fg.
die Verbindung von Stierhörnern und Stierohren). Wie kam der
Künstler dazu, ihn so darzustellen? Nicht bloß A. W. Curtius
a. a. 0. S. 30, sondern ncch Head a. a. 0. S. 638 ist der Meinung,
daß es geschehen sei in Rücksicht auf die Kraftprobe , welche
Seleukos einst bei einem Opfer Alexanders ablegte , als er einen
wilden den Fesseln entsprungenen Stier ganz allein aufhielt und
mit den Händen tödtete (Appian. Syr. 57). Allerdings giebt Ap-
pian ausdrücklich an, daß deshalb der Statue des Seleukos Hörner
beigegeben seien. Aber wer will das glauben ? Alexanders sieg-
reicher Zug nach Indien hatte die Sage von Dionysos' Siegen
ebendort in Schwang gebracht. Dionysos wurde Kriegsgott und
Triumphator, ein Schützer und Vorbild sieghafter Herrscher. Wie
Alexander hatte auch Seleukos in Indien gesiegt. Daß er den
Stierdionysos als seinen Schutzgott betrachtete, zeigt die oben
S. 383 aufgeführte Münze , deren Revers den Seleukos darstellt,
wie er zu Roß sitzend einen Feind niedergestoßen hat. Nun
wurde auch Seleukos selbst als neuer Dionysos dargestellt. Auch
Herrscher, die nicht in Indien gesiegt hatten, erhielten von den
über den Stierdienstdionysos. 387
Künstlern die Dionysischen Stierhörner. War doch der G-ott
überall siegreich und Verleiher des Sieges.
6.
E. von Sacken glaubt „Die ant. Bronzen des K. K. Münz- u.
Ant.-Cab." in Wien S. 60 , daß auch das Taf. XXIX, F. 14 ab-
gebildete archaische Bronzewerk, welches ein Menschenantlitz mit
Stiernacken zeigt, außerdem aufrechtstehende Ohren, aber unge-
hornt ist, den Stierdionysos angehe. Ich kann unmöglich bei-
stimmen, sondern bin überzeugt, daß ein Silen mit faxa ueydka
oq&lcc gemeint ist.
Besonders interessant ist eine Münze von Skepsis, beschrie-
ben und herausgegeben von Imhoof-Blumer in den Griech. Münzen,
Abhandl. d. K. Bayer. Akad. d. Wissensch. München 1890, S. 629,
n. 235 und Taf. VIII, n. 9. Während sonst auf den Münzen die-
ser Stadt der Kopf des bärtigen Dionysos gehörnt erscheint, trifft
man das. thronende Cultbild des Gottes dort nicht gehörnt, aber
von zwei Stieren umgeben. Die Hörner am Kopfe des Gottes
sind doch wohl nur deshalb weggelassen , weil die Beigabe der
beiden Stiere auf den Stierdionysos hinwies.
Schon vorlängst ist darauf aufmerksam gemacht, daß in einer
Berliner Marmorstatuette (Conze Verz. n. 93) die symbolische Be-
ziehung des Stiers zu Dionysos dadurch bezeichnet wird, daß dem
Gott als Anzug eine Stierhaut gegeben wird, vgl. Welcker Ann.
d. inst, arch, 1857 p. 146 fg. = A. Denkm. V, S. 36 fg., Mon. ined.
VI, t. VI, 1. 2 = A. Denkm. a. a. 0. Taf. IL
Weiter hat man auch einen mit Wein bekränzten Kinderkopf
aus rothem Marmor im Berliner Museum, der hinten in einen klei-
nen Stierkopf ausläuft, hierhergezogen; vgl. Arch. Ztg. 1851, Taf.
XXXII, Welcker A. D. a. a. 0., S. 39, Gaz. archeol. 1879, p. 27,
Conze Verz. d. ant. Skulpturen d. Berl. Mus. n. 134, Kekule* Beschr.
ders. n. 134.
Die Veranschlagung von Bildern des Dionysos mit angedeu-
teten oder verhüllten Hörnern rührt von R. Schneider Jahrb. a. a. 0.
