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Full text of "Nachrichten von der K. Gesellschaft der Wissenschaften und der Georg-Augusts-Universität"

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£         Akademie,  ['scefcsckaffc**.       So4*»^^«^ 


Nachrichten 


von  der 


Königl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften 


und  der 


Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu    Göttingen. 


Aus  dem  Jahre  1890. 

Nro.   1  —  16. 


Göttingen, 
Dieterichsche  Verlags -Buchhandlung. 
1890. 


PS- 

in. 

Gm 


IS\  %.  CsT 


Man  bittet  die  Verzeichnisse  der  Accessionen  zugleich  als  Empfangsanzeigen 
für  die  der  Königl.  Societät  übersandten  Werke  betrachten  zu  wollen. 


Register 

über 

die  Nachrichten  von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und 

der  Georg  -  Augusts  -  Universität 
aus  dem  Jahre  1890. 


Auerbach,  F.,  Absolute  Härtemessung.     518. 

Bechtel,  F.,  Kleine  Aufsätze  IL     29. 

Brioschi,  Fr.,  Ueber  die  Keinen entwickelung  der  geraden  Sigma- 
functionen  zweier  Veränderlichen.     236. 

Burkhardt,  H.,  Zur  Theorie  der  Jacobi'schen  Gleichungen  40.  Gra- 
des, welche  bei  der  Transformation  3.  Ordnung  der  Thetafunctionen 
von  zwei  Yeränderlichen  auftreten.     376. 

Conze,  EL,  zum  auswärtigen  Mitgliede  erwählt.     557. 

Drude,  P.,  Ueber  die  Größe  der  Wirkungssphäre  der  Molecular-Kräfte 
und  die  Constitution  von  Lamellen  der  Plateau'schen  Glycerin-Sei- 
fen-Lösung.     482. 

—  —  und  W.  N  e  r  n  s  t ,  Einfluß  der  Temperatur  und  des  Aggre- 
gatzustandes auf  das  Verhalten  des  Wismuths  im  Magnetfelde.    471. 

—  —  siehe  Voigt,  W. 

Galitzine,  B.,  Ueber  das  Dalton'sche  Gesetz.    22. 
Gildemeister,   J.,  auswärtiges  Mitglied,  gestorben.     556. 

Hartlaub,  OL,  Beitrag  zur  Kenntniß  der  Comatuliden  -  Fauna  des 
Indischen  Archipels.     168. 


4  Register. 

Henneberg,  W.,  ordentliches  Mitglied,  gestorben.     556. 

Hertz,    H.,    TJeber   die    Grundgleichungen   der   Elektrodynamik   für 

ruhende  Körper.     106. 
Hurwitz,   A.,   Ueber   die  Nullstellen   der  hypergeometrischen  Reihe. 

557. 


Kielhorn,  F.,  Die  Mandasor  Inschrift  vom  Mälava  Jahre  429  (=  472 
n.  Chr.)  und  Kälidäsa's  Ritusamhära.     251. 

—  —  Zu  Dandin's  Kävyädar9a  III,  150.     434. 
Klein,  F.,  Zur  Theorie  der  Lameschen  Functionen.     85. 

—  —  Ueber  die  Nullstellen  der  hypergeometrischen  Reihe.     382 


de  Lagarde,  P.,  Nachträge  zu  früheren  Mittheilungen.     1. 
kette".     95. 


„Das   älteste   Glied    der    masoretischen   Traditions- 


—  —  Psalm  114  im  Sidrä  rabbä.     101. 

—  —  Exodus  In.     155. 

—  —  Kleine  Mittheilungen.    418. 

Mark h am,  Cl.  R.,  zum  Korrespondenten  gewählt.     557. 

Merkel,  Fr.,  Ueber  argentinische  Gräberschädel.     256. 

Meyer,  Franz,  Ueber  Discriminanten  und  Resultanten  von  Singulari- 
tätengleichungen.    (Zweite  Mittheilung).     366. 
_  _  Dritte  Mittheilung.     493. 

Meyer,  Leo,  Etymologische  Mittheilung.     76. 

N ernst,    W. ,  Ueber  ein  neues  Prinzip  der  Molekulargewichtsbestim- 
mung.    57. 

—  —  Ueber  die  Verteilung  eines  Stoffes   zwischen  zwei  Lö- 
sungsmitteln.    401. 

—  —  siehe  Drude,  P. 

Oldenberg,  H.,  zum  Korrespondenten  gewählt.     557. 

Po  ekel  s,  Fr.,  Ueber  die  Interferenzerscheinungen,  welche  Zwillings- 
platten  optisch   einaxiger    Krystalle    im    convergenten   homogenen 
polarisirten  Lichte  zeigen.     259. 
Preisstiftungjen : 

Ben  eke' sehe  philosophische  Preisstiftung.     149. 
Preisaufgaben   der  Gesellschaft  der  Wissenschaften.     216. 
554. 


Register.  ,  5 

Pe 1 1 sehe- Lab arre' sehe  Stiftung. 

Juristische  Facultät.     153. 
Preisaufgaben  der  W  e  d  e  k  i  n  d'  sehen  Preisstiftung  für  deutsche  Ge- 
schichte.   217. 

Riecke,  E.,  Ueber  die  Pyroelectricität  des  Turmalins.     188. 

—  —  Beiträge  zu  der  von  Gibbs  entworfenen  Theorie  der 
Zustandsänderungen  eines  aus  einer  Mehrzahl  von  Phasen  beste- 
henden Systems.     223. 

—  —  Specielle  Fälle  von  Gleichgewichtserscheinungen  eines 
aus  mehreren  Phasen  zusammengesetzten  Systems.     342. 

—  —  Ueber  stufenweise  Dissociation  und  über  die  Dampfdichte 
des  Schwefels.     360. 

—  —  Das  thermische  Potential  für  verdünnte  Lösungen.     437. 

—  —  Ueber  elektrische  Ladung  durch  gleitende  Reibung.     456. 

—  —  Moleculartheorie  der  Diffusion  und  electrolyti  sehen  Lei- 
tung.    509. 

Sauppe,  H.,  Bericht  des  beständigen  Sekretärs  der  königl.  Gesell- 
schaft der  Wissenschaften  über  das  Jahr  1890.     550. 

Schnitzer,  E.,  zum  Korrespondenten  gewählt.     557. 

Schoen flies,  A.,  Ueber  das  gegenseitige  Verhältniß  der  Theorieen 
über  die  Structur  der  Krystalle.     239. 

Yenske,   0.,    Ueber  eine  Abänderung  des  ersten  Hermite'schen  Be- 
weises für  die  Transcendenz  der  Zahl  e.     335. 
Verzeichnisse : 
Eingegangene  Druckschriften.     38,  81,  154,253,  295,338, 

383,  398,  506. 
Vorlesungen.     41.     297. 
Voigt,  W.,  Ueber  den  Zusammenklang  zweier  einfacher  Töne.     159. 

—  —  Bestimmung  der  Elasticitäts-Constanten  des  brasilianischen 
Turmalines.     279. 

—  Zur  Theorie  der  Schwingungen  gestrichener  Saiten.     502. 

—  —  und  P.  Drude,  Bestimmung  der  Elasticitätsconstanten 
einiger  dichter  Mineralien.     542. 

Wallach,  O.,  zum  ordentlichen  Mitgliede  gewählt.     557. 

Weingarten,  J.,  Ueber  particuläre  Integrale  der  Differentialgleichung 
4  V  =  0  und  eine  mit  der  Theorie  der  Minimalflächen  zusammen- 
hängende Gattung  von  Flüssigkeitsbewegungen.     313. 


6  Register. 

Wieseler,  Fr.,  Yerbesserungsvorschläge  zu  Euripides.     66. 

—  —  Scaenica.     200. 

—  —  Weibliche  Satyrn  und  Pane  in  der  Kunst  der  Griechen 
und  Römer.     385. 

—  —  Nachträge  dazu.     491. 

Yule,  H.,  Korrespondent,  gestorben.     556. 


Nachrichten 


von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu   Göttingen. 


22.  Januar.  Jfä  ]#  1890. 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  11.  Januar  1890. 

de  Lagarde,   Nachträge  zu  früheren  Mittheilungen. 

Riecke   legt   eine   Arbeit   des   Herrn   B.   Galitzine   in   Straßburg  i/E.  vor: 

Ueber  das  Daltonsche  Gesetz. 
Bechtel  legt  Kleine  Aufsätze,  IIL,  vor. 


Nachträge  zu  früheren  Mittheilungen 

von 
Paul  de  Lagarde. 

Ignoranti  portum  nullus  suus  ventus  est 

citiert  Giordano  Bruno  in  den  italienischen  "Werken  715; m  meines 
Abdruckes.  Ich  habe  791  meiner  Ausgabe  gebeten,  mir  die  Stelle 
nachzuweisen.  Sie  steht  in  einem  von  mir  viel  und  gerne  gelese- 
nen ,  für  die  französischen  Exercitien  meiner  Primaner  einst  stark 
benutzten  Autor:  am  2  November  1889  brachte  mir  Ulrich  von 
Wilamowitz  aus  des  Philosophen  Seneca  Briefen  71s  Ignoranti 
quem  portum  petat,  nullus  suus  ventus  est.  Die  Fassung  Bru- 
nos däucht  mich  genauer  als  die  Senecas. 

der  Ueberlieferung  habe  ich  in  meinem  Abdrucke  der  syrischen 
Uebersetzung  der  dcuterokanonischen  Bücher  in  )**»««  verwandelt, 

Nachrichten  von  der  K.  G.  d.  W.  zu  Göttingen.  18W.  No.  1.  1 


2  Paul  de  Lagarde, 

da  JLftXfti*  nusquam  occurrit  nisi  ubi  vsccvfoxog  in  graeco  est.  Mein 
nusquam  des  Jahres  1861  ermäßigt  sich,  seit  man  durch  ACeriani 
(PSmith  thesaurus  1607)  weiß,  daß  JLo-oajJ  ab  und  an  auch  %ai- 
öccqlov  wiedergibt. 

1875  schrieb  ThNoeldeke   in    seiner  mandäischen  Grammatik 
114  zum  mandäischen  pifc^  an  den  Rand 

Im  Syr.  ist  J*«-  nur   im  strengen  Sinn  &riAd£a>v  ....   doch 
vergleiche   das   wunderliche,    halbgriechische   JLocqju,    das   in 
den  Apocryphen   des  A.  T.  und  in  der  hexaplarischen  Ueber- 
setzung  viel  zu  häufig  ist,    als   daß   man  es  überall  mit  La- 
garde durch  )nmi>i  veavfaxog  ersetzen  dürfte,    durch  welches 
es  allerdings  beeinflußt  ist. 
Seit   ich  wieder   mehr  griechische  Handschriften   verglichen   habe, 
weiß  ich  Bescheid.     Diese  Handschriften  schreiben  noch  im  zwölften 
Jahrhunderte  veavfaxog  (zum  Beispiele  mein  m,   der  Arundelianus, 
von  mir  im  August   1874   zum  Besten  meines  Lucian  verglichen) : 
das  heißt,    die  Griechen  sahen  vsavCöKog  als  eine  Zusammensetzung 
—  viog  aviGnog  —  an :  die  Syrer  begnügten  sich  mit  dem  avfaxog 
allein,    das  sie  allein  doch  nie  gelesen  hatten.      Denn  —  und  das 
ist    das  Wichtige   bei    den  kleinen   Funde  —  der   Spiritus   lenis, 
also   das   K,    konnte   nur   in   der  Mitte   zwischen  zwei  Vokalen  y 
werden.    Jnmi  ?  ist  die  andere  Hälfte  des  ve-&vi6xog. 

Ueber   X  =  {  =  j   siehe  meine  armenischen  Studien  (1877)  2 
vor  der  Mitte,  meine  Uebersicht  42 r. 

TertuUianea. 
Dem  verstorbenen,  mir  persönlich  unbekannt  gebliebenen  Her- 
man  Roensch  in  Lobenstein  habe  ich  ein  viertel  Jahrhundert 
hindurch  so  viele  Dienste  geleistet,  wie  irgend  möglich.  Einer 
dieser  Dienste  war,  daß. ich  sein  Buch  ;;das  neue  Testament  Ter- 
tullians"  in  GGA  1871 970  ff.  der  Aufmerksamkeit  der  ersten  Fa- 
kultät empfahl.  Bei  dieser  Gelegenheit,  und  dann  abermals  1878, 
NGGW  1878  15  ff.,  als  eine  klägliche  Ausgabe  einer  Schrift  Ter- 
tullians  Veranlassung  gegeben  hatte,  meine  Tertullianstudien  her- 
vorzusuchen,  habe  ich  eine  Reihe  Verderbnisse  im  Texte  Tertul- 
lians  zu  beseitigen  versucht.  Ich  habe  was  ich  geschrieben,  da- 
mals dem  jetzt  verstorbenen  AReifferscheid  überschickt,  und  un- 
glaublicher Weise  sind  in  der  von  Reiff erscheid  begonnenen,  von 
den  Herren  GWissowa  und  WvHartel  zu  Ende  geführten  Ausgabe 
des  Tertullian  ganzer  zwei  meiner  Vorschläge  berücksichtigt  wor- 
den, der  Eine  allerdings  nur  halb.  Ich  bin  so  unbescheiden,  mich 
mit  dieser  Rücksichtnahme  nicht  befriedigt  zu  halten,   und  lege 


Nachträge  zu  früheren  Mittheilungen.  3 

daher ,  obwohl  in  meinen  Symmicta  1  99  ff.  2  2  ff.  das  1871  und 
1878  Veröffentlichte  wiederholt  worden  ist,  meine  Vorschläge  noch 
einmal  vor. 

Die  von  mir  Sfymmicta]  2  3  gegebene  Disposition  des  Buches 
de  spectaculis  empfehle  ich  für  die  zweite  Ausgabe  des  Wiener 
Tertullian  summarisch  zur  Berücksichtigung. 

Wiener  Tertullian  2  s  Iam  vero  nemo  est  est  qui  non  hoc 
quoque  praetendat.  Ich  S  22  iam  vero  non  nemo  est  qui  hoc 
quoque  praetendat. 

W  22i   optatam:  Ich  S  22  tributam:  die  Hdss.  tantam. 

W  225  deum  norunt  nisi  naturali  iure.  Ich  S  1  100  39  deum 
norunt,  nee  norunt  nisi  naturali  iure.     Vergleiche  S  1  101 14. 

W  3s  minus:     Ich  S  23  eminus. 

W  4i  vitam  mit  folgendem  Comma.  Ich  S  1 100 42  mit  fol- 
gendem Punkte.     Freilich  beseitigte  W  42  das  Fragezeichen. 

W  52i  cum  quid  aliud  [wo  Herr  von  Hartel  taliter,  Herr 
Wissowa  generaliter,  die  Hdss.  aliter],  etiam  specialiter  interpre- 
tari  capit.  Das  durch  den  Zusammenhang  verlangte  generaliter 
habe  ich  schon  1878  hergestellt:  S  23. 

W  619  habe  ich  in  Folge  der  von  mir  mitgetheilten  Disposi- 
tion erkannt,  daß  ein  Satz  verloren  gegangen  ist.  In  der  Hds. 
A  ist  eine  Lücke.  Die  nothwendigen  Punkte  fehlen  trotz  S  2s 
noch  immer. 

W  89  superstitionis.  Ich  S  1  100 45  superstitiones.  Dafür  läßt 
W  das  durch  B  gegen  den  nachlässigen  Agobardinus  bezeugte 
originis  fort. 

W  8 16  perinde  als  Conjectur  des  Herrn  Wissowa  für  proinde. 
S  22  steht  das  seit  zwölf  Jahren.  Natürlich  gehört  das  jetzt  in 
den  Text  gesetzte,  im  Agobardinus  fehlende  „suis  ut  diisa  nicht 
in  den  Text. 

W  922  Sessias.    S  1  101 1  Sesias. 

W  17 19  separamur.    S  1  IOI5  separemur. 

W  18 4  figura  aus  Hds.  B,  wo  gula  A.  S  2  4i  ligula  =  lin- 
gula. 

W  18  e  setze  ich  S  2  4  hinter  maledicta  das  Zeichen  der 
Lücke:  es  fehlt  der  bei  Tertullian,  dessen  Styl  ich  einigermaßen 
kenne,  vom  Schriftsteller  selbst  geschriebene,  den  sineSätzen  der 
Parallelglieder  entsprechende  sineSatz. 

W  19 10  erubescant.  Ich  S  2  4  erubeseunt,  wie  die  Hds.  B 
sogar  wirklich  liest. 

W  24s  curuatur  Reifferscheid,  curatur  B,  cu....ur  A,  utatur 
Ursinus,  calceatur  EKlußmanu,     Mein  gütiger  Weise  angeführtes 

1* 


4  Paul  de  Lagarde, 

scurratur  S  1  101s  halte  ich  noch  nach  achtzehn  Jahren  für  das 
allein  richtige :  das  dem  Worte  voraufgehende  Wort  schließt  mit  s. 

W  25  21  domino.     Muß  (S  1  101s)  ein  Eigenname  sein. 

W  2623  perinde  für  das  überlieferte  proinde.  Ich  S  2  4i6  schon 
1878  perinde. 

W  32  24   phrygio  detexat.     Die  Hds.  phrygrio  testexat.     Ich 

5  1  101 9  phrygiotes  texat. 

W  3322  ist  aus  den  nicht  genannten  S  1  101 10  das  Citat 
Enoch  99  6  [des  aethiopischen  Textes]  an  den  Rand  gekommen, 
und  irgend  ein  Gott,  aber  ein  dummer  und  fahriger  Gott,  hat  dem 
Herrn  Reifferscheid  ermöglicht,  des  Herrn  Dillmann  „Henoch  72" 
daneben  zu  citieren.  Schade  nur,  daß  et  rursus,  welches  Anfang 
des  Citats,  nicht  Einführung  desselben,  ist,  noch  immer  ungesperrt 
vor  dem  Colon  steht.  G-ehörte  et  rursus  dem  Tertullian  an,  so 
müßte  doch  vor  dem  aus  Enoch  genommenen  Citate  ein  erstes  an- 
deres Citat  stehn. 

W  346  mit  einem  Kreuze  davor  ubi  aeque  Dauid  et  factores. 
Seit  1871  stand  S  1  101 12  das  Richtige:    ubi  aeque  damnat  Dauit 
et  factores.     Die  Hds.  A  soll  nach  den  alten  Yergleichungen    (die . 
Wiener    schweigen)    den  Eigennamen   davit    schreiben,    vor   dem 
damnat  ausgefallen  ist. 

Ich  schließe  diese  Liste  mit  der  erneueten  Versicherung  mei- 
nes Dankes  für  die  freundliche  Aufnahme,  welche  meine  Arbeiten 
aller  Orten  finden. 


Noch  einmal  die  Schatzhohle. 

Als  ich  —  aus  den  in  der  Anzeige  selbst  angegebenen  Grün- 
den—  des  Herrn  Bezold  Ausgabe  der  (>^  I^ad  zu  besprechen 
übernahm,  und  selbst  noch,  als  ich  wider  meinen  Wunsch  das 
Buch  wirklich  besprach,  hatte  ich  die  1877  von  mir  gehegte 
Absicht,  die  interessante  Urkunde  selbst  zu  bearbeiten,  aufgege- 
ben. Jetzt  habe  ich  meinen  alten  Plan  wieder  aufgenommen,  und 
halte  es  für  nützlich,  aus  meinen  Arbeiten  wenigstens  Ein  Ergeb- 
nis schon  jetzt  mitzutheilen :  es  ist  mir  auch  darum  erwünscht 
dies  zu  thun ,  weil  ich  in  meiner  eigenen  Ausgabe  der  {jt^  ip^o 
den  Namen  des  Herrn  Bezold  gar  nicht  erwähnen  möchte. 

Herr  Bezold  hat  die  pariser  Handschrift  Arab.  54  benutzt : 
wie  dem  Herrn  Bezold  für  September  bis  December  1883  nach 
München,  so  ist  mir,  nur  auf  eine  kürzere  Frist  (zwei  Monate) 
der  Codex  nach  Göttingen  geschickt  worden.  Die  Untersuchung 
ergab  Folgendes. 


Nachträge  zu  früheren  Mittheilimgen.  5 

Cod.  Parisin.  Arab.  54  ist  keine  Handschrift  der  -yUGl  ä.bw 
sondern,  was  der  unter  dem  Namen  de  Slane  laufende  Catalog  im 
§  76  auch  angibt,  ein  Clementinum.  Den  Catalog  besitze  ich  seit 
1883  selbst :  ich  glaubte,  als  ich  dem  Herrn  Minister  aus  Bezolds 
Buche  die  Handschrift  bezeichnete,  daß  eine  ganz  andere  Hand- 
schrift als  die  von  Herrn  Bezold  beigezogene,  mir  zugehn  werde. 
Ich  bitte  den,  glücklicher  Weise  für  mich  behaltenen,  Verdacht  ab : 
die  von  dem  Donauwörth-München-Londoner  Gelehrten  angegebene 
Signatur  bezeichnet  das  Buch  richtig,  welches  der  Pariser  Catalog 
ebenso,  nur  nach  einer  anderen  Richtung  hin,  ungenügend  beschrie- 
ben hat  wie  Herr  Bezold. 

Aber  verhält  sich  die  Sache,  wie  ich  eben  angegeben,  so  hatte 
Herr  Bezold  erstens  die  Pflicht,  nicht  Eine,  sondern  vier  Pariser 
Handschriften  der  jyUGl  ö;Uw  zu  benutzen,  da  die  §§  77  bis  79  je- 
nes Katalogs  darüber  belehren,  daß  das  in  §  76  =  Ancien  fonds  54 
beschriebene  Werk  noch  in  drei  anderen  Exemplaren  in  Paris  vor- 
handen ist.  Zweitens  hatte  Herr  Bezold  die  Pflicht,  seinen  Lesern 
zu  berichten,  daß  die  jyUÖi  HjIxa  in  jener  Pariser  Handschrift  nicht 
als  ein  selbstständiges  Buch,  sondern  als  integrierender  Theil  der 
Apokalypse  des  Petrus  enthalten  ist,  und  zwar  als  integrierender 
Theil  eines  Buches,  das  in  Frage  und  Antwort  zwischen  Clemens 
von  Rom  und  Petrus  verläuft.  Herr  Bezold,  ein  Schüler  des  ver- 
storbenen Fleischer,  hätte  weiter  aus  Grersdorfs,  wohl  zu  merken, 
eines  mit  allen  (alten)  Katalogen  versehenen  Oberbibliothekars, 
Ausgabe  der  Recognitiones  Clementis  ix  ausheben  müssen,  was 
(ohne  übrigens  die  drei  anderen  zu  kennen)  Fleischer  von  Einer 
der  vier  Handschriften  der  Apokalypse  des  Petrus  schreibt: 

Codex  ms.  Parisinus ,    qui  inter  orientales   num.  70.  signatur, 
et  inscribitur     „Testamentum   Christi  domini  ad   Petrum    et 
omnia  mysteria  quae   ei  revelavit,    auctore  S.  demente  Ro- 
mano u  etc.  XCI  sectionibus  haud  pauca  quidem  continet,  quae 
ex  Recognitionibus  excerpta  esse  videntur,  sed  confusa  ea  cum 
ineptiis  variisque  hallucinationibus   ac  permixta  conquestioni- 
bus    de   iniuriis  et  maus,    quibus   affligebantur   saeculo  post 
Chr.  natum   decimo   quinto  Christiani   in  Oriente   degentes   a 
Muhamedanis. 
Wo  zu  der  Zeitbestimmung  des  Buches  anzumerken  sein  wird,  daß 
ein  Werk,    das  schon  1176   [Archetypus   des  Codex  76]   oder   im 
XIHrae  siecle   [Codex  78]    oder   1336    [Codex  76]    vorhanden  war, 
nur  in  dem  Falle  Thatsachen  des  fünfzehnten  Jahrhunderts   schil- 
dern kann,    daß  sein  Verfasser  eine   ganz   einzige  Begabung   für 
Prophetie  oder  Politik  besaß.     Wer  den  Slanes  Namen  tragenden 


6  Paul  de  Lagarde, 

neuen  Katalog  einsieht,  erfährt ,  daß  70  des  ancien  fonds  jetzt  79 
heißt. 

Ich  muß  mich  hier  selbst  anklagen,  im  Juli  1888  meine  Wege 
nicht  zu  Ende  gegangen  zu  sein.  Der  Pariser  Katalog  verweist 
in  §  76  darauf,  daß  die  Petrus- Apokalypse  auch  in  der  Bodleiana 
liege,  worüber  das  gedruckte  Verzeichnis  1  249  Auskunft  ertheile. 
Hätte  ich  dies  Citat  1888  recht  erwogen,  so  würde  ich  auch  — 
was  ich  hiermit  nachhole  —  auf  CTischendorfs  1866  erschienene 
Apocalypses  apocryphae  xx  ff.  verwiesen  haben,  woselbst  der  In- 
halt des  Oxforder  Codex  genau  [was  hier  genau  heißt]  zu  dem  In- 
halte des  von  mir  jetzt  ganz ,  wenn  auch  eilig ,  durchgelesenen 
Pariser  Codex  stimmend  angegeben  wird.  Ich  bin  immer  noch 
nicht  mistrauisch  genug :  aber  wenigstens  Herrn  Bezold  gegenüber 
wird  es  mir,  trotz  der  vielen  berühmten  Lehrer  und  Grönner  des- 
selben, nie  wieder  einfallen  zu  trauen.  Herr  Bezold  hat  auch 
von  den  zwei  Oxforder  Handschriften,  die  er  benutzt  hat  (die  an- 
dere ist  nur  eine  moderne  Abschrift  der  ersten)  mit  keiner  Sylbe 
gesagt,  daß  nicht  die  yJ&\  »«Li*,  sondern  eine  die  \y&\  ä.Ubo  in 
sich  enthaltende  Apokalypse  des  Petrus  in  ihnen  überliefert  ist. 
Tischendorf  citiert  aaO.  auch  plures  Codices  dieser  arabischen 
Apocalypse  des  Petrus  in  Rom :  sein  Citat  kann  ich  zur  Zeit  nicht 
nachschlagen.  Aus  Nicoll  und  Tischendorf  ist  dann  weiter  die 
Kenntnis  davon  zu  gewinnen ,  was  EGrrabe  und  Luc  d'Ache*ry  aus 
einem  Briefe  des  Bischofs  von  St.  Jean  d'Acre,  Jacques  de  Vitry, 
mittheilen,  in  welchem  dieser  1219  dem  Papste  Honorius  dem 
Dritten  meldet,  daß  Eevelationes  Petri  a  demente  in  unum  volu- 
mus  redactae  ihm  vorgelegt  worden  seien.  Da  nun  die  Pariser 
Handschriften  77  78  die  Apokalypse  des  Petrus  zu  Nicosia  „ge- 
funden" sein  lassen ,  liegt  der  Verdacht  nahe ,  daß  das  Buch  für 
die  Geschichte  der  ersten  Kreuzzüge  von  Belang  sein  werde.  Ob 
diese  Vermuthung  sich  bestätigen  wird,  kann  man  nur  durch  sorg- 
fältiges Studium  des  Ganzen  ermitteln,  welches  Studium  anzu- 
stellen mir  so  gut  wie  gewis  die  Muße  fehlen  wird. 

Steht  die  Sache  so  —  Herr  Bezold  war  verbunden,  da  Er 
die  Handschriften  doch  in  Händen  gehabt  hat,  den  Thatbestand  uns 
mitzutheilen  — ,  so  dürfte  diese  \yü\  *\xa  für  die  Kritik  der  l^io 
(j^i  nur  mit  großer  Vorsicht  zu  benutzen  sein:  sie  ist  ja  nicht, 
wie  das  die  syrische  Urschrift  thut,  als  besonderes  Buch  da,  son- 
dern sie  ist  in  ein  Sammelwerk,  die  Offenbarung  des  Petrus,  hin- 
eingearbeitet. Diejenigen  ihrer  Theile,  welche  über  unseren  syri- 
schen Text  überschießen,  sind  darauf  hin  zu  prüfen,  ob  sie  in  den 
Plan  der  Apokalypse  des  Petrus  passen :  thun  sie  dies,  so  werden 


Nachträge  zu  früheren  Mittheilungen.  7 

sie  späteren  Ursprungs   sein.     Und  auch  einzelne  Ausdrücke   des 
arabischen  Buchs  können  dem  Hedactor  verdankt  werden. 

Dabei  hat  Herr  Bezold  1  ix  von  dem  aethiopischen  „Clemen- 
tinum"  als  einer  Uebersetzung  des  „Cod.  Vat.  Arab.  39",  eben 
des  Codex  gesprochen,  welchen  er  seiner  Ausgabe  des  arabischen 
Textes  mit  zu  Grunde  legt.  Statt  „Clementinum"  zwischen  An- 
führungszeichen zu  setzen  (was  fast  wie  Hohn  aussieht),  hätte  er 
über  die  aethiopische  Gestalt  des  Buches  lieber  Mittheilungen 
machen  sollen.  Allein  als  das  Wahrscheinliche  gilt  mir,  daß  wer 
sich  orientieren  will,  alle  von  Herrn  Bezold  benutzten  Handschrif- 
ten selbst  einsehen  muß,  daß  also  auch  nach  dieser  Richtung  be- 
trachtet ,  das  Werk  des  Günstlings  der  Akademien  von  München 
und  Berlin  werthlos  ist. 

Aber  die  Verdienste  des  Herrn  Bezold  sind  noch  nicht  ge- 
nügend geschildert.  Er  versteht  noch  über  andere  Dinge  zu 
schweigen  als  über  die  so  eben  an  das  Licht  gezogenen.  Herr 
Bezold  hebt  seine  „Ausgabe"  der  \yü\  *Xxa  mit  einigen  Reihen 
Punkten  an.  Ich  nahm  1888  diese  Punkte  als  das  Anzeichen  dafür, 
daß  eine  unerhebliche  Doxologie  ungedruckt  geblieben  sei :  die  Art 
des  Drucks  fand  ich  geschmacklos,  aber  nicht  unerlaubt.  Jetzt  weiß 
ich,  daß  Herr  Bezold  so  vorsichtig  gewesen,  die  Einleitung  wegzu- 
lassen, weil  in  ihr  der  Plan  der  Apokalypse  als  solcher  auseinan- 
dergesetzt wird.  Herr  Bezold  hat  also  wissentlich  ein  wesentli- 
ches Hülfsmittel  der  Belehrung  beseitigt. 
^Jl  ^j&\  ös&Ajp  ^ßj^\  s-iLäü!  \o&  w<^*o  *äj^y»  o**>3  *M  Qy4  l£<*^h 

ljy^*o  (j^^+JUii  jjwOt-XJiii  yi\  jfi]  kojJCXil    lft*aJI  qI**w  ^j^->  f^"*^\  ij»**^ 

{yt  q^».  l*j  %  *y^Ä*^'  yy**^  o^"  ^te^  f^***^  &"*&  ^**°^  *-*5$t 
£,\  *UvJi  er.  £UJ1  g^*l\  LhX^  i^j*?  Gyü  ^  .  0UjJt  y>\  &  y^\ 

+Jfri\yh0     *fj»)     i$£j\}^     Q^J     &**     ***>>     &U<A*    ^    )0l2j&\    8.^UM«JLt    y#**-dit 

(^Jw   Jji>£J  j?^U^^  £>*^Ji    tJs^o^J'   ljjd£!    'Xft^ty  X***aJij   0U^I 

jmuUj  *il  c^JÜü^   ..  qU"^J  /&s>  xL»jt  q<^  *u  c>*a*1$   •  IAa+Lj  Jua^äJÜ    Lft*xlf 
'i***±$  fcJlc  o«yo^   \U^pN$  o^fwJt  f^**  lJ0^  l5<-^   .  i3**j^  ^Xa*^LüI 

gmi\  &jru  l#sh  jis  ur  ^-^t  vW  k^'  ^  J&  *$&^fl  M^  "* 


g  Faul  de  Lagarde, 

£y*u  u*  Lfftfaal  jüi  ytyJI  ^H^-  ci*  t5^b^  *  [so]  li;^w  »Uwii  vi^^> 
£ä+>3  «iö>Ji  <*U6  &  [Hds.  Dy.°]  fc&äj^  ^U  0tf3  v  U*j  ^  j^  g^Ut 
q,  J^  jj^j  vitutf  öj&3\  aV  :  v>hjJ1  »y^  er  ^tM^-  o>^  {fc**^  efr^* 

Uiasu   LU130   v\S  qLx^  J^toUJt  ^f+LxA}   <&&}   *[$+*y^  er  *^  W  ^*& 

IjlXa*m  «t^*  öUcXj  yüb^j  . t^-jj  vx)5  q*  vi>>»Af^j  Lpi  l^a»  j*m$äJIä*  vi^ii^  *m 
05*^  j?yij  jiLui^  t^o>Ji  «£^>  J*  rw*1^  <^>  r>A  [Hds.e^0] 

£  c^oK  s>a^  Süulit  Jls*  J^  l$A*  Q^ftftJ  XJ  .  »t^xJt  äsly  q*  <;fc^L*Jt 
Gt  KSJ^>  A*  «>Jtk  .•i^fJI  £*  «wijf  q*  ***  Ltf  L  ^tj  Uj  V^tUii 
0K  Jtf  *5^  .  wL*^K  J^  [?]  j^Uäj  0I3  ;  *f  t&ßl  £  XäJli.t  c>JV  ^iaT  ^syu 
t  +juJ&2  Xjülj^jJt  qI"*^   Jjaa^>  \£yJSj   v^n-w«*JI  ?¥***  Vj^  er  *c5*  J^  j*^* 

^-aUä*^  ftf^j*  ***»*ü  *j**^  er  ^^-^^  ^  ^^Jjw  s^-J^^  .  er^b 

jaä  ^  L^JLc  »ijX»^  .yJJ  |»!  ^yV0  öcXaavJJ  f,g»x.&  ^  J,jL  **«*!  l^  *ot 
*U>b^  •L^äi  jjLatJi  (jfiäs  *(*^>ä  JA^  c^  ^  |H*'^  ****■  ^^.  o^ 
eVÄi^e^  xJLc  i^jJL»  UK  ..  j_cj  Ij  ..  tiLJlc  /öav'j  bl  ^  JLüs  8-axJ!  «j  »j-a->?  LI 
XäjÖ?j   a^Lkll    *j-^  X^JI   J  vr**o  (äViyw^    iüuJLÄI    *^00o^   cXJU  j^^  J^ 

irAAAvJI^    j\^a*JI  (ikJLjw^     %*1iaav2  S^^V.  r^  ^-^  J-1*^  £P  ^"^  j^*^    ^^ 

sjL&Jt  wi^oij-  ^  ^jüi  ^jt  «y^Jt  ^li-t  yy^t  0yit  ^  ja^i^  05m 

.  ».I^JCä^  ^J^i  OjXäJ  ä^»a%u  U  (jP^>^  •  iü^^  Wj  iuvo  »t\^*  ^AÜ  o!>^^^ 
j&p  ju^Unmo  K^j^U  ^Uav^I  J^^äj'  P^ftjJ  J^  (j^-5  ü^^b  ^UvJt  «Jjo 
ii     iujJÜl     LJLaJ!    ÄAJ-li     «>Ji^      .wöiwO     öyÄsC    ^UlXj    ^fi!     Xwu>    oUix? 

Die  Hds.  schwankt  in  dem  Namen  'Iotöcc  zwischen  i>  und  o4 
In  Ajy^  Kr^V*  ^as  entsprechende  Schwanken. 

Zufallig  habe  ich  das  Unglück,  des  vielbewunderten  Herrn 
Keßler  Mani  332  aufzuschlagen  (dazu  ARahlfs  GGA  1889  910): 
wenn  ich  dieses  Gelehrten  Vermuthungen  über  das  allerdings  ver- 
derbte und  von  Flügel,  Eoediger  und  Müller  nicht  erkannte  j*^y 


Nachträge  zu  früheren  Mittheilungen.  9 

fFihrist  327 31]  bedenke,  scheint  mir  nöthig  die  Trivialität  herzu- 
schreiben ,  daß  (+*j*$j*  des  eben  mitgetheilten  Textes  =  j^\&  \l\& 
das  mit  f->y«y«  gemeinte  ist:    die  Barne  Maria1). 

Noch  mehr.  Im  Pariser  Codex  finden  sich  auch  in  dem  von 
Herrn  Bezold  veröffentlichten  Theile  Stellen,  in  welchen  auf  die 
von  Herrn  Bezold  unterschlagene  Einleitung  dadurch  Bezug  ge- 
nommen wird,  daß  des  Petrus  und  des  Clemens  gedacht  wird.  Ich 
lege  den  Thatbestand  vor. 

P  =  pariser  Codex  76  (alt  54), 

B  =  zweiter  Band  des  Herrn  Bezold. 

P  11 1 20  f$\  jj^=>  J^  (j**JlSi  <Jo  \>  jy&j  C3tfj,  auf  ^j^Xäi^  B  43  g 
folgend.  B  43r  „in  P  hier  noch  ein  Zusatz  :  s.  Anm.  223".  Herr 
Bezold  hätte  1888  nicht  vergessen  sollen,  daß  er  1883  über  die 
Zahl  217  mit  den  Anmerkungen  nicht  hinausgekommen  ist.  Also 
kann  sich  auch  Niemand  aus  der  Anmerkung  223  belehren. 

P  24*2  v^Ut  »V  u****3*  &  li  cr^  U^  B  151?  druckt  Herr 
B  aus  dem  Vaticanus,  führt  aber  am  Rande  die  Lesart  Ps,  jedoch 
nur  bis  zu  dem  unmittelbar  vor  ^La-K  stehenden  Worten  an. 
Dadurch  verschwindet  Clemens  auch  am  Rande. 

P  25  2  7  äiytti  J^l  Jja  JXä^o  ^  u^JLit  ^ü  \j  ü^il  »l\*  y»^. 
B  161 1  ^gj  ^  vJj^äXo^  y^A^JLäi  ^jI  b  \Sj>y  Hier  druckt  Herr 
Bezold  aus  V:  also  ist  auch  V  ein  PseudoClementinum,  und  auch 
das  hat  dieser  Grelehrte  verschwiegen.  Uebrigens  kann  man  den- 
selben Schluß  aus  B  107r  machen,  wo  ebenfalls  in  V  die  Anrede 
0  mein  Sohn  Clemens  als  Variante  erscheint. 

P  26 1 1  *&j»S  iA*j  ^i  Jy*^ .  J^*»ä->  J^  s-y**^  f-^JM  J*  *^  (5^  -  {^*b 
#JI  y*$L  ,-J  ltJ0!  ^  Jv^  ^UlX^  L^ju  Lf*JLc  »»«Ju^  jaJI.  B  161/163 
j^joül  liu,^  y«Ji  ^JübS  ,j^  L^JLäj  ^£j  ^.  Varianten  werden  von 
Herrn  Bezold  nicht  verzeichnet:  Clemens  ist  mithin  auch  für  ei- 
nen Arabisch  lesenden  Theologen  beseitigt. 

P  271  11  gJI  ^  jui'  Lr+<Xs\  &  [>  Jti\L  B  169  5  (am  Rande 
erwähnt  man,  daß  beide  Codices  *y^  [für  o^/]  schreiben, 
des  Clemens  gedenkt  man  nicht)  *Jt  0b  0\^\  Jä&. 

P282i7    ^j^yo^Äo^üW^^t^^j^if.   BI8I7 


1)  Der  Fluß  Stranga  der  Akten  des  Archelaus  ist,  seit  ARahlfs  schrieb,  in 
EWBudges  History  of  Alexander  the  Great  75  =  134  8  zum  Vorscheine  gekom- 
men. Der  NgpOLjo^QDj  =  Stranga  muß  östlich  vom  Tigris,  nicht  zu  weit  von 
Arbela ,  fließen.  Unter  den  von  FchDelitzsch  „wo  lag  das  Paradies"  185  ff.  auf- 
gezählten Nebenflüssen  des  Tigris  dürften  nur  die  beiden  Zal>  iu  Betracht  kom- 
men.   Doch  ich  gerathe  in  Glloffmanns  Arbeitsgebiet. 


10  Paul  de  Lag ar de, 

ohne  Varianten   (apage,   Clemens)    £  *il  j?;L^  £  oyb**  Ufc^j**^ 

P  29 *  5  cfcÄ%JI  yU>  ü**-JlÄt  ^  y  vtf*il>  B  1836  ,/jf  l  <b*% 
#Ji  (j***^.  Da  Herr  Bezold  183r  aus  V  jM  für  c^i^  angibt, 
ist  auch  der  Vaticanus  ein  PseudoClementinum. 

(iU.3  ^4*131  J^  [>  «ä)^lc.  B  211  io  ebenso ,  nur  yM-^Jlsl  ^t ,  was 
eine  Variante  nicht  ist. 

P   33  2  21     <-jL*üü^  j^JyO  ü^Xx^Jt  »«xa^Jo  jj^Jit  ^  b  LÄiyt*  J*>l  ^^ 

Iplt.  B  213 u  ebenso,  nur  J**Jo  ga^A+Jlät  ^t,  was  eine  Variante 
nicht  ist. 

P  341  i3    djLII  ^  (**!  li  0W!  gfjj,    B  2175  ebenso. 

P  35 2 13  ,jL*AJlä!  &  li  jJlat.  B  229 1  ^j!  ü  jJUI  ohne  Variante. 
Also  ist  Clemens  wieder  ein  Mal  beseitigt. 

P  361 3  <s)J  ks»yft  «A3  U  tj**Jläi  ^  ü  JwoUs.  B  229 12  ebenso, 
nur  ^x+JlSf  ^t ,  und  ohne  OS. 

P  36*8   jJWj  =  B  229is. 

P  37  *  i   ^LjJI  p^KJ  aSI  Itft.    B  235/237  ^^v^air^H  l^t 

P  37 2  2  jj^JIä^  Jo  li.    B  2397  u^-JLSi  </*!  l>. 

Sollte  Herr  Bezold  wirklich  befugt  gewesen  sein,  nachdem 
er  in  seiner  Einleitung  verschwiegen  hatte,  daß  die  von  ihm  be- 
nutzten arabischen  Handschriften  nicht  Handschriften  der  8,1** 
:yJH ,  sondern  ein  unter  vielem  Anderen  (wie  dem  Testamente 
Adams)  auch  die  \yti\  S^Ub«  enthaltendes  Clementinum  sind,  mit 
keinem  Worte  dieser  Varianten  —  ausdrücklich  —  zu  gedenken,  in 
denen  der  Araber  den  von  dem  Syrer  nicht  erwähnten  Clemens  nennt? 
Es  vergleicht  doch  so  leicht  Niemand  das  Original  mit  einer  noch 
dazu  erbärmlich  herausgegebenen  Uebersetzung  so  genau,  daß  er 
ohne  Herrn  Bezolds  ausdrücklichen  Fingerzeig  an  den  angezogenen 
Stellen  den  Clemens  von  Rom  entdeckte.  Herr  Bezold  war  so 
schlecht  geschult,  daß  er  gar  nicht  merkte,  was  der  Werth  dessen 
war,  was  er  zum  Theile  ausmerzte,  zum  Theile  tot  schwieg. 

Ich  schreibe  nunmehr  —  nicht  die  P  51 2  ff.  stehende  Liste 
der  von  Petrus  dem  Clemens  geweißagten  70  Haeresien,  welche 
mit  Arius  und  Apollinarius  schließt  — ,  sondern  einige  andere 
Stellen  aus. 

Zuerst  aus  einer  Königsliste  54 1 1  \d£>  j^  2LP  ***!  ^1 .  dd* 
j^a&u^JJ  (j^Uil  tiUJt  ic\$>  Jixo  ....  ^^a^  i)*a3  0^£»  <&±a  jsA  Jj^, 
nach  welchem  jyie  1  J^\  SüuÄs^Jl  j-m^J^LM  ^1  JüjJ^^UäJi  U^^j 


Nachträge  zu  früheren  Mittheilungen.  11 

LgJ  einbrechen.  Heraclius  starb  erst  am  11  März  641 :  die  wilden 
Thiere  der  Wüste  (Genesis  16 12)  hatten  630  angefangen,  OstRom 
zu  bedrohen  und  zu  berauben:  das  richtige  Gesetz  dürfte  der 
Monophysitismus,  also  das  über  dessen  Vernichtung  klagende  Buch 
die  Arbeit  eines  Monophysiten  sein. 

Weiter  in  dem  Aufsatze  über  den  (aus  dem  Stamme  Dan 
geborenen)  Antichrist  87 2  Ende  die  Deutung  der  Zahl  %&  der 
Apocalypse  13 18  aus  koptischem  -n^jae-rioc,  griechischem  c^p^nr^oo 

Drittens  die  sich  mit   den  Recognitiones  am  nächsten   berüh- 
rende SteUe  111  ?  ff. 
jlÄ^I  u»pMj  »UwJt  ^j^  \r*&Lo  Ifealt  pixl\  0\  djä\  (j*M-43t  l*!j  [in8] 

KaU^3  u^-i-Mj  ^>b  u*^;^  *>*■*  o^  .r^  d^ly»  u0*^  [Hds.  jl^>^] 

**CT*  er  ^  o*  u  ^  ^  ^^  ^  ****  r^  ^  cfc**~JI  er 
^^^Jbw  AI  J^ib  :  p^Uii  iÄP  *~*a$  oyü  0t  w*^r.  #  (j*.^  ,JjtJtf  Bj3^t  JU$ 

or$  ,*W  cr$  .oJl  £jj,t  q^^  ..  j»ti*ii  L^>\  ..«iU^o  <^>J\  lo  #i  Jis^  (j«^aj 

V^W  li  ..  vüüi  er  ,  *!  lit  oJIäj  *K~^  J*l  f^&  vi  w^  G^  \  <*U 

j^  :^t^w  Lg.,)lM*.li  ,JXxj  *-y«^  l5^*^  er  v^>y>  <Äa*  i<-X>i  vi*o^  U  ^lä 

^  Jläi  v  au  l5vJUCj  Lk  Lsajj  läl  JJifit  \  %  w  fcjbl  U  JJbu  Jol  3  jLä^. 
vi>Jwol5  .  J^-c^t  Kßj^i  Sy<*4}  *•"  Ä***-M  F,yN  vX^yt^J  <j*-0;  u*^  M  .  (J*M 
^ÄJI    0^UL   ti^su^   jjiOJÜI   c^   ^^   v-tf*   ^  i^J  ****  J^ 

LgXjÄ^^  .•  Ipy'i  j.Aäj  OJi  ^i  y*y*"^  ^  jf^l*  .  fz"*^*  Üi£**L\  J^c  i_^>tjJt 

Q^.>t  *^xs  ^tf  c\ä  *i^  .viXxa^Lj  jc^ts?-  j^  ^^ovX»^  .^-^^  ?*f***'  ^*-»a^5 
&lx>-  U/yJj*JI  Jwfi  IhL^j^Ui*^  .lä.lc  U^j  ^J  ^  >  j^^AbÄb^'^  (j^h.^l<> 

^  :  viW^  l^0^^  o^*^^  ^'^  *^  ^y0^  •  '^^  ^J^  fJ^^  f  ^^  c^^ 
^c  ^Lw  "^  .  \iyjS  ^\  q*  ^  (  l5j*^  *^  v»ä^^  ^**^^  &"**•  l?^^  o^*- 
Joij  iiUJ^  .ä-ö^^UI  KJü-\^o  ^i  »j^a^  ,^^fi  f112^  '^^°  y^°  *^*^  er  ^  ^^ 

it  (jM/^J^  j  l-^  o1^  u*4^  o^  :4^y^  irhi  <^f»^  4»^  Vi^  v^^^ 
^nj»**!!  p.y**^  *^  l<|y^  •  ^^  ^  c/y^^^  L$^b  ^  *^  lt°^  v!^"^  /Ä-ÄwO 
äJ  Jtäj  \  vi>il  er  «» Vi  li  .  ^^  ,-^fi  u*^y  J^  •  v^  ^^  ***J°  &  yp^ 
..  vj  li  «i  [IV]  pf!  ,^U  jLäi  -..^jJLx^^^j  JöU  ..J53Ui  J^Lä  #  yjK 

Loj^-  ool  ^iXil  ^yoLüi  ^«m  ^V**^.  ^  »V^  ^  J^  :<iW  CT5^  4vü^J^  CT 

JJJOcB  :»yoj  *-Ji  vX-J  .g)L£  qI^  x3l3  #vXy«^bJI  iAs>i  L*Jl^>  vAaoS^  /J^ÄwO 
^  ^L>i^  wj^i  i^W  UJuüj  '••»y^  L^^  [li]  W^>^5    .LJLä>  lAjkaä^  #»yit 


12  Paul  de  Lagarde, 

»yj  <i)J    ^A   $o    \  jÜAao!!   iUo    IJU    ..  »lyi'ii   L^äjI    #l$J  JLäs    :Ä3vXuaJ} 

JLjü  J^  '&>}jZ*  ,  *^U^  ^^  CT  ***$;  xLicX*  CT  8j/°t  ^  ••  f*/^  #*£*^ 
.  (jm+aIS^  LLaLaLa*ä5  <jJL»«3  ^  JLiü  Si)\  KaIS  xLo  ^  ^1^  .  (jh^o*mjS>  äJ 
LIj  UaSI  XJuJ^  LI  «AaoäJJ  ^5jüt  l5^%  ****fj  &  J*  *M*k  (i^  ^^°  ***y 
:x£il  fu22]  gfc&taMt  fcfcSLP  l^*^  l£^V  ,«a*aaJ  [?]  y>\ÄJ  ,j*J3j^u  Sui^ 

j  KaS^ui  xa^xo  At  6y>\  [H]  *^  <**  ü*^  r^  0^5  *  ^^^  #£■ 

Ojä  U  öjaa*'  l^fcAAv  y^JuNÄli  v_j^i  !tÄS>  öiXJLj  £    ..  a^I  Lfc>l    ..  Lü  #  &a>LoJ 

.  [am  Rande  von  erster  Hand  I^IJm  g^uaii]  ^Ja*  L^J  JLäj  ^^  [so] 

^3-^  (^JuX^^  .^j>;  Xaj*-U»  ^  LfL>-i  ^  si>^>y>  i^;  J^xi^  ol^s  .  ^ÄAa^! 
UaJLc  c^aoxs  •  j^\  '^-^y  •  'J^xJ^  J**5  (j^-di!  jaxaoÜ  ^Sji}  U*bÄh^ift 
i^Ai»-  ^ä-5*-^  c^J-ß  U5  J^^Ij-mJI  (jia*j  ^1  lil  v^a^Iav^  •  wJjit  La  f»3 +>  »«Ji 
[Hds.  ^avI]  *A-äi  U  .  «^i>l  *J  vJl&  :  x)UJi  »^  ^  £^^  %  [Hds.  ^] 

^UaiJ  vi>ol^  ääaoJI  »ÄP  Jsi^  •  K-y^ .  ^3>\  ^  LöjI  j,l5  .  ^^UXsP.  v^utX^I  t(Ä5> 
ojtä^  U^ii  c^-Sj  .•  U^aj«A>  Hl  Jtt  vi^xr^  Ui  •••  j^ü^  ^  Lü  y»£  (j^- 
ipMJ  UXii  [1131]  vU*ju  UJÜi  ^JJt  *Ali^>  ^^  #oJl35  vi^-Ou^  U^Jlr 
Lä5^  olo^U  U^ÄJac^  L^j^.  [Hds.  U^jJ^s-jJ  U^Ci'tX.^  ,\jy^\JsLA  L^Ool  bl^ 
LutXi^  OjLöj  Ä-üs^^Üi  }>j^Xa  g  vi^Ji  »iU3  ,3  jj^aJLäI  lii  v^aa^j  :  L^-JLc 
^t  ..  ^»aä  b  ..  »(Aaäj  c>J5  (^^^  v^^  (j^5  .  *^  oülä^  u*»^äj  jJL*ii  il 
Lf)  !clXs  :  UfÄxaÄ  <j»S=u  ^  vi^Aai^  v  U£j\XJi_5  b^  #  ^Lül  0^.^^  ^jAaJLj 
£-^r^    %  O^^1^    ^.^5    d\J   ^»AJI  ^.avÜ   ^y*o  ^1   JLJ    |ji  #Ji^    jJUXt 

C^A9^    J  »>^>^l      U^AJ>I^     L?AJ|5     ^^^     öUaJ     J4^F'      qI      .#   Up-05     I^AAJ 


Nachträge  zu  früheren  Mittheilungen.  13 

v^^o.   .•  l0*Liaiül  £1  u^4  l?^**  (J^    k*2^  ^   .  l^^  vi^5>  c^^fw   Uli 

(j^Lu  ,Jl*ii  Lf*2A>  vi*U  *j/3  ^JJJ  ^-obuail  y^+Jit  ^  i«AP  #ü^.Aftil 
JjJI^  £*  jjbot  litj  £t  t^kij  .  L$j  j>b'^  j^>>t  wJi  j  iCu^ii  £t  &^o 
U*^  jJlxJJ  "tflSj  .  «Lot  c^K  to  #  Up*  OlXJ^j  cXix>  £"#  :i*U3  J^s  Uuls 
btx»>  [1132]  UääaäI  .•L^o^/  Ux>\  ,^s**w  Uli  .\Ü*I  jjjo  jj^-Jil  Ij8  Ut 
Ij^oxj  j^  £3^.  u*-ku  LlJLjw  l£^  k)y*XÄ  sbu  o^j^  [Hds.  j**^?-] 
«s)L>  v^-cfu^u  ^4i  q\  (JLjti  ^^  #  jJU^JJ  Idäj  .  [Hds.  u*^]  l*3** 
Jläs  vsi^-y«  y  ^^^  J^J  .  1^^  j^>  ÄiyM  o*  **^  -^U*j  UX  dUL*j^ 
Qtf  Q\  #r<Jt  ^^  e>otxj  0i  guUVgy**.  ^lXu«  JU  ls!  ,<JUtt  Ul 
*-*£^r.  ,Jü>  «^xä  q*  j&olst  j  «wJl  o^yto  •**■%'■  qK  q!^  .  [Hds.  ^^j  L^ 
^Ji  ,J^5  (V**^  J^Säw^  *^y««A3  v^axas  (j*jJbj  jJjlLI  f»l§9  v^iXic  f£** 
^(Axil    ^T    OtX*c5^    <iUwu\S    *Uw  ^T  vi^uP  e£<ÄJi   *£-**"^   P^J  ^5'^**^ 

litLL*  L;yAhrl  ^JJI  c^JU,  .  £LJt  ^1  ^a^^jü  <jaJL£d  fd/*V  s^usit 
j»üi  iütj.i  «a*j  q^  ^-^^  Cr*  j»)^  ISJ*^  »sjmJj  .  v>j-£-Jf  ^»^  ^  L^Äxlo  ^1 

pt  0tf  U>  j?*\i^  j^JI  e**jf3  #(*-p>^    *^L^  ^cX-yO^Lj  {^^  .^'cXc^t  U/ 

[Rd.  r>iy»  ^  £  und]  ^  ^  |Jc  KaS^L  si^ö>it  üiU*3  ^  Q^  *  U*o 
rechts  davon,  jetzt  verwischt  und  rechts  beschnitten  j (••••£] 

t  Jyb^  i-^U  £-*v*j  ^^3  •  ^y^°  äJLjL^>  l-j'l^  ^1  IjJäi  .*  *J'Xo  q«  ci  LJi 
lJ^äao*  (jixui   »ytÄj   (  xäj^üJL   sü^xJ    vLu   itJ»c    %  Jaii\     [Hds.  ^^  ?] 

lfc>t  #*I  Jljj  u-jtaj  jJUIi  *Jt  ;^>i  :  jyUJI  v-i^*aJI^  [Rd.  pr.  m.  j^w] 
*J  JLäs  x^Mcpül  r^'  ^  [II41]  *^'  *^  :  ^J*^  er  ^  ^  ****'  ••  ^v^^ 

Uiä  .•  ^x-ÄJi  j»bL^  j^->-^  ,j*>-#-JLäi  lil  o*»xfw  LJLs  v  ^äaoä  äJLä  ^jaäs  :  ooi 
|JL*Ii  aJ  vJ^»  v  L&j  Uüilcj  LlJLc  Jaiu^   •>  5j>^I  »"^  C)t  ^aAII  jb'^  .  *£y*\ 

••  (scu  qj-äx^  efr^  {^JtXfiä  <-x-J-<  er?)  (H*x  rP^  l5j^^  o^xäs  U  #  *J 
s-^yt  v'^'J  JL«.^  ^Ji  J^l*  £1  >Lyt^  £jax  er  (!^.  vX  j  zr^  ^^ 
:\llds.j^>]  \yj>r^tx>i^\  [Hds.  J^>i]  U>t  oüc>5  U  .(J^^^bpJ^ 


14  Paul  de  Lagarde, 

U^^&J!  jj^J  i^^J   L/  *p-j  i^f**.  s-»%  t^iU  k^  **^  vü^jj    .  JuöIc 

feU  X**»j  o^lä  iXJ^o  i5  .  fS^  ^  °^  *****  o*  ^  r*^  l^x: 

\3\J-\  ^)yti  «Uo*j  ,Jl*tt  u»j^  vyas  .  9Lo  <aU3  U*^o  £  ^j  Jjj  :  ^li 
vJyü  ^  [ii42]  o^Jl  J^  &  ^y i  «W  £  &  v1^  *•  ^  •  ^  c5^ 
^jJü  x*^  ^Aäii  ^.5,  J^  ^^  v^  r^  k**  [II]  »^.5  :  o1*^  <#** 
öUj  q*  LJLio^  :  *pj*JN  er  ^  *Ml$  *^  g>**^  «^^  l5^  u***^ 
LücXjJ  J^  o^i^  .  J^F^i  »)LA*J  j>yö  Sj^aT  t^w-  Ljj  U$3  K<£#U1  At  £tojlt 

Ich  muß  mich  kurz  fassen,  und  hebe  deshalb  nur  Einen  Punkt 
hervor.  Des  Clemens  Mutter  heißt  bei  Rufin  Mattidia,  in  dem 
von  mir  herausgegebenen  syrischen  Texte  Metrodora:  ich  habe 
aus  diesem  Metrodora  schon  1855  [jetzt:  gesammelte  Abhandlun- 
gen 145 10]  geschlossen,  daß  dieser  Text  nach  NordWestKleinAsien 
gehört,  wie  ich  aus  dem  in  den  dtard^sig  s  20  sich  findenden  Da- 
tum Symmicta  1  6819  (so  auch  JFreudenthal  ebenda  118  20)  ge- 
schlossen habe,  daß  die  ersten  sechs  Bücher  der  dtaxd^eas  in  Ephe- 
sus  zu  Hause  sind :  worauf  GrBickell  in  der  Innsbrucker  Zeitschrift 
3  392 r  aufmerksam  gemacht  hat.  Indem  ich  hier  für  die  auch  in 
diesem  Falle  mir  bewiesene  Theilnahme  öffentlich  quittiere,  mache 
ich  geltend,  daß  unser  Araber  wie  mein  Syrer  von  Metrodora  redet. 
Dieses  Arabers  ^Ja^i  =  Constans  und  \jJiaXW»*2  oder  y^JLJaAiwJ 
=  KcavöTccvtlvog  ist  erst  in  Aegypten  durch  Verwechselung  von 
5  und  3  aus  <&ccv6tos  und  <&ccv6zi,v[iccv]6q  entstanden :  der  Vater 
des  Clemens  heißt  dem  Araber  ^  bu»y>  oder  u^Liav«>  für  ^j^y^ 
in  Folge  einer  Verwechselung  von  i£&q^cdq3  mit  trsoßmoi.  Daß 
ich  1864  erwiesen  habe,  daß  und  wie  unsere  Faustsage  aus  der 
Clemenssage  entstanden  (darüber  G-ESteitz  in  den  Studien  und 
Kritiken  1867  556  ff.)  -  jetzt  Mittheilungen  1  47  ff.  — ,  darf  ich 
wohl  in  die  Erinnerung  zurückrufen,  nachdem  sehr  zu  meiner 
Freude  unlängst  Ulrich  von  Wilamowitz  (Euripides  Herakles  1 284  ff.) 
darauf  zu  reden  gekommen  ist.     Meine  deutschen  Schriften  163. 

Den  kitäb  almagäll  erläutere  man  sich  aus  ASprengers  Mu- 
hammed  1  94.  Ich  bemerke  zum  Schlüsse  nur,  daß  der  abge- 
druckte Text  aus  Einer  Handschrift  genommen  ist,  nicht,  wa»  ich 


Nachträge  zu  früheren  Mittheilungen.  15 

zu  thun  außer  Stande  war,  aus  den  sechs  oder  noch  mehreren, 
welche  vorhanden  sind.  An  jeder  deutschen  Universität  werden 
die  Mitglieder  der  ersten  Fakultät  Gelehrte  finden,  welche  ihnen 
das  Mitgetheilte  übersetzen.  Ich  habe  keine  Muße  eine  Ueber- 
setzung  zu  liefern,  und  hätte  an  dieser  Stelle  keinen  Raum,  eine 
Uebersetzung  zu  veröffentlichen. 

Es  ist  mir  unwahrscheinlich,  daß  ich  die  yyü\  s^li*  je  drucken 
werde :  denn  nicht  sie  liegt  in  den  bis  jetzt  bekannten  Handschrif- 
ten vor,  sondern  ein  neben  vielem  Anderen  auch  sie  enthaltendes 
Sammelwerk,  die  Apokalypse  des  Petrus,  zu  dessen  Bearbeitung 
ich  in  meinen  Jahren,  und  durch  die  „Grönner"  noch  so  weit  ab 
von  meinem  Ziele ,  mir  Zeit  zu  nehmen  mich  nicht  mehr  für  be- 
rechtigt erachte.  Das  syrische  Original  hoffe  ich  im  zweiten  oder 
dritten  Bande  meiner  Bibliotheca  Syriaca  zu  veröffentlichen.  Vom 
ersten  Bande  dieser  Bibliotheca  sind  zwanzig  Quartbogen  bereits 
gedruckt 1). 

In  den  gesammelten  Abhandlungen  24  s  habe  ich  uaj;;jä  xvrjtitg 
aus  t[trp  =  persischem  ^  =  sqfr  und  sim  =  awestischem  fctt2KT 
(vgl.  (äLc>-^  und  quiiif-wuiiuL)  erklärt.  Mit  i/Jrp  ^  anhebende  Wörter 
sind  im  Armenischen  und  NeuPersischen  häufig:  jeder  Eranisch 
redende  Syrer  kannte  ihrer  eine  Menge. 

Wie  wir  superklug,  superfein  bilden,  bildeten  die  Syrer  JL^joj  ^ 
Schwanzriemen,  Jb^,  ^a  Brustriemen  (Hoffmanns  Glosse  2612),  ^a 
(^al  -=  JLaJO?  •+=>  und  (trotz  des  von  PSmith  598  angeführten  l^a 
6*->>'ojl)  das  in  meinen  Mittheilungen  3  204  behandelte  ($qjl  •+&. 
JLtJL»^ :  J$c>t  ^  =  (jM*M  Elias  aus  Nisibis  13 1  =  Praetermissa  36  24. 

Für  „Lautphysiologen"  wird  von  Interesse  sein,  daß  in  yo^L 
und  in  ä.yilj  das  .  verschwunden  ist.  Analog  ist ,  daß  in  ^Äs^f^* 
(das  doch  J&snOssJ  se^n  wird)  v^zu  w  geworden. 


habe  ich  in  meiner  Uebersicht  178 1  für  ^  erklärt.    Ich  habe,  in 


1)  Der  uns  im  December  1889  leider  entrissene  Bischof  von  Durhara,  JBLight- 
foot,  hatte  die  Absicht,  die  Recognitionen  des  Clemens  herauszugeben.  Er  hatte 
zu  diesem  Behufe  durch  einen  deutschen  Gelehrten  die  zwei,  in  Italien  liegenden, 
Haupthandschriften  des  Buches  vergleichen  heißen.  Am  24  Oktober  1885  bat  er 
mich  um  mein  Material,  das  er  nicht  vollständig  kannte,  andererseits  aber  auch 
überschätzte.  Da  Lightfoot  unverheirathet  war,  weiß  ich  —  nach  WWrights 
Tode  —  nicht,  an  wen  seine  Mauuscripte  gekommen  sind.  Sollten  die  eben  er- 
wähnten Collationen  mittheilbar  sein,  so  bitte  ich  auf  diesem  Wege,  sie  mir  nicht 
vorzuenthalten. 


16  Paul  de  Lagarde, 

höchster  Eile  schreibend,  und  mit  einem  schwer  kranken,  seitdem 
verstorbenen  Setzer  kämpfend,  »ji^ö«  für  mich  anzuführen  ver- 
gessen: »IJ^qju«  zu  DtT>  wie  »(^3«  zu  »A^.  Als  Einzelform  ist 
!|ä  =  fidat  anzusetzen,  ^b^n  und  11+&  sind  selbstständige  Wör- 
ter: um  so  wichtiger  ist  die  Uebereinstimmung  der  Wurzel.  kXs\^ 
Anwalt  „der  Unterhändler,  welcher  kommt  um  die  Freilassung  zu 
erwirken",  Wellhausen  Vaqidi  390 r.  IBtf  stammt  von  "IStf,  nicht 
Itü  von  IBK.  (1*3  **=>jStl\  Elias  aus  Nisibis  13 1  —  Praetermissa 
36 26.  Die  iLc^yS  erklärt  KDozy  Supplement  2  248  robe  flottante, 
faite  ordinairement  de  drap,  ä  manches  amples  et  longues  qui  de- 
passent  un  peu  l'extremite  des  doigts,  et  qui  ne  sont  point  fendues. 
Dozy  schöpft  hier  schweigend  aus  EWLanes  thousand  and  one 
nights  44i  =  1  288  [1883],  aus  dem  er  noch  hätte  beifügen  müs- 
sen Is  is  worn  chiefly  by  persons  of  the  learned  professions.  Castle 
citiert  Avicenna  2  3329. 

Der  Codex  des  ben  Ascher 
ist  von  mir  in  meinen  Mittheilungen  2  50  ff.  am  1  Juni  1886  er- 
wähnt worden.  Seitdem  ist  mir  des  Herrn  Wickes,  im  Mai  1887 
erschienenes  treatise  on  the  accentuation  of  the  prose  books  of 
the  old  testament,  und  in  ihm  ein  Lichtbild  Einer  Seite  jenes 
Codex  vor  Augen  gekommen.  Danach  gehört  der  Codex  nach 
Deutschland,  und  stammt  aus  dem  vierzehnten  Jahrhunderte,  ist 
also  für  die  Wissenschaft  werthlos.  Ich  bitte,  den  Dresdener  Codex 
des  "("Sfi ,  den  ich  einmal  im  Hause  gehabt,  und  Tafel  41  des  (Men- 
tal Series  des  Palaeographical  society  zu  vergleichen:  wobei  man 
allerdings  zu  bedenken  haben  wird,  daß  das  Bild  des  Herrn  Wic- 
kes sehr  stark  verkleinert  ist. 

Caifajphas 
ist  von  mir  in  der  Uebersicht  97r  lllr  besprochen  worden,  an  wel- 
chen Stellen  ich  Iohannes  11 49 18  u  hätte  beiziehen  müssen.  Nicht  be- 
kannt war  mir,  als  ich  über  Jla^o  und  JLa^o  handelte,  daß  ich  ge- 
gen Herrn  IDerenbourg  aus  Frank el-Graetzens  Monatsschrift  21 
257  eine  Mittheilung  des  Herrn  Perles  hätte  anführen  können, 
welcher  aus  Nathans  -pHUJ  einen  5JJJ?  als  zum  O'HlnSp  iTO  [==  trov 
Kav&rjQcc]  gehörig  namhaft  macht.  Ich  habe  nicht  die  nöthige 
Muße,  nachzusuchen,  ob  des  Herrn  Perles  Aufsatz  der  ersten  Fa- 
kultät bekannt  geworden  ist :  ich  habe  nur  meine  eigene  Unwissen- 
heit hier  gut  machen  wollen. 

Wenn  Herr  Kautzsch   was    ich   in    den   Mittheilungen   1  116 
über  die  bei  Matthaeus  27  46  Marcus  15  84  vorliegenden  Varianten 


Nachträge  zu  früheren  Mittheilungen.  |7 

gesagt  h$be,  in  der  Grammatik  des  biblisch- Aramäischen  11  mit 
dem  Satze  abfertigt  ,.de  Lagarde  findet  in  dem  Ganzen  einen  Be- 
weis für  frühzeitige  systematische  Correcturen  im  neutest.  Text", 
so  darf  ich  freilich  nicht  erwarten,  daß  was  ich  in  der  Uebersicht 
97 r  über  Katcpctg  Kccidyccg  vorgetragen  habe,  verstanden  werden 
werde. 

Gregorius  von  Nazianz.    Dionys  der  Areopagite. 

Herr  IohDräseke  hat  einen  Band  „gesammelte  patristische  Ab- 
handlungen" herausgegeben,  zu  dessen  vierter  und  zweiter  Num- 
mer ich  einiges  des  Lesens  Werthe  anzumerken  habe. 

Ich  habe  1858  in  meinen  Analecta  Syriaca  31 — 67  Texte  ver- 
öffentlicht, welche  in  der  Bibliothek  des  Klosters  von  Sihet  unter 
dem  Namen  des  Gregorius  d'ccv^aTovQyög  oder  (wie  ihn  ein  im  Osten 
verstorbener  Ordinarius  der  Kirchengeschichte  zu  verdeutschen 
pflegte)  Gregor  von  Thaumaturgien  sich  erhalten  haben,  und  bis 
auf  Eines,  das  von  AMai  herausgegeben  worden  war,  mir,  als  ich 
druckte,  für  unbekannt  galten.  Ich  bitte,  meine  Symmicta  2  112 
113  nachzulesen:  man  wird  erfahren,  daß  mir  noch  1859  die  Be- 
nutzung der  königlichen  Bibliothek  sehr  erschwert  worden  ist,  und 
wird  mir  in  Folge  davon  zu  Gute  halten,  daß  ich  damals  wenigstens 
Eines  der  von  Herrn  VRyssel  noch  1880  gleich  mir  für  unge- 
druckte Arbeiten  Gregors  „von  Thaumaturgien"  gehaltenen  Bücher 
falsch  beurtheilt  habe. 

Herr  IohDräseke  hat  1881  [siehe  a.  oben  a.  0.  103]  entdeckt, 
daß  das  Eine  der  angeblichen  Inedita  griechisch  unter  den  "Wer- 
ken des  Gregor  von  Nazianz  steht :  für  diese  Entdeckung  verdient 
er  den  Dank  der  betheiligten  Kreise,  den  meinen  an  erster  Stelle. 

Allerdings  habe  ich  1858  etwas  gethan,  was  1880  dem  Herrn 
Ryssel  hätte  helfen  können,  welcher  keinen  Granius  Licinianus  zu 
büßen  hatte,  und  der  mit  dem  Herrn  Oberbibliothekare  LKrehl, 
wie  aus  seiner  Widmung  und  seiner  Vorrede  zu  schließen  ist,  so 
gut  stand,  wie  ich  mit  dem  verstorbenen  Collaboratorenverächter 
und  treuen  Vater  GHPertz  schlecht.  Ich  habe  nämlich  in  der  Vor- 
'ede  zu  meinen  Analecta  xij  zu  64  io  wohlweislich  angemerkt,  daß 
die  von  mir  aaO.  abgeklatschte  Handschrift  an  Einem  Orte,  in  dem 
Verzeichnisse  der  im  Codex  enthaltenen  Stücke  [136 *],  als  Verfasser 
des  in  Rede  stehenden  Aufsatzes  den  Gregor  Bischof  von  NeuCae- 
sarea  in  Pontus,  aber  an  einer  anderen  Gregor  den  Großen  nennt. 
Damit  war  den  Leuten,  welche  ein  Lesezimmer  zu  benutzen  Zeit, 
oder  das  Recht  hatten,  ohne  jedesmal  frisch  einzuholendes  Ja  Per- 
tzens,  Folianten  nach  Hause  zu  nehmen,  der  Weg  gewiesen. 

Nachrichten  ton  der  K.  G.  d.  W.  zn  Göttingen.  1890,   No.  1.  2 


18  Paul  de  Lagarde, 

Nicht  allein  Herr  VRyssel  ist  diesen  Weg  nicht  gegangen, 
sondern  auch  seine  drei  hochwürdigen  Herren  Beurtheiler  (Dräseke 
123 r)  haben  es  nicht  gethan:  von  denen  Einer,  Herr  Consistorial- 
rath  FrBaethgen,  GGA  1880 1 889,  Syrisch  lesen  kann,  und  meine 
Analecta  kennen  mußte. 

Bei  dem  zweiten  Aufsatze  des  Herrn  Dräseke,  32  ff.,  kommt 
es  darauf  an,  zu  erfahren,  wie  eine  von  Hipler  und  dem  diesen  bis 
auf  die  Schreib-  und  Druckfehler,  auch  wo  er  ihn  bekämpft,  ab- 
klatschenden Herrn  BFoss  (über  den  Abt  Hilduin  von  St.  Denis  und 
Dionysius  Areopagita)  benutzte  Stelle  des  Dionysius  Areopagita 
in  der  sehr  alten  syrischen  Ueber Setzung  lautet.  Herr  EWBudge 
hat  die  Güte  gehabt,  mir  aus  drei  Handschriften  des  brittischen 
Museums  (Add.  12151 96  12152,  io  14539  59)  das  in  Frage  Kommende 
auszuschreiben.  Hier  ist  es :  die  Varianten  stehn  zwischen  [ 
im  Texte: 

©»ijLfck.  ^oo*  ^a  t  otj  JLa^vo  ^lL\  ^o  (JL^»o  yöKj^o  (>pJM  ^Vfl>}  \uz+l') 

—  (J&s^o£äS  ö>\sv>v>>  lksA.+*,oo  IKJl+i  {io  »N\y>  [so] 00t  ccoö^9o  ofifl\» 
y+l  \o^a^>  tk  \>   (tjüu   »Ka  ^o  yöo^^o   )j64-o  uii'|\   \b©£^    kwjLuU  ^o^aO 

uNsia»  spJ^  >Ka  ^99  bt^(  JLjmqjd  wj/jjlio  ypo+NriS.  .-  jlootSS  to-a-n 
o^o  #  {00t  *ojL!»  ch^d  t-o  (M  >ä^j  J^o  ^!)  [;a^  ==]  ^  iKio^Ss 
oM-io  ^juaJStAtti  ^ot  )^?  (ioslojt  joot  otJLoo  -  om^o  o<w  !oo»  uajai 
.,  o£^  000t  ^t-i?o  ..  oCv  000t  ^jL!»o  ©£w  OOOf  ^Y>A?  ^*J  \p<X^D  ^00 
[^jUboo  =]  ^jkao  jLo£so  {o£s  ^0  %^  VÄ^gv»  •.  o^  ooot  ^^t*  ^° 
omm   [^äbäoii;  =s]  0^Mi{9   ^f   ^    ^    ;£{    |boo   :  w©*ok*(?   !o<* 

Dionysius,  der  angebliche  Areopagit,  nennt  sich  selbst  einen 
Schüler  des  Hierotheus,  also  nicht  des  Apostels  Paulus.  Er 
schreibt  an  Gaius,  Titus,  Carpus:  er  erwähnt  einen  Iacobus  und 
einen  Petrus,  einen  Bartholomaeus,  einen  Clemens,  einen  Elymas, 
einen  Simon  als  Zeitgenossen. 

Ich  denke,  diese  Namen  alle  seien  zu  verstehn  wie  die  Na- 
men des  vor  Karl  dem  Großen  versammelten  Kreises  von  Gelehr- 
ten;   sie  sind  die^Masken,   unter  denen   sich  die  Mitglieder  einer 


Nachträge  zu  frühereu  Mittheilungen.  |9 

platonischen  Akademie  versteckten,  unter  denen  sie  ihre  Gegner 
bezeichneten. 

Erst  die  sorgsame  Vergleichung  der  Handschriften  wird  leh- 
ren, ob  diese  meine  Vermuthung  richtig  ist. 

Dabei  wird  sich  empfehlen,  ehe  man  über  adeXfpofteog  aus  der 
Theorie  der  griechischen  Wortbildung  urtheilt,  aus  Estienne  und 
DuCange  zu  lernen,  was  ädekyöfreog  im  Leben  bedeutete.  Ich  wäre 
sehr  dumm,  wenn  ich  Hektoliter  von  k'xtog  herleitete,  weil  hundert 
ixcctöv  heißt,  wenn  ich  Antipyrin  für  ein  Gegenmittel  gegen  den 
Weizen  hielte,  weil  das  Fieber  bekanntlich  nicht  nvQÖg,  sondern 
7tvQstög  genannt  wird. 

Der  Syrer  liest  nicht  fteCav,  sondern  frsccv,  nicht  etj^iatog,  son- 
dern 66{iccTog:  den  äösXcpöd'sog  hat  er  wie  unsere  Drucke.  Uebri- 
gens  kann  ich  weder  mit  dem  Griechischen  [1  343  der  Venediger 
Ausgabe]  noch  mit  dem  Syrischen  viel  anfangen. 

m 

als  Nebenform  für  ^n  habe  ich  in  meiner  Uebersicht  75 r  in  Aßev- 
vriQ  AßtööaC  Aße6öaX<o[i  Aßsööove  nachgewiesen.  Es  gibt  noch 
einen  Namen ,  der  dies  ^n»  enthält :  "JSSÄ  Iudd.  12  s  heißt  in  © 
Aßai<56av  oder  Aßeöcfdv,  in  ©  vi^l »  d.  **•  die  richtige  Aussprache 
ist  "jsta«  =  ]S  )1X ,  welche  Form  sich  zu  vj*a|  verhält  wie  Aßea- 
Gove  zu  yitthaÄ.  Für  mich  ist  durch  Aßeöödv  @5s  erwiesen,  daß  © 
einer  sehr  guten  Ueberlieferung  folgte :  kein  Nachdenken  hätte 
einen  alexandrinischen  Juden  darauf  gebracht,  l&Qtt  auszusprechen. 
Ich  weiß  nicht,  ob  es  schon  jetzt  erlaubt  ist,  die  Vermuthung 
zu  äußern,  aßen  für  ben  sei  südPalaestinisch. 

Vulfilas  Ezäras. 
Als  ich  zu  Ostern  1857  das  jetzt  in  meinen  gesammelten  Ab- 
handlungen 85  ff.  bequem  nachzulesende  Programm  de  novo  testa- 
mento  ad  versionum  orientalium  fidem  edendo  herausgab  ,  meinte 
ich,  einen  weiten  Schritt  vorwärts  gethan  zu  haben.  Karl  Lach- 
mann war  darauf  ausgewesen,  die  im  Osten  und  im  Westen  vor- 
handenen ältesten  Zeugen  des  Textes  des  neuen  Testaments  gegen 
einander  zu  hören,  und  aus  ihrer  Uebereinstimmung  zu  schließen. 
Lachmann  hatte  kein  Recht,  an  den  Erfolg  seines  Unternehmens 
zu  glauben,  da  er  erstens  was  er  abhörte,  aus  unzuverlässigen 
Vergleichungen  abhörte,  da  er  zweitens  alle  alten  Uebersetzungen 
außer  der  als  Ganzes  nicht  vorliegenden  lateinischen  Version  bei 
Seite  ließ.  Ich  machte  geltend,  daß  in  amtlichem  Gebrauche  be- 
findliche Uebersetzungen  sichereren  Werthes  seien  als  beliebig  auf- 

2* 


20  Paul  de  Lagarde, 

gelesene  griechische  Handschriften,  deren  Herkunft  man  nicht 
kenne,  und  ich  verlangte  die  griechischen  Handschriften  durch  jene 
Versionen  —  jetzt  setze  ich  hinzu:  durch  die  Lectionare  —  kon- 
trolliert zu  sehen.  Ich  maß  dann  zweitens  an  den  Testimoniis, 
deren  Benutzung  bei  Lachmann  ebenso  willkürlich  war  wie  die 
der  Handschriften  und  der  lateinischen  Version. 

Ich  erkannte  weiter,  daß  zu  irgend  einer  Zeit  eine  durchgrei- 
fende Revision  des  Textes  vorgenommen  worden  ist,  und  forderte 
die  nicht  recensierten  von  den  recensierten  Codices  zu  scheiden: 
die  Einen  dürften,  so  lehrte  ich,  gar  nicht  mit  den  andern  zusam- 
mengehalten werden. 

Für  die  an  letzter  Stelle  dargelegte  Ueberzeugung  hatte  ich 
in  gewissem  Sinne  an  unserm  IDMichaelis  und  dessen  Vorarbeitern 
Vorgänger:  die  latinizantes  des  vorigen  Jahrhunderts  waren  von  den 
Michaelis  scharf  vom  Reste  geschieden,  und  von  diesen  in  der  Wolle 
gefärbten  Protestanten ,  eben  weil  latinizantes  ,  geächtet  worden. 
Daß  D  der  Evangelien  vielfach  mit  den  Uebersetzungen  des  Mor- 
genlands stimmte,  hatte  IDMichaelis  nach  seinem  Vater  und  An- 
deren richtig  erkannt.  Ich  drehte  gerade  wegen  dieser  Ueberein- 
stimmung  den  Spieß  um,  und  lehrte :  wo  die  Lateiner  mit  dem  Sy- 
rer, den  Aegyptern,  dem  Aethiopen,  dem  Gothen  stimmen,  haben 
wir  den  alten,  nicht  recensierten  Text:  die  in  diese  Gruppe  nicht 
gehörenden  Zeugen  bieten  die  recensio,  d.  h.  die  contaminatio.  Das 
heißt :  sie  gehn  uns  nur  in  zweiter  Linie  etwas  an. 

Wie  mir  dies  Programm  bekommen  ist,  sehe  man  in  den  in 
den  Abhandlungen  85  und  in  der  Uebersicht  4r  angeführten  Schrif- 
ten nach,  sowie  in  den  Symmicta  2  28  29. 

Die  für  das  N.T.  geltend  gemachten  Grundsätze  habe  ich  nach- 
mals auf  die  Septuaginta  angewandt.  Ich  sehe  auch  auf  diesem  Ge- 
biete meine  Forderung  als  einen  wesentlichen  Fortschritt  an,  nicht 
griechische  Handschriften,  sondern  die  drei  nach  des  Hieronymus 
Zeugnis  amtlich  vorhandenen  Recensionen  des  Lucian ,  des  He- 
sychius  und  Palaestinas  zu  vergleichen :  mehr  amtliche  Recensionen, 
falls  es  deren  mehr  als  die  von  Hieronymus  genannten  gibt. 

Daraus  folgte  für  mich  ohne  Weiteres,  daß  ich  Vulfilas  und 
des  alten  Slaven  Text,  da  Vulfila  wie  der  Slave  im  Sprengel  von 
Constantinopel  arbeiteten,  als  den  in  diesem  Sprengel  und  dem  von 
Antiochia  geltenden  Text  Lucians  anzusehen  hatte. 

Daß  des  Holmes  Handschriften  19  108  118  und  die  Ausgabe  von 
Alcala  de  Henarez  zusammengehören,  hat  Holmes  selbst  zu  19  108 
118  vor  dem  Pentateuche  gesagt:  alles  Weitere  erhellt  aus  des 
Holmes  Apparate  sofort  für   jeden,    der  hintereinander  gestellte 


Nachträge  zu  früheren  Mittheilungen.  21 

Zahlen   zu  lesen  versteht.    Es  brauchte  von  Niemandem  entdeckt 
zu  werden. 

Daß  dieser  Text  der  Text  Lucians ,  also  der  Antiochias  und 
Constantinopels ,  also  auch  der  Vulfilas  und  des  Slaven  sei,  ergab 
sich  im  December  1868,  als  ich  in  Schleusingen  mein  Register  der 
von  Chrysostomus  (Savileschen  Drucks)  angeführten  Bibelstellen 
beendigt  hatte  und  zu  benutzen  anneng. 

Herr  Otto  Ohrloff  hat  im  Jahre  1876  in  einer  greifswalder 
Promotionsschrift,  von  der  bis  heute  der  goettinger  Bibliothek  ein 
Exemplar  nicht  geliefert  worden  ist,  die  ich  aber  unlängst  gekauft 
habe ,  ohne  von  dem  so  eben  Auseinandergesetzten  etwas  zu  wis- 
sen, zum  Theil  ohne  von  ihm  etwas  wissen  zu  können,  nur  aus 
dem  Apparate  des  Holmes  -  Parsons  —  also  empirisch,  wie  Rosen- 
müller und  Olshausen  was  sie  über  den  Archetypus  des  alten  Te- 
staments gelehrt,  aus  Kennicott  empirisch  gelernt  haben  —  gefun- 
den, daß  dessen  Handschriften  19  82  93  108  den  von  Vulfila  über- 
setzten Text  des  Ezdras  enthalten :  daß  Vulfila  selbst  diese  Ueber- 
setzung  gemacht,  leugnet  Ohrloif. 

Aber  schon  1873  hatte  Herr  Alexander  Kisch  in  des  Herrn 
[Frankel]  Hirsch  Graetz  Monatsschrift  für  Geschichte  und  Wissen- 
schaft des  Judenthums  22  42—46  85—89  die  Frage  nach  dem  Ori- 
ginale des  gothischen  Ezdras  behandelt,  und  war  zu  dem  charak- 
teristisch ausgedrückten  (man  beachte  das  e  in  Codeces,  wo  .  für  i), 
nicht  erheblichen  Ergebnisse  gelangt 

Aus  dem  Gesagten  geht  klar  hervor,  daß  der  dem  Ulfilas 
vorgelegene  Septuagintatext  nicht  unwesentlich  von  unseren 
jetzigen  Codeces  dieser  Uebersetzung  verschieden  war. 

Dies  bitte  ich  zu  meiner  Pars  prior  Lucians  xiv  wie  zu  mei- 
nen Mittheilungen  2  52r  nachzutragen.  Ich  bemerke  noch,  daß 
Frankeis  Zeitschrift  auf  der  goettinger  Bibliothek  nicht  gehalten 
wurde,  und  erst  auf  meinen  Betrieb  —  ich  weiß  nicht  mehr  wann  — 
in  einer  Reihe  von  Bänden  auf  einmal  gekauft,  und  dann  fortge- 
setzt worden  ist.  Des  Herrn  Kisch  Aufsatz  ist  mir  erst  im  lau- 
fenden Semester  durch  Zufall  bekannt  geworden. 


22  B.  Galitzine 


Ueber  das  Dalton'sche  Gesetz. 

Von 

B.  Galitzine. 

Vorgelegt  von  R  i  e  c  k  e. 

Das  Dalton'  sehe  Gesetz  sagt  bekanntlich  aus :  erstens ,  der 
G-esammtdruck  eines  Gemisches  zweier  Gase  setzt  sich  einfach  aus 
den  Partial drucken  jedes  einzelnen  Bestandtheiles  zusammen ;  zwei- 
tens, die  Spannkraft  des  gesättigten  Dampfes  einer  Flüssigkeit  in 
einem  Gase  ist  derjenigen  im  Vacuum  gleich. 

Dieses  Gesetz  ist  von  verschiedenen  Experimentatoren  geprüft 
worden ,  unter  anderen  von  Dalton1),  Henry2),  Gay-Lus- 
sac8),  Magnus4),  Regnault5),  Andrews6),  Guglielmo  und 
Musina7),  F.  Braun8).  Doch  gehen  ihre  Ansichten  sehr  aus- 
einander, insbesondere  hinsichtlich  der  Spannkraft  eines  gesättigten 
Dampfes  in  einem  Gas.  Die  einen,  außer  den  ersten  Beobachtern 
auch  B/egnault,  erkannten  das  Dalton' sehe  Gesetz  als  ein 
theoretisches  an;  die  großen  Unterschiede,  welche  Kegnault 
zwischen  der  Spannkraft  des  Aetherdampfes  in  Luft  und  im  Va- 
cuum fand,  führte  er  auf  eine  störende  Einwirkung  der  Gefäß- 
wände zurück.  Andere  schrieben  dem  Dalton' sehen  Gesetz  blos 
eine  beschränkte  Gültigkeit  zu. 

So  zum  Beispiel  erhoben  sich  beiWüllner 9)  nach  besonderen 
Versuchen  Zweifel  an  der  Richtigkeit  der  Regnaul t'  sehen  Er- 
klärung, da  er,  wie  später  auch  Guglielmo  und  Musina,  nach- 
weisen zu  können  glaubte,  daß  die  Adhäsion  des  Dampfes  an  den 
Gefaßwänden    auf    die   Spannkraft    eines    gesättigten  Dampfes  in 


1)  Manch,  philol.  soc.  5,  p.  535,  1802;  Gilbert's  Ann.  12  p.385,  1803  und 
15  p.  21. 

2)  Nicholson' s  Journ.  8  p.  297.  1804;   Gilb.  Ann.  21.  p.  393.  1805. 

3)  Ann.   de  Chimie.  95.  p.  314.   1815.     Auch  Biot.  Tratte*  de  Physique  1. 
p.  298. 

4)  Pogg.  Ann.  38.  p.  488.  1836. 

5)  Mem.  de  l'Ac.  des  Sc.  26.  pp.  256,  679  und  folg. 

6)  Phil.  Mag.  (5).  1.  p.  84.  1876;  Phil.  Trans.  178  A.  p.  45.  1887. 

7)  Riv.  Sc- Ind.    di  Firenze.     Anno  XIX.    N.  16-17.    p.  185.  1887.    Auch 
Beibl.  XII.  p.  464.  1888. 

8)  Wied.  Ann.  34.  p.  943.  1888. 

9)  Wied.  Ann.  11.  p.  545.  1880.     Auch   Wüllner   Lehrbuch  der  Experi- 
mentalphysik.   Bd.  III.    p.  704.   IV.  Aufl. 


über  das  Dalton'sche  Gesetz.  23 

einem  Gras  von  minimalem  Einflüsse  sei.  In  dem  Verhalten  reiner 
Dämpfe  fand  er  dagegen  ganz  sonderbare  Anomalien ,  welche  auf 
einen  Verilüssigungs Verzug  hindeuten  und  zu  der  Vermuthung 
führen,  daß  die  Spannkraft  des  gesättigten  Dampfes  einer  Flüssig- 
keit nicht,  wie  es  bisher  angenommen  wurde,  eine  genau  bestimmte 
Größe  ist ,  sondern  zwischen  gewissen  Grenzen  schwanken  kann. 
Dieses  anomale  Verhalten  gesättigter  Dämpfe  wurde  auch  von  an- 
deren beobachtet  und  besprochen x),  und  noch  in  neuester  Zeit  hat 
Blümcke2)  interessante  Mittheilungen  darüber  gemacht.  Bei 
G-emischen  sollen  diese  Anomalien  in  viel  stärkerem  Maß  und  viel 
leichter  hervortreten. 

Auch  bei  Guglielmo  und  Mu  s  i  n  a ,  und  ebenso  bei  F. 
Braun  stellten  sich  Abweichungen  vom  D alt on' sehen  Gesetz 
heraus,  doch  waren  dieselben  immer  sehr  gering.  Andrews  da- 
gegen constatierte  zuweilen  ganz  beträchtliche  Abweichungen.  So 
fand  er  z.  B.,  daß  ein  Gemisch  von  3  Vol.  CO2  mit  4  Vol.  N2 
unter  keinem  Drucke  flüssig  gemacht  werden  könne,  so  lange  nicht 
die  Temperatur  des  Gemisches  auf  — 20°  C.  gebracht  wird.  Bei 
höherer  Temperatur  kann  also  eine  Verflüssigung  der  im  Gemische 
vorhandenen  CO*  überhaupt  nicht  stattfinden,  obgleich  die  kri- 
tische Temperatur  der  CO2  erst  bei  31°  C.  liegt. 

Ein  Zusatz  eines  indifferenten  Gases  hat  also  eine  Erniedri- 
gung der  kritischen  Temperatur  der  betreffenden  Flüssigkeit  zur 
Folge.  Diese  Erscheinung ,  welche  mit  dem  Verhalten  von  Ge- 
mischen zum  Dal  ton' sehen  Gesetz  in  unmittelbarem  Zusammen- 
hang steht,  ist  auch  von  anderen  Experimentatoren,  wie  Cail- 
letet8),  Hannay4),  Ansdell5),  Strauß6),  Pawlewski7)  und 
anderen  beobachtet  worden.  Pawlewski  fand  bei  Versuchen 
mit  Flüssigkeitsgemischen,  daß  wenn  man  a  Gewichtstheilchen 
einer  Flüssigkeit  mit  ß  Gewichtstheilchen  einer  anderen  mischt, 
die  kritische  Temperatur  Tm  des  Gemisches  sich  nach  der  folgen- 
den einfachen  Formel  berechnen  läßt: 


1)  Man  sehe  z.  B.  Van  der  Waals,  Die  Continuität  des  gasförmigen  und 
flüssigen  Zustandes.     p.  90.     Leipzig  1881. 

2)  Wied.  Ann.  36.  p.  911.  1889. 

3)  C.  R.  90.  p.  210.  1880;  Journ.  de  Ph.  9.  p.  192.  1880. 

4)  Proc.  Roy.  Soc.  81.  p.  520.  1881. 

5)  Proc.  Roy.  Soc.  34.  p.  113.  1882. 

6)  J.  d.  russ.  phys. -ehem.  Gesellschaft.    12  p.  207.    1880;    14  p.  510.   1882. 
Auch  Beibl.  VI  p.  282.  1882  und  VII  p.  676.  1883. 

7)  Chem.  Ber.    15.  Jahrg.   p.  460.    1882. 


24  B.  Galit zine, 

g^  +  pj, 

worin  1\  und  T2  die  kritischen  Temperaturen  der  Bestan  dtkeile 
bedeuten.  Die  flüchtigere  Flüssigkeit  kann  man  offenbar  bei  der 
Temperatur  Tm  als  ein  Gas  (Definition  Andrews')  betrachten  und 
somit  von  einer  Erniedrigung  der  kritischen  Temperatur  der  an- 
deren Flüssigkeit  sprechen.  Die  Richtigkeit  desPawlewski'schen 
Gesetzes  wird  jedoch  nicht  allgemein  anerkannt. 

Da  sich  also  verschiedene  Ansichten  bezüglich  des  Dalton'- 
schen  Gesetzes ,  so  wie  auch  der  kritischen  Temperatur  von  Ge- 
mischen gegenüberstehen,  habe  auch  ich  versucht,  durch  einige  ex- 
perimentelle und  theoretische  Untersuchungen  diese  Frage  ihrer 
Lösung  näher  zu  bringen. 

Der  erste  Theil  der  experimentellen  Untersuchungen  ist  im 
wesentlichen  nur  eine  Erweiterung  der  Versuche  Regnault's  auf 
höhere  Temperaturen  (bis  zu  100°  C).  So  wurde  die  Spannkraft 
in  Luft  der  gesättigten  Dämpfe  von  Wasser ,  Aethyl  -  Aether  und 
Chloraethyl  bestimmt.  Die  Versuche  mit  Wasser  wurden  außer- 
dem mit  Gefäßen  von  verschiedener  Form  ausgeführt ,  wodurch 
man  sich  zugleich  ein  Urtheil  über  den  Einfluß  der  Gefäßwände 
auf  die  Spannkraft  des  gesättigten  Dampfes  in  Luft  bilden  konnte. 

In  dem  zweiten  Theile  dieser  experimentellen  Untersuchungen 
beschäftigte  ich  mich  mit  der  Bestimmung  der  kritischen  Tempe- 
ratur verschiedener  Mischungen  von  Aceton  und  Schwefelkohlen- 
stoff mit  Aethyl  -  Aether  ,  ferner  mit  der  Untersuchung  des  Ein- 
flusses eines  kleinen  Zusatzes  von  Luft  auf  die  Erniedrigung  der 
kritischen  Temperatur  einer  Flüssigkeit. 

Durch  Zusammenstellung  der  früheren,  theilweise  von  mir  ver- 
arbeiteten Untersuchungen,  mit  meinen  eigenen,  bin  ich  zu  Resul- 
taten gelangt,  welche  ich  hier  in  aller  Kürze  vorläufig  mittheile. 

Das  D alt on' sehe  Gesetz  für  Gasgemische  ist  kein  allgemein 
gültiges  Naturgesetz. 

Die  Spannkraft  des  gesättigten  Dampfes  einer  Flüssigkeit  in 
einem  Gase  ist  im  Allgemeinen  mit  derjenigen  im  Vacuum  nicht 
identisch,  folglich  ist  auch  für  Dämpfe  das  Dal  ton' sehe  Gesetz 
nicht  genau  richtig  und  nicht  einmal  ein  theoretisches,  wie  es  von 
Regnault  behauptet  worden  ist. 

Die  Summe  der  Partialdrucke  zweier  Gase  ist  im  Allgemeinen 
größer  als  der  gesammte  von  der  Mischung  ausgeübte  Druck: 
der  Unterschied,   welchen  ich  mit  A  bezeichne,    kann  bei  starken 


über  das  Dalton'sche  Gesetz.  26 

Drucken  ganz  beträchtlich  sein  *).  Bei  weiterer  Verkleinerung  des 
von  der  Mischung  eingenommenen  Volumens  nimmt  A  ab.  Bei 
einem  gewissen  verhältnißmäßig  sehr  kleinen  Volumen  wird  A  =  0, 
also  das  Dal  ton' sehe  Gesetz  in  aller  Strenge  anwendbar;  bei 
weiter  fortschreitender  Verminderung  des  Volumens  wird  A  ne- 
gativ, und  zwar  erreicht  es  bald  sehr  hohe  negative  Werthe.  Die- 
ses eigenthümliche  Verhalten  von  A  läßt  sich  sowohl  auf  die  wech- 
selseitige Cohäsion ,  als  auch  auf  die  räumliche  Ausdehnung  der 
Moleküle  der  beiden  Gase  zurückführen. 

Auch  bei  kleineren  Drucken  ist  ein  Unterschied  zwischen  der 
Summe  der  Partialdrucke  und  dem  Gesammtdrucke  der  Mischung- 
vorhanden,  obgleich  hier  die  absoluten  Werthe  von  A  sehr  klein 
sind.  Das  Vorzeichen  von  A  hängt  von  der  Natur  der  gemischten 
Gase  wesentlich  ab.  Für  Mischungen  mit  Wasserstoff,  welcher 
bekanntlich  eine  sehr  kleine  Cohäsion  besitzt,  werden  die  Abwei- 
chungen A  gewöhnlich  negativ,  also  die  Summe  der  Partialdrucke 
kleiner  als  der  Gesammtdruck  der  Mischung. 

Ueberhaupt  sind  bei  höheren  Temperaturen,  insbesondere,  wenn 
dieselben  die  kritische  übersteigen,  die  Abweichungen  vom  Dal- 
t  o  n'  sehen  Gesetz  auch  bei  starken  Compressionen  im  Allgemeinen 
immer  sehr  gering. 

Die  Spannkraft  des  gesättigten  Dampfes  einer  Flüssigkeit  in 
einem  Gase  ist  im  Allgemeinen  kleiner  als  die  entsprechende 
Spannkraft  im  Vacuum,  doch  für  sehr  große  Compressionen  kann 
der  Fall  eintreten,  daß  der  weniger  flüchtige  Körper  sich  bei  dem 
normalen  Drucke  seines  gesättigten  Dampfes  nicht  mehr  verflüs- 
sigt, da  seine  kritische  Temperatur  durch  das  Vorhandensein  des 
anderen  indifferenten  Gases  zuweilen  ganz  beträchtlich  erniedrigt 
werden  kann. 

Die  sehr  großen  und  unregelmäßig  verlaufenden  Werthe  von 
A .  welche  Regnault  für  die  Spannkraft  des  Aetherdampfes  in 
Luft  gefunden  hat,  erklären  sich  in  der  That  theilweise  durch  die 
störende  Einwirkung  der  Gefäßwänden,  respective  die  Verzögerung 
in  der  Diffusion  des  Aetherdampfes  durch  die  Luft,  was  sich  be- 
sonders bei  sehr  großen  Gefäßen,  mit  welchen  Regnault  ja  auch 
gearbeitet  hat,  geltend  macht. 

Die  Behauptung  Wüllner's,  Guglielmo's  und  Musina's, 
daß  der  Einfluß  der  Adhäsion  minimal  sei ,  scheint  mir  unzulässig 
zu  sein.  Die  Beobachtungen  Regnaults,  so  wie  meine  eigenen 
mit  verschiedenen  Gefäßen  ausgeführten  Versuche  lassen  eine  sto- 


1)  A  ist  zugleich  Maß  für  die  Abweichung  vom  Dal  ton'  sehen  Gesetz. 


26  B.  Galitziue, 

rende  Einwirkung  der  Wände  bei  großen  und  langen  Gefäßen  ganz: 
gut  erkennen.  Für  kleine  Volumina  allerdings,  wo  sich  die  Diffu- 
sion des  Dampfes  rasch  vollziehen  kann,  scheint  der  Einfluß  der 
Adhäsion  sehr  klein  zu  sein. 

Obgleich  die  Spannkraft  des  gesättigten  Dampfes  einer  Flüs- 
sigkeit in  einem  Gase  kleiner  ist,  als  im  Vacuum,  ist  doch  dieser 
Unterschied  bis  zu  100°  hinauf  verhältnißmäßig  immer  noch  gering 
und  jedenfalls  viel  kleiner,  als  man  nach  Regnaul t's  Beobach- 
tungen erwarten  könnte. 

Hier  mögen  einige  Zahlen  folgen. 
t  bedeutet  die  Temperatur 
p  den  Druck  der  Luft 

—  100    die   procentische   Abweichung    vom  Dal  ton' sehen 

Gesetz  (e  ist  die  Spannkraft  im  Vacuum). 
Für  Aethyl-Aether 


t 

P 

A 
e 

100 

63°,6  C. 

628  » 

L    .       o,i 

%') 

78,0 

647 

0,6 

99,8 

684 

1,4. 

ür  Chloraethyl 

t 

P 

Aioo 

e 

63°,6  C. 

316  ■/. 

(1,4 

'/• 

77,5 

324 

kleiner  als 

1,6 

100,5 

340 

2,6. 

Für  "Wasserdampf  in  Luft  von  etwa  V*  Atmosphäre  Druck  ist 
bei  100°  der  wahrscheinlichste  absolute  Werth  von  A  nicht  größer 
als  4—5  m/m. 

Man  kann  also  bis  zu  100°  hinauf  das  D  a  1 1  o  n'  sehe  Gesetz 
für  gesättigte  Dämpfe  bis  auf  1  oder  2  %  als  richtig  ansehen, 
vorausgesetzt,  daß  der  Druck  der  Luft  nicht  zu  groß  ist. 

Die  Bestimmung  der  Spannkraft  des  gesättigten  Dampfes  einer 
Flüssigkeit  in  einem  Gase  wird  durch  die  Erscheinungen  des  Ver- 
flüssigungsverzuges ,  respective  Siedeverzuges ,  welche  sehr  leicht 
auftreten  können ,  ganz  besonders  erschwert.  Ein  Verflüssigungs- 
und Siedeverzug  kann  auch  bei  reinen  Substanzen  eintreten. 

Die  Spannkraft   des   gesättigten  Dampfes  einer  Flüssigkeit  in 


l)  Der  erste  Werth  ist  wahrscheinlich  zu  klein. 


über  das  Dalton'sche  Gesetz.  27 

einem  Grase  ist  eine  ziemlich  unbestimmte  Größe,  die  zwischen  ge- 
wissen Grenzen  schwankt. 

Die  Lehre  von  der  Spannkraft  gesättigter  Dämpfe  bedarf  einer 
Erweiterung  und  Vervollständigung.  Untersuchungen  über  die 
wirkliche  Gestalt  der  Isotherme  in  der  Nähe  des  Verflüssigungs- 
punktes und  eine  Vergleichung  derselben  mit  der  theoretischen 
Isotherme  sind  sehr  erwünscht1). 

Wenn  ein  indifferentes  Gas  die  Spannkraft  des  gesättigten 
Dampfes  einer  Flüssigkeit  verkleinert ,  so  erniedrigt  es  auch  die 
kritische  Temperatur  derselben.  Die  Richtigkeit  dieses  Satzes 
ergiebt  sich  auch  aus  thermodynamischen  Betrachtungen. 

Ein  ganz  geringer  Zusatz  von  Luft  kann  eine  Erniedrigung 
der  kritischen  Temperatur  einer  Flüssigkeit  hervorrufen. 

Das  oben  erwähnte  Gesetz  von  Pawlewski  ist  nicht  allge- 
mein gültig,  obgleich  es  zuweilen  Resultate  liefert,  welche  mit  den 
Beobachtungen  gut  übereinstimmen. 

Die  Erscheinungen ,  welche  das  Eintreten  des  kritischen  Zu- 
standes  charakterisiren  haben  bei  Gemischen  denselben  Verlauf, 
wie  bei  homogenen  Körpern.  Man  scheint  also  berechtigt  zu  sein, 
ein  Gemisch  im  gewissen  Sinne  als  ein  Individuum  zu  betrachten2). 

An  diese  Erfahrungsthatsachen  knüpfe  ich  einige  theoretische  Be- 
trachtungen an ;  obgleich  dieselben  eine  Vervollständigung  und  Er- 
weiterung, insbesondere  was  die  Ausarbeitung  der  Zustandsgieichung 
der  Gase  betrifft ,  bedürfen  werden ,  führen  sie  schon  jetzt  zu  Re- 
sultaten, welche  in  ihren  Hauptzügen  mit  den  Erfahrungsthat- 
sachen in  Uebereinstimmung  stehen. 

Die  Theorie  geht  aus  von  Betrachtungen,  über  die  Verzö- 
gerung, welche  die  Bewegungen  der  Moleküle  eines  Gases  durch 
andere  Gasmoleküle  erleiden,  und  führt  zu  einem  Ausdruck  für 
die  innere  Cohäsion  der  Gase ,  welcher  mit  demjenigen  in  der  be- 
kannten ersten  Clausius' sehen  Zustandsgieichung3) 

vollständig  identisch  ist.    Die  einzige  zulässige  Annahme  über  die 


1)  Vergl.  Margules  Wien.  Ber.    Sitzung  vom  6.  Juni  1889. 

2)  Vergl.  Van  der  Waals  Continuität  etc.    p.  142. 

3)  Wied.  Ann.  9.  p.  337.  1880.  Diese  Zustandsgieichung  scheint  nach  den 
leueren  Untersuchungen  Nadeschdin's  (Exners  Rep.  23  pp.  617,  685  und 
759)  eine  sehr  allgemeine  Gültigkeit  zu  besitzen  und  auch  auf  den  flüssigen  Zu- 
stand in  gewissen  Grenzen  angewendet  werden  zu  dürfen. 


28  B.  Galitzine, 

Art  und  Weise  der  gegenseitigen  Einwirkung  verschiedener  Mole- 
küle ,  wenn  sie  sicli  umgekehrt  proportional  der  nten  Potenz  ihrer 
Entfernung  anziehen  ,  ist ,  daß  auch  die  kleinsten  Theilchen  der 
Materie,  die  Moleküle,  dem  Newton' sehen  Gesetz  folgen1).  An- 
dere Annahmen  über  n  führen  zu  Ausdrücken ,  welche  mit  den 
synthetischen  Eigenschaften  der  inneren  Cohäsion  ,  wie  sie  durch 
experimentelle  Thatsachen  festgestellt  sind,  im  Widerspruch  ste- 
hen. Auch  die  Notwendigkeit  des  Covolumens  ß  im  Ausdrucke 
für  die  innere  Cohäsion  ergiebt  sich  aus  theoretischen  Gründen. 

Durch  Verallgemeinerung  lassen  sich  diese  theoretischen  Be- 
trachtungen auf  ein  Gemisch  zweier  Gase  übertragen.  Die  so  er- 
haltene Gleichung  enthält  Glieder,  welche  von  der  einfachen  und 
wechselseitigen  Cohässion,  sowie  auch  von  der  räumlichen  Aus- 
dehnung der  Moleküle  beider  Gase  abhängen.  Die  Cohäsion  und 
räumliche  Ausdehnung  der  Moleküle  sind  eben  die»  beiden  Haupt- 
factoren,  welche  die  Abweichungen  vom  Dal  ton' sehen  Gesetz 
hervorrufen.  Die  so  erhaltene  verallgemeinerte  Zustand sgleichung 
gestattet  die  wirklichen  Partialdrucke  beider  Gase  zu  berechnen. 

Bei  Anwendung  dieser  Theorie  auf  die  Beobachtungen  An- 
drews' über  die  Zusammendrückbarkeit  eines  Gemisches  von 
3  Vol.  CO2  mit  4  Vol.  N2  hat  sich  herausgestellt,  daß  bei  den 
hohen  von  Andrews  angewendeten  Drucken,  wenn  also  der  Ab- 
stand der  Moleküle  durchschnittlich  ein  sehr  kleiner  ist,  neue 
Kräfte  ins  Spiel  kommen,  welche  bedingen,  daß  die  ungleicharti- 
gen Moleküle  in  diesem  Falle  sich  etwas  schwächer  anziehen,  als 
es  das  Newton' sehe  Gesetz  fordern  würde.  Man  gewinnt  also 
auf  diesem  Wege  einen  Einblick  in  gewisse  Eigenschaften  der  Mo- 
leküle selber. 

Unter  Einsetzung  der  Werthe  der  Constanten,  soweit  sie  be- 
kannt sind,  in  der  charakteristischen  Zustandsgieichung  einiger 
Körper,  ergab  sich  nach  dieser  Theorie  im  Allgemeinen  eine  gute 
Uebereinstimmung  zwischen  den  berechneten  und  den  beobachteten 
Werthen  von  A.  Auch  die  negativen  Werthe  von  A,  welche  auf 
den  ersten  Blick  auffallen  könnten,  ergeben  sich  aus  theoretischen 
Gründen  als  in  der  Natur  der  Sache  liegend. 

Ein  Ausdruck  für  die  Erniedrigung  der  kritischen  Temperatur 
einer  Flüssigkeit  bei  Anwesenheit  eines  indifferenten  Gases  laßt 
sich  aus  der  verallgemeinerten  Zustandsgieichung  unmittelbar  ab- 
leiten. 


1)  Vergl.  auch  P.  Bohl  Wied.  Ann.  36.  p.  334.  1889.    B.  Galitzine  Zeit- 
schr.  für  phys.  Chemie  IV.  4.  p.  417.  1889. 


über  das  Dalton'sche  Gesetz.  99 

Die  so  ausgebildete  Theorie  sielit  auch  die  Möglichkeit  solcher 
Fälle  voraus,  wo  die  kritische  Temperatur  eines  Gemisches  außer- 
halb derjenigen  seiner  Bestandteile  liegt 1). 

Physikalisches  Institut  Straßburg  i.  E. 

December  1889. 


Kleine  Aufsätze. 

Von 

F.  Bechtel. 

10.     dcotg. 

In  dem  Hymnus  auf  Demeter  wird  erzählt,  daß  die  Göttin, 
s  sie  von  Helios  gehört,  Zeus  habe  dem  Hades  ihre  Tochter  ge- 
geben ,  die  Gestalt  einer  Alten  angenommen  und  die  Städte  der 
Menschen  aufgesucht  habe.  Zuletzt  sei  sie  nach  Eleusis  gekom- 
men ,  und  habe  sich  beim  Jungfrauenbrunnen  im  Schatten  eines 
Oelbaumes  niedergelassen.  Da  treten  die  vier  Töchter  des  Keleos 
zum  Brunnen,  Wasser  zu  schöpfen;  auf  die  Frage  der  Mädchen, 
wer  sie  sei,  antwortet  sie  (V.  122) 

dfog  i{ioi  y1  ÖVoft'  satt, 
und  berichtet,  Seeräuber  haben  sie  aus  Kreta  entführt. 

Der  Versanfang  ist  verdorben.  Man  hat  ihn  manchfach  zu 
heilen  gesucht.  Am  weitesten  Verbreitung  hat  der  Vorschlag  ge- 
funden 4y]cö  für  Jag  zu  lesen.  Aber  er  ist  aus  zwei  Gründen 
unhaltbar.  Erstens  ist  die  Entstellung  von  4r\6  in  46g  um  so 
unwahrscheinlicher,  als  Jr\6  ganz  verständlich  und  schon  V.  47  vor- 
gekommen war  (Baumeister  Hymni  Homerici  295).  Zweitens  würde 
Demeter,  hätte  sie  drjcb  als  ihren  Namen  angegeben,  sich  der  Gefahr 
ausgesetzt  haben  ihr  Geheimnis  sofort  zu  verraten  :  ein  Dichter, 
der  die  Koseform  dr\&  dreimal  als  seinen  Hörern  ganz  geläu- 
figes Aequivalent  von  <drniyjtr}Q  gebraucht ,  kann  nicht  ohne  Wei- 
teres voraussetzen,  den  Töchtern  des  Keleos  sei  sie  nicht  ge- 
läufig gewesen.  Die  Lesung  ist  also  paläographisch  wie  sachlich 
gleich  unwahrscheinlich. 

Die  Wahrheit  hat  GHermann  schon  im  Jahre  1806  ausge- 
sprochen.   »Quam  late  pateat  coniecturae  campus,  non  inficeteHer- 


1)  Man  ist  in  der  That  gewissermaßen  berechtigt  zu  vermutheu,  daß  solche 
Ausnahmefälle  in  Wirklichkeit  vorkommen  können.  Vergleiche  z.  R.  Van  der 
"Waals  Continuität  etc.  pp.  142  und  143, 


30  F-  Bech tef, 

mannus  ostendit,  quum  luderet  scribi  posse  etiam  4&tg  velz/coag«, 
Baumeister  296.  Ließe  sich  zeigen,  daß  4  mg  grammatisch  und 
sachlich  untadelhaft  ist,  so  müßte  dieser  Lesung  die  höchste  Wahr- 
scheinlichkeit zugesprochen  werden,  da  sie  mittelst  der  geringfü- 
gigsten Aenderung  gewonnen  werden  könnte:  AcoC  wäre  zunächst 
aus  ACOC  verdorben ,  A^C  zu  der  Zeit ,  als  man  Iota  adscriptum 
zu  subscribieren  pflegte,  für  zweisilbiges,  nicht  mehr  verstandenes, 
AcolC  in  den  Text  geraten.  Kann  nun  eine  Form  4mg  gramma- 
tisch wie  sachlich  gerechtfertigt  werden  ? 

Ich  glaube,  ja.  Unter  den  auf  der  Stätte  des  alten  äolischen 
Aigai  jüngst  entdeckten  Inschriften,  die  bei  Bohn  Altertümer  von 
Aigai  publiciert  sind,  finde  ich  eine,  auf  der  Schuchardt  mit  Sicher- 
heit den  Genetiv  [4]6[^i]atQog  hergestellt  hat  (a.  a.  0.  42).  Schon 
früher  war  eine  Münze  von  Kyme  mit  der  Legende  4a>nccTQiog 
(Mionnet  Suppl.  6.  10) *)  bekannt ;  die  Zweifel  an  der  Richtigkeit 
der  Lesung  müssen  jetzt  verstummen.  Es  ist  also  ausgemacht, 
daß  neben  4ccpäxriQ  eine  Form  4o^dxriQ  bestanden  hat,  die  in  der 
Aiolis  im  Gebrauche  war.  Daß  ä  mit  ö  im  Ablautsverhältnisse 
steht,  ist  seit  Sauseure  bekannt;  mit  dem  Verhältnisse  von  4oc^d- 
trjQ  zu  jdco^dzriQ  vergleiche  man  das  von  %äXagy6g  (Soph.  El.  861) 
zu  XcolccQyög  (Pferdename  auf  einer  attischen  Vase ,  Kretschmer 
K.  Z.  29.  411) 2).  Ist  aber  4coiidtrjQ  nachgewiesen,  so  ist  auch 
4mg  erklärt.  4mg  ist  gebildet  wie  Zcotg,  ist  eine  Koseform,  die 
überall  da  möglich  und  verständlich  war ,  wo  als  Vollname  der 
Göttin  Jco^dtrjQ  galt.  Damit  ist  zugleich  gesagt,  wie  diese  Ko- 
seform gerade  an  unsere  Stelle  kommt:  in  Eleusis,  wo  die  Göttin 
unter  dem  Namen  4t\^xriQ  verehrt  wird,  setzt  sie  sich  nicht  der 
Gefahr  aus  ihre  wahre  Gestalt  zu  verraten,  wenn  sie  den  Töch- 
tern der  Stadt,  die  sie  nach  ihrem  Namen  fragen,  4mhg  als  sol- 
chen angibt.     Es  ist  ganz  geschickt  von  dem  Dichter,   daß   er  ihr 


1)  Die  Münze  mit  AOMATPIOI,  die  Mionnet  3.  8  nach  dem  handschrift- 
lichen Kataloge  des  Cabinet  Cousinäry  mitteilt,  ist  identisch  mit  der  oben  er- 
wähnten. »Da  die  ehemalige  Cousinery'sche  Sammlung  in  München  ist,  habe  ich 
an  Dr.  Riggauer  geschrieben ,  der  mir  so  eben  berichtet ,  daß  zweifellos  AßM  . . 
da  steht«,  Brief  Imhoof- Blumers. 

2)  Auf  der  gleichen  Seite  constatiert  Kretschmer  diesen  Ablaut  in  der 
auf  attischen  Vasen  zweimal  belegten  Form  KAMO*  des  Satyrnamens  Kaipos, 
und  vergleicht,  ähnlich  wie  GMeyer  Gr.  Gr.2  51,  das  Verhältnis  von  att.  »äxog  zu 
zu  hom.  »toxog.  Ich  verstehe  weder,  wie  im  Attischen  ein  altes  ä  in  dieser  Lage 
sich  gehalten  haben ,  noch  wie  &dxos  als  Beleg  für  ein  solches  ä  angeführt  wer- 
den kann,  da  die  Glosse  &dßaxov  •  9Sxot>.  ?}  9q6vov  (Hes.)  das  attische  «  als  con- 
trahiert  erweist. 


Kleine  Aufsätze.  31 

diese  Hindeutung  auf  eine  seltener  gebrauchte  Form  ihres  Namens 
in  den  Mund  legt. 


11.     Ionismen  auf  Kos. 

Statt  d£t%G) ,  eöeila ,  dideiypcu  sagt  Herodot  bekanntlich  de%G), 
ede%a,  deöey^iat;  das  Präsens  dixvv^i  ist  auf  der  wichtigsten  In- 
schrift von  Chios  (Röhl  no.  381  c  Z.  14/15)  zu  Tage  gekommen. 
Eine  Form  dieses  ionischen  Verbums  kann  ich  auf  Kos  nachwei- 
sen :  es  handelt  sich  um  die  Inschrift  bei  Newton  Ancient  Greek 
Inscriptions  in  the  British  Museum  no.  260.  Der  Stein  ist  im 
Apollontempel  zu  Kalymna  gefunden;  wie  Newton  richtig  be- 
merkt, enthält  er  den  Schluß  eines  von  Kos  ausgestellten  Decrets, 
dessen  avtiyocc<pov  den  Kalymniern  mitgeteilt  wird.  Die  Kalymnier 
hatten  einen  koischen  Arzt  öffentlich  belobt  und  den  Wunsch  aus- 
gesprochen, das  Lob  des  Gefeierten  möchte  auch  in  seiner  Heimat 
verkündigt,  zugleich  ein  Mann  mit  Errichtung  der  Stele  beauf- 
tragt werden.  Die  Koer  beschließen  zu  willfahren ;  hinsichtlich  der 
Errichtung  der  Stele  wird  bestimmt:  \aTto'\\§£%)<kv%to  dl  xccl  toi 
7iQ06Tccrca  [isrä  xov  Csoecog  toi  cc[LQ£&ev]\tsg ,  xa&  ov  xa  %q6vov  cc 
äva&EOLg  tag  ötcclccg  yivY\tai,  tol\ov\  \  ög  xa  doxy]  avtolg  iititdöetog 
?Hlev.  Man  sieht :  äitods^dvta  im  Werte  und  an  Stelle  von  d%o- 
dsi^ccvtco ;  zum  Ueberflusse  steht  auf  einem  andren  ,  leider  stark 
beschädigten,  Steine  von  Kos  bei  einer  analogen  Bestimmung  eine 
Form  von  aitob*uxvv\jLt\  Bull,  de  Corr.  hell.  5.  223  Z.  11  f.  xccl 
dvayodilja[c  | ]  tbv  a7tod£L%&rj66[isvov. 

Die  Inschrift  Newtons  gehört  der  Schrift  nach  ( M ,  Z ,  X ) 
in  das  3.  Jahrh.  v.  Chr.  Sie  ist  die  einzige,  auf  der  ich  das  Ver- 
bum  dexvv[ii  im  Gebrauche  gefunden  habe.  Auf  anderen  fungiert 
öbCxw^ll:   zu  der  oben   angeführten  kommt  Bull,  de  Corr.  hell.  5. 

238  no.  26 ,   wo  ENAFOA YIOAI   (Z.  6)  für  delxvvpi,  zeugt. 

Aber  trotz  ihrer  Vereinzelung  steht  die  Form  ds^dvtca  für  Kos 
fest,  da  der  Steinmetz  augenscheinlich  mit  großer  Sorgfalt  gear- 
beitet hat.  Mit  der  Tatsache  eines  koischen  gös^a  haben  wir  also 
zu  rechnen;  wie  ist  sie  zu  erklären? 

Wären  öexw^it,  de%G)  durch  ein  speciell  ionisches  Lautgesetz 
aus  ösixvv^t ,  dsfltfo  entstanden ,  so  müßten  die  genannten  Formen, 
wo  sie  auf  nicht-ionischem  Boden  erscheinen,  unweigerlich  auf  Ent- 
lehnung zurückgeführt  werden.  Aber  jene  Voraussetzung  ist  wahr- 
scheinlich irrig  (so  schon  GMeyer2  130),  jedenfalls  nicht  zu  be- 
weisen;  daher  a  priori  ein  ösxvvfit,  ds^co,  das  auf  nicht-ionischem 


32  F.  Bechtel, 

Gebiete  angetroffen  würde ,  mit  gleichem  Rechte  für  Fortsetzung 
einer  nrgriechischen  Form  gelten  müßte ,  wie  das  in  einem  ioni- 
schen Texte  stehende  Wort.  Und  doch  kann  kein  Zweifel  dar- 
über obwalten ,  daß  ccTCode^dvtcj  nicht  auf  Kos  gewachsen  sondern 
von  Ionien  aus  eingeführt  ist.  Die  Insel  liegt  dem  Chersonese 
gegenüber,  auf  dem  Halikarnassos ,  die  ionisch  redende  Stadt,  er- 
baut ist.  Verkehr  der  Insel  mit  dem  Festlande  war  schon  durch 
dessen  Nähe  gegeben ;  es  kam  dazu  das  hohe  Ansehen  des  Askle- 
piostempels  und  der  Ruhm  der  Aerzte  von  Kos.  Aber  Verkehr 
mit  den  Nachbarn  bedingt  noch  nicht  Einfluß  der  Nachbarn  auf 
das  geistige  Leben ,  auf  die  Sprache :  es  kommt  auch  darauf  an, 
was  der  Nachbar  zu  bieten  hat.  Die  Ionier  des  fünften  Jahrhun- 
dert waren  im  Besitze  einer  nationalen  Litteratur,  im  Besitze  einer 
Schriftsprache  (vgl.  Wilamowitz  Zeitschr.  f.  Gymnasialwesen  31. 
645) ;  die  Dorer  in  ihrer  Umgebung  nicht.  Vermöge  dieser 
geistigen  Hegemonie  wirken  sie  auf  die  Dorer  der  Hexapolis  ein. 
Daher  schreibt  Hippokrates  von  Kos,  schreibt  später  Ktesias 
von  Knidos  in  schriftionischem  Dialekte,  daher  tragen  die  Silber- 
münzen von  Ialysos  neben  lAAY^IOI  auch  die  Legende  IEAYCIOI 
(Head  Hist.  num.  538) ,  wird  *Ir(kv(iioi  die  stehende  Orthographie 
der  attischen  Tributlisten.  Also  im  5.  Jahrhundert  ist  der  Ein- 
fluß der  ionischen  Bildung  so  groß ,  daß  Hippokrates  die  ionische 
Schriftsprache  wählt.  Ist  es  da  ein  Wunder,  wenn  uns  in  spä- 
teren Zeiten  auf  Kos  vereinzelt  Ionismen  begegnen?  Zu  ihrer 
Erklärung  bieten  sich  zwei  Wege.  Entweder  sie  entstammen  der 
Umgangssprache,  in  die  sie  von  Ionien  aus  zu  der  gleichen  Zeit 
eingedrungen  waren ,  in  der  die  ionische  Schriftsprache  auf  Kos 
adoptiert  wurde.  Oder  sie  haben  kein  wirkliches  Leben  geführt, 
sind  rein  äußerlich  von  der  späteren  Schriftsprache  aus  der  frü- 
heren übernommen.  Diese  zweite  Erklärung  würde  auf  alle  Aus- 
drücke passen,  die  formelhafte  Wendungen  oder  Teile  solcher 
Wendungen  vorstellen;  also  gerade  auf  den  Imperativ  ccTtods^cctw, 
unodE^avxG),  da  die  Verbindung  caiods^cci  üvöqcc  zur  Formel  gewor- 
den ist.  Unser  Material  reicht  noch  nicht  dazu  aus  eine  Entschei- 
dung zu  treffen ;  vielleicht  bringt  uns  das  angekündigte  Werk  des 
Herrn  Paton  weiter. 

Daß  meine  Auffassung  des  koischen  a7tode%dvT<o  richtig  ist, 
wird  durch  eine  zweite  Spur  ionischen  Einflusses  auf  Kos  bewie- 
sen. Auf  dem  überaus  wichtigen  Festkalender  von  Kos,  dessen 
Fragmente  von  Hicks  Journal  of  Hellenic  Studies  9.  323  ff.  zu- 
sammengestellt und  besprochen  sind,  finde  ich  zweimal  (S.  334 
Z.  56.  61)  die  Schreibung  xvsoticc  neben  einmaligem  xvevöcc  (S.  327 


Kleine  Aufsätze.  33 

Z.  2).  Diese  Orthographie  ist  von  Ionien  entlehnt;  sie  begegnet 
freilich  auch  bei  andern  Dorern,  aber  nur  bei  solchen,  die  in  ioni- 
scher Umgebung  oder  unter  ionischem  Einflüsse  leben.  Ein  kni- 
disches  Tetradrachmon  vom  Ende  des  5.  Jahrhunderts  trägt  die 
Aufschrift  EOBQAO[€],  Head  Hist.  num.  524.  Nach  Knidos  gehört 
vielleicht  auch  der  Henkel  CIGr.  no.  2121  'Eni  KaXUa.  \  Eönd[iovog, 
der  in  Phanagoreia  gefunden  wurde.  Im  Gebiete  des  alten  Theo- 
dosia  ist  die  Grrabschrift  IIvQQog  |  Eöqw6(io[v]  f Hga^Xstatag 
(Samml.  no.  3083)  ausgegraben;  der  Verstorbene  war  aus  He- 
rakleia  unter  Ionier  gewandert,  und  Der,  der  ihm  die  Grrabschrift 
setzte,  schrieb  sie  in  ionischer  Orthographie.  Also  sicher  ist,  daß, 
wo  Dorer  EO  für  EY  schreiben,  Ionier  ihre  Lehrer  gewesen  sein 
können.  Und  darum  halte  ich  xveoöcc  für  einen  Beweis  der  Ein- 
wirkung ionischer  Schriftsprache  auf  Kos  —  für  einen  zweiten  Be- 
weis, wenn  man  den  Imperativ  cc7Code%dvTG)  auf  die  Schriftsprache 
beschränkt  wissen  will. 

Hicks  hat  auch  in  dem  ' Ayi(piaQY[ig  des  erwähnten  Kalenders 
(Bull,  de  Corr.  hell.  5.  220  Face  A  Z.  7  =  Hicks  326)  einen  Io- 
nismus sehen  wollen.  Aber  die  korinthische  Vaseninschrift  'Jn<pia- 
qyjos  (Blass  Samml.  no.  3140,  Kretschmer  K.  Z.  29.  172  no.  35), 
nach  der  die  entsprechenden  Aufschriften  einiger  attischer  Vasen 
beurteilt  werden  müssen  (Kretschmer  a.  a.  0.  415  f.),  widerlegt 
diese  Ansicht,  indem  sie  lehrt,  daß  als  urgriechische  Form  des  my- 
thischen Namens  ' A[icpidQripog  anzusetzen  ist  (Wackernagel  K.  Z. 
27.  265),  ' A(i(piccQritg  also  in  Einer  Linie  steht  mit  dem  von  Hicks 
selbst  angeführten  Namen  'AXxrjtdeg1)  (334  Z.  60).  Das  rj  dieser 
Bildung  ist  urgriechisch,  und  braucht  um  so  weniger  aus  Ionien 
nach  Kos  importiert  zu  sein,  als  es  hier  in  einer  enge  verwandten 
Kategorie  ebenfalls  zu  Tage  tritt,  wo  es  auf  ionische  Rechnung 
gar  nicht  gesetzt  werden  kann:  im  Dat.  Sg.  der  eu- Stämme  (77b- 
kt%  Ma%avr\l  bei  Hicks  328  a  11,  13  und  sonst),  in  dem  die  alte 
Länge  bei  den  Ioniern  bekanntlich  fast  ganz  ausgemerzt  ist.  — 
Eher  könnte  eine  andere  Bildung ,  die  Hicks  überall  eliminiert, 
den  Ioniern  zugeschoben  werden.  Bull,  de  Corr.  hell.  5.  220  A 
Z.  5  steht  ixiQBtha  TEAEQN,  Hicks  328  Z.  13  und  14/15  faeg 
tQstg  TEAEQI,  334  Z.  61  '6lg  TEAEQN.  An  der  Existenz  eines  koi- 
schen  Nom.  Sg.  Masc.  TEAEQI  ist  also  nicht  zu  zweifeln.  Wie 
aber  diese  Form  zu  dem   gewöhnlichen   riksiog ,    von  dem  man  es 


rl)  AlxtjU  ist   Femininum   zu  Akxtvg ,   der  grammatischen  Voraussetzung  zu 
kxeidas.    Der  Name  hängt  mit  der  Verehrung  des  Herakles  zusammen,    die  für 
os  jetzt  auch  durch  das  erste  Fragment  des  Festkalenders  bezeugt  wird. 
r ""  ' 


81  f.  Bechtel, 

nicht  trennen  mag ,  sich  verhalte ,  weiß  ich  nicht  zu  sagen.  Das 
APNEQ^  der  attischen  Inschrift  CIA.  2  no.  844  bringt  nns  nicht 
weiter.  Hätte  Meisterhans  (Gramm,  d.  att.  Inschr.2  100)  Recht 
das  Wort  mit  ägveiog  zu  identifizieren ,  so  ständen  wir  in  Attika 
vor  dem  gleichen  Rätsel.  Ich  sehe  nicht,  wie  man  auf  lautlichem 
Wege  von  -uog  zu  -sog  kommen  will,  und  habe  auf  der  anderen 
Seite  keine  Lust  mich  bei  einer  nach  der  Formel  fO  öqkxcov  yuQ 
iött  iiccxqov  o  %  alkäg  ccv  hccxqov  aufgestellten  analogistischen  Er- 
klärung zu  beruhigen. 


12.     Der  Ursprung  der  TccvQoxcc&dipLct. 

Der  nachfolgende  Aufsatz  ist  bei  einem  Versuche  den  Dialekt 
von  Kos  zu  begreifen  nebenher  abgefallen.  Ich  glaube  ein  neues 
Zeugnis  für  die  Geschichtlichkeit  der  im  SchifFskataloge  niederge- 
legten Sage  beibringen  zu  können,  die  die  ältesten  griechischen 
Besiedler  der  Insel  von  Thessalien  ausgehn  läßt.  Es  ist  für  mich 
hier  gleichgiltig ,  ob  diese  Achäer  direct  von  Thessalien  aus  oder 
über  Epidauros  nach  Kos  gekommen  sind:  bloß  darauf,  daß  über- 
haupt ein  Zusammenhang  zwischen  den  beiden  Gebieten  besteht, 
kommt  es  mir  an. 


Wir  wissen,  daß  bei  den  Thessalern  bis  in  die  Zeit  Theodo- 
sius  des  Großen  das  Fest  der  TuvQoxa&atyiu  in  hohem  Ansehen  ge- 
standen hat  (die  Stellen  bei  Böckh  zu  Schol.  Pind.  Pyth.  2.  79). 
Eine  gottesdienstliche  Grundlage  dieses  Festes  hat  schon  KFHer- 
mann  (Gottesd.  Altert.2  446)  vermutet  und  an  den  »in  Thessalien 
sehr  verbreiteten  Cult  des  Poseidon«  (451)  gedacht.  Ich  glaube 
eine  abweichende  Meinung  rechtfertigen  zu  können  :  Ausgangspunkt 
war  nicht  der  Cult  des  Poseidon,  sondern  das  jährlich  dem  Zeus 
Polieus  unter  charakteristischen  Cärimonien  dargebrachte  Opfer, 
das  ich  auf  Grund  der  folgenden  Erwägungen  den  Thessalern  zu- 
weisen möchte. 

Was  ist  das  Wesentliche  des  thessalischen  Volksfestes?  Das 
lehrt  ein  Ausdruck,  der  auf  einer  von  Lolling  (Mittheil,  des  ar- 
chäol.  Instit.  7.  346  a  =  Prellwitz  De  dial.  thessal.  2  no.  III) 
publicierten  Inschrift  steht  und  von  dem  Herausgeber  schlagend 
richtig   auf  die  TavQoxcc&ccipicc  *)  bezogen  wird  :  tccvqov  TtstpsLQ&xov- 


1)  Lolling  schreibt  Tuvyoxa&ayia ;    in  Rücksicht  auf  die  Glosse  des  Hesych 


Kleine  Aufsätze.  35 

[reg],  attisch  xavQov  xs&rjQuxoxeg.  Dieser  Ausdruck  erläutert  zu- 
gleich den  Namen  Bov&rjgccg,  der  auf  mehreren  nordgriechischen 
Inschriften  belegt  ist:  ein  Aeniarch  heißt  "l7C7taQ%og  2fov$ifp[a], 
Coli.  no.  1431  a6,  ähnlich  ein  Archont  der  Lamier  --iGxog  Bov- 
&YJ(Q)a  Coli.  no.  14459.  Also  das  Treiben  von  Stieren  ist  das  We- 
sentliche der  TavQOxad-ccipicc. 

Das  Treiben  von  Stieren  ist  aber  auch  das  Wesentliche  inner- 
halb einer  bestimmten,  auf  Kos  vorgeschriebenen  Culthandlung, 
von  der  wir  kürzlich  Kunde  erhalten  haben.  Das  zweite  der  von 
WEPaton  entdeckten  Fragmente  des  Festkalenders  von  Kos  (Hicks 
a.  a.  0.  332  f.)  enthält  eine  genaue  Beschreibung  der  Cärimonien, 
unter  denen  das  Fest  des  Zeus  Polieus  jährlich  am  19.  und  20. 
Tage  des  Monats  Batromios  begangen  werden  soll.  Die  Ausführ- 
lichkeit, mit  der  die  rituellen  Vorschriften  behandelt  werden,  läßt 
auf  das  Ansehen  schließen,  in  dem  das  Fest  gestanden  haben  muß. 
Der  erste  Act  besteht  in  der  Auswahl  des  Ochsen,  der  als  Opfer 
zu  fallen  hat.  Und  bei  dieser  Auswahl  spielt  das  Jagen  von  Rin- 
dern die  Hauptrolle.  Es  wird  angeordnet,  daß  eine  bestimmte 
Anzahl  Ochsen  über  den  Markt  getrieben  (iXccvxcj)  und  zwar  an 
die  tgaitsla  herangetrieben  werden  {insldvxG)) ,  an  der  isgevg  und 
iEQ07toioc  Platz  genommen  haben.  Zunächst  stellt  jede  der  drei 
Phylen,  die  nach  Hicks'  höchst  ansprechender  Vermutung  je  drei 
liXiatixvsg  umfassen,  dreimal  je  drei  (also  je  einen  auf  die  yilictGxvg) 
ihrer  schönsten  Ochsen  zur  Auswahl.  Hat  keines  der  3x3x3 
Tiere  die  Probe  bestanden,  so  soll  noch  einmal  aus  jeder  yiXiaöxvg 
ein  Ochse  ausgewählt  werden  {sitixQivovxai) ;  nach  Hicks'  Vermu- 
tung wären  also  noch  ein  viertes  Mal  3x3  Ochsen  gegen  die  xqcl- 
7t6&  getrieben  worden.  Das  erwählte  Opfertier  wird  dann  durch 
Herolde  auf  den  Markt  (zurück)  geführt ;  der  bisherige  Eigentümer 
oder  dessen  Bevollmächtigter  ruft  aus  »Kmoig  nagiio  xbv  ßovv*, 
worauf  der  isQsvg  das  Schlachtopfer  bekränzt  (öxstcxsl;  vgl.  igsTixo 

ZU    SQ8(p(0). 

Nehmen  wir  an ,  daß  diese  Culthandlung  einst  auch  in  Thes- 
salien heimisch  gewesen  ist,  so  haben  wir  die  sacrale  Grundlage 
des  späteren  Volksfestes  gefunden :  in  den  Tcivgoxadatyia  dürfen 
wir  dann  die  Entartung  eines  alten  Cultgebrauches  zum  Sporte 
erkennen.     Allein  —  sind  wir  berechtigt  zu  jener  Annahme? 

Zunächst  ist  zuzugeben,  daß  das  Treiben  von  Rindern  als  Teil 
einer  Opferhandlung  nicht  auf  Kos,  ja  nicht  einmal  auf  das  Hel- 


ätpiaf    ioQTai.    Adxwvtqt     Aber  auf  einer  Inschrift  aus  Smyma  CIG.  no.  3212 
Steht   TctVQOXn&aipiaov  ^fitQa  ß. 

3* 


36  F.  Bechtel, 

lenentum  beschränkt  ist.  Um  das  Bekannteste  anzuführen:  Athen  und 
Iguvium  kennen  die  Sitte.  In  Athen  werden  an  den  Dipolien,  also 
an  einem  ebenfalls  dem  Zeus  Polieus  geheiligten  Feste,  eine  An- 
zahl Ochsen  gegen  des  Gottes  Altar  getrieben,  auf  den  die  heilige 
Gerste  gestreut  ist ;  das  erste  Tier,  das  von  der  Gerste  frißt,  wird 
von  dem  CsQSvg  6  ßovcpövog  erschlagen  (Litteratur  bei  Band  De 
Diipoliorum  sacro  Atheniensium,  Leipziger  Dissertation  von  1873). 
Zu  Iguvium  bildet  das  Jagen  und  Opfern  von  Kühen  den  Abschluß 
der  Entsühnung  des  Volks.  Der  Adfertor  und  seine  beiden  Ge- 
hülfen J)  treiben  nach  der  älteren  Recension  drei ,  nach  der  jünge- 
ren zwölf2)  Kühe  über  das  Comitium  (super  kumne);  unten  am 
Forum  (hondra  furo)  werden  die  drei,  resp.  drei  von  den  zwölfen, 
eingefangen  und  der  Tursa  Iovia  geopfert.  Man  beachte,  daß  es 
auch  in  Umbrien  eine  in  den  Kreis  des  alten  Himmelsgottes  gehö- 
rende Gottheit  ist,  der  das  Rindertreiben  und  Rinderopfern  gilt. 

Was  mich  aber  bestimmt  den  thessalischen  Sport  und  den 
koischen  Opfergebrauch  mit  einander  in  Zusammenhang  zu  bringen, 
also  den  Cultus  des  Zeus  Polieus  mit  seinem  chrakteristischen  Cä- 
remoniell  den  Thessalern  zuzuschreiben,  ist  die  Tatsache,  daß  die 
uralte  Verbindung  zwischen  Thessalien  und  Kos  von  der  Sage  be- 
hauptet, durch  die  Einbürgerung  des  in  Thessalien  heimischen  As- 
klepiosdienstes  auf  Kos  bewiesen  wird  (Wilamowitz  Isyllos  52  ff.). 
Es  ist  also  gerade  ein  religiöses  Moment,  in  welchem  die  von  der 
Sage  vorausgesetzte  Abhängigkeit  der  Insel  von  Thessalien  ihren 
Ausdruck  findet.  Um  so  weniger  darf  die  Uebereinstimmung  in 
der  Sitte  des  Stierjagens  für  Zufall  gehalten  werden.  Der  Cultus, 
bei  dem  sie  auf  Kos  noch  im  4.  Jahrhundert  bestand,  ist  von  den 
gleichen  Leuten  ausgegangen ,  die  den  Cultus  des  Asklepios  nach 
Kos  brachten.  Und  so  sehe  ich  in  der  Möglichkeit  das  profane 
thessalische  Fest  aus  einer  auf  Kos  geltenden  sacralen  Institution 
abzuleiten  eine  weitere  Bestätigung  der  alten  Sage,  die  zwei  Söhne 
des  Thessalos  zu  den  Herren  von  Kos  macht. 


1)  Dem  porse  perca  arsmatia  habiest  entspricht  auf  Kos  der  fcoevs  ix<av  xav 
Qaßdov  tuv  Ugdv  (so  von  Hicks  ergänzt),  den  prinvatur  die  Ugonoioi,  deren  An- 
zahl freilich  nicht  angegeben  wird. 

2)  So  nach  Büchelers  richtiger  Auffassung  (Umbrica  117).  Aber  seine  Ueber- 
setzung  der  Verbalform  ehiato  (Tafel  VII  b  Z.  3)  mit  'emissas'  hätte  Bücheier 
nicht  wiederholen  sollen,  da  umbr.  ehiato  sich  Laut  für  Laut  mit  lat.  egeatur  deckt, 


Kleine  Aufsätze.  37 


13.     Kvgdvcc. 


Unter  den  Argumenten,  mit  denen  Studniezka  (Kyrene,  Eine 
altgriechiscke  Göttin)  die  ttiessalische  Herkunft  der  vordorischen 
Colonisten  von  Thera  begründet,  steht  die  Thatsache  im  Vorder- 
grunde, daß  „die  Eponyme  der  neuen  Stadt  [Kyrene]  die  Tochter 
eines  thessalischen  Königs  ist  und  von  Thessalien  nach  Kyrene 
entführt  wird"  (132).  Im  Laufe  der  Untersuchung  versucht  Stud- 
niezka auch  eine  Etymologie  des  Namens  Kvguvcc :  er  stellt  ihn 
zu  xvQLog  (151).  Ich  halte  diese  Etymologie  für  verfehlt,  schon 
aus  dem  Grunde,  weil  die  Quantität  der  Vocale  der  ersten  Silbe 
in  unerklärbarer  Weise  differiert1).  Denn  xv'giog  gehört  zunächst 
zu  sskr.  Qu' ras ;  ein  Ablaut  ü :  u  wird  für  diese  Wortsippe  durch 
das  Hineinziehen  von  gr.  ixvQÖg ,  sskr.  gväguras  nicht  erwiesen, 
auch  ist  xvgog  nicht  aus  xvQöog  entstanden,  der  Vocal  der  Wurzel- 
silbe vielmehr  schon  vorgriechisch  ü  gewesen.  Auch  andere  Ety- 
mologien des  gedankenreichen  Buches  sind  nicht  glücklich.  Für 
KvQava  glaube  ich  eine  abweichende  vorschlagen  zu  können,  die 
den  Lauten  keine  Gewalt  antut :  Kvgdva  hängt  aufs  engste  zusam- 
men mit  KoQcovig ,  dem  Namen  der  anderen  Lapithenjungfrau ,  der 
Apollon  seine  Liebe  schenkte. 

KoQ&vig  ist  das  Feminum  zu.  KoQ&vog ,  Kogavög  eine  Erwei- 
terung von  Koqcdv  ,  KoQGiv  Koseform  zu  Vollnamen  wie  KÖQOißog. 
Auf  der  großen  Inschrift  von  Larisa  werden  hinter  einander '  Avxi- 
(pdvsig  KoQOvveiog,  ' AQiG\xo\(pix.v8ig  KoQovvstog  genannt;  KoQovveiog 
kann  Patronymicum  zu  Köqcov  wie  zu  KoQtovög  sein.  Von  Köqchv 
abgeleitet  ist  Koq6vt\\  so  heißt  eine  Tochter  des  Apollon,  und 
eine  Stadt  in  Messene,  in  der  nach  Pausanias  ein  '  Anollcav  Koqv- 
Öog  verehrt  wurde  (Baunack  Stud.  1.  156  f.).  Die  Koseformen 
auf  -v  sind  dadurch  ausgezeichnet,  daß  der  volle  Dreiklang  cc  yj  w 
als  Ablaut  in  ihrer  Endung  erscheint.  Für  die  Koseformen  auf 
~cav  bedarf  es  weiterer  Belege  nicht.  Die  auf  -?jt/  sind  bisher 
am  häufigsten  auf  Münzen  von  Dyrrhachion  und  Apollonia  beob- 
achtet (Blass  Coli.  no.  3225).  Sie  sind  von  den  erstgenannten 
deutlich  durch  den  Accent  geschieden:  Adpav ,  Avöav,  IIv&m> 
neben  Aa^v ,  Avöqv ,  Ilvftr\v  (Fick  GGA.  1880.  425).  Die  dritte 
Gruppe  wird  durch  eine  stattliche  Reihe  von  Völkernamen  gebil- 
det: 'Afc&vsg,  '  Afran&veg,  Alvi&veg,  'AxccQvaveg,  '  Azivtäveg,  EvQVtä- 
veg,  KsyaXXävtg.  &oiTiäveg  (Böckh  zu  CIG.  no.  1793) ;  wie  man  sieht, 


1)  Diese  Schwierigkeit  hat  Wilaniowitz  in  einer  Unterhaltung  mit  mir  her- 
vorgehoben. 


38  F.  B e  ö h  t el ,  Kleine  Aufsätze. 

gehören  sie  größten  Teils  nordwestgriechischen  Stammen  an.  Daß 
a  nicht  etwa,  wie  das  ä  von  'AXx^idcv,  durch  Contraction  entstan- 
den ist,  beweist  das  ionisch-attische  v\  in  *  A%v\vsq  und  KscpallilvEg. 
Nach  Nordwestgriechenland  gehört  auch  der  wichtigste  dieser  Na- 
men, "EXXäv ;  der  wichtigste  darum ,  weil  wir  zu  ihm  allein  den 
Vollnamen  kennen,  "ElXoty.  Womit  der  Wechsel  des  Accents  zu- 
sammenhänge, weiß  ich  nicht;  eben  so  wenig,  auf  welche  Weise 
das  ä  dieser  dritten  Gruppe  mit  dem  rj  und  eo  der  beiden  ersten 
in  Verbindung  stehe.  Hier  handelt  es  sich  nur  um  den  Beweis,  daß 
als  Koseformen  neben  Koqwv  sowol  Kogiqy  wie  Koqüv  oder  Koqiä'v 
theoretisch  denkbar  sind.  Zu  Köqcov  nun  ist  das  Feminum  Ko- 
Qavä,  Koqwvyi  erhalten.  Zu  Koqyjv  würde  analog  Kog^vä  gehören; 
ein  derartiges  Femininum  könnte  in' AXxpriva  gesehen  werden,  wenn 
die  Ueberlieferung  bei  Pindar  (Ahrens  Dial.  Dor.  134)  altes  Sprach- 
gut gewahrt  haben  sollte.  Und  endlich,  das  Femininum  der 
dritten  Koseform  liegt  in  KvQavä  vor;  v  für  o  ist  thessalisch, 
die  Ersetzung  des  o  durch  v  auch  in  dem  Stadtnamen  rvQtav 
(rYPTQNIQN  auf  Münzen  von  400—200,  Head  Hist.  num.  251)  zu 
belegen,  der  von  ToQtvv  nicht  getrennt  werden  darf. 


Bei  der  Kgl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  einge- 
gangene Druckschriften. 

Man  bittet  diese  Verzeichnisse  zugleich  als  Empfangsanzeigen  ansehen  zu  wollen. 

November  1889. 

(Fortsetzung.) 
Societa  R.  di  Napoli.     Atti  d.  A.  d.  scienze  fisicbe  e  matematiche.    Serie  se- 

conda.     Vol.  DI.    1889. 
Biblioteca  Nazionale  Centrale  di  Firenze.    Bollettino  delle  pubblicazioni  italiane. 

1889.  N.  9-^—94. 
Archives  Neerlandaises  des  sciences  exactes  et  naturelles.    Tome  XXIII.  Livr.  3. 

Harlem  1889. 
Adam  et  Christus.    Epistola  ad  Abraham.    Carmina  probata  ab  Academia  Regia. 

Amsterdam. 
Koninklijke  Akademie  van  Wetenschappen.    Amsterdam. 

a.  Verhandelingen.    Afdeeling  Letterkunde.     Deel  18.  1889. 

b.  Verslagen  en  Mededeelingen.    Afdeeling  Letterkunde.     3de  Reeks.  5.  Deel. 

1889. 

c.  Verslagen  en  Mededeelingen.    Afd.  Letterkunde.  3de  Reeks.  5.  Deel.  1888. 

d.  Jaarboek  voor  1888.     Amsterdam. 

Bergens  Museums  Aarsberetning  for  1888.     Bergen  1889. 
Finlands  Geologiska  Undersökning 

a.  Kartbladed  12,  13,  14. 

b.  Beakrifning  tili  kartbladed.     N.  12,  13,  14,  15. 


39 

Journal  de  sciencias  mathematicas  e  astronomicas.  Vol.  IX.*1  N.  3.   Coinibra  1889. 
Anales  de  la  sociedad  cientifica  Argentina.     Jun  — Agosto  1889  =  T.  27.  6  und 
T.  28  i.  2.     Buenos  Aires.  1889. 

Nachträge. 

H.  M.  S.  Chal  lenger  1873-78.     Zoology.    Vol.  XXXII. 

Lotos.    Jahrbuch  für  Naturwissenschaft.     Neue  Folge.     Band  X.  D.  g.  R.   38ster 

Band.     Wien  1890. 
Jahrbuch    der   Hamburgischen    wissenschaftlichen   Anstalten.      Jahrg.    VI.      2te 

Hälfte.  1888.     Hamburg  1889. 
Natural   history  of  Victoria.     Prodromus  of  the  Zoology  of  Victoria;   etc.     De- 

cade  XVIII.     Melbourne  and  London  1889. 


December  1889. 

Sitzungsberichte  d.  K.  Pr.  Akademie  d.  Wissenschaften  zu  Berlin.  XLVU 
XLVIII.  XLIX.  L.  LI.  LH. 

Festschrift  der  mathematischen  Gesellschaft  in  Hamburg  anläßlich  ihres  200jäh- 
rigen  Jubelfestes  1890.     Theii  1.     Leipzig  1890. 

Fünfzehn  Vorträge  aus  der  Brandenburgisch  -  Preußischen  Rechts-  u.  Staatsge- 
schichte v.  Ad.  Stölzel.     Berlin   1889. 

Leopoldina.     Heft  XXV.  N.  21—22.     Halle  a.  d.  Saale. 

Jahrbuch  über  die  Fortschritte  der  Mathematik.  Band  XIX.  Jahrgang  1887. 
Heft  1.     Berlin  1889. 

Heinrich  von  Dechen,  ein  Lebensbild  von  H.  Laspeyres.     Bonn  1889. 

Deutsches  Meteorologisches  Jahrbuch  für  1887. 

Beobachtungssystem  des  Königreiches  Sachsen.  Hälfte  1.  Abth.  1  u.  2.  Hälfte  2 
od.  Abth.  III.     V.  Jahrg.  1887.     Chemnitz   1888/89. 

Vierteljahrsschrift  der  Astronomischen  Gesellschaft.  Jahrg.  24.  Heft  4°.  Leip- 
zig 1889. 

Kaiserliche  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien: 

a.  Denkschriften  Mathematisch -naturwissensch.  Classe.     Band  55.     Wien  1889. 

b.  Sitzungsberichte. 

1.  Philosophisch-historische  Classe.     Band  CXVII.  Jahrg.  1888.    Band  CXVIII. 

Jahrg.  1889. 

2.  Mathematisch -naturwissenschaftliche  Classe.     Erste  Abtheilung.  1888. 

Band  XCVII.      VI.  u.  VII.  Heft.    VHI.  bis  X.  Heft.    1889.      Band  XCVIII. 
1—3.  Heft. 

3.  Mathem.-naturwissensch.  Classe.     Abth.  IIa.  1888.  Band  XCVII.  Heft  VIII. 

Heft  IX— X.  1889.     Band  XCVIII.  Heft  I,  II  u.  III. 

4.  Math.   u.   naturw.   Classe.      Abtheilung  IIb.      1888.    Band    XCVII.    Heft 
VIII  —  X.  1889.     Band  XCVIII.  Heft  I — 113. 

5.  Math.  u.  naturw.  Classe.     Abtheilung  HI.  1888.   Band  XCVH.    Heft  VII 

-X.    1889.     Band  XCVIII.  Heft  1-4. 

c.  Archiv  für  österreichische  Geschichte.     Band  74.  Hälfte  1.   Hälfte  2.    1889. 

d.  Almanach.     Jahrg.  39.  1889. 

e.  Register  zu  den  Bänden  91  —  96  der  Sitzungsberichte.   Math.-phys.  Classe.  XII. 

Wien   1888. 

f.  Mittheilungen  aus  dem  Vaticanischen  Archive.     Band  1.     Wien  1889. 

g.  Venetianische  Depeschen  vom  Kaiserhofe.     Band  1.    Wien  1889. 
Meteorologische   Zeitschrift.     Jahrg.  6.    1889.    Heft  12.    Dez.     Band  XXIV    der 

Zeitschrift  d.  Oesterr.  Ges.  für  Meteorologie.     Wien. 

Mittheilungen  des  Musealvereins  für  Krain.  Jahrgang  1.  Leibach  1866.  Jahrg.  II. 
Leibach  1889. 

Anzeiger  der  Akademie  der  Wissenschaften  in  Krakau  1889.  Oktober,  Novem- 
ber.    Krakau  1889. 

Ungarische  Revue.    Heft  X.  1889.   Neunter  Jahrgang.    Budapest  1889. 

The  collected  mathematical  papers  of  Arthur  Cayley.  Vol.Il.  Cambridge  1889. 


40 

Nature.    Vol.  41.    N.  1049-1053. 

Journal  of  the  R.  microscopical  society  1889.    Part  6.    December.     London  and 

Edinburgh. 
Monthly  notices  of  the  R.  astronomical  society.    Vol.  L.    N.  1.    1889. 

a.  Teckeuingar  ur  svenska  etatens  historiska  Museum.     Forsta  haftet.    Serie  IV. 

Andra  haftet.     Serie  VI.  Tredje  haftet.    Serie  V.     By  Br.  E.  Hildebrand 
och  Hans  Hildebrand.     Stockholm. 

b.  Svenska  Sigiller  fran  Medeltiden  afBr.  E.  Hildebrand.     1.  2.     Stockholm 

1862-67. 

c.  Anglosachsiska  mynt:    Sv.  Kongl.    Mynt   kabinet  ordnade   och    beskrifna    of 

Br.  E.  Hildebrand.     Erste  und  zweite  Auflage.    Stockholm  1846  u.  1881. 

d.  Akademiens  Mänadsblad,  argange  1882 — 1889. 

e.  Sveriges  och   svenska  Konungahusets   minne   spenningar    praktmynt   och  be- 

lönnings  medaljer.    Del  1  och  2.     By    Br.    E.    Hildebrand.     Stockholm 
1874—75. 

f.  Minnespenningar  öfver  enskilda  svenska  man  och  qvinnor  af  Bror.  Emil 
Hildebrand.     Stockholm  1860. 

g.  Antiqvarisk  Tidskrift  for  Sverige  del  II,  III  1,  2,  3—4.  IV  1,  2,  3  u.  4.  V  1, 
2,  3.  VI  1,  2,  3,  4.  VII  1-3,  4.  VIII  1  u.  2.  IX  1  u.  2.  XI  u.  2,  3  u.  4, 
5.    By  Br.  E.  Hilde  brand  och  Hans  Hildebrand.     Stockholm. 

Bulletin  de  TAcadämie  Imp.  de  sciences  de  St.  Petersbourg.     Nouvelle  se"rie  1. 

(XXXIII).    N.  2. 
Bulletin   de   la    societe   Imp.  des  naturalistes  de  Moscou.     Anne"e  1889.    N.  2. 

Moscou  1889. 
Bulletin   de   l'Academie  Royale    de    Belgique.      Annee  59.     serie  3.     tome  18. 

N.  9—10,  N.  11.     Bruxelles  1889. 
Atti  della  R.  Accademia  dei  Lincei  1889.    Rendiconti.  Vol.  V.  fasc.  5,  6.    Roma. 
Biblioteca  nazionale  centrale  di  Firenze.     Bollettino  delle  publicazioni  italiane. 

1889.   N.  95.  96. 
Me*rnoires  de  l'Academie    des   sciences   et   lettres   de  Montpellier.      Tome  VIII. 

fasc.  III.    Annee  1888-89.    Montpellier. 
Journal  de  l'e*cole  polytechnique.     58.  cahier.     Paris  1889. 
Societe  des  Antiquaires  de  Pieardie: 

a.  Memoires.     3eme  serie.     Tome  X. 

b.  Bulletin.    Annee  1889.  N.  1.     Titelblatt  u.  Reg.  zu  B.  XVI. 

Annales  du  musee  Guimet.  Revue  de  l'histoire  des  religions.  Xieme  annee. 
Tome  XIX.    N.  1,  2,  3.    Paris. 

Annales  de  la  societe  Linneenne  de  Lyon.    Annee  1885,  86,  87.     Tome  32,  33,  34. 

Annales  de  la  societe  d'agriculture ,  histoire  naturelle  et  arts  utiles  de  Lyon. 
5ieme  serie.  Tome  9  et  10.  1886  et  1887.  6*«™  se'rie.  Tome  I.  1888.  Lyon- 
Paris. 

Memoires  de  l'Academie  des  sciences,  belles  lettres  et  arts  de  Lyon : 

a.  Classe  des  sciences.    Vol.  28  et  Vol.  29. 

b.  Classe  des  lettres.     Vol.  24,  25,  26.    Paris  et  Lyon. 

Le  proces  de  la  nomenclature  botanique  et  zoologique  par  le  Dr.  Saint-Lager. 

Paris  1886. 
Recherches  sur  les  anciens  herbaria  par  le  Dr.  Saint-Lager.     Paris  1886. 
Bulletin  de  la  socie'te  mathematique  de  France.    Tome  XVII.    N.  5. 
Bibliotheque  nationale.    Manuscrits  arabes.    Fasc.  2.  1889.   pag.  337 — 656. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Inhalt  von  No.  1. 
Faul  de  Laga/rde,  Nachträge  zu  früheren  Mittheilungen.  —  B.  Galitzine,  über  das  Dalton'sche  Gesetz. 
F.  Bechtd,   Kleine  Mittheilnngen.  —  Eingegangene  Druckschriften. 

Für  die  Redaction  verantwortlich:  H.  Sauppe,  Secretair  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 

Commissions  -  Verlag  der  Bieterich' sehen  Verlags -Buchhandlung. 

Druck  der  Dieterich' sehen  Univ. -Buchdrucker ei  (W.  Fr.  Kaestner). 


Nachrichten 


von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu   Göttingen. 


26.  Februar.  Jfg  %  1890. 

Universität, 

Verzeichniß  der  Vorlesungen 

auf  der  Georg-Augusts-Universität  zu  Göttingen 

während  des  Sommerhalbjahrs  1890. 

Die  Vorlesungen  beginnen  den  15.  April  und  enden  den  15.  August. 

Theologie. 

Geschichte  Israels :  Prof.  Smend  viermal  um  10  Uhr. 
Alttestamentliche  Theologie  :  Prof.  Schulte  fünfmal  um  10  Uhr. 
Erklärung  der  Psalmen :  Prof.  Smend  viermal  um  11  Uhr. 

Einleitung  in  das  Neue  Testament:  Lic.  Weiss  fünfmal  um 
7  Uhr. 

Synoptische  Erklärung  der  drei  ersten  Evangelien :  Prof.  L?V- 
nemann  sechsstündig  um  9  Uhr. 

Erklärung  des  Evangeliums  Johaunis :  Prof.  Wtesingcr  fünf- 
stündig um  9  Uhr. 

Erklärung  des  Hebräerbriefs:  Prof.  Häring  dreistündig,  Mon- 
tags. Dienstags  und  Mittwochs  um  9  Uhr. 

Kirchengeschichte  des  Alterthums  und  Mittelalters :  Prof.  Wa- 
genmann sechsmal  um  8  Uhr. 

Kirchengeschichte  der  neueren  Zeit  von  der  Reformation  bis 
zur  Gegenwart :  Prof.  Tschackert  fünfmal  um  8  Uhr. 

Kirchengeschichte  von  Hannover  und  Braunschweig:  Prof. 
Wagenmann  viermal  um  7  Uhr. 

Nachrichten  von  der  K.  G.  d.  W.  in  Göttingen.    1800.   No.  2.  4 


42  Verzeichniß  der  Vorlesungen  auf  der  Georg-Augusts-Universität  zu  Göttingen 

Apologie  des  Christentimms :  Prof.  Schultz  fünfmal  um  12  Uhr. 
Dogmatik  II.  Theil:    Prof.  Iläring  fünfmal  um  11  Uhr. 
Symbolik  :  Prof.  Tschackert  fünfmal  um  4  Uhr. 

Praktische  Theologie:   Prof.   Wiesinger  vierstündig  um  3  Uhr. 

Geschichte  und  System  der  Pädagogik :  Prof.  Knoke  viermal 
um  5  Uhr. 

Praktisch-theologische  Erklärung  des  kleinen  Katechismus  von 
Martin  Luther:  Derselbe  dreistündig,  Montags.  Dienstags  und  Don- 
nerstags um  4  Uhr. 

Kirchenrecht  s.  unter  Rechtswissenschaft  S.  43. 


Die  alttestamentlichen  Uebungen  der  wissenschaftlichen  Ab- 
theilung des  theologischen  Seminars  leitet  Prof.  Smend  Dienst,  um 
6  Uhr;  die  neutestamentlichen  Prof.  Wiesinger  Montags  um  6;  die 
kirchen-  und  dogmenhistorischen  Prof.  Wogenmann  Freitags  um  6; 
die  dogmatischen  Prof.  Schultz  Donnerstags  um  6  Uhr. 

Die  homiletischen  Uebungen  der  praktischen  Abtheilung  des 
theologischen  Seminars  leiten  abwechslungsweise  Prof.  Schultz  und 
Prof.  Knoke  Sonnabends  9—11  Uhr  öffentlich;  die  katechetischen 
Uebungen  Prof.  Wiesinger  am  Mittwoch  von  2—3  Uhr  und  Prof. 
Knoke  Sonnabends  2 — 3  Uhr  öffentlich ;  die  liturgischen  Uebungen 
Derselbe  Sonnabends  9 — 10  und  11 — 12  Uhr  öffentlich. 

Ein  dogmatisches  Conversatorium  hält  Prof.  Häring  einmal 
Öffentlich. 

Kirchengeschichtliche  Uebungen:  Prof.  Tschackert  Montags  von 
5 — 7  Uhr  privatissime  und  gratis. 

Exegetische  Uebungen  hält  privatissime  und  gratis  Lic.  Weiss. 

Rechtswissenschaft. 

Institutionen  des  römischen  Rechts:  Montag  bis  Freitag  von 
8 — 9  Uhr  und  Mittwoch  von  7 — 8  Uhr  Prof.  Begelsberger. 

G-eschichte  des  römischen  Rechts:  Montag,  Dienstag,  Donners- 
tag und  Freitag  von  7—8  Uhr  Prof.  J.  Merkel. 

Pandekten  I.  Teil  (Allgemeine  Lehren,  Sachenrecht,  Obliga- 
tionenrecht): Montag,  Mittwoch,  Donnerstag,  Sonnabend  von  8—10, 
Dienstag  und  Freitag  von  8—9  Uhr  Prof.  J.  Merkel. 

Pandekten  II.  Teil  (Familien-  und  Erbrecht) :  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag,  Freitag  von  7—8  Uhr  Prof.  Begelsberger. 

Pandektenpraktikum :  Mont. ,  Mittw. ,  Freitag  von  12—1  Uhr 
Prof.  v.  Jhering. 


während  des  Sommerhalbjahrs  1890.  '"  43 

Exegetische  Hebungen  in  den  Digesten :  Montag  von  5  — 7  Uhr 
Prof.  Regelsberger. 

Conversatorium  über  Pandekten  :  Montag,  Dienstag.  Donnerstag 
und  Freitag  von  4 — 5  Uhr  Dr.  Göldschmidt. 


Deutsche  Rechtsgeschichte  :  Montag  bis  Freitag  von  7—8  Uhr 
Vorm.  Prof.  Dove. 

Deutsches  Privatrecht  mit  Lehnrecht :  Montag  bis  Freitag  von 
12—1  Uhr  Prof.  Ehrenberg. 

Handels-  Wechsel-  und  Seerecht :  Montag  bis  Freitag  von 
8—9  Uhr  Prof.  Frensdorff. 

Preußisches  Privatrecht :  Dienstag  bis  Freitag  von  10 — 11  Uhr 
Prof.  Zieh art h. 

Vergleichendes  Erbrecht:  Sonnabend  von  10 — 11  Uhr  Prof. 
Ziebarth  (Öffentlich). 

Die  Grundzüge  des  Entwurfs  eines  bürgerlichen  Gesetzbuchs 
für  das  deutsche  Reich  II.  Teil  (Familien-  und  Erbrecht):  Freit, 
von  5-6  Uhr  Prof.  Planck  (öffentlich). 

Der  privatrechtliche  Inhalt  der  deutschen  Socialgesetzgebung : 
Sonnabend  von  11 — 1  Uhr  Dr.  Goldschmidt  (öffentlich). 


Strafrecht :    Dienst,  bis  Sonn,   von  11—12  Uhr  Prof.  Ziebarth, 


Deutsches  Staatsrecht :  Mont.   bis  Freit,  von  9 — 10  Uhr  Prof. 
Frensdorff. 

Kirchenrecht :    Montag    bis  Freitag  von  8 — 9  Uhr  Prof.  Dove. 


Civilprozeß  :  Montag  bis  Freit,  von  10—11  Uhr  Prof.  v.  Bar. 
Strafprozeß  :  Mont,.  Dienst.,  Donnerst.,  Freit,  von  11 — 12  Uhr 
Prof.  v.  Bar. 


Vorlesungen  über  Staatswissenschaft  s.  S.  51. 

Medicin. 

Zoologie,  Botanik,  Chemie  s.  unter  Naturwissenschaften. 


Knochen-  und  Bänderlehre  trägt  Prof.  Fr.  Merkel  am  Dienst., 
Donnerstag  u.  Sonnabend  von  11 — 12  Uhr  vor. 

Der  systematischen  Anatomie  IL  Theil ,    Gefäß-  und  Nerven- 
lehre, lehrt  Prof.  Fr.  Merkel  täglich  von  12—1  Uhr. 

Allgemeine  Anatomie  lehrt  Prof.  Fr.  Merkel  Mont.,  Mittwoch 
u.  Freitag,  von  11     12  Uhr, 

4* 


44  Verzeichniß  der  Vorlesungen  auf  der  Georg-Augnsts-Universität  zu  Göttingen 

Mikroskopische  Uebungen  für  Anfänger  hält  Prof.  Fr.  Merkel 
mit  Dr.  Bisse  Montag  von  5 — 7  Uhr  u.  Donnerstag  von  4 — 5  Uhr. 

Anatomische  Untersuchungen  leitet  Prof.  Fr.  Merkel  öffentlich 
in  zu  bestimmenden  Stunden. 

Mikroskopische  Uebungen  für  Geübtere  hält  vierstündlich  Dr. 
Disse. 

Mikroskopische  Curse  in  der  speciellen  Histologie  hält  Prof. 
Krause  viermal  wöchentlich  um  2  Uhr  oder  zu  passender  Zeit. 

Physiologie  mit  Erläuterungen  durch  Versuche  und  mikrosko- 
pische Demonstrationen  trägt  Prof.  Herbst  6  Stunden  wöchentlich 
um  10  Uhr  vor. 

Experiinentalphysiologie  I.  Theil  lehrt  Prof.  Meissner  täglich 
um  10  Uhr. 

Physiologie  der  Zeugung  und  Embryologie  lehrt  Prof.  Meissner 
Freitag  von  5—7  Uhr. 

Arbeiten  im  physiol.  Institut  leitet  Prof.  Meissner^ 


Allgemeine  Aetiologie  lehrt  Prof.  Orth  Montag  u.  Mittwoch 
von  3 — 4  öffentlich. 

Allgemeine  Pathologie  lehrt  privatim  Prof.  Orth  Montag  bis 
Freitag  von  12—1  Uhr. 

Pr actische  Uebungen  in  der  patholog.  Histologie  hält  Prof.  Orth 
Dienstag  und  Freitag  von  3—5  Uhr. 

Sections-  und  diagnostische  Uebungen  leitet  Prof.  Orth  in  pas- 
senden Stunden. 

Physikalische  Diagnostik  verbunden  mit  Uebungen  lehrt  Prof. 
Damsch  Dienstag,  Mittwoch  u.  Freitag  von  4 — 5  Uhr. 

Ueber  physikalische  Heilmethoden  mit  besoderer  Berücksich- 
tigung der  Elektrotherapie  und  mit  Uebungen  am  Krankenbett  trägt 
Prof.  Damsch  Montag  u.  Donnerstag  von  4 — 5  Uhr  vor. 

Laryngoskopische  Uebungen  hält  Prof.  Damsch  Sonnabend  von 
12-1  Uhr. 

Ueber  Impftechnik,  verbunden  mit  Uebungen  im  Impfen  trägt 
Prof.  Damsch  zu  passenden  Stunden  vor. 


Arzneimittellehre  und  Receptirkunde  verbunden  mit  Experi- 
menten und  Demonstrationen  sowie  mit  praktischen  Uebungen  im 
Receptiren  und  Dispensiren  lehrt  Prof.  Manne  dreimal  wöchentlich, 
Montag,  Dienstag  und  Donnerstag  von  5 — 6  Uhr. 

Specielle  Toxicologie,  I.  Th. ,  für  ältere  Mediciner  lehrt  in 
Verbindung  mit  Experimenten  zweimal  wöchentlich,  Montag  und 
Donnerstag  von  2—3  Uhr,  Prof.  Marme. 


während  des  Sommerhalbjahrs  1890.  45 

Die  Arzneiverordnungslehre  trägt  Prof.  Husemann  3  mal  wö- 
chentlich in  später  zu  bestimmenden  Stunden  vor. 

Ueber  eßbare  und  giftige  Pilze  trägt  Prof.  Husemann  öffent- 
lich Donnerstag  von  5 — 6  Uhr  vor. 

Ein  pharmakognostisches  Practicum  mit  mikroskopischen  "He- 
bungen hält  für  Pharmaceuten  Prof.  M arme  Mittwoch  von  10 — 12  Uhr. 

Arbeiten  im  pharmakologischen  Institut  leitet  Prof.  Marme  tägl. 

Specielle  Pathologie  und  Therapie  I.  Hälfte  lehrt  Prof.  Eb- 
stein täglich  außer  Montag,  von  7  —  8  Uhr. 

Die  medicinische  Klinik  hält  Prof.  Ebstein  täglich ,  und  zwar 
fünfmal  von  103A-12  Uhr,  Sonnabend  von  974— 103A  Uhr. 

Die  Untersuchung  des  Harns  und  Sputums  mit  practischen 
Uebungen  leitet  Prof.  Ebstein  mit  Dr.  Nicolaier  1  mal  wöchentlich 
in  zu  verabredender  Stunde. 

Allgemeine  Chirurgie  lehrt  Prof.  Rosenbach  dreimal  wöchent- 
lich von  8  —  9  Uhr  Morgens,  Dienstag,  Mittwoch  und  Freitag. 

Allgemeine  Chirurgie  lehrt  Prof.  Lohnet/er  fünfmal  wöchent- 
lich von  8—9  Uhr. 

Chirurgische  Klinik  hält  Prof.  König  täglich  mit  Ausnahme 
Sonnabends  von  9'A — 108A  Uhr. 

Medicinische  Poliklinik  hält  Prof.  Dänisch  täglich  von  12  Uhr 
an  öffentlich. 

Chirurgische  Poliklinik  hält  .Prof.  König  gemeinsam  mit  Prof. 
Jiosenbach  Sonnabend  103A  Uhr  öffentlich. 

Einen  chirurgisch-diagnostischen  Cursus  hält  Prof.  Rosenbach 
zweimal  wöchentlich.  Dienstag  und  Freitag  von  3—4  Uhr. 

Operationscursus  an  Leichen  hält  Prof.  König  täglich  von 
5  —  7  Uhr,  Sonnabend  ausgenommen. 

Ueber  Fracturen  u.  Luxationen  liest  Dr.  0.  Hildebrand  zwei- 
mal wöchentlich. 

Die  Klinik  der  Augenkrankheiten  hält  Prof.  Lebet-  Montag, 
Dienstag,  Donnerstag,  Freitag  von  12—1  Uhr. 

Augen spiegelcursus  hält  Dr.  Wagenmann  Mittwoch  und  Sonn- 
abend von  12 — 1  Uhr. 

Augenoperation  scursus  hält  Dr.  Wagenmann  Sonnabend  von 
8-9  Uhr. 

Einen  Cursus  über  Functionsprüfung  des  Auges  hält  Dr.  Schir- 
mer Mittwoch  u.  Sonnabend  von  7  —  8  Uhr. 

Ueber  die  practiseh  wichtigen  Abschnitte  der  Ohrenheilkunde 
mit  Uebungen  im  Ohrenspiegel  trägt  Prof.  Bürhner  Dienstag  und 
Freitag  von  2—3  Uhr  oder  zu  besser  passender  Zeit  vor. 


46  Verzeichniß  der  Vorlesungen  auf  der  Georg-Augusts-Universität  zu  Göttingen 

Poliklinik  für  Ohrenkranke  hält  Prof.  Bürhner  (für  Geübtere) 
Mittwoch  und  Sonnabend  von  12 — 1  Uhr. 

Geburtshülflich-gynaekologische  Klinik  u.  Poliklinik  hält  Mon- 
tag, Dienstag,  Donnerstag  und  Freitag  um  8  Uhr  Prof.  Bunge. 

Einen  gynaekologischen  Operationscursus  hält  mit  beschränkter 
Anzahl  von  Zuhörern  Prof.  Bunge  privatissime. 

Diagnostischen  und  operativen  Cursus  am  geburtshültiichen 
Phantom  hält  Prof.  Runge  Montag,  Mittwoch,  Donnerstag  3 — 4  Uhr. 

Ueber  Frauenkrankheiten  liest  dreistündig  in  zu  verabredender 
Stunde  Dr.  Broysen. 

Psychiatrische  Klinik  verbunden  mit  Vorlesungen  über  Gei- 
steskrankheiten hält  Prof.  Meyer  wöchentlich  in  vier  Stunden 
Montag  und  Donnerstag  von  3—5  Uhr. 


Gerichtliche  Psychiatrie  mit  casuistischen  Demonstrationen 
lehrt  (für  Juristen)  Prof.  Meyer  wöchentlich  in  zwei  nach  Verab- 
redung festzusetzenden  Stunden. 

Hygiene,  IL  Theil,  lehrt  Dienstag,  Donnerstag  und  Freitag- 
früh  7—8  Uhr  Prof.  Wolffhügel 

Practische  Uebungen  und  Excursionen  im  Anschluß  an  die 
Vorlesung  über  Hygiene  hält  unentgeltlich  Prof.  Wolffhügel  Mitt- 
woch und  Sonnabend  von  7 — 8  oder  von  8 — 9  Uhr  Vormittags. 

Hygienische  und  bakteriologische  Curse  giebt  Prof.  Wolffhügel 
in  passenden  Stunden. 

Arbeiten  im  hygienischen  Institut  leitet  Prof.  Wolffhügel  täg- 
lich von  9 — 5  Uhr. 

Die  äußeren  Krankheiten  der  Hausthiere,  sowie  Beurthei- 
lungslehre  des  Pferdes  und  Kindes  trägt  Prof.  Esser  wöchentlich 
fünfmal  von  8—9  Uhr  vor. 

Klinische  Demonstrationen  im  Thierhospitale  wird  Prof.  Esser 
in  zu  verabredenden  Stunden  halten. 


Philosophie. 

Geschichte  der  alten  Philosophie  mit  Anhang  über  orientalische 

Philosophie:  Prof. Baumann,  Mont.,  Dienst.,  Donnerst.,  Freit.  5  Uhr 

Geschichte  der  Philosophie  :  Prof.  Behnisch,  5  Stunden,  12  Uhr! 

Logik:   Prof.   G.  E.  Müller,  Montag,    Dienstag,   Donnerstag. 
Freitag  4  Uhr. 

Psychologie:  Vvoi.Peipers,  Mont.,  Dienst.,  Donn.,  Freit,  7  Uhr,,  früh. 


während  des  Sommerhalbjahrs  1890.  47 

Ausgewählte  Kapitel  der  Metaphysik :  Prof.  Rehnisch,  zu  pas- 
sender Stunde,  Öffentlich. 

Moralphilosophie  mit  der  Lehre  von  der  Willens-  und  Cha- 
rakterbildung:  Prof.  Baumann,  Mont.,  Dienst.,  Donn.,  Freit.  9  Uhr. 


Die  Hebungen  des  K.  pädagogischen  Seminars  leitet  Prof .  Sauppe, 
Mont.  und  Donnerst.  11  Uhr,  öffentlich. 

In  einer  philosophischen  Societät  wird  Prof.  Baumann  Xeno- 
phons  Denkwürdigkeiten  des  Socrates  behandeln,  Dienstag  6  Uhr. 

In  einer  psychologischen  Societät  wird  Prof.  G.  E.  Müller 
Uebungen  auf  dem  Gebiete  der  experimentellen  Psychologie  an- 
stellen (in  noch  zu  bestimmenden  Stunden). 

In  einer  philosophischen  Societät  erklärt  Prof.  Peipers  ausge- 
wählte Abschnitte  aus  Kants  Kritik  der  reinen  Vernunft,  Freitag 
6  Uhr,  öffentlich. 


Mathematik,  Astronomie  und  theoretische  Physik. 

Algebraische  Analysis :  Dr.  Schönflies,  Montag,  Dienstag,  Don- 
nerstag, Freitag,  8  Uhr.     Dazu  unentgeltlich  eine  Uebungsstunde. 

Integralrechnung:  Prof.  Schwarz,  Montag  bis  Freitag  11  Uhr. 

Elemente  der  Theorie  der  bestimmten  Integrale :  Dr.  Schönflies, 
Mittwoch  und  Sonnabend  8  Uhr. 

Theorie  der  Flächen  II.  Grades :  Dr.  BurMardt ,  Montag, 
Dienstag,  Donnerstag  4  Uhr.  (Uebungen  dazu,  privatissime,  aber 
unentgeltlich :  Freitag  4  Uhr)» 

Theorie  der  analytischen  Funktionen,  zweiter  Theil:  Prof. 
Schwarz,  Mont.  bis  Freit.  9  Uhr. 

Gewöhnliche  Differentialgleichungen:  Prof.  Klein,  Montag. 
Dienst.,  Donnerst.,  Freitag  11  Uhr. 

Nicht-Euklidische  Geometrie ,  Fortsetzung :  Prof.  Klein ,  Mitt- 
woch 11 — 1  Uhr. 


Einleitung  in  die  Potentialtheorie :  Dr.  Drude,  Dienstag,  Frei- 
tag 8  Uhr. 

Molecular-Mechanik :  Prof.  Schering,  Dienst.,  Mittw.,  Donnerst., 
Freitag  7  Uhr,  früh. 

Akustik  :  Prof.  Voigt ,  Montag ,  Dienstag ,  Donnerstag ,  Frei- 
tag 10  Uhr. 

Theorie  des  Magnetismus  :  Dr.  Hugo  Meyer ,  Donnerstag  und 
Freitag  11  Uhr. 

Populäre  Astronomie,  II.  Theil :  Prof.  Schur,  Sonnabend  11  Uhr. 


48  Verzeichnis  der  Vorlesungen  auf  der  Georg-Augusts-Universität  zu  Göttingen 

Ueber  die  Berechnung  der  Störungen  der  Planetenbahnen: 
Prof.  Schur,  Moni,  Dienst.,  Donnerst.,  Freit.  11  Uhr. 

Geometrische  Constructionsübungen :  Prof.  Schwarz,  Mittwoch 
und  Sonnabend  3 — 6  Uhr,  öffentlich. 

Mathematische  Colloquien  wird  Prof.  Schwärs  privatissime, 
unentgeltlich,  wie  bisher  zweistündig  wöchentlich  veranstalten. 

Praktische  Uebungen  an  den  Instrumenten  der  Sternwarte : 
Prof.  Schur,  täglich. 

Magnetische  Beobachtungen  im  Gauss  -  Observatorium  leitet 
Prof.  Schering  in  Gemeinschaft  mit  dem  Assistenten  W.  Felgenträger, 
Freitag  6  Uhr  Abend. 

Im  K.  mathematisch -physikalischen  Seminar  wird  Prof.  Riecke 
ausgewählte  Kapitel  der  mathematischen  und  Experimentalphysik 
(Donnerst.  2  Uhr)  behandeln,  Prof.  Schering  mathematische  Uebun- 
gen Freitag  5  Uhr  leiten,  Prof.  Schwarz  Sonnabend  9  Uhr  solche 
veranstalten,  Prof.  Voigt  ausgewählte  Kapitel  der  Mechanik  starrer 
Körper  (Mittwoch  10  Uhr)  und  Prof.  Klein  ausgewählte  Kapitel 
nichteuklidischer  Geometrie  behandeln  (Sonnabend  11 — 1  Uhr), 
Prof.  Schur  astronomische  Uebungen  (Dienstag  Abend  7  Uhr) 
veranstalten. 

Experimentalphysik:  siehe  Naturwissenschaften  S.  49. 

Naturwissenschaften . 

Allgemeine  Zoologie :  Prof.  Ehlers,  Mont.  bis  Donnerst.  8  Uhr. 

Spezielle  Zoologie,  erster  Theil  (Protozoen  und  Coelenteraten) : 
Prof.  Ehlers,  Freitag  und  Sonnabend  8  Uhr. 

Entwickelungsgeschichte  des  Menschen,  nebst  unentgeltlichem 
Praktikum,  Untersuchung  und  Anleitung  zur  Conservirung  des 
Eies  im  Brutofen :   Dr.  Hamann ,    Montag  und  Donnerstag  5  Uhr. 

Die  Existenzbedingungen  der  Thiere  (Biologie),  einschließlich 
der  Wechselbeziehungen  zwischen  Thieren  und  Pflanzen:  Dr.  Ha- 
mann, unentgeltlich. 

Allgemeine  Einführung  in  die  Kenntniß  der  Insekten :  Dr. 
Henking,  Dienst,  und  Donnerst.  4  Uhr. 

Zootomischer  Curs :  Prof.  Ehlers,  Dienst,  u.  Mittw.  10—12  Uhr. 

Zoologische  Uebungen:  Prof.  Ehlers,  wie  bisher,  täglich  (mit 
Ausnahme  des  Sonnabends)  von  9—1  Uhr. 

Demonstrationen  in  dem  K.  zoologischen  Museum :  Dr.  Henking, 
Freitag  4  Uhr. 

Grundzüge  der  Botanik:  Prof.  Berthold,  Dienst,  bis  Sonnab., 
früh  7  Uhr. 


während  des  Sommerhalbjahrs  1890.  49 

Systematik  und  Morphologie  der  Blüthenpflanzen :  Prof.  Peter, 
Dienstag,  Donnerstag.  Freitag  3  Uhr. 

Biologie  der  Pflanzen:  Dr.  Koch,  1  Stunde  unentgeltlich. 

Ueber  Krankheiten  der  Culturpflanzen  :  Dr.  Koch,  Mont.  6  Uhr. 

Hebungen  im  Untersuchen  und  Bestimmen  der  Phanerogamen : 
Prof.  Peter,  Donnerstag  5 — 7  Uhr. 

Uebungeu  im  Untersuchen  und  Bestimmen  der  Kryptogamen: 
Prof.  Peter,  Freitag  5-7  Uhr. 

Botanische  Excursionen  und  Demonstrationen:  Prof.  Peter, 
Sonnabend  Nachmittag. 

Demonstrationen  im  botanischen  Garten :  Prof.  Berthold,  öffentl. 

Mikroskopisch-botanischer  Kursus:  Prof.  Berthold,  Sonnabend 
1»      1    Uhr. 

Mikroskopisch-botanisches  Practicum  für  Anfänger:  Prof.  Peter, 
Mittwoch  Vormittag. 

Tägliche  Arbeiten  im  plianzenphysiologischen  Institut:  Prof. 
Berthold. 

Leitung  botanischer  Arbeiten,  täglich:  Prof.  Peter. 


Mineralogie,  erster  Theil :  Prof.  Liebisch,  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag,  Freitag  12  Uhr. 

Petrographie :  Prof.  Liebisch,  dreistündig. 

Tägliche  Arbeiten  im  mineralogisch -petrographischen  Institut : 
Prof.  Liebisch,  öffentlich. 

Palaeontologie  :  Prof.  v.  Kocnen,  5  St.,  Dienst,  bis  Sonnab.  7  Uhr. 

Ueber  die  geologischen  Verhältnisse  Norddeutschlands :  Prof. 
r.  Koenen,  Sonnabend  12  Uhr,  verbunden  mit  Excursionen  und 
Uebungen. 

Geologische  und  palaeontologische  Uebungen :  Prof.  v.  Koenen, 
täglich,  privatissime,  aber  unentgeltlich. 

Experimentalphysik,  erster  Theil  (Mechanik ,  Akustik,  Optik) : 
Prof.  liierte,  Mont.  und  Freit.  4  Uhr,  Dienst,  und  Donnerst.  5  Uhr. 

Die  praktischen  Uebungen  im  physikalischen  Institut  werden 
die  Prof.  Rieche  und  Voigt,  in  Gemeinschaft  mit  den  Assistenten 
Dr.  Drude  und  Dr.  fernst  leiten,  Dienstag  und  Freitag  2—4  Uhr 
für  Mathematiker  und  Physiker,  Sonnabend  9—1  Uhr  für  Chemiker. 

Akustik  und  Magnetismus :  siehe  Mathematik  S.  47. 

Physikalisches  Colloquium  für  Pharmaceuten :  Dr.  Hugo  Meyer 
in  zwei  zu  verabredenden  Stunden. 

Mathematisch-physikalisches  Seminar :  vgl,  Mathematik  S.  48. 


50  Verzeichnis  der  Vorlesungen  auf  der  Georg-Augusts-Universität  zu  Göttingen 

Allgemeine  Chemie,  organischer  Theil  (Organische  Experimen- 
talchemie):  Prof.   Wallach,  täglich  (außer  Sonnabend),  9  Uhr. 

Organische  Chemie ,  für  Mediciner :  Prof.  von  Uslar ,  4  Stun- 
den, 9  Uhr. 

Gerichtlich  -  chemische  Analyse:  Prof.  Polstorff,  Dienstag  und 
Freitag  8  Uhr. 

Pharmaceutische  Chemie  (anorgan.  Theil) :  Prof.  Polstorff,  Mon- 
tag, Dienstag,  Donnerstag,  Freitag  4  Uhr. 

Ueber  die  stickstoffhaltigen  KohlenstofFverbindungen  mit  ring- 
förmiger Schließung  des  Moleküls :  Dr.  BuchJca,  Montag.  Mittwoch, 
Donnerstag  8  Uhr. 

Analytische  Chemie :  Dr.  Buchka,  Mittw.  u.  Donnerst.  12  Uhr. 

Pharmacie:  Prof.  von  Uslar,  4  Stunden,  3  Uhr.  —  Vgl.  unter 
Median  S.  45. 

Pflanzenernährungslehre  (Agriculturchemie) :  Prof.  Tollens, 
Montag,  Dienstag,  Mittwoch  10  Uhr. 

Grundzüge  der  Chemie,  I.  Theil :  Dr.  Pfeiffer^  Dienst.,  Donnerst., 
Freit.  9  Uhr. 

Die  chemischen  Uebungen  und  wissenschaftlichen  Arbeiten  im 
akademischen  Laboratorium  leitet  Prof.  Wallach,  in  Gemeinschaft 
mit  Prof.  Polstorff  und  Dr.  Buchka,  und  zwar  1)  Vollpracticum, 
Montag  bis  Freitag  8 — 12  und  3—6  Uhr;  2)  Halbpracticum ,  je 
Vor-  und  Nachmittags,  zu  denselben  Stunden ;  3)  Chemisches  An- 
fänger-Practicum  für  Mediciner,  Nachmittags. 

Chemisches  Colloquium  für  Mediciner  mit  Anschluß  an  das 
Practicum:  Prof.   Wallach,  öffentlich,  t Montag  3  Uhr. 

Praktische  Uebungen  im  agricultur  -  chemischen  Laboratorium 
leitet  Prof.  Tollens,  in  Gemeinschaft  mit  Dr.  Dubbers,  Montag  bis 
Freitag  8—12  und  2—4  Uhr. 

Historische  Wissenschaften. 

Lateinische  Paläographie  I.  Theil  (bis  zum  13.  Jahrhundert): 
Prof.  Steindorff,  Mont.,  Dienst.,  Donnerst,  und  Freit.  10  Uhr. 

Diplomatische  Uebungen :  Prof.  Steindorff,  Mittwoch  10—12  Uhr. 
privatissime,  unentgeltlich. 

Geschichte  des  alten  Aegyptens:  Prof.  Pietschmann,  Dienst, 
und  Freit.  5  Uhr. 

Römische  Geschichte  bis  zur  Zeit  der  Bürgerkriege :  Prof. 
Volquardsen,  Mont.,  Dienst.,  Donnerst.,  Freit.  8  Uhr. 

Einleitung  in  die  Culturgeschichte  des  Mittelalters :  Dr.  von 
Kap-herr,  Dienstag  und  Freitag  11  Uhr,  unentgeltlich. 


während  des  Sommerhalbjahrs  1890.  51 

Allgemeine  Verfassungsgeschichte  der  germanischen  und  ro- 
manischen Völker  des  Mittelalters:  Prof.  Weiland,  Hont.,  Dienst., 
Donnerst.,  Freit.  9  Uhr. 

Preußische  Geschichte:  Prof.  KlucJchohn,  Montag,  Dienstag. 
Donnerstag,  Freitag  12  Uhr. 

Geschichte  der  Jahre  1866—1871 :  Prof.  KlucJchohn,  Mittwoch 
12  Uhr,  öffentlich. 

Geschichte  Italiens  seit  dem  Beginn  des  Mittelalters:  Prof. 
77/.  Wüstenfeld,  Moni..  Dienst.,  Donnerst,  u.  Freit.  10  Uhr,  unent- 
geltlich, in  seiner  Wohnung. 

Historische  Uebungen  leitet  Prof.  Weiland,  Freitag  6  Uhr. 
privatissime,  unentgeltlich. 

Historische  Uebungen  leitet  Prof.  Volquardsen,  Dienstag  6  Uhr, 
öffentlich. 

Historische  Uebungen  leitet  Prof.  Klnchhohn,  Montag  6  Uhr, 
privatissime,  unentgeltlich. 

Kirchengeschichte :  s.  unter  Theologie  S.  41. 

Erd-  und  Völkerkunde. 

Allgemeine  physische  Erdkunde  I:  Prof.  Wagner,  Mont.,  Dienst,, 
Donnerst.,  Freit.  11  Uhr. 

Geographische  Uebungen  :  Prof.  Wagner,  Sonnabend  Vormittag, 
privatissime,  unentgeltlich. 

Staatswissenschaft  und  Landwirthschaftslekre. 

Praktische  Nationalökonomie  (Wirtschaftspolitik)  mit  be- 
sonderer Rücksicht  auf  die  Gesetzgebung  des  deutschen  Reiches: 
Prof.  Colin,  Mont.,  Dienst.,  Donnerst.,  Freit.  5  Uhr. 

Allgemeine  Nationalökonomie:  Prof.  Lexis,  Dienstag  bis  Frei- 
tag 10  Uhr. 

Staatswissenschaftliche  Uebungen :  Prof.  Colin,  Mittw.  5 — 7  Uhr, 
privatissime,  unentgeltlich. 

Statistische  Uebungen:  Prof.  Lexis,  2  Stunden, 

Landwirtschaft lirlir  Bodenkunde:  Prof.  Kirchner,  Mittwoch 
und  Sonnabend  11  Uhr. 

Specielle  Ackerbaulehre  (Piianzenbaulehre) :  Dr.  Rümker,  Mont., 
Dienst.,  Donnerst.,  Freit.  11  Uhr. 

Allgemeine  Thierzucht:  Prof.  Kirchner,  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag,  Freitag  11  Uhr. 

Besondere  Thierzucht  (Pferde-  und  Schafzucht) :  Prof.  Kirchner, 
Freit,  und  Sonnabend  10  Uhr. 


52  Verzeichniß  der  Vorlesungen  anf  der  Georg-Augusts-Universität  zu  Göttingen 

Allgemeine  und  specielle  landwirtschaftliche  Thierzüchtungs- 
lehre:  Prof.  Griepenkerl,  Montag  und  Dienstag  5  Uhr. 

Specielle  landwirtschaftliche  Rassenkunde:  Prof.  Griepenkerl, 
Mittw.  5  Uhr,  öffentlich. 

Die  Ackerbausysteme  (Feldgraswirthschaft,  Felderwirthschaft, 
Fruchtwechselwirthschaft  u.  s.  w.) :  Prof.  Griepenkerl ,  Donnerstag 
und  Freitag  4  Uhr. 

Im  Anschluß  an  diese  Vorlesungen  werden  Excursionen  nach 
benachbarten  Landgütern  und  Fabriken  veranstaltet  von  Prof. 
Griepenkerl. 

Rassenkunde  und  Züchtungslehre  der  Kulturpflanzen:  Dr. 
Bümker,  Mittw.  12—1  Uhr. 

Drainage  und  Wiesenbau :  Dr.  Bümker,  Sonnabend  12  Uhr. 

Demonstrationen  und  praktische  Uebungen  im  Veredeln  (Kreu- 
zen) der  Kulturpflanzen  :  Dr.  Bümker,  Donn.  5  Uhr,  unentgeltlich. 

Ausgewählte  Kapitel  aus  der  lanclwirthschaftlichen  Thierer- 
nährungslehre :  Dr.  Lehmann,  1  Stunde. 

Uebungen  im  landw. -physiologischen  Laboratorium :  Prof.  Kirch- 
ner, Mont.  bis  Freit.  8—4  Uhr. 

Landwirthschaftliche  Excursionen:  Prof.  Kirchner,  Sonnabend 
3—6  Uhr. 

Krankheiten  der  Hausthiere:  Vgl.  Mediän  S.  46. 

Agricultur chemie,  Agriculturchemisches  Practicum :  Vgl.  Natur- 
wissenschaf ten*ß.  50. 

Literatur-  und  Kunstgeschichte. 

Buchwesen  des  Alterthums  und  des  Mittelalters  :  Prof.  Dziatzko, 
Montag,  Dienstag,  Donnerstag  8  Uhr. 


Ausgewählte  Kapitel  aus  der  deutschen  Literaturgeschichte 
des  19.  Jahrhunderts :  Prof.  Boethe ,  Montag ,  Donnerstag  6  Uhr 
Abends. 

Geschichte  der  romantischen  Schule  in  Frankreich  (in  franz. 
Sprache):  Lector  Ebray,  2  mal  wöchentlich,  privatissime. 

Shakspere's  Vorgänger  und  Zeitgenossen  :  siehe  Neuere  Spra- 
chen S.  55. 

Vorträge  über  Pope  und  seine  Zeitgenossen :  Lector  Miller, 
(in  englischer  Sprache). 

Allgemeine  europäische  Kunstgeschichte  des  Mittelalters  und 
der  Renaissance:  Prof.  Lange,  Dienstag  und  Freitag  6—8  Uhr 
Abends. 

Rafaels  Leben  und  Werke :  Prof.  Lange,  Mittw.  12  Uhr,  öffentl. 


Während  des  Sommerhalbjahrs  1890.  53 

Kunstgeschichtliche  Uebungen:  Prof.  Lange,  privatissime,  un- 
entgeltlich, Montag  6—8  Uhr  Abends. 


Altertimmskunde. 

Ueber  die  athenische  Burg  und  andere  griechische  Cultstätten : 
Prof.  v.  Wilamowitz-Moellendorff,  Mont.  u.  Dienst.  4  Uhr,  öffentlich. 

Museographie  der  griechischen  und  römischen  Kunstwerke 
wird  Prof.  Wieseler  vortragen  und  durch  Abbildungen  erläutern ; 
2  bis  3  Stunden,  12  Uhr. 

Griechische  Ikonographie:  Prof.  Dilthey,  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag,  Freitag  12  Uhr. 

Ausgewählte  Kunstwerke  läßt  im  K.  archäolog.  Seminar  er- 
klären Prof.    Wieseler,  Sonnabend  12  Uhr,  öffentlich. 

Die  Abhandlungen  der  Mitglieder  des  K.  archäolog.  Seminars 
wird  Prof.   Wieseler  privatissime  beurtheilen,  wie  bisher. 

Archäologische  Uebungen:  Prof.  Dilthey,  Sonnab.  10—12  Uhr. 

Vgl.  Beutsehe  Sprache  S.  54. 

Vergleichende  Sprachlehre. 

Vergleichende  Lautlehre  des  Sanskrit,  Griechischen  und  Deut- 
schen :   Prof.  Bechtel,  Dienstag,  Donnerstag,  Freitag  von  8 — 9  Uhr. 
Altnordische  Grammatik:    siehe  unter  Deutsche  Sprache  S.  54. 

Orientalische  Sprachen. 

Die  Vorlesungen  über  das  A.  Testament  s.  u.  Theologie  S.  41. 

Altaegyptische  Schrift  und  Sprache:  Prof.  Pietschmann,  in  zu 
verabredenden  Stunden. 

Ausgewählte  Stücke  aus  arabischen  Schriftstellern  erklärt 
Prof.   Wüstenfeld,  privatissime. 

Syrisch  lehrt  dreimal,  Mont.  bis  Mittw.,  12  Uhr,  Prof.  de  Lagarde. 

Uebungen  im  Hebräisch  Schreiben  leitet  zweimal,  Donnerstag 
und  Freitag  12  Uhr:  Prof.  de  Lagarde. 

Grammatik  der  Sanskritsprache :  Prof.  Kielhorn,  Mont.,  Mittw., 
Sonnab.  7  Uhr. 

Erklärung  der  Hymnen  des  7.  Mandala  des  Rigveda:  Prof. 
Kielhorn,  Mittw.  und  Sonnab.  8  Uhr. 

In  zwei  Stunden  wird  Prof.  Kielhorn  Subandhu's  Väsavadatta 
erklären  lassen  und  Dandin's  Kävyädarsa  erklären,  öffentlich. 

Orientalische  Kunst:  v 'gl.  Literatur  und  Kunstgeschichte  S.  52. 


54  Verzeichnis   der  Vorlesungen  auf  der  Georg-Augusts-Universität  in  Göttingen 

Griechische  und  lateinische  Sprache. 

Metrik  der  Griechen  und  Römer:  Prof.  Leo,  Mont. ,  Mittw., 
Donnerst.,  11  Uhr,  Sonnab.  12  Uhr. 

Erklärung  der  Gedichte  des  Kallimachos :  Prof.  v.  Wilamowitz- 
Mocllendorff,  Mont.,  Mittw.,  Donn.  10  Uhr,  Dienst,  u.  Freit.  4  Uhr. 

Piatons  Gastmahl:  Prof.  Sauppe ,  Mont..  Dienst.,  Donnerst., 
Freit.  9  Uhr. 

Tibullus :  Prof.  Leo}  Dienst.,  Donnerst.,  Freit.  8  Uhr. 

Im  K.  philologischen  Seminar  leiten  die  schriftlichen  Arbeiten 
und  Disputationen  Prof.  Sauppe  und  Prof.  v.  Wilamowitz-Moellen- 
dorff,  Mittwoch  12  Uhr,  lassen  Lucretius  B.  5  Prof.  Sauppe,  Diens- 
tag und  Freitag  11  Uhr ,  und  die  Gedichte  des  Solon  Prof.  von 
Wilamowitz-Moellendorff  erklären,  Dienstag  und  Freitag  10  Uhr, 
alles  öffentlich. 

Im  K.  philologischen  Proseminar  leitet  die  schriftlichen  Ue- 
bungen  und  läßt  Seneca  de  Beneficiis  erklären  Prof.  Leo,  Mittw. 
8—10  Uhr,  öffentlich. 

Paläographische  Uebungen  zu  lateinischen  Classikern:  Prof. 
DdatzJw,  Freit.  3  Uhr,  privatissime,  aber  unentgeltlich. 

Philologische  Uebungen  :  Prof.  Leo.  privatissime. 

Deutsehe  Sprache. 

Einleitung  in  das  Studium  des  Mittelhochdeutschen  (Grammatik 
mit  Syntax,  Metrik  und  Poetik,  Handschriftenkunde,  Synonymik. 
Alterthümer) :  Prof.  Roethe,  Mont.,  Dienst.,  Donnerst.,  Freit.  3  Uhr. 

Vergleichende  Grammatik  der  altgermanischen  Dialekte  (Laut- 
und  Flexionslehre) :  Prof.  Heyne,  4  Stunden,  Abends  5  Uhr. 

Altnordische  Grammatik:  Prof.  Rechtet,  Dienstag  und  Freitag 
6  Uhr,  öffentlich. 

Im  K.  deutschen  Seminar  hält  Prof.  Heyne  altsächsische  und 
altfriesische  Uebungen,  Freit.  12  Uhr,  läßt  Prof.  Roethe  des  Minnesangs 
Frühling ,  herausg.  von  Lachmann  und  Haupt ,  erklären ,  Dienst. 
12  Uhr,  und  bespricht  Prof.  Roethe  die  schriftlichen  Arbeiten  der 
Mitglieder ,  Donnerstag  12  Uhr ,  alles  privatissime ,  aber  unent- 
geltlich. 

Im  K.  deutschen  Proseminar  läßt  Prof.  Heyne  den  Winsbeke 
erklären,  Sonnabend  12  Uhr,  öffentlich,  und  hält  Prof.  Roethe  alt- 
hochdeutsche Uebungen  für  Anfänger  (Otfried  nach  Braune' s  Lese- 
buch) Mittw.  12  Uhr,  öffentlich. 

Geschichte  der  deutschen  Literatur:  Vgl.  Literaturgeschichte  S.  52. 


während  des  Sommerhalbjahrs  1890. 


55 


Neuere  Sprachen. 

Geschichte  der  französischen  Literatur:  Ygl.Literaturgesch.  S.52  . 

Historische  Formenlehre  der  französischen  Sprache  I:  Prof. 
Vollmöller,  Mont.,  Dienst.,  Mittw.,  Donnerst.  12  Uhr. 

Erklärung  der  ältesten  französischen  Sprachdenkmäler:  Dr. 
Cloetta,  Mont.  und  Freit.  11  Uhr. 

Die  Gedichte  Bertran's  de  Born,  nebst  einer  Einleitung  über 
dessen  Leben:  Dr.  Andresen,  Mont.  und  Dienst.  10  Uhr. 

Neufranzösische  Uebungen  auf  historischer  Grundlage:  Dr. 
Cloetta,  Dienst,  und  Donnerst.  11  Uhr. 

Grundzüge  der  Lautphysiologie  und  wissenschaftliche  Anleitung 
zur  modern  -  englischen  Aussprache :  Prof.  Brandl ,  Dienstag  und 
Sonnab.  7  Uhr,  früh. 

Shakspere's  Vorgänger  und  Zeitgenossen:  Prof.  Brandt,  Mitt- 
woch und  Freitag  7  Uhr  früh. 

Anfangsgründe  der  angelsächsischen  Grammatik :  Dr.  Holthausen, 
2  mal  wöchentlich. 

Lektüre  und  Erklärung  von  Marlowe's  Doctor  Faustus :  Dr. 
Holthausen,  2  mal  wöchentlich. 

Im  Seminar  für  Romanische  Sprachen  hält  Prof.  Vollmöller 
grammatische  Uebungen,  Mittw.  10 — 12  Uhr;  französische  Uebun- 
gen Dr.  Anäresen,  Montag  6  Uhr;  leitet  Dr.  Cloetta  die  Erklärung 
von  Dantes  Komödie,  Donnerst.  6 — 8  Uhr;  hält  Lector  Ebray 
Neufranzösische  Uebungen,  unentgeltlich  dreimal  wöchentlich  (a.  Ue- 
bersetzung  eines  deutschen  Schriftstellers  ins  Französische,  b.  eines 
französischen  ins  Deutsche,  c.  Konversation). 

Im  englischen  Seminar  hält  Prof.  Brandt  Uebungen  im  kri- 
tischen Herausgeben  mittelenglischer  Texte,  Freitag  6 — 8  Uhr 
Abends.  Ferner  stellt  Prof.  Brandl  mit  Lector  Miller  neuenglische 
Uebungen  an,  Montag  und  Freitag  6 — 8  Uhr,  und  zwar  a)  in  Gram- 
matik und  Stilistik,  b)  Leetüre  von  Holme's  Autocrat  of  the  Break- 
fast  Table,  c)  Uebersetzung  von  Heine,  das  Buch  le  Grand,  d)  Vor- 
träge über  Pope  und  seine  Zeitgenossen,  in  englischer  Sprache. 


Schöne  Künste.  —  Fertigkeiten. 

Unterricht   im   Zeichnen   ertheilt  Zeichenlehrer  Beters,   Mitt- 
woch 2 — 4  Uhr,  unentgeltlich. 

Unterricht  im  Malen  Derselbe  in  zu  verabredenden  Stunden. 


Harmonie-  und  Kompositionslehre,  verbunden  mit  praktischen 
Uebungen:  Prof.  Hüle}  in  passenden  Stunden. 

Harmonielehre:  Vvoi.  Freiberg,  2  Stunden  wöchentlich,  öffentlich. 


oft  Verz.  d.  Vorlesungen   auf  d.  Georg- Augusts-Üniversität  zu  Göttingeu  u.  s.  vr. 

Zur  Theilnahme   an  den  Uebnngen  der  Singakademie  und  des 
Orchesterspielvereins  ladet  Prof.  Hille  ein. 

Hebungen  im  Ensemblespiel  hält  Prof.  Freiberg. 


Reitunterricht  ertheilt  in  der  K.  Universitäts  -  Reitbahn  der 
Univ.-Stallmeister,  Rittmeister  a.  D.  Schwappe,  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag,  Freitag,  Sonnabend,  Morgens  von  7 — 11  und  Nachm. 
(außer  Sonnabend)  von  4 — 5  Uhr. 

Fechtkunst  lehrt  der  Universitätsfechtmeister  Grüneklee,  in 
zu  verabredenden  Stunden,  Tanzkunst  der  Universitätstanzmeister 
HöHske  (Montag  und  Donnerstag  8 — 10  Uhr  Abends). 

Öffentliche  Sammlungen. 

In  der  Universitätsbibliothek  ist  das  Ausleihezimmer  an  den  Wochentagen 
von  11  —  1  und  von  2— 3  Uhr,  der  Lesesaal  von  10 — 4  Uhr  geöffnet.  Verliehen 
werden  Bücher  nach  Abgabe  einer  Semesterkarte  mit  der  Bürgschaft  eines  Professors. 

Die  Gemäldesammlung  (Aula,  1  Treppe  hoch  links)  ist  Sonntags  von  11 — 1 
Ubr  geöffnet. 

Der  botanische  Garten  ist,  die  Sonn-  und  Festtage  ausgenommen,  täglich 
T0I1  7—12  und  von  2—6  Uhr  geöffnet. 

Die  mineralogische  und  die  geologisch-  paläontologische  Schausammlung  sind 
im  Sommerhalbjahr  Sonnabends  von  2  bis  4  Uhr  dem  Publikum  geöffnet. 

Die  Sammlungen  des  landwirthschaftlichen  Instituts  sind  dem  Publicum  Mitt« 
woch  Nachmittag  von  2—4  Uhr  zugänglich.     Anmeldung   im  Institntsgebäude. 

Besuchszeit  des    agricultur chemischen  Laboratoriums  Donnerst,  v.  10—  12  Uhr. 

Ueber  den  Besuch  und  die  Benutzung  der  theologischen  Seminarbibliothek, 
des  Theatrum  anatomicum,  des  physiologischen  Instituts,  der  pathologischen  Samm- 
lung ,  der  Sammlung  mathematischer  Instrumente  und  Modelle,  des  zoologischen 
und  ethnographischen  Museums,  des  botanischen  Gartens  und  des  pßanzenphysio- 
logischen  Instituts,  der  Sternwarte,  des  physikalischen  Kabinets  und  Laboratoriums, 
der  mineralogischen  und  der  geognostisch-paläontologischen  Sammlung,  der  chemi- 
schen Laboratorien ,  des  archäologischen  Museums,  der  Gemäldesammlung,  der  Bi- 
bliothek des  K.  philologischen  Seminars,  der  Bibliothek  und  des  Arbeitszimmers 
des  K.  deutschen  Seminars,  der  Bibliothek  und  des  Lesezimmers  des  K.  mathe- 
matisch-physikalischen Seminars,  des  diplomatischen  Apparats,  der  Sammlungen  des 
landwirthschaftlichen  Instituts  bestimmen  besondere  Reglements  das  Nähere. 


Bei  dem  Logiscommissar,  Pedell  Mankel  (Jüdenstrasse  11),  können  die,  welche 
Wohnungen  suchen,  sowohl  über  die  Preise,  als  andere  Umstände  Auskunft  er- 
halten und  auch  im  voraus  Bestellungen  machen. 


Für  die  Redaction  verantwortlich:   H.  Sauppe,  Secretair  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 

Commissions  -  Verlag  der  Dieterich' sehen  Verlags  -Buchhandlung. 

Druck  dei-  Dieterich' sehen  Univ.-Buchdrmkmei  (W.  Fr.  Kaesttier). 


Nachrichten 

von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu  Göttingen. 


26.  Februar.  Jfä  3,  1890. 


Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  1.  Februar. 

Riecke  legt  einen  Aufsatz  des  Herrn  Dr.  Nernst  vor:  „über  ein  neues 
Prinzip  der  Molekulargewichtsbestimmung". 

Wie  sei  er  kündigt  einen  kurzen  Aufsatz  an:  „Verbesserungsvorschläge 
zu  Euripides." 

Sauppe  legt  eine  „Etymologische  Mittheilung  Sfjfiai-  (2^jna)  Zeichen"  von 
Herrn  Professor  Leo  Meyer  in  Dorpat,  Korrespondenten  der  Gesellschaft,  vor. 


Ueber  ein  neues  Prinzip  der  Molekular- 
gewichtsbestimmung. 

Von 

W.  Nernst. 

Vorgelegt  von  Ei  ecke. 

Bekanntlich  können  bei  gleicher  Temperatur  nur  dann  ver- 
schiedenartige Gremische  miteinander  im  Gleichgewicht  sein,  wenn 
der  gesättigte  Dampf  jedes  derselben  gleiche  Zusammensetzung 
und  Dichte  besitzt. 

Zwei  derartige  coexistierende  „Phasen",  um  den  von  W.  Gibbs 
eingeführten  Ausdruck  zu  gebrauchen,  sind  z.  B.  ein  fester  Körper 
in  Berührung  mit  seiner  gesättigten  Lösung  in  irgend  einem  Lösungs- 
mittel. Der  Dampfdruck  des  festen  Körpers  ist  also  ebenso  groß, 
wie  der  Partialdruck  dieses  Körpers  in  dem  über  seiner  gesättigten 

Nachrichten  von  der  K.  Q.  d.  W.  zu  Göttingen.  1890.  Nr.  8.  5 


&8  W.  Nernst, 

Lösung  in  einem  beliebigen  Lösungsmittel  lagernden  Gasgemische. 
Ersterer  ist  in  den  seltensten  Fällen  direkt  zu  bestimmen ;  letzteren 
hingegen  könnte  man  unschwer  ermitteln,  wenn  man  die  stets  ge- 
sättigt erhaltene  Lösung  isotherm  abdestillieren  läßt.  Dieselbe 
liefert  dann  ein  (xasgemenge,  in  welchem  die  Bestandteile  im  Ver- 
hältnis des  gesuchten  Partialdrucks  des  gelösten  Körpers  zum 
Dampfdrucke  -des  Lösungsmittels  stehen;  den  letzteren  kennt  man 
aber  mit  Hülfe  der  van't  Hoff'schen  Dampf druckformel  aus  der 
Konzentration  des  gelösten  Körpers  und  dem  Dampfdruck  des 
Lösungsmittels ,  und  wird  so  der  Dampfdruck  des  festen  Körpers 
der  Messung  zugänglich. 

Auf  zwei  Flüssigkeiten  A  und  B,  die  sich  gegenseitig  nur 
theilweise  lösen,  angewendet,  führt  das  eingangs  erwähnte  Theorem 
zu  dem  von  Konowalow1)  begründeten  Satz ,  daß  sowohl  die 
gesättigte  Lösung  von  A  in  B  wie  diejenige  von  B  in  A  Dampf 
von  gleicher  Zusammensetzung  und  Dichte  entsendet. 

Lösen  sich  die  beiden  Flüssigkeiten  einander  nur  wenig,  so 
läßt  sich  ihr  Dampfdruck  aus  der  van'tH  off  sehen  Dampfdruck- 
formel berechnen ,  wonach  die  relative  Dampfdruckerniedrigung, 
Welche  ein  Lösungsmittel  durch  Auflösen  eines  fremden  Körpers 
erfährt,  gleich  der  Anzahl  Moleküle  des  gelösten  Körpers  zu  der 
des  Lösungsmittels  ist.  Enthält  nämlich  die  Flüssigkeit  A  b  Mole- 
küle von  B  auf  100  eigene,  und  ebenso  die  Flüssigkeit  B  a  Mole- 
küle von  A  auf  100  eigene  bei  gegenseitiger  Sättigung,  so  besteht 
zwischen  den  Dampfdrucken  P0  und  p0  der  reinen  Lösungsmittel  und 
denen  P  und  p  nach  ihrer  gegenseitigen  Sättigung  die  Beziehung 

w  P      "  100'       p      "'  100" 

Sowohl  die  von  v  a  n't  H  o  f  f  wie  die  von  Planck  gegebene  theo- 
retische Ableitung  läßt  es  unbestimmt,  ob  im  Nenner  P  oder  P0 
bez.  p  oder  p0  einzusetzen  ist.  Da  aber  Raoult's  wie  Beck- 
m  a  n  n's  experimentelle  Forschungen  für  die  unter  (1)  gegebene 
Form  sprechen,  so  soll  mit  ihr  im  Folgenden  gerechnet  werden. 
Beschränkt  man  sich  auf  große  Verdünnungen,  in  unserm  Falle 
auf  einander  nur  verschwindend  wenig  lösende  Flüssigkeiten,  so 
wird  natürlich  P  und  P0  bez.  p  und  p0  einander  äußerst  nahe  gleich. 

Es  entsendet  also  jede  der  beiden  Lösungen  JL  und  B  Dampf 

von   der  Zusammensetzung  den  Drucken  P0y™ — r  +  Atää — " 
1)  Wied.  Ann.  U  219  (1881). 


über  ein  neues  Prinzip  der  Molekulargewichtsbestimmung.  59 

entsprechend.  Man  kann  also  aus  der  gegenseitigen  Löslichkeit 
von  A  und  B  und  den  Dampfdrücken  der  reinen  Lösungsmittel 
die  Absorptionskoeffizienten  des  Dampfes  von  A  gegen- 
über B  —  und  vice  versa  —  berechnen. 

Bringen  wir  nun  in  das  System  einen  dritten,  in  A  und  B 
löslichen  Körper  N,  so  wird  er  sich  im  allgemeinen  zwischen  den 
beiden  „Phasen"  theilen.  Ist  N  in  solcher  Menge  zugegen,  daß  er 
sich  in  den  beiden  Flüssigkeitschichten  bis  gerade  zur  Sättigung 
lösen  kann,  so  vertheilt  er  sich,  wie  schon  Ostwald1)  gelegent- 
lich hervorhob,  im  Verhältnis  der  Löslichkeit  in  den  beiden  flüssigen 
Gemischen  multiplizirt  mit  ihren  Volumen.  In  erster  Annäherung 
wird  dies  nun  auch  der  Fall  sein,  wenn  N  in  geringerer  Menge 
zugegen  ist.  Es  würde  dies,  wie  nebenbei  bemerkt  sei,  genau 
der  Fall  sein ,  wenn  der  Dampf  von  N  gegenüber  A  und  B  dem 
Henry' sehen  Absorptionsgesetze  folgte. 

Bleiben  wir  aber  bei  der  vereinfachenden  Voraussetzung  stehen, 
daß  N  in  A  leicht ,  in  B  schwer  löslich  sei ,  also  großentheils  in 
das  Flüssigkeitsgemisch  A  übergeht,  gegenseitige  chemische  Ein- 
wirkung hier  wie  im  Folgenden  ausgeschlossen.  N  sei  gelöst  in  A 
zur  Konzentration  n  Moleküle  auf  100  von  A,  in  B  hingegen  sei 
seine  Konzentration  nahezu  null;  A  hat  also  die  Fähigkeit,  den 
Körper  N  B  zu  entziehen ,  wie  bekanntlich  z.  B.  eine  wässerige 
Jodlösung  mit  Aether  geschüttelt,  fast  ihr  gesamtes  Jod  an  jenen 
abgiebt.  Infolge  des  Dazwischentretens  von  N  mögen  sich  nun 
die  oben  eingeführten  Größen  P,  p,  a,  b  in  P',  p',  a',  b',  verwan- 
deln.   Nach  van'tHoffs  Formel  erhalten  wir 

M  Po-?  _  *  +  K    Po-Pf  _      a> 


P'  100   '       p  100* 

Wir  machen  nun  die  Voraussetzung ,  daß  der  Dampf  von  A 
gegenüber  B  und  vice  versa  dem  Henry' sehen  Gasabsorptions- 
gesetz folge  — ,  eine  Voraussetzung,  welche  nach  van'tHoff2) 
damit  identisch  ist,  daß  beide  Flüssigkeiten  in  Lösung  wie  im 
Gaszustande  das  gleiche  Molekulargewicht  besitzen,  und  welche 
in  der  übergroßen  Mehrzahl  der  Fälle  (von  Elektrolyten  abgesehen) 
erfüllt  ist.    Dann  wird 


a        a'      b 


(3)  p   —   pM 


P        P 


1)  Lehrbuch  d.  allg.  Chemie  I  S.  402  (1885). 

2)  Zeitschrift  f.  physikal.  Chemie  4  S.  488  (1887). 

5* 


60  W.  N  ernst, 

» 
Führen  wir  in  (3)  die  aus  (1)  und  (2)  berechneten  Werte  von 

P,  P'  p,  p   ein,  so  wird 

g— a'        n  +  b'—b  b  V 

W  a'      ~~     100  +  b    '    100  +  a  ="  100  +  a" 

a,  a',  &,  6'  sind  klein  gegen  100;  wenn  also  a  sich  auch  erheblich 
(etwa  10  %)  ändert,  so  wird  trotzdem  b'  von  b  nur  äußerst  wenig 
verschieden  sein ;  können  wir  außerdem  b  gegen  100  vernachlässigen, 
so  wird  einfach 

a — o!         n 
(5)  ~d~~  ~~  1Ö0 

in  Worten :  die  relative  Löslichkeitserniedrigung,  welche  A  durch 
Auflösen  eines  fremden  Körpers  gegenüber  B  erfährt,  ist  gleich 
der  Anzahl  Moleküle  des  gelösten  Körpers  zur  Anzahl  Moleküle 
des  Lösungsmittels  A. 

Ersetzen  wir  Flüssigkeit  JB  durch  das  Vakuum,  so  tritt  an 
Stelle  der  Löslichkeit  die  Dampftension  von  A,  und  obige  Formel 
geht  in  die  bekannte  v  a  n't  H  o  f  f  -  P 1  a  n  c  k'  sehe  Dampf druckformel 
über.  Die  Analogie  zwischen  den  Vorgängen  der  Auflösung  und 
Verdampfung  tritt  also  auch  hier  deutlich  zu  Tage,  und  man  kann, 
wie  ich  bereits  gelegentlich  andeutete *) ,  zu  den  Gleichungen  (4) 
und  (5)  einfacher  dadurch  gelangen,  daß  man  auf  die  gegenseitigen 
„Lösungstensionen"  der  beiden  Flüssigkeiten  die  für  die  Dampf- 
tension gefundenen  Beziehungen  durch  Analogieschluß  einfach  über- 
trägt. Es  liegt  nahe,  auch  für  die  „elektrolytische  Lösungstension" 
nach  ähnlichen  Beziehungen  zu  suchen. 


Beobachtungen,  an  denen  die  Eichtigkeit  von  Formel  (5)  zu 
prüfen  wäre,  liegen,  soviel  mir  bekannt,  nicht  vor.  Eine  dies- 
bezügliche Experimentaluntersuchung  bot  auch  aus  dem  Grunde 
einiges  Interesse,  weil  Gleichung  (5)  zu  einer  neuen  Gattung  von 
Molekulargewichtbestimmungen  für  in  Lösung  befindliche  Körper 
führt.  Aus  der  Abnahme  der  Löslichkeit  kann  man  darnach  das 
Molekulargewicht  in  ähnlicher  Weise  berechnen,  wie  aus  der  Ab- 
nahme des  Dampfdrucks  und  dem  Sinken  des  Gefrierpunkts  des 
Lösungsmittels . 

Zu  einer  genaueren  quantitativen  Prüfung  wäre  es  erwünscht 
gewesen,  zwei  Flüssigkeiten  aufzufinden,  die  sich  gegenseitig  nur 
wenig,  etwa  1—2  %,  lösen  und  von  denen  die  eine  in  der  andern 


1)  Zeitschrift  f.  physikal.  Chemie  4  383  (1889). 


über  ei     neues  Prinzip  der  Molekulargewichtsbestimmung.  61 

scharf  analysiert  werden  kann.  Wäre  die  Ausführung  der  Analyse 
gleichzeitig  eine  bequeme  und  schnelle ,  so  würde  diese  Methode 
vielleicht  im  Laboratorium  praktische  Anwendung  finden  können. 
Wenn  sich  eine  solche  Versuchanordnung  nun  auch  noch  nicht  hat 
finden  lassen ,  so  setzen  die  Bestimmungen ,  welche  mit  den  nach- 
folgend aufgeführten  Lösungsmitteln  angestellt  sind,  doch  wenig- 
stens die  Richtigkeit  der  abgeleiteten  Beziehungen  außer  Zweifel. 
Als  Flüssigkeit  B,  dem  gegenüber  die  Löslichkeit  des  Lösungs- 
mittels zu  bestimmen  ist,  diente  in  allen  Fällen  Wasser. 

1.   Valeriansäure. 

Valeriansäure  empfahl  sich  zunächst  wegen  ihrer  leichten  Ana- 
lysirbarkeit ,  indem  sie  mit  Phenolphtalein  als  Indikatur  scharf 
mittelst  Kalilauge  titriert  werden  kann.  Die  gesättigte  wässerige 
Lösung  enthält  etwa  5  %  der  Säure.  Leider  ist  das  Arbeiten  mit 
diesem  höchst  übelriechenden  Körper  ein  sehr  widerwärtiges  und 
außerdem  seine  Reindarstellung  nicht  einfach. 

Ich  verwendete  ein  von  Dr.  König -Leipzig  bezogenes  Prä- 
parat vom  spezifischen  Gewicht  0.928  bei  15  ° ;  5  cc  desselben  mit 
10  cc  Wasser  geschüttelt  brachten  letzteres  auf  den  Säuretiter 
0.541  normal.  Die  Säure  war  nicht  einheitlich,  sondern  vermutlich 
ein  Gemisch  isomer  Säuren;  wendete  ich  statt  5  cc  Säure  3  bez. 
8  an,  so  ergab  sich  der  Titer  der  wässerigen  Lösung  1  %  kleiner 
bez.  1.5  %  größer.  Aber  indem  ich  stets  unter  gleichem  Verhältnis 
von  Säure  zu  Wasser  arbeitete,  nämlich  immer  5  cc  Valeriansäure 
in  einem  kleinen  Reagenzgläschen  mit  10  cc  Wasser  schüttelte, 
erhielt  ich  anscheinend  wohl  vergleichbare  Resultate;  ihre  ver- 
hältnismäßig unerwartet  gute  Uebereinstimmung  mit  obigen  Formeln 
veranlaßt  mich,  die  folgenden,  ursprünglich  nur  zur  eigenen  Orien- 
tierung angestellten  Versuche  kurz  mitzuteilen. 

Dieselben  sind  bei  13°  angestellt;  die  Löslichkeit  der  reinen 
sowie  der  mit  fremdem  Zusatz  versehenen  Säure  wurde  in  der 
Weise  ermittelt,  daß  nach  der  Abscheidung  einer  klaren  wässe- 
rigen Lösung  unter  der  leichteren  Valeriansäure  2  cc  vorsichtig 
abpipettiert  und  mit  Kalilauge  titriert  wurde;  die  Versuchsergeb- 
nisse sind  in  der  folgenden  Tabelle  niedergelegt.  Kolumne  I  ent- 
hält die  in  Valeriansäure  gelösten,  in  Wasser  unlöslichen  Körper  N, 
deren  Einfluß  auf  die  Löslichkeit  derselben  untersucht  werden 
sollte;  II  enthält  die  Molekulargewichte,  HI  die  Mengen  x  in  g, 
welche  zu  den  5  cc  Valeriansäure  hinzugefügt  wurden ,  IV  die 
beobachteten  Löslichkeiten  L ,  d.  h.  die  Anzahl  cc  Kalilauge ,  die 
2  cc  der  wässerigen  Lösung  entsprachen. 


62 

W.  Nernst, 

I 
N 

II 
M 

Tab. 

in 

X 

I. 
IV 

L 

V 
L—L    M 

L        x 

VI 

Jfber. 

Benzol 

78 

0.182 

9.90 

25.2 

75 

» 

78 

0.431 

9.39 

20.9 

89 

Chloroform 

119.5 

0.150 

10.17 

24.2 

118 

Menthol 

156 

0.246 

10.11 

23.6 

161 

Campher 

152 

0.160 

10.18 

27.9 

132 

T) 

152 

0.970 

8.81 

29.7 

123 

Xylol 

106 

0.376 

9.76 

20.9 

122 

Stearinsäure 

284 

0.165 

10.34 

23.4 

291. 

Tab.  I  lehrt  zunächst,  daß  im  Sinne  unserer  Entwickelungen  die 
Löslichkeit  infolge  fremden  Zusatzes  stets  kleiner  wird,  da  L0 
die  Löslichkeit  der  Valeriansäure  ohne  fremden  Zusatz  10.48  be- 
trug.   Zur  quantitativen  Prüfung  schreiben  wir  Grl.  (5)  in  der  Form 

m  L°~~—  -    °°m   -  245  - 

102  ist  das  Molekulargewicht  der  Valeriansäure  und  4.13  die  An- 
zahl g,  welche  x  g  des  fremden  Zusatzes  gelöst  enthielten,  indem 
von   den  5  cc  Säure  =  4.64  g  0.51  g  an  das  Wasser  abgegeben 

wurden.    Der  Ausdruck  — ^ —  •  —  ist  in  Kolumne  V  berechnet ; 

L  x 

der  theoretische  Wert  dieser  Konstante  beträgt  24.5  und  that- 
sächlich  weisen  die  Zahlen  der  Kolumne  V  eine  immerhin  bemerkens- 
werte Konstanz  auf  und  entfernen  sich  von  dem  theoretischen 
Werte  nicht  zu  sehr.  Als  wahrscheinlichsten  empirischen  Wert 
der  Konstante  wähle  ich  24 ;  berechnet  man  mit  dieser  umgekehrt 
die  Molekulargewichte  M ,  so  findet  man  die  unter  VI  verzeich- 
neten Zahlen.  Man  erkennt,  daß  obige  Methode  trotz  ihrer  rohen 
Form  immerhin  auch  praktisch  brauchbare  Werte  liefern  kann; 
an  Handlichkeit  ließe  sie  wenig  zu  wünschen  übrig,  da  man  ja 
das  gesuchte  Molekulargewicht  mittelst  einer  Titration  findet,  doch 
stehen  einer  Anwendbarkeit  die  unangenehmen  Eigenschaften  der 
Valeriansäure  sehr  im  Wege. 

Aether. 

In  Ermangelung  besserer  Methoden  bestimmte  ich  den  Aether- 

gehalt  der  wässerigen  Lösungen  aus  ihrem   spezifischen  Gewicht. 

Ein  Pyknometer  der  Sprengel- Ost wald' sehen  Form  enthielt 

mit  Wasser  von  18  °  gefüllt  20.038  g ;  als  anstatt  Wasser  eine  mit 


über  ein  neues  Prinzip  der  Molekulargewichtsbestimmung.  63 

Aether  gesättigte  wässerige  Lösung  unter  besonderen  Vorsichts- 
maßregeln, um  Verdunstung  zu  vermeiden,  eingeführt  wurde,  sank 
sein  Gewicht  um  284.3  mg,  und  als  Wasser  anstatt  mit  reinem 
Aether  in  Berührung  mit  Aether,  welcher  einen  fremden,  in  Wasser 
nicht  löslichen  Körper  enthielt,  gebracht  wurde,  war  die  Gewichts- 
abnahme d  stets  kleiner  als  284.3  mg,  zum  Zeichen,  daß  weniger 
Aether  an  das  Wasser  abgegeben  war.  Man  kann  d  unbedenklich 
dem  Aethergehalte  proportional  setzen ,  und  so  wird  Gl.  (5)  für 
diesen  Fall 

d  •  74  •  ol 


M  = 


(284.3  — d) 


wo  ol  die  Anzahl  g  des  fremden  Körpers  auf  1  g  Aether,  und  74 
das  Molekulargewicht  des  Aethers  bedeutet. 


Tab.  IL 

I 

II 

in 

IV 

V 

N 

M 

a 

d 

M  ber. 

Benzol 

78 

0.078 

265.5 

81 

n 

78 

0.212 

235.0 

75 

Chloroform 

119.5 

0.083 

269.6 

113 

Jod 

254 

0.087 

276.3 

222 

Jodoform 

394 

0.095 

279.8 

437 

Tab.  II  zeigt,  daß  auch  hier  die  Löslichkeitserniedrigung  der 
Theorie  entspricht  und  daß  dieselbe  nach  Maßgabe  der  Molekular- 
gewichte der  Körper  N  erfolgt.  Die  Abweichungen  zwischen  den 
gefundenen  und  den  thatsächlichen  Molekulargewichten  liegen  inner- 
halb der  hier  recht  beträchtlichen  Fehlerquellen  bei  Bestimmung 
von  d.  Der  Jodmolekel  kommt  nach  obigem  in  ätherischer  Lösung 
die  Molekulargröße  J2  zu,  entsprechend  den  jüngst  von  Beck- 
mann nach  der  Siedemethode  erhaltenen  Resultaten. 

Phenol. 
Phenol  und  Wasser  lösen  sich  gegenseitig  in  zu  beträchtlicher 
Menge,  um  einen  genaueren  Anschluß  der  Gl.  (5)  an  die  Erfahrung 
zu  erwarten;  gleichwohl  ließ  sich  auch  hier  sicher  nachweisen 
1)  daß  in  Phenol  gelöste  Körper  dessen  Löslichkeit  in  Wasser 
ihrem  Molekulargewicht  umgekehrt  proportional  erniedrigen,  2)  daß 
die  absolute  Größe  dieser  Erniedrigung  sich  annähernd  aus  den 
Molekulargewichten  des  Lösungsmittels  (Phenol)  und  der  gelösten 
Körper  (Benzol,  Chloroform,  Jodoform)  berechnen  läßt.  Die  Ana- 
lyse des  Phenols  im  Wass  er  geschah  aus  dem  Brechungsvermögen 


64  W.  Nernst, 

der  wässerigen  Lösung,    welches    ich  mit  Hülfe  des  handlichen 
Pulfrich' sehen  Totalreflektometers  bestimmte. 

Aethylacetat. 

Auch  bei  diesem  Lösungsmittel  überzeugte  ich  mich  leicht 
durch  Bestimmung  des  Brechungsvermögens  der  wässerigen  Lösung, 
daß  Zusatz  eines  fremden  Körpers  die  Löslichkeit  des  Aethylacetats 
in  Wasser  herunterdrückt. 

Zur  quantitativen  Messung  der  hier  obwaltenden  Verhältnisse 
bot  sich  jedoch  ein  anderer  Weg  dar,  welche  an  Sicherheit  und 
Bequemlichkeit  wenig  zu  wünschen  übrig  läßt.  Kühlt  man  näm- 
lich ein  Gemisch  der  gegenseitigen  Lösungen  von  Wasser  und 
Aethylacetat  ab,  so  wird  offenbar  Eis  bei  der  Temperatur  auszu- 
frieren beginnen,  welche  der  durch  die  Konzentration  des  in  das 
Wasser  übergegangenen  Aethylacetats  hervorgerufenen  Gefrier- 
punktserniedrigung  entspricht.  Löst  man  nun  im  Ester  einen 
andern,  in  Wasser  unlöslichen  Körper  auf,  so  wird  nach  unsern 
Formeln  die  Konzentration  des  Esters  im  Wasser  eine  geringere 
werden  und  demgemäß  der  Gefrierpunkt  steigen.  Unter  der 
nahe  zutreffenden  Voraussetzung,  daß  die  Gefrierpunktserniedri- 
gung,  die  das  Wasser  durch  seinen  G-ehalt  an  Ester  erfährt,  jenem 
proportional  ist,  wird  nach  Gl.  (5) 

t0 — t  m 


t  100  •  M  \ 

wo  t0  und  t  die  Gefrierpunktserniedrigungen  des  Wassers  vor  und 
nach  dem  Zusatz  eines  fremden  Körpers  zum  Ester,  m  die  Anzahl 
Gramme  des  fremden  Körpers  auf  100  g  Molekeln  des  Esters  und 
M  das  Molekulargewicht  des  fremden  Körpers  bedeuten. 

Aethylacetat  besitzt  in  Wasser  ein  normales  Molekulargewicht ; 
Messungen  nach  Raoult's  Methode,  die  ich  mittelst  des  von 
Beckmann  angegebenen  Apparats  ausführte,  lieferten  für  die 
Molekulargröße  dieses  Körpers  bei  Erniedrigungen  von  0.371  und 
1.11°  die  Werte  86  und  88,  dem  aus  der  Formel  des  Esters  be- 
rechneten (88)  entsprechend.  Indem  ich  zu  Wasser  so  lange 
Aethylacetat  zusetzte,  bis  letzteres  ungelöst  blieb  und  somit  der 
Gefrierpunkt  unabhängig  von  dessen  Menge  wurde,  ermittelte  ich, 
daß  bei  — 2.430°,  dem  Gefrierpunkte  einer  gesättigten  wässerigen 
Lösung,  10  g  Wasser  1.1  g  des  Esters  lösen.  Wasser  wird  vom 
Ester  nur  wenig  (2 — 3  %)  gelöst. 

Die  Messungen  wurden  nun  in  der  Weise  ausgeführt,  daß  ich 
20  cc  Aethylacetat  =  18.02  g  und  4.4  g  Wasser  in  Beckmanns 


über  ein  neues  Prinzip  der  Molekulargewichtsbestimmung.  66 

Gefrierapparat  einführte ;  dann  gehen  0.4  g  Wasser  in  den  Ester, 
und  die  zurückbleibenden  4  g  Wasser  lösen  ihrerseits  0.44  des 
Esters.  Nach  Bestimmung  der  Temperatur,  bei  der  Wasser  aus- 
zufrieren beginnt  und  das  Thermometer  einen  konstanten  Stand 
annimmt,  wurde  der  in  Wasser  unlösliche  Körper,  dessen  Einfluß 
auf  die  Löslichkeit  des  Aethylacetats  untersucht  werden  sollte,  in 
successive  immer  größeren  Mengen  zugeführt,  wobei  ich  genau,  wie 
von  Beckmann  beschrieben1),  verfuhr.  Die  Bestimmung  des 
Gefrierpunkts  konnte  mit  aller  Schärfe,  bis  auf  wenige  tausendstel 
Grad,  geschehen,  und  zwar  nach  meinen  bisherigen  Erfahrungen 
mit  größerer  Genauigkeit,  als  dies  bei  der  Bestimmung  des  Gefrier- 
punkts gewöhnlicher  Lösungen  möglich  ist.  Es  rührt  dies  wohl 
daher,  daß  man  bei  diesen  Eis  nicht  in  größerer  Menge  ausfrieren 
lassen  kann,  ohne  gleichzeitig  die  Konzentration  der  Lösung  erheb- 
lich zu  ändern,  was  wiederum  auf  den  Gefrierpunkt  zurückwirkt; 
um  aber  konstante  Temperatur  zu  erzielen,  darf  wieder  die  Menge 
des  ausgeschiedenen  Eises  nicht  unter  eine  gewisse  Größe  sinken. 
Wenn  hingegen  bei  meiner  Versuchsanordnung  Wasser  selbst  in 
größeren  Mengen  ausfriert,  so  ändert  sich  die  Konzentration  des 
Esters,  auf  die  es  allein  ankommt,  äußerst  unbedeutend.  Wesent- 
lich aber  ist  ein  energisches  Umrühren  der  beiden  im  Gefrier- 
apparat vorhandenen  Flüssigkeitsschichten ,  damit  der  etwas  kom- 
plizierte Gleichgewichtszustand  zwischen  den  drei  Körpern,  die 
zugegen  sind,  sich  richtig  einstellt. 

Folgende  Tabelle  enthält  die  Versuchsresultate. 


Tab. 

in. 

I 

II 

in 

IV 

V 

N 

M 

m 

t~i 

M  ber. 

Benzol 

78 

395 

0.123 

74 

580 

0.170 

77 

890 

0.245 

79 

Naphthalin 

128 

309 

0.061 

120 

417 

0.078 

126 

710 

0.118 

139 

1180 

0.184 

144 

Phenylbenzoat 

198 

195 

0.022 

213 

835 

0.081 

242 

Wie  man  sieht,  ist  die  Uebereinstimmung  zwischen  den  durch 
die  Gefrierpunktserhöhung  gemessenen  und  den  nach  der  chemischen 


1)  Zeitschrift  f.  physik.  Chemie  2  (1889). 


66  Friedrich  Wieseler. 

Formel  berechneten- Molekulargrößen  nahe  ebenso  gut,  wie  es  bei 
den  nach  Kaoult's  Methode  ermittelten  Molekulargewichten  der 
Fall  ist.  Abweichungen  bis  zu  10  %  kommen  auch  dort  vor,  ohne 
daß  man  sie  sich  erklären  könnte.  Größer  scheinen  die  Abweichungen 
hier  auch  nicht  zu  sein,  und  beim  Phenylbenzoat  dürfte  bei  noch 
größerer  Verdünnung  der  normale  Wert  erreicht  werden.  Es 
scheint  so  thatsächlich  ermöglicht,  Lösungsmittel  wie  Aethyläther, 
Aethylacetat  u.  dergl.  zur  Molekulargewichtsbestimmung  im  Gefrier- 
apparate  zu  verwenden ;  doch  darf  nicht  verschwiegen  werden,  daß 
die  Gegenwart  eines  dritten  Körpers  außer  Lösungsmittel  und  ge- 
löstem Körper,  des  Wassers,  bisweilen  zu  weiteren  Komplikationen 
Veranlassung  geben  kann. 

Wichtiger  aber  als  die  Aussicht,  zu  den  bereits  ziemlich  zahl- 
reich vorhandenen  Methoden  der  Molekulargewichtsbestimmung  von 
in  Lösung  befindlichen  Körpern  neue  hinzuzufügen,  scheint  mir  die 
durch  die  mitgetheilten  Messungen  wohl  außer  Zweifel  gesetzte 
Thatsache  zu  sein,  daß  die  von  dem  Vorgange  der  Verdampfung 
auf  den  der  Auflösung  in  beliebigen  Lösungsmitteln  durch  Analogie- 
schluß übertragenen  Gesetzmäßigkeiten,  wie  schon  früher  wieder- 
holt, so  auch  hier  an  der  Erfahrung  sich  bestätigen. 


Verbesserungsvorschläge  zu  Euripides. 

Von 

Friedrich  Wieseler. 

Medea. 
Die  Vorschläge  für  die  Medea  sind  meist  unmittelbar  nach 
dem  Erscheinen  der  Arnim'schen  Ausgabe  dieses  Drama  geschrieben 
und  in  Beziehung  auf  dieselbe.  H.  von  Arnim  hat,  wie  auch  an- 
dere Herausgeber,  keine  Kunde  gehabt  von  meiner  Recension  der 
Schöne'schen  Ausgabe  der  Medea  in  den  Götting.  gel.  Anzeigen  1855 
S.  1659  fg.  Ich  werde  in  dem  Folgenden  auch  diejenigen  von  mir 
selbständig  vorgeschlagenen  Verbesserungen  aufführen,  die  von 
ihm  nach  Anderen  in  den  Text  aufgenommen  sind.  Der  hier  aus- 
geschriebene Text  und  die  Verszählung  sind  nach  der  Nauck'schen 
Ausgabe. 

Vs  158 
sagt  der  Chor  zu  Medea: 

Zsvg  0oi  t68s  öwdixtfäsi. 


Verbesserungsvorschläge  zu  Euripides.  67 

Darauf  Medea: 

a>  [isyccÄcc,  ®spi  xai  itoxvi  "  Aqxs\ii 

XsvGtisx   et  Ttaöpa. 
Endlich  ihre  Amme  zum  Chor: 

xkvsfir   ola  ksyst  xccTtifioaxai 

&i{iiv  svxxaiav  Zf(vd  $  og  oqxcov 

ftvaxolg  xa\x(ag  vsvo\iiGxoli ; 
Daß  man  an  den  Worten  der  Medea  keinen  Anstoß  genommen 
hat,  ist  mir  unbegreiflich.  Man  hat  zur  Erklärung  der  Anrufung 
der  Artemis  gesagt:  „ zu  Artemis  stand  Medea  in  einem  speciellen 
Verhältniß,  da  sie  in  den  Tlshddsg  des  Euripides  als  Priesterin 
derselben  auftrat".  Es  läßt  sich  noch  hinzufügen,  daß  Artemis 
auch  sonst  als  über  das  Thun  der  Menschen  Aufsicht  übend  und 
ihre  Frevel  strafend  vorkommt.  Ob  aber  die  vorliegende  Stelle 
hierher  gehört,  ist  mir  mehr  als  zweifelhaft.  Wie  kommt  es,  daß 
die  Amme  von  der  Artemis  gar  nicht  spricht  ?  Mit  welchem  Scheine 
kann  man  sagen:  „ der  Relativsatz  og  oqxov  u.  s.  w.  soll  rechtferti- 
gen, daß  die  Amme  hier  den  Zeus  nennt,  obgleich  Medea  ihn  nicht 
namentlich  angerufen  hatte?"  Das  könnte  ja  ganz  aussehen  wie 
ein  Vorwurf  gegen  Medea,  der  um  so  schwerer  wiegen  würde,  als 
der  Chor  unmittelbar  vorher  ihr  den  Zeus  genannt  hatte.  Daß 
aber  Medea  den  Zeus  nicht  etwa  absichtlich  ignorirt,  geht  hervor 
aus  ihren  Anrufungen  in  Vs  332  und  764  <b  Zsv  ACxr\  xs  Z^vög. 
Vgl.  auch  was  der  Chor  Vs  207  fg.  sagt.  Sicherlich  waren  in 
Vs  160  Zeus  und  Themis  erwähnt,  nicht  aber  Artemis.  Ich  schlug 
in  den  Grötting.  gel.  Anz.  a.  a.  0.  S.  1660  vor: 

g)  psydXs  Zsv  itöxvid  x'  (5  ®s{ii,. 
Noch  leichter  würde  es  sein  zu  schreiben: 

a  psydls  Zsv  xai  itoxv tag  @s  pi. 
Die  seltenere  Form    noxväg   für   %6xvia  findet  sich  bei  Euripides 
auch  Orest.  Vs  318. 

Vs  282  fg. 
lassen  die  Handschriften  den  Kreon  zu  Medea  sagen: 
ösöoixd  0%  ovdsv  dst  TtttooLpTtsysiv  Xöyovg, 
[itf  poC  xi  ÖQcc^fjg  itald'  dvr\xsdxov  xaxöv, 
GmißdAÄsxai,  ös  rtöXAcc  xovös  dsipccxog. 
Daß  in  dem  letzten  Vers  ein  Fehler  steckt,   ist  schon  längst  be- 
merkt.    Weil   hat  für  ömißdXXsxcu  vermuthet  dvXXaiißdvst  und  H. 
von  Arnim  dieses,   obwohl  zweifelnd,    in  den  Text  aufgenommen. 
Er  vergleicht  Vs  946: 

6vXXr}iljoiicct,  ds  xovös  6ov  xayfo  rtövot. 
Diese  Stelle  ist  aber   wesentlich  verschieden.    Ich    habe   in  den 


68  Friedrich  Wieseler, 

Gott.  gel.  Anz.  a.  a.  0.  S.  1661  vermuthet,  daß  für  dsinatog  zu 
schreiben  sei:  d  Elypa  %  a,  ein  Wort,  das  auch  sonst  bei  Euripides 
vorkommt:  „es  treffen  aber  viele  Anzeigen  dafür  zusammen". 

Vs  336  fg. 

MH.  pi}  drjtcc  tovtö  y\  alld  <?  ahov[icu,  Kqeov  — 

KP.    oyXov  %aqi%Eig^  ag  soixag  cb  yvvav. 

MH.  cpEv^ovpsft' '  ov  rov-fr'   IXEXEVÖa  6ov  xvyEiv. 

KP.  xi  tfav  ßtd^SL  xovx  ärtaXlatieiEi  x&ovog; 
Man  nimmt  an,  daß  Medea  von  Kreon  Vs  337  unterbrochen  werde. 
Ich  möchte  lieber  in  Vs  336  für  alld  schreiben:  aXXa.  Dafür 
spricht  meines  Erachtens  auch  Vs.  338,  in  Betreff  dessen  bei  den 
Erklärern  ein  merkwürdiges  Stillschweigen  herrscht.  Ich  kann 
die  Worte  ov  xovtf  u.  s.  w.  nicht  verstehen  und  glaube ,  daß  in 
6ov  xv%eiv  ein  Fehler  steckt ,  daß  ursprünglich  geschrieben  war : 
6'evxv%eIv  „nicht  um  in  Betreff  dieses,  des  cpsvyeG&ai)  gutes 
Gelingen  zu  haben".  Bei  dem  Worte  aixov[iai  soll  Medea  Kreons 
Hand  ergreifen.  Für  %&ov6g  in  Vs.  339  soll  zu  schreiben  sein : 
%EQog.  Bei  dem  Ixexeveiv  fanden  allerdings  verschiedene  Geberden 
statt,  auch  das  Fassen  der  rechten  Hand,  vgl.  Eur.  Hec.  752 fg. 
'  Ay&yLEp,vov,  lxsxevco  0e  x&vds  yovvdxmv 
Kai  0ov  yEVEuov  ös^iäg  x  EvdaCpovog. 
Aber  das  Berühren  der  Knie  ist  die  hauptsächlichste  und  daß 
dieses  hier  gemeint  ist,  geht  nicht  allein  hervor  aus  Vs  324,  son- 
dern auch  aus  Vs  370 : 

01)6*    CCV    7lQ06El7tOV    OVO'    CCV    fllbd{ir}V   %SQOLV. 

Ist  also  x&oiög  verderbt,  was  auch  ich  für  wahrscheinlich  halte, 
so  wird  %Qo6g  zu  schreiben  sein,  was  der  handschriftlichen  Les- 
art auch  noch  näher  steht  als  %SQÖg.  Xofog  ist  vom  ganzen  Körper 
auch  unten  Vs.  689  und  787  gebraucht. 

In  Vs.  339  ist  mit  Andern  xi  d'ovv  zu  schreiben. 

Vs  460 
habe  auch  ich  schon  vorlängst  tb  6ov  ds  für  xoöövds  vermuthet. 

Vs  584 
hat  nach  H.  von  Arnim  (S.  117)  „die  Interpunktion  nach  6v,  welche 
der  Stelle  erst  recht  aufhilft,  zuerst  Witzschel  gesetzt".  Ich  be- 
hauptete schon  in  den  Gott.  gel.  Anz.  a.  a.  0.  S.  1661  fg.,  daß  zu 
schreiben  sei:  mg  xal  6v'^  vvv-ysvrj,  während  Schöne  heraus- 
gegeben hatte:    ag  xal  6v  plr  vvv  —  cpavst. 

Vs  656 
hat  nicht  bloß  Nauck   sondern   auch   H.   von  Arnim   Musgrave's 
cixuöEv  statt  des  handschriftlichen  ohne  Zweifel  verderbten  $xxsiqs 


Verbesserangsvorschläge  zu  Euripides.  69 

in  den  Text  gesetzt.  Ich  habe  schon  in  den  Gott.  gel.  Anz.  a.  a.  0. 
S.  1662  als  das  Wahrscheinlichste  vorgeschlagen:  o ixte qsv,  mit 
der  Bemerkung,  daß  dieselbe  Form  auch  bei  Aeschylos  Fragm.  210 
Vs.  6  Herrn,  vorkomme.  Dasselbe  möchte  lieber  Nauck  in  der 
1871  erschienenen  Ausgabe  des  Euripides  Vol.  II,  p.  XXIV. 

Vs  695 
bezeichnet  H.  von  Arnim  das  von  ihm  aufgenommene  ft?j  itov  als 
„Emendation   von   Schenkl".    Auch   ich    habe    selbständig  in  den 
Gott,  gel.  Anz.  so  geschrieben. 

Vs  723  fg. 
steht  in  den  Handschriften   als  von  Aegeus  zu  Medea  gesprochen 

ovrca  fteisi  poi,'  6ov  [nlv  itöovörjg  x&övcc, 

TtEiQ&GoyLoC  60V  jcqo^svsIv  dixaiog  ibv. 
Ich  habe  schon  in  den  Gott.  gel.  Anz.  a.  a.  0.  bemerkt ,  daß  x&öva 
allein  unmöglich  geduldet  werden  kann,  sondern  Aegeus  sein 
Land  ausdrücklich  bezeichnen  muß.  Von  den  beiden  dort  vor- 
geschlagenen Aenderungen  ist  die  leichteste  und  wahrscheinlichste 
'ftov  für  6ov. 

Vs  734  fg. 
sagt  Medea  zu  Aegeus : 

tff'jtofctftr  TlskCov  ff  ix&Qog  &6tC  poi  döpog 

Koecjv  ts,  Tovtoig  &  6qxlol6c  yisv  £vy£Lgt 

ayovtiiv  ov  {is&el'  äv  ix  yaCag  ip,4" 

X6yoig  de  övpßäg  firj  ftecbv  iv6^iotog 

(pCXog  ysvoC  av  xcc7tLxr}Qvxev[iccTa 

tax    ccv  Tti&ot,  6e. 
Für  [iii  bieten  in  Vs  737  die  Handschriften  xccl,    für  xcatLxrjQvxev- 
Ilcctu  in  Vs  738  xa7UxriQvx£V{ia6i,  jenes  las  aber  der  Scholiast. 

In  Vs  739  steht  anstatt  rcfy'  in  den  Handschriften  ovx  und 
bieten  dieselben  tcl&oio  statt  tii&ol  6s, 

In  dieser  schwierigen  Stelle  habe  ich  in  den  Gott.  gel.  Anz. 
a.  a.  0.  S.  1663 ,  indem  ich  Vs  735  und  736  unverändert  ließ ,  in 
Vs  737  für  xccl  fteüv  avapotog geschrieben :  xaxä  &sav  ccvd)(iotog. 
Die  Redensart  b^vvvm  xoctd  xivog  ist  ja  bekannt. 

Für  cpttog  in  Vs  738  schlug  Nauck  vor  <prj^6g.  Allerdings  ist 
jenes  Wort  sicherlich  verderbt.  Aber  ein  Wort  mit  dem  Begriffe 
von  „betrügerisch"  darf  man  doch  schwerlich  der  Medea  dem  Aegeus 
gegenüber  in  den  Mund  geben,  wohl  dagegen  eins,  durch  welches 
Beweglichkeit,  Schwanken  bezeichnet  wurde.  Sollte  etwa  6<prjlbg 
geschrieben  gewesen  sein?  Bei  Hesychios  finden  wir:  6yr\k6v 
Aoj-öV.  nvxvov.  dxivtixov.  "Adyr{kQv  öl  tö  äxivt^tov,  also  =  äö<pccXsS' 


70  Friedrich  Wieseler, 

Stesichoros  nannte   den  Herakles   sQLöcprjXog,    „sehr  erschütternd", 
nach  Etym.  Magn. 

Im  letzten  Verse  ist  Ttiftoio  nicht  zu  ändern,  wenn  man  nur 
die  handschriftliche  Lesart  %(X7tixriQvx£v[ia6i  im  vorletzten  annimmt. 
Für  ovx  im  letzten  Verse  paßt  recht  wohl  rcfy',  „vielleicht  wohl"; 
doch  würde  l*i  leichter  sein. 

Vs  773 
sagt  Medea  zum  Chor: 

de%ov  ös  {iri  7tQog  f}dovi}v  Xöyovö. 
Man  deutet :  erwarte  nicht,  daß  ich  Fröhliches  sagen  werde.    Dieser 
Gedanke  ist  meiner  Ansicht  nach  unpassend.     Ich  schlage  vor,  für 
^  zu  schreiben:    ftot,  „nimm  meine  Worte   so   auf,   wie    es   mir 
Freude  macht,  wie  ich  es  wünsche". 

Vs  789 
bieten  die  Handschriften: 

toiolgds  %Qi6(Q  (paQ[icixoig  da)Qrj{iccza. 
Daran  hat  keiner  der  Erklärer  Anstoß  genommen,  wohl  aber  ein 
Mitglied  meines  archäologischen  Seminars,  welches  in  einer  Arbeit 
über  das  Scenische  in  der  Medea  richtig  bemerkte,  daß  die  Sprecherin 
im  Folgenden  die  Bühne  nicht  verläßt.  Der  Anstoß  wird  beseitigt, 
wenn  man  mit  mir  schreibt :  r oiotäd'  £%Qt,6a. 

Vs  1065 
xccl  örj    jtl  xqcczI  ötEtpccvog,  iv  71B7cIol6l  dl 
vv[icpr}  rvQavvog  öAAvrca,  <5acp    oid'   iyd). 
Da   Kreusa    ebensowohl   durch   den   Kranz   auf  dem  Haupte  '  als 
durch  das  angelegte  Grewand  ihren  Untergang  fand  (s.  Vs  784 fg., 
983,    949 fg.),    so   ist   es   wahrscheinlich,    daß    geschrieben   war: 
ötiyuvov  (sc.  £%ov6a)  iv  itmloiGi  rs. 

Vs  1077  fg. 
sagt  Medea  zu  ihren  Kindern  nach  den  besten  Handschriften: 

%G}QSZTS   %G)QelT   •    OVxit     ti\Jb\    JtQOößlSTtSlV 

olcx,  V  ig  v[iäg,  allä  vLX(b[ica  xaxotg. 
Man  hat  hier  mit  Recht  an  der  Verbindung  von  TtQoßßkiiteiv  mit 
ig  Anstoß  genommen  und  Prinz  deshalb  vorgeschlagen:  re  itaid ccg. 
Aber  leichter  ist  es  doch  jedenfalls  zu  schreiben :  styl  nag  fikiiteiv. 
Daß  die  Kinder  nach  xcjqsZt'  und  vor  ovxev  schon  fortgegangen 
sein  sollten,  hat  zudem  keine  Wahrscheinlichkeit. 

Vs  1121 
redet  der  Trabant  des  Iason  die  Medea  an  mit  den  Worten  i 
in  deivbv  igyov  7taQccv6[ia)g  elgya^fievri. 


VerbesseruDgsvorschläge  zu  Euripides.  71 

Dieselben  sind  von  Lenting  für    unecht    erklärt   und   ihm   stimmt 

H.  von  Arnim   bei,   indem   er   bemerkt,    der  Hauptgrund  liege  in 

itccQccvopcog ,  welches   für  Medeias  That  im  Munde    des  Boten  ein 

armseliger  Ausdruck   sei.     Daß   Tcagavö^iag   durchaus   nicht  passe, 

gebe  auch  ich  zu.    Aber  läßt  sich  nicht  an  ein  Adverbium  denken, 

das  „unsinnig,  wahnsinnig"  bedeutete?    Das  Nächststehende  wäre 

wohl  7taQccvÖG)g.    Das  Adjektiv  Ttagdvovg  findet  sich  in  Aeschyl. 

Agam.  1134. 

Vs  1157  fg. 

berichtet  der  Trabant  des  Iason  über  dessen  Gemahlin  der  Medea : 

&XX    TJVSö'    CCVÖQi    71CCVTCC'    Ttul    TCQIV    6X    ÖÖ^ICOV 

liaxgäv  ajtsivcu  Ttatega  xal  Ttaldag  68dsv, 
kaßovöa  7tS7tXovg  icoixCkovg  r\^itC6isto. 
In  den  besten  Handschriften  steht  tc&xsqu  xal  texva  tie'&sv,  welches 
letzte  Wort  im  cod.  Laurent,  fehlt,  während  der  cod.  S.  es  bietet. 
Die  ursprüngliche  Schreibart  des  zweiten  Verses  ist  allerdings 
nicht  mit  Sicherheit  zu  erkennen.  Indessen  ist  doch  wohl  das 
Wahrscheinlichste ,  daß  icatiga  verderbt  ist  aus  xav d Qa,  wozu 
der  Ausfall  des  v  vor  d,  der  sich  auch  sonst  nicht  selten  findet, 
Veranlassung  gegeben  haben  mag. 

Vs  1181  fg.: 
i}6ri  dy  av  e'Xxcov  x&Xov  extcH&qov  öqo^lol 
tayyg  ßadiöxrig  xeq{i6vg)v  äv&7]7Ct€to, 
r]  d'  i%  ävavdov  xal  [ivGavtog  ofi^iarog 
dsivbv  6T£vd£,a6'>  f\  xalaiv    r\yeiQSto. 
Die  handschriftliche  Lesart   in  Vs.  1181  ist  ävikxov.    Daß  weder 
dieses  noch  ekxcjv  paßt,   ist  wohl  klar;    aber  dasselbe    gilt  auch 
von  Zqtccov,  einer  Conjectur  Usener's ,  welche  H.  von  Arnim  sogar 
in  den  Text  aufgenommen  hat.    Dagegen  scheint  uns  sehr  passend  : 
äveXfrav.    'AvsQ%£6&ai  paßt  in  der  Bedeutung  von  „zurückkehren" 
vortrefflich,   da  es  bei   dem   dlavkog   auf  das  Wiederanlangen  am 
Auslaufsziel  ankommt.    Ja  es  scheint  uns  nöthig,  daß  ausdrücklich 
angedeutet  war,    daß    es    sich   um  öiavlov  ftätsQov  xaXov  (Aesch. 
Agam.  344)  handele.    Da  ein  av  nicht  fehlen  kann,  wird  mit  Mus- 
grave  in  Vs.  1182  av  ri%teto  zu  schreiben  sein.    Wenn  H.  von  Arnim 
den  Ausdruck  ßadcötrig  für  auffallend  hält,  so  glaube  ich,  daß  der- 
selbe absichtlich  gewählt  ist,   um   den  Läufer   zu  Fuß  gegenüber 
einem  ÖQo^isvg,  welcher  öiäöovg  diavXovg  titmxovg  öltjvvös  (Eurip. 
Eleotr.  Vs.  824)  zu  bezeichnen. 

Daß  Niemand  an  o[i[iatog  in  Vs.  1183  Anstoß  genommen  hat, 
ist  sonderbar.  Gewiß  war  xd)^atog  geschrieben.  Das  pveiv  be- 
zieht sich  hier  nicht  auf  die  Augen,  sondern  auf  die  Lippen. 


72  Friedrich  Wiesele*, 

Vs  1185  fg. 
heißt  es  weiter  über  die  Grlauke : 

di,7tXovv  yaQ  avtfi  7tr\yb    iitsöt qcct svsto. 
XQveovg  [iev  äpipl  xquxi  xeipsvog  %X6xog 
&av{jLci6rbv  Z$t  vä^ia  Tta^ifpdyov  TtvQÖg' 
itinloi  de  XsrtTOi,  6&v  tixvcov  öcsQ^ata, 
Xiitvriv  sdanrov  öccqxcc  rrjg  dvädatiiovog. 
(pevyei  d'  avcctitäö'  ix  &q6v(ov  TtvQOVfiivri. 
In  Vs.  1188  wird  ganz  so  gesprochen,  als  gehörte  der  %qv6ov$ 
nXöxog   nicht    zu    den    tixvcov    dc3Qrf[iccTcc.     Sicherlich   sollten   aber 
diese  Worte   auch   zu  jenen  Apposition  bilden.     Dazu   bedarf  es 
nicht  bloß  der  Veränderung  des  df  hinter   itiitXoi  in  ts,   sondern 
auch  einer,    durch  welche  edccTtrov  in  Vs  1189  auch  zum  Prädicat 
von   %Qv<5ovg   %X6xog  wird.     Zu   diesem  Behufe  genügt   eine   sehr 
leichte  Correctur  in  Vs  1187:  ftavuuGtbv  tetg.    Das  [iev  in  Vs  1186 
entspricht  dem  d'    in  Vs  1190.     Das  diTtXovv  7tfj^ia   besteht  darin, 
daß   der   nXoxog   und    die   iteitkoi  Xsvx^v  (denn  so  ist  statt  XsTtti\v 
zu  lesen)   ZSoutrov   GaQxcc   und   daß  Grlauke  durch   ihr  Aufspringen 
und  ihre  Bewegung  des  Kopfes  das  Unheil  noch  vergrößert. 

Vs  1204  fg.: 
TtatiiQ  d'  6  rXtfiicov  6v[iq)0Qäg  ayvcoGia 

CCq)V(D    TtCCQSKd'CDV    Öß)(l<X,    JtQOÖJtfovSL    VEXQG)' 

(filia^e  d'  sv&vg,  xal  itSQiTttvZag  öifiag 

xvvet. 
IlaQsX&fov  in  Vs  1205  hat  Nauck  für  das  handschriftlich  über- 
lieferte 7Cqo6sX&c3v  eingesetzt.  H.  von  Arnim  ist  ihm  gefolgt,  da 
dieses  nicht  das  Eintreten  bedeuten  könne.  Unter  da^ia  könnte 
doch  wohl  nur  die  Gynaikonitis  verstanden  sein,  die  man  sich 
als  im  Augenblick  offen  stehend  zu  denken  hätte,  und  das  hat 
wenig  Wahrscheinlichkeit.  Vermuthlich  war  ösl^ia  geschrieben: 
„ Schreckensbild",  vgl.  deivbv  &ea[icc  Vs  1202.  —  Was  sv&tig  in 
Vs  1206  soll,  ist  gar  nicht  einzusehen.  Ich  dachte  zunächst  an 
svvig  d.  i.  kindlos.  Ueber  dieses  Wort  und  sein  Vorkommen 
bei  den  Tragikern:  Blomfield's  Glossar,  in  Aesch.  Persas  vs  294. 
Aber  es  ist  noch  eine  andere  Veränderung  möglich,  ja  wahrschein- 
licher, nämlich  ig  tgcg,  d.i.  dreimal,  was  auch  sonst  bei  den  Tra- 
gikern in  der  Bedeutung  von  tglg  vorkommt. 

Vs  1296  fg. 
sagte  Iason  in  Beziehung  auf  Medea: 

dsl  yaQ  viv  r\xoi  yr\g  6cps  xQvy&rivut,  xcctci, 
ij  Ttxvivbv  aQcu,  Gay?  ig  cd&SQog  ßd&og. 


Verbesserungsvorschläge  zu  Euripides.  73 

Da  öcpe  hier  neben  viv  nicht  geduldet  werden  kann ,  so  hat  man 
Verschiedenes  vorgeschlagen.  Ich  glaube  nun,  daß  xQvyft^vai 
hervorgegangen  ist  aus  dem  selteneren  Aoristus  sec.  XQV(pr}vai 
(Soph. Aj.  1145)  und  schlage  vor  zu  schreiben:  yr\g  vjco  XQvyrjvai. 
Der  Tribrachys  an  der  vierten  Stelle  finden  wir  in  der  Medea 
auch  Vs  479  und  505. 

Vs  1359 
bieten  die  Handschriften: 

xal  HxvXXav  7]  TvQörivbv  axrjösv  %idov. 
Daß  das  letzte  Wort  verderbt  ist,  scheint  zweifellos,  obgleich 
H.  von  Arnim  daran  keinen  Anstoß  genommen  hat.  Man  hat 
<57teog,  7t£TQccv,  TtitQov  vermuthet.  Uns  ist  das  Wahrscheinlichste: 
tcoqov.  Vgl.  Lycophr.  Vs  1085 :  vtieq  tcöqov  TaQ6r\v6v.  Die  Ver- 
derbniß  in  iti dov  entstand  dadurch ,  daß  köqov  in  IIEPON  ver- 
schrieben war. 

Rasender  Herakles. 
Vs  861  fg. : 
slfit  y'  ovtb  rtovtog  ovtco  xv\ia6i  Gxev&v  läßgog 
ovrs  yrjg  6Ei6{ibg  xsQawov  i?oi6tQog  wdtvccg  7tv£(av, 
oV  sya  ötddta  dQa{iov{iccL  Gzeqvov  stg  'HQccxÄeovg 

XOl    XCCTCCQQYi^G)    [lEAccd'QCC   XCCL    d6{lOVg    BTtS^ßakG)^ 

xexv    ccTtoxTEivccöa  7tQcbTOv'  ö  ds  xavhv  ovx  sfäetiu 
7Caldccg  ovg  etixt'  ivatgcov,  tiqIv  av  ifiäg  Xv60ag  acpfj, 
r[V  iöov  xal  dr\  ttvccGöst,  xgära  ßalßCöcav  aito 
xal  diccöTQÖcpovg  e~M<56el  öiya  yoQya)7tovg  xoQccg, 
a[i7tvoag  d'  ov  <5g)<pqovliIei,  tavQog  wg  ig  E^ßoXrjv, 
öslva  pvxaxai  öe  KrJQctg  ävaxaktibv  tag  TaQtaQov. 
Eine  außerordentlich  verderbte  Stelle,   in   welcher  die   zahl- 
reichen Fehler  meist  nicht  geahnt  sind. 

Daß  man  in  Vs.  862  oodlvag  sich  hat  gefallen  lassen,  ist  höchst 
wunderbar.  Ohne  Zweifel  war  von  einer  besonders  gewaltigen 
Wirkung  des  xsQccvvbg  die  Rede.  Der  xsQocvvbg  setzt  die  Luft  in 
Bewegung,  bringt  Wind,  im  Besonderen  Sturmwind,  Wirbelwind 
zuwege.  Man  erinnere  sich  nur  des  Wortes  itQrjöxtfQ ,  das  sowohl 
von  diesem  als  dem  Blitze  gebraucht  wurde,  und  an  die  Redensarten 
fulminis  ventis  afflare  (Verg.  Aen.  IV,  246),  fulminis  turbo  (Ammian. 
Marc.  XVII,  8) ,  an  den  xsgavvbg  kXixiag  (Tzetzes  zu  Lykophron 
Vs  156) ,  6  6v0tQO(päg  (doch  wohl  avipov  Phrynich.  p.  178)  xal 
shxag  Ttoicbv ,  vgl.  Schol.  zu  Aeschyl.  Prometh.  Vs  359  bei  C.  Gr. 
Haupt,  Aeschyl.  quaest.  spec.  primum  p.  264  und  373,  und  Aristot. 
de  mundo  4,  p.  395  Bekker.    So   konnte  der  Dichter   sehr  wohl 

Nachrichten  ?oa  der  K.  G.  d.  W.  iu  Göttingeu.  ,1890.    N'o.  t.  6 


74  Friedrich  Wieseler, 

ein  Hauchen  von  Wirbelwinden  erwähnt  haben  und  das  ist  der  Fall, 
wenn  man  schreibt :  xeqccvvov  y  olötQog  ot;,  dlvag  Ttvicov.  Durch 
das  ys  wird  der  nsgawog  sehr  passend  besonders  hervorgehoben. 

Was  dann  Vs  864  fg.  betrifft,  so  ist  es  schon  an  sich  lächer- 
lich, die  Lytta  sagen  zu  lassen,  daß  sie  die  dopoL  auf  die  nieder- 
gerissenen [isAccd'Qa  werfen  werde.  Es  widerspricht  aber  auch 
dem  Thatbestand,  wie  wir  ihn  unten  finden,  indem  das  Dach  nieder- 
gerissen wird,  der  Palast  selbst  aber  mit  Ausnahme  einer  zer- 
brochenen Säule  stehen  bleibt,  vgl.  Vs  904  fg.  und  1006  fg.  dopovg 
in  Vs  864  muß  also  verderbt  sein.  Ferner  paßt  nicht,  daß  Lytta 
sagt,  das  Niederreißen  der  iiila&Qa  werde  geschehen,  nachdem  sie 
die  Kinder  getödtet  habe,  und  noch  weniger,  daß  sie  sich  das 
Tödten  zuschreibt,  da  dasselbe .  wenn  es  auch  durch  ihre  Einwir- 
kung geschah  (Vs  886) ,  doch  ausdrücklich  dem  Herakles  zuge- 
schrieben werden  müßte,  wie  es  auch  in  den  Worten  ö  de  xavcov 
der  Fall  ist.  Die  handschriftliche  Schreibart  äitoKreCvaGa  kann 
unmöglich  richtig  sein.  Was  endlich  das  JtQ&tov  soll ,  ist  gar 
nicht  einzusehen.  Herakles  tödtet  ja  nicht  die  Kinder  zuerst, 
wenigstens  das  dritte  erst  zugleich  mit  seiner  Gemahlin  Me- 
gara,  vgl.  Vs  1000.  Das  6v\x%iitxuv  ötsyrjg  (Vs  905),  die  tif.Gyi- 
\iaxa  <5%&yY\g  (Vs  1007)  haben  jedenfalls  schon  vor  der  Tödtung 
die  Kinder  statt.  Also  auch  hq&tov  kann  unmöglich  von  dem 
Dichter  herrühren.  Ich  schlage  vor  zu  schreiben:  %al  xataQQ^co 
lieXccd'QCC     nag     vööovg    (oder     xul    vo6oig)     6  y  iite  p,  ßalco     texv 

CCJtOKTSLVS  IV     tCCQCCXTÖV. 

NÖ0OL  bezieht  sich  auf  den  Wahnsinn,  den  Lytta  einflößt 
(Soph.  Aj.59:  [iccviddsg  vöäoi,  452:  lv666drig  vööog).  Mit  dem  Aus- 
druck ig  vööovg  oder  voöoig  i^ißdllsiv  vgl.  man  die  bekannten 
ig  vödov  7ti7ttsiv,  vööog  ipitiitru  nvC. 

2J(ps  soll  sich  natürlich  auf  den  im  vorhergehenden  Verse  aus- 
drücklich genannten  Herakles  beziehen. 

TaQaxtbv  bedurfte  des  Zusatzes  von  cpQsvag  nicht ,  nicht  bloß 
deshalb ,  weil  durch  vööol  der  Wahnsinn  bezeichnet  ist ,  sondern 
auch  insofern,  als  Iris  vorher  in  Vs  835  fg.  der  Lytta  aufgetragen 
hatte,  dem  Herakles  einzuflößen  [iccviag  xccl  TtcudoKzövovg  cpQsvav 
rccQCcynovg. 

In  Vs  866  hat  wenigstens  Gr.  Hermann  Anstoß  genommen  an 
den  Worten  itylv  ccv  ipäg  Avööccg  occpfj.  Er  vermuthete :  i[irjg  lv66rig 
vyfj.  Nach  meinem  Dafürhalten  mußte  ausdrücklich  bezeichnet 
sein,  daß  Lytta  die  von  ihr  eingeflößte  Raserei  von  dem  Herakles 
genommen  habe.  Ich  schlage  also  vor  zu  schreiben:  äcpcb,  ohne 
andersweitige  Aenderung. 


Verbesserungsvorschläge  fu  Euripides.  75 

Daß  man  in  Vs.  867  den  Ausdruck  ßcdßidav  dito  sich  hat 
gefallen  lassen  können,  ist  staunenswerth.  Was  soll  denn  der 
Gedanke  „von  der  Stufe,  Schwelle  her",  wie  man  gedeutet  hat? 
Offenbar  war  für  ßalßldcov  geschrieben:  Bax%LdG>v.  Die  Form 
Bax%lg  gebraucht  unter  den  Tragikern  auch  Sophokles  Antig.  1129. 
"A%o  wird  wohl  aus  vo^icp  entstanden  sein,  wenigstens  ist  diese 
Herstellung  die  leichteste,  da  das  v  am  Anfang  des  Wortes  wegen 
des  v  am  Schlüsse  des  vorhergehenden  leicht  ausfallen  konnte  und 
%  mit  jl  oft  genug  verwechselt  wird.  Doch  kann  für  cctco  auch 
tQÖ7tov  geschrieben  gewesen  sein.  Daß  gerade  bei  den  Mänaden 
das  tLvdöösiv  kquxu.  in  Schrift  und  Bild  besonders  hervorgehoben 
wird,  ist  bekannt  genug. 

Kaum  weniger  auffallend  ist  es,  daß  man  an  ölya  im  Vs  868 
keinen  Anstoß  genommen  hat.  Wie  paßt  jenes  Wort  zu  den 
Worten  detvä  ^ivKätai  im  Ys  870?  Will  man  etwa  glauben,  daß 
Herakles  beim  Verdrehen  der  Augen  noch  schweigt,  unmittelbar 
darauf  aber  zu  schnaufen  und  zu  brüllen  beginnt  wie  ein  Stier? 
Gewiß  sollen  das  Verdrehen  der  Augen  und  das  Brüllen  gleich- 
zeitig nebeneinander  ergehen.  Statt  ölya  wird  geschrieben  ge- 
wesen sein:  elkka,  der  adverbial  gebrauchte  Plural,  neutr.  von 
ötkkog.  Dieses  Wort  kommt  vor  bei  Lucian  Lexiph.  C.  3 :  iyco  de, 
r\  d9  og,  titkkog  cb  deöJtota  yeyivr\\iai  6s  7Lsqioqg)v.  Das  Verbum  öukkovv 
erklärt  Photius  Lex.  p.  512, 1 :  tovg  ocpd'ak^iovg  rjQs^a  TKxoayeQeiv' 
ovtmg  "  Aq%i%%og.  Dieselbe  Erklärung  giebt  Ael.  Dion.  bei  Eustath. 
p.  204,  27,  indem  er  nach  TcaQatpiostv  hinzufügt  iv  reo  dia(pccvki£siv 

nal    ÖLCCÖVQSIV. 

Vs  906 fg.: 

r]  r]  tt  $Qäg,  et  Aibg  Tial;  iiekd&Qav 

TccQCcytia  tccotdosLOV,  ag 

in'  'Eynekddcp  Ttoxe  Ilakkdg,  stg  öö^iovg  itipitzig. 
Daß  in  diesen  Worten  des  Chors  kein  Fehler  stecke,  ist  mir  un- 
glaublich. Wenn  dac2g  in  Vs  906  und  itipnug  in  Vs  908  das 
Richtige  wäre,  wer  könnte  dann  mit  Aibg  itccl  in  Vs  906  gemeint 
sein  ?  Man  müßte  annehmen ,  daß  Lytta  bezeichnet  sei  und  etwa 
schreiben:  Nvxtbg  cb  itui,  also  eine  ziemlich  starke  Veränderung 
vornehmen ,  die  aber  nöthig  sein  würde ,  weil  es  nach  Vs  864 
keinem  Zweifel  unterliegen  kann,  daß  das  öqüv  und  das  itipitELv 
von  der  Lytta  ausgehe.  Selbst  wenn  es  glaublich  wäre ,  daß  die 
in  Vs  906  angeredete  Person  Hera  sein  solle ,  unter  deren  Ein- 
wirkung Lytta  handele,  müßte  für  nal  ein  Wort  in  der  Bedeutung 
von  dapctQ  eingesetzt  werden.  Man  kann  aber  mit  einer  viel  leich- 
teren Veränderung  abkommen ,    indem  man  in  Vers  906  schreibt ; 

6* 


7f>  Leo  Meyer, 

xi  ÖQa  0'  und  in  Vs  908  iti^icsi.  Dann  ist  mitz/tös  ital Herakles 
gemeint  und  zu  dpa  und  %£\jltiu  das  Subjekt  Lytta,  welche  noch 
Vs  899  ausdrücklich  erwähnt  wird  in  den  Worten: 

OVTIOX*    CCKQCCVTCC    d6[lOL<3l    Av<56tt    ßa7i%£V0eL. 

Unter  usAccd'Qcc  ist  wie  in  Vs  864  nur  das  Dach,  die  Decke  zu  ver- 
stehen, ebenso  wie  in  Vs  905  und  1007  unter  ßtsyrj. 


Etymologische  Mittheilung. 

Von 
Leo  Meyer. 

Uri^iar- (2Jfj fia)  , Zeichen'. 
Fast  alle  zunächst  zu  vergleichenden  Bildungen  haben  im 
Griechischen  noch  lebendige  Verbalformen  zur  Seite,  so  jjpaT- 
,Wurf  (II.  23,  891;  —  $tt  IL  1,  382;  2,  309;  l^iv  IL  3,  12; 
21,  158;  ftf  IL  1,  479;  4,  397),  ßfj^iat-  , Schritt,  Gang'  (Aesch. 
Ch.  799;  Soph.  Oed.  Kol.  193;  EL  163;  —  sßrj  IL  1,  311;  424; 
ßij  IL  1,  34;  44;  ß^v  IL  8,  115;  12,  330),  -örj^iar-  gebun- 
denes' (in  i)7t6-dr}}iar-  ,  Sohle'  Od.  15,369;  18,  361;  äv-drj^iar-  ,  Stirn- 
band' Pind.  Bruchst.  179;  -  datier  11.5,730;  23,854;  öiörj  11.11, 
105),  ftritiat-  , Gesetztes'  (Soph.  Bruchst.  498 ;  auch  in  ava-&rniar- 
,Aufge setzte s ,  Schmuck'  Od.  1,  152;  21,  430;  fW-ab^ar-  , Deckel' 
II.  24,  228;  —  Zfrrpev  II.  1,  2;  3,  330;  tC^^lv  IL  4,83;  11,  392; 
rföri  IL  1,  441;  446),  vrj[iar-  , Gesponnenes ,  Faden'  (Od.  2,  98; 
4,  134;  —  eTt-svrjös  IL  20,  128;  vr\Uvza  Plat.  Polit.  282,  E;  vtjsc 
Hes.  Werke  777),  krj^iar-  ,  Wille,  Entschlossenheit'  (Pind.  Pyth. 
3,  25;  8,  45;  Nem.  1,  57;  3,  83;  Aesch.  Sieben  448;  616;  706;  — 
kfjg  Epich.  44;  94,  7;  Ar.  Lys.  95;  kfj  Epich.  94,  8;  Ar.  Lys.  1163), 
ar\  p  a  x  -  (aus  altem  ä- privat-)  ,  das  Wehen '  (Aesch.  Ag.  1418 ;  Eum. 
905;  Soph.  Ai.  674;  —  äprjöt,  Her.  Werke  516,  =  altind.  vati  ,  er 
weht'  RV.  4,  7,  10;  10,  142,  4;  <^rov  IL  9,  5;  äfV  Od.  12,  325; 
14,  458),  xtrjiiaT-  ,Besitzthum'  (IL  3,  70;  72;  —  K%r\<Saxo  Od.  14, 
4 ;  450 ;  iwcvfiftai  IL  9, 402)  r6rrjticcT-  ,  das  Stehende '  (in  Zusamen- 
setzungen  wie  i%i-6%ri\ka%-  ,  das  Draufstehende,  Grabdenkmal '  Plat. 
legg.  12,  958,  E ;  6v-6zrniat-  ,aus  Theilen  bestehendes  Ganzes '  Plat. 
Phil.  17,  D;  Epin.  991,  E;  öuk-6%r\\x,ax-  Zwischenraum'  Plat.  Tim. 
36,  A;  Phil.  17,  C;  —  £<5tn  ,  er  stellte  sich'  IL  5,  108;  309;  ^ 
II.  1,  197;  2,  20;  txvfri  II.  22,  222;  23,  97;  xa&-£<srfi  , stelle'  II. 
9,  202),    6 nrj pect-   gestrichenes,   Salbe'    (Philox.  bei  Athen.  9; 


Etymologische  Mitteilung.  77 

409,  E.  —  tf^tfcfytavot  Hdt.  4,  73;  S7ti-6tifj  Ar.  Thesm.  389;  c^v 
Luk.  Lexiphan.  3),  xvrj^ccx-  ,  Abgeschabtes '  {xyr^taxa  *  %v6paxa 
Hippokr.  in  Galens  Lex.  —  xvrj  11.  11,  639  ;  xviififtai  Plat.  Gorg. 
494,  C;  s%-£xv7]0£  Hdt.  7,  239),  xg^^iax-  ,Loch'  (Ar.  Wespen  141; 
Plat.  Gorg.  494,  B;  —  %vv-£XQr\<5av  Plat.  Tim.  91,  A;  xixqt\xai 
Hdt.  4,  158;  di-£xixqr\  Appian  Lib.  122),  %Qrjiiax-  gebrauchtes, 
Besitzthum'  (Od.  2,  78;  203;  —  xqtjxccl  Aesch.  Ag.  953;  ii^daxo 
Soph.  Kön.  Oed.  117;  ximxo  Od.  14,  421;  16,  398),  ^ftat-  (aus 
altem  fQ^ax-)  , Gesagtes,  Wort'  (Pind.  Pyth.  4,  278;  Nem.  4,  6; 
-  fapgriTcu  H.  4,  363;  fQ^evu  Od.  18,  413  =  20,  322),  xXrJiiax- 
,  Füllung'  (Hesych:  nX^a'  TtXrJQWiia.  —  itXr\xo  IL  17,  499;  21,  16; 
iv-iitXt^av  Od.  17,  503;  %L\k%Xri<5i  Aesch.  Bruchst.  57,  4),  ßXrj^iax- 
,Wurf,  Schuß '  (Hdt.  3,  35 ;  Eur.  Schutzfl.  330 ;  auch  in  Zusammen- 
setzungen wie  7tQÖ-ßXrmat-  , Vorgehaltenes ,  Schirm'  Aesch.  Sieben 
540;  676;  —  ßXr\xo  II.  4,  518;  16,  570;  ßißXrixai  H.  5,  103;  ißXförj 
Thuk.  8,  84),  xXr\^ax-  , Gerufenes,  Angeführtes'  (in  ky-xX^ax- 
Beschuldigung,  Vorwurf  Soph.  Phil.  323;  Trach.  361,  und  liti- 
-xXr\p,ax-  , Beschuldigung,  Vorwurf  Soph.  Kon.  Oed.  227;  529;  — 
xixXr\xai  II.  10,  259;  ixXrj&rjv  Soph.  Kön.  Oed.  1359),  6xXrj[iax- 
, Austrocknung'  (Galen. lex. Hippokr.:  6xr\Xri^axi '  öxsteteia,  öv[i7tx6ö£^ 
wo  zu  lesen  sein  wird  GxXrßLaxi.  —  d%o-6xXfivav  Ar.  Wespen  160; 
i%-£6xXrix6x£g  Epich.  106 ;  &7to-6xXrj6r]  Antipatr.  in  Anth.  11,  37,  6), 
livfiiiat-  , Andenken'  (IL  23,  619;  Od.  15,  126;  —  \ii\ivr\xai  IL  8, 
362;  \xvv\<5£i  Od.  12,  38;  \ki\iv'r\6x£  Od.  14,  169),  xprjiiccx-  abge- 
schnittenes, Stück'  (Plat.  Polit.  267,  B;  —  x£x^rniivov  Od.  17,  195; 
xax-£x\ir\ftv\  Hdt.  2,  108),  %%y\\lu%-  ,Flug'  (Suidas:  %xv\\La *  itxrfiig 
olcovcbv.  —  i%-£7ixri  Hes.  Werke  98 ;  £%i-%x,tp£xai  Hdt.  7, 15),  ö^ftat- 
, Haltung,  das  Aeußere'  (Aesch.  Sieben  488;  Soph.  Phil.  223;  — 
6%i6io  IL  17,  182;  24,  670;  iöx^xaöt  Plat.  legg.  6,  765,  A;  jrap- 
-£<5%riyL£vbq  Xen.  an.  7,  6,  11).  —  Zu  it^ax-  ,Leid'  (IL  3,  50;  160) 
scheint  %aft-  , leiden'  (itdftw  IL  24,  7;  Od.  1,  4)  die  nächste  Grund- 
lage zu  bilden ;  ein  Hervorgehen  von  jr^atr-  aus  ndd'fiax-  aber,  wie 
es  gewöhnlich  angenommen  wird,  ist  sehr  wenig  wahrscheinlich.  — 
Neben  xX^ax-  , Zweig'  (Ar.  Ekkl.  1031;  Xen.  Oek.  19,  8; 
Plat.  Staat  1,  353,  A),  das  mit  xX&v-  , Zweig'  (Eur.  EL  324;  Ion 
423;  Xen.  Jagd  10,  7)  und  xXddo-s  , Zweig'  (Aesch.  Schutzfl.  23; 
159 ;  Eum.  43)  ohne  Zweifel  nahe  zusammenhängt,  bietet  sich  kein 
unmittelbar  zugehÖriges(Verb,  da  xX&v  ,abbrechen'  {ivi-xXav  IL  8, 408 ; 
dia-xXdööccg  IL  5,  216 ;  xtä<5£  Od.  6, 128  ;  ixXdtör}  11.11,584;  ivano- 
-xixXaöxo  Thuk.  4,  34),  von  dem  das  substantivische  xXdö(iax~  ab- 
gebrochenes, Bruchstück'  (Plut.  Tib.  Gr.  19;  Lukill.  in  Anth.  11, 
153,  3)  ausging,  als  solches  nicht  gelten  kann. 


78  Leo  Meyer, 

Die  gegebene  Uebersicht  weist  den  Weg  zur  Beurtheilung  der 
Verbalgrundform,  von  der  öfj^iar-  ausgegangen  sein  wird.  Es  bleibt 
nun  noch  die  Frage  nach  der  Vorgeschichte  seines  anlautenden 
Zischlauts  zu  erwägen. 

Rein  —  das  heißt  vor  unmittelbar  folgendem  Vocal  —  an- 
lautendes 6  steht  so  gut  wie  niemals  an  der  Stelle  von  altem 
Zischlaut.  Es  ging  vielmehr  aus  sehr  verschiedenartigen  Laut- 
verbindungen hervor  und  zwar  wesentlich  in  Folge  von  Lautassi- 
milationen. Die  homerische  Sprache  zeigt  das  darin  noch  sehr 
deutlich,  daß  sie  bei  Vorfügung  von  kurzen  Vocalen,  sei  es  präfi- 
xalen  oder  wortstammauslautenden,  sei  es  dem  Augment  oder  dem 
£  einer  Reduplicationssilbe ,  das  <?  der  in  Frage  stehenden  Wort- 
formen gewöhnlich  verdoppelt. 

So  stehen  neben  den  versbeginnenden  cfsvcovrai  ,sie  setzen 
sich  in  rasche  Bewegung,  sie  rennen,  sie  stürmen  daher'  (IL  11, 
415)  und  causativ  öeve  ,er  setzte  in  rasche  Bewegung,  trieb  fort' 
11.6,133)  die  Formen  e7U-66evedd'ai  (11.15,347),  XaJ-o-Cöofo-g  ,das 
Kriegsvolk  erregend  oder  antreibend'  (IL  13,  128;  17,  398;  20, 
48;  79),  idöEva  (II.  5,  208),  eeaevs  (IL  11,  147;  14,413),  iööetiovto 
(II.  2,  150;  808;  9,  80),  iööetuvro  (IL  11,  549  =  15,  272),  äwvpat 
(IL  13,  79),  faöwat,  (Od.  10,  484;  ix-dttvtcu,  IL  1,  173;  6,  361; 
9,  42),  iöövpivo-g  (IL  11,554  =  17,663;  13,142),  ittttviiivag  (11.3, 
85;  15,698;  23,55).  Zum  Perfectstamm  gehören  wohl  auch  söövto 
(II.  2,  809  =  8,  58;  14,  519),  eößvo  (IL  16,  585;  Od.  9,  447)  und 
äjt-edcivps&a  (Od.  9,  236  und  396;  STt-eööv^a  Od.  4,  454).  Un- 
zweifelhaft aoristische  Form  aber  ist  das  vereinzelte  augmentlose 
övxo  (IL  21,  167).  Bei  freierer  Stellung  im  Satz  findet  sich  vor 
dem  anlautenden  6  des  in  Frage  stehenden  Verbs  kurzer  Vocal 
metrisch  lang  gebraucht  IL  17,  463  (cparag,  ots  ösvcclto)  und  IL  23, 
198  (vlr\  te  asvmto  Tcafrj^svaL),  an  welchen  beiden  Stellen  'aber  die 
Ueberlieferung  sehr  schwankt. 

Neben  öslcdv  , schüttelnd,  schwingend'  (IL  5,  563;  9,  583)  be- 
gegnen £711-66  EL&V  (IL  15,  230),    £1tl-66£ir\6lV  (IL  4,  167),    TtEQl-66  ElOVTO 

(IL  19,  382  und  22,  315),  i)7io-66eCov6vv  (Od.  9,  385)  und  iööeuovro 
(IL  20,  59),  dagegen  bei  freierer  Stellung  im  Satz  IL  14,  285: 
äxQOtdtT}  de  tcoö&v  vtco  öaCsxo  vly\  ohne  durch  das  6  bewirkte 
metrische  Dehnung. 

Weiter  sind  hier  anzuführen  TtEQi-66aivov6i  (Od.  16,  10),  tieql- 
-66awov  (Od.  16,  4)  und  %Eqi-66aCvovxEg  (Od.  10,  215)  neben  Gccivov 
,  sie  wedelten '  (Od.  10,  219) ,  denen  gegenüber  ein  augmentirtes 
$6Y[vs  (Od.  17,  302 :  otigf}  per  q  o  yE6r\vE)  sehr  auffällt.  Man  darf 
dafür  wohl  e66k\ve  (?  ovqtj  \jlev  q   £66rjvs)  vermuthen. 


Etymologische  Mittheilung.  7y 

Ferner  gehört  hieher  novi-66aXo-g  ,  aufgewirbelter  Staub '  (H. 
3,  13;  5,  503;  22,401),  als  dessen  Schlußtheil  das  einfache  6dXo-g 
,  unruhige,  schwankende  Bewegung '  (Eur.  Hek.  28 :  sv  novxov  6aX<p, 
Iph.  Taur.  1443:  TtovrCa  Xaßav  ödXcp)  wird  gelten  dürfen. 

Noch  ist  hier  zu  nennen  das  häufige  Beiwort  der  Schiffe  sv- 
-ö6sX^io-g  ,mit  gutem  Verdeck '  oder  ,mit  guten  Ruderbänken'  (II. 

2,  170;  358;  390;  613),  als  dessen  Schlußtheil  eine  Nebenform  zu 
ösXpax-  ,Verdeck,  Ruderbank '  (Hom.  hymn.  6,  47 ;  Aesch.  Ag.  1442 ; 
Pers.  358)  sich  ergiebt,  die  sich  von  Hesych  (<5sX[ic3v  •  Gavld&v)  auf- 
bewahrt findet. 

Aus  s7tL-66G3tQ0-v  ,  Metallbeschlag  der  Radfelgen '  (IL  5,  725 ; 
11,  537;  20,  394;  502;  23,  505;  519.  —  Pollux  1,  144:  xnv  ds 
tcsqlslXov^svcjv  xä  a^ovi  XQo%cbv  xb  [isv  Ttsqü  xalg  h\>l6i  6i$yjqovv 
ETtoöcotQOv,  r\  ds  aiplg  xccl  G&xqcc  xaXstxcu)  ist  das  einfache  6cbTQ0-v 
, Radfelge'  (Pollux  an  der  angeführten  Stelle  und  10,  53)  zu  ent- 
nehmen. 

Weiter  gehört  hieher  auch  noch  der  Eigenname  'Ev-<56a)Qo-g 
(IL  6,  8:  vtbv  ' Ev66(oqov  ' Anapavt  rjvv  xs  \isyav  ra),  der  mit  öcjQÖ-g 
,  Haufen,  Vorrath'  (Hes.  Werke  778 ;  Hdt.  1,22;  6,125)  als  Schluß- 
theil gebildet  sein  wird.  — 

Eine  von  der  so  eben  dargelegten  abweichende  Behandlung 
des  6  zeigt  sich  in  drei  homerischen  Zusammensetzungen  mit  dem 
beraubenden  äv-  («-),  nämlich  a-örjuavxo-g  ,ungeleitet,  ungerührt' 
(II.  10,  485 :  ag  ds  Xs'cdv  [iyjXoiölv  dörj^dvxotöiv  s7tsXd"d)v ,  wo  viel- 
leicht vermuthet  werden  darf  fi^Aottf'  cc66rj^dvtoL6Lv),  ä-öixo-g  ,ohne 
Essen'  (Od.  4,  788:  xslx  ccq  aöixog  cc7tcc6xog,  wo  etwa  zu  lesen  sein 
würde  xslx  cc66txog)  und  atiivsg-  , unverletzt'  (Od.  11,  110  =  12, 
137:  tag  sl  psv  %'  ccövviag  sfdug,  wo  etwa  gemuthmaßt  werden 
kann  tag  sl  tc   äööcvsag). 

Dann  giebt  es  aber  auch  noch  ein  paar  weitere  das  6  be- 
treifende Ausnahmen,  nämlich  das  reduplicirte  6s67\ns  (IL  2,  135; 
daneben  <5r\Ttsxai  IL  24,  414)  und  die  folgenden  augmentirten  Formen : 
sdri^vavxo  (IL  7,  175),  sövXsvov  (IL  5,  48),  itvXa  (II.  4,  105;  5, 
164;  6,  28;  11,  110;  15,  524;  17,  60;  22,  368),  tafart  (IL  4,  12; 
11,  752 ;  14,  259  und  öfter ;  sWWa  Od.  5,  130)  und  iöda&sv  (Od. 

3,  185). 

Wie  weit  etwa  xoXoetvQxö-g  ,Lärm,  Getümmel'  (IL  12,  147; 
13,  472;  Hes.  theog.  880),  ddvcpriXo-g  , schnöde,  ungebührlich'  (IL 
9,  647;  24,  767),  otdsvööcoQo-g  ,werthlos ,  verächtlich'  (TL  8,  178) 
und  aXotivdvr}  ,  meerentsprossen '  (?)  (H.  20,  207;  Od.  4,  404)  hier 
noch  in  Frage  kommen  können,  lassen  wir  bei  ihrer  geringeren 
etymologischen  Durchsichtigkeit  ununtersucht. 


80  Leo  Meyer, 

Ohne  auf  eine  etymologische  Untersuchung  der  Mehrzahl 
der  oben  aufgeführten  Wörter,  wie  sie  jüngst  von  einem  meiner 
Schüler ,  Herrn  Ludwig  Weidenbaum,  in  einer  vortreff- 
lichen des  Druckes  werthen  Candidatenschrift  ausgeführt  wor- 
den, hier  näher  einzugehen,  mag  nur  einmal  wieder  darauf  hin- 
gewiesen sein,  daß  das  griechische  6sve6%'ai  auf  dem  selben  Grunde 
ruht  mit  altind.  cjav-:  cjdvatai  ,er  setzt  sich  in  Bewegung',  für 
das  ein  paar  Stellen  aus  dem  Rgvedas  angeführt  sein  mögen: 
1,  167,  8:  cjavantai  äcjutd  dhruväni  ,es  geräth  in  Bewegung  das 
unbewegliche  Feste ' ;  10,  124,  4 :  agnis  sdamas  vdrunas  tdi  cjavanti 
,Agnis,  Somas,  Varunas,  die  bewegen  sich'.  Das  Causativ  (cjd- 
vdjati  ,  er  setzt  in  Bewegung')  dazu  findet  sich  beispielsweise 
E.V.  5,  56,  4 :  girim  prä  cjävajanti  jämabhis  ,  (die  Marute)  bewegen 
den  Berg  auf  ihren  Fahrten '  und  RV.  2,  24,  2 :  prä  acjdvajat  dcjutd 
hrdhmanas  paus  ,  Brahmanaspatis  hat  das  Unbewegliche  in  Bewe- 
gung gebracht'.  Von  weiter  zugehörigen  Wörtern  nennen  wir 
noch  die  zusammengesetzten  hästa-cjuti-  ,  rasche  Bewegung  der 
Hände'  (RV.  7,  1,  1)  und  bhuvana-cjavä-  , weltbewegend,  welt- 
erschütternd' (RV.  10,  103,  9),  welches  letztere  in  seinem  Sehluß- 
theil  genau  mit  dem  von  lapo-666po-g  übereinstimmt. 

Der  altindischen  Lautverbindung  cj  stellt  sich  im  Griechischen 
auf  Grund  des  sogenannten  assibilirenden  (d.  i.  den  Zischlaut  hervor- 
rufenden) Einflusses  des  j  und  dann  von  Assimilation  66  (dafür  im 
Anlaut  einfaches  6)  gegenüber,  ganz  wie  zum  Beispiel  in  7ti66st 
,er  kocht'  (IL  4,  513;  24,  617),  das  in  altindischem  Gewände 
pdcjati  (die  Medialform  begegnet  RV.  1,  135,  8 :  pdcjatai  jdvas  ,  es 
kocht '  —  oder  ,  es  reift '  ?  —  ,  die  Gerste ')  lauten  würde. 

Gar  nicht  selten  hat  sich  66  auch  aus  der  Verbindung  des  ; 
mit  dem  aspirirten  Guttural  entwickelt,  wie  zum  Beispiel  in  6qv66slv 
,  graben '  (Od.  10,  305)  aus  öqv%jslv,  oder  in  &ä66ov  ,  schneller,  sehr 
schnell'  (IL  2,  440;  4,  64;  6,  143)  aus  &d%jov.  Auch  für  vv66eiv 
,  stoßen ,  stechen '  (vv66cov  IL  16,  704 ;  vv%e  ,  er  stieß  '  IL  5,  46  ; 
579;  11,  96)  darf  man  solchen  Ursprung  des  66  muthmaßen,  da 
der  Gedanke  an  etymologischen  Zusammenhang  mit  qvv%-  ,  Klaue, 
Kralle,  Fingernagel'  (IL  8,  248;  12,  202;  Hes.  Schüd  266)  und 
altind.  naJchd-  , Fingernagel,  Fußzehe,  Vogelkralle'  (RV.  1,  162,  9; 
10,  28,  10)  sehr  nahe  liegt. 

Das  Gegebene  führt  uns  auch  zu  dem  gesuchten  Aufschluß 
über  6rjiiaz-:  sein  anlautendes  6  (für  66)  führt  auf  eine  alte  Ver- 
bindung von  ;  mit  aspirirtem  Guttural  zurück  und  als  ihm  zu 
Grunde  liegende  Verbalform  ergiebt  sich  das  altindische  Jchjd: 
hhjdti  ,er  sieht,  er  schaut,  er  betrachtet',  das  im  Rgvedas  nur  in 


Etymologische  Mittheilung.  gl 

Verbindung  mit  Präfixen,  später  auch  in  unzusammengesetzten 
passivischen  oder  causativen  Formen,  wie  dem  participiellen  khjdtdr 
, bekannt'  (eigentlich  , gesehen',  oder  dann  auch  , gezeigt,  verkündet, 
angesagt'),  begegnet.  Wir  geben  einige  Beispiele:  RV.  8,47,  11: 
dditjd  dva  hi  khjdta  ddhi  kuldt  iva  spdgas  ,Aditja,  schauet  herab, 
wie  von  der  Höhe  die  Späher ' ;  RV.  7,  13,  3 :  gdtds  jdd  agnai 
bhüvand  vi  dJchjas  pagiln  nd  gaupds  ,  als  du  geboren ,  o  Agnis ,  die 
Wesen  beschautest,  wie  ein  Hirt  das  Vieh ' ;  RV.  10,  10,  2 :  vir  eis 
. .  .  urvijd  pari  Mjan  ,  die  Helden  schauten  weit  umher ' ;  RV.  9, 
101,  7:  paus  vigvasja  bhümanas  vi  akhjat  räudasi  ubhdi  ,als  Herr 
der  ganzen  Welt  betrachtete  er  (Somas)  beide  Welthälften'. 

Die  Bedeutung  des  , Sehens,  Aufblickens'  ging  bei  Jchjd  ohne 
Zweifel  von  der  des  ,  Aufleuchtens '  aus ,  da  auch  diese  mehrere 
Male  im  Rgvedas  entgegentritt ,  wie  RV.  1 ,  46 ,  10 :  vi  akhjat 
gihvdjd  dsitas ,  wo  Ludwig  übersetzt  ,der  Schwarze  leuchtete 
empor  mit  der  Zunge'  und  Gr  aß  mann  ,  schwarz  an  der  Zunge 
flammt  die  Grluth'.  Weiter  gehören  hieher  auch  wohl  RV.  10, 
45,  4:  sadjds  gagndnds  vi  hi  im  iddhds  akhjat  ,  (Agnis)  im  Augen- 
blick geboren  leuchtete  auf  (so  nach  B  öhtl.-R. ;  L.  ,  schaute  auf, 
Gr.  ,  erblickt  er ')  entflammt ' ;  RV.  10,  127,  1 :  rcitri  vi  akhjat  djatt 
purutrd  daivi  akshdbhis  ,die  Nacht  leuchtete  auf  (so  nach  B.-R.; 
L.  ,hat  ausgeblickt')  , hinkommend  nach  vielen  Seiten,  die  Göttinn, 
mit  ihren  Augen';  RV.  1,  123,  2:  uccd  vi  akhjat  juvatis  punarbhüs 
d  ushäs  agam  ,hoch  leuchtete  sie  auf  (so  nach  B.-R.;  L.  ,hat  sie 
ausgeblickt ' ;  Gr.  ,  sie  blickt  empor ')  ,  die  jugendliche  wieder- 
kehrende, die  Morgenröthe,  sie  kam  heran'. 

Man  darf  darnach   für   örjtiat-,    das  in  altindischem  Gewände 
als  *khjäman-   zu   erwarten   gewesen  wäre,    als    Grundbedeutung 
wohl  ,das  Leuchtende'  vermuthen. 
Dorpat,  Januar  1890. 


Bei  der  Kgl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  einge- 
gangene Druckschriften. 


Man  bittet  diese  Verzeichnisse  zugleich  als  Empfangsanzeigen  ansehen  zu  wollen. 

December  1889. 

(Fortsetzung.) 
United  States  coast  and  geodetic   survey.     Report  1887.     Part  I  Text.    Part  II 

Plates  (sketches).    Washington  1889. 
a.     Pennsylvania  geological  survey  1889.      Dictionary  of  fossils.     Vol.  I.    A — M. 
P.  4.     Harrisburg  1889. 
Nachrichten  von  der  K.G.  d.W.  zu  Göttingen.  1800.  No.  8.  7 


82 

b.  Annual  report  1887. 

c.  Museum  catalogue  3. 

d.  Atlas  Northern  Anthracite  field.     Part  III,  IV.  A.  A. 

e.  Atlas  to  report  H  H,  and  H  H  H. 

f.  South  Mountain  sheets  C.  1,  2,  3,    4.  D.  2,  3,  4,  5.  D.  6.     Harrisbury. 
Johns  Hopkins  Universtity  studies. 

a.  American  Journal  of  Mathematics.     Vol.  XI.     N.  4. 

b.  Historical  and  political  science.     Seventh  series.  VII— VIII— IX.    The  River 
towns  of  Connecticut.     Baltimore. 

o.     Circulars.    Vol.  IX.  —  N.  76.  Nov.  1889. 

Bulletin  of  the  Museum  of  comparative  Zoology.     Vol.  XVII.f  N.  5.  Vol.  XVIII. 

Cambridge.  U.  S.  A. 
Proceedings   of   the   California   Academy   of  sciences.     Second  series.      Vol.  1. 

Part  1.  2.     1888.     San  Francisco. 
Proceedings  of  the  Academy  of  natural   science  of  Philadelphia.     Part  1.     Jan. 

Febr. -April  1889.     Philadelphia  1889. 
Journal  of  the  Trenton  natural  history  society.     Vol.  II.  N.  1.  Jan.  1889.     Tren- 

ton  1889. 

a.  Bulletin  of  the  Essex" Institute.    Vol.  20,    1-3,    4-6,  7—12.  Vol.  21,  1—2 
—3,  4—5.  6. 

b.  Charter  and  By-laws  and  a  list  of   its  officers  and  members.     Salem.  Mass. 
Anuario    del    observatorio  astronomico    nacional    de  Taenbaya    para  el  Ano  de 

1890.    Ano  10.     Mexico  1889. 
China.     Catalogue  of  the  Chinese  Imp.  maritime  customs  collection  at  the  IL  S 
international  exibition.     Philadelphia  1876.     Shanghai  1876. 

Nachträge. 

Untersuchungen  über  die  stickstofffreien  Reservestoffe  der  Samen  von  Lupinus 
luteus  und  über  die  Umwandlungen  derselben  während  des  Keimungsprocesses 
von  E.  Schulze  u.  E.  Steiger.  Preisgekrönt  von  d.  K.  G.  d.  W.  zu  Göt- 
tingen.    3  Exemplare.     Berlin  1889. 

Process  da  strieng  H.  C  a'v  i  e  z  e  1.     Chur  1889. 

Proceedings  of  the  London  mathematical  society.     N.  359  —  363. 

Proceedings  of  the  R.  physical  society.     Session  1888—89.     Edinburgh  1889. 

Die  Indogermanischen  Verwandtschaften  von  Berthold  Delbrück.  Des  XI. 
Bandes  der  Abh.  d.  philolog.-histor.  Classe  d.  E.  Sachs.  Ges.  der  Wissensch. 
N.  V.     Leipzig  1889. 

Berichte  und  Verhandlungen  d.  Kgl.  Ges.  d.  Wiss.  zu  Leipzig.  Philolog.-hist. 
Classe.  II.  DI.     1889. 

Januar  1890. 

Sitzungsberichte  d.  K.  Pr.  Akademie   d.  Wissenschaften  zu  Berlin.     1889.    LIII 

u.  1890.  I  II. 
Nova  acta  academiae  Caesareae  Leopoldino-Carolinae  Germanicae  naturae  curio- 

sorum.    Band  52  u.  53.     Halle  1888  u.  89. 
Katalog   der  Bibliothek   der  K.  Leopoldinischen- Carolinischen   deutschen  Aka- 
demie der  Naturforscher.     Liefr.  2.  1889. 
Verhandlungen  des  historischen  Vereins  von  Oberpfalz  und  Regensburg.    Band  43 

der  gesammten  Verhandlungen.    Band  35  der  neuen  Folge.     Regensburg  1889. 
Jahresbericht  des  physikalischen  Vereins  zu  Frankfurt  a.  Main  für  1887 — 1888. 

Frankfurt  a.  M.  1889. 
Abhandlungen    aus  dem  Gebiete  der  Naturwissenschaften,    herausgegeben  vom 

naturwissenschaftlichen  Verein  in  Hamburg.    Band  XI  Heft  1.     Hamburg  1889. 
Festschrift,  herausgegeben  von  der  Mathematischen  Gesellschaft  in  Hamburg  zu 

ihrem  200  jährigen  Jubelfest  1890.    Theilll,  wissenschaftl.  Abhandlungen,  zugl. 

Band  II  der  »Mittheilungen«.     Leipzig  1890. 
Mittheilungen  des  Geschichts-  und  Alterthumsvereins  für  Leisnig  im  Königreich 

Sachsen.     Heft  8.     Leisnig  1889. 
Leopoldina.   Heft  XXV,  Jahrg.  1889,  N.  23—24.  Titel  u.  Register.    Halle  a.  S.  1889. 


8a 

Bemerkungen  zu  dem  Aufsatze :  Untersuchung  der  Eigenschaften  einer  Gattung 
von  unendlichen  Reihen  v.  R.  Li psehitz  in  Bonn.  Sonderabdruck  aus 
»Journal  für  reine  und  angewandte  Mathematik«.     Heft  1.     B.  106. 

v.  Kölliker,  Histologische  Mittheilungen  aus  den  Sitzungsberichten  der  Würz- 
burger Phys.-med.  Gesellschaft.     18*9.     15.  Sitzung  vom  23.  Nov.  1889. 

Urkundliche  Geschichte  des  Reichsritterlichen  Geschlechts  Eberstein.  Aus  den 
Quellen  bearb.  v.L.  F.  Freiherr  von  Eber  stein.  Band  1,2,  3.  Berlin  1889. 
2.  Ausgabe. 

Historische  Nachrichten  über  den  zur  Gräflich  -Mansfeld'schen  Herrschaft  Hel- 
drungen gehörenden  Marktflecken  Gehofen  und  die  Aemter  Leinungen  und 
Morungen.     Von  Fr.  v.  Eberstein.     Berlin  1889. 

Kriegsberichte  des  Kön.  Dan.  Generalfeldmarschalls  Ernst  Albrecht  von  Eber- 
stein aus  dem  zweiten  schwedisch- dänischen  Kriege.  Herausgeg.  v.  L.  F. 
Freiherr  von  Eber  stein.     Berlin  1889. 

Korrespondenz  zwischen  Landgraf  Georg  n.  von  Hessen-Darmstadt  u.  s.  General- 
Lieutenant  E.  A.  v.  Eberstein  auf  Gehofen  und  Reinsdorf.  Herausgeg.  von 
L.  F.  Freiherr  von  Eberstein.     Berlin  1889. 

Memoirs  and  proceedings  of  the  Manchester  literary  and  philosophical  society. 
Vol.  H  fourth  series.     Manchester  1889. 

Records  of  the  geological  survey  of  India.     Vol.  XXH.  Pars  4.     Calcutta  1889. 

Nature.     Vol.  41.     1054—1057. 

Proceedings  of  the  Royal  society.     Vol.  XLVI   N.  284. 

Monthly  notices  of  the  Royal  astronomical  society.     Vol.  L.  N.  2.     Dec.  1889. 

Verhandlungen  der  Kaiserl.  Königl.  zoologisch-botanischen  Gesellschaft  in  Wien. 
Jahrg.  1889.     Band  XXXIX.     III.  u.  IV.  Quartal.     Wien  1889. 

Verhandlungen  der  K.  K.  geologischen  Reichsanstalt  1889.  N.  13, 14, 15, 16  u.  17. 

Meteorologische  Zeitschrift  zu  Jahrgang  6.  XXIV.  Band  der  Zeitschrift  der 
Oesterr.  Ges.  für  Meteorologie  1889.     Namen-  u.  Sachregister.     Wien. 

Ungarische  Revue.     Heft  I.     Januar  1890.     10.  Jahrgang.    Budapest  1890. 

Foldtnni  Kozlöny  1889.    Kötet  XIX,  füzet  7—8,  9—10,  11—12.    Budapest  1889. 

Zweiter  Nachtrag  zum  Katalog  der  Bibliothek  und  allgemeinen  Kartensamm- 
lung der  Kgl.  Ung.  geol.  Anstalt  1886—1888.     Budapest  1889. 

Anzeiger  der  Akademie  der  Wissenschaften  in  Krakau  1889.  December.  Krakau 
1889. 

Atti  della  Reale  Accademia  dei  Lincei.  Anno  CCLXXXVI  1889.  Serie  quarta 
Rendiconti.     Vol.  V.  fasc.  7.  8.     2.  semestre.     Roma  1889. 

Rendiconti  del  circolo  matematico  di  Palermo.  Tomo  III  fasc.  VI.  Nov.-Dec. 
Anno  1889. 

Atti  della  R.  Accademia  delle  seiend  di  Torino.  Vol.  XXV.  Disp.1.2.  1889 — 
90.     Torino. 

Memorie  della  R.  Accademia  delle  scienze  del  ietitut.  di  Bologna.  Serie  IV. 
Tomo  IX.  fasc.  1,  2,  3,  4.    Bologna  1888—1889.  > 

Nouveaux  progres  de  la  question  du  calendrier  universel  et  du  me'ridian  uni- 
versel.     R.  Acade'mie  des  sciences  de  l'institut  de  Bologne.     Bologne  1889. 

Bibliotheca  nazionale  centrale  di  Firenze.  Bollettino  delle  pubblicazioni  italiane 
1890.  N.  97.    Firenze  1890. 

Annnaire  de  l'Academie  royale  des  sciences,  des  lettres  et  des  beaux-arts  de 
Belgique.     1890.     56.  Anne'e.     Bruxelles  1890. 

Envoi  de  la  part  de  l'Academie  des  sciences  de  Stockholm. 

a.  Memoires.    Bd.  20  1—2.  211-2  et  Atlas  (Handlingar).  Stockholm  1883— 87. 

b.  Supplement  aux  mdmoires.    Bd.  9  1—2,  10  1-2,  11  1-2,  12  1—4,  13  1—4 
(Bihang).  e  Stockholm  1884—88. 

c.  Bulletin  Arg.:  41—45.     1884—1888  (öfverreigt).     Stockholm  1885—89. 

d.  Observations  metdorolopiques.     Bd.  22-26.   2.  Ser.  Bd.  8— 12.  1880—1884. 
(Meteorologiska  Jak  Hagelser).    Stockholm  1885  —  89. 

e.  Biographies   des    membres.      Bd.  2    Heft  3.    (Lefnadsteckningar).     Stock- 
holm 1885. 

f.  Table  des  matieres  1826—1883.  (Förteckning).    Stockholm  1884. 

g.  Mitgliederverzeichniß  1885-1889. 
Academie  Roy.  de  Copenhague 

a.    Memoires.     Sdrie  6.    Classe  des  sciences.    Vol.  5  N.  12.  1889. 


84 

b.  Me*moires.    Serie  6.   Classe  des  lettres.    Vol.  II  N.  6.  Vol.  III  N.  1.  1889. 

c.  Oversigt   over    det  Kongelige    D.  Videnskabernes    Selskabsforhandlinger  i, 
Aaret  1889.  N.  2.     Kobenhavn. 

Bijdragen  tot  de  Taal-,  Land-  en  Volkenkunde  van  Nederlandsch-Indie.  5.  Volgreeks 

5.  Deel.  1  Aflever.     S'Gravenhage  1890. 
Flora  Batava.     Aflever  287,  288.     Titel  and  register  van  het  18e  Deel.    Leiden. 
Memoires  de  l'Academie  Inip.  des  sciences  de  St.  Petersbourg.    Serie  VII.  Tome 

XXX Vn  N.  2.     St.  Petersbourg  1889. 
Repertorium    für   Meteorologie,    hrsg.  .von    der   Kais.  Akad.   d.  W.     Band  XII. 

St.  Petersburg  1889. 
Annalen    des   Physikalischen    Central  -  Observatoriums.     Jahrg.  1888.     Theil  1. 

St.  Petersburg  1889. 
U.  S.  geological  Survey : 

Monographies:     a.    Geology  of  Quicksilver    deposits  of  the  pacific  slope,  and 
Atlas,  accompanying  it.     Washington  1888. 

b.  XIV.  Fossil  fisches  and  fossil  plants.     Washington  1888. 

c.  Bulletin  N.  48—53.    Washington  1888—1889. 

Proceedings  of  the  American  pharmaceutical  association  1889.  Vol.  37.  Phila- 
delphia 1889. 

Bulletin  of  the  American  Geographical  society.    Vol.  XXI  N.  4.  1889.    New  York. 

Annual  report  of  the  Curator  of  the  Museum  of  comparative  Zoology  at  Har- 
vard College  1888-89.     Cambridge   ü.  S.  A.  1889. 

Die  fossilen  Pferde  der  Pampasformation.  Nachtrag  beschr.  v.  Dr.  Hermann 
Burmeister.     Buenos  Aires  1889. 

Journal  of  the  College  of  science  Imp.  University  Japan.  Vol.  III.  Part.  III. 
Tokyo  1889. 

Nachträge. 

Report  of  the  scientific  results  of  the  exploring  voyage  of  H.  M.  S.  Challenger 
1873—76.     Physics  and  Chemistry.     Vol.  II.     1889. 

Astronomische  Beobachtungen  an  der  K.  K.  Sternwarte  zu  Prag  in  den  Jahren 
1885,  1886  und  1887.  Enthaltend  Originalzeichnungen  des  Mondes.  Appen- 
dix zum  46.,  47.  und  48.  Jahrgang.     Prag  1890. 

Orvos  Termeszettudomanyi  Ertesitö 

a.  I.  Orvosi  Szak  II— III  füzet. 

b.  II.  Termeszettudomanyi  szak  III  füzet. 

c.  III.  Nepszerii  szak  III  füzet.    Kolozsvart  1889. 

Astronomische  Mittheilungen  von  Dr.  Rud.  Wolf.     N.  74.     October  1889. 
Memorial  des  cinquante  premieres  annees  *de   la  societe    d'histoire  et  d'archeo- 
logie  de  Geneve  1838—1888  par  Ed.  Favre.    Geneve  1889. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Druckfehler. 

Nachrichten    S.  55    ist   I   hinter    Formenlehre    der    französischen 
Sprache   zu  tilgen. 

Inhalt  von  No.  3. 
Dr.  Nernsi,  über  ein  neues  Prinzip  der  Molekulargewichtsbestimmung.  —  Friedrich  Wieseler,  Verbesserungs- 
vorschläge zuEuripides.  —  Leo  Meyer,  etymologische  Mittheilung.  —  Eingegangene  Druckschriften. 

Für  die  Redaction  verantwortlich:  H.  Sauppe,  Secretair  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 

Commissions  -  Verlag  der  Dieterich' sehen  Verlags  -Buchhandlung. 

Druck  der  Dieterich' sehen  Univ.- Buchdruckerei  ( W.  Fr.  Kaestuer). 


Nachrichten 

von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu   Göttingen. 


19.  März.  M  4  1890. 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  1.  März  1890. 

Klein,  Zur  Theorie  der  Lame'schen  Functionen. 

Wüstenfeld   legt  eine  Abhandlung  vor:    >Der  Imäm  el  Schäfi'i,  seine  Schüler 

und  Anhänger  bis  zum  J.  300  d.  H.«     (Erscheint  im  Band  36.) 
deLagarde,    I.  »Das  älteste  Glied  der  masoretischen  Traditionskette«. 

II.  Psalm  114  im  Sidrä  rabbä. 
Hertz,   Ueber  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik  für  ruhende  Körper. 

(Nachträglich  vorgelegt  von  Voigt.) 


Zur  Theorie  der  Lam6schen  Functionen. 

Von 

F.  Klein. 

Eine  Vorlesung  über  Lame'sehe  Functionen,  welche  ich  wäh- 
rend des  nun  zu  Ende  gehenden  Wintersemesters  hielt,  gab  mir 
Gelegenheit,  zu  Auffassungen  und  Fragestellungen  zurückzukeh- 
ren, mit  denen  ich  mich  im  Winter  1880 — 81  beschäftigt  hatte1). 
Ich  zweifelte  von  vornherein  nicht,  daß  es  gelingen  müsse,  auf 
dem  damals  eingeschlagenen  Wege  noch  ein  Stück  weiter  zu  kom- 
men. Ich  hatte  mir  auch  die  Ansicht  gebildet,  daß  eine  richtige, 
von  geometrischen,'  beziehungsweise  physikalischen  Gesichtspunc- 
ten  ausgehende  Theorie  der  Lame'schen  Functionen  für  die  all- 
gemeine Lehre   von   den   linearen  Differentialgleichungen   zweiter 

1)  Vergl.  zwei  Aufsätze  im  18ten  Bande  der  mathematischen  Annalen :  »Ueber 
Lemdsche  Functionen«,    »Ueber  Körper,   welche  von  confocalen  Flächen  zweiten 
Grades  begränzt  sind«. 
Naclirichten  Ton  der  K.  G.  d.  W.  zu  G6ttinjf«n.   1890.  No.  4.  8 


/ 


86  F.  Klein, 

Ordnung  vorbildlich  sein  müsse.  Der  K.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften möchte  ich  nachstehend  einige  Resultate  vorlegen,  welche 
ich  in  der  hiermit  bezeichneten  Eichtung  gefunden  habe. 

"Wir  fragen  zunächst  nach  der  zweckmäßigsten  Definition  der 
zu  einem  w-fach  ausgedehnten  Räume  (Bn)  gehörigen  Lameschen 
Differentialgleichung.  In  dieser  Hinsicht  beginnt  man  herkömm- 
licher Weise  mit  dem  System  der  confocalen  Flächen  zweiten 
Grades 

und  findet  durch  bekannte  Umformungen  der  Potentialgleichung 
die  Lamesche  Gleichung  in  der  Gestalt: 

(2)  -^  =  (AV-*+  BV-°+ N)E, 

wo 

(3)       t  -  /y=»  m  |  fe-ü  •  •  •  •  (*-«.); 

ich  habe  schon  bei  früherer  Gelegenheit  hervorgehoben  (in  dem 
zweiten  der  soeben  citirten  Aufsätze),  daß  es  zweckmäßig  ist,  die 
hier  auftretenden  Constanten  A,  ~B,  .  .  .  N  zunächst  als  unbe- 
schränkt veränderlich  zu  betrachten  und  dadurch  der  gewöhnli- 
chen Begriffsbestimmung  der  Lameschen  Functionen  gegenüber 
eine  Erweiterung  eintreten  zu  lassen1).  Nun  kann  man  aber  den 
durch  (1)  gegebenen  Ausgangspunkt  beanstanden.  In  der  Poten- 
tialtheorie, wo  fortgesetzt  Transformationen  durch  reciproke  Ra- 
dien in  Betracht  zu  ziehen  sind,  ist  das  System  der  confocalen 
Flächen  zweiten  Grades  kein  wirklich  allgemeines  Orthogonalsy- 
stem; als  solches  erscheint  vielmehr  erst  das  von  Darboux  und 
Moutard  im  Jahre  1864  aufgestellte  System  der  confocalen 
Cycliden,    ein  System   von  Flächen   vierter  Ordnung,    das   sich 

bei  Verwendung  überzähliger,  homogener  Coordinaten  (xx xn+2) 

[sogenannter  polysphärischer  Coordinaten]  durch  die  zwei  Glei- 
chungen darstellen  läßt: 

(4)  14  =  0,         1^ -  =  0. 

i  i     A      ex 


1)  Lame*  und  Heine  bestimmen  A,  B,  .  .  .  bekanntlich  so,  daß  eine  Par» 
ticularlösung  von  (2)  algebraisch  wird;  Her  mite  führt  bei  seinen  allgemeineren, 
auf  n  =  3   bezüglichen  Untersuchungen,    für  A  immer  noch  den  besonderen  im 

algebraischen  Falle  eintretenden  Werth  — iü_t_-2-  ein   (wo  n  eine  positive  ganze 
£ahl)  und  läßt  dann  freilich  B  beliebig. 


zur  Theorie  der  Lame'schen  Functionen.  87 

Herr  Wangerin  ist  der  Erste  gewesen,  der  nachwies,  daß  man 
nnter  Zugrundelegung  eines  solchen  Cyclidensystems  in  der  That 
eine  Theorie  ganz  ähnlich  der  Lame'schen  aufbauen  kann1).  Seine 
Rechnungen  beziehen  sich  allerdings  nur  auf  n  =  3 ;  es  ist  aber 
nicht  schwer,  sein  Resultat  auf  beliebiges  n  zu  übertragen;  es 
tritt  dann  an  Stelle  von  (2)  die  folgende  Differentialgleichung : 

wo  t  wiederum  das  Integral  bezeichnet: 

(6)  *=    f~ß=, 

f(X)  aber  die  Function  (w  +  2)ten  Grades  bedeutet: 

(7)  f{X)  =  (i-«,) .  (A-^2). 

Offenbar  kann  man  statt  (5)  auch  schreiben: 

wo  nun  die  a,  •  •  •  n  beliebig.  Es  scheint  fast,  als  habe  man  die- 
sen Gleichungen  (5),  (8)  bisher  nur  wenig  Bedeutung  beigelegt. 
Sicher  kann  man  die  Gleichung  (2)  als  Specialfall  derselben  auf- 
fassen (der  entsteht,  wenn  man  eH+1  und  en+2  unendlich  werden 
läßt),  aber  es  lag  naher,  (5)  oder  (8)  als  besonderen  Fall  derjeni- 
gen Gleichungen  (2)  zu  deuten,  die  dem  Räume  von  (n  +  2)  Dimen- 
sionen entsprechen.  Und  dieser  Fall  schien  kein  besonderes  In- 
teresse darzubieten,  weil  man  die  (w— 1)  bei  ihm  noch  zur  Ver- 
fügung stehenden  Constanten  keineswegs  so  bestimmen  kann,  daß 
ein3  der  zugehörigen  E  algebraisch  wird.  Auch  hat  die  Form 
der  neuen  Differentialgleichung  zunächst  wenig  Ansprechendes. 
Singulare  Puncte  hat  dieselbe,  wie  dies  natürlich  scheint,  bei 
X  =  ev  .  .  .  e1t+2  ;  aber  auch  X  =  oo ,  d.  h.  ein  Werth ,  der  für 
das  Cyclidensystem  (4)  vom  geometrischen  Standpuncte  aus  ohne 
jede  specifische  Bedeutung  ist,  erscheint  als  singulärer  Punct.  Die 
zu  ex  .  .  .  en+2  gehörigen  Exponenten  berechnen  sich  dabei  als  V* 
und  0,  die  zu  oo  gehörigen  als 


1)  Journal  für  Mathematik,  Bd.  82,  1876.    Vergl.  auch  Darboux  in  den 
Comptes  Rendus  der  Pariser  Akademie,  1876,  II. 

8* 


8g  F.  Klein, 

+  1  und  — j 


4      . 4 

Inzwischen  gelingt  es  durch  eine  ganz  unbedeutende  formale  Ab- 
änderung unsere  Gleichung  in  ganz  anderem  Lichte  erscheinen  zu 
lassen.  Die  bei  X  =  oo  auftretenden  Exponenten  leiten  auf  den 
richtigen  Weg.    Man  setze  nämlich,  homogen  machend, 

und  schreibe 

(9)  E(i)  =  V  fffOlwaÜb 

wo  F  jetzt  eine  homogene  Function  (eine  Form)  von  ax,  A2  vom 
Grade 

2  — n 
4 

sein  wird,  die  ich  gleich  als  Lamesche  Form  bezeichnen  will. 
Sei  ferner  jetzt  unter  f  die  Form  (w  +  2)ten  Grades  verstanden: 

(10)  f=*  (A-M2) (K-en+2X2). 

Man  erhält  dann  (nach  kurzer  Umrechnung  mittelst  des  Euler' - 
schen  Theorems)  ein  Resultat,  welches  nur  noch  von  der  Form  f 
als  solcher  abhängig  ist;    man  findet  nämlich: 

(ii)  (f,n  =  v-F, 

wo  (f,F)2  die  zweite  Ueberschiebung  der  Formen  /"und  F 
vorstellt,  (p  aber  eine  durchaus  beliebige  rationale 
ganze  Form  (n  —  2)ten  Grades  ist.  Dieses  Resultat  erscheint 
so  einfach,  daß  man  nicht  umhin  kann,  dasselbe  überhaupt  an  die 
Spitze  der  Theorie  der  Lameschen  Functionen  zu  stellen  und  dem- 
entsprechend Lame'sche  Functionen,  oder  vielmehr  La- 
mesche Formen,    des   Bn  geradezu  als   solche  Formen 

^\ten 

j— )  Grades  von  XXX2  zu  definiren,  welche,  zwei- 
mal über  eine  gegebene  fn+2  geschoben,  sich  selbst  bis 
auf  einen  Factor   <pM_2    reproduciren1).     Die  einzigen  sin- 


( 


1)  Das  gleiche  Mittel  der  Einführung  homogener  Variabler  gebrauchen  be- 
reits in  demselben  Sinne  Pick  und  Halphen  (Berichte  der  Wiener  Akademie, 
von  1887 ;  Traitö  des  fonctions  elliptiques,  Bd.  II,  1888) ;  nur  handelt  es  sich  bei 
ihnen  um  eine  ganz  specielle  Untersuchung,  nämlich  um  eine  geschickte  (nur  in 
diesem  Falle  mögliche)  Transformation  höheren  Grades  der  für  n  =  3  geltenden 


zur  Theorie  der  Lame'schen  Functionen.  89 

gulären  Stellen  der  so  definirten  F  sind,  wie  bereits  angedeutet, 
die  Wurzeln  von  */^t=  0.  Sind  diese  Wurzeln  alle  getrennt  (wie 
wir  bisher  stflllchweigend  voraussetzten),  so  gehören  zu  jeder  ein- 
zelnen derselben  die  soeben  genannten  Exponenten  1/*  und  0,  — 
rücken  aber  irgendwo  zwei  oder  mehrere  derselben  zusammen,  so 
erhält  man  höhere  Exponenten,  bez.  irreguläres  Verhalten.  Der 
gewöhnliche  Fall  der  durch  (2)  definirten  Functionen  entsteht, 
wenn  f  eine  Doppel  würz  el  erhält  (die  man  dann  nach  A  =  oo  wirft). 
Uebrigens  kann  man,  wenn  f  mit  beliebig  vielfachen  Wurzeln  aus- 
statten will  und  sich  vorhält,  von  der  Form  F  der  homogenen 
Variabelen  Ax,  A2  durch  Zufügung  irgend  welcher  Factoren  zu 
Functionen  von  X  zurückzugehen,  sämmtliche  lineare  Diffe- 
rentialgleichungen zweiter  Ordnung  mit  rationalen 
Coefficienten  unter  (11)  rubriciren.  Die  Lame'sche  Differen- 
tialgleichung hat  also  in  der  That  eine  wesentlich  allgemeine  Be- 
deutung. Die  Differentialgleichung  der  hypergeometrischen  Reihe 
z.  B.  entsteht  aus  (11) ,  wenn  man  f  als  eine  Form  sechsten  Gra- 
des einführt,  die  ein  volles  Quadrat  ist.  Noch  ein  weiterer  Ge- 
sichtspunct  spielt  hier  herein.  Wählt  man  f  wieder  als  Form 
sechsten  Grades,    aber  nun  mit   getrennten  Wurzeln,    so   definirt 

(11)  solche  Formen  F  vom  Grade  —  7*  >  welche  auf  dem  hy- 
perelliptischen Gebilde  \jf  durchaus  unverzweigt 
sind.  Man  überzeugt  sich  leicht,  daß  diese  F  unter  allen  For- 
men, die  einer  linearen  Differentialgleichung  zweiter  Ordnung  mit 
rationalen  Coefficienten  genügen,  die  einzigen  sind,  welche  die  ge- 
nannte Eigenschaft  besitzen.  Nicht  so  bei  höherem  Grade  von  f. 
Sei  n  =  2p  gesetzt,  p  aber  :>  2  genommen,  so  werden  die  allge- 
meinsten zum  hyperelliptischen  Gebilde  \f2p+2  gehörigen  unver- 
zweigten F  durch  die  Gleichung  geliefert: 

(12)  (f,F)}  =  fa^  +  trdn-F, 

die  sich  von  (11)  durch  das  Glied  mit  \jf  unterscheidet.  Die  An- 
zahl  der  hier  in   q>  und   ip   zusammen  enthaltenen   willkürlichen 

30  —  1 

Constanten  ist  3  p— 3,  der  Grad  von  F  gleich  — ^-~— -.  Die  Theo- 
rie von  (11)  wird  als  Vorbereitung  der  allgemeinen  Theorie  der 
Gleichungen  (12)  erachtet  werden  können1). 


Differentialgleichung  (2).  Es  ist  wohl  kein  Zweifel,  daß  die  geeignete  Verwen- 
dung homogener  Variabler  in  der  Theorie  der  linearen  Differentialgleichungen 
noch  vielfache  Vereinfachungen  nach  sich  ziehen  wird. 

1)  Sind  Flt  F%  irgend  zwei  Particularlösungen  von  (12),  so  ist  der  Quotient 


.. 


90  F.  Klein, 

Ich  muß  nun  etwas  genauer  auf  die  zweite  der  beiden  zu  An- 
fang genannten  Arbeiten  aus  Band  18  der  mathematischen  Anna- 
len  eingehen  (Ueber  Körper,  welche  von  confocalen  Flächen  zwei- 
ten Grades  begränzt  sind).  Indem  ich  mir ,  für  den  besonderen 
Fall  n  =  3,  unter  Zugrundelegung  der  confocalen  Flächen  zwei- 
ten Grades  (1)  die  geometrische  Bedeutung  der  in  der  Potential- 
theorie auftretenden  Producte  Lamescher  Functionen  klar  machte, 
wurde  ich  dort  für  die  zugehörige  Lamesche  Differentialgleichung : 

(13)  ^-  =  {Äl  +  B)E 

zu  einem  Theorem  geführt,  welches  ich  kurz  als  Oscillations- 
theorem  bezeichnen  möchte,  weil  in  demselben  von  den  Oscil- 
lationen  die  Rede  ist,  welche  geeignete  Particularlösungen  E(l) 
von  (13)  in  gegebenen  Intervallen  der  A-Axe  ausführen.  Ich  be- 
merkte nämlich,  daß  man  die  in  (13)  auftretenden  Constanten  A,  B 
gerade  auf  eine  Weise  so  bestimmen  kann ,  daß  für  zwei 
beliebig  gegebene  Segmente  S,  T  der  A-Axe  (welche  nur  über  kei- 
nen singulären  Punct  hinausgreifen  sollen)  je  eine  Particularlösung 
E(X)  existirt,  welche,  für  ihr  Segment,  die  Bedingungen  befriedigt : 

JE' 
an   den  beiden  Enden  des  Segmentes  gegebene  Werthe   von  -=1 

darzubieten  (wo  E'  =  -=— ) ,   innerhalb  des  Segmentes  aber  eine 

vorgeschriebene  Anzahl  von  Malen  zu  verschwinden.  Die  gewöhn- 
lich allein  betrachteten,  zur  Gleichungsform  (13)  gehörigen  alge- 
braischen E(X)  erhielt  ich  dabei ,  indem  ich  die  Segmente  £,  T 
mit  den  von  ex  bis  e2,   bez.  von   e2  bis  e3  reichenden  Stücken  der 


j?  =  F1:F2  eine  auf  dem  hyperelliptischen  Gebilde  unverzweigte  »Function«, 
welche  bei  jedem  geschlossenen  Umlaufe  über  die  zu  v7/  gehörige  Riemann'sche 

Fläche  hin  sich  in  der  Gestalt  —^~  reproducirt.    Daß  es  auf  jedem  algebrai- 

sehen  Gebilde,  dessen  p  >  1,  oo8y~8  wesentlich  verschiedene  (durch  ihre  Differen- 
tialgleichung unterschiedene)  derartige  »/-Functionen  gibt,  ist  bekannt  (vergl.  z.B. 
meine  »Neuen  Beiträge  zur  Riemann'schen  Functionentheorie«  im  21ten  Bande 
der  math.  Annalen,  1882);  man  hatte  aber  bisher,  so  viel  ich  weiß,  diese  »/  noch 
nicht  in  zwei  Formen  Fx,  Fi  als  Zähler  und  Nenner  derart  gespalten,  daß  jF, 
und  F2  für  sich  genommen  auf  dem  algebraischen  Gebilde  gleichfalls  unverzweigt 
sind.  Dies  gelingt  aber  sofort  allgemein,  wenn  man  diejenigen  Erläuterungen 
heranzieht,  die  ich  über  die  auf  beliebigen  algebraischen  Gebilden  existirenden 
Formen  neuerdings  gegeben  habe  (Zur  Theorie  der  Abel'schen  Functionen,  Math. 
Annalen  Bd.  36).  Der  Grad  der  betr.  Fx ,  Fs  in  den  zum  Gebilde  gehörigen 
Formen  <f>  ist  allemal  gleich  — 1/i,  —  in  Uebereinstimmung  mit  dem,  was  im 
Texte  speciell  für  hyperelliptische  Gebilde  bemerkt  ist. 


zur  Theorie  der  Lamdschen  Functionen.  91 

A-Axe  zusammenfallen  ließ,  und  bei  jedem  einzelnen  ' ei  E  =  0 
oder  auch  E'  =  0  als  Gränzbedingung  vorschrieb.  Hieran  schloß 
sich  der  Nachweis,  daß  man  bei  allgemeiner  Wahl  der  S,  T  Func- 
tionen E  erhält,  mittelst  deren  man  für  einen  beliebigen  von  sechs 
confocalen  Flächen  zweiten  Grades  begränzten  Körper  Reihenent- 
wickelungen aufstellen  kann,  die  für  diesen  das  fundamentale  Po- 
tentialproblem in  derselben  Weise  lösen,  wie  dies  Lamers  eigene 
Reihen  für  das  dreiaxige  Ellipsoid  thun.  Es  ist  leicht,  alle  diese 
Betrachtungen  mutatis  mutandis  an  die  allgemeine  (einem  beliebi- 
gen Werthe  von  n  zugehörige)  Differentialgleichung  (11)  anzu- 
knüpfen: die  (w— 1)  dortselbst  in  <p  enthaltenen  unbestimmten 
Constanten  werden  festgelegt  werden  können,  indem  man  betreffs 
(n — 1)  auf  der  A-Axe  gegebener  Segmente  geeignete  Forderungen 
stellt ;  die  fundamentale  Potentialaufgabe  wird  sich  dann  für  solche 
Raumtheile  des  Bn  behandelen  lassen ,  die  von  2n  confocalen  Cy- 
cliden  begränzt  sind.  Die  solchergestalt  entstehenden  Lösungen 
begreifen  die  große  Mehrzahl  aller  Reihenentwickelungen  (und  In- 
tegraldarstellungen) in  sich,  welche  die  Potentialtheorie  kennt; 
es  wird  so  in  einem  Gebiete,  in  welchem  bislang  viele  Einzelhei- 
ten unvermittelt  neben  einander  standen,  Ueber sieht  und  Ordnung 
eingeführt.  Es  ist  nicht  meine  Absicht,  dies  hier  genauer  durch- 
zuführen ;  es  muß  dies  einer  ausführlichen  Einzeldarstellung  vor- 
behalten bleiben.  Die  folgenden  Bemerkungen  sollen  sich  viel- 
mehr darauf  beziehen,  aus  dem  genannten  Oscillationstheoreme 
Folgerungen  nach  einer  anderen  Seite  zu  ziehen.  Ich  werde  näm- 
lich A  fortan  als  eine  complexe  Variable  betrachten  und  von  der 
conformen  Abbildung  handeln,  welche  der  Quotient  rj  irgend 
zweier  Particularlösungen  F1 ,  F2  einer  durch  das  Oscillationstheo- 
rem  festgelegten  Lameschen  Differentialgleichung  von  der  Halb- 
ebene A  entwirft. 

Sei  f  =  0  der  Einfachheit  halber  mit  durchaus  reellen,  ge- 
trennten Wurzeln  vorausgesetzt.  Der  allgemeine  Charakter  des 
in  der  ^-Ebene  gelegenen  Abbildes  ist  dann  mit  Rücksicht  auf 
die  über  die  singulären  Punkte  ev . . .  en+2  früher  gemachten  Angaben 
durch  ein  bekanntes,  zuerst  von  Hrn.  Schwarz  aufgestelltes 
Theorem  festgelegt.  Es  wird  sich  in  der  ^-Ebene  um  ein  Kreis- 
bogenpolygon handeln,  dessen  Inneres  keinen  Windungspunct 
einschließt,  dessen  sämmtliche  Winkel  rechte  sind,  und  dessen 
(n  +  2)  Seiten  selbstverständlich  den  aufeinanderfolgenden  Stücken 
der  A-Axe  von  ex  bis  e2,  von  e2  bis  e8,  .  .  .  .,  von  en+%  bis  ex  ent- 
sprechen. Ich  will  nun  weiter,  der  Einfachheit  halber,  annehmen, 
daß  die  Segmente   Öf  T}  . . . .,   von  denen  das  Oscillationstheorem 


92  F.  Klein, 

handelt,  je  von  einem  singulären  Puncte  ei  bis  zum  nächstfolgen- 
den ei+1  hinreichen;  daß  ferner  die  Particularlösungen  F,  welche 
den  einzelnen  Segmenten  zugehören  (und  die  also  innerhalb  dieser 
Segmente  je  eine  vorgeschriebene  Anzahl  von  Nullstellen  haben) 
an  den  Enden  des  Segmentes  F  =  0  oder  F'  =  0  befriedigen 
sollen.  Die  Behauptung  ist,  daß  unter  so  bewandten  Umständen 
dieLänge  desjenigen  Kreisbogenstückes  der  ^-Ebene, 
welches  dem  einzelnen  Segmente  ei — e.+1  zugehört,  ge- 
nau angegeben  werden  kann.  Es  genügt  zu  dem  Zwecke, 
neben  dem  zu  unserem  Segmente  gehörigen,  in  diesem  Segmente 
reellen  F  irgend  eine  andere  im  Segmente  reelle  Particularlösung 

F 

(F)   zu  betrachten  und  zunächst  r\  =  ™-  zu  setzen.    Indem  sich 

die  Nullstellen  von  F  und  (F)  innerhalb  des  Segmentes  nothwen- 
dig  wechselseitig  separiren,  ergibt  sich  sofort : 

Satz  1.  Wenn  in  e.  und  ei+1  für  die  zum  Segmente  gehörige 
Particularlösung  übereinstimmend  F  =  0  vorgeschrieben  ist,  so 
überschlägt  sich  der  dem  Segmente  in  der  17-Ebene 
zugehörige  Kreisbogen  genau  (m-f-l)mal  (unter  m  die 
Anzahl  der  Nullstellen  von  F  im  Segmente  verstanden).  Die  Bil- 
der von  ei  und  ei#M  fallen  also  auf  dem  betreffenden  Kreisbogen 
zusammen.  Von  ihnen  aus  biegen  dann  die  weiteren  Kreisbogen, 
die  den  jenseits  e.  und  ei+1  folgenden  Stücken  der  A-Axe  entspre- 
chen ,  rechtwinklig  ab ,  berühren  sich  also  in  ihrer  gemeinsamen 
Einmündungsstelle.  4^jU- 

Etwas  mehr  Muhe  verursacht  die  Erledigung  der  anderen 
Fälle;  ich  führe  dies  nicht  im  Einzelnen  aus,  sondern  gebe  gleich 
die  Resultate.    Man  erhält: 

S  at  z  2.  Ist  in  e.  F  =  0,  dagegen  in  ei+l  _F"=  0  vorgeschrie- 
ben, so  wird  es  sich  in  der  17-Ebene,  sozusagen,  nur  noch  um 
(m  +  V2)malige  Umspannung  eines  Kreises  handeln.  Die 
Bilder  von  et  und  ei+l  werden  nämlich  auf  dem  sie  verbinden  Kreis- 
bogen derartig  getrennt  liegen,  daß  der  in  e.+1  rechtwinklig  abbie- 
gende Kreisbogen  (welcher  dem  jenseits  e.+1  folgenden  Stücke  der 
A-Axe  entspricht)  verlängert  durch  e.  hindurchgeht  (und  dort  dann 
den  anderen,  von  e.  rechtwinklig  abbiegenden  Kreisbogen  berührt). 

Satz  3.  Ist  endlich  sowohl  in  ei  wie  in  e.+1  F'  =  0  gegeben, 
so  wird  unsere  Polygonseite  ihren  Kreis  nur  noch  wenig  mehr 
als  w-fach  umspannen;  die  beiden  weiteren  Polygonseiten, 
welche  in  ei  und  ei+l  rechtwinkelig  abbiegen,  werden  sich  auch 
jetzt  berühren,  aber  in  einem  von  ei  und  ei+1  verschiede- 
nen Puncte    (der  übrigens  selbstverständlich  seinerseits  auch 


zur  Theorie  der  Lameschen  Functionen.  93 

dem  Kreise  angehört,  längst  dessen  sich  die  erste  Polygonseite 
erstreckt). 

Die  Bedeutung  des  Oscillationstheorems  aber  wird  die,  daß 
bei  gegebenem  f,  d.  h.  bei  gegebenen  ^  .  .  .  .  en+a ,  d a s 
zugehörige  Kreisbogenpolygon  der  17 -Ebene  völlig 
bestimmt  ist1),  sobald  ich  von  (n — 1)  seiner  Seiten  ein 
Verhalten  im  Sinne  von  Satz  1,  2  oder  3  vorschreibe. 
Ich  zwenele  nicht,  daß  dieser  Satz  eine  allgemeine  Bedeutung  für 
die  Theorie  der  linearen  Differentialgleichungen  zweiter  Ordnung 
besitzt.  Denn  er  führt  dazu,  wenn  die  singulären  Stellen  einer 
Differentialgleichung  mit  den  zugehörigen  Exponenten  gegeben 
sind,  als  weitere  Bestimmungsstücke  der  Differentialgleichung  all- 
gemein die  Längen  der  in  der  17-Ebene  auftretenden  Polygonsei- 
ten einzuführen. 

Möge  hier  aus  unserem  Satze  nur  eine,  ganz  particuläre  Fol- 
gerung gezogen  werden.  Sei  f  insbesondere  vom  sechsten  Grade ;  wir 
nehmen  die  Verschwindungspuncte  von  f  wieder  getrennt  und  reell, 
und  benennen  sie  nach  ihrer  Aufeinanderfolge  auf  der  A-Axe  mit 
exi  e%i  •  •  •  ee-  Icn  werde  nun  die  drei  Intervalle  von  ex  bis  ea, 
von  e3  bis  e4,  von  e&  bis  e6  in's  Auge  fassen  und  für  jedes  dersel- 
ben ein  Verhalten  im  Sinne  von  Satz  2)  vorschreiben,  indem  ich 
gleichzeitig  die  zugehörigen  m  sämmtlich  gleich  Null  setze.  Mö- 
gen wir  jetzt  r\  insbesondere  so  wählen,  daß  das  Bild  des  von  e% 
bis  ex  reichenden  Stückes  der  A-Axe  in  der  rj-  Ebene  geradlinig 
wird.  Eine  leichte  geometrische  Ueberlegung  zeigt  dann,  daß  in 
Folge  von  2)  und  der  allgemeinen  dadurch  entstehenden  Lagever- 
hältnisse, die  Bilder  der  Intervalle  von  e%  bis  e3  und  von  et  bis  e6 
gleichfalls  geradlinig  werden  und  in  dieselbe  gerade  Linie 
hineinfallen.  Den  Intervallen  et —  e2 ,  e3 —  e4 ,  e5 —  e6  aber 
entsprechen  einfach  von  dieser  geraden  Linie  begränzte 
Halbkreise.  (Das  Polygon  der  17-Ebene  läßt  sich  am  kürzesten 
beschreiben  als  eine  von  einer  Geraden  begränzte  Halbebene,  aus 
welcher  man,  vom  Rande  aus,  drei  halbe  Kreisscheiben  herausge- 
schnitten hat).  Wollen  wir  jetzt  die  ganze  A-Ebene  in  Betracht 
ziehen,  nachdem  wir  dieselbe  längs  der  drei  ^egmente  ex — ev  es — ev 
e6 —  ea  der  reellen  Axe  mit  Einschnitten  versenen  haben  !  Offen- 
bar entspricht  derselben  jetzt  ein  schlichtes,  von  drei  Voll- 
kreisen umgränztes  Stück  der  ^-Ebene.  Wir  erhalten 
hieraus  ein  Bild  der  zur  hyperelliptischen  Irrationalität  \] f  ge- 
hörigen Biemann' sehen  Fläche,    indem   wir  dem  genannten  Stücke 


1)  d.  h.  von  linearen  Transformationen  des  7  abgesehen  völlig  bestimmt  ist. 


94  f.  Klein 


der  17-Ebene  noch  eines  derjenigen  hinzufügen ,  welche  sich  ans 
ihm  durch  Inversion  an  einem  seiner  drei  Begränzungskreise  er- 
geben. Hiermit  aber  ist  für  den  Fall  des  hyperellip- 
tischen Gebildes  \jf  diejenige  conforme  Abbildung 
geleistet,  deren  Möglichkeit  und  Bestimmtheit  ich 
in  Band  19  der  mathematischen  Annalen  (Weihnachten 
1881)  für  beliebige  algebraische  Gebilde  behauptet 
habe1).  Es  war  bis  jetzt  nicht  gelungen,  dieses  letztere  Theo- 
rem auf  andere  Art  als  durch  Continuitätsbetrachtungen  zu  er- 
weisen ,  die  von  der  in  der  17-Ebene  gelegenen  Figur  ihren  Aus- 
gang nehmen :  hier  haben  wir ,  allerdings  nur  für  den  einfachen 
Fall  eines  hyperelliptischen  Gebildes  mit  sechs  reellen  Verzwei- 
gungspuncten,  eine  Construction  des  betr.  rj  vom  gegebenen  alge- 
braischen Gebilde  aus. 

Es  knüpft  sich  hieran  noch  eine  weitere  neue  Bemerkung, 
welche  auf  die  oben  gegebene  Einführung  homogener  Variabler 
zurückgeht.  Bekanntlich  sind  A  und  \J  /"(A)  in  dem  soeben  gefun- 
denen r}  eindeutig;  sie  stellen  solche  eindeutige  Functionen  von 
r}  vor,  welche  sich  bei  unendlich  vielen  linearen  Substitutionen 
von  t\  reproduciren  (ich  möchte  vorschlagen ,  solche  Functionen 
überhaupt  automorphe  Functionen  von  yj  zu  nennen).  Auch 
die  Integrale 

ux  =  fkx  dco  ,        u2  =  fl2  da) , 
wo 

slmv 

werden  eindeutig  in  r\.  Nun  hatten  wir  doch  von  vorneherein 
v\  =  FX\F%  gesetzt,  wo  Fti  F2  Formen  (— V2)ter  Dimension  in 
A, ,  A2  waren.  Man  findet  hieraus  unter  Benutzung  der  Differen- 
tialgleichung (11)  : 

(14)  F2dF  —  FxdF2  =  Tida, 

wo  x  eine  unbestimmt  bleibende  numerische  Constante.     Jetzt  ist 


drj  ■ 

_  F2dF, 

-FtdF2 
Fl 

Wir  erhalten  also : 

(15) 

K  = 

x  2 

dux 

A    -  — 

A2     XT2 

£  2 

(  du, 
dr} 

1)  Ueber  eindeutige  Functionen  mit  linearen  Transformationen  in  sich. 


zur  Theorie  der  Lamdschen  Functionen,  95 

so  daß  sich  Xv  A2  als  eindeutige  Formen  ( — 2)ten  Gra- 
des von  Fx,  F2  darstellen.  Uebrigens  weist  man  leicht  nach 
(oder  schließt  es  aus  (14)),  daß  Fl ,  F2  den  unendlich  vielen  linea- 
ren Substitutionen  von  r\  entsprechend  selber  binäre  lineare  Sub- 
stitutionen von  der  Determinante  1  erleiden.  Bei  diesen  bleiben 
dann  A1?  Az  ungeändert;  ich  schlage  dementsprechend  vor,  die- 
selben als  automorphe  Formen  von  Flt  F2  zu  bezeich- 
nen. 

Auch  'dieses  Resultat  verallgemeinert  sich  auf  beliebige  alge- 
braische Gebilde.  Sei  nämlich  t\  auf  einem  solchen  Gebilde  un- 
verzweigt. Setzt  man  dann  t\  gleich  dem  Quotienten 
zweier  Formen  Fl}  Fai  welche  auf  dem  algebraischen 
Gebilde  selber  unverzweigt  sind  (ver gl.  die  Note  zu  p. 90), 
so  hat  man  immer  Formel  (14).  Dabei  bedeutet  dco  denjeni- 
gen zum  algebraischen  Gebilde  gehörigen  Differentialausdruck,  wel- 
chen ich  im  vorigen  Jahre  in  meiner  ersten  der  Societät  vorgelegten 
Note :  »Zur  Theorie  der  Abelschen  Functionen«  eingeführt  habe  1). 


»Das  älteste  Glied  der  masoretischen  Traditions- 
kette« 

von 
Paul  de  Lagarde. 

Man  weiß  aus  meinen  Mittheilungen  1  91  ff. ,  daß  ich  einiges 
Interesse  für  die  Geschichte  der  iTViDü  habe,  obwohl  ich  nicht 
einmal  ihren  Namen  sicher  auszusprechen  verstehe.  Man  kann 
sich  meine  Freude  denken,  als  ich  im  LCB  vom  25  Januar  1890 
Folgendes  las: 

In  der  alten  masoretischen  [so]  Traditionskette,  zuletzt  mitgetheilt  in  Dik- 
duke  ha-Teamim,  ed.  Baer  und  Strack,  S.  56,  figuriert  als  das  älteste  Glied  der- 
selben ein  ^pDTS.  Wie  viele  Verschlimmbesserungen  dieser  Name  erlitten 
hat,  weil  man  mit  ihm  nichts  anzufangen  wußte,  ersieht  man  aus  den  ver- 
zweifelten [so]  Versuchen,  welche  die  Varianten  bieten.  Wir  treffen  aber  den- 
selben Namen,  allerdings  wiederum  vielfach  entstellt,  in  einer  Erzählung,  die 
in  beiden  Talmuden  und  in  mehreren  Midrasch-Parallelen  mitgetheilt  wird. 
Nur  an  einer  dieser  Stellen ,  in  der  alten  Pesikta  nämlich ,  hrsg.  von  Buber, 
Bl.  90,  erscheint  der  Name  richtig,   wie  bereits  angegeben.    Wir  lernen  den 


1)  Vergl.  auch  den  schon  oben  genannten  Aufsatz  in  Bd.  36  der  mathemati- 
schen Annalen. 


96  Paul  de  Lagarde, 

Träger  desselben  alsSafra  kennen,  d.h.  [so]  als  Gelehrter  [so]  der  Massorah 
[so],  er  lebt  unmittelbar  in  der  Nähe  von  Tiberias,  wo  eben  [so]  der  Sitz  jener 
massoretischen  [so]  Studien  war,  und  er  tritt  dort  gegen  seinen  Zeitgenossen 
Simon  ben  Iochai  auf.  Wir  können  somit  [so]  die  Persönlichkeit  des  ältesten 
Massoreten  [so]  sicher  feststellen.  Aber  auch  den  Namen  selbst  können  wir 
als  einen  bei  den  Römern  [so]  üblichen  nachweisen.  Denn  er  wird  als  Manna- 
chius  auf  einer  Inschrift  (Corp.  Inscr.  Lat.  IX,  1128)  erwähnt;  ist  als  Man- 
nacius  sogar  der  Name  eines  römischen  Juden  [so] ,  auf  einer  Inschrift  in  der 
jüdischen  Katakombe  an  der  Vigna  Kandanini  in  Rom  (Garrucci,  Nuove 
Epitaf.  24). 

Der  in  Eede  stehende  Artikel  des  LCB  ist  mit  »A.  Br.«  un- 
terzeichnet. 

Auf  der  von  Herrn  »Br«  angezogenen  Seite  der  D^SJtar»  ^JWpl 
findet  sich  als  §  69  Folgendes  : 

Das  ist  die  [oder:  eine]  Ueberlieferung ,  welche  TObtf  *Q  Xtftl 
*>D£K  "O  überliefert  hat,  der  [nämlich  ÄDII]  sie  von  »Rabbi« 
rvnrv  dem  Babylonier  empfangen  hat,  der  sie  von  p^lö  sei- 
nem Vater  empfangen  hat :  und  dieser  hat  sie  vom  »Rab« 
tKHi/t  empfangen:  und  »Rab«  8*18  hat  sie  vom  »Rab«  Wir/Oft 
empfangen,  welcher  sie  an  einen  Mann  aus  »$T*m"0«  weiterge- 
geben hat:  und  er  [wer?]  hat  sie  von  ^pift  [das  sind  Punc- 
tatoren :  nach  der  aaO.  unter  dem  Texte  stehenden  Glosse  der 
Herren  Baer  und  Strack  D^lpS]  empfangen,  welche  aus  dem 
Lande  Israels  nach  Babylonien  vertrieben  worden  waren 
[Plural] ,  welchen  [Singular]  Rufus  vertrieben  hatte ,  damit 
nicht  im  Lande  Israel  das  Gesetz  sei.  Und  sie  summierten 
das  Gesetz  und  die  Propheten  und  die  Hagiographen,  die  24 
Bücher,  welche  sie  summierten  ohne  sich  zu  versehen,  zwei 
Myriaden  und  drei  Tausende  und  zweihundert  und  drei,  nicht 
weniger  und  nicht  mehr. 
Wo  ich  nur  damit  geschrieben  habe,  steht  im  Urtexte  8b^  W*3; 
ich  finde  in  mir  zugänglichen  Büchern  keine  Belehrung  über  Ohn  *0. 
Ich  habe  HpiBfc*  für  ö»n°>(  genommen :  auch  dies  mag  unsicher  sein. 
Alles  Andere  steht  fest. 

Und  damit  steht  erstens  fest,  daß  am  angezogenen  Orte  gar 
nicht  von  »der  masoretischen  Traditionskette«  im  Ganzen,  sondern 
nur  (wie  in  §  68,  wo  ein  Generaltitel)  davon  gehandelt  wird,  wie 
viel  »Verse«  im  jüdischen  Canon  vorhanden  sind.  Es  steht  zwei- 
tens fest,  daß  Herr  »Br«  ^psn  gelesen  hat,  wo  ^pitt  gedruckt  ist  : 
die  Herausgeber  haben  die  Vokabel  selbst  punktiert,  und  das 
Wort  ausdrücklich  erklärt.  Herr  »Br«  hat  unmöglich  das  Buch  der 
Herren  Strack  und  Baer  genau  angesehen,  und  wagt  gleichwohl 
zu  »entdecken«,   und  das  Wörterbuch   des  Herrn  Levy,    das  an 


das  älteste  Glied  der  masoretischen  Traditionskette.  97 

wenig  zuverlässiger  Waare  reich  genug  ist,  mit  noch  mehr  unzu- 
verlässiger Waare  zu  »bereichern«. 

Jetzt  zu  Bubers  Pesikta  [welche  1868  zu  Lyck  gedruckt  ist]. 
Herr  Wünsche  dient  den  Juden  sogar  vor  Gericht  als  »Sachver- 
ständiger« :  er  ist  aber  ein  hastiger  Dilettant  schlimmster  Art,  und 
das  wissen  die  Juden  natürlich  selbst  in  mancher  Beziehung  noch 
genauer  als  die  Nicht  Juden.  Ich  rufe  trotz  dieses  Urtheils  hier 
die  Hülfe  des  Herrn  Wünsche  an,  um  nicht  sachverständigen  Le- 
sern das  Urtheil  zu  erleichtern.  Herr  Wünsche  hat  nämlich  die 
von  Buber  herausgegebene  Pesikta  1885  in  das  Deutsche  über- 
setzt. Bubers  Seite  901  lautet  bei  Herrn  Wünsche  wie  folgt 
[113  Zeile  6  von  unten] : 

Ich  gehe  und  werde  mich  an  diesem  alten  Juden  belustigen.  Was  machte 
er?  Er  nahm  einen  Todten  und  verscharrte  ihn  auf  einer  Strasse,  welche 
der  Rabbi  gereinigt  hatte.  Der  Cuthäer  ging  zu  R.  Simeon  ben  Jochai  und 
sprach  zu  ihm:  Hast  du  nicht  die  und  die  Strasse  gereinigt?  Ja  wohl,  ver- 
setzte der  Rabbi.  Wie  denn  aber,  fuhr  der  Cuthäer  fort,  wenn  nach  dir 
noch  ein  Todter  zum  Vorschein  kommt?  Zeige  ihn  mir!  sprach  der  Rabbi. 
R.  Simeon  ben  Jochai  erschaute  aber  im  heiligen  Geiste,  dass  der  Todte  von 
jenem  Manne  dahin  gelegt  worden  war.  Daher  sprach  er :  Ich  verhänge 
über  die  Oberen,  dass  sie  hinabsinken,  und  über  die  Unteren,  dass  sie  her- 
aufkommen. Und  so  geschah  es.  Als  er  fortging,  kam  er  an  dem  Versamm- 
lungshause vorüber  und  hörte  die  Stimme  der  Kinder  der  Schule  von  Magdala. 
Da  sprach  einer  (wahrscheinlich  der  Lehrer  der  Schule) : *)  Siehe,  Bar  Jochai 
Die  Anmerkung  des  Herrn  Wünsche  lautet: 

Nach  Schabb.  fol.  34a  sprach  ein  Alter  diese  Worte   und  er  wurde  zu  einem 
Knochenhaufen. 

Der  Name  ^pyn  steht,  trotz  der  Versicherung  des  Herrn  »Br«  in 
Bubers  Texte  nicht,  und  auch  in  des  Herrn  Wünsche  Uebersetzung 
nicht.  Der  gemeinte  Satz  lautet  tibnyni  »ns>0  ^paw  JTbp  *Wi. 
Bubers  Anmerkung  180  berichtet,  man  lese  auch  (in  den  Parallel- 
stellen) fcnfiül  JTbp  und  «"ISO  iKpan  [mbp] ,  wo  in  itfpD  ein  Eigen- 
name gesehen  werde.  Buber  lehnt  letzteres  anzunehmen  ab :  er 
selbst  erklärt  n&on  in'OB  pi^n  btt  blp  Wätö ,  und  beruft  sich  auf 
eine  Stelle  im  Midrasch  zu  den  Threnis,  welche  er  unartiger 
Weise  nicht  genauer  citiert :  •  vneo  *tb  b*  •  übtriTb  xna  ornfctta  in 
■patT^  ipWfl  WO» ,  was  er  hebräisch  gibt  D"Hbi  K»ai  "i&on  mnb  tfa 
D*WV\  Was  Herr  Wünsche  mit  dem  Suffixe  in  rv*bp  anfangen 
will,  ist  Seine  Sache. 

Also  in  Bubers  Pesikta  erscheint  der  Name  ^pÄJ  nicht,  son- 
dern im  Texte  ^p5*W  der  Kinder,  und  am  Rande  als  eine,  aber 
Verworfene  Variante  ^tfpD  [vgl.  Levy2  3  438  *].  Davon,  daß  es 
sich  in  der  Pesikta  um  einen  »Masoreten«  handele,  ist  nicht  ein 
Schimmer  zu  entdecken. 


98  Paul  de  Lagarde, 

In  des  Herrn  "Wünsche  Uebersetzung  des  Buches  ni"!  tt^töÄIS' 
389  hat  ein  Herr  Fürst  ausführlich  über  die  in  der  PesiqTä  ste- 
hende Sage  gehandelt,  auch  dem  Citate  aus  ^ma^i  ro^tf  eine  Seiten- 
zahl beigefügt.  Den  ausgesucht  albernen  Text  der  fO^  n^tDÄ^l 
mag  man  bei  Herrn  Wünsche  nachlesen :  man  soll  nur  nicht  ver- 
gessen, daß  weniger  als  Herr  Wünsche  gelehrte  Leute  (Wilnaer 
Ausgabe  85p1  12)  8^60  ^8pn  8bp  kaum  »die  Stimme  eines  Schrei- 
bers, Namens  Dankai«  übersetzen  werden,  da  das  mit  dem  Arti- 
kel versehene  8bp,  falls  jener  Schreiber  Dankai  hieße,  ^tfpDYl  nach 
sich  ziehen  müßte:   Symmicta  1  92 20. 

Aber  die  Herren  Baer  und  Strack  verweisen  —  was  Herr  »Br« 
nicht  erwähnt  —  auf  ihrer  von  Herrn  »Br«  angeführten  Seite  56 
auf  ein  zu  vergleichendes  Buch  RKirchheims :  »ein  Commentar  zur 
Chronik  aus  dem  10[ten].  Jahrhundert,  Frankfurt  a.  M.  1874,  S.  56«. 
In  diesem,  nicht  in  den  Diqdüqaß  ha6Öeqomim,  erscheint  ^pSTQ  al- 
lerdings, und  zwar,  neben  dem  ^p3  der  Turiner  Handschrift  56s, 
aus  einem  Yenediger  Drucke  5623,  neben  handschriftlichem  ^pU 
5632  und  ^p3  5636  und  '">p5  57 11  deutlich  als  Eigennamen  da,  wo 
die  Herren  Baer  und  Strack  ohne  Variante  'HJMfc  drucken,  und 
Punctatoren  übersetzt  haben  wollen.  Der  Turiner  Codex  »124« 
wird  der  sein,  welcher  in  dem  1880  erschienenen  Kataloge  des 
Herrn  Bernardino  Peyron  Seite  2  2  A  1.  2.  heißt.  Allerdings  ent- 
hält dieser  »Rasci«-Codex  nach  Peyron  die  Paralipomena  »mutila 
in  fine« ,  während  der  Gelehrte  des  Herrn  Bub  er  aus  124  ein 
Stück  abgeschrieben  hat,  das  nur  das  Ende  sein  kann.  Es  lohnt 
aus  Kirchheims  Buch  iij r  Folgendes  herzusetzen : 

Wenn  auch,  was  diese  Traditionskette  betrifft,  die  individuelle  Existenz  der 
darin  aufgeführten  Namen  nicht  anzuzweifeln  wäre,  so  ist  doch  unzweifelhaft 
diese  überlieferte  Tradition  nur  fictiv  und  hat  nicht  mehr  historischen  Werth 
als  die  sinaitische  und  karäische ;  denn  eine  Wissenschaft  wie  die  Massoreth, 
die  in  Schrift  und  Wort  verbreitet  wurde,  ist  keine  Geheimlehre,  die  nur 
Einzelnen  anvertraut  wäre. 

Da  die  Paralipomena  den  Canon  der  Juden  schließen,  ist  in 
der  Ordnung,  daß  an  ihrem  Ende  die  Schreiber  melden,  wie  viel 
Verse  im  ganzen  Canon  enthalten  sind.  Die  Turiner  Hds.  gibt 
mutatis  mutandis  was  Baer-Strack  als  §  69  drucken,  die  Rostocker 
gibt  es  nicht.  Beide  Hdss.  haben  als  wirklichen  Schluß  ein  Stück, 
daß  ich  in  beiden  Redactionen,  aber  so  drucke,  daß  das  Entspre- 
chende sich  gegenübersteht : 


das  älteste  Glied  der  maso-retischen  Traditionskette.  99 

Turin  Rostock 

mbbD  nsoa  iposroi  i 
D^bnbn  mrop  mnap 

Dam  ia  ipo^riD  nsrnnffi  D*m  in  iporns  mn  nton 

barwi  ^Ȋi  barian  ibarwa  Tanan  Kanaan 

^arca  iöuti  itane  5  ^batn  ptsn  p-ra 

n^bnbn  mamp  mbb 

d^od  mp»  trtioö  mpaa 

ippm 
Tip*  b*  ^rwnb  10  ppv  b?  7mMr6 

rrab»  nirrowai  ■naraai 
b»w  ^nba  'n  d?e 

■p*  pa  omu 

Hier  ist  klar,  daß  sich  T  1  2  E  6  auf  Cant.  5n  bezieht:  ich 
kann  diese  Worte  wie  die  Segensformeln  T  11  12  R  13  für  mei- 
nen Zweck  auf  sich  beruhen  lassen.  Es  ist  mir  wahrscheinlich, 
daß  D^OB  mpil  in  einer  Höhle  von  Götzenbildern  eine  Metropole 
des  christlichen  Cultus  bezeichnet ,  vielleicht  Rom  selbst :  man 
kennt  ja  die  freundlichen  Ausdrücke,  welche  die  Religionsschrif- 
ten der  allezeit  toleranten  Juden  für  die  Christen  haben. 

Die  von  RKirchheim  benutzte  Abschrift  Ts  ist  ihm  von  Herrn 
ABerliner  überlassen  worden,  welcher  dafür  von  der  nicht  in  den 
Buchhandel  gelangten  Arbeit  Kirchheims  25  Exemplare  bezogen 
hat  (Vorrede  viij):  Eines  dieser  25  werde  ich  besitzen,  denn  ich 
habe  das  Buch  irgend  wann  erkauft.  Die  Abschrift  Ts  hat  Herr 
Berliner  nicht  selbst  gemacht  (Vorrede  ij):  sie  ist  kaum  verläßli- 
cher als  das  von  mir  in  den  Mittheilungen  2  290 r  besprochene  Stück 
(wo  fcnta  für  Veoure).  Kirchheim  (Mittheilungen  2  155)  las  ncoi 
fiTH  für  nmirwi;,  mehrfach  )  für  %  ibtttDl  für  ^ann :  in  T  7  suche 
ich  6u%o[ieTQicc  —  tf^ttttiD^ötf.  Das  scheint  sicher,  daß  das  von 
RKirchheim  veröffentlichte  Stück  die  sonst  vielfach  zu  findende 
Liste  der  Verszähler  durch  vier  neue  Namen  vervollständigt.  » Jiream 
aus  [der  Stadt,  oder  aus  der  Familie]  Magdiel«  lebte  nach  Kirch- 
heim v  »in  oder  kurz  nach  der  Zeit  Saadia'sc  Der  in  der  Turi- 
ner Handschrift  erscheinende  **p5  wird  sein  Dasein  vielleicht  nur 
dem  ungelehrten  Freunde  des  Herrn  Berliner  verdanken,  der  vor 
^pStt  ein  ya  ausgelassen  hat.    Freilich  fanden  wir  oben  einen  ^ap3. 

Daß  der  Verse  zählende  wpSü  in  Magdala  gewohnt  hat,  ist 
auffallend :  ob  man  tfb^ttl  »TOD  für  der  Schriftgelehrte  aus  Magdala 
sagen  konnte,  müssen  jüdische  Gelehrte  wissen.  Keines  Falls  spricht 
§  69  der  Diqdüqse  haööeqomim  von  mehr  als  von  Leuten ,  welche 


100  Paul  de  Lagarde, 

die  Verse  der  Bibel  gezählt  haben:  daß  sie  auch  andere  gleich 
nützliche  und  gleich  geisttötende  Künste  getrieben  haben,  ist 
möglich,   wird  aber  nicht  gesagt. 

*Hp3E  —  i-ipD  [so]  ss  ^p5  [so]  ss  ^pSE  können  sehr  wohl  ein  und 
derselben  Name,  und  ^pDE  kann  die  ursprüngliche  Gestalt  dieses 
Namens  sein.  Von  vorne  herein  bezweifele  ich,  daß  ein  auf  *», 
also  auf  konsonantisches  y,  ausgehendes  ^p5E  Mannac[h]ius  sein 
könne :  ich  bezweifele,  daß  das  nn  und  daß  das  erste  a  des  Manna- 
chius  sich  aus  ^piB  erklären  lasse.  ARosenberg,  das  aramäische 
Verbum  im  babylonischen  Talmud  52,  weist  mir  die  passiven 
vebyn  und  'pbä'a  'pöDfc  nach.  Bis  auf  Weiteres  glaube  ich  ^pja, 
wenn  es  überhaupt  richtig  ist,  Menaqqay  sprechen  zu  müssen,  also 
gereinigt:  ■  ^«^  oblatus,  consecratus.  Die  Variante  ^tfpD  spricht 
durch  ihr  X  für  mich. 

Was  nun  das  Citat  anlangt,  welches  Herr  »Br«  aus  Garrucci 
gibt,  so  ist  ein  Buch  dieses  Jesuiten,  das  »Nuove  Epitaf.«  hieße, 
ich  will  nicht  sagen :  mir ,  der  ich  ein  Bibliograph  nicht  bin,  son- 
dern den  Beamten  der  Goettinger  Bibliothek  nicht  bekannt.  Ich 
kannte  nur  (aus  Schuerers  Programm  vom  Jahre  1879)  Garruccis 
dissertazioni  archeologiche ,  welche  Herr  »Br«  auch  in  des  Herrn 
Ascoli  in  den  Schriften  des  zu  Florenz  abgehaltenen  Orientalisten- 
congresses  zu  findendem  Aufsatze  angeführt  finden  wird.  In  die- 
sen dissertazioni  steht  seit  dem  Jahre  1865  »post«  2  166  folgende 
in  der  Vigna  Randanini  gefundene  Inschrift  (siehe  unten): 
Mannacius.  sorori.  Crysidi.  dulcissime.  proselyte. 
Klar  ist,  daß  Chrysis  keine  geborene  Jüdin  war :  und  darum  wird 
auch  wohl  ihr  Bruder  Mannacius  ein  geborener  Jude  nicht  sein. 

Es  würde  sich  empfohlen  haben,  nicht  »epitaf.  24«  zu  citieren, 
sondern  jenes  Buch  Garruccis,  oder  den  Urdruck  der  betreffenden 
Abhandlung  Garruccis  in  der  Civiltä  cattolica  Serie  5  Band  6 
Seite  102  ff.  (vom  Jahre  1863),  wobei  es  sich  verlohnt  hätte  zu 
sagen,  daß  24  nicht  eine  Seite,  sondern  die  Nummer  der  fraglichen 
Inschrift  ist,  unter  den  nuove  epigrafi  ebraiche  di  Vigna  Randa- 
nini  die  vierundzwanzigste. 

Der  neunte  Band  des  Corpus  inscriptionum  latinarum  bietet 
auf  Seite  103  unter  Nummer  1128  aus  Mirabella  eine  vom  ordo 
civitatis  Aeclanensium  (le  Grotte  im  Lande  der  alten  Hirpiner)  an- 
geordnete Inschrift,  welche  anzeigt,  daß  dem  fabricator  Umbonius 
Mannachius  eine  Statue  gesetzt  werden  solle.  Juden  im  Lande 
der  Hirpiner  zu  suchen,  ist  wohl  trotz  der  Allgegenwart  dieser 
Nation  hoffnungslos:  falls  ein  Jude  je  Mannachius  geheißen  hat, 
$o  bleibt  der  Name  immer  unsemitisch,  wie  die  Flavius,  Aurelia, 


das  älteste  Glied  der  masoretischen  Traditionskette.  101 

Iulianus  usw.  der  römischen  Zeit,  die  MsveXuog  =  DWö,  9Ioc6g)v  = 
9W],  'Iötd&Qog  =  pnar;  der  unter  Griechen,  die  Adolf  und  Otto 
==  Drnitf,  Ludwig  und  Levin  =  *ft,  Herman  =  tWT,  Moriz  = 
*Wü  der  unter  Deutschen  angesiedelten  Juden  dadurch,  daß  Juden 
sie  sich  beigelegt  haben,  nicht  jüdische  Namen  werden.  Der 
Schluß  wäre  doch  wohl  unzulässig,  daß,  weil  irgend  welcher  ^b 
sich  im  deutschen  Reiche  Ludwig  schreibt,  der  Name  Ludwig  in 
dem  (xalilaea  der  Tage  Hadrians  gesucht  werden  dürfe. 

Mit  den  Inschriften  der  Vigna  Randanini  hat  sich  vor  Ande- 
ren Herr  Nicolaus  Müller  in  Kiel  beschäftigt.  Ich  habe  mich  an 
diesen  mir  von  Rom  her  bekannten  vortrefflichsten  Kenner  mit 
der  Bitte  um  seine  Ansicht  über  Mannacius  gewendet.  Herr 
NMüller  hat  mich  zunächst  belehrt,  daß  die  Inschrift  (nach  Grar- 
rucci)  auch  von  Engeström  om  Judarne  S.  41  Nummer  43  behan- 
delt werde:  er  hat  mir  Grarruccis  Fehler  proselyti  verbessert,  die 
Punkte,  welche  ich  oben  gedruckt,  ergänzt  (ein  schönes  Blatt  hin- 
ter dulcissime  kann  ich  nicht  nachahmen) ,  und  berichtet ,  die  auf 
einer  weißen,  Ois  hohen,  O49  breiten,  von  unten  nach  oben  gebro- 
chenen Marmortafel  stehende  Inschrift  sei  seit  1885  an  der  Hin- 
terseite eines  Erwachsenen-Loculus  in  der  Katakombe  der  Vigna 
Randanini  befestigt.  Herr  Müller  »möchte  annehmen,  daß  die  That- 
sache  der  Nennung  des  Mannacius  innerhalb  eines  jüdischen  Coe- 
meteriums  die  Vermuthung  nahe  legt,  daß  er  in  einem  gleichen 
oder  ähnlichen  Verhältnisse  zum  Judenthume  stand  wie  seine 
Schwester« ,  also  nicht  von  Geburt  Jude  war  (Brief  vom  16  Fe- 
bruar 1890). 

Bis  auf  Weiteres  wird  der  Hirpinische  Eigenname  in  den 
Stammtafeln  der  Masoreten  eine  Stelle  nicht  finden  dürfen. 


Psalm  114  im  Sidrä  rabbä. 

Herr  Pfarrer  Wilhelm  Brandt  hat  in  seinem  Buche  über  die 
mandäische  Religion  134  ff.  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  ge- 
wisse Stellen  des  zuerst  von  dem  Schweden  MNorberg  als  über 
Adami ,  dann  von  IHPetermann  als  Thesaurus  sive  liber  magnus 
herausgegebenen  Werkes  sich  sehr  nahe  mit  Stellen  unseres  alten 
Testaments  berühren.  Ich  habe  die  Thatsache  erst  durch  Brandts 
Buch  erfahren,  und  weiß  mich  nicht  zu  erinnern,  sie  früher  ir- 
gendwo ,  etwa  bei  Euting  oder  Noeldeke ,  erwähnt  gefunden  zu 
haben.    Selbstverständlich  wird  für  mich  zunächst  nichts  Anderes 

Nachrichten  ron  der  K.  G.  d.  W.  zu  Göttingen.   1890.  No.  4.  9 


102  faul  de  Lagarde, 

möglich  sein,  als  weitere  Kreise  mit  Einem  der  von  Brandt  an- 
geführten Abschnitte  des  Sidra  rabbä  bekannt  zu  machen  :  einige 
Bemerkungen  daran  zu  knüpfen,  scheint  schon  jetzt  erlaubt. 

Ich  setze  den  vermuthlich  den  Lesern  dieser  Blätter  schwer 
zugänglichen  Text  her.  Petermanns  nur  in  hundert  Exemplaren 
abgezogene  Autographie  ruht  auf  dem  A  genannten,  1560  geschrie- 
benen Pariser  Codex  1,  Norbergs  recht  seltener  Druck  auf  dem 
als  B  bezeichneten,    1632/3  vollendeten  Pariser  Codex  2. 

Ich  bediene  mich,  rein  mechanisch  umschreibend,  des  hebräi- 
schen Alphabets.  Ich  setze  Sinnzeilen  ab,  und  interpungiere. 
Brandts  Uebersetzung  füge  ich  bei,  soweit  sie  reicht,  indem  ich 
zwei  Sprachfehler  des  meist  richtig  Deutsch  schreibenden  Hollän- 
ders stillschweigend  beseitige.  Die  Zeilen  21  22  meines  Texts  habe 
ich  selbst  übersetzt. 

Daß  ich  nicht  wie  Norberg  ^D,  sondern  wie  Brandt  1D,  nur 
nicht  mit  gehaktem  1  lese,  merke  ich  nur  an.1) 

Die  Parallelstellen  des  Psalms  114  führe  ich  am  Rande  der 
Uebersetzung  auf. 

Ich  schicke  dem  Texte  eine  Bemerkung  zur  mandäischen  Gram- 
matik vorauf,  welche  sich  an  die  in  meiner  Uebersicht  216  gege- 
bene Anschauung  anknüpft ,  daß  taqattala  =  büpr,rj.  und  aus  ita- 
qattala  verkürzt  ist. 

ThNoeldeke  sucht  in  seiner  mandäischen  Grammatik  222  ff. 
in  Formen  wie  WiStf  fi#  wird  belehrt,  scheidet  aus  ein  Ettafal.  Falls 
Friedrich  Delitzsch,  was  zu  entscheiden  ich  außer  Stande  bin,  be- 
rechtigt ist,  das  assyrische  ittafal  zur  arabischen  Siebenten  zu 
ziehen  (ipparis  flog,  ittapras  flog),  so  dürfte  lE&nsany  auch  Medium 
einer  Siebenten  sein  können. 

Aber  weder  Noeldekes  Erklärung  der  tffi!P  Formen  noch  ein 
etwa  zu  machender  Versuch,  solche  Formen  aus  dem  assyrischen 
Ittafal  zu  deuten,  reicht  für  alle  mandäischen  8T\y  aus,  welche  ja 
füglich  —  ich  behaupte  nicht,  daß  sie  es  sind  —  aus  verschiede- 
nen Urformen  zusammengefallen  sein  können,  fifiwntfrtf  in  mei- 
ner Zeile  23  ist  \p\*ju>tj*,  und  gewis  ist  wJUl>(*  und  ~jlJL*  an 
^kjuul!*    (=  jetzigem  spk^jLuJU)  durchaus  unschuldig. 

Wie  wäre  es,  wenn  man  Xtiy  wenigstens  in  einzelnen  Fällen 
als  jenes  von  mir  vermuthete  ita  ansähe?  Man  dürfte  tte  in 
Jfcc^jUJ  (bei  mir  10  fiarPTSn^)    doch  wohl  wie  die  von  mir  in  der 


1)  Da  HZotenberg  im  Catalogue  §  5  versichert,  es  erhelle  aus  dem  von  ihm 
beschriebenen  Codex,  daß  die  beiden  1  nur  graphisch  verschieden  seien,  bezeichne 
ich  das  Relativum  nicht  ausdrücklich,  etwa  durch  einen  RapheStrich. 


Psalm  114  im  Sidrä  rabbä.  103 

Uebersicht  11 8  ff.  behandelten  Bildungen  auffassen.  Mein  aus  Pe- 
dro de  Alcala  geschöpftes  Material  ist  reich ,  meine  Lesung  man- 
däischer  Texte  noch  nicht  ausgedehnt.  Vielleicht  äußert  sich 
Noeldeke  einmal  über  die  Frage. 

Meines  Erachtens  wäre  der  Beweis  so  zu  führen,  daß  man 
alle  die  Fälle  sammelte,  in  denen  eine  arabische  Fünfte  einem  he- 
bräischen Hrrpaqqel,  einem  syrischen  ^^äU  und  einem  mandäi- 
schen  — JÄfi^  entspricht,  ohne  daß  Letzterem  ein  Afqel  oder  Tafqel 
passender  Bedeutung  zur  Seite  stünde.  Es  ist  überhaupt  längst 
Zeit,  ein  vergleichendes  Wörterbuch  der  semitischen  Sprachen  vor- 
zulegen. 

Norberg  320  J***t1  K1W  »W  |  XFl 

^rrwabv  xun^iüü  naana  anabw 

:  sn»p*a  a^Dtf  na  Da  -d  «bb^a  ü  «manan 

.  »nmatFin  arcawi  prrow*  ^nna  s  armte 

:  **\a*rroa  itf  ab^ba  awKi 

.  r«tPTKWi  na na<T  lanKTrn  »pn»  t  o 

\  roHBÄi  w*tn  •ja'ab  ..  mapr* 

\nrt^H  "ö  IwiptfTi  jinwn  pzb  ..  »■nitt 

\flwwöf»  •prvwuw»  {wab  ..  n»ma  anabw  1 5 

\*nap*a  ■pn^bBÄta  i«Bb  ..  k^*»*  nasa  na  «n»ü»n»i 

\  a  nmaimna  "pa^Eiö  pr™nas  ^  12b  ..  a  itit: 

•..•pmaan*  ]*rob  ..  ^ab^ba  a^n« 

A  =  Petermann  175  ?%tWWtfrT  nr*!p  |  )$)£>  ..  tfpna 

\rpw»ri  rwn  i«ttb  ..  wa«1»  v^n  20 
•..TirnKTnan*  )$xb  ..  Ktta^  &wod"\ 

»^m  fcnDtfEI  tfVWl  *W  DSTip  "pa 

:*o-nnab  ■p^n^aban  »Dpim  iw  24 

1  Geoffenbart  ist  das  Leben  der  [Dativus]  Tibil, 

aufgegangen  Grlanz  und  Licht  und  Leben. 

Das  Meer,  als  es  ihn  sähe,  kehrte  um,  3l 

und  der  Jordan  wandte  sich  rückwärts:  32 

5  die  Berge  sprangen  wie  Hirsche,  41 

und  die  Hinden  auf  dem  Felde  verderbten  ihre  Jungen. 

Und  die  Hügel  redeten  mit  Ehre  wie  die  Wolkensöhne.         4* 

9* 


104  Paul  de  Lagarde, 

Die  Berge  Öffneten  ihren  Mund  und  gaben  Lobpreis, 

und  die  Cedern  auf  dem  Libanon  wurden  gebrochen. 
10  Die  Erde,  als  sie  mich  sähe,  zitterte  und  ward  erschüttert. 

Der  König  des  Meeres,  als  er  mich  sähe,  kehrte  um.  51 

Meer,  wen  sähest  du,  und  kehrtest  um? 

Jordan,  wen  sähest  du,  und  wandtest  dich  rückwärts?  52 

Berge,  wen  sähet  ihr,  und  spränget  wie  Hirsche?  61 

15  und  [ihr]  Hinden  auf  dem  Felde,  warum  verderbtet  ihr  eure  Jungen  ? 

Hügel,  für  wen  redetet  ihr  wie  die  Wolkensöhne  mit  Ehre  ?    62 

Berge,  für  wen  öffnetet  ihr  euern  Mund  mit  Lobpreis? 

Cedern  auf  dem  Libanon,  für  wen  wurdet  ihr  gebrochen? 

Erde,  wen  sähest  du,  und  wurdest  erschüttert? 
20  König  des  Meeres,  wen  sähest  du,  und  kehrtest  um? 

und  [ihr]  Tiefen  des  Meeres,  warum  geriethet  ihr  in  Verwirrung  ? 

und  [ihr]  Wogen  des  Meeres,  wem  wurdet  ihr  sichtbar? 

Vor  dem  Grlanz  und  Licht  und   dem  Wissen  des  Lebens 
24  und  dem  Grlanze  und  der  Vollkommenheit,  mit  der  ich  die  Er- 
wählten bekleidet  habe. 

Petermann  1  174n,  Norberg  1  318  Ende,  Brandt  134.  Die 
von  Petermann  gesammelten  Varianten  2  66  ff.  sind  stillschwei- 
gend benutzt. 

WBrandt  hat  richtig  gesehen,  daß  die  Wolkensöhne  der  Zeile  7 
dem  Misverstehn  eines  ^j  wJä  =  yk%  ^1  in  ^i^>f  ^iä  ihr  Da- 
sein verdanken.  Er  hat  nicht  gesehen,  oder  auszusprechen  nicht 
der  Mühe  werth  erachtet,  daß  der  König  des  Meeres  der  Zeile  11 
dadurch  entstanden  ist,  daß  Sjb  «TD  unseres  Canons  in  -fbtt  zusam- 
men gelesen  worden  ist.  EBöhl  hat  1873  von  einer  aramäischen  Volks- 
bibel geschrieben.  lob  8Q[ir}veveTcu  ix  rijg  övQtaKrjg  ßCßlov  (Nach- 
wort) :  andere  Bücher  sind  nach  Ausweis  der  von  ihnen  gebrauch- 
ten Vokabeln  (wie  ftadccfta)  ebenfalls  aus  einem  aramäischen  Ori- 
ginale geflossen.  Ein  Targum  hohen  Alters  hat  sogar  für  den 
Pentateuch  ©s  (Mittheilungen  2  361  ff.)  'Ewa  =  ^pr\  geliefert. 
Nichts  hindert  anzunehmen,  daß  die  Mandäer  einen  alten  Targum 
des  Psalms  114  benutzt  haben,   der  uns  verloren  ist. 

Brandt  hat  auch  nicht  erkannt,  daß  was  die  Mandäer  entlehnt 
haben,  eine  ursprünglichere,  vollständigere,  aber  überladene  Gestalt 
unseres  Psalms  114  ist,  den  man  erst  später  auf  den  wunderbaren 
Durchzug  durch  das  rothe  Meer  gedeutet  haben  mag,  und  der  so- 
gar im  Canon  eine  für  eine  Pasch  aLiturgie  unpassende  Stelle  ent- 
hält, die  vom  Jordan,  welche  jetzt  auf  Iosue  3  bezogen  wird.  Es 
wäre  recht  nützlich,   wenn  man  einsähe,    daß  der  Satz   »il  prend 


Psalm  114  im  Sidrä  rabbä.  105 

son  bien  partout  oü  il  le  trouve«  auch  von  den  Liturgikern  gilt. 
Daraus ,  daß  Psalm  114  ein  Theil  des  PaschaBituals  ist ,  folgt 
noch  lange  nicht,  daß  er  von  Hause  aus  geschrieben  worden  ist, 
um  ein  Theil  eines  solchen  Rituals  zu  sein.  Psalm  55  (=  vd) 
mag  auf  Abessalom,  auf  Achithophel,  auf  Doeg,  auf  die  Feinde 
des  Ieremias ,  auf  Alcimus ,  auf  Seleucus  den  Vierten  gedichtet 
sein  —  die  Kirche  Aegyptens  hat  auf  alle  Fälle  das  Recht,  seine 
Verse  5  bis  9  (meine  von  keinem  Liturgiker  je  auch  nur  beroche- 
nen  Orientalia  1  46)  über  den  Toten  zu  lesen: 

Das  Herz  bebt  mir  im  Leibe: 

Todesgrauen  überfiel  mich: 

Zagen  und  Zittern  *)  kam  über  mich : 

mich  übermochte  Schwindel. 

Da  sprach  ich:  Hätt'  ich  doch  Flügel,  Taubenflügel, 

wie  wollt'  ich  mir  eine  Heimstatt  erfliegen!2) 

gerne3)  weit  hin  dehnend  das  Streifen, 

auf  der  Heide  Bast  suchen ! 

wie  wollt'  ich  eilends  mir  einen  SchlupfOrt  finden 

vor  wüthendem4)  Winde,  vor  Wetter! 

Was  die  Christen  Aegyptens  mit  dem  Psalm  55  gethan  haben, 
durften  auch  die  Männer  der  Synagoge  mit  irgendwelchem  Liede 
ihrer  eigenen  Vorzeit  thun. 

Mit  Cedern  und  mit  dem  Libanon  haben  die  Mandäer  nichts 
zu  schaffen  gehabt.  Cedern  zu  nennen  war  in  Süq  esslük  so  un- 
passend, wie  der  berühmte  Satz  »wenn  ich  durch  ein  Dorf  reite« 
im  Munde  Laskers  unpassend  war.  Der  Jordan ,  von  dem  der 
Psalm  spricht,  ist  ein  ganz  anderer  als  der  so  oft  von  den  Man- 
däer n  erwähnte. 

Der  Ueberschuß  der  Mandäer  trägt  hebräisches  Gepräge.  In 
Zeile  6  ist  bart  misverstanden ,  das  adCvsiv  und  xatccy&eiQStv  be- 
deutete :  zum  mandäischen  Worte  vergleiche  ^-u*  und  »JLgu**«, 
das  beides  zur  Wurzel  tfEH  gehört.  Aber  der  Ueberschuß  ent- 
hält außer  dem  echten  Texte  auch  die  Deutungen  eines  Targum: 
ich  habe  zwei  Bände  Targum  herausgegeben,  und  scheide  (wie 
ich  meine,  sicher)  die  Einlagen  aus.  Zum  Beispiel  lautete  Zeile  10 
vermuthlich  bhrn5)  y^txn  ^n&n  (vergleiche  Psalm  114 e),  und  k*»jU{o 
ist  Glosse  des  Targum.     Allerdings  wird,   wer   den  Urtext  her- 


1)  Lies  TOT  n^n,  Prophetae  chaldaice  48. 

2)  üebersicht  209—214. 

3)  =  HDH. 

4)  J^od  d7rrjX&ev  £<p<o8euaev  ^rr/jp^aaev. 

5)  Ieremias  51 M  gegen  Psalm  97  4. 


106  H.  Hertz, 

stellen  will,  um  das  Versmaß  richtig  zu  erhalten,  die  Annahme 
nicht  scheuen  dürfen,  daß  hier  und  da  Ein  Wort  oder  zwei  Worte 
uns  fehlen. 

Daß  Psalm  114  3  H*n  in  *in*n  zu  ändern  ist,  scheint  mir  gewis. 
Man  hatte  sich  mit  ruyi  begnügt ,  um  nicht  zwei  1  nebeneinander 
zu  haben:  denn  ÜS^\  folgt. 


Ueber  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik 
für  ruhende  Körper. 

Von 

H.  Hertz, 

Das  System  von  Begriffen  und  Formeln,  durch  welches  Max- 
well die  elektromagnetischen  Erscheinungen  darstellte ,  ist  in 
seiner  möglichen  Entwicklung  reicher  und  umfassender  als  ein 
anderes  der  zu  gleichem  Zwecke  ersonnenen  Systeme.  Es  ist  ge- 
wiß wünschenswerth ,  daß  ein  der  Sache  nach  so  vollkommenes 
System  auch  der  Form  nach  möglichst  ausgebildet  werde.  Der 
Aufbau  des  Systems  sollte  durchsichtig  seine  logischen  Grundlagen 
erkennen  lassen;  alle  unwesentlichen  Begriffe  sollten  aus  dem- 
selben entfernt  und  die  Beziehungen  der  wesentlichen  Begriffe 
auf  ihre  einfachste  Gestalt  zurückgeführt  sein.  Die  eigene  Dar- 
stellung Maxwells  bezeichnet  in  dieser  Hinsicht  nicht  das  er- 
reichbare Ziel,  sie  schwankt  häufig  hin  und  her  zwischen  den  An- 
schauungen, welche  Maxwell  vorfand,  und  denen,  zu  welchen  er 
gelangte.  Maxwell  geht  aus  von  der  Annahme  unvermittelter 
Fernkräfte ,  er  untersucht  die  Gesetze ,  nach  welchen  sich  unter 
dem  Einfluß  solcher  Fernkräfte  die  hypothetischen  Polarisationen 
des  dielektrischen  Aethers  verändern  und  er  endet  mit  der  Behaup- 
tung ,  daß  diese  Polarisationen  sich  wirklich  so  verändern ,  ohne 
daß  in  Wahrheit  Fernkräfte  die  Ursachen  derselben  seien *).  Dieser 
Gang  hinterläßt  das  unbefriedigende  Gefühl,  als  müsse  entweder 
das  schließliche  Ergebniß ,  oder  der  Weg  unrichtig  sein ,  auf  wel- 
chem es  gewonnen  wurde.  Auch  läßt  dieser  Gang  in  den  Formeln 
eine  Anzahl  überflüssiger,    gewissermaßen   rudimentärer   Begriffe 


1)  Die  gleiche  Bemerkung  trifft  die  durch  v.  Helmholtz  im  72.  Bande  des 
Cr  eil  eschen  Journals  gegebene  Ableitung,  nicht  zwar  allgemein,  aber  doch  für 
diejenigen  besonderen  Werthe  der  Constanten,  welche  in  den  Endresultaten  die 
Fernkräfte  verschwinden  lassen,  welche  also  auf  die  hier  vertretene  Theorie  führen. 


Über  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik  für  ruheude  Körper.    107 

zurück,  welche  ihre  eigentliche  Bedeutung  nur  in  der  alten  Theorie 
der  unvermittelten  Fernwirkung  besaßen.  Als  solche  rudimentäre 
Begriffe  physikalischer  Natur  nenne  ich  die  dielektrische  Ver- 
schiebung im  freien  Aether,  unterschieden  von  der  erzeugenden 
elektrischen  Kraft  und  das  Verhältniß  beider  ,  die  Dielektricitäts- 
constante  des  Aethers.  Diese  Unterscheidungen  haben  Sinn,  wenn 
wir  aus  einem  Raum  den  Aether  entfernen ,  die  Kraft  aber  in 
demselben  bestehen  lassen  können.  Nach  der  Anschauung,  von 
welcher  Maxwell  ausging  war  dies  denkbar,  es  ist  nicht  denkbar 
nach  der  Anschauung ,  zu  welcher  seine  Arbeiten  uns  geführt 
haben.  Als  eine  rudimentäre  Erscheinung  mathematischer  Natur 
nenne  ich  das  Vorherrschen  des  Vectorpotentiales  in  den  Grund- 
gleichungen. Bei  dem  Aufbau  der  neuen  Theorien  dienten  die 
Potentiale  als  Gerüst ,  indem  durch  ihre  Einführung  die  unstätig 
an  einzelnen  Punkten  auftretenden  Fernkräfte  ersetzt  wurden  durch 
Größen,  welche  in  jedem  Punkte  des  Raumes  nur  durch  die  Zu- 
stände der  benachbarten  Punkte  bedingt  sind.  Nachdem  wir  aber 
gelernt  haben ,  die  Kräfte  selber  als  Größen  der  letzteren  Art 
anzusehen,  hat  ihr  Ersatz  durch  Potentiale  nur  dann  einen  Zweck, 
wenn  damit  ein  mathematischer  Vortheil  erreicht  wird.  Und  ein 
solcher  scheint  mir  mit  der  Einführung  des  Vektorpotentiales  in 
die  Grundgleichungen  nicht  verbunden,  in  welcher  man  ohnehin 
erwarten  darf,  Beziehungen  zwischen  Größen  der  physikalischen 
Beobachtung,  nicht  zwischen  Rechnungsgrößen  zu  finden. 

Die  erwähnten  Unvollkommenheiten  der  Form  erschweren  auch 
die  Anwendung  der  Maxwell  sehen  Theorie  auf  besondre  Fälle. 
Aus  Anlaß  solcher  Anwendungen  habe  ich  mich  seit  längerer  Zeit 
bemüht,  die  Maxwell  sehen  Formeln  zu  sichten  und  versucht,  die 
wesentliche  Meinung  derselben  von  der  zufälligen  Form,  in  welcher 
sie  zuerst  auftraten,  abzulösen.  Das  Folgende  ist  die  geordnete 
Zusammenstellung  meiner  Ergebnisse.  In  gleicher  Richtung  hat 
bereits  seit  1885  Herr  Oliver  Heaviside  gearbeitet.  Die  Be- 
griffe, welche  er  aus  den  Maxwell  sehen  Gleichungen  fortschafft, 
sind  dieselben,  welche  auch  ich  fortschaffe;  die  einfachste  Form, 
welche  diese  Gleichungen  dadurch  annehmen1),  ist,  von  Neben- 
dingen abgesehen,  die  gleiche  zu  welcher  auch  ich  gelange.  In 
dieser  Hinsicht  also  gehört  Herrn  Heaviside  die  Priorität.  Trotz- 
dem wird  man,  hoffe  ich,  die  folgende  Darstellung  nicht  für  über- 


1)  Diese  Gleichungen  findet  man  im  Philosophical  Magazine ,  Februar  1888. 
Daselbst  wird  auf  frühere  Arbeiten  im  Electrician,  1885  Bezug  genommen,  welche 
Quelle  mir  unzugänglich  gewesen  ist. 


108  H.Hertz, 

flüssig  halten.  Eine  endgültige  Darstellung  beansprucht  dieselbe 
nicht  zu  sein ,  sondern  nur  eine  solche ,  von  welcher  sich  leichter 
weitere  Verbesserungen  anknüpfen  lassen,  als  an  die  bisher  gege- 
benen Darstellungen. 

Ich  theile  den  Stoff  in  zwei  Theile.  In  dem  ersten  Theile  A 
gebe  ich  die  Grundbegriffe  und  die  sie  verknüpfenden  Formeln. 
Es  werden  den  Formeln  Erläuterungen  hinzugefügt  werden ,  aber 
diese  Erläuterungen  sollen  nicht  Beweise  der  Formeln  sein.  Die 
Aussagen  werden  vielmehr  als  Erfahrungsthatsachen  gegeben, 
und  die  Erfahrung  soll  als  ihr  Beweis  gelten.  Allerdings  läßt 
sich  einstweilen  nicht  jede  einzelne  Formel  besonders  durch  die 
Erfahrung  prüfen,  sondern  nur  das  System  als  Ganzes.  Mit  dem 
Gleichungssystem  der  gewöhnlichen  Mechanik  liegt  ja  die  Sache 
kaum  anders.  In  dem  zweiten  Theile  B  gebe  ich  an,  in  welcher 
Weise  die  Thatsachen  der  unmittelbaren  Wahrnehmung  systema- 
tisch aus  den  Formeln  abgeleitet  werden  können,  durch  welche 
Erfahrungen  sich  also  die  Richtigkeit  des  Systems  erweist.  Aus- 
führlich behandelt  würde  dieser  Theil  einen  sehr  großen  Umfang 
annehmen,  es  kann  sich  hier  daher  nur  um  Andeutungen  handeln. 


A.    Die  Grundbegriffe  und  ihr  Zusammenhang. 

1.    Elektrische  und  magnetische  Kraft. 

Das  Innere  aller  Körper ,  den  freien  Aether  eingeschlossen, 
kann  von  der  indifferenten  Ruhe  aus  Störungen  erfahren,  welche 
wir  als  elektrische,  und  andere  Störungen,  welche  wir  als  magne- 
tische bezeichnen.  Das  Wesen  dieser  Zustandsänderungen  kennen 
wir  nicht,  sondern  nur  die  Erscheinungen  welche  ihr  Vorhanden- 
sein hervorruft.  Diese  letzteren  sehen  wir  als  bekannt  an,  mit 
ihrer  Hülfe  bestimmen  wir  die  geometrischen  Verhältnisse  der 
Zustandsänderungen  selbst.  Die  Störungen  der  elektrischen  und 
der  magnetischen  Art  sind  so  mit  einander  verknüpft,  daß  Stö- 
rungen der  einen  Art  unabhängig  von  denen  der  andern  dauernd 
zu  bestehen  vermögen ,  daß  dagegen  Störungen  keiner  der  beiden 
Arten  zeitliche  Schwankungen  erleiden  können,  ohne  dadurch  zu- 
gleich Störungen  der  anderen  Art  hervorzurufen.  Die  Erzeugung 
des  geänderten  Zustandes  erfordert  den  Aufwand  von  Energie; 
diese  Energie  wird  beim  Verschwinden  der  Störung  wiederersetzt  ; 
das  Vorhandensein  der  Störung  stellt  also  einen  Vorrath  von 
Energie  dar.  In  einem  und  demselben  Punkte  können  sich  die 
Zustandsänderungen  einer  jeden  Art  unterscheiden  nach  Richtung, 


über  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik  für  ruhende  Körper.    109 

Sinn  und  Größe.  Es  ist  also  zur  Bestimmung  sowohl  des  elek- 
trischen als  des  magnetischen  Zustandes  die  Angabe  einer  gerich- 
teten Größe  oder  der  drei  Componenten  einer  solchen  noth wendig. 
Es  ist  aber  eine  erste  wichtige  Voraussetzung  unserer  gegen- 
wärtigen Theorie,  daß  die  Angabe  einer  einzigen  Richtungsgröße 
auch  hinreichend  sei ,  um  die  betreifende  Aenderung  vollständig 
zu  bestimmen.  Gewisse  Erscheinungen,  z.  B.  die  des  permanenten 
Magnetismus,  der  Dispersion  u.  s.  w.  lassen  sich  von  diesem  Stand- 
punkte aus  nicht  verstehen,  sondern  erfordern,  daß  die  elektrischen 
bezw.  magnetischen  Zustände  eines  jeden  Punktes  durch  mehr  als 
eine  Variabele  dargestellt  werden.  Solche  Erscheinungen  treten 
dadurch  selbst  aus  dem  Rahmen  unserer  Betrachtung  in  ihrem 
gegenwärtigen  Umfange  heraus. 

Diejenige  Richtungsgröße ,  durch  welche  wir  zunächst  den 
elektrischen  Zustand  bestimmen,  nennen  wir  die  elektrische  Kraft. 
Die  Erscheinung  durch  welche  wir  sie  definiren,  ist  die  mechanische 
Kraft ,  welche  ein  bestimmter  elektrisirter  Körper  im  elektrisch 
gestörten  leeren  Räume  erfährt.  Für  den  leeren  Raum  selbst 
wollen  wir  nämlich  die  Componente  der  elektrischen  Kraft  in 
beliebiger  Richtung  proportional  setzen  der  gleichgerichteten  Com- 
ponente jener  mechanischen  Kraft.  Unter  elektrischer  Kraft  in 
einem  Punkte  eines  ponderabelen  Körpers  verstehen  wir  die  elek- 
trische Kraft,  welche  an  dem  betreffenden  Punkte  im  Innern  eines 
unendlich  kleinen,  unendlich  gestreckten  cylindrischen  Hohlraumes 
sich  findet ,  den  wir  in  solcher  Richtung  in  den  Körper  gebohrt 
haben,  daß  seine  Richtung  mit  derjenigen  der  Kraft  übereinstimmt, 
—  eine  Anforderung,  welcher  erfahrungsmäßig  stets  genügt  werden 
kann.  In  welcher  Beziehung  auch  immer  die  so  gemessene  Kraft 
zu  der  wirklichen  Zustandsänderung  des  Körpers  steht,  sicherlich 
muß  sie  dieselbe  gemäß  unserer  Voraussetzung  eindeutig  bestim- 
men. Setzen  wir  überall  an  Stelle  des  Wortes  „ elektrisch u  das 
Wort  „magnetisch"  und  an  Stelle  des  elektrisirten  HülfskÖrpers 
den  Pol  einer  Magnetnadel ,  so  erhalten  wir  die  Definition  der 
magnetischen  Kraft.  Um  den  Sinn  beider  Kräfte  in  der  conven- 
tionellen  Weise  festzulegen,  bestimmen  wir  noch,  daß  der  elektri- 
sirte  Hülfskörper  mit  Glaselektricität  geladen  und  daß  derjenige 
Pol  der  Magnetnadel  benutzt  werde,  welcher  nach  Norden  weist. 
Die  Einheiten  der  Kräfte  sind  noch  vorbehalten.  Die  Componenten 
der  elektrischen  Kraft  in  Richtung  der  x,  y,  z  bezeichnen  wir  mit 
X,  Y,  Z,  die  gleichgerichteten  Componenten  der  magnetischen  Kraft 
mit  L,  M,  N. 


110  H.  Hertz, 

2.     Die  Energie  des  Feldes. 

Der  elektrische  Energievorrath  eines  Köpervolums,  in  welchem 
die  elektrische  Kraft  einen  constanten  Werth  hat,  ist  eine  homo- 
gene, quadratische  Funktion  der  drei  elektrischen  Kraftcomponen- 
ten.  Die  entsprechende  Aussage  gilt  für  den  Yorrath  an  magne- 
tischer Energie.  Den  gesammten  Energievorrath  bezeichnen  wir 
als  den  elektromagnetischen ,  er  ist  die  Summe  des  elektrischen 
und  des  magnetischen. 

Für  einen  isotropen  Körper  ist  hiernach  die  Energiemenge 
jeder  Art,  berechnet  auf  die  Volumeinheit  gleich  dem  Produkt  aus 
dem  Quadrat  der  betreffenden  Gesammtkraft  und  einer  Constanten. 
Die  Größe  der  letzteren  kann  verschieden  sein  für  die  elektrische 
und  die  magnetische  Energie  ,  sie  hängt  ab  von  dem  Stoffe  des 
Körpers  und  von  der  Wahl  der  Einheiten  für  die  Energie  und 
für  die  Kräfte.  Die  Energie  wollen  wir  in  absolutem  Gauss  ischen 
Maaße  messen  und  die  Einheiten  der  Kräfte  nunmehr  festsetzen 
durch  die  Bestimmung,  daß  im  freien  Aether  der  Werth  der  Con- 
stanten gleich  -£—  werden  soll,  daß  also  sein  soll  die  Energie  der 

OTC 

Volumeinheit  des  gestörten  Aethers  gleich 

~  (X2  +  F2  +  Z2)  +  -i-  (L2  +  W  +  N*). 

Messen  wir  die  Kräfte  in  dieser  Weise  ,  so  sagen  wir ,  daß 
wir  sie  in  absolutem  Gaussischen  Maaße  messen1).  Die  Dimen- 
sion der  elektrischen  Kraft  wird  dieselbe  wie  die  der  magnetischen, 
beide  werden  von  solcher  Art ,  daß  ihr  Quadrat  die  Dimension 
einer  Energie  in  der  Volumeneinheit  hat,  sie  werden  also  in  der 
üblichen  Beziehungsweise  gleich  M »  L~*  T~l. 

Für  jeden  isotropen  ponderabelen  Körper  können  wir  nun 
nach  dem  Bisherigen  setzen  die  Energie  der  Volumeinheit  gleich 

Die  neu  eingeführten  Constanten  e  und  p  sind  nothwendig 
positive  reine  Zahlen.  Wir  nennen  s  die  Dielektricitätsconstante, 
li  die  Magnetisirungsconstante  des  Stoffes.  Offenbar  sind  s  und 
fi  Verhältnißzahlen ,  durch  welche  wir  die  Energie  eines  Stoffes 
vergleichen  mit  der  Energie  eines  anderen  Stoffes.  Aus  der  Natur 
eines  Stoffes  allein  geht  ein  bestimmter  Werth  derselben  nicht 
hervor.     Dies  meinen  wir ,    wenn  wir   sagen ,    Dielektricitäts-   und 

1)  Siehe  H.  Helmholtz,  Wiedemanns  Amialen  Bd.  17  pag.  42.  1882. 


über  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik  für  ruhende  Körper.     111 

Magnetisirungsconstante  seien  keine  innere  Constanten  eines  Stoffes. 
Es  ist  nicht  unrichtig  wenn  wir  sagen ,  diese  Constanten  seien 
gleich  Eins  für  den  Aether ,  aber  es  enthält  diese  Behauptung 
keine  Thatsache  der  Erfahrung,  sondern  eine  willkürliche  Fest- 
setzung unsererseits. 

Für  krystallinische  Körper  wird  die  Energie  der  Volumeinheit 
gleich 

J-(£nX2  +  s22F2  +  e33Z*  +  2el2XY+2  e23YZ  +2  sX3XZ) 

-f^G^+^^  +  ^iV2^^ 

Durch  bestimmte  Wahl  der  Axen  läßt  sich  der  eine  oder  der  an- 
dere Theil  dieses  Ausdrucks  in  eine  Summe  von  drei  Quadraten 
transformiren.  Es  ist  wohl  wahrscheinlich  daß  dieselbe  Wahl  der 
Axen  für  den  einen  wie  für  den  andern  Theil  diesen  Dienst  leistet. 
Die  s  und  p  müssen  von  solcher  Beschaffenheit  sein ,  daß  bei  der 
Transformation  in  eine  Quadratsumme  alle  Coefficienten  positiv 
werden. 

3.  Zusammenhang  der  Kräfte  im  Aether. 
Wir  nehmen  an ,  daß  das  benutzte  Coordinatensystem  der 
x,  y,  z  von  solcher  Beschaffenheit  ist,  daß  wenn  die  Richtung  der 
positiven  x  nach  vorn,  die  der  positiven  z  nach  oben  geht,  alsdann 
die  y  von  links  nach  rechts  hin  wachsen.  Unter  dieser  Voraus- 
setzung sind  die  elektrischen  und  magnetischen  Kräfte  im  Aether 
mit  einander  verknüpft  nach  folgenden  Gleichungen: 

AdL_         äZ__äY_  AäX 

dt  dy        dz  dt 

Q        AdM        dX       dZ       6,        A  dY 

3a.    A-j-  =  -5 —      3b.     4-rr 

dt  dz        dx  dt 

A—  =   *L  —  . ^  AdZ 

dt  dx        dy  dt  dy        dx 

zu  welchen  die  ihnen  nicht  widersprechenden  Gleichungen 

3c    i^  +  ^  +  ^.-o      dX    dY    dz  -=  0 

dx        dy        dx  dx       dy        dz 

als  eine  den  Aether  vor  der  ponderabelen  Materie  auszeichnende 
Ergänzung  hinzutreten. 

Nachdem  diese  Gleichungen  einmal  gefunden  sind,  erscheint 
es  nicht  mehr  zweckmäßig,  dieselben  aus  Vermuthungen  über  die 
elektrische    und   magnetische    Constitution    des   Aethers   und   das 


dM 

dN 

dz 
dN 

dy 
dL 

dx 
dL 

dz 
dM 

112  H.  Hertz, 

Wesen  der  wirkenden  Kräfte  als  aus  bekannteren  Dingen  herzu- 
leiten, wie  es  allerdings  dem  historischen  Gange  entsprechen  würde. 
Viel  eher  ist  es  zweckmäßig,  an  diese  Gleichungen  die  weiteren 
Vermuthungen  über  die  Constitution  des  Aethers  anzuknüpfen. 

Da  die  Dimensionen  der  L,  M,  N  und  der  X,  Y,  Z  die 
gleichen  sind,  so  ist  die  Constante  A  eine  reciproke  Geschwindig- 
keit. Sie  ist  in  Wahrheit  eine  innere  Constante  des  Aethers ;  wir 
wollen  damit  sagen  ,  daß  ihre  Größe  weder  von  dem  Vorhanden- 
sein eines  andern  Körpers  noch  von  willkürlichen  Festsetzungen 
unsererseits  abhängig  ist. 

Wir  multipliciren  unsere  Gleichungen  sämmtlich  mit  -r — j^r» 

ferner  einzeln  der  Reihe  nach  mit  bez.  L,  M,  N,  X,  Y,  Z  und 
addiren  sie  sämmtlich.  Wir  integriren  beide  Seiten  der  entste- 
henden Gleichung  über  einen  beliebig  begrenzten  Raum ,  dessen 
Oberflächenelement  dca  mit  den  Coordinatenaxen  die  Winkel  n,xf 
n,y,  n,z  bildet.  Rechts  läßt  sich  die  Integration  ausführen  und 
wir  erhalten: 

■^j  f  \(NY—MZ)cosn,x  +  (LZ— NX)cosn,y  +  (MX—LY)co8n,z\dG). 

Das  links  stehende  Integral  ist  die  elektromagnetische  Energie 
des  Raumes ;  die  Gleichung  giebt  uns  also  die  Aenderung  dieser 
Energie  ausgedrückt  durch  Größen ,  welche  sich  allein  auf  die 
Oberfläche  des  Raumes  beziehen, 

4.    Isotrope  Nichtleiter. 

In  homogenen  isotropen  Nichtleitern  verlaufen  die  Erschei- 
nungen qualitativ  vollkommen  wie  im  freien  Aether.  Quantitativ 
sind  Unterschiede  insofern  vorhanden,  als  erstens  die  innere  Con- 
stante einen  andern  Werth  hat  als  im  Aether  und  als  zweitens 
der  Energievorrath  der  Volumeinheit  in  der  bereits  angegebenen 
Weise  die  Constanten  s  und  ^  enthält.  Wir  entsprechen  diesen 
Aussagen  und  genügen  der  Erfahrung  indem  wir  setzen: 

Ä    ÄL  .  .  dZ^_dY  dX  _     dM      dN 

^  dt  dy        dz  dt  dz        dy 

,    dM        dX      dZ      „        .    dY         dN      dL 

4a.    Aa-j—  =  -= —      4b.    Ae—rr  ==  ~j T~" 

dt  dz        dx  dt  dx        dz 

A    dN  _     äY_äX  A.e—        dL       dM 

^  dt  dx  "     dy  dt  dy        dx 


über  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik  für  ruhende  Körper.    113 

Denn   wenn    wir    für    einen    Augenblick   in    dem   Nichtleiter    das 
Maaß    der  Kräfte    so   bestimmen ,    wie   wir  es  im  Aether  gethan 

X      Y     Z 

haben  nnd  demgemäß  für  X,  Y,  Z  einfuhren  — ,  — ,  — —  und  für 

L      M     N  \s     \Je     \e 

L,  M,  N  einführen  — ,  — -,  — ,  so  nehmen  die  Gleichungen  genau 

V>  \[i  Vf 
die  Form  der  Gleichungen  des  Aethers  an  mit  dem  einzigen  Unter- 
schiede ,  daß  an  Stelle  der  Größe  A  die  Größe  A  ^sp  tritt.  Be- 
halten wir  auf  der  andern  Seite  unser  Maaß  der  Kräfte  bei ,  so 
können  wir  widerspruchsfrei  der  Energie  den  geforderten  Werth 
beilegen.  Denn  die  Ausführung  der  gleichen  Operation,  welche 
wir  im  vorigen  Abschnitt  anwandten,  ergiebt  uns  hier: 

-j-i-j-  f\ (NY—  MZ)cosn,x  +  (LZ—NX)cosn,y+(MX—LY)co8n,2\da. 

Die  allgemeinen  Aussagen ,  durch  welche  wir  uns  auf  unsere 
Gleichungen  haben  führen  lassen,  versagen,  wenn  wir  den  Nicht- 
leiter nicht  mehr  als  homogen  betrachten.  Es  fragt  sich  also,  ob 
in  diesem  Falle  unsere  Gleichungen  noch  gelten.  Die  Erfahrung 
beanwortet  diese  Frage  in  bejahendem  Sinne ;  wir  können  also  in 
den  Gleichungen  4a.  und  4b.  die  Größen  s  und  ji  als  von  Punkt 
zu  Punkt  veränderlich  betrachten. 

5.     Krystallinische  Nichtleiter. 

Eine  Darstellung  der  Vorgänge  in  solchen  Körpern ,  welche 
nach  verschiedener  Richtung  verschieden  entwickelt  sind,  deren 
elektromagnetische  Eigenschaften  aber  bei  verschwindendem  Aniso- 
tropismus in  die  der  isotropen  Nichtleiter  übergehen,  erhalten  wir, 
wenn  wir  die  in  unsern  Gleichungen  links  stehenden  zeitlichen 
Aenderungen  der  Kräfte  als  ganz  allgemeine  lineare  Funktionen 
der  rechts  stehenden  räumlichen  Aenderungen  der  Kräfte  entge- 
gengesetzter Art  betrachten.  Die  Allgemeinheit  der  Form  dieser 
linearen  Funktionen  und  die  Auswahl  ihrer  Constanten  wird  in- 
dessen beschränkt  durch  die  Vermuthung,  daß  dieselbe  Operation, 
welche  uns  bisher  eine  Gleichung  für  die  Aenderung  der  Energie 
lieferte,  dies  allgemein  thun  wird,  und  durch  die  Forderung,  daß 
dabei  die  Energie  selbst  die  bereits  festgestellte  Form  annehmen 
muß.  Durch  diese  Ueberlegungen  werden  wir  auf  die  folgenden 
Gleichungen  hingeleitet,  welche  in  der  That  zur  Darstellung  der 
wichtigsten  Erscheinungen  genügen: 


114  H.  flertz, 


^(fu 


'/      dL  dM  dN\        dX      dZ 

5a.    ^  —  ^  _  +  flfi_)  =  -J---J- 

(      dL  dM  dN\         dY      dX 

A\^~WJr^~df  +  li^dt)~    dx       dy 

(      dX  dY_  dZ\         dM      dN 

AVn  dt  +£l2  dt  +£l3  dt  )  ~    dz  "  dy 
(     dX  dY  dZ\         dN       dL_ 

5b-    A\^~W  +  £^~df  +  £23~dfJ  ~    dx~~~  dz 

dL       dM 
dy        dx ' 


(     dX  dY_  dZ\ 

A\£l3  dt  +£'3  dt  +£33  dt)~ 


Die  Gleichung  für  die  Aenderung  der  Energie  eines  Raumes 
ergiebt  das  gleiche  Resultat  wie  in  Abschnitt  3  und  4.  Auch  in 
den  Gleichungen  des  gegenwärtigen  Abschnittes  ist  es  erfahrungs- 
mäßig nicht  nöthig,  die  s  und  ft  als  constant  in  Hinsicht  des  Rau- 
mes anzusehen,  vielmehr  können  dieselben  beliebig  von  Punkt  zu 
Punkt  veränderliche  Größen  sein. 

6.     Vertheilung  der  Kräfte  in  Leitern. 

In  den  Körpern ,  welche  wir  bisher  betrachteten ,  erscheint 
jede  Aenderung  der  elektrischen  Kraft  als  bedingt  durch  das  Vor- 
handensein magnetischer  Kräfte.  Sind  in  einem  endlichen  Bereich 
die  magnetischen  Kräfte  gleich  Null ,  so  fällt  jede  Ursache  für 
eine  solche  Aenderung  fort  und  eine  vorhandene  Vertheilung  elek- 
trischer Kraft  bleibt  sich  selbst  überlassen  dauernd  bestehen, 
solange  nicht  von  den  Grenzen  des  Bereiches  her  eine  Störung 
das  Innere  trifft.  Nicht  in  allen  Körpern  zeigen  die  elektrischen 
Kräfte  dies  Verhalten.  In  vielen  Körpern  schwindet  eine  sich 
selbst  überlassene  elektrische  Kraft  mehr  oder  weniger  schnell 
dahin,  in  solchen  Körpern  sind  magnetische  Kräfte  oder  andere 
Ursachen  erforderlich,  um  eine  vorhandene  Vertheilung  vor  der 
Veränderung  zu  bewahren.  Solche  Körper  bezeichnen  wir  aus 
Gründen ,  die  später  hervortreten ,  als  Leiter.  Die  einfachsten 
Annahmen,  welche  wir  in  Hinsicht  derselben  machen  können,  sind 
diese,  daß  erstens  der  Verlust  welchen  eine  sich  selbst  überlassene 
elektrische  Kraft  in  der  Zeiteinheit  erleidet,  der  Kraft  selbst  pro- 
portional ist ,  und  daß  zweitens  unabhängig  von  diesem  Verlust 
die  magnetischen  Kräfte  hier  dieselben  Aenderungen  hervorzu- 
bringen streben,  wie  in  den  bisher  betrachteten  Körpern.     Führen 


über  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik  für  ruhende  Körper.    H5 

wir  eine  neue  Constante  A  ein,  so  erlaubt  uns  die  erste  Annahme 
zu  behaupten,  daß  die  sich  selbst  überlassene  Kraftcomponente  X 

sich    ändern    werde    nach    der   Gleichung   Ae-j—  =  — 4nkAX. 

Die  zweite  Annahme  ergänzt  diese  erste  dahin  ,  daß  ,  wenn  mag- 
netische Kräfte   vorhanden  sind ,    die  Aenderung  geschehen  werde 

nach  der  Gleichung  Ae—rr  =  —3 3 4:tkAX.  Die  Con- 
stante k  heißt  die  specifische  elektrostatisch  gemessene  Leitungs- 
fahigkeit    des   Körpers.      Ihre   Dimension    ist    die    einer    recipro- 

ken  Zeit.      Die  Größe  -j— -  ist  daher   eine  Zeit;    es  ist  diejenige 

Zeit,  in  welcher  die  sich  selbst  überlassene  Kraft  auf  den  eten 
Theil  ihres  Anfangswerthes  herabsinkt,  die  sogenannte  Relaxations- 
zeit. Die  letztere,  nicht  etwa  k  selbst,  ist,  wie  zuerst  Herr  E. 
Cohn  bemerkt  und  hervorgehoben  hat1),  neben  der  ersten  eine 
zweite  innere  Constante  des  betrachteten  Körpers ,  eindeutig  fest- 
setzbar ohne  Zuhülfenahme  eines  zweiten  Mediums. 

Unsere  Ueberlegungen  führen   uns   nun  vermuthungsweise  auf 
folgende  Gleichungen,  welche  den  Erfahrungen  genügen: 

,     dL  dZ       dY  A    dX 


dZ 

dY 

dy 
dX 

dz 
dZ 

dz 
dY 

dx 
dX 

dM 

dN 

dz 

dN 

dy 
dL 

dx 
dL 

dz 
dM 

.    dM        dX      dZ      „,       .    dY 

6a-  A*-aT  =  -&r-w  6b-  Äsnr  - 

.     dN         dY      dX  ■     dZ 

A*-dF  -  -W—fr  A°-fc  =  ~W~l^-AnkAZ- 

Offenbar  beziehen  sich  diese  Gleichungen  nur  auf  isotrope  Körper, 
dagegen  ist  es ,  was  unsere  bisherigen  Voraussetzungen  anlangt, 
nicht  nothwendig,  daß  die  Körper  auch  homogen  seien.  Um  indessen 
in  Wahrheit  die  VertheiluDg  der  Kräfte  in  anhomogenen  Körpern 
genau  darzustellen,  bedürfen  unsere  Gleichungen  noch  einer  ge- 
wissen Ergänzung.  Aendert  sich  nämlich  die  Beschaffenheit  eines 
Körpers  von  Punkt  zu  Punkt,  so  sinkt  im  Allgemeinen  die  elek- 
trische Kraft  sich  selbst  überlassen  nicht  völlig  auf  Null  ab,  son- 
dern nimmt  einen  gewissen  von  Null  verschiedenen  Endwerth  an. 
Diesen  Werth ,  dessen  Componenten  X  Y  Z'  sein  mögen ,  nennen 
wir  die  in  dem  betreffenden  Punkte  wirksame  elektromotorische 
Kraft.  Wir  betrachten  dieselbe  als  unabhängig  von  der  Zeit,  sie 
ist  im  Allgemeinen  um  so  größer,  je   größer   die  Aenderung   der 


1)  Vergleiche  dieserhalb  und  in  Hinsicht  der  Art,  wie  hier  die  Grüße  k  ein- 
geführt wird:  E.  Cohn,  Sitzungsber.  d.  Berl.  Akad.  Band  XXVI  pag.  405. 


116  H.  Herta, 

chemischen  Beschaffenheit  in  der  Längeneinheit  ist.  Wir  tragen 
der  Wirkung  der  elektromotorischen  Kraft  Rechnung,  indem  wir 
den  Abfall  der  sich  selbst  überlassenen  elektrischen  Kraft  nicht 
ihrem  absoluten  Werthe  proportional  setzen,  sondern  dem  Unter- 
schiede ,  welcher  noch  vorhanden  ist  zwischen  diesem  absoluten 
Werthe  und  dem  Endwerthe.  Unsre  Gleichungen  werden  so  für 
Leiter,  deren  Strucktur  zum  Auftreten  elektromotorischer  Kräfte 
Anlaß  giebt. 

dL  <^_d][_  a    £?  .      dM _dK_A    XA(X-X') 

^  dt  dy        dz  dt  dz        dy 

n     A    dM         dX      dZ   ßJ     .    dY         dN       dL       .    ,  \,~    _ 

^'A^~W  =  ~dz~~~d^  6d'Ä£~df  =  -fa—dz—^%XA(J-Y) 
U/0  U/&  U/U/  uv  U/U/  ua 

dN_  =  (W_dX         ģdZ_  ^  dL__dM_4   XA(Z-Z') 
^  dt  dx       dy  dt  dy        dx  ^  * 

7.  Anisotrope  Leiter. 
Verhält  sich  der  Leiter  nach  verschiedenen  Richtungen  ver- 
schieden ,  so  dürfen  wir  nicht  mehr  annehmen ,  daß  der  Abfall 
einer  jeden  Componente  der  sich  selbst  überlassenen  Kraft  nur 
abhänge  von  dem  Werthe  dieser  Componente  selbst,  es  liegt  aber 
die  Vermuthung  nahe,  daß  er  eine  lineare  Funktion  der  drei  Com- 
ponenten  sei.  Nehmen  wir  zu  dieser  Vermuthung  die  Voraus- 
setzung, daß  für  verschwindendes  Leitungsvermögen  die  Gleichun- 
gen sich  auf  die  eines  anisotropen  Nichtleiters  reduziren,  so  gelangen 
wir  zu  folgendem  System: 


(    dL  j- 


dM  dN\         dZ      dY 

dt  +flia  dt  )  ~   dy        dz 
-        .(      dL  ,       dM  ,       dN\        dX      dZ 


(f 


dt  J         dz        dx 
dL  dM  dN\         dY      dX 

13  dt  +  f*23  dt  +  f*33  dt)  =      dx        dy 


f     dX  dY  dZ\        dM      dN 

V11  dt  +  *12  dt  +£l3  dt)  ~~    dz        dy 

-47tA{Xn(X-X')  +  X12(Y-Y')  +  X13(Z-Z')\ 

nu       '(     dX  ,       dY  dZ\         dN      dL 

7b.     ^^l2_  +  ,22_  +  ,23_j  _  -fö--~ 

-4^jA21(X-X')  +  A22(r-F)  +  A28(Z~Z')j 
A(     dX  dY  dZ\         dL       dM 

V13  dt  +  *23  dt  +f33  dt)  -    dy  ~~~dx~ 

-4mA  jA31  (X-Xf)  +  A82(r-F)  +  XuiZ-Z1)]. 


über  die  Grundgleicliungen  der  Elektrodynamik  für  ruhende  Körper.     H7 

Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  daß  für  alle  wirklichen  Körper  A12  =  A21, 
A31  =  A13,  A23  —  A32  sei.  Auch  in  den  Gleichungen  dieses  Ab- 
schnittes können  die  Constanten  s,  p,  A  als  von  Ort  zu  Ort  ihren 
Werth  verändernd  angesehen  werden. 

8.     Grenzbedingungen. 

Man  bemerkt  leicht ,  daß  die  Gleichungen  7a.  und  7b.  alle 
früheren  als  besondere  Fälle  umfassen  und  daß  selbst  die  Glei- 
chungen des  freien  Aethers  aus  ihnen  durch  besondere  Verfügung 
über  die  Constanten  hervorgehen.  Da  nun  diese  Constanten  Func- 
tionen des  Raumes  sein  können,  so  liegt  es  nahe,  die  Grenzfläche 
zweier  heterogenen  Körper  anzusehen  als  eine  Uebergangsschicht, 
in  welcher  zwar  die  Constanten  außerordentlich  rasch  von  einem 
Werth  zu  einem  andern  übergehen ,  in  welcher  dies  jedoch  in 
solcher  Weise  geschieht,  daß  auch  in  der  Schicht  selbst  jene  Glei- 
chungen immer  noch  gelten  und  endliche  Beziehungen  zwischen 
den  endlich  bleibenden  Werthen  der  Constanten  und  den  ebenfalls 
endlich  bleibenden  Kräften  ausdrücken.  Um  aus  dieser  der  Er- 
fahrung genügenden  Yermuthung  die  Grenzbedingungen  abzuleiten, 
lassen  wir  der  Einfachheit  halber  das  betrachtete  Element  der 
Trennungsfläche  mit  der  ;n/-Ebene  zusammenfallen. 

Beachten  wir  zunächst  das  Auftreten  elektromotorischer  Kräfte 
zwischen  den  sich  berührenden  Körpern  nicht,  so  ergiebt  die  Be- 
trachtung der  ersten  beiden   der  Gleichungen  7a.  und  7b.  daß  die 

^    ,n        dX    dY    dM    dN       ,  ,  T7 

Größen    -=— ,  -r— ,  -r— ,  —f—  zufolge  unserer  Voraussetzung  auch 

in  der  Uebergangsschicht  endlich  bleiben  müssen.  Bezieht  sich 
also  der  Index  1  auf  die  eine ,  der  Index  2  auf  die  andere  Seite 
der  Grenzschicht,  so  muß  sein 

8a       Y>-Y>  =  °  8b     *.-*■  =  0 

öa*     X-Xx  =  0  ÖD*     L-Lx   =  0. 

Die  zur  Grenzfläche  tangentialen  Componenten  der  Kräfte  pflanzen 
sich  also  stetig  durch  dieselbe  fort.  Die  Anwendung  hiervon  auf 
die  dritten  der  Gleichungen  7a.  und  7b.  ergiebt  dann  weiter  daß 
die  Ausdrücke 

dL  dM  ,        dN        , 

^nr+^-w+^-w  und 

den  gleichen  Werth  haben  müssen  auf  der  einen  und  auf  der  an- 
Nachrichten von  der  K.  G.  d.  W.  an  Göttingen.  1890.  No.  4.  10 


118  H.  Hertz; 

dem  Seite  der  Grenzschicht.  Diese  Aussage,  welche  die  gegen- 
seitige Abhängigkeit  der  Normalkomponenten  der  Kraft  auf  beiden 
Seiten  der  Grenzfläche  giebt,  nimmt  für  isotrope  Körper  die  ein- 
fache Form  an: 

Q  dNt  dN2 

8cL     s^-s*^W  =  -^^Z-X*Z*)- 

Schließen  wir  demnächst  das  Auftreten  elektromotorischer 
Kräfte  in  der  Grenzfläche  nicht  aus,  so  haben  wir  zu  beachten, 
daß  erfahrungsmäßig  die  zur  Grenzfläche  normale  Componente 
dieser  Kräfte,  also  Z\  in  der  Uebergangsschicht  selbst  unendlich 
wird,  in  solcher  Weise  jedoch,  daß  das  durch  die  Grenzfläche  hin- 
durch erstreckte  Integral  fZ'dz  einen  endlichen  Werth  behält, 
welchen  uns  die  Versuche  angeben ,  während  sie  uns  über  den 
Verlauf  von  Z'  selbst  im  Unklaren  lassen.  Wir  genügen  der  Vor- 
aussetzung dieses  Abschnittes  nunmehr  durch  die  Annahme,  daß 
in  der  Uebergangsschicht  neben  L,  M,  N,  X,  Y,  die  Größe  Z —  Z' 

endlich  bleibe.     Z  wird  dann  daselbst  unendlich,  — —  aber  können 

wir  nichtsdestoweniger  endlich  belassen.     Wir  setzen  ferner 

8e.      fZäs  =  fZdz  =  <plfV 

Integriren  wir  nunmehr  die  ersten  zwei  der  Gleichungen  7a.  und 
7b.  nach  Multiplication  mit  dz  durch  die  Uebergangsschicht  hin- 
durch, so  erhalten  wir,  da  wegen  der  Kürze  des  Weges  das  Inte- 
gral jeder  endlichen  Größe  verschwindet,  die  Bedingungen: 

y y    d<plfi 

8f.       '        *■"     * 
X.-Z.  =  *2* 


' 


M,—  M,  =  0 

8g. 

JV2— j\r    =  0 

2     "1  dx 

Die  Anwendung  hiervon  auf  die  dritten  der  Gleichungen  7a.  und 
7b.  ergiebt  dann  als  Bedingungen  für  die  Normalkräfte ,  daß  zu 
beiden  Seiten  der  Grenzfläche  die  Werthe  der  Ausdrücke 

dL  dM  dN 

^  dt  +^~df  +  ^~df 

die  gleichen  sein  müssen.  Sind  die  Körper  zu  beiden  Seiten  der 
Grenzfläche  homogen,   so  hat  das  Vorhandensein  der  elektromoto- 


über  die  Grundgleichungen   der  Elektrodynamik  für  ruhende  Körper.     119 

rischen  Kräfte  keinen  Einfluß  auf  die  Bedingungen,  durch  wel- 
che die  zu  beiden  Seiten  herrschenden  Kräfte  mit  einander  ver- 
knüpft sind. 

Da  unsere  Grenzbedingungen  nichts  andres  sind ,  als  die  all- 
gemeinen Gleichungen  7a.  und  7b.,  transformirt  für  besondere  Ver- 
hältnisse, so  können  wir  jede  Aussage  und  jede  Operation,  welche 
in  einem  bestimmten  Bereich  diese  allgemeinen  Gleichungen  betrifft, 
ohne  Weiteres  auch  über  die  in  dem  Bereich  vorkommenden  Grenzen 
heterogener  Körper  uns  erstreckt  denken,  vorausgesetzt  nur,  daß 
dieses  Verfahren  nicht  mathematische  Unzulässigkeiten  einschließt, 
vorausgesetzt  also ,  daß  sich  unsre  Aussagen  und  Operationen 
unmittelbar  oder  nach  geeigneter  Umformung  beständig  in  end- 
lichen und  bestimmten  Ausdrücken  bewegen.  Wir  werden  der 
hieraus  entspringenden  Bequemlichkeit  des  Oefteren  uns  bedienen. 
Wenn  wir  dabei  im  Allgemeinen  darauf  verzichten ,  den  Beweis 
der  Endlichkeit  und  Bestimmtheit  aller  vorkommenden  Ausdrücke 
zu  erbringen,  so  geschieht  dies  nicht,  weil  wir  diesen  Beweis  für 
überflüssig  hielten  ,  sondern  nur  ,  weil  für  alle  in  Betracht  kom- 
menden Fälle  der  Beweis  schon  seit  lange  erbracht  oder  nach  be- 
kannten Mustern  zu  erbringen  ist. 


Von  den  bisherigen  Abschnitten  vermehrte  ein  jeder  die  Zahl 
der  von  der  Theorie  umfaßten  Thatsachen.  Im  Gegensatz  dazu 
handeln  die  nächstfolgenden  Abschnitte  von  Namen  und  Bezeich- 
nungen. Da  durch  Einführung  derselben  die  Zahl  der  umfaßten 
Thatsachen  nicht  vermehrt  wird,  so  sind  sie  nur  ein  Beiwerk  der 
Theorie;  ihr  Werth  besteht  zum  Theil  in  der  Ermöglichung  einer 
kürzeren  Ausdrucksweise ,  zum  Theil  aber  auch  nur  darin  ,  daß 
sie  die  Verbindung  unserer  Theorie  mit  den  älteren  Anschauungen 
der  Elektricitätslehre  vermitteln. 

9.    Elektrische  und  magnetische  Polarisation. 

Soweit  sich  unsere  Gleichungen  auf  isotrope  Medien  beliehen« 
giebt  jede  einzelne  den  im  nächsten  Augenblick  statthabenden 
Werth  einer  einzigen  der  in  Betracht  kommenden  physikalischen 
Größen  ausgedrückt  als  eindeutige  Function  der  im  gegenwärtigen 
Augenblick  vorhandenen  Zustände.  Diese  Form  der  Gleichungen 
ist  eine  sehr  vollkommene  vom  mathematischen  Standpunkt  aus, 
weil  sie  uns  von  vornherein  übersehen  läßt,  daß  die  Gleichungen 
den  Ablauf  eines  jeden  willkürlich  angeregten  Prozesses  eindeutig 

10* 


120  H.  Hertz, 

bestimmen.  Sie  ist  sehr  vollkommen  auch  von  einem  mehr  philo- 
sophischen Standpunkt  aus ,  weil  sie  uns  sogleich  in  der  linken 
Seite  der  Gleichung  den  zukünftigen  Zustand ,  die  Wirkung ,  er- 
kennen läßt,  in  der  rechten  Seite  der  Gleichung  aber  als  Ursache 
den  gegenwärtigen  Zustand  aufweist.  Diejenigen  unserer  Glei- 
chungen, welche  sich  auf  anisotrope  Medien  beziehen,  haben  nicht 
diese  vollkommene  Form ,  da  sie  auf  der  linken  Seite  nicht  die 
Aenderungen  einer  einzelnen  physikalischen  Größe,  sondern  Func- 
tionen solcher  Aenderungen  enthalten.  Da  diese  Functionen  lineare 
sind,  kann  allerdings  durch  Auflösung  der  Gleichungen  nach  den 
einzelnen  Aenderungen  die  gewünschte  Form  hergestellt  werden. 
Ein  anderes  Mittel  zu  gleichem  Zweck,  welches  zugleich  die  Glei- 
chungen vereinfacht,  ist  die  Einführung  der  Größen,  welche  wir 
Polarisationen  nennen.     Wir  setzen: 

2  =  ftni  +  f*ialf +  f*18JV  £  =  snX  +  s12Y+sl3Z 

9c.    Tl  =  ii12L  +  ti22M  +  p23N       9d.    g)  =  e12X  +  £22Y+623Z 

9t  =  piaL  +  pMM  +  puN  3  =  e13X  +  e23Y+s33Z 

und  nennen  die  Resultante  der  2,  Wl,  9£  die  magnetische,  die  Re- 
sultante der  3E,  g),  Q  die  elektrische  Polarisation.  Für  isotrope 
Medien  sind  Polarisationen  und  Kräfte  gleich  gerichtet  und  das 
Verhältniß  ersterer  zu  letzteren  ist  die  Dielektricitäts-  bezw. 
Magnetisirungsconstante.  Für  den  Aether  fallen  Polarisationen 
und  Kräfte  zusammen.  Führen  wir  die  Polarisationen  in  die 
linken  Seiten  unserer  Gleichungen  ein,  so  giebt  uns  jede  Gleichung 
die  Aenderung  einer  einzigen  Polarisationscomponente  als  Folge 
der  augenblicklich  vorhandenen  Kräfte.  Da  die  Kräfte  lineare 
Functionen  der  Polarisationen  sind,  so  hat  es  keine  Schwierigkeit, 
auch  auf  der  rechten  Seite  der  Gleichungen  die  Polarisationen 
einzuführen.  Wir  würden  hierdurch  diejenige  gerichtete  Größe, 
durch  welche  wir  die  elektromagnetischen  Zustände  zuerst  bestimm- 
ten, die  Kraft,  ersetzt  haben  durch  eine  andere  gerichtete  Größe, 
die  Polarisation,  welche  uns  das  gleiche,  aber  wenig  mehr  leistet, 
als  jene.  Daß  die  Einführung  der  Polarisationen  und  Kräfte  neben 
einander  die  Gleichungen  wesentlich  vereinfacht ,  ist  eine  erste 
Andeutung  dafür,  daß  eine  vollständige  Darstellung  der  Zustände 
in  ponderabeln  Körpern  die  Angabe  mindestens  zweier  gerichteten 
Größen  für  den  elektrischen  und  zweier  gerichteten  Größen  für 
den  magnetischen  Zustand  erfordert. 

Um  unsere  Gleichungen  weiter  zu  vereinfachen,  setzen  wir 


über  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik  für  ruhende  Körper.    121 

u  =  kAX-X)  +  Xn{Y-Y')  +  Xlz{Z-Z) 
9e.    v  =  Xn  (X-  X)  +  A22  (F-F)  +  A23  (Z-  Z') 
*  =  X31(X-X')  +  l32(Y-Y')  +  l3S(Z-Z'). 

Aus  G-ründen  welche  im  folgenden  Abschnitt  hervortreten,  nennen 
wir  u  v  w  die  (elektrostatisch  gemessenen)  Componenten  der  elektri- 
schen Strömung. 

Unsere  allgemeinsten  Gleichungen  nehmen  nunmehr  die  Form  an  : 

.  d2  dZ       dY  .  d%         dM      dN       . 

A^r-    =    -3 3—  A—j-    =    -= - 4:7tAll 

dt  dy        dz  dt  dz        dy 

Q  .dSßl         dX       dZ  Q.        Adty  dN       dL       A     \ 

9a'     ^W.^WCW  9b'     AM=lte—dz—^Av 
A  d$t         dY      dX  .  dg  dL       dM      A     A 

dt  dx        dy  dt  dy        dx 

und  die  elektromagnetische  Energie  der  Volumeneinheit  eines  be- 
liebigen Körpers  erhält  durch  Einführung  der  Polarisationen  die 
Gestalt : 

^@x+$Y+3Z)  +  -±-(2L+wiM+yiN). 

In  diesen  Aussagen  kommen  keine  Größen  mehr  vor,  welche  sich 
auf  einen  besonderen  Körper  beziehen.  Die  Aussage ,  daß  diese 
Gleichungen  für  alle  Punkte  des  unendlichen  Raumes  erfüllt  sein 
müssen,  umfaßt  alle  in  dies  Gebiet  einzureihenden  Probleme,  und 
die  unendliche  Mannigfaltigkeit  dieser  Probleme  entsteht  nur  da- 
durch, daß  die  Constanten  der  linearen  Relationen  9c,  9d,  9e,  näm- 
lich die  6,  p,  A,  X',  Yr,  Z'  in  mannigfaltiger  Weise  Funktionen 
des  Raumes  sein  können ,  theils  stätig ,  theils  unstätig  von  Punkt 
zu  Punkt  sich  verändernd. 


10.     Elektricität  und  Magnetismus. 

Es  sei  ein  System  ponderabeler  Körper ,  in  welchem  elek- 
tromagnetische Vorgänge  sich  abspielen ,  durch  den  leeren  Raum 
abgegrenzt  gegen  andere  Systeme.  Differentiiren  wir  die  drei 
Gleichungen  9b  bezw.  nach  x,  y,  z  und  addiren ,  so  erhalten  wir 
für  alle  Punkte  des  Systems  die  Gleichung: 

dt\dx^dy^dzJ~  \dx  T  dy  T  dz  J' 

Wir  multipliciren  diese  Gleichung  mit   dem  Raumelement  dt  und 
integriren  über  den  Raum  bis  zu  einer  beliebigen  das  ponderabele 


122  H.  Hertz, 

System  vollständig  umschließenden  Fläche.  Das  Element  dieser 
Fläche  sei  dco ,  die  auf  dco  senkrechte  Richtung  bilden  mit  den 
Achsen  die  Winkel  n,x,  n,y,  n,z.  Wir  erhalten,  da  die  u,  v,  w 
an  der  Fläche  gleich  Null  sind 


= — 4jt  /  (-= — f--j — \~~J~)dt== — ^  I  (ucosn,x+vcosn,y+wco$n,z)dco 

=  0. 

Also: 

10a.     /  (j — ^j^j    rx  ~  I  (£cosw,#+^cosw,^+3cosw,#)efo>==47re. 

Die  neu  eingeführte  Größe  e  ist  offenbar  eine  Funktion  des  elek- 
trischen Zustandes  des  Systems  und  zwar  eine  solche  Funktion, 
welche  durch  keine  inneren  oder  äußeren  lediglich  elektrodynami- 
schen Vorgänge  vermehrt  oder  vermindert  werden  kann.  Diese 
Unzerstörbarkeit  der  Größe  e,  welche  dieselbe  auch  gegenüber 
andern  als  rein  elektrodynamischen  Vorgängen  bewahrt,  so  lange 
sich  diese  Vorgänge  auf  das  Innere  des  Systems  beschränken,  hat 
die  Vermuthung  wachgerufen,  daß  e  die  Menge  einer  in  dem  Sy- 
stem enthaltenen  Substanz  angebe.  Entsprechend  dieser  Anschauung 
nennen  wir  e  die  Menge  der  in  dem  ponderabelen  System  enthal- 
tenen Elektricität.  Allerdings  kann  e  positiv  oder  negativ  sein, 
während  die  Menge  einer  Substanz  nothwendig  positiv  ist.  Man 
hat  deshalb  die  Hypothese  vervollständigt  durch  die  Annahme 
zweier  Elektricitäten  von  entgegengesetzten  Eigenschaften  und  hat 
dem  e  dann  die  Bedeutung  der  Differenz  beider  beigelegt ,  oder 
man  hat  Hülfe  gesucht  in  der  Annahme  ,  es  bezeichne  e  nur  die 
Abweichung  des  wirklichen  Gehaltes  an  Elektricität  von  dem  nor- 
malen. Stellt  aber  in  einer  dieser  oder  in  einer  andern  Form  e 
die  Menge  einer  Substanz  dar,  so  muß  jedes  Raumelement  dt  sei- 
nen bestimmten  Beitrag  zu  dem  Gesammtwerthe  von  e  liefern. 
Nur  vermuthungsweise  können  wir  das  Raumintegral,  welches  uns 
e  liefert  auf  die  einzelnen  Raumelemente  vertheilen.  Eine  erste 
mögliche  und  augenblicklich  naheliegende  Vertheilung  legt  dem 
Raumelement  dt  den  Elektricitätsinhalt 

47t  \dx       dy       dz  J 

bei.      Die   so   bestimmte   Elektricitätsmenge    des   Raumelementes 
wollen   wir   die    wahre   Elektricität    desselben    nennen;    dement- 


über  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik  für  ruhende    Körper.     123 
sprechend  nennen  wir  im  Innern  eines  Körpers  den  Ausdruck 

4%  V  dx       dy        dz ) 

die  wahre  räumliche  Dichte   und  an   der  Grenzfläche  verschieden- 
artiger Körper  den  Ausdruck 

-^  j(3E—  £)  cosrc,#  +  (g)2— gjcos^y  +  (8a— 3i)cosw^j 

die  wahre  Flächendichte  der  Elektricität. 

Eine  andere  mögliche  und  naheliegende  Vertheilung  von  e  auf 
die  Raumelemente  erhalten  wir  durch  die  Bemerkung ,  daß  im 
leeren  Räume  Polarisationen  und  Kräfte  identisch  sind,  daß  wir 
dementsprechend  also  schreiben  können  an  Stelle  von  10a. 


10b. 


4t%e  =   I  (Xcosn,x  +  Ycosn,y  +  Zcosn,z)d(o 

r/dx  ,  dY  ,  dz\  , 
^J\J^+-d^+lb)dr 


und  weiterhin  den  Ausdruck 

Alt  \  dx        dy        dz  J 

als  den  Beitrag  betrachten ,  welchen  das  Raumelement  dx  zu  e 
liefert.  Die  so  bestimmte  Elektricitätsmenge  eines  Raumelementes 
nennen  wir  die  freie  Elektricität  desselben,  dementsprechend 

1    fdX      dY      dZ\ 
4%  \  dx       dy       dz  ) 

die  freie  räumliche  Dichte,  und  an  Unstätigkeitsflächen 

-j-j(X2—  Xt)  cos  n,x  +  (Y2—-Y1)  cos  n,y  +  (Z2— ZJ  cos  n,z] 

die  freie  Flächendichtigkeit  der  Elektricität.  Den  Unterschied 
zwischen  der  wahren  und  der  freien  Elektricität  nennen  wir  die 
gebundene  Elektricität.  Unsere  Bezeichnungsweise  schließt  sich  der- 
jenigen üblichen  Bezeichnungsweise  an ,  welche  ihren  Ursprung 
aus  der  bisherigen  Anschauung  von  dem  Zustandekommen  der 
elektrischen  Fernwirkungen  nimmt.  Nach  dieser  Anschauung  wird 
ein  Theil  der  in  einen  Nichtleiter  eingeführten  fremden  oder  „  wahren u 
Elektricitätsmengen  durch  elektrische  Verschiebungen l)  in  den 
Molekülen  des  umgebenden  Mittels  „gebunden",  während  der  Rest 


1)  Welche  nicht  etwa  mit  unseren  Polarisationen  identisch  sind. 


124  H.  Hertz, 

„frei"  bleibt,  seine  Fernwirkungen  nach  außen  zu  entfalten.  Doch 
weicht  auch  in  manchen  Aussagen  unsere  Bezeichnungs  weise  von 
der  üblichen  ab.  Da  aber  die  letztere  schwankend  und  nicht 
immer  consequent  ist ,  so  war  es  mir  nicht  möglich ,  eine  Bezeich- 
nungsweise zu  finden ,  welche  nicht  in  irgend  einem  Falle  gegen 
den  Sprachgebrauch  verstieß.  Auch  insofern  schwankt  die  übliche 
Ausdrucksweise,  als  sie  unter  Elektricität  schlechthin  ohne  Unter- 
schied bald  die  wahre,  bald  die  freie  Elektricität  versteht,  sogar 
in  wichtigen  Aussagen. 

Nach  dem  Vorangegangenen  bezeichnen  wir  das  durch  4n  divi- 
dirte  und  über  eine  beliebige  geschlossene  Fläche  erstreckte  Integral 

f(3£  cos  n,  x  +  g)  cos  n,  y  +  Q  cos  n,z)  da> 

als  die  von  dieser  Fläche  umschlossene  wahre  Elektricität.  Das 
gleiche  Integral  erstreckt  über  eine  nichtgeschlossene  Fläche  wollen  wir 
die  Zahl  der  diese  Fläche  im  Sinne  der  positiven  Normalen  durchschnei- 
denden elektrischen  Kraftlinien  nennen.  Durch  diese  Bezeichnung 
knüpfen  wir  an  die  Vorstellung  Faradays  an,  derzufolge  die  Kraft- 
linien Linien  sind,  welche  in  isotropen  homogenen  Körpern  überall 
in  Richtung  der  herrschenden  Kraft  laufen  und  zwar  in  einer  Fülle, 
welche  der  Größe  der  Kraft  proportional  ist.  Wir  haben  allerdings 
durch  unsere  Bezeichnung  diese  Vorstellung  dahin  vervollständigt, 
bezw.  präcisirt,  daß  die  Kraftlinien  in  beliebigen  Körpern  überall 
in  Richtung  der  Polarisation ,  nicht  der  Kraft ,  laufen  sollen  und 
haben  allgemein  ihre  Dichte  der  Größe  der  Polarisation,  nicht  der 
Kraft  proportional  gesetzt.  Unsere  Definitionen  bringen  es  mit 
sich,  daß  die  mit  4jz  multiplicirte  Menge  der  in  einem  beliebigen 
Räume  enthaltenen  wahren  Elektricität  gleich  ist  dem  Ueberschuß 
der  in  den  Raum  eintretenden  Kraftlinien  über  die  austretenden. 
Jede  Kraftlinie,  welche  überhaupt  ein  Ende  findet,  mündet  demnach 
an  wahrer  Elektricität  und  wir  könnten  die  wahren  Elektricitäten 
definiren  als  die  freien  Enden  der  Kraftlinien.  Ist  ein  gewisser 
Raum  in  der  Nachbarschaft  der  Fläche  über  welche  unser  Integral 
erstreckt  ist,  frei  von  wahrer  Elektricität,  so  ist  der  Werth  des 
Integrales  unabhängig  von  der  besonderen  Lage  der  Fläche  inner- 
halb dieses  Raumes  und  nur  abhängig  von  der  Lage  der  Grenzlinie 
der  Fläche.  Für  diesen  Fall  bezeichnen  wir  dann  den  Werth  des 
Integrales  auch  als  die  Zahl  der  die  Umrißlinie  durchsetzenden 
Kraftlinien,  indem  wir  uns  die  in  diesem  Ausdruck  bleibende  Viel- 
deutigkeit soweit  nöthig  durch  besondere  Festsetzungen  beseitigt 
denken. 

Wir  wollen  weiter  die  Aenderung  der  wahren  Elektricität  ew 


über  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik  für  ruhende  Körper.    125 

in  einem  beliebig  begrenzten  Theile  unseres  Systems  berechnen. 
Es  möge  da  wiederum  ein  Element  der  Grenzfläche  dieses  Theiles 
sein.     Wir  erhalten 

10c.  -p  =  —  /  (-7 — f'Tr+TF  Vr= —  /  (ttcosw,a?+vcosn,y+wcosn,#)<?a). 

Verläuft  nun  unsere  Grenzfläche  lediglich  in  solchen  Körpern,  für 
welche  die  X  gleich  Null  sind,  so»  verschwinden  an  der  Fläche 
immer  noch  die  u ,  v ;  w ,  es  ist  also  der  Inhalt  des  umspannten 
Raumes  an  wahrer  Elektricität  constant.  Aus  einem  Räume, 
welcher  vollständig  von  Körpern  umgeben  ist ,  für  welche  die  X 
gleich  Null  sind ,  vermag  demnach  die  wahre  Elektricität  durch 
rein  elektrodynamische  Vorgänge  nicht  zu  entweichen.  Aus  dieser 
Ursache  nennen  und  nannten  wir  solche  Körper  Nichtleiter.  Geht 
die  Grenzfläche  aber  ganz  oder  theilweise  durch  Körper ,  in  wel- 
chen die  l  von  Null  verschieden  sind,  so  ist  eine  Aenderung  des 
Elektricitätsgehaltes  des  umschlossenen  Raumes  durch  rein  elek- 
trische Bewegungen  möglich ,  aus  diesem  Grunde  bezeichnen  wir 
Körper  der  letzteren  Art  als  Leiter.  Die  Unterscheidung  der 
Körper  in  Leiter  und  Nichtleiter  bezieht  sich  also  auf  die  wahre 
Elektricität,  in  Hinsicht  der  freien  Elektricität  können  alle  Körper 
als  Leiter  betrachtet  werden  (Verschiebungsströme).  Die  Menge 
einer  Substanz  kann  sich  in  einem  Räume  nur  mittelst  Ein-  und 
Austrittes  durch  die  Oberfläche  hindurch  verändern  und  zwar  muß 
durch  jedes  Oberflächenelement  hindurch  eine  bestimmte  Menge 
der  Substanz  treten.  Mit  der  Thatsache,  daß  durch  jede  geschlos- 
sene Oberfläche  in  der  Zeiteinheit  die  durch  unser  Integral  ange- 
gebene Elektricitätsmenge  tritt ,  ist  die  Annahme  vereinbar ,  daß 
durch  die  Flächeneinheit  jedes  Oberflächenelementes  die  Menge 

ucosn,x  +  vcosn,y  +  wcosn,z 

trete.  Entsprechend  dieser  Annahme  nennen  und  nannten  wir 
u,  v,  w  die  Componenten  der  elektrischen  Strömung  und  das  über 
eine  nicht  geschlossene  Oberfläche  genommene  Integral 

f(u  cos  n,x  +  v  cos  n,y  +  w  cos  n)z)d(Xi 

den  diese  Fläche  durchfließenden  elektrischen  Strom.  Es  muß  in- 
deß  hervorgehoben  werden,  daß  selbst  wenn  die  Stofflichkeit  der 
Elektricität  zugegeben  ist ,  die  obige  specielle  Bestimmung  ihrer 
Strömung  in  Leitern  eine  weitere  Hypothese  einschließt.  Dem 
gefundenen  Systeme  der  Bewegung  kann  ein  willkürliches  in  jedem 
Augenblicke   geschlossenes  Stromsystem  überdeckt   werden ,    ohne 


126  H-  Hertz, 

daß  dadurch  die  Ab-  oder  Zunahme  der  Elektricität  in  irgend 
einem  Punkte  sich  änderte. 

Ist  ein  Theil  unseres  Systemes  durch  lediglich  elektromagne- 
tische Vorgänge  aus  dem  unelektrischen  Zustand  in  seinen  gegen- 
wärtigen gelangt,  oder  kann  er  durch  lediglich  elektromagnetische 
Veränderungen  in  den  unelektrischen  Zustand  zurückkehren ,  so 
ist  in  allen  Nichtleitern  dieses  Theiles  die  wahre  Elektricität 
gleich  Null.  Für  solche  Theile  eines  Systemes  treten  dann  also 
zu  den  allgemeinen  Gleichungen  noch  die  folgenden ,  mit  ihnen 
verträglichen  als  Beschränkungen  der  zulässigen  Anfangszustände 
hinzu : 

ü+M+i3  =0 

dx       dy       dz 

für  das  Innere  der  Nichtleiter; 

(3E2— £j  cos  n,x  +  (g)2— g)i)cos  n,  y  +  (8,—^)  cos  n,z  =  0 

für  die  Grenze  zweier  heterogener  Nichtleiter. 

Ganz  analoge  Betrachtungen  wie  in  Hinsicht  der  elektrischen, 
lassen  sich  anstellen  in  Hinsicht  der  magnetischen  Erscheinungen. 
Indem  wir  auf  diese  eingehen  und  dabei  die  Gleichungen  9a.  be- 
nutzen, nennen  wir  für  das  Innere  eines  Körpers 

4it  \  dx       dy       dz  J 

die  wahre  räumliche  Dichte ,  an  der  Grenze  zweier  Körper  den 
Ausdruck 

~j—  |(Sa— SJ  cos  »|-0  +  (Tl2— Tl,)  cos  n,y  +  (%—  %)cosn,z^ 

die  wahre  Flächendichtigkeit  des  Magnetismus  und  das  über  einen 
bestimmten  Theil  des  Raumes  genommene  Integral  dieser  Größen 
den  in  diesem  Theil  enthaltenen  wahren  Magnetismus.  Das  über 
eine  nicht  geschlossene  Fläche  genommene  Integral 

f(ß  cos  n,  x  +  %Jl  cos  n,  y  +  %l  cos  n)  z)  da 

nennen  wir  die  Zahl  der  durch  diese  Fläche,  bezw.  den  Umfang 
dieser  Fläche  tretenden  magnetischen  Kraftlinien.  Ferner  nennen 
wir  für  das  Innere  eines  Körpers 


1    SäL      dM     dN\ 
In  \dx       dy       dz  J 


4%  \dx       dy 
die  freie  räumliche  Dichte,  an  der  Grenze  zweier  Körper 


über  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik  für  ruhende  Körper.     127 

die  freie  Flächendichtigkeit  des  Magnetismus.  Die  Unter  schiede 
zwischen  Leitern  und  Nichtleitern  fallen  hier  fort ,  da  die  Glei- 
chungen 9a.  keine  den  u  v  iv  der  Gleichungen  9b.  entsprechende 
Glieder  enthalten.  In  Hinsicht  des  freien  Magnetismus  können 
alle  Körper  als  Leiter  aufgefaßt  werden. 

Ist  ein  System  oder  ein  Theil  eines  solchen  durch  lediglich 
elektromagnetische  Vorgänge  aus  dem  unmagnetischen  Zustand 
hervorgegangen,  oder  kann  es  durch  solche  Vorgänge  in  denselben 
zurücksinken ,  so  gelten  für  dies  System  oder  diesen  Theil  des 
Systems  die  Gleichungen : 

dx       dy       dz 

für  das  Innere  der  Körper  und 

(£2— SJ  cos  n,a  +  (2R9— Sjy  cos  n,y  +  (W2— ^Jcos  n,a  =  0 

für  die  Grenzflächen  heterogener  Körper,  welche  Gleichungen  zu 
den  allgemeinen  als  mit  diesen  verträgliche  Bestimmungen  über 
die  möglichen  Anfangszustände  hinzutreten. 

11.    Erhaltung  der  Energie. 

Es  bezeichne  S  die  elektromagnetische  Energie  eines  Raumes 
r,  welcher  durch  die  Oberfläche  co  begrenzt  wird.  Wir  berechnen 
die   Aenderung   von   S,    indem   wir    die    Gleichungen  9a.  und  9b. 

multipliciren  sämmtlich  mit  -r — -irdx,   alsdann  der  Reihe  nach  mit 

L,  M,  N,  X,  Y,  Z,  Alles  addiren  und  integriren  über  den  Raum 
r.    Wir  erhalten: 


dS 
dt 
IIa. 


=rA  f{(NY—MZ)cosn^HLZ—N^oanJy+(MX—LY)coan,^ 
—  f(uX  +  vY+wZ)dt. 

Erstrecken  wir  den  Raum  t  über  ein  vollständiges  elektromagne- 
tisches System ,  d.  h.  bis  zu  einer  Fläche  an  welcher  die  Kräfte 
verschwinden,  so  wird  unsere  Gleichung 


cfö 
dt 


=  _  f(uX  +  vY+wZ)dT. 


Die  Erhaltung  der  Energie  verlangt  demnach,  daß  in  jedem  System, 
welches  der  Einwirkung  von  außen  nicht  unterliegt,   in  der  Zeit- 


128  H.  Hertz, 

einheit  ein  Energiebetrag  von  der  Größe  des  rechts  stehenden 
Integrals  in  anderer  als  elektromagnetischer  Form  auftritt.  Die 
Erfahrung  genügt  dieser  Forderung,  sie  belehrt  uns  weitergehend, 
daß  jedes  einzelne  Raumelement  dt  zum  Gesammtbetrage  der  um- 
gesetzten Energie  den  Beitrag  (uX  +  vY+wZ)dr  liefert  und  zeigt 
uns,  in  welchen  neuen  Formen  diese  Energie  auftritt.  Allerdings 
leistet  dieses  die  Erfahrung  genau  gesprochen  nicht  allgemein, 
sondern  einstweilen  nur  in  Hinsicht  der  folgenden  besonderen 
Fälle.  Im  Innern  eines  homogenen  isotropen  Leiters  nimmt  die 
in  der  Zeiteinheit  und  Volumeinheit  auftretenden  Energiemenge 
nach  der  Theorie  sowohl  als  nach   der  Erfahrung  die  Formen  an: 

A(X2+F2  +  Z2)  =  l(u2  +  t;2  +  0, 

sie  ist  stets  positiv  und  entspricht  einer  Wärmeentwickelung  — 
der  Joule 'sehen  Wärme.  An  der  Grenze  zweier  homogenen  iso- 
tropen Körper  nimmt  in  der  Uebergangsschicht  die  in  der  Volumein- 
heit auftretende  Energiemenge  die  Form  an  uX  +  vY'+ivZ',  eine 
Integration  über  die  ganze  Dicke  der  Uebergangsschicht  ergiebt 
daraus  für  die  in  der  Flächeneinheit  der  Grenze  auftretende  Energie- 
menge den  Betrag 

(u  cos  n,  x  +  v  cos  n,y  +  w  cos  n,  s) .  cpl2 

welchen  Ausdruck  ebenfalls  die  Erfahrung  bestätigt.  Es  kann 
dieser  Ausdruck  positiv  oder  negativ  sein ,  er  kann  einem  Ver- 
schwinden oder  Entstehen  fremder  Energieformen  entsprechen. 
Entweder  ist  die  umgesetzte  fremde  Energie  hier  gleichfalls  Wärme 
—  Peltier'sche  Wärme  —  in  diesem  Falle  bezeichnen  wir  die 
thätigen  elektromotorischen  Kräfte  als  thermoelektrische.  Oder 
es  wird  neben  Wärme  auch  chemische  Energie  umgesetzt,  in  diesem 
Falle  bezeichnen  wir  die  Kräfte  als  elektrochemische.  Fassen  wir 
nunmehr  einen  beliebig  begrenzten  Theil  unseres  Systems  ins  Auge 
und  berechnen  die  Zunahme  der  gesammten  Energie  dieses  Theiles, 
also  der  Größe 


dS_ 
dt  ' 


f(uX  +  vY+tvZ)dT 


so  finden  wir  nach  dem  Vorigen  diese  Zunahme  gleich  einem  über 
die  Oberfläche  des  Eaumes  genommenem  Integral.  Die  Aenderung 
des  Energievorrathes  dieses  und  damit  eines  jeden  Eaumes  wird 
also  richtig  berechnet,  wenn  wir  annehmen,  die  Energie  trete  nach 
Art  einer  Substanz  durch  die  Oberfläche  ein,  und  zwar  in  solcher 


über  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik  für  ruhende  Körper.    129 
Fülle,  daß  durch  die  Flächeneinheit  einer  jeden  Oberfläche  die  Menge 

__!_  {(NY—  MZ)cosnJx  +  (LZ—  NX)cosn,y  +  (MX— LY)cosn,z\ 

tritt.  Eine  geometrische  Discussion  dieses  Ausdrucks  ergiebt,  daß 
unsere  Annahme  identisch  ist  mit  der  Aussage,  die  Energie  bewege 
sich  überall  in  einer  Richtung  ,  welche  auf  den  Richtungen  der 
magnetischen  und  der  elektrischen  Kraft  senkrecht  steht  und  in 
solcher  Fülle,  daß  in  dieser  Richtung  in  der  Zeiteinheit  durch  die 
Flächeneinheit  eine  Menge  trete  gleich  dem  Produkt  der  beiden 
Kräfte,  dem  Sinus  des  eingeschlossenen  Winkels  und  dem  Faktor 

-s — r.  Es  ist  dies  die  höchst  bemerkenswerthe  Theorie  des  Herrn 
4tiA 

Poynting  über  die  Bewegung  der  Energie  im  elektromagneti- 
schen Felde1).  Bei  Beurtheilung  der  physikalischen  Bedeutung 
derselben  muß  erstens  hervorgehoben  werden,  daß  die  Zerlegung 
unseres  Oberflächenintegrales  in  seine  Elemente  eine  hypotheti- 
sche war  und  daß  das  Ergebniß  derselben  nicht  immer  ein  wahr- 
scheinliches ist.  Ruht  ein  Magnet  dauernd  neben  einem  elektri- 
sirten  Körper,  so  muß  zufolge  dieses  Resultats  die  Energie  der 
Nachbarschaft  sich  in  beständiger  Bewegung  befinden,  allerdings 
in  geschlossenen  Bahnen.  Ein  größeres  Bedenken  scheint  mir  in 
der  Frage  zu  liegen,  wie  weit  bei  unsern  gegenwärtigen  Kennt- 
nissen von  der  Energie  die  Lokalisation  derselben  und  ihre  Ver- 
folgung von  Punkt  zu  Punkt  überhaupt  Sinn  und  Bedeutung  hat. 
Derartige  Betrachtungen  sind  noch  nicht  durchgeführt  bei  den 
einfachsten  Energieumsätzen  der  gewöhnlichen  Mechanik;  es  ist 
daher  die  Frage  noch  unerledigt ,  ob  und  in  welchem  Umfange 
der  Begriff  der  Energie  eine  solche  Behandlungsweise  zuläßt. 

12.    Ponderomotorische  Kräfte. 

Die  mechanischen  Kräfte ,  welche  wir  im  elektromagnetisch 
gestörten  Felde  zwischen  den  ponderabelen  Körpern  wahrnehmen, 
sehen  wir  an  als  die  Resultanten  mechanischer  Druckkräfte,  welche 
durch  das  Vorhandensein  der  elektromagnetischen  Störungen  im 
Aether  und  in  den  übrigen  Körpern  wachgerufen  werden.  Zufolge 
dieser  Anschauung  sind  die  auf  einen  ponderabeln  Körper  wirken- 
den mechanischen  Kräfte  vollständig  bestimmt  durch  den  elektro- 
magnetischen Zustand  seiner  unmittelbaren  Umgebung,  ohne  daß 
es  darauf  ankäme,  welche  Ursachen  weiterhin  diesen  Zustand  her- 


1)  J.  H.  Poynting,  Phil.  Transactions  1884.  II.  p.  343. 


130  H.  Hertz, 

vorgerufen  haben.  Wir  setzen  ferner  voraus,  daß  die  unterstellten 
Druckkräfte  von  solcher  Art  sind ,  daß  sie  keine  Resultanten 
ergeben,  welche  das  Innere  des  Aethers  selbst  in  Bewegung  zu 
setzen  streben.  Ohne  diese  Voraussetzung  wäre  unser  System  noth- 
wendig  unrichtig  oder  doch  unvollständig,  denn  ohne  sie  konnte 
man  von  elektromagnetischen  Kräften  im  ruhenden  Aether  allgemein 
gar  nicht  reden.  Eine  nothwendige  Folge  dieser  Voraussetzung 
ist  es ,  daß  die  an  den  ponderabeln  Körpern  zu  beobachtenden 
mechanischen  Kräfte  dem  Prinzip  der  Gleichheit  von  Wirkung 
und  Gegenwirkung  genügen. 

Es  fragt  sich  nun  ob  sich  Druckkräfte  angeben  lassen,  welche 
diesen  Anschauungen  entsprechen  und  geeignet  sind,  die  wirklich 
beobachteten  Resultanten  zu  ergeben.  Maxwell  und  in  allge- 
meinerer Form  von  Helmholtz  haben  Formen  der  Druckkräfte 
angegeben,  welche  allen  Ansprüchen  genügen  für  statische  und 
stationäre  Zustände.  Aber  für  den  allgemeinen  veränderlichen 
Zustand  als  gültig  angenommen  würden  diese  Drucke  das  Innere 
des  Aethers  selbst  in  Bewegung  setzen.  Wir  nehmen  deshalb  an, 
daß  die  vollständigen  Formen  noch  nicht  gefunden  seien,  vermeiden 
es,  bestimmte  Angaben  über  die  Größe  der  Drucke  zu  machen  und 
ziehen  es  vor,  die  ponderomotorischen  Kräfte  abzuleiten  mit  Hülfe 
der  Voraussetzungen ,  welche  wir  bereits  angegeben  haben ,  mit 
Hülfe  des  Prinzips  von  der  Erhaltung  der  Energie  und  mit  Hülfe 
der  folgenden  Erfahrungsthatsache :  Werden  die  ponderabelen  Kör- 
per eines  elektrisch  oder  magnetisch  erregten  Systems ,  welches 
dem  statischen  Zustand  stets  unendlich  nahe  bleibt,  gegen  einander 
bewegt  und  gleichzeitig  die  in  jedem  Element  der  Körper  befind- 
liche Menge  der  wahren  Elektricität  und  des  wahren  Magnetismus 
als  unveränderlich  und  an  dem  Elemente  haftend  behandelt ,  so 
findet  die  zur  Bewegung  der  Körper  verbrauchte  mechanische  Ar- 
beit ihre  einzige  Compensation  in  der  Vermehrung  der  elektromag- 
netischen Energie  des  Systems,  ist  also  dieser  gleich. 

Es  bleibt  die  Frage  offen ,  ob  sich  überhaupt  Formen  der 
Druckkräfte  angeben  lassen,  welche  den  von  uns  gestellten  Anfor- 
derungen allgemein  und  genau  genügen.  Sollte  dies  nicht  der  Fall 
sein,  so  enthält  die  Gesammtheit  unserer  Voraussetzungen  einen 
innern  Widerspruch,  welche  durch  eine  Correction  an  einer  oder 
an  mehreren  dieser  Voraussetzungen  gehoben  werden  muß.  Die 
erforderlichen  Verbesserungen  sind  aber  jedenfalls  von  solcher  Art, 
daß  sie  in  keiner  der  bisher  beobachteten  Erscheinungen  ihre  Wir- 
kung geltend  machen.  Im  Uebrigen  ist  hervorzuheben,  daß  wenn 
sich  hier  eine  Lücke   in  unserer  Theorie    findet ,    dies   nicht   eine 


über  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik  für  ruhende  Körper.    131 

Lücke  in  den  Grundlagen ,  sondern  eine  solche  in  den  Ausläufern 
der  Theorie  ist.  Denn  die  erregten  mechanischen  Kräfte  sind  von 
unsern  Standpunkte  aus  eine  secundäre  Folgeerscheinung  der  elek- 
tromagnetischen Kräfte;  wir  könnten  die  Theorie  der  letzteren 
behandeln,  ohne  die  er  st  er  en  auch  nur  zu  erwähnen,  wie  wir  denn 
ja  auch  alle  übrigen  minder  wichtigen  Folgeerscheinungen  des 
elektromagnetischen  Zustandes  von  der  Besprechung  ausgeschlossen 
haben. 


B.     Ableitung  der  Erscheinungen   aus  den  Grundgleichungen. 

Wir  theilen  die  durch  unsre  Gleichungen  dargestellten  Er- 
scheinungen ein  in  statische,  stationäre  und  dynamische.  Damit 
eine  Erscheinung  zu  den  statischen  oder  stationären  rechne,  ist 
nöthig,  daß  sie  keine  Aenderungen  der  elektrischen  und  magneti- 
schen Kräfte  mit  der  Zeit  bedinge,  daß  also  die  linken  Seiten  der 
Gleichungen  9  a  und  9  b  verschwinden.  Damit  eine  Erscheinung 
weitergehend  als  eine  statische  bezeichnet  werde,  ist  außerdem 
nöthig,  daß  sie  überhaupt  nicht  von  Aenderungen  in  der  Zeit  be- 
gleitet werde,  daß  also  insbesondere  durch  sie  kein  dauernder 
Energieumsatz  in  andre  Formen  bedingt  werde.  Hierfür  ist  die 
hinreichende  und  nothwendige  Bedingung,  daß  auch  die  Großen 
u,  v,  w  in  den  Gleichungen  9a  und  9b  verschwinden. 


Statische  Erscheinungen. 

Wenn  in  den  Gleichungen  9a  und  9b  die  linken  Seiten  und 
die  u,  v)  w  verschwinden,  so  zerfällt  das  System  in  zwei  von  ein- 
ander unabhängige  Systeme,  von  welchen  das  eine  nur  die  elektri- 
schen, das  andere  nur  die  magnetischen  Kräfte  enthält.  Wir  er- 
halten so  zwei  Gruppen  von  Problemen,  von  denen  die  eine  als 
Elektrostatik ,  die  andere  als  Lehre  vom  ruhenden  Magnetismus 
bezeichnet  zu  werden  pflegt. 

13.    Elektrostatik. 

Vom  Auftreten  elektromotorischer  Kräfte  sehen  wir  in  diesem 
Abschnitt  ab,  weil,  wenn  dieselben  das  Zustandekommen  des  sta- 
tischen Zustandes  überhaupt  gestatten,  ihre  Wirkung  zu  schwach 


132  H.  Hertz, 

ist,  um  in  den  interessirenden  Problemen  in  Betracht  zu  kommen. 
Hiernach  müssen  alsdann  in  den  Leitern ,  woselbst  die  X  nicht 
verschwinden,  die  Kräfte  X  Y  Z  verschwinden.  In  den  Nichtleitern 
nehmen  die  Gleichungen  9a  die  Form  an 


dZ      dY 

dX 

dZ 

dY 

dX 

dy        dz 

dz 

dx 

dx 

dy 

Die  Kräfte  besitzen  demnach  ein  Potential  (p ,  dessen  negati- 
ven Differentialquotienten  sie  gleich  gesetzt  werden  können.  Da 
die  Kräfte  überall  endlich  sind,  ist  (p  überall  stetig,  es  kann  auch 
durch  die  Leiter  hindurch  fortgesetzt  werden  und  ist  alsdann  in 
diesen  als  constant  zu  betrachten.  An  einer  Grenzfläche  setzen 
sich  die  zur  Grenzfläche  tangentialen  Differentialquotienten  von  (p 
stetig  durch  die  Fläche  fort.  Bezeichnet  im  Uebrigen  ef  die  räum- 
liche Dichte  der  freien  Elektricität ,  so  genügt  nach  Abschnitt  10 
das  Potential  (p  überall  im  Räume  der  Gleichung  4cp  =  —4^, 
welche  im  freien  Aether  die  Form  Aq>  =  0  annimmt,  und  deren 
sinngemäße  Umformung  für  die  Trennungsfläche  heterogener  Kör- 
per daselbst  die  Bedingung  ergiebt 


\  dn/3 


-(©  =  -"•*;. 


unter  e'f  die  Flächendichtigkeit  der  freien  Elektricität  verstanden. 
Aus  der  Gesammtheit  dieser  Bedingungen  folgt  für  cp  der  bis  auf 
eine  willkürlich  bleibende  Constante  eindeutig  bestimmte  Werth: 

<p  =  /  —f-  dx ,  das  Integral  über  den  ganzen  Raum,  unter  sinnge- 
mäßer Berücksichtigung  der  Grenzflächen  erstreckt.  Bei  gleicher 
Vertheilung  des  Potentials  und  der  Kräfte  in  verschiedenen  Nicht- 
leitern sind  also  die  freien  Elektricitäten  die  gleichen.  Die  ent- 
sprechenden Mengen  der  wahren  Elektricitäten  aber  sind  verschie- 
den und  stehen  für  das  Innere  zweier  homogenen  Nichtleiter  im 
Verhältniß  der  Dielektricitätsconstanten.  Die  Bedingung  dafür, 
daß  die  Dichtigkeit  der  wahren  Elektricität  im  Innern  der  Nicht- 
leiter gegebene  Werthe  ew  habe,  ist,  wenn  wir  uns  für  den  Au- 
genblick auf  isotrope  Körper  beschränken: 

*{&)+£YM%£(,M)  =  -4«., 

dx  \    dx/      dy  \    dy/      dz  \    dz  /  mi 

welche  an  der  Grenze  zweier  isotroper  Körper  die  Form  annimmt 


über  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik  für  ruhende  Körper.    133 

unter  e'w  die  Flächendichte  der  wahren  Elektricität  verstanden. 

Werfen  wir  noch  unser  Augenmerk  auf  den  Energievorrath 
eines  elektrostatischen  Systemes.  Wir  erhalten  denselben  der 
Reihe  nach  in  den  Formen: 

-  &m +f ♦#>*  -  */♦«•*  -  W&*- 

Die  Integrationen  sind  dabei  über  allen  Raum  erstreckt  ge- 
dacht, in  welchem  elektrische  Störungen  vorkommen,  also  bis  zu 
Grenzen,  an  welchen  die  Störungen  verschwinden,  und  die  sinnge- 
mäße Umformung  der  Integrale  an  den  Grenzflächen  ist  stillschwei- 
gend unterstellt.  Die  Zunahme,  welche  ein  jeder  dieser  Ausdrücke 
erleidet,  wenn  bei  eintretender  Bewegung  der  ponderabelen  Körper 
die  an  den  Körperelementen  haftenden  Mengen  der  wahren  Elek- 
tricität constant  bleiben,  ist  nach  Abschnitt  12  gleich  der  von  den 
mechanischen  Kräften  bei  dieser  Bewegung  geleisteten  Arbeit. 
Besteht  also  unser  System  aus  zwei  Elektricitätsmengen  E1  und 
E2,  welche  im  Aether  in  einem  gegen  ihre  eigenen  Dimensionen 
sehr  großen  Abstand  B  von  einander  sich  befinden,  so  vermindert 
sich  bei  Vermehrung  des  Abstandes  beider  um  dB  die  elektrische 

Energie  des  Raumes  um  ^(E1E2+E2E1)-^2-f  der  Ausdruck      '    ' 

stellt  also  die  mechanische  Kraft  dar,  mit  welcher  beide  Elektri- 
citäten  sich  von  einander  zu  entfernen  trachten.  Das  Coulomb- 
sche  Gesetz ,  welches  in  den  älteren  Theorien  den  Ausgangspunkt 
aller  Betrachtung  bildete,  erscheint  jetzt  als  ein  entferntes  End- 
resultat. 

In  Hinsicht  der  allgemeinen  Bestimmung  der  ponderomotori- 
schen  Kräfte  müssen  wir  uns  hier  begnügen ,  darauf  hinzuweisen, 
daß  die  letzten  beiden  für  die  Energie  des  Systems  erlangten  Aus- 
drücke dieselben  sind,  deren  Aenderung  auch  nach  der  gewöhnli- 
chen Elektrostatik  die  bei  der  Bewegung  der  Körper  geleistete 
Arbeit  ergiebt,  und  daraus  zu  folgern,  daß  wir  aus  den  Aen- 
derungen  dieser  Ausdrücke  dieselben  Kräfte  bereclnißn  werden, 
von  welchen  die  gewöhnliche  Elektrostatik  ausgeht  und  welche  an 
der  Erfahrung  geprüft  sind.    Insbesondere  wird  sich  zeigen  lassen, 

Nachrichten  von  der  K.  G.  d.  VY.  zu  Göttingen.   1890.  No.  4.  11 


134  H.  Hertz, 

daß  auf  ein  Körperelement,  welches  die  Menge  e  an  wahrer  Elek- 
tricität  enthält,  die  mechanischen  Kraftcomponenten  eX,  eY,  eZ 
einwirken.  Wir  kommen  dadurch  auf  die  Aussagen  zurück,  durch 
deren  Hülfe  wir  zuerst  die  elektrischen  Kräfte  einführten. 


14.    Ruhender  Magnetismus. 

Die  Gleichungen,  welche  die  Componenten  ruhender  magne- 
tischer Kräfte  verbinden,  sind  die  gleichen,  welche  zwischen  den 
Componenten  ruhender  elektrischer  Kräfte  obwalten.  Alle  Be- 
merkungen des  vorigen  Abschnittes  lassen  sich  daher  hier  unter 
entsprechender  Aenderung  der  Bezeichnungen  wiederholen.  Wenn 
gleichwohl  die  in  diesem  Gebiet  interessirenden  Probleme  sich 
auch  in  mathematischer  Beziehung  von  denen  der  Elektrostatik 
unterscheiden,  so  liegt  das  vorzugsweise  an  folgenden  Gründen: 

1)  Es  fällt  hier  die  Klasse  der  als  Leiter  zu  bezeichnenden 
Körper  fort. 

2)  In  allen  Körpern,  mit  Ausnahme  solcher,  welche  permanenten 
oder  remanenten Magnetismus  zeigen,  kommt  wahrer  Magnetismus 
nicht  vor.  Im  Innern  derartiger  Körper,  sofern  sie  isotrop  sind, 
gilt  daher  für  das  magnetische  Potential  ty  nothwendig  stets  die 
Gleichung : 

d   (    äi\>\       d    (    dtl>\,     d   (    d^\ 
welche  an  der  Grenze  derartiger  Körper  übergeht  in  die  Gleichung 

'.(£),-<•■(£),-  »• 

Etwas  verwickeitere,  aber  leicht  angebbare  Gleichungen  gelten  für 
das  Innere  und  die  Grenzen  krystallinischer  Körper  und  kommen 
in  Betracht,  wenn  wir  die  Erscheinungen  der  sogenannten  Magne- 
krystallkraft  behandeln  wollen. 

3)  Während  die  Dielektricitätsconstante  aller  bekannten  Körper 
größer  als  Eins  ist,  ist  die  Magnetisirungsconstante  für  viele  Kör- 
per auch  kleiner  als  Eins.  Solche  Körper  bezeichnen  wir  als  dia- 
magnetische, im  Gegensatz  dazu  die  übrigen  als  paramagnetische. 
Die  freie  magnetische  Dichte  an  der  Oberfläche  eines  an  den  leeren 
Raum  grenzenden  isotropen  Körpers  ist  gleich  dem  (1  —  f*)  fachen 
der  im  Innern  des  Körpers  normal  zur  Oberfläche  gerichteten  Kraft. 


über  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik  für  ruhende  Körper.     135 

Bei  gleichem  Sinn  der  Kraft  ist  also  das  Vorzeichen  der  Belegung 
eines  diamagnetischen  Körpers  demjenigen  der  Belegung  eines  pa- 
ramagnetischen Körpers  entgegengesetzt. 

Die  Lehre  vom  ruhenden  Magnetismus  gewinnt  ferner  ein  be- 
sonderes Ansehen  durch  den  Umstand,  daß  gerade  die  in  Hinsicht 
der  magnetischen  Erscheinungen  wichtigsten  Körper ,  Eisen-  und 
Stahlsorten,  sich  der  Theorie  nur  in  ganz  roher  Annäherung  fü- 
gen. Diese  Körper  zeigen  permanenten  und  remanenten  Magnetis- 
mus, es  ist  also  in  ihnen  die  Polarisation  des  ponderabelen  Stoffes 
theilweise  unabhängig  von  der  herrschenden  Kraft,  und  also  der 
magnetische  Zustand  nicht  vollständig  durch  eine  einzige  Richtungs- 
größe zu  definiren.  Da  außerdem  die  Beziehungen  zwischen  der 
Kraft  und  den  durch  sie  bewirkten  Störungen  keine  linearen  sind, 
so  treten  diese  Körper  aus  doppeltem  Grunde  aus  dem  Rahmen 
der  gegenwärtigen  Theorie  heraus.  Um  sie  nicht  ganz  von  der 
Betrachtung  ausschließen  zu  müssen,  ersetzen  wir  sie  durch  den 
jedesmal  nächst  stehen  den  zweier  Idealkörper,  des  vollkommen 
weichen  Eisens  oder  des  vollkommen  harten  Stahles.  Ersteres  de- 
finiren wir  als  einen  Körper,  welcher  unsern  Gleichungen  folgt, 
und  für  welchen  ft  einen  sehr  großen  Werth  hat.  Indem  wir  die- 
sen Werth  je  nach  der  Natur  des  behandelten  Problems  verschie- 
den wählen,  erzielen  wir  eine  weitere  Annäherung.  Den  vollkom- 
men harten  Stahl  definiren  wir  als  einen  unsern  Gleichungen  fol- 
genden Körper  von  den  Magnetisirungsconstanten  Eins,  in  dessen 
Innern  wahrer  Magnetismus  vorkommen  kann  in  beliebiger  Verthei- 
lung,  jedoch  so,  daß  die  Gesammtmenge  des  in  jedem  Stahlstück  vor- 
handenen wahren  Magnetismus  wiederum  von  Null  nicht  abweicht. 

Stationäre  Zustände. 

Für  den  Zustand  der  stationären  Bewegungen  gelten  in  den 
Nichtleitern  die  gleichen  Bedingungen,  wie  für  den  statischen  Zu- 
stand; in  den  Leitern,  welche  wir  in  diesem  Abschnitt  der  Ein- 
fachheit halber  als  isotrop  vorausetzen,  nehmen  die  in  Betracht 
kommenden  Gleichungen  9a,  9b,  9e  die  Form  an: 

dZ       dY        A  dM      dN         ;      . 

— —  =  0  -j =-  =  4  7t  Au 

dy        dz  dz         dy 

dX       dZ  ,w  dN       dL         A     .  lr, 

— -—  =  0  15a.  -5 -=—  =  4«.4t>  15b. 

dz        dx  dx        dz 

dY      dX  dL       dM        A     A 

— — -   =  0  -5 j—   =  4  71 Aw 

dx        dy  dy        ax 

11* 


136  H.  Öerts, 

15c.      u  =  A(X-X'),    v  =  l(Y-  F),    w  =  %(Z-Z). 

Differenziren  wir  die  Gleichungen  15b  beziehlich  nach  x,  y,  z  und 
addiren  sie,  so  folgt 

dx      dy      dz  '  "     ' 

welche  Gleichung  an  Flächen,  an  welchen  sich  die  Strömungen 
sprungweise  ändern,  die  Form  annimmt: 

15  e.    (u2  —  w,)  cos  n,  x  +  (v2  —  vt)  cos  w,  y  +  (w2  —  wx)  cos  n,  z  =  0. 

Fügen  wir  die  Gleichungen  15  d  und  15  e  den  Gleichungen  15  a  und 
15  c  hinzu,  so  erhalten  wir  ein  System,  welches  lediglich  die  elek- 
trischen Kräfte  enthält.  Dasselbe  kann  ohne  Rücksicht  auf  die 
magnetischen  Kräfte  behandelt  werden  und  giebt  uns  die  Theorie 
der  Stromvertheilung.  Sind  die  Componenten  u,  v,  w  der  Strö- 
mung gefunden,  so  ergiebt  uns  weiter  die  Behandlung  der  Gleich- 
ungen 15  b  die  von  diesen  Strömungen  ausgeübten  magnetischen 
Kräfte. 

15.    Vertheilung  stationärer  Ströme. 

Es  erhellt  aus  den  Gleichungen  15  a,  daß  die  Kräfte  auch  im 
Innern  der  durchströmten  Leiter  noch  als  die  negativen  Differen- 
tialquotien  einer  Function  (p,  des  Potentials,  dargestellt  werden 
können,  welches  durch  die  Bedingung  bestimmt  ist,  daß  überall 
sein  muß: 


-iw-i^- 


An  der  Grenzfläche  zweier  heterogener  Leiter  nimmt  diese  Gleich- 
ung die  Form  von 

15g.  ^(g^-A^g)^  ^<Ät35^il1Z0cosn^-(A2Fi-A1Fl) 

cos  n,  y  —  (l2Z[  —  A^)  cos  n,  z, 

also  an  der  Grenze  eines  Leiters  gegen  einen  Nichtleiter  die  Form : 


über  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik  für  ruhende  Körper.     137 

j 

~-  =  —  X'  cos  n,  x  —  Y  cos  n,y  —  Z'  cos  n,  z.  15h. 

Zu  diesen  Grenzbedingungen  kommt  noch  in  solchen  Grenzflächen, 
in  welchen  die  elektromotorischen  Kräfte  unendlich  werden,  nach 
Abschnitt  8  die  weitere  Bedingung  hinzu : 

(pl  —  (p2  =  J(Xcos  n,  x  +  Fcosn,y-|-  Z  cos  n,z)dn 

=  $(X'coan,x  +  Ycosn,y  +  Z,cosn,z)dn  15i. 

Die  Gesammtheit  dieser  Bedingungen  bestimmt  <p  eindeutig  für 
das  ganze  Innere  der  Leiter  bis  auf  eine  Constante,  welche  von 
den  Zuständen  außerhalb  der  Leiter  abhängig  bleibt.  Für  homo- 
gene Leiter  nehmen  die  Gleichungen  15f— 15i  die  einfacheren  Ge- 
stalten an : 

4(p  =  0  für  das  Innere  der  Leiter, 
A^-—)  =  ä2(  7    )    für  die  Grenze  zweier  Leiter,  15k. 

— ?-  =  0  für  die  Grenze  gegen  einen  Nichtleiter, 

(pi—  (p2  =  yx  2  an  einer  elektromotorisch  wirksamen  Grenzfläche. 

Die  so  erlangten  Gleichungen  gestatten  die  unmittelbare  An- 
wendung auf  Probleme  der  Stromvertheilung  in  dreifach  ausge- 
dehnten Körpern.  Ihre  Anwendung  auf  die  Strömung  in  flächen- 
förmig  ausgedehnten  Leitern  oder  auf  lineare  Stromträger  ist  leicht 
und  ergiebt  die  Definition  des  Widerstands,  das  Ohmsche  Gesetz 
für  geschlossene  Strombahnen,  die  Kirchoff  sehen  Sätze  für  be- 
liebige Verzweigungen,  sowie  die  übrigen  allgemeinen  Sätze  über 
die  Vertheilung  stationärer  Ströme. 

16.    Magnetische  Kräfte  stationärer  Ströme. 

Um  zunächst  überall  aus  den  nunmehr  bekannten  Stromkom- 
ponenten u,  v,  w  die  durch  sie  hervorgerufenen  Kräfte  Lf  M,  N 
zu  bestimmen,  führen  wir  als  HülfsgrÖßen  die  sogenannten  Com- 
ponenten  des  Vectropotentiales  ein,  indem  wir  setzen: 


^'/£*.  *-/7*.  *-/ 


—  dt 
r 


138  H.  Hertz, 

Die  Integrale  sind  über  den  ganzen  Kaum  zu  erstrecken,  in  Folge 
der  Bedingungen  des  stationären  Zustandes  wird  dabei 

du  .  dV  ,   dW        n 
H — j —  =  u. 


dx       dy        dz 


Wir  setzen  nun : 

\dz       dy  J 

16a.  M  =  a(™-™) 

\  dx        dz  J 

\  dy       dx  J 

Diese  L,  M,  N  sind  Lösungen  der  Gleichungen  15  b  und  genügen 
der  Gleichung 

§L_      dM_      dN_     _ 
dx       dy        dz 

Wenn  sich  also  auch  die  wirklich  vorhandenen  Kräfte  von  ihnen 
unterscheiden  können ,  so  genügen  doch  die  Unterschiede  beider 
den  Bedingungen  für  die  Kräfte  ruhender  Magnetismen ,  und  kön- 
nen als  von  solchen  herrührend  angesehen  werden  ,  wobei  «nicht 
ausgeschlossen  ist ,  daß  diese  Magnetismen  ihrerseits  wiederum 
durch  die  Strömungen  veranlaßt  seien.  Sind  aber  insbesondere 
ruhende  Magnetismen  nicht  vorhanden,  so  stellen  die  angegebenen 
Formen  die  vorhandenen  magnetischen  Kräfte  vollständig  dar. 

Haben  wir  es  nur  mit  linearen  Stromleitern  zu  thun,  in  wel- 
cher die  Stromstärke  i  herrscht,  so  treten  in  den  Werthen  der  U, 
V,  W  an  Stelle  der  Ausdrücke  udr,  vdt,  wdt  die  Ausdrücke  idx, 
idy,  idZj  wobei  dx,  dy,  dy  die  Projectionen  des  Elementes  ds  der 
Strombahn  auf  die  drei  Axen  sind,  und  die  Integrationen  alsdann 
längs  der  Stromwege  um  deren  ganzen  Umfang  genommen  werden 
müssen.  Wollen  wir  die  magnetischen  Kräfte  der  gesammten 
Strömung  als  die  Summen  der  Wirkungen  der  einzelnen  Stromele- 
mente ansehen,  so  giebt  eine  ihren  Resultaten  nach  zulässige  Zer- 
legung unserer  Integrale  für  die  Wirkung  des  Stromelementes  idx 
auf  den  Punkt  x'  y'  z',  wenn  wir  zur  Vereinfachung  der  Formeln 
das  Element  in  den  Nullpunkt  und  den  Punkt  x'  y'  z'  in  die  xy 
Ebene  bringen : 


über  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik  für  ruhende  Körper.     139 

1  =  0,   M=0,N  =  Aidx£-  =  ~^.y-, 

dy  r2        r  ' 

welche  Formeln  der  Ampere  sehen  Regel  und  dem  Biot-Savart'- 
schen  Gesetz  Ausdruck  verleihen. 

Die  gefundenen  Werthe  der  Kräfte  müssen  zufolge  der  Gleich- 
ungen 15b  überall  da,  wo  die  u,  v,  w  verschwinden,  also  überall 
außerhalb  der  durchströmten  Leiter  ein  Potential  ty  besitzen,  des- 
sen negativen  Differentialquotienten  wir  sie  gleich  setzen  können. 
Rühren  die  Kräfte  nur  her  von  einer  einzigen  geschlossenen  li- 
nearen Strombahn,  so  kann  dies  Potential  dargestellt  werden  in 
der  Form 

/d- 
-—  deo  +  constans  16  b. 

worin  deo  das  Element  einer  beliebigen  durch  die  Strombahn  ge- 
legten Fläche,  w  die  Normale  dieser  Fläche  bedeutet  und  die  Inte- 
gration über  den  ganzen  von  der  Strombahn  begrenzten  Bereich 
der  Fläche  zu  erstrecken  ist.  Als  positiv  ist  dabei  diejenige  Seite 
der  Fläche  gerechnet,  von  welcher  aus  gesehen  der  positiv  gerech- 
nete Strom  im  Sinne  der  Drehung  des  Uhrzeigers  fließt.  Durch 
bekannte  Integraltransformationen  werden  nämlich  die  negativen 
Differentialquotienten  des  angegebenen  Ausdrucks  überall  in  die 
für  L,  M,  N  gefundenen  Formen  gebracht,  diese  Differentialquo- 
tienten sind  also  überall  außer  in  der  Strombahn  selbst  endlich 
und  stätig,  und  wenn  auch  das  in  ^  enthaltene  Integral  an  der 
Fläche  co  unstätig  wird,  so  kann  dem  ganzen  ip  nichtsdestoweniger 
die  erforderliche  Stätigkeit  verliehen  werden,  indem  wir  die  darin 
enthaltene  Constante  als  unendlich  vieldeutig  betrachten  und  je- 
desmal einen  um  4:7t Ai  geänderten  Werth  derselben  benutzen,  so- 
bald wir  die  Fläche  co  durchschreiten.  Das  Potential  wird  dadurch 
selbst  unendlich  vieldeutig  und  ändert  sich  um  An Ai,  sobald  wir 
nach  einmaliger  Umkreisung  der  Strombahn  zum  Ausgangspunkte 
zurückkehren. 

Dem  Integralausdruck,  welcher  in  ^  vorkommt,  können  ver- 
schiedene Deutungen  untergelegt  werden.  Er  kann  zunächst  be- 
trachtet werden  als  das  Potential  einer  magnetischen  Doppelschicht. 
Durch  Verfolg  dieser  Auffassung  gelangen  wir  zu  der  Ampere- 
schen  Theorie  des  Magnetismus,  Es  kann  andererseits  mit  Gauss 
der  Werth  jenes  Integrals  in  einem  bestimmten  Punkte  gedeutet 
werden  als  der  sphärische  Winkel,  unter  welchem  von  dem  Punkte 
aus   gesehen  die  Strombahn  erscheint.     Von  hieraus   ergiebt  uns 


140  H.  Hertz, 

ein  leichter  Ueb  ergang  die  Richtigkeit  der  Aussage:  es  stelle  jenes 
Integral  für  einen  Punkt  die  Zahl  der  Kraftlinien  dar,  welche  ein 
in  dem  Punkte  aufgestellter  Einheitspol  durch  die  Strombahn  sen- 
det. Das  ganze  Potential  einschließlich  seiner  Vieldeutigkeit  kann 
hieran  anknüpfend  gedeutet  werden  durch  die  Aussage:  es  sei  die 
Differenz  seiner  Werthe  in  zwei  Punkten  gleich  der  mit  Ai  mul- 
tiplicirten  Zahl  der  Kraftlinien,  welche  in  bestimmter  Richtung 
die  Strombahn  durchschneiden,  wenn  ein  Einheitspol  auf  beliebigem 
Wege  aus  dem  einen  Punkt  in  der  andern  übergeführt  wird. 

Die  letztgenannte  Deutung  ist  von  unserm  Standpunkte  aus 
die  angemessenste ,  auch  erlaubt  sie  uns  unter  Berufung  auf  die 
Lehren  der  Abschnitte  12  und  14  die  folgenden  Schlüsse  an  einan- 
der zu  reihen.  Erstens :  Die  mechanische  Arbeit,  welche  geleistet 
werden  muß,  um  einen  Magnetpol  oder  auch  ein  System  unverän- 
derlicher Magnetismen  in  der  Nähe  eines  constant  gehaltenen  li- 
nearen Stromes  zu  verschieben,  ist  gleich  der  Zahl  der  Kraftlinien 
des  Magnetpoles  oder  des  magnetischen  Systemes ,  welche  bei  der 
Bewegung  die  Strombahn  in  bestimmter  Richtung  durchschneiden, 
multiplicirt  mit  der  Stromstärke  und  der  Constanten  A.  Zweitens : 
Die  mechanische  Arbeit,  welche  geleistet  werden  muß,  um  einen 
constant  gehaltenen  Strom  in  einem  beliebigen  magnetischen  Felde 
zu  verschieben,  ist  gleich  der  Zahl  der  Kraftlinien,  welche  bei  der 
Verschiebung  von  der  Strombahn  durchschnitten  werden,  multipli- 
cirt mit  der  Stärke  des  Stromes  und  der  Constanten  A.  Endlich 
also  im  Besonderen :  Die  mechanische  Arbeit,  welche  geleistet  wer- 
den muß,  um  einen  constant  gehaltenen  Strom  1  in  der  Nähe  eines 
constant  gehaltenen  Stromes  2  zu  verschieben,  ist  gleich  der  Zahl 
der  magnetischen  Kraftlinien  der  Strombahn  2,  welche  von  der 
Strombahn  1  bei  der  Bewegung  durchschnitten  werden,  multiplicirt 
mit  der  Stromstärke  in  1  und  der  Constanten  A.  Mit  dem  gleichen 
Rechte  ist  diese  Arbeit  auch  gleich  der  Zahl  der  Kraftlinien  des 
Stromes  1 ,  welche  bei  der  Verschiebung  die  Strombahn  2  durch- 
schneiden, multiplicirt  mit  der  Stromstärke  in  2  und  der  Con- 
stanten A.  Beide  Aussagen  führen  zu  dem  gleichen  Resultat  j  wir 
beweisen  dies,  indem  wir  das  Produkt  aus  der  Intensität  der  einen 
Strombahn  und  der  Zahl  der  sie  durchsetzenden  Kraftlinien  der 
andern  Strombahn  durch  einen  in  Hinsicht  beider  symmetrischen 
Ausdruck  darstellen.  Beziehen  sich  nämlich  die  Bezeichnungen  i, 
äs,  auf  die  Strombahn  1,  •',  äs',  IT,  F,  W,  L\  M,  N'  auf  die 
Strombahn  2,  so  ist  die  mit  Ai  multiplicirte  Zahl  der  Kraftlinien 
von  2,  welche  1  durchsetzen  gleich: 


über  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik  für  ruhende  Körper.     141 
Ai  I  (X'cosn,  #+M'cosw,  y  +  Ncosn,  z)d(o 

i2.f\(dV     dW\  fdW     dü'\  fdW     dV'\ 

cos  n,  z\da) 
=  —  AH  I  ( U'  cos  5,  x  -f  F  cos  s,  y  +  W  cos  s,  z)  ds 

.«,..,  C  fcosSjXcoss'y  x-\-coss,ycoas\  «/  +  cos 5,^ cos  5', #  ,    ,  , 

=  -AHi![f—*-dsds, 

worin  e  den  Winkel  bezeichnet,  welchen  die  beiden  Stromelemente 
im  Raum  mit  einander  bilden.  Der  erlangte  Ausdruck  ist  sym- 
metrisch in  Bezug  auf  beide  Strombahnen.  Man  weiß,  daß  in  der 
That  die  Aenderungen  dieses  Ausdrucks,  des  mit  AHi'  multipli- 
cirten  Neu  mann  sehen  Potentiales  der  einen  Strombahn  auf  die 
andre  die  zur  gegenseitigen  Verschiebung  geschlossener  Ströme 
erforderliche  Arbeit  und  daraus  die  zwischen  den  ruhenden  Strö- 
men auftretenden  ponderomotorischen  Kräfte  ergeben.  Man  weiß 
auch,  daß  diese  Aussage  Alles  enthält ,  was  man  in  Hinsicht  der 
zwischen  Strömen  auftretenden  ponderomotorischen  Kräfte  mit 
Sicherheit  behaupten  kann. 

Wir  berechnen  noch  die  magnetische  Energie  eines  Raumes, 
in  welchem  die  stationären  Stromkomponenten  u  v  tu  und  die  un- 
veränderlichen magnetischen  Dichten  m  vertheilt  sind,  unter  der 
beschränkenden  Voraussetzung,  daß  sich  magnetisirbare  Körper  in 
dem  Räume  nicht  vorfinden.  Bezeichnen  wir  mit  ty  das  Potential 
der  Magnetismen  m,  so  erhalten  wir  die  Energie  successive  in  den 
Formen : 

-^-  f(U  +  M2  +  N2)  dt  =  16c. 

o7C  J 


142  H.  Hertz, 


BseJ  l    \ä&        dy       A  dx  )  \  dx  '     dz       A  dy ) 

N(dU      dV      1  d1>\\d 
V  dy       dx      A  dz/) 

,     1     C,(dL       dM      dN\J 

=  ±rA2j (Uu  +  rv  +  Ww)dt  +  i  f^mdr, 

oder  in  Anwendung  auf  lineare  Ströme 

=  |i2  /   /  u  cosi.  dsds'+  \  I  ipmdt , 

wobei  in  dem  ersten  Theil  der  letzten  Form  die  Integration  so- 
wohl nach  ds  als  nach  ds'  über  alle  vorhandenen  Ströme  auszu- 
dehnen ist.  Es  erhellt  aus  dieser  letzten  Form ,  daß  die  Ver- 
schiebung unveränderlicher  Magnete  und  unveränderlicher  Ströme 
gegeneinander  die  magnetische  Energie  des  Raumes  nicht  verän- 
dert. Es  findet  daher  auch  die  mechanische  Arbeit,  welche  bei 
solcher  Verschiebung  verbraucht  wird,  nicht  in  der  Aenderung  der 
magnetischen  Energie  des  Raumes  ihre  Compensation ,  wie  es  bei 
der  Verschiebung  unveränderlicher  Magnete  gegen  einander  der 
Fall  ist,  sondern  es  muß  von  dem  Verbleib  der  aufgewandten  Ar- 
beitsmenge anderweitig  Rechenschaft  abgelegt  werden.  Es  erhellt 
ferner  aus  der  gleichen  Form,  daß  die  Verschiebung  constant  ge- 
haltener Ströme  gegen  einander  allerdings  eine  Aenderung  der 
Energie  des  Eaumes  bedingt,  welche  dem  absoluten  Werth  nach 
der  aufgewandten  mechanischen  Arbeit  gleich  ist.  Aber  die  Be- 
rücksichtigung der  Vorzeichen  ergiebt,  daß  diese  Aenderung  nicht 
in  solchem  Sinne  erfolgt,  daß  dieselbe  als  Compensation  der  ver- 
lorenen mechanischen  Energie  könnte  angesehen  werden,  sondern 
in  entgegengesetztem  Sinne.  Es  ist  also  in  diesem  Falle  noch 
Rechenschaft  abzulegen  über  den  Verbleib  des  Doppelten  der  Ar- 
beitsmenge, welche  die  mechanischen  Kräfte  bei  der  relativen  Ver- 
schiebung der  Strombahnen  leisten.  Diese  Rechenschaft  wird  am 
Ende  des  folgenden  Abschnittes  abgelegt  werden. 


über  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik  für  ruhende  Körper.     143 


Dynamische  Erscheinungen. 

Aus  der  unendlichen  Mannigfaltigkeit  der  möglichen  Formen 
des  veränderlichen  Zustandes  sind  bisher  verhältnißmäßig  wenige 
Gruppen  von  Erscheinungen  der  Beobachtung  entgegengetreten. 
Wir  führen  diese  Gruppen  auf,  ohne  das  Gebiet  durch  eine  syste- 
matische Eintheilung  damit  erschöpfen  zu  wollen. 

17.    Induction  in  geschlossenen  Bahnen. 

In  einem  sich  verändernden  magnetischen  Felde  müssen  zu- 
folge der  Gleichungen  9  a  nothwendiger  Weise  elektrische  Kräfte 
verbreitet  sein.  Diese  Kräfte  sind  im  Allgemeinen  sehr  schwach, 
weil  ihre  Werthe  den  sehr  kleinen  Faktor  A  enthalten ,  sie  sind 
aus  diesem  Grunde  der  Wahrnehmung  nur  zugänglich  durch  den 
Strom,  welchen  sie  in  geschlossenen  Leitungsbahnen  erregen  oder 
dadurch ,  daß  sich  ihre  Wirkung  in  sehr  langen ,  bis  auf  einen 
kleinen  Bruchtheil  ihrer  Länge  geschlossenen  linearen  Bahnen  ad- 
dirt.  Die  in  den  Versuchen  meßbar  werdenden  Wirkungen  geben 
uns  daher  stets  nur  die  Integralwirkung  der  elektrischen  Kraft 
in  einer  geschlossenen  Bahn,  also  das  Integral  \{Xdx  +  Ydy  +  Zdz) 
genommen  über  eine  in  sich  zurücklaufende  Linie.  Nach  einer 
schon  benutzten  bekannten  Integraltransformation  ist  dies  Linien- 
integral gleich  dem  Flächenintegral 

C\(dZ    dY\  fdX     dZ\  SdY     dX\  K 

genommen  über  eine  von  der  fraglichen  Linie  rings  begrenzte, 
übrigens  aber  beliebige  Fläche  a.  Unter  Benutzung  der  Gleich- 
ungen 9  a  wird  aber  dieser  Ausdruck  gleich 

A-j-  I  (QcoanjX  +  Wlcos^y  +  yi cos w, z) da . 

In  Worten  ausgedrückt  ist  demnach  die  in  einer  geschlossenen 
Strombahn  sich  zeigende  elektromo torische  Kraft  gleich  der  mit 
A  multiplicirten  Aenderung  der  Anzahl  der  die  Strombahn  durch- 
setzenden magnetischen  Kraftlinien,  berechnet  auf  die  Zeiteinheit. 
Rührt  insbesondere   die  Induction   her   von   einem   geschlossenen 


144  H.Hertz, 

veränderlichen  Strome,  und  ist  die  Nachbarschaft  magnetisirbarer 
Körper  ausgeschlossen,  so  ist  die  erregte  elektromotorische  Kraft 
nach  den  Ergebnissen  des  vorigen  Abschnittes  gleich  dem  mit  A% 
multiplicirten  Produkt  des  Neumann  sehen  Potentials  der  beiden 
Strombahnen  auf  einander  und  der  auf  die  Zeiteinheit  berechneten 
Aenderung  der  Intensität  des  inducirenden  Stromes.  Diese  Sätze, 
von  welchen  der  erstere  der  allgemeinere  ist,  umfassen  in  ihren 
Folgerungen  vollständig  die  thatsächlich  beobachteten  Erscheinun- 
gen in  ruhenden  Leitern. 

Die  Induction  in  bewegten  Leitern  liegt  im  Grunde  außerhalb 
des  Gebietes  auf  welches  sich  die  gegenwärtige  Untersuchung  be- 
schränkt. Handelt  es  sich  aber  um  lineare  Leiter,  so  können  wir 
diese  Form  der  Induction  an  die  Induction  in  ruhenden  Leitern 
anschließen  durch  die  Aussage,  daß  es  für  die  elektromotorische 
Kraft  in  einer  geschlossenen  Bahn  gleichgültig  sei,  ob  das  unmit- 
telbar umgebende  magnetische  Feld  sich  ändert  in  Folge  von  Be- 
wegung ponderabeler  Körper  oder  in  Folge  rein  elektromagnetischer 
Zustandsänderungen ,  dafern  nur  die  Aenderung  des  unmittelbar 
umgebenden  magnetischen  Feldes  die  gleiche  sei.  Zufolge  dieser 
Aussage  und  des  Vorangegangenen  ist  die  in  einer  bewegten  Strom- 
leitung inducirte  elektrische  Kraft  gleich  der  «mit  A  multiplicirten 
Zahl  der  magnetischen  Kraftlinien,  welche  in  der  Zeiteinheit  von 
der  Strombahn  in  bestimmter  Richtung  durchschnitten  werden. 
Das  Produkt  aus  dieser  elektrischen  Kraft  und  der  Intensität  des 
Stromes  in  der  bewegten  Strombahn  giebt  nach  Abschnitt  11  die 
in  der  Strombahn  vermittelst  der  Induction  erzeugte  thermische 
oder  chemische  Arbeit  an.  Dieselbe  ist  demnach  zufolge  der  Er- 
gebnisse des  vorigen  Abschnittes ,  ergänzt  durch  eine  genaue  Be- 
rücksichtigung der  Vorzeichen  gleich  der  mechanischen  Arbeit, 
welche  die  den  Stromkreis  bewegenden  äußeren  Kräfte  leisten 
müssen.  Wird  also  ein  constant  gehaltener  Strom  bewegt  gegen 
feste  Magnete ,  so  compensirt  die  in  dem  Stromkreis  erzeugte 
thermische  und  chemische  Energie  die  geleistete  mechanische  Ar- 
beit ,  während  die  magnetische  Energie  des  Systems  unberührt 
bleibt.  Wird  dagegen  ein  constant  gehaltener  Strom  bewegt  gegen 
einen  anderen  constant  gehaltenen  Strom,  so  compensirt  die  in  dem 
einen  Stromkreise  in  Folge  der  Bewegung  mehrauftretende  chemi- 
sche und  thermische  Energie  die  geleistete  mechanische  Arbeit; 
die  gleiche  in  dem  andern  Stromkreise  in  Folge  der  Bewegung 
mehrauftretende  Energie  compensirt  die  Verminderung  der  magne- 
tischen Energie  des  Feldes.  Oder  genauer  gesprochen,  es  compen- 
sirt die  Summe  der  erstgenannten  Energiemengen  die  Summe  der 


über  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik  für  ruhende  Körper.    145 

letztgenannten.    Die   am  Schlüsse   des  Abschnittes  16  geforderte 
Rechenschaft  ist  damit  abgelegt. 


18.    Elektrodynamik  nngeschlossener  Ströme. 

In  Hinsicht  der  möglichen  Erfahrung  ist  dieses  Gebiet  das 
reichste  von  allen,  denn  es  umfaßt  alle  diejenigen  Probleme,  welche 
wir  nicht  als  besondere  Fälle  anderen  Gebieten  zutheilen  können. 
In  Hinsicht  der  wirklichen  Erfahrung  ist  es  indessen  bislang  sehr 
arm.  Die  Schwingungen  ungeschlossener  Inductionsapparate  oder 
sich  entladender  Leydener  Flaschen  können  in  hinreichender  An- 
näherung nach  den  Grundsätzen  des  vorigen  Abschnittes  behandelt 
werden  und  im  eigentlichen  Verstände  gehören  demnach  hierher 
bislang  nur  die  elektrischen  "Wellen  und  Schwingungen  von  kurzer 
Wellenlänge ,  welche  erst  kürzlich  die  Aufmerksamkeit  auf  sich 
gezogen  haben.  Für  die  theoretische  Behandlung  dieses  Abschnittes 
genüge  es  daher  hervorzuheben,  daß  eine  Eintheilung  der  elektri- 
schen Kraft  in  einen  elektrostatischen  und  einen  elektrodynami- 
schen Theil  in  diesen  allgemeinen  Problemen  weder  eine  klar  zu 
fassende  physikalische  Bedeutung  noch  einen  nennenswerthen  mathe- 
matischen Nutzen  mit  sich  führt,  daher  von  uns  im  Gegensatz  zu 
früheren  Behandlungsweisen  zweckmäßig  vermieden  wird. 

19.    Lichtbewegung  in  isotropen  Körpern. 

In  das  Gebiet  der  Optik  verweisen  wir  diejenigen  elektrody- 
namischen Bewegungen,  welche  der  Zeit  nach  rein  periodisch  sind 
und  deren  Periode  einen  sehr  kleinen  Bruchtheil  der  Secunde, 
sagen  wir  den  billionten  Theil  derselben  nicht  überschreitet.  Kei- 
nes der  Mittel,  durch  welches  wir  befähigt  sind,  solche  Bewegungen 
wahrzunehmen,  gestattet  uns  die  magnetischen  und  elektrischen 
Kräfte  als  solche  zu  erkennen;  was  wir  wahrzunehmen  vermögen 
sind  lediglich  die  geometrischen  Verhältnisse  nach  welchen  sich 
die  vorhandene  Bewegung  in  verschiedener  Richtung  mit  verschie- 
dener Intensität  fortpflanzt.  Auch  die  mathematische  Darstellung 
der  Erscheinungen  wird  sich  daher  darauf  beschränken  dürfen, 
nach  Elimination  der  entgegengesetzten  Art  die  Ausbreitung  einer 
der  beiden  Kraftarten  zu  verfolgen,  und  es  wird  gleichgültig  sein, 
an  welche  von  beiden  Arten  dabei  die  Betrachtung  anknüpft.  Be- 
schränken wir  uns  auf  homogene  isotrope  Nichtleiter,  so  erhalten 
wir  aus  den  Gleichungen  4a.  und  4b.  durch  Elimination,  das  eine 
Mal   der   elektrischen,    das    andere  Mal  der  magnetischen  Kraft- 


146  H.  Hertz, 

componenten  die  hier  zu  l)enutzen  Formen 

19a.    A'ep^jr  =  4$  19b.     ^V^  =  ^^ 

d#        (?«/        <^  äx       dy        dz 

deren  Lösungen ,  rein  periodische  Bewegungen  vorausgesetzt, 
stets  auch  Lösungen  der  Gleichungen  4a.  und  4b.  sind.  Jedes 
der  beiden  Gleichungssysteme  19a.  und  19b.  läßt  die  Möglich- 
keit von  Transversalwellen,  die  Unmöglichkeit  von  Longitudi- 
nalwellen    erkennen;    jedes    der   beiden   Systeme   ergiebt   für   die 

Geschwindigkeit    der   möglichen  Wellen    den   Werth  — ,    aus 

A  S/ap 

jedem  der  beiden  Systeme  lassen  sich  die  Erscheinungen  der  ge- 
radlinigen Ausbreitung,  der  Beugung,  der  Interferenz  des  natürlichen 
und  des  polarisirten  Lichtes  ableiten  und  die  verschiedenen  Arten 
der  Polarisation  verstehen.  Ein  Zurückgreifen  auf  die  Gleichungen 
4a.  und  4b.  ergiebt  dabei,  daß  die  Richtungen  der  gleichzeitigen 
elektrischen  und  magnetischen  Kraft  in  einem  jeden  Punkte  einer 
ebenen  Welle  beständig  auf  einander  senkrecht  stehen. 

Lassen  wir  die  Grenzebene  zweier  isotropen ,  homogenen 
Nichtleiter  mit  der  xy-JLhene  zusammenfallen,  so  gelten  an  dieser 
Grenzebene  zufolge  des  Abschnittes  8  und  unter  Berücksichtigung 
des  Umstandes,  daß  wir  es  nur  mit  periodischen  Bewegungen  zu 
thun  haben,  die  Bedingungen: 


19c. 


Jedes  dieser  Systeme  von  Grenzgleichungen  ergiebt  zusammen  mit 
den  zugehörigen  Gleichungen  für  das  Innere  beider  Körper  die 
Gesetze  der  Reflexion,  der  Brechung,  der  totalen  Reflexion,  also 
die  Grundlagen  der  geometrischen  Optik.  Jedes  derselben  läßt 
auch  erkennen ,  daß  die  Intensität  reflectirter  und  gebrochener 
Wellen  von  der  Art  ihrer  Polarisation  abhängig  ist  und  ergiebt 


Lt  =  L2 

Xx  =  X2 

Mx  =  M \ 

19d. 

%  =  Y2 

V>iNx  =  [i2N2 

K%  =  *A 

über  die  Grundgleichuugen  der  Elektrodynamik  für  ruhende  Körper.    147 

für  diese  Abhängigkeit  sowie  für  die  Phasenverzögerung  der  total 
reflectirten  Wellen  die  F  r  e  s  n  e  1 '  sehen  Formeln.  Leiten  wir  diese 
Formeln  aus  den  Gleichungen  der  elektrischen  Kräfte  19b.  und  19d. 
her,  so  entspricht  unsere  Entwickelung  der  von  Fresnel  selbst 
gegebenen  Ableitung  dieser  Formeln.  Halten  wir  uns  an  die 
Gleichungen  der  magnetischen  Kraft  19a.  und  19c,  so  nähern  wir 
uns  dem  von  F.  Neumann  zur  Ableitung  der  F  r  e  s  n  e  l'schen  Glei- 
chungen angegebenen  Pfade.  Von  unserem  allgemeineren  Stand- 
punkte aus  läßt  sich  nicht  allein  von  vorn  herein  überblicken,  daß 
beide  Wege  zum  gleichen  Ziele  führen  müssen,  sondern  auch  er- 
kennen ,  daß  beide  mit  gleicher  Berechtigung  beschritten  werden 
können.  Daß  in  den  wirklich  beobachteten  Erscheinungen  der 
Reflexion  die  elektrischen  und  magnetischen  Kräfte  nicht  völlig 
mit  einander  vertauschbar  sind  und  beide  Wege  verschieden  er- 
scheinen, hat  seinen  Grund  in  dem  Umstände,  daß  für  alle  in  Be- 
tracht kommenden  Körper  die  Magnetisirungsconstanten  fast  gleich 
und  gleich  Eins  sind,  während  die  Dielektricitätsconstanten  merk- 
lich verschieden  sind  und  daß  also  hauptsächlich  die  elektrischen 
Eigenschaften  der  Körper  deren  optisches  Verhalten  bestimmen. 

Bildet  die  xy-  Ebene  die  Grenze  unseres  Nichtleiters  gegen 
einen  vollkommenen  Leiter ,  so  gelten  in  dieser  Ebene  die  Glei- 
chungen 

19e.    N  =  0         19f.     *  ~  j] 

Dieselben  lassen  zusammen  mit  den  zugehörigen  Gleichungen  für 
das  Innere  des  Nichtleiters  erkennen,  daß  bei  jedem  Einfallswinkel 
und  jedem  Azimuth  der  Polarisation  die  Reflexion  eine  totale  ist. 
Da  die  wirklichen  Leiter  zwischen  den  vollkommenen  Leitern  und 
den  Nichtleitern  die  Mitte  halten,  so  wird  die  Reflexion  an  ihnen 
einen  Uebergang  bilden  zwischen  der  totalen  Reflexion  und  der 
Reflexion  an  durchsichtigen  Körpern.  Da  die  Metallreflexion  eine 
derartige  Stellung  einnimmt ,  so  läßt  sich  übersehen ,  daß  unsere 
Gleichungen  geeignet  sein  werden,  ein  allgemeines  Bild  auch  der 
Metallreflexion  zu  geben.  Wie  weit  in  die  Einzelheiten  hinein 
aber  die  Wiedergabe  durch  passende  Wahl  der  Constanten  sich 
erstrecken  läßt ,  scheint  bisher  noch  nicht  genügend  untersucht 
zu  sein. 

Daß  die  Erscheinungen  der  Dispersion  die  Einführung  minde- 
stens zweier  elektrischen  oder  zweier  magnetischen  Größen  erfor- 
dern und  deshalb  außerhalb  des  Bereichs  unserer  gegenwärtigen 
Theorie  liegen,  ist  schon  im  ersten  Abschnitt  erwähnt  worden. 


148  H.  Hertz, 

20.    Krystalloptik. 

Wir  beschränken  unsere  Betrachtung  auf  die  Lichtbewegung 
im  Innern  eines  homogenen  vollkommen  durchsichtigen  Krystalles, 
von  welchem  wir  des  Weiteren  voraussetzen,  daß  die  Symmetrie- 
axen  der  elektrischen  und  der  magnetischen  Energie  zusammenfallen. 
Legen  wir  die  Coordinatenaxen  diesen  gemeinschaftlichen  Symme- 
trieaxen  parallel  und  setzen  der  Einfachheit  halber  für 

£1V     f22>     6SSJ     f*HJ     ^22>     ^33        j©tzt        €„     £2,     £3,    ft,j    /i2,     fa 

so   nehmen   die   in  Betracht  kommenden  Gleichungen  5a.  und  5b. 
die  Form  an: 

dL         dZ__dY  dX_ 

^  dt    ~    dy        dz  '  dt 

i-        l     dM        dX      dZ      on,        .     dY 
20a.    ^_  =  _-_      20b.    A^  — 


äN         dY      dX  .     dZ 

Ac    

dt  dx       dy  3  dt  dy        dx 


dM 

dN 

dz 
dN 

dy 
dL 

dx 
dL 

dz 
dM 

Diese  Gleichungen  werden  integrirt  durch  die  Annahme  ebener 
Wellen  geradlinig  polarisirten  Lichtes,  welche  den  folgenden  Aus- 
sagen entsprechen :  Auf  der  elektrischen  Polarisation  steht  die  mag- 
netische Kraft ,  auf  der  magnetischen  Polarisation  die  elektri- 
sche Kraft  senkrecht.  Die  Richtung  der  beiden  Kräfte  tritt  im 
Allgemeinen  aus  der  Wellenebene  heraus ,  die  Richtung  der  beiden 
Polarisationen  liegt  in  der  Wellenebene.  Die  Richtung,  welche  auf 
den  beiden  Polarisationen  senkrecht  steht,  ist  also  die  Wellennor- 
male ;  die  Richtung,  welche  auf  den  beiden  Kräften  senkrecht  steht, 
ist  die  Richtung,  in  welcher  sich  zufolge  Abschnitt  11  die  Energie 
fortpflanzt,  sie  heißt  in  der  Optik  der  Strahl.  Jeder  gegebenen 
Lage  der  Wellennormale  entsprechen  im  Allgemeinen  zwei  mög- 
liche Wellen  von  verschiedener  Polarisation ,  verschiedener  Ge- 
schwindigkeit und  verschiedener  Lage  des  zugehörigen  Strahles. 
Lassen  wir  in  einem  bestimmten  Augenblicke  vom  Nullpunkt  des 
Coordinatensystems  ebene  Wellen  mit  allen  möglichen  Lagen  der 
Wellennormale  ausgehen ,  so  umhüllen  diese  Wellenebenen  nach 
der  Zeiteinheit  eine  Fläche ,  die  sogenannte  Wellenfläche.  Jede 
einzelne  Wellenebene  berührt  die  Wellenfläche  in  einem  Punkte 
des  durch  den  Nullpunkt  gelegten  zugehörigen  Strahles.  Als 
Gleichung  der  von  den  Wellenebenen  umhüllten  Fläche  wird  ge- 
funden ; 


20c. 


über  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik  für  ruhende  Körper.    149 

V*l  *2  «»'Vi  f*2  f*s'  *1^1     Vf*3  ^2' 

-JffiU -1-)— *-(-L+ J_)  +  _ 1_  =  o. 

*2r*.V*ir*S  *3r*l'  «5f»8-V«lf*.  *.f*l'  «1*2*3^2^3 

Die  durch  diese  Gleichung  dargestellte  Fläche  vierten  Grades 
schneidet  die  Coordinatenebenen  in  je  zwei  Ellipsen.  In  einer  der 
Coordinatenebenen  schneiden  sich  die  beiden  Ellipsen  in  vier  Punk- 
ten, welches  vier  Nabelpunkte  der  Fläche  sind ;  in  den  beiden  an- 
dern Coordinatenebenen  umschließt  die  eine  Ellipse  die  andere, 
und  zwar  gelten  diese  Aussagen,  welches  auch  die  Werthe 
der  f.  und  ^  sind.  Für  alle  wirklichen  Krystalle  ist  mit  sehr 
großer  Annäherung  px  =*=  p,t  =  ^  =  1  j  für  diesen  Fall  reduzirt 
sich  die  allgemeine  Form  der  Gleichung  auf  die  der  Fresnel' sehen 
Wellenfläche  und  von  den  beiden  Ellipsen,  in  welchen  die  Fläche 
jede  der  Coordinatenebenen  schneidet ,  reduzirt  sich  je  eine  auf 
einen  Kreis. 

Man  weiß,  daß  sich  an  die  Betrachtung  der  Wellenfläche  und 
ihrer  Ausartungen  in  besonderen  Fällen  die  Erklärung  der  Doppel- 
brechung ,  der  Reflexion  an  Krystallflächen ,  vieler  der  in  Kry- 
stallen  beobachteten  Interferenzerscheinungen  anknüpft.  Andere 
Thatsachen  der  Krystalloptik  lassen  sich  hinwiederum  nicht  bewäl- 
tigen durch  den  Verfolg  einer  einzigen  elektrischen  und  einer 
einzigen  magnetischen  Richtungsgröße ,  diese  Thatsachen  liegen 
daher  außerhalb  des  Bereiches  unserer  Theorie  in  ihrem  gegen- 
wärtigen Umfang. 

Wir  haben  in  den  Nummern  17  —  20  die  Aufzählung  derjeni- 
gen Fälle  des  veränderlichen  Zustandes  erschöpft ,  deren  Wich- 
tigkeit bislang  zur  Entwickelung  besonderer  Theorien  Veranlas- 
sung gegeben  hat. 

Bonn,  im  März  1890. 


Universität, 
i 

Beneke'sche  Preisstiftung. 

Am  11.  März  1890,  als  dem  Geburtstage  des  Stifters,  Carl 
Gustav  Beneke,  wurde  vorschriftsgemäß  in  öffentlicher  Sitzung 
der  Fakultät  das  Ergebniß  der  Preisbewerbung  für  das  Jahr  1890 
verkündet. 

Die  im  Jahre  1887  gestellte  Aufgabe  lautete  wie  folgt: 
Zenonis,  Cleanthis,  Chrysippi  stoieorum  prineipum  et  disci- 

Nachrichten  von  der  K.  G.  d.  W.  zu  Göttingen.  1890.  Nr.  4.  12 


150  Beneke'sche  Preisstiftung. 

pulorum  quae  supersunt  reliquiae  ad  res  ethicas  politicas 
divinas  spectantes  colligantur  et  pertractentur  ita ,  ut  libri 
cujusque  quantum  quidem  fieri  possit  et  argumentum  illustre- 
tur  et  vestigia  apud  posteriores  scriptores  latentia  indagentur. 

Es  sind  zwei  Bewerbungs  Schriften  rechtzeitig  eingegangen, 
über  welche  das  Urtheil  der  Fakultät  folgendermaßen  lautet: 

Die  erste  Bewerbungsschrift,  mit  dem  Motto : 
Msxqov  tov  ßiov  rb  xcdöv 
behandelt  Zenon  ,  Kleanthes ,  Ariston ,  Chrysippos.  Sie  kann 
aber  nur  für  Zenon  und  allenfalls  Ariston  als  vollendet  gel- 
ten. Kleanthes  und  Mehreres  von  Chrysippos  ist  so  gut  wie  eine 
bloße  Reproduction  älterer  Arbeiten ,  anderes  giebt  nur  wenig 
obenhin  zusammengerafftes  Material.  Nur  Chrysippos  7C8ql  Ttuftfov 
ist  noch  sorgfältiger  behandelt. 

Der  Verfasser  ist  auf  die  Textkritik  der  Bruchstücke  und 
die  literärgeschichtliche  Forschung  über  die  einzelnen  Schriften 
und  Schriftsteller  fast  gar  nicht  eingegangen ,  und  auch  die 
Analyse  der  Hauptautoren,  denen  die  Bruchstücke  entnommen  sind, 
ist  kaum  gefördert.  Der  Verfasser  hat  vielmehr  seiner  eigenen 
Angabe  nach  nur  einen  sehr  engen  Kreis  der  einschläglichen 
Literatur  selbst  durchforscht.  Sein  Interesse  ist  fast  ausschließlich 
dem  Erfassen  der  Lehrmeinungen  der  Stoa  zugewandt,  jedoch  auch 
nach  dieser  Seite  treten  bedeutende  und  gesicherte  Ergebnisse 
nicht  hervor.     Der  Preis  kann  ihm  also  nicht  zuerkannt  werden. 

Die   zweite  Arbeit  trägt  das  Motto: 
'Ev  otxtcug  [lei^oöi  ita^aitiitru  tiva  TtCxvga  xal  7to6ol  Jtvgol  uveg. 

Sie  hat  sich  auf  die  Sammlung  der  Bruchstücke  des  Chrysippos 
beschränkt,  von  welchem  sie  allerdings  alle  Schriften,  nicht  bloß 
die  in  dem  Thema  bezeichneten,  heranzieht. 

Beigegeben  ist  eine  Reihe  von  umfassenden  und  eindringenden 
Untersuchungen,  vornehmlich  über  das  Verhältniß  der  Quellen- 
schriftsteller zu  einander  und  zu  den  verlorenen  Schriften. 

Die  Sammlung  der  Fragmente  giebt  die  ausgeschriebenen 
Stellen  nur  mit  kritischem  Apparate  versehen  ohne  jede  Erklärung 
und  nur  durch  die  gewählte  Anordnung  verbunden.  *  Die  Bearbei- 
tung ist  also  unvollendet.  Das  Fortlassen  von  Zenon  und  Klean- 
thes begründet  der  Verfasser  damit,  daß  er  nicht  hätte  reprodu- 
ciren  wollen  und  eine  Vermehrung  der  Bruchstücke  über  das 
bisher  gesammelte  hinaus  nicht  zu  leisten  wäre. 

Die  Fakultät  kann  diese  Ansicht  nicht  theilen,  sie  würde  es 
vielmehr  lebhaft  bedauern,  wenn  der  Verfasser  bei  der  Veröffent- 
lichung seines  Werkes    die    Reste   der   älteren  Stoa    ausschließen 


Beneke'sche  Preisstiftung.  151 

wollte,  ja  es  dürfte  angezeigt  sein,  noch   die  nächsten  Anhänger 
des  Chrysippos  bis  auf  Antipatros  zuzuziehen.    Indessen  unter  der 
Voraussetzung,  welche  sich  der  Verfasser  von  der  singulären  Bedeu- 
tung des  Chrysippos  gebildet  hat,  und  angesichts  der  Masse  antiker 
Literatur,    welche   er   mit   Recht   zu   durchforschen  unternommen 
hat,  steht  die  Fakultät  nicht  an,  diese  Einschränkung  des  Themas 
als  praktisch  zulässig  gelten  zu  lassen  und  somit  seine  Chrysippea 
als  den  Versuch  einer  Lösung  der   gestellten  Aufgabe  anzusehen. 
So  unfertig  hiernach  die  Fragmentsammlung  auch  noch  erscheint, 
so  ist  doch  des  werthvollsten   neuen  Materials   soviel    erschlossen 
und  ist  in  den  Forschungen   über  die  Quellenschriftsteller   so  viel 
theils  festgestellt,   theils  mit   Scharfsinn  und  Umsicht  vermuthet, 
daß  das  Werk    in    seiner  Vollendung    eine   bedeutende  Förderung 
der  Wissenschaft  sowohl  nach   philologischer  wie  nach  philosophi- 
scher Seite   verspricht,   und    die  Fakultät   trägt  deßhalb  kein  Be- 
denken, dem  Verfasser  den  ersten  Preis  zuzuerkennen. 
Die  Eröffnung  des  mit  dem  Motto: 
' Ev  otxiaig  iisl^oöi  TtagccTtiTtrsi  xiva  TtirvQa  %ccl  7to6ol  xvqoI  xivig 
versehenen  Briefes  ergab  als  Verfasser  Herrn 
Dr.  phil.    Hans  von  Arnim  Fredenwalde  zu  Halle  a./Saale. 


Für   das   Jahr   1893   stellt   die   philosophische    Fakultät  fol- 
gende neue 

Beneke'sche  philosophische  Preisaufgabe: 

Die  Bahnbewegung  des  in  mehrfacher  Beziehung  so  sehr 
interessanten  Biela' sehen  Kometen  hat  im  Jahre  1861 
durch  Hubbard  insofern  eine  ausgezeichnete  Bearbeitung 
gefunden,  als  dieser  Astronom  die  Beobachtungen  der  beiden 
Componenten  des  Kometen  während  der  Erscheinungen  in 
den  Jahren  1845/46  und  1852  mit  Berücksichtigung  der 
inzwischen  durch  die  großen  Planeten  verursachten  Störungen 
mit  einander  in  Verbindung  gebracht  und  daraus  Elementen- 
systeme hergeleitet  hat,  welche  den  Vorausberechnungen 
für  die  freilich  erfolglosen  Nachforschungen  während  der 
zu  erwartenden  Wiedererscheinungen  als  Grundlage  ge- 
dient haben. 

Die  philosophische  Fakultät  stellt  nun  die  Aufgabe, 
daß  eine  strenge ,  nach  einheitlichen  Grundsätzen  und  mit 
Benutzung  der  neusten  und  besten  Hülfsmittel  in  Bezug 
auf  die  Oerter  der  Vergleichsterne  und  die  angewandten 
Sonnen-   und    Planeten- Tafeln     sowie   die    Planetenmassen 


153  Beneke'sche  Preisstiftung. 

ausgeführte  Untersuchung  mit  Berücksichtigung  aller  in 
Betracht  kommenden  Störungen  auch  über  die  vorherge- 
gangenen Erscheinungen  in  den  Jahren  1832,  1826,  1805/6 
bis  zu  1772  zurück  ausgeführt  werde  und  daß  diese  Unter- 
suchung ,  wenn  auch  der  Komet  nach  1852  nicht  wieder 
aufgefunden  worden  ist,  mit  Innehaltung  der  dazu  erfor- 
derlichen Genauigkeitsgrenzen  in  der  Rechnung  und  mit 
Rücksicht  auf  die  fernerhin  erfolgten  größeren  Störungen 
bis  zum  Jahre  1872  ausgedehnt  werde,  um  neue  Aufschlüsse 
über  die  noch  nicht  aufgeklärte  Beziehung  dieses  Kometen 
zu  dem  nach  Klinkerfues'  Anzeige  von  P o g s  o n  aufgefun- 
denen kometenartigen  Object  zu  erhalten,  Es  wird  dabei 
Gewicht  darauf  gelegt ,  daß  die  Störungswerthe  in  der  ein- 
zureichenden Abhandlung  nicht  nur  in  ihrer  Gesammtwirkung 
von  einer  Erscheinung  zur  andern ,  sondern  wenigstens 
für  die  hauptsächlich  in  Betracht  kommenden  Planeten  Erde 
und  Jupiter  in  den  Endresultaten  in  geeigneten  Abständen 
für  den  ganzen  Zeitraum  mitgetheilt  werden,  um  zu  Zeiten 
der  wiederholten  großen  Annäherungen  des  Kometen  die 
Wirkungen  einzeln  erkennen  zu  können;  ferner  dürfte  noch 
die  Frage  zu  erörtern  sein,  ob  die  von  Winnecke 
besprochenen  Anzeichen  einer  schon  im  Jahre  1805  ange- 
deuteten Duplicität  des  Kometen  (siehe  Vierteljahrsschrift 
der  Astronomischen  Gesellschaft  Jahrgang  15)  bei  der 
gesonderten  Behandlung  der  Bewegung  der  beiden  Compo- 
nenten  eine  Bestätigung  finden. 
Es  wird  hierbei  daran  erinnert,  daß  nach  statutarischer  Be- 
stimmung bei  der  Stellung  und  der  Bearbeitung  der  Beneke'schen 
Aufgaben  das  Gebiet  der  sogenannten  speculativen  Philosophie  zu 
vermeiden  ist. 

Bewerbungsschriften  sind  entweder  in  deutscher  oder  in  latei- 
nischer oder  in  französischer  oder  in  englischer  Sprache,  auf  dem 
Titelblatte  mit  einem  Spruche  versehen,  bis  zum  31.  August  1892 
an  uns  einzusenden.  Der  Bewerbungsschrift  ist  ein  versiegelter 
Brief  beizugeben ,  welcher  auf  der  Außenseite  mit  dem  Spruche 
der  Abhandlung  bezeichnet  ist  und  innerhalb  Namen ,  Stand  und 
Wohnort  des  Verfassers  angiebt.  In  anderer  Weise  darf  der 
Name  des  Verfassers  nicht  angegeben  sein. 

Auf  dem  Titelblatte  der  Arbeit  muß  ferner  die  Adresse  be- 
zeichnet sein ,  an  welche  die  Arbeit  für  den  Fall ,  daß  sie  nicht 
preiswürdig  befunden  wird,  zurückzusenden  ist. 

Der  erste  Preis  beträgt  1700  Mark,  der  zweite  680  Mark. 


Beneke'sche  Preisstiftung.    Preisstiftung  der  Witwe  Petsche  geb.  Labarre.    153 

Die  etwaige  Zuerkennung  dieser  Preise  erfolgt  am  11.  März 
1893,  dem  Geburtstage  des  Stifters,  in  öffentlicher  Sitzung  der 
philosophischen  Fakultät  zu  Göttingen. 

Die  gekrönten  Arbeiten  bleiben  unbeschränktes  Eigenthum 
der  Verfasser. 

Die  Preisaufgaben,  für  welche  die  Bewerbungsschriften  bis 
zum  31.  August  1890  und  bis  zum  31.  August  1891  einzusenden 
sind ,  finden  sich  in  den  Nachrichten  von  der  Königlichen  Gesell- 
schaft der  Wissenschaften  und  der  Georg -Augusts -Universität  zu 
Göttingen  im  Jahrgange  1888  auf  Seite  132  und  im  Jahrgange  1889 
auf  Seite  345. 

Göttingen,  den  1.  April  1890. 

Die  philosophische  Fakultät 

der  Dekan. 

C.  A.  Volquardsen. 


Preisstiftung 
der  Witwe  Petsche  geb.  Labarre. 

Gemäß  den  Statuten  der  genannten  unterm  10.  März  1873 
genehmigten  Stiftung  schreibt  die  juristische  Facultät  folgende 
Preisaufgabe  aus: 

„Der   Zwangsvergleich ,   seine  geschichtliche   Entwicklung  und 
heutige  Gestalt." 

Der  Preis  „250  Mk.  Zweihundertfünfzig  Mark"  kann  nur  einer 
solchen  Arbeit  zuerkannt  werden,  deren  Verfasser  in  diesem  oder 
dem  folgenden  Semester  als  Studierender  unserer  Universität  an- 
gehört. Die  Preisarbeiten  müssen  spätestens  am  1.  Januar  1891 
dem  Dekan  der  juristischen  Fakultät  übergeben  werden,  ohne  Namens- 
unterschrift,  jedoch  mit  einem  versiegelten  den  Namen  des  Ver- 
fassers enthaltenden  Zettel.  Arbeit  und  Zettel  müssen  ein  gleich- 
lautendes Motto  tragen. 

Göttingen,  den  26.  Aprü  1890. 

F.  Kegelsberger 

z.  Z.  Dekan  der  juristischen  Fakultät. 


Nachrichten  Ton  der  K.O.  d.W.  xn  Göttingen.  1890.  Nr.  4.  13 


154 


Bei  der  Kgl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  einge- 
gangene Druckschriften. 

Man  bittet  diese  Verzeichnisse  zugleich  als  Empfangsanzeigen  ansehen  zn  wollen. 


Februar  1890. 


Sitzungsberichte  der  K.  Preuss.  Akademie  der  Wissensch.  zu  Berlin.  III,  IV, 
V,  VI,  VII,  VIII,  IX. 

Preisschriften  gekrönt  u.  herausgeg.  von  der  Fürstlich  Iablonowskischen  Gesell- 
schaft zu  Leipzig.  N.  X.  Der  mathematisch-naturwissensch.  Section.  XXVII. 
A.  Looss.     Leipzig  1889. 

Deutsches  meteorologisches  Lehrbuch  für  1888.  Beobachtungssystem  des  Königr. 
Sachsen.  1.  Hälfte.  Abth.  1  u.  2  des  Jahrbuches  d.  K.  Sächsischen  meteoro- 
logischen Instituts.     VI.  Jahrg.  1888.     Chemnitz  1889. 

Neues  Lausitzisches  Magazin.    Band  65.  Heft  2.     Görlitz  1889. 

Leopoldina.     Heft  XXVI.  Nr.  1-2.     Jan.  1890.     Halle  a.  S. 

Jahresbericht  u.  Abhandlungen  des  naturwissensch.  Vereins  in  Magdeburg.  1888. 
Magdeburg  1889. 

Eine  Wächterstimme  für  die  Gemeinde  des  wahren  Christenthums.  Febr.  1890. 
Heft  2.  Jahrg.  2.  1890.    Haydau  b.  Altmorschen. 

Nature.     Vol.  41.  Nr.  1058-1060. 

Proceedings  of  the  Royal  society.     Vol.  XLVI.  Nr.  285,  286. 

Proceedings  of  the  London  mathematical  society.     N.  364—367. 

Monthly  notices  of  the  R.  astronomical  society.     Vol.  L.  Nr.  3.    Jan.  1890. 

Journal  of  the  R.  microscopical  society  1889.  Part  6a.  Supplementary  num- 
ber.     December  1890.     Part.  1. 

Reports  from  the  laboratory  of  the  R.  College  of  physicians,  Edinburgh.  Vol.  II. 
Edinburgh  and  London  1890. 

Proceedings  of  the  Canadian  Institute  Toronto.  Third  series.  Vol.  Vü.  Fase. 
Nr.  1.  Whole  N.  Vol.  XXV.  Nr.  152.     Toronto. 

A  bibliography  of  Indian  geology  :  published  by  order  of  h.  Ex.  the  Governor 
General  of  India  in  Council.  Preliminary  issue.     Calcutta  1888. 

Corpus  inscriptionum  Indicarum.  Vol.  III.  By  John  Faithfull  Fleet.  Cal- 
cutta 1888. 

Memoires  de  l'academie  Imp.  des  sciences  de  St.  Petersbourg.  VII.  sdrie. 
Tome  XXXVII.  N.  3.     St.  Petersbourg  1889. 

Bulletin  de  l'Acade'mie  R.  des  sciences  des  lettres  et  des  beaux  arts  de  Belgique. 
Annee  59.  3.  serie.  Tome  18.  Nr.   12.  Annee  60.  3.  se'rie.  Tome  19.  N.  1. 

Annales  de  la  faculte  des  lettres  de  Bordeaux  1888.     N.  2.     Paris  1888. 

Archives  Neerlandaises  des  sciences  exaetes  et  naturelles.  Tome  XXIV.  Livr.  1. 
Harlem  1890. 

Atti  della  societä  Toscana  di  science  naturali  in  Pisa: 

a.  Memorie.     Vol.  X. 

b.  Processi  verbali.     Vol.  VI  adunanza  del  di  7  Juglio  1889. 

c.  »  »  Vol.  VH  »  »    »    17  Nov.   1889. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Inhalt  von  No.  4. 

F.  Klein,  Zur  Theorie  der  Lame'schen  Functionen.  —  Paul  de  Lagarde,  I.  „Das  älteste  Glied  der  masore- 

tischen  Traditionskette".     II.  Psalm  114  im  Sidrä  rabhä.    —    H.  Hertz,  Ueher  die  Grundgleichungen  der 

Elektrodynamik  für  ruhende  Körper.   —   Beneke'sche  Preisstiftung.   —   Preisstiftung  der  Witwe  Petsche 

geh.  Laharre.  —  Eingegangene  Druckschriften. 

Für  die  Eedaction  verantwortlich:   E.  Sauppe,  Secretair  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 

Commissions  -  Verlag  der  Bieter  ich' sehen  Verlags -Buchhandlung. 

Brück  der  Bieterich' sehen  Univ.-  Buchdruckerei  (W.  Fr.  Kaestner). 


Nachrichten 

von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 


und  der 


Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu  Göttingen. 
28.  Mai.  Jfä  5.  1890. 


Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  3.  Mai. 

Ehlers  legt  vor:    »Beitrag  zur  Kenntniß  der  Comatuliden- Fauna  des  indischen 

Archipels.    Vorläufige  Mittheilung  von  Dr.  Clemens  Hartlaub.« 
W i e  s  el  e  r :  Scenische  Untersuchungen, 
de  Lagarde:  Exodus  1M. 

Riecke:  Ueber  die  Pyroelektricität  des  Turmalins. 
Voigt:  Ueber  den  Zusammenklang  zweier  einfacher  Töne. 


Exodus  lu. 

Von 

Paul  de  Lagarde. 


Der  Eigenname  ü&osn  findet  sich  in  der  in  Palaestina  heimi- 
schen Gestalt  des  jüdischen  Canons  fünf  mal. 

Der  ältere  Elohist,  der  nach  meinen  Mittheilungen  3  228  etwa 
um  das  Jahr  600  vor  Christus  schrieb,  redet  in  der  Genesis  47  n 
von  ODttSn  jpn»,  was  man  zunächst  (vorausgesetzt,  daß  man  die 
Punctation  zu  ändern  sich  entschließt)  als  die  irgendwie  mit  einem 
Ramesses  in  Beziehung  stehende  Landschaft  verstehn  wird.  Den 
Namen  Ramesses  schrieben  die  Aegypter *)  mit  zwei,  Rä  und  mes 
zu  lesenden,  Ideogrammen  und  darauf  folgenden  zwei  — 1| — :  mithin 

1)  Der  Kürze  halber   verweise  ich  auf  EA Wallis  Budges  Catalogue  of  the 
Egyptian  antiquities  des  Harrow  School  Museum  (Sir  Gardner  Wilkinson)  21  §  b7. 
Nachrichten  von  der  K.  G.  d.  W.  zn  üöttingen.  18W.  Nr.  ß.  14 


156  P.  de  Lagarde, 

muß  Ü&QT)  gesprochen  werden,  wenn  die  Konsonanten  tüWi  wirk- 
lich jenen  Königsnamen  wiederzugeben  bestimmt  sind.  @5  meint 
mit  seinem  Pa^ieööTJ  wohl  einen  Genetiv,  der  sich  zu  Pa^ieööijg  ver- 
hielte, wie  tov  Mccvccöörj  zu  einem  nicht  unbelegbaren  6  MavaöGrjg 
(Ijs  n.uiJkuiu  könnte  von  ps  jnnv>s$  beeinflußt  sein),  wie  Mcjvöyj  zu 
Mcavtiijg:  nähere  Untersuchung  muß  vorbehalten  bleiben. 

DD'ölJH  ist  Exodus  12  37  wie  Numeri  33  3  33  s  der  Ort,  von  wel- 
chem der  Auszug  der  in  Aegypten  utilisierten  Israeliten  ausgieng. 

Exodus  In  bauen  die  noch  in  Aegypten  weilenden  Israeliten 
dem  Pharaon  MbSöü  *tj,  und  zwar  öDttfTMtfl  DMö-Mtf .  Bei  ®  der 
römischen  Ausgabe  itoletg  b%vQdgy  x^v  te  Ttei&co  %ul  §a{ie66fj  xal 
xbv,  7]  iötiv  ^KiovitoUg.  Seit  1868  ist  es  unerlaubt,  diese  Gestalt 
des  Septuagintatextes  für  die  echte  zu  halten.  Denn  seit  1868  ist 
aus  Cerianis  Monumenta  sacra  et  profana  2  127  [seit  1880  aus 
meinen  Fragmenta  quinque  78,  demnächst  aus  meiner  B(ibliotheca) 
S(yriaea)  50  31]  bekannt,  daß  die  in  einer  Abschrift  des  Jahres  697 
vorliegende  syrische  Uebersetzung  der  Septuaginta  das  vor  Qocpsöör} 
stehende  not  als  dem  Aquila ,  Symmachus ,  Theodotion  angehörig, 
also  als  eine  dem  Texte  Aegyptens  fremde  Zuthat  bezeichnet.  Al- 
lerdings ist  zu  dem  Jmv>v;N\o  1  iöd  (*•  jenes  Syrers  zweierlei  zu 
bemerken.  Erstens,  daß  er  dem  Eigennamen  die  Form  wenigstens 
halb  bewahrt  hat ,  in  der  er  bei  ©  vorliegt  (<nn»nnviv;N,) :  das 
thut  der  Mann  aber  in  den  meisten  Fällen  sogar  ganz.  Zweitens, 
daß  J<yiviv;N\o*  genau  genommen  %%alj  tyjv  Qa^e66r\  wiedergibt. 
Allein  das  erklärt  sich  daraus,  daß  ohne  den  Zusatz  des  V  der  Text 
unverständlich  geworden  wäre:  ThSEoerdam  libri  Judicum  et 
Ruth,  Vorrede  Seite  18  24.  Danach  hätte  der  Text  Sfts  zu  lauten 
öDttiSp  DM3D"MfcjM,  das  von  ßamesses  gegründete,  im  RamessesLande 
belegene  DMB .  Mit  Notwendigkeit  folgt,  daß  es  auch  noch  andere 
DMB  gegeben  hat  als  dieses :  was  für  die  Deutung  des  Namens  OMB 
von  Erheblichkeit  sein  dürfte. 

%  hat  das  ßamessesLand  auch  Genesis  4628.     Dort  bietet  W 

ritt  nrw  *iaä^  nsttfc  Y»»b  rninb  sidM»  T*iBb  rbt  rr#r-  ntfi,  und© 

tbv  de  'Iovdccv  äjteötetlev  e^atQOöd'ev  avtov  TtQog' I&ärjcp  övvavtfjöai 
avttp  xcc&  (Hq6g)v  itoXiv  elg  yr\v  cPcc[ie<3<jij,  wo  in  z  xuif  'Hq&wv 
7t6Xiv,  in  D  elg  yijv  'Pa[ie66fj  fehlt,  und  die  letzten  Worte  äfts  [BS 
497]  von  einem  Späteren  durch  xxul  fjX&ev  [so]  ev  yfj  reße^i/  er- 
gänzt werden. 

So  viel  steht  fest ,  daß  )1Ü^  und  yrj  'Pa^eööil  diesem  Uebersetzer, 
der  doch  in  Aegypten  Bescheid  wußte,  für  identisch  galten. 

t  hat  Genesis  46  28  eepeqi  e£oA  ;6&>,xaicj  g&  ne^uiAi  ^ä*.ki  ;6eit 
hk^oi  np^jn^ccH,  das  bedeutet,  (Hq6o)v  Ttokig  ist  ihm  ne-auiAi.    Der 


Exodus  ln.  157 

Unglückliche!  sein  Werk  heißt  deshalb  bei  dem  Herrn  Akademiker 
ADillmann,  Exodus  2  7  [1880] ,  »die  hier  ganz  unzuverlässige  mem- 
phitische  Uebersetzung«.  Herr  Dillmann  weiß,  daß  diese  Ueber- 
setzung  »Hqcocjv  xofog,  wie  sonst  auch  Etham,  durch  Pithom  wie- 
dergibt«. Zunächst:  !  schreibt  Genes.  4628  nicht  meuijuL,  sondern 
ne-fruiAi.,  was  zu  denken  gibt.  Weiter:  Dfitf  kommt  nach  Brecher 
10,  Jones  1201  [Hiller  805,  Simonis  458]  vier  Mal  vor:  !  bietet 
Exod  1320  6-eoA*.  (ich  setze  für  die  Feigen,  die  stets  nicht  lesen 
können,  wann  sie  nicht  verstehn  wollen,  die  griechischen  Cursiven 
daneben)  =  o&op ,  Num336  337  Äo^-e^w  =  ßov&ccv,  undNum33s 
gar  nichts,  da  dort  ®,  und  also  auch  seine  Töchter,  nicht  äfts  Text 
haben. 

Jenes  TJöb  trmb  der  G-enesis  4628  ist  von  Allen,  denen  der 
Glaube  in  den  Knochen  liegt  »Gottes  Wort«  müsse,  weil  »Gottes 
Wort«,  auch  verständlich  sein,  Jahrhunderte  hindurch  verstanden 
worden.  ©s  ^vvavt^ai  avx^t  steht  oben:  wer  Tromm  befragt, 
wird  an  dem  Glauben  irre  werden,  daß  "Pjsb  fihWj  und  övvuvrrjöcci, 
avt(p  sich  decken.  Aquila  (cpati&iv  stg  xb  7tQÖ6a)7tov  ccvzov)  und 
Symmachus  (driXaöcci  enfcca)  sind  sogar  ohne  Tromm  an  ©  irre  ge- 
worden. Herr  Dillmann  meint,  ©  habe  friert?  gefunden:  dies  hat 
(wie  Dillmann  bemerkt)  ©  =  wotoaojja  oujLA&w ,  und  der  Sa- 
mariter =  TWpb  ^Tnrab.  Herr  Dillmann  hier: 

durch  1^8  8^1  29  wird   diese  Lesart   gesichert:    also:    mit 
dem  Auftrag,    dass  er  (Jos.)  vor  ihm  erscheinen,  ihm  entge- 
genkommen solle  nach  Goschen. 
und  zu  29 
und 
Ioseph 

gab  sich  ihm 
dem  Iacob 

zu  sehen-,  zeigte  sich  ihm;  ein  gewählterer  Ausdruck,  wie 
er  sich  für  die  Erscheinung  eines  so  hohen  Herrn  wohl  ziemt. 
Herr  Dillmann  hat  nicht  genau  gelesen :  ■pb«  »w  und  rmnnb 
VJfcb  zeigen  verschiedene  Construction,  haben  mithin  auch  verschie- 
denen Sinn,  und  darum  ist  das  von  Plüschke  aufgestellte  Gesetz, 
das  Dillmann  zu  Genesis  5  19  in  maiorem  apologetarum  gloriam 
wohl  hätte  citieren  dürfen  (mein  Psalterium  Hieronymi  163),  hier 
auch  nicht  einmal  in  einer  Modifikation  anwendbar. 

Vater  Iacob  (so  etwa  denkt  sich  Herr  Dillmann  den  Hergang) 
schickt  seiner  Durchlaucht  dem  Reichskanzler  («c  ^luvrt  eqomg) 
Ioseph  die  Weisung,  vor  ihm  (in  Gala?)  zu  »erscheinen«  --  hier 
ist  offenbar  Iacob  der  »hohe  Herr«   (man  las  HvEleist)  — ,    uml 

14* 


158  £•  de  Lagard e, 

Ioseph  zieht  sich  zum  "Wiedersehen  mit  dem  lange  entbehrten  al- 
ten Vater  die  große  Uniform  an,  und  »erscheint«  —  hier  ist  aber- 
mals Iacob  »der  hohe  Herr«.    Isaias  I12. 

150b  «l*n$  und  btf  Hfcpi  und  ihren  Unterschied  zu  besprechen, 
gestattet  der  beschränkte  Raum  dieser  Blätter  nicht. 

EKautzsch  und  ASocin  bemerken  in  ihrer  Uebersetzung  der 
Genesis :  »Mit  ni^inb  ist  nichts  anzufangen ,  aber  mit  dem  fflfcHnb 
bei  ....  ebensowenig«.  Sie  führen  das  mit  seltenem,  und  gewis 
unbekömmlichem  Muthe  weiter  aus. 

Herr  ADillmann  ist  in  den  SBAW  1885  889  ff.  noch  einmal  auf 
die  Angelegenheit  zurückgekommen.     Daselbst  891: 

Nimmt  man  dann  zu  dem  bis  jetzt  Ge sagten  noch  hinzu 
(Naville  [the  Store-City  of  Pithom  . . .  London  1885]  p.  6.  f.), 
dass  für  Kcctf  'Hqcjcdv  tcoIlv  eig  yfjv  rPa[ie66rj,  was  die  LXX 
in  Gen.  46,  28 f.  für  ftittt  setzen,  die  Memphitische  Ueber- 
setzung g*vne-&uiju[s0]  'f&^Kj  s&en.  nK^gi  npeuudtCCH ,  d.  h.  »bei 
Stern  §  551. 

Pithom[so]  der  Stadt  im  Lande  des  Ramses«  gibt,  man  also 
damals  noch  gewusst  zu  haben  scheint,  dass  das  spätere  Hero 

bei  oder  an  der  Stelle  des  älteren  Pithom  gelegen  hat,  so 

Erfreulich  ist,  daß  f  nicht  mehr  denunciiert  wird,  und  daß  nicht 
mehr  m^uum,  sondern  ne-»auu.  erscheint.  Aber  daß  jene  sechs  grie- 
chischen Worte  zu  nichts  da  sein  sollen  als  um  RStfe  zu  übertra- 
gen, das  will  mir  nicht  einleuchten. 

Unter  der  Regierung  der  Kaiser  Valentinian  und  Theodosius 
ereignete   sich   nach   Sozomenus  £  15 10  (Hussey)  Folgendes :    qpatfl 

tOV   VOLOV   TOtfaoU   XOXB   XUd'CUQOVtieVOV,    TLVtt   TG)V   Xak0V{lSVG)V   iSQoykv- 

(piK(bv  xaQaKtrJQCJV ,  Cxuvqov  örj^istG)  i^icpSQElg  iyaeya^ay^ivoig  tolg 
M&oig  äva(pavfivav  TtaQ  E7Ci6tri^6v(ov  de  tä  roidös  SQiiqvsvd'elöav 
ör^iävai  tavtr\v  vr\v  yQayY\v  Jgj^v  STteQxo^dvriv.  Späte  ijuöTYjtioveg 
tä  roiads  werden  sonst  verschollene  Königsnamen  Aegyptens  mit- 
telbar an  Masqüdi  gebracht  haben. 

So  ist  wohl  möglich ,  daß  als  die  Genesis  in  das  Griechische 
übersetzt  wurde  —  das  wird  mehr  als  ein  halbes  Jahrtausend  vor  jenem 
Valentinianus  geschehen  sein  — ,  man  noch  gewußt  hat ,  daß  cHq6(ov 
7i6Xig  und  neenijui  Ein  und  dieselbe  Stadt  bezeichnen.  Als  charak- 
teristisch hebe  ich  hervor,  daß  Herr  ADillmann  Exodus  2  (1880)  7 
Genesis  5  (1886)  432  Numeri 2  (1886)  203  für  tH96(üv  716hg,  und 
was  daranhängt,  EQuatremeres  memoires  sur  l'Egypte  1  151 — 189 
nicht  citiert,  während  er  am  30  Juli  1885  SBAW  895  »die  be* 
kannte  Abhandlung  vonQuatremere . . .  hier  voraussetzt« :  Lehrer  und 
Lernende   der   ersten  Fakultät  werden  im  Allgemeinen  kaum  den 


Exodus  lu.  159 

Namen  Quatremeres,  geschweige  denn  Quatremeres  Bücher,  oder 
gar  den  Inhalt  dieser  Bücher  kennen :  es  war  mithin  schon  früher 
noth wendig  jene  »bekannte«  Abhandlung  anzuziehen. 

äfts  Text  ist  doch  wohl  verderbter  —  und  herstellbarer  — 
als  Herr  Dillmann  meint. 

Daß  28 2  fMi  nrw  TÄV1  in  ©  fehlt,  habe  ich  schon  angemerkt. 
Ich  vermuthe,  daß  auch  29  fiSflW  zu  viel  ist. 

28  I^Äb  minb  ist  =  xa&  (Hq6g)v  jtöXiv,  und  enthält  den  Ac- 
cusativ  *p!3ö  . .  wnb ,  nur  mit  hebräischen  Zeichen  geschrieben.  PCW 
ist,  wie  schon  bemerkt,  =  elg  yrjv  Pa{ie66ij. 

Ich  übersetze :  Den  Iuda  entsandte  er  vor  sich  her  an  Ioseph 
nach  Heroopolis  in  der  Provinz  des  Ramesses.  Als  Iuda  den  That- 
bestand  gemeldet  hatte,  hieß  Ioseph  anspannen,  und  fuhr  seinem 
Vater  Iacob  [an  die  Landesgrenze]  entgegen. 

Für  die  Aegyptologen  wird  hier  noch  viel  zu  thun  sein :  mei- 
nes Erachtens  nur  für  sie. 

[Hero  zu  m-kgrap  Peyron  171  =  t\jf$\  Castle  884?]         ^789 


Ueber  denZusammenklang  zweier  einfacher  Töne. 

Von 

W.  Voigt. 

Bezüglich  des  in  der  Ueberschrift  genannten  Problemes  liegen 
einander  scheinbar  stark  widersprechende  Beobachtungen  vor. 

Während  Herr  vonHelmholtz *)  u.  A.  beim  gleichzeitigen  Erklin- 
gen zweier  einfacher  Töne  von  den  Schwingungszahlen  n1  und  na, 
von  denen  n2<znl  sein  mag,  noch  Töne  von  den  Schwingungszahlen 

n2  —  nx  und  n2-\-nt 

wahrgenommen   hat ,    so  findet   Herr  R.  König2)    Töne  von  den 
Schwingungszahlen 

n2—m1}    (v-fl)*^  —  na, 

—  vorausgesetzt,  daß  v  eine  ganze  Zahl  ist,  also  vnt  und  (v  +  l)n, 
die  Schwingungszahlen  derjenigen  beiden    harmonischen  Obertöne 


1)  v.  Helmholtz,   Pogg.  Ann.  XCIX  p.  497,  1865,  Akustik  (Braunschweig 
1870)  p.  239. 

2)  R.  König,  Pogg.  Ann.  CLVII  p.  177,  1876,  Quelques  expdriences  d'Acou- 
stique,  (Paris  1882)  p.  87,  Wied.  Ann.  XXXIX  p.  395,  1890. 


160  W.  Voigt, 

des  tieferen  Tones  sind,  welche  den  höheren  unmittelbar  ein- 
schließen; die  vorgenannten  Töne  dagegen  vermochte  Herr  König 
in  so  wenigen  und  unsichern  Fällen  zu  hören,  daß  er  die  Ansicht 
ausspricht: 

L'existence  de  sons  diflförentiels  et  de  sons  d'addition  ne  peut 
etre  demontree  jusqu'ä  present  avec  quelque  certitude  par  aucune 
experience *). 

"Was  die  Erklärung  der  beobachteten  Erscheinungen  angeht, 
so  hat  Herr  von  Helmholtz  bekanntlich  die  Annahme  gemacht, 
daß  in  den  Fällen,  wo  Combinationstöne  gehört  werden,  die  pri- 
mären Töne  durch  Schwingungen  von  so  großer  Amplitude  her- 
vorgebracht werden,  daß  die  Anwendung  der  gewöhnlichen  linearen 
Differentialgleichungen  nicht  mehr  zulässig  ist.  Zugegeben  indeß, 
daß  in  dem  Fall  der  Sirene  und  der  Zungeiipfeifen,  wo  neben  den 
Schwingungen  zugleich  Luftströmungen  stattfinden ,  diese  Voraus- 
setzungen zutreffen,  so  ist  doch  in  dem  besonders  wichtigen  Falle 
von  Stimmgabeltönen,  die  fast  allein  einfache  Sinusschwingen  lie- 
fern, diese  Annahme  umsomehr  abzuweisen,  als  durch  neue  Be- 
obachtungen von  Herrn  Kayser2)  gezeigt  ist,  daß  bei  solchen 
innerhalb  weitester  Grenzen  der  Intensität  die  Fortpflanzungsge- 
schwindigkeit des  Schalles  constant  ist,  also  die  linearen  Schall- 
gleichungen merklich  erfüllt  sind. 

Herr  König  hingegen  erklärt  die  von  ihm  beobachteten 
Töne ,  wie  zuerst  Lagrange3),  aus  den  Stößen  der  primären 
Töne  und  weist  durch  besondere  sinnreiche  Experimente  nach, 
daß  unser  Ohr  die  Eigenschaft  besitzt,  regelmäßig  wiederkehrende 
einzelne  Impulse,  deren  Intensität  periodisch  wechselt,  zu  einem 
Ton  zusammenzufassen  von  der  Höhe,  welche  ein  einfacher  Ton 
mit  gleicher  Periode  besitzt. 

Das  Princip  der  Erklärung  scheint  mir  hierdurch  für  die- 
jenigen Fälle  der  Zusammen wirkung  zweier  einfacher  Töne,  welche 
die  Benutzung  der  linearen  Schallgleichungen  gestatten,  völlig  sicher- 
gestellt zu  sein,  —  es  fehlte  aber  bisher  noch  die  strenge  theore- 
tische Ableitung  der  verschiedenen  möglichen  Combinations-  oder 
Stoßtöne  aus  demselben. 

Als  ich  diese  nun  kürzlich  versuchte,  bemerkte  ich  sehr  bald, 
daß  aus   dem    aufgestellten  Princip    je   nach  Umständen    sowohl 


1)  Berichtigung  des   Pogg.  Ann.   CLVII  p.  236  unter   III  ausgesprochenen 
Satzes  in  des  Autors  Buch  „Quelques  expe'riences  d'Acoustique",  p.  147,  No.  III. 

2)  H.  Kayser,  Wied.  Ann.  VI  p.  465,  1879. 

3)  Lagrange,  Mise.  Soc.  Taur.  1759. 


über  den  Zusammenklang  zweier  einfacher  Töne.  161 

die  Helmholtz'  sehen  —  ich  benutze  der  Kürze  wegen  diese 
Bezeichnung  —  Differenz-  und  Summationstöne  als  die  König* 
sehen  Stoßtöne  folgen,  und  daß  die  für  das  eine  und  andere  maß- 
gebenden Bedingungen  sicher  bei  den  König' sehen,  sehr  wahr- 
scheinlich bei  den  Helmholtz' sehen  Beobachtungen  vorgelegen 
haben. 

Die  Ableitung  der  hiermit  skizzirten  Resultate  bildet  den  In- 
halt der  folgenden  Mittheilung.  — 

Der  allgemeinste  Ansatz  für  eine  aus  zwei  einfachen  Sinus- 
schwingungen zusammengesetzte  Bewegung  ist : 

u  =  ax  sin  (t^  —  8J  -f  a2  sin  (r2t  —  o2).  1.) 

Hierin  ist  tä  kurz  für  2iz/Th  gesetzt;  es  ist  xA  also  mit  der  Schwin- 
gungszahl nh  proportional  und  mag  beiläufig  „Schwingungs- 
index" genannt  werden.  Der  absolute  Werth  der  Verzögerungen 
ox  und  o2  kann  durch  Veränderung  des  Anfangspunktes  für  die 
Zeit  t  um  gleiche  Beträge  geändert  worden;  gegeben  zu  denken  ist 
nur  die  Differenz  o2— 8,  =  8.  Wir  setzen  demgemäß  (^  =  0  82  =  8. 
Maxima  und  Minima  von  u  finden  statt  für  Werthe  th  von  t) 
gegeben  durch  die  Gleichung : 

0  =  axTl  cos  zjh  +  a2x2  cos  (x2th  —  8) ;  2.) 

die  ihnen  entsprechenden  Werthe  von  u  seien  mit  Uh  bezeichnet, 
sodaß  also  gilt: 

TJh  =  at  sin  t,*a  +  a2  sin  (z2t,  —  8).  3.) 

Die  Wurzeln  th  der  Gleichung  (2)  folgen  im  Allgemeinen  kei 
nem  einfachen  Gesetz  ,  indessen  sind  zwei  specielle ,  in  gewisser 
Hinsicht  extreme  Fälle  leicht  zu  erledigen. 

I.    Es  sei 

Vi  =  V2 

d.  h.  die  lebendige  Kraft  beider  zur  Wechselwirkung  gelangenden 
einfachen  Schwingungen  sei  gleich1). 

Dann  schreibt  sich  die  Gleichung  (2) 

cosH^  +  tJ^-^.cosJ^-t^^-S)  =  Oj 

sie  ergiebt  zwei  Gattungen  von  Wurzeln,   die  durch  t[  und  t"k  be- 
zeichnet seien  und  deren  Werthe  folgen  aus 


1)  Dieser  Fall  ist  von  demjenigen  gleicher   Amplitude  ax  =  «2,  der  mit- 
unter für  theoretische  Betrachtungen  benutzt  wird,  wohl  zu  unterscheiden. 


162  W.  Voigt, 

(T.  +  T.K-8  =  (2*+l)*, 

Die  ihnen  entsprechenden  beiden  Gattungen  extremer  Werthe  von 
w,  nämlich  TFh  und  V'l  finden  wir  am  einfachsten,  indem  wir  schreiben : 

/  ,  \      •        (T2  +  Tl)  h  —  8  (T2  —  Tl)  th  —  S 

JJh  =  (a2  +  a1)sm-^ |frr cos-^ |M 

+  (a2  -  aj  sm  -^ p cos  — -^-^ i 


(2Ä+ 1    \ 
— 2~- 7i J  =  (—1)*  ist,  so  giebt  sich: 

5.) 


ül  =  (-l)»(a2  +  «,)cos(T'     XM  -± 


DT  =  (-l)t(a2-a,)cos(T8+T^"-5. 

Diese  Werthe  ergeben  aber,  wenn  man  sie  durch  die  stetig  wach- 
senden th  entsprechende  Sinuslinien  verbindet,  wegen  des  Factors 
( — l)h  keine  einfache  Sinuscurve,  sondern  die  Superposition  je 
zweier  gleicher,  welche  um  die  halbe  betreffende  Periode  gegen- 
einander verschoben  sind;  diese  Combination  besitzt  die 
halbe  Periode  einer  einfachen  Reihe. 

Hieraus  folgt,  daß  bei  der  gemachten  Voraussetzung  gleicher 
lebendiger  Kraft  die  beiden  einfachen  Sinusschwingungen  absolute 
Maxima  und  Minima  der  resultirenden  Amplituden  liefern,  in  Pe- 
rioden, wie  sie  zwei  einfachen  Tönen  mit  den  Indices 

x2  —  Tj  und  T2  +  Tj 
entsprechen. 

Die  Wahrnehmung  der  beiden  Grattungen  von  Perioden  durch 
das  Ohr  wird  um  so  deutlicher  sein,  je  mehr  Glieder  der  ganzen 
Reihen  der  U'h  resp.   TJ'l  in  einer  jeden  Periode  vorhanden  sind. 

Man  erkennt  aus  den  Formeln  (5)  sogleich ,  daß  wegen  der 
Nenner,  welche  t'h  und  fh  in  den  Ausdrücken 

R.                    .,        (2ft  +  l)7r  +  S                (2ft  +  l)TC  +  5 
b.)  th  =  — — ,    th  = — - 

T2  +  Tl  T2  —    Tl 

besitzen,  stets  eine  erheblich  größere  Zahl  Glieder  der  ü'h  in  eine 
Periode  fallen,  als  der  £7";  daraus  folgt  aber  schon  allein  und 
ganz  abgesehen  von  der  Amplitude,  daß  bei  den  gemachten  An- 
nahmen die  Differenztöne  (t2  —  t,)  ungleich  deutlicher  wahrnehmbar 
sein  müssen,  als  die  Summationstöne. 


über  den  Zusammenklang  zweier  einfacher  Töne.  163 

Dies  übersieht  man  noch  deutlicher,  wenn  man  die  Schwingungs- 
zeiten dieser  Töne  und  die  Perioden  der  sie  bildenden  Uk  in's 
Auge  faßt.  Für  die  Differenztöne  sind  die  Schwingungsdauern  T_ 
nämlich  resp. 

T  T 

die  Perioden  P_  der  IPh  gleich 

p  Li    r'r° 


Tr  +  T, 


1 


für  die  Summationstöne  umgekehrt,  sodaß  bei  letzteren  höchstens 
ein  extremer  Werth  TJ'l  in  jede  Periode  fällt. 
Bildet  man  den  vollständigen  Werth 

DI'  =  ("  !/(«.  -  O  cos  föz^(a*  + 1)  |  +  -&-),       7.) 

so  erkennt  man,  daß  für  Töne,  deren  Indices  dem  Gesetz 

xx :  t2  =  n :  n  +  1 

folgen ,    wie  dies   bei   den  Gliedern   der  Oktave ,  Quinte ,  Quarte, 
großer  und  kleiner  Terz  gilt,   U"  die  Form  annimmt: 

V':  =  (~l)A(a2~a1)cos((2w  +  l)(2^  +  l)|-  +  M8), 
=  {-lf{a2-ax)^m{nl). 

Hieraus  folgt ,  daß  in  den  angegebenen  Fällen  die  Glieder  der 
Reihe  der  U'h'  sämmtlich  gleich  sind;  die  dem  Summationston  ent- 
sprechende Periode  dürfte  hiernach  für  das  Ohr  ganz  unwahr- 
nehmbar sein,  denn  dieses  wird  eine  Reihe  gleicher  Impulse  offen- 
bar nur  als  ein  Ton  derjenigen  Schwingungsdauer  empfunden  werden, 
die  dem  Abstand  der  Impulse  entspricht,  d.h.  hier  als  Differenzton. 
Gilt  ferner 

VTjj  =  n:n  +  2, 

wie  dies  bei  der  Duodecime  und  großen  Sexte  stattfindet,    so  ha- 
ben wir 

Vi.  =  (-l)ÄK-al)cos((n+l)(2Ä  +  l)|-  +  ^) 
( _  !)<*+«>  (a2  _  aj  sin  Q£j  für  gerades  n , 

'(—  ly+~r\a2  —  ajcosy-ä-j  für  ungerades  n. 


164  W.Voigt, 

Hier  treten  die  Glieder  der  Reihe  der  ü"  zwar  absolut  gleich, 
aber  mit  entgegengesetzten  Vorzeichen  auf ;  wenn  auch  im  Ganzen 
sehr  unwahrscheinlich,  dürfte  hier  schon  eher  die  Wahrnehmung 
eines  Summationstones  möglich  sein. 

Erst  Töne  mit  dem  Verhältniß 

Tj :  t2  =  n  :  n  +  m  für  m  >  3 

geben  den  U^'  verschiedene  absolute  Werthe;  von  den  Intervallen 
mit  m  =  3  kommt  besonders  die  kleine  Sexte  in  Betracht. 

Nach  dem  im  Vorstehenden  Entwickelten  kann  es  nicht  Wun- 
der nehmen,  wenn  die  Frage  der  Wahrnehmbarkeit,  ja  der  „Existenz" 
der  Summationstöne  sehr  häufig  in  durchaus  negativer  Weise  be- 
antwortet wird.  Selbst  bei  den  im  Obigen  gemachten ,  wie  wir 
sehen  werden,  günstigen  Abnahmen  erscheint  ihre  Beobachtung 
im  Falle  die  primären  Töne  das  Intervall  der  Octave,  Quinte, 
Quarte  und  Terz  besitzen,  fast  ausgeschlossen,  bei  großer  Sexte 
und  Duodecime  sehr  fraglich. 

Wenn  also  trotzdem  von  einzelnen  Beobachtern  Summationstöne 
gehört  worden  sind,  so  ist,  falls  diese  Töne  objectiv  im  äußern 
Luftraum  nachweisbar  waren,  wahrscheinlich,  daß  bei  ihren  Expe- 
rimenten die  Schwingungen  so  große  Elongationen  besaßen,  daß 
die  lineare  Form  der  Schallgleichungen  nicht  mehr  zulässig  wa- 
ren, —  falls  sie  nur  im  Ohre  zu  Stande  kamen,  daß  sie  zu  meist 
durch  dessen  anatomische  Eigenthümlichkeiten  bedingt  waren1). 

Wesentlich  aber  ist  das  Resultat,  daß  bei  zwei  einfachen  Tö- 
nen gleicher  lebendiger  Kraft  Differenztöne  und  Summationstöne 
theoretisch  auch  in  Fällen  auftreten  können,  wo  das  Princip  der 
Coexistenz  der  Schwingungen  anwendbar  ist. 

II.  Sind  die  Amplituden  des  höheren  Tones  (t2)  so  viel  kleiner, 
als  die  des  tieferen  (tx),  daß  die  Zusammen wirkung  beider  nur  eine 
Veränderung  der  Maxima  und  Minima  der  dem  letzteren  ent- 
sprechenden Elongationen  ulf  aber  keine  neuen  Maxima  und  Mi- 
nima hervorruft,  so  ist  in  der  Gleichung  (2)  a2x2  als  klein  gegen 
a1T1  zu  betrachten. 

Damit  ist  noch  nicht  vorausgesetzt,  daß  die  wahrgenommene 
Intensität  des  höheren  Tones  erheblich  unterhalb  derjenigen  des 
tieferen  sein  muß ;  es  scheint  vielmehr ,  daß  bei  zwei  Tönen ,  die 
sich  beträchtlich  in  ihrer  Höhe  unterscheiden  —  und  auf  diesen 
Fall  kommt  es  im  Folgenden  besonders  an  —  der  tiefere  uns  erst 


1)  Vergl.  übrigens  W.  Preyer,  Wied.  Ann.  XXXVIII,  p.  131,  1889. 


über  den  Zusammenklang  zweier  einfacher  Töne.  165 

bei  erheblich  größerer  lebendigen  Kraft  der  ausgesandten  Bewe- 
gung vernehmbar  wird,  als  der  höhere. 

Die  Gleichung  (2)  läßt  sich  in  diesem  Falle  durch  eine  An- 
nährung  behandeln,  indem  man  die  Wurzeln  th,  welche  sich  aus 
dem  Verschwinden  des  ersten  Gliedes  allein  als  erste  Näherung 
ergeben,  nämlich 

(2Ä+1)* 


2t, 


in  das  zweite  einsetzt,  um  dadurch  eine  zweite  Näherung  zu  er- 
halten.    Dies  führt  zu 

axTx  cos  Txth  +  a2T2  cos  (  - — Q    J  2 8  )  =  0 

woraus  folgt ,  wenn  man  das  zweite  Glied  mit  dem  Factor 
(—  1)A  sin  t^  ,  welcher  in  erster  Näherung  gleich  1  ist,  multiplicirt : 

Wir  erhalten  also,  indem  wir  das  zweite  Glied,  welches  erster 
Ordnung  ist,  kurz  mit  7jA  bezeichnen,  als  Resultat: 

Der  Werth  von  r^h  ist  hier  nur  für  die  Beurtheilung  des  Grades  der 
Annährung  von  Bedeutung.  Setzen  wir  nämlich  das  Resultat  (8) 
in  die  Gleichung  (3)  ein,  so  folgt,  wenn  wir  wieder  zweite  Ord- 
nung vernachlässigen,  der  von  7jA  freie  Werth: 

^#a1(-l)»+a,8in(i^i*^B)1.  10.) 

Diesen  Ausdruck  können  wir  umformen,  indem  wir  entweder 

t2  =  vt.  +  A'  11.) 

oder  x2  =  (v  +  1)t,-  A" 

setzen,  worin  also  A'  +  A"  =  t,  sein  muß  und  A'  und  A"  positiv 
sein  mag. 

Ist  v  eine  ganze  Zahl ,  so  sind  vxt  und  (v  -f  1)  t,  die  Indices 
derjenigen  harmonischen  Obertönen  des  tieferen  Tones,  welche  den 
höheren  Ton  direct  einschließen. 

Zugleich  treten  dann  Glieder  unter  dem  sinus  in  (10)  hervor, 


166  W.Voigt, 

sodaß  die  Periode  des  zweiten  Gliedes  variirt,  Wir  erhalten 
nämlich 

I.)  falls  v  gerade,  =  2fA  ist, 
die  beiden  Formen 

(OD,  -  «,(-l)»  +  a»(-  iysm(^-  *t+±«-i\ 
12.) 

(u1'),  =  ai(-iy+a,(-  iy*  cos  (^1*+!«+«), 

II.)  falls  v  ungerade,  =  2[a+1  ist,  die  anderen 

cify  - «.(-  !)1 + «.  (-  ir*  cos  (£  i*+i„-s), 

W)„  =  ^(-lr  +  ^-irsin^-^+irc+s). 

Die  Periode  dieser  Ausdrücke,  welche  wegen  der  mit  h  wechseln- 
den Vorzeichen  einiger  Glieder  nicht  sofort  hervortritt ,  erkennt 
man  am  besten  durch  Betrachtung  einer  schematischen  Figur, 
welche  die  Uh  als  Ordinaten  über  einer  Abscisse,  auf  welcher  h 
(oder  th)  aufgetragen  ist,  darstellt.  Die  sämmtlichen  Werthe  Uh 
stellen  sich  dann  dar  als  discrete  Punkte  zweier  gleicher  Sinus- 
linien, deren  eine  um  a  oberhalb,  die  andere  um  a  unterhalb  der 
Abscissenaxe  liegt.  Bei  (#][),  und  (U'h')n  besitzen  die  vertical  über- 
einanderliegenden Punkte  gleiche  Phase,  bei  (ü'h)XI  und  (#£')/  um 
tu  verschiedene. 

Die  Periode  in  Bezug  auf  th  ist 

für  (UJ),  und  (ü'h)u  gleich  2*/A' 

für  (Ul'),  und  (ü'h%  gleich  2*/A" 

also  übereinstimmend  mit  der  zweier  einfacher  Töne  von  den  In- 
dices 

A'-^-vt,,    A'^Cv  +  IK-t, 

Wiederum  wird  diejenige  Periode  von  beiden  am  hervortre- 
tendsten,  derjenige  Ton  am  deutlichsten  sein,  für  welchen 
die  größte  Zahl  von  Werthen  Uh  innerhalb  einer  Periode  auftritt, 
und  dies  ist  ersichtlich  immer  derjenige,  für  welchen  der  Index  A' 
resp.  A"  der  kleinere  ist. 

Wenn  hierin  eine  vollständige  Analogie  zu  den  Resultaten  des 
vorigen  Abschnittes  besteht,  so  findet  in  anderer  Hinsicht  eine 
wichtige  Abweichung  statt. 

Dort  ergab  sich  das  Vorhandensein  von  zwei  Arten  extre- 


über  den  Zusammenklang  zweier  einfacher  Töne.  167 

mer  Werthe  Uh ,  die  für  sich  je  eine  verschiedene  Periode  be- 
sitzen. 

Hier  ergiebt  sich  nur  eine  Art  von  extremen  Werthen, 
aber  sie  haben  die  Eigenschaft,  sich  als  Ordinaten  zweier  verschie- 
dener Curven  mit  zwei  verschiedenen  Perioden  ansehen  zu  lassen. 
Offenbar  liegt  hierin  ein  Moment,  welches  es  dem  Ohr  erschweren 
muß,  die  beiden  Perioden  gesondert  wahrzunehmen. 

Daß  Herr  König  unter  Umständen  beobachtet  hat,  welche  den 
vorstehend  gemachten  Voraussetzungen  nahe  entsprechen,  möchte 
man  schon  daraus  schließen,  daß  bei  angeschlagenen  Stimmgabeln- 
die  höheren  Töne  wegen  der  inneren  Reibung  schneller  zur  Ruhe 
kommen,  als  die  tieferen,  —  die  Betrachtung  der  Curven,  die  er 
mit  seinen  Stimmgabeln  aufgezeichnet  hat,  macht  es  zur  Gewiß- 
heit. Denn  obwohl  dieselben  natürlich  mit  möglichst  großen  Elon- 
gationen,  also  im  Anfang  des  Zusammenklanges  hergestellt  sind 
und  kaum  das  Intervall  einiger  Secunden  umfassen  dürften,  ist 
nach  dem  Ende  desselben  hin  das  Eintreten  des  von  uns  voraus- 
gesetzten Zustandes ,  daß  der  höhere  Ton  nur  die  Maxima  der 
Elongationen  des  tieferen  verändert ,  aber  keine  neuen  hervor- 
bringt, deutlich  vorbereitet,  bei  einigen  schon  eingetreten,  indem 
nämlich  die  Kräuselungen  der  Curven  keine  Gipfel  mehr  haben, 
sondern  nur  die  Gestalt  abgerundeter  Stufen  besitzen. 

In  der  That  stimmen  alle  oben  gezogenen  theoretischen  Fol- 
gerungen auf  das  Genauste  mit  den  von  Herrn  König  gemachten 
Beobachtungen,  was  ich  des  Raumes  wegen  hier  auszuführen  un- 
terlassen will.  — 

In  den  Fällen ,  die  zwischen  den  oben  betrachteten  extremen 
liegen,  wird  sich  ein  mittlerer  Zustand  einstellen.  Je  mehr  die 
lebendige  Kraft  des  obern  Tones  von  der  Gleichheit  mit  der  des 
tieferen  aus  abnimmt,  um  so  mehr  müssen  die  Helmholt  z'  sehen 
Differenz-  und  Summationstöne  verschwinden  und  die  König'schen 
hervortreten  und  umgekehrt. 

Damit  stimmt  überein ,  daß  Herr  König  in  einigen  wenigen 
Fällen  neben  seinen  „ Stoßtönen"  einen  von  ihnen  abweichenden 
Differenzton  gehört  hat. 

Göttingen,  3.  Mai  1890. 


168  Cl.  Hartlaub, 

Beitrag  zur  Kenntniß   der   Comatuliden-Fauna 
des  Indischen   Archipels. 

Vorläufige  Mittheilung 

von 

Clemens  Hartlaub. 

(Vorgelegt  von  Ehlers.) 

Unter  der  reichen  zoologischen  Ausbeute,  welche  der  leider 
so  früh  verstorbene  Prof.  J.  Brock  im  Indischen  Archipel,  und 
zwar  vorwiegend  auf  Amboina  gesammelt,  und  der  Sammlung  des 
zoolog.-zootomischen  Instituts  in  Göttingen  überwiesen  hat,  neh- 
men die  Comatuliden  einen  hervorragenden  Platz  ein  sowohl  durch 
eine  verhältnißmäßig  große  Artenzahl  als  auch  durch  die  Menge  der 
von  einzelnen  Species  mitgebrachten  Exemplare. 

Da  die  Bearbeitung  dieser  Sammlung  Veranlassung  zu  einem 
Besuch  einiger  größerer  Museen  gab,  stellte  es  sich  als  wünschens- 
werth  heraus,  auch  das  Material  dieser  in  den  Kreis  der  Unter- 
suchung zu  ziehen.  So  wurden  besonders  die  neuen  Arten  des 
Berliner  und  Hamburger  Museums  beschrieben  und  unter  ihnen 
auch  manche  unter  Lütkenschen  M.  S.  Namen  bereits  bekannte 
Form. 

Bis  zur  Veröffentlichung  meiner  mit  zahlreichen  Abbildungen 
versehenen  Arbeit  dürfte  noch  einige  Zeit  hingehen,  und  erlaube 
ich  mir  daher  die  Beschreibungen  der  neuen  Arten  in  Kürze  schon, 
jetzt  mitzutheilen. 

Uebersicht  der  neuen  Arten. 

I.    Genus  Antedon  de  Fr 6min vi  11  e. 
A.  10  Arme. 

I.  »Langgliedrige  untere  Pinnulae«  (Tenella-Gruppe  Carp.) 

a.  Pinnulae  des  zweiten  und  vierten  Brachiale  ganz  kurz     1)  nana 

b.  Pinnula  des  2ten  Br.  3  mal  so  lang  wie  die  des  4ten  .  .  2)  Hupferi. 
II.  >das  erste  Paar  Pinnulae  relativ  klein  und  die  sie  zusammen- 
setzenden Glieder  nur   wenig  länger  wie  breit;   Eine  oder 

mehrere  Pinnulae  des  zweiten  dritten  und  vierten  Paares 
sind  länger  und  massiver  mit  dickeren  Gliedern  als  die 
darauf  folgenden«  (Milberti-Gruppe  Carp.) 

a.  40 — 50  Cirren  ohne  Dornen.    Armglieder  scheibenförmig. 

—  (Große,  plumpe  Form) 3)  afra  Ltk.M.S. 

b.  circa  19  Cirren ;  die  äußeren  Glieder  dornig.   Armglieder 

stumpf  keilförmig.  —  (Kleine  zierliche  Form.)  ....  4)  japonica. 


Beitrag  zur  Kenntniß  der  Comatuliden-Fauna  des  Indischen  Archipels.     169 

Mehr  als  10  Arme. 

I.  »Arten  mit  zweigliedrigen  Distichalstämmen,  deren  radiale 
Axillaria  und  zunächst  folgende  Glieder  abgeplattete  Seiten 
haben  und  deren  Pinnulae  ein  deutliches  Ambulacralskelett 
besitzen«  (Spinifera-Gruppe  Carp.) 
Centrodorsale  conisch.     Girren  in  10  vertikalen  Reihen  .  5)  conifera. 

II.  »Arten  mit  zweigliedrigen  Distichalstämmen,  einer  nicht  ge- 
täfelten Scheibe  und  keinem  bestimmten  Ambulacralskelett. 
Die  Seiten  der  unteren  Brachialia  sind  nicht  oder  nur  sehr 
wenig  abgeplattet.  Die  erste  Pinnula  kleiner  als  die  fol- 
genden« (Palmata-Gruppe  Carp.) 

a.  Keine  Pinnula  am  3ten  Brachiale 6)  Clarae. 

b.  Eine  Pinnula  am  3ten  Brachiale ;  Zwei  oder  mehrere  post- 
radiale Axillaria;  zweite  Pinnula  länger  wie  die  dritte. 

1)  die  Radien  seitlich  mehr  oder  minder  frei, 
a)  die  zweite  Pinnula  hat   25  oder  mehr  Glieder,  die 
nicht  besonders  verlängert  sind. 
«')  Die  unteren  Pinnulae  nicht  steif  und  griffeiförmig. 
»)  Zweite  Radialia  vollkommen  frei. 

»')  Nicht  über  20  Arme.     Die  Radien  weichen 
stark  auseinander. 

Glieder  der  unteren  Pinnulae  mit  vorstehen- 
den distalen  Rändern 7)  bella. 

Glieder  der  unteren  Pinnuiae  glatt      ...  8)  Klunzingeri. 
i")  Ueber  20  Arme ;  die  Radien  weichen  schwach 

auseinander 9)  lepida. 

ii)  Zweite  Radialia   mehr  oder   minder   vereinigt. 
Ueber  20  Arme.    60—80  Cirrusglieder.      Die 
Seiten  der  Radien  häufig  abgeplattet . '  .    .    .10)  Finschii. 
ß)  Die  ersten  vier  Paar  Pinnulae  steif  und  griffei- 
förmig     11)  erinacea. 

ß)  Die  zweite  Pinnula  steif  und  griffeiförmig  mit  12 
—18  stark  verlängerten  Gliedern. 

«')  Erste  Pinnula  wie  die  zweite 12)  tenuipinna. 

ß')  Erste  Pinnula  kürzer  wie  die  zweite,    aber  aus 

zahlreicheren  Gliedern  zusammengesetzt. 

t)  Die  Radien  haben  Erhabenheiten  an  ihrem  Rande. 

Dritte  äußere  Pinnula  von  dem  Charakter  der 

zweiten  und  wenig  oder  gar  nicht  kürzer    .    .  13)  oxyacantha. 

Dritte  Pinnula  viel  kürzer  als  die  zweite  und 

nicht  steif  und  griffeiförmig 14)  monacantha. 

«)  Die  Radien  haben  keine  Erhabenheiten   an  ih- 
rem Rande. 

12  Arme.   Zweite  Pinnula  mit  8—10  langen 

Gliedern 15)  spinipinna. 

2)  die  Radien  seitlich  mehr  oder  minder  in  Berührung. 
«)  Die  unteren  Pinnulae  größer   an   den  äußeren  Ar- 
men eines  jeden  Distichunis  als  an  den  inneren. 


170  Cl.  Hartlaub, 

«')  Zweite  Pinnula  kräftig ;  dritte  ganz  kurz  .    .    .16)  protecta. 
ß')  Untere  Pinnulae  sehr   dünn,    mit  Neigung   zur 

Kielung 17)  tenera.  (Ltk. 

ß)  Die  unteren  Pinnulae  annähernd  gleich  groß  an  al-  [M.S.) 

len  Armen. 

a)  Keine  Postpalmaria 18)  amboinensis. 

ß')  Postpalmaria tenera.  (Ltk.  M.S.) 

III.  »Drei  Distichalia ;  Scheibe  ungetäfelt;  kein  bestimmtes  Am- 
bulacralskelett ;  die  Basis  der  Radien  seitlich  nicht  abge- 
plattet« (Savignyi-Gruppe  Carp.) 

a.  Keine  Palmaria. 

Untere  Pinnulae  gekielt.    Aeußere  Cirrusglieder  dornig.  19)  bengalensis. 

b.  Palmaria. 

1)  Zwei  Palmaria,  das  Axillare  ohne  Syzygie. 
a)  Distichale  Pinnula  sehr  dick. 

Die  Armglieder  haben  vom  dritten  an  stark  aufge- 
worfene distale  Ränder.  Die  Gliedergröße  der  di- 
stichalen  Pinnula  nimmt  sprungweise  ab.  20)  Martensi. 

Die  basalen  Armglieder  sind  glatter  verbunden  als 
die  übrigen.  Die  Dicke  der  distichalen  Pinnula 
nimmt  nach  ihrem  Ende  allmälig  ab.  21)  Kraepelini. 

ß)  Distichale  Pinnula  nicht  durch  besondere  Dicke  aus- 
gezeichnet. 
a )  25—35  Cirrusglieder. 

Glieder  der  unteren  Pinnulae  mit  vorstehenden, 

dornigen  distalen  Rändern 22)  Brockii 

Pinnulae  der  proximalen  Armregion  gekielt  .    .  23)  affinis 
ß')  35—55  Cirrusglieder,  äußere  Cirrusglieder  dornig  24)  nematodon 

(Ltk.  M.  S.) 

2)  Zweigliedrige  und  dreigliedrige  Palmarserien    .    .    .25)  crassipinna 

II.    Genus  Actinometra  J.  Müller. 

I.  >Drei  distichale  Arten  mit  einer  Pinnula  am  ersten  Brachiale 
und  einer  Syzygie  im  zweiten.  Die  palmaren  und  postpal- 
maren Stämme,  wenn  vorhanden,  bestehen  aus  zwei  Gliedern, 
von  denen  das  erste  eine  Pinnula  trägt  und  das  zweite 
(Axillare)  eine  Syzygie  enthält.«  (Fimbriata-ßruppe  Carp.) 

Centrodorsale  klein,  flach,  ohne  eine  Spur  von  Cirren    .  26)   macrobra- 

chius(Ltk.  M.S.) 
II.  Drei  Distichalia.    Zwei   Palmaria;    letztere   durch  Syzygie 
verbunden.  Erste  Armsyzygie  zwischen  erstem  und  zweitem 
Brachiale. 
Centrodorsale  klein ;  keine  Spur  von  Cirren 27)  gracilis. 


1.    Antedon  nana  u.  sp. 

Syn.  Antedon  macropygus  Ltk.  M.  S. 

Centrodorsale  ziemlich  groß,  convex.    30—40  zarte  Cirren  in 


Beitrag  zur  Kenntniß  der  Comatuliden-Fauna  des  Indischen  Archipels.     171 

3  Reihen.  Cirren  6  mm  lang  mit  10—12  stundenglasförmigen, 
stark  verlängerten  Gliedern;  vorletzte  mit  starkem  Dorn. 

Erste  Radiale  verborgen,  zweite  auch  ein  wenig.  Axillare 
rhombisch. 

10  glatte  Arme  mit  ziemlich  großen  Gliedern.  Erstes  Glied 
ganz  kurz,  in  geringer  Berührung  mit  dem  des  Nachbararmes. 
Zweite  bedeutend  länger,  von  unregelmäßiger  Form.  Glieder  vom 
9ten  an  fast  dreieckig  mit  einer  spitzen,  übergreifenden  Hervor- 
ragung  auf  der  langen  Seite.     Syzygiale  Glieder  ziemlich  lang. 

Zweite  Syzygie  im  8ten  Brachiale,  dann  eine  im  12ten  und  die 
folgenden  in  Zwischenräumen  von  2. 

Die  unteren  Pinnulae  haben  stark  verlängerte  Glieder,  die 
beiden  ersten  Paare  ganz  kurz  und  ziemlich  gleichförmig ;  25  mm 
lang;  7 — 9  Glieder.  Pin.  des  6ten  Br.  7  mm  lang  mit  —16  stark 
verlängerten  Gliedern.  Die  folgende  (8te  Br.)  beträchtlich  kürzer ; 
dann  nimmt  die  Länge  wieder  zu  und  erreicht  7  mm. 

Scheibe:  3  mm  Dm. 

Klafterung:  5 — 6  cm. 

Amboina  (Göttingen).     Tonga-Inseln  (Hamburg). 

2.    Antedon  Hupferl  n.  sp. 

Centrodorsale  scheibenförmig  von  mäßiger  Große.  Etwa  25 
dünne  Cirren  in  drei  Reihen.  Die  Cirren  messen  11  mm ;  15  ziem- 
lich stark  verlängerte  Glieder;   nur  das  vorletzte  mit  Dorn. 

Erste  Radialia  ein  wenig  sichtbar;  die  zweiten  breit  und 
kurz,  durch  einen  dünnen  plattenförmigen  Seitenfortsatz  des  äuße- 
ren Randes  verbunden.  Axillare  dreieckig,  mit  sehr  spitzem  dista- 
len Winkel.  Seine  Basis  ein  wenig  nach  hinten  ausgeschweift, 
die  Seiten  leicht  eingekrümmt. 

10  Arme  von  ziemlich  glatter  Oberfläche.  Glieder  vom  lOten 
an  dreieckig,  weiterhin  stumpfer  keilförmig. 

Zweite  Syzygie  im  8tenBr.,  die  folgenden  in  Zwischenräumen 
von  2 — 3  Gliedern. 

Pin.  des  2ten  Br.  etwa  10  mm  lang  mit  etwa  20  stark  verlän- 
gerten Gliedern,  von  denen  die  äußeren  vortretende,  Dörnchen  tra- 
gende distale  Ränder  besitzen.  Pin.  des  4ten  Br.  meist  nur  */*  so 
lang  mit  etwa  8  Gliedern,  von  denen  die  3  basalen  ziemlich  ver- 
breitert, die  übrigen  aber  lang  sind.  Die  distalen  Pin.  erreichen 
9  mm  Länge.  Sacculi  an  den  Pin.  ziemlich  weitläufig  stehend  und 
klein. 

Scheibe:  7  mm  Dm.  nicht  eingeschnitten. 

Klafterung:  7  cm. 

Nachrichten  von  der  E.  G.  d.  W.  zu  Göttingoa.   1890.  No.  £».  15 


172  Cl.  Hartlaub, 

Farbe:  schmutzig  weiß. 

Wapoo.   (W.  Africa.)   21  Faden.    Ein  Exemplar.     (Hamburg, 
durch  Capitain  Hupf  er.) 


3.    Antedon  afra  (Ltk.  M.  S.)  n.  sp. 

Centrodorsale  dick,  abgestumpft  conisch.  40 — 50  Cirren  in  2 
oder  stellenweise  3  regelmäßigen  Reihen.  Cirren  sehr  dick ;  30  mm 
lang,  mit  etwa  30  sehr  gleichförmigen,  dornenlosen,  kurzen  Gliedern. 
Auch  das  vorletzte  Glied  meist  ohne  Dorn. 

Erste  Radialia  ein  wenig  sichtbar;  die  zweiten  kurz,  in  seit- 
licher Berührung.     Axillaria  kurz,  dreieckig. 

10  sehr  massive  Arme ,  von  rauher  Oberfläche.  Sämmtliche 
Glieder  scheibenförmig.  Die  beiden  ersten  beträchtlich  größer  als 
die  übrigen.  Glieder  vom  9ten  an  sehr  kurz ,  mit  stark  vorstehen- 
dem, häufig  etwas  wellig  gebogenem  distalen  Rande. 

Zweite  Syzygie  im  8ten  Br.,  die  folgenden  in  Zwischenräumen 
von  2 — 3. 

Die  Pin.  des  2tenBr.  28  mm,  die  des  3ten  20  mm  lang.  Beide 
in  ihrer  proximalen  Hälfte  mit  der  Scheibe  verwachsen.  Sie  ver- 
dünnen sich  stark  in  ihrer  distalen  Hälfte  und  sind  nicht  so  dick 
und  fleischig  wie  die  folgenden.  Pin.  des  4ten  Br.  so  lang  wie 
die  des  zweiten.  Pin.  des  6ten  Br.  etwas  länger.  Dann  nimmt 
die  Länge  ganz  allmälig  ab  bis  zum  Ende  des  ersten  Arm  vierteis, 
wo  sie  noch  14  mm  beträgt.  Mit  Ausnahme  des  ersten  Paares  ha- 
ben alle  diese  Pinnulae  stark  entwickelte  Genitaldrüsen.  Die  Pin- 
nulae  messen  am  Ende  des  ersten  Armviertels  etwa  24  mm. 

Scheibe:  25  mm  Dm.,  nicht  eingeschnitten. 

Klafterung:  wahrscheinlich  38  cm. 

Farbe:  schwarz. 

Bowen.    Ein  Exemplar.    (Hamburg.) 

4.    Antedon  japonica  n.  sp. 

Centrodorsale  ziemlich  dick  scheibenförmig  mit  leicht  einge- 
senkter Oberfläche.  Ungefähr  19  randständige  Cirren  in  2  Reihen ; 
circa  20  kurze  Glieder ,  von  denen  die  äußeren  kleine  dornige 
Transversalleisten  haben  können. 

Erste  Radialia  etwas  sichtbar;  zweite  seitlich  frei.  Axillare 
kurz,  pentagonal.  Ein  kleiner  Höcker  auf  der  Verbindung  des 
zweiten  mit  dem  Axillare. 

10  Arme  von  ziemlich  rauher  Oberfläche.  Auf  der  Verbindung 
der  beiden  ersten  Glieder  ein  kleiner  Höcker.    Glieder  vom  lOten  an, 


Beitrag  zur  Kenntniß  der  Comatuliden-Fauna  des  Indischen  Archipels.     173 

mit  Ausnahme  der  syzygialen,  keilförmig,  etwas  übergreifend,  mit 
vorstehenden  distalen  Rändern. 

Zweite  Syzygie  meist  im  8ten  Gliede;  die  folgenden  häufig  in 
Zwischenräumen  von  2 — 3. 

Pinnula  des  2ten  Brachiale  sich  schnell  verdünnend  nach  den 
basalen  Gliedern,  die  Neigung  zur  Kielung  haben;  2/s  oder  fast 
so  lang  wie  die  Pin.  des  4ten  und  6ten  Br.,  die  sich  allmäliger  ver- 
dünnen. Diese  messen  5  mm  und  bestehen,  wie  die  erste  aus  etwa 
12  ziemlich  flachen,  breiten  Gliedern.  Die  zwei  folgenden  Pinnulae 
(8te  und  lOte  Br.)  nehmen  an  Länge  ab. 

Scheibe :  verloren. 

Klafterung:  circa  8  cm. 

Japan.     Ein  Exemplar.     (Berlin ,  durch  F.  Hilgendorf). 

Die  Art  steht  am  nächsten  Antedon  serripinna  Carp. 

5.    Antedon  conifera  n.  sp. 

Centrodorsale  conisch,  mit  weiter,  pentagonal  sternförmiger 
Basis  und  interradial  nach  abwärts  vorspringenden  Ecken.  Gegen 
40  Cirrusdillen  in  10  verticalen  Reihen ,  jede  zu  4  Cirren.  Die 
Reihen  sind  getrennt  durch  ziemlich  niedrige  radiale  und  interra- 
diale Leisten,  von  denen  die  letzteren  länger  sind  und  bis  an  die 
Ecken  der  pentagonalen  Basis  des  Centrodorsale  reichen.  Die  10 
Leisten  sind  von  gleicher  Stärke.  Cirren  ziemlich  dick,  45  mm  lang. 
Circa  70  Glieder ;  an  den  äußeren  ein  dorsales  Knöpfchen ;  keine 
eigentlichen  Dornen.     Cirren  sind,  wenn  trocken,  elfenbeinähnlich. 

Erste  Radialia  eben  sichtbar ;  die  zweiten  kurz ,  seitlich  ver- 
einigt. Axillare  rhombisch.  Theilung  der  Radien  zweifach.  2Di- 
stichalia,  das  Axillare  ohne  Syzygie.  Radialia,  Distichalia  und 
erste  Brachialia  haben  abgeplattete  Seiten.  Auf  der  Verbindung 
der  Axillaria  mit  dem  vorhergehenden  Gliede  ein  Höcker. 

20  dicke  Arme  von  rauher  Oberfläche.  Erstes  Glied  ziemlich 
kurz,  rhombisch,  eng  vereinigt  mit  dem  Nachbargliede.  Zweites 
Glied  bedeutend  länger.  Glieder,  etwa  vom  lOten  an,  dreieckig,  über- 
greifend; weiterhin  stumpfer  keilförmig.  Alle  Glieder  haben  vor- 
stehende, fein  gezähnte  distale  Ränder.  Der  äußerste  Theil  des 
Armes  hat  eine  scharfe  dorsale  Längsleiste. 

Zweite  Syzygie  vom  18ten— 25sten  Br. ,  meist  im  26sten.  Die 
folgenden  in  Zwischenräumen  von  3—7.  Die  syzygialen  Verbin- 
dungen sind  nicht  glatt,  sondern  ganz  ähnlich  den  gelenkigen. 

Das  erste  Paar  Pinnulae  11  mm  lang  mit  15—20  relativ  rund- 
lichen Gliedern,  von  denen  die  basalen  ziemlich  dick,  die  übrigen 
dünn  sind.      Die   drei  folgenden  Paare  nehmen  allmälig  an  Länge 

15* 


174  ÖL  Hartlaub, 

ab.  Ihre  Glieder  flacher  und  breiter.  Pin.  des  9ten  Br.  4  mm. 
Die  äußeren  Pinnulae  erreichen  11  mm.  Sacculi  klein  und  spärlich. 
Pin.  Ambulacra  getäfelt. 

Scheibe:  14  mm  Dm. 

Klafterung:  wahrscheinlich  14  cm. 

Färbung  des  Skelettes:  bräunlich  weiß. 

Japan.     Ein  Exemplar.    (Berlin  durch  F.  Hilgendorf.) 

Die  nächstverwandte  Art  ist  Antedon  quinquecostata  Carp. 

Distichalia  2gliedrig. 

6.  Antedon  Clarae  n.  sp. 

Centrodorsale  mäßig  groß,  leicht  gehöhlt.  21  randständige  Cir- 
ren  in  einer  regelmäßigen  Reihe;  ungefähr  25  kurze  und  ziemlich 
gleichförmige  Glieder.  Dieselben  tragen  im  proximalen  Cirrus- 
theile  eine  dorsale  Querleiste,  die  im  distalen  Theile  allmälig  in 
kleine  Dornen  übergeht. 

Erste  Radialia  ein  wenig  sichtbar;  zweite  ganz  frei  seitlich. 
Axillaria  pentagonal.  Keine  Palmaria.  Zwei  Distichalserien  vor- 
handen, eine  zweigliedrig,  die  andere  dreigliedrig,  Axillaria  ohne 
Syzygie.  Aeußerer  Rand  der  Radien  glatt.  Verbindungen  der 
Axillaria  mit  dem  vorhergehenden  Gliede  etwas  buckelig. 

12  glatte  Arme  mit  kurzen  Gliedern.     Glieder  keilförmig. 

Zweite  Syzygie  vom  8ten — 13ten  Gliede,  die  folgenden  in 
Zwischenräumen  von  4 — 8. 

Das  3te  Brachiale  trägt  keine  Pinnula.  Pin.  des  2ten  Br.  nahezu 
so  lang  wie  die  des  4ten.  Diese  ist  ziemlich  schlank,  mißt  7  mm  und 
besteht  aus  15 — 20  cylindrischen  Gliedern.  Die  darauf  zunächst 
folgenden  Pinnulae  bedeutend  kürzer.  Länge  nimmt  vom  lOten 
Gliede  an  wieder  zu  und  erreicht  12  mm. 

Scheibe  nur  schwach  eingeschnitten.     12  mm.  Dm. 

Klafterung:  20  cm. 

Amboina.     Ein  Exemplar. 

7.  Antedon  bella  n.  sp. 

Centrodorsale  mäßig  dick.  Cirrusfreie  Oberfläche  klein.  10 — 
20  dicke  Cirren  von  circa  40  gleichförmigen  Gliedern  und  23  mm 
Länge.    Aeußere  Glieder  mit  zwei  dorsalen  Dörnchen. 

Erste  Radiale  zuweilen  theilweise  verborgen;  die  zweiten 
manchmal  ganz  frei  seitlich.  Radien  treten  weit  auseinander.  Ihr 
äußerer  Rand  zeigt  ziemlich  starke  Verdickungen.  Verbindung  der 
Axillaria  toiit  dem  ihnen  vorangehenden  Gliede  buckelig.  Keine 
Postpalmaria. 

Nicht  mehr  als  20  Arme,  von  denen  gelegentlich  einige  erster 


Beitrag  zur  Kenntniß  der  Comatuliden-Fauna  des  Indischen  Archipels.     175 

Ordnung1).  Glieder  dreieckig  und  weiterhin  stumpfer  keilförmig; 
Ihre  Eänder  vortretend,  fein  gezähnt,  und  etwas  übergreifend. 

Zweite  Syzygie  vom  23sten — 50sten  Gliede,  die  folgenden  in 
Zwischenräumen  von  meist  9—10. 

Pinnula  des  2ten  Brachiale  halb  so  lang  wie  die  folgende,  von 
relativ  glatten  Gliedern.  Die  des  4ten  Br.  bedeutend  dicker  und 
ziemlich  steif;  Länge  8 — 9  mm;  12 — 22  Glieder  mit  stark  vor- 
tretenden distalen  Rändern,  die  fein  gezähnt  oder  selbst  dornig 
sind.  Die  folgende  Pin.  (6te  Br.)  viel  kleiner,  kürzer  als  die  des 
2ten  Br.,  von  glatten  Gliedern  und  dem  Charakter  der  nachstehenden 
Pinnulae,  welche  an  Länge  zunehmen. 

Skelett  der  Arme  und  Pinnulae  von  einer  eigenthümlichen  dicken, 
graublauen  Haut  bekleidet,  die  sich  auch  auf  die  Randblättchen 
der  Pin.  erstreckt  und  sie  sehr  augenfällig  macht. 

Scheibe  stark  eingeschnitten;  11  mm  Dm. 

Klafterung:  23  cm. 

Färbung  des  Skelettes  graublau  mit  rothbrauner  Punktirung 
von  theilweise  regelmäßiger  Vertheilung. 

Noordwachter  Eiland.     15 — 20  Faden.    (Göttingen.) 

8.    Antedon  Klunzingeri  n.  sp. 

Centrodorsale  annähernd  halbkuglig,  ganz  bedeckt  mit  Cirrus- 
dillen.     Zahl  der  Cirren  wahrscheinlich  etwa  30. 

Erste  Badialia  etwas  sichtbar;  zweite  vollkommen  frei  seit- 
lich; Axillaria  pentagonal,  nicht  doppelt  so  lang  wie  die  zweiten 
Radialia,  mit  ziemlich  spitzem  Winkel  und  leicht  eingebogenen  di- 
stalen Gelenkseiten.  Theilungsart  der  Radien  unregelmäßig.  Keine 
Postpalmaria.     Höchste  Armzahl  eines  Radius  4. 

17  Arme  von  glatter  Oberfläche  und  ziemlich  kurzen  Gliedern. 
Glieder  vom  9ten  an  zuerst  dreieckig  aber  bald  in  mehr  scheiben- 
förmige übergehend. 

Zweite  Syzygie  im  14ten  Brachiale ;  die  folgenden  in  Zwischen- 
räumen von  7—10  Gliedern. 

Erste  Pinnula  etwa  8  mm  lang,  etwas  dünner  und  kürzer  als 
die  folgende.  Diese  (4te  Br.)  mißt  etwa  10  mm  mit  15—20,  der 
Mehrzahl  nach  länglichen,    glatten  Gliedern.      Die   folgende  Pin. 


1)  Arme  erster  Ordnung  nenne  ich  solche,  die  von  einem  Radiale  axillare 
entspringen,  Arme  zweiter  Ordnung  solche,  die  von  einem  Distichale  axillare  ihren 
Ursprung  nehmen  u.  s.  f.  Die  radialen,  distichalen,  palmaren  etc.  Theilungsserien 
bezeichne  ich  im  Gegensatz  zu  den  sich  nicht  weitertheilenden  »Armenc  als 
»Stämme«  und  zwar  die  radialen  als  Stämme  erster  Ordnung,  die  distichalen  als 
Stämme  zweiter  Ordnung  u.  s.  w. 


176  Cl.  Hartlaub, 

(6te  Br.)  hat  die  Größe  der  ersten.  Dann  kommt  die  kürzeste,  nach 
welcher  die  Länge  wieder  zunimmt  und  etwa  13  mm  erreicht,  so 
daß  also  die  größte  Länge  der  äußeren  Pinnulae  die  des  zweiten 
Paares  übertrifft. 

Scheibe  fehlt. 

Klafterung:  20  cm. 

Färbung:  schmutzig  weiß,  mit  hellbraunen  Binden  auf  den 
Armen. 

Koseir.    Ein  Exemplar,  (Stuttgart  durch  Klunzinger.) 

9.    Antedon  lepida  n.  sp. 

Centrodorsale  convex,  etwa  18  Cirren  von  12  mm  Länge  und 
20 — 25  Gliedern.     Aeußere  Glieder  dornig. 

Erste  Radialia  etwas  sichtbar ;  die  zweiten  kurz ,  frei  an  den 
Seiten.  Axillaria  kurz.  Keine  Postpalmaria.  Palmaria  nur  von 
der  Außenseite  der  distichalen  Axillaria.  6  Arme  zu  jedem  Radius. 
Badien  weichen  nur  wenig  auseinander. 

30  Arme  von  glatter  Oberfläche.  Glieder  dreieckig,  weiterhin 
stumpfer  keilförmig. 

Zweite  Syzygie  um  das  14te  Brachiale ;  die  folgenden  in  Zwi- 
schenräumen von  5 — 6  Gliedern. 

Untere  Pinnulae  von  sehr  zartem  Bau.  Pin.  des  2ten  Br.  4  mm ; 
die  des  4ten  Br.  9  mm,  mit  etwa  20  Gliedern,  von  denen  die  äußeren 
etwas  länglich  sind.  Die  folgende  Pin.  (6te  Br.)  annähernd  von 
gleicher  Länge,  ein  bischen  kleiner.  Die  des  8tenBr.  beträchtlich 
kleiner ;  die  des  lOten  u.  12ten  Br.  3  mm.  Dann  nimmt  die  Länge 
zu  und  erreicht  5  mm. 

Scheibe :  10  mm  Dm.    Tief  eingeschnitten. 

Klafterung:  8  cm. 

Tonga-Inseln.    2  Exemplare.     (Hamburg.) 

Die  Art  ist  durch  sehr  zierlichen  Bau  ausgezeichnet  sowie  da- 
durch, daß  die  3te  Pin.  fast  die  Länge  der  zweiten  hat.  Charakte- 
ristisch sind  ferner  die  Dornen  der  äußeren  Cirrusglieder ,  sowie 
der  Umstand,  daß  die  zweiten  Radialia  sich  seitlich  nicht  berühren, 
trotzdem  die  Radien  sehr  wenig  auseinanderweichen. 

10.    Antedon  Finschii  n.  sp. 

Centrodorsale  halbkuglig,  mehr  oder  minder  vollständig  be- 
deckt mit  langen,  dünnen  Cirren,  von  6  cm  Länge  und  60 — 80  Glie- 
dern ;   äußere  Glieder  dornig. 

Erste  Radialia  zuweilen  ganz  sichtbar,  ziemlich  vertical  ste- 
hend;! die  zweiten  theilweise  seitlich  vereinigt.     Axillaria  relativ 


Beitrag  zur  Kenntniß  der  Comatuliden*Fauna  des  Indischen  Archipels.     177 

lang,  pentagonal.  Theilung  der  Radien  dreifach,  einzeln  vierfach. 
Postpalmaria,  wenn  vorhanden,  entspringen  von  der  Innenseite  der 
inneren  palmaren  Axillaria.  Verbindung  der  Axillaria  mit  dem 
ihnen  vorangehenden  Gliede  buckelig.  An  den  Außenrändern  der 
Radien  gelegentlich  stark  vorspringende  Leisten  mit  abgeplatteter 
Außenseite  oder  starken  Kerben. 

Etwa  40  glatte,  lange,  ziemlich  dünne  Arme,  deren  unterste 
Glieder  abgeplattete  Seiten  haben.  3tes  Glied  (Syzygie)  länger  wie 
breit.     Mehrzahl  der  Glieder  ziemlich  kurz ,  dreieckig. 

Zweite  Syzygie  vom  38sten — 45sten  Gliede.  Die  folgenden 
häufig  in  Zwischenräumen  von  4 — 9. 

Untere  Pinnulae  auf  beiden  Armseiten  gleich  lang.  Pin.  des 
2ten  Br.  meist  so  lang  wie  die  des  4ten.  Diese  ist  etwas  dicker,  11  mm. 
lang  und  von  20  ziemlich  gleichförmigen  Gliedern.  Die  3  oder  4 
folgenden  Pinnulae  nehmen  an  Länge  ab ;  kleinste  5  mm. 

Scheibe :  stark  eingeschnitten.     16  mm  Dm. 

Klafterung:  28  cm. 

Neu  -  Britannien.  Vier  Exemplare ,  (Berlin ,  durch  Dr.  0. 
Finsch). 

11.    Antcdon  erinacea  n.  sp. 

Centrodorsale  groß,  halbkuglig,  fast  ganz  mit  Cirren  bedeckt; 
Die  Cirren,  etwa  25  an  Zahl,  ziemlich  dünn  und  schlank;  Länge 
4  cm;  Gliederzahl  50 — 60;  an  den  äußeren  Gliedern  manchmal 
kleine  Dornen. 

Erste  Radialia  fast  verborgen;  die  zweiten  seitlich  halb  ver- 
einigt. Axillaria  pentagonal.  Theilung  der  Radien  vierfach.  Post- 
palmaria nur  von  der  Außenseite  der  palmaren  Axillaria  entsprin- 
gend. Aeußerer  Rand  der  Radien  glatt.  Auf  der  Verbindung  der 
Axillaria  mit  dem  ihnen  vorangehenden  Gliede  ein  kleiner  Höcker. 

51,  vollkommen  glatte,  dünne  Arme  von  relativ  geringer  Länge. 
Glieder  ziemlich  scharf  keilförmig ,  weiterhin  abgestumpfter. 

Zweite  Syzygie  vom  40sten— 50sten  Gliede;  die  folgenden  in 
Zwischenräumen  von  8 — 9. 

Die  Scheibe  ist  umgeben  von  einem  dichten  Kranz  gestreckt 
dornartiger  Pinnulae.  Pin.  des  2ten  und  4ten  Brachiale  etwa  14  mm 
lang;  ganz  steif  und  spitz  dornförmig;  beide  mit  25  kurzen  Glie- 
dern. Die  folgenden  zwei  Pinnulae  von  gleichem  Charakter,  an 
Länge  abnehmend.  Am  äußeren  Arme  auch  die  Pinnula  des  lOten 
Br.  noch  steif ;  5  mm  lang.  Pin.  des  12ten  u.  14ten  Br.  ganz  klein, 
dann  nimmt  die  Länge  zu. 

Scheibe  fehlt. 


178  Cl.  Hartlaub, 

Klafterung  etwa  21  cm. 

Cebu  Islands.   Ein  Exemplar.    (Hamburg,  durch  Capitän  Ringe.) 

12.  Antcdon  tenuipinna  n.  sp. 

Centrodorsale  convex.  15  Cirren ;  circa  20  Glieder,  davon  das 
6te — 8te  verlängert ;  vom  9ten  an  mit  einem  aufgerichteten,  scharfen 
Dorne  und  zwei  horizontalen  Dornen,  je  einem  an  jedem  Ende  des 
Gliedes. 

Erste  Radialia  sichtbar;  zweite  seitlich  ganz  frei.  Axillaria 
pentagonal.  Zwei  Radien  theilen  sich  zweifach,  einer  dreifach  und 
zwei  einfach.    Aeußerer  Rand  gekerbt.  —  Dorsal  keine  Höcker. 

16  glatte,  schlanke  Arme,  von  ziemlich  langen  Gliedern.  Glie- 
der stumpf  keilförmig.     Die  syzygialen  Glieder  lang. 

Die  zweite  Syzygie  (mit  Ausnahme  der  Arme  erster  Ordnung) 
um  das  15te  Glied  herum,  die  folgenden  in  Zwischenräumen  von  4 — 7. 

Die  zwei  ersten  Pinnulae  (2te  u.  4te  Br.)  gleich  lang  und  dick, 
7  mm ,  steif  und  gerade  dornförmig ;  etwa  8  stark  verlängerte 
Glieder.  Folgende  von  gleichem  Charakter,  aber  nur  4  mm  lang. 
Pin.  des  8ten  ßr.  weniger  steif  und  nicht  3  mm  erreichend.  —  Die 
distalen  Pinnulae  sehr  zart  und  haarähnlich;  bis  7  mm.  Sacculi 
nicht  zahlreich. 

Scheibe:  11  mm  Dm.  nur  wenig  eingeschnitten. 

Klafterung:  12,5  cm. 

Neu-Britannien.    Ein  Exemplar.    (Berlin,  durch  Dr.  0.  Finsch.) 

13.  Antedon  oxyacantlia  n.  sp. 

Centrodorsale  dick,  seitlich  gewölbt.  30—35  ziemlich  dünne, 
etwas  comprimirte  Cirren  in  2  unregelmäßigen  Reihen;  circa  25 
Glieder;  Länge  28  mm. 

Erste  Radialia  verborgen;  zweite  seitlich  ganz  frei.  Keine 
Postpalmaria;  Palmaria  entspringen  nur  von  der  Außenseite  der 
distichalen  Axillaria,  so  daß  zu  jedem  Radius  6  Arme  gehören. 
Auf  der  Verbindung  der  Axillaria  mit  dem  vorangehenden  Gliede 
ein  Höcker.     Aeußerer  Rand  der  Radien  mit  kleinen  Verdickungen. 

In  der  Regel  30  Arme,  von  ziemlich  glatter  Oberfläche.  Glie- 
der kurz,  dreieckig  und  weiterhin  stumpfer  keilförmig. 

Zweite  Syzygie  vom  12ten  bis  25sten  Brachiale;  die  folgen- 
den in  Zwischenräumen  von  7 — 10  Gliedern. 

Erste  Pinnula  schlank  und  geißeiförmig ;  27  etwas  längliche 
Glieder;  15  mm  lang.  Die  drei  oder  vier  folgenden  Pin.  dicker, 
ganz  steif  und  gestreckt  dornförmig,   mit  wenigen,   stark  verlän- 


Beitrag  zur  Kenntniß  der  Comatuliden-Fauna  des  Indischen  Archipels.     179 

gerten  Gliedern,  Pin.  des  4ten  u.  6ten  Br.  bis  20  mm  lang ;  12 — 13 
Glieder. 

Scheibe:  eingeschnitten;  15  mm  Dm. 

Klafterung:  20—28  cm, 

Amboina. 

Die  Art  unterscheidet  sich  von  der  nahe  verwandten  Antedon 
spicata  Carp.  durch  die  Beschaffenheit  ihrer  äußeren  Pinulae,  die 
nicht  „slender  and  filiform"  sind,  und  ferner  dadurch,  daß  die  Pin. 
des  4ten — lOten  Br.  steif  und  dornförmig  sein  können,  während  bei 
Antedon  spicata  nur  die  des  4ten  und  6ten  Br.  diesen  Charakter  besitzen. 
Auch  ist  die  Gliederzahl  der  Pin.  des  4ten  Br.  bei  letzterer  Art  eine 
größere  („16  und  mehr").  Durch  die  geringe  Gliederzahl  und  große 
Länge  der  Glieder  dieser  Pinnula  nähert  sich  die  neue  Species  der 
Antedon  tuberctdata  Carp.  Bemerkenswerth  ist  schließlich  die  ge- 
ringe Längendifferenz  zwischen  der  2ten  und  3ten  Pin.  unsrer  Art ; 
die  Pin.  des  4ten  Br.  kann  sogar  die  des  6ten  an  Länge  übertreffen. 

14.    Antedon  monacantha  n.  sp. 

Centrodorsale  gewölbt.  Etwa  30  Cirren  in  3  unregelmäßigen 
Reihen.     Gliederzahl  circa  20. 

Erste  Radialia  ein  bischen  sichtbar ;  zweite  ganz  frei  seitlich. 
Keine  Palmaria.  Aeußerer  Rand  der  Radien  (vom  2ten  Radiale  bis 
1.  Br.)  mit  ziemlich  starken  unregelmäßigen  Verdickungen.  Ver- 
bindung der  Axillaria  mit  dem  ihnen  vorangehenden  Gliede  etwas 
buckelig. 

17  glatte  Arme,  wovon  3  erster  Ordnung.  Glieder  vom  8ten 
an  fast  dreieckig ,  aber  weiterhin  bald  stumpfer  keilförmig. 

Zweite  Syzygie  (mit  Ausnahme  von  Armen  erster  Ordnung) 
um  das  12te  Glied  herum.  Die  folgenden  in  Zwischenräumen  von  2 — 4. 

Pinnula  des  2ten  Br.  schlank  und  biegsam,  etwa  halb  so  lang 
wie  die  folgende ;  15  Glieder,  Mehrzahl  länger  wie  dick.  Pin.  des  4ten 
Br.  viel  dicker,  dabei  ganz  steif,  grade  und  dornförmig ;  9—10  mm 
lang;  circa  12  sehr  verlängerte  Glieder.  Pin.  des  6ten  Br.  nicht 
halb  so  lang,  biegsam  und  vom  Charakter  der  folgenden  Pinnulae. 
Länge  dieser  nimmt  zu  vom  7ten  Paare  an. 

Scheibe:  11  mm  Dm.    Stark  eingeschnitten. 

Klafterung:  17  cm. 

Mortlock-Inseln.     (Göttingen;  Hamburg.)     Torres-Str. 

15.    Antedon  spinipinna  n.  sp. 

Centrodorsale  convex.  15—20  feine  und  etwas  comprimirte 
Cirren,  in  2  unregelmäßigen  Reihen ;  etwa  15  Glieder,  4te — 9te  ver- 
längert. 


180  Cl.  Hartlaub,, 

Erste  Eadialia  sichtbar;  zweite  frei  seitlich.  Mehrzahl  der 
Radien  theilt  sich  einfach.  Keine  Palmaria.  Aeußerer  Eand  glatt ; 
keine  Höcker  auf  den  Verbindungen  der  Stammglieder. 

12  glatte  Arme.     Glieder  keilförmig. 

Zweite  Syzygie  im  8ten  Brachiale;  dann  in  Zwischenräumen 
von  2—3  Gliedern. 

Pinnula  des  2ten  Br.  etwas  steif  und  griffeiförmig ;  ungefähr  12 
verlängerte  Glieder.  Die  des  4ten  Br.  bedeutend  dicker  und  ein  gu- 
tes Theil  länger ;  ganz  steif  und  griffeiförmig,  einem  graden  spitzen 
Dorne  gleichend ;  Länge  6  mm ;  8 — 10  sehr  lange  Glieder.  Die 
beiden  folgenden  Pinnulae  weniger  steif  und  an  Länge  abnehmend. 

Scheibe :  7  mm  Dm.     Nicht  eingeschnitten. 

Klafterung:  7  cm. 

Amboina.    Ein  Exemplar. 

16.    Antedon  protecta  (Ltk.  M.  S.)  n.  sp. 

?Syn. :  Antedon  imparipinna  Carp. 

Centro dorsale  mäßig  groß  bis  groß.  25 — 46  Cirren  in  2  oder 
theilweise  3  Eeihen ;  22 — 25  ziemlich  gleichmäßige  Glieder  ;  Dorn 
des  vorletzten  gewöhnlich  schwach. 

Erste  Eadialia  theilweise  oder  ganz  verborgen;  zweite  meist 
in  partieller  Berührung ;  kurz.  Axillaria  pentagonal.  Die  Eadien 
meist  in  ziemlich  enger  Berührung.  Eadien  theilen  sich  dreifach. 
Außenrand  der  Stämme  gelegentlich  gekerbt. 

Gewöhnlich  gegen  40  Arme.  Mehrzahl  der  Glieder  dreieckig 
und  stumpfer  keilförmig. 

Zweite  Armsyzygie  vom  12ten — 16ten  Gliede;  die  folgen- 
den in  Zwischenräumen  von  7—10. 

Die  beiden  äußeren  der  4  zu  einer  distichalen  Gruppe  gehö- 
renden Arme  tragen  größere  untere  Pinnulae  als  die  inneren. 

Pinnula  des  2ten  Brachiale  dünn ;  12 — 35  Glieder ;  etwa  so  lang 
wie  die  folgende.  Pin.  des  4ten  Br.  viel  dicker,  ziemlich  steif  und 
bei  weitem  die  stärkste  Pin.  des  Armes;  14  bis  über  30  glatte, 
cylindrische  Glieder;  Länge  10 — 17  mm.  Pin.  des  6ten  Br.  ganz 
klein  und^die  folgende  noch  kleiner. 

Scheibe:  Tief  eingeschnitten.     Ungefähr  17  mm  Dm. 

Klafterung:  14  cm. 

Indischer  Archipel  und  Polynesien. 

17.    Antedon  tenera  (Ltk.  M.  S.)  n.  sp. 
Centrodorsale  mäßig  groß  und  flach.     30 — 40   zierlich  gebaute 


Beitrag  zur  Kenutniß  der  Comatuliden-Fauna  des  Indischen  Archipels.     181 

Cirren,  in  2,  oder  stellenweise  3  Reihen;  20 — 30  Glieder;  die  äu- 
ßeren mit  einem  dorsalen  Knöpfchen. 

Erste  Radialia  theilweise  sichtbar;  zweite  ganz  frei.  Axil- 
laria  pentagonal.  Theilung  der  Radien  nicht  mehr  wie  4fach. 
Aeußerer  Rand  derselben  glatt. 

32 — 43  glatte ,  dünne  Arme.  Glieder  dreieckig  und  später 
stumpfer  keilförmig." 

Zweite  Syzygie  meist  im  15ten  Br.,  folgende  in  Zwischenräu- 
men von  9 — 17  Gliedern. 

Untere  Pinnulae  stets  dünn  und  gewöhnlich  klein ;  mit  Nei- 
gung zur  Kielung.  Die  der  äußeren  Arme  manchmal  länger  wie 
die  der  inneren.  Pin.  des  2ten  Br.  am  äußeren  Arme  8  mm ;  die  des 
4ten  Br.  meist  10  mm  mit  circa  25  länglichen  Gliedern;  kaum 
dicker  als  die  des  2ten.  Die  3  folgenden  Paare  klein,  von  ziemlich 
gleicher  Länge,  4 — 5  mm. 

Scheibe:  10  mm  Dm.     Stark  eingeschnitten. 

Klafterung:  13  cm. 

Queensland.   (Göttingen.)    Torres-Str. 

18.    Antedon  amboinensis  n.  sp. 

Centrodorsale  flach  scheibenförmig.  25  randständige  Cirren 
in  2  Reihen;  14—17  mm  lang;  20—25  Glieder,  äußere  zuweilen 
gekielt  oder  mit  Dorn. 

Erste  Radialia  fast  ganz  verborgen;  zweite  seitlich  vollstän- 
dig vereinigt.  Axillaria  kurz.  Keine  Postpalmaria.  Palmaria  nur 
von  der  Außenseite  der  distichalen  Axillaria.  6  Arme  zu  jedem 
Radius.    Die  benachbarten  Radien  in  Berührung. 

Nicht  über  30  Arme,  meist  gegen  30.  Kurze  Glieder,  dreieckige 
und  stumpfer  keilförmige. 

Zweite  Syzygie  vom  13ten— 22sten  Gliede,  die  folgenden  ge- 
wöhnlich in  Zwischenräumen  von  8 — 9. 

Untere  Pinnulae  ziemlich  steif ,  aber  nicht  gestreckt ;  an  bei- 
den Armseiten  ziemlich  gleich  lang.  Pin.  des  2ten  Br.  dünn,  nament- 
lich gegen  die  Spitze ;  16—20  längliche  Glieder;  ein  gutes  Theil  kür- 
zer als  die  folgende.  Diese  (4te  Br.)  ist  bedeutend  steifer  und  dicker; 
10 — 12  mm  lang,  mit  12 — 20  Gliedern,  von  denen  die  Mehrzahl 
länger  wie  breit  ist.  Pin.  des  6ten  Br.  kürzer  und  schwächer,  aber 
länger  wie  die  erste.    Die  zwei  folgenden  nehmen  noch  an  Länge  ab. 

Scheibe  stark  eingeschnitten.    14—16  mm  Dm. 

Klafterung:  15 — 19  cm. 

Amboina. 

Die  Art  erinnert  an  AnU  brevicuneata  Carp.,  unterscheidet  sich 


182  Cl.  Hartlaub, 

aber  von  dieser  durch  den  gänzlichen  Mangel  einer  seitlichen  Ab- 
plattung der  Armbasis. 

Distichalia  3gliedrig. 

19.    Antedon  bengalensis  n.  sp. 

Centrodorsale  ziemlich  groß,  convex.  17  Cirren,  in  einer  oder 
stellenweise  zwei  Reihen;  13  mm  lang;  22 — 24  Glieder,  die  vom 
9ten  an  dornig  sind. 

Erste  Radialia  theilweise  sichtbar;  zweite  kurz  und  breit; 
frei  oder  in  partieller  Berührung  seitlich.  Axillaria  kurz,  breit, 
pentagonal.     Nur  eine  distichale  Serie. 

11  Arme.  Die  Rückenlinie  stumpf  gesägt.  Sehr  kurze  Glieder; 
die  ersten  8  oder  9,  das  3te  nicht  ausgenommen ,  so  kurz  wie  die 
übrigen.  Glieder  vom  lOten  an  abgestumpft  keilförmig  und  wei- 
terhin mehr  scheibenförmig. 

Zweite  Syzygie  im  8ten  Br.,  die  folgenden  in  Zwischenräumen 
von  2 — 5.  Zweite  Syzygie  in  Armen  zweiter  Ordnung  im  15ten 
Gliede,  die  folgenden  in  Zwischenräumen  von  7 — 9. 

Untere  Pinnula  ziemlich  steif;  distichale  resp.  die  des  2ten  Br. 
kurz,  20  Glieder.  Die  zweite  und  dritte  derselben  Seite  7  mm; 
die  folgenden  Pinnulae  nehmen  an  Länge  ab  bis  zum  6ten  Paare. 
Die  proximalen  Glieder  aller  dieser  Pinnulae  sind  kurz  und  breit 
und  an  den  8 — 9  ersten  Paaren  deutlich  gekielt, 

Scheibe:  8  mm  Dm.     Stark  eingeschnitten. 

Klafterung:  wahrscheinlich  10  cm. 

Golf  von  Bengalen.     Ein  Exemplar.     (Göttingen.) 

20.    Antedon  Martensi  n.  sp. 

Centrodorsale  dick  scheibenförmig,  mit  flacher  Oberfläche. 
Etwa  20  dicke  Cirren  in  2  Reihen;  18  mm  lang;  circa  25  Glie- 
der, die  äußeren  einzeln  mit  schwachen  Dornen;  Distale  Ränder 
der  Glieder  vortretend. 

Erste  Radiale  eben  sichtbar ;  zweite  ganz  frei  seitlich.  Axil- 
lare pentagonal.  Palmare  Serien  zweigliedrig,  das  Axillare  ohne 
Syzygie.  Die  Verbindungen  der  Axillaria  mit  dem  vorangehenden 
Gliede  glatt.  Der  äußere  Rand  der  Radien  mit  schwachen  Ver- 
dickungen an  dem  Rad.  Axill.  und  dem  ersten  Distichale. 

Wahrscheinlich  nicht  mehr  als  30  Arme.  Kurze  übergreifende 
Glieder  mit  stark  vorstehenden  distalen  Rändern. 

Zweite  Syzygie  um  das  23ste  Brachiale. 

Die  distichale  Pinnula  ist  sehr  dick  und  steif,  ^twa  9  mm  lang, 
mit  12 — 15  Gliedern,  von  denen  die  3  basalen  sehr  groß  sind.  Die 
folgenden  Glieder  werden  sprungweise  kleiner.     Pin.  des  2ten  Br. 


Beitrag  zur  Kenntniß  der  Comatuliden-Fauna  des  Indischen  Archipels.     183 

kleiner  mit  ebenfalls  relativ  großen  basalen  Gliedern.  Die  Pin.  des 
4ten  Br.  viel  kleiner  nnd  nicht  ganz  4  mm  lang.     Sacculi  spärlich. 

Scheibe:  10  mm  Dm.     Stark  eingeschnitten. 

Färbung  des  Skelettes:  graubraun. 

Singapore.  Ein  schlecht  erhaltenes  Exemplar  (Berlin,  durch 
Ed.  v.  Martens). 

21.    Antedon  Kraepelini  n.  sp. 

Centrodorsale  dick,  in  der  Mitte  stark  ausgehöhlt ,  die  Seiten 
gewölbt.     Circa  30  Cirren  (nur  2  Stummel  erhalten). 

Erste  Kadialia  nur  wenig  sichtbar ;  zweite  vollkommen  frei 
seitlich.  Axillaria  ziemlich  kurz,  pentagonal.  Palmar-Serien ,  in- 
nere stets  zweigliedrig,  äußere  oft  dreigliedrig  das  Axillare  mit 
Syzygie.  Keine  Postpalmaria.  Proximale  Verbindung  der  Axil- 
laria glatt. 

33  rauhe,  ziemlich  kurze  Arme,  die  sich  rasch  verjüngen.  Glieder 
vom  8ten  an  sehr  kurz,  und  abgestumpft  keilförmig  mit  ziemlich 
stark  vorspringenden  distalen  Rändern ;  in  der  zweiten  Armhälfte 
mehr  scheibenförmig,  mit  glatterer  Verbindung. 

Zweite  Syzygie  um  das  23ste  Brachiale  herum.  Dann  in  Zwi- 
schenräumen von  8  Gliedern. 

Distichale  und  palmare  Pinnula  dick.  Erstere  13  mm  lang  mit 
etwa  18  annähernd  quadratischen  rundlichen  Gliedern,  die  gegen 
das  Ende  der  Pinnula  allmälig  dünner  werden.  Die  folgende  Pin. 
derselben  Seite  von  gleichem  Charakter,  etwas  kürzer.  Die  nächste 
viel  kürzer,  nach  den  basalen  Gliedern  schnell  dünner  werdend. 
Pin.  des  3ten  Br.  außerordentlich  klein.  Die  folgenden  Pin.,  besonders 
vom  6ten  Br.  ab,  sehr  winzig ;  ihre  Länge  nimmt  erst  vom  14ten  Br. 
wieder  zu  und  erreicht  nicht  mehr  als  5  mm.  Sacculi  klein  und  spärlich. 

Scheibe  fehlt. 

Klafterung :  8 — 10  cm. 

Akyab.    Ein.  Exemplar.    (Hamburg.) 

22.    Antedon  Brockii  n.  sp. 

Centrodorsale  groß  und  dick  mit  flacher  Oberfläche.  Circa  30 
kräftige  Cirren  in  2  oder  stellenweise  3  Reihen;  Länge  30  mm; 
30—37  Glieder  mit  starkem  Dorn  vom  lOten  oder  12ten  an. 

Erste  Radialia  sehr  wenig  zu  sehen;  zweite  kurz,  theilweise 
vereinigt.  Axillaria  sehr  kurz,  pentagonal.  Palmaria  zweigliedrig, 
das  Axillare  nicht  syzygial,  nur  von  der  Innenseite  der  distichalen 
Axillaria  entspringend.     Die  Verbindung  zweier  auf  ein  Axillare 


184 


Ci.  Hartlaub 


folgenden  Glieder  etwas  buckelig,  am  meisten  die  der  beiden  ersten 
Brachialia.    Keine  Postpalmaria. 

28  Arme  mit  ziemlich  langen  Pinnnlae.  Kurze  Glieder  mit 
vorstellenden  distalen  Rändern.  Vom  lOten  etwa  an  abgestumpft 
keilförmig  und  bald  mehr  scheibenförmig.  Basis  des  Armes  von 
unebener  Oberfläche  in  Folge  von  alternirend  seitlich  gelegenen 
Höckern  auf  den  Verbindungen  der  unteren  Glieder. 

Zweite  Syzygie  vom  22sten — 26sten  Brachiale,  die  folgenden 
in  Zwischenräumen  von  7 — 9. 

Distichale  Pinnula  (oder  die  des  2tenBr.  in  Armen  erster  Ord- 
nung) schlank  und  fein,  11  mm.  Die  darauf  folgende  Pin.  des  2ten 
Br.  (resp.  4ten  Br.)  beträchtlich  größer  und  fast  so  lang  wie  die  des 
4ten.  Diese  ist  die  längste  und  erreicht  20  mm  mit  30—35  Gliedern. 
Dieselbe  ist  schlank  und  wird  sehr  dünn  in  ihrem  äußeren  Theile. 
Die  Glieder  dieser  längeren  Pinnulae  haben  vorstehende  gezähnte 
distale  Ränder.  Pin.  des  6ten  Br.  bedeutend  kürzer  als  die  des 
4ten.    Die  äußeren  Pin.  erreichen  12  mm. 

Scheibe:  15  mm  Dm.     Stark  eingeschnitten. 

Klafterung:  25  cm. 

Farbe:  schwärzlich  braun. 

Amboina.     Ein  Exemplar. 

23.    Antedon  affinis  n.  sp. 

Centrodorsale  ziemlich  klein,  scheibenförmig;  etwa  24  Cirren 
in  2  unregelmäßigen  Reihen.  Länge  20  mm.  25 — 30  Glieder,  die 
äußeren  stark  comprimirt,  gekielt  oder  mit  kleinem  Dorn. 

Erste  Radialia  sehr  wenig  zu  sehen;  zweite  theilweise  mit 
einander  vereinigt.  Axillaria  ziemlich  kurz,  pentagonal.  Es  ent- 
springt von  ihnen  ein  definitiver  Arm,  neben  einem  sich  weiter- 
theilenden  Stamm.  Palmare  Stämme  zweigliedrig.  Keine  Post- 
palmaria. —  18  schlanke  ziemlich  glatte  Arme.  Drittes  Glied  (Sy- 
zygie) breiter  als  lang.  Vom  lOten  an  dreieckige  Glieder,  die  wei- 
terhin stumpfer  keilförmig  und  endlich  scheibenförmig  werden. 

Zweite  Syzygie  vom  lOten — 13ten  Gliede;  die  folgenden  in 
Zwischenräumen  von  8 — 10.  Die  Zwischenräume  in  Armen  erster 
Ordnung  betragen  4 — 5  Glieder. 

Die  erste  Pinnula  an  der  äußeren  Seite  des  Radius  klein  und 
zart,  mit  relativ  großen  gekielten  Gliedern  an  der  Basis.  Die  auf 
eine  distichale  Pin.  folgende  Pin.  des  2ten  Br.  beträchtlich  länger, 
—  9  mm.  Pin.  des  3ten  Br.  stets  sehr  klein.  Pin.  der  4ten  Br.  12  mm. 
Dann  nimmt  die  Länge  ab  bis  zum  12ten  Gliede.  An  Armen  erster 
Ordnung  ist  die  Pin.  des  6ten  Br.  fast  so  lang  wie  die  des  4ten.     Die 


Beitrag  zur  Kenntniß  der  Comatuliden-Fauna  des  Indischen  Archipels.     185 

Pin.  etwa  der  ersten  20  Br.  haben  einige  gekielte  Glieder  an  der 
Basis.     Länge  der  äußeren  Pin.  7  mm. 

Scheibe:  eingeschnitten;  13  mm  Dm. 

Klafterung:  wahrscheinlich  nur  13  cm. 

Färbung  des  Skelettes:  hell  chokoladebraun. 

Amboina.     Ein  Exemplar. 

Die  Art  ist  aufs  nächste  verwandt  mit  Antedon  LudoviciCarip. 
Möglicherweise  wird  sie  sich  später  als  identisch  mit  dieser  erwei- 
sen lassen. 

24.    Antedon  nematodon  (Ltk.  M.  S.)  n.  sp. 

Centrodorsale  dick,  convex.  30  Cirren  in  2  und  stellenweise 
3  unregelmäßigen  Reihen.  40 — 50  annähernd  gleichförmige  Glieder, 
von  denen  keins  länger  als  breit;  die  äußeren  mit  kräftigen  Dor- 
nen.    Länge  der  Cirren  25  mm. 

Erste  Radialia  nicht  sichtbar;  zweite  sehr  kurz,  vollkommen 
frei  seitlich.  Axillaria  fast  dreieckig.  Einzelne  distichale  Serien 
2-gliedrig.  Palmarserien  2-gliedrig,  aber  3-gliedrig,  wenn  sie  auf 
2-gliedrige  Distichalserien  folgen.  Keine  Postpalmaria.  —  38  rauhe 
Arme  von  kurzen  scheibenförmigen  Gliedern,  deren  distale  Ränder 
ziemlich  stark  vortreten. 

Zweite  Syzygie  oft  um  das  30ste  Brachiale  herum,  manchmal 
erst  um  das  40ste.     Die  folgenden  in  Zwischenräumen  von  12 — 20. 

Die  unteren  Pinnulae  von  feiner  Struktur.  Distichale  Pin.  12 
mm  lang ,  mit  circa  25  Gliedern ,  von  denen  die  unteren  ziemlich 
dick,  die  äußeren  sehr  dünn  sind.  Pin.  des  2tenBr.  von  ähnlichem 
Aussehen,  13  mm  lang ;  verjüngt  sich  allmäliger.  Die  Pin.  des  3ten 
Br.  sehr  klein.  Die  auf  das  2te  Br.  folgenden  Pin.  nehmen  ziemlich 
sprungweise  an  Länge  ab  bis  zum  12ten  Gliede.  Die  äußeren 
Pin.  erreichen  10  mm. 

Scheibe:  15  mm  Dm.     Tief  eingeschnitten. 

Farbe:  tief  schwärzlich  braun. 

Bowen.    Ein  Exemplar.     (Hamburg.) 

25.    Antedon  crassipinna  n.  sp. 

Centrodorsale  dick  und  groß,  manchmal  tief  ausgehöhlt.  Un- 
gefähr 37  dicke,  ziemlich  lange,  randständige  Cirren  in  3  Reihen; 
Länge  46  mm;  30—40  gleichförmige  Glieder,  von  denen  keins 
länger  wie  breit  ist.    Aeußerste  Glieder  manchmal  ein  wenig  dornig. 

Erste  Radialia  zuweilen  ganz  verborgen ;  zweite  seitlich  theil- 
weise  vereinigt.  Axillaria  pentagonal.  Einzelne  distichale  Stämme 
zweigliedrig,    das  Axillare  ohne  Syzygie.     Zwei  oder   drei  post- 


186 


Cl.  Hartlaub, 


distichale  Axillaria.  Dreigliedrige  und  zweigliedrige  Palmarserien 
von  gelegentlich  gesetzmäßiger  Vertheilung ,  der  Art,  daß  die  in- 
neren zweigliedrig,  die  äußeren  dreigliedrig  sind ;  zuweilen  die  drei- 
gliedrigen an  Zahl  überwiegend.  Alle  Postpalmaria  dreigliedrig, 
das  Axillare  mit  Syzygie.  Die  Verbindungen  der  Axillaria  mit 
dem  ihnen  vorangehenden  Gliede  buckelig. 

46 — 56  Arme  von  rauher  Oberfläche  und  kurzen  scheibenför- 
migen Gliedern. 

Zweite  Syzygie  vom  22sten — 30sten  Brachiale ;  die  folgenden  in 
Zwischenräumen  von  12 — 15. 

Distichale ,  palmare  und  postpalmare  Pinnulae  steif  und  sehr 
dick.  20  mm  lang.  Die  Pin.  des  2ten  Br.  hat  denselben  Charakter, 
ist  aber  kleiner,  16  mm.  Die  Glieder  dieser  Pin.  haben  vortre- 
tende distale  Ränder.  Pin.  des  4ten  Br.  beträchtlich  kleiner.  Die 
Länge  nimmt  ab  bis  zum  lOten  Br. 

Scheibe:  32  mm.  Dm. 

Klafterung:  40  cm. 

Färbung  des  Skelettes:  purpurviolett  oder  Chokoladebraun. 

Amboina.   3  Exemplare.   (Göttingen.)  Cochinchina.  (Hamburg.) 


26.    Aetinometra  macrobrachius  (Ltk.  M.  S.)  n.  sp. 

Centrodorsale  klein,  flach,  fünfeckig,  ohne  eine  Spur  von  Cirren. 
'  Erste  Radialia  vollkommen  sichtbar ;  zweite  ziemlich  kurz  und 
breit,  seitlich  vereinigt.  Axillaria  fünfeckig,  breit  und  kurz;  ihr 
distaler  Winkel  spitz.  Die  Radien  theilen  sich  3  mal,  einzelne  4 
mal.  Die  distichalen  Serien  dreigliedrig,  das  Axillare  syzygial. 
Die  folgenden  Theilungsserien  zweigliedrig,  ohne  Syzygie  im 
Axillare. 

42  lange  Arme  von  nur  mäßig  rauher  Oberfläche.  Glieder 
ziemlich  kurz.  Vom  6ten  an  keilförmig,  nach  dem  proximalen  Arm- 
drittel abgestumpfter  keilförmig  und  bald  einfach  scheibenförmig. 
Die  Basis  des  Armes  ist  dünn,  größte  Dicke  des  Armes  um  das 
12te  Glied. 

Erste  Syzygie  im  2ten  Brachiale ;  die  nächste  vom  20sten — 25sten 
Grliede;  dann  in  Zwischenräumen  von  7 — 10  Gliedern. 

Distichale  Pinnula  16  mm  lang,  schlank  und  dünn,  mit  kurzem 
schwach  entwickelten  Kamm.  Palmare  Pin.  nur  etwa  10  mm.  Pin. 
des  2ten  Br.  bedeutend  dünner,  8—9  mm.     Die  des  3ten  Br.  5  mm. 


Beitrag  zur  Kenntniß  der  Comatuliden-Fauna  des  Indischen  Archipels.      187 

Die  nächst  folgenden  von  gleicher  Größe  und  auch  dann  nur  wenig 
länger  werdend  und  überall  von  feiner  Struktur. 

Scheibe  nackt.     16  mm  Dm. 

Mund:  radial. 

Färbung  des  Skelettes :  hellgelblichbraun. 

Klafterung:  34  cm. 

China-See.     Ein  Exemplar.     (Hamburg.) 

Die  neue  Species  gehört  zu  Carp enters  „Fimbriata- Gruppe u. 

27.    Actinometra  gracilis  n.  sp. 

Centrodorsale  klein ,  ganz  flacn ,  kaum  erhaben  über  dem  Ni- 
veau der  ersten  Radialia;  von  fünfeckigem  Umriß,  mit  leicht  ein- 
gebogenen Seiten ;  im  Centrum  eine  Aushöhlung ;  keine  Spur  von 
Cirren. 

Erste  Radialia  vollkommen  sichtbar ;  zweite  seitlich  ganz  frei, 
von  der  Länge  des  pentagonalen  Axillare.  Die  Radien  weichen 
beträchtlich  auseinander  und  theilen  sich  nicht  mehr  wie  viermal. 
Die  Stämme  und  Arme  sind  dünn.  Die  distichalen  Serien  drei- 
gliedrig, das  Axillare  mit  Syzygie.  Die  postdistichalen  Serien 
zweigliedrig;  das  Axillare  ohne  Syzygie,  aber  mit  dem  vorherge- 
henden Gliede  durch  Syzygie  verbunden. 

48  Arme,  die  sehr  schlank  sind  und  sich  besonders  in  ihrem 
äußeren  Theile  außerordentlich  verdünnen.  Glieder  ziemlich  lang, 
vom  etwa  8ten  an  stumpf  keilförmig  mit  etwas  vorstehendem, 
feingezähntem  distalen  Rande. 

Erste  Syzygie  zwischen  erstem  und  zweitem  Brachiale;  die 
nächste  im  9ten  oder  lOten  Gliede.     Dann  in  Zwischenräumen  von  2. 

Die  unteren  Pinnulae  dünn.  Kamm  unbedeutend.  Distichale 
Pinnula  13  mm  lang,  mit  zahlreichen  Gliedern.  Die  nächste  kür- 
zer, die  dann  folgenden  drei  ganz  bedeutend  kleiner.  Dann  nimmt 
die  Länge  erheblich  zu  und  erreicht  etwa  10  mm.  Die  Glieder  der 
äußeren  Pin.  sehr  dornig. 

Scheibe  15  mm  Dm.;  etwas  eingeschnitten,  mit  feinen  Kalk- 
borsten bedeckt.     Mund  fast  central. 

Klafterung :  22  cm. 

Färbung:  hellgraubrauner  Gesammtton  mit  sehr  hübscher 
Zeichnung. 

Pulo  Edam.     Ein  Exemplar.     (Göttingen.) 

Die  Species  ist  nahe  verwandt  mit  Antedon  typica  Loven. 


Nachrichten  von  ilor  K.  G.  d.  W.  zu  Göttingen.   1890.   No.  5.  IG 


l$g  Eduard  Riecke, 

Ueber  die  Pyroelectricität  des  Turmalins. 

Von 

Eduard  ßiccke. 

Die  Untersuchungen  über  die  Pyroelektricität  des  Turmalins, 
von  welchen  ich  früher1)  berichtet  habe,  führten  zu  der  Erkennt- 
niß,  daß  die  elektrische  Erregung  der  Crystalle  nicht  allein  ab- 
hängig ist  von  der  Abkühlung  beziehungsweise  der  Erwärmung, 
sondern  wesentlich  mitbedingt  wird  durch  die  elektrische  Leitungs- 
fähigkeit, deren  Einfluß  bei  den  gewöhnlichen  Methoden  der  Be- 
obachtung nicht  ausgeschlossen  werden  kann.  Ich  habe  daher  in 
der  ersten  Abhandlung  eine  Beobachtungsmethode  befolgt,  welche 
eine  Berechnung  der  Leitungsfähigkeit  aus  dem  zeitlichen  Ver- 
laufe der  elektrischen  Ladung  ermöglicht ;  ich  habe  gezeigt ,  wie 
man  bei  gegebener  Leitungsfähigkeit  die  ganze  bei  der  Abkühlung 
entwickelte  Elektricitätsmenge  berechnen  kann  aus  der  wirklich 
beobachteten.  Die  Leitungsfähigkeit  selbst  hat  aber  einen  dop- 
pelten Ursprung ;  entweder  hat  man  es  mit  einer  durch  die  höhere 
Temperatur  bedingten  Leitungsfähigkeit  der  ganzen  Masse  des 
Turmalins  zu  thun,  oder  mit  einer  Leitung  seiner  Oberfläche, 
welche  wohl  als  Folge  einer  an  derselben  stattfindenden  Conden- 
sation  von  Wasserdampf  oder  Gas  anzusehen  ist.  Das  schnellere 
oder  langsamere  Verschwinden  der  bei  der  Abkühlung  auftreten- 
den Ladung  ist  bedingt  durch  diese  letztere;  in  dem  Maase,  in 
welchem  die  Bildung  einer  adsorbirten  Gasschichte  verzögert  wird, 
muß  auch  die  elektrische  Ladung  langsamer  verschwinden.  Diese 
Vermuthung  fand  ihre  Bestätigung  durch  die  in'  der  zweiten  Ab- 
handlung beschriebenen  Versuche,  bei  welchen  Turmaline  in  wohl- 
getrocknetem,  luftverdünntem  Räume  die  bei  der  Abkühlung  ent- 
wickelte elektrische  Ladung  tagelang  behielten.  Die  Formeln, 
welche  ich  für  die  Elektricitätsentwicklung  eines  frei  sich  abküh- 
lenden Turmalines  aufgestellt  hatte,  konnten  indeß  nur  auf  einen 
Theil  der  Beobachtungen  in  Anwendung  gebracht  werden,  da  sie 
auf  der  Voraussetzung  einer  von  der  Zeit  unabhängigen  Leitungs- 
fähigkeit beruhen;  bei  einer  größeren  Zahl  von  Beobachtungen, 
so  insbesondere  bei  den  mit  einem  Elbaer  Turmaline  angestellten, 
war  aber  die  Leitungsfähigkeit  während  der  Abkühlung  einer 
fortdauernden  Aenderung  unterworfen.     Eine  andere  Erscheinung, 


1)  Gott.  Nachr.  1885  &  405,  1887  S.  151. 


über  die  Pyroelectricität  des  Turmalins.  189 

welche  im  Allgemeinen  gleichfalls  die  Anwendung  der  Theorie 
unmöglich  macht,  trat  bei  einem  brasilianischen  Turmaline  (BI) 
hinzu;  die  elektrische  Ladung  desselben  erlitt  insbesondere  bei 
stärkerer  Erhitzung  plötzliche  Abfälle ,  welche  wohl  nur  durch 
eine  Selbstentladung  des  Turmalines  erklärt  werden  können. 

Die  Methode  der  freien  Abkühlung  der  isolirt  aufgehängten 
Turmaline  hat  den  großen  Vorzug,  daß  sie  wenigstens  principiell 
die  Möglichkeit  gewährt,  alle  für  die  Pyroelektricität  wichtigen 
Größen,  die  elektrische  Ladung,  die  elektrische  Leitungstätigkeit, 
die  Abkühlungskonstante  gleichzeitig  zu  ermitteln.  Gegenüber 
den  praktischen  Schwierigkeiten  aber,  welche  der  allgemeinen 
Durchführung  ihrer  Theorie  aus  den  angeführten  Gründen  erwach- 
sen, erschien  es  zweckmäßig,  auch  die  von  Gaugain  zuerst  be- 
nutzte ßeobachtungsmethode  weiter  zu  verfolgen,  als  deren  Ziel 
wir  die  Elimination  des  von  der  Leitungsfähigkeit  ausgehenden 
Einflusses  bezeichnen  können.  Am  vollständigsten  würde  dieser 
Zweck  erreicht,  wenn  man  die  mit  metallischen  Belegen  versehe- 
nen Endflächen  der  Turmaline  während  der  Abkühlung  mit  einem 
Galvanometer  verbände.  Statt  dessen  wurde  bei  den  Versuchen 
von  Gaugain  und  ebenso  bei  den  meinigen  das  eine  Ende  der 
Turmaline  mit  der  Erde ,  das  andere  mit  einem  zur  Selbstentla- 
dung eingerichteten  Elektroskop  verbunden ;  die  entwickelte  Elek- 
tricität  wurde  gemessen  durch  die  Zahl  der  aufeinanderfolgenden 
Selbstentladungen.  Daß  dabei  das  Resultat  der  Beobachtung  durch 
eine  etwaige  Leitungsfähigkeit  des  Turmalines  beeinflußt  wird, 
leuchtet  ein.  Durch  eine  solche  wird  einmal  die  Zeit  zwischen 
zwei  aufeinanderfolgenden  Selbstentladungen  verlängert,  anderer- 
seits die  Zahl  der  Selbstentladungen  verkleinert.  Wenn  der  Tur- 
malin  vollkommen  isolirt,  so  gilt  nach  der  von  mir  entwickelten 
Theorie  für  die  elektrische  Ladung  während  der  Abkühlung  die 
Formel 

i  =  E(l-e-at) 

wo  z  die  Zeit  bezeichnet.  Eine  stärkere  Leitungsfahigkeit  des 
Turmalines  muß  sich  dadurch  verrathen,  daß  der  beobachtete  Ver- 
lauf der  elektrischen  Ladung  von  dem  durch  die  Formel  gegebe- 
nen Typus  einer  einfachen  Exponentialkurve  abweicht;  eine  ge- 
ringere Leitungsfähigkeit  aber  braucht  die  Anwendbarkeit  der 
Formel  nicht  wesentlich  zu  beeinträchtigen  und  könnte  trotzdem 
den  Gesammtbetrag  der  beobachteten  Ladung  in  etwas  verkleinern* 
Wenn  aber  auch  die  absoluten  Werthe  der  elektrischen  Ladungen, 
wie   sie  bei   dem  Gaugain' sehen  Verfahren  beobachtet   werden, 

IG* 


190  Eduard  Riecke, 

voraussichtlich  etwas  zu  klein  sind,  so  erscheint  dasselbe  doch 
wohl  anwendbar,  wenn  es  sich  um  die  Vergleichung  der  Elektri- 
citätsmengen  handelt,  welche  ein  und  derselbe  Turmalin  nach 
verschiedener  Erhitzung  entwickelt,  oder  um  diejenigen,  welche 
verschiedene  Turmaline  unter  gleichen  Umständen  erzeugen.  Von 
diesem  Gesichtspunkt  aus  sind  die  zahlreichen  Beobachtungen  zu 
beurtheilen,  deren  Resultate  im  Folgenden  vorgelegt  werden.  Für 
die  Ausführung  derselben  bin  ich  den  Herren  H.  Meyer,  Krü- 
ger und  Meissner  zu  Danke  verpflichtet,  ebenso  Herrn  Pocke  ls 
für  die  Ausführung  einer  Reihe  von  Controlrechnungen. 

Die  Absicht,  welche  bei  den  folgenden  Untersu- 
chungen verfolgt  wurde,  war  eine  doppelte.  Es  sollte 
einmal  die  Grültigkeit  der  Formel 

e  =  E(l-e-a*) 

in  weiterem  Umfange  geprüft  werden,  andererseits 
sollte  für  eine  grössere  Zahl  von  Turmalinen  die  Ab- 
hängigkeit der  bei  der  Abkühlung  entwickeltenElek- 
tricitätsmenge  von  der  Differenz  zwischen  der  An- 
fangs- und  der  End-temperatur  ermittelt  werden. 

Die  Prüfung  der  für  die  entwickelte  Elektricitätsmenge  auf- 
gestellten Formel  erstreckte  sich  nach  drei  verschiedenen  Richtun- 
gen. Zuerst  wurde  untersucht ,  in  wie  weit  jede  einzelne  Abküh- 
lungsbeobachtung dem  Gesetze  folgte.  Dabei  ergab  schon 
der  oberflächliche  Anblick  der  Beobachtungsreihen 
die  Existenz  zweier  typisch  verschiedener  Fälle, 
von  welchen  die  in  Fig.  1  und  Fig.  2  gezeichneten  Curven  eine 
Anschauung  gewähren.  Die  erste  bezieht  sich  auf  den  Turmalin 
M  II.  Die  Abkühlungszeiten  sind  auf  der  Horizontalen  aufgetra- 
gen ,  die  Menge  der  entwickelten  Elektricität ,  d.h.  die  Zahl  der 
Selbstentladungen  des  Elektroskopes  in  der  dazu  senkrechten 
Richtung ;  die  den  einzelnen  Beobachtungen  entsprechenden  Punkte 
sind  markirt,  die  ausgezogene  Curve  entspricht  der  aus  den  Be- 
obachtungen berechneten  Formel 

e  =  49,2(l-e-°'217*). 

Die  Figur  giebt  also  für  diesen  Fall  gleichzeitig  ein  Bild  von  der 
zwischen  Beobachtung  und  Rechnung  herrschenden  Uebereinstim- 
mung.  Die  Fig.  2  bezieht  sich  auf  den  Turmalin  P I.  Die  Curve 
besitzt  in  diesem  Fall  einen  Wendepunkt,    sie  ist  zu  Anfang  ge- 


über  die  Pyroölectricität  des  Turmalins.  191 

gen  die  Axe  z  konvex  und  weicht  nur  ganz  langsam  von  dersel- 
ben ab  in  Folge  der  auffallenden  Verzögerung,  welche  der  Eintritt 
der  ersten  Selbstentladung  des  Elektroskopes  erleidet.  Von  22 
untersuchten  Crystallen  gehörten  12  vollständig  dem  ersten  Typus 
an;  es  sind  dieß  5  Crystalle  von  Brasilien,  2  rothe  Crystalle  von 
Mursinsk,  ein  Turmalin  von  Elba,  E  III,  einer  von  Prevale,  P II, 
einer  von  Unterdrauburg ,  und  einer  vom  Gouverneur.  Einen 
Ueb ergang  zum  zweiten  Typus  bilden  4  schwarze  Crystalle  von 
Mursinsk.  Bis  zu  Erhitzungen  von  etwa  140°  zeigen  dieselben 
keine  Verzögerung  der  ersten  Entladung;  bei  höheren  Tempera- 
turen tritt  eine  Verzögerung  ein;  immer  aber  bleibt  dieselbe  so 
klein,  daß  der  Gresammtcharakter  der  den  Verlauf  der  elektrischen 
Ladung  darstellenden  Curven  durch  die  anfängliche  Störung  kaum 
beeinflußt  wird.  Dasselbe  Verhalten  zeigt  ein  Turmalin  von  HÖrl- 
berg.  Eine  der  mit  diesem  Turmalin  angestellten  Beobachtungs- 
reihen wird  dargestellt  durch  Fig.  3.  Mit  Bezug  auf  die  Turma- 
line  von  Mursinsk  ist  noch  hervorzuheben,  daß  die  Verzögerung 
der  ersten  Entladung  zu  Anfang  der  ganzen  Untersuchung  auch 
bei  den  höchsten  Temperaturen  kaum  merklich  war,  daß  sie  erst 
im  Verlauf  der  Untersuchung  deutlicher  hervortrat.  Es  scheint, 
daß  in  der  Natur  dieser  Crystalle  durch  die  wiederholten  bis  auf 
190°  steigenden  Erhitzungen  eine  Aenderung  hervorgebracht  wurde. 
Dasselbe  ist,  nur  in  sehr  viel  höherem  Maase,  der  Fall  bei  3  Cry- 
stallen von  Elba;  auch  diese  zeigten  anfangs  nur  geringe  Abwei- 
chungen von  dem  ersten  Typus,  bei  welchem  die  elektrische  La- 
dung während  der  Abkühlung  durch  eine  Exponentialkurve  dar- 
gestellt wird;  während  der  Untersuchung  aber  nahm  die  Verzö- 
gerung der  ersten  Entladung  zu  und  erreichte  schließlich  ziemlich 
erhebliche  Beträge.  Endlich  bleiben  nun  noch  3  Crystalle  übrig, 
ein  schwarzer  von  Mursinsk  (MI,  a),  der  bereits  erwähnte  von 
Prevale,  P  I,  und  einer  von  Sarapulsk ;  die  beiden  ersten  ergaben 
von  vornherein  und  unter  allen  Umständen  sehr  große  Verzöge- 
rungen der  ersten  Entladung  und  erscheinen  daher  als  vollstän- 
dige Repräsentanten  des  zweiten  Typus,  welcher  in  seinem  Ver- 
halten der  Curve  der  Fig.  2  entspricht. 

Der  Crystall  von  Sarapulsk    dagegen   nimmt   eine   besondere 
Stellung  ein,   indem  er  in  höheren  Temperaturen  eine  kleine,  da- 
gegen in  tieferen  eine  sehr  erhebliche  Verzögerung  der  ersten  Ent- 
ladung erleidet,    wie  sich  dieß  aus  der  folgenden  Tabelle  ergiebt. 
T  12  3  4  5 

167.9        0.84        1.04        1.20        1.38        1.53 
105.6        3.41        4.11        4.87        5.73        6.88 


192  Eduard  Riecke, 

In  derselben   sind   für   zwei  verschiedene  Erhitzungstempera« 
turen  die  Zeiten  der  5  ersten  Entladungen  angegeben. 
Zu  einer  genaueren  Prüfung  der  Formel 

wurden  nun  Beobachtungen  mit  denjenigen  Turmalinen  verwandt, 
welche  dem  ersten  Typus  angehören  oder  doch  nur  geringere  Ab- 
weichungen von  demselben  zeigen.  Es  wurden  also  die  Beobach- 
tungen mit  den  zuletzt  genannten  Crystallen  PI  und  MIa  zu- 
nächst ausgeschlossen.  Der  Theorie  zufolge  sollte  a  während  der 
Abkühlung  einen  konstanten  Werth  behalten;  es  traf  dieß  nur 
bei  einem  Theil  der  Turmaline  zu,  während  bei  anderen  der  "Werth 
von  a  bei  der  Abkühlung  gewissen  Veränderungen  unterworfen 
war.  Nach  dem  Verhalten  von  a  während  der  Abküh- 
lung konnten  die  Turmaline  des  ersten  Typus  ihrer- 
seits wieder  in  drei  Gruppen  geschieden  werden. 
Bei  der  ersten  erwies  sich  a  während  der  Abküh- 
lung als  vollkommen  konstant.  Es  gehören  in  diese 
Gruppe  die  5  Cry stalle  von  Brasilien ,  der  Turmalin  P II,  die 
Crystalle  von  Unterdrauburg  und  vom  Gouverneur.  Bei  einer 
zweiten  Gruppe  war  a  während  der  Abkühlung 
konstant,  so  lange  dieErhitzung  einen  bestimmten 
Betrag  nicht  überschritt;  bei  höheren  Anfangstem- 
peraturen d  agegen  war  der  Werth  von  a  während 
der  ersten  Minuten  der  Abkühlung  kleiner,  erhob 
sich  dann  aber  schnell  zu  einem  konstant  bleiben- 
den Betrage.  Zu  dieser  zweiten  Gruppe  gehören  5  Crystalle 
von  Mursinsk,  der  Elbaer  Turmalin  EIII,  der  Crystall  vom 
Hörlberg.  Die  bei  denselben  vorhandene  Veränderlichkeit  von  a 
möge  durch  die  in  der  folgenden  Tabelle  beispielsweise  mitge- 
theilten  Zahlen  wer  the  erläutert  werden. 

£=12         3        4         56         7         89        10      12 
n  190°  0.113  0.148  0.166  0.177  0.185  0.190  0.194  0.195  0.196  0.196  0.196 
142°  0.200  0.205  0.209  0.211  0.212  0.213  0.213  0.213  0.214  0.215  0.215 

J1730  0.134  0.139  0.143  0.146  0.149  0.150  0.151  0.152  0.152  0.152  0.152 
155°  0.145  0.150  0.152  0.154  0.155  0.156  0.157  0.157  0.157  0.156  0.156 

In  der  ersten  Horizontalreihe  sind  die  Abkühlungszeiten  in 
Minuten,  in  den  darunter  stehenden  die  entsprechenden  Werthe 
der  Abkühlungskoefficienten  angegeben  ;  die  in  der  ersten  Verti- 
kalreihe stehenden  Zahlen   geben    die  Erhitzungstemperaturen   an. 


über  die  Pyroölectricität  des  Turmalins.  193 

Die  dritte  Gruppe  wird  gebildet  durch  drei 
Crystalle  von  Elba,  EIN,  EN  und  ENI.  Bei  diesen 
steigt  gleichfalls  derWerth  von  a  während  der 
Abkühlung  aber  ohne  einen  konstanten  Grenz- 
werth  zu  erreichen;  es  wird  dieses  Verhalten  anschaulich 
gemacht  durch  die  Zahlen  der  folgenden  Tabelle. 

*  =  1        2         3        4        56        78         9        10      12 
168°  0.138  0.143  0.150  0.156  0.165  0.173  0.180  0.184  0.186  0.190  0.193 
V  122°  0.185  0.190  0.192  0.195  0.196  0.198  0.199  0.199  0.200  0.202 


EY 


161°  0.178  0.185  0.191  0.200  0.206  0.212  0.220  0.225 
122°  0.226  0.230  0.231  0.235  0.240  0.245  0.249 


Der  Crystall  von  Sarapulsk  kann  ebensogut  zu  der  zweiten, 
wie  zu  der  dritten  Gruppe  gerechnet  werden.  In  höheren  Tem- 
peraturen erreicht  der  Werth  von  a  bei  der  Abkühlung  ein  Maxi- 
mum; bei  tieferen  Temperaturen  tritt  die  Annäherung  an  ein 
Maximum  nicht  mehr  hervor,  die  Verzögerung  der  ersten  Entla- 
dung nimmt  wie  schon  erwähnt  bei  abnehmender  Anfangstempera- 
tur stark  zu. 

Untersucht  man  die  Crystalle  dieser  3  Gruppen  mit  Rücksicht 
auf  den  verzögerten  Eintritt  der  ersten  Entladung  so  bemerkt 
man,  daß  die  Crystalle  der  ersten  Gruppe  keine  Verzögerung  auf- 
weisen; die  der  zweiten  Gruppe  zeigen  eine  Verzögerung  bei  hö- 
herer Temperatur;  die  der  dritten  Gruppe  gaben  nach  wiederhol- 
ter Erhitzung  Verzögerung  auch  bei  tieferen  Temperaturen.  Es 
ist  hiernach  wahrscheinlich,  daß  die  Veränderlichkeit  von  a  durch 
dieselbe  Ursache  bedingt  wird,  wie  die  Verzögerung  der  ersten 
Entladung  und  zwar  dürfte  es  das  natürlichste  sein,  die  Ursache 
in  einer  bei  höherer  Temperatur  eintretenden  Leitungsfähigkeit 
des  Turmalines  zu  suchen. 

Die  im  Vorhergehenden  besprochene  Eintheilung  der  Turma- 
line,  welche  auf  der  Verzögerung  der  ersten  Entladung  und  auf 
dem  Verhalten  des  Coefficienten  a  während  der  einzelnen  Abküh- 
lung beruht,  wird  bestätigt  durch  das  Ergebniß  einer  dritten  Un- 
tersuchung. Für  alle  einzelnen  Abkühlungsbeobachtungen  wurden 
die  Coefficienten  a  berechnet;  bei  den  Turmalinen  der  ersten 
Gruppe  wurden  aus  den  einzelnen  von  einander  nur  wenig  abwei- 
chenden Werthen  die  Mittel  genommen;  bei  den  Turmalinen  der 
zweiten  Gruppe  wurden  die  konstanten  Grenzwerthe  von  a  bei 
der  weiteren  Betrachtung  benutzt;  bei  den  Crystallen  der  dritten 
Gruppe  wurden  die  für  die  Mitte   der  Abkühlungsperiode   gelten- 


194  Eduard  Riecke, 

den  Werthe  von  a  durch  Interpolation  bestimmt  und  weiterhin 
der  Untersuchung  zu  Grunde  gelegt.  Diese  war  darauf  gerichtet, 
ob  die  den  einzelnen  Abkühlungen  entsprechenden 
Werthe  von  a  konstant,  d.h.  von  der  anfänglichen  Er- 
hitzung der  Turmaline  unabhängig  sind,  oder  ob  der 
Abkühlungskoefficient  mit  der  Temperatur  sich  ver- 
ändert. 

Es  wurden  im  Ganzen  239  Abkühlungsbeobachtungen  benutzt 
und  dementsprechend  239  Werthe  des  Coefficienten  a  in  der  an- 
gegebenen Weise  berechnet. 

Constanz  der  Abkühlung skoefficienten  ergab  sich 
bei  den  Crystallen  von  Brasilien,  von  Unterdrauburg ,  vom  Gou- 
verneur, vom  Hörlberg,  bei  PII  und  MBU,  im  Allgemeinen  also 
bei  den  Crystallen  der  ersten  Gruppe. 

Constanz  bis  zu  Erhitzungstemperaturen  von 
beiläufig  140°  Graden,  Abnahme  bei  höheren  Tempe- 
raturen ergab  sich  bei  den  Turmalinen  von  Mursinsk,  und  Sa- 
rapulsk,  im  Wesentlichen  also  bei  den  Crystallen  der  zweiten 
Gruppe. 

Einen  unregelmäßigeren  Verlauf  zeigen  die 
Werthe  von  a  bei  den  Turmalinen  von  Elba.  Sie  er- 
weisen sich  als  ziemlich  konstant  bis  zu  Temperaturen 
von  etwa  100°,  dann  nehmen  sie  rasch  ab,  erreichen 
einen  Minimalwerth  bei  einer  Erhitzung  auf  etwa 
140°  und  nehmen  bei  stärkerer  Erhitzung  wieder  zu. 

Diese  Verhältnisse  werden  anschaulich  gemacht  durch  die 
folgende  Tabelle. 

1.     Turmaline  von  Brasilien. 

T     175°  153°         130°  106°  82°  56° 

BIII  0.249        0.248        0.249        0.246        0.248        0.245 
BV  0.227        0.235        0.228        0.228        0.228        0.231 

2.     Tur  mal  in  vom  Gouverneur. 
T    172°      159°      155°      145°      139°      121°      110°       91° 
a    0.267    0.266    0.267    0.266    0.267    0.266    0.268    0.268 

3.     Schwarze  Turmaline  von  Mursinsk. 

T      190°      170°      145°      125°      110°       85°        70°        45° 

MII    0.195    0.194    0.214    0.223    2.223    0.221    0.224    0.222 
M III  0.213    0.210    0.225    0.241    0.241    0.241    0.243    0.247 


t%u  S^iecMeföroefaclricität  cleö  Sürmaähö, 


über  die  Pyroelectricität  des  Turmalins.  195 

4.    Rothe  Crystalle  von  Mursinsk. 

T     172°     159°     155°     145°     139°     130°     126°     110°  91° 

MBl  0.152    0.154    0.157    0.157    0.159    0.160   0.161    0.161  0.153 

MBU  0.111    0.113    0.116    0.115    0.112    0.115   0.115   0.111  0.109 

5.  Turmaline  von  Elba. 
T     164°      147°      122°      104°       82°        67°       59°       45° 

#111  0.404    0.378  0.449    0.446    0.472    0.433    0.472 

EY    0.205    0.175  0.241    0.255    0.245  0.241 

Wir  schließen  hiermit  den  Bericht  über  den  ersten  Theil  der 
Untersuchung,  welcher  sich  auf  die  Prüfung  der  Formel 

s  =  E(l-e-*') 

und  auf  das  Verhalten  der  Abkühlungskoefficienten  a  richtet,  und 
gehen  nun  über  zu  der  Frage  nach  der  Abhängigkeit  der 
entwickelten  Elektricitätsmenge  von  der  Tempera- 
tur der  Erhitzung.  Zunächst  traten  dabei  wieder  Verschie- 
denheiten hervor,  welche  der  früheren  Eintheilung  der  Turmaline 
in  drei  Gruppen  entsprachen.  Bezeichnet  man  mit  8  die  Diffe- 
renz zwischen  der  Anfangs-  und  der  End-temperatur  der  Turma- 
line,   so   konnte   bei   den  Turmalinen  von  Brasilien   die   fragliche 

Abhängigkeit  dargestellt  werden  durch  eine  Formel  von  der  Gestalt 

« 

E  =  aB  +  hS2. 

Dagegen  ergab  sich  bei  den  Turmalinen  von  Elba  die  Formel 

E  =  aB-662. 

Bei  den  schwarzen  Crystallen  von  Mursinsk  mußte  zur  Darstel- 
lung der  Beobachtungen  ein  dreigliedriger  Ausdruck  benutzt 
werden 

E  =  a0  +  &B2-c63. 

Die  Gruppirung  der  Turmaline,  wie  sie  sich  auf  Grund  der 
für  die  entwickelten  Elektricitätsmengen  geltenden  Interpolations- 
formeln ausführen  läßt,  stimmt  aber  mit  der  durch  das  Verhalten 
des  Abkühlungskoefficienten  bedingten  doch  nicht  ganz  überein  in 
Folge  eines  abweichenden  Verhaltens  der  rothen  Turmaline  von 
Mursinsk,  der  Turmaline  PII,  S  und  G,  welche  bei  der  früheren 
Untersuchung  in  unsere  erste  oder  zweite  Gruppe  sich  eingeordnet 
hatten.  Bei  diesen  Crystallen  konnte  unterhalb  gewisser  Tempe- 
raturen  überhaupt  keine   meßbare  elektrische  Erregung  erhalten 


196  Eduard  Riecke, 

werden,  während  nach  Ueberschreitung  derselben  die  entwickelten 
Elektricitätsmengen  sehr  schnell  mit  der  Temperatur  wuchsen. 
Die  zur  Darstellung  der  elektrischen  Ladungen  benutzte  Formel  ist 

E  =  a©-A. 

Es  dürfte  dieses  Verhalten  durch  die  Annahme  zu  erklären 
sein,  daß  diese  Turmaline  bei  gewöhnlicher  Temperatur  eine  er- 
hebliche Leitungsfähigkeit  besitzen,  welche  durch  Erhitzung  auf 
Temperaturen  von  30°  bis  50°  keine  Veränderung  erleidet,  dage- 
gen in  höheren  Temperaturen  verschwindet  und  sich  dann  auch 
während  der  Dauer  der  Abkühlung  nicht  wieder  herstellt. 

Die  Abhängigkeit  der  elektrischen  Ladung  von 
der  Temperatur  der  Erhitzung  führt  hiernach  zu  der 
Aufstellung  von  4  verschiedenen  Gruppen  von  Tur- 
malinen;  die  vierte  Grruppe  enthält  Turmaline,  wel- 
che nach  dem  Verhalten  des  Abkühlungskoefficien- 
ten  zu  den  Turmalinen  von  Brasilien  oderMursinsk 
zu  stellen  sein  würden.  Beispiele  für  das  Verhalten  der  4 
Gruppen  geben  die  Fig.  4 — 7,  in  welchen  die  beobachteten  Werthe 
der  Ladung  den  berechneten  Curven  hinzugefügt  sind. 

Würde  die  Form  der  Turmaline  die  eines  Cylinders  mit  G-e- 
radendflächen ,  würde  überdieß  die  elektrische  Ladung  vollständig 
auf  diese  Flächen  koncentrirt  sein,  so  wäre  das  elektrische  Mo- 
ment gleich  der  Ladung  der  positiven  Endfläche  multiplicirt  mit 
der  Länge  der  Turmaline.  Durch  Division  mit  der  Masse  würde 
man  dann  das  elektrische  Moment  der  Masseneinheit  erhalten  und 
würde  damit  eine  für  die  einzelnen  Turmaline  charakteristische  Größe 
gefunden  haben.  In  Wirklichkeit  treffen  die  gemachten  Voraus- 
setzungen nicht  zu ;  das  specifische  elektrische  Moment  kann  nur 
dadurch  bestimmt  werden ,  daß  man  an  Stelle  der  Länge  den 
Mittelwerth  aus  einer  gewissen  Anzahl  von  Kantenlängen  oder 
Abständen  parallel  der  Axe  einführt.  Die  Werthe,  welche  man 
erhält,  wenn  man  die  beobachteten  Electricitätsmengen  mit  jenen 
mittleren  Längen  multiplicirt  und  mit  der  Masse  dividirt,  werden 
von  den  wahren  specifischen  Momenten  um  einen  Betrag  abwei- 
chen, der  wesentlich  abhängig  ist  von  der  Gestalt  der  Turmaline 
und  von  der  Ausbreitung  der  Ladung  auf  die  Seitenflächen.  Im- 
merhin werden  die  erhaltenen  Werthe  eine  wenn  auch  nicht  voll- 
kommen exakte  Vergleichung  der  Erregbarkeit  der  einzelnen  Tur- 
maline ermöglichen.  In  der  folgenden  Tabelle  sind 
daher    die    in    der    angegebenen    Weise    berechne- 


über  die  Pyroelectricität  des  Turmalins. 


LOT 


ten  specifischen  Momente  als  Funktionen  d  e  r  A  b- 
kühlung   B    dargestellt. 


£1 

0.1123  e 

+0.000182  0» 

biii 

o.io7i  e 

+0.000374  02 

BIY 

0.0951  8 

+0.000415  02 

BY 

0.0564  6 

+0.000676  02 

BYI 

0.0840  9 

+0.000450  02 

H 

0.1058  0 

Mla 

0.0404  e 

+0.000911  02 

—0.00000452  08 

Mlb 

0.1138  0 

-0.00000061  0» 

MIT 

0.0972  0 

+0.000473  02 

—0.00000263  es 

MIII 

0.0678  0 

+0.000901  02 

—0.00000439  08 

MTV 

0.0786  0 

+0.000186  02 

-0.00000141  0S 

EII1 

0.1165  0 

—0.000021  02 

EIY 

0.0971  0 

—0.000062  02 

EY 

0.0550  02 

—0.000114  02 

EYI 

0.0860  02 

—0.000197  02 

PI 

0.0736  0 

—2.3 

PII 

0.1200  0 

—1.9 

MEI 

0.165    0 

—1.8 

MBU 

0.151     0 

—4.8 

S 

0.172    0 

—9.3 

a 

0.128    0 

—4.1 

0.092    0 

—0.6 

Wir  fügen  endlich  noch  eine  Tabelle   hinzu,    in   welcher   die 
Turmaline    geordnet   sind   nach   der   Größe    der    elektrischen  Mo- 
mente, welche  einer  Abkühlung  um  100°  entsprechen. 
MRI    BIII    BIY    BI    BYI    BY    MII    ü  MIII   EUI   JflB 
14.7      14.4      13.6    13.0    12.9    12.4    12.1  11.8  11.4     11.4     10.8 

H    MRII   PII   EIY   Mla     G    MIY    S    EYI     PI     EY 
10.6     10.3      10.1     9.1      8.6       8.6     8.3     7.9    6.6       5.1      4.4 

Es  stimmt  diese  Tabelle  wohl  überein  mit  einer  Zusammen- 
stellung elektrischer  Momente,  welche  ich  in  der  Abhandlung  des 
Jahres  1887  veröffentlicht  habe.  Dieselbe  bezieht  sich  aut  einen 
Theil  der  Turmaline,  welche  in  der  gegenwärtigen  Arbeit  behan- 
delt worden  sind.  Die  Abkühlungstemperatur,  welche  damals  be- 
nutzt wurde,  war  im  Mittel  gleich  84°;  doch  ist  die  Größe  der 
Abkühlung  bei  den  verschiedenen  Turmalinen  um  einige  Grade 
verschieden,    da  nur  auf  eine  einzige  Temperatur  erhitzt  und  auf 


198  Eduard  Kiecke, 

die  Gleichheit  derselben  bei  den  verschiedenen  Turmalinen  kein 
besonderes  Gewicht  gelegt  worden  war. 

Zur  Erläuterung  der  Tabellen  mögen  noch  einige  Bemerkun- 
gen hinzugefügt  werden,  von  welchen  die  erste  die  Turmaline 
PI  und  Mla  betrifft.  Die  in  den  Tabellen  benutzten  Werthe  der 
elektrischen  Ladung  sind  nicht  unmittelbar  beobachtet,  sondern  in 
der  folgenden  Weise  berechnet.  Wir  haben  bemerkt,  daß  die 
Curven,  welche  bei  diesen  Turmalinen  die  elektrische  Ladung 
während  der  Abkühlung  darstellen,  einen  Wendepunkt  besitzen. 
Nun  zeigt  sich,  daß  die  Curven  in  einigem  Abstände  von  dem 
Wendepunkte  der  gewöhnlichen  Exponentialformel  entsprechen. 
Verlängert  man  die  durch  die  Rechnung  bestimmten  Curven  rück- 
wärts bis  zum  Schnitt  mit  der  Axe  der  s,  so  erhält  man  diejeni- 
gen elektrischen  Ladungen,  welche  bei  abwesender  Leitungsfähig- 
keit eingetreten  sein  würden,  indem  man  zu  den  beobachteten 
Werthen  von  s  den  für  9  =  0  geltenden  Werth  hinzufügt.  In 
dieser  Weise  sind  die  in  den  Tabellen  benutzten  Werthe  gefun- 
den. Es  ist  dadurch  die  Ausnahmestellung  beseitigt,  welche  der 
Turmalin  Mla  in  der  früheren  Tabelle  eingenommen  hatte. 

Immerhin  bleibt  die  Verschiedenheit,  welche  in  dem  Verhal- 
ten der  beiden  Bruchstücke  Mla  und  Mlb  desselben  Crystalls  zu 
Tage  tritt,  auffallend  genug. 

Was  den  Crystall  vom  Gouverneur  anbelangt,  so  führten  die 
zwei  Beobachtungsreihen,  welche  mit  demselben  angestellt  worden 
waren ,  zu  Resultaten ,  welche  nicht  in  einer  Formel  vereinigt 
werden  konnten.  Es  müssen  Veränderungen  in  der  Natur  dieses 
Crystalls  während  der  Dauer  der  Untersuchung  angenommen  wer- 
den und  zwar  im  Sinne  einer  Verminderung  der  Leitungsfähigkeit, 
welche  der  Crystall  bei  niedriger  Temperatur  besitzt.  Höheren 
Erhitzungen  gegenüber  machen  sich  die  Unterschiede  wenig  be- 
merklich; die  für  eine  Temperaturdifferenz  von  100°  auftretende 
elektrische  Ladung  ist  bei  beiden  Reihen  nahezu  dieselbe,  so  daß 
in  der  letzten  Tabelle  nur  ein  Mittelwerth  angenommen  worden  ist. 

Bei  dem  Crystalle  von  Sarapulsk  genügt  die  Zahl  der  Beob- 
achtungen nicht  zur  Aufstellung  einer  Interpolationsformel;  der  in 
der  letzten  Tabelle  enthaltene  Werth  ist  aus  den  bei  benachbar- 
ten Temperaturen  erhaltenen  Ladungen  abgeleitet. 

Es  erübrigt  endlich  noch  die  Frage  nach  dem  Werthe  der 
elektrischen  Momente  in  absolutem  elektrostati- 
schem Maase.  Um  hie  für  einen  Anhaltspunkt  zu  gewinnen 
gehen  wir  zurück  auf  die  absoluten  Bestimmungen,  welche  ich  im 
Jahre  1885  für  den  Turmalin  B I  ausgeführt  habe,  indem  derselbe 


über  die  Pyroelectricität  des  Turmalins.  199 

über  einem  Goldblattelektroskop  isolirt  aufgehängt  sich  frei  ab- 
kühlte. Die  Verwerthung  der  Beobachtungen  ist  eine  einiger- 
maßen unsichere  in  Folge  der  Störungen,  welche  namentlich  in 
höheren  Temperaturen  eintraten.  Greift  man  aus  den  verschiede- 
nen Beobachtungsreihen  eine  bei  einer  Abkühlung  von  6  =  60.5° 
angestellte  ziemlich  regelmäßig  verlaufende  heraus,  so  ergiebt  sich 
eine  Oberflächendichtigkeit  von  32  elektrostatischen  Einheiten  im 
cm.  g.  s.  System.  Hiernach  wird  das  unmittelbar  beobachtete 
elektrische  Moment  der  Gewichtseinheit  nahezu  gleich  10  (cm.  g.  s.). 

Es  entspricht  aber  dieser  Werth  keineswegs  der  ganzen  wäh- 
rend der  Abkühlung  des  Turmalins  entwickelten  Elektricitäts- 
menge ;  das  dieser  entsprechende  Moment  ergiebt  sich,  wenn  wir 
den  beobachteten  Werth  mit  dem  Faktor  (q/a)^-a  multipliciren, 
in  welchem  q  die  Leitungsfähigkeit  des  Turmalines,  a  den  Ab- 
kühlungskoefncienten  bezeichnet.  Eine  genaue  Bestimmung  von  a 
und  q  aus  den  vorliegenden  Beobachtungen  ist  nicht  möglich. 
Dem  ansteigenden  Theile  der  Curve  entspricht  man  durch  die 
Annahme  a  =  0.19  und  q  =  0.23.  Damit  ergiebt  sich  dann  für 
das  elektrische  Moment  der  Gewichtseinheit,  wie  es  bei  verschwin- 
dender Leitungsfähigkeit  auftreten  würde,  der  Werth  von  30  Ein- 
heiten des  cm.  g.  s.  Systems.  Andererseits  ergiebt  unsere  Inter- 
polationsformel für  dieselbe  Abkühlung  den  Betrag  des  Momentes 
zu  7.3  unserer  willkürlichen  Maaßeinheiten.  Hiernach  würden 
alle  in  den  beiden  letzten  Tabellen  enthaltene  Zahlen  mit  dem 
Faktor  4  zu  multipliciren  sein,  um  die  elektrischen  Momente  in 
Einheiten  des  cm.  g.  s.  Systems  zu  geben. 

Die  elektrische  Dichtigkeit,  welche  der  Turmalin  MRI  bei 
einer  Abkühlung  um  100°  und  bei  isolirender  Masse  und  Oberfläche 
entwickelt,  kann  hiernach  beiläufig  zu  60  Einheiten  des  cra.  g.  9. 
Systems  angenommen  werden.  Das  bedeutet  eine  Stärke  der 
elektrischen  Ladung,  welche  die  bei  den  gewöhnlichen  elektrosta- 
tischen Apparaten  auftretenden  weit  übertrifft;  zum  Beispiel  habe 
ich  bei  einer  Influenzmaschine  zweiter  Art  die  größte  Dichtigkeit 
der  auf  den  rotirenden  Scheiben  angesammelten  Elektricität  zu 
6  Einheiten  (cm.  g.  s.)  bestimmt.  Die  scheinbar  an  der  Oberfläche 
eines  Turmalines  auftretende  Ladung  bildet  aber  nach  der  von 
mir  entwickelten  Theorie  der  Pyroelektricität  nur  einen  sehr  klei- 
nen Bruchtheil  seiner  molekularen  Elektricität.  Die  wahren  elek- 
trischen Momente ,  welche  die  Gewichtseinheiten  der  Turmaline 
in  Folge  der  elektrischen  Polarisation  ihrer  Molekeln  besitzen, 
gehören  ohne  Zweifel  einer  wesentlich  höheren  Größenordnung  an 
als  die  wirklich  gemessenen. 


200  Friedrich  Wieseler, 

Scaenica. 

Von 

Friedrich  Wieseler. 


Es  giebt  noch  manche  Stellen  bei  den  Gewährsmännern  über 
das  alte  Theater,  welche  einer  Berichtigung  des  Inhaltes  oder  einer 
Verbesserung  des  Textes  und  zugleich  einer  genaueren  Erörterung 
bedürfen.  Ueber  einige  derselben  soll  in  dem  Folgenden  zunächst 
die  Rede  sein. 

1. 

Pollux  Onom.  IV,  129  fg. :  r)  di(3xsyta  tcoxs  [ilv  iv  ol'K<p  ßccöi- 
keia  diijQsg  dcondtiov,  olov  cccp''  ob  iv  OoiviGöaig  r)  "Avxiyoviq  ßkiitei 
xbv  Gxoccxöv,  Ttors  de  xal  Kioccpog ,  ay?  ov  ßdllovöi  x<p  KSQa^np'  iv 
ds  TKo^Kpöia  ccTtb  xr\g  diGxEyCag  TtoqvoßoöKoC  xi  %axo7CX8vov<Siv  r]  yqd- 
dia  r)  yvvaia  nuxaßXsTiei. 

Antigone  begiebt  sich,  wie  der  Pädagog  in  Eurip.  Phoen.  90 
sagt,  {iskdd'QCov  ig  dirjosg  a^aroi; ,  d.  h.  auf  das  flache  Dach  des 
zweistöckigen  Palastes1).  Der  Ausdruck  öcj^dxiov  bei  Pollux  paßt 
also  durchaus  nicht. 

Albert  Müller  bezieht  ihn  in  den  Grriech.  Bühnenalterth.  S.  141 
auf  einen  „kleinen  Oberbau".  Aber  ein  solcher  läßt  sich  ohne 
Zweifel  nicht  annehmen.  Wer  wird  glauben  wollen,  daß  der  Kö- 
nigspalast im  Wesentlichen  nur  ein  einstöckiger  Bau  war,  kein 
über  das  ganze  Unterstock  hinlaufendes  oberes  hatte?2).  Auch  in 
sprachlicher  Beziehung  hat  die  Deutung  des  Ausdruckes  difjoeg 
dcoiidtiov  auf  einen  besonderen  Oberbau  Bedenken.  Wenn  Pol- 
lux I,  81  schreibt:  slxcc  tiiteocpcc  oixrj^iaxa  xä  <T  avxcc  Kai  ölyjqyj9 
so  meint  er  Gemächer,  Zimmer  im  zweiten  Stockwerk.  Ebenso 
ist  der  Ausdruck  vTisotpog  olnog  zu  verstehen  im  Etymol.  M.  274, 
26:  ^LYJQYjg,  6  vitao&og  olnog,  und  p.  780,  19,  und  der  Ausdruck 
dcoiidtLcc   bei  Herodian  I,  12,  16:    sl'g   xe   xä  d&pdxiu  dvaßdvxeg  Xi- 


1)  Eigenthümlich  und  ohne  Zweifel  irrig  ist  K.  0.  Müller's  Meinung  in 
dem  Handb.  d.  Archäol.  der  Kunst  S.  293,  Anm.  2,  daß  Antigone  „auf  dem  Söller 
über  dem  Parthenon  in  der  diaieyia"  erscheine.     Vgl.  unten  Anm.  3. 

2)  So  etwas  läßt  sich  für  ein  Privathaus  in  der  alten  Kommödie  immerhin 
annehmen. 


Scaenica. 


201 


ftoig  xcci  xegapoig  sßaXXov  tovg  iTtitslg.  Man  könnte  daran  denken 
daß  bei  Pollux  IV,  129  geschrieben  war:  dirJQeg  dmfidtcov,  welches 
letztere  Wort  dem  neXccftgav  in  den  Phönissen  durchaus  ent- 
sprechen würde.  Allein  dieser  Veränderung  steht  sowohl  der  Um- 
stand entgegen,  daß  durch  sie  die  Worte  iv  ol'xc)  fast  überflüssig 
würden,  jedenfalls  eigenthümlich  erschienen,  als  auch  der,  daß 
Pollux  mit  seiner  Angabe  nicht  allein  steht.  Auch  im  Etym.  M. 
274,  26  finden  wir  dasselbe  angegeben,  indem  hinter  olxog  hinzu- 
gefügt wird :  EvQLTtidrjg  iv  (frouvCöGaig.  Die  Stelle  in  den  Phönissen 
wurde  also  schon  von  alten  Erklärern  falsch  gedeutet.  Wir  be- 
merken noch,  daß  das  Wort  diöreyia  nur  das  zweite  Stockwerk, 
natürlich  mit  Inbegriff  des  Daches,  bezeichnet,  nicht  auch,  wie 
man  gemeint  hat,  ein  Haus  mit  zwei  Stockwerken.  Dasselbe  gilt 
von  den  substantivisch  gebrauchten  Ausdrücken  dirjQsg  und  vits* 
QGJov.  Sollte  das  Dach  genauer  bezeichnet  werden,  so  bedurfte 
es  eines  Beiwortes,    wie  £<5%vlxqv  bei  Euripides  hinzugefügt  ist. 

Nicht  minder  auffallend  ist  die  sonst  nirgends  vorkommende 
Angabe  bei  Pollux,  nach  welcher  diötsyicc  und  xegapog  gleich  sein 
sollen,  zumal  wenn  man  mit  A.  Müller  (a.  a.  0.  Anm.  5)  annehmen 
will,  daß  bei  Pollux  unter  xegapog  schwerlich  ein  schräges  Dach 
zu  verstehen  sei.  Thut  man  dagegen  dieses  —  was  doch  selbst- 
verständlich erscheint  —  und  nimmt  man  zugleich  an,  daß  das 
Dach  hoch  zu  denken  sei,  so  ließe  sich  etwa  sagen,  daß  der  Raum 
unterhalb  des  Daches  als  eine  Art  von  zweitem  Stockwerk  zu 
betrachten  sei. 

Ein  anderer  bedenklicher  Umstand  ist  es,  daß  Pollux  ganz  so 
spricht,  als  gehöre  das  über  xigapog  Gesagte  nur  in  die  Tragödie, 
wie  es  denn  außer  A.  Müller  allein  auf  das  „Ziegeldach  in  der 
Tragödie"  bezogen  wird.  Ich  weiß  mich  in  der  That  keines  Fal- 
les in  den  erhaltenen  Tragödien  zu  erinnern;  wohl  aber  eines 
nahe  stehenden  aus  der  Komödie,  vgl.  Aristoph.  Vesp.  Vs  203  fg. 

Wenn  A.  Müller  a.  a.  0.  äußert,  die  difSxsyCa  werde  in  der 
Komödie  als  einfaches  plattes  Dach  bezeichnet,  so  ist  das  in  Be- 
treff des  Pollux  eben  so  wenig  richtig  als  hinsichtlich  der  von 
ihm  in  Anm.  8  angeführten  Stellen  aus  Aristophanes'  Kkldc-iazu- 
sen.  Es  wird  vielmehr  bei  beiden  Schriftstellern  an  Gfomftoher 
im  oberen  Stockwerk  gedacht,  die  nach  außen  hin  Penfltei  haben, 
auf  welche  sich  die  Ausdrücke  itaQaxv7txstv  und  diccxvittsiv  bezie- 
hen. So  ist  es  auch  klar  und  deutlich  zu  sehen  auf  den  beiden 
den  letzten  Worten  des  Pollux  entsprechenden  Vasenbildern  in 
meinen  Denkmälern  des  Bühnenwesens  Taf.  IX,  n.  11  u.  12.  Uebri- 
gens  beachte  man,  daß  Pollux  das  Herausblicken  aus  den  Fenstern 


202  Friedrieb   Wieseler, 


in  der  Distegie  nur  von  der  Komödie  berichtet,    und  darin  hat  er 
Recht1). 

2. 