S. 49 fg. her. Er führt unter dieser Kategorie auf die oben S. 379
erwähnte Herme des Lateranens. Mus. bei Benndorf und Schöne
n. 489*, die oben S. 379 besprochene Büste des Capitol. Mus. x), die
1) Schon A. W. Curtius bemerkte a.a.O. S. 20 gegen Welcker's Ansicht:
„Mit demselben oder mit noch mehr Recht könnte man dann auch den gelager-
ten Dionysos im Louvre Bouillon Mus. III, 9 und den Dionysos Mon. delF Inst.
VI, 6 für den gehörnten Dionysos ausgeben".
Friedrich Wieseler, über den Stierdionysos.
Herme des Dionysos Psilax im Berliner Mus. : „Die Buckel über
der Stirne sollen zwar nach der Versicherung E. Brauns Kunst-
vorst. des gefl. Dionysos S. 3 nichts Anderes als die unter dem
Tuche verborgenen Trauben des Epheukranzes sein, haben aber
wie derselbe selbst zugesteht, fast „das Ansehen von Hörnern".
Conze spricht in den ant. Skulpt. des Berl. Mus. n. 119 von Be-
sten einer Bekränzung von Epheu. Auch anderweitig wird die
Braun' sehe Angabe nicht bestätigt. Endlich veranschlagt R. Schnei-
der das oben S. 379 fg. erwähnte Relief brustbild an der Felswand
von Philippi, in welchem es sich aber um ein eigentliches Ver-
hüllen der Hörner nicht handelt. Warum überall das Verhüllen
der Hörner ?
Die Hörner sind nicht stets und durchaus nöthig, sie kön-
nen auch durch Gresichtsausdruck und sonstwie ersetzt werden.
Schließlich noch die Bemerkung, daß die Darstellungen des
gehörnten Dionysos in Betreff des Gresichtsausdruckes und auch
der Formen mannigfach wechseln. Der Ausdruck ist ein aufge-
regter und mehr noch ein finsterer, aber nicht selten auch der
gewöhnliche, ja auch ein freundlich lächelnder wie an dem Bronze-
brustbilde aus der Gegend von Essek (oben S. 382) und vielleicht
auch an der Paste Fol (oben S. 385). Vgl. dazu Schriftstellen,
wie namentlich Ovid. Fast. III, 789 : Mite caput, pater, huc placata
que cornua vertas. Beispiele eigenthümlicher Formen oben S. 374,
378, 381, 382 fg.
Bei der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften einge-
gangene Druckschriften.
Mau bittet diese Verzeichnisse zugleich als Empfangsanzeigen ansehen zu wollen.
November 1890.
(Fortsetzung.)
XV. Bericht der Naturforschenden Gesellschaft in Bamberg. Bamberg 1890.
Jahresbericht des Direktors des Kön. Geodätischen Instituts für April 1889 bis
April 1890. Berlin 1890.
Sitzungsberichte der physikalisch-medicinischen Societät in Erlangen. 22. Heft.
1890. München 1890.
Jahrbücher der K. K. Central -Anstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus.
Officiellc Publication. Jahrg. 1888. Neue Folge XXV. Bd. Wien 1889.
Die Wahrheit. Entwurf zu einer transcendentalen Logik von Anton Ganser.
Graz 1890.
Skizzen zu einem werthvollen Luftschiff von J. Fr. Schön le Jeune in Wien.
(2 Exempl.).
389
Anzeiger der Akademie d. Wissensch. in Krakau. 1890. Oktober. Krakau 1890.
Ungarische Revue. IX. Heft. 1890. Nov. 10. Jahrg. Budapest 1890.
Myriopoda Regni Hungariae. Elabor. Dr. Eugenius Daday de Dee'es.
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Adatok a bor - e's mustelenize's mödszere'hez irta Dr. Ulbricht Richard.
Budapest 1889.
Jahrbuch für Schweizerische Geschichte. Band 15. Zürich 1890.
Nature. Vol. 43. Nr. 1096. 1100. (London 1890).
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Tijdschrift voor Nederlandsche Taal- en Letterkunde. 9. deel. Nieuwe Reeks,
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Note sur deux algues de la Mediterannee Fauchea et Zosterocarpus par M. Ed.