Pollux  fährt  unmittelbar  nach  den  obigen  Worten  IV,  130 
fort  über  das  KSQavvo6xo7tetov  zu  sprechen,  über  welches  er  aber 
nichts  Weiteres  sagt,  als  daß  es  7tQLaxtog  vijjrjXt]  sei.  Er  meint,  da 
er  das  KeQccvvoöxoTtetov  auf  das  Engste  mit  dem  ßgovretov  zusam- 
menstellt, ohne  Zweifel  die  Maschine  zur  Herstellung  des  ksquv- 
vog.  Aber  diese  Bedeutung  liegt  nicht  in  jenem  Worte.  Somit 
halte  ich  dafür,  daß  dasselbe  verderbt  sei.  Ein  äußerlich  nahe 
stehendes  Wort  würde  sein  xsQccvvoGxrjTtTstov,  das  sich  frei- 
lich sonst  nicht  nachweisen  läßt  (wie  ja  auch  x8Qavvo<5xo7teiov  nicht), 
aber  untadelhaft  gebildet  ist  und  hinsichtlich  der  Bedeutung  vor- 
trefflich passen  würde.  Man  denke  nur  an  die  Redensart  <5%v\'X%uv 
ßilog  bei  Aeschylos  Agam.  378  Weckl. 

Auch  die  Worte,  welche  die  Erklärung  enthalten,  sind  ohne 
Zweifel  verderbt.  Daß  die  von  Yitruv  V,  68  als  zur  Herstellung 
plötzlichen  Donners  dienend  erwähnte  Periakte  nicht  gemeint  sein 
kann ,  liegt  wohl  auf  der  Hand.  Der  Ausdruck  t^A^'  befremdet 
durchaus. 

Die  Vorkehrungen  zur  Herstellung  der  Blitze  waren  gewiß 
verschieden,  je  nach  der  Verschiedenheit  der  Blitze  selbst.  Von 
sonstigen  Angaben  alter  Gewährsmänner  hat  A.  Müller  a.  a.  0» 
S.  157,  A.  2  nur  eine  beigebracht,  nämlich  die  des  Grammat.  de 
comoed.  bei  Dübner,  Scholia  Gr.  in  Aristophanem  p.  XX,  31  fg., 
wo  von  ßvQöcug  7tatayov(5aig  und  xslqotivuxtg)  %vqi  die  Rede  ist 
(hinsichtlich  welches  letzteren  der  von  Müller  angeführte  Muhl 
sicherlich  irrt).  Lucian  erwähnt  Philopatris  24  tö  KSQccvvoßöXov 
äyyelov  xal  tö  ßQovtoitoibv  do%eiov.  Hier  erhalten  wir  also  die 
Kunde ,  daß  man  den  xeQccvvög  aus  einem  Gefäße  warf.  Die  Be- 
zeichnung dieses  wird  bei  Pollux   in    dem  verderbten   faftriAtf  ent- 


1)  In  den  erhaltenen  Tragödien  kommt  nichts  Aehnliches  vor.  Denn  wenn 
Geppert  Altgr.  Bühne  S.  144  meint,  daß  Antigone  im  Anfang  der  Phönissen  aus 
ihrem  Gemach  im  oberen  Stocke  des  Palastes  erscheine  und  das  Dach  besteige, 
und  J.  Geel  Eurip.  Phoen.  p  87  äußert:  Apparent  Paedagogus  et  Antigone  in 
ostio  tov  dtijgovg,  quod  habueritne  portam  necne  nihil  refert;  non  habuisse  pro* 
babilius  est.  Ante  hoc  ostium  est  prominens  tabulatum  (nostrum  balcon)  unde 
Paedagogus  prospicit  ad  explorandam  viam,  dum  Antigone  in  ostio  adstat.  —  Ab 
hoc  tabulato  per  scalam  oblique  parieti  appositam  escenditur  in  tectum:  per  hanc 
igitur  scalam  Antigone  ope  senis  altiorem  locum  petit,  so  ist  daß  sicherlich  ir- 
rig. Antigone  erscheint  mit  dem  Pädagogen  vor  der  Hauptthür  des  Palastes  und 
die  alte  Treppe  aus  Cedernholz  führt  von  dem  Vorplatze  dieses  unmittelbar  auf 
das  Dach. 


Scaenica.  203 

halten  gewesen  sein.  Das  nächstliegende  Wort  ist  gewiß  xvirdXii, 
mit  welchem  jedes  leere  Gefäß  bezeichnet  werden  konnte,  wohl 
auch  ein  cylindrisches,  bienenkorbförmiges,  unserem  in  der  Haus- 
wirthschaft  und  im  Kriege  gebräuchlichen  Mörser  entsprechendes. 
Dann  wird  nsaiaxrog  zum  Adjectiv.  Philo  Vet.  mathemat.  opera 
ed.  Thevenot.  p.  97  erwähnt  ^irjxav^ata  itsgiaxta,  „drehbare  Wurf- 
maschienen",  im  Kriege.  Sollte  nicht  die  nsQLaxtog  xvtyeXri  Dei 
Pollux  eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit  denselben  gehabt  haben? 

3. 

Der  Grammat.  de  comoedia  bei  Dübner  Schol.  Gr.  in  Aristo- 
phanem  berichtet  p.  XX,  28  fg. :  xatsöxevd^ero  ^  Gxt\v$\  tgiogöyoig 
otxodoprjuaöi,  7CS7toixiX^evrj  TtaQaTCetda^iaöL  xccl  ö&ovaig  Xsvxalg  xal 
{isXccivcag  —  stg  rvitov  &cdcc66r]g,  tccqtccqov,  adov,  XEQawfbv  'xal 
ßgovrcbv,  yr\g  xal  vvxtog,  ovqccvov,  fjusoag  xal  avaxtoQaov ,  xal  ndv- 
rcov  ccrtÄcbg'  avkdg  ts  ov  iiixoäg  sI%ev  i^eiQyaö^ievag  xal  cciftldag  sig 
tvTtov  öqg)v.  Daß  die  Worte  von  yrjg  an  nicht  in  Ordnung  sind, 
liegt  auf  der  Hand.  Muhl  hat  die  ersten  mit  Billigung  A.  Müller 's 
a.  a.  0.  S.  111,  A.  8  so  geordnet :  rmegag  xal  vvxtog,  yrjg  xal  ovga- 
vov,  ävaxrÖQcov.  Ich  halte  es  für  wahrscheinlicher  daß  die  Folge 
der  Worte  war:  yr\g  xal  oi)q.9  r){i.  xal  vvxtog.  An  ävaxtÖQ&v  ha- 
ben Muhl  und  Müller  keinen  Anstoß  genommen.  Wie  kommen 
aber  die  dvdxtooa  hieher,  wo  von  den  Weltkörpern  und  Naturer- 
scheinungen die  Rede  ist,  nachdem  die  Paläste  schon  gleich  am 
Anfange  erwähnt  waren?  Gewiß  ist  dvaxtÖQcov  verderbt  und  am 
Wahrscheinlichsten  aus  dötsQwv.  Dieses  Wort  paßt  gerade 
in  Verbindung  mit  vvxtog  besonders  gut.  Unmittelbar  vor  ihm 
wird  xal  gestanden  haben,  wie  es  noch  bei  Dübner  vor  avaxtö- 
qcov  steht,  während  es  in  dem  Vorhergehenden  einmal  ausgefallen 
ist.  Daß  selbst  in  den  erhaltenen  Dramen  des  Euripides  noch 
Stellen  vorkommen,  welche  auf  eine  bildliche  Darstellung  der  Ge- 
stirne deuten,  habe  ich  schon  in  den  scenischen  und  kritischen  Be- 
merkungen zum  Kyklops,  Gott.  1881,  S.  9  vermuthet. 

Endlich  ist  es  mir  auffallend,  daß  Niemand  an  avldg  in  dem 
letzten  Satze  Anstoß  genommen  hat.  Was  soll  das  Wort  hier, 
in  welcher  Bedeutung  man  auch  avXdg  fassen  möge?  Sicherlich 
war  vlag  „waldige  Partieen"  geschrieben,  welche  zu  den  im  fol- 
genden erwähnten  Bergen  vortrefflich  passen.  Aehnlich  erwähnt 
Naevius  bei  Nonius  p.  95,  27  zusammen  saxa,  silvas,  lapides,  mon- 
tes.    Das  i&Qyd&G&at,  geschah  selbstverständlich  durch  Malerei. 


Nachrichten  von  der  K.  G.  d.  W.  zu  Göttingen.  1890.  Nr.  5. 


17 


204  Friedrich  Wieseler, 

n. 

Zum  Dionysostheater  in  Athen. 

1. 

Unter  den  auf  dieses  Theater  bezüglichen  Schriftstellen  ist 
von  besonderer  Wichtigkeit  Andocid.  de  myster.  §  38,  p.  19  Reisk., 
wo  Diokleides  hinsichtlich  der  Hermokopiden  Folgendes  aussagt : 
ävaötäg  de  TtQCoii  tyevGd'elg  trjg  agag  ßadfteiv  elvai  de  7tccv6eXrjvov 
eitel  de  7tagä  ro  TtQOTtvXatov  to#  AiovvGov  *}v,  bqav  äv&Q&jtovg  7toXXovg 
ccTtb  xov  tbdeuov  xataßaCvovtag  elg  xr\v  ÖQ%rj0TQav  detöag  de  avtovg, 
efaeX&av  vjtb  r^v  Gxiäv  xccd'd£e<fd'cu  iiercc^v  tot)  xiovog  xal  trjg  6xy\kr[g^ 
e<p  ?)  6  ötgatriyög  eGtiv  6  ya'kxovg'  oquv  de  ccvd,Qco7tovg  xbv  [iev 
aQL&iibv  ticcXiöTU  TQcaxoöLOvg,  eördvat  de  xvxXco  ävä  itevxe  xal  dexa 
avdgag,  rovg  de  ävä  ei'xoöLV  6qg>v  de  avrcbv  TtQog  xr^v  öeArjvrjv  tä 
rtQÖöcoTia  tcbv  Ttkeiötcov  yiv&Gxeiv. 

Freilich  hat  Loeschke  „Die  Enneakrunosepisode  bei  Pausanias", 
Dorpater  Universitätsprogr.  1883,  S.  4  und  6  die  Orchestra  für 
die  auf  der  Agora  belegene  gehalten.  Aber  schon  Milchhöfer  ist 
gegen  ihn  mit  Recht  für  die  des  Dionysostheaters  eingetreten, 
bei  Baumeister  Denkm.  d.  klass.  Altert.  I,  S.  192,  an  welchem  ich, 
der  ich  diese  Stelle  schon  lange  vorher  in  meinen  Vorlesungen 
für  die  Kunde  des  Dionysostheaters  benutzt  habe,  von  Anfang  an 
auch  nicht  den  mindesten  Zweifel  hegte l). 

Nach  der  Stelle  des  Andokides  haben  wir  da,  wo  sich  der 
östliche  Eingang  in  die  Orchestra  befand ,  ein  mit  diesem  in  Zu- 
sammenhang stehendes  Propyläon  anzunehmen,  über  welches  wir 
allerdings  anderswoher  keine  Kunde  haben.  Der  Platz,  an  wel- 
chem Diokleides  sich  niedersetzte,  muß  zwischen  der  letzten  Säule 
des  Propyläon  nach  der  Ochestra  zu  und  der  Stele  mit  dem  Stra- 
tegen nach  der  Bühne  zu  belegen  gedacht  werden.  Von  diesem 
Schlupfwinkel  aus  konnte  man  den  zwischen  den  untersten  Zu- 
schauersitzen liegenden  Theil  der  Orchestra  am  Besten  übersehen. 
Die  Größe  derselben  erscheint  nach  dem,  was  der  Sclave  über  die 
Zahl  der  in  ihr  stehenden  Männer  und  die  Art,  wie  sie  in  verschie- 
denen Partien  zusammenstanden,  angiebt,  als  eine  recht  bedeutende. 


1)  Wenn  Loeschke  daran  Anstoß  nahm,  daß  in  der  Orchestra  eines  Theaters 
ein  Stratege  aufgestellt  sei,  so  erinnerte  er  sich  nicht  daran,  daß  im  Theater  zu 
Sikyon  eine  Statue  des  Aratos  mit  dem  Schild  sogar  auf  der  Bühne  stand  (Pau- 
san.  II,  7,  5),  um  von  der  besonders  schönen  Gruppe  von  Kämpfenden  im  Thea- 
ter von  Argos  (Pausan.  II,  20,  6)  zu  schweigen,  sowie  von  dem  Diomed  im  Th, 
zu  Athen  (W.  Gurlitt  „Ueber  Pausanias"  S.267). 


Öcaenica.  205 

Ein  größerer  steinerner  Bau,  als  welcher  die  Thymele  noch  in 
Strack's  Theatergebäude  dargestellt  ist,  kann  in  ihr  nicht  vorhan- 
den gewesen  sein. 

Hinsichtlich  des  „ehernen  Strategen"  erfahren  wir  durch  die 
Scholien  zu  Aristides  p.  202,  Frommel,  Vol.  III,  p.  535.  Dindorf : 
dvo  stölv  dvögtavteg  iv  x<p  'A&rjvflöi  &scctqg),  6  plv  ix  de%t,ä>v  ®£- 
liiöroxXeovg,  6  d'  i%  svcovv^cov  MiXuddov,  nX-tfiCov  ds  avtav  ixaxi- 
qov  IleQGrjg  al%iux.kG)xo$.  Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß 
von  diesen  beiden  Strategen  einer  der  bei  Andokides  erwähnte  ist, 
wenn  auch  bei  dem  Scholiasten  weder  das  Material  noch  der  Platz 
im  Theater  genauer  angegeben  ist,  und  bei  Andokides  nichts  über 
den  Persischen  Gefangenen  verlautet.  Aus  jenem  erhellt,  daß  der 
eherne  Stratege  am  östlichen  Eingang  in  die  Orchestra  stand.  Ist 
nun  mit  jenem  der  Miltiades  oder  der  Themistokles  gemeint? 

Man  könnte  sagen ,  daß  zu  Andokides'  Zeit  erst  ein  Stratege 
vorhanden  gewesen  sei.  Aber  das  würde  schon  an  sich  ebenso 
unwahrscheinlich  sein,  als  wenn  man  aus  dem  Schweigen  des  Red- 
ners den  Schluß  ziehen  wollte,  daß  der  Persische  Gefangene  in 
der  Nähe  des  Strategen  damals  noch  nicht  dagewesen  sei.  Die 
beiden  Gruppen  von  Miltiades  und  von  Themistokles  entsprechen 
sich  so  durchaus,  daß  die  eine  ohne  die  andere  nicht  wohl  ge- 
dacht werden  kann.  Beide  haben  aber  gewiß  nicht  an  dem  einen 
östlichen  Eingang  in  die  Orchestra  gestanden,  die  eine  dort  rechts, 
die  andere  links.  Schon  die  Worte  bei  Andokides  verbieten  das 
anzunehmen;  zudem  würde  die  links  (von  der  Orchestra  aus  ge- 
rechnet) den  Zuschauern  nur  höchst  ungenügend  zu  Gesicht  ge- 
kommen sein.  Also  wird  die  andere  der  beiden  Gruppen  an  dem 
anderen  Eingang  in  die  Orchestra  aufgestellt  gewesen  sein  und 
zwar  an  der  ganz  entsprechenden  Stelle.  Das  Rechts  und  Links 
in  der  Orchestra  bezieht  sich  aber  auf  die  Zuschauer.  Demnach 
war  der  Strateg  links  Miltiades,  der  rechts  Themistokles. 

Daß  beide  Gruppen  aus  demselben  Material  waren,  also  aus 
Erz,  ist  unzweifelhaft,  und  dieses  Material  spricht  dafür,  daß  die 
Herstellung  derselben  nicht  eben  viel  früher  statthatte,  als  zur 
Zeit  des  Andokides ,  vgl.  Demosthenes  in  Aristocrat.  §  196 :  ot 
ndkai  —  ®£iil<5tokXscc  —  xccl  MiXxMr\v  —  xal  nokkovg  &XXovgy  ovx 
face   tolg   vvv   öTQcctri'yolg  äycefi-ä  stoyaönsvovg ,    ot)   %alxovg  iözctöav 

OJ)d'    V7t6QYjyd7tCüV. 

Da  das  Propyläon  gewiß  nicht  aus  Holz  hergestellt  war,  80 
darf  man  wohl  voraussetzen,  daß  zu  der  Zeit  des  Andokides  auch 
der  Zuschauerraum  und  ein  Theil  des  Bühnengebäudes  aus  Stein 
bestanden. 

17* 


206  Friedrich  Wieseier, 

2. 

Ein    Scholiast   zu   Aristophanes'  Frieden   Vs   725    berichtet: 
aycdiia   %v  iv   np  &edTQ<p   trjg  'JfrYjväg.     Diese  Worte  dienen  zur 
Begründung  der  Antwort,  welche  Hermes,  der  Thürhüter  des  Pa- 
lastes des  Zeus,    dem  Trygäos,    der   von   dem  Olymp  wieder  zur 
Erde  hinabgehen  will,  auf  seine  Frage  Ttag  dtjr    iyco  Tcaraßriöo^iai, ; 
giebt ,    indem    er    sagt :    &aQ6ei  TtccX&g  trjdl   nag    av%r[v   x^v  &eov. 
Der  Scholiast  bezieht  nämlich  den  Ausdruck  „die  Göttin"  auf  die 
Athena.    Fr.  Volkm.  Fritzsche,    welcher  der  Angabe  des  Scholia- 
sten  durchaus  Glauben  schenkt,    obgleich   er  keinen   anderen  Ge- 
währsmann  für    das  Vorhandensein   dieser  Statue   im  Theater   zu 
Athen  kennt,  denkt  sich  dieselbe  als  auf  der  Bühne,  dem  Logeion 
aufgestellt  in  der  Ausgabe  der  Thesmophoriazusen  des  Aristophanes 
p.  724.     Auch  Geppert    (Die  altgriech.  Bühne  S.  103,  Anm.  5),  der 
die  Annahme  des  Scholiasten  ebenfalls  nicht  bezweifelt,    bemerkt, 
aus  den  Worten  des  Dichters  selbst  gehe  hervor,  daß  sich  Trygäos 
auf  der  Scene  befand,    wenn   schon   es    allerdings   nicht  glaublich 
sei,    daß  man  das  Bild  der  Göttin   auch  während   des  Schauspiels 
hin  stehen  ließ.     Die  letzten  Worte   können   allerdings   dazu   bei- 
tragen ,   anzunehmen ,    daß  der  Scholiast  irrt ,    indem  er  annimmt, 
der   Ausdruck  rr\v   &s6v    beziehe    sich   auf  ein   Bild   der  Athena. 
In  der  That  ist  mit  jenem  Eirene  gemeint,   die  einzige  gegenwär- 
tige  weibliche  Person,    welche    als    „Göttin"    bezeichnet    werden 
konnte,  auch  die  einzige,  welche  im  Olymp  zurückbleibt,  während 
die  beiden  anderen,  Opora  und  Theoria,  mit  Trygäos  auf  die  Erde 
hinabgehen.     Die  richtige  Beziehung  jenes  Ausdrucks   findet   sich 
schon  bei   einem   Scholiasten   zu    Vs  725.      Sie    ist  auch   von   A. 
Schönborn  „Skene  der  Hellenen"  S.  338  fg.  mit  Recht  gebilligt.   Die 
Meinung  Fritzsche' s  und  Geppert's,    daß  das  Bild  der  Athena  auf 
der  gewöhnlichen  Bühne  gestanden  habe,    ist  durchaus  irrig.     Die 
Handlung  auf  dem  Olymp  geht  ja  nicht  auf  dieser  vor  sich ,    son- 
dern auf  einer  Bühne  in  der  Höhe  über  jener,  nämlich  dem  Theo- 
logeion.   Dieses  erkannte,  wie  ich  hinterdrein  sehe,  schon  G.  Her- 
mann in  der  Leipz.  Litteratur-Ztg  1817,  n.  59,  S.  460.     Das  Theo- 
logeion im  Frieden  ist  das  einzige  uns  in  dem  erhaltenen  Dramen 
überkommene  Beispiel  desselben.    Man  ersieht  aus  diesem  Stücke 
auch,  daß  es  sich  um  eine  feste,  dem  Logeion  entsprechende  Bühne 
handelt,    welche   übrigens  nur  dann  angebracht  wurde,    wenn  die 
Handlung  auch  auf  dem  Olymp    vor  sich  ging.     Daß   auf  dieser 
Bühne  nicht  der  Deus  ex  machina  erschien  (A.  Müller  S.  155  A.  3) 
ist  unzweifelhaft. 


Scaenica. 


207 


Nach  dem  Obigen  kann  es  scheinen,  als  beruhe  die  Athena 
im  Theater  zu  Athen  bloß  auf  einer  irrigen  Erklärung  des  Aus- 
drucks tijv  &£Öv  im  Frieden  Vs  725.  Doch  wagen  wir  das  nicht 
zu  behaupten.  Nur  das  steht  uns  sicher,  daß,  wenn  im  Bühnen- 
gebäude des  Dionysostheaters  zu  Athen  sich  ein  Bild  der  Athena 
befand,  dieses  an  der  steinernen  Hinterwand  (dem  Proskenion)  in 
der  Höhe  angebracht  war.  So  erhellt  auch,  wie  jene  irrige  Er- 
klärung der  Worte  des  Aristophanes  veranlaßt  werden  konnte. 
Daß  das  Bild  schon  zur  Zeit  des  Dichters  vorhanden  war,  steht 
aber  keinesweges  sicher. 


m. 

Platz  der  Handlung  in  Aeschylos'  Persern  und  Platz 
der  Grabmäler  in  den  erhaltenen  Tragödien. 

Man  nimmt  an,  daß  in  den  Persern  die  Handlung  auf  dem 
Vorplatze  des  Königspalastes  zu  Susa  vor  sich  gehe.  Dieser 
Palast  kommt  als  früher  dem  Dareios  und  jetzt  der  Atossa  zur 
Wohnung  dienend  vor  Vs  162  fg.  Weckl.,  33,  611,  835,  851  fg. 
Er  ist  derselbe,  in  welchem  auch  der  neue  Großkönig  Xerxes,  der 
bei  dem  Beginne  des  Drama  noch  abwesend  ist,  residirt.  Daß  es 
sich  aber  in  den  Decorationen  an  der  Hinterwand  der  Bühne  um 
diesen  Palast  nicht  handelt,  geht  aus  mehreren  Gründen  hervor. 
Zuerst  daraus,  daß  Atossa,  als  sie  zum  ersten  Male  auf  der  Bühne 
erscheint,  zu  Wagen  gekommen  ist,  vgl.  Vs  610  fg.  Freilich  hat 
man  in  der  vorgefaßten  Meinung,  daß  der  Königspalast  am  Pro- 
skenion dargestellt  sei,  das  Wort  dx^ccta  auf  einen  Thronsessel 
bezogen,  auf  welchen  Atossa  aus  dem  Palaste  auf  den  Vorplatz 
desselben  getragen  werde.  Aber  diese  schon  in  sprachlicher  Hin- 
sicht nicht  unbedenkliche  Erklärung  würde  auch  die  Anerkennung 
eines  Verfahrens  bedingen,  von  welchem  sonst  in  keiner  der  uns 
erhaltenen  Tragödien  ein  auch  annähernd  entsprechendes  Beispiel 
vorkommt.  Wenn  Schönborn  „Skena  der  Hell."  S.  194  behau] 
ein  mit  Rossen  bespannter  Wagen  sei  auf  der  antiken  Bühne  ni<lit 
nachzuweisen,  so  ist  das  ein  sehr  großer  Irrthum.  L-li  erinnere 
nur,  um  bloß  ein  Beispiel  aus  Aeschylos  beizubringen,  an  Aga- 
memnon und  Kassandra  im  Agamemon,  wo  der  Wagen  ohne  Zwei- 
fel auf  der  Bühne  erscheint.  Natürlich  kommt  nichts  darauf  an, 
ob    der  Wagen  mit  Kossen   oder   mit  Maulthieren  bespannt   ist, 


208  Friedrich  Wieseler, 

welche  letztere  wie  bei  dem  des  Agamemnon  nnd  der  Kassandra, 
so  auch  bei  den  der  Atossa  vorauszusetzen  sein  werden *). 

Wer,  der  die  Stellen  Vs  231  fg.,  525  fg.,  532  fg.,  610  fg., 
834  fg.,  851  fg.,  1077,  aufmerksam  durchliest  und  mit  einander 
vergleicht,  wird  glauben,  daß  Atossa  aus  dem  an  der  Hinterwand 
der  Bühne  dargestellten  Gebäude  komme  und  in  dasselbe  zurück- 
kehre, oder  daß  Xerxes  von  dem  Chore  in  dieses  Gebäude  und 
nicht  in  ein  ferner  liegendes  geleitet  werde  ?  Endlich  betrachte 
man  besonders  die  Worte  des  Chorführers  in  Vs  143  fg.  : 

yAXX  aye,  IIsq6ccl, 

röd*  ivs^ö^isvoi  titeyog  ccq%ccIov, 

(pQOvrida  xsövrjv  %a\  ßad'vßovXov 

d'cbllEd'CC. 

Wie  können  sich  die  Greise  ohne  Weiteres  in  den  königlichen  Pa- 
last setzen ,  wenn  sie  auch  von  Xerxes  gewählt  waren  %6Qag 
itpoQEveiv  (Vs  7)  ?  Es  liegt  klar  zu  Tage,  daß  das  titiyog  aQ%alov 
das  Rathhaus  sein  soll. 

Wie  paßt  es  aber  dazu,  daß  vor  diesem  Hause  auf  dem  Lo- 
geion das  Grabmal  des  Dareios  sich  befindet2)? 

Grabmäler  von  Fürsten  finden  wir  in  den  erhaltenen  Tragö- 
dien sonst  noch  in  der  Helena  des  Euripides  und  in  Aeschylos' 
Choephoren. 

In  der  Helena  handelt  es  sich  um  das  des  Proteus,  welches 
dicht  vor  seinem  Palaste  sich  befindet,  wo  es  von  seinem  Sohn 
und  Nachfolger  Theoklymenos  errichtet  ist,  der  Vs  1165  fg.  Nauck 
selbst  den  Grund  für  diesen  Platz  angiebt: 

G)  %cctQe  7CatQog  (ivfjfj  '    &ii  £%6öol6l  yäg 

S&tttytt,    IlQG)T£V,    tf    £V£K     S^g    7tQ06Q7]6£COg' 

äsl  06  <£   £%1&V  t£  kslölcjv  dö{iovg 
QeoxXviievog  italg  ode  7tQ06£W£7t£i,  7tdt£Q, 
Was  die  Choephoren  betrifft,    so  hat  Schönborn  Sk.  d.  Hell. 
S.  224  angenommen ,   daß  die  erste  Abtheilung  dieses  Dramas ,    in 
welcher,    und  zwar  gleich   am  Anfang  Vs  4  fg.,  das  Grabmal  des 


1)  Daß  der  Wagen  auf  der  Bühne  erschien,  ist  jetzt  allgemeine  Annahme 
der  Kenner,  vgl.  A.  Müller  a.a.O.  S.  134,  wo  aber  der  der  Atossa  gar  nicht  er- 
wähnt wird. 

2)  Einige  haben  freilich  gemeint,  daß  das  Grabmal  sich  neben  dem  Palaste 
an  der  Hinterwand  der  Bühne  befinde,  wie  auch  darüber  verschiedene  Meinungen 
geäußert  sind,  ob  das  Grabmal  als  tempelähnliches  Heroon  dargestellt  gewesen 
sei  oder  als  Tumulus.  Ohne  Zweifel  ist  an  einen  solchen  zu  denken,  der  frei- 
stehend dargestellt  war.  Doch  diese  Fragen  berühren  unsere  Hauptfrage  nicht 
und  brauchen  deshalb  hier  nicht  weiter  erörtert  zu  werden. 


Scaenica. 


209 


Agamemnon  als  auf  der  Bühne  gegenwärtig  erscheint,  nicht  vor 
dem  Atridenpalaste  spiele  ,  sondern  in  einer  öden  Gegend.  Erst 
nach  Vs  648  Weckl.  komme  in  den  veränderten  Decorationen  jener 
Palast  zum  Vorschein.  Das  ist  aber  ohne  Zweifel  irrig.  Ich  will 
nur  darauf  aufmerksam  machen,  daß  Orestes  in  Vs  552  äußert, 
Elektra  solle  <5%d%£iv  söa,  ein  Ausdruck,  welcher  gewiß  nicht  zu 
dem  Aufenthalt  in  der  öden  Gegend  paßt,  sondern  nur  dann,  wenn 
Orestes  und  Elektra  vor  dem  Atridenpalaste  stehen,  und  daß  in 
Vs  581  fg. : 

tä  <T  aXXa  rovTfi)  devg  Eit07trev6at,  Xsyco 
%L(pr}(p6QOvg  aycbvccg  OQ&aöccvTi  poi, 
wo  unter  ovtog  Apollo  zu  verstehen  ist  und  zwar  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  derselbe  Agyieus  vor  dem  Atridenpalaste,  wel- 
cher im  Agamemnon  von  Kassandra  angerufen  wird,  während 
nicht  abzusehen  ist,  wie  Apollon  in  die  „öde  Gegend"  neben  dem 
Grabmal  versetzt  werden  konnte. 

Aber  wie  paßt  das  Grabmal  des  Agamemnon  vor  den  Palast, 
in  welchem  jetzt  Klytämnestra  und  Aegisthos  wohnen?  Das  Mo- 
tiv, jenes  hier  anzulegen  kann,  kein  solches  gewesen  sein,  wie  wir 
es  oben  in  der  Helena  hinsichtlich  des  Theoklymenos  gefunden 
haben.  Aber  die  Mörder  des  Agamemnon  durften  sich  nicht  wei- 
gern, den  Gemordeten  auf  dem  Platze  vor  ihrem  Wohnsitze  zu 
bestatten,  wenn  jener  ein  solcher  war,  der  zum  Ehrenbegräbnisse 
des  berühmten  Anführers  gegen  Troja  besonders  geeignet  war. 
Nehmen  wir  an,  daß  der  vordere  Theil  des  Logeion  und  die  Or- 
chestra  die  Agora  vorstellt,  so  paßt  diese  als  Begräbnißplatz  des 
als  Heros  geltenden  Agamemnon  durchaus  (Xenoph.  Hell.  VIT,  2 
a.  E.).  Ob  die  Orchestra  und  der  vordere  Theil  des  Logeion 
auch  in  der  vor  dem  Atridenpalast  spielenden  Elektra  die  Agora 
repräsentirte ,  läßt  sich  allerdings  bezweifeln  (Comment.  de  So- 
phocl.  in  dem  Ind.  schol.  in  Academia  Georgia  Augusta  per  sem. 
hib.  MDCCCLXXXV  — MDCCCLXXXVI  hab.,  p.  5).  Das  Grab- 
mal von  der  Form  eines  Tumulus  (tv^ißov  'öx&og  Vs  4)  wird  auf 
der  rechten  Seite  des  Logeion  nach  der  Seite  der  Fremde  hin 
etwas  entfernt  von  dem  Eingang  in  den  Palast  gestanden  haben, 
sodaß  Orestes  und  Pylades  sich  leicht  unbemerkt,  nachdem  sie 
die  aus  der  in  der  Mitte  des  Palastes  befindlichen  Thür  nebst 
dem  Chor  herauskommende  Elektra  gesehen  haben  (Vs  10  fg.),  in 
den  von  rechts  auf  die  Bühne  kommenden  Eingang  zurückziehen 
können  (nach  Vs  20).  Da  Orestes  gleich  am  Anfang  den  Hermes 
Chthonios  anredet  und  auch  Elektra  dasselbe  thut  (Vs  124),  so 
es  wahrscheinlich,    daß   ein  Bild   dieses  Gottes  auf  dem  Tumulus 


210  Friedrich  Wieseler, 

gestanden  habe,  wohl  eine  Herme,   die  nach  Cicero  de  leg.  II,  26, 
65  auf  Gräbern  häufiger  vorkam. 

Entsprechend  verhält  es  sich  mit  der  Anbringung  des  Grab- 
mals des  Dareios  auf  dem  Logeion  in  Aeschylos'  Persern.  Da 
das  öts'yoQ  aQ%alov  an  der  Mitte  der  Hinterwand  der  Bühne  das 
Eathhaus  war,  läßt  es  sich  mit  besonderem  Scheine  annehmen, 
daß  Logeion  und  Orchestra  als  Agora  betrachtet  wurden.  Als  auf 
der  Agora  begraben  gilt  Dareios,  der  Heros  der  Perser,  ganz 
nach  Griechischem  Gebrauche ,  wie  die  Todten  -  und  Unterwelts- 
götter der  Perser  dieselben  waren  wie  bei  den  Griechen  (vgl.  Vs 
631  fg.,  643  fg.).  Sein  Grabmal  ist  auch  ein  Tumulus ,  wie  das 
des  Agamemnon  in  den  Choephoren  vgl.  Pers.  Vs  650.  Es  befand 
sich  aber  gerade  in  der  Mitte  der  Bühne,  so  daß  es  den  Eingang 
in  das  Eathhaus  den  Zuschauern  zum  Theil  verdeckte.  Diesen 
Platz  muß  man  ihm  geben,  damit  Dareios,  welcher  auf  seiner  Höhe 
erscheint  und  von  da  aus  längere  Zeit  spricht,  so  gehörig  sichtbar 
war,  und  man  könnte  es  um  so  mehr,  als  die  Thür  des  Rathhau- 
ses  überall  ja  nicht  zum  Gebrauch  kommt.  Dareios  steigt  aus 
seinem  Grabe  empor  und  erscheint  den  Zuschauern  vollständig 
zuerst  oben  auf  denselben.  Das  Grabmal  brauchte  hinten  nicht 
ausgeführt  zu  sein.  Aus  dem  Räume  unter  dem  Logeion  führte 
eine  unsichtbare  Treppe,  die  %aQ(bvioi  TcU^iaxsg  (Pollux  IV,  132)  den 
oben  abgeplatteten  Tumulus  herauf. 

IV. 

Ueber  die  verschiedene  Beziehung  und  Bedeutung 
des  Logeion  und  der  Orchestra,  auch  über  die  Deco- 
ration des  ersteren  in  den  Fällen,  daß  die  Handlung 
in  einem  Heiligthum  mit  oder  ohne  Tempel  dann  vor 

sich  geht. 

Diese  Gegenstände  sind  noch  nicht  genügend,  namentlich  nicht 
im  Zusammenhange  und  übersichtlich  behandelt. 

Als  erstes  Beispiel  betrachten  wir  das  Apollinische  Heiligthum 
zu  Delphi  bei  Aeschylos  in  den  Eumeniden  und  bei  Euripides  im  Ion. 

Bei  Aeschylos  finden  sich  nur  einige  Andeutungen ,  die  mit 
größerer  oder  geringerer  Wahrscheinlichkeit  auf  die  Decorationen 
bezogen  werden  können.  Doch  fehlt  es  nicht  an  einigen  Stellen, 
aus  welchen  die  Beziehung  und  die  Herstellung  des  Logeion 
sowie  der  Umstand,  daß  die  Orchestra  hinsichtlich  jener  von  dem 
Logeion  verschieden  ist,  ermittelt  werden  kann,  wenn  die  betreffen- 
den Stellen  richtig  gedeutet  und  zum  Theil  geändert  sein  werden. 


Scaenica,  211 

In  seiner  Rede  zu  den  Erinyen  von  Vs  179  Weckl.  an  sagt 
Apollon : 

«|o,  ksXsvg),  tavde  daiicctGov  Ta%og 

%G)Q£iT\    CC7CakA,K0666d'6   iictvuxav   (IVfiaV, 

und  später: 

und  nachher  noch; 

keovtog  avtQov  aL^iatoQQÖcpov 
olxslv  roiavxag  stxög,  ov  %Qrj0triQioig 
iv  rolöds  7tXri6ioi6i  XQifieGd'aL  pvöog. 

Man  hat  aus  den  beiden  ersten  Stellen  geschlossen,  daß  die  Eri- 
nyen sich  im  Tempel  des  Apollon  befinden  und  sogar  angenommen, 
daß  vor  Vs  64  ein  Ekkyklem  stattgefunden  habe  (Schönborn  a.  a.  0. 
S.  209  fg. ,  A.  Müller  a.  a.  0.  S.  145 ,  A.  7).  Jenem  Umstände 
widerspricht  aber  die  dritte  Stelle  durch  den  Ausdruck  xQrjörrjQcotg 
7tXrj0LOLöi.  Oder  wollte  man  etwa  annehmen,  daß  hier  der  hin- 
tere Theil  des  Tempels,  das  Adyton,  in  welchem  die  Orakel  er- 
theilt  wurden,  bezeichnet  werden  solle?  Uns  ist  diese  Annahme 
der  Unterscheidung  zwischen  dem  Tempel  und  dem  Adyton  schon 
deshalb  unwahrscheinlich,  weil  in  Beziehung  auf  xQV0TV9lcc  dieselbe 
Hinweisung  mit  tdös  statthat,  als  hinsichtlich  der  daparcc  und 
do^ioc,  das  Adyton  aber  nicht  zum  Vorschein  kam,  sondern  nur  die 
Fronte  des  Tempels.  Das  Wort  %lt\0ioi0i  ist  ohne  Zweifel  ver- 
derbt. Auch  das  Wort  da^iata  müßte  verderbt  sein ,  wenn  es 
nichts  Anderes  als  den  Tempel  bezeichnen  könnte.  Die  Erinyen 
befinden  sich  ohne  Zweifel  auf  dem  Platze  vor  diesem  und  mit 
ihnen  Apollon,  Orestes  und  Hermes.  An  ein  Ekkyklem  ist  gar 
nicht  zu  denken.  Warum  sollte  aber  ein  eingefriedigter  Platz 
vor  dem  Tempel,  mit  einem  Altar  und  einem  Bilde  versehen,  nicht 
d&iicc,  döjiog  genannt  werden  können? 

In  der  Andromache  des  Euripides  findet  man  jene  unter  freiem 
Himmel  vor  dem  Thetideion  an  dem  Altar  der  Göttin  sitzen.  Sie 
wird  Vs  129  fg.,  Nauck,  aufgefordert  ihren  Platz  zu  verlassen: 

Aeiite  ös^riXov 

döpov  tag  itovtCag  fteov. 

Daß  der  Vorplatz  des  Tempels  zu  Delphi ,  &  Qotfiov  frvpeXct  vab 
vccotg  (Eur.  Ion  Vs  114  fg.) ,  auf  welchem  der  große  Opferaltar 
stand  und  der  nicht  Jedem  ohne  Weiteres  zugänglich  war,  eine 
Umfriedigung  hatte ,  erhellt  aus  Euripides'  Ion  ,  Vs  1320  fg. ,  wo 
die  Pythia  zu  Ion  sagt: 


212  Friedrich  Wieseler, 

i7ti<S%ss,  &  7tal'  TQi7to$a  yaQ  %qyi6tijqiov 
Iltcovök  &QiyKOv  tovd''  iiTtSQßaXXGi  itödcc. *) 

Diese  Umfriedigung  bezieht  sich  auf  die  Heiligkeit  des  Platzes, 
wie  denn  auch  die  Grabstätte  der  Semele  in  den  Bakchen  einge- 
hegt war ,  vgl.  Eur.  Bacch.  Vs  10  fg.  In  Betreff  der  Heiligkeit 
des  Vorplatzes  des  Delphischen  Tempels,  welcher  im  Ion  Vs  124 
als  dccjtedov  &eov  bezeichnet  wird,  in  Vs  104  als  sl'öodou  <J>oißov, 
in  Vs  220  fg.  als  yvciXcav2)  ßcdög,  und  Vs  79  als  7tvXco^iatcc  (denn 
hier  ist  für  tiqo  vccov  gewiß  nicht  zu  schreiben  7tQovdov,  obgleich 
der  Delphische  Tempel  einen  ngövccog  hatte,  da  Ion  Vs  124  selbst 
sagt,  daß  er  dem  Phöbos  7tQo  döfiav  diene) ,  vgl.  man  Vs.  220  fg. 
und  226  fg.  Natürlich  hatte  der  &Qiyxog  vorn  nach  der  Orchestra 
und  hinten  nach  dem  Tempel  zu  je  eine  Thür ,  die  geschlossen 
und  geöffnet  werden  konnte. 

Kehren  wir  jetzt  zu  den  oben  angeführten  Stellen  der  Eume- 
niden  zurück,  so  läßt  sich  mit  Wahrscheinlichkeit  eine  Verbesse- 
rung des  verderbten  tcX^ölolöl  in  Vs  195  geben  ,  welche  zeigen 
kann ,  daß  auch  bei  Aeschylos  jene  Umfriedigung  erwähnt  war 
Pauw  wollte  tiIovöiolöi  schreiben ,  Meineke  im  Philologus  XIX, 
S.  400  TtavÖLOiöi,  Wecklein  A^nrottft,  von  welchen  Conjecturen  ohne 
Zweifel  keine  das  Richtige  trifft.    Ich    glaube ,    daß   zu  lesen  sei 


1)  Mit  dieser  Stelle  ist  zusammenzuhalten  die  Vs  156  fg.: 

olvSgo  firj  xQty'rttzw  Sptynoig 

jur/d'  eis  xpvätfpMS  ol'xovg. 
Es  liegt  ja  deutlich  zu  Tage,  daß  die  Spiynoi  von  den  oinoi,  dem  Tempel,  ge- 
schieden  werden,  jene   sich  nicht   an  diesem  befanden.  —  Sollte  nicht  auch  der 
avXd  im  Corp.  inscr.  Graec.  n.  1688,  Z.  35  (T.  I,  p.  807)  hieher  gehören? 

2)  Der  Ausdruck  yvaXa  findet  sich  in  Beziehung  auf  das  Apollinische  Hei- 
ligthum  zu  Delphi  häufiger,  vgl.  Eur.  Ian  Vs  76  (ßa.<pvGo8?i  yvaXa  tdSs) ,  235 
{yvaXa  tdSs) ,  245  (y.  Seov),  Phoen.  237  (ßEöö/xcpaXa  y.  $oißov) ,  Androm. 
1092  fg.  (ßiaöreixsi  Seov  %Pv(^ov  yijuorta  y.,  Srjdavpovg  ßpor&v).  Er  ist 
immer  zur  Bezeichnung  des  heiligen  Peribolos  zu  Delphi  gebraucht ,  und  daher 
erklärt  sich  auch  der  zweite  Theil  der  Bemerkung  bei  Hesychios:  TvaXov 
xoiXov,  äXXoi  7t spiß  oXov.  Dieselbe  Beziehung  hat  er  in  den  das  Trojanische 
Heiligthum  betreffenden  Worten  in  Aristophanes'  Thesm.  109  fg. 

$dißov,  Bg  iSpvdaro  x&pas 
yvaXa  ZSi/iowriSi  ya. 

Wenn  Fritzsche  (in  d.  Thesm.  a.  a.  0.)  zu  den  auf  Delphi  bezüglichen  Stellen  stets 
das  Adyton  verstanden  wissen  wollte,  so  ist  das  ein  grosser  Irrthum.  Bei  Ari- 
stophanes ist  allerdings  wohl  der  auf  der  Burg  zu  Troja  verehrte  (Homer.  II.  V, 
446 ,  VII ,  83)  Apollo ,  auf  welchen  der  Mauerbau  zu  beziehen  ist ,  zu  verstehen, 
aber  der  Ausdruck  yvaXa  nicht  auf  die  Mauer  zu  beziehen,  sondern  auf  den 
mit  Höhlen  versehenen  Berg,  auf  welchem  die  Burg  lag. 


Scaenica. 


213 


xXi6toi6i  oder  xXeiöio iGi.  Dieses  Wort  wird  bei  Pausanias 
IV,  1,  5  von  einem  verschließbaren  Ort,  örjxög,  saeptum  gebraucht. 
In  den  Eumeniden  ist  unter  xXfaicc  der  besonders  heilige  Platz,  wo 
die  &v{isXri  war,  zu  verstehen  *). 

An  die  Eumeniden  und  den  Ion  schließen  wir  zuerst  die  Schutz- 
flehenden des  Euripides. 

Auch  hier  finden  wir  an  der  Hinterwand  der  Bühne  in  der 
Mitte  ein  Tempelgebäude  dargestellt ,  den  Tempel  der  Demeter 
und  der  Persephone  (vaovg  Vs  2). 

Von  diesem  ist  verschieden  der  6r\x6g ,  von  welchem  Aethra 
in  Vs  28  fg.  spricht: 

xvy%avGi  d'  v%\q  ypovbg 
ccqotov  TtQod'vovd'  ix  öö^cdv  eX&ovcf  £{iav 
rtQog  rovde  öqxöv,  ev&cc  jcq&tcc  cpaCveTui, 2) 
tpQi^ag  V7VSQ  yrjg  tfjgds  xccQ7tL^iog  Gtdyvg. 
ds6[ibv  Ö3  adsöpov  tovff  k'%ov6cc  cpvXXdöog 
[isvG)  7tgbg  ayvalg  £<5%KQaig  dvolv  fi-salv 
KÖQqg  rs  xal  4rj[ir}TQog  s). 

Die  mit  einem  Zugange  versehene  Umfriedigung ,  der  Grjxög ,  ist 
derselbe  Platz  ,  welchen  der  Chor  Vs  64  nennt  de&itvQovg  &eav 
&v[isXag,  und  Vs  271  als  fega  ddnsda  IleQClscpoveiccg  bezeichnet. 

Nun  erwähnen  wir  noch  drei  Tragödien ,  in  denen  das  Vor- 
handensein eines  Tempels  an  der  Hinterwand  der  Bühne  nicht 
statthat  oder  wenigstens  nicht  nachweisbar  ist,  aber  es  sich  doch 
um  ein  Heiligthum  handelt. 

In  den  Schutzflehenden  des  Aeschylos  geht  die  Handlung  vor 
sich  an  der  Küste  des  Argivischen  Landes  ,  und  zwar ,  wie  wir 
aus  Vs  32  erfahren ,  einer  %6Q0og  aöcodrig.  Vermuthlich  ist  der 
Platz  jenes  %(oqCov  'Andfiaftpoi,  welches  der  Sage  nach  als  die  Stätte 


1)  An  diesem  wurden,  nach  Euripides   zu  urtheilen,   auch   Orakel   gegeben. 
Vgl.  Ion  Vs  226  fg. : 

ei  HEV  iSvdate  itkXavov  npb  86fioov 
Hai  zi  itvSedSai  xpy&*£   $olßov, 
itdpix    aig  Sv/xiXag, 
und  Vs  413  fg. : 

&OV.  dXXk  ris  7[pog>rfTsvei  $sov\ 
IHN.  f/jiieig  td  y    8£cof  tgov  8'  idoo  äXXotg  ßiiXtt. 
Diese  Bemerkung  kann  auch  zur  genaueren  Deutung  des  Adj.  xPVteypiois  dienen. 

2)  Sollte  nicht  zu  schreiben  sein:  npwx'  i<palraxo? 

3)  Mit  den  letzten  Worten  ist  zu  vergleichen,  daß  Aethra  von  Theseus  Vi  290 
bezeichnet  wird. als  6Efivdi6i  Jrjovg  iöxdpais  nap^hrj. 


214  Friedrich  Wieseler, 


galt,  an  der  Danaos  gelandet  war  (Pausan.  II,  38,  4).  Mitten  an 
der  Hinterwand  der  Bühne  erblickt  man  einen  Hügel  {nuyog  Vs.  195) 
der  als  Altar  (ßco^iög,  Vs  196,  377)  der  äymvioc  &so£  (Vs  248,  335, 
359)  dient,  deren  Bilder,  gewiß  Rundwerke  aus  Holz  (ßgersa, 
Vs  436,  472)  an  dem  Altar,  etwa  auf  den  Stufen  desselben  aufge- 
stellt waren.  Der  Altar  hatte  eine  nicht  unbeträchtliche  Höhe, 
da  er  Vs  721  als  ixstaSöxog  öxoiti/j  bezeichnet  wird.  Die  Bilder 
waren  mit  den  Attributen  der  Götter  versehen,  Zeus  mit  dem  Adler 
(Vs  218),  wie  man,  schwerlich  mit  Recht,  annimmt *),  Poseidon  mit 
der  Triaina  (Vs  224) 2) ,  Hermes  vermuthlich  mit  dem  Kerykeion 
(Vs  226  fg.).  Wenn  E.  Curtius  Att.  Studien  I,  S.  39  fg.  aus  dem 
Ausdruck  edgäv  7CoXv^£cov  (Vs  429  fg.)  schließt,  daß  eine  Anzahl  an- 
derer Altäre  dargestellt  sei,  so  irrt  er  sicherlich. 

Der  Altar,  der  im  Hintergrunde  der  Bühne  in  der  Mitte  an- 
gebracht gewesen  sein  wird,  lag  sv  äyva  (Vs  229).  Die  Orchestra 
wird  als  Isvq6v  und  zwar  ßsßrjAov  altiog,  d.  i.  „eine  flache,  Jedem 
zugängliche,  ungeweihte  Gegend  bezeichnet  Vs  517  fg.  An  einen 
Hain  mit  Bäumen,  wie  Schönborn  wollte,  der  nicht  erkannte,  daß 
es  sich  um  die  Orchestra  handelt,  ist  natürlich  nicht  zu  denken. 
Ob  der  Raum  auf  dem  Logeion,  wo  der  große  Altar  stand,  eingehegt 
war,  wird  nicht  angedeutet.     Doch  ist  es  durchaus  wahrscheinlich. 

In  Aeschylos'  Sieben  gegen  Theben  geht  die  Handlung  auf 
der  Akropolis  vor  sich,  vgl.  den  Chor  Vs  226  fg.  Weckl. 

tdvdi  iv  axQÖTttofov, 
tL{iiov  edog,  fa6[iccv. 

Gewöhnlich  nimmt  man  an,  daß  an  der  Hinterwand  der  Bühne 
der  königliche  Palast  dargestellt  war.  Allerdings  erfahren  wir 
durch  Pausanias  IX,  12,  3,  daß  der  Palast  des  Kadmos  sich  auf 
der  Akropolis  befand  an  der  Stelle  der  späteren  Agora  und  neben 
ihm  der  Thalamos  der  Semele ,  welche  beiden  Baulichkeiten  in 
Euripides'  Bakchen  dargestellt  waren.  Aber  in  den  Sieben  findet 
sich   keine  Spur   von    dem  Königspalaste    an  der  Hinterwand  der 


1)  Vgl.  Vs  218  fg.: 

dA.  nai   Zrjvbg  Spviv  tövSe  vvv  ntukrjöHete. 
XO.  HaXovfiev  avyocg  fjXiov  dGotrjpiovg, 
dcyvov  x    'ArtoWoo,  <pvydd'   art3   ovpavov  Seov. 
Dass  im  ersten  Vers  ein  Fehler  steckt,  ist  klar.    Zeus  ist  schon  in  Vs  215  vom 
Chore  angerufen.    Was  soll  da  noch  die  Anrufung  des  ihm  heiligen  Vogels  ?  Fer- 
ner ,    wie   können  die  avyal  fjhiov  als  der  Vogel  des  Zeus  betrachtet  werden  ? 
Ohne  Zweifel  war  geschrieben:  Iviv. 

2)  Die  tpiaivai ,  welche  in  Vs  763  erwähnt  werden  ,   gehören   nicht  hieher, 
da  das  betreffende  Wort  ohne  Zweifel  verderbt  ist. 


Scaenica.  215 

Bühne.  Hier  werden  dagegen  als  vor  Augen  befindlich  erwähnt 
die  aQxala  ßQ8trj  itoXiööovxav  fteav  Vs  165,  195  fg.,  93,  (vgl.  auch 
Vs  205  fg.:  ftecbv  ade  itavayvQig) ,  von  welchen  in  keiner  der  Tra- 
gödien ,  in  denen  die  Handlung  auf  dem  Vorplatz  des  Thebani- 
schen  Königspalastes  vor  sich  geht,  die  Rede  ist.  Ob  man  anneh- 
men darf,  daß  diese  Bilder  auf  der  Agora  aufgestellt  waren,  steht 
dahin,  ist  jedoch  nicht  unwahrscheinlich.  Der  Chor  befand  sich 
auf  der  Bühne  innerhalb  derselben.  Eteokles  weist  ihn  251  fg. 
in  die  Orchestra  hinab  : 

ixtbg  ovo'  aycd{iccTG)v 
ev%ov  xä  xqslöGg)  %v{i{Ld%ovg  elvai  ftsovg. 

Die  Bilder  waren  also  entweder  auf  dem  vorderen  Rande  des 
Logeion  in  einer  Reihe  aufgestellt,  oder  auf  dem  Logeion  weiter 
nach  hinten  in  einem  Kreise.  Dieses  ist  gewiß  das  Wahrschein- 
lichere, da  die  Zuschauer  sonst  sämmtliche  Bilder  von  hinten 
zu  G-esicht  bekommen  haben  würden.  Das  Logeion  galt  ohne 
Zweifel  als  heilige  Stätte.  Daß  das  in  Betreff  der  Orchestra  nicht 
der  Fall  war ,  wird  nicht  ausdrücklich  angedeutet ,  ist  jedoch  mit 
Sicherheit  anzunehmen. 

Im  Oedipus  auf  Kolonos  des  Sophokles  ist  nach  der  Seite  der 
Fremde  hin  der  Eumenidenhain  an  der  Hinterwand  der  Bühne 
durch  Malerei  dargestellt.  In  das  Innere  des  Hains,  in  welches 
sich  Oedipus  begiebt  (Vs  113  fg.) ,  gelangte  derselbe  durch  eine 
Oeffnung  etwa  in  der  Mitte  der  Hinterwand,  hinter  welcher  man 
gemalte  Bäume  erblickte ,  so  daß  man  eine  Art  von  Allee  vor 
sich  zu  haben  glauben  konnte.  Das  Eumenidenheiligthum  nahm 
auch  einen  Platz  auf  dem  Logeion  ein,  der  durch  Steine  bezeichnet 
war.  Vgl.  darüber  meine  Comment.  de  Sophocl.  in  dem  Index 
lect.  der  G.-A.  Univ.  zum  Wintersem.  1875—1876,  p.  15  fg. 
Der  vorderste  Theil  des  Logeion  enthält  einen  betretbaren  Weg. 
Auch  die  Orchestra  ist  für  Jeden  zugänglich. 


Nachtrag  zu  S.  214,  Anm.  1. 

Auf  die  Conjectur  Ivtv  ist,  wie  ich  hinterdrein  aus  Wecklein's  Ausg.  von  Aesch. 
fab.  Vol.  II,  p.  103  sehe,  schon  Kiehl  verfallen. 


A  U    U  V    u  »    ,  < 


216  Preisangaben  der  K.  Gesellschaft. 

Preisaufgaben  der  K.  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Für  das  Jahr  1890  lautet  die  Aufgabe  der  Physikalischen 
Klasse: 

Es  ist  allgemein  bekannt  und  anerkannt,  daß  dichte  oder  kry- 
stallinische  Kalke,  zumal  des  Mittel-Devon,  allerlei  Umwandlungen 
erlitten  haben ,  sei  es  durch  Veränderung  ihrer  Structur ,  sei  es 
durch  Stoffaustausch  u.  s.  w.  Die  mechanischen  und  chemischen 
Vorgänge,  welche  hierbei  mitwirken,  sind  jedoch  durchaus  nicht  ge- 
nügend bekannt.  Es  wird  daher  gewünscht,  daß  diese  Umwand- 
lungen mit  Hülfe  chemischer  und  mikroskopischer  Untersuchungen 
verfolgt  und  erklärt  werden  möchten. 

Die  Aufgabe  für  1891    lautet   nach    dem  Vorschlag    der  Ma- 
thematischen Klasse: 

Die  Aufgabe  der  conformen  Abbildung  eines  ebenen  Dereiches 
auf  ein  Stück  einer  krummen  Fläche,  deren  Krümmungsmaß  überall 
den  constanten  Werth  k  besitzt,  hängt  zusammen  mit  der  Aufgabe 
die  partielle  Differentialgleichung 

&u 
dx2    '    dy* 

vorgeschriebenen   Grenz-    und  Unstetigkeitsbedingungen    gemäß  zu 
integriren. 

Für  diese  Aufgabe  kommen  zunächst  die  von  Riemann  in  sei- 
ner Theorie  der  Abelschen  Functionen  angegebenen  Grenz-  und 
Unstetigkeitsbedingungen  in  Detracht. 

Die  Königliche  Gesellschaft  wünscht  die  Frage,  ob  es  möglich  ist, 
die  angegebene  partielle  Differentialgleichung  für  einen  gegebenen 
Dereich  unter  vorgeschriebenen  Grenz-  und  Unstetigkeitsbedingungen 
der  angegebenen  Art  zu  integriren,  vorausgesetzt,  daß  der  Kon- 
stanten k  negative  Werthe  beigelegt  werden,  vollständig  beanU 
wortet  zu  sehen. 

Insbesondere  wünscht  die  Königliche  Gesellschaft  den  Fall 
der  angeführten  Aufgabe  behandelt  zu  sehen,  in  welchem  der  be- 
trachtete ebene  Dereich  eine  geschlossene  mehrfach  zusammen- 
hängende Riemann  sehe  Fläche  ist,  während  die  Function  u  keine 
anderen  als  logarithmische  Unstetigkeiten  annehmen  soll. 
Die  Aufgabe  der  Historisch-Philologischen  Klasse 
für  1892  ist  folgende: 

Für  die  älteste  Geschichte  Attikas  ist  es  von  außerordentlicher 
Dedeutung ,  zu  wissen,  an  welchen  Orten  sich  Heiligthümer  der 
verschiedenen  Götter  und  Heroen  fanden,  sowol  in  Athen  selbst, 
als  in  der  gesammten  Landschaft,   soweit  es   nach   dem  jetzigen 


Pf  eisaufgaben  der  K.  Gesellschaft.  217 

Stande   der   topographischen,    epigraphischen,    genealogischen  For- 
schungen möglich  ist.    Die  Historisch-philologische  Klasse  stellt  da- 
her für   1892   die  Aufgabe,    daß  eine   sorgfältige    lieber sieht   der 
Kultstätten  in  Attiha  nach  den  Oertlichlteiten ,    an   denen  sie  sich 
fanden,   gegeben  und,    was  sich  daraus  für   die  älteste  Geschichte 
Attihas  folgern  lasse,  gegeben  werde. 
Die  zur  Bewerbung  um  einen  der  Preise  bestimmten  Arbeiten 
müssen,  mit  einem  Spruch  versehn,  vor  Ablauf  des  Septembers  des 
bestimmten   Jahres    an    die  Kön.  Gesellschaft   der  Wissenschaften 
portofrei   eingesandt   werden    und   von   einem    versiegelten   Zettel 
begleitet  sein,  welcher  außen  den  Spruch  trägt,  der  die  Arbeit  be- 
zeichnet,  und  innen  Namen  und  Wohnort  des  Verfassers  angiebt. 
Der  Preis  für  jede  Aufgabe  beträgt  500  Mk. 


Preisaufgaben 

der 

Wedekindschen  Preisstiftung 

für  Deutsche  Geschichte. 

Wiederholt  aus  Nr.  4  der  Nachrichten  vom  Jahr  1887  S.  69  ff. 

Der  Verwaltungsrath  der  Wedekindschen  Preisstiftung  für 
Deutsche  Geschichte  macht  hierdurch  die  Aufgaben  bekannt,  welche 
von  ihm  für  den  fünften  Verwaltungszeitraum,  vom  14.  März  1886 
bis  zum  14.  März  1896,  nach  den  Ordnungen  der  Stiftung  (§  20) 
gestellt  werden. 

Für  den  ersten  Preis 
wiederholt  der  Verwaltungsrath  die  für  den  vorigen  Verwaltungs- 
zeitraum gestellte  Aufgabe:  er  verlangt  eine  allen  Anforderungen 
der  Wissenschaft  entsprechende  Ausgabe  der  von  dem  Mainzer 
Eberhard  Windeck  verfaßten  Denkwürdigkeiten  über  Leben  und 
Zeit  Kaiser  Sigismunds. 

Es  gilt  den  völlig  werthlosen  und  unbrauchbaren  Abdruck  bei 
Mencken  durch  eine  nach  Seite  der  Sprache  wie  des  Inhalts  gleich 
tüchtige  Ausgabe  zu  ersetzen. 

Nach  den  älteren  Vorarbeiten  von  Du  mg  6,  Mone,  Asch- 
bach, Droysen  hat  neuerdings  v.  Hagen  in  der  Einleitung  zu 
seiner  Uebersetzung  (Geschichtschreiber  der  deutschen  Vorzeit, 
Lief.  79.  Leipzig  1886)  über  das  Verhältniß  von  dreien  der  wich- 
tigsten Handschriften  (Gotha,  Cheltenham,  Hannover)  zu  einander 
gehandelt  und  danach  zwei  von  dem  Verfasser  selbst  herrührende 
Bedactionen  unterschieden,  auch  die  Annahme  abgewiesen,  daß  die 


218  Preisaufgaben  der  Wedekindschen  Preisstiftung 

Handschrift  zu  Cheltenham  ein  Original  sei.  Für  den  Bearbeiter 
ist  die  Heranziehung  der  anderen  bekannten  und  von  v.  Hagen 
S.  YII ,  Anm.  2  aufgeführten  Hdsch.  schon  deßhalb  erforderlich, 
um  die  Richtigkeit  der  Aufstellung  v.  H  a  g  e  n '  s  zu  prüfen  und  fest- 
zustellen, ob  etwa  noch  mehr  als  zwei  Ausgaben  des  Werkes  vorliegen. 

Von  den  drei  im  Archiv  III,  429  verzeichneten  Vaticanischen 
Hdsch.  wird  der  Ver waltun gsrath  demnächst  Beschreibungen  an- 
fertigen lassen,  welche  ihre  Classificirung  ermöglichen.  Diese  Be- 
schreibungen sollen  dem  Bearbeiter  durch  Vermittelung  der  Ver- 
waltung der  Kgl.  Universitätsbibliothek  zur  Verfügung  stehen. 
Von  der  Heranziehung  dieser  drei  Hdsch.  zur  Textconstitution 
glaubt  der  Verwaltungsrath  im  übrigen  den  Bearbeiter  befreien 
zu  sollen1). 

Bei  der  Bearbeitung  des  Textes  wird  es  vor  allem  darauf  an- 
kommen ,  daß  die  von  dem  Verfasser  herrührenden  Unterschiede 
der  verschiedenen  Redactionen  klar  und  übersichtlich  zur  Erschei- 
nung kommen,  davon  auch  äußerlich  dasjenige  geschieden  und  ge- 
kennzeichnet werde,  was  etwa  fremder  Ueberarbeitung  seinen  Ur- 
sprung verdankt.  Die  originalen  Rubriken  und  Capitelüberschriften 
sind  in  die  Ausgabe  aufzunehmen. 

Die  Urkunden  und  Aktenstücke  aller  Art,  welche  dem  Werke 
zahlreich  eingefügt  sind,  erfordern  genaue  Untersuchung  in  Bezug 
auf  Herkunft ,  Wiedergabe  und  anderweitige  Benutzung.  Sind 
von  denselben  abweichende  Texte  oder  die  Originale  bekannt,  so 
ist  darauf  in  den  Anmerkungen  hinzuweisen,  geeigneten  Falls  der 
abweichende  Text  zum  Abdruck  in  der  Anmerkung  zu  bringen. 
Desgleichen  ist  wenigstens  annäherungsweise  der  Versuch  zu  machen 
für  die  rein  erzählenden  Theile  Ursprung  oder  Quelle  beizubringen, 
namentlich  in  Bezug  auf  An-  und  Abwesenheit  des  Verfassers. 
Es  darf  dem  Text  an  Erläuterung  in  sprachlicher  und  sachlicher 
Hinsicht  nicht  fehlen. 

Die  Einleitung  soll  sowohl  die  bei  der  Untersuchung  und 
Herstellung  des  Textes  befolgte  Methode  klarlegen,  als  auch  eine 
eingehende  Erörterung  über  die  Lebensschicksale  des  Verfassers, 
die  Beziehungen  zu  seiner  Vaterstadt ,  seine  Reisen  ,  sein  Ver- 
hältniß  zum  Kaiser  und  anderen  namhaften  Zeitgenossen ,  seine 
übrigen  Werke  in  Prosa  und  Dichtung  geben. 

Die  sprachliche  Behandlung  des  Textes  hat  sich,  falls  nicht 
etwa  eine  Originalhandschrilt  auftauchen  sollte ,  nach  den  von 
Weizsäcker  im  I.  Bande  der  Reichstagsakten  für  die  Vereinfachung 


1)  Vgl.  den  Bericht  über  diese  Hss.  in  den  Nachrichten  1888  S.  11  ff. 


für  Deutsche  Geschichte.  219 

der  Schreibung  spätmittelalterlicher  deutscher  Texte  aufgestellten 
Grundsätzen  zu  richten. 

Der  Ausgabe  ist  ein  Wortverzeichniß,  entsprechend  demjenigen  des 
1.  Bandes  der  Mainzer  Chroniken  (Städtechroniken  Bd.  XVII),  sowie 
ein  ungetrenntes  Verzeichnis  der  Personen-  und  Ortsnamen  beizufügen. 

Von  der  Cheltenhamer  Handschrift  befindet  sich  eine  genaue 
Abschrift  auf  der  Kgl.  Universitätsbibliothek,  welche  bereitwilligst 
von  der  Bibliotheksverwaltung  zur  Benutzung  ausgeliehen  wird. 

Für  den  zweiten  Preis 
schreibt  der  Verwaltungsrath 

eine  Geschichte  des  Herzogthums  Schwaben  vom  Beginn 
des  10.  bis  in  die  zweite  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts 

aus. 

Nach  einem  einleitenden  Rückblicke  auf  die  karolingische  Zeit 
ist  der  Schwerpunkt  der  Arbeit  in  die  Verfassungsgeschichte  des 
bezeichneten  Zeitraums  zu  legen ,  da  die  politische  Geschichte 
Schwabens  zur  Genüge  behandelt  worden  ist.  Das  schwäbische 
Herzogthum  ist  in  seiner  Entwicklung  bis  zur  Auflösung  zu  ver- 
folgen ,  sein  Verhältnis  zu  der  königlichen  Gewalt  einerseits  wie 
zu  den  Bisthümern  ,  Grafschaften  ,  Herrschaften  und  Städten  an- 
dererseits darzulegen.  Nach  der  gründlichen  und  erschöpfenden 
Untersuchung  des  Einzelnen  erwartet  der  Verwaltungsrath  eine 
zusammenfassende  Darstellung  der  Ergebnisse  der  Untersuchung. 
Neben  den  Nachrichten  der  Geschichtsschreiber  hat  der  Bearbeiter 
dem  reichen  Urkundenmaterial  eingehendste  Aufmerksamkeit  zu 
widmen  und  es  nach  allen  Richtungen  für  den  bezeichneten  Zweck 
auszubeuten.  Als  Beilage  der  Arbeit  wünscht  der  Verwaltungs- 
rath Regesten  der  Urkunden,  an  welchen  die  Herzöge  von  Schwaben 
in  irgend  einer  Eigenschaft  betheiligt  sind  oder  in  welchen  sie 
Erwähnung  finden. 

In  Beziehung  auf  die  Bewerbung  um  diese  Preise ,  die  Er- 
theilung  des  dritten  Preises  und  die  Rechte  der  Preisgewinnenden 
wird  aus  den  Ordnungen  der  Stiftung  Folgendes  wiederholt: 

1.  Ueber  die  zwei  ersten  Preise.  Die  Arbeiten  können  in 
deutscher  oder  lateinischer  Sprache  abgefaßt  sein. 

Jeder  dieser  Preise  beträgt  1000  Thaler  in  Gold  (3300  Reichs- 
mark) und  muß  jedesmal  ganz,  oder  kann  gar  nicht  zuerkannt  werden. 

2.  Ueber  den  dritten  Preis.  Für  den  dritten  Preis  wird 
keine  bestimmte  Aufgabe  ausgeschrieben ,  sondern  die  Wahl  des 
Stoffes  bleibt  den  Bewerbern  nach  Maßgabe  der  folgenden  Bestim- 
mungen überlassen. 

Nachrichten  von  dor  K.  O.  d.  W.  zu  Göttingen.   1890.   No.  5.  18 


220  Preisaufgaben  der  Wedekindschen  Preisstiftung 

Vorzugsweise  verlangt  der  Stifter  für  denselben  ein  deutsch 
geschriebenes  Geschichtsbuch,  für  welches  sorgfältige  und  geprüfte 
Zusammenstellung  der  Thatsachen  zur  ersten,  und  Kunst  der  Dar- 
stellung zur  zweiten  Hauptbedingung  gemacht  wird.  Es  ist  aber 
damit  nicht  bloß  eine  gut  geschriebene  historische  Abhandlung, 
sondern  ein  umfassendes  historisches  Werk  gemeint.  Speciallandes- 
geschichten sind  nicht  ausgeschlossen ,  doch  werden  vorzugsweise 
nur  diejenigen  der   größten  (15)  deutschen  Staaten  berücksichtigt. 

Zur  Erlangung  des  Preises  sind  die  zu  diesem  Zwecke  hand- 
schriftlich eingeschickten  Arbeiten  und  die  von  dem  Einsendungs- 
tage des  vorigen  Verwaltungszeitraums  bis  zu  demselben  Tage  des 
laufenden  Zeitraums  (dem  14.  März  des  neunten  Jahres)  gedruckt 
erschienenen  Werke  dieser  Art  gleichmäßig  berechtigt.  Dabei 
findet  indessen  der  Unterschied  statt,  daß  die  ersteren,  sofern  sie 
in  das  Eigenthum  der  Stiftung  übergehen ,  den  vollen  Preis  von 
1000  Thalern  in  Gold,  die  bereits  gedruckten  aber,  welche  Eigen- 
thum des  Verfassers  bleiben,  oder  über  welche  als  sein  Eigenthum 
er  bereits  verfügt  hat ,  die  Hälfte  des  Preises  mit  500  Thalern 
Gold  empfangen. 

Wenn  keine  preiswürdigen  Schriften  der  bezeichneten  Art  vor- 
handen sind,  so  darf  der  dritte  Preis  angewendet  werden,  um  die 
Verfasser  solcher  Schriften  zu  belohnen,  welche  durch  Entdeckung 
und  zweckmäßige  Bearbeitung  unbekannter  oder  unbenutzter  hi- 
storischer Quellen,  Denkmäler  und  Urkundensammlungen  sich  um 
die  deutsche  Geschichte  verdient  gemacht  haben.  Solchen  Schriften 
darf  aber  nur  die  Hälfte  des  Preises  zuerkannt  werden. 

Es  steht  Jedem  frei,  für  diesen  zweiten  Fall  Werke  der  be- 
zeichneten Art  auch  handschriftlich  einzusenden.  Mit  denselben 
sind  aber  ebenfalls  alle  gleichartigen  Werke,  welche  vor  dem  Ein- 
sendungstage des  laufenden  Zeitraums  gedruckt  erschienen  sind, 
für  diesen  Preis  gleich  berechtigt.  Wird  ein  handschriftliches 
Werk  gekrönt,  so  erhält  dasselbe  einen  Preis  von  500  Thalern  in 
Gold;  gedruckt  erschienenen  Schriften  können  nach  dem  Grade 
ihrer  Bedeutung  Preise  von  250  Thlr.  oder  500  Thlr.  Gold  zuer- 
kannt werden. 

Aus  dem  Vorstehenden  ergiebt  sich  von  selbst,  daß  der  dritte 
Preis  auch  Mehreren  zugleich  zu  Theil  werden  kann. 

3.  Rechte  der  Erben  der  gekrönten  Schriftsteller.  Sämmt- 
liche  Preise  fallen ,  wenn  die  Verfasser  der  Preisschriften  bereits 
gestorben  sein  sollten ,  deren  Erben  zu.  Der  dritte  Preis  kann 
auch  gedruckten  Schriften  zuerkannt  werden ,  deren  Verfasser 
schon  gestorben  sind,  und  fällt  alsdann  den  Erben  derselben  zu. 


für  Deutsche  Geschichte.  221 

4.  Form  der  Preisschriften  und  ihrer  Einsendung.     Bei 

den  handschriftlichen  Werken,  welche  sich  um  die  beiden  ersten 
Preise  bewerben,  müssen  alle  äußeren  Zeichen  vermieden  werden, 
an  welchen  die  Verfasser  erkannt  werden  können.  Wird  ein  Ver- 
fasser durch  eigene  Schuld  erkannt,  so  ist  seine  Schrift  zur  Preis- 
bewerbung nicht  mehr  zulässig.  Daher  wird  ein  jeder,  der  nicht 
gewiß  sein  kann ,  daß  seine  Handschrift  den  Preisrichtern  unbe- 
kannt ist,  wohlthun,  sein  Werk  von  fremder  Hand  abschreiben  zu 
lassen.  Jede  Schrift  ist  mit  einem  Sinnspruche  zu  versehen ,  und 
es  ist  derselben  ein  versiegelter  Zettel  beizulegen ,  auf  dessen 
Außenseite  derselbe  Sinnspruch  sich  findet ,  während  inwendig 
Name.  Stand  und  Wohnort  des  Verfassers  angegeben  sind. 

Die  handschriftlichen  Werke,  welche  sich  um  den  dritten 
Preis  bewerben,  können  mit  dem  Namen  des  Verfassers  ver- 
sehen, oder  ohne  denselben  eingesandt  werden. 

Alle  diese  Schriften  müssen  im  Laufe  des  neunten  Jahres,  vor 
dem  14.  März  1895  ,  dem  Direktor  zugesendet  sein ,  welcher  auf 
Verlangen  an  die  Vermittler  der  Uebersendung  Empfangsbeschei- 
nigungen auszustellen  hat. 

5.  lieber  Zulässigkeit  zur  Preisbewegung.  Die  Mitglieder 
der  Königlichen  Societät,  welche  nicht  zum  Preisgerichte  gehören, 
dürfen  sich  wie  jeder  Andere  um  alle  Preise  bewerben.  Dagegen 
leisten  die  Mitglieder  des  Preisgerichts  auf  jede  Preisbewerbung 
Verzicht. 

6.  Verkündigung  der  Preise.  An  dem  14.  März,  mit  welchem 
der  neue  Verwaltungszeitraum  beginnt,  werden  in  einer  Sitzung 
der  Societät  die  Berichte  über  die  Preisarbeiten  vorgetragen ,  die 
Zettel ,  welche  zu  den  gekrönten  Schriften  gehören ,  eröffnet ,  und 
die  Namen  der  Sieger  verkündet,  die  übrigen  Zettel  aber  verbrannt. 
Jene  Berichte  werden  in  den  Nachrichten  über  die  Königliche  So- 
cietät ,  dem  Beiblatte  der  Göttingischen  gelehrten  Anzeigen ,  ab- 
gedruckt. Die  Verfasser  der  gekrönten  Schriften  oder  deren  Erben 
werden  noch  besonders  durch  den  Direktor  von  den  ihnen  zugefalle- 
nen Preisen  benachrichtigt,  und  können  dieselben  bei  dem  letzteren 
gegen  Quittung  sogleich  in  Empfang  nehmen. 

7.  Zurückfordcrung  der  nicht  gekrönten  Schriften.  Die 
Verfasser  der  nicht  gekrönten  Schriften  können  dieselben  unter 
Angabe  ihres  Sinnspruches  und  Einsendung  des  etwa  erhaltenen 
Empfangsscheines  innerhalb  eines  halben  Jahres  zurückfordern 
oder  zurückfordern  lassen.  Sofern  sich  innerhalb  dieses  halben 
Jahres  kein  Anstand  ergiebt ,  werden  dieselben  am  14.  October 
von  dem  Direktor  den    zur  Empfangnahme   bezeichneten  Personen 


222    Preisaufgaben  der  Wedekindschen  Preisstiftuug  für  Deutsche  Geschichte. 

portofrei  zugesendet.    Nach  Ablauf  dieser  Frist  ist  das  Recht  zur 
Zurückforderung  erloschen. 

8.  Druck  der  Preisschriften.  Die  handschriftlichen  Werke, 
welche  den  Preis  erhalten  haben ,  gehen  in  das  Eigenthum  der 
Stiftung  für  diejenige  Zeit  über ,  in  welcher  dasselbe  den  Ver- 
fassern und  deren  Erben  gesetzlich  zustehen  würde.  Der  Ver- 
waltuugsrath  wird  dieselben  einem  Verleger  gegen  einen  Ehrensold 
überlassen  oder ,  wenn  sich  ein  solcher  nicht  findet ,  auf  Kosten 
der  Stiftung  drucken  lassen,  und  in  diesem  letzteren  Falle  den 
Vertrieb  einer  zuverlässigen  und  thätigen  Buchhandlung  über- 
tragen.    Die  Aufsicht  über  Verlag  und  Verkauf  führt  der  Director. 

Der  Ertrag  der  ersten  Auflage ,  welche  ausschließlich  der 
Freiexemplare  höchstens  1000  Exemplare  stark  sein  darf,  fällt  dem 
verfügbaren  Capitale  zu ,  da  der  Verfasser  den  erhaltenen  Preis 
als  sein  Honorar  zu  betrachten  hat.  Wenn  indessen  jener  Ertrag 
ungewöhnlich  groß  ist ,  d.  h.  wenn  derselbe  die  Druckkosten  um 
das  Doppelte  übersteigt ,  so  wird  die  Königliche  Societät  auf  den 
Vortrag  des  Verwaltungsrathes  erwägen,  ob  dem  Verfasser  nicht 
eine  außerordentliche  Vergeltung  zuzubilligen  sei. 

Findet  die  Königliche  Societät  fernere  Auflagen  erforderlich, 
so  wird  sie  den  Verfasser  oder  ,  falls  derselbe  nicht  mehr  leben 
sollte  ,  einen  andern  dazu  geeigneten  Gelehrten  zur  Bearbeitung 
derselben  veranlassen.  Der  reine  Ertrag  der  neuen  Auflagen  soll 
alsdann  zu  außerordentlichen  Bewilligungen  für  den  Verfasser,  oder, 
falls  derselbe  verstorben  ist ,  für  dessen  Erben ,  und  den  neuen 
Bearbeiter  nach  einem  von  der  Königlichen  Societät  festzustellen- 
den Verhältnisse  bestimmt  werden. 

9.  Bemerkung  auf  dem  Titel  derselben.  Jede  von  der 
Stiftung  gekrönte  und  herausgegebene  Schrift  wird  auf  dem  Titel 
die  Bemerkung  haben: 

Von  der  Königlichen  Societät  der  Wissenschaften  in 
Göttingen  mit  einem  Wedekindschen  Preise  gekrönt  und 
herausgegeben. 

10.  Freiexemplare.  Von  den  Preisschriften,  welche  die  Stif- 
tung herausgiebt,  erhalten  die  Verfasser  je  zehn  Freiexemplare. 

Göttingen,    den  14.  März  1887. 

Der  Verwaltung srath  der  Wedekindschen  Preisstiftung. 

Inhalt  von  No.  5. 
Paul  de  Lagarde,  Exodus  In.  —   W.  Voigt,  über  den  Zusammenklang  zweier  einfacher  Töne.  —   Cl.  Hart- 
laub, Beitrag  zur  Kenntniss  der  Comatuliden-Fauna  des  Indischen  Archipels.  —  Eduard  Rieche,  über  die 
Pyroelectricität  des  Turmalins.    —    Friedrich  Wieseler,   Scaenica.  —    Preisaufgaben  der  K.  Gesellschaft. 
—  Preisaufgaben  der  Wedekindschen  Preisstiftung  für  Deutsche  Geschichte. 

Für  die  Redaction  verantwortlich:    H.  Sauppe,  Secretär  d.  K.  Ges.  d.  Wies. 

Commissions-Verlag  der  Dieterich' sehen  Verlags- Buchhandlung. 

Druck  der  THeterich'nch«n  Vniv.-Buchdruckerei  ( W.  Fr.  Kaestnei). 


Nachrichten 


von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 
zu   Göttingen. 


25.  Juni.  M  6.  1890. 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  7.  Juni  1890. 
Riecke:    Beiträge   zu   der  von  Gibbs   entworfenen  Theorie    der  Zustands- 
änderungen  eines  aus  einer  Mehrzahl  von  Phasen  bestehenden  Systems. 
Klein  legt  vor: 

a)  Franc.  Brioschi  in  Mailand,  ausw.  Mitglied  der  mathem.  Klasse : 
Ueber  die  Reihenentwickelung  der  Sigmafunctionen  zweier  Veränder- 
lichen. 

b)  Dr.  Schoenfliess:  Ueber  das  gegenseitige  Verhältniß  der  Theo- 
rieen  über  die  Structur  der  Krystalle. 

de  Lagarde:  Septuagintastudien.  I.  (Für  die  Abhandlungen.) 
Kiel  hörn:  Die  Mandasor-Inschrift  vom  Mälava  Jahre  529  (=  472  n.  Chr.) 
und  Kälidäsa's  Ritusamhra. 


Beiträge   zu   der  von  Gibbs  entworfenen  Theorie 
derZustandsänderungen   eines   aus    einer  Mehr- 
zahl von  Phasen  bestehenden  Systems. 

Von 
Eduard  Blecke. 

Die  Untersuchungen,  welche  von  den  Herren  van't  Hoff  und 
Reicher,  Roozeboom,  Meyerhoffer  und  Stortenbeker 
im  Laufe  der  letzten  Jahre  veröffentlicht  worden  sind,  haben  auf 
einem  früher  kaum  betretenen  Gebiete  ein  reiches  Material  von 
experimentellen  Thatsachen  zu  Tage  gefördert.  Dabei  haben  sich 
die  allgemeinen  Sätze,  welche  von  Willard  G-ibbs  über  Gleich- 
gewichtszustände eines  aus  einer  Mehrzahl  von  Phasen  bestehenden 

Naclirichton  von  der  K.  G.  d.  W.  zu  Göttingen.   1890.   No.  6.  19 


224  Eduard  Riecke, 

Systemes  aufgestellt  worden  sind,  als  ein  wichtiger  Leitfaden  für 
die  Untersuchung  und  als  ein  werthvolles  Hülfsmittel  für  die  Dar- 
stellung der  beobachteten  Erscheinungen  erwiesen.  Mit  Bezug 
hierauf  dürften  die  folgenden  Betrachtungen,  welche,  auf  dem  von 
G  i  b  b  s  gelegten  Fundamente  ruhend ,  eine  weitere  Ausführung 
seiner  Sätze  besonders  nach  der  geometrischen  Seite  enthalten, 
nicht  ohne  Interesse  sein.  Des  leichteren  Verständnisses  halber 
mußten  auch  die  Grundgleichungen  der  Gibbs'schen  Theorie  repro- 
ducirt  werden;  dabei  habe  ich  eine  Darstellung  befolgt,  welche 
von  der  von  Gibbs  selbst  gegebenen  in  einigen  Punkten  abweicht. 

I.    Erinnerung   an  die  Fundamentalgleichungen 

von  Gibb s. 

Wir  betrachten  eine  Substanz,  welche  aus  mehreren  chemischen 
Componenten  zusammengesetzt,  welche  aber  in  physikalischer  wie 
in  chemischer  Hinsicht  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  homogen  ist. 
Wir  bezeichnen  durch  e  die  Energie,  durch  yj  die  Entropie,  durch 
v  das  Volumen ,  durch  mt ,  m2 ,  m3  . . .  die  Massen  der  einzelnen 
chemischen  Componenten ;  dann  wird  eine  Vergrößerung  der  Entropie, 
des  Volumens ,  der  Massen  ml ,  m2  .  . .  nach  einem  beliebigen  Ver- 
hältniß  eine  Vergrößerung  von  £  nach  demselben  Verhältniß  zur 
Folge  haben ,  d.  h.  es  wird  £  eine  homogene  lineare  Funktion  von 
rh  v,  mv  m2  . . .  sein,  welche  der  Gleichung  genügt 

ös       ,    ös      ,     ös  ,ös 

öy]   '      dv  dmt     l<       dm2     2 

Bezeichnen  wir  durch  \it,  [x2  . . .  die  partiellen  Differential- 
quotienten von  s  nach  m1 ,  m2 . . . ,  so  ist  andererseits  der  Zuwachs 
der  Energie  gegeben  durch 

1.  dz  =  Täi\  —  pdv  +  \Ltdmt  -f  \i2dm2  +  . . . 

Die  Verbindung  beider  Gleichungen  giebt : 

£  =  Tf]  —  pv  +  [x1m1  +  [x2m2  +  . .  . 
Und 

2.  0  =  r^dT  —  vdp  +  mxd^  +  m2d^2  +  . . 

Ist  entsprechend  Gleichung  1  die  Energie  gegeben  als  Funk- 
tion von  7] ,  v ,  mx ,  m2 . . . ,  so  ist : 

T  ÖS  Ö£  Ö£  Ö£ 


dti  '  t  dv  '    ri  "  '    dml  '   r2  '  '    dm,  '  " 


Beiträge  zu  der  von  Gibbs  entworfenen  Theorie  der  Zustandsänderungen  etc.    225 
Ist  in  Gleichung  2  p  gegeben  als  Funktion  von  T,  \iv  jx2  . . . ,  so  ist 
7j  dp       ml  dp       m2  dp 

Gleichungen  von  der  Form  /'  (s ,  yj  ,  v,  m1,  m2 . . .)  =  0  und 
von  der  Form  f  (p,  T,  \Lt,  [*.,...)  =0  können  demnach  benützt 
werden,  um  die  in  der  Gleichung  selbst  nicht  auftretenden  Zu- 
standsgrößen,  beziehungsweise  ihre  Verhältnisse,  zu  bestimmen. 
Gibbs  nennt  sie  Fundamentalgleichungen. 

Führen  wir  an  Stelle  der  gesammten  Energie  die  freie  Energie 
£  —  Tri  e^n>  welche  durch  <f  bezeichnet  werden  möge,  so  ergiebt  sich 

dty  =  —  ridT—  pdv  +  \isldm1  +  \L2dm2  -f  . . 

Es  besitzt  demnach  auch  eine  Gleichung  zwischen  i]>,  T,  v,  mv  m2... 
den  Charakter  einer  Fundamentalgleichung. 

Dasselbe  gilt  endlich  von  den  Gleichungen,  welche  man  erhält, 
wenn  man  in  der  Gleichung  1  an  Stelle  von  £  die  Funktionen 
%  =  e-\-pv  oder  C  =  £  —  Tr^  -\-pv  einführt,  deren  letztere  iden- 
tisch ist  mit  Duhem's  thermodynamischem  Potential  bei  konstantem 
Druck. 

II.    Gleichgewicht   eines   Systems  von  Körpern. 

Gegeben  sei  ein  System  von  Körpern,  welche  in  verschiedener 
Weise  aus  einer  bestimmten  Zahl  von  chemischen  Componenten 
zusammengesetzt  sind  und  welche  gleichzeitig  in  verschiedenen 
Aggregatzuständen  sich  befinden.  Ein  solches  System  kann  dem- 
nach enthalten :  einen  Theil ,  in  welchem  die  verschiedenen  gas- 
förmigen Körper  gleichmäßig  mit  einander  gemischt  sind,  ver- 
schiedene flüssige  Theile,  entsprechend  der  Existenz  von  flüssigen 
Körpern  oder  Lösungen,  welche  mit  einander  nicht  mischbar  sind, 
verschiedene  feste  Theile ,  entsprechend  den  in  festem  Aggregat- 
zustand vorhandenen  Körpern. 

Jeden  solchen  physikalisch  und  chemisch  homo- 
genen Theil  des  Systems  bezeichnen  wir  nach  Gibbs 
als  eine  Phase  desselben. 

Gleichgewicht  kann  in  einem  System  von  der  Art  des  betrach- 
teten nur  dann  vorhanden  sein,  wenn  Temperatur  und  Druck  überall 
dieselben  sind.  Die  Gesammten ergie  des  Systems,  welche  gleich 
der  Summe  der  Energieen  der  einzelnen  Phasen  ist,  bezeichnen 
wir  durch  e,  die  Gesammtentropie ,  gleich  der  Summe  der  Entro- 
pieen  der  einzelnen  Phasen,  durch  tj,  das  Gesammtvolumen  durch  v. 
Bleiben  die  Massenverhältnisse  der   einzelnen  Phasen   ungeändert, 

19* 


226  Eduard  Riecke, 

und  wird  die  Energie  in  umkehrbarer  Weise  durch  eine  Vermehrung 
der  Entropie  und  des  Volumens  geändert,  so  ist 

8  s  =  Td-q  —pdv. 

Allgemein  haben  wir  die  Energie  s  aufzufassen  als  eine  Funk- 
tion der  Entropie  ij ,  des  Volumens  v  und  der  Massen  der  chemi- 
schen Componenten ,  welche  in  den  einzelnen  Phasen  vorhanden 
sind.  Bezeichnen  wir  die  in  der  ersten  Phase  vorhandenen  Massen 
durch  mj,  m2,  m3,  . .,  die  in  der  zweiten  vorhandenen  durch  m", 
m*i  m9  •  ■■•  •  u-  s-  w->  so  ergiebt  sich: 

De  =  Tdr\  —  pdv  +  fij  dm[  +  \l'2  dm'2  +  p'3  dm'3  +  . . 
+  ti'dm?  +  ti'dm','  +  tfdm','  +  . . 


Nach  dem  Princip  von  der  Vermehrung  der  Entropie  befindet 
sich  unser  System  im  neutralen  Gleichgewicht ,  d.  h.  es  sind  alle 
mit  den  Bedingungen  desselben  verträglichen  Variationen  umkehr- 
bar, wenn 

De  -  Tdrt+pdv  =  0. 

Zerlegen  wir  die  Aenderung  der  Energie  in  denjenigen  Theil 
8s,  welcher  lediglich  durch  eine  etwa  zuerst  vorgenommene  Aen- 
derung von  7j  und  v,  und  denjenigen  Theil  de,  welcher  durch  die 
nachfolgende  Aenderung  der  Massen  bedingt  wird,  so  erhalten 
wir,  wenn  das  System  während  der  ganzen  Aenderung  im  Gleich- 
gewicht sich  befand: 

8s  +  de  -  Tdri  +  pdv  =  0. 

Wenn  aber  die  Aenderungen  von  7]  und  v  für  sich  umkehrbar 
sind,  so  ist  8s  —  Td-q  +  pdv  =  0.  Es  ergiebt  sich  daher  als  Be- 
dingung für  das  neutrale  Gleichgewicht  : 

de  =  {jl[  dm[  +  p2  dm2  +  \l3  dm'3  +  . . . 

+  tfdm'S  +  yJ2'dm2'  +  \L3dm'3'  +  . . . 

+  .     .     .     . 

=  0. 

Wenn  diese  Bedingung  nicht  erfüllt  ist,  so  verläuft  der  natür- 
liche Proceß  stets  so,  daß 

De  -  Td-q+pdv  <  0 

oder  l^'dni'  +  2\t,"drn"  +  2ptndm'"  +  . .  <  0. 

Hier  beziehen  sich  die  Summen  auf  die  einzelnen  Phasen, 
welche  in  dem  System  vorhanden  sind;  für  jede  Phase  ist  die 
Summe  zu  erstrecken  über  alle  in  derselben  vertretenen  chemischen 


Beiträge  zu  der  von  Gibbs  entworfenen  Theorie  der  Zustandsänderuugen  etc.   227 

Componenten.  Die  Faktoren  fr  mit  welchen  die  Zuwüchse  der 
einzelnen  Massen  multiplicirt  erscheinen,  sind  nichts  anderes  als 
die  partiellen  Differentialquotienten  der  Energie  nach  jenen  Massen. 
Gibbs  bezeichnet  dieselben  als  die  Potentiale  der  chemi- 
schen Componenten. 


III.  Die  geometrische  Repräsentation  der  coexistiren- 

den  Phasen. 

Die  Zahl  der  nebeneinander  in  dem  gegebenen  Systeme  vor- 
handenen Phasen  sei  •-,  die  Zahl  der  chemischen  Componenten  7c. 
Das  System  ist  im  Gleichgewicht,  wenn 

2\L'dm'  +  2^"  dm"  +  2p'"dm'"  +  . . .  =  0, 

während  gleichzeitig  die  Zuwüchse  dm  den  Bedingungen  unter- 
worfen sind 

2dmt  =  0 ,  2dm2  =  0 ,  2dm3  =  0  . . . 

Es  muß  daher,  wenn  Xv  A3,  A3 . .  konstante  Faktoren  bedeuten, 

2  (fr  -  K)  dnh  +  2  (fr  -  K)  #»i  +  2  (fr  —  X3)  dm3  +...==  0 

sein.  Somit  besitzen  im  Gleichgewichtszustand  die  Potentiale  der 
einzelnen  chemischen  Componenten  in  allen  Phasen  des  Systems 
je  einen  bestimmten  konstanten  Werth;  ist  Gleichgewicht  vor- 
handen, so  sind  die  Bedingungen  erfüllt 


vi 

=  tf  =  V>["  =  • 

■  •  =  K 

vi 

=  vi'  =  K"  =  • 

■  • «*  vi 

vi 

-'k'  =  vi'  =  • 

■  =  vl 

Ein  System  von  ik  —  Je  Gleichungen. 

Für  jede  einzelne  Phase  muß  außerdem  eine  Zustandsgieichung 
existiren,  welche  man  in  verschiedenen  Formen  aufstellen  kann. 
Der  gewöhnlichen  Darstellung  wird  es  entsprechen,  wenn  wir  den 
Druck  ausdrücken  durch  eine  Funktion  von 

T    mt      m2      m3 
'    v   »     v  '      *«'•'•• 

Wir  erhalten  dann  die  weiteren  i  Gleichungen 

„  --  ffr   <     <      \  .  .  Ar  ^    m*       S 


228  Eduard  Riecke, 

Als  Unbekannte  sind  zu  betrachten 


P,  T, 


L  2  ""1  "v2  -  "vl  "v2 

i    >      „.'?*'       ..f/  '•»      177/  >    •  •  •       „.<    j      i.i  > 


ihre  Zahl  ist  t&  +  2.  Die  Bedingungen  des  Gleichgewichtes  werden 
durch  ein  bestimmtes  Werthsystem  der  Veränderlichen  befriedigt 
werden ,  wenn  die  Zahl  dieser  letzteren  gleich  ist  der  Zahl  der 
Gleichungen,  d.  h.  wenn 

ih  —  Je  +  i  =  ih  +  2 
oder  i  =  Je  +  2. 

IstdieZahl  der  chemischen  Componenten  gleich  Je, 
so  existirt  ein  bestimmtes  System  von  zusammen- 
gehörigen  Werthen    des    Druckes,    der   Temperatur, 

der  Dichtigkeiten  — ,  bei  welchem  Je  +  2  verschiedene 

Phasen  im  Gleichgewicht  sich  befinden. 

Coexistenz  einer  größeren  Phasenzahl  ist  nicht 
möglich,  da  sonst  die  Zahl  der  Gleichungen  die  der 
Unbekannten  übertreffen  würde.  Ist  die  Zahl  der 
coexistirenden  Phasen  kleiner  als  ft  +  2,  so  bleibt 
eine   entsprechende  Zahl  von  Variabein   unbestimmt. 

Zu  demselben  Resultate  gelangt  man  in  einfacherer  Weise, 
wenn  man,  wie  dies  im  Folgenden  in  der  Regel  geschehen  wird, 
den  Druck  darstellt  durch  eine  Funktion  von  T,  jjlx,  |i2,  .  .  .\Lk  und 
wenn  man  dementsprechend  die  Größen  p,  T,  \l[  ,  \l'2  ,  .  . .  \l[' ,  |i2', 
.  . .  \l\  ,  [*,£, . . .  als  unabhängige  Veränderliche  behandelt.  Beachtet 
man  nun,  daß  ^  =  j£  =  .  . .  ^  p4  == :tf  ==  \  . .  =  p«,  . . . .  pjj  = 
ji*i'  =  . .  .  =  jjl*  ,  so  reducirt  sich  die  Zahl  der  Unbekannten  auf 
Je  -f  2 ,  nämlich  p,  T,  ^ ,  [x2 ,  ...  \Lk.  Zu  ihrer  Bestimmung  sind 
Je  +  2  Gleichungen  erforderlich ;  im  Falle  der  Coexistenz  von  &  +  2 
Phasen  sind  diese  gegeben  durch  die  Je  -f  2  Zustandsgieichungen. 
Im  Falle  eines  Gleichgewichtes  zwischen  Je  -f  1  Phasen  bleibt  eine 
Variable,  im  Falle  des  Gleichgewichtes  zwischen  Je  Phasen  bleiben 
zwei  Variable  willkürlich. 

Wir  nehmen  an,  ,es.  seien  diejenigen  Werthe  des  Druckes,  der 


m 


Temperatur,  der  Potentiale  \l  oder  der  Dichtigkeiten  —  berechnet 


bei  welchen  Je  +  2  bestimmte  Phasen  unseres  Systems  coexistiren 
können.  Benützen  wir  ein  rechtwinkliges  Coordinaten- 
system  mit  den  Axen  p,  T,  so  werden  wir  durch  die 
gefundenen  Werthe  von  p  und  T  einen  Punkt  in  der 
Coordinatenebene  bestimmen  können,  welcher  als  ein 


Beiträge  zu  der  von  Gibbs  entworfenen  Theorie  der  Zustandsänderungen  etc.  229 

Bild  für  denZustand  des  Systems  während  derCoexi- 
stenz  jener  Je  +  2  Phasen  betrachtet  werden  kann. 
Derselbe  wird  im  Folgenden  durch  A  bezeichnet. 
Nehmen  wir  aus  der  ganzen  Zahl  der  Phasen  eine,  etwa  die 
Phase  1,  weg,  so  sind  die  Bedingungen  für  die  Coexistenz  der 
übrig  bleibenden  Phasen 

H»  =  ü"  =   .  .  =  jC2 

tf -*;"-■■••  =  ^+° 

^  =  (C  =  --  =  !>r2 

Hiezu  kommen  noch  die  Zustandsgieichungen  der  Phasen 
p  =  f"(T,  i»,  f»  . .  K')  =  f"(T,  K".  ti"  ■  ■  K") 

=  ....  =r%T,ti+\v.i+\.v.:+*) 

Bezeichnen  wir  die  gemeinsamen  Werthe,  welche  die  Potentiale 
der  verschiedenen  chemischen  Componenten  in  den  einzelnen  Phasen 
besitzen  durch  \l[,  \l'2,  .  .  \i'k ,  so  reducirt  sich  die  Zahl  der  Unbe- 
kannten wie  früher  auf  Je  -f  2 ,  die  Zahl  der  Zustandsgieichungen 
beträgt  Je  +  1 ,  sie  ist  um  1  kleiner  als  die  Zahl  der  Variabein. 
Eliminiren  wir  aus  den  Gleichungen  die  Je  Variabein  \l,  so  bleibt 
eine  Gleichung  zwischen  p  und  T  übrig,  welche  in  der  Coordinaten- 
ebene  durch  eine  Curve  dargestellt  wird. 

In  jedem  Punkte  dieser  Curve  können  die  betrachteten  Je  -f  1 
Phasen  nebeneinander  im  Gleichgewichte  bestehen,  in  jedem  Punkte 
sind  aber  außer  den  Werthen  von  Temperatur  und  Druck  auch  die 

Potentiale  \l1  ,  \l2  . . .  \Lk ,  beziehungsweise  die  Dichtigkeiten  —  der 
Componenten  bestimmt. 

Lassen  wir  aus  der  Zahl  der  in  dem  Punkte  A 
coexistirenden  Je  +  2  Phasen  der  Reihe  nach  je  eine 
weg,  so  erhalten  wir  H2Curven  in  derCoordinaten- 
ebene,  welche  sich  in  dem  Punkte  A  durchschneiden 
müssen.  Greift  man  nämlich  aus  der  ganzen  Zahl  der  Curven 
zwei  beliebige  heraus ,  so  sind  in  ihrem  Schnittpunkt  alle  Bedin- 
gungen erfüllt,  durch  welche  wir  früher  den  Punkt  A  bestimmt 
haben ;  der  Punkt  A  ist  also  der  Schnittpunkt  von  je  zwei  jener 
Curven,  d.  h.  der  gemeinsame  Schnittpunkt  aller. 

Wir  bezeichnen  im  Folgenden  die  von  dem  Punkte  A 
auslaufenden  Je  +  2  Curven  durch  c',  c",  c,'"...c*  +  ,  und 
zwar  verstehen  wir  unter  einem  beliebigen  ch  die- 
jenige Curve,  längs  welcher  die  Phase  Ji  fehlt.  In  dem 
Punkte  A   sind    die  Dichten   der   Componenten   in   den   einzelnen 


230 


Eduard  Riecke 


Phasen,  die  Werthe  von 


m 


m 


mlt 


ferner  die  Dichten 


der  Entropie  in  den  einzelnen  Phasen,  die  Werthe  von  — r ,    -77 ,  . . 

gegeben.  Schreiten  wir  von  dem  Punkte  A  ans  auf  der  Curve  c' 
fort  um  die  Strecke  dp',  dT,  so  gilt  für  die  Veränderung  jeder 
einzelnen  Phase  die  Gleichung  2.  Wir  erhalten  also  für  die  Phasen 
2  bis  h  -f-  2  die  Gleichungen 


01; 


fc+2  fc+2  ^fc+2  wi+2 


Da  die  ß  +  1  Phasen  2  bis  &  +  2  längs  c'  miteinander  im 
Gleichgewichte  sind,  so  hat  jede  einzelne  chemische  Componente 
in  allen  Phasen  dasselbe  Potential;  es  hat  somit  auch  d]x[  in  all 
den  vorhergehenden  Gleichungen  denselben  Werth;  ebenso  dp» 
d^[ . .  d\L'k.  Durch  Elimination  dieser  Differentiale  ergiebt  sich  die 
Gleichung : 


11 

,fc+2 


1  <: 

v'"    v'" 


<' 


,fc+2 


ff 

< 

< 

m 

v" 

v" 

v"    ' 

"U 

V" 

mm 

<' 

mi 

v'" 

V77 

v'"    ' 

'  V 

v_2 

,fc+2 


m  • 

„.fc+2 


Diese  schon  von  Gibbs  aufgestellte  Gleichung  bestimmt  in 
unserem  Falle  die  Tangente  des  Winkels,  welchen  die  Curve  c'  in 
ihrem  Ausgangspunkte  A  mit  der  Axe  T  einschließt;  sie  giebt 
allgemein  die  Neigung  der  Curve  in  einem  beliebigen  ihrer  Punkte, 

Y)  Wh 

wenn  man  in  derselben  an  Stelle  von  —  und  —  die  jenem  Punkte 
entsprechenden  Werthe  setzt. 

Zwischen  den  Richtungstangenten  (^C),  \-jm)  , 
/  rJn\'"  /  rl'n\k+2  ^als       \al/ 

\äT)    ••••vfl)     >welcliedieH2Curvenc',c")c'"...cw 
in  ihrem  gemeinsamen  Ausgangspunkt e  A  besitzen, 


Beiträge  zu  der  von  Gibbs  entworfenen  Theorie  der  Zustandsänderungen  etc.   231 


bestehen  h  +  2  Gleichungen,   welche  in   symbolischer 
Form  folgendermaßen   geschrieben   werden  können: 


(il  zl 

\dp     v 

V 

m2 

V 

v  / 

(dp     v 
\dT  Y 

m2 

f  dp     v 
\dT  mx 

1 

m2 
ml 

(dp     v 
\dT  m2 

m2 

1    .  . 

*0  =  o 

(dp     v 

w2 

.')_. 

4. 


Hier  sind  die  Klammern  gesetzt  an  Stelle  von  Je  +  2  gliedrigen 
Determinanten,  welche  ans  den  in  den  Klammern  stehenden  Aus- 
drücken in  folgender  Weise  zu  entwickeln  sind.  Man  ertheilt 
beispielsweise  in   der   ersten  Klammer   dem  Differentialquotienten 

dT 

-=—    den    der   Curve   c'  entsprechenden   Werth;    gleichzeitig    setzt 


m. 


w. 


DL 


dp 

man  für  — , 

V  V  V  V 

Ausdrücke  in   dem  Punkte  A   für  die  erste  Phase  besitzen. 
Reihe 


diejenigen   Werthe,    welche    diese 

Die 


dT\  2L     üi     2*1 

dp/     v'  '     v 


m' 


repräsentirt  dann  die  erste  Horizontalreihe  der  entsprechenden 
Determinante;  in  derselben  Weise  ergeben  sich  die  folgenden 
Reihen  und  demzufolge  erhält  man: 


(dT        7] 
\dp         v 

V 

m2 

V 

v  * 

(äT\     V 
\dpJ     v' 

v' 

m'2 
? 

< 

•••    v' 

\dp)     v" 

< 
v" 

v" 

< 

...  v„ 

(dTY+'rf*2 
\dp)     vk+2 

mk+2 

vk+2 

•  •  •  v». 

0. 


In  derselben  Weise   ergeben  sich  die  übrigen  Determinanten. 


232 


Eduard   Riccke, 


Aus  dem  ganzen  Büschel  der  von  A  auslaufenden  Curven 
greifen  wir  wiederum  die  Curve  c'  heraus.  In  jedem  Punkt  der- 
selben haben  nicht  nur  p  und  T ',  sondern  auch  die  Potentiale 
V*\i  K>  t*i>  •  •  •  \?i  bestimmte  Werthe.  Tragen  wir  in  jedem  Punkt 
der  Curve  c'  den  zugehörigen  Werth  von  jx[  senkrecht  zu  der 
Ebenem,  Tauf,  so  erhalten  wir  eine  Raumcurve ,  deren  einzelne 
Punkte  die  zusammengehörigen  Werthe  von  p,  T  und  \l[  repräsen- 
tiren.  Eine  ebensolche  Curve  repräsentirt  die  zusammengehörigen 
Werthe  von  p,  T,  \l'v  von  p,  T,  \l'3  u.  s.  w.  ;  wir  erhalten  also  über 
der  Curve  c'  ein  System  von  7c  Raumcurven  entsprechend  den  Je 
verschiedenen  chemischen  Componenten. 

Gehen  wir  auf  der  ersten  dieser  Curven  von  einem  beliebigen 
Punkte  aus  um  die  Strecken  dp',  dT',  d\L[  weiter,  so  finden  die 
Beziehungen  statt 


w 


M» 


dp'idT'idti 

.    ml'    m[! 


m 


w: 


V" 
v" 

1 

m 

..tu 

1 

m 

~t 

Die  durch  die  zusammengehörigen  Werthe  von 
p't  T\  |xj  bestimmte  Raumcurve,  auf  welche  sich  die 
vorhergehenden  Formeln  beziehen,  möge  im  Folgen- 
den durch  Ä  bezeichnet  werden. 

Nehmen  wir  aus  der  Zahl  der  h  +  1  Phasen,  welche  längs  der 
Curve  c'  im  Gleichgewichte  mit  einander  sich  befinden,  eine  weitere 
hinweg,  so  bleiben  zwischen  unseren  7c  +  2  Variabein  p,  T,  \l1  .  .  . .  \Lk 
noch  7c  Gleichungen  bestehen;  aus  diesen  werden  die  Potentiale  jx 
zu  berechnen  sein  als  Funktionen  von  p  und  T,  während  diese 
letzteren  Variabein  unbestimmt  bleiben.  Richten  wir  unsere  Auf- 
merksamkeit insbesondere  auf  denjenigen  Ausdruck,  durch  welchen 
\l1  gegeben  wird  als  Funktion  von  p  und  T,  so  wird  derselbe  in 
einem  rechtwinkligen  Coordinatensystem  mit  denAxen  p,  Tund  \lx 
dargestellt  werden  durch  eine  Fläche.  Lassen  wir  aus  der 
Zahl  der  Phasen,  welche  in  c'  coexistiren,  der  Reihe 
nach  diePhasen  2,  3...ß  +  2  weg,  so  erhalten  wir  7c  +  1 
verschiedene  Systeme  von  Gleichungen;  jedem  der- 
selben entspricht  eine  besondere  Beziehung  zwischen 
p,  T  und  |xx,  jedem  derselben   eine  besondere   durch 


Beiträge  zu  der  von  Gibbs  entworfenen  Theorie  der  Zustandsänderungen  etc.    233 

jene  Beziehung  dargestellte  Oberfläche.  Wir  be- 
zeichnen diese  Flächen  der  Reihe  nach  durch  f'2,  flfl,  . .  /1;*fa  die 
ihnen  angehörenden  Werthe  der  Variabein  durch  p12,  T19,  ^2;  pia, 
Ti3,  [jl]8  ;  . . .  .  In  der  Schnittlinie  von  irgend  zweien  dieser  Flächen 
sind  alle  diejenigen  Gleichungen  erfüllt,  durch  welche  wir  die  Curve 
A'  bestimmt  haben.  Die  Curve  A!  ist  somit  die  Schnittlinie  jener 
Flächen  und  ebenso  der  übrigen  durch  die  zusammengehörigen 
Werthe  von  p,  T,  \ll  gegebenen.  Die  Curve  A'  bildet  somit 
die  gemeinsame  Schnittlinie  der  Je  +  1  Flächen  /ia,  /l8 
. . .  f1,M,  längs  welcher  je  Je Phasen  im  Gleichgewichte 
sich  befinden,  aus  derenZahl  die  Phase  1  ein  für  alle- 
mal ausgeschlossen  ist. 

Ebenso,  wie  wir  der  Curve  c'  eine  Raumkurve  A!  zugeordnet 
haben ,  können  wir  der  Curve  c"  eine  Raumkurve  A"  zuordnen. 
Wir  erhalten,  indem  wir  dies  für  alle  Curven  c  ausführen ,  ein 
System  von  Je +  2  Raumkurven,  welche  sich  alle  in  einem  und  dem- 
selben senkrecht  über  A  gelegenen  Punkte  durchschneiden  müssen. 
Jede  dieser  Curven  bildet  ihrerseits  wieder  die  Axe  für  Je  + 1 
fächerförmig  von  derselben  ausstrahlende  Flächen,  längs  welcher 
je  Je  Phasen  mit  einander   im  Gleichgewichte    sich   befinden.      Die 

(Je  +  2)  (Je  -f- 1) 
Zahl  dieser  Flächen  ist  demnach  ^ ~ und  jede  derselben 

geht  durch  zwei  von  den  Curven  A  hindurch. 

Kehren  wir  zurück  zu  der  Fläche  /'12,  so  ergiebt  sich  aus  der 
Anwendung  der  Gleichung  2  auf  die  in  derselben  coexistirenden 
Phasen  die  folgende  Beziehung  zwischen  den  Coordinatenunter- 
schieden  zweier  auf  der  Fläche  benachbarter  Punkte : 


5) 


dT12 


dp12 


m. 


m: 


1    ?ÜL 

J-       in 

V 


m 


1     . 


ma 

v" 


+  ^ia 


mt 


m. 


234 


Eduard  Rieck  e, 


Liegt  das  die  beiden  Punkte  verbindende  Linienelement  in 
einer  zu  der  Ebene  p,  T  parallelen  Ebene,  so  ist  dp12  =  0  und 
wir  erhalten: 


6) 


m2  ma 

1  v"  lr 

K 

1   vIV  ' 


=  8T12 


Hl 

Wh 

m. 

v" 

V 

v" 

vIV 

• 

• 

Auf  der  Curve  A',  längs  welcher  die  h  +  1  Phasen  2,  3  . .  h  +  2 
im  Gleichgewichte  sich  befinden,  nehmen  wir  einen  beliebigen  Punkt 
B,  welchem  der  Potential werth  \i.[  angehören  möge.  Ohne  dass 
der  Zustand  des  Systems  aus  dem  Punkte  B  sich  entfernt,  können 
wir  nun  eine  der  Phasen  etwa  2  zum  Verschwinden  bringen.  Ist 
dies  erreicht,  so  wird  bei  einer  nunmehr  eintretenden  Aenderung 
von  Temperatur  und  Druck  der  Zustand  des  Systems  längs  der 
Fläche  f12  sich  fortbewegen.  "Wir  setzen  voraus,  daß  jene  Aende- 
rungen  so  vorgenommen  werden,  daß  dabei  das  Potential  \i\  seinen 
Werth  nicht  ändert,  dann  bewegt  sich  der  Zustand  des  Systems 
auf  der  Linie,  in  welcher  die  Fläche  f12  von  der  Ebene  \i[  =  Const. 
durchschnitten  wird.  Die  Neigung,  welche  diese  Linie  in  dem 
Punkt  B  gegen  die  Axen  p  und  T  besitzt ,  wird  bestimmt  durch 
die  Gleichung,  welche  wir  im  Vorhergehenden  zwischen  op12  und 
8  T12  aufgestellt  haben.  Wir  können  nun  in  derselben  Weise  die 
Phase  3  zum  Verschwinden  bringen;  ändern  wir  dann  wiederum 
bei  konstant  erhaltenem  Werthe  ^  die  Werthe  von  p  und  T,  so 
bewegt  sich  der  Zustand  des  Systems  auf  der  Curve ,  in  welcher 
die  Fläche  f13  von  der  Ebene  \i\  —  Const.  geschnitten  wird.  In 
dem  Punkte  B  wird  die  Neigung  der  Curve  gegen  die  Axen  p 
und  T  bestimmt  durch  die  Gleichung: 


6') 


Sp1 


me 


1    ?±L 

X.  II 

V  V 


m 


hT 


IL 

mx 

ii 

V 

v" 

riir 

mn 

vIV 

vlv 

• 

m* 


Wenn  wir  in  derselben  Weise  weitergehen,  so  erhalten  wir 
in  der  durch  den  Punkt  B  hindurchgelegten  Ebene  \i[  =  Const. 
ein  System  von  Je  +  1  Curven ,  welche  durch  gewisse  Gleichungen 
zwischen  den  Veränderlichen  p  und  T  bestimmt  sein  werden.   Auf 


Beiträge  zu  der  von  Gibbs  entworfenen  Theorie  der  Zustaudsänderungen  etc.  235 

der  Curve  dVi  findet  Gleichgewicht  statt  zwischen  den  Phasen  3,  4 
...  Je  +  2,  auf  der  Curve  d13  Gleichgewicht  zwischen  2,  4  ...  Je  +  2 
u.  s.  w.  immer  unter  der  Voraussetzung ,  daß  die  Veränderungen 
von  p  und  T  so  gewählt  werden ,  daß  dabei  p.'x  konstant  bleibt. 
Die  Neigungen  der  Curven  gegen  die  Axen  p  und  T  werden  in 
ihrem  Ausgangspunkte  B  bestimmt  durch  Gleichungen  von  der 
Art  der  im  Vorhergehenden  gegebenen ;  die  in  denselben  auftre- 
tenden Determinanten  sind  ganz  ebenso  gebaut,  wie  die  in  den 
Gleichungen  3  und  4  vorkommenden.  Daraus  ergiebt  sich,  dass 
zwischen  den  Je  -f  1  Richtungstangenten  der  Curven  d12,  d13  .  .  . 
d1,k+2Je  +  l  Gleichungen  bestehen,  welche  den  Gleichungen  4  voll- 
kommen analog  sind. 

Wir  kommen  auf  diesem  Wege  zu  dem  folgenden 
geometrischen  Bild  für  den  Zusammenhang  unseres 
Phasensysteme s.  Den  Ausgangspunkt  bildet  der  Punkt  A, 
in  welchem  die  Maximalzahl  von  Je  +  2  Phasen  im  Gleichgewichte 
sich  befindet.  Wir  ziehen  von  diesem  Punkte  aus  die  Je  +2  Curven 
c,  längs  welcher  je  Je  +  1  Phasen  im  Gleichgewichte  sind.  Indem 
wir  nun  als  weitere  Variable  das  Potential  einer  beliebigen  unter 
unseren  chemischen  Componenten  einführen,  etwa  plf  konstruiren 
wir  über  dem  System   der  Curven  c  das  System  der  Raumkurven 

(Je  +  1)  (Je  +  2) 
A.    Wir  verbinden  diese   durch   die ~ Flächen,   längs 

welcher  je  Je  von  unseren  Phasen  mit  einander  im  Gleichgewicht 
sind. 

Nehmen  wir  nun  auf  einer  der  Raumkurven  A  etwa  A\  längs 
welcher  die  Phase  1  fehlt,  einen  Punkt  B,  legen  wir  durch  diesen 
eine  Ebene  parallel  zu  der  Coordinatenebene  p  T1  so  erhalten  wir 
Je  -f  1  Schnittkurven  d1  mit  den  durch  A!  hindurchgehenden  Flächen. 
Auf  diesen  Curven  sind  je  Je  Phasen  mit  einander  im  Gleichge- 
wicht ;  die  Phase  1  fehlt  auf  allen  und  alle  Veränderungen  des 
Systems  sind  der  Bedingung  unterworfen,  daß  das  Potential  der 
ersten  chemischen  Componente  denselben  Werth  behält. 

In  dem  Curven  System  dl  finden  sich  die  Eigenschaften  des 
Systemes  c  hinsichtlich  der  Neigungen,  welche  die  einzelnen  Curven 
in  ihrem  Ausgangspunkte  gegen  die  Axen  p  und  T  besitzen  voll- 
ständig reproducirt.  Man  kann  an  das  Curvensystem  dl  ganz  die- 
selben Betrachtungen  anknüpfen  wie  an  das  System  c  und  gelangt 
so  zu  dem  Satze : 

Ein  System  von  Je  +  1  Phasen,  in  welchem  das  Potential  einer 
chemischen   Componente  konstant  erhalten  wird,    verhält  sich  ge- 


236     Eduard  Riecke,  Beiträge  zu  der  von  Gibbsentworfenen  Theorie  etc. 

rade  so,  wie  ein  System  von  k+2  Phasen  bei  unbeschränkter  Ver- 
änderlichkeit der  Potentiale. 

Die  Fortsetzung  derselben  Betrachtungen  führt  zu  dem  allge- 
meinen Satze : 

Ein  System  von  i  Phasen,  in  welchem  die  Poten- 
tiale von  Jc-\-2  —  i  chemischen  Komponenten  festge- 
halten werden,  besitzt  dieselben  Eigenschaften,  wie 
ein  System  von  Je  +  2  Phasen  bei  unbeschränkter  Ver- 
änderlichkeit der  Potentiale.  Die  Maximalzahl  der  coexi- 
stirenden  Phasen  bleibt  dabei  immer  um  2  größer  als  die  Zahl  der 
chemischen  Componenten  mit  veränderlichem  Potential. 

Man  sieht,  daß  durch  die  vorhergehenden  Sätze  ein  Schema 
gegeben  wird ,  in  welches  alle  möglichen  Zustände  eines  aus  Je 
chemischen  Componenten  zusammengesetzten  Systemes  eingeordnet 
werden  können. 


Ueber  die  Reihenentwickelung   der   geraden  Sig- 
mafunetionen  zweier  Veränderlichen. 

(Aus  einem  Briefe  an  Herrn  Prof.  Wiltheiss  in  Halle1).) 

Von 

Fr.  Brioschi  in  Mailand. 

(Vorgelegt  von  F.  Klein.) 

Nachstehend  wünsche  ich ,  Ihnen  eine  Transformation  der 
Differentialgleichung  für  die  geraden  Funktionen  o  (uv  u2)  mitzuthei- 
len,  welche,  wie  mir  scheint,  das  Problem  der  Reihenentwicklung 
vollständig  löst. 

Wie  Sie  wissen,  wenn  man  mit  a.  eine  Wurzel  der  Gleichung 
f  =  0  bezeichnet  und 

i  da.'  i   '  dai '  <   '  da. 

setzt,   so  hat  man  bei  der  Bezeichnung  eines  Gliedes  der  Reihen- 
entwicklung mit  N  die  Beziehungen 


1)  Die  Resultate  des  Herrn  Wiltheiss,  auf  welche  Herr  Brioschi  im 
Texte  Bezug  nimmt,  sind  in  dessen  Abhandlung :  „Ueber  eine  Covarianten  bildende 
Operation,  Theil  II"  enthalten  und  in  Bd.  36,  Heft  1  der  mathematischen  Anna- 
len  bereits  veröffentlicht.  Kl. 


Fr.  Brioschi,  Keihenentwickelung  von  Sigmafunctionen.  237 

wo  die  gerade  Zahl  m  die  Ordnung  von  N  bedeutet  und  8X  =  2  a.  ist. 
Es  sei  nun  /*  =  9.^  und  ar  eine  der  Wurzeln  von  <p  =  0,  as 
eine   der  Wurzeln   von  <\>  =  0.     Ich  bezeichne  mit  6r0,  Gv  G2  die 
drei  Operationssymbole 

«.<»>-?f-?f. 


wo 


setze 


und  verstehe  unter  D  das  Operationszeichen 

D  =  ß[^2G0  +  2\}12Gi  +  bnG2]  +  J[ulG0^2utu2G1^ulGi]1 
wo 

1     ^20 


?u  = 


Sei  nun 


so  besteht  zwischen  den  drei  Funktionen  Sn,  Sn_v  #n_a  die  Relation 

(1)     8.  =  D(S„.,)  +  (4n-3)S1S,.1-2i(n-l)(2n-3)kS..2, 

(wo  &  =  k(ff)i)',  eine  Relation,  die  ganz  analog  ist  derjenigen 
für  die  elliptischen  o  -  Functionen.  Man  kann  leicht  zeigen ,  daß, 
wenn  M  eine  simultane  Invariante  pten  Grades  von  <p  und  ty  ist, 
D(M)  eine  simultane  Covariante  zweiter  Ordnung  und  (p  +  2)ten 
Grades  wird  und  daß,  wenn  M  eine  simultane  Covariante  vom  pten 
Grade  und  mter  Ordnung  ist ,  D  (M)  eine  simultane  Covariante 
(p  +  2)ten  Grades  und  (m  +  2)ter  Ordnung  wird.    Und  da  nun 

8.  -  f  (?+). 


238  Fr.  Brioschi,  Reihenentwickelung  von  Sigmafunctionen. 

eine  simultane  Covariante  zweiten  Grades  und  zweiter  Ordnung 
ist,  so  wird  Sn  eine  solche  vom  2üten  Grade  und  2wter  Ordnung  sein. 

Die  Operation  D  beschränkt  die  Anzahl  der  simultanen  Inva- 
rianten und  Covarianten,  welche  die  Glieder  der  Reihenentwicklung, 
St ,  iSL  ...  bilden.  Sie  theilen  mir  in  Ihrem  Briefe  mit ,  daß  Sie 
auf  anderm  Wege  zu  demselbem  Resultate  gelangt  seien.  Aber 
es  scheint  mir,  daß  die  Operation  D  diesen  wichtigen  Punkt  besser 
präcisirt. 

Angenommen 

J(<pcp)2  =  a,     (<p<|*),  =  b,     Htft  =  c, 
(ca)    =  ß,      (ca)2  =  T,        (5ß)f  ==      |(Xfi)  =  x, 

so  bestehen  die  Glieder  Sv  ßr  .  .  .  aus 

drei  simultanen  Invarianten:  J,  y,  x, 

drei  simultanen  Covarianten :  b,  ß,  Xjx  von  der  zweiten  Ordnung, 
zwei  simultanen  Covarianten:  d,  ac  von  der  vierten  Ordnung, 
einer  simultanen  Covariante:  <p<];  von  der  sechsten  Ordnung, 

d.  h.  aus  neun  simultanen  Formen.     Man  hat  in  der  That 

D(b)     =  2(JÜ  +  24:ac  —  662), 

D{J)   =  —  6(J6  +  6ß), 

D(ft)    =  4J><|>  — 1860, 

D(ac)  =  12  ßfr, 

D(<p<|0  =  — 18&2, 

D(p)     =  2(Jrac  +  6T0  — 3&ß), 

D(T)     =  -8^  +  12  Afi, 

D(X{x)  =  8(ßx-Ji)ü  +  ±Jb$  +  3ß(F-*(b*)  +  12(12i—J2)ac, 

D(k)     =  —  6x&  +  36Tß  —  2<A[i, 

welche  Ausdrücke  zeigen,  daß  der  Kreis  der  Formen,  die  durch 
die  Operation  D  entstehen,  ein  geschlossener  ist.    Man  hat  überdies 

10x  =  —  Jü  +  6ac  +  ib2, 

und  demnach  muß  man  zu  Folge  der  Relation  (1)  dasselbe  von  Sn 
sagen. 

Mailand,  den  6.  April  1890. 


A.  Schoenflies,  Theorieen  der  Krystallstructur.  239 


Ueber  das  gegenseitige  Verhältniß  der  Theorieen 
über  die  Structur  der  Krystalle. 

Von 

A.  Schoenflies1), 

(Vorgelegt  von  F.  Klein.) 

1.  Die  folgende  Mittheilung  ist  bestimmt,  für  diejenigen  geo- 
metrischen Fragen,  welche  das  Verhältniß  der  Structurtheorieen 
zu  einander  betreffen ,  eine  übersichtliche  Darstellung  zu  geben, 
zu  dem  Zweck ,  eine  abschließende  Beurtheilung  derselben  zu  er- 
möglichen. In  der  Auffassung  der  einschlägigen  Verhältnisse  hat 
es  bislang  an  der  erwünschten  Uebereinstimmung  sehr  gefehlt.  Es 
dürfte  genügen,  wenn  ich  hierfür  auf  die  vor  kurzem  erschienene 
Arbeit  des  Herrn  Blasius  verweise2),  in  welcher  Herr  Blasius 
sich  ebenfalls  die  Aufgabe  stellt,  die  bisher  bekannten  Structur- 
theorieen nach  geometrisch  -  krystallographischen  Gesichtspunkten 
mit  einander  zu  vergleichen.  Wenn  das  Ergebniß  dieses  Ver- 
gleichs weder  als  überzeugend  noch  als  abschließend  bezeichnet 
werden  kann,  so  liegt  dies  daran,  daß  einerseits  gewisse  gruppen- 
theoretische Thatsachen ,  die  auf  diesem  Gebiet  an  erster  Stelle 
figuriren  sollten,  nicht  berücksichtigt  werden  und  daß  andrerseits, 
wie  dies  übrigens  bisher  stets  üblich  gewesen  ist,  bei  der  Prüfung 
der  Symmetrieverhältnisse  ausschließlich  mit  P  u  n  k  t  Systemen  ope- 
rirt  wird.  Zur  Vermeidung  von  Irrthümern  scheint  es  jedoch 
zweckmäßig,  für  die  geometrischen  Untersuchungen  die  Molekeln 
selbst  in's  Auge  zu  fassen;  wenigstens  ist  es  diesem  Umstände 
zu  danken ,  wenn  es  mir ,  wie  ich  hoffe ,  gelungen  ist ,  zu  einem 
endgiltigen  Resultat  zu  kommen. 

2.  Drei  verschiedene  Theorieen  kommen  in  Frage,  nämlich 
1)  die  Theorie  von  Bravais  und  Wulff,  2)  die  Theorie  von 
Wiener  und  Sohncke,  und  3)  diejenige,  welche  ich  selbst  in 
diesen  Nachrichten  kürzlich  dargestellt  habe3).  Ich  bemerke,  daß 
die  Notwendigkeit,  die  Theorie  so  weiterzubilden,  wie  es  dort 
geschehen  ist,  mir  gegenüber  zuerst  von  Herrn  Klein  betont 
worden  ist.    Auf  die  a.  a.  0.  benutzten  Punktsysteme  war  übrigens 

1)  Die  ausführliche  Darstellung  wird  binnen  Kurzem  erscheinen. 

2)  Ueber  die  Beziehungen  zwischen   den  Theorieen  der  Krystallstructur  etc. 
Ber.  d.  Münch.  Akad.  1889.    Bd.  19.     S.  47. 

3)  Jahrg.  1889.    S.  483. 

Nachrichten  von  der  K.  Q.  d.  W.  zu  üöttingen.  18W.  Nr.  0.  20 


240  A.  Schoenflies, 

schon  vorher  von  Herrn  P.  Curie1),  und  wie  ich  erst  kürzlich 
erfahren  habe,  auch  von  Herrn  Fedoroff2)  hingewiesen  worden. 

Vom  geometrischen  Gesichtspunkt  aus  handelt  es  sich  bei 
jeder  Theorie  in  erster  Linie  um  die  Erklärung  der  Kry- 
stallsymme  trie  aus  der  Natur  und  der  Anordnung 
der  Krystallmolekeln.  In  dieser  Hinsicht  ist  zu  verlangen, 
daß  jede  Theorie  —  soll  sie  anders  als  zulässig  zu  betrachten 
sein  —  für  alle  bekannten ,  resp.  theoretisch  möglichen  Kry stall- 
gestalten Molekelhaufen  von  unbegrenzter  Ausdehnung  zu  construi- 
ren  vermag ,  welche  genau  dieselbe  Symmetrie 3)  aufweisen ,  wie 
der  bezügliche  Krystall  selbst4).  Nun  zerfallen  bekanntlich  die 
Krystalle  rücksichtlich  ihrer  Symmetrie  in  32  von  einander  ver- 
schiedene Klassen ,  welche  den  32  Gruppen  von  Symmetrieen  um 
einen  Punkt  entsprechen5).  Danach  ist  evident,  daß  eine  Structur- 
theorie  der  eben  gestellten  Forderung  immer  und  nur  dann  genügt, 
wenn  sie  für  jede  dieser  32  Klassen  Molekelhaufen 6)  von  analogem 
Symmetriecharacter  enthält. 

Diese  Bedingung  ist  für  jede  der  genannten  drei 
Theorieen  ausnahmslos  erfüllt. 

3.  Die  Fragen,  welche  an  dieser  Stelle  beantwortet  werden 
sollen,  präcisire  ich  nun  folgendermaßen: 

In  welchen  mathematischen  Thatsachen  ist  es  be- 
gründet, daß  —  auf  Grund  der  Hypothese  über  den  regelmäßigen 
Aufbau  der  Krystallmasse  —  verschiedene  Theorieen  ne- 
ben einander  existiren  können,  die  in  dem  eben  ge- 
nannten Sinne  gleichwerthig  sind;  und  zweitens,  wie 
viel  Theorieen  dieser  Art  sind  überhaupt  möglich. 

Die  Antwort,  die  hierauf  zu  ertheilen  ist,  beruht  auf  einigen 
wenigen  gruppentheoretischen  Ueberlegungen. 

Die  regelmässigen  Molekelhaufen,  in  welche  sich  die  Krystall- 
masse auflösen  läßt,  entstehen  bekanntlich  in  jedem  Fall  dadurch, 


1)  On  n'a  pas  encore  etudie  d'une  fagon  complete  la  symetrie  d'une  matiere 
cristallisee  etc.     Bull,  de  la  soc.  min.  de  France.  Bd.  7.  S.  453  (1884). 

2)  Vgl.  die  russisch  geschriebenen  „Elemente  der  Lehre  von  den  Figuren". 
Petersburg  1885.  S.  239  und  240. 

3)  Das  Wort  „Symmetrie"  ist  hier,  wie  im  Folgenden  immer  im  krystallo- 
graphischen  Sinn  gebraucht. 

4)  Dieser  Standpunkt  deckt  sich  allerdings  nicht  mit  demjenigen  des  Herrn 
Blasius.    Hierauf  gehe  ich  in  der  ausführlichen  Darstellung  genauer  ein. 

5)  Diese  32  Gruppen  werde  ich,  da  sie  gruppentheoretisch  zuerst  von  Herrn 
Minnigerode  abgeleitet  sind,  im  Folgenden  stets  als  die  Minnige  rode  sehen 
Gruppen  bezeichnen. 

6)  Es  sind  immer  Molekelhaufen  von  unbegrenzter  Ausdehnung  gemeint. 


Theorieen  der  Krystallstructur.  241 

daß  eine  beliebige  Molekel  Wl  den  säramtlichen  Operationen  einer 
Gruppe  von  Raumtransformationen  —  sie  heisse  T  —  unterworfen 
wird.  In  jeden  Fundament  alb  er  eich,  der  zugehörigen  Raumth  eilung 
fällt  eine  Molekel.  Ist  die  Gruppe  eine  Bewegungsgruppe,  so  sind 
alle  Molekeln  in  Form  und  Qualität  einander  congruent;  im  all- 
gemeinen Fall  dagegen  ist  der  Molekelhaufen  offenbar  zur  Hälfte 
aus  congruenten  Molekeln  aufgebaut,  zur  Hälfte  aus  solchen,  welche 
der  Ausgangsmolekel  spiegelbildlich  gleich  sind. 

Jede  Gruppe  T  von  Raumtransformationen  ist,  wie  ich  bewiesen 
habe,  einer  der  32  Minniger  o  de  sehen  Gruppen  G  isomorph1). 
Dies  findet  so  statt ,  daß  jeder  Operation  von  G  unendlich  viele 
analoge  Operationen  von  V  entsprechen;  beispielsweise  finden  sich 
zu  jeder  n  -  zähligen  Symmetrieaxe  von  G  unendlich  viele  ihr  pa- 
rallele w-zählige  Drehungsaxen  resp.  Schraubenaxen  von  T.  Nun 
wird  der  Symmetriecharacter  eines  Molekelhaufens,  wie  unmittelbar 
einleuchtet,  genau  durch  diejenigen  Operationen  bestimmt,  welche 
ihn  so  in  sich  überführen,  daß  jede  Molekel  wieder  mit  einer  Mo- 
lekel zur  Deckung  gelangt 2).  Dies  sind,  wenn  wir  eine  beliebig 
gewählte  Ausgangsmolekel  benutzen ,  keine  andern  als  diejenigen, 
durch  welche  der  Molekelhaufen  erzeugt  wurde ,  d.  h.  die  Opera- 
tionen von  T.  Die  vorstehend  genannten  Molekelhaufen  sind  also 
bezüglich  ihrer  Symmetrie  genau  den  32  Krystallclassen  zuzuordnen. 

Dies  ist  die  Auffassung,  welche  der  von  mir  selbst  dargestell- 
ten Theorie  zu  Grunde  liegt.  Krystallographisch  läuft  sie  darauf 
hinaus ,  daß  jede  der  Molekeln  als  isolirter  Krystallbaustein  zu 
betrachten  ist ,  und  daß  die  Symmetrie  der  Krystallmasse  aus- 
schließlich auf  der  Anordnung  der  Molekeln,  d.h.  auf  der  Struc- 
tur8)  beruht. 

4.  Wenn  der  besondere  Fall  eintritt,  daß  die  Molekel  äft 
selbst  mit  Symmetrieeigenschaften  begabt  ist ,  so  kann  der  aus 
ihr  vermittelst  der  Gruppe  T  erzeugte  Molekelhaufen  dadurch 
ebenfalls  höheren  Symmetriecharacter  erhalten;  d.  h.  es  kann  der 
Fall  eintreten,  daß  er  noch  durch  andere  Operationen  in  sich  über- 
geht, als  diejenigen  von  T.  Hierin  liegt,  wie  sich  zeigen 
wird,  die  gruppentheoretische  Erklärung  der  That- 
sache,  daß  mehrere  Structurtheorieen  nebeneinander 
bestehen    können.      Dieser  Punkt    soll  nun   genauer  analysirt 

1)  Vgl.  Math.  Annalen,  Bd.  29,  S.  50  u.  Bd.  34,  S.  179. 

2)  Dabei  bleibt  es  zunächst  eine  offene  Frage,  ob  die  bezüglichen  Operatio- 
nen jede  Molekel  3Ji  in  eine  andere  überführen,  oder  nicht. 

3)  Es  dürfte  dem  allgemeinen  Sprachgebrauch  entsprechen,  wenn  unter  Struc- 
tur  nur  die  Anordnung  der  Molekeln  im  Raum  verstanden  wird. 

20* 


242  A.  S  che- enf  lies, 

werden.  Zu  diesem  Zweck  wollen  wir  zunächst  ganz  allgemein 
die  Frage  untersuchen ,  auf  welchen  geometrischen  Ver- 
hältnissen überhaupt  die  Symmetrie  eines  Molekel- 
haufens beruhen  kann. 

Um  an  Bekanntes  anzuknüpfen,  möge  zunächst  auf  die  bezüg- 
lichen Verhältnisse  der  B  r  a  v  a  i  s  sehen  Gitter  hingewiesen  werden. 
Die  Bravais  sehen  Molekelhaufen,  welche  irgend  einer  der  32 
Gruppen  G  entsprechen,  werden  stets  so  gebildet,  daß  zur  Erzeu- 
gung eine  Molekel  benutzt  wird,  welche  bei  allen  Operationen 
der  Gruppe  G  in  sich  übergeht ,  deren  Symmetrie  also  durch  die 
Gruppe  G  gekennzeichnet  ist.  Diese  wird  den  sämmtlichen  Bewe- 
gungen einer  gewissen  Translationsgruppe  T  unterworfen.  Bilden 
wir  nun  diejenige  Gruppe  T,  welche  sich  durch  Multiplication  von 
G  und  T  ergiebt;  so  ist  klar,  daß  jede  ihrer  Operationen  den 
Molekelhaufen  in  sich  überführt.  Die  Symmetrie  des  Molekel- 
haufens ist  daher  durch  die  Gruppe  F  characterisirt ;  andrerseits 
ist  evident ,  daß  sie  nur  zum  Theil  auf  der  Structur ,  zum  Theil 
aber  auch  auf  der  Qualität  der  Molekel  beruht. 

Es  wird  sich  zeigen,  daß  allemal,  wenn  die  Qualität 
der  Molekel  von  Einfluß  auf  die  Symmetrie  des  Mo- 
lekelhaufens ist,  Verhältnisse  vorliegen,  die  den 
eben  geschilderten  analog  sind.    Dies  ergiebt  sich  wie  folgt. 

5.  Es  sei  §  irgend  ein  regelmäßiger  Molekelhaufen,  Wl  eine 
seiner  Molekeln,  und  T  die  Gruppe  von  Raumtransformationen, 
die  ihn  in  sich  überführen.  Diese  Gruppe  bestimmt,  wie  bereits 
oben  hervorgehoben,  die  Symmetrie  des  Molekelhaufens.  Nun  sind 
zwei  Fälle  möglich.  Entweder  giebt  es  unter  den  Operationen 
von  r  —  abgesehen  von  der  Identität  —  keine,  welche  die  Molekel 
$1  mit  sich  selbst  zur  Deckung  bringt,  oder  es  giebt  solche  Ope- 
rationen. Im  ersteren  Fall  entsteht  der  Molekelhaufen ,  wie  die 
oben  erwähnten  so,  daß  die  Molekel  9#  den  sämmtlichen  Operatio- 
nen von  T  unterworfen  wird ,  und  seine  Symmetrie  ist  nur  von 
der  Structur  abhängig.  Im  letzteren  Fall  gilt  dies  nicht  mehr. 
Die  Operationen,  welche  die  Molekel  Wl  in  sich  überführen,  bilden 
alsdann  offenbar  stets  eine  der  32  Min  nige  ro  de  sehen  Gruppen  G, 
welche  in  T  als  Untergruppe  enthalten  ist.  In  diesem  Fall  giebt 
es  aber  stets  eine  in  T  enthaltene  Untergruppe  F  von  der  Art, 
daß  T  durch  Multiplication  von  G  und  F  gebildet  werden  kann1); 


1)  Dies  läßt  sich  leicht  einsehen,  wenn  statt  T  —  was  ja  ausreicht  —  eben- 
falls eine  der  32  Minnige  rode  sehen  Gruppen  gesetzt  wird.  Man  vgl.  übrigens 
auch   meine   Mittheilung   über   „reguläre   Gebietstheilungen   des  Raumes"  (diese 


Theorieen  der  Krystallstructur.  243 

der  Molekelhaufen  §  kann  daher  einfach  so  erzeugt  werden,  daß 
die  symmetrische  Molekel  $1  allein  den  Operationen  der  Gruppe  V 
unterworfen  wird. 

Der  Symmetriecharakter  dieses  Molekelhaufens  hängt  nun 
nicht  mehr  von  der  Structur  allein  ab ,  sondern  theils  von  der 
Structur,  theils  von  der  Qualität  der  Molekel,  mit  welcher  er  auf- 
gebaut ist;  die  Structur  ist  durch  die  Gruppe  F,  die  Molekel- 
qualität durch  die  Gruppe  G  charakterisirt.  Damit  ist  bewiesen, 
daß  die  Molekelqrialität  in  der  That  die  Symmetrie  nur  in  der 
Weise  beeinflussen  kann ,  wie  es  bei  den  Bravais  sehen  Gittern 
der  Fall  ist. 

6.  Geometrisch  resp.  gruppentheoretisch  ist  es  offenbar  gleich- 
giltig,  ob  wir  uns  die  Molekel  Wl  als  eine  körperliche  Einheit  vor- 
stellen, oder  ob  wir  annehmen,  daß  dieselbe  aus  einzelnen  kleineren 
Bestandtheilen  besteht.  Im  Besondern  ist  es  zulässig  zu  bestimmen, 
daß  sie  aus  einem  Körperelement  Mt  mittelst  der  verschiedenen 
Operationen  von  G  gebildet  ist,  also  gleichsam  als  Complex  klei- 
nerer Molekeln  aufzufassen  ist.  Wenn  wir  dieser  Auffassung  für 
jede  Molekel  folgen,  und  nun  die  Elemente  äft,  als  die  letzten  Be- 
standteile des  Krystallaufbaues  betrachten,  so  geht  der  Molekel- 
haufen §  in  einen  solchen  über ,  dessen  Symmetrie  nach  wie  vor 
durch  die  Gruppe  T  gegeben  ist,  aber  einzig  und  allein  auf  der 
Structur  beruht. 

Aus  den  vorstehenden  Erörterungen  ziehen  wir  noch  eine  letzte 
Folgerung.  Es  sei  wieder  §  ein  Molekelhaufen,  welcher  mittelst 
einer  Gruppe  F  aus  einer  beliebigen  Ausgangsmolekel  W  abgeleitet 
ist.  Wir  nehmen  an ,  daß  die  Gruppe  V  Untergruppen  G  und  V 
enthält,  wie  wir  sie  eben  betrachtet  haben1).  Ist  dies  der  Fall, 
so  steht,  wie  aus  dem  Obigen  folgt,  geometrisch  nichts  im  Wege, 
den  Molekelcomplex,  welcher  sich  aus  9R  mittelst  der  Operationen 
von  G  ergiebt,  als  eine  höhere  Einheit  aufzufassen  und  anzunehmen, 
daß  der  Molekelhaufen  mittelst  der  Untergruppe  V  aus  diesem 
Molekelcomplex  erzeugt  ist.  Es  läuft  dies  übrigens  darauf  hinaus, 
bei  der  Raumtheüung ,  welche  durch  T  bestimmt  ist,  nicht  den 
Fundamentalbereich  von  f  selbst  als  letzten  individuellen  Gebiets- 


Nachr.  1888.  S.  231).  Den  gruppentheoretischen  Satz,  der  hier  zu  Grunde  liegt, 
findet  man  bei  Netto,  Theorie  der  Substitutionen,  §  38. 

Ich  bemerke  noch,  daß  solcher  Gruppen  P  im  Allgemeinen  mehrere  innerhalb 
der  Gruppe  T  gleichberechtigte  existiren.  Jede  derselben  kann  zu  dem  obigen 
Zweck  benutzt  werden. 

1)  Diese  Bedingung  ist  bekanntlich  für  die  meisten  Gruppen  T  erfüllt. 


244  A.  Schoenflies, 

theil  anzusehen,  sondern  das  Aggregat  solcher  w-Bereiche,  welche 
durch  die  Operationen  von  G  in  sich  übergehen  l). 

Ist  somit  die  Vorstellung,  welche  wir  mit  dem  Molekelhaufen  § 
verbinden  können,  wechselnder  Natur,  so  kann  doch,  wie  das  Vor- 
stehende zeigt,  die  Symmetrie  von  §  dadurch  in  keiner  Weise 
beeinflußt  werden.  Dieselbe  ist  ja  auch  eine  innere  geometrische 
Eigenschaft  und  kann  daher  unmöglich  von  dem  subjectiven  Er- 
messen abhängig  sein,  was  wir  als  letzte  individuelle  Einheit  des 
Krystallaufbaues  betrachten  wollen. 

7.  An  der  Hand  der  vorstehenden  Bemerkungen  läßt  sich  die 
oben  aufgeworfene  Frage  nunmehr  leicht  beantworten.  Wir  denken 
uns  wieder  den  mittelst  Y  erzeugten  Molekelhaufen  £).  Derselbe 
hat  einen  ganz  bestimmten  Symmetriecharakter ,  und  entspricht 
daher  den  Krystallgestalten  einer  gewissen  Krystallklasse,  näm- 
lich derjenigen,  deren  Symmetrie  mit  Y  isomorph  ist.  Dagegen 
ist,  wie  das  Vorstehende  zeigt,  die  Auffassung,  welche  wir  uns 
über  die  Structur,  d.  h.  über  den  Krystallaufbau,  zu  bilden  haben, 
im  Allgemeinen  keineswegs  bestimmt  und  kann  noch  mannigfach 
variirt  werden.  Dies  hängt  davon  ab,  ob  sich  für  Y  Untergruppen 
G  und  F  der  oben  genannten  Art  finden  lassen.  Durch  jedes 
derartige  Paar  von  Gruppen  G  und  V'  wird  eine  an- 
dere Auffassung  über  denAufbau  der  Kry s.tallmasse 
ermöglicht.  Sie  ist,  wie  bereits  oben  bemerkt,  in 
jedemFall  dadurch  gekennz  eichnet,  daß  die  Structur 
immer  durch  P  charakterisirt  ist,  während  dieGrruppe 
G  den  Krystallb  austeinen  eine  gewisse  Symmetrie 
aufprägt. 

8.  An  und  für  sich  läßt  sich  von  geometrischer  Seite  keine  der 
hiermit  angedeuteten  Auffassungen  abweisen  und  man  kann  daher 
bei  den  bezüglichen  Molekelhaufen  die  Symmetrie  in  mannigfacher 
Weise  begründen.  Historisch  liegt  allerdings  die  Sache  so,  daß 
im  Wesentlichen  nur  zwei  dieser  Auffassungen  zur  Ausgestaltung 
von  Structurtheorieen  benutzt  worden  sind,  nämlich  diejenigen, 
für  welche  Y'  eine  gewisse  ausgezeichnete  Untergruppe  von  Y 
wird2),  und  zwar  entweder  die  Translationsgruppe  oder  die  größte 
in  T  enthaltene  Bewegungsgruppe.  Ist  diese  Untergruppe 
die    Gruppe    der    Translationen,    so    haben    wir    die 

1)  Vgl.  „Reguläre  Gebietstheilungen  des  Raumes",  a.a.O.  S.  231. 

2)  Allerdings  kommen  auch  andere  Zusammenfassungen  vor,  besonders  bei 
Herrn  Wulff;  vgl.  über  die  regelmäßigen  Punktsysteme,  Zeitschr.  f.  Krystallogr. 
Bd.  13,  S.  505  ff.  Vgl.  auch  die  von  Herrn  Bar  low  erörterten  Punktsysteme. 
(Nature,  Bd.  29,  S.  186  u.  205.) 


Theorieen  der  Krystallstructur.  245 

Bravaissche  Gittertheorie,  und  die  Gruppe  G  ist,  wie 
schon  oben  erwähnt,  allemal  mit  derjenigen  unter  den  32  Minni- 
g  e  r  o  d  e  sehen  Gruppen  identisch,  welche  für  die  bezügliche  Krystall- 
form  charakteristisch  ist.  Für  jede  dieser  Gruppen  G  giebt  es 
bekanntlich  Gruppen  V,  welche  eine  solche  Auffassung  der  Molekel- 
haufen zulassen.  Andrerseits  ist  aber  zu  bemerken,  daß  dies  nicht 
bei  jedem  Molekelhaufen  §  möglich  ist ;  es  trifft  eben  nur  für  die- 
jenigen Transformationsgruppen  T  zu,  welche  durch  Multiplication 
der  32  Gruppen  G  mit  einer  Translationsgruppe  gebildet  werden 
können  *). 

9.  Für  die  S  o  h  n  c  k  e  sehe  Theorie  sind  die  einschlägigen  Ver- 
hältnisse noch  nicht  hinreichend  erörtert  worden.  Ich  gebe  zu- 
nächst an ,  zu  welchem  Resultat  eine  eingehende  Betrachtung 
hinführt. 

Die  S  o  h  n  c  k  e  sehe  Theorie  stimmt  theilweise  mit  der  von  mir 
dargestellten  Theorie  überein,  erklärt  also  zum  Theil  die  Symmetrie 
nur  aus  der  Structur.  Dies  trifft  z.  B.  für  alle  diejenigen  Kry  stalle 
zu,  welche  nur  Axensymmetrie  besitzen.  Für  die  andern  Krystalle 
ist  dies  aber  nicht  immer  der  Fall;  im  Besondern  wird  (vgl.  10b) 
für  die  mit  Ebenensymmetrie  begabten  Kry  stall- 
gestalten durchgehends  die  Symmetrie  nur  zum 
Theil  aus  der  Structur,  zum  Theil  aus  der  Molekel- 
qualität abgeleitet;  und  zwar  ist  die  ausgezeichnete  Unter- 
gruppe von  T,  welche  die  Structur  definirt,  diejenige  Bewegungs- 
gruppe F,  aus  welcher  T  durch  Multiplication  mit  einer  Spiegelung 
erzeugt  werden  kann,  während  die  Molekel  des  Aufbaues,  wie  die 
Natur  der  Gruppe  G  zeigt,    sich    selbst  spiegelbildlich  gleich  ist. 

Die  vorstehenden  Behauptungen  ergeben  sich  bei  richtiger  mole- 
kularer Interpretation  der  S  o  h  n  c  k  e  sehen  Anschauungen  als  not- 
wendige Consequenzen  der  Theorie.  Sie  beruhen  auf  Folgerungen, 
auf  welche  zwar  noch  nicht  hingewiesen  wurde,  die  aber  implicite 
mit  der  Theorie  verbunden  sind.  Sie  ergeben  sich  nämlich  aus 
der  besonderen  Eigenschaft  des  Punktes,  daß  er  als  geometrisches 
Gebilde  die  Symmetrie  einer  homogenen  Kugel  be- 
sitzt. Diese  Thatsache  ist  bisher  übersehen  worden;  sie  zeigt 
aber ,  daß ,  wenn  man  bloß  mit  Punktsystemen  operirt, 
dies  nicht  mehr  und  nicht  weniger  bedeutet,  als  daß 
man  den  Molekeln  stillschweigend  die  höchste  Sym- 
metrie   beilegt,    die    es    giebt.      Natürlich   können  die    für 


1)  Diese  Verhältnisse  sind  bereits  mehrfach  erörtert  worden.  Vgl.  z.  B.  B 1  a  s  i  us, 
a.  a.  0.  S.  56. 


246  A.  Schoenflies, 

Punktsysteme  abgeleiteten  Resultate  auch  für  beliebige  Molekeln 
giltig  bleiben;  es  kann  aber  auch  umgekehrt  die  Einführung  der 
Punkte  von  Einfluß  auf  die  Qualität  der  Molekel  sein ,  welche 
durch  den  Punkt  repräsentirt  wird. 

10.  Hierüber  sind  einige  ausführlichere  Bemerkungen  am  Platze, 
und  zwar  scheint  es  am  zweckmäßigsten,  damit  eine  eingehendere 
Erörterung  der  S  o  h  n  c  k  e  sehen  Theorie  zu  verbinden. 

Da  die  obige  Charakteristik  sowohl  die  ursprüngliche  als  die 
erweiterte  Form  der  S oh nck eschen  Theorie  trifft,  so  genügt  es, 
wenn  wir  unsere  Bemerkungen  an  die  letztere  anschließen. 

Die  erweiterte  S ohne ke sehe  Theorie1)  operirt  bekanntlich 
mit  Punktsystemen,  die  mit  w-Punktnern  gebildet  sind.  Die  bezüg- 
lichen Molekelhaufen  entstehen  so,  daß  n  Constructionspunkte  den 
sämmtlichen  Bewegungen  einer  Bewegungsgruppe  unterworfen  wer- 
den. Jeder  dieser  Punkte  bedeutet  einen  Krystallbaustein ;  in  jeden 
Fundamentalbereich  der  zugehörigen  Raumtheilung  kommt  ein  Com- 
plex  von  n  solchen  Punkten.  Diese  Molekelhaufen  zeigen,  so  lange 
der  w-Punktner  beliebig  bleibt,  in  ihrer  Structur  nur  Axen Symmetrie. 
Höhere  Symmetrie  erhalten  sie  nur  dadurch,  daß  der  Atomcomplex, 
welchen  der  w-Punktner  vertritt,  aus  zwei  Atomen  besteht,  die 
sich  selbst  spiegelbildlich  gleich  sind. 

Der  Sohn cke sehe  n-Punktner  wird  aber  keineswegs  immer 
in  dem  eben  genannten  Sinne  benutzt,  ebensowenig  wird  dem 
mit  der  Bewegungsgruppe  erzeugten  Molekelhaufen  der  höhere 
Symmetriecharakter  stets  durch  Benutzung  eines  geeigneten 
w-Punktners  aufgeprägt.  Mit  Bezug  hierauf  haben  wir  Folgendes 
zu  unterscheiden. 

a)  Es  giebt  eine  Krystallklasse ,  für  welche  die  von  Herrn 
Sohn  cke  angegebene  Construction  des  Molekelhaufens  mit  der 
von  mir  dargestellten  Theorie  so  gut  wie  ganz  übereinstimmt. 
Dies  ist  für  die  rhomboedrische  Tetartoedrie  des  hexagonalen 
Systems  der  Fall ;  für  sie  werden  Zweipunktner  resp.  zwei  Molekeln 
eingeführt,  die  nach  Form  und  Qualität  spiegelbildlich  gleich  an- 
zunehmen sind2). 

b)  Molekelhaufen  mit  Ebenensymmetrie  werden  durchgängig 
so  construirt,  daß  ein  Ausgangspunkt  in  einer  besonderen 
Lage  angenommen  wird,  nämlich  in  derjenigen  Ebene,  welche 
Symmetrieebene   werden  soll8).     Dadurch  wird   aber   den   bezüg- 

1)  Vgl.  Zeitschrift  für  Krystall.  Bd.  14,  S.  433. 

2)  Vgl.  a.  a.  0.  S.  438. 

3)  a.  a.  0.  S.  436.  Vgl.  auch  Entwicklung  einer  Theorie  der  Krystallstructur, 
z.B.  S.  187,  193  u.s.w. 


Theorieen  der  Krystallstructur.  247 

liehen  Molekeln  Symmetrie  beigelegt;  denn  die  Molekel  muß  ja 
durch  Spiegelung  an  dieser  Ebene  in  sich  übergeben.  Ueberhaupt 
ist  zu  sagen,  daß  jede  Ortsbeschränkung  des  Construc- 
tionspunktes  auf  eine  Specialisirung  der  Molekel 
hinausläuft.  Die  genannten  S o h n c k e sehen  Punktsysteme 
haben  also  den  ihnen  eigenthümlichen  Symmetriecharakter  in  der 
That  nur  dann,  wenn  jeder  Punkt  eine  symmetrische  Molekel 
vertritt. 

c)  Die  Verwendung  der  w-Punktner  hat  in  den  meisten  Fällen 
gar  nicht  den  Zweck,  die  Symmetrie  des  Molekelhaufens  positiv 
zu  beeinflussen,  sie  dient  vielmehr  dazu,  Molekeln  anzudeuten,  die 
gewisse  Eigenschaften  nicht  besitzen.  Dies  findet  z.B.  bei  solchen 
Punktsystemen  statt,  welche  nur  Drehungsaxen  einer  einzigen 
Richtung  besitzen,  deren  Gruppen  also  durch  Multiplication  einer 
einfachen  cyclischen  Gruppe  mit  einer  geeigneten  Translations- 
gruppe entstehen.  Für  diese  Punktsysteme  giebt  es  Symmetrie- 
ebenen senkrecht  zur  Axenrichtung ,  was  daraus  ersichtlich  ist, 
daß  sowohl  die  cyclische  Gruppe  wie  auch  die  Translationsgruppe 
und  der  Punkt  durch  Spiegelung  an  diesen  Ebenen  in  sich  über- 
geht. Jede  Netzebene  ist  eine  solche  Symmetrieebene ;  aber  natür- 
lich nur  so  lange,  als  wir  mit  wirklichen  Punkten  operiren ;  der 
Molekelhaufen,  der  mit  beliebigen  Molekeln  gebildet  ist,  besitzt 
diese  Symmetrieebenen  im  Allgemeinen  nicht1).  Um  nun  ein  Punkt- 
system zu  erhalten,  welches  ebenfalls  von  der  genannten  Symme- 
trie frei  wird,  verwendet  Herr  Sohncke  einen  Zweipunkter  als 
Element  des  Aufbaues 2).  Es  ist  aber  evident,  daß  der  Zweipunkter 
der  Molekel,  die  er  vertritt,  keine  positive  Qualität  auferlegt;  er 
soll  vielmehr  nur  ausdrücken,  daß  ihr  eine  gewisse  Qualität  nicht 
zukommen  darf.  Die  hierdurch  skizzirte  Benutzung  von  w-Punkt- 
nern  ist  daher,  sobald  man  festhält,  daß  der  Punkt  eine  beliebige 
Molekel  andeuten  soll,  überflüssig. 

d)  Endlich  bemerke  ich,  daß  die  Sohncke  sehe  Theorie,  wenn 
als  w-Punktner  ein  geeigneter  Zweipunktner  gewählt  wird,  oder 
präciser  gesprochen,  wenn  wir  zum  Aufbau  des  Molekelhaufens  zwei 
einander  spiegelbildlich  gleiche  Bausteine  in  passender  Lage  ver- 
wenden, auch  wirklich  zu  allen  oben  (3)  charakterisirten  Molekel- 
haufen hinführt ,  d.  h.  zu  allen ,  welche  für  die  Begründung  der 
Symmetrie  Verhältnisse  einzig  und  allein  in  Frage  kommen.    Diese 


1)  Die  in  meinem  Beitrag  zur  Krystallstructur  (diese  Nachr.  1889,  S.  495) 
enthaltenen  Bemerkungen  werden  dadurch  hinfällig. 

2)  a.a.O.  S. 435 ff. 


248  A-  Schoenflies, 

Bausteine  müssen  immer  so  gewählt  werden,  daß  durch  gewisse 
Deckoperationen  zweiter  Art  einer  aus  dem  andern  hervorgeht1). 
Für  die  Symmetrie  des  Molekelhaufens  sind  daher  beide  Bausteine 
als  geometrisch  gleichwerthig  anzusehen,  genau  wie  in  dem  oben 
unter  a)  erwähnten  Fall.  Für  derartige  Molekelhaufen  ist  daher 
eine  Differenz  zwischen  der  S  oh nck eschen  und  der  von  mir  ver- 
tretenen Auffassung  kaum  mehr  vorhanden,  sie  läuft  schließlich 
auf  Unterschiede  in  der  Benennung  heraus.  Dagegen  betreffen  die 
unter  b)  und  c)  angestellten  Erwägungen  sachliche  Irrthümer  der 
S  o  h  n  c  k  e  sehen  Auffassung,  deren  Quelle,  wie  oben  erwähnt,  darin 
liegt,  daß  die  molekulare  Uebersetzung  der  geometrischen  Annahmen 
bisher  von  keiner  Seite  gegeben  worden  ist. 

11.  Für  die  Entscheidung  über  den  Werth  der  Theorieen  können 
verschiedene  Gesichtspunkte  in  Frage  kommen.  Daß  sie  sämmt- 
lich  eine  ausnahmslose  Begründung  der  Symmetrie  Verhältnisse 
geben,  haben  wir  bereits  oben  gesehen.  In  gewissem  Sinne  lassen 
sich  diejenigen  Theorieen,  welche  mit  allgemeinen  regelmäßigen 
Molekelhaufen  operiren,  der  Gittertheorie  als  übergeordnet  be- 
trachten ,  aus  dem  Grunde ,  weil  die  Gittertheorie  nicht  zu  allen 
regelmäßigen  Structuren  führt2).  Endlich  könnte  man  auch  das 
Verlangen  stellen ,  daß  die  Theorie  die  Symmetrieverhältnisse  für 
alle  Krystallgestalten  auf  gleiche  Weise  begründen  soll.  Läßt  man 
sich  von  dieser  Forderung  leiten,  so  würde  wieder  die  Sohnckesche 
Theorie  sowohl  gegen  die  allgemeine  wie  auch  gegen  die  Bravais  sehe 
Theorie  zurückstehen. 

Das  letzte  Wort  kann  meines  Erachtens  allerdings  nur  an 
der  Hand  krystallographischer  Erfahrungen  gesprochen  werden. 
Es  genügt  nämlich  nicht,  wenn  der  Molekelhaufen,  welcher  den 
Krystall  darzustellen  bestimmt  ist,  die  Symmetrie  des  Krystalles 
wiederspiegelt;  es  müssen  sich  vielmehr  auch  die  sämmtlichen 
physikalischen  resp.  chemischen  Eigenschaften  aus  seiner  Eigenart 
erklären  lassen.  Dies  wird  einerseits  von  der  Structur  des  Haufens, 
andererseits  von  der  besonderen  Natur  der  Molekel  abhängen; 
Structur  und  Molekelqualität  müssen  daher,  soll  die  Theorie  wirk- 
lich brauchbar  sein,  zweckentsprechend  angenommen  werden  können. 
Eine  Theorie  wird  demnach  nur  dann  eigentlichen 
krystallographischen  Werth  beanspruchen  dürfen, 
wenn    es   im  Rahmen  derselben   in   allen   Fällen   mög- 


1)  Welche  Lagenverhältnisse   zu  diesem  Zweck  nothwendig  und  hinreichend 
sind,  habe  ich  in  den  math.  Annalen,  Bd.  34,  S.  172  ff.  entwickelt. 

2)  Vgl.  hierüber  Sohncke,  Theorie  der  Krystallstructur,  S.23. 


Theorieen  der  Krystallstructur.  249 

lieh  ist,  die  Structur  so  auszuwählen,  undForm  wie 
Qualität  der  Molekeln  so  zu  specialisiren,  wie  es 
durch  die  Natur  der  physikalisch  en  r  es  p.  chemi  sehen 
Erscheinungen  unbedingt  gefordert  wird1). 

Es  ist  daher  als  unerläßlich  zu  betrachten,  daß  für  jede  Theorie 
genau  bekannt  ist,  welche  speciellen  Annahmen  über  die  Molekel- 
qualität sie  implicite  enthält.  Da  dies  bei  der  Darstellung  der 
Theorieen  bisher  nicht  immer  angegeben  wurde,  so  möge  hier  noch 
eine  kurze  Darstellung  der  drei  Theorieen  folgen ,  welche  im  Be- 
sondern auch  die  Molekelqualität  berücksichtigt2). 

I.  Die  Bravaissche  Theorie.  Die  Molekeln  sind  raum- 
gitterartig angeordnet.  Jede  Molekel  ist  mit  Symmetrie  begabt, 
im  übrigen  aber  beliebig ;  sie  kann  als  Polyeder,  als  Atomcomplex 
etc.  gedacht  werden.  Ihre  Symmetrie  entspricht  genau  der  Sym- 
metrie des  Krystalles.     Dies  gilt  für  jede  mögliche  Krystallklasse. 

II.  Die  Sohnckesche  Theorie.  Alle  Molekeln  resp. 
Molekelcomplexe 3)  sind  nach  Form  und  Qualität  absolut  congruent. 
Die  Symmetrie  der  Molekelhaufen  beruht  in  einigen  Fällen  allein 
anf  der  Structur ;  für  die  Mehrzahl  der  Krystallklassen ,  nämlich 
für  diejenigen,  welche  auch  Ebenensymmetrie  besitzen,  werden 
jedoch  Molekeln  benutzt,  die  sich  selbst  spiegelbildlich  gleich  sind. 
Im  übrigen  sind  die  Krystallbausteine  ganz  beliebig.  Sie  können 
sowohl  eine  einheitliche  Partikel  bilden ,  als  auch  auf  jede  mög- 
liche Art  in  kleinere  Einzelbestandtheile  zerfallen,  und  jede  weitere 
Bestimmung,  die  sich  physikalisch  als  nothwendig  oder  zweck- 
mäßig erweisen  sollte,  kann  ihnen  beigelegt  werden. 

III.  Die  erweiterte  Theorie.  Sie  bedarf  keinerlei  An- 
nahmen über  die  Qualität  der  Molekeln  resp.  der  letzten  Bausteine ; 
sowohl  ihre  Form  und  Zusammensetzung  als  auch  ihre  Wirkungs- 
weise  unterliegt  keinerlei   Beschränkung4).     Dagegen    nimmt  sie 


1)  Bekanntlich  wird  diese  Möglichkeit  für  die  B  ravaissche  Theorie  bestritten. 

2)  Es  scheint  um  so  mehr  angemessen,  die  Bedingungen,  welche  jede  Theorie 
für  die  Natur  der  Molekel  statuiren  muß ,  genau  zu  kennen ,  als  Speculationen 
hierüber  von  krystallographischer  Seite  bereits  mehrfach  mit  Erfolg  angestellt 
sind.  Vgl.  z.  B.  die  Grothsche  Rede  über  die  Molekularbeschaffenheit  der  Kry- 
stalle.    München  1888. 

3)  Welche  Molekelkomplexe  allein  in  Betracht  zu  ziehen  sind,  ist  oben  unter 
10a  und  d  angegeben. 

4)  Allerdings  ist  für  gewisse  Molekelhaufen  (vgl.  10c)  auszuschließen,  daß 
die  Molekel  sich  spiegelbildlich  gleich  ist  und  überdies  eine  bestimmte  Lage  hat. 
Analoge  Beschränkungen  gelten  übrigens  für  jede  Theorie.  Beispielsweise  darf 
man  auch  innerhalb  der  Bravais  sehen  Theorie  den  Molekeln  im  Allgemeinen 


250  A.  Schoenflies,  Theorieen  der  Krystallstructur. 

an,  daß  dieselben  in  zwei  verschiedene  Arten  zerfallen,  die  der 
einen  Art  sind  denen  der  andern  Art  spiegelbildlich  gleich.  Ans 
ihnen  sind  die  Krystalle  zn  gleichen  Theilen  anfgebant;  mit  Aus- 
nahme derjenigen,  welche  nur  Symmetrieaxen  besitzen,  die  also 
in  enantiomorphen  Gestalten  auftreten  können.  Diese  bestehen 
aus  lauter  unter  sich  congruenten  Molekeln.  Von  zwei  enantio- 
morphen Krystallen  wird  der  eine  allein  von  Molekeln  der  einen 
Art ,  der  andere  von  Molekeln  der  andern  Art  gebildet *).  Die 
Symmetrie  des  Molekelhaufens  beruht  für  alle  Krystallklassen 
allein  auf  der  Structur. 

Erst  mit  dieser  Theorie  ist  also  das  Ziel  erreicht, 
daß  die  Symmetrie  ihre  Erklärung  einzig  und  allein 
in  derStructur  findet,  während  im  Gegensatz  hierzu 
für  jede  specielle  physikalische  oder  chemische 
Eigenschaft  desKrystalles  die  Qualität  der  Molekel 
zur  Disposition  steht.  Dies  ist  aber  auch  das  Resultat, 
welches  den  jetzigen  Wünschen  der  Krystallographen  entsprechen 
dürfte;  denn  das  Feld  für  die  Speculationen  über  die  Molekel- 
qualität ist  damit  absolut  freigemacht. 

Bemerkung.  Für  diejenigen  Krystalle,  welche  nur  Sym- 
metrieaxen besitzen ,  stimmt  die  S  o  h  n  c  k  e  sehe  Theorie  mit  der 
erweiterten  überein.  Im  besondern  muß  die  S  o  h  n  c  k  e  sehe  Theorie 
zum  Aufbau  zweier  enantiomorphen  Krystalle  ebenfalls  Molekeln 
von  zweierlei  Typus  verwenden 2).  Wenn  wir  ferner  diejenigen 
S  o  h  n  c  k  e  sehen  Molekeln,  welche  sich  selbst  spiegelbildlich  gleich 
sind,  in  zwei  getrennte  Bestandtheile  auflösen,  und  diese  als  die 
letzten  Bausteine  betrachten  und  das  Gleiche  für  die  bezüglichen 
Zweipunktner  thun ,  deren  die  S  o  h  n  c  k  e  sehe  Theorie  allein  be- 
darf (vgl.  10a  und  d) ,  so  geht  die  Sohnckesche  Theorie  direct 
in  die  von  mir  dargestellte  Theorie  über. 


keine  höhere  Symmetrie  beilegen,  als  ihnen  in  jedem  bezüglichen  Fall  zukommt. 
Eine  eigentliche  Beschränkung  liegt  also  darin   nicht  vor. 

1)  Läßt  man  Molekeln  zu,  die  sich  selbst  spiegelbildlich  gleich  sind,  so  kann 
die  Enantiomorphie  auch  auf  der  Structur  allein  beruhen ;  die  bezüglichen  Punkt- 
systeme sind  eigentliche  Schraubensysteme. 

2)  Vgl.  vorstehende  Anmerkung. 


F.  Kiel  hörn,  die  Mandasor  Inschrift  vom  Mälava  Jahre  529  u.  s.  w.    251 

Die  Mandasor    Inschrift   vom   Mälava  Jahre   529 
(=472  n.Chr.)  und  Kalidäsa's  Ritusamhära. 

Von 

F.  Kielhorn. 

Dr.  Bhänolärkar  hat  in  einem  der  Asiatischen  Gesellschaft 
von  Bombay  am  1.  August  1889  vorgelegten  Aufsatze  über  die 
Epoche  der  Grupta  Aera  einen  Vers  der  Mandasor  Inschrift  des 
Kumäragupta  und  Bandhuvarman  behandelt,  der  in  Fleet's  Texte 
also  lautet !) :  — 

Rämä-  sanätha-[ra]chane  dara-bhäskar-ämcu-vahni-pratäpa- 
subhage  jala-lina-mme  |  chandrämcu-harmyatala-ehandana- 
tälavyinta  -  här  -  opabhodha(ga)  -  rahite  hima  -  dagdha  -padme  || 
Die  fünf  Composita  dieses  Verses  sind  Adjective,    die  das  im  fol- 
genden Verse  stehende  Substantivum  ~käle  näher  bestimmen,    und 
sind  zusammen  mit  diesem  von  Fleet  übersetzt  worden:  — 

„In  that  season  which   unites  men  witb   (their)   lovely   mi- 
stresses ;   which  is   agreeable  with  the  warmth  of  the  fire 
of  the  rays  of  the  sun  (shining)  in  the  glens ;  in  which  the 
fishes  lie  low  down  in  the  water ;    which   (on  account  of  the 
cold)  is  destitute  of  the  enjoyment  of  the  beams  of  the  moon, 
and  (sitting  in  the  open  air  on)  the  flat  roofs  of  houses,  and 
sandal-wood  perfumes,  and  palmleaf  fans,  and  necklaces ;  in 
which  the  water-lilies  are  bitten  by  the  frost." 
Bhändärkar  hat  gezeigt,  daß  Fleet's  Uebersetzung  des  ersten  Com- 
positums  (rämä-sanätha-[ra]chane)  falsch  ist,   und  daß  die  richtige 
Uebersetzung  desselben  keinen  Sinn  gibt.      Er  hat  ferner   darauf 
aufmerksam  gemacht,    daß  die  von  Fleet  in  jenem  Worte  cha  ge- 
lesene Sylbe  im  Originale  va  ist,  hat,  statt  der  von  Fleet  ergänz- 
ten Sylbe  ra}  bha  ergänzt,  und  das  so  von  ihm  restituirte 

rämä-sanätha-[bha]vane 
übersetzt  durch  „that  [time]  in  which  there  are  lovely  women  in 
the  houses,  i.  e.  when  there  is  no  Separation  between  husband  and 
wife".  Außerdem  hat  er  Einspruch  erhoben  gegen  Fleet's  Ueber- 
setzung des  ersten  "Wortes  (dara)  des  zweiten  Compositums  durch 
„in  the  glens",  weil  es  nicht  bloß  die  Thäler  seien,  die  die  Sonne 
in  der  kalten  Jahreszeit  erwärme.     Dara   sei  vielmehr  gleichbe- 


1)  Corpus  Inscr.  Ind.,  Bd.  III,  S.  83,  Zeile  17. 


252  F.  Kielhorn, 

deutend  mit  ishad  „little ,  in  a  small  degree ,  moderate",  und  das 
zweite  Compositum  sei  demnach  zu  übersetzen  —  „which  is  agree- 
able  with  the  moderated  heat  of  the  fire  of  the  rays  of  tue  sun". 

Auch  ich  halte  Fleet's  Text  und  Uebersetzung  für  falsch, 
und  ich  stimme  mit  Bhändärkar  darin  überein,  daß  wir  im  ersten 
Compositum  bha  statt  ra  ergänzen  und  die  folgende  Sylbe  va  le- 
sen müssen.  Aber  Bhäncjärkar's  Erklärung  des  zweiten  Composi- 
tums  befriedigt  mich  ebenso  wenig  wie  Fleet's.  Dara  ist  zu  weit 
von  pratäpa  entfernt  als  daß  wir  es  auf  dies  beziehen*  könnten ; 
und  es  scheint  mir  unpassend  die  geringe  Wärme  der  Sonnen- 
strahlen zu  loben,  gerade  wenn  wir  uns  wärmen  wollen.  Außer- 
dem wäre  bei  Bhändärkar's  (und  Fleet's)  Erklärung  das  Wort 
vahni  überflüssig.  Natürlicher  wäre  es  zu  sagen,  daß  uns  im 
Winter  die  Strahlen  der  Sonne  und  die  Wärme  eines  Feuers  an- 
genehm sind.  Aber  auch  bei  dieser  Erklärung  wäre  dara  unpas- 
send, denn  kein  Dichter  würde  von  kleinen  (svalpa)  Sonnenstrah- 
len reden. 

Prüfen  wir  in  der  Photographie  das  (von  Fleet  und  Bhändär- 
kar ne  gelesene)  Zeichen  für  die  letzte  Sylbe  des  ersten  Compo- 
situms  sorgfältiger,  so  finden  wir,  daß  dasselbe  genau  so  aussieht 
wie  das  Zeichen  für  die  zweite  Sylbe  des  Wortes  manoharaih  in 
Zeile  20.  Die  Sylbe  ist  also  no ,  nicht  ne ,  und  die  richtige  Le- 
sung des  Eingangs  des  Verses  ist  — 

Rämä-sanätha-[bha]vanodara-bhäskarämcu-vahnipratäpa-subhage. 

Hiermit  ist  jegliche  Schwierigkeit  entfernt.  Die  kalte  Jah- 
reszeit ist  dem  Manne  dadurch  angenehm  daß  sie  ihn  im  Innern 
des  Hauses  hält  wo  er  mit  der  Frau  oder  Geliebten  zusammen 
ist;  wenn  es  kalt  ist,  freut  er  sich  der  Strahlen  der  Sonne  und 
der  Wärme  eines  Feuers. 

Der  Vers  der  Inschrift  lautet  also  — 

Rämä-sanätha-bhavanodara-bhäskarämcu- 
vahnipratäpa-subhage  jala-lma-mine  | 

Chandrämcu-harmyatala-chandana-tälavrinta- 
här-opabhogarahite  hima-dagdha-padme  || 

Betrachten  wir  den  Bau  und  den  Wortlaut  dieses  Verses  näher, 
so  ergibt  sich,  denke  ich,  mit  Sicherheit,  daß  der  Dichter  bei  Ab- 
fassung desselben  die  folgenden  Verse  aus  Kälidäsa's  Ritusamhära *) 
vor  Augen  hatte:  — 


1)  Ritusamhära,  Sarga  V,  2  und  3. 


die  Mandasor  Inschrift  vom  Mälava  Jahre  529  (==  472  n.  Chr.)  u.  s.  w.    253 

Niruddhavätäyana-mandirodaram 

hutäcano  bhänumato  gabhastayah  | 
Guruni  väsämsy^abaläh  sayauvanäh 

prayänti  käle4ra  janasya  sevyatäm  || 
Na  chandanarii  chandramarichi-citalam  # 

na  harmyaprishtham  caradindu-nirmalam  | 
Na  väyavah  sändratushära-citalä 

janasya  chittam  ramayanti  sämpratam  || 
Es  wäre  überflüssig  meine  Fachgenossen  auf  die  genaue  Ueber- 
einstimmung  der  Gedanken  und  des  Ausdrucks  im  Einzelnen  auf- 
merksam zu  machen,  und  ich  will  nur  bemerken,  daß  der  Verfas- 
ser der  Inschrift  dem  ersten  Verse  Kälidäsa's  im  Wesentlichen 
nur  den  durch  jala-lma-mine,  und  dem  zweiten  Verse  den  durch 
hima-dagdha-padme  ausgedrückten  Gedanken  hinzugefügt  hat. 

Das  Resultat  ist,  daß  Kälidäsa's  Ritusamhära  vor  dem  Jahre 
472  n.  Chr.  verfaßt  sein  muß. 


Bei  der  Kgl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  einge- 
gangene Druckschriften. 


Man  bittet  diese  Verzeichnisse  zugleich  als  Empfangsanzeigen  ansehen  zu  wollen. 


Februar    1890. 

(Fortsetzung.) 

Atti  della  R.  Accademia  dei  Lincei.     Anno  CCLXXXVI.  1889.  Rendiconti.   Vol. 

V.    Fase.  9,  10,  11,  12.    2.  semestre.     Roma  1889. 
Einatite  di  Stromboli  d.  G.  Struever  (estratto  dalle  Memorie  d.  Classe  di  sc.  fis. 

mat.  e  nat.  Vol.  VI.  1889). 
Bulletino  di  bibliografia  e  di  storia  delle  scienze  matematiche  e  fisiche.     Schluss- 

lieferung  zu  Tomo  XX.  Ind.  =p.  697-749.    Roma  1890. 
Rendiconto  dell'  Accademia  delle  scienze   fisiche  e  matematiche    (sezione   della 

societä  R.  di  Napoli.    Serie  2a.  Vol.  III.  Fase.  1—12.     1889.    Napoli. 
Bollettino  delle  publicazioni   italiane  ricevute   per  diritto  di  stampa.  1890.  Nr. 

98,  90.     Firenze  1890. 
Transactions   of    the    astronomical    observatory    of   Yale  University.      Vol.   1. 

Part  II.     New  Haven  1889. 
Bulletin  of  the  Museum   of  Comparative  Zoology  at   Harvard   College.     Whole 

series.  Vol.  XVI.  Nr.  6.  Geol.  Ser.  Vol.  II.  Vol.  XVU.  Nr.  6.    Cambridge,    ü. 

S.  A.  1889. 
Transactions  of  the  Wagner  free  Institute   of  science  of  Philadelphia.    Vol.  II. 

Philadelphia  1889. 
Johns  Hopkins  university  circulars.     Vol.  IX.  Nr.  78.     Baltimore  1890. 
Anales    de   la   soziedad  cientifica  Argentina.     Tomo  XXVIII.    Entrega  III,  IV. 

Buenos-Aires  1889. 

Nachtrag. 
Verhandlungen  d.  K.  K.  geologischen  Reichsanstalt.  Nr.  18.  1889.  Nr.  1.2.  1890. 
Anzeiger  d.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Krakau  1890.  Januar.  Krakau  1890. 
Ungarische  Revue.    Heft  2.  1890.  Jahrg.  10.    Budapest  1890. 


254 

Tijdscbrift   voor   Nederlandsche   Taal-   en   Letterkunde,   uitgeven   vanwege    de 

Maatschappij  der  Nederlandsche  Letterkunde  te  Leiden.    Jaarg.  1 — 8.    Leiden 

1881—88. 
a.  Notulen  van  de  Algemeene  en  Bestuerrs-Vergaderingen  van  het  Bataviaasche 

Genootschap   van    Künsten   en  Wetenschappen.      Deel   XXVII.     1889.     Afle- 

vering  II,  III. 
bjrRegister  op   de   notulen  der  Vergaderingen    over  de   Jaren   1879    t/m.   1888. 

Batavia,  s'Hage  1889. 

c.  Tijdschrift  door  Indische  Taal-  Land-  en  Volkenkunde.  Deel  XXXIII.  Afle- 
vering  2,  3  en  4.     Batavia,  s'Hage  1889. 

d.  De  Derde  Javaansche  Successie-Orlog  1746  —  1755.  Voor  P.  J.  F.  Louro. 
Uitgegeven  door  het  Bat.  Genoots  v.  K.  en  W. 

Regenwaarnemingen  in  Nederlandsch-Indie.     Jaarg.  10.   1888.     Batavia  1889. 
Nederlandsch-Indie  Plakaatboek.    1602—1811.     Deel  VI.    1750-1754.     Batavia, 

s'Hage  1889. 
Observation  made  as  the  Magnesical  and  Meteorological  observatory  at  Batavia. 

Vol.  XI.  1888.     Batavia  1889. 
Herbarium  musei  fennici  editio  secunda.  I.  Plantae  vasculares. 
Meddelanden  at'  societas  pro  fauna  et  flora  fennica  15  haftet  (1889). 
Acta  societatis  pro  fauna  et  flora  fennica.     Vol.  V.     Pars  I. 
Notae  conspectus  florae  fennicae  auctore  Hj.  Hjelt.    Helsingforsiae  1888  —  89. 

März  und  April. 

Sitzungsberichte  der  Königl.  Preuß.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin. 
X-XIX.     1890. 

Bemerkungen  über  den  Bau  der  Menschen-  und  Affenplacenta.  VonW  .W  a  1  d  e  y  e  r. 
Bonn  1890. 

Zeitschrift  für  Naturwissenschaften.  Herausgeg.  im  Auftrage  des  naturw.  Vereins 
für  Sachsen  und  Thüringen.  D.  ganzen  Reihe  LXII.  Band;  Vierte  Folge; 
Achter  Band;  Heft  3/4.  5  u.  6.     Halle  a.  S.  1889. 

Leopoldina.     Heft  XXVI,  No.  3-4,  5-6. 

Acta  Mathematica.     14,  1.    Stockholm-Berlin  1890. 

Rede  zum  Geburtstage  S.  M.  d.  K.K.  Wilhelm  U.  in  der  Aula  d.  K.  Technischen 
Hochschule  zu  Berlin.     Von  E.  Jacobsthal.     Berlin  1890. 

Jahrbuch  über  die  Fortschritte  der  Mathematik.  Band  XIX;  Jahrgang  1887; 
Heft  2.     Berlin  1890. 

Vierteljahrsschrift  der  Astronomischen  Gesellschaft.  Jahrgang  25;  Heft  1. 
Leipzig  1890. 

Zeitschrift  der  Deutschen  Morgenländischen  Gesellschaft.  Band  43;  Heft  4. 
Leipzig  1889. 

Berichte  über  die  Verhandlungen  der  K.  Sächsischen  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften zu  Leipzig.     Philologisch-historische  Classe.    1889.  IV.    Leipzig  1890. 

Die  technische  Produktion  und  die  bezüglichen  römisch-rechtlichen  Erwerbtitel. 
Von  Moritz  Voigt.  (Des  XI.  Bandes  der  Abhandlungen  der  philologisch- 
historischen Classe  der  Kön.  Sachs.  Gesellsoh.  d.  Wissenschaften  No.  VI.) 
Leipzig  1890. 

Sitzungsberichte  d.  Kön.  Baier.  Akademie  d.  Wissensch.  zu  München 

a.  Philosophisch  -  philologische  u.  historische  Classe.     1889,  Band  II,  Heft  2; 
1890,  Heft  1. 

b.  Mathematisch-physikalische  Classe.     1889,  Heft  3. 

(Fortsetzung  folgt.) 

Inhalt  von  No.  6. 
Eduard  Riecke,  Beiträge  zu  der  von  Gibbs  entworfenen  Theorie  der  Zustandsänderungen  eines  aus  einer 
Mehrzahl  von  Phasen  bestehenden  Systems.  —  Franc.  Brioschi,  Ueber  die  Eeihenentwickelung  der  ge- 
raden Sigmafunctionen  zweier  Veränderlichen.  —  A.  Schoenflies,  Ueber  das  gegenseitige  Verbältniss  der 
Theorieen  über  die  Structur  der  Krystalle.  —  F.  Kielharn,  Die  Mandasor-Inschrift  vom  Mälava  Jahre  529 
(=  472  n.  Chr.)  und  Kälidäsa's  Bitusamhära.  —  Eingegangene  Druckschriften. 

Für  die  Eedaction  verantwortlich :  H.  Sauppe ,  Secretair  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 

Commissions  -  Verlag  der  Dieterich' sehen  Verlags -Buchhandlung. 

Druck  der  Dieterich' sehen  Univ.- Buchdruckerei  ( W.  Fr.  Kaestner). 


Nachrichten 

von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu   Göttingen. 


5.  Juli.  Jfä  7.  1890. 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  5.  Juli  1890. 

Merkel:  Ueber  argentinische  Gräberschädel. 

Liebisch  legt  einen  Aufsatz  des  Herrn  Dr.  Fr.  Pockels  vor:  Ueber  die 
Interferenzerscheinungen,  welche  Zwillingsplatten  optisch  einaxiger  Krystalle  im 
convergenten  homogenen  polarisirten  Lichte  zeigen. 

Schwarz  legt  vor: 

a)  einen  Aufsatz  von  Prof.  Julius  Weingarten  in  Charlottenburg, 
Korrespond.  der  mathem.  Klasse :  Ueber  particuläre  Integrale  der 
Differentialgleichung 

und    eine    mit   der   Theorie   der    Minimalflächen    zusammenhängende 
Gattung  von  Flüssigkeitsbewegungen. 

b)  einen  Aufsatz  von  0.  Venske:  Ueber  eine  Abänderung  des  ersten 
Hermiteschen  Beweises  für  die  Transcendenz  der  Zahl  e. 

Voigt  legt  vor:  Bestimmung  der  Elasticitätsconstanten  des  brasilianischen 
Turmalins. 

Wieseler  legt  vor:  Weibliche  Satyrn  und  Pane  in  der  Kunst  der  Griechen 
und  Römer. 

de  Lagarde  kündigt  für  den  Band  3G  der  Abhandlungen  an:  Nachträge 
und  Regesten  zu  der  im  Band  35  erschienenen  Uebersicht  über  die  Bildung  der 
Nomina  im  Aramaeischen,  Arabischen  und  Hebräischen. 

Wagner  legt  einen  Aufsatz  vor:  Ueber  ein  spät  mittelalterliches  Ver- 
zeichniß  geographischer  Coordinatenwerte. 


Nachrichten  von  der  £.  G.  U.  W.  zu  Göttingen.  1890.  Nr.  7.  *J 


256  Fr.  Merkel, 

Ueber  argentinische  Gräberschädel. 

Von 

Fr.  Merkel. 

Die  Schädel-Sammlung  des  hiesigen  anatomischen  Institutes, 
welche  unter  dem  Namen  der  „Blumenbach' sehen  Sammlung" 
einen  Weltruf  genießt,  erhielt  im  Frühling  dieses  Jahres  durch 
die  freundliche  und  sehr  dankenswerthe  Schenkung1)  des  Herrn 
Professor  Bodenbender  in  Cordoba,  Argentinien,  drei  Indianer- 
Schädel  aus  einer  Grab  statte  zwischen  Rio  Agrio  und  Rio  Ca- 
tanlil ,  am  oberen  Arroyo  Corunco  in  Argentinien ,  welche  der 
freundliche  Greber  von  einer  wissenschaftlichen  Expedition  in  jene 
fast  völlig  unbekannten  Gegenden  mitgebracht  hatte.  Die  Schädel 
sind  um  so  werthvoller,  da  solche  aus  dem  Innern  Südamerikas  über- 
haupt nur  äußerst  spärlich  in  europäischen  Sammlungen  vertreten 
sind  und  solche  aus  jenen  kaum  von  Weißen  betretenen  Theilen 
Argentiniens  überhaupt  nicht  vorhanden  sein  dürften.  Alle  drei 
Schädel  sind  defect,  doch  lassen  sich  an  ihnen  die  wichtigsten 
Maaße  ohne  Schwierigkeit  nehmen.  Ihr  Erhaltungszustand  ist  ein 
verschiedener,  während  einer  (No.  III)  noch  ziemlich  recent  erscheint, 
sehen  die  beiden  anderen  so  aus,  als  hätten  sie  sehr  lange  in  der 
Erde  gelegen.  Doch  möchte  ich  ihnen  dieses  Aussehens  wegen 
noch  nicht  ein  sehr  hohes  Alter  vindiciren,  da  man  ja  weiß,  wie 
zuweilen  die  Bodenbeschaffenheit  die  Knochensubstanz  zu  ver- 
ändern geeignet  ist  und  wie  der  Stoffwechsel  einer  tropischen 
Vegetation  es  vermag,  deren  Textur  anzugreifen. 

Zwei  Schädel  gehören  erwachsenen  Personen,  vermuthlich 
männlichen  Geschlechtes,  an,  der  dritte  ist  der  eines  Kindes,  nach 
Ausweis  der  Zähne  und  anderer  Merkmale,  von  8 — 9  Jahren.  Bei 
allen  Schädeln  sind  die  Zähne,  soweit  sie  vorhanden  sind,  zwar 
gesprungen,  im  Uebrigen  aber  wohlerhalten  und  weder  cariös  ver- 
ändert, noch  abgeschliffen,  noch  auch  gefeilt.  Die  Nähte  von  No.  I 
sind  zum  guten  Theil  verstrichen,  diejenigen  von  No.  II  und  III 
sind  vollständig  erhalten.  Von  anatomischen  Eigenthümlichkeiten 
der  Schädel  ist  zu  berichten ,  daß  bei  No.  I  die  Lineae  nuchae 
suprema  und  superior  am  Seitenwinkel  der  Hinterhauptsschuppe 
in  einen  leistenförmigen  Knochenlappen  ausgezogen  ist,  während 
das  System  der  Hinterhauptslinien  im  Uebrigen  nichts  Auffallendes 
zeigt.  Bei  den  beiden  andereren  Schädeln  ist  Nichts  dergleichen 
zu  bemerken,  auch  die  Indianerschädel  unserer  Sammlung,  welche 

1)  Für   die    Vermittelung   der   Schenkung   ist   das   Institut  Herrn  Prof.  v. 
Konen  zu  Dank  verpflichtet. 


über  argentinische  Gräberschädel.  257 

ich  daraufhin   durchgesehen  habe,    zeigen  die  beschriebene  Eigen- 
tümlichkeit nicht. 

Was  die  ganze  Form  der  Schädel  anlangt,  so  sehe  ich  von 
dem  kindlichen  (No.  III)  ab  und  benutze  nur  die  beiden  erwach- 
senen zur  Vergleichung.  Nach  Ausweis  der  unten  angeführten 
Maaße  ist  No.  I  brachycephal  und  an  der  Grenze  der  Orthocephalie 
stehend,  No.  II  hyperbrachycephal  zu  nennen.  Das  Obergesicht 
ist  bei  beiden  breit,  dabei  erweist  sich  aber  der  eine  (No.  1)  lep- 
torrhin,  der  andere  (No.  II)  platyrrhin.  Die  Augenhöhlen  von 
No.  I  sind  mesokonch  die  von  No.  II  hypsikonch.  Der  Gaumen 
ist  bei  No.  I  mesostaphylin,  fast  brachystaphylin,  bei  No.  II  wirk- 
lich brachystaphylin.  Prognathie  ist  weder  bei  dem  Schädel  No.  1 
vorhanden,  noch  auch  bei  No.  II,  wo  der  Profilwinkel  wegen  Be- 
schädigung nicht  gemessen  werden  konnte.  Vergleicht  man  die 
Schädel  mit  anderen  Amerikanerschädeln ,  dann  findet  man ,  daß 
bei  letzteren  neben  Langschädeln  ganz  abweichender  Form  auch 
solche  vorkommen,  welche  mit  den  in  Rede  stehenden  viel  Ver- 
wandtes zeigen  und  zwar  findet  man  sie  sowohl  in  der  nördlichen, 
wie  der  südlichen  Hälfte  des  Continentes.  Aber  „doch  ist  die  Form 
der  Argentinischen  Cranien  eine  sehr  eigenthümliche,  in  der  Norma 
verticalis  fast  viereckige,  ein  Bild,  welches  wesentlich  durch  eine 
außerordentlich  starke  Abplattung  des  Hinterhauptes  hervorge- 
rufen wird.  Besonders  bei  dem  sehr  brachycephalen  Schädel  No.  II 
kann  man  sich  des  Argwohnes  nicht  erwehren,  daß  man  es  mit 
einer  künstlichen  Abplattung  zu  thun  hat.  Es  würde  dies  für 
Amerika  nichts  Auffallendes  sein ,  da  ja  sowohl  bei  gewissen 
Stämmen  Nordamerikas,  wie  bei  den  Peruanern  und  Mexicanern  die 
künstliche  Deformirung  des  Schädels  im  Schwange  war.  Die 
Gründe,  welche  mich  zweifeln  lassen,  sind  drei.  Erstens  zeigt  der 
kindliche  Schädel  ein  normal  gewölbtes  Hinterhaupt,  an  welchem 
von  einer  Verunstaltung  Nichts  wahrnehmbar  ist  und  zweitens  sind 
auch  bei  dem  besonders  kurzen  Schädel  No.  II  Gaumen,  Nase  und 
Augenhöhlen  so  gestaltet,  wie  sie  einem  sehr  kurzen  Schädel  zu- 
kommen. Drittens  muß  hervorgehoben  werden,  daß  die  Form 
des  Schädels  an  sich  von  der  aller  anderen  deformirten  Schädel 
abweicht.  Man  müßte  daher  annehmen,  daß  in  den  argenti- 
nischen Gegenden  eine  ganz  eigenthümliche,  sonst  nicht  geübte  Um- 
formungsweise im  Gebrauch  war.  Zu  einer  solchen  Annahme  wird 
man  sich  jedoch  erst  dann  entschließen,  wenn  noch  mehr  Objecte 
zum  Vergleich  zu  Gebote  stehen;  es  ist  daher  sehr  zu  wünschen, 
daß  es  gelingen  möchte,  noch  neues  anthropologisches  Material  vom 
Arroyo  Corunco  herbeizuschaffen. 

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258 


Fr.  Merkel,  über  argentinische  Gräberschädel. 


2.2 

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Fr.  Pockels,  Interferenzerscheinungen  in  Zwillingsplatten  etc.        259 


Ueber  die  Interferenzerscheinungen,  welche  Zwil- 
lingsplatten optisch  einaxiger  Krystalle  im  con- 
vergenten  homogenen  polarisirten  Lichte  zeigen. 

Von 

Fr,  Pockels, 

(Vorgelegt  von  Th..  Liebisch.). 

In  der  vorliegenden  Abhandlung  sollen  diejenigen  Interferenz- 
erscheinungen berechnet  und  discutirt  werden,  welche  man  in  einem 
Polarisationsapparate  bei  Anwendung  von  convergentem  homogenem 
Lichte  an  einer  Combination  von  zwei  planparallelen,  aus  einem 
einaxigen  Krystall  unter  gleicher  Neigung  gegen  die  optische  Axe 
geschnittenen  Platten  beobachtet,  welche  so  übereinander  gelegt 
sind,  daß  ihre  Hauptschnitte  zusammenfallen,  die  optischen  Axen 
aber  in  entgegengesetztem  Sinne  gegen  die  gemeinsame  Platten- 
normale geneigt  sind ,  so  daß  die  Combination  eine  künstliche 
Zwillingsplatte  darstellt.  —  Diese  Interferenzerscheinungen  sind 
zum  ersten  Male  von  Langberg  theoretisch  untersucht  (und  auch 
wohl  zuerst  beobachtet)  worden1).  Derselbe  hat  eine  allgemeine 
Formel  für  die  Intensität  des  durch  zwei  übereinander  liegende, 
beliebig  orientirte  einaxige  Krystallplatten  hindurchgegangenen 
Lichtes  aufgestellt,  aber  bei  deren  Anwendung  auf  specielle  Fälle 
immer  die  Schwingungsrichtungen  im  ganzen  Gesichtsfelde  als 
constant  angenommen.  Daher  fand  er  in  dem  einzigen  von  ihm 
untersuchten  Falle  einer  Zwillingsplatte,  nämlich  in  demjenigen, 
wo  die  optischen  Axen  der  beiden  Platten  ±  45°  mit  der  Platten- 
normale bilden,  nur  ein  System  von  Ellipsen  (Curven  gleichen 
Grangunterschiedes),  deren  Discussion  (1.  c.  p.  541)  bei  ihm  übrigens 
auch  unvollständig  geblieben  ist. 

Eine  im  Jahre  1853  erschienene  sehr  umfangreiche  Arbeit  von 
Ohm  („Erklärung  aller  in  Platten  einaxiger  Krystalle  im  gerad- 
linig polarisirten  Lichte  warnehmbareu Interferenzerscheinungen") 2) 
enthält  unter  Anderem  eine  mathematische  Behandlung  der  Inter- 


1)  Analyse  der  Interferenzerscheinungen  in  combinirten  einaxigen  Krystallen. 
Pogg.  Ann.  Erg.-Bd.  I,  1842,  p.  529—565. 

2)  Abhandl.  der  Bayerischen  Akad.,  math.-phys.  Classe,  Bd.  VII,  p.  43— 149 
und  265—370.  Ein  übersichtliches  Referat  über  diese  Arbeit  hat  C.  Neumann 
in  den  Fortschr.  d.  Phys.  Bd.  XI,  1855,  p.  287—294,  gegeben. 


260  Fr-  Pockels, 

ferenzerscheinungen  in  Zwillingsplatten  von  beliebiger  Neigung 
der  optischen  Axen.  Auch  Ohm  hat  die  resultirende  Intensität 
allgemein  berechnet,  aber  bei  der  Anwendung  der  Intensitätsformel, 
welcher  er  übrigens  eine  recht  übersichtliche  Form  gegeben  hat, 
die  veränderliche  Lage  der  Schwingungsrichtungen  für  convergente 
Strahlen  nicht  berücksichtigt.  Daher  konnte  er  nur  die  Curven 
gleichen  Gangunterschiedes  erklären,  welche  man  nahe  der  Mitte 
des  Gesichtsfeldes  wahrnimmt.  Er  fand,  daß  die  am  Schlüsse 
seiner  Arbeit  beschriebenen  Erscheinungen ,  welche  er  an  einer 
Zwillingsplatte  mit  kleinem  Neigungswinkel  (5°)  der  optischen 
Axen  gegen  die  Plattennormale  beobachtete ,  gänzlich  im  Wider- 
spruch zu  seinen  Formeln  ständen  (p.  363—364) ;  übrigens  hat  er 
p.  366 — 367  selbst  den  wahren  Grund  dieses  Widerspruches,  wenn 
auch  etwas  unbestimmt,  angedeutet.  —  Später  hat  van  der 
Willigen1)  den  Gangunterschied  der  durch  einaxige  Krystall- 
platten  hindurchgegangenen  Strahlen  mit  möglichster  Strenge  be- 
rechnet und  auch  für  den  speciellen  Fall  einer  Zwillingsplatte,  in 
welcher  die  optischen  Axen  ±  45°  mit  der  Plattennormale  bilden, 
diejenigen  vier  Curvensy steine  discutirt,  auf  denen  der  Gangunter- 
schied, welchen  die  beiden  Strahlen  in  je  einer  der  beiden  com- 
binirten  Platten  erleiden ,  bezw.  die  Summe  und  die  Differenz 
dieser  Gangunterschiede  constant  sind.  Er  sagt  schließlich,  die 
an  der  Zwillingsplatte  beobachtete  Interferenzerscheinung  bestehe 
aus  einer  Ueberlagerung  jener  vier  Curvensysteme ,  und  es  müsse 
noch  die  Intensität  berechnet  werden,  mit  welcher  dabei  jedes  von 
ihnen  auftritt. 

Eine  vollständige  und  übersichtliche  Discussion  über  die  Curven, 
auf  welchen  die  S  u  m  m  e  der  Gangunterschiede  constant  ist,  (sowie 
vorher  über  die  jeder  einzelnen  Platte  zukommenden  Curven  gleichen 
Gangunterschiedes),  hat  Bert  in2)  gegeben.  Derselbe  hat  aber 
die  resultirende  Intensität  gar  nicht  allgemein  berechnet  und  da- 
her auch  die  Unterbrechungen  der  dunklen  Ellipsen  und  Hy- 
perbeln, welche  bei  den  in  Rede  stehenden  Erscheinungen  gerade 
auffallen,  nicht  erklären  können,  ebensowenig  die  unter  Um- 
ständen auftretenden  geradlinigen  Streifen.  Bertin  hat,  wie  er 
1.  c.  p.  508  erwähnt ,  die  Interferenzerscheinungen  in  homogenem 
(violettem)  Lichte  photographirt ;  die  seiner  Abhandlung  beigefügten 
Figuren  sind  aber,  einer  Bemerkung  p.  506  zufolge,  nur  Zeichnungen 
und  stellen  auch,  höchstens  die  Fig.  8  ausgenommen ,  die  Erschei- 


l)Arch.dumusäeTeyler,III,  p.241, 1873.  Pogg.  Ann.  Jubelbd.p.  491-497, 1874. 
2)  Ann.  de  Chim.  et  de  Phys.,  (6),  II,  1884,  p.  485—508. 


Interferenzerscheinungen  in  Zwillingsplatten  optisch   einaxiger  Krystalle.      261 

nungen  unrichtig  dar ;  die  in  diesen  Figuren  hervortretende  Asym- 
metrie ist  vermuthlich  einer  ungenauen  Orientirung  der  beiden 
Platten  gegeneinander  bei  den  Beobachtungen  ßertin's  zuzu- 
schreiben. — 

Wenn  nun  auch  von  den  genannten  Autoren  die  vier  Systeme 
von  Curven  gleichen  Gangunterschiedes,  welche  in  Zwillingsplatten 
der  betrachteten  Art  überhaupt  unter  Umständen  auftreten  können, 
an  und  für  sich  bereits  berechnet  worden  sind,  so  fehlt  doch  bis- 
her eine  auf  Berücksichtigung  der  innerhalb  des  Gesichtsfeldes 
veränderlichen  Lage  der  Schwingungsrichtungen  beruhende  Unter- 
suchung darüber,  in  welcher  Weise  sich  jene  Curvensysteme  schein- 
bar überlagern  bezw.  sich  gegenseitig  unterbrechen,  und  unter 
welchen  Umständen  oder  in  welchen  Theilen  des  Gesichtsfeldes 
das  eine  oder  andere  Curvensystem  allein  auftritt.  Durch  eine 
solche  Untersuchung  die  Einzelheiten  der  merkwürdigen ,  von 
Zwillingsplatten  der  bezeichneten  Art  dargebotenen  Interferenz- 
erscheinungen zu  erklären,  ist  der  Zweck  der  vorliegenden  Arbeit. 
Die  unmittelbare  Veranlassung  zu  derselben  bot  die  von  Herrn 
Prof.  Liebisch  im  hiesigen  mineralogischen  Institut  ausgeführte 
photographische  Aufnahme  jener  Erscheinungen  im  Natriumlicht ; 
auf  die  nach  diesen  Photographieen  hergestellten  Lichtdrucktafeln *) 
wird  bei  der  üiscussion  wiederholt  hingewiesen  werden.  Die  der 
vorliegenden  Abhandlung  beigefügten  Figuren  3 — 6  haben  nur 
schematische  Bedeutung;  sie  sollen  erläutern,  wie  die  Gebiete,  wo 
die  einzelnen  Curvensysteme  bezw.  dunkle  Flecke  auftreten,  im  Ge- 
sichtsfelde zu  einander  liegen. 

Es  wird  vorausgesetzt,  daß  die  optischen  Axen  der  beiden 
übereinanderliegenden  Platten  gegen  die  Plattennormale  gleich 
geneigt  sind,  daß  also,  wenn  auf  der  Kugelfläche  durch  0  die 
Plattennormale,  durch  Av  A2  die  optischen  Axen  der  beiden  Platten 
dargestellt  werden  (Fig.  1),  OA ,  =  OA2  =  St  ist. 

Ist  N  eine  beliebige  Wellennormale  in  der  Platte,  so  werde 
gesetzt 

ON  =  #,  AtON  =  <p, 

OAtN  =  180°  -  4,  OA, N  -  i,v 

In  erster  Annäherung  kann  angenommen  werden ,  daß  die 
Richtung  N  in  beiden  Platten  dieselbe  ist,  d.  h.  daß  beim  Eintritt 
einer  Welle  aus  der  ersten  in  die  zweite  Platte  keine  merkliche 
Brechung  stattfindet. 


l)Th.  Liebisch,  Physikalische   Krystallographie ,   Leipzig  1890.      Tafel 
VII  und  VIII. 


262  Fr-  Pockels, 

Die  Ebenen  NAt  und  NA2  sind  die  Schwingungs-  (Polarisations-) 
Ebenen  der  ordinären  Welle  in  der  ersten  und  zweiten  Platte. 
Die  von  der  Axenebene  an  gerechneten  Azimuthe  Vi  und  V2  dieser 
Schwingungsebenen  bestimmen  sieb  aus  den  Gleichungen: 

T       .     ,  sin  #  sin  <p       .     .  sin  #  sin  <p 

I.     sinV,  =  — -. — iaA  y  ,    sinl  =  — -. — n-r— . 

7*  sin  NAt    '  ^2  sin  NA2 

Ferner  ist 

cos  NAt  —  cos  ft  cos  Sl  +  sin  #  sin  Sl  cos  <p, 
II  .         . 

cos  j^42  =  cos  #  cos  <ß  —  sin  %•  sin  ü  cos  9. 

Das  Azimutb  der  Schwingungsebene  des  Polarisators  (P)  bezw. 
des  Analysators  (Ä)  sei  a  bezw.  ß,  immer  von  der  Ebene  A2AX 
an  in  positivem  Sinne  gerechnet  (vergl.  Fig.  2). 

Die  einfallende  Schwingung  A  cos  t  wird  beim  Eintritt  in  die 
erste  Platte  zerlegt  in  die  Componenten: 

|j  =  A  cos  (Vt  —  a)  cos  r  parallel  NAt 
und  q£  =  -1  sin  (V,  —  a)  cos  t  senkrecht  zu  NAV 

Beim  Austritt  aus  der  ersten  Platte  ist: 

|4  =  A  cos  Oj  -  a)  cos  (r  —  d'0), 
rjt  =  A  sin  (V2  —  a)  cos  (r  —  d,'), 

wo  d^,  d'  die  Verzögerungen   der  ordinären  bezw.   extraordinären 
Welle  in  der  ersten  Platte  sind. 

Diese  Schwingung  wird  beim  Eintritt  in  die  zweite  Platte 
zerlegt  in: 

|2  =  %x  cos  (V2  —  pj  +  r\t  sin  (ih  —  ^1)  parallel  zu  NA„ 

^2  =  —  |,  sin  (V2  —  Vi)  +  ^1  cos  (V2  —  Vi)  senkrecht  zu  JVJ.a. 

Sind  d'J,  d'J  die  Verzögerungen  der  ordinären  und  extraor- 
dinären Welle  in  der  Richtung  N  in  der  zweiten  Platte ,  so  sind 
demnach  die  Componenten  der  aus  der  Zwillingsplatte  austretenden 
Schwingung : 

£  =  1 " j  cos  («  -  Vi)  cos  (V2  -  Vi)  cos  (t-ö'0-  d'J) 
+  sin  (a  -  Vi)  sin  (V2  -  Vi)  cos  (r  —  d[  -  d'J)  j , 

Ü  =  A  \  —  cos  (a  —  Vi)  sin  (V2  —  Vi)  cos  (r  -  d'0  —  <?,") 
+  sin  (a  —  Vi)  cos  (V2  —  Vi)  cos  (r  —  d'e  —  d")  j . 

Nach  dem  Durchgang  durch  den  Analysator  resultirt  schließ- 
lich die  Schwingung: 


Interferenzerscheinungen  in  Zwillingsplatten   optisch  einaxiger  Krystalle.       263 
i;cos(^-i3)-^sin(^-^), 

deren  Intensität  J  nun  berechnet  werden  soll. 

Dieselbe  ist  =  A2(C*  +  S2),   wenn  i;cos(4>2-/3)  -  >?2sin(4>a-/3) 
auf  die  Form  C  cos  r  -f  S  sin  t  gebracht  ist. 
Man  findet: 

C  =   { cos  0  -  40  cos  («y  -  40  cos  (dj  +  dj') 

+  sin  {a  -  40  sin  (4>2  -  40  cos  (d[  +  dj') }  cos  (0  -  40 
+  j  cos  (a  -  40  sin  (^  -  «J  cos  (dj  +  *J') 

+  sin  (a  -  40  cos  (4>2  —  fc)  cos  (dj  +  d,")  j  sin  (ß  -  40, 
S  =   j  cos  («  -  40  cos  (4>2  -  40  sin  (d^  +  dj') 

+  sin  (a~-  40  sin  (4>2  —  40  sin  (d,r  +  d'J)  J  cos  (0  -  4>2) 
+  |  cos  0  -  40  sin  (^  -  40  sin  (dj  +  ö[') 

+  cos  (a  - 1/0  cos  (4>2  -  40  sin  (d[  +  d.")  }  sin  (ß  -  40- 
Hieraus  ergiebt  sich 

<7  +  >S2  = 

cos2(^-^)icos2(a-^2)  -isin2(a-^)sin2(^2-^)(l-cos(d:-d:))j 

+sin2(/3-40  j  sin  f  («  -  40+i  sin2  («-  40  sin2  (&-*$  1  -  cos  (d^  -  ö't))  j 

+  sin2(/3-40  j  cos  2 (a-^)  sin  2  (^-^2)  cos  (d^-d;') 

+  i  sin  2  (a  -  ^)  cos  2  (^2-^)  cos  (di-d.')  cos  (di'-d,") 

-Jsin2(«-^)sin(d:-d:)sin(d;-d:')J. 

Führt  man  die  Bezeichnungen : 

J,  =  S'0-S'„  4i  =  K'-s" 

ein  und  nimmt  mit    obigem  Ausdrucke    für  C2  +  S2  einige  weitere 
Umformungen  vor,  so  erhält  man  für  J  schließlich  die  Formel: 

J  =  A2    cos2(0-a)  -  sin  2  (a- 40  sin  2  (/3- 40  sin9  4r 


-  sin2  («  -  40  sin  2(ß-  40  sin2  4r 


2 


— 2sin2(cx— 40sin2(ß— 40sin-^sin^f  cos-^cos-ö2  —  sin— sin-~cos2(4>2 — 40  )  j 

Die  Größen  z/,  und  z/2,  d.  h.  die  relative  Verzögerung  der 
ordinären  Welle  gegen  die  extraordinäre  in  der  1.  und  2.  Platte, 
sind  gegeben  durch  die  Ausdrücke: 


264  Fr.  Pockels, 

„     B.  nz  o2  —  a2  sin2  NA.         n     D.  ,  x  sin2  NAt 


2A         v2  cos«-  A   v  °      eJ     cos#   ' 

'     ^        0     D2n3  g>2  -  <x>l  sin2 NA2        0     D2  '  ,  sin2JV^2 

^  =  2*TT-V-"  ~^T  =  2*1T (*.-"•>  —o^ 

worin  ra0,  ra,  die  beiden  Hauptlichtgeseh  windigkeiten ,  wo,  ne  die 
Hauptbrechungsindices ,  w  den  mittleren  Brechungsindex  des  Kry- 
stalles,  v  und  Ä  die  Lichtgeschwindigkeit  und  Wellenlänge  in  Luft, 
Dv  D2  die  Dicken  der  beiden  Platten  bezeichnen. 

sin2^^!  und  sin2iV^L2  sind  mittelst  der  Formin  II  durch  <p 
und  &,  d.  h.  durch  die  Bestimmungsstücke  der  Richtung  N,  aus- 
zudrücken. 

Bei  schwach  convergentem  Lichte  kann  man  #  und  <p  direkt 
als  die  Polarcoordinaten  der  betrachteten  Stelle  der  Zwillingsplatte 
ansehen;  im  Allgemeinen  sind  sin  &  und  cp  jene  Polarcoordinaten. 

Im  Folgenden  sollen  nur  die  beiden  speciellen  Falle  näher 
untersucht  werden,  daß  die  Nicols  gekreuzt  sind,  also  ß  —  cc  = 
±  90°  ist,  und  zugleich  die  Axenebene  Ax  A2  entweder  0°  und  90° 
oder  ±  45°  mit  den  Schwingungsebenen  der  Nicols  bildet. 

Im  ersten  Falle,  d.  h.  bei  der  Normalstellung  der  Platte, 
wird 

IV.     J  =  A2  \  sin2  2  ift  sin2  4r  +  sin2  2  ^2  sin2  4r 
+2sin2#1sin2#asin  -~  sin —1  cos  ~  cos-^2—  sin-^sin-^cos2(^2—  ft)     , 
dagegen  im  zweiten  Falle,  also  bei  der  Diagonalstellung, 

V.     J  =  A2  \  cos2  2^  sin2  4r  +  cos2  2^2  sin2  4r 
+20082^0082^8^1  -—-  sin  —   cos-^cos-^2-— -sin  —sm-^  0082(^2  —  ^0     • 

In  beiden  Fällen  hat  J  die  Form 

«2  +  h2  +  2ab  cos  y, 
wo  im  ersten  Falle 


a  =  -äsu^^sin-gS  &  =  -isn^^sin-^-, 


im  zweiten 


a  =  .4  cos  2^  sin -.p   b  —  A  cos  2  ^2  sin  -~, 


Interferenzerscheinungen  in  Zwillingsplatten  optisch  einaxiger  Krystalle.  265 
und  in  beiden  Fällen 

cos  y  =  cos-^  cos  -~-  —  sin  -~  sin  -~  cos  2(^2  —  ^J 

ist. 

Die  Intensität  kann  =  0  werden  nur  für 

«  =  +  &,     cosy  =  -  1, 
oder  a  =  —b,     cosy  =  +  1. 

Dies  sind,  wenn  man  sich  ^t,  #g,  z/x,  z/2  mittelst  der  Formeln 
I,  II  und  III  durch  #  und  tp  ausgedrückt  denkt,  je  2  Gleichungen 
zwischen  &  und  op;  es  giebt  also  eine  Anzahl  von  Werthepaaren 
#,  <p,  für  welche  J  =  0  wird.  Dies  bedeutet ,  daß  es  (bei  An- 
wendung homogenen  Lichtes)  nicht  ganz  dunkle  Curven, 
sondern  nur  ganz  dunkle  Punkte  giebt,  welche  die  Schnitt- 
punkte der  Curvensysteme  mit  den  Gleichungen  a=±&,  cosy  =  :pl 
sind. 

Diese  letzteren  würden  aber ,  wenn  man  sie  als  Gleichungen 
zwischen  #  und  op  schriebe,  viel  zu  complicirt,  um  zur  Discussion 
brauchbar  zu  sein.  Noch  weniger  gestatten  die  Formeln  die  Un- 
tersuchung der  Curven  constanter  Intensität ,  welche  übrigens 
auch  für  die  Ableitung  der  wahrgenommenen  Erscheinungen  nicht 
wesentlich  ist.  — 

Bevor  die  beiden  Fälle  der  Normalstellung  und  der  Diagonal- 
stellung getrennt  näher  betrachtet  werden,  sei  bemerkt,  daß,  wie 
die  Formeln  IV  und  V  zeigen ,  bei  gekreuzten  Nicols 
immer  vollkommene  Dunkelheit  herrscht  in  den 
Schnittpunkten  derjenigen  beiden  Curvensysteme, 
für  welche 

sin-^-  bb  0,    also  —  =  hit 

bezw.  sin  -~  =  0,    also  -^-  =  h  % 

ist.  Dies  sind  diejenigen  Curven,  welche  in  jeder  einzelnen 
Platte  ganz  dunkel  erscheinen  würden;  sie  mögen  daher  im 
Folgenden  als  das  erste  und  zweite  „primäre"  Curven- 
System  bezeichnet  werden. 

Die  Gleichung  des  ersten  von  ihnen  ist 

sin2iVA         h  Dt    ,  x  .  ,        , 

---L  =  —    wo  c  =  -r1  (n0  —  nt)  ist ,   oder 

cosfr  c}  l    v  °        ' 


266  Fr.  Pockels, 

sin2Ä+cos2ü  sin2#  — sin252  cos2cp  sin2#— i  sin2&  sin2#  cosg>  =  —  cos#. 

Man  kann  sin #  cosgp  und  sin -fr  sing?  als  rechtwinklige  Coor- 
dinaten  x  und  y  eines  Punktes  des  Gesichtsfeldes  betrachten,  indem 
man  sich  die  Erscheinung  auf  eine  Ebene  im  Abstände  1  vom  Di- 
vergenzpunkt der  Strahlen  projicirt  denkt;  ferner  kann  man,  wenn, 
wie  künftig  immer  vorausgesetzt  werden  soll,  nicht  sehr  stark 
convergentes  Licht  angewendet  wird, 

=  1  +  Jsin2#  =  l+±(?t*  +  tf) 


eos# 


setzen,  wodurch  man  für  die  der  ersten  Platte  zugehörigen  pri- 
mären dunklen  Curven  näherungsweise  folgende  Gleichung 
erhält : 

sin2  Sl  (1+ J (x2+y2))  +  cos2  Sl  (x2+y2)  -  sin2  Sl  .  x2  -  sin  2  Sl  •  x  =  -, 

h 

^2(cos2ß-^sin2ß)  +  «/2(cos2^  +  isin21ß)  -#sin2ß  = sin2&. 

c 

Diese  Gleichung  stellt  eine  Schaar  ähnlicher  und  con- 
centrischer  Curven  zweiten  Grades  dar,  deren  gemein- 
samer Mittelpunkt  weder  mit  dem  Mittelpunkte  des  Gesichtsfeldes, 
noch  mit  dem  Axenaustrittspunkte  zusammenfällt,  aber  im  Haupt- 
schnitte (auf  der  X-Axe)  liegt.    Die  Curven  sind: 

Ellipsen,  wenn  Sl  <:  arctg  \/2  oder  <  54°  44'  ist, 
Parabeln,  wenn  Sl  =  arctg  \J2  =  54°  44'  ist, 
Hyperbeln,  wenn  Sl  >■  artcg  ^2  ist. 

Das  Axenverhältniß  der  Ellipsen  ist—  V/q — ?~rW> 

r  V  l-f-Jtg2^ 

der  durch  die  X-Axe  halbirte  Asymptotenwinkel  der  Hyperbeln 

-2arct*V/i^EL 
-Jarctgyitg2ß  +  1 

Diese  Curven  sind  bereits  von  Ohm,  van  der  Willigen 
und  Bertin  discutirt  worden. 

Das  der  zweiten  Platte  angehörende  primäre  Curvensystem 
geht  bei  gleicher  Dicke  der  Platten  aus  dem  primären  Curven- 
systeme  der  ersten  Platte  natürlich  durch  eine  Drehung  von  180° 
um  die  Plattennormale  hervor;  dementsprechend  hat  Sl  entgegen- 
gesetztes Vorzeichen. 

Für  die  weitere  Untersuchung  ist  es  nützlich,  die  Formeln 
IV  und  V  umzugestalten,  indem  man  in  dieselben  einsetzt 


Interferenzerscheinungen   in   Zwillingsplatten    optisch  einaxiger  Krystalle.       267 


2SH1-Ö1  sm  -g2-  cos  -y-  cos  -±  =  |  ^sin1  — 


+  A 


sin' 


Jsin5 


^i+^2 


2sin24-sin2^2-  =  sin2  ^  + sin2  ^ 

und  nun   die  Glieder   mit  sin2  -q1,  bezw.   sin2  ~-,  sin 


*-4 

2 


)■ 


,2    ^i+Z/2 


und 


sm 


VIII. 


2  '  ™";  —    2'  ~      2 
2— i^ — -zusammenfaßt.     Die  Formeln  IV  und  V  nehmen   dann 
die  Form  an1): 

VH.    J=  J0  jalSin8^  +  a2sin2  ^+&lSin2^±^+&2sin2^^|; 

darin  ist  J0  für  A2  gesetzt  und,  wie  sich   nach    einigen  einfachen 
Umformungen  ergiebt,  für  die  Normalstellung 

ax  =  a\  =  sin2#1cos2#2sin2(#1— -VO» 

a2     =     ft2     =     8^2^0032^8^2(^3  —  ^1)» 

6x  =  b\  =  sin2^1sin2^2cos2(^2— 1^,), 
^2  =  K  =  ~  sin2^1sin2i/;2sin2(i/;2— #,), 
dagegen  für  die  Diagonalstellung 

«j  =  aj  =  sin2^2cos2^,  sin2(V>2— VO  =  aj, 
a2  =  a2  =  sin  2^  cos  2#2  sin  2(^—^1)  =  a°v 
bx  =  6J  =  cos  2^0082^  cos2  (#,— ^J, 
&2  =  &£  =  —  0082^008^  sin2  (^2— ^i)- 

Aus  dieser  Darstellung  von  J"  als  Summe  von  4  Gliedern 
geht  hervor,  daß  man  die  ganze  Erscheinung  auffassen  kann  als 
Superposition  von  4  Curvensystemen,  deren  Intensitäten 
gegeben  sind  durch 


IX. 


^  4 


«iSin-  2  , 


gl  sin 


A,  6lsin'4±^,  6ssin«^ 


Diese  Superposition  hat  indessen  im  Allgemeinen  nur  mathe- 
matische Bedeutung,  da  von  den  Größen  gl,  aa,  bv  b3  immer  zwei 
negativ  sind.  Wenn  aber  z.B.  eine  der  Größen  gl,  aa,  bx,  b% 
nahe  =  1  ist,  während  die  drei  anderen  sehr  klein  sind,  so  kann 
man  schließen,  daß  dasjenige  Curvensystem,  dessen  Intensität  jene 
erstere  Größe  als  Faktor  enthält,  allein  wahrnehmbar  sein  muß. 
Da  nun  immer  je  drei  der  Größen  axl  a„  bv  bt  einen  Faktor  ge- 


1)  Ohm,  Art.  XXXVI,  XXXVII. 


268  Fr-  Pockels, 

meinsam  haben,  so  giebt  es  in  der  That  im  Allgemeinen 
solche  Stellen  des  Gesichtsfeldes,  wo  nur  eine  der 
vier  Größen  von  0  verschieden  und  folglich  nur  eines 
der  vier  Cur vensysteme  sichtbar  ist.  Bevor  hierauf 
näher  eingegangen  wird ,  sollen  aber  jene  vier  Curvensysteme, 
welche  überhaupt  auftreten  können ,  untersucht  werden.  Die 
dunklen  Curven,  mit  den  Gleichungen 

siny  =  0  und  siiiy-  =  0 

sind  die  bereits  oben  discutirten  beiden  „primären a  Curven- 
systeme. 

Das  dritte  Curvensystem  ist  gegeben  durch 

sin-^ — =  »  Const. 

und  möge  das  secundäre  Curvensystem  erster  Art  ge- 
nannt werden.  Die  Gleichung  der  Curven  dieses  Systems  ist  in 
rechtwinkligen  Coordinaten 

x%co&2Sl^^sm2£l)+y\G082Sl+^m2a)^x^^^sin2^  =  C-sin2ß; 

A  1 

speciell  für  die  dunklen  Curven  ist  C  =  h  ^   ,  -r,  • . 

r  Dl+Da    n—ne 

Diese  Gleichung  gilt  in  derselben  Annäherung,  wie  die  oben 
für  die  primären  Curven  angegebene  ,  und  unterscheidet  sich  von 
der  letzteren  nur  durch  den  Faktor  von  x  und  die  Größe  von  G. 
DieCurven  des  secundären  Systems  erster  Art  unter- 
scheiden sich  demnach  von  den  primären  Curven  nur 
durch  die  Lage  des  Mittelpunktes  und  die  absolute  Größe1). 
Ist  Dx  =  D2,  sind  also  die  Platten  gleich  dick,  so  fällt 
der  Mittelpunkt  der  Curven  mit  demjenigen  des 
Gesichtsfeldes  zusammen,  da  dann  das  lineare  Glied  ver- 
schwindet. In  dem  Grenzfalle  iß  =  54°  44',  wo  der  Coefficient  von 
x2  verschwindet,  werden  dann  die  Curven  keine  Parabeln,  sondern 


1)  Daß  in  den  Fig.  3  u.  5,  Tafel  VII,  in  Liebisch' s  „Physikalischer  Kry- 
stallographie"  die  primären  Curven  noch  sehr  kreisähnlich  erscheinen,  während 
die  secundären  Curven  erster  Art  deutlich  elliptisch  sind ,  rührt  wohl  von  der 
Verzerrung  der  ersteren  in  Folge  ihrer  Lage  nahe  dem  Rande  des  Gesichts- 
feldes her. 


Interferenzerscheinungen   in  Zwillingsplatten   optisch  einaxiger  Krystalle.       269 

ger  ad  e  Linien,    welche    der  die   beiden  Axen   enthal- 
tenden Ebene  parallel  sind1). 
Das  Curvensystem,  welches  durch 

sin  — —<< — -  =  Const. 

gegeben  ist,  möge  das  secundäre  zweiter  Art  genannt 
werden. 

Die  Gleichung  desselben  ist 

*2(cos2&-  Jsin2ß)+2/2(cos2ß  +  isin2ß)-^^±^sin2ß  =  C"-sin2Ä, 

A  1 

wo  ü  —  h  -ä ti ist  für  die  dunklen  Curven. 

Dx-B2  n-ne 

Demnach  unterscheiden  sich  auch  diese  Curven 
von  den  primären  nur  durch  die  Lage  des  Mittel- 
punktes auf  der  x-Axe. 

Wird  aber  Dt  =  D2,  so  rückt  der  Mittelpunkt  in  unendliche 
Entfernung  und  die  Gleichung  der  Curven  wird 

X  ~        sin2ß' 
wo  für  die  dunklen  Curven 

C"  =  h  ~^  — —  =  C 

ist.  Bei  gleicher  Dicke  der  beiden  Platten  sind  also 
die  secundären  Curven  zweiter  Art  immer  zur  Axen- 
ebene  senkrechte  gerade  Linien;  die  Größe  des  Winkels 
&  hat  nur  auf  den  gegenseitigen  Abstand  der  dunklen  Streifen 
Einfluß ;  sie  sind  um  so  gedrängter,  je  größer  &  ist 2). 

Es  soll  nun  erörtert  werden ,  welche  Erscheinungen  in  den 
beiden  Fällen  der  Normal-  und  Diagonalstellung  an  verschiedenen 
Stellen  des  Gesichtsfeldes  auftreten.  Diese  Untersuchung  muß  sich 
indessen  auf  die  gesonderte  Betrachtung  solcher  Stellen  des 
Gesichtsfeldes    beschränken,    wo   iffv   ip9   oder   1>9  —  #,    b  e- 


1)  Diesen  Fall  hat  Ohm  besonders  hervorgehoben ;  die  obige  Gleichung  nebst 
einer  Discussion  für  den  Fall  Dx  =  D%  findet  sich  in  der  angeführten  Abhand- 
lung Bertin's  S.  501—503. 

2)  Diese  parallelen  Streifen  hat  für  den  speciellen  Fall  Sl  —  45°  van  der 
Willigen  berechnet;  Ohm  und  Bertin  erwähnen  ihr  Auftreten,  ohne  dasselbe 
zu  erklären;  Bertin  nennt  sie  „franges  de  Delezenne." 


270  Fr-  Pockels, 

stimmte  als  constant  anzusehende  Werthe  haben; 
denn  die  allgemeine  Discussion  der  Formeln  für  J  würde  sehr 
umständlich  sein  und  wahrscheinlich  auch  wenig  anschauliche  Re- 
sultate liefern. 

I.    Normalstellung. 

Es  war  gefunden  (Formeln  VII  und  VIII) 

J  =  J0  |<sin2^  +  a\  sin2  4.  +  b\  sin2  ^J-^2-  +  b\  sin2^-^|, 

a\  =  sin2^1cos2^2sin2(^1— ^2), 
a\  =  8^2^0082^8^2(^2—^), 
b\  =  sin2^1sin2^2cos2(^2— i^,), 
b°2  —  —  sin2i/;1sin2^2sin2(^2— ipt). 

1.  Zunächst  ist  ersichtlich,  daß  a°v  a%  b°v  b°2  sämmtlich  ver- 
schwinden, wenn  tyx  =  0  oder  180°  und  mithin  zugleich  ip2  =  0 
oder  180°  ist,  was  auf  der  X-Axe  eintritt ;  demnach  erscheint  ein 
durch  den  Mittelpunkt  des  Gesichtsfeldes  gehender, 
der  Axenebene  paralleler,  schwarzer  Balken,  welcher 
um  so  breiter  ist,  je  größer  die  Neigung  &  ist1). 

2.  Für  f2  =  ±  90°  ist  nur  a\  =  sin22^x,  und  für  4i—±  90° 
nur  a°2  =  sin2  2^2  von  0  verschieden ;  folglich  sind  auf  den  zur 
Axenebene  senkrechten  Linien ,  welche  die  dunklen  Balken 
der  zweiten  bezw.  ersten  primären  Interferenzfigur 
sein  würden,  nur  das  erste  bezw.  zweite  primäre  Cur- 
vensystem  sichtbar,  und  zwar  mit  einer  Intensität  der  hellen 
Curven,  welche  mit  der  Entfernung  von  den  Axenpunkten  wächst. 
In  letzteren  selbst  ist  jene  Intensität  0  und  auch  auf  einer  beträcht- 
lichen Strecke  seitwärts  noch  sehr  gering,  und  da  dies  die  Inten- 
sität der  hellsten  Curven  ist,  so  müssen  die  betrachteten  Balken 
der  primären  Kreuze  relativ  dunkel  erscheinen,  namentlich  in 
der  Nähe  der  Axenpunkte.  —  Diese  Erscheinung  kommt  natürlich 
nur  dann  in  Betracht,  wenn  &  so  klein  ist,  daß  die  optischen 
Axen  im  Gesichtsfelde  austreten2). 

3.  Für  f2-tt  =  ±  90°  bleibt  nur  b°2  =  sin2  2^  übrig. 

Es  ist  nun  ty2—if>i  =  —  90°  auf  demjenigen  Kreise, 
welcher    durch    die  Axenpunkte  geht  und  deren  Ver- 


1)  Vergl.  Liebisch,   Physikalische   Krystallographie,   Tafel  VII,  Fig.  3,  5 
und  VIII,  1,  3.  —  Schematische  Fig.  3,  a;  4,  a. 

2)  Liebisch,  Phys.  Kryst,  Tafel  VII,  Fig.  3.  —  Schematische  Fig.  3,b, 


Interferenzerscheinungen  in  Zwillingsplatten  optisch  einaxiger  Krystalle.       271 

bindungslinie  zum  Durchmesser  hat.  Auf  diesem  Kreise 
und  in  seiner  nächsten  Umgebung  ist  also  das  secundäre 
Curvensystem  zweiter  Art  allein  vorhanden1).  Die 
Intensitätsmaxima  sind  am  größten  =  J0  an  denjenigen  Stellen, 
welche  auf  dem  zur  Axenebene   senkrechten  Durchmesser   liegen ; 

dort   ist  auch   bei  nahezu   gleicher  Dicke  der  Platten  — — ~ — -  für 

einen  der  Streifen  =  0,  und  es  sind  daher  an  diesen  Stellen  im 
weißen  Lichte  farbige  geradlinige  Streifen  sichtbar. 
Eine  Krümmung  dieser  Streifen  deutet  auf  einen  Dickenunterschied 
der  beiden  Platten  hin.  —  Der  Fall,  daß  nur  h\  von  0  verschieden 
ist,  ist  bei  der  Normalstellung  nicht  möglich ;  daher  können  keine 
ganz  dunklen  Curven  des  secundären  Systems  erster 
Art  auftreten.  Es  soll  nun  untersucht  werden,  welche  Erscheinung 
in  der  Nähe  des  schwarzen  Balkens  und  des  eben  erwähnten 
Kreises  wahrzunehmen  sein  muß. 

4.  Für  die  dem  seh  war  z  en  Balken  benachbarten 
Stellen  in  der  Mitte  des  Gesichtsfeldes  kann  man 
setzen 

*,  =  ±  (180»-«),  t2  =  ±e, 

unter  e  einen  kleinen  Winkel  verstanden. 
Dann  wird 

a\  ==  a\  =  8*2,    b\  =  — 16*4,    h\ ■—  -  ±s\ 
man  kann  daher  b\  vernachlässigen  und  erhält 

J  mm  J04e*  J2sin2^+2sin2^-sin'^±^j 
=  Jm  |^in2^  +  Jsin2^-isin2^±^j. 
Für  4±^  =  (tt+1)"}  wird 

<T=  ^|isin2^+Jcos2^-jj  =iJ„; 

es  sind  also  Curven  des  secundären  Systems  erster 
Art  vorhanden,    auf  welchen   die  Intensisät  constant  =  J  der 


1)  Lieb i  seh,  Phys.  Kryst.,  T.  VII,  3.  —  Schematische  Fig.  8,c. 

Nachrichten  d.  K.  G.  d.W.  zu  Göttingon.    1890.    Nr.  7.  22 


272  Fr.  Pockels, 

Maximalintensität  ist,  und  welche  daher  als  relativ  dunkle 
continuirliche  Curven  sichtbar  sein  müssen1). 

Auf   den    zwischen    denselben   liegenden    secundären    Curven 
erster  Art: 

ist 

J  ==  J^sin2  -~-  oder  =  /„sin2  — ~ — -  für  gerades  h,  =  J^cos2— ~ — - 

für  ungerades  h.  Auf  diesen  Curven  wechselt  daher  J  zwischen  0 
und  Jm  und  zwar  in  der  Weise,  daß  die  Strecken,  wo  0  <:  J<c  \  Jm1 
und  diejenigen,  wo  %Jm<J-<Jm  ist,  gleich  breit  sind.  Rechnet 
man,  daß  diejenigen  Stellen  als  dunkle  erscheinen,  wo  J  <z  \  Jm  ist, 
so  sind  demnach  die  dunklen  Strecken  auf  den  secundären  Curven 
erster  Art  schmaler  als  die  hellen. 

Für  Jl^J*  =  2ä*  wird 


J=Jm  (sin2  &p  ~  i  sin2  ÜfiJÄ)    =  Jjsb 

und  für  ^~^2  =  (2Ä+1)* 

J  =  /„cos*     x4    2. 

Hieraus  folgt,  daß  die  gleich  langen  Stücke,  welche  durch  die 
Curven    constanter  Intensität  — ~ — -  =  — ~ —  %  au^  ^en    secun' 

dären   Curven    zweiter   Art  — ~ — -  —  Jut  abgeschnitten  werden, 

abwechselnd  dunkel  (von  einer  Intensität  zwischen  0  und  ^  JJ  und 
hell  (von  einer  Intensität  zwischen  \  Jm  und  Jm)  sind.  Da  nun  die 
secundären  Curven  zweiter  Art  diejenigen  erster  Art  in  der  Mitte 
des  G-esichtsfeldes  nahezu  senkrecht  schneiden  ( —  gleiche  Dicken 
der  Platten  vorausgesetzt  — ),  und  da  ferner  die  ersteren  viel  ge- 
ringere gegenseitige  Abstände  haben,  als  die  letzteren  ( —  weil 
Jx+d2  im  Mittelpunkte  des  Gesichtsfeldes  ein  Minimum  hat,  Jx—J2 
aber  nicht  — ),    so  wird  die  wahrgenommene  Erscheinung  im  We- 


1)  Liebisch,  Phys.  Kryst,  T.  VII,  Fig.  3,  5  und  VIII,  1,  3.  —  Schemat. 
Fig.  4,  b ;  diese  und  Fig.  6  sind  für  den  speciellen  Fall  gezeichnet,  wo  die  secun- 
dären Curven  1.  Art  zur  Axenebene  parallele  Gerade  sind. 


Interferenzerscheinungen  in  Zwillingsplatten  optisch  einaxiger  Krystalle.       273 

sentlichen  aus  den  relativ  dunklen  continuirlichen  secundären 
Curven  erster  Art  und  aus  zwischen  denselben  liegenden  dunklen 
Flecken  bestehen,  welche  etwa  wie  die  dunklen  Felder  eines 
Schachbrettes  angeordnet  sind,  aber  in  der  zur  Axenebene 
senkrechten  Richtung  gestreckt  erscheinen1). 

Wenn  der  Winkel  Sl  groß  ist,  etwa  >  45°,  so  sind  im  ganzen 
Gesichtsfelde  ^  und  ip2  wenig  von  ±  180°  bezw.  0°  verschieden, 
und  die  beschriebene  Erscheinung  ist  daher  im  ganzen  Ge- 
sichtsfelde allein  wahrzunehmen  ;  der  schwarze  Balken  ist  dann 
sehr  breit  wegen  der  langsamen  Aenderung  von  il>t  und  ^2  beim 
Fortschreiten  nach  den  Seiten  hin.  Dies  gilt  also  immer,  wenn 
die  secundären  Curven  erster  Art  sehr  gestreckte  Ellipsen 
oder  Hyperbeln  sind2). 

5.  An  denjenigen  Stellen  des  Gesichtsfeldes,  welche  in  der 
Nachbarschaft  des  oben  erwähnten,  durch  die  Axen- 
punkte  gehenden  Kreises  liegen,  ist,  t2~^i  wenig  von  90° 
verschieden,  und  man  kann,  wenn  tp2 — il>x  =  ±  90°  ±  e  gesetzt  wird, 
nach  Potenzen  von  e  entwickeln. 

Dann  wird 

a\  =  +sin2^1cos(2^1±2f)-2£  =  +  £•  sin^-f  4a2  sin2  2  i}>v 
a\  =  ±cos2t^1sin(2t/;1±2f)-2£  =  ±e-  sin4#1  +  4«*cos82^1, 
b\  =-sin22^1.£2, 
b\  =  sin2^1sin(2^1±2£)(l-£2)  =  sin22^1±f.sin4^1~262sin22^1, 

J  =  Jo  jsin22^1(l±2£Cos2^-2£2sin2^1)-sin2^1~^2 
+  s-sin^i  (  sin2-^1  —  sin2-^2- J 
+  a2  ('4sin22^1sin2^+4cos22^1sin2^-sin22^1sina^^  J . 

Nun  ist  sin2 "ö1  —  sin2-—  =  sin  l~I  2  sin  — ^ — ?,  folglich  ver- 
schwindet das  Glied  mit  e  auf  den  secundären  Curven  zweiter 
Art,  für  welche  ,■  ■17.,-i'  =  ^  ist,  und  die  Intensität  auf  diesen 
Curven  wird  durch  das  Glied  mit  e2  allein  gegeben,  welches 


1)  Vergl.  die  Mitte  der  Fig.  3,  5,  Tafel  VII,  in  Liebisch,  Phys.  Kryst. 
Schemat.  Fig.  4. 

2)  Liebisch,  Phys.  Kryst.,  VIII,  1  u.  3. 

22* 


274  Fr.  Pockels, 

für  das  betrachtete  Grebiet  sehr  klein  ist.  Daraus  folgt,  daß 
die  secundären  Curven  zweiter  Art  auf  einer  ziemlich 
beträchtlichen  Strecke  zu  beiden  Seiten  des  mehrerwähnten 
Kreises  noch  merklich  ganz  dunkel  erscheinen1). 

6.  Um  zu  sehen,  wie  der  Uebergang  von  der  unter  4)  be- 
schriebenen Erscheinung  zu  den  ganz  dunklen  secundären  Curven 
zweiter  Art  stattfindet,  werde  noch  diejenige  Stelle  betrachtet,  wo 
^  =  180°-22i°,  ^2  =  22£°  ist.    Es  wird 

-r  ,      -r     i      •     2  ^1      .        «2^2  i       •     2^1+^2      ,     1       •     2^l"~^2) 

J  =  |/0  jsm^+sm2-^--  |sin2-^-^-  +  isin2     ^     2j. 
Man  erhält  daher 

fü,  4±A  -  ?w 

2       —      2 


J-=iJ„(l  +  sin'^-2-A) 


die  Curven  —L-^ — -  haben  also  nicht  mehr  constante,   sondern  eine 

m 

zwischen  \J0  und  \J0  wechselnde  Intensität,    so   daß   sie  für  die 
Wahrnehmung  nicht  mehr  so  stark  wie  im  Falle  4)  hervortreten. 
Ferner  wird 

für  *¥*  =  2to  J  =  ^^(l+cos'4^), 


für 


2 
4+4  =  (2JM-1)*    J  =  ^cos2^-^(l  +  sin2 ^JÄ) 


woraus  folgt,    daß  beim  Fortschreiten  längs   der  Curven 

von  einem  dunklen  Punkte  aus   die  Intensität  jetzt   schneller  zu- 
nimmt,   als  im  Falle  4,   so   daß  die   dunklen  Stücke   der  Curven 

X~Z  —  =  Jat  in  der  Eichtung  der  secundären  Curven  erster  Art 

noch  schmaler  erscheinen,  als  dort.    Endlich  ist: 

für  1±=±  =  2hx  J=  Jl  sin«  ^4A-, 


1)  1.  c.  T.  VII,  Fig.  8.  —  Schemat.  Fig.  3,  c. 


Interferenzerscheinungen   in  Zwillingsplatten  optisch  einaxiger  Krystalle.        275 

für  ^~±  =  (2Ä+1>  J  =  J>B*4±4; 

für  den  Wechsel  der  Intensität  anf  den  secundären  Curven  zweiter 
Art  gilt  also  das  unter  4)  Gesagte. 

Bei  der  Beobachtung  werden  demnach  an  der  jetzt  unter- 
suchten Stelle  des  Gesichtsfeldes  nur  die  isolirt  liegenden  dunklen 
Stücke  der  secundären  Curven  zweiter  Art  auffallen  •). 

7.  Endlich  ist  noch  zu  erwähnen,  daß  für  tp1  =  ±  45°  oder 
±  135°  und  von  ±  180°  wenig  verschiedene  Werthe  von  \p2  a\  stark 
überwiegt,  ebenso  a\  für  kleines  \px  und  ip2  =  ±  45°,  ±  135°,  woraus 
folgt,  daß  das  erste  bezw.  zweite  primäre  Curven system  in  der 
Nähe  des  ersten  bezw.  zweiten  Axenpunktes  in  der  Mitte  der 
zwischen  den  primären  dunklen  Kreuzen  liegenden  Sectoren  stark 
hervortritt 2). 

II.    Diagonalstellung. 

Es  wurde  gefunden 

<7  =  /oja;sin2^  +  a;sin2^H-5;sin2^^  +  ^sin2^Aj, 

a[  =  sin2V2cos2ViSin2(V2— Vi)> 

a2  =  sin  2  xjj1  cos  2  \p2  sin  2  (tp1  —  tp2), 
b[  —  cos  2  \plvos2ip2  cos2  (t/>2— Vi)> 
h'2  =  —  cos  2  ip1Gos2i/J2  sin2  (V2— Vi)« 

1.  Für  die  Ax en ebene,  wo  xpx  =  0,  xp2  =  ±  180°  ist 
(oder  V,  =  xp2  =  0  oder  180°),  ist  nur  6;  von  0  verschieden  und 
zwar  nahe  =  1 ;  es  ist  dort  folglich  das  ungestörte  secun- 
däre  Curvensystem  erster  Art  sichtbar,  und  zwar  mit  der 
größten  möglichen  Intensität8). 

2.  Für  Vi  =  ±  45°  oder  ±  135°  ist  nur  a2  =  cos22Va  von  0 
verschieden,  ebenso  für  ip2  =  ±  45°  oder  ±  135°  nur  a[  =  cos22Vi« 
Dies  tritt  ein  auf  den  Balken  der  Kreuze,  welche  in  der  von 
der  ersten  bezw.  zweiten  Platte  herrührenden  primären  Inter- 
ferenzfigur schwarz  erscheinen  würden.  Auf  diesen  Balken  tritt 
also    das   zweite   bezw.    erste    primäre    Curvensystem 


1)  1.  c.  VII,  3 ;  äußere  Partieen  von  VIII,  1.  —  Schemat.  Fig.  3,  d. 

2)  1.  c.  T.  VIII,  1,  3.  —  Schemat.  Fig.  3,  e. 

3)  I.e.  am  besten  in  Fig.  6,  T.  VII  und  Fig.  4,  T.VIII.  -  Schemat.  Fig.  5, 


276  Fr-  Pockels, 

allein    auf *),    wobei    die  Intensität   der    hellen  Curven   nach    den 
Axenpunkten  hin  zunimmt. 

An  denjenigen  Stellen,  wo  tpt  =  ±  135°,  \p2  =  ±  45°  ist,  wo 
sich  also  je  2  Arme  der  primären  Kreuze  schneiden,  wird  Jr=  0, 
dort  befinden  sich  also  2  absolut  dunkle  Punkte,  deren  Um- 
gebungen wegen  der  langsamen  Aenderung  von  tp1  und  ip2  als  zwei 
ziemlich  ausgedehnte  dunkle  Flecke  erscheinen2). 

3.  Für  ^2— Vi  —  —  90°,  also  auf  dem  durch  die  Axen- 
punkte  gehenden  Kreise,  bleibt  nur  h'a  =  cos22^j  übrig; 
dort  ist  also  das  secundäre  Curvensystem  zweiter  Art 
allein  sichtbar,  wie  im  Falle  I,  nur  mit  dem  Unterschiede,  daß 
die  Maximalintensität  jetzt  nach  den  Axenpunkten  hin  zu- 
nimmt3). 

4.  In  der  Mitte  des  Gesichtsfeldes  auf  beiden 
Seiten  der  X-Axe  ist  y/t  *=  ±  (180°—  e),  \p2  —  ±  s,  wo  e  ein 
kleiner  Winkel  ist;  es  wird  daher 

a'1  =  a'2  ==  8a2,     b'2  =  -  4a2,     b[  =  1  -  8s2. 

Da  b[  stark  überwiegt,   so  sind  die  secundären  Curven  erster 

Art ,  für  welche  — ^ — -  =  h%  ist,  noch  als  relativ  dunkle  Curven 

vorhanden,    aber  die  Intensität   ist  auf  denselben  nicht  mehr  con- 
stant  =  0,  sondern 


oder  =  16f2  «70  sin4 -J-r — -  für  gerades  h, 

=  16a2  J0 cos4— x—9 — *-  für  ungerades  h. 

Jede    der    erwähnten    relativ    dunklen   Curven  wird    demnach 
durch  die  secundären  Curven  zweiter  Art 


1)  1.  c.  VII,  4  u.  6.  Die  nach  den  Axenpunkten  hin  convergirenden  relativ 
dunklen  Büschel  fallen  nicht  mit  den  Balken  der  primären  Kreuze  zusammen. — 
Schemat.  Fig.  5,  b. 

2)  1.  c.  VII,  4,  6.  -  Schemat.  Fig.  5,  c. 

3)  Schemat.  Fig.  5,  d.  —  1.  c.  VII,  4,  6,  in  letzterer  Fig.  nur  ganz  schwach 
sichtbar.  Die  scheinbare  Unregelmäßigkeit  der  Curven  in  der  Nähe  der  Axen- 
punkte,  welche  in  Fig.  VII,  4  auffällt,  rührt  daher,  daß  die  Regionen,  in  welchen 
entweder  nur  ein  primäres  oder  nur  eines  der  beiden  secundären  Curvensysteme 
allein  sichtbar  ist,  in  den  Axenpunkten  zusammentreffen. 


Interferenzerscheinungen  in  Zwillingsplatten  optisch  einaxiger  Krystalle.       277 

J,-J,         2Ä+1 

—2~  =  ~~2~  ü 

in  abwechselnd  hellere  und  dunklere  Stücke  getheilt;  auf  den 
dunklen  ist  4s*  J0  >  J  >  0,  auf  den  helleren  16s2  J,  >  J"  >  4f2  J0. 
Die  relativ  dunklen  secundären  Curven  erster  Art 
erscheinen  also  durch  hellere  Stellen  unterbrochen1), 
und  diese  Unterbrechung  wird  schon  in  geringer  Entfernung  von 
der  X-Axe  merklich,  weil  lfij0€*  die  Maximalintensität  ist. 

Die  Curven  —4— — l  =  — - —  %  erscheinen    noch    ziemlich 
—  — 

gleichmäßig  hell,  solange  16a2  klein  gegen  1  ist,  da  dann 
1  —  8s2  gegenüber  den  drei  variabeln  Gliedern  überwiegt.  Beim 
Fortschreiten  auf  einer  Curve 

^h^  =  Const. 

ändert  sich  die  Intensität  ungefähr  wie  sin2 — ^ — -;    hieraus    und 

aus  dem  durch  sin4 — l—^ — -  bezw.  cos4 — 1—^ — -  gegebenen    Gesetze 

der  Helligkeitsänderung  längs  der  secundären  Curven  erster  Art 
folgt,  daß  die  dunklen  Flecke  viel  weniger  in  der  Richtung  normal 
zur  X-Axe  gestreckt  erscheinen ,  als  bei  der  Normalstellung,  und 
daß  sie  in  größerer  Entfernung  von  der  Axenebene,  wo  der  Ab- 
stand der  secundären  Curven  erster  Art  im  Verhältniß  zu  dem  der 
secundären  Curven  zweiter  Art  nicht  mehr  so  groß  ist,  sogar 
tangential  zu  den  secundären  Curven  erster  Art  ge- 
streckt erscheinen2). — Dies  ist  die  bei  großem  Sl  im  ganzen 
Gesichtsfelde  auftretende  Erscheinung.  Wird  Sl  nahe  =  90°,  so 
erscheinen  die  Hyperbeln  erster  Art  höchstens  noch  am  äußersten 
Rande  des  Gesichtsfeldes  unterbrochen  und  die  Erscheinung  unter- 
scheidet sich  von  derjenigen,  welche  eine  einfache  Platte,  die 
unter  dem  Winkel  Sl  gegen  die  optische  Axe  geschnitten  ist,  dar- 
bietet, nur  noch  durch  die  centrische  Lage  der  Hyperbeln  3). 

5.  Für  die  dem  unter  3)  erwähnten  Kreise  benach- 
barten Stellen  gilt  das  im  Falle  I,  5)  Gesagte;  doch  sind  bei 
der  Diagonalstellung  die  secundären  Streifen  zweiter  Art  weniger 


1)  Schemat.  Fig.  5,  e  und  6. 

2)  1.  c.  VII,  6  und  VIII,  2,  4.  —  Schemat.  Fig.  6. 

3)  1.  c.  VIII,  5  und  6. 


278        Fr-  Pockels,    Interferenzerscheinungen  in  Zwillingsplatten  etc. 

gut  wahrnehmbar ,  als  bei  der  Normalstellung,  weil  gerade  dort, 
wo  sonst  jene  Streifen  am  besten  sichtbar  sind ,  die  unter  2)  er- 
wähnten dunklen  Flecke  liegen. 

6.   Für  diejenigen  Stellen,  wo^  =  ±  (180°-22i°),  tp2  =  ±  22f 
ist,  erhält  man 


K  =  i,   K  =  -h 


J  =  i  J0jsm2^  +  sin2-^  +  isin2--^-^- Jsm2-^--^|. 

Diese  Formel  geht  aus  der  für  den  Fall  I,  6)  angegebenen 
dadurch  hervor,  daß  man  — }-~- -  mit  — — — -  vertauscht ;  die  Be- 
trachtungen ,  welche  unter  I,  6)  angestellt  wurden ,  werden  also 
hier  zutreffen,  wenn  man  das  zweite  und  erste  secundäre  Curven- 
system  mit  einander  vertauscht.  Folglich  unterscheidet  sich  die 
Interferenzfigur  von  der  unter  I,  6)  beschriebenen  nur  dadurch,  daß 
die  Längsrichtung  der  dunklen  Flecke  oder  Striche  mehr  tangential 
als  normal  zu  den  secundären  Curven  erster  Art  liegt,  und  daß 
statt  der  relativ  dunklen  Curven  erster  Art  solche  der 
zweiten  Art  auftreten1),  nämlich  die  Curven 

l  +  sm8-^--^  j  j 

auf  welchen  J  —  J  T ist,    also  zwischen  —£•  und  -£- 

4  4  2 

variirt. 

Der    Uebergang    dieser    Interferenzfigur    in    die    secundären 

Streifen   zweiter  Art  wird  bei   der  Diagonalstellung   nicht  gut  zu 

verfolgen   sein,  weil   bei  wachsender  Entfernung  vom  Centrum  Jo 

bald  sehr  abnimmt,  indem  man  sich  den  dunklen  Flecken  nähert. 


1)  Aeußere  Partieen  der  Fig.  2,  T.  VIII,  1.  c.  —  Schemat.  Fig.  6,  a. 


Nachr.  d.  Ksil.  Ges.  d.Wiss.  1890.  N°7.  S.  259. 
Ml  Fi$-2- 


Fig.  3. 


Fif  f. 


I_l     I      I      t    T 


i:i:i:i:i:Cj5: 


ftllii 


,1. 1,1,1. ■,- 

'■'■'■■■'■'.'» 


Fii.  5. 


Fi§.  6. 

mmmmmm  *    *\  iura    111 

*  — I  UTJ 


A  W.PimoT  K-dchfl  &oiiin$ef\ 


W.  Voigt,    Bestimmimg  der  Klasticitäts -  Constauten  etc.  279 


Bestimmung   der  Elasticitäts-Constanten  des 
brasilianischen  Turmalines. 

Von 
W.  Voigt. 

Die  bekannten  Eigenschaften  des  Turmalines,  durch  Temperatur- 
oder Druckänderung  electrisch  erregt  zu  werden,  geben  den  Be- 
stimmungen seiner  Elasticitäts  -  Constanten  ein  ganz  besonderes 
Interesse,  denn  offenbar  ist  ihre  Kenntniß  für  die  genaue  Beur- 
theilung  der  bei  Compression  oder  Erwärmung  in  ihm  auftretenden 
Deformationen  und  Spannungen  nothwendig.  Außerdem  verspricht 
ihre  Kenntniß  einige  Aufklärung  darüber,  ob  die  Polarität  der 
Moleküle,  welche  wir  zur  Erklärung  der  elastischen  Erscheinungen 
annehmen  müssen,  eine  electrische  ist,  insofern  sie  in  diesem  Falle 
bei  hervorragend  pyroelectrischen  Krystallen  sich  auch  mit  beson- 
derer Stärke  geltend  machen  müßte. 

Geleitet  durch  diese  Ueberlegungen  habe  ich  schon  seit  Jahren 
versucht,  für  die  Elasticitätsbeobachtungen  genügendes  Material 
von  Turmalin  zu  beschaffen,  aber  erst  vor  Kurzem  ist  mir  solches 
durch  Vermittelung  von  Herrn  C.  F.  Pech  in  Berlin  zugegangen. 

Der  sehr  kostbare  Turmalinkrystall ,  den  ich  ihm  verdanke, 
stammt  aus  Brasilien  und  maß  bei  einer  Länge  von  ca.  9  cm  nahe 
3  cm  in  der  Dicke ;  beide  Enden  waren  verbrochen ,  die  Seiten- 
flächen durch  abwechselndes  Auftreten  des  trigonalen  und  hexa- 
gonalen  Prismas  in  bekannter  Weise  gestreift ;  der  Querschnitt 
zeigte  ungefähr  ein  gleichseitiges  Dreieck.  Die  Farbe  des  Kry- 
stalls  war  tiefgrün  und  in  großen  Strecken  völlig  homogen ;  in 
anderen  deutete  ein  leichter  Wechsel  derselben  auf  schaaligen 
Aufbau  in  der  Richtung  der  Hauptaxe.  Sprünge  waren  leider 
mehrfach  verhanden  und  konnten  wegen  der  dunkeln  Färbung  erst 
wahrgenommen  werden,  nachdem  der  Kry stall  in  Platten  resp.  in 
Stäbchen  zerlegt  war ;  sie  ließen  sich  demgemäß  also  nur  mit 
Schwierigkeit  vermeiden. 

Die  zur  Beobachtung  benutzten  Prismen  hat  Herr  Dr.  W.  Steeg 
und  Reuter  in  Bad  Homburg  angefertigt. 

Den  Krystall  denke  ich  mir  wie  gewöhnlich  aufgestellt,  wähle 
die  Hauptaxe  zur  Z-Axe,  eine  Symmetrieebene  zur  FZ-Ebene  und 
lasse  die  +  Y-Axe  aus  einer  um  die  +  Z-Richtung  gelagerten  Fläche 
des  Rhomboeders  +  B  austreten.    Bezeichne  ich  dann  die  Richtungs- 


280  W.  Voigt, 

cosinus   der  Länge  L,   Breite  B,   Dicke  D   des    zu  betrachtenden 
rechtwinkligen  Prismas  nach  dem  folgenden  Schema 


X 

r 

Z 

L 

a 

ß 

T 

B 

*i 

P, 

t, 

D 

«2 

ß2 

T2 

so  ist  die  Bezeichnung  und  Orientirung   der  benutzten  Gattungen 
von  Stäbchen  durch  folgende  Zusammenstellung  gegeben 

.    1(0»)  a  =  ß  =  0,   T  =  1,   Tl  =  y2  =  0; 

I(+45°)  «  =  0,   ß  =  T  =  1/V2,   Tl  =  0; 

I(_4B°)  b  =  0,  -ß  =  +T  =  1A/2,  Tt  =  0; 

11(90»)  a  =  1,   ß  =  i  =  0,  Tl  =  0,   Tl  =  1 ; 

II'(90»)  ■  =  1,   ß  =  t  =  0,  T,  =  0,  Tl  =  1. 

Hierbei  deutet  I  auf  die  Lage  der  Längsaxe  im  ersten 
Hauptschnitt,  nämlich  der  Symmetrieebene,  II  auf  die  Lage  im 
zweiten  zum  ersten  normalen  Hauptschnitt. 

Bezüglich  der  für  rhomboedrisch  -  hemiedrische  Krystalle  gül- 
tigen Formeln  —  welche  auch  auf  den  hemimorphen  Turmalin 
anwendbar  sind  —  verweise  ich  auf  die  gelegentlich  der  Unter- 
suchung des  Kalkspaths  gegebene  Zusammenstellung1). 

Hier  sei  nur  noch  der  Ausdruck  für  den  Dehnungscoeffi- 
cienten  E  und  den  Drillungscoefficienten  T  angeführt; 
es  gilt  nämlich 

1)  E  =  Sn(l-fy  +  s3^  +  (sii+2st3)f(l-f)  +  2sll?-;(^-n 

2)  T  =  s«  +  (2  (sa  -  sj  -  sj  Yl  +  4  (s„  +  sa  -  slt  -  2s13)  f  fj 

+  4U(Tß1  +  ßT,)(3««-ßß1)--ß2T2]. 

E  =  1/E,  T  =  1/T  sind  die  bezüglichen  Dehnungs-  und 
Drillungswiderstände. 

Aus  den  obigen  allgemeinen  Werthen  folgen  die  für  die  beob- 
achteten Stäbchen  gültigen  speciellen: 

o\      E0  =  s33,  L^45  =  ¥  (sn  +  s33  +  s44  +  J  (s13  :p  s^)),   L90  =  £i90  =  5n, 

^90   ==:    ^(5ll~512j?      IflO   ==   544' 


1)  W.  Voigt,   Gott.  Nachr.  v.  1889,  No.  19,  p.  483.     Dort  finden  sich  alle 
Formeln,    auf  welche  im  Folgenden  Bezug  genommen  wird. 


Bestimmung  der  Elasticitäts-Constauten  des  brasilianischen  Turmalines.     281 


Sie  gestatten  die  Bestimmung  der  shk  oder  „Elasticitäts- 
moduln"  ans  den  beobachteten  Deformationscoefficienten  EundT; 
ans  ihnen  folgen  dann  die  eigentlichen  Elasticitäts-Con- 
stanten  chk  nach  den  Formeln: 


ca  +  eu  = 


BÄ 


Slt  +  ^i2 


Cn  ~- ~~  C,0    — 


c1/L      = 


544(5ll~S12)"~25j4   ' 


4) 


533(5n  +  S12)-24' 


C  =  Sn~si2 

Su(SU~~S12)~%s2U 


Die  folgenden  Beobachtungstabellen  sind  in  derselben  Anord- 
nung und  Bezeichnung  aufgestellt,  wie  die  entsprechenden  in  meinen 
früheren  Arbeiten.  Die  Einheiten  der  Längen  L  des  Stäbchens 
sind  Millimeter,  die  der  Breiten  JB  und  Dicken  D  Trommel theile 
des  Sphärometers  gleich  1/992,6  mm.  Die  Art  und  Weise,  wie 
die  Beobachtungen  der  Dimensionen  verwerthet  sind,  ist  früher 
auseinandergesetzt  worden. 

Die  Bestimmung  der  Dimensionen  und  eines  Theiles  der  Bie- 
gungen hat,  wie  schon  früher,  Herr  Dr.  Drude  ausgeführt. 


B   =  5700  +  ß 

ß  =  59  79  98  Xi3  i49  178 
61  79  97  118  146  180 


Dimensionen. 

1(0°)  No.  1.  D  =  900  +  5 

8  =  106,9  100,7  96>°  95>x     97'9  io4;°  JII>9 

108.1  101,5  97.5  97,*    99;8  io5.4  "2,9 
108,0  101,7  97,0  97,1     99,3  105,4  iia,6        Mittel  60  79  98  120  147  179  199 
114,8  103,4  99,8  98,8  101,7  io7,8  "M 

Mittel  111,9  101,8  97,6  97,1     99,7  105,6  113,4 

ber.  110,6  102,7  98>x  97;°    99>3  I05»1  IJ4»4 

\  =  97»o»  8i  =  °»62'  82  =  I>7*- 

1(0°)  No.  2.  D  =  900+  5 

0  =  117,5  109,3  101,6  98,6  99,4  102,3  Io8>5 
118,3  II0»3  I04»4  99>7  IOO>3  103>4  108,2 
118,8  109,7  102,8     99,6  100,0  102,5   Io8>3 

121.2  109,1   103,5   100,2     99,5   102,8  108,1 
Mittel  119,0  109,6  103,1     99,5     99,8  102,7  Io8»3 

ber.  119,1  109,5  103,0    99,8     99,6  102,5  Io8»7 

&o  =  99>8»  \  =  I>74,  \  =  i>58- 

1(0°)  No.  3.  D  =  700+5 

5  =  53>8  5^0    52,0  54,5    59,o    67,0    77,0 

56,0  54,9    54,9  57,3    63,0    70,3    79,5 

56,5  55,3    55,o  57,8    63,0    70,9    80,2 

59;°  57,5    58>o  6'»'    67»°    74,5    8a,7 

Mittel  56,4  54,7    55,0  57,7    63,0    70,7    79,9 

ber.  56,5  54,6    55,0  57,8    63,0    70,4    80,3 

&o  =  57,8,  \  =  3,96,  5a  =  1,18 


JB  -  5700  +  ß 
ß  =  45  68  88  107  136  164  193 
49  68  89  in  136  166  193 
Mittel  47  68  89  109  136  165  193 


B   =  5400  -f  ß 

36 

46  54  63  68  75  *» 

38 

47  55  6*  7o  76  79 

Mittel  37    46    55    62    69    76    80 


282 


W.  Voigt, 


1(0°)  No.  4.  D  = 

5  =  79,8  80,2 

88,o  87,2 

90,3  90,2 

97»5  96,6 

Mittel    88,9  88,5 

ber.  89,4  87,4 

80  =  89,2,  \ 

I(+450)  No.  1.  D  = 

8  =  71,0  74,5 

74,*  75,5 

72,8  76,6 

73,o  76,3 


900  +  8 

80,1      85,3  92,2 

88,0      93,1  99,0 

89,9      95,8  100,5 

97,4    103,1  109,3 


88.8  94,3     100,2 
89,2      93,6     100,8 

=  2,85,  82  =  1,47. 

700  +  8 

78,6  83,5    90,5 

81,0  86,0    92,2 

80,5  84,8    92,9 

80.9  85,9    95,2 


Mittel  72,8    75,7 
ber.  72,7    75,7 

80     =     80,0    8j     : 

1(4-45°)  No.  2.  D  = 

8  =  81,9  82,1 

83,8  84,8 

85,0  85,6 

87,0  87,1 

Mittel  84,4  84,9 

ber.  85,1  84,1 
80  =  84)8,  \  = 
1(4-45°)  No.  3.  D  = 

8  =  91,0  90,0 
91,9  90,0 
92,8  91,7 
92,4    90,2 


80,2    85,0  92,7 

80,0    85,5  92,3 
=  4,9,  52  =  °>62- 
700  -j-  8 

81,9    84,0  88,0 

85,2    85,9  91,7 

84.6  87,0  90,7 
87,2    89,0  93,3 

84.7  86,5  90,9 

84.8  86,9  90,5 

=  i,35,  \  =  o,74 

=  700  +  8 

89,0    90,4  92,2 

92,0    91,0  96,8 

91,4    90,7  93,5 

90,8    92,4  96,3 


Mittel  92,0  90,5 

ber.  91,9  90,6 
80  =  90,6,  8t 

I(+45°)  No.  4.  D  = 

&  =  75,7  75,7 

80,1  79,8 

8i,3  80,5 

85,1  85,0 


90,8    91,1  94,7 

90,6    91,8  94,1 

=  o,55,  82  =  0,61. 

:    700  4"  8 

77,2    79,2  83,2 

80,5     85,0  88,0 

8i)4    85,1  88,9 

85,5     88,3  91,7 


Mittel  80,5  80,3 

ber.  80,6  8o,i 
80  =  81,25,  8, 

I(-45°)  No.  1.  D  -- 

s  =  33,8  35,1 

50,2  51,0 

50,0  5i,4 

65,9  65>6 


Mittel  50,0  50,8 
ber.  49,7  5i>3 
so  =  54,5»  \ 


81.1  84,4  88,0 

81.2  84,0  88,3 

=  i,93,  52  =  °)8o- 

=  700  4-  8 

38,9    44,0  49,9 

55,2    6o,8  65,3 

54,8     60,0  66,0 

69,0    75,0  81,2 


B  =  5400  +  ß 

ß  =  56    69    82    93  113 

58    71     86    95  108 

Mittel  57    70    84    94  in 


B  =  4300  +  ß 
ß  =  67    75    80    87      97 
69    74    82    88     102 
Mitter68~  75    81    87    100 


B  =  4300  4-  ß 

ß  =  83    89  96    106    115 

83    90  98    106    116 

Mittel  83    90  97    106    115 


B  =  4300  4-  ß 

ß  =  77    84  92     101     110 

78    87  93     102     109 

Mittel  77    86  93     101     109 


B  =  4300  +  ß 
ß  =  69    73     79    86    92 
66    71     75     82    90 
Mittel  67    72    77    84    91 


B  =  43oo  f  ß 

ß  =  29    37    45     58  68 

*9    39    45    56  65 

Mittel  29    38    45    57  67 


54,5  60,0  65,6 
54,5  59,4  65,9 
=  4>i>  8a  =  °>83- 


Bestimmung  der  Elasticitäts-Constanten  des  brasilianischen  Turmalines.     283 


I(— 45°)  No.  2.  D  =  700  +  5 

8  =  48,4  51,5  56,7  63,i  73.4 

54,o  58,5  6*>5  69,7  80,0 

55,9  58,3  64»o  71,6  81,8 

60,3  64,3  68,6  75,8  85,9 

Mittel  54,6  58,1  62,9  70,0  80,3 

her.  54,9  57,7  62,9  70,3  80,1 


50  —  62,9,  5t  =  6,3, 


1,14. 


I(— 45°)  No.  3.  D  =  700  +  5 

5  =  72,5  74,0    77,8  82,6  87,1 

73,9  75,7    78,5  83,3  90,0 

75.0  77,0    80,2  85,0  93,0 
77,2  79,9    82,0  86,0  92,0 

Mittel  74,6  76,6    79,6  84,2  90,5 

ber.  74,8  76,5    79,6  84,3  90,4 
\  =  79,6,  8X  =  3,9,  S2  =  0,74. 

I(— 45°)  No.  4.  D  =  700  +  8 

8  =  76,9  76,9    76,0  80,8  85,3 

84.1  83,3    84,5  87,0  90,2 

83.7  83,1    84,2  86,5  90,0 

83.8  84,0    85,3  88,8  90,5 


Mittel  82,1    81,8    83,0    85,8    89,0 
ber.  82,0    81,9    83,1    85,5    89,3 
\  =  83,05,  \  =  1,82,  8a  =  0,64. 

11(90°)  No.  2.  D  =  6oo  +  5 

8  =  76,1    78,0    81,4    82,9    86,2 

77,8    80,1     81,3    84,3    87,2 

78,6    79,5     81,6    84,3    87,4 

8o,6    81,6    83,2    85,5    88,2 

Mittel  78,3    79,8    81,9    84,2  •  87,2 

ber.  78,3    79,8    81,9    84,3    87,1 

60  =  81,85,  8t  =  2,22,  5a  =  0,21. 

11(90°)  No.  3.          D  =  600  +  5 

8  =  78,2  80,0  81,3    82,1  83,0 

78,4  80,6  82,2    83,4  83,6 

78,6  80,7  82,8    83,5  83,5 

79,4  82,1  83,1    83,9  84,8 

Mittel  78,7  80,8  82,3    83,2  83,7 

ber.  78,7  80,8  82,3    83,2  83,7 

\  =  82,3,  8j  =  1,23,  82  =  —  0,28. 

11(90°)  No.  4.  D  —  700  +  5 

5  =    92,6     96,0    100,1  105,8  110,2 

98,0    101,2    105,3  108,4  **M 

99,0    103,4    108,0  112,2  114,3 

103,5     108,2    112,0  «6,3  119,7 

Mittel    98,3    102,2    106,3  110,7  114,1. 


B  =  4300  +  ß 

ß  ==  62    56    45    37  30 

61    54    46    36  29 

Mittel  61    55    46    37  29 


B  =  4300  +  ß 

ß  =  71    60    51    43  36 

72    62    52    45  38 

Mittel  71    61    52    44  37 


B  =  4300  +  ß 

ß  =  34    4i    49    58  70 

32    41    48    57  67 

Mittel  33    41    49    59  69 


B   =  4300  +  ß 

ß  =  42  44  35  32  27 

40  47  33  33  30 

Mittel  41  46  34  32  29 


B   =  4200  +  ß 

ß  =  88   98  102  107  m 

90  100  105  107  112 

Mittel  89  99  104  107  in 


B  =  5000  +  ß 

ß  =  41  43  43  42  40 

4>  44  44  4»  39 

Mittel  42  43  43  42  40 


284 


W.  Voigt, 


11(90°)  No.  5.          D  =  800  +  8 

8  =  22,0    23,6  25,0    27,1  27,3 

24,0    25,0  26,1    27,4  30,2 

25.2  26,4  28,3  28,8  30,6 
23,9    26,4  28,1     28,9  30,7 

Mittel  23,8    25,3  26,9    28,0  29,7. 

II'(90°)  No.  1.  D  =  600  +  8 

8  ss  80,1    82,6  84,5    87,8  93,3 

83.3  84,8  86,2  89,5  94,0 
83,3  84,8  86,8  89,5  94,0 
84,8    86,7  87,6    91,3  96,3 

Mittel  82,9  84,7  86,3  89,5  94,4 
ber.  83,4  84,3  86;4  89,7  94,* 
80  ss  86,4,  ht  =  2,7,  82  =  0,60. 

II'(90°)  No.  2.  D  =  600  +  8 

8  =  86,0  86,3    88,i    90,8  93,8 

89,1  89,0    90,4    92,2  95,4 

88,4  88,5    89,4    91,7  94,9 

88,9  9°,3    9^4    9*>7  96>° 


Mittel  88,1  88,5  89,8  91,8  95,0 
ber.  88,1  88,5  89,8  91,9  94,9 
80  =  89,8,  \  =  1,7,  82  =  0,44. 

IF(90°)  No.  3.  D  =  600  +  8 

8  ==  91,5    90,9  92,3    94,7  98,7 

9<>,9    91,0  92,8    94,9  98,5 

91,9    90,9  92,8    95,6  98,0 

91,7    91,2  92,8    94,7  98,7 

Mittel  91,5    91,0  92,7    95,0  98,5 

ber.  91,1    91,4  92,7    95,0  98,3 

\  =  9*»7,  8i  =  i>8,  82  =  °>5*- 


B  —  5000  +  ß 

ß  =  56    56    58    56  53 

58    58    59    58  55 

Mittel  57    57    58    57  54 


B  —  5100  +  ß 
ß  =  21    29    42    49    58 
*3     35    44    51     6° 


Mittel 


22    32    43    50    59 


B  =  5100 -|-  ß 

ß  =  28    39    47    57  65 

28    39    49    56  65 

Mittel  28    39    48    56  65 


B  ss  5100+  ß 

ß  =  69    62    55    51  36 

74    63    57    49  31 

Mittel  72    62    56    50  34 


B  ie  gungen. 

Die  Einheiten  für  die  Größe  der  Biegungen  7j  sind  Millimeter 
der  Beobachtungsscala ,  welche  je  0,0002954  mm  am  Apparat  ent- 
sprechen. Durch  Combination  der  Beobachtung  desselben  Stäbchens 
in  zwei  Längen  ist  die  Eindrückung  r{  der  Schneiden  bestimmt; 
(73')  ist  der  der  Berechnung  zum  Grunde  gelegte  Mittelwerth  aus 
den  auf  verschiedene  Stäbchen  derselben  Gattung  bezüglichen 
Resultaten.     P  ist  die  in  Grammen  ausgedrückte  Belastung. 

Die  Beobachtungen  sind  bei  etwa  18  °  C.  angestellt. 

1(0°)  No.  1. 


=  60,07,    B  =  5825,    D  =  998,6, 

P  p=  105, 

1.  Lage  f\  =  198,4    198,4    198,4 

2.  Lage  r\  =  198,6    198,7    198,7 

*)106   =    '98,5,     (V)  =   lß$.l 

JE  ss  16330000, 

Bestimmung  der  Elasticitäts-Constanten  des  brasilianischen  Turmalines.     285 

1(0°)  No.  2.        L  =  60,07,     B  —  5814,     D  ===  1001,2,    P  ==  105, 

1.  Lage  q  m  197,8    197,7    ^7,8 

2.  Lage  yj  =  197,3    »97,3    J97,* 
I105  =  J97,5,    (V)  =  1,05,  J2  =  16320000. 

1(0°)  No.  3.        L  =  14,07,     ^  =  546i,     2>  =  758,8,     P  =  I05, 

1.  Lage  yj  =  7,2    7,2    7,3 

2.  Lage  yj  =  7,2    7.3    7,* 
%oö  =  7,2,    V  =  1,03. 

L  =  45,07, 

1.  Lage  r)  =  203,6    203,8    203,7 

2.  Lage  yj  =  203,6    203,6    203,6 
rho5  =  203,65,    (l')  =  !,05,  -E  =  16340000 

1(0°)  No.  4.        L  =  14,07,    B  =  5483,    D  —  989,9,    p  =  105, 

1.  Lage  yj  ==  4,0    4,0    3,9 

2.  Lage  yj  =  3,9    3,8    3,9 
%o5  =  3,9,    *)'  1,08. 

L  =  40,07, 

1.  Lage  yj  =  66,i    66,1    66,2 

2.  Lage  yj  =  66,1    66,3    66,1 
rj106  =  66,15,    0)')  =  *&  (E  =  I6O30000.)  *) 

Gesammtmittel  E0  =  16330000,    E0  ==  6,124. I0"8 
wahrscheinlicher  Fehler  +  4000,  +  0,002. 

I(+  45°)  No.  1.        L  =  28,07,    B  =  4382,    D  =  780,2    P  =  135, 

1.  Lage  yj  =a=  70,4    70,5    70,5 

2.  Lage  yj  =  70,6    70,7    70,6 
?)i35  =  7o,55,    (V)  =  M.  E  =  17150000. 

I(-f  45°)  No.  2.        L  =  14,07,    -B  =  4398,    -D  =  785,1,    P  =  135, 

1.  Lage  yj  =  10,4    10,7    10,6    io,6 

2.  Lage  yj  s=  10,4    10,5    10,7    10,8 

^iss  =  IO,6,    Y  —  M* 
L  =  30,07, 

1.  Lage  yj  =  84,8    84,8    84,9 

2.  Lage  yj  =  84,7    84,9    84,9 
*Ji86  =  84,83,  (*»)')  =  1,8,  E  =  1707  0000. 

1(4-45°)  No.  3.         L  =  14,07,    ^  =  4393,    P>  =  790,8,     P  =  135, 

1.  Lage  yj  =  10,1    9,9    10,1    io,i 

2.  Lage  yj  =  10,3    9,8      9,9     9,9 

*)l85    =    IC,02,      Yj'    m    1,7- 

L  =  30,07, 

1.  Lage  yj  bbs  82,9    82,9    82,8 

2.  Lage  yj  =  82,5    82,4    82,3 

^185    =   82,63,     (V)  =   J»8»  B   =    17180000. 


1)  Von   der  Berechnung  des  Mittelwerthes  von  E  ausgeschlossen,   da   im 
Innern  des  Stäbchens  kleine  Sprünge  sichtbar  waren. 


286  w.  Voigt, 

I(+45°)  No.  4.        L  =  14,07,    B  =  4378,    D  =  781,5,    P  ==  135, 

1.  Lage  i)  =  10,3    10,3    10,5 

2.  Lage  yj  =  10,4    10,3    10,3 

Im  =  IO»35»    i}'  =   i>7- 
L  =  25,07, 

1.  Lage  yj  es  50,4    50,5    50,5 

2.  Lage  yj  =  50,5    50,5    50,5 

^185  =  5°»5»    (*)')  =  M,  *  =  17170000. 

Gesammtmittel  E+45  =  I7I6oooo,    E+46  =  5,82s. I0~8 
wahrscheinlicher  Fehler        +  18000.  +  0,006. 

(   —450)  No.  1.         L  =  34,07,    5  =  4347»    2>  =  754,8     P  =  135, 

1.  Lage  Y]  sb  152,3    152,3    152,5 

2.  Lage  yj  =  152,3    152,3    152,1 

^lss  =  J5*»3>    (ff)  =  i»76,  13  =s  I56ooooo. 

I(-45°)  No.   2.        i  =  29,07,    B  =  4346,    D  =  763,4,    P  =  135, 

1.  Lage  yj  =  92,4    92,4    92,5 

2.  Lage  yj  =  92,6    92,6    92,6 

^135  =  9*»5»    (ff)  =  !»76»  -E  =  15550000, 

I(— 45°)  No.  3.        L  =  14,07,    -B  =  4350,    B  ==  779.9»    -P  =  «35i 

1.  Lage  yj  =  11,0    11,0    11, 1 

2.  Lage  yj  =  11,8    11,7    11,7 

Y]185   =   11,4,     Yj'   s=  1,79. 

L  =  32,07, 

1.  Lage  yj  =  114,8    114,9    "4>8 

2.  Lage  yj  =  116,1    116,4    116,3 

*)i8ö  =  "5»55    (ff)  =  *»76  ^  =  15590000. 

I(— 45°)  No.  4.        L  =  14,07    B  ss  4349»    ■*>  =  783»4»    P  =  ^35» 

1.  Lage  yj  =  11,0    10,9    11,1 

2.  Lage  yj  =  11,7    11,4    11,5 

nki  =  "'3.    ff  =  i»73- 

L     SB     34,07 

1.  Lage  yj  =  137,9    *37»8    *37»9 

2.  Lage  yj  =  137,4    137,7    137,6 

*)i85  =  i37,7    (ff)  =  i»76,  JE  =  15490000. 

Gesammtmittel  JE_45  =  l556oooo,    E_45  =  6,427.I0~8 
wahrscheinlicher  Fehler  +  17000.  +  0,007. 

II  (90°)  No.  2.  L  =  14,07,    5  =  4337,    D  =  682,0,    P  =  105, 

1.  Lage  yj  =  8,3    8,4    8,4 

2.  Lage  yj  =  8,5    8,3    8,3 

''Qioö  =  8»4»    ff  =  i»56- 

L  —  23,07,  , 

1.  Lage  yj  =  31,7    31,7    31,7 

2.  Lage  yj  =  31,8    31,7    31,6 

*ho5  =  3»»7»    (ff)  =  i»5»  «  =r  25490000. 


Bestimmung  der  Elasticitäts-Constanten  des  brasilianischen  Turmalines.     287 

11(90°)  No.  3.  L  =  14,07,    B  =  4302,    D  =  682,2,    P  =  105, 

1.  Lage  y]  ss  8,3    8,2    8,2 

2.  Lage  yj  =  8,4    8,3    8,4 

%0S  =  8>3,    *]'  —  M*- 
L  =  23,07, 

1.  Lage  yj  =  31,9    31,8    31,9 

2.  Lage  y)  =  31,7    31,7    31,7 

lios  =  3*»77.    (Y)  =  i«5i  E  =  256iooüo. 

II'(90°)  No.  1.  L  —  14,07,    B  =  5141,    D  =  686,6,    P  =  105, 

1.  Lage  7)  =  6,8    6,9    6,7 

2.  Lage  yj  =  6,8    6,7    6,8 

riio5  =  M,    V  =  M5- 
X  ==  27,07, 

1.  Lage  y)  =  41,5    41,4    41,4 

2.  Lage  yj  =  41,4    41,4    41,3 

Tj105  =  41,40,    yj'  =  i,i9,  E  =  255yoooo. 

IF(90°)  No.  2.  L  =  14,07,    .5  =  5148,    D  ==  690,0,    P  =  105, 

1.  Lage  t]  =  6,9    6,9    6,8 

2.  Lage  yj  =  6,7    6,6    6,6 

*)io5  =  6,75,    r{  =  1,23. 

i    =    28,07, 

1.  Lage  7)  =  44,9    44,9    44,8 

2.  Lage  yj  =  45,4    45,3    45,1 

1)105  =  45,o7,    (V)  =  M9,  Ä  -  25710000. 

II'(90°)  No.  3.  L  =  27,07,    B  =  5155,    D  =  692,9,    P  =  105, 

1.  Lage  yj  =  40,4    40,4    40,4 

2.  Lage  yj  =  40,5    40,5    40,5 

i]io6  =  40,45,    W  =  1,19»  «  !■  25430000. 

Gesammtmittel  JE90  =  2557oooo,    E^  =  3-91 1  .I0~8 
wahrscheinlicher  Fehler  +  34000.  +  0,005. 

Die  vorstellenden  Werthe  sind  nun  noch  deswegen  zu  corri- 
giren,  daß  die  beobachteten  Stäbchen  nicht  genau  die  voraus- 
gesetzten Orientirungen  besaßen.  Für  die  Grattungen  1(0°)  und 
11(90°)  hat  ein  Fehler  der  Richtung  der  Längsaxe  nur  einen 
Einfluß  von  zweiter  Ordnung,  aber  bei  den  Gattungen  I(+45°) 
und  I(  — 45°)  kommt  er  wesentlich  in  Betracht. 

Da  Turmalin  keine  deutliche  Spaltbarkeit  besitzt,  so  war  der 
beste  Weg,  den  Fehler  der  Orientirung  zu  bestimmen,  der,  mit 
dem  Anlegegoniometer  den  Winkel  der  für  die  Herstellung  der 
Stäbchen  durch  eine  parallel  der  Axe  hergestellte  Platte  des 
Kry  stall  es  ausgeführten  Schnitte  gegen  eine  Längskante  zu 
messen ;  dabei  ist  vorausgesetzt,  daß  die  Orientirung  der  Stäbchen 
durch  das  Abschleifen  nicht  merklich  geändert  ist  —  eine  Annahme, 
die  bei  einem  so  harten  Material  wie  Turmalin  nahezu  erfüllt 
gewesen  sein  wird, 

Nachrichten  von  der  K.  G.  d.  W.  zu  Göttingen    1890.  No.  7.  23 


288  W.  Voigt, 

Die  angestellte  Messung  ergab  für  die  Gattung  I  (+  45°)  einen 
Winkel  von 

+  44,°5, 

für  die  Gattung  I(— 45°)  einen  Winkel  von 

-44,°9 

zwischen  der  Längsaxe  des  Stäbchens  und  der  Hauptaxe  des  Kry- 
stalles.  Dem  entspricht  eine  Correction  von  +  0,024.10~8  für  die 
erstere,  von  —  0,003. 10~8  für  die  letztere  Gattung,  so  daß  nurmehr 
folgendes  System  von  Werthen  resultirt: 

E0  =  (6,124  ±  0,002) .  10-8, 
E+45=  (5,852  ±  0,006).  10-8, 
E_45=  (6,424  ±  0,007).  10"8, 
Efl0   =  (3,911  ±  0,005).  10-8. 

Aus   ihm   folgen  die  Werthe   der   in  Formel  (1)   auftretenden 
Aggregate  der  shk-,  es  ist  nämlich: 

sn  =  (  3,911  ±  0,005).  10-8, 

m  s33  =  (  6,124  ±  0,002).  10-8, 

;  8u  =  (  0,572  ±  0,009).  lO"8, 

s^  +  2si3  =  (14,517  ±  0,014).  KT8. 

Demgemäß  lautet  jetzt  das  allgemeine  Gesetz  des  Dehnungs- 
coefficienten  für  Turmalin: 

6)    E  =  (3,911.  (l~Y2)2+6,124.-1,+14,517Y2(l-Y2)+l,144.ßT(3a2-ß2)).10-. 

Setzt  man  hierin 

a  =  0,    y  =  cos<|>,    ß  =  sin^, 

so  erhält  man  das  Entsprechende  für  die  Symmetrieebene  des 
Kr y stalles ;  Maxima  und  Minima  liegen  etwa  bei  den  Winkeln 

fc  =  -  35°,    *n  =  0°,    fa  =  25°,    fc  =  78,5° 

und  haben  die  Werthe : 

Ei  =  6,56.10"3,    En  =  6,12.10-3,     Em  =  6,31.10-8,    EIV  =  3,96.10"8. 

Figur  1    auf  der   beigegebenen  Tafel   stellt  den  Verlai1^  von 
E  in  der  Symmetrieebene  oder  dem  ersten  Hauptschnitt  dar. 
Setzt  man  in  (6) 

ß  =  0,     7  =  cos<|>,     a  =  sin<|>, 

so  resultirt  das  Gesetz  für  die  Ebene  normal  zur  Symmetrieebene 


Bestimmung  der  Elasticitäts-Constanten  des  brasilianischen  Turmalines.     289 

oder  den  zweiten  Hauptschnitt.    Figur  2  giebt   die  entsprechende 
Curve. 

Drillungen. 

Die  Drillungsbeobachtungen  stießen  bei  den  Stäbchen  11(90°), 
deren  Breitseiten  normal  zur  Krystallaxe  liegen,  auf  eine  eigen- 
thümliche  Schwierigkeit. 

An  der  einen  Seite  des  Krystalles,  dessen  Querschnitt,  wie 
oben  gesagt,  angenähert  ein  gleichseitiges  Dreieck  war,  befand 
sich,  wie  es  schien  auf  der  ganzen  Länge,  eine  etwas  dunkler 
gefärbte  Partie,  welche  gegen  die  Hauptmasse  des  Krystalles 
durch  einige  Flächen  des  hexagonalen  Prismas  begrenzt  war. 
Längs  dieser  Flächen  scheint  eine  Störung  der  Fortwachsung 
stattgefunden  zu  haben  und  zwar  war  besonders  an  dem  einen 
Ende  des  Krystalles  die  Verbindung  eine  unvollkommene,  denn 
die  erste  normal  zur  Krystallaxe  abgeschnittene  Platte  zersprang 
von  selbst  in  zwei  Theile  längs  dieser  Grenze.  Aus  einer  zweiten 
derartigen  Platte  wurden  die  ersten  drei  Stäbchen  der  Gattung 
11(90°)  hergestellt,  die  beim  Schleifen  und  Poliren  den  Zusammen- 
hang behielten.  No.  2  und  3  gaben  bei  den  Biegungsbeobachtungen 
gut  übereinstimmende  Werthe  für  E,  No.  1  wurde  seiner  geringen 
Länge  wegen  nicht  gebogen. 

Bei  der  Drillung  gab  No.  3  den  größten  Werth  für  T,  No.  2 
einen  viel  kleineren  und  No.  1  zersprang  längs  einer  der  beschrie- 
benen Grenzen  bei  einer  Belastung,  welche  die  beiden  anderen 
Stäbchen  bereits  ausgehalten  hatten.  Da  ich  überdies  in  No.  2 
mit  der  Loupe  eine  Störung  in  jener  Grenze  zu  sehen  glaubte, 
in  No.  3  nicht,  so  nahm  ich  an,  daß  dieselbe  von  dem  einen  ver- 
brochenen Ende  des  Krystalles  her  bis  etwa  in  die  Tiefe  von 
No.  2  mit  abnehmender  Stärke  sich  fortgesetzt  habe. 

Um  sichere  Werthe  für  T  zu  erhalten,  ließ  ich  aus  einer 
dritten  Platte  parallel  einer  andern  Kante  noch  drei  Stäbchen 
(No.  4,  5,  6)  herstellen.  Freilich  waren  in  denselben  kleine  Sprünge 
vorhanden,  welche  No.  6  völlig,  No.  4  und  5  fast  zur  Hälfte  un- 
brauchbar machten,  aber  die  Reste  gestatteten  noch  die  Beobach- 
tung und  gaben  mit  No.  3  gut  stimmende  Werthe,  welche,  da 
die  Stäbchen  sichtlich  ziemlich  homogen  waren,  als  die  wahren 
der  bezüglichen  Orientirung  entsprechenden  zu  betrachten  sind. 
No.  3  und  5  als  regelmäßiger  in  der  Form  sind  je  zwei  Mal,  No.  4 
als  unregelmäßiger  nur  ein  Mal  beobachtet. 

Die  Stäbchen  der  Gattung  II'(90°)  waren  in  der  Farbe  völlig 
homogen  und  gaben  zu  keinen  Bedenken  Anlaß. 


290  W.  Voigt, 

Bei  den  Drillimgsbeobachtungen  war  der  Abstand  zwischen 
Spiegel  nnd  Scala  5174  mm,  die  Millimeter  der  Scala  waren  um 
0,00374  zu  groß ;  der  mittlere  Hebelarm,  an  welchem  die  Belastung 
G  +  P  wirkte  (G  das  Gewicht  der  Waagschaale),  hatte  die  Länge 
von  36,80  mm.  Die  beobachteten  Verschiebungen  a  sind  bereits 
von  der  Tangente  auf  den  Bogen  reducirt;  p  ist  die  Größe  der 
Axenreibung  in  Millimetern  der  Scala. 

Bezüglich  der  Berechnung  von  T  und  T  verweise  ich  auf  die 
früheren  Arbeiten. 


11(90°) 

No. 

2. 

L  = 

:    18,89,        B    ~ 

=  4337, 

D  . 

=  682,0 

, 

rR. 

O  4 

5o» 

0  =  95,6 

95,5 

95.4 

95,5, 

p  =  2,2 

G 

+ 

25, 

0  =  51,9 

5i,7 

5!,3 

5i,5, 

P  =  J,7 

G 

» 

0  =     7,8 

7,8 

7,7 

7,8, 

P  =  2,1 

1R. 

G 

+ 

5o» 

0  =  96,5 

96,5 

96,3 

96,6, 

p  =  0,8 

G 

+ 

*5i 

<J  =  5*»5 

S*»5 

5M 

5^,4, 

P  =  0,9 

G 

> 

0  =    8,7 
o5o  =  87,73 

8,6 

8,6 

8,7, 

P  =  0,9 

{T  =  987oooo.)  *) 

L 

=  18,07 

1R. 

G 

4- 

50, 

0  =  92,4 

9*,3 

92,1 

92,3, 

P  =  2,4 

G 

+ 

*5> 

0  =  50,5 

5o,4 

50,4 

50,2, 

P  —  2,2 

G 

» 

a  ob    8,2 
°5o  =  84,33 

8,2 

8,0 

P  =  2,0 

{T  =  9820000.)1) 

11(90°) 

No. 

3. 

L  = 

20,95,     B  = 

=  4303, 

D    : 

=  682,1 

» 

rR. 

G 

+ 

50, 

0  =  103,0 

102,8 

102 

,8      102 

,6,      p  =  2,7 

G 

+ 

*S> 

0  =     55,* 

55,3 

55 

2       55 

0,      p  =  3,2 

G 

» 

0  =      7,9 

8,1 

8 

,0 

P  =  3,3 

1R. 

G 

+ 

50, 

0  =  103,7 

103,7 

103,9      103 

,8,      p  =  2,4 

G 

+ 

fa 

0  =    56,0 

56,1 

55,9       56 

,1,       p  =  2,6 

G 

, 

a  =      8,4 
o50  =  95,oo 

8,5 
L  =  1 

8 
9,J7 

,3 

,       P  =  2,7 

T  =  10190000. 

1R. 

G 

+ 

50, 

°  =  94,5 

94,8 

94,5 

94,7, 

P    =    4,2 

G 

+ 

25, 

0  ==  50,8 

51,0 

50,9 

50,8, 

P  =  4,4 

G 

5 

0  =     6,8 

6,8 

6,5 

, 

P  *=  4,6 

rR. 

G 

+ 

50, 

0  =  96,2 

95,6 

95,4 

95,5, 

P  =  1,8 

G 

+ 

**! 

0  =  51,8 

51,8 

5i,7 

5i,7, 

P  =  2,4 

G 

, 

0  =     8,0 
°5o  =  87,9° 

7,9 

7,9 

, 

P  =  2,5 

T  =  l007oooo. 

11(90°) 

No. 

4. 

L  = 

11,93,     B  = 

B     5042, 

D  = 

=  806,3 

rR. 

G 

+ 

40, 

0  =  24,7 

24,6 

H,7 

24,7, 

p  =  0,7 

G 

f 

ao, 

0  ==  13,6 

13,5 

i3,5 

13,5, 

p  =  0,6 

G 

» 

0  =     2,5 

2,7 

2,6 

» 

p  =  0,7 

1R. 

G 

+ 

40, 

0  =  25,1 

25,2 

25,1 

25,0, 

p  =  0,2 

G 

+ 

20, 

0  =  f3,9 

13,9 

13,8 

13,9, 

p  =  0,2 

G 

, 

0  =    2,8 
"40  =  22,37 

2,7 

*,7 

• 

p  =  0,2 

T  =  I020oooo. 

1)  Von_der_Berechnung  des  Gesammtmittels  nach  Obigem  ausgeschlossen. 


Bestimmung  der  Elasticitäts-Constanten  des  brasilianischen  Turmalines.     291 


11(90°) 

No. 

5. 

L  = 

=  ",74,     ^  = 

=  5057,    -D  = 

826,7 

1R. 

G 

+  5o, 

0    SS    28,0 

27,8      27,9     27,8,      p 

=  o,5 

G  +  25, 

0    ==    15.3 

15,0      15,1      15,2,      p 

=  0,5 

G 

» 

0  =     2,4 

°5o  =  *5>5o 

2,3       2>4 
L  =  10,91 

*»4,       P 

=  0,6 

10210000. 

1R. 

G 

+  40, 

0  =  21,6 

21,5      21,3      21,4,      p 

=  0,6 

G 

+  20, 

0  =  n,7 

11,8      11,8      11,9.      p 

=  0,5 

G 

, 

o  =     2,2 

2,2            2,2 

»      P 

m  0,6 

rR. 

G 

+  40, 

0  =  21,4 

21,4      21,3       21.4,       p 

=  0,4 

G  +  20, 

0  =  u,7 

11,6      11,7      n,6,      p 

ss   0,4 

G 

» 

o  =     2,4 
°4o  =  J9,09 

2,4        2,4 

i    J 

=  0,5 

T  = 

IOI4oooo. 

Gesammtmittel  TQ0  = 

=  IOI60000,     T90  = 

9.843.I0"8 

wahrscheinlicher  Fehler          +  17000 

+ 

0,016. 

II'(90°) 

No. 

1. 

L  = 

=  22,68,     B  = 

=  5142,    D  == 

686,8, 

1R. 

G 

+  50, 

0  =  132,8 

132,9      132,7 

13^,9, 

p    ss    1,2 

G 

+  25, 

0  =    72,2 

71,8        72,0 

Ihh 

P  =  i,3 

G 

> 

0  =     11,5 

",4          ",5 

n,6 

p  —  i,7 

rR. 

G 

+  50, 

(gestörte  Beobachtung) 

■ 

G 

+  *5i 

0  =    71,2 

71,1        71,0 

7o,9, 

p  =  4,2 

G 

» 

0  =     10,7 

10,5        10,4 

10,6, 

P  =  4,3 

o50  =   121,1 

(T  =s  666sooo.)1) 

L  =  22,75 

rR. 

G 

+  50, 

0  =  128,9 

128,9      128,6 

128,6, 

P  =  5,8 

G 

+  25, 

0  ==    68,9 

68,9        68,5 

68,7, 

P  =  6,3 

G 

» 

0  =      9,0 

9,2          9,0 

9,°, 

P  =  6,5 

1R. 

G 

+  50» 

0  =  131,1 

13M      *3*>* 

131,3, 

P  =   i,5 

G  +  25, 

0  =     71,2 

7M       1hl 

7i,3» 

P  =  i,7 

G 

> 

0  =     11,3 
o60  =  119,8 

",2        11,3 

, 

p  s=  2,0 
T  = 

6763000. 

II'(90°) 

No. 

2. 

L  = 

=  23,84,     B  = 

=  5148,     B  = 

690,0 

1R. 

G  +  50, 

0  =  136,6 

136,6      136,9 

136,7, 

p  =  0,2 

G 

+  »5, 

0  =     74,3 

74,3        74,4 

74,4, 

P  =  ° 

G 

5 

0  =     12,5 

12,1         12,2 

, 

P  =  ° 

rR. 

G 

+  50, 

0    =   135,9 

136,4       136,4 

136,5, 

P  =  i,3 

G 

+  *$, 

0  =     74,1 

74,o        74,2 

74,o, 

p  =  i,5 

G 

» 

0  =     12,0 
o60  =  124,3 

11,8         11,9 

> 

p  =  2,0 
T  = 

6733000. 

II'(90°) 

No. 

3. 

X  = 

:   22,69,      B   = 

=  5156,     D  = 

692,9 

rR. 

G 

+  50, 

0  =   127,8 

138,0      127,8 

127,8, 

p  =  2,2 

S£ 

+  25, 

0  ==     69,5 

69,2        69,4 

69,4, 

p  =  2,4 

G 

1 

0  =     10,6 

10,8        10,7 

io,7, 

P  =  2,9 

1R. 

G 

+  50, 

0  =   128,7 

128,7      128,7 

128,6, 

p  =  0,6 

G 

+  10. 

0  ==     70,2 

70,2        70,0 

70,i, 

P  =  o,7 

G 

) 

0  =     11,8 
o60  =  117,0 

u,9        ">8 

n,8, 

P  =  0,7 

T  = 

6725000. 

Gesammtmittel  Tl0  = 

s  674oooo,    T90  = 

4,837.  I0-8 

wahrscheinlicher  Fehler           ±  9000, 

± 

0,019. 

1)  Die  Beobachtung   war   sichtlich    durch   mangelhaftes  Einkitten  des  Stäb- 
chens in  den  Fassungen  gestört  und  ist  von  der  Berechnung  ausgeschlossen. 


292  W.  Voigt, 

Eine  Abweichung  der  Längsaxe  der  Stäbchen  11(90°)  und 
II' (90°)  von  der  Richtung  normal  zur  Symmetrieebene  'giebt  nur 
einen  Fehler  zweiter  Ordnung  in  den  Werthen  von  T]  dagegen 
hat  ein  Fehler  in  der  Orientirung  der  Querdimensionen  größeren 
Einfluß.  Leider  giebt  es  kein  Mittel,  deren  Genauigkeit  mit  Schärfe 
zu  prüfen,  und  man  kann  höchstens  die  Größenordnung  der  Unsicher- 
heit schätzen,  welche  in  Folge  des  erwähnten  Umstandes  den 
obigen  Resultaten  anhaftet. 

Der  Einfluß  der  Orientirung  der  Querdimensionen  auf  T  folgt 
aus  Formel  (2),  wenn  man  in  ihr  a  —  1,  ß  =  y  =  0,  y2  =  cos  <p, 
ß2  =  sin  cp  setzt,  also  bildet 

7)  (T)  ==  544  +  (2(su  —  *„)  —  sM)  cos  2<p  -  4su  sin  <p  cos  <p 
und  dies  nach  <p  differentiirt.    Man  erhält  so 

8)  o(T)  =  (-(2(s11-s12)-sJsm2?-4sucos2<p)h<p 
und,  wenn  man  berücksichtigt,  daß 

für  die  Gattung  II  (90°)  <p  =  0 
für  die  Gattung  IT(900)  »  =  -f 

ist, 

ST90  =  6T;0  =  -4Slih9. 

Bei  Kalkspath  blieb  der  Fehler  hf  laut  der  früher  mitgetheilten 
Beobachtung  unter  30r ;  bei  Turmalin  liegen  die  Verhältnisse  in 
sofern  noch  günstiger,  als  die  prismatische  Form  des  Krystalles 
die  Schnitte  normal  zur  Axe  mit  großer  Genauigkeit  herzustellen 
gestattet.  Macht  man  aber  die  ungünstige  Annahme  ±  h<p  =  30' 
=  0,0088,  so  ergiebt  sich  wegen  sru  —  0,572  der  absolute  Werth 
von  oT  es  0,020,  also  nur  wenig  größer  als  der  directe  Beobach- 
tungsfehler. Dieser  geringe  Einfluß  hängt  damit  zusammen,  daß 
die  Maxima  und  Minima  von  (T)  für  Winkel  <p  eintreten,  die  nicht 
allzuweit  von  den  benutzten  beiden  abweichen;  die  Formel  (8) 
ergiebt  nämlich,  daß  dieselben  bei 

f  c==  12°  18'     und    102°  18' 
stattfinden. 

Den  ganzen  Verlauf  von  (T)  giebt  die  Figur  (3)  an;  in  ihr 
ist  die  Größe  des  Drillungscofficienten  für  ein  rechteckiges  Prisma, 
dessen  Längsaxe  in  die  Normale  zur  Symmetrieebene  fällt,  als 
Function  der  Richtung  der  kleineren  Querdimension  (D)  auf- 
getragen. — - 


Bestimmung  der  Elasticitäts-Constanten  des  brasilianischen  Turmalines.     293 

Die  durch  Drillungsbeobachtungen   gefundenen  Resultate  sind 
nach  Obigem  also  : 

2(sn-sl2)  =  (9,843  +  0,016)10- 

su  =  (14,837  + 0,019)  lO"8;  ; 

sie  ergeben  zusammen  mit  den  durch  Biegung  erhaltenen  (5)  alle 
in  der  allgemeinen  Formel  (2)  für  den  Drillungscoefficienten  T 
eines  rechteckigen  Prismas  auftretenden  Coefficienten  und  somit 
das  allgemeine  Gesetz  selbst.  Uebersichtlicher  ist  der  Werth  des 
Drillungscoefficienten  T°  für  einen  Kreiscy linder,  welcher  nur  von 
der  Orientirung  der  Längsaxe  abhängt.     Man  erhält  hierfür 

T  °  =  (24,68  -  12,94  f  +  17,93  T4  -  4,58  ß  T  (3  a2  -  ß2))  10~8 ;        10) 

Figur  4  und  5  stellt  den  Verlauf  dieser  Function  für  den  ersten 
irad  zweiten  Hauptschnitt  dar. 

Resultate. 

Aus  den  Werthen  (5)  und  (9)  folgt  zunächst  das  ganze  System 
der  Moduln  shk: 

sn  =  (  3,911  +  0,005).  10-8,      sl2  =  -  (1,011  ±  0,009).  10"8, 

s83  =  (  6,124  +  0,002).  10-8,      s13  =  -  (0,160  +  0,017).  10"8,   11) 

544  =  (14,837  +  0,019).  lO"8,      su  =  +  (0,572  +  0,009).  10"8. 

Hieraus  ergeben  sich  die  Coefficienten  der  linearen  Compres- 
sion  parallel  den  Coordinatenaxen  bei  allseitig  gleichem  Druck: 

A,  =  A2  =  2,74.10   ,    A3  =  5,80. 10'8,  12) 

sowie  desjenigen  der  cubischen  Compression: 

M  =  11,28. 10"3. 
Die  Flasticitätsconstanten  chk  erhalten  folgende  Werthe: 
cn  =  27,54.10«,        c12  =  +7,04.108, 
c83  =  16,38.10°,        c18  =  +0,90.106,  13) 

c44  =    6,80  .  10°,        cM  =  -  0,79 .  10e. 

Alle  vorstehenden  Werthe  gelten  für  brasilianischen  Turmalin 
bei  der  Temperatur  von  ca.  18°  C. 

Bekanntlich  verlangt  die  Poisson'sche  Theorie,  welche  die 
elastischen  Kräfte  aus  Wechselwirkungen  der  nicht  polarisirten 
Moleküle  ableitet,  für  alle  Gruppen  des  hexagonalen  Krystall- 
systems  die  Beziehungen 

cu  =  3cn. 


294  W.Voigt, 

Die  zweite  ist  nicht  erfüllt,  wenn  die  Richtungen  normal  zur 
Hauptaxe  Differenzen  bezüglich  der  Attraction  zeigen,  die  erste, 
wenn  die  Hauptaxe  (Z)  von  der  (X)-  und  (Y)-Axe  abweicht. 

Bildet  man  diese  Werthe  für  die  bisher  von  mir  untersuchten 
hexagonalen  Krystalle  so  erhält  man  folgende  Tabelle. 

Beryll            c13  =  6,74  c44  =  6,66  cn  =  27,46  3c12  =  29,40 

Bergkrystall      =1,44  =5,82  =   8,68  =    2,13 

Kalkspath          =4,60  =3,49  =13,97  =13,95 

Turmalin            =0,90  =6,80  =27,54  =21,12 

Man  erkennt,  daß  bei  Beryll  und  Kalkspath  beide  Relationen 
theils  genau,  theils  angenähert  gelten ;  bei  Turmalin  ist  besonders 
die  erste,  bei  Bergkrystall  auch  die  zweite  nicht  erfüllt.  Die 
hierin  liegende  Analogie  mit  der  pyroelectrischen  Polarisation 
dieser  Krystalle  ist  wohl  nicht  zufällig.  — 

Benutzt  man  die  von  Pf  äff1)  gegebenen  Werthe  der  ther- 
mischen linearen  Ausdehnungscoefficienten 

at  =  a2  =  7,73. 10-6,        a3  =  9,37.  KT6, 

so  folgen  die  Werthe  der  thermischen  Drucke  parallel  den  Axen: 

14)  qt  =  q2  =  275,8,        qa  =  167,5. 

Die  Unterschiede  der  isothermischen  und  adiabatischen  Elasti- 
citätsmoduln  (shk  und  ahk)  und  Elasticitätsconstanten  (chk  und  yhk) 
berechnen  sich  bei  Einführung  des  Werthes  der  absoluten  Tem- 
peratur 0  =  291,  des  mechanischen  Wärmeäquivalentes  A  =  426000, 
der  Dichte  des  Turmalins 2)  s  =  3,116. 10"3,  der  gewöhnlichen 
specifischen  Wärme  3)  c  =  0,245,  nach  den  früher  gegebenen  For- 
meln folgendermaßen: 

r«-A,  =  Tn-iL  =  0,068.10°, 

15)  t»  -  eu  =  0,052 .  10«,    T33  -  c33  =  0,031 .  10ö, 

Yl4    —    C14     ==    7*4  C44     ===    0  7 

*u  -  °n  =  5i2  —  °i2  =  0,0067 .  10"8, 

16)  9lt  -  o»  =  0,0081 .  10-8 ;    s33  -  a33  =  0,0098 .  10~3, 

8U  -  o14  =  su  —  o44  =  0. 

Endlich  findet  sich  die  Differenz  der  specifischen  Wärmen 
bei  constanter  Spannung  cp  und  constanter  Deformation  ca 


1)  F.  Pfaff,  Pogg.  Ann.  CVII,  148,  1859. 

2)  E.  Riecke,  Gott.  Nachr.  1885,  p.  410. 

3)  E.  Riecke,  ib.  p.  423. 


Bestimmung  der  Elasticitäts-Constanten  des  brasilianischen  Turmalines.     295 
cP  -  cd  m  0,00128, 


und  ihr  Verhältniß 


5l  =  x  m  1,0052. 


Bemerkung.  Herr  Elie1)  hat  versucht,  die  Anzahl  der 
Constanten  der  rhomboedrisch-hemiedrischen  Kry stalle  dadurch  zu 
reduciren,  daß  er  annahm,  das  elastische  Potential  besitze  auf  die 
Kanten  eines  Rhomboeders  —  dessen  Wahl  er,  wie  es  scheint 
freiläßt  —  als  schiefwinklige  Coordinatenaxen  bezogen,  die  Rhoni- 
boederflächen  als  analytische  Symmetrieebenen. 

So  unwahrscheinlich  diese  Annahme  von  vorn  herein  erscheint, 
so  habe  ich  doch  im  Falle  des  Kalkspathes,  wo  wohl  kein  Zweifel 
darüber  sein  kann,  daß  wenn  überhaupt  eines,  so  das  Spaltungs- 
rhomboeder  eine  ausgezeichnete  Bedeutung  besitzt,  dieselbe  unter 
Benutzung  der  früher  von  mir  gefundenen  Constantenwerthe  durch 
Rechnung  geprüft. 

Die  drei  von  Herrn  Elie  selbst  aufgestellten  Bedingungen 
für  die  Zulässigkeit  seiner  Annahme  führen  auf  die  Widersprüche 

0,025  =  -  5,70,    22,4  —  -  5,3,    33,6  =  -  5,94, 

woraus  deren  Unhaltbarkeit  wohl  klar  hervorgeht. 


1)  B.  Elie,   J.  de  phys.  (2)  5,  p.  204,    1886. 
Göttingen,    am  5.  Juli  1890. 


Bei  der  Kgl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  einge- 
gangene Druckschriften. 

Man  bittet  diese  Verzeichnisse  zugleich  als  Empfangsanzeigen  ansehen  zu  wollen. 

März  und  April  1890. 

(Fortsetzung.) 

A.  Kölliker:  Ueber  den  feineren  Bau  des  Rückenmarkes.  Aus  den  Sitzungsbe- 
richten der  Würzburger  Phys.  med.  Gesellschaft  1890.    VI.  Sitzung. 

Mittheilungen  aus  dem  naturwissenschaftlichen  Verein  für  Neu- Vorpommern 
und  Rügen  in  Greifswald.    Jahrgang  21.    1889.     Berlin  1890. 

60.  Jahresbericht  des  Voigtländischen  Alterthumsforschenden  Vereins  zu  Ilohen- 
leuben.     Weida  1889. 

Germanisches  Museum  in  Nürnberg. 

a.  Mittheilungen.  II.  Band.    3.  Heft.    Jahrgang  1889. 

b.  Anzeiger.   II.  Band.    3.  Heft.    Seite  179  und  288.    Jahrgang  1889. 

c.  Katalog    der    im   G.  M.  vorhandenen    interessanten  Bucheinbände.     Nürn- 
berg 1889. 

Nachrichten  von  der  K.  G.  d.  W.  zu  Göltingen    1800.   No.  7.  24 


296 

Musikalische  Werke  Friedrich  des  Grossen.    Leipzig. 

Proceedings  of  the  R.  society.    Vol.  XLVII.    Nr.  287.    London. 

Proceedings  of  the  Cambridge  philosophical  society.     Vol.  VII.     Part.  1.     1889. 

Appendices  by  Prof.  J.  C.  Adams.     M.  A.  T.  R.  S.    Cambridge. 

Journal  of  the  R.  Microscopical  society  1890.    Part  IL     April. 

Proceedings  of  the  London  mathematical  society.     Nr.  368 — 369. 

Monthly  notices  of  the  R.  Astronomical  society.     Vol.  L.     Nro.  4,  5.    1890. 

The  transactions  of  the  R.  Irish  Academy.     Vol.  XXIX.     Part  XII. 

Proceedings  of  the  R.  Irish  Academy.     Third  series.     Vol.  I.     Nro.  2. 

Nature.     Vol.  41.     Nro.  1061-1069. 

Annual  report  of  the  Canadian  Institute.     Session  1888  —  1889.    Toronto  1889. 

Geological  and  natural  history  survey  of  Canada. 

a)  Annual  report.  (New  series.)  Vol.  III.  Part  I,  II.  1887—1888.  Reports 
A.  B.  C.  E.  F. 

b.  Maps  etc.    to    accompany  Annual    Report.     Vol.  III.     N.    S.    1887 — 1888. 
Montreal  1889. 
llecords  of  the  Geological  survey  of  India.     Vol.  XXIII.     Parti.     Calcutta  1890. 
Natural  history  of  Victoria.   Prodromus  of  the  Zoology  of  Victoria.  Decade  XIX. 

Melbourne  1889. 
Journal  and  proceedings    of  the  R.  society   of  New-South  Wales.     Vol.  XXIII. 

1889.     Part  1.     Sidney. 
Catalogue    of  the    scientific    books    in  the  library    of  the  R.  S.   of  New-South 

Wales.     Part.  1.     General  catalogue.     Sidney  1889. 
Report  of  the  first  meeting  of  the  Australian   association  for   the   advancement 

of  science.     Sidney  1887.    Vol.  I.     Sidney  1889. 
Abhandlungen  der  K.  K.  geologischen  Reichsanstalt. 

a.  Die  Liburnische  Stufe  und  deren  Grenzhorizonte.  Heft  1.  Abth.  1.  Geo- 
logische Uebersicht  und  Beschreibung  der  Faunen  und  Florenreste.  (Ab- 
handl.  d.  geol.  Reichsanst.)     Band  XIII.     Heft  1. 

b.  Ueber  die  Liasischen  Brachiopoden  des  Hierlatz  bei  Hallstadt.  (Band  XV. 
Heft  1.     Abh.  d.  K.  K.  Geolog.  Reichsanst.)    Wien  1889. 

Jahrbuch   d.    K.  K.   geologischen    Reichsanstalt.     Jahrg.   1889.      Band  XXXIX. 

Heft  3,  4.    Wien  1889. 
Verhandlungen  d.  K.  K.  geologischen  Reichsanstalt.     Nro.  4.  5.    1890. 
Sitzungsberichte  d.  K.  böhmischen  Gesellschaft   der  Wissenschaften.     Mathema- 
tisch-naturwissenschaftliche Classe  1889.    II. 

Philos.-histor.-philog.  Classe  1889. 
Jahresbericht  d.  K.  böhmischen  Gesellschaft    der  Wissenschaften    für    das   Jahr 

1889.    I.    Prag  1890. 
Archiv  des  Vereines  für  siebenbürgische  Landeskunde.     Neue  Folge.     Band  22. 

3.  Heft.     Hermannstadt  1890. 
Jahresbericht  d.  Vereines  für  siebenbürg.  Landeskunde.    Vereinsjahr  1888 — 1890. 

Hermanstadt  1889. 
Ungarische  Revue  1890.    Heft  III,  IV.     Budapest  1890. 
Anzeiger  der  Akademie  der  Wissenschaften   in  Krakau  1890.    Jan.  Febr.  März. 

Inhaltsverzeichniss  von  1889. 
Verhandlungen    der  Naturforschenden  Gesellschaft  in  Basel.     Theil  8.     Heft  3. 

Schluss.    Basel  1890. 
Memoires  de    la  societe  de  Physique  et  d'Histoire  naturelle  de  Geneve.      Tome 

XXX.     Seconde  partie.     Geneve  1889—1890. 
Wolf:  Astronomische  Mittheilungen.     (LXXV.)     Dezember  1889.     Zürich. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Inhalt  von  No.  7. 

Fr.  Merkel,  über  argentinische  Gräberschädel.  —  Fr,  rockeis,  über  die  Interferenzerscheinungen,  welche 

Zwillingsplatten  optisch  einaxiger  Krystalle    im  convergenten   homogenen  polarisirten  Lichte  zeigen.  — 

W.   Voigt,  Bestimmung  der  Elasticitäts-Constanten  des  brasilianischen  Tnrmalines. 

Für  die  Redaction  verantwortlich:    H.  Sauppe,  Secretär  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 
Commissions-Verlag  der  Dieterich' sehen  Verlags- Buchhandlung. 
Druck  der  Dieterich' sehen  Univ.- Buchdruckerei  ( W.  Fr.  Kaestner). 


Nachrichten 

von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu  Göttingen. 


13.  August.  Jfä  8.  1890. 

Universität. 

Verzeichniß  der  Vorlesungen 

auf  der  Georg-Augusts-Universität  zu  Göttingen 

während  des  Winterhalbjahrs  1890/91. 

Die  Vorlesungen  beginnen  den  15.  October  und  enden  den  14.  März. 

Theologie, 

Einleitung  in  das  Alte  Testament:  Prof.  Smend  fünfstündig 
um  4  Uhr. 

Geschichte  des  Kanons  und  des  Textes  des  alten  Testaments : 
Derselbe  Sonnabend  um  12  Uhr  publice. 

Erklärung  des  Buches  Jesajas :  Prof.  Schultz  fünfstündig  um  lOUhr. 

Neutestamentliche  Theologie :  Prof.  Wiesinger  fünfmal  um  9  Uhr. 
Ueber  die  Evangelienfrage:    Prof.   Weiss  zweimal  um  12  Uhr 
publice. 

Erklärung  der  synoptischen  Evangelien:  Prof.  Weiss  fünfmal 
um  9  Uhr. 

Erklärung  des  Evangeliums  Johannis :  Prof.  Lünemann  vier- 
stündig um  9  Uhr. 

Erklärung  der  Apostelgeschichte:  Prof.  Weiss  dreimal  um  12  Uhr. 

Erklärung  des  Briefes  Pauli  an  die  Philipper:   Prof.  Häring. 

Kirchengeschichte  der  ersten  acht  Jahrhunderte :  Prof.  Tschackert 
fünfmal  um  11  Uhr. 

Kirchengeschichte  Theil  II. :  Prof.  Wagenmann  fünfmal  um  8  Uhr. 

Kirchengeschichte  des  neunzehnten  Jahrhunderts :  Derselbe 
vier  bis  fünfmal  um  4  Uhr. 

Nachrichten  von  der  E.G.  d.W.  zu  Uöttingen.  1890.  Nr.  8.  25 


298  Verzeichniß  der  Vorlesungen  auf  der  Georg-Augusts-Universität  zu  Göttingen 

Dogmengeschichte  der  alten  Kirche  und  des  Mittelalters :  Prof. 
Tschackert  fünfmal  um  10  Uhr. 


Dogmatik  Theil  I :  Prof.  Schultz  fünfstündig  um  12  Uhr. 
Theologische  Ethik:  Prof.  Häring  fünfstündig  um  11  Uhr. 

Praktische  Theologie :  Prof.  Knoke  fünfstündig  um  5  Uhr. 
Praktische  Auslegung   der  Perikopen  verbunden   mit  homile- 
tischen Meditationsübungen :  Derselbe  zweimal  um  8  Uhr. 
Kirchenrecht  siehe  unter  Rechtswissenschaft  S.  299. 

Die  alttestamentlichen  Uebungen  der  wissenschaftlichen  Abthei- 
lung des  theologischen  Seminars  leitet  Prof.  Smend  Dienstag  um 
6  Uhr;  die  neutestamentlichen  Prof.  Wiesinger  Montags  um  6 Uhr; 
die  kirchen-  und  dogmenhistorischen  Prof.  Tschackert  Freitags  um 
6  Uhr ;  die  dogmatischen  Prof.  Häring  Mittwochs  um  6  Uhr. 


Die  Uebungen  des  königl.  homiletischen  Seminars  leiten  Prof. 
Schultz  und  Prof.  Knoke  Sonnabends  von  9 — 11  Uhr  öffentlich ;  die 
Uebungen  des  liturgischen  Seminars  leitet  Prof.  Knoke  Sonnabends 
um  9  und  um  11  Uhr;  die  Uebungen  des  katechetischen  Seminars 
Prof.  Wiesinger  Mittwochs  von  2 — 3  Uhr,  Prof.  Knoke  Sonnabends 
von  2 — 3  Uhr  öffentlich. 

Eine  historisch-theologische  Societät  hält  Prof.  Wagenmann 
einmal  in  geeigneten  Stunden ;  biblisch- theologische  Uebungen  Prof. 
Weiss  einmal  privatissime  und  gratis. 

Rechtswissenschaft. 

Institutionen  des  römischen  Privatrechts:  Montag,  Dienstag, 
Mittwoch,  Donnerstag,  Freitag  von  9— -10  Uhr  Prof.  Merkel. 

Römische  Rechtsgeschichte :  Montag,  Dienstag,  Donnerstag  von 
3 — 4  Uhr  Prof.  Regelsberger. 

Römischer  Civilproceß:  Mittwoch  und  Sonnabend  von  12—1 
Uhr  Dr.  Goldschmidt. 

Lektüre  eines  juristischen  Schriftstellers  aus  der  römischen 
Kaiserzeit :  Mittwoch  von  10—11  Uhr  Prof.  Merkel  (unentgeltlich). 

Pandekten ,  I.  Theil  (Allgemeine  Lehren ,  Obligationenrecht, 
Pfandrecht):  Montag,  Dienstag,  Donnerstag,  Freitag  von  8— 10 Uhr 
Prof.  Regelsberger. 

Römisches  Sachenrecht :  Montag,  Dienstag,  Donnerstag,  Freitag 
von  12—1  Uhr  Prof.  v.  Jhering. 

Pandekten ,  IL  Theil  (Erbrecht  und  Familienrecht) :  Montag, 
Dienstag,  Donnerstag,  Freitag  von  10—11  Uhr  Prof.  Merkel 


während  des  Winterhalbjahrs  1890/91.  299 

Conversatorium  über  Pandekten :  Dienstag,  Mittwoch,  Donnerstag, 
Freitag  von  6 — 7  Uhr  Dr.  Goldschmidt. 

Pandektenprakticum :  Freitag  von  4 — 6  Uhr  Prof.  Regelsberger. 

Exegetische  Uebungen  im  corpus  juris :  Montag  von  5—7  Uhr 
Prof.  MerM.  

Deutsche  Staats-  und  Rechtsgeschichte:  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag,  Freitag  von  11—12  Uhr  Prof.  Frensdorff. 

Deutsches  Privatrecht:  Montag  bis  Freitag  von  9—10  Uhr 
Prof.  Ehrenberg. 

Handels-,  Wechsel-  und  Seerecht:  Montag  bis  Freitag  von 
10—11  Uhr  Prof.  Ehrenberg. 

Preußisches  Privatrecht :  viermal  von  11 — 12  Uhr  Prof.  Ziebarth. 

Die  neuen  Rechtsbegriffe  im  deutschen  Arbeiterversiche- 
rungsrecht: Sonnabend  von  11—12  Uhr  Dr.  Goldschmidt  öffentlich. 

Uebungen  im  Anschluß  an  die  deutsche  Rechtsgeschichte: 
Donnerstag  von  6  —  7  Uhr  Prof.  Frensdorff  öffentlich. 

Strafrecht:  Dienstag,  Mittwoch,  Donnerstag,  Freitag  von 
3-4  Uhr  Prof.  Ziebarth.       

Deutsches  Reichs-  und  Landesstaatsrecht  eingeleitet  durch  eine 
Uebersicht  über  das  allgemeine  Staatsrecht:  fünfmal  wöchentlich 
von  9—10  Uhr  Prof.  Bove. 

Verwaltungsrecht:  Dienstag,  Donnerstag,  Freitag  von  12—1 
Uhr  Prof.  Frensdorff. 

Völkerrecht:  Mittwoch  von  12—1  Uhr  und  Sonnabend  von 
11-1  Uhr  Prof.  v.  Bar.       

Kirchenrecht :  täglich  von  8—9  Uhr  Prof.  Bove. 

Civilproceß :  Montag,  Dienstag,  Mittwoch,  Donnerstag,  Freitag 
von  11—12  Uhr  Prof.  Betmold. 

Strafproceß :  Montag ,  Dienstag ,  Donnerstag ,  Freitag  von 
10—11  Uhr  Prof.  Ziebarth.    

Civilproceßprakticum :  Dienstag  von  4—6  Uhr  Prof.  von  Bar. 

Criminalistische  Uebungen:  Mittw.  von 4— 6  Uhr  Prof.  Ziebarth. 

Vorlesungen  über  Staatswissenschaft  s.  S.  307. 

Medicin. 

Zoologie,  vergleichende  Anatomie,  Botanik,  Chemie,  siehe  unter 
Naturwissenschaften. 

Knochen-  u.  Bänderlehre  lehrt  Dr.  Bisse  Montag,  Mittwoch 
und  Freitag  von  11—12  Uhr. 

25* 


300  Verzcichniß  der  Vorlesungen  auf  der  Georg- Augusts-Universität  zu  Göttingen 

Systematische  Anatomie,  I.  Theil,  trägt  vor  Prof.  Fr.  Merkel 
tägl.  von  12-1  Uhr. 

Anatomie  des  Gehirns  lehrt  Dr.  Bisse  Montag  von  2 — 3  Uhr 
öffentlich. 

Topographische  Anatomie  lehrt  Prof.  Fr.  Merkel  Dienstag, 
Donnerstag,  Freitag  von  2 — 3  Uhr. 

Examinatorium  der  Anatomie  hält  Prof.  Merkel  in  passenden 
Stunden. 

Präparirübnngen  leitet  Prof.  Fr.  Merkel  täglich  von  9—4  Uhr. 

Mikroskopische  Uebungen  für  Geübtere  hält  Dr.  Bisse  Diens- 
tag und  Donnerstag  von  4 — 6  Uhr. 

»Uebungen  in  der  normalen  Histologie  hält  Prof.  Krause  vier- 
mal wöchentlich  für  Anfänger  um  11  Uhr,  für  Geübtere  um  2  Uhr 
oder  zu  anderen  passenden  Stunden. 

Specielle  Histologie  der  Sinnesorgane  lehrt  Prof.  Krause  öffent- 
lich am  Mittwoch  um  4  Uhr  oder  zu  passender  Stunde. 

Physiologie  mit  Erläuterungen  durch  Experimente  u.  mikros- 
kopische Demonstrationen  lehrt  Prof.  Herbst  in  6  Stunden  wöchent- 
lich um  10  Uhr. 

Experimentalphysiologie,  II.  Theil  (Physiologie  des  Nervensy- 
stems u.  der  Sinnesorgane)  lehrt  Prof.  Meissner  täglich  von  10 — 11  Uhr. 

Arbeiten  im  physiologischen  Institut  leitet  Prof.  Meissner 
täglich  in  passenden  Stunden. 

Pathologische  Anatomie  der  Knochen  und  Muskeln  trägt  öffent- 
lich vor  Prof.  Orth  Montag  von  6—7  Uhr. 

Specielle  pathologische  Anatomie  lehrt  Prof.  Orth  Montag, 
Dienstag,  Donnerstag,  Freitag  von  2—3  Uhr. 

Pathologisch  -  anatomische  Demonstrationen  hält  Prof.  Orth 
privatissime  Mittwoch  und  Sonnabend  von  2—4  Uhr. 

Praktische  Uebungen  in  der  pathologischen  Histologie  leitet 
Prof.  Orth  Dienstag  u.  Freitag  von  6—8  Uhr. 

Physikalische  Diagnostik  verbunden  mit  Uebungen  lehrt  Prof. 
Bamsch  Montag,  Mittwoch,  Donnerstag  von  5—6  Uhr. 

Laryngoskopische  Uebungen  hält  Prof.  Bamsch  Sonnabend  von 
12-1  Uhr. 

Arzneimittellehre  und  Keceptirkunde  verbunden  mit  Experi- 
menten und  praktischen  Uebungen  im  Eeceptiren  und  Dispensiren 
lehrt  Prof.  Marme  Dienstag,  Donnerstag  u.  Freitag  von  12—1  Uhr. 

Die  gesammte  Arzneimittellehre  trägt  Prof.  Husemann  viermal 
wöchentlich  von  3 — 4  Uhr  vor. 

Uebungen  im  Verschreiben  der  Arzneimittel  leitet  Prof.  Hu- 
semann  Freitags  von  3—4  Uhr. 


während  des  Winterhalbjahrs  1890/91.  3 

Specielle  Toxikologie,  II.  Theil,  verbunden   mit  Experimente 
trägt  Prof.  Marme  für  ältere  Mediciner  vor  Montag  u.  Donnerstag 
von  3 — 4  Uhr. 

Arbeiten   im   pharmakologischen  Institut   leitet   Prof.  Marme 
täglich  in  passenden  Stunden. 

Pharmakognosie  lehrt  Prof.  Marme  dreimal  wöchentlich  Dienstag 
bis  Donnerstag  von  8 — 9  Uhr. 

Pharmakognotisch-mikroskopische  Uebungen  hält  Prof.  Marme 
Mittwoch  von  10—12  Uhr. 


Specielle  Pathologie  und  Therapie,  II.  Hälfte,  trägt  vor  Prof. 
Ebstein  Montag,  Dienstag,  Donnerstag  u.  Freitag  von  4—5  Uhr. 

Medicinische  Klinik  leitet  Prof.  Ebstein  fünfmal  wöchentlich 
von  1072— 12  Uhr,  Sonnabend  von  97<i-103/4  Uhr. 

Kinderheilkunde  lehrt  Montag  u.  Donnerstag  von  6—7  Uhr 
und  Dienstag  von  5 — 6  Uhr  Prof.  Dänisch. 

Medicinische  Poliklinik  hält  Prof.  Damsch  täglich  um  12  Uhr 
öffentlich. 

Die  Untersuchung  des  Harns  u.  Sputums  mit  praktischen 
Uebungen  leitet  Prof.  Ebstein  mit  Dr.  Nicolaier  einmal  wöchentlich 
in  zu  verabredender  Stunde. 

Specielle  Chirurgie ,  IL  Theil ,  lehrt  Prof.  König  viermal 
wöchentlich  von  4 — 5  Uhr. 

Specielle  Chirurgie  lehrt  Prof.  Lohmeyer  fünfmal  wöchentlich 
von  8—9  Uhr. 

Einen  chirurgisch-diagnotischen  Cursus  hält  Prof.  Eosenbach 
Dienstag  u.  Freitag  von  3 — 4  Uhr. 

Die  Lehre  von  den  chirurgischen  Operationen  trägt  Prof. 
Eosenbach  dreimal  wöchentlich  in  zu  verabredenden  Stunden  vor. 

Chirurgische  Klinik  leitet  Prof.  König  von  972  ohne  academ. 
Viertel  bis  IO72  Uhr  täglich  außer  Sonnabend. 

Chirurgische  Poliklinik  wird  Öffentlich  Sonnabend  von  108/* — 12 
Uhr  von  Prof.  König  u.  Prof.  Eosenbach  gemeinschaftlich  gehalten. 

Einen  Verbandcursus  leitet  Dr.  Hildebrand  dreimal  wöchentlich 
in  passenden  Stunden. 

Ausgewählte  Capitel  aus  der  speciellen  Chirurgie  liest  Dr. 
Hildebrand. 

Klinik  der  Augenkrankheiten  hält  Prof.  Schmidt- Eimplcr  Montag, 
Dienstag,  Donnerstag  u.  Freitag  von  12 — 1  Uhr. 

Augenspiegel-  und  Operation scursus  hält  Prof.  Schmidt-Eimpler 
Mittwoch  u.  Sonnabend  von  12—1  Uhr. 

Ueber  Krankheiten   des  vorderen  Bulbusabschnittes   liest  Dr. 


302  Verzeichniß  der  Vorlesungen  auf  der  Georg-Augusts-Universität  zu  Göttingen 

Schirmer  Donnerstag  von  8 — 9  Uhr  und  in  einer  zweiten  zu  bestim- 
menden Stunde  privatim. 

Ueber  die  praktisch  wichtigen  Abschnitte  der  Ohrenheilkunde 
mit  Uebungen  im  Ohrenspiegeln  spricht  Prof.  Bürlmer  Dienstag 
und  Freitag  von  2 — 3  Uhr  oder  zu  besser  passender  Zeit. 

Poliklinik  für  Ohrenkranke  hält  Prof.  Bürlmer  (für  Geübtere) 
Mittwoch  u.  Sonnabend  von  12 — 1  Uhr. 

Geburtshülflich-gynaekologische  Klinik  und  Poliklinik  leitet 
Prof.  Bunge  Dienstag,  Mittwoch,  Freitag,  Sonnabend  von  8 — 9  Uhr. 

Geburtshülflich.-gynäkologischen  Untersuchungscursus  hält  Prof. 
Bunge  Dienstag,  Freitag  von  4—5  Uhr. 

Geburtshülfe  lehrt  Montag  u.  Donnerstag  von  3—4  Uhr  Prof. 
Bunge. 

Physiologie  und  Pathologie  des  Wochenbetts  bespricht  Mitt- 
woch von  4 — 5  Uhr  Prof.  Bunge. 

Ueber  Frauenkrankheiten:  Dr.  Droysen  Mittwoch  und  Sonn- 
abend von  8 — 9  Uhr  und  in  einer  zu  bestimmenden  Stunde. 

Psychiatrische  Klinik  in  Verbindung  mit  systematischen  Vor- 
trägen über  Geisteskrankheiten  hält  Prof.  L.  Meyer  Montag  und 
Donnerstag  von  4—6  Uhr. 

Forensische  Psychiatrie  mit  casuistischen  Demonstrationen 
lehrt  (für  Juristen)  Prof.  L.  Meyer  wöchentlich  in  2  zu  verabre- 
denden Stunden. 

Hygiene,  I.  Theil,  lehrt  Prof.  Wdlffhügel  Montag,  Mittwoch 
und  Donnerstag  von  5 — 6  Uhr. 

Praktische  Uebungen  im  Anschluß  an  die  Vorlesung  über 
Hygiene  hält  Prof.  Wolffhügel  unentgeltlich  Dienstag  und  Freitag 
von  3 — 4  Uhr. 

Hygienische  u.  bakteriologische  Curse  giebt  Prof.  Wolffhügel 
in  passenden  Stunden. 

Arbeiten  im  hygienischen  Institut  leitet  täglich  von  9 — 5  Uhr 
Prof.   Wolffhügel. 

Anatomie  u.  Physiologie  der  Hausthiere  sowie  die  Lehre  von 
den  inneren  Krankheiten  derselben  trägt  Prof.  Esser  fünfmal 
wöchentlich  von  9—10  Uhr  vor. 

Klinische  Demonstrationen  im  Thierhospitale  hält  Prof.  Esser 
in  zu  verabredenden  Stunden. 

Philosophie. 

Geschichte  der  neueren  Philosophie  mit  Ueberblick  über  Pa- 
tristik  und  Scholastik  unter  Zugrundelegung   seines  Buches  ^Ge- 


während  des  Winterhalbjahrs  1890/91.  303 

schichte  der  Philosophie  nach  Ideengehalt  und  Beweisen u  :  Prof. 
Baumann,  Donnerstag  und  Freitag  5  Uhr. 

Kurze  Uebersicht  über  die  deutsche  Philosophie  seit  Kant: 
Prof.  Behnisch,  Sonnabend  öffentlich. 

Logik  unter  Zugrundelegung  seines  Buches :  „Elemente  der 
Philosophie"  :  Prof.  Baumann,  Montag  u.  Dienstag  5  Uhr. 

Logik:  Prof.  Behnisch,  4  St.  12  Uhr. 

Metaphysik  und  Erkenntnißtheorie :  Prof.  Peipers,  Mont.,  Dienst., 
Donn.,  Freit.,  10  Uhr. 

Psychologie:  Prof.  G.  E.  Müller,  Montag,  Dienstag,  Donners- 
tag, Freitag  4  Uhr. 

Ueber  die  Eigentümlichkeiten  der  lebenden  Materie:  Prof. 
G.  E.  Muller,  Mittwoch  6  Uhr,  öffentlich. 

Darstellung  und  Kritik  der  neueren  Theorien  über  das  Wesen 
des  Willens :  Prof.  Peipers,  Freitag  6  Uhr,  öffentlich. 

Philosophische  Uebungen  hält  Prof.  Baumann  im  Anschluß  an 
seine  Vorlesungen  1)  über  Trendelenburgs  elementa  logices  aristo- 
teleae  Mittw.  4  Uhr ;  2)  über  Leibniz'  Nouveaux  essais  sur  l'enten- 
dement  humain,  Mittw.  5  Uhr,  beide  öffentlich. 

Die  Uebungen  des  K.  pädagogischen  Seminars  leitet  Prof. 
Sauppe,  Dienstag  und  Freitag  11  Uhr  öffentlich. 

Mathematik,  Astronomie  und  theoretische  Physik. 

Differentialrechnung :  Dr.  Schön  flies  ,  Montag ,  Dienstag ,  Don- 
nerstag, Freitag  9  Uhr. 

Projective  Geometrie:  Dr.  Burlchardt,  Montag,  Dienstag,  Mitt- 
woch, Donnerstag  8  Uhr. 

Krumme  Flächen  und  Curven  doppelter  Krümmung:  Prof. 
Schwarz,  Montag,  Dienstag,  Donnerstag,  Freitag  11  Uhr. 

Theorie  der  elliptischen  Functionen:  Prof.  Schivarz,  Montag 
bis  Freitag  9  Uhr. 

Gewöhnliche  Differentialgleichungen,  Theil  II:  Prof.  Klein 
Mittwoch  11—1  Uhr.  

Die  exacten  Wissenschaften  im  Alterthume:  Dr.  BurJchardt, 
Mittwoch  6  Uhr,  unentgeltlich. 

Analytische  Mechanik:  Prof.  Klein,  Montag,  Dienstag,  Don- 
nerstag, Freitag  12  Uhr. 

Elektrostatik:  Dr.  Drude,  Montag  und  Donnerstag  3  Uhr. 

Hydrodynamik :  Prof.  Voigt,  Montag ,  Dienstag ,  Donnerstag, 
Freitag  10  Uhr. 

Mathematische  Untersuchungen  über  die  Constitution  der  Mo- 
lecüle:  Prof.  Schering,  Montag,  Dienstag,  Donnerstag,  Freitag  4  Uhr. 


304  Verzeichniß  der  Vorlesungen  auf  der  Georg-Augusts-Universität  zu  Göttingen 

Theorie  und  Geschichte  der  Bestimmung  von  Doppelsternen: 
Prof.  Schur,  Montag,  Donnerstag,  Sonnabend  11  Uhr. 

Ueber  die  Hülfsmittel  der  Berechnung  historischer  Sonnen-  u. 
Mondfinsternisse:  Prof.  Schur,  Dienstag,  Freitag  11  Uhr. 

Uebungen  in  geometrischen  Constructionen :  Prof.  Schwarz, 
Mittwoch  und  Sonnabend  3  —  6  Uhr. 

Uebungen  in  der  Differentialrechnung  :  Dr.  Schönflies,  Mittwoch 
9  Uhr. 

Uebungen  in  projectiver  Geometrie:  Dr.  BurJchardt,  Freitag 
8  Uhr,  unentgeltlich. 

Mathematische  Colloquien  wird  Prof.  Schwarz  unentgeltlich,  wie 
bisher  Dienstag  5 — 7  Uhr,  privatissime  veranstalten. 

Practische  Uebungen  an  den  Instrumenten  der  Königl.  Stern- 
warte :  Prof.  Schur,  täglich. 

Erdmagnetische  Beobachtungen  wird  im  Gaussobservatorium 
Prof.  Schering,  Montag  7  Uhr  zusammen  mit  dem  Assistenten  Herrn 
Felgenträger  veranstalten.      

Im  Kgl.  math.-phys.  Seminare  wird  Prof.  BiecJce  über  Elek- 
trooptik  vortragen  Donnerstag  2  Uhr,  Prof.  Schering  mathem. 
Uebungen  Montag  6  Uhr,  Prof.  Schwarz  mathem.  Uebungen  Sonn- 
abend 9  Uhr  veranstalten,  Prof.  Voigt  ausgewählte  Kapitel  aus 
der  Lehre  vom  Galvanismus  vortragen  Mittwoch  10  Uhr,  Prof. 
Klein  ausgewählte  Kapitel  aus  der  Theorie  der  gewöhnlichen  Diffe- 
rentialgleichungen Sonnabend  11 — 1  Uhr  behandeln,  Prof.  Schur 
astronomische  Uebungen  veranstalten  Dienstag  7  Uhr. 

Experimentalphysik  s.  Naturwissenschaften. 

Naturwissenschaften. 

Specielle  Zoologie  II.Theil:  Prof.  Ehlers,  Mont. -Freit.  9  Uhr. 

Anthropologie :  Prof.  Ehlers,  Mont.,  Dienst.,  Mittw.  6  Uhr. 

Vergleichende  Osteologie :  Dr.  Henlcing,  Mont.  u.  Dienst.  3  Uhr. 

Die  Parasiten  des  Menschen  mit  Demonstrationen  am  Skiop- 
tikon:  Dr.  Hamann,  Freitag  6  Uhr. 

Kritik  des  Darwinismus  (Descendenzlehre  und  Selektionshy- 
pothese): Dr.  Hamann,  Mittwoch  6  Uhr  unentgeltlich. 

Vergleichende  Entwicklungsgeschichte  der  Wirbellosen,  Dr. 
Hamann  in  2  zu  bestimmenden  Stunden. 

Ueber  Darwinismus  (mit  Demonstrationen):  Dr.  Henking,  Don- 
nerstag 6  Uhr,  unentgeltlich. 

Zootomischer  Kurs  :  Prof.  Ehlers,  Dienst,  u.  Mittw.  10—12  Uhr. 

Zoologische  Uebungen  wird  Prof.  Ehlers  täglich  (mit  Ausnahme 
des  Sonnabend)  von  10—1  Uhr  anstellen. 


während  des  Winterhalbjahrs  1890/91.  305 

Zoologische  Societät  für  Vorgeschrittenere :   Prof.  Ehlers  un- 
entgeltlich. 

Morphologie   und  Systematik   der    Thallophyten :    Prof.  Peter, 
Dienst.,  Mittw.,  Freit.  6  Uhr. 

Pflanzengeographie:  Prof.  Peter,  Mont.,  Dienst.,  Donn.  3  Uhr. 

Pflanzenanatomie  und  Entwickelungsgeschichte :  Prof.  Berthold, 
Dienst.,  Donnerst.,  Freit.  12  Uhr. 

Ueber  die  Vegetation    des  Meeres :   Prof.  Berthold ,   Mittwoch 
12  Uhr,  öffentlich. 

Demonstrationen  an  lebenden  Pflanzen  und  Präparaten :  Prof. 
Peter,  Mittwoch  1078—12  Uhr  öffentlich. 

Ueber  Bakterien  und  Hefen:  s.  Landwirthschaft  S.  308. 

Mikroskopisch-botanischer  Kursus  für  Anfänger:  Prof.  Bert- 
hold,  Sonnabend  von  9—1  Uhr. 

Mikroskopisch-botanischer  Kursus  für  Anfänger:  Prof.  Peter, 
vierstündig,  Sonnabend  Vormittag. 

Tägliche  Arbeiten  im  pflanzenphysiologischen  Institut:  Prof. 
Berthold. 

Leitung  botanischer  Arbeiten  für  Vorgeschrittenere:  Prof. 
Peter,  täglich,  privatissime. 

Mineralogie  2.  Theil:  Prof.  Liebisch,  Mont.,  Dienst.,  Donn., 
Freit.  12  Uhr. 

Physikalische  Krystallographie :  Prof.  Liebisch,  Mittwoch  und 
Sonnabend  12  Uhr. 

Arbeiten  im  mineralogisch-petrographischen  Institut:  Prof. 
Liebisch,  öffentlich. 

Geologie:  Prof.  von  Koenen,  Montag  bis  Freitag  8  Uhr. 

Ueber  einzelne  Klassen  von  Fossilien:  Prof.  von  Koenen, 
Sonnabend  8  Uhr,  öffentlich. 

Geologische  und  palaeontologische  Uebungen :  Prof.  von  Koenen 
2  Stunden,  öffentlich. 

Uebungen  im  Bestimmen :  Prof.  von  Koenen,  täglich  privatissime, 
aber  unentgeltlich. 

Experimentalphysik,  zweiter  Theil:  Magnetismus,  Elektricität 
und  Wärme :  Prof.  Rieche,  Mont.,  Dienst.,  Donnerst.,  Freit.,  5  Uhr. 

Die  Uebungen  im  physikalischen  Institute  leiten  die  Prof. 
Rieche  und  Voigt,  in  Gemeinschaft  mit  den  Assistenten  Dr.  Brude 
und  Dr.  Nernst.  Für  Mathematiker  und  Physiker:  Dienstag  und 
Freitag  2—4  Uhr;  für  Chemiker:  Sonnabend  9 — 1  Uhr. 

Vgl.  Mathematisch-physikal.  Seminar  S.  304. 


306  Verzeichnis  der  Vorlesungen  auf  der  Georg-Augusts-Universität  zu  Göttingen 

Allgemeine  Chemie,  unorganischer  Theil  (unorganische  Experi« 
mentalchemie) :  Prof.  Wallach,  sechs  Stunden  9  Uhr. 

Die  Lehre  von  der  chemischen  Verwandtschaft:  Dr.  Nernst, 
Dienst,  und  Freit.  6  Uhr. 

Organische  Chemie  für  Mediciner  :  Prof.  von  Uslar,  4  St.,  9  Uhr. 

Chemie  der  Benzolderivate:  Dr.  BucKka,  Dienst.,  Mittw.  und 
Donnerst.  8  Uhr. 

Pharmaceutische  Chemie  (organischer  Theil) :  Prof.  Polstorff, 
Montag,  Dienstag,  Donnerstag,  Freitag  4  Uhr. 

Ueber  die  Verunreinigungen  und  Verfälschungen  der  Nahrungs- 
und Genußmittel  und  deren  Erkennung:  Prof.  Polstorff,  Montag 
und  Mittwoch  12  Uhr. 

Pharmacie:  Prof.  von  Uslar,  viermal  3  Uhr. 

Chemisches  Colloquium  für  Mediciner  (im  Anschluß  an  das 
Practicum) :  Prof.   Wallach,  öffentlich,  Mittwoch  3  Uhr. 

Technische  Chemie  für  Landwirthe  (Zuckerfabrikation,  Gäh- 
rungsindustrien ,  Molkerei):  Prof.  Tollens,  Mont.,  Dienst.,  Mittw. 
10  Uhr. 

Grundzüge  der  Chemie,  II.  Theil:  Dr.  Pfeiffer,  Donnerstag 
und  Freitag  10  Uhr. 

Zuckerbestimmungen ,  besonders  durch  Polarisation :  Prof. 
Tollem,  1  Stunde,  öffentlich. 

Agriculturchemische  Untersuchungsmethoden :  Dr.  Pfeiffer ,  in 
zu  verabredender  Stunde. 

Die  chemischen  Uebungen  und  wissenschaftlichen  Arbeiten  im 
akadem.  Laboratorium  leitet  Prof.  Wallach  in  Gemeinschaft  mit 
Prof.  Polstorff  und  Dr.  BuchJca  und  zwar :  1)  Vollprakticum,  Mont. 
bis  Freit,  von  9 — 1  und  von  3  bis  6  Uhr;  2)  Halbprakticum ,  je 
Vor-  und  Nachmittags  zu  denselben  Stunden;  3)  Chemisches  An- 
fängerprakticum  für  Mediciner  Nachmittags. 

Prof.  Tollens  leitet  die  praktischen  Uebungen  im  agricultur- 
chemischen  Laboratorium  in  Gemeinschaft  mit  Dr.  Bubbers  Montags 
bis  Freitags  8—12  und  2—4  Uhr. 

Historische  Wissenschaften. 

Lateinische  Paläographie,  IL  Theil:  Prof.  Steindorff,  Mont.  u. 
Dienst.  10  Uhr. 

Mittelalterliche  Siegelkunde:  Prof.  Steindorff,  Donn.  u.  Freit. 
10  Uhr. 

Historisch-diplomatische  Uebungen  leitet  Prof.  Steindorff,  Mitt- 
woch 10  Uhr,  privatissime,  aber  unentgeltlich. 


während  des  Winterhalbjahrs  1890/91.  307 

Geschichte  des  alten  Aegyptens :  Prof.  Pietschmann ,  Dienst, 
und  Freitag  6  Uhr,  öffentlich. 

Allgemeine  Geschichte  des  ausgehenden  Mittelalters  und  der 
Reformationszeit :  Prof.  KhicJchohn,  viermal  wöchentlich  12  Uhr. 

Deutsche  Geschichte  bis  1816:  Prof.   Weiland,  5  St.  9  Uhr. 

Geschichte  der  deutschen  Kaiserzeit :  Dr.  v.  Kap-herr,  Dienst, 
bis  Freit.  11  Uhr. 

Geschichte  der  deutschen  Historiographie  seit  dem  Ausgange 
des  Mittelalters:  Prof.  KlucJchohn,  zweimal  wöchentlich  8  Uhr. 

Geschichte  Italiens  im  Mittelalter:  Prof.  Theod.  Wüstenfeld, 
Mont.,  Dienst.,  Donn.,  Freit.  10  Uhr,  öffentlich  in  seiner  Wohnung. 

Historische  Uebungen  leitet  Prof.  Volquardsen,  Dienstag  6  Uhr, 
öffentlich. 

Historische  Uebungen:  Prof.  Weiland,  Freitag  6  Uhr,  priva- 
tissime,  aber  unentgeltlich. 

Historische  Uebungen :  Prof.  KlucJchohn,  Montag  6  Uhr,  priva- 
tissime,  aber  unentgeltlich. 

Kirchengeschichte :  s.  unter  Theologie  S.  297 — 298. 

Erd-  und  Völkerkunde. 

Allgemeine  Erdkunde,  Theil  II  (Morphologie  der  Erdoberfläche, 
Ozeanographie,  Klimatologie :  Prof.  Wagner,  Mont.,  Dienst,  Don- 
nerst., Freit.  11  Uhr. 

Kartographischer  Kursus  für  Anfänger:  Prof.  Wagner,  Sonn- 
abend 9—12  Uhr,  privatissime. 

Geographisches  Colloquium:  Prof.  Wagner,  privatissime,  aber 
unentgeltlich,  in  später  zu  bestimmenden  Stunden. 

Staatswissenschaft. 

Nationalökonomie,  grundlegender  Theil,  als  Einleitung  in 
das  Studium  der  Staatswissenschaften :  Prof.  Cohn,  Montag,  Diens- 
tag, Donnerstag,  Freitag  4  Uhr. 

Praktische  Nationalökonomie  oder  Volkswirthschaftspolitik : 
Prof.  Lexis,  Dienstag,  Mittwoch,  Donnerstag,  Freitag  10  Uhr. 

Finanzwissenschaft,  mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  deutsche 
und  preußische  Steuergesetzgebung :  Prof.  Cohn,  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag,  Freitag  5  Uhr. 

Statistische  Uebungen:  Prof.  Lexis,  2  Stunden. 

Nationalökonomische  Zeitfragen:  Prof.  Mithoff,  Mittw.  5  Uhr, 
öffentlich. 

Staatswissenschaftliche  Uebungen:  Prof.  Cohn,  Mittw.  5—7 
Uhr,  privatissime,  unentgeltlich. 


308  Verzeichniß  der  Vorlesungen  auf  der  Georg- Augusts-Universität  zu  Göttingen 

Landwirtschaft. 

Einleitung  in  das  landwirthschaftliche  Studium :  Prof.  Liebscher, 
in  noch  zu  bestimmenden  Stunden. 

Allgemeine  Ackerbaulehre:  Prof.  Liebscher,  Mont. ,  Dienst., 
Donnerst.,  Freit.  12  Uhr. 

Betriebslehre:   Prof.  Liebscher,  an  denselben  Tagen,  11  Uhr. 

Thierernährungslehre,  I.  Theil:  Dr.  Lehmann,  Donn.  u.  Freit. 
10  Uhr. 

Die  allgemeine  und  specielle  landwirthschaftliche  Thierzüch- 
tungslehre :  Prof.  GriepenJcerl,  Montag,  Dienstag,  5  Uhr. 

Die  landwirthschaftliche  Rassenkunde :  Prof.  GriepenJcerl,  Mitt- 
woch 5 — 7  Uhr,  Öffentlich. 

Die  Ackerbausysteme  (Felderwirthschaft,  Feldgraswirthschaft, 
Fruchtwechselwirthschaft  u.  s.  w.) :  Prof.  GriepenJcerl,  Donnerst,  und 
Freit.  5  Uhr. 

Im  Anschluß  an  diese  Vorlesungen  werden  Excursionen  nach 
benachbarten  Landgütern  und  Fabriken  veranstaltet  werden. 

Ueber  Bakterien  und  Hefen:  Dr.  Koch,  Mont.  6  Uhr. 

Praktische  Uebungen  im  Cultiviren  der  Bakterien  und  Hefen 
hält  für  Studierende  der  Landwirthschaft  im  Anschluß  an  seine 
Vorlesung  in  2  St.  Dr.  Koch. 

Landwirthschaftliche  Maschinenkunde :  Dr.  EümJcer,  Montag  u. 
Donnerstag,  3  Uhr. 

Prof.  Henneberg  wird  Vorlesungen  anzeigen,  sobald  er  wieder 
hergestellt  ist. 

Molkereiwesen:  Dr.  EümJcer,  Mittwoch  u.  Sonnabend  12  Uhr. 

Uebungen  im  landw.  Laboratorium,  Prof.  Liebscher,  Mittw. 
und  Sonnabd.  9 — 1  Uhr,  privatissime. 

Landwirthschaftl.  Seminar :  Prof.  Liebscher,  in  noch  zu  bestim- 
menden Stunden,  privatissime,  unentgeltlich. 

Chemie  und  praktisch  -  chemische  Uebungen  für  Landwirthe: 
vgl.  Naturivissenschaften  S.  306. 

Anatomie ,  Physiologie  und  Pathologie  der  Hausthiere :  vgl. 
Meäicin  S.  302. 

Literär-  und  Kunstgeschichte. 

Geschichte  der  Buchdruckerkunst  und  des  Buchhandels  im 
15.  Jahrh. :   Prof.  DsiatzJco,  Montag,  Dienstag,  Donnerst.  3  Uhr. 

Bibliographische  Uebungen:  Prof.  DziatzJco,  Freit.  3  Uhr,  pri- 
vatissime, unentgeltlich. 

Geschichte  der  indischen  Grammatik :  s.Oriental.  Sprachen^.  309 f. 

Geschichte  der  griechischen  Literatur  von  Alexander  bis  auf 
Mithradates:  Prof.  von  Wilaniowite-Moellendorff,  4c  Stunden,  4  Uhr. 


während  des  Winterhalbjahrs  1890/91.  309 

Geschichte  der  deutschen  Literatur  von  Anfang  des  16.  bis 
zu  Ende  des  18.  Jahrh.:  Prof.  Heyne,  4  Stunden,  5  Uhr. 

Ueber  die  Hauptströmungen  der  neuern  deutschen  Literatur 
seit  Goethes  Tode:  Prof.  Roethe,  Donnerst.  6  Uhr. 

Geschichte  der  altfranzösischen  Literatur,  IL :  Prof.  Vollmöller, 
Mont.  Dienst.  Mittw.  Donn.  12  Uhr. 

Geschichte  der  dramatischen  Literatur  in  Frankreich  im  XVIII. 
Jahrh.:  Lektor  Ebray,  2  mal  wöch.  in  franz.  Sprache. 

Shaksperes  Leben  und  Dichtungen:  Prof.  Brandl,  Mittwoch, 
Freitag  und  Sonnabend,  6  Uhr  Abends. 

Geschichte  der  europäischen  Kunst  im  Mittelalter:  Prof.  Lange, 
Dienst.  6—8  Uhr  Abends. 

Kunstgeschichte  Italiens  und  Deutschlands  im  Zeitalter  der 
Renaissance:  Prof.  Lange,  Montag  6 — 8  Uhr  Abends. 

Alterthumskunde. 

Griechische  Alterthümer:  Prof.  Volquardsen,  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag,  Freitag  8  Uhr. 

Ueber  Pompei,  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Wand- 
malereien: Prof.  Dilthey,  Dienst.,  Donn.,  Freit.,  12  Uhr. 

Im  K.  archäologischen  Seminar  wird  Prof.  Wieseler  ausge- 
wählte Kunstwerke,  namentlich  Griechische  und  Römische  Münzen, 
zur  Erklärung  vorlegen,  Sonnabend  12  Uhr  öffentlich. 

Die  eingereichten  Abhandlungen  der  Mitglieder  des  K.  archäo- 
logischen Seminars  wird  er  privatissime  beurtheilen. 

Archäologische  Uebungen:  Prof.  Dilthey,  Sonnabend  10 — 12  Uhr, 
öffentlich. 

Vergleichende  Sprachlehre. 

Vergleichende  Flexionslehre  des  Sanskrit ,  Griechischen  und 
Germanischen :  Prof.  Bechtel,  Dienst.,  Donnerst,  u.  Freitag,  9  Uhr. 

Uebungen  auf  dem  Gebiete  der  vergleichenden  Lautlehre: 
Prof.  Bechtel,  privatissime,  gratis,  Sonnabend,  12  Uhr. 

Orientalische  Sprachen. 

Die  Vorlesungen  über  das  alte  Testament  s.  unter  Theologie  S.297. 

Anfangsgründe  des  Arabischen:  Prof.  Wüstenfeld,  privatissime. 

Die  arabische  Grammatik  lehrt  5  mal  um  11  Uhr  Prof.  de  Lagarde, 
der   auch   den  1.  Band   der  Beiruter  Chrestomathie   erklären  läßt. 

Eine  syrische  Gesellschaft  leitet  zu  noch  zu  bestimmenden 
Stunden  Prof.  de  Lagarde,  privatissime,  aber  unentgeltlich. 

Fortsetzung  der  Sanskritgrammatik  und  Erklärung  des  Hito- 
padeca:  Prof.  Kielhorn,  Mittwoch  und  Sonnabend  8  Uhr, 


310  Verzeichniß  der  Vorlesungen  auf  der  Georg- Augusts-Universität  zu  Göttingen 

Erklärung  von  Bhavabhüti's  Uttararämacharita :  Prof.  Kiel* 
hörn,  Montag,  Mittwoch  9  Uhr. 

Erklärung  ausgewählter  Hymnen  des  Bigveda  mit  Säyana's 
Commentare :  Prof.  Kielhom,  Mont.  8  Uhr,  und  Sonnab.  9  Uhr,  Öffentl. 

Erklärung  der  Lacqukaumudi :  Prof.  Kielhom,  einmal  wöchent- 
lich, privatissime  u.  gratis. 

Schrift  und  Sprache  des  alten  Aegypten ,  2.  Cursus :  Prof. 
Pietschmann,  in  zu  verabredender  Stunde,  privatissime,  unentgeltlich. 

Griechische  und  Lateinische  Sprache. 

Syntax  der  griechischen  Sprache:  Prof.  Sauppe,  Mont.,  Dienst., 
Donnerst.,  Freit.,  9  Uhr. 

Euripides  Schutzflehende :  Prof  v.  Wilamowitz-Moellendorff,  vier- 
stündig 8  Uhr. 

Ueber  Cicero's  Leben  und  Schriften,  mit  Interpretation  der 
Briefe  an  Atticus:  Prof.  Leo,  Mont.,  Dienst.,  Donn.,  Freit.  10  Uhr. 

Interpretation  der  ältesten  italischen  Sprachdenkmäler:  Prof. 
Leo,  privatissime. 

Im  K.  philologischen  Seminar  leiten  die  schriftlichen  Arbeiten 
und  Disputationen  Prof.  Sauppe  und  Prof.  von  Wilamowitz-Moellen- 
dorff,  Mittwoch  11  Uhr;  läßt  Lysias  R.  13  erklären  Prof.  Sauppe, 
Mont.  und  Donn.,  11  Uhr;  läßt  Catulls  Hochzeitslieder  erklären 
Prof.  v.   Wilanioivitz ,  Dienst,  und  Freit.,  11  Uhr,  alles  Öffentlich. 

Im  K.  philologischen  Proseminar  wird  Prof.  Leo  Aristophanes 
Plutus  interpretiren  lassen,  sowie  die  Disputationen  über  die  Ar- 
beiten der  Mitglieder  leiten,  Mittw.  9—11  Uhr,  öffentlich. 

Deutsche  Sprache, 

Einleitung  in  die  niederdeutsche  Sprache  und  Literatur  mit 
Erklärung  ausgewählter  Stellen  des  Heliand  und  Reineke  Vos: 
Prof.  Eoethe,  Mont.,  Mittw.,  Freit.  3  Uhr. 

Erklärung  der  Gudrun  (nach  Martins  kleiner  Ausgabe) :  Prof. 
Boethe,  Dienstag,  Donnerstag  3  Uhr. 

Im  K.  deutschen  Seminar  läßt  Prof.  Heyne  den  guten  Ger- 
hard des  Rudolf  von  Ems  erklären,  Freitag  12  Uhr,  behandelt 
Prof.  Boethe  Goethes  Faust,  Dienstag  12  Uhr,  und  bespricht  Prof. 
Boethe  die  Arbeiten  der  Mitglieder,  Donnerst.  12  Uhr,  alles  priva- 
tissime aber  unentgeltlich. 

Im  deutschen  Proseminar  leitet  Prof.  Heyne  althochdeutsche 
Uebungen,  Sonnabend  12  Uhr,  öffentlich;  erklärt  Prof.  Boethe  für 
Anfänger  den  Gregorius  Hartmanns,  von  Aue  nach  Pauls  Ausgabe, 
Mittwoch  12  Uhr,  öffentlich. 

Geschichte  der  deutschen  Literatur:  s. Liter Urgeschichte  S.  309. 


während  des  Winterhalbjahrs  1890/91.  311 

Neuere  Sprachen. 

Geschichte  der  altfranzösischen  Litteratur :  s.  Lit.  Gesch.  S.  309. 

Französische  Metrik:  Dr.  Andresen,  Mont.  u.  Dienst.,  10 Uhr. 

Einführung  in  die  provenzalische  Sprache  und  Erklärung  aus- 
gewählter provenzalischer  Denkmäler :  Dr.  Cloetta,  Mont.  und  Don- 
nerst. 11  Uhr. 

Erklärung  verschiedenartiger  altfranzösischer  Texte:  Dr.  Cloetta. 

Historische  Grammatik  des  Alt-  und  Mittel  -  Englischen  mit 
besonderer  Rücksicht  auf  Dialekte  und  Schriftsprache :  Prof.  Brandt, 
Dienst.,  Donnerst,  und  Sonnabend  8  Uhr  Morgens. 

Shaksperes  Leben  und  Dichtungen :  s.  Lit.  Gesch.  S.  309. 

Erklärung  von  Cynewulfs  Elene :  Dr.  F.  Holthausen,  2  mal  wöch. 

Englische  Metrik:  Dr.  F.  Holthausen,  2  mal  wöch. 

Im  romanischen  Seminar  giebt  Prof.  Vollmöller,  Dienstag  6 — 8 
Uhr ,  die  Erklärung  des  Chevalier  au  Lyon  von  Christian  von 
Troyes;  provenzalische Uebungen  leitet  Dr.  Andresen,  Mont.  6 Uhr; 
Dr.  Cloetta  leitet  die  Erklärung  von  Dante's  Komödie ,  Donnerst. 
6—8  Uhr. 

Neufranzösische  Uebungen:  Lektor  Ebray,  drei  Stunden,  im 
romanischen  Seminar  (a.  Uebersetzung  eines  deutschen  Schriftstel- 
lers ins  Franz.,  b.  eines  französ.  ins  Deutsche,  c.  Conversation). 

Im  englischen  Seminar  hält  Prof.  Brandl  Uebungen  im  Ueber- 
setzen  ins  Altenglische :  6 — 8  Uhr  Abends  an  einem  zu  bestimmen- 
den Tage. 

Neuenglische  Uebungen  stellt  im  englischen  Seminar  Lektor 
Dr.  Miller  an  zwei  Tagen  6 — 8  Uhr  an,  a)  in  Grammatik  und  Sti- 
listik, b)  Lektüre  von  Thackeray's  Book  of  Snobs,  c)  Uebersetzung 
von  Hauff  „das  Wirthshaus  im  Spessart",  d)  Vorträge  über  John- 
son und  seine  Zeitgenossen,  in  englischer  Sprache. 

Schöne  Künste.  — -  Fertigkeiten. 

Uebungen  im  Erklären  und  Bestimmen  der  Handzeichnungen 
alter  Meister  in  der  Universitätssammlung :  Prof.  Lange,  Sonnabend 
12  Uhr. 

Harmonielehre :  Prof.  Freiberg,  wöch.  2  Stunden,  öffentlich.  — 
Auch  hält  er  Uebungen  im  Ensemblespiel. 

Harmonie-  und  Kompositionslehre ,  verbunden  mit  praktischen 
Uebungen:  Prof.  Hille,  in  passenden  Stunden. 

Zur  Theilnahme  an  den  Uebungen  der  Singakademie  und  des 
Orchesterspielvereins  ladet  Prof.  Hille  ein. 


312    Verz.  d.  Vorlesungen  auf  d.  Georg- Augusts-Universität  zu  Göttingen  u.  s.  w. 

Unterricht  im  Zeichnen   ertheilt   Zeichenlehrer  Peters,    Sonn- 
abend 2 — 4  Uhr,  unentgeltlich. 

Unterricht  im  Malen  Derselbe  in  zu  verabredenden  Stunden. 


Reitunterricht  ertheilt  in  der  K.  Universitäts  -  Reitbahn  der 
Univ.  Stallmeister,  Rittmeister  a.D.  Schtveppe,  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag,  Freitag,  Sonnabend,  Vormittags  v.  8 — 12,  und  Nachm. 
(außer  Sonnab.)  v.  3 — 4  Uhr. 


Fechtkunst  lehrt  der  Universitätsfechtmeister  Grüneklee,  Tanz- 
kunst der  Universitätstanzmeister  Höltzke,  Montag  und  Donnerstag 
8—10  Uhr  Abends. 

Oeffentliche  Sammlungen. 

In  der  Universitätsbibliothek  ist  das  Ausleihezimrner  an  den  Wochentagen 
von  11  —  1  und  von  2 — 3  Uhr,  der  Lesesaal  von  10 — 4  Uhr  geöffnet.  Verliehen 
werden  Bücher  nach  Abgabe  einer  Semesterkarte  mit  der  Bürgschaft  eines  Professors. 

Die  Gemäldesammlung  (Aula,  1  Treppe  hoch  links)  ist  Sonntags  von  1 1 — 1 
Uhr  geöffnet. 

Der  botanische  Garten  ist,  die  Sonn-  und  Festtage  ausgenommen,  täglich 
von  7—12  und  von  2—6  Uhr  geöffnet. 

Die  mineralogische  und  die  geologisch- paläontologische  Schausammlung  sind 
im  Winterhalbjahr  bis  zum  11,  December  Sonnabends  von  2  bis  4  Uhr  dem 
Publicum  geöffnet. 

Die  Sammlungen  des  landwirtschaftlichen  Instituts  sind  dem  Publicum  Mitt- 
woch Nachmittag  von  2—4  Uhr  zugänglich.     Anmeldung   im  Institutsgebäude. 

Besuchszeit  des    agricultur chemischen  Laboratoriums  Donnerst,  v.  10— 12  Uhr. 

Ueber  den  Besuch  und  die  Benutzung  der  theologischen  Seminarbibliothek, 
des  Theatrum  anatomicum,  des  physiologischen  Instituts,  der  pathologischen  Samm- 
lung ,  der  Sammlung  mathematischer  Instrumente  und  Modelle,  des  zoologischen 
und  ethnographischen  Museums ,  des  botanischen  Gartens  und  des  pflanzenphysio- 
logischen Instituts,  der  Sternwarte,  des  physikalischen  Kabinets  und  Laboratoriums} 
der  mineralogischen  und  der  geognostisch-paläontologischen  Sammlung,  der  chemi- 
schen Laboratorien ,  des  archäologischen  Museums,  der  Gemäldesammlung,  der  Bi- 
bliothek des  K.  philologischen  Seminars ,  der  Bibliothek  und  des  Arbeitszimmers 
des  ÜT.  deutschen  Semmars,  der  Bibliothek  und  des  Lesezimmers  des  K.  mathe- 
matisch-physikalischen Seminars,  des  diplomatischen  Apparats,  der  Sammlungen  des 
landwirtschaftlichen  Instituts  bestimmen  besondere  Reglements  das  Nähere. 

Bei  dem  Logiscommissar,  Pedell  Mankel  (Jüdenstrasse  11),  können  die,  welche 
Wohnungen  suchen,  sowohl  über  die  Preise,  als  andere  Umstände  Auskunft  er- 
halten und  auch  im  voraus  Bestellungen  machen. 


Für  die  Redaction  verantwortlich:   H.  Sauppe,  Secretair  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 

Commissions  -  Verlag  der  Dieterich 'sehen   Verlags  -Buchhandlung. 

Druck  der  Dieterich' sehen  Univ.- Buchdruckerei  ( W.  Fr.  Kaestner). 


Nachrichten 

von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 
zu   Göttingen. 


20.  August. 


M  9. 


1890. 


Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  5.  Juli. 


Ueber    particuläre    Integrale    der    Differential- 
gleichung 


d'2V     JPV      d*V_ 


dx2    '    dy*    '    dz2 

und  eine  mit  der  Theorie  der  Minimalflächen  zu- 
sammenhängende   Gattung    von   Flüssigkeitsbe- 
wegungen. 

Von 

Julius  Weingarten,  Corresp. 

Bekanntlich  entspricht  jeder  in  einem  begrenzten  Räume  ein- 
deutigen die  Zeit  nicht  explicite  enthaltenden  Lösung  der  L  a  p  1  a  c  e'- 
schen  Differentialgleichung  eine  in  diesem  Räume  mögliche  statio- 
näre Bewegung  einer  äußeren  Kräften  nicht  unterworfenen  homo- 
genen incompressiblen  Flüssigkeit. 

Für  diese  Bewegung  sind  die  Flächen  gleichen  hydrodynami- 
schen Druckes  zugleich  Flächen  gleicher  Geschwindigkeit  der  in 
ihnen  enthaltenen  Flüssigkeitstheilchen.  Unter  den  mannigfachen 
Bewegungen,  welche  den  verschiedenen  Lösungen  jener  Differential- 
gleichung entsprechen,   beanspruchen  diejenigen  ein  besonderes  In- 

Nachrichten  von  der  K.  G.  d.  W.  zu  üöttingen.  1890.  Nr.  9.  26 


314  Julius  Weingarten, 

teresse,  für  welche  eine  oder  mehrere  der  Flächen  gleichen  Druckes 
aus  Stromlinien  gebildet  sind. 

Herr  von  Helmholtz  hat  zuerst  Beispiele  solcher  Bewe- 
gungen entdeckt  und  dargestellt,  bei  denen  Stromflächen  auftreten, 
deren  Stromlinien  nicht  in  ihrem  ganzen  Verlaufe,  sondern  nur 
theilweise  mit  derselben  constanten  Geschwindigkeit  durchlaufen 
werden.  Diese  Beispiele  entsprechen  der  Anwendung  von  Poten- 
tialfun ctionen,  die  nur  von  zweien  der  rechtwinkligen  Coordinaten 
der  Punkte  des  Raumes  abhängen ,  oder  auf  solche  zurückführbar 
sind.  Allein  selbst  wenn  man  auf  die  Bedingung  verzichtet,  daß 
nur  einzelne  Theile  einer  Stromfläche  Flächen  gleichen  Druckes 
sein  sollen,  so  scheint  doch  bisher  kein  Beispiel  einer  allgemeinen 
räumlichen  Potentialfunction  gegeben  worden  zu  sein,  welchem  eine 
Flüssigkeitsbewegung  entspricht,  für  die  eine  Stromfläche  zugleich 
Fläche  gleichen  Druckes  wird.  Auch  scheinen  die  bisher  fast  aus- 
schließlich untersuchten  im  ganzen  unendlichen  Räume  eindeutigen 
Potentialfunctionen  zur  Darstellung  solcher  Bewegungen  nicht  ge- 
eignet zu  sein. 

Für  die  von  Herrn  von  Helmholtz  entdeckten  Bewegungen 
findet  die  Eigenthümlichkeit  statt,  daß  zwischen  den  Componenten 
der  Greschwindigkeit  jedes  bewegten  Punktes  der  Flüssigkeit,  d.  h. 
zwischen  den  3  ersten  Derivirten  des  betreifenden  Geschwindig- 
keitspotentials, eine  und  dieselbe  lineare  Gleichung  mit  constanten 
Coefficienten  besteht.  Diese  Bemerkung  führt  dazu,  zu  unter- 
suchen, ob  unter  denjenigen  Potentialfunctionen,  zwischen  deren 
ersten  Derivirten  überhaupt  eine  und  dieselbe  Gleichung  besteht, 
solche  gefunden  werden  können,  welche  zur  Darstellung  von  Be- 
wegungen der  in  Rede  stehenden  Art  geeignet  sind.  Der  Erfolg 
bestätigt  diese  Vermuthung. 


I. 

Wir  beschäftigen  uns  zunächst  mit  der  Aufsuchung  derjenigen 
Potentialfunctionen,  zwischen  deren  ersten  Derivirten  in  jedem 
durch  rechtwinklige  Coordinaten  %,y,z  bestimmten  Punkte  des  Rau- 
mes eine  und  dieselbe  Gleichung  besteht,  oder  mit  anderen  Wor- 
ten, derjenigen  Potentialfunctionen,  deren  Hesse' sehe  Determi- 
nante identisch  verschwindet. 

Wenn  für  eine  Function  V  der  Variablen  xt  y,  0,  deren  Diffe- 
rential durch  die  Gleichung 

(1.)  dV  =  idx  +  ndy  +  Zda 


über  particuläre  Integrale  der  Differentialgleichung  JV  =  0.  315 

gegeben  sei,  eine  nicht  lineare  G-leichung  zwischen  den  ersten  De- 
rivirten  |,  rj,  f  besteht,  so  können  die  Größen  jj,  ^,  £  als  die  recht- 
winkligen Coordinaten  der  Punkte  einer  krummen  Fläche  aufge- 
faßt, und  als  Functionen  zweier  unabhängiger  Variablen  p,  q  dar- 
gestellt gedacht  werden,  welche  Functionen  wir,  wenigstens  in 
den  in  Betracht  kommenden  Gebieten  der  Argumente  jp,  q)  als  ein- 
deutig voraussetzen  wollen. 

Die  Differentialgleichung  (1)  kann  in  die  nachstehende: 

umgeformt  werden,  und  diese  sagt  aus,  daß  unter  der  gemachten 
Voraussetzung  die  nachstehenden  Gleichungen,  in  denen  0  eine 
Function  der  Größen  p,  q  allein  bezeichnet , 

xt  +  yri  +  zt-V  =  0 

_^i.  +  ?  .$1  +  3*%.  =  Üt  (2) 

dp        dp        dp  '  '  dp  *  ' 

dq         dq         dq  dq 

statthaben  müssen.     Hiernach  bestimmen  die  Gleichungen 

v  =  xt  +  yn  +  zz-e  =  zxl-e  (3.) 

A           di  drj  dt  dd  _:    d£  dO 

dp  J  dp  dp  dp  dp  dp  v   y 

n          d£  dv  d£  dO  _    ög  de  '\ 

dg  ^  dq  dq  dq  dq  dq  v    J 

in  denen  £,  17,  g  und  0  irgendwelche  Functionen  der  Größen  p,  g 
bezeichnen,  alle  Functionen  V,  deren  Hesse'sche  Determinante 
identisch  verschwindet.  Wird  noch  die  Function  6  als  eindeutig 
vorausgesetzt,  so  folgt  aus  den  Gleichungen  (4)  und  (5),  daß  je- 
dem bestimmten  Werthepaare  der  Größen  p,  q  eine  und  nur  eine 
Gerade  im  Räume  entspricht,  und  daß  bei  entsprechender  Einschrän- 
kung des  Größengebiets  der  Argumente  p,  q  zweien  von  einander 
verschiedenen  Werthepaaren  nie  dieselbe  Gerade  zugehört.  In 
dem  durch  die  Gleichungen  (4,  5)  dargestellten  Strahlensystem 
entspricht  daher  bei  solcher  Einschränkung  des  Gebietes  (j),  q)  je- 
dem Strahle  nur  ein  bestimmtes  Werthepaar  p,  q. 

Innerhalb  eines  Raumgebietes,  für  welches  jeder  Punkt  (x,  y,  z) 
nur  von  einem  Strahle  des  Systems  getroffen  wird,  sind  daher  die 

26* 


316  Julius  Weingarten, 

Werthe  der  Größen  p  und  q  eindeutig  durch  die  Coordinaten  x,  y,  z 
dieses  Punktes  bestimmt,  und  demnach  vermöge  der  Gleichung  (3) 
auch  die  Function  V. 

Zur  Darstellung  der  zweiten  Differentialquotienten  der  Func- 
tion V  sind  zunächst  vermöge  der  Gleichungen  (4)  und  (5),  welche 
die  Veränderlichen  p  und  q  implicite  als  Functionen  der  Coordi- 
naten %,  y,  z  definiren,  die  ersten  Differentialquotienten  dieser 
Veränderlichen  in  Bezug  auf  die  Coordinaten  zu  ermitteln.  Man 
erhält  durch  partielle  Differentiation  in  Bezug  auf  die  Coordinate 
x  die  Gleichungen: 

o  -  *t  i  (zx8*    ^Y*  iCzxff:     a'gV** 

dp      \       dp2      dp* )  äx      \       öpdq      öpöqj  dx 

dq      V        äpöq       öpdq  J  dz      \        dq2       dq2 )  dx 

und  zwei  ähnliche  zur  Bestimmung  der  Derivirten  in  Bezug  auf 
jede  der  Coordinaten  y  und  z.   Nach  Einführung  der  Bezeichnungen: 


c„  = 

ö2Ö 

dp2 

d2t     r 

x  dp2 '     12 

d26 
dpdq 

-2% 

,  d2e 

dpdq  ' 

C22 

d2e 

~~    dq2" 

-2a 

(6.) 

ö 

=  On( 

-/22 

v» 

ergeben  sich: 

(7.) 

dp 

~dx  ' 

r  et 

Vz2dp 

Cn 

ei 

dq 

dq_ 

dx 

e, 

'dq' 

12  dp 

ö 

und  durch  Vertauschung  von  g  mit  r\  oder  g  die  betreffenden  De- 
rivirten von  p,  q  in  Bezug  auf  die  Coordinaten  y  oder  z. 

Wenn  man  die  Functionen  f,  %  %  als  die  Coordinaten  der 
Punkte  einer  krummen  Fläche  (£,  %  £)  betrachtet,  so  erweist  es 
sich  als  vortheilhaft ,  die  Ausdrücke  für  die  Größen  Cik  mit  Hülfe 
einiger  allgemeinen  Formeln  der  Theorie  der  krummen  Flächen 
umzugestalten.  Ich  werde  diese  Formeln  in  derjenigen  Form  be- 
nutzen, in  der  ich  sie  in  der  Abhandlung  „Ueber  die  Deformation 
einer  biegsamen  unausdehnbaren  Fläche."  (Journal  für  Mathematik 
Bd.  100,  pag.  300—301)  mitgetheilt  habe. 

Bezeichnen  noch  X,  Y,  Z  die  Coordinaten  der  nach  Gauss 
vermittelten  Abbildung  eines  Punktes  der  Fläche  (|,  rj,  £)  auf  eine 
Kugel  mit  dem  Radius  Eins,  und  setzt  man  das  Bestehen  der 
Gleichungen 


über  particuläre  Integrale  der  Differentialgleichung  JV  =  0.  317 

dg  +    ärf  +   ä?     =  andp2  +  2andpdq+a22dq2 
dXd£  +  dYdri  +  dZdZ  =  cndp2  +  2c12dpdq  +  c22dq2 

voraus,    so   ist  bekanntlich   die  Summe   der  Hauptkrümmungen  in 
einem  bestimmten  Punkte  der  Fläche  (g,  %  g)  durch  die  Gleichung 


9       9 


__      g22qil"2C12^2  +  Cliq2 


«ii««— «i 


gegeben,   und  es  gelten  für  die  zweiten  Differentialquotienten  der 
Coordinate  {j  die  Relationen: 


cuX 


3*6 

c^2  = 


(«1  ,  (iijöl 
cjp  +  1 2 1  ö£ 


d2g 
d<Z2 


1  Jöjp 


+ 


02 


(8.) 


m^U-  x 


dp  +  (  2 


Ö0 


so   wie   die   entsprechenden    für  die   Coordinaten  rj,  g.     (A.  a.  0. 
pag.  301). 

Mit  Hilfe  dieser  letzteren  Gleichungen  gehen  die  Werthe  der 
durch  die  Gleichungen  (6)  bestimmten  Größen  Cik  in  die  nachste- 
henden über: 

d26        (njjW       titl» 

öq2         i1)  dp      \2\dq 
R    =  Xx+Yy  +  Zs  =  27Xs. 


0„  = 


CS2  — 


I«  log 
dq 


+cuR 


(9.) 


Vermöge  der  Gleichungen  (7)  erhalt  man  nunmehr  für  die  Diffe- 
rentialquotienten der  Derivirten  jj,  %  £  in  Bezug  auf  die  Coordi- 
naten Xj  y,  z  oder  für  die  entsprechenden  zweiten  Differentialquo- 
tienten der  Function  V  die  Ausdrücke : 


dx2 
dy2 
dz2 


i["..(f)'-'..(f)(f)^..(f)i 


318  Julius  Weingarten, 

aus  deren  Addition  die  Gleichung 

d*v  ,  d2v     d2v       lr    .     0    ,  ,     ,1 

(10.)         ~ds?~  ^ 'dq2'     ~d^~  ~  ~§Yl^{y^~~^a^{j^a^^\ 

hervorgeht.  Nach  Einführung  der  Werthe  der  Ausdrücke  Cik  aus 
(9.)  und  nachdem  man  bemerkt  hat,  daß  einer  bekannten  Umfor- 
mung zufolge 

/(^         (22)^         (22)d0\        o„     (JW__         flllÖÖ         Jl2)Ö0\ 

**\tif       In  dp      \2]dqJ  12\dpdq      \  i  ]  dp       \*\dqJ 

wenn  ^/(ö)  den  zweiten  Differentialparameter  der  Function  6  für 
die  Fläche  (jj,  ^,  J)  bezeichnet,  verwandelt  sich  die  Gleichung  (10.)  in : 

Diese  Gleichung  beweist,  daß  eine  Function  F,  deren  Hesse' sehe 
Determinante  verschwindet,  die  Potentialgleichung  stets  dann  und 
nur  dann  erfüllt,  wenn  gleichzeitig  den  Bedingungen 

1  +  1  =  0,   4(0)  =  0 

Genüge  geschieht,  d.  h.  wenn  erstens  die  Fläche  (g,  ^,  f)  eine 
Minimalfläche  ist,  und  zweitens  der  zweite  Differentialpara- 
meter der  Function  6  identisch  verschwindet.  Diese  letztere  Be- 
dingung erfordert,  in  anderer  Form  ausgesprochen,  das  0  irgend 
ein  Integral  der  Differentialgleichung: 

da"dp      ai2öq  fr  dg      a'2  dp 

(12.)  Vä>22-<  V«ii«M--qT    12;  0 

dp  dq 

sei,  von  welcher  Gleichung  im  Falle  der  Minimalflächen  J,  %  g  be- 
kanntlich selbst  Integrale  sind. 

Wenn  andererseits  die  Hesse' sehe  Determinante  einer  Poten- 
tialfunction  verschwindet,  so  besteht  zwischen  den  ersten  Derivir- 
ten  dieser  Function  nothwendig  eine  Gleichung,  welche  mit  einer 
Gleichung  zwischen  den  rechtwinkligen  Coordinaten  der  Punkte 
einer  Minimalfläche  übereinstimmt. 


über  particuläre  Integrale  der  Differentialgleichung  JV  =  0.  319 

Wir  wollen  nunmehr  in  der  weiteren  Folge  unter  J,  rj,  £  stets 
die  Coordinaten  eines  Punktes  einer  Minimal  fläche  als  Func- 
tionen der,  zwei  Curvenschaaren  dieser  Fläche  bestimmenden,  Pa- 
rameter p ,  q  dargestellt ,  verstehen ,  und  unter  0  irgend  ein  Inte- 
gral der  Differentialgleichung  (12).  Alsdann  ergeben  die  Glei- 
chungen : 

F=  xt  +  yrt  +  zl-0  (3.*) 

dp      J  dp        dp      dp  K  '  J 

eine,  oder  besser,  jede  Potentialfunction  V  von  verschwindender 
Hesse' scher  Determinante.  Der  analytische  Charakter,  die  Ver- 
zweigung dieser  Function  im  Räume ,  wird  wesentlich  durch  die 
geometrischen  Eigenschaften  des  durch  die  Gleichungen  (4*,  5*) 
bestimmten  Strahlensystems  bedingt  sein,  welche  Gleichungen  die 
Parameter  p,  q  als  Function  der  Coordinaten  x,  y,  z  definiren. 

Der  Kürze  wegen,  und  ohne  die  Allgemeinheit  zu  beeinträch- 
tigen, wollen  wir  in  den  ferneren  Entwickelungen  die  Parameter 
p,  q  durchweg  als  orthogonalen  isothermen  Curvenschaaren  der 
Minimalfläche  angehörig  betrachten,  mit  anderen  "Worten,  wir  setzen 
voraus ,  daß  das  Quadrat  der  Länge  des  Linienelementes  der  Mi- 
nimalfläche (£,  rj,  £)  durch  Einführung  dieser  Parameter  die  Form 

«f  +  dn2+  d?  =  p  (dp2+  dq2)  (13.) 

annehme.  Diese  Voraussetzung  hat  bekanntlich  auch  das  Beste- 
hen einer  Gleichung  von  der  Form 

dX2+dY2+dZ2  =  X(dp2+dq2)  (14.) 

zur  nothwendigen  Folge. 

Alsdann  verwandelt  sich  die  Gleichung  (12)  in 

d2B  ,   d20        A 

welcher  Differentialgleichung  die  Function  6  sowie  die  Functionen 
£,  rj,  %  der  Gleichungen  3*,  4*  und  5*  zu  genügen  haben. 

Es  möge  daran  erinnert  werden,  daß  für  die  Minimalflächen 
sowohl  Parameter  der  Krümmungslinien  wie  auch  Parameter  der 
asymptotischen  Linien  die  von  nun  an  für  die  Parameter  p,  q  vor- 
ausgesetzte Eigenschaft  besitzen. 


320  Julius  Weingarten, 

Ehe  wir  zur  Untersuchung  der  geometrischen  Eigenschaften 
des,  bei  der  Bestimmung  der  Function  V  auftretenden  Strahlen- 
systems übergehen,  wollen  wir  noch  hervorheben,  daß  die  iso- 
thermen Parameter  p,  q,  wenn  man  sie  den  Gleichungen  (4*,  5*) 
gemäß  als  Functionen  der  Coordinaten  x,  y,  ß  auffaßt,  selbst  Po- 
tentialfunctionen  sind.  Der  Beweis  dieser  Behauptung  ergiebt  sich 
leicht  mit  Hilfe  eines  Theorems  von  Jacobi  (Jacobi  Gesammelte 
Werke  Bd.  II.  pag.  208) x),  nach  welchem  jede  Größe  <?,  die  als 
Function  von  x,  y,  z  durch  die  Gleichung 

Ax  +  By  +  Cz  +  D  =  0 

bestimmt  wird,  in  welcher  A,  B,  C  beliebige  Functionen  von  6  be- 
deuten, die  der  Gleichung 

A*+B2+C2  =  0 

genügen,  eine  Potentialfunction  ist. 

Die  zwei  Gleichungen  (4*,  5*)  lassen  sich  nämlich  durch  die  eine : 


Q~X\to      lda)+iAdp       %  da)+S\6p       l  dq)+  dp      % 


ersetzen.  Für  diese  Gleichung  verschwindet  offenbar,  wegen  der 
Voraussetzung  isothermer  Parameter,  die  Summe  der  Quadrate  der 
Coefficienten  von  x,  y,  z.  Ferner  sind  sämmtliche  Coefficienten 
derselben,  in  Folge  der  für  die  Functionen  £,  rj,  £  und  6  geltenden 
Gleichung  (12*)  der  Differentialgleichung 

dp         öq 

unterworfen ,  welche  aussagt ,  daß  diese  Coefficienten  Functionen 
der  Größe  6  =  p  +  qi  sind.  Es  ist  daher  6  selbst,  und  folglich 
auch  jede  der  Größen  p,  q  eine  Potentialfunction. 

Um  jetzt  die  Gleichungen  (4*,  5*)  des  bei  unseren  Betrachtungen 
auftretenden  Strahlensystems  in  eine  angemessene  Form  zu  setzen, 
wollen  wir  drei  neue  Functionen  u,  v,  w  der  Parameter  p,  q  in. 
die  Rechnung  einführen,  welche  der  Bedingung  genügen,  daß 

(13.)  dß  =  ud%  +  vdr}  +  wd£ 

wird.  Bei  Erfüllung  dieser  Bedingung  gehen  die  Gleichungen  des 
Strahlensystems  über  in  die  folgenden: 


1)  Journal  für  Mathematik.  Bd.  36.   pag.  113—134. 


über  particuläre  Integrale  dir  Differentialgleichung  JV  =  0.  321 

(,_„)« +(,_,)|(  +  (,-»)g  =  o 

aus  denen  folgt: 

x  —  u  =  rX,       y  —  v  —  rF,       -2?  —  td  =  rZ  (4.**) 

welche  das  Strahlensystem  als  ein  von  den  Punkten  einer  Fläche 
(w,  v,  w)  ausgehendes  darstellen  und  zeigen ,  daß  jeder  von  einem 
Punkte  (u,  v,  w)  ausgehende  Strahl  die  Richtungscosinus  X,  Y,  Z 
besitzt.  Drei  Functionen  u,  v,  10 ,  welche  der  Bedingung  (13) 
genügen,  verlieren  offenbar  diese  Eigenschaft  nicht,  wenn  man 
sie  beziehungsweise  um  tX,  tF,  xZ  vermehrt,  unter  r  eine  will- 
kürliche Function  von  p)  q  verstanden ;  eine  Operation ,  durch 
welche  das  Strahlen  System  nur  auf  eine  andere  Anfangsfläche  be- 
zogen wird. 

Die  Gleichung  (13)  erfordert  erstens  die  Erfüllung  der  Inte- 
grabilitätsbedingung 

du  6>g      dv  ötj      div  dt,         du  6%      dv  drj      dw  _e?£    ,..  . . 
dp   dq      dp   dq       dp    dq  '  '   dq  dp      dq  dp       dq  dp 

und  wegen  der  für  die  Function  0  geltenden  Gleichung  (12*)  die 
auch  die  Functionen  g,  17,  £  beherrscht,  das  Bestehen  der  Gleichung : 

ftÜL  ^i  j_  ^L.  !^L  4.  ^HL  ^L\^u  ^a^l^Li  ^L  ^1.  —  o    (l  5  ^ 

dp  dp       dp  dp      ~dp   dq      ~dq~dq      dq    dq       dq    dq  ~ 

Um  die  Bedeutung  dieser  Gleichungen  in  einfacherer  Form 
zu  übersehen,  wollen  wir  für  einen  Augenblick  den  isothermen  Pa- 
rametern p,  q  die  Bedeutung  von  Parametern  der  Krümmungslinien 
der  Minimalfläche  g,  %  %  beilegen.  Bezeichnet  alsdann  q  den  Haupt- 
krümmungsradius dieser  Minimalfläche  im  Punkte  (p,  q),  so  gelten 
die  Gleichungen  : 

ö|it     ÖX     f_       __    dX 
dp  B  ^  dp  '     dq  ^  dq 

und  entsprechende  für  die  Diiferentialquotienten  von  rj  und  £.  Die 
Gleichungen  (15.)  und  (16.)  gehen  alsdann  mit  Hilfe  der  vorste- 
henden über  in : 

^?X     foW    d^dZ    öw^.jto  öF,^  6^  ^ 

dp  dq      dp  dq       dp    dq      dq  dp      dq  dp      dq   dp  \     '  ) 


322  Julius  Weingarten, 

a        du  dX     dv  dY     dw  dZ  =_  du  dX     dv  dY     div  dZ 
*     '  '   dp  dp      dp  dp      dp   dp         dq  dq      dq  dq       dq    dq 

denen  genügt  wird ,    wenn   man  die  Functionen  u,  v,  w  der  Bedin- 
gung : 
(16.)  dXdu  +  dYdv  +  dZdiv  =  0 

unterwirft,  welche  keine  andere  ist,  als  diejenige,  die  die  unend- 
lich kleinen  Deformationen  einer  Kugel  vom  Radius  Eins  be- 
stimmt. Die  Linienelemente  der  durch  sie  bestimmten  Fläche 
(u,  v,  w)  correspondiren  den  betreifenden  der  Kugel  rechtwinklig. 

.  Aus  dreien  dieser  Bedingung  genügenden  Functionen  u,  v,  w 
kann  man ,  wie  oben  bemerkt ,  drei  andere  allgemeinere  ableiten. 
Allein  es  erweist  sich  als  vortheilhaft ,  gerade  diese  Functionen 
u,  v,  w  zur  Bestimmung  der  Ausgangsfläche  des  betrachteten  Strah- 
lensystsms  zu  wählen,  da  sie  die  Coordinaten  der  Mittelfläche  des- 
selben bestimmen. 

In  der  im  Anfange  angeführten  Abhandlung  über  die  unend- 
lich kleinen  Deformationen  einer  krummen  Fläche  ist  die  Bestim- 
mung der  durch  die  Gleichung  (16)  definirten  Functionen  u,  v,  iv 
auf  die  Integration  einer  linearen  partiellen  Differentialgleichung 
zweiter  Ordnung,  zurückgeführt  worden.  Auch  ohne  die  dort  ge- 
gebenen Entwickelungen  verfolgen  zu  müssen ,  wird  man  aus  den 
nachstehend  mitgetheilten  Formeln  für  die  Functionen  u,  v,  w  das 
Bestehen  der  Gleichung  (16)  ohne  Weiteres  verificiren  können. 

Ergiebt  sich  für  die  betrachtete  Minimalfläche,  für  irgend 
welche  Parameter  p,  q  zweier  orthogonalen  isothermen  Curven- 
schaaren  die  Gleichung: 

(14.)  dX2  +  dY2  +  dZ2  =  l(dp2+dq2) 

und  ist  <p  irgend  ein  Integral  der  partiellen  Differentialgleichung 

so  bestimmen  die  Gleichungen 

du         vdw  dX  du  „d(p    ,      dX 

dp  dq  dq  dq  dp  dp 

/-.on        dv         vd<P         dY  dv  „dy    ,      dY 

dp  dq       T  dq  dq  dp       x  dp 

die  gesuchten  Functionen  w,  v,  w  durch  Quadraturen. 


über  particuläre  Integrale  der  Differentialgleichung  J  V  =  0.  323 

Das  allgemeine  Integral  der  Differentialgleichung  (17)  ist 
durch  die  Gleichung 

d>        t  dlogA   dl>      1  dlogl  dl> 
^      '   dpdq      *     dq       dp      *     dp       dq 

gegeben,  wenn  ty  irgend  eine  Lösung  der  Differentialgleichung: 

dp*  +  dq* 

bezeichnet,  von  welcher  Behauptung  man  sich  leicht  durch  eine 
directe  Rechnung  überzeugt.  "Wenn  man  den  obigen  Werth  von 
(p  zur  Darstellung  der  Functionen  u,  v,  tv  durch  die  Gleichungen 
(18)  benutzt ,  so  erweisen  sich  die  erforderten  Quadraturen  als 
ausführbar,  und  man  erhält  für  u,  v,  tv  die  Bestimmungen 

u    '     SIX--6^  ÖX       Öt   dX 
dp    dp        dq    dq 

ny_dl_dY_       d^dY 

dp    dp  ^  dq    dq  (18.*) 

w  ..o7     d*  dZ      d*  dZ 
dp    dp        dq    dq 

d2j>      ,  ^logA  dij>      1  dlogX  dtj> 

durch  welche  die  Gleichung  (16)  sich  nach  unmittelbarer  Rech- 
nung allgemein  erfüllt  erweist. 

Der  Differentialgleichung  (17)  genügt  bekanntlich  das  vom 
Anfangspunkte  der  Coordinaten  g,  17,  £  auf  die  im  Punkte  (p,  q) 
der  betrachteten  Minimalfläche  stattfindende  Tangentialebene  ge- 
fällte Loth 

Führt  man  dasselbe  als  gegebene  unabhängige  Variable  in  die 
Rechnung  ein,  so  kann  man  aus  den  Gleichungen  (18)  die  Fol- 
gerungen: 

„  du        öv      ^dw  ^  dq>  dP 

ydu  ,      dv      ^dw  „  dip  ,      dP 

ziehen,  und  hiernach  der  Function  0  die  Gestalt 


324  Julius  Weingarten, 

0  =  ul-\-vr\-\-wt,—  I  (%du  +  rjdv  +  Z;dw) 

geben. 

Das  System  der  Gleichungen  (3*,  4*,  5*),  welches  jede  Poten- 
tialfunction  V  mit  verschwindender  Hesse'  scher  Determinante  de- 
finirt,  läßt  sich  hiernach  unter  Benutzung  der  Gleichungen  (4**) 
auch  in  das  nachstehende  verwandeln: 

x  =  u  +  rX 
(B.)       y  =  v  +rY 

s  =  w-\-rZ 

welches  vermöge  der  Gleichungen  (B)  die  Variablen  p,  q,  r  als  Func- 
tionen der  Coordinaten  eines  Punktes  (#,  y,  z)  des  Raumes  be- 
stimmt ,  und  nach  geschehner  Bestimmung  für  V  eine  Potential- 
function   mit  verschwindender  Hesse' scher  Determinante   ergiebt. 

Zur  Darstellung  dieser  Gattung  von  Potentialfunctionen  ist  da- 
her die  Kenntniß  irgend  zweier  orthogonalen  isothermen  Curvenschaa- 
ren  der  Kugel  und  die  Kenntniß  irgend  zweier  Integrale  P,  (p  der 
Differentialgleichung  (17)  ausreichend.  Das  Strahlensystem  (B)  ist 
von  der  Wahl  der  Function  P  unabhängig,  während  die  Differen- 
tialquotienten von  V  in  Bezug  auf  die  Coordinaten  x,  y,  z  die  Coordi- 
naten 6,  7],  g  eines  Punktes  irgend  einer  Minimalfläche  angeben. 

Von  welcher  besonderen  Wahl  einer  Minimalfläche  fj,  rj,  g  man 
auch  ausgehe ,  um  eine  Potentialfunction  von  verschwindender 
Hesse'  scher  Determinante  zu  bestimmen,  so  wird  man  doch  stets 
zur  Bestimmung  der  Parameter  p,  q  als  Functionen  der  Coordinaten 
x,  y,  z  auf  das  nämliche  Strahlensystem  (B)  geführt  werden ,  das 
keine  Beziehung  zu  dieser  besonderen  Wahl  mehr  enthält,  sondern 
nur  eine  solche  zur  Wahl  der  Function  0. 

Was  dieses  Strahlensystem  selbst  anbetrifft,  so  lassen  sich 
vermöge  der  von  Herrn  Kummer  gegebenen  Formeln  mit  Hilfe 
der  Gleichung 

dXdu  +  dYdv  +  dZdw  =  0 

die  allgemeinen  geometrischen  Eigenschaften  desselben  sofort  über- 
sehen. Diese  Formeln  ergeben  für  die  Werthe  r\  /'  der  Abscissen 
r  der  Brennpunkte  dieses  Systems  unmittelbar  die  Gleichungen 


über  particuläre  Integrale  der  Differentialgleichung  äV  =  0.  325 

/+/'  =  0  r'r"  =  <p\ 

welche  zeigen,  daß  die  Fläche  u,  v,  w  die  Mittelfläche  des  Systems 
darstellt ,  und  daß  dasselbe  ein  Strahlen  System  mit  imaginären 
Brennpunkten  ist.  Nur  für  solche  Werthe  p,  q,  für  welche  die  Func- 
tion <p  der  Null  gleich  wird,  findet  ein  Schneiden  zweier  Nachbar- 
strahlen in  der  Fläche  (w,  v,  w)  selbst  statt,  und  alsdann  stellt  die 
Curve  r  =  0,  cp  =  0  eine  in  dieser  Fläche  liegende  vereinzelte 
Brennlinie  dar. 

Das  Strahlensystem  (B)  ist  schon  längst  als  ein  mit  der  Theorie 
der  Minimalflächen  auf  das  Innigste  verknüpftes  von  Herrn  Ri- 
baucour  (Etüde  des  elassoides  ou  surfaces  a  courbure  moyenne 
nulle)  erkannt  und  in  die  Theorie  derselben  eingeführt  worden. 

Um  in  der  Folge  nicht  durch  Nebenbetrachtungen  aufgehalten 
zu  werden,  wollen  wir  noch  die  durch  die  Formeln  (9)  bestimmten 
Ausdrücke  Cik  durch  die  Einführung  der  Function  cp  anstatt  der 
Function  0  in  eine  andere  Form  setzen. 

Aus  den  Gleichungen: 

dp  dp        dp         dp 

de  di'      d$i ••       0£ 

dq  dq         dq  dq 

ergeben  sich  durch  Differentiation  in  Beziehung  auf  die  Größen 
p  und  q  die  folgenden: 

dp2  dp  dp*       dp* 

J1L        r^öi,  T„  _d2j_         T&i  öS   .  r     02S 
dpdq   '  dq  dp*ZjUdpdq    ~        dp~dj  +  *Ud£3q 

&l_,zdud$  02| 

dq'    ~        dq  dq+ZjU~dtf> 

welche  mit  Hilfe  der  Gleichungen  (8)  und  der  Gleichungen  (18) 
in  die  nachstehenden  übergeben: 

020       (ii)00       jii|Ö0  „vv 

&0       ji2)00      ii2)dO  vv 

dpdq~~  (  i  S'dp  ~~  j  a  j 'dq   ""       ^"c'j2;Xm  ■■"  -9Cn-c„2Xu 

M  (22)00  (22)00  vv 


326  Julius  Weingarten, 

Aus  ihnen  ergeben  sich  die  Ausdrücke  Cik  als  durch  die  Glei- 
chungen 

Cu  =  —  cpc12—  cnr 
(19.)  C12  =       (pcn~c12r  = 


bestimmt.  Man  bemerkt  leicht  die  Beziehung  cn  +  c22  =  0,  welche 
der  Voraussetzung  isothermer  Parameter  p1  q  für  die  betrachtete 
Minimal  fläche  entspricht. 

Sind  insbesondere  jp,  q  Parameter  der  asymptotischen  Linien 
dieser  Minimalfläche,  so  werden  bekanntlich  cn  =  c22  =  0,  c12  =  1 
und  die  Ausdrücke  Cik  ergeben  sich  als : 

Cn  =  -  (p 
(19.*)  Ct2  =  -r 

C22  =  cp. 


n. 

Bezeichnen  |,  yj,  £  die  drei  nach  den  rechtwinkligen  Coordina- 
tenaxen  x,  y,  z  geschätzten  Componenten  der  Geschwindigkeit  eines 
Theilchens  einer  stationär  bewegten  und  incompressiblen  Flüs- 
sigkeit, auf  welche  äußere  Kräfte  nicht  wirken,  und  werden  diese 
Componenten  als  die  Differentialquotienten  eines  Geschwindigkeits- 
potentials V  vorausgesetzt,  so  besteht  zwischen  ihnen  und  dem 
Drucke  77  in  einen  beliebigen  Punkt  (%,  y,  z)  dieser  Flüssigkeit 
bekanntlich  die  Gleichung 

-n  =  Const-J(£2+if+£2) 

in  welcher  q  die  constante  Dichtigkeit  der  Flüssigkeit  bezeichnet. 
In  einer  Fläche,  für  welche  der  Druck  TT  eine  Constante  ist,  hat 
daher  auch  die  Große  |2  +  rf  +  £2 ,  welche  wir  durch  2 1  bezeichnen 
wollen,  einen  constanten  Werth,  und  es  drückt  die  Gleichung 

(20.)  2r  =  r  +  tf+f  =  a2 

die  Gleichung  einer  bestimmten  Fläche  constanten  Druckes  in  der 
Flüssigkeit  aus,  falls  der  Größe  a  ein  bestimmter  constanter  Werth 
beigelegt  wird.  Soll  für  diesen  bestimmten  Werth  a  die  durch 
die  Gleichung  (20)  dargestellte  Fläche  gleichzeitig  eine  Stromfläche 
in  der  Flüssigkeit  darstellen,  so  ist  es  nothwendig,  daß  jedes  zur 
Zeit  t  im  Punkte  (x,  y,  z)  dieser  Fläche  befindliche  Theilchen,  nach 


über  particuläre  Integrale  der  Differentialgleichung  JV  =  0.  327 

Verlauf  eines  Zeitelementes  dt  wiederum  in  einen  Punkt  derselben 
Fläche  geführt  werde,  oder  mit  anderen  Worten,  daß  die  Coordi- 
naten  x  +  £dt,  y  +  qdt,  z  +  £dt,  in  welche  nach  Ablauf  des  Zeitele- 
mentes dt  die  Coordinaten  x,  y,  z  übergegangen  sein  werden,  der 
Gleichung  (20)  Genüge  leisten. 

Diese  Bedingung  erfordert,  daß  für  alle  Werthe  der  Coordi- 
naten x}  y,  z ,  für  welche  die  Gleichung  (20)  besteht,  auch  die 
Gleichung 

bestehe.  Bezeichnet  man  die  totale  Aenderung,  welche  eine,  an 
das  Flüssigkeitstheilchen  gebundene  Function  ty  der  Coordinaten 
x,  y,  z  desselben  im  Zeitelemente  dt  erleidet,  durch  rity ,  setzt  also 

dip         k  dip         dip         dip 
dt    ~  §  dx  ~*~v  dy  "  dz  ' 

so  ist  die  vorstehende  Gleichung  gleichbedeutend  mit  der  folgenden : 

Wir  wollen  voraussetzen,  daß  man  als  Geschwindigkeitspotential  V 
eine  Potentialfunction  mit  verschwindender  Hesse'  scher  Deter- 
minante gewählt  habe.  Alsdann  lassen  sich  die  Geschwindigkeits- 
componenten  J,  r\ ,  £  als  die  durch  Functionen  zweier  Parameter 
p,  q  auszudrückenden  Coordinaten  jedes  Punktes  einer  Minimal- 
fläche darstellen,  für  welche  diese  Parameter  die  Bedeutung  von 
Parametern  der  asymptotischen  Linien  besitzen  mögen.  Man 
findet  alsdann  die  totalen  Aenderungen  dieser  Componenten  im 
Zeitelemente  dt  durch  die  Gleichungen 

dt  dp    dt  "*■  dq   dt  P?\| 

und   zwei   ähnliche   für   rj,  f,   in   denen   die  Werthe   von  -~ ,    ~- 

ut       dt 

durch  die  Formeln 

dt    ~~  *dx  ^V  dy^5dz 

dt    ™  *  dx  *  n  dy  *  ^  dz 
gegeben  sind.     Unter  Hinzuziehung   der  Gleichungen  (7)  und  mit 


I 


528  Julius  Weingarteü, 

Hilfe  der  Formeln  (19*)  des  ersten  Abschnittes  gehen  die  letzte- 
ren Gleichungen  in 

dp  1 /    dt         dt  \ 

dq  1 (    ^r  __     dt\ 

-fit    ~~  ~~^T2+V  V  ~dp"^~dq) 

über.  Wenn  man  die  linken  Seiten  der  Gleichungen  (23)  der 
Reihe  nach  mit  g,  %  g  multiplicirt  und  die  Producte  addirt,  so  er- 
giebt  sich  unter  Benutzung  der  vorstehenden  Gleichungen: 


dt 

1t 


1       F    (d?/   Sr'V.  q     ör  örl 

—        9)2+r2L9?V^2      öp2J+       dp  dq] 


Soll  daher  die  dem  eingeführten  Geschwindigkeitspotentiale  ent- 
sprechende Flüssigkeitsbewegung  die  Fläche  2t  —  a2  =  0  als  eine 
Stromfläche  enthalten,  so  müssen  die  Gleichungen 

(20.)  2r-a2  =  £2+?f-K2-«2  =  0 

(22.)  ^___j  +  2,^^==0 

für  die  betreffenden  Werthe  von  p,  q,  r  gleichzeitig  bestehen. 
Die  letzte  beider  Gleichungen  verlangt  hierfür  die  Bedingung: 

dt  dt         0 
dp  dq 

welche  lehrt,  daß  mit  2  t— a2  gleichzeitig  entweder  nur  einer,  oder 

beide  Differentialquotienten   der  Function  t  verschwinden  müssen. 

dt 
Ist  die  erste  dieser  beiden  Bedingungen  erfüllt,   und  ist  -^— 

der  nicht  verschwindende  Differentialquotient,  so  muß  wegen 
dt  =  0  die  Gleichung 

%fc  T  ° 

bestehen,  also  für  2  t— a2  =  0,  die  Größe  p  selbst  einen  constanten 
Werth  p0  besitzen.    Unter  diesen  Verhältnissen  muß  die  Gleichung 

für  p  =  p0  erfüllt  sein ,  oder  mit  anderen  Worten ,  die  dem  Ge- 
schwindigkeitspotential V  entsprechende  Minimalfläche  muß  eine 
sphärische  Asymptotenlinie  vom  Kugelradius  a  besitzen. 


über  particuläre  Integrale  der  Differentialgleichung  JV  =  0.  329 

Wird  alsdann  noch  die  der  Gleichung  (17)  genügende,  sonst 
willkürliche  Function  (p  der  Bedingung  unterworfen ,  für  p  =  p0 
zu  verschwinden ,  die  sich  auf  unendlich  viele  Arten  erfüllen  läßt, 
so  bestehen  die  Gleichungen  (20,  22)  in  der  That  gleichzeitig. 

Der  Bedingung  p  =  pQ  entsprechen  im  Räume  (#,  y,  z)  die 
Punkte  einer  Fläche,  welche  den  Gleichungen  (4*,  5*)  zufolge  eine 
geradlinige  sein  wird.  Da  aber  für  p  =  p0  die  Function  (p  ver- 
schwindet, so  werden  sich  zufolge  der  früheren  Bemerkung  hinsicht- 
lich der  Brennpunkte  des  betreifenden  Strahlensystems  die  Gera- 
den dieser  Fläche  auf  der  vereinzelten  Abwickelbaren  dieses  Strah- 
lensystems befinden. 

Jeder  Minimalfläche,  welche  eine  sphärische  Asymptotenlinie 
besitzt,  lassen  sich  daher  Potentialfunctionen  zuordnen,  welchen 
eine  Flüssigkeitsbewegung  entspricht,  für  die  eine  abwickelbare 
Oberfläche  gleichzeitig  Stromfläche  und  Fläche  constanten  Druckes 
der  Flüssigkeit  wird.  Die  Flüssigkeitstheilchen  dieser  Oberfläche 
bewegen  sich  längs  geodätischer  Linien  derselben  mit  der  Ge- 
schwindigkeit a. 

Bei  Erfüllung  der  zweiten  der  oben  erwähnten  Bedingungen, 
wenn  nämlich  für  2r  —  a2  =  0  beide  DifFerentialquotienten  von  r 
verschwinden,  werden  die  Gleichungen  (20,  22)  für  jede  Function  <jp 
ohne  Weiteres  gleichzeitig  erfüllt. 

In  diesem  Falle  sagen  die  Bedingungen 

aus,  daß  die  zu  Grunde  gelegte  Minimalfläche  durch  eine  Kugel 
vom  Radius  a  längs  einer  in  ihr  liegenden  Curve  berührt  werden 
müsse ,  und  umgekehrt  sind  unter  Zugrundelegung  einer  solchen 
Minimalfläche  die  vorstehenden  Gleichungen  stets  gleichzeitig  erfüllt. 

Jeder  Minimalfläche,  die  längs  einer  in  ihr  befindlichen  Curve 
durch  eine  Kugel  berührt  werden  kann ,  lassen  sich  daher  unend- 
lich viele  Potentialfunctionen  zuordnen,  denen  Flüssigkeitsbewe- 
gungen entsprechen,  für  welche  eine  geradlinige  Fläche  gleich- 
zeitig Stromfläche  und  Fläche  constanten  Druckes  der  Flüssigkeit 
wird. 

Da  in  Folge  des  gleichzeitigen  Verschwindens  der  DifFerential- 
quotienten tb—,   -jr-   auch  die  totalen  Differentiale  dp  und  dq  der 

betreffenden  Veränderlichen  p)  q  verschwinden ,  so  behalten  dieje- 
nigen Flüssigkeitstheilchen,  welche  auf  dieser  geradlinigen  Fläche 
sich  befinden ,    dieselben  Parameter  p,  q ,    während   ihrer  weiteren 

Nachrichten  von  dor  K.  G.  d.  W.  in  Göttingon.    1890.    No.  9.  27 


380  Julius  Weingarten, 

Bewegung  bei  und  durchlaufen  die  geraden  Linien  dieser  Fache 
mit  der  constanten  Geschwindigkeit  a. 

In  Beziehung  auf  die,  den  Potentialfunctionen  von  verschwin- 
dender Hesse' scher  Determinante  entsprechenden  Flüssigkeitsbe- 
wegungen ist  es  noch  wesentlich  hervorzuheben,  daß  für  diejenigen 
Werthe  der  Parameter  p)  q ,  welche  zu  unendlich  fernen  Punkten 
der  vorausgesetzten  Minimalfläche  führen,  die  Geschwindigkeits- 
componenten  in  allen  Punkten  der  betreffenden  Strahlen  des  Strah- 
lensystems (4*,  5*)  unendlich  große  Werthe  annehmen.  Der  von 
Flüssigkeit  erfüllte  Baum  darf  daher  diese  Strahlen  nicht  enthal- 
ten. Die  Flüssigkeit  muß  in  Folge  dessen  durch  feste  aus  Strom- 
linien gebildete  Wände  auf  einen  sich  ins  Unendliche *)  erstrecken- 
den Baum  beschränkt  gedacht  werden,  innerhalb  dessen  gesamm- 
ter,  durch  diese  Wände  und  die  freien  Grenzen  dargestellten,  Be- 
grenzung die  erwähnten  Strahlen  nicht  liegen. 

Beispiele,  welche  die  vorgetragenen  Entwickelungen  zu  erläu- 
tern geeignet  sind,  erfordern  die  Darstellung  solcher  Minimal- 
flächen ,  die  entweder  eine  sphärische  Asymptotenlinie  besitzen, 
oder  von  einer  Kugel  längs  einer  Curve  berührt  werden.  Beide 
Gruppen  von  Minimalflächen  lassen  sich  in  aller  Allgemeinheit 
durch  bekannte  von  Herrn  Schwarz  gegebene  Formeln  darstel- 
len. Allein  die  Benutzung  dieser  Formeln  ist  wegen  der  in  ihnen 
auftretenden  Quadraturen  auch  für  einfachere  Beispiele  mit  mannig- 
fachen Schwierigkeiten  verknüpft,  so  daß  man  genöthigt  wird,  an- 
dere Wege  zu  betreten. 

In  endlicher  Form  ist  mir  nur  die  Angabe  einer  Minimalfläche 
gelungen,  deren  sphärische  Asymptotenlinie  eine  sphärische  Schrau- 
benlinie ist.  Das  sich  an  dieselbe  knüpfende  Beispiel  einer  inter- 
essanten Flüssigkeitsbewegung  erscheint  für  eine  Mittheilung  an 
dieser  Stelle  noch  zu  verwickelt.  Dagegen  bietet  das  Catenoid 
ein  einfaches  Beispiel  für  die  Bewegungen  der  zweiten  Art,  für 
welche  die  Stromcurven  in  der  Fläche  constanten  Drucks  gerad- 
linig sind. 

Durch  die  Gleichungen: 

(a.)    g  =  ^Ccosg,    *?  =  -^-Csing,    (  —  -^(p0— P  +  C0S0) 

in  denen  p0  eine  willkürliche  positive  Größe  bezeichnet,  während 
C,  S  und  CQ,  S0  die  Functionen 

1)  Eine  stationäre  Bewegung  in  einem  endlichen  Räume,  der  ein 
Geschwindigkeitspotential  zukommt,  besteht  nach  einem  bekannten  Satz  von  Herrn 
von  Helmholtz  nicht. 


über  particuläre  Integrale  der  Differentialgleichung  JV  =  0.  331 

bedeuten,  ist  offenbar  ein  Catenoid  dargestellt,  für  welches 

2t  -  f+  tf +  f '-  $  [C2+  (P.-P  +  W]  (b.) 

wird.    Die  Coordinaten  X,   Y,  Z  der  sphärischen  Abbildung  des- 
selben ergeben  sich  durch  die  Gleichungen 


cosg        Y        sing       7  _     S 
C     '  C~~'  c 


Für  die  Functionen  u,  v,  w  wählen  wir  der  Keine  nach  die  Werthe 
bY,  —  bX,  0,  welche  offenbar  der  für  diese  Functionen  aufgestellten 
Bedingungsgleichung 

dudX  +  dvdY+dwdZ  =  0 
genügen. 

Diese  Wahl  entspricht  allgemein  der  Annahme  (p  =  bZ  oder 
0  =  b%,  wenn  durch  £,!),§  die  Coordinaten  der  Bonn  et' sehen 
Adjungirten  der  Fläche  g,  %  £  bezeichnet  werden. 

Das  Strahlensystem ,  welches  die  Werthe  der  Parameter  p,  q 
den  Punkten  (#,  «/,  z)  des  Raumes  zuordnet,  wird  nunmehr  durch 
die  Gleichungen: 

X  =  bY  +  rX 
y  =  -bX  +  rY 
z  =  rZ 

gegeben.  Die  Ausgangsfläche  dieses  Strahlensystems  ist  eine  in 
der  Ebene  z  =  0  liegende  Kreisfläche,  deren  Radius  gleich  b  ist 
und  deren  Mittelpunkt  mit  dem  Coordinatenanfangspunkte  zusam- 
menfällt. Wenn  man  die  Veränderlichkeit  des  Parameters  p  auf 
positive  Werthe  beschränkt,  während  der  Parameter  q  jeden  reel- 
len Werth  annehmen  kann ,  so  entspricht  jedem  Punkte  dieser 
Kreisfläche  nur  ein  von  ihm  ausgehender  Strahl.  Die  Größe  Z 
bleibt  auf  positive  Werthe  beschränkt.  Durch  Elimination  der 
Größen  r  und  q  ergibt  sich  aus  (c)  die  Gleichung: 

x2  +  y>  z* 

—  1 , 


b\l-Z2)      VZ% 


welche  zeigt ,   daß  diejenigen  Flächen ,   in  denen  der  Parameter  p 
constante  Werthe  annimmt,  eine  Schaar  confocaler  Rotationshyper- 


332  Julius  Weingarten, 

boloide  bilden,  welche  für  p  =  0  in  eine  den  Kreis  der  Ausgangs- 
fläche ausschließende  Ebene ,  für  p  =  oo  in  die  Z-Axq  ausarten. 
Diese  Gleichung  besitzt  für  bestimmt  gegebene  Werthe  der  Coor- 
dinaten  x,  y,  z  nur  eine  positive  Wurzel  Z.  Es  ist  daher  sowohl 
die  Größe  Z  als  auch  die  Größe  p  durch  die  Angabe  der  Werthe 
der  Coordinaten  x,  y,  z  eindeutig  bestimmt.  Hiernach  ergiebt  sich 
die  Größe  r  ebenfalls  eindeutig  bestimmt  aus  der  Gleichung 

z 

so  lange  p  >  0  ist.  Die  Größe  r  verschwindet  zugleich  mit  der 
Coordinate  z  in  allen  Punkten  der  Ausgangsfläche.  In  Folge  des- 
sen sind  auch  die  Größen  X,  Y  und  cosq,  sing,  durch  die  Coor- 
dinaten x,  y,  z  eindeutig  bestimmt.  Durch  die  Gleichungen  (a)  des 
Catenoids,  welches  der  Bildung  der  Geschwindigkeitscomponenten 
£,  rj,  £  zu  Grunde  liegt,  sind  die  Bedingungen 

2r  =  a2,     -^—  =  0,     -^-  =  0 
1     dp  '     dq 

für  p  =  p0  offenbar  erfüllt.  Es  wird  daher  für  eine  Flüssigkeits- 
bewegung, der  in  jedem  Punkte  des  Raumes  die  durch  die  Größen 
I  >  V  j  £  gegebenen  Geschwindigkeitscomponenten  zukommen ,  die 
Fläche  p  =  p0 ,  oder  das  durch  die  Gleichung 

x2+y2  z2     _  i 


b2(l-Z\)    '   b2Z 


bestimmte  Rotationshyperboloid ,  sowohl  eine  Stromfläche,  als  auch 
eine  Fläche  gleichen  Druckes  sein. 

Die  dritte  der  Gleichungen  (a)  zeigt,  daß  für  alle  Punkte  des 
Raumes,  in  denen  2)~<p0  +  S0C0  ist,  die  Geschwindigkeitscomponente 
£  positiv  ausfällt,  die  in  ihnen  strömenden  Flüssigkeitstheilchen 
also  von  kleineren  zu  größeren  Werthen  der  Coordinate  z  überge- 
hen. Wir  bezeichnen  der  Kürze  wegen  durch  px  den  Werth  von 
Po  +  £<A  und  durch  Zx   den  Werth  von  Z  für  p  =  pt. 

Man  construire  nunmehr  in  der  Ebene  *  =  0  um  den  Coordina- 
tenanfangspunkt  als  Mittelpunkt  einen  Kreis,  dessen  Radius  zwischen 
den  Werthen  b\Jl  —  Z20  und  b^l—Z\  enthalten  ist,  und  für  jeden 
Punkt  dieser  Kreislinie  die  durch  denselben  hindurchgehende  Strom- 
curve.  Eine  solche  Stromcurve  wendet  sich  zunächst  nach  der  Seite 
der  wachsenden  Werthe  der  Coordinate  z,  da  der  Punkt,  von  dem  sie 
ausgeht,  in  dem  Räume  der  positiven  Werthe  der  Größe  £  enthalten 


über  particuläre  Integrale  der  Differentialgleichung  JV  =  0.  333 

ist ,   und   schreitet   dauernd   nach  Orten   abnehmender  Werthe 

des  Parameters  p  fort.     Denn   das  Vorzeichen    der   Ableitung  -—■ 

erweist  sich  für  Werthe  von  p,  die  größer  als  p0  sind  und  für 
positive  Werthe  von  r,  als  stets  negativ.  Mit  wachsender  Zeit 
nähert  sich  für  das  betrachtete  Flüssigkeitstheilchen  der  Werth 
des  Parameters  p  dem  Werthe  pQ  unbegrenzt,  und  seine  Bahn  fällt 
immer  näher  mit  einem  Individuum  derjenigen  Schaar  der  Erzeu- 
genden des  Hyperboloids  zusammen,  längs  welcher  die  Flüssig- 
keitstheilchen der  unter  constanten  Druck  stehenden  Grenzfläche 
sich  bewegen.  Der  Inbegriff  der  durch  alle  Punkte  des  construir- 
ten  Kreises  gezogenen  Stromlinien  führt  zu  einer  nach  zwei  Seiten 
sich  ins  Unendliche  erstreckenden  Fläche,  die  sich  im  Unendlichen 
dem  Hyperboloide  p  =  pQ  unbegrenzt  annähert.  Wählt  man  diese 
Fläche  zu  einer  festen  Wand,  und  denkt  man  sich  die  Flüssig- 
keit auf  den  zwischen  ihr  und  dem  Rotationshyperboloid  p  =  pQ 
liegenden  Theil  des  Raumes  beschränkt,  so  erhält  man  das  Bei- 
spiel eines  sich  ins  Unendliche  erstreckenden  stationären  Wasser- 
strahls von  der  äußeren  Gestalt  eines  Rotationshyperboloids,  der 
im  Fließen  einen  sich  ebenfalls  ins  Unendliche  erstreckenden  festen 
Körper  bespült;  in  der  freien  Begrenzungsfläche  dieses  Strahles 
ist  überall  der  Druck  constant;  die  Bewegung  der  Flüssigkeits- 
theilchen in  ihr  ist  geradlinig  und  erfolgt  mit  constanter  Geschwin- 
digkeit. Im  Unendlichen  ist  die  bespülende  Wasserschicht  un- 
endlich dünn,  und  die  Form  des  festen  Körpers  hyperboloidisch. 

Construirt  man  andrerseits  zwischen  irgend  zwei  Punkten, 
welche  auf  demjenigen  Kreise  liegen ,  in  dem  das  Hyperboloid 
p  =  p0  von  der  Ebene  z  =  0  geschnitten  wird ,  eine  sich  selbst 
nicht  schneidende  Curve,  die  nirgends  in  das  Innere  des  in  der- 
selben Ebene  mit  dem  Radius  h  \/l  —  Z\  gezeichneten  concentrischen 
Kreises  eintritt ,  und  faßt  den  Inbegriff  aller ,  die  Punkte  dieser 
Curve  passirenden  Stromlinien  als  eine  feste  Wand  bildend  auf, 
so  erhält  man  das  Beispiel  einer  stationären  Flüssigkeitsbewegung 
in  einem  sich  nach  zwei  Seiten  ins  Unendliche  erstreckenden  Bette, 
dessen  Ufer  durch  zwei  windschiefe  Gerade  gebildet  werden.  Die 
freie  unter  constantem  Drucke  stehende  Oberfläche  der  strömenden 
Flüssigkeit  hat  die  Gestalt  eines  Theils  eines  Rotationshyperbo- 
loids ,  und  die  Bewegung  in  ihr  geschieht  geradlinig.  Das  Bett 
selbst  verflacht  und  erweitert  sich  im  Unendlichen  unbegrenzt. 

Entsprechende  Constructionen  kann  man  auch  für  den  Raum, 
der  der  äußeren  Seite  des  Hyperboloids  p  =  p0  anliegt,  ausführen, 
und  Beispiele  anderer  Bewegungsformen  darstellen.     Man  muß  aber 


334  Julius  Weingarten, 

aus  diesem  Räume  stets  den  Begrenzungskreis  vom  Radius  b  der 
Ausgangsfläche  des  Strahlensystems  ausgeschlossen  halten,  in  des- 
sen Punkten  die  Beschleunigungen  -=7- ,    -~ ,    ~  unendlich   große 

Werthe  erlangen  würden,  in  gleicher  Weise  wie  bisher  mit  den 
Räumen,  in  denen  g  negativ  wird,  auch  die  z-Axe  ausgeschlossen 
wurde,  in  welcher  die  Geschwindigkeitscomponenten  selbst  unend- 
lich groß  werden. 

Längs  der  gesammten  hyperboloidischen  Oberfläche  p  =  pQ 
verschwinden  in  Folge  der  in  ihr  statthabenden  geradlinigen  gleich- 
förmigen Bewegung  der  Flüssigkeitstheilchen  die  Werthe  der  Be- 
schleunigungen -~ ,  -jj- ,  -gT- ,  und  daher  auch  die  Differential- 
quotienten 

en    en    dn 

d&  '    dy  '    dz 

Es  behält  daher  der  Druck  77  in  unendlicher  Nähe  dieser  Fläche 
denselben  constanten  Werth  bei,  der  auf  dem  Hyperboloid  selbst 
stattfindet.  Es  ist  hiernach,  den  früheren  Constructionen  folgend, 
möglich,  eine  unendlich  dünne  Flüssigkeitsschale,  deren  Gestalt 
annähernd  die  eines  hyperboloidischen  Mantels  ist,  herauszuheben, 
welche  einen  freien  Flüssigkeitsstrahl  darstellt,  auf  dessen  äußerer 
und  innerer  Seite  der  Druck  77  denselben  Werth  hat,  wie  im  gan- 
zen Inneren  desselben. 

Die  Bestimmung  der  endlichen  Gleichungen  der  Stromlinien 
für  das  vorstehend  behandelte  Beispiel  einer  Flüssigkeitsbewegung 
ist,  wie  man  leicht  bemerkt,  auf  Quadraturen  zurückführbar.  Das 
Geschwindigkeitspotential  der  in  Rede  stehenden  Bewegung  er- 
weist sich  als  eine  vieldeutige  Function  der  Coordinaten  x,  y,  z. 

Am  Schlüsse  sei  es  gestattet,  noch  zu  bemerken,  daß  den  vor- 
getragenen ähnliche  Betrachtungen  sich  auch  an  Potentialfunctionen 
von  verschwindender  Hesse' scher  Determinante  knüpfen  lassen, 
welche  die  Zeit  t  explicite  enthalten.  Die  durch  das  Gleichungs- 
system 

V  =  xt  +  yri  +  zi  +  td-O 

dp     ^  dp        dp        dp       dp 

0  =  x-^  +  y-^+z-^  +  t-- *- 

dq      J  dq         dq         dq       dq 

definirten  Potentialfunctionen,   in  denen  g,  17,  £  die  als  Functionen 


über  particuläre  Integrale  der  Differentialgleichung  A  V  —  0.  335 

zweier  Variablen  p,  q  gegebenen  Coordinaten  eines  Punktes  einer 
Minimalfläche ,  #  und  0  zwei  Functionen  derselben  Variablen  mit 
verschwindendem  zweiten  Differentialparameter  für  diese  Minimal- 
fläche darstellen,  erlauben  Beispiele  von  nicht  stationären  Bewe- 
gungen einer  incompressiblen  Flüssigkeit  mit  freien  Grenzen  von 
constantem  Drucke  darzustellen  ,  falls  auf  die  Flüssigkeit  äußere 
Kräfte  nicht  wirken. 


Ueber  eine  Abänderung  des  ersten  Hermite'schen 
Beweises  für  die  Transcendenz  der  Zahl  e. 

Von 

0.  Yenske. 

(Vorgelegt  von  H.  A.  Schwarz.) 

Die  berühmte  Hermite' sehe  Abhandlung  „Sur  la  fonction 
exponentielle"  (Paris  1874)  enthält  zwei  Beweise  für  den  Satz, 
daß  die  Grundzahl  e  des  natürlichen  Logarithmensystems  keine 
algebraische  Zahl  ist.  Bei  dem  ersten  dieser  beiden  Beweise, 
welcher  sich  vor  dem  zweiten  durch  größere  Einfachheit  der  an- 
gewendeten Hülfsmittel  auszeichnet,  handelt  es  sich  hauptsächlich 
darum ,  den  Nachweis  zu  führen ,  daß  eine  gewisse  Determinante 
z40,  deren  Elemente  bestimmte  Integrale  sind,  einen  von  Null  ver- 
schiedenen Werth  besitzt.  Für  den  allgemeinen  Fall  hat  Herr 
Her  mite  diesen  Nachweis  geführt;  es  giebt  jedoch  Ausnahme- 
fälle ,  auf  welche  sich  sein  Nachweis  nicht  erstreckt.  Dies  ist 
wohl  der  Grund,  weshalb  Herr  Hermite  zu  dem  ersten  Be- 
weise, um  seine  eigenen  Worte  zu  gebrauchen,  „une  seconde 
demonstration  plus  rigoureuse  u  hinzugefügt  hat.  Während  Herr 
Hermite  bei  dem  ersten  Beweise  von  der  besonderen  Annahme 
ausgeht,  daß  gewissen  in  der  erwähnten  Abhandlung  mit  fiv 
^a  i  •  •  •  >  Pn  bezeichneten  ganzzahligen  Exponenten  stets  derselbe 
Werth  [i  beigelegt  wird,  giebt  er  bei  seinem  zweiten  Beweise 
diesen  Exponenten  zwar  auch  specielle,  aber  doch  solche  Werthe, 
welche  nicht  sämmtlich  einander  gleich  sind.  Wie  ich  gefunden 
habe,  ist  es  möglich,  dadurch  daß  den  Exponenten 

w  +  1  von  einander    verschiedene  passend    gewählte  Werthereihen 
beigelegt  werden,  den  ersten  der  beiden  Hermite' sehen  Beweise 


336  0.  Venske, 

abzuändern,  ohne  die  Einfachheit  desselben  zu  beeinträchtigen,  und, 
ohne  daß  es  nöthig  wird,    einen  Ausnahmefall  zu  berücksichtigen, 
allgemein  den  Nachweis  zu  führen,  daß  die  in  Betracht  kommende 
Determinante  einen  von  Null  verschiedenen  Werth  besitzt. 
Es  seien 

0,,J         (*,)         (#*  =  0,  1,  ...,  n) 

zwei  Systeme  ganzer  positiver  Zahlen,  welche  nur  der  Beschrän- 
kung unterliegen,  daß 

JV-/\i  =  h-li  Q  =  !>  2>  ...,w) 

ferner  sei 

h  w  ~~       dzv      \ 

dann  ist  P  h  eine  ganze  Zahl,  und  es  besteht  nach  einem  bekann- 
ten Satze  der  Integralrechnung  die  Formel 

(1)  ez*P0ih-e*«Pgih  =  £ß&  ft—FM**. 

Unterwirft  man  fi00  der  weiteren  Bedingung,  so  groß  zu  sein,  daß 
der  absolute  Betrag  der  auf  der  rechten  Seite  dieser  Gleichung 
stehenden  Größe  hinreichend  klein  wird,  so  müßte,  wenn  e  der 
ganzzahligen  algebraischen  Gleichung 

(2)  TgNge**=0 
genügte,  für  jeden  Werth  des  Index  h  auch 

sein. 

Das  gleichzeitige  Bestehen  der  Gleichungen  (3)  erfordert,  daß 
die  Determinante 


Abänderung  eines  Hermite' sehen  Beweises.  337 

KJ  =  0  (4) 

ist.  Eine  einfache  Rechnung  ergiebt,  daß  die  Größe  e~*z*\Pgth\ 
folgender  Determinante  gleich  ist 

\e-*oP0i  -e-z>Plih,  e-ziPh-e-*>P2ih,  ...,  <T*-*P^  -e"^PM,  e~z*Pnih\. 

Benutzt  man  zur  Abkürzung  die  Bezeichnung 

e-zPh{z)äz,  (*»+i=  oo) 

so  ist  mit  Rücksicht  auf  (1)  die  Gleichung 

eine  Folge  der  Gleichung  (4). 

Im  Widerspruch  hiermit  lassen  sich,  wie  sogleich  gezeigt  wer- 
den wird,  den  gestellten  Bedingungen  genügende  Exponenten- 
systeme (f*ftA)  finden,  für  welche  die  Determinante  der  Integrale  JSih 
nicht  verschwindet. 

Es  werde,  unter  m  eine  positive  ganze  Zahl  verstanden,  welche 
höchstens  gleich  n  ist,  für  die  Determinante 

\J*,i\  (k,l  =  m,in+l,  ...,  n) 

und  für  die  Subdeterminanten  ihrer  ersten  Horizontalreihe  (l  =  m) 
bezw.  die  Bezeichnung  z/m  und  <dkffn  eingeführt,  nach  welcher  die 
Identitäten 

m,m  m  -f- 1 

bestehen. 

Setzt  man  die  Determinante  J  .,  von  Null  verschieden  voraus 

m  -r  1 

und  wählt,  was  mindestens  auf  eine  Art  möglich  ist,  die  Expo- 
nenten pgim  in  der  Weise,  daß  alle  von  Null  verschiedenen  Glieder 
der  Reihe 

dasselbe  Zeichen  haben,  so  erhält  auch  Am  einen  von  Null  ver- 
schiedenen Werth.     Denn,  da  die  Größen 

zeichengleich  sind,  so  gilt  bei  der  angegebenen  Wahl  dasselbe  von 
den  Größen 

Nachrichten  von  der  K.  G.  d.  W.  zu  üöttingen.  1890.  Nr.  9.  28 


I 


338  0.  V  e  n  s  k  e ,  Abänderung  eines  H  e  r  m  i  t  e'  sehen  Beweises. 

Die  erste  derselben  ist  von  Null  verschieden,  also  hat  auch  ihre 
Summe 

einen  von  Null  verschiedenen  Werth. 
Nun  verschwindet 

bei  keiner  Wahl  der  Exponenten  [i0  n ,  . . . ,  ^w  n.  Durch  wiederholte 
Anwendung  des  angedeuteten  Verfahrens  gelangt  man  also  zu 
Exponentensystemen,  für  welche  die  Determinanten 

einzeln  von  Null  verschieden  sind. 

Hierdurch  ist  die  oben  aufgestellte  Behauptung  gerechtfertigt 
und  nachgewiesen,  daß  die  Annahme  (2)  auf  einen  Widerspruch 
führt. 


Bei  der  Kgl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  einge- 
gangene Druckschriften. 


Man  bittet  diese  Verzeichnisse  zugleich  als  Empfangsanzeigen  ansehen  zu  wollen. 


März  und  April  1890. 
(Fortsetzung.) 

a.  Memoires  de  l'Academie  Imp.  de  St.  Petersbourg.  VII.  serie.  Tome  XXXVII. 
N.  4.  5.    1889/90. 

b.  Bulletin  de  l'Acad.  Imp.  de  St.  P.    Nouvelle  serie.  I.  (XXXIII).  N.  3. 
Aimalen  des  physikalischen  Central-Observatoriums.     Jahrgang  1888.     Theil  IL 

St.  Petersburg  1889. 
3anncKH  KieöcKaro  06mecTBa   EcTecTBOHcnwiaTe^eH.    X,  2.    KieBX 

1889.     (Memoires  de  la  Societe'  des  Naturalistes  de  Kiew.     Tome  X.     Hvr.  2. 

Kiew  1889.) 
Bulletin    de    la  Societe  Imp.  des  Naturalistes    de  Moscou.     Annee  1889.     N.  3. 

Moscou  1889. 
Meteorologische  Beobachtungen  der  landwirtschaftlichen  Akademie  bei  Moskau. 

(Jahrg.  1889,  erste  Hälfte).     Moskau  1889. 
3anncKH    MaTeMaTHHecKaro    0T6*.ieHm  HoBopoccincKaro  06in;ecTBa 

EcTeCTBOHCntlTaTeJeH.    X.    O^ecca  1889.     (Memoires   de    la    section  ma- 

thämatique  de  la  Societe  des  Naturalistes  de  la  Nouvelle  Russie.    Odessa  1889. 

T.  X.) 

3aroicKH  HOBopoccincKaro  o6m,ecTBa  ecTecTBOHcm>iTaTe.ieH  XIV,  2. 
O^ecca  1889.  (Memoires  de  la  Societe  des  Naturalistes  de  la  Nouvelle 
Russie.    (Odessa).    T.  XIV.    Part,  2.    Odessa  1889.) 


339 

Meteorologische  Beobachtungen    des    Tifliser    physikalischen   Observatoriums  in 

den  Jahren  1887—1888.    Tiflis  1889. 
Differentes  formes  de  grelons  observe's  au  sud  -  ouest  de  la  Russie.     Notice  par 

prof.  A.  Klossowsky. 
Meteorologische  Beobachtungen  der  Sternwarte  in  Dorpat.    Ende  1888.    Jan.— 

Mai  1889. 
Acadeinie  Royale  de  Belgique.     Bulletin.     Annäe  60.     3.  Serie.    Tome  19.  N.  2.  3. 

Bruxelles. 
C.  W.  Borchardt    et   son   oeuvre    par   M.  M.  d'Ocagne    (Extraits   de   la 

Revue  des  questions  scientifiques.)    Bruxelles  1890. 
Annales  de  la  Societe  geologique  de  Belgique.     Tome  XVII.     1.   Livr.      Lie»e 

1890. 
Sur  quelques  plantes  dans  le  Test  calcaire  des  mollusques  par  M.  Ed.  Born  et. 

et  C  h.   Flahault.    (Extrait  du  Bulletin  de  la  Societe  botanique  de  France. 

Tome  XXXVI.)     Paris  1889. 
Bulletin  de  la  Societe  mathematique  de  France.     Tome  XVII.    N.  6  et  dernier 

Tome  XVIII.    N.  2.  3  et  4.     Paris  1890. 
Bijdragen  tot  de  Taal-,  Land-  en  Volkenkunde  van  Nederlandsch-Indie.     5.  vol 

greeks  —  5.  deel.   2de  Aflevering.     S  'Gravenhage  1890. 
Programma  certaminis   poetici    ab  Academia    regia    disciplinarum  Nederlandica 

ex  legato  Hoeufftiano  in  annum  1891  indicti.     Amsterdam  1890. 
Kongl.  vitterhets  historie   och    antiquitets  Akademiens  Mänadsblad.     9.  10  Ar- 
gangen.    1880,  1881.     Stockholm  1881,  82. 
Nephoscope  marin  de  C.  C.  Fineraan.     Upsala  1890. 

Jornal  de  sciencias  mathematicas  e  astronomicas.  Vol.  IX.  N.  4.     Coimbral889. 
Atti  della  R.  Accademia  dei  Lincei.  1889.    Rendiconti.    Vol.  V.   fasc.  13.    1889. 

Rendiconti.    Vol.  VI.   fasc.  1—4.    Roma  1890. 
Atti  e  rendiconti  della  Accademia  medico-chirurgica  di  Perugia.   Vol.  II.  fasc.  1. 

Perugia  1890. 
Rendiconti  del  circolo   matematico   di  Palermo,    fasc.  1.  2.    Tome  IV.   Anno  1890. 
Annuario  del  circ.  matem.  di  Palermo.     1890. 

Annuario  della  Societa  R.  di  Napoli  con  le  notizie  istoriche.     Napoli  1890. 
La  regione  vulcanica  fluorifera  della  Campania  seconda  edizione.     (Estratto  dal 

vol.  IV.   parte  1.  delle  memorie  del  Reg.  Comitato  Geologico  d'Italia)  per  A. 

Scacchi.     Firenze  1890. 
Appendice  alla  prima  memoria  sulla Lava  Vesuviana  del  1631  per  A.  Scacchi. 

(Estratta  dal    Tomo  VII,  serie  3a,    N.  7    della  Societa  Italiana  delle  Scienze 

(detta  XL)  per  A.  Scacchi.)    Napoli  1889. 
Atti  della    Societa   Toscana   di    Scienze  Naturali.     Processi   verbali.    Vol.  VII. 

p.  21—48. 
Atti  della  R.  Accademia  delle  Scienze  diTorino.    Vol.  XXV.    Disp.  3,  4,  5,  6,  7. 

Elenco  degli  Academici.  1889  —  1890. 
Rendiconti  delle  sessioni  d.  R.  Accademia  delle  Scienze  dell'  Istituto  di  Bologna. 

Anno  1880—81,  1881-82,  1882—83,  1883—84,  1884—85,  1885—86,  1886—87, 

1887—88,  1888—89. 
Bollettino  della  Biblioteca  nazionale  centrale  Vittorio  Emanuele  di  Roma.   Opere 

straniere.     Vol.  IV.    N.  4.    1889. 
Bollettino  delle  pubblicazioni  italiane  delle  Bibliot.  nationale  centrale  di  Firenze. 

1890.  N.  100-103. 
United  States  Geological  Survey  by  J.  W.  Powell.     7th  annual  report  1885 — 

1886.     Washington  1888. 
Proceedings  of  the  U.  S.  National  Museum.     Vol.  10, 11.  1887,88.     Washington. 
Bulletin  of  the  United  States  National  Museum.     N.  33—37.     Washington  1889. 
Bulletin    of    the  American    Geographical  Society.      Vol.  XXI   Supplement  1889. 

Vol.  XXII.  N.  1.     March  31.     1890.     New  York. 
Report  on  the  observations  of  the  total  eclipse  of  the  sun  of  jan.  1.  1889  publ. 

by  the  Lick  observatory. 
Proceedings  of  the  American  Philosophical  Society.    Vol.  XXVI.    N.  130.    Phi- 
ladelphia. 
Proceedings  of    the    Boston  Society    of  Natural  History.     Part  II.  Vol  XXIV. 

Part  I,  ET.    Boston  1888,  1889. 


340 

Resultados  del  Observatorio  national  Argentino  en  Cördoba.  Vol.  XI.  Buenos 
Aires  1889. 

Anales  de  la  Sociedad  Cientifica  Argentina.  Tomo  XXVIII.  Entrega  V,  VI. 
1889.     Tomo  XXIX.     Entrega  1.     Buenos  Aires  1890. 

Boletin  de  la  Academia  Nacional  de  Ciencias  en  Cördoba.  (Republica  Argen- 
tina).   Tomo  X.     Entrega  3.     Buenos  Aires.  1889. 

Boletins  da  Commissäo  geographica  e  geologica  da  provincia  de  S.  Paulo. 
N.  1.  2.  3.    St.  Paulo  1889. 

Mittheilungen  der  deutschen  Gesellschaft  für  Natur-  u.  Völkerkunde  in  Tokio. 
Heft  43.    Band  V.    Seite  83—144.     Yokohama  1890. 

Nachträge. 

I  proietti  agglutinanti  dell'  incendio  vesuviano  del  1631.  Nota  d.  A.  Scacchi. 
(Estratto  dal  Rendiconto  della  R.  Accademia  (delle  Scienze  fisiche  e  matema- 
tiche.   fasc.  10.    1889). 

Bulletin  of  the  Museum  of  comparative  Zoology  at  Harvard  College.  Vol.  XVI. 
N.  7.    Vol.  XIX.    N.  1. 

Memoirs  of  the  Mus.  of  comp.  Zoology  at  H.  College.  Vol.  XVII.  N.  1.  Cam- 
bridge Ü.S.A.  1890. 

Proceedings  and  transactions  of  the  Nova  Scotian  Institute  of  Natural  Science. 
Vol.  VII.    1888-89.    Part  III.    Halifax  1889. 

Proceedings  of  the  Academy  of  Natural  Sciences  of  Philadelphia.  Part  H.  1889. 
Philadelphia  1889. 

North  American  Lepidoptera. 

a.  Revised  check  list  of  the  North  American  Noctuidae.  Parti.   Bremen  1890. 

b.  The  Hawk  Moths  of  North  America  by  Radcl.  Grote.     Bremen  1886. 
Johns  Hopkins  University  circulars.     Vol.  IX.    N.  79.     Baltimore. 
Bulletin  of  the  U.  S.  Coast  and  Geodetic  Survey.    N.  14,  15,  16,  17.     1889. 
Proceedings  of  the  American  Academy  of  Arts  and  Sciences.    N.  S.    vol.  XV  = 

Whole  Ser.    Vol.  XXIII.    Part  II.    Boston  1888. 


Mai. 

Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie  der  Wissensch.    1890.    XX,  XXI,  XXII 

XXIII,  XXIV,  XXV. 
Abhandlungen  der  Kön.  Bair.  Akad.  der  Wissenschaften. 

a.  Historische  Klasse.     Band  19.     Abth.  1. 

b.  Mathematisch-physikalische  Klasse.     Band  17.     Abth.  1.    München  1889. 
Physikalisch-medizinische  Gesellschaft  in  Würzburg. 

a.  Sitzungsberichte.    Jahrg.  1889. 

b.  Verhandlungen.     Neue  Folge.     Band  XXIII.    Würzburg  1890. 

Zur  feineren  Anatomie  des  centralen  Nervensystems.  Erster  Beitrag  :  Das  Klein- 
hirn von  A.  Kölliker.  Separatabdr.  aus:  Zeitschrift  für  Wissenschaft!.  Zoo- 
logie.   XLIX.  4. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Inhalt  von  No.  9. 
Julius  Weingarten ,  über  particuläre  Integrale  der  Differentialgleichung  ä  V  =  0  und  eine  mit  der  Theo- 
rie der  Minimalflächen  zusammenhängende  Gattung  von  Flüssigkeitsbewegungen.  —  0.  Yenske,  über  eine 
Abänderung  des  ersten  Hermite'schen  Beweises  für  die  Transcendenz  der  Zahl  e.  —  Eingegangene 

Druckschriften. 

Für  die  Redaction  verantwortlich:   H.  Sauppe,  Secretär  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 
Commissions-Verlag  der  Dieterich' sehen  Verlags- Buchhandlung. 
Druck  der  Dieterich' sehen  Vniv.-Buchdruc\erei  ( W.  Fr.  Katstna). 


Nachrichten 

von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 


und  der 


Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu  Göttingen. 
27.  August.  Jfä  10.  1890. 


Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  2.  August. 

Riecke  legt  a.  von  sich  vor:  Ueber  stufenweise  Dissociation  und  über  die  Dampf- 
dichte des  Schwefels. 

b.  von  sich:   Ueber  specielle  Fälle  von  Gleichgewichtserscheinungen  eines  aus 
mehreren  Phasen  zusammengesetzten  Systemes. 

c.  von  Herrn  Privatdocenten  Dr.  Nernst:    Ueber  die  Theilung  eines   Stoffes 
zwischen  zwei  Lösungsmitteln. 

Voigt  a.  eine  kurze  Notiz  zur  Theorie  der  Schwingungen  gestrichener  Saiten, 
b.   für  den   36.  Band   der  Abhandlungen:   Allgemeine  Theorie   der   piezo-  und 
pyroelectrischen  Erscheinungen  an  Krystallen. 
Schwarz:  a.  Bestimmung  derjenigen  Minimalflächen,  welche  eine  Schaar  reeller 
Curven  zweiten  Grades  enthalten, 
b.  Ueber  den  Kreisbogen  als  Lösung  einer  von  Delaunay  gestellten  Aufgabe 
der  Variationsrechnung. 
Klein:    a.   von  Dr.  Franz  Meyer,   Prof.  in  Clausthal:   Ueber  Discriminanten 
und  Resultanten  von  Singularitätengleichungen.    (Zweite  Mittheilung.) 

b.  vom  Privatdocenten  Dr.  Burckhardt:   Zur  Theorie  der  Jacobischen  Glei- 
chungen 40.  Grades. 

c.  von  sich:  Ueber  die  Nullstellen  der  hypergeometrischen  Reihe. 


Nachrichten  von  der  K.6.  d.  W.  zu  Üöttingen.  1890.  Nr.  10.  29 


342  Eduard  Riecke, 

Specielle    Fälle    von    Gleichgewichtserscheinun- 
gen eines  aus  mehreren  Phasen  zusammengesetz- 
ten Systemes. 

Von 

Eduard  Riecke. 

Im  Anschluß  an  die  in  einer  früheren  Mittheilung  *)  enthalte- 
nen allgemeinen  Sätze  sollen  im  Folgenden  einige  specielle  Fälle 
von  Gleichgewichtserscheinungen  einer  etwas  eingehenderen  Unter- 
suchung unterworfen  werden.  Es  handelt  sich  zunächst  darum,  an 
bestimmten  Beispielen  zu  untersuchen,  wie  die  wirkliche  Entwick- 
lung der  Zustandsänderungen  und  Gleichgewichtserscheinungen  eines 
Körpers  oder  Körpersystems  in  das  durch  jene  allgemeinen  Sätze 
gegebene  Schema  sich  einordnet.  Dabei  wird  sich  dann  zeigen, 
daß  jenes  Schema  noch  einer  gewissen  Ergänzung  bedarf,  wenn 
eine  vollständige  Beschreibung  jener  Erscheinungen  gegeben  wer- 
den soll. 

I.    Zustandsänderungen  einer  einzigen  Substanz. 

Wenn  die  Zahl  der  chemischen  Componenten  sich  auf  1  redu- 
cirt,  so  ist  die  größte  mögliche  Zahl  koexistirender  Phasen  gleich 
3.  Durch  diejenigen  Werthe  von  Druck  und  Temperatur,  für  wel- 
che 3  verschiedene  Phasen  im  Gleichgewichte  neben  einander  be- 
stehen können,  bestimmen  wir  ebenso  wie  in  dem  früher  betrach- 
teten allgemeinen  Falle  einen  Punkt  der  ^T-Ebene,  welcher  jetzt 
als  ein  dreifacher  Punkt  bezeichnet  wird.  Ist  die  Gesammtzahl 
der  Phasen,  welche  die  gegebene  Substanz  anzunehmen  vermag, 
gleich  n,    so   ist  die  Anzahl   der   möglichen  Tripelpunkte   gleich 

—     1    o    5 Würden    all   diese  Punkte  in  Wirklichkeit  exi- 

stiren,   so  würden  sie  verbunden  sein  durch  — \ — ^-    Grenzcurven, 

längs  welcher  je  zwei  verschiedene  Phasen  im  Gleichgewichte  sich 
befinden.  In  den  Feldern ,  in  welche  die  Ebene  p ,  T  durch  die 
Grenzcurven  getheilt  wird,  würde  endlich  nur  je  eine  Phase  be- 
stehen können. 

Ist  n  =  4,  so  würde  hiernach  die  Anzahl  der  möglichen  Tripel- 
punkte gleich  4,  die  Anzahl  der  möglichen  Grenzen  gleich  6  sein. 


1)  Gott.  Nachr.  1890,  S.  223. 


specielle  Fälle  von  Gleichgewichtserscheinungen  etc.  343 

Als  Beispiel  für  diesen  Fall  können  wir  den  Phosphor  be- 
nützen. Von  den  möglichen  Tripelpunkten  sind  2  bekannt,  in  dem 
einen  bestehen  im  Gleichgewicht  neben  einander  fester  und  flüssi- 
ger gelber  und  gasförmiger  Phosphor;  in  dem  anderen  flüssiger 
gelber  Phosphor,  rother  Phosphor  und  gasförmiger  Phosphor. 

Der  Schmelzpunkt  des  gewöhnlichen  Phosphors  liegt  bei  dem 
Druck  einer  Atmosphäre  bei  44°.  Das  specifische  Gewicht  ist  bei 
0°  gleich  1,83.  Die  specifischen  Volumina  des  flüssigen  und  festen 
gelben  Phosphors  bei  der  Schmelztemperatur  ergeben  sich  zu  0,575 
und  0,556  (g.  cm).  Die  Schmelzwärme  des  gelben  Phosphors  be- 
zogen auf  1  g  und  ausgedrückt  in  kleinen  Kalorieen  ist  gleich  5,03. 
Benützen  wir  als  Einheit  des  Drucks  den  Druck  von  1  g  auf  1  cm2, 
so  wird  das  Wärmeäquivalent  gleich  42700,  und  somit  die  Aen- 
derung  der  Schmelztemperatur  mit  dem  Drucke 

ät_  317  x  0,019 

dp   ~   42700  x  5,03  * 

Nehmen  wir  als  Einheit  des  Druckes  den  Druck  von  1  Atmosphäre, 
so  wird: 

dt  317  x  0,019  x  1033 


dp   "  42700x5,03 


=  0,029, 


d.  h.  für  eine  Zunahme  des  Druckes  um  1  Atm.  steigt  die  Schmelz- 
temperatur um  0,03°  Cels.  Wenn  wir  den  Druck  nach  Atmosphä- 
ren rechnen,  so  ist  hiernach  die  Grenzcurve  zwischen  dem  flüssi- 
gen und  festen  gelben  Phosphor  eine  gerade  Linie,  welche  gegen 
die  Axe  des  Druckes  unter  einem  Winkel  von  1,7°  geneigt  ist. 

Den  Beobachtungen  von  Schrötter  und  von  Troost  und 
Hautefeuille  entsprechend  kann  die  Grenze  zwischen  flüssigem 
gelbem  und  zwischen  dampfförmigem  Phosphor  dargestellt  werden 
durch  die  Gleichung 

logp  =  —2,7502  +  2,064  log  T—  ^-. 

Setzen  wir  hier  für  T  die  absolute  Schmelztemperatur  des  Phos- 
phors, so  ergeben  sich  für  den  ersten  dreifachen  Punkt  desselben 
die  Coordinaten  p  =  0,0038  Atm.     T  =  317°. 

Bezeichnen  wir  die  Phasen  des  dampfförmigen,  des  flüssigen 
und  des  festen  gelben  Phosphors  als  die  Phasen  1,  2  und  3,  so 
sind  die  specifischen  Volumina  derselben  in  dem  dreifachen  Punkt 
in  ccm 

vx  —  55100,        v2  =  0,575,        va  =  0,556. 

29* 


344  Eduard  Riecke, 

Bezeichnen  wir  durch    (|^,    (f)^,    (f-)^  die   Richtnngs- 

tangenten  der  in  dem  dreifachen  Punkte  zusammenlaufenden  Grenz- 
curven,  so  ist 


(l)„<».-».>  *(.¥).<*-<> +(f)„(«.-.)-» 

/#\  /#\  0,-0,     fjfcS 

v  dt  /3i      >  S  /12       t>x    V  ^  /23# 

ist : 

(-f)„- 0,000826,        (f)-«,5, 


12  v  a*  /  23 

somit 

dt  /31 


(■ 


( 


In  dem  zweiten  dreifachen  Punkt  des  Phosphors  sind  mit 
einander  im  Gleichgewicht  gasförmiger  Phosphor,  fester  rother  und 
flüssiger  gelber  Phosphor.     Die  Coordinaten  desselben  sind: 

p  =  0,56  Atm. ,        T  ==  499°. 

Die  Grenzcurve  zwischen  dem  gasförmigen  und  flüssigen  gelben 
Phosphor  besitzt  in  diesem  Punkte  die  Richtungstangente: 

'Mr  °<0103- 

Die  specifischen  Volumina  des  gasförmigen,  flüssigen  gelben  und 
festen  rothen  Phosphors   haben  in   dem  Tripelpunkte    die  Werthe 

v,  =  582,        v2  =  0,628,        vi  =  0,511  ccm. 

Die  beiden  letzteren  Werthe  sind  unsicher  in  Folge  unserer  man- 
gelhaften Kenntniß  der  Ausdehnungskoeffizienten.  Die  Uebergangs- 
wärme  zwischen  flüssigem  gelbem  und  rothem  Phosphor  kann  gleich 
880  cal  gesetzt  werden.  Hiernach  wird  die  Neigung  der  Grenz- 
curve zwischen  flüssigem  gelbem  und  rothem  Phosphor  gegeben 
durch  die  Gleichung: 

(d$\  42700  x  880  _ 

\dt/2~        499x0,117x1033   ~ 

Mit  Hülfe  dieser  Werthe  ergiebt  sich  dann  für  die  Richtungs- 
tangente der  die  Phasen  1  und  4  trennenden  Grenzcurven  der 
Werth 


\dtJu 


0,115. 


speeielle  Fülle  von  Gleichgewichtserscheiuungen  etc.  345 

Benützt  man  außer  den  im  vorhergehenden  enthaltenen  Anga- 
ben noch  die  von  T r o o s t  und Hautefeuille  beobachteten  Werthe 
der  Dampfspannungen  über  rothem  Phosphor,  so  ergiebt  sich  für 
die  Zustandsänderungen  dieses  Stoffes  das  in  Figur  1  gezeichnete 
Bild.  A  und  B  sind  die  beiden  dreifachen  Punkte;  die  horizon- 
talen geraden  Linien  sind  die  Grenzen  zwischen  festem  gelbem  und 
flüssigem  gelbem  Phosphor ,  sowie  zwischen  flüssigem  gelbem  und 
rothem  Phosphor;  AB  ist  die  Curve  der  Dampfspannung  des  flüs- 
sigen gelben  Phosphors ;  BD  die  labile  Verlängerung  derselben 
jenseits  der  Umwandlungstemperatur  von  gelbem  und  rothem  Phos- 
phor. EF  ist  die  Cnrve  der  beobachteten  Dampfspannungen  des 
rothen  Phosphors ,  B  G  die  Tangente  der  Grenzcurve  zwischen 
rothem  Phosphor  und  Phosphordampf  in  dem  Tripelpunkte.  Die 
Dampf spannungscurve  des  rothen  Phosphors  würde  hiernach  durch 
eine  Linie  zu  ergänzen  sein,  deren  Verlauf  durch  das  Curvenstück 
BE  angedeutet  ist.  Das  von  der  gasförmigen  Phase  des  Phosphors 
eingenommene  Gebiet  I  wird  durch  diese  Curve  in  zwei  Theile 
zerlegt,  welche  mit  einander  nur  durch  einen  schmalen  Streifen 
zusammenhängen.  In  dem  an  AB  grenzenden  Theile  des  Gebietes 
findet  Sublimation  des  Phosphors  von  kälteren  nach  heißeren  Stel- 
len des  von  demselben  eingenommenen  Raumes  statt. 

II.    Zwei  chemische  Componenten  mit  5  verschiedenen  Phasen. 

Die  Maximalzahl  der  Phasen,  welche  im  Gleichgewicht  neben 
einander  existiren  können,  ist  gleich  4;  die  mögliche  Anzahl  der 
vierfachen  Punkte  gleich  5,  der  sie  verbindenden  Grenzen  gleich  10. 

Das  einfachste  Beispiel  für  diesen  Fall  bieten  zwei  Substan- 
zen, welche  chemisch  nicht  auf  einander  wirken,  und 
welche  sich  im  flüssigen  Zustande  weder  mischen 
noch  lösen.  Wir  haben  dann  zwei  feste,  zwei  flüssige  und  eine 
gasförmige  Phase. 

Die  Zahl  der  vierfachen  Punkte ,  welche  wirklich  existiren 
können,  ist  gleich  3 ;  in  dem  ersten  koexistiren  die  festen  und  die 
flüssigen  Phasen  der  beiden  Componenten,  in  dem  zweiten  die  dampf- 
förmige Phase  mit  den  beiden  festen  Phasen  und  der  flüssigen 
Phase  der  ersten  Componente,  in  dem  dritten  die  dampfförmige 
Phase  mit  den  beiden  flüssigen  Phasen  und  der  festen  Phase  der 
zweiten  Componente.  Bezeichnen  wir  die  verschiedenen  Phasen 
durch  die  Buchstaben  g,  lv  l2,  8V  s2,  so  können  wir  die  drei  vier- 
fachen Punkte  A,  B,  C  charakterisiren  durch  die  Symbole  (lt  lt  si  sa), 
i9^sisi))    (9hhsi)*     In   (lem   Quadrupelpunkt  A   (Fig.  2)   durch- 


346  Eduard  Riecke, 

schneiden  sich  die  Schmelzcurven  der  beiden  Substanzen ;  längs 
der  vier  von  A  ausgehenden  Curven  koexistiren  die  Phasen  (l1sls2), 
(h  si  sa)  i  Qi  h  s2)  un(i  (h  h  sx)  >  a^so  immer  zwei  Phasen  der  einen 
mit  einer  Phase  der  anderen  Componente.  Gehen  wir  von  den 
Grenzlinien  nach  der  einen  oder  anderen  Seite  ab ,  so  kann  jene 
letztere  Phase  natürlich  nicht  verschwinden,  da  ja  sonst  die  ent- 
sprechende Componente  aus  dem  System  ausscheiden  würde.  Da- 
durch werden  die  Phasen ,  welche  in  den  4  in  A  zusammenstoßen- 
den "Winkelräumen  im  Gleichgewicht  sich  befinden,  vollkommen  be- 
stimmt, sobald  nur  auf  stabile  Zustände  Rücksicht  genommen  wird. 
Man  hat  in  dem  einen  die  Phasen  (s1sa),  in  dem  gegenüberliegen- 
den (lt  l2),  in  den  zwischenliegenden  Winkeln  {l1  s2)  und  (^sj. 

Wir  gehen  über  zu  dem  vierfachen  Punkte  B,  in  welchem  die 
gasförmige  Phase,  g,  koexistirt  mit  den  beiden  festen  Phasen  s„  s2 
und  mit  der  flüssigen  Phase  der  ersten  Componente  lv  Betrachten 
wir  die  vier  von  B  auslaufenden  Grenzen,  so  findet  auf  der  schon 
zuvor  betrachteten  Grenze  BA  Gleichgewicht  statt  zwischen  den 
Phasen  (lt  sx  s2) ;  längs  einer  zweiten  Grenze  BFt  koexistiren  die 
Phasen  (g  \  $t) ;  diese  zweite  Grenze  wird  bestimmt  durch  die  Be- 
dingung, daß  auf  derselben  die  Potentiale  [i[  und  p",  welche  der 
flüssigen  und  festen  Phase  der  Componente  1  entsprechen,  einander 
gleich  sind;  die  Grenze  ist  also  nichts  anderes  als  die  Schmelzcurve 
dieser  Componente  und  fällt  mit  der  Verlängerung  von  AB  zusammen. 
Auf  einer  dritten  von  B  auslaufenden  Curve  BS  haben  wir  Gleich- 
gewicht zwischen  den  Phasen  (g  st  s2).  Setzen  wir  die  Potentiale 
der  beiden  Componenten  in  ihrer  gasförmigen  Mischung  gleich  ih- 
ren Potentialen  im  festen  Zustand,  so  werden  durch  die  Gleichun- 
gen (it  =  p'J  und  p2  =  fi'2'  die  Partialdrucke  der  beiden  gasför- 
migen Componenten  als  Funktionen  der  Temperatur  bestimmt ;  der 
Gesammtdruck  p  ergiebt  sich  als  Summe  der  Partialdrucke  durch 
eine  Gleichung  von  der  Form 

und  diese  ist  dann  auch  die  Gleichung  der  Grenze  (g  st  s2).  Durch 
cpl ,  cvl  und  cp2 ,  cv2  sind  die  specifischen  Wärmen  der  beiden  Com- 
ponenten im  Gaszustande,  durch  c"  und  c2  ihre  specifischen  Wär- 
men im  festen  Zustande  bezeichnet.  Ganz  ebenso  ergiebt  sich  die 
Gleichung  der  vierten  von  B  ausgehenden  Grenze  BC  —  {glxs2). 
Verstehen  wir  unter  c[  die  specifische  Wärme  der  ersten  Compo- 
nente im  flüssigen  Zustande,  so  wird  dieselbe: 


specielle  Fälle  von  Gleichgewichtserscheinungen  etc.  347 

c  i  —  o[  cp2-cl< 

Gehen  wir  endlich  noch  über  zu  der  Betrachtung  des  Punktes 
C  =  (gl,  l2  s2) ;  die  Grenzen  (lx  l2  s2)  =  CA  und  (#  Z2  s2)  =  CF2 
sind  repräsentirt  durch  die  Schmelzcurve  der  Componente  2;  die 
Gleichung  der  Grenze  (g  lx  s2)  =  CB  ist  bereits  angegeben ;  die 
Gleichung  der  Grenze  (g  lx  l2)  ist 


c\ 


'jA 


p  =  Ä'1Tc><-c°>e-B[lT+A'2Tc»-c'»e-ByT, 

wo  unter  c2  die  specifische  "Wärme  der  zweiten  Componente  im 
flüssigen  Zustande  zu  verstehen  ist. 

Während  bei  den  in  A  zusammenstoßenden  Win- 
kelräumen die  in  denselben  koexistirenden  Phasen 
vollkommen  bestimmt  waren,  ist  dies  nicht  der  Fall 
bei  den  an  Z?und  C  stoßenden  jenseits  der  Curve 
SBCL  liegenden  Räumen;  in  dem  Räume  SBFx  können  zu- 
sammenbestehen  entweder  die  Phasen  (g  sx)  oder  (g  s2) ;  in  FXBCF2 
entweder  (gl,)  oder  (g  s2) ;  in  F2CL  entweder  (gl,)  oder  (g  l2). 
Welcher  dieser  verschiedenen  Fälle  in  Wirklichkeit  eintritt,  das 
hängt  ab  von  den  besonderen  Verhältnissen  des  Systems;  dem 
allgemeinen  Schema  werden  dadurch  noch  gewisse 
nähere  Bestimmungen  hinzugefügt,  mit  deren  Ent- 
wicklung wir  uns   im  Folgenden  beschäftigen  wollen. 

Wir  betrachten  zunächst  die  Verhältnisse  an  der  Grenze  SB. 
In  einem  beliebigen  Punkt  derselben  haben  wir  Gleichgewicht  zwi- 
schen den  festen  Componenten  und  ihren  Dämpfen.  Wir  bezeich- 
nen den  ganzen  von  dem  System  eingenommenen  Raum  mit  V,  den 
von  Dämpfen  erfüllten  Theil  desselben  mit  v,  die  Volumina  der 
festen  Theile  der  Componenten  mit  v['  und  v2.  Sind  d,  und  ö2 
die  specifischen  Gewichte  der  gesättigten  Dämpfe,  0,  und  <J2 
die  der  festen  Körper,  M,  und  M2  die  gesainmten  Massen,  welche 
von  den  beiden  Componenten  vorhanden  sind,  so  ist 

_  V-MJ^-MJe. 
■     i_*l/tfl  _»,/«, 

_  jf,/tf, (l- dj6,)-aj<!l(v-M,/0,) 

1-SJe-dJa, 


348  Eduard  Riecke, 

Bezeichnen  wir  durch  mx  und  m2  die  Massen  der  dampfförmi- 
gen Theile  beider  Componenten,  durch  px  und  p2  ihre  Partialdrucke, 
so  findet  jederzeit  die  Beziehung  statt 

BtT  B2T 

v  =  m.  — ! —  =  m9  — — . 
JPi  P% 

So  lange  wir  uns  in  einem  Punkt  der  Grenze  SB  befinden,  sind 
für  px  und  p2  die  Sättigungsdrucke  der  beiden  Componenten  zu 
setzen  ,  welche  im  Folgenden  durch  itt  und  it2  bezeichnet  werden 
mögen. 

Lassen  wir  das  Gesammtvolumen  V  wachsen,  so  wird  das 
Volumen  v  der  dampfförmigen  Phase  zunehmen,  dagegen  werden 
die  Volumina  der  festen  Phasen  sich  verringern,  und  zwar  wird 
zuerst  v"  gleich  Null,  wenn 


f^-ih^f^-ih 


oder  -ö7<~t 


dagegen  zuerst  v2    gleich  Null,  wenn 

Mx(       82\      M2       M2(       9t\      Jk 


oder  -^-  >  -ji . 

"Wir  untersuchen  zunächst  den  ersteren  Fall;  in  dem  Augen- 
blick, in  welchem  v"  verschwindet,  ist  die  erste  Componente  nur 
noch  in  der  gasförmigen  Phase  enthalten.  Ihr  Partialdruck ,  wel- 
cher erst  noch  gleich  dem  Sättigungsdrucke  %x  war,  nimmt  ab, 
sobald  das  Gresammtvolumen  V  noch  weiter  vergrößert  wird.  Da- 
gegen bleibt  der  Partialdruck  der  zweiten  Componente  gleich  ihrem 
Sättigungsdrucke,  so  lange  dieselbe  noch  in  ihrer  festen  Phase 
vorhanden  ist.  Die  Volumina  der  gasförmigen  und  der  festen 
Phase  bestimmen  sich  durch  die  Gleichungen 

.   V-MJ62  .       M2/62-d2/62V 

V-     l-dj*a    '       %  1-9J6,         V 

Der  Partialdruck   der   ersten   Componente    ergiebt   sich    aus  der 
Gleichung 

__  MxBtT         m2B2T 

~~  Pl  *2  ' 


specielle  Fälle  von  Gleichgewichtserscheinungen  etc.  349 

M 

Lassen  wir  V  fortwährend  wachsen,  so  wird  schließlich  V  =  -Ir3- 

2 

und    damit   v"  gleich  Null;    die  beiden   festen  Phasen  sind  jetzt 

vollkommen  verschwunden ;  in  der  gasförmigen  Phase  hat  die  erste 
Componente  den  Partialdruck  px  =  '  l  a2 ,  der  Gesammtdruck 
ist  somit 


er  unterscheidet  sich  von  dem  Sättigungsdruck  der  zweiten  Com- 
ponente durch  einen  Faktor,  welcher  abhängig  ist  von  der  Natur 
der  beiden  Componenten  und  von  dem  Verhältniß  ihrer  Massen. 
Sobald  man  das  Volumen  V  noch  weiter  wachsen  läßt,  kann  nur 
die  gasförmige  Phase  existiren,  deren  Druck  von  nun  an  durch 
das  Boyle'sche  Gesetz  bestimmt  wird.    Die  Curve 

/        M~R  \  -*1 —   -i-2- 

stellt  hiernach  eine  weitere  Grenzcurve  dar,  längs 
welcher  die  gasförmige  Phase  im  Gleichgewicht  sich 
befindet  mit  der  festen  Phase  s2  allein.  Mit  Be- 
zug auf  die  Lage  dieser  Grenzcurve  möge  folgendes  bemerkt 
werden.  Ist  M. \  =  0 ,  so  fällt  dieselbe  zusammen  mit  der  Curve 
des  Sättigungsdruckes   der    Componente  2 ;    andererseits  ist   nach 

unserer  Voraussetzung     — ■ — L    nothwendig   kleiner  als    — "-, 


— L  und 


M2B2     <  u 


*  =  <1+Mji;) 


<Z  Äj  +  Äa 


Wird     _.x*   =  — *-    so  ist  p  =  7t1  +  7t2. 
M2R2  jt2  x-  1       2 

Man  sieht  hieraus,  daß  die  neue  Grenzcurve  (gst) 
unter  allen  Umständen  beschränkt  ist  auf  den  Raum 
zwischen  der  Curve  des  Sättigungsdruckes  it2  und  der 
Grenze  SB. 

Ganz  in  derselben  Weise    erledigt   sich   natürlich   der  zweite 

Fall,  in  welchem       *    '■  >  — - .    Jenseits  der  Grenze  ist  Gleichge- 
M2E2        n2 

wicht  zwischen   der  gasförmigen  Phase  und   der  festen  Phase  sv 


350  Eduard  Riecke, 

Bei  einem  bestimmten  Drucke  verschwindet  aber  die  feste  Phase 
und  es  existirt  wieder  eine  Curve,  längs  welcher  Gleichgewicht 
vorhanden  ist  zwischen  g  und  sx ,  Die  Gleichung  dieser  Curve 
ist  gegeben  durch 


Sie  ist  unter  allen  Umständen  eingeschlossen  zwischen  der  Grenze 
SB  und  der  Curve  des  Sättigungsdruckes  itt. 

Ganz  analog  gestalten  sich  die  Verhältnisse  in  den  Räumen 
FtBCF2  und  F2CL. 

Aus  den  vorhergehenden  Betrachtungen  ergiebt  sich,  daß  zu 
der  graphischen  Darstellung  der  Zustandsänderungen  unseres  Sy- 
stems die  zuerst  betrachteten  in  den  Quadrupelpunkten  sich  schnei- 
denden Linien,  auf  welchen  je  drei  Phasen  im  Gleichgewicht  sich 
befinden,  nicht  genügen.  Es  treten  vielmehr  zu  diesen  Linien  noch 
andere  hinzu,  auf  welchen  Gleichgewicht  vorhanden  ist  zwischen 
zwei  Phasen,  jenseits  welcher  nur  noch  eine  einzige  Phase  existirt. 
Zwischen  den  beiden  Arten  von  Linien  ist  aber  ein 
charakteristischer  Unterschied;  die  ersten  sind  al- 
lein abhängig  von  den  allgemeinen  physikalischen 
Constanten  der  b  eiden  Componenten,  die  letzteren 
außerdem  von  dem  Yerhältniß  ihrer  Massen,  also  von 
den  speciellen  Bedingungen  des  Versuches.  Wir  be- 
zeichnen diese  letzteren  Grenzen  als  Grenzen  zweiter  Ord- 
nung, die  ersteren  als  Grenzen  erster  Ordnung  oder 
Hauptgrenzen. 

Mit  Benutzung  dieser  verschiedenen  Grenzlinien  ist  nun  das 
Verhalten  unserer  Substanz  Veränderungen  der  Temperatur  und 
des  Druckes  gegenüber  in  folgender  Weise  darzustellen.  Wir  kon- 
struiren  die  Curven  der  Schmelztemperatur  für  beide  Componen- 
ten und  die  Curve  des  Dampfdruckes ,  p  =  %x  -f-  apa ,  die  Grenzen 
erster  Ordnung.     Wir  zeichnen  außerdem  die  Curven 

A   ,    MJLX\        ,  A   ,    M2B2\ 

p>  =  **\}  +  Tfc)  und  *  =  ä'11+mJ' 

Nun  sind  drei  Fälle  denkbar. 

1.  Die  Curve  p2  liegt  in  dem  Räume ,  welcher  von  der  Axe 
T  einerseits ,    der   Curve  p  =  itx  +  tc2  andererseits  begrenzt  wird. 

MM         7t 
In  diesem  Falle  ist       '    *  <  — L ;  und  die  Componente  2  geht  über 
M2K2  7€2  ^ 

die  Grenze  SBCL  hinüber;  p2  repräsentirt  eine  Grenze  zweiter 
Ordnung,  auf  welcher  Gleichgewicht  besteht  zwischen  den  Phasen 


specielle  Fälle  von  Gleichgewichtsersckeinungen  etc.  351 

s2 ,  g  unterhalb  der  Haupt-Grenze  CF2 ,  zwischen  den  Phasen  l2 ,  g 
oberhalb  derselben.  Die  Grenze  erster  Ordnung  BFt  verliert  in  die- 
sem Falle  ihre  reelle  Bedeutung,  da  mit  Ausnahme  des  Punktes  B 
die  Phasen  g,l1,s1  nirgends  zusammen  existiren.  Längs  CF2  haben 
wir  Gleichgewicht  zwischen  l2,  sv  g ;  da  aber  jenseits  der  Curve  p2 
nur  noch  die  Phase  g  existirt,  so  hat  eine  Verlängerung  von  CF2 
über  die  Curve  p2  hinaus  keinen  Zweck.  Die  Curve  px  liegt  von 
der  Axe  T  überall  weiter  ab  als  die  Curve  itx  +  %2  und  kommt 
bei  der  Beschreibung  der  Zustandsänderungen  nicht  in  Betracht. 

2.  Die  Curve  p2  liegt  von  der  Axe  der  Temperatur  aus  ge- 
rechnet jenseits  der  Curve  itx  +  %2 ,  pt  diesseits.  Ueber  die  Grenze 
SBCL  geht  in  diesem  Falle  die  Componente  1 ;  px  ist  eine  Grenze 
zweiter  Ordnung,  auf  welcher  die  Phasen  g,  sx  beziehungsweise  g,  lx 
koexistiren ;  auf  dem  bis  zu  derselben  reichenden  Stücke  der  Haupt- 
grenze BFX  koexistiren  die  Phasen  g,  lvs1.  Die  Curve  p2  und  die 
Grenze  CF2  sind  ohne  Bedeutung. 

3.  Die  Curven  px  und  p2  treffen  in  einem  Punkte  G  der 
Grenze  Jtx  -f  7t2  zusammen ,  d.  h.  es  existirt  eine  bestimmte  Tempe- 
ratur für  welche       '-r,1    =  — -.     In  diesem  Fall  wird  der  Raum, 

M2R2         7t2 

welcher  allein  von  der  Phase  g  erfüllt  wird,  begrenzt  durch  die 
beiden  von  G  ausgehenden  und  dießseits  der  Curve  itx  +  tc2  liegen- 
den Zweige  der  Curven  px  und  p2 ;  in  dem  durch  itx  +  it2  und  jp, 
begrenzten  Streifen  geht  die  Componente  1 ,  in  dem  durch  itx  +  jr2 
und  p2  begrenzten  die  Componente  2  über  die  Grenze.  Je  nach 
der  Lage  von  G  und  der  Lage  der  in  Betracht  kommenden  Cur- 
venzweige  px  und  p2  ist  eine  Reihe  verschiedener  Fälle  möglich, 
mit  deren  Aufzählung  wir  uns  nicht  aufhalten  wollen. 


III,    Zwei  Componenten,  welche  mit  einander  ein  Kryohydrat 

bilden. 

In  diesem  Falle  existiren  4  Phasen,  eine  gasförmige,  g,  eine 
flüssige,  l,  zwei  feste,  ^und-s^  und  daher  nur  ein  Quadrupel- 
punkt A,  Fig.  3,  dem  Gleichgewichte  (glsxs2)  entsprechend.  Auf 
den  4  von  A  ausgehenden  Grenzen  erster  Ordnung  findet  Gleich- 
gewicht statt  zwischen  den  Phasen  (lslsi)1  (gs1si),  (glsj,  (gls%). 

Wir  betrachten  zunächst  die  Grenze  AF  =  (lsxs2).  Bezeich- 
nen wir  durch  \l\'  und  ^'  die  Potentiale  der  beiden  Componenten 
in  ihrer  flüssigen  Mischung  durch  pj"  und  p,'t"  ihre  Potentiale  im 
festen  Zustande,  so  haben  wir  zur  Bestimmung  der  Grenze  die 
Gleichungen 


352  Eduard  Riecke, 

Ü{p,  ?,.$',   $)«>*&  T) 
( '        m"      m"2\ 

~-  und  -4-  sind  die  Dichtigkeiten  der  beiden  Componenten  in  der 
flüssigen  Phase.  Ist  die  Temperatur  gegeben,  so  können  wir  aus 
diesen  Gleichungen  p ,  —£-  und  —~  als  Funktionen  der  Temperatur 

berechnen.    Wir  erhalten  also  zunächst  die  Gleichung  der  Grenze, 

außerdem  aber  in  jedem   derselben   angehörenden  Punkt  p,  T  voll- 

ii  ii 

ständig  bestimmte  Werthe  der  Dichtigkeiten  — iJ-  und  — £ ;    in  j  e- 

dem  Punkt  der  Grenze  hat  somit  die  flüssige  Phase 
eine  ganz  bestimmte  Zusammensetzung.  Führen  wir 
Wärme  zu,  so  werden  die  beiden  festen  Körper  schmelzen,  aber 
in  einem  solchen  Verhältniß,  daß  die  Zusammensetzung  der  Phase 
l  dieselbe  bleibt. 

Gehen  wir  über  zu  der  Betrachtung  der  beiden  längs  der 
Grenze  AF  zusammenhängenden  Flächenräume.  Auf  der  unter- 
halb AF  liegenden,  tieferen  Temperaturen  entsprechenden  Fläche 
existiren  nebeneinander  die  beiden  festen  Phasen.  In  dem  ober- 
halb AF  liegenden  Räume  koexistiren  je  nach  den  Verhältnissen 
des  Versuches  entweder  die  Phasen  l  und  st  oder  die  Phasen  l  und  s%. 

Wir  setzen    das   im  Allgemeinen   von  Temperatur  und  Druck 

abhängende  Mischungsverhältniß    der  beiden   Componenten  in   der 

ii 

flüssigen  Phase  — g-  =  a]   ist  nun  das  Verhältniß  der  ganzen  von 

m*  M 

beiden  Componenten  vorhandenen  Mengen    -—-  >  a ,    so    tritt   die 

Componente  1  über  die  Grenze.  In  dem  oberhalb  der  Grenze  AF 
liegenden  Räume  sind  dann  die  Bedingungen  des  Gleichgewichtes 


(  w  ml[      M2- 
»-p\T,^,  -^ 


Ist  p  und  T  gegeben,  so  bestimmen  diese  Gleichungen  die  Dichtig- 

fyi"  ]\J 

keiten    -—-  und  — £  ,    also    auch    das    Volumen     v"    der    flüssigen 

v  v 


specielle  Fälle  von  Gleichgewichtserscheinungen  etc.  353 

Phase.  Halten  wir  den  Druck  konstant,  so  können  wir  den  Zu- 
stand unseres  Systems  ändern  durch  Wärmezufuhr;  ist  der  Zu- 
stand zuerst  gegeben  durch  einen  Punkt  der  Grenze  AF,  so  bleibt 
die  Temperatur  bei  Wärmezufuhr  konstant,  bis  die  Phase  s2  voll- 
ständig verschwunden  ist.  Von  nun  an  steigt  die  Temperatur, 
und  die  feste  Componente  s,  schmilzt  in  einem  solchen  Verhältniß 
ab ,  daß  die  flüssige  Phase  jederzeit  die  durch  Temperatur  und 
Druck  bestimmte  Zusammensetzung  hat.  Schließlich  wird  in  Folge 
hievon  auch  die  Phase  st  verschwinden.  Die  Temperatur,  bei  wel- 
cher dieß  geschieht,  ergiebt  sich  aus  der  Zusammensetzung  der 
flüssigen  Phase  nach  dem  Verschwinden  von  st ,  bei  welcher  jetzt 
auf  Mt  Gewicht stheile  der  ersten  Componente  M2  Gewichtstheile 
der  zweiten  kommen ;  der  Concentration  MJMl  entspricht  eine 
Erniedrigung  des  normalen  Gefrierpunktes  der  Componente  1;  ist 
diese  bekannt,  so  ist  damit  auch  die  Temperatur  bestimmt,  bei 
welcher  die  Phase  st  verschwindet;  oberhalb  dieser  Temperatur 
existirt  nur  noch  die  Phase  l.  Wenn  wir  denselben  Proceß  bei 
anderen  Drucken  wiederholen,  so  gelangen  wir  zu  anderen  Ver- 
schwindungspunkten  der  Phase  sr  Es  ergiebt  sich  auf  diese 
Weise  die  Existenz  einer  Grenze  zweiter  Ordnung, 
ob  er  halb  welcher  nur  noch  die  flüssige  Phase  exi- 
stirt. Es  ist  diese  Grenze  nichts  anderes  als  die 
Curve  der  Schmelztemperaturen  der  Componente  1 
erniedrigt  durch  die  Lösung  von  .M2Theilen  der 
Componente  2  in  Mx  T heilen  von  1.  Die  Curve  ist  ande- 
rerseits dadurch  bestimmt,  daß  für  sie  das  Mischungsverhältniß  a 
der  beiden  Componenten  den  konstanten  Werth  MJM2  besitzt. 

Besonders  bemerkenswerth  ist  der  Fall,  daß  das  Mischungs- 
verhältniß cc  der  flüssigen  Phase  für  einen  Punkt  der  Grenze  AF 
gleich  ist  MJM2.  Es  bildet  dann  unser  System  in  diesem  Punkt 
ein  reines  Kryohydrat  und  schmilzt  bei  Wärmezufuhr  ohne  Rest  wie 
ein  homogener  fester  Körper.  Ist  nun  für  einen  kleineren  Werth  des 
Druckes  MJM2  größer  als  das  demselben  entsprechende  Mischungs- 
verhältniß cc ,  geht  also  hier  bei  Wärmezufuhr  die  Phase  st  über 
die  Grenze  AF,  so  wird  im  Allgemeinen  bei  einem  höheren  Drucke 
MJM2  kleiner  als  a  sein;  es  geht  also  dann  umgekehrt  die  Phase  s2 
über  die  Grenze  AF.  Die  zuvor  betrachtete  Grenze  zweiter  Ord- 
nung berührt  die  Hauptgrenze  AF  in   dem  Punkte,  für  welchen 

M 
cc  =  -j—'j   in  dem  zwischen  den  beiden  Grenzen  liegenden  Räume 

koexistiren  auf  der  einen  Seite  von  dem  Berührungspunkte  die 
Phasen  l  und  sv  auf  der  andern  die  Phasen  l  und  sr 


354  Eduard  Riecke, 

Bezeichnen  wir  die  Richtungstangente  der  Curve  AF  durch 
(-77^7    so  ergiebt  sich: 

/dp  V/p»        v'l       m'2    v2  \   ^  ^_€__m±_  r^_ 
\dT )\mll      ml      m"  m2  )  '  '   m[      m\"      m"  ml' 

Setzen  wir  die  Entropie  der  Phase  l  gleich  ifc  +  ifi,  so  können 
wir  diese  Gleichung  auf  die  Form  bringen 

\dTj\m\'      m'l      m[  m2 )      '  m\      m\"      m\\m2      m2J' 

Die  rechte  Seite  der  Gleichung  ist  dann  nichts  ande- 
res als  die  Wärme,  welche  konsumirt  wird,  so  oft  ein 
Gramm  der  Componente  1  aus  dem  festen  Zustande 
in  den  Zustand  der  Lösung  l  übergeht,  dieselbe  noch 
dividirt  durch  die  absolute  Temperatur. 

Wir  gehen  nun  über  zu  der  Grenze  AS  =  (gsxs2).  Mit  Be- 
zug auf  diese  gelten  dieselben  Bemerkungen,  wie  in  dem  vorher- 
gehenden Falle  zweier  Substanzen  ,  bei  welchen  nur  die  Dämpfe 
mischbar  sind.  Die  RichtungstangeDte  der  Grenzkurve  wird  be- 
stimmt durch  die  Gleichung 

/  dp  XV  v <'      m2  v2\  ^  %  _  ff    [K(n't  L  jtfV 

\dT/  \m\       m'i'       m[  m2  J  '  '  m[      nC      m[  \m2      m'2J' 

Die  Bedeutung  der  rechten  Seite  ist  analog  der  bei  der  Curve 
AF  angegebenen,  das  Verhältniß  — ~  =      2    *  .     Es   ergiebt  sich 

//'j  7t.JX2 

ferner  die  selbstverständliche  Beziehung 

/  dp  Y dn1      d%2 

VdrJ  ~~  ~dT  +  dT  ' 

Die  dritte  zu  betrachtende  Grenzcurve  sei  diejenige,  auf  wel- 
cher Gleichgewicht  besteht  zwischen  den  Phasen  g,  l  und  s2.  Die 
Bedingungen  für  das  Gleichgewicht  sind,  wenn  durch  itx  und  %2 
wieder  die  Drucke  der  gesättigten  Dämpfe  bezeichnet  werden 

n'fo,  T)  =  $($,  T,^-,  -£)  =  fCÜ>,  T) 

fn,  ml    K\ 


specielle  Fälle  von  Gleichgewichtserscheinungen  etc.  355 

Für  die  Richtungstangente  der  Curve  ergiebt  sich  der  Werth  j 

\dTJ  \m2      m2    ~  m2  m[\m2      m2  )) 

m2      m2       m2    m[  \m'2      m2  )' 
Setzen  wir  rj  =  i^'  +  ik,  n"  =  Vi  +  vl  so  ergiebt  sich: 

(dp\"\    V'  V* «j£       m>2    (   V"  V2    \  I 

\dTJ  im;    m';     ^>;U;    w;vl 
_  fr     %   .  K  f  fr     fr  ^     ml  ml  (  fr     v7  \ 

m2      m2       m2  \m\      m\)      m2  m[  \m2      m2)% 

Multipliciren  wir  mit  der  absoluten  Temperatur,  so  ist  ( -%  —  -■  \  )  T 
r  r  \m2      m2  / 

die  Wärmemenge,  welche  zur  Verdampfung  von  1  Gramm  der  Phase 
s2  erforderlich  ist ;  damit  der  Dampf  die  den  vorhandenen  Verhält- 
nissen der  Temperatur  und  des  Druckes  entsprechende  Mischung 
behalte,  ist  gleichzeitig  nothwendig,  daß  aus  der  Phase  l  von  der 

ersten  Componente  die  Menge    — ?   verdampfe,   wozu  die  Wärme- 


menge   — t  [-^7  —  -^n)T  erforderlich   ist.      Wenn    aber    aus    der 
°      m9  \m1      m.J       , 

Flüssigkeit  die  Menge   — \-  von   der   ersten  Componente  ausschei- 

det,    so  muß  gleichzeitig  von  der  zweiten   die  Menge  — r  •  — £-    in 

fester  Form    ausscheiden,    damit   die  Concentration    der   flüssigen 
Phase  dieselbe  bleibe.    Die  hierbei  frei  werdende  Wärme  ist 


\m"      ml'J 


Es  ergiebt  sich  hieraus,  daß  die  auf  der  rechten 
Seite  unser  er  Gleichung  stehende  Summe  nichts 
anderes  ist,  als  die  Wärmemenge,  welche  kon- 
sumirt  wird,  so  oft  1  Gramm  der  zweiten  Componente 
aus  dem  festen  Zustande  in  die  gasförmige  Ph  a  s  e 
übergeht,  dieselbe  noch  dividirt  durch  die  abso- 
lute  Temperatur. 

Die  für  \-pp)   aufgestellte  Gleichung  kann  auch  in  folgender 
Form  geschrieben  werden: 


356  Eduard  Riecke, 

\dTs    \m[      m[  m2       wj^iwj      m2J) 

y    gl'  .  ^2^2     n%\     ml(vl     tfy 

wj      mj      mj  V^      WgV      mj  VWg      m"/ ' 

Der  auf  der  rechten  Seite  der  Gleichung  stehende  Ausdruck  ist 
dann  gleich  der  Wärme,  welche  konsumirt  wird,  sobald  1  Gramm 
der  ersten  Componente  aus  der  Phase  l  übergeht  in  die  Phase  g, 
dieselbe  noch  dividirt  durch  die  absolute  Temperatur. 

Ganz  ebenso  gestalten  sich  natürlich  die  Beziehungen  für  die 
vierte  Grenzcurve,  AB,  auf  welcher  die  Phasen  g,  l,  sx  koexistiren. 
Für  die  Richtungstangente  derselben  ergiebt  sich  die  Gleichung: 

(dp  \IV(  v    _  vi*' m,   m"  / v"       vi\\ 

XdT/    \m[      wi'i       m[   m'2\mx      mxJ) 

m[      mx"      m[  \m2       m"2J      m[    m"2  Vm"      nixu) ' 

Die  mit  T  multiplicirte  rechte  Seite  giebt  die  Wärme,  welche  für 
jedes  Gramm  der  ersten  Componente  konsumirt  wird,  welches  von 
der  Phase  sx  übergeht  in  die  Phase  g. 

Die  zweite  Form  dieser  Gleichung  wird: 

(  äp\IV\  v'       m'x    v'i        gi  f  v"       v'i  \  ( 
\dT/    \m2      m2  mx       rri2  VmJ      m™s  j 

vi n%  |  m'i(  n't     v'i\i   m'i  ( v"     v'"\ 

m2      m"2      m2  \  m'x      mx  J      m2  \  mx      m™  J ' 

Zwischen  den  Richtung stangenten  der  4  von  A  auslaufenden  Grenz- 
curven  finden  die  Beziehungen  statt 

(  dP  Y'f  —     _!Ül  Ül.  _  ü!»  (  v"       Ül  \  \ 

\dT/    I  m\       m'x  m2       m"x\m"2      m'2J) 

/dp\"(v'       v"       m2  v2)      (dpYiv        v" 
\dt )  \  mx      mx"      m\  m2  \      \  dt  J  \  m"x      mx 

\dtJ    \m2      m2  mx"      m'2\m'x      mx"J) 

\dt)  \m2~m  <      m2  m[  \      \dt  )  \m\      <     m\ '  <  1 
Näherungsweise 


m2  v2 


1     ""2 


V 


_■  r». 


Sl 


y$ 

>s 

- 

§4 

5 

s 

« <• , 

i 

> 

- 


^ 


I 


*s 


s 


.  'S 


^ 


\\\ 

\\\ 

V**\ 

**  w 

\^\  \ 

Ä 

^ 

b» 

>: 


91 


und 


specielle  Fälle  von  Gleichgewichtsersckeinungen  etc.  357 

fdp_\"_  ydpy    mj  rfr'     <_<  K\f&^ 

\dtJ~~\dtJ        v    \  m[      m\"      m[  m'2"  \\dt) 
V  <W  /    ~~  V  ^  )        V  Im;      ml       mu2  m[  \\dt ) 

\dtj       \dt)~~  m'2  m'lWdt)  ~~\dt)    V 

Mit  Benützung  der  früher  für  (-rr)  gegebenen  Gleichung  er- 
geben sich  noch  die  Formeln : 

(äp\"  =  /dp  V     mj  l'if.    ^ix       **%  n\\ 

V  dt  J         \dt )       v    \m[      m*      m[  m'2"  I 

\  dt  J         \  dt )        v    \  m\      ml      ml    m"  ( ' 

In  dem  Quadrupelpunkte  A  fallen  hiernach  die 
Grenzcurven  (^sj  und  (^s2)  gegen  die  Axe  des  Druckes 
steiler  ab  als  die  Grenze  {gsxs^). 

Die  vorhergehenden  Formeln  zeigen  die  bemerkenswerthe  Ei- 
genschaft,   daß   die   eine   nur  die  Richtungstangente  (-77^  )  ,    die 

/  rin  \iy  \d>J-y 

andere  nur  (-^r)    enthält.     Die  allgemeinen  Formeln,  welche  ich 

in  einer  vorhergehenden  Mittheilung  *)  aufgestellt  habe,  lassen  er- 
kennen, daß  ein  solches  Verhalten  immer  eintrifft,  wenn  eine  Phase 
des  Systems  nur  die  eine  oder  die  andere  Componente  enthält. 
Es  hängt  damit  aber  weiter  zusammen  ,  daß  bei  einem  empirisch 
gegebenen  System  immer  nur  die  eine  der  beiden  Curven  von  re- 
eller Bedeutung  ist.  Es  ergiebt  sich  dieß  aus  der  folgenden  Ueber- 
legung.  Wir  bezeichnen  diejenige  Componente,  deren  feste  Phase 
seitlich  von  dem  Punkte  A  die  Grenze  AF  überschreitet,  mit  1. 
Es  ist  dann  wenigstens  für  den  ersten  Theil  der  von  A  auslaufen- 

M 

den  Curve  AF  -~-  >  a ;  in  dem  oberhalb  desselben  liegenden  Ge- 
biete koexistiren  die  Phasen  l  und  sx.  Gegen  die  Axe  der  Tem- 
peraturen hin  muß  dieses  Gebiet  begrenzt  sein  von  der  Grenz- 
curve  AB  =  (glsj.  Nun  kann  die  Phase  l  die  Grenze  nicht  über- 
schreiten ;    denn   in   diesem  Fall   müßte   nach    unten   hin  in    dem 


1)  Gott.  Nachrichten.  1890.  S.  223. 
Nachrichten  d.  K.O.  d.W.  zu  Göttingen.    1890.    Nr.  10.  30 


358  Eduard  Riecke, 

Dampfgebiet  eine  Grenze  auftreten,  längs  welcher  entweder  die 
Phasen  g,  l7  st  oder  die  Phase  g,  l,  s2  koexistirten ;  beides  ist  nicht 
möglich  wegen  der  Neigungsverhältnisse  der  Curven  (gs^J,  (glst)  und 
(gls2).  Wenn  wir  also  von  einem  Punkt  der  Grenze  AB  ausge- 
hend den  Zustand  des  Systems  durch  allmälige  Vergrößerung  des 
Volumens  verändern,  so  muß  zuerst  die  Phase  l  verschwinden,  wäh- 
rend die  Phase  sx  die  Grenze  überschreitet.  Daraus  ergiebt  sich, 
daß  unter  allen  Umständen  die  Bedingung  erfüllt  ist 

a>— 4-. 
m2 

Würde  nemlich  umgekehrt  a  kleiner  als  m'Jm'2  sein,  so  würde  man 
das  Verhältniß   der   gesammten   Mengen   der   beiden  Componenten 

so  wählen  können ,    daß  a  <c  ^=4-  <;  — r ;     dann   würde    zuerst    die 

M2       m2  ; 

feste  Phase  st  verschwinden  und  die  Phase  l  die  Grenze  überschrei- 
ten. Die  Verhältnisse  der  drei  gleichzeitig  aus  den  Phasen  l  und  st 
verdampfenden  Mengen  der  zweiten  und  ersten  Componente  sind 

gegeben  durch  — \  '•  cc — r  '  1—a — r.  Ist  a> — \-,  so  ist  die  letzte 
00  mt        mx  mx  m2 

Differenz  negativ,  d.  h.  es  tritt  keine  Verdampfung,  sondern  um- 
gekehrt eine  Condensation  der  Phase  st  ein,  wenn  wir  durch  Vo- 
lumvergrößerung  eine  Verdampfung  der  flüssigen  Phase  herbei- 
führen. 

Aus  dem  Vorhergehenden  ergiebt  sich  nun,  daß  auf  der  Grenze 
AB  nur  die  Phasen  l  und  g  zum  Verschwinden  gebracht  werden 
können;  es  folgt  daraus  weiter,  daß  in  dem  Quadrupelpunkt  A  nur 
die  Phasen  s2  und  l  gleichzeitig  verschwinden  können;  dann  kann 
aber  auch  auf  der  unteren  Grenze  AS  nur  s2  und  nicht  st  zum 
Verschwinden  gebracht  werden.  Wir  sind  somit  zu  dem  Resul- 
tate gelangt. 

Wenn  in  dem  von  den  Curven  AF  =  (lsts2)  und  AB 
=  (glsj  zunächst  dem  vierfachen  Punkte  begrenzten 
Winkelraum  Gleichgewicht  besteht  zwischen  den 
Phasen  l  und  sx ,  so  tritt  die  letztere  Phase  in  den 
von  Dampf  erfüllten  Raum  über  und  wir  haben  in 
diesem  zunächst  der  Grenze  Gleichgewicht  zwischen 
den  Phasen  #  und  sx.  Es  folgt  hieraus  weiter  die 
Existenz  einer  Grenze  zweiter  Ordnung,  jenseits 
welcher  nur  noch  die  gasförmige  Phase  existirt.  Die 
Gleichung  dieser  Grenze  ist  ebenso  wie  bei  dem  früheren  Problem 


specielle  Fälle  von  Gleichgewichtserscheinungen  etc.  359 

px  =  TcAl  +  M2  p2  )  •     Da  nach  unserer  Voraussetzung  -~->a  und 

7txR2  71    \   MXBX       %x       ,.      ,    ".     ,.  f2     , 

«>-^  so  ist  auch  ^^    >"JT;'  durch   die  vorhergehende 

Gleichung  bestimmte  Curve  liegt  somit  ganz  in  der  zwischen  den 
Grenzen  SA,  AB  und  der  Temperaturaxe  eingeschlossenen  Fläche. 
Die  Grenze  AB  wird  die  Curve  durchschneiden,  durch  welche 
das  Gebiet  der  Phasen  sx,  l  geschieden  wird  von  demjenigen,  in 
welchem  nur  noch  die  flüssige  Phase  existirt.  Der  Schnittpunkt 
sei  B,  die  von  demselben  ausgehende  Grenze  zweiter  Ordnung  BE. 
Wenn  wir  von  einem  beliebigen  Punkt  dieser  Grenze  ausgehen, 
und  die  Temperatur  erhöhen,  so  wird  in  jedem  Punkt  das  Volu- 
men der  Phase  l  bestimmt  sein  durch  eine  Funktion  des  Drucks 
der  Temperatur  und  der  in  der  Phase  vorhandenen  Mengen  der 
Componenten  Mx  und  M2.  Bei  allmälig  steigender  Temperatur 
werden  wir  aber  noth wendig  einen  Punkt  erreichen,  in  welchem 
die  flüssige  Phase  verdampft.  In  diesem  Punkt  sind  die  Bedin- 
gungen erfüllt: 

fm  Mx      M2\ 

Eliminirt  man  aus  denselben  die  Größen  xx,  it%)  v" ,  so  bleibt 
eine  Gleichung  zwischen  p  und  T.  Diese  bestimmt  eine  neue 
Grenze  zweiter  Ordnung  B'D,  durch  welche  der  Raum, 
in  welchem  allein  die  Phase  l  existirt,  geschieden 
wird  von  demjenigen,  in  welchem  l  und  g  koexistiren. 
Das  Verhalten  des  aus  der  flüssigen  Phase  längs  der  Curve  B'D 
gebildeten  Dampfes  ist  im  Allgemeinen  folgendes.  Bei  steigender 
Temperatur  entwickeln  sich  Dämpfe  der  beiden  Componenten;  da 
aber  nach   dem  Vorhergehenden  wenigstens    zunächst  der  Grenze 

AB  -~-  :>     '  T>2    so  wird   schließlich  noch    ein  Theil   der  Compo- 
M2        n2Rx  * 

nente  1  in  flüssigem  Zustande  übrig  bleiben.  Oberhalb  der  Curve 
B'D  wird  sich  eine  Grenze  hinziehen ,  welche  das  Gebiet  der 
koexistirenden  Phasen  (lg)  scheidet  von  dem  Gebiete  der  Phasen 
(lxg).  Gegen  den  allein  von  der  gasförmigen  Phase  eingenomme- 
nen Raum  wird  das  betreffende  Gebiet  abgegrenzt  durch  die  schon 

30* 


360  Eduard  Riecke, 

früher  betrachtete  Curve  px  =  nx  ( 1  4-  ju-pj  •      Bezeichnen    wir 

durch  C  den  Punkt,  in  welchem  die  neue  Grenze  (glt)  (gl)  die  Linie 
AB  durchschneidet ,  so  zieht  sich  durch  diesen  bis  zu  der  Curve 
p  eine  Grenzlinie  CH  hin,  oberhalb  welcher  g  und  llt  unterhalb 
welcher  g  und  st  koexistiren  und  welche  nichts  anderes  ist  als  ein 
Stück  der  gewöhnlichen  Schmelzcurve  der  Componente  1.  Es  ist 
denkbar,  daß  die  Curve  p  die  Grenze  (gif)  in  einem  Punkte  J  trifft. 
In  diesem  müßte  dann  die  flüssige  Phase  l  ohne  Rest  in  Dampf- 
form sich  verwandeln.  Für  höheren  Druck  müßte  dann  umgekehrt 
die  Componente  2  bei  der  Verdampfung  im  Rest  bleiben ;  es  würde 
also  von  J  an  das  Gebiet  des  von  Dampf  allein  erfüllten  Raumes  be- 
grenzt sein  durch  die  Curve  p2  =  %A  1  +  -  *.J  ) ;  "jrr~  <7tjn2 
in  dem  Schnittpunkt  der  beiden  Curven  müßte  die  Bedingung  er- 
füllt  sein 


M2R2 


Ueber  stufenweise  Dissociation  und  über  die 
Dampfdichte  des  Schwefels. 

Von 

Eduard  Riecke. 

Wenn  eine  Molekel  einer  chemischen  Verbindung  aus  mehre- 
ren Theilmolekeln  besteht,  so  ist  der  Fall  denkbar,  daß  die  Disso- 
ciation stufenweise  sich  vollzieht;  beispielsweise  kann  eine  Ver- 
bindung, deren  Zusammensetzung  durch  das  Symbol  (a  b  c  d)  an- 
gegeben wird,  sich  zunächst  in  die  Molekeln  (a  b  c)  und  d  spalten 
und  weiterhin  kann  die  Molekel  (a  b  c)  sich  in  die  Molekeln  a,b,  c 
dissociiren.  Beispiele  derartiger  Erscheinungen  bieten  die  mehr- 
basischen Säuren  in  wässriger  Lösung  und  nach  den  Dampfdichte- 
bestimmungen von  Biltz1)  wahrscheinlich  auch  der  Schwefel. 

Die  Dissociationstheorie  bietet  die  Mittel,  die  Gesetze  derar- 
tiger Erscheinungen  in  großer  Allgemeinheit  zu  entwickeln;  wir 
beschränken  uns  im  Folgenden  auf  den  im  Vorhergehenden  schon 
als  Beispiel  angeführten  Fall,  welcher  zu  einer  Vergleichung  der 
Theorie  mit  der  Erfahrung  vorzugsweise  Veranlassung  bieten  dürfte. 


1)  Biltz,  Zeitschrift  für  physikalische  Chemie.    Bd.  II.  1888. 


über  stufenweise  Dissociation  und  über  die  Dampfdichte  des  Schwefels.     361 


I.    Gesetz  der  stufenweise  Dissociation. 

Wir  bezeichnen  die  unzersetzte  Substanz  durch  ©,  ihr  Mole- 
kulargewicht durch  tf;  die  Theilmolekeln  durch  (5X,  @a,  @3  und  (£4, 
ihre  Molekulargewichte  durch  at1  cc2,  cc3  und  a4.  Die  chemische 
Zusammensetzung  von  ©  wird  dann  gegeben  durch  die  Formel 

Ebenso  setzen  wir: 

t%  =  <*&  +  <*& +  aa®s. 

Die  Dissociation  erfolge  so,  daß  zuerst  die  gasförmigen  Molekeln 
von  <S  zerfallen  in  die  Gasmolekeln  %  und  (54  und  hierauf  die  Mo- 
lekeln %  in  ©j,  ©2,  @8.  Die  Potentiale  von  ©  im  gasförmigen, 
flüssigen  und  festen  Zustand  seien  ft,  ja',  ja";  die  Potentiale  der 
Gase  %  (£,,  ©2,  ©3,  ©4  seien  {ia,  plt  ^2,  it3,  it4.  Die  Mengen  der 
einzelnen  Bestandtheile  m,  m',  m",  ma1  m1,  m2,  ms,  m4.  Dann  sind 
die  Gleichgewichtsbedingungen : 

(i"dm"+  iidm'+  päm  +  [iadma+  ^dm^  [i2dm2+  pzdmz+  ^dm4  =  0 

cc  cc 

dmA — L  {dm"+  dm'-\-  dm)  -f  ~  dma  =  0 

dm2+  -^  (dm"+  dm'+  dm)  +  &  dma  =  0 

dm3+  -^.(^"+  dm'+dm)  +  ^-dma  =  0 

(7  T 

dm4+  -^-  (dm"+  c?m'+  dm)  =  0  . 

Die  Potentiale  der  verschiedenen  Componenten  müssen  somit  den 
Bedingungen  genügen: 

p  =  $'  =  1?  1). 

Die  erste  Gleichung  ist  der  Ausdruck  des  allgemeinen  Satzes, 
daß  das  Potential  einer  chemischen  Componente  in  allen  Phasen 
eines  Systems  denselben  Werth  haben  muß,  wenn  Gleichgewicht 
vorhanden  ist.  Der  partielle  Sättigungsdruck  von  ©  hängt  hier- 
nach von  der  Temperatur  nahezu  in  derselben  Weise  ab,  wie  wenn 
die  gasförmigen  Molekeln  von  ©  der  Dissociation  nicht  unterwor- 
fen sein  würden. 


362  Eduard  Riecke, 

Für  den   Gaszustand   sind  Potential  und  Entropie  durch  die 
Formeln  gegeben 

H  =  E+T\B\ogd-<äc  logT+W^-H} 
ri/m  =  JET+5lcvlogr  —  Rlogd 

wo  E  und  H  gewisse  durch  den  Normalzustand  bestimmte  Con- 
stanten, d  die  Dichte,  cv,  cp  die  specifischen  Wärmen  und  T  die  ab- 
solute Temperatur  bezeichnen.  H  ist  das  mechanische  Aequivalent 
der  Wärme,  R  die  Constante  des  Boyle-GayLussac  sehen  Ge- 
setzes.   Mit  Benützung  dieser  Werthe  geben  die  Gleichungen  2 


V 


rEa  +  a,E4-0E  +  ^T\rcpa+a,cpi-0ct 
=  T  [triJm^a^Jm^—  örj/m]   =  Q 
und 

axEl  +  a%E%  +  azEt-xEa  +  KT\alcpX+a%cpt+azcPt--xcJ 
=  T  j  ax  riJm,  +  cc2  7jjm2  +  cc3  %/w,  -  x  r}Jm,a }   =  Qa. 

Q  und  Qa  sind  nichts^anderes  als  die  Umwandlungswärmen,  welche 
den  Uebergängen      ö  <S  ->  x  X  +  a4  ©4      und 

r£->  ^^  +  ^©2  +  ^3 ©3 

entsprechen,    bezogen   auf  eine  Grammmolekel   der  Substanzen  <S 
und  %. 

Mit  Benützung  dieser  Werthe  von  Q  und  Qa  und  mit  Rück- 
sicht auf  die  Beziehung  Bla1  =  R2cc2  =  R3a3  =  R4cc4  =  i2ar  =  i?(? 
lassen  sich  die  Gleichungen  2  auf  die  Form  bringen: 


d 

3). 

wo  zur  Abkürzung  gesetzt  ist: 

©  Ä  e^a+^S,-^He-QiTT%(tcva+aiCvi-öcv) 

Zur  Bestimmung  der  6  in  den  Gleichungen  3  auftretenden 
Dichten  hat  man  zunächst  noch  die  Bedingung,  daß  die  Summe 
der  Partialdrucke  der  einzelnen  gasförmigen  Bestandtheile  gleich 
ist  dem  Gesammtdruck.  Verstehen  wir,  ebenso  wie  oben,  unter 
■^u  -^2;  ^a?  -^*>  Ra  un(i  R  die  Constanten  des  Boyle-GayLus- 
sa  c*  sehen  Gesetzes  für  die  einzelnen  Componenten,  so  folgt  hier- 
aus die  Gleichung: 


über  stufenweise  Dissociation  und  über  die  Dampfdichte  des  Schwefels.     363 
Riai  +  Bad9+Bsda  +  B1kdt  +  Bada  +  Bd  =  p/T.  4). 

Dazu  kommen  endlich  noch  die  Gleichungen 

und 

5). 


dx 



A. 

.    A 

«i 

«2 

<*3 

<*4 

= 

+ 

r 

durch  welche  den  Verhältnissen  der  chemischen  Zusammensetzung 
Rechnung  getragen  wird.  Die  6  Gleichungen  3,  4  und  5  be- 
stimmen vollständig  die  Dichten  der  einzelnen  gasförmigen  Be- 
standteile. Will  man  außerdem  die  Dampfdichte  A  des  in  Disso- 
ciation begriffenen  Gases  einführen,  so  hat  man  die  Gleichung  hin- 
zuzufügen 

d^d.  +  d.+d.  +  d^d  =  4^—.  6). 

Hier  bezeichnet  A  die  Dampfdichte  bezogen  auf  Luft,  P  die  Con- 
stante  des  Gasgesetzes  für  Luft. 

II.    Dampfdichte  des  Schwefels. 

Die  vorhergehenden  allgemeinen  Gleichungen  mögen  nun  in 
Anwendung  gebracht  werden  auf  die  Dissociation  des  Schwefels. 
Die  Untersuchungen  von  Beckmann1)  und  Schall2)  haben  ge- 
zeigt, daß  Schwefelmolekeln  von  der  Formel  Ss  existiren.  Die 
Untersuchungen  von  B  i  1 1  z  machen  es  wahrscheinlich,  daß  bei  der 
Verdampfung  des  Schwefels  unter  dem  Drucke  einer  Atmosphäre 
zunächst  Molekeln  Ss  sich  entwickeln ,  daß  diese  sich  spalten  in 
#6  und  #2  und  daß  im  weiteren  Verlaufe  der  Dissociation  auch  die 
Molekeln  S6  sich  auflösen  in  je  drei  Molekeln  Sr  Dieser  Annahme 
entsprechend  haben  wir  in  den  allgemeinen  Gleichungen  zu  setzen 

at  =  a2  =  «3  =  a4 ,     t  =  3  at ,     0  =  4  av 
dx  =  d2  =  d3. 

Wir  erhalten  dann  zur  Berechnung  der  unbekannten  Dichten  d, 
da)  dt  und  d4  die  Gleichungen 

dadA  =  ®d 
ä\  =  ®Ja 

3^-K  +  K  +  i^  =pIRJ  7). 

d,  =  dt  +  \da. 

1)  Beckmann,  Zeitschrift  für  phys.  Chem.  Bd.  V.  1890. 

2)  Schall,  Berichte  der  D.  chem.  Gesellschaft.  Jahrg.  28. 


364  Eduard  Riecke, 

Eliminiren  wir  aus  diesen  Gleichungen  ä  und  dv  so  ergiebt  sich : 

*.(*.+3<y  =  40(^-2^-12^) 

und  durch  Elimination  von  dx 

9).  <  +  3^V/@Ä  +  8©^  +  18©^@X  =  Uß-fy- 

Nun  ist  für  T  ==  0    auch  ©  und  ®a   gleich  Null.      Somit  ergiebt 
sich  aus  den  Gleichungen  9,  8  und  7  für  T  =  0 

da  =  ^  =  $4  ss  0    und 

4p 


<2  = 


KT' 


Die  Dampfdichte  des  gasförmigen  Schwefels  bezogen 
auf  Luft  hat  demnach   für   T  =  0   den   Werth: 

4P 
V*         Bx  ' 

Für  T  =  00  ist  0  =  ©a  =  00.    Somit  ergiebt  sich  aus  den 
Gleichungen  8  und  9 

da  =  0,     dx  =  i-^-und^  =  0, 
ferner  vermöge  der  letzten  der  Gleichungen  7 

Die  gesammte  Dichte  des  gasförmigen  Schwefels 
wird   für   T  =  00 

3^  +  ^4  =  -^^  und  die  Dampfdichte 

Wir  denken  uns  aus  den  Gleichungen  9  und  7  die  Dichten  da  und 
dx  berechnet ;  wir  lassen  den  Gesammtdruck  p,  unter  welchem  sich 
der  gasförmige  Schwefel  befindet,  unverändert  und  lassen  die  Tem- 
peratur wachsen  von  T  =  0  bis  T  —  00.  Die  für  eine  beliebige 
Temperatur  sich   ergebenden  Werthe    von  da  und  dx  dividiren  wir 


•s 


ä 

^ 


1 


8 


p 

J 


\ 

' 

V 

j 

C5 

M                     , 

* 

«q 

i 

^        ^ 

£ 

/ 

*st 

/ 

N 

V 

^            / 

f 

X  / 

/ 

/ 

/ 

3 

X 

s   / 

> 

R|    /            1 

) 

£      t 

^       \ 

*       \ 

S       \ 

J% 

\ 

1 

- 

Y 

\ 

i 

i 

i 

8 

über  stufenweise  Dissociation  und  über  die  Dampfdichte  des  Schwefels.     365 

durch  die  den  gegebenen  Werthen  von  T  und  p  entsprechende 
Dichte  der  Luft  und  bezeichnen  diese  Quotienten  durch  Da  und  Dx. 
Bei  konstantem  p  wird  dann  Da  eine  Function  der  Temperatur 
sein,  welche  für  T  =  0  ebenfalls  Null  ist,  welche  mit  wachsender 
Temperatur  bis  zu  einem  gewissen  Maximum  ansteigt  und  für 
T  =  oo  wieder  zu  Null  wird.  Gleichzeitig  ist  Bl  für  T  =  0 
gleich   Null   und    nähert    sich    bei   wachsender   Temperatur    dem 

p 
Grenzwerthe  Bx  =  }-«-« 

PT  PT 

Setzen  wir  weiter  d. =  D4,  d =  D  so  ergiebt  sich 

4   p  4         p 

wo  d  die  Dampf  dichte  des  gasförmigen  Schwefels. 

Die  Größen  DA  und  D  werden  durch  die  Gleichungen 

D4  =  Dt  +  ID. 

bestimmt;  mit  Benützung  derselben  ergiebt  sich 

Sind  D,  und  Da  bei  einem  konstanten  Drucke  als  Funktionen  der 
Temperatur  gegeben,  so  ergiebt  sich  mit  Hülfe  dieser  Gleichung 
die  Dampf  dichte  des  in  der  von  uns  angenommenen  "Weise  sich 
dissociirenden  Schwefels. 

Da  eine  allgemeine  Auflösung  der  Gleichung  9  nicht  möglich 
ist,  so  wurden  die  für  die  Dissociation  des  Schwefels  entwickelten 
Formeln  dadurch  geprüft,  daß  Curven  für  die  Größen  Da  und  Dt 
in  einer  den  allgemeinen  Bedingungen  entsprechenden  Weise  ge- 
gezogen und  mit  Hülfe  derselben  die  Curve  für  die  Dampfdichte 
d  konstruirt  wurde. 

Daß  es  auf  diesem  Wege  in  der  That  möglich  ist,  eine 
mit  den  Beobachtungen  übereinstimmende  Curve  zu  erhalten ,  er- 
giebt sich  aus  der  Betrachtung  der  Figur ,  in  welcher  die  von 
Biltz  bestimmten  Werthe  der  Dampfdichte  mit  Kreuzen  bezeich- 
net sind.  Die  numerische  Vergleichung  der  beobachteten  und  be- 
rechneten Werthe  der  Dampfdichte  ergiebt  sich  aus  der  folgenden 
Tabelle. 


366    Eduard  Riecke,  üb,  stufenweise  Dissociation  u.  üb,  die  Dampfdichte  etc. 


T 

DA 
•  P 

D  Ä 

z/Aber. 

z/^-beob. 

741 

0,31 

0 

3,59 

3,58 

753 

0,47 

0 

3,37 

3,36 

755 

0,50 

0 

3,33 

3,29 

775 

0,58 

0,005 

3,17 

3,17 

791 

0,55 

0,010 

3,15 

3,17 

797 

0,52 

0,015 

3,13 

3,19 

807 

0,48 

0,025 

3,06 

3,15 

854 

0,20 

0,110 

2,41 

2,49 

879 

0,11 

0,14 

2,17 

2,14 

4P 

Die  der  Zusammensetzung  S8  entsprechende  Dampfdichte  -5- 

wird  von  dem  Schwefel  bei  dem  Drucke  einer  Atmosphäre  nicht 
erreicht,  da  schon  vorher  die  Condensation  zu  flüssigem  Schwefel 
eintritt. 

Eine  genauere  Prüfung  der  entwickelten  Formeln  sowie  eine 
Entscheidung  der  Frage,  ob  nicht  außer  den  Molekeln  von  der 
Zusammensetzung  S8,  Se  und  S2  auch  noch  Molekeln  $4  oder  Se 
existiren,  ist  ohne  eine  schwierige  und  zeitraubende  Rechnung 
nicht  ausführbar.  Es  müßten  zu  diesem  Zweck  aus  den  Werthen 
von  Da  und  D1  noch  die  "Werthe  von  D4  und  D  berechnet  werden ; 
die  entsprechenden  "Werthe  von  da,  dlt  ä±  und  d  würden  dann  mit 
Hülfe  der  Gleichungen  7  zur  Kenntniß  von  0  und  ®a  führen. 
Endlich  würde  zu  untersuchen  sein,  ob  diese  Größen  in  der  durch 
die  Theorie  geforderten  Weise  als  Functionen  der  Temperatur 
sich  darstellen  lassen. 


Ueber  Discriminanten  und  Resultanten  von  Sin- 
gular itätengleichungen. 

Von 

Franz  Meyer  in  Clausthal. 

(Zweite  Mittheilung) 1). 

Vorgelegt  von  F.  Klein. 

Unsere  Kenntnisse  von   den  Singularitäten  auf  Raumcurven 


1)  Vgl.  Göttinger  Nachrichten  1888,  pag.  73. 


Singularitätengleichungen.  367 

reichen  wohl  so  weit,  daß  wir,  wenigstens  in  den  einfacheren  Fällen, 
die  Art  ihres  Entstehens  übersehen  können.  Insbesondere  erlaubt 
die  geometrische  Anschauung  die  verschiedenen  Möglichkeiten  des 
Zusammenrückens  je  zweier  n einfacher u  Singularitäten  (d.  i.  solcher, 
die  bei  jeder  Curve  vorkommen)  zu  erschöpfen. 

Indessen  bleibt  die  innere  Seite  derartiger  Vorgänge  davon 
unberührt:  erweist  sich  schon  die  geometrische  Abzahlung  bei  der 
Bestimmung  der  Anzahl  von  elementaren  Singularitäten,  welche 
in  eine  höhere  eintreten,  als  unzureichend,  so  wird  die  verschieden- 
artige Geschwindigkeit,  mit  der  die  einzelnen  singulären  Punkte, 
Geraden,  Ebenen  eoineidiren,  gar  nicht  berücksichtigt. 

Im  Folgenden  wird  ein  erster  Versuch  in  dieser  Richtung 
gemacht,  indem  die  einschlägigen  Verhältnisse  auf  einer  allgemei- 
nen Ordnungscurve  vom  Geschlecht  Null  mit  algebraischen  Hülfs- 
mitteln  studirt  werden. 

In  einer  früheren  Mittheilung x)  hatte  ich  die  Discriminanten 
und  Resultanten  der  bei  einer  allgemeinen  ebenen  Ordnungscurve 
jß*  vom  Geschlecht  Null  in  Betracht  kommenden  Singularitäten- 
formen in  ihre  Elementarfactoren  zerlegt.  Indem  ich  die  analoge 
Aufgabe  für  die  Raumcurven  Wn  in  Angriff  nehme,  beschränke  ich 
mich  auf  die  nächstliegende  Erweiterung  jener  Singularitäten, 
nämlich  auf  die  („Hyperosculations"-)Ebenen  „a4",  die  ("Schmiegungs- 
berühr- ^Ebenen  „a*ß2U  und  die  (,,, Treff- a) Tangenten  „(cc2ß)". 

Die  binären  Formen ,  welche ,  gleich  Null  gesetzt ,  die  Argu- 
mente cc  der  genannten  drei  Singularitäten  liefern,  mögen  durch 
eckige  Klammern 2)  bezeichnet  werden.  Alsdann  lautet  die  in 
Rede  stehende  Aufgabe :  „Sind  die  Punktcoordinaten  einer 
punktallgemeinen,  rationalen  Raumcurve  Ban  durch 
ein  System  von  vier  binären  Formen  fiter  Ordnung 
gegeben: 

x,:x2:xz:x,  -  fx(X)  ifty  if,(X)  iffl)> 

so  sollen  die  Discriminanten  und  Resultanten  der 
Singularitätenformen    [a4],  [a8ßa],  [(<**ß)]   in    Elementar- 


1)  Vgl.  Göttinger  Nachrichten  1888,  pag.  73. 

2)  Desgleichen  sollen  weiterhin  eckige  Klammern  im  Falle  einer  Coincidenz 
zweier  Singularitäten  die  betr.  Invariante  selbst  angeben,  deren  Verschwinden  das 
Criterium  für  das  Eintreten  der  fraglichen  Coincidenz  ist.  Innerhalb  einer  der- 
artigen Klammer  sollen  noch  die  singulären  Ebenen,  Geraden  und  Punkte  sich 
dadurch  von  einander  abheben,  daß  die  auf  eine  Gerade  bezüglichen  Argumente 
durch  eine  runde,  und  die  auf  einen  Punkt  bezüglichen  durch  zwei  runde  Klam- 
mern eingeschlossen  werden. 


368  Franz  Meyer 

factoren  zerlegt  werden,  welche  in  den  vierreihigen 
Coefficientendeterminanten  d  der  ft(X)  ganz  rational 
und  irreducibel  sind". 

Um  die  gemeinten  Factoren  rein  herzustellen ,  bedienen  wir 
uns  vor  Allem  zweierlei  Hülfsmittel:  Einmal  werden  die  erforder- 
lichen Eliminationen  nicht  sowohl  an  die  fi  (A) ,  sondern  an  das 
System  ihrer  conjugirten *)  Formen  „<ph(X)u  geknüpft;  sodann  aber 
denken  wir  uns  vielfach  die  Curven  R3n  als  Projectionen2)  einer 
im  vierdimensionalen  Räume  gelegenen  R*n ,  und  zwar  wird  der 
Punkt  P,  von  dem  aus  die  letztere  projicirt  wird,  gerade  der  Be- 
dingung unterworfen,  daß  für  die  Projectionscurve  B3n  ein  bestimm- 
ter unter  jenen  Elementarfactoren  (und  nur  er  allein)  verschwindet. 

Die  bei  dieser  Projectionsmethode  zur  Anwendung  gelangenden 
Hülfssätze  sollen  gleich  hier  im  Zusammenhange  besprochen  werden. 

Es  liege  eine  punktallgemeine  R^  vor : 

x.ix.ix.ix.ix,  =  gx{X)  :  g2(X)  :  gz{X)  :  g,(X)  :  #5(A). 

Welches  ist  dann  der  geometrische  Punktort  („Raum") ,  der  von 
solchen  „Ebenen"  (a2ß)  beschrieben  wird,  daß  die  Argumente  a,  ß 
noch  einer  algebraischen  Bedingung  <p(a,  ß)  =  0  genügen. 

Die  Coordinaten  pm  =  \xixkxl\  einer  Ebene  (a2 ß)  sind  ganze 
Functionen  von  a,  ß ;  in  cc  vom  Grade  2  (n  —  2) ,  in  ß  vom  Grade 
n  —  2: 

2(n-2),  («-2) 
PiU    =  Piu{    <*>     ,    ß    ). 

Zur  Ermittelung  der  Ordnung  des  fraglichen  Raumes  der  (p) 
schneide  man  in  bekannter  "Weise  mit  einer  Geraden  qmn.  Die 
beiden  Gleichungen 

2P«Q~  -  0,     <p(a,ß)  =  0 

besitzen  (n  —  2) (p  +  2i>)  Lösungssysteme  cc,  ß:  dies  ist 
dann  zugleich  im  Allgemeinen  d.  h.  wenn  jede  der  die 
Gerade  q  treffenden  Ebenen  p  nur  einmal3)  zu  zählen 
ist,    die  Ordnung  unseres  Raumes. 

Als  Beispiel  diene  der  Ort  der  Ebenen  (cc2ßy).  Soll  eine  Ebene 
(a2  ß)  die  Curve  J?*  noch  einmal ,  in  y  treffen ,  so  müssen ,  wenn 
man  unter   ipmln(k  =  1,  2,  ..  n  —  4)   die   zu  den  #.(A)  conjugirten 

1)  Vgl.  des  Verfassers  Schrift:  „Äpolarität  und  rationale  Curven"  Cap.  I. 

2)  Diese  Methode  des  Projicirens  bezwecks  Ausführung  von  Eliminationen 
ist  wohl  vereinzelt  auch  sonst  schon  angewendet;  cf.  z.  B.  Klein,  Zur  Theorie 
der  Ab el' sehen  Functionen,  Math.  Ann.  XXXVI,  §  19. 

3)  Zählt  dagegen  jede  der  betr.  Ebenen  p-fach,  so  ist  selbstredend  die  ange- 
gebene Anzahl  durch  q  zu  dividiren. 


Singularitätengleichungen.  369 

Formen  versteht,  (n —  4)  Gleichungen  von  der  Form: 

noch  einfach  unendlich  viele  Werthsysteme  (A5,  A6,  . .  An)  bei  con- 
stanten  a,  ß,  y  zulassen.  Denkt  man  sich  für  den  Augenblick  der 
Größe  cc  einen  numerischen  Werth  beigelegt,  so  wird  die  vorlie- 
gende Eliminationsaufgabe  äquivalent  mit  der  einfacheren ,  die 
Gleichung  für  die  Argumente  ß,  y  der  Doppelpunkte  einer  E\_x 
aufzusuchen.  Dieselbe  ist  (nach  Elimination  von  y)  bekanntlich 
vom  Grade  (n  —  3)  (n  —  4)  in  ß  ,  mithin  von  doppelt  so  hohem 
Grade  in  cc.    Die  Bedingungsgleichung  <p  =  0  lautet  also: 

2  (n-8)  (n-4),  (n-3)  (n-4) 

9>(  «  ,  ß  )  -  0, 
und  (n  —  2)(f*  +  2v)  =  4(>  —  2)(w  —  3)(n  —  4)  Ebenen  (a90y)  be- 
gegnen nach  Obigem  einer  beliebigen  Geraden.  Da  aber  jede 
dieser  Ebenen  doppelt  vorkommt,  als  Ebene  (cc2ß)  und  als  Ebene 
(cc2y) ,  so  ist  die  Ordnung  des  Raumes  „(cc2ßy)u  nur  gleich 
20  —  2)0  —  3)0  —  4). 

Für  das  Folgende  ist  noch  die  Ordnung  des  Ortes  sämmtlicher 
Sehnen  der  E*  zu  eruiren.  Die  Coordinaten  pik  =  \x.xk\  einer 
Sehne  ((cc,  ß))  sind  in  cc,  ß  symmetrisch  und  vom  Grade  n  —  1. 
Schneidet  man  wiederum  mit  einer  Graden  qlm  =  \yz\,  so  führt 
das  auf  die  Aufgabe ,  alle  Werthsysteme  cc,  ß  zu  bestimmen ,  für 
welche  die  sämmtlichen  Determinanten  der  Matrix 

\9i("),  9<(ß),  Vh  4=.Ö 
verschwinden.     Die  nach  bekannter  Methode  resultirende  Anzahl *) 
•* -^ =  ist  die  Ordnung  des  Raumes  ((cc,  ß)). 

Nunmehr  kehren  wir  zur  Curve  El  zurück,  und  nehmen  an, 
daß  für  sie  einer  jener  „Elementarfactoren"  verschwinde,  also  das 
Criterium  für  ein  bestimmtes  Zusammenrücken  zweier  einfacher 
Singularitäten  erfüllt  sei.  Dann  ist  es  gestattet,  und  zwar  noch 
auf  mannigfaltige  Art,  die  E8n  als  Projection  einer  allgemeinen  E*n 
anzusehen,  so,  daß  der  Projectionspunkt  P  auf  einem  bestimmten 
„Räume"  liegt,  und  eben  dadurch  das  Zustandekommen  der  frag- 
lichen höheren  Singularität  für  die  Projectionscurve ,  (oder  auch 
den  Projectionskegel)  allein  ermöglicht. 

Hier  gilt  der  fundamentale  Satz: 

„Der  Grad  irgend  eines  Elementarfactors  der  E*H 
in   den  d  ist    genau    gleich    der  Ordnung   des  Raumes, 

1)  Diese  Anzahl  als  Grad  der  „Doppelpunktsinvariante"  einer  Ä*  findet  sich 
auf  andere  Art  abgeleitet  bei  H.  Brill,  Math.  Ann.  III,  pag.  45G. 


370 


Franz  Meyer, 


dem   der  Projeetionspunkt  P  der  entsprechenden  B* 
angehört". 

Der  Beweis  fließt  unmittelbar  aus  den  Grundeigenschaften 
der  zu  den  g  conjugirten  Formen  if/.  Fügt  man  nämlich  dem  Sy- 
steme der  n  —  4  Formen  ifj  eine  beliebige  weitere  hinzu ,  so  stellt 
das  so  erweiterte  System  in  projectivischem  Sinne  diejenige  Rsn  dar, 
welche  aus  der  R*n  durch  Protection  von  einem  bestimmten  Punkte 
P  auf  eine  beliebige  Ebene  hervorgeht:  die  Coefficienten  der  neu 
hinzugetretenen  Form  i\>  sind  geradezu  die  (polyedralen)  Coordi- 
naten  von  P.  Die  linke  Seite  der  Gleichung  des,  einem  bestimmten 
Elementarfactor  der  B3n  entsprechenden  Raumes  der  Punkte  P 
stimmt  dann  mit  dem  Elementarfactor  selber  überein. 


Vermöge  der  beiden  soeben  explicirten  Hülfssätze  lassen  sich 
die  Criterien  für  singulare  Geraden  und  Punkte  der  R3n  bilden, 
insofern  die  jedesmal  noch  erforderlichen  Eliminationen  auf  bekannte 
Art  ausführbar  sind.  Das  Letztere  gilt  auch  ohne  Weiteres  für 
die  singulären  Ebenen,  sowie  für  die  Aufstellung  der  drei  Singu- 
laritätenformen selbst. 

Um  auch  hierfür  ein  Beispiel  anzugeben,  so  ist  zum  Eintreten 
einer  Ebene  a3ß2y2  das  gleichzeitige  Bestehen  von  n  —  3  Gleichungen : 

nothwendig  und  hinreichend :  die  Elimination  sämmtlicher  Argumente 
führt  zu  einer  Bildung  vom  Grade  6  (w  —  4)  (n  —  5)  (n  —  6)  in  den  d. 
Es  sei  gestattet,  mit  Uebergehung  der  einzelnen  Zwischenrech- 
nungen, die  Endergebnisse  in  Gestalt  zweier  Tabellen  mitzutheilen. 

I.     Tabelle  der  Invarianten. 


Bezeichnung 1). 

Grad  in  den  d. 

1. 

[«•] 

6(n  —  4) 

2. 

[<**ß2] 

S{n  —  4)(n  —  5) 

3. 

WP*\ 

t(n  —  4)(n  — 5) 

4. 

[<*W] 

6(n  —  4)(n  —  5)(w  —  6) 

5. 

K"3)] 

3(w  — 2) 

6. 

Wßy)] 

2(n  —  2)0  —  3)(n  —  4) 

7. 

[«•/*■,(«•«] 

7(n  —  2)(n  —  4) 

8. 

[<  («■«] 

ß(n  —  2)(n  —  4) 

9. 

[«T,(«»l 

10(»  —  2)(»  —  4)(n  —  5) 

10. 

[((«»)] 

i(n-l)(n-2). 

1)  Wegen  der  Bezeichnungen  verweise  ich  noch  einmal  auf  die  Anm.  pag.  367. 


Singularitätengleichungen. 
II.     Tabelle  der  Singularitätenformen. 


371 


Bezeichnung. 


Grad  in  A. 


Grad  in  den  ö. 


2(n  —  4) 
f»-2). 


40  —  3) 

6(w  —  3)(»  —  4) 

2(n  —  2)(»  —  3) 

So  bedeutet  in  der  I.  Tabelle  [a3ß2,  (a2/3)]  die  linke  Seite  des  Cri- 
teriums  für  das  Eintreten  einer  derartigen  „Schmiegungsberührebene" 
a3  ß2,  daß  die  Tangente  (a2)  die  Curve  R3n  noch  einmal  in  ß  trifft  u.  s.  w. 


Daran  mögen  gleich  die  beiden  weiteren  Tabellen  für  die 
Grade,  wie  für  die  Zerlegungen  der  Discriminanten  und  Resultan- 
ten der  drei  Singularitätenformen  angeschlossen  werden. 

HE.     Die  Discriminanten  und  Resultanten   der  Singu- 
laritätenformen. 

A.     Die  Grade  in  den  d. 
D[a*]  2(4ra  — 13) 

D  [a3  ß']      4  (»  —  4)  (ßn2  —  42n  +  71) 
D  [(«■  ß)]    2  (n  -  2)  (2n2  — 10»  +  11) 

R\[a4],[a3ß2}\  14  (n  —  3)(w  —  4) 

ÄjM,  [(«•«])  6(»-2)(n-3) 

^  I  [«3  0"]>  [(«"  ft] !     10  (n  —  2)  (n  —  3)  (n  —  4) 

B.    Die  Zerlegungen  in  Elementarfactoren. 

D[«4]     =  [«•].[(«■)]  *) 

i)  [a3/32]    =  [(«8)](M)(M).  [a8] .  [a4/32] .  [a3/33]6  [a3/*2/]2  [a3  ß\  («*/})] 
B[{a2ß)]  =  [(«»)]. [(«i/Jy)],[((«/0)],[«,/3,,(«,ft] 

B  }[«*],  [«■/*■]}      =  [«4ffl.[(«,)],0^,.[«T 

*{[«'/*■],  [(«"«]}  =  [(«T^-^T,  («2/3)]2.[«T,  («"y)]. 
Da  die  Existenz  der  einzelnen  Elementarfactoren  rein  geometrisch 


1)  Diese  Zerlegung  gilt  ganz  allgemein ,  wie  bereits  von  H.  B  r  i  1 1  bewiesen 
ist.  Vgl.  Math.  Ann.  XX,  pag.  338.  Aber  auch  die  fünf  weiteren  Zerlegungen 
gestatten  eine  Ausdehnung  auf  Curven  Rdn  im  Räume  von  d  Dimensionen.  Diese 
Ausdehnung  erklärt  erst  die  Besonderheiten  und  Verschiedenheiten  der  Fälle 
d  =  2  und  d  =  3. 


372  Franz  Meyer, 

a  priori  eingesehen  werden  kann,  so  handelt  es  sich  nur  um  die 
Ermittelung  ihrer  Vielfachheit. 

Nimmt  man  die  bezüglichen  Exponenten  als  Unbekannte,  so 
wird  die  Gradvergleichung  beider  Seiten  je  auf  eine  Anzahl  dio- 
phantischer  Gleichungen  führen.  Daß  die  Auflösung  der  letzteren 
in  der  That  immer  nur  auf  eine  einzige  Art  bewerkstelligt  werden 
kann,  soll  nunmehr  im  Einzelnen  nachgewiesen  werden. 

Die  Zerfällung  der  Discriminante  D[«4]  in  der  angegebenen 
Weise  folgt  unmittelbar  aus  den  bezüglichen  Formeln  der  Tabel- 
len I  und  II. 

Bezüglich  der  Discriminante  D[a3ß2]  bemerke  man  vorab,  daß 
durch  eine  Tangente  (a3)  genau  2n  —  8  Ebenen  gehen ,  welche  die 
Curve  Rl  noch  einmal  berühren.  Der  Exponent  des  Factors  [(a3)] 
muß  also,  bis  auf  einen  noch  unbekannten  positiv  rationalzahligen 
Factor  a,  die  Anzahl  der  Paare  darstellen,  welche  sich  aus  jenen 
2n —  8  Ebenen  bilden  lassen,  somit  die  Form  a(n  —  4)(2w —  9) 
besitzen. 

Bedeuten  des  Weiteren  b,  c,  d,  e,  f  positive ,  ganze  Zahlen ,  so 
kann  der  Character  der  fraglichen  Zerlegung  nur  der  folgende  sein : 

D[asß*]  =  [(a3)]a(w-4)(2rt-9\[aT[«^2]c[a3^]d[a3^>T[«3/32,  («W- 
Mit  Rücksicht   auf   die   hier   in  Betracht   kommenden  Formeln  in 
I  und  II  herrscht  demnach  (nach  beiderseitiger  Hebung  des  Fac- 
tors n  —  4)  die  Identität: 

4(6n2  — 42n  +  71)  =  3a{n  —  2)(2n  —  9)  +  56  +  8c(w— 5)  +  fd(w  — 5) 
+  ße(n  —  5)(n  —  6)  +  7f(n  —  2). 

Die  Vergleichung  der  Coefficienten  von  n2  liefert 

a  +  e  =  4, 

sodaß  auch  a  ganzzahlig  ausfallen  muß :  ferner  wird  für  n  =  2 : 

44  =  5&  —  24c  —  ^-d  +  72e, 
endlich  für  n  =  5 : 

44  =  56  +  9a  +  21/, 
woraus  durch  Subtraction  entsteht: 

0  =  3a  +  8c  +  7/'+|^  — 24e. 
Für  a  und  e  sind  vorerst  die  drei  Möglichkeiten  denkbar: 
a  =  l,e  =  3;     a  =  e  =  2;     a  =  3,e  =  l. 
Von  diesen  kommt  die   dritte  wegen  der  letztbemerkten  Relation 


Singularitätengleichungen.  373 

in  Wegfall,  insofern  die  Summe  3a  +  8c  +  7/  +  fd  sicher  denWerth 
24  übersteigt. 

Wäre  andererseits  a  =  1,  so  hätte  man: 

35  =  56 +  21/*, 

was  keine  branchbaren  Lösungen  für  b  und  f  zulassen  würde. 
Somit  bleibt  nur  die  Annahme  a  =  e  =  2.  Dadurch  kommt 
nunmehr : 

26  =  56  +  21/,    42  =  8c  +  7/  +  fd. 

Die  erste  Beziehung  hat  b  =  /*  =  1  zur  Folge,  und  dies  wiederum, 
in  die  zweite  eingesetzt: 

35  =  8c  +  fd, 

was  sich  nur  mit  den  Werthen  c  =  1,  d  =  6  verträgt.  Damit 
ist  die  zweite  der  Zerlegungen  HIB  bewiesen.  Bezeichnen  hin- 
sichtlich der  dritten  Discriminante  D  [(a2  ß)]  wiederum  a,  b,  c,  d  po- 
sitive ganze  Zahlen,  so  kommt  zunächst  durch  Grradvergleichung 
(nach  Hebung  von  n  —  2): 

2(2w2  —  10n  +  ll)  =  Sa  +  2b(n-3)(n  —  4)  +  ~(n— l)  +  7d(n— 4). 

Unmittelbar  geht  daraus  26  =  4i.  e.  b  =  2  hervor.  Hierauf  ge- 
stützt, erhält  man  für  n  =  4: 

2  =  «  +  f 

also 

a  =  1,    c  =  2. 

Endlich  liefert  die  Einsetzung  der  gefundenen  Werthe  in  die  für 
n  =  0  resultirende  Beziehung: 

22  =  50  —  2Sd 

d.  i.  d  =  1,  womit  die  dritte  Formel  von  HIB  hergeleitet  ist. 
Aehnlich  erledigen  sich  die  drei  Kesultanten. 
Die  Form  der  ersten  Zerlegung  lautet: 

B\w,[*m\  =  [«4^]".[(«')]aM"-<,.[«T, 

wo  a,  b,  c  positive  Zahlen,  die  erste  und  dritte  ganz,  die  mittlere 
eventuell  rational  zu  bestimmen  sind.  Die  Eigenart  des  Exponen- 
ten von  [(a3)]  rührt  daher,  daß  für  jede  der  oben  bereits  erwähnten 
2  (n  —  4)  durch  die  Tangente  (a8)  an  die  Curve  gehenden  Berühr- 
ebenen o?  ß2  eine  Coincidenz  des  Argumentes  a  der  Tangente  mit  dem 
Argument  a  der  zugehörigen  Hyperosculationsebene  a4  stattfindet. 

Nachrichten  von  der  K.  G.  d.  W.  zu  Göttingen    1890.  No.  10.  31 


374  Franz  Meyer, 

Es  wird  jetzt  identisch: 

Un  —  42  =  n(ßa  +  6b)  —  (40a +  126  —  5c) 

und  demnach 

7  =  4a  +  36,    42  ==  40a  +  126  — 5c. 

Die  erstere  Relation  könnte  nur  durch  6  =  1,  a  =  1,  oder  aber  durch 
6  =  2,  a  =  J  erfüllt  werden ;  der  letztere  Fall  ist  nicht  realisir- 
bar,  da  er  ein  negatives  c  im  Gefolge  hätte,  der  erstere  führt 
zum  Werthe  c  =  2. 

Die  Zerspaltung  der  zweiten  Resultante  in  III  b  gestaltet  sich 
so  einfach,  daß  sie  übergangen  werden  kann.  Für  die  letzte  end- 
lich gilt,  ähnlich  wie  bei  der  ersten,  der  Ansatz: 

wo  wieder  6  und  c  ganze,  a  möglicherweise  eine  rationale  positive 
Zahl  ist.  Die  Gleichheit  der  beiderseitigen  Grade  drückt  sich  hier 
in  der  Identität  aus: 

10  (n  —  3)  =  6a  +  76  +  10c(w  — 5). 

Es  ist  demgemäß  sicher  c  =  1  und  für  a  und  b  kommt: 

20  =  6a +  76 

13 

d.  i.  entweder  6  =  1,  a  =  -~-,  oder  aber  6  =  2,  a  =  1. 

Das  Erstere  ist  unstatthaft,  wie  leicht  zu  sehen.  Denn  für 
n  =  5  wird  n  —  4  gleich  der  Einheit,  sodatö  nothwendig  2a  ganz 
sein  muß. 


Die  Tabelle  I  der  zehn  Invarianten  läßt  sich  noch  durchsich- 
tiger machen,  wenn  man  statt  der  Grade  in  den  d  geeignet  nor- 
mirte  Gewichte  einführt.  Schreibt  man  die  Darstellungsformen 
f{(l)  der  B\  explicite,  wie  folgt: 

und  legt  der  Coefficientendeterminante  diklm  =  \aialcalam\  das  Ge- 
wicht i  +  Je  + 1  +  m  —  6  bei,  so  lehrt  eine  leicht  beweisbare  Verall- 
gemeinerung eines  sehr  bekannten  Invariantensatzes,  daß  für  jede 
Invariant  -  Combinante  der  f  der  Grad  in  den  d  vermöge  Multipli- 
cation  mit  2  (n  —  3)  in  das  zugehörige  Gewicht  übergeht.  Die 
demgemäß  umgeformte  Tabelle  I  ist: 


SingularitäteDgleichungen. 


375 


Bezeichnung. 

Gewicht  in  den  d. 

1. 

m 

10  (n- 

-3)(n  —  4) 

2. 

[a*ß>] 

16  (n- 

-3)(w  — 4)(w  — 5) 

3. 

VF] 

9(w- 

-3)0  —  4)0  —  5) 

4. 

l*?f\ 

12  (n- 

-3)(w  — 4)(»  — 5)(w- 

-6) 

5. 

K«3)] 

6(w- 

-2)(n  —  3) 

6. 

[(a'ßy)] 

4(n- 

-2)(w  — 3)2(w  — 4) 

7. 

Wß\{u*ß)} 

U(n- 

-2)(n  —  3)(n  —  4) 

8. 

K(«2/*)] 

12  (n  - 

-2)0  —  3)(n  —  4) 

9. 

W  («"?)] 

20(n- 

-2)(n  — 3)(n  — 4)(»- 

-5) 

LO. 

[((««)] 

(n- 

-1)0  —  2)0  —  3) 

Es  zeigen  sich  hier  einige  beachtenswerthe  Eigenthümlich- 
keiten.  Die  Anzahl  der  Linearfactoren  rechter  Hand  ist  stets  um 
Eins  größer,  als  die  Anzahl  der  links  vorkommenden,  von  einander 
verschiedenen  Argumente.  Der  Aufbau  der  Linearfactoren  ist  ein 
nach  der  Mitte  zu  symmetrischer.  Durch  ihr  Verschwinden  zeigen 
sie  die  Ordnung  derjenigen  R3n  an,  für  welche  das  jeweilige  Vor- 
kommniß  noch  nicht  eintreten  kann.  Aber  auch  das  Nichtauftreten 
des  Factors  n  —  1  resp.  n  —  2  resp.  beider  erlaubt  eine  einfache 
Deutung.  Nämlich  sämmtliche  Singularitäten,  mit  Ausnahme  der 
letzten ,  können  auch  im  Falle  einer  Geraden ,  wenn  auch  nur  in 
uneigentlichem  Sinne  ,  zum  Vorschein  kommen ,  und  das  Gleiche 
gilt  von  den  vier  ersten ,  d.  i.  den  singulären  Ebenen  im  Falle 
eines  Kegelschnitts. 

Für  die  entsprechende  Tabelle  bei  den  B2n  können  ähnliche 
Bemerkungen  gemacht  werden,  nur  daß  es  dort  des  Multiplicators 
|  (n  —  2)  bedarf,  um  von  den  Graden  zu  den  Gewichten  überzugehen. 

Die  Analogien  endlich,  wie  auch  die  Verschiedenheiten  zwischen 
den  sechs  Zerlegungen  hier  und  dort  liegen  so  auf  der  Hand,  daß 
ihre  Verfolgung  dem  Leser  überlassen  werden  kann. 

Clausthal,  Juli  1890. 


31 


376  Heinrich  Burkhardt, 

Zur   Theorie    der    Jacobi'schen    Gleichungen    40. 
Grades,   welche   bei   der   Transformation    3.  Ord- 
nung der  Thetafunctionen  von  zwei  Veränder- 
lichen auftreten. 

Von 

Heinrich  Burkhardt  in  G-öttingen. 

(Vorgelegt  von  F.  Klein.) 

Die  von  Herrn  F.  Klein  in  seinen  Vorlesungen  eingeführten 
h2  linear  unabhängigen  J  a  c  o  b  i '  sehen  Functionen  7cter  (ungerader) 
Ordnung  von  zwei  Veränderlichen,  Xap,  welche  zu  einer  bestimm- 
ten geraden  Charakteristik  gehören  ,  liefern  |  {¥  —  1)  ungerade 
Functionen 

Zafi    =    Xaß X-a-ß 

und  %(k2  +  T)  gerade  Functionen: 

1)  Yafi  =  J(Xaj$-|-  X_„_^). 

Die  ersteren  sind  von  den  Herrn  Witting1)  und  Maschke2) 
untersucht  worden;  mit  den  letzteren  habe  ich  mich  beschäftigt 
im  Anschluß  an  meine  frühere  Arbeit  über  eine  hyperelliptische 
Multiplicatorgleichung ,  von  der  s.  Z.  in  diesen  Nachrichten  ein 
Auszug  erschien3).  Indem  ich  mir  erlaube,  meine  Resultate  der 
Societät  vorzulegen ,  muß  ich  für  die  Ableitung  derselben  wieder 
auf  die  später  in  den  mathematischen  Annalen  erscheinende  aus- 
führliche Darstellung  verweisen. 

Seien  die  fünf  für  h  =  3  verhandenen  Functionen  Yaß  kurz 
mit  Y0  Yl  Ys  Y3  Y4  bezeichnet.  Bei  linearer  Transformation  der  Pe- 
rioden, welche  die  Charakteristik  festläßt,  erfahren  dieselben  eine 
Gruppe  6r  von  25920  linearen  Substitutionen,  welche  aus  folgenden 
vier  Operationen  erzeugt  werden  kann: 


1)  Ueber  eine  der  Hesse' sehen  Configuration  der  ebenen  Curve  3.  Ordnung 
analoge  Configuration  im  Räume,  Gott.  Diss.  (Dresden  1887). 

2)  Vgl.  (auch  für  Bezeichnungen  und  weitere  Literaturangaben)  die  kurze 
Mitteilung  im  Jahrg.  1888  dieser  Nachr.  (p.  78  ff.),  sowie  die  ausführlichere  Dar- 
stellung in  den  mathem.  Annalen,  Bd.  33,  p.  317  ff. 

3)  Jahrg.  1889,  p.  553  ff.  Die  dort  angekündigte  ausführlichere  Darstellung 
ist  inzwischen  in  Bd.  36  der  mathem.  Ann.  p.  371  ff.  erschienen. 


Jacobi'scke  Gleichiuigen  40.  Grades. 


377 


B 

G 

D 

%l 

r. 

-T3{Y°+2¥d 

*4 

-Fe 

Y0 

Y[ 

-w(r°-Fi) 

*i 

-Y2 

eYt 

r, 

— ^(r,+r.  +  rj 

*ü 

-Yt 

Y, 

Y's 

-±{Yi  +  eYa  +  e>Yt) 

F, 

-T, 

«r. 

rk 

-^(r2  +  /r3  +  £r4) 

£ 

-Yt 

sr4. 

2ni 


Dabei  ist  s  =  e  3    gesetzt. 

II.  Zunächst  mögen  einige  Angaben  über  Untergruppen  dieser 
Gruppe  zusammengestellt  werden: 

1)  C,  D,  S'1  erzeugen  eine  Gruppe  G0  von  648  Substitutionen, 
welche  Y0  unär,  Yv  Ya1  F3,  F4  unter  sich  quaternär  umsetzen ;  die 
letzteren  werden  dabei  auf  alle  möglichen  Arten  unter  sich  ver- 
tauscht und  auf  alle  möglichen  Arten  so  mit  dritten  Einheitswurzeln 
multiplicirt,  daß  das  Produkt  Yt  Y2  Y3  F4  ungeändert  bleibt.  Diese 
Untergruppe  ist  demnach  zusammengesetzt;  die  Reihenfolge  der 
Factoren  ihrer  Zusammensetzung  ist: 

2,  3,  2,  2,  3,  3,  3. 

Aus  dem  Räume  Y0  =  0  gehen  bei  den  Substitutionen  von 
6r  40  „Haupträume  I.  Art"  hervor ;  ebenso  aus  dem  Punkte 
Y1  =  Y2  =  Y3  =  F4  =  0  40  „Hauptpunkte  I.  Art". 

2)  B,  C,  S'1  erzeugen  eine  Untergruppe  H  von  ebenfalls  648 
Substitutionen,  welche  Y01  Yx  binär  nach  einer  Tetraedergruppe, 
F2,  YB,  F4  ternär  nach  einer  Hesse 'sehen  Gruppe  umsetzen,  die 
ein  syzygetisches  Büschel  von  Curven  dritter  Ordnung  in  sich 
überführt.  Beide  Gruppen  sind  dadurch  mit  einander  verbunden, 
daß  der  Parameter  dieses  Büschels  bei  geeigneter  Normirung  sich 
ebenso  substituirt  wie  F0,  Yx.  Die  Reihenfolge  der  Factoren  der 
Zusammensetzung  dieser  Untergruppe  H  ist: 

3,  2,  2,  2,  3,  3,  3. 

Aus  Y0  =  Yt  ==  0  gehen  40  „Hauptebenen",  aus  Y2  =  Y3  =  F4  =  0 
40  „Hauptgerade  •   unserer  Gruppe  hervor. 

3)  B,  D,  S~l  erzeugen  eine  Untergruppe  K  von  576  Operatio- 


378  Heinrich  Burkhardt,     - 

nen,   welche  F8 — F4  unär,  Y0,  Yv  F2,  Y8  +  Yi   quaternar   umsetzt, 
und  zwar  so,  daß  die  Fläche  II.  Ordnung: 

2)  r0(r3+r4)-2r1r2  =  o 

fest  bleibt,  während  ihre  beiden  Geradenscharen  sowol  jede  für 
sich  nach  einer  Tetraedergruppe  substituirt,  als  auch  unter  sich 
vertauscht  werden  können. 

Die  Zusammensetzung  dieser  Untergruppe  wird  durch  das 
Schema : 

dargestellt. 

Aus  F3 —  F4  =  0  gehen  bei  den  Operationen  von  G  45  „Haupt- 
räume IL  Art*,  aus  Y0  =  Yx  =  Y2  =  F3  +  Y4  =  0  45  „Haupt- 
punkte II.  Art*  hervor.  Jeder  der  ersteren  enthält  12  der  letzte- 
ren, jeder  der  letzteren  liegt  in  12  der  ersteren. 

4)  Man  kann  auf  27  verschiedene  Arten  fünf  Haupträume 
II.  Art  (ein  „Pentatop  II.  Art*)  so  auswählen ,  daß  je  zwei  der- 
selben keine  Hauptgerade  gemein  haben.  Ein  solches  Pentatop 
II.  Art  bleibt  fest  bei  einer  Untergruppe  L  von  960  Operationen, 
welche  seine  Räume  auf  jede  gerade  Art  vertauschen  (und  außer- 
dem die  linken  Seiten  ihrer  Gleichungen  mit  bestimmten  6.  Ein- 
heitswurzeln multipliciren). 

5)  Je  zwei  solche  Pentatope  II.  Art ,  welche  keinen  Raum 
gemein  haben,  sind  einander  gleichzeitig  ein-  und  umbeschrieben 
und  conjugirt  in  Bezug  auf  einen  quadratischen  Raum  u  =  0  (z.  B. 
Y20-{-4Y1Y2  +  4Y3Y4l  =  0),  der  für  noch  5  andere  Paare  von  Pen- 
tatopen  II.  Art  dieselbe  Eigenschaft  hat.  Solcher  quadratischen 
Räume  gibt  es  36;  der  einzelne  derselben  bleibt  bei  einer  Unter- 
gruppe M  von  720  Operationen  invariant.  Diese  ist  zwar  zur 
Gruppe  der  Permutationen  von  6  Dingen  isomorph ,  kann  aber 
nicht  durch  die  Vertauschungen  von  6  überzähligen  Punktcoordi- 
naten  dargestellt  werden. 

III.  Die  Invarianten  der  Gruppe  G  habe  ich  davon  aus- 
gehend berechnet ,  daß  sie  zugleich  Invarianten  von  G0  und  von 
H  sein  müssen.  Invarianten  von  G0  sind  F0,  das  Produkt  F,  F2  F3  F4, 
die  symmetrischen  und  alternirenden  Functionen  von  FJ,  F2,  FJ,  Ff; 
Invarianten  von  H  sind  einmal  die  Tetraederformen  in  F0,  Ylf 
dann  die  (von  Maschke  a.a.O.  mitgeteilten)  Invarianten  der 
Hesse' sehen  Gruppe  in  F2,  F8,  F4,  endlich  eine  Anzahl  Formen, 
welche  beide  Reihen  von  Variabein  enthalten  und  auf  Grund  der 
oben  erwähnten  Cogredienz  des  Büschelparameters  mit  F0 :  Yt  durch 


Jacobi'sche  Gleichungen  40.  Grades  379 

Polarenbildung  gewonnen  werden  können.  Bildet  man  dann  aus 
den  Formen  von  H  Combinationen  mit  unbestimmten  Coefficienten 
und  bestimmt  letztere  aus  den  durch  G0  geforderten  Symmetrie- 
eigenschaften,  so  erhält  man  Invarianten  von  G.  So  findet  man  *) : 
eine  Invariante  vierten  Grades  : 

jr4  im  r;  +  8r02?i^  +  48r1rfr,r4;  3) 

eine  Invariante  sechsten  Grades : 

J,  =  Yl-20YlUYl  +  3Q0YlY1Y2Y3Y,  +  S0UY3lYl-8i:Yl',     4) 

eine  Invariante  zehnten  Grades : 

J„  =  Yl  ft  Y2  Ys  Yt-Y\E  Y\  IJ+  JJJB  Y\  Y2  Ya  Yt  5) 

+  9YIYIYIYIYI  +  Y0SYIYI  —  &Y0SY\YIYI 

-2ZY\  Y,  Yz  Yt  +  2ZY\  Y\  Fs  Yt; 

eine  Invariante  zwölften  Grades : 

Jt2  =  SYIY^Y^  +  ^YIUYIYI-SSYIUYIY^Y,         6) 
+  243 yj  Y\  Y\  Y\  Y\  —  Y\EY\  Y\  — 102 Y\ Z Y \  Y\  Y\ 

+  30  y202;y;y2y3y4  + 78  y^yjy^y3y4 

— 108  y0  Z  Y\YIY\Y\  —  ±2J  Yl  Y\  +  HoE  Y\Y\ 
—  %2Y\Y\Yl  +  168  Y\YIYIYI, 

eine  Invariante  achtzehnten  Grades: 

j18  =  ZYi«Y\YiYiYi-±YizY\Y\Yi  +  i2YizY\Y\Y3Yt  7) 

—  3QYIUYI  Y[  Yl  yj  -  Y\ZY\  Y\  +  10YIZY\  Y\  Y\ 

+  96 yj  Y\  Y\  Yl  Yl  -  \2Y\ZY\  Y\  Y3  Y4 

—  90  y*  ZY\  Yl  Yl  y4  +  27Y12JYI  Yl  Y\  Y\ 

+ 108  yj  z  y\  y\  yi  y\  +  2Y>  z  yjy^—sy*  z  yjyj-yj 
+  4yj2;yjy«y«— 168  yj  2;  yjy^yjyj 
+  6y;2;y1i0yjy3y4— 24y;^^y^y3y4 
+  I2yj2;y;  y*  yj  y4  +  3i5y20  rj  y;  y\  y; 
+  i2y02:y;1  y*  y»  yj  + 18  y02;yj  y26  y\  y\ 

—  21Y«ZY\Y\YlY\  —  ZY\*Yl  +  2EY1?Y\Y\ 
+  2ZY\Y\  —  2ZY\Y\Yl  —  %ZY\Y\Y\Y\ 

+  62; Y\  Y\  y36  +  82YI  Y\  Yl  Y\. 

Außerdem   existirt   eine   Invariante   45.  Grades  «7"45 ,    nämlich 
die  Functionaldeterminante   der  fünf  ebengenannten  Formen,    zu- 


1)  Die  Summen  sind  jedesmal  zu  erstrecken  über  alle  diejenigen  verschie- 
denen Ausdrücke,  welche  aus  den  angegebenen  durch  Permutation  von  T%%  F2,  Y9}  J\ 
entstehen. 


380  Heinrich  Burkhardt, 

gleich  bis  auf  einen  Zahlenfactor  das  Produkt  der  linken  Seiten 
der  Gleichungen  der  45  Haupträume  II.  Art  (s.  o.  unter  II,  3). 

Mit  diesen  sechs  Invarianten  ist  das  Formensystem  unserer 
Gruppe  vollständig.  Insbesondere  läßt  sich  das  Produkt  J40 
der  linken  Seiten  der  Gleichungen  der  40  Haupträume  I.  Art 
(s.  o.  unter  II,  1)  durch  diese  Invarianten  rational  und  ganz  aus- 
drücken, und  zwar  wie  folgt: 

8)  3-Ju  =  [J1(J1-2V12)  +  2'8J10]2 

-  2'»  [J.  J,  -  28  3  JJ  [J\  J„  -  2"  3  Jl„]  +  2"  Jl. 

IV.     Sind    die  Werte  der  Invarianten  J"4,  J6,  J10,  J1V  J"18,  J"46 

gegeben,  so  stellt  die  Aufgabe,  aus  ihnen  die  Y0,  Ylt  Y2,  Y3}  Y±  zu 
berechnen,  ein  „Formenproblem"  im  Sinne  der  von  Herrn 
Klein  in  seinen  „Vorlesungen  über  das  Ikosaeder"  *)  eingeführten 
Terminologie  dar.  Die  Lösungen  dieses  Formenproblems  lassen 
sich  rational  aus  den  Lösungen  des  zugehörigen  % Gleichung s- 
systems"  berechnen. 

Will  man  Resolventen  dieses  Problems  aufstellen,  so  wird 
man  sein  Augenmerk  zunächst  auf  solche  resolvirenden  Functionen 
richten,  für  welche  das  Produkt  aus  ihrem  Grade  in  den  Y  in  die 
Anzahl  ihrer  conjugirten  Werte  möglichst  klein  ist.  Mit  Rück- 
sicht hierauf  würde  in  erster  Linie  die  Resolvente  der  unter  II,  5 
erwähnten  quadratischen  Formen  u  in  Betracht  kommen ,  deren 
Anfangsglieder  sind: 

9)  «-_6J-4«»-|j.«-+^Jl«»+(^jr4Ji+^J-„)tt«+..  =0; 

dann  aber  diejenige,  welcher  Y20  genügt.  Die  Anfangsglieder  der 
letzteren  sind: 


4  T  m      16  „  ™  .    146 


10)  jtf-^YV-^rJ.Yl'  +  ^f-JlY? 

+  -J-  (160  J,  J6  - 153600  Jl0)  rj° 
+  -pr  (--  8028  J\  - 1472  J\  +  952320  J12)  Y™  +  ■ .  ; 

ihr  letztes  Glied  ist  das  Quadrat  der  unter  III,  Gleichung  8  an- 
gegebenen Form  Ji0. 

V.     Von   der  letzten  Gleichung  repraesentirt  nun  die  früher 


1)  Leipzig,  Teubner,  1884. 


Jacobi'sche  Gleichungen  40.  Grades.  381 

(s.  o.)  von  mir  untersuchte  Multiplicatorgleichung  einen 
Specialfall.  Setzt  man  nämlich  die  Argumente  vx  =  v2  =  0,  so 
reduciren  sich  die  Y  auf  Modulformen,  die  mit  y  und  nach  Weg- 
lassung ihres  gemeinsamen  Nenners  \Dn  mit  (y)  bezeichnet  werden 
sollen.  Die  aus  diesen  (y)  gebildeten  Invarianten  (i)  sind  dann 
rationale  und  wie  sich  zeigt  ganze  Functionen  der  a.  a.  0.  benutz- 
ten Simultaninvarianten  von  zwei  cubischen  Binärformen,  \/D  ein- 
gerechnet; durch  Vergleich  der  Reihenentwicklungen  findet  man: 

(V)  -  272)*;     (v)  -  9^3 BD*;    (i12)  =  |^JED*j         11) 


ft.)  =  ^^. 


32 


Zwischen  den  5  von  nur  4  unabhängigen  Veränderlichen  abhän- 
gigen Größen  (y)  muß  dabei  eine  Relation  bestehen;  es  stellt  sich 
heraus,  daß  dieselbe 

(y  =  o  i2) 

ist.  Durch  Einführung  dieser  Werthe  reducirt  sich  Gleichung  (10) 
in  der  That  auf  die  damals  mitgetheilte  Multiplicatorgleichung; 
man  hat  nur  zu  beachten,  daß  das  dort  benutzte  x  =  3(y0f  war. 


Bei  Gelegenheit  dieser  Untersuchungen  ergab  sich  mir  noch 
ein  in  anderer  Richtung  liegendes  Resultat,  dessen  Mittheilung 
ich  vielleicht  anschließen  darf.  Eine  Reduction  der  pag.  376  f.  an- 
gegebenen erzeugenden  Operationen  der  Gruppe  auf  eine  geringere 
Anzahl  erwies  sich  als  zwar  ausführbar,  aber  für  die  vorliegende 
Untersuchung  nicht  zweckmäßig.  Darüber  hinaus  aber  führten 
die  hiebei  sich  ergebenden  Resultate  zu  der  Vermuthung,  daß  solche 
Reduction  für  die  allgemeine  Gruppe  der  linearen  Perioden- 
transformationen (p  =  2)  möglich  sein  müsse.  In  der  That 
lassen  sich  die  bisher  benutzten  4  Erzeugenden  die- 
ser Gruppe,  A,  B,  (7,  D1)  aus  nur  zwei  Operationen  zu- 
sammensetzen, z.B.  aus  den  beiden  folgenden: 

A  (von  der  Periode  6): 

<  =  —  *>3  ,  13) 

w3  =  «i  —  <»4, 


1)  Vgl.  Mathem.  Annalen,  Bd.  35,  p.  209,  wo  auch  die  Literatur  angegeben 

ist.  —  Die  J,  B  des  Textes  sind  übrigens   nur  ein  Beispiel  (vielleicht  nicht  ein- 
mal das  einfachste)  eines  Paares  von  Erzeugenden. 

Nachrichten  von  der  K.  G.  d.  W.  zu  Göttingen.    1890.   Wo.  10.  32 


382         Heinrich  Burkhardt,  Jaeobi'sche  Gleichung  40.  Grades, 

und: 

B  (von  der  Periode  10): 


man  erhält  nämlich: 


*>;  = 

G>2    =    —  C>i 

«3    =    —  Wl 

<02  +  G>s 

+  03  +  G>4 

+  o3 

ll  • 

<    = 

02 

5 

11 , 

A 
B 
0 
D 

=  B*A\ 
=  ABA2B\ 

=  (A'B'AyiB4 
=  A\ 

A*)2(A3B)3, 

14) 


Als  Corollar  ergibt  sich  hieraus ,   daß  für  p  >  2  alle  linearen  Pe- 
riodentransformationen aus  drei  Erzeugenden  sich  zusammensetzen 
lassen;  ob  auch  schon  aus  zweien,  habe  ich  nicht  untersucht. 
Gröttingen,  August  1890. 


Ueber  die  Nullstellen  der  hypergeometrisehen  Reihe. 

Von 

FeMx  Flefn. 

Eine  Frage ,  die  sich  bei  den  Anwendungen  sozusagen  von 
selbst  aufdrängt,  die  aber  bislang,  so  viel  ich  weiß,  von  speciellen 
Fällen  abgesehen  noch  nicht  beantwortet  wurde,  ist  folgende :  W  i  e 
oft  verschwindet  die  hypergeometrische  Reihe 

rv     7         x        i   ;   a.b      ,    a.a  +  l.b  .b  +  1    „  , 
F(a,b,c,x)  =  l+T-^x  + rs--—fT^  +  ... 

zwischen  x  =  0  und  x  =  1?  Durch  geometrische  Betrach- 
tungen über  conforme  Abbildung,  welche  sich  an  die  Untersuchungen 
von  Herrn  Schwarz  in  Bd.  75  des  Journals  für  Mathematik  an- 
schließen (1872),  bin  ich  zu  folgendem  Resultat  gelangt: 

Es  seien  [a  —  b]  etc.  die  absoluten  Beträge  der  jeweils  einge- 
klammerten Größen,  E  aber  bezeichne  die  größte  ganze  positive 
Zahl,  welche  von  dem  Ausdrucke 

[fl  —  5]  — [1  — c]  — [c  —  a  —  q  +  l 
2 
überschritten  wird. 


Felix  Klein,  über  die  Nullstellen  der  hypergeometrischen  Reihe.     383 

Ist  nun  (1  —  c)  negativ  oder  Null,  so  ist  die  gesuchte  Zahl 
der  Nullstellen  von  F  gleich  E. 

Ist  aber  (1  —  c)  positiv,  so  ist  dieselbe  ebenfalls  =  E,  falls 
F  für  x  =  1  verschwinden  sollte  ,  anderenfalls  aber  wird  man 
zwischen  E  und  E  +  1  nach  dem  Grundsatze  wählen ,  daß  F  zwi- 
schen 0  und  1  selbstverständlich  eine  gerade  Anzahl  von  Null- 
stellen hat,  wenn  F  für  x  =  1  positiv  (endlich  oder  unendlich) 
ausfällt,  dagegen  eine  ungerade  Anzahl,  wenn  es  für  x  =  1  nega- 
tiv ist. 


Bei  der  Kgl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  einge- 
gangene Druckschriften. 


Man  bittet  diese  Verzeichnisse  zugleich  als  Empfangsanzeigen  ansehen  zu  wollen. 


Mai  1890. 
(Fortsetzung.) 

Kön.  S.  Ges.  d.  Wissensch.  zu  Leipzig : 

a.  Berichte  über  die  Verhandlungen  d.  Mathem. -physikalische  Classe.  II.  III.  IV. 

b.  Abhandlungen  d.  mathem. - physik.  Classe:    d.  XV.  Bandes  N.  VII,  VIII,  IX. 
1890. 

Register  zu  d.  Jahrg.  184G — 1885  der  Berichte  über  die  Verhandlungen  u.  zu 

den  Bänden  I — XII  der  Abhandlungen  der  math.-phys.  Classe.  Leipzig  1889. 

Zeitschrift   der    Deutschen    Morgenländischen    Gesellschaft.      Band  44.      Heft  1. 

Leipzig  1890. 
Sitzungsberichte  der  physikalisch-medicinischen  Societät  in  Erlangen.     Heft  21. 

1889.     München  1890. 
Leopoldina.     Heft  XXVI.     N.  7.  8.     Halle  a.  S. 
74.  Jahresbericht  der  Naturforschenden  Gesellschaft  in  Emden  pro  1888/89  nebst 

Festschrift  des  75jährigen  Bestehens.     Emden   1890. 
Mittheilungen  der  Geschichts-  und  Alterthumsforschenden  Gesellschaft  des  Oster- 

landes.     Band  X.     Heft  2.     Altenburg  1890. 
Jahrbücher  der  K.  Akademie  gemeinnütziger  Wissensch.  zu  Erfurt.    Neue  Folge. 

Heft  XVI.     1890. 
Abhandlungen    d.    K.   K.   geologischen   Reichsanstalt.     Band  XV.     Heft  2.     Zur 

Kenntniss  der  Fauna  der  >Grauen  Kalke  der  Süd-Alpen«.     Wien  1890. 
VII.  Bericht  der  meteorologischen  Commission   des  naturforschenden  Vereins  in 

Brunn.     Brunn  1889. 
Verhandlungen    des    naturforschenden    Vereins   in   Brunn.     Band  XXVII.     1888. 

Brunn  1889. 
Jahresbericht    der    Lese-  und  Redehalle    der   deutschen   Studenten  in  Prag   für 

1889.     Prag  1890. 
Anzeiger  der  Akademie  d.  Wissenschaften  in  Krakau.  1890.  April.  Krakau  1890. 
Royal  Irish  Academy  »Cunningham  memoirs«.     N.  5.     The  red  stars :   Observa- 
tion and  catalogue.     New  edition.     Dublin  1890. 
Zoological  Society  of  London  : 

a.  Proceedings  of  the  scientific  meetings.     1889.     Part  IV. 

b.  Transactions.     Vol.  XII.     Part  10.     London  1890. 
Nature.     Vol.  42.    N.  1070-1074. 

Proceedings  of  the  London  mathematical  Society.    N.  372 — 376. 
Proceedings  of  the  Royal  Society.     Vol.  XLVI1.    N.  288.    London  1890. 
Monthly  notices  of  the  R.  astronomical  Society.     Vol.  L.    N.  6.     1890. 


384 

Bibliotheca  Indica  a  collection  of  oriental  works  published  by  the  Asiatic  So- 
ciety of  Bengal.  New  series.  N.  711,  715—727,  729—746,  748.  Calcutta 
1889—90. 

Oeuvres  de  Fourier  publies  par  Gaston  Darboux.     Tome  II.     Paris  1890. 

Bulletin  de  la  Socidte  mathematique  de  France.     Tome  XVIII.   N.  1.  Paris  1890. 

Me'raoires  de  la  Societö  R.  des  Sciences  de  Liege.  Deuxieme  serie.  Tome  XVI. 
Bruxelles  1890. 

Bulletin  de  TAcade'mie  R.  des  Sciences  des  lettres  et  des  beaux  arts  de  Belgique. 
60e  annde,  3e  sdrie,  tome  19.     No.  4.     Bruxelles  1890. 

Observations  de  Poulkova.     Vol.  VIII.     St.  Petersbourg  1889. 

Photometrische  Bestimmung  der  Grössenclassen  der  Bonna-Durchmusterung  von 
Ed.  Lindemann.  Supplement  II  aux  observations  de  Poulkova.  St.  Pe- 
tersbourg 1889. 

Memoires  de  l'Academie  Imp.  des  Sciences  de  St.  Petersbourg.  VII.  serie. 
Tome  XXXVII.     N.  6,  7.     St.  Petersbourg  1890. 

Tabulae  quantitatium  Besselianarum  pro  annis  1890—1894  computatae ,  ed.  O. 
Struve.     Petropoli  1889. 

Dorpater  meteorologische  Beobachtungen.     Juni — Dezember  1889. 

Fondation  Teyler : 

a.  Archives  du  Musee  Teyler.     Serie  II,  vol.  3.     4ime  Partie. 

b.  Catalogue  de  la  bibliotheque  dresse  par  C.  Ekama.  Deuxieme  volume.  Au- 
teurs Grecs  et  Latins.     Livr.  1.  2.  3.     Harlem  1889. 

Dagh-Register  gehonden  int  Casteel  Batavia.    Anno  1661.    Batavia  1889. 

Sur  la  temperature  nocturne  de  l'air  ä  differentes  hauteurs  par  Julius  Juhlin. 

Presente  a  la  Society  R.  des  Sciences  d'Upsal.     Upsal  1890. 
Om  Caryophyllaceernes  Blomster  af  C.  Warming.     Kjobenhavn  1890. 
l'Academie  R.  de  Copenhague : 

a.  Memoires.     Classe  des  Sciences.     Vol.  VI.     N.  1. 

b.  Oversigt  over  det  Kong.  Danske  Videnskabernes  Selskabs  Forhandlinger. 
1889,  N   3.     1890,  N.  1. 

Lunde  Domkapitels  Gaveboger  og  Nekrologum  ET.     Kjobenhavn  1889. 

Atti  della  Reale  Accademia  dei  Lincei  1890.    Serie  quarta.   Rendiconti.  Vol.  VI. 

fasc.  5.  6.    Roma  1890. 
Atti  della  R.  Accademia   delle  Science  di  Torino.     Vol.  XXV.     Disp.  8.  9.  10a. 

1889-90.     Torino. 
Osservationi  meteorologiche  fatte  nell' anno  1888  all' osservatorio  della  universita 

di  Torino.     Torino  1890. 
Rendiconti  del  circolo  matematico  di  Palermo.     Tomo  IV,  fasc.  III.  IV. 
Pubblicazioni  del  R.  Istituto   di   studi  superiori  pratici  e  di  perfezionamento  di 

Firenze : 

a.  Sezione  di  medicina  e  chirurgia.  Archivio  della  scuola  d'anatomia  pato- 
logica.     Vol.  III.  IV.    Firenze  1885—1886. 

b.  Sezione  di  filosofia  e  filologia.  Maestri  e  Scolari  nell'  India  brahmanica, 
Saggio  di  Girolamo  Donati.     Firenze  1888. 

c.  Sezione  di  Scienze  fisiche  e  naturali.  1.  Osservazioni  continue  delln  elettri- 
cita  atmosferica  fatte  a  Firenze  nel  1884.  Seconda memoria  di  L.  Pasqualini 
eA.Röiti.  ...  fatte  a  Firenze  negli  anni  1883 — 86.  Memoria  del  Dott.  Franco 
Magrini.  Firenze  1885/88.  2.  Saggio  sperimentale  sul  meccanismo  dei  movi- 
menti  volontari  nella  testuggine  palustre  del  Dott.  Giulio  Fano.  Firenze  1884. 

(Fortsetzung  folgt.) 

Inhalt  von  No.  10. 
Eduard  Rücke,  specielle  Fälle  von  Gleichgewichtserscheinungen  eines  ans  mehreren  Phasen  zusammen- 
gesetzten Systemes.  —  Derselbe,  über  stufenweise  Dissociation  und  über  die  Dampfdichte  des  Schwefels. 
—  Franz  Meifer,  über  Discriminanten  und  Resultanten  von  Singularitätengleichungen.  —  Heinrich  Burk- 
hardt ,  zur  Theorie  der  Jacobi'schen  Gleichungen  40.  Grades,  welche  bei  der  Transformation  3.  Ordnung 
der  Thetafunctionen  von  zwei  Veränderlichen  auftreten.  —  Felix  Klein,  über  die  Nullstellen  der 
hypergeometrischen  Reihe.  —  Eingegangene  Druckschriften. 


Für  die  Redaction  verantwortlich:    H.  Sauppe,  Secretär  d.  K.  Ges.  d.  Wigs. 
Commissions-Verlag  der  Dieterich' sehen   Verlags- Buchhandlung. 
Druck  der  Dieterich' sehen  Untv.- Buchdruckerei  ( TV.  it.  Kaesinw). 


Nachrichten 


von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu   Göttingen. 


8.  October.  MW.  189°- 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  5.  Juli. 

Weibliche  Satyrn  und  Pane  in  der  Kunst  der 
Griechen  und  Römer. 

Von 

Friedrich  Wieseler. 

Die  bildlichen  Darstellungen  weiblicher  Satyrn  und  Pane  sind 
keineswegs  so  sehr  selten,  wie  noch  in  neuerer  Zeit  manche  sonst 
sehr  kundige  Archäologen  gemeint  haben.  Es  dürfte  deshalb  zweck- 
mäßig sein,  die  uns  bekannt  gewordenen  Beispiele  übersichtlich  zu- 
sammenzustellen. 

Man  wird  sehen,  daß  eine  nicht  unbeträchtliche  Anzahl  ein- 
schlägiger Darstellungen  bis  in  das  achtzehnte  Jahrhundert  und 
in  die  jetzige  Zeit  sich  erhalten  hat,  von  denen  einige  freilich  un- 
sicher sind,  eine  offenbar  gefälscht  ist. 

Die  ältesten  der  betreifenden  Darstellungen  reichen  bis  in  die 
Hellenistische  Zeit  hinein,  die  meisten  gehören  erst  der  Römischen  an. 

I. 

Satyrae. 

Weibliche  Satyrn  finden  sich  in  Bildwerken  verschiedener  Gat- 
tungen der  Kunstübung.    Am  Meisten  sind  sie  uns  in  Marmorwer- 

Nachrichten  you  der  K.  G.  d.  W.  ü  Uöttingen.  1890.  Nr.  11.  33 


386  Friedrich  Wieseler, 

ken  erhalten.  Ja  nach  Em.  Gralichon  Graz,  des  Beaux-Arts,  Bd.  II, 
1861,  p.  232,  soll  eine  ausgezeichnete  fast  lebensgrosse  Gruppe  eines 
Faune  avec  une  Faunisque  sich  im  Louvre  befinden.  Aber  hier  liegt 
ohne  Zweifel  ein  lrrthum  zu  Grunde.  Gemeint  ist  gewiß  die  von 
W.  Fröhner  Notice  de  la  sculpt.  ant.  n.  260  verzeichnete  Gruppe, 
die  von  mir  im  J.  1859  bei  Louis  Fould  gesehen  wurde  und  1860 
in  den  Louvre  überging.  Hier  handelt  es  sich  nicht  um  une  Fau- 
nisque, sondern  um  ein  Satyrknäbchen. 

Ob  eine  Einzelstatue  einer  Satyra  sicher  steht,  ist  die 
Frage. 

J.  Burckhardt  schrieb  im  Cicerone  II,  1860,  S.  482  „Eine  junge 
Satyrin  in  der  Villa  Albani  (Nebengalerie  rechts)  zeigt  in  ihrem 
zwar  aufgesetzten  aber  doch  wohl  echten  Köpfchen  die  Merkmale 
ihrer  Gattung,  auch  das  Stumpfnäschen,  in  das  Mädchenhafte  über- 
setzt ;  ihr  schwebender  Tanzschritt  veranlaßte,  vielleicht  mit  Recht, 
eine  Restauration  der  Hände  mit  Klingplatt en".  Ich  muß  diese 
Annahme  ganz  auf  sich  beruhen  lassen,  bezweifle  aber  die  „Saty- 
rin", da  die  charakteristischen  Ohren  fehlen1). 

Noch  mehr  gilt  das  in  Betreff  der  von  demselben  Gelehrten 
a.  a.  0.  als  Satyrin  betrachteten  Statue  im  Conservatorenpalaste 
auf  dem  Capitol,  deren  Kopf  er  selbst  für  zweifelhaft  hält. 

In  der  Sammlung  zu  Broadlands  befindet  sich  eine  Herme 
(Terminal  bust.)  nach  A.  Michaelis  Anc.  marbles.  in  Great  Britain 
p.  224,  n.  26. 

Bedeutender  ist  die  Anzahl  von  Köpfen. 

Schon  vor  längerer  Zeit  ist  das  zu  einer  Büste  ergänzte  Köpf- 
chen zu  Venedig  abgebildet  in  Statue  di  S.  Marco  und  danach  in 
meinen  Denkm.  der  a.  Kst.  II,  45,  562.  Zuletzt  besprochen  von 
Dütschke  Ant.  Bildw.  in  Oberital.  V,  n.  68. 

In  derselben  Sammlung,  dem  Mus.  archeologico ,  befindet  sich 
ein  vortrefflicher  Colossalkopf,  Pendant  zu  einem  Colossalkopf  eines 
männlichen  Satyrs.  Jener  besprochen  von  Valentinelli  Marmi  scol- 
piti  del  mus.  arch.  della  Marciana,  Prato  1866,  p.  249  fg.  zu 
n.  299,  Wieseler  Nachr.  d.  K.  GL  d.  Wiss.  zu  Göttingen,  1874, 
S.  587,  und  zuletzt  von  Dütschke  a.  a.  0.  n.  363,  beide  abgebildet 
bei  Valentinelli  a.  a.  0.  t.  XLIV. 

"W.  Fröhner  verzeichnet  in  der  Not.  de  la  sculpt.  ant.  du 
Louvre,  n.  286  als  aus  der  Sammlung  Campana  stammend  den  Kopf 
mit  orcilles  de  chevre  et  deux  touffes  de  poil  (ytJQecc)  als  den  einen 
Satyra. 

1)  Allem  Anscheine  nach  ist  das  von  Platner  in  der  Beschr.  d.  Stadt  Rom 
III,  2,  S.  498,  n.  2  als  „Statue  einer  Bakchantin"  aufgeführte  Werk  gemeint. 


weibliche  Satyrn  und  Pane  in  der  Kunst  der  Griechen  und  Römer.      387 

Mehr  Beispiele  lernen  wir  durch  Benndorfs  und  Schöne's  aus- 
gezeichnetes Werk  „Die  ant.  Bilder  des  Lateranens.  Mus."  kennen. 
Unter  n.  140  geben  dieselben  eine  Beschreibung  und  auf  Taf.  III, 
Fig.  2  eine  Abbildung  eines  jugendlichen  Satyrnköpfchens;  unter 
n.  174  verzeichnen  sie  einen  weiblichen  Satyrkopf  mit  kleinen  An- 
sätzen von  Hörnern,  unter  n.  273  den  Kopf  einer  Satyra  mit  zwei 
kleinen  Hörnern  und  gespitzten  Ohren;  außerdem  führen  sie  als 
aus  Marmor  bestehend  S.  402,  n.  594  an  „Satyra  (?)  weibliches 
Kinderköpfchen  mit  satyreskem  Ausdruck". 

Kekule  führt  „Das  akad.  Kunstmus.  zu  Bonn",  1872 ,  n.  361 
auch  den  von  Benndorf  und  Schöne  Taf.  III,  Fig.  1  abbildlich  mit- 
getheilten  und  n.  96  als  den  einer  jugendlichen  Bakchantin  bezeich- 
neten Kopf  wenigstens  frageweise  als  „Kopf  eines  Satyrmädchens" 
auf,  was  uns  schon  wegen  der  Stirnbinde  bedenklich  erscheint. 

Die  beiden  genannten  Beschreiber  des  Lateranens.  Mus.  be- 
merken S.  86  zu  n.  140:  „Unter  den  kleinen  Marmorn  im  Museo 
nazionale  eine  Doppelherme  eines  Silen  mit  einer  jugendlichen  Sa- 
tyra. —  Weiblich  scheint  auch  der  Kopf  zu  sein,  den  L.  Grerlach 
Wörlitzer  Antiken  Heft  I  Titelblatt  als  Satyr  publicirt  hat *).  Ein 
schöner  weiblicher  Satyrkopf  im  Museum  Kircherianum." 

Von  Matz-Duhn  Ant.  Bildw.  in  Rom  Bd.  I,  n.  470  wird  als 
in  Palazzo  Corsini  befindlich  aufgeführt  der  Kopf  eines  lachenden 
Satyrmädchens",  aber  mit  dem  Zusatz:  „vielleicht  modern". 

Ebenda  erfahren  wir  unter  n.  469,  daß  im  Besitz  des  Stud. 
Jerichau  sich  befinde  „ein  ganz  satyrhaft  gebildeter  weiblicher 
Kopf  —  der  Mund  geöffnet  und  augenscheinlich  als  Wasserspeier 
benutzt,  wozu  wohl  paßt,  daß  der  Kopf  hinten  maskenartig  hohl 
ausgearbeitet  ist.     Die  Ohren  sind  nicht  sichtbar." 

Keller  und  Bursian  haben  in  dem  Anzeiger  für  Schweizeri- 
sche Alterthumskunde  III,  1870,  S.  198  fg.  einen  bei  Lausanne  ge- 
fundenen, auf  Taf.  XXVII,  Fig.  1  abgebildeten  „Statuenkopf"  aus 
Pentelischem  Marmor  besprochen,  indem  sie  äußern,  man  könne 
schwanken,  ob  er  männlich  oder  weiblich  sei." 

Auch  an  Darstellungen  in  Marmorreliefs  fehlt  es  nicht. 
Zwei  derselben  kennen  wir  durch  Besprechung  und  Abbildungen 
von  Benndorf  und  Schöne  a.  a.  0.  n.  373,  S.  252  und  n.  408,  S.  287, 
von  denen  auch  die  frühere  Literatur  angegeben  ist.  Beide  Male 
handelt  es  sich  um  Bakchische  Sarkophage.  Auf  dem  unter  n.  373 
wird   an   der  rechten  Nebenseite   „das  Obertheil  einer  mit  einem 


1)  Auch  W.  Hosaeus  Wörlitzer  Antiken,   S.  18  fg.,  n.  6   spricht  von  „Kopf 
und  Rumpf  eines  Faunen",  indem  er  bemerkt,  die  Bildung  habe  etwas  Weichliches. 

33* 


388  Friedrich  Wieseler, 

gegürteten  ärmellosen  Chiton  bekleideten  Satyra  sichtbar",  welche 
ihre  Rechte  auf  die  r.  Schulter  eines  Satyrs  legt  und  über  seine 
Achsel  dem  Tränken  eines  Panthers  von  Seiten  dieses  zuschaut. 
Auf  dem  Sarkophag  unter  n.  408  ist  an  der  rechten  Nebenseite 
in  der  Mitte  ein  Baum  dargestellt.  Links  von  ihm  tanzt  ein  Satyr 
lebhaft  nach  rechts.  Rechts  von  ihm  tanzt  eine  Satyra  gleichfalls 
nach  r.,  den  Kopf  dem  Satyr  zugewendet;  sie  trägt  das  Haar  am 
Hinterkopf  zusammengebunden  und  ist  mit  einem  ärmellosen  gegür- 
teten Chiton  und  einem  Obergewand  bekleidet,  das  sie  zierlich  in 
der  Rechten  erhebt". 

Auch  auf  dem  Relieffragment  eines  Bakchischen  Sarkophags 
im  Cortile  des  Palazzo  Riccardi  zu  Florenz  hat  sich  nach  Dütschke 
Ant.  Bildw.  in  Oberitalien  II,  n.  153  erhalten  „der  Oberkörper 
einer  vermuthlich  sitzenden  Satyressa ,  an  ihren  spitzen  Ohren 
kenntlich;  das  lockige  Haar  ist  zurückgestrichen  und  hinten  in 
einen  Knoten  zusammengebunden.  Sie  trägt  einen  Chiton  und  ein 
Obergewand,  das  hinter  ihr  im  Bogen  flattert." 

Wenn  von  Stephani  in  den  Parerga  arch.  XXVI  auf  dem  von 
ihm  abbildlich  mitgetheilten  Bakchischen  Sarkophag  in  der  Er- 
mitage zu  St.  Petersburg  zwei  musicirende  Weiber  im  langen  Chi- 
ton und  mit  bogenförmig  flatterndem  Obergewand,  „denen,  wie 
den  Satyren,  spitze  Ohren  verliehen  sind",  trotzdem  als  „Maena- 
den"  bezeichnet  werden,  so  sind  dieselben  vielmehr  als  Satyrae 
zu  betrachten. 

Auch  auf  anderen  Reliefs  als  an  solchen  auf  Römischen 
Sarkophagen  kommen  Satyrae  vor. 

Hieher  gehört  das  Relief  im  Mus.  Capitolinum  IX,  36.  Dann 
nach  Dütschke  a.a.O.  IV,  n.  860,  S.  374  das  bei  Labus  Museo 
della  Reale  accademia  di  Mantova  II,  t.  XXIX  abgebildete  Relief 
zu  Mantua,  welches  auch  deshalb  von  Belang  ist,  wenn  es,  wie 
Dütschke  annimmt,  auf  die  Hellenistische  Zeit  zurückgeht.  Auf 
ihm  steht  nach  dieses  Gelehrten  Angaben  hinter  einem  jungen  Sa- 
tyr „eine  Satyra  mit  angesetztem  aber  wohl  antikem  und  zuge- 
hörigem Kopfe  (erg.  Nase  von  Gips),  welcher  mit  Weinlaub  be- 
kränzt ist.  Auf  dem  Kranze,  von  welchem  Bänder  auf  die  Brust 
flattern,  scheint  ein  Tuch  zu  liegen,  wenn  dies  nicht  erg.  ist.  Ihr 
Chiton  ist  etwas  von  der  1.  Schulter  herabgesunken." 

L.  von  Sybel  erwähnt  im  Katalog  der  Skulpturen  zu  Athen 
n.  995  eine  Satyressa  als  „Pfeilerfigur",  doch  ist  im  Index  S.  XIV 
die  Angabe  mit  einem  Fragezeichen  versehen. 

Daß  die  Darstellung  einer  ihr  Kind  auf  ihrem  Fuße  tanzen 
lassenden  Satyra  in  einem  Relief  aus  rosso  antico  zu  Wilton  House 


weibliche  Satyrn  und  Pane  in  der  Kunst  der  Griechen  und  Römer.      389 

moderne  Copie  einer  Florentinischen  Gemme  (s.  unten  S.  389)  sei, 
hat  schon  Michaelis  Anc.  marbles.  in  Great  Britain  p.  691 ,  zu  n. 
101  bemerkt. 

Ein  fragmentirtes  Marmorrelief  zu  Göttingen  zeigt  eine  von 
G.  Hubo  „Originalwerke  in  der  archäol.  Abt.  des  arch.-numism. 
Instituts  der  Georg- Augusts-Univ.  S.  127  fg.  n.  760,  erkannte  „kau- 
ernde nackte  Satyra." 

An  einem  großen  Candelaber  im  Louvre,  gewahrt  man  nach 
FrÖhner  Not.  de  la  sculpt.  ant.  n.  312,  S.  304  (der  auch  die  Ab- 
bildungen angiebt),  unter  quatre  masques  colossaux  d'une  beaute* 
achevee,  pose*s  sur  des  bases  carrees  celui  d'une  jeune  Satyra,  cou- 
ronnee  de  lierre  en  fleur,  reuni  ä  un  masque  semblable. 

Unter  den  Bronzewerken  ist  namentlich  durch  die  Abbil- 
dung im  Mus.  Borb.  X,  13  =  Denkm.  d.  a.  K.  II,  561  bekannt  die 
Doppelbüste  eines  pinienbekränzten  gehörnten  Satyrs  mit  aufge- 
sträubtem Haare  und  einer  epheubekränzten  langlockigen  Satyra. 

Im  Berliner  Antiquarium  befindet  sich  die  Doppelherme  eines 
Satyrs  und  Satyrmädchens  mit  Schaft  unten  am  Ende,  wahrschein- 
lich aus  einem  Gitter  stammend. 

Hoffmann  erwähnt  in  den  Antiquites,  See.  Partie,  Paris  1888, 
p.  23  n.  480  eine  zu  Torre  del  Greco  gefundene  Panisca  und  Sa- 
tyra, die  als  couronnement  de  terme  gedient  haben. 

Eine  im  Brit.  Mus.  befindliche  bekleidete  Bronzebüste  einer 
Satyra  (female  Faua)  von  guter  römischer  Arbeit  mit  Augen,  Zäh- 
nen und  (priQea  aus  Silber  ist  in  den  Specim.  of  ant.  sculpt.  Vol. 
II,  pl.  LVII  abbildlich  mitgetheilt. 

Auch  zwei  Terracotta köpfe  sind  uns  bekannt,  vgl.  F. 
Dümmler  De  figuris  plasticis  quibusdam  Tarenti  repertis  in  den 
Ann.  d.  inst.  T.  LV,  1883,  p.  203,  n.  6. 

Anscheinend  giebt  es  auch  eine  hieher  gehörende  Goldmünze. 
Barclay  Head  führt  in  der  Hist.  numorum  p.  456,  n.  282  eine 
solche  von  Lampsakos  an,  die  einen  weiblichen  Profilkopf  mit 
einem  Geißohr  zeige.  Er  hält  denselben  für  den  einer  Bakchantin 
oder  des  Dionysos,  welche  beiden  Deutungen  unzulässig  sind.  Ist 
ein  wirklich  weibliches  Wesen  gemeint,  so  kann  nur  eine  Satyra 
gemeint  sein. 

Einige  Beispiele  finden  sich  auf  geschnittenen  Steinen. 
Am  Meisten  bekannt  ist  der  Florentinische  in  den  Denkm.  d.  a.  K. 
II,  45,  563  abbildlich  mitgetheilte,  welcher  die  vollständige  Figur 
in  einer  Handlung  zeigt.  Damit  ist  zusammenzustellen  der  bei  de 
la  Chausse  Gemme  ant.  fig.  t.  114,  auf  welchem  die  Satyra  das  in 
der  Vorderansicht  dargestellte  Kind  auf  ihrem  Fuße   tanzen  läßt, 


390  Friedrich  Wieseler, 

während  sie  ihm  eine  Traube  hinhält.     Beide  Satyrae   sind  voll- 
ständig nackt  und  nur  durch  das  Schwänzchen  hinten  zu  erkennen. 

Das  dritte  Beispiel  bietet  ein  aus  der  Sammlung  Blacas  stam- 
mender Stein  im  Brit.  Mus. ,  welchen  Murray  A  catal.  of  engrav. 
gems,  London  1888,  unter  n.  f  1061  so  aufführt:  Maenad  (?)  bust 
of,  to  front,  with  ears  and  face  of  satyr,  but  with  female  breasts ; 
soy  wreath  on  head,  this  drapery  fastened  on  r.  Shoulder,  Sard. 
Das  Kreuzzeichen  vor  der  Nummer  bezieht  sich  auf  zweifelhafte 
Echtheit  der  Gemme.  Doch  ist  an  jene  in  dem  vorliegenden  Falle 
wohl  nicht  zu  denken,  da  Murray' s  Bezweifelung  der  Echtheit  ver- 
muthlich  nur  auf  der  ihn  befremdenden  Darstellung  beruhte,  welche 
wir  schon  oben  als  die  einer  Satyra  nachgewiesen  haben. 

Selbst  in  einem  Vasengemälde  dürfen  wir  wohl  die  Dar- 
stellung einer  Satyra  annehmen.  Wir  meinen  das  mit  gelblichen 
Figuren ,  welches  die  Rückführung  des  Hephästos  durch  Dionysos 
und  seinen  Thiasos  darstellt  und  zuletzt  in  Ch.  Lenormant's  u.  J. 
de  Witte's  Elite  d.  mon.  ceramogr.  Vol.  I  pl.  XL VII  abbildlich 
mitgetheilt  ist.  Hier  erblickt  man  ein  epheubekränztes  Weib  in 
langem  Grewande  mit  Oenochoe  und  brennender  Fackel  in  den  Hän- 
den, welches  ganz  deutlich  Satyrohren  hat.  Die  Vergleichung  na- 
mentlich des  oben  S.  388  erwähnten  Petersburger  Sarkophagreliefs 
weist  auf  eine  Satyra  hin,  wogegen  nicht  spricht,  daß  in  der  ent- 
sprechenden Darstellung  in  der  El.  ceramogr.  Vol.  I,  pl.  XLV  A 
eine  fackeltragende  Maenade  erscheint. 

Auch  auf  Wandgemälden  aus  den  verschütteten  Städten  am 
Vesuv  finden  sich  Satyrae. 

Heibig  verzeichnet  unter  n.  442, b  die  „Herme  einer  zarten 
Satyriskin." 

Auf  dem  mehrfach  abgebildeten  Wandgemälde  (Mus.  Borbon. 
III,  4,  Ternite's  Wandgem.  erkl.  von  Welcker  III,  Taf.  2,  Wie- 
seler Theatergeb.  u.  Denkm.  d.  Bühnenwes.  Taf.  X,  n.  1,  Arch. 
Ztg.  XIII,  1855,  Taf.  LXXXII,  n.  1  ist  unter  den  Genossen  des 
Dionysos,  welcher  die  Komödie  einsetzt,  ein  mit  Satyrohren  ver- 
sehenes, mit  einem  Chiton  bekleidetes  Mädchen  zu  sehen,  welches 
man  mit  Recht  als  Satyra  faßt.  So  auch  Welcker  noch  in  den 
A.  Denkmälern,  Th.  IV,  S.  7  und  Otto  Jahn  in  der  Arch.  Ztg. 
a.a.O.  S.  146 *). 

A.  Mau  beschreibt  eine  Satiressa  in  Verbindung  mit  einer  an- 


1)  Heibig  erwähnt  a.  a.  0.  n.  408  die  betreffende  Figur  wohl  als  Mädchen, 
nicht  aber  als  Satyra,  indem  er  die  kennzeichnenden  Ohren  irrthümlich  bei  einer 
anderen,  männlichen  Figur  voraussetzt. 


weibliche  Satyrn  und  Pane  in  der  Kunst  der  Griechen  und  Römer.     391 

dem  weiblichen  Figur  Bullett.  d.  Inst.  1876  p.  241  fg. ,  vgl.  auch 
Fiorelli  Giorn.  d.  Scavi  Pomp.  N.  S.  HI,  p.  152,  A.  Sogliano  Le 
pitture  murali  Campane  in  Pompei  e  la  regione  sotterrata  dal  Ve- 
suvio,  Napoli  MDCCCLXXIX,  P.  E,  n,  236,  p.  129  fg. 

n. 

Faniscae. 

Auch  weibliche  Pane  finden  sich  in  erhaltenen  Bildwerken 
und  zwar  wiederum  auf  denen  verschiedener  Grattungen  der  Kunst- 
übung und  häufiger  als  bisher  allgemein  bekannt  ist. 

Gehen  wir  zunächst  von  den  Marmorwerken  über,  so  ha- 
ben wir  auch  hier  eine  zuvörderst  statuarische  Gruppe  eine  Panin 
mit  Pankindern  darstellend  zu  berühren. 

"Wir  lernen  dieselbe  besonders  kennen  durch  E.  Braun's  Be- 
sprechung in  den  Annali  d.  inst.  arch.  XVIII,  1846,  p.  240  fg. 
und  die  dazu  gehörende  Abbildung  auf  tav.  d'agg.  N.  I  u.  II,  die 
nach  einer  Zeichnung  gemacht  ist,  welche  Conte  Orti  di  Manara 
an  Braun  übersandte.  Später  ist  das  Monument  spurlos  ver- 
schwunden. Es  unterliegt  aber  wohl  keinem  Zweifel,  daß  es  mo- 
dern war,  wie  auch  Brunn  Ann.  d.  inst.  arch.  XXXVI,  1864,  p. 
385  urtheilt ,  während  Welcker  zu  Müllers  Hdb.  d.  Arch.  §  388 
A.  2  an  der  Echtheit  nicht  zweifelt. 

Als  Einzelstatue  ist  an  erster  Stelle  zu  nennen  die  bekannte 
hübsche  Statuette  in  Villa  Albani-Torlonia  zu  Rom,  von  welcher 
Clarac  Mus.  de  sculpt.  T.  IV,  pl.  727,  n.  1732  eine  Abbildung 
giebt.  Die  behörnte  ziegenbeinige  jugendliche  Figur,  deren  Tracht 
in  einer  um  den  Hals  geknüpften  Wolfshaut  besteht,  erscheint  als 
Flötenspielerin  dargestellt.  Wenn  auch  dieser  Umstand  nur  auf 
moderner  Ergänzung  beruht,  so  ist  doch  an  der  wesentlichen  Rich- 
tigkeit dieser  nicht  zu  zweifeln  wegen  der  espressione  della  fiso- 
nomia  (E.  Braun  Ann.  a.a.O.). 

„In  der  Gallerie  zu  Florenz  ist  die  Marmorstatue  einer  Pa- 
nin, die  in  dem  ledernen  Gewände,  das  um  ihre  Schultern  befestigt 
ist,  einen  Paniscus  trägt" :  A.  Hirt  im  Bilderbuch  für  Mythol.  Ar- 
chäol.  und  Kunst  H.  II,  S.  163.  Ueber  dieses  Werk  hören  wir 
sonst  kein  Wort  und  doch  ist  an  dessen  Vorhandensein  in  der 
Gal.  d.  UfFizj  vor  dem  J.  1816  gewiß  nicht  zu  zweifeln. 

Dann  erwähnen  wir  den  „Kopf  einer  Paniska"  im  Lateranisi- 
schen  Museum  zu  Rom,  nach  Benndorf  und  Schöne  Ant.  Bildw.  d. 
Lateran.  Mus.  n.  101 :  „Die  Ohren  sind  spitz ;  oberhalb  der  Stirn 
ziehen  sich  r.  und  1.   von  dem  nur  angedeuteten  Scheitel  zwei  am 


392  Friedrich  Wieseler, 

Kopf  aufliegende,  nicht  von  ihm  abstehende  Hörner  in  die  Höhe. 
Das  Gesicht  mit  mürrisch  vorgeschobenem  Munde  ist  von  feinem 
liebenswürdigen  Ausdruck." 

Für  den  Kopf  einer  Panisca  hält  Bernoulli  den  in  Wilton 
House  bei  Michaelis  Anc.  marbles  in  Grreat  Britain  p.  710,  n.  180, 
während  Michaelis  denselben  als  Head  of  a  young  Pan  or  a  Satyr 
bezeichnet. 

Ob  die  Ansicht  Benndorf  s  und  Schone's  a.  a.  0.  S.  106,  n.  188 
richtig  sei,  nach  welcher  die  in  G-arrucci's  Mus.  Lateranense  t.  XXYI, 
n.  2  abbildlich  mitgetheilte  Herme  für  die  einer  Panin  zu  halten 
sein  soll,  müssen  wir  sehr  bezweifeln.  Nach  der  Abbildung  sieht 
es  ganz  so  aus,  als  ob  die  betreffende  Figur  bärtig  sei. 

Auch  an  Relief  darstellungen  von  Paninnen  fehlt  es  nicht. 

In  demMuseo  archeologico  zu  Venedig  befindet  sich  das  Frag- 
ment eines  Hochreliefs  mit  zwei  Centauren  und  einer  schlafenden 
weiblichen  Figur,  welche  letztere  man  in  neuerer  Zeit  als  Centau- 
rin  gefaßt  hat,  vgl.  Dütschke  Ant.  Bildw.  in  Oberitalien  S.  108  fg., 
n.  286,  während  schon  Zanetti  zu  der  ersten  Abbildung  in  den 
Statue  di  S.  Marco  II,  32  im  J.  1743  dieselbe  als  Satirina  faßte. 
Es  handelt  sich  auf  allen  Abbildungen  ganz  deutlich  um  eine 
Panin J). 

Außerdem  kennen  wir  noch  zwei  Reliefdarstellungen,  die  auf 
der  aus  Tusculum  stammenden  runden  Scheibe  in  den  Denkm.  d. 
a.  Kst.  II,  43,  536  und  die  auf  dem  berüchtigten  Sarkophag  im 
Mus.  naz.  zu  Neapel,  ebenda  II,  44,  548. 

Dort  ist  ein  naschhaftes  Panweibchen  in  Verbindung  mit  ih- 
rem Manne  dargestellt;  hier  die  Unzucht  einer  Panin. 

Endlich  sind  noch  zwei  nicht  durch  Abbildung,  wohl  aber  durch 
Beschreibung  bekannte  Paninnen  in  Reliefdarstellungen  zu  erwäh- 
nen,  vgl.  Gerhard  in  der  Beschr.  der  Stadt  Rom  von  Platner, 
Bunsen,  Gerhard  u.s.w.  Bd.  II,  Abth.  2,  S.251  und  Bd.  II,  Abth. 
2,  S.  182 ,  n.  59  (wo  aber  Kopf  und  Füße  fehlen). 

Wir  wenden  uns  jetzt  zu  den  einschlägigen  Werken  aus 
Bronze. 

Wir  erwähnen  zunächst  die  isolirten  Rund  werke. 


1)  Vermuthlich  meint  auch  Hirt  Bilderbuch  S.  163  dieses  Werk,  wenn  er 
nach  den  oben  S.  391  ausgeschriebenen  Worten  fortfährt:  „andere  sind  in  der  Villa 
Albani  und  in  der  Sammlung  der  Marcusbibliothek  zu  Venedig".  Er  hat  sich  nur 
nicht  genau  genug  ausgedrückt,  indem  er  nicht  angab,  daß  es  sich  um  eine  Re- 
liefdarstellung handele.  Von  dem  Vorhandensein  einer  statuarischen  Darstellung 
einer  Panin  in  der  Marciana  zu  irgendwelcher  Zeit  findet  sich  soiist  keine  Spur. 


weibliche  Satyrn  und  Pane  in  der  Kunst  der  Griechen  und  Römer.      393 

Ein  Kopf,  damals  in  der  Sammlung  Fejervari,  ist  bekannt  ge- 
macht und  erklärt  von  E.  Braun  in  den  Monum.;  ined.  Ann.  d. 
Inst.  arch.  1854,  p.  89.  Das  nächst  erscheinende  Heft  der  Denkm. 
d.  a.  Kst.  wird  Taf.  XLV,  n.  561,  a  die  Abbildung  wiederholt 
bringen.  Er  zeigt  nach  Braun  corna  ed  orecchie  Vaccine  und  wird 
von  ihm  als  einer  der  Panische  della  specie  vaccina  zugehörig  be- 
trachtet. Von  diesen  findet  sich  aber  unseres  Wissens  sonst  keine 
Spur.  Wohl  aber  werden  die  Satyrn  von  Nonnes  als  ßovxEQccoi, 
ßovxQcagoi,  xavQocpvelg  bezeichnet  und  ihnen  eine  tavQ&Ttig  ^OQ(f^ 
zugeschrieben  (Dionys.  X,  209—247,  559).  Sollte  es  also  nicht 
gerathener  sein,  den  Kopf  für  den  einer  Satyra  zu  halten?  An 
den  der  Io,  welchen  man  vor  Braun  annahm,  ist  gewiß  nicht  zu 
denken. 

Die  Darstellung  einer  Panisca  aus  Bronze ,  vermuthlich  einer 
Herme,  ist  schon  oben  S.  389  nach  Hoffmann  angeführt. 

Die  vollständige  Statuette  einer  begehrlichen  Panin  mit  einem 
Apfel  in  der  Hand  gab  schon  Gori  Mus.  Etrusc.  T.  I,  t.  64,  n.  2 
u.  3  heraus. 

Eine  andere  hörnerlose  ist  von  Bursian  Aventicum  Helv.  in  den 
Mitth.  der  antiquar.  Gesellsch.  zu  Zürich  Bd.  XVI,  Abth.  1,  1869, 
S.  43  fg.  besprochen  und  Taf.  XIV  abbildlich  mitgetheilt.  Die  mit 
Epheu  bekränzte  sitzende  Figur  von  guter  Komischer  Arbeit  bläst 
ebenso  wie   die  Marmorstatuette  der  Villa  Albani  die  Doppelflöte. 

Welcker  erwähnt  zu  Müller  Handb.  der  Arch.  §  388  Anm.  2 
eine  Panin  in  Bronze  als  in  Florenz  im  Cab.  der  Münzen  befind- 
lich. Andererseits  hören  wir  durch  E.  Braun  in  den  Annali  a.  a.  0. 
von  einer  im  Mus.  Florentino  im  Saale  der  geschnittenen  Steine 
aufbewahrten  Panin  mit  der  Angabe ,  daß  sie  porta  un  secchio  o 
paniera,  aber  ohne  daß  das  Material  angegeben  wird.  Weder  jene 
noch  diese  Figur  ist  uns  anderweitig  bekannt.  Es  hat  aber  mehr 
als  Wahrscheinlichkeit,  daß  eine  und  dieselbe  Statuette  gemeint 
und  diese  von  Bronze  ist. 

Zu  den  nicht  isolirten ,  sondern  ursprünglich  an  einem  G  e- 
räthe  zur  Decoration  angebrachten  Rundwerken  ge- 
hört meines  Erachtens  ein  von  Montfaucon  Ant.  expl.  T.  I,  P.  2, 
t.  CLXVIII,  n.  6  aus  der  Sammlung  C.  Fontaine  herausgegebenes 
Werk,  obgleich  nicht  gesagt  wird,  daß  es  von  Bronze  sei.  Es 
stellt  eine  wohlgearbeitete  Panin  mit  großen  Hörnern  und  den  bei 
den  Panen  mehrfach  vorkommenden  langen  herabhängenden  Ohren 
dar,  mit  welchen  beiden  Attributen  auch  der  unter  n.  5  abgebil- 
dete männliche  Pan  aus  derselben  Sammlung  versehen  ist. 

Dann    erwähnen  wir    ein  ebenfalls    schon   vorlängst  heraus- 


394  Friedrich  Wieseler, 

gegebenes,  aber  vergessenes  Werk:  die  bis  unterhalb  der  Brüste 
•wohl  erhaltene  kleine  Büste  aus  Bronze  bei  Caylus  Recueil  d'an- 
'tiquite*  T.  I,  pl.  LXXII  n.  II,  von  deren  Aufenthaltsort  nichts 
verlautet.  Der  Herausgeber  bezeichnet  dieses  als  von  guter  Römi- 
scher Arbeit,  fin  et  delicat,  gracieux.  Er  nennt  es:  femme  d'un 
Faune.  Es  handelt  sich  um  ein  jugendliches  Mädchen  mit  kleinen 
Hörnchen  über  der  Stirn  und  wohlgeordnetem  Haare,  dessen  Nase 
nicht  die  gewöhnliche  Stumpfnase  der  Satyrae  ist,  sondern  eine 
etwas  längere,  etwas  gebogene,  so  daß  die  Panin  wohl  sicher  steht. 
Ein  Rundwerk  zum  Theil,  aber  kein  isolirtes ,  sondern  ein  zu 
einem  Geräthe  gehörendes  ist  die  jetzt  zu  Brüssel  im  Musee  Royal 
d'antiquite's  et  d'armure  befindliche  Werk,  welches  herausgegeben 
ist  von  Brunn  in  den  Monum.  d.  Inst.  Vol.  VIII,  t.  XII,  n.  8  und 
besprochen  von  demselben  in  den  Annali  XXXVI,  1864,  p.  385  fg. ; 
außerdem  ist  das  Werk  beschrieben  von  dem  früheren  Besitzer  so- 
wohl in  dem  von  ihm  selbst  verlegten  Catalog  unter  dem  Titel 
Muse*e  de  Ravestein,  Bruxelles  1870,  T.  I  p.  368,  n.  883,  als  auch 
in  dem  von  dem  Mus.  Roy.  herausgegebenen  Catalog.  Mus.  de  Ra- 
vestein, notice  par  E.  Meester  de  Ravestein,  deuxieme  edition, 
Bruxelles  1884,  p.  261,  n.  884.  Freilich  stimmen  die  Angaben  von 
Meester  de  Ravestein  und  von  Brunn  nicht  ganz  überein.  Jener 
bezeichnet  noch  in  der  zweiten  Ausg.  den  Gegenstand  als  une 
faune  tenant  sur  le  bras  gauche  un  enfant  auquel  eile  presente 
le  sein,  indem  er  des  Weiteren  bemerkt:  cette  charmante  nymphe 
est  placee  dans  un  feuillage  d'ornement  qui  cache  une  partie  de 
ses  cuisses  et  ses  jambes.  Elle  est  representee  ayant  toute  la 
forme  humaine,  moins  les  oreilles,  qui,  plus  allongees  a  leur  som- 
met,  se  terminent  comme  les  oreilles  des  chevres.  Elle  a  ä  l'ex- 
tremite  de  l'epine  dorsale  ni  une  queue,  ni  meme  un  bouquet  de 
poils.  Brunn  bezeichnet  den  Gegenstand  „Panisca  con  Satiretto." 
Wir  hören  durch  ihn  noch  Genaueres  in  Betreif  des  Kindes  und 
der  Panin :  ;?il  bambino  ha  bensi  una  piccola  coda,  ma  non  le  gambe 
e  le  zampe,  che  dovremmo  aspettar  nel  figlio  d'una  Panisca,  ma 
che  sarebbero  brutte  in  un  bambino  tenuto  sul  braccio  d'una  donna 
di  forme  umane  almeno  nella  parte  superiore.  La  metamorphosi 
poi  di  questa  comincia  soltanto  dalle  coscie  ed  e  accennata  in  oltre 
mediante  le  corna  e  le  orecchie  caprine.  Zudem  behauptet  Brunn, 
che  il  Satiretto  non  vien  allattato,  ma  soltanto  tenuto  in  braccio, 
und  darin  hat  er  allem  Anscheine  nach  Recht.  Wie  E.  Meester 
vergessen  hat,  die  ganz  klar  zu  Tage  liegenden  Hörner  der  Panin 
anzugeben,  so  hat  er  auch  übersehen,  daß  dieselbe  an  den  Hüften 
der  Vorderseite  unverkennbare  Haare  hat,   welche   die  Abbildung 


weibliche  Satyrn  und  Pane  in  der  Kunst  der  Griechen  und  Römer.      395 

zeigt,  deren  Treue  auch  in  dieser  Beziehung  gewiß  nicht  angezwei- 
felt werden  darf.  Dieser  Umstand  beweist  gewiß,  daß  man  an 
eine  ziegenbeinige  und  ziegenfüßige  Panin  zu  denken  habe.  Eine 
bis  auf  die  Hörner  ganz  menschlich  gebildete  Panin  werden  wir 
unten  auf  einem  schon  vorlängst  herausgegebenen  unteritalischen 
Vasenbilde  kennen  lernen,  ist  aber  hier  nicht  anzunehmen.  Der 
vermeintliche,  bis  auf  das  Schwänzchen  scheinbar  menschlich  ge- 
bildete Satiretto  soll  gewiß  das  Kind  der  Panin  sein.  Der  Fuss 
kommt  nicht  zum  Vorschein,  ist  aber  als  Bocksfuss  zu  denken. 

Wenn  Brunn  annimmt,  daß  die  eben  besprochene  Gruppe  von 
der  früher  im  "Besitz  von  Vescovali  befindlichen  nicht  verschieden 
ßei,  so  hat  das  nach  unserem  Dafürhalten  die  größte  Wahrschein- 
lichkeit. 

Auch  an  einem  vermuthlich  hieher  gehörenden  Bronzerelief 
fehlt  es  nicht.  Auf  einem  bronzenen  Kruge  im  Mus.  nazion.  zu 
Neapel  ist  nach  Gerhard  und  Panofka  ant.  Bildw.  S.  195  der  Kopf 
einer  Panin  eher  als  der  einer  Satyra  zu  erkennen. 

Selbst  in  Bildwerken  aus  Blei  finden  wir  eine  Panisca 
dargestellt. 

Dütschke  beschreibt  in  den  Ant.  Bildw.  aus  Oberitalien  III, 
S.  252,  n.  555  eine  freilich  stark  ergänzte  Statuette  einer  solchen. 

Auch  auf  einem  Griechischen  Bleistempel  ist  eine  Darstellung 
dieses  Wesens  entdeckt  von  Benndorf  in  den  GÖtting.  gel.  Anz. 
1869,  II,  S.  2075.  Das  Blei  ist  von  Postolacca  in  den  Monum.  d.  inst. 
VIII,  t.  LH  unter  n.  375  herausgegeben  und  wird  in  dem  dritten 
nächstens  zu  veröffentlichenden  Hefte  der  Denkm.  d.  a.  Kst.  Taf. 
XLIII,  n.  538  a  wiederholt  erscheinen.  Man  erblickt  im  Profil 
dargestellt  eine  nackte  sitzende  weibliche  Figur,  welche  bis  über 
das  Knie  ganz  menschlich  gestaltet  ist  und  eine  spitze  Mütze  trägt 
(wie  sie  auch  sonst  bei  dem  Pan  vorkommt,  vgl.  D.  a.  K.  a.a.O. 
n.  534) ,  auf  dem  Trigonon  spielend. 

Von  Werken  aus  Terracotta  haben  wir  zwei  zu  Statuetten 
gehörende  Köpfe  beizubringen ,  für  deren  Echtheit  wir  freilich  nicht 
einstehen  können. 

Fr(Öhner)  hat  in  dem  Verkauf sverzeichniß  der  Collection  Cam. 
Lecuyer,  1889,  p.  52  des  Textes  als  auf  eine  Panin  bezüglich  in 
Abbildung  mitgetheilt  einen  alten  und  häßlichen  Kopf  mit  sehr 
gesträubtem  Haar,  zwei  Hörnern  und  zwei  Ziegenohren,  an  dessen 
Halse  sich  unterhalb  des  Kinnes  zwei  yiJQecc  befinden,  wie  sie  aus 
Bildwerken  bei  Satyrn  häufiger,  aber  unseres  Wissens  sonst  nicht 
bei  Panen  nachweisbar  sind. 

Ein  anderer  Kopf  ist  auf  der  beigegebenen  Tafel  XXIX,  n.  7  ab- 


396  Friedrich  Wieseler, 

gebildet  mit  rundlicherem  und  jugendlicherem  Gesicht,  einer  Stumpf- 
nase, welcher  gesträubtes  Haar  nur  zwischen  den  Hörnern  zeigt, 
ähnlich  wie  der  Pankopf  (nach  Anderen  Satyrkopf)  aus  Pompeji 
in  meinen  Denkm.  d.  a.  K.  II,  42,  522. 

Endlich  haben  wir  noch  ein  unteritalisches  Vasenbild  als 
hieher  gehörig  zu  verzeichnen.  Dasselbe  ist  schon  in  Avellino's 
Bullett.  arch.  Napol.  T.  IV,  t.  IV,  n.  1  abbildlich  mitgetheilt.  Es 
stellt  eine  bis  auf  die  Hörner  vollkommen  menschliche  mit  einem 
um  den  Hals  geschlungenen  Zeuggewande  bekleidete  Panin  dar, 
welche  einen  Wedel  auf  der  linken  Achsel  haltend  und  auf  der 
Doppelflöte  vor  einem  Thymiaterion  stehend  bläst.  ' 

Auch  auf  geschnittenen  Steinen  fehlt  es  nicht  an  Dar- 
stellungen von  Paninnen. 

Bei  Gori  Gemm.  mus.  Florent.  I,  93,  1  ist  eine  Panin  mit 
einem  shawlartig  über  die  Arme  geworfenen  Zeuggewande  und 
hinter  ihr  ein  Pan  mit  einer  erhobenen  brennenden  Fackel  auf 
einem  brennenden  Altar,  wahrscheinlich  des  Priapus,  dessen  Bild 
hinter  dem  Altar  sichtbar  zu  werden  scheint,  zuschreitend  dargestellt. 

Auf  derselben  Tafel  des  Gori'schen  Werkes  erblickt  man  un- 
ter n.  9  eine  im  Stehen  auf  der  Doppelflöte  blasende  Panin. 

In  Lippert's  Daktyliothek  Supplem.  n.  291  und  Hirt's  Bilder- 
buch Taf.  XXI,  n.  3 ,  ist  eine  Gemme  mit  einer  Unzucht  treiben- 
den Panin  dargestellt,  welche  die  größte  Aehnlichkeit  hat  mit  der 
einen  entsprechenden  Darstellung  an  dem  schon  oben  S.  392  er- 
wähnten Sarkophagrelief  zu  Neapel. 

Endlich  glauben  wir  auch  auf  einer  Münze,  oder  zweien, 
den  Kopf  einer  Panin  voraussetzen  zu  dürfen. 

Wir  meinen  die  Silbermünze  von  Metapont,  welche  Reg.  Stuart 
Poole  Catal.  of  the  Greek  coins  in  the  Brit.  Mus.,  Italy,  p.  249, 
n.  90  so  beschreibt :  Female  Dionysiac  head,  r.,  with  goat's  hörn 
above  forehead,  bound  with  ivy-wreath,  indem  er  Carelli  Num. 
Ital.  vet.  t.  CLVII,  n.  148  vergleicht.  In  der  Erklärung  dieses 
letzteren  Exemplars  p.  113  spricht  Cavedoni  nur  von  einem  caput 
juveniile  ohne  des  ganz  deutlichen  Horns  Erwähnung  zu  thun. 
Dieses  Hörn  gleicht  aber  nicht  wohl  denen  der  Satyrn  ,  sondern 
denen  der  Pane.  Demnach  halten  wir  den  Kopf  für  den  einer  Panin. 
Von  thierischen  Ohren  ist  weder  bei  Poole  noch  bei  Cavedoni  die 
Rede,  in  der  Abbildung  bei  Carelli  auch  nichts  zu  sehen.  Das 
thut  aber  der  Annahme  einer  Panin  keinen  Eintrag ,  da  Pane  mit 
menschlichen  Ohren  grade  auf  unteritalischen  Werken  mehrfach 
vorkommen.     Die  Nase  ist  keine  Stumpfnase. 


weibliche  Satyrn  und  Pane  in  der  Kunst  der  Griechen  und  Römer.      397 

Nachträge. 

Zu  S.  386,  Z.  29.  In  dem  Verzeichniß  der  Collection  Castel- 
lani  wird  unter  n.  277  und  278  eine  Herme,  gewiß  von  Marmor, 
erwähnt  mit  den  Worten:  deux  Faunisques,  male  et  jeune  fille. 
Bei  art  grec. 

Zu  S.  386,  Z.  32  fg.  Einen  mit  kleinen  Hörnern  versehenen 
schönen  sicher  stehenden  Kopf  eines  weiblichen  Satyrkindes  er- 
wähnt A.  Furtwaengler  in  den  Annali  dell'  inst.  arch.  Vol.  XLIX, 
p.  209,  Anm.  als  in  der  Gall.  dei  candel.  des  Vatican.  Mus.  n.  136 
befindlich. 

Zu  S.  389.  Die  Münze  von  Lampsakos  ist  bei  Percy  Gard- 
ner Types  of  Gr.  coins  Taf.  X,  40  abgebildet.  Er  hält  den  Kopf 
für  den  einer  Maenade  und  setzt  die  Prägung  zwischen  371 — 335 
v.  Chr.  an,  gewiß  zu  früh. 

Zu  S.  391 ,  nach  Z.  9  v.  u.  Eine  „stark  ergänzte  Statuette 
einer  Paniska"  wird  nach  H.  Dütschke  in  den  unteren  Räumen 
der  Gall.  der  Ufnzien  zu  Florenz  aufbewahrt  (Ant.  Bildw.  in 
Oberitalien  III,  S.  252,  n.  555). 

Zu  S.  393.  Im  Museum  zu  Bern  befindet  sich  nach  F.  Deycks 
in  den  Jahrb.  von  Alterthumsfr.  im  Rheinlande  XI,  1847,  S.  2  fg. 
eine  „zu  Muri  im  J.  1660  gefundene  Bronze  einer  Panin  mit  Pa- 
niscus,  leider  durch  Vergoldung  und  auch  wohl  andere  Ergänzun- 
gen, welche  der  erste  Besitzer  damit  vornehmen  ließ,  sehr  ent- 
stellt/ 

Zu  S.  396,  Mitte.  Das  Berliner  Mus.  besitzt  nach  Toelken  Erkl. 
Verzeichn.  d.  vertieft  geschn.  Steine  S.  212,  Kl.  III,  Abth.  3, 
n.  1163  einen  „Achatonyx",  dessen  Darstellung  so  beschrieben  wird: 
„zwei  bocksfüßige  weibliche  Satyren,  deren  eine  einen  Palmenzweig 
hält,  beschäftigen  sich  sehr  eifrig  bei  einer  Herme  des  Priap." 
Der  mir  vorliegende  Abdruck  des  Steins  zeigt,  daß  es  sich  um 
zwei  Paninnen  handelt,  von  denen  die  eine  dasselbe  vornimmt, 
wie  die  Panin  auf  dem  oben  S.  392  erwähnten  Neapolitan.  Relief 
und  auf  der  S.  396  angeführten  Gemme  bei  Lippert  und  Hirt, 
indem  sie  die  linke  Hand  an  den  Kopf  der  nicht  behörnten  Herme 
legt,  die  andere  auf  einem  Altar  knieend  zuschaut.  Von  einem 
Palmzweige  kann  ich  nichts  sehen.  Ist  er  vorhanden,  so  kann  er 
nur  als  Wedel  gefaßt  werden. 


398 


Bei  der  Kgl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  einge- 
gangene Druckschriften. 


Man  bittet  diese  Verzeichnisse  zugleich  als  Empfangsanzeigen  ansehen  zu  wollen. 

Mai  1890. 

(Fortsetzung.) 

Atti  della  Societa  Toscana  di  Scienze  naturali.  Processi  verbali.  Vol.  VII, 
p4  49 — 80.     Adunanza  del  di  2.  marzo  1890. 

Biblioteca  nazionale  centrale  di  Firenze.  Bollettino  delle  pubblicazioni  italiane. 
1890.     N.  104.  105.  106.     Firenze  1890. 

Pennsylvanian  Geological  Survey  1889.  A.  A.  Atlas.  Southern  Anthracite  field. 
Part  II.  A.  A.  Atlas.  Eastern  Middle  Anthracite  field.  Part  III.  A.  A.  At- 
las.    Northern  Anthracite  field.    Part  V. 

The  Geological  and  Natural  History  Survey  of  Minnesota  Bulletin.  N.  1.  5. 
St.  Paul  1889. 

Museum  of  comparative  Zoölogy  at  Harvard  College  : 

a.  Bulletin.    Vol.  XIX.    N.  2.  3. 

b.  Memoirs.    Vol.  XVI.    N.  3.    Cambridge  1889. 

Juni  1890. 

Sitzungsberichte    der  K.  Pr.  Akademie   der  Wissensch.   zu  Berlin.  1890.  XXVI/ 

XXVII. 
Leopoldina.    Heft  XXVI.     N.  9/10. 
Physikalisch-medicinische  Gesellschaft  zu  Würzburg : 

a.  Sitzungsberichte  1890.    N.  1—5. 

b.  Verhandlungen.    Neue  Folge.     Band  XXIV.    N.  1—4. 
Acta  mathematica.     14,  2.     Stockholm  1890. 

Sitzungsberichte  der  philosophisch-philol.  u.  historischen  Classe  d.  k.  b.  Akade- 
mie d.  W.  zu  München.    1890.    Heft  IL 

Zeitschrift  für  Naturwissenschaften.     Band  63.     Heft  1.    Halle-Saale  1890. 

Jahresbericht  des  Physikalischen  Vereins  zu  Frankfurt  a.  M.  für  1888 — 89. 
Frankfurt  a.  M.  1890. 

Neues  Lausitzisches  Magazin.     Band  66.  Heft  1.     Görlitz  1890. 

Naturwissenschaftlicher  Verein  zu  Bremen  : 

a.  Abhandlungen.     Band  XL     Heft  2,     Schluß. 

b.  Festschrift  zur  Feier  des  25jährigen  Bestehens.    Bremen  1890.  89. 

Die  Grenzschichten  zwischen  Hilsthon  und  Wealden  bei  Bersinghausen  am  Dei- 
ster  von  C.  Struck  mann  in  Hannover.  (Separatabdruck  des  Jahrb.  d.  k. 
preuß.  geologischen  Landesanstalt  für  1889.    Berlin  1890. 

Ueber  Feuerbestattung.  Vortrag  von  Prof.  Dr.  Fr.  Goppelsröder.  Mühl- 
hausen i.  Eis.  1890. 

Abhandlungen  der  K.  Sachs.  Gesellschaft  d.  Wissensch.  zu  Leipzig : 

a.  Philol.-histor.  Classe.     Bd.  XL  No.  Vn.     Umrisse   zur  Naturlehre  der  Demo- 

kratie v.  W.  Röscher.     Leipzig  1890. 

b.  Mathem.-physische  Classe.     Bd.  XVI.   No.  IL     1.  Ueber  Aufnahme  und  Aus- 

gabe ungelöster  Körper.     2.  Zur  Kenntniß  der  Plasmahaut  u.  der  Vacuolen 
etc.     Ebd.  1890. 
Beiträge  zu  der  Theorie    der   gleichzeitigen  Transformation   von  zwei  quadrati- 
schen oder  bilinearen  Formen  v.  R.  Lipschitz.     (Aus  den  Sitzungsberichten 
d.  K.  Pr.  Ak.  d.  W.  zu  Berlin  1890.  XXVI.) 
Jahresbericht  der  Fürstl.  Iablonowski'schen  Gesellschaft.     Leipzig.     März  1890. 
Mittheilungen   der   antiquarischen  Gesellschaft  in  Zürich.      Band  XXII.  Heft  6, 
Leipzig  1890. 


399 

XIX.  Jahresbericht    der  historisch  -antiq.  Gesellschaft   von  Graubünden.     Jahrg. 

1889.  Chur. 

Abhandlungen  d.  königl.  böhmischen  Ges.  d.  W.     Prag  1890: 

a.  Mathematisch-naturwissenschaftliche  CJasse.     VII.  Folge.    3.  Bd. 

b.  Philosophische,  geschichtliche  u.  philologische  Classe.     VII.  Folge.    3.  Band. 
Die  spekulative  Idee  der  Freiheit  etc.    v.   J.  H.  Loewe.      Herausgegeben  v.  d. 

k.  böhm.  Ges.  d.  Wiss.     Prag  1890. 
Anzeiger  der  Akademie  d.  Wiss.  in  Krakau  1890.    Mai.     Krakau  1890. 
Kgl.  Ung.  Geologische  Anstalt : 

a.  Jahresbericht  für  1888.     Budapest  1890. 

b.  Mittheilungen  aus  d.  Jahrbuche.     IX.  Band     1.  Heft.     Ebd.  1890. 
Ungarische  Revue  1890.     V./VI.  Heft.     Mai/Juni.     Budapest  1890. 

J^rtesitö   az  Erdelyi  Muzeum-Egylet   orvos  -  termeszettudoniänyi   szakosztälyäböl. 

1890.  XV.  Evfolgam. 

a.  I.  Orvosi  szak.     1.  füzet. 

b.  IL  Termeszettudoniänyi  szak.     1.  2.  füzet. 

c.  III.  Nepszerü  szak.     1.  füzet.     Budapest  1890. 

Földtani  Közlöny.  [Geolog.  Mittheilungen.]  XX.  Kötet.  Füzet  1—3,  4.  Buda- 
pest 1890. 

Nature.    Vol.  42.   N.  1075-78. 

Monthly  notices  of  the  R.  Astronomical  Society.     Vol.  L.    N.  7.    Mai  1890. 

Proceedings  of  the  Royal  Society.     Vol.  XLVII.  N.  289.  290. 

Journal  of  the  R.  Microscopical  Society  1890.  Part  3.  June.  London  et  Edin- 
burgh. 

Transactions  and  proceedings  and  report  of  the  R.  Society  of  South  Australia. 
Vol.  XII.    1888—89.    Adelaide  1889. 

Proceedings  and  Transactions  of  the  Nova  Scotian  Institute  of  natural  science 
of  Halifax.     Vol.  VII.     Part  I.  1886-87.   P.  IL  1887-88.     Halifax  1888. 

Bulletin  de  l'Academie  R.  de  Belgique.  60e  annee,  3°  serie,  tome  19.  N.  5. 
Bruxelles  1890. 

Lecons  sur  la  the'orie  generale  des  surfaces  etc.  par  Gaston  Darb ous.  IIImopar- 
tie.     1.  fasc.     Paris  1890. 

Tijdschrift  vor  Nederlandsche  Taal-  en  Letterkunde.  Deel  9.  (=  Nieuwe 
Reeks  1.  deel.)    (1.)  2.  Aflever.    Leiden  1890. 

Nachruf  für  F.  C.  Donders. 

Onderzoekingen  gedaan  in  het  physiologisch  Laboratorium  der  Utrechtsche  Hooge- 
school.  Uitgeg.  door  Th.W.  Engelmann  en  C.  A.  Peckel  har  ing.  Vierde 
Reeks.    I,  1.    Utrecht  1890. 

Bulletin  de  la  Societd  Imp.  des  naturalistes  de  Moscou.  Annee  1889.  N.  4. 
Moscou  1890. 

Sällskapet  för  Finlands  Geografi.  Fennia  2.  3.  Bulletin  de  la  socie'te'  de  geo- 
graphie  de  Finlande.     Helsingfors  1890. 

Sveriges  geologiska  undersökning  : 

a.  Ser.  Aa.    N.  84,  100,  103,  104,  105/106.  107.    Stockholm  1889. 

b.  Ser.  Bb.     N.  4.  6. 

c.  Ser.  C.    N.  92—111.  113—115. 

Om  apatitens  förekomstsätt  i  Norrbottens  Län  jemfördb  med  dess  uppträdande 

i  Norge  af  G.  Löf Strand.     Stockholm  1890. 
Liste  systematique  des  publications  de  l'Institut  R.  ge'ologique  de  Suede.    1862 

—1890.    Stockholm  1890. 
The  Norwegian  north-atlantic  expedition  1876—1878.    XIX.  Zoology.    Actinida. 

Christiania  1890. 

a.  Praktisk-Geologisk  Karta  öfver  Farsta  och  Gustafsberg. 

b.  Karted  zu  Serie  Aa.    N.  84,  100,  103,  104.  N.  105/106.  107. 

Atti  della  R.  Academia    dei   Lincei  1890.     Serie  quarta.    Rendiconti.   Vol.  VI. 

1.  Sem.    Fasc.  7.    Roma  1890. 
Bollettino  delle  pubblicazioni  italiane  (Biblioteca  Nationale  Centrale  di  Firenze.) 

1890.  N.  107,  108.     Firenze  1890. 
Bollettino  delle  opere  moderne  straniere  acquistate  dalle  biblioteche  pubbl.  go- 

vern.  d'Italia.    (Bibl.  nazionale  centrale  Vittorio  Emanuele  di  Roma).   Vol.  IV, 

N.  5.    Sett./Ott.  1889.    Roma  1890. 


400 

Bulletin  of  the  Museum  of  Comparative  Zoölogy  at  Harvard  College.  Vol.  XIX. 
N.  4  u.  Vol.  XVI.    No.  8.     Cambridge,  U.  S.  A.  1890. 

Johns  Hopkins  University  circulars.    Vol.  IX.     N.  81.     Baltimore  1890. 

Apercu  sur  le  Micro -graphophone  de  Gianni  Bettini.  New-York  1890.  (3  Ex- 
emplare). 

Nachträge. 

Proceedings   of  the   scientific    meetings   of   the   Zoological  Society    of  London. 

1890.   Part.  1.    Jan.  and  Febr.     London  1890. 
Anales  de  la  Sociedad  Cientifica  Argentina.     Entrega  2.  3.     1890.  Febr.  Marzo. 

Tomo  XXIX.     Buenos-Aires  1890. 
Informe  de  la  Direccion  general  de  Estadistica  1889.     Guatemala. 
Washington  observations  1884.     Appendix   I.     Catalogue    of  the   stars    observed 

at  the  IL  S.  naval  observatory  during  1845—1877.     Washington  1889. 
Transactions    of   the    American    philosophical    society.     Vol.  XVI.    New   series. 

Part  III.    Philadelphia  1890. 

a.  American  Journal  of  Mathematics.    Index  to  vol  I — X. 

b.  American  Journal  of  Mathematics.     Vol.  XII.  N.  1.  2.     Baltimore  1890. 
Johns  Hopkins  University  circulars.     Vol.  VIII.  N.  75.  Vol.  IX.  N.  77.  80. 
Johns  Hopkins  University  studies.     Seventh  series.  X— XI.  XII.     Federal  govern- 

ment  in  Canada.     Baltimore. 
Mittheilungen   des   deutschen   wissenschaftlichen  Vereines   in  Mexico.      Band  1. 

Heft  1.    Mexico  1890. 
Boletins  mensaes  do  1°  Observatorio   meteorologico    da    reparticao  dos  Telegra- 

phos  do  Brazil.     Vol.  1886.  Vol.  II.  1887.  Vol.  III.  1888.     Rio  de  Janeiro. 
The  geological   and    natural    history  survey    of  Minnesota.      7tü  annual   report. 

St.  Paul  1889. 
The  transactions  of  the  R.  Irish  Academy.    Vol.  XXIX.  Part  XIII.     Dublin. 

Juli  1890. 

Sitzungsberichte  der  Kgl.  Preuß.  Akademie  der  Wissensch.  zu  Berlin.  1890. 
xxxi.  xxxii  u.  xxxm.  XXXIV.  XXXV.  XXXVI  u.  XXXVII. 

Siebenundzwanzigster  Bericht  der  oberhessischen  Gesellsch.  für  Natur-  u.  Heil- 
kunde.    Gießen  1890. 

Jahrbuch  der  Hamburgischen  wissenschaftlichen  Anstalten.  Jahrg.  VH.  1889. 
Hamburg  1890. 

Vierteljahrsschrift  der  Astronomischen  Gesellschaft.  Jahrg.  25.  Heft  2.  Leip- 
zig 1890. 

Leopoldina.     Heft  XXVI.     Nr.  11— 12.     Juni  1890.     Halle  a.  S. 

Jahresbericht  u.  Abhandlungen  des  Naturwissenschaftlichen  Vereins  in  Magde- 
burg. 1889.     Magdeburg  1890. 

Schriften  der  physikalisch-ökonomischen  Gesellschaft  zu  Königsberg  i.  Pr.  Jahrg- 
gang  30.  1889.    Königsberg  1890. 

Paul  Starke:  Arbeitsleistung  U.Wärmeentwicklung  bei  der  verzögerten  Mus- 
kelzuckung. (Des  XVI.  Bandes  der  Abhandlungen  der  mathematisch  -  physi- 
schen Classe  der  Kön.  Sächsischen  Ges.  d.  Wiss.     N.  1.    Leipzig  1890. 

Veröffentlichungen  des  Kgl.  Preuß.  Geodätischen  Institutes.  Astronomisch -geo- 
dätische Arbeiten  1.  Ordnung.  Telegraphische  Längenbestimmmungen  in  den 
Jahren  1888  u.  1889  etc.     Berlin  1890. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Inhalt  von  No.  11. 
Friedrich  Wieseler,  weibliche  Satyrn  und  Pane  in  der  Kunst  der  Griechen  und  Römer. 
Eingegangene  Druckschriften. 

Für  die  Redaction  verantwortlich:   E.  Sauppe,  Secretär  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 
Commissions- Verlag  der  Dieterich' sehen  Verlags' Buchhandlung. 
Druck  der  DitUricK sehen  Dniv.- Buchdruckerei  (W.  Fr.  Kaestner). 


Nachrichten 

von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu  Göttingen. 


15.  October.  Jfä  12.  1890. 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  2.  August. 

Ueber  die  Verteilung  eines  Stoffes  zwischen 
zwei  Lösungsmitteln. 

Von 

W.  Nernst. 

Henry's  Absorptionsgesetz  der  Gase  in  Flüssigkeiten  ist 
neuerdings  zu  ganz  besonderer  Bedeutung  gelangt;  von  van  't Hoff *) 
nämlich  wurde  bekanntlich  der  Beweis  erbracht ,  daß  ein  Gas, 
welches  sich  in  einem  beliebigen  Lösungsmittel  dem  Drucke  pro- 
portional löst ,  bei  gleicher  räumlicher  Konzentration  als  solches 
und  im  Zustande  der  Lösung  gleichen  Gas-  bez.  osmotischen  Druck 
ausübt. 

Umgekehrt,  wenn  ein  Stoff  wie  Rohrzucker  Pf  e  ff  er' s  Mes- 
sungen zufolge  in  wässeriger  Lösung  den  gleichen  Druck  ausübt, 
wie  ihn  der  Dampf  des  Rohrzuckers  bei  gleicher  räumlicher  Kon- 
zentration aufweisen  würde,  so  kann  daraus  mit  voller  Sicherheit 
gefolgert  werden,  daß  der  Dampf  des  Rohrzuckers  dem  Wasser 
gegenüber  Henry's  Gesetze  gehorcht,  daß  mit  anderen  Worten 
der  Partialdruck    des  Rohrzuckers   in  dem   über  einer  wässerigen 


1)  van  t'Hoff,  Zeitschrift  für  physik.  Chemie.  7,  488  (1887). 

Nachrichten  von  der  E.G.  d.W.  zu  (iöttingen.  1890.  Nr.  12.  34 


402  W.  Nernst, 

Losung  lagernden  Dampfe  proportional  der  Konzentration  des  im 
Wasser  gelösten  Zuckers  ist.  Ein  Stoff  wie  Chlorwasserstoff  hin- 
gegen, welcher  in  Lösung  einen  dem  entsprechenden  Gasdrucke 
nahe  um  das  doppelte  überlegenen  osmotischen  Druck  aufweist,  ist 
demgemäß  auch  weit  davon  entfernt,  sich  unter  Henry's  Gesetz 
zu  fügen,  wie  allgemein  die  exceptionelle  Stellung  der  Elektrolyte 
u.  A.  sich  darin  zeigt,  daß  sie  sich  keineswegs  ihrem  Partialdrucke 
proportional  in  Wasser  lösen. 

In  welcher  Weise  das  Absorptionsgesetz  unter  solchen  Um- 
ständen sich  modifiziert,  läßt  sich  unschwer  mittelst  eines  dem  von 
van  'tHoff  mitgeteilten  analogen  Kreisprozesses  unabhängig  von 
jeder  Molekularhypothese  entwickeln;  einfacher  gestalten  sich  aber 
die  Betrachtungen,  wenn  wir  von  dem  Satze  Gebrauch  machen,  daß 
in  einer  Lösung  ebensoviel  gelöste  Moleküle  sich  befinden,  wie  im 
gleichen  Gasvolum  bei  gleicher  Temperatur,  in  welchem  der  Gas- 
druck ebensogroß  ist  wie  dort  der  osmotische  Druck.  Dann  lautet 
van  'tHoffs  Satz  einfach:  Nur  diejenigen  Stoffe  folgen 
Henry's  Gesetz,  welche  mit  unveränderter  Molekular- 
größe in  Lösung  gehen. 

Betrachten  wir  nun  einen  Stoff,  welcher  im  Zustande  der  Lö- 
sung und  als  Gas  verschiedenen  Molekularzustand  besitzt, 
d.  h.  sich  sowohl  in  Lösung  wie  als  Gas  im  Dissociationszustande 
befindet ,  der  aber  in  beiden  Fällen  ein  sehr  verschiedener  sein 
kann.  Dann  ist  nach  Analogie  des  Dal  ton' sehen  Gesetzes,  wo- 
nach bei  einem  Gemisch  von  Gasen  sich  jedes  einzeln  seinem  Par- 
tialdrucke und  Ab sorptionsko effizienten  gemäß  löst,  auch  hier  vor- 
auszusehen, daß  obiger  Satz  für  jede  einzelne  Molekülgattung  Gül- 
tigkeit behält ,  d.  h.  daß  für  jede  Molekülgattung  das  Verhältnis 
der  räumlichen  Konzentrationen  im  Gas-  und  im  Lösungszustande 
bei  gleicher  Temperatur  unabhängig  von  der  Konzentration  ist. 
In  der  That,  betrachten  wir  z.  B.  die  Bildung  einer  Doppelmolekel 
aus  zwei  Einzelmolekülen,  und  bezeichnen  wir  mit  gx  und  g2  den 
Partialdruck  der  einfachen  und  der  verdoppelten  Moleküle  im  Gas- 
zustande, und  mit  \  und  l2  den  entsprechenden  osmotischen  Druck 
der  gleichen  Moleküle  in  der  Lösung,  so  muß  nach  der  Gleichung 
der  Dissociationsisotherme 

g\  =  h'g2  und  l\  =  h"l2 

sein.  Bringen  wir  das  Gas  und  somit  auch  die  damit  in  Berüh- 
rung befindliche  Lösung  auf  sehr  große  Verdünnung,   so  wird  das 

Verhältnis  der  Konzentrationen  gleich  ^-  und  von  der  Konzentra- 


h 


über  die  Verteilung  eines  Stoffes  zwischen  zwei  Lösungsmitteln.        403 

tion  unabhängig;    die    einfachste  Annahme    ist  nun  die,    daß  dies 
auch  bei  größeren  Drucken   bestehen  bleibt,    und   dann  muß  nach 

obigen  Gleichungen  auch  -y1  konstant   sein,   d.  h.   für  beide  Mole- 

külgattungen  findet  ein  von  der  Konzentration  unabhängiges  Tei- 
lungsverhältnis statt. 

Wenn  ein  Körper  im  Gaszustande  fast  vollständig  aus  Dop- 
pelmolekülen besteht,  in  Lösung  aber  fast  vollständig  in  die  Ein- 
zelmoleküle zerfallen  ist,  so  muß  die  Konzentration  desselben  im 
Gaszustande  der  zweiten  Potenz  der  Konzentration  in  der  Lösung 
proportional  sein ;  der  Dampf  der  Essigsäure  etwa,  der  bekanntlich 
bei  niederen  Temperaturen,  nach  seiner  Dampfdichte  zu  schließen, 
aus  Doppelmolekeln  besteht,  würde  dem  Wasser  gegenüber,  worin 
Essigsäure,  von  der  geringfügigen  elektrolytischen  Dissociation  ab- 
gesehen, aus  Molekülen  normaler  Molekulargröße  besteht,  in  so 
auffälliger  Weise  vom  Henry' sehen  Gesetze  abweichen,  während 
er  sich  in  Benzol,  worin  Essigsäure  bimolekular  ist,  dem  Drucke 
proportional  lösen  müßte.  Die  Notwendigkeit  dieses  Verhaltens 
läßt  sich  übrigens,  worauf  schon  hingewiesen  wurde,  auch  thermo- 
dynamisch  in  aller  Strenge  ableiten. 

Ich  hoffe  alsbald  die  obigen  Gesetze  an  einigen  Eällen  veri- 
fizieren zu  können ;  man  übersieht  nämlich  bereits ,  daß  sich  aus 
der  Dampfspannung  von  Lösungen  flüchtiger  Stoffe  in  ihrer  Ab- 
hängigkeit von  der  Konzentration  Folgerungen  über  das  Verhält- 
nis der  Molekulargrößen  ergeben,  welche  dem  gelösten  Stoffe  in 
der  Lösung  und  im  Gaszustande  zukommen.  Zur  Messung  der 
Dampfspannung  könnte  man  sich  wohl  am  besten  des  Beck  mann'- 
sehen  Siedeapparates  bedienen,  dessen  Theorie  sich  unschwer  mit 
Hülfe  der  obigen  Prinzipien  auch  auf  die  Anwendung  flüchtiger 
Stoffe  als  gelöster  Körper  erweitern  läßt.  Hier  jedoch  seien  die- 
selben nach  einer  andern  Seite  hin  weitergeführt,  wobei  man  zu 
einigen  einfachen  und  an  der  Erfahrung  scharf  zu  prüfenden  Re- 
sultaten gelangt. 

Wir  wollen  unter  dem  Teilungskoeffizienten  eines 
Stoffes  zwischen  zwei  Lösungsmitteln  dasjenige  Kon- 
zentrationsverhältnis verstehen,  bei  welchem  der  betreffende  Stoff 
in  den  über  den  beiden  Lösungen  lagernden  Gasgemischen  gleichen 
Partialdruck  besitzt.  In  der  That  schaltet  man  zwischen  zwei 
derartige  Lösungen  eine  nur  für  den  gelösten  Stoff  durchlässige 
Wand  ein,  so  wird  keine  der  andern  von  dem  gelösten  Stoffe  ent- 
ziehen, sondern  ein  Gleichgewichtszustand  bestehen  bleiben.  Nach 
dem  Früheren  ergeben  sich  dann  sofort  die  Sätze: 

34* 


404  W.  Nernst, 

1)  Besitzt  der  gelöste  Stoff  in  beiden  Lösungsmitteln  gleiche 
Molekulargröße,  so  kommt  ihm  ein  von  der  Konzentration  unab- 
hängiger Teilungskoeffizient  zu  und  umgekehrt. 

2)  Besteht  der  gelöste  Stoff  aus  Molekülen  verschiedener 
Größe  oder  Zusammensetzung,  so  gilt  der  erste  Satz  für  jede  be- 
liebig herausgegriffene  Gattung  von  Molekülen. 

3)  Kommt  dem  gelösten  Stoffe  im  zweiten  Lösungsmittel  also 
etwa  die  doppelte  Molekulargröße  zu  (vorwiegend)  wie  im  ersten, 

so  ist  —  von  der  Konzentration  unabhängig,  wobei  cx  und  c2  die 

Konzentration  in  beiden  Lösungsmitteln  bezeichnen. 

Was  nun  die  experimentelle  Bestimmung  des  oben  definierten 
Teilungskoeffizienten  anlangt ,  so  wäre  dazu  nur  notwendig ,  die 
Dampfspannung  des  betreffenden  Stoffes  zu  ermitteln,  während 
derselbe  in  den  beiden  Lösungsmitteln  zu  wechselnden  Konzentra- 
tionen gelöst  ist,  wobei  man  freilich  häufig  auf  sehr  bedeutende 
experimentelle  Schwierigkeiten  stoßen  würde.  Nur  an  einem  Punkte 
ist  die  Bestimmung  des  Teilungskoeffizienten  leicht  ausführbar,  bei 
derjenigen  Dampfspannung  nämlich,  welche  der  reinen  festen  Sub- 
stanz entspricht;  denn  die  Löslichkeit  des  Dampfes  von  diesem 
Drucke  ist  ja  gleich  der  Löslichkeit  des  festen  Körpers  und  der 
Teilungskoeffizient  demgemäß  einfach  gleich  dem  Verhältnis  der 
Löslichkeiten. 

Ganz  einfach  hingegen  für  jede  beliebige  Konzentration  ge- 
staltet sich  die  Bestimmung  des  Teilungskoefficienten  eines  Stoffes 
zwischen  zwei  einander  nur  äußerst  wenig  lösende  Flüssigkeiten, 
indem  hier  nur  mittelst  Analyse  der  beiden  Lösungen,  welche  mit 
einander  im  Gleichgewichte  sind,  zu  ermitteln  ist,  wie  viel  von 
dem  dritten  Stoffe  jedes  der  beiden  Lösungsmittel  enthält.  In 
diesem  Falle  wird  also  der  von  uns  eingeführte  Teilungskoeffizient 
identisch  mit  dem  B er thelot' sehen1);  aber  er  verliert  keineswegs 
seine  Bedeutung  Flüssigkeiten  gegenüber,  welche  sich  stark  ein- 
ander lösen  oder  gar  in  allen  Verhältnissen  mischen;  nur  seine 
experimentelle  Bestimmung  wird  unter  solchen  Umständen  schwie- 
riger. 

Der  Mittheilung  der  eigenen  Versuchsresultate  sei  eine  kurze 
Diskussion  der  von  Berthelot  und  Jung  fleisch  erhaltenen 
Zahlen  vorausgeschickt.  Die  genannten  Forscher  finden  den  Tei- 
lungskoefficienten   unabhängig  von    den  Mengenverhältnissen   der 


1)  Berthelot  und  Jungfleisch,  Ann.  eh.  ph.  [4],  26,  396  (1872).    Ber- 
thelot, ibidem  408. 


über  die  Verteilung  eines  Stoffes  zwischen  zwei  Lösungsmitteln.        405 

beiden  Lösungsmittel,  jedoch,  wenn  auch  nicht  bedeutend,  veränder- 
lich mit  der  Konzentration  und  der  Temperatur.  Der  erste  Satz 
ist  ohne  weiteres  einleuchtend;  was  die  geringe  Veränderlichkeit 
mit  der  Temperatur  anbetrifft,  so  sei  daran  erinnert,  daß  auch  der 
Absorptionskoeffizient  der  Grase  mit  der  Temperatur  selten  beträcht- 
lich variiert;  die  Veränderlichkeit  mit  der  Konzentration  haben 
wir  auf  verschiedene  Molekularkonstitution  zurückgeführt  und 
kann  dieselbe,  wie  wir  später  sehen  werden,  zuweilen  außerordent- 
lich bedeutend  werden. 

Berthelot1)  konstatiert  ferner ,  daß  Gemische  von  gelösten 
Stoffen,  die  auf  einander  nicht  chemisch  reagiren,  sich  so  vertei- 
len, wie  wenn  jeder  allein  vorhanden  wäre,  ein  völliges  Analogon, 
worauf  schon  Berthelot  selber  hinweist,  zu  dem  Satze  der  unab- 
hängigen Löslichkeit  der  zu  einem  Gemische  vereinigten  Gase. 

Im  Einzelnen  ergab  sich  Berthelot  und  Jungfleisch,  daß 
Brom  sowohl  wie  Jod  sich  zwischen  Wasser  und  Schwefelkohlen- 
stoff in  fast  konstantem  Verhältnis  teilen,  und  zwar  schwankt 
letzteres  nur  um  wenige  Prozente,  während  die  Konzentrationen 
wie  1 :  10  variieren.  Beide  Elemente  besitzen  also  in  diesen  Lö- 
sungsmitteln gleiches  Molekulargewicht ;  da  für  in  Schwefelkohlen- 
stoff gelöstes  Jod  die  Molekulargröße  J2  erwiesen  ist2),  so  kommt 
auch  dem  in  Wasser  gelöstem  Jod  die  normale  Molekulargröße 
zu  und  auch  beim  Brom  kann  es  sich  hier  wohl  nur  um  JBr2  han- 
deln.   Wir  treffen  hier  also  die  erwarteten  Verhältnisse  an. 

Außerdem  finden  sich  in  der  genannten  Abhandlung  noch  eine 
Anzahl  Versuche  über  die  Verteilung  organischer  Säuren  zwischen 
Aether  und  Wasser.  Allerdings  findet  hier  eine  Komplikation  in- 
sofern statt,  als  diese  beiden  Lösungsmittel  sich  bekanntlich  ge- 
genseitig nicht  unbeträchtlich  lösen  und  ferner  diese  gegenseitige 
Löslichkeit  sich  infolge  Gegenwart  dritter  Körper  nach  den  neu- 
lich dargelegten  Gesetzen3)  (übrigens  in  einer  der  Berechnung 
völlig  zugänglichen  Weise)  nicht  unbeträchtlich  ändert.  Gleich- 
wohl können  wir  über  die  Molekulargröße  der  betreffenden  Säuren 
in  ätherischer  Lösung  durchaus  sichere  Schlußfolgerungen  ziehn. 

Als  in  10  cc  Wasser  0-121,  0-070,  0-024  g  Bernsteinsäure 
gelöst  waren,  betrug  die  entsprechende  Menge  in  10  cc  der  äthe- 
rischen Lösung  0-022,  0*013,  0-0046.  Das  Verhältnis  dieser  Zahlen 
ist  recht  konstant  (5*4,  5-2,  5-2)  und  da  bei  obigen  Konzentrationen 
nur  wenige  Prozent  in  wässeriger  Lösung  elektrolytisch  dissociiert 

1)  1.  c.  417. 

2)  E.  Beckmann,   Zeitschrift  für  physik.  Chemie.  5,  76  (1890). 

3)  N ernst,  diese  Nachrichten  vom  26.  Februar  1890. 


406  w-  Nernst, 

sind1),  die  in  Wasser  gelöste  Bernsteinsäure  also  weitaus  vorwie- 
gend aus  Molekülen  normaler  Größe  besteht,  so  besitzt  auch  die 
in  Aether  gelöste  Bernsteinsäure  normale  Molekulargröße,  wie  es 
ja  auch  nach  aller  Analogie  zu  erwarten  stand. 

Oxalsäure  wies  bei  den  Konzentrationen  0*473,  0*436, 
0*304,  0*203  g  die  Teilungskoeffizienten  (Verhältnis  der  in  10  cc 
Wasser  zu  der  in  10  cc  Aether  gelösten  Menge)  9*0,  9*5,  9*8,  9*9 
auf.  Bei  obigen  hohen  Konzentrationen  (0*45  g  in  10  cc  Lösung 
entspricht  einer  Normallösung)  ist  jedenfalls  die  elektrolytische 
Dissociation  nicht  übermäßig  weit  (wenigstens  nicht  über  die  Hälfte) 
fortgeschritten 2) ;  der  Zunahme  der  elektrolytischen  Dissociation 
mit  der  Verdünnung  entspricht  die,  besonders  wenn  man  die  ver- 
hältnismäßig kleinen  Aenderungen  der  Konzentration  in  Betracht 
zieht,  nicht  unerhebliche  Zunahme  der  Teilungskoeffizienten,  und 
man  überzeugt  sich  leicht,  daß,  wenn  man  den  Quotienten  aus 
dem  nicht  dissociierten  Anteile  der  Oxalsäure  zu  der  im  Aether 
befindlichen  Mengen  bildet,  bedeutend  weniger  variierende  Werthe 
des  Teilungskoeffizienten  resultieren.  Demgemäß  kann  kein  Zweifel 
darüber  bestehen  bleiben,  daß  auch  die  Oxalsäure  in  Aether  ge- 
löst normale  Molekulargr ö ße  besitzt.  Denn  wenn  sie  etwa 
in  Aether  bimolekular  wäre ,  müßte  der  Teilungskoeffizient  von 
den  Konzentrationen  0*473  bis  0.203  auf  etwa  das  5*4  fache  zu- 
nehmen, also  eine  Variation  ganz  anderer  Größenordnung  zeigen. 
Ebenso  sprechen  die  mit  Aepfelsäure  und  Weinsäure  an- 
gestellten Messungen  entschieden  für  die  normale  Molekulargröße 
dieser  Stoffe  in  ätherischer  Lösung,  wenn  auch  hier  die  Kon- 
zentrationen in  der  wässerigen  Lösung  schon  so  bedeutend  (bis 
10  %)  sind ,  daß  die  Anwendbarkeit  der  nur  für  verdünnte  Lö- 
sungen streng  gültigen  Verteilungsgesetze  einigermaßen  einge- 
schränkt wird.  Bei  der  Essigsäure,  die  bei  den  Konzentrationen 
0*3  und  0*1  der  wässerigen  Lösung  den  Teilungskoefficienten  1*8 
und  2*3  besitzt,  dürfte  sich  die  Abnahme  desselben  mit  steigen- 
der Konzentration  dadurch  erklären,  daß  sich  bei  den  entspre- 
chenden Konzentrationen  der  ätherischen  Lösung  bereits  theil- 
weise  Doppelmoleküle  bilden,  wozu  ja  dieser  Stoff  bekanntlich 
Neigung  besitzt.  Ebenso  verschwindet  bei  der  Benzoesäure, 
welche  bei  den  Konzentrationen  0*00304,  0*00258,  0*00150,  0*00110  g 
auf  10  cc  wässeriger  Lösung  die  Teilungskoeffizienten  1/di,  Vss, 
78o,  1/n  besitzt,  die  Zunahme  mit  der  Verdünnung  zwar  zum 
großen  Theile,   wenn  man  die  mit   der   Verdünnung  zunehmende 

1)  W.  Ostwald,  Zeitschrift  für  physikal.  Chemie.  3,  370. 
2)  Ostwald,  1.  c.  281. 


über  die  Verteilung  eines  Stoffes  zwischen  zwei  Lösungsmitteln.       407 

elektrolytische  Dissociation  in  Betracht  zieht  (dieselbe  beträgt  bei 
der  größten  Konzentration  14,  bei  der  kleinsten  bereits  21  %), 
doch  bleibt  immerhin  noch  ein  merkliches  Anwachsen  zurück,  was 
auf  eine,  wenn  auch  nur  nach  wenigen  Prozenten  zählende  Bildung 
von  Doppelmolekeln  in  den  verhältnismäßig  konzentrierten  (bis  zu 
vierproz entigen)  ätherischen  Lösungen  hindeutet.  Natürlich  setzen 
obige  Zahlen  es  in  Evidenz,  daß  auch  Benzoesäure  in  Aether  ge- 
löst bei  nicht  zu  hohem  Gehalt  sich  normal  verhält. 

Bei  meinen  eigenen  Versuchen  habe  ich  solche  Stoffe  gewählt, 
welche  ein  besonders  charakteristisches  Verhalten  vorhersehen 
ließen.  Ganz  auffallende  Verhältnisse  waren  nämlich  bei  der  Un- 
tersuchung eines  Stoffes  zu  erwarten,  welcher  in  den  beiden  Lö- 
sungsmitteln in  ganz  verschiedenen  Molekularzustande  sich  befindet ; 
während  bei  den  Versuchen  von  Berthelot  und  Jung  fleisch 
immerhin  noch  von  einer  wenigstens  genäherten  Konstanz  des  Tei- 
lungskoeffizienten  gesprochen  werden  kann,  darf  nach  der  Theorie 
im  obigen  Falle  auch  nicht  entfernt  davon  die  Rede  sein.  Solche 
Stoffe  sind  u.  A.  Essigsäure  und  Phenol ,  die  nach  den  Gefrier- 
punktsbestimmungen in  Wasser  sich  normal  verhalten,  in  Benzol 
hingegen  bei  nicht  zu  kleinen  Konzentrationen  bimolekular  sind. 

Der  Versuch  entsprach  der  Erwartung  vollkommen;  derselbe 
wurde  bei  der  Essigsäure  in  der  "Weise  ausgeführt,  daß  B eck- 
mann's  Gefrierapparat  mit  5*075  g  Wasser  und  31*5  g  Benzol 
beschickt,  der  Gefrierpunkt  des  Gemenges,  welcher  bei  der  gerin- 
gen Löslichkeit  des  Wassers  in  Benzol  von  demjenigen  des  reinen 
Benzols  (5*9  °)  nur  wenig  verschieden  war ,  ermittelt  sowie  das 
Sinken  desselben  verfolgt  wurde,  als  man  successive  gewogene 
Mengen  von  Essigsäure  hinzufügte.  Letzteres  erfolgt  natürlich 
demjenigen  Bruchteile  der  Essigsäure  entsprechend,  welcher  in  das 
Benzol  übergeht;  um  diesen  kennen  zu  lernen,  wurde  in  einer  be- 
sonderen Versuchsreihe  der  Einfluß  hinzugefügter  Essigsäure  auf 
den  Gefrierpunkt  von  mit  nur  wenig ,  zur  Sättigung  gerade  hin- 
reichendem Wasser  versetztem  Benzol  untersucht.  Auffallender 
Weise  ergeben  sich  hier  nicht  unerheblich  stärkere  Depressionen, 
als  die  vonHentschel1),  Beckmann  u.  A.  bei  Anwendung  was- 
serfreien Benzols  gefundenen.  Als  ich  zu  31*5  g  Benzol  successive 
0*0173,  0*0650,  0-292  g  Essigsäure  hinzusetzte,  betrugen  die  De- 
pressionen 0-033,  0*110,  0-450°,  während  Beckmann  bei  ent- 
sprechendem Gehalte  um  16  bis  17  °/o  kleinere  Werte  erhielt.    Die 


1)  Hentschel,  Zeitschr.  f.  physik.  Chemie.  2,  491  (1888);  E.  Beckmann, 
ib.  2,  729  (1888). 


408  w-  Nernst, 

einfachste  Erklärung  dieser  die  Beobachtungsfehler  weit  überstei- 
genden Abweichung  ist  wohl  die  Annahme,  daß  Wasser  sich  in 
mit  Essigsäure  versetztem  reichlicher  löst  als  in  reinem  Benzol. 
Natürlich  wird  die  Sicherheit  der  analytischen  Bestimmung  der 
Essigsäure  in  Benzol  mittelst  des  Gefrierapparates  dadurch  in 
keiner  Weise  beeinträchtigt.  In  Tab.  I  finden  sich  die  Versuchs- 
resultate ;  unter  t  steht  die  beobachtete  Gefrierpunktserniedrigung, 
unter  c,  die  Anzahl  g  Essigsäure,  welche  hiernach  in  den  31*5  g 
Benzol  vorhanden  waren;  c2,  die  Anzahl  g  Essigsäure,  welche  in 
die  5'075  g  Wasser  übergegangen  waren,  ergaben  sich,  indem  man 
Cj  von  der  hinzugesetzten  Gesamtmenge  subtrahierte.  Strenge  ge- 
nommen sind  die  Zahlen  nicht  völlig  vergleichbar,  weil  sie  nicht 
bei  der  gleichen  Temperatur  gewonnen  sind ;  doch  dürfte  der  hier- 
durch erzeugte  Fehler  bei  der  geringen  Veränderlichkeit  der  Ver- 
teilungskoeffizienten mit  der  Temperatur,  von  der  auch  ich  mich 
wiederholt  überzeugte,  durchaus  verschwindend  sein. 


TabeUe  I. 

t 

4 

c2 

0-075° 

0-043 

0-245 

5-7 

1-40 

0-120 

0-071 

0-314 

4-4 

1-39 

0-158 

0-094 

0-375 

4-0 

1-49 

0-240 

0-149 

0-500 

3-4 

1-67 

Wie  vorauszusehn,  ist  der  Teilungskoeffizient  —  keineswegs  kon- 

stant,  sondern  nimmt  mit  der  Konzentration  stark  ab,  wohingegen  — 

i 
viel  weniger  variiert;  daraus,  daß  letzterer  Ausdruck  umgekehrt 
mit  steigender  Konzentration  merklich  ansteigt,  haben  wir  zu 
schließen,  daß  Essigsäure  in  Benzol  gelöst  zwar  zum  weitaus 
größten  Teile  aus  Doppelmolekeln  besteht,  bei  geringerer  Konzen- 
tration aber  auch  Moleküle  normaler  Größe  in  nicht  ganz  unbe- 
trächtlicher Menge  enthält.  Zu  demselben  Resultate  gelangte  be- 
kanntlich Beckmann1)  auf  einem  ganz  anderen  Wege,  nämlich 
durch  Molekulargewichtsbestimmungen  nach  Eaoult's  Methode. 

^  Aehnliche  Resultate  lieferte  Phenol,  dessen  Verteilungsweise 
zwischen  Benzol  und  Wasser  ich  nach  der  gleichen  Methode  unter- 
suchte. Als  ich  zunächst  behufs  Aichung  des  Apparats  zu  mit 
wenig  Wasser  versetzten  Benzol  gewogenen  Mengen  Phenol  hin- 

1)  Beckmann,  1.  c.  S.  730. 


über  die  Verteilung  eines  Stoffes  zwischen  zwei  Lösungsmitteln.  409 

zufügte,  beobachtete  ich  auch  hier  um  17  bis  20  °/o  höhere  Depres- 
sionen als  die  von  Beckmann  mit  wasserfreien  Substanzen  er- 
haltenen. In  folgender  Tabelle  sind  die  den  daneben  stehenden 
Prozentgehalten  (g  Phenol  auf  100  g  Benzol)  entsprechenden  De- 
pressionen t  verzeichnet. 


Tabelle  II. 

°/o  Gehalt 

t 

0-104 

0-041° 

0-352 

0-139 

0-68 

0-257 

0-89 

0-354 

2-20 

0-765 

3-68 

1-270 

4-90 

1-472 

Mit  Hülfe  dieser  Zahlen  sind  aus  den  Gefrierpunktserniedrigungen, 
welche  durch  Hinzufügen  von  Phenol  zu  13*46  g  Benzol  und  30  g 
Wasser  erzeugt  wurden,   folgende  Werte  für  cx  und  c2  abgeleitet. 


Tabelle  HL 

?1 

* 

ü 

^i 

1 

0-017 

0-038 

2-24 

0-085 

0-051 

0-077 

1.51 

0.116 

0-123 

0-159 

1-30 

0-205 

0.327 

0-253 

0-77 

0-196 

0-75 

0-39 

0<52 

0-203 

Die  Beobachtungen,    welche    hier   über    ein   weiteres   Gebiet   er- 
streckt werden  konnten,  zeigen  bei  außerordentlicher  Veränderlich- 

keit  von  ~  eine    bei   höherer  Konzentration   recht  nahe   erfüllte 

Konstanz  von  — .     Da  nun  bekanntlich  Phenol  in  Wasser  gelöst 

i 
normale  Molekulargröße  besitzt,  muß  es  also  in  Benzol  bei  obigen 
Konzentrationen  weitaus  vorwiegend  aus  Doppelmolekeln  bestehen, 
die  jedoch  bei  den  niederen  Konzentrationen  in  erheblichem  Maaße 
sich  spalten.  Hiermit  stimmen  wiederum  Beckmann' s  Messun- 
gen trefflich  überein,  welcher  bei  einem  dem  größten  und  kleinsten 
Werte  von  c,  in  obiger  Tabelle  entsprechendem  Gehalte  die  Mole- 
kulargrößen 178  und  ca.  140  fand,  während  das  normale  Moleku- 
largewicht 94  beträgt. 


410  W.  Nernst, 

Man  kann  übrigens  ans  obigen  Zahlen  ancb  den  Dissociations- 
zustand  ziemlich  sicher  berechnen ;  ans  den  bei  großen  Konzentra- 
tionen erhaltenen  Zahlen  schließen  wir,  daß  die  Anzahl  von  Dop- 

c2 
pelmolekeln  des  im  Benzol  gelösten  Phenols  tt-Att  beträgt  nnd  sich 

daher  für  die  beiden  größten  Verdünnungen  zu  0*0072  und  0*0277 
berechnet.  Demgemäß  ergiebt  sich  die  Anzahl  der  dissociierten 
Molekeln  zu  0*010  und  0*023.  Gilt  nun  für  die  in  Benzollösung 
sich  abspielende  Reaktion 

(C6H5OH)8  =  CeHsOH  +  CeHsOH 

die  Gleichung  der  Dissociationsisotherme,  so  muß  das  Quadrat  der 
Konzentration  der  Einzelmoleküle  dividiert  durch  die  Anzahl  der 
Doppelmoleküle  konstant  sein.     Thatsächlich  finden  wir 

°-°ia    =  0-014  und  Ä  =  0-019 


0*0072  0*0277 

kaum  über  die  Versuchsfehler  hinaus  verschieden,  welche  sich  in 
obigen  Ausdrücken  in  ganz  außerordentlicher  Weise  vervielfäl- 
tigen. 

Schließlich  sei  noch  erwähnt,  daß  Alkohol,  welcher  in  Benzol 
bei  nicht  zu  hohen  Konzentrationen1)  sowie  in  Wasser  normale 
Molekulargröße  besitzt,  sich  demgemäß  auch  unabhängig  von 
der  Konzentration  zwischen  die  obigen  Lösungsmittel  verteilt,  wenn 
auch  die  hier  ausgeführten  Messungen  wegen  der  geringen  Menge 
des  in  das  Benzol  übergehenden  Alkohols  (er  verteilt  sich  zwischen 
gleiche  Gewichtsteile  Benzol  und  Wasser  etwa  im  Verhältnis  1 :  60) 
und  der  infolgedessen  nur  sehr  kleinen  Gefrierpunktserniedrigungen 
keine  große  Genauigkeit  beanspruchen  können. 

Obwohl  das  bisher  mitgeteilte  Zahlenmaterial  den  eingangs 
theoretisch  abgeleiteten  Sätzen  bereits  eine  sichere  experimentelle 
Unterlage  verleihen  dürfte,  so  empfahl  es  sich  doch  zur  Entschei- 
dung gewisser  anderer  Fragen  einerseits  die  Verteilung  eines 
Stoffes  innerhalb  weiterer  Aenderungen  der  Konzentration  und 
anderseits,  was  ja  ganz  besonderes  Interesse  beansprucht,  den 
Einfluß  der  elektrolytischen  Dissociation  zu  untersuchen.  Ich  habe 
derartige  Messungen  mit  Benzoesäure  und  Salicylsäure  ausgeführt, 
Stoffe,  von  denen  der  erstere  als  der  Repräsentant  eines  nur  we- 
nig,  der  zweite  als   derjenige   eines   verhältnismäßig  stark  disso- 


1)  Beckmann,  1.  c.  728. 


über  die  Verteilung  eines  Stoffes  zwischen  zwei  Lösungsmitteln.        411 

ciierten  Elektrolyten  dienen  kann.  In  Benzol  sind  beide  Stoffe 
bei  denjenigen  Konzentrationen,  für  welche  die  Raoult' sehe  Me- 
thoden noch  genügende  Genauigkeit  liefern,  bimolekular;  doch  lie- 
gen Anzeichen  vor,  daß  sie  bereits  beginnen,  sich  in  ihre  Einzel- 
moleküle  aufzulösen1).  Thatsächlich  werden  wir  denn  auch  kon- 
statieren, daß  die  genannten  Stoffe,  bei  Verdünnungen  freilich  erst, 
bei  denen  die  früheren  Methoden  völlig  versagen,  normale  Mole- 
kulargröße annehmen. 

Es  ist  leicht  auf  Grund  dieser  Angaben  sich  im  Voraus  ein  Bild 
von  dem  qualitativen  Verlauf  der  Erscheinungen  zu  machen.  Benzoe- 
säure, welche  bei  großen  Verdünnungen  in  beiden  Lösungsmitteln,  ab- 
gesehen von  der  geringfügigen  elektrolytischen  Dissociation,  normale 
Molekulargröße  besitzt,  muß  demgemäß  hier  sich  in  konstantem 
Verhältnisse  theilen ;  bei  höheren  Konzentrationen,  wo  dieser  Stoff 
im  Benzol  in  Gestalt  von  Doppelmolekeln  gelöst   ist ,    haben  wir 

c2 
Konstanz  des  Ausdruckes    —  zu   erwarten   und   dazwischen  liegt 

°2 
das  Dissociationsgebiet.    Salicylsäure  hingegen,  welche  bei  höherer 

Konzentration,  wo  die  elektrolytische  Dissociation  zu  vernachläs- 
sigen ist,  sich  wie  die  Benzoesäure  verhalten  muß,  wird  bei  großen 
Verdünnungen  sich  keineswegs  in  konstantem  Verhältnisse  theilen, 
sondern  mit  zunehmender  Jonenspaltung  immer  reichlicher  an  das 
Wasser  abgegeben  werden. 

Was  die  Versuche  selber  anlangt,  so  verfuhr  ich  bei  der  Ben- 
zoesäure einfach  in  der  Weise,  daß  ich  sie  in  gewogenen  Mengen 
successive  in  einen  Scheidetrichter  einführte,  welcher  250  cc  Was- 
ser und  100  cc  Benzol  enthielt.  Nach  Herstellung  des  Gleichge- 
wichtszustandes2) ,  welcher  nach  mehrmaligem  Schütteln  schnell 
und  präcise  sich  einstellte ,  wurden  50  cc  der  wässerigen  Schicht 
mittelst  Barytwasser  und  Phenolphtalein  als  Indikator  titriert;  die 
dem  Scheidetrichter  entnommenen  Wassermengen  wurden  stets 
wieder  ersetzt,  wobei  darauf  geachtet  wurde,  daß  nur  von  Kohlen- 
säure befreites,  nämlich  mit  Phenolphtalein  und  Barytwasser  bis 
zur  schwachen  Rosafärbung  versetztes  Wasser  in  Anwendung  kam. 
Da  man  durch  Wägung  die  gesamte  zugeführte,  durch  Titration 
die  an  das  Wasser  abgegebene  sowie  auch  die  im  Laufe  des  Ver- 


1)  Beckmann,  1.  c.  730. 

2)  Berthelot's  Bemerkung  (I.e.  398),  wonach  der  Gleichgewichtszustand 
sich  erst  nach  einigen  Stunden  herstellt,  kann  ich  nach  meinen  Versuchen  nicht 
bestätigen,  war  vielmehr  in  allen  Fällen  erstaunt  über  die  Geschwindigkeit  und 
Sicherheit,  mit  welcher  das  schließliche  Teilungsverhältnis  erreicht  wird. 


412  W.  Nernst, 

suches  zur  Titration  verbrauchte  Menge  Benzoesäure  kannte,  so 
bot  die  Berechnung  der  Versuche  keine  Schwierigkeit.  Mehrfache 
Wiederholungen  zeigten,  daß  auf  diese  Weise  scharfe  Resultate 
zu  erhalten  sind;  die  Yersuchsfehler  werden  um  so  geringer,  je 
größer  die  an  das  Benzol  abgegebene  im  Verhältnis  zur  gesamten 
Menge  der  Säure  ist ,  und  wenn  die  an  das  Wasser  abgegebene 
Menge  gegen  jene  verschwindet,  so  werden  die  Bestimmungen  der 
Konzentration  im  Benzol  so  genau  als  man  wägt,  und  derjenigen 
im  Wasser  so  genau  als  man  titriert.  Schwankungen  der  nahe 
20°  betragenden  Temperatur  wurden  während  des  Versuches  nach 
Möglichkeit  vermieden. 

Bei  der  Salicylsäure,  wo  eine  Ausdehnung  der  Messungen  bis 
auf  sehr  große  Verdünnungen  wünschenswert  erschien,  geschah 
die  Analyse  mittelst  des  elektrischen  Leitungsvermögens.  Zunächst 
wurde  durch  Hinzufügen  gewogener  Mengen  einer  Salicylsäurelö- 
sung  von  bekanntem  Gehalt  zu  einer  ebenfalls  gewogenen  in  einem 
Ar rhenius' sehen  Widerstandsgefäße  befindlichen  Wassermenge 
eine  empirische  Skala  für  die  Abhängigkeit  des  Widerstandes  von 
der  Konzentration  gewonnen,  welcher  nach  Kohlrausch's  Me- 
thode unter  Anwendung  einer  Brückenwalze  bestimmt  wurde.  Die 
Messungen  ließen  sich  bei  größeren  Konzentrationen  vortrefflich 
durch  folgende  Formel  darstellen,  welche  eine  Umformung  der 
Ostwald' sehen  Dissociationsgleichung   der  Elektrolyte  darstellt: 

w      w 

G  und  w  bedeuten  den  Gehalt  und  den  Widerstand  der  Lösung, 
A  und  B  sind  Konstante.  Bei  größeren  Verdünnungen  ließ  sich 
der  Gehalt  einfach  durch  Interpolation  aus  dem  Leitungsvermögen 
mit  hinreichender  Sicherheit  ermitteln.  Mit  der  Darstellung  ge- 
nügend reinen  Wassers  hatte  ich  anfänglich  Schwierigkeiten ,  er- 
zielte schließlich  aber  solches  (Je  =  2xl0~10)  einfach  durch  Aus- 
frieren des  gewöhnlichen  destillierten  Wassers.  Die  Versuchstem- 
peratur wurde  stets  auf  18°  gehalten. 

Die  eigentlichen  Messungen  geschahen  nun  in  der  Weise,  daß 
entweder  zu  einer  im  Widerstandsgefäße  befindlichen  Salicylsäure- 
lösung  gewogene  Mengen  Benzol  hinzugefügt  und  die  Abnahme 
des  Leitungsvermögens  bestimmt,  oder  zu  im  Widerstandsgefäße 
befindlichem  Wasser  und  Benzol  gewogene  Mengen  einer  Salicyl- 
säurelösung  hinzugesetzt  und  die  Zunahme  des  Leitungsvermögens 
der  wässerigen  Schicht  ermittelt  wurde.  Das  über  dem  Wasser 
befindliche  Benzol  hindert  die  Bestimmung  des  Widerstandes  kei- 


über  die  Verteilung  eines  Stoffes  zwischen  zwei  Lösungsmitteln.       413 

neswegs,  auch  nicht,  wie  ich  mich  durch  besondere  Versuche  über- 
zeugte, etwa  in  der  Weise,  daß  Benzol  an  den  Platinplatten  des 
Widerstandsgefäßes  adhäriert  und  Veranlassung  zu  einem  Ueber- 
gangs  wider  stände  giebt.  Einige  Kontroll  versuche  wurden  auch 
bei  der  Salicylsäure  mittelst  Titration  ausgeführt.  c2  bedeutet  die 
an  das  Wasser  [100  bez.  544  g] ,  c,  die  an  das  Benzol  [100  cc 
bez.  544  g]  abgegebene  Menge  der  Säuren. 


Tabelle  IV. 

Verteilung  von  Benzoesäure  zwischen  100  cc  Wasser  u.  100  cc  Benzol. 

i  =  20°. 


c2ing 

et  mg 

m 

c2(l-m) 

m' 

c^—m' 

m" 

ct — m' 

0-0163 

00535 

0-190 

0-0132 

0-0377 

0-0158 

0-090 

0-0197 

0-0753 

0-178 

0*0162 

0-0462 

0-0291 

0073 

0-0244 

0-099 

0-159 

0-0205 

0-0584 

0-0306 

0-111 

0-0369 

0-194 

0-132 

0-0321 

0-0915 

0-1025 

0-081 

0-0452 

0-273 

0-118 

0-0398 

0-1135 

0-160 

0-080 

0-0596 

0-444 

0-104 

0-0534 

0-1522 

0-292 

0-079 

0-0788 

0-737 

0-092 

0-0716 

0-2041 

0-533 

0-078 

0-0976 

1-050 

0-081 

0-0897 

0-256 

0-794 

0-083 

0-1500 

2-42 

0-066 

0-1401 

0-399 

2-02 

0-079 

01952 

4-12 

0-058 

0-1839 

0-524 

3-60 

0-077 

0-289 

9-7 

0-048 

0-275 
Tabelle  V. 

0-784 

8-9 

0-069 

Verteilung  der  Salicylsäure  zwischen  544  g  Wasser  u.  544  g  Benzol. 

t  =  18°. 


c2  mg 

o,  in0 

m 

c2(l-m) 

m' 

cx— m' 

0-0363 

0-0184 

'  0-739 

0-0095 

— 

— 



0-0668 

0-0504 

0-626 

0-0250 

— 

— 

— 

0-094 

0-0977 

0-563 

0-0411 

0-0863 

0-0114 

0-65 

0-126 

0-146 

0-532 

0-0590 

0-124 

0-022 

0-70 

0-210 

0-329 

0-446 

0-1163 

0-244 

0-085 

0-70 

0-283 

0-533 

0-402 

0-1693 

0-354 

0-179 

0-70 

0-558 

1-65 

0-307 

0-387 

0-813 

0-84 

0-79 

0-756 

2-81 

0-271 

0-551 

1-16 

1-65 

0-81 

0-912 

4-34 

0-251 

0-683 

1-48 

2-91 

0-70 

414  W.  Nernst, 

Konstatieren  wir   zunächst,    daß    die  Zahlen   obiger  Tabellen 

durchaus    den  erwarteten  Verlauf  zeigen;    bei   den   drei  höchsten 

Konzentrationen   (die  höchste  ist  in  beiden  Fällen  der  Sättigung 

c2 
nahe)  nimmt  der  Ausdruck  -*-  die  Werte  0*0093 ,    92 ,    87  bei  der 

Benzoesäure  und  0*194,  0-203,  0*192  bei  der  Salicylsäure  an;  bei 
den  größten  Verdünnungen  sind  bei  ersterem  Stoffe  c2  und  ct  ein- 
ander proportional,  aber  selbst  nicht  annähernd  bei  dem  zweiten. 

Behufs  der  genaueren  Berechnung  gehen  wir  am  einfachsten 
von  einer  bestimmten  Molekülgattung,  etwa  der  normalen,  aus. 
Bedeutet  m  den  Grad  der  elektrolytischen  Dissociation ,  so  erhal- 
ten wir  in  dem  Ausdruck  c2  (1  —  m)  die  Anzahl  der  normalen  Mo- 
leküle im  Wasser  und  nach  unserem  Gesetz  muß  dieser  die  ent- 
sprechende Größe  für  die  Benzollösung  proportional  sein.  Da  elek- 
troly tisch  dissociierte  Moleküle  im  Benzol  jedenfalls  nur  in  absolut 
verschwindender  Anzahl  vorkommen  (ich  überzeugte  mich  zum 
Ueberfluß,  daß  eine  an  Benzoesäure  oder  Salicylsäure  gesättigte 
Benzollösung  keine  Spur  elektrischer  Leitfähigkeit  zeigt)  so  erhält 
man  durch  Subtraktion  der  normalen  Moleküle  von  der  Gesamt- 
menge die  Anzahl  der  im  Benzol  befindlichen  Doppelmoleküle. 

Der  Dissociationsgrad l)  m  ist  bekanntlich  in  seiner  Abhän- 
gigkeit von  dem  Volumen  v,  in  welchem  eine  #- Molekel  gelöst 
ist,  durch  die  Formel 


(1  —  m)v 
und  demgemäß 

gegeben ,  worin  h  die  Dissociationskonstante  bedeutet.  Für  Ben- 
zoesäure und  Salicylsäure  besitzt  nach  Ostwald' s  Messungen2) 
k  die  Werte  0*000060  und  0-00102.  Da  ferner  122  und  138  die 
Molekulargewichte  dieser  beiden  Substanzen  betragen,  so  ergiebt 
sich  für  die  Benzoesäure 


0-000366 
m  = 


\V1  +  0-000183        V 


und  für  die  Salicylsäure 


1)  W.  Ostwald,   Zeitschrift  f.  phys.  Chemie.  2,  270  (1888). 

2)  W.  Ostwald,  Zeitschr.  f.  physik.  Chemie.  3,  246  (1889). 


über  die  Verteilung  eines  Stoffes  zwischen  zwei  Lösungsmitteln.        415 
x      VV1^  0-0192       V 


m  = 


Der  Umstand,  daß  sich  Ostwald' s  Zahlen  auf  eine  etwas  hö- 
here Temperatur  (25°)  beziehen  als  die,  welche  bei  unsern  Mes- 
sungen inne  gehalten  wurde,  dürfte  bei  der  geringen  Veränderlich- 
keit von  7c  mit  der  Temperatur1)  nicht  zu  sehr  ins  Gewicht  fallen. 
In  Kolumne  III  und  IV  obiger  Tabellen  finden  sich  die  mit  Hülfe 
obiger  Formeln  für  m  und  für  c2(l  —  m),  die  Anzahl  der  normalen 
Moleküle  im  "Wasser,  berechneten  Werte. 

Den  bei  geringeren  Konzentrationen  gefundenen  Werten  ent- 
nehmen wir  für  den  Teilungskoeffizienten  des  normalen  Benzoe- 
säure- bez.  Salicylsäuremoleküls  die  Werte  2*85  und  2*1;  durch 
Multiplikation  dieser  Zahlen  mit  c2  (1  —  m)  finden  wir  die  Konzen- 
tration m'  der  normalen  Moleküle  und  im  Ausdruck  ct  —  m'  dem- 
gemäß die  Konzentration  der  Doppelmoleküle  im  Benzol.  Diese 
Größen  sind  in  Kolumne  V  und  VI  verzeichnet. 

Hiermit  sind  wir  nun  in  die  Lage  versetzt,  eine  für  die  Theorie 
der  Lösungen  wohl  nicht  ganz  unwichtige  Frage  zu  entscheiden. 
Wenn  nämlich  die  in  Benzollösung  vor  sich  gehenden  umkehrbaren 
Reaktionen 

(C6H5COOH)2  =  CeHsCOOH  +  C6H5COOH    und 

(C6H4(OH)COOH)2  =  C6H4(OH)COOH  +  C6H4(OH)COOH 
dem  Gesetze    der   chemischen  Massenwirkung   folgen,    so  muß  der 

m" 
Ausdruck von  der  Konzentration  unabhängig  sein,  die  ge- 
wöhnlichen Dissociationsgesetze  bewahren  mit  anderen  Worten 
auch  dann  ihre  Gültigkeit,  wenn  der  Zerfall  des  zusammengesetz- 
teren Moleküls  in  die  einfacheren  in  Lösung  vor  sich  geht.  Be- 
kanntlich würde  dies  bei  der  in  wässeriger  Lösung  sich  abspie- 
lenden elektrolytischen  Dissociation  im  Allgemeinen  nicht  der  Fall 
sein,  wenn  das  elektrische  Leitungs vermögen  ein  exaktes  Maaß  für 
den  Dissociationszustand  darstellt,  und  nur  bei  den  schwachen 
Säuren  fandOstwald  einen,  hier  allerdings  vorzüglichen  Anschluß 
der  Gleichung  der  Dissociationsisotherme  an  die  Beobachtungen. 
Die  Erledigung  der  Frage,  ob  die  beobachteten  Abweichungen  ihre 
Erklärung  in  dem  Umstände  finden,  daß  für  den  Dissociationszu- 
stand das  Leitungsvermögen  kein  genaues  Maaß  liefert,  oder  ob 
thatsächlich  unsere  Anschauungen  über  die  Konstitution  der  Salze 
in  wässeriger   Lösung   noch  einer    kleinen   Korrektur    bedürfen, 


1)  S.  Arrhenius,  Zeitsclir.  f.  phys.  Chemie.  4,  96  (1889). 


416   "W.  Nernst,  über  die  Verteilung  eines  Stoffes  zwischen  zwei  Lösungsmitteln. 

scheint  mir  von  größter  Wichtigkeit  zu  sein ,  und  um  so  lieber 
nahm  ich  denn  hier  die  Gelegenheit  war,  auf  einem  gänzlich  un- 
abhängigen Wege  eine  Prüfung  der  Frage  vorzunehmen,  ob  die  in 
Lösung  sich  abspielenden  Dissociationen  durch  die  bekannten  Ge- 
setze geregelt  werden  oder  nicht.  Die  Antwort  fiel  entschieden 
bejahend  aus;  denn  wenn  die  in  der  letzten  Kolumne  von  Tab. IV 

und  V  verzeichneten  Werte  für  — — 75 —  auch  nicht  unbedeutende 

m 

Schwankungen  aufweisen,  so  spricht  die  Regellosigkeit  derselben 
einerseits  zweifellos  dafür,  daß  sie  mindestens  zum  großen  Theil 
von  den  in  obigen  Werten  außerordentlich  stark  hervortretenden 
Unsicherheiten  der  Messungen  herrühren,  und  andrerseits  wird, 
wenn  man  die  im  Verhältnis  von  etwa  1  zu  200  variierenden  Ge- 
samtkonzentrationen in  Betracht  zieht,  die  bei  alledem  zu  Tage 
tretende  Konstanz  einigermaaßen  überraschen. 

Schließlich  sei  noch  auf  die  große  Veränderlichkeit  des  Tei- 
lungskoeffizienten  mit  der  Konzentration  hingewiesen;  während 
bei  großen  Gehalten  Benzoesäure  sowohl  wie  Salicylsäure  zum 
weitaus  größten  Teile  an  das  Benzol  abgegeben  werden,  geht  letz- 
terer Stoff  bei  den  erreichten  Verdünnungsgraden  zum  größeren 
Teile  in  das  Wasser  über  und  der  Gang  der  Zahlen  läßt  kaum 
einen  Zweifel  darüber  aufkommen,  daß  bei  außerordentlich  gerin- 
gen Konzentrationen  beide  Säuren  überhaupt  nur  zu  einem  ver- 
schwindenden Bruchteil  an  das  Benzol  abgegeben  werden;  die 
ganz  exceptionelle  Stellung  gerade  des  Wassers  als  Lösungsmit- 
tels, welche  sich  in  der  Fähigkeit  zeigt,  die  in  ihm  gelösten  Stoffe 
elektrolytisch  zu  dissociieren  und  ihnen  ungewöhnliche  Reaktions- 
fähigkeit zu  erteilen,  erscheint  hier  in  einem  neuem  Lichte.  Hand 
in  Hand  mit  obigen  Eigenschaften  geht  das  deutlich  ausgesprochene 
Vermögen  des  Wassers,  die  letzten  Teile  gelöster  Substanz  frem- 
den Lösungsmitteln  gegenüber  mit  außerordentlicher  Zähigkeit  fest 
zu  halten. 


Inhalt  von  No.  12. 
W.  Nernst,  über  die  Verteilung  eines  Stoffes  zwischen  zwei  Lösungsmitteln. 


Für  die  Redaction  verantwortlich:  H.  Sauppe,  Secretair  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 
Commissions-  Verlag  der  Dieterich' sehen  Verlags -Buchhandlung. 
Druck  dei-  DieUrich' sehen  Univ.- Buchdruckerei  ( W.  Fr.  Kaestner). 


Nachrichten 


von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu   Göttingen. 


19.  November.  J|g  13.  1890. 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  8.  November. 


Riecke  legt  von  sich  vor  a.  „Das  thermische  Potential  für  verdünnte  Lösungen". 

b.  „Ueber  elektrische  Ladung  durch  gleitende  Reibung."      c.  von  den  Herrn 

Privatdocenten  P.  Drude  und  W.  Nernst  „Ueber  das  Verhalten  des  Wis- 

muth  im  Magnetfelde   in   seiner  Abhängigkeit   von    der  Temperatur  und  der 

molekularen  Beschaffenheit". 
Voigt  legt  vor    a.  von  Herrn  Privatdocenten  P.  Drude,    „Ueber  die  Größe  der 

Wirkungssphäre  der    Molekularkräfte   und  die   Konstitutionskonstanten    der 

Platauxschen  Glycerin -Seifen  -  Lösung",      b.   von   Herrn  Privatdocenten  W. 

Venske  „Zur  Integration  der  Gleichung  J du  =  0". 
Klein  legt  von  Herrn  Franz  Meyer,  Prof.  in  Clausthal,  vor:  „Ueber  Discri- 

minanten  und  Resultanten  von  Singularitätengleichungen".    Dritte  Mittheilung. 

(Vgl.  Sitzung  vom  2.  August  d.  J.) 
'Wüstenfeld  legt  für  die  Abhandlungen  (Bd.  37)  vor:  „Die  gelehrten  Schäfi'iten 

des  IV.  Jahrhunderts  d.  H." 
Wiesel  er  legt  „Einige  Nachträge  zu  dem  Aufsatze   über  weibliche  Satyrn  und 

Pane  in  der  Kunst  der  Griechen  und  Römer"  vor.    (Nachr.  1890  S.  385  ff.) 
de  Lagarde   legt   vor   a.  „Die  Inschrift  von  Aduli".    b.  „Das  hebräische  Wort 

ge"bhim".    c.  „Der  Fluß  Orontes".    d.  „Die  Stichometrie  der  syrisch-hexapla- 

rischen  Uebersetzung  des  alten  Testaments",    e.  „Xeiaapa". 
F.  Kiel  hörn  legt  vor:    „Erklärung  zweier  Stellen  des  Kävyädarca. 
Weiland    legt   für   die   Abhandlungen  (Bd.  37)   vor:     „Beiträge  zur  Kritik  der 

Chronik  des  Matthias  von  Neuenburg". 


Nachrichten  von  der  K.U.  d.W.  zu  Uöttingea.  1890.  Mr.  13.  35 


418  Paul  de  Lagarde, 


Kleine  Mittheilungen. 

Von 

Paul  de  Lagarde. 

Die  Inschrift  von  Aduli. 

Es  war  meine  Absicht ,  mich  in  den  goettingischen  gelehrten 
Anzeigen  ausführlich  über  Eduard  Glasers  Skizzen  der  Geschichte 
und  Geographie  Arabiens  zu  äußern. 

Diese  Absicht  habe  ich  nicht  ausführen  können.  Einmal  nicht, 
weil  die  zum  Urtheilen  nöthigen  Akten  (die  ich  übrigens,  soweit 
sie  aus  Inschriften  bestehn,  nur  mit  großer  Vorsicht  würde  haben 
brauchen  dürfen)  nicht  allein  noch  nicht  vollständig,  sondern  sogar 
sehr  unvollständig  vorliegen.  Zweitens  nicht,  weil  aus  der  Be- 
urtheilung,  wenn  sie  hätte  taugen  sollen,  ein  Buch  hätte  werden 
müssen,  nicht  ein  Heft. 

Ich  greife  daher  für  unsere  Nachrichten  Einen  der  vielen  Punkte 
heraus ,  die  in  einer  Recension  jener  Skizzen  zu  erörtern  ge- 
wesen wären  —  man  wird  sehen,  daß  es  so  ganz  leicht  nicht  ist, 
Glasers  Werk  zu  recensieren  — ,  aber  ehe  ich  an  die  Arbeit  gehe, 
spreche  ich  Herrn  Eduard  Glaser,  dem  hocherfreulicher  Weise  die 
Philosophen  Greifswalds  den  Doctorhut  honoris  causa  aufgesetzt 
haben,  auch  öffentlich  meine  Bewunderung  für  den  Muth,  die  Opfer- 
willigkeit und  die  Umsicht  aus,  mit  denen  er  in  Arabien  gereist 
ist,  und  den  Wunsch,  daß  er  noch  lange  Jahre  mit  gleichem  Er- 
folge wie  bisher,  und  weniger  als  bisher  angefeindet,  der  Wissen- 
schaft möge  dienen  können. 

Es  handelt  sich  für  mich  jetzt  um  einen  zwischen  EGlaser 
und  ADillmann  (Glaser ,  Skizzen  2  475  ff.)  über  die  Inschrift  von 
Aduli  entbrannten  Streit. 

Aduli  schreibe  ich,  weil  die  Griechen  (siehe  unten)  einen  Ge- 
netiv 'AöodXeüx;  brauchen,  also  yA8ooXt<;  gehört  haben  müssen.  Daß 
Yäqüt  3  623 15  ädaulay  sprechen  heißt,  weiß  ich:  ebenso  weiß  ich, 
daß  mein  Lehrer  Friedrich  Rückert  in  seiner ,  Symmicta  1  198  ff. 
gedruckten,  Uebersetzung  der  Muällaqa  des  Oarafa  von  Schiffen  von 
Adauli  redet.     Adauli  =  Adoli  wird  sich  zu  vA£ooXi-<;  umgekehrt 


Kleine  Mittheilungen.  419 

verhalten  wie  yA£a)(i.a  zu  dem  nachmals  im  Lande  üblichen  Aksüm, 
und  J^cXc  wird  mit  dem  in  der  Uebersicht  549  ff.  besprochenen  d!w 
zusammengehören. 

Wer  Aduli  auf  einer  Karte  aufsuchen  will,  bediene  sich  der 
englischen  Admiralitätskarte *)  „Red  Sea,  Sheet  4",  und  suche  süd- 
lich des  jetzt  viel  genannten  „Massaua"  (die  Engländer  schreiben 
Musawwa)  die  Annesley-Bay :  an  dieser  —  aber  jetzt  durch  eine 
Stunde  Sand  von  der  See  getrennt  —  lag  und  liegt  Aduli,  auf 
italienischem  Gebiete. 

In  diesem  Aduli  fand  sich  einst  eine  von  Ptolemaeus  Euerge- 
tes  und  eine  andere  von  einem  eingeborenen,  aber  griechisch  re- 
denden ,  Könige  gesetzte  griechische  Inschrift.  Beide  sind  in  der 
Urschrift  verloren,  aber  der  Anfang  der  ersten,  das  Ende  der  an- 
deren ist  in  einem  griechischen  Werke  des  sechsten  Jahrhunderts 
erhalten,  durch  einen  Mann  erhalten,  der  gar  nicht  merkte,  daß 
er  die  Bruchstücke  zweier  durch  viele  Jahre  von  einander  getrenn- 
ten Titel  vereinigte. 

Dieser  Mann  heißt  Koalas  6  'IvSiTtoTrXsöoTY]«;,  nicht,  wie  (meines 
Wissens  ohne  Vorlage)  IBekker  im  Register  zu  Photius  556  schreibt, 
'IvSo7rXeuaTYjc :  er  schiffte  ja  nicht  auf  dem  'IvSöc,  sondern  auf  dem 
ivStxöv  niXa^oQ.  Man  sehe  über  ihn  des  IAFabricius  bibliotheca 
graeca  (Harles)  4  251  ff. 

Von  wem  alles  das  in  Rede  stehende  Monstrum  von  Inschrift 
abgedruckt  ist  (sogar  unser  Lohenstein  hat  es  in  seine  Cleopatra 
aufgenommen) ,  lerne  man  von  Fabricius  a.  a.  0.  und  von  Boeckh 
CIG  3  5127.  Das  Buch  des  Cosmas,  aus  dem  zuerst  Leo  Allatius 
die  Inschrift  herausfischte ,  ist  vollständig  von  BdeMontfaucon  in 
der  Nova  collectio  patrum  2  im  Jahre  1706  hinausgegeben  worden. 
Eine  neue  Ausgabe  thut  dringend  Noth:  die  ganze  Cosmasfrage 
muß  von  Neuem  aufgeworfen  werden. 