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1890. Jan.— März. 2. Abtheilung IIa. XCVIII. Band. IV— X. Heft. 1889. April
—Dezember. XCIX. Band. I.— III. Heft. Jahrg. 1890. Jan.— März. 3. Abtheil.
IIb. Band XCVIII. IV.— X.Heft. Jahrg. 1889. April -December. XCIX. Band.
I. -III. Heft. Jahrg. 1890. Jan. -März. 4. Abtheilung III. XCVIII. Band. V.—
X.Heft. Jahrg. 1889. Mai— December. XCIX. Band. I.— III. Heft. Jahrg. 1890.
Jan. — März. 2) Philosophisch-historische Classe. CXIX. Bd. CXX. Bd. Jahrg.
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c. Die Decomposition der Systeme von n2 Grössen und ihre Anwendung auf die
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der Systeme von n2 Grössen mit sich selbst. (Ebendaher. 1889. XXX. XXXI.
1890. XXVI. XXVIII. XXX. XXXVI. XL).
d. Algebraische Reduction der Schaaren bilinearer Formen. Algebraische Re-
duction der Schaaren quadratischer Formen. (Ebendaher. 1890. XL VIII. LIII.
1891. II. III).
e. Ueber die arithmetischen Sätze, welche Lejeune Dirichlet in seiner Bres-
lauer Habilitationsschrift entwickelt hat. Bemerkungen über Dirichlet's letzte
Arbeiten. (Ebendaher. 1888. XVI. XVIII).
f. Ein Fundamental satz der allgemeinen Arithmetik. Aus dem Journal für die
reine und angewandte Mathematik. Bd. 100. Heft 4
g. Premiere partie du chapitre XIII de la Note sur la tlidorie des rdsidus qua-
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Heft 3).
i. Ueber den Zahlbegriff. (Ebendaher. Bd. 101. Heft 4).
k. Bemerkungen über die Darstellung von Reihen durch Integrale. (Ebendaher.
Bd. 105. Heft 2).
Kgl. Sächsische Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig :
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2. Abhandlungen. Bd. XVI. N. III. Bd. XVII. N. 1 u. 2. Ebd. 1891.
b. Philologisch-historische Classe :
Berichte über die Verhandlungen. 1890. II. III. Ebd. 1891.
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Sitzungsberichte der philosophisch-philologischen u. historischen Classe. 1890.
Bd. II. Heft III. München 1891.
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a. Anzeiger. Jahrg. 1890. Nürnberg 1890.
b. Mitteilungen. Jahrg. 1890. Ebd. 1890.
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200jährigen Jubelfestes 1890. Sonderabzug: Ueber die Dirichletsche Methode
der Wertbestimmung der Gaussschen Reihen. Von L. Krön eck er. Leip-
zig 1890. (
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Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik. Band XX. Jahrgang 1888.
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Eberstein aus dem zweiten schwedisch-dänischen Kriege. Herausgeg. v. L. F.
Freiherrn von Eberstein. 2. Ausg. Berlin 1891.
Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. 44. Band. IV. Heft.
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Societatum litterae. Hrsg. v. E. Huth. Jahrbuch 1890. Berlin 1891.
Monatliche Mittheilungen aus dem Gesammtgebiete der Naturwissenschaften. Or-
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Tom. (1.) 2—14. 15. No. 1—3. MoCKBa 1866—91.
Inhalt von Nr. 11.
Friedrich Wieseler, Über den Stierdionysos. — Eingegangene Druckschriften.
Für die Kedaction verantwortlich: H. Sauppe, Secretar d. K. Ges. d. Wiss.
Commissions-Verlag der Bieterich' sehen Verlags- Buchhandlung.
Brück der Bieterich' sehen Univ.- Buchdruckerei (W. Fr. Kaestnm).
3094 4
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BJNDING SECT. MAY 2 8 1971
AS
182
G834
1890-91
Akademie der Wissenschaften,
Göttingen
Nachrichten von der K.
Gesellschaft der Wissen-
schaften und der
Georg-Augusts-Universität
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