Daß  August  Boeckh  nicht  auf  die  Handschriften  des  Cosmas 
zurückgegangen  ist,  nimmt  Wunder.  Daß  Herr  August  Dillmann  es 
nicht  gethan  hat,  nimmt  nicht  Wunder,  da  wer  Abraham  Berliners 
Onkelos  als  abschließende  Meisterleistung  feiern,  wer  die  diploma- 
tische Bezeugung  des  jüdischen  Canons  via  ac  ratione  vor  aller 
Exegese  zu  untersuchen  für  unnöthig,  ja  schädlich  halten  kann, 
offenbar  andere  Anschauungen  von  Kritik  hegt,  als  seit  Richard  Bent- 
ley  bei  uns  gewöhnlicheren  Philologen  verbreitet  sind.  Was  ich  1882, 
mich  auch  auf  FrField  und  FrDübner  berufend,  in  meiner  Ankün- 
digung 50  über  BdeMontfaucon  geurtheilt  habe,    konnte   der  1879 


1)  Zu  kaufen  bei  JDPotter,  31  Poultry,  London,  und  nicht  theuer. 

35* 


420  Paul  de  Lagarde, 

scli leibende  Herr  Dillmann  nicht  gelesen,  er  würde  es  freilich  auch 
wenn  er  es  gelesen  hätte,  mit  der  allen  meinen  Arbeiten  gegen- 
über bei  ihm  üblichen  grimmen  Unlust  bei  Seite  geschoben  haben. 
EGlaser  war  als  Astronom  nicht  verbunden  die  Methode  der  Philo- 
logie und  den  Ruf  Montfaucons  zu  kennen. 

Was  Herr  August  Dillmann  zu  thun  für  unnütz  erachtet  hat, 
habe  ich  jüngst  gethan:  mich  um  die  Handschriften  des  Cosmas 
gekümmert. 

Vaticanus  graecus  699,  wirklich  quadratus,  in  zwei  Spalten 
auf  der  Seite  beschrieben,  mit  Bildern  geziert,  deren  Farben  star- 
ken Schaden  gelitten  haben,  enthält  auf  Blatt  1385  bis  Blatt  14*i9 
die  in  Rede  stehende  Inschrift,  soweit  sie  mich  angeht.  Die  Accente 
sind  zu  der  späten  Unciale  noch  später  zugesetzt:  ich  nehme  auf 
sie  so  wenig  Rücksicht  wie  auf  die  werthlosen  und  zum  Theil 
selbstverständlichen  Aenderungen  des  mit  dem  Accentuierenden 
wohl  identischen  Correctors :  einiges  Wenige,  was  ich  gebe,  schien 
nothwendig.  Was  ich  mit  Cursiva  habe  drucken  heißen,  steht  4 
27 — 29  32/33  35  40 — 43,  ausdrücklich  als  7rapaYpa<p7]  bezeichnet,  im 
Texte,  hingegen  10/11  16  21/22  von  der  Hand  des  Textes  am  Rande: 
wo  sich  im  Texte  rcapaypa^T]  findet ,  hören  die  Obelen  auf ,  durch 
welche  die  Inschrift  vor  der  Zeile  als  Citat  bezeichnet  wird.  Die 
Anmerkungen,  die  als  wirkliche  ;rapaYpa<pal  am  Rande  erscheinen, 
sind  durch  dasselbe  QuecksilberRoth,  mit  dem  vom  Schreiber  selbst 
7rapaYpa<pY]  geschrieben  wird,  sicher  in  den  Text  eingewiesen. 

Florentinus  der  Laurentiana  1X28,  Blatt  391  u  bis  4022.    Ban- 
dini ist  leicht  einzusehen.    Angeblich  aus  dem  zehnten  Jahrhundert. 
Der  Wiener  Codex  kommt  nicht  in  Betracht,  da  das  kleine  Stück 
über  das   schon  Lambeck  3  9  handelte,  wie  bereits  Montfaucon  be- 
richtet hat,  nur  wenige  Seiten  umfaßt,  und  (was  Montfaucon  nicht 
gemeldet)  die  Inschrift  von  Aduli  nicht  enthält.    Ich  wandte  mich 
mit  der  Bitte  zu  helfen  an  WvHartel,  der  seinen  Schüler,   Herrn 
Doctor  Rudolf  Beer,   mit  allem  Weiteren  betraute.     Ich  bin   dem 
Herrn  von  Hartel  wie  Herrn  Doctor  Beer   zu  warmem  Danke   für 
ihre  Unterstützung  verpflichtet.    Herr  Rudolf  Beer  schrieb  an  Hartel : 
Ich  habe  mir  den  Codex,  heute  Theol.  graec.  230,  kommen 
lassen  und  folgendes  gefunden. 

Nach  dem  von  Lambeck  und  Nessel  mitgeth eilten  Titel 
folgt  noch  der  von  ihnen  ausgelassene  Zusatz  jisptttd  *  jxaXXov 
8e  rcpös  töv  s£ö)  ;  also  jedenfalls  Bruchstücke,  schon  vom  Ab- 
schreiber so  gekennzeichnet.  Die  ersten  Worte  Trpwrov  piev 
oov  stimmen  nicht  mit  dem  Anfang;  sie  finden  sich  Mont- 
faucon p.  117  D;   dann   geht  der  Text  der  Hds  weiter  bis 


Kleine  Mittheilungen.  421 

fol  32a  xa  rcaVTa  oox  lott  (Montfaucon  124  B  Anfang)  und  mit 
der  Schlußnotiz  t£Xo<;  za  rcepl  toötoo. 

Die  zweite  Abtheilung  beginnt  gleich  darauf  mit  den 
Worten :  X^st  toivov  6  0-slos  7toa«ioYpa<poq  Mwöot^  (Montfaucon 
p.  126  A  Ende)  und  geht  — mit  einigen  Auslassungen —  fort 
bis  fol  34a  (Montfauc.  p.  130 B  Ende)  8i7]ifoövcai  tyjv  §ö£av 
-9-soö  mit  einigen  wenigen  Zeilen,  einem  Appendix  über  ein 
erklärendes  Schema. 

v    Da  nun   der  Text   der  Urschrift  bei   Montfaucon   p.  141 
beginnt,    so   ergibt   sich  klar,    daß   unsere  Handschrift  den 
gewünschten  Text   nicht   enthält,   beziehungsweise   nicht  so 
weit  reicht. 
Natürlich  kam  für  eine  von  Cosmas  mitgetheilte  Urkunde  der 
Styl  des  Cosmas  nicht  in  Betracht :  wohl  aber  kamen  die  7rapaYpa- 
^ai  und  o^öXia  für  mich  in  Betracht,  die  Cosmas  in  seinem  Buche 
bietet.     Ich  habe,    so   lange  ich   auch  Montfaucons   nova  collectio 
besitze  und  benutze,  über  diese  rcapafpoupai  und  o/öXia  Studien  nicht 
gemacht,  weil  ich  sie  ohne  die  Handschriften  verglichen  zu  haben, 
nicht  machen  konnte.    An  diesem  Punkte  bin  ich  also  verwundbar. 
Ich   theile   zunächst   den  Text   des  Vaticanus   [R]   so   wie    er 
von  der  ersten  Hand   geschrieben  ist,    mit,  und  lege  ihm  die  Va- 
rianten   des  Laurentianus  [F]   unter.     Danach   werde   ich   die  Ur- 
schrift hergestellt  geben,  mit  richtiger  Eintheilung,  und  werde  Er- 
läuterungen beifügen,  die  für  Dillmann  gegen  Glaser  entscheiden. 
Auf  Geographisches  darf  ich  mich    nicht   einlassen :    mir  fehlt  die 
Muße,  mich  ausreichend  zu  orientieren. 

1     {isfr'  a  ÄvSpiwaag  m  jjiv  e^fiata  ioö  ßaaiXeioo  s&vy]  elpTjveuead-at  xe- 

&9-VOC  srcoXip/yjoa,  ercita  Afa^s  vtai  Xiyoyjvs  vix^aas ,  tyjv  i^toiav  rcdv- 


i  dtvopeuoaaa  F  Licht  von  zwei  Seiten  einfiel)  das  /j  die- 

i  nach  ßaöiXefou  +  fxoo  F  ses  Worts  auf  einer  Rasur  zu  stehn 

2  zu  yaCT)  hat  die  erste  Hand  in  F  später  3  ui^tjv  £vha]<ja  F.  Zu  seinem  oiyürjv 
ein  a  hinzugefügt,  am  rechts  beschnit-  hat  F  unmittelbar  hinter  dem  zu  z  an- 
tenen  Rande  hatF  o/dXtov  ya'Crjv  X^yet  xoi>c  geführten  a/dXtov,  aber  mit  eigenem  Ver- 
[d]^{ü[).kaa  aypi  [jap  xal]  xoo  vuv  dyccCir)  du-  Weisungszeichen,  am  rechts  beschnittenen 
xoua  <Svofj.d[Cou]ai  Rande,    aiy6r)v  *«  [«»]  öouaxivixo  [***]  xotl 

3  eOvrj  F  xd  iyyba  dox<üv  20vr) 
3  ImnoL  F  3  ^(aetav  F 

3  ayot|j.7]  und  dem  vielleicht  später  ein  3/4  7ravxu)v  bis  aua  Rs  ersetzt  F  durch 

v  nachgefügt  F:    mich   däuchte    (an    ei-  xßv  *ap'  doxota   kccvxwv   xal  aOxwv  £p.epi- 

nem  dunkelen  Morgen,  au  dem  mir  das  cwtjwQv  aoa 


422 


Paul  de  Lagarde, 


T(OV  twv  rcap5  atkois  xal  aov  £|xep7]aa|i,...  Aoa  Tiajua,  xovg  Xeyo/xevovg 
5  TZictfioo,  na\  xovg  TafxßeXa  nal  xa  iyyvg  avxov  Xkyei  l%vr)  xa.  itepav 
tov  NeiXov  xal  Ziv^aß^vs  xat  Ayfaßs  Tcal  TtafJiaa  Kai  Aftayaoo?  xal 
KaXaa  xai  Sajitve  l'ftvo«;  rcspav  toö  NsiXoo  Iv  SooßÄTOu;  xal  XL0lk~ 
vibSsoi  opsoi  olxoövta?,  Iv  otc  8ia  Traviöc  vi<psioi  xai  xpörj  xai  yiovzc, 
ßafttai,  <*><;  [li/pi  YovdTcov  xaraSosiv  tov  avöpa,  töv  nom\Lbv  Siaßd? 
10  ürc£Ta£a.  IrctTa  Aaatvs  xai  Zaa  xai  TaßaXa  \xa\vxa  M^vr;  [&»]g  xrjg 
6fine[pov\  otixaog  naXovvxai  olxoövcac  Trap'  o'peat  -ö-epfwov  oSdxwv  ßX6- 
ovtt  xal  xarapUTot),  AiaX^to  Ttal  Bsya  xal  xa  aov  ahzolc,  s&vyj  Tudvira. 
TaYYatTwv  ^a  {li/P1  tü>v  ty]<;  Aiyutttoo  opiwv  olxoövTa?  orcoT&£as  rcs- 
Ceöea&ai   sTtoirjoa  ttjv  6Söv    arcö  twv  t^<;  s^c  ßaaiXias  totcoüv  (Ji/pi 


4  auv  vonRczu  auxouv  ergänzt,  duxwv  F 
4  Rc  hat  r]  von  e(j.ep7jaafx  zu  t  radiert, 
und  leider  das  Ende  dieses  Wortes  so  ver- 
schmiert, daß  ich  weder  was  Er  gewollt 
noch  was  R  geschrieben,  entziffern  kann. 
R°s  Accentuierung  weist  auf  IfjieptaafXYjv, 
das  F  wirklich  bietet 

4—6  die  7rapaYpacp)]  hat  F  im  Texte 

4  Tiafxa  R,  xou  Ttafxöi  F 

5  F  betont  xCtapiüi  und  yap-ßeXd 

5  duxoiv  F 

6  CtYYotß-jrjve  F 

6  zu  ayyaße  hat  am  Rande  F  a^o'Xiov  xd 
lyyua  d8o6X  X^yet  eftv?)  xü>v  xiyp7]xavöiv,  WO 
der  Name  der  Stadt  am  unteren  rechten 
Ende  des  X  den  bekannten  Strich,  und  über 
dem  X  eine  mir  unlesbare  Abkürzung  dar- 
bietet 

6  ttafxa  F 

7  GefATJvat  F 

7/8  /toviuSeaiv  opeaiv  F 

7  möglich  daß  die  Rasur  Rs  den  rechten 
Schenkel  eines  o>  vertilgte:  mir  geht  sie 
dafür  allerdings  zu  tief  nach  unten:  0 
ist  aus  etwas  Anderem  hergestellt 

9  ßcc#6xaxot  [so]  F 

9  xaxa&uveiv  ohne  folgendes  tov  F 

10  ?7retxa  F 

10  das  Verweisungszeichen  in  R  schon 
bei  Xaaive.  Der  Rand  links  beschnitten: 
was  ich  ergänze,  steht  zwischen  [].  xaüxa 
2$vt]  könnte  sich  hier  finden,  wie  es  sich 
33  wirklich  findet:  vergleiche  zu  23,  aber 
auch  45.    Die  Beischrift  xo/n  fehlt  inF 


11  opeat  klar  die  Hdss.  Wir  brauchen 
einen  Singular,  da  ßXuovxi  und  xaxapuxw 
folgt.  Da  der  Mann  44  46  'Apeet  schreibt, 
traue  ich  ihm  hier  opeei  zu 

11/12  ßXuCouat  F,  aber  Coua  von  erster 
Hand  auf  Rasur 

12  natürlich  leistet  Rc  xaxappux<o.  xa- 
xappuxoia  F ,  aber  0  halb ,  ia  ganz  ,  von 
erster  Hand  auf  Rasur 

12  zu  axaX;xw  an  dem  links  beschnit- 
tenen Rande  F  [xo]ua  ßX^uaa  [*]  waty 
xaXouaiv  ol  dtth'oTtea :  xay[ya£xa]a  xaXet  xoua 
axia**'  xal  xoua  d§pa**a: — ,  wo  das  xi  von 
dxta  mir  nicht  sicher  ist 

13  .x.ayyouxaa  (das  umpunktierte  x  steht 
in  der  Hds.  dicht  am  a)  F,  dessen  Akut 
jünger  als  der  Text  ist,  während  der 
rechte  Theil  des  letzten  a  und  das  ganze 
ö  von  erster  Hand  auf  Rasur  stehn 

13  statt  xd  F  jetzt  xoua,  indem  aus  0 
ein  «  hergestellt  ist.  Der  rechts  unten  lie- 
gende Theil  des  a  ist  von  erster  Hand. 
Der  über  a  stehende  Gravis  ist  jung. 
Vermuthlich  stand  zuerst  xwv  da 

13/14  ich  merke  an,  daß  auf  dem  Bil- 
derblatte, das  vor  13  vorhergeht,  aiOioTres 
TceCeuovxe?  abgebildet  sind :  ein  kupferfar- 
biger Mann ,  der  über  der  linken  Schul- 
ter einen  Stab  trägt,  und  am  hinteren  Ende 
des  Stabes  hangend,  eine  Last 

14  ßaaiXefaa  F 

14  zu  (J^XP1  fügte  man  in  F  später 
(nicht  das  in  F  meist  auch  am  Schlüsse 
der  Wörter  verwandte  a,  sondern)  c  hinzu 


Kleine  Mittheilungen. 


423 


15  AIy&ätod.  £rctta  Avvtjvs  xai  Msttvs  Iv  aTroxpi^voic  oixoövtac  opsai. 
Xeaea  [r]a  xr\g  Bapßa[p]iag  $$vrj  ivravSa  SrjXol  l'#VO<;  iftoX£[Uoa,  00«; 
xai  [jiytarov  *ai  Soaßardratov  opos  dvcX&övras  rcspuppoopTJaag  xaiTJ- 
yayov  xai  a^sXs^a^YjV  i{xaoT(p  tou?  ts  vsoog  aDTwv  xal  Y^vaixac  xai 
7:aiSa<;  xai  TrapftsvotK  xai  rcaaav  ttjV  ü7rdp/ooaav  aoTOt?  xtiotv  Paoaä) 

20  s'^vy]  jj.saoyia  Xißavotocpöpcov  ßapßdpwv  otxoövra  ivcös  TraiStcav  [isydcXcov 
avoSpcov.     xai  EoXars  2oXate    XeydfxEvoi  ai   oi  nopo%    oi  in\  rrjv 

Bapßapiav  g-9-voc  urceta^a,  olc,  xai  toü?  atYtaXouc  ti)c  -ö-aXdaoT]«;  <po- 
Xdaosiv  sxsXsoaa.  Tauta  8k  rcdvra  xd  s^vyj  opsot  la/opoic  7re<ppoo- 
pvjpisva  aoiöc  £y<b  ^v  Ta^  ^Xat^  rcapoov  viXTJaa?  xai  07T0Td£ac,  l^a- 

25  piad{iY]v  aoioic  rcdaa«;  xd<;  /wpac  Iftl  <pöpoi?.  aXXa  ös  rcXtOTa  I&vt] 
ixovca  67T£idYYj  [aoi  sttl  <pöpoi£.  xai  7r§pav  Ss  Trj<;  ipuftpas  -ö-aXdaaYjc 
olxoövrac  'Appaßiiac  xai  KtvsSoxoXTCi'cac  'Appaßitag  na\  KivaidonoX- 
itixag  tovg  eis  tbr  rO]X7)pitr\v  örjfxairEi,  xovx  iörl  tolg  £v  ty  svdai/tovi 
'Jppaßia,  OTpdTSO(xa  vaoaxöv  xai  ttsCixöv  Sia7U£[i/j;d^svoc  xai  07roTa£as 


15  eTceixa  F 

15  dwt've  F.  dazu  am  links  beschnit- 
tenen Rande  [dvvi've]  xal  \xzzhz :  e^xi  xai] 
vuv  xaüxa  xd  e[#v7]  ojuxw  xaXoüvxai:  — , 
wo  l  der  Hds.  gegen  meine  Ergänzung 
nichts  beweist:  vergleiche  dxufxoXoyfa  = 
exoi|xoXoyfo  GHoffmann  ZDMG  32  736 

15  öbroxp^jAvota  F 

15  opeaiv  F 

16  die  Randschrift  Rs  links  vom  Buch- 
binder beschnitten :  die  Randschrift  fehlt 
in  F 

16  iz.6ki\irfx  F 

17  öuaßaxioxaxov  F 

18  d  von  d7:eXe^d{XTjV  von  Rc ,  der  am 
rechten  Ende  der  Columne  seine  Auf- 
frischungskünste getrieben  hat.  eVeXe- 
(jdfATrjv  F 

19  XT7JGIV    F 

19  jtauaüv  F.  dazu  am  links  beschnit- 
tenen Rande  [xd]  x9ja  ßapßapfaa  £[öv]r) 
>iyei,  worin  das  erste  ßap  von  ßapßapfaa, 
nicht  von  erster  Hand,  über  der  Zeile 

20  pieao'yeia  F 

20  Xeißavioxocpo'piovF1,  Xißavwxocpdpiov  F2 

20  ofxoüvxaa  dvxoa  Tteohov  [j.ey(ax<üv  F 

21  aiüXdxe  F.  dazu  am  links  beschnit- 
tenen Rande  [a]ioXdxe  ydp,  xoua  [xaxd  x]tjv 
ßapßapi'av  [xiy]pr)xaa  xoua  7ia[paX]foua  \i- 
yei.  die  erste  Zeile  des  Scholion  war  als 


erste  eingezogen,  daher  nur  Ein  Buch- 
stab ergänzt  zu  werden  braucht,  xiy  in 
xtyprjxa«  und  paX  in  napaXioua  ist  durch 
die  zu  23  folgende  Glosse  sicher 

21/22  die  Glosse  Rs  fehlt  in  F.  Sie 
steht  am  oberen  Rande  des  Blatts,  und 
ist  sehr  verblichen 
21  7iopo&  könnte  uopeft  gelesen  werden 
23  zu  ix^Xeuaa  am  unteren  Rande  Fs 
die  Glosse  fj^xpt  xoü  vüv  6'Xoi  ol  xiypVjxat, 
xd  7rapdXia  oJxoüai  fjiprj.  ütco  dSouX/  [über 
X  noch  ein  Abkürzungszeichen,  das  ich, 
da  darum  umherradiert  ist,  nicht  aufzu- 
lösen verstehe]    fxfypi  x<Lv  xrja  ßapßaptaa 

xd7TUJV 

23  xd  R  am  ZeilenEnde:  vielleicht  Zu- 
satz Rcs 

23  opeaiv  F 

25  7iXeIaxa  F 

27  das  andere  p  im  ersten  dppaß^xaa 
in  F  (vielleicht,  aber  kaum,  von  erster 
Hand)  über  der  Zeile.  Dazu  am  rechts 
beschnittenen  Rande  dpaßfxaa  (ein  ande- 
res p  hinzugeschrieben)  eVr[aüOa]  xoua 
6(j.Tjp(xaa  [xa]Xe!:  xal  xivat8ox[oX7r(]xaa,  xoua 
7rap'  dX[Xoia]  d8av£xaa  xaX[oujj.^voua] 

27  Mitte  xivat5oxoX7r(xaa  F 

27 — 29  die  Beischrift  fehlt  in  F 

28  xoi«  am  ZeilenEnde  in  Rcs  HandR 


424 


Paul  de  Lagarde, 


30  autwv  toü<;  ßaoiX£as ,  (pdpoos  ttjc  f^S  rsXstv  IxeXsoaa  xai  oSsoea&ai 
jieT5  etpTJvirj?  xai  TcX^afrat.  arcd  is  Xeoxtjs  xo^Y]«;  Ioös  t<üv  Eaßaiaw 
/wpac  iTCoXd{JL7]Oa  eis  xh  fxipr}  x&v  BAs/ifiVGor  idxlv  Hoojxrf  naXovjxkvr} 
xb  AevHoyTjy.  7üavta  8e  Taöta  sß-VT]  7up6yco<;  xai  (iövo<;  ßaaiXecov 
täv  7rpö  S[ioö  bitizaia,  dC  t)v  s/co  Trpög  töv  ^syiotov  fteöv  [ioovAp7jV 

35  e&^apiaieiav  ^aßaioov  x^Pa  tf^Aiv  ete  ibv  cOjnrfpix7]v  idtiv  oc,  {is  xai 
£7§WT]ae,  St'  oo  Tcdvia  xa  £\>vt]  ia  6[Xopoövca  t^  I{i^  7^  octüö  |i£V  a- 
vatoX^?  t^XP7]  ^  Xtßavot:o(pöpoo,  arcö  8s  Suasw?  [Ji/pT]  twv  T7)<;  Al- 
dioTria«;  xai  laaoD  töttcov  61c5  i^aoTÖv  £iroi7]oa..ev  aorö«;  870)  sX$<bv 
xai  vixVjaac ,    a  §£  8ia7T£|i7rd[i£VOs ,    xai  iv  eipTJvifl  xaraor^aac  rcavta 

40  TÖV  Oft'  £[*oi  XÖGJJIOV  a{5r77  ^  2adov  x&>Pa  vdxäxr\  idtiv  x&v  AlSiö- 
itoov ,  UvSct  Tiai  rto\v  xpvöiov  idxiv  xb  Xeyöuevov  xayxapa<s.  ineneiva 
öh  xavxijg  b  oaneavbg  napdcHEixca,  &d7tsp  uoä  x&v  Bapßapeoox&v  x&v  nai 
xbv  Xißavov  i/*7topevojLiivGov,  xaTTjXaJ-OV  SIQ  TTjV  ASooXl  T(j)  Alt  Xai  Tt]> 
vAp££i  xai  t(j>  IlootSwvi  ftoaiaaai  orc&p  twv  ^Xol*Co{i£vcov.    aftpoaag  §£ 

45  [J.00  ta  OTpaTEü^ata  xai  i^'  §v  ftonjoac  Im  toutij)  T(j>  totccj),  xaft^aa«; 
TÖvSe  töv  öi<ppov  7uapa&7]XY]v  t(j)  vAp££i  Ircoiiqaa,  Itt  vqq  £|X7js  ßaat- 
Xsiac  xC. 


31  xdpL7]a  F.  zu  XeuxTJa  xdpnqa  F  am 
rechts  beschnittenen  Rande  Xeuxrjv  xdi^v 
xfaXet]  to  Xeydfjievov  Xeu[****]  hei  xd  (jiprj 
T<I>v  ß[X£(ji](X'ju)v,  ov  roxpd  $[dXaaaav] 

31  aaßewv  F.  dazu  am  rechts  beschnit- 
tenen Rande  aaßewv  ywpau**  xov  6(j.r|ptX7]v. 
ich  kann  nur  0,  nicht  v,  lesen 

32/33  die  Beischrift  fehlt  in  F 

33  nach  xauxa  -}-  xd  F 

34  Trpo;>F 

35  eftyjxptaxefav  auch  F1,  lu^apioxtav  F2 

35  die  Glosse  fehlt  in  F 

36  zu  tiaro  F  am  rechts  beschnittenen 
Rande  adaou  xai  Xißavu>[xo]cpdpov  xaXeT, 
tolg  xü>v  dtfti<$7riuv  ^(upa[a]  pirjadcou,  e^a 
vo[tov]  xai  Buatv  xet(x^v7j[v]  X7jv  Se  ßapßa- 
p[(av]  efc  vdxov  xai  dvax[oXr]v]  xet^vr^v 
ßap[ßap(a]  8i  dsxiv,  ^j  xov  Xi'ßafvov]  7roiouaa 
yi].  +i  h[i]  adaou  X^Pa'  üax[dxrj]  laxl  xaiv 
dtötd7r(ov.  Ivd[a  xai]  ttoXu  5(pua(ov  iaxl  x[6 
Xe]Ydfxevov  xdy^apa;.  [d7ti]xeiva  8e  xaoxirja 
[6  i?j]xeavoa  7iapdxetxat.  a>a[7rep]  xai  xdiv 
ßapßapetoxüiv  [xüiv]  xov  X(ßavov  ^fjnropeuo- 
fjivwv.  Man  sieht,  daß  die  Ergänzungen 
nicht  gleich  groß  sind :  man  wird  sich 
auf  die  Notwendigkeit,  kleine  Aenderun- 
gen  aus  einer  vollständigen  Hds.  aufneh- 


men zu  müssen,  gefaßt  zu  halten  haben. 
Die  Worte  xov  Xtßavov  IjjLTropeuofj-evwv  stehn 
nicht  zur  Seite,  sondern  unter  der  Kolumne 
37  beide  Male  jxlypi  F 

37  Xtßavcoxocpo'pou  F 

38  [j.tjv  von  e7Toi7]aap]v  Rcs  jetzt  ver- 
schmiert: vier  Buchstaben  sind  in  R 
dagewesen ,  vor  v  jedenfalls  ein  t.  was 
R  gehabt  hat,  das  hat  F  noch  heute, 
und  druckte  aus  F  Montfaucon,  nämlich 
i7rofa)<5a  &  jjtlv 

40—43  das  kursiv  Gedruckte  fehlt  in  F 
43  doouXrjv  F,  in  dem  der  Accent  jetzt 
radiert  ist 

43  aSouXi  von  Rc  in  aSouXrj  geändert 

44  d'pe't  F 

44  TcoöetSwvi  F 

44  0  von  TrXo't'Copiivwv  in  F  auf  Rasur: 
war  wohl  einst  u> 

44  d&pofoaa  F 

45  vKp'  F 

45  xaJHaaa  F 

46  d'pe't  F 

46  Ixi  auch  F1:  Ixet  Fa,  in  dem  et  auf 
Rasur  steht 

47  itxoaxü)  eßSdfxca  F  (ohne  1  adscr), 
wo  eßSo'fjuu  alt  auf  Rasur 


Kleine  Mittheilungen.  425 

Ich  heiße  nunmehr  die  Inschrift  in  der  Gestalt  wiederholen, 
in  der  sie  modernen  Gelehrten ,  die  wenigstens  noch  ein  griechi- 
sches Wörterbuch  zu  benutzen  verstehn,  verständlich  sein  wird. 

A  1  fie$'   &  dvdpEicböag , 

2  xa  /mv  Uyyiöxa  xov  ßaöiXsiov  fxov  l%vr\   ElprjvEvEöSai  nsXEvdag, 

3  ijtoXk/xrjda,  nai  vitkxaB,a  fidxaig,  xa.   vitoyEypa/x/ikva  ^vrj. 

lTd8,rj%  £$vrj  iitoXk/.ir}6a. 

2$7t£ixa  Aya/ie    nai   2iyvrjvs b  vmrjöag ,    xrfv    f/ßiöEiav    ndvxoov    x&v 

itap'   avxoig  nai   avxdov  i/xEpiödfxrjv. 
3Ava  nai  Ziyyaßrjve  nai    Ayyaßsc  nai   Tia/iad  nai  ASayaovg  nai 

KaXaa  nai   Sajaivs  ,    £$vog  itkpav  xov   NeiXov  iv    dvdßdxoig  nai 

XiovdoSEdi   öpEöi   oinovvxag ,    iv   olg   Sia  itavxbg  viq>£Xoi  nai  npvrj 

nai  x^oveg  ßaSeiai,  dag  fxkxpt  yovdxcov  naxaövEiv  xbv  ävSpa,  xbv 

noxafibv   diaßag  vitkxaB,a. 
A£it£ixa  Aa6iv£e  nai  Zaa  nai  TaßaXa,   oinovvxag  nap    öpEEi  $£pn6av 

vSdxoov  ßXvovxi  nai  naxapvxa) , 
bAxaXfj,Go  nai   Bsya  nai  xa  6vv  avxoig  ^vr\  itävxa. 
^Tayya'ixobv  xa  fikxp^  t&r  xrjg  Aiyvnxov  bpioov  oinovvxag  vitoxd^ag, 

itESyEvEd^ai     iitoir}6a    xr\v    böbv    dito    xgüv    xfjg    ßaöiXsiag    xdnoov 

jUEXPi  Aiyvitxov. 
^IrtEixa  Avvive  f  nai  Mexive  iv  &7tonprjfivoig  oinovvxag  öpsdi. 
*2E6£a  £$vog  inoXkurfda,   ovg  nai  fxkyi6xov  nai   Svößaxcoxaxov   öpog 

dvEXSövxag    7t£pi<ppovpydag    naxrjyayov ,    nai  iit£XEB,d/nr]v  ipiavxa) 

xovg  xe  vkovg  avxdbv  nai  yvvainag    nai    TtaiSag    nai    itapSkvovg 

nai  7tä6av  xr/v  vndpxovöav  avxoig  nxf\6iv. 
9Pavdoove  £$vrf,  /jLEöoyEia  XißavGoxoq>6pGov  ßapßdpoov  oinovvxa  ivxbg 

7tEÖicov   fiEydXoDV   dvvdpaov,  nai   2oXax£h  £$vog  bitkxaB,ay   olg  nai 

xovg  aiyiaXovg  xrjg  SaXddör/g  cpvXdööEiv  inkXEvöa1. 

a  TctCTj    li'(ii  tous  ÄSüifj-tTa;*    ot/pt   ydp  Reichs    196.     ^Lib   räth   mir,   Genesis 

xal   vüv    ÄyaCr|    a6xou;    <ivo|j.dCöuai.      Der  1080  -)£^    herzustellen,    Mittheilungeu 

Scholiast  weiß  sich   also   der  Zeit  nach  2  26 

von  dem  schreibenden  Könige  unterschie-  e  xauxa  xd  eihnr)    g(o;   tt);  a^fxepov  oütoo 

den.     Cosmas    selbst   glaubte  Sätze   des  xaXoüvxat 

Ptolemaeus  Euergetes  zu  lesen.     Ag:äzi,  f  Ixt  xal    vüv    xaüxa   xd    g&vi)  oöxiü  xa- 

Dillmann  WB  1189  Xoövxat 

b  das  Scholion  zu  XtyuTjve  ist  (wenigstens  g  xd  xy);  Bapßapta«  IOvtj  Uyzi 

von  mir)  nicht  herstellbar:  siehe  oben  h  SioXdxe  ydp  xou;    xaxd  xrjv  Bapßapfav 

c  xd  lYY^^'ASouXecus  X^yei  eftvTj  xöiv  Tiyprj-  Tiyprjxa«  xou?  raxpaXfouc  X£yei  F.  Rs  Glosse 

xavüiv  ^  sehe  man   oben    im  Texte :    sie  ist  zum 

d  Tiafxa  xou;  Xeyo|jivou;  TCtafxui  xal  xou«  Theil  unleserlich ,    aber    auch   sie  sucht 

Ta|j.ßeXd  xal  xd  lyfjz  a6xwv  )Ayei  Iftvrj  xd  ihre  SoXaxe  in  der  Bapßapfa 

7r^pav  xoü  NefXou.      Aethiopisch  geschrie-  i  |jiypi  xou  vüv  6'Xoi  ol  TtypfjXat  xd  nca- 

ben  Qeyam  auf  der  Inschrift  von  Aksum:  pdXia   oixoö<n    (jiprj    dno   'A?o6Xeu);    p^ypt 

Dillmann,  die  Anfänge  des  axumitischen  xwv  xffi  Bapßapfa;  x^ttcuv 


426 


Paul  de  Lagarde, 


4  xavxa  81  nävxa  xa  ^vrj   öpsdi  Idxvpoig    nEtppovprfjuEva  avxbg  iyoo  iv 

xaig  fiäxaig  napoov  vinrjdag  nai  vnoxä£>ag,  ixapiddßtjv  avxolg  nädag 
xag  x^PaS  txl  <pdpoig. 

5  äXXa  8e  nXEidxa  iSvrj  kndvxa  i)nExdyr\  fxoi  inl  cpopoig. 

B  Kai  nipav  8e  xfjg  ipvSpäg  SaXäddrjg  oinovvxag  Apaßixag*  nai  Kivai- 
SonoXnixag  dxpdxEvjia  vavxinbv  nai  nsginov  Siansjuipdfisvog ,  nai 
vnoxäZag  avxobv  xovg  ßadiXeag,  qtopovg  xr\g  yfjg  xeXeiv  iniXsvda, 
nai  böevedSai  hex  elpTfvrjg  nai  nXssdSai  dno  xe  ÄEvnfjg  HGo/urjg1  ewg 
xgdv   2aßaicovm  x^PaS  inoXEfxr\da. 

C  nävxa  8e  xavxa  xa  £%vr]  np&xog  nai  juovog  ßadiX&oov  x&v  npb  ifxov 
v7t£xaB,a  Si  r\v  k^x00  xpbg  xbv  jusyidxov  Seov  ßov  "Apr/v  svxapidxiav, 
8g  jue  xal  iyivvrjdE  ,  8i  oh  nävxa  xa  £$vrj  xa  bjuopovvxa  xfj  i/ifi 
yy  äitb  juev  dvaxoXfjg  juixpi  rVS  XißavGoxocpopov ,  dnb  81  dvdEGog 
juixoi  xobv  xrjg  AlSioniag  nai  2ädovn  xonoov  -ön  ijuavxbv  inoirjda, 
et  filv  avxbg  iyoo  iXSoov  nai  vinrjdag,   ä  ös  8ianEjanöju.Evog. 

D  Kai  iv  Eipf)vrf  naxadxr/dag  itävxa  xbv  -bn'  ijtiol  nödjuov ,  naxf/XSov  sig 
xr/v  ASovXi,  xgd  Jil  nai  x<&  "ApEEi  nai  xgü    TLodEiÖGovi  Svdiädai  vnsp 

XGOV    7tXGDl£0JJ,EVGDV. 

dSpoidag  8e    ßov    xa    dxpaxEvjnaxa    nai  vg>    sv  noir/dag    inl    xovxcp  reo 

xonoo,  naSidag  xovSe  xbv  Sicppov  napa$f)nr/v  x&>  "ApEEi  inoirjda 
Ixei  xfjg  ifirjg  ßadiXsiag  n$. 


k  'Apaßixas  £vxaü$a  xous  *OfJt//jpixas  xa- 
Xa ,  xal  Kivai8oxoX7rixas  xous  Tiap'  d'XXot? 
'ASavt'xa?  xaXouf/ivou?  F.  'Apaßixas  xal 
KivaiSoxoXTrtxa?  xoo?  d<;  xdv  'Ofr/jpi'xTjv  ar)- 
(j-aivei,  xoüx'  iax\  xou«  iv  xtj  euSaifxovi'Apa- 
ß(a  R 

1  Xeux7jv  x(i){A7]v  xaXeT  xo  Xeydfxevov  Aeu- 
****  ^7tl  xa  fxepYj  xuiv  BXe|x(jLUU)v  ov  Ttapd 
fta'XaaaavF.  Da  die  Blemmyer  ohne  Frage 
in  Afrika  wohnen,  undHaurä  ohne  Frage 
in  Arabien  liegt,  kann  der  Satz  desScho- 
liasten  nur  bedeuten ,  Haurä  liege  der 
Stelle  der  africanischen  Küste  gegenüber, 
an  der  die  Blemmyer  sitzen.  Elz  xd  jiipr) 
xüiv  BXe[xp.uü>v  icrxlv  xwpiv]  xaXouptivr)  xo 
AeoxoYTjV  R 

m  Saßafcov  /(upa  udXiv  e{;  xov'OfxrjptxYjv 
laxh  R.  über  F  siehe  zu  Zeile  31 

n  V)  2daou  /wpa  £)axdxr]  iaxlv  xüiv  A(- 
Üi6tuüv,  h%a  xal  7:oXu  ypuafov  iaxlv  xo  Xe- 
ydp.evov  xayyapa;.  liz&xzwa  U  xauxyj;  6 
ibxeavo;  Tcapdxetxat,  wcfTOp  xal  xüiv  Bapßa- 
psojxüiv  xüiv  xal  xöv  Xfßavov  i(j.7ropeuo{xdvouv 
R.     F  Sdaou  xal  Xtßavioxotpö'pov  xaXeT  xd; 


xüiv  A{$id7Tü)v  ywpa?.  xal  xyjv  pi-ev  2daou 
d<;  votov  xal  Buötv  xeiptivrjv,  xtjv  8e  Bapßa- 
ptav  elz  voxov  xal  dvaxoX7]v  xet{j.^vrjv.  Bap- 
ßap(a  Se  daxlv  ^  x6v  Xißavov  Tiotoüaa  y7).  ^ 
oe  Sdaou  ytopa  üaxdxirj  laxl  xüiv  A^iottiov, 
iv&a  xal  TtoXu  ypuafov  daxl  xo  Xsyo'pievov  xay- 
yjapac  i7iixeiva  Se  xauxrj?  6  (uxeavog  7ia- 
pdxetxat,  wöTiep  xal  xüiv  Bapßapeüixiüv  xüiv 
xov  Xfßavov  £{ji7ropeuo[jiviov.  Ueber  xayyapas 
vergleiche  man  was  ich  1856  aus  MVde- 
LaCrozes  armenischem  Wörterbuche  in 
meinen  Reliquiae  iuris  ecclesiastici  anti- 
quissimi  graece  ix  x  mitgetheilt  und  selbst 
gesammelt  habe,  ferner  meine  1866  er- 
schienenen gesammelten  Abhandlungen 
22718ff.,  CHaeberlins  Schrift  de  carmini- 
bus  Graecorum  figuratis  und  die  eben 
erschienenen  Nachträge  zu  derselben  im 
Philologus  von  1890  Seite  279  wegen  der 
dort  gegebenen  Nachweise.  ADillmann, 
über  die  Anfänge  des  axumitischen  Reichs 
200,  hätte  ausschreiben  sollen,  was  er 
aus  Cosmas  [1394]  citiert  ypuafov  u>;  $£p- 
(xta  x6  Xeydfjtevov  xayydpav  [Accusativ]. 


Kleine  Mittheilungen.  427 

Der  Barbarenfürst  hat  seine  Inschrift,  wie  man  nunmehr  wohl 
zugeben  wird,  gut  disponiert.  Da  manche  Zeitgenossen  die  Disposi- 
tion bisher  noch  nicht  begriffen  haben,  wird  es  nützlich  sein,  außer 
durch  die  durch  die  Art  meines  Satzes  gegebenen  Hülfsmittel  noch 
durch  »adminiculierendes  Beiwerk«  den  Gedanken  des  afrikanischen 
Königs  Verständnis  zu  schaffen. 

Wenn  bei  B  mit  xai  —  §s  Arabien  auftritt ,  so  ist  vor  B  von 
Arabien  nicht  die  Rede.  Folglich  wohnen  alle  in  A  vorkommenden 
Völker  in  Africa.  In  C  nennt  unser  König  zuerst  die  von  Osten 
bis  zum  Weihrauchlande,  dann  die  vom  Westen  bis  nach  Aethio- 
pien  und  dem  Lande  Sdaoo  an  sein  Stammgebiet  grenzenden  Völ- 
ker. Da  ich  nicht  weiß,  wie  weit  seine  Majestät  Griechisch  ver- 
standen hat,  möchte  ich  aus  der  von  ihr  zweimal  angewandten 
Phrase  octtö—  [li^P1  nichts  schließen.  Hier  werden  die  Geographen 
uns  das  Griechische  verstehn  lehren  müssen,  nicht  wird  das  Grie- 
chische der  Inschrift  Aufschluß  über  Probleme  der  Geographie  ge- 
ben. Der  Usurpator  gieng  vom  Binnenlande  aus.  Die  Xtßavo)ro(pöpoi 
ßdpßapoi,  von  denen  die  Inschrift  redet,  wohnten  in  Africa :  Kenner 
der  Pflanzengeographie  und  der  Botanik  müssen  sagen  wo  dort 
die  Weihrauchstaude  vorkommt :  dann  werden  wir  auch  wissen 
wo  die  A  39  genannten  Paoaoi  gewohnt  haben.  Ich  habe  zu  mei- 
ner Belehrung  nur  AErmans  »Aegypten  und  aegyptisches  Leben« 
659  ff.,  Jacob  Kraus  Schrift  über  das  Land  Punt  (Sitzungsberichte 
der  Wiener  Akademie  der  Wissenschaften,  historisch-philologische 
Klasse  1890)  und  JLiebleins  Aufsatz  »der Handel  des  Landes  Pun« 
ZAegSpr  24  7  ff.  zur  Verfügung :  HBrugsch  ebenda  20  33. 

Durch  das  Land  der  Ta^aizai  hindurch  sicherte  sich  der  Kö- 
nig eine  von  seinem  Stammgebiete  nach  Aegypten  führende  Kara- 
wanenstraße, auf  der  man  [durch  Neger]  Lasten  tragen  lassen 
konnte  (A  3  e) :  er  sicherte  den  Waaren  in  Arabien  von  Aeuxy]  Ttwfnrj 
=  altjaurä  (bei  dem  die  'Apaßtiai  gesucht  werden  müssen)  bis 
Adan  (wo  nach  der  Glosse  und  nach  dem  Zusammenhange  die  Kt- 
vatSoTtoXTutiai  zu  suchen  sind)  den  Durchzug,  und  sicherte  ihnen 
Fahrt  auf  dem  mit  dem  Landwege  parallel  laufenden  Meerwege. 

FdCrj  sind  Afa\Lix<xi:  daraus  folgt  mir,  daß  der  Redende,  der 
sie  bekriegt,  nicht  zu  ihnen  gehörte ,  nicht  in  Aksum  von  Anfang 
an  zu  Hause  war.  Er  mag  ein  Condottiere  gewesen  sein,  der  sich 
Aksums  bemächtigte,  und  von  da  aus  sich  die  Nachbaren  dienstbar 
machte,  so  weit  es  für  seine  Pläne  nöthig  schien.  Er  behandelte 
die  verschiedenen  Völker  verschieden. 


428  Paul  de  Lagarde, 

Und  die  Zeit  der  Inschrift? 

Hätte  Deutschland  nicht  versäumt,  zur  rechten  Stunde  gegen 
Rußland  Krieg  zu  führen,  so  würde  England  die  sich  ihm  in  Africa 
bietende  Gelegenheit,  für  das  auf  alle  Fälle  einmal  irgendwie  ihm 
verloren  gehende  Indien  Ersatz  zu  finden ,  nicht  gegen  Deutsch- 
land, Frankreich  und  Italien  habe  benutzen  können.  Indien  wäre 
ihm  dann  auch  kaum  bedroht  gewesen.  Die  Analogie  ist  schla- 
gend. Unser  Africaner  wird  durch  die  Lage  der  zwischen  Parthern 
(oder  aber  Persern)  und  Römern  schwebenden  Politik  in  den  Stand 
gesetzt  worden  sein,  sich  am  rothen  Meere  einen  Handelsstaat  zu 
gründen,  der  dies  Meer  bis  Bäb  almandab  schließen  konnte.  Er 
war  also  ein  Feind  der  Römer,  aber  kein  offener,  da  er  mit  Aegyp- 
ten  handelte :  er  hatte  sich  durch  seine  Politik  die  Möglichkeit  ge- 
schaffen, den  von  Clysma  und  Aelana  ausgehenden  Handel  Roms 
lahm  zu  legen.  Er  that  das  vermuthlich  ohne  darüber  zu  reden 
daß  er  es  that.  Sein  vAp-qq  ist  der  in  meinen  Mittheilungen  1  108r 
vorgestellte  persische  VereTraGna  =  Bahräm  =  Mahram.  Persien 
und  Rom  müssen  beide  gehindert  gewesen  sein,  in  Erythraea  sich 
unnütz  zu  machen,  als  dieser  Usurpator  sein  Reich  gründete. 

Bapßapia  ist,  was  ausdrücklich  zu  sagen  angezeigt  scheint, 
nach  Ptolemaeus  (Ald-ioiziaq  zy\z  £>7rö  Aiydtctov  -frsais)  zu  verstehn: 
MöooXol  D7iep  zb  6{j.ü)vu(jlov  oapov  zai  i|X7röpiov  7)  §£  Ivisödev  (Ji^pi  toö 
Paftroö  TUOTajioö  7uapaXio<;  Tudaa ,  Bapßapia  [isv  'q  rcap&Xto<; ,  'ACavia  Ss 
*}}  ivSoispa),  iv  ^  7cXslaToi  iXs^avcec.  Der  Periplus  und  Cosmas  138  ff. 
lehren  mehr.     Barbara  Yäqüt  1  5439  ff.,  und  die  Quellen  Yäqüts. 

Das  s  am  Ende  vieler  Namen  sehe  ich  wie  ^  am  Ende  neu- 
Armenischer  Wörter,  wie  das  endende  b  t>  der  slavischen  Sprachen, 
als  Rest  eines  volleren  Vokals  an.  Daß  Aftafaoos  ein  griechischer 
Accusativ  ist,  scheint  bestreitbar.  e-^Tig  gäbe  die  Form  her,  in 
der  y  für  w  eingetreten  wäre :  daß  AUKorcsc  neben  A-8-aYaoog  vor- 
kommt, beweist  für  besonnene  Forscher  nicht  gegen  meine  Ver- 
muthung.  Auf  die  TiYpfjrai  der  Noten,  die  zur  Zeit  unseres  Kö- 
nigs wo  anders  wohnen  als  später,  mache  ich  besonders  aufmerksam. 

Ueber  das  Wort  gebhim  Regnomm  y  69. 

Als  ich  jüngst  in  Rom  war,  gieng  in  meinem  Kreise  außer  über 
Anderes  auch  über  die  Kuppel  des  Pantheon  die  Rede  hin  und 
wieder.  Ein  verstorbener  Genosse  römischer  Tage,  Henri  Jordan, 
hatte  1885  am  Pantheon  untersucht:  ein  Oesterreicher  war  unlängst 
weiter  als  Er  gekommen.  Ich  erwähnte,  daß  ich  ein  Kuppel  bedeu- 
tendes Wort  im  alten  Testamente  gefunden.    Ueber  den  Fund  soll 


Kleine  Mittheilungen.  429 

ich  ausführlicher  berichten  als  bisher  (armenische  Studien  §  499, 
Orientalia  2  89,  Mittheilungen  1  211  ff. ,  Uebersicht  155r  —  von 
1877  bis  1889)  geschehen  war. 

Vorerst  die  sogenannte  Ueberlieferung. 

§  wry&  tfHkp  erca  rwrn*  jfeen. 

®  xai  sxoiXooTaft^Tjosv  xov  olxov  xe§pois,  ohne  Variante,  da  As 
Zusatz  (pwrvwosaiv  (Andere  <p(üTVcb(iaan/)  xai  Stata^soiv  in  BS  19827 
unter  2<  steht,  also  erst  aus  §  nachgetragen  ist. 

NPTOI,  was  die  Londoner  Polyglotte  »et  operuit  domum  trabibus 
cavis ,  et  supra  illis  erat  ordo  multiplex  capitum  tignorum  cedri- 
norum«  übersetzt.     Nathan  hat  für  fWOn  keine  Erklärung:  Bux- 

torf  leistet  626  cantherii,  trabes,  tigna trabes  leviter  incurvae 

et  fornicatae.  Levy1  1  203  kanalartige80,  gehöhlte80  Balken.  Beide 
ohne  Beweis.  TinDÜ  könnte  persisch  sein,  und  zu  ^ff*yS  und  q^>^ 
und  ^JCi^Jüt  gehören :  von  tue  würde  *hantoka  =  *ärTta?  regelrecht 
gebildet  werden,  und  Vernähung  =  Verzapfung,  aber  auch  sehr 
vieles  Andere,  bedeuten  können :  zur  Wurzel  \J^>yi  =  togis,  Sym- 
mieta  2  14.  Das  ist  natürlich  nur  eine  Vermuthung.  %  hat  D*0$ 
zu  verstehn  gemeint,  was  nicht  gegen  mich,  er  hat  zur  Ueber- 
setzung  eine  eranische[?]  Vokabel  gebraucht,  was  in  soferne  für  mich 
spricht  als  es  lehrt,  daß  die  Eranier  in  der  Baukunst  wenigstens 
in  gewissen  Punkten  Lehrer  der  Semiten  gewesen  sind.  Nicht 
gegen  mich,  da  ja  aus  "pDinsn  nichts  darüber  folgt,  daß  X  gerade 
D*OÄ  gelesen  hat. 

©  U'ili  jly.mi  JLäo^a  {k.^N  oC^o.  Dies  Wort  bespricht 
PSmith  670  ff. ,  indem  er  aus  »Bar  Ali«  und  Bar  Bahlül  verschie- 
dene Erklärungen  beibringt :  unter  diesen  leuchtet  ihm  ö^j^^o  ^ils^ 
am  meisten  ein.  Mir  nicht.  Erstens  nicht,  weil  nicht  abzusehen  ist, 
wie  Jüa^.  zu  der  Bedeutung  Bretter  hat  kommen  sollen.  Zwei- 
tens nicht,  weil  die  Bretter  gesägte  zu  nennen  wenig  bezeichnet  hätte. 
Drittens  nicht,  weil  man  die  Decke  eines  Tempels  doch  kaum  bloß 
aus  »Brettern«  herstellen  wird.  Ich  greife  also  auf  »Bar  Ali«s 
^JLcovä  ^vjoi^io  ^äjq^v)  JLjJ^lqju,  zumal  O^jS  der  Perser  jenes 
♦ajq-^  bestätigt. 

Mir  ist  nicht  zweifelhaft  —  des  Aggaeus  I4  "pBD  r^ä  =  oixoe 
Y.oikoaza$\i.oz  =  uinub  i^jyirß^/Ttuj  beweist  es  mir  — ,  daß  §  nichts 
als  D^nxa  rUSpTTHj  IBD^  gehabt,  und  daß  ©  xai  ixotXooTa^(j.Yjoev 
töv  oixov  x^Spot?  übersetzt,  daß  dann  eine  Glosse  jenes  "jBD^  durch 
n*"i7En  Ü^tt  erklärt,  daß  ©c  [Ax?]  dies  durch  <paTva)|j.aatv  xai  Staxd- 
£eaiv  wiedergegeben  hat,  während  @X  schon  die  Glosse  im  Texte  fan- 
den, und  daher,  so  gut  sie  vermochten,  von  Hause  aus  übersetzten. 


430  Paul  de  Lagarde, 

72$  =  lXxa?  =  yjyhß-  würde  also  immerhin  im  alten  Testa- 
mente vorkommen,  aber  in  einer  Glosse  unbekannter  Zeit.  Falls 
xotXoarattyetv  wölben  bedeutet,  würde  )ZO  (vergleiche  TXPtü  die  %oikr\ 
vaöc)  genügen,  um  Wölbungen,  nicht  aber,  um  Kuppelbauten,  auch 
in  den  guten  Zeiten  der  israelitischen  Nation  deren  Baumeistern 
bekannt  zu  glauben.  Was  ein  werthvolles  Ergebnis  der  Unter- 
suchung nicht  ist. 

Wie  sich  das  arabische  6^Xs>-  zu  \&Js*>  verhält,  wird  nur 
untersuchen  dürfen,  wer  in  arabischen  Texten  belesener  ist  als  ich. 


Der  Fluß  Orontes. 

In  der  Zeitschrift  für  aegyptische  Sprache  und  Alterthums- 
kunde  27  39  ff.  hat  Adolf  Erman  unlängst  (1889)  den  »syrischen 
Feldzug  Amenophis  des  Zweiten«  besprochen.  Die  Stele  von  Amada, 
auf  der  von  diesem  Feldzuge  gehandelt  wird,  berichtet,  der  König 
sei  über  die  msdt  von  'irnt  gesetzt.  So,  nicht  5irst,  lesen  Brugsch 
und  Maspero.  Diese  beiden  Gelehrten  deuten  3irnt  als  Orontes, 
und  Erman  nennt  diese  Vermuthung  »gewis  richtig«. 

Der  Orontes,  um  den  es  sich  hier  handelt,  ist  der  ^o^,  der 
Widerspenstige,  der  aus  Trotz  nicht  den  nächsten,  sondern  den 
weitesten  Weg  in  die  See  laufende  Fluß  Coelesyriens.  Er  er- 
gießt sich  nördlich  von  Laodicea  in  das  Meer,  Socin2  456.  Wie 
dieser  Fluß  in  ältester  Zeit  geheißen  hat ,  weiß  man  nicht  sicher  : 
den  Namen  'Opdvnjs  trug  er  [ärcö]  tod  Ys^opcoaavcos  afköv 'Opövcoo,  xa- 
Xoo^svos  TipÖTspov  To<pa>v,  nach  Strabo  ic,  2  7  =  750  Casaubon.  Aus- 
führlich handelte  über  'OpövcYjc  EBurnouf  commentaire  sur  le  Yacna 
248  ff.  Add.  181 :  später  (LDindorf  zu  Stephanus  s.  v.)  'Opdvtrjc. 
«Ai*jl  noch  bei  Firdosi  der  Tigris  in  seinem  oberen  Laufe. 

Es  wird  also  entweder  die  DoppelNachricht  Strabos  (und  sei- 
ner von  Burnouf  citierten  Genossen)  als  irrig  nachzuweisen,  oder 
aber  die  Deutung  jenes  Irnt  durch  5OpövcY]<;  aufzugeben  sein. 


Die  Stichometrie  der  syrisch-hexaplarischen 
Uebersetzung  des  alten  Testaments. 

Da  ThBirt  in  seiner  Arbeit  über  das  antike  Buchwesen  [mein 
Specimen  psalterii  graeci  82]  die  Stichometrie  der  Bibel  nicht  mit 
der  gehörigen  Sorgfalt  behandelt  hat,  lege  ich  hier  aus  dem  ersten 
Bande  meiner  Bibliotheca  syriaca  eine  Probe  derselben  vor,  und 
bin  unter  Umständen  bereit,  mehr  mitzutheilen. 


Kleine  Mittheilungen. 


431 


Schon  vor  fast  einem  Vierteljahrhundert  hatte  AMCeriani  in 
seinen  monumenta  sacra  et  profana  die  syrisch-hexaplarische  Ueber- 
setzung  der  Genesis  und  eines  Theils  des  Exodus,  soweit  beide  erhal- 
ten sind,  herausgegeben :  ich  veröffentlichte  1880  veteris  testamenti 
ab  Origene  recensiti  fragmenta  apud  Syros  servata  quinque,  ein  Buch, 
das  für  wirkliche ,  d.  h.  das  Ethos  mehr  als  das  Dogma  und  die 
Partei  schätzende  Theologen  allein  schon  um  der  Nöthe  willen  be- 
achtenswerth  war,  unter  denen  es  an  das  Licht  getreten  ist  (siehe  die 
Vorrede,  und  auch  die  Citate  Mittheilungen  3  80),  das  aber  von  den 
Mitgliedern  der  ersten  Facultät  selbstverständlich  gar  nicht  be- 
achtet, von  einem  berühmten  Mitgliede  einer  vierten  Facultät  we- 
gen seines  hebräischen  Kleides  (ich  hatte  keine  syrische  Schrift  zur 
Verfügung)  mit  Spott  verfolgt  worden  ist.  Herr  Birt  ist,  wie  die 
Sachen  liegen,  entschuldigt,  daß  er  von  ihm  nichts  erfahren  hat. 

Ich  lese  vom  Rande  meiner  Bibliotheca  Syriaca,  deren  erster 
Band  vor  dem  October  1891  nicht  wird  ausgegeben  werden  können, 
die  Stichennotierung  ab,  die  von  den  syrischen  Schreibern  nicht  zu 
Worten,  sondern  zu  Zeilen,  und  auch  das  nur  ungefähr  genau,  zu- 
gesetzt, von  mir  aber  stets  zu  einem  Sinnanfange  bezogen  worden 
ist.     Die  Syrer  reden  von  ^cu^ÄvS  =  Itctj ,  nicht  von  axiyoi. 


Grenesis 


300 
400 
500 


Grenesis 


BS  34  e 
35  21 
37  2 


5  9    xal  sCyjosv  : 

5  21    00    §£    M^Tfl1 

8 16  !£&&*: 

Lücken  in  der  Handschrift 
1400:  32 1  xal  'Iaxwß :  39 13 

Das  Ende  der  Grenesis ,  unvollständig  erhalten ,  enthält  zufäl- 
liger Weise  gerade  die  Stellen  nicht,  auf  welche  die  Stichennotie- 
rung getroffen  hatte. 
Exodus 


100 

:               Exodus     2 16  ^apa^svö^svai : 

52« 

200 

:                                4  3    xal  slrcev  : 

53 18 

300 

5  s    xal  si7T£V  : 

54  32 

400 

:                                620  xal  l'Xaßev: 

56 12 

500 

ungefähr  7  28: 

5723 

600 

:                               9i     streev  8k: 

59  7 

700 

10  3    eloTjUev  8k: 

61 2 

800: 

11 4    xal  el7rev: 

62 14 

900: 

12  28  xal  aTceXO-dviec  : 

63  33 

1000 

vom  Schreiber  nicht  angemerkt 

1100 

1424  xal  £7r£ßXe<|>ev  : 

6629 

1200 

16  2    Si£Y^TT°^0V  : 

68  6 

1300 

16  36  xb  8k  YO[iop: 

6923 

1400 

18 19  vöv  oov  : 

71 4 

432 


Paul  de  Lagarde, 


Exodus  1500 

Exodus 

20  5    £?<*>  T^P: 

BS  7226 

1600 

21 20  lav  8i  «ctc : 

75 1 

1700 

2222  xai  xexpA£avtec: 

76 16 

1800 

233i  xai  thjaco: 

778o 

1900 

25  20  aoaxi&Covcec  : 

79 10 

2000 

26 19  §6o  ßaaeic  : 

80  24 

2100 

28 1    xai  at>: 

82  7 

2200 

28  42  xai  rcomjoeic : 

8330 

2300 

29  31  xai  töv  xpiöv : 

85s 

2400 

30  2s  xai  sXaXTjoev  : 

8617 

2500 

32  7    xai  IXaXYjoev  : 

8732 

2600  2700 

vom  Schreiber  nicht  angemerkt 

2800 

35  20  xai  ££ijX$sv: 

92 18 

2900 

3620 

9333 

3000 

37 19 

95 13 

3100 

38  27  xai  lYsy^-ö-r] : 

9623 

3200 

3932 

97  33 

3300 

40  32 

99 10 

Numeri     100 

Numeri       lss  Tüdvra  aposvixa: 

993i 

200 

2  28  S6va[ug: 

100,38 

300: 

333  ohzoi: 

101  30 

Lücke  in  der  Handschrift 

1000 

10  e    ungefähr : 

102  32 

1100 

11 10  xai  7]xoooe  : 

1045 

1200 

12  8    oz6\lol  xara : 

105 15 

1300 

14 1    xai  avaXaßoöaa: 

106  28 

1400 

14  36  xai  01  av&p(ö7coi : 

108e 

1500  1600  werden 

in  eine  Lücke  der  Hds.  fallen 

1700 

18 1    xai  06  xai  ol: 

111  18 

1800 

19 1    xai  £XdX7]asv  : 

11229 

1900 

20  e    xai  &<p#Y] : 

11332 

2000 

21 15  xai  todg  x^appooc: 

115  17 

2100 

22 15  ungefähr: 

1172 

2200  wird 

in  eine 

Lücke  der  Hds.  fallen 

2300: 

2420  xai  lS<bv: 

11925 

Iosue        100  wird 

in  eine 

Lücke  der  Hds.  fallen 

200 

44    xai  avaxaXead{j.£Vog : 

123 11 

300 

5 11  xai  l<pdYoaav: 

126e 

400 

627  xai  ^v  xopios: 

1287 

500: 

83    xai  av£am]: 

12922 

600: 

8  30  töte  <jwo8<5[i,Y]oav  ' 

131 18 

700 

i 

10 1    Ueberschrift : 

134  7 

Kleine  Mittheilungen. 


433 


Iosue 


Iudices 


Ruth 


80C 

1  [codex  900]:  Iosue  10 29  xai  aTnjXftov  : 

BS  135 17 

900 

:                                   11 17  xai  lax;  Baa^aS: 

138 1 

1000 

:                                  139    arcö  AptoYjp  : 

1403 

1100 

:                                   14 12  sav  ouv  : 

142 12 

1200 

:                                   15  45  'Axxapwv: 

144 17 

1300 

:                                  17 12  xai  o6x: 

1472 

1400 

:                                   19 1    xai  I^Xftsv  : 

1498 

1500 

:                                   19  51  xai  £7rope6'ib]aav  : 

1522 

1600 

:                                  21 32  xai  §x  r/jg  «poX^s : 

1543 

1700 

:                                  22 13  xal  aTusatsdav  : 

15523 

1800 

:                                 23  3    ou  xupio<; : 

157 18 

1900 

:                                24 14  xai  vöv  (poßyj'ö-YjTs : 

159 14 

2000 

:                                 2429  etwa 

160 13 

3   100  wird  in  eine  Lücke  der  Hds.  fallen 

200 

:                                    2  20  av&5  d>v  oaa  : 

163 13 

300 

:                                    3  30  xai  IvsTpd^Y] : 

16424 

400 

:                                   5  4    xopis  sv  r§  i£d§(p: 

1653i 

500 

:                                    67    xai  ky&vszo  wc: 

167 10 

600 

:                                     638  xai  Iysvsto  ootü)s: 

168  25 

700 

:                                    723  xai  sßÖYjaav: 

16933 

800 

:                                    8  27  xai  kitoirpsv  : 

1713 

900- 

9  23  xai  i£a7r£aT£tXsv  : 

172  5 

1000. 

9 52  anderes  xai  fjfYtosv  : 

173 10 

1100 

vom  Schreiber  nicht  angemerkt 

1200 

12  2    xai  ol  oioi  3A{X{j.wv  : 

175  34 

1300: 

13  20  xai  Mavwe  : 

177 10 

1400 

1500  vom  Schreiber  nicht  angemerkt 

1600: 

16  31  xai  xaT^ßyjaav  : 

180  22 

1700: 

18 18  tC  6{X£t<;: 

181  36 

1800: 

19  9    xai  opO-ptsite: 

18236 

1900: 

20  7    Söts: 

184s 

2000: 

20  40  xai  £7r£ßX£<j>£V : 

185 18 

2100: 

21  24  av/jp : 

186  25 

100: 

Ruth     2 10  xai  Itceoev: 

1888 

EEtaapa 

wird  in  den  Hdss.  entweder  asioapa,  oder  (k)  <3£iaapa  betont.  Das 
Letztere  ist  das  Richtige.  Wenn  der  Ton  auf  der  Letzten  lag, 
mußte  der  Vokal  der  offenen  Vorletzten  vor  betonter  Letzter  re- 
gelrecht halbiert  werden.     So  entstand  das  fcoo^o  der  Tiberienser. 


NacuricliUm  d.  K.  (i.  d.  W.  zu  üöttingen.    1890.    Nr.  13. 


36 


434  F.  Kielhom, 

Zu  Dandin's  Kavyädar^a  III,  150. 

Von 

F.  Kielhorn. 

Während  des  Druckes  seiner  Uebersetzung  des  Kävyädarca 
fragte  micli  von  Böhtlingk  nach  der  Bedeutung  des  vom  in- 
dischen Commentator  zu  den  Versen  III,  150  und  151  citierten 
Satzes  „karmädi-vishaye  'py^avivakshite  karmädau  saihbandha-vi- 
vakshäyäni  shashtbi".  Was  ich  dem  verehrten  Gelehrten  damals 
antwortete,  hat  er  in  einer  Anmerkung  mitgetheilt.  Seitdem  habe 
ich  Gelegenheit  gehabt  Dandin's  Werk  wieder  einmal  sorgfältiger 
zu  lesen,  und  habe  gefunden,  daß  der  Commentator  seinen  Autor 
an  der  bezeichneten  Stelle  nicht  verstanden,  und  auch  von  Böht- 
lingk irre  geführt  hat. 

Die  beiden  Verse  ,  um  die  es  sich  handelt ,  lauten  mit  von 
Böhtlingk's  Uebersetzung:  — 

Dakshinädrer-upasaran^märutac-chüta-pädapän  | 
kurute  lalitädhüta  -  prabälärikura  -  cobhinah  ||  150  || 
Ityädi   cästra  -  mähätmya-darcan  -  älasa  -  chetasäm  | 
apabhäshanavad  5  bhäti  na  cha'  saubhägyam=ujjhati  ||  151  || 

150.  „Der  an  das  Malaja  -  Gebirge  herankommende  Wind 
macht ,  daß  die  Mangobäume  mit  ihren  leise  bewegten  jungen 
Sprossen  prangen". 

151.  Dieses  und  Aehnliches  erscheint  denjenigen,  deren  Geist 
zu  träge  ist  die  würdevollen  Lehrbücher  einzusehen,  als  fehler- 
hafte Sprache,  bleibt  aber  trotzdem  reizend. 

Der  Sinn  des  zweiten  Verses  ist  klar.  Leuten ,  die  keine 
gründliche  Kenntniß  der  Grammatik  besitzen,  mag  Etwas  fehler- 
haft erscheinen ,  das  in  Wahrheit  nicht  nur  correct  ist ,  sondern 
dem  Ausdrucke  sogar  einen  besonderen  Reiz  verleiht.  Ein  Beispiel 
hierfür  soll  der  erste  Vers  enthalten.  Nach  dem  Commentare  und 
der  Uebersetzung  wäre  der  Fehler,  den  der  Vers  enthält,  der,  daß 
der  Dichter  statt  des  zu  erwartenden  Accusativs  dalcshinädrim  den 
Genetiv  dakshinädreh  gebraucht  hätte.  Der  Fehler  wäre  aber  nur 
ein  scheinbarer,  weil  sich  auch  der  Genetiv  durch  das  Maxim  der 
Grammatiker  karmädinäm=api  sambandhamätra-vivakshäyäm  shash- 
thy=eva  erklären  ließe. 

Betrachten  wir  den  Vers  näher,  so  muß  uns  zunächst  auf- 
fallen, daß  der  Dichter  von  dem  an  das  Malaya-Gebirge  heran- 
kommenden Winde   reden  soll.     Denn   gewöhnlich   ist  es  der  von 


zu  Dandin's  Kävyädarga  III,  150.  435 

Süden  kommende  Wind,  der  im  Frühlinge  die  Mangobäume  sprossen 
macht ;  und  hätten  wir  den  Commentar  nicht,  so  würden  wir  auch 
hier  ohne  Weiteres  „der  vom  Malaya  -  Gebirge  kommende  Wind" 
übersetzen.  Angenommen  aber,  Dan<Jin  hätte  wirklich  den  Genetiv 
statt  des  Accusativs  gebraucht,  so  würden  wir  doch  vergeblich 
nach  dem  besonderen  Reize  suchen,  den  der  Genetiv  an  Stelle  des 
Accusativs  dem  Verse  verleihen  sollte.  Und  endlich  möchte  ich 
behaupten,  daß  kein  respectabler  Grammatiker  Indiens  einen  auf 
die  Frage  Wohin?  gebrauchten  Genetiv  durch  den  vom  Commen- 
tator  citierten  Satz  rechtfertigen  würde.  Man  mag  über  die  in- 
dische Grammatik  denken  wie  man  will ;  sicher  ist ,  daß  der  in- 
dische Grammatiker  auch  mit  seinen  Kunstgriffen  nur  den  cishta- 
pra}Toga  zu  erklären  sucht.  Der  Satz  karmädinäm-avivakshä  ceshah 
würde  demnach  zwar  für  den  Genetiv  mäshdndm  in  mäshdndm^ 
agniydt  gelten1),  weil  der  Gebildete  wirklich  so  sagt;  aber  nicht 
für  adrer-upasarati  „er  kommt  an  den  Berg  heran",  denn  Niemand 
bedient  sich  auf  die  Frage  Wohin?  des  Genetivs.  Die  Erklärung 
des  Commentators  ist  also  in  jeder  Hinsicht  unhaltbar. 

In  Wirklichkeit  liegt  der  scheinbare  Fehler  des  ersten  Verses 
in  dem  Worte  apasaran,  und  gerade  der  Gebrauch  dieses  Wortes 
mußte  dem  gebildeten  Leser  reizend  erscheinen.  Pänini  lehrt  in 
VII,  3,  78,  daß  die  Wurzel  Sri  ihre  Specialtempora  von  dhau  bildet. 
Für  den,  der  nur  die  Regeln  der  Ashtädhyäyi  kennt,  scheint  upa- 
saran  deshalb  fehlerhaft  gebraucht  zu  sein  statt  des  richtigen 
upadhdvan.  Wer  aber  Grammatik  gründlicher  studiert  hat,  wer 
z.  B.  die  Käcikä-Vritti  oder  die  Grammatik  des  Cäkatäyana  kennt, 
weiß,  daß  dhau  für  Sri  nur  dann  eintritt,  wenn  von  einer  schnellen 
oder  stürmischen  Bewegung  die  Rede  ist 2).  üpasaran  ist  also 
grammatisch  correct  in  der  Bedeutung  „langsam ,  oder  sanft,  oder 
leise  herankommend",  und  die  Worte  dahshinädrer*  üpasaran *märu- 
tah  (wo  dahshinddrch  natürlich  Ablativ  ist)  bedeuten  „der  leise  vom 
Malaya-Gebirge  herankommende  Wind".  Das  Ansprechende  des 
Ausdrucks  liegt  darin,  daß  der  Sinn  des  in  Versen  ähnlichen  In- 
halts gebrauchten  Adjectivs  manda3)  schon  durch  das  gewählte 
Verbum  bezeichnet  wird. 


1)  Vgl.  z.  B.  Säyana  zu  Rigveda  I,  20,  6. 

2)  Vgl.  Käcikä-Vritti  zu  P.  VII,  3,  78:  sarter*vegitäyäih  gatau  dhäv-ädec.am= 
ichchhanti  |  anyatra  sarati  anusarafcityseva  bhavati  |  .  Qäkatäyana  hat  die  Regel 
sarter^dhau  vege;  Hemachandra,  vege  sarter^lhäv,  und  das  Gegenbeispiel  priyäni; 
anusarati.  In  der  Mädhavfya  Dhätu-vritti  lesen  wir:  yad=äyam  saratir=vegita-ga- 
mane  vartate  tada,  päghrädinä  ^it-pratyaye  dhäv-ädc^e  dhävat^ityädi. 

3)  Vgl.  z.  B.  gärngadhara's  Paddhati  3789,  3791,  3808,  3813,  3816. 

36* 


436  F.  Kielhorn,  zu  Dandin's  Kävyädar$a  III.  150. 

Mit  Recht  benutzt  meines  Erachtens  der  indische  Commen- 
tator  den  oben  erwähnten  Satz  der  Grammatiker  zur  Erklärung 
eines  Genetivs  in  Vers  II,  149  des  Kävyädarca,  wo  von  Böhtlingk 
seinen  eignen  Weg  gegangen  ist.  Der  Vers  lautet,  mit  der  ge- 
druckten Uebersetzung :  — 

Kshanam   darcana  -  viglmäya  pakshma  -  spandäya    kupyatah  | 
premnah   prayänam  tvain   brühi  mayä  tasy  ~  eshtam  =  ishyate  || 
„Verkünde,    da  mir   erwünscht   ist,    was   der  Zuneigung   er- 
wünscht ist,  daß  diese  sich  auf  die  Reise  begebe,  diese  Zuneigung, 
die  schon  über  das  Blinzeln  der  Augenlider,  dieser  flüchtigen  Stö- 
rung für's  Sehen,  zürnt u. 

Von  Böhtlingk  macht  hier  den  Genetiv  premnah  von  prayänam 
abhängig.  Der  Commentator  erklärt,  der  Genetiv  stehe  an  Stelle 
des  Accusativs ,  abhängig  vom  Verbum  brühi.  Welche  Erklärung 
die  richtige  sei,  ist  nicht  schwer  zu  entscheiden.  Der  Vers  ist 
ein  Beispiel  für  den  Paravacäkshepa.  Ein  Verliebter  bittet  die 
Geliebte,  ihn  zu  entlassen;  sie,  die  ganz  die  Sklavin  ihrer  Liebe 
ist  und  darum  selbst  Nichts  zu  erlauben  hat,  antwortet:  „Sag  es 
meiner  Liebe,  daß  Du  gehn  willst,  —  der  Liebe,  die  schon  dem 
Blinzeln  der  Augenlider  grollt,  wenn  es  Dich  den  Blicken  einen 
Moment  entzieht;  ich  will,  was  sie  will".  Es  ist  klar,  daß  Dan- 
<}in  hier,  statt  nach  der  Regel  bruvi-cäsi-gunena  cha  yat-sachate 
das  Verbum  brü  mit  doppeltem  Accusative  zu  construieren ,  an 
Stelle  des  Accusativs  den  Genetiv  der  Person  gesetzt  hat,  —  ein 
Gebrauch,  für  den  sich  Beispiele  genug  beibringen  ließen ;  und  der 
Commentator  war  zweifellos  berechtigt,  sich  diesen  Genetiv  durch 
das  von  ihm  angeführte  karmatv  -  ävivakshäyäm  sambandha  -  vi- 
vakshayä  shashthi  zu  erklären. 

Daß  übrigens  der  Commentator  selbst  in  Dingen,  die  er  hätte 
verstehn  sollen ,  keineswegs  unfehlbar  ist ,  mag  man  z.  B.  aus 
seiner  Erklärung  von  I,  43  ersehen ,  wo  er  die  Worte  mälati-mälä 
loläli-kalilä  für  ein  Beispiel  des  glishta  ausgibt,  während  sie 
doch  von  Dandin  gerade  angeführt  werden  um  zu  zeigen,  was 
unter  githila,  dem  Gegentheile  von  clishta,  zu  verstehn  sei. 
Die  falsche  Erklärung  des  Commentators  hat  in  der  Uebersetzung 
des  Verses  44  natürlich  die  Hinzufügung  eines  doppelten  ;?auch„ 
nothwendig  gemacht,  das  sich  im  Originale  nicht  findet. 


Inhalt  von  No.  13. 
Füul  de  Lagarde,  Kleine  Mittheilungen.  —  F.  Kielhorn,  zu  Dandin's  Kävyädarca  III,  150. 


Für  die  Redaction  verantwortlich:   H.  Sauppe ,  Secretair  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 

Commissions- Verlag  der  Dieterich: sehen   Verlags  -Buchhandlung. 

Druck  der  Dieterich' achm  Univ.- Buchdruckerei  (W.  Fr.  Kaeatner). 


Nachrichten 

von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu  Göttingen. 


10.  December.  J(g  14.  1890. 


Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  8.  November. 
Das  thermischePotential  für  verdünnte  Lösungen. 

Von 
Eduard  Riecke. 

In  der  folgenden  Mittheilung  wird  zunächst  im  Anschluß  an 
die  Untersuchungen  von  Planck1)  das  Potential  für  dieComponen- 
ten  einer  verdünnten  Lösung  berechnet.  Es  werden  sodann  die 
gefundenen  Werthe  benützt,  um  die  Gesetze  der  Dampfspan- 
nungs-,  Gefrierpunkts-  und  Löslichkeitserniedrigung, 
der  Dissociation  in  verdünnter  Lösung,  der  Verthei- 
lung  eines  Stoffes  zwischen  2  Lösungsmitteln,  das 
Gesetz  des  osmotischen  Druckes  und  das  Henry-Dal- 
ton'sche  Gesetz  zu  ermitteln.  Es  deckt  sich  demnach  der  In- 
halt der  folgenden  Zeilen  zu  einem  Theile  mit  den  Untersuchun- 
gen, welche  Planck  über  verdünnte  Lösungen  angestellt  hat;  es 
schien  mir  aber  nicht  überflüssig,  zu  zeigen ,  wie  die  betreffenden 
Beweise  auf  dem  Boden  der  Potentialtheorie  zu  führen  sind.  Daß 
die  analytischen  Entwicklungen,  wie  sie  in  der  Theorie  von  Planck 
sich  gestalten,  jederzeit  in  die  Potentialtheorie  übertragen  werden 


1)  Planck,  Wied.  Ann.   Bd.  32.  S.  485. 
Nachrichten  Ton  der  K.  G.  d.  W.  su  tiöttingen.  1890.  Nr.  14.  3» 


438  Eduard  Riecke, 

können,  ergiebt  sich  daraus,  daß  der  Unterschied  der  beiden  Theo- 
rieen  zunächst  als  ein  rein  formaler  aufgefaßt  werden  kann.  Mit 
Bezug  hierauf  möge  noch  Folgendes  bemerkt  werden. 

Die  Theorie  von  Gibbs  geht  aus  von  der  Gleichung: 

de  =  Tdri—pdv  +  [i1dm1  +  ti2dm2  +  ... 

in  welcher  die  Entropie  rj,  das  Volumen  v,  und  die  Massen  m  der 
chemischen  Componenten  als  unabhängige  Veränderliche  erschei- 
nen; den  Uebergang  zu  den  Variabein  p\  T,  m1}  m% . .  .  macht 
G-ibbs  durch  die  Einführung  der  Function  £  =  e  —  qT+pv,  für 
welche 

dt,  —  —tidT  +  vdp  +  iildml+{i2dm2  +  ... 
und 


=  ^ 


dm.  dm 


Die  Funktion  £  ist  gleich  der  von  Planck  benützten  Funktion  O 
negativ  genommen  und  multiplicirt  mit  der  absoluten  Temperatur. 
Der  Vorzug,  welchen  die  Darstellung  von  Gribbs  besitzt,  beruht 
auf  der  Einführung  des  Namens  „Potential"  für  die  Differential- 
quotienten jt,  auf  der  Einfachheit  des  Ausdruckes,  welcher  hier- 
durch für  den  fundamentalen  Satz  der  Theorie1),  auf  der  Ueber- 
sichtlichkeit  des  Schemas,  welches  für  die  weiteren  Rechnungen 
gewonnen  wird. 

I.    Potentiale  der  Componenten  eines  Gasgemisches. 

Der  ganze  von  den  Grasen  eingenommene  Raum  sei  v;  die 
Massen  der  einzelnen  Gase  mt ,  m2 ,  m3 . . ,  ihre  Partialdrucke  pv 
pv  ps .  . ,  ihr  Gresammtdruck  p ;  bezeichnen  wir  durch  nx1  n2J  ns . . . 
die  Anzahl  der  Grammmolekeln ,  welche  von  den  einzelnen  Gasen 
in  dem  Volumen  v  enthalten  sind,  so  ergiebt  sich  für  g.  und  cm. 
als  Einheiten  nach  dem  Boyle-GayLussac'  sehen  Gesetz : 

vpt  ==  84511  ntT,   vp2  ==  84511  n2T,  . . . 
und 
1)  vp  =  84511  (n,  +  n2  +  n3  +  . . .)  T. 

Verstehen  wir  unter  cpl ,  cvl ,  cp2 ,  cv2 ,  ..  .  .  die  speeifischen  Wärmen 


1)  Es  ist  dies  der  Satz :  Zwischen  den  Phasen  eines  aus  mehreren  physika- 
lisch und  chemisch  verschiedenen  Theilen  zusammengesetzten  Systemes  besteht 
Gleichgewicht,  wenn  das  Potential  jeder  einzelnen  chemischen  Componente  in 
allen  Phasen  je  einen  und  denselben  Werth  hat. 


das  thermische  Potential  für  verdünnte  Lösungen.  439 

der  einzelnen  Componenten ,  unter  JR, ,  R2  . .  die  denselben  nach 
dem  B oyle -Gray Lussac' sehen  Gesetze  entsprechenden  Constan- 
ten, so  sind  ihre  Potentiale  gegeben  durch  die  Ausdrücke 

^  =  ^H-TJÄ.iog^-^iogT+a^-fi;! 

[i2  =  Et+T\Rtlog?£—Vc„logT  +  ne„-H,\ 


Hier  sind  die  E  und  H  Constante,  deren  Werthe  lediglich  von  den 
Normalzuständen  der  einzelnen  Componenten  abhängen,  21  das  me- 
chanische Aequivalent  der  Wärme,  T  die  Temperatur. 

Setzen   wir  für  v   den  aus   der  Gleichung  1    sich  ergebenden 
Werth,  so  erhalten  wir: 

ft  -  ^1  +  TJ2l1loglsg^ä~a«^logr+«e,1-Ä,| 

oder,  wenn  wir  durch  yx  das  Molekulargewicht  der  ersten  Compo- 
nente  bezeichnen 

f»,  =  JB.  +  rJB.log-^r  +  ü.log- 


84511   '      *     °»1+«,  +  n,  +  ..| 

-«c-iogr+Äc^-fli'. 

Nun  ist  j^jß,  =  84511,  und  somit 

*  «  q+ifah,^^  2) 

Durch  entsprechende  Ausdrücke  werden  die  Potentiale  der  übrigen 
Componenten  dargestellt. 

II.    Potentiale  der  Componenten  einer  verdünnten  Lösung. 

Nach  dem  Vorgange  von  Planck1)  setzen  wir  die  Energie 
s  und  das  Volumen  v  der  Lösung  gleich  linearen  Funktionen  der 
Massen  der  einzelnen  Componenten ; 

s  =  ml  «,  +  mt  £9  +  m9  ss  ■+-  .  . . 
v  =  w1t>1  +  w8v2-f-wst>8+. . . 


1)  1.  c.  S.  486. 

37 


440  Eduard  Riecke, 

Für  die  Entropie  der  Lösung  ergiebt  sich  dann  ein  Ausdruck  von 
der  Form 

n  =  mi  (Vx  +  *x)  +  m2  i%  +  K)  +  •  •  • 

wo  die  Größen  v\x ,  r\2  .  .  .  nur  von  p  und  T,  die  Integrationskon- 
stanten Jcx ,  Jc2  .  . .  nur  von  den  Massen  m  abhängig  sind.  Nun  ge- 
nügen die  Potentiale  (iv  p2  .  . .  der  einzelnen  Componenten  der  Dif- 
ferentialgleichung 

mldfil  +  mad(ii-\- .. .  =  vdp—ridT 
3)  =  mx{vxdp—rixdT-hxdT) 

+    m2(v2dp—r}2dT-7c2dT) 
+ 

Da  diese  Gleichung  für   alle  möglichen  Werthe  von  mx ,  m2 . . 
erfüllt  sein  muß,  so  ergiebt  sich 

dpx  =  vxdp—rjxdT—JcxdT, 
dp2  =  v2dp—ri2dT—Jc2dT 


und  hieraus: 

^  =  MX-\T,    <i2  =  Jf.-Ä.T,  .  .  . 

Uebertragen  wir  die  von  Planck  mit  Bezug  auf  die  Entro- 
pie geführte  Untersuchung  auf  das  Potential,  so  ergiebt  sich,  daß 
das  in  px  auftretende  Glied  —~kxT  mit  demjenigen  Terme  des  Poten- 
tials der  gasförmigen  Componente  übereinstimmen  muß,  welcher 
von  den  Massen,  beziehungsweise  den  Anzahlen  der  Grammmole- 
keln abhängig  ist.  Die  Größen  Je  müssen  also  die  "Werthe  be- 
sitzen 

Jcx  =  -Rxlog  ^  n\  - — ,    Jc2  =  -i22log 


nx  +  n2  +  nz+..  °  nx  +  n2  +  n3  +  . . 


Für    die  Potentiale   der   einzelnen   Componenten   der 
Lösung  ergeben  sich  somit  die  Gleichungen: 

4)      px  =  Mx  +  RxTlog-—^~—-,  ii2  =  M2  +  R2Tlog 


nx  +  n2  +  ...7  k  '  ■■■     "       °-ni  +  Wf  +  ... 

in  welchen  die  Größen  M x ,  M2, nur  abhängig  sind 

von  p  und  T. 

Zu  dem  Falle  einer  verdünnten  Lösung,  bei  welcher  die  erste 
Componente  durch  das  Lösungsmittel  gebildet  wird,  gelangen  wir, 


das  thermische  Potential  für  verdünnte  Lösungen.  441 

wenn  wir  die  Zahlen  n2,  n3  . . .  als  sehr  klein  annehmen  gegenüber 
von  nv  Für  das  Potential  des  Lösungsmittels  ergiebt 
sich  dann  der  Ausdruck: 

lli  =  M-Bl^±^+—T.  4') 

Hier  ist  Mx  nichts  anderes  als  das  Potential  des  rei- 
nen Lösungsmittels  entsprechend  den  gegebenen  Werthen 
von  Temperatur  und  Druck  und  kann  daher  durch  den  Ausdruck 
dargestellt  werden 

mx  =  ^  +  T(acF1-fi1-ac,1iogr)+^-p  ;         5) 

III.  Anwendung  der  Theorie  vonGribfos  auf  verdünnte  Lösungen. 

1.     Erniedrigung   der  Dampfspannung. 

Die  Temperatur  werde  konstant  erhalten  auf  dem  Betrage  T. 
Dann  wird  die  Dampfspannung  p0  des  reinen  Lösungsmittels  nach 
dem  Fundamentalsatze  bestimmt  durch  die  Gleichung 

li(p0,T)  =  p'(p0,T) 

wo  p  und  ft'  die  Potentiale  des  Lösungsmittels  im  gasförmigen 
und  flüssigen  Zustand  bezeichnen.  Es  werden  nun  in  dem  gege- 
benen Mittel  geringe  Mengen  irgend  welcher  Körper  gelöst,  so 
daß  auf  n  Grammmolekeln  des  Lösungsmittels  nlt  nti  n8  . . .  Gramm  - 
molekeln  von  denselben  kommen;  ist  die  hierdurch  bedingte  Er- 
niedrigung der  Dampfspannung  gleich  tc,  so  ist  das  neue  Potential 
der  gasförmigen  Phase  des  Lösungsmittels  gleich 

Andererseits  ist  das  neue  Potential  der  flüssigen  Phase 

=  ,-(yo,r)-jg*-i^+"^+--T. 

Gleichgewicht  zwischen  der  flüssigen  und  gasförmigen  Phase  ist 
vorhanden,  wenn  das  Potential  des  Lösungsmittels  in  beiden  den- 
selben Werth  besitzt.     Es  ergiebt  sich  somit  die  Bedingung 

dp        dp'  \  p  Wl+Mf +  wa  +  • 


(JJL-JbL\x  = 
^  äPo       dPo ) 


B    '  '    8  r    '  T  '  *  T. 


dp0       dp0 )  n 


442  Eduard  11  i  ecke, 

Im  Falle  einer  einzigen  Componente  ist  aber  nach  Gl.  3) 
dp/dp0  =  v/m,  dn'/dpQ  =  v'/m' ,  wo  v  und  v'  die  Volumina,  m 
und  m*  die  Massen  der  beiden  Phasen  bezeichnen;  vernachlässigen 
wir  v'/m'  gegen  v/m,  so  ergiebt  sich 

JLX  =  Bnl  +  na+..T 
m  n 

oder  mit  Rücksicht  auf  das  Boyle  GayLus  s  ac'  sehe  Gesetz 
jt_         nx  +  n%+  .  . 
Po   '  n 

Vernachlässigt  man  die  Aenderung,  welche  das  Potential  der  flüs- 
sigen Phase  durch  die  Aenderung  des  Druckes  erleidet,  so  ergiebt 
sich  mit  Hülfe  des  im  ersten  Abschnitte  gegebenen  Ausdruckes 
für  das  Potential  eines  gasförmigen  Körpers  die  allgemeiner 
gültige  Beziehung 

p0    _   n  +  nx  +  n,  +  ..     ^^     7t   =   nt+n%  +  .. 


p  n  p 

wo  p  der  erniedrigte  Dampfdruck. 

Nimmt  man  den  Druck  konstant,  die  Temperatur  variabel,  so 
ergiebt  sich  mit  Rücksicht  auf  die  Beziehung  dp/dT  =  —  r\\m  das 
Gesetz  der  Siedepunktserhöhung  # 

&W         n,  +  n%  +  . . 

wo  W  die  Verdampfungswärme,  ©0  der  normale  Siedepunkt. 

2.     Gef  r  ierp  un  k  ts  er  nie  dr  igung. 
Der   Gefrierpunkt   des   reinen  Lösungsmittels   wird  bestimmt 
durch  die  Gleichung 

P'{P,T0)  =  ii"(p,Ta) 

wo  [i"  das  Potential  der  festen  Phase  bezeichnet.  Durch  Lösung 
von  nv  n2J  ns  .  .  .  Grammmolekeln  irgend  welcher  anderer  Körper 
in  n  Grammmolekeln  des  Lösungsmittels  wird  der  Gefrierpunkt 
erniedrigt  um  t;  die  neuen  Potentiale  sind 


?{p,  T,-t)-MT0^^±^  =  t.'(p,  T„) 


Oft' 


6T0 
_BTnl  +  n,  +  ... 


(l"(p,Tt-r)  =  fl»(p,T0)-^rT. 


das  thermische  Potential  für  rerdünnte  Lösungen.  443 

Die  Gleichsetzung  der  Potentiale  giebt: 

(dp"      äf*'\           PTvK  +  .. 
\W-Wjx  -  ET° n 

oder  mit  Benützung  von  Gleichung  3) 


V  m       m  J 


»,+»,  +  .. 


n 


Bezeichnen  wir  durch  Q  die  Schmelzwärme  für  die  Gewichtsein- 
heit des  Lösungsmittels,  so  ergiebt  sich: 

tQ         nx+n%  +  .  ■ 
ETI  n 

Benützen  wir  als  Einheit  der  Kraft  den  Druck  von  1  g  auf  1  cm3,  so  ist 
für  Wasser  als  Lösungsmittel  Q  =  80x42800,  22  =  ^^  =  4695 
und  somit 

102  ==  n 

3.     Dissociation  in  verdünnter  Lösung. 

In  der  Lösung  sei  eine  beliebige  Zahl  von  Stoffen  enthalten, 
welche  der  Dissociation,  beziehungsweise  der  wechselseitigen  Um- 
wandlung fähig  sind;  wir  bezeichnen  sie  durch  ©a,  ©t,  ©,,  ©d  .  . . 
Dieselben  seien  in  bekannter  Weise  zusammengesetzt  aus  einer 
gewissen  Zahl  anderer  Stoffe  ,  welche  ihrerseits  bei  allen  in  der 
Lösung  vor  sich  gehenden  Umwandlungen  völlig  unzersetzt  blei- 
ben mögen  ;  wir  bezeichnen  diese  letzteren  durch  ©t,  St,  6, . ; . 

Die  chemische  Zusammensetzung  der  Componenten  ©a ,  ©6, 
©, ,  €>d . .  .  sei  gegeben  durch  die  Formeln : 

a<5a  =  a1©1  +  a8@9+a8©«+ ... 

c<5t  =  y%&t  +  y9<52  +  y3  ©3  +  .  .  . 
d<3d  =  *,  ©,  +  *,©,  +  *,©,+  ... 

Bezeichnen  wir  durch  ^a ,  /fc6 ,  f*„ ,  ^rf  .  . .  die  Potentiale  der  in  der 
Lösung  befindlichen  Componenten ,  durch  ma ,  mh ,  w, ,  md  ...  die 
von  denselben  vorhandenen  Massen,  so  besteht  Gleichgewicht 
wenn: 


444  Eduard  Riecke, 

vorausgesetzt,  daß  das  Lösungsmittel  selbst  an  den  Reaktionen 
der  gelösten  Stoffe  nicht  betheiligt  ist.  Nun  sind  aber  die  Ver- 
änderungen der  Massen  m  der  Bedingung  unterworfen,  daß  durch 
dieselben  die  Masse  der  Stoffe  {B1 ,  ©2 ,  €>3  .  .  .  nicht  verändert 
werden  kann.  Wir  erhalten  somit  für  die  Variationen  dma ,  dmb, 
dme,  dmd  ...  die  Gleichungen : 


Tdm-+Tdm>  +  1' 


+  £Ldmb  +  ?±dnic+-±dnid+  ...  =  0 


(X  0  C  d 

■^dma  +  ^-dmb  +  ^-dmc  +  ^-dmd  +  ...  =  0 

(X  O  C  (X 


Durch  diese  werden  die  Verhältnisse  der  dm  im  Allgemeinen  nur 
dann  bestimmt,  wenn  ihre  Zahl  um  die  Einheit  kleiner  ist  als  die 
Zahl  der  Componenten  a,  b,  c,  d  ...  Die  Zahl  der  Gleichungen 
stimmt  überein  mit  der  Zahl  der  Stoffe  ©,,  ©2,  €>8  .  . .  Die 
Verhältnisse  der  chemische  n  Umwandlung  sind  also 
im  Allgemeinen  nur  dann  in  eindeutiger  Weise  be- 
stimmt, wenn  die  Zahl  der  unveränderlichen  Be- 
standteile um  eins  kleiner  ist,  als  die  Zahl  der  ver- 
änderlichen Componenten.  Verstehen  wir  unter  kv  A2, 
A3  . . .  gewisse  unbekannte  Faktoren,  so  erhalten  wir  aus  den  obi- 
gen Bedingungen  die  Formeln: 

ft+^+^  +  A,  •§■+•••  =  0 
^  +  1^  +  ^  +  ^  + 0 

fc+*4+a.£  +  a»£  +  ...-o 


Ist  die  im  Vorhergehenden  besprochene  Bedingung  erfüllt,  so  ist 
die  Zahl  dieser  Gleichungen  um  Eins  größer  als  die  Zahl  der  un- 
bekannten Faktoren  lx ,  Aa ,  A3  ...  und  wir  erhalten   durch  Elimi- 


das  thermische  Potential  für  verdünnte  Lösungen.  445 

mination  derselben  eine  Gleichung  von  der  Form 

Apm  +  Bpb  +  rp9  +  Jii,d  + . . . .  =  o. 

Setzen  wir  für  die  Potentiale  die  in  den  Gleichungen  4  aufgestell- 
ten Ausdrücke,  so  ergiebt  sich: 

AMa  +  BMb  +  rMe  +  ... 
T 

Die  auf  der  linken  Seite  dieser  Grleichung  stehende 
Funktion  der  Zahlen  n  ist  dieselbe,  wie  in  dem  Falle 
einer  Mischung  gasförmiger  Componenten,  die  auf  der 
rechten  Seite  stehende  Funktion  vonp  und  Tist  eine 
andere. 

Die  Gleichungen 


—  äma  +  ±t-  dmb  +  ^-dme  + 
o  c 


a 


***** 


dmc  + 


=  0 


=  0 


Y* 


—  dma  +  ¥-dtnb+-t±dm.+  ...  =  0 
a  o  c 

bestimmen  die  Verhältnisse  der  dma)  dmb1  dmc  . . .  auch  bei  gleicher 
Zahl  der  veränderlichen  Componenten  ©a ,  ©6 ,  &s  . . .  und  der  un- 
veränderlichen Bestandtheile  ©x ,  @, ,  @s  .  .  . ,  sobald  die  Deter- 
minante 


a 
a 
a 


K 
b 

K 
b 

K 

b 


c 

c 
c 


verschwindet.  Es  ist  dieß  der  Fall  bei  den  Umsetzungen 
in  Folge  doppelter  Wahlverwandtschaft  und  das 
Problem  der  Dissociation  ist  daher  auch  in  diesem 
Falle  ein  vollkommen  bestimmtes. 

Wir   betrachten    noch    zwei    allgemeinere    Fälle    von 
Dissociation.     Zunächst  nehmen  wir  an,    es   sei   der  eine 


44ß  Eduard  ßiecke, 

der  in  der  Losung  befindlichen  Körper,  etwa  ©a, 
gleichzeitig  auch  in  festem  und  in  gasförmigem  Zu- 
stand vorhanden.  Wir  bezeichnen  die  Massen ,  welche  den 
verschiedenen  Zuständen  entsprechen  durch  ma,  m'a,  m'J,  die  Po- 
tentiale durch  pa,  f*i,  p".  Wir  erhalten  die  Grleichgewichtsbe- 
dingungen : 

iiadma  +  /*;  dm'a  +  ti'Jdm'J  +  pb  dmb  +  ^ dmc  +  .  . .  =  0 

-^-  (dma  +  dm'a  +  dm'J)  +  4r  dm>  +  —  dmc  +  •  •  •  =  ° 
a  o  c 

^ (dma  +  dm'a  +  <K')  +-&-dmb  +  l*-dmc  + .. .  =  0 

(X  0  c 

Woraus 


fc+*4+'^+- 

.  .  =  0 

^+^+*'T+-- 

.  .  =  0 

*'+v5-  +  *.*-+.. 

.  .  =  0 

ft +4.4-+*»4-+-  • 

.  .  =  0 

ft+*r5-'*A|5,+-  • 

.  .  =  0 

Man  sieht  sofort  daß  p"  —  j-c/  =  fta  und  daß  außerdem  zwischen 
den  Potentialen  fta,  f*6,  ^c .  .  .  dieselben  Beziehungen  bestehen  wie 
früher. 

Allgemein  ergiebt  sich  das  Resultat:  Wenn  irgend  welche 
Componenten  außer  in  der  Lösung  noch  in  festem  oder  gasförmi- 
gem Zustand  vorhanden  sind ,  so  wird  dadurch  die  Beziehung 
zwischen  den  Potentialen  der  gelößten  Bestandtheile  nicht  verän- 
dert, es  tritt  zu  derselben  nur  noch  die  Bedingung  hinzu,  daß  für 
jede  Componente  das  Potential  in  den  verschiedenen  Phasen  den- 
selben Werth  besitzen  muß. 

Wir  behandeln  endlich  noch  den  Fall,  daß  die  chemische 
Reaktion  in  der  Lösung  keine  bestimmtelist,  d.h.  daß 
die  Zahl  der  unveränderlichen  Bestandtheile  um  mehr  als  Eins 
kleiner  ist,  als  die  Zahl  der  veränderlichen  Componenten.  Wir 
erhalten  in  diesem  Falle  die  Gleichungen : 


das  thermische  Potential  für  verdünnte  Lösungen.  447 

Padnia  +  pbdmb  +  titdmt  + =  0 

—  dma  +  ^dmb  +  ^-dme  + =  0 

ab  c 

~dma  +  @£dmb  +  ^dme  + =  0 

a  b  c 

Nehmen  wir  an,  die  Zahl  der  unveränderlichen  Bestandtheile 
@n  <S2,  @3  .  .  .  sei  um  2  kleiner  als  die  Zahl  der  Componenten 
©B ,  ©6 ,  ©f  .  .  .  Die  Zahl  der  Bedingungsgleichungen ,  welche 
sich  auf  Grund  der  stöchiometrischen  Verhältnisse  für  die  Zu- 
wüchse dma,  dmb,  dmc  .  .  .  ergeben,  ist  dann  gleichfalls  um  2  klei- 
ner als  die  Zahl  der  dm ;  werden  2  von  den  Zuwüchsen  dm  will- 
kürlich gewählt,  so  sind  die  übrigen  bestimmt.  Wir  können  zu- 
nächst den  Zuwachs  dma  gleich  Null  setzen;  die  ihm  entsprechende 
chemische  Componente  scheidet  dann  aus  der  Reaktion  aus ,  diese 
verläuft  in  vollkommen  eindeutiger  Weise  zwischen  den  übrigen 
Componenten  und  ihre  Potentiale  genügen  der  früher  entwickelten 
Gleichung;  eine  zweite  solche  Gleichung  erhalten  wir,  wenn  wir 
dmb  =  0  setzen  u.  s.  f.  Am  übersichtlichsten  ergiebt  sich  das 
System  der  von  den  Potentialen  zu  erfüllenden  Gleichungen,  wenn 
man  zu  dem  System  der  Bediogungsgleichungen  der  dm  noch  eine 
lineare  homogene  Gleichung  zwischen  dma)  dmb,  dme  .  .  .  hinzufügt. 

udma  +  vdmb  +  wdme  + .  .  .  =  0. 

Die  Zahl  der  Gleichungen  stimmt  dann  überein  mit  der  Zahl  der 
Zuwüchse;  bildet  man  nun  die  Determinante  der  Coefficienten,  so 
erhält  man  die  gesuchten  Gleichungen,  indem  man  die  Unterdeter- 
minanten nach  u,  v,  w  .  .  .  gleich  Null  setzt. 

Ein  einfaches  Beispiel  für  den  zuletzt  betrachteten  Fall  giebt 
die  Dissociation  zweier  binärer  Elektrolyte  mit  ei- 
nem gemeinsamen  Bestandtheil.  Die  stöchiometrischen  Glei- 
chungen sind: 

a@a  =  «!©,  +  ««©• 
b®b  -  AS.  +  A6.      • 

wo  ct3  =  ßa.  Bezeichnet  man  mit  na,  nb  die  Anzahlen  der  nicht 
dissociirten  .^-Molekeln,  mit  nv  n2,  na  die  Zahl  der  durch  Disso- 
ciation gebildeten  ^-Molekeln  von  ©t ,  ©2 ,  ©8 ,  mit  N  die  Zahl 
der  (/-Molekeln  des  Lösungsmittels,  so  ergeben  sich  die  Gleichungen 

•i/n,  tö  Nlcana,        n%n%  M»  JSk>n> 


448  Eduard  Eiecke, 

wo  w8  =  Wj+Wjj  wir  bezeichnen  ferner  durch  Na  =  na+nlf 
Nb  =  nb  +  n2  die  Zahl  der  ursprünglich  vorhandenenen  <7-Molekeln 
der  Stoffe  €>a  und  ©6.     Zunächst  ergiebt  sich: 

Setzt  man  hiernach 
so  ergiebt  sich 


1  +  Kx 

hbNbx 


K 

1+M 

Nb 

l  +  kbx 

KbX 

2  '    i+Kx  ' 

Die  Dissociationsgrade  werden : 

hax 

V«  ==    l  +  kax  '         Vh  '      l+lcbx  ' 

Endlich  ergiebt  sich  zur  Bestimmung  von  x  die  Gleichung 


Befindet  sich  in  der  Lösung  nur  der  eine  Elektrolyt,  etwa  ©a,  so 
gelten  die  auf  Molekelzahlen  und  Dissociationsgrade  sich  bezie- 
henden Gleichungen  unverändert,  nur  die  Gleichung  zur  Bestim- 
mung von  x  wird  eine  andere,  nemlich 

—  =  N. 


1+kx 


Betrachtet  man  N  als  eine  veränderliche  Ordinate ,  so  gehen  die 
durch  die  vorhergehenden  Gleichungen  bestimmten  Curven  für  sehr 
kleine  Werthe  von  x  und  N  in  Parabeln  über,  welche  durch  die 
Gleichungen  gegeben  sind 

(JcaNa  +  JcbNb)x*  =  N    und    laNax*  =  K 

Für  sehr  große  Werthe  von  x  und  N  werden  die  Curven  gerad- 
linig und  zwar  sind  ihre  Richtungstangenten  gegen  die  #-Axe  ge- 
geben durch  Na  +  Nb,  beziehungsweise  Na. 

Aus  dem  hierdurch  bestimmten  Verlauf  der  durch  die  beiden 
Gleichungen  dargestellten  Curven  ergiebt  sich,  daß  bei  gegebenem 
Werthe  von  N  die  zweite  Gleichung  einen  größeren  Werth  von  x 
liefert  als  die  erste.    Daraus  folgt  aber  weiter  der  Satz: 


dag  thermische  Potential  für  verdünnte  Lösungen.  449 

Wird  der  Lösung  eines  Elektrolyten  ein  zweiter 
Elektrolyt  zugesetzt,  welcher  mit  dem  ersten  ein  Jon 
gemeinschaftlich  besitzt,  so  wird  der  Dissocia- 
tionsgrad  des  ersten  vermindert. 

Dieser  Satz  wurde  von  Nernst1)  und  von  Arthur  Noyes2) 
einer  experimentellen  Prüfung  unterworfen.  Die  Verhältnisse  der 
angestellten  Versuche  waren  aber  einfacher  in  so  fern ,  als  bei 
denselben  gesättigte  Lösungen  zur  Anwendung  kamen.  Dadurch 
ergeben  sich  für  die  Potentiale  der  gelößten  und  nicht  dissociirten 
Componenten  noch  zwei  weitere  Gleichungen ,  welche  sich  auf  die 
Form  bringen  lassen  na  =  Nla  und  nb  =  Nlb,  unter  la  und  lb  zwei 
nur  von  Temperatur  und  Druck   abhängende  Größen  verstanden8). 

4.     Vertheilung  eines  Stoffes   zwischen  zwei 
Lösungsmitteln. 

Von  den  beiden  Lösungsmitteln,  welche  sich  wechselseitig  nicht 
lösen  sollen,  seien  N  und  N'  ^-Molekeln  gegeben;  in  dem  ersten 
seien  n ,  in  dem  zweiten  n'  ^-Molekeln  eines  dritten  Körpers  ge- 
lÖßt.     Gleichgewicht  ist  vorhanden,  wenn 

M(p,  T)  +  RT\og  J  =  M  (p,  T)  +  J?Tlog  *£  . 

Die  Brüche  n/N  und  n'/N'  bezeichnen  wir  als  die  Lößlichkeitskoef- 
ficienten  des  dritten  Körpers.  Setzen  wir  sie  gleich  X  und  k'7  so 
ergiebt  sich: 

Das  Verhältniß  der  Lößlichkeiten  bleibt  dasselbe, 
welches  auch  die  Concentrationen,  d.h.  die  Werthe  von 
n  und  n',  sind.  Dieß  gilt  nicht  mehr,  wenn  der  gelößte 
Stoff  in  dem  einen  der  beiden  Lösungsmittel  der 
Dissociation  unterworfen  ist.  Wir  nehmen  an,  daß  von 
den  n  (/-Molekeln  des  Stoffes,  welche  sich  in  dem  ersten  Lösungs- 
mittel befinden,  nx  nicht  dissociirt,  ni  dissociirt  seien  und  zwar  so 
daß  jede  Molekel  in  zwei  zerfalle.  Wir  erhalten  dann  die  Glei- 
chungen 


N    n'    -  A>     VnJ    +        " 


1)  Zeitschr.  f.  phys.  Chem.    Bd.  IV.  S.  372. 

2)  Inauguraldiss.    Leipzig  1890. 

3)  Vgl.  noch:  Arrhenius,  Zeitschr.  f.  phys.  Chem.  Bd. II.  S.  284.  Bd.V.  S.l. 


450  Eduard  Riecke, 

wo  A   und  B   gewisse  Funktionen    von    Druck    und   Temperatur. 
Die  Löslichkeitskoefficienten  sind: 


_  Ä  +  »L  und  ܱW 


N 


"Wir  erhalten 


U'W^f- 


L 

v  v 


Bezeichnen  wir  den  Dissociationsgrad  des  Stoffes  in  dem  ersten 

vi 
Lösungsmittel  durch  x  =  — ^ — »  s0  ergiebt  sicn  : 


■      MP ' 

Der  Dissociationsgrad  nimmt  ab  mit  wachsender  Concentration. 

Noch  etwas  komplicirter  gestalten  sich  die  Verhältnisse  in 
dem  von  N  e  r  n  s  t  *)  behandelten  Falle ,  in  welchem-  der  gelöste 
Körper  in  beiden  Lösungsmitteln  der  Dissociation 
unterworfen  ist.  Wir  beschränken  uns  dabei,  mit  Beziehung 
auf  die  von  N ernst  ausgeführten  Experimentaluntersuchungen, 
auf  die  Dissociation  einer  Molekel  in  zwei  unter  sich  gleiche.  Es 
seien  wieder  N  und  N'  die  Anzahlen  der  ^-Molekeln,  welche  von 
den  beiden  Lösungsmitteln  gegeben  sind,  nx  sei  die  Zahl  der  nor- 
malen, n2  die  Zahl  der  dissociirten  Molekeln  in  dem  ersten  Lö- 
sungsmittel; n[  und  n2  haben  dieselbe  Bedeutung  für  das  zweite 
Mittel.  Bezeichnen  wir  das  Molekulargewicht  für  die  normalen 
Molekeln  durch  yv  für  die  durch  Dissociation  entstehenden  durch 
y2,  so  ist  y2  =  yj2.  Ist  Bt  die  Constante  des  Grasgesetzes  für 
die  normalen  Molekeln,  B2  dieselbe  Constante  für  die  durch  Dis- 
sociation gebildeten,  so  ist  Btyt  =  B2y2,  also  R2  =  2BX.  Die 
Werthe  der  vier  in  Betracht  zu  ziehenden  Potentiale  sind: 

fc  =  M , (p,  T)  +  B,  Tlog  -j*- ,    tf  =  U{ <J>,  T)  +  R,T log |j- 

p,  =  Ma  (p,  T)  +  B, Tlog  £,    ^  =  M',(p,  T)  +  B2T  log ^ . 

Zwischen  denselben  bestehen  die  vier  Gleichungen: 


1)  Nernst,  Gott.  Nachr.  1890.  N.  12. 


das  thermische  Potential  für  verdünnte  Lösungen.  451 

Dieselben  sind  nicht  von  einander  unabhängig ,  denn  wenn  man 
von  der  Summe  der  beiden  links  stehenden  die  Summe  der  beiden 
rechts  stehenden  abzieht,  so  ist  das  Resultat  Null.  Die  Auflösung 
der  Gleichungen  giebt : 


M[-Mx 

M!,-M2 

nt           N       BtT             N 

ff,           N       B,T           N 
w;  ~  N'  e              '"  N'  f* 

Mx-M2 

M[—M!2 

<                AT         BtT                      *Tl 

—L  =  Ne                =  Nie    ; 

< 

Die  nur  von  p  und  T  abhängenden  Großen  lt  und  Z2  können  wir 
als  Theilungskonstanten ,  die  ebenfalls  nur  von  p  und  T  abhän- 
genden Größen  k  und  k'  als  Dissociationskonstanten  bezeichnen. 
Zwischen  denselben  besteht  die  Beziehung 

iL       ± 
lt        k'  ' 

Bezeichnen  wir  die  Dissociationsgrade  in  den  beiden  Lösungsmit- 
teln durch 

x  = —  und  x    = 


.  /  1  —  / 


so  wird : 

1— 2  1—x' 

Somit  das  Theilungsverhältniß : 

«f  +  »9  x'f(l  —  x)      Nk 


n[  +  n'2  x2(l-x')     N'k'  ' 

Da  die  Dissociationsgrade  abhängig  sind  von  der  Concentration, 
so  gilt  gleiches  von  dem  Theilungsverhältniß.  Von  den  mannig- 
fachen Ausdrücken,  welche  für  dieses  letztere  aus  den  obigen 
Gleichungen  abgeleitet  werden  können ,  möge  noch  der  folgende 
angeführt  werden : 


w,  +  wf 

N    S/nt+\/Nk 

*;+»; 

~  N'  \fc      sjWk 

452  Eduard  Riecke, 

durch  welchen  das  Teilungsverhältniß  in  seiner  Abhängigkeit  von 
der  Zahl  der  normalen  Molekeln  in  dem  ersten  Lösungsmittel  dar- 
gestellt wird. 

Betrachtet  man  nl}  w2,  n[,  n'2J  Je,  Je',  l17  l2  als  Unbekannte,  so 
müssen  zu  den  obigen  Gleichungen  noch  4  weitere  hinzugefügt 
werden,  um  ihre  Berechnung  zu  ermöglichen.  Nernst  hat  zu 
diesem  Zwecke  die  Gesammtzahl  der  in  den  beiden  Lösungsmitteln 
enthaltenen  (/-Molekeln  bestimmt  nx  +  w2  =  cv  n[-\-n'2  =  c\ ;  ferner 
betrachtet  er  h  und  lt  als  gegeben. 

5.     Gesetz  des  osmotischen  Druckes. 

Dieses  Gesetz  ist  kürzlich  von  Planck1)  aus  den  allgemeinen 
Principien  der  Thermodynamik  hergeleitet  worden.  Ich  füge  im 
Folgenden  den  auf  der  Benützung  des  Potentiales  beruhenden  Be- 
weis hinzu,  welchen  ich  schon  vor  längerer  Zeit  gefunden  hatte. 
Im  Inneren  einer  von  einer  halbdurchlässigen  Membran  umschlos- 
senen Zelle  befinde  sich  eine  Lösung ,  in  welcher  auf  n  ^r-Molekeln 
des  Lösungsmittels  nt ,  n2 ,  n3  .  .  .  ^-Molekeln  der  gelößten  Kör- 
per kommen;  der  Druck  sei  p;  außerhalb  der  Zelle  stehe  das  reine 
Lösungsmittel  unter  dem  Drucke  p0.  Ist  Gleichgewicht  vorhan- 
den ,  so  muß  das  Potential  des  Lösungsmittels  zu  beiden  Seiten 
der  Zellwand  nach  Gibbs2)  denselben  Werth  haben;  es  ergiebt 
sich  somit  die  Gleichung: 

M(p,  T)-RTn^nl+--  =  Jffo,  T) 

IV 

oder  mit  Rücksicht  auf  den  für  M  in  Gleichung  5  gegebenen  Werth 

—  (P—Po)     =    (*!  +  »*+■   •   •)• 

m  n 

Verstehen  wir  unter  v  das  Volumen  der  Zelle,  unter  m  das  Ge- 
wicht des  in  derselben  enthaltenen  Lösungsmittels ,  so  ist  m/n 
gleich   dem   Molekulargewicht    des   Lösungsmittels    und    demnach 

M| 

B —  =  84511;   somit  ergiebt   sich    für  den  osmotischen 

Druck  p—p0  =  %  die  Gleichung  des  Boyle-Gay  Lus- 
sac'schen  Gesetzes 

vit  =  84511^  +  »,+  ...)  T. 

Diesem  Resultat  entsprechend  liegt  es  nahe,  die  Ur- 


1)  Planck,  Zeitschrift  f.  phys.  Chem.  V,  S.  187. 

2)  Gibbs,  Transactions  of  the  Connecticut.  Äc.  III,  138. 


das  thermische  Potential  für  verdünnte  Lösungen.  453 

sache  des  osmotischen  Druckes  in  den  Stößen  zu  su- 
chen, welche  von  den  Molekeln  des  gelößten  Körpers 
auf  die  Membran  ausgeübt  werden.  Daß  nach  dieser  von 
van  t'Hoff  begründeten  Anschauung  der  osmotische  Druck  in 
der  That  gleich  ist  der  Differenz  der  hydrostatischen  Drucke  zu 
beiden  Seiten  der  Membran  ergiebt  sich  aus  der  folgenden  Ueber- 
legung.  Die  Zelle  sei  hergestellt  aus  einer  durch  die  Membran 
unten  verschlossenen  Glasröhre,  welche  mit  Salzlösung  gefüllt  und 
in  ein  mit  dem  Lösungsmittel  gefülltes  Gefäß  gestellt  wird.  Die 
freie  Oberfläche  der  Salzlösung  wird  durch  die  gegen  sie  gerich- 
teten Stöße  gehoben  ,  bis  der  Druck  der  gehobenen  Säule  gleich 
dem  osmotischen  durch  die  Stöße  verursachten  Druck  ist.  Der 
Druck  der  gehobenen  Säule  ist  aber  andererseits  gleich  der  Diffe- 
renz der  hydrostatischen  Drucke  zu  beiden  Seiten  der  Membran, 
womit  die  Behauptung  bewiesen  ist. 

Unter  der  Voraussetzung ,  daß  der  osmotische  Druck  durch 
die  Stöße  der  Molekeln  gegen  die  halbdurchlässige  Membran,  be- 
ziehungsweise gegen  die  freie  Oberfläche  der  Flüssigkeit  hervor- 
gebracht werde,  ergiebt  sich  aber  andererseits 

n1(ilg\  +  n1ittg\  +  .. 

71    =    i 

3  V 

wo  /ti  das  Molekulargewicht ,  g  die  Geschwindigkeit  der  gelößten 
Molekeln.  Ist  diese  letztere  dieselbe  wie  im  Gaszustande,  so  ist 
das  Gesetz  identisch  mit  dem  entsprechenden  Gesetze  der  Gas- 
theorie. Der  Unterschied  zwischen  einem  freien  und  einem  in  Lö- 
sung befindlichen  Gase  würde  dann  wesentlich  durch  die  verschie- 
dene Länge  der  freien  Wege  begründet  sein. 


Wir  geben  endlich  noch  zwei  Anwendungen  der  Potential- 
theorie ,  welche  nicht  eben  so  sicher  erscheinen,  wie  die  im  Vor- 
hergehenden behandelten ,  da  sie  zwei  weitere  Annahmen  von  ei- 
nigermaßen hypothetischer  Natur  nothwendig  machen.  Die  erste 
Annahme  besteht  darin ,  daß  wir  die  Potentialtheorie  auch  für 
solche  Veränderungen  als  gültig  betrachten,  welche  zu  labilen  Zu- 
ständen der  Ueber-  oder  Untersättigung  führen.  Die  zweite  An- 
nahme ist,  daß  die  in  den  Gleichungen  4  gegebenen  Ausdrücke  auch 
für  die  Potentiale  gesättigter  Lösungen  gelten,  vorausgesetzt,  daß 
die  gelösten  Körper  in  dem  Lösungsmittel  nur  wenig  lößlich  sind. 

Nachrichten  d.  E.  G.  d.  W.  zu  Göttinnen.    1890.    Nr.  14.  38 


454  Eduard  Riecke 


6.    Erniedrigung    der  Löslichkeit. 

Wir  betrachten  mit  N ernst1)  zwei  Flüssigkeiten  a  und  &, 
welche  nur  wenig  in  einander  löslich  sind;  schichten  wir  diesel- 
ben über  einander ,  so  bilden  sich  zwei  Lösungen,  von  welchen  die 
eine  auf  na  (/-Molekeln  von  avb  ^-Molekeln  von  b,  die  zweite  auf 
nb  0- Molekeln  von  b  va  ^-Molekeln  von  a  enthalten  möge.  Die 
G-leicbgewichtsbedingungen  sind : 

a  b 

^(p,T)-BbT^-  =  Mi(p,T)+BbTlog^. 

Es  mögen  nun  in  der  Componente  a  irgend  welche  in  b  nicht  lös- 
liche Körper  in  geringer  Menge  gelößt  werden;  die  Folge  davon 
wird  sein ,  daß  ein  Theil  der  va  ^-Molekeln  von  a ,  welche  bisher 
in  b  gelößt  waren,  nach  a  zurückwandert;  es  bildet  sich  ein  neuer 
Gleichgewichtszustand  zwischen  den  beiden  Lösungen  aus ,  bei 
welchem  einerseits  auf  na  ^-Molekeln  von  a  v[  ^-Molekeln  von  b, 
und  nv  n2,  n3  .  .  .  (/-Molekeln  der  fremden  Körper,  andererseits  auf 
nb  Molekeln  b  v'a  Molekeln  von  a  kommen.  Die  neuen  Gleichge- 
wichtsbedingungen sind : 

h{P,T)-B.Tvi+n^n'+--  =  M„{p,  T)  +  R Jlog^- 

* (P,  T)-BbT^-  =  Mb  (p,  T)  +  BbTlog^-. 

Die  Verbindung  dieser  Gleichungen  mit  den  vorhergehenden  giebt : 


»»-*£- «+**+•■•)  .        lo    K 

na                                    va 

Va—K 

va 

y    — y1 

V*~~Va           .      Wl  +  W2+.  .  . 

oder  allgemeiner  mit  Benützung  der  Gleichung  4 
K—K         nt  +  n2  +  .  . 


und  dieß  ist   der   von  Nernst   in  einer  Reihe  von  Fällen  experi- 
mentell bestätigte  Satz. 

1)  Zeitschr.  f.  phys.  Chemie.  VI,  S.  16. 


das  thermische  Potential  für  verdünnte  Lösungen.  455 

7.    Das  Henry'sche  Absorptionsgesetz. 

Betrachten  wir  den  in  Gleichung  4  gegebenen  Ausdruck  für 
das  Potential  eines  in  geringer  Menge  in  einer  Flüssigkeit  geloßten 
Stoffes  als  gültig  auch  für  den  Fall  der  Absorption  eines  Gases 
durch  eine  Flüssigkeit,  so  ergiebt  sich  durch  Gleichsetzen  der  Po- 
tentiale des  freien  und  des  absorbirten  Gases 

RT\ogplR  +  E+T(yLcp-H-WcvlogT)  =  M+RTlogn/N. 

Hier  bezeichnet  n  die  Anzahl  der  absorbirten  Grammmolekeln  des 
Gases ,  N  die  Zahl  der  Molekeln  der  absorbirenden  Flüssigkeit. 
Setzen  wir  zur  Abkürzung 

Slcp~If—  %cv\ogT  —  R®,   so  ergiebt  sich 
n  =  Np- 


R 

Soll  das  Henry' sehe  Gesetz  erfüllt  sein ,  so  muß  in  dem  Falle 
eines  absorbirten  Gases  die  im  allgemeinen  von  p  und  T  abhän- 
gende Function  M  sich  auf  eine  Function  von  T  allein  reduciren. 

Mit  Hülfe  desselben  Ansatzes  ergiebt  sich ,  wie  man  leicht 
sieht,  auch  das  Dalton'sche  Gesetz  über  die  Absorption  eines 
Gasgemenges. 

Wir  betrachten  endlich  noch  den  Fall  eines  Gases,  wel- 
ches sich  bei  der  Absorption  dissoeiirt.  Der  Einfach- 
heit halber  nehmen  wir  an,  daß  jede  Molekel  des  Gases  in  zwei 
Theilmolekeln  zerfalle.  Ist  nx  die  Anzahl  der  nicht  dissoeiirten 
^/-Molekeln  in  der  Flüssigkeit,  n2  die  Anzahl  der  dissoeiirten,  so 
erhalten  wir  die  beiden  Gleichungen 

nt  =  NÄp    und     ^-  =  NB 

wo  A  allein  abhängig  ist  von  der  Temperatur,  B  von  Temperatur 
und  Druck.  Hiernach  ergiebt  sich  für  die  Gesammtzahl  der  ab- 
sorbirten ^-Molekeln  der  Werth 


nl  +  n,  =  NAp(l  +  \/-2-) 


Ap 
dieselbe  ist  dem  Drucke  nicht  mehr  proportional. 


38 


456  Eduard  Riecke, 


Ueber  elektrische  Ladung  durch  gleitende  Reibung. 

Von 

Eduard  Riecke. 

Riess1)  hat  im  Jahre  1876  eine  Reihe  von  Versuchen  mit- 
getheilt ,  welche  sich  auf  die  Bestimmung  der  durch  Reibung  er- 
regten Elektricitätsmengen  bezogen.  Die  kreisförmige  Fläche  des 
Reibzeuges  hatte  einen  Durchmesser  von  4  cm;  sie  bestand  aus 
Leder,  welches  mit  einer  dünnen  Schichte  von  Kienmayers 
Amalgam  überzogen  war.  Die  geriebene  Fläche  bestand  aus  einer 
Tafel  von  Hartgummi  mit  glänzender  Oberfläche,  von  73  cm  Länge 
und  32,5  cm  Breite.  Seine  Versuche  beschreibt  Riess  in  folgen- 
der Weise.  Das  unbeschwerte  Reibzeug  wurde  auf  die  Hart- 
gummitafel gestellt  und  mit  Hülfe  eines  isolirenden  Handgriffes 
in  gerader  Linie  um  1  Zoll  =  2,7  cm  behutsam  fortgeführt.  Die 
dabei  stattgefundene  Reibung  wird  zur  Einheit  der  Reibungsmenge 
genommen.  Dann  wurde  das  Reibzeug  behutsam  abgenommen, 
auf  eine  frische  Stelle  der  Platte  gesetzt ,  wiederum  einen  Zoll 
weit  fortgeführt  u.  s.  w.  Die  Anzahl  dieser  Operationen  bestimmte 
den  Werth  der  Reibungsmenge.  War  die  gewünschte  Menge  er- 
reicht, so  wurde  mit  dem  Reiber  der  Knopf  eines  Sinuselektro- 
meters berührt  und  die  erregte  Elektricitätsmenge  gemessen.  Bei 
einer  zweiten  Versuchsreihe  wurden  die  Reibungsmengen  dadurch 
gewonnen,  daß  der  Reiber  in  einem  Zuge  über  eine  größere  oder 
geringere  Strecke  der  Hartgummitafel  fortgezogen  wurde.  Als 
Resultat  dieser  Untersuchungen  ergaben  sich  die  folgenden  Sätze: 

„Durch  fortgesetzte  Reibung  wird  desto  weniger  Elektricität 
erregt,  je  größer  die  vorangegangene  Reibung  war." 

„An  zwei  vorläufig  elektrisirten  Flächen  erregt  die  Reibung 
eine  kleinere  Elektricitätsmenge,  als  wenn  die  eine  Fläche  unelek- 
trisch ist.". 

Durch  die  Versuche  von  Riess  wurde  ich  veranlaßt  zu  dem 
Versuche  einer  Theorie  der  Elektricitätserregung  durch  Reibung 2), 
welche  auf  den  folgenden  Grundlagen  beruht.  Es  wird  zunächst 
angenommen,  daß  der  Reiber  die  Gestalt  eines  Rechteckes  besitzt, 
dessen  Breite  äußerst  klein  ist  im  Vergleich  zu  seiner  Länge. 
Wird  ein  solcher  Reiber  parallel  mit  seiner  Breite  über  die  ge- 
riebene Fläche  fortgeführt,  so  wird  die  erregte  Elektricitätsmenge 

1)  Berl.  Monatsber.  1876.   S.  301. 

2)  Gott.  Nachr.   1877.   Nr.  25.    Wied.  Ann.   Bd.  3.   S.  414. 


über  elektrische  Ladung  durch  gleitende  Reibung.  457 

proportional  der  Oberfläche  des  Reibers  und  proportional  der  ge- 
riebenen Fläche  gesetzt:  außerdem  wird  angenommen,  daß  eine 
fortdauernde  Wiedervereinigung  der  geschiedenen  Elektricitäten 
erfolge  nach  demselben  Gesetze ,  welches  für  die  Zerstreuung  der 
Elektricität  in  der  Luft  gilt.  Die  theoretischen  Folgerungen  aus 
diesen  Annahmen  standen  in  Uebereinstimmung  mit  den  Versuchen 
von  Riess  und  ebenso  mit  den  Beobachtungen,  welche  Carl  Sche- 
ring auf  meine  Veranlassung  hin  ausgeführt  hat1). 

Der  Zweck  von  Beobachtungen,  welche  ich  im  Februar  und 
März  1888  angestellt  habe,  war  es ,  das  zur  Zeit  noch  sehr  unzu- 
längliche Beobachtungsmaterial  zu  vermehren;  dabei  wurde  im 
Wesentlichen  die  von  Riess  angegebene  Methode  der  Beobachtung 
beibehalten,  dieselbe  wurde  nur  auf  eine  größere  Zahl  verschieden- 
artiger Körper  in  Anwendung  gebracht ;  zur  Messung  der  erregten 
Elektricitätsmengen  wurde  ein  Goldblattelektroskop  benützt  und 
es  wurden  endlich  die  an  diesem  Elektroskop  beobachteten  Aus- 
schläge auf  absolutes  elektrostatisches  Maaß  reducirt. 

1.     Die  reibenden  Körper. 

Als  reibende  Körper  wurden  benützt:  Platten  von  Bernstein, 
Glas,  Hartgummi,  Holz ,  Nickel ,  Schellack ,  Schwefel  und  Siegel- 
lack. Dieselben  hatten  meist  eine  rechteckige  beziehungsweise 
quadratische  Form;  eine  von  einem  natürlichen  Schwefelkrystall 
abgeschnittene  Platte  hatte  die  Gestalt  eines  Parallelogramms, 
eine  zweite  ebensolche  die  Gestalt  eines  Paralleltrapezes;  zwei 
Holzplatten  waren  kreisförmig  begrenzt.  In  der  Mitte  war  an 
allen  Platten  ein  dünner  Stil  von  Hartgummi  befestigt  von  einer 
Länge  von  beiläufig  15  mm;  oben  trug  dieser  Stil  ein  rechtwink- 
liges Kreuz  von  Hartgummi,  dessen  Arme  eine  Länge  von  30  mm 
besaßen.  Bei  der  Reibung  wurden  die  Platten  mit  den  Spitzen 
von  4  Fingern  in  den  Endpunkten  des  Kreuzes  gefaßt  und  mit 
mäßigem  Drucke  und  geeigneter  Geschwindigkeit  über  eine  zuvor 
abgemessene  Strecke  der  geriebenen  Fläche  hinweggeführt.  Sie 
wurden  sodann  abgehoben  und  mit  dem  einen  Arme  des  Kreuzes 
über  dem  Knopfe  des  Goldblattelektroskopes  aufgehängt,  welches 
zur  Messung  der  Elektricitätsmengen  diente.  Die  Entfernung 
zwischen  den  Platten  und  dem  Knopfe  des  Elektroskops  betrug 
etwa  6  cm. 

2.    Die  geriebenen  Flächen. 

Als  geriebene  Körper  wurden  vorzugsweise  verwandt  Flanell 
und  Seide;    bei  einer  kleineren  Zahl  von  Versuchen  aucli  Katzen- 

1)  Wied.  Ann.    Bd.  3.   S.  465. 


458  Eduard  Riecke, 

pelz.  Flanell  und  Seide  wurden  in  rechteckigen  Stücken  ver- 
wandt, welche  aus  mehreren  Lagen  über  einander  bestanden;  ihre 
Länge  betrug  83  cm,  ihre  Breite  11  cm.  An  ihren  breiten  Seiten 
waren  die  Stücke  auf Hartgummicylindern  befestigt;  diese  wurden 
mit  ihren  vorstehenden  Enden  in  zwei  feste  Lager  eingelegt,  so 
daß  die  geriebenen  Flächen  zwischen  denselben  in  horizontaler 
Richtung  sich  ausdehnten.  Um  eine  ebene  Reibungsfläche  von  ge- 
nügender Festigkeit  herzustellen,  wurde  gegen  die  Flanell-  oder 
Seidenstücke  von  unten  eine  horizontal  gestellte  Glasplatte  ge- 
drückt, so  daß  dieselben  straff  gespannt  waren  und  keine  Faltung 
zeigten.  Wurde  die  Länge  der  geriebenen  Flächen  von  dem  Rei- 
ber mehrmals  durchlaufen,  so  wurde  darauf  geachtet,  daß  dieß 
stets  an  einer  neuen  Stelle  geschah.  Nach  jedem  einzelnen  Versuch 
wurde  die  geriebene  Fläche  durch  Bestreichen  mit  einem  Spitzen- 
kamm, die  Fläche  des  Reibers  mit  Hülfe  einer  Flamme  entladen. 

3.    Das  Elektroskop. 

Das  Elektroskop  war  ein  einfaches  Goldblattelektroskop,  wel- 
ches zum  Schutze  gegen  äußere  Störungen  in  einen  metallenen 
Kasten  eingeschlossen  war.  Dieser  war  an  zwei  einander  gegen- 
überliegenden Stellen  mit  Oeffnungen  versehen,  so  daß  die  Ver- 
bindungslinie derselben  senkrecht  zu  der  Divergenzebene  der  Blät- 
ter stand.  Die  hintere  Oeffnung  diente  zur  Beleuchtung  der  Blät- 
ter ;  die  vordere  trug  eine  Linse,  durch  welche  das  Bild  der  Blätter 
auf  den  Grlasmaaßstab  geworfen  wurde,  an  welchem  ihre  Diver- 
genz beobachtet  wurde. 

Die  Reduktion  der  Ausschläge  des  Elektroskopes  auf  abso- 
lutes elektrostatisches  Maaß  geschah  in  folgender  Weise.  Ueber 
den  Knopf  des  Elektroskops  wurde  die  geladene  Standkugel  einer 
elektrischen  Drehwage  gestellt  und  der  hierdurch  erzeugte  Aus- 
schlag gemessen;  es  wurde  hierauf  die  Standkugel  in  die  Dreh- 
wage gebracht  und  die  Abstoßung  ihres  Balkens  beobachtet.  So- 
dann wurde  die  Standkugel  in  das  Elektroskop  zurückgestellt  und 
von  neuem  der  Ausschlag  gemessen;  diese  alternirenden  Beobach- 
tungen wurden  fortgesetzt,  bis  die  Ausschläge  in  Folge  der  Zer- 
streuung auf  einen  nur  noch  kleinen  Betrag  gesunken  waren.  Die 
elektrische  Ladung  der  beweglichen  Kugel  der  Drehwage  war 
zu  Anfang  der  ganzen  Beobachtungsreihe  in  absolutem  Maaße  be- 
stimmt worden;  ihre  Abnahme  im  Verlauf  der  Beobachtungen 
wurde  berechnet  mit  Hülfe  des  Werthes  ,  welcher  sich  aus  den 
Messungen  selbst  für  den  Zerstreuungskoefficienten  in  der  Dreh- 
wage ergab. 


über  elektrische  Ladung  durch  gleitende  Reibung.  459 

Wir  stellen  zunächst  die  Ladungen  ex  der  Standkugel  (mm, 
mg,  sec)  zusammen  mit  den  entsprechenden  Ausschlägen  A  des 
Elektroskopes  und  dem  Verhältniß  eJA. 

et  8770        5378        5203        4830        4200        2055 

A  28.3         16.7         18.4         15.4         13.9  6.7 

eJA         303  322  283  314  303  307. 

Im  Mittel  ist  eJA  =  304. 

Bezeichnen  wir  durch  qn  die  Capacität  der  Standkugel  der 
Drehwage,  wenn  sie  dem  Knopfe  des  Elektroskops  gegenüberge- 
stellt ist,  durch  q12  die  Capacität  dieses  letzteren,  so  ergiebt  sich 
für  die  Ladung  der  Groldblätter  der  Werth 

Qu 

Die  Capacitäten  ergeben  sich  mit  Hülfe  der  Formeln ,  welche  ich 
in  einer  früheren  Abhandlung1)  entwickelt  habe,  aus  den  Durch- 
messern und  dem  Centralab stand  der  beiden  Kugeln.  Nun  war 
der  Halbmesser  der  Standkugel  a  =  6,07  mm,  der  Halbmesser 
der  Kugel  des  Elektroskopes  b  =  5,80  mm;  der  Centralab  stand 
c  =  18,62  mm.     Hiernach  ergiebt  sich: 

qn  =  6,867,        q12  =  -2,163 

und  somit  die  elektrische  Ladung  der  Goldblätter  in  mm,  mg,  sec 

e3  =  96^1. 

Dieses  Resultat  stimmt  nahe  überein  mit  dem  in  der  ange- 
führten früheren  Arbeit  gefundenen,  obwohl  die  Verhältnisse  des 
Versuches  wesentlich  andere  sind.  Der  früher  gefundene  Werth 
ist  e3  =  97  A  (mm,  mg,  sec). 

Es  mögen  endlich  noch  die  Formeln  angeführt  werden,  mit 
Hülfe  deren  die  auf  den  Reiberflächen  erzeugten  elektrischen  Dich- 
tigkeiten aus  den  Ausschlägen  des  Elektroskops  berechnet  wurden. 

Vorausgesetzt  ist,  daß  die  Fläche  der  Platten  senkrecht  stehe 
gegen  die  Linie,  welche  den  Mittelpunkt  der  Elektroskopkugel  mit 
dem  Mittelpunkt  der  Platten  verbindet.  Bezeichnen  wir  den  Ab- 
stand einer  Platte  von  dem  Mittelpunkt  der  Kugel  durch  d,  den 
Halbmesser  der  Kugel  durch  a,  die  elektrische  Dichtigkeit  an  der 
Oberfläche  der  Platte  durch  e ,  so  wird  die  Menge  der  in  der  Ku- 
gel inducirten  ungleichnamigen,  der  in  den  Groldblättern  sich  sam- 
melnden gleichnamigen  Influenzelektricität  gegeben  durch 


1)  Gütt.  Nachr.  1885.  S.  4J6.    Wied.  Ann.  Bd.  28.  S.  55. 


460  Eduard  Riecke, 

+  Z/2  +  &/2 


"iL 


ä%äri 


6/2 

|  und  r\  sind  die  rechtwinkligen  Coordinaten  mit  Bezug  auf 
zwei  in  der  Ebene  der  Platte  durch  ihren  Mittelpunkt  hindurch- 
gelegte Axen,  l  ist  die  Länge,  b  die  Breite  der  Platte.  Die  In- 
tegration nach  17  giebt: 

e3  =  q8+LilogV/g±gg±g  +  ^. 
Woraus  durch  partielle  Integration: 


V5P| 


a  ?  £  los:  —  — a&  «  / 

4/^2 ,  r+*>2    *«         J7,0(^2+S2)^2 


t  ^H--1-^ 6/2  -Z/2 

und 


V/*+££  +  »/2                  V^  +  ^  +  V* 
e,  =  a^log — h  a&  flog —  = 

—  4: aas  arc  sin 


4:\/d2  +  V/4:\Jd2  +  l2/4: 

Sind  die  Dimensionen   der  Platte    klein   gegen    die  Entfernung  d, 
so  kann  man  setzen: 


Führt  man  an  Stelle  der  elektrischen  Ladung  der  Groldblätter  ihre 
Divergenz  A  ein,  so  ergiebt  sich  zur  Berechnung  der  elektrischen 
Dichtigkeit  e  die  Formel 


•»tt-m-** 


Ist  die  Platte  durch  einen  Kreis  vom  Halbmesser  r  begrenzt,    so 
lautet  dieselbe: 


«"■SCH?)-*" 


über  elektrische  Ladung  durch  gleitende  Reibung. 


461 


4.    Versuche  mit  Hartgummischeiben. 

Es  war  nothwendig,  zunächst  mit  Benützung  eines  und  des- 
selben Stoffes  eine  etwas  größere  Zahl  von  Versuchen  auszuführen, 
um  ein  Urtheil  über  den  gesetzmäßigen  Verlauf  derselben  und  die 
Constanz  der  Resultate  zu  erhalten.  Es  wurden  zu  diesem  Zwecke 
drei  Platten  von  Hartgummi  benützt,  welche  aus  einer  Tafel  von 
6,5  mm  Dicke  herausgeschnitten  waren.  Die  Ergebnisse  der  Ver- 
suche sind  in  den  folgenden  Tabellen  zusammengestellt.  Die 
Länge  der  Platten  ist  mit  l ,  ihre  Breite  mit  b  bezeichnet ;  T  ist 
die  Temperatur ,  q  die  relative  Feuchtigkeit ,  A  der  beobachtete 
Ausschlag  des  Elektroskops ,  5  die  von  der  Platte  durchlaufene 
Strecke  in  cm.  Bei  zwei  Scheiben  wurden  je  drei,  bei  der  dritten 
vier  korrespondirende  Versuchsreihen  ausgeführt.  Die  geriebene 
Fläche  bestand  aus  Flanell. 

I.  Scheibe.     I  =  29,2  (mm)     b  =  10,4  (mm) 
A„  =  15,5  a  =  25,2  (cm). 


T 

19.9 

19.1 

19.5 

Q 

52 

51 

47 

A 

A 

s  (cm) 

A 

Mittel 

berechn. 

25 

8.4 

10.3 

10.0 

9.6 

9.8 

50 

13.8 

12.7 

14.2 

13.6 

13.3 

75 

15.4 

14.2 

14.7 

14.8 

14.7 

150 

15.5 

14.3 

14.8 

14.9 

15.5 

300 

15.5 

14.7 

15.4 

15.2 

15.5 

Die  berechneten  Werthe  sind  erhalten  mittelst  der  Formel 


=  ^„d-e  «)■ 


Führt  man  die  Platte  über  eine  Strecke  von  a  =  25,2  cm  der 
geriebenen  Flanelloberfläche  hinweg,  so  erhält  man  hiernach  63% 
der  schließlich  erreichten  elektrischen  Ladung.  In  derselben  Weise 
sind  auch  die  Beobachtungen  der  folgenden  Tabellen  berechnet. 


462 


Eduard  Riecke, 

II.  Scheibe.     I  =  29.9  (mm)     b  =  19.9  (mm) 
A„  =  22.7  a  =  29.9  (cm). 


T 

17.2 

17.5 

18.8 

Q 

51 

53 

50 

A 

A 

s  (cm) 

A 

Mittel 

berechn. 

25 

11.2 

13.4 

12.8 

12.5 

12.8 

50 

17.4 

19.5 

19.1 

18.7 

18.4 

75 

20.4 

21.7 

21.0 

21.0 

20.9 

150 

21.1 

22.2 

22.3 

21.9 

22.6 

300 

22.8 

22.3 

22.5 

22.7 

III.  Scheibe.    I  =  b  ==  30.1  (mm) 

An  =  27.7    a  ==  42.7  (cm) 


T 

19.0 

19.2 

17.9 

17.3 

Q 

50 

53 

51 

48 

A 

A 

s  (cm) 

1 

L 

Mittel 

berechn. 

25 

6.5 

12.1 

15.4 

14.6 

12.1 

12.3 

50 

14.8 

19.6 

20.3 

22.6 

19.3 

19.1 

75 

20.7 

26.3 

24.2 

25.7 

24.2 

23.0 

150 

25.6 

27.2 

27.6 

27.2 

26.9 

26.8 

300 

27.8 

28.8 

27.8 

27.2 

27.7 

27.7 

Mit  Bezug  auf  die  Art  und  Weise  in  welcher  die  vorhergehenden 
Beobachtungsreihen  gewonnen  wurden,  möge  noch  Folgendes  be- 
merkt werden. 

Aus  einer  Reihe  von  vorläufigen  Versuchen  ergab  sich,  daß 
die  elektrische  Erregbarkeit  der  Platten  durch  den  Proceß  der 
Reibung  selbst  vermehrt  wurde.  Von  einem  Versuche  zum  ande- 
ren wurden  dieselben  in  einem  mit  koncentrirter  Schwefelsäure 
getrockneten  Recipienten  aufbewahrt.  Wurde  nun  eine  Platte  aus 
diesem  Räume  herausgenommen  und  über  eine  bestimmte  Strecke 
des  in  derselben  Weise  aufbewahrten  Flanellstückes  weggeführt, 
so  ergab  sich  zunächst  eine  ziemlich  schwache  elektrische  Ladung. 
Diese  steigerte  sich  aber  bei  jeder  Wiederholung  der  Operation 
bis  zu  einem  schließlichen  konstant  bleibenden  Betrage. 

Es  möge  dieß  an  einem  Beispiele  erläutert  werden.  Der  Ver- 
such wurde  ausgeführt  mit  der  quadratischen  Hartgummischeibe; 
die  geriebene  Flanellstrecke  hatte  eine  Länge  von  75  cm.  Die  bei 
Wiederholung  der  Reibung  der  Reihe  nach  beobachteten  Ausschläge 
des  Elektroskopes  waren  folgende: 


über  elektrische  Ladung  durch  gleitende  Reibung.  463 

10.6  14.5  15.3  18.0  18.4  18.6 
19.4  21.6  21.8  22.1  22.8  23.9 
23.6        23.9        22.0        23.3        22.5        23.0. 

Um  nun  die  Beobachtungen  von  dem  Einfluß  dieser  Veränderung 
zu  befreien ,  wurde  jede  Beobachtungsreihe  damit  begonnen ,  daß 
die  zu  untersuchende  Platte  wiederholt  über  eine  Strecke  von 
75  cm  gerieben  wurde,  bis  schließlich  keine  Vermehrung  der  elek- 
trischen Ladung  mehr  zu  beobachten  war.  Erst  nachdem  auf  diese 
Weise  eine  konstante  Oberflächenbeschaffenheit  der  Platte  herge- 
stellt war ,  wurde  mit  der  eigentlichen  Versuchsreihe  begonnen, 
bei  welcher  in  der  Regel  von  kleinen  Reibungsstrecken  zu  größe- 
ren fortgeschritten  wurde.  In  dieser  Weise  schloß  sich  an  die 
Versuche,  deren  Ergebniß  in  den  obigen  Zahlen  enthalten  ist,  die 
folgende  Beobachtungsreihe  an. 

Reibungsstrecke  s  =  25  cm. 

Ausschläge  des  Elektroskops  bei  den  einzelnen  auf  einander- 
folgenden  Versuchen : 


A  =  13.0 

12.5 

14.5 

13.0 

14.2 

15.7 

13.9 

13.6 

15.3 

13.7 

14.7 

16.7 

15.0 

15.5 

15.0 

17.2 

17.4 

16.8 

Mittel  A  =  15.4. 

Reibungsstrecke  s  = 

50  cm. 

Ausschläge:  A  =  18.8 

19.0 

20.9 

21.2 

19.7 

20.8 

20.1 

21.6 

20.3 

20.3 

20.6 

20.3 

Mittel  A  =  20.3. 

Reibungsstrecke  s  = 

75  cm. 

Ausschläge:  A  =  25.7 

23.2 

26.0 

24.5 

25.0 

24.7 

24.4 

23.1 

24.0 

24.0 

24.4 

24.4 

Mittel  A  =  24.4. 

Reibungsstrecke  s  = 

150  cm. 

Ausschläge:  A  =  27.9 

24.0 

26.0 

29.0 

26.0 

28.0 

27.0 

29.9 

26.3 

29.3 

27.5 

27.6 

Mittel  27.6. 

Reibungsstrecke  s  = 

300  cm. 

Ausschläge:  A  =  26.3 

27.6 

29.3 

28.0 

28.1 

27.0 

26.7 

29.3 

27.7 

28.7 

27.8 

27.5 

Mittel  27.8. 

Man  sieht  daß  bei  dieser  Beobachtungsreihe  auch  durch  die 
vorausgegangene  wiederholte  Reibung  keine  vollkommen  konstante 
Beschaffenheit  der  Oberfläche  erreicht  war;  es  findet  bei  den  bei- 
den kleinsten  Reibungsstrecken  noch  ein  deutliches  Ansteigen  der 
Ladung  bei  wiederholter  Reibung  statt,   und  der  bei  der  Strecke 


464 


Eduard  Riecke, 


s  =  75  cm  erreichte  Betrag  der  Ladung  ist  größer  als  bei  den 
Vorversuchen.  Uebrigens  muß  hervorgehoben  werden,  daß  mit 
Bezug  hierauf  die  Beobachtungsreihen  im  Granzen  günstigere  Ver- 
hältnisse darbieten  als  die  hier  mitgetheilte. 

5.  Zusammenstellung  der  Dimensionen  der  bei 
den  Versuchen  benützten  Platten. 
Die  Länge  derselben  ist  ebenso  wie  früher  mit  7,  die  Breite 
mit  b}  die  Dicke  mit  h  bezeichnet;  d  ist  der  Abstand,  in  welchem 
die  geriebene  Fläche  der  in  das  Elektroskop  gehängten  Platten 
von  dem  Mittelpunkte  der  Kugel  sich  befand;  die  Angaben  be- 
ziehen sich  auf  das  mm  als  Längeneinheit. 


i 

b 

h 

d 

I 

27.9 

27.9 

4.8 

72.3 

Bernstein 

II 
III 

25.4 
25.2 

20.1 
23.2 

2.4 
1.9 

73.9 
75.1 

IV 

27.5 

19.4 

3.3 

73.7 

I 

29.1 

29.1 

2.1 

73.8 

Glas 

II 

29.8 

14.7 

2.1 

73.7 

III 

29.6 

29.6 

1.0 

74.8 

IV 

29.7 

14.8 

1.0 

75.2 

I 

30.1 

30.1 

6.5 

69.8 

II 

29.9 

19.9 

6.5 

69.8 

Hartgummi 

III 

29.2 

10.4 

6.5 

69.9 

IV 

29.7 

29.7 

2.0 

74.8 

V 

30.1 

20.2 

2.0 

74.7 

VI 

29.8 

10.1 

2.0 

74.8 

Holz 

I 

r  = 

15.6 

6.0 

70.0 

II 

r  = 

15.1 

6.0 

70.0 

Nickel 

I 

20.4 

20.4 

2.8 

73.8 

II 

20.4 

20.4 

2.8 

73.7 

Schellack 

I 

28.6 

28.6 

6.0 

71.3 

II 

29.7 

14.4 

6.0 

70.9 

I 

30.6 

30.6 

6.2 

70.7 

Schwefel 

II 

30.3 

15.0 

6.2 

69.9 

rri 

22.9 

14.8 

5.0 

68.8 

IV 

24.6 

12.8 

5.4 

69.5 

Siegellack 

i 
ii 

29.4 
29.4 

29.4 
14.8 

6.0 
6.0 

70.9 
71.7 

Von  den  beiden  Holzplatten  war  die  erste  aus  Buchsbaumholz,  die 
zweite  aus  einem  schwarzen,  harten  Holze  kreisförmig  ausgedreht. 
Von  den  Schwefelplatten  bestanden  die  beiden  ersten  aus  käufli- 
chem Stangenschwefel,  die  dritte  und  vierte  waren  aus  einem  na- 
türlichen Schwefelkrystall  geschnitten,  und  zwar  die  dritte  in  der 
Form  eines  Paralleltrapezes  parallel  einer  Oktaederfläche,  die  vierte 


über  elektrische  Ladung  durch  gleitende  Reibung. 


465 


in  der  Form  eines  Parallelogramms  parallel  der  Geradendfläche ;  bei 
der  dritten  bedeutet  l  die  halbe  Summe  der  parallelen  Seiten,  bei 
der  vierten  b  die  Höhe  des  Parallelogramms. 

Von  den  Glasplatten  stammten  die  beiden  ersten  von  einer 
Scheibe  farblosen,  die  dritte  und  vierte  von  einer  Scheibe  grünen 
Glases.  Die  beiden  ersten  Bernsteinplatten  waren  durchsichtig, 
gelb,  die  dritte  und  vierte  milchig  getrübt. 

6.     Die  beobachteten  Maxima    der    elektrischen 
Ladung  und  die  Flächen  dichtigk  eiten  der  Reibungs- 

electricität. 
Im  Folgenden  sind  für  die  einzelnen  Platten  die  Ausschläge, 
A  oo,  zusammengestellt,  welche  sich  bei  fortgesetzter  Vergrößerung 
der  beim  Reiben  durchlaufenen  Strecke  schließlich  ergaben;  es 
sind  außerdem  die  elektrischen  Dichtigkeiten  in  cm.  g.  s.  angegeben, 
welche  mit  Hülfe  der  früher  angeführten  Formel  aus  den  betref- 
fenden Werthen  von  A<*>  folgen. 


Bernstein 
Glas 

Hartgummi 

Holz 

Nickel 

Schellack 

Schwefel 

Siegellack 


I 

24.5 

3.89 

i 

22.3 

II 

18.7 

4.56 

11.9 

2.90 

18.0 

III 

17.0 

3.69 

IV 

17.1 

4.00 

16.8 

I 

15.4 

II 

11.3 

3.21 

11.8 

III 

12.0 

1.76 

10.4 

IV 

9.8 

2.84 

10.9 

I 

27.7 

3.88 

23.6 

II 

22.7 

4.54 

12.7 

2.54 

20.9 

in 

15.5 

6.00 

13.8 

IV 

22.9 

3.34 

20.6 

V 

17.0 

3.55 

11.0 

2.30 

17.1 

VI 

12.5 

5.21 

11.1 

i 

22.4 

3.43 

13.2 

ii 

6.8 

1.11 

i 

10.8 

3.45 

11.0 

ii 

10.9 

i 

23.0 

3.47 

22.0 

ii 

21.6 

6.07 

11.6 

3.26 

19.8 

i 

27.2 

3.54 

25.9 

H 

21.6 

5.64 

14.0 

3.65 

21.3 

III 

11.7 

IV 

12.5 

I 

25.8 

3.66 

25.0 

II 

22.0 

6.11  I 

13.3 

3.70 

20.8 

3.55 
4.39 

3.93 
2.31 
3.35 
1.53 
3.16 
3.30 
4.18 
5.34 
3.01 
3.57 
4.63 
2.02 

3.52 
3.49 
3.32 
5.56 
3.37 
5.56 
3.99 
4.55 
3.55 
5.78 


466 


Eduard  Riecke, 


Aus  dieser  Zusammenstellung  ergiebt  sich  zunächst 
unzweideutig  die  Thatsache,  daß  die  durch  die 
Reibung  erzeugte  maximale  elektrische  Dichtigkeit 
um  so  kleiner  ist,  je  größer  die  Fläche  des  Reibers. 
Man  kann  zunächst  vermuthen,  daß  der  Unterschied  zwischen  den 
beobachteten  Dichtigkeiten  nicht  sowohl  durch  die  Verschieden- 
heit der  Größe,  als  durch  die  der  Form  bedingt  ist;  daß  aber  die 
Form  für  die  schließlich  erreichten  elektrischen  Dichtigkeiten  we- 
nigstens nur  von  untergeordneter  Bedeutung  ist ,  ergiebt  sich  aus 
Versuchen,  bei  welchen  Platten  von  länglicher  Form  das  eine  mal 
der  Breite,  das  andere  mal  der  Länge  nach  fortgeführt  wurden; 
die  hierbei  beobachteten  Ausschläge  A  sind  im  Folgenden  zusam- 
mengestellt. 


Der  Breite  nach 


Der  Länge  nach 


Hartgummi 
Schwefel 


II 

225 

III 

75 

in 

150 

VI 

150 

IV 

75 

20.0 
13.2 
13.2 
10.6 
12.5 


20.4 
13.8 
12.3 
11.1 
11.0 


Um  eine  Vergleichung  der  bei  den  verschiedenen  Körpern  auf- 
tretenden elektrischen  Dichtigkeiten  zu  erhalten,  kann  man  die 
beobachteten  Werthe  von  s^  auf  gleichen  Inhalt  der  Reiberflächen 
reduciren.  Es  empfiehlt  sich  zu  diesem  Zwecke  eine  Fläche  von 
5  cma  und  mit  Bezug  auf  diese  ergaben  sich  dann  die  folgenden 
Werthe. 

Maximale   elektris  che  Dichtigkeit  bei   einer  Rei- 
berfläche  von  5  cm2  Inhalt. 


Reibung  an  Wolle 

foo 

Reibung  an  Seide 

foo 

Siegellack 

5.70 

Siegellack 

5.40 

Schellack 

5.57 

Schwefel 

5.39 

Schwefel 

5.48 

Schellack 

5.12 

Hartgummi  I — III 

4.82 

Hartgummi  I — III 

4.43 

Bernstein  I  u.  II 

4.60 

Bernstein  I  u.  II 

4.40 

Bernstein  III  u.  IV 

4.18 

Bernstein  III  u.  IV 

4.11 

Hartgummi  IV — VI 

3.90 

Hartgummi  IV — VI 

3.80 

Glas  I  u.  II 

3.18 

Glas  in  u.  IV 

2.65 

Glas  in  u.  IV 

2.90 

Bei  den  Holzplatten,  den  Nickelplatten  und  den  aus  einem  Schwe- 
felkrystall  geschnittenen  Platten  ist  eine  Reduktion  auf  einen  Flä- 


über  elektrische  Ladung  durch  gleitende  Reibung.  467 

cheninhalt  von  5  cm2  nicht  ausführbar.  Bei  einem  Flächeninhalt 
von  7.6  cm2  würden  die  Hartgummiplatten  III — VI  eine  elektrische 
Dichtigkeit  e«>  =  3.42  liefern ;  es  würde  also  die  erste  Holzplatte 
eine  elektrische  Erregung  zeigen  von  derselben  Stärke  wie  die 
zweite  Reihe  der  Hartgummiplatten.  Die  bei  der  Reibung  der 
Nickelplatten  an  Seide  erregte  elektrische  Dichtigkeit  stimmt  ebenso 
überein  mit  der  durch  die  Reibung  einer  gleich  großen  Fläche  der 
ersten  Glassorte  erzeugten.  Die  Erregbarkeit  der  nach  der  Gerad- 
endfläche des  Crystalls  geschnittenen  Schwefelplatte  erweist  sich 
als  nahezu  gleich  der  Erregbarkeit  der  zweiten  Hartgummisorte; 
die  Erregbarkeit  der  der  Oktaederfläche  parallelen  Platte  ist  ge- 
ringer. Eine  sehr  schwache  Erregbarkeit  zeigt  endlich  die  Holz- 
platte II. 

Aus  der  Betrachtung  der  im  Vorhergehenden  gegebenen  Zu- 
sammenstellung ergiebt  sich  Folgendes. 

Alle  Körper,  welche  mit  Wolle  und  Seide  gerieben 
negativ  elektrisch  werden,  geben  mit  Wolle  größere 
elektrische  Dichtigkeiten  als  mit  Seide. 

Glas,  welches  bei  der  Reibung  an  Wolle  und  Seide 
positiv  elektrisch  wurde,  giebt  mit  Seide  eine  größere 
elektrische  Dichtigkeit  als  mit  Wolle. 

Ordnet  man  die  als  Reiber  benützten  Stoffe  nach 
der  bei  gleicher  reibender  Fläche  erreichten  elek- 
trischen Dichtigkeit,  so  ist,  mit  einer  einzigen  kleinen 
Ausnahme,  die  Reihenfolge  dieselbe  bei  Wolle,  wie  bei 
Seide. 

Besteht  für  die  Spannungen,  welche  durch  Reibung  verschieden- 
artiger Stoffe  an  ihrer  Oberfläche  erzeugt  werden,  ein  dem  Volta- 
schen Spannungsgesetze  analoges  Gesetz,  so  würde  die  Differenz 
der  Dichtigkeiten ,  welche  bei  \  der  Reibung  eines  und  desselben 
Körpers  an  Wolle  und  Seide  auftreten,  der  Dichtigkeit  entsprechen, 
welche  durch  Reibung  von  Seide  an  Wolle  erzeugt  wird. 

Den  in  der  vorhergehenden  Tabelle  enthaltenen  Zahlen  zufolge 
schwankt  jene  Differenz  zwischen  0.09  und  0.45 ;  im  Mittel  ist  sie 
gleich  0.23.  Hiernach  lassen  sich  die  Resultate,  unse- 
rer Messungen  in  der  einen  Spannungsreihe  ver- 
einigen: 
Glas  I— H      Glas  III— IV      Wolle      Seide      Holz  II      Nickel 

2.95  2.65  0  0.23 

Hartgummi  IV — VI        Bernstein  III,  IV        Bernstein  I,  II 
Holz  I 

3,90  4.18  4.60 


468 


Eduard  Riecke, 


Hartgummi  I — III 

4.82 


Schwefel 
5.48 


Schellack 
5.57 


Siegellack 
5.70. 


Die  unter  den  Stoffen  stehenden  Zahlen  geben  die  elektrischen 
Dichtigkeiten  in  cm,  g,  sec,  welche  bei  der  Reibung  von  5  cm2 
großen  Flächen  an  Wolle  erzeugt  wurden. 

7.    Ueber    die  Zunahme    der   electrischen   Ladung 
mit  wachsender  Reibungsstrecke. 
Wir    haben   im   vierten  Abschnitte   die   mit    den   Hartgummi- 
platten bei   der  Reibung  an  Wolle   erhaltenen  Beobachtungen  mit 
Hülfe  der  Exponentialformel 

0 

Ä  =  Aoo(l-e~"") 

dargestellt.  Die  Zahl  a ,  welche  den  Nenner  des  Exponenten  bil- 
det, giebt  die  Strecke  an ,  über  welche  der  Reiber  hinweggeführt 
werden  muß,  damit  die  erreichte  Ladung  63  %  der  schließlichen 
Ladung  beträgt.  In  diesem  Sinne  würde  die  Angabe  der  Zahl  a 
auch  dann  zur  Charakterisirung  der  Versuchsergebnisse  dienen, 
wenn  das  obige  Gesetz  nur  näherungsweise  gültig  sein  würde. 
Nur  bei  einem  Theile  der  Beobachtungen  lag  eine  solche  Zahl  zu- 
sammengehörender Werthe  von  A  und  s  vor,  daß  eine  Berechnung 
der  Wege  a  versucht  werden  konnte.  Für  diese  sind  im  Folgen- 
den die  maximalen  elektrischen  Dichtigkeiten  mit  den  entsprechen- 
den Werthen  von  cc  zusammengestellt;  die  letzteren  sind  in  cm 
angegeben. 


WoUe 

Seide 

«oo                « 

«oo          « 

Bernstein 

I 

m 

3.69 

41 

3.55 

39 

i 

2.31 

260 

Glas 

n 

3.21 

350 

3.35 

160 

in 

1.76 

400 

i 

3.88 

43 

3.30 

22 

n 

4.54 

30 

4.18 

55 

Hartgummi 

ni 

IV 

6.00 
3.34 

25 
37 

5.34 
3.01 

15 
25 

V 

3.55 

33 

3.57 

37 

VI 

5.21 

28 

4.63 

16 

Holz 

i 

3.43 

52 

Nickel 

i 

3.45 

32 

über  elektrische  Ladung  durch  gleitende  Reibung. 


469 


Wolle 

Seide 

«oo                 CC 

«00                       « 

Schellack 

I 

n 

3.47 
6.07 

46 
63 

3.32 

35 

Schwefel 

i 
h 

3.54 
5.64 

83 
37 

Siegellack 

i 

3.55  j 

39 

Nimmt  man  von  den  in  dieser  Tabelle  enthaltenen  Werthen  die 
Mittel,  so  ergiebt  sich  die  folgende  Zusammenstellung,  welche  eine 
Vergleichung  der  den  einzelnen  Stoffen  entsprechenden  Wege  we- 
nigstens der  Größen-Ordnung  nach  gestattet. 

Bernstein  Glas'  Hartgummi  I — HE      Hartgummi  IV — VI 

«(cm)     40  290  32                                   29 

Holz  Nickel  Schellack          Schwefel          Siegellack 

«(cm)    52  32  51                  60                       39. 

Hiernach  ist  die  Größenordnung  von  a  bei  der  Mehrzahl  der 
Stoffe  dieselbe;  nur  das  Glas  zeichnet  sich  aus  durch  den  großen 
Betrag,  welchen  «  insbesondere  bei  der  Reibung  an  Wolle  er- 
reicht. Dem  entspricht  der  Umstand,  daß  bei  den  Glasplatten  die 
Reibung  in  der  Regel  bis  zu  einer  Strecke  von  12  m  ausgedehnt 
wurde,  um  den  Maximalbetrag  der  Ladung  zu  erhalten,  während 
bei  den  übrigen  Platten  eine  Strecke  von  3  m  im  Allgemeinen  ge- 
nügend war. 

Den  von  mir  früher  auf  theoretischem  Wege  abgeleiteten  For- 
meln nach  müßte  zwischen  den  Größen  s^  und  a  ein  gewisser  Zu- 
sammenhang bestehen.  Bezeichnet  man  nemlich  durch  u  die  Ge- 
schwindigkeit, mit  welcher  der  Reiber  gegen  die  geriebene  Fläche 
bewegt  wird  ,  durch  q  den  Coefficienten  der  Zerstreuung  bei  der 
Berührung  zwischen  Reiber  und  Reibzeug,  durch  x  einen  Coeffi- 
cienten ,  welcher  der  elektrischen  Spannung  zwischen  den  beiden 
sich  berührenden  Flächen  proportional  ist,  so  würden  die  Bezie- 
hungen stattfinden 

e^  =  xu/q    und     a  =  ujq 

und  es  müßte  hiernach  £oo/«  eine  für  die  Reibung  zweier  Stoffe 
charakteristische  Constante  sein.  Man  überzeugt  sich  leicht,  daß 
diese  Beziehung  durch  die  in  der  vorhergehenden  Tabelle  zusam- 
mengestellten Zahlen  nicht  bestätigt  wird.  Es  mag  dieß  seine  Er- 
klärung zunächst  darin  linden,  daß  die  Voraussetzungen  der  Theorie 

Nachrichten  von  der  K.  G.  d.  W.  m  Göttingen    1890.   No.  14.  39 


470     Eduard  Riecke,  über  elektrische  Ladung  durch  gleitende  Reibung. 

bei  den  Versuchen  nicht  erfüllt  sind.  Diese  letztere  beruht  auf 
der  Annahme  einer  konstanten  Geschwindigkeit  u.  Bei  den  Ver- 
suchen war  die  Geschwindigkeit  am  Anfang  und  Ende  der  Strecke 
von  75  cm,  welche  jeweilig  in  einem  Zuge  durchlaufen  werden 
konnte,  jedenfalls  geringer  als  in  der  Mitte  derselben.  Die  Theo- 
rie betrachtet  ferner  die  an  einander  geriebenen  Flächen  als  voll- 
kommen isolirend ;  sie  sieht  ab  von  den  Elektricitätsmengen,  welche 
an  die  Luft  und  an  die  nicht  berührten  Stellen  der  geriebenen 
Oberflächen  abgegeben  werden;  sie  nimmt  endlich  keine  Rücksicht 
auf  die  Aenderung  der  Ladungen,  welche  durch  dielektrische  Po- 
larisation der  Platten  bedingt  ist.  Außerdem  muß  aber  hervorge- 
hoben werden,  daß  die  Werthe  von  cc,  wie  sie  aus  den  Beobach- 
tungen abgeleitet  wurden ,  mit  einer  ziemlichen  Unsicherheit  be- 
haftet sind.  Die  für  Hartgummi  mitgetheilten  Tabellen  zeigen, 
daß  in  den  einzelnen  Beobachtungsreihen  zwar  die  schließlich  er- 
reichten Ladungen  nahezu  dieselben  sind ,  daß  aber  in  der  Art 
des  Ansteigens  der  Ladung  große  Verschiedenheiten  obwalten. 
Ferner  ist  die  Zahl  der  zu  der  Berechnung  von  a  verwendba- 
ren Werthpaare  A,  s  eine  sehr  kleine,  in  den  meisten  Fällen  höch- 
stens gleich  3,  bei  Glas  gleich  4 — 6.  Durch  diese  Umstände  wird 
es  bedingt,  daß  die  mitgetheilten  Werthe  von  a  im  Allgemeinen 
nur  bis  auf  10  Einheiten,  bei  Glas  bis  auf  50  Einheiten  als  rich- 
tig zu  betrachten  sind.  Die  genauere  Bestimmung  des  Zerstreu- 
ungskoefficienten  erscheint  als  eine  Aufgabe  von  großem  Interesse. 
Man  kann  nemlich  vermuthen,  daß  eine  Spannungsreihe  existirt  für 
die  Constanten  %\  mit  dieser  Reihe  würden  die  aus  der  Beobach- 
tung der  maximalen  Ladung  sich  ergebenden  nur  dann  überein- 
stimmen ,  wenn  die  Zerstreuung  für  alle  an  einander  geriebenen 
Stoffe  die  gleiche  wäre;  Abweichungen  verschiedener  Reihen  kön- 
nen durch  die  Verschiedenheit  der  Zerstreuung  bedingt  sein.  Durch 
die  vorhergehenden  Untersuchungen  ist  mit  Sicherheit  nachgewie- 
sen, daß  der  Weg  a  für  Glas  wesentlich  größer,  die  Zerstreuung 
also  wesentlich  kleiner  ist  als  bei  den  anderen  Stoffen.  Würde 
man  also  den  Uebergang  machen  von  den  maximalen  Dichtigkeiten 
£oo  zu  den  Constanten  x,  so  würde  zwar  die  aufgestellte  Reihe  die- 
selbe bleiben,  aber  es  würde  das  Glas  der  Wolle  erheblich  näher 
rücken. 


P.  D  r  u  d  e  u.  W.  N  e  r  n  s  t,  Einfluß  d.  Temperatur  u.  des  Aggregatzustandes  etc.  471 


Einfluß  der  Temperatur  und  des  Aggregatzustan- 
des auf  das  Verhalten   des  Wismuths  im  Magnet- 
felde. 

(Mit  3  Fig.). 
Von 

P.  Drude  und  W.  Nernst. 

In  den  letzten  Jahren  sind  eine  Anzahl  eigentümlicher  Er- 
scheinungen aufgefunden  worden,  welche  in  aus  metallisch  leiten- 
dem Materiale  gefertigten  Platten  auftreten,  wenn  dieselben  sich 
senkrecht  zu  den  Kraftlinien  eines  magnetischen  Feldes  befinden 
und  entweder  von  einem  galvanischen  oder  von  einem  Wärme- 
strome durchflössen  werden.  Es  sind  dies  die  von  Hall  entdeckte 
Drehung  der  Aequipotentiallinien  eines  galvanischen  Stromes,  die 
von  Eighi  zuerst  beobachtete  Widerstandszunahme  (Hall' scher 
LongitudinalefFekt) ;  ferner  die  thermomagnetischen  Transversal- 
und  Longitudinaleffekte,  welche  in  von  einem  Wärmestrome  durch- 
flossenen  Platten  auftreten  (von  Ettingshausen  und  Nernst), 
sowie  die  Umkehrungen  derselben,  nämlich  der  galvanomagnetische 
Transversaleffekt  (von  Ettingshausen)  und  der  galvanomagne- 
tische LongitudinalefFekt  (Nernst),  welche  wiederum  in  von  einem 
galvanischen  Strome  flurchflossenen  Platten  beobachtet  werden. 

Das  Interesse,  welches  den  soeben  aufgeführten  Phänomenen  an 
sich  dargebracht  werden  muß,  weil  sie  einer  neuen  Wechselwirkung 
zwischen  den  magnetischen  und  elektrischen  Kräften  sowie  der 
strömenden  Wärme  ihre  Entstehung  verdanken,  wird  noch  er- 
höht dadurch,  daß  sie  allen  Anzeichen  nach  einst  eine  gewisse  Be- 
deutung erlangen  werden,  wenn  es  sich  um  die  Lösung  der  Frage 
nach  der  Natur  der  galvanischen  Stromleitung  in  den  Metallen 
handelt.  So  haben  wir  es  denn  unternommen,  zu  dem  experimen- 
tellen Studium  dieser  Phänomene  einen  Beitrag  nach  einer  Seite 
hin  zu  bringen,  welche  bisher  nur  ganz  vereinzelt  gestreift  wurde, 
nämlich  zu  der  Frage,  wie  dieselben ,  speciell  beim  Wismuth,  von 
der  Temperatur  und  dein  Aggregatzustande  beeinflußt  werden, 
und  zwar  wählten  wir  unter  ihnen  die  beiden  zuerst  aufgezählten, 
weil  der  Untersuchung  der  übrigen  in  ihrer  Abhängigkeit  von  der 
Temperatur   nicht  unbedeutende  Schwierigkeiten  im  Wege  stehen. 

Der  Elektromagnet,  dessen  wir  uns  bei  unsern  Versuchen  be- 
dienten ,    besitzt   aufrechtstehende  Schenkel ,    auf  denen  zwei  Pol- 

39* 


472  ?•  Drude  und  W.  Nernst, 

schuhe  horizontal  verschoben  werden  können;  dieselbe  ist  nach 
den  Angaben  von  Herrn  Prof.  Riecke  gebaut  und  hat  einige 
Aehnlichkeit  mit  dem  großen  Elektromagneten  der  Berliner  Aka- 
demie J).  Der  magnetisierende  Strom  wurde  von  einer  Dynamo- 
maschine geliefert  und  schwankte  bei  unsern  sämtlichen  Versuchen 
nur  wenig  um  den  Mittelwert  10 Ampere;  die  Intensität  des  mag- 
netischen Feldes ,  welche  dieser  Stromstärke  und  dem  bei  unsern 
Versuchen  ebenfalls  konstant  erhaltenen  Abstände  der  beiden  Pol- 
schuhe (Länge  20  cm ,  Breite  und  Dicke  4  cm)  entsprach ,  betrug 
etwa  7000  cgs,  wie  wir  aus  der  Größe  des  Halleffektes  und  der 
Widerstandszunahme  des  Wismuths  schätzten. 

Das  Galvanometer ,  an  dem  der  Halleffekt  und  die  Wider- 
standszunahme gemessen  wurde,  war  eines  der  bekannten  Wie- 
demann' sehen  Form;  es  besitzt  zwei  dickdrähtige  Rollen  von 
zusammen  etwa  zwei  S.E  Widerstand  und  war  durch  Astasierung 
auf  genügende  Empfindlichkeit  gebracht.  Es  befand  sich  außerdem 
in  hinreichendem  Abstände  vom  Elektromagneten,  um  nicht  von 
der  direkten  Fernewirkung  desselben  in  störender  Weise  beein- 
flußt zu  werden. 

Bei  messenden  Versuchen  ist  es  natürlich  unbedingt  erforder- 
lich, die  zu  untersuchenden  Platten  auf  konstanter  Temperatur  zu 
erhalten,  damit  nicht  durch  Thermoströme  und  durch  die  Beein- 
flussung, welche  diese  und  die  in  der  Platte  verlaufenden  Wärme- 
strömungen durch  den  Magnetismus  erfahren,  die  Beobachtung  der 
betreffenden  Wirkungen  unmöglich  gemacht  oder  wenigstens  sehr 
gestört  würde.  Wir  erzielten  die  gewünschten  hohen  Temperatu- 
ren durch  Dampfbäder ,  in  welche  die  Platten  direkt  eintauchten  ; 
als  Heizflüssigkeiten  verwendeten  wir  Wasser  (Siedepunkt  100°) 
Benzoesäureamylester  (254°)  und  Diphenylamin  (310°). 

Der  Erhitzungsapparat  mußte  im  Hinblick  darauf  konstruiert 
werden,  daß  der  zur  Verfügung  stehende  Raum  bei  der  geringen 
Ausdehnung,  welche  man  einem  magnetischen  Felde  geben  darf, 
wenn  man  nicht  auf  Homogenität  und  Stärke  verzichten  will,  ein 
sehr  beschränkbar  ist.  Wir  haben  schließlich  den  beistehend 
(Fig.  1)  abgebildeten  Apparat  als  in  jeder  Hinsicht  zweckmäßig 
gefunden ;  dieselbe  besteht  aus  einem  7  cm  breiten ,  23  cm  hohen 
und  1  cm  dicken  Kasten,  welcher  aus  0*8  mm  dicken  Messingblech 
gefertigt  und  in  allen  seinen  Theilen  hart  gelöthet  war.  Der 
Kasten  wurde   zwischen    die    Polschuhe    PP  des  Elektromagnets 


1)  Man  sehe  die  Zeichnung  bei  Quincke,  Wied.  Ann.  24.  359  (1885). 


Einfluß  der  Temperatur  und  des  Aggregatzustandes  etc.  473 

fest  eingeklemmt  ( cf.  Fig.  1 ), 
an  der  direkten  Berührnng  je- 
doch durch  Asbestpappe  gehin- 
dert. Um  ein  Entweichen  der 
siedenden  Dämpfe  zu  verhüten, 
waren  an  sein  oberes  Ende  zwei 
Messingkästen  angelöthet,  wel- 
che mit  Wasser  gefüllt  nach 
Art  eines  Rückflußkühlers  in 
so  vollständiger  Weise  wirkten, 
daß  ein  Verschluß  des  mittle- 
ren Kasten  überflüssig  war, 
ein  Umstand,  welcher  der  be- 
quemen Einführung  der  zu  un- 
tersuchenden Platten  im  hohen  -t!lS-  *• 
Grade  förderlich  war.  In  die  unmittelbare  Nähe  der  Platten 
wurde  stets  die  Quecksilberkugel  eines  Thermometers  gebracht. 
Um  einerseits  eine  intensive  Erwärmung  des  Kastens  zu  erzielen, 
andrerseits  aber  die  Rollen  des  Elektromagnets ,  welche  für  die 
Anbringung  der  Heizflammen  nur  einen  sehr  beschränkten  Raum 
übrig  ließen,  nicht  der  Gefahr  des  Verbrennens  auszusetzen,  kon- 
struierten wir  aus  einem  einseitig  geschlossenen  und  seitwärts  mit 
fünf  Löchern  versehenen  Messingrohre  einen  Brenner,  der  mit  einem 
Gemisch  von  Leuchtgas  und  Luft  gespeist  wurde ;  letzteres  wurde 
dadurch  erzeugt ,  daß  ein  vor  den  Brenner  geschaltetes  T-Rohr 
mit  der  Gasleitung  und  mit  einem  Wassergebläse  kommunizierte. 
Diese  Vorrichtung  gefährdete  die  Umspinnung  der  Rollen,  welche 
durch  Messingbleche  vor  direkter  Strahlung  geschützt  wurden, 
nicht  im  geringsten  und  lieferte  zugleich  Wärme  genug,  um  auch 
die  hochsiedenden  Flüssigkeiten  nach  wenigen  Minuten  in  heftiges 
Kochen  zu  bringen. 

Das  bei  den  nachstehend  beschriebenen  Versuchen  benutzte 
Wismuth  schmolz  bei  267°  und  war  jedenfalls  sehr  rein;  es  ist 
gleicher  Herkunft  wie  dasjenige,  welches  das  Material  zu  Platte 
No.  II  lieferte,  die  früher1)  von  mir  bezüglich  der  Hall' sehen 
Wirkung  eingehend  untersucht  worden  ist,  und  hat  auch  sonst 
mehrfach  zu  ähnlichen  Versuchen  gedient. 

Hallphänomen  im  Wismuth.  Eine  quadratförmige, 
0*5  cm   dicke  Wismuthplatte    war  mit   vier   an   den  Mitten   ihrer 


1)  von  Ettingshausen  u.  Nernst,  Wiener  Sitzungeber.  94.  592  (1886). 
Vgl.  auch  Nernst,  Wied.  Ann.  31.  772  (1887). 


474 


P.  Drude  und  W.  N ernst, 


Seiten  angeschmolzenen  Kupferdrähten  versehen ,  von  denen  alter- 
nierend zwei  zu  einem  Bunsenelemente ,  welches  den  Primärstrom 
lieferte,  und  zwei  zum  Galvanometer  führten  ,  an  dem  der  Trans- 
versaleffekt  beobachtet  wurde.  Indem  so  die  Anwendung  von 
Loth  vermieden  war,  konnte  die  Platte  bis  auf  den  Schmelzpunkt 
nahe  Temperaturen  erhitzt  werden ,  ohne  daß  die  Zuleitungen, 
welche  gleichzeitig  der  Platte  als  Träger  dienten ,  sich  lösten. 
Als  die  letztere  in  der  untenstehenden  Reihenfolge  auf  die  Tem- 
peraturen t  gebracht  wurde,  beobachteten  wir  folgende,  auf  gleichen 
Primärstrom  bezogene  elektromotorischer  Kräfte  e  des  Hall'schen 
Stromes,  diejenige  bei  der  Anfangstemperatur  gleich  eins  gesetzt. 

t  e 

20°  1-000 
254°  0-418 
23°  1-005 . 
Da  nach  obigen  Zahlen  der  Halleffekt  kurz  vor  dem  Schmelz- 
punkte, wenn  auch  erheblich  schwächer  wie  bei  gewöhnlicher  Tem- 
peratur, doch  immerhin  in  mit  anderen  Metallen  verglichen  großer 
Stärke  zu  konstatieren  war,  so  erschien  der  Versuch,  denselben 
auch  in  flüssigem  Wismuth  zu  untersuchen,  besonders  verlockend, 
weil  man  aus  dessen  Verhalten  am  ehesten  zu  schließen  geneigt 
sein  wird,  ob  das  Hall' sehe  Phänomen  vorwiegend  an  den  kry- 
stallinischen  Zustand  gebunden  ist  oder  nicht.  Der  diesbezügliche 
Versuch  ergab,  daß  bei  der  zur  Verwendung  gelangten  Probe  von 
geschmolzenen  Wismuth  das  Ha  11' sehe  Drehungsvermögen,  wenn 
überhaupt  meßbar,  so  doch  sicherlich  weniger  wie  1/co,  wahrschein- 
lich weniger  wie  1/ioo  von  dem  bei  Zimmertem- 
peratur beobachteten  Werte  beträgt. 

Die  Untersuchung  des  geschmolzenen  Wis- 
muths  gelang  in  einer  unten  zugeschmolzenen, 
aufgeblasenen  und  hierauf  platt  gedrückten 
Glasröhre,  welche  mit  drei  eingeschmolzenen 
Platindrähten  versehen  war  (cf.  Fig.  2).  Die 
vierte  Zuleitung  geschah  mittelst  eines  von 
oben  eingeführten  Platin draht es.  Das  Rohr 
wurde  leer  in  den  Dampf  des  siedenden  Di- 
phenylamins  gebracht,  hierauf  mit  Wismuth 
beschickt,  indem  dieses  in  kleinen  Stückchen 
durch  das  0-5  cm  weite  Glasrohr  hineinge- 
worfen wurde,  und  sodann  unter  den  gleichen 
Fig.  2.  Bedingungen  wie  die  erste  Platte  untersucht. 

Mit  Kommutieren   des   magnetisierenden  Stromes   trat   allerdings 


Einfluß  der  Temperatur  des  Aggregatzustandes  etc.  475 

eine  deutliche  Ablenkung  auf,  die  jedoch  mit  der  Richtung  des 
Primärstromes  nicht  die  eigne  wechselte,  also  keinesfalls  von  einer 
H all' sehen  Wirkung  herrührte.  Worauf  dieselbe  beruht,  müssen 
wir  vorläufig  dahingestellt  sein  lassen;  sie  verschwand,  als  man  den 
Primärstrom  öffnete,  schien  jedoch  im  übrigen  mehr  sekundären  Ur- 
sprungs zu  sein.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ist  sie  an  den  flüssi- 
gen Zustand  gebunden,  wie  daraus  geschlossen  werden  kann,  daß  eine 
ähnliche  Wirkung  und  zwar  etwa  gleich  stark  auch  dann  auftrat,  als 
der  Apparat  mit  Quecksilber  anstatt  mit  flüssigem  Wismuth  beschickt 
war  (s.  u.),  und  daß  sie  verschwand,  sowie  das  Wismuth  erstarrte. 

Unmittelbar  nachdem  das  Wismuth  fest  geworden  und  bis  auf 
50°  abgekühlt  war,  wobei  wider  Erwarten  das  Glasgefäß  von  dem 
beim  Ersteren  sich  ausdehnenden  Wismuth  nicht  gesprengt  wurde, 
konnten  wir  den  Halleffekt  in  einer  der  Dicke  dör  Platte  ent- 
sprechenden Größe  beobachten;  bei  weiterer  Abkühlung  bis  auf 
15°  wurde  er  um  etwa  2  °/o  kleiner. 

Mit  der  unveränderten  Platte  stellten  wir  hierauf,  um  uns  über 
die  Abhängigkeit  des  Transversaleffektes  von  der  Temperatur  bis  in 
die  Nähe  des  Schmelzpunktes  zu  orientiren,  folgende  Messungen  an : 

t  e 

14°         1-00 

243°         0-23 

100°         1-23 

14°         1-16. 

Das  Wismuth  kehrte  beim  Abkühlen  somit  nicht  ganz  in  den 
früheren  Zustand  zurück,  eine  bei  der  vielfach  beobachteten  Ab- 
hängigkeit des  Transversaleffektes  von  der  Behandlung,  welche 
man  dem  Metall  hat  angedeihen  lassen,  nicht  unerwartete  Erschei- 
nung. Auch  dieser  Versuch  zeigt,  daß  das  Hall' sehe  Drehungs- 
vermögen beim  Abkühlen  von  100°  auf  14°  abnimmt,  was  mit  einer 
älteren  Beobachtung  in  Uebereinstimmung  sich  befindet ') ;  die  Ab- 
nahme desselben  bei  höherer  Temperatur  ist  hier  nicht  unerheblich 
größer  wie  bei  der  ersten  Platte.  Jedenfalls  ist  aber  die  Ab- 
nahme in  dem  Intervall  von  243°  bis  310°,  in  welches  die  Verflüs- 
sigung des  Wismuths  fällt,  eine  außerordentlich  viel  stärkere,  wie 
in  dem  ganzen  übrigen  untersuchten. 

Widerstandszunahme    des  Wismuths   im  Magnet- 

1)  von  Ettingshausen  und  Nernst,  Wiener Sitzungsber.  94.  593  (1886). 
Eine  zweite ,  aus  Wismuth  anderer  Herkunft  gefertigte  Platte  hingegen  lieferte 
bei  den  Temperaturen  0,  21,  99°  für  das  Drehungsvermögen  die  Werte  8-1,  73, 
4*1,  zeigte  also  eine  starke  Abnahme  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur.  Vgl. 
auch  Le-duc,  CR.  102.  358  (1886). 


476 


P.  Drude  und  W.  Nernst, 


fei  de.  Wie  bekannt1)  übt  der  Magnetismus  außer  dem  Halleffekt 
noch  eine  zweite  "Wirkung  auf  ein  von  einem  galvanischen  Strome 
senkrecht  zu  den  Kraftlinien  des  Feldes  durchflossene  Wismuth- 
platte  aus,  welche  gewöhnlich  als  Widerstandsänderung  gedeutet 
wird,  aber  natürlich  mit  gleichem  Rechte  als  eine  durch  den  Mag- 
netismus erzeugte  elektromotorische  Gegenkraft,  d.  h.  als  longitu- 
dinaler  Halleffekt  aufgefaßt  werden  kann2). 

Ueber  den  Einfluß  der  Temperatur  auf  die  Größe  dieses  Effektes 
liegen  bis  jetzt  nur  einige  vereinzelte  Angaben  vor,  welche  sich  auf 
ein  beschränktes  Intervall  erstrecken.  So  konstatierte  bereits  R  i  g h  i 
(1.  c.) ,  daß  bis  100°  die  Widerstands  Vermehrung  infolge  Erregung 
des  Magnetfeldes  kleiner  wird.  E.  v  o  n  A u  b  e  1 3)  theilte  kürzlich  einen 
Versuch  mit,  wonach  dieselbe  bei  99'7°  nur  0*415  °/o  betrug,  während 
sie  unter  sonst  gleichen  Umständen  bei  0°  2*9  ü/o  war,  konstatierte 
also  eine  sehr  bedeutende  Veränderlichkeit  mit  der  Temperatur, 
was  die  nun  mitzuteilenden  eigenen  Versuche  durchaus  bestätigen. 
Bei  unseren  Messungen ,  welche  sich  wiederum  bis  über  den 
Schmelzpunkt  hinaus  erstrecken,  befand  sich  das  Wismuth  im  In- 
nern einer  dünnwandigen  Glaskapillare ,  welche  senkrecht  zu  den 
Kraftlinien  des  Feldes  in  den  Erhitzungsapparat  eingeführt  wurde 
(cf.  Fig.  3).  Die  Zuleitungen  des  Primärstroms 
/]    /    \     /  un<^  ^e  Ableitungen  zum  Galvanometer  wur- 

den durch  je  zwei ,  zur  gegenseitigen  Isola- 
tion mit  Glaskapillaren  überzogene  Platin- 
drähte vermittelt.  Der  Ausschlag,  welchen 
das  Galvanometer  bei  geschlossenem  Primär- 
strome anzeigt,  ist  dem  Widerstände  des  Wis- 
muthstäbchens  proportional  und  kann  durch 
ihn  die  Zunahme  dieses  bequem  gemessen 
werden.  Zur  besseren  Ausnützung  der  Skala 
des  Galvanometers  wurde  gewöhnlich  mittelst 
einer  durch  Abzweigung  von  einem  Hülfsele- 
mente  erzeugten  elektromotorischen  Kraft  der 
Aussschlag  kompensiert.  Diese  Methode  hat 
den  großen  Vortheil,  unabhängig  von  etwai- 
gen Uebergangswiderständen  zu  sein,  welche  an  den  Zuleitungen 
zum  Wismuth  ihren  Sitz  haben  könnten.  Auch  die  Glaskapillaren 
sprangen  nicht,  wenn  das  Wismuth  wieder  festen  Aggregatzustand 
annahm. 

1)  Righi,  Journ.  de  Phys.  [2].  3.  355  (1884). 

2)  Nernst,  Wied.  Ann.  31.  783  (1887). 

3)E.  von  Au  bei,  Phil.  Mag.  [5].  28.  342  (1889). 


Einfluß  der  Temperatur  und  des  Aggregatzustandes  etc.  477 

In  der  folgenden  Tabelle  sind  die  bei  den  daneben  stehenden 
Temperaturen  t  beobachteten  Werthe  für  die  Widerstandszunahme 
infolge  der  Magnetisierung  Jw  in  °/o  verzeichnet;  in  der  dritten 
Kolumne  befindet  sich  der  Widerstand  iv  des  Wismuthstäbchens 
in  SE. 

t  Jw  w 

16°  219  0-250 

100°  8-0  0-227 

223°  0-96  0-250 

290°  0-41  0-117 

35°  15-1  0207 

18°  18-6  0-208. 

Die  Zahlen  sind  in  der  Reihenfolge  mitgetheilt,  in  der  wir  sie  er- 
hielten ;  zwischen  der  vorletzten  und  letzten  Messung  lag  ein  Zeit- 
raum von  mehreren  Stunden.  Sowohl  an  der  Widerstandszunahme 
wie  besonders  an  seiner  absoluten  Größe  ohne  den  Einfluß  des 
Magnetismus  ist  deutlich  erkennbar  ,  daß  beim  Abkühlen  sich  der 
frühere  Zustand  nicht  genau  wieder  herstellte.  Möglicherweise 
wirkte  hier  eine  Auflösung  des  Platins  der  Zuleitungsdrähte  im 
geschmolzenen  Wismuth  mit,  welche  bei  der  leichten  Legierbarkeit 
dieser  Metalle  mindestens  spurenweise  erfolgen  muß. 

Bei  290°  war  das  Wismuth  geschmolzen  ;  die  Erscheinung,  daß 
der  specifische  Widerstand  dieses  Metalles  beim  Schmelzpunkte 
plötzlich  sehr  viel  kleiner  wird ,  ist  bereits  wiederholt  *)  beobach- 
tet worden  und  findet  sich  auch  in  den  von  uns  für  w  gefundenen 
Werten  ganz  auffallend  wieder.  Die  Widerstandszunahme  des 
flüssigen  Wismuths  infolge  der  Magnetisierung  war  unzweifelhaft 
vorhanden,  wenn  auch  außerordentlich  viel  kleiner,  wie  die  des 
festen  Metalls  bei  gewöhnlicher  Temperatur.  Ob  dieselbe  in  bei- 
den Fällen  einer  gleichen  Wirkung  entspringt,  oder  ob  vielleicht 
Strömungen ,  welche  infolge  der  vom  Elektromagneten  auf  den 
flüssigen  Leiter  ausgeübten  ponderomotorischen  Kraft  entstehen 
können ,  eine  sekundäre  Rolle  spielen ,  muß  vorläufig  dahingestellt 
werden2).    Jedenfalls  zeigen  longitudinaler  wie  transversaler  Hall- 


1)  Insbesondere  sind  unsere  Resultate  im  Einklang  mit  den  Beobachtungen 
von  C.  L.  Weber  (Wied.  Ann.  27  1886,  p.  145),  sowohl  was  die  bedeutende  Wi- 
derstandsabnahme  beim  Schmelzen,  wie  den  Umstand  anlangt,  daß  beim  Abkühlen 
sich  häufig  der  frühere  Zustand  nicht  wieder  herstellt. 

2)  Für  die  letztere  Annahme  spricht  ein  inzwischen  von  uns  angestellter  Ver- 
such, wonach  auch  Quecksilber  bei  Zimmertemperatur  in  gleicher  Weise  un- 
tersucht eine  nach  einigen  °/00  zählende,  unzweifelhafte  Wide  r  Standszunahme 
zeigte.   (Anm.  bei  der  Correktur.) 


478  P.  Drude  und  W.  Nernst, 

effekt  beide  die  Erscheinung,  daß  sie  bei  hoher  Temperatur  an 
Intensität  sehr  stark  abnehmen ;  aber  der  Grad  der  Abnahme  geht 
keineswegs  bei  beiden  parallel.  Während  die  Widerstandszunahme 
schon  bei  erheblich  unter  dem  Schmelzpunkte  liegenden  Tempera- 
turen einen  sehr  kleinen  Betrag  annimmt ,  liegt  beim  Halleffekt 
das  Gebiet  der  rapiden  Abnahme  entweder  sehr  nahe  beim  Schmelz- 
punkt oder  aber  er  verschwindet  plötzlich ,  wenn  das  Wismuth 
den  flüssigen  Aggregatzustand  annimmt.  Die  Entscheidung  zwi- 
schen letzteren  beiden  Möglichkeiten  dürfte  erhebliches  Interesse 
bieten,  war  uns  zu  treffen  bisher  aber  nicht  möglich. 

Mit  einer  zweiten  von  Wismuth  gleicher  Herkunft  beschickten 
Kapillare  fanden  wir  die  Werte: 


t 

A  w 

29° 

16  % 

310° 

O'l  */o 

254° 

1-2  % 

32° 

20% 

100° 

9-1  % 

34° 

22,0  % 

t 

Aw 

25° 

33-3  °A 

310° 

0-4  °/c 

und  mit  einer  dritten 


Resultate,  welche  mit  dem  früheren  Ergebnis  in  Uebereinstimmung 
sich  befinden. 

Aus  den  bisherigen  Ergebnissen  kann  man  wohl  mit  einiger 
Sicherheit  den  Schluß  ziehen ,  daß  auch  die  therm omagnetischen 
Phänomene  bei  hohen  Temperaturen  an  Stärke  bedeutend  einbüßen 
werden;  thatsächlich  ist  denn  auch  bereits  früher  von  Einem  von 
uns  eine  Abnahme  derselben  mit  zunehmender  Temperatur  mehr- 
fach konstatiert  worden1).  Denn  wenn  auch  eine  zahlenmäßige 
Beziehung  zwischen  den  Intensitäten,  mit  welchen  die  verschiede- 
nen magnetischen  Effekte  des  Wismuth s  auftreten ,  bisher  sich 
nicht  hat  auffinden  lassen,  so  ist  doch  ein  inniger  Zusammenhang 
durch  die  Versuche  anWismuth-Zinnlegirungen2)  wohl  außer  Zweifel 
gestellt. 

Vielleicht  wird  einst  bei  der  Beantwortung  der  Frage,  welche 
Eigenschaften  die  Aktivität  der  Metalle  im  magnetischen  Felde 
bestimmen,   die  große  Veränderlichkeit  derselben  mit  der  Tempe- 


1)  Nernst,  1.  c.  772  und  781. 

2)  E.  v.  Ettinghausen  und  Nernst,  Wied.  Ann.  33.  790  (1888). 


Einfluß  der  Temperatur  und  des  Aggregatzustandes.  479 

ratur  beim  Wismuth,  des  aktivsten  aller  Metalle,  einen  Fingerzeig 
bieten.  Hier  sei  nur  noch  darauf  hingewiesen,  daß  bekanntlich 
Wismuth  bei  höherer  Temperatur  die  für  dies  Metall  so  charak- 
teristische Sprödigkeit  verliert  und  sich  in  Drathform  pressen1), 
ja  sogar  bei  Temperaturen  von  230  bis  260°  mit  Anwendung  einiger 
Kraft  kneten  läßt2).  Es  stimmt  dies  auch  mit  den  sonstigen  Er- 
scheinungen überein;  denn  es  läßt  sich  im  Großen  und  Ganzen 
nicht  verkennen ,  daß  auch  außer  Wismuth  gerade  die  durch  ihre 
Sprödigkeit  ausgezeichneten,  metallisch  leitenden  Stoffe,  wie  Kohle, 
Antimon  und  besonders  Tellur,  sich  besonders  aktiv  erweisen. 

Hallphänomen  im  Antimon.  In  der  gleichen  Weise, 
wie  beim  Wismuth,  bestimmten  wir  auch  beim  Antimon  den  Ein- 
fluß der  Temperatur ,  wobei  wir  uns  einer  viereckigen  Platte, 
welche  mit  vier  am  Rande  als  Elektroden  mittelst  einer  Stich- 
flamme angeschmolzenen  Platindrähten  versehen  war  und  eine 
Dicke  von  0*201  cm  besaß,  bedienten.  Wir  erhielten  der  Reihe 
nach  folgende  Werte: 


t 

e 

17° 

1 

210° 

0-78 

250° 

0-72 

30° 

0.76 

23° 

0.91. 

Es  fällt  bei  diesen  Zahlen  auf,  wie  geringfügig  der  Einfluß  der 
Temperatur  beim  Antimon  verglichen  mit  Wismuth  ist.  Hiermit 
steht  vielleicht  wieder  der  Umstand  in  Zusammenhang ,  daß  Anti- 
mon sich  erst  bei  erheblich  höheren  Temperaturen  als  Wismuth 
und  auch  da  nur  mit  Anwendung  viel  größeren  Druckes  zu  Draht 
pressen  läßt3). 

Hallphänomen  im  Quecksilber.  In  dem  gleichen  Ap- 
parate, in  welchem  geschmolzenes  Wismuth  zur  Untersuchung  ge- 
langt war  (Fig.  2),  wurde  Quecksilber  der  Messung  unterworfen. 
Wir  beobachteten,  wie  schon  erwähnt,  einen  deutlichen  Ausschlag 
bei  Kommutieren  des  magnetisierenden  Stromes ,  welcher  jedoch 
mit  der  Richtung  des  das  Quecksilber  durchfließenden  Stromes 
die  eigene  nicht  wechselte  und  demgemäß  nicht  von  einer  HalT- 
schen  Wirkung  herrührte ;  und  zwar  betrugen  die  wegen  der  di- 
rekten Fernewirkung  des  Elektromagnets  auf  die  Galvanometerna- 
del korrigierten  Nadelausweicliungeen    bei  beiden  Richtungen   des 

1)  Matt hi essen,  Pogg.  Ann.  100.  177  (1857). 

2)  PL.  Lenard,    Wied.  Ann.  39.  641  (1890). 

3)  Lenard  1.  c.  639, 


480  P.  Drude  und  W.  Nernst, 

Primärstromes  49  bez.  46  Skalentheile.  Das  Quecksilber  Hatte 
Zimmertemperatur.  Als  das  Glasgefäß,  in  welchem  sieb  jenes  be- 
fand ,  zur  Verminderung  etwaiger  durch  Peltiereffekte  oder 
Joule' sehen  Wärme  erzeugter  Temperaturverschiedenheiten  in 
ein  Gefäß  mit  Wasser  gesetzt  wurde,  betrugen  unter  sonst  glei- 
chen Umständen  die  bei  den  Erregungen  des  Magneten  auftreten- 
den Ausschläge  53  bez.  48  Skalentheile.  Bei  der  Größe  der  stö- 
renden Nebenwirkung  wäre  es  gewagt ,  die  halben  Differenzen, 
welche  in  beiden  Fällen  mit  gleichem  Vorzeichen  bei  Umkehr  des 
Primärstomes  auftreten  und  1*5  im  ersten ,  25  Skalentheile  im 
zweiten  Falle  betragen,  als  Ha  11' sehe  Wirkung  zu  deuten;  doch 
sei  der  Vollständigkeit  halber  angeführt,  daß  dieselben  einer  Ha  11'- 
schen  Wirkung  entsprechen  würden ,  welche  in  gleicher  Richtung 
aber  etwa  300  mal  schwächer  aufträte ,  wie  beim  Wismuth  unter 
sonst  gleichen  Bedingungen. 

Göttingen,  Physikal.  Inst.    Oct.  1890. 

Anhang. 

Es  wurde  vor  einiger  Zeit  das  Wismuth  auf  eine  eventuelle 
Aenderung  seiner  optischen  Konstanten  im  Magnetfelde  durch  Be- 
obachtung von  reflectirtem Lichte  untersucht1);  das  einfallende  Licht 
war  linear  unter  dem  Azimuth  45°  gegen  die  Einfallsebene  pola- 
risiert. Es  wurde  eine  Wismuthsorte  untersucht  von  großer  Rein- 
heit, welche  bei  den  oben  angeführten  Versuchen  eine  starke  Wi- 
derstandsänderung im  Magnetfelde  zeigte  und  eine  weniger  reine 
Sorte,  welche  nicht  hinsichtlich  des  letzteren  Verhaltens  geprüft  ist. 

Die  beiden  Pole  des  Elektromagneten  waren  stets  sehr  genä- 
hert, zum  Theil  bis  auf  3  mm.  Wenn  der  Gang  der  Lichtstrahlen 
es  gestattete,  waren  die  Wismuthspiegel  in  der  Mitte  zwischen 
den  Polen  angebracht,  sodaß  sie  sich  in  sehr  starkem  magneti- 
schem Felde  befanden. 

Es  wurden  die  drei  Fälle  untersucht:  1)  daß  die  Kraftlinien 
senkrecht  zum  Spiegel  verliefen,  oder  2)  parallel  dem  Spiegel  und 
in  der  Einfallsebene  des  Lichtes  oder  3)  parallel  dem  Spiegel  und 
senkrecht  zur  Einfallsebene.  In  keinem  Falle  war  eine  Aende- 
rung der  optischen  Konstanten  zu  constatiren  weder  eine  solche, 
welche  sich  mit  der  Magnetisirungs-Richtung  umkehrte,  noch  eine 
solche,  welche  von  der  Richtung  unabhängig  und  die  eventuell  nur 
an  das  Vorhandensein  des  magnetischen  Feldes  überhaupt  geknüpft 

1)  Die  hier  beschriebenen  Messungen  sind  von  P.  Drude  angestellt. 


Einfluß  der  Temperatur  und  des  Aggregatzustandes  etc.  481 

gewesen  wäre.  Dieser  letztere  Fall  wäre  ja  denkbar  gewesen, 
wenn  die  Aendernng  der  optischen  Konstanten  des  Wismuths  ganz 
parallel  verliefe  mit  der  des  elektrischen  Widerstandes.  Dieser 
ist  ja  bekanntlich  von  der  Magnetisirungs  -  Richtung  unabhängig, 
jedoch  verschieden  parallel  oder  senkrecht  zu  den  Kraftlinien.  Im 
letzteren  Falle  müßte  der  Wismuth Spiegel  sich  wie  ein  reflectiren- 
der  absorbirender  Krystall  verhalten  und  diese  Erscheinung  müßte 
daran  zu  erkennen  sein,  daß  die  elliptische  Polarisation  des  re- 
flectirten Lichtes  durch  Erregung  des  Magnetfeldes  geändert  und 
dann  von  der  Lage  der  Einfallsebene  abhängig  würde.  In  keinem 
Falle  war  aber  eine  solche  Modifikation  deutlich  zu  bemerken,  in- 
dem sowohl  die  relative  Phasenverzögerung  als  auch  das  Amplitu- 
denverhältniß  des  reflectirten  Lichtes  bei  unerregtem  magnetischen 
Felde  dieselben  waren,  wie  bei  erregtem  und  zwar  in  allen  oben 
angeführten  drei  Versuchsanordnungen. 

"Wenn  eine  Aenderung  der  Natur  des  reflectirten  Lichtes  ein- 
treten sollte ,  welche  sich  mit  der  Magnetisirungs-Richtung  um- 
kehrt, so  würde  dies  ein  dem  von  K  e  r  r  entdeckten  Verhalten  der 
magnetischen  Metalle  Eisen ,  Nickel ,  Kobalt  analoges  Phänomen 
sein.  Um  eine  solche  eventuelle  Aenderung  noch  besser  entdecken 
zu  können,  wurde  mit  sehr  intensivem  weißen  Lichte  beobachtet, 
welches  in  oder  senkrecht  zur  Einfallsebene  polarisirt  war.  Eine 
Drehung  der  Polarisationsebene  in  dem  Betrage  von  1/  wäre  noch 
zu  constatiren  gewesen.  Es  war  aber  eine  solche  nicht  vorhanden. 
Bei  einem  Stahlspiegel  war  bei  denselben  Versuchsanordnungen  das 
Kerr'sche  Phänomen  sehr  deutlich  zu  beobachten,  unter  gewissen 
Bedingungen1)  ergaben  sich  Drehungen  der  reflectirten  Polarisa- 
tionsebene bei  commutirtem  Magnetfeld  bis    zum  Betrage  von  32'. 

Das  sich  aus  meinen  Beobachtungen  ergebende  negative  Re- 
sultat am  Wismuth  befindet  sich  im  Widerspruch  mit  Beobachtun- 
gen Herrn  Hurion's2),  nach  welchem  am  Wismuth  das  Ker r'- 
sche  Phänomen  bei  senkrechter  Incidenz  den  Betrage  von  18'  er- 
reichen soll.  Ich  halte  indeß  dieses  Beobachtungsresultat  nicht 
für  sicher,  da  das  Licht  zweimal  eine  Glasplatte  durchsetzte,  welche 
der  Polarisationsebene  eine  sehr  starke  elektromagnetische  Drehung 
ertheilte.  Bei  meiner  Versuchsanordnung  waren  solche  Glasplatten 
vermieden  und  das  Resultat  ist  aus  derselben  also  jedenfalls  in 
direkterer  Weise  abgeleitet,  als  bei  Herrn  Hurion. 

1)  Wenn  nämlich  die  magnetische  Axe  senkrecht  zum  Spiegel  stand,  der  Einfalls 
Winkel  68°  betrug  und  das  einfallende  Licht  parallel  zur  Einfallsebene  polarisirt  war 

2)  Hurion,  Journal  de  Physique  1884. 


482  p-  Drude, 


Ueber  die  Größe  der  Wirkungssphäre    der  Mole- 

cular-Kräfte   und   die  Constitution  von  Lamellen 

der  Pia te au'schen  Gly cerin-Seifen-Lösung. 

Von 

P.  Drude. 

Die  Untersuchung  dünner  Flüssigkeitslamellen  bietet  von  zwei 
Gesichtspunkten  aus  gewisses  physikalisches  Interesse,  insofern 
als  dieselbe 

1)  zur  Beantwortung  der  Frage  dienen  kann ,  an  welche  Be- 
dingungen das  Zustandekommen  einer  dünnen  Lamelle  geknüpft  ist; 

2)  einen  Beitrag  zu  der  Vorstellung  von  der  Größe  der  Wir- 
kungssphäre der  Molecularkräfte  liefern  kann. 

Hinsichtlich  des  ersten  Punktes  geht  bekanntlich  die  Plateau'- 
schen  Ansicht  dahin1),  daß  eine  Flüssigkeit  dann  im  Stande  ist, 
dauerhafte  Lamellen  zu  bilden,  wenn  sich  eine  geringe  Oberflächen- 
spannung verknüpft  mit  einer  großen  Zähigkeit  der  Oberfläche. 
Diese  Bedingungen  sind  bei  der  Glycerin-Seifenlösung  erfüllt.  Die 
Oberflächenspannung  ist  verhältnißmäßig  gering  und  außerdem  ha- 
ben direkte  Versuche  Plateau' s  eine  bedeutende  Reibung  in 
ihrer  Oberfläche  constatirt,  die  bei  weitem  größer  ist,  als  im  In- 
nern derselben.  Diese  Versuche  sind  später  von  Herrn  Ober- 
beck2) bestätigt. 

Es  würde  demnach  die  genannte  Flüssigkeit  nicht  im  Ganzen 
homogen  sein,  sondern  sie  müßte  eine  Oberflächenschicht  mit  be- 
deutend gegen  das  Innere  gesteigerter  Zähigkeit,  quasi  ein  festes 
Häutchen  besitzen.  Wie  sich  dieses  bilden  kann,  mag  hier  uner- 
örtert  bleiben. 

Die  Ansicht,  daß  eine  Seifenlösung  mit  einer  Oberflächenschicht 
bedeckt  sei,  welche  zu  ihrer  Bildung  eine  endliche  Zeit  nöthig  hat, 
hat  eine  Stütze  durch  Versuche  von  Dupre3)  und  Lord  Ray- 
leigh4)  gefunden,  welche  constatirten ,  daß  die  Oberflächenspan- 
nung von  Seifenlösungen  nach  der  Methode  der  Wellenlängenmes- 
sung eines  frisch  sich   aus  dem  Innern   der  Lösung  gebildeten  ca- 


1)  Plateau,  Statique  des  Liquides. 

2)  A.  Ob  erbeck,  Wied.  Ann.  11,  p.  634.  1887. 

3)  Dupre",  Theorie  mdcanique  de  la  chaleur.  §  161. 

4)  Lord  Rayleigh,  Proc.  Roy.  Soc.   28.  März  1890. 


über  die  Größe  der  Wirkungssphäre  der  Molekular-Kräfte  etc.         483 

pillaren  Strahles  gemessen  ungefähr  der  des  reinen  Wassers  gleich 
ist,  während  sie  nach  den  gewöhnlichen  statischen  Methoden  viel 
kleiner  ausfällt. 

Um  gewisse  Anhaltspunkte  für  die  Beurtheilung  der  Größe 
der  Wirkungssphäre  der  Molecularkäfte  zu  gewinnen,  hat  man  die 
Flüssigkeitslamellen  auf  Grund   folgender  Ueberlegungen  benutzt: 

Falls  die  Dicke  einer  Flüssigkeitsschicht  kleiner  wird,  als  der 
doppelte  Radius  der  Wirkungssphäre ,  so  muß  ihre  Oberflächen- 
spannung abnehmen.  Infolge  hiervon  würde  die  Lamelle  an  einer 
solchen  Stelle,  deren  Dicke  unterhalb  jener  Größe  liegt,  durch 
Wirkung  der  Nachbarstellen  mit  größerer  Oberflächen  Spannung 
noch  weiter  verdünnt  werden,  d.  h.  die  Lamelle  wäre  in  instabilem 
Gleichgewicht  und  würde  platzen.  Aus  der  geringsten  möglichen 
Dicke  einer  Seifenlamelle  hat  man  daher  eine  obere  Grenze  für 
den  Radius  der  Wirkungssphäre  der  Molecularkräfte  abgeleitet, 
Plateau  bestimmt  sie  so  zu  59.10" 6  mm,  indem  die  kleinste 
beobachtete  Dicke  bei  Seifenlamellen  118. 10~6  mm  war. 

In  neuerer  Zeit  hat  Herr  Sohncke1)  eine  untere  Grenze  für 
den  genannten  Radius  aus  Versuchen  über  die  Ausbreitung  von 
Oel tropfen  auf  Wasser  abgeleitet,  wobei  man  von  der  Ansicht  aus- 
gehen muß ,  daß  das  Zerplatzen  des  Tropfens  wirklich  erst  dann 
stattfindet,  wenn  die  Dicke  oder  die  doppelte  Dicke  die  Größe  je- 
nes Radius  erreicht.  Die  gewonnenen  Zahlen  schließen  sich  nahe 
an  die  Plateau' sehe  obere  Grenze  an. 

Mit  diesen  Werthen  stimmen  überraschend  gut  die  von  Herrn 
Quincke2)  gegebenen  Zahlen  über  die  Größe  der  Wirkungssphäre 
in  Metallen,  welche  aus  Beobachtungen  des  Randwinkels  von  Flüs- 
sigkeiten an  Metall-Keilen  abgeleitet  sind. 

Wenn  man  der  Vorstellung  beipflichtet,  daß  die  Wirkungs- 
sphäre der  Molecularkräfte  ungefähr  unabhängig  von  der  Substanz 
und  besonderen  Art  der  physikalischen  Erscheinung,  bei  der  sie 
in  Wirksamkeit  treten ,  sind ,  eine  Vorstellung ,  welche  die  eben 
angeführten  Versuche  zu  einer  plausiblen  machen  können ,  so  wi- 
dersprechen ihr  wieder  Versuche  von  Hrn.  Ob  erb  eck3),  welcher 
aus  dem  Verhalten  der  elektrischen  Potentialdifferenz  zweier  Me- 
talle die  Wirkungssphäre  zu  nur  1  bis  2.10-6  mm  angiebt.  Auch 
konnten  die  Herren  Warburg  und  Ihmori4)  Spuren  von  mole- 


1)L.  Sohncke,  Wied.  Ann.  40.  p.  345.  1890. 

2)  Q.  Quincke,  Pogg.  Ann.  137.  p.  402.  1869. 

3)  A.  Ober b eck,  Wied.  Ann.  31.  p.  337.  1887. 

4)  E.  Warburg  und  T.  Ihmori,  Wied.  Ann.  27.  p.  481.  1886. 


484  p-  Drude, 

ciliarer  Attraction  des  Wassers  an  Glas  noch  nicht  in  einer  Ent- 
fernung von  2.10- 6  mm  nachweisen. 

Ferner  lehren  neuere  Versuche  der  Herren  Röntgen1)  und 
Lord  Rayleigh2),  daß  sich  Fettschichten  auf  reinem  Wasser  bis 
zu  einer  weit  geringeren  Dicke  (etwas  unter  2.10~6  mm)  ausbreiten, 
als  wie  die  oben  citirten  Sohncke' sehen  Versuche  ergeben. 

Schließlich  können  auch  die  Plateau' sehen  Zahlen  hinsichtlich 
der  geringstmöglichen  Dicke  von  Seifenlamellen  noch  weit  verklei- 
nert werden.  Unter  geeigneten  Versuchsbedingungen  zeigen  näm- 
lich Seifenlamellen  schwarze  Flecke ,  deren  Dicke  weit  unter 
118.10-6  mm  liegen  muß.  —  Ich  habe  gefunden ,  daß  sie  sich  am 
besten  ausbilden  als  horizontale  Lamellen  an  vertikalen  Glaswän- 
den. Ich  habe  so  kreisrunde  Flecke  von  5  cm  Durchmesser  er- 
halten. Noch  größere  erhält  man  in  einer  verschlossenen  Flasche, 
welche  die  Lösung  enthält  und  in  welcher  durch  Schütteln  Lamel- 
len gebildet  werden. 

Eigenthümlich  ist  das  scharfe  Absetzen  des  schwarzen  Theiles 
gegenüber  dem  farbigen,  was  auf  einen  plötzlichen  Sprung  in  der 
Dicke  hindeutet. 

Auf  die  mir  denkbare  Erklärung  dieses  Verhaltens  will  ich 
nachher  eingehen. 

Die  Dicke  dieser  schwarzen  Flecke  ist  von  den  Herren  ßei- 
nold  und  Rück  er3)  aus  der  Beobachtung  des  elektrischen  Lei- 
tungswiderstandes zu  12. 10-6  mm  bestimmt. 

Hiernach  müßte  man,  auf  Grund  der  Ueberlegung,  daß  bei  ei- 
ner Lamelle  die  kleinste  mögliche  Dicke  die  doppelte  obere  Grenze 
der  Wirkungssphäre  ihrer  Molecularkräfte  sein  muß,  weil  sie  sonst 
unstabil  wird,  letztere  zu  6.10~~6  mm  annehmen,  also  bedeutend 
kleiner  als  die  oben  angeführten  Zahlen. 

Am  besten  kann  man  die  Frsge ,  ob  die  Molecularkräfte  noch 
auf  eine  Distanz  wirken,  welche  gleich  der  halben  Dicke  der 
schwarzen  Flecke  ist,  beantworten,  wenn  man  die  Oberflächen- 
spannung der  schwarzen  Flecke  direkt  vergleicht  mit  der  der  far- 
bigen Theile. 

Schon  vor  etlichen  Jahren  glaubte  Hr.  Lü  dt  ge4)  einen  Unter- 
schied in  der  Oberflächenspannung  verschieden  dicker  Seifenlamel- 
len  constatirt   zu   haben.      Durch  Messung    der   Dimensionen  von 


1)  W.  C.  Röntgen,  Wied.  Ann.  41.  p.  321.  1890. 

2)  Lord  Rayleigh,  Proc.  Roy.  Soc.    28.   März  1890. 

3)  A.  W.  Reinold  and  A.  W.  Rücker,  Proc.  Roy.  Soc.  p.  334.  1877. 

4)  Lttdtge,  Pogg.  Ann.  139.  p.  628.  1844. 


über  die  Größe  der  Wirkungssphäre  der  Molecularkräfte  etc.  485 

Seifenkalotten,  die  an  den  beiden  Enden  ein  und  desselben  Rohres 
angebracht  waren,  erhielt  er  das  Resultat,  daß  an  der  früher  ge- 
bildeten, d.  h.  dünneren  Lamelle  der  Krümmungsradius,  d.  h.  auch 
die  Oberflächenspannung  größer  sei,  als  an  einer  dickeren  Lamelle. 
Dies  Resultat  würde  mit  den  theoretischen  Ansichten  in  Wider- 
spruch stehen. 

Diese  Beobachtungen  sind  später  von  Hrn.  Mensbrugghe1) 
wiederholt  und  zwar  in  der  That  mit  ganz  anderem  Resultate: 
Es  zeigte  sich  gar  kein  Unterschied  im  Krümmungsradius  bei  dün- 
nen und  dicken  Lamellen,  falls  der  Ueberdruck  auf  den  Seiten  der 
Lamelle  der  gleiche  war.  —  Indeß  bezogen  sich  diese  Messungen 
immer  nur  auf  noch  gefärbte  Lamellen  und  die  Methode  der  Di- 
mensionsbestimmung der  Kugelkalotte  gestattete  nur  einen  Mittel- 
werth  des  Krümmungsradius  im  Ganzen ,  d.  h.  einen  Mittel werth 
der  Oberflächenspannung  der  an  verschiedenen  Stellen  verschieden 
dicken  Lamelle  zu  bestimmen. 

Ich  habe  durch  Messung  des  Krümmungsradius  einer  über 
einem  Gefäß  gebildeten  Lamelle,  welches  dasselbe  abschloß  und 
einen  geringen  Ueberdruck  im  Innern  enthielt,  die  Oberflächen- 
spannung derselben  in  verschiedenen  Dicken  bis  zu  der  der  schwar- 
zen Flecke  hin  verglichen.  —  Die  Methode  war  die,  daß  die  Größe 
des  virtuellen  Bildes,  welches  die  flach  kugelförmig  aufgeblasene 
Lamelle  von  einem  Gegenstande  entwarf,  in  einem  stark  ver- 
größernden Fernrohr  mit  einem  Okular-Schrauben-Mikrometer  ge- 
messen wurde.  Es  konnte  so  eine  Aenderung  der  Bildgröße  um 
1/i  %  noch  constatirt  werden.  —  Es  wurde  eine  Lamelle  von  un- 
gefähr 10  cm  Krümmungsradius  und  eine  zweite  von  ungefähr 
14  cm  Krümmungsradius  untersucht.  Bei  der  Versuchsanordnung 
hätte  eine  Aenderung  der  Größe  des  Bildes  um  1  °/o  einer  Aende- 
rung der  Größe  des  Krümmungsradius,  d.  h.  auch  einer  Aenderung  der 
Größe  der  Oberflächenspannung  um  l,ll°/o  resp.  1,16%  entsprechen. 

Durch  eine  vor  das  Objektiv  des  Fernrohrs  gesetzte  Blende 
war  es  möglich,  den  Krümmungsradius  an  einer  Stelle  der  Lamelle 
von  einer  Ausdehnung  von  nur  2'/2  mm  im  Durchmesser  zu  be- 
obachten, und  durch  Verschiebung  dieser  Blende  konnte  ich  in 
dicht  aufeinander  folgenden  Zeitmomenten  den  Krümmungsradius 
an  verschieden  gefärbten,  d.  h.  verschieden  dicken  Stellen  der  La- 
melle messen.  Hierdurch  war  ausgeschlossen,  daß  eine  Tempera- 
turschwankung in  dem  geschlossenen  Gefäß  und  eine  dadurch  be- 
dingte Druckschwankung  das  Resultat  beeinflussen  konnte. 


1)  v.  d.  Mensbrugghe,   Pogg.  Ann.  141.  p.  608.  1845. 
Nachrichten  yon  der  K.  G.  d.  W.  zu  Oöttingen.  1890.  Nr.  14.  4U 


486  P.  Drude, 

Durch  die  Versuche  habe  ich  constatirt  daß  die  Oberflächen- 
spannung der  Lamelle  von  sehr  dicken  Stellen,  d.  h.  weiß  gefärb- 
ten, bis  zu  den  schwarzen  Stellen  hin  sich  jedenfalls  um  nicht 
V»  %  ändert.  Durch  eine  besondere  Anordnung  konnte  ich  mich 
noch  überzeugen ,  daß  bei  der  Einstellung  der  Blende  auf  die 
schwarzen  Stellen  wirklich  nur  Lichtstrahlen  ins  Fernrohr  gelang- 
ten, welche  allein  von  dem  schwarzen  Theile  der  Lamelle  reflec- 
tirt  wurden.  Die  schwarzen  Theile  hatten  bei  den  Versuchen  eine 
Größe  von  3  resp.  5  mm  im  Durchmesser. 

Aus  diesen  Versuchen  könnte  man  geneigt  sein,  zu  schließen, 
daß  die  halbe  Dicke  der  schwarzen  Flecke,  d.h.  wenn  man  die 
R  e  i  n  o  1  d-R  ü  c  k  e  r'schen  Zahlen  benutzt,  eine  Dicke  von  6.10-6  mm 
eine  obere  Grenze  für  die  Wirkungssphäre  der  hier  auftretenden 
Molecularkräfte  sei,  eine  Zahl,  die  weit  unter  der  Plateau' sehen 
oberen  Grenze  und  der  S  o  h  n  c  k  e'  sehen  unteren  Grenze  liegt.  Diese 
untere  Grenze  müßte  dann  also  jedenfalls  zu  groß  sein. 

Indeß  ist  dieser  Schluß  noch  nicht  einwandsfrei ,  weil  die 
schwarzen  Lamellentheile  eine  andere  Eigenthümlichkeit  besitzen, 
von  welcher  ich  jetzt  sprechen  werde. 

Durch  Beobachtung  des  Polarisationswinkels  kann  man  an 
einer  dünnen  Lamelle  den  Brechungsexponenten  ebenso  bestimmen, 
wie  an  einer  Flüssigkeit,  bei  welcher  Reflexion  nur  an  einer  Ober- 
fläche stattfindet.  Wir  wollen  eine  solche  Flüssigkeit  im  Gegen- 
satz zur  lamellar  ausgebreiteten  eine  massive  nennen. 

Der  Polarisationswinkel  wurde  mit  Hülfe  eines  Spektrometers 
mit  polarisirendem  und  analysirendem  Nickel  gemessen.  Es  wurde 
mit  Sonnenlicht  beleuchtet.  Es  tritt  im  Gesichtsfeld  des  Oculars 
ein  schwarzer  farbig  gesäumter  Streifen  auf,  durch  dessen  Ein- 
stellung auf  das  Fadenkreuz  des  Oculars  man  das  Azimut  des 
Analysators  sehr  bequem  und  genau  bestimmen  kann  (bis  auf  1'). 
Solange  nun  das  Licht  von  einer  farbigen  Stelle  einer  Seifenla- 
melle reflectirt  wurde,  blieb  der  schwarze  Streifen  völlig  unver- 
rückt, sowie  aber  die  Reflexion  an  einer  schwarzen  Stelle  statt- 
fand, sprang  der  Streifen  aus  dem  Fadenkreuz,  und  das  analysi- 
rende  Nickel  mußte  um  etwa  17'  gedreht  werden,  um  den  Streifen 
wieder  ins  Fadenkreuz  zu  bringen. 

Bei  den  Versuchen  kam  es  darauf  an,  daß  der  Gang  der  Licht- 
strahlen in  den  verschiedenen  Theilen  des  Spektrometers  genau 
unverändert  blieb,  weil  sonst  sich  der  schwarze  Streifen  etwas 
verschob,  allein  durch  veränderten  Gang  der  Lichtstrahlen.  Fer- 
ner kam  es  darauf  an,  möglichst  schnell  hintereinander  die  farbi- 
gen  Stellen  vergleichen  zu  können  mit  den  schwarzen,   um  sich 


über  die  Größe  der  Wirkungssphäre  der  Molecular-Kräfte  etc.         487 

von  störender  Temperatur  und  eventuell  Feuchtigkeitsänderungen 
der  Umgebung  frei  zu  machen.  —  Es  wurde  diesen  Anforderungen 
entsprochen,  durch  eine  geeignete  Vorrichtung,  die  ich  an  anderer 
Stelle  genauer  zu  beschreiben  gedenke. 

Es  folgt  aus  diesem  Resultat,  das  unter  verschiedenen  Um- 
ständen und  oft  wiederholt  ist,  daß  die  schwarzen  Theile  eine  an- 
dere optische  Natur  besitzen,  als  die  farbigen.  Der  Brechungsex- 
ponent der  ersteren  ist  um  1  Einheit  der  zweiten  Decimale  klei- 
ner, als  der  letzteren.  Für  die  farbigen  Theile  war  n  =  1,430, 
für  die  schwarzen  n  =  1,420. 

Ich  stellte  mir  nun  die  Aufgabe,  die  Dicke  dieser  schwarzen 
Stellen  unabhängig  von  jeder  willkührlichen  Annahme  zu  bestim- 
men. Das  Reinold -Rücker' sehe  Verfahren,  die  Dicke  aus  der 
elektrischen  Leitungsfähigkeit  zu  bestimmen,  falls  man  das  speeif. 
Leitungsvermögen  der  Lösung,  zu  der  man  ein  elektrolytisch  lei- 
tendes Salz  zusetzt,  kennt,  ist  nicht  einwandsfrei.  Denn  man  muß 
dann  die  Annahme  machen ,  daß  die  Concentration  des  Salzes  und 
die  Dissociation  in  der  Lamelle  und  speciell  in  ihren  schwarzen 
Theilen  dieselbe  sei ,  wie  in  der  massiven  Lösung  und  ebenso  das 
speeifische  Leitungs vermögen.  Letztere  Annahme  trifft  aber  sehr 
wahrscheinlich  nicht  zu,  denn  sowie  die  gewöhnliche  innere  Rei- 
bung an  den  Oberflächentheilen  der  Seifenlösung  bedeutend  größer 
ist,  als  im  Innern,  so  würden  auch  die  Salz -Jonen  in  der  Ober- 
fläche, d.  h.  auch  in  den  schwarzen  Stellen  einer  Lamelle  größere 
Reibungswiderstände ,  als  im  Innern  der  Lösung  zu  überwinden 
haben,  sodaß  das  spec.  Leitungsvermögen  der  Lamelle  geringer  ist, 
als  das  der  massiven  Lösung.  Sollte  dies  zutreffen,  so  müßten 
Reinold-Rücker  die  Dicke  zu  klein  bestimmt  haben. 

Die  Resultate  indeß,  die  sie  sonst  gewonnen  haben,  daß  näm- 
lich die  Dicke  der  schwarzen  Stellen  längs  ihrer  ganzen  Ausdeh- 
nung constant  sei ,  von  der  seit  ihrer  Bildung  verflossenen  Zeit 
unabhängig  sowie  von  der  Farbe ,  d.  h.  Dicke  der  angrenzenden 
Theile,  ferner  stets  die  gleiche  bei  verschiedenen  Lamellen  dersel- 
ben Flüssigkeit,  würden  von  der  obigen  Annahme  nicht  beeinflußt 
werden. 

Ich  habe  nun  in  der  That  die  letztgenannten  Resultate  bestä- 
tigt gefunden ,  während  ich  die  Dicke  selbst  etwas  größer  fand, 
nämlich  gleich  17.10-6  mm.  Die  Methode  ist  die ,  daß  man  unter 
schiefem  Einfallswinkel  (65 — 75°)  linear  polarisirtes  Licht  von  den 
schwarzen  Theilen  reflectiren  läßt.  Wenn  der  Brechungsexponent 
bekannt  ist,  so  kann  man  aus  der  durch  die  Reflexion  herbeige- 
führte Drehung  der  Polarisationsebene   des  Lichtes   sowie  der  El- 


488  p-  Drude, 

lipticität  die  Dicke  berechnen.  Der  wahrscheinliche  Fehler  bei  der 
gewonnenen  Zahl  ist  kleiner  als  5  °/o,  ein  Umstand ,  der  die  Me- 
thode empfiehlt,  wenn  es  sich  um  die  Bestimmung  von  Dicken 
handelt,  welche  klein  gegen  die  Wellenlänge  des  Lichtes  sind,  wo 
also  die  sonst  üblichen  Methoden  versagen. 

Die  gewonnenen  Resultate  können  zu  zwei  verschiedenen  Schlüs- 
sen führen,  je  nachdem  man  annimmt,  daß  die  Schicht,  welche  den 
schwarzen  Fleck  bildet,  denen  n  also  =  1,42  ist,  auch  die  farbigen 
Theile  der  Lamelle  als  Oberflächenschicht  mit  einer  Dicke  von 
8V2.10-6  mm  bedeckt,  oder  daß  sie  wirklich  nur  an  den  Stellen  der 
schwarzen  Theile  vorhanden  ist.  Im  ersten  Falle  würde  8V2.10-6  mm 
eine  obere  Grenze  der  Wirkungssphäre  der  Molecularkräfte  sein, 
im  letzteren  eine  untere,  ja  es  könnte  die  untere  Grenze  des  Mo- 
lekularradius sogar  noch  größer  sein. 

Bleiben  wir  zunächst  noch  bei  der  Betrachtung  der  ersten  An- 
nahme stehen,  so  kann  man  sich  die  überall  constante  Dicke  der 
schwarzen  Stellen,  welche  sich  auch  mit  der  Zeit  nicht  ändert  (ich 
konnte  in  einem  Zeitraum  von  3  Stunden  diese  Konstanz  beobach- 
ten), so  erklären:  die  Seifenlamellen,  ebenso  eine  massive  Seifen- 
lösung bedeckt  sich  an  der  Oberfläche  mit  einer  sehr  zähen  Haut, 
deren  Brechungsexponent  etwas  niedriger  ist,  als  der  des  homo- 
genen Innern.  Die  schwarzen  Stellen  entstehen  dadurch,  daß  diese 
auf  beiden  Seiten  einer  Lamelle  gebildeten  Häute  zusammenstoßen, 
indem  die  Flüssigkeit  zwischen  ihnen  fortgeschoben  ist.  Infolge 
der  großen  Zähigkeit  der  Häute  bleibt  die  Dicke  der  schwarzen 
Stellen  der  Zeit  nach  constant.  Daß  sie  längs  der  ganzen  Aus- 
dehnung dieselbe  ist ,  ergiebt  sich  nach  dieser  Vorstellung  von 
selbst.  —  Diese  Ansicht  würde  eine  Stütze  erfahren  durch  die 
von  Plateau  und  Oberbeck  beobachtete  Zunahme  der  inneren 
Reibung  an  der  Oberfläche,  sowie  durch  die  Versuche  von  D  u  p  r  e 
und  Raylei gh  über  den  Unterschied  der  Oberflächenspannung 
frisch  gebildeter  und  alter  Oberflächen  von  Seifenlösung. 

Da  eine  alte  Seifenlamelle  nach  dieser  Ansicht  aus  einer  ober- 
flächlich überall  gleichen  Schicht  besteht,  so  würde  aus  der  Kon- 
stanz ihres  Krümmungsradius  folgen,  daß  die  Dicke  des  Häutchens, 
d.  h.  8.10-6  mm  eine  obere  Grenze  für  die  Wirkungssphäre  der 
Molecular-Kräfte  ist,  d.  h.  daß  sie  weiter  jedenfalls  nicht  wirken. 

Die  Möglichkeit  einer  Flüssigkeit ,  dauerhafte  Lamellen  zu 
bilden,  wäre  danach  geknüpft  an  das  Zustandekommen  einer  zähen 
Oberflächenschicht. 

Ich  wende  mich  jetzt  zu  der  zweiten  Annahme,  daß  nämlich 
die  farbigen  Lamellentheile  eine  homogene  Schicht  vom  Brechungs- 


über  die  Größe  der  Wirkungssphäre  der  Molecular-Kräfte  etc.  489 

exponenten  1,43  bilden,  während  die  schwarzen  Stellen  eine  davon 
verschiedene  Zusammensetzung  und  den  Brechungsexponenten  1,42 
besitzen.  —  Man  könnte  dieser  Annahme  folgende  Vorstellungen 
zu  Grunde  legen :  Angenommen  die  farbige  Lamelle  erreicht  durch 
allmähliges  Herabrinnen  der  Flüssigkeitstheile  eine  Dicke,  welche 
etwas  kleiner  als  die  doppelte  Wirkungssphäre  der  Molecularkräfte 
ist.  Die  Oberflächenspannung  wird  dadurch  kleiner,  und  infolge 
der  größeren  Oberflächenspannung  der  Nachbartheile  wird  die 
Dicke  an  der  betrachteten  Stelle  rapide  verringert.  Falls  die 
Dicke  innerhalb  des  doppelten  Wirkungsradius  liegt,  ist  aber  je- 
denfalls auch  die  Dampfspannung  des  in  der  Seifenlösung  enthal- 
tenen Wassers  eine  andere,  als  in  der  massiven  Lösung,  oder  in 
einer  dickeren  Lamelle.  Die  Lamelle  enthält  nun  im  Gleichge- 
wichtszustände soviel  Wasser ,  daß  der  Dampfdruck  in  ihr  gleich 
ist  dem  Dampfdruck  des  Wassers  in  der  umgebenden  Luft.  Wenn 
der  Dampfdruck  einer  unterhalb  der  fraglichen  Dicke  liegenden 
Lamelle  kleiner  ist,  als  der  der  farbigen ,  d.  h.  sehr  dicken  Lamel- 
lentheile ,  so  wird  eine  solch  dünne  Stelle  daher  Wasser  aus  der 
umgebenden  Luft  aufnehmen.  Durch  einen  größeren  Wassergehalt 
wird  die  Oberflächenspannung  zunehmen.  Die  Lamelle  wird  daher 
bis  auf  eine  solche  Dünne  herabsinken ,  daß  durch  das  aufgenom- 
mene Wasser  die  dünnen  Stellen  eine  Oberflächenspannung  be- 
sitzen, welche  gleich  ist  der  Oberflächenspannung  der  dickeren, 
weniger  Wasser  enthaltenden  angrenzenden  Lamellen-Theile.  Dann 
ist  nämlich  der  Zustand  wieder  ein  stabiler,  denn  ein  weiteres 
Abnehmen  der  Dicke  würde  eine  Zunahme  von  Wasserdampf  und 
ein  Wachsen  der  Oberflächenspannung  hervorrufen;  infolge  davon 
würde  sich  die  betreffende  Stelle  wieder  zu  verdickern  streben, 
da  sie  eine  größere  Oberflächenspannung  besitzt,  als  die  Nachbar- 
schaft, —  ein  Wachsen  der  Dicke  würde  aber  eine  Abnahme  von 
Wasser,  d.  h.  eine  Abnahme  der  Oberflächenspannung  hervorrufen, 
und  daher  wurde  eine  solche  Stelle  durch  Wirkung  der  Nachbar- 
schaft mit  größerer  Oberflächenspannung  gedehnt ,  d.  h.  die  Dicke 
würde  wieder  abnehmen. 

Diese  Auffassung  würde  nicht  nur  die  längs  ihrer  ganzen  Aus- 
dehnung und  im  Laufe  der  Zeit  constante  Dicke  der  schwarzen 
Stellen,  sondern  auch  besonders  natürlich  den  plötzlichen  Sprung 
in  der  Dicke  einer  Lamelle,  der  sich  in  der  Nachbarschaft  einer 
schwarzen  Stelle  vollzieht,  erklären.  Die  doppelte  Wirkungssphäre 
der  Molecularkträfte  würde  demnach  schon  merkbar  sein  für  die 
geringste  Dicke ,  welche  in  der  Lamelle  an  die  schwarzen  Theile 
angrenzen  kann  und  noch   den  höheren  Brechungsexponenten  be- 


490     P-  Drude,  Über  die  Größe  der  Wirkungssphäre  der  Molekular-Kräfte  etc. 

sitzt.  Es  ist  dies  das  Weiß  1.  Ordnung,  ich  habe  diese  Decke  zu 
ungefähr  120.106-  mm  gemessen.  Es  würde  demnach  60.10-8  mm 
eine  untere  Grenze  für  die  Wirkungsspsäre  der  Molecularkräfte 
sein. 

Experimentell  würde  zwischen  beiden  auseinander  gesetzten 
Ansichten  entschieden  werden  können,  wenn  man  durch  Beobach- 
tung nachweisen  kann,  ob  auf  einer  massiven  Seifenlösung  oder 
auf  einer  farbigen  Lamelle  derselben  eine  Oberflächenschicht  vom 
Brechungsexponenten  gleich  dem  der  schwarzen  Theile  Und  von 
deren  halber  Dicke  existirt  oder  nicht.  —  Bei  der  Kleinheit  des 
Unterschiedes  der  Brechungsexponenten  der  schwarzen  und  farbi- 
gen Lamellentheile  hat  indeß  ein  solcher  experimenteller  Nachweis 
mit  großen  Schwierigkeiten  zu  kämpfen. 

Indeß  ist  auf  Grund  theoretischer  Ueberlegungen  die  zweite 
Ansicht  nicht  zulässig.  Dieselbe  stützt  sich  auf  die  Annahme, 
daß  der  Druck  des  gesättigten  Dampfes  einer  Lamelle,  falls  ihre 
Dicke  unterhalb  der  doppelten  "Wirkungssphäre  der  Molekular- 
kräfte sinkt,  kleiner  ist,  als  der  Dampfdruck  einer  dickeren  La- 
melle. Jedoch  hat  Hr.  "Warburg1)  durch  Betrachtung  eines  ge- 
wissen Kreisprocesses  nachgewiesen,  daß  das  Umgekehrte  der  Fall 
sein  muß. 

Es  bleibt  daher  nur  die  erste  Ansicht  übrig  und  es  können 
die  Resultate  wie  folgt  zusammengefaßt  werden: 

Besultate : 

1)  Die  schwarzen  Theile  einer  aus  Plateau' scher 
Flüssigkeit  gebildeten  Lamelle  besitzen  einen  Bre- 
chungsexponenten, welcher  um  eine  Einheit  der 
zweiten  Decimale  kleiner  ist,  als  der  Brechungsex- 
ponent der  farbigen  Theile. 

2)  Die  Dicke  der  schwarzen  Theile  ist  constant 
und  gleich  17.10-6  mm. 

3)  Die  Größe  der  "Wirkungssphäre  der  Molekular- 
kräfte liegt  unterhalb  8,5.10-6  mm. 


1)  E.  War  bürg,  Wied.  Ann.  28.  p.  399.  1886. 
Göttingen,  Phys.  Inst.  Sommer-Semester  1890. 


Friedrich  Wie  sei  er,  Nachrtäge  zu  dem  Aufsatze  üb.  weibl.  Satyrn  etc.    491 


Nachträge 

zu  dem  Aufsatze  über  weibliche  Satyrn  und  Pane  in  der 

Kunst  der  Griechen  und  Kömer  in  den  Nachr.  vom  9.  October 

1890,  No.  11,  S.  385  fg. 

Von 

Friedrich  Wieseler. 

Die  zuvorkommende  Gefälligkeit  der  Herrn  R.  v.  Schneider 
zu  Wien  und  Th.  Schreiber  zu  Leipzig  hat  mich  in  den  Stand 
gesetzt,  schon  jetzt  folgende  Nachträge  mittheilen  zu  können.  In- 
dem ich  ihnen  dafür  den  verbindlichsten  Dank  sage,  bitte  ich  auch 
andere  competente  G-elehrte  mir  ähnliche  Zusätze  zukommen  lassen 
zu  wollen. 

Zu  S.  388,  Z.  27 fg  Hr.  Schreiber  bemerkt  mir:  „Die  beiden 
mantuaner  Reliefs  Dütschke  nr.  858  u.  860,  von  denen  Sie  das 
letztere  auf  S.  388  anführen,  sind  sicher  modern,  obgleich  sie 
wiederholt  neuerdings  untersucht  und  nicht  bezweifelt  worden 
sind,  z.B.  ersteres  nicht  von  Brunn. 

ITeber  diese  Stücke  notierte  ich  mir  vor  den  Originalen: 

Beide  Reliefs  sind  modern  und  von  Anfang  an  war  nicht  mehr 
gearbeitet,  als  vorhanden  ist.  Bei  Vervollständigung  der  Relief- 
platten würden  in  der  Composition  große,  nicht  auszufüllende 
Lücken  entstehen.  In  nr.  858  bleibt  zwischen  dem  Silen  links  und 
Faun  rechts  ein  großer  freier  Platz  auf  der  Platte.  Die  linke 
untere  Ecke  ist  von  dem  Fälscher  des  Reliefs  selbst  angesetzt, 
ebenso  die  rechte  obere  Ecke  des  anderen  Reliefs  nr.  860.  Die 
Komposition  beidemale  durchaus  gegen  griechische  Gesetze.  Die 
Proportionen  zum  Theil  verfehlt.  Die  Arbeit  nicht  ungeschickt, 
aber  der  flotte  Stil  verräth  die  moderne  Erfindung.  Nicht  antik 
ist  der  Gesichtstypus  des  jungen  Fauns  in  nr.  858  und  des  Pans 
in  860." 

Zu  S.  391 ,  Z.  9  fg.  (wo  in  Z.  9  für  „von"  zu  schreiben  ist 
„zu"  und  in  Z.  10  „hier  zuvörderst  eine")  bemerkt  Hr.  Schreiber: 
„Das  von  Ihnen  S.  391  erwähnte  Monument  Ann.  d.  Inst.  1846 
tav.  N.  1.  2  ist  ein  gutes  Specimen  alexandrinischer  Plastik  und 
wird  durch  eine  große  Reihe  mehr  oder  weniger  verwandter  Bild- 
werke gestützt.  Mit  am  nächsten  steht  die  von  Michaelis  Arch. 
Z.  1879  Taf.  13  publicirte  Gruppe  Eros  in  der  Weinlaube".    Den 


492     FriedrichWiesel  er,  Nachträge  zu  dem  Aufsatze  üb.  weibl.  Satyrn  etc. 

jetzigen  Aufbewahrungsort  des  Monuments  erwähnt  Hr.  Schreiber 
nicht. 

Zu  S.  392,  Z.  14  fg.  Das  Relief  zu  Venedig  erklärt  sowohl 
Hr.  Schreiber  als  Hr.  von  Schneider  für  modern.  Dieser  verweist 
auf  Gr.  Frizzoni:  Notizia  d'opere  di  disegno  pubbl.  da  D.  Jac.  Mo- 
relli,  2da  edizione  riv.  ed  aum.  Bologna:  Zanichelli  1884,  p.  37, 
247  sq. ;  indem  er  hinzufügt :  „Ich  halte  das  Relief  nämlich  für  eine 
italienische  Arbeit  aus  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts  oder  dem 
Anfange  des  16.  Auch  darf  ich  versichern,  daß  das  liegende  weib- 
liche Wesen  wirklich  eine  Kentaurin  ist.  Die  Vorderbeine  sind 
nur  in  Folge  der  Verkürzung  nicht  sichtbar,  aber  vor  dem  Origi- 
nale sieht  man  deutlich ,  daß  der  Frauenrücken  als  Pferdeleib 
endigt. u 

Zu  S.  392,  unten.  Ueber  ein  Relief  mit  einer  Panin  bemerkt 
Hr.  Schreiber :  „Leider  habe  ich  bisher  noch  nichts  genaueres  über 
das  merkwürdige  Hochrelief  nr.  183  des  Museums  in  Toulouse  er- 
fahren, auch  noch  keine  Photographie  erlangen  können.  Stark, 
Städteleben  in  Frankreich  p.  607  beschreibt  es  als  Panin  mit  Kind 
an  der  Brust  und  ruhender  Pan  unter  einem  Palmbaum. u 

Zu  S.  393,  nach  Z.  23.  Hr.  Schreiber  berichtet:  „Eine  präch- 
tige kleine  Bronze  mit  Büste  eines  Satyrmädchens  skizzierte  ich 
mir  im  Museo  di  Antichita  zu  Turin,  Sala  dei  bronzi,  Wandschrank 
G-,  comp.  I.  Rundes  Köpfchen  mit  Stumpfnäschen  und  Grübchen 
im  Kinn.  Rechte  Hand  an  die  rechte  entblöste  Brust  gelegt,  linke 
Schulter  mit  Hasenfell  bedeckt.    Blätterwerk  als  Büstenabschluß." 


Inhalt  von  No.  14. 
Eduard  Riecke,  das  thermische  Potential  für  verdünnte  Lösungen.  —  Derselbe,  über  elektrische  Ladung 
durch  gleitende  Reibung.  —  P.  Drude  und  W.  Nernst,  Einfluss  der  Temperatur  und  des  Aggregatzustan- 
des auf  das  Verhalten  des  Wismuths  im  Magnetfelde.  —  P.  Drude,  über  die  Grösse  der  Wirkungssphäre 
der  Molecular-Kräfte  und  die  Constitution  von  Lamellen  der  Plateau'schen  Glycerin-Seifen-Lösang.  — 
Friedrich  Wieseler,  Nachträge  zu  dem  Aufsatze  über  weibliche  Satyrn  und  Pane  in  der  Kunst  der  Grie- 
chen und  Römer  in  den  Nachr.  vom  9.  October  1890,  No.  11,  S.  385  fg. 

Für  die  Redaction  verantwortlich:   27.  Sauppe,  Secretair  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 

Commissions- Verlag  der  DietericK sehen  Verlags -Buchhandlung. 

Druck    der  Dieterich' 'sehen  Univ.- Buchdruckerei  (W.  Fr.  Kaestner), 


Nachrichten 

von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu  Göttingen. 


17.  December.  JK  15.  1890. 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  8.  November. 

Ueber  Discriminanten  und  Resultanten  von 
Singularitätengleichungen. 

Von 
Franz  Meyer  in  Clausthal. 

(Dritte  Mittheilung1). 
Vorgelegt  von  F.  Klein. 

Die  in  der  voraufgegangenen  Note  mitgetheilten  Principien 
reichen  aus,  um  die  für  Curven  R2n  und  R8n  angegebenen  sechs  Zer- 
legungsgleichungen allgemein  für  Curven  Rdn  aufzustellen. 

Was  die  Bezeichnungen  angeht,  so  sei  die  rationale,  punkt- 
allgemeine Curve  Rdn  —  im  linearen  Räume  Md  von  d  Dimensionen 
—  in  Punktcoordinaten  x  dargestellt  durch: 

x0:x1:x2:...:xd  =  £($  :£(A)  :/f(ij : . . .  :fd{X) 

Die  aus  irgend  d  +  1  Verticalreihen  der  a  gebildeten  Determi- 
nante |  ako  akl . . .  akd  |  möge  wiederum  durch  #*0>*1#...*4  =  #  bezeich- 
net werden;  wir  legen  ihr  das  Gewicht    2Jk ~ — -    bei. 


1)  Vgl.  Göttinger  Nachrichten.  1888  No.  5  und  1890  No.  10. 
Nachrichten  Ton  der  K.  G.  d.  W.  xu  Göttinnen.   1890.  No.  15.  41 


494  Franz  Meyer, 

Innerhalb  des  Raumes  Md  gelegene  Linearräume  von  d— 1, 
d— 2,  d— 3  Ausdehnungen  (solche  kommen  allein  hier  in  Betracht) 
erhalten  die  Zeichen  Md_t,  Md_2,  Md_3.  Schnitt-  und  Berührungs- 
eigenschaften derselben,  in  ihrem  Verhalten  zur  Curve  Bd  sollen 
resp.  durch  keine,  eine,  zwei  runde  Klammern  angedeutet  werden, 
endlich  darauf  bezügliche  binäre  Darstellungsformen,  oder  auch  In- 
variantencriterien  allgemein  durch  eine  eckige  Klammer. 

Dann  sind  die  unmittelbaren  Analoga  der  in  Ebene  und  Raum 
bereits  betrachteten  Singularitäten: 

1.  Md_x  „  ccd+1",  welche  mit  der  Curve  Rd  an  einer  Stelle  cc 
d+1  consecutive  Punkte  gemein  haben, 

2.  Md_1  n  ccdß2  u,  für  welche  an  einer  ersten  Stelle  cc  d  Punkte, 
an  einer  zweiten  (von  cc  verschiedenen)  Stelle  ß  zwei  Punkte  der 
Curve  coincidiren, 

3.  Md_2  „  (ad-4ß)",  welche  der  Curve  in  d—1  benachbarten 
Punkten  cc  begegnen,  und  sie  außerdem  noch  einmal,  in  ß  treffen. 

Die  Argumente  cc,  und  damit  die  Gesammtheit  der  jeweiligen 
singulären  Mannigfaltigkeiten  M  werden  durch  drei  binäre  Formen 
[ad+1],  [ccdß3],  [(ad^ß)]  repräsentirt.  Die  Grade  derselben,  einmal 
in  cc,  andererseits  in  den  d  giebt  die  Zusammenstellung  (A)  an: 

A.     Singularitätenformen. 

Grad  in  cc.  Grad  in  den  d. 

1.  [***]  (d  +  l)(w~(Z)  1 

2.  [ccdß*]  2d(n~d)(n-d-l)  2(n-d-l) 

3.  [«*#]        (d-l)(n-d  +  l)(n-d)  n-d  +  1. 

Die  Discriminanten  und  Resultanten  dieser  drei  binären  Formen 
lassen  sich  in  ;; Elementarfactoren u  —  welche  bez.  der  8  irredu- 
cibel  sind  —  zerlegen,  wie  folgt: 

B.  Zerlegungen  der  Discriminanten  und  Resultanten. 

(1)  DK']  =  [(«<)]•[«**] 

(2)  Z>[«^2]  =  [(ad)]J<»-d-'>«-«-»>.[a'«^,(aa-'/3)].[K<'/3y]»[a'!+»][a''+'/32]|-a<!/j3]3 

(3)  B[(a^ß)]  =  [(««)].  W(«<WM.[^)1 

(1.2)  R\ [«•«■'], [«"/»»] }  ==  [(ad)Y{"-d-,\[a°*'Y.[ad+1ß* 

(2.3)  M\[cCß>],  [(«'-0))  =  [(a«)]"«-'-".[a^a,  («d-'ß)]\[«"ß\(«d"y)] 
(1.3)  R  |  [«*«],  [(a<->ß)]  j  =  [(«*)]'.        [«*«  (a^-Wj. 


Singularitätengleichungen.  495 

Die  geometrische  Bedeutung  der  einzelnen  Elementarfactoren  geht 
aus  ihrer  Bezeichnung  hervor :  es  sind  die  linken  Seiten  der  inva- 
rianten Kriterien,  welche  aussagen,  daß  das  innerhalb  einer  eckigen 
Klammer  characterisirte  singulare  Vorkommniß,  resp.  die  beiden 
singulären  Vorkommnisse  gleichzeitig  eintreten. 

Endlich  sind  die  Grade,  wie  Gewichte  (in  den  ö)  dieser  zehn 
Invarianten,  geordnet  nach  der  Anzahl  der  darin  auftretenden  Ar- 
gumente cc,  ß,  y,  in  der  Tabelle  (C)  niedergelegt: 

C.     Grad  und  Gewicht  der  10  Elementarfactoren  in 

den  d. 

Grad 

K)     K+2]  (d  + 2)  (n-d-l) 

K)     [(**)]  d(n-d  +  l) 

(bt)    [ad+1ß2]  2(d  +  l)(n-d-l)(n-d-2) 

(b2)     [adß3]  Zd  (n-d-l)  (n-d-2) 

(b3)     [ad+1,  (ad~xß)}  2d(n-d  +  l)(n-d-l) 
(6J     [adß\  (a^ß)]  (3d-2)  (n-d  + 1)  (n-d-l) 
(&.)     [(H))]       (d-2)(n-d  +  2)(n-d  +  l) 
(cj    [adß2f]         2d(n-d-l)(n-d-2)(n-d-3) 
(c2)     [(cc^ßy)]       (d-l)(n-d+l)  (n-d)  (n-d-l) 
(c«)     [«T,  (ccd~1y)]2(2d-l)(n-d  +  l)(n-d-l)(n-d-2) 

Gewicht 
i(d  +  l)(d  +  2)(n-d)(w-d-l) 
£d  (d  + 1)  (n-  (2  + 1)  (n - d) 
(e*  + 1)2  (n-d)  (n-d-  l)(n-d-2) 
%d(d  +  l)(n-d)(n-d-l)(n-d-2) 
d(d  +  l)(n-d  +  l)(n-d)(n-d-l) 
i(3d-2)(d  +  l)(n-d  +  l)(n-d)(n-d-l) 
\  (d-2)  (d  +  l)(n-d  +  2)  (n-d  +  1)  (n-d) 
d(d  +  l)(n-d)(n-d-l)(n-d-2)(n-d-3) 
$  (d-l)(d  +  l)  (n-d +  1)  (n-d)2  (n-d-l) 
(2d-l)(d  +  l)(n-d+l)(n-d)  (n-d-l)  (n-d-2). 

Die  Gradzahlen  gehen  durch  einfache  Multiplication  mit  %(d  +  l) 
(n—d)  in  die  betr.  Gewichtszahlen  über:  die  letzteren  sind  nur 
im  Hinblick  auf  ihre  größere  Durchsichtigkeit  explicite  hinzuge- 
fügt worden.  Im  Uebrigen  lassen  sich  die  bei  Gelegenheit  des 
Falles  d  =  3  gemachten  Bemerkungen  fast  wörtlich  auf  den  Fall 
eines  beliebigen  d  übertragen. 

41* 


496  Franz  Meyer 


Die  soeben  unter  (B)  notirten  allgemeinen  Zerlegungsformeln 
können  vor  Allem  dazu  dienen,  einige  auffällige  Besonderheiten 
und  Verschiedenheiten  der  früher  behandelten  Fälle  d  =  2  und 
d  =  3  aufzuklären. 

Für  d  =  3  wird  zuvörderst  der  Factor  [ccdß9]  wegen  alsdann 
eintretender  Symmetrie  in  a,  ß  das  Quadrat  eines  irreducibeln  Aus- 
drucks: der  letztere,  damals  selbst  mit  [asß3]  bezeichnet,  kommt 
demnach  unter  den  Elementarfactoren  von  B  [a3/32]  nicht  drei-  son- 
dern sechsfach  vor. 

Genau  das  Entsprechende  gilt  für  die  Invariante  [((ad-2ß))], 
sodaß  bei  der  Zerfällung  von  D  [(cc2ß)]  der  unter  [(aß)]  aufgeführte 
Elementarfactor  auf  die  zweite  (statt  der  ersten)  Potenz  zu  er- 
heben ist. 

Für  d  =  2  dagegen  kann  der  gemeinte  Factor  überhaupt  noch 
nicht  erscheinen ,  was  damit  übereinstimmt ,  daß  in  der  Gradzahl 
von  [(ad~2ß)]  d—2  als  Factor  enthalten  ist. 

Für  d  =  2  ist  weiterhin  zu  bemerken,  daß  alsdann  die  beiden 
Invarianten  [ccd+lß*]  und  [ccdß3]  in  ein-  und  dieselbe  [a3ß']  =  [a2/33] 
coincidiren.  Somit  vereinigen  sich  die  in  der  allgemeinen  Formel 
für  D  \adß%\  figurirenden  Exponenten  1  und  3  jener  beiden  Factoren 
nunmehr  zum  Gesammtexponenten  1  +  3  =  4. 

Ferner  wird  der  Ausdruck  [ad/32,  (ad~lß)]  für  d  =  2  wiederum 
symmetrisch  in  cc,  ß ,  also  das  Quadrat  des  damals  als  Selbstbe- 
rühr ungsfactor  [42Ta]  verzeichneten  Ausdrucks.  Demnach  erhöhen 
sich  die  in  den  allgemeinen  Formeln  stehenden  Exponenten  1  resp. 
2  der  in  Eede  stehenden  Invariante  jetzt  zu  2  resp.  4. 

Endlich  weisen  die  beiden  Factoren  [ad/32y2]  und  [{pf^ßYJ]  im 
Falle  d  =  2  eine  dreifache  Symmetrie  auf,  werden  also  dann  zu 
Cuben  irreducibler  Größen,  insofern  jetzt  jedes  der  drei  Argumente 
cc,ß,y  die  Eolle  von  a  übernehmen  kann.  Jene  beiden  Elementar- 
factoren, damals  mit  den  Zeichen  [TJ,  [z/8]  versehen,  zeigen  somit 
den  Exponenten  6  statt  2. 

Nachdem  so  die  formale  Untersuchung  der  drei  Singularitäten 
(A)  einen  Abschluß  erreicht  hat,  kann  man  nunmehr  der  zu  Be- 
ginn der  vorigen  Mittheilung  aufgeworfenen  Frage  näher  treten, 
in  welcher  Art  und  Weise  sich  das  Zusammenrücken  zweier  ein- 
facher Singularitäten  in  eine  nächst  höhere  vollzieht.  Es  soll 
dazu  ein  Verfahren  eingeschlagen  werden,  welches  in  einfacheren 
Fällen  einen  neuen,  anschaulichen  Beweis  für  die  Vielfachheit  der 
bezüglichen  Elementarfactoren  in  den  Zerlegungsformeln  liefert, 
für  welches  indessen  umgekehrt  die  letzteren  in  allen  Fällen  eine 
vollständige  Controlle  bieten,  sodaß  erst  durch  die  vereinigte  Wir- 


Singularitätengleichungen.  497 

kung  beider  Hülfsmittel  eine  ausreichende  Einsicht  in  die  gemein- 
ten Vorgänge  ermöglicht  wird. 

Der  Deutlichkeit  halber  legen  wir  der  Untersuchung  zunächst 
wiederum  den  Fall  d  =  2 *)  unter. 

Anstatt  nun  z.  B.  den  „Cuspidalfactor"  [(a2)]  allgemein  zu  be- 
rechnen, also  das  Kriterium  für  Eintreten  einer  Spitze  überhaupt 
bei  einer  R2n,  lege  man  dem  Argument  a  den  canonischen  Werth 
Null  (oder  auch  Unendlich)  bei,  und  frage  nach  den  Bedingungen 
dafür,  daß  die  Curve  gerade  an  der  Stelle  Null  eine  Spitze  erhält. 
Dieselben  sind  offenbar  durch  das  gleichzeitige  Bestehen  der  Glei- 
chungen änn_hk  =  0  (Je  =  0, 1,  2  . .  n— 2)  ausgedrückt.  Man  setze 
demnach 

#„,„-1,*=  £*„,«-,,*,  Em«  =  0, 

wo  die  Größen  r  nicht  zugleich  mit  s  verschwinden  sollen.  Da- 
durch wird  die  Invariante  [(a2)]  sicher  mit  £  proportional;  wie  man 
leicht  erkennt,  ist  aber  auch  nur  die  erste  Potenz  von  a  in  [(a2)] 
als  Factor  enthalten. 

Folglich  muß  sich  aus  den  Discriminanten  und  Resultanten 
der  drei  Singularitätenformen  der  Factor  £  in  genau  der  nem- 
lichen  Vielfachheit  abscheiden  lassen,  als  der  Exponent  von  [(a2)] 
in  den  einzelnen  Zerlegungsformeln  angiebt.  Andererseits  erweist 
sich  bei  directer  Berechnung  das  Bild  für  die  Entwickelung  der 
drei  Singularitätenformen  bei  Anordnung  nach  steigenden  Potenzen 
des  Parameters  a  als  das  folgende: 

[as]  =&  =  sco0  +  8<ola  +  co2a'-f-  .  . 

[(aß)]  ==  A  =  el0  +  sX.a  +  X2a*  +  . . 

wo  die  Coefficienten  cj,  /tt,  k  nicht  weiter  durch  s  theilbar  sind. 
Aus  der  B  6*  z  0  u  t' sehen  Determinantenform  der  Discriminanten 
und  Resultanten  jener  drei  binären  Formen  liest  man  ab,  daß  die 
Größe  s  in  ihnen  zum  Mindesten  in  folgenden  Potenzen  vorkommt : 

D[a*]:     s1  ;  R\[a*],  [«f/32]j  :  *a<-8) 

D  [a'ß2] :  *«•"***-* ;  B  j  [«»/*■],  [(aß  }  :  J*"* 
DK««]:*1  ;B\[a>),  [(aß))\  :  «■     . 

Es  könnte  in  Folge  der  besonderen  Natur  der  Größen  a>,  p,  l  aller- 


1)  Vgl.  Brill   „Ueber  Singularitäten   ebener   algebraischer  Curven  und  eine 
neue  Cunrenspecies".  Math.  Ann.  XYI. 


498  Franz  Meyer, 

dings  geschehen  (und  ein  derartiger  Ausnahmefall  wird  uns  in  der 
That  weiterhin  begegnen),  daß  der  mit  einer  der  angegebenen  Po- 
tenzen von  s  multiplicirte  Entwickelungscoefficient  (und  eventuell 
noch  einige  nächstfolgende)  verschwinden,  und  daß  sich  dadurch 
die  heraustretende  Potenz  von  s  erhöht. 

Aber  die  dazu  erforderliche,  oft  sehr  mühsame  Specialunter- 
suchung jener  Anfangscoefficienten  wird  eben  hier,  wie  in  den 
meisten  Fällen,  durch  Vergleiehung  mit  den  uns  bereits  bekannten 
Zerlegungsformeln  von  vornherein  überflüssig:  denn  diese  Ver- 
gleichung zeigt  sofort,  daß  die  obigen  Potenzen  von  e  die  genau 
richtigen  sind. 

Vermöge  der  Entwickelungsformen  von  [a3] ,  [a2/32] ,  [(aß)]  ist 
jetzt  die  gegenseitige  Geschwindigkeit1)  der  zu  einer  Spitze  sich 
vereinigenden  Wendepunkts-,  Doppeltangenten-  und  Doppelpunkts- 
elemente ohne  Weiteres  statuirbar.  Denn  während  jedes  der 
2(w— 3)  Argumente  von  Doppeltangentenelementen  mit  s  selbst 
proportional  wird,  wenn  man  e  hinreichend  klein  werden  läßt,  so 
werden  die  der  beiden  Wendepunkte,  wie  auch  der  beiden  Doppel- 
punktsschnittelemente mit  \fs  vergleichbar.  Die  Geschwindigkeit, 
mit  der  die  letztern  zwei  Punktepaare  sich  der  schließlichen  Spitze 
nähern,  ist  somit  eine  unendlich  langsamere,  als  die  jener  erstge- 
nannten 2(w— 3)  Punkte. 

Dieses  Sachverhältniß  bleibt  im  Wesentlichen  für  ein  beliebi- 
ges d  bestehen,  nur  daß  an  Stelle  der  Zahl  w— 3  die  Zahl  n—d—1 
tritt,  also  die  Entwickelung  der  Form  [adß2]  mit  der  2(n— d—  l)ten 
Potenz  von  s  beginnt,  gemäß  den  2(n— d— 1)  Stellen  a  von  Md_x : 
[adß2],  welche  im  Grenzfalle  in  die  Singularität  [(ccd)]  hin  einrücken. 

Weit  einfacher  läßt  sich  der  Einfluß  des  Factors  [ccd+2]  verfol- 
gen. Greift  man  wiederum  auf  d  =  2  zurück,  so  hat  man  als 
Bedingung  für  eine  „Undulation"  an  der  Stelle  0  das  simultane 
Verschwinden  der  aus  der  Matrix  |  an  an_,  an_2  an_3  |  zu  bildenden 
Determinanten  d.  Macht  man  demnach  die  letzteren  wieder  mit 
einer  beliebig  kleinen  Größe  s  proportional,  so  lauten  die  Anfangs- 
glieder der  Formen  Sl  und  M: 

fl  =    [a8]     =  EG)0  +  8(o1a-\-(Xi2tt2-\- . . 
M~  [a2ß*]  =  e(i0  + £[1^  +  11^'  +  .. 

Die  beiden  Discriminanten  werden  mit  e,  die  Resultante  aber  mit 
e2  vergleichbar,  was  mit  den  Exponenten  des  Elementarfactors  fa4] 
in  den  zugehörigen  Zerlegungen  völlig  concordirt. 

1)  Als  Maß  der  Geschwindigkeit  wird  dabei  der  Grad  des  Unendlichklein- 
werdens von  c  angesehen. 


Singularitätengleichungen.  499 

Das  ist  auf  den  Fall  eines  beliebigen  d  fast  wörtlich  über- 
tragbar. 

Der  Kürze  halber  soll  für  die  weiteren  Singularitäten  nur 
noch  das  Fortschreitungsgesetz  der  je  zu  berücksichtigenden  Sin- 
gularitätenformen nach  Potenzen  von  s  angezeigt  werden. 

Bei  einer  Selbstberührung  [z/2T2]  =  [a2/32,  (aß)]  ist  es  zweck- 
mäßig, das  Argument  a  an  die  Stelle  0,  das  Argument  ß  an  die 
Stelle  oo  zu  verlegen.    Es  wird: 

A  =  [{aß)}  =  .*,+  «*,«+•■• +*«"-"(-2)-  iMMH  +  «M"^M. 

Die  Discriminanten  enthalten  s  zur  zweiten,  die  Resultante  zur 
vierten  Potenz. 

Für  d  >  2  tritt  die  Aenderung  ein,  daß  nur  noch  die  Anfangs- 
glieder von  [ccdß2]  und  [(ad_1ß)]  denselben  Character  beibehalten, 
während  die  Endglieder  nicht  mehr  zugleich  mit  s  verschwinden. 
Folglich  werden  nunmehr  die  beiden  Discriminanten  nur  noch  mit 
e}  die  Resultante  mit  s2  vergleichbar. 

In  ähnlicher  Weise  erledigt  sich  für  d  =  2  der  „Trinodal"- 
und  der  „Tritangentenfactor".  Läßt  man  mit  Uebergehung  der 
Zwischenbetrachtung  nur  noch  das  eine  Argument  a  einen  canoni- 
schen Werth,  nemlich  Null,  annehmen,  so  hat  man  für  z/3  =  [(0/fy)] : 

A  =  [(aß)]  =  e^-MV-f-... 

und  für  T3  =  [02/3V] : 

M=  [a2ß2]  =  «V0  +  %«+... 

Die  Discriminante  erhält  also  beidemal  vom  Argument  a  =  0  her 
den  Factor  a2;  da  aber  alle  drei  Argumente  a,  ß,  y  einen  gleich- 
mäßigen Einfluß  ausüben ,  so  tritt  jener  Factor  s*  dreimal  i.  e.  s 
in  der  sechsten  Potenz  auf. 

Für  c?>2  kommt  die  letztere  Bemerkung  in  Wegfall,  der 
zweiten  Potenz  von  s  correspondirt  dann  die  zweite  Potenz  von 
[(«"fcOl  «sp.  [«W]- 

Der  Factor  [SIA]  =  [a3,  (aß)]  führt  zu  den  Entwickelungen : 

Sl  ==  [«•]  =  «d0  +  ...,     A  =  [(aß)]  =  fV+v;;, 

sodaß  die  Resultante  mit  s  selbst  vergleichbar  wird. 

Der  Fall  eines  beliebigen  d  verursacht  hier  keine  Aenderung. 
Dieselbe   Erscheinung    bietet    sich    bezüglich   (AM)  =  [a*ß2,  (ay)] 


500  Franz  Meyer, 

bei  den  beiden  in  Betracht  kommenden  Formen  Ä  und  M,  und 
desgleichen  im  allgemeinen  Falle. 

Eigenartig  wirkt  der  Factor  [SIM]  =  [a8/32].  Für  a  =  0, 
ß  =  oo  gestalten  sich  die  Formen  Sl  und  M,  wie  folgt: 

Sl==  [cc>]    =  £ö0  +  ... 

M  =[a>ß>]  =  «f*.+ W+- .  .+^^-a)("-8)->4(n.2)(n_3)_1+6V^"-2)(«-'>4(n_3)(n_8) . 

Die  Resultante  wird  nur  mit  der  ersten  Potenz  von  s  vergleichbar, 
wie  denn  auch  ]SIM]  unter  den  Factoren  von  B\SI,M\  nur  einmal 
vorkommt. 

Der  Beitrag  von  [SIM]  zur  Discriminante  von  M  setzt  sich 
wiederum  aus  zwei  Theilen  zusammen.  Von  a  =  0  rührt  die 
erste  Potenz  von  e  als  Factor  her,  während  ß  =  oo  die  zweite 
Potenz  zu  liefern  scheint.  Hier  tritt  indessen  der  Ausnahmefall 
wirklich  ein,  daß  der  Coefficient  von  s-s2  =  ss  in  der  Entwicke- 
lung  der  Discriminante  von  M  (nicht  aber  der  nächstfolgende)  ver- 
schwindet, und  zwar  eben  durch  die  Kraft  der  in  ß  =  oo  gelege- 
nen Singularität. 

Um  sich  davon  zu  überzeugen,  gehe  man  in  der  Canonisirung 
noch  einen  Schritt  weiter.  Man  lege  nemlich  je  einem  Doppel- 
tangentenberührpunkt  cc,  ß  von  vornherein  das  Argument  0,  oo 
bei,  und  fordere  demgemäß  die  Bedingungen  dafür,  daß  die  Tan- 
gente der  Curve  R2n  in  ß  —  oo  an  einer  weiteren  Stelle  a  =  0 
osculire.  Dazu  müssen  sämmtliche  Determinanten  der  Matrix 
I  ao  i  axi  a»-2  ?  a»-i  >  an  I  verschwinden ,  während  zugleich  noch 
die  Grleichung  M  =  0  eine  Wurzel  oo,  sowie  eine  Wurzel  0  be- 
sitzen soll. 

Hält  man  sodann  nur  an  der  letztgenannten  Bedingung x)  fest, 
und  macht  vorderhand  wiederum  jene  Determinanten  soweit  sie 
nicht  schon  verschwinden ,  einer  beliebig  kleinen  Größe  s  propor- 
tional, so  resultirt  zuvörderst,  daß  sich  aus  der  Invariante  [SIM] 
=  [cc3ß2]  die  zweite  Potenz  von  s  ausscheidet. 

Die  Form  M  nimmt  aber  jetzt  folgende  Grestalt  an  : 

M  =  [a'ß2]  =  0  +  e^a  + . . .  +  £ V(n-a)(n-s)- V^^-J-  0 .  «*<»-»<"-»>. 

Die  Folge  ist,  daß  nunmehr  in  die  Discriminante  von  M  die  Fac- 
toren s2  und  s6  also  im  Ganzen  der  Factor  e8  eintreten.  Damit  ist 
der  gewünschte  Beweis   erbracht,    denn   dem  letzteren  Factor  £8 


1)  Dieselbe  ist  ersichtlich  dadurch  fixirt,  daß  die  Determinanten  der  Matrix 
ao>  av  «*-»>  %  |  fest  gleich  Null  gesetzt  werden. 


Singularitätengleichungen.  501 

muß  bei  der  früheren  Constellation ,  wo  [SIM]  mit  s  selbst  ver- 
gleichbar war,  die  dritte  Potenz  von  e  correspondiren. 

Wie  schon  weiter  oben  bemerkt,  treten  die  beiden,  soeben  für 
d  =  2  erörterten  Vorkommnisse  völlig  auseinander ,  sobald  d  >  2 
wird.  Man  hat  daher  nur  die  angegebenen  Entwicklungen  in  zwei 
Theile  zu  spalten:  bezüglich  des  Factors  [ad+1ß2]  =  [0d+1ß2]  bewah- 
ren die  Anfangsglieder  ihren  Character,  während  die  Endglieder 
den  Factor  e  nicht  mehr  aufweisen,  und  genau  umgekehrt  ver- 
hält es  sich  bezüglich  der  Invariante  [vdßs]  =  [adoo3],  wo  übrigens 
nur  die  Form  [ccdß2]  in  Betracht  kommt. 

So  erklärt  es  sich,  weßhalb  die  Resultante  der  Singularitäten- 
formen [ad+1]  und  [adß2]  den  Factor  [ad+1ß2]  nur  einfach,  und  die 
Discriminante  von  [adß2]  denselben  Factor  ebenfalls  nur  einfach, 
dagegen  den  Factor  [ccdß*]  dreifach  zuläßt. 

Um  in  dem  vornehmlich  interessanten  Falle  d  =  2  die  letzten 
Ergebnisse  noch  einmal  zusammenzufassen,  so  hat  man  sich  die 
Singularität  [cc3ß2]  so  entstanden  zu  denken,  daß  eine  "Wendetan- 
gente a  +  8  mit  zwei  Doppeltangenten  vom  Typus :  (lim  s  =  0) 

(  a  +  d^t  )  (  a  +  d[e$  I 

(  ß  +  d2e  +  dß  )  (  ß  +  d2e-d3e%  ) 

coincidirt,  wo  die  d  mit  s  nicht  verschwindende  Größen  bedeuten 
Der  Unterschied  der  beiden  in  die  Stelle  ß  rückenden  Doppeltan- 
gentenberührungspunkte ist  mit  s*  vergleichbar.  Man  kann  leicht 
eine  Figur  entwerfen,  welche  diese  Verhältnisse  wiederspiegelt. 

Was  endlich  noch  die  Invariante  [((ccd~2ß))]  angeht,  so  wird 
für  lim  a  =  0 : 

KO*)]  =  4> +«*!«+..  . 

und  somit  die  Discriminante   der  Form   mit   s   selbst  proportional. 
Für  d  =  3  liefert  das  Argument  ß  den  Factor  s  noch  einmal. 

Damit  hat  die  Erörterung  der  verschiedenen,  nur  eine  Bedin- 
gung erfordernden  Vereinigungen  von  Singularitäten  ad+l,  adß2) 
(cx,d~lß)  auf  „ allgemeinen u  Bd  einen  gewissen  Abschluß  erhalten. 
Die  auf  Raumcurven  Ban  sich  weiter  noch  darbietenden  Singulari- 
täten cc2ß2y2  und  (ccßyd)  zu  berücksichtigen,  möge  einer  weiteren 
Mittheilung  vorbehalten  bleiben. 

Clausthal  2.  September  1890. 


502  W.Voigt, 

Zur  Theorie  der  Schwingungen  gestrichner  Saiten. 

Von 

W.  Voigt. 

(Vorgelegt  in  der  Sitzung  vom  2.  August  1890.) 

Herr  von  Helmholtz  hat  bekanntlich  eine  Theorie  für  die 
Bewegung  einer  mit  einem  Bogen  gestrichenen  Saite  durch  geist- 
volle Combination  der  Beobachtung  mit  der  Berechnung  ent- 
wickelt1). Diese  Theorie  ist  vielfach  acceptirt  worden2),  sie  ent- 
hält aber  einige  Fehler,  welche  sie  in  der  gegenwärtigen  Form 
unhaltbar  erscheinen  lassen.  Ich  werde  zunächst  diese  Behauptung 
nachweisen  und  sodann  diejenige  Aenderung  resp.  Verallgemeine- 
rung der  Grundannahmen  des  Herrn  von  Helmholtz,  welche 
den  von  ihm  angegebenen  Weg  der  Entwickelung  einwurfsfrei 
durchzuführen  gestattet,  mittheilen  und  in  ihren  Folgerungen  un- 
tersuchen. 

Herr  von  Helmholtz  hat  durch  die  Beobachtung  mit  dem 
Vibrationsmikroscop  festgestellt,  daß  ein  jeder  Punkt  der  ange- 
strichenen Saite  eine  Bewegung  ausführt,  gegeben  durch  das  fol- 
gende Gesetz  für  die  Elongation  y  innerhalb  einer  Periode  T: 

0<*<X         y  =  ft  +  h, 

%<t<T        y  =  g(T-t)  +  h, 
wobei 

2)  f%  =  g{T-%) 

sein  muß. 

Die  Entwickelung  dieses  Gesetzes  in  eine  Fourier'sche 
Reihe  ergiebt 

Diese  Formel  vergleicht  Herr  von  Helmholtz  mit  dem  allge- 


1)  H.  v.  Helmholtz,  Phil.  Mag.  (4)  21,  393—396.  1860.  Lehre  von  den 
Tonempfindungen,  Braunschweig  1870,  p.  595,  Gesammelte  Abhandlungen,  Leipzig 
1882,  p.  410. 

2)  S.  z.B.  Rayleigh,  Theorie  des  Schalles,  deutsch  v.  Neesen,  Braun- 
schweig 1880,  Bd.  I,  p.  225. 


zur  Theorie  der  Schwingungen  gestrichner  Saiten.  503 

meinen  Gesetz  für   die  Bewegungen   einer  beiderseits   befestigten 
Saite  von  der  Länge  L 


4) 


t  -     2 1  jCn  am  [—L-)  sm  -y-  (*-y) 

+Asin(__jC0S__^__jj 

und  gelangt  zu  dem  Schlüsse,  daß  zur  Uebereinstimmung 

2>.  -  0,    T  -  r ,     0.  -       -^     ,  5) 

also  f-fcp  von  #  unabhängig  sein  muß.  Durch  Einführung  der  Am- 
plitude p  an  der  Stelle  x  und  der  Amplitude  P  in  der  Mitte  der 
Saite  erhält  er  noch  die  Beziehungen 

4:Px(L-x)       s        SP(L-x)  SPx  ßv 

Die  Discussion  dieser  Formeln  liefert  ihm  die  an  der  citirten 
Stelle  mitgetheilten  Gesetze  für  die  Schwingungen  gestrichner 
Saiten. 

Allein  diese  Gesetze  können  schon  deshalb  nicht  richtig  sein, 
weil  der  Ansatz  (4)  keine  Lösung  der  allgemeinen  Differential- 
gleichung ist,  sobald  %  nicht  constant  sondern  =  xT/L  ist,  und 
demnach  ist  unter  Beibehaltung  des  von  Helmholt  z'  sehen  An- 
satzes (1)  die  Durchführung  seines  Weges  überhaupt  unmöglich. 
Der  Grund  ist  leicht  ersichtlich,  —  jener  Ansatz  ist  so  spe- 
ciell,  daß  das  Problem  überbestimmt  ist;  denn  es  ent- 
hält die  stillschweigende  Annahme,  daß  alle  Punkte 
der  Saite  mit  gleicher  Phase  schwingen.  Läßt  man 
diese  Annahme  fallen,  so  bietet  die  Durchführung  der  Theorie 
keine  Schwierigkeit. 

Ich  setze  demgemäß 

*0<:*<:£-M0,    y  =  f(t-t0)  +  h, 


wo  nun  t0  die  Verschiedenheit  der  Phase  an  verschiedenen  Stellen 
mißt  und  h  und  t0  Functionen  von  x  sein  können.  Entwickelt  man 
diesen  Ansatz  in  eine  F  o  u  r  i  e  r'  sehe  Reihe ,  so  erhält  man 


504  W.Voigt, 

Hieraus  kann  man  ebenso  wie  Herr  von  Helmholtz  durch 
Vergleich  mit  (4)  schließen,  daß 

9)  Z/T  =  x/L 

sein  muß,  außerdem  folgt  aber,  daß 

t0  +  -^  =  Const  (x) 
also 

io)  ^  =  «-S 

sein  muß,  falls  a  eine  Constante  bezeichnet,  welche  durch  die  Wahl 
des  Anfangspunktes  für  t  jederzeit  zu  Null  gemacht  werden  kann. 
Nunmehr  sind  die  Folgerungen  (6)  berechtigt,  aber  die  Glei- 
chungen (1)  werden  durch  ihr  Einsetzen  zunächst  nicht  linear,  son- 
dern geben 

^     *     o-  SP(L-x)  /■   ,   xT\  ;  , 

11) 

Diese  Resultate  stehen  aber  mit  der  Formel 

10x  8PW=°°    1     .    Ttnx    .    27tnt 

12)  ^tJ^8111^8111-^ 

im  Widerspruch,  so  lange  man  h  constant  nimmt,  denn  diese  For- 
mel verglichen  mit  der  bekannten  Reihe 


2~bU      n  ^,°°    1     .     nTCX    .     nita 

«>  ■"■•■?; 

welche 


— =■  sin  —j—  sm  — y— 


für    0<x<:a        yt  =  — 

für    a<c#<cZ/       yt  =  b-^ 

giebt,  zeigt,  daß  y  für  jedes  t  durch  zwei  lineare  Functionen  von  x 
gegeben  sein  muß.  Für  0<t<zT/2  muß  die  Abscisse  a  =  2tL/T, 
die  Amplitude 


zur  Theorie  der  Schwingungen  gestrichner  Saiten.  505 

4Pa(X-q)  SPt 

b  =  jp '-  =  -— (T-2*)  14) 

sein;    es    läuft  hiernach    der  Schnittpunkt    der   beiden  Geraden  in 
der  Zeit  t  =  T/2  über  die  ganze  Länge  der  Saite  und  es  wächst 
zugleich  die  Amplitude  b  von  0  bis  P  und  nimmt  wieder  bis  0  ab. 
Für  T/2<t<T  muß  a  =  2L(T-i)/T  sein  und 

8  =  -  4P«g-«)  =  _8P(T_tm_T).  1B) 

der  Schnittpunkt  läuft  also  mit  derselben  Geschwindigkeit  zum 
Anfangspunkt  zurück,  während  die  Amplituden  die  entsprechen- 
den negativen  Werthe  annehmen. 

Da   der  Ansatz  (12)   hiernach   eine  lineare  Relation  zwischen 
x  und  y  ergiebt,  so  muß  h  eine  Function  zweiten  Grades  in  x  sein. 

Die  Vergleichung  von  (12)  und  (13)   ergiebt  unter  Rücksicht 
auf  (14)  und  (15) 

4Px(L-x) 

wie  dies  auch  der  unmittelbaren  Anschauung  entspricht.  Der  An- 
satz (7)  ist  hiernach  in  allen  Theilen  bestimmt  und  liefert  für 

xT  xT  8P(L-x)t 


2L  '  2L  ü  LT 

xT  ^.(2L-x)T  8Px(T-2t). 

+  jL<t<:        2L  y~~LT.       2      ' 

zur   Zeit    t  =  xT/2L    geben    beide   Ausdrücke  für   y    denselben 
Werth  p. 

Göttingen,  d.  1.  August  1890. 

Bemerkung.  Nach  Einreichung  der  vorstehenden  Notiz  ist 
mir  die  Arbeit  von  Herrn  Lindemann1)  über  dasselbe  Problem 
bekannt  geworden.  In  derselben  sind  die  richtigen  Formeln  für 
die  Schwingungen  der  gestrichenen  Saite  auf  einem  andern  als 
dem  Helmholtz' sehen  Wege  abgeleitet,  die  eigentliche  Ursache 
der  Abweichung  des  neuen  Resultates  von  dem  früheren  ist  aber 
nicht  aufgedeckt.  Die  obige  Notiz  bildet  somit  eine  Art  Ergän- 
zung jener  Untersuchung. 


1)  F.  LindemanE.  Ber.  d.  naturf.  Ges.  in  Freiburg  i.  B.  VII,  500,  1880. 


606 


Bei  der  Kgl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  einge- 
gangene Druckschriften. 


Man  bittet  diese  Verzeichnisse  zugleich  als  Empfangsanzeigen  ansehen  zu  wollen. 


Juli  1890. 

(Fortsetzung.) 


Verhandlungen  der  neunten  allgemeinen  Conferenz  der  internationalen  Erdmes- 
sung (in  Paris)  und  deren  permanente  Commission.     Redigirt  von  A.  Hirsch. 

Berlin  und  Neuchatel  1890. 
Mitteilungen    der   Pollichia.     XLVIII.  Jahresbericht.      N.  3.     1889.     Neustadt 

a.  d.  Hart  1889. 
Verhandlungen  der  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt.    N.  6 — 9.    1890.    Wien  1890. 
Verhandlungen    der  k.  k.  zoologisch-  botanischen  Gesellschaft    in  Wien.     Jahr- 
gang 1890.     (XL.  Band.)     Quartal  1  und  2.     Wien  1890. 
Anzeiger  der  Akademie  der  Wissenschaften  in  Krakau.    1890.    Juni.  Krakau  1890. 
Mittheilungen  des  Musealvereines  für  Krain.     Jahrg.  3.     Laibach  1890. 
Mittheiluugen  des  Vereines  der  Aerzte  in  Steiermark.     XXVI.  Vereinsjahr.  1889. 

Graz  1890. 
Jahresbericht   der  Lese-   und  Redehalle   der   deutschen  Studenten  in   Prag  für 

1888.    Prag  1889. 
Archiv  des  Vereines  für  siebenbürgische  Landeskunde.      Neue  Folge.     Band  23. 

Heft  1.     Hermannstadt  1890. 
Programm    des    evangelischen    Gymnasiums    A.  B.    etc.    zu    Hermannstadt   für 

1889/90.     Hermannstadt  1890. 
Astronomische    Mittheilungen    von    Dr.   Rud.    Wolf.      LXXVI.     Juni    1890. 

(Zürich  1890.) 
Nature.     Vol.  42.    N.  1079—1082. 

Proceedings  of  the  London  Mathematical  Society.     Vol.  XXI.    N.  377—380. 
Proceedings  of  the  Royal  Society.     Vol.  XLVII.     N.  291.     London  1890. 
Monthly  notices  of  the  R.  Astronomical  Society.   Vol.  L.    N.  8.    (London.)  1890. 
Geometry  in  religion    and  the  exact  dates  in  biblical   history  after  the  monu- 

ments;  etc.     London  1890. 
Proceedings  of  the  R.  Irish  Academy.    Third  series.    Vol.  I.    N.  3.    Dublin  1890. 
Proceedings  of  the  Canadian  Institute,  Toronto.   April  1890.    Vol.  XXV.  N.  153. 

Toronto  1890. 
Notes  on  the  peare  and  chank  fisheries  and  marine  fauna  of  the  golf  of  Manoar 

by  Edgar  Thurston.     Madras  1890. 
Catalogue  of  the  Batrachia  Salientia  and  Apoda  of  Southern  India  by  Edgar 

Thurston.     Madras  1888s. 
Records   of  the  geological   urvey    of  India.     Vol.  XXIII.     Part  2.     Mai  1890. 

(Calcutta  1890.) 
Second  systematic  census  of  Australian  plants  by  Baron  F.  v.  Mu  eller.  Parti. 

Vasculares.    Melbourne  1889. 
Bulletin  mensuel  de  l'observatoire  meteorologique  de  l'universite  d'Upsal.    Vol. 

XXI.     Annee  1889.     Upsal  1889-90. 
Regiae  societatis  scientiarum  Upsalensis: 

a.  Nova  Acta:  Seriei  tertiae.     Vol.  XIV.    Fase.  1.     Upsaliae  1890. 

b.  Catalogue  methodique  des  Acta  et  Nova  Acta  . . .  1744—1889.  Upsala(1889). 
Publication    der    Norwegischen    Commission    der     Europäischen    Gradmessung. 

Geodätische   Arbeiten.     Heft  VI    und   VII  je   zwei   Exemplare.     Christiania 
1888—1890. 
Bijdragen  tot  de  Taal-,  Land-  en  Volkenkunde  van  Nederlandsch-Indie.   5.  vol- 
greeks.      5.  deel.     (Deel  XXXIX   der   geheele   reeks.)     Derde  Afler.     s'Gra- 
venhago  1890. 


507 

Annales   de   lMcole  polytechnique   de  Delft.     Tome  V.    1890.    3me  et  4me  livr. 

Leide  1890. 
Archives  Neerlandaises   des  sciences    exactes    et  naturelles.     Tome  XXIV.     2me 

et  3me  livr.     Harlem  1890. 

Bulletin  de  l'Acadäuiie  Royale  des  sciences,  des  lettres  et  des  beaux-arts  de 
Belgique.     60.  annde.     3.  se'rie.     Tome  19.     N.  6.     Bruxelles  1890. 

Jornal  de  sciencias  mathematicas  e  astronomicas.    Vol.  IX.    N.  5.    Coimbra  1889. 

Oeuvres  completes  d'Augustin  Cauchy.  Publiees  par  l'Academie  des  sciences 
etc.     fle  serie.     Tome  VII,  VIII.     Paris  1889/90. 

Journal  de  l'Ecole  Polytechnique.     59iöme  cahier.     Paris  1889. 

Memoires  de  la  Societe  academique  Indo-chinoise  de  France.  Tome  I.  Annäes 
1877—1878.     Paris  1879. 

Annales  du  Musde  Guimet. 

a.  Revue  de  l'histoire  des   religions.     Dixieme  annee.     Tome  XX.    N.  1.  2.  3. 
1889.     Onzieme  annee.     Tome  XXI.     N.  1.     1890.    Paris  1889/90. 

b.  Annales.     Tome  XV,  XVI,  1.  2,  XVII.    Paris  1889. 
Societe  des  Antiquaires  de  Picardie. 

a.  Memoires.    3«me  serie.     Tome  VII.     Paris  et  Amiens  1882. 

b.  Bulletin.    Tome  IX  (1865/67),  XI  (1871/73),  XIV  (1880/82).  —  1887.  N.2.3., 
Amiens  (et  Paris)  1867-89. 

Memoires  de  la  Societe  des  sciences  physiques  et  naturelles  de  Bordeaux.  3e  serie. 

Tome  IV,  V.     1«  cahier.     Paris  (et  Bordeaux)  1888/89. 
Observation    pluviometriques    et  thermometriques  faites   dans   le    departement 

de    la    Gironde    de  Juin  1887  a  Mai  1888,  Jum  1888  a  Mai  1889.     Bordeaux 

1888/89. 
Reale  Accademia  dei  Lincei. 

a.  Atti.     Anno  CCLXXXVII.  1890.     Serie  IV.     Rendiconti.     Vol.  VI.     1<>  se- 
mestre.     Fase.  8—10.     Roma  1890. 

b.  Contribuzioni  allo  studio  dei  graniti  della  Bassa  Valcesia  di  Gio.  Strue- 
ver.    Roma  1890. 

Reale  Accademia  delle  scienze  di  Torino. 

a.  Atti.     Vol.  XXV.     Disp.  11»,  12*.     1889/90.     Torino. 

b.  Osservazioni  meteorologiche  fatte  nell'  anno  1889  all'  osservatorio  delle  R. 
Universita  di  Torino  calcolate  dal  Dott.  G.  B.  Rizzo.     Torino  1890. 

Atti  della  fondazione  scientifica   cagnola  dalla   sua   istituzione  in  poi.     Volume 

8.     1882—88.    Milano  1888. 
Reale  Istituto  Lombardo  di  scienze  e  lettere.     Rendiconti.     Seriell.     Vol.  XXI. 

Milano,  Pisa,  Napoli  1888. 
Bollettino  delle  pubblicazioni  italiane   ricev.  per  diritto  di  stampa  della  Biblio- 

teca  Nazionale  Centrale  di  Firenze.  1890.  N.  109.     Firenze  1890. 
Mämoirs   of  the   National  Academy   of  sciences.    Vol.  IV.     Part  2.     Washing- 
ton 1889. 
Proceedings   of  the  Academy    of  natural    sciences    of   Philadelphia.      Part  III. 

Oct.— Dec.  1889.    Philadelphia  1890. 
Journal   of   the  Elisha  Mitchell  scientific  Society,  1889.    Vol.  VI.   Part.  2.    Ra- 

leigh  N.  C.  1890. 
Bulletin   of   the  American   geographical    Society    Vol.   XXII.     N.  2.    June  30. 

1890.     New  York  1890. 

United  states  coast  and  geodetic  survey.  Bulletin  N.  18.  18.  Febr.  1890. 
(Washington  1890.) 

Bulletin  of  the  Museum   of  comparative  zoölogy.     Vol.  XX.     N.  1.     Cambridge 

U.  S.  A.  1890. 
Johns  Hopkins  University  circulars.     Vol.  IX.     N.  82.     Baltimore  1890. 
Proceedings    of  the  California  Academy    of   sciences.     Second    series.     Vol.  II. 

1889.     San  Francisco  1890. 
Anales  de  la  Sociedad  cientffica  Argentina.     1890.    Entrega  V,  VI.    Tomo  XXIX. 

Buenos  Aires  1890. 


608 


Nachtrage. 


Meteorologische  Beobachtungen  am  meteorologischen  Observatorium  der  Land- 
wirtschaftlichen Akademie  bei  Moskau.  Jahr  1889.  Erste  Hälfte.  Mos- 
kau 1889. 

Notulen  van  de  algeraeene  en  Bestuurs  -  Vergaderingen  van  het  Bataviaasch 
Genootschap  van  Künsten  en  Wetenschappen.  Deel  XXVII.  1889.  Aflev.  IV. 
Batavia  1890. 

Tijdschrift  voor  Indische  Taal-,  Land-  en  Volkenkunde.  Deel  XXXIII.  Aflev. 
5  en  6.     Batavia,  'sHage  1890. 

Kgl.  Bayerische  Akademie  der  Wissenschaften: 

a.  Abhandlungen  der  histor.  Classe.     Band  19.     Abth.  2.    München  1890. 

b.  Almanach  f.  d.  J.  1890.    München. 

c.  Griechische  Münzen.  Nene  Beiträge  und  Untersuchungen  von  F.  Imhoof- 
Blumer.  (Abhhandl.  d.  k.  Bayr.  Ak.  d.W.  1.  Cl.  XVIII.  Bd.  III.  Abth.) 
München  1890. 

August,  September  und  Oktober  1890. 

Kgl.  Preuss.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 

a.  Sitzungsberichte.     1890.     XXXVIII. 

b.  Abhandlungen.     1889.     Berlin  1890. 

Politische  Correspondenz  Friedrichs  des  Grossen.  18.  Bd.  1.  Hälfte.  (Jan.  bis 
Juni  1759.)     Berlin  1890. 

Leopoldina.    Heft  XXVI.    No.  13/14.    15/16.    17/18.     Juli- Sept.  1890.     Halle. 

Jahrbuch  über  die  Fortschritte  der  Mathematik  begr.  v.  C.  O  h  r  t  m  a  n  n. 
Bd.  XIX.    Jahrg.  1887.     Heft  3.     Berlin   1890. 

Jahresbericht  der  Naturhistorischen  Gesellschaft  zu  Nürnberg.  1889  nebst  Abhdl. 
VIII.  Bd.     Bogen  8-13.     Nürnberg  1890. 

67.  Jahresbericht  der  Schlesischen  Gesellschaft  f.  vaterländ.  Cultur  1889.  Bres- 
lau 1890. 

Zeitschrift  der  Deutschen  morgenländ.  Gesellschaft.  44.  Bd.  2.  u.  3.  Heft. 
Leipzig  1890. 

Physikal.-medic.  Gesellschaft  zu  Würzburg. 

a.  Verhandlungen.    N.  F.     XXIV.  Bd.     No.  5.     Würzburg  1890. 

b.  Sitzungsberichte.    Jahrgang  1890.     No.  6.  7. 

Kgl.  Bayer.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  München.     München  1890. 

a.  Sitzungsberichte.  1.  Philos.-philol.  u.  hist.  Classe.  1890.  Bd.  I.  Heft  III. 
Bd.  II.     Heft  I. 

2.  Mathem.-physik.  Classe.     1890.    Heft  1/2.  3. 

b.  Bericht  des  Sekretariats  über  die  31.  Plenarversammlung  der  histor.  Kom- 
mission. 

Kölliker,   A.:    Ueber   die   erste  Entwicklung   der   Nervi  olfactorii.      (Aus  d. 

Sitzgsber.  d.  physik.-medic.  Gesellsch.  zu  Würzburg.     1890.     XIV.  Sitzung.) 
Zeitschrift  für  Naturwissenschaften  hrsg.  v.  O.  L  u  e  d  e  c  k  e.     63.  Bd.     2.  u.  3. 

Heft.    Halle  1890. 
Mitteilungen  der  Pollichia.      XLVII.  Jahresber.    1888.     No.  1.2.    Dürkheima.  H. 
Veröffentlichung   des   Kg).  Preuss.   Geodätischen    Institutes.      Das   Mittelwasser 

der   Ostsee    bei    Swinemünde.      2.   Mittheil.    (v.    Prof.    Dr.  Wilh.    S  e  i  b  t.) 

Berlin  1890. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Inhalt  von  No.  1«. 

Franz  Meyer,  über  Discriminanten  und  Resultanten  Ton  Singularitätengleichungen.   —    W.  Voigt,   znr 

Theorie  der  Schwingungen  gestrichener  Saiten.  — 

Eingegangene  Druckschriften. 

Für  die  Kedaction  verantwortlich:    H.  Sauppe,  Secretär  d.  E.  Ges.  d.  Wiss. 
Commissions-Verlag  der  Dieterich' sehen    Verlags- Buchhandlung. 
Druck  der  Dieterich' sehen  Üniv.-Buchdruckerei  ( W.  Fr.  Kaestner). 


Nachrichten 


von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu   Göttingen. 


31.  December.  Jfot  16.  1890. 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  6.  December. 

Riecke  legt  einen  Aufsatz  vor :  Molekulartheorie  der  Diffusion  und  elektro- 
lytischen Leitung. 

Voigt  legt  a)  von  Herrn  Prof.  Auerbach  in  Jena  eine  Abhandlung  vor: 
über  absolute  Härtemessung,  und  b)  von  sich  und  P.  Drude,  Privatdocenten . 
Bestimmung  von  den  Elasticitätskonstanten  einiger  dichten  Mineralien  (2.  Reihe) 

Klein  legt  eine  Abhandlung  von  Prof.  Hur witz  in  Königsbeig  i.  Pr. :  über 
die  Nullstellen  der  hypergeometrischen  Reihe  vor. 

Jahresbericht  des  beständigen  Sekretärs. 


Moleculartheorie  der  Diffusion  und  electro- 
lytischen  Leitung. 

Von 

Eduard  Riecke. 

Wie  man  in  der  allgemeinen  Mechanik  zuerst  gelernt  hat, 
Aufgaben  des  Gleichgewichtes  der  Körper  unter  der  Wirkung 
verschiedenartiger  Kräfte  zu  behandeln  und  erst  sehr  viel  später 
in  den  Besitz  der  Mittel  gekommen  ist,  welche  die  Vorausbestim- 
mung der  durch  Kräfte  erzeugten  Bewegungen  ermöglichen,  so 
ist  man  auch  in  der  Lehre  von  der  molekularen  Constitution  der 
Körper  ausgegangen  von  statischen  Vorstellungen ,  bei  welchen 
man  von  den  Bewegungen,  in  welchen  die  kleinsten  Theilchen  der 
Körper  ohne  Zweifel  begriffen  sind,  abgesehen  hat.    Bis  jetzt  ist 

Nachrichten  von  der  K.  ü.  d.  W.  zu  Göttin  gen.  1890.  Nr.  16.  42 


g^O  Eduard  Riecke, 

es  nur  für  die  gasförmigen  Körper  gelungen,  eine  Theorie  zu  ent- 
werfen, welche  die  Bewegungen  der  Molekeln  nicht  allein  in  Rech- 
nung zieht,  sondern  zur  Grundlage  der  ganzen  Entwicklung  macht. 
Eine  Ausdehnung  der  auf  dem  Boden  der  Gastheorie  gewonnenen 
Anschauungen  auf  ein  neues  Gebiet  von  Erscheinungen  verdanken  wir 
einem  überraschenden  und  glücklichen  Gedanken  von  vant'Hoff, 
welcher  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  als  fruchtbar  und  an- 
regend sich  erwiesen  hat.  In  seiner  im  Jahre  1884  erschienenen 
Abhandlung  „die  Rolle  des  osmotischen  Druckes  in  der  Analogie 
zwischen  Lösungen  und  Gasen"  hat  van  t'Hoff  gezeigt,  daß  der 
osmotische  Druck  in  einer  verdünnten  Lösung  durch  dasselbe  Ge- 
setz bestimmt  wird,  wie  der  Druck  eines  Gases,  und  daß  ebenso 
wie  dieser  letztere  auch  der  osmotische  Druck  erklärt  werden 
kann  durch  Stöße  der  Molekeln  gegen  die  umschließende  Wand. 
Um  die  Ideen,  welche  der  Theorie  von  van  t'Hoff  zu  Grunde 
liegen ,  verständlich  zu  machen ,  möge  erinnert  werden  an  den 
Grundversuch  der  Osmose.  Wir  füllen  eine  unten  mit  einer  thieri- 
schen  Blase  verschlossene  Röhre  mit  Salzlösung  und  setzen  die- 
selbe in  ein  größeres  mit  Wasser  gefülltes  Gefäß ,  so  daß  das 
Niveau  der  Flüssigkeit  in  der  Röhre  ebenso  hoch  steht,  wie  in 
dem  Gefäße.  Es  geht  dann  sofort  Wasser  durch  die  Membran 
hindurch  zu  der  Salzlösung  hinüber  und  die  Folge  hievon  ist  das 
bekannte  Ansteigen  der  Flüssigkeit  in  der  Röhre;  hat  die  in  der 
Röhre  befindliche  Flüssigkeitssäule  ihre  größte  Höhe  erreicht,  so 
herrscht  in  ihr  ein  gewisser  Ueberdruck ,  welcher  durch  das  Ge- 
wicht der  über  das  freie  Niveau  des  Wassers  gehobenen  Säule 
gemessen  wird.  Diesen  Druck  nennen  wir  den  osmotischen  Druck ; 
van  t'Hoff  hat  nun  uachgewiesen ,  daß  dieser  Druck  genau  der- 
jenige ist,  welchen  die  Molekeln  des  gelösten  Salzes  ausüben 
würden ,  falls  sie  im  Gaszustande  den  von  der  Lösung  eingenom- 
menen Raum  erfüllten.  Dadurch  wird  nun  eine  von  der  früheren 
wesentlich  verschiedene  Auffassung  der  osmotischen  Erscheinungen 
nahegelegt.  Man  pflegte  die  osmotischen  Vorgänge  aufzufassen 
als  Diffusionserscheinungen,  welche  zunächst  in  einem  wechsel- 
seitigen Uebergang  von  Molekeln  der  Salzlösung  einerseits,  des 
Wassers  andererseits  durch  die  Membran  hindurch  bestehen  wür- 
den. Es  sei  nun  die  Diffusionsgeschwindigkeit  des  reinen  Wassers 
eine  sehr  viel  größere  als  die  der  Salzlösung;  dann  wird  in  Folge 
des  überwiegenden  Eintritts  von  Wasser  die  Flüssigkeit  in  der 
Röhre  steigen ;  gleichzeitig  wird  aber  ein  Ueberdruck  in  derselben 
entstehen,  welcher  einen  Rückstrom  der  Flüssigkeit  durch  die 
Poren  der  Membran  hindurch  veranlaßt ;  die  Stärke  desselben  wird 


Molekulartheorie  der  Diffusion  und  efectrolytischen  Leitung.  511 

durch  das  Gesetz  von  Poiseuille  zu  bestimmen  sein.  "Wenn  die 
Einwanderung  der  Wassermolekeln  mit  diesem  Rückstrom  sich  im 
Gleichgewicht  befindet,  so  ist  die  maximale  Steighöhe  der  Flüssig- 
keit erreicht ;  der  osmotische  Druck  ist  hiernach  derjenige  Druck, 
welcher  den  Diffusionsstrom  zu  kompensiren  vermag.  Zu  einer 
vollständigen  Erklärung  der  osmotischen  Erscheinungen  reichen 
diese  Annahmen  nicht  aus,  weil  die  Natur  der  trennenden  Mem- 
bran einen  wesentlichen  Einfluß  auf  den  Verlauf  der  Erscheinungen 
ausübt;  es  muß  also  noch  die  Vorstellung  von  specifischen  Affini- 
täten der  Membran  auf  die  Molekeln  des  Salzes  einerseits,  die 
Molekeln  des  Wassers  andererseits  hinzugenommen  werden. 

Demgegenüber  würde  nun  nach  van  t'Hoff  in  dem  Falle 
einer  halbdurchlässigen  Membran,  welche  nur  den  Molekeln  des 
Wassers ,  aber  nicht  den  Molekeln  des  Salzes  den  Durchgang  ge- 
stattet, die  Theorie  der  Osmose  in  folgender  Weise  zu  entwickeln 
sein.  In  der  Lösung  befinden  sich  die  Molekeln  des  Salzes  in 
einer  Bewegung,  welche  ihrer  Bewegung  im  gasförmigen  Zustand 
durchaus  ähnlich  ist ,  d.  h.  sie  gehen  in  gerader  Linie  mit  gleich- 
förmiger Geschwindigkeit  so  lange  fort,  bis  sie  entweder  mit  einer 
Wassermolekel  oder  mit  einer  anderen  Salzmolekel  zusammen- 
stoßen. Bei  jedem  Zusammenstoße  erleiden  sie  eine  Ablenkung 
aus  der  bisherigen  Bewegungsrichtung ,  und  es  besteht  daher  die 
Bahn  der  Salzmolekeln  in  Lösung  ebenso  wie  im  Gaszustände  aus 
lauter  kleinen,  geradlinigen,  zickzackförmig  unter  den  verschieden- 
sten Winkeln  aneinandergereihten  Strecken.  Wenn  nun  eine  Mo- 
lekel des  Salzes  im  Verlauf  ihrer  Bewegung  an  die  freie  Ober- 
fläche der  Flüssigkeit  kommt,  so  muß  sie  an  dieser  verhindert 
werden ,  aus  dem  Innern  der  Flüssigkeit  herauszufliegen ;  wir 
werden  also  gezwungen  sein ,  anziehende  Kräfte  zwischen  den 
Molekeln  des  Salzes  und  denen  des  Wassers  anzunehmen ,  welche 
sich  in  einer  gegen  den  Molekular  ab  stand  großen  Entfernung  von 
der  Oberfläche  zu  einer  gegen  diese  senkrecht  gerichteten  Resul- 
tante vereinigen  werden.  Umgekehrt  aber  werden  die  Molekeln 
des  Salzes,  welche  an  die  freie  Oberfläche  der  Flüssigkeit  gelangen, 
auf  diese  einen  Druck  ausüben,  der  von  ihrer  Masse,  Geschwindig- 
keit und  Anzahl  in  derselben  Weise  abhängt,  wie  der  Druck  eines 
Gases  gegen  die  begrenzende  Wand.  Ganz  ebenso  erleidet  auch 
die  Membran  durch  die  gegen  sie  stoßenden  und  von  ihr  zurück- 
geworfenen Molekeln  einen  Druck,  dessen  Größe  gleich  $Nmu9 
ist ,  wo  N  die  Zahl  der  in  der  Volumeinheit  befindlichen  Salz- 
molekeln ,  m  ihre  Masse ,  u  ihre  mittlere  Geschwindigkeit.  Die 
Membran  wird  durch  diesen  Druck  in  Spannung  versetzt ;  die  freie 

42* 


512  Eduard  Riecke, 

Oberfläche  der  Salzlösung  aber  ist  beweglich,  da  ja  die  Membran 
dem  unterhalb  befindlichen  Wasser  den  freien  Durchgang  gestattet, 
sie  wird  also  durch  den  gegen  sie  gerichteten  Druck  der  Salz- 
molekeln gehoben,  bis  das  Gewicht  der  gehobenen  Säule,  der 
osmotische  Druck ,  gleich  dem  nach  oben  gerichteten  Molekular- 
drucke ist.  Der  Satz ,  daß  der  osmotische  Druck  gleich  dem  ent- 
sprechenden Drucke  gasförmiger  Molekeln  ist,  steht  mit  den  experi- 
mentellen Thatsachen  in  guter  Uebereinstimmung.  Bezeichnen  wir 
nun  das  Volumen  der  in  einem  cm3  enthaltenen  Wassermolekeln  durch 
ö,  durch  N  die  Zahl  der  Salzmolekeln,  welche  in  1  cm3  der  Lösung 
sich  befinden,  so  ist  der  von  diesen  wirklich  eingenommene  Raum 
gleich  1 — (o ;  die  Zahl  der  in  einem  cm3  enthaltenen  Molekeln  also 

n 

thatsächlich  N  =  -z .      Denken   wir   uns    das  Wasser   entfernt 

1 03 

und  die  zurückbleibenden  Molekeln  des  Salzes  im  Graszustande 
den  Raum  der  Flüssigkeit  erfüllend,  so  ist  der  von  ihnen  aus- 
geübte Druck  gleich  \  Hmv2,  wenn  v  die  mittlere  Geschwindigkeit 
der  gasförmigen  Molekeln  bezeichnet;  Gleichheit  des  osmotischen 
Druckes  mit  dem  Gasdruck  ist  vorhanden,  wenn  Nu2  —  Hv2, 
u  —  v  \Jl —  ca.  Gleichheit  der  beiden  Geschwindigkeiten ,  welche 
die  Molekeln  des  Salzes  in  Lösung  und  im  Gaszustande  besitzen, 
ist  vorhanden,  wenn  das  Volumen  der  in  1  cm3  enthaltenen  Wasser- 
molekeln vernachlässigt  werden  kann  gegen  1.  Diese  Voraus- 
setzung wird  im  Folgenden  der  Einfachheit  halber  festgehalten 
werden. 

Wir  werden  nun  die  im  Vorhergehenden  entwickelten  Prin- 
cipien  zunächst  in  Anwendung  bringen  auf  die  Diffusion  eines 
in  wässeriger  Lösung  nicht  dissociirten  Körpers, 
etwa  des  Rohrzuckers.  Die  Geschwindigkeit,  mit  welcher  die 
Molekeln  des  gelösten  Körpers  sich  bewegen ,  betrachten  wir  als 
konstant  und  als  gleich  der  Geschwindigkeit,  welche  die  Molekeln 
im  Gaszustand  besitzen  würden.  Wir  setzen  ferner  voraus,  daß 
die  Concentration  der  Lösung  allenthalben  eine  so  geringe  sei,  daß 
die  Zusammenstöße  zwischen  zwei  Molekeln  des  gelösten  Körpers 
an  Zahl  verschwinden  gegenüber  den  Zusammenstößen  mit  Molekeln 
des  Lösungsmittels ;  jede  einzelne  Molekel  des  gelösten  Körpers 
wird  sich  dann  so  bewegen ,  als  ob  sie  allein  in  dem  Lösungs- 
mittel enthalten  wäre ;  die  mittlere  Länge  der  geradlinigen  Stücke, 
aus  welchen  die  Zickzackbahnen  der  Molekeln  sich  zusammen- 
setzen ,  wird  lediglich  bedingt  durch  die  Anstöße  der  gelösten 
Molekeln  an  die  Molekeln  des  Lösungsmittels;  die  mittlere  mole- 
kulare  Weglänge    ist    also    unabhängig   von    der   Concentration, 


Molekulartheorie  der  Diffusion  und  electrolytischen  Leitung.  513 

Gleiches  gilt  natürlich  auch  von  der  Zeit  T,  welche  zwischen  zwei 
aufeinanderfolgenden  Anstößen  vergeht  oder  von  der  Anzahl  der 
Anstöße  in  der  Zeiteinheit.  Es  möge  nun  die  Lösung  eingeschlos- 
sen sein  in  einem  cylindrischen  Gefäß;  in  jeder  zu  der  Axe  des 
Cylinders  senkrechten  Ebene  sei  die  Concentration  dieselbe,  dage- 
gen nehme  die  Concentration  in  der  Richtung  der  Cylinderaxe 
nach  einem  gegebenen  Gesetze  ab.  Betrachten  wir  irgend  eine 
zu  der  Cylinderaxe  senkrechte  Ebene  und  in  dieser  eine  Fläche 
von  1  cm2  Inhalt,  so  werden  von  beiden  Seiten  her  Molekeln  des 
gelößten  Körpers  durch  dieselbe  hindurch  gehen;  es  wird  aber 
offenbar  die  Zahl  der  Molekeln ,  welche  von  der  Seite  größerer 
Concentration  herkommen,  größer  sein,  als  die  Zahl  der  von  der 
Seite  geringerer  Concentration  kommenden.  Im  Ganzen  bleibt  also 
ein  Ueberschuß  von  Molekeln,  welche  von  der  Seite  größerer  nach 
der  Seite  kleinerer  Concentration  übergehen  und  dieser  stellt  den 
Diffusionsstrom  dar.  Bezeichnen  wir  die  Concentration  ,  d.  h.  die 
Zahl  der  Grammmolekeln,  welche  in  1  cm3  der  Lösung  enthalten 
sind,  durch  N,  die  molekulare  Geschwindigkeit  der  gelößten  Mo- 
lekeln durch  u,  die  molekulare  Weglänge,  d.  h.  die  mittlere  Länge 
der  geradlinigen  Stücke  der  Zickzackwege,  durch  l,  endlich  durch 
z  die  Richtung  der  Cylinderaxe,  so  ergiebt  sich  für  die  Zahl  der 
von  der  Seite  größerer  Concentration  kommenden  Grammmolekeln 
der  Ausdruck 

n  1  AT      ,       1       dN    7 

4  2*3    dz 

Für  die  Zahl   der  von  Seiten  kleinerer  Concentration  kommenden 

Hiernach  wird  der  Diffusionsstrom  gegeben  sein  durch 

Q-Q'  =  *«$f 

und  der  Diffusionskoefficient   für  den  Tag  als  Zeiteinheit: 

h  =  8,64x10*-^. 

Setzt  man  für  u  die  aus  dem  Gasgesetze  zu  berechnende  Geschwin- 
digkeit, so  ergiebt  sich  beispielsweise  für  Rohrzucker 

l  =  0,077  X  IQ"8  cm. 


5^4  Eduard  Riecke, 

Wir  gehen  über  zu  dem  Problem  der  elektro  lyti  sehen 
Leitung.  Wir  setzen  dabei  voraus,  daß  die  Lösung  des  Elek- 
trolyten so  verdünnt  sei,  daß  derselbe  vollständig  in  die  beiden 
Jonen  gespalten  ist.  Wir  können  dann  bei  der  Berechnung  der  Be- 
wegungen die  positiven  und  negativen  Jonen  vollständig  unabhängig 
von  einander  behandeln  und  bestimmen  schließlich  die  Stromstärke 
durch  eine  Superposition  der  gefundenen  Einzel-Bewegungen.  Die 
Zahl  der  positiven  Jonen,  welche  in  1  cm3  der  Lösung  sich  befin- 
den, sei  N;  die  Masse  eines  Jons  sei  ft?,  die  mit  derselben  ver- 
bundene Menge  von  positiver  Elektricität  s.  Wir  denken  uns  den 
Elektrolyten  eingeschlossen  in  einem  Cylinder;  die  elektromoto- 
rische Kraft  wirke  längs  seiner  Axe,  und  besitze,  bezogen  auf  die 
elektrostatische  Einheit  der  positiven  Elektricität,  die  Stärke  Z. 

Betrachten  wir  ein  Volumelement  dt  im  Inneren  des  Elektroly- 
ten, so  wird  von  diesem  in  1  sec  eine  Zahl  von  Ndt/T  Jonen  nach 
allen  Seiten  des  Raumes  ausgeschleudert  werden,  entsprechend 
der  Zahl  der  Anstöße,  welche  die  in  dem  Volumelement  enthaltenen 
Jonen  in  1  sec  erhalten.  Ein  großer  Theil  der  letzteren  wird  schon 
nach  kurzer  Zeit  von  benachbarten  Molekeln  des  Lösungsmittels 
aufgefangen  und  von  der  ursprünglichen  Wurfrichtung  abgelenkt 
werden,  andere  Jonen  werden  sich  weiter  entfernen,  aber  schließ- 
lich werden  alle  der  ablenkenden  Wirkung  von  Molekeln  des  Lö- 
sungsmittels unterliegen.  Verfolgen  wir  die  von  dt  ausgehenden 
Jonen  nur  bis  zu  den  Endpunkten  ihrer  geraden  Wurfrichtungen, 
so  werden  dieselben  über  eine  um  dt  beschriebene  Kugel  in  kon- 
centrischen  Schichten  sich  vertheilen,  deren  Dichte  nach  außen  hin 
rasch  abnehmen  wird.  Die  elektromotorische  Kraft  Z  wirkt  auf 
die  von  dt  ausgesandten  Jonen  ganz  ebenso,  wie  die  Schwerkraft 
auf  einen  geworfenen  Stein ,  sie  ertheilt  allen  Jonen  eine  Ablen- 
kung von  der  geradlinigen  Wurfrichtung,  welche  sich  nach  dem 
Fallgesetze  berechnen  läßt;  dieselbe  wächst  mit  dem  Abstand  bis 
zu  dem  sich  die  Jonen  von  dem  Elemente  dt  entfernen,  sie  ist 
größer  für  die  äußeren,  kleiner  für  die  inneren  Schichten  der  er- 
wähnten Kugel.  Mit  Rücksicht  hierauf  wie  auf  die  verschiedene 
Dichtigkeit  der  Jonen  in  den  aufeinanderfolgenden  koncentrischen 
Kugelschalen  ergiebt  sich  der  Mittelwerth  %  der  Verschiebung, 
welche  die  in  1  sec  von  dem  Volumelement  dt  ausgesandten  Jo- 
nen durch  die  elektromotorische  Kraft  erleiden, 

wo  l9  die  Weglänge,  up  die  molekulare  Geschwindigkeit;  multipli- 


Molekulartheorie  der  Diffusion  und  elektrolytischen  Leitung.  515 

ciren  wir  die  Verschiebung  %  mit  der  Zahl  N/T  der  Jonen,  welche 
in  der  Volumeinheit  während  1  sec  neue  Wege  beginnen ,  so  er- 
halten wir  die  Menge  positiver  Jonen ,  Qp ,  welche  in  1  sec  durch 
die  Querschnitts einheit  des  Leiters  hindurchgehen 

T,  iy«;  tipup 

Ebenso  findet  man  die  entsprechende  Menge  negativer  Jonen 

Qn  =  Nb-^-Z. 

Es  wird  somit  die  Ueberführungszahl 

ln  /(ln  un 


n  = 


hlL>>PUP  +  lJPnK 


oder  mit  Rücksicht  auf  die   zwischen  Molekulargewicht  und  mole- 
kularer Geschwindigkeit  bestehende  Beziehung 

n  = 


p     p    '       n     « 

und  die  elektrische  Leitfähigkeit 

l 


Wir  werden  nun  N  auch  betrachten  können  als  die  Zahl  der 
Grammionen  in  1  cm8  der  Lösung ;  bezeichnen  wir  außerdem  durch 
A  die  Anzahl  der  g  Wasserstoff,  welche  in  1  sec  durch  einen 
Strom  abgeschieden  werden,  der  nach  elektromagnetischem  Maaße 
die  Stärke  1  besitzt.  (A  =  0,0001047  g) ,  so  stellt  der  Bruch 
N/k  die  Anzahl  der  elektrolytischen  Aequivalente  dar,  welche  in 
1  cm8  der  Lösung  enthalten  sind.  Drücken  wir  nun  die  Leitfähig- 
keit der  Lösung  aus  in  elektromagnetischem  Maaße,  dividiren  wir 
dieselbe  durch  die  in  elektrolytischen  Aequivalenten  gemessene 
Concentration,  so  ergiebt  sich  die  Größe,  welche  F.  Kohlrausch 
als  molekulare  Leitfähigkeit  bezeichnet  hat.     Wir  finden 


i  (J*-+Ji.)  =  ü+r. 

A  \ppup     pnun; 


Hier  sind  U  und  V  die  von  F.  Kohlrausch  berechneten  abso- 
luten Beweglichkeiten  der  Jonen;  für  die  letzteren  ergeben  sich 
somit  aus  unserer  kinetischen  Theorie  die  Werthe 


516  Eduard  Riecke, 


Bezeichnet   man   durch   a   die  Geschwindigkeit  einer  Wasserstoff- 
molekel bei  der  Temperatur  unseres  Elektrolyten,  so  ist 

Somit  ergeben  sich  die  Beziehungen: 


.2 


und 


ppup         2a>2  '    ^Mwn         2ra2 


ff.Jfi*       F=     U" 


2Aco2'  2Ao9! 


Setzt  man  für  wy  und  un  die  dem  Graszustand  entsprechenden  Ge- 
schwindigkeiten ,  so  ergeben  sich  beispielsweise  die  folgenden 
Werthe  der  molekularen  Weglängen: 

Li      Na      K      F      Gl      Br      J 

IxW  (cm)    0,16   0,44   0,88  0,12   0,86  1,39   1,76. 

Die  Anwendung  der  kinetischen  Theorie  auf  die  Theorie  der  elek- 
trolytischen Leitung   ist    von   Interesse    deßhalb ,    weil   hier    eine 
Prüfung  der  B,esultate   durch   die  entsprechende  Theorie  der  Dif- 
fusion des  Elektrolyten   ermöglicht  wird.     Wir  denken  uns 
den  Elektrolyten  wieder  eingeschlossen  in  ein  cylindrisches  Gefäß ; 
die  Concentration  nehme  in  der  Richtung  der  Axe  ab,  sie  sei  aber 
überall  so  klein,  daß  die  Molekeln  des  Elektrolyten  vollständig  in 
die  beiden  Jonen  zerfallen  sind.     Wir  könnten  zunächst  die  Diffu- 
sion der  beiden  Arten  von  Jonen  von  einander  unabhängig  in  der 
zu    Anfang   angegebenen  Weise   berechnen ;    wenn    aber    z.  B.    die 
Diffusionsgeschwindigkeit  des  negativen  Jons  eine  größere  ist,  als 
die  des    positiven ,    so  wird   in  Folge    der  Diffusion    eine  positive 
elektrische  Ladung   auf   der  einen ,    eine  negative  auf  der  anderen 
Seite  des  Cylinders  sich  einstellen  und  diese  würde  die  Diffusions- 
geschwindigkeit der  negativen  Jonen  vermindern,  die  der  positiven 
vermehren.    Der  Bewegungszustand  ist  ein  stationärer  offenbar  nur 
dann,  wenn    der  durch    die  Potentialdifferenz   bedingte  elektrische 
Strom    sich  zu  dem  Diffusionsstrom   in  ein  solches  Verhältniß  ge- 
setzt hat,    daß   durch   den  Querschnitt    des  Diffusionscylinders  je- 
derzeit  ebenso    viel   positive   wie   negative   Jonen  hindurchgehen. 
.Bezeichnen    wir    die    hiezu    nothwendige    elektromotorische   Kraft 
mit  Z,  so  giebt  die  Verbindung  der  Formeln,  welche  wir  im  Vor- 
hergehenden  für  Diffusion  und  Elektrolyse  entwickelt  haben,    für 


Molekulartheorie  der  Diffusion  und  electroly tischen  Leitung.  517 

die  Anzahl  der  Grammmolekeln  des  positiven  Jons,  welche  in  1  sec 
durch  eine  Fläche  von  1  cm2  hindurchgehen, 

h^dN  +  N£_K_Zt 

p  3      de  [ipup 

Ebenso  für  das  negative  Jon 

=  JA,«yf  Jl_  z. 
o      az  [inun 

Bestimmen  wir  den  Werth  von  Ne  Z  durch  die  Bedingung  Sp  =  SH 
so  ergiebt  sich : 

n  ,7  n    dN 

wo  n  die  Ueberführungszahl  bezeichnet.  Der  Diffusionskoefficient 
bezogen  auf  die  sec.  als  Zeiteinheit  ist  somit: 

Drückt  man  n  und  lpup  durch  die  absoluten  Beweglichkeiten  ü 
und  7  aus ,  so  ergiebt  sich  die  Formel 

welche  mit  der  von  N  e  r  n  s  t  auf  anderem  Wege  gefundenen  über- 
einstimmt; für  die  numerische  Rechnung  ist  es  am  bequemsten, 
die  Formel  in  der  Form 

V  =  \ktfnU 

zu  schreiben.  Setzt  man  für  A  und  a  ihre  Werthe  und  berechnet 
man  den  Diffusionskoefficienten  für  den  Tag  als  Zeiteinheit,  so  er- 
giebt sich 

Je  =  40,lw*7xl010. 

Beispielsweise  ist  für  HCl  n  =  0,19  und  U  =  300 xlO-18,  somit 

Je  =  2,44 

während  der  beobachtete  Werth  2,30  ist. 

Man  würde  eine  Prüfung  der  Formel  natürlich  auch  in  der 
Weise  ausführen  können,  daß  man  mit  Hülfe  der  Werthe  von  Je, 
n  und  u  die  molekulare  Weglänge  berechnete.  Die  so  aus  der 
Diffusionskonstanten  sich  ergebenden  Weglängen  würden  mit  den 
aus  der  Leitfähigkeit  berechneten  in  vollkommen  befriedigender 
•Uebereinstimmung  stehen. 


518  F.  Auerbach, 

Absolute  Härtemessung. 

Von 
F.  Auerbach  in  Jena. 

Einleitung. 

In  Anbetracht  des  Umstandes,  daß  die  Härte  eine  der  auf- 
fälligsten nnd  wichtigsten  Eigenschaften  der  festen  Körper  ist, 
muß  es  Wunder  nehmen,  daß  das  in  ihr  liegende  Problem  bis  zum 
heutigen  Tage  ohne  eine  wissenschaftlich  befriedigende  Lösung 
geblieben  ist.  Zwar  ist  die  Zahl  der  einschlägigen  Bemühungen 
eine  überaus  große ,  aber  der  Erfolg  steht  hierzu  in  einem  sehr 
ungünstigen  Verhältnisse.  Das  Problem,  das  eine  physikalische 
Eigenschaft  der  Körper  darbietet,  kann  ganz  allgemein  in  drei 
Theilprobleme  zerlegt  werden,  nämlich  erstens:  die  wissenschaft- 
liche Definition  des  betreifenden  Begriffs  als  einer  mathematischen 
Größe;  zweitens:  die  Angabe  einer  Methode  und  die  Construktion 
eines  Apparates  zur  Bestimmung  dieser  Größe ;  drittens :  die  wirk- 
liche Ausführung  derartiger  Messungen.  Dabei  kommt  es  zunächst 
durchaus  nicht  auf  die  Einfachheit  und  praktische  Brauchbarkeit 
des  Verfahrens  an  —  diese  Frage  gehört  vielmehr  einem  viel 
späteren  Stadium  der  Untersuchung  an  — ,  sondern  lediglich  auf 
die  wissenschaftliche  Exaktheit  der  Definition,  der  Methode,  des 
Apparates  und  der  Messungen. 

Historisch-Kritisches. 

Ein  kurzer  Blick  auf  die  bisherigen  Härtemessungen  zeigt, 
daß  sie  begründeten  Anspruch  auf  wissenschaftliche  Exaktheit 
nicht  erheben  können.  Der  erste  Versuch,  die  Härte  zu  definiren, 
liegt  in  dem  bekannten  Ausspruche :  Ein  Körper  ist  härter  als  ein 
andrer ,  wenn  eine  ebne  Fläche  des  ersteren  von  dem  in  Form 
einer  Spitze  angewandten  letzteren  nicht  geritzt  wird;  wird  sie 
dagegen  geritzt,  so  ist  er  weicher.  Diese  Definition  würde,  wenn 
sie  überhaupt  eine  solche  wäre,  den  fundamentalen  Fehler  haben, 
eine  Spitze  des  einen  Materials  mit  einer  ebenen  Fläche  des  andern 
zu  vergleichen,  also  eine  Vergleichung  unter  gar  nicht  vergleich- 
baren Umständen  zu  versuchen;  und  diesem  Fehler  reihen  sich 
zahlreiche  andre  an.  Aber  der  Auspruch  enthält  gar  keine  ma- 
thematische Definition,   er  sowohl,   wie  die   auf  ihn  gegründeten, 


absolute  Härtemessung.  519 

allgemein  verbreiteten  Härteskalen,  liefern  keine  Härte- 
zahlen, sondern  nur  Härtenummern,  und  selbst  diese  haben 
aus  den  obigen  Gründen  oft  einen  zweifelhaften  Werth. 

Um  wirkliche  Härtezahlen  zu  erhalten,  hat  man  dann  an  die 
Thatsache  angeknüpft,  daß  das  Auftreten  eines  Ritzes  von  dem 
Drucke  abhängt,  unter  welchem  die  Spitze  während  ihrer  Bewe- 
gung steht ,  und  man  hat  geradezu  diesen ,  in  Gewichten  ausge- 
drückten Druck  als  Maaß  der  Härte  bezeichnet.  Von  äußeren 
Schwierigkeiten  abgesehen  ist  dieser  Definition  ihre  sehr  spezielle 
Bedeutung  vorzuwerfen;  speziell  ist  dabei  1)  das  Material  der 
Spitze,  2)  ihre  Form,  also  im  wesentlichen  der  Grad  ihrer  Spitzig- 
keit, der  sich  überdies  der  exakten  Angabe  meist  entzieht,  end- 
lich 3)  ein  fast  völlig  unbeachtet  gebliebener  Umstand ,  nämlich 
die  Geschwindigkeit,  mit  welcher,  und  die  Neigung,  unter 
welcher  die  Spitze  fortbewegt  wird;  auf  die  Größe  des  zu  mes- 
senden normal  zur  Ebene  wirkenden  Druckes  müssen  beide  Um- 
stände von  Einfluß  sein.  Diese  Betrachtung  führt  zugleich  auf 
einen  den  bisher  genannten  Methoden  gemeinsamen  principiellen 
Fehler,  der  darin  liegt ,  daß  man  einen  statischen  Begriff,  wie 
die  Härte,  durch  einen  Bewegungsvorgang,  wie  das  Ritzen, 
messen  wollte  —  ein  Abweg,  auf  den  man  jedenfalls  nur  aus 
dem  praktischen  Grunde  gerathen  ist,  daß  ein  linienförmiger  Ein- 
druck sich  besser  beobachten  läßt ,  als  ein  punktförmiger.  Am 
deutlichsten  zeigt  sich  die  Fehlerhaftigkeit  dieser  Auffassung  in 
dem  Umstände,  daß  die  so  definirte  Härte  für  eine  und  dieselbe 
Krystallfläche  in  verschiedenen  Richtungen  verschiedene  Werthe 
annimmt,  was  mit  der  wahren  Härte  nichts  zu  thun  hat,  und  nur 
daher  rührt,  daß  der  ausgeübte  schiefe  Druck  außer  der  normalen 
auch  eine  laterale,  in  verschiedenen  Richtungen  verschiedene  Com- 
ponente  hat. 

Es  ist  daher  als  ein  Fortschritt  zu  bezeichnen ,  daß  die  sta- 
tische Methode ,  die  übrigens  älter  als  die  dynamische  ist ,  in 
neuerer  Zeit  von  verschiedenen  Seiten  wieder  aufgenommen  worden 
ist,  wobei  freilich  hinzugefügt  werden  muß ,  daß  diese  Methoden 
statisch  nur  insoweit  sind,  als  laterale  Bewegungen  dabei  nicht 
auftreten.  Man  schlägt ,  bohrt  oder  preßt  eine  Spitze  in  eine 
ebene  Fläche  des  zu  untersuchenden  Materials  ein  und  definirt  die 
Härte  entweder  als  das  zur  Erreichung  einer  bestimmten  Tiefe 
des  Eindringens  erforderliche  Belastungsgewicht,  oder  als  die 
Tiefe  dieses  Eindringens  bei  gegebner  Belastung,  oder  auch  als 
die  Zeit,  welche  bei  gegebner  Belastung  nothwendig  ist,  um 
bei    gleichmäßigem    Eindringen     eine    bestimmte    Tiefe    zu    er- 


520  F.  Auerbach, 

reichen.  Man  ersieht  aber  schon  aus  dieser  Zusammenstellung, 
daß  hier  verschiedene  Momente  ineinandergreifen,  und  zwar  in 
einer  nicht  allgemein  anzugebenden  Weise.  Dazu  kommt  als 
weiterer  Uebelstand,  daß  hier  das  betreffende  Material  nicht  nur 
sehr  stark  beansprucht,  sondern  an  der  zu  untersuchenden  Stelle 
geradezu  zerstört  wird,  daß  man  also  in  dem  Augenblicke,  wo 
man  die  Härte  mißt,  gar  nicht  mehr  den  ursprünglichen  Körper 
vor  sich  hat.  Aus  diesen  Gründen  ergiebt  sich,  daß  auch  die  so 
erhaltene  Größe  ein  die  Härte  in  ausreichendem  und  nothwendigem 
Grade  charakterisirendes  Maaß  nicht  sein  wird. 

Das  Verdienst,  die  principiellen  Fehler,  von  denen  hier  die 
Rede  war  ,  richtig  erkannt  und  durch  eine  neue  Definition  der 
Härte  im  wesentlichen  vermieden  zu  haben,  gebührt  Hertz1). 
Erstens  ersetzt  er  die  Spitze  durch  eine  kugelförmige  Endfläche 
oder,  richtiger  gesagt  —  da  doch  die  Spitze  nichts  anderes  als 
eine  derartige  Kugelfläche  mit  sehr  kleinem  Radius  ist  —  er  giebt 
ihr  eine  beliebige,  aber  genau  meßbare  Krümmung;  zweitens 
läßt  er  dahingestellt ,  aus  welchem  Material  die  Spitze  bestehe, 
derart  daß  man  hierfür ,  wenn  man  es  für  wünschenswerth  er- 
achtet, auch  denjenigen  Stoff  wählen, kann,  aus  welchem  der  zu 
untersuchende  Körper  besteht;  das  Ergebniß  hängt  alsdann  über- 
haupt von  keinem  fremden  Material  ab;  drittens  endlich  bringt 
er  dem  zu  untersuchenden  Körper  keine  Verletzung  von  bestimmtem 
Grade  bei,  sondern  läßt  ihn  nur  eben  seine  Elasticitätsgrenze  er- 
reichen. Hiernach  lautet  die  Definition  der  Härte  folgendermaßen : 
Die  Härte  ist  die  Elasticitätsgrenze  eines  Körpers  bei  Berührung 
einer  ebenen  Fläche  desselben  mit  einer  kugelförmigen  Fläche 
eines  andern  Körpers.  Damit  ist  zugleich  der  Begriff  der  Härte 
eingereiht  unter  die  übrigen  analogen  Begriffe ,  welche  sich  auf 
die  Vorgänge  des  Zuges,  der  Biegung  u. s.w.  beziehen.  Während 
es  Hertz  gelang  durch  eine  höchst  scharfsinnige,  exakte  Entwicke- 
lung  des  Berührungsproblems 2)  die  theoretische  Grundlage  des 
Härte-Problems  zu  sichern  und  somit  das  erste  der  eingangs  ge- 
nannten drei  Theilprobleme  vollständig  zu  lösen,  war  er  bei  seinen 
Versuchen,  eine  geeignete  Methode  festzustellen  und  wirkliche 
Härtemessungen  vorzunehmen ,  weniger  erfolgreich ,  sodaß  er  nach 
den  ersten  Vorversuchen  die  Angelegenheit  fallen  ließ.  Ich  will 
hier  auf  eine  Untersuchung  der  Umstände,  die  dabei  maaßgebend 
waren,  nicht  eingehen.     Dagegen  glaube  ich,  daß  es  mir  gelungen 


1)  H.  Hertz,  Verh.  Berl.  physik.  Ges.  1882,  p.  67. 

2)  Hertz,  Crelle's  J.  92,  p.  156.  (1882). 


absolute  Härtemessung.  521 

ist ,  eine  durchaus  brauchbare  und  einer  genügenden  ,  zum  Theil 
sogar  überraschenden  Genauigkeit  fähige  Methode  aufzufinden,  und 
will  diese ,  ihre  Theorie ,  den  darauf  gegründeten  Apparat  und 
einige  Messungen  hier  mittheilen ,  bemerke  aber ,  daß  diese  letz- 
teren zunächst  nur  den  Zweck  haben,  zu  zeigen,  daß  die  Methode 
und  die  Resultate,  die  sie  liefert,  als  eine  befriedigende  Lösung 
des  zweiten  und  dritten  Theilproblems  zu  betrachten  sind. 

Theorie. 

Wenn  eine  ebene  Fläche  eines  Körpers  und  eine  kugelförmige 
Fläche  eines  andern  Körpers  sich  ohne  Druck  berühren,  so  thun 
sie  dies  in  einem  Punkte.  Wird  jetzt  ein  bestimmter,  gegen  die 
Ebene  normaler  Druck  ausgeübt,  so  verändern  sich  beide  Flächen, 
die  Ebene  krümmt  sich,  die  Kugelfläche  plattet  sich  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  ab,  und  damit  geht  der  Berührungspunkt  in  eine 
beiden  Körpern  gemeinsame  Fläche  über.  Diese  Fläche  heißt  die 
Druckfläche;  sie  ist  weder  eben,  noch  von  der  Krümmung 
der  Kugelfläche ,  ihre  Krümmung  liegt  vielmehr  zwischen  beiden 
Werthen  ;  wie  groß  sie  ist ,  hängt  nicht  nur  von  der  Krümmung 
der  Kugelfläche,  sondern  auch  von  den  Elasticitätsverhältnissen 
der  beiden  Körper  ab;  begrenzt  endlich  ist  die  Druckfläche  durch 
eine  Kreislinie. 

Wird  der  ausgeübte  Druck  gesteigert,  so  nimmt  die  Druck- 
fläche an  Größe  zu,  und  der  gesteigerte  Druck  vertheilt  sich  somit 
auf  eine  größere  Fläche.  Nun  hängt  die  Beanspruchung  des  Ma- 
terials offenbar  nicht  von  dem  ausgeübten  Gesammtdruck,  sondern 
von  dem  Druck  auf  die  Flächeneinheit  ab ;  es  kommt  daher  darauf 
an,  wie  sich  diese  letztere  Größe  bei  Steigerung  des  Gesammt- 
druckes  verhält,  resp.  nach  welchem  Gesetze  sie  selbst  wächst  — 
denn  daß  auch  der  Druck  pro  Flächeneinheit  wächst,  folgt  schon 
aus  den  bekanntesten  Erfahrungsthatsachen.  Nach  welchem  Ge- 
setze der  Einheitsdruck  mit  dem  Gesammtdrucke  zunehmen 
wird ,  hängt  von  dem  Gesetze  ab  ,  nach  welchem  die  Druckfläche 
mit  dem  Gesammtdrucke  wächst.  Die  Theorie  zeigt  nun,  daß  der 
Radius  der  Druckfläche  (genauer :  der  Radius  der  sie  begrenzenden 
Kreislinie)  wie  die  Kubikwurzel  aus  dem  Gesammtdruck  wächst, 
also  die  Druckfläche  selbst  wie  die  2/3.  Potenz  desselben ;  so  viel 
also  geht  durch  Vertheilung  verloren,  und  der  Einheitsdruck  steigt 
nur  wie  die  Kubikwurzel  aus  dem  Gesammtdruck.  Auch  die  Frage, 
wie  sich  der  Gesammtdruck  auf  die  Fläche  vertheilt,  wird  von 
der  Theorie  beantwortet,  und  zwar  dahin,  daß  der  Druck  zu  einer 


522  F.  Auerbach, 

bestimmten  Zeit  vom  Mittelpunkte  der  Druckfläche  aus,  wo  er  am 
größten  ist,  nach  dem  Rande  hin,  wo  er  null  ist,  allmälich  ab- 
nimmt; der  oben  schlechthin  als  solcher  bezeichnete  Einheitsdruck 
hat  also  nur  die  Bedeutung  eines  Durchschnittswerthes ,  der  im 
Mittelpunkt  stattfindende  Maximalwerth  verhält  sich  zu  ihm  wie 
3  :  2.  Wächst  nun  der  Gesammtdruck  mehr  und  mehr ,  so  wird 
auch  der  letztgenannte  Maximaldruck  immer  größer,  und  bei  einem 
bestimmten  Werthe  desselben  wird  der  Eine  der  beiden  Körper 
oder  werden  beide ,  falls  sie  aus  demselben  Stoffe  bestehen ,  die 
Elasticitätsgrenze  erreichen,  was  sich  darin  zeigen  wird,  daß,  bei 
einem  plastischen  Körper,  eine  dauernde  Deformation  eintritt,  also 
eine  Doformation ,  die  auch  nach  Aufhebung  des  Drucks  bestehen 
bleibt,  daß  dagegen,  bei  einem  spröden  Körper,  der  Zusammen- 
hang der  Theile  an  gewissen  Stellen,  also  durch  einen  Sprung, 
aufgehoben  wird.  Dieser  Grenzwerth  des  im  Mittelpunkte  der 
Druckfläche  herrschenden  Einheitsdrucks  ist  nach  der  Definition 
von  Hertz  die  Härte  des  betreffenden  Körpers. 

Bisher  wurde  ein  bestimmtes  System  zweier  sich  berührenden 
Körper  angenommen.  Es  entsteht  jetzt  die  Frage ,  wie  sich  die 
Verhältnisse  ändern,  wenn  es  durch  ein  andres,  in  irgend  einer 
Weise  von  jenem  abweichendes  ,  ersetzt  wird.  Die  Abweichung 
kann  im  Wesentlichen  nur  zwei  Punkte  betreffen ;  es  kann  nämlich 

1)  die  Kugelfläche    eine   andre  Krümmung   haben ,    und  es  können 

2)  die  Körper  aus  Stoffen  andrer  Elasticität  bestehen.  Was  den 
ersten  Punkt  betrifft,  so  zeigt  die  Theorie,  daß,  bei  sonst  gleichen 
Umständen,  der  Radius  der  Druckfläche  der  Kubikwurzel  aus  dem 
Krümmungsradius  der  Kugelfläche,  also  die  Druckfläche  selbst 
seiner  2/3.  Potenz  direkt  proportional  ist.  Bei  gleichem  Gesammt- 
druck ist  also  der  Einheitsdruck  und  folglich  auch  der  Maximal- 
druck der  Kubikwurzel  aus  dem  Krümmungsradius  proportional. 
Ist  nun  dieser  Maximaldruck  die  maaßgebende  Größe,  so  muß  sein 
der  Elasticitätsgrenze  entsprechender  Grenzwerth  unabhängig  vom 
Krümmungsradius  sein.  Es  muß  also  der  Grenzwerth  des  Ge- 
sammtdruckes  dem  Quadrate  des  Grenzradius  der  Druckfläche 
proportional  sein,  oder,  wenn  man  hierin  mit  Hilfe  der  obigen 
Beziehungen  den  Radius  der  Druckfläche  durch  Gesammtdruck 
und  Krümmungsradius  ausdrückt,  es  muß  der  Grenzwerth  des  Ge- 
sammtdrucks  mit  dem  Quadrate  des  Krümmungsradius  wachsen. 
Auf  den  zweiten  Punkt  soll  hier  zunächst  nicht  näher  eingegangen 
werden,  es  sei  nur  bemerkt,  daß  unter  sonst  gleichen  Umständen 
die  Größe  der  Druckfläche  von  einer  Combination  der  Elasticitäts- 
constanten  der  Stoffe  abhängt;    in  dem  hier  vorerst  ausschließlich 


absolute  Härtemessung.  523 

zu  betrachtenden  Falle ,  daß  die  beiden  Körper  aus  dem  gleichen 
Stoffe  bestehen,  wird  diese  Abhängigkeit  natürlich  eine  besonders 
einfache. 

Um   die    angeführten  Gesetze  in  Formeln   zu  bringen,    sollen 
folgende  Bezeichnungen  eingeführt  werden.     Es  sei: 
q  der  Krümmungsradius  der  Kugelfläche  in  mm. 
p  der  ausgeübte  Druck  in  kgr. 

P  sein  Grenzwerth,  d.  h.  sein  Werth  im  Augenblicke  des  Ein- 
tritts einer  bleibenden  Deformation, 
pi  der  Einheitsdruck   im   Mittelpunkte    der  Druckfläche,    also 

der  Maximaldruck,  in  kgr  pro  qmm. 
Pi  sein  Grenzwerth,  also  die  „  theoretische  Härte u. 
d  der  Durchmesser  der  Druckfläche  in  mm  (da  er  in  den  Be- 
obachtungen unmittelbar  auftritt,  ist  er  dem  oben  stets  be- 
trachteten Radius  vorzuziehen). 
D  sein  Grenzwerth  in  mm. 

H  die  wahre  Härte,  die,  wie  sich  zeigen  wird,  von  der  theo- 
retischen in  einer  gewissen  Hinsicht  verschieden  ist. 
q  zur  Abkürzung  der  Quotient  p/d3. 
Q  sein  Grenzwerth. 
f  die  Größe  der  Druckfläche  in  qmm. 
F  ihr  Grenzwerth. 

E  der  Elasticitätsmodul  des  Materials  in  kgr.  pro  qmm. 
\i  seine   Elasticitätszahl    d.  h.     das    Verhältniß   der   Quercon- 

traktion  zur  Längsdilatation. 
E'  zur  Abkürzung  der  Quotient  E/(l  —  ft2). 
Schließlich  sollen  eckige  Klammern   bedeuten,    daß  die  einge- 
schlossene Größe   nicht   in   obigen   absoluten  Maaßen ,    sondern  in 
den  zufälligen  Beobachtungsmaaßen  ausgedrückt  ist. 
Hiernach  ergeben  sich  folgende  Formeln: 


?-:£>■ 

F  =  —  D2 

4 

3    p 

6    P           P 

%    d*' 

2   F  ~~      7t   D> 

d  d* 

für   ein   und   daselbe  q  und  E' :   -==  =  const,  also  —  =  const. 

\P  P 
also 

q  =  const,  (1) 

ein  constanter  Werth,  mit  dem  also  auch  der  Grenzwerth  Q  über- 


524 


F.  Auerbach. 


Pt 


einstimmt.    Folglich  für  gleiches  q  und  E':  -~  =  const.    Für  ver- 
schiedene  q,  aber  ein  und  dasselbe  E' :  -y=  =  const,  also 


(2) 


gq  =  const; 


für  verschiedene  q  und  E':  d  =  \-jjjP>  D  =  V  ~E^;  für 
schiedene  q,  aber  gleiches  E': 


ver- 


r  p 


(3)      pa  =  const,  also    , 


w 

= 

const 

p 

= 

const 

B 



const 

Q 


drei  Gleichungen,  welche  nur  verschiedene  Ausdrucksweisen  einer 
und  derselben  Beziehung  sind.  Endlich  für  ein  bestimmtes  q  und 
E'  die  theoretische  Härte: 


(4) 


P   ,11  =  11/11^=1^ 


und  nebenbei  die  Elasticitätsconstante  E' ' : 
(5)  F  =  129q. 


Methode. 

Aus  dem  Vorstehenden  ergiebt  sich ,  daß  man ,  um  aus  den 
Erscheinungen  bei  der  Berührung  einer  ebenen  und  einer  kugel- 
förmigen Fläche  gleichen  Materials  die  Härte  desselben  ableiten 
zu  können ,  den  Druck ,  unter  welchem  die  Berührung  stattfindet, 
bis  zur  Elasticitätsgrenze  steigern,  den  Augenblick,  in  welchem 
diese  erreicht  ist,  genau  feststellen  und  in  diesem  Augenblicke 
zwei  Größen :  den  Gesammtdruck  und  den  Durchmesser  der  Druck- 
fläche, messen  muß.  Die  erste  der  Formeln  (4)  giebt  dann  die 
theoretische  Härte.  Für  die  Genauigkeit  des  Ergebnisses  ist  es 
offenbar  mißlich,  daß  man  jede  der  beiden  Größen  P  und  D  nur 
einmal  messen  kann,  und  es  erscheint  wünschenswerth,  wenigstens 


absolute  Hcärtemessung.  525 

für  die  Große  JD  —  denn  für  P  ist  es  augenscheinlich  nicht  mög- 
lich —  hierin  Wandel  zu  schaffen ;  dazu  können  die  beiden  andern 
Formeln  (4)  Anwendung  finden.  Die  eine  von  ihnen  erfordert, 
außer  der  Messung  von  P  noch  die  Kenntniß  von  q  und  E' ; 
während  man  nun  q  als  aus  der  Herstellung  der  Kugelfläche  be- 
kannt annehmen  kann,  würde  man  gezwungen  sein,  E' ,  also  E 
und  ji  entweder  aus  den  für  den  betreffenden  Stoff  vorliegenden 
Messungen  zu  entlehnen,  oder  diese  Messung  an  andern  Stücken 
desselben  Materials  selbst  vorzunehmen,  beides  wenig  empfehlens- 
werthe  Auskunftsmittel,  da  die  Elasticitätsverhältnisse  bekanntlich 
mit  der  kleinsten  Verschiedenheit  des  Stoffs  und  selbst  von  indi- 
viduellem Stück  zu  Stück  oft  nicht  unerheblich  variiren.  Dagegen 
ist  die  letzte  der  Formeln  (4)  in  jeder  dieser  Hinsichten  durchaus 
brauchbar ;  sie  setzt  nämlich  außer  der  Messung  von  P  lediglich 
die  Kenntniß  von  q  voraus ,  die  man  sich ,  da  bei  zunehmendem 
Gesammtdruck  q  constant  bleibt,  aus  einer  größeren  Zahl  von 
Messungen  bei  wachsenden  p  verschaffen  kann ,  für  die  man  also 
nicht  auf  die  Messung  des  einzigen  Grenzwerthes  beschränkt  ist. 
Im  Gegentheil,  es  kann  sogar  nur  vortheilhaft  sein,  diesen  Grenz- 
werth  Q,  falls  er  von  den  übrigen  Werthen  abweichen  sollte, 
nicht  mit  zur  Bildung  des  Mittelwerthes  von  q  zu  benutzen,  da 
in  dem  Augenblicke ,  wo  man  ihn  beobachten  kann ,  der  Körper 
schon  eine  bleibende  Deformation  erfahren  hat.  Daß  man  auf 
diese  Weise  gezwungen  wird,  die  Drucksteigerung  nach  und  nach 
vorzunehmen,  kommt  nicht  in  Betracht,  da  ein  solches  Verfahren 
ohnehin  geboten  ist,  wenn  man  nicht  für  den  Grenzdruck  einen 
falschen  Werth  zu  finden  Gefahr  laufen  will. 

Der  Eintritt  der  Elasticitätsgrenze  ist  am  einfachsten  bei 
sog.  spröden  Körpern  mit  Genauigkeit  festzustellen,  und  zwar 
durch  das  plötzliche  Auftreten  eines  Sprunges,  von  welchem  gleich 
hier  angeführt  werden  möge,  daß  er  z.  B.  bei  Glas  genau  kreisförmig, 
mit  der  Druckfläche  concentrisch  und  sehr  klein  im  Verhältniß  zum 
Krümmungsradius  der  Kugelfläche  ist.  Demgemäß  ist  in  dieser 
Mittheilung  nur  von  spröden  Körpern  die  Rede.  Die  meisten 
spröden  Körper  sind  zugleich  mehr  oder  weniger  durchsichtig,  und 
auf  durchsichtige  Körper  allein  ist  die  Methode  in  ihrer  hier  zu 
beschreibenden  Form  unmittelbar  anwendbar.  Diese  Methode  aber 
besteht  in  folgendem. 

Der  Körper  mit  kugelförmiger  Fläche  wird  in  Form  einer 
Linse  von  1  bis  30  mm  Krümmungsradius,  der  Körper  mit  ebener 
Fläche  in  Form  einer  planparallelen  Platte  von  rund  11,6  mm 
freiem  Durchmesser  und  8  mm  Dicke  angewendet,    also  von  einer 

Nachrichten  ron  der  K.  6.  d.  W.  in  Göttinnen.    1890.   No.  16.  43 


526  F.  Auerbach, 

im  Vergleich  zur  Breite  hinreichenden  Dicke,  um  eine  Durchbie- 
gung der  Platte  als  solcher  auszuschließen.  Die  Platte  ist  fest, 
die  Linse  frei  aufgestellt;  der  Druck  wird,  durch  Vermittelung 
eines  Hebels,  durch  Gewichte  erzeugt.  Die  Druckfläche  und  das 
Auftreten  des  Sprunges  werden,  um  naheliegenden  Einwänden  zu 
begegnen,  in  unveränderter  Drucklage  von  Platte  und  Linsen  be- 
obachtet ,  und  zwar ,  da  es  sich  um  sehr  kleine  Größen  handelt, 
mit  einem  Mikroskop ,  normal  durch  die  Platte  hindurch.  Die 
Druckfläche  erscheint  dabei  als  ein  dunkler,  kreisförmiger  Fleck, 
der  ebenso  wie  die  ihn  umgebenden  Ringe  als  Interferenzerschei- 
nung aufzufassen  ist ;  übrigens  finden  auch  die  Durchmesser  dieser 
Ringe,  wie  sich  zeigen  wird,  bei  den  Beobachtungen  Verwerthung. 
Die  Einzelheiten  der  Methode  müssen  an  der  Hand  des  Apparates 
besprochen  werden. 


Apparat. 


Der  durch  freundliche  Vermittelung  von  Herrn  Abbe  in  dem 
hiesigen  optischen  Institute  von  Z  e  i  s  s  ausgeführte  Apparat ,  bei 
dessen  Construcktion  meine  hiesigen  Fachgenossen ,  insbesondere 
aber  Herr  Abbe  selbst ,  mir  mit  werthvollen  Rathschlägen  zur 
Hand  gingen,  ist  in  der  Figur  in  einem  schematischen  Schnitt 
mit  Fortlassung  nebensächlicher  Dinge  dargestellt.  Er  ist  so  ge- 
baut, daß  er  genügende  Festigkeit  besitzt,  um  den  großen  Drucken, 
denen  er  auszusetzen  ist,  gewachsen  zu  sein;  zugleich  ist  er  zur 
möglichsten  Vermeidung  von  Erschütterungen  an  einem  Pfeiler 
eines  Kellerzimmers  mittelst  starker  Bänder  montirt.  Die  guß- 
eiserne Grundplatte  G  G'  hat  T-förmigen  Querschnitt,  730  mm 
Länge,  75  mm  Breite  und  der  Länge  nach  einen  centralen  Schlitz. 
Der  auf  ihr  aufgeschraubte  Träger  T  enthält  die  Lager  t  für  die 
Schneiden  D,  welche  den  Drehpunkt  für  den  schmiedeeisernen  zwei- 
armigen Hebel  H  H'  bilden.  Der  kürzere  linke  Schenkel  H  hat 
in  50  mm  horizontalem  Abstand  von  der  Drehaxe  eine  ringförmige 
Erweiterung  l  V,  deren  konische  Höhlung  zur  Aufnahme  des  die 
Linse  L  tragenden  Zapfens  Z  dient.  Von  dem  etwa  zehnmal  so 
langen  rechten  Hebelarm  H',  der  in  der  Schneide  c  endet,  ist  in 
der  Figur  ein  längeres  Stück  weggelassen.  Die  Platte  P  aus 
dem  zu  untersuchenden  Material  befindet  sich  in  der  centralen 
Durchbohrung  der  oberen  Platte  o  o  eines  Trägers ,  welcher  aus 
der  untern  Platte  u  und  einem  Paar  sie  verbindender  starker 
Säulen  besteht,  von  denen  in  der  Figur,  da  sie  mit  dem  Linsen- 
zapfen in  einer  Linie  liegen,  nur  ein  Stumpf  s  angedeutet  ist. 


Zu  S.  526 


I 


absolute  Härtemessung.  527 

Die  Platte  o  o'  ist  16  mm  stark ,  mit  ihrer  unteren  Fläche 
schließt  diejenige  der  zu  untersuchenden  Platte  P  in  einer  Linie 
ab.  Der  ganze  Kasten  läßt  sich  in  dem  Schlitz  der  Grundplatte 
verschieben  und  mittelst  der  kräftigen  Flügelschraube  St  derart 
feststellen,  daß  ein  gewünschter  Punkt  der  Platte  P  genau  über 
den  höchsten  Punkt  der  Linse  L  kommt.  In  ähnlicher  Weise  läßt 
sich  das  Mikroskop  M  verschieben  und  mittelst  der  Flügelschraube 
#2,  sowie  auf  Grund  der  Form  des  Statives  ebenfalls  genau  ver- 
tikal über  den  höchsten  Punkt  der  Linse  aufstellen.  Die  Linse 
L  ist  in  den  Zapfen  Z  eingekittet,  die  Platte  P  in  die  Platte  o  o' 
einfach  eingesetzt,  am  Herausfallen  wird  sie  durch  zwei  über 
ihren  Rand  geschobene  Scharniere  verhindert.  Das  Mikroskop 
enthält  ein  Okularmikrometer  m  und  empfangt  seine  Beleuchtung, 
da  sie  von  unten  wegen  Behinderung  durch  Platte  und  Linse  nicht 
möglich  ist ,  von  der  Seite  ,  und  zwar  durch  eine  Gasflamme  F, 
deren  Strahlen  durch  eine  Oeffnung  im  Rohr  auf  ein  rechtwinke- 
liges, nur  dessen  eine  Hälfte  einnehmendes,  Prisma  n  fallen,  von 
hier  nach  unten  und  von  dort  wieder  nach  oben  reflektirt  werden, 
um  endlich  in  der  freien^  Hälfte  des  Rohres  zum  Auge  des  Be- 
obachters zu  gelangen.  Der  rechte  Hebelarm  H'  kann  mittelst 
der  Schraube  A  in  so  hoher,  und  folglich  der  kurze  Hebelarm 
H  in  so  tiefer  Stellung  festgelegt  werden,  daß  eine  vorzeitige  Be- 
rührung zwischen  Linse  und  Platte  ausgeschlossen  ist.  Wird  A 
herabgelassen,  so  würde  der  lange  Hebelarm  bei  weitem  das  Ueber- 
ge wicht  gewinnen,  wenn  dieses  nicht  durch  den  schmiedeeisernen 
Arm  W  mit  dem  Laufgewicht  w  ausgeglichen  werden  könnte;  die 
Form  von  W  war  durch  die  Umstände  geboten,  ihre  nachtthei- 
lige  Wirkung  auf  die  Empfindlichkeit  des  Hebels  ist  aber  durch 
Hochlegung  des  letzten  Armgliedes  mit  dem  Laufgewicht  w  wieder 
aufgehoben.  Letzteres  wird  so  gestellt,  daß  zwischen  Linse  und 
Platte  noch  ein  kleiner  Zwischenraum  bleibt,  und  alsdann  durch 
Aufsetzen  kleiner  Ringe  r  auf  den  Stift  q  die  Berührung  eben 
hergestellt,  was  sich  an  der  Verwandlung  des  bunten  Interferenz- 
centrums in  ein  schwarzes  zu  erkennen  giebt.  Zur  Wiederher- 
stellung dieses  Zustandes  in  jedem  gewünschten  Augenblicke  und 
gleichzeitig  zur  Präcisirung  des  Verlaufes  der  Versuche  dient  der 
am  Ende  der  Grundplatte  mittelst  des  Trägers  U  aufgeschraubte 
Hebel  K  K'.  Das  Gehänge  R,  an  dessen  Haken  verschieden 
große  Waagschalen  angehängt  werden  können,  hat  nämlich  die 
Form  eines  Rahmens,  in  dessen  Innerem,  in  gewissem  Abstände 
übereinander,  das  Lager  e  und  die  Schneide  c  angebracht  sind; 
wird   nun    durch  Senkung   der    Schraube  B  der  Hebelarm  K  ge- 

43* 


528  F.  Auerbach, 

senkt,  also  K'  gehoben,  so  nimmt  das  an  diesem  Hebel  angebrachte 
Lager  e'  die  Schneide  c  des  Gehänges  auf,  hebt  dieses  somit  in 
die  Höhe  und  entlastet  dadurch  den  Haupthebel  H  H']  wird  um- 
gekehrt B  hochgeschraubt,  so  senkt  sich  das  Gehänge,  die  Schneide  c 
nimmt  e  auf,  und  der  Haupthebel  wird  belastet.  Durch  alle  diese 
Einrichtungen  wird  es  erreicht,  daß  im  Laufe  einer  ganzen  Ver- 
suchsreihe alle  Stöße  und  plötzlichen  Aenderungen  ausgeschlossen 
bleiben,  und  es  erfolgt  die  Belastung  durch  hinzugefügte  Gewichte, 
durch  Drehen  der  Schraube  B  und  unter  Mitwirkung  der  Fede- 
rung des  Hebelarms,  in  beliebig  langsamer  und  allmählicher  Weise. 
Im  allgemeinen  wurde  hiernach  vor  jeder  Steigerung  des  Druckes 
durch  vollständige  Entlastung  die  drucklose  Berührung  zwischen 
Linse  und  Platte  wiederhergestellt;  es  wurde  aber  zur  Controlle 
mehrfach  auch  umgekehrt  verfahren,  dabei  aber,  bei  Annäherung 
an  die  Elasticitätsgrenze  die  Vorsicht  gebraucht ,  das  letzte  Zu- 
satzgewicht in  der  Gestalt  von  Sand  auf  die  Waagschale  auf- 
zulegen. 

Constanten   und  Fehlerquellen. 

Die  zunächst  zu  ermittelnden  Constanten  des  Apparats  sind 
der  Werth  eines  Theiles  des  Okularmikrometers  und  das  Ver- 
hältniß  der  Hebelarme.  Jener  wurde  durch  Vergleichung  mit 
einem  Objektmaaßstab  ermittelt  und  zwar  am  genauesten  schließ- 
lich in  der  Weise,  daß  eine  Glasplatte,  in  deren  Unterseite  zehn- 
tel mm  eingeritzt  waren,  in  der  Lage  P  beobachtet  wurde.  Es 
fand  sich: 

27  sc.  sb=  1  mm, 

mit  einer  gleich  zu  besprechenden  Abweichung  am  Rande.  Das 
Verhältniß  der  Hebelarme  hätte  bei  der  Gestalt  des  Hebels  auf 
direktem  Wege  nur  ungenau  ermittelt  werden  können ;  es  wurde 
daher  an  die  Stelle  des  Linsenzapfens  Z  ein  Zapfen  mit  einer 
Spitze  gebracht,  auf  diese  eine  kräftige  Waagschale,  die  unter 
die  Grundplatte  herunterhing,  gebracht  und  mit  den  aufgelegten 
Gewichten  in's  Gleichgewicht  mit  einer  kleineren  an  das  Gehänge 
B  gehängten  Waagschale  nebst  Gewichten  gebracht.  Es  ergab 
sich  auf  diese  Weise  die  Verhältnißzahl 

v  =  9,8 

mit   einem  wahrscheinlichen   Fehler  von  ±  0,01,  d.  h.    etwa  Viooo 


absolute  Härtemessung.  529 

des  Werthes.  Hiernach  sind  alle  im  Mikroskop  gemessenen  Längen 
mit  27  zu  dividiren ,  und  aus  dem  beobachteten  Gewicht,  in  dem 
natürlich  das  Grewicht  von  Gehänge  und  Waagschale  mit  ent- 
halten ist ,  ergiebt  sich  der  wirkliche  Druck  zwischen  Linse  und 
Platte  durch  Multiplikation  mit  9,8. 

Eine  wichtige  Frage  ist  ferner  die,  ob  der  im  Mikroskop  be- 
obachtete schwarze  Fleck  seiner  Größe  nach  die  Druckfläche  un- 
mittelbar wiedergiebt,  oder  ob,  und  eventuell  welche  Correktionen 
vorerst  noch  vorzunehmen  sind.  Es  sind  hier  vier  Correktionen 
denkbar : 

1)  Wegen  des  Umstandes ,  daß  eine  fast  vollständige  Aus- 
löschung des  Lichts  bekanntlich  nicht  nur  in  der  Berührungsfläche 
von  Platte  und  Linse,  sondern  noch  darüber  hinaus  bis  zu  der 
Stelle  stattfindet,  wo  der  vertikale  Abstand  beider  etwa  1/g  Wel- 
lenlänge beträgt,  der  Fleck  also  um  so  viel  größer  erscheint  als 
die  wirkliche  Druckfläche.  Man  könnte  diese  Correktion  aus  der 
durch  die  Drucktheorie  gegebnen  Gestalt  der  Linse  berechnen; 
einfacher  und  sicherer  gelangt  man  zum  Ziele,  wenn  man  erwägt, 
daß  der  erste,  den  Fleck  umgebende  dunkle  Ring,  sich  da  befindet, 
wo  der  vertikale  Abstand  von  Linse  und  Platte  x/2  Wellenlänge 
beträgt.  Auf  Grund  der  Messung  dieses  Ringdurchmessers  und 
einer  Rechnung,  die  hier  übergangen  werden  möge,  kann  man 
sich  dann  eine  kleine  Tabelle  verschaffen ,  welche  die  gesuchte 
Correktion  in  Skalentheilen  als  Funktion  der  Linsenkrümmung 
und  des  scheinbaren  Fleckdurchmessers  angiebt.  Hier  sei  nur 
angeführt,  daß  sie  zwischen  0,0  und  0,8  sc.  variirt,  also  in  vielen 
Fällen  nicht  unberücksichtigt  bleiben  darf  und  in  diesen  that- 
sächlich  berücksichtigt  worden  ist. 

2)  Wegen  der  astigmatischen  Verzerrung  des  durch  die  Plan- 
platte beobachteten  Bildes.  Es  genüge  hier  die  Bemerkung,  daß 
bei  der  Kleinheit  des  Gesichtswinkels  der  betreffende  Fehler  über 
Viooo  des  Werthes  nicht  hinausgeht,  außer  wenn,  was  nie  ge- 
schehen ist,  an  der  äußersten  Peripherie  des  Gesichtsfeldes  beo- 
bachtet wird. 

3)  Wegen  des  Umstandes,  daß  der  Fleck  nicht  die  gekrümmte 
Druckfläche  selbst,  sondern  ihre  ebene  Projektion  wiedergiebt; 
auch  dieser  Fehler  ist  verschwindend  klein,  da  selbst  bei  den 
kleinsten  zur  Anwendung  gelangten  Linsen  und  den  stärksten 
Drucken  der  Größenunterschied  beider  Flächen  unter  2/iooo  bleibt. 

4)  Wegen  der  etwaigen  Wirkung  der  durch  den  Druck  de- 
formirten  Platte  als  Planconcavlinse.    Eine  solche  Wirkung  würde 


530  F-  Auerbach, 

sttattfinden ,  wenn  das  beobachtete  Objekt  um  eine  in  Betracht 
kommende  Strecke  hinter  der  Concavfläche  läge ,  was  denkbar 
wäre,  da  dieses  Objekt,  d.  h.  die  Peripherie  des  Flecks,  nach  dem 
obigen  an  einer  Stelle  liegt,  wo  Platte  und  Linse  sieht  nicht  mehr 
berühren,  und  da  keine  Angaben  darüber  vorliegen,  wo  eigentlich 
in  einem  Falle ,  wie  der  vorliegende ,  die  Interferenzerscheinung 
ihren  Sitz  hat.  Durch  verschiedene  Beobachtungen,  sowie  durch 
eine  Grenzrechnung,  stellte  sich  nun  aber  heraus,  daß  diese  Feh- 
lerquelle die  vorerwähnten  an  Einfluß  nicht  oder  doch  nicht  we- 
sentlich übertrifft. 

Prüfung    der   Theorie. 
Messung  der  Elasticität  und  der  Härte. 

Als  Material  für  die  Versuche   dienten  drei  von  der  hiesigen 
Glasschmelze    Schott  u.   Gen.   herrührende    Glassorten,   von 
denen  Sorte  I  als  ziemlich  weich,   II  als  normal,   III  als  ziemlich 
hart  bezeichnet  wurde;    grade  in  Anbetracht  des  Umstandes,  daß 
es    sich   hierbei   um    drei   Sorten    eines   und    desselben  Materials 
handelte,   also  nur  geringe  Härteunterschiede  zu  erwarten  waren, 
mußten  diese  Versuche  zugleich"  auch  über  die  Empfindlichkeit  der 
Methode  entscheiden.     Als  viertes  Material    diente   senkrecht  zur 
Axe  geschnittener  Bergkrystall  (Quarz),  und  zwar  ebenso  wie  bei 
den  Glassorten  in   der  Weise,    daß   Linse    und  Platte  von   einem 
einzigen   Stück   des  Materials  herrührten.      Auf  optischem  Wege 
überzeugte  man  sich   davon,    daß   die  Abweichung   der   schließlich 
benutzten   Gläser  von   der  Isotropie,    sowie    die  Abweichung  der 
Quarzplatten  von   der   gewünschten  Richtung    nur   eine    sehr   ge- 
ringfügige war;  wäre   es  nicht   der  Fall  gewesen,   so  hätte   sich 
das   übrigens   auch   in    der  Lage  und  Gestalt   der  Sprünge   offen- 
baren müssen,  wie  dies  bei  einigen,    eigens  zu  diesem  Zweck  an- 
gestellten, hier  aber   nicht  näher   zu  besprechenden  Versuchen  in 
der  That  der  Fall  war.     Auch  eine  andere  interessante  Erschei- 
nung soll  an  dieser  Stelle  nur  eben  erwähnt  werden,  nämlich  die, 
daß    der  Sprung   zwar  mit  der  Druckfläche   concentrisch  ist,  mit 
ihrem  Rande  aber  nicht  zusammenfällt,  sondern  ihn  in  einem  meß- 
baren und  bestimmten  Gesetzmäßigkeiten  unterworfenen  Abstände 
umschließt.    Noch  muß  eine  Frage   beantwortet  werden,   die  dem 
Leser  sich  unwillkürlich  aufgedrängt  haben  wird,    die  Frage,  wie 
es  denn  erlaubt  sei ,    ein  krystallisches  Material  zu  wählen,   wäh- 
rend   doch    die    Theorie    nur    für    isotrope    Körper    gilt.      Letz- 
teres ist  richtig;  jedoch  ist  zu  beachten,   daß  z.  B,  in  der  ersten 


absolute  Härtemessung.  531 

der  Formeln  (4)  lediglich  der  Zahlenfaktor  unrichtig  sein  könnte; 
erweisen  sich  nun  die  Beziehungen  (1)  und  (2)  empirisch  als  für 
die  betreffenden  KrystallkÖrper  erfüllt,  so  wird  auch  in  der  letzten 
Formel  (4)  nur  der  Zahlenfaktor  zweifelhaft  sein  können,  und  auch 
diese  Unsicherheit  wird  man  durch  Prüfung  der  Beziehungen  (3)  und 
der  zweiten  Formel  (4),  sowie  unter  Zuhilfenahme  bekannter  Werthe 
von  E'  auf  ein  sehr  geringes  Maaß  zurückführen  können,  zumal 
schon  aus  der  Bedeutung  dieses  Zahlenfaktors  sich  ergiebt,  daß 
er  in  enge  Grenzen  eingeschlossen  ist.  Immerhin  wird  man  zu- 
geben müssen,  daß  die  Genauigkeit  der  Resultate  für  Krystalle 
vielleicht  nicht  ganz  so  groß  sein  wird,  wie  für  isotrope  Stoffe. 
In  qualitativer  Hinsicht  zeigt  sich  der  Gegensatz  zwischen  iso- 
tropen Stoffen  und  Krystallen  in  sehr  auffälliger  Weise ;  während 
nämlich  bei  ersteren  Druckfläche  wie  Sprung  kreisförmig  sind,  ist 
beim  Bergkrystall  zwar  die  Druckfläche  ebenfalls  ein  Kreis ,  der 
Sprung  aber  hat  für  senkrecht  gegen  die  Axe  geschnittene 
Platten  eine  Form,  welche  zwischen  derjenigen  eines  Kreises 
und  der  eines  regulären  Sechseckes  liegt,  eine  Erscheinung, 
deren  Verfolgung  einer  späteren  Mittheilung  vorbehalten  blei- 
ben muß.  Schließlich  sei  angeführt,  daß  die  Linsen  aus  dem 
Glase  II  die  Krümmungsradien  q  =  3,  5,  10,  15  mm,  die  Linsen 
aus  den  übrigen  Stoffen  dagegen  zunächst  solche  von  q  =  4  und 
12  mm  hatten,  und  zwar  bis  auf  1%,  meist  aber  kleinere  Beträge, 
genau;  von  noch  stärker  gekrümmten  Linsen  wird  später  die 
Rede  sein. 

Die  ersten  Messungen  mußten  den  Zweck  haben,  die  Theorie 
zu  prüfen ,  also  im  wesentlichen  zu  untersuchen ,  ob  und  in  wie 
weit  die  obigen  Formeln  (1),  (2)  und  (3)  Bestätigung  finden.  Erst 
dann  konnte  dazu  übergegangen  werden,  mittelst  der  Formeln  (4) 
und  (5)  die  Größen  Px  und  JE'  zu  messen. 

1)  Zur  Prüfung  der  Formel  (1)  q  =  const,  also  p/d*  =  const 
wurden  mit  jedem  Material  zahlreiche  Versuchsreihen  unter  wach- 
sender Belastung  ausgeführt.  Hier  genüge  die  Angabe  einiger, 
weder  besonders  günstig,  noch  besonders  ungünstig  ausgewählter 
Beispiele : 


532 


Glas  II 


F.  Auerbach, 
q   =  10       Quarz     q   =  12 


[p] 

[d] 

1000  [q] 

227 

8,9 

•321 

354 

10,5 

306 

554 

12,1 

313 

754 

13,5 

307 

954 

14,6 

306 

1354 

16,4 

307 

1554 

17,1 

311 

1677 

18,0 

288 

1925 

18,7 

294 

3177 

22,1 

294 

3225 

22,2 

295 

3725 

23,4 

291 

4547 

24,6 

306 

[p] 


[d]       1000  [q] 


754 
1254 
1677 

2677 
3177 
3677 
4390 
4800 
4887 


12,4 
15,0 
17,0 
19,6 
20,5 
21,6 
23,0 
23,7 
23,9 


396 
371 
342 
356 
369 
368 
359 
361 
357 


Wie  man  sieht,  ist  q  in  beiden  Reihen  in  erster  Annäherung 
constant;  bei  genauerem  Zusehen  zeigt  sich,  von  den  unregel- 
mäßigen Schwankungen  abgesehen,  eine  geringfügige  Abnahme, 
welche  sich  z.B.  darin  ausspricht,  daß  in  der  einen  Tabelle  das 
Mittel  der  7  ersten  Zahlen  310,  das  der  6  letzten  295,  in  der 
andern  Tabelle  das  Mittel  der  5  ersten  Zahlen  367,  das  der  4 
letzten  361  ist ,  eine  Abnahme ,  welche  nach  Formel  (5)  auf  eine 
Abnahme  des  Elasticitätsmoduls  mit  wachsendem  Drucke  hinweist, 
also  durchaus  plausibel  ist.  Da  sie  meist  sehr  unbeträchtlich  ist, 
in  vielen  Reihen  aber  sogar  überhaupt  nicht  auftritt,  soll  sie  hier 
nicht  weiter  verfolgt,  sondern,  der  Theorie  entsprechend,  q  als 
constant  betrachtet  werden.  Faßt  man  demgemäß  sämmtliche 
Schwankungen  von  q  in  einer  Reihe  als  unregelmäßige  auf  und 
berechnet  hiernach  Mittelwerth  und  wahrscheinlichen  Fehler,  so 
findet  man  in  den  beiden  obigen  Beispielen: 


[q]  =  0,3028  ±  0,0016 


[q]  =  0,3643  ±  0,0031; 


der  wahrscheinliche  Fehler  beträgt  also  in  der  auf  Glas  bezüg- 
lichen Reihe  nur  etwa  XJ2  Proc,  in  der  auf  Quarz  bezüglichen 
immer  noch  weniger  als  1  Proc. 

Um  diesen  Fehler  noch  weiter  zu  verringern,  wurde  jede  Ver- 
suchsreihe mehrmals  wiederholt;  die  Linse  durfte  dabei,  da  sie 
eine  Verletzung  nur  ausnahmsweise  aufwies,  immer  wieder  be- 
nutzt werden ,  die  gesprungene  Plattenstelle  natürlich  nicht ;  da 
aber  die  Sprünge  außerordentlich  klein  waren,   konnten  nach  ein- 


absolute  Härtemessung. 


533 


ander  20  bis  30  verschiedene  Stellen  derselben  Platte  benutzt 
werden,  und  es  zeigte  sich  dabei,  daß  durch  jeden  Sprung  der  Zu- 
stand der  Platte  nur  in  einer  sehr  beschränkten  Umgebung  des- 
selben verändert  worden  war,  so  daß  man  selbst  ziemlich  benach- 
barte Stellen  verwerthen  konnte ;  nur  wenn  die  Sprungkreise  sich 
geradezu  berühren  oder  gar  schneiden,  treten  veränderte  Resultate 
ein,  die  verwickelt  genug  sind,  um  den  Gegenstand  einer  Unter- 
suchung für  sich  zu  bilden.  Die  für  verschiedene  Platten  stellen 
sich  ergebenden  Werthe  von  q  weichen  nun  zwar  von  einander 
ab,  und  es  ist  daher  zu  schließen,  daß  diese  Stellen  wirklich  et- 
was verschiedene  Elasticität  besitzen ;  die  Differenzen  und  die 
wahrscheinlichen  Fehler  der  Hauptmittel  sind  jedoch,  wie  die  fol- 
genden Beispiele  zeigen, 


a)  Glas  II  0  =  10) 

q  =  58,5 
57,2 
58,5 
59,7 
59,3 
59,7 
56,6 
55,3 
56,0 


b)  Glas  l     (9  =  12) 

q  =  39,4 
38,3 
38,7 
40,0 


39,1  ±  0,25 


=  58,3  ±  0,4 


c)  Quarz     (q  =  4) 

q  =  208,3 
208,4 
214,7 
210,5 
209,9 


q  =  209,9  ±  0,9 


immer  noch  klein  genug,  um  weiter  benutzt  zu  werden. 

2)  Daß   auch  die  Gl.  (2)  der  Theorie   erfüllt  ist,    also  Qq  = 
const,  zeigen  folgende  Angaben: 


a)  Glas  IL 


9   = 

3 

5 

10 

15 

2  = 

195,4 

114,9 

58,3 

38,3 

Qq   = 

586 

575 

583 

575 

;    Qq  =  580  ±  2. 


534 


F.  Auerbach, 
b)  Quarz. 


Q   = 

1 

4 

12 

a  = 

838 

210 

69,8 

Qq   = 

838 

840 

838 

Qq  =  839  ±  0,5. 


Man  kann  hiernach,  was  gleich  hier  eingeschaltet  werden 
möge,  die  Elasticitätsconstante  E'  ohne  weiteres  aus  Gl.  (5)  be- 
rechnen. 

Es  ergeben  sich  dabei  folgende  Zahlen: 


Material 


E' 


Glas  I 

*  n 
„   in 

Bergkrystall 


5617  ±  39 

6960  ±  24 

7701  ±  45 

10072  ±  46. 


Die  Constante  E'  setzt  sich  nun  freilich  aus  den  beiden  üb- 
lichen Elasticitätsconstanten  E  und  [i  zusammen,  und  diese  kann 
man  für  sich  bekanntlich  immer  erst  durch  Combination  der  Mes- 
sung zweier  verschiedenartiger  Deformationen  ermitteln;  es  läßt 
sich  aber  zeigen,  daß  die  hier  benutzte  Methode  auch  für  sich 
allein  schon  mindestens  ungefähre ,  in  Wahrheit  aber  sogar  ziem- 
lich genaue  Werthe  von  E  liefert.  Es  ist  dies  dem  Umstände  zu 
verdanken,  daß  ft  in  der  Formel  (1  —  ^2)  in  E'  enthalten  ist, 
diese  Größe  aber  nur  sehr  wenig  sich  ändert,  wenn  für  [i  selbst 
die  äußersten  Werthe  eingesetzt  werden.  Nach  den  Versuchen 
von  Cornu,  Everett,  Voigt  und  Cantone  liegt  nämlich  für 
Glas  in  zwischen  den  extremen  Werthen  0,208  und  0,264;  und 
wenn  man  die  Zahlen  dieser  Beobachter  ihrem  Gewichte  gemäß 
combinirt,  so  findet  man  als  Mittelwerth  und  wahrscheinlichen 
Fehler  n  =  0,225  ±  0,008.  Jenen  Extremen  entsprechen  nun 
für  1  —  ft2  die  Werthe  0,957  und  0,93 ;  und  nimmt  man  den  dem 
obigen  Mittelwerth  von  [i  entsprechenden  Mittelwerth 

1  —  p*  =  0,95  ±  0,003, 

so  wird  man  wahrscheinlich  nur  einen  Fehler  von  Vs  Proc.  be- 
gehen. Der  obige  Werth  von  p  gilt  nun  freilich  nur  für  kleine 
Deformationen,  und  es  folgt  aus  den  Betrachtungen  von  Röntgen 


absolute  Härtemessung.  535 

u.  A.,  daß  fi  nicht  constant  ist,  sondern  mit  zunehmender  Defor- 
mation abnimmt;  bei  incompressiblen  Körpern,  also  solchen,  bei 
denen  für  kleine  Deformationen  ft  =  0,5  ist,  ist  diese  Abnahme 
sogar  sehr  beträchtlich;  in  unserem  Falle  wird  sie  viel  unbedeu- 
tender sein,  nach  der  Analogie  kann  man  annehmen,  daß  man 
zu  setzen  hat: 

1  —  p*  =  0,97  ±  0,01, 

wodurch  der  wahrscheinliche  Fehler  allerdings  auf  1  Proc.  ge- 
stiegen ist.  Hiernach  erhält  man  den  Elasticitätsmodul  E,  indem 
man  E'  um  3  Proc.  verkleinert;  es  wird  also: 

Material      I  E 


Glas  I 

,  n 
„  in 


5449 
6751 
7470. 


Eine  eingehende  Vergleichung  mit  den  für  verschiedene  Glas- 
sorten  von  anderen  Beobachtern  gefundenen  Werthen  lassen  diese 
Zahlen  wegen  der  Unbestimmtheit  der  Charakteristik  der  meisten 
Glassorten  nicht  zu;  sie  halten  sich  aber  mit  jenen  zwischen  den- 
selben Grenzen1).  Es  wird  beabsichtigt,  demnächst  für  eine  größere 
Anzahl  genau  charakterisirter  Glassorten  die  Bestimmung  der 
Elasticitätsmoduln  (im  Zusammenhange  mit  der  der  Härten)  syste- 
matisch durchzuführen. 

Für  Bergkrystall  hat  die  Größe  p  selbst  keine  Bedeutung; 
der  Faktor  aber ,  mit  dem  man  E'  multipliciren  muß ,  um  den 
Werth  des  Elasticitätsmoduls  in  der  Axe  Eo  zu  erhalten,  ist  hier 
jedenfalls  noch  näher  an  1  gelegen,  sodaß  man  keinen  wesentlichen 
Fehler  begehen  wird,  wenn  man  ihn  geradezu  gleich  1  setzt.  Es 
wird  dann 

für  Bergkrystall:  Eo  =  10072. 

Gegenüber  dem  Voigt'schen  Werthe  10304  ist  dieser  um 
reichlich  2°/0  kleiner,  eine  Differenz,  welche  in  Anbetracht  der  so 
verschiedenen  Ableitung  schon  an  sich  nicht  sonderlich  groß  er- 
scheinen wird,  zum  Theil  aber  vermuthlich   sich  noch  dadurch  er- 


1)  Voigt   fand  z.  B.  für  „grünliches"   Glas  6480,   für  „weisses   rheinisches 
Spiegelglas"  7358. 


536 


F.  Auerbach, 


klärt,  daß  die  Beanspruchung  des  Materials  hier  eine  viel  größere 
ist,  als  bei  Voigt. 

3)  Es  bleibt  nun  noch  übrig ,  die  Gleichungen  (3)  zu  prüfen 
und  im  Anschluß  daran  absolute  Härtezahlen  zu  erhalten.  Hier 
zeigt  sich  nun  ein  völlig  unerwartetes  Resultat:  die  Grleichungen 
(3)  sind  nicht  erfüllt ,  und  zwar  auch  nicht  näherungsweise ;  wohl 
aber  lassen  sich  andre  Beziehungen  aufstellen,  und  zwar  mit  be- 
friedigender Genauigkeit. 

So  ergab  beispielsweise  die  Glassorte  II: 


Q   — 

3 

5 

10 

15 

P:D2 

81,7 

67,0 

56,6 

49,8 

P:9* 

1,64 

0,96 

0,50 

0,32 

D.Q 

0,142 

0,119 

0,094 

0,080. 

Alle  drei  Verhältnisse  nehmen  also ,  statt  constant  zu  sein, 
mit  wachsendem  q  ganz  beträchtlich  ab,  das  will  sagen :  der  Druck 
auf  die  Flächeneinheit,  bei  welchem  ein  Sprung  in  der  Platte  ein- 
tritt, ist  bei  gleichem  Material  nicht  unter  allen  Umständen  der- 
selbe, sondern  er  ist  desto  größer,  je  gekrümmter  die  drückende 
Linse  ist.  Eine  andre  Formulirung  ist  die,  daß  der  Gesammt- 
druck,  bei  welchem  der  Sprung  eintritt,  nicht  dem  Quadrat  des 
Krümmungsradius  proportional  ist,  eine  dritte  die,  daß  der  Durch- 
meser  der  Druckfläche  beim  Eintritt  des  Sprunges  nicht  dem 
Krümmungsradius  selbst  proportional  ist,  sondern  daß  beide  Größen 
langsamer  wachsen.  Ein  Blick  auf  die  obige  Tabelle  zeigt  nun 
sofort,  daß  die  Zahlen  der  zweiten  Horizontalreihe  fallen,  wie  die 
q  wachsen,  und  ähnlich  einfache  Wahrnehmungen  lassen  die  andere 
Reihen  zu.  Hiernach  ergiebt  sich ,  daß  die  von  der  Theorie  ge- 
forderten drei  Beziehungen  durch  die  folgenden  der  Beobachtung 
entprechenden  zu  ersetzen  sind: 

1)  P  proportional  nicht  mit  D2,  sondern  mit  D3/2 

")   *-         n  n  r>  »       Q  >  r>  r>      Q 

3)  Nicht  D,  sondern  D8/2  proportional  mit  q. 
In  wie  weit  dies  der  Fall  ist,  zeigt   die  folgende  Zusammen- 
stellung 


absolute  Härtemessung. 


537 


Q 

3 

5 

- 

15 

Mittel 

P:D3/2 

53,4 

52,0 

54,8 

54,5 

53,7      ±  0,4 

P:Q 

4,93 

4,78 

5,04 

4,80 

1 

4,89    ±  0,04 

D3/2 :  Q 

0,092 

0,092 

0,092 

0,088  - 

0,091  ±  0,001. 

Die  wahrscheinlichen  Fehler  betragen  also  sämmtlich  nur  1%. 

Für  die  drei  anderen  Stoffe  fanden  sich  die  Beziehungen  zwar 
ebenfalls  erfüllt,  jedoch,  da  hier  nur  je  zwei  Werthe  von  q  (4  und 
12  mm)  vorlagen,  mit  geringerer  beweisender  Kraft.  Es  wurde 
daher  aus  zweien  dieser  Stoffe,  dem  weichsten  Grlase  (I)  und  dem 
Bergkry stall,  noch  je  eine  Linse  mit  einem  dritten  Radius  herge- 
stellt, für  dessen  Wahl  einmal  der  Wunsch  maßgebend  war,  dem 
Begriff  der  Spitze  näher  zu  kommen,  also  einen  recht  kleinen 
Radius  zu  nehmen ,  andrerseits  die  Erwägung ,  daß ,  wenn  der 
Grenzwerth  des  Einheitsdrucks  vom  Linsenradius  abhängt,  der- 
jenige Werth  eine  besondere  absolute  Bedeutung  haben  wird, 
welcher  dem  Werthe  q  —  1  entspricht.  Bei  den  Versuchen  mit 
diesen  stark  gekrümmten  Linsen  traten  nun  zwar,  wie  zu  erwarten 
war  ,  etwas  größere  Unregelmäßigkeiten  als  bei  den  andern  auf, 
das  Gesammtergebniß  aber  war  die  volle  Bestätigung  der 
obigen  Beziehung.  Es  genüge  hier,  noch  die  Zahlen  für 
Bergkry  stall  anzuführen. 

Theoretisch  constante   Verhältnisse. 


Q 

1 

4 

12 

P:D2 

149,8 

91,7 

66,9 

P:y 

5,05 

1,31 

1 

0,42 

D:Q 

0,183 

0,120 

0,079 

538 


F.  Auerbach, 
In  Wahrheit   constante   Verhältnisse. 


Q 

SH 

4 

12 

Mittel 

P:Ds/2 

64,3 

63,4 

65,2 

1 

64,3      ±  0,4 

P<> 

5,05 

5,22 

j     5,05 

5,11     +  0,04 

D*f-9 

0,079 

0,082 

0,077 

0,079  ±  0,001 

Auch  hier  betragen  die  wahrscheinlichen  Fehler  rund  1%. 

Somit  ist  die  Thatsache  constatiert,  daß  die  Erfahrung  zwar 
in  allen  übrigen  Punkten  die  Theorie  mit  überraschender  Genauig- 
keit bestätigt,  in  dem  letzten  und  wichtigsten  Punkte  aber  von 
ihr  ganz  erheblich,  und  zwar  nach  bestimmtem  Gesetze  abweicht. 
Diese  Thatsache  fordert  zu  erneuter  Betrachtung  der  Voraus- 
setzungen jener  Theorie   auf. 

1)  Es  kann  nämlich  zweifelhaft  erscheinen,  ob  die  Forderung 
der  Theorie ,  daß  die  Druckfläche  nur  ein  kleiner  Theil  der  Ober- 
fläche sei ,  erfüllt  ist.  Nun  steigt  allerdings  das  Verhältniß  B 
(Grenzradius  der  Druckfläche):  q  (Linsenradius)  bei  obigen  Ver- 
suchen bis  zum  Werthe  1:11,  also  zu  einem  Verhältnisse,  welches 
an  sich  gewiß  nicht  mehr  als  sehr  klein  zu  betrachten  ist ;  aber 
schließlich  kommt  es  lediglich  darauf  an,  ob  dieses  Verhältniß  so 
groß  ist,  daß  die  in  der  Theorie  darauf  basirten  Annahmen,  be- 
treffend Druckrichtung,  Druckcomponenten,  Krümmung  und  Große 
der  Druckfläche ,  nicht  mehr  erfüllt  sind.  Das  ist  aber ,  wie  zum 
Theil  schon  aus  den  obigen  Andeutungen  hervorgeht,  und  sich 
noch  eingehender  zeigen  ließe ,  nicht  der  Fall ;  die  Abweichungen 
liegen  vielmehr  innerhalb  der  Fehlergrenzen  der  Versuche  oder 
fallen  höchstens  ein  klein  wenig  aus  ihnen  heraus. 

2)  Nach  der  Theorie  kann  es  ferner  —  obwohl  eine  nähere 
Betrachtung  hierfür  Anhaltspunkte  giebt  —  befremden,  daß  der 
Sprung  die  Druckfläche  in  einem  gewissen  Abstände  umgiebt,  und 
man  könnte  den  Vorschlag  machen,  bei  der  Berechnung  der  H 
statt  der  D  einmal  die  Sprungdurchmesser  zu  benutzen;  das  ge- 
fundene empirische  Gesetz  bleibt  dann  aber  unverändert  bestehen. 

3)  Daß  es  nicht  die  relativ  zu  beträchtliche  Größe  der  Druck- 
fläche ist,  welche  die  Abweichungen  hervorbringt,  ergiebt  sich  am 
besten  daraus,  daß  alsdann  die  Abweichungen  desto  kleiner  werden 
müßten,  je  günstiger  d.h.  je.  kleiner  das  Verhältniß  R:q  wird; 
das   ist  aber  nicht   der  Fall,    sie    sind  vielmehr  einheitlich  durch 


absolute  Härtemessung.  539 

die  obigen  Beziehungen  bestimmt ;  und  z.  B.  für  Glas  III  werden 
die  Verhältnisse  P :  D2  noch  für  q  =  4  und  q  ==  12  kolossal  ver- 
schieden, nämlich  83,9  und  56,4,  obgleich  hier  das  Verhältniß  R :  q 
nur  noch  1  :  16,  resp.  1 :  23  ist.  Um  es  aber  noch  weiter  zu  ver- 
kleinern ,  wurde  von  diesem  Glase  eine  Linse  von  q  =  30  mm 
hergestellt ;  für  sie  fand  sich  R  :  q  wie  1  :  38,  und  es  müßte  sich 
daher  für  P :  D2  ein  mit  dem  für  q  =  12  gefundenen  überein- 
stimmender oder  höchstens  wenig  von  ihm  abweichender  Werth 
ergeben,  wenn  jener  Standpunkt  richtig  wäre;  es  findet  sich  aber 
39,6  gegen  56,4,  also  ein  wiederum  ganz  wesentlich  kleinerer 
Werth,  während  das  Verhältniß  P :  D3/2  wieder  denselben  Werth 
annimmt. 

4)  Uebrigens  ist  zu  beachten,  daß  die  Endzahlen  für  ver- 
schiedene Stoffe  in  einem  von  q  ganz  unabhängigen  Verhältnisse 
zu  einander  stehen,  nämlich  für  die  untersuchten  Stoffe  in  dem 
Verhältniß 

Grlas  I         Grlas  II        Glas  III        Bergkrystall 
100       :        105       :        113        :  135. 

Die  Gewinnung  von  relativen  Härtezahlen  ist  also  von  den 
berührten  Verhältnissen  gänzlich  unabhängig,  und  für  die  prak- 
tische Anwendung  ist  hiermit  schon  ein  wesentlicher  Fortschritt 
erzielt. 

5)  Wie  es  kommt,  daß  die  absoluten  Werthe  der  Härte  eine 
so  starke  Abhängigkeit  vom  Krümmungsradius  zeigen,  dafür  kann 
ich  Beweisendes  vorläufig  nicht  anführen ,  und  ich  gebe  zu,  daß 
dies  eine  principielle  Lücke  in  der  Lösung  des  Problemes  läßt. 
Ich  möchte  aber  eine  auf  die  Ausfüllung  derselben  bezügliche 
Vermuthung  nicht  unerwähnt  lassen. 

In  Anbetracht  der  experimentell  gefundenen  Beziehungen 
liefert  die  letzte  der  Formeln  (4)  bei  Benutzung  verschiedener 
Linsen  sehr  verschiedene  Werthe  für  Pi,  also,  wenn  Pi  die  Härte 
ist,  für  die  Härte  der  betreffenden  Platte.  Da  dies  keinen  Sinn 
hat,  ist  entweder  die  Definition  der  Härte  zu  verwerfen,  oder  es 
muß  eine  der  Voraussetzungen,  unter  denen  die  Formel  (4)  an- 
wendbar ist,  nicht  erfüllt  sein.  Dazu  gehört  namentlich  die,  daß 
Platte  und  Linse  aus  gleichem  Stoff  bestehen ,  also  insbesondere 
auch  gleich  hart  sind;  ist  dies  nicht  der  Fall,  so  muß  man  ent- 
weder nach  einer  complicirteren  Formel  aus  der  bekannten  Härte 
des  einen  Körpers  die  des  andern  auf  Grund  der  Beobachtungen 
berechnen,   oder  man  erhält,  wenn  man  sich  mit  der  Formel  (4) 


540  F.  Auerbach, 

begnügt ,  nur  eine  gewisse  mittlere  Härte  von  Platte  und  Linse. 
Nun  bestanden  zwar  bei  den  hier  behandelten  Messungen  Platte 
und  Linse  stets  aus  demselben  Stoff,  aber  es  ist  sehr  wohl  denkbar, 
daß  die  Härte  eines  Körpers ,  außer  von  seinem  Material ,  auch 
von  seiner  Oberflächenkrümmung  abhänge,  und  zwar  offen- 
bar in  dem  Sinne,  daß  die  Härte  desto  größer  ist,  je  stärker  die 
Krümmung  ist.  Eine  experimentelle  Bestätigung  dieser  Auffassung 
giebt  der  Umstand,  daß  bei  richtiger  und  exacter  Versuchsanord- 
nung es  immer  die  Platte  ist,  welche  springt,  und  nicht  die  Linse. 
Je  gekrümmter  also  die  benutzte  Linse  ist,  desto  härter  würde 
sie  hiernach  sein,  und  desto  größer  würde  auch  die  nach  (4)  ge- 
fundene mittlere  Härte  von  Platte  und  Linse  sich  ergeben,  wie  es 
thatsächlich  der  Fall  ist.  Die  Härte  einer  Linse  würde  sich  hier- 
nach etwa  durch  eine  Formel  von  der  Gestalt 

Q 

darstellen,  a  würde  hierin  die  Härte  einer  ebenen  Fläche  des- 
selben Materials,  also  gewissermaßen  die  „Eigenhärte"  des 
Materials,  b  dagegen  die  von  der  Krümmung  abhängige  „Ober- 
flächenhärte"  sein,  also  genau  dem  entsprechen,  was  man  bei 
Flüssigkeiten  „Oberflächenspannung"  nennt1). 

Bis  diese  Gedanken  fester  begründet  sind,  muß  es  genügen, 
die  vorliegende  Untersuchung  in  begrenzterem  Sinne  zu  Ende  zu 
führen.  Hierzu  genügt  die  Bemerkung,  daß,  gemäß  den  gefun- 
denen Beziehungen,  die  bei  Anwendung  verschiedener  Linsen  ge- 
fundenen Werthe  von  Pi  einander  gleich  werden,  wenn  man  sie 
mit  \q  multiplicirt ,  und  daß  man  demzufolge  die  so  erhaltene, 
auf  die  Einheit  des  Linsenradius  bezogene  Zahl  als  absolute  Härte 
bezeichnen  kann.  Die  Größe  derselben  für  die  untersuchten  Stoffe 
läßt  sich  aus  folgender  Tabelle  ersehen. 


1)  Eine  andre  Analogie  ist  die  mit  der  Zugfestigkeit  von  Eisendrähten, 
welche  nach  Baumeister  (Wied.  Ann.  18,  p.  578,  1883)  desto  größer  ist,  je 
kleiner  die  Dicke  des  Drahtes  ist,  und  zwar,  wie  ich  finde,  nach  dem,  dem  hier 
gefundenen  gleichen  Gesetze  F  =  const./y/e£ 


absolute  Härtemessung. 


541 


Stoff 

i1 

3 

4 
4 

5 

10 

» 

15  | 

Mittel 

Glas  I 

210 

— 

216    — 

—  j  215 

—  1  214  ±  3 
II 

.   n 

— 

227 

— 

225 

227 

— 

222 

225  ±  2 

i  ni 

—  1  245 

— 

—    237 

— 

241  ±  3 

Bergkrystall 

287 

-— 

292 

— 

__ 

288 

289  ±  1. 

Diese  Zahlen  weisen  zunächst  die  Reihenfolge  auf,  weche  zu 
erwarten  war.  Sie  zeigen  ferner  eine,  für  ein  bisher  noch  gar- 
nicht  quantitativ  bearbeitetes  Gebiet,  sehr  befriedigende  Genauig- 
keit; es  liegen  z.B.  selbst  die  extremsten,  für  benachbarte  Glas- 
sorten gefundenen  Werthe  noch  weit  genug  auseinander.  Manchen 
wird  es  vielleicht  Wunder  nehmen  ,  daß  die  Zahlen  nicht  noch 
verschiedener  sind;  aber  man  hat  zu  erwägen,  daß  die  vier  hier 
untersuchten  Stoffe  einander  in  Bezug  auf  die  Härte  nahe  stehen, 
und  daß  die  Ausdehnung  der  Methode  auf  besonders  weiche  und 
besonders  harte  Körper  jedenfalls  bedeutend  größere  Differenzen 
liefern  wird. 

Von  Interesse  ist  schließlich  noch  eine  Vergleichung  der 
Härten  mit  den  Elasticitätsmoduln  (p.  535).  Wie  man  sieht,  ist 
von  den  untersuchten  Stoffen  der  elastischere  zwar  auch  der  härtere, 
aber  die  Härte  nimmt  weniger  stark  zu  als  die  Elasticität ;  drückt 
man  nämlich  H  in  Procenten  von  E  aus ,  so  erhält  man  die  ab- 
nehmenden Zahlen : 

Glas  I        Glas  II        Glas  III        Bergkrystall 
3,9  3,3  3,2  2,9. 

Es  macht  sich  das  gleich  bei  den  ersten  Beobachtungen  in 
charakteristischer  und  überraschender  Weise  geltend;  während 
man  nämlich  hätte  erwarten  sollen,  daß  man  bei  dem  härteren 
Stoffe  einen  stärkeren  Gesammtdruck  würde  ausüben  müssen,  muß 
man  dies  meist  grade  bei  dem  weicheren  thun,  weil  hier  die  Druck- 
fläche sehr  groß  wird,  also  ein  hoher  Gesammtdruck  erforderlich 
ist,  um  selbst  einen  mäßigen  Einheitsdruck  zu  erzielen. 

Jena,  19.  November  1890. 


Nachrichten  d.  K.  G.  d.W.  zu  Göttingen.    1890.    Nr.  16. 


44 


542  W.  Voigt  und  P.  Drude, 


Bestimmung    der  Elasticitätsconstanten   einiger 
dichter  Mineralien. 

Von 
W.  Voigt  und  P.  Drude. 

Mitgetheilt  von  W.  Voigt. 

2.  Keine. 

Während  die  Beobachtungen  der  ersten  Reihe1)  sich  auf  Mi- 
neralien bezogen,  welche  sowohl  in  dichten  Varietäten  als  auch 
in  für  die  Beobachtung  ausreichenden  regelmäßigen  Krystallen  vor- 
kommen, sind  die  Messungen  der  folgenden  Reihe  an  solchen, 
hauptsächlich  glasartigen,  Körpern  angestellt,  für  welche  eine 
krystallisirte  Varietät  nicht  bekannt  ist.  Das  Interesse  der  er- 
haltenen Resultate  liegt  daher  zunächst  nur  darin,  daß  sie  für 
Substanzen  gelten,  die  in  sehr  großen  Massen,  langsam  und  gleich- 
mäßig gebildet  sind  und  demgemäß  wahrscheinlich  an  Homogenität 
und  Isotropie  die  künstlich  hergestellten  Gläser  und  Metalle  über- 
treffen. Die  bei  ihnen  gefundenen  Werthe  für  das  Verhältniß  der 
beiden  Elasticitätsconstanten  a  und  b  derselben  Substanz  gewinnen 
dadurch  ein  besonderes  Gewicht  und  die  theilweise  ganz  un- 
geheuerlichen Abweichungen  von  der  Poisson'schen  Relation 
a  =  3  b,  welche  sie  zeigen,  dürften  wohl  Jeden,  der  noch  zweifelte, 
überzeugen,  daß  die  Differenz  zwischen  der  Poisson'schen 
Theorie  und  der  Beobachtung  durch  Fehlerquellen  irgend  welcher 
Art  nicht  erklärbar  ist. 

Insofern  stützen  diese  Resultate  indirect  die  von  mir  früher 
für  unkrystallinische  Medien  überhaupt  und  speciell  für  dichte 
Mineralien  gegebene  Elasticitätstheorie ;  in  einigen  Fällen  gestatten 
sie  aber   auch   eine  directere  Verwendung  zu  diesem  Zwecke. 


1)  W.  Voigt  und  P.  Drude,  Gott.  Nachr.  1889,  p.  519. 


Bestimmung  der  Elasticitätsconstauten  einiger  dichter  Mineralien.      543 

Die  Beobachtungstafeln  sind  wiederum  nur  auszugsweise  mit- 
getheilt,  und  zwar  in  derselben  Anordnung  und  Bezeichnung  wie 
diejenigen  der  ersten  Reihe ;  ihre  Erläuterung  findet  sich  an  dem 
oben  angegebenen  Orte.  Die  Herstellung  der  Stäbchen  ist  wie 
früher  in  der  Werkstatt  von  Dr.  W.  S  t  e  e  g  und  Reuter  in  Bad 
Homburg  geschehen  und  die  Präparate  sind  zum  größten  Theil 
vortrefflich  ausgefallen. 

1.  Feuers t e in 

von  der  Insel  Rügen;  von  Herrn  Prof.  Cohen  in  Greifswald  mir 
freundlichst  überlassen.  Im  ganzen  Stück  ziemlich  dunkelgrau, 
zu  Stäbchen  geschnitten  im  durchgehenden  Licht  hellgelbbraun; 
darin  einzelne  lose  schwärzliche  Flocken  von  Markasit.  Die  Her- 
stellung der  Stäbchen  hat  in  Folge  der  Zähigkeit  des  Materiales 
große  Schwierigkeiten  verursacht. 

AI.  D  =  1200  +  5  B  =  6200  +  ß 

o  =  25,4  23,0  24,2  26,0  29.3  34,2  42,4  ß  =  149  143  130  117  100  82  54 

ber.  25,0  23,6  23,9  25,9  29,5  34,8  41,8 

8o  =  a5>9>   \  =  *&    \  =  °i83- 
Biegung.  L  =  14,07,  B  =  6312,    D  =  1226,7,    P  =  110,    &  =  14. 
T)  =  4,8  5,2. 
L  =  70,07, 
V  =  35*»3i  3544,  V  =  Mi  -E  =  7598000. 

Drillung.  L  =  57,11,    B  =  6318,    D  =  1227,3,    P  =  50,    &  =  14,5. 

0  =  88,1,  87,5,  T  =  3510000 

A  II.  D  =  1200  4  h  B  =  6300  4   ß 

5  =  19,1  18,4  19,3  21,3  25,3  32,7  42,1  ß  =  —  8  +  9  23  36  48  67  100 

ber.  19,9  18,3  18,7  21,3  *5,9  3V7  4^5 
50  =  21,3,   \  —  3,6,    82  =  1,04. 

Biegung.  L  =  66,07,    B  —  6338>    D  —  1222,2,    P  =  110,    &  =  15. 

Tj  =  300,2,   297,2,  rf  =  2,1,  .E  =  7596000. 

Drillung.  L  =  52,23,    B  =  6337,    D  =  1223,4,  P  =  50,    0  =  16. 

0  =  80,6,    80,4,  T  =  35220  0  0. 

A  III.  D  =  1100  4   h  B  =  5700  4  ß 

5  =  70,3  69,8  73,2  79,0  87,4  98,9  114,7  ß  =  40  42  40  39  39  40  40 
ber.  70,2  70,2  73,1  78,9  87,7  99,4  114,0 

50  =  78,9,   \  =  7,3,   88  =  1,47. 

Biegung.  L  =  66,07,    -#  =  574°>   -D  =  1180,2,    P  =  110,   &  =  14. 

t)  =  368,8,  366,0,  7)'  =  2,4,  £  =  7583000. 

44* 


544  W.  Voigt  und  P.  Drude, 

B  I.  B  =  1200  +  5  B  ==  6400  +  ß 

5  =  22,1  15,3  13,2  14,0  18,7  24,3  33,3  ß  =  —  8  +  27  41  46  40  37  8 

ber.  21,4  16,0  13,6  14,2  17,8  24,4  34,o 

h0  =  14,2,    8j  =  2,1,   52  =  1,5. 
Biegung.  L  —  14,07,    P  =  6432,    D  —  1215,6,    P  =  110,    %  =  14,5. 

t\  =  5>3  4.7- 
X  =  64,07, 
tt)  =  272,4,  274,0,  tf  =  2,1,  JE  =  758900  0. 

Drillung.  i  =  56,84,    B  =  6438,    D  =  1217,1,    P  =  50,    $  =  15. 

0  =  86,9,  87,7,  X  =  3522000. 

B  II.               D  =  1200  +  5  -B  =  6400  +  ß 

5  =  17,6  18,3  20,5  23,4  27,9  32,8  39,5  ß  =  —  16  +  29  37  41  41  38  30 
ber.  17,5  18,4  20,4  23,5  27,8  33,0  39,5 
&o  =*=  23>5>    %  =  3.65,    52  =  0,55. 
Biegung.  L  =  64,07,   B  =  6436,    D  =  1224,0,  P  =  110,   %  =  14,3. 

ij  äs  265,9,  a65>8>  V  =  Mi                      *  =  7640000 

Drillung.  X  =  55,08,  B  =  6437,    D  =  1224,6,    P  =  50,   %  =  14,5. 

0  =  82,9,  83,2,  3T  =  35260  00. 

B  III.  D  =  1200  +  5  P  =  6400  +  ß 

5  =  11,8  12,3  14,3  17,7  21,8  26,6  32,4  ß  =  —  6   4-  29  43  48  44  40  12 

ber.  11,5  12,5  *4»6  x7>6  2I>6  26,7  32,7 
\  =  17,6,    St  =  3,53,    82  =  0,5. 

Biegung.  L  =  62,07,    •#  =  6434>    -^  —  ***Mi    ^  —  II0>   &  —  J4« 

y)  ss  247,4,  248,0,  tf  =  2,1,  JE  =  7568000. 

Drillung.  L  =  48,00,    B  =  6441,    Z)  =  1218,5,   P  =  50,    $  =  13,2. 

c  =  88,2,  88,0,  y  =  35230  00. 

Gesammtmittel.  E  =  7597ooo,    E  ==  13,16 .  I0~8, 
i  7200,  +  0,012. 

T  =  352looo,    T  =  28,41.  I0"8, 
+  1800,  i  0,015. 

Hieraus  JE/3T  =s  2,158  und  a  —  770oooo,  6  =  523ooo,  a  =  14,71.6. 

Die  vortreffliche  Uebereinstimmung  der  bei  den  verschiedenen 
Stäbchen  erhaltenen  Zahlen  erweist  die  vollkommene  Homogenität 
und  Isotropie  des  Materiales  und  giebt  den  Endresultaten  einen 
besonderen  Werth.  Um  so  schwerer  wiegt  der  von  dem  P  0  i  s- 
son'schen  (a  =  3b)  enorm  abweichende  Werth  des  Verhältnisses 
der  beiden  Elasticitätsconstanten.  Derselbe  besitzt  noch  ein  eigen- 
artiges Interesse. 

Nach  der  früher  auseinander  gesetzten  Theorie  der  quasi-iso- 
tropen  Körper1)  ist  es  möglich  aus  den  Elasticitätsconstanten 
eines  homogenen  Krystalles  diejenigen  eines  Körpers  zu  berechnen, 


1)  W.  Voigt,  Gott.  Abb.,  Bd.  84,  48,  1887,  Wied.  Ann.  38,  573,  1889. 


Bestimmung  der  Elasticitätsconstanten  einiger  dichter  Mineralien.       545 

der  aus  durcheinander  gewürfelten  Krystallfragmenten  besteht, 
welche  groß  gegen  die  Molekularwirkungssphäre  und  klein  gegen 
die  Dimensionen  des  betrachteten  Präparates  sind ;  ihr  Verhältnis 
muß  dabei  nahe  denselben  Werth  behalten,  wenn  zwischen  den 
Fragmenten  kleine  Lufträume  geblieben  sind. 

Feuerstein  gilt  als  ein  inniges  Gemenge  von  amorpher  und 
krystallinischer  Kieselsäure,  in  dem  letztere  erheblich  überwiegt '). 
Für  die  eine  krystallisirte  Kieselsäure  (Quarz)  habe  ich  aber  die 
Elasticitätsconstanten  bestimmt  und  früher  mitgetheilt 2) ;  berechnet 
man  aus  ihnen  das  Verhältniß  aß  für  quasi-isotropen  Quarz,  so 
erhält  man  3)    (mit  ziemlich  beträchtlicher  Unsicherheit) 

a  =  13,7.  b, 

welches  dem  für  Feuerstein  gefundenen  abnorm  großen  sehr  nahe 
liegt.  Die  von  mir  entwickelte  Theorie  erhielt  hierdurch  eine 
neue  Bestätigung. 

2.  Opal 

von  Mexiko;  von  Herrn  Prof.  Liebisch  mir  für  diese  Beobach- 
tungen freundlichst  überlassen. 

Das  Stück  war  wasserhell ,  ohne  Farbenspiel ,  von  einigen 
Sprüngen  durchsetzt,  die  beim  Zerlegen  sich  noch  ausdehnten; 
daher  war  es  nur  möglich  drei  Stäbchen  von  derselben  Orien- 
tirung  herzustellen.  Die  Prüfung  der  Isotropie  durch  Beobachtung 
der  beiden  Gattungen  B  und  A  war  daher  nicht  möglich;  auch 
sind  die  Messungen  der  geringen  Größe  der  Stäbchen  wegen  nicht 
sehr  genau. 

I.  D  =  500  -h  8  B  =  6100  4-  ß 

5  =  93>3  100,7  104,4  103,4  98,0  ß  =  39  43  46  48  49 

ber.  93,2  100,9  I04>3  io3>3  98>° 
o0  =  104,3,   \  =  Mi   \  =  —  Mf. 

Biegung.  L  =  14,07,   B  =  6145,    D  =  603,4,    P  =  105,   %  =  14. 
7)  =  49,4,  49,6. 
L  =3  22,07, 

t\  =  181,0,  181,3,   V  =  3»7>  E  =  387oooo. 

Drillung.  L  =  17,05,   B  =  6146,   D  =  602,8,  P  =  10,  $  =  13,5. 

0  =  82,0  81,0.  ar  =  i833ooo. 


1)  Naumann-Zirkel,  Mineralogie,  Leipzig  1877,  p.  342. 

2)  W.  Voigt,  Gott.  Nachr.  1886,  p.  289. 

3)  W.  Voigt,  Wied.  Ann.  38,  582,  1889. 


546  w-  Voigt  und  P.  Drude, 

II.  B  =  500  +  l  B  =   6100  +  ß 
5  =  97,6  108,3  ioz.i  ß  =  44  38  15 

\  =  108,3,    h  =  h*>    \  —  ~  8>3- 

Biegung.  L  =  14,07,    B  =  6134,   D  =  607,5,    p  —  I05,    &  =  J4- 
Y]  =  48,1,  48,9. 
X  =  18,07, 
y)  =  98,3,  98,5,  y)'  =  3,7,  £  =  3908000. 

III.  Z>  =  500  +  8  B  —  6100  -f  ß 

5  =3  89,1  97,6  101,5  99,7  90,9  ß  =  38  42  44  47  47 

ber.  88,8  98,0  101,5  99>2  9X>2 
50  .=   101,5,    \  —  0,6,    52  =  —  2,9. 

Biegung,  i   =  20,07,   J5  =  6144,    D  =  600,4,    B  =  105,    0  =  14. 

tj  =  138,9,  139,7,   *)'  =  5»7i  *  =  3870000. 

Drillung.  L  =  15,65,   i?  =  6144,    D  =  599,6,    P  =  10,    8  =  14,2. 

0  =  76,6  76,6,  T  f=  18240  00. 

Gesammtmittel  JE  =  38800  00,    E  =  25,8  .I0"8 
T  =  1829000,     T  =  54,7.I0"8 
Hieraus  E/T  —  2,12  und  a  =  39loooo,  b  ==  272ooo,  a  =  14,4.6. 

Es  ist  sehr  bemerkenswert!^  daß  hiernach  die  amorphe  Kiesel- 
säure (Opal)  äußerst  nahe  dasselbe  Verhältniß  der  Elasticitäts- 
constanten  ergiebt ,  wie  Feuerstein  und  hierin  sich  also  ähnlich 
verhält  als  bestände  sie  aus  Krystallfragmenten  der  krystal- 
linischen  Modifikation  (Quarz).  Freilich  sind  die  absoluten 
Werthe  jener  Constanten  kaum  halb  so  groß  als  sie  sein  müßten, 
wenn  diese  Fragmente  sich  lückenlos  an  einander  schlössen. 


3.  Obsidian 

von   den   liparischen   Inseln;   von  Herrn  Dr.  Sella  in  Biella  mir 
freundlichst  besorgt. 

Farbe  unregelmäßig  hell-  und  dunkelgrau  gefleckt;  die  Stäb- 
chen sind  parallel  der  Dickenrichtung  fast  durchsichtig ,  die  Fär- 
bung wird  durch  in  der  hellen  Grrundmasse  suspendirte  dunkle 
Flecken  und  Körnchen  hervorgebracht.  Dies  Mineral  ist  also  ein 
ziemlich  grobes  Gemisch  und  es  kann  demnach  die  äußerste  Ge- 
nauigkeit der  Constantenwerthe  nicht  erreicht  werden.  Die  mir 
verfügbaren  Stücke  gestatteten  die  Herstellung  von  Stäbchen  in 
einer  Länge  von  nahe  11  cm;  da  mein  Torsionsapparat  aber  die 
Beobachtung  so  langer  Stäbe  nicht  gestattet  und  die  drei 
kürzeren  unter  sich  gut  stimmende  Resultate  ergaben,  habe  ich 
die  längeren  nicht  um  der  Drillung  willen  kürzen  mögen. 


Bestimmuug    der  Elasticitätsconstanten  einiger  dichter  Mineralien.       547 

AI.               D  =  1400  +0  B  =  5900  +  ß 

8  =  62,7  60,4  60,6  62,1  64,9  69,7  76,5  ß  =  51  32  22  27  43  66  96 
ber.  62,3  60,6  60,5  62,0  65,1  69,8  76,1 

\  =  62,0,    \  —  2,3,   82  =  0,8. 

Biegung.  L  =  85,07,   B  =  5944,    D  =  1462,7,    P  =  60,    &  =  14. 

tq  =  246,5,  245,7,  t)'  =  1,5,                   JE  =  667iooo. 

Drillung.  L  =  65,24,    2?  ==  5932,   D  =  1463,0,    P  =  5c,    &  =  13. 

0  =  80,7,  80,1,  5f  =  28590  00 

A  II.  D  =  1400  +  8  .5  =  5900  +  ß 

5  ob  61,0  56,6  55,4  56,8  61,6  67,5  75,2  ß  =  89  52  28  19  26  58  102 

ber.  60,4  56,8  55,6  57,0  60,8  67,2  76,0 
\  =  57A    \  —  2,6,    82  =  1,25. 
Biegung.  L  =  105,07,   B  =  5946,   D  =  1458,1,   P  =  60,   &  =  14. 

y]  =  470,3,  470,8,  tf  =  1,5,  JE  bb  66I5000. 

A  III.  D  =  1400  +  5  P  =  5900  +  ß 

0  =  36,1  36,0  37,4  41,0  48,4  57,2  68,8  ß  =  98  60  34  22  31  60  101 

ber.  36,6  35,6  37,2  41,3  48,0  57,2  69,0 
So  =  4i,3>    5i  =  5,4,    82  ==  M8- 
Biegung.  L  =  14,07,   B  =  5951,  D  =  1442,4,   P  =  60,   %  =  14. 
7)  =  3,1,  2,9. 
Z  =  105,07 
7)  =  481,3,  479,7,  rf  =  1,5,  JE  =  6686000. 

B  I.  D  =  1400  4-  8  B  =  6000  +  ß 

0  =  37,2  44,3  51,7  58,2  63,8  67,8  70,4  ß  =  14  10  8  4  3  4  3 

ber.  36,5  44,7  52,0  58,2  63,4  67,7  70,9 
80  =  58,2,   8,   =  5,73,  8a  =  —  0,5. 

Biegung.  L  =  14,07,    B  —  6006,   D  =  i457,7,    P  =  60,   0  =  14. 
f\  =  Mi  2>5- 
X  =  85,07, 
y)  =  245,0,  247,8,  i)'  =  1,5,  12  =  6659000. 

Drillung.  L  ss  64,78,   P  =  6006,    D  =  H57»*i    P  =  50,  ft  =  14,1. 

o  =  79,9,  80,0,  T  =  2846000. 

B  II.  D  =  1400  -|-8  P  =  6000  +  ß 

8  =  63,3  61,8  61,6  63,0  64,2  66,6  67,4  ß  =  30  20  9  6  4  1  3 
ber.  62,8  62,2  62,2  62,8  64,0  65,8  68,2 
80  =  62,8,   8X  =  0,9,   h2  =  +  0,3. 

Biegung.  L  =  93,07,  B  =  6009,   D  =  1463, 1,  F  =  60,  &  =  14. 

t)  =  318,7,  317,0,   vf  =  1,5,  *J  =  6676000. 


548  W.  Voigt  und  P.  Drude, 

B  III.  D  =  1400  +  5  B  =  6000  +  ß 

&  =  56,3  5*,1  5i)3  5*,°  57,°  61,7  71,2  p  =  32  as  15  6  3  1  -  a 

ber.  55,2 '52,1  51,1  52,4  56,1  62,1  70,2 

h  =  5*,4,    &i   =  *»5,    8a  =  +    M7- 

Drillung.  L  =  58,27,   2?  ==  6010,   D  =■-  1454,8,   P  =  50,   &  —  13,2. 

0  es  72,3,  73,2,  T  —  2819000. 

Gesammtmittel  JS  =  665iooo,    E  =  15,03.  I0~8, 

+    9000,  +   0,02. 

T  =  284looo,    T  =  35,20  .  I0"8, 

+  8000,  +  0,10. 

Hieraus  JB/2T  sb  2,34  und  a  =  7153000,  b  =  l47oooo,  a  =  4,86. b. 

4.  Obsidian 

von  Arnarfells  (Jökul  auf  Island) ;  ich  verdanke  das  Stück  Herrn 
Prof.  C.  Klein   in  Berlin.     Farbe  tiefschwarz. 

Ein  Beobachtungsmaterial  allerersten  Ranges  von  seltener 
Homogenität,  wie  dies  der  Augenschein  und  die  treffliche  Ueber- 
einstimmung  der  folgenden  Zahlen  erweist.  Das  schöne  Stück  ge- 
stattete die  Herstellung  von  Stäben ,  deren  Längen  fast  13  cm 
erreichten;  ihre  Gestalt  ist  sehr  regelmäßig  ausgefallen. 

Für  die  Drillungsbeobachtungen  wurde  ein  kürzerer  Stab  der 
Gattung  B  und  ein  in  der  Mitte  durchgeschnittener  der  Gattung 
A  benutzt;  da  die  an  ihnen  erhaltenen  Zahlen  sehr  gut  überein- 
stimmten ,  habe  ich  ,  um  das  schöne  Material  für  andere  Bestim- 
mungen aufzusparen,  weitere  Beobachtungen  unterlassen. 

AI.  D  =  1400  +  5  B  sb  6000  +  ß 

5  =  67,4  65,8  65,6  67,3  70,9  76,3  81,7        ß  =  22  16  4  o  2  74 
ber.  67,4  65,7  65,7  67,4  70,7  75,7  82,4 

80  =  67,4,   \  =  2,5,  \  =  0,83, 

Bieguug.  L  =  100,07,   -2  =  6000,5,    D  =  1468,1,   P  =  60,  %  —  15,1. 

f]  =  355)8,  355,6  V  =  i,3,  *J  =  7340000. 

A  II.  D  s=  1400  -f  B  B  =  6000  -f   ß 

6  ==  75,5  7^,5  70,8  72,0  75,4  82,3  87,8         ß  =  -2—  1  —  6— 4+2+12  —  22 
ber.  75,7  72,2  71,0  72,1  75,2  81,0  88,9 

50  =  72,1,    \  =  2,2,    52  s=  1,3. 
Biegung.  L  =  14,07,   B  =  5999,    D  =  1473,3,   P  =  60,    %  =  15,1. 
7)  =  2,2,  2,1. 
L  =  100,07, 
f\  =  353A  35M,   V  =  i,3-  -E  =  7323000. 

A  III.  D  =  1400  +  5  B  —  6000  4-  ß 

5  =  72,6  71,7  73,0  73,4  71,7  ß  =  —  3  +  2  +  10  +  18  —  14. 

Drillung.  L  =  43,99,   B  =  6010,   JD  =  1472,7,  -P  =  50,  0  =  14. 

0  =  48,7, 48,6,  ar  s=  3085000. 


Bestimmung  der  Elasticitätsconstanten  einiger  dichter  Mineralien.       549 

A  IV.        D  =  1400  +  5  B  =  6000  +   ß 

5  =  72,6  74,9  78,6  83,1  88,2  ß=  —  3+4  +  2  —  2  —  3 

Drillung.  L  =  46,62,    -B  =  6001,  D  —  1478,9,    P  =  50,  ö  =  13,5. 

0  =  50,6,  50,7,  T  =  3100000. 

B  I.  D  =  1400  4   8  5  =r  6000  +  ß 

5  ==  83,8  82,2  82,0  82,5  85,0  88,9  93,5  ß  =  21  17  14  13  15  20  28 

ber.  84,2  82,3  81,8  82,7  85,0  88,7  93,8 

80  =  82,7,    \  =  1,6,   \  =  0,7. 
Biegung.  L  =  100,07,   B  =  6018,   D  =  1483,3,    P  =  60,  &  =  15,1. 

f]  =  343,8,  343<3,    'l'   =  1,3,  *  =  7345000. 

B  II.  D  =  1400  4-  5  ^  =  6000  4-  ß 

5  =  85,7  82,0  80,7  81,4  83,9  90,3  94,5  ß  =  28  22  15  13  13  20  23 

ber.  85,5  82,1  80,7  81,4  84,1  88,9  95,7 
50  =  81,4,    5j  =  1,7,    82  =  1,02. 
Biegung.  L  =  14,07,    i?  =  6018,  D  =  1482,3,    P  =  60,  &  =  15,1. 

7)    =    2,3,    2,7. 

L  =  100,07, 

n  =  344,o,  344,7,  V  =  1,3,  £  =  7345000. 

B  III.  D  =  1400  +  5  B  =  6000  4-  ß 

5  =  80,3  77,4  75,5  75,5  78,9  86,5  91,3  ß  =  28  23  18  16  18  24  26 

ber.  81, i  76,8  75,1  75,8  78,9  84,4  92,5 

\  =  75,8,   \  =  *,9,    \  =  »>*• 
Biegung.  L  =  100,07,  B  =  6021,  D  =  1476,9,  P  =  60,  &  =  15,1. 

7)  =  348,1,  348,6,  rf  =  1,3,  E  =  733oooo. 

B  IV.  2)  =  1400  +  8  5  =  6000  4-  ß 

5  =  78,8  77,7  77,3  78,3  80,7  84,4  90,9  ß  =  25  22  18  17  17  19  25 

Drillung.  L  =  60,55,    •#  =  6oi9,    &  —   I479,7,   -P  =  5°,   8  =  13,1. 

0  =  65,4,  65,9,  ar  =  3096ooo. 

Gesammtmittel  JE  =  7337ooo,    E  =  13,63. 10  8, 
+  3000,  +  0,005. 

T  =  3094ooo     T  =  32,31.  I0"8 

+  3000,  +  0,03. 

Hieraus  JE/5T  =  2,37,  o  =  8OI7000,  -6  =  l82sooo,  a  =  4,39.-6. 

Die  beiden  für  die  zwei  Sorten  Obsidian  gefundenen  Werth- 
systeme  liegen  ziemlich  nahe  den  von  mir  für  zwei  Sorten  künst- 
lichen Glases  erhaltenen  Zahlen1).  Auch  hier  übertrifft  das  Ver- 
hältniß  a/b  die  Zahl  3  recht  erheblich. 

Göttingen,  December  1890. 


1)  W.  Voigt,  Wied.  Ann.  15,  497,  1882. 


550  Jahresbericht. 

Bericht  des  Beständigen  Sekretärs  der  Königl. 
Ges.  d.  Wiss.  über  das  Jahr  1890. 

Hoffentlich  ist  es  Ihnen  nicht  unangenehm ,  wenn  ich  dem 
Herkommen  gemäß  auch  in  diesem  Jahre  die  Nachrichten  mit 
einem  kurzen  Bericht  über  das  schließe,  was  uns  in  unsern  Sitzungen 
beschäftigt  hat  oder  irgendwie  für  unsere  Gesellschaft  von  einiger 
Bedeutung  gewesen  ist. 

Zunächst  also  eine  ITebersicht  über  die  wissenschaftlichen 
Mittheilungen ,  welche  in  den  Sitzungen ,  von  denen  die  heutige 
die  10.  dieses  Jahres  ist,  gemacht  oder  vorgelegt  wurden. 

In  der  Sitzung  von  11.  Januar  gab  de  Lagarde  Nachträge 
zu  früheren  Mittheilungen. 

Riecke  legte  eine  Arbeit  des  Herrn  Galizine  in  Straß- 
burg i/E.  „Ueber  das  Daltonsche  Gesetz",  und 

Bechtel,  „Kleine  Aufsätze"  vor,  III.  Reihe. 

Am  1.  Febr.  Riecke  theilt  einen  Aufsatz  des  Herrn  Dr. 
N ernst  mit:  „Ueber  ein  neues  Princip  der  Molekulargewichts- 
bestimmung". 

Wieseler  kündigt  einen  kurzen  Aufsatz  an :  „Verbesserungs- 
vorschläge zu  Euripides". 

Sauppe  legt  von  Herrn  Professor  Leo  Meyer  in  Dorpat, 
Korrespondenten  der  Gesellschaft ,  eine  „Etymologische  Mitthei- 
lung 2tf(iMi;-(2%ipa)  Zeichen"  vor. 

Am  19.  März.  Klein  legt  einen  Aufsatz  vor:  „Zur  Theorie 
der  Lameschen  Functionen". 

Wüstenfeld  eine  Abhandlung  :  „Der  Imäm  el  Schäfi'i,  seine 
Schüler  und  Anhänger  bis  zum  Jahre  300  d.  H.",  die  im  Bd.  36 
der  Abhandlungen  erscheint. 

de  Lagarde  theilt  1.  „Das  älteste  Glied  der  masoretischen 
Traditionskette"  und  2.  „Psalm  114  im  Sidrä  rabbä"  mit. 

Voigt  legt  von  Hertz,  Korrespondenten  der  G. ,  eine  Ar- 
beit vor:  „Ueber  die  Grundgleichungen  der  Elektrodynamik  für 
ruhende  Körper". 

Am  3.  Mai.  Ehlers  legt  eine  vorläufige  Mittheilung  von 
Herrn  Dr.  Clemens  Hartlaub  vor:  „Beitrag  zur  Kenntniß 
der  Comatuliden-Fauna  des  indischen  Archipels". 

Wieseler  theilt  „scenische  Untersuchungen"  mit. 

de  Lagarde  legt  „Exodus  1,  11"  vor. 

Riecke  eine  Arbeit  „Ueber  die  Pyroelektricität  des  Tur- 
malins". 


Jahresbericht.  ß51 

Voigt  eine  Abhandlung  „lieber  den  Zusammenklang  zweier 
einfacher  Töne". 

Am  7.  Juni.  Riecke  giebt  „Beiträge  zu  der  von  G-ibbs 
entworfenen  Theorie  der  Zustandsänderungen  eines  aus  einer  Mehr- 
heit von  Phasen  bestehenden  Systems". 

Klein  legt  a.  eine  Arbeit  von  Franc.  Brioschi  in  Mailand, 
auswärtigem  Mitglied  der  Gesellschaft,  vor:  „lieber  die  Reihen- 
entwickelung der  Sigmafunctionen  zweier  Veränderlichen"  und 
b.  von  Dr.  Schön  fließ,  Privatdocenten  in  Göttingen,  eine  Ar- 
beit: „lieber  das  gegenseitige  Verhältniß  der  Theorieen  über  die 
Structur  der  Krystalle". 

de  Lagarde  legt  „Septuagintastudien  I"  für  die  Abhand- 
lungen (Bd.  37)  vor. 

Kielhorn  einen  Aufsatz  über  „die  Mandasor-Inschrift  vom 
Malava  Jahre  (529)  =  472  n.  Chr." 

Am  5.  Juli.  Merkel  spricht  „lieber  argentinische  Gräber- 
schädel". 

Liebisch  legt  einen  Aufsatz  des  Herrn  Dr.  Pockels  vor: 
„Ueber  die  Interferenzerscheinungen,  welche  Zwillingsplatten  op- 
tisch einaxiger  Krystalle  im  convergenten  homogenen  polarisirten 
Lichte  zeigen". 

Schwarz  legt  vor:  a.  einen  Aufsatz  von  Prof.  Julius 
Weingarten  in  Charlottenburg,  Korresp.  der  Gesellschaft,  „lieber 
particuläre  Integrale  der  Differentialgleichung 

d'V      d^T      cTF_ 


dx%       dy%        dz* 

und  eine  mit  der  Theorie  der  Minimalflächen  zusammenhängende 
Gattung  von  Flüssigkeitsbewegungen"  und  b.  einen  Aufsatz  von 
0.  Venske:  „lieber  eine  Abkürzung  des  ersten  Hermiteschen 
Beweises  der  Transcendenz  der  Zahl  eu. 

Voigt  legt  vor:  Bestimmung  der  Elasticitätsconstanten  des 
brasilianischen  Turmalins". 

Wieseler:  „Weibliche  Satyrn  und  Pane  in  der  Kunst  der 
Griechen  und  Römer". 

de  Lagarde  kündigt  für  den  36.  Bd.  der  Abhandlungen  an: 
„Nachträge  und  Regesten  zu  der  im  Band  35  erschienenen  Ueber- 
sicht  über  die  Bildung  der  Nomina  im  Aramaeischen,  Arabischen 
und  Hebräischen". 

Wagner  legt  einen  Aufsatz  vor:  „Ueber  ein  spät  mittel- 
alterliches Verzeichniß  geographischer  Coordinatenwerte". 


552  Jahresbericht. 

Am  2.  Aug.  Rieeke  legt  von  sich  vor:  a.  „Ueber  stufen- 
weise Dissociation  und  über  die  Dampfdichte  des  Schwefels."  b. 
„Ueber  specielle  Fälle  von  Gleichgewichtserscheinungen  eines  aus 
mehreren  Phasen  zusammengesetzten  Systemes",  und  c.  von  Herrn 
Privatdocenten  Dr.  N ernst:  „Ueber  die  Theilung  eines  Stoffes 
zwischen  zwei  Lösungsmitteln". 

Voigt  legt  a.  „Eine  kurze  Notiz  zur  Theorie  der  Schwin- 
gungen gestrichener  Saiten",  b.  eine  Abhandlung  vor:  „Allge- 
meine Theorie  der  piezo-  und  pyroelektrischen  Erscheinungen  an 
Krystallen"  (erscheint  im  36.  Band  der  Abhandlungen.) 

Schwarz  theilt  mit:  a.  „Bestimmung  derjenigen  Minimal- 
flächen, welche  eine  Schaar  reeller  Curven  zweiten  Grades  ent- 
halten", b.  „Ueber  den  Kreisbogen  als  Lösung  einer  vonDelaunay 
gestellten  Aufgabe  der  Variationsrechnung". 

Klein  legt  vor:a.  von  Herrn  Dr.  Franz  Meyer,  Prof. 
in  Clausthal:  „Ueber  Discriminanten  und  Resultanten  von  Singu- 
laritätengleichungen, II".  b.  von  Herrn  Dr.  Burokhardt,  Pri- 
vatdocenten: „Zur  Theorie  der  Jacobischen  Gleichungen  40. 
Grades",  c)  von  sich:  „Ueber  die  Nullstellen  der  liypergeome- 
trischen  Reihe". 

Am  8.  Nov.  Rieeke  legt  von  sich  vor  a)  „Das  thermische 
Potential  für  verdünnte  Lösungen",  b.  „Ueber  elektrische  Ladung 
durch  gleitende  Reibung"  und  c.  von  den  Herrn  Privatdocenten 
P.  Drude  und  W.  Nernst:  „Ueber  das  Verhalten  des  Wismuth 
im  Magnetfelde  in  seiner  Abhängigkeit  von  der  Temperatur  und 
der  molekularen  Beschaffenheit". 

Voigt  legt  vor:  a.  von  Herrn  Privatdocenten  P.  Drude: 
„Ueber  die  Größe  der  Wirkungsphäre  der  Molekularkräfte  und 
die  Konstitutionskonstanten  der  Platauxschen  Glycerin-Seifenlc5- 
sung",  b.  von  Herrn  W.  Venske:  „Zur  Integration  der  Glei- 
chung Adu  =  0". 

Klein  legt  vor:  von  Herrn  Professor  F r a n z  Meyer  in 
Clausthal:  Ueber  Discriminanten  und  Resultanten  von  Singulari- 
tätengleichungen, III".     (vgl.  2.  August.) 

Wüsten feld  legt  für  die  Abhandlungen  (Bd.  37)  vor:  „Die 
gelehrten  Schau' iten  des  4.  Jahrhunderts  d.  H". 

Wieseler  giebt  „Einige  Nachträge  zu  dem  Aufsatze  (Nach- 
richten 1890  S.  385  ff.)  über  weibliche  Satyrn  und  Pane  in  der 
Kunst  der  Griechen  und  Römer". 

de  Lagarde  legt  vor:  a.  „Die  Inschrift  von  Aduli,  b.  Das 
hebräische  Wort  gebhim,  c.  Der  Fluß  Orontes,  d.  Die  Stichometrie 


Jahresbericht.  553 

der  syrisch  -  hexaplarischen  Uebersetzung  des  alten  Testamentes, 
e.  UeiäccQcc". 

Kielhorn  legt  vor:  „Erklärung  zweier  Stellen  des  Kä- 
vyädarca". 

"Weiland  legt  für  die  Abhandlungen  (Bd.  37)  seine  „Bei- 
träge zur  Kritik  der  Chronik  des  Matthias  von  Neuenburg"  vor. 

Die  hier  aufgeführten  Mittheilungen  sind,  wenn  nicht  aus- 
drücklich angegeben  ist,  daß  sie  in  dem  36.  oder  37.  Band  der 
Abhandlungen  gedruckt  sind ,  in  den  bis  jetzt  erschienenen  13 
Nummern  der  Nachrichten  enthalten,  die  436  Seiten  füllen. 

Der  Band  36  der  Abhandlungen,  der  in  diesen  Tagen  ausge- 
geben wird,  enthält  folgende  Arbeiten: 

I.     Mathematische  Klasse. 

1.  Ueber  die  innere  Reibung  der  festen  Körper,  insbesondere  der 
Krystalle,  I.  von  W.  Voigt. 

2.  Allgemeine  Theorie   der   piezo-   und  pyroelektrischen  Erschei- 
nungen an  Krystallen,  von  W.  Voigt. 

II.  Historisch-Philologische   Klasse. 

3.  Ueber  einige  phönikische  Inschriften,  von  G.  Ho  ff  mann. 

4.  Die  Sprache  des  Papyrus  Westcar.     Eine  Vorarbeit  zur  Gram- 
matik der  älteren  ägyptischen  Sprache,  von  Adolf  Erman. 

5.  Tafeln  zur  Berechnung  der  Jupiterjahre   nach  den  Regeln  des 
Sürya  Siddhänta    und    des    Iyotistattva ,    von    F.  Kielhorn. 

6.  Der   Imäm    el   Shäfi'i,    seine  Schüler   und   Anhänger   bis    zum 
J.  300  d.  H.,  von  F.  Wüstenfeld. 

III.  Physikalische  Klasse. 

7.  Zur  Kenntniß  der  Pedicellineen,  von  E.  Ehlers.   Mit  5  Tafeln. 


Gedächtnisrede. 

8.    Julius   Weizsäcker    (f   3.    September   1889),     von    Ludwig 
Weiland. 


Außer  den  Nachrichten  und  Abhandlungen  sind  auch 
die  Gelehrten  Anzeigen  fortdauernd  bemüht  gewesen  in  un- 
parteiischer Gründlichkeit  wissenschaftliche  Kritik  zu  üben,  soweit 
es  der  für  unsere  Blätter  verfügbare  Raum  möglich  macht. 

Bei  der  Beschränktheit  der  Mittel ,  die  uns  für  wissenschaft- 
liche Zwecke  zu  Gebote  stehn,  haben  wir  für  die  gütige  Fürsorge 


554  Jahresbericht. 

des  Königlichen  Staatsministeriums  der  Kultus-,  Unterrichts-  und 
Medicinalangelegenheiten,  das  uns  für  außerordentliche  Ausgaben 
auf  das  Jahr  1.  April  1890/91  3000  Mk.  zur  Verfügung  gestellt 
hat,  den  lebhaftesten  Dank  auszusprechen. 


Von  Geschäften ,  welche  in  den  Sitzungen  erledigt  worden 
sind,  verdienen  folgende  kurze  Erwähnung. 

Die  mathematische  Gesellschaft  in  Hamburg  feierte  am  15. 
Februar  ihr  200 jähriges,  die  physikalisch-oeconomische  in  Königs- 
berg i./Pr.  am  22.  Februar  ihr  100  jähriges  Jubiläum.  Die  Kön. 
Gesellschaft  sendete  beiden  ihre  warmen  Glückwünsche,  denen  Herr 
Schering  für  jene,  Herr  Peter  für  diese  Worte  geliehen  hat. 

In  Tauschverkehr  ist  die  Gesellschaft  eingetreten  mit  der 
Akademie  der  Wissenschaften  zu  Stockholm,  mit  der  Kuffnerschen 
Sternwarte  in  Ottenring  bei  Wien,  mit  dem  Nova  Scotian  Insti- 
tute of  natural  science  in  Halifax. 

Die  Universitätsbehörden  zu  Toronto  (Canada)  zeigten  an, 
daß  ihre  ganze  Bibliothek  am  14.  Februar  ein  Raub  der  Flammen 
geworden  sei,  und  baten  um  Beiträge  zu  einer  allmählichen  Er- 
setzung derselben.  In  Erfüllung  dieses  Wunsches  hat  die  Ge- 
sellschaft die  Werke  von  Gauss  in  6  Bänden  und  die  Nach- 
richten von  1884—1889  durch  die  Buchhandlung  F.  A.  Brock- 
haus in  Leipzig  nach  Toronto  abgesendet. 


Mit  Anfang  Oktober  ist  das  Direktorat  der  Gesellschaft  an 
die  Mathematische  Klasse  übergegangen  und  Herr  Ernst  Sche- 
ring durch  das  Kön.  Kuratorium    als  Director  bestätigt  worden. 


Für  dies  Jahr  hatte  die  Physikalische  Klasse  die  Preis- 
aufgabe gestellt: 

Es    ist  allgemein   bekannt    und    anerkannt,    daß   dichte    oder 
krystallinische  Kalke,   zumal  des  Mittel-Devon,  allerlei  Umwand- 
lungen erlitten  haben,  sei    es  durch   Veränderung    ihrer  Structur, 
sei  es  durch  Stoffaustausch  u.  s.  w.     Die  mechanischen  und  che- 
mischen Vorgänge,  welche  hierbei  mitwirken,   sind  jedoch  durchaus 
nicht  genügend  bekannt.     Es  wird  daher  gewünscht,    daß    diese 
Umwandlungen   mit  Hülfe  chemischer  und  mikroskopischer  Unter- 
suchungen verfolgt  und  erklärt  werden  möchten. 
Es  ist  keine  Bewerbungsschrift  eingegangen. 
Die  Aufgabe   für  1891   lautet   nach    dem  Vorschlag   der  Ma- 
thematischen Klasse: 


Jahresbericht.  555 

Die  Aufgabe  der  conformen  Abbildung  eines  ebenen  Bereiches 
auf  ein  Stück  einer  krummen  Fläche,  deren  Krümmungsmaß  überall 
den  constanten  Werth  k  besitzt,  hängt  zusammen  mit  der  Aufgabe, 
die  partielle  Differentialgleichung 

.  d*u  ,    d2u  _7     „ 

Au  =  -r-2  +  -5-0  =  —  2k -e 

dx2       dy2 

vorgeschriebenen    Grenz-    und    Unstetigkeitsbedingungen  gemäss  zu 
integriren. 

Für  diese  Aufgabe  kommen  zunächst  die  von  Riemann  in 
seiner  Theorie  der  Abelschen  Functionen  angegebenen  Grenz-  und 
Unstetigkeitsbedingungen  in  Betracht. 

Die  Königliche  Gesellschaft  wünscht  die  Frage,  ob  es  möglich 
ist,  die  angegebene  partielle  Differentialgleichung  für  einen  gege- 
benen Bereich  unter  vorgeschriebenen  Grenz-  und  Unstetigkeitsbe- 
dingungen der  angegebenen  Art  zu  integriren,  vorausgesetzt,  daß 
der  Konstanten  k  negative  Werthe  beigelegt  werden,  vollständig 
beantwortet  zu  sehen. 

Insbesondere  ivünscht  die  Königliche  Gesellschaft  den  Fall  der 
angeführten  Aufgabe  behandelt  zu  sehen,  in  welchem  der  betrachtete 
ebene  Bereich  eine  geschlossene  mehrfach  zusammenhängende 
lliemannsche  Fläche  ist,  während  die  Function  u  keine  anderen 
als  logarithmische  Unstetigkeiten  annehmen  soll. 
Die  Aufgabe  der  Historisch-philologischen  Klasse 
für  1892  ist  folgende   (s.  Nachrichten  1890  S.  116  f.) : 

Für  die  älteste  Geschichte  Attikas  ist  es  von  außerordentlicher 
Bedeutung  zu  ivisscn,  an  welchen  Orten  sich  Heiligthümer  der 
verschiedenen  Götter  und  Heroen  fanden,  sowol  in  Athen  selbst, 
als  in  der  gesammten  Landschaft,  soweit  es  nach  dem  jetzigen 
Stande  der  topographischen,  epigraphischen,  genealogischen  For- 
schungen möglich  ist.  Die  Historisch-philologische  Klasse  stellt  da- 
her für  1892  die  Aufgabe,  daß  eine  sorgfältige  Ueber sieht  der 
Kidtstätten  in  Attika  nach  den  Oertlichkeiten ,  an  denen  sie  sich 
fanden,  gegeben  und,  was  sich  daraus  für  die  älteste  Geschichte 
Attikas  folgern  lasse,  dargestellt  werde. 
Für  das  Jahr  1893  stellt  die  Gesellschaft  nach  dem  Vorschlag 
der  Physikalischen  Klasse  die  neue  Aufgabe: 

Aus  den  Untersuchungen  von  W.  C.  Röntgen  und  A.  Kundt 
über  die  Aenderungen  der  optischen  Eigenschaften  des  Quarzes  im 
elektrischen  Felde  ergiebt  sich  ein  enger  Zusammenhang  zwischen 
den  elektrooptischen  Erscheinungen  und  den   elastischen  Deforma- 


556  Jahresbericht. 

tionen,  welche  jene  piezoelektrische  Substanz  unter  der  Einwirkung 
elektrostatischer  Kräfte  erfährt.  Eine  Ausdehnung  dieser  For- 
schungen auf  eine  größere  Reihe  piezoelektrischer  Krystalle  von 
verschiedenen  Symmetrieeigenschaften  erscheint  in  hohem  Grade  er- 
wünscht. Gleichzeitig  tvürde  die  Untersuchung  darauf  zu  richten 
sein,  ob  die  elektrooptischen  Erscheinungen  in  piezoelektrischen 
Krystallen  ausschließlich  durch  die  im  elektrischen  Felde  eintre- 
tenden Deformationen  oder  außerdem  durch  eine  directe  Einwir- 
kung der  elektrostatischen  Kräfte  auf  die  Lichtbewegung  hervorge- 
rufen werden. 

Die  zur  Bewerbung  um  einen  der  Preise  bestimmten  Arbeiten 
müssen,  mit  einem  Spruch  verseben,  vor  Ablauf  des  Septembers 
des  bestimmten  Jahres  an  die  Kön.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften portofrei  eingesandt  werden  und  von  einem  versiegelten 
Zettel  begleitet  sein,  welcher  außen  den  Spruch  trägt,  der  die 
Arbeit  bezeichnet,  und  innen  Namen  und  Wohnort  des  Verfassers 
angiebt. 

Der  Preis  für  jede  Aufgabe  beträgt  500  Mk. 

Die  von  der  Wedekindschen  Preisstiftung  für  deutsche  Ge- 
schichte  zur  Lösung  in  dem  am  14.  März  1886  begonnenen  fünften 
Verwaltungszeitraum  gestellten  Aufgaben  sind  in  den  Nachrichten 
1887  S.  69  f.  bekannt  gemacht,  dann  1888  S.  134  ff.,  1889  S.  403  ff., 
1890  S.  217  ff.  wiederholt  worden.  Die  Summe  von  3000  Mk., 
die  Herrn  Professor  Kluckhohn  für  Aufsuchung  und  Sammlung 
von  Akten  zu  einer  Geschichte  des  Bauernkrieges  in  Thüringen, 
Sachsen  und  Hessen  bewilligt  worden  war  (Nachrichten  1889 
S.  561),  ist  ganz  zur  Auszahlung  gekommen  und  die  Vorberei- 
tungen für  die  Ausgabe  der  Chronik  Hermann  Korners 
sind  fleißig  gefördert  worden,    sie  gehn  ihrem  Abschluß  entgegen. 

Durch  den  Tod  verlor  die  Historisch-philologische  Klasse  der 
Gesellschaft  am  11.  März  Johann  Gildemeister  in  Bonn, 
der  seit  1859  ihr  als  Korrespondent  und  seit  1884  als  auswärtiges 
Mitglied  angehört  hatte.  Geboren  war  er  am  20.  Juli  1812.  Am 
30.  December  1889  starb  in  London  Henry  Yule,  der  1883 
von  der  Gesellschaft  zum  Korrespondenten  der  Historisch-philolo- 
gischen Klasse  gewählt  worden  war.  Noch  in  frischer  Trauer  ist 
die  Gesellschaft  um  den  Verlust  ihres  ordentlichen  Mitgliedes  in 
der  Physikalischen  Klasse  Wilhelm  Henneberg,  der  am  22. 
November  starb.  Er  war  seit  1867  Assessor  und  ordentliches 
Mitglied  seit  1877.     Geboren  war  er  am  10.  Oktober  1825. 

Dagegen  wählte  die  Gesellschaft  in  ihrer  Sitzung  am  22.  No- 


Jahresbericht.  557 

vember  zum  ordentlichen  Mitglied  in  der  Physikali- 
schen Kl  a  sse: 

Dr.  Otto  Wallach,  Professor  der  Chemie ; 

zum  auswärtigen  Mitglied  der  Historisch- philolo- 
gischen Klasse: 

Dr.  Alexander  Conze,  Generalsekretär  des  kaiserlich 
deutschen  archaeologischen  Institutes  in  Berlin,  seit  1875  Korre- 
spondenten in  derselben  Klasse; 

zu  Korrespondenten  in  der  Historisch-philolo- 
gischen Klasse: 

Clements  Robert  Markham  in  London,  Kustos  im  Geo- 
graphical  Departement  des  India  Office  und  Mitglied  des  Council 
der  R.  Geographical  Society  of  London,  und 

Dr.  Hermann  Oldenberg,  Professor  in  Kiel; 

zum  Korrespondenten  in  der  Physikalischen 
Klas  se : 

Dr.  Eduard  Schnitzer,  Emin  Pascha,  in  Bagamoyo 
in  Ostafrika. 


Ueber  die  Nullstellen 
der  hypergeometrischen  Keihe. 

Von 

A.  Hurwitz  in  Königsberg  i.  Pr. 

(Vorgelegt  von  F.  Klein). 

Wenn  in  der  Gauß'schen  hypergeometrischen  Reihe 

/-ix        -f-r/7  x        1       l-m   x        l(l  +  l)tn(m  +  l)   x2    ' 

(1)  F(l,  m,  n,  x)  =  1  + yy  +     v       /    \v      J  -kt  +  •  •  • 

die  Elemente  l,  m,  n  positive  reelle  Werte  besitzen,  so  ist  klar, 
daß  die  Reihe  für  jedes  positive  x  einen  positiven  Wert  annimmt, 
und  daß  es  daher  keinen  zwischen  0  und  1  liegenden  Wert  von  x 
geben  kann,  welcher  die  Gleichung 

(2)  F  (l,  m,  n,  x)  =  0 

befriedigt.  Sind  dagegen  die  Elemente  Z,  m,  n  nicht  sämmtlich 
positiv,  so  kann  die  Gleichung  (2)  möglicher  Weise  für  einen  oder 
mehrere  zwischen  0  und  1  liegende  Werte  von  x  erfüllt  sein,  und 
es  entsteht  die  Aufgabe,  genau  die  Anzahl  der  zwischen  0  und  1 
liegenden  Wurzeln  der  Gleichung  (2)  zu  ermitteln. 

Nachricht«  von  der  K.  G.  d.  W.  tu  Göttinpen.    1890.    No.  16.  45 


558  A-  Hurwitz, 

Diese  Aufgabe  hat  Herr  Klein  neuerdings  ganz  allgemein 
erledigt  und  zwar  durch  eine  sehr  schöne  Methode,  welche  die 
Bestimmung  jener  Anzahl  auf  die  Bestimmung  der  möglichen  Ge- 
stalten von  Kreisbogendreiecken  zurückführt1). 

Vielleicht  ist  es  nicht  ohne  Interesse,  daß  man  die  in  Rede 
stehende  Aufgabe  auch  auf  Grund  derjenigen  Principien  losen  kann, 
welche  bei  dem  Sturm'  sehen  Satze  von  der  Anzahl  der  reellen 
Wurzeln  einer  algebraischen  Gleichung  zur  Verwendung  gelangen. 
Dieser  Sturm' sehe  Satz  beruht  bekanntlich  auf  einem  Lemma2), 
welches  ich  hier  zunächst  in  der  allgemeinen  Fassung,  wie  ich  es 
verwenden  werde,  angeben  will. 

Die  reelle  Veränderliche  x  werde  auf  das  Intervall 

(J)  . .  \  a  <  x  %  b 

eingeschränkt.     Ferner  seien 

(3)  F01  F„  F„....  F, 

reelle  Functionen  der  Veränderlichen  x,  welche  in  dem  Intervalle  J 

eindeutig   und   stetig   sind   und   überdies    folgenden   Bedingungen 

genügen : 

1.)  Die  Function  Vk  soll  für  keinen  Wert  von  x,  welcher  dem 
Intervalle  J  angehört,  verschwinden. 

2.)  Wenn  die  Function  F<,  wo  i  eine  der  Zahlen  1,  2, . . .  Je  —  1 
bedeutet,  an  einer  Stelle  des  Intervalles  J  verschwindet,  so  sollen 
an  dieser  Stelle  die  Functionen  FM  und  V{+v  nicht  verschwindende 
Werte  von  entgegengesetztem  Vorzeichen  besitzen. 

3.)  Wenn  x  das  Intervall  J  von  a  bis  b  durchläuft,  so  soll 
beim  Ueberschreiten  einer  Stelle,   wo  V0  verschwindet,    der  Quo- 

V 

tient  -~   von  negativen  zu  positiven  Werten  übergehen. 

Unter  diesen  Voraussetzungen  ist  nun  die  Anzahl  der  Stellen, 
an  welchen  V0  in  dem  Intervalle  J  verschwindet,  gleich 

xr.-N>, 

wo  Na  resp.  Nb  die  Anzahl  der  Zeichenwechsel  der  Reihe  (3)   für 
x  =  a  resp.  x  =  b  bezeichnet. 

Diese  Zahlen  Na  und  Nb  kann  man,  was  für  das  Folgende 
wichtig  ist,  auch  als  die  Anzahlen  der  negativen  Werte  erklären, 
welche  in  der  Reihe 


1)  Vergl.  die  Mitteilung:  „Ueber  die  Nullstellen  der  hypergeometrischen 
Reihe"  in  No.  10  dieser  Nachrichten  vom  Jahre  1890  (Sitzung  vom  2.  August), 
welche  weiter  ausgeführt  demnächst  in  Heft  4  des  37.  Bandes  der  Mathematischen 
Annalen  erscheinen  wird. 

2)  Vgl.  etwa  Serret,  Cours  d'algebre  supdrieure,  Paris  1877,  Bd.  1  pag.  285. 


über  die  Nullstellen  der  hypergeometrischen  Reihe.  559 

(4)  v0r„v1v2,rir3,...ri_1rk 

für  x  =  a  bez.  x  =  b  auftreten. 

Indem  ich  mich  nunmehr  der  Betrachtung  der  hypergeome- 
trischen Reihe  (1)  zuwende,  bemerke  ich  zunächst,  daß  die  Reihe 
offenbar  sinnlos  wird,  wenn  n  gleich  0  oder  gleich  einer  negativen 
ganzen  Zahl  ist.  Das  Element  n  unterliegt  also  der  Beschränkung, 
daß  es  keinen  Wert  aus  der  Reihe 

0,  -1,  -2,  -3,  ... 

besitzen  darf.  Ich  will  nun,  um  Weitläufigkeiten  zu  vermeiden, 
genau  dieselbe  Beschränkung  auch  den  Elementen  l  und  m  auf- 
erlegen. 

In  den  hierdurch  ausgeschlossenen  Fällen  reducirt  sich  die 
hypergeometrische  Reihe  auf  eine  ganze  rationale  Function  von  x  *) 
und  die  nachfolgenden  Betrachtungen  unterliegen  dann  einer  leichten 
Modifikation. 

Dies  vorausgeschickt,  stelle  ich  eine  Reihe  von  Functionen  (3) 
her,  in  welcher  die  ersten  Glieder  V0  und  V1  bez.  die  hypergeo- 
metrische Reihe  F  (?,  m,  n,  x)  und  deren  erste  Ableitung 

sind.  Dies  gelingt  leicht  auf  Grund  der  Gauß' sehen  Relationen, 
welche  zwischen  je  drei  aufeinanderfolgenden  der  Functionen : 

(6)  F0  =  F  (l,  m, »,  x),  Fl  =  F(l  +  l,m  +  lJn  + 1,  zj, . . ., 

Fi  =  F  (l  -f  i}  m  +  i,  n  +  i>  x),  . . . 

bestehen.     In  der  That,  man  setze 

(7)  r   -         ^  +  1)(^  +  1)      r-  (*  +  2)(m  +  2) 

*'  °"  n(n  +  l)      '     l  (»  +  l)(w  +  2)  ,"M 

_        {l  +  i  +  l)(m  +  i  +  l) 

r*        (n+^(n+i+i)  »••• 

und  bilde  nun  die  Functionen: 

=  F  V  =  r  F  V   —  r  r  r      F 


(Ö)  {      _|m  _lm      v  v       _lm  ^ 


n      **     "        n    •      • '      *     "^        w 


1)  Für  diese  Functionen  hat  Herr  Stiel tj  es  (Comptes  Rendus,  Bd.  100  p.  620) 
die  zugehörigen  Sturm' sehen  Reihen  aufgestellt  und  bemerkt,  daß  man  aus 
diesen  Reihen  die  Anzahl  der  reellen  Nullstellen  der  Functionen  leicht  ableiten 
kann.  Auf  anderem  Wege  gelangte  Herr  Hubert  (Journal  für  die  reine  und 
angewandte  Mathematik,  Bd.  103  pag.  337)  zur  Bestimmung  dieser  Anzahlen. 

45* 


560  A-  Hurwitz, 

Dann  wird  die  Reihe 

(9)  V0  ,     Vx ,     V 2  ,    •  •  •  •     rk  , 

bei  geeigneter  Wahl  der  Zahl  ft,  den  oben  genannten  Bedingungen 
genügen,  und  zwar  für  jedes  Intervall  a...b,  welches  ganz  in  dem 
Intervalle  0  ...  1  enthalten  ist. 

Die  erwähnten  Gr  a  u  ß'  sehen  Relationen   ergeben  nämlich  das 
Gleichungssystem : 

(F  =  <3o   K  -*(1-«?)F„ 

(10)  F  =  Ö.  F  -*(i-*)F, 

lF.2=  eMFM-*(l-*)F„ 
wobei  zur  Abkürzung 

_   n    r0r2...r2i_2  /        ?  +  w  +  4i  +  l    N 
Vai       ?w  rxr8. ..»■„_!  V  w  +  2*  /J 

Im     \  (.      l  +  m  +  3    \ 

^  -  IT '  r0  Vi_  "^TF" *> 

«*+a  —  —  '  — '    r2r,...r2i' V         n  +  2i  +  l     X)'      ' ' 

gesetzt  ist. 

Die  Funktion  Vk  unterscheidet  sich  nur  um  einen  constanten, 
nicht  verschwindenden  Factor  von 

Fk  ==  F(l  +  7c,m  +  Jc,n  +  7c,x). 

Wählen  wir  daher  die  Je  Zahl  so ,  daß  l  +  &,  m  +  k,  n  +  Jc  po- 
sitiv werden,  so  ist  Vk  in  dem  Intervall  0  ...  1  beständig  von  Null 
verschieden,  und  die  Bedingung  1)  ist  also  erfüllt.  Indem  wir 
beachten,  daß  die  Factoren  Q0,  Q1,  . . .  sämmtlich  endlich  sind, 
schließen  wir  sodann  aus  dem  Grleichungssystem  (10),  daß  auch 
die  Bedingung  2)  erfüllt  ist.  Endlich  genügt  die  Reihe  (9)  auch 
der  Bedingung  3),  weil  V1  die  Ableitung  der  Function  V0  ist. 

Beachten  wir  jetzt,  daß 

P,  Vm  =  ^r0r1r2...  r{_t  F{  Fm 
dasselbe  Vorzeichen  besitzt,  wie 

+  ^ 


(-^'^rrr-^F^, 


über  die  Nullstellen  der  hypergeometrischen  Reihe.  561 

wo  zur  Abkürzung 

(12)  lt  =  1(1  + 1) . . .  (l  +  i-1),  m{  =  m(m  +  1) . . .  (m+i-1) 

gesetzt  ist,  so  erhalten  wir  den  Satz: 

Bedeuten  aundJxi  zwei  zwischen  0  und  1  liegende 
Größen,  und  bildet  man  die  Reihe 

(13)  l-^F9Ft1  -^FXF2) ...'.',  (~i)-  4rr^^ 

so  giebt  Na — Nb  die  Anzahl  der  Nullstellen  von 

F0  =  FQ,m,v,x) 

an,  welche  zwischen  a  und  b  liegen,  wenn  Nahez.  Nb 
die  Anzahl  der  negativen  Glieder  bezeichnen,  welche 
in  der  Reihe  (13)  für  x  =  a  bez.  x  =  b  auftreten. 

Die  Zahl  Je  ist  dabei  nur  der  einen  Bedingung  unterworfen, 
daß  die  Größen 

l  +  &,  m  +  k,  n  +  Jc 

positiv  sein  müssen1).  Die  in  dem  Ausspruch  des  Satzes  benutzten 
Abkürzungen   werden  durch  die  Gleichungen  (6)  und  (12)  erklärt. 

Um  die  Gesammtzahl  der  Nullstellen  von  F  (Z,  m,  w,  x)  in  dem 
Intervall  0  <c  x  <c  1  zu  bestimmen,  brauchen  wir  unseren  Satz  nur 
auf  den  Fall  anzuwenden ,  wo  a  in  der  Nähe  des  Wertes  x  =  0 
und  b  in  der  Nähe  des  Wertes  x  =  1  liegt. 

Wir  werden  also 

a  —  e,  b  —  1—  r\ 

setzen,  wo  s  und  ^  genügend  klein  zu  wählende  positive  Größen 
bezeichnen.  Lassen  wir  x  in  0  übergehen ,  so  nehmen  die  Func- 
tionen (13)  die  Werte  an: 

Um  die  Werte  jener  Functionen  in  der  Nähe  der  Stelle  x  —  1 
zu  beurtheilen,  werde  ich  die  bekannte  Gleichung 

(15)  F  (l,  m,  n,  x)  =  (1—  x)n-l~m  F  (n  —  l,  n  —  m, n,  x) 


1)  Der  Satz  gilt  auch  noch,  wenn  eines  oder  jedes  der  Elemente  l,  m  gleich 
Null  oder  gleich  einer  negativen  ganzen  Zahl  ist.  Nnr  hat  man  dann  für  h  die 
erste  Zahl  der  Reihe  0, 1,2,  3,...  zu  wählen,  für  welche  eine  der  beiden  Größen 
l  +  k,  m-\k  verschwindet. 


562  A,  Hurwitz, 

benutzen.     Dabei  setze  ich  voraus,  daß 

(16)  n  S  l  +  m 

sei.  Diese  Voraussetzung  beeinträchtigt  nicht  die  Allgemeinheit. 
Denn  würde 

n  ;>  l  +  m 
sein,  so  wäre 

n  <  (n — l)  +  (n  —  m) 

und  wir  würden  an  Stelle  von  F  (7,  w,  n,  x)  die  Function  F(n  —  l, 
n — m,n,x)  betrachten,  welche  der  Gleichung  (15)  zufolge  zwischen 
0  und  1  dieselben  Nullstellen  besitzt  wie  F(l,  m,  n,  x). 

Lassen  wir  nun,  unter  der  Voraussetzung,  daß  n<:l  +  m  ist, 
x  wachsend  in  1  übergehen,  so  geht  F(n  —  ?,  n  —  m,  n,  x)  stetig  in 

r(n)r(l  +  m  —  n) 

r(i)  r(m) 

über.  Daher  hat  F  (l,  m,  n,  x)  in  der  Nähe  von  x  —  1  dasselbe 
Vorzeichen  wie 

r(n) 
r(i)  i» - 

Dieses  gilt,  wie  man  leicht  erkennt,  nicht  nur  für  n<:l  +  m, 
sondern  auch  für  n  —  l  +  m.  Da  nun  aus  der  Ungleichung  (16) 
folgt,  daß  auch 

n  +  i  <  (l  +  i)  +  (m  +  i)  (i  =  l,  2,  3, ...) 

ist,  so  besitzt  FtFi+1  in  der  Nähe  von  x  =  1  dasselbe  Vorzeichen,  wie 

r(n  +  i)r(n+i+l) __        n+i       f      r(n+i)      V 

r(l+i)r(m+i)r(l+i+l)r(m+i+l) ~"  Q+i)(m+i)  L^(Z+^)^(m+^)J, 

also  dasselbe  Vorzeichen  wie 

n  +  i 
(l  +  i)(tn+7)' 

Daher  haben  die  Glieder  der  Reihe  (13)  in  der  Nähe  von  x  =  1 
dieselben  Vorzeichen,  wie  die  entsprechenden  Glieder  der  Reihe 

(17)  1,  -\mv  \%m%, . .. .  (— lr^iflW 

Kommen  also  in  der  Reihe  (14)  2V0  negative  Glieder,  in  der 
Reihe  (17)  Nt  negative  Glieder  vor,  so  ist 

N  =  W.-»i 

die  Anzahl  der  zwischen  0  und  1  liegenden  Nullstellen  von 
F  {lf  m,  n,x).  .    .     „ 


über  die  Nullstelleu  der  hypergeometrischen  Reihe. 


563 


Die  Zahlen  N0  und  Nt  können  wir  sofort  näher  bestimmen, 
wenn  wir  die  verschiedenen  Fälle  unterscheiden,  welche  den  mög- 
lichen Vorzeichencombinationen  der  Elemente  /,  ftr,  n  entsprechen. 
Dabei  wollen  wir 


(18) 


l 


m 


voraussetzen,  was  die  Allgemeinheit  nicht  beeinträchtigt,  da 
F{J,  m,  n,  x)  bei  Vertauschung  von  l  und  m  in  sich  übergeht.  Fer- 
ner möge,  wenn  l  negativ  ist,  X  die  erste  Zahl  der  Reihe  1,  2,  3, . . . 
sein,  für  welche  l  +  A  positiv  wird,  so  daß  in  der  Reihe 

1,1+1,1  +  2,. ...l  +  l  —  1,1  +  1,... 

l  +  X  —  1  das  letzte  negative  Glied  ist.  Die  entsprechende  Bedeu- 
tung mögen  ^  und  v  in  Rücksicht  auf  m  und  n  erhalten. 

Die  Discussion  der  verschiedenen  Fälle,  bei  welcher  man  die 
Ungleichungen  (16)  und  (18)  zu  beachten  hat,  ergiebt  nun  die  in 
der  nachstehenden  Tabelle  zusammengestellten  Resultate: 


1 

m 

n 

N 

I. 

+ 

+ 

— 

i-(-iy 

2 

IL 

+ 

— 

+ 

P 

+ 

— 

— 

ft  —  v,  für  p  >  v 

JULI. 

2           ,  furp<v 

IV. 

— 

— 

— 

1—  {—Vi**** 
2 

"Wie  diese  Tabelle  aufzufassen  ist,  erhellt  aus  folgendem  Satze : 

Sind  die  Elemente  l,  m,  n  sämmtlich  negativ  (Fall  IV  der  Ta- 
belle), so  verschwindet  F(l}mfntx)  zwischen  0  und  1  kein  Mal 
oder  ein  Mal,  je  nachdem  X  +  p  +  v  gerade  oder  ungerade  ist. 

Man  wird  sich  leicht  überzeugen,  daß  die  Tabelle  mit  den  von 
Herrn  Klein  gefundenen  Resultaten  vollständig  im  Einklang  steht. 

Schließlich  will  ich  noch  bemerken,  daß  man  die  Frage  nach 
der  Gresammtheit  der  Nullstellen  von  F(l1mintx)t  gleichgültig  ob 


564      A.  Hurwitz,  über  die  Nullstellen  der  hypergeometrischen  Reihe. 

/,  m,  n  reelle  oder  complexe  Werte  besitzen  j  auch  auf  Grund  der 
allgemeinen  Sätze,  welche  ich  an  anderer  Stelle  entwickelt  habe *), 
in  Angriff  nehmen  kann.  Man  hat  dann  die  Wurzeln  der  ganzen 
rationalen  Functionen,  welche  als  Nenner  in  den  Näherungsbrüchen 

der  Kettenbruch  -  Entwicklung  von   —  '     , — - —      *    '    auftreten, 

ö  F(l,m,n,x) 

zu  untersuchen.     Ob  diese  Untersuchung  auch  für  die  imaginären 

Nullstellen  der  hypergeometrischen  Reihe  zu  einfachen  Resultaten 

führt,  vermag  ich  indessen  nicht  zu  übersehen. 

Königsberg  in  Pr.,  30.  November  1890. 


1)   „Ueber    die   Nullstellen    der    Bessel' sehen  Function".      Mathematische 
Annalen,   Bd.  33. 


Inhalt  von  No.  16. 
Eduard  Riede,   Moleculartheorie  der  Diffusion  und  electrolytischen  Leitung.  —  F.  Auerbach,   absolute 
Härtemessung.  —   W.   Yoigt  und  P.  Drude,   Bestimmung  der  Elasticitätsconstanten  einiger  dichter  Mine- 
ralien.  —  Jahresbericht  des  beständigen  Sekretärs.  —  A,  Ruruntz,   über    die  Nullstelion   der  hypergeo- 
metrischen Eeihe. 

Für   die  Redaction  verantwortlich:    H.  Sauppe,   Secretär  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 
Commi  ssions-Yerlag  der  DietericK  sehen   Yeilags- Buchhandlung. 
Druck   der  Dieterich' sehen  Univ.- Buchdruckerei  (W.  Fr.  Katstner). 


IHS 


Nachrichten 


von  der 


Königl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften 


und  der 


Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu    Göttingen. 


Ans  dem  Jahre  1891. 

Nro.  1—11. 


Göttingen, 

Dieterichsche  Verlags-Buchhand  lung. 
1891. 


Man  bittet  die  Verzeichnisse  der  Accessionen  zugleich  als  Empfangsanzeigen 
für  die  der  Königl.  Societät  übersandten  Werke  betrachten  zu  wollen. 


Register 

über 

die  Nachrichten  von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und 

der  Georg  -  Augusts  -  Universität 
aus  dem  Jahre  1891. 


Bericht  des  Beständigen  Secretairs.     359. 

Bürger,    Otto,  Vorläufige  Mitteilungen  über  Untersuchungen  an 
Nemertinen  des  Golfes  von  Neapel.     286. 

Drude,  Paul,  und  Kernst,  Walther,  Ueher  die  Fluorescenzwir- 
kungen  stehender  Lichtwellen.     346. 

Frobenius,    G. ,    Ueber    Potentialfunctionen ,    deren  Hesse'sche 
Determinante  verschwindet.     323. 

Heun,  Karl,  Die  Schwingungsdauer  des  Gauß'schen  Bifilarpendels. 

154. 
Hubert,  David,  Ueber  die  Theorie  der  algebraischen  Invarianten. 

232. 

Kielhorn,  Franz,  Die  Colebrooke'schen  Pänini-Handschriften  der 
K.  Bibliothek  zu  Göttingen.     101. 

—  —       Die  Vikrama-Aera.     179. 

—  —       Die  Nltimafijari  des  Dyä  Dviveda.    182. 

f  de  Lagard e,  Paul,  Thevenots  cafFarre.     135. 

—  —    Das   aramäische  Evangeliar    des   Vatikan. 

140. 


4  Register. 

f  de  Lagarde,  Paul,  Neue  Ausgabe  Clementischer  Schriften. 
153. 

—  —     Arabes  mitrati.     160. 

—  —     Samech.     164. 

Meyer,  Franz,  Ueber Discriminanten  und  Resultanten  von  Singu- 
laritätengleichungen    14. 

—  —      Ueber  Realitätseigenschaften  von  Raumcurven.    88. 

—  —       Ueber   ein  Trägheitsgesetz    für  algebraische  Glei- 
chungen.    279. 

N ernst,  Walther,  Ueber  das  Henry'sche  Gesetz.     1. 

—  —  sieh  Drude. 

—  —  sieh  Tarn  mann. 

Nestle,  Eberhard ,  Eine  denkwürdige  Sitzung  der  K.  Gesell- 
schaft der  Wissenschaften.     187. 

Preisaufgaben: 
Benekestiftung.     126. 
K.  Gesellschaft  der  Wissenschaften.     363. 
Petschestiftung.     125. 
Wedekindstiftung.     127. 

Rahlfs,  Alfred,  Lehrer  und  Schüler  bei  Iunilius  Africanus.    242. 
Riecke,  Eduard,  Zur  Moleculartheorie  der  piezoelectrischen  und 
pyroelectrischen  Erscheinungen.     191. 

—  —        Ueber   eine    mit  den  electrischen  Eigenschaften 
des  Turmalins  zusammenhangende  Fläche.     223. 

—  —         und  Voigt,   Woldemar,    Die  piezoelectrischen 
Constanten  des  Quarzes  und  Turmalins.     247. 

Schilling,  Fr.,  Ueber  die  geometrische  Bedeutung  der  Formeln 
der  sphärischen  Trigonometrie  im  Falle  complexer  Argumente. 
188. 

Schön  flies,  Arthur,  Bemerkung  zu  Huberts  Theorie  der  alge- 
braischen Formeln.     339. 

5  e  1 1  a  ,   Alfonso ,   Beitrag   zur  Kenntnis   der    specifischen  Wärme 

der  Mineralien.     311. 

Tammann,  Gustav,  Ueber  die  Stromleitung  durch  Niederschlags- 
membranen.    112. 

—  —       Ueber  die  Permeabilität   von  Niederschlags- 

membranen.    213. 


Register.  5 

Tara  mann,  Gustav,  und  Nernst,  Walther,  Ueber  die  Maximal- 
tension, mit  der  Wasserstoff  aus  Lösungen  durch  Metalle  in 
Freiheit  gesetzt  wird.    202. 

Tonelli,  Alberto,  Bemerkung  über  die  Auflösung  quadratischer 
Congruenzen.     344. 

Venske,  Otto,  Zur  Integration  der  Gleichung  z/z/w  =  0  für  ebene 
Bereiche.     27. 

—  —  Integration  eines  speciellen  Systems  linearer,  homo- 
gener Differentialgleichungen  mit  doppelt  -  periodischen  Func- 
tionen als  Coefncienten.     85. 

—  —  Ueber  einen  neuen  Apparat  zur  Bestimmung  der 
inneren  Wärmeleitungsfähigkeit  schlecht  leitender  Körper  in 
absolutem  Maaße.     121. 

Verzeichnisse   der    eingelaufenen  Druckschriften.     34 ,   100, 

133,  278,  310,  388. 
Voigt,  Woldemar,  Beiträge  zur  Hydrodynamik  I  und  II.     37. 

—  —  sieh  Riecke. 

Wagner,  Hermann,  Ueber  das  von  S.  Günther  1888  herausge- 
gebene spätmittelalterliche  Verzeichnis  geographischer  Coordi- 
naten  werte.     256. 

Wallach,  Otto,  Ueber  einige  neue  Kohlenwasserstoffe  mit  ring- 
förmiger Bindung  der  Kohlenstoffatome.     301. 

Wieseler,  Friedrich,  Ueber  den  Stierdionysos.     367. 


Nachrichten 

von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg-  Augusts  -  Universität 

zu   Göttingen. 
25.  Februar.  Jfä  \m  1891. 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  7.  Februar. 

Riecke  legt  eine  Abhandlung  des  Herrn  Privatdocenten  Dr.  Nernst  vor:  „Ueber 

das  Henry'sche  Gesetz." 
Voigt  legt:  „Beiträge  zur  Hydrodynamik"  vor. 
Klein  legt  die  Abhandlung  des  Herrn   Prof.  Franz  Meyer   in  Clausthal  vor: 

„Ueber  Discriminanten   und  Resultanten   von  Singularitätengleichungen."     4. 

Mittheilung. 
deLagarde  spricht  über  Inhalt  und  Bedeutung  seiner  „Septuagi  nta  Studien 

II  und  III",  die  im  Band  37  der  Abhandlungen  erscheinen  werden. 
Frensdorff  legt  einen  Aufsatz  vor:    „Eine  Krisis  in  der  K.  Gesellschaft  der 

Wissenschaften." 


Ueber  das  Henry'sche  Gesetz. 

Von 

W.  Nernst. 

In  der  Abhandlung,  welche  der  königlichen  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  in  der  Sitzung  vom  2.  August  vorgelegt  wurde, 
habe  ich  den  Satz  aufgestellt,  daß  jeder  Molekülgattung 
zwischen  zwei  Phasen  eines  inhomogenen  Systems 
ein  konstantes  Theilungsverhältnis  zukomme,  unab- 
hängig insbesondere ,  welche  anderen  Stoffe  (in  nicht  zu  großer 
Konzentration)  zugegen  sind.     Von  den  Folgerungen,   welche  sich 

Nachrichten  d.  K.  G.  d.  W.  zu  GöUingen.    1891.    Nr.  1.  1 


2  W.  Nernst, 

aus  diesem  Satze  für  die  Vertheilung  eines  Stoffes  zwischen  zwei 
Lösungsmitteln  ergeben,  konnte  ich  bereits  durch  die  Berechnung 
älterer  Versuche  und  durch  eine  Anzahl  eigener  Messungsreihen 
nachweisen,  daß  sie  an  der  Erfahrung  eine  zahlenmäßige  Bestäti- 
gung finden.  Inzwischen  habe  ich  nach  einer  in  der  erwähnten 
Mittheilung  bereits  angedeuteten  Methode  auch  den  Fall  experi- 
mentell untersucht,  daß  ein  Stoff  sich  zwischen  einer  flüssigen  und 
einer  gasförmigen  Phase  vertheilt,  worüber  im  Folgenden  nach  ei- 
nigen theoretischen  Betrachtungen  über  diesen  Fall  zu  berichten 
mir  gestattet  sei. 

Die  Anwendung  obigen  Satzes  auf  die  Vertheilung  von  Stoffen 
zwischen  Lösungsmittel  und  dem  mit  diesem  in  Berührung  befind- 
lichen Gasgemische ,  d.  h.  auf  die  Abhängigkeit  des  Partialdrucks, 
mit  welchem  ein  in  Lösung  befindlicher  Stoff  in  dem  über  der  Lö- 
sung lagernden  Gasgemische  vorhanden  ist,  von  der  Konzentration 
jener,  führt  zu  folgenden  Gesetzmäßigkeiten. 

1)  Der  Partialdruck  eines  gelösten  Stoffes  über  einer  Lösung 
ist  bei  konstanter  Temperatur  der  Konzentration  desselben  in  der 
Lösung  direkt  proportional,  wenn  derselbe  in  Lösung  und  im  Gas- 
zustande gleiche  Molekulargröße  besitzt;  unter  dieser  Bedingung 
gilt  mit  andern  Worten  Henry's  Gesetz. 

2)  Befindet  sich  der  gelöste  Stoff  im  Dissociationszusstande, 
so  gilt  der  Satz  für  jede  einzelne  Molekülgattung,  die  in  der  Re- 
aktionsgleichung der  Dissociation  vorkommt. 

3)  Es  finde  im  allgemeinsten  Falle  zwischen  den  gleichzeitig 
in  einem  beliebigen  Lösungsmittel  gelösten  und  verflüchtigten  Stof- 
fen eine  Reaktion  nach  dem  Schema 

n1-41  +  w,il8  +  ...  ==  n'tA't  +  n[A±  +  ... 

statt,  d.  h.  es  treten  nx  Moleküle  vom  Körper  At ,  n2  Moleküle  vom 
Körper  A2  u.  s.  w.  zusammen,  um  n[  Moleküle  vom  Körper  A[ ,  n'2 
Moleküle  vom  Körper  A[  u.  s.  w.  zu  bilden ;  Gleichgewicht  sei  ein- 
getreten ,  wenn  die  Partialdrucke  der  einzelnen  Molekülgattungen 
Pi  i  P2  -  -  •  >  P[  >  Pl%  •  •  •  un(l  inre  Konzentrationen  in  der  Lösung 
c, ,  c2 .  . . ,  c[ ,  c[ . . .  betrogen.  Dann  liefert  die  Anwendung  des 
Guldberg-Waage' sehen  Gesetzes  der  chemischen  Massen- 
wirkung ,  welche  in  gleicher  Weise  für  das  gasförmige  und  flüs- 
sige System  gemäß  den  von  van  't  Hoff  in  seiner  Schrift:  „Lois 
de  l'equilibre  chimique  dans  l'etat  dilue,  gazeux  ou  dissons"  (Stock- 
holm 1885)  entwickelten  Grundsätzen  zu  erfolgen  hat,    die  beiden 


Gleichungen 


über  das  Henry'sche  Gesetz 
p^pp . .  . 


■K  (1) 

2Y  *iV 2  •  •  • 

\rr„^  =  K'  (2) 

worin  K  und  K' ,  die  Reaktionskoefficienten ,  nur  von  der  Tem- 
peratur in  der  bekannten  Weise  abhängen.  Der  eingangs  erwähnte 
Satz  liefert  uns  eine  Anzahl  Gleichungen 

c,  =  p.Jc,,  c2  =  p2Jc2,  . .  .  c[  =  p'X,  c'2  =  p'2k2  ...  (3) 

worin  Jct ,  h2. . . ,  Jc[ ,  7c'2  .  . .  die  Löslichkeitskoefficienten    der  einzel- 
nen Molekülgattungen  bedeuten,    die  wiederum  nur  von  der  Tem- 
peratur abhängen,    und  zwar  in  einer  aus  der  Lösungswärme  der- 
selben leicht  zu  berechnenden  Weise. 
Aus  (1)  bis  (3)  erschließen  wir 

Vn'ljr,n2 

K  =  K'    l     2    ' "  .  (4) 

Dies  Resultat  ist  vielleicht  nicht  ohne  weiter  gehende  allgemeine 
Bedeutung.  In  den  meisten  Fällen  lassen  sich  die  Löslichkeits- 
koeffizienten  einer  Molekülgattung  gegenüber  einem  beliebigen  Lö- 
sungsmittel direkt  bestimmen,  und  es  wird  bei  Kenntnis  dieser  er- 
möglicht, vorherzusagen,  wie  eine  Anzahl  Stoffe  in  einem  beliebi- 
gen Lösungsmittel  auf  einander  einwirken,  wenn  ihre  Reaktions- 
fähigkeit im  Gaszustande  bekannt  ist,  und  umgekehrt. 

Es  muß  jedoch  betont  werden ,  daß  die  Gleichungen  (3)  nur 
für  elektrisch  neutrale  Moleküle  gültig  sind;  für  eine  be- 
stimmte Ionengattung  nämlich  kann  der  Theilungskoefficient  im 
allgemeinen  nicht  unabhängig  von  der  Gegenwart  anderer  Ionen 
sein,  weil  infolge  Ausbildung  elektrischer  Doppelschichten  an  der 
Grenzfläche  der  verschiedenen  Phasen  die  einfache  Superposition 
der  Gleichungen  (3)  aus  dem  gleichen  Grunde  aufhört,  wie  die 
Salze  sich  bei  der  Diffusion  in  wässeriger  Lösung  wegen  der  hier- 
bei auftretenden  Potentialdifferenzen  beeinflussen.  Außerdem  wird 
vorausgesetzt,  daß  die  betreffenden  Stoffe  weder  in  Lösung  noch 
im  Gaszustande  in  zu  großer  Konzentration  vorhanden  sind. 

Satz  1)  ist  der  bekannte  van  't  Ho  ff  sehe  Satz;  nimmt  man 
zur  Bestimmung  des  Partialdruckes  die  van  't  Ho  ff  sehe  Dampf- 
druckformel zu  Hülfe,   so  gelangt  man   zu  der  von  Planck1)  ge- 

1)  M.  Planck,  Zeitschr.  physik.  Chem.  2.  405  (1888). 

1* 


4  W.  Nernst, 

gebenen  Theorie  der  Dampfspannungen  von  verdünnten  Lösungen 
flüchtiger  Stoffe;  die  von  Planck  gemachte  Voraussetzung,  daß 
der  Dampf  des  Lösungsmittels  in  großem  Ueberschuß  im  Vergleich 
zu  dem  des  gelösten  Stoffes  zugegen  ist,  kann  man  ohne  Weiteres 
fallen  lassen ,  da  sie  weder  nothwendig  ist  noch  eine  merkliche 
Vereinfachung  mit  sich  bringt.  Von  der  weiteren  Beschränkung 
in  Planck's  Theorie,  daß  nämlich  der  gelöste  Stoff  als  solcher 
und  im  Gaszustande  gleiche  Molekulargröße  besitzt,  kann  man  sich 
mittelst  des  Satzes  2)  befreien;  durch  wiederholte  Hinzuziehung 
des  Satzes  3)  schließlich  kann  ohne  weiteres  eine  allgemeine  Theo- 
rie für  die  Dampfspannung  einer  Lösung  gegeben  werden,  die  be- 
liebige Stoffe  (in  nicht  zu  großer  Konzentration)  enthält,  zwischen 
denen  außerdem  beliebige  chemische  Einwirkungen  stattfinden  kön- 
nen. Die  Formeln  die  sich  bei  Anwendung  des  Satzes  2)  ergeben 
werden ,  (bezüglich  des  experimentell  noch  nicht  untersuchten 
Satzes  3)  mögen  obige  Andeutungen  genügen)  haben  neuerdings 
eine  strenge  thermodynamische  Begründung  durch  Herrn  Professor 
B/iecke  erfahren1);  die  unten  mitzutheilenden  Messungen  sind 
also  gleichzeitig  dazu  geeignet,  der  Biecke' sehen  Betrachtungs- 
weise dieser  und  verwandter  Probleme  eine  neue  experimentelle 
Bestätigung  zu  verleihen. 

Zur  Messung  des  Partialdruckes ,  mit  welchem  der  gelöste 
Stoff  über  der  Lösung  vorhanden  war,  bediente  ich  mich  des 
Beck  mann' sehen  Siedeapparates2),  dessen  Theorie  sich  unschwer 
auch  für  den  Fall  erweitern  läßt,  daß  der  gelöste  Stoff  in  merk- 
licher Weise  an  der  Verdampfung  theilnimmt.  Es  seien  in  N  Mo- 
lekülen des  Lösungsmittels  n  Moleküle  eines  fremden  Stoffes  ge- 
löst, welche  letzteren  einheitlich  sein  können  oder  nicht,  und  im 
letzteren  Falle  mit  einander  beliebig  reagieren  mögen.  Sei  B  der 
Barometerstand,  P  der  Partialdruck  des  Lösungsmittels  und  p  der- 
jenige des  gelösten  Stoffes,  so  ist 

p  =  B-P 

und,  wenn  P0  den  Dampfdruck  des  reinen  Lösungsmittels  bei  der 
betreffenden  Temperatur  bedeutet,  so  wird  mit  Einführung  der 
van  't  Hof  f  sehen  Dampf druckformel 

(5)  P»-P  _      n 


P„  N+n 


1)  E.  Riecke,  Gott.  Nachr.  1890  No.  14. 

2)  E.  Beckmann,   Zeitschr.  f.  physik.  Chem.  4.  532  (1889). 


über  das  Henry'sche  Gesetz.  5 

Es  sei  nun  t  die  Aenderung,  welche  der  Siedepunkt  des  Lösungs- 
mittels durch  Hinzufügen  der  n  Moleküle  des  gelösten  Stoffes  er- 
fahren hat  und  die  bei  nicht  flüchtigen  Stoffen  immer  positiv  ist, 
bei  flüchtigen  aber  sowohl  positiv  wie  negativ  sein  kann ;  bedeutet 
a  ferner  die  Zunahme  des  Dampfdruckes  des  Lösungsmittels,  welche 
einer  Temperatursteigerung  um  1°  entspricht,  so  wird 

P0  =  B  +  at 
und  demgemäß 

a  kann  entweder  den  Dampfdrucktabellen  direkt  entnommen 
oder  aus  der  C 1  aus ius' sehen  Dampfdruckformel  mittelst  der 
Verdampfungswärme  berechnet  werden;  man  erhält  auf  dem  letz- 
teren Wege 

JBMw  ~      .    .,, 

cc  =     <^m~  mm  Quecksilber  (8) 

worin  M  das  Molekulargewicht,  w  die  Verdampfungswärme  in  g- 
cal  und  T  die  absolute  Siedetemperatur  des  Lösungsmittels  be- 
deuten. Handelt  es  sich  um  größere  Aenderungen  des  Siedepunk- 
tes, so  muß  natürlich  berücksichtigt  werden,  daß  dann  der  Dampf- 
druck mit  der  Temperatur  nicht  mehr  linear  variiert;  im  Folgen- 
den, wo  diese  Aenderung  immer  nur  nach  Bruchtheilen  eines  Gra- 
des zählen  wird,  ist  dies  nicht  erforderlich. 

Für  nicht  flüchtige  Substanzen  wird  p  =  0  und  es  resultiert 
aus  (7)  die  von  Arrhenius  abgeleitete  und  von  Beckmann  veri- 
ficierte  Formel,  welche  das  Molekulargewicht  einer  nicht  flüchtigen 
Substanz  aus  der  Siedepunktserhöhung  zu  berechnen  gestattet. 
Bei  Anwendung  flüchtiger  Substanzen  als  gelöster  Stoffe  wird  Pro- 
portionalität zwischen  Konzentration  und  Temperaturänderung,  die 
in  einer  Erhöhung  oder  Erniedrigung  des  Siedepunktes  bestehen 
kann,  nur  dann  stattfinden,  wenn  p  und  Konzentration  proportional 
sind ,  d.  h.  wenn  dem  gelösten  Stoffe  als  solchem  und  als  Gas 
gleiche  Molekulargröße  zukommt.  Ist  dies  nicht  der  Fall, 
so  finden  (genügende  Flüchtigkeit  der  gelösten  Substanz  vorausge- 
setzt), sofort  die  grellsten  Abweichungen  von  dieser  Proportiona- 
lität statt. 


6  W.  N ernst, 

Als  Beispiel  von  Stoffen,  die  in  Lösung  und  als  Gras  gleiche 
Molekulargröße  besitzen ,  untersuchte  ich  Benzol  und  Chloroform 
in  ätherischer  Lösung  mittelst  des  Beckmann'  sehen  Siedeappa- 
rats. Thatsächlich  waren  denn  auch  die  beobachteten  Siedepunkts- 
erhöhungen der  angewandten  Konzentration  proportional  und  um 
20,  bez.  10  %  in  beiden  Fällen  kleiner,  als  sich  aus  dem  Moleku- 
largewichte beider  Substanzen  unter  Annahme  von  Nichtflüchtig- 
keit  berechnen  würde. 

Wir  gehen  jetzt  zu  den  Messungen  über,  welche  mit  Anwen- 
dung einer  Substanz  ausgeführt  sind,  die  in  Lösung  und  als  Gas 
in  merklich  verschiedenem  Molekularzustande  sich  befindet.  Als 
Lösungsmittel  wurde  Benzol  verwandt,  als  gelöste  Substanz  diente 
Essigsäure,  die  nach  den  Gefrierpunktsbestimmungen  sowie  nach 
den  Resultaten,  welche  nach  der  Siedemethode  mit  anderen  einba- 
sischen organischen  Säuren,  wie  Benzoesäure ,  Salicylsäure  u.  dgl. 
erhalten  sind  und  einen  sicheren  Analogieschluß  gestatten,  bei  den 
hier  in  Betracht  kommenden  Konzentrationen  zum  weitaus  größten 
Theile  in  Benzollösung  bimolekular  ist;  in  Dampfform  hingegen, 
wo  ihr  Dissociationszustand  nach  einer  von  Gibbs  berechneten 
Formel  sich  sehr  genau  für  alle  Drucke  und  ein  großes  Tempera- 
turintervall berechnen  läßt,  werden  wir  sie,  den  Bedingungen  der 
Temperatur  und  der  Druckverhältnisse  entsprechend,  erheblich 
stärker  in  die  normalen  Moleküle  dissoeiiert  vorfinden. 

Bei  Ausführung  der  Messungen  wurde  das  Hauptaugenmerk 
auf  Anwendung  möglichst  wasserfreier  Substanzen  gerichtet,  weil 
Gegenwart  selbst  nur  geringer  Spuren  von  Wasser  die  Dampf- 
spannung der  Lösungen  aus  mancherlei  Gründen  erheblich  beein- 
flussen muß.  Demgemäß  gelangte  nur  über  Natiumdraht  längere 
Zeit  getrocknetes  Benzol  und  durch  mehrmaliges  Ausfrieren  vor 
jedem  Versuch  frisch  gereinigte  Essigsäure  zur  Verwendung.  Es 
gelang  so  in  der  That,  in  fünf  Versuchsreihen  gut  miteinander 
stimmende  Resultate  zu  erhalten;  zur  Kontrolle  des  Apparats 
wurde  außerdem  eine  Bestimmung  mit  einer  kaum  flüchtigen  Sub- 
stanz (Diphenylamin)  gemacht,  die  folgendes  befriedigende  Resul- 
tat lieferte: 

Tab.  I. 

Diphenylamin  in  Benzollösung. 

m  t  M 

1-51  0-229  175 

3-11  0463  179 

5-61  0-828  181 


über  das  Henry'sche  Gesetz.  7 

m  bedeutet  die  Anzahl  g  gelöster  Substanz  auf  100  g  Benzol,  t  die 
beobachtete  Siedepunktserhöhung  und  M  das  nach  der  Formel 

M  =  267  ^ 
t 

berechnete  Molekulargewicht,  welches  sich  nur  wenig  höher,  der 
geringen  Flüchtigkeit  des  Diphenylamins  entsprechend ,  als  das 
theoretische,  169,  ergiebt. 

Die  Essigsäure  wurde  in  der  von  Beckmann  für  Flüssig- 
keiten vorgeschlagenen  Weise  *)  in  das  siedende  Benzol  successive 
eingeführt;  auffallend  war,  daß  sich,  besonders  bei  größeren  Kon- 
zentrationen, der  Siedepunkt  der  Lösung  etwas  träge  konstant 
einstellte,  wie  wenn  es  einiger  Zeit  bedurfte,  damit  das  Gleichge- 
wicht zwischen  der  in  Lösung  und  im  Gaszustande  befindlichen 
Essigsäure  sich  herstellte.  Gleichwohl  dürften  die  nun  mitzuthei- 
lenden  Zahlen  fast  durchweg,  besonders  da  sie  großentheils  das 
Mittel  aus  mehreren  gut  mit  einander  stimmenden,  unabhängigen 
Versuchsreihen  sind  ,  bis  auf  weniger  als  O'Ol0  sicher  sein.  Der 
Barometerstand  schwankte  bei  allen  Versuchen  nur  so  wenig  um 
750  mm,  daß  er  unbedenklich  für  alle  Messungen  diesem  Mittel- 
werthe  gleichgesetzt  werden  kann,  um  so  mehr,  als  ein  außerdem 
bei  einem  ungewöhnlich  niedrigen  Barometerstande,  730  mm,  ausge- 
führter Kontrollversuch  keine  merkliche  Beeinflussung  dieser  großen 
Schwankung  des  äußeren  Druckes  auf  die  beobachteten  Siede- 
punktsänderungen des  Benzols  durch  Zusatz  von  Essigsäure  er- 
kennen ließ.  Die  Korrektion,  welche  infolge  der  durch  die  Ver- 
dampfung der  Essigsäure  bedingten  Konzentrationsänderung  anzu- 
bringen ist  und  sich  aus  der  unten  zu  gewinnenden  Kenntnis  ihres 
Partialdrucks  und  der  Angabe,  daß  das  Volum  der  Lösung  und 
dasjenige  des  Dampfraumes  je  ca.  50  cc  betrug,  leicht  berechnet, 
liegt  vollkommen  innerhalb  der  Versuchsfehler. 


Tab.  IL 

Essigsäure  in  Benzol. 

m 

t 

m 

t 

0150 

-0-070 

4-13 

-0-066 

0-663 

-0-139 

5-00 

+  0-032 

1-64 

-0-152 

6-83 

+  0-063    Barome 

1-87 

-0-155 

7-53 

+  0-118 

2-60 

-0132 

8-42 

+  0-180. 

1)  Beckmann  1.  c.  548. 


8  W.  Nernst, 

Wie  man  sieht,  ist  von  Proportionalität  zwischen  Konzentra- 
tionen nnd  Siedepunktsänderung  t  gar  nicht  die  Rede;  vielmehr 
findet  beim  anfänglichen  Zusatz  eine  Erniedrigung,  beim  weiteren 
eine  Erhöhung  des  Siedepunktes  statt  und  wir  dürfen  aus  dem 
bloßen  Anblick  der  Zahlen  das  erwartete  Resultat  schließen,  daß 
nämlich  Essigsäure  in  den  beiden  Phasen  des  untersuchten  Systems 
sicherlich  in  merklich  verschiedenem  Molekularzustande  sich  be- 
findet. Die  strenge  Berechnung  wird  uns  sofort  lehren,  daß  auch 
quantitativ  der  absonderliche  Verlaui  der  Zahlen  der  von  der  Theo- 
rie geforderte  ist. 

Die  Berechnung  des  Partialdruckes  p  der  Essigsäure  im  Dampf- 
raume  geschieht  nach  Formel  (7);  a,  die  Aenderung  des  Dampf- 
druckes des  Benzols,  welche  einer  Aenderung  um  1°  entspricht, 
beträgt  in  der  Nähe  das  dem  Drucke  von  750  mm  entsprechenden 
Temperaturpunktes  der  Dampf spannungskurve  22*0  mm,  wie  sich 
aus  der  Formel  (8) 

78.93-4 


a  =  750 


2  •  3532 


berechnet.  Die  Anzahl  Moleküle  n  der  Essigsäure,  welche  auf  N 
Moleküle  Benzol  enthalten  sind,  ergiebt  sich  aus  m,  welche  Größe 

die  Anzahl   g  Essigsäure   auf  N  =  -=q-  Moleküle   Benzol   (78  = 

Molekulargewicht  des  Benzols  im  Graszustande)  bedeutet,  und  dem 
Molekularzustande  der  Essigsäure  im  Benzol.  Wie  schon  hervor- 
gehoben ,  ist  das  Molekulargewicht  der  Essigsäure  in  Benzol 
=  2x60  =  120  zu  setzen  (60  Molekulargewicht  der  Essigsäure 
bei  hoher  Temperatur  und  niederem  Druck  im  Gaszustande) ,  und 
bedeutet  x  den  Dissociationskoefficienten  der  Doppelmoleküle,  so 
wird 

(1+*). 


120 


Da  Essigsäure  bei  den  hier  in  Betracht  kommenden  Konzentrationen 
nur  wenig  dissociiert  ist,  so  spielt  x  die  Rolle  einer  Korrektionsgröße, 
deren  angenäherte  Kenntnis  wir  uns  aus  den  Gefrierpunktsbeobach- 
tungen dieses  Stoffes  inBenzol  sowie  besonders  aus  denMessungen  ver- 
schaffen, welche  Beckmann1)  an  der  Benzoesäure,  die  sich  sicher- 
lich analog  der  Essigsäure  verhält,  angestellt  hat.  Wir  schließen 
daraus ,    daß   letzterer  Stoff  bei   dem  m  =  0*663   entsprechenden 


1)  E.  Beckmann,  Zeitschr.  f.  physikal.  Chem.   6.    440  (1890). 


über  das  Henry'sche  Gesetz. 


9 


Gehalte   zu  rund  10  %   dissociiert  ist.    Für  die   anderen  Konzen- 
trationen berechnet  sich  dann  der  Dissociationskoefficient  aus    der 


Gleichung  der  Dissociationsisotherme 
Setzen  wir  also 


mx 
T^x 


0-663  »0-1' 
0-9 


m 


120 


(1  +  x) 


100  ,     m 

W+12Ö(1  +  ^ 


m  (1  +  x) 
154*4  +  m(l  +  x) 


(9) 


wo  wir  x  im  Nenner  unbedenklich  vernachlässigen  können,  so  wird 
p  =  750v-22-2*(l— i/)  mm  Quecksüber.  (10) 

Wir  berechnen  so  folgende  Partialdrucke  der  Essigsäure,  welche 
den  einzeln  Konzentrationen  entsprechen  und  unter  p  ber.  1  ver- 
zeichnet sind. 


Tab.  in. 

Partialdruck  des  E  ssigsäur edampf es  über  dessen 
Lösung  in  Benzol  bei  80°. 


m 

X 

P 
ber.  1 

P 

ber.  2 

z/ 

i 

0-150 

0-20 

2-4 

2-6 

2-24 

0-87 

0-663 

o-io 

6-6 

6-5 

2-44 

0-70 

1-64 

0-065 

11-8 

11-6 

2-61 

0  60 

1-87 

0-061 

12-9 

12-6 

2-63 

0-58 

2-60 

0-055 

16-1 

15-7 

2-71 

0-54 

413 

0-042 

21-8 

21-4 

2-81 

0-48 

5-00 

0-038 

23-6 

23-9 

2-83 

0-47 

6-83 

0-033 

31-4 

31-1 

2-96 

0-40 

7-53 

0-031 

33-5 

33-4 

2-99 

0-38 

8-42 

0-029 

36-4 

36-5 

302 

0-36 

Was  die  Genauigkeit  der  nach  Formel  (10)  berechneten  Werthe 
von  p  anlangt ,  so  ist  zu  beachten ,  daß  ein  Fehler  von  001°  in 
der  Bestimmung  von  t  in  p  mit  einem  Fehler  von  0*2  mm  Queck- 
silber eingeht;  es  darf  wohl  betont  werden,  daß  einem  Versuche, 
auf  gewöhnliche  Weise  den  Dampfdruck  einer  Lösung  so  genau  zu 
messen,  kaum  überwindliche  Schwierigkeiten  gegenüberstehen,  wie 
ich  überhaupt  der  Meinung  bin,  daß  mit  Hülfe  des  ausgezeichneten 
Siedeapparates  von  Beckmann  sich  Absorptionskoefficienten 
häufig  einfacher  und  viel   genauer  werden  bestimmen  lassen,    als 


10  W.  Nernst, 

nach,  irgend  einer  anderen  Methode.  Der  Partialdruck  des  Ben- 
zols ergiebt  sich  natürlich  zu  750  —  p. 

Man  ersieht  aus  Tab.  III  sofort,  daß  Proportionalität  zwischen 
m  und  p  im  Sinne  des  Henry' sehen  Gesetzes  in  der  gewöhn- 
lichen Fassung  nicht  einmal  angenähert  stattfindet;  wohl  aber 
muß  das  Gesetz  nach  dem  eingangs  aufgeführten  Satze  gelten, 
wenn  man  eine  bestimmte  Molekülgattung,  etwa  die  normale,  welche 
der  Formel  CH3COOH  entspricht,  in  Betracht  zieht. 

In  Lösung  ist  nun  die  Anzahl  normaler  Moleküle 


l/Sää  m  v^r=5) 


m 

1       m 

proportional.  Für  den  Gaszustand  berechnet  sich  der  Dissociations- 
koefficient  {  aus  der  Dampfdichte  A  zu 

(ii)  l  =  -^^ 

wo  4*146  der  dem  Werte  J  =  0  entsprechende  Grenzwert  der 
Dampfdichte  der  Essigsäure  darstellt;  für  die  Abhängigkeit  der 
Dampfdichte  von  Temperatur  und  Druck  hat  Gibbs1)  folgende 
Formel  gegeben: 

(12)  log     mlß^y/  =  -^~  11*349 

worin  T  die  absolute  Temperatur  bedeutet,  welcher  Ausdruck  sich 
den  zahlreichen  Messungen  von  Bineau,  Naumann,  Horst- 
mann u.  A.  gut  anschließt. 

Wenn  wir  T  =  273  +  80  einsetzen  (80°  Siedepunkt  des  Ben- 
zols), so  wird 

^-2-073 


(7-146  -A)p2 


eine  Gleichung,  welche  die  bekannte  Form  der  Dissociationsiso- 
therme  besitzt  und  deren  Berechnung  zu  den  in  Kolumne  V  ver- 
zeichneten Werthen  von  z/  und  mit  Hinzuziehung  von  Gl.  (11)  zu 
den  in  Kolumne  VI  verzeichneten  Werthen  von  |  führt. 

Die  Anzahl  normaler  Moleküle  in  der  Volumeinheit  des  Dampfes 
der  Essigsäure  ist  nun  proportional  dem  Produkte  aus  der  in  der 
Volumeinheit  befindlichen  Masse   des  Dampfes  und   seinem  Disso- 


1)  W.  Gibbs,  Sil.  Journ.   18.   371  (1879). 


über  das  Henry'sche  Gesetz.  11 

ciationskoefficienten,  also  proportional  dem  Ausdruck 
A     4-146  —  ^  fA^Aa       a\ 

Jp — =  #(4*146—^). 

Die  Gültigkeit  des  Henry'  sehen  Gesetzes  in  der  eingangs  dar- 
gelegten Fassung  verlangt  also  Proportionalität  zwischen  den  Aus- 
drücken 

\Jm(l-x)    und    i?(4-146-z/). 
Thatsächlich  finden  wir  denn  auch,  daß  die  nach  Formel 

p  ==  14-4  ^. -.  L — -4-  mm  Quecksilber  (13) 

berechneten,  in  Kolumne  IV  der  Tabelle  III  verzeichneten  Druck- 
werthe  mit  dem  unmittelbaren  Ergebnis  des  Experiments  in  aus- 
gezeichneter Weise  übereinstimmen.  Diese  Messungen  im  Verein 
mit  den  über  die  Vertheilung  eines  Stoffes  zwischen  zwei  Lösungs- 
mitteln angestellten  beweisen  wohl  zur  Genüge,  daß  der  Satz  über 
die  Konstanz  der  Theilungskoeffizienten  einer  bestimmten  Mole- 
külgattung zwischen  zwei  Phasen  zu  mit  der  Erfahrung  völlig 
stimmenden  Resultaten  führt. 

Der  Proportionalitätsfaktor  14*4  entspricht  (bei  Berücksichti- 
gung des  in  Gl.  (13)  befolgten  Maaßsystems)  dem  Löslichkeitskoef- 
fizienten  der  (CH3COOH)- Moleküle;  natürlich  kann  in  gleicher 
Weise  auch  der  Löslichkeitskoefficient  der  (CH3  COOH)2  -  Moleküle 
gefunden  werden.  Vernachlässigt  wurde  in  den  obigen  Rechnun- 
gen die  bei  den  geringen  Temperaturänderungen  jedenfalls  nur 
äußerst  geringe  Aenderung  des  Löslichkeitkoefficienten  mit  der 
Temperatur. 

Einen  zweiten  Fall,  der  in  genau  der  gleichen  Weise  behan- 
delt werden  kann,  verdanke  ich  der  gütigen  Mittheilung  von  Herrn 
Professor  Dr.  Beckmann  in  Leipzig,  welcher  bei  Zusatz  von 
Wasser  zu  siedendem  Aether  folgende  Siedepunktserniedrigungen 
erhielt: 


Tab.  IV. 

Wasser  in  Aether. 

m 
0-429 
1-032 
1-315 

t 
-0-206 

—0*206        Barometerstand  = 
-0-324. 

752  mm 

12  W.  Nernst, 

Man  sieht  auch  hier,  daß  zwischen  m  und  t  durchaus  keine 
Proportionalität  stattfindet,  daß  also  Wasser  unter  den  Bedingun- 
gen des  Versuchs  in  Aether  gelöst  und  als  Gas  nicht  in  gleichem 
Molekularzustande  sich  befindet.  Im  Wasserdampfe  kommen  nach 
Avogadro's  Gesetz  nun  fast  ausschließlich  H2O- Moleküle  vor, 
wenn  auch  der  ein  wenig  größer  als  dem  Molekulargewichte  18 
entsprechend  gefundene  Werth  der  Dampfdichte  auf  Bildung  von 
Doppelmolekülen  in  sehr  geringer  Anzahl  hindeutet.  Es  muß  dem- 
nach das  Wasser  im  Aether  in  einem  anderen  Molekularzustande 
wie  dem  normalen  vorkommen. 

Dies  Resultat  können  wir  auf  einem  unabhängigen  zweiten 
Wege  bestätigen.  Bei  der  dritten  Beobachtung  nämlich  war  der 
Aether  mit  Wasser  gesättigt;  der  Werth  m  =  1*315  ist  von  mir 
mit  Hülfe  der  von  Walker1)  neulich  bis  zu  30°  gemessenen  Lös- 
lichkeit des  Wassers  in  Aether  mittelst  einer  kleinen  Extrapola- 
tion bis  auf  35*2°  berechnet  worden.  Nun  können  wir  den  Partial- 
druck  des  Wasserdampfes  über  mit  Wasser  gesättigten  Aether 
anderweitig  berechnen;  er  ist  nämlich  gleich  dem  Partialdruck 
des  Wasserdampfes  über  mit  Aether  gesättigten  Wasser  bei  der 
gleichen  Temperatur  und  dieser  ergiebt  sich,  indem  wir  beachten, 
daß  durch  die  9  %  Aether,  welche  vom  Wasser  bei  35*2°  gelöst 
werden,  der  Dampfdruck  des  reinen  Wassers  bei  dieser  Tempe- 
ratur, 40*0  mm,  um  2*5  %  erniedrigt  wird,  zu  39*0  mm.  Der  Par- 
tialdruck des  Aether s  war  nun  bei  dem  dritten  Versuch  gleich 
752*0  — 39*0  =  718  mm;  der  Dampfdruck  des  reinen  Aethers  würde 
bei  einer  Temperaturerniedrigung  um  0,324° 

752-  26-7  x  0324  =  743*4  mm  Quecksilber 

betragen,  weil  der  Dampfdruck  des  Aethers  in  der  Nähe  von  35*5° 
für  1°  Temperaturerniedrigung  um  26*7  mm  sinkt.  Aus  der  van 
't  Hoff  sehen  Dampfdruckformel  finden  wir,  daß 

743-4  -  713  _0.0426 


713 

beträgt,  d.  h.  daß  beim    dritten  Versuch  auf  100  Molekele  Aether 
4'26  Wassermoleküle  gelöst  waren. 

Wäre  nun  Wasser  im  Aether  in  Gestalt  von  Doppelmolekülen 
vorhanden,  so  müßte  die  relative  Dampfspannungserniedrigung 

1-315-74    _0.0270 
36-100    -00270 


1)  Walker,  Zeitschr.  physik.  Chem.  B.   196  (1890). 


über  das  Henry'sche  Gesetz. 


13 


betragen,  und  sie  würde  doppelt  so  groß  sein,  wenn  Wasser  im 
Aetlier  in  Gestalt  von  normalen  Molekülen  gelöst  wäre.  Aus  dem 
obigen  Werth  berechnet  sich  nun ,  daß  bei  dieser  Konzentration 
der  Dissociationskoeffizient  0*58  beträgt. 

Für  die  beiden  geringeren  Konzentrationen  läßt  sich  der  Par- 
tialdruck  des  Wasserdampfes  über  der  Lösung  wiederum  auf  zwei 
Wegen  berechnen;  zunächst  aus  den  beobachteten  Siedepunktser- 
niedrigungen nach  Gl.  (7) ,  wo  x  für  die  betreffenden  beiden  Kon- 
zentrationen nach  der  Gleichung  der  Dissociationsisotherme  zu  er- 
mitteln ist;  sodann  mit  Hülfe  des  Vertheilungssatzes,  demzufolge 
p  der  Anzahl  der  normalen  Wassermoleküle  proportional,  also 
gleich 


39-0 


mx 


1-315. 0-58 


sein  muß.     Auf  diese  Weise  gelangen  wir  zu 


Tab.  V. 

Partialdruck  des  Wasserdampfes  über  dessenLösung 
in  Aether  bei  35*3°. 


m 

X 

P 

ber.  1 

V 
ber.  2 

1-315 
1-032 
0-429 

0-58 
0-62 
0-76 

39-0 
31-7 
170 

39-0 
32-8 
16-8 

Die  Uebereinstimmung  zwischen  den  auf  zwei  Wegen  berechneten 
^-Werthen  kann  wohl  als  genügend  angesehen  werden.  Jeden- 
falls setzen  es  die  obigen  Zahlen  außer  Zweifel,  daß  Wasser  in 
Aether  gelöst  zum  größeren  Theile  aus  normalen  Molekülen  be- 
steht, weil  andernfalls  die  Abhängigkeit  der  beobachteten  Siede- 
punktserniedrigungen von  der  Konzentration  eine  gänzlich  andere 
sein  müßte. 

Den  obigen  Messungen  entnehmen  wir  gleichzeitig  das  prak- 
tische Resultat,  daß  auch  bei  Anwendung  flüchtiger  Stoffe  als  ge- 
löster Körper  der  Beckmann' sehe  Siedeapparat  sichere  Auskunft 
über  den  Molekularzustand  derselben  zu  liefern  und  uns  gleich- 
zeitig in  den  Besitz  ihrer  Absorptionskoefficienten  zu  setzen  im 
Stande  ist. 

Es  sei  zum  Schluß  noch  darauf  hingewiesen ,  daß,  obwohl  die 
von  mir  gewählte  Fassung   des  Vertheilungssatzes  an  molekulare 


14  W.  N ernst,  über  das  Henry'sche  Gesetz. 

Vorstellungen  anknüpft,  er  gleichwohl  von  diesen  unabhängig  ist, 
und  daß  alle  Folgerungen  aus  ihm  auch  dann  bestehen  bleiben 
würden ,  wenn  man  Avogadro's  Satz  für  Lösungen  als  nicht 
gültig  annähme.  Mit  der  Bezeichnung,  ein  Stoff  hat  in  zwei  ver- 
schiedenen Phasen  gleiche  Molekulargröße  oder  nicht ,  ist  nämlich 
im  Obigen  wie  früher  bei  ähnlicher  Gelegenheit1)  keine  andere 
Vorstellung  verbunden,  als  daß  der  betreffende  Stoff  in  diesen  bei- 
den Phasen  unter  Partialdrucken  steht,  die  sich  wie  seine  Kon- 
zentrationen verhalten  oder  nicht,  oder,  allgemeiner  ausgedrückt, 
daß  die  Aenderungen  der  freien  Energie  einer  bestimmten  Menge 
des  Stoffes  bei  gleicher  procentischer  Konzentrationsänderung  in 
beiden  Phasen  gleich  sind  oder  nicht.  Der  methodische  Verstoß, 
welchen  ich  hierdurch  gegen  das  Grundprinzip  der  Naturwissen- 
schaft, niemals  mit  einem  größeren  Aufwand  an  Hypothese  zu  ope- 
rieren, als  unbedingt  für  den  vorliegenden  Zweck  erforderlich,  be- 
gangen habe,  möge  im  Hinblick  darauf  entschuldigt  werden,  daß 
durch  Hinzuziehung  molekularer  Vorstellungen  die  Darstellung 
an  Anschaulichkeit  und  der  Ausdruck  an  Kürze  ungemein  ge- 
winnt. 

Physikal.  Inst.  GrÖttingen.  Februar  1891. 


1)  Nernst,  Zeitschr.  f.  physik.  Chem.  6.  17  (1890). 


Ueber  Discriminanten  und  Eesultanten  von 
Singularitätengleichungen. 

Von 

Franz  Meyer  in  Clausthal. 

(Vierte  Mittheilung1). 

Vorgelegt  von  F.  Klein. 

In  zwei  voraufgegangenen  Mittheilungen  sind  für  rationale 
Raumcurven  Rsn  die  Hyperosculationsebenen  ,,ctic',  die  Schmiegungs- 
berührebenen  „a3ß2"  und  die  Treiftangenten  „(cc2ß)"  bezüglich  der 
Coincidenzen  ihrer  Stellen  a  untersucht  worden. 


1)  Vgl.  diese  Nachrichten.  1888  No.  5,  1890  No.  10,  1890  No.  15. 


Franz  Meyer,   Singularitätengleichungen.  15 

Im  Nachfolgenden  sollen  die  zwei .  noch  übrigen  Elementar- 
singularitäten einer  Raumcurve,  nämlich  die  Tritangentialebenen 
va*ß2yiu  und  die  Quadrisecanten  „(ccßyd)"  in  demselben  Sinne  ihre 
Erledigung  finden,  sowohl  in  ihren  Beziehungen  zu  einander,  wie 
zu  den  drei  ersterwähnten  Singularitäten. 

Man  wird  wiederum  die  Discriminanten  und  Resultanten  der 
binären  Formen ,  welche ,  gleich  Null  gesetzt ,  die  Werthe  a  zu 
Wurzeln  besitzen ,  in  Elementarfactoren  auflösen ,  welche  in  dem 
zu  Grunde  gelegten  Rationalitätsbereiche  der  Größen  d  irredu- 
cibel  sind. 

Zu  dem  Zwecke  sind  vorerst  die  Grade  der  gemeinten  Ele- 
mentarfactoren in  den  d  festzustellen. 

Hierzu  erweisen  sich  indessen  die  bisher  angewandten  Hülfs- 
mittel  als  nicht  völlig  zureichend,  insofern  bei  einer  Reihe  von 
Zerlegungen  immer  je  ein  Factor  übrigbleibt,  für  den  eine  directe 
Gradbestimmung  auf  unüberwindliche  Schwierigkeiten  zu  stoßen 
scheint. 

Man  kann  jedoch  diese  Schwierigkeiten  umgehen  sobald  man 
die  früher  auseinandergesetzte  Methode  des  Projicirens  in  geeig- 
neter Weise  mit  dem  Chasles'schen  Correspondenzprincip  ver- 
knüpft. Dadurch  gelingt  es ,  zwischen  der  jedesmal  gesuchten 
Gradzahl  und  anderen,  bereits  bekannten  eine  Relation  herzu- 
stellen. 

Es  möge  das  Verfahren  an  dem  Beispiel  der  Discriminante 
der  Tritangentialebenen  -Form  [a2/32y2]  ausführlicher  erläutert 
werden. 

Wie  die  geometrische  Anschauung  zeigt,  existiren  hier  fünf 
verschiedene  Möglichkeiten  für  ein  (durch  je  eine  einzige  Bedin- 
gung herbeigeführtes)  Zusammenrücken  zweier  Berührstellen. 

Erstlich  können  zwei  der  Tritangentialebenen  in  der  Weise 
consecutiv  werden,  daß  die  drei  Berührungspunkte  auf  deren 
Schnittlinie  zu  liegen  kommen  (sodaß  die  letztere  eine  Trisecante 
der  Curve  i2*  wird). 

Sodann  können  sich  vier  solcher  Ebenen  zu  einer  einzigen, 
viermal  berührenden  Ebene  vereinigen.  Des  Weiteren  zwei  solcher 
Ebenen  zu  einer  einmal  osculirenden  und  noch  zweimal  berüh- 
renden. 

Viertens  kann  eine  Coincidenz  zweier  Berührstellen  ein  und 
derselben  Tritangentialebene  eintreten,  sodaß  die  letztere  einmal 
hyperosculirt  und  außerdem  noch  einmal  berührt. 

Endlich  kann   es  noch  vorkommen,    daß  durch  eine  Tangente 


16  Franz  Meyer, 

der  Curve  zwei  verschiedene  Ebenen  gehen,  welche  je  noch  zwei- 
mal berühren. 

Man  hat  demnach,  bei  der  eingeführten  Bezeichnnngsweise, 
für  die  Discriminante  D[a2ß2y2]  den  Zerlegungsansatz: 

wo   die   Exponenten  a,  b,  c,  d,  e  zu  bestimmende    ganze   positive 
Zahlen  sind. 

Nun  lassen  sich  die  Grade  der  vier  ersten  Elementarfactoren, 
wie  auch  der  Discriminante  selbst,  unter  Benutzung  der  früher 
angegebenen  Hülfsmittel  finden  (vgl.  die  weiter  unten  aufgestellte 
Tabelle)  und  es  ist  nur  der  letzte  Factor  rechterhand ,  dem  man 
so  nicht  beikommen  kann. 

Zuvörderst  denken  wir  uns  wiederum  im  vierdimensionalen 
Räume  eine  punktallgemeine  22J  nebst  einer  beliebigen  Geraden 
g  und  fragen:  Von  wieviel  Punkten  P  auf  g  läßt  sich  die  P*  so 
in  eine  P*  projiciren,  daß  die  letztere  der  invarianten  Bedingung 
cc*ß*y*,  cfßly]]  =  0  genügt?  Die  Anzahl  derartiger  Punkte  P  ist 
zugleich  der  Grad  der  in  Hede  stehenden  Invariante  in  den  d. 

Man  construire  nunmehr  auf  der  Curve  P*  folgende  Correspon- 
denz.  Durch  irgend  eine  Tangente  ((«J))  lassen  sich  2(w — 4)(w — 5) 
Räume  M3  legen,  welche  die  Curve  noch  zweimal  berühren.  Diese 
Räume  M3  treffen  die  Gerade  g  in  ebensoviel  Punkten  Q.  Von 
jedem  solchen  Punkte  Q  gehen ,  außer  der  jeweils  ihn  ausschnei- 
denden M3  noch  J(« — 3)(w — 4)(w — 5)  —  1  weitere  aus,  welche  die 
P*  gleichfalls  dreimal  berühren.  Ein  Berührungspunkt  der  letz- 
teren Art  heiße  ß. 

Dadurch  entsprechen  irgend  einer  Stelle  a  auf  P*  im  Ganzen 
2(rc— 4)0— 5)j4(w— 3)(n— 4)(n— 5)  —  3}  Stellen  ß  und  umgekehrt, 
und  es  müssen  demnach  doppelt  so  viele  Coincidenzen  a  =  ß 
existiren. 

Diese  Coincidenzen  zerfallen  in  vier  getrennte  Klassen. 

Die  erste  besteht  aus  Tripeln  ccv  a2,  cc3,  in  denen  eine  M 
die  P*  berührt  und  deren  Verbindungsebene  (av  a9,  a3)  zugleich 
g  trifft.    Jede  Stelle  a  repräsentirt  eine  einfache  Coincidenz. 

Die  zweite  enthält  die  Quadrupel  av  cc2,  a3,  a4,  in  denen  eine 
M3  die  P*  berührt.  Eine  derartige  Stelle  cc  zählt  aber  als  Coin- 
cidenz sechsfach.  Denn  durch  eine  Tangente  ((aj))  gehen  zunächst 
die  drei  M3 :  cc\cclal,  «Ja'a^,  a\a\a\.  Greift  man  aus  diesen  etwa 
die  erste  heraus,  so  passiren  durch  den  Treffpunkt  Q  auf  g  außer 


Singularitätengleichungen.  17 

ihr  noch  zwei  MB1  welche  die  Curve  in  ax  und  zudem  noch  zwei- 
mal berühren,  nämlich  a2^«2,,  a\alal. 

Die  dritte  Klasse  umfaßt  diejenigen  Stellen  a,  wo  eine  M3 
osculirt  und  überdies  noch  zweimal ,  etwa  in  y  und  d,  berührt. 
Coincidenzen  dieser  Klasse  sind  siebenfach  zu  rechnen.  Zuvörderst 
entfällt  von  den  durch  eine  Tangente  ((a2))  legbaren  Tritangen- 
tial-M 3  der  iü*  nur  eine  einzige  in  die  vorliegende :  [a8y2  d2]  (wie 
an  dem  Beispiel  einer  JRJ  leicht  direct  bestätigt  werden  kann), 
dagegen  durch  den  Treffpunkt  Q  auf  g  außer  jener  noch  eine  zweite, 
wie  aus  dem  früher  studirten  Verhalten  der  Discriminante  D[cc3ß2] 
hervorgeht. 

Andererseits  lehrt  das  für  die  Discriminante  der  zu  einer  R2n 
gehörigen  Doppeltangentenform  [cc2ß2]  Hergeleitete,  daß  von  den 
Tritangential-Jfg  der  R*n,  welche  sich  in  einer  Tangente  ((y2)) 
schneiden,  genau  zwei  mit  asy2d2  zur  Deckung  kommen,  während 
von  dem  Treffpunkt  Q  auf  g  das  Nämliche  gilt,  wie  oben.  Trotz- 
dem zählt  die  Coincidenz  y  wiederum  dreifach  (wegen  des  Hin- 
einrückens einer  Verzweigung). 

Wiederholt  man  die  letzte  Betrachtung  für  die  Stelle  d,  so 
erkennt  man  in  der  That,  daß  unsere  Coincidenz  1  +  3  +  3  =  7- 
mal  zählt. 

Der  letzten  Klasse  endlich  gehören  die  Stellen  a  an,  für 
welche  es  zwei  getrennte  M3 :  cc2y2d2,  a2y\8\  giebt ,  deren  gemein- 
same Ebene  die  Gerade  g  trifft. 

Offenbar  sind  das  doppelt  zählende  Coincidenzen.  Projicirt 
man  der  Reihe  nach  für  jede  Klasse  die  .ß*  von  einem  entspre- 
chenden Punkte  Q  auf  g,  so  ist  die  Projectionscurve  R3n  der  Art, 
daß  für  sie  jeweils  der  erste,  zweite,  dritte  und  fünfte  Elementar- 
factor  der  für  D[cc2ß2y2]  angesetzten  Zerlegung  verschwindet. 

Entnimmt  man  jetzt  der  Tabelle  C  die  Grade  der  drei  erst- 
genannten Factoren,  so  bestimmt  sich  vermöge  des  Correspon- 
denzprincips  der  Grad  des  letzten: 

WV,«1^]  =  2(w-4)(n-B)J4(n-3)(n-4)(n-6)-3} 

-3(w-2)(w-4)(n-5) 

-21(n-4)(n-B)(w-6)-8(n-4)(n-B)(n-6)(n-7) 

=  2  (n-4)  (n-5)  (4  w8~  52  wa  +  228  n  -  345). 

■  Das  gefundene  Ergebniß  läßt  sich  noch  auf  eine  zweite  Art 
begründen,  indem  man  sich  eine  ähnliche  Correspondenz,  statt  auf 
der  Curve  .ß*,  auf  der  Geraden  g  bildet. 

Nachrichten  ton  der  K.  O.  d.  W.  in  UöUingen.  1891.  Nr.  1.  2 


18  Franz  Meyer, 

Durch  einen  Punkt  P  auf  g  gehen  f(w— 3)(w— 4)(n—  5)  Jf3 
von  Typus  a2ß2y2 ;  man  lege  durch  die  Tangente  ((a2))  die  weiteren 
Ms :  a2/???'2,  welche  g  in  Punkten  $  treffen  mögen.  So  entsprechen 
jedem  Punkte  P  4(n-3) (w -4) (n-5)  { 2 (w-4)(»-5)  -  l)  Punkte 
Q  u.  umg.,  sodaß  die  Anzahl  der  Coincidenzen  P  =  Q  doppelt  so 
groß  ist. 

Man  hat  wiederum  vier  Klassen  von  Coincidenzen.  Entweder 
wird  die  P*  von  der  Tangente  ((a2))  aus  in  eine  P2  mit  Selbst- 
berührung projicirt  —  solcher  Stellen  a  giebt  es  2(n—  4).2(w  — 3) 
(n — 5)  —  oder  von  einem  Punkte  P  =  Q  aus  in  eine  R3n  mit  einer 
.M, :  cfßYdl  resp.  a8/3y  oder  endlich  mit  einem  lf2-Paare  :  a2ß2y2, 
a2ß\y\-  Diese  vier  Arten  von  Coincidenzen  zählen  der  Reihe  nach 
einfach,  4.3.2  =  24 fach,  3  +  3  =  6  fach,  1  +  1  =  2  fach.  So- 
mit liefert  das  Correspondenzprincip  als  Grad  der  Invariante 
[a2ßY ,  a2ß\y\]  die  obige  Zahl : 

4(w_3(n_4)(M_5)  {2(»-4)(n-5)  -  1 }  -  8(n-4)(n-5)(n-6)(n-7) 

-  18(n-4)(n-B)(n-6)-  4(n-3)(n-4)(w-B) 

»  2(w-4)(n-5)(4n3~52w2  +  228w-345) 

#.  e.  d. 

Nunmehr  lassen  sich  die  unbekannten  Exponenten  a,  b,  c,  d,  e 
des  Zerlegungsansatzes : 

durch  Auflösung  einfacher  diophantischer  Gleichungen  ermitteln. 
Nach  Gleichsetzung  der  beiderseitigen  Grade  und  Weglassung 
des  gemeinsamen  Factors  2(w— 4)(w—  5)  kommt: 

8(n-3)(n-4)(n-5)-2  =  (a- ^)(n-2) +  ^y^(n-6)(n--7) 

+  3(c-  ^  (W«6)  +4e  (n-3)(n-4)(n-B)  -  Be  +  4d. 

Der  Coefficient  von  n3  ist  links  8,  rechts  4e,  mithin  e  =  2. 
Setzt  man  dies  ein,  so  bleibt: 

0  =  (a-3)(n-2)  +  5^^(n-6)(ii-7)  +  3(c--7)(n--6)-4(l--(l). 


Singularitätengleichungen.  19 

Da  der  Coefficient  von  ri*  verschwinden  muß,  so  gilt  b  =  24. 
Für  n  =  6  ergiebt  sich  4(a— 3)  =  4(1— d),  oder  a+d  =4, 
während  für  n  =  2  :  3(7— c)  =  1— d  wird. 

Von  den  drei  Möglichkeiten  a  =  3,  d  =  1 ;  a  =  d  =  2 ;  a  ==  1, 
cZ  =  3  sind  die  beiden  letzteren  auszuschließen,  da  sie  keinen 
ganzzahligen  Werth  von  c  zulassen  würden. 

d  =  1  hat  aber  c  =  7  zur  Folge. 

Demnach  existirt  nur  das  einzige  Lösungssystem: 

a  =  3,   6  =  24,    c  =  7,    d  =w  1,    6  =  2. 

Was  die  weiteren  Zerlegungen  unserer  Discriminanten  und 
Resultanten  angeht,  so  möge  nunmehr  eine  kürzere  Fassung  ge- 
stattet sein. 

Für  die  Discriminante  der  Quadrisecantenform  besteht  die  vor- 
läufige Zerfällung: 

D[(*ßyä)}  =  [(«/WN(«/WP[(«2/W- 

+  [(M))r""""""-"<-S>.  [(aßyö),  mM 

wo  die  Zahl  d  ev.  auch  rational  sein  könnte. 

Der  erste  Factor  entspricht  der  Erscheinung,  daß  zwei  Qua- 
drisecanten  consecutiv  werden  (ohne  sich  jedoch  zu  schneiden); 
die  übrigen  sind  ohne  Weiteres  zu  interpretiren.  Der  Grad  des 
fünften  Factors  wird  wieder  indirect  vermöge  einer  geeigneten  Corre- 
spondenz  auf  der  Curve  JR*  gewonnen,  und  nimmt  den  Werth  an: 

|(w~2)(n-3)(W-4){TV(w-2)(W-3)2(^-4)-li 

-(n-l)(w-2)(w-4)(n-5) 
~f  (w-2)(w-3)(w-4)>~5)  -  £(ra-l)(w-2)2(w-3)(w-4)(n-5) 
=  ^(w-2)(w-4)(w-5)(w-6)(8w3~41wa  +  30w  +  111). 

Durch  Gradvergleichung  und  Weglassung  des  Factors  (n— 2 
(w— 4)  gelangt  man  jetzt  zur  Identität: 


2* 


20  Franz  Meyer, 

|(»-3)  U(w-2)(W-3)2(«-4)-l}  =  ±^£(„_1)(W_5) 

+  m^(n-3)(n-4)(»-6)  +  2c(n-3)  +  —, fc*  (m-1)  (w-2)(»-6) 

+  ±(„_2)(,,_8)'(»-4)-^-(»-8). 

Die  Grleichsetzung  der  Coefficienten  von  w5  giebt  e  =  2.     Da- 
mit verwandelt  sich  die  Identität  in: 

0  =  £=i(n-l)(n-6)  +  ^^(n-3)(n-4)(n-6) 


+  ^(»-l)(*-2)(n-6) 


+  2(c-l)(n-3). 


Für  n  =  5  schließt  man  c  =  1,  sodann  für  n  =  1 :  &  =  60, 
endlich  für  n  =  2  :  a  =  4,  was  von  selbst  d  =  1  zur  Folge  hat. 
Es  resultirt  daher  das  einzige  Werthsystem : 

a  =  4,    6  =  60,   c  =  1,   <I  =  1,    e  =  2. 

Von  den  zehn  Resultanten  der  fünf  Singularitätenformen  sind 
uns  drei  bereits  von  früher  her  bekannt ;  weitere  drei  stellen  sich 
als  irreducibel  heraus ,  sodaß  nur  noch  vier  Zerlegungen  in  Be- 
tracht kommen. 

Dies  sind  erstens  B[u*,  cc2ß2y2] ;  zweitens  R[a8ß2,  a2ß2y2] ;  drittens 
R[(aßyd),  (*2ß)l  viertens  R[a2ß2y2,(cc2ß)]. 

Erstens.     JR[a4,  a.2ß2y2]  =  [«*,  a2ß2y2  ]1.  [a*ß2]\ 

12(fl-3)(n-4)(n-6)  =  4a(»-4)(w-B)(3n-ll) +  85(n-4)(w-B). 
a  =  1,    6  =  1. 

Zweitens.     12  [a3/32,  a20V]  =  [a3d2,  a2ß2y2f .  [a^2]6 .  [asß2y2]e. 
20(w-3)(w-4)2(w-5)  =  4a(w-4)(w-5)(5w2-38ra  +  74) 
+  8&  (n-4)  (n-5)  +  6c  (w-4)  (w-5)  (n-6). 
a  =  1,   &  =  2,   c  =  2. 
Drittens.  J5[(a/Jy*),  (a2/?)]  =  ((«/3))a(n-3)(n-4).  [(«2^)]J.  [(aftrf),  (a2*)]'. 


Singularitätengleichungen.  21 

(n-2)2  (n-3)2  (n-4)  =  |(n-l)(n-2)(n-3)(n-4) 

+  2  &  (n-2)  (n-3)  (n-4)  +  c  (n-  })  (n-2)  (n-3)  (n-4)  (n-5). 
a  =  1,    6  —  2,   c  =  1. 

Viertens  i2[a20V,(a2/3)]  =  [«W»  («W  •  kW»  («' W  • 
8(n-2)(n-3)(n-4)(n-5)  =  12a (n-2)  (n-4)  (n-5) 

+  86 (n-2)  (n-4)  (n-5)  (n-6). 
a  =  2,  &  =  1. 

Im  dritten  Falle  ist  der  letzte  Elementarfactor,  in  den  beiden 
ersten  jedesmal  der  erste  indirect  untersucht  worden ,  wiederum 
mit  Hülfe  von  Correspondenzen  auf  der  jR*. 

In  den  folgenden  drei  Tabellen  stellen  wir  noch  einmal  alle 
Ergebnisse  übersichtlich  zusammen ;  in  der  ersten  die  fünf  Singu- 
laritätenformen mit  ihren  Graden  in  a,  wie  in  den  d,  in  der 
zweiten  die  Zerlegungen  der  fünf  Discriminanten  und  zehn  Resul- 
tanten, in  der  letzten  endlich  der  24  Elementarfactoren  Gewichte 
(aus  denen  vermöge  Streichung  des  Factors  2(n— 3)  die  bez.  Grade 
hervorgehen),  geordnet  nach  dem  Grade  in  n. 

Tabelle  A. 
Die  fünf  Singularitätenformen. 

Grad  in  a.  Grad  in  den  d. 

Ebenen  [a4]  4(n-3)  1 

,     t     [tfßP]       6(n-3)(n-4)  2  (n-4) 

,     ,     [aYf]   4(n-3)(n-4)(n-5)    2(n-4)(n-5) 

Gerade  [(a2ß)]      2(»-2)(n-3)  n-2 

,     .     H«A^)]  i(n-2)(n-3)2(n-4)  } (n-2)  (n-3)  (n-4). 

Tabelle  ß. 
Die  Zerlegungen  der  fünf  Discriminanten  und  zehn  Resultanten. 

Discriminanten. 

£[«']         =[(«»)] -KJ- 

£[«30.         =  [(„.)]».-»(..-..[«.]  .  [„.£«] .  [«.0«].  .  [a'ß'y'y  .  [a'ß't  (a'ß)] 

£  [a'ßy]  =  K/jy ,  (aßv)Y  [«WT  [«'ßYY  MD  •  [«  W,  «VW  ■ 

£  [(«»/?)]      =  [(«»)]  •  [(a'ßy)}'  [((aß))}'  [«'/»',  («>ß)]  ■ 

D[(aßy6)]  =  [(aßyd)']'{(«ßy6e))'°  [(«'/3y)]  [{(^))]*  '*""  '*""  '""*'  '"""[(«(Sy*),  («ßjA)]' 


22  Franz  Meyer, 

Resultanten. 


R 
R 
R 
R 
R 
R 
R 
R 
R 
R 


M,  [«W}  =  [«•«•[(«•)],0,"]o.[«T- 

M,[«WH  =  K«WH«W 

M,[(«/Jy*)]|  =K«^)]. 

[«•fl,  [*  w  ] !  =  [<*3<?2,  «  wi  M*2]2  •  [«WJ2 

[«3A[(«W]|  =  [(«3)]2(n-4)[«3^(^)]2-W2J(«V)] 

[«•nK«/^)]}  =[«•*",  («fr*)] 

[«  W],  [(u*ß)] )  =  [(a*d),  «  W]  •  [(«W,  «  W]2 

[«f/jy],[(«/Jyd)]|  -  [«VC',  («fr*)] 

[(«•«],  K«A^)]}  =  [((^))f-3)(w-n(«2fr)]2-[(«^),(^)]. 


Tabelle  C. 
Gre wicht e  der  24  Invarianten. 

1.  [O  10(n— 3)(n-4) 

2.  [(O]  6(n-2)(w-3) 

3.  [a4/32]  16  (n- 3)  0-4)  0-5) 

4.  [a303]  9(n-3)(n-4)(n-5) 

5.  [a4,(«V)]  12  0-2)0-3)0-4) 

6.  [«3/32?  02/3)]  140-2)0-3)0-4) 

7.  [((«/*))]  o_i)(w_2)0-3) 

8.  [«W]  12  0-3)  0-4)  0-5)  0-6) 

9.  [<*>W]  8(n-3)(n-4)(w-5)(3n-ll) 

10.  [a2^y,(«fr)]  40-2)0-3)0-4)0-5) 

11.  [(«V),  «OT  20 (w~2)  (w- 3)  o -4)  0-5) 

12.  [02/3y)]  4(w^_2)0-3)20-4) 

13.  [«¥V,(«V)]  240-2)0-3)0-4)0-5) 

14.  [a2/3ya2]  |0-3)0-4)0-5)0-5)0-7) 

15.  [«3tf2,  cfßY]  80-3)0-4)  0-5)  (5w2-38w  +  74) 

16.  [(a2ö),a2ßY]  160-2)0-3)0-4)0-5)0-6) 

17.  [«*,  («fort)]  H(n_2)0-3)30-4) 

18.  [(ccßydy]  0-1)  (w-2)  0-  3)  0-4)  0-5) 


SingularitäteDgleichungeD.  23 

19.  [a'ßY,  a'ßlyl]      4(n-3)(n-4)(n-5)  (4w3-52w3-f228n-345) 

20.  [«V,  (aßyd)]  f  (n-2)  (w-3)3  (n-4)2 

21.  [(a2*),  (ctfytf)]  (2n-l)(n-2)  (w-3)2(n-4)  (n-5) 
22. '  [(aßyds)]  T\  (n-2)  (w-3)2  (w-4)2)  (n-5) 

23.  [«VJ",  (aßyd)]     4(w-2)(rc-3)3(rc-4)2(w-5) 

24.  [(«^),(a/3iridO]¥V(w-2)(w~3)(w-4)(w-5)(w-6)(8n3-.41n2+30w+lll), 

Man  bemerkt,  daß  die  an  den  Gewichtszahlen  der  früher  be- 
rechneten zehn  Invarianten  gemachten  Beobachtungen  zum  Theil 
auch  für  die  neu  hinzutretenden  dreizehn  Bildungen  gültig  bleiben, 
zum  Theil  aber  auch  verloren  gehn. 

Nach  wie  vor  ist  der  Grad  in  n  um  die  Einheit  größer,  als 
die  Anzahl  der  jedesmal  links  stehenden,  von  einander  verschie- 
denen Argumente.  Dem  Auftreten  der  linearen  Factoren  (n— 1), 
(n  —  2),  (n—S),  ...  entspricht  es,  daß  das  bez.  singulare  Ereigniß  bei 
Curven  von  der  Ordnung  1,  2,  3  .  .  .  noch  nicht  eintreten  kann, 
während  umgekehrt  das  Fehlen  des  Factors  n—1  resp.  n— 2  ein 
Zeichen  dafür  ist,  daß  die  Gerade  resp.  der  Kegelschnit  die  ge- 
meinte Singularität  (in    uneigentlichem  Sinne)  zuläßt. 

Dagegen  stößt  man  jetzt  in  einigen  Fällen  auch  auf  rationale 
Factoren  von  der  Form  na,  wo  a  nicht  mehr  ganzzahlig  ist, 
wie  n — %  (No.  9)  und  n  —  ~  (No.  21),  weiterhin  auf  quadratische 
und  cubische  Factoren  der  Art  (No.  15,  19,  24),  die  einer  Zer- 
spanung in  rationale  Linearfactoren  widerstehn.  Endlich  kann 
auch  da,  wo  nur  Factoren  vom  Typus  n  —  1,  n  —  2,  n  —  3  .  .  . 
eingehen,  die  Symmetrie  nach  der  Mitte  hin  aufgehoben  sein,  wie 
bei  No.  20,  23. 

Wir  gehen  dazu  über,  nach  Anleitung  der  letzten  Mitthei- 
lung auch  für  die  neu  gewonnenen  Zerlegungen  die  Vielfachheit 
der  einzelnen  Elementarfactoren  unmittelbar  aus  dem  Verhalten 
der  Anfangsglieder  der  Singularitätenformen  selbst  zu  erkennen. 
Indessen  mag  die  Vorführung  der  Fälle,  in  denen  der  betr.  Ex- 
ponent die  Einheit  übersteigt,  genügen. 

Handelt  es  sich  also  z.  B.  um  die  Singularität  cc'ß*,  so  mache 
man  die  linken  Seiten  der  Bedingungen,  welche  nothwendig  und 
hinreichend  sind,  damit  dieselbe  in  der  canonischen  Form  04  /39  ein- 
trete ,  mit  einer  beliebig  kleinen  Größe  s  proportional ,  und  ent- 
wickele die  betheiligten  Singularitätenformen  nach  aufsteigenden 


24  Franz  Meyer, 

Potenzen  von  a  soweit,  als  die  successiven  Coefficienten  den  Factor 
8  (ein  oder  mehrmals)  zulassen.     So  hat  man  hier: 

[«*]  =  £  +  .  .  .;   [a5ß2]  =  s  +  aea  +  .  .  .;   [a2ß2y2]  =  s  +  beu  +  .  .  . 

sodaß  die  Resultante  der  ersten  und  zweiten,  wie  der  ersten  und 
dritten  Form,  ferner  die  Discriminanten  der  beiden  letzten  Formen 
mit  der  ersten  Potenz  von  s  vergleichbar  werden,  und  allein  die 
Resultante  der  beiden  letzten  Formen  mit  der  zweiten  Potenz 
von  s.  Damit  weiß  man  zugleich,  daß  der  Elementarfactor  [a*ß2] 
überall  nur  einmal  auftritt ,  ausgenommen  die  Zerlegung  von 
J?  { [a*/32],  [c^2/32y2]  j ,  wo  er  sich  zum  Quadrat  erhebt. 

Danach  sollen  die  noch  in  Frage  kommenden  Vielfachheiten 
der  Reihe  nach  kurz  erledigt  werden. 

No.  8.  [a'jffy].  Zunächst  kommt,  bei  Verlegung  von  a  nach 
der  Stelle  Null: 

[a'ß2]  =  s2  +  asa+.  .  .;  [a2ß2y2]  =  s  +  bsa+.  .  . 

Somit  steigt  s  in  der  Discriminante  der  ersten,  wie  in  der 
Resultante  beider  Formen  bis  zum  zweiten  Grade  an.  Dagegen 
ist  für  die  Discriminante  von  [oc2ß2y2]  die  erste  Potenz  von  s  erst 
ein  einzelner  Beitrag.  Die  beiden  weiteren  Beiträge  erzielt  man, 
wenn  man  nunmehr  ß  resp.  y  zur  Stelle  Null  macht.     Dann  wird: 

[a2ß2y2]  =  s2  +  ecß  +  .  .  .  ,   [cc*ß2y2]  =  s2  +  edy  +  .  .  . 

es  muß  indessen,  wie  eine  genauere  Untersuchung  lehrt,  ganz  wie 
bei  n  =  2,  beidemal  die  dritte  Potenz  von  e  als  Factor  berücksichtigt 
werden.  So  entsteht  durch  Zusammenfassung  die  1  +  3  +  3  =  7te 
Potenz  von  [ccsß2y2],  wie  die  Tabelle  JB  bestätigt. 

No.  10.  [a2/3y,  (aßy)].  Jede  der  drei  Stellen  cc,  ß,  y  ist  gleich- 
berechtigt.   Man  hat  etwa  für  a  =  0: 

[a2ß2y2 ]  =  s  +  aect  +  .  .  . 

und  die  Discriminante  wird  also  s  zur  ersten,  somit  allgemein  den 
Factor  [cc2ß2y2,  (aßy)]  zur  3 . 1  =  3ten  Potenz  enthalten. 

Dieselbe  Betrachtung  ist  fast  wörtlich  für  die  Invariante 
No.  18:  [(ccßyd)2]  zu  wiederholen;  ihre  Vielfachheit  in  der  Discri- 
minante von  [(ccßyd)]  muß  die  4.1  =  4 fache  sein. 

No.  12.    [(cfßy)].    Für  a  =  0  sind  die  Entwickelungen  : 


Singularitätengleichungen.  25 

und    der    Factor    [(a'ßy)]    tritt    in    der    That    bei    D[(a*ß)]    und 
R[[(a2ß)],  [(aßyd)]}  doppelt,  bei  D[aßyd)~]  nur  einmal  auf. 
No.  14.    [a2ß2y2d2]. 

[a2ßY]  =  s 3  +  axs2a  +  a2sa2  +  .  .  . 

Die  Discriminante  wird  mit  £6  vergleichbar.  Wegen  der 
Gleichberechtigung  der  vier  Argumente  ist  der  Exponent  von 
[a2ß2y2d2]  in  der  Zerlegung  von  D[a2ß2y2]  gleich  4.6  =  24. 

Ganz  analog  gestaltet  sich  die  Untersuchung  von  No.  22: 
[(aßyds)].  Die  Entwicklung  von  [(aßyd)]  beginnt  mit  a4,  die  Dis- 
criminante ist  noch  durch  e12  theilbar,  also  allgemein  durch  die 
5.    12  =  60te  Potenz  von  [(aßyds)]. 

No.  19.    [a>ß2y2,  a'ßyj. 

[a2ß2y2]  =  s*  +  asa  +  .  .  . 

Die  Discriminante  läßt  e,  also  auch  die  Invariante  doppelt 
als  Factor  zu.     Ganz  analog  für  No.  24 :  [(aßyd),  (afty^)]. 

Eine   besondere  Stellung  nimmt   der  Elementarfactor  No.  7 : 

[((aß))]  ein,  insofern  er  zu  Exponenten  Veranlassung  giebt,  die  von 

der  Ordnung  n  der  Curve  abhängig  sind.    Es  hat  das  darin  seinen 

(n S)(n 4) 

Grund,  daß  durch  einen  Doppelpunkt  ((aß))  einer  R3n± ^ J- 

Quadrisecanten  (aßyd)  an  dieselbe  gehen.    Es  gilt: 

r.    «    v-,  r,     o.      ftxn  i(n-8)(n-«  _     l(n-3)(n-4)- 1 

[(a'ß)]  =  e  +  asa  +  .  .  .  ;  [(aßyd)]  =  0  +be*  .a  +  ... 

Die    Discriminante   der    ersten    Form  wird   mit  s\    die    der 

.,  •,         (n-3)(n-4)       (w-3)(n-A)  4(n-2)(n-3)(n-4)(*-5)  ,,.    ,       -. .        -,->  , 

zweiten  mit  e     2  2        ■  =  £*  ,  endlich  die  Resul- 

tante beider  mit  c*(n~  4)  vergleichbar.  Wegen  der  Gleichberech- 
tigung von  a  und  ß  erhöhen  sich  aber  für  den  Elementarfactor 
l((aß))]  selbst  die  angegebenen  Exponenten  auf  das  Doppelte. 

Die  bisher  herangezogenen  Methoden  machen  Verallgemeine- 
rungen auf  Curven  Rdn  in  Räumen  von  ä  Dimensionen  ausführbar. 
(Vgl.  die  dritte  Mittheilung).  Es  mögen  hier  noch  zwei  nahelie- 
gende und  besonders  interessante  Fälle  der  Art  eine  Erwäh- 
nung finden,  die  Zerlegungen  der  Discriminanten  B[a\a\  .  .  .  aj] 
und  D[(avaa,  .  .  .  a2d_2)]: 


26  Franz  Meyer,  Singularitätengleichungen. 

D[<W si.**Ö-  K^..«',(«1<V--<ON«K- ..«*,/ '*"**%& •  ■  •  «1]"" 

2d-2  (2d-lK2d-2)(2d-S) 

D[(a1a2 . . .  a2d_2)]  =  [{axa2 . . .  a2d_2)  ]       [faa, . . .  c^J] 

+  [{a\a2 . . .  a2d_s)]  .  [foa,  . . .  a2d_2),  (aß2 . . .  ß2d.2)]2. 

Lehrreich  ist  wiederum  der  Vergleich  mit  den  untersten  Fällen 
d  =  2  und  d  —  3,  die  einige  bemerkenswerthe  Besonderheiten 
aufweisen. 

Für  d  =  2  werden  bei  der  ersten  Zerlegung  die  Exponenten 
d,  (d-\-  l)d(d —  1),  Bd—2,  1  des  ersten,  zweiten,  dritten  und  vierten 
Factors  genau  die  früher  abgeleiteten  2,  6,  4,  1. 

Der  letzte  Factor:    [«£«£, «J/3J]a  dagegen  ergiebt  die   Existenz 

(2n— 6)(2n— 7) 

einer  Spitze  (a2),  und  liefert  insofern  den  Bestandtheil  [(cc2J] 

Für  d  =  3  entsteht  aus  der  Zerlegung  von  D[a\a\  .  .  .  cc2d] 
ohne  Weiteres  diejenige  von  D[cc2ß2y2]. 

Die  zweite  Zerlegung  ist  bereits  für  d  =  3  zu  modificiren. 
Der  letzte  Factor  spaltet  sich  nämlich  in  die  beiden  rationalen 
Theile  [((^))]i^-^^^>^>  und  [(aßyd),  (ccß^d,)]2,  während  er  für 
d  =  2  überhaupt  noch  nicht  existiren  kann.  Dagegen  verhalten 
sich  die  übrigen  Factoren  regulär. 

Die  hiermit  geleisteten  Zerfällungen  der  Discriminanten  und 
Resultanten  der  fünf,  für  Raumcurven  überhaupt  in  Betracht  zu 
ziehenden  Singularitätenformen  bilden  das  Substrat  für  eine  Un- 
tersuchung über  die  Realität  der  jeweils  coincidirenden  Singula- 
ritäten: in  der  That  hängt  dieselbe  nach  von  H.  Brill  angege- 
benen Sätzen  im  Wesentlichen  von  den  Exponenten  der  irredu- 
cibelen  Factoren  jener  Formen,  insbesondere  von  deren  Grerade- 
resp.  Ungeradesein,  ab. 

Clausthal,  den  28.  October  1890. 


0.  Venske,  zur  Integration  der  Gleichung  JJu  =  0  für  ebene  Bereiche.      27 


Zur  Integration  der  Gleichung  ädu  =  0  für  ebene 

Bereiche. 

Von 

0.  Venske. 

Vorgelegt  in  der  Sitzung  am  8.  November  1890. 

Ich  werde  im  Folgenden  einige  für  specielle  ebene  Bereiche 
zur  Lösung  der  Randwertaufgabe  der  Gleichung 

Jju  =  0 

führende  Methoden  auseinandersetzen. 

Unter  „Randwertaufgabe"  verstehe  ich  folgende  Aufgabe: 
Es   soll  eine  in    einem    berandeten  Bereiche    stetige  Lösung 

obiger  Differentialgleichung   gefunden    werden,    welche  auf   dem 

Rande  gegebene  Werte  ü  und   -j-   annimmt. 

Eine  Function,  welche  im  Innern  eines  berandeten  Bereiches 
mit  Ausnahme  eines  Punktes,  in  welchem  sie  logarithmisch  unend- 
lich wird,  der  in  Rede  stehenden  Differentialgleichung  genügt,  und 
welche  auf  dem  Rande  nebst  der  Ableitung  nach  der  Normalen 
verschwindet,  spielt  in  der  Theorie  der  Differentialgleichung 
AAu  =  0  eine  ähnliche  Rolle,  wie  die  Green' sehe  Function  in 
der   Theorie  des   logarithmischen  Potentials.     Sie   ermöglicht  die 

Berechnung  von  An  aus   den  Randwerten  ü  und    -j-   durch  bloße 

Quadratur1).    Diese  Function  wird  im  Folgenden  mit  v  bezeichnet 
und  „zweite  Green' sehe  Function"  genannt. 


1. 

Lösung  der  Randwertaufgabe  für  den  Kreis,  den  Kreisring 
und  den  Winkelraum. 

Im  Folgenden  wird  der  Satz  zu  Grunde  gelegt,  daß  sich  jede 
Lösung  der  Gleichung  AAu  =  0  in  die  Form  bringen  läßt 

M  =  U+r2V, 

wo  U  und  V  logarithmische  Potentiale   bedeuten ,    und  r  der  Ra- 
diusvector  in  einem  Polarcoordinatensystem  ist. 

1)  Vgl.  Mathieu,  Journal  de  Liouville  1869,  pg.  385. 


28  0»  Venske, 

a)  Lösung  für  den  Kreis. 

Entwickelt  man  U  und  V  in  Reihen,  welche  nach  ganzen  Po- 
tenzen von  r  fortschreiten,  und  macht  den  Ansatz 

U  =      2      {(a4rl+a4V+1)cost9  +  (6ir'+6;r'+,)sint9)}, 

t  =  0,l,2,... 

(I/Fi 

so  gelingt  die  Coefficientenbestimmung  in  der  Weise,  daß  u  und  -=- 

auf  der  Kreisperipherie  (r  =  B)  gegebene  Werte  annehmen,   mit 
Hülfe  des  Fouri er' sehen  Satzes. 


Die  zweite  Grreen'sche  Function,    deren  Berechnung    durch 
den  obigen  Ansatz  ermöglicht  ist,  besitzt  den  Wert 

•-<f^tt-0(-^)- 

In  dieser  Formel  haben  die  Größen   q  und  qx   die  Bedeutung  der 
Abstände  des  Punktes  P  =  (r,  <p)  vom  Pole  Q  der  Function  v  und 
seinem  Thomson'schen  Bilde  Qx  bezüglich  der  Kreisperipherie, 
b)  Lösung  für  den  Kreisring. 

Wir  nehmen  für  U  und  V  Entwickelungen  nach  ansteigenden 
und  absteigenden  Potenzen  von  r  und  setzen 

~       (     (a.ri+a'iri+2+a,i'r-i+a'i"r-i+2)cosi(p) 
U  ^i^2f..]  +  (biri  +  blri+2+bl'r'i+l[,,r'i+2)smi(p]' 


Durch  den  Fourier' sehen   Satz  lassen  sich  die  Coefficienten 

lestimmen,  daß  ü  und  -=—  s 

dn 

rieen  gegebene  Werte  erhalten. 


so  bestimmen,  daß  ü  und  -=—  auf  den  begrenzenden  Kreisperiphe- 


zur  Integration  der  Gleichung  JJu  =  Ofür  ebene  Bereiche.  29 

c)  Lösung  für  den  Winkelraum  von  der  Oeffnung  an. 
Es   werde   die   zu  V  conjugierte  Function   mit  Vl  bezeichnet 
und  folgende  neue  Benennung  eingeführt: 

r*Vcos^--  r»Fsin^  =  W. 
a  a 

Die  Größen  r  und  g>  sind  Polarcoordinaten  in  einem  Systeme,  des- 
sen Anfangspunkt  mit  dem  Scheitel,  und  dessen  Axe  mit  der  Hal- 
bierungslinie des  gegebenen  Winkels  zusammenfällt.  Infolge  der 
Bedeutung,  welche  die  Größen  V  und  Yx  haben,  ist  W  ein  logarith- 
misches Potential,  und  die  .Randwertaufgabe  kommt  darauf  hinaus, 
zwei  logarithmische  Potentiale  U  und  W  zu  finden,  welche  die 
Eigenschaft  haben,  daß  auf  den  Schenkeln  des  gegebenen  Winkels 
die  Größen 

U-w,  ÄÄ-If; 

dq>        d(p        a      ■ 
gegebene  Werte  annehmen.    Diese  Aufgabe  läßt  sich  durch  den  Ansatz 

U  =    rK^e^  +  ^e-^jcosft^  +  ^e^+^^sin^^l^ 

und  einen  ähnlichen  für  W  lösen. 

Die  zweite   Green'  sehe  Function ,   deren  Berechnung  somit 


möglich  ist,  besitzt,  wenn  a  eine  ganze  Zahl  ist,  den  Wert 

-       -        -    -  j_ 

dl(ra  +  r0a+2rar0°cos2^±>\ 

v  =  2sin(g>  + Ja«)(sin(qp4-  Ja«) ^= - — - 

1       1        L    L  4. 

(r«+r0a  +  2r«rQa  cos-^-^\ 

am  / 


i     i 
dl 
-f-cos(g>  +  Ja«) — 


dtp 

( ra+  rQ«  -2r"  r°  cos  y    y<)N\ 
+  l\ ?_Z 

\r"  +  r0  ■  +  2  r  «r0  ■  cos  5L±^2.  J 


30 


0.  Venske, 


Hierbei  ist  angenommen,    daß   der  Pol  Q  der  Function  v  im 
Punkte  (r0,  <p0)  liegt. 

2. 
Lösung  der  Randwertaufgabe  für  den  Parallelstreifen. 

Es  werde  ein  orthogonales  Coordinatensystem  zu  Grunde  gelegt. 
Jede  Function,    welche    der   Differentialgleichung   AAu  =  0 
genügt,  läßt  sich  in  die  Form  setzen 

u  =  U+yV, 

wo  wiederum  die  Functionen  U  und  V  logarithmische  Potentiale 
sind. 


Macht  man  nun  den  Ansatz 

und  einen  ähnlichen  für  V,  so  stößt  die  Bestimmung  der  Func- 
tionen fy,  •  •  •,  fyl  in  der  Weise,  daß  den  Randbedingungen  Genüge  ge- 
leistet wird,  auf  keine  Schwierigkeiten. 


3. 

Lösung  der  Randwertaufgabe  für  ein  yon  zwei  Radien  und 
zwei  concentrischen  Kreisbogen  begrenztes  Kreisbogenrechteck. 

Die  beiden  Kreisbogen  mögen  die  Radien  Bt  und  E2  besitzen. 
Ihr  Mittelpunkt  sei  Anfangspunkt  eines  Systems  von  Polarcoordi- 
naten  (r,  g>),  dessen  Axe  mit  den  geradlinigen  Begrenzungsstücken 
die  Winkel  --Jajr  und  -\-\a.%  bildet. 

Setzt  man 

un  =  rnVn1 

wobei  Vn  eine  Function  von  y  allein  bedeutet,   und  verlangt,  daß 


zur  Integration  der  Gleichung  AAu  =  0  für  ebene  Bereiche.  31 

u    eine  Lösung  der  Differentialgleichung 

JJu  =  0 


sei,  so  muß  Vn  der  Gleichung 

|^+(2(n-l)2  +  2)|^+  !(«-l)<-2(»-l)°+liFn  =  0 

genügen.  Stellt  man  nun  noch  außerdem  die  Forderung,  daß  Vn 
im  Allgemeinen  von  Null  verschieden  ist,  für  cp  =  i|a^  aber 
die  Bedingungen 

erfüllt,  so  wird  n  auf  eine  discrete  Mannigfaltigkeit  von  Werten 
beschränkt,  und  Vn  ist  bis  auf  einen  constanten  Factor  bestimmt. 
Aus  dem  Ohm' sehen  Princip,  angewandt  auf  einen  unter  dem 
Einfluß  gewisser  Energie  vernichtender  Kräfte  schwingenden,  an 
beiden  Enden  eingeklemmten  Stab,  ist  zu  schließen,  daß  sich  eine 
beliebige  Lösung  u  der  Differentialgleichung 

JJu  =  0, 

welche  für  q>  =  ±\a%  nebst  der  Ableitung  nach  der  Normalen 
verschwindet,  in  die  Reihe 

entwickeln  läßt.  Die  Coefficienten  bestimmen  sich  aus  den  Rand- 
werten 


d2    /l    \ 
9  /l  \ 


32  0.  Venske, 

vermittels  des  Integralsatzes 

wobei  yn  eine  von  Null  verschiedene   Größe  ist.     Nun  läßt  sich 

u 

—  stets  als  Summe  zweier  Functionen  darstellen,  von  denen  unter 
r 

der  Voraussetzung  R1Ba  =  1  die  eine  in  Bezug  auf  den  Einheitskreis 
symmetrisch,  die  andere  antisymmetrisch  ist.  Für  beide  Func- 
tionen geschieht  die  Coefficientenbestimmung  in  gleicher  Weise. 
Es  ist  daher  genügend,  wenn  die  Coefficientenbestimmung  nur  für 
Functionen  der  ersten  Art  durchgeführt  wird.  Diese  Functionen 
besitzen  die  Entwickelung 

und  man  erhält 

a,=     mJ.jt-H-,  /  -4f/  +  ((»»-l)ä-2)|-+2^/3  VJq>. 

Rf?  +■«,     )J-ittn    L     dir1       v  JBt      Bßip'Jr^s,    "  r 

Setzt  man  diesen  Wert  in  die  Entwickelung  für  —  ein,  so  ergiebt 
sich  durch  Differentiation 

1  \dr  \rU))r  =  Rx  ™ 
/.+*«»  ST*- BT*1  f,,      1x2    äMß^L   2d2u(Ki,il>)\rT,  x~ 


+ 

Um  aus  dieser  Gleichung 


\     dir*     )r*=nx 


zur  Integration  der  Gleichung  JJu  —  0  für  ebene  Bereiche.  33 

durch  ur=.ji  und  -j-(  —  w)r==p  ausgedrückt  zu  erhalten,  setzen  wir 

Ä'(y(7"))r-Ü, 

^;::"ä«-^i?^P(«-«--2»"j§:a+i(-i^))^>'-'»' 

<p   ,  ,     .    2<p  ,  3<p  .   ,    .    4<p  , 

=  a0  cos  —  +  o0  sm  — -  +  cQ  cos  -2-  +  d0  sm  — £■  H , 

Sn— —  ^n-1+  g^i    F»(y)  ^nW    =    COS  ^a,  COS  ^  +  ö,  Sin  —  +  d8  COS  —  +  •  •  •  -) 

+  sm—    &.  cos  -  + 0*  sm h  o3  cos 1 ) 

3<p/         t/f  .    2t/>  3tf         N 

+  COS— (  C.COS-4-C-Sin  — +C3C0S 1 ) 


und  gewinnen  die  Gleichungen 

a0— ^«,+^0,— a3a3  +  ...  =  0, 

c0— c,«i  +  c2a2— c3a3H =  0 


Aus   denselben  folgt  bei  Benutzung  der  Jacob  i' sehen  Determi- 
nantenbezeichnung 

m  _  «o  ,  K&t)K)  ,  faftiOfaA)  . 

a    ==   (q0&tca)       (o0&1c>d,)(ak&>c4)       KMXOfoAcA)   , 
8  "  "   (oi  h  c9)      (at  t%  c8  d4)  (a2  &2  c8)       (a,  &,  c8  d4  e6)  (a,  6tc8^4)  + '  " ' 

HatmandieConstantena1,cf2,-berechnet,  so  findet  man  ( ^r—  )      „ 

\     dir'    Jr^Rx 

Nachrichten   tos  der  K.  G.  d.  W.  zu  üöttingea    1891.  No.  1.  3 


34     0.  Venske,  zur  Integration  der  Gleichung  Adu  m  0  für  ebene  Bereiche, 
aus  der  Formel 

(    \rU)\  _  _2_y       ■    Aiax-<p 

\     dir*     A  =  J21-   aÄ2j««iMa»        a— • 

Durch  das  Vorhergehende  ist  die  Bestimmung  einer  stetigen  Func- 
tion ermöglicht,  welche  der  Differentialgleichung 

JJu  =  0 

genügt,  für  <p  =  ±\a%  nebst  ihrer  Ableitung  nach  der  Normalen 
verschwindet  und  für  r  —  Bti  R2  sowohl  selbst  als  auch  bei  Diffe- 
rentiation bezüglich  der  Normalen  gegebene  Werte  annimmt. 

Hierdurch  ist  aber  der  Weg  gebahnt  zur  Herstellung  der 
zweiten  Green' sehen  Function  für  das  Kreisbogenrechteck.  Man 
bilde  nämlich  die  zweite  Green' sehe  Function  für  den  Winkel- 
raum von  der  Oeffnung  ait  und  construiere  auf  die  soeben  ausein- 
andergesetzte Weise  eine  stetige  Function,  welche  der  partiellen 
Differentialgleichung  AA  =  0  genügt  und  zu  dieser  Grreen' sehen 
Function  addiert  eine  Function  erzeugt,  die  nebst  ihrer  Ableitung 
nach  der  Normalen  auf  den  Begrenzungen  des  Kreisbogenrechtecks 
verschwindet.  Diese  letztere  Function  ist  dann  die  zweite  G-reen'- 
sche  Function  für  das  Kreisbogenrechteck.  Durch  die  Kenntnis 
derselben  ist  aber  die  Lösung  der  Randwertaufgabe  vermittels 
Quadraturen  ermöglicht. 

Göttingen,  August  1890. 


Bei  der  Kgl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  einge- 
gangene Druckschriften. 


Man  bittet  diese  Verzeichnisse  zugleich  als  Empfangsanzeigen  ansehen  zn  wollen. 

August,  September  und  Oktober  1890. 

(Fortsetzung.) 
Monographie    der    baltischen    Bernsteinbäume    v.    H.  Conwentz.      Hrsg.  v.  d. 

Naturforschenden  Gesellschaft  zu  Danzig.     Danzig  1890. 
Kgl.  Sachs.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Leipzig.     Leipzig  1890. 

a.  Berichte  üb.  d.  Verhandlungen.     Matbem.-phys.  Classe.     1890.  I. 

b.  Abhandlungen  der  mathem.-phys.  Classe.  Bd.  XVI.  No.  2.  (W.  Pfeffer: 
I.  Ueber  die  Aufnahme  u.  Ausgabe  ungelöster  Körper.  II.  Zur  Kenntniss 
der  Plasmahaut  und  der  Vacuolen.  .  .  .) 


35 

Catalog    der  Astronomischen    Gesellschaft.     4.  Stück.     Zone  +  55°  bis  -\-  65°. 

Beobachtet   auf  den  Sternwarten  Helsingfors  u.  Gotha.    —    14.  Stück.    Zone 

-f   1°  bis  -f  5°.     Beobachtet  auf  der  Sternwarte  Albany.     Leipzig  1890. 
Jahrbuch   der    k.  k.  Geologischen  Reichsanstalt.     Jahrg.  1890.     XL.  Bd.     1.  u. 

2.  Heft.     Wien  1890. 
Sitzungsberichte  der  Kgl.  Böhmischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften.    Mathem.- 

naturwiss.  Classe.     1890.   I.     Prag  1890. 
Magnetische    und    meteorologische  Beobachtungen   an   der   k.  k.  Sternwarte  zu 

Prag  i.  J.  1889.     50.  Jahrg.     Ebd.  1890. 
Mittheilungen  des  Naturwiss.  Vereines  f.  Steiermark.    Jahrg.  1889  (d.  g.  Reihe 

26.  Heft.)    Graz  1890. 
Anzeiger  der  Akademie'  der  Wissenschaften  in  Krakau.    Juli  1890.    (2  Exempl.) 

Krakau  1890. 
Jahres- Verwaltungs-Bericht  der  Akadem.    Lesehalle   an  d.    k.  k.    Franz  -  Josefs- 
Universität  in  Czernowitz.     XXIX.  u.  XXX.  Semester.     Czernowitz  1890. 
Ungarische  Revue.     IX.  Jahrg.  1889.    4—10.  Heft;  X.  Jahrg.  1890.     1—4.  7.  8. 

Heft.     Budapest  1889/90. 
Vierteljahrsschrift  der  Naturforsch.  Gesellschaft  in  Zürich.     35.  Jahrg.     1.  Heft. 

Zürich  1890. 
Royal  Society  of  London. 

a.  List  of  the  fellows  of  the  Society.     Nov.  30.     1889. 

b.  Philosophical  transactions  f.  the  year  1889.     Vol.  180  A.  B.     London  1890. 
Memoirs   of  the  R.  Astronomical   Society.     Vol.  XLIX.     Part.  II.     1887—1889. 

Ebd.  1890. 
Proceedings    of  the    scientific  meetings   of  the  Zoological  Society  of  London  f. 

the  year  1890.    Part  IL     Maren  et  April.     London  (1890). 
Proceedings  of  the  London  Mathematical  Society.    (Vol.  XXXI.)    No.  381—387. 

(London). 
Linnean  Society  of  London. 

a.  List  of  the  Linn.  Soc.  Jan.  1890.     London  1890. 

b.  Transactions.     2.  Ser.    Zoology.     Vol.  V.     Part  4.    Ebd.  1890. 

c.  Proceedings  May  1890.     From  Nov.  1887  to  June  1888.     Ebd.  1890. 

d.  Journal.     Botany.    Vol.  XXV.    No.  171.  172.    Vol.  XXVI.     No.  174.     Vol. 
XXVII.    No.  181.  182.     Ebd.  1889/90. 

e.  Journal.     Zoology.     Vol.  XX.     No.  122.  123.     Vol.  XXI.     No.  133—135. 
Vol.  XXIII.    No.  141—144.     Ebd.  1889/90. 

Journal    of  the  R.  Microscop.    Society.    1890.     Part  4.     (2.  Exempl.)     Part  5. 

London  et  Edinburgh. 
Proceedings    and  transactions   of  the  Liverpool  Biological   Society.     Vol.   IV. 

Session  1889/90.    Liverpool  1890. 
Proceedings  of  the  Literary  and  Philosophical  Society  of  Liverpool.    Vol.  XLI. 

XLII.  XLIII.  1886— 1S89.    Ebd.  1887—1889. 
Royal  Society  of  Edinburgh. 

a.  Transactions.    Vol.  XXXIII.      Part  III.     Vol.  XXXV.     Part  I-IV.     Ebd. 
1888/90. 

b.  Proceedings.     Vol.  XV.  (1887-88.)    Vol.  XVI.  (1888—89.) 

Scientific  proceedings  of  the  R.  Dublin  Society.  Vol.  VI.  (N.  S.)  Part  7—9. 
Dublin  1889/90. 

Nature.     Vol.  42.    No.  1083—1095.     London  1890. 

Records  of  the  Geological  Survey  of  India.    Vol.  XXIII.    Part  III.    1890.  Calcutta. 

Transactions  of  the  R.  Society  of  South  Australia.  Vol.  XIII.  Part  I.  Ade- 
laide 1890. 

Transactions  of  the  R.  Society   of  Victoria.     Vol.  I.     Part  II.    Melbourne  1889. 

Maiden,  J.  H. :  Wattles  and  wattle-barks  .  . .  (Department  of  public  instruetion. 
Technical  education  Series  No.  6.)     Sidney  1890. 

Kgl.  Akademie  van  Wetenschappen  te  Amsterdam. 

a.  Jaarboek  voor  1889.     Amsterdam,    s.  a. 

b.  Verhandelingen.     (Afd.  Natuurkunde.)     Deel  XXVII.     Ebd.  1890. 

c.  Verslagen  en  mededeelingen.     Afd.  Naturkunde.    Derde  Reeks.    Deel  6.  7. 
Ebd.  1890. 


36 

d.  Verslagen  en  mededeelingen.     Afd.  Letterkunde.     Derde  Reeks.     Deel  6. 
Ebd.  1889. 

e.  Amor.  Carmen  elegiacum  Rudolphi  van  Oppenraij  ...  in  certamine  Hoeuff- 
tiano  praemio  aureo  ornatum.     Ebd.  1890. 

Tijdscbrift   voor  nederlandsche  Taal-    en  Letterkunde.     9.  Deel.     (N.  Reeks.  1. 

Deel.)    3.  An.     Leiden  1890. 
Verhandelingen  rakende    den    natuurlijken    en   geopenbaarden  Godsdienst  uitg. 

door  Teylers  godsgeleerd  Genootschap.     N.  Ser.     12.  Deel.     Haarlem  1890. 
Bijdragen  tot  de  Taal-,  Land-  en  Volkenkunde  van  Nederlandsch-Indie.    5.  Volg- 

reeks.     5.  Deel.     4.  An.     'sGravenhage  1880. 
Flora  Batava  v.  J.  Kops  en  F.  W.  van  Eeden.  289  en 290.  Aflev.  Leiden,  s.a. 

o 
Acta   Universitatis   Lundensis.  —   Lunds   Universitets   Ars-Skrift.      Tom.  XXV. 

1888/89.  Theologi.  —  Medicin.   —   Philosophi ,    Spräkvetenskap  och  Historia. 

—  Mathematik  och  Naturvetenskap.    Lund  1888/89. 
Sveriges  offentliga  Bibliothek.    Stockholm,  Upsala,  Lund,  Göteborg.    Accessions- 

Katalog  utg.  af  E.  W.  Dahlgren.     4.     1889.     Stockholm  1890. 
Bugge,    S. :   Etruskisch    und    Armenisch.     Sprachvergleichende    Forschungen. 

1.  Reihe.     Universitätsprogr.  f.  d.  1.  Halbjahr  1890.     Christiania. 
Memoires   de    TAcadämie    Imper.   des  sciences  de   St.   Petersbourg.      VII.  Sör. 

Tome  XXXVII.  No.  8—10.     St.  Petersbourg  1890. 
Annalen  des  physikalischen  Central-Observatoriums  hrsg.  von  H.  Wild.    Jahrg. 

1889.    Theil  1.     Ebd.  1890. 
Fritsche,   H. :    On   chronology   and   the    construction    of  the    calendar   with 

special  regard  to  the  Chinese  computation  of  time  compared  with  the  Euro- 
pean.   Ebd.  1886. 
Bulletin  de  la  Societe  Impär.  des  Naturalistes  de  Moscou.  Annee  1890.    No.  1. 

Moscou  1890. 
Witterungs  -  Beobachtungen    (des  meteorolog.    Observatoriums   in    Dorpat)   vom 

Jahre  1881,  1882,  1883. 
Academie  Royale  des  sciences,  des  lettres  et  des  beaux-arts  de  Belgique.   Brux- 

elles  1890. 

a.  Bulletin.    60.  Anne'e,  3.  Serie,  Tome  20.    No.  7.  8. 

b.  Gasse  des  lettres.    Programme  de  concours  pour  1891. 

Annales  de  la  Societe  gdologique  de  Belgique.   Tome  XVII.   2.  Livr.  Liege  1890. 
Atti   del  Museo   civico  di   storia  naturale   di  Trieste.     VIII.  (N.  Ser.    vol.  II.) 

Trieste  1890. 
R.  Accademia  dei  Lincei. 

a.  Atti.    Anno  CCLXXXV.     1888.    Serie  quarta.    Memorie  della  classe  di 
scienze  fisiche,  matematiche  e  naturali.     Vol.  V.     Roma  1888. 

b.  Atti.     Anno  CCLXXXVII.     1890.     Serie  quarta.    Rendiconti.     Vol.  VI. 
1°  semestre,  fasc.  11.  12.     2°  semestre,  fasc.  1 — 4.     Roma  1890. 

Atti  della  Societa  Toscana  di  scienze  naturali.     Processi  verbali.    Vol.  VII.    4. 

maggio  1890. 
Atti   della  R.  Accademia   delle  scienze   di  Torino.     Vol.  XXV.    Disp.  13a.  14a. 

1889/90.     Torino. 
Rendiconti  del  Circolo  matematico  di  Palermo.   Tomo  IV.   Anno  1890.    Fasc.  V. 

(Palermo.) 
Atti  e  rendiconti  della  Accademia  medico-chirurgica  di  Perugia.  Vol.  II.  Fasc.  II. 

Perugia  1890. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Inhalt  von  No.  1. 
W.  Nertist,  über  das  Henry'sche  Gesetz.  —  Franz  Meyer,   über  Discriminanten  und  Resultante  von  Sin- 
gularitätengleichungen. —    O.  Yenske,   zur  Integration  der  Gleichung  JJu  =  0  für  ebene  Bereiche.  — 
Eingegangene  Druckschriften. 

Für  die  Redaction  verantwortlich:   E.  Sauppe,  Secretär  d.  K.  Ges.  d.  Wim. 
Commissiona-Verlag  der  Dieterich' sehen   Yerktgs- Buchhandlung. 
Druck  dtr  DieUricK scheu  Oniv.-Buchdruektrti  ( W.  Fr.  £a$stmr). 


Nachrichten 


von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu  Göttingen. 


25.  März.  Jfä  2.  1891. 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  7.  März. 

Voigt  legt  vor:  „Beiträge  zur  Hydrodynamik.    IL  Reihe." 

Klein  legt  von  Herrn  Prof.  Franz  Meyer   an  der  Bergakademie  in  Clausthal 

vor:  „Ueber  Realitätseigenschaften  von  Raumcurven." 
Schering  legt  von  Herrn  Dr.  Heun  in  Berlin  vor:  „Die  Schwingungsdauer  des 

Gauss  sehen  Bifilarpendels." 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.    I. 

Von 

W.  Yoigt. 

(Vorgelegt  in  der  Sitzung  vom  7.  Februar  1891.) 

1.    Pulsirende  Kugeln  oder  Cylinder  in  einer  unendlichen 
incompressibeln  Flüssigkeit. 

Die  Bewegung  einer   unendlichen  incompressibeln  Flüssigkeit, 
welche  dem  Greschwindigkeitspotentiale 

A.        2itt 
<p  =  —  cos  -j-  ,  worin  r>  —  (x-xj  +  {y-yj  +  {z-e')\     1) 

entspricht,  läßt  sich  bekanntlich  durch  eine  pulsirende  Kugel  be- 
grenzen.    Denn  man  erhält  aus  qp  zunächst 

—        £jä.  —        ^%t 

dt   ''       dr   —       r%  coa~T~'  *> 

Naclirichten  von  der  E.  G.  d.  W.  tu  Göttingen    1891.  No.  2.  4 


38                                           W.  Voigt, 

und  hieraus 

3     STA    .    2%t 
r    =  r>       2*    sm    T    ' 

worin  r0  den  Werth  von  r  zur  Zeit  £  =  0  bezeichnet. 

Ist  hierin 

TA  klein  neben  rjj,  so  giebt  dies  auch 

TA     .     2nt 
3)                                 r  -  r.     2jty;  sm    ^   ; 

man  kann  also  die  obige  Bewegung  als  hervorgebracht  ansehen 
durch  die  abwechselnde  Dilatation  und  Compression  einer  Kugel, 
deren  Mittelpunkt  in  x',  y',  z'  verharrt  und  deren  Radius  q  nach 
dem  Gesetz 

3)  q  =  B—aam—m- 

variirt,  welche  Bewegung  wir  als  „Pulsation"  bezeichnen. 

Es  findet  nun  der  merkwürdige  Umstand  statt,  daß  eine  Summe 
von  (n  + 1)  Gliedern  der  obigen  Form  (1),  auf  (w  -f- 1)  verschiedene 
Punkte  ph{xh1  yh,  zh)  bezogen,  ein  Geschwindigkeitspotential  er- 
giebt,  welches  eine  Bewegung  darstellt,  die  sich  durch  (n  + 1)  iso- 
chron pulsirende  Kugeln  von  bestimmter  Größenordnung  begren- 
zen läßt ;  aber  diese  Kugeln  haben  ihre,  übrigens  ruhenden,  Mittel- 
punkte nicht  an  den  Stellen  xh,  yh,  zh  sondern  an  anderen  Orten. 

Dieser  Umstand  ermöglicht  eine  sehr  einfache  Bestimmung 
der  durch  ein  System  pulsirender  Kugeln  erregten  Bewegung  der 
Flüssigkeit  und  speciell  der  in  Folge  dieser  Bewegung  eintreten- 
den Wechselwirkung  zwischen  den  einzelnen  Kugeln,  welche  zuerst 
auf  einem  viel  umständlicheren  Wege  von  Bjerknes1)  untersucht 
worden  ist. 

Für  diese  letztere  Anwendung  ist  es  bequem,  in  der  Bezeich- 
nung einender  (n  +  1)  Punkten  ph(xh,  yh,  e  h) ,  etwa  p0(xQ,  yQ ,  *0\ 
von  den  andern  auszusondern ,  die  übrigen  in  eine  Summe,  in  Be- 
zug auf  h  von  1  bis  n  zu  nehmen,  zusammenzufassen. 

Wir  machen  demgemäß  den  Ansatz 

wo  nun  ist 

r>  =  (*-*„)• +  &-*„)• +  (*-*,)•, 

<  =  (*-*J*+(y-yJ*+(*-*J*- 


1)  Bjerknes,  Gott.  Nachr.  1876,  245;    s.   auch  Basset,   Hydrodynamik, 
Cambridge  1888,  I,  p.  248. 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.    I.  39 

Zu  dem  Punkt  p0  wählen  wir  einen  Nachbarpunkt  p'0 ,  der  um 
die  verfügbare  Strecke  d  in  einer  verfügbaren  Richtung  von  p0  ent- 
fernt liegt.  Die  Entfernung  von  p'0  nach  p  (x,  y,  z)  sei  mit  g  be- 
zeichnet, der  Winkel  zwischen  g  und  d  —  beide  Strecken  von  p'0 
hinweg  positiv  gerechnet  —  mit  tp)  dann  ist 

r2  =  g2  +  Ö2-2gdcos^. 

Wird  ferner  die  Entfernung  von  p'0  nach  ph  mit  Eh ,  der  Winkel 
zwischen  Eh  und  g  mit  ij;h  bezeichnet,  so  ist 

<  =  El  +  Q*-2EhQcos4,h. 

Wir  wenden  nun  die  Formel  (4)  an  auf  ein  Bereich  in  der  Nähe 
des  Punktes  p'0 ,  welches  dadurch  definirt  ist ,  daß  g  klein  neben 
Eh ,  aber  noch  groß  gegen  ö  sein  soll,  beides  von  einer  sogleich  zu 
bestimmenden  Ordnung.    Dann  kann  man  <p  entwickeln  und  schreiben 

f  .  ( 1   ,  d cos  if;  ,     \  ,  _,   .   /  1    ,   o  cos tf>h   ,      \1       2%t     K. 

Die  Geschwindigkeit  in  der  Richtung  von  g  folgt  hieraus 

dg  dop  f  .  / 1  ,  2dcosip  ,  \  --,  ;  /cos^.  ,  vi  2%t  »N 
-£=!>?  =l-AK7+—?-  ^±->SA(-£f±-)]cos^-.6) 

Man  kann  für  einen  Werth  g  von  g  diese  Geschwindigkeit  bis 
auf  Glieder  von  der  Ordnung  Q*/Esh  und  d2/g2  von  der  Richtung 
von  g  unabhängig  machen,  wenn  man  über  die  Richtung  und  Größe 
von  d  so  verfügt,  daß 

2A  d  cos  ij>         ^   .    cos  tyh 

wird.  Bezeichnet  man  die  Richtungscosinus  von  g  mit  a,  ß,  y,  die 
von  Eh  mit  aA,  /3A,  yA ,  die  Projectionen  von  ö  mit  |,  ^,  5,  so  zer- 
fällt die  letzte  Gleichung,  da  beiderseits  die  Factoren  von  a,  /3,  y 
für  sich  gleich  sein  müssen,  in  die  drei : 

p8         ~  ^    El    '        g*  2*    El    '       g*         ~  ^    El    '         } 

und  es  wird  zugleich,  falls  man  g%  neben  El  vernachlässigen  kann, 

da  A         2%t 

W  =  —?C0S-T-- 

4* 


40  W.  Voigt, 

Diese  Formel  verglichen  mit  (2)  zeigt,  daß  man  die  durch  (4) 
gegebene  Bewegung  in  der  Nähe  von  p0  begrenzen  kann  durch 
eine  Kugel  um  den  festen  Punkt  p'0  von  einem  Radius  q  gegeben 
durch 

.,     STA    .    2«| 

falls  nur  A  so  klein  ist,  daß  innerhalb  der  festgesetzten  Annähe- 
rung in  den  Gleichungen  (7)  q  als  constant  anzusehen  ist.  Dies 
findet  jedenfalls  statt,  wenn  %TAß%Rz  von  der  Ordnung  von  d/B 
ist,  und  in  diesem  Falle  ist  zugleich 

8)  r  —  JR-asin-^j-, 

worin  a  =  ATßaB2  die  Amplitude  der  Pulsation  bezeichnet. 

Da  nun  alle  Punkte  ph  dem  Punkte  pQ  völlig  gleichwerthig 
sind,  so  ist  die  obige  Entwickelung  für  alle  anwendbar,  und  man 
kann  zu  jedem  ph  einen  Nachbarpunkt  p'h  angeben,  um  den  sich 
eine  Kugel  von  wechselndem  Radius 

8,x  ^  .    2jtt 

)  Qh  =  •#*--«*  sm-^-, 

construiren  läßt,  welche  die  Flüssigkeit  in  jenem  Bereich  begrenzt, 
wobei  wieder  die  Amplitude  der  Pulsation  ah  =  AhTß%B\  ist. 

Den  Ort  der  p'h  bestimmen  dabei  Formeln,  welche  den  drei  (7) 
analog  sind ;  in  ihnen  kann  man  den  Entfernungen  Eh ,  welche  zu- 
nächst den  Abstand  der  Punkte  ph  von  p'0  bezeichneten ,  innerhalb 
der  früheren  Grenauigkeitsgrenze  die  Bedeutung  der  Abstände  der 
ph  von  p0  selbst  beilegen ,  sodaß  nunmehr  auf  den  rechten  Seiten 
der  Gleichungen  (7)  nur  direct  gegebene  Größen  stehen. 

Um  die  Kräfte  zu  bestimmen,  welche  die  Kugel  um  p'0  seitens 
aller  übrigen  erleidet,  hat  man  von  der  Formel  für  den  Druck  p 
gegen  dieselbe,  nämlich 

»  P-.(o-f-f) 

auszugehen  und  zu  bilden: 

X  =  jP  cos  (n.,  x)do,    Y  =  fp  cos  (nt ,y)do,   Z  =  fp  cos  (n.,  z)  do 

=  —fp"do,  =  —fpßdo,  =  -fpydo. 

Dabei  ist 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.-   I.  41 

und  nach  (5)  in  der  Nähe  der  Kugel  um  p'0 ,    deren  Centrum  jetzt 
zum  Coordinatenanfang  gewählt  werden  mag, 

hieraus  folgt 

und  bei  Beschränkung  auf  die  festgesetzte  Annäherung 

\dx)  ~l  q«  (>3    V  Q>  J       Q*  ^  El  JC0S  ~T  \ 

so   daß  schließlich  wird 

P^f^^^^l     12) 


Ferner  ist 


a 


Setzt  man  diese  Ausdrücke  in  die  Integrale  für  X,  Y,  Z  ein,  so  er- 
hält man  für  q  =  q,    &a,fu2do  =  fß2do  =  ,/Wo  =  4  #£73  ist, 

L  -  l^jj^g)  Bin2^-(^-^)cos»2f  j«jf»    13) 

und  ebenso  die  übrigen. 
Nun  setzen  wir 

q  =  .ß-asin-^-, 

entwickeln  X  nach  Potenzen  von  a  und  bilden  den  Mittelwerth  8 
des  Resultates  für  die  Zeit  T  einer  Periode;  dabei  verschwindet 
nach  (7)  Alles,  was  von  dem  letzten  Glied  herrührt,  und  es  bleibt 
schließlich  in  der  früher  benutzten  Annäherung: 


m      ,  IrfsB'a^A.a, 


2,  El    ■ 

Hierin  benutzen  wir  endlich,    daß   die  Amplitude  ah  der  Pulsation 
für  die  Kugel  um  p[  gegeben  ist  durch  Ah  =  2%R\aJT1  und  er- 


42 

W.  Voigt, 

halten  so 

14)              g  - 

8x*£R2a      Rlahcch 
r      *     El     ' 

ebenso  H  und  Z . 

Diese  Formeln  sagen  aus,  daß  zwischen  je  zwei  isochron  pulsiren- 
den  Kugeln  eine  Kraft  parallel  der  Verbindungslinie  ihrer  Mittel- 
punkte wirkt,  proportional  mit  den  Quadraten  der  Radien,  propor- 
tional mit  den  Amplituden,  indirect  proportional  dem  Quadrat  der 
Pulsationsdauer  und  dem  Quadrat  der  Entfernung  der  Centra  von 
einander.  Die  Kraft  ist  eine  anziehende  zwischen  Kugeln,  die  mit 
gleicher  Phase,  eine  abstoßende  zwischen  solchen,  die  mit  um 
T/2  verschiedener  Phase  schwingen ;  denn  im  ersteren Falle  ha- 
ben die  Ah  oder  ah  für  beide  gleiches,  im  letzteren  entgegengesetz- 
tes Vorzeichen. 

Daß  Herr  Ei  ecke1)  scheinbar  andere  Resultate  erhalten  hat, 
rührt  davon  her ,  daß  die  von  ihm  betrachteten  bewegten  Kugeln 
außer  einer  Aenderung  ihrer  Radien  auch  eine  Verschiebung  ihrer 
Mittelpunkte  erfuhren,  die  Bewegung  also  nicht  eine  reine  Pulsa- 
tion war. 

Die  vorstehende  Betrachtung  läßt  sich  leicht  auf  den  Fall  aus- 
dehnen, daß  die  gegebenen  Kugeln  nicht  mit  gleicher  Phase  pul- 
siren,  wenn  nur  die  Pulsationsdauer  allen  gemeinsam  bleibt. 

Setzt  man  nämlich 

15)  9  =  ycos ^-^.  +  2^cos ^-*S 

was  identisch  ist  mit 

/A!  '  L''J£\        2ict  r(Ä'  ,  __  Ä'h\    .    2%t 

falls 

Ahcos  —^  =  A'h,    Ahsm-jr±  =  Ä'h 

gesetzt  wird,  so  lassen  sich  die  beiden  Theile  für  sich  genau  so 
behandeln,  wie  oben  der  Ansatz  (4).  Allerdings  lassen  sich  die 
Gleichungen  (7)  nicht  für  beide  Theile  durch  dieselben  Werthe 
6,^,6  befriedigen ,  aber  da  sich  %/q  ,  tj/q  ,  g/p  selbst  von  der 
Ordnung  Q2/E2h  ergeben,  bleibt  die  dadurch  entstehende  Ungenauig- 
keit  innerhalb  des  Bereiches  der  oben  vernachlässigten  Größen. 

Bei  der  Bestimmung  der  Kräfte  X,  Y,  Z  ist  zu  beachten,  daß 
in  dem  Werth  (9)  des  Druckes  p  der  ganze  Ausdruck  V2  auch  jetzt 
keinen  Antheil  zu   den  Resultaten   liefert,   hingegen  in  dy/dt  die 

1)  E.  Riecke,  Gott.  Nachr.  1888,  No.  13  p.  347. 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.   I.  43 

mit  A'h  und  A?'  resp.  a'h  und  a"  proportionalen  Glieder  sich  ein- 
fach summiren.     Da  nun 

aX  +  a"a;'  =  ««»«»2*V0 

ist,  so  gewinnt  man  für  die  Einwirkungen,  welche  die  Kugel  vom  Ra- 
dius B  von  allen  übrigen  erfährt,  sogleich  die  allgemeinen  Werthe : 

8x*eR>a      B\ah  ah         2it{th-Q 

A    Tri  2-1         ~J?2  0üb  J"  ' 

H  =  8^2^008^=«,  16) 

**     ^  .Zj  1?2  UUfc>  J7  • 

Zu  den  Ausdrücken  (14)  treten  also  unter  den  bez.  Summen  die 
Cosinus  der  Phasendifferenzen ;  die  ah  sind  in  (16)  sämmtlich  als 
absolute  Großen  zu  betrachten.  — 

Genau  in  derselben  Weise  führt  sich  die  Bestimmung  der 
Bewegung  durch,  welche  in  einer  unendlichen  incompressibeln 
Flüssigkeit  durch  ein  System  isochron  pulsirender  Cylinder  mit 
parallelen  Axen  erregt  wird. 

Die  Lösung  des  Problemes  wird,  wenn  nur  ein  Cylinder  vor- 
handen ist,  geliefert  durch 

2jr  t 
w  =3  AI  (e)  cos  — t=-,   worin  e2  =  (#— #')2+(«/-y)2  ist;         17) 


daraus  folgt 
und  daher 


de  dm  A         2itt 

li^-it-T^rr*  18) 


AT   .    2nt 

sin— =r- 


~°    '        7t  T 

oder  angenähert  bei  kleinem  A 

e  =  e-+25^am"T-  18) 

Für  (w+1)  isochron  pulsirende  Cylinder  ist  der  Ansatz  zu  machen 

9>  =  (Al(e)+^Akl(eh))  cos  ^,  i9) 

worin  e%  =  {x-x0)2+(y-yQ)\  t\  =  (x-x$  +  (y-yhY  ist.  Zu  dem 
Punkt  p0(x0,  yQ)  werde  wieder  ein  Nachbarpunkt  p'0((x0—%),  (y0—y)) 
im  Abstand  ö  gewählt  und  die  Entfernung  von  p'0  nach  p  (#,  y)  mit 


44  W.  Voigt, 

q,  die  nach  ph(xh)  yh)  mit  Eh  bezeichnet;  die  "Winkel  von  q  und 
Eh  mit  ö  —  alle  drei  Richtungen  von  p'0  hinweg  positiv  gerechnet 
—  seien  wieder  ty  und  ^A,  es  gelte  also 

ea  =  Q*+d*-2Qdcoail>,  e\  =  E2h  +  Q^2EhQ cos fv 

Für  Entfernungen  q,  welche  klein  gegen  die  Eh,  aber  groß  gegen 
8  sind,  läßt  sich  9  schreiben 

20)(,  =  ^(?(e)-^:±..)+SA(z(^)_ı...)]cos^i 

und  daraus  bilden 

dp/dtf  wird  für  einen  bestimmten  Werth  p  von  p  bis  auf  Glie- 
der von  der  Ordnung  Q2/El  und  d2/pa  von  der  Richtung  unabhän- 
gig, wenn 

2 Ad  cos  i}>         ^Ahcosfh 

ist,  d.  h.,  falls  a,  ß  wieder  die  Richtungscosinus  von  q,  und  ah,  ßh 
diejenigen  von  Eh  sind,  wenn  zur  Bestimmung  der  Richtung  und 
Größe  von  6  die  Gleichungen  gelten: 

2A%  __       Ahah      2An  Ahßh 

22)  -y*  -  i-^--,    -^  -  2-^~. 

Zugleich  wird,  wenn  man  p2  neben  E\  vernachlässigen  kann, 

dö         A        2itt 
cos 


dt  Q  T      ' 

woraus  zu  folgern  ist: 

23)  ^».R+^—Bn—; 

damit  die  Gleichungen  (22)  bei  variabelem  q  innerhalb  der  gestell- 
ten Genauigkeitsgrenze  erfüllt  sind,  muß  AT/2tcR*  von  derselben 
Größenordnung  sein  wie  d/B.  Die  Flüssigkeit  ist  also  in  der  Um- 
gebung von  p0  durch  einen  Cylinder  vom  Radius  q  um  p'0  zu  be- 
grenzen; dasselbe  gilt  für  die  Umgebung  eines  jeden  andern 
Punktes  ph ,    und  es  wird  für  die  bezüglichen  Cylinder  allgemein 

Qh  —  ^A  +  «*sin-^r- 
sein,  wobei  ah  =  AhT/2xBh  ist. 


Beiträge  zur  Hydrodynamik."    I. 


45 


Zur  Bestimmung  der  Druckcomponenten ,  welche  die  Längen- 
einheit des  Cylinders  um  p'0  erfährt,  sind  die  Gleichungen  (9)  und 
(10)  zu  benutzen.  Dabei  ist  zu  setzen,  falls  man  den  Coordinaten- 
anfang  nach  p'0  legt : 


woraus  folgt 


x      '  L    V    q2  Q*         y  Eh  J 


cos 


also 


r^'      AA\xi,+yri)       2Ä       Äh(akx  +  ßhy) 
ebenso  ergiebt  sich 


2itt 
T   ' 

n2%t 


;  24) 


sin-jr.  24') 


Hieraus  folgt,  &a,fcc2ds  =  fß2ds  —  tcq  ist, 


Darin  ist  zu  setzen 


q  =  R  +  asm-p-, 


X  nach  Potenzen  von  a  zu  entwickelen  und  der  Mittelwerth  über 
die  Dauer  einer  Periode  zu  bilden.    Man  erhält  so 

v  __   27t2sRa^Ahah 

M    rp  ZmX       TP        1 


oder  wenn  man  berücksichtigt,  daß  Ah  =  2itRhaJT  ist 
Ä  _     4itasRa       Rhahah 

&  —    ja 2-> — ~E »  ' 

ebenso  if  und  Z ;  das  Resultat  ist  dem  in  den  Formeln  (16)  gege- 
benen vollkommen  analog,  nur  ist  die  Oberfläche  der  Kugeln  mit 
der  Oberfläche  der  Länge  Eins  der  Cylinder  vertauscht,  und  tritt 
die  Attraction  indirect  proportional  der  Entfernung  an  Stelle  der- 
jenigen, welche  das  Newton'sche  Gesetz  befolgt. 


46  W.  Voigt, 

Die  Ausdehnung  dieser  Resultate  auf  Cylinder,  die  in  verschie- 
dener Phase  pulsiren,  geschieht  ebenso,  wie  oben  bei  Kugeln  gezeigt 
ist.    Für  (p  ist  der  Ansatz  zu  machen 

27)    <p  =  (A'le+^A'Jeh)oos^-+(A"le  +  ^A'h'lek)sm^, 


worin 


%nth  '.        A    .    2xth  ... 


gesetzt  ist ;  beide  Theile  von  (p  lassen  sich  behandeln  wie  der  An- 
satz (17),  und  das  Resultat  für  die  mittleren  Kräfte,  welche  der 
Cylinder  vom  Radius  R  seitens  aller  übrigen  erleidet,  lautet 

*         4^Ra       Rhahah  _  2x(th-t,) 

28)  A   —    7jn 2j 


Eh 


cos 


ebenso  für  die  H-  und  Z-Componente. 

Granz  ähnlich  wie  vorstehend  die  Pulsation,  läßt  sich  auch 
die  Oscillation  von  Kugeln  oder  Cylindern  in  einer  unendlichen 
incompressibeln  Flüssigkeit  behandeln;  die  oben  benutzte  Methode 
bietet  hier  aber  nicht  so  bedeutende  Vortheile  gegenüber  der  von 
Kirch  hoff1)  bei  diesem  Problem  angewandten,  als  daß  sich  ihre 
Auseinandersetzung  lohnte. 


2.    Stehende  Wellen  in  einem  Strome  als  Beispiel  für  die 
Kirchh  off  sehe  Theorie  der  Flüssigkeitsstrahlen. 

Nach  Kirchhoff2)  erhält  man  bekanntlich  für  incompressible 
Flüssigkeiten,  die  der  Einwirkung  äußerer  Kräfte  nicht  unterlie- 
gen, ebene  Potentialbewegungen,  welche  durch  freie  Oberflächen 
begrenzt  werden  können,  in  folgender  Weise. 

Sei  gesetzt  z  =  x  +  iy,  und  sei  co  —  cp  +  itl>,  worin  <p  das  Ge- 
schwindigkeitspotential,  ty  die  Strömungsfunction  bezeichnet,  eine 
Function  von  z,  dann  hat 

in  äz  <.  ,  . 

die  Eigenschaft,  daß 

:  £,   n  ==  |r,   also   |  =  tg(F,*)f  r+^-.jJr 


1)  Kirchhoff,  Mechanik,  Leipzig  1876,  p.  228. 

2)  Kirchhoff,  Mechanik,  p.  290. 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.   I.  47 

ist.     Wird  nun  eine  Relation 

co  =  /•(£)  oder  £  =  F(a>) 

aufgestellt,  welche  eine  der  Abscissenaxe  in  der  co-Ebene  paral- 
lele Gerade  ^  =  C  in  der  £-  Ebene  als  ein  Stück  eines  Kreises 
£a  4-  rf  =  p2  =  c2  um  den  Coordinatenanfang  abbildet ,  so  ist  die 
durch 

e  =ftd(D  =  fF(m)äm  3) 

gegebene  Function  qp  von  x  und  «/  das  Geschwindigkeitspotential 
einer  Bewegung ,  die  längs  der  Strom  -  Curve  if>  =  C  eine  freie 
Grenze  haben  kann;  denn  längs  dieser  Curve  ist  V  constant  und 
dies  ist ,  wenn  Kräfte  auf  die  Flüssigkeit  nicht  wirken ,  die  be- 
kannte Bedingung  dafür,  daß  in  ihr  der  Druck  constant  ist. 

Soll  die  Flüssigkeit  strömen  und  dabei  von  einer  wellenartig 
periodisch  sich  hebenden  und  senkenden  Oberfläche  begrenzt  sein, 
deren  Berge  und  Thäler  wir  der  Bequemlichkeit  halber  in  je  einer 
Horizontalen  liegend  denken  wollen,  so  muß  die  Beziehung  £  =  F(coi) 
einen  Bogen  des  Kreises  q  =  c  um  den  Anfangspunkt  der  £-Ebene, 
welcher  symmetrisch  zur  (j-Axe  liegt,  in  der  Weise  auf  eine  Curve 
ip  =  C  der  «-Ebene  abbilden,  daß  dem  unendlich  oft  wiederholten 
Umlaufen  des  Kreisbogens  die  Durchmessung  der  ganzen  Curve 
ty  =  C  von  cp  =  —  oo  bis  g>  =  +00  entspricht.  Dieser  Kreis- 
bogen bildet  dann  in  der  J-Ebene  die  eine  Grenze  der  Flüssigkeit ; 
eine  zweite  kann  in  der  #-Ebene  nur  von  einer  andern  Stromcurve 
ty  =  C  gebildet  werden,  und  diese  muß  sich  nothwendig  in  der 
J-Ebene  als  eine  geschlossene  Curve  darstellen,  welche  den 
Kreisbogen  völlig  umschließt. 

Bedenkt  man  die  Beziehungen,  welche  durch  die  Gleichungen 
(2)  zwischen  den  Coordinaten  eines  Punktes  der  J-Ebene  und  der 
Größe  und  Richtung  der  Geschwindigkeit  an  der  dem  Punkt  £  ent- 
sprechenden Stelle  der  ^-Ebene  gegeben  sind,  so  erkennt  man  leicht 
Folgendes. 

Sollen  innerhalb  der  Flüssigkeit  keine  Quellen  und  Senken 
liegen,  in  denen  die  Geschwindigkeit  unendlich  wird,  d.  h.  soll  in 
der  J-Ebene  das  von  der  zweiten  Curve  umschlossene  Gebiet  den 
Punkt  £  =  0  nicht  enthalten,  so  muß  in  der  £-Ebene  die  zweite 
Grenze  selbst  eine  wellenartige  Gestalt  haben ;  und  zwar  muß  ihre 
stärkste  Steigung  stets  steiler  sein  als  diejenige  der  freien  Ober- 
fläche. Die  Wellen  kommen  dann  dadurch  zu  Stande,  daß  der 
Strom  über  einen  unebenen  Boden  hinfließt,  und  der  auf  die  freie 
Oberfläche  wirkende  Druck  die  Flüssigkeit  verhindert,  jenen  Boden 


48  W.  Voigt, 

ganz  zu  verlassen.  Von  dieser  Art  sind  die  Wellchen,  die  in 
fließendem  "Wasser  durch  Unebenheiten  des  Grundes  entstehen  und 
die  weder  Ort  noch  Höhe  mit  der  Zeit  wechseln,  vorausgesetzt 
nur,  daß  ihre  Höhe  so  gering  ist,  daß  in  der  strengen  Bedingung 
für  die  freie  Oberfläche 

-Y  +  gy  +  j  =  Const- 

die  Aenderung  des  Potentiales  der  Schwere  gy  längs  der  freien 
Oberfläche  neben  dem  Quadrat  der  Geschwindigkeit  V  vernachläs- 
sigt werden  kann. 

.  Dürfen  innerhalb  oder  an  der  Grenze  der  Flüssigkeit  Quellen 
und  Senken  liegen,  so  kann  die  zweite  (untere)  Grenze  der  Flüs- 
sigkeit auch  eine  horizontale  Ebene  sein.  In  diesem  Falle  stellt 
sie  sich  in  der  f-Ebene  als  ein  Stück  der  J-Axe  dar,  z.B.  als  de- 
ren ganze  negative  Hälfte. 

Ein  Beispiel  für  eine  Wellenbewegung  der   besprochenen  Art 
liefert  die  specielle  Form  der  Beziehung  zwischen  co  und  £: 

as                             7          c  —  t        ,        ;           1— 2iasmab 
4)  2zasmob  =  —-—    oder    %  =  c-— --^-. — -. r  . 

Setzt  man 

2ismob  =  eM-e-io,b  =  -cos(Pb(e+Vb-e-Vb)+ismipb(e+tt'b+e-tf'b) 

abgekürzt  =  m  +  i  n , 

so  wird 

5)  i^b^M±%i  ,--  2™c 


(1  +  amf  +  a2 n2  '     '  (1  +  a mf  +  a2 n* 

oder 

6)  ma  —  '  2 ,  na  =  -  ,    ,       '- — r. 

Dem  speciellen  Werth  ty  =  0  entspricht  m  =  0  und  daher 

r+tf  =  jAj 

^  =  0  giebt  also  eine  Stromcurve,  längs  deren  man  die  Flüssig- 
keit an  einen  Luftraum  von  constantem  Druck  grenzen  lassen  kann, 
denn  ihr  Bild  in  der  g-  Ebene  ist  ein  Kreis  um  den  Coordinaten- 
anfang  vom  Radius  c. 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.   I.  49 

Aber  von  diesem  Kreis  ergiebt  nur  ein  gewisser  Bogen  das 
Bild  der  Stromeurve  i\>  =  0.  Denn  während  cp  von  —  oo  bis  +00 
wächst,  pendelt  n  zwischen  —2  und  +2,  und  demgemäß  bleibt  £ 
innerhalb  des  Intervalles  zwischen 

fc  =  cir4^undl3==c> 

dagegen  r\  innerhalb  desjenigen  zwischen 

*  "  "T+i^  und  ^  =  +T+4^' 

wo  sich  %x  und  i^  resp.  rj2  einerseits,  |2  =  c  und  ^  =  0  anderer- 
seits entsprechen. 

|j  =  0  bezeichnet  eine  verticale  Geschwindigkeit;  soll  diese 
ausgeschlossen  sein,  so  muß 

4a2  <1  oder  —  I<c2a<:  +  1 

sein.     Wenn  a  diese  Grenzwerthe  erreicht,  wird  rj1  =  ±c. 

Jeder  andere  Werth  C  von  ty  als  ^  =  0  entspricht  einer 
Stromeurve,  längs  deren  man  die  Flüssigkeit  nur  durch  eine  feste 
Wand  begrenzen  kann. 

Aus  (4)  folgt  nun  auch 


Cc-,  [2i1/l  +  Jc  +  2ael(ob\       1 

J*  U&    \l-]c4-2ael(übJ       J  ' 


6 
falls  man  kurz 


setzt.     Die   Zerlegung  in  den  reellen  und   den  imaginären   Theil 
giebt 

h  sin  <p  b 


T  2  / flsinyo \        1 

x  =  -CLl6arctgUosg?&~a(e+^-,-^)>)HhH' 

rj^    (l  +  fe  +  2CTe-^5cosy5)2  +  4a2g-2^&sin>6        1 
y~~+CU&     (l-Jc  +  2ae-Vb  cos  tpby+We-2*0  sin*  yb        \' 


8) 


Da  ^  und  1?,  wie  auch  #  und  \j)  die  Unabhängige  9  nur  in  cos  (<p  6) 
oder  sin(op6)  enthalten,  so  sind  alle  diese  Größen  um  9  =  2ä/6 
periodisch.     Wir  brauchen  daher  nur  das  Intervall 

0<9&<c2^ 
zu  betrachten. 


50  W.Voigt, 

Für  (p  =  0  ist  r}  —  0,  also  die  Geschwindigkeit  in  jeder 
Stromcurve  horizontal,  das  gleiche  gilt  für  <p  ==  it.  Der  Unter- 
schied der  bezüglichen  Y-  Coordinaten  ist  die  ganze  Höhe  der  be- 
treffenden Wellenlinie.  Er  läßt  sich  sehr  einfach  ausdrücken. 
Man  erhält  nämlich  sogleich 

_c_  r(l  +  Jc  +  2ae-Vb  \Vl-ft--2ae--*ftV"| 
und  dies  ist 

Wegen  der  Bedeutung  von  7s  schreibt  sich  dies  auch 

cn  =   2c?/l-(ft  +  2qe+^)2x 

;  M    ^l~-{k-2ae^^hfJ1 

und  dies  zeigt,  daß  positive  und  negative  Werthe  von  ip  dieselbe 
Wellenhöhe  ergeben.  Dem  entspricht,  daß  y1—yi  für  ^  =  0,  d.h. 
für  die  Stromcurve ,  welche  die  freie  Oberfläche  bildet ,  seinen 
größten  Werth  annimmt;  man  erhält  nämlich  hierfür 

iAN      _      _  rr        2c  Jl-(k+2ay  2 c  .  4a  +  S/T+Ätf 

10)      yi-*i  =  H  =   TT*  i      /i,     oJm    =  -TT1 


U     \-{k-2af       '    kb    4a_\/i  +  4a2  * 

Da  nun  zugleich  für  ty  =  0  die  größten  Steigungen  der  Strom- 
curven  geringer  sind  als  für  alle  anderen  Werthe  von  ^,  so  er- 
giebt  sich,  daß  die  periodischen  Unebenheiten  des  Bodens,  welche 
wir  als  Ursache  der  oben  behandelten  Wellenbewegung  betrachte- 
ten, geringere  Höhen,  aber  zugleich  schärfere  Krümmun- 
gen haben  müssen,  als  die  Wellenberge  an  der  freien  Oberfläche. 

Soll  innerhalb  der  Flüssigkeit  die  Geschwindigkeit  nirgends 
unendlich  werden ,  so  darf  £  daselbst  nicht  verschwinden ;  dies 
giebt  einen  Grenzwerth  für  ifj  an ;   nach  (5)  muß  nämlich  gelten 

*><«+*-,«-"). 

a2        v  y 

Für  die  freie  Oberfläche,  für  welche  ij>  =  0  ist,  folgt  aus  (8) 

n)  __  c     (Ic +  1)  (k  +  2a  cos  <pb)^ 

V  "~  kb   (fc-l)(Ä-2acos9>ö); 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.'    I.  51 

letzteres  schreibt  sich,  wenn  man  l(k  +  l)  —  l  (k  —  1)  mit  in  die  In- 
tegrationsconstante  zieht,  einfacher 

c  7  (k  + 2a  cos  yb\  '     . 

y  ~  leb    \Jc- 2a  cos  <pbJ'~~  } 

Auf  Fälle,  wo  äußere  Kräfte  wirksam  sind,  ist  die  Kirch- 
hoff'sehe  Methode  bisher  noch  nicht  angewandt;  in  der  That 
verliert  sie  hier  auch  den  größten  Theil  ihrer  Vorzüge ,  da  in 
der  Grenzbedingung  für  die  freie  Oberfläche 

V2  +  2&  =  Const.  12) 

das  Potential  <&  der  wirkenden  Kraft  sich  nicht  allgemein  durch 
£  und  t\  ausdrücken  läßt.  Wirkt  allein  die  Schwerkraft,  und  wird 
die  +  F-Axe  vertical  nach  oben  gelegt,  so  lautet  die  Bedin- 
gung (12) 

F2  =  Ö-20y,  12') 

also  unter  Benutzung  der  Formeln  (2)  und  (3) 

¥^  =  C~TJ^dm)'  13) 

wo  J(%)  den  imaginären  Theile  von  %  bezeichnet;  f  =  F(a)  lie- 
fert nunmehr  allein  in  dem  Falle  eine  Bewegung  einer  schweren 
Flüssigkeit,  welche  eine  freie  Grenze  gestattet,  wenn  für  irgend 
einen  Werth  von  C  die  Gleichung  ip  =  0,  in  £  und  rj  ausge- 
drückt, dieselben  Curven  liefert,  wie  (13).  Es  giebt  keine  Me- 
thode, solche  Beziehungen  f  =  F(<o)  aufzufinden,  und  man  ist 
ausschließlich  auf  Versuche  angewiesen. 

Die  Gleichung  (13)  wird  für  die  Behandlung  etwas  bequemer, 
wenn  innerhalb  der  freien  Oberfläche  y  so  wenig  variirt ,  daß 
2g  mal  dieser  Aenderung  klein  neben  V2  ist.  Legt  man  den  An- 
fangspunkt für  y  ungefähr  in  die  Mitte  zwischen  dem  höchsten 
und  tiefsten  Punkt  der  Oberfläche  und  bezeichnet  die  dort  statt- 
findende Geschwindigkeit  mit  V0,  so  lautet  (12') 

Fa  =  Vt-2gy. 

Läßt  sich  nun  (2gy)*  neben  V\  vernachlässigen,  so  folgt  hieraus 
auch 


was  wir  abkürzen  in 


v2      vy      vr 


—  =  ma+w9£;  14) 


52  W.  Voigt, 

bei  Einführung  von  £  und  rj  giebt  dies 

14')  T  +  tf  =  m'  +  j-J(ftda). 

Jetzt  gelingt  es  leichter,  eine  Function  £  =  F(cd)  zu  finden, 
welche  der  gestellten  Bedingung  genügt,  daß  #  (|,  ^)  =  C  diesel- 
ben Curven  in  der  g-Ebene  bestimmt,  wie  die  Gleichung  (14). 

Setzt  man  nämlich 

15)  S  =  a  —  be~ic<», 

worin  a,  b,  c  reelle  Constanten  sind,  so  wird 

|  — a  =  —  bec*  cos  cq>,    ^  =  -f&e^sincqp 
und 

16)  ß-ay  +  rf  =  &2e2cV; 

die  Strömungscurven  i>  =  0  stellen  sich  also  in  der  g- Ebene  als 
Kreise  um  den  Punkt  £  =  a,  ^  ==  0  dar.  Man  kann  ohne  Be- 
schränkung der  Allgemeinheit  für  diejenige  Stromcurve,  welche 
die  freie  Grenze  bildet,  $  =  0  setzen.  Dann  muß  jedenfalls 
a  >  b  sein ,  damit  der  Punkt  £  =  0  nicht  in  das  Bereich  der 
Flüssigkeit  fällt,  welches  Werthen  ty  zwischen  0  und  —  oo  ent- 
spricht ;  ty  =  —  oo  giebt  den  Punkt  £  =  a,  rj  =  0  selbst ,  dem- 
gemäß eine  Stromcurve,  welche  die  Gestalt  einer  horizontalen  Ge- 
raden besitzt,  längs  deren  die  Flüssigkeit  mit  der  constanten  Ge- 
schwindigkeit 1/a  hinströmt. 
Für  z  erhält  man  nach  (3) 

17)  z  =  ao  +  j(5~a), 

c 

wo  die  Integrationsconstante  gleich  Null  gesetzt  ist,  da  auf  diese 
Weise ,  wie  später  hervortreten  wird ,  der  Anfangspunkt  für  y 
seine  günstigste  Lage  erhält.     Hieraus  folgt  allgemein 

17')  x  =  aq>-l,    y  =  a^  +  i=^, 

c  c 

und  die  Oberflächenbedingung  lautet  in  Rücksicht  auf  die  An- 
nahme 1>  =  0  nach  (14') 

p  +  if  mw $'*&£&• 

c 
damit  dieselbe  mit  der  aus  (16)  folgenden  Formel 

tt-ay  +  Y}2=b2 

übereinstimmt,  ist  nur  erforderlich,  daß  zwischen  den  drei  ver- 
fügbaren Constanten  a,  b,  c  und  den  Constanten  m2  und  w2  der 
Gleichung  (14')  die  beiden  Relationen 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.   1.  53 

2ac  =  n\    b2  +  a?  =  m2  18) 

bestehen;  eine  Constante,  etwa  c,  bleibt  also  verfügbar,  um  ver- 
schiedene Wellenbewegungen  darzustellen. 

a,  b,  c  können  hiernach  beliebiges  Vorzeichen  haben,  nur  muß 
jedenfalls  ac  positiv  sein. 

Die  Gleichungen  der  Stromcurven  werden  nach  (17') 

x  =  acp e^sincqp,     y  =  aty ect//  coscqp , 

c  c 

und  die  Gleichungen  der  freien  Oberfläche 

b    .  b 

x  =  acp sm  ccp,     y  = cos  c cp ; 

c  c 

y  =  0  entspricht  also  in  der  That  der  Mitte  zwischen  der  höch- 
sten und  der  tiefsten  Stelle  der  freien  Oberfläche. 

Das  sind,  falls  a,  b,  und  c  positiv  sind,  die  Gleichungen  von 
Trochoiden,  wie  solche  schon  bei  einem  andern  Problem  für  die 
freie  Oberfläche  gefunden  sind1).  Es  ist  aber  wohl  zu  beachten, 
daß  in  jenem  Falle  die  Flüssigkeitstheilchen  geschlossene  Bahnen 
beschreiben  und  die  "Wellenhäupter  mit  der  Zeit  fortschreiten, 
hier  aber  die  Wellen  stille  stehen  und  die  Flüssigkeitstheilchen  in's 
Unendliche  fortschreiten.  Demgemäß  stehen  die  Trochoiden  hier 
auch  umgekehrt  wie  dort;  hier  nämlich  rollt  der  erzeugende  Kreis 
oberhalb,  dort  unterhalb  der  horizontalen  Bahngeraden. 

Auf  den  Fall,  daß  a,  b,  c  positiv  sind,  lassen  sich  alle  ande- 
ren Fälle  zurückführen ,  indem  man  statt  cp  eine  andere  Variable, 
z.B.  it  —  cp  oder  %  -f-  (p  einführt ;  es  genügt  also ,  ihn  allein  in  Be- 
tracht zu  ziehen. 

Der  Eadius  E  des  rollenden  Kreises  und  der  Abstand  r  des 
erzeugenden  Punktes  von  seinem  Centrum  sind  gegeben  durch 

c  '  c        ' 

der  erstere  ist  also  bei  derselben  Bewegung ,  d.  h.  demselben  c 
für  alle  Stromcurven  constant,  der  letztere  nimmt  mit  abnehmen- 
dem if>  gleichfalls  ab  und  verschwindet  für  ip  =  —  oo,  d.  h.  für 
y  =  —  oo ;  man  kann  also  die  Flüssigkeit  in  der  Tiefe  y  =  —  oo 
durch  eine  horizontale  Ebene  begrenzt  denken. 

Die  Geschwindigkeitscomponenten  u  und  v  werden  nach  (2) 
resp. 


1)  Kirchhoff,   Mechanik  p.  361. 

Nachrichtan  d.  K.  G.  d.W.  iu  Göttingen.    1891.    Nr.  2. 


64  W.  Voigt, 


U    =    tt- = 


d.    h. 


wo 


F  +  tf'  F  +  V 


a  —  be     cos  cw  oe     smcw 

u  =  ~ —      v  = 


N  N 


N=  a*  +  VeU*—  2abeCtf' cos  c<p. 

Speciell  in  der  Verticalen,  wo  y  seinen  größten  oder  klein- 
sten Werth  hat,  also  ctp  —  h%  ist,  gilt 

u  =  — -,     v  =  0; 

a±bee*' 

wird  eine  solche  mit  der  Tiefe  wechselnde  horizontale  Geschwin- 
digkeit der  Flüssigkeit  in  einem  Querschnitt  gegeben,  so  muß  sie 
weiterhin  unter  der  Wirkung  der  Schwere  in  denjenigen  Wellen 
sich  fortbewegen,  deren  Gesetze  oben  entwickelt  sind. 

Damit  die  Wellenlinie,  welche  die  freie  Oberfläche  bildet, 
keine  Schleifen  oder  Spitzen  enthält,  in  denen  die  Geschwindig- 
keit unendlich  wird,  muß  b/a  =  ß  ein  ächter  Bruch,  also  nach  (18) 
ca  =  w*(H-/32)/4m'  sein. 

3.    Potential-Bewegungen  einer  schweren  Flüssigkeit  mit  freier 
Oberfläche,  behandelt  durch  successire  Annäherung. 

Die  Bedingungsgleichung  für  die  freie  Oberfläche  einer  incom- 
pressibeln  in  stationärer  Bewegung  befindlichen  Flüssigkeit 

1)  !l  +  <i  +  L  =  c 

bietet  bekanntlich  für  die  Behandlung  sehr  bedeutende  Schwierig- 
keiten. Ich  werde  zeigen ,  daß  in  den  Fällen ,  wo  diese  Fläche 
nur  wenig  von  der  Gleichgewichts  Oberfläche  abweicht,  welche 
die  Flüssigkeit  unter  der  Wirkung  desselben  Potentiales  und  des- 
selben äußeren  Druckes  besitzen  würde,  sich  eine  Lösung  des 
Beweguiigsproblemes  mitunter  vorth eilhaft  durch  die  Methode  der 
successiven  Annäherung  gewinnen  läßt. 

Der  Grundgedanke  des  einzuschlagenden  Verfahrens  ist  der 
folgende. 

Man  suche  ein  Geschwindigkeitspotential  (fx ,  welches  den  sonst 
gestellten  Bedingungen  entspricht  und  gestattet,  die  Flüssigkeit 
längs  ihrer  Gleichgewichtsoberfläche    durch  eine   starre  Wand   zu 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.   I.  55 

begrenzen.  Diese  Function  giebt  dann  auch  eine  erste  Annähe- 
rung für  das  eigentliche  Problem,  denn  bei  hinreichend  kleiner 
Geschwindigkeit  in  der  Oberfläche  ist  dann  die  Grenzbedingung 
(1)  erfüllt.  Das  Einsetzen  des  aus  (p1  folgenden  Werthes  der  Ge- 
schwindigkeit Vx  in  jene  Formel  liefert  für  die  Gleichung  der 
freien  Oberfläche  eine  zweite  Annäherung,  nämlich 

*[(ÄMty+(*)i+*+!=«-    • 

Die  hierdurch  gegebene  Oberfläche  wird  nun  bei  der 
Bestimmung  der  zweiten  Annäherung  (px  -f  cp2  für  das  Geschwin- 
digkeitspotential als  eine  feste  Grenze  der  Flüssigkeit  be- 
trachtet; es  wird  nämlich  eine  Function  cp2  aufgesucht,  welche  zu 
tpx  hinzugefügt  ein  System  von  Stromcurven  ergiebt,  von  denen 
eine  Schaar  die  durch  (2)  gegebene  freie  Oberfläche  erfüllt.  Die 
Benutzung  dieses  corrigirten  Werthes  q>  =  (px  -f  </>2  in  der  Grenz- 
bedingung (1)  giebt  weiter  die  Gleichung  der  freien  Oberfläche  in 
der  dritten  Annäherung : 

t[(aö^)V(^±i))-+(£<2^>)-]  +  4  +  f  =  &  2, 

Ebenso  kann  man  weiter  verfahren. 

Auf  diese  Weise  ist  es  in  sehr  vielen  Fällen  ohne  Schwierig- 
keit möglich,  die  Gleichung  der  freien  Oberfläche  in  zweiter 
Annäherung  zu  finden ;  aber  auch  der  Werth  des  Geschwindigkeits- 
potentiales  in  zweiter  und  das  Gesetz  der  freien  Oberfläche  in 
dritter  Annäherung  ist  in  einigen  Fällen  zu  gewinnen  möglich. 

Ich  betrachte  im  Folgenden  als  wirkende  Kraft  ausschließlich 
die  Schwere,  welche  parallel  der  +Z-Axe  wirken  mag,  und  gebe 
zunächst  die  Lösung  einiger  ebener  Probleme. 

Bei  ebenen  Bewegungen  gehört  zu  jedem  Geschwindigkeitspo- 
tential (fi  eine  Strömungsfunction  6,  welche  die  Eigenschaft  hat,  daß 
6  =  Const  das  System  aller  Stromcurven  angiebt.  Zwischen  bei- 
den Functionen  besteht,  falls  die  Bewegung  in  der  XZ-Ebene  statt- 
findet,   der  Zusammenhang 

dx  dz1     dz  dx'  ' 

Es  sei  eine  schwere  Flüssigkeit  von  unendlicher  Tiefe  gege- 
ben, im  Ruhezustand  durch  die  Ebene  z  =  0  begrenzt;  in  der- 
selben werde  in  der  Tiefe  z  =  a  unter  der  Oberfläche  eine  Quelle 
[gebracht. 

5* 


56 

W.  Voigt, 

Setzt  man  dann 

e2  =  (£-a)2  +  #2, 

so  ist 

4) 

e2_  =  (*  +  a)2+#2, 
^  =  ml(e-e_) 

bekanntlich  die  erste  Annäherung  für  op.  Aus  ihr  folgen  die  Werthe 
der  Geschwindigkeiten 

/l        1  \  (  z— a       z  +  a\ 

sowie  der  Werth  der  Strömungsfunction 

<*    =  w  (  arctsr h  arctg  — ■ —  ) 

1  V       ö  z— a  °  #  +  a/ 

oder  kurz 

5)  6X  =  w  (#  +  #_), 

falls  mit  #  und  #_  die  Winkel  von  e  und  e_  gegen  die  Z-Axe  be- 
zeichnet werden. 

Die  freie  Oberfläche  ist  in  erster  Näherung  die  XF-Ebene,  in 
dieser  ist 

2mx      —         _     T 

«*i  =  -gi-»  Wi  =  °>   Fi  =  «!, 

falls  .E2  =  a2  +  x2  ist;  die  freie  Oberfläche  wird  also  in  zweiter 
Annäherung  gegeben  sein  durch 

a.  2m2x2 

6)  -gr-  =  9*- 

Sie  fällt  also   an  den  Stellen   x  =  0    und   x  =  ±oo   in  das  ur- 
sprüngliche Niveau  und  ist  im  übrigen   etwas   darunter  gesenkt, 
am  stärksten,  nämlich  um  m2j2  a2  g,  an  den  Stellen  x  —  ±  a. 
Bildet  man  aus  (6) 

a  ~~  gaE2    \eJ 

und  beachtet,  daß  xjE  stets  ein  ächter  Bruch  ist,  so  erkennt  man, 
daß  2m2/gaE2  von  der  Ordnung  des  Verhältnisses  der  Abweichung 
der  Oberfläche  von  der  Ebene  zu  der  Tiefe  der  Quelle  unter  der 
Oberfläche  ist. 

Um  zu  dem  Werthe  des  Greschwindigkeitspotentiales  op  =  cpx+<p2 
in  zweiter  Annäherung  überzugehen,  beachte  man,  daß  für  cp2  nur 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.   I.  57 

die  logarithmischen  Potentiale  von  Massen  außerhalb  der  Flüssig- 
keit gewählt  werden  können,  um  nicht  in  Widerspruch  mit  der 
Annahme  nur  einer  Quelle  innerhalb  der  Flüssigkeit  zu  kommen; 
nach  Symmetrie  wird  man  diese  supponirten  Massen  allein  auf  der 
negativen  Z-Axe  anbringen  können.  Ihre  nähere  Bestimmung  hat 
so  zu  erfolgen,  daß  die  ergänzte  Strömungsfunction 

6   =   6t  +  Ö2 

für  den  Werth  0  =  mit  die  Gleichung  (6)  der  freien  Oberfläche 
ergiebt.  Man  geht  demgemäß  am  besten  direct  auf  die  Bestim- 
mung von  <?2  aus. 

Hierzu  bemerken  wir  erstens,   daß  der  Werth  von  6X  bis  auf 
Glieder  zweiter  Ordnung  des  Verhältnisses  z/a  exclusive  lautet 

,  2zx 


und  zweitens,  daß  Glieder  von  der  Form  (tf2)  =  --f1 ,  wo  wieder 

o  z 
x 
%>_  =  arctg ist ,   die  Strömungsfunctionen  geben  zu  den  Ge- 
schwindigkeitspotentialen 

(9.)  ■*■  j?u-> 

welche  gewissen  vielfachen  Quellpaaren  auf  der  —Z-Axe  entsprechen. 
Nun  ist  aber 


d2&_  2x (z  +  a)       d9&_      _  2ajf  4a?|_  _3 

also  wird 


"  2x\  et  "  ei) 


ö3#_       3  d2#_ 


)  -  "*(£+£) 


V  dz3        a    dz2 

ein  Ansatz  sein,  welcher  der  Bedingung  für  62  genügt.  Wählt 
man  speciell 

A  =  -m3ßg 

so  ist  das  erste  Glied  des  letzteren  Ausdruckes  —3m3xz/gaei 
nach  dem  oben  Gesagten  nahe  der  freien  Oberfläche  von  der  Ord- 
nung von  mz2la2,  also  bei  der  benutzten  Annäherung  zu  vernach- 
lässigen. In  der  Nähe  der  freien  Oberfläche  reducirt  sich  daher 
6  auf 

r     ,   2x  (       2x2m2\l  0. 

6  =  „l  +  *a  =  m^  +  _^ — je*-)]  ö) 


58  W.  Voigt, 

und  dies  giebt  für  6  =  mit 

2x'm2 

%  =  ~gir> 

wie  verlangt. 

Hiernach  ist  das  G-eschwindigkeitspotential  in  zweiter  Annä- 
herung 

r7/       ,     mWdHe_      3  d2le_\-] 
9)  9  =  <P>  +  <P>  =  w|^.^-— ^-_  +  --— )J, 

ihm  entspricht  der  Werth  der  Strömungsfunction 

r        c        m2  /ö3#_       3  e'ÖLVI 

Die  Differentialquotienten  nach  #  sind  hierin  beliebig  mit  denen 
nach  a  zu  vertauschen. 

Um  endlich  die  Grleichung  der  freien  Oberfläche  in  dritter 
Annäherung  zu  bestimmen ,  hat  man  für  die  Gleichung  (2 ')  nur 
u  =  ut  +  u%  zu  berechnen ,  da  w  =  w1  +  w2  von  erster  Ordnung, 
w2  also  in  V2  neben  u2  zu  vernachlässigen  ist.  Die  Berechnung 
ergiebt 

2mx  [  3m3     /       8a*Y| 

und  hieraus  folgt  die  gesuchte  Grleichung  der  Oberfläche 
2m*  x*  r\        3m3    /,      8a4 \1 

Ist  mehr  als  eine  Quelle  in  der  Flüssigkeit  vorhanden,  so  erhält 
man  die  entsprechenden  <pt  und  (p2  durch  einfache  Superposition 
der  für  die  einzelnen  geltenden  Werthe. 

Diese  Ueberlegung  gestattet,  aus  den  vorstehenden  einfachen 
Formeln  die  Lösungen  einer  ganzen  Zahl  complicirterer  Probleme 
abzuleiten. 

Ein  ±  Quellpaar,  dessen  Verbindungslinie  der  X-Axe  parallel 
ist,  an  einem  beliebigen  Punkte  der  +  Z-Axe  angebracht,  dazu 
sein  Spiegelbild  in  Bezug  auf  die  X-Axe,  ferner  eine  Quelle  in 
x  =  —oo,  eine  Senke  in  x  =  +oo  geben  zusammen  eine  Be- 
wegung, die  sich  außer  durch  die  X-Axe  durch  eine  geschlossene 
Curve,  die  in  gewisser  Annäherung  kreisförmig  ist,  begrenzen  läßt. 
Man  kann  also  setzen 

11)  9>1=  maj£-l(ee_)+Ux, 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.   I,  59 

wo  wieder  e]  =  (z—ay  +  x2,  el_  =  (z  +  a)2-\-x2  ist,  um  die  erste  Nähe- 
rung für  das  Geschwindigkeitspotential  zu  haben,  wenn  ein  unend- 
lich tiefer  Strom  mit  der  Geschwindigkeit  U  über  einen  festen 
Cylinder  wegströmt.  Der  Querschnitt  des  letzteren  ist  ein  Kreis 
vom  Radius  B  um  den  Punkt  x  =  0,  z  =  a,  falls  R3  neben  (2a)3 
vernachlässigt  werden  kann  und 


m 


tt(w-jäd  =  u 


gesetzt  wird.      Die   Gleichung   der   freien   Oberfläche   ist   hier   in 
zweiter  Annäherung,  falls  wieder  E2  =  a2-\-xi1 

[2W*g-*2)+i7f=2^+tP,  11') 

wo    die  Constante   U2  rechts    zugefügt  ist,   damit  das  Niveau    im 
Unendlichen  in  die  XY-  Ebene  fällt. 

Wird  statt  eines  Quellpaares  bei  z  =  a  eine  unendliche  Eeihe 
einander  gleicher  in  gleichen  Abständen  b  längs  der  Geraden 
z  =  a  und  z  =  —  a  angebracht,  so  ergiebt  sich 

d    +0° 
9>i  =  mccjzl  U(ehe_h)  +  üx,  12) 

*"       —  00 

worin 

el  =  (z-ay+(x-hb)2,    e2_h  =  (z  +  a)2  +  (x-hb)* 

gesetzt  ist.     Das    unendliche   Product  läßt    sich   nach   bekannter 
Methode  umformen  und  liefert  schließlich 

Mt   rö    /      2%i(z-a)  2nx\  ,    6  7/      2%i(z-\-a)  2itx\\     „ 

=  w^-^cos^^-cos^)  +  -Z(cos-A— i-oos-g-JJ  +  DSr, 


2itma   .   2%x  r 

Sm-ir\ o^:/-      ^  -Ö-T:  + ET-77-TTx S~    \+ÜX 


b             b   I        2iti(z-a)          2%x~x       2iti(z+a)  27tx\~r'J*   12') 

»cos—  —  —  cos—  cos ^ -  —  COS-7— J 


b  b 


.    2iti(z— a)  .   27Ci(z+a) 

sin ^ '-  sin \ 

2nmai\                        b  b 

-  + 


ai  I 

Li 


2%%{z— a)           2%x              2%i(z+d)  2%x 

cos \ -  —  cos — T —       cos , -— cos 


+  ÜZ. 


f~ 7  WO  7  WS 5 OVO  , 

b  b  b                     b 

Hieraus  folgt   die  Gleichung  der  freien  Oberfläche  in  zweiter  An- 
näherung 

2tcx        2jiia     ., 

[0     2                COS — =- — COS 7 1  T2  r                 ^     o                 -13 

I  COS ; cos— = — I  J  L          6»  POS* — ^ — I 


voa— b — cos-t-; 


60  w-  Voigt» 

Die  Bewegung  ist  nach  unten  zu  begrenzen  durch  eine  wellen- 
förmige Stromcurve,  welche  zwischen  8  =  0  und  8  =  a  liegt ,  und 
man  kann  das  Resultat  betrachten  als  die  Darstellung  von  stehen- 
den Wellen,  die  in  einer  strömenden  schweren  Flüssigkeit  entste- 
hen in  Folge  von  periodischen  Unebenheiten  des  Grundes.  Die 
Bewegung  ist  aber  durchaus  verschieden  von  der  im  vorigen  Ab- 
schnitte bei  Nichtberücksichtigung  der  Schwere  erhaltenen ;  z.  B. 
liegen  hier  die  Wellenberge  an  der  freien  Oberfläche  über  den 
Wellenthälern  des  Grundes  und  umgekehrt,  während  dort  Berg 
über  Berg,  Thal  über  Thal  liegt. 

Die  weitere  Annäherung  ist  nach  den  Formeln  (9)  bis  (10) 
sogleich  hinzuschreiben,  aber  sehr  complicirt. 

Ist  die  Flüssigkeit  in  der  Tiefe  8  =  a  durch  eine  horizontale 
starre  Ebene  begrenzt,  in  welcher  sich  eine  Quelle  befindet,  indem 
z.  B.  die  Flüssigkeit  durch  einen  Spalt  von  außen  zuströmt,  so  er- 
hält man  <pt  durch  ein  System  einfacher  gleicher  Quellen,  die  sich 
in  gleichen  Abständen  2  a  auf  der  Z-Axe  befinden,  so  daß  wird 

+  00 

13)  g>,  =  mlj\eh 

—  oo 

worin  e\  =  (8  +  {2h  +  l)a)2 +  x2  ist.    Dies  formt  sich  um  in 

Jn,  ,/  TC8  %TCX\ 

13  )  (pt  —  ml[  cos h  cos ) , 

V  Cd  Q>    / 

woraus,  da 


ITC      .       %TCX 

—  m  —  sin 

a  a 

TC8  %TCX 

cos h  cos 


ist, 


a  a 

für  die  Gleichung  der  freien  Oberfläche  in  zweiter  Näherung  folgt 

13-)  (— X.*—  ;  =  c— x^^;-2"- 

Jetzt  ist  das  Niveau  im  Unendlichen  nicht  mehr  gleich  dem  in 
der  Z-Axe,  sondern  um  m2TC2ßga2  tiefer,  da  dort  die  Geschwindig- 
keit nicht  verschwindet. 

Die  weiteren  Annäherungen  sind   ebenfalls  nach  der  oben  er- 
örterten Methode  zu  bilden.  — 

Die  Methode  der  suceessiven  Annäherung  ist  ebenso  bequem, 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.   I.  61 

wie  auf  ebene  Flüssigkeitsbewegungen ,  auch  auf  solche ,  welche 
den  Character  eines  Rotationskörpers  besitzen,  anwendbar. 

Zwischen  dem  Geschwindigkeitspotential  cp  und  der  Strömungs- 
function  <5  bestehen  hier,  falls  man  die  Z-A.XQ  zur  Rotationsaxe 
wählt  und  den  Abstand  eines  Punktes  von  ihr  mit  e  bezeichnet, 
die  Beziehungen 

06  d(p       äö  dtp  u 

d*  de  '    de  da 

Sei  nun  zunächst  wieder  die  schwere  Flüssigkeit  unendlich  tief 
und  in  ihr  im  Punkte  z  =  a  eine  Quelle  vorhanden,  so  ist  die 
erste  Näherung  für  (p 

9l--m(I  +  JL)  15) 

falls  r2  =  (z~a)*  +  e\    r*  =  (z  +  a)2  +  e2   ist.    Hierausfolgt 

(  z—a      z  +  a\ 

**  =  my-r-+——)>  15) 

und  die  Geschwindigkeiten  5  und  w  normal  und  parallel  zur  Z-Axe 
ergeben  sich 


me 


\v+-rt)>  *  ^  wv-?-+-7i r)'       16) 


Daraus  folgt  die  Gleichung  der  freien  Oberfläche  in  zweiter  Nähe- 
rung, falls  a2  +  e2  =  E2  gesetzt  wird, 

2m2  e2 

—fir-  —  9*  5  17) 

aus  ihr  ergiebt  sich,  daß  für  Punkte  der  freien  Oberfläche  z/a  von 
der  Ordnung  von  2m2/gaE4'  ist. 

Um  zur  zweiten  Annäherung  für  g>  und  6  fortzuschreiten,  be- 
achte man,  daß  bis  auf  Größen  der  Ordnung  von  (z/a)2  exclusive 

18) 


2me2z 
6*  -      E* 

ist, 

sowie 

daß  Glieder 

von  der  Form 

62  w-  Voigt, 

die  Strömungsfunctionen  ergeben,   welche  (xeschwindigkeitspoten- 
tialen 

(9»)  = ^t 

entsprechen. 

Nun  ist 
V   r_   )  3e>(z  +  a)      Ö  {   r_    )  »./±     B(*  +  <0'\ 


also  wird 


iK^)  «*(***)  ifgÜ)) 

\      a*4      +  a       a^3         aa      a*2      ' 

LaV  arL  r9         J 


ein  Ansatz  sein,  der  den  Bedingungen  für  <ya  entspricht.  Wählt 
man  noch 

.  4m3 

so  sind  die  in  z  multiplicirten  Glieder  des  obigen  Ausdrucks  *  in 
der  Nähe  der  freien  Oberfläche  zweiter  Ordnung  und  demgemäß 
zu  vernachlässigen.  Das  noch  Uebrige  aber  ergiebt  in  der  Nähe 
der  freien  Oberfläche 

19)  tf  =  **  +  <<  ==  -%>-{*  ~-jjW)> 

sodaß  für  6  =  0  folgt 

2roV 


£" 


=  #* 


wie  verlangt  ist. 

Die  gefundenen  zweiten  Näherungswerthe  sind  also 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.    I.  63 

9  =  Vi  +  9>2  =  20) 


Tl  1  A     •      Idi~        A     d'~         A     Öäl\l 

WL7+T~       105 aa  ^  d*4        a    d*3        a2    ös2  '  J  ' 


105  ag 

0  =  0x  +  62   = 

r  ,  /*(*£•)    ^(^)      .ö2(^)V 

#— a     #4- a       4m2   (      V  r_  J      4      \  r_  J        4_      \    r    /  I 

worin  die  Differentialquotienten  nach  e  auch  mit  solchen  nach  a 
zu  vertauschen  sind. 

Aus  ihnen  folgt  schließlich  die  Gleichung  der  freien  Ober- 
fläche in  dritter  Näherung  wie  oben. 

Man  hat  nämlich 


**5«HÖ] 


2me  [        2mV 
E*    L    +    <?.Efi 

während  to  von  erster  Ordnung  in  Bezug  auf  eja  bleibt.  Demge- 
mäß wird  die  Gleichung  der  freien  Oberfläche  in  dritter  Annähe- 
rung 

Sind  mehrere  Quellen  vorhanden,  so  ist  die  einfache  Super- 
position  der  Lösungen  nur  dann  auch  in  zweiter  Annäherung  ge- 
stattet, wenn  dabei  die  Bewegung  der  Flüssigkeit  den  Charakter 
eines  Rotationskörpers  behält,  also  die  Quellen  sämmtlich  auf  der 
Z-Axe  liegen. 

Besitzt  die  Flüssigkeit  die  endliche  Tiefe  a,  und  befindet  sich 
im  Boden  eine  kreisförmige  Oeffnung  um  die  Z-Axe  vom  Radius 
R,  durch  welche  Flüssigkeit  etwa  aus  einem  Rohre  zuströmt  nach 
dem  Gesetz 

W  -  -  2^W^'  22) 

worin  S  das  ganze  in  der  Zeiteinheit  eintretende  Volumen  be- 
zeichnet ,    dann  bestimmt  sich  leicht *) 


—  O      /*      #>Cz4-p— C*  dt 


23) 


1)  Vergl.  H.  Weber,  Crelle's  Jour.  75,  76  1872. 


64  w-  Voigt, 

wo  Jh  wie  gewöhnlich  die  Bessel'sche  Function  ht6r  Ordnung  be- 
zeichnet. Denn  diese  Function  ist  eine  Lösung  der  Hauptglei- 
chung J(fx  =  0  und  ergiebt  für  0  =  +a 

und  dies  Integral  ist  gleich  Null,  falls  e  >  R  ist,  und  ist  gleich 

+  SI27tR\JW^?, 

falls  e  <  R,  erfüllt  also  für  0  =  +  a  die  obige  Bedingung  (22). 
Aus  ihm  folgt,    da 

dJ°x 
dx 
ist, 


=  —  Jlx 


U,     SBS    — i    =     + 


de  '   2;ri2.,( 


und  hieraus  durch  Einsetzen  in  die  Gleichung  (2)  für  0  =  0 
Ist  E  verschwindend  klein,  so  giebt  dies 

25)  a«*Lj[  ec«_e-taj  -«* 

In  diesem  letzteren  Fall  kann  man  bekanntlich  das  Integral  auch 
durch  eine  unendliche  Eeihe  ausdrücken,  denn  für  g>,  gilt  hier  der 
Ansatz 


9>,  =  — •»£ 


bei  welchem  die   supponirten  Massen   m   sich    durch  das    einströ- 
mende Quantum  S  ausdrücken,  sodaß  m  =  S/2jt  ist.  — 

Wir  haben  oben  ausschließlich  stationäre  Bewegungen  betrach- 
tet;  die  Methode  ist  aber,  wenngleich  weniger  einfach,  auch  auf 
nichtstationäre  anwendbar,  wenn  nur  d<p/dt  eine  bestimmte  Klein- 
heit besitzt.  Probleme,  welche  in  der  erörterten  Weise  sich  be- 
handeln lassen,  bietet  die  Pulsation  oder  die  verticale  Fortschrei- 
tung einer  Kugel  in  einem  unendlichen  Teiche. 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.    II.  65 

IL  Eeihe. 

Vorgelegt  am  7.  März  1891. 

4.    Stationäre  conibinirte  Bewegungen,   welche  nur  von  zwei 
Coordinaten  abhängen,   innerhalb  einer  incompressibeln  Flüs- 
sigkeit unter  der  Wirkung  äusserer  Kräfte,   welche  ein 
Potential  haben. 

Faßt  man  in  die  Bezeichnung  Sl  zusammen  das  Aggregat 

a  =  ez>  +  ^-  +  i  V\  1) 

s 

worin  <&  das  äußere  Potential  und  V  die  Lineargeschwindigkeit 
der  Flüssigkeit  ist,  so  lassen  sich  die  Eul er' sehen  Grleichungen 
für  eine  stationäre  Bewegung  schreiben  *) 

2(vt-wrj)  =  +— , 

2(1*6-1,0  =  +  ^J>  2) 


dz 


Aus  ihnen  folgt 


dx  dy  dz 

fcdÄ  dSl  d&l         ft  on 

^=2Frsin(F,r); 

in  der  letzten  Gleichung  bezeichnet  r  die  resultirende  Rotations- 
geschwindigkeit, (V,t)  den  Winkel  der  Wirbelaxe  gegen  die  Rich- 
tung von  V.  und  dü/dn  den  Differentialquotienten  von  £  nach  der 
Richtung  der  Normalen  auf  der  durch  die  Stelle  ff,  y,  a  gehenden 
Fläche  St  =  Const. 

Diese  Fläche  tt  =  Const.  hat  hiernach  die  Eigenschaft,  daß 
in  ihr  sowohl  die  Wirbel-  als  die  Stromlinien  liegen,  welche  durch 
den  Punkt  >,  y,  z  hindurchgehen,   und  daß  zwischen  zwei  Nach- 


1)  Lamb-Reiff,   Hydrodynamik.    Freiburg  1884  p.  482. 


66  W.Voigt, 

berfläcben  £1  =  C  und  Sl  =  C  +  d  C  die  Normale  dn  eine  solche 
Länge  besitzt,    daß 

Vt  dn  sin  (F,  t) 
constant  ist. 

Zwei  specielle  Fälle  von  Bewegungen,  welche  mit  diesen  Be- 
dingungen verträglich  sind,  hat  S  t  o  k  e  s  *)  angegeben.  Ich  werde 
im  Folgenden  sämmtliche  stationäre  Flüssigkeitsbewegungen  ablei- 
ten, welche  aus  Wirbel-  und  Potentialbewegungen  combinirt  und 
nur  von  zwei  Coordinaten  abhängig  sind. 

a)  Ebene  combinirte  Bewegungen  lassen  sich  durch  eine 
einzige  Function  a  darstellen,  so  daß 

da  da       d2a   ,  d2a  .  _ 

J  dy  dx      dx        dy 

ist ,  falls  t  die  resultirende  Wirbelgeschwindigkeit  bezeichnet. 
Die  Bewegung  ist  nämlich  dann  eine  combinirte ,  wenn  a  einen 
additiven  Theil  ax  enthält,  welcher  der  Gleichung  dax  =  0  ge- 
nügt; dieser  giebt  für  sich  eine  Potentialbewegung,  a  =  Const. 
giebt  allgemein  das  System  der  Stromcurven. 

Die  Gleichungen  (1)  nehmen  hier  die  Form  an 

n    da  dSl      n    da  dSl 

5)  2r-r—  SP - — ,    2t-^ —  =   — 3 — , 

;  dx  dx  '         dy  dy 

woraus  folgt,  daß  t  und  &  Functionen  von  a  allein,  also  längs 
jeder  Stromcurve  constant  sein  müssen;  ein  Resultat,  das,  soweit 
es  t  betrifft ,  auch  aus  den  bekannten  von  Helmholt z' sehen 
Sätzen  über  Wirbelbewegungen  folgt. 

Enthält  a  nur  t,  so  ist,  falls  man  kurz 

da  ,    d2a  „ 

— -  =  a >',  -rry  =  a 
dt  '    dt2 


öclAl! 

.dt                        ,  dt 

6) 

dy  '                        dx' 

2  =  ar2Et, 

ist,  und  die  Hauptgleichung  (4)  für  a  lautet: 

7)  Ja  +  2t  =  a"Et  +  a'Jt  +  2r  =  0. 

Soll  sich  aus  derselben  co  als  Function  von  t  allein  bestimmen,  so 
muß  auch  Et  und  At  nur  von  r  allein  abhängen.     a2Et  ist  aber 

1)  Stokes,  Math,  and  Phys.    Papers,  Cambridge  1880,  I  p.  1. 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.    II.  67 

gleich  V*  und  &'  nach  Annahme  nur  von  r  abhängig.  Sonach  sagt 
unser  Resultat  aus,  daß  eine  ebene  combinirte  stationäre 
Bewegung  unter  der  Wirkung  von  Kräften,  welche 
ein  Potential  haben,  nur  in  der  Weise  stattfinden 
kann,  daß  längs  jeder  Stromcurve  sowohl  Wirbel- 
ais Lineargeschwindigkeit  constant  ist.  Benach- 
barte Stromcurven  haben  demzufolge  in  ihrem  gan- 
zen Verlauf  auch  gleichen  Abstand  von  einander. 

Um  die  allgemeinste  Bewegung,  für  welche  co  und  demgemäß 
Et  und  z/r  nur  von  r  abhängen,  wirklich  zu  bestimmen,  ist  aber 
die  Form  (7)  der  Hauptgleichung  für  o  nicht  bequem,  sondern  es 
empfiehlt  sich  dazu,  die  Ausgangsformel 

z/a  +  2r  =  0 

von  den  Coordinaten  #,  y  auf  ein  anderes  orthogonales  System  r 
und  6  zu  transformiren. 

Definirt  man  zwei  Größen  P  und  Q  dadurch,  daß  die  Linien- 
elemente dt  und  ds ,  welche  normal  zu  den  Curven  r  =  Const. 
und  6  =  Const.  bis  zu  den  betr.  Nachbarcurven  errichtet  werden 
können,  die  Längen  haben 

dt  =  Pdt,    ds  =  Qd6,  8) 

so  führt  obige  Gleichung  bei  der  Transformation  bekanntlich  auf 

Soll  nun  co  nur  von  r  abhängen,  so  gilt  Gleiches  von  P  und  Q, 
und  hieraus  folgt,  daß  nicht  nur  die  Linienelemente  dt,  welche 
auf  den  tf-Curven  durch  zwei  Nachbarcurven  r  abgegrenzt  werden, 
längs  derselben  r-Curven  constant  sind,  sondern  daß  auch  die  6- 
Curven,  welche  gleichen  Zuwachsen  dd  des  Parameters  entsprechen, 
auf  einer  und  derselben  r-Curve  lauter  gleiche  Abschnitte  bezeich- 
nen. Letzteres  läßt  sich  auch  so  aussprechen,  daß  ein  System  <J- 
Curven,  welches  eine  bestimmte  r-Curve  in  gleich  lange  Elemente 
ds  zerlegt,  auch  auf  allen  andern  r-Curven  gleiche  Stücke  dsk  ab- 
grenzen muß. 

Dies  genügt  zur  vollständigen  Bestimmung  der  Natur  beider 
Curvensysteme. 

Denn  ist  q  der  Krümmungsradius  an  einer  beliebigen  Stelle 
einer  bestimmten  r-Curve,  ds  ein  auf  ihr  abgegrenztes  Linienele- 
ment, und  sind  dt  und  dtx  die  Normalenelemente  in  seinen  End- 
punkten bis  zur  Nachbarcurve ,  so  grenzen  dieselben  auf  der 
Nachbar curve  ein  Element  dsx  ab,  für  welches  nun 


68  W.  Voigt, 

10)  dsjds  =  (q  ±  ät)lQ 

ist.  Nach  den  obigen  Resultaten  soll  nnn  sowohl  dt  als  dsjds 
längs  derselben  r-Curven  den  gleichen  Werth  haben,  dies  ergiebt 
aber,  daß  daselbst  q  constant  sein  mnß.     Hieraus  folgt  das  Resultat : 

Die  allgemeinsten  mit  den  gestellten  Bedingun- 
gen verträglichen  ebenen  Bewegungen  sindStrömun- 
gen  in  concentrischen  Kreisen  oder  parallelen  Gera- 
den, wobei  das  Gesetz,  nach  welchem  die  Geschwin- 
digkeit von  einer  Stromcurve  zur  andern  variirt, 
willkürlich  bleibt. 

Die  tf-Curven  sind  hiernach  von  einem  Punkt  ausgehende  oder 
parallele  Gerade.  — 

Noch  ist  in  Betracht  zu  ziehen,  daß  nach  (5)  wie  co,  so  auch 
Sl  nur  von  z  oder,  was  jetzt  dasselbe  ist,  von  co  abhängen  soll; 
da  nun  für  V  Gleiches  gilt,  so  muß  nach  (1)  auch  (#  -f  p/s)  nur  co 
enthalten.  Besitzt  die  Flüssigkeit  eine  freie  Grenze,  so  wird 
diese  von  einer  Stromcurve  gebildet  und  ist  in  ihr  p  constant. 
Man  erkennt  sonach,  daß  auch  <&  in  der  freien  Grenze  constant 
sein  muß. 

Eine  Art  Ausnahmestellung  innerhalb  der  obigen  allgemeinen 
Betrachtung  nimmt  der  von  S  t  o  k  e  s  angegebene  specielle  Fall  ein, 
in  welchem  t  in  der  ganzen  Flüssigkeit  constant  ist;  dann  ist 
auch  nicht  nothwendig  die  Geschwindigkeit  längs  jeder  Stromcurve 
constant.     Ein  Ansatz  für  co  ist  hier 

11)  co  =  co1  +  ax*  +  2bxy  +  cy*, 
wo  4cot  =  0  ist;  hier  ist  dann 

Jco  =  2(a  +  c)  =  -2r. 

b)  Combinirte  Bewegungen,  welche  in  Ebenen  durch  eine  Axe 
und  zwar  rings  um  dieselbe  in  gleicher  Weise  stattfinden,  lassen 
sich  gleichfalls  durch  eine  einzige  Function  co  darstellen. 

Ist  die  Z-Axe  die  ausgezeichnete  Richtung,  und  bezeichnet 
man  mit  e  den  normalen  Abstand  eines  Punktes  von  ihr,  mit  s 
die  Geschwindigkeit  parallel  zu  e,  so  kann  man  setzen 

1 0N  ,    1  dco  1  d  co      ö8o    ,        d    f  1  dco  \  ,  0  n 

falls  wieder  r  die  resultirende  Wirbelgeschwindigkeit  bezeichnet. 

Die  Bewegung  ist  eine  reine  Potentialbewegung,  wenn  r  =  0 
ist,  sie  ist  eine  combinirte,  wenn  co  ein  additives  Glied  enthält, 
welches  für  sich  allein  die  letzte  Gleichung  (12)  bei  verschwin- 
dendem t  erfüllt. 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.    II.  69 

(0  =  Const.  giebt  wiederum  die  Schaar  der  Stromcurven. 
Die  Euler  sehen  Gleichungen  (2)  nehmen  hier  die  Form  an 
2t  deo  ^dSl      2t  deo  d& 

woraus  folgt,  daß  t/e  =  #  und  ü  die  Coordinaten  e  und  z  nur  in 
der  Verbindung  co  enthalten,  also  längs  der  Stromcurven  co  =  Const. 
auch  constant  sein  müssen.  Soweit  dies  Resultat  die  Wirbelge- 
schwindigkeit t  betrifft,  folgt  es  ebenfalls  aus  den  bekannten 
Helmholt z'  sehen  Sätzen  über  diese  Große. 

Enthält  #  nur   co,    so  enthält  auch  co  nur   #    und  man  erhält, 
wenn  man  wieder  abkürzt  dco\dt  =  co',  tfcojdt2  =  co" : 


co'  d&  co'  d& 


f'2 


s  =  +  —  -t-,    w  = r-,  also  V2  =  -*-  £#,  14) 

e    dz  e    de  e  ' 

während  die  Hauptgleichung  für  co  lautet 

Soll  dieselbe  o  als  Function  von  #  allein  bestimmen,  so  muß  so- 
wohl der  Factor  von  co",  als  der  von  co  nur  von  #  abhängen,  also 
längs  einer  Stromcurve  constant  sein.  Ersterer  unterscheidet 
sich  daselbst  nur  durch  eine  Constante  von  F8,  folglich  muß 
bei  der  betrachteten  Bewegung  wiederum  die  Ge- 
schwindigkeit längs  jeder  Stromcurve  einen  constan- 
ten  "Werth  besitzen. 

Die  möglichen  Bewegungen  genauer  zu  erkennen,  wenden  wir 
das  oben  benutzte  Verfahren  an  und  transformiren  die  Hauptglei- 
chung für  co  auf  ein  orthogonales  Coordinatensystem  #•,  <?.  Diese 
Transformation  läßt  sich  auch  für  diese  Gleichung,  welche  nicht 
etwa  mit  der  Formel  deo  +  2#  =  0  übereinstimmt ,  nach  der  be- 
kannten J  a  c  o  b  i'  sehen  Methode  für  jene  Gleichung  ausführen  und 
liefert,  falls  analog  mit  (8)  jetzt 

dt  =  Pd&,    ds  =  Qdö  16) 

gesetzt  wird: 

vk[i(*S)*£($S)]+— *     "» 

Soll  co  nur  von  #  abhängeu,  so  muß  Gleiches  von  ePQ  und  eP/Q, 
d.  h.  also  von  eP  und  Q  selbst  gelten. 

Hieraus  folgt,    daß  die  Normalenelemente   dt   zwischen   zwei 

Nachrichten  Ton  der  K.  G.  d.  W.  m  Göttingen.    1801.   No.  2.  6 


70  W.  Voigt, 

benachbarten  r-Curven  mit  e  indirect  proportional  sein  müssen  — 
in  lieber  ein  Stimmung  mit  dem  Inhalt  der  letzten  Formel  (3)  — , 
und  außerdem,  daß  ein  System  tf-Curven,  deren  Parameter  sieb  um 
den  constanten  Betrag  dö  unterscheiden,  auf  einer  und  derselben 
T-Curve  gleiche  Längen  abgrenzen;  oder  anders  ausgedrückt,  daß 
ein  System  tf-Curven,  welches  auf  einer  r-Curve  gleiche  Längen 
ds  abschneidet,  auf  jeder  anderen  r-Curve  auch  gleiche  Längen  dsh 
abgrenzt. 

Hierdurch  bestimmt  sich  wiederum  das  System  der  t-  und 
<?-Curven  ;  denn  die  an  Formel  (10)  angeknüpften  Folgerungen  führen 
hier  zu  dem  Resultat,  daß  längs  derselben  T-Curve  der  Krümmungs- 
radius q  mit  e  indirect  proportional  sein  muß.  Diese  Bedingung  ist 
dieselbe ,  welche  die  capillare  Oberfläche  einfacher  Krümmung  für 
eine  schwere  Flüssigkeit  bestimmt,  wenn  man  gegen  e  die  Erhe- 
bung oder  Senkung  eines  Oberflächenpunktes  gegen  das  unendliche 
Niveau  versteht;  die  bei  jenem  Problem  möglichen  Begrenzungs- 
curven  werden  also  in  unserm  Problem  Stromcurven  darstellen 
können,  falls  es  möglich  ist,  mit  ihnen  irgend  ein  von 
^  =  -oo  bis  #=4-oo  reichendes  oder  ein  imEnd- 
lichen  liegendes  ringförmiges  Bereich  zwischen 
zwei  derartigen  Curven  den  gestellten  Bedingun- 
gen gemäß  zu  erfüllen;  denn  es  soll  nicht  nur  eine  einzelne, 
sondern  jede  Stromcurve  die  gefundene  Eigenschaft  besitzen.  Die 
einfache  Betrachtung  der  bekannten  capillaren  Grenzcurven  zeigt 
aber,  daß  dies  nur  in  den  beiden  Fällen  möglich  ist,  daß  die 
Stromcurven  zur  Z-Axe  parallele  Gerade  oder  in  unendlicher  Ent- 
fernung von  der  Z-Axe  befindliche  concentrische  Kreise  sind ;  letz- 
terer Fall  gehört  aber  im  Grunde  zu  dem  vorigen  und  nicht  zu 
diesem  Problem. 

Wir  haben  also  das  Resultat  gewonnen: 

Stationäre  combinirte  Bewegungen,  welche  in 
Meridianebenen  und  rings  um  die  Axe  gleichmäßig 
verlaufen,  sind  unter  der  Wirkung  von  Kräften, 
welche  ein  Potential  haben,  nur  so  möglich,  daß  die 
Stromcurven  der  Axe  parallele  Gerade  sind. 

Bezüglich  des  Potentiales  der  äußern  Kräfte  gilt  dasselbe, 
was  S.  68  schon  erörtert  ist. 

Eine  Ausnahme  bildet  hier,  wie  früher,  der  von  Stokes  an- 
gegebene specielle  Fall,  daß  t/e  =  #  innerhalb  der  ganzen  Flüs- 
sigkeit, also  ganz  von  selbst  auch  längs  der  Stromcurven  constant 
ist.  Hier  sind  die  Schlüsse  von  S.  69  nicht  anzustellen,  die  Ge- 
schwindigkeit ist  also  auch  nicht  längs  der  Stromcurven  constant. 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.     II.  71 

Für  o  kann  man  in  diesem  Fall  z.  B.  setzen 

ö  =  ai  -f-  e2  (ae*  -f  hez  -f  cz2)  , 

worin  c^  eine  beliebige  Potentialbewegnng  darstellt. 

Das  speciellere  Problem  gestattet  also  eine  viel  allgemeinere 
Lösung  als  das  allgemeine. 

5.    Eine  ans  Potential-  nnd  Wirbelbewegung  combinirte,  nicht 
stationäre  Strömung  innerhalb  einer  ruhenden   ellipsoidisehen 

Schaale. 

Vollkommen  durchführbare  Probleme  nichtstationärer  Flüssig- 
keitsbewegungen derjenigen  Art ,  welche  ich  als  „combinirte"  be- 
zeichnet habe,  sind  überaus  selten.  Die  von  Herrn  Kirchhoff1) 
und  später  von  den  Herrn  Grröbli2)  und  Greenhill3)  behan- 
delten Bewegungen  einzelner  Wirbelfäden  und  eines  elliptischen 
Wirbelcylinders  gehören  nicht  direct  hierher,  weil  sie  in  einem 
Theil  des  Baumes  nur  Wirbel-,  in  dem  andern  nur  Potentialbe- 
wegungen voraussetzen ;  überdies  sind  sie  speciell  ebene  Pro- 
bleme. 

Zu  den  combinirten  Bewegungen  gehört  unter  anderen  der 
Fall  des  gravitirenden  flüssigen  Ellipsoides ,  wie  er  zuerst  von 
Dirichlet,  dann  von  Riemann  u.  A.  behandelt  ist;  aber  die 
Schwierigkeit  dieses  Problemes  gestattet  seine  Durchführung  nur 
in  einzelnen  speciellen  Fällen  und  die  in  diesen  erhaltenen  Re- 
sultate sind  nicht  besonders  anschaulich.  Ueberdies  liefert  es 
kein  Beispiel  zu  dem  methodischen  Weg  der  Durchführung  sol- 
cher Probleme,  wie  er  z.B.  von  Kirchhoff4)  auseinander  ge- 
setzt ist. 

Aus  diesen  Ursachen  dürfte  das  folgende  einfache  und  ele- 
gante Problem  vielleicht  einiges  Interesse  verdienen. 

Es  sei  eine  ellipsoidische  Schaale,  deren  Glei- 
chung 

x2     y2      *_2 

ist,    mit    einer    incompressibeln    Flüssigkeit   gefüllt 


1)  Kirchhoff,    Mechanik.     Leipzig  1876  p.  257  u.  f. 

2)  Gröbli,    Specielle  Probleme  etc.    Zürich  1877. 

3)  Greenhill,    Quaterly  Journ.  of  Math.  1877. 

4)  K  i  r  c  h  h  o  f  f  1.  c.   p.  253. 

6* 


72  w.  Voigt, 

und  derselben  eine  Anfangsgeschwindigkeit  derartig 
ertheilt,  daß  die  Componenten  u,  v,  w  lineare  Functio- 
nen der  Coordinaten  sind.  Nach  Wahrscheinlichkeit  haben, 
wenn  äußere  Kräfte  entweder  garnicht  wirken,  oder  nur  solche 
vorhanden  sind,  die  ein  Potential  besitzen,  dann  die  Componenten 
zu  jeder  Zeit  die  genannte  Form. 
Wir  setzen 

u  =  an  x  +  an  y  +  a13  z , 

2)  v  =  a21x  +  ai2y  +  a2Sz, 
w=  a3lx  +  aSiy  +  aaBz, 

wo  die  ahk  die  Zeit  allein  enthalten  und  nach  der  Incompressibili- 
tätsbedingung 

3)  an  +  a22  +  a38  =  0 

sein  muß. 

Soll  diese  Bewegung   durch  das   feste  Ellipsoid   (1)   begrenzt 
werden,  so  muß 

;  a2  +  ¥  +  c2    ~  ü 

sein,  d.  h.  für  Werthe  x}  y,  z,  welche  der  Formel  (1)  genügen, 


und 


Z™  J_  llü     "81     ,     "i8     u12     r     "21     A 

&8  +  c2  "~  *7  +  ^"  -  tf  +  v       u 


sein.    Erstere  Bedingung  führt  mit  (3)  auf 

«11    =    «22    =    «33    =    °> 

und  somit  wird  die  Bedingung  (4)  jetzt  allerorts  erfüllt  und  findet 
die  Strömung  durchaus  längs  der  Ellipsoide  statt,  welche  zu  (1) 
ähnlich  sind. 

Die  letzteren  Formeln,   mit  den  Definitionen  der  Wirbelcom- 
ponenten 

2  £  =  —  _  -^       9  du      dw        9  dv       du 

*"dy      dz'      *n  -   dz~~~dx~>     *l-Jx~~~~ty 

oder 

2S   =   «8*-«*n      2V   =   «is -«an      2S  =   «2i  — «12 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.    II.  73 

combinirt,  gestatten  die  übrigen  ahle  durch  g,  %  %  auszudrücken,  so 
daß  sich  findet 


2c2|        ..  2a*t}        w  262f 

5) 


^2     ~     6t+cl,  «13~c2  +  a8,  a4l~5i+6i» 


r?*!l  -2c2^  -2q'e 

Nun  gelten,  wenn  die  Flüssigkeit  unter  der  Wirkung  von  Kräften 
steht,  welche  ein  Potential  besitzen ,  bekanntlich  die  Formeln  l) 

ä%  _     ^  d*4        du        du 

öfy         fc  6t;        6w        dt>  Ä 

3*  =6äi  +  *ä*  +  *S'  6) 

Dieselben  geben  in  unserm  Falle,  wo  die  |,  %  £  nur  von  der  Zeit  ab- 
hängen, die  vollständigen  Differentialgleichungen  für  diese  Größen, 
welche  unter  Rücksicht  auf  die  obigen  Werthe  (5)  lauten: 

<%  «  (     1  1     \  2a'(^^2-c,) 

cft   -  ^5a  Vc2+a2       a2+b2J  ~  ^(c2+a«)(a2+62) 

*2-2tt&»(-J: L.S  -  •  g£     262(c»-a2)  7) 

cft  "  "     65     W+fc2       6»+cV  ""  6S(a*4-6*)(6*+c") 

*        9*  ,*  f  _L       __1_^  _  t       2c>2-62) 
Ä  --  ^c  ^2+c2      c2  +  aV  ~~  ^(62  +  c2)(c8+^)' 

Dieses  System  hat  eine  große  Aehnlichkeit  mit  demjenigen, 
welches  die  Rotation  eines  starren  Körpers  um  einen  festen  Punkt 
ohne  Einwirkung  äußerer  Kräfte  bestimmt ,  und  gestattet  auch 
eine  ähnliche  Behandlung. 

Zwei  Integrale  erhält  man ,  indem  man  die  drei  Gleichungen 
(7)  resp.  mit  den  Factoren 

«'S,   «Vi,   n 

und 

6Vg       cVq       a%b*t 

V+f    c%+a2'    a*+b* 
zusammenfaßt,    dieselben  lauten 


1)  Helmholtz,  Crelle's  Journ.  55,  34, 1858;  ges.  Abh.  I,  p.  111,  Leipzig  1882. 


74  W.  Voigt, 

8)  a2r+62^2+c2r  =  ti\ 

&V?      cWrf      a*br  _  , 
yj  62  +  cai"c2+a2i"a2+62  "  *2' 

falls  ßx  und  &2  Integrationsconstanten  bezeichnen. 
Multiplicirt  man  die  letzte  Gleichung  mit 

(&2+c2)(c2+a2)(a2+68)/a26V, 

zieht  die  erstere  davon  ab  und  dividirt  das  Resultat  durch 

(&V+cV+a2&2), 
so  resultirt 

£2      <n2      t? 

io)  i.+j+5-v 

wo  &3  für  das  rechts  auftretende  constante  Glied  gesetzt  ist. 

Nun  lassen  sich  g,  ^,  £  deuten  als  die  Coordinaten  des  End- 
punktes eines  Vectors,  der  in  jedem  Moment  vom  Coordinatenan- 
fang  aus  parallel  der  Wirbelaxe  in  einer  Länge  gleich  der  resul- 
tirenden  Wirbelgeschwindigkeit  t  construirt  ist ;  wir  nennen  ihn 
weiterhin  kurz  den  Vector  r. 

Die  Gleichungen  (8),  (9)  und  (10)  sagen  nun  aus, 
daß  dieser  Endpunkt  bei  der  Bewegung  der  Flüssig- 
keit auf  der  Schnittcurve  zweier  dieser  drei  Ellip- 
soide,  die  sichhiernach  sämmtlich  in  derselben  Curve 
schneiden,  verharren  muß.  Das  letztere  Ellipsoid  ist  der 
durch  (1)  gegebenen  Begrenzung  der  Flüssigkeit  ähnlich. 

Bezüglich  der  Integrationsconstanten  h2  und  Jc3,  welche  sich 
durch  den  Anfangszustand  bestimmen,    läßt  sich  sagen,    daß  falls 

a  >b  >c 
ist,  auch 

11)  (a>+V)  >|>  (b>+c>) 

sein  muß.     Die  Halbaxenquadrate  der  Ellipsoide  (9)  und  (10)  sind 
resp. 

2  -     *2         fä*         ,         »,     --    «1         C2a2         ,         ^2     —     ^2  tftf         , 

a\  =  a2k3,    b\  =  b2Jc3,     c\  =  c%\. 

Aus  der  Ungleichung  (11)  folgt  sogleich,  daß  die  beiden  Ellip- 
soide einander  stets  schneiden,  denn  wenn  a\  <c  a\  ist,  so  folgt 
umgekehrt  c\  >  c\. 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.    II.  75 

Sind  die  a-  oder  c-Axen  für  beide  nahe  gleich,  so  hat  die 
Schnittcurve  elliptische  Gestalt  und  die  Wirbelaxe  bleibt 
immer  in  der  Nähe  der  bezüglichen  Ellipsoidaxe ;  sind  die  6-Axen 
nahe  gleich ,  so  hat  die  Schnittcurve  in  der  Nähe  derselben  den 
Charakter  einer  Hyperbel,  die  Wirbelaxe  entfernt  sich  also  um 
endliche  Winkel  von  ihr,  auch  wenn  sie  ihr  zu  irgend  einer  Zeit 
unendlich  nahe  war.  Dies  stimmt  vollständig  mit  den  Sätzen  über 
die  Stabilität  resp.  Labilität  der  Rotation  eines  starren  Körpers 
um  die  Axe  größten,  kleinsten  oder  mittleren  Trägheitsmomentes 
überein. 

Die  vollständige  Lösung  des  Problemes  geschieht  durch  ellip- 
tische Functionen.     Setzt  man  am(lt  +  (i)  kurz  gleich  ip  und 

£  =  Acost,     rj  =  Bsmip,     %  =  CJty  12) 

und  bezeichnet  man  den  Modul  mit  x,  so  liefern  die  Gleichungen 
(7)  folgende  drei  Relationen  zwischen  fünf  von  den  sechs  willkür- 
lichen Constanten  A,  B,  C,  x,  A,  p: 

AI         2a2(c*-b*)      Bl         2b2(c*-a*)       ,  Ck         2c2(b*-a*) 
BC~~  N        '    CA"  N        '   *  AB  ~~  "       N        '  1&) 

worin  N  =  (b2  +  c2)  (c2  +  a2)  (a2  +  b2)  bedeutet.  Aus  ihnen  lassen 
sich  drei  der  sechs  Constanten  durch  die  übrigen  ausdrücken, 
diese  hinwiederum  bestimmen  sich  durch  den  Anfangszustand. 

Wir  wollen  B2,  A2,  x2  durch  die  übrigen  geben  und  erhalten, 
indem  wir  das  Verhältniß  der  ersten  und  zweiten,  sowie  der  ersten 
und  dritten  Formel  und  das  Product  der  ersten  und  zweiten  bilden : 


D    ~         a2(c4-64)  '  C2  a2{c*-V)  ' 

4CW/4       4W4     M, 


14) 


Was  die  Bestimmung  der  noch  verfügbaren  drei  Constanten  A,  B 
und  [i  durch  den  Anfangszustand  anbetrifft,  so  liegen  die  Ver- 
hältnisse hier  einfacher,  als  bei  dem  Problem  der  Rotation  eines 
starren  Körpers,  weil  zwischen  den  Geschwindigkeiten  w,  v,  w 
und  den  Wirbelcomponenten  nach  (2)  und  (5)  lineare  Beziehun- 
gen bestehen,  welche,  wenn  die  Anfangsgeschwindigkeiten  t*0,  v0,  w0 
gegeben  sind,  ohne  Schwierigkeiten  die  Anfangswerthe  j;0,  i?0,  £0  an- 
zugeben gestatten,  und  umgekehrt. 

Rechnen  wir  die  Zeit  von  dem  Moment  an,  wo  V  =  <*m  (M  +  t1) 
gleich  Null  ist,  oder  setzen  wir,  was  dasselbe  ist,  ft  =  0,  so  er- 
geben die  Ansätze  (12) 


76  w-  Voigt, 

&<  =  A,    50  =  0, 

also  A  und  C  vollständig  bestimmt.  Das  Vorzeichen  von  B  be- 
stimmt sieb  durch  die  erste  Gleichung  (13),  wenn  dasjenige  von  X 
festgesetzt  ist.  Eine  Umkehrung  des  Zeichens  von  A  hat  Gleiches 
für  B  zur  Folge,  daher  ist  eines  der  beiden  völlig  willkürlich  zu 
wählen.  — 

Sind  die  Wirbelcomponenten  g,  %  £,  wie  vorstehend  gezeigt, 
durch  elliptische  Functionen  der  Zeit  ausgedrückt,  so  folgen  daraus 
sogleich  die  vollständigen  Werthe  der  Geschwindigkeiten: 

\c*  +  a*       a2+b2  J ' 

Wendet  man  diese  Ausdrücke  auf  die  Zeit  t  =  0  an,  so  erhält 
man  unter  Berücksichtigung  des  oben  Entwickelten 

1a?  Cy  „,,/    Cx  A*    \  ,   2cä Ay 

diese  Formeln  zeigen,  wie  die  Constanten  A  und  C  mit  den  An- 
fangsgeschwindigkeiten zusammenhängen  und  geben  von  dem  An- 
fangszustand selbst  eine  anschauliche  Vorstellung.  Die  XZ-Ebene 
dreht  sich  z.  B.  im  ersten  Moment  wie  eine  starre  Platte  um  die 
Gerade 

Cx  Az 

a2+b2  ~~   b2+c2 

mit  der  Winkelgeschwindigkeit 


\  (b2 


C2 
-  +  — - 


(62  +  c2)2    '    (bz  +  ay 
die  Y-Axe  um  die  Gerade 

d2  Cx  c2A# 

mit  der  Winkelgeschwindigkeit 


V  (b2+c*^ 


a*C2 
f    '    (a2+bj 


Beiträge  zur  Hydrodynamik."  IL  77 

Die  Gleichungen  der  Strom-  oder  Geschwindigkeitscurven  wer- 
den erhalten,  indem  man  in  (15) 

u  =  Vdx/ds,    v  =  Vdy/ds,    w  =  Vdz/ds 

setzt  und  die  Gleichungen  (15)  bei  constanten  t  nach  s  integrirt; 
ds  bezeichnet  dabei  das  Linienelement  der  Curven  und  V  die  resul- 
tirende  Geschwindigkeit. 

Integrable  Combinationen  erhält  man  aus  (15),    wenn  man  die 
drei  Gleichungen  resp.  mit  den  Factoren 

x       jf       e         ,     6VJ        c2a'r}        a%¥£ 
-?t   -fe.   Hr   und 


zusammenfaßt.    Sie  liefern  die  Integrale 


xlh\&       ync'a>       HaW  „ 


worin  m  und  mx  die  Integrationsconstanten  bezeichnen.  Das  erste 
ergiebt  eine  Schaar  zu  der  Begrenzungsfläche  (1)  ähnlicher  Ellip- 
soide,  was  nach  S.  72  vorauszusehen  war,  das  zweite  eine  Schaar 
Ebenen,  welche  parallel  sind  zu  der  Tangentenebene,  die  sich  an 
das  z w e i t e  Ellipsoid  (9)  im  Endpunkt  desVectors  t,  d.h.  an  der 
Stelle  wo  dasselbe  von  der  augenblicklichen  Wirbelaxe  geschnitten 
wird,  construiren  läßt. 

Dies  ergiebt  den  anschaulichen  Satz  : 

Die  Strom-  oder  Geschwindigkeitscurven  sind  in 
jedemMoment  gegeben  durch  die  elliptischen  Schnitt- 
linien der  Schaar  zu  dem  begrenzenden  ähnlichen 
Ellipsoide  mit  der  Schaar  Ebenen,  welche  parallel 
sind  der  Tangentenebene  an  dem  zweiten  Hülfsellip- 
soid  in  dem  Punkte,  wo  dasselbe  von  der  momentanen 
Wirbelaxe  geschnitten  wird. 

Aber  diese  Ellipsen  sind  keineswegs  zugleich  die  Bahncurven 
der  einzelnen  Flüssigkeitstheilchen,  da  ja  die  Bewegung  nicht  sta- 
tionär ist. 

Diese,  sowie  die  Bewegung  der  Flüssigkeitstheilchen  in  ihrer 
Bahn  zu  erhalten,  muß  man  in  (15) 

u  =  dx/dt ,     v  =  dy/dt ,     w  =  dz/dt 

setzen  und  durch  Integration  x)  y)  z  als  Functionen  von  t  bestimmen; 


78  W.  Voigt, 

bildet  man  aus  diesen  Beziehungen  durch  Elimination  von  t  zwei 
von  der  Zeit  unabhängige  Gleichungen  zwischen  x,  y,  #,  so  geben 
diese  die  Gleichungen  der  Bahn. 

Wiederum  sind  zwei  Integrale  sehr  leicht  zu  bestimmen.  Denn 
die  Factoren  x/a2 ,  yjb2,  zjc2  geben  aus  (15)  eine  auch  nach  t  inte- 
grable  Combination  und  damit  das  Integral 

18)  $+£  +  $  =  «, 

welches  nur  aussagt,  daß,  wie  jede  Stromcurve  in  jedem  Moment, 
so  auch  jedes  einzelne  Flüssigkeitstheilchen  während  seines  gan- 
zen Laufs  auf  einem  zu  dem  begrenzenden  ähnlichen  Ellipsoid 
bleibt.  Faßt  man  hingegen  die  Gleichungen  (7)  mit  den  Factoren 
x/a2,  y/b2,  0/c2  und  die  Gleichungen  (15)  mit  den  Factoren  £/ct2, 
rj/b2,  f/c2  zusammen ,  so  erhält  man  eine  zweite  integrable  Combi- 
nation, welche  liefert 

iyj  a2+  b2  +  c2    ~  n ' 

n  ist  dabei  die  Integrationsconstante. 

Die  Gleichung  giebt  unendlich  viele  Ebenen ,  welche  parallel 
sind  der  Tangentialebene,  die  sich  in  dem  betreifenden  Zeitpunkt 
an  dem  dritten  Ellipsoid  (10)  im  Endpunkt  des  Vectors  r  ziehen 
läßt  und  sich  mit  diesem  bewegt. 

Ein  gegebener  Werth  der  Integrationsconstanten  m  und  n  be- 
stimmt eine  Reihe  Flüssigkeitstheilchen,  die  zu  irgend  einer  Zeit 
die  Schnittellipse  zweier  bestimmter  Flächen  (18)  und  (19)  erfüllen; 
die  letzten  Formeln  zeigen,  daß  dieser  Flüssigkeitsfaden  zu  jedem 
Zeitmoment  die  Gestalt  der  Schnittcurve  dieser  selben  beiden 
Flächen  besitzt,  also  mit  der  Ebene  (19)  auf  dem  Ellipsoid  (18) 
herumwandert,  dabei  zwar  immer  eine  elliptische  Gestalt  behält, 
aber  seine  Form  von  Moment  zu  Moment  ändert. 

Man  kann  mit  Hülfe  der  bisher  gefundenen  Resultate  sich 
schon  eine  recht  deutliche  Vorstellung  von  dem  Verlauf  der  Bah- 
nen auf  einem  der  Ellipsoide  (18)  verschaffen.  Construirt  man 
nämlich  auf  demselben  für  gleiche  und  kleine  Zeitintervalle  alle 
Lagen  öi:  <?2...  der  Schnittcurve  desselben  mit  der  Ebene  (19), 
so  geben  diese  die  successiven  Positionen  eines  und  desselben  Flüs- 
sigkeitsfadens. Legt  man  ferner  durch  den  Mittelpunkt  des  Ellip- 
soides  für  jeden  der  gewählten  Zeitpunkte  die  ihm  entsprechende 
Ebene  (17),  so  liegt  ihr  parallel  die  Geschwindigkeit,  welche  in 
dem  betrachteten  Moment  alle  Theile  jenes  Flüssigkeitsfadens  ha- 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.   TL  79 

ben.  Man  kann  also  leicht  Linienelemente  ds  zwischen  den  Cur- 
ven  6X ,  o2 . . .  construiren  in  der  Richtung  der  Bewegung ,  welche 
die  benachbarten  Flüssigkeitstheilchen  besitzen,  und  so  einen  zu- 
sammenhängenden Zug  von  Elementen  ds  gewinnen,  der  die  Bahn- 
curve  eines  Theilchens  angiebt. 

Unter  diesen  Bahnen  ist  eine  bestimmte  Schaar  von  beson- 
derer Einfachheit  und  sogleich  angebbar. 

Für  die  Gleichungen  (15)  ist  nämlich 

*  =  «6,   y  =  $%i   *  =  25  20) 

ein  particuläres  Integral,  denn  durch  Substitution  dieser  Werthe 
geht  das  System  (15)  in  (7)  über;  dieser  Umstand  ist  ein  Aus- 
druck des  bekannten  He lmholtz' sehen  Satzes,  daß  die  Wirbel- 
linien immer  von  denselben  Theilchen  gebildet  werden,  jene  Coor- 
dinaten  x,  y,  z  entsprechen  nämlich  Flüssigkeitstheilchen  auf  dem 
Vector  t.  Hieraus  folgt,  daß  die  Schnittcurve  der  Ellipsoide  (9) 
und  (10)  und  die  ihr  auf  den  ähnlichen  Ellipsoiden  (18)  entspre- 
chenden specielle  Bahncurven  sind. 

Was  nun  endlich  die  Darstellung  der  Coordinaten  x,  y,  z  eines 
jeden  Flüssigkeitstheilchens  als  Functionen  der  Zeit  allein  anbe- 
trifft, so  ist  ein  particuläres  Integral  der  Gleichungen  (15),  näm- 
lich das  Werthsystem  (20) 

*i  ■*  <iti  Vi  =  av,  «i  =  «£t 

bereits  oben  benutzt  worden.  Wie  man  aus  diesen  die  allgemeinen 
Ausdrücke  für  x,  y,  z  ableiten  kann ,  hat  Herr  Dr.  V  e  n  s  k  e  in 
einer  dieser  Arbeit  sich  anschließenden  Notiz  gezeigt.  Die  allge- 
meinen Resultate ,  die  sich  durch  elliptische  Integrale  ausdrücken, 
sind  wenig  übersichtlich. 

Wir  wollen  uns  daher  eingehender  nur  mit  dem  speciellen  Fall 
beschäftigen,  daß  das  Ellipsoid  (1)  ein  Rotationsellipsoid  um  die 
Z-Axe,  also  a  =  b  ist.  Hier  läßt  sich  die  vollständige  Integra- 
tion der  Gleichungen  (15)  nach  t  ohne  Schwierigkeit  ausführen. 

Zunächst  giebt  die  dritte  der  Gleichungen  (7)  d%jdt  =  0,  wo- 
raus wir  £  =  v  schließen,  falls  v  eine  Constante  bezeichnet,  und 
die  ersten  beiden  nehmen  die  Form  an: 


worin  kurz    v—x r  =  A    gesetzt  ist. 

c2+a2  ö 


80  W.  Voigt, 

Hieraus  folgt  bei  geeigneter  Verfügung  über  den  Anfangspunkt 
der  Zeit  t 

23)  £  =  jjcosA£,    r\  =  ^sin/U; 

die  Wirbelaxe  wandert  also  mit  gleichförmiger  Geschwindigkeit  in 
einem  Kreiskegel  von  der  Oeffnung  -fr,  wo  tg#  =  v/p  ist,  um 
die  Z-Axe;  die  Umlaufsdauer  ist 

24)  T  =  ±2ä/A  =  ±2^(c2  +  a2)/i/(c2-a2)? 

also  um  so  kleiner,  je  mehr  das  Ellipsoid  von  der  Kugel  ab- 
weicht. 

Für  die  Geschwindigkeiten  erhält  man  nach  (15)  die  Werthe: 

u  =   —  vy-\ [läsmAt, 

25)  v  =  +  vx /ß#cosA£, 

w  =  ^(i/cos  A£— x sinkt) . 


Eine  particuläre  Lösung   dieser  Gleichungen  für  #,  ?/,  e  als  Func- 
tionen der  Zeit  ist  bereits  oben  angegeben,  nämlich 

26)    xx  =  gj  =  q^coskt,   yt  =  ^  =  q^ sinkt ,    *x  =  & £  =  & v. 

Eine  weitere  mit  zwei  Constanten   findet  man  leicht   direct,   in- 
dem man 

26')  £2  =  q2cos(6t  +  Ö) 

setzt;    dann  werden  die  obigen  Gleichungen  befriedigt  durch 

4.  ¥>(?—*)      fcos((g— k)t  +  d)       cos  ((<?  +  k)t+d)l 

26")  I  ;,;.(,;;•  ^ 

ft(y— A)      r  sin  (((?-  A)  £  +  d)       sin  ((<?  +  A)  £  +  ö) 


y*  =  — 27~  a 


L       v  +  (<?_ A)  v-(tf  +  A)        J ' 

falls  6  =fa-iY+l+lx')'£  =  ^LVaV-hc8^  ist. 

Die  Wurzel   kann   positiv  genommen  werden;    das   negative 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.     II. 


81 


Zeichen  würde  sachlich  dieselben  Lösungen  ergeben.  Da  nun  die 
gefundenen  particulären  Lösungen  zusammen  drei  willkürliche  Con- 
stanten enthalten ,  und  die  Gleichungen  (15)  in  Bezug  auf  x,  y,  z 
linear  sind,  so  geben 

x  =  xx  +  x%,    y  =  yt  +  y2,    z  =  *x-kf% 

die  vollständigen  Werthe  der  Coordinaten. 
Sie  lassen  sich  auch  schreiben: 

x  =  q1Licoskt— ^^l  av  cos(6  t+d)  cos  At—\J  a^+c'ii2  sin  (6t-\-d)sin  lt\, 
y  —  q^sinM— ^^\avcos(6t+d)sinXt+^a2v2+c2Li2sin(6t+ö)cosAt\1 


s  =  qxv  +  g2cos  (<?  t  -f  d). 


27 


Führt  man  ein  Coordinatensystem  XXJ  Tlt  Zx  ein,  welches  sich 
mit  derselben  Winkelgeschwindigkeit,  wie  die  Wirbelaxe,  um  die 
Z-Axe  dreht,  setzt  man  also 

xt  =  xcoslt-\-y  sinkt,     yt  =  —  #sin It  +  ycos At ,     »x  »  jr, 

so  ergiebt  sich 

xx  =  gift—  **   .  C08  (6 1+ o) , 

LI  C 


Vi  =  -%il\Ja*v>  +  c2ii3sm{6t  +  d) 


*x  =  ftv  +  ftcosfatf+tf). 


28) 


Hieraus  folgen  für  die  Bahn    des  Flüssigkeitstheilchens   die  Glei- 
chungen 

29) 


fo-ffiri-^  +  fo-ffi^T-  =  0 


und  falls  man 


fo-giri»Q'-(*i-g,»Of^  =  tf  setzt, 

*"  y\  =  JL 

aV  +  c>9  +  as  (a*  v8  +  c' ft")         f*V  * 


30) 


Diese  Formeln,   deren  erste   sachlich  mit  (19)  übereinstimmt, 


82  W.  Voigt, 

geben  folgende  Resultate,  von  denen  ein  Theil  im  allgemeinen 
Fall  eines  dreiaxigen  Ellipsoides  schon  oben  abgeleitet  ist. 

Die  einzelnen  Flüs  sigkeitstheilchen  bewegen 
sieb  in  Ellipsen,  welche  senkrecht  zu  einer  Meri- 
dianebene durch  die  Z-Axe  stehen,  die  ihrerseits  mit 
derselben  Winkelgeschwindigkeit  A,  wie  die  Wir- 
belaxe, um  die  Z-Axe  rotirt.  Die  Ebene  dieser  Bahn- 
ellipse ist  die  Tangentenebene  an  dem  Ellipsoid 
(10)  im  Endpunkt  der  Wirbelaxe  r  und  demgemäß  um 
einen  constanten  Winkel  &  gegen  die  Z-Axe  geneigt, 
der  sich  bestimmt  aus 

_  VC? 

also  für  alle  Theilchen  den  gleichen  Werth  hat;  sie 
befindet  sich  vom  Centrum  des  die  Flüssigkeit  be- 
grenzenden Ellipsoides  in  dem  Abstand 

.  a2v*  +  c*u,* 


SlaW  +  fp? 

der  allein  von  der  ersten  Integrationsconstante  qx 
abhängt. 

Die  Halbaxenquadrate  A2  und  B2  der   Ellipse  sind 

A%         g*(aV  +  c>2)        w         g:a2(aV8  +  cV2) 

sie  enthalten  also  nur  die  zweite  Constante  #2;  erstere 
Axe  liegt  in  der  Meridianebene,  letztere  normal  dazu; 
ihr  Verhältniß  ist  für  alle  Theilchen  von  gleicher 
Größe. 

Diese   rotirende   Bahnellipse    wird    umlaufen    in 
der  Zeit 

p'2  M  =     *("2+c2) 


6  a\]a2v2  +  c2p%  ' 

welche  für  alle  Theilchen  die  gleiche  G-röße  hat,  aber 
von  der  Umlaufs dauer  der  Wirbelaxe  verschieden 
ist.  Die  Bahnen  der  Flüssigkeitstheilchen  sind  also 
keine  geschlossenen  Curven.  — 

Für  den  Druck  p,  welcher  innerhalb  der  bewegten  Flüssigkeit 
stattfindet,  ergeben  die  Eul er' sehen  Gleichungen 


Beiträge  zur  Hydrodynamik.    IL  83 

du         du         du  du  \         sj 

dt         dx         dy  dz  dx 

u.  s.  f.,  falls  wir  das  Potential  O ,  welches  sich  von  p/s  nicht  son- 
dert, der  Einfachheit  halber  gleich  Null  setzen,  unter  Benutzung 
der  Werthe  (5)  und  der  Differentialgleichungen  (7),  die  Beziehungen 

ittwfsf     t      +  —?—) '*(*»+»)  ^  1  =  ,1  dp 

a       L   \c\a*+by  ^ b\c2+ayJ     (ö2+cJj(c2+a2)K+^)J         «6*     ' 
u.  s.  f.     Aus  ihnen  folgt  durch  Integration : 

,*V rf__  6'         ^       2foEy*+eS«*  +  Sq*y)|      o9n 

+  2  Ua(c2+a2)2       a2(62-f-c2)V        (&2  +  c2)(c2  +  a2)(a2+62)   I'    °^ 

Um  hieraus  die  Kraftcomponenten  und  Drehungsmomente  zu  be- 
rechnen, welche  die  Schaale  erfährt,  beachte  man,  daß 

X  =  fp  cos  (na,  x)do,     L  =  fp  (y  cos  (na,z)  — zcos(na,  y))do 

ist,  und  ähnlich  die  anderen. 
Hieraus  ist  zu  gewinnen 

k  -  St""  L  =  f(r£J&* 

wo  dk  das  Raumelement  der  Flüssigkeit  bezeichnet.  Da  nun  für 
das  Ellipsoid  (1) 

JjM  =  ^a*bc,  ftfdk  =  ^raVc,  ffdk  m  ^-abc> 

ist,  so  resultirt  sogleich: 

X  -  Y  =  Z  -  0, 
L  =  PnUc'-V),    M  =  PSS(a'-c'),    2f-  P^(6'-a«),  33) 

worin 


32ita*b>c*e  =  p 


1(bi+ci)(c'i+al)(ai  +  b>) 
gesetzt  ist. 


84  W.  Voigt,  Beiträge  zur  Hydrodynamik.    IL 

Die  ellipsoidische  Schaale  erfährt  also  seitens  der  bewegten 
Flüssigkeit  ein  Drehungsmoment  um  eine  Axe,  deren  Richtungs- 
cosinus cc,  ß,  y  gegeben  sind  durch 

34)  a:ß:y  =  nW-V)  ■  ZW-??)  '  ivQ>2-^), 
von  einer  Größe 

35)  D  =  Prdsin(r,d); 

hierin  ist  r  die  momentane  Wirbelgeschwindigkeit,  d  die  Länge 
des  Lothes  vom  Centrum  der  Schaale  auf  die  Tangentenebene, 
welche  am  ersten  Ellipsoid  (8)  im  Endpunkt  der  augenblicklichen 
Wirbelaxe  construirt  werden  kann,  (r.  d)  der  Winkel  zwischen  die- 
sem Loth  und  der  Wirbelaxe.  Auch  die  Axe,  um  welche  das  re- 
sultirende  Moment  wirkt,  hat  eine  Beziehung  zu  diesem  Ellipsoid. 
Da  nämlich  nach  (34)  gilt 

«6  +    ßn+  ri  =  o  und 

36)  aa'l  +  ßb'n  +  y&t  =  0, 

so  steht  die  Axe  des  resultirenden  Momentes  stets  normal  zur 
Ebene  durch  die  momentane  Wirbelaxe  r  und  das  Loth  d. 

Es  haben  also  alle  drei  Ellipsoide  (8),  (9),  (10)  bei  diesem  Pro- 
blem eine  gewisse  geometrische  Bedeutung. 

Ihre  gemeinsame  Schnittcurve  giebt  den  Verlauf  der  resulti- 
renden Wirbelgeschwindigkeit  mit  der  Zeit  an,  das  Ellipsoid  (9) 
kommt  bei  der  Bestimmung  der  Strömungs-  oder  Geschwindig- 
keitscurven  ,  (10)  bei  der  Bestimmung  der  Bahnen  der  einzelnen 
Flüssigkeitstheilchen,  endlich  (8)  bei  der  Bestimmung  der  Einwir- 
kung in  Betracht,  welche  die  ellipsoidische  Schaale  seitens  der 
Flüssigkeit  erfährt. 

Göttingen,  Anfang  März  1891. 


0.  V e  n  s  k  e,  Integration  eines  spec.  Systems  linearer  Differentialgleichungen  etc.     85 

Zusatz. 

Integration  eines  speciellen  Systems  linearer, 
homogener  Differentialgleichungen  mit  doppelt- 
periodischen Functionen  als  Coefficienten. 

Von 

0.  Venske. 

Bei  einer  Untersuchung  über  nicht  stationäre  Wirbelbewegungen 
einer  idealen  Flüssigkeit  wurde  Herr  Prof.  W.  Voigt  auf  das 
folgende  System  simultaner  Differentialgleichungen  geführt :  j 

^L  —   9a*  (  ■'**      _  -lLS\ 

dt  W2  +  c2      a2  +  6V' 

dt  W  +  b2       c2+a2J  ' 

In  demselben   bedeuten   a,  b,  c  Constanten,    und  g,  rj,  £  elliptische 
Functionen  von  t,  welche  den  folgenden  Gleichungen  genügen : 

d£_  2a2(62-c2) 

dt  (a2+&2)(aa+c2)^' 

£_      2*'(c2-a2)     £  (B) 


cft       '   (&2+c2)(62+a2) 
d£  2c\a2-b2) 


dt  (c*+a2)(c2+&2) 

Von  Herrn  Prof.  W.  Voigt  aufgefordert  habe  ich  mich  mit 
der  Integration  des  Systems  (A)  beschäftigt.  Die  Resultate ,  zu 
denen  ich  gelangte,  teile  ich  im  Folgenden  mit. 

Da  das  System  (A)  in  das  System  (B)  übergeht,  wenn  man 
|,  %  £  anstatt  x,  y,  z  setzt,  ist 

#  =  £,    y  =  Vi   *  —  t 

ein  particuläres  Integral  des  Systems  (A). 

Ich  werde  nun  zeigen,   wie  man  aus  einem  particularen  Inte- 
•ale  unendlich  viele  andere  von  demselben  und  von  einander  li- 
lear  unabhängige  particuläre  Integrale  gewinnen  kann. 

Nachrichten  ron  der  K.  0.  d.  W.  in  Göttingen.   1891.  No.  2.  7 


gß  0.  Venske, 

xd  V\i  z\  sei  e*n  particuläres  Integral  des  Systems  (A),  wel- 
ches für  einen  bestimmten  Wert  t0  der  unabhängig  Variablen  t 
der  Gleichung  genügt 

(ö)  ~tf+~w+v  -  l: 

Es  existieren  jedenfalls  unendlich  viele  Systeme  particulärer 
Integrale  x2 ,  y2,  #2  und  x3 ,  ?/3 ,  z%  von  der  Art,  daß  für  denselben 
Wert  t0  von  t  die  Gleichungen  bestehen 

(6) 

(c) 

0>) 

(e) 

(f) 

Die  linken  Seiten  der  Gleichungen  (a),  •  •  -,(f)  sind  aber  Constanten, 
wie  ich  sogleich  beweisen  werde. 

Der  Voraussetzung  nach  bestehen  die  Relationen 


<  ,    #2  , 

a2  T      6a  't' 

c2 

=  1, 

a2  T      &2  + 

4 
c3 

=  1, 

a2     '     62    ' 

^1^2 

c2 

=  0, 

#2^3      1      2/22/3      , 

a2    '      &s     ' 

#2  #8 

c2 

=  0, 

a2    1     62     ' 

c2 

=  0. 

cft    ~  ^     Va2+c2       a2+&V' 
dt    ~~         U'+a2       &2+cV' 


dt  \c2+b2      c2+a*J' 

(i  =  1,  2,  3). 

Multipliciert  man  dieselben  der  Reihe  nach  mit 


(*  =  1,2,3) 


und  addirt  dann,  so  erhält  man 

-        i^^  +  A^  +  f*.^ X*  dx*        V*  dV*        S*   d** 

a*   dt  "*"  b*    dt  "*"  c2  dt  a?  dt       V  dt        c2  dt 


Integration  eines  spec.  Systems  linearer,  homogener  Differentialgleichungen  etc.  87 
und  hieraus 

Die  aufgestellte  Behauptung  ist  also  erwiesen,  und  damit  ist  dar- 
gethan,  daß  *,,  pl9  Mt\  xa,  y„  #8 ;  x3,  y3,  z3  für  jeden  Wert  des 
Argumentes  t  den  Gleichungen  (et),  •••,(f)  genügen. 

Aus  diesen  Gleichungen  folgt,   wenn  s   eine   zweite  Einheits- 
wurzel bedeutet, 

X>  =  "^^3^-y^.)i  (9) 

I**,   Vi,   *«|  =  *'<&**  («  =  1,2,3)      ft) 

Multipliciert  man  die  Gleichungen  (g)  der  Reihe  nach  mit  xv  xv  xv 
addiert  sie  und  benutzt  die  Gleichung  (lj>),  so  erhält  man 

xl  +  xl  +  xl  =  a\  (i) 

Eine  Relation,  welche  von  den  bisher  zwischen  £,,•••,#,  aufge- 
stellten Relationen  unabhängig  ist,  ergiebt  sich  durch  geeignete 
Umformung  des  Ausdruckes 

Ält*jLi*\        x*dx*+  Xsdx9+i(x9dxt-xtdx§) 

ai[x^txz)  — x2  +  x2  ' 

Die  rechte  Seite  dieser  Gleichung  geht  bei  Benutzung  von  (i) 
und  der  Beziehungen 


äx% 
dt 


_  »„*(    nz>  SV*    \      dx3      _         (    vjz,  {y.    \ 


S/i  =  ^(¥a-V,),     »x  -  -jg" (*•?•-*.&) 


über  in 


Also  hat  man 

7* 


88     0.  V  e  n  s  k  e,  Integration  eines  spec.  Systems  linearer  Differentialgleichungen  etc. 
J  \       x  dt  VJ2(c2  +  «2)        c\<P  +  W)))  a*-x\ 

(?)    xt  +  ix9  =  e 

Durch  die  sechs  Gleichungen  (b),  ••-,({),  (f)  ist  man  in  den  Stand 
gesetzt ,  aus  einem  particulären  Integrale  zwei  weitere  von  dem- 
selben und  von  einander  linear  unabhängige  Integrale  des  Systems 
(A)  herzuleiten.  Da  ich  nun  oben  ein  particuläres  Integral  dieses 
Systems  angegeben  habe,  bietet  das  Vorhergehende  die  vollständigen 
Mittel  zur  Berechnung  des  allgemeinen  Integrales  desselben  dar. 

Göttingen,  März  1891. 


Ueber  ßealitätseigenschaften  von  Raumcurven. 

Von 

Franz  Meyer  in  Clausthal. 

Vorgelegt  von  F.  Klein. 

Unter  einer  „Raum  curve"  sei  der  Ort  von  Punkten  verstan- 
den, deren  rechtwinklige  Coordinaten  x,  y,  z  als  analytische  Func- 
tionen eines  Parameters  gegeben  seien. 

Handelt  es  sich  nur  um  die  Umgebung1)  einer  irgendwie  sin- 
gulären  Stelle  der  Curve,  so  läßt  sich  die  letztere  ersetzen  durch 
eine  rationale  Raumcurve,  die  daselbst  die  nämliche  Singularität 
besitzt  und  deren  Ordnung  zudem  so  niedrig  angenommen  werden 
darf,  als  es  überhaupt  die  fragliche  Singularität  gestattet. 

Die  gemeinte  Ersetzung  ist  auch  dann  noch  erlaubt,  wenn 
man  sich  die  Coefficienten  der  ursprünglichen  Functionen  solchen 
Variationen  unterworfen  denkt,  daß  die  Curve  in  benachbarte 
Curven  übergeht,  für  welche  sich  die  erwähnte  Singularität  in 
einfachere  „ aufgelöst"  hat.  Man  hat  dann  nur  die  entsprechenden 
Variationen  an  den  Coefficienten  der  rationalen  Hülfscurve  anzu- 
bringen. 

Im  Folgenden  werden  nur  derartige  benachbarte  oder  „penul- 
timate"  Zustände  gewisser  Singularitäten  in  Betracht  kommen, 
welche  dadurch  entstehen  mögen,  daß  zwei  einfachere  Singularitä- 


1)  Vgl.  die  nähere  Ausführung  ähnlicher  Ueberlegungen  für  ebene  Curven 
bei  Brill  „Ueber  Singularitäten  ebener  Curven  und  eine  neue  Curvenspecies" 
Math.  Annalen  Bd.  XVI  §  2. 


Franz  Meyer,   Realitätseigenschaften  von  Raumcurven.  89 

ten  gleicher  Art  zusammenrücken;  insbesondere  soll  festgestellt 
werden,  wieweit  die  Realität  resp.  Nichtrealität  coincidirender 
singulärer  Curvenelemente  beim  Passiren  des  bez.  Vorkommnisses 
bestehen  bleibt,  oder  aber  aufgehoben  wird. 

Um  einen  abgegrenzten  Bezirk  solcher  Erscheinungen  zu  um- 
fassen, verstehen  wir  unter  „gewöhnlichen  Singularitäten u  einer 
„Raumcurve"  C  solche,  die  stets  in  endlicher  Anzahl  vorhan- 
den sind  und  der  Forderung  entspringen,  daß  von  den  Schnitt- 
punkten einer  Ebene  resp.  Geraden  mit  C  eine  genügende  Anzahl 
von  Malen  mehrere  consecutiv  werden. 

Bezeichnet  man  getrennte  Schnittpunkte  mit  verschiedenen 
griechischen  (kleinen)  Buchstaben,  die  Anzahl  an  einer  Stelle  a 
zusammengerückter  durch  einen  Exponenten ,  endlich  die  auf  eine 
Gerade  sich  beziehenden  Punktgruppen  mittelst  einer  Klammer,  so 
hat  man  genau  fünf  derartiger  Vorkommnisse  zu  verzeichnen, 
nemlich  Ebenen  a\  a3ß2,  a2ß2f  und  Gerade  (a2/S),  (aßyd). 

Indem  wir  uns  auf  solche  „ Verdichtungen u  beschränken,  für 
deren  Zustandekommen  das  Erfülltsein  einer  einzigen  Bedingung 
zwischen  den  Coefficienten  der  Curve  hinreicht,  haben  wir  die 
Coincidenzen  zwischen  zwei  gleichberechtigten  Elementen  a  ent- 
weder einer  und  derselben,  oder  aber  zweier  verschiedener  Singu- 
laritäten des  nämlichen  Typus  in's  Auge  zu  fassen. 

Dabei  kommen  uns  die  Zerlegungen  zu  Statten,  die  unlängst l) 
für  die  Discriminanten  (und  Resultanten)  der  zu  rationalen  Raum- 
curven B3n  gehörigen  Singularitätenformen  [a4] ,  [a3ß2],  [cc*ß*y*], 
[(a2ß)],  [aßyd]  mitgetheilt  sind,  im  Verein  mit  den  Betrachtungen, 
die  damals  über  die  Gestalt  der  Anfangsglieder  jener  fünf  Formen 
gemacht  wurden. 

Die  Discriminanten  zerfielen  in  Elementarfactoren,  welche  be- 
züglich der  vierreihigen  Coefficientendeterminanten  nd"  irreducibel 
waren.     Solcher  Elementarfactoren  gab  es  14,  nemlich : 

[«•],  [(«3)L  [«•/*■,(«■«],  [«*«,  [<W],  [(«■/»?)],  [((«»)];  ["TL 
[<W,(«/»y)L  [«Tr2<H,  [«W^ffrH,  li*ß?W\>  [(«/»?*«)]. 

[(aßyd)f(aßlylöl)]f 
-on  denen  die  ersten  sieben  zugleich  als  Theiler  von  Resultanten 
iuf traten. 

Jede  dieser  14  Invarianten  haben  wir  vermöge  geeigneter  Va- 
riationen  der   Coefficienten   durch  Null    hindurchgehen   zu   lassen, 


1)  Vgl.  diese  Nachrichten  1890  Nr.  16  und  1891  Nr.  1,  in  letzterer  Note  ins- 
jondere  die  Tabelle  B, 


<)0  Franz  Meyer, 

und  uns  dann  im  Einzelnen  über  die  Realität  der  ein-  und  aus- 
tretenden Elemente  Rechengehaft  zu  geben. 

Einen  derartigen  „Durchgang"  bewerkstelligt  man  am  Ein- 
fachsten so ,  daß  man  die  Größen  d  Üurch  lineare  Combinationen 
d  +  xd'  ersetzt,  wo  x  ein  neuer  variabler  Parameter  sei.  Ver- 
weh windet  nun  irgend  eine  unserer  Invarianten  etwa  für  x  =  «„ 
so  ist  das  Verhalten  der  Curve  für  Werthe  von  x  zu  prüfen, 
welche  xt  zu   neiden   Seiten   benachbart  sind. 

Vollzieht  man  jetzt  die  gleiche  Substitution  d  +  xd'  an  Stelle 
von  d  in  den  fünf  Singularitätenformen  selbst,  so  werden  diesel- 
ben zu  ganzen,  rationalen  (und  reducibeln)  Functionen  zweier  Va- 
riabein a  und  x.    Als  solche  seien  sie  bezeichnet  durch: 

M  -  Bt(*t%)  -  8t,    WfT\  -  89,    [(«•/*)]  -  4,    [«•/*»/]  -  *„ 

heutet  man  nunmehr  a  und  x  ah  Carte. ,i.:ene  Koordinaten  in  einer 
Ifiilfxebcnc.  ■  '  .■•■•'."  iM.'i.n  v.w  einer  ..ehr  nützlichen  Abbildung 
der  Discriminantenzerlegungen,  die  einen  Theil  der  zu  erforschen- 
den  Vei  chen  läßt. 

hie  (jMeienungen  8  0  «teilen  nämlich  in  der  [<r,  x]  -  Kbcnc 
algebraische  Ourvcn  dar,  deren  zur  K-Axe  parallele  (eigentliche 
und  n fliehe;     'i '..;■    ;ifcn     vollständig    durch     N'ulhetzen    <\^r 

(bez.  «  gebildeten)  IM  wriminanten  />  der  Können  .V  geliefert  werden. 

Greift  man  daher  jedesmal  eine  reelle  Wurzel  xt  einer  der 

11  Gleichungen  heraus ,  weleho  dureli  d;..;  Verschwinden  der  oben 
zusammengestellten  Elementarfactoren  entstehen ,  so  finden  die 
Z"i!"hh,-,i  '!'  r  Mini  Üincriminanten  I)  fei'.  Tah^lN-  P>  1.  c.j  fol- 
genden Ausdruck: 

1.  [«*];   die  Curven  8t  und  #8  berühren  sich  einfach  (und  die 

gerneinHiime   Tangente   L*t  M  *,)■ 

2.  |(«8;];  #,  und  /S';i  berühren  Hieb  in  gleicher  Wei  :~:c  einfach, 
während  89  daselbst  einen  gewöhnlichen  2 (w  —  4) -fachen  Punkt 
besitzt. 

3.  [cc*ß9,(a'ß)];  89  und  8t  berühren  sieh  einfach. 

4.  [a'ß2];  82  und  S4  haben  eine  einfache  Berührung,  während 
#,  unter  endlicher  Neigung  gegen  89  und  #,  den  Berührungspunkt 
einfach    |»a:-  irf. 

[a*/JVl;   *m  Punkte  («,  xt)  wird  die  Gerade  x  «■  «,  von 
#<  einfach  berührt,  während  #a  daselbst  einen  gewöhnlichen J)  Dop- 


1)  Die  Tangenten  der  hier  vorkommenden  vielfachen  Funkte  sind  stets  gegen 
dl«  betr.  Gerade  x  =  xx  unter  endlichem  (auch  von  einem  Rechten  verschieden  tu ) 


Realitätseigenschaften  von  Raumcurven.  !»| 

pelpnnkt  aufweist.  Hingegen  sind  die  beiden  Stellen  (/5,x,)  nnd 
y, «,)  gewühnlii'lie  lüiikk.liij.iinl;!.«  für  Ä'4,  deren  Tangenten  nicht 
die  «-Richtung  haben. 

6.  |  ((«/}))] ;  die  Gerade  x  »  xt  ist  Doppol  tan  gento  von  Bv 
In  den  lierülinmgspunkten  («,  xt)  und  (ß,^)  hat  5B  je  einen  ge- 
wöhnlichen - ^- --fachen  Punkt. 

7.  [(a'ßy)];  («,*,)  verhält  sich  ganz  wie  bei  (B),   nur  daß  an 

die   Stelle    von   />,,   ASa   lmziehuntfsw<us»'    jetzt   N, ,   S,   treten. 

BHM?  die  zweite  Reihe  der  noch  übrigen  7  Klemenfarfaeforon 
ist  immer  nur  jeweils  eine  einzige  Curve  8  in  Betracht  zu  ziehen. 
Ks  kommt: 

8.  [aa/58|;  x  =  xl  verbindet  zwei  einfaehe  IMiekkehrpunktc 
von  89\  deren  Tangent  jene  (Jerade  gcuieigt  sind. 

9.  [«\Pp*,  (ctßy)\;  (a,  xj,  (0,x,),  (y,  *,)  sind  drei  einfache  Be- 
rühr, tollen   für  #4. 

10.  [(«/3  yd)9];  in  gleicher  Weise  zeigt  Sb  vier  einfache  Be- 
rührungen. 

11.  |«8ßV°"];  auf  derselben  Geraden  %  =  n j  oxistiron  vier 
gewölinliflie  dreifache   Punkte   von  54. 

12.  [(«0yd  «)|;  dcsghuelnui  besitzt  ,S'ft  fünf  gewöhnliche  vier- 
fache  Punkte. 

!'».  |«9/?aya,  «*ß*yj]j  (a>  *0  W  da  gewöhnlieher  I)oppel|)unkl 
von  Be 

14.     (ußyd),  (aßt  y{  d,)|;     («,*,)   ist  ein   ehensoleher  von   #n. 

Was  nun  die  mehrmaligen  Berührungen  (Verzweigungen)  oin- 
und  <h  i  '  Ihen  Curve  8  angeht,    so   ist  unschwer  abzuleiten,   daß 

dieselben    (    oweit     ie    überhaupt    reell    ;mi    l';i 1 1«-, n j,   mit  Ausnahme  <lor 
Fälle   f(>)   uml   (H),   stets  auf  der   nämlichen   Seit»?   der   bez.   Tangen- 
ÜB    x      -  xt    Htattfinderi.      I)ien    gilt   also   j'iir  die   Berührung  nebst 
den   beiden   Spitzen   von   S4  bei   (5),  sowie   \"üv  die   hei   (lh.   (10)  en, 
tretenden  drei,  r»   p,  rier  Berührung 

Schwierig»;!-    ist     indessen     die     Peantworfung    *\cv     wielitigon 

Frage,   wie   lieb  einmal  in  den  .-heu  ausgeschloHHcnon  Fällen 
(8)  die  einzelne  Cnrre  St  resp.  St,  anderer  eil    bei  (L),  (2),  (3), 

zwei    verschiedene   Curven     8    hinsiehflieh    ihrer    Uj-riiliriiiig   verhal 
ten,   ob   neulich   die   letzt»!rc  rsehiedenen   Seiten   der  geUifal 

samen   Tang«mfe   erfolgt,   oder  über  auf  derselben   Seite,   odfll  '-ml 
lieh,  ob  bald  das  Eine,  bald  das  Andere  möglieh  ist. 


Winke)  geneigt,  und  mit  Ausnahme  der  eiaftabefl  etteee  IUI  verschieden  tel 
einander.  I)ic  ModifiratieMOj  welche  eintreten,  wenn  ein  reip.  zwei  Paare  der 
lififnlAren  Argtnamti  «,  ß, ...  imaginär  werden,   lassen  sich  leicht  angeln  n 


92  Franz  Meyer, 

Es  läßt  sich  nun  darthun,  daß  wirklich  alle  drei  Möglichkei- 
ten vertreten  sind.  Bei  [cc5]  berühren  sich  St  und  S2  auf  dersel- 
ben Seite,  desgleichen  S2  und  £4  bei  [a4ß2];  bei  [(cc3)]  findet  die 
Berührung  von  St  und  S3  stets  auf  verschiedenen  Seiten  statt; 
dagegen  dürfen  sich  im  Falle  [cc3ß2,  (cc2ß)]  S2  und  Ss  jenachdem  auf 
derselben  oder  auch  auf  verschiedenen  Seiten  berühren,  und  das 
Entsprechende  gilt  für  die  beiden  Berührungspunkte  resp.  Spitzen 
von  #3  resp.  #2  auf  der  bezüglichen  Geraden  x  '== %t  in  den  Fäl- 
len  [((aß))],  [«T]- 

Um  darauf  näher  einzugehen ,  legen  wir ,  wie  es  erlaubt  ist, 
jeweils  eiae  rationale  Raumcurve  E3n  von  möglichst  niedriger  Ord- 
nung n  zu  Grunde. 

Für  n  =  4  sind  [(cc3)]  und  [((aß))]  zu  untersuchen. 

Von  Singularitäten  existiren  hier  nur  a4  und  (cc*  ß)  Sei  die 
Form  [cc4]  als  eine  allgemeine  binäre  biquadratische  Form 

(p    =    tpa    =    q)0  +  4:(piCC  +  6<p!iCC2-{-4:(psCCS  +  <p4ta4, 

gegeben ,  so  wird  [(a2  ß)]  zur  Hesse'  sehen  Covariante  H  von  g>, 
[(cc3)]  zur  Discriminante  D(<p)  von  <p,  endlich  [((ccß))]  zur  Invariante 
j  von  <p. 

In  Uebereinstimmung  mit  der  Zerlegungsformel  für  [(c?ß)~\ 
hat   man ,    wie   bekannt ,    für    die   Discriminante   B  (H)    von   H : 

D(H)=fD(9). 

Bei  nicht  verschwindendem  j  bedingt  also  die  Gleichheit 
zweier  Wurzeln  von  <p  das  Nämliche  für  H  u.  umg. 

Legt  man  der  im  Moment  des  Verschwindens  von  D((p)  ent- 
stehenden gemeinsamen  Doppelwurzel  von  <p  und  U  den  Werth 
Null  bei,  so  wird  ein  penultimater  Zustand  durch 

bezeichnet,  wo  die  <p'  mit  der  beliebig  kleinen  Größe  e  nicht  zu- 
gleich verschwinden. 

Dann  sind,  in  erlaubter  Annäherung,  die  beiden,  in  die  Stelle 
Null  hineinrückenden  Wurzelpaare  von  9  und  H  bestimmt  durch 
die  quadratischen  Gleichungen: 

cpQ  +  ^^a  +  Q^a*  =  0, 

(9W3  -  9>D  +  2a(qp0 9)3  -<Pi<Pi)+«i(<Po<P*  +  %<Px<Pa-3yl)  =  0. 

Die  Discriminanten  derselben  nehmen,  unter  Vernachlässigung  hö- 
herer Potenzen  von  £,  die  Formen  an : 

DM  =  6^;,,,,    D,(H)  =  -3«(p;9j.^, 


Realitätseigenschaften  von  Raumcurven.  93 

sind  also,  falls  e  klein  genug  (positiv  oder  negativ)  gewählt  ist, 
stets  von  entgegengesetztem  Vorzeichen. 

Geht  demnach  das  eine  der  beiden  Wurzelpaare  vom  Reellen 
durch  Null  in's  Imaginäre  über,  so  befolgt  das  andere  die  umge- 
kehrte Richtung. 

Wir  kommen  zum  zweiten  Falle  für  n  =  4,  in  dem  man  ; 
die  Null  passiren  läßt  (während  D(q>)  jetzt  als  endlich  vorausge- 
setzt wird).  Da  die  Coefficienten  yx  und  cp3  jederzeit  als  ver- 
schwindend angesehen  werden  dürfen,  so  braucht  man  nur 

anzusetzen,  um  Zustände  kurz  vor  resp.  nach  Eintreten  des  reel- 
len Doppelpunktes  ((0,  oo))  anzugeben. 

Die  Form  [(a2ß)]  =  H(cp)  vereinfacht  sich  für  <p1  =  g>3  =  0 
zu: 

Die  vier  Wurzeln  der  Gleichung  [(a2ß)]  =  0  sind  dann: 


somit,  wenn  man  die  innere  Quadratwurzel  nach  dem  binomischen 
Satze  entwickelt  und  höhere  Potenzen  von  e  unterdrückt, 


V     94  V      9>4     ?  V     <P*  V    £<Pt 

Diese  Wurzeln  von  [(«2ß)l  =  0  bieten  bei  einem  Durchgange  von 
e  durch  Null  eine  Alternative  von  zwei  Möglichkeiten;  je  nach- 
dem nämlich  <p0  und  q>i  von  entgegengesetztem  oder  von  gleichem 
Vorzeichen  sind,  gehen  beide  Wurzelpaare  gleichzeitig  vom  Reel- 
len in's  Imaginäre  über  (resp.  vice  versa),  oder  aber  die  beiden 
Paare  zeigen  entgegengesetzte  Bewegung. 

Bezüglich  eines  Doppelpunktes  mit  (conjugirt)  imaginären 
Argumenten  braucht  wohl  kaum  bemerkt  zu  werden,  daß  dann 
die  vier  coincidirenden  Trefftangenten  (cffi)  vor-  wie  nachher  ima- 
ginär sind. 

Im  Wesentlichen  ebenso ,  wie  [((a/3))],  muß  sich  [a3/38]  (als  das 
dualistische  Vorkommniß)  verhalten. 

Wir  gehen  daher  gleich  über  zum  Studium  von  [a6]  und 
[cc'ß2,  (ct*ß)]  auf  Curven  ħ. 

Die  zugehörige  Fundamentalinvolution  wird  durch  das  Büschel 
von  zwei  Formen  <p*a ,  ^  dargestellt.    Die  Singularitätenform  [a*]} 


94  Franz  Meyer, 

als  Functionaldeterminante  von  cp  und  #,  beginnt  mit  den  Glie- 
dern: 

[a4]  =  it01  +  4a7t02  +  2a2  (3tt03  +  B*ia)  +  •  •  • 

wo  zur  Abkürzung  steht: 

Andererseits  ergiebt  sich  die  Singularitätenform  [a3ß2]  durch  Eli- 
mination von  ß  aus  <p«3/?2  =  0,  tp^p  =  0;  die  Anfangsglieder 
sind : 

[a3ß2]  ==  (4Ä01*18-Ä;2)  +  4aJ2Ä01«18  +  ÄM(*„-Ä0,)} 
+  2a2  (8*0jl*1,+2*u(*03+3*„)+2*01(3rM+3*83)  -  ä0S(ä04+4ä18)  -2(^03+^11)2  j  + 

Das  Criterium  für  Eintreten  der  Coincidenz  [cc5]  ist  ausgedrückt 
durch  das  Verschwinden  der  Resultante  von  <p  und  ip ,  also  im 
canonischen  Falle  cc  =  0  durch  das  Verschwinden  aller 

*„(*  =  1(2(...6). 

Demgemäß  machen  wir   wiederum    die    7t0k   mit  einer   beliebig 
kleinen  Größe  e  proportional: 


und   vergleichen   die   Discriminanten   der  Formen    [«*]    und    [cc*ß2]. 
In  erster  Annäherung  kommt: 

Df[«4]  -  10«.<*18,    Ds[<tf]  =  4.8.^>12.<, 

beide  Discriminanten  haben  also  in  der  Nähe  von  e  =  0  dasselbe 
Vorzeichen. 

Es  kommt  die  Coincidenz  [cc3ß2,  (cc2ß)]  an  die  Reihe.  Da  die 
Ermittelung  der  Anfangsglieder  der  Form  [cc2  ß]  mit  Weitläufig- 
keiten verbunden  ist,  gehen  wir  indirect  vor,  indem  wir  für  die 
Argumente  cc,  ß  der  Trefftangente  (cc2ß)  von  vornherein  die  ca- 
nonischen Werthe  cc  =  0,  ß  =  oo  festsetzen,  und  nun  eine  (und 
damit  zugleich  eine  zweite)  Schmiegungsberührebene  a3ß2  allmäh- 
lich in  die  Lage  cc  =  0,  ß  =  oo  hineinrücken  lassen. 

Die  Tangente  der  B\  an  der  Stelle  0  trifft  die  Curve  an 
der  Stelle  oo  unter  den  Bedingungen: 

ä12  =  0,     tc13  =  0,     ^23  =  0, 

wodurch  sich  die  Entwickelung  der  Form  [cc3ß2]  zur  folgenden 
vereinfacht : 


Realitätseigenschaften  von  Raumcurven.  95 

Soll  jetzt  das  Vorkommniß  [a*ß,  (cc*ß)]  für  cc  =  0,  ß  =  oo  eintre- 
ten ,  so  haben  außerdem  noch  alle  übrigen  a2k  (x  =  0,  4,  5)  zu 
verschwinden. 

Der  bezügliche  penultimate  Zustand  der  Curve  läßt  sich  wie- 
der characterisiren  durch 

^a*  =  ««i.  (*  =  0,  4,  5). 
Entwickelt  man  nunmehr    die  Discriminante    von    [«3^2]   nach   auf- 
steigenden Potenzen  von  e ,  so  lautet  das  erste  Glied : 

Da  aber  hier  das  Product  3T01äu  ebensowohl  positiver,  wie  nega- 
tiver Werthe  fähig  ist,  so  hat  die  Realität  (resp.  Imaginarität) 
eines  der  beiden  coincidirenden  Paare  a2ß2,  (cc2ß)  durchaus  keinen 
Einfluß  auf  die  Realität  des  anderen  Paares. 

Es  erübrigt  noch  die  Besprechung  der  Erscheinung  [«V2],  bei 
der  zwei  Ebenen  a3ß2  und  zugleich  zwei  Berührungspunkte  einer 
Ebene  a2ß2y2  consecutiv  werden.  Die  kleinste  zulässige  Ordnung 
der  Rl  ist  n  =  6.  Die  betreffende  Involution  setzt  sich  aus  drei 
Formen  qp«,  tpl,  %%  zusammen,  deren  Coefficientendeterminanten 
|  tpi^Xil  mit  öikl  bezeichnet  seien. 

Die  Berechnung  der  ersten  Glieder  von  der  Singularitäten- 
form [cc2ß2y2]  stößt  auf  ungemeine  Schwierigkeiten;  man  ist  wie- 
derum genöthigt,  wie  beim  letzten  Male  zu  verfahren,  und  anzu- 
nehmen, daß  eine  Ebene  bereits  an  den  Stellen  a  =  0,  ß  =  00 
und  dann  noch  an  einer  weiteren  y  die  Curve  berühre;  man  hat 
auszudrücken,   daß  y  sich  der  Stelle  0  beliebig  nähere. 

Nun  berührt  eine  Ebene  die  Curve  B  in  0,  00,  y,  sobald: 

<P2  +  2<Psy  +  <Ptr2=  0,    il>%  +  2xl>3y  +  i>y=  0,   %2  +  2%2y  +  %y  =  0. 

Andererseits  müßten,  wenn  y  wirklich  den  Werth  Null  annehmen 
sollte,  die  Coefficienten  q>2 ,  ty2 ,  %2  einzeln  verschwinden.  Im  Grenz- 
falle darf  man  also  ansetzen : 

(p2  =  ecp2,    ^2  =  eip'2,    %2  =  e%'2,    dtik  =  ed'M, 

wo  die  qpj,  1^,  %'2  und  (vorderhand  auch)  die  d2ik  mit  s  nicht  ver- 
schwindende Größen  sind. 

Combinirt  man  die  beiderlei  Ansätze,  so  erkennt  man,  daß 
die  Größen  y  und  e  von  derselben  Ordnung  der  Kleinheit  sind: 

y  =  xs  (x  endlich), 


96  Franz  Meyer, 

und  es  resultiren  nach  leichter  Rechnung  die  Relationen 


s2x 


1 


"»23  —        2     '2*'      ,s*  2x     4 ' 

sodaß  die  d<28  diejenigen  unter  den  Größen  ö2ik  sind,  welche  sogar 
mit  der  zweiten  Potenz  von  s  proportional  werden. 

Auf  diese  Hülfsmittel  gestützt,  gelingt  die  Entscheidung  über 
das  Vorzeichen  der  Discriminante  der  Form  [cc3ß2]  für  kleine 
Werthe  von  s.  Die  Form  [a3ß2]  ist  selbst  eine  Discriminante, 
nemlich  diejenige  der  Gleichung  dritten  Grades  für  die  Rest- 
punkte, welche  die  Ebene  a3  aus  der  R6  noch  ausschneidet. 

Führt  man  die  Bildung  aus,  indem  man  sich  auf  die  drei 
ersten  Coefficienten  beschränkt,  die  letzteren  nach  steigenden  Po- 
tenzen von  s  entwickelt  und  sich  wiederum  mit  der  jeweils  nie- 
drigsten Potenz  begnügt,  so  hat  man: 

-4.9.£M13«+... 

und  in  Folge  dessen  für  genügend  kleine  e : 

i.e.  unbedingt  positiv.  Mithin  ist  das  Ebenenpaar  asß3,  welches 
beim  Eintreten  von  [a4ß2]  benachbart  wird,  stets  zugleich  mit  dem 
Paare  von  coincidir enden  Berührungspunkten  einer  Tritangential- 
ebene  reell  (resp.  imaginär). 

Hiermit  ist  eine  vollständige  Einsicht  in  die  Lage  der  fünf 
Singularitätencurven  S  längs  ihrer  Tangenten  x  =  xt  und  im  Be- 
sondern hinsichtlich  der  gegenseitigen  Berührung  zweier  verschie- 
dener Curven  S  gewonnen. 

Das  ist  aber  nur  das  Bild  für  die  Thatsache,  daß  wir  jetzt 
sämmtliche  Möglichkeiten  erschöpfen  können,  die  sich  bezüglich 
einer  Realitätsveränderung  unserer  fünferlei  singulären  Curvenele- 
mente  darbieten. 

Indem  wir  alle  Uebergänge  bei  Seite  lassen,  bei  denen  die 
betheiligten  reellen  (imaginären)  Elemente  reell  (imaginär)  bleiben, 
beachten  wir  in  erster  Linie  die  isolirte  Stellung,  welche  die  vier- 
fachen Sehnen  (aß yd)  einnehmen. 

Vermöge  der  Coincidenz  (cfßy)  geht  eine  solche  Gerade  mit 
vier  reellen  Treffpunkten  über  in  eine  solche  mit  nur  zwei  reellen, 


Realitätseigenschaften  von  Raumcurven.  97 

oder  auch  eine  letztere  über  in  eine  solche  mit  keinem  reellen 
Treffpunkt  (resp.  vice  versa),  ohne  daß  irgend  ein  Ersatz  seitens 
der  andern  Singularitäten  stattfindet. 

Ebenso  verhält  es  sich  mit  der  Erscheinung  [(aß yd)*],  wo 
zwei  reelle  Gerade,  die  zugleich  irgend  einer  der  eben  erwähnten 
Arten  angehören,  vom  Reellen  in's  Imaginäre  übergehen  (oder 
auch  umgekehrt). 

Ein  theilweise  ähnliches,  theilweise  aber  auch  anderes  Ver- 
halten zeigen  die  Tritangentialebenen  a2ß2y2. 

Beim  Eintreten  von  [a2ß2y2]  oder  von  [a*ß2y2,  (aßy)]  rücken 
wiederum  zwei  reelle  Ebenen  a2ß2y2,  sei  es  mit  drei  oder  auch  nur 
einem  reellen  Berührungspunkt,  zusammen,  um  imaginär  zu  wer- 
den (resp.  umg.),  gleichfalls  ohne  Compensation. 

Dagegen  wird  beim  Passiren  von  [a*ß2]  der  Uebergang  von 
einem  Paar  reeller  (imaginärer)  Berührungspunkte  einer  Ebene 
a2ß°~y2  in's  Imaginäre  (Reelle)  begleitet  von  einem  durchaus  gleich- 
verlaufenden eines  Paares  von  Ebenen  asß2. 

Dieselbe  Begleiterscheinung  bemerkt  man  beim  Ueberschreiten 
von  [cc5],  wo  sich  ein  Paar  von  Ebenen  a3ß2  mit  einem  Paare  von 
Ebenen  cc*  in  paralleler  Bewegung  befindet. 

Bei  [a*ß2,  (a2ß)]  fand  zwischen  dem  Paar  von  Ebenen  a*ß2 
und  demjenigen  von  Geraden  (a2ß)  keine  Realitätsabhängigkeit 
statt  d.  h.  während  etwa  ein  reelles  Paar  dort  gewonnen  wird, 
kann  hier  ein  sslches  ebensogut  gewonnen  wie  verloren  werden. 

Eine  entsprechende  Zweideutigkeit  kommt  den  Vorgängen 
[a'ß5]  und  [{(aß))]  zu,  an  denen  sich  jedesmal  zwei  Paare  von  Ebe- 
nen azß2  resp.  Geraden  (a2ß)  betheiligen.  Entweder  geht  die  Rea- 
lität beider  Paare  zugleich  verloren  (oder  wird  gewonnen);  es 
kann  aber  auch  ein  reelles  Paar  von  einem  imaginären  begleitet 
sein,  die  dann  nach  dem  Durchgange  durch  das  bez.  Vorkommnis 
nur  ihre  Rolle  vertauscht  haben. 

Endlich  hat  die  Coincidenz  [(a3)]  wieder  etwas  ihr  Eigentüm- 
liches, hier  gesellt  sich  ein  reelles  (imaginäres)  Paar  von  Ebenen 
a4,  zu  einem  imaginären  (reellen)  Paar  von  Geraden  (a2ß),  um  nach 
dem  Durchgange  je  in  den  entgegengesetzten  Zustand  zu  gerathen. 

Um  den  Kern  dieser  Ergebnisse  kurz  in  Zeichen  zu  fixiren, 
sei  die  Anzahl  der  reellen  Ebenen  aA  einer  Raumcurve  C  mit  w' 
bezeichnet,  der  reellen  Ebenen  a*ß*  mit  *',  der  reellen  Geraden 
(a2ß)  mit  d'}  sowie  endlich  die  Anzahl  der  reellen  Ebenen  a%ß%yt 
mit  nur  einem  einzigen  reellen  Berührungspunkt  mit  T". 


98  Franz  Meyer, 

„Dann  bleibt  bei  beliebigen  Deformationen  der 
Curve  C  das  Aggregat1) 

w'+d'-t'-2T" 

entweder  ganz  unverändert  —  wie  z.B.  stets  beim 
Passiren  der  Coincidenzen  [a5],  [(u3)],  [cfß*]  —  oder  es 
erfährt  eine  Zu-  (resp.  Ab-)  nähme  um  ganze  Viel- 
fache von  Vier,  während  es  immer  Fälle  giebt,  in  de- 
nen einzelne  Bestandtheile  des  Aggregates  nur  um 
Zwei  sich  ändern." 

Ein  einfaches  Beispiel  liefert  die  Raumcurve  vierter  Ordnung 
zweiter  Species  B\.  Hier  treten  nur  (vier)  Ebenen  u*  und  (vier) 
Gerade  (a2ß)  auf,  sodaß  sich  unser  Aggregat  auf  w'+d'  reducirt. 
Auf  Grund  des  letzten  Satzes  bieten  sich  zwei  Möglichkeiten; 
entweder  könnte  w'-\-ä'  =  0,  4,  8  sein,  oder  aber  =  2,6.  Ver- 
möge der  oben  erörterten  Realitätseigenschaften  der  Form  [a4]  und 
ihrer  Hesse'  sehen :  [(cc2ß)] ,  sowie  vermöge  der  bekannten  Bedeu- 
tung, welche  das  Verschwinden  der  Invariante  ;  für  die  erstere 
Form  besitzt,  läßt  sich  die  Entscheidung  dahin  abgeben,  daß  die 
zweite  Möglichkeit  w'+d'  =  2,  6  überhaupt  nie  eintritt,  und  bei 
der  ersten  allein  die  beiden  Fälle  w'-\-  d'  =  0,  4  existiren.  Des 
Näheren  wird  man ,  abgesehen  von  Uebergangscurven  mit  zusam- 
mengesetzten Singularitäten ,  auf  vier  verschiedene  Typen  von 
B\  geführt. 

Geht  man  nämlich  von  einer  Curve  mit  isolirtem  Doppelpunkt 
((ccß))  aus,  und  löst  denselben  auf,  so  hat  man  den  ersten  Typus 
w'  =  4,  df  =  0.  Um  den  letzteren  zu  verlassen,  muß  man  sich 
nothwendig  der  Brücke  einer  stationären  Tangente  (as)  bedienen, 
dann  kommt  w'  =  2,    d'  =  2. 

In  diesem  Zustande  kann  wohl  ein  Doppelpunkt  mit  reellen 
Tangenten  passirt  werden,  ohne  indessen  den  Typus  als  solchen 
umzugestalten.     "Will   man  zu  einer  neuen  Art  von  B\  gelangen, 


1)  Wegen  des  Ansatzes  sehe  man  nach  bei  B  r  i  1 1  1.  c.  §  7. 

Besitzt  die  Curve  auch  noch  die  zu  a4  und  a2ß2y2  dualistischen  Singularitä- 
ten ,  so  sind  die  bez.  Kealitätsanzahlen  von  w   resp.  2  T"  abzuziehen. 

Will  man  nur  die  Aenderungen  modulo  4  hervorheben,  so  werden  selbstre- 
dend die  Vorzeichen  bedeutungslos. 

Die  Entwickelungen  des  Textes  stützen  sich  zwar  zunächst  auf  solche  De- 
formationen der  Curve,  die  von  nur  einem  willkürlichen  Parameter  abhängen: 
indessen  ist  leicht  zu  sehen,  daß  auch  Durchgänge  durch  complicirtere  Coinciden- 
zen zulässig  sind,  da  man  immer  Nachbarwege  einschlagen  kann,  welche  jene 
vermeiden. 


Realitätseigenschaften  von  Raumcurven.  99 

so  muß  man  abermals  durch  (a3)  Hindurch,  und  es  wird  drittens 
ivr  =  0,  ä'  =  4.  Um  endlich  von  hier  aus  zum  letzten  Typus 
zu  gelangen,  ist  als  Uebergangsmittel  ein  Doppelpunkt  mit  reel- 
len Tangenten  erforderlich,  dann  entsteht  w'  =  0,  d'  =  0  mit  der 
Summe  w'+  d'  =  0,  während  in  den  drei  zuvor  angegebenen  Fäl- 
len gleichmäßig  w'+d'  =  4  war. 

Zum  Schlüsse  möge  ein  Vergleich  zwischen  der  bekannten, 
von  H.  Klein1)  herrührenden  Relation  zwischen  Realitätsanzah- 
len  von  Singularitäten  ebener  Curven  und  dem  hier  mitgetheilten 
entsprechenden  Ergebniß  für  Raumcurven  gezogen  werden. 

Da  macht  sich  sofort  ein  auffälliger  Unterschied  bemerkbar. 

Während  nämlich  die  Klein' sehe  Formel  im  Wesentlichen 
aussagt,  daß  ein  gewisses  Aggregat  von  Realitätsanzahlen  nur 
noch  von  der  Ordnung  und  Klasse  der  ebenen  Curve  abhängt, 
und  somit  irgend  welchen  Deformationen  der  Curve  gegenüber  in- 
variant bleibt,  wenn  nur  Ordnung  und  Classe  die  alten  geblieben 
sind,  können  wir  für  die  bez.  Realitätsanzahlen  von  Raumcurven 
nur  eine  Congruenz  mod.  4  constatiren,  wenn  eben  etwas  hinsicht- 
lich beliebiger  Deformationen  Allgemeingültiges  behauptet  werden 
soll. 

Die  Quelle  des  betonten  Unterschiedes  zwischen  Ebene  und 
Raum  ist  offenbar  darin  zu  suchen,  daß  die  räumliche  Ausdehnung 
der  Begriffe :  Wendetangente  „cc3U,  Doppeltangente  „a*ßiu  und 
Doppelpunkt  „(aß)"  für  Curven  je  in  doppelter  Richtung  vor  sich 
gehen  kann  —  a3  spaltet  sich  in  a4,  und  a3ß2,  a2ß2  in  a9ß2  und 
a2ß2y,  endlich  (aß)  in  (a2ß)  und  (aß yd)  —  und  daß  infolge  dessen 
die  Zwischenstufe  des  „Isolirten",  wie  sie  bei  a2ß*  und  (aß)  in 
der  Ebene  vorhanden  ist,  im  Räume  bei  a2ß2y2  und  (aß yd)  zwar 
zwar  noch  ganz  analog  existirt,  bei  a3ß2  und  (a2ß)  aber  nicht 
mehr. 

Beispielsweise  kann  also  bei  einer  Selbstberührung  ,,[a2ß2)  (aß)]u 
in  der  Ebene  ein  Paar  von  reellen,  eigentlichen  Doppelpunkten 
ebensowohl  in  Begleitung  eines  Paares  von  eben  solchen  Doppel- 
tangenten, wie  eines  Paares  von  imaginären  Doppeltangenten  coin- 
eidiren  —  völlig  in  derselben  Weise,  wie  im  Räume  bei  [a80a,  (<t*ß)] 
ein  Paar  a3ß2  und  ein  Paar  (a2ß)  —  dagegen  ist  ein  Paar  von 
isolirten  Doppelpunkten  bei  der  Selbstberührung  stets  mit  einem 
Paare  von  isolirten  Doppeltangenten  verknüpft,  welche  dann  beide 
zugleich  in's  Imaginäre  übergehen,  und  dazu  fehlt  die  Parallele 
im  Räume.    Daher  kann  in   der  Ebene  immer  noch  ein  Ausgleich 


1)  Math.  Annalen  Bd.  X. 


100  Franz  Meyer,  Realitätseigenschaften  von  Raumcurven. 

zwischen  den  Anzahlen  der  isolirten  Gebilde  beiderlei  Art  statt- 
finden, während  ein  solcher  im  Räume  unmöglich  wird. 

Hingegen  tritt  die  Analogie  hinsichtlich  der  Coincidenzen  [a*] 
und  [(a2)]  (Undulation  und  Spitze)  dort,  und  der  Coincidenzen 
[a5],  [a*ß2]  und  [(a3)]  hier  besonders  deutlich  hervor. 

Clausthal,  den  21.  Februar  1891. 


Bei  der  Kgl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  einge- 
gangene Druckschriften. 


Man  bittet  diesa  Verzeichnisse  zugleich  als  Empfangsanzeigen  ansehen  zu  wollen. 


August,  September  und  Oktober  1890. 

(Fortsetzung.) 

Annali  della  R.  Scuola  normale    superiore    di  Pisa.     Scienze  fisiche  e  matema- 

tiche.     Vol.  VI.     (della  serie  vol.  XII.)     Pisa  1889. 
Le  opere  di  Galileo  Galilei.     Ediz.  nazionale   sotto   gli   auspicii   di  S.  M.  il  Re 

d'ltalia.    Vol.  I.     (2  Exempl.  No.  147.  161.)     Firenze  1890. 
Bollettino    delle   publicazioni   italiane.     (Bibliot.    naz.    di  Firenze.)     1890.     No. 

110—115.     Firenze  1890.  —  Indice  alfabetico  delle  opere  1889.     A-Sai. 
Bollettino  delle  opere  moderne  straniere.    Bibliot.  naz.  centr.  Vittorio  Emanuele 

di  Roma.)      Vol.   IV.     No.  6.      Nov./Dic.    1889.      Nebst    Titelblatt.      Vol.  V. 

No.  1.     Gennaio  1890.     Roma  1890. 
Annuaire  de  l'Observatoire  municipal  de  Montsouris  pour  Tan  1890.    Paris. 
United  States  Geological  Survey. 

a.  Eighth  annual  report.     1886-87.     Part  1.  2.     Washington  1889. 

b.  Bulletin.     No.  54-57.    Ebd.  1889/90. 

c.  Monographs.     Vol.  XV.     Part  1.  2.     Vol.  XVI.     Ebd.  1889. 

Annual  report  of  the  board  of  regents  of  the  Smithsonian  Institution  for  the 
year  ending  June  30,  1886.  Part  2.  —  ...  for  the  year  ending  June  30, 
1887.     Part.  1.  2.     Washington  1889. 

Annual  report  of  the  chief  signal  officer.  War  Department.  1889.  Part  1.  2 
(Appendix  15).     Washington  1890. 

U.  S.  Naval  Observatory. 

a.  Observations  made  during  the  year  1884.     Washington  1889. 

b.  Report  of  the  Superintendent  for  the  year  ending  June  30, 1889.    Ebd.  1889. 
Bulletin   of  the  Museum   of  comparative    zoology  at   Harvard  College.     Whole 

Series.    Vol.  XVI.   No.  9.    Vol.  XX.  No.  2.     Cambridge  IL  S.  A.  1890. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Inhalt  von  Nr.  2. 

W.  Voigt,  Beiträge  zur  Hydrodynamik.  I.  II.  —    0.  Yensice,  Integration  eines  speciellen  Systems  linearer, 

homogener  Differentialgleichungen  mit  doppelt-periodischen  Functionen  als  Coefflcienten.  —  Franz  Meyer, 

über  Kealitätseigenschaften  von  Raumcurven.  —  Eingegangene  Druckschriften. 

Für  die  Redaction  verantwortlich:    H.  Sauppe,  Secretär  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 
Commissions-Yerlag  der  Dieterich' sehen   Verlags- Buchhandlung. 
Druck  der  Dieterich' sehen  Univ.- Buchdrucker  ei  ( W.  Fr.  Kaestner). 


Nachrichten 

von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu  Göttingen. 


20.  Mai.  J^  3.  1891. 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  7.  März. 

F.  Kielhorn  legt  vor:  „Die  Colebrooke'schen  Pänini-Handschriften  der  König- 
lichen Bibliothek  zu  Göttingen." 

Riecke  legt  eine  Abhandlung  des  Herrn  Dr.  Gustav  Tammann  in  Dorpat 
vor:  „Ueber  die  Stromleitung  durch  Niederschlagsmembranen." 


Die  Colebrooke'schen  Pänini-Handschriften  der 
Königlichen  Bibliothek  zu  Göttingen. 

Von 

F.  Kielhorn. 

Die  Göttinger  Bibliothek  hat  die  Ehre  eine  kleine  Sammlung 
Colebrooke'scher  Handschriften  ihr  eigen  nennen  zu  dür- 
fen. Durch  welches  tragische  Geschick  sie  in  den  Besitz  dieses 
Schatzes  gekommen  ist ,  zeigt  ein  in  den  Akten  der  Bibliothek  be- 
findlicher Brief1),  dem  ich  folgende  Stellen  entnehme:  — 

„Mein  vor  15  Jahren  verstorbener  ältester  Sohn,  der  Professor 
Bösen  in  London,  ordnete  im  Jahre  1837  auf  Bitte  des  allmählig 
ganz  erblindenden  T.  Colebrooke  die  Sammlung  und  den  sorgfal- 


1)  Der  Schreiber  des  Briefes,  Vater  des  zu  früh  verstorbenen  Orientalisten 
F.  A.  Rosen,  studierte  in  Göttingen  zuerst  Philologie  1793—98  (Dr.  phil.  1798), 
dann  seit  1802  Jurisprudenz  (Dr.  juris  1803),  und  war  bis  1816  Docent  in  der 
juristischen  Facultät. 

Nachrichten   d.  K.  ü.  d.  W.  zu  Göttiugen.    J89J.    Mr.  8.  8 


102  F.  Kielhorn, 

tigen  Wiederabdruck  der,  hauptsächlich  in  den  Asiatick  researches, 
zerstreueten ,  sich  auf  indische  Sprache  und  Literatur  beziehenden 
Aufsätze  (Essays)  desselben  an,  welche  denn  auch  im  Todesjahre 
Beider  (1837)  bekanntlich  erschienen  sind.  Bei  dieser  Gelegenheit 
und  in  Anerkennung  der  Mühe,  welche  mein  Sohn  von  diesem  Ge- 
schäfte hatte,  schenkte  Colebrooke  ihm  einige  Handschriften  von 
Sanskritwerken,  die  reich  mit  seinen  beigeschriebenen  Anmerkungen 
grammaticalischen  und  lexicalischen  Inhalts  versehen  sind ,  in  de- 
nen man  Vorarbeiten  zu  den  Werken  des  berühmten  Sanskritisten 
erkennen  kann. 

Diese  Mspte  befinden  sich  seit  dem  Tode  meines  Sohnes  in 
meinem  Besitze.  Herr  Prof .  L  a  s  s  e  n  in  Bonn  hatte  vor  13  Jahren 
die  grosse  Güte,  für  mich  ein  Verzeichniss  dieser  und  anderer  zum 
literarischen  Nachlasse  des  Verstorbenen  gehörigen  Handschriften 
anzufertigen.     Eine  von  diesen  enthält 

A  grammar  of  the  Sanscrit  language  from  the  text  of  Pä- 
nini  and  the  commentaries   of  Bamachandra,    Bhattoji  Dik- 
shita  etc.  —  (Devanagari-Schrift).  —   Herr  Pr.  Lassen  hat 
dabei  bemerkt   ;;es  ist  Pänini  mit  Colebrooke's  handschrift- 
licher Uebersetzung   und  wahrscheinlich  die  vorbereitende 
Arbeit  zu  seiner  Grammatik". 
Die  Colebrooke'schen  Anmerkungen  scheinen  aus  den  letzten  neun- 
ziger Jahren   des   vorigen  Jahrhunderts   herzurühren  und   werden 
allerdings  nicht  mehr  im  Stande  seyn,  dem  in  den  letzten  50  Jah- 
ren so  weit  geförderten  Sanskritstudium  noch  irgend  bedeutend  zu 
statten  zu  kommen ;    allein   die  Handschriften  haben   sicher   noch 
immer  hohen  Werth  als  autographische  Denkmale  jenes  würdigen 
Gelehrten,   und   sie   verdienen   aus  dem  Privatbesitze  eines  Dilet- 
tanten,  wo  sie  später  manchen  Gefahren  ausgesetzt  sind,    in  eine 
öffentliche  Bibliothek  überzugehen. 

Ich  biete  sie  dem  Bücherschatze  der  noch  immer  dankbar  von 
mir  verehrten  Georgia  Augusta  als  Geschenk  an. 

Bei  dieser  Schenkung  mache  ich  eine  einzige  Bedingung.  Es 
ist  folgende.  —  Nach  dem  Tode  meines  unverges suchen  Sohns  über- 
sandten mir  seine  Londoner  Freunde,  unter  andern  rührenden  Be- 
weisen ihrer  Theilnahme  an  meinem  Verluste  auch  eine  von  Bd. 
Westmacott  gearbeitete  Marmorbüste  des  Verstorbenen.  Dass  ich 
diese  Büste  so  lange  ich  lebe  bewahren  werde  versteht  sich  von 
selbst.  Ich  werde  aber  anordnen,  dass  dieselbe  nach  meinem  nicht 
mehr  fernen  Ableben  ebenfalls  an  die  Universitätsbibliothek  in 
Göttingen  übersandt  werde.  —  Nun  bitte  ich  mir  nur  von  der  vor- 


Colebrooke's  Pänini-Handschriften  der  Königl.  Bibliothek  zu  Göttingen.     103 

gesetzten  Behörde  dieser  Bibliothek  ein  schriftliches  Versprechen 
aus,  dass  die  Büste,  wenn  Ihr  dieselbe  übersandt  worden,  in  einem 
der  Bibliotheksäle  aufgestellt  werden  solle.  —  Das  Bild  eines  zu 
früh  dahingerafften  Mannes,  der  sich  nicht  bloß  durch  Gelehrsam- 
keit, sondern  auch  durch  unermüdete  Dienstfertigkeit  gegen  andere 
Gelehrte  die  Achtung  und  Liebe  seiner  Zeitgenossen  erworben, 
und  dessen  Namen  auch  in  Göttingen  nicht  vergessen  ist,  wird 
diesen  Sälen  nicht  zur  Unzier  gereichen. 

Detmold  den  25sten  Sept.  1852. 

Dr.  Ballhorn-Rosen , 
F.  Lipp.  Canzler." 

Die  in  diesem  Briefe  erwähnten  Handschriften,  neun  Folio- 
Bände,  wurden  der  Bibliothek  im  October  und  December  des  Jah- 
res 1852  übersandt,  zusammen  mit  einem  Exemplare  des  7ten  Ban- 
des der  Asiatic  Besearches,  das  ebenfalls  aus  Colebrooke's  Bibliothek 
stammt  und  manche  Bemerkungen  von  seiner  Hand  enthält,  und 
einem  Exemplare  seiner  Essays.  Die  Büste  Friedrich  August 
ßosen's  ziert  seit  Februar  1856  den  großen  historischen  Saal  der 
Bibliothek. 

Es  ist  nicht  meine  Absicht,  eine  Beschreibung  sämmtlicher 
Handschriften  zu  liefern,  die  so  in  den  Besitz  der  Bibliothek  über- 
gegangen sind;  und  ich  brauche  dies  um  so  weniger  zu  thun,  als 
ein  Verzeichniß  aller  unsrer  Sanskrit-Handschriften1)  in  Professor 
Wilhelm  Meyer' s  Kataloge  der  Göttinger  Handschriften  seine 
Stelle  finden  wird.  Aber  ich  halte  es  für  meine  Pflicht,  hier  we- 
nigstens auf  die  darunter  befindlichen  Handschriften  der  Gramma- 
tik des  Pänini  aufmerksam  zu  machen ;  denn  wegen  der  reichen 
Bemerkungen  Colebrooke's,  die  sie  enthalten,  besitzen  diese 
Handschriften  noch  immer  einen  grossen  Werth.  Colebrooke's  Ver- 
suche die  Grammatik  des  Pänini  in  eine  europäische  Sprache  zu 
übertragen,  mit  denen  wir  hier  bekannt  werden,  zeigen,  daß  er 
sich  schon  gegen  das  Ende  des  vergangenen  Jahrhunderts  wie  kein 
andrer  Europäer  vor  oder  nach  ihm  mit  der  Technik  der  indischen 
Grammatik  vertraut  gemacht  hatte.  Und  die  Probe  einer  Ueb» t- 
setzung  des  Pänini  mit  erklärendem  Commentare  in  englischer 
Sprache,  die  eine  dieser  Handschriften  im  Anhange  enthält,  \ 
räth  überall,  durch  wie  umfassende  und  tiefgehende  Studien  im 
Bereiche  der  grammatischen  Literatur  er  sich  für  das  von  ihm  be- 
absichtigte Werk  vorbereitet  hatte.  Es  ist  darum  nicht  zu  ver- 
wundern,   daß   Colebrooke's  Uebersetzungen   mancher  schwierigen 


1)  Bearbeitet  von  einem  meiner  Schüler,  Herrn  H.  Lüders. 

8* 


104 

Regel,  die  sich  in  den  Handschriften  zerstreut  finden,  bis  heute 
kaum  erreicht,  viel  weniger  übertreffen  sind;  und  daß  das,  was 
er  uns  bietet,  fast  immer  geeignet  ist  uns  das  Verständniß  einer 
Regel  zu  erleichtern  oder  den  richtigen  Ausdruck  für  ihre  Ueber- 
setzung  finden  zu  lassen,  auch  wo  wir  ihm  nicht  ganz  beistimmen 
können. 

Diese  Handschriften  des  Pänini  sind  in  den  Katalogen  der 
Bibliothek  als  Cod.  MS.  Orient.  207,  208,  und  209  bezeichnet. 
Alle  drei  sind  von  Eingebornen  in  Devanägari  Schrift  auf  starkem 
europäischen  Papiere  großen  Formats  (etwa  48  Centimeter  hoch 
und  29 — 32  Centimeter  breit)  nach  Art  europäischer  Bücher  ge- 
schrieben. 

Das  Papier  von  208  und  209,  um  die  weniger  wichtigen  Hand- 
schriften vorweg  zu  nehmen,  enthält  Wasserzeichen  der  Jahre  1801 
und  1802.  In  beiden  ist  es  auf  beiden  Seiten  beschrieben,  und 
jede  Seite  enthält  zwei  Coluninen  mit  leeren  Zwischenräumen,  die 
von  Colebrooke  für  eigne  Bemerkungen  bestimmt  waren  und  für 
solche  benutzt  sind. 

No.  208,  aus  62  Blättern  bestehend,  enthält  nach  Colebrooke's 
Aufschrift  „Pänini's  Sütras  or  Rules  of  Grammar";  in 
Wirklichkeit  aber  in  schwarzer  Schrift  den  Text  der  Sütras,  und 
in  rother  Schrift  Zusatzregeln  oder  sonstige  Bemerkungen  (Yärt- 
tikas,  Kärikäs  etc.)  aus  der  Käsikä-Vritti.  Manche  Regeln  sind 
von  Colebrooke  kurz  übersetzt;  öfter  hat  er  den  Paragraphen  sei- 
ner Grammatik  angegeben,  in  dem  sich  die  Uebersetzung  findet 
oder  wo  der  betreffende  Gegenstand  behandelt  wird.  Außerdem 
hat  er  vielen  Regeln  oder  Bemerkungen  des  Sanskrit  Textes  ge- 
wisse Zeichen  (arbitrary  marks,  —  eine  Hand,  einen  Stern,  einen 
Dolch ,  u.  a.)  vorgesetzt,  durch  welche  er,  wie  er  selbst  angibt,  an- 
deuten wollte,  unter  welche  der  folgenden  Rubriken  eine  Regel 
oder  Bemerkung  fällt:  — 

1.  A  rule  premised  (d.  i.  eine  Adhikära-regel). 

2.  A  maxim  (d.  i.  eine  Paribhäshä). 

3.  An  exposition  (d.  i.  eine  Samjnä-regel). 

4.  A  rule  peculiar  to  the  Veda. 

5.  An  emendatory  rule  or  Värttika. 

6.  A  remark  (Ishti)  extracted  from  the  Bhäshya. 

7.  A  metrical  rule  or  Kärikä. 

8.  A  memorial  verse. 

9.  A  list  from  the  Ganapätha. 

Colebrooke's  in  dieser  Handschrift  enthaltene  Uebersetzungen 
einiger  wichtigen  Regeln  hoffe  ich   an  andrer  Stelle  nutzbar   zu 


Colebrooke's  Pänini-Handschriften  der  Königl.  Bibliothek  zu  Göttingen.     105 

machen.  Hier  möchte  ich  nur  noch  bemerken,  daß  zwischen  Blatt 
1  und  2  dieser  Handschrift  ein  Blatt  mit  dem  Wasserzeichen  des 
Jahres  1801  eingeheftet  ist,  auf  dem  Colebrooke  die  „Grammarians 
named  in  the  Preface  of  the  Ganaratna  Mahodadhi,  as  explained 
by  Bardhamäna  (Pupil  of  Grövinda  Siiri)"  verzeichnet  hat. 

No.  209,  aus  107  Blättern  bestehend,  wird  am  Anfange  und 
am  Schlüsse  vom  Schreiber  als  Päninisütrabhäshyavärt- 
tika  bezeichnet,  und  enthält  in  der  That  die  Sütras  des  Pänini 
mit  Värttikas  und  andern  Auszügen  aus  dem  Mahäbhäshya.  Es 
unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  wir  in  dieser  Handschrift  den  er- 
sten Versuch  vor  uns  haben,  der  Grammatik  des  Pänini  die  Form 
zu  geben,  die  sie  später  in  der  Calcuttaer  Ausgabe  der  Ashtädhyäyi 
erhalten  hat.  Colebrooke's  handschriftliche  Bemerkungen  sind  nicht 
zahlreich.  Doch  kann  ich  auf  zwei  Punkte  aufmerksam  machen, 
welche  beweisen  wie  weit  er  auch  in  dem  Verständniß  und  der 
richtigen  Erkenntniß  der  Natur  des  Mahäbhäshya  seiner  Zeit  voraus 
war.  Ein  formeller  Punkt  besteht  darin  daß  er,  bei  Regeln  die 
er  studiert  hat,  die  Worte  Jcartavya  und  vaJctavya,  wo  sie  der  Schrei- 
ber oder  Pandit  an  das  Ende  eines  Värttika  gesetzt  hatte,  als  nicht 
zum  Texte  des  Värttika  gehörig  gestrichen  hat.  Und  bedeutsamer 
noch  ist  der  zweite  Punkt,  daß  nämlich  Colebrooke  schon  hier  das 
Mahäbhäshya  als  einen  Commentar  zu  den  Värttikas  bezeich- 
net, und  —  wiederum  durch  arbitrary  marks  —  dann  und  wann 
angedeutet  hat,  daß  gewisse  Värttikas  von  Patafijali  adoptiert,  an- 
dere verbessert,  und  noch  andre  vermittelst  einer  künstlichen  Er- 
klärung der  Regeln  des  Pänini  zurückgewiesen  werden. 

Wichtiger  ist  die  dritte  Handschrift,  No.  207  unsrer  Kataloge, 
die  von  Colebrooke  selbst  als  „A  Grammar  of  the  Sanscrit 
Language;  from  the  text  of  Päiiini,  and  the  commen- 
taries1)  of  Räma-chandra,  Bhattoj  i-dicshita,  and 
others"  bezeichnet  wird.  Diese  Handschrift  enthält  zunächst  auf 
73  Blättern  ,  die  das  Wasserzeichen  des  Jahres  1794  tragen ,  den 
Text  der  Ashtädhyäyi,  so  geschrieben  daß  rechts  vom  Texte  reich- 
licher Raum  für  handschriftliche  Bemerkungen  blieb.  Da  dieser 
Raum  indessen  nicht  genügte,   wurden   später  noch  81  Blätter2), 


1)  Unter  diesen  Commentaren  sind  ohne  Zweifel  die  Prakriyd-kaumudi  und 
die  Siddhänta-kaumudi  zu  verstehn,  die  besten  Werke,  die  sich  Colebrooke  für 
den  Anfang  hätte  wählen  können. 

2)  Außerdem  liegen  in  der  Handschrift  einige  lose  Blätter  mit  Uebersetzun- 
gen  einzelner  Regeln;  und  ein  Briefkouvert  mit  dem  Wasserzeichen  1797,  das 
von  Colebrooke  an  J.  H.  Harington  Esq.,  und  von  diesem  an  H.  Colebrooke  Esq. 
zurück  adressiert  ist.    John  Herbert  Harington,  Civilbeamter  im  Dienste  der  East 


106  F-  Kielhorn, 

mit  dem  Wasserzeichen  des  Jahres  1796 ,  zwischen  den  Blättern 
des  Textes  eingefügt.  Der  neben  dem  Texte  gelassene  Raum  nnd 
die  so  eingeschobenen  Blätter  enthalten  Colebrooke's  Uebersetzung 
von  etwa  drei  Vierteln  sämmtlicher  Regeln  der  Grammatik  des 
Pänini.  Nahezu  vollständig  übersetzt  ist  Alles,  was  sich  auf  die 
Technik  der  indischen  Grammatik,  auf  die  Lautlehre,  die  Declina- 
tion  und  Conjugation,  die  Bildung  der  Feminin  stamme,  die  Bedeu- 
tung der  Suffixe  und  die  Syntax  bezieht;  und  in  den  Abschnitten, 
die  von  der  Composition  der  Nomina ,  den  krit  und  taddhita  Suf- 
fixen handeln,  sind  wenigstens  die  Regeln  allgemeinern  Inhalts  er- 
klärt und  die  sich  aus  den  Regeln  ergebenden  Resultate  bisweilen 
durch  tabellarische  Uebersichten  erläutert  worden.  Nicht  übersetzt 
sind  im  Wesentlichen  nur  die  Regeln  über  die  Accente  und  die 
Sprache  des  Yeda.  Ich  hege  keinen  Zweifel,  daß  der  Anfang  mit 
dieser  Uebersetzung  gemacht  wurde,  als  Colebrooke  zum  ersten 
Male  den  Pänini  mit  seinen  Pandits  studierte.  Aber  es  ist  sicher, 
daß  er  später,  als  er  die  Commentare  selbst  verstehn  gelernt  hatte, 
aber  schon  ehe  er  seine  Sanskrit  Grammatik  veröffentlichte ,  das 
zuerst  Niedergeschriebene  immer  wieder  zu  verbessern  gesucht  hat. 
Ich  könnte  mehr  als  eine  schwierige  Regel  anführen,  von  der  uns 
die  Handschrift  drei  oder  vier  Versuche  einer  Uebersetzung  bietet, 
die  aber  alle  von  der  in  Colebrooke's  Grammatik  gedruckten  Ueber- 
setzung derselben  Regel  noch  übertroffen  werden. 

Ich  bin  überzeugt,  daß  Colebrooke  in  den  letzten  Jahren  des 
verflossenen  Jahrhunderts  die  Absicht  gehabt  hat,  den  Text  der 
Grammatik  des  Pänini  mit  einer  englischen  Uebersetzung  und  einem 
Commentare  in  englischer  Sprache  herauszugeben,  und  daß  er  sich 
erst  später,  durch  äußere  Umstände  veranlaßt,  entschloß,  das  von 
ihm  gesammelte  Material  in  seiner  (leider  nie  vollendeten)  Sans- 
krit Grammatik  zusammenzustellen  und  die  Herausgabe  des  Textes 
des  Pänini  den  Calcuttaer  Pandits  zu  überlassen.  Auf  jeden  Fall 
enthält  unsre  Handschrift  in  einem  Anhange  auf  11  Blättern  Co- 
lebrooke's Reinschrift  einer  Uebersetzung  des  größten  Theiles  des 
ersten  Adhyäya  von  Pänini' s  Werke,  und  seinen  Commentar  zu 
einer  beträchtlichen  Anzahl  von  Regeln.  Die  hier  übersetzten  Re- 
geln sind  P.  I,  1,  1—58  und  60—75;  2,  1—52  und  64-73;  3,  1 
—43;    und  4,  1—12;    commentiert  sind  I,  1—20,  27—37,  42—49, 


India  Company  seit  1780,  und  zuletzt  Member  of  the  Supreme  Council  and  Pre- 
sident of  the  Board  of  Trade,  „was  also  for  some  years  honorary  professor  of 
the  laws  and  regulations  of  the  British  government  in  India  in  the  College  of 
Fort  William  .  .  .  and  afterwards  president  of  the  Council  of  the  College"  (Dtct. 
of  Engl.  Biogr.) 


Colebrooke's  Pänini-Handschriften  der  Königl.  Bibliothek  zu  Göttingen.     107 

und  51;  2,  27—29,  und  64—73;  und  3,  1—43.  Außerdem  ist  bei 
vielen  Kegeln  auf  dem  Rande  bemerkt,  wo  sie  oder  die  in  ihnen 
gelehrten  Termini  zur  Anwendung  kommen.  Vieles  von  dem,  was 
unsre  Handschrift  bietet,  hat  Colebrooke  in  seiner  Grammatik  selbst 
veröffentlicht.  Trotzdem  dürfte  die  Handschrift  auch  jetzt  noch 
dem,  der  die  Grammatik  des  Pänini  ins  Englische  übersetzen 
wollte,  sehr  werthvolle  Dienste  zu  leisten  im  Stande  sein.  Zum 
Beweise  hierfür  gebe  ich  die  Uebersetzung  des  ersten  Päda  der 
Ashtädhyäyi,  wie  sie  Colebrooke  in  seinen  Handschriften  selbst  ge- 
geben hat.  Ich  folge  im  Allgemeinen  der  erwähnten  Reinschrift, 
gestatte  mir  aber  einzelne  Ausdrücke  oder  Wendungen  aus  andern 
Stellen  der  Handschriften  aufzunehmen.  Colebrooke's  Anmerkun- 
gen zu  veröffentlichen  ist  hier  nicht  der  Ort. 

Pänini  Adhyäya  I,  Päda  1. 

1.  A,  ai  and  au  are  named  vriddhi] 

2.  and  a,  e  and  o  are  called  guna. 

3.  When  the  Substitution  of  such  a  letter  is  enjoined  under  these 
denominations,  without  specifying  the  letter  which  gives  place 
thereto,  such  guna  and  vriddhi  dement  shall  be  substituted  for 
an  ik  vowel  only. 

4.  The  Substitution  of  a  guna  or  vriddhi  letter,  for  an  ik  vowel, 
does  not  take  effect  in  right  of  an  ärdhadhätuka  suffix  on  ac- 
count  of  which  some  part  of  the  verb  is  expunged ; 

5.  nor  in  right  of  an  affix,  which  does  really  or  fictitiously  con- 
tain  a  mute  k  or  n; 

6.  nor  does  it  take  place  in  the  verbs  didhin  'to  shine',  or  'to 
play',  and  vevih  'to  move,  to  pervade,  to  conceive,  to  desire, 
to  throw',  or  'to  eat' ;  nor  in  the  prefix  it. 

7.  Consonants,  not  separated  by  intervening  vowels,  are  termed 
conjunct. 

8.  An  element  prolated  by  the  nose  and  mouth  is  nasal. 

9.  Letters,  articulated  near  the  same  organ  of  speech  and  with 
the  same  aperture  for  the  voice,  are  homogeneous; 

10.  but  a  vowel  and  a  consonant  are  not  so. 

11.  I,  ü  and  e,  terminating  a  word  in  the  dual  number,  are  na- 
med pragrihya  (and  are  consequently  unalterable,  even  though 
a  vowel  follow  in  connected  orthography). 

12.  So  are  the  same  vowels  following  m  in  the  inflections  of  tho 
pronoun  adas  'this'; 

13.  and  so  is  äe  (which  is  employed  in  the  Veda,  in  the  inflections 
of  the  personal  pronouns). 


108  F.  Kielhorn, 

14.  A  particle  consisting  of  a  single  vowel,  except  (d  deduced  from) 
an,  is  likewise  named  pragrihya\ 

15.  and  so  is  o,  being  the  final  of  a  particle. 

16.  In  the  vocative  case  a  final  o  is  likewise  so  named,  according 
to  Säkalya ,  when  iti  follows,  unless  it  be  in  a  passage  of  holy 
writ. 

17.  So  likewise  (u  deduced  from)  un  is  named  pragrihya,  according 
to  the  same  author,  when  that  particle  follows  ; 

18.  and  so  is  the  nasal  vowel  u,  which  may  be  snbstituted  for  un 
before  the  same  term,  according  to  the  same  anthority. 

19.  I  and  ü,  terminating  a  word  that  bears  the  sense  of  the  se- 
venth  case ,  are  likewise  named  pragrihya. 

20.  The  verbs  da  and  dhd,  and  such  as  assume  those  forms,  except 
dop  'to  cut'  and  daip  'to  cleanse',  are  called  ghu;  {yiz.  duddn 
and  ddn  'to  give' ;  do  'to  cut' ;  den  'to  protect' ;  dudhdn  'to 
hold,  to  nourish';  and  dhet  'to  drink'.) 

21.  A  single  letter  is  liable  to  the  same  inflections  as  if  it  were 
initial  or  final. 

22.  Tarap  and  tamap  (terminations  denoting  the  comparative  and 
Superlative  degrees)  are  named  gha. 

23.  The  words  bahu  'many'  and  gana  'a  set'  or  'class' *),  and  terms 
ending  in  the  suffixes  vatu  and  dati  are  called  numerals. 

24.  A  numeral  ending  in  sh  or  n  2)  is  named  shat ; 

25.  and  so  is  one,  the  termination  whereof  is  deduced  from  the 
suffix  dati. 

26.  Kta  and  Jctavatu  (suffixes  with  which  are  formed  the  participles 
of  the  past  tense)  are  called  nishthä. 

27.  Sarva  and  certain  other  words,  whether  single  or  terminating 
a  Compound,  are  termed  pronouns. 

28.  They  may  at  pleasure  be,  or  not  be,  so  named  in  a  Bahuvrihi 
Compound  formed  of  terms  signifying  regions  of  space. 

29.  They  are  not  so  named  in  any  other  Bahuvrihi  Compound; 

30.  nor  in  a  Compound,  which,  if  resolved,  would  exhibit  its  other 
term  in  the  third  case ;  [nor  in  a  phrase  equivalent  to  such 
a  Compound;] 

31.  nor  in  a  Dvandva  Compound. 

32.  However,  they  may  at  pleasure  be,  or  not  be  inflected  as  pro- 


1)  An  andrer  Stelle:  „bahu  and  gana,  unless  they  signify  greatness  or  assem- 
blage". 

2)  Oder  „a  numeral  originally  ending  in  sh  or  nu ;  oder  „numerals  which  in 
their  elementary^form  end  in  sh  or  nB.  —  Siehe  P.  I,  1,  24,  Vartt.  1. 


Colebrooke's  Pänini-Handschriften  der  Königl.  Bibliothek  zu  Göttingen.     109 

nouns,  in  a  Dvandva  Compound,  with  jas,    the  termination  of 
the  first  case  in  the  plural  number. 

33.  Prathama  'first',  charama  last',  derivatives  ending  in  taya  (de- 
duced  from  the  snffix  tayap),  alpa  little',  ardha  'half,  Jcatipaya 
'few',  and  nema  'half,  may  at  pleasure  be,  or  not  be,  inflected 
as  pronouns  in  the  plural  number  of  the  first  case.  [TJbhaya 
'both',  derived  from  ayach  substituted  for  tayap,  must  be  in- 
flected like  a  pronoun  in  this  case  and  number.  Ordinals  en- 
ding in  tiya  may  be  inflected  as  pronouns  with  the  suffixes 
distinguished  by  a  mute  n\. 

34.  So  may  pürva  'east'  or  'prior',  para  'subsequent',  avara  'west' 
or  'posterior',  dahshina  'south'  or  'right',  uttara  'north'  or  'sub- 
sequent', apara  'other'  or  'inferior',  and  adhara  'west'  or  'in- 
ferior', denoting  relative  Situation,  unless  they  be  used  as  ap- 
pellatives. 

35.  So  may  sva  'own',  unless  it  be  used  as  an  appellative  and 
signify  'kinsman'  or  'wealth' ; 

36.  and  so  may  antara  provided  it  signify  'external'  or  lower 
garment'. 

37.  Svar  and  certain  other  words  are  indeclinable ;  and  so  are 
particles. 

38.  So  are  words  ending  in  a  taddhita  suffix,  to  which  all  the 
signs  of  cases  cannot  be  subjoined; 

39.  and  so  are  words  terminated  by  a  krit  suffix  ending  in  m  or 
in  a  diphthong; 

40.  or  terminated  by  the  suffixes  Jävä,  tosun,  or  Tcasun. 

41.  An  adverbial  Compound  too  is  indeclinable. 

42.  Si  (which  is  substituted  for  jas  and  sas  in  the  inflections  of 
neuter  nouns)  is  called  sarvandmasthäna ; 

43.  and  so  are  su,  au,  jas,  am  and  aut,  except  in  the  neuter  gen- 
der.     (The  exception  does  not  contradict  the  preceding  rule.) 

44.  VibhäsJiä  denotes  prohibition  together  with  Option.  (It  signi- 
fies  "not,  optionally  however".) 

45.  An  ik  vowel,  which  has  been,  or  is  to  be,  substituted  for  a 
semivowel  (yan) !),  is  called  samprasdrana. 


1)  Bei  einer  etwas  andern  Fassung  der  Regel  fügt  Colebrooke  hinzu  „and 
the  Substitution  of  such  a  vowel  for  a  semivowel";  and  hat  die  Anmerkung  „the 
rule  admits  of  two  interpretations,  and  must  in  fact  be  taken  in  both  senses,  as 
here  translated".  Er;  will  offenbar  sagen ,  daß  samprasdrana  nicht  nur  den  für 
den  Halbvocal  substituierten  Vocal  bezeichnet,  sondern  auch  gleichbedeutend  ist 
mit  dem  Satze  „ik  tritt  an  die  Stelle  von  yaw".    Vgl.  die  V;irttikas  zu  der  Regel. 


HO  F.  Kiel  hörn, 

46.  That  which  is  distinguished  by  a  mute  j,  is  initial ;  by  a  mute 
Je,  is  final; 

47.  and  by  a  mute  m,  is  subjoined  to  the  last  vowel,  (whether 
tbis  be,  or  be  not,  followed  by  a  consonant). 

48.  When  a  sbort  vowel  must  be  substituted  for  a  diphthong,  only 
tbe  %k  element  becomes  short  (but  the  other  element  is  re- 
jeeted) 1). 

49.  In  rules  of  grammar,  the  sixth  case  imports  "instead  of". 

50.  When  an  element  is  to  be  substituted  for  another ,  the  most 
similar  to  the  original  one  must  be  chosen  out  of  those  which 
are  ofFered. 

51.  When  an  an  vowel  is  substituted  for  n,  r  must  be  subjoined 
to  it.  [In  like  manner  l  is  subjoined  to  such  a  vowel  substi- 
tuted for  li.] 

52.  What  is  thus  (49)  directed  to  be  substituted  for  a  term  so 
exhibited  in  the  sixth  case,  shall  be  put  in  the  place  of  the 
last  letter  thereof ; 

53.  and  so  shall  a  Substitute  containing  a  mute  n  (even  though 
it  consist  of  several  efficient  letters,  55). 

54.  A  Variation  of  a  subsequent  term  on  aecount  of  a  preceding 
one  affects  its  initial  letter  only. 

55.  A  Substitute  consisting  of  two  or  more  efficient  letters,  (wi- 
thout  a  mute  n,  53,)  or  distinguished  by  a  mute  rf,  shall  be 
put  in  the  place  of  the  whole  term  so  (49)  exhibited  in  the 
sixth  case. 

56.  The  Substitute  is  equal  to  the  original,  except  in  regard  to 
Operations  depending  on  the  particular  letters  of  the  original. 

57.  That,  which  is  substituted  for  a  vowel  on  aecount  of  a  sub- 
sequent term,  is  equal  to  the  original  so  far  as  the  preceding 
element  is  concerned; 

58.  except  in  regard  to  Operations  on  the  termination  of  an  in- 
flected  word ;  in  regard  to  the  duplication  of  elements ;  in  re- 
gard to  the  preceding  element  in  the  instance  of  vara ;  in  regard 
to  the  expunging  of  y ;  in  regard  to  the  tone  of  vowels ;  in  re- 
gard to  the  Substitution  of  a  homogeneous  element ;  in  regard 
to  the  Substitution  of  anusvära;  in  regard  to  the  lengthening 
of  a  vowel;  in  regard  to  the  Substitution  of  a  jas  consonant; 
and  in  regard  to  the  Substitution  of  a  char  consonant. 


1)  An  andrer  Stelle:   „when  a  short  vowel  must  be  substituted  for  a  diph- 
thong,  it  shall  be  an  ik  vowel". 


Colebrooke's  Pänini-Handschriften  der  Königl.  Bibliothek  zu  Göttingen.     Hl 

59 l) 

60.  The  expunging,  obliterating ,  effacing,  or  omitting  of  an  de- 
ment, so  that  it  shall  be  unheard  and  unpronounced,  is  called 
lopa  or  Substitution  of  a  blank. 

61.  Lulc,  slu  and  lup  are  names  for  the  expunging  of  suffixes  with 
such  consequent  Operations,  as  are  denoted  by  these  terms 
respectively 2). 

62.  When  the  whole  of  a  suffix  is  expunged,  Operations,  depending 
on  such  a  suffix,  do  nevertheless  take  place; 

63.  unless  tbe  term,  by  which  the  suffix  is  directed  to  be  ex- 
punged, contains  the  syllable  lu;  for,  in  that  case,  the  radical 
body3)  remains  unaffected. 

64.  The  last  vowel,  together  with  a  subsequent  consonant  (if  any 
there  be),  is  called  ti ,  the  last  syllable. 

65.  The  dement,  which  precedes  the  last  letter,  is  called  penul- 
timate. 

66.  When  that,  on  account  of  which  something  is  directed  to  be 
done,  is  exhibited  in  the  seventh  case,  the  consequent  Opera- 
tion affects  a  preceding  term  only. 

67.  When  it  is  exhibited  in  the  fifth  case,  the  Operation  affects 
a  subsequent  term  only. 

68.  In  grammar,  the  particular  form  only  of  a  word  (abstracted 
from  its  sense)  is  meant ;  excepting  the  technical  denominations 
of  words,  for  they,  not  the  word  which  designates  them,  are 
thereby  meant. 

69.  A  vowel  or  a  semivowel  (an),  or  a  consonant  to  which  a  mute 
u  is  annexed,  implies  the  homogeneous  elements  as  well  as 
the  particular  letter,  which  is  expressed;  excepting  suffixes. 

70.  Preceded  or  followed  by  the  letter  t,  an  dement  implies  the 
homogeneous  sounds  of  the  same  length  as  well  as  the  parti- 
cular one  which  is  expressed. 

71.  The  first  term  of  any  set,  together  with  a  final  mute  letter, 
is  a  designation  of  all  the  intermediate  elements  as  well  as 
of  that  initial  term  itself. 


1)  Diese  Regel  ist  nirgends  vollständig  übersetzt. 

2)  An  andrer  Stelle :  „the  expunging  of  a  suffix  with  such  further  conse- 
quences  as  are  severally  denoted  by  the  terms  luk,  diu,  and  lup,  is  designated 
by  these  terms  respectively". 

3)  Später  hat  Colebrooke  ahga  mit  „inflective  root"  übersetzt.  Vgl.  seine 
Grammatik,  S.  14:  „Luk,  Üu  and  lup  are  also  names  for  the  expunging  of  af- 
fixes ;  and ,  when  a  blank  is  substituted  under  one  of  these  denominations ,  the 
inflective  root  remains  unaffected  by  the  expunged  ailix". 


112  F.  Kiel  hörn,   Colebrooke's  Pänini-Handschriften  etc. 

72.  Tbat,  by  which,  as  a  limitation  *),  a  grammatical  Operation  is 
directed,  implies  the  whole  term  whereof  it  is  the  final. 

73.  A  word,  whereof  the  first  vowel  is  vriddhi,  is  named  vriddha) 

74.  and  so  are  tyad  and  certain  other  pronouns ; 

75.  and  so  is  a  word,  whereof  the  first  vowel  is  e  or  o,  provided 
it  be  the  name  of  an  eastern  country. 


1)  An  andrer  Stelle  „as  a  restrictive  term",  oder  „as  an  epithet". 


Ueber  die  Stromleitung  durch  Niederschlags- 
membranen. 

Von 

Gustav  Tammann. 

Vor  kurzem  hat  Ostwald1)  ein  System  aus  Kupfersulfat 
und  Ferrocyankaliumlösung  j  getrennt  durch  die  semipermeable 
Membran  von  Ferrocyankupfer,  electrolysirt  und  ist  bei  der  Deu- 
tung dieses  Versuches  zur  Ansicht  gelangt,  daß  die  semipermea- 
beln  Niederschlagsmembranen  die  Electricität  metallisch  leiten. 
Zur  selben  Zeit  hatte  ich  gefunden,  daß  die  semipermeabele  Mem- 
bran einen  außerordentlich  geringen  Widerstand  dem  Durchgange 
von  Wechselströmen  bietet2).  Schon  damals  hatte  ich  mir  vorge- 
nommen, die  Art  der  Electricitätsleitung  durch  semipermeable 
Membranen  näher  zu  untersuchen,  und  speciell  die  von  Ostwald 
aufgestellten  Ansichten,  die  ich  erst  nach  Abfassung  meiner  Mit- 
theilung erfuhr,  näher  zu  prüfen.  Inzwischen  sind  von  Oberbeck3) 
die  electromotorischen  Kräfte,  deren  Sitz  die  Niederschlagsmem- 
branen sind,  gemessen,  es  hat  sich  dabei  herausgestellt,  daß  ihr 
Betrag  von  der  Eigenschaft  der  Semipermeabilität  wenig  beeinflußt 
wird,  ja  bei  nicht  membranartigen  Niederschlägen  wurden  zuweilen 
größere  electromotorische  Kräfte  constatirt,  als  bei  Systemen  mit 
Niederschlagsmembranen,  die  nach  Ostwald  besonders  große  elec- 
tromotorische Kräfte  ergeben  sollten.  Die  Frage  nach  der  Art 
der  Electricitätsleitung  durch  die  Niederschlagsmembranen  ist  von 


1)  W.  Ostwald,  Zeitschrift  f.  physik.  Chem.    6.    p.  71.    1890. 

2)  G.  Tammann,  Zeitschrift  f.  physik.  Chem.    6.    p.  236.    1890. 

3)  A.  Oberbeck,  Wied.  Ann.   42.   p.  193.   1891. 


GustavTammann,  über  die  Stromleitung  durch  Niederschlagsmembranen.   113 

Oberbeck  nicht  näher  berührt  worden;  es  scheint,  daß  er  sich 
der  Ansicht,  die  Niederschlagsmembranen  seien  Isolatoren,  hinneigt. 
Wir  sind  über  die  Vorgänge  bei  der  Electrolyse  durch  Nieder- 
schlagsmembranen, besonders  was  die  quantitative  Seite  des  Phä- 
nomens betrifft,  so  mangelhaft  orientirt,  daß  die  Frage  nach  Art 
und  Weise  der  Stromleitung  durch  Niederschlagsmembranen  nicht 
ohne  neue  Versuche  zu  entscheiden  ist. 

Sind  die  sogenannten  semipermeabeln  Membranen  wirklich  un- 
durchlässig für  die  Membranogen- Jonen ,  so  bleibt  für  diese  Mem- 
branen nur  die  Wahl  zwischen  electrolytischer  oder  metallischer 
Leitung,  sind  dieselben  aber  ausnahmlos  für,  wenn  auch  nur  ge- 
ringe, Mengen  anderer  Stoffe  und  besonders  für  ihre  Membranogene 
permeabel,  so  könnte  man  ihre  gute  Leitfähigkeit  auch  der  Wech- 
selwirkung der  Jonen  in  den  Membranporen,  wie  bei  den  permea- 
bel Membranen ,  erklären.  Ich  werde  im  Folgenden  auf  diese 
Hauptfrage,  giebt  es  Niederschlagsmembranen,  die  für  die  Jonen 
ihrer  Membranogene  absolut  undurchlässig  sind?  ein  wenig 
näher  eingehn,  die  Gesamtheit  aller  meiner  diesen  Punkt  be- 
treffenden Beobachtungen  mir  auf  ein  anderes  Mal  versparend. 
In  vielen  Fällen  kann  es  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  die 
vorliegende  Niederschlagsmembran  für  die  Jonen  ihrer  Membrano- 
gene permeabel  ist.  Beispiele  für  diesen  Fall  sind  außerordent- 
lich zahlreich. 

Lösungen  von  Alkalien,  Carbonaten,  Silicaten,  Phosphaten  und 
Sulfiden  geben  mit  Salzen  schwerer  Metalle  Membranen,  die  zuerst, 
gleich  nach  der  Aufeinanderschichtung  der  Lösungen,  dünn  sind, 
sich  aber  bald  augenscheinlich  verdicken,  so  daß  kein  Zweifel  da- 
rüber bleibt,  daß  sich  in  den  Poren  der  Membran  die  Fällung  fort- 
dauernd vollzieht.  Ich  habe  früher  die  Bilder,  die  solche  Systeme, 
betrachtet  durch  den  Schlierenapparat  geben,  beschrieben1).  Diese 
Bilder  sind  nur  im  Sinne  einer  sich  beständig  vollziehenden  Eeac- 
tion  zwischen  den Membranogenen  zu  deuten.  Die  von  Ostwald2) 
als  semipermeabel  angesprochene  Membran  aus  Kupfersulfid,  ge- 
bildet beim  Aufeinanderschichten  der  Lösungen  von  Natriumsulfid 
und  Kupfersulfat ,  verdickt  sich  ungemein  rasch ,  ist  also  sicher 
nicht  semipermeabel.  Auch  geronnenes  Eiweiß,  von  dem  0  s  t  w  a  1  d 
annimmt,  daß  es  mit  Kupfersulfatlösung  eine  für  Kupferionen  un- 
durchdringliche Membran  bildet,  wird  von  Kupfersulfatlösung 
schnell  und  vollständig  imprägnirt.    Von  diesen  Membranen  unter- 


1)  G.  Tammann,  Wied.  Ann.   34.   p.  299.    1888. 

2)  W.  Ostwald  1.  c. 


114  Gustav  Tammann, 

scheiden  sich  die  Ferrocyankupfer ,  Ferrocyanzink  und  Ferrocyan- 
guecksilbermembran  schon  ihrem  Aussehn  nach ;  dieselben  sind  außer- 
ordentlich dünn  und  dehnbar,  sie  verdicken  sich  während  der  ersten 
5 — 10  Minuten  lang  nicht  sichtbar.  In  concentrirten  Lösungen  ihrer 
Membranogene  ist  die  dünne  Ferrocyankupfermembran  außerordent- 
lich unbeständig,  in  verdünnten,  0.1  normal  und  verdünnteren,  hält 
sie  sich  zuweilen  monatelang.  Die  Verdickung  der  Ferrocyan- 
kupfermembran unterscheidet  sich  wesentlich  von  der  aller  anderen 
Niederschlagsmembranen;  während  die  anderen  sich  gleichmäßig 
auf  ihrer  ganzen  Fläche  und  etwa  proportional  der  Zeit  verdicken, 
bilden  sich  auf  der  Ferrocyankupfermembran  warzenartige  Aus- 
wüchse. Die  Fällung  geht  von  einzelnen  Punkten  der  Membran  aus, 
um  dann,  wenn  sie  einmal  eingetreten  ist,  bald  das  ganze  Probirglas 
zu  füllen.  Die  Ferrocyankupfermembran  ist  also  unter  Umständen 
für  die  Jonen  ihrer  Membranogene  impermeabel,  befindet  sich  aber 
in  einem  labilen  Zustande,  der  durch  unbekannte  Umstände  leicht 
gestört  wird.  Die  Ferrocyankupfermembran  ist  in  der  That  für 
eine  ganze  Reihe  von  Salzen  impermeabel;  man  kann  von  vielen 
Stoffen  auch  mit  sehr  empfindlichen  analytischen  Hülfsmitteln  nicht 
Spuren  derselben  nachweisen,  auch  nachdem  diesen  mehrere  Stun- 
den lang  Gelegenheit  geboten  war,  die  Membran  zu  durchdringen. 
Die  Permeabilität  der  verschiedenen  Niederschlagsmembranen  für 
fremde  Stoffe  gedenke  ich  in  einer  anderen  Mittheilung  ausführ- 
licher zu  behandeln,  und  die  Ansichten  vonOstwald  über  diesen 
Punkt  näher  zu  prüfen. 

Drei  verschiedene  Arten  des  Electricitätstransportes  wären 
durch  eine  Niederschlagsmembran  denkbar.  Erstens  die  Jonen 
der  Lösung  wandern  durch  die  Poren  der  Membran.  Auch  für  die 
Ferrocyankupfermembran,  wäre  nach  dem  beschriebenen  Verhalten 
derselben  dieser  Fall  nicht  sofort  von  der  Hand  zu  weisen.  Zwei- 
tens die  Niederschlagsmembranen  leiten  metallisch ;  und  drittens 
dieselben  leiten  electrolytisch. 

Untersuchen  wir  zur  Entscheidung  der  Frage  die  Electrolyse 
eines  Systems  aus  Kupfersulfatlösung  und  darüber  geschichteter 
Ferrocyankaliumlösung,  in  die  Kupferlösung  tauche  die  Anode  und 
in  die  Ferrocyankaliumlösung  die  Kathode: 

Kathode  |  4K;  4Cy,FeCy2  |  2  Cu ;  4  Cy ,  Fe  Cy2  |  2CuS04  |  Anode. 

Bei  der  Stromleitung  gehn  2  Kupfer- Jonen  an  die  Membran, 
ihnen  entgegen  kommt  das  Ferrocyan  -  Jon.  "Wenn  die  Membran 
metallisch  leitet,   so  müssen  sich   auf  ihr  einerseits  2  Atome  me- 


über  die  Stromleitung  durch  Niederscnlagsmembranen.  115 

tallisches  Kupfer  und  andererseits  ein  Ferrocyan  abscheiden; 
letzteres  geht  unter  Entwicklung  von  2  respective  1.5  Sauerstoff- 
Atomen  in  Ferrocyan  oder  Ferrocyanwasserstoffsäure  über.  Das 
Kalium  wandert  zur  Kathode  und  das  Jon  SO4  zur  Anode. 
Bei  oberflächlicher  Betrachtung  scheint  die  Electrolyse,  wenn 
an  der  Membran  die  Stromdichte  groß  ist,  in  der  That  so  zu  ver- 
laufen. 

In  einem  Probirglase  (2  cm  Durchmesser)  wurde  über  eine 
Kupfersulfatlösung  (1  Gramm-Molekel  im  Liter)  eine  Ferrocyan- 
kaliumlösung  (0.37  Gr.-M.)  geschichtet  und  mittelst,  1.5  cm  von 
einander  abstehender,  Kupferelectroden  der  Strom  von  4  Leclanche- 
elementen  durchgeschickt.  Es  verdickte  sich  die  Ferrocyankupfer- 
membran  stark  und  zwar  sehr  viel  schneller,  als  wenn  kein  Strom 
durchgeschickt  wurde.  Unter  der  starken  Fällung  von  Ferrocyan- 
kupfer  fand  sich  eine  cohärente  Schicht  von  Kupfer,  die  nach  der 
Anode  hin  blank  und  metallisch ,  nach  der  Kathode  hin  theils  in 
Kupferoxyd  verwandelt  war.  Vom  Kupferoxyd  aus  entwickelte 
sich  reichlich  Sauerstoff,  die  Ferrocyankaliumlösung  enthielt  Fer- 
ricyankalium  und  reagirte  alkalisch.  An  der  Anode  wurde  Kupfer 
gelöst  und  an  der  Kathode  Wasserstoff  entwickelt. 

Es  scheidet  sich  metallisches  Kupfer  auf  der  Membran  aus, 
gleichzeitig  bildet  sich  aber  viel  Ferrocyankupfer.  Leitet  die 
Membran  metallisch  so  ist  nicht  einzusehn,  wozu  sich  noch  eine 
reichliche  Menge  Ferrocyankupfer  bildet.  Wäre  es  nicht  möglich, 
daß  die  Kupferabscheidung  nur  ein  secundäres  Phänomen  ist? 

Schaltet  man  in  den  Stromkreis  der  soeben  benutzten  Zer- 
setzungszelle ein  Silbervoltameter ,  so  wurden  in  diesem  während 
24  Stunden  2.266  gr  Silber  abgeschieden,  auf  und  in  der  Membran 
wurden  nur  0.314  gr  metallischen  Kupfers  gefunden,  während 
0.664  gr  Kupfer  der  ausgeschiedenen  Silbermenge  entsprechen 
würden.  Um  das  Kupfer  vom  Ferrocyankupfer  zu  trennen  wurde 
das  Gemenge  mit  Natronlauge,  verdünnter  Weinsäure  und  stark 
alkalischer  Lösung  von  weinsaurem  Natron  behandelt.  Schwar- 
zes Kupferoxyd  hat  sich  in  diesem  Falle  bei  geringerer  Strom- 
dichte gar  nicht  gebildet.  Ein  zweiter  Versuch  wurde  in  der  An- 
ordnung von  Ostwald  ausgeführt;  ein  mit  Pergamentpapier  über- 
bundenes  mit  Ferrocyankaliumlösung  gefülltes  U- förmiges  Rohr 
(1.5  cm  Durchmesser)  tauchte  in  zwei  Gefäße  mit  KupfersulfatlÖ- 
sung,  in  24  Stunden  hatten  sich  bei  geringerer  Stromdichte  als 
im  vorigen  Versuch  an  der  Kathode  0.211  gr  Kupfer  abgeschieden 
auf  der  Anoden-Pergamentmembran  wurden  nur  6  mg  metallischen 
Kupfers  gefunden. 


l\$  Gustav  Tammann, 

Sorgt  man  für  noch  geringere  Stromdichten  an  der  Ferrocyan- 
kupfermembran,  so  ist  anf  dieser,  auch  nachdem  4  grm  Silber  im 
Silbervoltameter  abgeschieden  sind,  keine  Spur  von  metallischem 
Kupfer  zu  entdecken.  Füllt  man  eine  Platin s chale ,  9  cm  Durch- 
messer, mit  Kupfersulfat-Lösung  (0.1  Gr.-M.)  und  legt  auf  diese 
Lösung  ein  die  Schale  allseitig  überragendes  Stück  Pergament- 
papier, auf  welches  man  Ferrocyankaliumlosung  (0.04  Gr.-M.) 
bringt ,  so  scheiden  2  Lelauche  -  Elemente  in  3  Tagen  keine  Spur 
von  metallischem  Kupfer  auf  dem  Pergamentpapier  ab  und  in 
der  Ferrocyankaliumlosung  ist  kein  Ferricyankalium  nachzuwei- 
sen. In  der  Ferrocyankaliumlosung  sind  nur  Spuren  von  SO4- 
Jonen  und  in  der  Kupfersulfatlösung  nur  Spuren  von  Kaliumionen 
enthalten. 

Die  Metallabscheidung  auf  der  Niederschlagsmembran  hängt 
wohl  von  der  Fähigkeit  des  Stoffes  an  der  Kathode,  unter  Abgabe 
von  negativer  Electricität  in  ein  anderes  Jon  überzugehn ,  ab. 
Folgende  Systeme:  Kathode  |  Schwefelnatrium  |  Schwefelkupfer  | 
Kupfersulfat  |  Anode  und  Kathode  |  Ferrocyankalium  |  Ferrocyan- 
zink  |  Zinksulfat  |  Anode  gaben  auf  der  Membran  Metallabschei- 
dungen,  während  Systeme:  Kathode  |  Kalilauge  |  Kupferoxydhy- 
drat |  Kupfersulfat  |  Anode *)  und  Kathode  |  Kohlensaures  Kali  | 
Kupfercarbonat  |  Kupfersulfat  |  Anode,  keine  Metallabscheidung 
gaben.  Die  Ausscheidung  von  Kupfer  auf  der  Ferrocyankupfer- 
membran  hat  mit  der  Semipermeabilität  der  Membran  nichts  zu 
thun.  Auf  der  Schwefelkupferausscheidung  scheidet  sich  ja  auch 
Kupfer  aus  und  doch  ist  die  Schwefelkupferausscheidung  sowohl 
für  Schwefelnatrium  als  auch  für  Kupfersulfat  in  hohem  Grade 
durchlässig. 

Durch  Annahme  metallischer  Leitfähigkeit  der  Ferrocyankupfer- 
membran  wird  die  Electrolyse  unseres  Systems  schwerlich  erklärt. 
Betrachtet  man  die  Niederschlagsmembran  als  Isolator  und  sucht 
den  Electricitätsaustausch  in  den  Poren  der  Membran,  so  müßten 
sich  diese  bald  verstopfen  und  der  Strom  müßte  sehr  bedeutend 
geschwächt  werden,  ja  nach  einiger  Zeit  nothwendig  vollkommen 


1)  Systeme  aus  Kalilauge  und  Kupfersulfat  leiten  nur  so  lange  den  Strom, 
als  das  ausgeschiedene  blaue  Kupferoxydhydrat  sein  Wasser  nicht  verloren  hat ; 
ist  eine  Schicht  der  Membran  in  schwarzes  Kupferoxyd  übergegangen,  so  geht 
durch  diese  Membran  fast  gar  kein  Strom,  nur  Systeme,  deren  Lösungen  verdünnter 
als  etwa  £  normal  sind,  kann  man  längere  Zeit  electrolysiren.  Bei  concentrirteren 
Lösungen  wächst  der  Widerstand  so,  daß  der  Strom  schnell  auf  ^0  seines  Wer- 
thes  geschwächt  wird. 


über  die  Stromleitung  durch  Nicderschlagsmembranen.  117 

aufhören.  Aus  den  Beobachtungen  von  Overbeck1)  ist  ersicht- 
lich, daß  der  Widerstand  bei  Membranen  aus  Ferrocyankupfer  und 
Ferrocyanzink  sehr  erheblich  wächst,  derselbe  wird  aber  nie  so 
groß ,  daß  der  Strom  auf  mehr  als  J  seiner  anfänglichen  Intensität 
geschwächt  wird;  um  die  Strom  Schwächung  hervorzurufen  genügen 
die  Concentrationsänderungen  der  Lösung  um  die  Membran.  Wir 
werden  sehn,  daß  die  Schichten  an  der  Membran  sich  beständig 
verdünnen  müssen.  Außerdem  konnte  an  der  Ferrocyankupfermem- 
bran  Nichts  beobachtet  werden,  was  zu  Gunsten  einer  Abscheidung 
von  Ferrocyankupfer  in  den  Poren  der  Membran  sprach.  Wäre 
es  nicht  wahrscheinlich,  daß  in  diesem  Falle  die  Membran  ein  be- 
sonders festes  Grefüge  annehmen  würde? 

Die  Ferrocyankupfermembran  leite  also  den  Strom  electroly- 
tisch.  Die  Kupferjonen  dringen  in  die  Ferrocyankupfermasse  der 
Niederschlagsmembran  ein  und  treiben  auf  der  anderen  Seite  der 
Membran  Kupferjonen  heraus,  die  sich  mit  den  ihnen  begegnenden 
Ferrocyanjonen  zu  Ferrocyankupfer  vereinigen.  Die  Kalium-  und 
SO4-  Jonen  wandern  zu  den  Electroden  und  das  Resultat  ist,  daß 
an  der  Membran  beständig  Schichten  von  reinem  Wasser,  in  wel- 
ches die  Jonen  beider  Salze  hineindiffundiren,  gebildet  werden. 

Schickt  man  durch  unser  System  den  Strom  in  umgekehrter 
Richtung,  also:  Anode  |  4K;  4  Cy,  FeCy2  |  2  Cu;  4  Cy,FeCy2  | 
2  Cu  SO4  |  Kathode ,  so  müßte ,  wenn  die  Membran  sich  wie  eine 
Metallplatte  verhielte ,  auf  der  zur  Anode  gewandten  Seite  der 
Membran  Wasserstoff  entwickelt  werden  und  Kalilauge  sich  bil- 
den ,  während  auf  der  anderen  Seite  sich  Sauerstoff  entwickeln 
und  Schwefelsäure  entstehn  würde.  Nach  Ostwald2)  ist  die 
metallisch  leitende  Membran  aber  für  Kaliumjonen  durchlässig. 
Warum  die  Kaliumjonen  ihre  Electricität  nicht  der  metallisch  lei- 
tenden Membran  abgeben,  ist  von  0  s  t  w  a  1  d  nicht  näher  erörtert. 
Dieselben  sollen  jedenfalls  unberaubt  ihrer  Electricität  durch  die 
Poren  der  Membran  in  der  Kupfersulfatlösung  gelangen , '  in  der 
ihnen  die  SO4- Jonen,  die  die  Membran  nicht  durchdringen  können, 
begegnen.  So  schwer  auch  dieser  Ansicht  beizustimmen  ist,  so 
hätte  dieselbe  doch  etwas  für  sich,  wenn  in  der  Kupferlösung  die 
der  auf  der  Kathode  abgeschiedenen  Kupfermenge  aequivalente 
Kaliummenge  gefunden  würde.  Zwar  dringt  aus  einer  Lösung, 
die  Kalium-  und  SO4- Jonen   enthält ,    ein  geringer  Theil  derselben 


1)  A.  Oberbech  1.  c. 

2)  W.  Ostwald  1.  c. 

Nachricht«!»  ron  der  K.  G.  d.  Vf.  zu  Göttinnen.   1891.   No.  3. 


Hg  Gustav  Tammann, 

durch  die  Ferrocyankupfermembran,  aber  bei  unseren  Versuchsbe- 
dingungen  kann  es  sieb,  wie  ich  mich  überzeugt  habe,  nur  um  we- 
nige Milligramm  Kalium sulfat ,  die  aus  der  Kupferlösung  in  die 
Ferrocyankaliumlösung  hinüber  diffundiren,  handeln.  Trotzdem 
müßte  die  der  Summe  der  SO±  Menge  (in  der  Ferrocyankaliumlö- 
sung) und  der  Kaliummenge  (in  der  Kupfersulfatlösung)  aequiva- 
lente  Menge  von  Kaliumsulfat  der  an  der  Kathode  abgeschiedenen 
Kupfermenge  entsprechen.  Die  Analyse  ergiebt  aber  in  der  Kupfer- 
sulfatlösung nur  etwa  \  der  erwarteten  Menge  von  Kaliumsulfat 
und  in  der  Ferrocyankaliumlösung  ist  nicht  mehr  als  J  derselben 
vorhanden. 

In  eine  Platinschale  (9  cm  Durchmesser)  wurden  300  ebem 
Kupfersulfatlösung  (0.1  G-.-M.)  gebracht,  die  Lösung  mit  Perga- 
mentpapier bedeckt  und  Ferrocyankaliumlösung  auf  das  Papier 
geschichtet.  Es  hatten  sich  nach  24  Stunden  auf  der  Platinschale 
0.849  gr  Kupfer  abgeschieden.  In  der  Kupfersulfatlösung  wurden , 
nach  Ausfällung  des  Kupfers  mit  Schwefelwasserstoff,  0.671  grm 
Kaliumsulfat  gefunden,  während  die  dem  ausgeschiedenen  Kupfer 
aequivalente  Kaliumsulfatmenge  2.342  gr  betragen  würde.  Aus 
der  braunschwarz  gefärbten  Ferrocyankaliumlösung  wurde  das  Jon 
SO4  mit  Baryumchlorid  gefüllt,  der  ausgewaschene  Niederschlag 
mit  Kali  und  Salpeter  geschmolzen  und  aus  der  Lösung  der 
Schmelze  die  Schwefelsäure  nochmals  aus  sauerer  Lösung  mit 
Chlorbaryum  gefällt.  Es  wurden  so  erhalten  0.544  gr  Baryum- 
sulfat,  entsprechend  0.406  Kaliumsulfat. 

Nimmt  man  auch  an,  daß  die  in  der  Ferrocyankaliumlösung 
gefundene  Menge  von  SO4- Jonen  mit  Kaliumjonen  zusammen  durch 
die  Membran  zurück  in  die  Ferrocyankaliumlösung  getreten  ist, 
so  könnten  im  Ganzen  doch  nur  0.671  gr  + 0.406  gr  =  1.077  gr 
Kaliumsulfat  in  der  Kupfersulfatlösung  gebildet  sein,  während 
nach  Ostwald  2.342  gr  Kaliumsulfat  in  der  Kupferlösung  vor- 
gefunden werden  müßten. 

Bemerkenswerth  ist  der  Umstand,  daß  die  Ferrocyankupfer- 
membran bei  dieser  Richtung  des  Stromes  viel  dünner  ist  und 
bleibt,  als  wenn  unter  demselben  Umständen  kein  Strom  durch  die 
Membran  geht. 

Jener  und  dieser  Befund  können  in  einfacher  Weise  erklärt 
werden,  wenn  man  der  Niederschlagsmembran  electrolytisches  Leit- 
vermögen zuschreibt.  Verfolgen  wir  den  Strom  von  der  Anode 
aus.  Das  Ferrocyan  scheidet  sich  an  der  Anode  ab,  dieselbe  sei  aus 
Platin,  und  zersetzt  das  Wasser,  indem  sich  Ferrocyanwasserstoff- 
säure  und  Sauerstoff  bilden.    Dabei  treten  complicirte  Oxydations- 


über  die  Stromleitung  durch  Niederschlagsmembranen.  119 

Wirkungen  ein ,  die  hier  nicht  weiter  interessiren.  Die  4  Kalium- 
jonen wandern  von  der  Anode  zur  Membran  und  treten  in  diese 
an  Stelle  zweier  Kupferjonen  ein,  letztere  wandern  durch  die 
Membran  und  die  Kupfersulfatlösung  zur  Kathode.  Von  der  Ka- 
thode aus  waudern  die  SOi-Jonen  und  treten  in  die  Membran  an 
Stelle  der  Ferrocyanjonen ,  die  durch  die  Ferrocyankaliumlösung 
zur  Anode  wandern.  Das  Resultat  dieses  Processes  ist  eine  be- 
ständige Auflösung  der  Ferrocyankupfermembran  und  Bildung  von 
Kupfersulfat  und  Ferrocyankalium  an  der  Membran.  Natürlich 
verschwindet  die  Membran  nicht,  sondern  bildet  sich  beständig 
aus  den  Membranogenen  neu,  was  ja  mit  ihrer  Feinheit  unter 
diesen  Versuchsbedingungen  übereinstimmt.  Bei  dieser  Neubildung 
der  Membran  gelangt  ein  Theil  der  Kaliumjonen  in  die  Kupfer- 
lösung und  ein  Theil  der  SCU-Jonen  in  die  Ferrocyankaliumlösung. 
Würden  die  Kalium  und  SO4-  Jonen  in  den  Poren  der  Membran 
zusammentreffen ,  so  müßten ,  da  beide  Jonen  gleiche  Ueber- 
führungszahlen  haben,  auf  beiden  Seiten  der  Membran  aequivalente 
Mengen  von  Kalium  und  SO4  gefunden  werden.  Die  Summe  der 
jenen  aequivalenten  Kaliumsulfatmengen  müßte  der  ausgeschiedenen 
Kupfermenge  entsprechen.  Ferner  ist,  wenn  der  Membran  ein  Iso- 
lator wäre,  kein  Grund  dafür  vorhanden,  daß  die  Membran  an 
Substanz  verliert. 

Von  Interesse  erschien  noch  der  Fall,  in  dem  sich  neben  der 
Membran  ein  Salz  bildet,  das  die  Membran  auch  nicht  in  Spuren 
zu  durchdringen  vermag.  Folgendes  System:  Anode  |  Ferrocyan- 
magnesium  |  Ferrocyankupfer  |  Kupfersulfat  |  Kathode,  genügt  je- 
ner Bedingung.  Nach  Ostwalds  Ansichten  wäre  bei  der  Elec- 
trolyse  dieses  Systems  eine  Abscheidung  von  Magnesium  oder 
Magnesia  auf  der  Membran  zu  erwarten.  Eine  solche  fand  auch 
bei  größeren  Stromdichten  nicht  statt.  Folgender  Versuch  spricht 
wie  die  vorigen  für  electrolytische  Leitung  der  Membran.  Die 
Versuchsanordnung  war  die  früher  beschriebene.  Auf  der  Kathode 
wurden  1.897  gr  metallisches  Kupfer  abgeschieden,  in  der  Kupfer- 
sulfatlösung wurden  0.377  gr  Magnesiumsulfat  (der  Kupfermenge 
aequivalent  wären  3.63  Mg  SO4)  gefunden  und  aus  der  Ferrocyan- 
magnesiumlösung  wurden  2.124  gr  Baryumsulfat  erhalten.  Der 
Kupfermenge  aequivalent  wären  7.03  gr  Baryumsulfat  und  der  in 
die  Kupfersulfatlösung  übergetretenen  Menge  Magnesium  wären 
0.731  gr  Barymsulfat  aequivalent.     Es   sind  also  bei  der  bestän- 


1)  G.  Tammann,  Zeitschrift  f.  physikal.  Chem.    6.    p.  236.    1890. 

9* 


120  Gustav  Tammann, 

digen  Neubildung  der  Membran,  wenn  ein  Atom  Magnesium  in  die 
Kupfersulfatlösung  trat,  3  Atome  SO*  in  die  Ferrocyanmagnesium- 
losung  getreten.  Systeme  mit  Niederschlagsmembranen  entwickeln 
beim  Durchgang  des  Stromes  wohl  ausnahmslos  einen  unipolaren 
Widerstand. 

Wie  früher  gezeigt  besitzen  Niederschlagsmembranen ,  die 
sich  nicht  merkbar  verdicken,  für  Wechselströme  keinen  Wider- 
stand1). Anders  verhalten  sich  aber  solche  Systeme  gegen  län- 
gere Zeit  constant  wirkende ,  besonders  gegen  starke  Ströme ;  bei 
der  Wirkung  dieser  bildet  sich  bei  einer  bestimmten  Richtung 
des  Stromes  schnell  ein  starker  Widerstand  aus.  Die  oben  aus- 
einandergesetzten Verhältnisse  bei  der  Stromleitung  unserer  Sy- 
steme lassen  diese  Erscheinung  vollständig  verstehn. 

Nach  Oberbeck1)  sind  die  elektromotorischen  Kräfte  der 
Polarisationsströme  von  Systemen  mit  Nieder schlagsmembr an en  nie 
größer  als  ein  Volt.  Die  Stromstärke  aber  nahm  bei  Oberbecks 
Systemen  in  5  Minuten  auf  J  bis  -^  ihres  Betrages  ab.  Also 
wuchs  der  Widerstand  aufs  7  bis  9  fache,  da  die  electromotorische 
Kraft  der  Batterie  9  Volt  betrug.  Wie  ich  mich  mehrfach  bei 
oben  beschriebener  Versuchsanordnung,  Uebereinanderschichtung 
der  Lösungen  in  einer  Röhre  mit  Electroden,  überzeugt  habe,  ent- 
wickelt sich  der  große  Widerstand  nur  dann,  wenn  die  Jonen,  die 
eine  Membran  oder  nur  einen  Niederschlag  bilden,  sich  gegen  ein- 
ander, die  beiden  anderen  Jonen  sich  aber  auseinander  bewegen. 
Dadurch  entsteht  an  der  Membran  oder  im  Niederschlage  eine  sehr 
verdünnte  Lösung,  in  deren  Bildung  wohl  die  Hauptursache  des 
großen  Widerstandes  zu  suchen  ist.  Wendet  man  den  Strom ,  so 
wandern  die  membranbildenden  Jonen  auseinander,  die  anderen 
Jonen  aber  zur  Membran,  so  daß  die  Membran  oder  der  Nieder- 
schlag jetzt  von  concentrirteren  Schichten  umgeben  sein  wird. 

Bei  der  Electrolyse  eines  Systems  aus  Kupfer sulfatlösung 
(1  G-.-M.)  und  Ferrocyankaliumlösung  (0.37  Gr.-M.)  mit  4  Leclauche" 
Elementen  fiel,  wenn  die  membranbildenden  Jonen  gegen  einander 
wanderten,  die  Stromstärke  in  2  Minuten  auf  den  10.  Theil  ihres 
anfänglichen  Werthes;  rückten  die  membranbildenden  Jonen  aber 
auseinander,  so  änderte  sich  die  Stromstärke  nur  wenig.  Natür- 
lich hängt  das  Phänomen  wesentlich  von  der  Stromdichte  an  der 
Membran  ab,  ist  dieselbe  gering,  so  können  sich  die  durch  den 
Strom  hervorgerufenen  Concentrationsunterschiede  sofort  wieder 
durch  Diffusion  ausgleichen,   und   der   unipolare  Widerstand  wird 


1)  A.  Oberbeck  1.  c. 


über  die  Stromleitung  durch  Niederschlagsmembranen.  121 

nicht  auftreten.  Der  unipolare  Widerstand  verschwand  bei  einer 
Stromstärke  von  10  Milli- Ampere  in  einem  System  von  Kupfersul- 
fat (0.05  G.-M.)  und  Ferrocyankaliumlösung  (0.02  Gr.-M.).  Für  das 
Auftreten  des  unipolaren  Widerstandes  ist  es  gleichgültig,  ob  eine 
permeabele  oder  semipermeable  Membran  oder  endlich  nur  ein  Nie- 
derschlag gebildet  wird. 

Obige  Untersuchung  der  Electrolyse  eines  Systems  aus  Kupfer- 
sulfat und  Ferrocyankaliumlösung  hat  gelehrt,  daß  nur  durch  An- 
nahme electrolytischer  Leitfähigkeit  der  Membran  die  beobachteten 
Erscheinungen  genügend  erklärt  werden.  Die  electrolytische  Zer- 
setzbarkeit  der  Membran  hat  im  Lichte  Hittorf  scher  Anschau- 
ungen Nichts  befremdendes.  Sind  doch  alle  Stoffe,  die  unter  den 
Begriff  Salz  rubriciren,  Electrolyte. 

Dorpat  im  März  1891. 


Ueber  einen  neuen  Apparat  zur  Bestimmung   der 
inneren  Wärmeleitungsfähigkeit  schlecht  leiten- 
der Körper  in  absolutem  Maße. 

Von 

0.  Venske. 

Bei  den  Schwierigkeiten,  mit  welchen  noch  heutzutage  die 
Ermittelung  genauer  Werte  der  Wärmeleitungsfähigkeit  in  ab- 
solutem Maße  verbunden  ist,  dürfte  ein  kurzer  Bericht  über  einen 
neuen  Apparat  nicht  ohne  Interesse  sein,  welcher  auf  Veranlas- 
sung von  Herrn  Prof.  W.  Voigt  construiert  ist  und  die  Bestim- 
mung dieser  Constante  für  schlecht  leitende  Substanzen  in  einfa- 
cher Weise  ermöglicht. 

Die  Messungsmethode  des  Herrn  Prof.  W.  Voigt  gründet 
sich  auf  die  Bestimmung  der  Wärmemenge,  welche  in  der  Zeitein- 
heit aus  einer  Wassermasse  von  der  Temperatur  -9-,  in  eine  an- 
dere von  ihr  durch  eine  planparallele  Wand  der  zu  untersuchen- 
den Substanz  getrennte  Wassermasse  von  der  Temperatur  0^  über- 
geht.    Führt  man  folgende  Bezeichnung  ein : 

calorimetrische  Wärmeleitungsföhigkeit  der  Wand  7c, 

äußere  Wärmeleitungsfähigkeit  der  Wand  gegen  die 

Wassermasse  von  der  Temperatur  ^  bezw.  &2      hx  bez.  h%) 

Dicke  der  Wand  ö. 


122 


0.  Venske, 


Stärke  der  Wärmeströmung  berechnet  für  den  Querschnitt  1  Q, 
so  besteht,  falls  #,  und  #2  sich  so  langsam  mit  der  Zeit  ändern, 
daß  der  Zustand  in  der  Platte  sich  nur  sehr  wenig  von  dem  sta- 
tionären unterscheidet,  der  bei  constanten  Temperaturen  der  beiden 
Bäder  eintreten  würde,  bekanntlich  die  Gleichung 

q^-^-j  +  W+k 

Bestimmt  man  experimentell  die  Werte,  welche  die  linke  Seite 
dieser  Gleichung  für  verschiedene  Wanddicken  annimmt,  so  ge- 
winnt man  folglich  Gleichungen,  aus  denen  sich  die  Unbekannten 
h  und  l/ht  +  l/h2  berechnen  lassen.  Diese  Bestimmungen  können 
bequem  und  genau  mit  dem  oben  erwähnten  Apparate  ausgeführt 
werden. 


A  und  B  sind  zwei  mit  ihren  Mündungen  einander  zugekehrte 
cylinderförmige  Gefäße,   welche  je  eine  Höhe  von  5  cm  und  einen 


neuer  Apparat  zur  Bestimmung  der  inneren  Wärmeleitungsfähigkeit  etc.    123 

Durchmesser  von  10  cm  haben.  Dieselben  befinden  sich  zwischen 
zwei  Holzkreuzen  Q,  Q1}  welche  durch  die  Drähte  D,  Bx  und  die 
Seidenschnüre  F  mit  einander  verbunden  sind.  Die  äußeren  Enden 
der  Drahtstücke  1)  sind  mit  Schraubengewinden  und  Muttern  8t1 
S2,  S3,  #4  ausgestattet.  Durch  Anziehen  der  letzteren  werden  die 
mit  Gummi  gefütterten  Gefäßränder  wasserdicht  gegen  eine  da- 
zwischengeschaltete  kreisförmige  Platte  P  aus  der  zu  untersu- 
chenden Substanz  gepreßt.  A  und  B  sind  mit  zwei  Stutzen  ver- 
sehen, welche  dem  Rande  möglichst  nahe  liegen  und  zur  Aufnahme 
zweier  in  zehntel  Grade  geteilter  Thermometer.  Tx  bezw.  T2,  die- 
nen. In  dem  rechten  Gefäß  befindet  sich  ein  Rührer  in  Form  einer 
Turbine,  die  durch  das  Rädchen  B  von  außen  bewegt  wird;  in 
die  Wand  des  linken  sind  drei  Röhren  L,  M,  N  eingelötet.  Die 
Röhre  L  tritt  in  das  Innere  des  Apparates  und  trägt  an  ihrem 
Ende  eine  dem  Thermometer  Tx  möglichst  nahe  stehende  kreis- 
förmige Scheibe  von  circa  8  cm  Durchmesser,  welche  dazu  bestimmt 
ist,  einen  eintretenden  Flüssigkeitsstrahl  dicht  an  der  Platte  P 
hinzuleiten. 

Die  Benutzungs weise  des  Apparates  ist  so  einfach,  daß  wenige 
Angaben  zur  Klarlegung  genügen  werden.  Durch  einen  Vorversuch 
hat  man  die  äußere  "Wärmeleitungsfähigkeit  der  Gefäßwände  gegen 
Luft  zu  bestimmen.  Man  verfährt  hierbei  so,  daß  man  die  Platte 
P  entfernt ,  die  unmittelbar  an  einander  gepreßten  Gefäße  A  und  B 
mit  warmem  Wasser  füllt  und ,  während  man  den  Rührer  arbeiten 
läßt,  die  Abkühlung  bestimmt.  Da  die  beiden  Hälften  des  Appa- 
rates sehr  nahe  gleiche  Oberflächen  besitzen,  so  ist  die  bei  dem 
Vorversuch  gefundene  Wärmeabgabe  an  die  Umgebung  das  Dop- 
pelte von  derjenigen,  die  bei  der  Berechnung  der  eigentlichen 
Messungen  in  Betracht  kommt.  Nachdem  dies  geschehen,  können 
die  definitiven  Beobachtungen  angestellt  werden.  Man  schaltet 
zwischen  A  und  B  eine  Platte  P  der  zu  untersuchenden  Substanz 
und  läßt  in  das  linke  Gefäß  Leitungswasser  durch  L  ein,  durch 
M,  N  ausströmen.  Hat  das  Thermometer  Tx  einen  constanten  Stand 
angenommen,  so  füllt  man  B  mit  warmem  Wasser,  setzt  die  Rühr- 
vorrichtung in  Bewegung  und  bestimmt,  während  die  Abkühlung 
vor  sich  geht,  in  geeigneten  Zeitabschnitten  die  Lufttemperatur, 
die  Temperatur  %,1  des  Kühlwassers  und  die  Temperatur  #2  des 
warmen  Wassers. 

Von  Herrn  Prof.  W.  Voigt  aufgefordert  habe  ich  untersucht, 
wie  man  im  Einzelnen  verfahren  muß,  wenn  man  die  Beobachtun- 
gen nach  der  oben  aufgestellten  einfachen  Formel  berechnen  will. 
Es  hat  sich  mir  Folgendes  ergeben.    Die  Grundvoraussetzung  der 


124 


0.  Venske, 


bezeichneten  Formel,  daß  in  der  Platte  P  die  Isothermen  zur  Be- 
grenzung parallele  Ebenen  sind,  ist  dann  und  nur  dann  erfüllt, 
wenn  der  Plattenrand  durch  Ueberkleben  mit  Stanniol  gegen  Wär- 
meverlust durch  Strahlung  geschützt  wird,  und  die  Stärke  des 
Kühlwasserstromes  sowie  die  des  Rührens  eine  beträchtliche  ist. 
Ferner  fand  ich,  daß  die  Größen  \  und  \  nicht  nur  von  der  Tem- 
peratur, sondern  auch  von  den  beiden  letztgenannten  Factoren  ab- 
hängen. Auf  Grund  dieser  Erfahrungen  achtete  ich  bei  den  Be- 
obachtungen, welche  ich  mit  einander  combinierte,  darauf,  daß  die 
Strömungsgeschwindigkeit  des  Kühlwassers,  sowie  die  Umdrehungs- 
geschwindigkeit des  Rührers  stets  gleich  stark  war,  und  zwar 
wurde  bei  denselben  ein  Querschnitt  der  Röhre  L  in  einer  Se- 
cunde  von  47  cm3  Wasser  durchflössen,  während  der  Rührer  in 
derselben  Zeit  40  Touren  machte.  Um  mich  von  der  Veränder- 
lichkeit der  äußeren  Wärmeleitungsfähigkeiten  hv  h2  mit  der  Tem- 
peratur zu  befreien,  berechnete  ich  aus  meinen  Messungen,  welche 
ich  an  sieben  verschieden  dicken  Spiegelglasplatten  anstellte,  die 
Große 

!<»,-»,) 

für  dieselbe  bestimmte  Stärke  des  Wärmestromes  Q,  nämlich  für 

Q  =  0,0654  [S^]. 

Lsec.  cm.  J 

Die  Resultate,    zu  welchen  ich  gelangte,    sind   in    der    folgenden 
Tabelle  zusammengestellt. 


d[cm. 


*<•■ 


fsec.  cm.a"| 


beobachtet 


gr. 
berechnet 


0,271 
0,287 
0,368 
0,548 
0,647 
0,972 
1,170 


155 
163 
196 
269 
306 
439 
521 


155 
163 
194 
268 
308 
439 
520. 


Aus   den  Werten   der   zweiten   Columne   findet   man   bei  Be- 
nutzung der  Formel 


neuer  Apparat  zur  Bestimmung  der  inneren  Wärmeleitungsfähigkeit  etc.  125 
für  die  innere  Wärmeleitungsfähigkeit  Je  und  die  Summe  der  bei- 
den reeiproken  äußeren  Wärmeleitungsfähigkeiten  —  +  ^-  die  Werte 


Je  =  0,00247  [-^--1 , 
Lsec.  cm.J 

I  +  *  =  46,0  [sec-cm-1. 
h'ha  L     gr.     J 


gr. 

Mit  diesen  beiden  Werten  ist  die  dritte  Columne  berechnet. 

Wie  aus  der  guten  Uebereinstimmung  der  Werte  der  2ten 
und  3ten  Columne  hervorgeht,  kann  man  bei  Anwendung  eines 
geeigneten  Verfahrens  die  angestellten  Beobachtungen  nach  der 
einfachen  Formel  für  linearen  Wärmefluß  in  der  Platte  berechnen. 
Mit  Hülfe  des  beschriebenen  Apparates  läßt  sich  also  die  absolute 
Wärmeleitungsfähigkeit  wenigstens  schlecht  leitender  Körper  in 
einfacher  Weise  ermitteln. 


Universität. 

Petsche-Stiftung. 


Als  Aufgabe  zur  Erlangung  des  Preises  der  Petschestiftung, 
soweit  er  diesmal  von  der  Theologischen  Fakultät  zu  verleihen 
war ,  (167  M.) ,  hat  die  Fakultät  die  folgende  gestellt :  „Welche 
Stellung  zur  Lehre  der  Kirche  hat  Priscillian  nach  seinen  neuer- 
dings veröffentlichten  Schriften  eingenommen?"  —  Es  ist  eine 
Bearbeitung  derselben  mit  dem  Motto:  „Ich  habs  gewagt"  recht- 
zeitig eingegangen.  Der  Verfasser  dieser  Abhandlung  hat  das 
Thema  nicht  ganz  dem  Sinne  desselben  entsprechend  aufgefaßt 
und  es  bei  der  Untersuchung  im  einzelnen  an  der  rechten  wis- 
senschaftlichen Schärfe  in  der  Bestimmung  der  zu  untersuchen- 
den Begriffe  fehlen  lassen,  auch  ist  die  Darstellungsweise  in  sprach- 
licher Hinsicht  nicht  ohne  Mängel.  Der  Arbeit  konnte  darum  der 
Preis  nicht  zuerkannt  werden. 

Da  der  Verfasser  indessen  auf  dem  von  ihm  eingeschlagenen 
Wege  das  Verhältnis  Priscillians  zur  katholischen  Kirche  wenig- 
stens in  der  Hauptsache  richtig  dargestellt  hat,  so  war  von  der 
Fakultät  beschlossen,  ihm  einen  Teil  des  ausgesetzten  Preises 
(120  M.)  zu  bewilligen,  wenn  er  sich  bei  dem  Dekane  meldete. 
Diese  Meldung  ist  inzwischen  erfolgt,   und  hat  ergeben,   daß  der 


^26  Petsche-Stiftung. 

Cand.  theol.  und  Stud.  hist.  H.  Rüther  aus  Nordleda  die  Arbeit 
verfaßt  hat. 

Goettingen,  den  1.  März  1891, 

Der  Dekan  der  Theologischen  Fakultät 
Dr.  K.  Knoke. 


Für  das  Jahr  1894  stellt  die  philosophische  Fakultät  folgende 


neue 


. 


Beneke'sche  philosophische  Preisaufgabe: 

Der  bedeutenden  Bolle,  die  die  Sprache  der  kaiserlichen  Kanz- 
lei in  der  Entstehungsgeschichte  der  neuhochdeutschen  Schrift- 
sprache gespielt  hat,  entspricht  es  nicht,  daß  uns  eine  zusammen- 
hängende und  umfassende  philologische  Untersuchung  jener  Sprache 
bisher  noch  völlig  fehlt.  Wir  wünschen  eine  Geschichte  der 
deutschen  kaiserlichen  Kanzleisprache  von  ihren 
Anfängen  bis  auf  Maximilian,  die  in  angemessenen,  zeit- 
lich begrenzten  Abschnitten  das  Constante  und  das  Schwankende 
in  den  Laut  -  und  Flexionsverhältnissen ,  sowie  möglichst  auch  in 
Wortbildung  und  Wortwahl  zur  Anschauung  bringt  und  mundart- 
lich erläutert;  eine  Beschränkung  auf  das  Lautliche  würde  nicht 
genügen;  Benutzung  ungedruckten  Materials  wird  nicht  verlangt. 
Aeußere  Verhältnisse,  wie  der  wechselnde  Sitz  der  Kanzlei,  Hei- 
mat und  litterarische  Beziehungen  der  Kaiser  und  Kanzleivor- 
stände, die  Herkunft  der  Schreiber,  der  Einfluß  wichtiger  Reichs- 
tage ,  die  etwaige  Rücksicht  auf  die  Mundart  der  Adressaten  und 
ähnliches  sind  eingehend  zu  berücksichtigen  und  darzulegen.  Auch 
das  Verhältnis  der  kaiserlichen  Kanzleisprache  zu  den  Anfängen 
einer  oberdeutschen  Kolvy]  im  14.  und  15.  Jahrhundert  darf  nicht 
außer  Acht  bleiben:  namentlich  wird  zu  untersuchen  sein,  ob  die 
Sprache  der  Nürnberger  Kanzlei  auf  die  der  kaiserlichen  einge- 
wirkt habe,   oder  umgekehrt. 

Erwünscht,  wenn  auch  nicht  unerläßlich,  ist  es  endlich,  daß 
an  der  Sprache  der  Urkunden  und  der  ältesten  Drucke  einiger 
außerbairischen  literarischen  Centren  Süddeutschlands  die  Bedeu- 
tung der  kaiserlichen  Kanzlei  für  die  Milderung  der  mundartli- 
chen Gegensätze  im  löten  Jahrhundert  geprüft  werde:  neben 
Nürnberg  käme  etwa  Augsburg,  für  das  Vorarbeiten  vorliegen, 
und  Straßburg  in  Betracht. 


Beneke'sche  philosophische  Preisaufgabe.  127 

Bewerbungsschriften  sind  in  deutscher  Sprache  abzufassen 
und  bis  zum  31.  August  1893  mit  einem  Spruche  auf  dem  Titel- 
blatte an  uns  einzusenden  zusammen  mit  einem  versiegelten  Briefe, 
welcher  auf  der  Außenseite  den  Spruch  der  Abhandlung,  innen 
Namen ,  Stand  und  Wohnort  des  Verfassers  anzeigt.  In  anderer 
Weise  darf  der  Name  des  Verfassers  nicht  angegeben  sein. 

Auf  dem  Titelblatte  der  Arbeit  muß  ferner  die  Adresse  be- 
zeichnet sein,  an  welches  die  Arbeit  zurückzusenden  ist,  falls  sie 
nicht  preiswürdig  befunden  wird. 

Der  erste  Preis  beträgt  1700  Mk.,   der  zweite  680  Mk. 

Die  Zuerkennung  der  Preise  erfolgt  am  11.  März  1894,  dem 
Geburtstage  des  Stifters ,  in  öffentlicher  Sitzung  der  philosophi- 
schen Fakultät  zu  Göttingen. 

Die  gekrönten  Arbeiten  bleiben  unbeschränktes  Eigenthum 
der  Verfasser. 

Die  Preisaufgaben,  für  welche  die  Bewerbungsschriften  bis 
zum  31.  August  1891  und  31.  August  1892  einzusenden  sind,  finden 
sich  in  den  Nachrichten  von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  Georg-Augusts-Universität  zu  Göttingen  im  Jahr- 
gang 1889  Seite  345  und  1890  Seite  151. 

Göttingen  d.  1.  April  1890. 

Die  philosophische  Fakultät. 

Der  Dekan 
A.  von  Koen  en. 


Preisaufgaben 
der 

Wedekindschen  Preisstiftung 

für  Deutsche  Geschichte. 
Wiederholt  aus  Nr.  4  der  Nachrichten  vom  Jahr  1887  S.  69  ff. 

Der  Verwaltungsrath  der  Wedekindschen  Preisstiftung  für 
Deutsche  Geschichte  macht  hierdurch  die  Aufgaben  bekannt,  welche 
von  ihm  für  den  fünften  Verwaltungszeitraum,  vom  14.  März  1886 
bis  zum  14.  März  1896,  nach  den  Ordnungen  der  Stiftung  (§  20) 
gestellt  werden. 

Für  den  ersten  Preis 
wiederholt  der  Verwaltungsrath  die  für  den  vorigen  Verwaltungs- 


^28  Preisaufgaben  der  Wedekindschen  Preisstiftung 

Zeitraum  gestellte  Aufgabe:  er  verlangt  eine  allen  Anforderungen 
der  "Wissenschaft  entsprechende  Ausgabe  der  von  dem  Mainzer 
Eberhard  Windeck  verfaßten  Denkwürdigkeiten  über  Leben  und 
Zeit  Kaiser  Sigismunds. 

Es  gilt  den  völlig  werthlosen  und  unbrauchbaren  Abdruck  bei 
Mencken  durch  eine  nach  Seite  der  Sprache  wie  des  Inhalts  gleich 
tüchtige  Ausgabe  zu  ersetzen. 

Nach  den  älteren  Vorarbeiten  von  Dümge,  Mone,  Asch- 
bach, Droysen  hat  neuerdings  v.  Hagen  in  der  Einleitung  zu 
seiner  Uebersetzung  (Greschichtschreiber  der  deutschen  Vorzeit, 
Lief.  79.  Leipzig  1886)  über  das  Verhältniß  von  dreien  der  wich- 
tigsten Handschriften  (Gotha,  Cheltenham,  Hannover)  zu  einander 
gehandelt  und  danach  zwei  von  dem  Verfasser  selbst  herrührende 
Redactionen  unterschieden,  auch  die  Annahme  abgewiesen,  daß  die 
Handschrift  zu  Cheltenham  ein  Original  sei.  Für  den  Bearbeiter 
ist  die  Heranziehung  der  anderen  bekannten  und  von  v.  Hagen 
S.  VII,  Anm.  2  aufgeführten  Hdsch.  schon  deßhalb  erforderlich, 
um  die  Richtigkeit  der  Aufstellung  v.  Hagen's  zu  prüfen  und 
festzustellen,  ob  etwa  noch  mehr  als  zwei  Ausgaben  des  Werkes 
vorliegen. 

Von  den  drei  im  Archiv  III,  429  verzeichneten  Vaticanischen 
Hdsch.  wird  der  Verwaltungsrath  demnächst  Beschreibungen  an- 
fertigen lassen,  welche  ihre  Classificirung  ermöglichen.  Diese  Be- 
schreibungen sollen  dem  Bearbeiter  durch  Vermittelung  der  Ver- 
waltung der  Kgl.  Universitätsbibliothek  zur  Verfügung  stehen. 
Von  der  Heranziehung  dieser  drei  Hdsch.  zur  Textconstitution 
glaubt  der  Verwaltungsrath  im  übrigen  den  Bearbeiter  befreien 
zu  sollen1). 

Bei  der  Bearbeitung  des  Textes  wird  es  vor  allem  darauf  an- 
kommen, daß  die  von  dem  Verfasser  herrührenden  Unterschiede 
der  verschiedenen  Redactionen  klar  und  übersichtlich  zur  Erschei- 
nung kommen,  davon  auch  äußerlich  dasjenige  geschieden  und  ge- 
kennzeichnet werde,  was  etwa  fremder  Ueberarbeitung  seinen  Ur- 
sprung verdankt.  Die  originalen  Rubriken  und  Capitelüberschriften 
sind  in  die  Ausgabe  aufzunehmen. 

Die  Urkunden  und  Aktenstücke  aller  Art,  welche  dem  Werke 
zahlreich  eingefügt  sind,  erfordern  genaue  Untersuchung  in  Bezug 
auf  Herkunft,  Wiedergabe  und  anderweitige  Benutzung.  Sind 
von  denselben  abweichende  Texte  oder  die  Originale  bekannt,  so 
ist  darauf  in  den  Anmerkungen  hinzuweisen,  geeigneten  Falls  der 


1)  Vgl.  den  Bericht  über  diese  Hss.  in  den  Nachrichten  1888  S.  11  ff. 


für  Deutsche  Geschichte.  129 

abweichende  Text  zum  Abdruck  in  der  Anmerkung  zu  bringen. 
Desgleichen  ist  wenigstens  annäherungsweise  der  Versuch  zu  machen 
für  die  rein  erzählenden  Theile  Ursprung  oder  Quelle  beizubringen, 
namentlich  in  Bezug  auf  An-  und  Abwesenheit  des  Verfassers. 
Es  darf  dem  Text  an  Erläuterung  in  sprachlicher  und  sachlicher 
Hinsicht  nicht  fehlen. 

Die  Einleitung  soll  sowohl  die  bei  der  Untersuchung  und 
Herstellung  des  Textes  befolgte  Methode  klarlegen,  als  auch  eine 
eingehende  Erörterung  über  die  Lebensschicksale  des  Verfassers, 
die  Beziehungen  zu  seiner  Vaterstadt,  seine  Reisen,  sein  Ver- 
hältniß  zum  Kaiser  und  anderen  namhaften  Zeitgenossen,  seine 
übrigen  Werke  in  Prosa  und  Dichtung  geben. 

Die  sprachliche  Behandlung  des  Textes  hat  sich,  falls  nicht 
etwa  eine  Originalhandschrift  auftauchen  sollte ,  nach  den  von 
"Weizsäcker  im  I.  Bande  der  Reichstagsakten  für  die  Vereinfachung 
der  Schreibung  spätmittelalterlicher  deutscher  Texte  aufgestellten 
Grundsätzen  zu  richten. 

Der  Ausgabe  ist  ein  Wortverzeichniß,  entsprechend  demjenigen 
des  1.  Bandes  der  Mainzer  Chroniken  (Städtechroniken  Bd.  XVII), 
sowie  ein  ungetrenntes  Verzeichniß  der  Personen-  und  Ortsnamen 
beizufügen. 

Von  der  Cheltenhamer  Handschrift  befindet  sich  eine  genaue 
Abschrift  auf  der  Kgl.  Universitätsbibliothek,  welche  bereitwilligst 
von  der  Bibliotheksverwaltung  zur  Benutzung  ausgeliehen  wird. 

Für  den  zweiten  Preis 

schreibt  der  Verwaltungsrath 

eine  Geschichte  des  Herzogthums  Schwaben  vom  Beginn 
des  10.  his  in  die  zweite  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts 

aus. 

Nach  einem  einleitenden  Rückblicke  auf  die  karolingische  Zeit 
ist  der  Schwerpunkt  der  Arbeit  in  die  Verfassungsgeschichte  des 
bezeichneten  Zeitraums  zu  legen ,  da  die  politische  Geschichte 
Schwabens  zur  Genüge  behandelt  worden  ist.  Das  schwäbische 
Herzogthum  ist  in  seiner  Entwicklung  bis  zur  Auflösung  zu  ver- 
folgen, sein  .Verhältnis  zu  der  königlichen  Gewalt  einerseits ,  wie 
zu  den  Bisthümern,  Grafschaften,  Herrschaften  und  Städten  an- 
dererseits darzulegen.  Nach  der  gründlichen  und  erschöpfenden 
Untersuchung  des  Einzelnen  erwartet  der  Verwaltungsrath  eine 
zusammenfassende  Darstellung  der  Ergebnisse  der  Untersuchung. 
Neben  den  Nachrichten  der  Geschichtschreiber  hat  der  Bearbeiter 


^30  Preisaufgaben  der  Wedekind sehen  Preisstiftnng 


dem  reichen  Urkundenmaterial  eingehendste  Aufmerksamkeit  zu 
widmen  und  es  nach  allen  Richtungen  für  den  bezeichneten  Zweck 
auszubeuten.  Als  Beilage  der  Arbeit  wünscht  der  Verwaltungs- 
rath  Regesten  der  Urkunden,  an  welchen  die  Herzöge  von  Schwaben 
in  irgend  einer  Eigenschaft  betheiligt  sind  oder  in  welchen  sie 
Erwähnung  finden. 


In  Beziehung  auf  die  Bewerbung  um  diese  Preise,  die  Er- 
theilung  des  dritten  Preises  und  die  Rechte  der  Preisgewinnenden 
wird  aus  den  Ordnungen  der  Stiftung  Folgendes  wiederholt: 

1.  Ueber  die  zwei  ersten  Preise.  Die  Arbeiten  können  in 
deutscher  oder  lateinischer  Sprache  abgefaßt  sein. 

Jeder  dieser  Preise  beträgt  1000  Thaler  in  Gold  (3300  Reichs- 
mark) und  muß  jedesmal  ganz,  oder  kann  gar  nicht  zuerkannt 
werden. 

2.  Ueber  den  dritten  Preis.  Für  den  dritten  Preis  wird 
keine  bestimmte  Aufgabe  ausgeschrieben,  sondern  die  Wahl  des 
Stoifes  bleibt  den  Bewerbern  nach  Maßgabe  der  folgenden  Bestim- 
mungen überlassen. 

Vorzugsweise  verlangt  der  Stifter  für  denselben  ein  deutsch 
geschriebenes  Geschichtsbuch,  für  welches  sorgfältige  und  geprüfte 
Zusammenstellung  der  Thatsachen  zur  ersten,  und  Kunst  der  Dar- 
stellung zur  zweiten  Hauptbedingung  gemacht  wird.  Es  ist  aber 
damit  nicht  bloß  eine  gut  geschriebene  historische  Abhandlung, 
sondern  ein  umfassendes  historisches  Werk  gemeint.  Speciallandes- 
geschichten sind  nicht  ausgeschlossen ,  doch  werden  vorzugsweise 
nur  diejenigen  der  größten  (15)   deutschen  Staaten  berücksichtigt. 

Zur  Erlangung  des  Preises  sind  die  zu  diesem  Zwecke  hand- 
schriftlich eingeschickten  Arbeiten  und  die  von  dem  Einsendungs- 
tage des  vorigen  Verwaltungszeitraums  bis  zu  demselben  Tage  des 
laufenden  Zeitraums  (dem  14.  März  des  neunten  Jahres)  gedruckt 
erschienenen  Werke  dieser  Art  gleichmäßig  berechtigt.  Dabei 
findet  indessen  der  Unterschied  statt,  daß  die  ersteren,  sofern  sie 
in  das  Eigenthum  der  Stiftung  übergehen,  den  vollen  Preis  von 
1000  Thalern  in  Gold,  die  bereits  gedruckten  aber,  welche  Eigen- 
thum des  Verfassers  bleiben,  oder  über  welche  als  sein  Eigenthum 
er  bereits  verfügt  hat,  die  Hälfte  des  Preises  mit  500  Thalern 
Gold  empfangen. 

Wenn  keine  preiswürdigen  Schriften  der  bezeichneten  Art  vor- 


für  Deutsche  Geschichte.  131 

banden  sind,  so  darf  der  dritte  Preis  angewendet  werden,  um  die 
Verfasser  solcher  Schriften  zu  belohnen,  welche  durch  Entdeckung 
und  zweckmäßige  Bearbeitung  unbekannter  oder  unbenutzter  hi- 
storischer Quellen,  Denkmäler  und  Urkundensammlungen  sich  um 
die  deutsche  Geschichte  verdient  gemacht  haben.  Solchen  Schriften 
darf  aber  nur  die  Hälfte  des  Preises  zuerkannt  werden. 

Es  steht  Jedem  frei ,  für  diesen  zweiten  Fall  Werke  der  be- 
zeichneten Art  auch  handschriftlich  einzusenden.  Mit  denselben 
sind  aber  ebenfalls  alle  gleichartigen  Werke,  welche  vor  dem  Ein- 
sendungstage des  laufenden  Zeitraums  gedruckt  erschienen  sind, 
für  diesen  Preis  gleich  berechtigt.  Wird  ein  handschriftliches 
Werk  gekrönt,  so  erhält  dasselbe  einen  Preis  von  500  Thalern  in 
Gold;  gedruckt  erschienenen  Schriften  können  nach  dem  Grade 
ihrer  Bedeutung  Preise  von  250  Thlr.  oder  500  Thlr.  Gold  zuer- 
kannt werden. 

Aus  dem  Vorstehenden  ergiebt  sich  von  selbst,  daß  der  dritte 
Preis  auch  Mehreren  zugleich  zu  Theil  werden  kann. 

3.  Rechte  der  Erben  der  gekrönten  Schriftsteller.  Sämmt- 
liche  Preise  fallen,  wenn  die  Verfasser  der  Preisschriften  bereits 
gestorben  sein  sollten,  deren  Erben  zu.  Der  dritte  Preis  kann 
auch  gedruckten  Schriften  zuerkannt  werden,  deren  Verfasser 
schon  gestorben  sind ,  und  fällt  alsdann  den  Erben  derselben  zu. 

4.  Form  der  Preisschriften  und  ihrer  Einsendung.  Bei 
den  handschriftlichen  Werken,  welche  sich  um  die  beiden  ersten 
Preise  bewerben,  müssen  alle  äußeren  Zeichen  vermieden  werden, 
an  welchen  die  Verfasser  erkannt  werden  können.  Wird  ein  Ver- 
fasser durch  eigene  Schuld  erkannt,  so  ist  seine  Schrift  zur  Preis- 
bewerbung nicht  mehr  zulässig.  Daher  wird  ein  jeder,  der  nicht 
gewiß  sein  kann ,  daß  seine  Handschrift  den  Preisrichtern  unbe- 
kannt ist,  wohlthun,  sein  Werk  von  fremder  Hand  abschreiben  zu 
lassen.  Jede  Schrift  ist  mit  einem  Sinnspruche  zu  versehen,  und 
es  ist  derselben  ein  versiegelter  Zettel  beizulegen ,  auf  dessen 
Außenseite  derselbe  Sinnspruch  sich  findet,  während  inwendig 
Name,  Stand  und  Wohnort  des  Verfassers  angegeben  sind. 

Die  handschriftlichen  Werke,  welche  sich  um  den  dritten 
Preis  bewerben,  können  mit  dem  Namen  des  Verfassers  ver- 
sehen, oder  ohne  denselben  eingesandt  werden. 

Alle  diese  Schriften  müssen  im  Laufe  des  neunten  Jahres,  vor 
dem  14.  März  1896,  mit  dem  das  zehnte  Jahr  beginnt,  dem  Di- 
rektor zugesendet  sein,  welcher  auf  Verlangen  an  die  Vermittler 
der  Uebersendung  Empfangsbescheinigungen  auszustellen  hat. 

5.  Ueber  Zulässigkeit  zur  Preisbewerbung.    Die  Mitglieder 


132  Preisaufgaben  der  Wedekindschen  Preisstiftung 

der  Königlichen  Societät,  welche  nicht  zum  Preisgerichte  gehören, 
dürfen  sich  wie  jeder  Andere  um  alle  Preise  bewerben.  Dagegen 
leisten  die  Mitglieder  des  Preisgerichts  auf  jede  Preisbewerbung 
Verzicht. 

6.  Verkündigung  der  Preise,  An  dem  14.  März,  mit  welchem 
der  neue  Verwaltungszeitraum  beginnt ,  werden  in  einer  Sitzung 
der  Societät  die  Berichte  über  die  Preisarbeiten  vorgetragen,  die 
Zettel,  welche  zu  den  gekrönten  Schriften  gehören,  eröffnet,  und 
die  Namen  der  Sieger  verkündet,  die  übrigen  Zettel  aber  verbrannt. 
Jene  Berichte  werden  in  den  Nachrichten  über  die  Königliche  So- 
cietät, dem  Beiblatte  der  Göttingischen  gelehrten  Anzeigen,  ab- 
gedruckt. Die  Verfasser  der  gekrönten  Schriften  oder  deren  Erben 
werden  noch  besonders  durch  den  Direktor  von  den  ihnen  zugefalle- 
nen Preisen  benachrichtigt,  und  können  dieselben  bei  dem  letzteren 
gegen  Quittung  sogleich  in  Empfang  nehmen. 

7.  Zurückforderun g  der  nicht  gekrönten  Schriften.  Die 
Verfasser  der  nicht  gekrönten  Schriften  können  dieselben  unter 
Angabe  ihres  Sinnspruches  und  Einsendung  des  etwa  erhaltenen 
Empfangsscheines  innerhalb  eines  halben  Jahres  zurückfordern 
oder  zurückfordern  lassen.  Sofern  sich  innerhalb  dieses  halben 
Jahres  kein  Anstand  ergiebt,  werden  dieselben  am  14.  October 
von  dem  Direktor  den  zur  Empfangnahme  bezeichneten  Personen 
portofrei  zugesendet.  Nach  Ablauf  dieser  Frist  ist  das  Recht  zur 
Zurückforderun g  erloschen. 

8.  Druck  der  Preisschriften.  Die  handschriftlichen  Werke, 
welche  den  Preis  erhalten  haben,  gehen  in  das  Eigenthum  der 
Stiftung  für  diejenige  Zeit  über,  in  welcher  dasselbe  den  Ver- 
fassern und  deren  Erben  gesetzlich  zustehen  würde.  Der  Ver- 
waltungsrath  wird  dieselben  einem  Verleger  gegen  einen  Ehrensold 
überlassen  oder,  wenn  sich  ein  solcher  nicht  findet,  auf  Kosten 
der  Stiftung  drucken  lassen,  und  in  diesem  letzteren  Falle  den 
Vertrieb  einer  zuverlässigen  und  thätigen  Buchhandlung  über- 
tragen.    Die  Aufsicht  über  Verlag  und  Verkauf  führt  der  Direktor. 

Der  Ertrag  der  ersten  Auflage ,  welche  ausschließlich  der 
Freiexemplare  höchstens  1000  Exemplare  stark  sein  darf,  fällt  dem 
verfügbaren  Capitale  zu,  da  der  Verfasser  den  erhaltenen  Preis 
als  sein  Honorar  zu  betrachten  hat.  Wenn  indessen  jener  Ertrag 
ungewöhnlich  groß  ist,  d.h.  wenn  derselbe  die  Druckkosten  um 
das  Doppelte  übersteigt,  so  wird  die  Königliche  Societät  auf  den 
Vortrag  des  Verwaltungsrathes  erwägen,  ob  dem  Verfasser  nicht 
eine  außerordentliche  Vergeltung  zuzubilligen  sei. 

Findet  die  Königliche  Societät  fernere  Auflagen    erforderlich, 


für  Deutsche  Geschichte.  133 

so  wird  sie  den  Verfasser  oder,  falls  derselbe  nicht  mehr  leben 
sollte,  einen  andern  dazu  geeigneten  Gelehrten  zur  Bearbeitung 
derselben  veranlassen.  Der  reine  Ertrag  der  neuen  Auflagen  soll 
alsdann  zu  außerordentlichen  Bewilligungen  für  den  Verfasser,  oder, 
falls  derselbe  verstorben  ist ,  für  dessen  Erben ,  und  den  neuen 
Bearbeiter  nach  einem  von  der  Königlichen  Societät  festzustellen- 
den Verhältnisse  bestimmt  werden. 

9.  Bemerkung  auf  dem  Titel  derselben.  Jede  von  der 
Stiftung  gekrönte  und  herausgegebene  Schrift  wird  auf  dem  Titel 
die  Bemerkung  haben: 

Von  der  Königlichen  Societät  der  Wissenschaften  in 
Göttingen  mit  einem  Wedekindschen  Preise  gekrönt  und 
herausgegeben. 

10.  Freiexemplare.  Von  den  Preisschriften,  welche  die  Stif- 
tung herausgiebt,  erhalten  die  Verfasser  je  zehn  Freiexemplare. 

Göttingen,  den  14.  März  1887. 

Der  Verwaltung srath  der  Wedekindschen  Preisstiftung, 


Bei  der  Kgl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  einge- 
gangene Druckschriften. 


Alan  bittet  dieso  Verzeichnisse  zugleich  als  Empfangsanzeigen  ausüben  zu  wollen. 

August,  September  und  Oktober  1890. 

(Fortsetzung.) 

John  Hopkins  University: 

a.  American  Journal  of  mathematics.    Vol.  XII.  No.  3.  4.     Baltimore  1890. 

b.  Studies  in  historical  and  political  Rcience.  Eighth  Serie«  1/2.  3.  4.  Ebd.  1890. 
Transactions  of  the  Wagner  Free  Institute  of  science  of  Philadelphia.     Vol.  III. 

August  1890.     Philadelphia. 
The  Charlemagne  Tower  Collection  of  American  colonial  laws.     Ebd.  1890. 
Proceedings  of  the  Academy  of  natural  sciences  of  Philadelphia.     Part  1.    Jan. 

— March  1890.     Philadelphia  1890. 
Proceedings  of  the  American  philosophical  Society.     Vol.  XXVII.  No.  131.   Vol. 

XXVIII.  No.  132.  133.    Ebd.  1889.  90. 
26tn  annual  report  of  the  Alumni  Association  . . .  for  the  year  1889—90.   Ebd.  1890. 
Proceedings  of  the  American  Academy  of  arts   and  sciences.     New  series.    Vol. 

XVI.  (Whole  series  vol.  XXIV).  From  May  1888  to  May  1889.  Boston  1889. 
PublicationsoftheWashburnObservatory.  Vol. VI.  Partl/2.  Madison.  Wis.  1890. 
Annales  de  la  Oficina  meteorolögica  Argentina.  Tomo  VII.  Buenos  Aires  1889. 
Annales  de  la  Sociedad  cientifica  Argentina.     Tomo  XXX.    1890.    Entr.  1,  2    u. 

Suppl.,  3.  Nebst:  Indice  general  de  las  volümenes  I  a  XXIX.  1876—89.  Ebd.  1890. 
Actas  de  la  Academia  nacional  de  ciencias   de   la  Repüblica  Argentina  en  Cor- 

doba.    Tomo  VI  mit  Atlas.     Ebd.  1889.'; 

Nachrichten  ton  der  E.  O.  d.  W.  zu  Göttingen.  1891.  No.  8.  10 


134 


Mittheilungen  des  Deutschen  wissenschaftl.  Vereins  in  Mexico.    1.  Bd.  2.  Heft. 

Mexico  1890. 
Verhandlungen  des  Deutschen  wissenschaftl.  Vereins  zu  Santiago.    2.  Bd.  2.Hft. 

Santiago  1890. 
Mittheilungen  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Natur-  und  Völkerkunde  Ostasiens 

in  Tokio.    44.  Heft.  (Bd.  5  Seite  149-189.)    Yokohama  (u.  Berlin)  (1890). 
Acta  historica  res  gestas   Poloniae   illustrantia   ab  anno  1507  usque   ad  annum 

1795.     Tom.  XII.     Cracoviae  1890. 
Akademya  umiej^tnosci  w  Krakowie. 

Sprawozdanie  komisyi  fizyjograficznej.     Tom.  22—24.     Krakow  1888.  89. 
Pamigtnik  a.  Wydzialy:  Filologiczny  i  historyczno-filozoficzny.  Tom.  VII.  Ebd. 1889. 
b.  Wydziai  Matematyczno-przyrodniczy.  Tom.  XVI.XVII.  Ebd.  1889. 90. 
Rozprawy  i  sprawozdania  z  posiedzeri  Akademii  umieje_tnosci. 

a.  Wydzialu  historyczno-filozoficznego.     Tom.  22—24.     Ebd.  1888.  89. 

b.  —      matematyczno-przyrodniczego.  Tom.  19. 20.  Ebd.  1889.90. 

c.  —      filologicznego.  ^  Tom.  13.     Ebd.  1889. 

Rocznik  zarz;adu  Akademii  uraiej§tnosci  w  Krakowie.     Rok  1888.     Ebd.  1889. 
Starodawne  prawa  Polskiego  pomniki.     Tom.  IX.  X.     Cr§sc  I.    Ebd.  1888.  89. 
Scriptores  rerum  Polonicarum.     Tora.  XIII.  XIV.     Ebd.  1889. 
Archiwum  do  dziejöw  literatury  i  oswiaty  w  Polsce.     Tom.  VI.     Ebd.  1890. 
Zbiör  wiadomosci  do  antropologii  Krakowej.     Tom.  XIII.     Ebd.  1889. 
Sprawozdania  komisyi  do   badania   historyi    sztuki  w  Polsce.     Tom.  IV.     Zeszyt 

I.  2.  3.    Ebd.  1889. 

Atlas  geologiczny  Galieyi.     Zeszyt  1.  2  nebst  Karten.    Ebd.  1887.  88. 
Biblijoteka  pisarzöw  Polskich.     8  Hefte.    Ebd.  1889.  90. 

Magyar  tudomänyos  Akademia: 
Almanach  1890.     Budapest  1890. 

tfvkönyv.  (Jahrbuch).  XVII.  Köt.  7.  Darab.     Ebd.  1889. 
ßrtesitö  (Sitzungsberichte).    (XIII.)    1889,   2-5.     1890.  Füz.  1—5  (Jan.- Mäjus). 

Ebd.  1889.  90. 
Emlekbeszedek   (Gedenkreden).      V.   Köt.   9.  10.  Szäm.     VI.  Köt.  1.— 7.  Szäm. 

Ebd.  1889.  90. 
Nyelvtudomanyi  ^rtekezesek  (Sprachwissenschaftliche  Abhandlungen).    XIV.  Köt. 

II.  12.  Szäm.    XV.  Köt.  1.-5.  Szam.    Ebd.  1889.  90. 

Sexti  Porapei  Festi  de  verborum  significatu  quae  supersunt  cum  Pauli  epitome 
ed.  Aem.  Thewrewk.     Pars  I.     Ebd.  1889. 

Simonyi  Zsigmond:  A  magyar  hatärozök.  (Die  Bestimmungsworte  im  Ungari- 
schen).   I,  2.    Ebd.  1890. 

Nyelvtudomanyi  Közleme'nyek.  (Philolog.  Mittheilungen).  XXI.  Köt.  3.-6.  Füz. 
Ebd.  1889.  90. 

Künos  Ignacz:  Oszmän-török  nepköltesi  gyüjtemeny.  (Sammlung  osmano-türki- 
scher  Volksdichtungen).  II.  Köt.    Ebd.  1889. 

Abel  Jenö:  Magyarorzägi  tanulök  külföldön.  (Studierende  aus  Ungarn  im  Aus- 
lande).    I.     Ebd.  1890. 

Törtenettudomänyi  ^rtekezesek.  (Historische  Abhandlungen).  XIV.  Köt.  5.-9. 
Szäm.    Ebd.  1889.  90. 

Tärsadalmi  ]£rtekezesek.  (Sozialwissenschaftl.  Abhandlungen).  X.  Köt.  3.  5. — 
10.  Szäm.    Ebd.  1889.  90. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Inhalt  von  Nr.  3. 
F.  Kielhorn,    die   Colebrookeschen  Pänini- Handschriften   der   Königlichen  Bibliothek  zn  Göttingen.  - 
Gustav  Tammann,  über  die  Stromleitung  durch  Niederschlagsmembranen.  —  0.  Venske,  über  einen  neuen 
Apparat  zur   Bestimmung  der   inneren  Wärmeleitungsfähigkeit  schlecht  leitender  Körper   in  absolutem 
Masse.  —  Petsche-Stiftung.  —  Benekesche  philosophische  Preisaufgabe.  —  Preisaufgaben  der  Wedekind- 
schen  Preisstiftung  für  Deutsche  Geschichte.  —  Eingegangene  Druckschriften. 

Für   die  Redaction  verantwortlich:    E.  Sauppe,   Secretär  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 
Commissions-Verlag  der  Lieterich' sehen  Verlags- Buchhandlung. 
Druck  der  Dieterich' sehen  Univ.- Buchdruckerei  ( W.  Fr.  Kaestner). 


Nachrichten 

von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu   Göttingen. 


3.  Juni.  Jfä  4  1891. 


Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  2.  Mai. 

Schwarz  legt  einen  Aufsatz  des  Herrn  Julius  Petersen  in  Kopenhagen  vor: 
„Ueber  Normalformen  mehrfach  zusammenhängender  Flächen." 

Voigt  legte  einen  Aufsatz  des  Herrn  Dr.  0.  Venske  vor:  „Ueber  einen  neuen 
Apparat  zur  Bestimmung  der  inneren  Wärmeleitungsfähigkeit  schlecht  leiten- 
der Körper  in  absolutem  Maaße". 

de  Lagarde  zeigt  schriftlich  an 

1.  für  die  Nachrichten: 

a.  „Thevenot's  caffarre." 

b.  „Ueber  das  aramäische  Evangeliar  des  Vatican." 

c.  „Neue  Ausgabe  der  Staxaiei?  twv  aTcoaxdXujv  und  der  drei  Gestalten 
der  Clementinen." 

2.  für  die  Abhandlungen  (Band  38):  „Septuagintastudien,  6.  Stück." 


Thevenots  caffarre. 

Von 

Faul  de  Lagarde. 


In  meiner  Uebersicht  89  8  229—237  habe  ich  1890  dargethan, 
daß  fniBD  dem  arabischen  vJjS  entspricht.  Es  war  gewis  ein 
Beweis,  wie  wenig  sachverständig  die  Lexikographen  des  jüdischen 
Canons  und  die  über  die  Theologie  des  alten  Testaments  schrei- 
benden Leute  sind,   daß  sie  diese  Gleichung  nicht  gekannt  haben. 

Nachrichten  ton  dor  K.G.  d.W.  zu  Göttinnen.  1881.  Nr.  4.  11 


136  Paul  de  Lagarde, 

ABitschl  hob  1870  sein  erstes  größeres  Werk  mit  dem  Satze  an 
Die  christliche  Lehre  von  der  Rechtfertigung  und  Versöh- 
nung bildet  die  concrete  Mitte  des  theologischen  Systems. 
In  der  Vorrede  hatte  er  versichert,  schon  als  Student  darüber 
klar  geworden  zu  sein,   daß  er 

für  seine  theologische  Bildung  vor  Allem  des  Verständnisses 
der  christlichen  Idee  der  Versöhnung  bedürfe. 
Er  hat  später 
mit   der   nothwendigen    biblisch  -  theologischen  Substruction 
die  dogmatische  Darstellung  der  bezeichneten  Lehren 
unternommen. 

Die  ihm  gelieferte  „  Substruction  *  —  trotz  meiner  "Warnung 
hat  er  sich  mit  ihr  begnügt  —  hatte  selbst  noch  eine  „ Substruction u 
nöthig :  denn  fr^BD  ist  kein  Begriff  des  Mosaismus ,  sondern,  weil 
Arabern  und  Juden  gemeinsam,  ein  Begriff  des  Semitismus,  der  von 
der  „Offenbarung"  umgebildet  worden  sein  kann  (ob  und  wie  das 
geschehen,  bleibt  zu  untersuchen),  der  aber  von  vorne  herein  der 
„Offenbarung"  nicht  angehörte. 

Dem  für  meine  Arbeiten  leider  in  Betracht  kommenden  Personale 
gegenüber  ist  nöthig,  immer  aufs  Neue  zu  sagen,  daß  wie  jedes 
Essen  ein  Verdauen  zur  Folge  hat,  so  jede  Aneignung  eines  Wortes 
eine  Deutung  dieses  Wortes,  jede  Aneignung  einer  Anschauung 
eine  Umbildung  dieser  Anschauung  nach  sich  zieht.  Ich  verbitte 
mir  die  Verleumdung  oder  aber  die  Dummheit,  welche  glauben 
machen  will,  daß  ich  bei  irgend  einem  Worte  alter  Zeit,  wenn 
noch  die  neue  Zeit  es  braucht,  mit  dem  Worte  ohne  Weiteres  in 
historischen  Zeiten  den  ursprünglichen  Begriff  verbunden  glaube. 

Drei  mal  bin  ich  zu  Ostern  in  Rom  gewesen,  und  habe  auf 
dem  Pincio  und  auf  der  Salita  di  S.  Onofrio  den  Iudasbaum  blühen 
sehen.  Der  Baum  heißt  bei  uns  so,  weil  Iudas  sich  an  ihm  er- 
henkte, und  er  aus  Scham  über  die  Berührung  des  Verräthers  über 
und  über  roth  wurde.  Ich  wußte  durch  Chlos Jagemann,  daß  er  auf 
italiänisch  albero  di  San  Giuseppe  genannt  wird :  näheres  über  diesen 
Namen  zu  erfahren  begierig,  fragte  ich  oft,  aber  nicht  suggestiv, 
wie  der  dort  blühende  Baum  heiße.  Rothe  Acacie  oder  Oleander, 
antworteten  die  „Gebildeten",  denen  die  Tracht  des  in  Rede  ste- 
henden Beschämten  nicht  anders  vorkam  als  die  der  rothen  Acacie 
oder  des  Oleander.  Endlich  jetzt  nannte  ihn  mir  am  26  April  1891 
auf  dem  Gianicolo  ein  Gärtner  Scielsine  sine  quastume:  der  Mann 
buchstabierte  auf  meine  Bitte  den  Namen,  der  aus  drei  Worten 
bestehe.  Da  hat  Cercis  siliquastrum  den  albero  di  San  Giuseppe 
verdrängt.    Scielsine  aus  Cercide:  xepvtts  hat  %spztöo<;. 


Thevenots  caffarre.  137 

Da  hat  ein  neuer  fremder  Name  den  alten  heimischen  Namen 
verdrängt:  die  Sache  ist  dieselbe  geblieben.  Wir  Deutschen  (mit 
Ausnahmen  natürlich)  erzählen  die  Sage  noch,  die  den  Baum  mit 
Iudas  in  Beziehung  setzt :  kein  mir  in  den  Weg  gelaufener  Italiäner 
kannte  auch  nur  den  Namen  albero  di  San  Giuseppe,  geschweige, 
daß  er  die  dazu  gehörige  Sage  gekannt  hätte. 

Am  5  Januar  1891  verlangte  in  meiner  Gegenwart  in  der  G-oet- 
tinger  Universitätsapotheke  eine  Arbeiterfrau  gegen  den  Husten  ihres 
Knaben  Fuchslungensaft  und  Schneckensaft:  sie  erhielt  Lakrizen 
und  Eibisch. 

Da  haben  also  früher  unbekannte  Arzneien  die  Namen  in  alter 
Zeit  geschätzter  Arzneimittel  zu  führen  lernen  müssen.  Wir  haben 
da  alte  Worte  für  neue  Dinge. 

Dies  ist  als  Ergänzung  des  in  meiner  Uebersicht  ad  vocem 
tvnsft  Vorgetragenen,  aber  auch  für  die  Religionsgeschichte,  zu 
brauchen,  in  der  Aehnliches  vorkommt.  Vergleiche  meine  Beiträge 
zur  baktrischen  Lexikographie  28,  wo  nachgewiesen  wird,  daß  ein 
und  dasselbe  Wort  Regenwasser,  Kuhharn,  Seifenkraut  bedeutet 
hat.  Vergleiche  auch  was  CdeHarlez  JAP  1879  1  161  auseinan- 
dersetzt. 

Ich  habe  im  Register  zu  meiner  Uebersicht  69  aus  Thevenot 
angeführt,  daß  „caffarre"  eine  Uebergangsgebühr  bezeichne,  und 
habe  das  gleichbedeutende  gaffar  Seetzens  für  identisch  mit  The- 
venots caffarre  erklärt. 

Letzteres  ist  falsch.  Herr  Professor  Albert  Socin  wies  mich  unter 
dem  11  April  1891  auf  Dozy  unter  jte.  und  auf  Berggrens  Guide 
francais - arabe  unter  peage  .ac  ghäffar  hin,  womit  Burckhardts 
Reisen  in  Syrien  553  jl£  „Steuer"  zu  vergleichen  seien.  Er  hätte 
noch  aus  FrCanes  anführen  können 

peage  el  tributo  que  se  paga  por  pasar  algun  puente  ö 
barca  J6. : 
wer  den  gafar  bezahlt,  j^ :  wer  ihn  auferlegt,  g&y  Entsprechend 
Canes  unter  pontage  pontazgo.  ECastle  2847  ^  =  vectigal,  ital. 
gabello  [so] :  über  gabella  die  von  HvKap-herr  in  der  Zeitschrift 
für  Geschichtswissenschaft  1891 38 r  citierten  Stellen.  Dies  jut 
erwähnt  EWLane  nicht:  es  gehört  also  der  Volkssprache  an,  und 
ist  gerade  darum  werthvoll :   x*(c  ist  mehr  als  jüü. 

Daß  m  existiert,  ist  mithin  sicher.  Da  das  Zeitwort  J& 
vergab  bedeutet,  ist  auch  dies  Jlc.  für  die  Theologen  von  Wichtig- 
keit. Mir  ist  lieb,  daß  die  nothwendige  Berichtigung  einer  meiner 
Aussagen  darauf  hinweist,  daß  solche  Dinge  nur  in  großem  Zu- 
sammenhange besprochen  werden  dürfen. 

11* 


138  Paul  de  Lagarde, 


Thevenot  (geboren  7.  6. 1633,  f  zu  Miana,  dreißig  Stunden  vor 
Tabriz,  28. 11. 1667)  behandelt  kaffarre  als  Femininum :  und  sprach 
das  Wort  natürlich  nach  Analogie  von  bizarre.  R  double  (lehrt 
die  Acade*mie  francaise)  se  prononce  comme  si  eile  £tait  simple : 
die  drei  Arten  Ausnahmen,  die  diese  Regel  erleidet,  treffen  auf 
kaffarre  nicht  zu.  Thevenot,  ein  sehr  sorgsamer  Mann,  braucht 
ein  Femininum  caffarre  wiederholentlich :  wer  französisch  versteht, 
weiß,  daß  caffarre  den  Ton  nur  auf  dem  zweiten  a  gehabt  haben 
kann.  Bis  auf  Weiteres  wird  also  kaffäre  als  Synonymum  von 
gafar  zu  gelten  haben :  doch  werden  die  Theologen  gut  thun,  vor- 
läufig für  sich  als  Gebühr  für  das  Recht  einen  Fluß  oder  eine 
Brücke  zu  überschreiten  nur  gafar  zu  verwenden.  Was  in  der 
Uebersicht  229 — 237  steht,  wird  von  der  Beantwortung  der  Frage 
ob  kaffärat  neben  gafar  vorkommt,  oder  aus  gafar  nur  verhört 
ist,  nicht  berührt.  Der  Interprete  du  Roi  La  Croix  Paitis  (oder 
de  la  Croix)  bezeugt  von  Thevenot  (es  ist  nicht  ohne  Werth  dies 
hier  zu  wiederholen)  vor  dem  zweiten  Bande  des  Voyage  de  Levant 
Ces  trois  langues  [Turquesque,  Arabesque  et  Persienne]  qu'il 
possedoit  si  bien,  ....  l'avoient  rendu  si  profond  dans  toute 
cette  erudition  Orientale  .... 

On  ne  doit  pas  se  formaliser  si  Ton  trouve  quelque  diver- 
site  de  prononciation  es  mots  Orientaux  dans  ce  Livre,  prin- 
cipalement  lors  qu'il  est  question  de  Voyelles  ou  des  Con- 
sones  Kha,  hha,  Kef  et  quelques  autres:  La  difference  des 
Pai's  fait  qu'elles  sont  diver sement  prononcees  ;  en  des  lieux 
l'on  prononce  Nameh,  Bender  et  Bazerghian,  et  en  d'autres 
Namah,  Bendar,  Bazerghion :  les  uns  disent  Kher  et  les  au- 
tres Hher,  les  uns  Gromron,  les  autres  Komoron,  et  il  en  est 
ainsi  de  beaucoup  d'autres ;  mais  les  lettres  figuratives  se  ren- 
contrent  toüjours  aux  uns  et  aux  autres  mots. 
Was  doch  wohl  beweist,  daß  Thevenot  auf  den  Klang  der  Worte 
aufmerkte. 

Man  wird  übrigens  nicht  vergessen  dürfen,  daß  Numeri  15 30 
eine  Versöhnung  für  die  iW\  "Tl  begangenen  Sünden  nicht  kennt. 
Es  muß  allerdings  erst  untersucht  werden,  ob  Leviticus  die  Sache 
ebenso  ansieht  wie  Numeri,  und  ob  die  Gresammtanschauung ,  die 
Israeliten  und  Semiten  von  der  Schuld  hatten,  das  Numeri  15 so 
Ausgesprochene  für  ein  Princip  zu  halten  gestattet.  Bis  auf  Wei- 
teres wird  aber  behauptet  werden  dürfen,  daß  das  Opfer  sich  nur 
auf  HÄJtDSi  begangene  Verfehlungen  beziehen  durfte.  Dann  ist  aber 
das  Opfer  nichts  wesentlich  Anderes  als  was  das  Recht  Europas 
Recognitionsgebühr  nennt.     Wer  zum  Beispiel   einen  Wasserlauf 


Thevenots  caffarre.  139 

aus    seinem   Gebiete   unter    einer  öffentlichen  Straße   durchleset, 


zahlt  eine  solche  Gebühr,  meist  geringen  Betrages,  nur  zu  dem 
Erweise,  daß  er  durch  seine  Leitung  nicht  ein  Recht  ausübt,  son- 
dern eine  widerrufbare  Vergünstigung  genießt :  es  ist  so  eine  Form 
gefunden,  unter  der  als  Ein  Recht  verstattet  wird  was  Das  Recht 
verbietet.  Empörung  gegen  den  König  Gott  ist  unverzeihlich :  wer 
aus  Irrrthum  sündigt  oder  aus  Leichtsinn,  hat  nur  das  dominium 
als  dominium  anzuerkennen,  um  straflos  auszugehn.  Äj-nbp  = 
indulge :  das  Opfer  des  alten  Testaments  ist  in  der  Kirche  durch 
die  indulgentiae  vertreten:  es  wird  nicht  Sünde  gesühnt,  sondern 
die  fällige  Strafe  der  Sünde  in  Folge  einer  Satisf actio  erlassen. 
Gesühnt  wird  durch  das  Anerkenntnis  gefehlt  zu  haben  nichts : 
Iohannes  a  I9.  Das  Opfer  als  n*)BD  erkennt  die  Thatsache  an, 
daß  man  durch  die  mittelst  des  Opfers  zuzudeckende  Handlung 
nicht  hat  die  Rechtsordnung  stören  wollen:  weiter  thut  es  nichts. 
Die  semitische  Anschauung  von  der  kaffärat  =  rHBD  faßt  die 
sühnbare  Sünde  als  etwas  nicht  Erhebliches,  also  nicht  eigent- 
lich als  Sünde,  und  kennt  auch  nicht  sühnbare  Sünden.  Daß  die 
Kirche  die  Sache  nicht  ebenso  ansieht,  daß  kein  das  Leben  ken- 
nender Mensch  sie  so  ansehen  darf,  liegt  auf  der  Hand.  Dogma- 
tiker  werden  daher  gut  thun,  ihre  Urtheilsfähigkeit  nicht  entweder 
dadurch  in  übles  Licht  zu  rücken,  daß  sie  die  christliche  Anschau- 
ung für  identisch  mit  der  des  alten  Testaments  und  der  Semiten 
halten,  oder  aber  dadurch,  daß  sie  objektive  Unwerthe  wie  die 
Sünde  durch  eines,  nur  in  Folge  eines  Werthurtheils  geltenden, 
Menschen  Tod  beseitigen  zu  können  meinen :  es  handelt  sich  nicht 
um  „Zudecken^,  sondern  um  Vernichten  der  Schuld,  vor  Allem 
aber  um  Vernichtung  der  Sünde ,  aus  der  die  Schuld  immer  von 
Neuem  emporwächst.  Deutsche  Schriften  58.  Mit  dem  von  RALip- 
sius  in  dem  theologischen  Jahresberichte  für  1883  auf  Seite  272  ff. 
über  Ritschis  Theologie  Vorgetragenen  bin  ich  einverstanden. 

So  leicht  wird  jetzt  niemand  der  mitzureden  befugt  ist,  semi- 
tisches Wesen  aus  indoceltischen  Texten  und  Sprachen  erklären: 
Creuzer  und  ßähr,  die  in  meiner  Studentenzeit  noch  Auctoritäten 
waren,  sind  beseitigt.  Aber  was  der  Linguist  und  der  Historiker 
nicht  darf,  darf  mit  Vorsicht  der  Psychologe.  So  setze  ich  aus 
der  Zeitschrift  für  deutsches  Alterthum  und  deutsche  Litteratur 
35  262  her  was  mir  während  mein  Aufsatz  im  Drucke  ist,  durch 
Edward  Schröders  Güte  zugeht: 

Im  gotischen  ist  gilstr  Zahlung  abgäbe,   während  die  alter- 
tümlichere bedeutung  opfer   bei  ahd.  gelstar  erhalten  ist. 


140  p»ul  de  Lagarde, 

Das  opfer  wird  als  eine  abgäbe  aufgefaßt,  oder  richtiger :  es 

ist  die  älteste  form  der  abgäbe. 
In  den  deutseben  Schriften  379  385  unterscheide  ich  zwischen 
Steuern  und  Gebühren:  Ulfilas  Rom.  13 6  gilstr  <pöpog,  Lucas  22 
gilstrameleins  aTCOYpa^.  Jedermann  verständlich  gild  <pöpoc  Lucas 
20  22,  kaisaragild  x^voo?  [l7üi*£<pdXaiov  ?]  Marcus  12  u.  Vergelten, 
entgelten. 

Ignoscere  heißt  „nicht  kennen":  die  romanischen  Sprachen 
haben  ignoscere  durch  pardonner  und  dessen  Schwestern,  also 
durch  eine  romanische  Uebertragung  des  deutschen  vergeben  er- 
setzt, offenbar  doch,  weil  sie  eine  andere  Grundanschauung  über 
die  zu  bezeichnende  Sache  hegten  als  die  Römer:  1863  zu  Proverb. 
222i  (Seite  73). 

Das  aramäische  Evangeliar  des  Vatican. 

Das  aramäische  Evangeliar  des  Vatican  ist  durch  den  Catalog 
der  Bibliotheca  vaticana  1  270-103  seit  1758  bekannt,  durch  Iac 
GeChrAdlers  Aufsatz  in  meines  Vorgängers  IDMichaelis  Bibliothek 
19  126 — 131,  durch  desselben  Gelehrten  biblisch  -  kritische  Reise 
nach  Rom  118—127  und  sein  Buch  novi  testamenti  versiones  sy- 
riacae  135—202  in  den  Jahren  1782  1783  1789  bekannter  geworden. 
Der  Graf  Francisco  Miniscalchi-Erizzo  hat  es  1861  ganz  gedruckt, 
und  1863  mit  einem  Glossare  und  anderen  Zuthaten  versehen,  Herr 
Theodor  Noeldeke  hat  1868  ZDMG  22  443—527  über  den  in  ihm  ge- 
brauchten Dialect  in  einem  sehr  fleißigen  Aufsatze  Auskunft  gegeben. 

Ein  Evangeliar  ist  ein  Buch,  in  dem  die  für  die  kirchliche 
Lesung  bestimmten  Abschnitte  der  Evangelien  in  der  Reihenfolge 
der  Festtage  des  Kirchenjahrs  zusammengeschrieben  oder  aber  -ge- 
druckt sind.  Es  erhellt,  daß  man  eine  Stelle  der  Evangelien  in 
einem  solchen  Buche  nur  findet,  wenn  man  den  Sonn-  oder  Feier- 
tag kennt,  an  dem  sie  in  den  Kirchen  gelesen  wird.  Ein  Register 
kann  das  Finden  erleichtern :  immer  sind  von  dem  zur  Benutzung 
eines  Registers  Gezwungenen  zwei  Stellen  eines  Evangeliars  nach- 
zuschlagen, nicht  Eine,  wann  er  es  für  die  Zwecke  der  Grammatik, 
des  Lexicons,  der  Kritik  des  Textes  benutzen  will. 

Ich  habe  mir  daher  im  Sommer  1877  eine  Abschrift  jenes  Evan- 
geliars gemacht,  in  der  die  Perikopen  nach  der  Folge  unserer 
Bibeln  stehn.  Hätte  ich  gewußt,  daß  ich  je  meine  Abschrift  mit 
dem  Codex  der  Vaticana  werde  vergleichen  können,  so  hätte  ich 
mir  viel  Zeit  und  Mühe  dadurch  erspart,  daß  ich  Miniscalchis  nur 
auf  der  Einen  Seite   syrisch  bedrucktes  Werk   zerschnitten  und 


Das  aramäische  Evangeliar  des  Vatican.  141 

die  Perikopen   in  der   mir  meine   Arbeiten    erleichternden  Folge 
aufgeklebt  hätte. 

Da  ich  nach  EBertheaus  Tode  mich  zum  Semitisten  umarbei- 
ten mußte,  habe  ich  meine  Abschrift,  nachdem  ich  sie  mit  dem 
Originale  verglichen  hätte,  in  meiner  Bibliotheca  Syriaca  zu  drucken 
beschlossen  :  denn  der  Dialekt,  den  das  Buch  zeigt,  ist  wichtig. 
Ich  habe  allerdings  auch  die  Absicht,  durch  meine  Arbeit  die 
Urkunde  für  die  Kritik  des  Evangelientextes  nutzbar  zu  machen: 
denn  wenn  auch  der  Gunst  der  ersten  Facultäten  mich  nicht  erfreu- 
end, fühle  ich  mich  doch  stets  als  Theologe. 

Ich  bin  deshalb  den  October  1890  wie  den  März  und  April 
1891  in  Rom  gewesen,  und  werde  im  October  1891,  um  die  Ver- 
gleichung  zu  Ende  zu  führen,  noch  einmal  nach  Rom  müssen. 

Da  die  für  die  Benutzung  meiner  Arbeit  in  Betracht  kom- 
menden Personen  theils  schwer  von  Begriffen  sind,  theils  absicht- 
lich misverstehn,  gebe  ich  ein  Jahr  vor  der  Zeit,  in  der  mein 
Band  erscheinen  kann,  eine  kurze  Notiz,  um  jene  an  das  Verstehn 
des  Buchs  zu  gewöhnen,  diesen  das  Geltendmachen  ihrer  „Misver- 
ständnisse"  zu  verleiden. 

Die  Handschrift  ist  nach  194 4  =  BS  276  vom  Schreiber  v^**> 
jüSLb  (so  gut  wie  sein  Können  es  ihm  gestattete)  geschrieben  wor- 
den. Schwiegersohn  eines  Oberen  konnte  ein  Klosterbruder  nicht 
sein,  noch  auch  so  leicht  Sohn  desselben:  folglich  wird  man  ihn  wohl 
für  das«  ihm  aufgetragene  (schwere)  Geschäft  wirklich  tauglich  ge- 
halten haben :  der  Augenschein  lehrt,  daß  der  Abt  sich  in  ihm  nicht 
geirrt  hatte,  und  dies  festzustellen  ist  Pflicht.  Daß  der  Mann  die 
ihm  zugemuthete  Arbeit  ungerne  übernommen  hat,  und  daß  er  be- 
scheiden dachte,  folgt  mir  daraus,  daß  er  ausdrücklich  sie  als 
aJölb  v^ajm^s»  ausgeführt  bezeichnet. 

Ich  habe  Grund  zu  der  Annahme,  daß  der  Schreiber  nicht 
den  Befehl  bekommen  hat,  ein  älteres  Evangeliar  abzuschreiben, 
sondern  den,  aus  einem  Evangelium  ein  Evangeliar  selbst  herzu- 
stellen: denn  offenbare  Fehler  wiederholen  sich  in  mehrfach  vor- 
kommenden, räumlich  von  einander  getrennten  Lesestücken:  da 
der  sorgfältige  Arbeiter  sich  nicht  mehrfach  in  gleicher  Weise 
verschrieben  haben  wird,  nehme  ich  an,  daß  die  Fehler  in  seiner 
Vorlage  standen,  die  zu  ändern  er  nicht  wagte. 

Der  Schreiber,  der  im  Jahre  1341  der  SeleucidenAera  mit 
seinem  Buche  fertig  wurde,  arbeitete  zum  Glücke  für  mich  mit 
einer  honiggelben  Tinte.  Was  er  geschrieben  hat,  ist  fast  auf 
allen  Blättern,  und  zwar  zu  verschiedenen  Zeiten  und  von  ver- 
schiedenen Händen,  schwarz  überfahren,  geändert  und  um  Vokal- 


\42  Paul  de  Lagarde, 

zeichen  und  Interpnnctionen  vermehrt  worden:  die  honiggelbe 
Tinte  scheint  aber  doch  auch  an  vielen  Stellen  wo  es  nur  auf  das 
mit  Ihr  Geschriebene  ankommt,  durch. 

Der  erste  Schreiber  setzt  Vocale  nie,  Interpunctionen  selten. 
Er  schreibt  &  sehr  häufig,  nicht  selten  ä,  den  Doppelpunkt  als 
Bezeichnung  des  Plurals  nicht  regelmäßig. 

ä  kann  a  mit  Pluralpunkten  sein:  in  den  meisten  Fällen  be- 
deutet es  x:  wenn  die  Zunft  nicht  eine  so  große  Nichtachtung 
meiner  Arbeiten  in  ihr  Programm  aufgenommen  hätte,  würden 
wenigstens  die  Lehrer  der  hebräischen  Grammatik  aus  meiner 
Genesis  6  das  Scholion  des  Baseler  Codex  kennen ,  das  zu  Xoö?  = 
tFO  anmerkt  otks  /  oute  % ,  aXXa  \l£gov  twv  Söo  *  atoi/etov  dk  sativ 
ap|iöiTov  fj  twv  'Eßpaiwv  xat  Eopcov  yXwtt^  :  gequetscht  wird  1\  zu 
ts,  p  über  czuf  =  c.  Der  Dialekt  des  Evangeliars  hatte  wenigstens 
zu  der  Zeit,  in  der  die  Handschrift  des  Yatican  punktiert  wurde, 
eine  (krankhafte)  Neigung  1  „weich"  zu  sprechen  (geschrieben  wird 
dann  &),  und  ä  mag  durch  seinen  Doppelpunkt  (der  Codex  kennt 
auch  ±>)  eine  noch  größere  „Weichheit"  ausdrücken  als  durch  3. 
Das  bleibt  aber  Alles  noch  zu  untersuchen,  &  &  &  scheinen  sich 
nicht  zu  unterscheiden :  £  sieht  in  der  Hds.  wie  &  aus,  da  a  wie 
ein  umgekehrtes  c  aussieht. 

Wenn  die  über  das  Buch  gekommenen  Späteren  —  die  Tinte 
wie  die  Form  der  Schrift  lehrt,  daß  ihrer  mehrere  waren,,  die 
nicht  zu  gleicher  Zeit  lebten  —  wenn  diese  Späteren  nur  die, 
übrigens  unnöthige,  Mühe  sich  auferlegt  hätten,  die  honiggelbe 
Schrift  des  Ersten  anzuschwärzen,  so  würden  sie  dem  Vorwurfe 
geschmacklose  Dummköpfe  gewesen  zu  sein  nicht  entgehn  können. 
Sie  änderten  aber  auch,  und  nur  der  Umstand,  daß  sie  ohne  es  zu 
wollen,  für  die  Geschichte  der  Sprache  Nutzbares  geliefert  haben, 
macht  nothwendig  sich  um  sie  bekümmern. 

Der  Dialekt  braucht  die  Artikelform  der  Nomina  nur  da  wo  im 
Griechischen  der  Artikel  steht.  Allerdings  habe  ich  gelegentlich 
auch  falsche  Artikelformen  herausgegeben,  weil  ich  nicht  sah,  daß 
ein  Aelteres  unter  dem  jetzt  vorhandenen  Texte  stak :  ich  bin  aber 
überzeugt,  daß  diese  Stellen  zu  emendieren  sind.  Vorläufig  wollte 
ich  nur  was  ich  sah,  vorlegen. 

Der  Dialekt  braucht  noch  gerne  Verbindungen  der  Nomina  mit 
einem  Genetive  ohne  j,  sagt  also  ^Jol^ä  t^j  ,  nicht  ^*o^3>  ft;^( : 
er  braucht  }  vor  Genetiven  auch  wo  die  Verbindungs-Form  vorher- 
geht. Dieses  Alles  ist  von  C  geändert  worden :  die  erste  Hand  ist 
in  diesen  Fällen  allen  erkennbar. 

Der  Dialekt  braucht   die  Participien  da  wo  man  im  Schrift- 


Das  aramäische  Evangeliar  des  Vatican.  143 

Syrischen  ^  zuzusetzen  hat,  ohne  +a,  das  erst  die  Späteren,  nicht 
gleichmäßig,  nachgetragen  haben.     Die  Fälle  liegen  alle  klar. 

Es  war  meine  Pflicht,  was  die  erste  Hand  bot,  in  meinen 
Text  zu  setzen,  was  die  Correctoren  (die  zu  scheiden  ich  nicht 
unternehmen  durfte)  aus  der  ersten  Schrift  gemacht  haben,  am 
Rande  zu  geben. 

Wo  die  honiggelbe  Tinte  des  Ersten  auch  nur  mit  einem 
Scheinchen  hervorleuchtete,  ermöglichte  Sie  das  Richtige  zu  finden. 
Wo  die  Stiefelwichse  der  Späteren  alles  deckte,  mußte  ich  mich 
bescheiden.  Und  ich  habe  mich  beschieden,  weil  nach  langer  und 
wiederholter  Beschäftigung  mit  der  Handschrift  es  mich  verboten 
däuchte  zu  recensieren,  es  mir  vorläufig  allein  erlaubt  schien,  die 
Urkunde  als  Urkunde  vorzulegen. 

Mehr  wird  sich  thun  lassen,  nachdem  mein  Text  erschienen, 
und  eine  Concordanz  über  ihn  ausgearbeitet  sein  wird. 

In  der  BS  sind  natürlich  die  Zeilen  gezählt:  die  Concordanz 
wird  ihre  Citate  nicht  nach  Evangelien,  sondern  nach  Seiten  und 
Zeilen  der  BS  geben,  weil  viele  Perikopen  mehrfach  vorkommen, 
jede  andere  Zählung  also  Weiterungen  verursachen  müßte.  Am 
Rande  der  BS  sind  die  Columnen  der  Handschrift  angezeigt :  jede 
Columne  ist  ungefähr  fünf  Zeilen  meines  (Quart)Druckes  lang. 
Mithin  ist  jedes  Wort,  das  in  der  Concordanz  steht,  ohne  Mühe 
in  der  Handschrift  nachzuschlagen. 

Eine  endgültige  Ausgabe  des  Textes  zu  liefern  behalte  ich 
mir  vor. 

Die  Punctation  zeigt  gelegentlich  ostSyrische  Vokale,  gele- 
gentlich Punkte  die  ich  noch  nicht  begreife :  im  Allgemeinen  ist 
ihr  Princip  leicht  zu  durchschauen.  Mein  Leben  ist  von  vorne 
herein  mit  dadurch  verwüstet  worden,  daß  jemand  der  gar  nichts  von 
der  Sache  verstand,  über  die  er  schrieb,  obwohl  ich  ausdrücklich  ge- 
sagt hatte,  ich  wolle  als  Varianten  nur  geben  was  critici  usus  foret, 
die  Zunft  mit  einer  Sammlung  von  Schreibefehlern  der  Einen  von  mir 
benutzten  Handschrift  erfreute :  die  Zunft  druckte  und  glaubte  diese 
Liste,  und  der  GORR  Schulze  veranlaßte  den  Herrn  von  Raumer  sie 
zu  benutzen :  jetzt  AErman  Jahresbericht  für  1880  [ZDMG-]  193,  ver- 
glichen mit  dem  für  1879  [ZDMG]  179.  Ich  bin  also  gewarnt,  und 
habe  pedantisch  treu  wiedergeben  wollen  was  die  Handschrift 
bietet.  Ich  habe  in  meiner  Ausgabe  der  Didascalia  (aus  dem 
deutschen  Gelehrtenleben  76)  v/vj  über  meine  Wiedergabe  der  in 
dem  pariser  Codex  vorliegenden  Punctation  geredet:  die  dort  an- 
gebotene Liste  hat  nie  jemand  verlangt:  Universitätsprofessoren 
und  ein  unverheiratheter  Direktor  eines  Gymnasiums  erbaten  lieber 


144  Paul  <*e  Lagarde, 


(wegen  ihrer  „Armuth")  von  dem  Schnlamtscandidaten  das  ganze 
Buch  als  Geschenk,  ohne  jene  Liste.  In  meiner  Ausgabe  der  kop- 
tischen Uebersetzung  des  Pentateuch  ix  schrieb  ich 

etwa  zu  notieren  „epe  ist  ohne  Punkt,  weil  der  Schwanz 
eines  darüberstehenden  aj  (oder  eines  ähnlichen  Kometen) 
gerade  über  ihm  herabhängt"  oder  „n-re  ist  ohne  Punkt, 
weil  v  wie  ein  Schirm  über  n  und  e  übersteht",  das  hieße 
denn  doch  mit  der  Zeit  leichtsinniger  umgehn  als  man  ver- 
antworten kann. 

Statt  aber  die  Leute,  die  so  etwas  notiert  verlangen,  mit  dem 
danab  fil  zu  liebkosen,  habe  ich  versucht,  die  Punkte  genau  wie 
die  Handschrift  zu  setzen :  als  alter  Mann  wird  man  milde,  und 
mehr  noch  als  früher  geneigt,  gefallig  zu  sein.  Der  Setzer  hat 
Feile  und  Messer  anwenden  müssen,  um  den  Größen  des  Tages 
zu  genügen:  nicht  mit  dem  die  strengen  Anforderungen  gewissen- 
hafter Arbeiter  befriedigenden  Erfolge  :  die  Punkte  stehn  noch  immer 
gelegentlich  ein  zehntel  Millimeter  schief,  und  da  Typen,  unliebens- 
würdiger als  die  heut  zu  Tage  typischen  Menschen,  nicht  zur  Annahme 
des  Grundsatzes  zu  bewegen  sind  „hier  steh'  ich,  ich  kann  auch 
anders",  so  habe  ich  diesem  Mangel  beim  besten  Willen  nicht  ab- 
helfen können.  Es  wird  sogar  leider  vorgekommen  sein,  daß  ich, 
obwohl  manches  fünfmal  verglichen  worden  ist,  sowohl  beim  Lesen 
des  Codex  wie  beim  Lesen  der  Druckbogen  Punkte  übersehen  habe. 
Man  vergleiche  was  in  meinen  Analectis  xiv  steht.  Ich  habe  1860 
in  der  Vorrede  zu  den  Geoponicis  drucken  heißen,  wir  seien  was 
die  syrische  Philologie  anlange,  jetzt  im  Zeitalter  der  Aldinen  und 
Iuntinen:  die  Einsicht  findet  sich  nunmehr  auch  bei  HWinckler, 
Bezolds  Zeitschrift  für  Assyriologie  5  311.  Ich  bitte  meine  Aus- 
gabe des  aramäischen  Evangeliars  als  eine  Art  Aldina  anzusehen. 
Diese  meine  Aldina  folgt  nun  der  Handschrift  gelegentlich 
auch  da,  wo  ein  Anderer  als  ich  ihr  nicht  gefolgt  wäre. 

Die  Handschrift  wechselt  zwischen  voi£*w  und  ^^  Beides 
kann  erklärt  werden.  Da  der  Punkt  über  a  die  „weiche"  Aus- 
sprache dieses  Buchstaben  anzeigt,  ist  vo  nS.  =  DDb  aus  meiner 
Uebersicht  1642  u  leicht  begriffen:  das  a  des  Zielfalles  in  ^  wirkte 
noch  auf  a.  Hingegen  \ftiN  entspricht  dem  Gebrauche  der  Ost- 
Syrer,  wie  dem  der  WestSyrer,  die  den  in  dieser  Handschrift  vor- 
liegenden Dialekt  sprechen,  und  der  durch  Epiphanius  (meine  Mit- 
theilungen 2  363)  völlig  sicheren  Form  eXt/wv  =  ywbf  der  Elcesaiten. 
Anders  steht  es  mit  ^o©^  und  spoi^.  Der  Punkt  in  ,o6£^ 
ist  —  mir  —  unerklärlich:  ich  habe  gleichwohl  .oöfs^  wo  es  in  meiner 
Vorlage  deutlich  stand,   erhalten,   darum  erhalten,   weil  ich  meine 


Das  aramäische  Evangeliar  des  Vatican.  145 

Leser  mit  dem  Gedanken  vertraut  zu  machen  wünschte,    daß  die 
Handschrift  nicht  unfehlbar  ist. 

Ein  Alter  (vielleicht  nicht  oder  nicht  immer  der  erste  Schrei- 
ber) braucht  v  •:  :•  als  Interpunctionszeichen,  aber  die  Neuern  können 
diese  drei  Punktgruppen  nicht  leiden,  und,  wo  sie  sie  nicht  auskratzen, 
decken  sie  sie  durch  einen  Zornausbruch  ihrer  plumpen  Feder  oder 
durch  eine  Vergrößerung  des  nächst  liegenden  Consonanten  zu :  eine 
Rasur,  in  welcher  es  Vertiefungen  gibt,  ist  gelegentlich  der  einzige  Be- 
weis für  das  Dasein  jener  drei.  Dabei  läßt  sich  nicht  immer  ausmachen, 
ob  :•  oder  :•  oder  v  gemeint  war :  denn  die  Schrift  dieser  Schreiber 
steht  nicht  wie  Druckschrift.  Das  Zeichen  :  scheint  mir,  da  sein 
mittelster  Punkt  gelegentlich  dicker  ist  als  die  anderen,  oder  eine 
Kleinigkeit  ausweicht,  nichts  als  eine  durch  den  Raum  veranlaßte 
Verderbnis  von  .:  oder  :•.  Wann  :  unter  und  über  der  Zeile  ver- 
theilt  wird  (=  diducitur),  ist  es  schwerlich  Interpunction,  sondern 
soll  zu  eng  sich  auf  dem  Halse  stehende  Wörter  trennen. 

Nicht  selten  (alle  Fälle  sind  am  Rande  verzeichnet)  hebt  mit 
:•  oder  •:  die  Zeile  an:  Kenner  des  griechischen  Lesens  werden 
vielleicht  aus  diesem  Umstände  etwas  schließen  können. 

Unser  Genosse,  Herr  Theodor  Noeldeke,  der  selbst  einige  Seiten 
aramäischer  Texte  herausgegeben  hat,  nannte  es  ZDMG-  29  89 
einen  „  Luxus a,  alle  „Punkte  und  Pünktchen  der  Hand  Schriften u 
wiederzugeben.  Dem  Evangeliare  des  Vatican  gegenüber  stand  auf 
jeden  Fall  die  Sache  anders,  da  aus  dessen  Punkten  die  noch  un- 
bekannte Aussprache  eines  Dialekts  festgestellt  werden  muß.  Zu 
meiner  Sicherung  gegen  Leute  wie  die  im  zweiten  Bande  der  Mit- 
theilungen und  sonst  aufbewahrten  setze  ich  her  was  Herr  Noeldeke 
geschrieben  hat. 

ZDMGi-  27  492 :  Ich  habe  unten  in  dem  ersten  Textstück  die  Punc- 
tation  der  Handschrift  möglichst  genau  wiedergegeben ;  hoffent- 
lich gerieth  der  Druck  einigermaßen  und  wird  nicht  zuletzt 
alles  durch  das  unglückliche  Abspringen  der  Punkte  verdorben. 
ZDMG  29  89:  Mit  den  Ribbüi  -  Puncten  wird  grosse  Verschwen- 
dung getrieben Aber  hier  ist   so  wenig  Consequenz 

wie  bei  den  sonstigen  Puncten,  namentlich  den  Interpunctions- 
zeichen. Ich  halte  es  für  ziemlich  überflüssig,  bei  der  Heraus- 
gabe grösserer  Texte  alle  die  für  uns  grösstentheils  nur  lästi- 
gen Puncte  und  Pünctchen  wiederzugeben  bei  denen  weder 
innere  Consequenz  noch  Uebereinstimmung  der  verschiedenen 
Handschriften  Statt  zu  finden  pflegt.  Bei  so  kleinen  Stücken 
wie  unseren  hier  kann  man  sich  diesen  Luxus  eher  erlauben. 
Allerdings  ist  es  schon  typographisch   nicht   ausführbar,    die 


146  Paul  de  Lagarde, 

Stellung  der  Puncte   immer  genau   auszudrücken;   auch   will 

ich  es  nicht  für  unmöglich  erklären,  daß  mir  bei  diesen  Puncten 

trotz   aller  Achtsamkeit    einzelne   kleine  Versehen   begegnet 

sein  sollten. 

Ich  war  im  October  1890  nahe  daran,  die  Arbeit  am  Evangeliare 
aufzugeben,  so  schwierig  fand  ich  sie,  und  ich  habe  mir  nicht 
verhehlt,  daß  die  unerfreuliche  Hetzjagd,  in  der  einem  pflichttreuen 
Philologen  und  Historiker  in  Eom  zu  leben  obliegt,  die  Güte  gerade 
dieser  Arbeit  mehr  als  die  anderer  Studien  beeinträchtigen  könne. 
Da  haben  mich  in  ETezas  Aufsatze  cose  armene  (Atti  del  Istituto 
Veneto  7  1)  die  Seiten  906 — 913  weiter  zu  arbeiten  bestimmt :  zu- 
fälliger Weise  hatte  mir  Ignazio  Guidi  das  Heft  mitgetheilt.  Aller- 
dings ist  den  Agathangelus  herauszugeben  leichter  als  das  ara- 
mäische Evangeliar  des  Vatican  zu  bearbeiten:  jenes  eine  Ehein- 
parthie  um  Pfingsten,  dies  eine  Meerfahrt  im  Schneesturme  wie  ich 
sie  am  10  und  11  Januar  1853  einmal  26  Stunden  hindurch  aus- 
zuhalten gehabt  habe.  Ich  will  aber  Herrn  Teza,  den  ich  unlängst 
flüchtig  auf  der  Straße  gesehen,  doch  öffentlich  für  seinen  Aufsatz 
danken,  der  in  Deutschland  freilich  weder  erscheinen  noch,  falls 
er  erschienen  wäre,  beherzigt  werden  dürfte :  die  principes  medio- 
critatis  und  die  Fremden  dulden  bei  uns  nichts  was  mir  helfen 
oder  meine  Arbeiten  zur  Geltung  bringen  könnte. 

Die  Liste  der  Perikopen  habe  ich  vor  meinem  Texte  zusammen- 
gestellt :  jede  Perikope  trägt  ihre  Nummer,  und  diese  Nummer  ist 
vor  der  Perikope  im  Evangelientexte  zwischen  []  wiederholt :  das 
Auffinden  ist  mithin  ohne  Mühe  möglich,  und  eine  Uebersicht  über 
das  Kirchenjahr  unserer  Aramäer  erleichtert.  Schade,  daß  diese 
verderbte  Welt  dabei  um  einen  Heiligen  gekommen  ist:  für  „evan- 
gelia  leguntur  ieiunio  sancto  Banscira"  Miniscalchis  236  ist  näm- 
lich „evangelia  quae  leguntur  in  ieiunio  sancto  elg  tyjv  Trawo/iSa" 
zu  lesen  (Nilles  2  237). 

Das  aramäische  Evangeliar  des  Vatican  gibt  mir  erwünschte 
Gelegenheit,  einmal  ein  Glossar  einer  semitischen  Sprache  in  der 
Gestalt  herzustellen,  die  ich  für  die  allein  wissenschaftliche  halte : 
mein  Schüler  AEahlfs  hat  in  den  von  ihm  angefertigten  Register 
zu  meiner  Uebersicht,  soweit  es  da  thunlich  war,  meine  Grund- 
sätze schon  befolgt:  freilich  nur  intellegentibus.  Vorab  bitte  ich 
Symmicta  1  98  37  ff.  Orientalia  2  1  ff.  nachzulesen. 

PSmith  hat  die  Vokabeln  des  Evangeliars  in  seinen  Thesaurus 
aufgenommen.  Haben  die  Grimm  Berolinismen  oder  Allemannisches 
in  ihrem  Werke? 

Die  arabischen  Wörterbücher,   die  wir  benutzen,   ruhen  auf 


Das  aramäische  Evangeliar  des  Vatican.  147 

den  GlossenSammlungen  und  den  Speculationen  der  arabischen 
Grammatiker.  Das  Vollkommenste  was  wir  auf  dem  Gebiete  be- 
sitzen, ist  EWLanes  Werk.  Da  an  ein  methodisches  Studium  der 
Quellen  nicht  zu  denken  ist  —  aus  Handschriften  kann  man  es 
nur  zu  eigenem  Gebrauche  vornehmen :  die  Vorlagen  zu  drucken  ist 
der  großen  Kosten  wegen  unmöglich  — ,  so  muß  man  für  das  Ara- 
bische das  thun  was  ich  für  das  Persische  zu  thun  vorgeschlagen 
habe  (persische  Studien  65 ,  Mittheilungen  2  246  (352)) :  das  von 
den  einheimischen  Lexikographen  gebotene  Material  sauber  geordnet 
als  das  Fachwerk  benutzen,  in  das  hinein  man  den  Wortschatz  der 
Classiker  und  der  technischen  Schriftsteller  sammelt:  den  ersten, 
weil  die  Classiker  eben  Classiker,  also  Muster  und  Typen  für  An- 
dere sind,  weil  sie  den  Durchschnitt  der  Sprache  geben :  den  andern, 
weil  nur  Techniker  die  Sprache  des  Lebens  bieten,  da  wer  classisch 
schreibt  und  für  Gebildete  mit  deren  an  fünf  Fingern  herzuzählendem 
Lebensinhalte  arbeitet,  die  Sprache  nicht  erschöpft.  Also  die  Ueber- 
setzungen  des  Galen,  Avicenna :  die  Botaniker  usw.  Als  das  Fach- 
werk, in  das  hinein  man  auch  Bemerkungen  der  Neueren  einträgt,  nur 
nicht  so  desultorisch  wie  das  Dozy  gethan  hat :  und  wenn  man  Nach- 
lässe veröffentlicht,  den  Quatremeres,  Fleischers,  Thorbeckes  mit- 
telst der  Zeichen  Q4>0  geschieden,  in  einem  und  demselben  Bande. 

Aber  den  Pedro  de  Alcala,  das  Leidener  Vocabular,  Schiapa- 
rellis  Buch,  den  in  Petersburg  liegenden  Diwan  von  Granada  hat 
man  —  und  zwar  falls  es  angeht,  zusammen  —  in  einem  Sonder- 
bande vorzulegen. 

Für  die  aramäischen  Dialekte  sind  Sonder  Wörterbücher  nöthig, 
knappe  aber  concordantielle  Bücher :  das  Ziel  muß  ein  aramäisches 
Wörterbuch  sein,  das  was  dem  Edessenischen,  Palaestinischen,  Ba- 
bylonischen usw.  (Uebersicht  91r  95r  238)  gemeinsam  ist  als  Text, 
das  den  Dialekten  Eigenthümliche  eingerückt  in  kleiner  Schrift 
bietet :  die  kleine  Schrift  wird  mit  der  Zeit  vielfach  zu  Textschrift 
werden  müssen. 

Geht  man  so  vor,  so  wird  der  Eine  Bruder  lehren  was  der 
andere  weil  er  es  vergessen  hat,  nicht  mehr  lehren  kann. 

Ich  habe  seit  vierzig  und  mehr  Jahren  den  Verdacht  gehegt, 
daß  ij*\  ^a/,  die  natürlich  identisch  sind,  aus  dem  awestischen  I^HT 
(Mittheilungen  2  38  ff.)  entstanden  seien  :  Eznik  und  Elise  schreiben 
(Blender  wollen  sich  die  ihnen  nöthige  Gelahrtheit  durch  die  Regi- 
ster beschaffen)  qjpnuub  =  Crooav,  haben  mithin  wie  das  Awesta 
(und  Justi  128)  keinen  Vokal  zwischen  z  und  r :  meine  gesammelten 
Abhandlungen  149  20  ff.  NeuPersisch  (der  von  dem  „ großen u  Jules  Mohl 
einst  gekrönte  Vullers  hält  qUj  Zeit  für  arabisch,  nur  in  der  Be- 


148  Va,n\  de  Lagarde, 


deutuiig  Tod  für  eränisch)  ^U;,  armeniscli  thimT  Stunde,  ^mJmhmli  = 
*3U;.  Wegen  des  </■  gegen  des  Elise  q_  ist  J-wüh/hiufi  arsacidisch : 
die  Wurzel  st  75p-  erscheint  im  Haikischen  als  &trp,  Herr  SFrän- 
kel,  CBezolds  Zeitschrift  für  Assyriologie  3  52r,  schrieb  1888 

Nicht  selten  erfolgte  die  Verwandlung  eines  ursprünglichen 
B  in  M  unter  dem  Einflüsse  eines  benachbarten  N  wie  in 
■JET  für  zarvan  Jxaj. 
Nur  durch  den  Dialekt  des  Evangeliars  wird  erweisbar,  daß  ^aj 
(mit  weichem  B)  aus  dem  a westischen  'jtfViT  entstanden  ist  :  denn 
dies  Buch  schreibt  ^a; ,  das  bedeutet  bei  ihm ,  B  ist  nicht  weich, 
sondern  hart,  ^a;  mit  hartem  B,  also  etwa  zabban,  [für  zanban] 
gesprochen,  wurde  zu  zaban,  danach  zu  zeßan. 

In  einem  nach  meinen  Grundsätzen  bearbeiteten  arabischen 
Wörterbuche  wäre  das  Stichwort  qLo),  und  hinter  diesem  würden 
die  Denominativa  zamina  zämana  azmana  auftreten. 

Warum  1fST\1  in  das  Aramäische  und  Arabische  aufgenommen 
worden  ist,  weiß  ich  nicht,  noch  weiß  ich  pw  zu  erklären,  das  im 
Evangeliare  für  Zeit  durch  mich  gesichert  »scheint«  (****  C):  schon 
jetzt  vermag  ich  zwei  für  die  Geschichte  der  Religion  wichtige 
Vokabeln  zu  benutzen :  ^ajd  =  qißal  GKozoq  und  Jaj  7upo<p7JT/js. 

Das  erste  erweist,  daß  die  „qibla",  die  Himmelsgegend,  nach 
der  hin  diese  Aramäer  beteten,  der  Westen  war :  denn  es  kann  nur 
das  arabische  qibal  gegenüber  sein.  Vergleiche  Ezechiel  8 16,  und  er- 
wäge daß  die  Praxis  der  Kirche  den  Altar  zu  „orientieren",  im 
Gegensatze  zur  Synagoge  eingeführt  ist,  die  nach  Osten  zu  beten 
verboten  hat. 

JLaj  (mit  Artikel  regelrecht  JLaj)  erweist,  dass  diese  Aramäer 
ein  einheimisches  Wort  für  rcpo^pTijnjc  hatten.  Die  Araber  besaßen 
wie  die  Totenklagelieder  erhärten,  ein  Zeitwort  %^  zeigte  an,  aber 
ihr  ^J  ist,  wie  die  entsprechende  syrische  Vokabel,  Lehnwort,  also 
für  tf^OD  unverwendbar. 

•  T 

Ich  möchte  in  Anknüpfung  an  eine  oben  ausgesprochene  Klage 
hier  noch  einem  Wunsche  Ausdruck  geben,  dessen  Erfüllung  mich, 
da  voraussichtlich  Ich  nur  noch  Einmal  nach  Rom  zu  gehn  haben 
werde,  persönlich  nicht  mehr  interessiert,  einem  Wunsche,  der  vielen 
tüchtigen  Männern  aus  der  Seele  gesprochen  sein  dürfte. 

Ich  habe  in  Folge  meiner  Beziehungen  zu  den  ffCardinälen 
Pitra  und  Hergenröther  und  meiner  durch  WWright  vermittelten 
Bekanntschaft  mit  IohBollig  S.I.  in  Rom  Vergünstigungen  genossen, 
für  die  ich  in  der  Ankündigung  3  und  in  meiner  pars  prior  iv  v 
auch  öffentlich  gedankt  habe.    Daß  ich,  um  den  von  mir  und  mei- 


Das  aramäische  Evangeliar  des  Vatican.  149 

nen  Landsleuten  für  Pater  Bollig  gehegten  Empfindungen  einen  blei- 
benden Ausdruck  zu  leihen,  in  den  Schriften  der  königlichen  Gesell- 
schaft der  Wissenschaften  zu  Göttingen  die  von  Bollig  für  den  Druck 
vorbereiteten  Schriften  des  Iohannes  von  Euchaita  herausgegeben 
habe,  dürfte  bekannt  sein.  Monsignore  Isidoro  Carini,  des  Mon- 
signore  Stefano  Ciccolini  Nachfolger,  hat  mich  ebenso  verpflich- 
tet, wie  der  wohlwollende  Mann,  der  vor  ihm  in  der  Bibliothek 
thätig  war,  jetzt  an  einer  andern  Stelle  seinem  Fürsten  und  seiner 
Kirche  dient,  und  mir  bis  heute  freundlich  gesinnt  geblieben  ist.  Ich 
habe  mich  aber  stets  geschämt,  würdige  Gelehrte,  die  mir  an  Eifer 
der  Wissenschaft  zu  dienen  nicht  nachstehn,  nicht  derselben  Gunst 
wie  ich  genießen  zu  sehen :  ich  habe  zweitens  nie  vergessen  können, 
daß  jede  facilitä  widerruflich,  und  zwar  von  Tage  zu  Tage  wider- 
ruflich, also  eine  ArbeitsEintheilung  auch  für  den  privilegiato  im 
Vatican  nicht  möglich  ist.  Da  wir  Alle  Zeit  wie  Geld  zu  Rathe 
zu  halten  haben,  ist  dieser  Zustand  auch  den  privilegiati  nicht 
erwünscht.  Man  darf  nicht  außer  Acht  lassen,  daß  für  so  gut  wie 
alle  Gäste  der  Bibliotheca  Vaticana  die  Woche,  deren  Donnerstage 
(und  Sonntage)  stets  wegfallen,  nur  zwanzig  Arbeitsstunden  hat. 

Kein  mir  bekannter  Gelehrter,  der  schon  Öfter  in  Rom  gear- 
beitet hat,  kann  dem  heiligen  Stuhle  die  Anerkennung  versagen, 
daß  das  Wohlwollen  gegen  die  der  Bibliothek  des  Vatican  in  immer 
größeren  Schaaren  zuströmenden  Gelehrten  von  Jahre  zu  Jahre 
zugenommen  hat:  „mehr  Zeit"  und  „Studio  auch  an  den  Donners- 
tagen" wird  freilich  der  Anerkennung  stets  unmittelbar  folgen. 
Wir  hoffen  Alle,  weil  wir  erfahren  haben,  daß  man  unsere  frühe- 
ren Hoffnungen  zu  errathen  wußte. 

Was  die  im  Vatican  arbeitenden  Gelehrten  anlangt,  so  dürften 
sie  mit  dem  Papste  natürlich  nur  durch  eine  Bittschrift  verkehren, 
und  in  dieser  nur  persönliche  Bitten  vortragen,  deren  Erfüllung 
meines  Erachtens  nicht  füglich  in  Aussicht  stehn  kann.  Aber  da  die 
weitaus  größeste  Zahl  dieser  Gelehrten  von  den  „historischen  Com- 
missionen"  Deutschlands,  Oesterreichs,  Frankreichs  oder  aber  von 
Akademien  beauftragt  ist,  so  brauchen  die  Herren  doch  nur  ihren 
Vorgesetzten  die  Sachlage  zu  schildern :  für  recht  viel  Geld  werde 
wenig  geleistet:  was  geleistet  werde,  könne  in  der  Zuverlässigkeit  und 
in  dem  Umfange,  in  dem  es  wirklich  zu  Stande  kommt,  nur  in  Folge 
ganz  außerordentlicher,  aufreibender  Anspannung  aller  Kräfte  zu 
Stande  gebracht  werden,  die  man  um  so  mehr  vermeiden  müsse  als  die 
Kost  in  Rom  ungenügend  sei,  und  schon  die  zurückzulegenden  Entfer- 
nungen große  Anstrengungen  erforderten.  Ich  vermuthe,  daß  die  KV- 
gierungen  sehr  wohl  befähigt,  und  eigentlich  auch  verpflichtet  sind 


150  Paul  de  Lagarde, 

mit  dem  heiligen  Stuhle  darüber  zu  verhandeln,  daß  die  Arbeitszeit  der 
Vaticana  auf  acht  Stunden  erhöht  werde,  daß  man  die  Donnerstage 
in  den  ArbeitstagsStand  erhebe,  und  außer  den  Sonntagen  und  den 
kirchlich  gebotenen  Festtagen  vom  ersten  October  bis  zum  letzten 
Juni  ununterbrochen  in  der  Bibliothek  zu  arbeiten  gestatte.  Die 
Diplomatie  dürfte  sich  in  der  Wahl  der  für  die  Verhandlung  zu 
benutzenden  Ausdrücke  weniger  leicht  vergreifen  als  unser  einer, 
dem  es  freilich  auf  die  Sache  mehr  ankommt,  als  einem  ihm  fremde 
gelehrte  Interessen  vertretenden  Gesandten,  der  aber  dafür  die 
Kenntnis  der  in  Betracht  zu  ziehenden  Persönlichkeiten  der  päpst- 
lichen Regierung,  und  Uebung  im  GeschäftsStyle  nicht  besitzt. 

Daß  ein  durch  Oberlicht,  und  nur  durch  dies,  erleuchteter  Kup- 
pelsaal in  ein  cortile  des  Vatican  einzubauen,  daß  die  Sammlung 
gedruckter  Bücher  leicht  zugänglich  zu  machen,  daß  sie  auf  den 
Gebieten  der  alten  Philologie,  der  Romanistik,  der  Patristik,  der 
Geschichte  des  Mittelalters  auf  dem  Laufenden  zu  erhalten ,  daß 
gar  manches  Andere  zu  beschaffen  sein  wird,  über  das  ich  auf  Be- 
fehl gerne  Bericht  erstatten  werde,  das  versteht  sich  von  selbst. 
Schon  hier  will  ich  versichern,  daß  ich  an  das  allen  Londonern 
bekannte  Museum-head-ake  sehr  wohl  denke,  und  an  die,  von  mir 
sogar  öffentlich  ausgesprochene,  Klage  über  die  unter  der  (jetzt 
Niemanden  mehr  belästigenden)  Kuppel  der  Laurentiana  drückende 
Hitze  ebenfalls:  und  ich  will  versichern,  daß  ich  vorkommenden 
Falles  nicht  vergessen  würde,  auf  eine  genügende  Ventilation  des 
beantragten  Kuppelsaales  zu  drängen. 

Weiter  versteht  sich  ganz  von  selbst,  daß  die  verhandelnden  Re- 
gierungen einen  Theil  der  für  die  neuen  Einrichtungen  auflaufenden 
Kosten  ebenso  gewis  werden  übernehmen  müssen,  als  die  Fremden 
für  den  Zutritt  zu  den  Kunstsammlungen  des  Vatican  Gebühren 
zahlen.  Die  Regierungen  sparen  an  Reisekosten  und  Diäten  für  die 
von  ihnen  Beauftragten,  falls  diese  täglich  mehr  Zeit  zur  Verfü- 
gung haben  als  bisher,  mehr  als  was  sie  etwa  dem  Vatican  an  Ein- 
trittsgebühren für  ihre  Leute  zu  entrichten  haben  können. 

Je  mehr  Regierungen  sich  zu  dem  von  mir  vorgeschlagenen 
Antrage  vereinigen,  desto  mehr  Aussicht  hat  er,  angenommen  zu 
werden,  weil  die  Catholicität  der  Kirche  durch  ihn  in  der  freund- 
lichsten Form  als  eine  Thatsache  anerkannt  werden  würde,  mit  der 
auch  die  Welt  zu  rechnen  gehabt  hat. 

Die  zu  erbittenden  Erleichterungen  sind  aber  durchaus  auch  im 
Interesse  des  heiligen  Stuhls.  Wer  herrschen  will,  muß  das  Gute 
fördern:  und  wer  irgend  ein  Gutes  fördert,  hat  schließlich  immer 
eine  Stellung  auch  in  der  Welt.     Die  Vorsehung  hat  den  Nach- 


Das  aramäische  Evangeliar  des  Vatican.  151 

folgern  Petri  eine  Handschriftensammlung  ohne  Gleichen  zu  eigen 
gegeben :  ich  glaube,  die  Sammlung  so  allgemein  und  so  bequem  wie 
möglich  zugänglich  zu  machen,  müsse  der  Kirche  als  eine  Aufgabe 
erscheinen,  weil  das  Ansehen  der  Kirche  durch  die  gewährte  Erleich- 
terung erheblich  wachsen  wird.  Legen  die  Orden  —  Jesuiten,  Domi- 
nicaner, Benedictiner  —  Werth  darauf,  ihre  besten  Leute  in  die  Ver- 
waltung der  geradezu  einzigen  Sammlungen  des  Vatican  zu  bringen, 
weil  der  Ruhm  der  Congregätion  durch  ihre  so  zu  sagen  vor  die 
Front  gerufenen  Angehörigen  wächst,  warum  sollte  die  ganze 
Kirche  nicht  dasselbe  Mittel  anwenden  wie  ihre  Orden,  um  sich 
als  eine  Macht  zu  erweisen  ?  Oesterreichs  Ruf  ist  in  der  gelehrten 
"Welt  an  dem  Tage  ich  kann  nicht  sagen  um  wie  viel  gestiegen,  an 
dem  WvHartel  Oberbibliothekar  in  Wien  wurde:  die  Kirche  wird 
ein  Missionswerk  thun,  wenn  sie  ihre  Bibliothek  mit  einem  Introite 
hie  dii  sunt  so  weit  wie  möglich  öffnet.  Sie  macht  jetzt  durch 
ihre  Krankenpflege  Propaganda  :  sie  kann  auch  durch  ihre  Biblio- 
theksverwaltung Propaganda  machen.  Die  Wissenschaft  ist  unbe- 
einflußbar unabhängig,  aber  dankbar,  und  \LSfakotyv/(ct.  sogar  dem 
principiellen  Akatholiken  gegenüber  das  beste  Mittel,  dem  jetzt  fühl- 
baren Mangel  an  Gemeinschaft  zwischen  Katholiken  und  Akatho- 
liken seine  Schärfe  zu  nehmen. 

Als  Theodor  von  Sickel  1881  die  bekannte  Urkunde  Ottos 
des  Großen,  über  die  er  1883  in  einer  berühmten  Schrift  gehandelt 
hat,  für  authentisch  erklärte,  freute  sich  (Cardinal  Hergenröther 
hat  mir  das  an  dem  Tage  an  dem  es  geschah,  erzählt),  der  Papst 
Leo  der  Dreizehnte  so,  daß  er  so  ehrlichen  Akatholiken  das  Archiv 
weit  zu  öffnen  befahl.  Keiner  von  denen,  die  in  der  Bibliothek 
arbeiten,  steht  den  im  Archive  forschenden  Gelehrten  in  der  von 
ThSickel  natürlich  für  selbstverständlich  erachteten  Eigenschaft 
der  Ehrlichkeit  nach:  wie  wäre  es,  wenn  die  oben  genannten  Be- 
hörden dies  vor  dem  heiligen  Vater  geltend  machten,  der,  wenn  auch 
kein  Gelehrter,  doch  ein  gelehrter  Mann  (eines  seiner  lateinischen 
Gedichte  steht  in  der  Nationalzeitung  vom  27  April  1878  Nummer  195) 
und  obenein  ein  wohlwollender  Herr  ist  wie  wenige? 

Die  biblioteca  Vittorio  Emanuele  ermöglicht  in  ihren  Räumen 
die  Benutzung  aller  in  den  Staatsbibliotheken  Italiens  aufbewahr- 
ten Handschriften :  es  wird  zu  erwägen  sein,  ob  nicht  die  Vaticana 
die  den  Kirchenbibliotheken  gehörenden  Codices  zugänglich  machen 
kann.  Mittelpunkt  muß  man  sein,  wenn  man  wirken  will:  die 
Vaticana  kann  ein  Mittelpunkt  werden.  Der  heilige  Vater  genießt 
in  Italien  Portofreiheit:  Kosten  erwüchsen  mithin  aus  der  von  mir 
so  eben  vorgeschlagenen  Einrichtung  nicht. 

Nachrichten  von  der  K.  G.  d.  W.  zu  Göttingen.   1891.  No.  1.  12 


152  Paul  de  Lagarde, 

Nachtrag.  30  Mai  i89i. 

Ueber  das  so  vielen  Abschnitten  des  Evangeliars  voraufge- 
liende  JLqdo^ud  ©»k*a  hat  sich  meines  Wissens  nur  Herr  Noeldeke 
ZDMGr  22  509  geäußert,  und  zwar  nur  durch  eine  Uebersetzung : 
„in  der  Zeit". 

Matth.  2644  ist  j&kitt  bjJ^  6  autög  \6^o<;:  darum  darf  ©jk*a 
JLcdo^-uo  iv  Ttj)  aoitj)  xaiptj)  übersetzt  werden.  Ist  diese  Uebersetzung 
richtig,  so  sollen  die  mir  bis  heute  unverständlich  gebliebenen 
Worte  JLooot-uD  ©*k*a  anzeigen,  daß  der  auf  sie  folgende  Abschnitt 
an  demselben  Sonn-  oder  Festtage  gelesen  werde  wie  der  [im  Evan- 
geliare] nicht  mitgetheilte  [nicht  aus  einem  Evangelium  entnommene], 
der  ihm  vorhergeht.  Dann  aber  ist  das  vom  Verfasser  des  Evan- 
geliars benutzte  Evangelium  nicht  die  unmittelbare  Vorlage  des 
Schreibers  gewesen,  dessen  Arbeit  uns  erhalten  ist.  Der  Schreiber 
muß  dann  die  „ Rubriken a  eines  Lectionars  gedankenlos  kopiert 
haben :  erst  der  Verfasser  des  Lectionars  (Proben  sind  aus  meinen 
Orientalia  1  zu  beziehen)  hat  eine  nicht  überall  vollständige  Hand- 
schrift eines  Evangeliums  für  seine  Arbeit  benutzt. 

Ueber  die  Plurale  der  Bildung  H*$gö  sagt  SDLuzzatto  §  23 
nichts  Näheres.  Herr  EKautzsch  sieht  §52c  in  BJDbtt  „die  ur- 
sprüngliche Endung  des  status  constructus  \%  +  des  „determinie- 
renden ä"  (vergleiche  GHoffmann,  ZDMG  32  759),  faßt  mg  als 
tf^lp«  Ueber  JUiä  und  die  irgendwie  ihm  Analogen  Herr  Noeldeke 
§  72,  Herr  Duval  §  259.    Kautzsch  hatte  \  [ai,  nicht  ay]  zu  schreiben. 

Die  auf  JL  endenden  Plurale  des  Evangeliars  setzt  Herr  Noel- 
deke ZDMGr  22  477r  den  auf  tf?_  auslaufenden  der  Chaldäer  des 
alten  Testaments  gleich.     Er  behauptet  das:  ich  beweise  es. 

JLocuä  =  7teraat  hat  seine  Pluralpunkte,  weil  seine  andere  Sylbe 
wie  ai  =  s  klang.  Für  looSata  schreibt  das  Evangeliar  Matth. 
24 16  m  BS  3044  JL*<L>,  Lucas  I5  =  BS  327  20  JL?oe**  [Lucas  165  = 
BS  32827  JL;oot*],  Lucas  3 1  =  BS  332  21  JLjoi.  Also  noch  C  (denn 
diese  Pluralpunkte  hat  C  geschrieben)  hat  die  Aussprache  looSaia 
dadurch  angedeutet,  daß  er  zu  den  einen  Singular  wiedergebenden 
Consonanten  Pluralpunkte  setzte. 

Folglich  endete  der  Plural  im  Dialekte  des  Evangeliars  auf  ata. 

Daß  meine  Abhandlungen  1597,  meine  Symmicta  1  3724  benutzt 
werden  könnten,  ist  natürlich  allen,  die  mit  den  Condottieri  rech- 
nen, undenkbar.     4>oup§aia  Mittheilungen  2  380. 

Als  ich  oben  von  ^  sprach,  habe  ich  scheint  in  »  «  gesetzt. 
Denn  trotz  des  mitunter  sicheren  Pk,  des  Codex  komme  ich  immer 
wieder  auf  die  Vermuthung  zurück,  Zeit  habe  diesen  Aramäern 
1?  geheißen,  das  von  O^^  (zu  dem  auch  *i$yü  gehört)  hergeleitet; 


Neue  Ausgabe  Clementischer  Schriften.  153 

das  Masculinum  zu  dem  hebräischen,  von  Wetzstein  zu  Js.*^  ge- 
stellten tn?  =  tnsr  =  idat  wäre.  Die  Zeitrechnung  ist  immer  et- 
was Conventionelles,  da  man  nach  Sonne  Mond  oder  Sternen  messen, 
und  von  einem  beliebigen  Anfange  an  rechnen  kann. 

Neue  Ausgabe  Clementischer  Schriften. 

Wer  weiß  unter  welchen  Mühsalen  ich  die  Didascalia,  die  rel- 
liquiae  iuris  ecclesiastici  antiquissimae,  die  8iard£sis  twv  a7roaröXü)v, 
die  syrische  Uebersetzung  der  Recognitiones  Clementis  und  die  KXyj- 
j/ivua  hinausgegeben  habe,  wird  zugestehn,  daß  der  Wunsch,  die  ver- 
besserten Wiederholungen  dieser  Bücher  selbst  zu  liefern,  ein  na- 
türlicher ist. 

Ich  habe  meine  Rechte,  die  vielleicht  nicht  in  vollem  Umfange 
vor  den  Gerichten  geltend  zu  machen  sein,  aber  von  jedem  Gentle- 
man als  unantastbar  anerkannt  werden  werden,  stets  vorbehalten : 
ich  kann  nicht  gestatten,  daß  unter  so  vielen  Schwierigkeiten  und 
mit  so  vielen,  nur  durch  große  Entsagungen  aufzubringenden  Kosten 
gesammelte  Materialien  von  dem  ersten  Besten  ohne  Weiteres  an- 
geeignet werden.     Vorrede  zum  Harizi. 

Im  zweiten  Bande  der  Bibliotheca  Syriaca  werden  Recognitio- 
nes,  Didascalia  und  andere  Clementina  1893  neu  erscheinen:  eine 
die  Urkunden  scheidende  Ausgabe  der  Constitutiones  apostolorum 
soll  (sie  liegt  seit  vielen  Jahren  handschriftlich  vor)  im  nächsten 
Winter  unter  die  Presse  kommen.  Die  recognitiones  und  KX7]|jivTta 
werden,  erstere  ohne  die  Handschriften  von  Verona  und  Vercelli, 
deren  für  JBLightfoot  gemachte  Vergleichungen  in  JARobinsons 
Händen  sind,  letztere  ohne  die  Handschrift  von  Ierusalem,  bearbei- 
tet werden :  es  kommt  mir  nur  darauf  an  zu  zeigen ,  in  welchem 
Verhältnisse  der  Grieche  zum  Syrer  steht. 

Sowie  meine  Kosten  gedeckt  sind,  wird  meine  Texte  zu  neuen 
Ausgaben  zu  benutzen  gestattet  sein,  aber  nicht  einen  Augenblick 
früher.    Mittheilungen  3  254  4  138  =  GGA  1890  394'. 

Beiläufig  berichte  ich,  daß  die  syrische  Urschrift  von  Ephraims 
Commentare  zur  Evangelienharmonie  des  Tatian  gefunden  sein  soll. 
Daß  ich  hinter  ihr  her  bin,  versteht  sich  von  selbst.  Constitu- 
tiones vijr. 


154  Karl  Heun, 

Die  Schwingungsdauer  des   Gauss'schen 
Bifilarpendels. 

Von 
Karl  Heun  in  Berlin. 

Die  mathematische  Theorie  des  Bifilarpendels  kann  mit  Be- 
nutzung von  hyperelliptischen  Functionen ,  die  durch  zehn  Ver- 
zweigungspunkte characterisirt  sind,  vollständig  ausgeführt  wer- 
den. Wenn  auch  einer  solchen  Untersuchung  keineswegs  unüber- 
windliche Schwierigkeiten  entgegenstehen,  so  wäre  doch  damit 
dem  Eechner  wenig  gedient,  denn  die  allgemeinen  Gleichungen 
müßten  für  die  Bedürfnisse  der  Anwendungen  wesentlich  verein- 
facht werden.  Man  hat  sich  bisher  mit  der  von  Gauss  gegebe- 
nen Gleichung  für  die  Schwingungsdauer  begnügt  und  in  denjeni- 
gen Fällen,  wo  eineCßerücksichtigung  der  Amplitude  nothwendig 
würde,  nur  die  Gleichgewichtslage  beobachtet.  Diese  Beschrän- 
kung hat  aber,  wie  Gauss1)  zuerst  hervorgehoben  hat,  für  feine 
Kräftemessungen  nicht  unbeträchtliche  Nachtheile.  Ich  theile  deß- 
halb  im  Folgenden  für  die  Schwingungsdauer  des  Bifilarpendels 
eine  Formel  mit,  welche  auch  für  die  verhältnißmäßig  kurzen 
Pendel,  welche  man  jetzt  häufig  bei  electrodynamischen  Messungen 
verwendet,  ausreichen  wird.  Insbesondere  mache  ich  auf  die  Feh- 
lerschätzung aufmerksam,  die  für  genauere  Berechnungen  dieser 
Art  geradezu  unentbehrlich  ist. 


Die  Aufhängefäden  seien  parallel  und  von  gleicher  Länge, 
welche  wir  im  Folgenden  gleich  Eins  setzen.  Der  Abstand  der 
Fäden  in  der  Ruhelage  sei  gleich  21.  In  der  durch  die  unteren 
Fadenenden  gehenden  horizontalen  Geraden  werden  im  Abstand 
des  Trägheitsradius  (Je)  des  Pendelkörpers  in  gleicher  Entfernung 
(Je)  von  der  Mitte  zwei  materielle  Punkte  angenommen,  auf  deren 
Bewegung  die  Schwingungen  des  wirklichen  Pendels  reducirbar 
sind.  Der  Anfangspunkt  des  rechtwinkligen  Coordinatensystems 
werde  in  der  Mitte  zwischen  den  beiden  materiellen  Punkten  ge- 
wählt. Die  #-Axe  gehe  durch  die  verticale  Schwerpunktsaxe  des 
Pendels  nach  oben  und  die  x~Axe  durch  die  schweren  Punkte. 
Jeder  derselben  bewegt  sich  dann  auf  einer  doppelt  gekrümmten 
Bahn,  welche  bestimmt  ist  durch  die  Gleichungen: 


1)  Gauss  Werke,  herausgegeben  von  Schering,   Bd.V  p.  100. 


die  Schwingungsdauer,  des  Gauss'sclien  Bifilarpendels.  155 

2l\k-x)  --  ha (2-*)  ) } 

Ist  g  die  Beschleunigung  der  Erdschwere  atisgedrückt  in  Thei- 
len  der  Fadenlänge,  dann  heißt  die  Differentialgleichung  der  Be- 
wegung 

^ — Lm)  =  **(*-') II) 

Hierin  ist  zur  Abkürzung  gesetzt: 

s*  =  4?2^(2~^)-^(2-^)2 (1) 

^  bedeutet  die  Integrationsconstante  erster  Ordnung,  welche  durch 
das  Princip  der  lebendigen  Kraft  eingeführt  ist. 

Wird  der  kleinste  Werth  von  x  gleich  h  cos  a  gesetzt,  so  be- 
stimmt sich  h  als  Function  der  „Amplitude*  a  aus  der  Gleichung 

Ä(2-Ä)  =  2^((l-|). 

Man  erhält  hieraus 


h  =  l-Vl-4Psin8ia (2) 

Dies   ist    die   verticale  Erhebung    des  Pendelkörpers,    wenn    die 
Amplitude  der  Elongation  gleich  a  wird. 

Aus  der  Gleich.  II)  folgt    durch  Integration   für   die  Schwin- 
gungsdauer T  die  Gleichung 

rh       ^  +  4^(1-«)* 

Die  10  Verzweigungspunkte  dieses  Integrals  sind: 

0,  h,  l-V^^IF,     l+Vl11??,  2,  oo 

1±  Jl  +  2(Jc'^l')  +  2\J(¥^yT¥l 

Für  die  meisten  Anwendungen   besitzt  nun  die  Potenzreihe  $(#) 
in  der  Entwicklung 


«V*-*  \Js(h-z)[4:l2-z(2-0)]    r-' 

eine  genügend  starke  Cenvergenz.  Wir  werden  uns  deßhalb  im 
Folgenden  auf  diesen  Fall  beschränken  und  das  ganze  hyperellip- 
tische Integral  in  dem  Ausdruck  für   I  nach  der  Gauss' sehen 


156  Karl  Heun, 

Quadraturmethode  mit  Benutzung  eines  einzigen  zweckmäßig  zu 
wählenden  Argumentwerthes  #  =  zx  angenähert  ausführen. 

, 

Das   nach   der  Grau ss' sehen  Methode  zur  Quadratur   vorge- 
legte Integral  habe  die  Form 

/ß 
(p{x)f{x)dx) 

wo  y(x)  eine  convergente  Potenzreihe  von  der  Form 

tp  (je)  =  A0  +  Xx  x  +  A2  x2  +  •  •  •  +  in  inf. 

bedeutet.  Die  Function  f(x)  besitzt  die  Verzweigungspunkte. 
Soll  mit  einem  einzigen  Argumentwerthe  x  =  xx  interpolirt  wer- 
den, dann  ist:         r 

y(x)  =  cp  (xt)  +  lx  (x  —  xx)  +  A2  (x*  —  x2x)  +  •  •  •  +  in  inf. 

Folglich 

J  =  ax.q>(xx)  +  Al(atm~aixi)  +  K(aa—aixl)  +  •  •  •  +  in  inf. 

Hierin  ist  zur  Abkürzung  gesetzt 

Xß 
xr+1f(x)dx. 

Damit  nun  der  Fehler  bei  der  approximativen  Darstellung 

/ß 
(p(x)f(x)dx  =  ax<p(xt) 

möglichst  klein  werde,  muß  man  xx  so  wählen,  daß  es  der  Gleich. 

aa—axxx  =  0 

genügt.  Dann  erhält  man  für  den  Fehler  „ zweiter"  Ordnung 
G2  den  Ausdruck 


3. 

Durch  die  lineare  Substitution 


s'-h  +  ht 

nimmt  der  Ausdruck  für  T  die  L e gen dre' sehe  Form  an; 


(3) 


die  Schwingungsdauer  des  Gauss'scheü  Bifilarpendels. 

2      ri  r    m    \        dt 


157 


«•*-H^f'fe£b|) 


worin 


und 


h  (e'-e) 


m 


e(c'-Ä) 


(4) 
(5) 


*M  =  V §P5 

ist. 

Wendet  man  nun  das  eben  entwickelte  Gauss' sehe  Quadra- 
turprineip  auf  das  vorstehende  Integral  an,  dann  erhält  man  nach 
einigen  leicht  erkennbaren  Reductionen  das  Resultat: 

r^(i+0)*fy| iv) 

Die  Größe  0  ist  bestimmt  durch  die  Gleichung 


i+ö  =  ¥\/ä-^) v) 


'erner  ist 


* 


w^- 


——0(2-0)-- 


U2 


*'Hi 


e'-h  +  h^  ' 


Ci 


m2  V1     X/ 


VI) 


TT  und  -E  sind  die  ganzen  elliptischen  Integrale   erster  und  zwei- 
ter Gattung  in  der  Legen dre'schen  Form  für  den  Modul  m. 

Die  Reihenentwicklung  der  Function  0  (#)  und  die  Berechnung 
der  Integrale  a2  und  a3  giebt  nach  Gleich,  a)   für  die  Fehlerfunc- 
Lon  *)  den  Ausdruck 


C  =  - 


2-3(*,-P)[\2t1-l 


2  k" 


h2JtF+(i-w]~-»-  •  a) 


Dies  ist  für  positive  Werthe  von  k*—V  zugleich  die  „obere  Feh- 
lergrenze", wie  die  Betrachtung  der  Coefficienten  Xsi  X^,  etc.  zeigt. 
Für  0  =  0  geht  die  Gleichung  IV)  in  die  Gauss* sehe  For- 
mel für   unendlich    kleine  Schwingungen  über.     Die   Function    0 


1)  Bei  der  Entwicklung  von   Aa   konnten  einige  einflußlose  Kürzungen  ange- 
bracht werden,  was  jedoch  bei  den  Hauptformeln  V)  und  VI)  unterblieb. 


158     Karl  Heu n,  die  Schwingungsdauer  des  Gauss'schen  Bifilarpendels. 

kann  also  nach  einigen  Vereinfachungen  zur  Fehlerschätzung 
bei  der  Verwendung  dieser  Formel  dienen. 

4.  ^ 
Um  die  Genauigkeit  der  vorstehenden  Formeln  für  die  Be- 
stimmung der  Schwingungsdauer  eines  bifilaren  Pendels  von  sehr 
ungünstigen  Dimensionen  anschaulich  zu  machen,  habe  ich  die 
Rechnung  für  den  Fall  l  =  TV  (die  Länge  der  Fäden)  Je  =  J, 
a=  10°  durchgeführt,  welche  ich  hier  im  Auszuge  mittheile. 

E        =  0,020  204 102  86  s'    =  1,979  795  897  14. 

lg  (6'_  s)  =  0,292  165  612  1  lg  h  =  6,181  654  971  0 
lg  (s'-h)  m  0,296  587  089  6  h  =  0,000  151  9340 

lg  w2         =  7,871  793  922  7  lg  K  =  0,196  930  742  6 

lg  ^         =  9,998  379  030  7  ~  =  0,996  274  537  1 

lg  £  =  9,609  386  329  3  fr  =*  0,500  479  539  8 


V^  =  o,« 


lg  0  (*j   =  9,999  977  4         lg  \  -j—j-  =  0,000  032  8 

lg  (1  +  6)  =  0,000  824  0  6     =  0,000  189  9 

'    C2  =  -0,000  000  054  8. 
Es  ist  also  in  diesem  Falle 

T  =  1,000  189  9  .  %  fV~  ' 
l  y  9 

Die  Correction   C2   bleibt   wegen  der  Kleinheit   ohne   Berücksich- 
tigung. 

In  dem  nur  selten  eintretenden  Falle,  wenn  02  einen  beträcht- 
lichen Werth  annimmt,  kann  man  unter  Anderem  auch  in  der 
Weise  eine  erheblich  schärfere  Bestimmung  von  T  als  die  oben 
ausgeführte  erhalten,  daß  man  in  dem  vorliegenden  Beispiel  die 
Verzweigungspunkte 

o,  h,  s,  l-  t/r+  2 (¥ - 12)  +  2 \JJ¥^ ry  +  h\ 

1-t/l  +  2(F -  l2)  ~  2\J (F -l2)2  +  V 

bei  der  Quadratur  berücksichtigt.     Die  Rechnung  würde  aber  dann 
auf  Rosenhain' sehe  Functionen  führen. 
Berlin,  8.  Febr.  1891. 

Inhalt  von  Nr.  4. 

Paul  de  Lagarde,  Thevenots  caffarre.    —    Das  aramäische  Evangeliar  des  Vatican.   —   Neue  Ausgabe  der 

Siaxd^eis  tü>v  ÖC7TO(3ToAü)v  und  der  drei  Gestalten  der  Clementinen.    —    Karl  Heun,  die  Schwingungs- 

dauor  des  Gauss'schen  Bifilarpendels. 

Für   die  Redaction  verantwortlich:    E.  Sauppe,  Secretar  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 
Commissions-Verlag  der  Dieterich! sehen  Verlags- Buchhandlung. 
Druck  der  Dieterich' sehen  Univ.- Buchdruckerei  ( W.  Fr.  Kaestner). 


Nachrichten 

von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg-  Augusts  -  Universität 

zu  Göttingen. 


9.  Juli.  Jfä  5#  1891, 


Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften, 

Sitzung  am  6.  Juni. 

Klein  legt  eine  Arbeit  des  Herrn  Schilling  vor:  Geometrische  Bedeutung  der 

Formeln  der  sphärischen  Trigonometrie  für  den  Fall  complexer  Argumente. 
R  i  e  c  k  e  legt  vor : 

a.  Eine  eigene  Arbeit:  Zur  Theorie  der  piezoelektrischen  und  pyroelektri- 
schen  Erscheinungen. 

b.  Von  Herrn  Dr.  G.  T  a  m  m  a  n  n  :  Ueber  die  Permeabilität  von  Nieder- 
schlagsmembranen. 

c.  Von  den  Herren  Dr.  G.  Tarn  mann  und  Dr.  W.  N  ernst:  Ueber  die 
Maximaltension,  mit  welcher  Wasserstoff  aus  Lösungen  durch  Metalle 
in  Freiheit  gesetzt  wird. 

Kielhorn  legt  zwei  Aufsätze  vor: 

a.  Die  Vikrama-Aera. 

b.  Die  Nitimanjari  des  Dyä  Dviveda. 
de  Lagarde  legt  vor: 

a.  eine  Mittheilung  über  Arabes  mitrati. 

b.  über  Samech 
und  spricht 

c.  über  den  Inhalt  des  5.  Stückes  seiner  Septuagintastudien,  die  er  iu  der 
Sitzung  vom  2.  Mai  angekündigt  hatte. 

de  Lagarde  legt  eine  Mittheilung  des  Herrn  Professor  E.  Nestle  vor:  Eine 
denkwürdige  Sitzung  der  königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Weiland  legt  durch  den  beständigen  Sekretär  für  den  37.  Band  der  Abhand- 
lungen die  Abhandlung  vor :  Die  Wiener  Handschrift  der  Chronik  des  Matthias 
von  Neuenburg. 


Nachrichten  ton  der  K.ü.  d.W.  xu  Göttinnen.  1891.  Nr.  5.  13 


160  Paul  de  Lagarde, 

Arabes  mitrati. 

Von 

Paul  de  Lagarde. 

In  meinen  Mittheilungen  1  61  habe  ich  die  Vermuthung  ausge- 
sprochen, das  arabische  Js  =  tag  aus  tag,  das  armenische  p-m^.  =  &ay 
in  ß-wij-uii-np  =  ftccyccvor  Kronenträger ,  König  verhalte  sich  zu  dem 
assyrischen  agü  Krone  (das  1881  noch  für  ursprünglich  sumerisch 
galt)  wie  tapdü  tamlü  zu  den  entsprechenden  Stämmen.  Ich  er- 
wähnte ,  daß  nach  einer  Mittheilung  PHaupts  bereits  vor  mir  an 
einen  Zusammenhang  der  Wörter  _[j*  und  agü  gedacht  worden  war, 
ohne  daß  man  ihn  hätte  erklären  können.  Jetzt  Friedrich  Delitzsch, 
assyrische  Grammatik  §  65  32.     Uebersicht  206  25. 

Schon  1857  hatte  JOppert  ZDMG  11  135  die  Yaunä  takabarä 
der  Grabinschrift  Darius  des  ersten,  indem  er  sich  auf  die  medo- 
scythische  und  assyrische  Uebersetzung  des  Textes  berief,  bezopfte 
Ionier  übersetzt,  da  im  Vendidad  taka  für  Pferdeschweif  gebraucht 
werde.  1864  wird  in  FJustis  Handbuch  der  Zendsprache  130 1  ein 
awestisches  taka  Pferdeschweif  nicht  verzeichnet ,  aber  noch  1882 
bietet  in  seiner  Ausgabe  des  babylonischen  Textes  der  Achaeme- 
nideninschriften  34  35  Zeile  18  CBezold  nach  Oppert 

lamanu  sanutü  sa  magiduta  ina  kakkadisunu  nasüu: 
andere  Ionier,  welche  Flechtwerh  auf  ihrem  Kopfe  tragen. 
1881  lieferte  FvSpiegel,  die  altpersischen  Keilinschriften  219,  unter 
Berufung  auf  Oppert  takabarä  Kronen  oder  Flechten  tragend,  und 
FJusti  hat  GGA  1882  483  ff.  dazu  keine  Bemerkung  gemacht,  obwohl 
die  Kürze  des  ersten  a  von  takabarä  vielleicht  einer  Erklärung 
bedurfte. 

Um  vollständig  zu  sein ,  füge  ich  Stellen  bei ,  die  mir  meine 
Erinnerung  bot,  und  Estienne  zu  ergänzen  gestattet  hätte.  Thucy- 
dides  a  6  ' '  A^r\valoi  %Qv6(bv  tstttyov  svsqösl  XQcoßvÄov  ävadov^ievoi 
rtbv  iv  ti}  xscpahf]  tql%g)v  [wozu  der  Scholiast  (bei  Schöne x)  9)  xqcj- 
ßvXog  iötlv  sidog  itXiy^axog  robv  iQiyjhv,  änb  ixatsQcov  sig  6|v  ocTto- 
hrjyov]'  äcp'  ov  xal  'I&v&v  tovg  TtgeößvreQovg  Tcatä  tö  övyysvsg  eni 
noli)  avtrj  fj  öxsvii  Mt&6%sv.  Estienne  hat  die  andere  Hälfte  dieses 
Satzes  nicht  ausgeschrieben,  die  Dindorf  haben  sie  charakteristischer 
Weise  nicht  ergänzt,  und  JOppert  wie  FrSpiegel  sagen  von  der 
ganzen  Stelle  und  von  der  Sache  nichts :  vor  Paul  Güßfeldt  gebildet 

1)  der  einst  in  meinem  Hause  Thuc.  1 50  ßfy  {K>c<döi  in  ßtaoftuici  änderte. 


Arabes  mitrati.  161 

wie  sie  sind :  was  wird  erst  nach  Paul  Güßfeldt  werden  ?  Xenophon 
Anabasis  £  4 13  el%ov  KQavr\  Gxvtlvcc  XQ&ßvXov  £%ovtcc  natu  [ieöov 
iyyvtdrco  tLccQoeidrj,  wo  also  der  xQ(oßvXog  nahezu  Tiaraförmig  heißt. 
Neben  xQcoßvXog  hat  Hesychius  xQoßccAög,  das  MSchmidt  in  der  klei- 
neren Ausgabe  927  allerdings  an  den  Rand  verwiesen  hat.  Ich 
suche  in  der  ersten  Sylbe  dieser  Vokabeln  fsq"^  Kopf,  und  ver- 
gleiche uuiquiuuipm  =  öcdccvarr  Helm,  woraus  ich  schon  1848  Üoi_cd 
erklärt  hatte:  wenn  PSmith  aus  meinen  gesammelten  Abhandlun- 
gen 72 180  unter  Beschweigung  des  uuiqutuuipm  berichtet,  ich  habe 
«XiLy»  verglichen,  so  verleumdet  er.  Sarabara  capitum  tegmina,  Isi- 
dorus  1&  23 :  bä^O  Daniels?  gesammelte  Abhandlungen  206 15  ff.,  arme- 
nische Studien  §  1937. 

Ueber  das  aus  ■*  entstandene  tf  des  Armenischen  habe  ich  in 
den  Mittheilungen  2  26  ff.  gesprochen :  ich  darf  es  mit  gleichem 
Rechte  g  wie  c  umschreiben. 

$iu2f/i£  =  Tagik  der  Armenier  ist  eine  arsacidische  Vokabel, 
das  i  derselben  lang.  NeuPersisch  muß  $ui2f/i£  ls^  °^er  tJ/P  lau^en- 
Eine  Erklärung  dieser  Vokabeln  ist  nur  dann  richtig,  wenn  sie 
alle  beide  erklärt,  da  die  Identität  der  Wörter  nicht  zu  bezwei- 
feln ist. 

JJui2f^  "AQuty  Maccab.  ß  12 10 ,  der  Isaias  13  20  15  7  9  Wpwpwgfc 
heißt  (armenische  Studien  §  231,  wo  nachgewiesen  wird,  daß  der 
Akademiker  FchMüller  die  Uncialen  (}  =  j  tf  und  JJ  =  g  3  nicht 
hat  unterscheiden  können).  Das  große  Venediger  Wörterbuch, 
das  auch  die  Gleichung  mwäfä  =  jjgfei  bietet,  weist  2  842 2  nach, 
daß  inm2f/r^  Synonymum  von  Agarener,  Saracene  ist. 

$uj2f/i£  übersetzt  Ciakciak  1355  3  außer  durch  Ardbo  auch  durch 
di  veloci  piedi,  di  rapide-  corso.  Er  irrt :  vermuthlich  auf  Grund  der 
im  großen  Wörterbuche  2  842  2  gegebenen  Materialien.  Die  Schei- 
dung zwischen  haikischem,  arsacidischem  und  sasanidischem  Sprach- 
gute, die  ich  für  das  Armenische  1866  in  den  gesammelten  Abhand- 
lungen 298  habe  eintreten  lassen,  und  die  mir  plaudente  plebe  doctä 
in  so  bubenhafter  Weise  gestohlen  worden  ist,  bewährt  sich  auch 
hier.  Piuqtrj_=  &&&1 ,  ein  vulgärarmenisches  Wort,  zeigt  durch 
sein  ft  =  #  wie  durch  sein  ^  für  zf,  daß  es  einer  anderen  Periode 
der  Sprache  als  miiizf/^  =  tacix  angehört.  fiuiqbi_  ist  allerdings 
ein  persisches  tf&b  laufen,  aber  weder  der  Lautbestand  noch  das 
Suffix  ^4  ==  l5  gestattet,  muiZC/r^  mit  fJ&&  zusammenzubringen. 
Ein  Xf,  uiuiüfiti  ist  ein  arabisches  Pferd. 

Endlich  wwZi^'Liu^  Kantschuh,  angeblich  auch  Bastonade,  ist  das 
persische  lüUtS  Geißel,  Peitsche,  ein  Wort,  das  der  von  JMohl  einst 
angekrönte  JoAuVullers  mit  +J&Ü  und  0^Ij,  wie   es  scheint  als 

13* 


162  Paul  de  Lagarde, 

das  laufen  machende,  zusammenbrachte,  das  aber  leicht  Arabisch  be- 
deuten kann:  die  Semiten  sind  ja  gegen  unterworfene  Völker  nie 
sehr  gütig  gewesen. 

Maccab.  ß  3  s  44  22  steht  Tackastan  für  Q>oivLwf\,  armenische 
Studien  §  2182. 

Wie  0OLVLK7}  vom  Armenier  so  übersetzt  werden  konnte,  muß 
erklärt  werden. 

Theodoret  kennt  in  der  von  mir  in  meiner  Uebersicht  91  aus- 
gehobenen Stelle  einen  in  (PoLVLxri  gesprochenen  aramäischen  Dialekt. 
Ich  habe  die  über  Derartiges  nicht  unterrichteten  Leser  meines  Bu- 
ches auf  die  Notitia  dignitatum,  Orient  §  32,  verwiesen.  Das  ge- 
nügt für  Menschen  ,  die  wissen ,  daß  ein  Citat  gegeben  wird ,  um 
nachgeschlagen  zu  werden.  Hier  berufe  ich  mich  noch  auf  Partheys 
Hierocles  §  51  52  und  Leos  in  den  Mittheilungen  2  176  von  mir  be- 
nutzte %d%ig  xr\g  TtQOKa&sÖQiag  tav  äyucordtcav  %atQiaQ%G)v. 

Es  gab  zwei  tl>oii?i%%  die  TtagaHa  und  die  Xißavrpia.  Erstere 
lag  da,  wo  jeder  Schuljunge  Phoenicien  sucht,  die  andere  enthielt 
die  Städte  Emesa,  Laodicea  (natürlich  nicht  die  Küstenstadt,  son- 
dern das  südlich  von  Emesa  belegene  :  KFurrer  ZDPV  8  31,  Schürer 
21  597),  Damascus,  Heliopolis  =  Baalbekk,  Abila  (JßsXa  trjg  <&oivi%rig 
Iistcc^v  4cctiu6xov  xccl  üavsddog  Eusebius  in  meinen  OS2  2439),  Pal- 
myra.  Das  xXlucc' Iaßgovöcov  [Parthey  falsch 'Ia^ißQovdcov]  liegt  um 
Yabrüd,  SocinBenzinger  377,  ohne  daß  die  Angabe  Leos  990,  es  habe 
zu  (Poivixri  gehört,  uns  viel  hülfe :  wichtig  ist  das  xXvfia  Maykovkcov 
(denn  so  muß  man  für  MayXovdtov  Partheys  lesen),  da  es  beweist,  daß 
Ooivinri  weit  nördlich  über  Damascus  hinausgriff  (Fischer-Guthes 
Karte  36°  32'  0),  da  es  den  Syrern  als  llnSsao  bekannt  ist,  WWrights 
catalogue  1344,  da  es  noch  in  später  Zeit  £  zeigt. 

Die  notitia  dignitatum  kennt  equites  Saraceni  indigenae  als 
Garnison  von  Betproclis ,  und  equites  Saraceni  als  Garnison  von 
Thelsee.  Nur  in  großem  Zusammenhange  wird  die  Frage  beant- 
wortet werden  können,  wann  Araber  in  der  Q>oivUr[  XißavnGlu  so 
zahlreich  wurden,  daß  man  die  Provinz  Tackastan  Araberland  nen- 
nen durfte. 

Das  zweite  Buch  der  Maccabäer  setzt  voraus,  daß  ®oivl%r[  nicht 
xoiXri  Zvqicc  ist,  zu  der  doch  nicht  wenige  der  oben  aufgeführten 
Städte  gezählt  werden  müssen.  Für  den  Historiker  bleibt  hier  also 
noch  viel  aufzuklären.  Für  die  Armenier  scheint  (Dolvlxw  Araber- 
land nur  in  einer  Zeit  haben  heißen  zu  können,  in  der  ihnen  Mitren 
tragende  Araber  nur  aus  der  <&ot,vixri  XißavY\<6ia  bekannt  waren. 

Plinius  c  162  Arabes  mitrati  degunt  aut  intonso  crime,  barba 
abraditur  praeterquam  in  superiore  labro:  aliis  et  haec  intonsa, 


Arabes  mitrati.  163 

Das  heißt,  ein  Theil  der  Araber  trug  den  tag,  und  hieß  daher 
tägi,  was  im  pahlawi  tagik  lauten  mußte. 

Wie  dieser  tag  ausgesehen  hat ,  weiß  ich  nicht.  Der  Titel 
des  Wörterbuchs  tag  alärüs  die  Brautkrone  [EWLane,  ZDMGr  3  91 
93]  weist  darauf  hin,  bei  Hochzeiten  sogar  neuerer  Zeit  ein  Bild 
des  alten  tag  aus  der  Zeit  des  Aelius  Gallus  zu  suchen :  denn  Hoch- 
zeitsgebräuche erhalten  sich.  Allein  EWLane,  manners  and  customs 
of  the  modern  Egyptians,  sagt  1  210  nur  Upon  the  head  of  the  bride 
is  placed  a  small  pasteboard  cap,  or  crown.  Daß  die  griechische 
Kirche  für  die  ihr  angehörende  Braut  ebenfalls  eine  Krone  braucht, 
soll  angemerkt  werden. 

Die  Araber  gelten  für  ein  kriegerisches  Volk,  haben  aber  nach 
Wetzsteins  Zeugnis  die  Vorsicht  stets  für  den  besseren  Theil  der 
Tapferkeit  erachtet:  die  mitra,  die  einige  von  ihnen  täglich  trugen, 
war  gewis  kein  Helm.  Wie  der  Helm  ausgesehen  haben  kann,  muß 
sich  nach  der  Waffe  entscheiden  lassen,  gegen  die  er  zu  schützen 
hatte ,  und  nach  der  Art ,  in  der  diese  Waffe  geführt  wurde.  Ich 
weiß  darüber  nichts,  wenn  es  sich  um  die  Zeit  des  Aelius  Grallus, 
überhaupt  um  die  ältere  Kaiserzeit  handelt. 

Denn  die  arabische  Litteratur  ist  jung.  Alle  Welt  weiß  wann 
Muhammad  gelebt  hat:  und  was  an  arabischen  Schriften  älter  als 
Muhammad  wäre,  wie  viel  und  wie  authentisch  ist  es?  Ein  Paar 
Notizen  über  die  Helme  der  Araber  gibt  GWFreytag,  Einleitung 
in  das  Studium  der  arabischen  Sprache,  255.  Später  entlehnten 
die  Araber  xcovog  als  ,j*JjS,  meine  Symmicta  1 59  24  [1871],  SFränkel, 
die  aramäischen  Fremdwörter  im  Arabischen  54  241  [1886] 1). 

Das  persische  isL^>lj  oder  ^-[i  ist  offenbar  mit  S^M  identisch : 
es  bezeichnet  Ureinwohner  Eräns,  solche  die  in  Erän  weder  Araber 
noch  Türken  sind.  EQuatremere  hat  zu  Maqrizis  histoire  des  sultans 
mamlouks  2 2  154  schon  1845  Sw^ti  l53^  nn(^  *M)&  ^r  identisch  er- 
klärt. Ich  habe  nie  etwas  Anderes  in  diesen  Tagik  gesehen,  als 
Leute,  welche  die  altpersische  Kopfbedeckung  gegen  den  Fez  und 
Turban  der  semitischen  Eroberer  beibehalten  haben. 

EQuatremere  erklärt  anders.  Er  leitet  die  Worte  von  ^b 
ab  (er  schreibt  ^Lb),  dem  Namen  einer  Gruppe  arabischer  Stämme, 
der  den  Syrern  ul%  Araber  geliefert  habe.  Wie  »Leute,  die  weder 
Araber  noch  Türken  sind«  und  in  OstErän  wohnen,  von  dem  ara- 
bischen Stamme  ©ayy  haben  benannt  werden  können,  wie  aus  ^b 
je  &j\[i  =  (Cjlj  hat  entstehn  können,  das  dürfen  wir  den  gelehrten 

1)  Herr  Fränkel  durfte  238  meine  gesammelten  Abhandlungen  24 89  und  die 
armenischen  Studien  §524  für  jo^  (in  deutschen  Eigennamen  [auch  Gott  ist  aus 
Eran  entlehnt]  (lund-),  239  meine  Beiträge  75 10  fl'.  i'iir^X^x  =  j£&J  nicht  anführen. 


164  Paul  de  Lagarde, 

Mann  nicht  fragen,  der  nicht  einmal  an  ^^  =  Einivohner  von  Bai 
[=  ^4,  ClHuart,  JAP  1885  2  502]  als  Parallele  zu  seinem  Jo  Jfß 
gedacht  hat.  <cj&w  =  umi^li  aus  Sacastene  gebürtig  heißt  .Rostom. 
*=  *  Uructatakma,  Symmicta  1  120  24.  Auch  Käqänis  von  Khany- 
kow  JAP  1864  2  155  nicht  verstandenes  ^^y»  gehört  hierher:  es 
ist  soviel  wie  ^ß)}?*  Yäqüt  4  507 i  Margianer  (die  gewis  sehr  bos- 
hafte Aeußerung  Käqänis  verstehe  übrigens  auch  ich  nicht).  Ich 
vermuthe,  daß  <^j  =  ^>  in  ^:>jj  =  ^$y\j  ungefähr  dasselbe  sei  was 
^  in  den  Namen  der  awgänischen  Stämme  ist.  Das  ^j  der  Kur- 
den wechselt  mit  U,  da  PLerch  in  den  Melanges  asiatiques  2  631 
beräzi  Neffe  väterlicher,  xoarzi  Neffe  mütterlicher  Seite  schreibt,  wo 
Justi  41 2  bräzä  bräza,  161 1  kvärza  bietet,  und  auf  persisch  *M:.<>U 
und  *ö\\j$\yz>  deutet :  bei  Socin,  Curdica  1  285  finde  ich  bräzik  Nichte. 

Ich  darf  nicht  wagen,  die  Gestalt  der  von  den  Arabern  getra- 
genen Mitren  näher  anzugeben :  schon  ARichs  Wörterbuch  des  rö- 
mischen Alterthums  genügt  zu  erweisen,  daß  die  Alten  verschiedene 
mitrae  kannten.  Der  den  Darius  begleitende  Perser  der  Mosaik  von 
Pompeii  hat  eine  andere  mitra  als  Paris  und  die  Amazonen.  Robert 
Sinker  gibt  in  dem  Dictionary  of  Christian  antiquities  viel  Material 
und  die  wichtigste  Litteratur. 

^yJCi  gesammelte  Abhandlungen  843,  i*a£j  Quatremeres  Maq- 
rizi  2  2  190. 

Samech. 

1 

Der  Name  Samech  findet  sich  als  £upe%  dann  und  wann  bei 
©,  wo  ein  alphabetisch  geordnetes  Stück  ihn  zu  nennen  räth.  Er 
findet  sich  in  Folge  davon  auch  bei  christlichen  Theologen,  grie- 
chischer wie  lateinischer  Zunge.  Samech  mandatum  humile,  Hie- 
ronymus  OS2  51 12.  Samech  firmamentum :  quidam  erectionem  vel 
adiutorium  sive  fulturam  putant,  ebenda  7929.  Samech  firmamen- 
tum, licet  quidam  erectionem  vel  adiutorium  vel  fulturam  putant, 
ebenda  191 9.  Samech  enim  auxilium  nostro  sermone  vocatur,  die 
alte  Murbacher  Hds.  in  meinem  Psalterium  Hieronymi  xiv  15.  Ver- 
gleiche Omont  bibliotheque  de  l'e'cole  des  chartes  1881 429,  JBonnard 
revue  des  etudes  juives  4  255,  ADarmesteter  ebenda  259.  Isidorus 
Origines  £.  Hieronymus,  Brief  an  Paula  über  Psalm  Qtri,  Vallarsi 1 
1 144  ff.,  Ambrosius  expositio  in  psalmum  cxviij  §  15,  und  die  meist 
nur  aus  diesen  zweien  schöpfenden  späteren  Ausleger  der  Psalmen. 

Zur  Deutung  tpa  *»£  mandatum  humile1),  Gr  -pöD   iGvrJQL&v  und 

*)   W  "£C  Isaias  28 18  übersetzt  Symmachus  4vtoX7j  o6x  iv-coXrj,  hat  also  in  ^ 


Saraech. 


165 


dessen  Zusammensetzungen,  iTti%r\Y.Ev^  ävteXdßsto^  a7tr}QSL6ato :  siehe 
Konrad  Kirchers  Concordanz.  Ueber  ^yiad  belehrt  PSmith.  Ein 
arabisches  Aequivalent  fehlt.  Eiypa  müßte  [§  11]  *nD'öp  sein  =  dem 
archaischen   (das  Femininum  noch  durch  i  ausdrückenden)  kovirr», 

2 

Ich  bin  Historiker,  meine  Gegner  sind  Rationalisten.  Unbequem 
für  beide  Theile  ist,  daß  ich  als  Historiker  durch  einen  Bericht 
über  die  Thaten  meiner  Vorgänger  meine  Versuche  als  erlaubt  nach- 
weisen muß. 

Ueber  0  reden  HE wald8  §  50  und  Fßöttcher  1  §  148  hin  und 
her.     IOlshausen  schweigt.     Herr  BStade  belehrt  uns  §  68 

0  verhält  sich  zu  n  wie  T  zu  %  es  entspricht  unserem  tonlosen  s, 
ohne  zu  wissen ,  daß  in  natura  rerum  1  sich  zu  T  verhält ,  wie  n 
zu  tO,  und  daß  in  der  Lehre  von  den  Dentalen,  Assibilaten,  Sibi- 
lanten D  gar  keine  Rolle  spielt.     Herr  König  Seite  35 

D  ist  der  tonlose  Sibilant,  das  anlautende  s  im  Deutschen. 
Man  sollte  meinen,  daß  die  Herrschaften  Moses,  David,  Isaias, 
Aggaeus,  diese  durch  viele  Jahre  von  einander  getrennten  und  doch 
die  Buchstaben  gleich  aussprechenden  Männer,  bei  sich  zu  Tische  ge- 
habt haben,  oder  daß  sie  vorEdisonsche  Phonographen  besitzen,  in 
denen  das  von  jenen  Hineingesprochene  jeder  Zeit  erweckbar  auf- 
gespeichert liegt. 

3 

Die  Erfinder  der  semitischen  Schrift  haben  die  Entdeckung  ge- 
macht, die  Consonanten  ihrer  Rede  seien  aus  dieser  Rede  als  Con- 
sonanten  ausscheidbar ,  die  Griechen  sind  ihnen  mit  der  anderen 
Entdeckung  gefolgt,  daß  es  Vokale  a  s  r\  i  o  gebe,  und  sie  haben 
den  Muth  gefunden,  ftitiei  die  Consonantenzeichen  der  Semiten 
»  n  n  ^,  für  welche  sie  eine  Verwendung  in  ihrer  Consonanten- 
schrift  nicht  hatten,  zu  Zeichen  der  Vokale  zu  machen. 

Was  nach  der  Ausscheidung  der  zu  Vokalen  erklärten  xnn^ 
im  phoenicischen  Alphabete  übrig  bleibt,  entspricht  von  ß  bis  r  der 
Reihe  nach  den  Consonanten  der  Hellenen. 

4 

Bemerkungen  sind  hier  nur  zu  0  y  TD  zu  machen. 

Ich  setze  die  bekannten  Stellen  her,  auf  die  es  ankommt. 


die  Negation  ^S  gesehen,  wie  ich  Mittheilungen  3  257 r  in  dem  mit  langem  a  ge- 
sprochenen ^  des  Namens  ij&.  ÄrfCctpoc.  Isaias  33  81  derselbe  Symmachus  ^  £vtoX^. 
Da  von  ;-|V£  U  kein  Nomen  cav  herzuleiten,  und  Isaias  33 91  ^  überliefert  ist, 
muß  Symmachus  i^  gelesen  haben,  das  sich  zu  ;-j^  verhält  wie  vj  Brandmal 
zu  ITD,  wie  «^  Steppe  zu  nn¥-  I)aß  "p  =  r^20  Tomeiv^  sein  kann,  folgt  aus 
Levit.  25  89  27  8  und  aus  Aquilas  DfOD  TaTreiv&pptuv  xal  (frdouc  Psalm  10  x. 


166  Paul  de  Lagarde, 

Herodot  berichtet  a  139  von  den  Persern  tä  ovvö^iatd  6<pi  iövtcc 
önolcc  tolöt  Gcoiiaöi  xccl  tfj  ^isyaXo7tQS7istrj,  tshevtcböo  itävta  ig  t&vtb 
yQoi^cc,  rö  dcoQieeg  iiev  öäv  xccXeovöt,  "Imvsg  de  6iy^a.  ig  tovto 
di£rJiievog  B^Q^eig  xübv  TleQ^icov  tä  ovv6{iccta,  ov  tä  [tsv,  tä  tfov, 
äXXä  Ttävta. 

Herr  FrSpiegel  hat  1867  in  seiner  Grammatik  der  altbaktri- 
schen  [wo  gibt  es  NeuBaktrisch  ?]  Sprache  §  47  48  104  und  1881 
in  seinem  Buche  über  die  altpersischen  Keilinschriften2 172  x)  die 
Notiz  Herodots  nicht  erwähnt.  Herodots  Angabe  wird  durch  den 
Befund  nicht  bestätigt,  soweit  der  Awesta  und  die  Keilinschriften  in 
Betracht  kommen.  Nur  auf  u  oder  i  ausgehende  Mannsnamen  ha- 
ben einen  auf  einen  Sibilanten  ausgehenden  Nominativ.  Das  alte 
Testament  aber  zeigt,  daß  wenigstens  auch  der  Name  des  Xerxes  2) 
der  von  Herodot  aufgestellten  Regel  folgte :  denn  zu  thb  =  Kuru-s 
und  OTTJ  =  Därayäwu-s  gesellt  sich  tthlTÖnx  als  Nominativ  von 
ksayärsä  =  ^Lmpz_  armenische  Studien  §  1688  [persische  Studien  76]. 

oto^o  der  Syrer  kann  payog  sein,  wie  «Jtojj  sldog  ist,  und 
JLadd  TtavGai, :  es  kann  aber  auch  aus  der  Beobachtung  Herodots 
erklärt  werden,     ^ajl  aus  al<5%Q6g. 

Aus  Herodots  Worten  folgt,  daß  dorisches  6av,  ionisches  ötyiicc, 
das  Nominativzeichen  der  persischen  Mannsnamen  und  das  E  der 
Hebräer  einen  und  denselben  Laut  hatten. 

Athenaeus  bespricht  icc  30  die  yga^atiTiä  ix7t6^iata ,  und  ci- 
tiert  dabei  Verse  des  Tragikers  Achaeus,  in  denen  öccv  als  ein  im 
Namen  des  Gottes  dimvvöog  vorkommender  Buchstabe  erwähnt  wird. 


1)  Eine  Schmach  für  Deutschland  ist  es,  daß  Spiegel  noch  1881  Seite  139  dem 
verstorbenen  ChrLassen  »die  Entdeckung«  zuschreiben  kann,  daß  »die  bei  Niebuhr 
mit  I  bezeichnete  Inschrift  ein  Völkerverzeichnis  enthalte«.  Nicht  ChrLassen  hat 
das  entdeckt,  sondern  Eugene  Burnouf.  Dies  aufs  Neue  hervorzuheben,  ist  ge- 
rade jetzt  Pflicht,  da  EBurnoufs  Briefe,  von  seiner  Tochter  gesammelt,  so  eben  er- 
schienen sind ,  und  das  Bild  des  edlen  Mannes ,  der  von  einem  in  Deutschland 
wohnenden  Norweger  so  ehrlos  bestohlen  worden  ist,  frisch  vor  die  Seele  rufen. 
Ich  habe  schwer  dafür  zu  leiden  gehabt ,  daß  ich  im  Januar  1854  vor  dem  Hefte 
»zur  Urgeschichte  der  Armenier« ,  nachdem  AHoltzmann  aus  Lassens  eigenhändi- 
gen Briefen  an  PvBohlen  des  Bonner  Professors  Büberei  öffentlich  erwiesen  hatte, 
den  Satz  drucken  hieß  »Nur  einen  großen  Diebstahl  hat  die  Zunft  ohne  obligate 
sittliche  Entrüstung  gelassen«.  Meine  Symmicta  2  129  ff.,  Mittheilungen  2  314  ff.. 
Lassens  an  PvBohlen  geschriebener  Satz  »Burnouf  hat  die  Namen  aller  altpersischen 
Provinzen  aus  einer  der  großen  Keilinschriften  entziffert«  geht  eben  auf  Niebuhrs  I, 
die  bei  Herrn  von  Spiegel  auf  Seite  49  abgedruckt  steht. 

2)  Herodot  <;  98  ist  von  mir  in  den  gesammelten  Abhandlungen  182  bespro- 
chen worden:  ich  wünschte  wohl,  daß  ein  Philologe  sich  ansähe  was  da  steht: 
es  ist  mit  dem  45  Gesagten,  mit  Purim  51  ff.  40 *  und  Agathangelus  136  ff.  zu- 
sammen zu  benutzen. 


Samech.  167 

Die  bei  Achaeus  sprechenden  HäxvQoi 

tb  öäv  ävtl  xov  6iy{ia  dagoxag  etQqxaöLV.  oC  yäg  {wvGixot, 
xadaneQ  TtoXXdxig  ' Aqi6t6%ev6g  (pv\6i ,  tb  öty^ia  leyeiv  ita- 
Qfltovvto  diä  tb  öxkrjQÖötoiiov  elvai  xal  dve7titr\deiov  avAco,  tb 
de  Qcb  dcä  tb  evxolov  itoXXdxig  7taQccÄa[ißccvov<3L.  xal  tovg  i7C7tovg 
tovg  tb  3  *)  eyxe%aoay\x,evov  e%ovtag  Ga[icp6Qccg  xalovöcv, 
was  aus  des  Aristophanes  Wolken  122  belegt  wird. 
xal  IICvdaQog  de  (prjtil 

7tglv  {iev  elQjte  öypivoteveid  t  dotdä 
xal  tb  <5av  xißdtjXov  a%b  6tO[idtcov. 
Es  darf  aus  Herodots  Worten  allerdings  gefolgert  werden,  daß  öäv 
und  aiyiia  ihm  als  gleichlautend  galten.  Aus  den  von  Athenaeus 
beigebrachten  Zeugnissen  des  Aristoxenus  ergibt  sich  aber  das  Gregen- 
theil :  diesem  Sachverständigen  ist  Gav  für  die  Musik  bequemer  als 
öiy^ia  erschienen.  Distingue  tempora  [et  regiones],  et  concordabit 
scriptura. 

Später  ist  6av  der  amWortEnde,  öiy^ia  der  in  der  Wortmitte 
stehende  Sibilant.  Philosophumena  c  49 :  vergleiche  Epiphanius  kd  S, 
Irenaeus  a  8n  =  a  12 1  =  a  15 1. 

5 
i  ist  wie  10  und  D  in  die  Alphabete  Griechenlands  und  Italiens 
übergegangen :  es  ist  hier  nicht  meine  Aufgabe  über  2  zu  sprechen, 
da  eine  Verweisung  auf  AKirchhoffs  bekanntes  Buch  und  auf  WCors- 
sens  Werk  über  Aussprache,  Yokalismus  und  Betonung  der  latei- 
nischen Sprache2 1  277  für  mich  ausreicht.  Ich  merke  an ,  daß  © 
ien  Namen  des  1  töadr],  Hieronymus  (ich  habe  nur  wenige  Hdss. 
zur  Verfügung  gehabt)  OS2  79 1  191 12  Sade  schreibt,  und  füge  zu 
den  in  den  Mittheilungen  1  234  384  von  mir  veröffentlichten  Gleichun- 
gen "^TjK  3jo  [Uebersicht  179 r  2  3]  GtvQ-ai,  und  yn  öltitög  die  neue 
wjv>^  äyQco6ti-g.  Ueber  die  2  und  "0  vertretenden  griechischen 
Zeichen  wird  meinem  Leserkreise  genügen  was  mir  selbst  genügt 
hat,  Boeckhs  Staatshaushaltung  der  Athener,  an  den  durch  das  Re- 
gister der  anderen  Ausgabe  unter  ü  zu  suchenden  Stellen. 

6 

Wie  sich  aCy^a  und  öav ,  0  und  10  wirklich  zu  einander  ver- 
halten, wird  zu  erforschen  sein:  aber  man  kann  ohne  Maßstab 
nicht  messen.  Man  kann  dies  Verhältnis  untersuchen ,  indem  man 
0  und  10  haltende  Wörter  untersucht,  die  in  nichtSemitischer  Schrift 
—  der  aegyptischen,  assyrischen,  griechischen  —  aufgezeichnet  sind, 


1)  Ich  habe  3  eingesetzt,  ich  hätte  auch  p  einsetzen  können.    Noch  Kaibel 
lruckt  C. 


168  Paul  de  Lagarde, 

und  indem  man  zweitens  innerhalb  des  Semitismus  studiert,  wie 
0  tD  Tö  sich  zu  einander  verhalten. 

Aber  was  wissen  wir  von  der  Aussprache  der  aegyptischen, 
assyrischen,  griechischen  Buchstaben?^ 

Ich  stehe  der  Aegyptologie  und  Assyriologie  als  Laie,  aber 
doch  mit  dem  Bewußtsein  gegenüber,  daß  der  Stand  unserer  Kennt- 
nisse noch  nicht  hoch  genug  ist,  um  für  Untersuchungen  wie  die  hier 
zu  führende ,  weit  genug  sehen  zu  lassen.  Die  Eine  Bemerkung, 
die  GSteindorff  in  den  von  FDelitzsch  und  PHaupt  herausgegebe- 
nen Beiträgen  zur  Assyriologie  1  344  über  einen  der  verständlich- 
sten Eigennamen  o^mSD  =  Patarisi  =  peteres  Südland  macht,  wird 
zu  meiner  Entschuldigung  ausreichen.  Ich  will  aber  noch  hinzu- 
fügen, daß  mir  ein  s  in  den  Pronominibus  su  si  sunu  (Delitzsch 
§  56)  gegen  feWI  Kin  *$>  an  und  für  sich,  und  darum  unwahrschein- 
lich ist,  weil  das  alt Aegyp tische  bei  Adolf  Erman,  die  Sprache  des 
Papyrus  Westcar  2l,  als  Aequivalent  des  »sunu«  sn  zeigt:  ich 
kann  mich  von  dem  Glauben  nicht  losmachen,  daß  das  älteste  Ae- 
gyptische  mit  dem  Semitischen  näher  zusammenhängt,  als  jetzt  an- 
genommen wird.  Ich  halte  es  für  sehr  schädlich  i  daß  man  sich 
gewöhnt  hat,  das  Assyrische  uns  nur  in  lateinischem  Gewände  vor- 
zustellen :  der  Entscheidung  des  Lesers  ist  dadurch  noch  weit  schlim- 
mer als  in  den  von  mir  in  den  Mittheilungen  1  157  zur  Sprache 
gebrachten  Fällen  (^_  und  J)  vorgegriffen :  die  Originalgestalt  des 
Assyrischen  nach  den  großen  Londoner  Drucken  zu  ermitteln  habe 
Ich  keine  Muße. 

^bpfjuiuj  =  WHP  neben  ^£oj\  Mittheilungen  3  208.  ]_  =  <jl  ti  ty 
Mittheilungen  2  15  3  23  4  192  "und  sonst. 

Ich  habe  früher,  wann  ich  für  TD  s  setzte,  nie  einen  Vorbehalt 
gemacht,  da  ich  die  allgemeine  Annahme,  daß  Tö  s  bedeute,  als  Theo- 
loge zu  untersuchen  keine  Veranlassung  gehabt  hatte.  Jetzt  mache 
ich  einen  Vorbehalt,  weil  ich  nicht  mehr  für  sicher  halte,  daß  tö  den 
Laut  s  =  seh  überall  und  von  jeher  gehabt  hat. 

Ich  habe  1883  (jetzt  Mittheilungen  1  152)  aus  des  IFaber  Sta- 
pulensis  Psalterium  (das  1509  erschien)  die  Notiz  ausgezogen,  daß 
die  am  Eheine  vorkommenden  Juden  für  tß  s,  die  spanischen  Juden 
s  sagten.  Herr  DKaufmann  »machte«  den  Herrn  DHMüller,  der 
natürlich  von  dem  so  eben  Citierten  nichts  wissen  darf,  »aufmerk- 
sam« [derselbe  Idiotismus  wie  im  Dialekte  von  OberSitzko,  Mitthei- 
lungen 2  179],  daß  die  in  Littauen  wohnenden  Juden  TÖ  wie  s ,  TD 
wie  s  sprechen.  Seit  1864  konnte  man  aus  ZDMG  18  338  ff.  [jetzt 
HLFleischer  »kleinere«  Schriften  3  436  ff.]  wissen,  daß  die  im  Mag- 
rib  (dem  Kaiserreiche  Marokko)  vorhandenen  Juden,  wann  sie  (was 


Samech.  169 

oft  geschieht)  arabisch  mit  hebräischen  Buchstaben  schreiben,  0  für 
(jo  und  (ja,  f  für  y*,  10  für  ^  setzen.    Fleischer  macht  die  Bemerkung 

Die  Vertauschung  des  .  .  .  gfc  mit  ^  und  des  ^  mit  (fi 
das  ist  elend  unlogisch  ausgedrückt 

gehört  speciell  dem  Jüdisch-Arabischen 
so  steht  wirklich  da 

an,   und   es  ist  merkwürdig,   daß  zwischen  den  beiden  .  .  . 
Buchstaben  hier  dasselbe  Verhältniss  wie  im  Althebräischen 
und  Arabischen  wiederkehrt. 
Auch  hier  läßt  die  Logik  grüßen. 

Fleischer  versichert  die  Sache  »merkwürdig«  zu  finden,  wie  er 
denn  je  und  je  auf  dem  Standpunkte  der  MirabiliaSchreiber  gestan- 
den hat,  und  meint  damit  alles  Nothwendige  gethan  zu  haben. 

Auf  das  von  mir  am  15.  4.  1887   (Mittheilungen  2  259)   über 

(j*  jfc  Vorgetragene  dürfen  die  kleinen  Semitisten  nicht  Rücksicht 

nehmen,  da  sonst  der  Ruhm  der  »großen«  Semitisten  in  die  Brüche 

gienge.    Das  Alphabet  dient  auch  als  Zahlzeichenreihe.    Auf  0  =  v 

=   50  folgt  im  Naski  c^-Äy  uasuu»,  in  der  Schrift  des  Magrib,  die 

ich  auf  das  Küfi  zurückgeführt  habe,  ^^^^  \jasuuo.     Das  heißt  für 

len,    der  so  etwas  zu  lesen  versteht,   0  ist  bei  einem  Theile   der 

j?aber  durch  y*,  bei  einem  anderen  Theile  durch  (jo,  10  bei  einem 

'heile  der  Araber  durch  (j&,  bei  einem  anderen  Theile,    der  Jb  als 

teu  erfundenen  Buchstaben  an  das  Ende  des  Alphabets  stellt,  durch 

wv  vertreten. 

Ich  habe  im  Mai  1882  g,  das  Ende  des  Wortes  ccQL&iiög ,   also 

las  oben  aus  den  Philo sophumena  von  mir  nachgewiesene  öav,   als 

ias  Vorbild  des  \Jb  erkannt,  durch  das  die  arabischen  Mathematiker 

ie  Unbekannte  bezeichnen :  ich  habe  vermuthet,  daß  ^  ujei  genannt 

worden,  und  so  2^-ä  =  cosa  (die  Kos  des  sechszehnten  Jahrhunderts) 

der  Name  für  die  Unbekannte  geworden  sei.    8  hieß  nicht  |t,  sondern 

;si :  der  Murbacher  Psalter  vor  meinem  Psalterium  Hieronymi  xv  ig 

:ei  gradum  viduae  moderatur  rite  secundum,  wozu  ich  der  ersten 

'acultät  durch  Citierung  der  Constitutiones  y  1  zu  der  Uebersetzung 

verhelfen  zu  müssen  geglaubt  habe    »Eine  Witwe    darf  nicht  vor 

irem   sechzigsten  Lebensjahre  in   das   %yiqix6v  der  Kirche  aufge- 

Lommen  werden«.    Ich  will  erwähnen,  daß  die  Syrer  etdogals  +,0^1 

iahen,  wo  *  nur  Lesemutter  ist:  auffällig  ist  (mit  Artikel)  Jütjl. 

Die  Juden  des  Magrib  haben  nicht  in  der  Schrift  »^  mit  jb, 

mit  Jk}  v&  mit  y*«  vertauscht,  sondern  sie  haben  0  bald  wie  <jo, 

)ald  wie  yü,  f  w  ie^  [punktiert),  X0  wie  y»  auszusprechen  gelernt. 

las  heißt,  die  ihnen  gewordene  Ueberlieferung  war  eine  andere  als 

lie  Schule  des  ff  Gesenius  und  Ewald,  die  sich  grundsätzlich  um 


170  Paul  de  Lagarde, 

Geschichte  nicht  kümmert,  annimmt.  Hingegen  eine  andere  Ueber- 
lieferung  anders  dachte. 

Welche  der  beiden  vorhandenen  Aussprachen  die  ursprüngliche 
ist,  weiß  noch  Niemand,  wird  vielleicht  auch  nie  jemand  wissen. 
Die  Frage  nach  den  »Sibilanten«  der  semitischen  Sprachen  wird 
aber  nicht  eher  beantwortet  werden  dürfen,  als  bis  der  von  mir 
gestellten  Vorfrage  ihr  Eecht  geworden  sein  wird.  Die  Wahrheits- 
liebe unserer  »großen  Männer«  ist  nicht  erheblich:  man  wird  sich 
schon  Zeit  nehmen  und  vorläufig  zu  der  Waffe  greifen  (deutsche 
Schriften,  Vorrede),  die  am  nächsten  liegt. 

Wenn  ich  nun  auf  das  Edessenische  und  das  Targumische  Be- 
zug  nehme,  so  finde  ich,  daß  in 


ronto 

K\>.ÄV 

J^rp  [<?a/fa#a  ©  Regn.  d  25 17] 

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ou-j»  [Orientalia  2  53  ff.] 

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\k£o  [X  besser  ^ö] 

^fei 

j*& 

isüob 

nsto 

X.JLvi 

JLaud  [oft  Jama  JIäqd  :  PSmith] 

te  von  den  im  Magrib  und  in  Littauen  wohnenden  Juden  so  gespro- 
chen worden  ist ,  daß  sein  Laut  mit  dem  in  den  entsprechenden 
arabischen  Vokabeln  gebrauchten  identisch  war,  daß  ihm  aber  im 
Aramäischen,  sowohl  dem  Edessas  wie  dem  Palaestinas  (denn  der 
Targum  ist  in  Palaestina  zu  Hause,  nicht  in  Babylonien)  ein  ixjd  D 
gegenübersteht. 

Wenn  ich  danach  folgende  Reihe  überlege 

T 

in:tj  \*m  JLut 

so  erhellt,  daß  10  von  den  im  Magrib,  in  Spanien,  in  Littauen  woh- 
nenden Juden  so  gesprochen  wurde,  daß  sein  Laut  mit  dem  in  de] 
entsprechenden  arabischen  Vokabeln  identisch  war,  daß  ihm  abei 
im  Aramäischen,  sowohl  dem  Edessas  wie  dem  Palaestinas ,  ein 
gegenübersteht. 

Daß  die  Juden  Littauens  mit  denen  Maroccos  und  Spaniens  übe] 
einstimmen,  ist  ein  Beweis  dafür,  daß  wir  es  mit  einer  wirkliche] 


JU 

"M* 

xL-Um 

P^u 

?*?•■ 

Samech.  171 

Ueb erlief erung  zu  thun  haben.  Es  muß  untersucht  werden,  »woher 
haben  die  am  Rheine  angesiedelten  Juden  den  ihnen  1509  von  Jacques 
Lefevre  d'Etaples  bezeugten  Laut  s  für  TD?«. 

Was  Herr  Schreiner  in  des  Herrn  Stade  Zeitschrift  6  213 — 259 
»zur  Geschichte  der  Aussprache  des  Hebräischen«  geschrieben,  hilft 
uns  sehr  wenig. 

Wären  nicht  die  littauischen  Juden ,  so  wäre  vielleicht  die 
Annahme  gestattet,  daß  die  unter  Arabern  wohnenden  Israeliten 
1TW  darum  saheD  lasen,  weil  die  Araber  ihnen  alle  Tage  sahida 
vorsprachen.  Man  kann  aber  auch  behaupten,  die  nach  Deutsch- 
land verschlagenen  Juden  seien  aus  aramäischen  Gegenden  herge- 
kommen, und  hätten  dort  1T10  nach  jo^cd  gemodelt.  »Auffassen«  läßt 
sich  Alles. 

In  den  von  französischen  Juden  hebräisch  geschriebenen  Bü- 
chern finden  sich  französische  Vokabeln  in  hebräischer  Schrift.  Ein 
Glossar,  das  her  gehört,  ist  durch  Herr  ANeubauer  im  ersten  Bande 
der  romanischen  Studien  des  Herrn  Boehmer  veröffentlicht  worden : 
zusammenfassend  arbeitete  Herr  Darmesteter,  glosses  et  glossaires 
hebreux  franeais  [Paris  1878]  (über  ihn  ABerliner  in  meinen  Mit- 
theilungen 2  290r).  Man  wird  in  diesen  Glossen  und  Glossaren  für  das 
französische  s  nicht  D,  sondern  10  finden. 

Spanien  liefert  ähnliches  Material. 

Natürlich  wird  man  die  »rabbinische«  Bibel,  die  man  besitzt, 
bei  Iudices  12  6  einsehen.  Ich  gewinne  dadurch  aus  Yichäqi  (Bux- 
torf  Blatt  mnv),  daß  die  Ephraimiten  ^mtiXü:  und  David  Qamhi 
(ebenda)  braucht  denselben  Ausdruck :  Levy 2  1  339  vergleicht 
*^W>-  [=  he  spoke  indistinctly  Lane  449 *  =  &k+&  Lane  2289 3,  Harizi 
Durra  bei  SdeSacy  Anthologie  64 1].  David  Qamhi  macht  dann  die 
mich  hier  viel  angehende  Bemerkung  über  die  Ephraimiten  JW1  ^bltf 

ipxmp\  yion  vnpb  d^do  -patö  nö*is  ^u»»  iod  ht  onb  arb  Dana  -na 
Wi  W  TOD  nn^,  Diese  Stelle  citiert  Lipman  Zunz,  die  synago- 
gale  Poesie  des  Mittelalters  2  [=  die  Ritus  des  synagogalen  Gottes- 
diensts]  55  ohne  sie  auszuschreiben  (ich  verdanke  das  Citat  Herrn 
Schreiner  ZATW  6  258 r),   wo  er  lehrt 

in  Aegypten,  Palästina,  Magreb,  überhaupt  bei  den  mostara- 
bischen 
hier  nicht  christiano,  sondern  Judeo  mezclado  con  los  Alara- 
res,  meine  Evangelien  arabisch  xvj :  ein  in  Deutschland  lebender  Jude 
rare  ^#*.4J£**>a 

Gemeinden,  wie  man  im  Gegensatze  zu  den  aus  Europa  ein- 
gewanderten die  Eingeborenen  in  Aegypten,  Tripolis,  Syrien 
nennt,  die  später  auch  unter  dem  Namen  Moriscos  vorkom- 


172  Paul  de  Lagarde, 

men.  Sie  unterscheiden  sich  in  manchen  bürgerlichen  Ein- 
richtungen ,  in  der  Sprache ,  in  der  Aussprache  des  Lautes 
Schin,  welches  die  spanischen  und  französischen  nicht  von 
Sin  unterschieden. 
David  Qamhi  (sein  Satz  steht  oben)  sagt  von  den  jüdischen 
Grasten  CarePaTs  aus,  daß  sie  statt  TB  (ohne  Punkt)  weiches  n  sprachen. 
Was  LZunz  weiß,  dankt  er  also  nicht  diesem  David  Qamhi,  den  er 
mithin  gar  nicht  nennen  durfte.  Vielleicht  steht  es  bei  »Asulai 
fcjCfii  ^SHl  zu  Tur  1  50«,  welches  Buch  ich  nicht  nachschlagen  kann. 
Z\W  ^  2H3  Kniee  Josephs  stammt  aus  Genesis  50  23 :  der  Titel  sagt 
nur  aus,  daß  das  Buch  von  einem  Joseph  verfaßt  worden  ist.  Den 
Titel  5|D^  !WÖ  bespricht  Beniacob  unter  §  629  :  Hayyim  IoseP  DäwiD 
Azüläi  aus  Livorno  hat  D^Dfib  TOI  D^Tftn  DTE  ^SO  geschrieben,  aus 
deren  Wilnaer  Drucke  von  1852  ich  mich  nicht  habe  unterrichten 
können:  seine  in  Livorno  gedruckte  Kniee  Josephs  sind  mir  unzu- 
gänglich. Meine  WJInaer  Ausgabe  der  B***YfB  21^8  enthält  nichts 
mir  hier  Brauchbares.  DHofFmann ,  der  Schulchan  Aruch  [Berlin 
1885] ,  hat  mich  im  Stiche  gelassen :  ebenso  des  Herrn  von  Pavly 
Uebersetzung  1  212  ff.  und  Loewes  Uebersetzung  4  20  ff. l).  Es  wird 
mithin  des  f  Zunz  Ausgabe  noch  von  Kundigeren  auf  ihre  Begrün- 
dung zu  prüfen  sein. 

Auf  einen  in  Chartres  liegenden  Psalter,  der  den  Urtext  in 
lateinischer  Umschreibung  bietet,  verwies  ich  —  ohne  Nutzen,  na- 
türlich! —  in  der  Vorrede  zu  meinem  Psalterium  iuxta  Hebraeos 
Hieronymi. 

Man  wird  sich  aber  bei  diesen  Untersuchungen  gegenwärtig 
zu  halten  haben,  daß  wer  die  1891  irgendwo  —  dies  Wort  gehört 
nothwendig  in  meinen  Text  —  übliche  Aussprache  eines  französischen 
Buchstaben  kennt,  darum  noch  lange  nicht  weiß,  wie  ihn  Yichäqi 
1050  in  Troyes  ausgesprochen  hat. 

JFoerster,  spanische  Sprachlehre  13  §  9 

wir  finden  im  dialogo  de  las  lenguas  angegeben  »en  muchas 
partes  de  Castilla  convierten  la  s  en  j  [x]  y  por  sastre  dicen 
xastre«  .  .  .  d.  h.  man  sprach  es  wie  seh,  denn  so  klang  da- 
mals j  oder  x. 
GrMayans  y  Siscar,  origenes  de  la  lengua  espanola,  Madrid 
1737,  1  150 

S,  mudada  en  J,  que  tiene  el  mismo  valor  que  la  Gr  gutural. 

1)  Es  handelt  sich  in  den  Paragraphen  46  bis  57  um  das  Hersagen  der  vor- 
geschriebenen Segenssprüche.  Bei  dieser  Gelegenheit  konnte  es  aber  wohl  kom- 
men, daß  die  Aussprache  gewisser  Buchstaben  berührt  wurde.  Von  »Chajim  Josef 
David    Asulai«    (etwa  1726  bis  1807)  spricht  DCassel,   Lehrbuch  419. 


Samech.  173 

A  sapone  jabon,  salgma  jalma,  a  Salone  Jalön  rio,  Saetabis 
Jativa,  sirop  Arabe  jarope,   a  succo  jugo  ....    Los  Arabes 
regularmente  pronuncian  Jota  donde  nosotros  S,  diciendo  Jan 
por  San,  Genor  por  Seüor,  Gimon  por  Simon,  pajas  por  passas. 
Es  genügt,  im  Yäqüt,  der  seine  Namen  bequem  nach  den  Anfangs- 
buchstaben ordnet,  KJ^äI  =  ^L}-*-&J  =  Olyssipo  =  Lissabon,  jlJLaa-äJ 
=  Hispalis   =    Sevilla  und    die  vielen  mit  v-*wL£  =  Sant  anheben- 
den Artikel  aufzuschlagen,  um  zu  wissen,  daß  das  hispanische  S  dem 
Yäqüt  als   <j£  zugekommen  ist,  die  flispanier  also  vor  Yäqüt  s.  wie 
s  gesprochen  haben.    <jfc   ist  ohne  Zweifel  s,  die  Namenformen  sind 
durch  die  Reihe,  in  der  sie  stehn,  sicher. 

Vorläufig  ist  unter  Vorbehalt  (unten  warne  ich)  anzusetzen: 
t  wurde  s  gesprochen,  und  ist  mit  ^  identisch :  für  10  haben  die 
Aramäer  m.  10  wurde  s  gesprochen,  und  ist  mit  {ß  identisch :  für 
te  =  ^  haben  die  Aramäer  o», 

7 
Es  läßt  sich  denken,  daß  eine  Hieroglyphenschrift,  die  vielleicht 
allerhand  Geheimnisse  anzudeuten  oder  Winke  zu  geben  hätte,  die 
auf  gefällige,  dem  vorhandenen  Räume  entsprechende  Anordnung 
ihrer  Zeilen  zu  sinnen  veranlaßt  wäre,  mehr  als  Ein  Zeichen  für 
ein  und  dasselbe  Wort  vorräthig  hielte.  Es  läßt  sich  denken,  daß 
ein  Volk,  das  eine  entlehnte  Schrift  verwandte,  ebenso  wohl  über- 
flüssigen Reichthum  vor  sich  sähe,  wie  ich  sehr  viel  mehr  ♦  und  *^ 
von  dem  Gießzettellosen  Drugulin  erhalten  habe,  als  ich  verwenden 
kann:  die  Griechen  haben  ja  drei  Formen  des  »tf«  zur  Verfügung 
gehabt,  0  2  W.  Es  läßt  sich  aber  nicht  denken,  daß  die  Semiten, 
wenn  sie  sich  selbst  eine  Schrift  erfanden,  D  erfunden  haben  soll- 
ten, wenn  sie  für  den  durch  0  bezeichneten  Laut  schon  tu  oder  X 
besaßen.  Mit  anderen  Worten:  ist  10  oder  £  s,  so  ist  D  nicht  s. 
Und  umgekehrt. 

Vergleichen  wir  das  griechische  Alphabet  mit  dem  semitischen, 
so  ist  0  =  %.  So  kann  jeder  Secundaner  schließen.  Ursprünglich 
ist  D  £,  schließt  ein  vorsichtiger  Mann,  und  wenn  er  so  viel  grund- 
böses und  gedankenloses  Volk  vor  sich  hat,  wie  der  arme  Schreiber 
dieser  Zeilen,  so  erläutert  er  sein  »ursprünglich«  durch  die  Anmer- 
kung »so  wenig  aus  dem  Cicerone  wie  es  Iosue Carducci  oderSan- 
sone  (vulgo  Salvatore)  Barzilai  der  Galaadit  spricht,  folgt,  daß 
KiHeQav  der  Griechen  unrichtig  sei,  so  wenig  folgt  daraus,  daß  0, 
das,  als  vor  der  ersten  Olympiade  die  Griechen  es  übernahmen,  j; 
ausdrückte,  auch  für  Moses  Maimonides  oder  Abraham  Berliner 
wie  |  klang  und  klingt. 

AlsPHaupt  was  ich  in  meinen  Symmicta  1  11522  geschrieben, 


174  Paul  de  Lagarde, 

gelesen  hatte ,  theilte  er  mir  —  NGGW  1883  99 r  —  mit  (ich  habe 
das  in  den  Mittheilnngen  1 152  weiter  gegeben),  daß  1866  auchEHinks 
die  Secnndanergleichnng  0  =  £  aufgestellt  habe. 

8 

Seit  Adolf  Kirchhofes  bekanntem  Buche  ist  leicht  zu  ersehen, 
daß  die  griechische  Welt ,  was  das  von  ihr  gebrauchte  Alphabet 
anlangt,  in  vier  große  Gruppen  zerfällt: 

in  die,  welche  die  nichtphoenicischen  Zeichen  cp%ijj  und  das  phoeni- 
cische  |  nicht  verwendet: 

in  die,  welche  g  als  |,  und  die  nichtphoenicischen  Zeichen  cp%ip  in 
in  dem  uns  geläufigen  Sinne  braucht: 

in  die ,  welche  cp  und  %  wie  wir  benutzt ,  aber  |  durch  %<5  und  i\> 
durch  (p<5  ersetzt: 

in  die,   welche  £  als  x  nicht  kennt,   und  den  nicht  phoenicischen 
Zeichen  q>x^  die  Werthung  von  q&$  verleiht, 
wozu  anzumerken  lohnt,  daß  das  lateinische  X  sein  Dasein  dieser 
letzten  Uebung  dankt. 

Die  Epigraphiker  haben  sich  mit  der  Feststellung  dieser  That- 
sache  begnügt :  nach  dem  Grunde  der  allgemein  zugestandenen 
Thatsache  hat  meines  Wissens  noch  keiner  von  ihnen  gefragt. 

Mir  folgt  aus  dem  von  AKirchhoff  formulierten  Thatbestande, 
daß  ö ,  so  wie  es  ursprünglich  gesprochen  wurde ,  ein  nicht  allen 
Griechen  bekannter  oder  genehmer  Laut  war.  Wenn  als  Regel 
ausgesprochen  wird  (eine  Ausnahme  bei  FBechtel,  die  Inschriften 
des  ionischen  Dialekts  41r),  daß  £  da  nicht  vorkommt  wo  man  %<5 
schrieb ,  so  gilt  mir  als  ausgemacht,  daß  das  0  ,  wie  es  zur  Zeit 
der  Uebernahme  des  phoenicischen  Alphabets  bei  den  Phoeniciern 
lautete,  nicht  %6  lautete,  sondern  irgendwie,  nur  nicht  so,  daß  ein 
Grieche  des  das  Alphabet  übernehmenden  Stammes  —  dieser  Ge- 
netiv ist  das  Wesentliche  —  den  Laut  in  seiner  Sprache  vorfand. 

Es  folgt  für  mich  aus  der  Vorlage  weiter,  daß  da  wo  £  ge- 
schrieben wurde,  ursprünglich  der  Laut  des  £  mit  dem  —  phoenici- 
schen? —  D  sich  deckte. 

9 

Zu  meinem  Bedauern  bin  ich,  um  mich  über  die  älteste  Schrift 
der  Semiten  zu  belehren,  auf  die  Tafel,  dieEuting  1882  Chwolsons 
Corpus  inscriptionum  hebraicarum,  und  auf  die  andere  Tafel  ange- 
wiesen, die  eben  dieser  Euting  1889  des  Herrn  Kautz seh  »Gesenius« 
beigegeben  hat.  Kautzsch  lobte  erstere  1884  in  seiner  Grammatik 
des  biblisch-Aramäischen  §  9,  er  fügte  die  letztere  der  Jubelausgabe 
seines  Gesenius  an,   muß  sie  also  für  tadellos  erklärt  haben,   und 


Samech.  175 

Kautzsch  ist,  wie  sein  Buch  über  die  Moabitica  lehrt,  Epigraphiker 
von  Beruf.     Das  nabatäische  0  bespricht  ESachau,   ZDMG  38  537. 

Mir  ist  allerdings  gewis,  daß  Herr  Euting  1889  die  auf  dem 
MesaSteine  vorkommende  Form  des  ö  noch  ebenso  unrichtig  wider- 
gibt wie  1882.  Bei  Smend-Socin  12  nanto*\  18  DTOnoffi,  21  fiöob 
25  ftana,  26  nböftP,  29  inao^  (Smend-Socin  arbeiteten  3  Jahre  vor 
1889)  erblicke  ich  als  moabitisch  nicht  das  von  Herrn  Euting  vor- 
gestellte D,  sondern  das  0  der  Cyprischen  Fragmenta  aenea,  die 
Herr  Euting  auf  Chwolsons  Tafel  »circa  700«  ansetzt. 

Man  darf  nicht  so  unbillig  sein,  zu  verlangen,  daß  ich,  als  Mann 
von  61  Jahren  gezwungen  umzusatteln  und  den  Semitisten  zumachen, 
alsbald  in  allen  Sätteln  der  Semologie  gerecht  sein  solle :  ich  komme 
den  semologischen  Kattenbusch  zuvor,  und  gestehe  freiwillig  ein, 
daß  ich  dilettiere  :  müssen  die  Männer  der  ersten  Facultät  entschul- 
digen, daß  ich  ab  und  zu  etwa  über  das  "Weihnachtsfest  oder  den 
Bibeltext  dilettiere,  so  können  die  Herren  des  vierten  Ordo  sehr 
wohl  eine  Duldung  für  meinen  Dilettantismus  in  Semiticis  gestatten. 

Ich  finde  nun  von  Eutings  »Meisterhand«  zwei  Formen  des  ö 
gezeichnet,  die  Ich  für  verschiedene  Werthe  anspreche,  die  in  Moab 
und  auf  Cypern  übliche,  welche  ersichtlich  den  Griechen  ihr  8  gelie- 
fert hat,  und  die  in  Phoenicien  usw.  vorkommende,  welche  ich  für  eine 
Ligatur  aus  p  und  tu  ansehe ,  welche  die  Griechen,  weil  sie  Qoppa, 
nicht  Kappa,  enthielt,  nicht  brauchen  konnten.  So  vermuthe  ich. 
Wenn  ich  von  Vermuthen  rede,  meine  ich  Vermuthen.  Die  an  der 
Quelle  Siloe  gefundene  Inschrift  enthält  kein  o. 

10 

Ich  habe  1881  in  den  Mittheilungen  1  69  HLFleischers  Dissertatio 
de  glossis  Habichtianis  58,  WSpittas  Grammatik  18,  GAWallin  ZDMG 
9  60,  Sacys  anthologie  grammaticale  267  zu  dem  Erweise  citiert, 
daß  die  &q(c  zwischen  y»  und  [ß  anders  wechselt  als  die  iüü.  Flei- 
scher bemerkt  aaO.,  <j*  werde  mitunter  in  <J»  verwandelt,  ut  per 
pleniorem  quandam  pronuntiationem  ipsa  significatio  quasi  plenior 
fiat  et  validior.  Ich  habe  bemerkt,  daß  Wallins  von  mir  citierter 
Aufsatz  »für  0  =  |  ganz  besonders  in  Betracht  kommt«.  Länger 
als  zehn  Jahre  will  ich  nun  nicht  abwarten ,  daß  ein  weniger  als 
ich  überbürdeter  Mensch  diese  Bemerkung  ausnutze:  ich  nutze  sie 
selbst  aus,  wenigstens  so  weit  Ich  es  vermag. 

Gerade  bei  den  echtesten  Beduinen  in  Nagd  und  Iräq  wird 
für  g)  jetzt,  wie  das  vor  Alters  beim  Stamme  Rabi:  der  Fall  war, 
war,  ks  gesprochen.  Auch  ks  kommt  vor.  Ferner  wird  k  zu  ts, 
schließlich  zu  ts. 

Ich  setze  die  Gleichung  an:   D  zu  D  wie  S  zu  p.    War  das  0 

Nachrichten  d.  K.  G.  d.  W.  zn  Göttingen.    1891.    Nr.  5.  14 


176  Paul  d  e  Lagarde, 

irgend  welcher  Semiten  —  ich  bitte  die  Gerechten,  namentlich  die 
Lautphysiologen,  um  Vergebung,  wenn  der  Ausdruck  dem  gelahrten 
Jargon  des  laufenden  Semesters  nicht  entspricht  —  war  D  in  der  von 
Wallin  geschilderten  Weise  eine  Quetschung  des  D,  so  konnten  die 
Griechen  dieses  0  für  J  =  ks  schreiben,  s  ist  entweder  Assibi- 
ation  von  s£  =  Jö  oder  Quetschung  von  p  =  c,  Uebersicht  30 r  2  6 
129  r  2i:  die  Qarräer  sprechen  £  c,  JHaleVy  Revue  des  etudes  jui- 
ves  21  233  Ende,  während  in  den  Texten  meiner  persischen  Studien 
erst  das  punktierte  &  das  c  der  Perser  vertritt. 

Bewährt  sich  was  ich  oben  über  TD  und  to  vorgetragen  habe,  so 
zeigt  das  Aramäische  diesen  zwei  Buchstaben  gegenüber  eine  Laut- 
verschiebung. Es  verhielte  sich  aber  tö  =  y«  zu  *a  wie  to  =  <j&  zu 
d»,  nicht  wie  tö  =  £j  zu  t  oder  wie  S  =  Jo  zu  v£,  nicht  wie  t  =  3 
zu  j  (wo  die  Stufen  vorhanden  sind),  noch  auch  wie  £  =  <jo  =  >x, 
oder  p  =  f  der  Badawiyyina  (wo  eine  Lautspaltung  [c  +  $  =  (j», 
k  -f  V  =  p],  nicht  eine  Lautverschiebung  vorliegt). 

Wie  das  aao  der  Aramäer  in  ältester  Zeit  ausgesprochen  wor- 
den ist,  weiß  keine  Seele :  daß  es  spitz  lautete ,  folgt  nur  daraus, 
daß  a  dick  lautete :  es  wäre  kein  gesunder  Sachverhalt,  wenn  coo  von 
<j&  nicht  in  derselben  Entfernung  abstände  wie  ot  von  ,j*. 

Ich  muß,  um  nicht  mehr  unseres  knappen  und  theuren  Raumes 
zu  verbrauchen,  als  unumgänglich  ist,  hier  abbrechen,  gebe  aber  noch 
zu  bedenken,  daß  angeblich  der  ganze  Canon,  jedenfalls  ein  nicht 
kleiner  Theil  des  Canons  aus  der  althebräischen  Schrift  in  die  so- 
genannte assyrische,  jetzt  von  uns  benutzte  Schrift  umgeschrie- 
ben worden  ist :  man  lese  über  J21  ninD  und  des  Epiphanius  »deession« 
GHoffmann  1881  in  ZWAT  1  334  ff.  Der  einfache  senkrechte  Keil 
der  Assyrer,  auf  den  ich  mich  1877  in  den  armenischen  Studien 
§  2274 r  zur  Erläuterung  des  von  mir  gegen  pn  aus  Nathans  tp-tf 
festgestellten  ph  berufen  habe ,  steht  1889  bei  FDelitzsch,  Gram- 
matik 35  Nummer  204,  als  dis  tis  tiz  tis.  Daß  bei  dieser  Umschrei- 
bung allerhand  vorgekommen  ist  was  Uns  ärmsten  Semologen,  na- 
mentlich mir,  dem  €xtqg>[icc  dieser  Gesellschaft,  unsere  Arbeit  er- 
schwert, ist  einem  Manne  nicht  zweifelhaft,  der,  selbstloser  als  die 
regierenden  Meister  der  Zunft,  so  viele  Handschriften  abgeschrieben 
und  verglichen,  und  so  viele  Correcturbogen  gelesen  hat  wie  ich. 

Ich  weiß  noch  wie  heute,  mit  welcher  Freude  Ernst  Freiherr 
von  Deutsch  mir  als  Geschenk  den  Aufsatz  über  die  cyprischen 
Inschriften  brachte,  den  HLAhrens  in  den  Band  35  des  Philolo- 
gus  geschrieben  hat.  Ahrens  bespricht  §  13,  22  ff.,  das  Zeichen,  das 
Iohannes  Brandis  unter  Nummer  14  (SBAW  187365s)  mit  0  um- 
schreibt, das  Moriz  Schmidt  zuerst  |,  dann  00  oder  6  gelesen  hat ; 


Samech.  .177 

Ahrens   selbst  lehrt  24,   es  sei  nicht  ein  £,    sondern   ein    dickerer 
Zischlaut  gemeint. 

Die  cyprische  Schrift  ist  stark  stylisiert.  In  jenem  hier  nicht 
zu  druckenden  Zeichen  erblicke  ich  das  aus  p  und  10  zusammenge- 
setzte D  Phoeniciens,  das  vom  g  der  Moabiter  nicht  bloß  der  Form 
nach  verschieden  sein  dürfte. 

Ahrens  23  zieht  den  von  Hesychius  erhaltenen  paphischen  Satz 
zur  Erläuterung  heran  iönotf  eQitsg  =  [ix]  no&sv  yxEcg  [=  egiesig]. 
Durch  Georg  Meyer,  dessen  ich  in  meiner  Abhandlung  NeuGriechi- 
sches  aus  KleinAsien  6  gedachte,  habe  ich  (Bezzenbergers  Beiträge 
zur  Kunde  der  indogermanischen  Sprachen  10  177)  erfahren,  daß 
das  karische  -a66ig  mit  -a&g  wechselt,  also  ' AQvafyg  mit '  ÄQvuGGig, 
BQvafyg  mit  BQvccGöig,  und  daß  wer  archaisiert,  jj,  nicht  66,  anwendet. 

Da  hätten  wir  also  den  Weg,  auf  dem  von  qs  zu  ss  gegangen 
worden  ist,  vor  uns.  Ueber  öö  der  griechischen  Steine  FBlaß  in 
der  Satura  philologa  für  Herman  Sauppe  121  ff. 

Falls  OID  (Lotz,  die  Inschriften  Tiglathpilesers  des  Ersten 
160  ff.),  das  zuerst  den  Elephanten,  erst  nachher  das  Ross  bezeich- 
nete, ein  Fremdwort  ist,  so  kann  die  Sprache,  der  es  entnommen 
wurde ,  noch  einmal  die  Probe  auf  meine  Rechnung  machen.  5pö 
ist  "xoofq  (Peyron  400 *),  HBrugsch  in  meinen  Mittheilungen  2  261. 

Aus  dem  Buche  der  Richter  12  e  ist  bekannt,  daß  die  östlich  vom 
Jordan  wohnenden  Galaaditer  Mbätö,  die  westlich  von  ihm  sitzen- 
den Ephraimiten  fibiap  sagten,  und  letztere  gar  nicht  im  Stande 
waren  nbiaiO  auszusprechen.  Mas:üdi  berichtet  in  der  Histoire  des 
Sultans  Mamlouks  EQuatremeres  2  2i89,  daß  im  Jahre  1302  die 
HaQari  des  Qa:id  [?]  daran  erkannt  wurden,  daß  sie  die  *•  in  /j^ 
richtig  leisten  konnten. 

Die  Nachricht,  daß  Ephraim  das  10  Galaads  durch  D  ersetzte, 
oder  aber  Galaad  das  0  Ephraims  durch  10  —  denn  welche  der 
beiden  Formulierungen  die  richtige  ist,  weiß  noch  niemand :  da  auch 
die  Iudäer  nbap  haben,  ist  freilich  die  erste  die  wahrscheinlichere 
— ,  diese  Nachricht  ist  werthvoll.  Sie  sagt  allerdings  nichts  über 
die  Lautung  aus,  aber  sie  mahnt,  erstens,  vorsichtig  in  der  Annahme 
des  oben  über  10  10  Vorgetragenen  zu  sein.  Denn  s  kann  sich  leich- 
ter sowohl  zu  s  als  zu  6-%  ändern,  als  s  zu  x  oder  etwas  Aehnli- 
chem.  Bei  6-%  denke  ich  an  die  Geschichte  von  dem  Münsterländer, 
der  im  Palais  Royal  einen  umhersuchenden  Herrn  mit  der  Frage 
anredete  Que  s-/ers-xez  Vous  ?,  und  die  Antwort  erhielt  Je  s-/ers- 
/e  mon  s-/apeau,  worauf  dann  das  Gespräch  auf  Münsterländisch 
fortgesetzt  wurde.  Die  Geschichte  mahnt  zweitens ,  vorsichtig  in 
der  Schätzung  der  Lautverschiebungen    zu  sein.     Das  hasa   des  c 

14* 


178  Paul  de  Lagarde,  Samech. 

wie  h  sprechenden  Florentiners  verhält  sich  zu  casa  nicht,  wie 
das  deutsche  Hund  zum  griechischen  nvcav :  Galaaditer  und  Ephrai- 
miten  bleiben   trotz  des  Wechsels   von  10  und  0  beide  Israeliten. 

11 

2fylia  scheint  mir  zu  beweisen,  daß  k^a  nicht  der  ursprüng- 
liche Namen  des  £  ist :  habe  ich  darin  Recht,  so  ist  auch  der  Satz 
^yiqp  nicht  in  der  ursprünglichen  Gestalt  erhalten.  Auf  die  Ge- 
fahr hin,  einem  ribaldo  irgend  eines  Condottiere  in  die  Hände  zu 
fallen,  will  ich  bemerken,  daß  ich  die  ältere  Form  des  Satzes  yv>m 
in  DDT2J  ZJcxipa  (Uebersicht  57 15)  Schulter  zu  erkennen  glaube :  (5Cypu  = 
HüpTp.  Ich  will  weiter  bekennen  (und  behalte  mir  Näheres  vor), 
daß  ich  die  bei  den  Griechen  übliche  Benennung  des  j-,  nämlich  ^ei, 
als  Bestätigung  meiner  eben  ausgesprochenen  Ansicht  ansehe,  daß 
das  0  der  Moabiter  und  das  D  der  Phoenicier  von  Hause  aus  zwei 
verschiedene  Buchstaben  gewesen  sind :  von  ^00  führt  kein  Weg  zu 
Ist.  Ich  will  drittens  bekennen,  daß,  wenn  das  sexagesimale  Zah- 
lensystem von  seiner  in  Babylonien  liegenden  Heimath  aus  (ich 
bitte  Lehmanns  Aufsätze  nachzulesen)  sich  weiter  verbreitet  hat, 
die  Uebereinstimmung  von  m  und  1010  (öcbööog)  und  deren  so  vielfach 
wechselnden,  durch  Volksetymologien  entstellten  Nebenformen  sich 
daraus  erklärt,  daß  der  ursprüngliche  Name  für  6  und  60  mit  dem 
sexagesimalen  Systeme  gewandert  ist  —  a%  sex,  die  awestischen  For- 
men dieser  Zahlen  mit  ihrem  aus  drei  Consonanten  bestehenden  An- 
laute, usw.,  wären  Lehnworte  — :  wüßte  ich  über  die  älteste  Gestalt 
von  cooy  Bescheid,  so  würde  ich  möglicher  Weise  %si  zu  coo*y  stel- 
len. In  das  System  der  semitischen  Zahlen  passt  die  Vokabel  ÖtJ 
nicht  hinein,  da  in«,  tnilö,  «btt,  211«,  EWI,  21TB,  ftf»«,  SWi,  *W9t 
HÄtt,  fcjbtf  drei  Wurzelconsonanten  zeigen,  und  sicher  noch  einmal 
deutbar  werden  werden:  daß  sie  deuten  zu  können  von  höchstem 
Nutzen  für  die  älteste  Geschichte  sein  würde,  bedarf  keiner  Aus- 
einandersetzung. ijhöLm  ist  eine  künstliche  Parallele  zu  <&Jl$,  so  zu 
sagen  ein  tthTÖ  neben  thld  A^JL:  Ka  fällt  ebenso  aus  aller  Lautver- 
schiebung heraus    wie   die  awestische  Form  tCWilöD    [—  *kswaks?] 

£av  ist  kaum  sinn  =  "pÖ,  in  welcher  Vokabel  der  Vokal  * 
haftet.  Bai  —  ujei  kann  sich  zu  "ptD  =  "plö  *  verhalten  wie  sich  zai 
(Psalterium  Hieronymi  xiv  1)  zu  jpT  =  ftt  verhält.  )1ö  =  öav  kann 
der  (wegen  ä  nicht  hochSemitische)  Nominativus  Dualis  des  Gene- 
tivus  Dualis  fit  sein,  wie  |rt3  wenn  nicht  eine  falsche  Lesart,  der 
Nominativus  Dualis  zu  dem  Genetivus  Dualis  prft  ist.  th  zu  »i^  • 
Uebersicht  82 1.     @s  %<5av  kann  für  %<5aiv  stehn. 

12 

Nach  den  Zeitungen  besitzt  man  in  Berlin  aramäische  Inschriften 


F.  Kielhoru,   die  Vikrama  Äera.  179 

aus  der  Zeit  des  Isaias.  Goettingen,  die  «"HB  Berlins,  ist  nicht  in 
der  Lage,  von  diesen  Inschriften  eher  etwas  zu  erfahren  als  Buxte- 
hude :  ich  muß  mich  daher  darauf  gefaßt  machen ,  daß  was  ich  so 
eben  vorgetragen  habe,  vielleicht  bald  beseitigt  oder  geändert  sein 
werde :  ich  hoffe  auf  alle  Fälle  einige  neue  Gesichtspunkte  angege- 
ben zu  haben. 


Die  Vikrama  Aera. 

Von 

F.  Kielhorn. 

Die  Entdeckungen  der  letzten  Jahre  haben  gezeigt,  daß  die 
von  James  Fergusson  aufgestellte  und  durch  Max  Müller 
berühmt  gewordene  Hypothese,  nach  welcher  die  Vikrama  Aera 
erst  im  sechsten  Jahrhundert,  oder  genauer,  nach  dem  Jahre  543 
n.  Chr.  von  einem  Könige  Vikramäditya  erfunden  sein  sollte,  un- 
haltbar ist.  Mit  Recht  schrieb  Max  Müller  im  Jahre  1883,  daß 
die  ganze  Theorie  Fergussons  zusammenbrechen  würde,  wenn  sich 
ein  einziger  Stein  finden  sollte,  der  (zeitgenössisch)  von  543  n.  Chr., 
d.  i.  vom  Vikrama  Jahre  600 ,  oder  früher  datiert  wäre.  Solche 
Steine,  aus  den  Vikrama  Jahren  529  und  589,  um  nur  die  in  je- 
der Hinsicht  sichern  Daten  hier  zu  erwähnen,  haben  sich  gefun- 
den1); und  wir  wissen  jetzt,  daß  die  Vikrama  Aera  in  der  That 
vor  543  n.  Chr.  im  Gebrauche  war,  daß  die  Jahre  derselben  aber 
als  Jahre  nach  der  Zählung  der  Mälavas,  Jahre  der 
Mälava  Herrscher  u.  s.  w.  bezeichnet  wurden.  Kann  die  Aera 
somit  nicht  erst  im  sechsten  Jahrhundert  von  einem  Könige  Vi- 
kramäditya gestiftet  sein,  so  tritt  von  Neuem  die  Frage  an  uns 
heran,  wie  es  zuging,  daß  sie  in  späterer  Zeit  mit  einem  Könige 
jenes  Namens  in  Verbindung  gebracht  wurde.  Ich  will  mit  we- 
nigen Worten  zu  zeigen  versuchen,  wie  ich  mir  die  Lösung  dieses 
Räthsels  denke. 

Das  älteste  bekannt  gewordene  Datum,  in  dem  das  Wort 
vikrama   erscheint,    findet  sich  auf  der  Dholpur  Steininschrift  des 


1)  Vgl.  meine  chronologische  Liste  der  Vikrama  Daten  im  Ind.  Antiquary^ 
Band  XX,  S.  125. 


130  F-  Kielhorn 


Chauhän  Chancjamahäsena x),  in  der  das  Jahr  898  durch  die  eigen- 
thümliche  Wendung  — 

vasu   nava    [a]shtau   varshä   gatasya    Jcdlasya   vihramdkhyasya 

„898  Jahre  der  viJcrama-benannten  (verflossenen)  Zeit"  — 
bezeichnet  wird.  Auch  sonst  ist  gerade  dieses  Datum  für  uns 
von  ganz  besonderem  Interesse.  Es  ist  das  frühste  sichre  Datum 
der  sogenannten  Vikrama  Aera,  dessen  Correctheit  wir  bewei- 
sen können;  und  seine  Berechnung  zeigt,  daß  das  in  ihm  er- 
wähnte Jahr  mit  dem  Monate  Kärttika  (October-November),  nicht- 
wie  das  Saka  Jahr,  mit  Chaitra  (März-April)  angefangen  haben 
muß.  Anzunehmen,  daß  der  Schreiber  des  Datums  mit  dem  Worte 
vikrama  eine  Person  bezeichnen  wollte,  die  er  sich  als  Stifter 
der  Aera  dachte,  liegen  zwingende  Gründe  nicht  vor.  Die  älteste 
Steininschrift,  deren  Datum  von  einem  Manne  Vikrama  spricht, 
ist  die  Grwälior  Säsbahü  Tempel  Inschrift  des  Mahipäla 2)  vom 
Jahre  V.  1150.  C 

Die  älteste  echte  Kupferplatte,  deren  Datum  das  Wort  vikrama 
enthält,  ist  die  Eädhanpur  Urkunde 3)  des  Chaulukya  Bhimadeva  L, 
deren  Jahr  als  vikrama-samvat  1086  „das  vikrama  Jahr  1086"  be- 
zeichnet wird.  Ihr  folgt  die  Sünak  Kupferplatte 4)  des  Chaulukya 
Karnadeva  von  vikrama-samvat  1148.  Auch  bei  diesen  Daten  würde 
keine  Notwendigkeit  vorliegen  das  Wort  vikrama  auf  eine  Person 
zu  beziehen;  doch  darf  ich  hierauf  kein  Gewicht  legen,  weil  wir 
aus  dem  Datum  von  Amitagati's  Subhäshita-ratna-samdoha 5)  wis- 
sen, daß  die  Aera,  von  der  ich  spreche,  schon  in  V.  1050  mit  ei- 
nem Fürsten  Vikrama  in  Verbindung  gebracht  war.  Sicher  aber 
ist,  daß  sich  bis  jetzt  kein  Datum  vor  V.  1050  gefunden  hat,  das 
einen  König  Vikrama  erwähnt,  und  daß  das  frühste  sichre  Datum 
vom  Jahre  V.  898  zwar  die  Zeit ,  zu  der  es  gehört ,  als  die  vi- 
krama -Zeit  bezeichnet,  eine  Beziehung  auf  einen  persönlichen  Vi- 
krama aber  nicht  enthält. 

Fragen  wir,  wodurch  sich  das  Vikrama  Jahr  von  dem  Jahre 
der  viel  allgemeiner  gebräuchlichen  Saka  Aera  in  besonders  auf- 
fälliger Weise  unterschied,  so  kann  die  Antwort  nur  die  sein, 
daß  das  Vikrama  Jahr  mit  dem  Monate  Kärttika  (October-Novem- 
ber),   das  Saka  Jahr    dagegen  mit  dem  Monate   Chaitra   (März- 


1)  Vgl.  Ind.  Antiquary,  Band  XIX,  S.  35,  wo  ich  die  Berechnung  des  Datums 
gegeben  habe. 

2)  Ib.,  Band  XX,  S.  129,  No.  58. 

3)  Ib.,  S.  128,  No.  47. 

4)  Ib.,  S.  129,  No.  57. 

5)  Ib.,  Band  XIX,  S.  361. 


die  Vikrama  Äera.  181 

April)  anfing.  Auf  diesen  ursprünglichen  Unterschied  der  Jahre 
der  beiden  großen  Aeren  haben  schon  Andere  aufmerksam  ge- 
macht, und  ich  habe  oben  bemerkt,  daß  das  Jahr  des  ältesten 
berechenbaren  Vikrama  Datums  unzweifelhaft  ein  KärttiJcädi,  nicht 
ein  Chaiträdi  Jahr  war.  Das  Vikrama  Jahr  fing  im  Herbst,  das 
Saka  Jahr  im  Frühling  an. 

Nun  ist  der  Herbst  (sarad)  die  Zeit  des  Auszugs  zum  Kriege ; 
er  ist  in  eminentem  Grade  der  vikrama-käla.  Das  wissen  die 
Dichter  ebenso  gut  wie  die  Verfasser  der  Niti-  und  Dharma- 
sästras.  Raghu  unternimmt  seinen  digvijaya  im  Herbste.  Der 
Herbst,  geschmückt  mit  Lotusblumen,  naht  sich  ihm  wie  eine 
zweite  Räjalakshmi ;  er  lädt  ihn  ein  auszuziehen,  noch  ehe  Raghu 
selbst  einen  Entschluß  gefaßt  hat;  im  Herbste  suchen  selbst  die 
Stiere  es  ihm  an  vikrama  gleich  zu  thun  *).  Wie  Kälidäsa  hier, 
so  spricht  Bhäravi  vom  Herbste  beim  Auszuge  Arjunas2).  Im 
Herbste  zieht  Eäma  aus  Rävana  zu  erschlagen  und  Sita  wieder- 
zugewinnen3). Im  Graüolavaho  bricht  Yasovarman  am  Ende  der 
Regenzeit,  im  Herbste,  auf,  sich  den  ganzen  Erdkreis  botmäßig  zu 
machen 4).  Im  Harshacharita  erklärt  Bäna  die  graubärtigen  Wan- 
gen eines  greisen  Feldherrn  dadurch,  daß  er  den  Besitzer  den 
mit  seinen  blühenden  Gräsern  weißen  Herbstanfang  (sarad -äram- 
hha)  wieder  von  sich  geben  läßt,  den  er  zur  Kriegszeit  (vikrama- 
käle)  getrunken  hatte  5). 

Vom  Herbste  (sarad),  als  dem  eigentlichen  vikrama-käla ,  zum 
Jahre  (sarad)  als  vikrama-käla  ist  nur  ein  kurzer  Schritt;  und 
ich  glaube,  daß  die  Inder  in  der  That  diesen  Schritt  gethan  ha- 
ben, und  daß  die  spätere  Bezeichnung  der  Mälava  Aera 


1)  Raghuvamsa  IV,  22. 

2)  Kirätärjuniya  IV. 

3)  Vgl.  Setubandha  I,  14  und  16;  GoWschmidts  Uebersetzung :  — 
„Mühsam  gieng  dem  Dägarathi  dahin  die  Regenzeit  —  die  Verfinsterung  für 

die  Sonne  seines  Entschlusses,   die   starke  Fessel   für  den  Elefanten  seines 
Zornes,  der  Käfig  für  den  Löwen  seines  Sieges." 

„Da  naht  —  für  den  Affenfürsten  der  Weg  des  Ruhms,    für  das  Leben  des 
Räghava  die  erste  Stütze,  für  Sita  die  Hemmung  der  Tränen,  für  den  Zehn- 
köpfigen der  Tag  des  Todes  —  es  naht  der  Herbst." 
Vgl.  auch  I,  34,  mit  der  Erklärung  des  Scholiasten. 

4)  Gaüdavaho  192. 

5)  Die  Stelle,  welche  im  6ten  uchchhväsa  (auf  S.  156  der  schlechten  Calcut- 
taer  Ausgabe)  steht,  ist  schon  von  S.  P.  Pandit,  Gaüdavaho,  Introduction,  S.  102 
Anm.,  erwähnt,  aber  von  ihm  in  ganz  andrer  Weise  erklärt  worden.  Auch  der 
Text,  den  er  citiert,  giebt  keinen  Sinn.  Ich  lese:  vamann  iva  vikramakalapttara 
akälepi  vikasikäs'akänanavisadam  saradärambham, 


182  F.  Kielhorn, 

als  der  eines  Königs  Vikrama  ihren  Ursprung  einem 
Mißverständnisse  verdankt.  War  man  gewohnt  vom  Herbste 
(sarad)  als  viJcrama-Mla  zu  sprechen,  so  war  durch  das  Wort  sarad 
die  Beziehung  auf  das  Jahr  gegeben;  und  die  Bezeichnung  des 
Jahres  als  viJcrama-leäla  lag  um  so  näher  als  man  dadurch  zunächst 
gerade  das  zum  Ausdruck  brachte  was  das  Mälava  Jahr  vom 
Saka  Jahre  unterschied :  das  Factum  nämlich ,  daß  das  Mälava 
Jahr  im  Herbste  anfing.  Hatte  man  sich  aber  gewöhnt  von  Jahren 
als  vikrama-käla  oder  von  vikrama- Jahren  zu  reden,  so  war  Nichts 
natürlicher  als  daß  spätere  Geschlechter  sich  diese  Bezeichnung 
im  Sinne  ihrer  Zeit  zu  deuten  suchten  und  so  die  Stiftung  der 
Aera  einem  Könige  Vikrama  zuschrieben,  der  die  Jahre,  wie 
ihre  eignen  Könige ,  von  seinem  Regierungsantritte l)  gezählt  hatte. 


1)  Was  die  Saka  Aera  betrifft,  so  möchte  ich  hier  bemerken,  daß  ich  in 
den  Worten  Saka-nripal/hräjyäbhisheJca-samvatsaresJiu  der  Bädämi  Inschrift  des 
Mahgalisvara  in  keiner  Weise  mit  meinem  Freunde  Fleet  eine  Spur  einer  alten 
Tradition  über  den  Anfang  der  Saka  Aera  entdecken  kann.  Mir  sagen  die  be- 
treffenden Worte  nur,  —  was  uns  aus  der  Haidaräbäd  Urkunde  des  Pulikesin  II. 
bekannt  ist  — ,  daß  es  zur  Zeit  des  Schreibers  üblich  war  die  Jahre  vom  räjyä- 
bhisheJca  eines  Königs  zu  zählen. 


Die  Nitimanjari  des  Dyä  Dviveda. 

Von 

F.  Kielhorn. 

Als  ich  vor  fünfzehn  Jahren  im  5ten  Bande  des  Indian  Anti- 
quary  einen  kurzen  Aufsatz  über  dieNitimaiijaridesDyäDvi- 
v  e  d  a  veröffentlichte,  glaubte  ich  nicht,  daß  ich  mich  nochmal  mit 
diesem  Werke,  dem  nur  die  im  Commentare  enthaltenen  Citate 
einigen  Werth  verleihen,  befassen  würde.  Der  Grund,  weshalb  ich 
es  jetzt  dennoch  thue,  ist  folgender.  In  dem  erwähnten  Aufsatze 
hatte  ich  behauptet,  daß  Dyä  Dviveda  aus  Säyanas  Commentar 
zum  Rigveda  abgeschrieben  hätte  und  deshalb  natürlich  später  als 
Säyana,  also  nach  der  Mitte  des  14ten  Jahrhunderts  gelebt  haben 
müsse.  Seitdem  hat  Professor  Peterson  auf  S.  8  seines  Second 
Report  of  Operations  in  search  of  Sanskrit  MSS.  über  eine  in  der 
Bibliothek  des  Mahäräja  von  Alwar  befindliche  HS.  der  Nitiman- 
jari berichtet,  in  der  das  Vikrama  Jahr  1110  =  1053  n.  Chr.  als 
das  Jahr  bezeichnet  sein  soll,  in  dem  Dyä  Dviveda  sein  Werk 


j 


Die  Nitimanjari  des  Dyä  DviVeda.  183 

vollendete.  Obgleich  diese  Mittheilung  meines  Erachtens  auf  ei- 
nem Irrthum  beruht,  halte  ich  es  doch  für  richtig,  meinen  Fach- 
genossen ein  Specimen  von  Dya  Dvivedas  Commentare  vorzulegen, 
aus  dem  sie  selbst  ersehen  mögen,  ob  Säyana  von  Dya  oder  Dya 
von  Säyana  abgeschrieben  hat.  Was  ich  mittheile ,  ist  nicht  ge- 
rade sehr  schön,  wird  aber  einen  Begriff  von  Dya  Dvivedas  Gre- 
schmacke  geben. 

Was  das  erwähnte  Datum  betrifft,  so  kann  ich  nur  sagen, 
daß  die  von  Professor  Peterson  auf  S.  103  citierten  Worte  des 
Originals  —  bindusivaikena  mite  samvaty  ambudhivatsare  — ,  die 
1110  bedeuten  sollen,  mir  unverständlich  sind.  Es  ist  wahr,  bindu 
bedeutet  0,  siva  mag,  wie  isvara,  samkara,  11  bedeuten,  und  eka 
ist  1;  aber  daß  etwas  mit  diesem  Datum  nicht  in  Ordnung  ist, 
zeigen  die  Worte  ambudhivatsare,  die,  wenn  bindusivaika  1110  be- 
deuten, keinen  Sinn  geben.  Und  ich  möchte  hinzufügen,  daß  ich 
das  Wort  samvat,  decliniert,  bis  jetzt  nur  in  ganz  modernen  Daten 
gefunden  habe.  Daß  aber  Dya  Dviveda  lange  nach  1053  n.  Chr. 
gelebt  hat,  folgt  schon  daraus,  daß  er  Shadgurusishyas  Commen- 
tar  zur  Sarvänukramani  citiert,  für  dessen  Abfassungszeit  der 
Verfasser  selbst  uns  den  Tag  des  Kaliyuga  1565132 ,  d.  i.  den 
24ten  März  1184  n.  Chr.,  oder,  mit  andern  Worten,  den  Tag  der 
Meshasamkränti ,  mit  dem  Kaliyuga  4285  —  Saka  1106  endete, 
gegeben  hat. 

Die  folgenden  zwei  Verse    samt   ihrer  Erklärung   sind   dem 
zweiten  Capitel  der  Nitimanjari  entnommen. 
Apräptayauvanayä  saha  safigo  na  kärya  ita  aha  | 

Sahäromakayä  saügo  nakartavyo  naraih  striyä  | 

Bhävayavyobhaj  aj  jnätvä  Romasärii  präptaromakäm  || 
Aromakayäpräptalomnyä  striyä  saha  sango  narair  na  kartavyah  | 
Bhävayavyadrishtäntena  dradhayati  |  yathä  Bhävayavyo  räjä  Ro- 
mas'äih  striyaiii  präptaromakärii  jätalomnim  jnätväbhajat  bheje  || 
Akhyänapürvike  richau1)  | 

Agadhitä  pärigadhitä  ya  kas'ikeVa  jäügahe  | 

dädäti  mähyaiii  yaduri  yäsünäm  bhojyä  s'atä'  || 

üpopa  me  pärä  mris'a  mä'  me  dabhrä'ni  manyathäh  | 

särvähäm  asmi  romas'ä'  gandharinäm  ivävikä'  || 
Bhävayavya-Romasayor  dampatyoh  samväda  ity  anukramani  || 
Tathä  Brihaddevatä2)  | 

Panchämandän  Bhävayavyasya  gitä 
jäyäpatyor  dve  richau  sampravädah  | 

1)  Rigveda  I,  126,  6  und  7. 

2)  Ygl.  Brihaddevatu  III,  155-IV,  3. 


184  F.  Kielhorn, 

prädäch  clia  tarn  Homasäih  näma  sämnä 
Brihaspatir  Bhävayavyäya  räjne  || 

Tatas  tat  sarvam  Harivän  viditvä 

priyaiii   sakhäyam  Svanayam    didrikshuh  | 

abhyäjagämätha  S  achisametah 

pratyarchitas  tad  vidhinä  cha  räjnä  || 

Abhyäjagämängirasi  cha  tatra 

drishtvä  tayoli  sä  charanau  vavande  | 

Indrah  sakhitväd  atha  tarn  uvächa 
romäni  te  santi  [na  santi]  *)  räjfii  || 

Sä  bälabhäväd^  atba  samjagäda 
romäni  me  Sakra  parämriseti  | 
Sambhogäya  prärthito  Bhävayavyah  svabhäryäiii 2)  Romasäm  aprau- 
dhärii  matvä  parihasann  anushtubhäha  ||  Ayam  artbah  |  bbojyä  bbo- 
gayogyaishägadhitä  ä  samantäd  gribitä  svikritä 3)  |  tatbä  parigadhitä 
parito  gadbitä  |  ädarärthaiii  punarvacbanam  |  gadhyam  grihnäter  iti 
Yäskah  |  yadvä  ägadhitä  ä  samantäd  bbävena  mis'rayanti  |  äntaram 
prajananena4)  bähyam  bhnjädibbir  ity  arthah  |  gadbyatir  misribhäva- 
karmeti  Yäskah  |  pürvapakshe  purushasya  prädhänyam  nttarapakshe 
yoshita  iti  bhedah  |  kidrisa  sä  |  yä5)  jangahe  atyartham  grihnäti 
kadäpi  na  mnnchati  |  atyäge  drishtäntah  kas'ikeva  |  kasikä  näma 
sütavatsä 6)  nakuli  sä  yathä  patyä  saha  chirakälam  kridati  kadäpi 
na  munchati  tathaishäpi  |  kimchaishä  bhojyä  7)  yäduri  |  yädur  ity 
ndakam  |  retolakshanam  udakam  räti8)  ädadäti  |  bahuretoyuktety 
arthah  |  tädrisi  sati  yäsTmäm  saihbhogänäm  |  yäsnr  iti  prajanana- 
näma  |  tatsaiiibandhini  karmäni  yäsuni  bhogäh  |  teshäm  satä  satäni 
mahyaiii  dadätiti  parihasantam  svabhartäram  praty  äha  |  upopa  ma 
iti  |  bhoh  pate  me  mäm  |  dvitiyärthe  chaturthi  |  upopa  upetyopetya 
parämris'a  samyak  spris'a  |  bhogayogyäm  avagachchhety  arthah  |  me 
mamäiigäni  dabhräni  alparomäni  |  dabhram  arbhakam  alpasyeti  Yäs- 
kah |  mä  manyathä  mä  budhyasva  |  adabhratvaih  visadayati  |  aharii 
sarvä  romas'ä  bahuromayuktäsmi  |  yatoham  ldri&y  atah  sampürnäva- 
yaväsmi  |  romas'atve  drishtänto  gandhäririäm  avikeva  |  Gandhärä 
desäs  teshäm  sambandhiny  avijätir  iva  |  taddesasthä  avayo  meshä 


1)  Die  Worte  in  Klammern  fehlen. 

2)  MS.  svabhävam. 

3)  MS.  tsvikritä;  vielleicht  matsvikritä. 

4)  MS.  prajanena. 

5)  MS.  om. 

6)  MS.  sütavatsä  yä  nakuli  sä  kadäpi  na  munchati  yathä. 

7)  MS.  bhogyä. 

8)  MS.  udakam  eti. 


Die  Nitimanjari  des  Dyä  Dviveda.  185 

yathä  romas'äs  tathäham  asmi  |  yadvä  yatliä  gandhärinäm  garbhadhä- 
rininäm  strinäm  avikätyantam  tarpayanti  yonir  iva  |  täsäiii  äprasa- 
varii  romädikartanasya  s'ästre  nishiddhatväd  yoni  romas'ä  bhavati  |  ya- 
toham  idris'y  ato  mäm  apraudhäm  mä  budhyasveti  ||  Sämagrihye1)  | 
näjätalomnyopahäsam  ichchhed  iti  ||  Tatbä  Karmapradipe  | 
ajätavyafijanälomni  na  tayä  saha  samvis'ed  iti  || 
Agnir  ärädhya  ity  artha  aha  | 

Dhimadbhiragnirärädhyoyamvinänasukhibhavet| 
mukto  Dirghatamäh  s'äpäd  agninä  lii  Brihaspateh  || 
Dhiinadbhir  buddhimadbhir  viprair  agnir  ärädliyo  yam  agnim  vinä 
na  sukhi  bhavet  |  brähmanasyägneh  sukham  bhavatity  artbah  |  bi 
yasmäd  Dirgbatamä  rishir  Bribaspateh  säpäd  agninä  mocbitah  2)  || 
Taddarsanäyetibäsah3)  |  Uebathya-Brihaspatinämänau  dväv 
risbi  ästäm  |  tatrocbatbyasya  Mamatä  näma  bbäryä  sä  cba  garbbini 
täm  Bribaspatir  gribitväramayat  |  s'ukranirgamanävasare  präpte  gar- 
bbastbaiii  retah  prävädit  |  be  mune  reto  mä  tyäksbih  pürvam  abam 
samvasämi  retahsaihkaraih  mä  kärsbir  iti  |  evam  nkto  Bribaspatir 
balät  pratiruddbaretaskab  saii  s'asäpa  |  be  garbba  tvarii  yato  reto- 
rodbam  akaror  atas  tvaih  dirgbam  tamah  präpnubi  jätyandbo  bba- 
veti  |  evam  s'äpato  Dirgbatamä  ajäyata4)  |  sa  ntpannas  tamovya- 
yäy agnim  astausbit  |  sa  cba  stntyä  prita  ändhyam  paryabarad 
iti||Tatbänukramanibbäsbye5)  | 

Itibäso  hetubhüto  vispasbtäya  pravarnyate  || 
Prajäpateb  pntra  äsid  Afigirä  näma  vai  munih  | 
tasya  puträs  trayas  tv  äsams  tretägnisamatejasah  || 
Ucbatbyo  jyesbtba  ity  eva  madbyamas  tu  Bribaspatih  | 
Samvartas  tu  kanishtbotba  jyesbtbo  gunaganair  vibbuh  || 
Ucbatbyabbäryä  Mamatä  nämnäsid  varavarnini 6)  | 
Ucbathyähitagarbhäm  täm  cbakametba  Brihaspatih  || 
Ucbathyaputro  Mamatägarbbastbovocbad  uttaram  | 
jyesbthapatnim  mätrikalpäih  mainäiii7)  ganturii  manah  kritbäb  || 
amogbaretäs  tvam  cbäsi  na  dvayor  iba  sambbavah  | 
iti  garbbavacbab  srutvä  s'as'äpaiiiam  Bribaspatih  || 
dirgham  tamas  tvam  [pravisa  ma]  8)dväkyäd  andha  eva  vä  | 
tato  Dirgbatamä  näma  Ucbathyatanayobbavat  || 

1)  Vgl.  Gobhiliyagrihyasütra  III,  5,  3. 

2)  MS.  hat  hier  noch  agneh  sukhi  bhavety  arthah. 

3)  Vgl.  Säyana  zu  Rigveda  I,  147,  3. 

4)  MS.  ajäyateti. 

5)  Vgl.  Shadgurusishyas  Vedärthadipikä,  Macdonell's  Ausgabe,  S.  127. 

6)  MS.  vamsavarniiii. 

7)  MS.  nainäm  gantu  mano  krithäh. 

8)  Die  Sylben  in  Klammern  fehlen  im  MS. 


136  F.  Kiel  hörn,  Die  Nitimanjari  des  Dyä  Dviveda. 

Tathä  Brihaddevata1)  | 
Dvä  Uchathya-Brihaspati  rishiputrau  babhüvatuh  | 
äsid  Uchathyabhäryä  tu  Mamatä  näma  Bhärgavi  || 
tarn  yaviyän  2)  Brihaspatir  maithunäyopachakrame  | 
s'ukrasyotsargakäle  tu  garbhas  tarn  pratishedhati  || 
ibäsmin 8)  pürvasambbüto  na  käryah  s'ukrasamkarah  | 
taiii  s'ukrapratighätam  tu  Brihaspatir  amarsbayat 4)  || 
sa  vyäjahära  garbham  taiii  tamas 5)  te  dirgham  astv  iti  | 
sa  cha  Dirghatamä  näma  babbüvarshir  Uchathyajah  || 
sa  jätobbyätapad 6)  de  van  akasmäd  andhatäm  gatah  | 
dadau  devah  stuto  7)  netre  tatonandbo  babbüva  sah  ||  iti  || 
Asminn  artha  rik8)  | 
Ye  päyävo  mämateyäih  te  agnepasyanto  andham  duriti'd  arakshan  | 
raraksha  täh  sukrito  visvavedä  dipsanta  ld  ripavo  nä'ha  debhuh  || 

Dirghatamäs   trishtubhägniiii   tushtäva  | he   agne   te 

tava  sambandhino  ye-päyayah  prasiddhäh  pälayitäro  rasmayo  mä- 
mateyäih Mamatäyäii  putram  Dirghatamasam  andham  pasyanto 9) 
rakshaniyosmäbhir  ity  avagachchhanto  duritäd  duhkhäd  ändhyäd  10) 
arakshams  tan  ras'mm  sukritah  sukhakartrin  vis'vavedä  visvapraj- 
nogni  raraksha  rakshati  |  asmatpälanäyeti  bhävah  |  tair  asmän  raksha- 
tity  arthah  |  evam  rakshitän  asmän  dipsanto  dambhitum  ichchhanto 
ripavah  kämädayo  näha  debhuh  |  na  khalu  dambhitum  s'aknuvanti  || 
tän  |  ähuh  sakärodayayos  takäram11)  iti  nakärasya  pakshe  takä- 
rägamah  ||  Evam  dhimadbhir  agnir  ärädhya  iti  siddham  |  uktam 
cha  | 
Ekäham  api  karmastho  yognirii  s'usrüshanah  suchih  | 
nayaty  atra  tad  eväsya  s'atäham  divi  jäyate  ||  iti  || 


1)  Vgl.  Brihaddevata  IV,  11—15. 

2)  MS.  täm  abravid  Brihaspatir. 

3)  Lies  ihäsmi. 

4)  Lies  amarshayan  (?),  und  vgl.  die  Ausgabe. 

5)  MS.  tatas. 

6)  Lies  abhyäpatad  (?). 

7)  MS.  stutam. 

8)  Rigveda  I,  147,  3. 

9)  MS.  pasyantah  ikshaniyo. 

10)  MS.  ändhyatväd. 

11)  Rikprätisäkhya  IV,  6. 


E.  N  e  s  1 1  e,  eine  denkwürdige  Sitzung  der  K.  Gesellschaft  der  Wissenschaften.    187 


Eine  denkwürdige  Sitzung  der  königlichen 
Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Von 
Eberhard  Nestle. 

Vorgelegt  von  Paul  de  Lagarde1). 

Eine  denkwürdige  Sitzung  der  K.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften war  und  bleibt  diejenige,  in  welcher  Gr.  F.  Grotefend 
seine  praevia  de  cuneatis,  quas  vocant,  inscriptionibus  Persepoli- 
tanis  legendis  et  explicandis  relatio  der  Gesellschaft  vorlegte  und 
die  Entzifferung  der  ganzen  Keilschrift-Litteratur  begründete.  Da 
einer  der  Hauptassyriologen  Deutschlands  neuerdings  zweimal  das 
atum  jener  Sitzung  falsch  angegeben  hat  —  Friedrich  De- 
itzsch  1889  in  seiner  Assyrischen  Grammatik  (S.  4)  und  nach  2 
ahren  aufs  neue  in  seiner  -»Geschichte  JBabyloniens  und  Assyriens« 
Zweite  Auflage  des  gleichnamigen  Werks  von  F.  Mürdter,  Calw 
und  Stuttgart  1891  S.  8) ,  beidemal  als  14.  Sept.  1802  — ,  so  sei 
gestattet,  hier  festzustellen,  daß  die  andern  Recht  haben,  welche 
als  Tag  jener  Sitzung  den  4.  Sept.  des  genannten  Jahrs  verzeichnen. 
S.  den  2.  Band  der  Anzeigen  von  1802,  Stück  149  vom  18.  Sept. 
Zu  dem,  was  Fr.  Hommel  in  seiner  »Geschichte  JBabyloniens  und 
Assyriens«  S.  65  ff.  aus  der  angeführten  Nummer  ausgezogen  hat, 
möge  weiter  hier  bemerkt  werden,  daß  der  Bericht  über  Grote- 
fend's  relatio  nicht  bloß  *wahr scheinlich  Prof.  Tychsen  zum  Verf. 
hatte«,  sondern  sicher  von  demselben  herrührt.  Die  Tübinger  Uni- 
versitätsbibliothek besitzt  von  den  Anzeigen  das  Exemplar,  das 
einst  dem  trefflichen  Jerem.  Eeuß  gehörte,  dem  Schwiegersohn 
ihres  damaligen  Herausgebers  Heyne,  in  welchem  Reuß  durch  lange 
Jahrgänge  hindurch  allen  Anzeigen  die  Namen  ihrer  Verf.  beige- 
schrieben hat,  so  dem  hier  genannten  den  Tychsen s.  Bestätigt 
wird  dies  durch  die  seither  von  Wüstenfeld  veranstaltete  Zu- 
sammenstellung: Die  Mitarbeiter  an  den  Göttingischen  Gelehrten 
Anzeigen  in  den  Jahren  1801—1830,  (Beilage  zu  den  Nachrichten 
von  1887  S.  80). 

Einen  weiteren  Irrthum  über  jene  »epochemachende  Abhandlung 
Grotefend's«   verbreitet  Kaulen  noch  in   der  vierten  Auflage 

1)  [  Vergleiche  löhFlemming  in  den  von  FDelitzsch  und  PHaujot  herausgegebenen 
Beiträgen  zur  Assyriologie  1  86.] 


188  Fr-  Schilling, 

seines  Werks  »Assyrien  und  Babylonien  (1891)«,  wenn  er  S.  118 
sagt,  daß  erst  nach  13  Jahren  Heeren  »dieselbe  als  Beilage  zur 
dritten  Auflage  seiner  bekannten  Ideen  über  die  Geschichte  der 
alten  Völker«  veröffentlicht  habe.  Was  das  genannte  Werk  I,  1 
563 — 603  von  (xrotefend  enthält,  ist  nicht  jene  grundlegende 
praevia  relatio  selber.  Endlich  nennt  keiner  den  Namen  »des  ersten 
Gehilfen  und  Freundes«,  der  ihn  zu  seinem  Entzifferungsversuch 
überhaupt  angeregt,  ihm  in  den  ersten  8—14  Tagen  treulich  bei- 
stand und  die  »für  einen  einzelnen  Menschen  ohnehin  allzumühse- 
lige Arbeit  sehr  erleichtern  half«,  den  des  damaligen  Bibliothek- 
sekretärs, nachherigen  mag.  leg.  Fiorillo  (s.  Grotefend  bei 
Heeren,  1.  c.  und  noch  »Tributverzeichnisse«  1852  S.  3.  89);  und 
keiner  erwähnt,  was  jene  Sitzung  doppelt  denkwürdig  erscheinen 
läßt,  daß  in  derselben  gleichzeitig  über  den  Stein  von  Rosette  die 
ersten  genaueren  Mitteilungen  in  Deutschland  gemacht  wurden. 
Heyne  berichtete  damals  über  das  von  London  gekommene  Fak- 
simile des  griechischen  Teils  der  Inschrift  »welche  vielleicht  der 
Schlüssel  werden  kann,  die  heilige  und  die  gemeine  ägyptische  Schrift, 
wo  nicht  zu  enträthseln,  doch  etwas  näheres  davon  zu  errathen«  (s.  Stück 
148  der  Anzeigen  vom  16.  Sept.  1802).  So  damals,  und  heute! 
Wären  wir  so  weit,  als  wir  sind,  wenn  jene  Alten  nicht  vielfach 
etwas  pünktlicher  gewesen  wären,  als  viele  Neueren?  denen  man 
immer  wieder  das  Wort  B  eng  eis  zurufen  muß,  das  Weste  ott- 
H  o  r  t  nicht  umsonst  an  den  Schluß  ihres  Neuen  Testaments  gesetzt 
haben:  »eorum  qui  praecessere  neque  defectum  exagitabimus  neque 
ad  eum  nos  adstringemus ;  eorum  qui  sequentur  profectum  neque 
postulabimus  in  praesenti  neque  praecludemus  in  posterum  :  quaeli- 
bet  aetas  pro  sua  facultate  veritatem  investigare  et  amplecti  fideli- 
tatemque  in  minimis  et  maximis  praestare  debet. 
Tübingen,  13.  Mai  1891. 


Ueber  die  geometrische  Bedeutung  der  Formeln 

der  sphärischen  Trigonometrie  im  Falle 

complexer  Argumente. 

Von 

Fr.  Schilling. 

(Vorgelegt  von  F.  Klein). 

Die  Formeln  der  gewöhnlichen  sphärischen  Trigonometrie  las- 
sen sich  bekanntlich  ansehen  als  Relationen  zwischen  den  3  Kan- 


zur  sphärischen  Trigonometrie.  189 

tenwinkeln  A,  {i,  v  und  den  3  Seitenwinkeln  l,  m,  n  eines  räumli- 
chen Dreikants,  dessen  Scheitel  im  Kugelmittelpunkt  liegt,  und 
dessen  Kanten  die  Schnittgeraden  der  3  Seitenebenen  des  vorlie- 
genden sphärischen  Dreiecks  sind.  Von  diesem  Umstände  ausge- 
hend kann  man  die  Frage  stellen : 

„Lassen  die  Formeln  der  sphärischen  Trigonome- 
trie nicht  auch  eine  einfache  geometrische  Deutung 
zu,  wenn  man  in  denselben  den  Größen  A,  p,  v;  l,  m,  n 
nicht  mehr  reelle,  sondern  komplexe  Werte  beilegt?" 

Ich  habe  in  Beantwortung  dieser  Frage  folgendes  gefunden: 

Man  setze  zunächst: 

k  ==  K  +  *Ki      l  =  v  +  *'*"» 

p  =  fi'+  i[i",       m==  m'+  im", 
v  =  v  +  iv";        n—n'+  in". 

Man  betrachte  alsdann  das  Gebilde  dreier  beliebig  im  Räume 
gelegenen,  gegen  einander  windschiefen  Geraden  I,  II,  III,  welche 
die  Kugel  in  reellen  Punkten  schneiden,  und  konstruiere  die  drei 
inneren  kürzesten  Abstände,  welche  im  Sinne  der  nicht-Euklidi- 
schen Geometrie  oder  (um  jedes  Streifen  metaphysischer  Fragen 
zu  vermeiden)  im  Sinne  der  auf  die  Kugel  zu  gründenden  projek- 
tiven Maßgeometrie  zwischen  je  zweien  der  Geraden  I,  II,  III 
stattfinden.     Es  sei  hierbei  allgemein  der  Abstand  zweier  Punkte 

wie   der  Winkel  zweier  Ebenen   definirt  als  ~  •  log  DF,   wo  DV 

das  Doppelverhältnis  bedeutet,  welches  die  beiden  Punkte  resp. 
Ebenen  mit  den  reellen  oder  imaginären  Elementen  ihres  Trägers 
bilden,  die  der  Fundamentalfläche  angehören,  [d.h.  mit  den  Schnitt- 
punkten der  Verbindungslinie  der  beiden  Punkte  mit  der  Kugel 
resp.  den  Tangentialebenen  durch  die  Schnittgerade  der  beiden 
Ebenen  an  die  Kugel].  Man  bezeichne  dann  den  Winkel  der  je- 
desmaligen beiden  Ebenen ,  welche  durch  je  eine  der  Geraden  I, 
II,  III  und  die  zu  ihr  gehörigen  kürzesten  Abstände  sich  legen 
lassen,  bez.  mit  X\  \jl  ,  v,  dagegen  die  durch  die  kürzesten  Abstände 
auf  den  Geraden  I,  II,  III  abgeschnittenen  Längen  mit  il",  iji",  iv". 
Entsprechend  setze  man  den  Winkel  der  beiden  Ebenen,  die  sich 
durch  je  einen  der  kürzesten  Abstände  und  die  zugehörigen  bei- 
den Geraden  legen  lassen,  gleich  l',  m',  n',  die  Länge  der  kürzesten 
Abstände  selbst  gleich  il",  im",  in",  wo  sich  V  und  il"  z.B.  auf 
den  kürzesten  Abstand  der  Geraden  II,  III  beziehen  sollen. 
Das  Resultat  meiner  Betrachtung  war  dann  das  folgende; 


190  Fr.  Schilling,  zur  sphärischen  Trigonometrie. 


„Setzt  man  die  so  definirten  Größen  in  der  oben 
angegebenen  Weise  zn  den  6  Größen  A,  [i,  v\  l,  m,  n 
zusammen,  so  bestehen  zwischen  den  letzteren 
grade  die  Formeln,  wie  sie  die  Relationen  der  ge- 
wöhnlichen sphärischen  Trigonometrie  darstel- 
len.« 

Es  ist  nicht  schwer,  die  hiermit  angedeuteten  allgemeinen  Be- 
trachtungen für  den  Fall,  daß  die  drei  Geraden  I,  II,  III  sich  in- 
nerhalb oder  außerhalb  der  Kugel  in  einem  Punkte  schneiden 
oder  in  einer  Ebene  liegen,  zu  spezialisieren. 

Ich  möchte  diesen  Angaben  jedoch  noch  die  folgende  Bemer- 
kung hinzufügen: 

Die  angegebene  Erweiterung  der  Bedeutung  der  sphärischen 
Formeln  hängt  auf's  engste  zusammen  mit  folgender  Beziehung: 

"Wenn  man  im  Falle,  daß  die  drei  Geraden  I,  II,  III  sich 
im  Mittelpunkte  der  Kugel  schneiden,  um  dieselben  nach  einan- 
der Drehungen  des  Gesammtraumes  (im  nicht-Euklidischen ,  oder, 
was  auf  dasselbe  hinauskommt,  im  gewöhnlichen  Euklidischen 
Sinne)  ausführt  entspr.  um  die  doppelten  Winkel  des  zugehörigen 
sphärischen  Dreiecks,  so  geht  der  Raum  bekanntlich  in  sich  selbst 
über.  (Vgl.  Hamilton,  Lectures  on  Quaternions  1853,  Art.  280 
und  346).  Dem  entspricht  nun  bei  unseren  windschiefen  Geraden 
I,  II,  III  der  folgende  Satz: 

„Führt  man  um  die  Geraden  I,  II,  III  als  Schrau- 
benaxennach  einander  drei  nicht-Euklidische  Schrau- 
benbewegungen  aus,  deren  Drehwinkel  und  Ver- 
schiebungsgröße beziehungsweise  gegeben  sind  durch 

2(A'  +  U"),    2(p'  +  ip"),    2(v'+iv"), 

so   kommt   der  Raum   gleichfalls  in  seine  ursp  rüng- 
liche  Lage  zurück.« 

Der  Beweis  dieses  letzten  Satzes  ist  besonders  einfach  mii 
Benutzung  des  Hülfssatzes  zu  führen,  daß  jede  Schraubenbewe- 
gung sich  durch  die  Aufeinanderfolge  zweier  Rotationen  von  dei 
Periode  2  ersetzen  läßt. 


Inhalt  von  Nr.  5. 

Paul  de  Lagarde ,  Arabes  mitrati.  —  Samech.  —  F.  Kielhom,  dio  Vikrama-Aera.  —  Die  Nitimanjari  de 
des  Dyä  Dviveda.  —  Eberhard  Nesüe,  eine  denkwürdige  Sitzung  der  königlichen  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften. —  Fr.  Schilling,  über  die  geometrische  Bedeutung   der  Formeln  der  sphärischen  Trigonometr 
im  Falle  complexer  Argumente. 

Für  die  Kedaction  verantwortlich:    H.  Sauppe,  Secretar  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 
Commissions-Verlag  der  Dieterich' sehen  Verlags- Buchhandlung. 
Druck  der  Dieterich' sehen  Univ.- Buchdruckerei  ( W.  Fr.  Kaestner). 


Nachrichten 

von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg-  Augusts  -  Universität 

zu   Göttingen. 


12.  August.  Jfä  6.  1891, 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  6.  Juni. 


Zur  Moleculartheorie  der  piezoelectrischen  und 
pyroelectrischen  Erscheinungen. 

Von 

Eduard  Blecke. 

Als  ich  begann,  mich  mit  den  pyroelektrischen  Erscheinungen 
des  Turmalins  in  ausführlicherer  Weise  zu  beschäftigen,  war  meine 
Absicht  später  in  entsprechender  Weise   die  piezoelektrischen  Er- 
scheinungen   desselben  zu  untersuchen  und    der  Bearbeitung   des 
Turmalins  eine  möglichst  umfassende  quantitative  Erforschung  der 
beim  Quarz  beobachteten  Erscheinungen  folgen  zu  lassen.    Es  war 
im  Wesentlichen  ein  molekulartheoretisches  Interesse,  welches  sich 
für  mich  an  jene  Studien  knüpfte.    Die  längst  bekannten  Erschei- 
mngen   des    Turmalins   schienen  zu  der  Auffassung    zu   drängen, 
laß   den    Molekeln    desselben    eine    elektrische  Polarität   in    der 
Achtung  der  Hauptaxe  von  Hause  aus  zukomme,  eine  Auffassung, 
reiche  zuerst  von  William  Thomson  ausgesprochen  worden  ist. 
>ie  Gesetze,   welche  auf  Grund  dieser  Vorstellung  für  die  pyro- 
ilektrischen  Erscheinungen  des  Turmalins  sich  ergeben ,    habe  ich 
durch  eine  große  Zahl  von  Beobachtungen  bestätigt.     Es  lag  nun 

Nachrichten  Ton  der  K.G.  d.  W.  tu  liöUingen.  1891.  Nr.  6.  15 


J92  Eduard  Riecfee, 

die  Vermuthung  nahe,   daß   auch   die   elektrischen  Erscheinungen 
anderer  Crystalle  durch  die  Annahme  einer  elektrischen  Polarität 
ihrer   Molekeln   zu   erklären   sein   würden;    was   die   Vertheilung 
der  Pole  anbelangt,  so  war  es  natürlich,  anzunehmen,  daß  dieselbe 
mit  den  Symmetrieverhältnissen  des  betreffenden  Crystalls  in  Ueber- 
einstimmung  sich  befinde ;  so  habe  ich  gelegentlich *)  die  Vermuthung 
ausgesprochen,  daß  die  Molekeln  des  Quarzes  in  einer  zu  der  Axe 
desselben    senkrechten  Ebene   von  einem  Systeme  von  Polen  um- 
geben sein  könnten,    welche   abwechselnd  positiv  und  negativ  die 
Ecken   eines   regulären   Sechseckes  bildeten.      Zu    einer  weiteren 
Verfolgung   dieser  Vorstellung,    zur  Aufstellung  irgend  einer  be- 
stimmten Hypothese,    wie    aus   derselben   die  bei  elastischen  oder 
thermischen  Deformationen    des  Quarzes   auftretenden  elektrischen 
Wirkungen  zu  entwickeln  sein  würden,  war  ich  noch  nicht  gelangt. 
Ich  glaubte  aber  eine  weitere  Stütze  für  dieselbe  in  dem  elastischen 
Verhalten  der  Crystalle  finden  zu  dürfen.   Mein  verehrter  Freund 
Voigt  hat  gezeigt,  daß  man  die  allgemeine  Form  des  elastischen 
Potentiales,  wie  sie  den  Crystallen  zukommt,  auf  Grund  moleku- 
lartheoretischer Anschauungen  gewinnen  kann,  sobald  man  den  Mo- 
lekeln  eine  polare  Wechselwirkung  zuschreibt.     Auf  der  anderen 
Seite  schienen  mir  die  Beobachtungen  von  Voigt  zu  zeigen,  daß 
diejenigen  Crystalle,  welche  kräftige  elektrische  Wirkungen  äußern, 
auch   in  ihrem  elastischen  Verhalten   eine   starke  polare  Wirkung 
der  Molekeln  erkennen  lassen,  und  daran  knüpfte  ich  die  Vermu- 
thung,  daß  die  elastischen  Eigenschaften  der  Crystalle  gleichfalls 
auf  einer  elektrischen  Polarität  der  Molekeln  beruhen  möchten2). 
Inzwischen  hat  die  Lehre  von  den  piezoelektrischen  und  pyroelek- 
trischen  Erscheinungen  einen  ungemeinen  Fortschritt  gemacht  durch 
die  von  Voigt  aufgestellte  allgemeine  Theorie.    Als  das  wesent- 
liche Fundament  derselben  erscheint  der  Gedanke ,    daß   bei  Cry- 
stallen durch  elastische  oder  thermische  Deformationen  elektrische 
Momente  erzeugt  werden  können,  deren  Componenten  lineare  Func- 
tionen der  Dilatationen  sind.    Indem  Voigt   diese  letzteren  den 
durch  die  Symmetrieverhältnisse  der  einzelnen  Crystallgruppen  ge- 
gebenen Bedingungen  unterwarf,    gelang  es  ihm,    den  Zusammen- 
hang der  elektrischen  Erscheinungen  für  sämmtliche  Crystallformen 
in  übersichtlicher  Weise  zu  entwickeln.    Die  von  ihm  aufgestellten 
Formeln   sind  von   uns  beiden  bei  Turmalin  und  Quarz  einer  ex- 
perimentellen Prüfung  unterworfen  worden,  durch  welche  ihre  Kich- 


1)  Chem.  Ber.    1888.    S.  950. 

2)  Nachr.  v.  d.  K.  G.  d.  W.  zu  Göttingen.    1887.    S.  151. 


zur  Moleculartheorie  der  piezoelectrischen  u.  pyroelectrischen  Erscheinungen.     193 

tigkeit  erwiesen  sein  dürfte.  Das  Bedürfniß  der  experimentellen 
Physik  ist  hiernach  dnrch  die  von  Voigt  gegebene  Theorie  voll- 
ständig befriedigt;  alle  Crystalle,  welche  kein  Centrum  der  Sym- 
metrie besitzen ,  erscheinen  der  elektrischen  Erregung  fähig ;  bei 
allen  lassen  sich  die  Erscheinungen,  welche  bei  irgend  einer  gege- 
benen Vertheilung  des  Druckes  oder  der  Temperatur  eintreten  müs- 
sen, zum  Voraus  berechnen,  wenn  gewisse  piezo-  oder  pyro-elektri- 
sche  Constanten  bestimmt  sind,  deren  Anzahl  von  den  Symmetrie- 
eigenschaften des  Crystalls  abhängig  ist.  Immerhin  ist  es  aber 
nicht  ohne  Interesse,  die  Frage  weiter  zu  verfolgen,  wie  es  mög- 
lich ist,  daß  eine  einfache  elastische  oder  thermische  Verschiebung 
der  Molekeln  zur  Entstehung  von  elektrischen  Momenten,  also  zu 
elektrischen  Verschiebungen  Veranlassung  giebt.  Mit  Bezug  hier- 
auf ist  es  von  Wichtigkeit,  daß  die  früher  mit  Bezug  auf  die  elek- 
trische Natur  des  Turmalins  aufgestellte  Anschauung  ihrem  we- 
sentlichen Inhalte  nach  durch  die  allgemeinere  Theorie  von  Voigt 
gleichfalls  gefordert  wird.  Nach  derselben  existiert  zwar  für  den 
Turmalin  eine  bestimmte  Reihe  zusammengehöriger,  durch  eine 
lineare  Eelation  verbundener  Werthe  der  Temperatur  und  des  all- 
seitig gleichen  Druckes,  bei  welchen  das  elektrische  Moment  in 
der  Richtung  der  Hauptaxe  verschwindet  j  bei  allen  anderen  Tem- 
peraturen und  Drucken  ist  aber  ein  permanentes  Moment  in  der 
Richtung  der  Axe  vorhanden,  welches  durch  eine  entgegengesetzt 
elektrische  Obernäckenschicht  in  seinen  Fernwirkungen  kompen- 
siert sein  muß.  Die  Existenz  eines  solchen  permanenten  Mo- 
mentes wird  aber  kaum  anders  zu  deuten  sein,  als  durch  die  frü- 
here Annahme  einer  elektrischen  Polarisation  der  Molekeln  in  der 
Richtung  der  Axe.  Was  nun  die  Crystalle  anbelangt,  welchen 
wie  dem  Quarz  ein  permanentes  elektrisches  Moment  nicht  zukom- 
men kann,  so  muß  man  doch  jedenfalls  annehmen,  daß  in  denselben 
in  Folge  einer  Deformation  elektromotorische  Kräfte  enstehen, 
welche  in  den  einzelnen  Volumelementen  elektrische  Momente  in- 
ducieren.  Diese  elektromotorischen  Kräfte  müssen  ihre  Existenz 
irgend  einer  Vertheilung  elektrischer  Massen  verdanken  und  es 
liegt  nun  wiederum  nahe,  anzunehmen,  daß  diese  elektrischen  Mas- 
sen nicht  erst  durch  die  Deformation  ezeugt  werden,  sondern  daß 
sie  schon  vorher  vorhanden  sind  und  nur  in  ihrer  Wirkung  modi- 
ficiert  werden,  so  daß  inducierende  Kräfte  entstehen,  welche  den 
beobachteten  elektrischen  Ladungen  entsprechen. 

Somit  gelangen  wir  zu  der  folgenden  Vorstellung.  D  i  e  M  o  1  e- 
keln  derCrystalle  sind  umgeben  vonSystemen  elek- 
trischer Pole,    welche  in  ihrer  Anordnung  dieselben 

15* 


194  Eduard  Riecke, 

Sy mmetrieeigenschaften  besitzen  wie  die  Crystalle 
selbst.  Sofern  die  hierdurch  gegebene  Vertheilung  elektrischer 
Massen  an  und  für  sich  ein  elektrisches  Moment  besitzt,  sind  ihre 
Fernwirkungen  durch  eine  dem  Crystall  äußerlich  aufliegende  ent- 
gegengesetzt elektrische  Schichte  kompensiert.  Wird  der  Zustand 
des  Druckes  und  der  Temperatur,  unter  welchen  sich  der  Crystall 
befand,  irgendwie  geändert,  so  werden  die  Mittelpunkte  der  Mo- 
lekeln bestimmte,  gegenseitige  Verschiebungen  erleiden;  es  werden 
außerdem  die  Molekeln  um  ihre  Mittelpunkte  gedreht  und  es  wer- 
den endlich  auch  die  mit  ihnen  verbundenen  Polsysteme  Verände- 
rungen erleiden  können.  Von  dieser  letzteren  Möglichkeit  werden 
wir  im  Folgenden  absehen  und  uns  beschränken  auf  die  Unter- 
suchung der  Wirkung,  welche  von  den  beiden  ersten  Veränderun- 
gen herrührt.  Es  ergiebt  sich,  daß  in  Folge  derselben  auf  die 
Mittelpunkte  der  Molekeln  elektromotorische  Kräfte  ausgeübt  wer- 
den, welche  von  den  gegebenen  Dilatationen  abhängig  und  für  alle 
Molekeln  dieselben  sind.  Wir  zerlegen  diese  Kräfte  in  Compo- 
nenten  nach  den  Axen  eines  Coordinatensystems ,  dessen  Lage 
den  Symmetrieverhältnissen  des  Crystalls  entspricht;  wir  machen 
die  Annahme ,  daß  in  den  Molekeln  des  Crystalls  elektrische  Mo- 
mente erzeugt  werden,  welche  gleich  den  Componenten  der  indu- 
cierenden  Kraft  multipliciert  mit  gewissen  dem  Crystall  eigen  thüm- 
lichen  Constanten  sind.  Man  erhält  auf  diese  Weise  Formeln,  durch 
welche  die  in  der  Richtung  der  Coordinatenaxen  inducierten  Mo- 
mente mit  Hilfe  der  gegebenen  Dilatationen  dargestellt  werden  und 
es  ergiebt  sich,  daß  diese  Formeln  identisch  sind  mit  den  Grrund- 
formeln  der  Voigt' sehen  Theorie.  Es  ist  damit  gezeigt,  daß  die 
von  mir  vorgeschlagene  Molekulartheorie  zu  demselben  Resultate 
führt,  wie  der  allgemeine  Ansatz  der  Voigt' sehen  Theorie  in  Ver- 
bindung mit  den  Symmetrieeigenschaften  der  Crystalle. 

Wir  beschränken  uns  im  Folgenden  auf  die  Betrachtung  der 
Gestalten  des  quadratischen,  hexagonalen  und  regu- 
lären Systems.  In  den  beiden  ersteren  Fällen  wählen  wir  die 
£-Axe  so,  daß  sie  mit  der  krystallographischen  Hauptaxe  zusam- 
menfällt. Es  sei  A  der  Mittelpunkt  einer  Crystallmolekel ,  B  der 
Mittelpunkt  einer  zweiten,  deren  Coordinaten  mit  Bezug  auf  ein 
System,  dessen  Mittelpunkt  in  A  liegt,  durch  xx)  yv  zx  bezeich- 
net werden  mögen.  Die  von  der  Molekel  B  auf  den  Punkt  A  aus- 
geübte elektrische  Kraft  habe  die  Componenten  Z„  F„  ZtJ  die 
Verschiebung  der  Molekel  B  mit  Bezug  auf  A  sei  gegeben  durch 
die  Formeln: 


zur  Molekulartheorie  der  piezoelectrischen  u.  pyroelectrischen  Erscheinungen.     195 

u  =  aux1+a12yl  +  a13^1,     v  =  a„  «,  +  aM  yx  +  a„  ^ 
w  =  a%xxt  +  an  yx  +  aZizx 

wo  aik  =  aw  sein  soll. 

Im  Falle  des  quadratischen  und  hexagonalen  Systems  tritt  zu 
der  Verschiebung  der  Molekeln  eine  Drehung  um  die  Axen  x  und 
y,  welche  zufolge  der  von  Voigt  entwickelten  Elasticitätstheorie 
gegeben  ist  durch  l  =  ca23,  m  =  —  ca13,  wo  c  eine  durch  die  ela- 
stischen Verhältnisse  bestimmte  Constante  ist.  Bezeichnen  wir  durch 
3,  H,  Z  die  CompoAnten  der  in  Folge  der  Verschiebung,  durch 
jff  H\  Z'  die  Componenten  der  in  Folge  der  Drehung  neu  entste- 
henden elektrischen  Kräfte,  so  wird: 

w  ^  dXt       ,       ~,  dX.  «  dX, 

8  =  au2-5~*it«M2-£rfc+a*t2 


dxt    l  l    "^  dyt  *a  '    33^  d*s     l 

,     /^  axt     ,  ^  dxx    \  ,      /^  ax,     ,  ax,   \ 

i     /\i  özt     ,  ^  ax,    \ 
+ölf(2^+2-^> 

Entsprechende  Formeln  gelten  für  H  und  Z.  Ferner  ergiebt  sich : 

Wir  wenden  uns  nun  zu  der  Betrachtung   gewisser  specieller 
Systeme  elektrischen  Pole. 

1.  Einaxiges  Polsystem. 
Die  Molekeln  des  Crystalls  seien  verbunden  mit  je  zwei  ent- 
gegengesetzten elektrischen  Polen ;  die  sie  verbindende  Axe  habe  bei 
allen  dieselbe  Richtung  und  sei  parallel  der  #-Axe  des  Coordinaten- 
systems  ;  das  von  den  Mittelpunkten  der  Molekeln  gebildete  Punkt- 
system, welches  quadratischen  oder  hexagonalen  Typus  besitzen 
kann,  sei  symmetrisch  mit  Bezug  auf  die  Coordinatenebenen.  Ver- 
stehen wir  unter  xt ,  yx ,  sx  die  Coordinaten  des  Mittelpunktes  für 
irgend  eine  Molekel,  so  ist  das  von  derselben  auf  einen  Punkt  x, 
y,  z  ausgeübte  Potential 


196  Eduard  Riecke, 

Der  Mittelpunkt  des  Coordinatensystems  falle  zusammen  mit 
dem  Mittelpunkt  einer  Molekel,  für  diese  ergiebt  sich  dann : 

S  =  3r(s^-io^)«I8,  H  =  3r(2^-io^)aM 
z  =  3r(s^-54^)aa+3r(s5-54i>M+3r(23$-5j)«33 

Z   =  0. 

Sowohl  für  das  quadratische,  als  für  das  hexagonale  System  ist 

r*  —  ^  y*  » 

somit  ergeben  sich  für   die  inducierten   elektrischen  Momente  die 
Formeln : 

(1)       a  =  2pals ,        b  =  2p  an,        c  =  q{an+a22)  +  raSB. 

Dieselben  entsprechen  den  hemimorph-hemie drisch en  Grup- 
pen des  quadratischen  und  des  hexagonalen  Systems. 

2.    Trigonales  Polsystem. 

Durch  den  Mittelpunkt  einer  Molekel  legen  wir  eine  Ebene 
senkrecht  zu  der  #-Axe  des  Coordinatensystems.  In  dieser  zeich- 
nen wir  ein  mit  der  Molekel  koncentrisches  gleichseitiges  Dreieck, 
dessen  Ecken  mit  positiven  elektrischen  Polen  besetzt  werden.  Die 
Ecken  eines  zweiten  gleichseitigen  Dreiecks,  welche  mit  den  Ecken 
des  ersten  ein  regelmäßiges  Sechseck  bilden,  werden  mit  negativen 
Polen  von  gleicher  Stärke  besetzt.  Die  Mittelpunkte  der  Molekeln 
bilden  ein  regelmäßiges  Punktsystem,  dessen  Projektion  auf  die  xy- 
Ebene  durch  ein  Netz  von  gleichseitigen  Dreiecken  gebildet  wird. 
Die  x-Axe  sei  parallel  der  einen  Seite  der  Dreiecke,  die  y-Axe  pa- 
rallel der  entsprechenden  Höhe.  Als  erste  Hauptlage  der  Polsy- 
steme bezeichnen  wir  diejenige ,  bei  welcher  der  von  dem  Mittel- 
punkt der  Molekel  nach  einem  positiven  Pole  gezogene  Radius  Vek- 
tor mit  der  x-Axe  des  Coordinatensystems  parallel  ist,  als  zweite 
Hauptlage  die,  bei  welcher  jener  Radius  Vektor  der  ?/-Axe  parallel  ist. 
A.    Erste  Hauptlage. 

Sind  xv  yv  zt  die  Coordinaten  des  Mittelpunktes  der  Molekel, 
so  ist  ihr  Potential  auf  einen  Punkt  mit  den  Coordinaten  x,  y,  z 
gegeben  durch  die  Kugelfunktion 


zur  Molekulartheorie  der  piezoelectrischen  u.  pyroelectrischen  Erscheinungen.     197 

F==  d(ag-g,),-3(g-a;I)(y-yiy 
r7 

Mit  Rücksicht  auf  die  Symmetrieeigenschaften  eines  hexago- 
nalen  Punktsystems  ergiebt  sich  : 

S  =  Ä  (S-6J-  +  28  *  +  63  **-?**)  (an-a„) 

Z  =  0  und  ebenso  $  =  H!  =  Z'  =  0. 

Hieraus  folgen  dann  für  die  inducierten  elektrischen  Momente 
die  Formeln  der  sphenoidisch-hemiedrischen  Gruppe  des 
hexagonalen  Systems. 

a  =  s(au  —  a22),        b  =  —  2sa12,        c  =  0.  (2A) 

Zweite  Hauptlage. 
Es  ergeben  sich  ebenso  die  Formeln 

a  =  -2s'a12,        b  =  -  $'(«„— a22),        c  =  0.  (2B) 

Die  Superposition  der  beiden  Hauptlagen  des  trigonalen  Pol- 
systems führt  zu  den  Formeln  der  sphenoidisch- tetar doe- 
drischen  Gruppe  des  hexagonalen  Systems 

a  =  s(an-a22)-2s'al2 

b  =  — *'(an-aM)-2$a„  (2A,  2ß) 

c  =  0. 

Combiniert  man  das  trigonale  Polsystem  in  der  zweiten  Haupt- 
lage mit  dem  einaxigen  Polsystem,  so  ergiebt  sich  durch  Addition 
der  Formeln  1  und  2B 

a  =  2pal3-2s'a12J        b  =  2pa23-s'(an-a22)        „    ^ 
c  =  «(«u+O  +  'aas- 

Es  sind  dies  die  Formeln  der  zweiten  hemimorph-t  etar- 
toedrischen  Gruppe  des  hexagonalen  Systems,  (Turmalin). 

3.    Dihexagonales  Polsystem. 

Durch  den  Mittelpunkt  einer  Molekel  legen  wir  eine  Axe  pa- 
rallel zu  der  #-Axe  des  Coordinatensystems ;  auf  ihr  nehmen  wir 
in  gleichem  Abstand  von  dem  Mittelpunkt  zu  beiden  Seiten  dessel- 


198  Eduard  Riecke, 

ben  zwei  Punkte  und  legen  durch  sie  Ebenen  senkrecht  zu  der  z- 
Axe.  In  der  oberen  zeichnen  wir  ein  regelmäßiges  Zwölfeck,  des- 
sen aufeinander  folgende  Ecken  mit  1,  2,  3  .  .  .  bezeichnet  werden 
mögen.  In  der  zweiten  Ebene  zeichnen  wir  ein  mit  dem  ersten 
kongruentes  Zwölfeck,  dessen  Ecken  13,  14,  15  ...  24  senkrecht 
unter  den  Ecken  1,  2,  3  ...  12  liegen.  Die  Ecken  des  Sechseckes 
1,  3,  5,  7,  9,  11  besetzen  wir  mit  positiven  Polen,  die  Ecken  des 
Sechseckes  2,  4,  6,  8,  10,  12  mit  negativen  Polen  von  gleicher 
Stärke.  Umgekehrt  die  Ecken  13,  15,  17,  19,  21,  23,  mit  negati- 
ven ,  die  Ecken  14 ,  16 ,  18 ,  20 ,  22 ,  24  mit  positiven  Polen ;  das 
ganze  Polsystem  sei  so  orientiert,  daß  die  durch  seine  Hauptaxe 
und  die  Pole  1  und  13  hindurchgehende  Ebene  mit  der  ^a-Ebene 
den  Winkel  tc/12  einschließt.  Sind  wieder  xly1z1  die  Coordinaten 
des  Mittelpunktes  der  Molekel,  so  ist  das  Potential  auf  einen  Punkt 
x,  y,  z  gegeben  durch  die  Kugelfunktion: 


Ferner  ergiebt  sich  mit  Benützung  der  Symmetrieeigenschaf- 
ten des  hexagonalen  Punktsystems: 


^=-2^J2^M(l-15;|)}«2, 
H'=      24£cJs^t5?M(1_15^)Ja18. 

Die  inducierten  elektrischen  Momente  werden  dargestellt  durch 
die  Formeln: 

(3)  a  =  2ta23i        b  =  -2ta13}        c  =  0. 

Es  sind  das  die  Gleichungen,  welche  der  trapezoedrisch- 
hemiedrischen  Gruppe  des  hexagonalen  Systems  entsprechen. 

Combinieren  wir  das  einaxige  Polsystem  mit  dem  dihexagona- 
len ,  so  ergeben  sich  die  entsprechenden  Momente  durch  Addition 
der  Gleichungen  1  und  3 ;  es  wird  also ; 


zur  Molekulartheorie  der  piezoelectrischen  u.  pyroelectrischen  Erscheinungen.     199 

a  =  2pa13  +  2ta23,        b  =  2pa23-2ta13  ^    ~ 

c  =  q  (ou  +  «„)  +  ran.  ' 

Formeln  der  ersten  hemimorph  tetartoedrischen 
Gruppe  des  hexagonalen  Systems. 

Verbindet  man  das  trigonale  Polsystem  in  der  ersten  Haupt- 
lage mit  dem  dihexagonalen,  so  ergiebt  sieb  das  Gleicbungs System 
der  trapezoedriscb  tetartoedrischen  Gruppe  des  Hexa- 
gonalsystems 
a  =  s{at-a22)  +  2ta23)       b  =  -2sa12~2ta13,       c  =  0.     (2A,  3) 

Combiniert  man  endlicb  das  einaxige  Polsystem  mit  dem  tri- 
gonalen  in  seinen  beiden  Hauptlagen  und  mit  dem  dihexagonalen, 
so  gelangt  man  zu  den  Formeln  der  ogdoedriseben  Gruppe 

a  =  2f)al3+s(an-a22)~2s'a12+2ta23 

b  =  2pa23-s'(a11-a22)~2sa12-2ta13    (1,  2A,  2B,  3) 

womit  sämmtlicbe  Formen  des  bexagonalen  Systems,  bei  welcben 
piezoelektrische  oder  pyroelektrische  Erregung  überhaupt  möglieb 
ist,  erschöpft  sind. 

4.     Tetraedriscbes  Polsystem. 
Vier  positive  Pole  liegen  in  den  Ecken  eines  Tetraeders,  vier 
negative  von  gleicher  Stärke  in  den  Ecken   eines  zweiten  Tetrae- 
ders, dureb  welches  das  erste  zum  Würfel  ergänzt  wird. 
A.    Erste  Hauptlage. 
Die  s-Axe  des  Coordinatensystems    stebt  senkreebt  auf  einer 
Würfelfläche,  die  Ebenen  zx  und  zy  sind  parallel  den  Würfelseiten. 
Das  Potential  wird: 

r1 

Ferner  ergiebt  sich: 

(  r7  r9  ru    ) 

Z  =  ^26^-7^1-63^  L 
(  r7  r*  rli    ) 


m 


Z  =  0 


200  Eduard  Riecke, 

und  dem  entsprechend 

(4A)  a  =  7cai3,        b  =  ka3l ,        c  =  k'a12. 

Diese  Formeln  gehören  zu  der  sphenoidisch-hemiedri- 
schen  Grruppe  des  quadratischenSystems.  Ist  das  Punkt- 
system ein  reguläres,  so  wird  die  £-Axe  mit  x  und  y  gleichbe- 
rechtigt und  wir  erhalten  die  Formeln  des  regulärenSystems 

(4A)'  a  =  Jca2S1        b  =  ka13,        c  =  kair 

B.    Zweite  Hauptlage. 
Die  zx-  und  die  z  «/-Ebene  gehen  durch  die  Kanten  des  Wür- 
fels hindurch,  während  die  Stellung  der  z-Axe  unverändert  bleibt. 
Das  Potential  wird 

Ferner  ergiebt  sich: 

B-      ^jS^-21^-|^M(l-18^)ja31 
Z  =  -^S$(l-7|)-^^(l-9Ä)j(ail-aJ 

Z'  =  0, 

und  hieraus 

(4B)  a  =  uai3i       b  =  —ua28)        c  =  »(«„-«„). 

Combinieren  wir  die  beiden  Hauptstellungen  des  tetraedrischen 
Polsystems,  so  resultieren  die  Formeln  der  sphenoidisch  te- 
tartoedrischen  Gruppe  des  quadratischen  Systems 

(A\    Am  a  =  Jca23  +  ual8,        b  =  £a18-wa23, 

5.    Ditetragonal  es  Polsy  stem. 
Zwei  regelmäßige  Achtecke  stehen  zu  einander  und  zu  der  em 
Axe  des  Coordinatensystems  in  derselben  Beziehung  wie  die  Zwölf- 


zur  Molekulartheorie  der  piezoelectrischen  u.  pyroelectrischen  Erscheinungen.     201 

ecke  des  dihexagonalen  Systems ;  sie  werden  in  derselben  Weise 
wie  jene  mit  elektrischen  Polen  besetzt.  Bezeichnen  wir  eine  po- 
sitive Ecke  des  oberen  Achteckes  mit  1,  die  darunter  liegende  ne- 
gative Ecke  des  unteren  Achteckes  mit  9,  so  soll  die  Ebene,  wel- 
che durch  die  Hauptaxe  des  Polsystems  und  die  Punkte  1  und  9 
hindurchgeht  mit  der  ##-Ebene  den  Winkel  ä/s  einschließen.  Das 
Potential  wird: 

Ferner  ergiebt  sich: 

s=-@jsi^(i-ii|)j«,3 

z  =  Z'  =  0 

und  somit 

a  =  2iva23,     b  =  —2wa13,      c  =  0  (5) 

dieFormeln  der  trapezoedrisch-hemiedrischen  Gruppe  des 
quadratischen  Systems. 

Combiniert  man  diese  Formeln  mit  denjenigen,  welche  dem  ein- 
axigen  Polsystem  entsprechen ,  so  ergiebt  sich : 

a  =  2pals  +  2wau9        b  =  2pan-2wal9,  (1,  5) 

C   =   tfOu  +  öÜ  +  ^ss- 

Es  sind  dieß  die  Formeln  der  hemimorph-tetardoedri- 
schen  Gruppe  des  quadratischen  Systems  und  damit  sind  auch 
alle  der  elektrischen  Erregung  fähigen  Gruppen  dieses  Systems 
erschöpft. 

Alle  auf  die  elektrische  Erregung  der  Crystalle  des  regulären, 
des  hexagonalen  und  des  quadratischen  Systems  bezüglichen  For- 
meln können  hiernach  durch  die  Combination  von  nur  5  ver- 
schiedenartigen   elektrischen   Polsystemen    erhalten    werden,      Es 


202   EduardRiecke,  z. Molekulartheorie d. piezoeletr. u. pyroelectr. Erscheingn. 

ist  zu  übersehen,  daß  auf  demselben  Wege  auch  die  Gleichungen 
für  die  noch  übrigen  5  hemimorphen  oder  hemiedrischen  Formen, 
welche  dem  rhombischen,  monoklinen  und  triklinen  System  ange- 
hören,  zu  gewinnen  sind. 


Ueber  die  Maximaltension,  mit  welcher  Wasser- 
stoff aus  Lösungen  durch  Metalle  in  Freiheit 
gesetzt  wird. 

Mit  1  Figur. 

Von 

GL  Tammann  und  W.  Nernst. 

(Aus  dem  physikalischen  Institut  zu  Göttingen.) 
(Vorgelegt  von  Eduard  Riecke.) 

A.    Theoretischer  Theil. 

Bringt  man  ein  Metall  mit  einer  wässerigen  Lösung  in  Berüh- 
rung, so  geschieht  es  häufig,  daß  jenes  in  Lösung  geht  und  die 
elektrisch  äquivalente  Wasserstoffmenge  in  Freiheit  setzt, 

Diese  Reaktion  ist  mit  einer  beträchtlichen  Volumvermehrung 
verbunden ;  nach  den  bekannten  Gesetzen  über  den  Einfluß  des 
Druckes  auf  die  Reaktionsfähigkeit  der  Stoffe  wird  es  möglich 
sein,  durch  Anwendung  genügend  großen  Druckes  die  Reaktion  in 
der  Richtung  vor  sich  gehen  zu  lassen ,  welche  mit  einer  Volum- 
verminderung verbunden  ist,  und  es  muß  also  im  Allgemeinen  zu 
erzielen  sein,  durch  mit  genügend  hohem  Druck  in  wässerige  Lö- 
sungen gepreßten  Wasserstoff  die  in  Lösung  befindlichen  Metalle 
auszufällen. 

Denjenigen  Partialdruck  des  Wasserstoffs,  bei  welchem  dieses 
Gas  mit  der  Lösung  und  dem  Metalle  im  Gleichgewicht  sich  befin- 
det, wollen  wir  als  die  »Maximal Spannung«  des  in  Freiheit 
gesetzten  Wasserstoffs  bezeichnen ;  die  Analogie  dieser  Druckgröße 
mit  einer  Dampf-  oder  Dissociationsspannung  springt  in  die  Augen. 

Dieser  Druck  ist  gleichzeitig  das  Maaß  der  Arbeit,  welche  in 
maximo  bei  der  Auflösung  der  Metalle  in  .Säuren  gewonnen  wer- 
den kann;  da  bekanntlich  die  elektromotorische  Kraft  der  soge- 
nannten umkehrbaren  galvanischen  Elemente  ein  Maaß  für  die  gleiche 
Energiegröße  ist,    so  erkennen  wir  bereits,  daß  jener  Druck  mit 


G.  Tammann  und  W.  Kernst,  über  die  Maximaltension  etc.       203 

der  elektromotorischen  Wirksamkeit  auf  das  innigste  verknüpft 
sein  muß,  wie  es  auch  die  nähere  Betrachtung  alsbald  ergeben  wird. 
Bei  der  Maximalspannung  des  Wasserstoffs  ist  die  Reaktion 
vollkommen  reversibel;  die  Aenderung  jener  mit  der  Temperatur 
muß  also  mit  der  Wärmetönung  und  der  Volumänderung  der  Reak- 
tion in  der  analogen  Beziehung  stehen,  wie  sie  für  die  Verdampfung 
durch  die  bekannte  C laus ius 'sehe  Formel 

Q  =  -T%{^-V)  (1) 

gegeben  ist;  nur  bedeutet  in  unserem  Falle  q  die  Wärmemenge, 
welche  bei  der  Auflösung  von  z.  B.  1  g  -  Aequivalent  Zink  in 
einer  beliebigen  Säurelösung  entwickelt  wird,  v  das  der  Maximal- 
spannung p  entsprechende  Volum  von  1  g  Wasserstoff  und  v'  die 
Volumabnahme,  welche  das  aus  Metall  und  Lösung  bestehende  Sy- 
stem durch  die  Abgabe  des  Wasserstoffs  erfährt.  In  den  meisten 
Fällen  wird  man  v'  gegen  v  vernachlässigen  dürfen. 

Betrachten  wir  ein  reversibeles  galvanisches  Element,  z.  B.  das 
DanielTsche  nach  den  Typus 

Zn  |  Zn  SO^-Lsg  \  Cu  SO^Lsg  |  Cu 

zusammengesetzte.  Es  betrage  die  Maximaltension  des  Wasser- 
stoffes für  das  System  Zink-Zinkvitriollösung  px ,  für  das  System 
Kupfer  -  Kupfervitriollösung  p2.  Dann  können  wir  die  maximale 
Arbeit ,  welche  bei  der  Auflösung  des  Zinkes  und  Ausfällung  der 
äquivalenten  Menge  Kupfer  gewonnen  werden  kann,  einmal  aus 
der  elektromotorischen  Kraft  des  Elementes,  sodann  aus  dem  Unter- 
schiede der  beiden  Maximaltensionen  erhalten.  Wir  können  also 
aus  den  Maximaltensionen  der  Metalle  gegenüber  den  betreffenden 
Lösungen  die  elektromotorische  Kraft  des  aus  ihnen  kombinirten 
Elementes  berechnen. 

Die  Arbeit,  welche  bei  der  Entwickelung  von  2  g  Wasserstoff 
und  der  Ueberführung  des  entwickelten  Gases  unter  Normaldruck 
P  gewonnen  werden  kann,   beträgt 

A  =  pv  +  RTln-^, 

worin  p  die  Maximalspannung  und  R  die  Gaskonstante  bedeutet; 
zählen  wir  das  Volum  in  Litern  und  den  Druck  in  Atmosphären, 
so  ist  für  eine  ^-Molekel  eines  Gases  bekanntlich 

pv  =  R I  =  0.0819  T 


204  G-  Tammann  und  W.  Nernst, 

und  nach  Einführung  der  Gasgleichung  wird 

A  =  0-0819  r(i  +  z»|-) 

Die  Arbeit ,  welche  im  Daniellelemente  bei  Auflösung  einer 
g-Molekel  Zink  und  Ausfällung  einer  g-Molekel  Kupfer  gewonnen 
werden  kann,  beträgt  also 

A-it,  =  0-0819  T  In  ^-. 

Diese  Arbeit  ist  gleich  der  elekromotorischen  Kraft  E;  es 
wird  also 

(2)  E  =  0-0819  Tln^- 

oder  nach  Einführung  des  üblichen  Maaßsystems  l) 


E  =  0-430  T  x  10"4^-^-Volt. 

Durch  die  vorstehende  Gleichung  ist  zum  ersten  Male  für  die 
elektromotorische  Kraft  der  umkehrbaren,  aus  zwei  verschiedenen 
Metallen  kombinierten  galvanischen  Elemente  ein  Ausdruck  ermit- 
telt worden,  welcher  dieselbe  aus  anderweitigen,  der  Messung  di- 
rekt zugänglichen  Größen  im  absoluten  Maaße  zu  berechnen  ge- 
stattet; doch  sei  daran  erinnert,  daß  obige  Gleichung  nur  unter 
der  Voraussetzung  gültig  ist,  daß  auch  bei  dem  der  Maximalten- 
sion entsprechenden  WasserstofFdrucke  der  Austausch  derElektri- 
cität  zwischen  Metallen  und  Lösung  nur  durch  die  Ionen  der  be- 
treffenden Metalle  und  nicht  etwa  gleichzeitig  durch  die  in  der 
Lösung  befindlichen  WasserstofFionen  oder  durch  den  in  den  Me- 
tallen gelösten  Wasserstoff  vermittelt  wird.  Inwieweit  und  bei 
welchen  Metallen  diese  Voraussetzung  erfüllt  ist,  bedarf  erst  nä- 
herer Untersuchung.  Ist  die  Maximaltension  des  Wasserstoffs  zu 
groß,  als  daß  letzterer  noch  den  Gasgesetzen  gehorcht,  so  läßt  sich 
leicht  ein  strengerer  Ausdruck  ableiten. 

Formel  (1)  schreibt  sich  bei  Vernachlässigung  von  v' 

(3)  Q  =  -0-0819  r^-. 

Die  Wärmetönung  im  Elemente  entspricht  der  Differenz  der 
Auflösungswärme  des  Zinks  und  des  Kupfers: 


1)  Vgl.  z.  B.  Zeitschr.  f.  physik.  Chem.  4  138  und  176  (1889). 


über  die  Maximaltension  etc.  205 

dln~ 
W  =  Qi-q2  =  -0-0819  T*-jp-.  W 


Differenzieren  wir  Gl  (2),  so  wird 


dlnPl 


4|  =  '0-0819  ln^-  +  0-0819  T  —J^- 
dl  pa  dl 

oder  in  (4)  eingeführt: 

Dies  ist  aber  die  bekannte  G-leichung,  welche  v.  Helmholtz 
direkt  durch  Anwendung  der  thermo dynamischen  Principien  auf 
die  umkehrbaren  galvanischen  Elemente  gefunden  hat,  und  zu  der 
wir  soeben  auf  einem  zwar  etwas  umständlicheren  aber  dafür  viel- 
leicht in  mancher  Hinsicht  anschaulicheren  Wege  gelangt  sind. 

"Was  den  Mechanismus  der  von  uns  behandelten  Reaktion 
betrifft,  so  lassen  sich  vom  Standpunkte  der  neueren  Lösungs- 
theorie und  in  weiterer  Fortführung  der  Anschauungen ,  welche 
einer  von  uns1)  über  den  Vorgang  der  Auflösung  von  Metallen 
entwickelt  hat,  darüber  folgende  Bemerkungen  machen.  Das  mit 
der  Lösung  in  Berührung  befindliche  Metall  sucht  vermöge  einer 
als  »elektrolytischen  Lösungstension«  bezeichneten  Expansivskraft 
seine  positiv  geladenen  Ionen  in  die  Lösung  hineinzubefördern ; 
der  Vorgang  kann  zum  Stillstand  gebracht  werden  entweder  durch 
die  mit  dem  Uebertritt  der  metallischen  Ionen  in  die  Lösung  her- 
vorgerufenen elektrostatischen  Ladungen ,  indem  nämlich  sich  die 
Flüssigkeit  positiv,  das  Metall  negativ  electrisch  ladet  und  so  durch 
die  elektrostatische  Wirkung  der  entstandenen  Doppelschicht  der 
Lösungstension  das  Gleichgewicht  gehalten  wird,  oder  aber  durch 
den  osmotischen  Partialdruck  der  in  Lösung  befindlichen  Ionen 
des  betreffenden  Metalls,  welcher  ebenfalls  der  Lösungstension  ent- 
gegenwirkt. Im  allgemeinen  werden  natürlich  beide  Wirkungen 
sich  superponieren. 

Die  elektrolytische  Lösungstension  kann  nun  aber  auch  einen 
solchen  Betrag  erreichen,  daß  eine  derartige  Kompensation  ausge- 
schlossen ist;  es  kann  vorkommen,  daß  an  Stelle  der  positiven 
Ionen,  die  aus  dem  Metalle  austreten,  anderweitige  gleichartige 
Ionen  aus  der  Lösung  heraus  gedrängt  werden  und  sich  auf 
dem  Metalle  niederschlagen.    Dies  geschieht  bei  der  Verdrängung 

1)  N ernst,  diese  Zeitschr.  4  150  (1889). 


206  6.  Tamman  n  und  W.  Nernst 


eines  Metalles  durch  ein  anderes  (z.  B.  des  Kupfers  durch  Eisen) 
aus  der  Lösung  und  bei  der  Entwickelung  von  Wasserstoff,  in 
welchem  Falle  für  die  metallischen  Ionen ,  die  in  Lösung  gehen, 
die  äquivalente  Menge  Wasserstoffionen  im  Metalle  sich  lösen;  daß 
die  Löslichkeit  des  Wasserstoffs  in  Metallen  eine  allgemeine  Er- 
scheinung ist,  haben  ja  u.  A.  die  Untersuchungen  von  Thoma1) 
gelehrt.  Aus  seiner  Lösung  im  Metalle  vermag  der  Wasserstoff 
dann  unelektrisch  zu  entweichen,  sobald  seine  Tension  hinreichend 
groß  geworden  ist.  Freiwillige  Wasserstoffentwickelung  kann  hier- 
nach nur  in  dem  Falle  stattfinden,  daß  der  Druck  des  Wasserstoffs 
über  seiner  »festen«  Lösung  im  Metall  größer  wird  als  der  einer  At- 
mosphäre. Auch  diese  spezielleren  Anschauungen  führen  zu  den  oben 
für  die  Maximaltension  des  entweichenden  Wasserstoffs  entwickelten 
Beziehungen,  und  sie  lassen  auch  unmittelbar  erkennen,  daß  obige 
Maximaltension  ein  Maaß  der  elektromotorischen  Wirksamkeit  des 
betreffenden  Metalles,  sein  muß.  Auf  die  Folgerungen,  welche  sich 
hieraus  für  die  galvanische  Polarisation  ergeben,  kann 
hier  nicht  näher  eingegangen  werden. 

B.    Experimenteller  Theil. 

Das  chemische  Gleichgewicht,  welches  den  Gegenstand  unserer 
Untersuchung  bildet,  läßt  sich  von  zwei  Seiten  her  erreichen,  in- 
dem man  entweder  in  eine  Metallsalzlösung  Wasserstoff  bis  zu 
solchem  Drucke  einpreßt,  daß  das  Metall  ausfällt,  oder  aber  indem 
man  den  Druck  bestimmt,  bei  welchen  die  Wasserstoffentwicke- 
lung des  aus  Lösung  und  festem  Metall  gebildeten  Systemes  aufhört. 

Von  älteren  diesbezüglichen  Versuchen  seien  vor  allen  Dingen 
diejenigen  N.  N.  Beketoffs2)  erwähnt.  Beketoff  suchte  den 
Druck  zu  bestimmen,  unter  dem  der  in  die  Lösung  des  Metallsalzes 
gepreßte  Wasserstoff  das  Metall  aus  der  Lösung  zu  fallen  beginnt. 
Er  zeigte,  daß  Wasserstoff  beim  Drucke  einer  Atmosphäre  aus  einer 
Lösung  von  Silberacetat  metallisches  Silber  abscheidet,  daß  bei  hö- 
heren Drucken  bis  zu  10  Atmosphären  verdünnte  Lösungen  von  Mer- 
kuronitrat,  Silbernitrat,  Silbersulfat  und  ammoniakalische  Silberchlo- 
ridlösung gefällt  werden,  ferner  daß  Kupfer-  und  Bleinitratlösung 
von  Wasserstoff  unter  Drucken  bis  zu  10  Atmosphären  nicht  ge- 
fällt werden,  daß  aber  die  Fällung  eintritt,  wenn  in  die  Lösungen 
ein  Platindraht  taucht.     Betreffs  der  besonnenen  und  äußerst  sorg- 

1)  Zeitschr.  f.  physik.  Chemie.    3  69  (1889). 

2)  N.  N.  Beketoff,  Compt.  rend.  48,  p.  442,  1859,  und  Untersuchungen 
über  die  Erscheinungen  der  gegenseitigen  Ausscheidung  der  Elemente  aus  ihren 
Verbindungen.    Dissertation,  Charkow  1865. 


über  die  Maxinjaltension  etc. 


207 


fältigen  Versuchstechnik  Beketoffs  muß  auf  seine  Abhandlung  ver- 
wiesen werden.  C.  Brunner1)  fand,  daß  eine  verdünnte  Lösung 
von  Silbernitrat  von  Platinchlorid  und  Palladiumchlorid  schon  beim 
Durchleiten  von  Wasserstoff  das  Metall  abscheidet. 

Cailletet2)  brachte  gewogene  Zinkplatten  in  eine  Lösung 
von  Schwefelsäure  und  ließ  die  Wasserstoffentwickelung  unter  be- 
stimmten Drucken  vor  sich  gehen.  Wie  zu  erwarten,  fand  Caille- 
tet die  Geschwindigkeit  der  Auflösung  beim  Wachsen  des  Wasser- 
stoffdruckes  stark  abnehmend;  schließlich  hört  bei  einem  gewissen 
Druck,  für  den  aber  die  Zusammensetzung  der  Lösung  leider  nicht 
bestimmt  wurde,  die  WasserstofFentwickelung  gänzlich  auf.  Ferner 
zeigte  Cailletet,  daß  Natriumamalgam  aus  seinen  Salzlösungen 
bei  hohen  Drucken  nicht  mehr  Wasserstoff  entwickelt;  bricht 
man  aber  das  Rohr ,  in  dem  sich  alles  im  Gleichgewicht  befand, 
auf,  so  tritt  wiederum  lebhafte  Gasentwickelung  ein. 

Da  es  von  vorneherein  aussichtslos  erschien,  den  Druck,  bei 
welchem  die  Fällung  des  Metalls  beginnt,  auch  nur  annähernd  zu 
bestimmen,  so  waren  wir  auf  die  Messung  des  Druckes,  bei  wel- 
chem die  WasserstofFentwickelung  aufhört,  angewiesen.  Der  Ap- 
parat, dessen  wir  uns  bei  unsern  Versuchen  bedienten,  bestand  aus 
einer  starkwandigen  Glasröhre  a  b  (cf.  Fig.)  von  etwa  1  cm  innerer 
Weite  und  etwa  20  cm  Länge,  an  welche  ein  geschlos- 
senes von  einer  Kapillare  gebildetes  Luftmanometer  an- 
gesetzt war.  Die  Füllung  geschah  in  folgender  Weise. 
Nachdem  das  Manometer  mit  trockner  Luft  erfüllt  und 
mit  Quecksilber  beschickt  war,  wurde  in  dem  in  um- 
gekehrter Stellung  befindlichen  Apparat  durch  b  das 
zu  untersuchende  Metall,  eine  zum  Bedecken  desselben 
erforderliche  Menge  Chloroform,  ein  Glasstäbchen  und 
schließlich  die  Lösung  eingeführt;  da  das  Metall  vor 
dem  Angriff  seitens  der  Säure  durch  das  Chloroform 
geschützt  war,  konnte  keine  Wasserstoffentwickelung 
stattfinden  und  das  Abschmelzen  bei  b  unter  möglich- 
ster Vermeidung  eines  schädlichen  Luftvolumens  er- 
folgen. Drehte  man  den  Apparat  hingegen  um,  so  fiel  das  schwe- 
rere Chloroform  nach  unten,  während  das  Metall  durch  das  Glas- 
stäbchen oberhalb  des  Chloroforms  und  innerhalb  der  Lösung  ge- 
tragen wurde ;  es  entwickelte  sich  Wasserstoff  mit  immer  steigen- 
dem Drucke,    der  an   dem  Luftmanometer  abgelesen  wurde.    Die 


1)  C.  Brunner,  Pogg.  Ann.  122,  p.  153,  1864. 

2)  Cailletet,  Compt.  rend.  68,  p.  395,  1869. 

Nachrichten  ton  der  K.  G.  d.  W.  zu  Göttingen.    18W1.    No.  6. 


16 


6.  Tammann  und  W.  Nernst, 

Genauigkeit  der  Ablesung  wurde  übrigens  sehr  dadurch  vergrö- 
ßert, daß  das  zu  messende  Luftvolum  cd  beiderseits  von  Queck- 
silberfäden abgeschlossen  war  (cf.  Figur) ,  deren  Differenz  sich 
leicht  bis  auf  0*1  mm  messen  ließ,  und  so  eine  Berücksichtigung 
der  Verjüngung  des  Lumens  am  oberen  Ende  der  Kapillare  ver- 
mieden war.  Die  Länge  des  abgeschlossenen  Luftvolumens  betrug 
bei  Barometerdruck  meistens  gegen  40  cm. 

Bei  Beginn  der  Reaktion  war  die  Wasserstoffentwickelung 
gewöhnlich  sehr  stürmisch,  ließ  aber  bald  nach  und  schien  den  An- 
gaben des  Manometers  zufolge  nach  einigen  Tagen,  bisweilen  auch 
Wochen,  ihr  Ende  erreicht  zu  haben.  Die  Schnelligkeit,  mit  wel- 
cher das  Gleichgewicht  erreicht  wurde,  hing  natürlich  im  höchsten 
Maaße  von  der  Große  des  bei  a  befindlichen  Luftbläschens  ab. 
Häufiges  Umrühren  der  Lösung,  welches  durch  wiederholtes  Um- 
kehren des  Apparats  und  das  Hin-  und  Hergleiten  des  darin  be- 
findlichen Metalles  erzielt  wurde,  war  unbedingt  erforderlich. 

Die  Apparate  befanden  sich  sämmtlich  in  einem  großen  Wasser- 
bade, welches  im  ungeheizten  Zimmer  aufgestellt  war  und  dessen 
Temperatur  nur  wenig  um  4°  variierte. 

Die  Messung  des  Druckes  ließ  sich  mit  mehr  als  hinreichender 
Genauigkeit  ausführen ;  schwieriger  war  die  Ermittelung  der  End- 
konzentration der  Lösung ,  welche  von  der  ursprünglichen  häufig 
merklich  verschieden  war.  An  eine  Analyse  der  Lösung  am 
Ende  des  Versuches  war  nicht  zu  denken,  weil  dieselbe  beim 
Oeffnen  des  Apparats  sich  in  Gestalt  feiner  Tröpfchen  zerstäubte, 
und  mußte  daher  die  entwickelte  Wasserstoffmenge  geschätzt  und 
so  die  Abnahme  des  Säuretiters  und  die  entstandene  Salzmenge 
berechnet  werden. 

Der  entwickelte  Wasserstoff  befindet  sich  zum  Theil  gelöst, 
zum  Theil  in  Luftbläschen  bei  a,  dessen  Größe  im  Vergleich  zum 
Gesamtvolum  der  Lösung  nur  durch  Schätzung  sich  ermitteln  ließ. 
Der  Absorptionskoefficient  des  Wasserstoffs  beträgt  bei  4°  0*0208 J) ; 
die  beim  Druck  P  Atmosphären  in  Lösung  befindliche  Menge  von 
Wasserstoff  entspricht  also  einer  Abnahme  des  Säuretiters  der 
Lösung  um 

D 0-0208  A       .     ,  T., 

P   ■j.p    Aequivalente  pro  Liter 

weil  1  g  H  (=  1  Aequivalent)  bei  0°  im  Räume  =  1  Liter  befind- 
lich unter  dem  Drucke  von  11*2  Atmosphären  steht. 


1)  Tim  o  feie  w,  Zeitschr.  f.  physik.  Chemie.    6  147  (1890). 


über  die  Maximaltension  etc.  2(39 

Bezeichnet  ferner  n  den  Bruchtheil,    welchen  das  Volum  des 
Luftbläschens  vom  Gesamtvolum  der  Lösung  ausmacht,    so  sind 

p 

11to     Aequivalente  pro  Liter 

Säure  zur  Erzeugung  des  der  Lösung  entzogenen  Wasserstoffs 
verbraucht  worden,  weil  bei  der  Versuchstemperatur  von  4°  1  g  H 
im  Räume  =  1  Liter  befindlich  unter  dem  Drucke  von  11*3 
Atmosphären  steht.  Insgesamt  beträgt  also  die  Abnahme  des 
Säuretiters 


p(00O186  +  Iiy 


und  die  äquivalente  Menge  Metall  ist  natürlich  in  das  Salz  der 
Säure  übergegangen. 

Im  Folgenden  sind  die  Drucke  P  angeführt,  welche  sich  bei 
den  einzelnen  Metallen  und  den  betreffenden  Endkonzentrationen  C, 
ausgedrückt  in  #-Aequivalenten  pro  Liter,  ergeben  haben  und  ihrer 
Konstanz  zufolge  als  Maximaltensionen  anzusehen  waren.  Häufig 
wandten  wir  die  Metalle  platiniert  an,  wodurch  bekanntlich  die  Ge- 
schwindigkeit der  Wasserstoffentwickelung  sehr  beschleunigt  wird ; 
daß  Gegenwart  von  Platin  den  Absolutwerth  der  Maximalspannung 
ändern  sollte,  ist  wohl  von  vornherein  im  höchsten  Maaße  unwahr- 
scheinlich und  gaben  unsere  Versuche  auch  keinen  Anhalt  zu  dieser 
Annahme. 

Zink.  Dasselbe  kam  in  auf  der  Drehbank  aus  Stücken  reinen 
Metalls  gedrehten  Spiralen  zur  Verwendung. 

1)  0  =  0-13  i/,SÖ4+ 1-3  ZnSO^   P  =  18     Atm. 

2)  C  =  0-11  H2SO,+  1-2   ZnSO,;  P  =  235  Atm. 

3)  C  =  0-29  H2  SO,  +  17   ZnSO,)  P  =  25'6  Atm. 

4)  C  =  020 H2SO,  +  03ßZnSO,;  P  =  57     Atm. 

5)  C  =  0-35 H2 SO,  +  1-15 Zn SOA)  P  =  29     Atm. 

6)  C  =  0-34 H2SO,+ 1-16 ZnSOA;  P  =  40*2  Atm. 

Apparate,  die  mit  reiner  normaler  Schwefelsäure  oder  mit  l.Bfacli 
normaler  Schwefelsäure  und  doppeltnormaler  Zinkvitriollösung  be- 
schickt waren,  explodierten  bei  Drucken  von  70  bis  80  Atmosphä- 
ren. Wenn  die  Zahlen  untereinander  auch  zum  Theil  stark  diffe- 
rieren,  (vgl.  z.B.  1  und  2,  5  und  6),  so  ersieht  man  doch  mit 
Sicherheit,    daß  mit   zunehmender  Säurekonzentration   der   Druck 

tjtark  zunimmt  und   anderseits   durch  Gegenwart  von  Neutralsalz 
jtark    heruntergedrückt   wird.      Leider  erreichte    die    Korrektion 
wegen    der  Abnahme   des   Säuretiters  einen   sehr   hohen   Betrag; 
16* 


210  G.  Tarn  mann  und  W.  N ernst, 

da  so  die  Endkonzentrationen  der  Säure  mit  einiger  Unsicherheit 
behaftet  sind,  können  die  vorstehenden  Zahlen  nur  zur  ersten  Orien- 
tirung  dienen. 

7)  C  =  0-68  HCl  +  0-30  Zn  Cl2  +  1  Zn  SO, ;  P  =  48  Atm. 

8)  C  =     »  »  »  »         P  =  52  Atm. 
Apparate,  die  mit  normaler  Salzsäure  beschickt  waren  ,  explodier- 
ten bei  Drucken  von   70  bis  80  Atm.,    wobei  der  Säuretiter  etwa 
auf  0'7  bis  0#8    gesunken   war.     Dasselbe   geschah   bei   einem   mit 
normaler  Essigsäure  gefüllten  Apparate. 

Kadmium.     C  =  0-62  HCl  +  0-3  CdCl2 ,  P  ca.  44  Atm. 

Eisen.     Es  kamen  eiserne  Nägel  zur  Verwendung. 
C  =  0.46  H2  SO,  +  1-04  FeSOt-,  P  =  6*4  Atm. 

Während  hier  bereits  nach  3  Tagen  Konstanz  eingetreten  war, 
ließ  ein  mit  normaler  Schwefelsäure  beschickter  Apparat  ein  so 
langsames  Ansteigendes  Druckes  erkennen,'  wie  es  in  keinem  an- 
dern Falle  beobachtet  war.  Nach  8  Tagen  betrug  der  Druck  erst 
5  Atm.,  nach  14  Tagen  erst  6  Atm. ;  im  Laufe  eines  Vierteljahrs 
erreichte  er  den  Wert  von  34  Atm.,  ohne  daß  jedoch  der  Grleich- 
gewichtszustand  erreicht  zu  sein  schien.  Die  Abnahme  des  Säure- 
titers  ist  auf  11%  zu  schätzen.  Aehnlich  verhielt  sich  ein  mit 
normaler  Salzsäure  beschickter  Apparat.  Bei  Anwendung  doppelt- 
normaler Schwefelsäure  fand  bei  einem  Drucke  von  90  Atm.  Zer- 
trümmerung des  Apparats  statt. 

Mangan  in  Stückenform  lieferte  mit  normaler  Salzsäure  in  Be- 
rührung einen  Druck  von  52  Atm.    Abnahme  des  Säuretiters  ca.  11%. 

Nickel.  Das  Metall  kam  in  Stückenform  und  platiniert  zur 
Verwendung;  die  Konstanz  des  Druckes  trat  hier  schneller  ein 
als  bei  andern  Metallen. 

1)  C  =  0-94: H2  SO, +  0'07M  SO,;  P  =  7-5    Atm. 

2)  C  =  1-52 H2SO,+  0-50 MSO,;  P  =  42     Atm. 

3)  C  =  0-86 HCl     +0-1S NiCl,-,    P  =  23*1  Atm. 

4)  C  =  0-88 HCl      +0-15 NiCl2;    P  =  29«0  Atm. 
Vielleicht    ist  gerade    dieses  Metall    zu    weiteren   Versuchen 

über  die  Abhängigkeit  der  Maximaltension  von  der  Konzentration, 
Temperatur  etc.  besonders  geeignet. 

Aluminium.  Selbst  bei  Anwendung  von  0*25  normaler  Salz- 
säure waren  die  Apparate  nicht  widerstandsfähig  genug,  obwohl 
im  Laufe  der  Eeaktion  der  Titer  sicherlich  bis  auf  0'15  herunter- 
gieng.  Die  Zertrümmerung  trat  hier  übrigens  erst  nach  20  Tagei 
ein  ;  ein  mit  normaler  HCl  beschickter  Apparat  explodierte  bereits 
wenige  Stunden  nach  seiner  Zusammensetzung. 


über  die  Maximaltension  etc.  211 

Magnesium.  Eine  Anzahl  mit  025  H2SOv  025  HCl,  Ol  CHfiOOH 

mit  und  ohne  Gegenwart  von  Neutralsalz  beschickter  Apparate 
explodierten  theils  nach  einigen  Stunden,  theils  nacli  einigen  Wochen. 
Ein  mit  neutraler  doppelt  normaler  Magnesiumsulfatlösung  und 
mit  von  Platindraht  umwickeltem  Magnesiumdraht  zusammenge- 
setzter Apparat  zeigte  nach  8  Tagen  einen  Druck  von  95  Atm. 
und  zersprang  schließlich. 

Natrium.  Selbst  bei  Anwendung  eines  einprocentigen  Amal- 
gams und  einer  zehnfachnormalen  Natronlösung  fand  Zertrümme- 
rung des  Apparats  infolge  eines  Drucks  von  90  Atm.  statt. 

Kupfer  und  Silber,  die  mit  Säuren  bekanntlich  Wasserstoff  nicht 
entwickeln,  können  demgemäß  nur  nach  Bruchtheilen  einer  Atmos- 
phäre zählende  Maximaltensionen  besitzen. 

Wir  enthalten  uns  vorläufig,  weitere  Schlüsse  aus  dem  vorlie- 
genden Beobachtungsmaterial  zu  ziehen  und  wollen  nur  noch  darauf 
hinweisen,  daß  die  Spannungsreihe,  in  welche  nach  den  Versuchen 
von  Fr.  Streintz1)  die  in  Lösungen  ihrer  Nitrate  oder  Chloride 
befindlichen  Metalle  sich  einordnen  lassen  , 

Mg,  Zn,  AI,  Cd,  Fe,  Ni,   Cu,  Ag 

offenbar  auch  den  auf  vergleichbare  Konzentrationen  der  Lösun- 
gen reducierten  Werthen  der  Maximaltensionen  entspricht ;  nur 
würde  bei  einer  Ordnung  der  Metalle  nach  der  Größe  ihrer  Maxi- 
maltensionen das  Aluminiu  m  vor  dem  Zin  k  zu  stehen  kommen. 
Allerdings  sind  unsere  Beobachtungen  dem  Einwände  ausge- 
setzt, daß  bei  ihnen  möglicherweise  der  Gleichgewichtszustand  noch 
nicht  erreicht  und  der  Fortschritt  der  Reaktion  nur  stark  verzö- 
gert sei.  Wenn  er  auch  in  anbetracht  des  Umstandes,  daß  in  vie- 
len Fällen  die  Maximaltension  ziemlich  schnell  erreicht  wurde  und 
daß  einer  rapiden  Zunahme  des  Druckes  ein  Zustand  folgte ,  wo 
er  während  sehr  langer  Zeit  sich  wenigstens  nicht  nachweisbar 
änderte ,  wenig  Wahrscheinlichkeit  für  sich  hat ,  so  wäre  es  doch 
im  höchsten  Maaße  erwünscht,  denselben  Gleichgewichtszustand 
von  der  anderen  Seite  her  zu  erreichen.  Der  direkte  Weg  wäre 
natürlich  die  Bestimmung  des  Druckes,  mit  welchem  man  Wasser- 
stoff in  Metallsalzlösungen  hineinpressen  muß,  um  gerade  noch 
Metallabscheidung  zu  erhalten;  allein  in  Anbetracht  der  Thatsache, 
die  auch  wir  gelegentlich  konstatierten,  daß  man  nämlich  mit  Kupfer- 
sulfatlösung Tage  lang  WasserstofFgas  von  nach  mehreren  Atmos- 
phären zählenden  Drucke  in  Berührung  bringen  kann,  ohne  Aus- 
fällung metallischen  Kupfers   zu  erzielen,    trotzdem  die  Maximal- 

1)  Wien.  Ber.  77  410  (1878). 


212       G.  Tammann  und  W.  Nernst,  über  die  Maximaltension  etc. 

tension  von  Kupfer  in  Berührung  mit  seinen  neutralen  Lösungen 
sicherlich  nur  nach  kleinen  Bruchtheilen  einer  Atmosphäre  zählt, 
müssen  wir  schließen ,  daß  der  von  uns  studierte  Gleichgewichts- 
•  zustand  von  der  entgegengesetzten  Seite  aus  noch  ungleich  schwie- 
riger zu  erreichen  ist. 

Ein  anderer  Weg,  der  ebenfalls  zur  gesuchten  Maximaltension 
führen  dürfte,  würde  darin  bestehen,  daß  man  die  Metallsalzlösung 
elektrolysiert  und  den  Druck  bestimmt,  bei  welchem  an  der  Ka- 
thode die  Wasserstoffentwickelung  aufhört  und  die  Metallabschei- 
dung  beginnt.  Thatsächlich  beobachteten  wir  denn  auch,  wie  bei 
der  Elektrolyse  eine  bezüglich  des  Gehaltes  an  Schwefelsäure  und 
Zinksulfat  je  05-normalen  Lösung,  wobei  als  Anode  Zinkamalgam 
und  als  Kathode  ein  Platindraht  diente,  mit  zunehmendem  Druck 
eine  immer  reichlichere  Zinkabscheidung  stattfand;  allein  sie  war 
immer  noch  von  Wassenstoffentwickelung  begleitet,  bis  der  Appa- 
rat schließlich  zersprfang ,  und  ein  scharfer  Uebergangspunkt  ließ 
sich  nicht  konstatieren.  Wahrscheinlich  wirken  die  durch  die  Elek- 
trolyse in  der  Nähe  der  Kathode  hervorgerufenen  Konzentrations  - 
änderungen  im  hohen  Maaße  störend. 

Wir  wollen  unsere  Mittheilung  nicht  ohne  den  Hinweis  schlie- 
ßen, daß  wir  in  den  Ergebnissen  unserer  bisherigen,  übrigens  nicht 
ganz  einfachen  und  gefahrlosen  Versuche  nur  den  ersten  An- 
fang einer  eingehenderen  Erforschung  eines  chemischen  Gleichge- 
wichtszustandes erblicken,  dessen  hohes  theoretisches  Interesse 
aus  den  im  ersten  Theile  unserer  Notiz  mitgetheilten  Beobach- 
tungen wohl  zur  Genüge  erhellt.  Da  wir  äußerer  Umstände  willen 
die  gemeinschaftliche  Fortführung  unserer  Versuche  abbrechen 
mußten,  veröffentlichen  wir  jetzt  schon  die  bisherigen  Resultate, 
deren  Unvollständigkeit  Niemand  mehr  empfinden  kann,  als  wir 
selber ;  doch  wir  entschlossen  uns  zur  Publikation  in  der  Hoffnung, 
die  Aufmerksamkeit  auf  ein  bisher  zu  wenig  beachtetes  Gebiet  zu 
lenken,  für  dessen  Erforschung  wir  die  leitenden  Prinzipien  gegeben 
zu  haben  glauben ,  welches  seinen  experimentellen  Ausbau  jedoch 
noch  fast  völlig  von  der  Zukunft  zu  erwarten  hat. 

Dorpat  und  Göttingen  im.  Juni  1891. 


G.  Tarn  mann,  über  die  Permeabilität  von  Niederschlagsmembranen.     213 

Ueber  die  Permeabilität  von  Niederschlags- 
membran en, 

Von 

0.  Tainmann. 

Um  die  Thatsache  der  Semipermeabilitität  zu  erklären,  hat 
M.  Traube1)  in  den  Niederschlagsmembranen  Poren  angenommen, 
durch  die  wohl  die  Wassermoleküle  hindurch  diffundiren,  die  aber 
von  den  Molekülen  gewisser  anderer  Stoffe  nicht  passirt  werden 
können.  Nach  Traube  sind  die  Niederschlagsmembranen  Atom- 
siebe, mit  deren  Hülfe  man  die  relative  Größe  der  Moleküldurch- 
messer bestimmen  kann.  Aus  der  Porentheorie  T raube's  folgt 
der  Satz:  Moleküle,  die  durch  die  Niederschlagsmembranen  mit 
weiten  Poren  nicht  hindurchgehn,  können  durch  Niederschlagsmem- 
branen mit  engen  Poren  erst  recht  nicht  durchtreten.  Sollten  sich 
Thatsachen  finden,  die  gegen  diesen  Satz  sprechen,  so  wäre  die 
Porentheorie  T  r  a  u  b  e  's  hinfällig. 

In  jüngster  Zeit  hat  0  s  t  w  a  1  d  *)  die  Anschauungen  Tra  u b  e  's 
auf  die  Ionen  der  gelösten  Stoffe  übertragen  und  darauf  aufmerk- 
sam gemacht,  daß  man  nicht  von  der  Durchlässigkeit  der  Membran 
für  ein  Salz ,  sondern  von  der  für  bestimmte  Ionen  zu  sprechen 
hätte.  Ein  Salz  kann  nur  dann  durch  die  Membran  treten ,  wenn 
beide  Ionen  desselben  die  Membran  zu  durchdringen  vermögen. 
Vermag  auch  nur  eines  der  Ionen  die  Membren  nicht  zu  durch- 
dringen, so  wird  auf  der  anderen  Seite  der  Membran  das  Salz  nie 
nachgewiesen  werden  können.  Aus  Ostwalds  Anschauungen 
ergiebt  sich  betreffs  des  Verhaltens  von  Salzen  gegenüber  Nieder- 
schlagsmembranen ein  allgemeiner  Satz,  nämlich  der:  daß  alle  Ver- 
bindungen eines  Ions,  welches  die  Membran  nicht  durchdringt, 
ebenfalls  nicht  durch  die  Membran  diffundiren.  Dieser  Satz  könnte 
durch  das  Verhalten  des  nichtdissociirten  Antheils  mannigfache  Ein- 
schränkungen erleiden ,  da  ja  immerhin  der  Fall  denkbar  wäre, 
daß,  wenn  auch  beide  Ionen  durch  die  Membran  nicht  diffundiren, 
es  doch  der  nicht  dissociirte  Antheil  thut.  Einen  Satz  zu  schaffen, 
wie  den :  kann  eine  der  Ionen  oder  beide  Ionen  die  Membran  nicht 
durchdringen,  so  kann  es  der  nicht  dissociirte  Antheil  auch  nicht, 
wäre  mindestens  verfrüht,    da  die  Beobachtungen  von  Pfeffer8) 

1)  M.  Traube,  Archiv  f.  Anatomie  und  Physiologie  1867,  p.  87. 

2)  W.  Ostwald,  Zeitschrift  f.  phys.  Chcm.  VI,  p.  71,  1890. 

3)  W.  Pfeffer,  Abhandlungen  der  sächsischen  Gesellsch.  IG,  p.  338,  1890. 


214  GL  Tarn  mann, 

am  Protoplasma  strickt  gegen  die  auf  dem  Boden  der  Porentheorie 
stehende  Ansicht  sprechen,  nämlich  die:  ein  Stoff  geht  um  so  leich- 
ter durch  eine  Membran,  je  weniger  Atome  in  seinem  Molekül  ent- 
halten sind.  Es  ist  nicht  bekannt ,  ob  bei  der  Diffusion  eines 
Elektrolyten  durch  eine  Niederschlagsmembran  die  Ionen  oder  der 
nichtdissociirte  Antheil  oder  beide  Arten  von  Molekülen  diffundiren. 
Es  werden  später  einige  Messungen  über  die  durch  eine  Nieder- 
schlagsmembran durchdiffundirten  Mengen  verschiedener  Säuren  mit- 
getheilt  werden,  aus  denen  allerdings  zu  folgen  scheint,  daß  haupt- 
sächlich die  Ionen  die  Membran  durchdringen. 

Zur  Prüfung  der  Anschauungen  von  Traube  und  Ostwald 
habe  ich  eine  Reihe  von  Versuchen ,  theils  schon  vor  mehreren 
Jahren,  ausgeführt.  Die  einzigen  mir  bekannten  Angaben  über 
die  Permeabilität  von  Niederschlagsmembranen  rühren  von  M. 
Traube1)  und  mir2}  her;  da  unter  denselben  einige  widerspre- 
chende Angaben  vorkommen ,  so  habe  ich  sie  bei  anderer  Ver- 
suchsanordnung nochmals  geprüft. 

1.  Ist  man  berechtigt  die  Nie  der  schlagsmembra- 
nen  als  Molekül  siebe  zu  betrachten?  Zur  Entscheidung 
dieser  Frage  wurden  mit  den  Membranen,  die  sich  bei  der  Berührung 
der  Lösungen  von  Gerbsäure  und  Leim,  von  Ferrocyankalium  und 
Zinksulfat  und  von  Ferrocyankalium  und  Cupfersulfat  bilden,  Ver- 
suche betreffs  ihrer  Permeabilität  für  Farbstoffe  angestellt.  Die  Con- 
centrationen  der  Membranogene  waren  folgende  ;  Gerbsäure  1%  Leim, 
1%  Lösung;  Cupfersulfat,  Zinksulfat  und  Ferrocyankalium  0.05  g 
Molekül  in  Liter.  Zu  den  Lösungen  der  Gerbsäure  und  des  Ferro- 
cyankaliums  wurde  ein  wenig  der  tabellirten  Farbstoffe  gesetzt,  und 
deren  Lösungen  dann  vorsichtig  in  einem  Reagensrohr  auf  die  Leim-, 
die  Kupfer-  und  Zinksulfatlösung  geschichtet.  Nach  einer  Stunde 
wurde  nachgesehen  ob  durch  die  Membran  etwas  vom  Farbstoff 
durchgedrungen  war.  Blieb  die  Grenze  zwischen  der  angefärbten 
Lösung  und  der  farblosen  scharf,  wie  gleich  nach  dem  Uebereinander- 
schichten,  so  wurde  in  der  Tabelle  impermeabel  verzeichnet.  Hatte 
sich  dagegen  um  die  Membran  ein  nach  unten  hin  heller  abschat- 
tirter  Hof  gebildet,  so  wurde  in  der  Tabelle  permeabel  notirt.  Ich 
habe  dabei  drei  verschiedene  Grade  der  Permeabilität  unterschie- 
den ;  die  Abkürzungen  in  der  Tabelle  bedeuten :  perm.  sp.  nur  eine 
leichte  Andeutung  des  Hofes,  perm.  eine  sehr  deutliche  Ausbildung 


1)  M.  Traube,  loc.  cit.  p.  133—141. 

2)  G.  Tammann,  Wied.  Ann.  34,  p.  310,  1888    und  Memoires   de  l'Acad. 
<Je  St.  Petersbourg  35,  N.  9,  p.  169,  1887. 


über  die  Permeabilität  von  Niederschlagsmembranen. 


215 


des  Hofes  und  sehr  perm.  ein  sofortiges  Erscheinen  des  Farbstoffes 
in  der  angefärbten  Lösung.  In  diesem  letzteren  Falle  wird  die 
ganze  farblose  Lösung  bald  gefärbt.  Geht  der  Farbstoff  sehr  lang- 
sam durch  die  Membran,  so  haben  sich  die  osmotischen  Druckdif- 
ferenzen schon  ausgeglichen  bevor  der  Farbstoff  in  deutlich  wahr- 
nehmbarer Menge  durch  die  Membran  diffundirt  ist,  und  die  Be- 
dingung zur  Ausbildung  des  gefärbten  Hofes,  das  Fehlen  störender 
Convectionsströme  ist  vorhanden.  Geht  aber  Farbstoff  in  großen 
Quantitäten  durch  die  Membran,  so  wird,  da  der  osmotische  Strom 
anfangs  seine  volle  Thätigkeit  entwickelt,  die  ganze  Lösung  durch 
die  Convectionsströme  gefärbt.  In  den  ersten  6  Stunden  war  bei 
keinem  Farbstoffe,  wenn  derselbe  nicht  innerhalb  der  ersten  Stunde 
durchgetreten  war,  eine  Diffusion  durch  die  Membran  zu  bemerken. 
Nach  24  Stunden  aber  hatte  sich  an  der  gerbsauren  Leim  und  der 
Ferrocyankupfermembran  eine  starke  Fällung  gebildet;  in  Folge 
dessen  waren  in  die  Leimlösung  alle  in  der  Tabelle  verzeichneten 
Farbstoffe,  mit  Ausnahme  von  Lackmus  gelangt;  ebenso  in  die 
Kupferlösung  alle  mit  Ausnahme  von  Methyl  violett  2B,  Brillant- 
grün, Baumwollenblau,  Methylorange  und  Lackmus.  In  der  Zink- 
sulfatlösung war  nach  24  Stunden  nichts,  was  nicht  schon  in  der 
ersten  Stunde  bemerkt  wurde,  durchgetreten.  Die  Ferrocyanzink- 
membran  hatte  sich  aber  auch  nur  wenig  verdickt,  sie  war  trübe 
geworden,  starke  Fällungen  bilden  sich  an  ihr  nie  aus.  Fast  alle 
der  untersuchten  Farbstoffe  sind  Salze,  nur  Eosin  und  Methyleosin 
sind  freie  Säuren  und  gerade  diese  sind  am  reichlichsten  durch 
alle  Membranen  hindurchgetreten.  Wie  wir  später  sehn  werden, 
gehn  alle  Säuren  durch  die  Niederschlagsmembranen.  Alle  anderen 
Farbstoffe  sind  Salze,  und  zwar  haben  wir  2  Gruppen  zu  unter- 
scheiden: I.  Salze,  deren  Basen  gefärbt  sind,  untersucht  wurden 
Chloride,  Oxalate,  Pikrate;  II.  Natronsalze,  deren  Säureradieale 
gefärbt  sind  und  die  größtenteils  zu  den  Sulfonsäuren  gehören. 
Die  Stoffe  sind  der  Kürze  wegen  mit  ihren  Handelsnamen  bezeich- 
net, und  innerhalb  jeder  Gruppe  nach  der  Anzahl  von  Atomen  im 

im  gefärbten  Ion  geordnet. 

Membran  aus  ge 
saurem  Leim 

perm. 

perm.  sp. 

perm. 

imper. 

perm.  sp. 

perm. 

imper. 


I.     Salze  gefärbter  Basen. 

Fuchsin  Chlorid 

Diamantfuchsin  Chlorid 

Safrania-Chlorid 

Methylviolett  2B  Chlorid 

Brillantgrün-Oxalat 

Anilingrün-Pikrat 

Methylviolett^BChlorid 


aus  Fcrro- 

aus  Ferro- 

cyanzink ; 

cyankupfer. 

imper. 

perm.         1 

imper. 

perm.'sp.  2 

imper. 

imper. 

imper. 

imper. 

imper. 

imper. 

perm.  sp. 

imper. 

imper. 

iinper. 

216 

G.  Tammann, 

II.    Natronsalze  der 

Membran  aus  gerb 

•  aus  Ferro- 

aus  Ferro- 

Sulfonsäuren. 

saurem  Leim; 

cyanzink ; 

cyankupfer. 

Methylorange 

perm. 

imper. 

imper. 

Orange  2 

imperm. 

imper. 

imper. 

Bordeaux  R 

perm.  sp. 

perm. 

imper. 

3. 

Ponceau  3R 

perm.  sp. 

perm.  sp. 

perm. 

4. 

Marineblau 

imper. 

imper. 

imper. 

Baumwollenblau 

imper. 

perm. 

imper. 

5. 

Erytrosin  extra,  Tetrajod- 

fluorescennatrium 

perm. 

sehr  perm. 

imper. 

6. 

Lackmussaures-Kali 

imper. 

imper. 

imper. 

Säuren. 

Eosin 

sehr  perm. 

perm. 

sehr  perm 

.7. 

Methylosin 

sehr  perm. 

sehr  perm. 

sehr  perm 

Von  17  Farbstoffen  gehen  11  durch  die  Membran  aus  Gerb- 
säure und  Leim,  7  durch  die  Ferrocyanzinkmembran  und  nur  5 
durch  die  Ferro cyankupfermembr an.  Betrachtet  man  die  Mem- 
branen als  Atomsiebe,  so  hätte  man  damit  die  Reihenfolge  der 
Lochweiten  in  den  Sieben  festgestellt.  Notwendigerweise  darf 
aber  ein  Atom,  welches  durchs  Sieb  mit  größter  Lochweite  nicht 
hindurchgeht,  ein  Sieb  mit  engen  Löchern  erst  recht  nicht  passiren. 
Man  kann  sich  leicht  in  der  Tabelle  überzeugen,  daß  dieser  Be- 
dingung nicht  genügt  wird.  Es  kommen  7  Ausnahmen  vor,  die 
in  der  Tabelle  mit  Ziffern  bezeichnet  sind. 

2.  Diffusion  der  Säuren  durch  die  Ferrocyankupfer- 
membran.  Alle  Säuren  durchdringen  die  Niederschlagsmembran  aus 
Ferro cyankupf er,  und  zwar  diffundiren  die  schwachen  Säuren  wenig, 
die  starken  Säuren  in  großer  Menge  durch  die  Membran.  Man  kann 
die  Diffusion  der  Säuren  durch  eine  Ferro  cyankupfermembr  an  leicht  in 
folgender  Weise  verfolgen.  Ueber  eine  Lösung  der  Säure  (0.05  GM.) 
und  des  entsprechenden  Kupfersalzes  (0.05  GM.)  wird  in  einem 
schief  gehaltenen  Reagensglase  eine  mit  Lackmus  gefärbte  Lösung 
von  Ferro cyankalium  (0.1  GM.)  geschichtet.  Bei  den  starken  Säuren : 
Salzsäure,  Salpetersäure,  Schwefelsäure,  Pseudocumolsulfonsäure  und 
Trib^omessigsäure  nimmt  man  dicht  über  der  Ferrocyankupfer- 
membran  eine  scharf  ausgebildete  rothe  Zone  wahr ,  aus  der  sich 
rothe  Schlieren  durch  die  Ferrocyankaliumlösung  erheben,  oben 
sammeln  sich  die  verdünnten  Lösungsschichten  der  Ferrocyankalium- 
lösung an ,  und  in  einer  Minute  färbt  sich  etwa  1  cm  Lösungs- 
säule von  oben  herab  nach  unten  hin  roth.  Bei  schwachen  Säuren 
ist  der  rothe  Saum  über  der  Ferrocyankupfermembran  nicht  zu 
beobachten,    sonst  geht  wie  früher  die  Rothfärbung  der  Lösung 


über  die  Permeabilität  der  Niederschlagsmembranen.  217 

nur  langsam,  von  oben  herab  vor  sich.  Die  untersuchten  schwa- 
chen Säuren  sind :  Essigsäure,  Propionsäure,  Isobuttersäure,  Milch- 
säure ,  Bernsteinsäure,  Malonsäure,  Weinsäure,  Citronensäure, 
Mono-,  Di-  und  Trichloressigsäure.  Natürlich  kann  man  bei  an- 
ders gewählten  Concentrationen  der  Lösungen  auch  andere  Bilder 
beobachten.  Herrscht  in  der  Lösung  der  Säure  und  des  Kupfer- 
salzes höherer  osmotischer  Druck  als  in  der  Ferrocyankaliumlö- 
sung,  so  tritt  die  Rothfärbung  ebenfalls  an  der  oberen  Seite  der 
Membran  auf,  um  sich  aber  von  unten  nach  oben  langsam,  ent- 
sprechend der  Diffusion  der  Säure,  zu  verbreiten. 

Die  Beobachtung,  daß  starke  Säuren  augenscheinlich  in  bedeu- 
tend größerer  Menge  als  die  schwachen  Säuren  durch  die  Ferrocyan- 
kupfermembran  treten,  machte  einige  quantitative  Parallelversuche 
mit  verschiedenen  Säuren  wünschenswerth.  In  eine  flache  Schale 
von  10.5  cm  Durchmesser  wurden  80  cbcm  einer  Lösung  von  Ferro- 
cyankalium  (0.05  GrM.)  gebracht ,  die  Lösung  mit  einem  Stück 
Pergamentpapier  überdeckt  und  auf  dieses  immer  100  cbcm  einer 
Lösung  von  Säure  mit  dem  Zusatz  des  entsprechenden  Kupfer- 
salzes gebracht.  Nach  einer  kurzen  Zeit  wurde  die  überdiffun- 
dirte  Säure  in  der  ganzen  Portion  der  Ferrocyankaliumlösung  mit 
normaler  Natronlauge  titirt.  In  folgender  Tabelle  sind  für  jeden 
Versuch  die  Anzahl  von  verbrauchten  cbcm  Natronlauge  neben  der 
seit  Beginn  des  Versuchs  verflossenen  Zeit  in  Minuten  notirt. 

0.5  GM.  HCl  -f  0.05  GM.  CuCl9  0.5  GM.  HN08  +  0.05  GM.  Cu  (N08)9 

Zeit       cbcm  norm.  Natronl.  Zeit        cbcm  norm.  Natronl. 


8 

2.6 

10 

3.6 

11 

4.2 

14 

5.6 

16 

8.7 

18 

7.7 

30 

9.4 

33 

11.7 

70 

16.0 

45 

14.8 

70 

15.9 

62 

18.0 

80 

18.0 

102 

21.9 

120 

21.8 

0.25.  GM. 

H,S04 

-f-  0.05  GM. 

CuS04 

0.5GM.CH8 

COOH  +  0.05  GM.  Cu  (CH  COO)a 

Zeit 

cbcm 

norm.  Natronl. 

Zeit 

cbcm 

norm.  Natronl. 

10 

2.6 

12 

1.0 

22 

3.4 

20 

1.6 

60 

8.2 

62 

3.9 

84 

9.7 

120 

6.2 

120 

12.2 

180 

7.9 

318 

17.5 

376 

12.5 

Nach  Eintritt  des  Gleichgewichts 

,  nachdem  auf  beiden  Seiten  der 

218  GL  Tammann, 

Membran  die  Concentration  der  Säure  dieselbe  geworden  ist,  müß- 
ten 22  cbcm  norm.  Natronlauge  zur  Sättigung  in  den  80  cbcm  Fer- 
rocyankaliumlösung  verbraucht  werden.  Am  schnellsten  wird  dieser 
Gleichgewichtszustand  bei  Salpetersäure  und  Salzsäure  erreicht.  Die 
durch  den  osmotischen  Wasserstrom  hervorgerufenen  Convections- 
ströme  beschleunigen  den  Eintritt  des  Gleichgewichts  in  hohem 
Maasse.  Durch  ein  Stück  Pergamentpapier  diffundirte  von  oben 
nach  unten  durch  Pergamentpapier  unter  ganz  ähnlichen  Bedin- 
gungen, nur  waren  die  beiden  Membranogene  nicht  zugefügt  wor- 
den, in  70  Minuten  0*0043  GM.,  während  in  derselben  Zeit  durch 
die  Pergamentschicht  mit  einer  Ferrocyankupfermembran  0.0160  GM., 
also  die  vierfache  Menge  hindurch  diffundirte.  Nach  15  Minuten 
sind  in  Grammmolekülen  durch  die  Ferrocyankupfermembran  hin- 
durch diffundirt 

Salzsäure  0.0070  GM 

Salpetersäure  0.0060 
Schwefelsäure  0.0034 
Essigsäure  0.0011. 

Unter  denselben  Bedingungen,  mit  der  Abweichung,  daß  die  Schale 
Ferrocyankaliumlösung  von  0.025  GM.  und  die  Lösung  auf  dem 
Pergamentpapier  0.25  GM.  der  folgenden  Säuren  plus  0.025  GM. 
des  Kupfersalzes  der  entsprechenden  Säure  enthält,  sind  in  75  Mi- 
nuten in  Grammmolekülen  durch  die  Ferrocyankupfermembran  hin- 
durchdiffundirt 

Salzsäure  0.0090  GM. 

Trichloressigsäure     0.0066 

Monochloressigsäure  0.0033 

Essigsäure  0.0026. 

Bei  verschiedenen  Säuren  ordnen  sich  die  durch  die  Ferrocyan- 
kupfermembran hindurchdiffundirten  Mengen  in  der  Reihenfolge 
der  Gehalte  jener  Lösungen  an  dissociirten  Molekülen.  Ob  die  dif- 
fundirten  Mengen  wirklich  proportional  der  Anzahl  von  Ionen  in 
den  Lösungen  sind ,  läßt  sich  nicht  entscheiden ,  da  man  die  Con- 
centration der  Säurelösung  an  der  Ferrocyankupfermembran  nicht 
kennt.  Die  Säurelösung  wird  ja  beständig  durch  den  osmotischen 
Strom  verdünnt.  Die  Frage,  ob  die  nicht  dissociirten  Antheile  die 
Membran  durchdringen,  kann  also  auf  Grund  jener  Versuche  weder 
bejaht  noch  verneint  werden.  Man  darf  nur  behaupten,  daß  haupt- 
sächlich die  Ionen  die  Membran  durchdringen. 

3.    Diffusion  von  Salzen  durch  Niederschlagsmembra- 
nen.    Traube1)  hat  von  der  Ferrocyankupfermembran  angegeben, 

1)  M.  Traube,  loc.  cit.  p.  133— Hl. 


über  die  Permeabilität  von  Niederschlagsmembranen.  219 

daß  sie  für  Chlorkalium,  Chlornatrium  und  Chlorammonium  permeabel, 
für  Baryumchlorid  und  Nitrat,  Calciumchlorid,  Kalium  und  Ammo- 
niumsulfat impermeabel  ist.  Ich  habe  früher  die  Angabe  für  Ka- 
liumsulfat bestätigt,  habe  mich  aber  jetzt  überzeugt,  daß  alle  die 
von  Traube  angegebenen  Salze,  mit  Ausnahme  von  Calciumchlo- 
rid ,  die  Membran  zu  durchdringen  vermögen.  Von  der  Membran 
aus  gerbsaurem  Leim  giebt  Traube  an,  daß  sie  von  Chlorammo- 
nium, Ammoniumsulfat,  Baryumnitrat  und  Schwefelsäure  durch- 
drungen wird ;  impermeabel  soll  dieselbe  für  Ferrocyankalium  sein. 
Die  letzte  Angabe  ist  nicht  richtig ;  denn  eine  Membran  aus  gerb- 
saurem Leim  vermehrt  den  Widerstand  einer  Ferrocyankaliumlö- 
sung,  die  vor  ihr  in  zwei  untereinander  nicht  zusammenhängende 
Theile  getrennt  wird,  und  außerdem  kann  man  leicht  nach  dem 
unten  beschriebenen  Verfahren  zeigen ,  daß  Ferrocyankalium  wie 
auch  Cupfersulfat  in  recht  bedeutenden  Mengen  durch  die  Membran 
treten.  Man  kennt  also  für  die  Membran  aus  gerbsaurem  Leim 
kein  Metallsalz,  für  welches  die  Membran  impermeabel  ist. 

Schichtet  man  in  einem  schief  gehaltenen  Probirglase  über 
eine  Lösung  von  Ferrocyankalium  eine  Lösung  von  Cupfersulfat 
und  Kaliumsulfat,  so  kann  man  nach  10  Minuten  in  der  Ferrocyan- 
kaliumlösung  eine  geringe  Menge  von  Kaliumsulfat  nachweisen. 
Da  aber  gewöhnlich  während  dieser  Zeit  eine  stärkere  Fällung 
von  Ferrocyankupfer  eintritt ,  und  da  auch  ohne  Zusatz  von  Ka- 
liumsulfat zur  Kupfersulfatlösung  nach  der  Bildung  einer  starken 
Fällung  Kaliumsulfat  in  der  Ferrocyankaliumlösung  nachweisbar 
ist,  so  bleibt  man  im  Zweifel,  ob  das  Kaliumsulfat  durch  die  Mem- 

kbran  hindurchdiffundirt  oder  bei  der  Bildung  der  Fällung  in  die 
Ferrocyankaliumlösung  gelangt  ist.  Man  kann  Versuche  über  die 
Permeabilität  der  Ferrocyankupfermembran  Salzen  gegenüber  mit 
viel  größerer  Sicherheit  anstellen,  wenn  man  die  Ferrocyankupfer- 
haut,  wie  es  Pfeffer1)  gethan,  in  Pergamentpapier  einlagert. 
Dadurch  verzögert  man  das  Eintreten  der  störenden  Fällung  sehr 
bedeutend.  Nach  1  Stunde  ist  auf  dem  Pergamentpapier  nur  eine 
braune  Färbung  entstanden,  und  auch  nach  3  und  4  Stunden  ist 
die  Fällung  von  Ferrocyankupfer  so  gering,  daß  es  nicht  gelingt, 
in  der  Ferrocyankaliumlösung  Kaliumsulfat  nachzuweisen.  All  die 
untersuchten  Salze  gehen  sehr  leicht  durch  das  Pergamentpapier 
hindurch,  so  daß  diese  die  Resultate  wenigstens  in  qualitativer  Rich- 
tung hin  nicht  beeinflussen  kann.  Zur  Ausführung  der  folgenden 
Prüfungen  wurde  auf  ein  kleines  Uhrglas  eine  Lösung  von  Ferro- 


1)  W.  Pfeffer,  Osmotische  Untersuchungen  1877,  p.  12. 


220  Ö.  Tammann, 

cyankalium  (0.1  GM)  gebracht,  nach  dem  Bedecken  dieser  mit  Per- 
gamentpapier, wurde  aufs  Papier  eine  Lösung,  die  0.1  GM.  des  zu 
prüfenden  Salzes  und  0.1  GM.  des  entsprechenden  Kupfersalzes  ent- 
hielt, gegossen.  Entweder  wurde  auf  das  diesen  beiden  Salzen 
gemeinsame  Ion,  oder  auf  das  dritte  vorhandene  Ion  in  der  Ferro- 
cyankaliumlösung  geprüft.  Die  Concentrationen  der  Lösungen  sind 
so  gewählt,  daß  der  osmotische  Strom  Convectionsströme  veranlaßt, 
die  für  Vertheilung  des  durchgetretenen  Stoffes  in  der  Ferrocyan- 
kaliumlösung  sorgten.  Wenn  nicht  eine  andere  Zeit  angegeben  ist, 
so  blieben  die  Lösungen  eine  Stunde  lang  in  Berührung. 

Von  den  Sulfaten  diffundiren  durch  die  Ferrocyankupfermem- 
bran  in  geringer  Menge  Ammoniumsulfat,  in  bedeutend  geringerer 
Menge  Kaliumsulfat  und  Natriumsulfat  und  in  Spuren  Lithium- 
sulfat. Für  Magnesiumsulfat  ist  die  Membran  ganz  impermeabel, 
auch  nach  5  Stunden  war  in  der  Ferrocyankaliumlösung  keine 
Schwefelsäure  nachzuweisen.  Ueber  das  Verhalten  der  Chloride, 
Bromide,  Nitrate  und  Dithionate  der  alkalischen  Erdmetalle  giebt 
folgende  Zusammenstellung  einen  Ueberblick.  Es  wurde  nach  1 
und  3  Stunden  in  der  Ferrocyankaliumlösung  auf  das  Vorhandensein 
des  Salzes  der  alkalischen  Erde  mit  kohlensaurem  Natron  geprüft. 


Cl2 

Br2 

(N03)2 

s*o6 

Ba 

perm. 

perm. 

perm. 

imp. 

S2 

perm. 

perm. 

imp. 

perm 

Ca 

imp. 

imp. 

imp. 

imp. 

Mg 

imp. 

imp. 

imp. 

— 

Chlorbaryum  war  am  meisten  durchgetreten,  von  allen  anderen 
Salzen  nur  Spuren.  Von  den  Kalk-  und  Magnesiumsalzen  diffun- 
dirt  kein  einziges  durch  die  Membran.  Die  Chloride,  Bromide  und 
Nitrate  von  Kalium ,  Ammonium ,  Natrium  und  Lithium  gehn  alle 
in  reichlicher  Menge,  vielmehr  als  die  entsprechenden  Sulfate,  durch 
die  Membran.  Die  folgenden  Salze  wurden  zur  Ferrocyankalium- 
lösung gesetzt  und  nach  1  und  3  Stunden  wurde  die  Kupfersulfat- 
lösung abgedampft  und  erhitzt ;  trat  eine  Verfärbung  des  hellblauen 
Kupfersulfats  ein,  so  war  damit  der  Durchtritt  der  Salze  bewiesen. 
Von  den  Kalisalzen  der  Carbonsäuren  geht  am  meisten  ameisen- 
saures, dann  essigsaures,  schließlich  propionsaures  und  malonsaures 
Kalium  durch.  Isobuttersaures  und  isovaleransaures,  bernsteinsaures, 
weinsaures  und  citronensaures  Kalium  diffundiren  nicht  durch  die 
Membran. 

Die  Ferrocyanzinkmembran  verhält  sich,  so  weit  dieselbe  auf 
das  Verhalten  von  Salzen  geprüft  wurde,  ganz  ähnlich  der  Ferro- 
cyankupfermembran.     So   gelten  die  über  das  Verhalten    der  Sul- 


über  die  Permeabilität  von  Niederschlagsmembranen.  221 

fate  gemachten  Angaben  im  selben  Wortlaut  auch  für  die  Ferro- 
cy  anzinkmembr  an . 

Bernsteinsäure,  Weinsäure,  Citronensäure  und  Isobuttersäure 
durchdringen  die  Ferrocyankupfermembran,  für  die  Kalisalze  dieser 
Säure  ist  aber  dieselbe  Membran  impermeabel.  Die  Chloride  und 
Nitrate  der  Alkalien  gehn  in  großen  Mengen  durch  die  Membran, 
ebenso  tritt  viel  Schwefelsäure  durch  dieselbe.  Also  finden  weder 
die  Ionen  Kalium,  Natrium,  Ammonium,  Lithium  und  andererseits 
das  Ion  SO4  an  der  Membran  einen  bedeutenden  Widerstand,  und 
doch  gehn  die  Sulfate  von  Kalium,  Natrium  und  Lithium  nur  in 
sehr  geringer  Menge  durch  die  Membran.  Kaliumdithionat  durch- 
wandert die  Membran,  nicht  aber  Strontiumdithionat,  das  ja  auch 
diffundiren  müßte,  da  ja  Strontiumchlorid,  -bromid  und  -nitrat  die 
Membran  durchdringen. 

Diese  Befunde  sprechen  gegen  die  Ansicht  Ostwalds:  alle 
Salze,  in  denen  ein  Ion  enthalten  ist,  welches  durch  die  Membran 
nicht  diffundirt,  können  ebenfalls  die  Membran  nicht  passiren. 

4.  Um  die  Semipermeabilität  von  Niederschlagsmembranen  zu 
erklären,  hat  Traube  die  Poren  theorie  aufgestellt.  Es  giebt  aber 
noch  eine  Reihe  von  anderen  semipermeabeln  Substanzen,  auf  die 
man  die  Porentheorie  nicht  anzuwenden  braucht,  um  ihre  Semiper- 
meabilität zu  erklären.  Nach  Deville  und  Troost1)  und  Th. 
Graham2)  durchdringt  Wasserstoff,  besonders  leicht  bei  höherer 
Temperatur,  Eisen,  Platin  und  Palladium;  von  diesen  Metallen 
wies  Gr  r  a  h  a  m  nach,  daß  sich  in  ihnen  Wasserstoff  auflöst.  Ler- 
mite  zeigte  Osmose  in  einem  System  von  Aether,  Wasser  und 
Chloroform.  Schichtete  er  diese  Flüssigkeit  in  einem  Rohr  über- 
einander, so  nahm  das  Chloroform  an  Volumen  zu,  indem  der  Aether, 
der  sich  in  Wasser  löst,  durch  dieses  zum  Chloroform  diffundirt. 
Für  Stoffe ,  die  sich  in  Membranen  aus  jenen  Materialien  lösen, 
sind  diese  Membranen  permeabel,  für  solche,  die  in  jenen  Mem- 
branen sich  nicht  lösen,  sind  sie  impermeabel.  N ernst  hat  in 
dieser  Weise  die  Semipermeabilität  z.  B.  fürs  Protoplasma  erklärt. 
In  ganz  derselben  Weise  kann  man  auch  die  Semipermeabilität  der 
Niederschlagsmembranen  verstehn.  Alle  Niederschlagsmembranen 
sind  hydratische  Stoffe.  Für  diese  Hydrate  ist  es,  wie  für  Kiesel- 
säurehydrat, wahrscheinlich,  daß  die  Curven  ihrer  Dampfspannun- 


1)  M.  Deville  und  Troost,  Compt.  rend.  66.  977.  1863. 

2)  Th,  Graham,  Phil.  Mg.  (4)  32  p.  401.  1866. 

3)  L'hermite  Ann.  ehem.  phys.  [3]  43  p.  420.  1854. 

4)  W.  Nernst,  Zeitschrift  f.  phys.  Chem.  VI,  p.  40,  1890. 


222       G.  Tarn  mann,  über  die  Permeabilität  von  Niederschlagsmembranen. 

gen  nach  dem  Wassergehalt  des  Hydrats  hin  dnrch  eine  stetig 
gekrümmte  Linie ,  ohne  Sprünge  wie  bei  gewissen  Salzhydraten, 
dargestellt  wird.  Man  darf  ferner  annehmen,  daß  durch  das  Im- 
bitationswasser ,  das  colloide  Stoffe ,  zu  denen  die  Niederschlags- 
membran gehören ,  aufnehmen ,  die  Dampfspannung  einer  solchen 
hydratischen  Niederschlagsmembran  sehr  nahe  der  des  reinen  Was- 
sers wird.  Der  osmotische  Strom  in  einem  System  einer  Lösung 
einer  Niederschlagsmembran  und  einer  Lösung,  käme  dann  durch 
einen  Destillationsproceß  zustande.  Der  Wassergehalt  der  Mem- 
bran müßte  von  den  Dampfspannungen  der  sie  umgebenden  Lö- 
sungen abhängen.  Hat  die  Lösung  A  größeren  osmotischen  Druck 
als  die  Lösung  ß,  so  würde  zuerst  Wasser  von  B  in  die  Membran, 
durch  diese  in  die  Lösung  A  destilliren  oder  diffundiren.  Ob  ein 
Stoff  außer  Wasser  die  Membran  passiren  kann,  hängt  nur  von 
der  Löslichkeit  jenes  in  der  Membran  ab.  Wir  haben  früher  ge- 
sehn, daß  die  Thatsachen  den  Folgerungen  aus  der  Porentheorie 
nicht  genügen.  Regeln  für  die  Permeabilität  kann  man  aus  den 
oben  entwickelten  Anschauungen  nicht  ableiten.  Besitzen  wir  'doch 
überhaupt  keine  Regeln  ,  die  uns  in  Stand  setzen,  etwas  über  die 
Löslichkeit  zweier  Stoffe  in  einander  vorauszusagen. 

Dorpat,  10.  Mai  1891. 


Inhalt  von  Nr.  6. 

Eduard  Rieche,   zur  Theorie  der  piezoelektrischen  und  pyroelektrischen  Erscheinungen.  —  0.  Tammann 

und  W.  Nernst,  über  die  Maximaltension,  mit  welcher  Wasserstoff  aus  Lösungen  durch  Metalle  in  Freiheit 

gesetzt  wird.  —  Q.  Tammann ,  über  die  Permeabilität  von  Niederschlagsmembranen. 

Für  die  Redaction  verantwortlich:    E.  Sauppe,  Secretar  d.  K.  Ges.  d.  Wia». 
Commissions-Verlag  der  Dieterich' sehen  Verlags- Buchhandlung. 
Druck  der  Dieterich' sehen  Univ.- Buchdrucker  ei  ( W.  Fr.  Kaestner). 


Nachrichten 


von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu  Göttingen. 


19.  August.  J|g  7.  1891. 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  4.  Juli. 

Sc  he  ring  legt  eine  neue  Lösung  der  Kepplerschen  Gleichung  vor. 

Schwarz  macht  eine  Mittheilung  über  ein  demnächst  zu  veröffentlichendes  Ver- 

zeichniß  aller   (oder  wenigstens  der  Mehrzahl)    derjenigen  Schriften,   welche 

seit  dem  Jahre  1761  veröffentlicht  sind  und  sich  mit  der  Theorie  der  Flächen 

kleinsten  Flächeninhalts  beschäftigen. 
R  i  e  c  k  e  legt  eine  Abhandlung  vor :  ȟber  eine  mit  den  elektrischen  Eigenschaften 

des  Turmalins  zusammenhängende  Fläche  4.  Ordnung«. 
Klein  legt  eine  Arbeit  des  Herrn  Dr.  Hubert  in  Königsberg  vor:    >über  die 


Theorie  der  algebraischen  Invarianten«. 


Wüsten  fei  d  übergiebt  für  den  Band  37  der  Abhandlungen  eine  Fortsetzung 
seiner  früheren  Arbeiten  über :  »Die  gelehrten  Schäfi'iten  des  5.  Jahrhunderts 
der  H.« 

de  Lagarde  legt  einen  Aufsatz  des  Herrn  Dr.  Rahlfs:  ȟber  Lehrer  und 
Schüler  bei  Junilius  Africanus«  vor. 


IJeber    eine  mit  den   electrisclien  Eigenschaften 
des  Turmalins  zusammenhängende  Fläche. 

Von 

Eduard  Riecke. 

Wir  beziehen  den  Turmalin  auf  ein  rechtwinkliges  Coordi- 
natensystem,  dessen  z-Axe  mit  der  dreizähligen  Symmetrieaxe  zu- 
sammenfällt,  während   die  #-Axe  auf  einer  Symmetrieebene  Benk- 

fcueurichten  von  d.  K.  (i.d.  W.  zn  Göttinnen.    189J.    Nr.  7.  y]     ' 


224  Eduard  Riecke, 

recht  steht.  Es  sei  eine  beliebige  Richtung  dadurch  bestimmt,  daß 
ihre  Cosinusse  mit  Bezug  auf  die  Coordinatenaxen  gleich  yv  y„  ys 
sind.  Durch  einen  in  dieser  Richtung  ausgeübten  Druck  p  werden 
in  den  einzelnen  Volumelementen  des  Turmalins  elektrische  Mo- 
mente erzeugt,  welche  bezogen  auf  die  Einheit  des  Volumens  die 
Componenten  a,  b,  c  besitzen  mögen.  Nach  den  von  Voigt  aufge- 
stellten Gleichungen  ist: 

a/p  =  Yi&ytQ  +  nR) 

b/p  =  (y?-rf)ö+yfytÄ 
dp  =  s+yiT 

wo  Q ,  R ,  S  und  T  gewisse  dem  Turmalin  eigenthümliche  Con- 
stante  sind. 

Trägt  man  nun  die  einem  bestimmten  Drucke  entsprechenden 
Werthe  von  a/p,  b/p,  c/p  auf  den  Coordinatenaxen  auf,  so  bestim- 
men sie  einen  Punkt,  p ,  welcher  eine  gewisse  Fläche  beschreiben 
wird,  wenn  man  dem  Druck  alle  möglichen  Richtungen  im  Räume 
ertheilt.  Die  Eigenschaften .  dieser  Fläche  sollen  im  Folgenden 
untersucht  werden.  Man  bemerkt  zunächst,  daß  jeder  gegebenen 
Druckrichtung  ein  bestimmter  Punkt  der  Fläche  entspricht ;  der 
Radius  Vektor  dieses  Punktes  giebt  durch  seine  Richtung  die  Rich- 
tung des  piezoelektrischen  Momentes,  durch  seine  Länge  die  Größe 
des  Momentes  an. 

Es  ist  zweckmäßig,  an  Stelle  der  rechtwinkligen  Coordinaten 
Polarkoordinaten  einzuführen,  indem  man 

yt  =  sin  ©  cos  3>,  y2  =  sin  @  sin  <&,  y3  =  cos  & 

a/p  =  psin#cos<p,        b/p  =  q  sin  #  sin  cp,      c/p  =  ecos# 

und  zur  Abkürzung  noch 

psin#  =  6 

setzt.    Die  Voigt 'sehen  Gleichungen  werden  dann: 

|  =  <y  cos  <p  =  Q  sin2  0  sin  2$  -f  R  sin  0  cos  0  cos  # 
rj  =  (5  sin  <p  =  Q  sin2  0  cos  2$  -f  R  sin  0  cos  0  sin  3> 
t  =  Qcosfr  =  S+Tcos20 

Wir  betrachten  zunächst  die  Schnitte  der  Fläche  durch  Ebenen, 
welche  senkrecht  zu  der  ^-Axe  gelegt  werden;  die  einer  solchen 
Schnittkurve  angehörenden  Flächenpunkte  entsprechen  Druckrich- 
tungen, welche  einen  um  die  #-Axe  als  Rotationsaxe  beschriebenen 
Kreiskegel  bilden.    Es  ergiebt  sich  dieß  aus   der  für  die  #-Coor- 


über  eine  m.  den  electr.  Eigenschaften  d.  Turmalins  zusammenhängende  Fläche.    225 

dinate  eines  beliebigen  Flächenpunktes   geltenden  Gleichung  £  —  S 
=  T  cos2  ©.     Setzen  wir : 


so  wird 


#sin20  =  Q',        iZsin0cos0  =  R' 

£  =  #'sin2<£  +  22'cos# 
n  =  Q'cos2$  +  .ß'sin#. 


Die  Größen  Q',  R'  und  £  —  S  können  mit  Hülfe  einer  einfachen 
geometrischen  Construktion  gefunden  werden,  sobald  Q,  R,  T  und 
O  gegeben  sind. 

Die  einem  bestimmten  Werthe  des  Winkels  0  entsprechende 
Schnittkurve,  beziehungsweise  ihre  Projektion  auf  die  #y-Ebene 
kann  nun  in  folgender  Weise  konstruirt  werden.  Wir  beschreiben 
in  der  x  «/-Ebene  um  den  Anfangspunkt  des  Coordinatensystems 
einen  Kreis  mit  dem  Halbmesser  R' ;  durch  den  Anfangspunkt 
ziehen  wir  einen  Radius  Vektor,  welcher  mit  der  x-Axe  den  Win- 
kel (P  einschließt  und  welcher  demzufolge  in  der  durch  die  Druck- 
richtung gehenden  Meridianebene  liegt.  Durchschneidet  dieser  Ra- 
dius den  mit  R'  beschriebenen  Kreis  in  dem  Punkte  c,  so  ziehen 
wir  durch  c  eine  Linie,  welche  mit  der  y-Axe  den  Winkel  2  <P  ein- 
schließt und  schneiden  auf  dieser  von  c  aus  die  Strecke  Q'  ab; 
der  so  erhaltene  Punkt  ist  die  Projektion  eines  Punktes  der  Ober- 
fläche, welcher  das  der  Druckrichtung  (0,  0)  entsprechende  elek- 
trische Moment  repräsentirt. 

Wir  wollen  nun  untersuchen,  welche  Werthe  des  Winkels  & 
dem  Winkel  q>  =  tc/6  entsprechen.    Die  Gleichungen  sind 

<ycosjr/6  =  Q'sm2&  +  R'co3&,       ösmjc/6  =  Q'coa20  +  R'sm$ 

woraus 

Q'  cos  (2$  +  * /6)  =  -R'  sin  (#-«/6)  oder 
#'sin2  (0>  -  */6)  =      R'  sm'(Q-x/6). 

Eine  Lösung  dieser  Gleichung  erhält  man,  indem  man  3>  =  tf/6 
setzt ;  in  diesem  Falle  liegt  also  die  Richtung  des  piezoelektrischen 
Momentes  in  derselben  durch  die  Hauptaxe  gehenden  Ebene  ,  wie 
die  Druckrichtung.    Da  allgemein 

<y*  vm  e'2  +  ir  +  2Ö'JR'sin30>, 

so  wird  für  ®  =  tt/6  :  ff  =  R'+Q'. 

17* 


226  Eduard  Riecke, 

Zwei  weitere  Wurzeln  der  für  <&  geltenden  Gleichung  sind: 

^         ft  _i_  R' 

*  =  -g-±arccosw. 

Ist  Q'  <c  R'/2  so  sind  die  dieser  Gleichung  entsprechenden  Winkel 
imaginär.  Es  existieren  in  diesem  Falle  keine  weiteren  Druckrich- 
tungen, für  welche  das  elektrische  Moment  in  das  Azimut  jt/6  fällt. 
Ist  Q'  —  R'/2,  so  sind  die  beiden  anderen  Wurzeln  der  Gleichung 
ebenfalls  gleich  ä/6.  Wenn  aber  Q'>  R'/2,  so  existieren  noch  zwei 
andere  Azimute  3>,  für  welche  das  Azimut  des  elektrischen  Mo- 
mentes gleich  7t/6  wird.     Es  ergiebt  sich  in  diesem  Falle 

^=^2  +  e'2  +  2JR'Ö'sin(|-±3arccos~) 
m  R'2  +  Q"  +  2  R'  Q'  cos  (3  arc  cos  ^) 

Setzen  wir  hier  für  R'  und  Qf  ihre  Werthe  in  Q,  R  und  0,  so  er- 
giebt sich: 


Da 


nun 


öQ  =  i22cos20-()2sin2@. 
cos30  =  i^, 


so  erhält  man  die  Gleichung 

TQ(6  +  Q)  =  (R* +  (?)$- S).. 

In  dieser  Gleichung  ist  die  folgende  merkwürdige  Eigenschaft 
unserer  Fläche  ausgesprochen.  Wir  haben  gesehen,  daß  die  betrach- 
tete Curve  auf  dem  durch  <p  =  tt/6  bestimmten  Radius  Vektor  jeden- 
falls einen  Punkt  besitzt,  für  welchen  0  =  R'  +  Q'  undd>  ebenfalls 
gleich  jr/6.  Außerdem  hat  aber  die  Curve  auf  demselben  Radius  noch 
einen  Doppelpunkt,  wenn  #' ;>  2  .R' ;  für  diesen  ist  6Q  =  R2cos2& 
—Q*  sin2  0  und  #  =  jt/6  ±  arc  cos  R'/2  Q'.  Auf  der  Oberfläche  selbst 
liegt  die  betrachtete  Curve  in  einer  zur  #-Axe  senkrechten  Ebene, 
deren  Abstand  von  der  ay-Ebene  durch  g  =  S+Tcos2@  gegeben 
ist.  Nun  zeigt  die  letzte  Gleichung,  daß  zwischen  6  und  g  eine  lineare 
Gleichung  besteht ;  d.  h.  die  Doppelpunkte  der  in  den  verschiedenen 


über  eine  m.  den  electr.  Eigenschaften  d.  Turmalins  zusammenhängende  Fläche.    227 

auf  einanderfolgenden  Schnittebenen  befindlichen  Curven  liegen  auf 
einer  geraden  Linie. 

72 

Für  Q'  =  R'  oder  tg  S  =  -j  wird  6  =  0  und  <&  =  jr/2  oder 

gleich  —  % /6. 

Aus  den  Gleichungen  £  =  ,-ß' cos  <&  +  $' sin  2  3>  und  rj  = 
R'  sin  3>  +  Q'  cos2  tf>  ergiebt  sich,  daß  die  zu  untersuchenden  Schnitt- 
kurven Hypocykloiden  sind ,  welche  in  folgender  Weise  kon- 
struirt  werden  können.  In  der  xy-Ehene  beschreiben  wir  um  den 
Anfangspunkt  0  des  Coordinatensystems  einen  Kreis  mit  dem  Halb- 
messer 3  R'ß ;  in  diesem  lassen  wir  einen  zweiten  Kreis  rollen, 
dessen  Halbmesser  gleich  R'ß  ist;  nehmen  wir  auf  dem  rollen- 
den Kreis  einen  Punkt,  jr,  im  Abstände  Q'  von  seinem  Mittelpunkt 
c  und  stellen  wir  den  Kreis  so,  daß  die  Azimute  der  Linien  Oc 
und  Oit  gegen  die  #-Axe  gleichzeitig  den  Werth  jr/6  annehmen, 
so  beschreibt  der  Punkt  it  die  zu  untersuchende  Schnittkurve. 

Es  ist  hiernach  leicht,  einen  Ueberblick  über  die  verschiedenen 
Gestalten  zu  gewinnen,  welche  die  Schnittkurve  annimmt,  wenn  0 
von  0  bis  jr/2  wächst  und  dem  entsprechend  g  von  S  +  T  bis  S  ab- 
nimmt. Für  sehr  kleine  Werthe  von  0  ist  R'  =  R  0  und  Q'  =  Q  0* ; 
die  entsprechende  Hypocykloide  weicht  demnach  nur  sehr  wenig 
ab  von  einem  mit  dem  Halbmesser  R'  beschriebenen  Kreise.  Da 
der  Halbmesser  des  rollenden  Kreises  gleich  dem  dritten  Theil  von 
demjenigen  des  Bahnkreises  ist ,  so  kehrt  der  erstere  genau  in 
seine  Anfangslage  zurück,  wenn  er  drei  Umwälzungen  vollzogen 
hat.  Die  Hypocykloide  bildet  eine  geschlossene  Curve ;  sie  ist 
symmetrisch  mit  Bezug  auf  drei  durch  den  Mittelpunkt  des  Bahn- 
kreises gezogene  Durchmesser,  welche  mit  der  x-Axe  die  Winkel 
jr/6,  5  Tt/ß,  9  jt/6  einschließen.  Der  Radius  Vektor  der  Hypocykloide 
hat  seinen  größten  Werth  R'  -f-  Q'  in  den  Azimuten  <p  =  jr/6, 
=  5  jr/6,  =  9  jz/6,  seinen  kleinsten  Werth  R'—  Q'  in  den  Azimuten 
cp  =  3jt/6,  =  7jt/6,  =  11ä/6.  Die  Cykloide  ist  eine  verkürzte, 
so  lange.  Q'<R'ß.     Wird   Q'  =  R'ß,   also   tg  0  =  RßQ   und 

402  T 
g  =  S  +  4/324.  pi~ >  so  erhalten  wir  eine  gewöhnliche  Hypocykloide 

mit  3  Spitzen.  Wird  Q'  >  R'ß ,  so  wird  die  Hypocykloide  eine 
verlängerte,  mit  Doppelpunkten  in  den  Richtungen  <p  =  ä/6,  =  5jz/6, 
=  9^/6.  Für  Q'  =  R'  geht  die  Cykloide  durch  den  Mittelpunkt 
des  Bahnkreises  hindurch ,  die  drei  Doppelpunkte  fallen  in  einen 
dreifachen  Punkt  zusammen.  Wird  Q'  :>  R',  so  fallen  die  Doppel- 
punkte in  die  Azimute  q>  =  7  jr/6,  =  11 7t/6,  =  3/ä6.  Wenn  end- 
lich 0  nahe  an  %ß  rückt,  so  wird  Q'  =  Q  und  R'  =  R  (jr/2  — 0); 


228  Eduard  Riecke, 

für  0  ==  ar/2  geht  die  Cykloide  über  in  einen  Kreis  mit  dem  Halb- 
messer Q ;  gleichzeitig  wird  %  ===  8  und  für  die  Doppelpunkte  0  =  —  Q. 

"Wir  wenden  uns  nun  zu  der  Untersuchung  der  Meridian- 
schnitte der  Fläche.  Zuerst  mögen  die  in  einer  der  Sym- 
metrieebenen liegenden  Curven  betrachtet  werden.  Setzen  wir 
(p  =  ar/6,  so  wird  für  die  Maximalwerthe  B'  +  Q'  des  Radius  Vek- 
tors auch  O  =  jr/6  ;  lassen  wir  O  wachsen  von  0  bis  ar/2,  so  sind 
jene  Maximalwerthe  gegeben  durch  6  =  B  sin  0  cos  O  +  Q  sin2  0,  die 
entsprechenden  Werthe  der  -e-Coordinate  durch  £  =  #  +  Teos20. 
Die  in  derselben  Symmetrieebene  liegenden  Minima  der  Radien  Vek- 
toren ,  B'  —  Q'  =  B  sin  0  cos  0  —  $  sin2  Q  erhalten  wir,  wenn  wir 
<p  =  7ä/6,  und  dem  entsprechend  auch  O  =  7ä/6  setzen  und  dann 
wiederum  O  von  0  bis  jr/2  wachsen  lassen.  Die  zugehörigen  *-Coor- 
dinaten  sind  wieder  gegeben  durch  J  =  S  -f  Tcos2  0.  Wenn  wir  nun 
in  der  betrachteten  /Symmetrieebene  für  die  beiden  in  Frage  kom- 
menden Quadranten  die  positive  Richtung  von  ö  so  wählen,  daß 
sie  mit  der  Maximalrichtung  des  Radius  Vektors  übereinstimmt, 
so  haben  wir  das  Vorzeichen  des  Minimalwerthes  umzukehren  und 
erhalten ,  wenn  0  in  dem  Quadranten  #,  +  6  liegt :  6  =  Q  sin2  0 
+  .ß  sin  0  cos  0 ,  wenn  0  in  dem  Quadranten  e,  —  6  liegt:  (?  = 
Q  sin2  0—B  sin  0  cos  0.  Beide  Ausdrücke  können  in  den  einen  6  = 
Q  sin2  0  +  J?sin  0  cos  0  zusammengefaßt  werden,  wenn  wir  0  selbst 
in  dem  ersteren  Quadranten  positiv,  in  dem  zweiten  negativ  neh- 
men. Bezeichnet  man  durch  6  und  6'  die  beiden  Radien,  welche 
einem  und  demselben  absoluten  Werthe  von  0  entsprechen,  so  wird 

— g—  =  Q  sin  0  und  daher  +  *  g      =  1. 

Es  ergiebt  sich  somit  der  Satz :  Zieht  man  in  der  Symmetrie- 
ebene Linien  senkrecht  zu  der  #-Axe,  so  schneiden  diese  die  Ober- 
fläche in  zwei  Punkten ;  die  Halbierungspunkte  der  durch  die  Schnitt- 
punkte gebildeten  Segmente  liegen  in  einer  geraden  Linie,  welche  die 
Punkte  mit  den  Coordinaten  £  =  S,  6  =  6'  =  Q  und  g  •=  S  +  T, 
6  =  ar  =  0  verbindet.     Setzt  man  nun 

so  ergiebt  sich^durch  Elimination  von  0: 

(Tr  +  QZX+B'g*  =  £2T2/4. 

Die  betrachtete  Curve  ist  somit  eine  Ellipse,  deren  Mittelpunkt 
in  dem  ursprünglichen  System  die  Coordinaten  tf  =  Q/2,  £  =  &+  T/2 


über  eine  m.  den  electr.  Eigenschaften  d.  Turmalius  zusammenhängende  Fläche.    22  9 

it  und  welche  von  einer  zu  der  x  «/-Ebene  in  der  Entfernung  S 
gelegten  Parallelebene  im  Abstände  Q  von  der  £-Axe ,  von  einer 
in  der  Entfernung  S  +  T  gelegten  Parallelebene  in  der  z-Axe  selbst 
berührt  wird. 

Diese  Ellipse  repräsentiert  aber  nicht  den  ganzen  Schnitt  der 
Fläche  durch  die  dem  Azimut  q>  =  ä/6  entsprechende  Symmetrie- 
ebene; denn  in  dieser  Ebene  liegen  noch  die  Doppelpunkte  der 
Hypocykloiden ;  die  von  diesen  gebildete  gerade  Linie 

TQ(e+Q)  =  (B* +  «■)»-«) 

402T 

genommen  zwischen  den  Ordinaten  J  =  S  und  g  =  #  +  -r-^ — =5- 

muß  der  Ellipse  noch  hinzugefügt  werden,  um  den  vollständigen 
Schnitt  zu  erhalten.  Aus  dem  Folgenden  geht  hervor,  daß  die 
gerade  Linie  als  eine  doppelt  zählende  zu  betrachten  ist. 

Für  eine  beliebige  Meridianebene  erhält  man  die  Gleichung 
der  Schnittkurve  am  einfachsten,  wenn  man  zunächst  die  Glei- 
chung der  zu  der  x  «/-Ebene  parallelen  Schnittkurven  in  rechtwin- 
keligen Coordinaten  aufstellt.  Setzt  man  zu  diesem  Zweck  in  den 
Gleichungen 

g  =  E'cos#  +  2<)'sin<Z>cos<2> 

rj  =  R'  sin  O  +  Q'  (cos2  ©-sin2  *) 

cosÖ>  =  — •,     sin*  =  — , 

z  '  z  ' 

so  erhält  man  die  in  x,  y  und  z  homogenen  Gleichungen 

2Q'xy  +  R'xz-£z2  =  0 
Q'x2—  Q'if  +  R'yz-riz2  =  0 
x2  +  y2-z2  =  0. 

Eliminiert  man  aus  diesen  Gleichungen  xt  y,  z  und  setzt  man  zu- 
gleich für  R!  und  Q'  ihre  Werthe  in  R,  Q  und  0,  so  ergiebt  sich 
als  Gleichung  der  Hypocykloiden  in  rechtwinkligen  Coordinaten: 

lSQ2(?  +  ri2)};2  +  <iQR2cos20(4r1i-9?)ri 
-  8  (2  Q2  sin2  0  +  R2  cos2  0)  (Q*  sin9  0 -.ß9  cos2  0)  £9 
+  (4  Q2 sin2  0-  R2  cos9  0)2  tf  +  8  sin2  0 (ff  sin9 0-i*9  cos9  0)8 

=  0. 

Setzt  man  hier  an  Stelle  von  cos9  0  und  sin"  0  die  Ausdrücke 


230 


Eduard  Riecke, 


COS90 


T    * 


sin2© 


#+  r-t 


so  erhält  man  die  Gleichung  der  piezoelektrischen  Fläche  in  recht- 
winkligen Coordinaten,  welche  darnach  von  der  vierten  Ordnung  ist. 
Setzt  man  >/  =  0,  so  erhält  man  die  Gleichung  der  Curve,  in 
welcher  die   Fläche  durch  die  .>:- Ebene  geschnitten  wird: 

16  Q' |* -8  (2  Q'  sin"  0  +  R'  cos9  G)  (Q*  sin9  0 -  R*  cos9  0)  |3 
+  8  sin9  0  (Q*  sin9  0  -  R*  cos9  0)3  =  0. 

Die  Schnittkurve  ist  symmetrisch  gegen  die  z-Axe.  Ihre  Gestalt  wird 
durch  die  beistehende  Figur  1  anschaulich  gemacht;  gleichzeitig 
giebl  Figur  2  die  Schnittkurve  in  einer  Meridianebene,  deren  Azi- 
mut (p  =  jr/12  ist,  Figur  3  die  Schnittkurve  in  der  Symmetrieebene 
mit  (p  =  »/6.  Man  sieht,  daß  die  in  der  letzteren  Figur  auftretende 
gerade  Linie  in  der  Thal  aus  dem  Zusammenfallen  zweier  Curven- 
zweige  entsteht. 

Fig.  1.  Fig.  2.  Fig.  3. 


Es   bleibt  endlich  noch  zu  untersuchen,   welche  Curven  der 

Endpunkt  des  elektrischen  Momentes  auf  dvr  piezoelektrischen 
Fläche  beschreibt,  wenn  vier  Druck  in  einer  und  derselben  Meli- 
dianebene  alle  möglichen  Richtungen  durchläuft.  Eliminieren  wir 
cos0  und  sin0  aus  je  zweien  der  Gleichungen 

|  =  J?cosÖ>sin0cos0  +  Qsin2Ö>sin*0 
if  —  .Rsintf>sin0cos0  +  Öcos2<&sin90 

so  erhalten  wir  die  Projektionen  der  gesuchten  Curven  auf  die 
drei  Coordinatenebenen. 

Die  Elimination  ans  den  ersten  beiden  Gleichungen  giebt: 

(Q  sin2 0t)-Qoos2 0£y+(Rcos <&q-2Ssin 0%)  (Rcos  0  }}-R  sin  O* 

-jRÖcos30)  =  0. 

Die  Projektion  der  Curve  auf  die  «y-Ebene  ist  somit  eine 
Ellipse,  welche  durch  den  Anfangspunkt  des  Coordinatensystems 
hindurchgeht.   Für  0  =  */6  wird  die  Gleichung  m  cos  0  -  ?  sin  0  =  0 . 


über  eine  m.  den  electr.  Eigenschaften  d.  Turmalins  zusammenhängende  Fläche.    231 

d.h.  die  Ellipse  geht  über  in  eine  gerade  Linie ,  welche  der  mit 
#-Axe  den  Winkel  jt/6  einschließt.    Für  0  =  0  ergiebt  sich 

R7/4  "*"      Q*/4       "~ 

Für  0  =  ä/2  :  |2  =  0,  die  Ellipse  geht  über  in  ein  doppelt 
zn  zählendes  Stück  der  Axe  r\1  ebenso  wie  in  der  ersten  Sym- 
metrieebene, für  welche  0  =  jr/6  ist. 

Für  die  Projektionen  der  auf  der  piezoelektrischen  Fläche  ver- 
laufenden Curven  auf  die  beiden  anderen  Coordinatenebenen  erhält 
man  die  Gleichungen  : 

\Qcos20(S+T—  g)-Tri\2-R2  sin2  0(S+T-£)(S-S)  =  0 
\Qsm20(S+T-S)-T*\2-R2cos20(S+T-t)(S-S)  =  0. 

Multipliciert  man  dieselben  beziehungsweise  mit  cos2  0  und  sin2tf>, 
so  ergiebt  sich  durch  Subtraktion: 

(S+T-£)#(cos2<Pcos<2>  +  sin2<Psin<Z>)  =  T^cos  +  gsin  tf>). 

Die  für  konstante  Wert  he  von  0  auf  der  piezo- 
elektrischen Fläche  sich  ergebenden  Curven  sind 
somit  ebene  Curven;  da  aber  ihre  Projektion  auf  die  xy- 
Ebene  eine  Ellipse  ist,  so  müssen  auch  die  auf  der  Fläche  liegen- 
den Curven  selbst  Ellipsen  sein.  Ob  in  der  vorhergehenden  Glei- 
chung das  positive  oder  negative  Zeichen  zu  wählen  ist,  ergiebt 
sich,  wenn  man  den  aus  derselben  folgenden  Werth  von  S  +  T—  % 
in  der  Gleichung 

\Qcos20(S+T-g)-Tri\2-R2sin20(S  +  T-g)(Z-S)  =  0 

substituiert ;  die  resultierende  Gleichung  muß  identisch  sein  mit 
der  zuvor  für  die  Projektion  auf  die  #  «/-Ebene  gefundenen.  Aus 
dieser  Bedingung  ergiebt  sich,  daß  das  negative  Zeichen  das  rich- 
tige ist.     Die  Gleichung  der  Ebenen  der  Ellipsen  wird  somit 

(S+T-£)  Qcos30  =  Tfacos©— gsinfl). 

Für  0  =  0  wird  dieselbe 

(S+T-QQ  =  TV. 

Wenn  der  Druck  alle  möglichen  Richtungen  in  der  a^-Ebene 
annimmt,  so  beschreibt  der  Endpunkt  des  piezoelektrischen  Mo- 
mentes eine  zur  y^-Ebene  senkrecht  stehende  Ellipse. 


232  David  Hubert, 

Ueber  die  Theorie  der  algebraischen  Invarianten. 

Von 

David  Hubert  aus  Königsberg  in  Pr. 

(Vorgelegt  von  F.  Klei  n.) 

Es  sei  eine  Grundform  mit  beliebig  vielen  Veränderlichen  und 
Veränderlichenreihen  vorgelegt.  "Wir  betrachten  die  ganzen  ratio- 
nalen Invarianten  dieser  Grundform  d.  h.  alle  solchen  ganzen  ra- 
tionalen homogenen  Funktionen  der  Coefficienten  C  jener  Form, 
welche  sich  nur  um  einen  die  Substitutionscoefficienten  enthalten- 
den Faktor  ändern,  _wenn  man  die  Coefficienten  C  durch  die  ent- 
sprechenden Coefficienten  C  der  linear  transformirten  Grundform 
ersetzt.  Diese  Invarianten  bilden  ein  System  von  ganzen  ratio- 
nalen homogenen  Funktionen,  denen  folgende  fundamentalen  Eigen- 
schaften zukommen: 

1.  Die  Invarianten  des  Systems  lassen  die  linearen  Trans- 
formationen einer  gewissen  continuirlichen  Gruppe  zu. 

2.  Die  Invarianten  des  Systems  genügen  gewissen  partiellen 
linearen  Differentialgleichungen. 

3.  Jede  ganze  rationale  Funktion  der  Invarianten,  welche  in 
den  Coefficienten  C  der  Grundform  homogen  wird,  ist  wiederum 
eine  Invariante:  das  System  aller  Invarianten  bildet  einen  Inte- 
gritätsbereich. Im  Folgenden  verstehen  wir  unter  »Invariante« 
ohne  weiteren  Zusatz  stets  eine  ganze  rationale  Invariante  d.  h. 
eine  Invariante  des  eben  definirten  Integritätsbereiches. 

4.  Jede  algebraische  —  sowie  überhaupt  jede  analytische  — 
Funktion  von  beliebig  vielen  Invarianten,  welche  einer  ganzen  ra- 
tionalen homogenen  Funktion  der  Coefficienten  G  gleich  wird,  ist 
wiederum  eine  Invariante? 

5.  Wenn  das  Produkt  zweier  ganzen  rationalen  Funktionen 
der  Coefficienten  C  eine  Invariante  ist,  so.  ist  jeder  der  beiden 
Faktoren  eine  Invariante. 

6.  Es  giebt  eine  endliche  Anzahl  von  Invarianten,  durch 
welche  sich  jede  andere  Invariante  in  ganzer  rationaler  Weise 
ausdrücken  läßt;  wir  sagen  kurz:  der  durch  die  Invarianten  be- 
stimmte Integritätsbereich  besitzt  eine  endliche  Basis. 

Die  Sätze  1  und  2  gestatten  die  Umkehrung.  Satz  5  sagt 
aus,    daß  in  dem  durch  die  Invarianten  bestimmten  Integritätsbe- 


zur  Theorie  der  algebraischen  Invarianten.  233 

reiche  die  gewöhnlichen  Teilbarkeitsgesetze  gültig  sind:  Jede  In- 
variante läßt  sich  auf  eine  und  nur  auf  eine  "Weise  als  Erodukt 
von  nicht  zerlegbaren  Invarianten  darstellen. 

Es  bietet  sich  die  Aufgbabe,  zu  untersuchen,  welche  der  auf- 
gezählten Eigenschaften  sich  gegenseitig  bedingen  und  welche  ge- 
trennt von  einander  für  ein  Funktionensystem  möglich  sind.  Ich 
hebe  hier  kurz  hervor,  daß  es  Systeme  von  unbegrenzt  vielen  gan- 
zen rationalen  homogenen  Funktionen  giebt,  denen  die  Eigenschaft 
3  zukommt,  ohne  daß  der  Satzt  6  gilt.  Ein  solches  System  ist 
beispielsweise  das  System  aller  derjenigen  ganzen  rationalen  ho- 
mogenen Funktionen  von  x  und  y,  welche  sich  ganz  und  rational 
aus  Funktionen  der  Reihe  xy,  x2yx ,  x*y9,  x*y™ ,  .  .  .  zusammen- 
setzen lassen.  Denn  angenommen,  man  könnte  eine  Funktion 
xkyk2  durch  die  vorhergehenden  Funktionem  der  Reihe  ganz  und 
rational  ausdrücken  und  es  wäre  etwa  xa  ya2  -  x?yP2  .  .  .  xly12  ein 
Glied  dieses  Ausdruckes,  so  müssten  für  die  ganzen  positiven  Zah- 
len a,  ß,  .  .  .,  I  die  beiden  Gleichungen 

«  +ß  +  •  •   -+A    =  K 

CC*+ß2+    •     •    --M2    =    K2 

erfüllt  sein,  was  unmöglich  ist. 

Es  giebt  ferner  Funktionensysteme ,  denen  die  Eigenschaften 
2,  3,  4,  6  zukommen,  ohne  daß  der  Satz  5  für  dieselben  gilt.  Als 
Beispiel  diene  das  System  aller  ganzen  rationalen  homogenen  Funk- 
tionen f  von  x)  y}  z,  t,  welche  der  Differentialgleichung 

df         df        df     .  df        ft 
dx      u  dy         dz         dt 

genügen.  Der  durch  diese  Funktionen  bestimmte  Integritätsbe- 
reich besitzt  die  endliche  Basis  xy,  xtr  y  z,  zt.  Wie  man  sieht 
sind  x,  y,  z,  t  Faktoren  von  Funktionen  des  Systems,  ohne  selbst 
zum  System  zu  gehören :  die  Funktionen  xy}  xt,  yz,  zt  sind  sämt- 
lich in  dem  betrachteten  Integritätsbereiche .  unzerlegbar  und  die 
Identität 

xy>zt  =  xt-yz 

zeigt,  daß  die  gewöhnlichen  Teilbarkeitsgesetze  in  jenem  Integri- 
tätsbereiche nicht  gültig  sind. 

Der  Satz  6  ist  die  Grundlage  für  die  tiefer  eindringenden 
Untersuchungen  über  Invariantensysteme.  An  diesen  Satz  schlie- 
ßen sich  zunächst  zwei  weitere  Sätze,  welche  unmittelbar  aus  raei- 


234  David  Hubert, 

nen  allgemeinen  Untersuchungen  über  die  Theorie  der  algebraischen 
Formen 1)  folgen ,  nämlich  der  Satz  von  der  Endlichkeit  der  irre- 
duciblen  Syzygien  und  der  Satz  von  der  Syzygienkette,  welche  im 
Endlichen  abbricht.  Ich  werde  in  der  vorliegenden  Note  zeigen, 
daß  diesen  Endlichkeitstheoremen  keineswegs  lediglich  eine  prin- 
cipielle  Bedeutung  zukommt,  sondern  daß  mit  ihrer  Hülfe  die  ge- 
naue Erledigung  einer  Reihe  besonderer  Fragen  über  die  Aufstel- 
lung und  Struktur  voller  Invariantensysteme  möglich  ist.  Zugleich 
werden  wir  Methoden  gewinnen  zur  Behandlung  der  bekannten 
Aufgabe,  Formen  zu  bestimmen,  deren  Invarianten  gegebene  Werte 
besitzen.. 

Der  Kürze  und  Anschaulichkeit  wegen  entwickle  ich  die  fol- 
genden Sätze  nur  für  den  Fall  einer  einzigen  binären  Grundform 
f  von  der  wten  Ordnung,  obwohl  die  Methoden  und  Resultate  ganz 
allgemein  gültig  sinjL  Die  endliche  Basis  des  Invariantensystems 
bestehe  aus  den  Invarianten  iv  i2,  ...,«.  und  diese  seien  bezie- 
hungsweise von  den  Graden  vx)  v2,  .  .  .,  vm  in  den  Coefficienien 
der  Grundform.  Wir  bezeichnen  das  Produkt  dieser  Grade  vx1 
v„,  .  .  .,  vm  mit  %  und  bilden  die  Invarianten 


l»      =     ln 


welche  sämmtlich  vom  nämlichen  Grade  tc  in  den  Coefficienten  der 
Grundform  sind.  Ist  m  größer  als  n  —  2,  so  besteht  zwischen  den 
m  Invarianten  i'1}  ij,  .  .  .,  i'm  jedenfalls  eine  Relation  von  der  Gestalt 

F(i[, »;, . . .,  i'j  -  o, 

wo  F  eine  ganze  rationale  homogene  .Funktion  der  Invarianten  i[, 
Ki  •  -  -j  i'm  bedeutet.  Wir  führen  nun  eine  lineare  Transformation 
dieser  m  Invarianten  aus,  indem  wir  setzen 


wo  für  die  Coeffiicienten  aiv  .  .  .,  amm  solche  Zahlenwerte  gewählt 
sein  mögen,  daß  in  der  linear  transformirten  Funktion  G(i" ,  i'2' , 
.  .  .,  £')  der  Coefficient  der  höchsten  Potenz  von  i'Jl  gleich  Eins 
wird.  Hieraus  geht  hervor,  daß  alle  Invarianten  der  Grundform 
ganze  algebraische  Funktionen  der  m— 1  Invarianten  i"f  tj',  .  .  .,  i'J_t 


1)  Mathematische  Annalen  Bd.  36.    S.  534. 


zur  Theorie  der  algebraischen  Invarianten.  235 

sind.  Durch  wiederholte  Anwendung  dieses  Verfahrens  gelangen 
wir  zu  dem  Satze : 

Es  giebt  n— 2  Invarianten  Iv  I2,  ...  Iw_2  derart,  daß 
eine  jede  andere  Invariante  sich  als  ganze  algebrai- 
sche Funktion  derselben  ausdrückt. 

Hieraus  folgt  unmittelbar  die  weitere  Thatsache: 

Wenn  man  den  Coef ficient en  der  Grundform  sol- 
che besonderen  Werte  erteilt,  daß  jene  n—  2  In  Varian- 
ten gleich  Null  werden,  so  verschwinden  auch  zu- 
gleich sämmtliche  übrigen  Invarianten  der  Grund- 
form. 

Im  allgemeineren  Falle  einer  Grundform  mit  beliebig  vielen 
Veränderlich enreihen  tritt  an  Stelle  der  Zahl  n  —  2  die  Zahl  <3  der 
algebraisch  unabhängigen  Invarianten  der  Grundform. 

Es  ist  nun  von  größter  Bedeutung  für  die  ganze  hier  zu  ent- 
wickelnde Theorie,  daß  die  in  dem  letzten  Satze  ausgesprochene 
Eigenschaft  allemal  nothwendig  die  im  voranstehenden  Satze  aus- 
gesprochene Eigenschaft  bedingt.  Um  den  Nachweis  hiervon  zu 
führen ,  entwickeln  wir  zunächst  ein  Theorem ,  welches  sich  als 
drittes  allgemeines  Theorem  aus  der  Theorie  der  algebraischen 
Funktionen  den  beiden  in  Abschnitt  I  und  III  meiner  vorhin  ci- 
tirten  Arbeit  zugesellt.    Dieses  Theorem  lautet: 

Es  seien  F,  F',  F",  .  .  .  ganze  rationale  homogene 
Funktionen  der  n  Veränderlichen  xv  x2,  .  .  .,  xn  von 
der  Beschaffenheit,  daß  sie  für  alle  diejenigen  Wert- 
systeme dieser  Veränderlichen  verschwinden,  für 
welche  gewisse  m  vorgelegte  ganze  rationale  homo- 
gene Funktionen  fv  f2)  .  .  .,  fm  der  nämlichen  Veränder- 
lichen xv  x2,  .  .  .  xn  gleich  Null  sind:  dann  ist  es  stets 
möglich  eine  ganze  Zahl./*  zu  bestimmen  derart,  daß 
jedes  Produkt  P  von  r  beliebigen  Funktionen  der 
Reihe  F,  F,  F" ,  .  .  .  dargestellt  werden  kann  in  der 
Gestalt 

wo  o„  a2,  .  .  .,  am  geeignet  gewählte  ganze  rationale 
homogene  Funktionen  der  Veränderlichen  #„  x2,  .  .  .,  xn 
sind. 

Der  Beweis  dieses  Satzes  ist  mir  durch  den  Schluß  von  n  auf 
n  +  1  Veränderliche  gelungen.  Im  besonderen  ist  nach  diesem 
Satze  die  rte  Potenz  irgend  einer  von  jenen  Formen  F,  F',  F" ,  .  .  . 
in  der  angegebenen  Gestalt  darstellbar,  eine  Thatsache,  welche  für 


236  David  Hubert, 

den  speciellen  Fall  zweier  nicht  homogenen  Veränderlichen  bereits 
von  E.  Netto1)  ausgesprochen  und  bewiesen  worden  ist. 

Es  seien  nun  ^  Invarianten  Iv  I2,  .  .  . ,  1^  der  Grundform 
vorgelegt  von  der  Beschaffenheit,  daß  allemal,  wenn  man  den  Coef- 
ficienten der  Grundform  solche  besonderen  Werte  erteilt,  welche 
diese  [i  Invarianten  Iv  I2,  .  .  . ,  1^  zu  Null  machen ,  nothwendig 
sämmtliche  Invarianten  'der  Grundform  verschwinden.  Es  giebt 
dann  dem  vorigen  allgemeinen  Theoreme  zufolge  eine  Zahl  r  der- 
art, daß  jedes  Produkt  P  von  irgend  r  oder  mehr  Invarianten  der 
Grundform  in  der  Gestalt 

P  =  a^  +  a^-f--  •  •-r-fy-k 

darstellbar  ist,  wo  a1(  «„  .  ,  .,  fy  ganze  rationale  Funktionen  der 
Coefficienten  der  Grundform  sind.  Nunmehr  denken  wir  uns  die 
endliche  Basis  ix,  ?2,  .  .  .,  im  der  Invarianten  des  Systems  ermittelt 
und  es  sei  v  die  größte  von  den  Gradzahlen  dieser  Invarianten : 
dann  stellt  sich  offenbar  eine  jede  Invariante  i,  deren  Grad>vr 
ist,  als  Summe  von  Produkten  P  dar  und  es  gilt  daher  die  Formel 

wo  bv  b2,  .  .  . ,  bp  wiederum  ganze  rationale  Funktionen  der  Coef- 
ficienten der  Grundform  sind.  Nach  den  Entwickelungen  des  letzten 
Abschnittes  meiner  oben  citirten  Abhandlung2)  kann  man  in  der 
letzten  Formel  die  Ausdrücke  bv  b2,  .  .  . ,  bu  stets  durch  Inva- 
rianten i'v  ir2,  .  .  .,  iL  ersetzen,  so  daß  wir  die  Gleichung 


i  =  i[Il  +  i^lM  +  .  .  .-KI 


behalten.  Die  Invarianten  i'v  i'„  .  .  .,  ^  sind  sämmtlich  von  nie- 
derem Grade  in  den  Coefficienten  der  Grundform  als  die  Invariante 
i]  sie  können  ihrerseits  wiederum  in  der  nämlichen  Weise  durch 
lineare  Combination  der  Invarianten  It,  J2,  .  .  .  1^  erhalten  werden 
und  dieses  Verfahren  läßt  sich  so  lange  fortsetzen,  bis  wir  zu 
Invarianten  gelangen,  deren  Grad  <Cvr  ist.  Wir  denken  uns  sämmt- 
liche linear  unabhängige  Invarianten ,  deren  Grad  <vr  ist ,  auf- 
gestellt und  bezeichnen  dieselben  mit  Jcv  Jc2,  •  •  •,  Jcw.  Für  eine 
beliebige  Invariante  i  der  Grunform  besteht  dann  ein  System  von 
w  Gleichungen  der  folgenden  Gestalt 


1)  Vgl.  Acta  mathematica  Bd.  7,  S.  101. 

2)  Vgl.  Mathematische  Annalen  Bd.  36,  S.  527. 


zur  Theorie  der  algebraischen  Invarianten.  237 

**,  =  ^»,  +  0*^+.  •  .  +  ©«*., 

wo  öf* ,  .  .  . ,  (r^}  ganze  rationale  Funktionen  der  Invarianten 
Iv  I2,  .  .  .,  Ju  bedeuten.  Durch  Elimination  von  K)  Ki  -  •  -  K 
folgt  die  Gleichung 

0?>-f  G?       .  .  .  &? 

.  SV 


Gf 


G22)-i 


£<«> 


£<;>  .    .    .    G«-* 


=  0, 


welche  zeigt,  daß  i  eine  ganze  algebraische  Funktion  von  jT, 
I2,  .  .  . ,  1^  ist.  Wir  gelangen  somit  zu  folgendem  Satze,  welcher 
den  Kern  der  zu  entwickelnden  Theorie  der  algebraischen  Inva- 
rianten enthält: 

Wenn  irgend  ft  Invarianten  Iv  J2,  .  .  . ,  1^  die  Eigen- 
schaft bes  itz  en,  daß  das  Ver  schwinden  derselben 
stets  nothwendig  das  Vers  chwinden  aller  Invarian- 
ten der  Grundform  zur  Folge  hat,  so  sind  alle  In- 
varianten ganze  algebraische  Funktionen  jener  p 
Invarianten  Jj,  J2,  ...,  7U. 

Der  Satz  findet  in  allen  besonderen  bisher  berechneten  Fällen 
die  schönste  Bestätigung,  wie  folgende  Beispiele  zeigen. 

Für  die  binäre  Form  5ter  Ordnung  erfüllen  die  3  Invarianten 
A,  B,  C  von  den  Graden  beziehentlich  4,  8,  12  die  Bedingungen 
des  Satzes.  Denn  das  gleichzeitige  Verschwinden  derselben  bedingt 
notwendig  das  Auftreten  eines  dreifachen  Linearfaktors  in  f  und 
dieser  Umstand  wiederum  hat,  wie  man  leicht  einsieht,  zur  Folge, 
daß  alle  Invarianten  der  binären  Form  gleich  Null  sind.  Nach 
unserem  Satze  müssen  daher  alle  Invarianten  ganze  algebraische 
Funktionen  von  A,  B,  C  sein  und  in  der  That  enthält  das  volle 
System  nur  noch  eine  weitere  Invariante  nämlich  die  schiefe  In- 
variante B,  deren  Quadrat  bekanntlich  eine  ganze  rationale  Funk- 
tion von  Af  jft,  G  ist. 

Die  binäre  Form  6ter  Ordnung  besitzt,  wie  leicht  einzusehen 
ist,  4  Invarianten  A7  B>  C,  D  von  den  Graden  beziehentlich  2,  4, 
6,  10,  deren  gleichzeitiges  Verschwinden  nothwendig  das  Auftreten 
eines  vierfachen  Linearfaktors  bedingt.  Dieser  Umstand  hat  zur 
Folge,   daß   alle  Invarianten  der  Form   gleich  null  sind:    in   der 


238  David  Hubert, 

That  ist  entsprechend  unserem  Satze  die  noch  übrige  schiefe  In- 
variante B  der  Grundform  eine  ganze  algebraische  Funktion  von 
A,  B,  C,  2>,  nämlich  gleieh  der  Quadratwurzel  aus  einer  ganzen 
rationalen  Funktion  dieser  4  Invarianten. 

Um  die  simultanen  Invarianten  zweier  binären  cubischen  For- 
men /*,  g  aufzustellen,  bilden  wir  eine  lineare  Combination  nf+kg 
derselben  und  entwickeln  die  Diskriminante  von  dieser  Form  nach 
den  unbestimmten  Parametern  %  und  A,  wie  folgt: 

Die  5  Invarianten  D0,  Dx,  D2;  D3,  D4  sind  offenbar  nur  dann  sämmt- 
lich  gleich  null,  wenn  die  cubischen  Formen  /'  und  g  beide  den 
nämlichen  Linearfaktor  zweifach  enthalten  und  dieser  Umstand 
wiederum  hat  zur  Folge,  daß  auch  alle  übrigen  Simultaninvarianten 
null  sind.  Unserem  /Satze  zufolge  müssen  daher  alle  simultanen 
Invarianten  der  beiden  cubischen  Formen  /'  und  g  ganze  algebrai- 
sche Funktionen  von  D0,  Dl7  D2,  D3,  D4  sein.  Das  volle  Invarianten- 
system enthält  nun  außer  diesen  5  Invarianten  nur  noch  2  weitere 
Invarianten  nämlich  die  Ueb  er  Schiebung  (/*,  g\  und  die  Resultante 
E  der  beiden  Formen :  man  findet  in  der  That ,  daß  diese  beiden 
Invarianten  ganze  algebraische  Funktionen  jener  5  Invarianten  sind. 
Um  die  entsprechende  Untersuchung  für  zwei  binäre  biquadra- 
tische Formen  /'  und  g  durchzuführen,  setzen  wir 


Es  folgt  dann  aus  entsprechenden  Gründen  wie  vorhin ,  daß  jede 
Simultaninvariante  der  beiden  Formen  f  und  g  eine  ganze  alge- 
Funktion  der  7  Invarianten  ioy  it,  i%i  j01  jv  ;2,  ;,  ist. 

"Wir  betrachten  ferner  zwei  ternäre  cubische  Formen  f  und  g ; 
wir  combinieren  dieselben  linear  und  bilden  die  beiden  Invarianten 

S(Kf+lg)  =  S0k*  +  .  .  .  +  £**, 
T(xf  +  lg)=  1>6  +  .  .  .  +  T.V. 

Aus  unserem  Satze  folgt  dann ,  daß  alle  simultanen  Invarianten 
der  beiden  Formen  f  und  g  ganze  algebraische  Funktionen  der  12 
Invarianten  S01  .  .  . ,  #4,  T0,  .  .  . ,  T6  sind  und  hieraus  schließt 
man  zugleich,  daß  dieselben  von  einander  algebraisch  unabhängig  sind. 
Betrachten  wir  eine  binäre  Form  f  von  der  5ten  Ordnung  und 
eine  lineare  Form  l,  so  ergiebt  sich,  daß  alle  simultanen  Invarianten 
dieser  beiden  Formen  ganze  algebraische  Funktionen  von  A,  JB,  C, 


zur  Theorie  der  algebraischen  Invarianten.  239 

fc  1%  (Ä>  l%  (\  fy  sind,  wo  h  =  (f,  f)t  und  •  =  (f,  f),  gesetzt 
ist;  es  drücken  sieb  also  alle  23  Formen  des  vollen  Invariantensy- 
stems einer  binären  Grundform  als  ganze  algebraische  Funktionen 
von  seebs  derselben  aus. 

Wir  bebandlen  endlich  noch  ein  allgemeineres  Beispiel,  näm- 
lich das  System  von  v  binären  linearen  Formen 

I,  =  axx  +  bxy,       l2  =  a2x  +  b2y,  .  .  .,       lv  =  avx  +  bvy. 
Das  volle  Invariantensystem  besteht  aus  den  Determinanten 

P*k  =  aA  -  »**<(♦> *  =  1,  2, .  .  .,  i/). 
Wir  bilden  die  beiden  binären  Formen  v  —  lter  Ordnung 

und  berechnen  die  Funktionaldeterminante  derselben 

Die  Coefficienten  P0,  P4,  .  .  .,  P2r_4  sind  als  lineare  Combinationen 
der  Determinanten  pik  selber  Invarianten  der  linearen  Grundformen, 
und  man  erkennt  leicht,  daß,  wenn  diese  Invarianten  P0,  Pv  .  .  ., 
P2V,_4  sämmtlich  Null  sind,  nothwendig  entweder  alle  Coefficienten 
der  Form  cp  oder  diejenigen  von  ty  verschwinden  oder  beide  Formen 
bis  auf  einen  numerischen  Faktor  mit  einander  übereinstimmen. 
In  allen  diesen  Fällen  sind  sämmtliche  Determinanten  pik  gleich 
null  und  hieraus  folgt  mit  Hülfe  unseres  Satzes,  daß  die  Deter- 
minanten pik  ganze  algebraische  Funktionen  von  P0J  Pv  .  .  .  P^^ 
sind1),  woraus  zugleich  die  Unabhängigkeit  der  letzteren  2v— 3  In- 
varianten geschlossen  werden  kann. 

Bei  dem  Beweise  unseres  allgemeinen  Satzes  wurde  die  Eigen- 
schaft 6  der  Invarianten  wesentlich  benutzt;  aber  es  folgt  auch 
umgekehrt  aus  diesem  Satze  die  Endlichkeit  des  vollen  Invarianten- 
systems. Wenn  nämlich  Il%  72;  .  .  .,  1^  ein  System  von  Invarianten 
ist,  durch  welche  alle  anderen  Invarianten  als  ganze  algebraische 
Funktionen  dargestellt  werden  können,  so  kann  man  einen  von 
L.  Kronecker2)  gegebenen  fundamentalen  Satz  der  Theorie  der 


1)  Das  nämliche  Resultat  habe  ich  auf  einem  völlig  anderen  Wege  erhalten 
in  meiner  Arbeit :  Ueber  Büschel  von  binären  Formen  mit  vorgeschriebener  Funk- 
tionaldeterminante; Mathematische   Annalen  Bd.  33.  S.  238. 

2)  Grundzüge  einer  arithmetischen  Theorie  der  algebraischen  Größen  §  6. 

Na.i.richten  von  der  K.G.  d.W.  *n  «öttingen.  1881.  Nr.  7.  18 


240  David  Hubert 


algebraischen  Funktionen  anwenden  und  findet  so  in  dem  durch 
alle  Invarianten  bestimmten  Rationalitätsbereiche  eine  endliche 
Zahl  i„  i2,  .  .  .,  iM  von  ganzen  algebraischen  Funktionen  der  Grö- 
ßen In  I2,  .  .  . ,  1^  von  der  Art,  daß  jede  andere  ganze  alge- 
braische Funktion  I  des  betrachteten  Eationalitätsbereiches  in  der 
Gestalt 

1  =  at  *,  +  <!,»,+  •  •  •  +aJM 

dargestellt  werden  kann,  wo  a1}  a2,  .  .  . ,  aM  ganze  rationale  Funk- 
tionen von  Iv  Iv  .  .  .,  1^  sind.  Nun  sind  ix,  »„.'..  iM  ganze  ra- 
tionale Invarianten ;  denn  es  kann  leicht  gezeigt  werden,  daß  jede 
rationale  Invariante,  welche  eine  ganze  algebraische  Funktion  der 
ganzen  rationalen  Invarianten  Iv  12,  .  .  .,  Ifl  ist,  nothwendig  selber 
eine  ganze  rationale  Invariante  ist.  Die  Invarianten  Iv  J2,  .  .  .,  I , 
i>v  *»•••»  K  bilden  folglich  eine  endliche  Basis  des  Systems  aller 
Invarianten  der  Grundform.  Nach  Kenntniß  eines  Systems 
von  Invarianten  lt,  J2,  .  .  .,  J^,  durch  welche  sich  alle 
Invarianten  als  ganze  algebraische  Funktionen  aus- 
drücken lassen,  erfordert  also  die  Aufstellung  des 
vollen  Invariantensystems  nur  noch  die  Lösung  einer 
elementaren  Aufgabe  aus  der  arithmetischen  Theorie 
der  algebraischen  Funktionen.  Bei  der  wirklichen  Aus- 
führung der  Rechnung  kommt  es  vor  allem  auf  die  Berechnung 
der  Diskriminante  einer  den  Rationalitätsbereich  bestimmenden 
Gleichung  an,  da  bei  der  Darstellung  der  Funktionen  des  Funda- 
mentalsystems diese  Diskriminante  allein  im  Nenner  auftreten  kann. 

Um  beispielsweise  zu  dem  bekannten  vollen  Formensysteme 
einer  binären  Form  5ter  Ordnung  zu  gelangen,  hat  man  ein  Fun- 
damentalsystem im  Systeme  aller  derjenigen  Funktionen  zu  be- 
stimmen, welche  ganze  algebraische  Funktionen  der  oben  angege- 
benen invarianten  Bildungen,  A,  2?,  C,  f,  h  =  (f,  f)2,  i  =  (/,  f)i 
und  zugleich  rationale  Funktionen  vou  /,  h,  (f,  ä)2,  i,  (f}  h)z  sind. 

Nach  den  obigen  Entwickelungen  ist  es  für  das  Studium  der 
Invarianten  einer  Grundform  von  größter  Wichtigkeit,  dasjenige 
algebraische  Gebilde  Z  zu  kennen,  welches  durch  Nullsetzen  aller 
Invarianten  bestimmt  ist.  Bedeutet  6  die  Anzahl  der  algebraisch 
unabhängigen  Invarianten,  so  giebt  es,  wie  oben  gezeigt  worden 
ist,  stets  6  Invarianten,  durch  deren  Nullsetzen  das  Gebilde  Z 
bereits  völlig  bestimmt  ist;  aus  unserem  allgemeinen  Satze  kann 
zugleich  geschlossen  werden,  daß  es  nicht  möglich  ist,  eine  klei- 
nere Zahl  von  Invarianten  anzugeben,  durch  deren  Nullsetzen  das 
Gebilde  Z  ebenfalls  schon  bestimmt  wird.    Für  den  Fall  einer  bi- 


zur  Theorie  der  algebraischen  Invarianten.  241 

xiären  Grundform  läßt  sich  das  Nullgebilde  Z  allgemein  angeben, 
wie  der  folgende  Satz  zeigt : 

"Wenn  alle  Invarianten  einer  binären  Grundform 
von  der  Ordnung  n  =  2v  beziehungsweise  n  =  2v  +  l 
gleich  null  sind,  so  besitzt  die  Grundform  einen  v  +  1- 
f  achen  Line  arfaktor  und  umgekehrt,  wenn  dieselbe 
einen  v  +  l-f achen  Linear faktor  besitzt,  so  sindsämmt- 
liche  Invarianten  gleich  null. 

Auf  entsprechende  Untersuchungen  für  Formen  mit  mehr  Ver- 
änderlichen gehe  ich  hier  nicht  ein. 

Die  Fruchtbarkeit  der  im  Obigen  dargelegten  Principien  be- 
währt sich  insbesondere ,  wenn  man  dieselben  mit  denjenigen  auf 
allgemeine  Moduln  bezüglichen  Methoden  in  Verbindung  bringt, 
welche  ich  in  Abschnitt  III  und  IV  meiner  Abhandlung  »TJeber 
die  Theorie  der  algebraischen  Formen«  entwickelt  habe.  Um  das 
einzuschlagende  Verfahren  an  einem  Beispiele  kurz  zu  kennzeichnen, 
stellen  wir  uns  die  Aufgabe,  die  »charakteristische  Funktion«  des- 
jenigen algebraischen  Gebildes  zu  bestimmen,  welches  man  erhält, 
wenn  man 

Pik  =  «A-«A(*t  ä  =  1,  2,  .  .  .,  v) 

setzt  und  hierin  die  Größen  pile ,  als  die  Veränderlichen  und  die 
Größen  a{)  b<  als  willkürliche  Parameter  auffaßt.  Man  sieht  leicht 
ein,  daß  die  charakteristische  Funktion  dieses  Gebildes  gleich  ist 
der  Anzahl  der  linear  unabhängigen  Invarianten  vom  Grade  2E 
in  den  Coefficienten  der  v  binären  linearen  Formen : 

a.x  +  b^,         a2x  +  b2y}  .  .  .,  avx+bvy, 

und  diese  Anzahl  stellt  sich  nach  dem  Cayley -Sylvester 'sehen 
Abzählungssatze l)  als  Differenz  zwischen  Anzahlen  von  Lösungen 
gewisser  linearer  diophantischer  Gleichung  dar.  Nach  einer  ein- 
fachen Rechnung  erhalten  wir  für  die  gesuchte  charakteristische 
Funktion  den  Wert 

«(*)  =  („-i)iV-"Wi  (*+i)(fl+g)'*+3)'-  •  •  (R+v-2y(B+v~i). 

Die  Funktion  ist,  wie  man  sieht,  vom  2v— 4ten  Grade  in  R:  jenes 
algebraische  Gebilde   ist   mithin   von  der  Dimension  d  =  2v— 4. 


1)  Vgl.  Cayley,  Philosophical  Transactions.    London  185G,  S.  107  und  Syl- 
vester, Crelle's  Journal  Bd.  85,  S.  89, 

18* 


242  Alfred  Rahlfs 


Der  Coeflicient  der  dten  Potenz,  von  B  ist  -. -^-r-, -^-r- ;  derselbe 

(v— 1)1  (v— 2)1  7 

giebt  mit  d\  multipliciert  die  Ordnung  jenes  algebraischen  Ge- 
bildes an1).  Diese  beiden  Resultate  bestätigen  die  bekannten  That- 
sachen2),  daß  es  zu  jeder  gegebenen  binären  Form  gerader  Ord- 
nung 2v  — 4  Büschel  von  binären  Formen  giebt,  deren  Funktional- 
determinante jener   gegebenen  Form  gleich    sind  und  daß  die  An- 

(2v— 4)' 
zahl  dieser  Formenbüschel  gleich  7— ^-t-,  ,      0s .  wird. 

{y  —  l)\{y— 2) ! 


1)  Vgl.  meine  Abhandlung:  »Ueber  die  Theorie  der  algebraischen  Formen«. 
Mathematische  Annalen  Bd.  36,  S.  520. 

2)  Vgl.  meine  Arbeit:  »Ueber  Büschel  von  binären  Formen  mit  vorgeschrie- 
bener Funktionaldeterminante«,  Mathematische  Annalen  Bd.  33,  S.  227,  sowie  die 
dort  ausführlich  citirte  Litteratur. 

Königsberg  i.  P£  den  30.  Juni  1891. 


Lehrer  und  Schüler  bei  Iunilius  Africanus. 

Von 

Alfred  Rahlfs. 

Vorgelegt  von  Paul  de  La  gar  de. 

Die  Instituta  regularia  divinae  legis  des  Iunilius  Africanus, 
deren  kritische  Ausgabe  wir  H.  Kihn *)  verdanken ,  sind  in  Form 
eines  Gespräches  zwischen  Lehrer  und  Schülern  abgefaßt.  Das 
Gespräch  verläuft  in  Fragen  und  Antworten;  jenen  hat  Iunilius 
jedesmal  ein  z/,  diesen  ein  M  vorgesetzt.  Den  Grund,  welcher  ihn 
veranlaßt  hat,  diese  griechischen  Buchstaben  zu  wählen,  während 
er  doch  sonst  sein  Buch  in  lateinischer  Sprache  schreibt,  gibt  er 
selbst  in  der  dem  Buche  vorausgeschickten  Widmung  an  Prima- 
sius  an.     Die  Worte  lauten  bei  Kihn  468 17 — 4692 

Et  ne  aliqua  confusio  per  antiquariorum,  ut  adsolet,  negle- 
gentiam  proveniret,  magistro  M  graecam  litter  am,  discipulis 
A  praeposui,  ut  ex  peregrinis  characteribus  et  quibus  latina 
scriptura  non  utitur,  error  omnis  penitus  auferatur. 
Wir  sehen :  Iunilius  mistraut  den  Abschreibern  gründlich,  und  er 
hat  Recht  mit  seinem  Mistrauen.     Denn  trotz  seiner  Vorsicht  ha- 


1)   Theodor    von  Mopsuestia   und  Junilius  Africanus,    Freiburg   i.  B.    1880, 
S.  465—528. 


Lehrer  und  Schüler  bei  Iunilius  Africanus.  243 

ben  sie  ihm  eine  confusio  in  sein  Buch  gebracht,  welche  sich  über- 
all sehen  lassen  kann. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  Iunilius,  wenn  er  die  griechi- 
schen Buchstaben  z/  und  M  zur  Bezeichnung  von  Lehrer  und  Schü- 
lern gebraucht,  damit  die  griechischen  Wörter  diddöxcckog  und 
Had-rjTai  meint.  Und  bei  dieser  Deutung  von  z/  und  M  ist  auch 
alles  im  Reinen.  Denn  da  es  zur  Zeit  des  Iunilius,  ebenso  wie 
noch  heut  zu  Tage ,  so  hergegangen  sein  wird ,  daß  der  Lehrer 
fragte  und  die  Schüler  antworteten,  so  ist  es  ganz  richtig,  wenn 
die  Fragen  dem  z/  =  dLddöxaAog,  die  Antworten  den  M  =  paftrixaC 
zugewiesen  werden. 

Nun  fangen  aber  unglücklicher  Weise  die  Wörter  für  Lehrer 
und  Schüler  im  Lateinischen  mit  denselben  Buchstaben  an,  wie 
im  Griechischen ,  und  zwar  umgekehrt  mit  denselben  Buchstaben: 
der  Lehrer,  der  im  Griechischen  dida6iiakog  heißt,  heißt  im  Latei- 
nischen magister,  der  Schüler,  der  sich  dort  fiatb^'g  nennt,  nennt 
sich  hier  discipulus.  Dies  hat  die  trefflichen  antiquarii  bewogen, 
M  als  magister,  z/  als  discipuli  zu  deuten  und  in  der  angeführten 
Stelle 

magistro  M  graecam  litteram,  discipulis  z/  praeposui 
zu  schreiben,  während  es  natürlich  heißen  muß 

magistro  z/  graecam  litteram,  discipulis  M  praeposui. 
Nur  Eine  Handschrift,  Kihns  D,  hat  das  Richtige  erhalten. 

Wie  aber  überhaupt  ein  Unglück  selten  allein  kommt,  so  ist 
es  auch  hier  gegangen.  Die  erste  Verwirrung  hat  eine  zweite 
nach  sich  gezogen. 

Iunilius  spricht  sich  in  den  der  oben  ausgeschriebenen  Stelle 
unmittelbar  vorangehenden  Worten  über  die  Anlage  seines  Werkes 
aus.  Er  sagt,  er  habe  demselben  »ipsius  dictionis,  quantum  potui, 
utilem  formam«  gegeben, 

ut  velut  magistro  interrogante  et  respondentibus  discipulis 
breviter  singula  et  perlucide  dicerentur. 
Diese  Worte  ,  welche  so  nur  in  NF  erhalten  sind ,  geben  die  An- 
lage des  Buches  durchaus  richtig  und  klar  an.  Aber  sobald  man 
z/  als  discipuli,  M  als  magister  versteht,  widersprechen  sie  dem 
Thatbestande,  denn  z/  fragt  und  M  antwortet.  Dieser  Widerspruch 
hat  den  Schreiber  von  F  nicht  angefochten.  Die  übrigen  haben 
ihn  zu  beseitigen  gesucht.  Zu  diesem  Zwecke  haben  sie  zweier- 
lei Wege  eingeschlagen. 

Das  Gros  der  Handschriften ,  AGMD  ^LPR ,   dreht  die  Sache 

1)  Es  ist  sehr  auffällig,  daß  D,  welcher  in  Air  zuerst  besprochenen  Stelle 
allein  das  Richtige  bewahrt  hatte ,   hier  (nach  iuhu)   das  Falsche  hat ,    da  diese 


244  Alfred  Rahlfs, 

einfach  um  und  schreibt 

ut  velut  discipulis  interrogantibus  et  magistro  respondente  etc. 
Doch  hat  A 

discipulo  interrogante 
im  Singular  und  verrät  dadurch  noch,   daß  dort  ursprünglich  ma- 
gistro interrogante  gestanden  hat. 

Dem  Schreiber  von  N  dagegen  ist  es  zu  dumm  gewesen,  die 
Schüler  fragen  und  den  Lehrer  antworten  zu  lassen.  Daher  hat 
er  eine  Radikalkur  gebraucht  und  die  A  und  M  im  ganzen  Buche 
vertauscht  (Kihn  471  er). 

Alle  älteren  Ausgaben,  welche  ich  verglichen  habe,  die  editio 
princeps  Basel  1545,  und  die  Abdrücke  bei  de  la  Bigne  2  I  Paris 
1589,  Grallandi  XII  Venedig  1778  und  Migne  LXVIII  (vgl.  Kihn 
299 — 302),  haben  die  falschen  Lesarten,  weil  sie  diese  in  ihrer 
Vorlage  fanden.  De  la  Bigne ,  Grallandi  und  Migne  sind  auf  dem 
von  den  antiquarii  eingeschlagenen  Wege  noch  weiter  gegangen  : 
sie  haben  die  —  jetzt  allerdings  sinnlos  gewordenen  —  griechischen 
Buchstaben  durch  lateinische  ersetzt.  Kihn  fand  das  Ursprüng- 
liche in  einigen  Handschriften  vor,  wurde  aber  jedenfalls  durch 
die  Menge  und  das  Alter  (vgl.  unten)  der  dagegen  stehenden  Zeu- 
gen gehindert,  es  als  ursprünglich  zu  erkennen  und  in  den  Text 
einzusetzen. 

Man  darf  Kihn  hieraus  keinen  Vorwurf  machen,  sondern  muß 
ihm  dankbar  sein,  daß  er  durch  seine  vollständige  Mitteilung  des 
textkritischen  Materials  auch  diejenigen,  welche  die  Handschriften 
nicht  einsehen  können,  in  den  Stand  gesetzt  hat,  seinen  Text  zu 
controllieren  und  eventuell  zu  berichtigen.  Es  versteht  sich  von 
selbst,  daß  der,  welcher  einen  so  verderbten  Text,  wie  den  des 
Iunilius,  zum  ersten  Male  kritisch  herausgibt,  nicht  überall  gleich 
das  Richtige  trifft.  Trotzdem  muß  es  auffällig  erscheinen,  daß  Kihn 
hier  an  dem  Richtigen  so  achtlos  vorübergegangen  ist,  da  er  den 
alten  Text  nicht  gedankenlos  übernommen,  sondern  sich  über  die  in 
demselben  angegebene,  sonderbare  Anlage  des  Werkes  Rechenschaft 
zu  geben  versucht  hat.    Er  sagt  222: 

Die  Fragen   der  Schüler,    welche    sich  unterrichten   lassen, 
dienen  lediglich   zur   Vermittlung   der  Uebergänge    in    dem 
Vortrage  des  Lehrers,  der  ihnen  Belehrung  ertheilt 
und  zieht  am  Rande    als  Parallele    die    »24  Collationes  patrum« 
Cassians  herbei, 


zweite  confusio  erst  eine  Folge  jener  ersten  ist.    Falls  Kihns  Angabe  nicht  auf 
einem  Irrtum  beruht,  muß  Ds  Text  ein  Mischtext  sein. 


Lehrer  und  Schüler  bei  Iunilius  Africanus.  245 

wo  die  Freunde  nach  kurzen  Zwischenreden  vom  fragenden 

oder  befragten  ,Vater'  unterrichtet  werden. 
Aber  mit  dieser  Erklärung  ist  Kihn  ganz  unglücklich  gefahren. 
Die  Fragen  bei  Iunilius  sind  keineswegs,  wie  die  bei  Cassian, 
gleichgültige  Uebergangsformeln ,  vielmehr  bilden  sie  das  Gerippe 
des  ganzen  Werkes ;  nähme  man  sie  fort ,  so  würde  das  Uebrig- 
bleibende  in  unzusammenhangende  Stücke  zerfallen.  In  den  Fragen 
liegt  die  Disposition  des  Buches ;  nur  derjenige  kann  sie  stellen, 
welcher  den  ganzen  Stoff  beherrscht  und  das  Gespräch  völlig  ziel- 
bewußt leitet,  also  nur  der  Lehrer,  nicht  die  Schüler.  Und  dann 
die  Form  der  Fragen !  Man  braucht  nur  einige  derselben  zu  lesen, 
etwa  im  4.  Kapitel  des  1.  Buches 

Quid  est  prophetia? 

Da  in  praeteritis  prophetiam! 

Da  in  praesentibus ! 

Da  in  futuris! 

Quare  in  definitione  positum  est  ,latentium'? 

Proba  hoc  divinae  scripturae  testimonio! 

Quare  addidimus  ,ex  divina  inspiratione'  ?, 
um  zu  sehen ,  daß  so  nicht  der  Schüler ,  sondern  nur  der  Lehrer 
fragen  kann.  Das  Buch  des  Iunilius  ist  ein  »Katechismus«,  dessen 
Antworten  die  Schüler  auswendig  zu  lernen  und  dem  Lehrer  auf 
seine  Fragen  herzusagen  haben.  Das  »Gespräch«  zwischen  Lehrer 
und  Schülern  hat  nicht,  wie  ein  platonischer  Dialog,  den  Zweck, 
durch  gemeinsames  Forschen  neue  Wahrheiten  zu  entdecken,  son- 
dern den,  die  festgestellten  Regeln  den  Schülern  einzupauken,  — 
lateinisch  gesagt  —  regulis  discipulorum  animos  imbuere  (Iunilius' 
Widmung  Kihn  468 e/s).  Die  entgegengesetzte  Vorstellung,  daß 
die  Schüler  —  NB.  im  Plural  —  den  Lehrer  katechesieren,  und  er 
als  geduldiges  Opferlamm  alle  ihre  unverschämten  Fragen  beant- 
wortet, widerlegt  sich  selbst.  Eine  solche  Vorstellung  kann  man 
nur  so  lange  für  möglich  halten,  als  man  sich  ein  lebendiges  Bild 
von  dem  Hergange  in  praxi  zu  machen  versäumt. 

Ich  schließe  mit  einer  Nutzanwendung  für  die  Textkritik  ins- 
gemein. 

Der  vorliegende  Fall  beweist,  daß  Eine  Handschrift  allen  an- 
deren gegenüber  Recht  haben  kann. 

Er  beweist  ferner,  daß  selbst  bei  Stellen,  die  in  so  engem  Zu- 
sammenhange stehn,  wie  die  besprochenen,  doch  verschiedene  Hand- 
schriften das  Richtige  bewahrt  haben  können,  sodaß  ein  eklekti- 
sches Verfahren  zur  Herstellung  des  ursprünglichen  Textes  erfor- 
derlich ist. 


246         Alfred  Rahlfs,  Lehrer  und  Schüler  bei  Juniluis  Africanus. 


Er  beweist  endlich,  daß  man  in  dem  hohen  Alter  einer  Hand- 
schrift keine  Garantie  für  die  Richtigkeit  der  von  ihr  gebotenen 
Lesarten  sehen  und  bei  der  Reconstruction  eines  Textes  sein  Ur- 
teil nicht  durch  das  Alter  oder  die  Jugend  der  Handschriften  be- 
stimmen lassen  darf.  Kihns  älteste  Handschrift,  G,  welche  nach 
ihm  aus  der  zweiten  Hälfte  des  6.  Jahrhunderts,  also  aus  der  Zeit 
kurz  nach  Abfassung  des  im  Jahre  551  geschriebenen  Buches 
(vgl.  Kihn  275 — 289)  stammt,  hat  an  beiden  Stellen  das  Falsche. 
Der  Codex  D ,  welcher  an  der  ersten  Stelle  den  ursprünglichen 
Text  bewahrt  hat,  gehört  dem  9.  Jahrhundert  an;  die  Codices  NF, 
welche  ihn  an  der  anderen  Stelle  bewahrt  haben,  zählen,  da  N  im 
10.  oder  im  Anfange  des  11. ,  F  im  11.  Jahrhundert  geschrieben 
ist,  sogar  zu  den  jüngsten  Handschriften:  nur  noch  Eine  Hand- 
schrift (E)  stammt  aus  dem  11.  Jahrhundert,  alle  übrigen  sind 
älter. 

Dies  sind  keine  neuen  Sätze,  sondern  neue  Beweise  für  alte 
Sätze.  Ich  führe  sie  an,  weil  sie  die  Richtigkeit  der  alten  Sätze 
so  schlagend  und  unwiderleglich  darthun. 

Wenn  man  will,  kann  man  aus  dem  ersten  Satze  weiter  auf 
das  Recht  der  Emendation,  vulgo  Conjectur,  schließen:  wäre  D 
verloren,  so  müßten  wir  ohne  Zeugen  emendieren.  Ich  darf  wohl 
erwähnen,  daß  ich  wirklich  in  vorliegendem  Falle  die  Emendation 
gemacht  habe,  ehe  ich  die  Bestätigung  ihrer  Richtigkeit  in  Kihns 
Apparate  fand;  was  ja  in  diesem  Falle  nicht  schwer  war. 


Inhalt  von  Nr.  7. 
Eduard  Riecke,   über  eine  mit  den  electrischen  Eigenschaften  des  Tnrmalins  zusammenhängende  Fläche. 
—  D.  Hubert,  über  die  Theorie  der  algebraischen  Invarianten.  —  Alfred  Rahlfs,  über  Lehrer  und  Schüler 

bei  Junilius  Africanus. 

Für  die  Eedaction  verantwortlich:  H.  Sauppe,  Secretar  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 
Commissions-Verlag  der  Dieterich' sehen   Verlags- Buchhandlung. 
Druck  der  Dieters  eh' sehen  Univ.-Buchdruckerei  (W.  Fr.  Kaestner). 


Nachrichten 

von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu  Göttingen. 


11.  November.  Jfä  8.  1891 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  1.  August. 

Kiecke  kündigt  eine  Arbeit  von  sich  und  Voigt  an:  „Bestimmung  der  elektri- 
schen Constanten  des  Turmalins  und  Quarzes". 

Voigt  kündigt  eine  Abhandlung  an:  „Bestimmung  der  Constanten  der  innern 
Reibung  für  einige  Krystalle". 

Kiel  hörn  kündigt  „Tafeln  aus  indischen  Inschriften  und  Handschriften"  an. 


Die  piezoelectrischen  Constanten  des  Quarzes 
und  Turmalins. 

Von 

E.  Äiecke  und  W.  Voigt. 

1.    Allgemeine  Angaben  über  die  Methode  der 
Beobachtung. 

Die  untersuchten  Crystallstücke  besaßen  die  Form  rechtwink- 
liger Prismen,  deren  Kanten  gegen  die  Hauptaxen  der  Crystalle 
in  bestimmter  Weise  orientirt  waren.  Die  Anordnung  des  Appa- 
rates, welcher  zur  Belastung  der  Prismen  diente,  war  eine  etwas 
verschiedene ,  je  nachdem  die  elektrische  Erregung  auf  den  gepreß- 
ten Flächen  selbst  beobachtet  werden  sollte  oder  auf  den  Seiten- 
flächen. Im  ersteren  Falle  war  die  Einrichtung  folgende.  Ein 
parallelepipedisches  Messingstück  M  von  13J  cm  Länge,  3  cm  Breite, 
1  £  cm  Höhe  war  auf  einem  großen  mit  Gewichten  beschwerten  Holz- 
klotze so  befestigt,    daß   es  über  den  Rand  des  Klotzes  um  3  cm 

Nachrichten  von  der  K.  G.  d.  W.  in  Oottingea.  1891.  Mr.  8.  19 


248  E.  R  i  e  c  k  e  und  W.  V  o  i  g  t, 

vorstand.  Die  Cry stalle  wurden  von  einer  Klemme  gefaßt ,  deren 
Backen  aus  federnden  Streifen  von  hartem  Kupferblech  bestanden 
und  durch  ein  Hartgummistück  von  einander  isolirt  waren.  An 
den  Enden  der  Backen  waren  nach  innen  zu  Blei-  oder  Kupfer- 
platten angelöthet,  deren  Distanz  so  regulirt  war,  daß  die  Cry- 
stalle  zwischen  ihnen  mit  mäßigem  Drucke  festgehalten  wurden. 
Auf  der  oberen  Backe  war  nach  außen  ein  kleines  Stahlstück  be- 
festigt ,  dachförmig  abgeschrägt ,  so  daß  sich  in  seiner  Mitte  eine 
scharfe  Kante  von  etwa  0,3  cm  Länge  bildete,  parallel  zu  der 
Längsrichtung  der  Klemme.  Die  Crystalle  wurden  so  in  die 
Klemme  gebracht,  daß  jene  Kante  genau  über  der  Mitte  der  ge- 
preßten Crystallflächen  lag.  Die  Klemme  mit  dem  von  ihr  gehal- 
tenen Crystall  wurde  auf  das  Messingstück  M  gestellt,  so  daß  der 
Crystall  auf  dem  überragenden  Theile  desselben  sich  befand  und 
daß  die  Kante  des  Stahlklötzchens  der  Längsrichtung  von  M  pa- 
rallel war.  Nun  wurde  ein  aus  einem  rechteckigen  Rahmen  be- 
stehender Bügel  über  die  Klemme  gehängt,  dessen  oberes  horizon- 
tales Stück  eine  nach  innen  gekehrte  scharfe  Schneide  besaß.  Mit 
dieser  wurde  der  Bügel  über  die  an  dem  Stahlklötzchen  befindliche 
Schneide  gehängt,  so  daß  der  Berührungspunkt  der  beiden  Schnei- 
den genau  über  der  Mitte  der  gepreßten  Crystallflächen  sich  be- 
fand. An  seinem  unteren  Ende  trug  der  Bügel  einen  starken  Draht, 
an  welchen  die  zur  Aufnahme  der  Gewichtsstücke  dienende  Wag- 
schale angehängt  wurde.  Zufolge  der  geschilderten  Einrichtung 
stand  die  untere  Klemme  in  metallischer  Berührung  mit  dem  als 
Unterlage  dienenden  Messingstücke ;  sie  wurde  ein  für  allemal  mit 
der  Grasleitung  verbunden.  Der  Holzblock,  auf  welchem  die  Vor- 
richtung ruhte,  war  mit  Stanniolstreifen  überzogen  und  gleichfalls 
abgeleitet.  Die  obere  Feder  und  damit  auch  die  obere  Endfläche 
des  Crystalls  wurde  mit  dem  einen  Quadrantenpaar  eines  von  Stöh- 
rer  konstruirten  Thomson'schen  Elektrometers  verbunden ;  das  an- 
dere Quadrantenpaar  war  abgeleitet,  die  Nadel  mit  Hülfe  einer 
trockenen  Säule  geladen.  Die  ganze  Einrichtung  befand  sich  auf 
einem  festen  Tische  in  einem  Glaskasten,  welcher  auf  seiner  in- 
neren Seite  mit  Gittern  von  Messingdraht  ausgekleidet  war.  Die 
Oberfläche  des  Tisches  war  gleichfalls  mit  Stanniol  überzogen  und 
abgeleitet;  der  die  Wagschale  tragende  Draht  gieng  durch  eine 
Auskehlung  des  Tischrandes  nach  unten.  Durch  einen  federnden 
Contakt  konnte  der  die  obere  Crystallfläche  mit  dem  Elektrometer 
verbindende  Draht  abgeleitet  werden.  Die  Bewegung  des  Con- 
taktes  erfolgte  mit  Hülfe  einer  Schnur,  welche  durch  eine  Durch- 
bohrung der  Decke  in  das  Innere  hineingeführt  war. 


die  piezoelectrischen  Constanten  des  Quarzes  und  Turmalins.  249 

Sollte  die  elektrische  Ladung  auf  den  Seitenflächen  der  Cry- 
stalle  beobachtet  werden,  so  wurden  die  Klemmen  entfernt.  Auf 
das  Messingstück  M  wurde  eine  Hartgummiplatte  als  isolirende 
Unterlage  gelegt,  und  auf  diese  der  Crystall  gestellt,  so  daß  er 
sich  wieder  auf  dem  überragenden  Theile  von  M  befand.  Die  zur 
Aufnahme  des  Bügels  dienenden  Stahlklötzchen  waren  gleichfalls 
auf  Hartgummiplatten  befestigt;  sie  wurden  mit  diesen  frei  auf 
die  oberen  Flächen  der  Crystallprismen  aufgesetzt,  so  daß  die 
Schneiden  über  der  Mitte  der  gepreßten  Flächen  sich  befanden. 
Der  Bügel  und  die  zur  Belastung  dienenden  Gewichte  wurden 
ebenso  angebracht  wie  früher.  Die  Seitenflächen,  auf  welchen  die 
elektrische  Erregung  gemessen  werden  sollte,  wurden  mit  Stanniol 
überzogen ;  sie  wurden  wieder  von  den  beiden  Backen  einer  federn- 
den Klemme  gefaßt,  welche  von  der  Seite  her  angeschoben  wurde. 
Die  eine  der  beiden  von  einander  isolirten  Federn  wurde  mit  der 
Grasleitung,  die  andere  mit  dem  Elektrometer  verbunden. 

Bei  jeder  Beobachtungsreihe  wurde  die  Empfindlichkeit  des 
Elektrometers  bestimmt,  indem  dasselbe  Quadrantenpaar,  welches 
bei  den  piezoelektrischen  Versuchen  mit  der  Crystallfläche  verbun- 
den war,  durch  ein  Clarkelement  geladen  wurde,  dessen  anderer 
Pol  zur  Erde  abgeleitet  war.  Die  Verbindungen  der  Pole  konnten 
durch  einen  eingeschalteten  Commutator  vertauscht  werden.  Nach- 
dem das  Clarkelement  entfernt  war,  wurde  die  Verbindung  der 
Crystallfläche  mit  dem  Quadrantenpaar  hergestellt  und  durch 
Schließen  des  erwähnten  Federkontaktes  die  Ableitung  nach  der 
Erde  bewerkstelligt.  Diejenige  Stellung,  welche  das  Elektrometer 
unter  diesen  Umständen  annimmt,  wird  im  Folgenden  als  Null- 
stellung bezeichnet.  Die  Crystallprismen  wurden  zunächst  dauernd 
mit  einem  Gewichte  belastet,  welches  je  nach  der  Größe  der  ge- 
preßten Fläche  zwischen  3  und  4  kgm  schwankte.  Durch  Aufheben 
des  Federkontaktes  wurde  die  Crystallfläche  sammt  dem  mit  ihr 
verbundenen  Quadrantenpaar  isolirt.  Hierauf  wurden  2  kgm  auf 
der  Wagschale  zugelegt  und  der  hierdurch  verursachte  Ausschlag 
gemessen.  Die  Nadel  des  Elektrometers  wurde  sodann  durch  Schlie- 
ßen des  Contaktes  in  die  Nullstellung  zurückgeführt,  der  Contakt 
jetzt  abermals  unterbrochen,  die  zuvor  aufgelegten  2  kgm  wieder 
abgenommen  und  der  nun  nach  der  entgegengesetzten  Seite  erfol- 
gende Ausschlag  beobachtet.  So  wurde  bei  abwechselnder  Bela- 
stung und  Entlastung  eine  größere  Zahl  von  Ausschlägen  nach  der 
einen  und  der  anderen  Seite  hin  beobachtet ;  die  Differenz  der  bei- 
derseitigen Ablesungen  gab  ein  Maaß  für  die  entwickelte  Elektri- 
citätsmenge.     Dividirt  man  die  Hälfte  der  Differenz  d.  h.  den  einer 

19* 


250  E.  Ri  e  c k e  und  W.  V  o  i  g  t , 

Belastung  von  1  kgm  entsprechenden  doppelten  Ausschlag,  durch 
den  entsprechenden  von  dem  Clarkelement  bei  der  Vertauschung 
der  Pole  erzeugten,  so  erhält  man  das  Potential  V,  bis  zu  wel- 
chem das  Quadrantenpaar  des  Elektrometers  bei  einer  Belastung 
von  1  kgm  geladen  wird,  in  der  Einheit  des  Clark.  Bezeichnet 
man  durch  Q  die  Kapacität  des  Quadrantenpaares,  durch  X  die 
der  Crystallfläche  und  der  verbindenden  Drähte  ,  so  ist  die  ent- 
wickelte Elektricitätsmenge 

e  =  (Q  +  X)V. 

Die  Verhältnisse  der  auf  den  verschiedenen  Crystallflächen 
entwickelten  Elektricitätsm engen  sind  gegeben  durch  die  entspre- 
chenden Werthe  von  V,  wenn  die  Verschiedenheiten  von  X  für 
die  verschiedenen  Flächen  zu  vernachlässigen  sind.  Daß  dies  bei 
der  gewählten  Anordnung  der  Versuche  in  der  That  gestattet  war, 
wurde  durch  eine  besondere  Versuchsreihe  nachgewiesen.  Bestimmt 
man  die  Kapacität  Q  +  X  in  elektrostatischem  Maaße  und  drückt 
man  ebenso  das  Potential  V  statt  in  Clark  in  absolutem  elektro- 
statischem Maaße  aus,  so  ergiebt  sich  die  Menge  der  entwickelten 
Elektricität  in  den  Einheiten  der  Elektrostatik. 

2.    Die  piezoelectrischen  Constanten  des  Quarzes. 
Bei  den  Versuchen  wurden  zunächst  3  Prismen  benutzt,  welche 
im  Folgenden  durch  B,  C  und  D  bezeichnet   sind.      Alle  drei  wa- 
ren aus  einer  und  derselben  Platte  geschnitten ,    welche  senkrecht 
zu  einer  polaren  Queraxe  x  des  Crystalles  lag.     Die  Dicken  der 
Platten  in  der  Richtung  der  x-Axe  waren  in  cm. 
BGB 
1,921  1,912  1,919. 

Die  Lage  der  Prismen  in  der  i/^-Ebene  werde  dadurch  be- 
stimmt, daß  die  Winkel  ihrer  Höhen  oder  Seiten  gegen  die  Haupt- 
axe  z  des  Quarzes  angegeben  werden.  Die  Winkel  sind  positiv 
gerechnet  im  Sinne  einer  Drehung  von  der  z-Axe  zu  der  y-Axe. 

Quarz 
B 

C 

D 

Der  Quarz  B  wurde  später  senkrecht  zu  seiner  Höhe  in  zwei 
gleiche  Stücke  zerlegt,  welche  mit  B1  und  B2  bezeichnet  werden 
mögen.  Die  Längen  ihrer  Seiten  und  ihre  Orientirung  gegen  die 
z-Axe  sind  im  Folgenden  gegeben. 


Höhe 

Winkel  gegen  die  z-Axe 

5,402 

45° 

5,239 

135° 

3,437 

22J° 

3,501 

1124°. 

die  piezoelectrischen  Constanten  des  Quarzes  und  Turmalins.  251 

Quarz  Seite  Winkel  gegen  die  z-Axe 

n  2,498  45° 

^  2,279  135° 

2,492  45° 

^2  2,274  135°. 

Als  Einheit  der  Länge  ist  das  cm  benutzt. 
Die  belegten  Flächen,  auf  welchen  die  Ladung  gemessen  wurde, 
waren  bei  allen  Crystallen  die  zur  x-Axe  senkrecht  stehenden. 
Die  Prismen  B  und  C  wurden  nur  parallel  ihren  Höhen,  also  in 
den  Azimuten  45°  und  135°  gepreßt;  bei  B  wurde  der  Druck  in 
der  Richtung  der  beiden  Seiten,  also  in  den  Azimuten  22j°  und 
112^°,  ausgeübt.  Ebenso  bei  den  beiden  Stücken  Bx  und  B2  ent- 
sprechend den  Azimuten  45°  und  135°.  Endlich  wurden  die  Pris- 
men Bt  und  B2  auch  noch  in  der  Richtung  der  x-Axe  gepreßt  und 
die  auf  den  gedrückten  Flächen  selbst  erzeugten  Electricitätsmen- 
gen  gemessen.  Man  erhält  dadurch  indirekt  die  Ladung  für  das 
Azimut  von  90°  eines  in  der  Ebene  zy  ausgeübten  Druckes ,  d.  h. 
die  Ladung ,  welche  durch  einen  Druck  in  der  Richtung  der  y-Axe 
auf  einer  zur  x-Axe  senkrechten  Seitenfläche  erzeugt  wird. 

Bezeichnet  man  mit  mx  die  auf  der  belegten  zur  x-Axe  senk- 
rechten Fläche  erzeugte  Ladung,  durch  qx  ihren  Flächeninhalt,  durch 
p  die  Belastung,  durch  q  den  Querschnitt  der  gepreßten  Fläche, 
durch  0  das  Azimut  der  Druckrichtung,  so  ist 

-^X-  —  —  8nsin2&  +  6\2sin0cos&  =  — v. 

p      v. 

Die  für  die  verschiedenen  Druckrichtungen  aus  den  Beobach- 
tungen sich  ergebenden  Werthe  von  — -  X  —  =  v  sind : 

22J°  45°  90°         112£°        135° 

v    0,044        0,119        0,186        0,151        0,076. 

Hieraus  ergeben  sich  die  folgenden  Werthe  der  Constanten 
öu  und  o14 

on  =  0,1908  51#  =  —0,0431 

und  die  mit   Hülfe    dieser   Werthe    berechneten   piezoelectrischen 
Momente  v 

22£°  45°  90°         112£°        135° 

v  ber.  0,043        0,117        0,191        0,148        0,074 
welche  mit  den  beobachteten  in  befriedigender  Uebereinstimmung 
stehen.     Als  Einheit  des  Druckes  ist  dabei  das  kgm,   als  Einheit 
der  Electricitätsmenge   diejenige   benutzt,    mit   welcher  das  Qua- 
drantenpaar des  Electrometers  durch  1  Clarkelement  geladen  wird. 


252 


E.  ßiecke  und  W.  Voigt, 


3.    Die  piezoelectrischen  Constanten   des  Turmalins. 

Es  waren  für  die  Zwecke  der  Untersuchung  4  Prismen  aus 
demselben  Crystall ,  einem  brasilianischen  von  grüner  Farbe,  ge- 
schnitten worden ,  welche  im  Folgenden  durch  A,  B,  C,  D  bezeich- 
net werden.  Die  Länge,  Breite  und  Höhe  dieser  Prismen,  soweit 
ihre  Kenntniß  für  die  Berechnung  nothwendig  ist,  wird  in  der 
folgenden  Tabelle  in  cm  angegeben. 

I  b                   h 

A           1,159  0,595           0,519 

C           0,892  0,538 

D           1,206  0,689. 

Die  Orientirung  der  Prismen  gegen  die  Axen  des  Crystalls 
werde  durch  die  Bichtungskosinusse  ihrer  Kanten  bestimmt;  dabei 
ist  das  Coordinatenäystem  so  gewählt,  daß  die  £-Axe  mit  der  drei- 
zähligen  Hauptaxe,  die  y-Axe  mit  einer  Symmetrieebene  des  Cry- 
stalls zusammenfällt. 


X 

y 

z 

l 

1 

0 

0 

A 

b 

0 

1 

0 

h 

0 

0 

1 

l 

0 

1 

0 

B 

b 

1 

0 

0 

h 

0 

0 

1 

l 

0 

m 

1A/2 

C 

b 

1 

0 

0 

h 

0 

-1/V2 

m 

p 

1 

0 


l/V'2 

0 

1/V2 


1/V2 

0 

1/V2 


Die  Beobachtungen  ergaben  für  einen  Druck  von  1  kgm  die 
folgenden  Potentiale  in  der  Einheit  des  Clarkelementes. 

1.  Druckrichtung  parallel  der  #-Axe.  Beobachtung  der  La- 
dung auf  der  zu  der  £-Axe  senkrechten  Fläche.  Turmaline  A 
und  B. 

V  =  0,172. 


die  piezoelectrischen  Constanten  des  Quarzes  und  Turmalins.  253 

2.  Druckrichtung  parallel  der  y-Axe.  Beobachtung  der  La- 
dung auf  einer  zu  der  y-Axe  senkrechten  Fläche.  Turmaline  A 
und  B. 

V  =  0,0205. 

3.  Die  Richtungskosinusse  der  Druckrichtung  sind  0,  -r=-,  -4^. 

Ladung  auf  der  zu  der  Druckrichtung  senkrechten  Fläche.      Tur- 
maline C  und  D. 

V  =  0,177. 

4.  Die  Richtungskosinusse  der  Druckrichtung  sind  0, =, 

1  V2 

—j=r.     Ladung  auf  der  zu  der  Druckrichtung   senkrechten  Fläche. 

Turmaline  C  und  D. 

V  =  0,191. 

5.  Druckrichtung  parallel  der  x-Axe.  Ladung  auf  der  zur 
tf-Axe  senkrechten  Fläche.     Turmalin  A. 

V  =  0,061. 

6.  Druckrichtung  parallel  der  y-Axe.  Ladung  auf  der  zur 
#-Axe  senkrechten  Fläche.     Turmalin  A. 

V  ==  0,028. 

7.  Richtungskosinusse  der  Druckrichtung  0, — ,  ""p"-    ^a" 

11  .  V2     V2 

düng  in  der  Richtung  0,  — — ,  — — .     Turmalin  D. 

V  =  0,097. 

8.  Vergleichende  Messung  der  bei  den  Turmalinen  C  und  D 
auftretenden  seitlichen  Ladungen,  wenn  bei  C  die  Richtungskosi- 
nusse des  Druckes  0,  — — ,  — — ,    die  der  Ladung  0, j=r,  —= 

V2    V2  V2    V2 

sind,   während  D  unter   denselben  Verhältnissen  beobachtet  wird 
wie  zuvor. 

V0  =  0,062  VB  =  0,092. 

Bei  dem  Turmalin  werden  die  electrischen  Momente  a,  b,  c  der 
Volumeinheit  für  den  Druck  p  gegeben  durch  die  Gleichungen 

£  =  2r,T,öM  —  TiT,8« 
P 

-  =  (t;-y;)3„— TtTt«,. 

Ir 

|  =  _8,1+(5sl-8„)irJ- 


254  E.  Riecke  und  W.  Voigt, 

Wenden  wir  diese  Formeln  auf  die  im  Vorhergehenden  mit- 
getheilten  Beobachtungsresultate  an,  so  ergeben  sich  die  folgenden 
Gleichungen  zur  Berechnung  der  piezoelectrischen  Moduln. 

1.  -833  =  0,172 

2.  822  =  0,020 

3.  —  8„— S33-831-822  =  2^2  x  0,177  =  0,500 

4.  _S15-833-88I  +  S22  =  2^2  x  0,191  =  0,539 

5.  —  881  =  0,061  x  ^^  =  0,027 

6.  -831  =  0,028  x  jgg  =  0,025 

7-    -8„  +  822  +  838  +  831  =  2\/2  X  0,097  X  ygg  =  0,156 

o      -818-8a/+833  +  83,   _  Om  _  0^  «*■  i6^ 
-8I5  +  82!  +  8S3+831   ~  0,092  ^  0,892  X  1,206' 
Aus   diesen   Gleichungen    ergeben  sich  die  folgenden  Werthe 
der  piezoelectrischen  Moduln. 

( 0,020  \ 
8l6  =  -0,326  822  =  ]  0,019     =0,020 

( 0,022 ) 

*.  -  US  =  ***  «■  -  ESSI  -  - 

4.    Die  piezoelectrischen  Moduln  in  absolutem  Maaße. 
Durch  Vergleichung  mit  einem  Luftkondensator  ergab  sich  für 
die  Kapacität  des  mit  dem  Crystall  verbundenen  Quadrantenpaares 
und  der  verbindenden  Conduktortheile 

Q  +  X  =  57  (cm.  g.  s.). 
Die  electromotorische  Kraft  eines  Clarkelementes  ist  in  elec- 
trostatischem  Maaße  gleich  0,48  X  10~2.  Endlich  entspricht  der 
Druck  von  1  kgm  einer  Anzahl  von  9,81  X  105  Dynen.  Die  frü- 
her gegebenen  Werthe  der  electrischen  Moduln  müssen  daher  durch 
Multiplikation  mit  dem  Faktor  27,8  X  10"8  auf  absolutes  Maaß  re- 
ducirt  werden.     Ihre  Werthe  im  cm.  g.  s.  System  sind  somit 

1.    Quarz. 

5U  =  5,31  x  10-8  ou  =  -1,20  x  lO"8. 

2.     Turmalin. 

8„  —  —9,07  x  lO"8  822  =       0,55  x  10~8 

K  —  —0,71  x  lO"8  833  =  —4,70  X  lO'8. 


die  piezoelektrischen  Constanten  des  Quarzes  und  Turmalins.  255 

Dagegen  findet  Curie  bei  Quarz  on  =  6,3  x  10~8,  bei  Tur- 
malin  o33  =  -5,3  X  10"8. 


5.    Die  pyroelectrische  Constante  des  Turmalins. 

Es  mögen  die  im  Vorhergehenden  für  den  Turmalin  gefunde- 
nen Zahlen  noch  benutzt  werden  zur  Berechnung  seiner  pyroe- 
lectrischen  Constanten  und  zu  einer  Vergleichung  derselben 
mit  dem  Werthe,  welchen  der  eine  von  uns  bei  directer  Messung 
des  durch  Erwärmung  erzeugten  electrischen  Momentes  gefunden 
hat.  Für  das  durch  eine  Erwärmung  um  b  Grade  erregte  electri- 
sche  Moment  gilt  die  Formel *) 

c  =  0  (2s31a2  +  s33«3)- 

Hier  sind  a2  und  a3  die  Ausdehnungscoeflicienten  des  Turma- 
lins in  der  Richtung  der  y-  und  der  «s'-Axe.     Ferner  ist: 

£31     ==     °31CU  +  °33C13>  S33    ==     °31  C31  +   °33  C33* 

Für  die  Elasticitätsconstanten  c  ergeben  sich,  wenn  man  als 
Einheit  des  Zuges  die  Dyne  und  als  Einheit  der  Fläche  das  cm* 
benützt ,  die  "Werthe : 

cn  =  270  X  1010  c33  =  161  x  1010 

e„  =  9  x  1010  =  cai. 
Somit  ist 

£31  =  -234  x  102,  s33  =  —  763  x  102. 

Da  ferner 

a2  =  7,73  x  10"6,  a3  =  9,34  x  10- 

so  wird  schließlich 

c  =  — 1,08  X  ft. 

Dagegen  führen  die  an  5  verschiedenen  brasilianischen  Tur- 
malinen  angestellten  Messungen  pyroelectrischer  Momente 2)  im  Mit- 
tel zu  der  Formel 

c  =  —1,18  X  ft 

welche   mit   der  aus   der  allgemeinen  Theorie  sich  ergebenden  in 
hinreichender  Uebereinstimmung  steht. 


1)  Voigt,  Allgem.  Theorie  der   electr.  Erscheinungen   an  Crystallen.     Ab- 
handl.  d.  Ges.  d.  Wiss.  zu  Goettingen  1890.    S.  69. 

2)  Riecke,  über  die  Pyroelectricität  des  Turmalins.    Wied.  Ann.  1890  Bd. 
XL  S.  303  u.  305. 


256  Hermann  Wagner, 


Ueber  das  von  S.  Günther 
1888  herausgegebene  spätmittelalterliche  Ver- 
zeichnis geographischer  Koordinatenwerte. 

Methodische  Bedenken 
von 

Hermann  Wagner. 

(Vorgelegt  in  der  Sitzung  vom  2.  Juli  1890.    Nachträge  1891.) 

Im  Besitz  des  Herrn  Stadtsekretairs  Markus  Schüßler 
in  Nürnberg  findet  sich  eine  aus  dem  15.  Jahrhundert  stammende 
Handschrift  von  71  Blättern  in  gr.  Quarto,  aus  welcher  der  durch 
zahlreiche  Arbeiten  auf  dem  Gebiete  der  älteren  Geschichte  der 
Mathematik  und  mathematischen  Geographie  bekannte  Sigis- 
mund  Günther  1888  zwei  Tabellen  geographischer  Positionen 
mitgeteilt  und  eingehend  analysirt  hat  (Zeitschr.  f.  wissensch. 
Geogr.  VI.  1888.  S.  160 — 164).  Derselbe  sucht  nachzuweisen,  daß 
die  ganze  Handschrift  in  Libau  oder  mindestens  in 
den  heutigen  Ostseeprovinzen  entstanden  sei. 

Diese  Behauptung  erschien  mir  schon  beim  flüchtigen  Lesen 
seiner  Darlegungen  im  hohen  Grade  unwahrscheinlich.  Bei  näherer 
Betrachtung  ergaben  sich  meines  Erachtens  so  viele  Einzelmisver- 
ständnisse,  ja  historisch  wie  geographisch  ganz  unmögliche  An- 
nahmen und  Beweisführungen,  daß  es  sich  wohl  im  Interesse  der 
methodischen  Behandlung  derartiger  Fragen  verlohnte ,  den  Irr- 
gängen des  Herausgebers  nachzugehen ,  auch  wenn  das  Objekt  an 
sich  und  in  isolirter  Betrachtung  von  keiner  hervorragenden  Be- 
deutung ist.  Es  gehört  dasselbe  zu  den  mittelalterlichen  sog. 
Tabulae  regionum;  diese  verhältnismäßig  im  Umfang  meist  be- 
schränkten Tabellen  sind  eine  bis  jetzt  noch  zu  wenig  beachtete 
und  bearbeitete  Klasse  von  Dokumenten  zur  Geschichte  der  Geo- 
graphie im  Mittelalter,  für  welche  man  meist  nur  die  uns  über- 
lieferten kartographischen  Darstellungen  verwertete.  Aber  in  Hand- 
schriften vergraben,  bereiten  sie  der  bloßen  Sammlung  schon  nicht 
unerhebliche  Schwierigkeit.  Ich  habe  eine  solche  seit  längerer 
Zeit  begonnen.  Aber  durch  andere  Arbeiten  an  dem  Abschluß 
einer  darauf  bezüglichen  Monographie  voraussichtlich  auf  länger 
verhindert,  lege  ich  einige  methodische  Winke,  die  an  ein  bereits 
bearbeitetes  Beispiel  unmittelbar  anknüpfen  und  an  demselben  ge- 


über  ein  spätmittelalterl.  Verzeichnis  geogr.  Koordinatenwerte  etc.      257 

prüft  werden  können,  den  Freunden  der  Geschichte  der  Erdkunde 
im  Mittelalter  vor.  Dieselben  könnten  vielleicht  insofern  von  eini- 
gem Werte  sein,  als  die  Zahl  der  Bearbeiter  wie  der  Kenner  jenes 
Abschnittes  der  Geschichte  noch  so  äußerst  gering  ist,  daß  diesen 
wenigen  eine  verhältnismäßig  große  Auctorität  innewohnt.  Zu  die- 
sen letztern  gehört  mein  Freund  Sigismund  Günther  in  Mün- 
chen, dessen  außerordentlichem  Spürsinn  und  Sammeleifer  es  be- 
reits gelungen  ist,  manche  vergessene  Thatsache  aus  der  Geschichte 
der  Grenzgebiete  zwischen  Geographie,  Physik  und  Mathematik 
an  das  Licht  zu  ziehen. 

Mehr  und  mehr  habe  ich  mich  jedoch  überzeugen  müssen,  daß 
Günther  über  der  Freude  der  Entdeckung  der  litter arhistori sehen 
Einzelnotiz  das  wichtige  Erfordernis  eines  Geschichtsschreibers 
der  Wissenschaften  zu  sehr  außer  Acht  läßt ,  nämlich  die  Ver- 
senkung in  den  Zeitgeist,  in  das  ganze  wissenschaftliche  Können, 
sowie  den  litterarischen  Gesichtskreis  einer  Gruppe  von  Forschern 
der  jeweilig  in  Betracht  kommenden  Perioden.  Dadurch  müssen 
aber  sicher  unrichtige  und  schiefe  Auffassungen  im  Leser  ent- 
stehen, welchen  sich,  wie  ich  an  immer  zahlreichern  Beispielen  er- 
kennen mußte,  oft  ein  ganz  anderes  Bild  enthüllt,  als  es  von 
G.  mit  wenigen  Strichen  gezeichnet  wird,  —  jedoch  nie  ohne  eine 
fast  erdrückende  Fülle  von  Citaten  beizufügen,  die  sich  bei  näherer 
Einsicht  nicht  selten  als  irrig,  ja  als  wertlos,  weil  nicht  den  Origi- 
nalschriften entnommen  oder  gegeneinander  in  ihrem  Werte  ab- 
gewogen ,  ergeben.  Andererseits  kann  aber  eine  richtige  Beach- 
tung des  gesammten  geistigen  Niveaus,  in  welchem  sich  ein  Einzel- 
autor oder  eine  Gelehrtenschule  befand,  oft  ein  besseres  Mittel 
zur  Datirung  und  Erklärung  eines  historischen  Dokumentes  ab- 
geben, als  ein  einzelnes  Kennzeichen. 

Diese  Zwischenbemerkung  glaube  ich  an  dieser  Stelle  ein- 
schieben zu  müssen,  da  sich  meine  methodischen  Bedenken  im  vor- 
liegenden Falle  nicht  gegen  einen  einzelnen  Irrtum,  sondern  die 
ganze  Arbeitsweise  eines  Fachgenossen,  und  zugleich  eines  Freun- 
des und  Mitarbeiters,  richten  müssen.  Nicht  leicht  wird  mir  der 
Ausspruch,  daß  die  angedeuteten  Erfahrungen  mit  der  Zeit  aus 
dem  einstigen  Bewunderer  seiner  Gelehrsamkeit  einen  starken 
Skeptiker  haben  werden  lassen,  der  jedoch  nichts  aufrichtiger 
wünscht ,  als  daß  G.  die  unschätzbaren  Dienste ,  die  er  vermöge 
seiner  ausgebreiteten  Kenntnisse,  seinem  unübertroffenen  Sammel- 
eifer und  hervorragendem  mathematischen  Wissen  unserer  Disziplin 
—  ich  rede  hier  nur  von  der  Geschichte  der  Geographie  —  leisten 
könnte,  durch   eine   wirkliche  Vertiefung  in   den  zu  behandelnden 


258  Hermann  Wagner, 


Gegenstand  und  gründlichere  Quellenkritik  zu  zuverlässigen   und 
wahren  wissenschaftlichen  Hülfeleistungen  gestaltete. 

Die  Einwürfe,  die  ich  im  vorliegenden  Falle  gegen  die  Gün- 
ther sehe  Beweisführung  zu  machen  habe,  sind  kurz  die  folgenden : 

1)  Der  fragliche  Kodex  enthält  keine  einheitliche  Schrift,  son- 
dern besteht  aus  drei  ganz  heterogenen  Bestandteilen.  Derjenige, 
welcher  die  für  den  Geographen  interessanten  Ortstabellen  enthält, 
hat  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  Nürnberg  zum  Ursprungsort,  in 
keinem  Fall  aber  „die  Länder  des  deutschen  Ordens u . 

2)  Günther  hat  von  der  Wichtigkeit,  welche  man  im  Mittel- 
alter auf  die  Kenntnis  guter  Polhöhen  legte  —  der  Konstruktion 
der  Sonnenuhren  wegen  (S.  160)  —  eine  viel  zu  günstige  und  darum 
unrichtige  Vorstellung. 

3)  Irreführend  ist  ferner  seine  Ansicht  über  den  hohen  Grad 
von  Genauigkeit  der  Beobachtungen  damaliger  Zeit.  Günther 
verwechselt  viel  zu  oft  die  rein  rechnerische  Exaktheit,  die  sich 
z.B.  bei  fortgesetzter  Teilung  von  Winkelgrößen  in  den  Tabellen 
ergibt,  mit  derjenigen,  welche  die  Beobachtungsinstrumente  hätten 
ergeben  müssen,  thatsächlich  aber  erst  Jahrhunderte  später  in 
Folge  ihrer  Vervollkommnung  zuließen.  Und  diese  Ansichten  führen 
ihn  im  vorliegenden  Falle  auf  ganz  seltsame  Abwege. 


Der  erste  Punkt  ist  formaler  Natur  und  rasch  zu  erledigen. 
Herr  Schüßler  hatte  die  Freundlichkeit,  mir  den  Kodex  zu 
näherer  Einsicht  zu  überlassen,  und  meinem  gelehrten  Kollegen 
Wilhelm  Meyer  hieselbst  verdanke  ich  noch  verschiedene  die 
Handschrift  betreffende  Erläuterungen.  Dieselbe  enthält  auf  den 
ersten  20  Blättern  einen  Kalender,  der  mit  dem  Jahre  1439  be- 
ginnt und  von  Johann  von  Gmünd  stammt.  Er  ist  identisch 
mit  einer  auch  auf  der  Göttinger  Bibliothek  befindlichen  Hand- 
schrift (im  Cod.  Gotting.  theolog.  234) ;  (ausführlich  berichtet  über 
denselben  Stern  in  Ersch  u.  Gruber  1843  unter  Joh.v.  Gmunden). 
Dieser  Kalender  interessirt  uns  hier  nicht.  —  Ganz  unabhängig  da- 
von ist  das  zweite  Manuskript  von  36  Blättern  —  die  zwei  Blätter 
der  vierten  Kustode  d  sind  herausgeschnitten,  ebenso  die  vier 
letzten  der  Kustode  e  — ,  das  in  schöner  Handschrift,  die  etwa 
auf  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  hinweist  (W.  Meyer),  eine 
Ars  componenda  horologia  enthält,  welcher  verschiedene  Abhand- 
lungen über  den  Quadranten,  z.B.  der  „Prologus  Prophatii  Judaei 
in  quadrantem  novus",  ein  traetatus  chilindri  etc.,  folgen.   Das  dritte 


über  ein  spätmittelalterl.  Verzeichnis  geogr.  Koordinatenwerte  etc.      259 


beigeheftete  Stück ,  wie  das  erste  eine  große  Krone  als  Wasser- 
zeichen tragend,  während  das  zweite  den  kleinen  Ochsenkopf  zeigt, 
ist  teils  chronologischen  Inhalts  —  eine  Ostertabelle  mit  dem  Jahre 
1477  beginnend  bildet  den  Anhang  — ,  teils  behandelt  es  die  Theorie 
und  Praxis  der  Sonnenuhren.  Die  Handschrift  ist  eine  vom  zweiten 
Teile  vollkommen  verschiedene ;  die  5  z.  B.  ist  der  unsrigen  fast 
gleich,  in  den  altern  Teilen  des  Kodex  gleicht  sie  der  oben  offenen 
9.  Schon  hiernach  ist  eine  Abhängigkeit  dieses  letzten  Stückes 
von  den  Ortstabellen  des  zweiten  oder  umgekehrt,  wie  sie  Gün- 
ther (1.  c.  160)  behauptet,  unwahrscheinlich.  Die  verschiedenen 
Wasserzeichen  des  Papiers  bestätigen  dies.  Unter  den  Blättern 
des  mittlem  Stücks  finden  sich  nun  einige ,  auf  welchen  —  ohne 
Zusammenhang  mit  dem  übrigen  Inhalt  —  die  beiden  Verzeichnisse 
geographischer  Namen  und  Koordinaten  geschrieben  sind,  die  den 
Gegenstand  der  Untersuchung  bilden :  eine  Liste ,  die  wesentlich 
aus  Landschaftsnamen  mit  beigefügter  Breitenlage  (tabula  regionum 
Tab.  I)  und  eine  solche  von  Städten  (tabula  civitatum) ,  mit  einer 
dreiziffrigen  Zahlenreihe  ohne  Tabellenkopf  versehen,  welche  G. 
für  Längenangaben  nach  Stunden,  Minuten  und  Sekunden  hielt. 
Entgegen  den  Anschauungen  Günthers  leugne  ich  den  innern 
Zusammenhang  beider  Tabellen ;  ich  halte  die  erstere  für  älter  und 
historisch  interessanter;  sie  stammt  aus  einer  ganz  andern  Quelle 
als  die  zweite ,  die  sicher  auf  Regiomontan  selbst  zurückgeführt 
werden  muß ;  im  übrigen  ist  es  zweckmäßiger,  beide  ganz  getrennt 
zu  betrachten. 

II. 

1.  Für  die  Analyse  der  Tafel  der  Landschaften  ist  die  im 
Original  gegebene  Reihenfolge  nicht  ohne  Bedeutung.  Wir  drucken 
sie  daher  hier  nochmals  ab,  zugleich  einige  Versehen  berichtigend, 
die  Günther  bei  der  Abschrift  untergelaufen  sind.  Die  laufen- 
den Nummern  finden  sich  im  Originale  nicht. 

I.  Elevationes  seu  altitudines  poli  arctici  in  variis  regionibus : 


1.  Norvegia 

2.  Swecia 

3.  Bussia  alba 

4.  Dada 

5.  Samaicia 

6.  Asia 

7.  Litphania 

8.  Darpht 

9.  Scocia 

10.  Liphania 

11.  Pomerania 


60  gradus 
}  59 

i  58 


56 


12.  Frisia 

13.  Hernest ed 

14.  Marchia  vetus 

15.  Prussia 

16.  Hibernia 

17.  Holandria 

18.  Saxonia 

19.  Marchia  nova 

20.  Bussia  media 
{Prussia  media  Gr.) 


55  gradus 


54 


260 

Hermann 

Wagner, 

21.  Anglia 

f  53  gradus 

51.  Francia                 1 

22.  Britannia 

52.  Burgundia 

23.  Brabancia 

53.  Swaicia 

24.  Geliea 

54.  Carinthia 

25.   Westfalia 

55.  Bulgaria 

26.  Thuringia 

>52 

56.  Yberia 

27.  .Msna 

57.  Hastringis 

28.  Ata« 

58.  Gabaudia 

29.  Colonia 

59.  Cumanna 

30.  Flandria 

60.  Venecia 

31.  Jw/cä 

61.  Coneolla 

32.  Lowanium 

(Concolla  Gr.) 

33.  Leodium 

62.  Croacia 

(Leodunum  Gr.) 

51 

63.  Palespontus 

34.  Bemis 

64.  Magna  insula 

35.  Hassia 

Calchus 

36.  Lusacia 

65.  Albania 

37.  Bussia  parva       r 

66.  2w  ^ede  montis 

38.  Normandia 

67.  Prewencia 

39.  Pacardia 

68.  Toscana 

40.  FatfnZ 

69.   Wandalicia 

41.  Franconiü 

>50 

70.  Delphinatus 

42.  Bawaria 

71.  JRoma 

43.  Bohemia 

72.  Narwarra 

44.  Morawia 

73.  Primania 

45.  Luthringia              j 

46.  Swevia 

47.  Austria                  1 

74.  Cracia 

49 

(Gracia  Gr.) 

1 

75.  Pontus 

48.  Elsacia                  i 

49.  Äino 

50.  Walachia               1 

76.  Ellespontus  insula 

48 

47  gradus 


}46 


45 


>44 


An  die  Tabelle  schließt  sich  unmittelbar  der  nachfolgende  Text  : 
„Si  maximam  solis  declinationem  vel  elevationem  habere  velis  primo 
oportet  sciri  elevationem  poli  mundi  sive  equinoctialis  in  eadem  regione. 
Tunc  ad  elevationem  equinoctialis  quoad  maximam  elevationem  adde 
23  gradus  et  32  minuta.  Sed  quoad  maximam  (sie!)  declinationem 
tunc  eosdem  ab  elevatione  equinoctialis  subtrahe  et  hdbebis.  Tunc 
quanta  erit  elevatio  maxima  tanta  erit  etiam  elevatio  poli  aretici  sive 
poli  celi.u 

2.  Es  ist  nun  zunächst  der  letzte  Passus,  von  welchem  Gün- 
ther bei  seinen  Betrachtungen  ausgeht.  Mit  riecht  vermutet  er, 
daß  im  zweiten  Satz  ein  Fehler  des  Abschreibers  —  maximam 
statt  minimam  —  vorliege;  um  so  mehr  muß  man  sich  allerdings 
wundern,  daß  Günther  auf  den  sinnlosen  letzten  Satz  hin,  wo- 
nach die  Polhöhe  so  groß  wie  die  Sonnenhöhe  z.  Z.  des  Sommersol- 
stitiums  sein  müßte,  den  Schluß  aufbaut,  die  Handschrift  sei 
in    den    Ostseeprovinzen    entstanden.     „Der  unwissende 


über  ein  spätraittelalterl.  Verzeichnis  geogr.  Koordinatenwerte  etc.      261 

Abschreiber  hat  mit  jenem  Satz",  meint  Günther,  „einen  argen 
Verstoß  sich  zu  schulden  kommen  lassen,  allein  eben  dadurch  hat 
er  uns  auch  einen  wertvollen  Fingerzeig  hinsichtlich  seines  Auf- 
enthaltsortes gegeben.  Soll  nämlich  seine  Regel  richtig  sein,  so 
muß 

cp  =  In  und  90°—  <p  =  cp  —  23°  32' 
folglich  cp  =  £  (90  +  23°  32')  =  56°  46' 

sein.  Dies  ist  aber  die  geographische  Breite  vonLibau  etwa,  und 
es  gab  somit  in  dem  vom  Kompilator  bewohnten  Lande  einen  Punkt, 
für  welchen  seine  Vorschrift  genau,  und  viele  Punkte,  für  welche 
sie  annähernd  stimmte,  und  mit  diesem  Grade  von  Uebereinstim- 
mung  gab  sich  der  Abschreiber  zufrieden." 

Diese  Beweisführung  leidet  nun  m.  E.  in  größtem  Maße  an 
innerer  Unwahrscheinlichkeit.  Im  vorliegenden  Fall  schreibt  Gün- 
ther die  Genügsamkeit  in  Bezug  auf  die  Genauigkeit  der  Person 
des  Abschreibers  zu,  im  allgemeinen  ist  die  Wichtigkeit,  die  man 
in  jenen  Jahrhunderten  allgemein  auf  gute  Polhöhen  legte,  eine 
seiner  Prämissen.  Man  könne  hiefür  nicht  die  richtige  Vorstellung 
gewinnen,  wenn  man  bloß  die  gedruckten  Bücher  berücksichtige, 
wie  es  Peschel  gethan ,  man  müsse  das  zahlreich  vorhandene 
handschriftliche  Material  zu  Kate  ziehen,  um  zu  erkennen,  daß 
man  auf  die  Kenntnis  guter  Polhöhen  schon  um  deswillen  natur- 
gemäß Wert  legen  mußte,  da  diese  Kenntnis  die  erste  Vorbedin- 
gung für  die  Konstruktion  jeder  Sonnenuhr  sei.  Dieser  Satz  läßt 
jeden  Unbefangenen  vermuten,  daß  man  gegen  Ende  des  Mittel- 
alters ,  d.  h.  doch  nichts  anderes  als  vor  Erneuerung  der  Astrono- 
mie durch  die  Wiener  Schule,  vor  allem  durch  Peurbach  und 
Regiomontan  schon  zahlreiche  gute  Polhöhenbestimmungen  be- 
sessen habe.  Wie  kommt  es  dann,  daß  uns  davon  so  ungemein 
wenige  überliefert  sind?  Warum  gräbt  man  sie  mühsam  aus  dem 
handschriftlichen  Material  noch  heute  im  Interesse  der  Geschichte 
der  Wissenschaft  aus?  Einfach,  weil  man  sie  nur  in  höchst  be- 
scheidenem Maße  besaß  und  man  sich  selbst  in  Gegenden,  wo  man 
durch  leidliche  Wege  die  Lage  mancher  Punkte  auf  einen  fester 
bestimmten  Ort  beziehen  konnte ,  mit  ganz  rohen  Annäherungen 
begnügen  mußte.  Die  uns  überlieferten  Karten  beweisen  dies  zur 
Genüge  und  die  gewaltigen  Verzerrungen  der  europäischen  Län- 
der in  westöstlicher  Richtung,  an  die  Günther  gar  nicht  gedacht 
zu  haben  scheint,  hängen  nicht  nur  von  den  Mängeln  der  Kenntnis 
der  Längen,  sondern  zum  Teil  auch  von  den  fehlerhaften  Breiten- 
annahmen ab. 


262  Hermann  Wagner, 


Die  in  unserer  Handschrift  mitgeteilte  Tabula  regionum  I 
spricht  gleichfalls  für  die  Genügsamkeit  der  Zeit,  wenn  ich  so 
sagen  darf.  Es  werden  in  ihr  Landschaften  aufgezählt,  die  an- 
nähernd unter  gleicher  Breite  liegen.  Sie  dürfte,  das  ist  wohl  mit 
Sicherheit  anzunehmen,  einer  Karte  entnommen  sein,  an  deren  Rand 
nach  ptolemäischer  Art  neben  den  Klimaten  auch  die  Gradzahlen 
angesetzt  waren.  Dies  ist  der  natürliche  Uebergang  zu  den  spä- 
tem genauem  Angaben  der  Lage,  wenn  wir  von  den  äußerst 
wenigen,  astronomisch  bestimmten  Punkten  absehen  (s.  u.). 

Aber  Günther,  die  Zeitverhältnisse  schon  in  diesem  Punkte 
verkennend,  will  uns  beweisen,  daß  der  Verfasser,  den  er  uns  auf 
Grund  des  völlig  verkehrten  Satzes  „quanta  erit  elevatio  maxima 
(sc.  solis)  tanta  erit  etiam  elevatio  poli  arctici  sive  poli  celi"  als 
einen  unwissenden  Kompilator  schildert,  doch  vielleicht  selbst  für 
seinen  Aufenthaltsort  mittelst  des  Gnomon  oder  des  Baculus  die 
Polhöhe  gemessen  habe!  (p.  162).  War  dies  letztere  der  Fall,  so 
erscheinen  die  theoretischen  Misverständnisse  noch  ungeheuerlicher. 
Andererseits  konnte  er  sich  mittelst  des  Gnomon  kaum  um  mehrere 
Grade  irren,  wenn  er  nicht  ein  ebenso  ungeschickter  Beobachter 
wie  Theoretiker  war.  In  der  That  schließt  Günther  die  Rich- 
tigkeit seiner  „Messung"  aus  dem  Umstände,  daß  Frussia,  das  eigent- 
liche Deutschordensterritorium,  mit  55°  der  Breite  ganz  gut  weg- 
gekommen sei *).  Wie  reimt  sich  nun  mit  der  eigenen  Beobachtung 
von  55°  die  vermeintliche  Uebereinstimmung  zwischen  der  größten 
Sonnenhöhe  hx  und  der  Polhöhe  am  Beobachtungsort,  da  aus 

<p  =  \  und  <p  —  23°  32'  =  90°—  cp 

ja  unbedingt  <p  =  56°  46'  also  fast  2°  mehr  folgt?  Diese  Breite 
ist,  sagt  Günther  trotzdem,  etwa  diejenige  von  Libau  und  es 
gab  somit  in  dem  vom  Kompilator  bewohnten  Lande  einen  Punkt, 
für  welchen  seine  Vorschrift  genau,  und  viele  Punkte,  für  welche 
sie  annähernd  stimmte. 

Ein  weiteres  Argument  für  den  Ursprungsort  der  Handschrift 
im  Ordenslande  ist  nach  Günther  ferner,  daß  in  derselben  an 
einer  andern  Stelle  als  gnomonisches  Beispiel  die  Anfertigung  einer 
Sonnenuhr  „in  Prusia"  gelehrt  werde.  Indessen  zeigt  die  betreffende 
Figur,  neben  welcher  „in  Prusia"  steht,  genau  die  gleiche  Unwissen- 
heit des  Abschreibers  in  den  ersten  Elementen  der  Ortsbestimmung. 

1)  Was  das  von  G.  als  „unter  der  topographischen  Bezeichnung  Prussia 
media  wenig  bekannte  Mittelpreußen"  betrifft,  welches  ebenfalls  gut  bestimmt  sei 
(S.  162),  so  existirt  dieses  in  der  Handschrift  nicht ;  es  steht  dort  deutlich  „Bussia 
media11. 


über  ein  spätmittelalterl.  Verzeichnis  geogr.  Koordinatenwerte  etc.       263 

Denn  nach  derselben  bildet,  was  Günther  entgangen  ist,  imMeri- 
diandnrchschnitt  die  linea  eqninoctialis  einen  Winkel  von  55°,  die 
Axis  einen  Winkel  von  35°  mit  dem  Horizont;  während  es  für 
Orte  unter  55°  Br.  gerade  umgekehrt  sein  müßte.  Unmöglich 
kann  zwischen  dem  Misverständnis  „quanta  erit"  und  diesem  „in 
Prusia"  irgend  ein  Zusammenhang  bestehen ,  da  in  dem  ersten 
Falle  die  größte  Höhe  der  Sonne  (also  zur  Zeit  des  Sommer-Sol- 
stitiums),  im  zweiten  die  Aequatorhöhe  derselben,  (also  zur  Zeit 
der  Aequinoctien)  mit  der  Polhöhe  bezw.  der  geographischen  Breite 
identifizirt  wird.  Und  der  Mann  also,  der  sich  solche  Verstöße 
zu  Schulden  kommen  läßt,  sollte  im  Stande  gewesen  sein  die  Pol- 
höhe durch  Gnomon  oder  gar  durch  den  Baculus  zu  bestimmen1)? 
3.  Vorausgesetzt  der  Abschreiber  habe  wirklich  in  jenen  Ge- 
genden gewohnt,  wie  stimmen  nun  seine  Ansichten  über  die  gegen- 
seitige Lage  der  in  Frage  kommenden  Landschaften  mit  der  Wirk- 
lichkeit überein  ?  —  es  werden  Samaicia,  Litphania,  Liphania,  Prus- 
sia  genannt,  nebst  Darpht,  ein  Name,  der  hinter  Litphania  folgt. 
Unter  Darpht  ist  gewiß,  wie  G.  ausführt,  nichts  anderes  zu  ver- 
stehen als  Dorpat  {Tarbatimi)  und  für  diesen  Ort  (587s °  N.)  stimmt 
die  Breite  von  57°  wenigstens  nicht  schlechter,  als  für  manche 
andere  Orte.  Dorpat  liegt  aber,  und  lag  doch  auch  niemals 
in  Lithauen  (Litphania).  Doch  wie  dem  auch  sei,  wie  sollte  ein 
in  jenen  Gegenden  wohnender  Klosterbruder  nun  Livonia  (Livlanil). 
südlich  von  Litthauen  setzen?  „Gerade  dieser  Umstand  spricht 
dafür",  sagt  G.  (S.  162  ob.) ,  „daß  ein  Preuße  die  Beschreibung 
anfertigte  ,  denn  ein  solcher  bezeichnete  eben  mit  dem  Wort  LH- 
thauen  das  ganze  Gebiet  des  Ordenslandes  bis  hoch  in  den  Nor- 
den" (!  ?).  In  der  That  eine  seltsame  Argumentation.  Denn  nie- 
mals konnte  eine  so  generelle  Bezeichnung  es  zuwege  bringen,  daß 
man  deshalb  glaubte,  der  Weg  von  Preußen  führe  durch  das  Ge- 
biet von  Litthauen  südwärts  nach  Livland.  Aber  selbst  wenn 
beide  Namen  zu  vertauschen  wären,  sodaß  an  erster  Stelle 
Liphania  (57°),  an  zweiter  Litphania  (56°)  stände,  so  müßte  die 
Stellung  von  Samaicia  unter  58°  die  Vermutung,  der  V< 
habe  in  Prussia  gewohnt,  ganz  über  den  Haufen  werfen.  Denn 
für  Samaicien  liegt  ein  Schreibfehler  in  keinem  Fall  vor.    Sarmatia 


1)  Das  letztere  Instrument  ist  doch  vor  Regiomontan  sicher  nur  in  den  Han- 
den  von  astronomisch  durchgebildeten  Männer  gewesen,  wenn  wirklich  auf  Grund 
der  neuern  Handschriftenfunde  die  Existenz  desselben  gegenüber  deu  frohem 
Ansichten  um  hundert  und  dreißig  Jahre  zurück  datirt  werden  muß  (s.  Günther, 
Martin  Behaim.  Bamberg  1890.  p.  63.  Anm.  55  u.  ders.  in  Enettröm't  Bibliotheca 
mathematica  1890.  73—80). 

Nachrichten  von  der  K.  0.  d.  W.  in  Göttingen.    1891.  No.  8.  20 


264  Hermann  Wagner , 

dafür  einsetzen  zu  wollen  bei  der  besondern  Aufzählung  von  Rus- 
sia  alba,  media,  parva  hat  keinen  Sinn.  Samaicia  mit  Samland  zu 
identificiren,  wie  Gr.  es  bedingungsweise  thut,  ohne  zu  bedenken,  daß 
dadurch  der  Breitenunterschied  zwischen  Prussia  (55°)  und  Sam- 
land (58°)  ja  noch  viel  unerklärlicher  bei  einem  „Preußen"  wäre, 
ist  ebensowenig  angängig,  da  Samland  im  Mittelalter  Sambia  oder 
Zambia  hieß.  Samaicia  ist  vielmehr  nichts  anderes  als  die  unzwei- 
felhaft zu  Litthauen  gehörige  Landschaft  Sameytha ,  das  Land  der 
Samogiten,  durch  die  Swiatha  (jetzt  Swenta,  rechter  Nebenfluß  der 
Wilija)  von  Litthauen  getrennt,  kurz  also  eine  südlich  von  Liv- 
land  gelegene  Landschaft.  Roger  Baco,  der  über  die  gegensei- 
tige Lage  dieser  Landschaften  (Opus  majus.  Lond.  1733  p.  226) 
schon  weit  besser  orientirt  war,  als  die  Tabelle  unserer  Hand- 
schrift ,  verlegt  Semi-gallia  (Samogitia)  östlich  von  Livland.  Es 
muß  also  gerade  ausjlem  Umstand,  daß  die  Tabula  regionum  im 
Nordosten  so  außerordentlich  fehlerhaft  ist,  von  neuem  geschlossen 
werden,  daß  ihr  Ursprung  in  jenen  Gregenden  nicht  zu  suchen  ist. 

4.  Aber  zu  Gunsten  seiner  Auffassung  führt  Gr.  weiter  den 
doppelten  Umstand  an,  daß  einerseits  mit  weiterem  Fortschreiten 
gegen  Süden  die  Unsicherheit  der  Angaben  mehr  und  mehr  wächst, 
und  daß  andererseits  die  Breiten,  wenn  Fehler  mit  unterlaufen, 
nur  vergrößert  niemals  verkleinert  werden.  Auch  diese  Behaup- 
tung ist,  wie  sich  aus  der  Einzelanalyse  der  Tabelle  ergeben  wird, 
in  ihrer  Allgemeinheit  faktisch  unrichtig.  Einige  ganz  auffallende 
Misverständnisse  in  Bezug  auf  gewisse  Namen  mögen  teilweise 
Veranlassung  zu  der  irrtümlichen  Auffassung  gegeben  haben  (s.  u. 
Dada  und  Wandalicia) ;  im  übrigen  hätte  eine  geographische  Un- 
tersuchungsmethode den  Interpret  sicher  zu  andern  Ansichten 
geführt.  Es  zeigt  sich  nämlich  bei  einer  solchen,  daß  die  Breiten- 
lagen am  besten  für  die  westdeutschen  Landschaften  stimmen,  etwa 
zwischen  52°  und  47°,  daß  die  Fehler  sich  von  hier  aus  nordost- 
wärts  und  südostwärts  am  meisten  vergrößern,  und  zwar  sind  die 
östlichen  Landschaften  fast  alle  zuweit  nach  Norden  gerückt,  wo- 
für man  auch  eine  plausible  Erklärung  geben  könnte.  Dies  soll 
indessen,  da  es  näher  belegt  werden  müßte,  für  jetzt  nicht  gesche- 
hen. Wir  wollen  die  Tabelle  selbst  näher  betrachten,  sie  in  drei 
Abteilungen  zerlegend. 

a)  Schreibt  man  zunächst  die  Landschaften  mit  einer  Polhöhe 
von  mehr  als  53  °  nach  ihrer  Breitenlage,  wie  folgt,  in  horizontalen 
Reihen  neben  bezw.  übereinander,  so  weicht  unter  den  22  Namen 
nur  Pomerania  (Nr.  11  in  Tab.  I)  von  der  Regel  ab,  daß  in  jeder 
Breitenzone  die  Aufzählung  mit  der  westlichen  Landschaft  beginnt : 


über  ein  spätmittelalterl.  Verzeichnis  geogr.  Koordinatenwerte  etc.       265 

Breite 

60  °  Norvegia 

59°  Svecia  JRussia  alba 

58°  Dada  Samaicia  Asia 

57  °  Litphania 

56°  Scocia  Pomerania.     Liphania 

55°  Frisia.    Hernested.     Marchia  vetus.      Prussia 

54°  Hibernia.    Holandria.     Saxonia.     Marchia  nova  Bussia  media 

53  °  Anglia.       Britannia. 

Zunächst  weist  diese  Anordnung  schon  unzweideutig  auf  die 
Identität  von  Dada  und  Bania  oder  Dänemark  hin,  auch  wenn 
nicht  jede  Ptolemäusausgabe  den  Namen  Dada  im  südlichen  Scho- 
nen bezw.  im  Gebiet  der  Inseln  trüge  und  derselbe  Name  sich  auf 
zahlreichen  handschriftlichen  und  gedruckten  andern  Karten  des  15. 
u.  16.  Jahrhunderts  (Rey  seh,  Orontius  Finaeus,  J.Vadian  u.a.) 
fände ,  sodaß  es  in  der  That  verwunderlich  ist ,  wie  Gr.  darüber 
Erörterungen  noch  anstellen  konnte,  daß  „mit  jenem  Namen  Dada 
(das  unter  58°  verlegt  ist!),  wohl  etwas  anderes  gemeint  sein  müsse 
als  das  Daden  zur  Römer  Zeit"  (bekanntlich  in  ca.  45°  Br. !) 

Nur  der  Name  Hernested  macht  Schwierigkeit.  Mir  scheint 
jedoch  die  Karte  des  Cl.  Clavus  v.  J.  1427  den  Schlüssel  zu 
geben.  Dort  steht  (ca.  5772°  nach  Ptolemaeus,  5372°  nach 
Clavus,  also  im  Mittel  55°)  die  Inselgruppe  Haelieland  (Helgo- 
land), wie  Gr.  Waitz  (Nordalbingische  Studien  I.  1844)  aus  dem 
aus  dem  schwer  zu  entziffernden  Namen  gelesen;  ich  lese  Haelgae- 
land.  Das  von  Nordens kjöld  (Studien  u.  Forschungen.  Lpz. 
1885.  Taf.  II)  herausgegebene  Facsimile  der  Karte  des  Clavus 
zeigt  den  Namen  etwa  wie:  J><*!afttc3,  dessen  letzte  Hälfte  leicht  als 
sted  gelesen  werden  könnte.  Die  Aufzählung  hinter  Frisia  spricht 
jedenfalls  nicht  gegen  diese  Konjektur. 

b)  Auffallend  ist,  daß  keiner  deutschen  Landschaft  die  Pol- 
höhe von  53°  gegeben  wird.  Auf  der  andern  Seite  zeigt  sich  so- 
fort, daß  die  Namen  Nr.  23 — 35,  die  sich  mit  Ausnahme  von  Bus- 
sia parva  und  Walachia  auf  Mitteleuropa  beziehen,  in  annähernd 
richtiger  Breite  und  westöstlicher  richtiger  Folge 
aufgezählt  sind.  Die  fünf  Ortsnamen  lassen  wir  zunächst  aus  der 
Uebersicht  fort. 

Breite 

52°                        Brabancia.  Geliea.    Westfalia.        Thuringia.  Misna        Siesta. 

51  °                Flandria.  Hassia.                           Lusacia. 

50  •  Normandia.  Pacardia.  Vestril.  Franconia.  Baicaria.  Bohemia.Moratcia. 

49°  Lutlvringia.    Swevia.                             Austria. 

48  °  Elsacia.                                               Stiria. 

47°                Francia.  Burgundia.  Swaicia. 

20* 


266  Hermann  Wagner, 


Daraus  ergibt  sich ,  daß  die  östlichen  Landschaften  z.T.  um 
1°  zuweit  nördlich  gerückt  sind  ,  dies  gilt  von  Thuringia ,  Misna, 
Slesia,  Bawaria,  Austria,  Stiria,  während  man  für  die  Lausitz  und 
Böhmen  den  51°  bezw.  50°  als  mittlere  Breite  annehmen  kann. 
Unter  den  westlichen  Landschaften  macht  uns  Veslril  Schwierig- 
keit. Verstümmelt  oder  verschrieben  ist  der  Name  gewiß.  Einen 
Schlüssel  für  die  Erklärung  kann  jedoch  die  Aufzählung  zwi- 
schen Picardia  und  Franconia  abgeben;  nach  meiner  Vermutung 
handelt  es  sich  um  den  Namen  Westrich  {Vestric).  Der  Name  rührt 
bekanntlich  von  Neustria  oder  Westria  {Austrasia)  her  und  umfaßte 
im  Mittelalter  die  Landschaften  zwischen  Elsaß,  Lothringen ,  Trier 
und  Pfalz,  also  jedenfalls  einen  größern  Landkomplex  als  später,  wo 
man  darunter  den  südwestlichen  Teil  der  Pfalz  verstand.  Schon 
des  Nie.  Cusanus  Germania  (ca.  um  1460,  gestochen  1491) x)  gibt 
der  Landschaft  diesen  beschränkten  Umfang. 

Es  ist  ferner  bemerkenswert,  daß  sich  sämmtliche  Ortsnamen 
in  der  Tabelle  mit  Ausnahme  von  Darpht  und  Bemis  auf  bekannte 
Städte  u.  zw.  meist  Bischofsitze  in  der  schmalen  Zone  zwischen 
Köln  und  Löwen  beziehen,  nämlich  Colonia  selbst,  Julh  {Jülich), 
Lowanium  {Löwen)  und  Leodium  {Lüttich),  und  daß  die  Breitenfehler 
für  dieselben,  sobald  man  unter  den  Ziffern  nicht  Parallelkreise, 
sondern  Breitengrade  versteht,  hier  ziemlich  gering  sind.  Beims 
freilich  ist  in  der  Lage  erheblich  falsch  gesetzt  (und  vielleicht  erst 
später  eingeschoben).  Immerhin  könnte  jener  Umstand  in  Verbin- 
dung mit  der  ziemlich  richtigen  Lage  der  Landschaften  im  rheini- 
schen Deutschland  plausibler  auf  den  Ursprungsort  hindeuten,  als 
auf  irgend  eine  andere  (regend  Mitteleuropas. 

c)  Die  Fehler  vergrößern  sich  von  neuem  für  die  südlichen, 
mehr  noch  für  die  südöstlichen  Landschaften  und  wenn  die  Brei- 
tenlage auch  .für  einige  (norditalische)  gut  paßt ,  so  fällt  es  auf, 
daß  die  Ordnung  der  Aufzählung  in  westöstlicher 
Richtung  fast  ganz  durchbrochen  wird.  Dadurch  wird 
die  Lokalisirung  der  nicht  ohne  weiteres  verständlichen  Namen 
erschwert.  Wir  trennen  die  westlichen  von  den  östlichen  Land- 
schaften : 


54.  Carinthia 

57.  Hastringis 

58.  Gabaudia 

60.  Venezia 

61.  Coneolla 

62.  Croacia 


>46 


66.  In  pede  montis 

67.  Prewenzia 

68.  Tuscana 

69.  Wandalicia 

70.  Delphinatus 

71.  Borna 


>45' 


72.  Narwarra  I440 

73.  Primania  J 


1)    S.  die  photolithographische  Reproduktion  der    kürzlich  wiedergefundenen 
Karte,  herausg.  v.  S.  Rüge  im  Globus  Bd.  LX.  1891. 


über  ein  spätmittelalterl.  Verzeichnis  geogr.  Koordinatenwerte  etc.       267 

In  dieser  Tafel  ist  Nr.  54  Hastringis  nicht  zu  erklären.  Der 
Umstand,  daß  er  vor  Gabaudia  (oder,  wie  G.  schon  sagt,  Sdbaudia 
d.  h.  Savoyen)  genannt  wird ,  könnte  vielleicht  ihn  in  Zusammen- 
hang mit  einer  westlichen  Landschaft  (Gastinois  um  Nemours??) 
bringen.  Für  die  Vermutung  G.'s,  daß  man  unter  Carniolla 
Kr ain  zu  verstehen  habe,  spricht  in  der  That  der  Umstand, 
daß  dort  Coneolla  und  nicht  Concolla  steht  und  zwar  vor  Croacien  auf- 
gezählt wird.  —  Ganz  entschieden  müssen  wir  uns  gegen  die 
Uebersetzung  von  Wandalicia  mit  Andalusien  erklären.  Schon  der 
gewaltige,  alle  andern  Irrthümer  weit  übersteigende  Fehler  von  8° 
in  der  Breite  spricht  gegen  diese  Annahme.  Ebenso  scheint  aber 
auch  die  Latinisirung  des  Namens  Andalusia,  der  erst  aus  der  ara- 
bischen Geographie  spät  in  die  mittelalterliche  übergegangen  ist, 
in  der  Form  Wandalicia  eine  sehr  selten  gebrauchte  und  jedenfalls 
sehr  späten  Datums  zu  sein.  Während  der  Name  Andalus  sich 
auf  den  arabischen  Karten  des  10.  Jahrh.  schon  zeigt,  tritt  er  in 
den  Karten  der  Abendländer  erst  am  Ende  des  16.  Jahrh.  auf, 
aber  stets  in  der  Form  „Andalusia11.  Die  Karten  zu  den  Ptolemäus- 
ausgaben  nennen  auch  auf  den  sog.  Tabulae  novae  jene  Land- 
schaft Baetica ,  ebenso  fehlt  Wandalicia  oder  Vandalicia  im  The- 
saurus geogr.  von  Ortelius  v.  J.  1587,  wogegen  auch  in  diesem 
Andalusia  mit  Baetica  latinisirt  wird.  Wie  sollte  ferner  plötzlich 
diese  eine  südspanische  Landschaft  in  die  Gruppe  der  norditali- 
schen kommen ,  während  sonst  überhaupt  keine  von  so  südlicher 
Breite  genannt  werden?  Es  dürfte  daher  wenig  Zweifel  sein, 
daß  Wandalicia  für  Vindelicia  steht,  und  die  wiedergefundene  Karte 
des  Cusanus,  die  jedenfalls  spätem  Datums  (s.  vor.  S.),  bestä- 
tigt, daß  der  Name  ähnlich  wie  Westrich  im  15.  Jahrh.  noch  nicht 
obsolet  geworden  war.  —  Mit  Narwarra  (Navarra)  und  Primania 
erreichen  wir  im  Westen  die  südlichsten  Landschaften.  Ob  Roman ia 
für  Primania  zu  lesen  ist,  so  daß  dieses  für  den  ganzen  Kirchen- 
staat zu  stehen  hätte,  muß  dahin  gestellt  sein.  Doch  wüßte  ich 
auch  zunächst  keinen  andern  Ausweg,  nur  kann  nicht  der  nörd- 
liche Teil  des  ehemaligen  Kirchenstaates,  Roma</na  im  engern 
Sinne,  gemeint  sein,  wie  G.  vermutet. 

Als  östliche  Landschaften  bleiben  dann  noch  die  folgenden 


55.  Bulgaria 

56.  Yberia 

57.  Cumanna 

58.  Palespontus 

64.  Magna  insula  Calchus 

65.  Albania 


46 


74.  Cracia 

75.  Pontu8 

76.  Ellespontus  insula 


\  44° 


268  Hermann  Wagner, 

Auch  hier  also  beträchtliche  Nordverschiebung,  die  jedoch 
3  Breitengrade  nicht  übersteigt,  wenn  wir  bedenken,  daß  Cracia 
(Graecia)  nicht  dem  heutigen  Griechenland,  sondern  dem  Rumpf  der 
türkischen  Halbinsel  entspricht.  Unter  Cumanna  ist  Cumanenland 
d.h.  Ungarn  zu  verstehen  (Gr.)  Yberia,  Colchis  und  Albania  führen 
uns  in  die  Kaukasusländer  bezw.  das  südlichste  Rußland.  Die 
Form  Palespontus  vermag  ich  für  jetzt  auch  nicht  zu  erklären. 
Da  Pontus  noch  besonders  —  südlicher  von  jenem  gelegen  — .  ge- 
nannt wird,  kann  man  vielleicht  an  den  Asow'schen  Busen  den- 
ken und  irgend  eine  Kombination  von  Talus  und  Pontus  vermuten  (??) 

5.  Fassen  wir  die  ganze  Tabelle  zusammen,  so  entbehrt  sie 
in  ihrer  Gruppirung  nicht  des  Interesses  und  ist  eine  nicht  un- 
wichtige Ergänzung  der  kartographischen  Darstellungen  aus  dem  An- 
fang (?)  des  15.  Jahrhunderts.  Denn  älter  als  des  Cusanus  (1464)  Ger- 
mania ist  sie  gewiß.  Zur  Zeit  ist  mir  jedoch  weder  eine  Karte 
bekannt,  die  als  Quelle  der  Aufstellung  angesehen  werden  könnte, 
noch  eine  anderweitige  Tabula  regionum,  an  die  sie  sich  an- 
schließt. Gerade  die  Beschränkung  auf  Landschaften  des  mitt- 
lem und  nördlichen  Europa  gibt  ihr  ein  Alter  vor  dem  allgemei- 
nern Bekanntwerden  der  Geographie  des  Ptolemäus  im  Abendland 
(die  erste  lateinische  Uebersetzung  durch  den  Florentiner  Jacob o 
Angelo  ward  bekanntlich  1410  vollendet,  was  hier  nur  erwähnt 
wird,  weil  G.  den  Italiener  (1.  c.  160  Anm.  2)  schlankweg  zu 
einem  Deutschen  Jakob  Engels,  macht).  Setzt  die  geord- 
nete Reihenfolge ,  in  welcher  die  Landschaften  nördlich  des  46  ° 
mit  geringen  Ausnahmen  aufgezählt  werden,  m.  E.  voraus,  daß 
der  ursprüngliche  Verfasser  eine  Karte  vor  sich  hatte ,  welche 
am  Rande  eine  Einteilung  nach  Klimaten  und  Einzelgraden  hatte, 
so  kann  dieselbe  nicht  ganz  klein,  nach  Art  der  Imago  mundi  des 
Petrus  d'Ailly,  gewesen  sein;  dies  könnte  höchstens  von  einer 
zweiten  Karte  gelten,  aus  der  vielleicht  die  Landschaften  zwischen 
44°  und  46°  entnommen  sind,  wobei  die  richtige  Aufzählung  nach 
Breitenzonen  größere  Schwierigkeit  bot,  denn  unwahrscheinlich  ist 
es,  wie  gesagt,  daß  eine  solche  überhaupt  ohne  eine  die  räumliche 
Vorstellung  unterstützende  Kartenskizze  erfolgt  sein  sollte.  In- 
dessen mag  das  Weitere  bis  zur  Durchmusterung  noch  anderen 
Materials  zurückgestellt  werden. 

in. 

Nur  ein  Kriterium  gibt  es  noch  für  die  Datirung  zu  erörtern, 
welches  G-.  nicht  weiter  beachtet  hat,  nämlich  die  Annahme  der 
Schiefe  der  Ekliptik  zu  23°32'.    Ueber  diesen  Punkt  enthält 


über  ein  spätmittelalterl.  Verzeichnis  geogr.  Koordinatenwerte  etc.       269 

die  Gr.'sche  Darstellung  nur  die  Worte  „die  Schiefe  der  Ekliptik 
ward  von  Peurbach  zu  23°33'  angesetzt,  von  Coppernikus 
zu  23°  29',  unsere  Quelle  bedient  sich  eines  zwischen  diesen  beiden 
Zahlen  liegenden  Wertes".  Diese  Darstellung  ist  in  den  Ziffern- 
angaben des  erstem  Teils  unrichtig,  in  ihrem  zweiten  m.  E. 
irreführend.  Ich  muß  über  diesen  Punkt  etwas  weiter  ausholen. 
Jener  Ausdruck  kann  doch  wohl  nicht  anders  verstanden  werden, 
als  daß  Peurbach  selbstständig  die  Schiefe  zu  23° 33'  bestimmt 
habe,  ebenso  wie  später  Coppernikus  zu  23° 29'.  Aber  für 
diese  Behauptungen  liegen  keine  Belege  vor.  Ich  berühre  dabei 
einen  wunden  Punkt  in  der  Geschichte  der  astronomischen  Wis- 
senschaft. Trotzdem  im  Laufe  der  letzten  drei  Jahrhunderte  die 
Geschichte  der  Bestimmungen  der  Schiefe  der  Ekliptik  (meist  un- 
ter dem  Stichwort  der  säkularen  Aenderung  bezw.  Abnahme  der- 
selben) oft  in  kosmographischen  oder  astronomischen  Werken  be- 
handelt ist ,  fehlt  es ,  so  viel  mir  bekannt ,  noch  ganz  an  einer 
vollständigen  und  wirklich  quellenmäßigen  Darstel- 
lung *).  Meist  wird  in  den  Einzelhinweisen  nicht  auf  die  Origi- 
nalquellen zurückgegangen.  Für  seine  Zeit  am  vollständigsten 
hat  wohl  ßiccioli  im  Almagestum  novum  Bonon.  1661.  p.  160 — 
161  berichtet 1).  Sonst  pflegt  der  eine  Autor  diesen,  der  andere 
jenen  Urheber  in  ziemlich  willkührlicher  Weise  fort  zu  lassen  oder 
er  nimmt  einen  solchen  auf,  ohne  das  Gewicht  desselben  für  die 
Entwickelung  der  Wissenschaft  erst  abzuwägen.  So  schiebt  Gün- 
ther neuerdings  (Handbuch  der  math.  Geogr.  1890.  S.  736)  auf 
eine  zufällige ,  neue  litterarhistorische  Notiz  hin 2)  in  eine  alte 
Mädler'sche  Tabelle  von  nur  vier  Namen  (die  Versetzung  Alba- 
täni's  oder  des  Albategnius  a.  a.  0.  ins  10.  statt  ins  9.  Jahrh. 
darf  nicht  auf  Mädlers  Rechnung  gestellt  werden)  zwischen 
Arzachel  und  Coppernicus  noch  den  Lehrer  des  letztern, 
Novara,  ein,  den  Copp.  selbst  nicht  einmal  nennt  und  dessen 
Bestimmung    keinerlei  Einfluß  auf  die  Berechnungen    seiner  oder 


1)  Wenn  G.  in  seinem  Handbuch  der  math.  Geogr.  1890.  S.  736  sagt:  „Im 
Zusammenhang  studirt  die  aus  älterer  Zeit  überlieferten  Messungsergebnisse  La- 
place  in  seinem  den  Conn.  des  temps  von  1841  einverleibten  Aufsatze:  Sur  la 
diminution  de  l'obliq.  de  l'e'clipt.  qui  resulte  des  observ.  des  Anciens"  (sie,  statt 
ancieunes)  so  kann  G.  die  Arbeit  unmöglich  selbst  eingesehen  haben,  denn  erstens 
steht  dieselbe  in  den  Conn.  des  temps  1811,  sodann  beschäftigt  sie  sich  nur  mit 
den  Messungen  der  Chinesen,  älterer  Griechen  excl.  Ptolemaeus  und  einiger  Ara- 
ber und  Perser,  aber  nicht  mit  denen  des  15.  und  16.  Jahrhunderts. 

2)  Leben  d.  Coppernikus  v.  Prowe  I.  1885.  S.  244,  wo  die  Autorschaft  des 
Novara  für  den  Wert  23° 29'  durch  handschriftliche  Notizen  festgestellt  wird. 


270  Hermann  Wagner, 

späterer  Zeiten  geübt  hat,  während  z.B.  weder  Prophatius, 
noch  Peurbach  und  Regie-montan,  noch  Werner  etc.  von  Gr. 
in  die  Liste  gestellt  werden. 

G-enug  die  Bestimmung  des  Coppernicus  ist  nicht  23°  29',  son- 
dern 23°28'24"  (wie  GL  auch  in  seinem  Handbuch  anführt),  wofür 
in  seinem  Hauptwerk  auch  öfters  23°  28' 30"  gesetzt  wird1).  Aber 
mehr  interessirt  uns  zur  Zeit  Peurbach,  von  dem  feststeht,  daß 
er  1460  mit  Regiomontan  zugleich  die  Ekliptikschiefe  zu  23°28' 
bestimmt  hat ,  so  daß  Coppernikus  mit  Recht  sagen  konnte, 
die  von  ihm  gefundenen  Werte  stimmen  mit  dem  von  P.  u.  R. 
erhaltenen  wohl  überein  2).  Das  rein  fach  wissenschaftliche  Inter- 
esse knüpft  sich  bei  solchen  Werten  bekanntlich  mehr  an  die  Be- 
deutung derselben    für    die  Kenntnis    der  wahren  Verhältnisse  zu 


1)  Nie.  Coppernicufsl  Ueber  die  Kreisbewegung  der  Himmelskörper,  übers, 
mit  Anm.  v.  M.  Menzzer.  Thorn  1879.  S.  60.  135.  143. 

2)  Menzzer  gibt  (I.e.  Anm.  102  u.  103)  nur  einige  biogr.  Notizen  über 
Peurbach  und  Regie-montan,  aber  sagt  nichts  über  ihre  Bestimmung.  Da- 
her mögen  folgende  Belegstellen  folgen.  M.  Ptolemei  alex.  in  Magnam  Construc- 
tionem  Georgii  purbachii  ejusque  diseipuli  Joh.  de  Regio  monte  Astronomicon 
Epitoma  (Venetiis  1496).  Lib.  I  prop.  XVII:  Nos  autem  invenimus  arcum  alt. 
trop.  hiem.  65  graduum  6  minutorum  et  arcum  alt.  trop.  estualis  18  gr.  10  min. 
Ideoque  nunc  distantia  tropicorum  est  46  gr.  56  min.,  ergo  declinatio  solis  maxima 
nostro  tempore  est  23  gr.  28  min."  —  Ferner  ist  der  in  Nürnberg  aufbewahrte 
und  von  Murr  (Memorabilia  biblioth.  publ.  Norimb.  1786.  I.)  veröffentlichte 
Briefwechsel  Regiomontans  mit  Bianchini  von  Wichtigkeit.  Anfang  1464 
(1.  c.  148—149)  schreibt  R.  an  B.:  „Nos  autem,  praeeeptor  meus  et  ego,  instru- 
mentis  reperimus  declinationem  solis  maximam  23  gr.  minutorum  28  fere.  M. 
Paulum  florentinum  et  D.  Baptistam  de  Alberthis  sepe  audivi  dicentes  se  diligen- 
ter  observasse  et  non  reperisse  majorem  gr.  23  minutis  30  que  res  etiam  tabulas 
nostras  videlicet  tabulam  declinationis  et  ceteras  que  super  eam  fundantur  inno- 
vare  persuadet".  Es  ist  dies  die  Stelle,  in  welcher  sich  R.  sehr  eingehend  mit 
einer  Kritik  auch  der  altern  Werte  beschäftigt.  Wenn,  beiläufig,  Günther  in 
seinen  Studien  z.  Gesch.  d.  math.  u.  phys.  Geographie  (Halle  1877.  Heft  2.  S.  77)  ge- 
genüber Mädler  (Gesch.  der  Himmeskunde  I,  123)  behauptet,  es  sei  ein  Irrtum 
des  letztern,  daß  Peurbach  bereits  etwas  von  der  Veränderung  der  Schiefe  der 
Ekliptik  gewußt  habe ,  so  kann  G.  wohl  nicht  die  Theorica  motus  oetavae  sphä- 
rae  (den  letzten  Teil  der  1460  geschriebenen  Theoricae  novae  planetarum),  selbst 
eingesehen  haben,  deren  vorletzter  Abschnitt:  „de  mutatione  declinationum  solis 
maximarum"  mit  dem  Worten  beginnt :  „Unde  fit,  ut  maximae  Zodiaci  declinatio- 

nes  variabiles  existant ;    majores  namque  reperta   sunt  a  Ptolemeo  quam 

ab  Almeone"  etc.  Erst  hinterher  folgte  jener  Anhang:  „Theorica  oetavae  sphärae 
seeundum  Thebit".  Wenn  ferner  Peurbach  im  Eingang  seiner  Theorica  oct. 
sphaerae  dem  „tertius  motus"  derselben  hinzufügte:  „qui  motus  trepidationis  voca- 
tur",  warum  nennt  Günther  a.a.O.  diesen  von  Delambre  gebrauchten  Aus- 
druck einen  ganz  und  gar  unhistorischen"? 


über  eiii  spätmittelalterl.  Verzeichnis  geogr.  Koordinaten  werte  etc.       271 

gewissen  Zeiten,  sodaß  man  die  event.  von  den  Beobachtern  noch 
vernachlässigten  Korrektionen,  wie  in  unserm  Fall  besonders  die- 
jenigen der  Refraktion,  anbringt,  sie  also  gleichsam  wissenschaft- 
lich zustutzt.  Aber  das  historische  Interesse  verweilt  mehr  bei  den 
Originalziffern  selbst  und  deren  Einfluß  auf  die  Arbeiten  der 
Zeit.  Wenn  nun  einerseits  keine  Frage  ist ,  daß  eine  ganze 
Reihe  von  Tafeln  Regiomontans  und  seiner  unmittelbaren  Nach- 
folger bezw.  Herausgeber  auf  jenen  Wert  von  23°28',  der  von  ihm 
und  Peurbach  ein  Jahr  vor  des  letztern  Tode  gefunden  ward, 
gegründet  sind,  so  steht  andererseits  fest,  daß  beide  und  besonders 
Peurbach  während  des  größern  Teil  seines  Lebens  hindurch  sich 
an  einen  der  altern  Werte  hielten  und  zwar  wesentlich  an  die 
Zahl  23° 33' 30",  den  Regiomontan  ausdrücklich  als  den  üblichen 
bezeichnet1)  und  gelegentlich  auf  Thebit  (ben  Korra  um  900) 2) 
zurückführt,  woneben  gelegentlich  auch  23° 33'  oder  wohl  auch 
rund  2372°  angewandt  wird. 

Der  in  unserm  Manuskript  vorkommende  Wert  23u32'  hat  also 
mit  den  eben  genannten  Zahlen  nichts  zu  thun  und  dieser  ist  mit 
Sicherheit  auf  Pr  ophatius  Judaeus  (Jacob  ben  Machir  um  1300) 
zurückzuführen,  wobei  ich  mich  ohne  weitere  Erörterungen  auf  die 
ausführlichen  Darlegungen  Menzzer's8)  die  er  zum  Teil  dem 
gelehrten  M.  Steinschneider  verdankt,  beziehen  kann;  nur 
mag  hinzugefügt  werden,  daß  die  Kommentatoren  Peurbachs  und 
Regimontan's  den  Prophatius  auch  bereits  mit  zu  nennen 
pflegten 4).  Jedenfalls  geht  hieraus  hervor ,  daß  uns  diese  Zahl 
nicht  etwa  auf  eine  zeitlich  zwischen  Peurbach  und  Copper- 
nicus  fallende  Periode  führt,  wie  man  leicht  aus  Günthers 
Worten   herauslesen    konnte.      Nicht   daß  wir   die  Ortstabelle  auf 


1)  Regiomontan  an  Bianchini  23.  Juli  1463  (Murr  1.  c,  76):  „utor 
enim  declinatione  maxima  solis  usitata  gr.  23  min.  33  sec.  30"  und  als  Bianchini 
(p.  81),  .den  Wert  gr.  23  m.  30  sec.  30  supponirt  „sicut  ipsara  multociens  cum 
instrumento  at  in  diversis  temporilms  consideravi  diligenter"  antwortet  R.  (p.  85), 
daß  er  bei  Berechnung  der  ihm  von  Bl.  gestellten  Frage  die  größte  Deklination 
der  Sonne  zu  23  gr.  30  min.  angenommen  habe  „que  declinatione  maxima  conve- 
nienter  usitata  minor  fere  est  tribus  minutis". 

2)  Reg.  im  Brief  an  Bianchini  1464  (Murr.  I.e.  p.  146):  „post  eos  Te- 
bith  declinationem  invenit  maximam  gr.  23  minnta  33  fere.  Vergl.  auch  Peur- 
bach: Theor.  oct.  sphaerae  sec.  Thebit:  Eelyptica  fixa  semper  secat  equatorem 
ad  angulum  semper  eundum,  puta  23  gr.  33  min.  et  30  sec. 

3)  Nie.  Copp.:  Ueber  d.  Kreisbewegungen  etc.  s.o.  Anm.  89. 

4)  S.  z.B.  Chr.  Vurstisius:  Quaest.  novae  iu  theor.  planet.  Basel.  1578. 
S.  421,  wo  jedoch  Prophatius  mit  23° 22'  min.  angeführt  wird,  oder  Peurbach: 
theor.  nov.  planet,  ed.  Ed.  Reinholdo.    Wittenb.  1601  p.  238. 


272 


Hermann  Wagner, 


die  Zeit  des  Prophatius  zurück  datiren  wollen,  aber  da  Regio- 
montan  dessen  Berechnung  der  Ekliptikschiefe  niemals  erwähnt,  so 
folgt  wohl  hieraus  von  neuem,  daß  wir  jene  Tabelle  auf  eine  Zeit 
vor  Reformation  der  Astronomie  durch  die  Wiener  Schule  zurück- 
rücken dürfen. 

IV. 
1.    Die   Ortstabelle   (Tabula    civitatum)    unseres    Manuskripts, 
unter  deren  62  Namen  sich  einige  wenige  Landschaftsnamen  finden, 
ist  die  folgende.     Ein  Tabellenkopf  fehlt. 


1. 

Hibernia 

m 

1  16  59 

33. 

Erffort 

4  51 

2. 

Scocia 

m 

0  36  59 

34. 

Lips 

10  51 

3. 

Oxonium 

m 

0  52  53 

35. 

Ingelstadium 

4. 

Compostellum 

m 

1  40  45 

(Ingelstadum  Gr.) 

4  49 

5. 

Lisibona 

m 

1  40  41 

36. 

Nurenberga  a 

0    0  49 

6. 

Toletum 

m 

1  27  41 

37. 

Ratisbona     a 

0    6  49 

7. 

Corduba 

m 

1  21  38 

38. 

Ulma             a 

0    0  47 

8. 

Cesaraugusta 

m 

1     6  41 

39. 

Praga            a 

0  24  50 

9. 

Rhotomagus 

m 

0  43  50 

40. 

Vratislavia    a 

0  40  51 

10. 

Parsiiis  (sie) 

m 

0  30  48 

41. 

Cracovia        a 

0  50  51 

11. 

Lugdunum 

m 

0  31  45 

42. 

Caschovia 

56  50 

12. 

Burdigalia 

m 

0  52  45 

43. 

Buda 

50  47 

13. 

?  " 

m 

0  32  44 

44. 

Segnia 

14. 

Tolosa 

m 

0  43  43 

(Seguia  GL) 

32  45 

15. 

Vienna  provincie 

m 

0  30  44 

45. 

Vienna  anno" 

15  48 

16. 

Massilia 

m 

0  28  43 

46. 

Patavia 

10  48 

17. 

Pragis 

m 

0  36  52 

47. 

Saltzeburga 

12  48 

18. 

Gandanüm 

m 

0  24  52 

48. 

Iudeburgum 

14  47 

19. 

Trajectum 

m 

0  12  53 

49. 

Vdlacum 

13  46 

20. 

Colonia 

m 

0  13  51 

50. 

Brixina 

8  45 

21. 

Machdia 

m 

0  24  51 

51. 

Venetie 

10  45 

22. 

Maguntia 

m 

0  15  50 

52. 

Ancona 

14  44 

23. 

Herpipolis 

m 

0    4  50 

53. 

Roma 

20  42 

24. 

Arg  entin  a 

m 

0  12  45 

54. 

Tarentum 

44  40 

25. 

Constantia 

m 

0  10  46 

55. 

Brudusium  (sie 

)    40  39 

26. 

August a   Vindeli- 

56. 

Neapolis 

36  41 

corum 

A  0 

57. 

Florentia 

10  42 

27. 

Dada 

a 

0  36  58 

58. 

Mediolanum 

0  44 

28. 

Swetia 

26  62 

59. 

Taurinum     m 

0        43 

29. 

Bubeca 

16  56 

60. 

Genua           m 

0    4 

30. 

Dantiscum 

56  56 

61. 

Sardinia        a 

0    2  38 

31. 

Prunswigum 

a 

0    0  53 

62. 

Sicilia           a 

0  30  37 

32. 

Magdeburgum 

16  54 

(sie) 


2.  „Man  wird  zugestehen  müssen",  sagt  Günther,  „daß  diese 
Tafel,  welcher  auch  nicht  ein  Schatten  von  Erklärung  beigegeben 
ist,  demjenigen,  der  sie  betrachtet,  zunächst  ein  ßäthsel  aufgibt." 
Muß  schon  diese  Frage  der  ohne  Weiteres  verständlichen  Tabelle 
gegenüber  verwundern,  wieviel  mehr  die  Lösung,   daß    man   es 


über  ein  spätmittelalterl.  Verzeichnis  geogr.  Koordinatenwerte  etc.       273 

hier  mit  einer  Tafel  ausschließlich  der  Längen  zu 
thun  habe  und  obige  Ziffern  den  Längen  in  Stunden, 
Minuten  und  Sekunden  entsprächen!!  Hier  darf  man 
wohl  mit  Recht  fragen,  welche  Fortschritte  für  den  so  notwendigen 
streng  wissenschaftlichen  Betrieb  der  Erdkunde  zu  erwarten  sind, 
wenn  ein  Autor,  der  seit  mehr  als  einem  Jahrzehnt  mit  besonderer 
Vorliebe  die  historische  Seite  der  mathematischen  Geographie  trak- 
tirt  und  uns  der  Führer  durch  das  nicht  leicht  verständliche  Ge- 
biet sein  könnte,  der  u.  a.  über  Peurbach,  Regiomontan, 
Joh.  Werner,  Apian,  Keppler  kleinere  oder  größere  Mono- 
graphien geschrieben ,  eine  so  einfache  Tabelle  jener  Zeit  total 
misversteht,  und  die  beigegebenen  Grade  der  Breite  für  Längen- 
sekunden erklärt !  Man  würde  es  für  ein  Versehen  allzu  flüchtiger 
Betrachtung  ansehen ,  wie  es  einem  so  unendlich  vielschreibenden 
Autor  einmal  unterlaufen  kann,  wenn  G.  sich  nicht  diesmal  beson- 
ders Zeit  genommen  hätte  und  sich  des  Langen  und  Breiten  ab- 
mühte, aus  den  so  verkannten  Zahlen  den  Mittelmeridian  heraus- 
zukonstruiren.  Zuvor  erklärt  er  offen:  „Wir  sind  außer  Stande 
anzugeben ,  von  welchen  Worten  a  und  m  als  Anfangsbuchstaben 
zu  denken  sind."  Wunderbar,  daß  nicht  wenigstens  dem  Mathe- 
matiker G.  und  Verfasser  einer  Geschichte  des  mathematischen 
Unterrichts  die  Ausdrücke  „adde"  und  „minue"  oder  „addendum" 
und  „minuendum"  eingefallen  sind ,  wofür  in  den  deutschen  Aus- 
gaben der  Tabelle,  von  denen  die  Rede  sein  wird,  g  (zugeben)  und 
n  (abnehmen)  steht.  „Da  somit",  sagt  G.,  „ein  offenbarer  Fehler 
vorliegt,  so  gilt  es  eine  möglichst  schonende  Verbesserung  anzu- 
bringen; so  sehr  wir  uns  die  Schwierigkeit  vor  Augen  stellen,  in 
ein  solches  Zahlenheer,  vielleicht  von  einem  unwissenden  Kopisten 
mit  allen  möglichen  Versehen  zusammengeschrieben,  Konjekturen 
hineinzutragen,  so  wird  sich  doch  im  gegebenen  Falle  dieses  Wagnis 
nicht  ganz  vermeiden  lassen."  Ich  finde  die  einzige  Erklärung  für 
das  totale  Verkennen  der  Zahlen  der  dritten  Spalte  (von  denen, 
wohl  bemerkt,  keine  unter  37  herabgeht)  als  Zeitsekunden  in 
der  irrigen  Vorstellung,  welche  sich  G.  über  den  Grad  der  Ge- 
nauigkeit für  die  Beobachtungen  jener  Zeit  gebildet  hat,  vielleicht 
verführt  durch  die  langen  Ziffernreihen  der  astronomischen  Tabelien- 
werke,  wie  z.  B.  der  Libros  del  saber  des  Königs  Alphons.  Hier  han- 
delt es  sich  jedoch  einfach  um  rechnerische  Operationen,  die  belie- 
big weit  ausgedehnt  werden  konnten  und  mit  dem  Genauigkeits- 
grad, mit  dem  man  sich  bei  Beobachtungen  begnügen  mußte,  nichts 
gemein  haben. 

Die   obige  Tabelle,   welche  wir  als   eine  weit  verbreitete  aus 


274  Hermann  Wagner, 

dem  Kalender  und  deniEphemeriden  des  Regiomontan  ohne  Schwie- 
rigkeit werden  nachweisen  können,  gibt,  obwohl  sie  bereits  aus 
der  Zeit  der  Reformation  der  Astronomie  durch  diesen  großen 
Mathematiker  stammt,  ein  neues  Zeugnis  für  die  Genügsamkeit 
jener  Zeit.  Die  vermeintlichen  Zeitsekunden  geben  die  Breitenlage 
zwischen  62°  und  37°  in  ganzen  Graden  an  und  die  Längenangaben 
in  Stunden  und  Minuten  bieten  nur  für  fünf  Orte  eine  ungerade 
Zahl  von  Minuten ,  d.  h.  im  Bogenmaß  eine  Genauigkeit  bis  auf 
Viertelgrade.  Für  weitere  11  gerade,  aber  nicht  durch  vier  teil- 
bare Zahlen ,  also  eine  Genauigkeit  nur  bis  auf  halbe  Grade ,  alle 
übrigen  (durch  4  teilbaren)  Längenangaben  würden  im  Bogenmaß 
ausgedrückt  für  die  Lage  nur  ganze  Grade  ergeben ! 

Die  völlig  falsche  Prämisse,  daß  man  es  hier  nur  mit  Längen- 
angaben in  Stunden,  Minuten  und  Sekunden  zu  thun  habe,  sind 
begreiflicher  Weise  Schuld,  daß  Günthers  Versuche  den  ange- 
nommenen Mittelmeridian  aus  der  Tabelle  herauszulesen ,  völlig 
hinfällig  sind.  Wir  brauchen  uns  dabei  nicht  aufzuhalten,  da 
sich  derselbe  aus  der  Lauge  0h  0m  von  selbst  ergibt;  es  ist  die 
durch  Braunschweig,  Nürnberg,  Ulm  und  Mailand  ziehende  Mittags- 
linie, die  von  selbst  schon  auf  Nürnberg  als  den  Ursprungsort  der 
Tabelle  hinweist. 

3.  Natürlich  mußten  auch  die  Versuche ,  die  veralteten  Orts- 
namen in  die  uns  geläufige  Form  umzuschreiben ,  durch  das  Ver- 
kennen vor  allem  der  Bedeutung  der  dritten  Zahlenspalte  leiden. 
Es  könne  nicht  entschieden  werden,  sagt  G.,  ob  Lugdunum  (Nro.  11) 
Leyden  oder  Lyon  sei.  Der  Zusatz  45,  d.  h.  45°  d.  Br.,  läßt  ohne 
Weiteres  erkennen,  äaüLyon  gemeint  ist.  Dada  entspricht  natür- 
lich auch  in  dieser  Tabelle  Dänemark.  Auch  würde  G.  sich  bei 
Neapel  nicht  verlesen  und  45°  gesetzt  haben ,  wenn  er  die  Ziffern 
als  Breiten  erkannt  hätte  (die  Zahl  41  ist  nicht  gut  geschrieben). 
Ebenso  hätte  er  die  fehlenden  Zahlen  bei  Neapel  (0  °  2 m  L.)  und 
Genua  (43  °  Br.)  ergänzen  können.  Im  übrigen  halten  wir  uns  bei 
den  leichtverständlichen  Namen  nicht  auf,  die  an  der  Hand  der 
häufigen  Reproduktionen  durch  den  Druck  leicht  identificirt  wer- 
den können,  auch  wenn  sie  hier  verschrieben  sind  (Pragis  statt 
Prugis,  Bubeca  statt  Lubeca,  Argentina  45°  statt  47°  etc.). 

Nur  gegen  der  Vermutung  G.'s ,  daß  man  unter  Segnia  (nicht 
Seguia,  wie  G.  gelesen)  der  Bischofssitz  Secleau  in  Steiermark  zu  ver- 
stehen sei,  wollen  wir  uns  mit  Entschiedenheit  erklären.  Eine  geo- 
graphische Untersuchungsmethode  ist  von  G.  nicht  angewandt,  es  bot 
ihm  offenbar  nur  die  Namen sähnlichkeit  den  Anhalt.  SecJcau  liegt 
jedoch  nicht  20  Kil.  nordöstlich  von  Judenburg.    Man  vergleiche  da- 


über  ein  spätmittelalterl.  Verzeichnis  geogr.  Koordinatenwerte  etc.       275 

mit  den  Längenunterschied  nach  obiger  Tabelle;  nach  dieser  liegt 
Segnia  18 m  =  4}j*  Längengrade  oder  ca.  350  Kil.  östlich  von  Juden- 
burg. Solcher  Fehler  wird  dem  Autor  der  Tabelle  also  bei  zwei 
ganz  benachbarten  Orten  imputirt!  Indessen  ist  m.  E.  gar  kein 
Zweifel,  daß  man  Segnia  mit  dem  heutigen  Zengg  in  Dalmatien  zu 
identifiziren  hat,  wofür  nicht  nur  jener  Längenunterschied,  sondern 
auch  die  Breite  von  45°  spricht.  Außerdem  findet  sich  der  alte 
Name  für  Zengg  als  Senia,  Signia,  Segnia  auf  zahlreichen  Karten 
des  Mittelalters,  sowie  der  Ptolemäusausgaben.  Selbst  Spruner- 
Menkes  Atlas  genügt  zur  Erläuterung. 

4.  Wie  schon  angedeutet,  ist  es  ebenso  verwunderlich,  daß  der 
Biograph  des  Regiomontan,  der  uns  eine  genaue  Inhaltsangabe 
seines  berühmten  Kalenders  (Allg.  deutsche  Biographie  Bd.  22 
Joh.  Müller)  mitteilt,  die  vorliegende  Ortstabelle  nicht 
sofort  als  diejenige  erkannt  hat,  die  sich  nicht  nur 
in  fast  allen  Ausgaben  des  lateinischen  Calendarium, 
wie  des  deutschen  Kalenders ,  sondern  auch  in  den 
Ephemeriden  und  dem  Almana ch  desselben  als  „Tabula 
regionum"  figurirt  und  von  hier  aus  auch  in  die  Ausgaben  der 
Alphonsinischen  Tafeln  übergegangen  ist ,  um ,  später  allmählich 
erweitert,  im  16.  Jahrhundert  noch  oft  abgedruckt  zu  werden.  Frei- 
lich müssen  wir  auch  nach  der  rein  litterarhistorischen  Seite  G-.  einer 
seltsamen  Unkenntnis  zeihen,  wenn  er  nach  —  doch  hoffentlich 
aus  der  Autopsie  geschöpften  —  Beschreibung  des  deutschen  Ka- 
lenders von  1475  mit  der  Tafel  der  „Landt  und  stet"  (das  eben 
ist  unsere  Tabelle)  in  der  Allg.  deutschen  Biographie,  die  das 
Zuverlässigste  enthalten  sollte,  was  gegeben  werden  kann,  fort- 
fährt: „G-anz  ähnlich  war  auch  der  z.  Z.  in  Göttingen  —  vielleicht 
in  dem  einzigen  noch  übrigen  Exemplar  —  befindliche  latein.  Ka- 
lender ,  der  1485  zu  Venedig  erschien"  etc.  Hätte  G.  einmal  in 
Hain's  Repertorium  bibliograph.  1836—38  geblickt,  so  würde  er 
mit  Nro.  13  775  beginnend  allein  gegen  15  Ausgaben  des  Kalen- 
ders, davon  9  lateinischen,  neben  5  Ausgaben  der  Ephemeriden  und 
zweien  des  Almanach ,  welche  bis  1500  im  Druck  erschienen ,  be- 
gegnet sein,  und  nach  den  mit  einem  *  bezeichneten,  von  Hain 
selbst  gesehenen  Ausgaben,  darf  angenommen  werden,  daß  die 
Münchener  Bibliothek  eine  ganze  Reihe  dieser  Kalender  besitzt, 
ganz  abgesehen  von  den  nach  1500  gedruckten.  Das  Göttinger 
Exemplar  ist  nebenbei  die  1482  in  Venedig  erschienene  (Hain 
13  777)  Ausgabe.  Uebrigens  sind  die  Hain'schen  Zusammenstellun- 
gen sowohl  Stern  (Ersch  u.  Gruber  1843  Joh.  de  monte  regio) 
als  R.  Wolf  (Gesch.  der  Astronomie  1877,  S.  96)  entgangen. 


276  Hermann  Wagner, 

Durch  Einsicht  in  eine  dieser  Ausgaben  hätte  sich  auch  die 
Lücke  Nro.  13  mit  Avignon  ausfüllen  lassen  und  der  „räthselhafte 
Zusatz u  annoe  bei  Wien  hätte  sich  als  Vienna  pannonie  im  Gegen- 
satz zum  Vienna  provincie  entpuppt.  Auf  die  kleinen  Abwei- 
chungen, welche  die  verschiedenen  Ausgaben  der  tabula  regionum 
haben,  verlohnt  es  hier  kaum  einzugehen.  Mit  Hibernia  beginnend 
und  mit  Sicüia  endigend  füllt  sie  fast  immer  eine  Seite  kl.  4°  in 
den  genannten  Werken.  In  der  Ausgabe  der  Alphonsinischen  Tafeln 
von  1483  (Alfontii  regis  tab.  astron.,  cur.  Erh.  rato  ldt)  befindet 
sich  noch  eine  Kombination  der  altern  Tabula  regionum  und  der 
neuen,  geordnet  nach  der  Länge  von  W.  nach  0.  und  mit  Angabe 
der  Längen  in  Graden  und  Minuten  (letztere  meist  auf  10  abge- 
rundet) und  der  Breiten  in  Graden,  nur  daß  bei  9  Orten  auch  noch 
Breitenminuten  eingesetzt  sind.  In  der  hier  in  Göttingen  befind- 
lichen Ausgabe  der  Alph.  regis  tab.  astr.  vom  Jahre  1498  steht 
dagegen  genau  die  gleiche  wie  im  Regiomontans  Kalender,  wo- 
bei die  Längen  in  Stunden  und  Minuten  ausgedrückt  sind  1). 

5.  In  dem  einen  Punkte  glaube  ich  Günther  beistimmen  zu 
müssen,  daß  hier  die  erste  Ortstabelle  vorliegt,  in  wel- 
cher die  Längen  durchweg  in  Zeit  angegeben  sind, 
und  nach  allem,  was  zur  Zeit  bekannt,  dürfen  wir  wohl  nur  !Re- 
giomontan  als  den  Urheber  dieser  Neuerung  ansehen,  welche 
im  engen  Zusammenhang  mit  der  Herausgabe  neuer  Ephemeriden 
stehen  dürfte.  Daß  derselbe  früher  sich  der  üblichen  Bezeichnung 
im  Bogenmaß,  mit  dem  Anfang  an  der  Westgrenze  der  bewohnten 
Erde,  bediente,  geht  u.  A.  unzweideutig  aus  dem  Briefwechsel  mit 
Joh.  Bianchini,  Jac.  Spira,  Christian  Roder  in  Erfurt 
1463 — 71  hervor.  Noch  im  letzten  Brief  vom  4.  Juli  1471  an 
Roder  heißt  es  (Murr  I.e.  195):  „Urbs  roma  longitudinem  habet 
ab  oeeidente  graduum  35  et  latitudinem  ab  equinoctiali  42  graduum." 

Ob  die  erste  Ausgabe  des  Kalender  Regiomontans  bereits  1473 
oder  erst  1474  erschienen,  ist  mir  zur  Zeit  nicht  bekannt.  Die 
k.  Bibliotheksverwaltung  zu  Berlin  teilte  mir  mit,  daß  die  dort  be- 
findliche Ausgabe  von  1473  (sie)  eine  Tabula  regionum  nicht  habe, 
wohl  aber  die  von  1475.  Da  nun  die  erste  1474  gedruckte  Aus- 
gabe der  Ephemeriden  für  1475— 1506 2)  (s.  Wolf,  Gesch.  d. Astron. 
1877,  S.  96,  Hain  Nro.  13  790)  die  Tabula  gleichfalls  enthält,  so 
muß  wohl  1474   bezw.  1475   als   das  Jahr  des   ersten  Erscheinens 


1)  Nicht  also  zuerst  in   den   alphonsinischen  Tafeln  erschienen  diese  Listen 
neuer  Breitenbestimmungen,  wie  S.  Rüge  (Globus  Bd.  LX.  1891)  meint. 

2)  Gallois  (s.  folg.  S.)  gibt  S.  7  irrtümlich  1405—1506  an. 


über  ein  spätmittelalterl.  Verzeichnis  geogr.  Koordinatenwerte  etc.       277 

der  Tabula  mit  Angaben  der  Längen  in  Zeit  angesetzt  werden. 
Damit  ist  dann  auch  unsere  handschriftliche  Tabelle  datirt,  welche 
nach  allem  nichts  anderes  sein  kann ,  als  eine  Kopie  aus  dem 
Kalender  selbst,  vielleicht  eine  Abschrift  des  handschriftlichen 
Originals.  Damit  werden  wir  in  Betreff  der  Herstellung  dieses 
Mittelstücks  wieder  auf  Nürnberg  hingeführt  und  zwar  auf  die  Zeit, 
in  welcher  Regiomontan  sich  dort  aufhielt  (1471 — 75). 

6.  Zum  Schluß  lenken  wir  die  Aufmerksamkeit  nochmals  auf 
die  „Genügsamkeit  der  Zeit  in  Betreff  guter  Polhöhen".  Nicht, 
daß  es  zu  jener  Zeit  nicht  eine  Reihe  von  Städten  gegeben  hätte, 
für  welche  man  bessere  Werte  hätte  einsetzen  können,  wie  Wien, 
Nürnberg,  Erfurt,  Würzburg,  Mainz,  Paris,  Oxford,  London  u.  A., 
aber  kaum  wird  sich  aus  unserer  Tabelle  ein  Dutzend  Orte  heraus- 
heben lassen,  für  welche  man  Polhöhen  hatte,  die  man  anders  als 
auf  halbe  Grade  abzurunden  wagte.  Da  sie  fast  verschwanden 
gegenüber  den  unsicher  bestimmten  ,  ließ  man  die  Minuten  auch 
bei  den  genauer  bekannten  fort,  trotzdem  auf  diese  Weise  geogra- 
phische Ungereimtheiten  sich  ergaben ,  wenn  man  die  Tabelle  zur 
unmittelbaren  Eintragung  in  eine  Karte  hätte  benutzen  wollen, 
wo  Salzburg  und  Passau,  ebenso  Begensburg,  Ingolstadt  und  Nürn- 
berg auf  eine  westöstliche  Linie  gerückt  worden  wären.  Es  zeigt 
sich  daraus ,  daß  die  Tabelle  wesentlich  zu  astronomischem  Ge- 
brauch ,  nicht  zu  geographischen  Zwecken  zusammengestellt  war 
und  daß  sie  in  den  Ephemeriden  ihren  eigentlichen  Platz  hatte. 
Die  Bevorzugung  der  Längen  durch  Angabe  der  Zeitminuten  ist 
natürlich  mehr  scheinbar ,  da ,  wie  oben  nachgewiesen ,  für  nicht 
weniger  als  44  Orte  bezw.  Landschaften  die  Zeitmaße  nur  ganzen 
Graden  der  Länge  im  Bogenmaß  entsprechen.  Die  nähere  Unter- 
suchung wird  jedoch  auch  diese  Tabelle  in  den  Kreis  ihrer  Be- 
trachtung ziehen  müssen,  wenn  es  gilt  die  Kartographen  zu  nennen, 
welche  die  Feststellungen  der  Astronomen  in  Mitteleuropa  zuerst 
mit  ausnutzten.  Für  jetzt  fragen  wir,  ob  aus  dieser  Tabelle  nicht 
von  neuem  hervorgeht,  daß  es  in  damaliger  Zeit  an  guten  Polhöhen 
noch  ganz  außerordentlich  gefehlt  haben  muß,  und  man  sich  dem- 
nach mit  den  rohesten  Annäherungen  zufrieden  geben  mußte.  Von 
diesem  Standpunkt  aus  erfährt  der  von  Günther  begangene  Irr- 
tum von  Längenangaben  bis  auf  einzelne  Zeitsekunden  zu  sprechen 
(in  unsern  Breiten  entspricht  die  Differenz  einer  Zeitsekunde  einer 
Längendifferenz  im  Wegemaß  von  ca.  Vs  Kilometer)  eine  neue  Be- 
leuchtung. 

Nachträglich  sei  auf  die  mir  erst  1891  zugekommene  Arbeit  von 
L.  Gallois,  Les  göographes  allemands  de  la  renaissance  (Biblio- 


278      H.Wagner,  über  ein  Spätmittelalter].  Verzeichnis  geogr.  Koordinatenwerte. 

theque  de  la  faculte  des  lettres  de  Lyon  T.  XIII  1890.  Paris, 
E.  Leroux)  hingewiesen,  in  welcher  sich  der  Verfasser  eingehender 
mit  den  altern  im  Druck  erschienenen  Tabulae  regionum  (Regio- 
montan  ,  StÖffler  ,  Schoener ,  Apian  ,  Münster)  beschäftigt ,  die  er 
zum  Abdruck  bringt  (App.  I — VI).  Er  vergleicht  dabei  teils  Re- 
giomontans  Positionen  mit  solchen  aus  Ptolemaeus ,  teils  die  der 
andern  mit  den  wirklichen  nach  unserer  heutigen  Kenntnis.  Daß 
die  Tabula  regionum  Regiomontans  auch  im  Calendarium  enthalten 
war,  scheint  dem  Verfasser  entgangen  zu  sein.  Hinsichtlich  des 
Zwecks  der  Ortstabellen  in  den  Ephemeriden  kommt  Gallo  is  zu 
den  gleichen  Resultaten,  wie  ich  sie  oben  angeführt  habe  (1.  c.  p.  8). 
Der  Vollständigkeit  wegen  mag  noch  hinzugefügt  werden,  daß 
R.  Wolf  schon  1872  (Vierteljahrsschr.  Zürich,  nat.  Ges.  1872.  17 
S.  378)  einen  kleinen  Auszug  (6  Orte)  aus  Regiomontans  Orts- 
tabelle von  62  Namen  mitteilte. 
r 


Bei  der  Kg].  Gesellschaft  der  Wissenschaften  einge- 
gangene Druckschriften. 


Man  bittet  diese  Verzeichnisse  zugleich  als  Empfangsanzeigen  ansehen  zu  wollen. 


August,  September  und  Oktober  1890. 

(Fortsetzung.) 

Bölcseszettudomänyi  Ertekezesek.  (Philosoph.  Abhandlungen).  III.  Köt.  2.  Szäm. 
Ebd.  1889. 

Ballagi  Aladär:  Colbert      Mäsadik  Resz.     Ebd.  1887/90. 

Czänki  Dezsö:  Magyarorzäg  törtenelmi  földrajza  a  Hunyadiak  koräban.  (Ge- 
schichtliche Geographie  Ungarns  im   15.  Jahrh.).     i.  Köt.     Ebd.   1890. 

Monumenta  Hungariae  juridico-historica.  Corpus  statutorum  Hungariae  niunici- 
palium.     Tom.  II.  Pars  I.     Ebd.   1890. 

Demkö  Kaiman:  A  felsö  magyarorzagi  värosok  elete'röl  a  XV.— XVII.  szäzadban. 
(Das  Leben  oberungarischer  Städte  im   15. — 17.  Jahrh).     Ebd.  1890. 

Koväcs,  Perd. :  Index  alphabeticas  codicis  diplomatici  Arpadiani  continuati  per 
G.  Wenzel  editi.     Ebd.   1889. 

Monumenta  comitialia  regni  Hungariae.     X.  Köt.  (1602-  1604).     Ebd.  1890. 

Monumenta  comitialia  regni  Transsylvaniae.    XIV.  Köt.  (1664 — 1669).    Ebd.  1889. 

(Fortsetzung  folgt.) 

Inhalt  von  Nr.  8. 
E.  Riecke  und   W.  Voigt,  die  piezoelektrischen  Constanten  des  Quarzes  und  Turmalins.  —  Hermann  Wag' 
ner,  über  das  von  S.  Günther  1888  herausgegehene  spätmittelalterliche  Verzeichnis  geographischer  Koor- 
dinatenwerte. —  Eingegangene  Druckschriften. 


Für   die  ßedaction  verantwortlich:    R.  Sauppe,  Secretar  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 
Commissions-Verlag  der  Dieterich' sehen   Verlags- Btichhandlung . 
Druck  der  Dieterich' sehen  Dniv.- Buchdruckerei  ( W.  Fr.  Kaestner), 


Nachrichten 

von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu  Göttingen. 


25.  November.  Jfä  9.  1891. 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  7.  November. 

deLagarde,  A)  Worterklärungen:  Cicisbeo,  Caparra,  SatQanrig,  B)  dritter 
Brief  des  Paulus  an  die  Korinther. 

Schering  theilt  von  Herrn  Alberto  Tonelli  „eine  Notiz  über  die  Auflösung 
quadratischer  Congruenzen"  mit. 

Klein  legt  einen  Aufsatz  von  Herrn  Prof.  Franz  Meyer  in  Clausthal  vor: 
„Ueber  ein  Trägheitsgesetz  für  algebraische  Gleichungen". 

Ehlers  legt  einen  Aufsatz  von  Herrn  Privatdocenten  Dr.  Bürger  vor:  „Vor- 
läufige Mittheilungen  über  Untersuchung  an  Nemertinen  von  Neapel". 

Wallach  legt  eine  Mittheilung  vor  „Ueber  einige  neue  Kohlenwasserstoffe  mit 
ringförmiger  Bindung  der  Kohlenstoffatome". 


Ueber  ein  Trägheitsgesetz  für  algebraische 
Gleichungen. 

Von  Franz  Meyer  in  Clausthal. 
(Vorgelegt  von  Herrn  F.  Klein). 

1.     Sei  gegeben  eine  Gleichung  wten  Grades 

(1)  f(X)  =  a0  +  M,A  +  ^zR  a>A.  + . . .  +  M.  =  o 

mit  reellen  Coefficienten  und   ungleichen  Wurzeln,    so   kann   man 
nach  einem  endlichen  System  von  Gleichungen 

(2)  AW  =  0,        fM{X)  =  0,     ...    /V(A)  =  0 

Nachrichten  von  der  K.  (i.  d.W.  zu  Göttinnen.  1891.  Mr.  0.  21 


280  Franz  Meyer, 

fragen,  so,  daß  die  Gesammtanzahl  der  reellen  Wurzeln  aller  v  +  1- 
Gleichungen  (1),  (2),  von  Uebergangsfällen  abgesehen,  unverändert 
dieselbe  bleibt,  wie  auch  die  ursprüngliche  Gleichung  (1)  ausge- 
wählt sein  mag. 

Beschränken  wir  uns  auf  den  Fall,  wo  die  Gleichungen  (2) 
vermöge  Annahme  von  (1)  bereits  völlig  und  zwar  rational  mitbe- 
stimmt sind ,  so  werden  die  Formen  f\,  f2  .  .  .  fv  rationale  Co- 
varianten  der  Form  /'  sein. 

Das  Gleichungen  System  (1),  (2)  wird  —  falls  Complicationen 
vermieden  werden  sollen  —  die  Eigenschaft  besitzen  müssen ,  daß, 
sobald  für  irgend  eine  derselben  in  Folge  geeigneter  Variationen 
der  Coefficienten  a  zwei  reelle  Wurzeln  in's  Imaginäre  übergehen 
(resp.  vice  versa),  genau  umgekehrt  zwei  Wurzeln  einer  der  übri- 
gen Gleichungen  aus  dem  imaginären  Größengebiet  in  das  reelle 
übertreten  (resp.  vice  versa). 

Daß   eine   derartige    Erscheinung  möglich   ist,    lehrt    das    be- 

3 

kannte  Beispiel  einer  cubischen  Form  f(X)  und  ihrer  Hesse' sehen 

2 

Covariante  f\  (A).  Sind  nämlich  die  drei  Wurzeln  von  f  =  0  reell, 
so  fallen  die  beiden  von  ft  =  0  imaginär  aus  (u.  umg.);  ist  hin- 
gegen nur  eine  Wurzel  von  /'  =  0  reell,  so  müssen  es  auch  die 
von  ft  —  0  sein  (u.  umg.).  Oder  anders  ausgedrückt,  die  Pro- 
ductgleichung  ffx  =  0  hat  die  constante  Anzahl  von  drei  reellen 
Wurzeln. 

Der  algebraische  Grund  dieser  Eigenthümlichkeit  ist  offenbar 
der,  daß  die  Discriminanten  der  beiden  Formen  /'  und  f\  überein- 
stimmen. 

2.     Wir  beweisen  zunächst  folgenden  Satz : 

n 

„Ist  f0  —  f{X)  eine  binäre  Form  ungerader  Ordnung 
w  =  2v  +  1 ,  und  bildet  man  die  Reihe  der  Ueberschie- 
bungen: 

(3)  u  =  (fjy,  u  =  (f.jy,  h  =  (/;,/r,  •••/;  =  (/Um 

so  erfüllen  die  Discriminanten  der  v  +  1  Formen  f. 
die  Kette  von  Beziehungen: 

(4)        D(f)  _  2>0,    JD{Q  =  D0Dt,    JD(Q  «  DXD„  .  .  . 

!>(/;_,)  =  A.2A-n  #(/;)  =  A->, 

wo  sämmtliche  B  irreducible  Invarianten  der  Form  f0 
sind/ 

Das  Bildungsgesetz  der  Covarianten  f.  (3)  tritt  noch  deutli- 
cher hervor,  wenn  wir  dasjenige  ihrer  Leitglieder  berücksichtigen. 


über  ein  Trägheitsgesetz  algebraischer  Gleichungen. 


281 


Es  ist  nemlich  das  Leitglied   von  f.   nichts  Anderes,    als    die 
Determinante  j{: 


(5) 


J, 


«0, 

«,,       • 

•    '     «<-!    , 

<*< 

«,. 

«2>       • 

.  .  a{     , 

«m 

• 

• 

.  .    . 

• 

. 

. 

. 

au 

<VH>    • 

•  •    au-i  i 

a2i 

=  (0,  i,  ...t-i,i). 


Hieraus  geht  sofort  der  Ausdruck  für  den  nächstfolgenden 
Coefficienten  von  fi  hervor;  derselbe  ist  (bis  auf  einen  Zahlenfac- 
tor)  gleich  der  Determinante  j' : 


(6) 


;;  = 


alt     a 


a; 


\  >  • 

•    •     «<_!> 

fm 

'2      l 

.  .  at1 

«<+2 

.  .    . 

• 

. 

.  .  .    . 

• 

h+u 

•    •    •     a2i-l' 

«2<+l 

=  (0,l,...i-l,i+l). 


<*0> 

a„     . 

.  .  av_x,  av, 

«r+l 

«1» 

«2,         • 

.  .  av ,     av^ , 

«r+2 

. 

• 

.  .    . 

• 

av, 

«v+n  • 

.     .     «n_2,     #n-l> 

a„ 

Die  weiteren  Coefficienten  von  f{  setzen  sich  linear  aus  Deter- 
minanten zusammen,  von  denen  wenigstens  eine  noch  andere  Co- 
lonnen  von  Größen  a  enthält,    als  die  in  ft  und  j[  auftretenden. 

Eine  Ausnahme  dieser  Regel  findet  nur  bei  der  letzten  Cova- 
riante  fv  =  fn_^    der  sog.  Canonizante  von  f0  statt,  deren  Coeffi- 

cienten  bekanntlich  die  Determinanten  der  Matrix: 


(7) 


sind. 

Mit  fv  bricht  offenbar  die  Reihe  der  Bildungen  f.  von  selbst  ab. 

Der  Grad  von  f{  in  A  ist  (i  +  l)(n~2i),  derjenige  in' den  Coef- 
ficienten a  ist  (i  + 1) ,  mithin  der  Grad  der  Discriminante  von  f 
in  den  a  gleich  2(t  +  1)  { (i  + 1)  (w— 2i)  —  lj. 

3.  Es  fragt  sich  nunmehr,  unter  welchen  Umständen  die 
Discriminante  von  f{  verschwinden  kann.  Denkt  man  sich  die  dann 
entstehende  Doppelwurzel  von  f{  =  0  an  die  Stelle  A  =  0  ver- 
legt, so  kommt  die  Frage  darauf  hinaus,  wann  die  beiden  Deter- 
minanten jt  und  j[  gleichzeitig  Null  sind. 

Zufolge  eines  bekannten  Determinantensatzes  kann  dies  nur 
dann  stattfinden,  wenn  entweder  von  der  einen,  oder  aber  der  an- 
dern der  beiden  Matrices: 

21* 


282 


Franz  Meyer, 


(8) 


*«+!> 


a0,  on 
ax,  a2, 

&i   1       ßix, 


.  .  a. 


sämmtliclie  vollständige  Determinannten  verschwinden. 

Im  ersten  Falle  verschwinden  dann  aber  auch  die  beiden  er- 
sten Coefficienten  j^x ,  //_-  von  f._x  (indessen  keine  weiteren ,  auch 
keine  sonstigen  Größen  j) ,  im  letzteren  die  beiden  ersten  Coeffi- 
cienten yi+1 ,  j!+1  von  fi+1  (mit  dem  entsprechenden  Zusätze). 

Eine  eigenthümliche  Schwierigkeit  bietet  hierbei  die  letzte 
Covariante  fy.  Zuvörderst  gilt  allerdings  wiederum  der  Schluß, 
daß  das  Verschwinden  der  beiden  ersten  Coefficienten  jv,  j'v  ent- 
weder das  von  jv_v  j[_x  nach  sich  zieht,  oder  aber  dasjenige  sämmt- 
licher  Coefficienten  von  fv. 

Nun  bemerkt  man  aber  leicht,  daß  die  Covariante  fv  nicht 
einmal  dann  identisch  verschwindet ,  wenn  die  ersten  v  -f 1  Coeffi- 
cienten a0 ,  at,  ...  av  von  f0  gleich  Null  gesetzt  werden ,  während 
alle  übrigen  Bedingungen  (j  =  0,  f  =  0)  sicher  dadurch  erfüllt 
werden. 

Nach  einem  Satze  von  H.  Hubert1)  kann  daher  einzig  und 
allein  das  identische  Verschwinden  von  fv  nicht  durch  das  Ver- 
schwinden von  Invarianten  der  Form  f0  ersetzt  werden  d.  h.  die 
Discriminante  von  fv  kann  überhaupt  keinen  Factor  (der  doch 
eine  Invariante  sein  müßte)  aufweisen,  der  dem  in  Rede  stehen- 
den Falle  entspräche. 

4.  Durch  das  Vorhergehende  ist  bereits  begründet,  daß  eine 
Kette  von  Zerlegungen  der  Art  (4)  existiren  muß :  es  wäre  nur 
möglich,  daß  die  dort  mit  D.  bezeichneten  Ausdrücke  Potenzen 
irreducibler  Invarianten  di%  und  daß  sogar  die  beiden  Potenzen 
von  Ai  in  D(/V)  und  D(fi+1)  verschiedene  sind. 

Diesem  Einwände  begegnet  man  durch  wirkliche  Aufstellung 
der  T)i  und  nachfolgende  Gradvergleichung. 

Zu  dem  Behuf  betrachte  man  die  Gleichung : 


(9) 


a  2^~{) 

lo',  %u  ^2»  •  •  •  h ;  ,"0)  fi»  ,"2» 


fU 


mm    0 


als  eine  in  den  i  + 1  Größen  p  identische ;  von  den  damit  äquiva- 
lenten i  +  2  Gleichungen  bilde  man  die  Resultante  bez.  der  Grö- 
ßen X. 

Es   wird   behauptet,    daß  diese  Resultante   B.  mit  der  Inva- 
riante Di  übereinstimmt. 


1)  Vgl.  diese  Nachrichten  vom  laufenden  Jahre  Nr.  7. 


über  ein  Trägheitsgesetz  algebraischer  Gleichungen.  283 

In  der  That  ist  die  nothwendige  und  hinreichende  Bedingung 
dafür ,  daß  jene  i  +  2  Gleichungen  für  ein  Werthsystem  A0  =  0, 
Aj,  X2,  .  .  .  X{  zusammenbestehen,  genau  durch  das  Verschwinden 
aller  Determinanten  der  zweiten ,  unter  (8)  angegebenen  Matrix 
characterisirt. 

Wie  man  ferner  durch  geeignete  Specialisirungen  der  Coeffi- 
cienten  a  erkennt,  ist  die  Resultante  Rt  auch  nicht  die  Potenz 
einer  andern  Bildung.  Mithin  konnte  D{  nur  noch  eine  Potenz 
von  R{  sein. 

Nun  ist  aber  B}  vom  Grade  (i  -f-  1)  (i  +  2)  (n—2i—  1)  in  den  a, 
somit  der  Gesammtgrad  von  Bi_lBi  gleich  2(i+l) Mi+l)(n— 2i)  —  1  j 
d.  i.  gleich  dem  Grade  von  D(Q.    Also  folgt  Dt  =  Ri.  q.  e.  d. 

5.  Nach  diesen  Vorbereitungen  können  wir  zum  Beweise  des 
Hauptsatzes  übergehen : 

„Ist  f0  =  f(k)  wiederum  eine  binäre  Form  ungera- 
der Ordnung  n  =  2v  +  1,  und  sind  f{  (i  =  1,  .  .  .  v)  die 
unter  (3)  aufgestellten  Covarianten,  so  besitzt  die 
Productgleichung: 

(io)  /ivfi.Ä  . .  ./;  =  o 

eine  unveränderliche1)  Anzahl  von  reellen  "Wurzeln". 
Man  lasse  etwa  die  Invariante  Dt_x  vermöge  Variation  der 
Coefficienten  a  den  Werth  Null  passiren.  Im  „penultimaten"  Zu- 
stande befinden  sich  dann  sowohl  unter  den  Wurzeln  von  f{^  =  0, 
wie  unter  denen  von  f.  =  0  zwei  nahezu  coincidirende.  Es  han- 
delt sich  um  den  Nachweis ,  daß  diese  beiden  Wurzelpaare  von 
ungleichem  Realitäts-Character  sind,  sodaß  stets  eines  der  beiden 
Paare  reell,  das  andere  imaginär  ausfällt. 

6.  Zu  dem  Zwecke  ist  eine  explicite  Darstellung  der  drei 
ersten  Coefficienten  der  Covariante  ft  erforderlich. 

Die  Werthe  der  beiden  ersten  entnehmen  wir  aus  (5)  und  (6) : 

(5)    ;•  =  (0,  1,  .  .  .  i-1,  i);  (6)   j\  =  (0,  1,  .  .  .  i-1,  i+1), 

sodaß  die  Entwickelung  von  fK  beginnt ,  wie  folgt : 

(11)  f.  =  h  +  M\l  +  {)i.'+--- 
Der  Zahlenfactor  ^  berechnet  sich  leicht  als 

(12)  ^  =  n-2«. 


1)  sc.  mit  Ausschluß  der  Uebergangsfälle ,   wo  eine  oder  mehrere  der  Inva- 
rianten Di  verschwinden. 


284  Franz  Meyer, 

Um  zu  einer  übersichtlichen  Darstellung  des  Coefficienten  von 
A2  in  (11)  zu  gelangen,  wählen  wir  eine  Entstehung  von  /.,  die 
derjenigen  von  Dt  in  Nr.  4  analog  ist. 

Versteht  man  nämlich  unter : 

(13)  a"~2i}       t  =  0 

eine  in  den  p  identisch  erfüllte  Gleichung,  so  fließen  daraus  i  -f  1 
Gleichungen,  aus  denen  die  Größen  Au  A2,  .  .  .  li  eliminirt  werden 
können.  Das  Eliminationsresultat  ist  eine  Covariante  mit  dem 
Leitgliede  jv  die  demnach  mit  ft  übereinstimmen  muß. 

Es  kommt  so  für  /J  die  Determinante  (von  der  es  genügt,  die 
erste  Zeile  zu  notiren): 

(14)  K  =  |«0  +  fta1A  +  ?^=^M'  +  ..., 
«.+ f «i *  +  ^"^ a, *> •  •  • ,    . . . ,    a(+  (*%,  A  +  ^"^a^  /l2+ 


•I 


Bedient  man  sich  entsprechender  Abkürzungen,  wie  bei  (5) 
und  (6),  so  hat  man  für  den  Factor  von  A2: 

(15)  fcl)(0,l,..j_l,i  +  2)  +  (^-^)(0Il,..M  +  l) 

=  |j(ft-l)(0,l)...i-l,i  +  2)  +  (ft  +  l)(0,l,...*,i  +  l)j, 

und  die  Entwickelung  von   ft   fängt   mit  nachstehenden  drei  Glie- 
dern an: 

(16)  |  =  (0, 1,  .  .  .  i-1, i)  +  [l(0,l,... i-1,  i  +  1)1 

+  |j(ft-l)(0,l,...i-l,i  +  2)  +  (ft  +  l)(0,l,...i,i  +  l)JA2+.-. 

=  *■,(*■)  +  ••• 

7.  Indem  wir  jetzt  die  Bedingungen ,  unter  denen  die  Glei- 
chungen fi=0  und  fi+1  =  0  eine  gemeinsame  Doppelwurzel  Null 
erhalten,  nahezu  als  erfüllt  ansehen,  werden  wir  zeigen  müssen, 
daß  alsdann  die  Discriminanten  der  beiden  quadratischen  Formen 
Fi  und  Fi+l  stets  verschiedene  Vorzeichen  besitzen. 

Dieser  Beweis  soll  indessen  hier  unter  einer  vereinfachenden 
Annahme  geführt  werden. 

Die  fraglichen  Bedingungen  werden  zweifellos  befriedigt,  wenn 
man  alle  Coefficienten  a{,  a.+1,  .  .  .,  a2i+1  verschwinden  läßt.  Da- 
gegen bleiben  dabei  sämmtliche  Invarianten  Bk  (Je  >:  i)  von  Null 
verschieden. 


über  ein  Flüssigkeitsgesetz  algebraischer  Gleichungen.  285 

Demgemäß  ergiebt  sich  ein  penultimater  Znstand,    wenn  man 

setzt : 

(17)  a.  =  €ccn    a4+l  =  £«,+1,    .  .  .,    aam  =  saii+1 

wo  s  eine  beliebig  kleine,  positive  resp.  negative  reelle  Große  be- 
deutet, während  die  a  endlich  und  reell  sind. 

Berücksichtigt  man  beim  Hinschreiben  der  Formen  Fi  und 
Fi+I  immer  nur  die  niedrigsten  Potenzen  von  s,  so  liefert  eine 
leichte  Rechnung  mit  Rücksicht  auf  (16): 


(18) 


Die  Factoren  von  ek  sind  nur  angedeutet,  da  sie  bedeutungs- 
los sind.  Stellt  man  nemlich  nunmehr  die  beiderseitigen  Discri- 
minanten  auf,  so  beginnen  dieselben  mit  der  ersten  Potenz  von  e, 
wie  folgt: 

D(F)     =  -2(n-2i)(n-2i-l)a2iL1a2ia2i+2        *+... 

D(Fi+1)  =  +2(n-2i-2)(fi-2i~l)ai1«waiH^+-  •  • , 

sind  also  in  der  That  stets  von  ungleichen  Vorzeichen :    die  letz- 
teren vertauschen  sich  nur,  wenn  e  durch  Null  hindurchgeht. 

Für  %  =  0  und  i  =  1  treten  hinsichtlich  der  Vorzeichen  der 
einzelnen  Glieder  in  (18)  kleine  Modificationen  ein ,  die  aber  das 
Endergebniß  (19)  nicht  beeinflussen. 


(19) 


Damit  ist  gezeigt,  daß  die  Anfangs  aufgeworfene  Realitäts- 
frage für  Gleichungen  ungeraden  Grades  eine  einfache  Lösung  !) 
zuläßt. 

Für  Gleichungen  von  geradem  Grade  versagt  indessen  eine 
entsprechende  Beantwortung,  wenigstens  auf  dem  hier  eingeschla- 
genen einfachsten  Wege. 

Allerdings  ist  auch  hier  die  geschlossene  Reihe  der  Ueber- 
schiebungen 

u  =  (f<ff<  u  =  (A,/y,  •  •  •  4  =  (4...  f)- 


1)  Die  sich  naturgemäß  anschließende  Frage  nach  der  Größe  der  als  con- 
stant  nachgewiesenen  Gesammtanzahl  von  reellen  Wurzeln  zu  beantworten,  ist 
mir  vorderhand  nicht  möglich. 


286  O^o  Bürger, 

vorhanden ,   aber   die  letzte   derselben  ist    vom  Grade  Null   in  A, 
kann  also  keine  Discriminante  liefern. 

Obgleich  demnach  alle  Schlüsse  des  Vorhergehenden   bis   zur 
vorletzten  Form  fn      gültig  bleiben ,    so  hört  es  eben  bei  dieser  * ) 

auf  d.  i.  wenn  die  Invariante  fn  durch  Null  hindurchgeht,  so  kann 

Y 

die   Gleichung  fn      =  0   reelle  Wurzeln  verlieren  oder  gewinnen, 
ohne  daß  ein  Ausgleich  stattfindet. 


1)  Uebrigens  tritt  hier  noch   die  weitere  Aenderung  hinzu,   daß   der  zweite 
Factor  der  Discriminante  von  fm       gleich  der   (  —  j       Potenz  von  fn  wird. 


2/ 
Clausthal,    den  24.  October  1891. 


Vorläufige   Mittheilungen    über  Untersuchungen 
an  Nemertinen  des  Golfes  von  Neapel. 


Von 

Dr.  Otto  Bürger,  Privatdozent  in  Göttingen. 

(Vorgelegt  von  Ehlers.) 


Der  Königlichen  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin  bin 
ich  zu  großem  Dank  verpflichtet,  da  sie  mir  einen  längeren  Aufent- 
halt an  der  zoologischen  Station  zu  Neapel  ermöglichte.  Es  wurde 
mir  somit  nicht  nur  Gelegenheit  gegeben,  reiches  Material  zu  sam- 
meln, sondern  auch  eine  Reihe  von  Beobachtungen  am  lebenden 
Thier  zu  machen,  die  unerläßlich  sind,  sobald  man  eine  vielseitige 
Bearbeitung  einer  Thiergruppe  ins  Auge  gefaßt  hat.  Einige  der 
gewonnenen  Resultate  erlaube  ich  mir  vorläufig  mitzuteilen. 

Die  Nemertinenfauna  des  Neapler  Golfes  erscheint  bisher  als  die 
bedeutendste  der  Welt.  Erstaunlich  ist  die  Menge,  in  der  sich  viele 
Arten  zu  allen  Zeiten  vorfinden,  und  überraschend  der  Formen- 
reichtum. Durch  Hubrecht  sind  bislang  52  Arten  registriert 
worden.  Nur  5  von  diesen  sind  mir  während  der  sechs  Monate, 
die  ich  am  Golfe  weilte,  nicht  zu  Gesicht  bekommen,  dagegen 
über  30  von  Hubrecht  noch  nicht  beschriebene  und  überhaupt 
mit  wenigen  Ausnahmen  neue  Formen. 

Es  ist  bekannt,  daß  fast  alle  in  der  Nordsee  aufgefundenen 
Nemertinenformen  auch  im  Golfe  Neapels  angetroffen  sind.    Man 


vorläufige  Mittheilungen  über  Untersuchungen  an  Nemertinen  von  Neapel.     287 

macht  aber  die  sehr  augenfällige  Beobachtung,  daß  die  Nemertinen 
des  mittelländischen  Meeres  klein  sind  im  Vergleich  zu  ihren  nor- 
dischen Verwandten ,  die  z.  B.  an  den  englischen  und  amerikani- 
schen Küsten  gefischt  sind.  Solch  riesig  lange  Nemertinen  wie  sie 
Mc.  Intosh  und  Verrill  (Lineus  marinus  [Montg.]  15 — 30  und 
Macronemertes  gigantea  [Verr.]  10  Fuß)  gesehen  haben ,  sind ,  wie 
mir  der  Herr  Conservator  Lo-Bianko  versicherte,  niemals  ge- 
dredgt  worden  und  somit  auch  wohl  nicht  dort.  Ein  Schauexemplar, 
ein  Cerebratulus  marginatus ,  welcher  conserviert  fast  noch  1  m 
lang  und  3  cm  breit  ist,  wird  in  der  Sammlung  der  Station  als 
ein  Unicum  von  Größe  aufbewahrt. 

Die  Arten  der  waffenlosen  Nemertinen  dokumentieren  sich 
als  solche  meist  durch  Färbung  und  characteristische  Zeichnung, 
Merkmale,  die  nur  bei  relativ  wenig  bewaffneten  sich  vorfinden. 
Es  bedarf  daher  bei  letzteren  der  eingehendsten  und  oft  sehr  lang- 
wieriger Untersuchungen,  Art-  ja  selbst  Gattungsmerkmale  auf- 
zufinden. 

Aus  der  Zahl  der  bewaffneten  Nemertinen  hebe  ich  heute  nur 
drei  sehr  dünne  Nemertinen  hervor  ,  welche  im  Sande  mit  Lineus 
lacteus  und  Amphioxus  zusammen  leben.  Sie  besitzen  Otolithen 
und  Nemertinen  mit  diesen  Organen  ausgestattetet  sind  soviel  ich 
weiß  in  Neapel  überhaupt  noch  nicht  und  sonst  nur  vereinzelt 
aufgefunden  worden. 

Die  Otolithen  kommen  nur  paarig  vor,  jede  Gehirnhälfte  besitzt 
eine  Otolithenblase  von  ovaler  Form.  In  ihr  liegt  ein  je  nach  der 
Art  verschieden  gestalteter  Otolith.  Ich  fand  solche  in  Hantel- 
form (man  muß  das  Verbindungsstück  der  Kugeln  nur  sehr  ver- 
kürzt denken)  und  solche  die  eine  Rosette  bilden.  In  jeder  Blase 
liegt  nur  ein  Otolith.  Claparede1)  fand  eine  sehr  kleine  Ne- 
mertine  Oerstedia  pallida  (Kef.)  mit  ein  Paar  Otolithenblasen  deren 
jede  drei  Otolithen  enthielt,  die  durch  schwingende  Wimpern  in 
zitternde  Bewegung  versetzt  wurden. 

Die  Otolithen  der  von  mir  beobachteten  Nemertinen  rührten 
sich  nicht.  Auch  Wimpern  vermochte  ich  in  der  Blase  nicht  zu 
konstatieren. 

Ich  bemerkte  schon  daß  die  Arten  der  unbewaffneten  Nemer- 
tinen gut  gekennzeichnet  sind.  Auch  ihre  Gattungen  zeigen  viel- 
fach einen  bestimmten  auffälligen  Habitus. 

So    sind    alle  Arten    der  Gattung  Carinella    durch   den    sehr 


1)  Beobachtungen   über   Anatomie   und   Entwickelungsgeschichte   wirbelloser 
Thiere.    Leipzig  1863. 


288  Otto  Bürger, 

breiten  nach  hinten  durch  die  Furchen  der  Seitenorgane  scharf 
abgesetzten  discusartige  Kopf  kenntlich.  Sie  ähneln  so  den  Ange- 
hörigen der  Gattung  Enpolia ,  aber  alle  Enpoliiden  vermögen  den 
Kopf  völlig  einzuziehen  im  Gegensatz  zu  den  Carinelliden. 

Von  Kennel  beschrieb  letzterdings  *)  eine  ziemlich  transpa- 
rente Nemertine,  welche  er  früher  in  Neapel  erhalten  hatte  unter 
dem  Namen  Balanocephalus  pellucidus. 

Sie  soll  den  Kopf  völlig  einziehen  können.  Kennel  sagt: 
„dass  kein  Vergleich  so  passend  erscheint  wie  der  mit  der  Glans- 
penis  und  dem  sich  darüberziehenden  Praeputium": 

Es  ist  kein  Zweifel,  nach  der  guten  Beschreibung,  welche  der 
Autor  beifügte,  diese  Nemertine  mit  dem  characteristischen  Vor- 
derende ist  eine  Eupolia.  Sie  ist  dreimal  während  meines  Aufent- 
haltes in  Neapel  zu  Tage  gefördert  worden.  —  Der  discusartig 
geformte  retractile  Kopf,  die  vielen  Augen,  die  Furchen  am  Kopfe, 
das  sehr  kurze  Rhynchocoelom  mit  dem  entsprechend  kurzen  Rüssel: 
das  alles  sind  Charactere  einer  Eupolia.  Dass  diese  Nemertine 
ventrale  seitliche  Spalten  besitzt,  von  derem  hintersten  Ende  die 
Kanäle  der  Seitenorgane  in  die  Tiefe  ziehen,  so  beschreibt  Ken- 
nel, wird  uns  nicht  verleiten,  sie  vom  Genus  Eupolia  abzutrennen.  Im 
Gegenteil  es  sind  auch  diese  ventralen  wohl  etwas  flachen  Spalten 
wie  ich  schon  früher  Gelegenheit  hatte  nachzuweisen,  Eigentümlich- 
keiten vieler  Eupoliiden.  —  Eupolia  pellucida  würde  man  sie  nennen 
müssen;  vielleicht  ist  sie  auch  identisch  mit  Eup.  minor  Hubr.  Eine 
andere  systematische  berichtigende  Bemerkung  finde  hier  noch  Platz. 

Von  Joubin2)  ist  unter  anderen  Nemertinen  eine  Carinella 
Aragoi  nov.  sp.  beschrieben  worden. 

Es  ist  diese  Carinella  dieselbe,  welche  Mc.  Intosh3)  als 
Carinella  annulata  beschrieben  und  abgebildet  hat.  Aber  letztere 
ist  nicht  ein  Synonym  von  Valencinia  ornata  Quatrefages,  wie  Mc. 
Intosh  angiebt.  Nämlich  Valencinia  ornata  zeichnen  auf  roth- 
brauner Grundfarbe  drei  dorsale  und  eine  ventrale  weisse  Längs- 
linie, die  vom  Kopf  bis  zum  Schwanzende  verlaufen.  Die  mittlere 
dorsale  Längslinie  führt  aber  bis  zur  äußersten  Kopfspitze.  Außer- 
dem sind  weiße  Querringel  vorhanden ,  deren  vorderster  um  den 
Kopf  geht.  Derselbe  schneidet  ein  vorderes  rothbraunes  Feld,  ein 
Stirnfeld  ab ,    daß   von   der    dorsalen  Mittellinie  natürlich  halbiert 

1)  Ueber  einige  Nemertinen.     Sitzungsberichte  der  Dorpater  Naturforscher  Ge- 
sellschaft.    Jahrg.  1890. 

2)  Recherches  sur  les  Turbellarie's  des  cötes  de  France.   Nemertes.    Arch.  d. 
Zoolog,  exp.     T.  8.     1890. 

3)  A.  Monograph  of  the  British  Annelids.    Part  I.    Nemerteans. 


vorläufige  Mittheilungen  über  Untersuchungen  an  Nemertinen  von  Neapel.    289 

wird.  Es  folgen  dann  3  Ringel  in  sehr  weiten  Abständen.  Dann 
erst  beginnt  die  Region  in  welcher  die  Ringel  sehr  nahe  gerückt 
sind,  sodaß  etwa  10  Ringel  auf  jeden  der  beiden  von  den  voraufge- 
henden durch  die  3  Ringel  begrenzten  weiten  Abstände  kommen  wür- 
den. Carinella  annulata  Mc.  I  n  t  o  s  h  hat  eine  gelbrothe  Grundfarbe. 
Wir  vermissen  die  ventrale  weiße  Längslinie,  die  mittlere  dorsale 
reicht  nur  bis  an  den  Kopfringel  hinan,  sodaß  das  Stirnfeld  unge- 
teilt bleibt.  Die  nachfolgenden  Ouerringel  rücken  ganz  allmählich 
von  vorn  nach  hinten  zu  dichter  zusammen ,  aber  nicht  so  dicht 
wie  bei  Valencinia  ornata  die  Ringel  in  der  hinteren  Körperregion. 

Hubrecht1)  führt  sowohl  Valencinia  ornata  Ouatrf.  als  auch 
Carinella  annulata  Mc.  Int.  als  Syn.  seiner  Carinella  annulata  an. 

Beide  Carinellen  sind  in  Neapel  nicht  selten.     Ich  möchte  der 
Anciennität  gemäß  folgendermaßen  nominieren. 
Syn.  Valencinia  ornata  Ouatrf.      Syn.  Carinella  annulata  Mc.  Int. 
„      Carinella  annulata  Joub.  „      Carinella  Aragoi  Joub. 

Carinella  annulata  (Montagu.  Johnst.)     Carinella  Mc. 

Intoshii  (mihi). 

Leicht  kenntlich  sind  auch  die  Vertreter  der  Gattung  Valen- 
cinia an  dem  pfriemenförmig  zugespitzten  Kopfende. 

Unter  die  Gattung  Cerebratulus  faßt  Hubrecht  eine  Anzahl 
von  Arten  zusammen,  die  Mc.  Intosh  in  Cerebratulus,  Mikrura 
und  Lineus  sondert. 

Ich  habe  mich  bereits  überzeugt ,  daß  sich  mindestens  in 
diese  3  Gattungen  auch  die  Neapler  Cerebratuliden  Hubrechts 
verteilen. 

Nämlich  erstens  im  Schlamm  ziemlich  seicht  wohnen  breite 
kräftige  Formen ,  die  sich  durch  ihre  raschen  Bewegungen  aus- 
zeichnen. Sie  sind  vorzügliche  Schwimmer;  mit  schlängelnden 
aalartigen  Bewegungen  durchmessen  sie  das  Bassin.  Solche  Thiere 
sieht  man,  wie  mir  Herr  Conservator  Lo  Bianko  versicherte, 
gelegentlich  an  der  Oberfläche  des  Meeres  sich  rasch  schwimmend 
fortbewegen.  Ihr  Kopf  ist  lanzettlich  zugeschärft ,  der  breite 
Körper  ist  platt  und  mit  stark  hervortretenden  Seitenrändern  ver- 
sehen. Diese  Thiere  vermögen  sich  wohl  wie  eine  Spirale  aufzu- 
rollen, aber  nicht  zu  Klumpen  aufzuknäueln.  Sie  besitzen  aus- 
nahmelos ein  weißliches  Schwänzchen. 

Zweitens,  finden  sich  in  größeren  Tiefen,  zwischen  Corallineen 
wohnend,  kleine  im  Verhältnis  zur  Länge  dünne  Formen  mit  spatel- 
fÖrmigem  Kopf;    sie   sind  weich  und  können  sich  zu  Klumpen  zu- 

1)  The  Genera  of  European  Nemerteans  critically  revised  with  description 
of  several  new  species.    Notes  from  tlie  Leydeu  Museum  N.  44. 


290 


Otto  Bürger, 


sammenknäueln ,  aber  sie  vermögen  sich  nicht  durch  Schwimm- 
bewegungen fortzubewegen.  Die  Ortsveränderung  geschieht  ledig- 
lich durch  kriechen.  Im  Bassin  können  sie  am  Wasserspiegel  durch 
Flimmerbewegung  hingleiten.     Auch  sie  besitzen  ein  Schwänzchen. 

Drittens  giebt  es  Formen,  welche  den  letzt  characterisierten 
im  Habitus  nahe  stehen  —  aber  sie  besitzen  kein  Schwänzchen. 

Die  Vertreter  der  Gattung  Langia  ,  die  von  Hubrecht  auf- 
gestellt wurde ,  sind  kenntlich  an  den  nach  oben  aufgebogenen 
Seitenrändern.  Sie  stehen  der  ersten  der  eben  skizzierten  3  Grup- 
pen nahe.  In  Neapel  ist  nur  eine  Art  bislang  gefunden  worden 
eine  zweite  wurde  von  Joubin1)  beschrieben.  Diese  kommt  an 
der  französischen  Küste  vor. 

Nicht  minder  characteristisch  ist  der  Habitus  der  Gattung 
Borlasia.  Ich  war  so  glücklich  eine  zweite  Art  derselben  zube- 
kommen. — 

Ein  bis  ins  Einzelne  ausgearbeitetes  System  der  Nemertinen 
ist  mir  noch  nicht  zur  Hand  allein  für  die  Anordnung  der  Haupt- 
gruppen auf  phylogenetischer  Grundlage ,  deren  Plan  ich  bereits 
früher  angedeutet  habe,  sammelte  ich  weitere  Erfahrungen,  die  in 
mir  die  Ueberzeugung ,  daß  das  Hub  recht  sehe  System  und  mit- 
hin auch  dasjenige  von  Max  Schulze  ein  künstliches,  befestigten. 

Ich  gebe  ein  Schema. 


ß- 


b.   ;    CephalothrixCarinoma 


Nemertes  Prosorochmus  Prosadenoporus 
Geonemertes 
Oerstedia  Tetrastemma 
Amphiporus  Drepanophorus 
Malacobdella  Pelagonemertes. 


Polia  Valencinia 
Lineus  Borlasia 
Mikrura 
Cerebratulus  Langia 


a)  Bei  Carinina  liegen  die  Seitenstämme  epithelial,  bei  Ca- 
rinella  sind  sie  bis  unter  die  Basalmembran  gesunken,  also 
liegen  sie  der  Ringmuskulatnr  außen  an. 


1)  L' Anatomie    d'une   Nemerte   d'Obock. 
Zoolog,  exp.  1887. 


Langia    Obockiania.      Archiv   d. 


vorläufige  Mittheilungen  über  Untersuchungen  an  Nemertinen  von  Neapel.    291 

b)  bei  Cephalothrix  und  Carinoma  haben  sie  auch  die  Ring- 
muskulatur durchbrochen  und  liegen  bereits  inmitten  der  Längs- 
muskulatur. 

c)  Bei  Nemertes-Malacobdella  (Hoplonemertinen  Hubrechts) 
haben  sie  die  Längsmuskulatur  völlig  durchbrochen  und  liegen 
innen  von  ihr  im  Leibesparenchym. 

ß)  Bei  Polia-Langia  sind  die  Seitenstämme  in  der  Lage  wie 
sie  sich  uns  bei  Carinella  darstellten ,  liegen  geblieben ,  aber  es 
hat  sich  zwischen  Ringmuskulatur  und  Epithel  eine  Schicht  von 
Drüsenzellen ,  Bindegewebe  und  Längsmuskeln  gebildet.  Somit 
liegen  die  Seitenstämme  auch  hier  in  der  Tiefe. 

Man  beachte ,  von  a  nach  b  zu  c  sind  die  Seitenstämme  ge- 
rückt, aber  in  die  Lage  wie  sie  bei  ß  statt  hat  gerückt  worden. 

Anordnung  der  Gattungen  in  den  Rechtecken  c  und  ß  ist  eine 
durchaus  provisorische ;  ich  stütze  mich  wesentlich  auf  die  von 
Hubrecht  gegebene  (op.  cit.).  Ebenso  bemerke  ich  ausdrücklich, 
daß  ich  weder  Cephalothrix  noch  Carinoma  für  die  Uebergangs- 
formen  von  a  zu  c  halte ;  ich  fasse  sie  als  Verwandte  der  wahren 
Zwischenform  auf,  die  wir  bisher  nicht  kennen.  Das  habe  ich 
durch  das  leere  Rechteck  anzudeuten  versucht. 

Jedenfalls  ist  es  meines  Erachtens  nicht  möglich  den  Stamm- 
baum anders  zu  construieren ,  nachdem  wir  Nemertinen  mit  der 
characteristischen  Mittellage  der  Seitenstämme  kennen  lernten,  de- 
ren eine,  selbst  wenn  auch  sie  durch  das  Fehlen  der  Seitenorgane 
eine  abweichende  Form  darstellt,  so  doch  —  ich  habe  Carinoma  im 
Auge  —  durch  den  Bau  der  Körperwand,  durch  die  Nephridien  und 
das  Blutgefäßsystem  ferner  durch  die  eigentümliche  innere  Ringmus- 
kulatur sehr  an  Carinella  erinnert;  füge  ich  nun  noch  andrerseits 
hinzu ,  daß  Carinoma  Darmtaschen  besitzt ,  die  im  hinteren  Kör- 
perabschnitt ungemein  tief  sind ,  daß  diese  metamer  angeordnet 
mit  Genitaltaschen  wechseln  —  so  wird  sich  der  Leser ,  wenn  er 
die  tiefe  Lage  der  Seitenstämme  bedenkt  ein  Querschnittsbild 
contruiren  können,  das  sehr  an  das  z.  B.  einer  Nemertes  erinnert. 

In  der  eben  gegebenen  Darlegung  der  inneren  Bauverhältnisse 
von  Carinoma  Armandi  (Mc.  Int.  Oud.)  bin  ich  in  wesentlichen 
Punkten  von  derjenigen  Oudemans1)  abgewichen.  Ich  gedenke 
die  meine  bald  zu  rechtfertigen. 

Indem  ich  die  systematischen  Betrachtungen  schließe,  ich  weiß 
ich  habe  nichts  weiter  gegeben  als  einige  Ideen  zu  einem  Bauplane, 


1)  The   circulatory   and   nephridial  Apparatus  of  the  Nemertea.    Ou.  Journ. 
of  micr.  Sc.    Vol  25.    N.  S.     1886. 


292  Otto  Bürger, 

füge  ich  zunächst  einige  Beobachtungen  über  die  Organisation  der 
Neraertinen  an,  welche  fast  ausschließlich  am  lebenden  Object  ge- 
macht wurden, 

Bei  sehr  vielen  bewaffneten  Nemertinen  so  Amphiporus,  Dre- 
panophorus,  Tetrastemma  habe  ich  bemerkt  wie  sich  an  der  Kopf- 
spitze bald  ein  rundlicher  Hügel  vorwölbt,  bald  dieser  wieder 
verschwindet;  er  ist  mit  borstenartigen  Haaren  besetzt,  die  be- 
deutend kürzer  sind  als  die  Wimpern  des  Körperepithels.  Er  ist 
ohne  Frage  ein  vorstülpbarer  Sinneshügel,  ein  Sinnesorgan,  das 
über  der  Rüsselöffnung  gelegen  ist  und  zum  Tasten  dient.  Aber 
an  der  nämlichen  Stelle  müßte  ja  die  Mündung  der  Kopfdrüse  sich 
befinden *) !  Gewiß.  Wir  entsinnen  uns ,  daß  die  Kopfdrüsen  in 
eine  terminale  flaschenförmige  Grube  einmünden ,  und  ich  zweifle 
nicht,  daß  es  dieses  Grübchen  ist,  das  sich  handschuhfingerartig 
aus-  und  einzustülpe^T  vermag.  Ich  fand  früher2)  auch  bei  ver- 
schiedenen Cerebratuliden  an  Schnittpraeparaten  am  Kopfende 
3  kleine  Grübchen  und  bemerkte  nunmehr  auch  am  lebenden  Ne- 
mertinen (z.  B.  Mikrura  purpurea  Mc.  Int.)  3  kleine  mit  langen 
Haaren  besetzte  Hügel ,  die  bald  hervorragten  bald  eingezogen 
wurden  3). 

Lange  als  Tasthaare  zu  deutende  einzeln  stehende  Borsten 
bemerkte  ich  außer  in  der  Kopfregion ,  bei  den  Tetrastemmaarten 
vor  allem,  am  Schwanzende.  Aber  vorne  und  hinten  sind  sie  immer 
nur  in  sehr  geringer  Anzahl  eingepflanzt. 

Von  neuem  überzeugte  ich  mich  von  der  Existenz  der  tiefen 
Gruben,  welche  in  nächster  Nähe  der  äußerlich  auch  mit  der  Lupe 
nicht  sichtbaren  Nephridialöffnungen  gelegen  sind,  welche  ich  früher 
als  ein  zweites  Paar  von  Seitenorganen  bei  Carinella  polymorpha 
und  annulata  beschrieb.  Diese  eben  sind  auch  mit  unbewaffne- 
tem Auge  leicht  erkennbar.  Bei  anderen  Carinellaarten  habe  ich 
sie  bisher  nicht  aufgefunden. 

Ein  eingehendes  Studium  widmete  ich  dem  Nervensystem,  an- 
geregt durch  die  Ehrlichsche  Färbmethode  mittels  Methylenblau. 
Die  Ergebnisse  dieser  Experimente  sind,  kurz  gefaßt,  diese. 


1)  Bürger  zu  Anatomie  und  Histologie   der  Nemertinen  nebst  Beiträgen  z. 
Systematik.    Zeitschrift  f.  wiss.  Zoolog.     Bd.  50.     1890. 

2)  Bürger,  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Nemertinen.     Nachricht,  der  König]. 
Gesellschaft  d.  Wissenschaften  zu  Göttingen.  1888.  No.  17. 

3)  Hubrecht  erwähnt  von  Meckelia  Ehrenbergii  (Diesing) :  „an  der  Rüssel- 
üffnung  fanden  sich  3  kleine  mit  längeren  Flimmern  besetzte  Papillen  vor". 

Untersuchungen  über  Nemertinen  a.  d.  Golf  von  Neapel.     Niederiänd.  Archiv 
für  Zoologie.     Bd.  II.     1873. 


vorläufige  Mittheilungen  über  Untersuchungen  an  Nemertinen  von  Neapel.    293 

Der  Ganglienbelag  des  Gehirns  und  der  Seitenstämme  besteht 
nur  aus  unipolaren  Zellen,  deren  jede  einen  Fortsatz  in  die  Cen- 
tralsubstanz   (Punktsubstanz)    sendet.     Aber   die   Centralsubstanz, 
welche  quantitativ  mächtig  entwickelt  ist,  besteht  nur  zur  gering- 
sten Masse  aus  nervösem  Gewebe  ,  es  stellt  vielmehr  die  Central- 
substanz  des  Gehirnes ,   Kugeln ,    die   der  Seitenstämme   Cylinder 
aus  einem  feinverfilzten  Bindegewebe  gebildet  dar.    In  der  binde- 
gewebigen Grundmasse  der  Centralsubstanz  des  Seitenstammes  be- 
findet sich  nun  bei  vielen  Nemertinen  nur  ein  einziger  sehr  dünner 
mehr  oder  minder  central  gelegener  Längsstrang,  welcher  aus  ner- 
vösen Fibrillen   besteht.     Diese  Fibrillen   sind   die   Fortsätze    der 
Ganglienzellen.     Den  Strang,   zu   welchem   sie   sich    inmitten  der 
bindegewebigen    Centralsubstanz    vereinigen,     habe    ich    Central- 
strang    genannt.     Einen    zweiten    Längsstrang    finden    wir    dort, 
wo    Neurochordzellen    vorhanden    sind,    da    deren    Fortsätze    sich 
nicht   mit    den   Fortsätzen   anderer  Ganglienzellen  mischen.     Dem 
Centralstrang    entspringen  Fibrillen ,    die   in  oder    an    dem  Haut- 
muskelschlauch  abgehen.     Mit   andern  Worten:    aus  dem  Central- 
strang gehen   die   Nervenfasern   der  ,, Spinalnerven"  ab ,    die  ihre 
beträchtliche  Dicke  (man  kann  sie  auch  auf  Schnitten  gut  consta- 
tieren)  wiederum  bindegewebigen  Hüllen  verdanken. 

Es  gelang  mir  nicht  selten ,  eine  Nervenfaser ,  die  sich  im 
Hautmuskelschlauch  hinzog ,  zurück  in  dem  Centralstrang  und 
schließlich  bis  an  die  Ganglienzelle  zu  verfolgen. 

Niemals  sah  ich  aus  dem  Strang  der  Nenrochorde  eine  Nerven- 
faser entspringen.  Dagegen  gehen  vom  Seitenstamm  feine  und 
dickere  Nervenfasern  ab,  denn  es  besteht  auch  sein  Ganglienbelag 
aus  kleinen  und  größeren  Ganglienzellen.  —  Wie  man  zwei  Arten 
von  Ganglienzellen  außer  dem  Neurochordzellen  am  Seitenstamm 
scharf  unterscheiden  kann,  wird  man  auch  zwei  Arten  von  Nerven- 
fasern immer  constatiren  müssen.  Ich  betone  dies,  da  ich  der 
Meinung  bin,  daß  die  dickeren  Nervenfasern  die  motorischen,  die 
dünneren  die  sensiblen  darstellen.  Beiderlei  Fasern  verfolgte  ich 
bis  zu  Ganglienzellen  zurück.  Ich  kann  mithin  nicht  an  die  dop- 
pelte Ursprungsweise  der  Nervenfasern  und  den  verst  hioilrnartigen 
Ursprung  der  motorischen  und  sensiblen  glauben.  Die  abgehenden 
Nervenfasern  gehen  sämmtlich  unter  ziemlich  gleichem  stumpfem 
Winkel  in  symmetrischer  Weise  ab,  es  kreuzen  sich  also  eine 
große  Anzahl  von  Nervenfasern,  die  Ganglienzellen  entstammen, 
welche  vorne  im  Thierkörper  liegen  mit  solchen,  welche  mit 
Ganglienzellen  verbunden  sind,  die  wir  hinten  suchen  müssen. 
Es  besitzen  die  Fibrillen  des  Centralstranges  feinste  Aestchen. 


294  Otto  Bürger, 

Nennen  wir  die  Fibrillen  Stammfortsätze  der  Ganglienzellen ,  so 
müssen  wir  sagen,  der  Stammfortsatz  hat  Nebenfortsätze  und  zwar 
nicht  nur  in  seinem  ersten  Abschnitt,  nicht  nur  unmittelbar  nach 
seinem  Eintritt  in  die  Centralsubstanz,  sondern  vielleicht  in  seiner 
ganzen  Länge,  sicher  wenigstens  in  einer  sehr  langen  Strecke  seines 
Verlaufes  innerhalb  der  Centralsubstanz  des  Seitenstammes.  Die 
Fibrillen  des  Centralstranges  ebenso  wie  die  Nervenfasern  (wie  wir 
jene  Fibrillen  ja  nennen,  nachdem  sie  sich  aus  dem  Seitenstamm 
herausbegeben  haben  zur  Innervation  der  Muskulatur  u.  s.  f.)  sind 
mit  unzähligen  Verdickungen  besetzt,  die  ihnen  ein  perlschnur- 
artiges Aussehen  verleihen. 

Eine  merkwürdige  Erscheinung  sind  bekanntlich  die  peripheren 
Nervenschichten,  welche  vor  allem  bei  den  Formen  auftreten,  deren 
Seitenstämme  auf  der  Grenze  zweier  Schichten  der  Körperwand 
liegen.  Also  weder  die  Hoplonemertinen  noch  die  Arten  von 
Cephalothrix,  noch  Carinoma  besitzen  sie  in  typischer  Ausbildung 
wie  Hu  brecht1)  sie  uns  bei  Carinella,  Eupolia,  Cerebratulus,  Lan- 
gia  kennen  lehrte.  Durchaus  nicht  aufgeklärt  ist  auch  die  Be- 
deutung der  medianen  Nerven,  die  ich  den  kleinen  und 
großen  Rückennerven  nannte. 

Ich  fand:  die  periphere  Nervenschicht,  deren  reticulären  Cha- 
racter  ich  früher  schon  betonte,  besteht  zum  Wesentlichen  aus 
demselben  Bindegewebe  wie  die  Centralsubstanz  der  Seitenstämme. 
In  dieses  sind  die  Nervenfasern ,  welche  dem  Seitenstamm  ent- 
springen, eingebettet. 

Die  Rückennerven  haben  nicht  die  Bedeutung  von 
Nerven,  welche  Organe  innervieren  wie  die  Schlund- 
nerven, die  Augennerven  u.  s.  f.  Es  steht  nur  der  obere 
große  Rückennerv  (Carinella)  in  direkter  Verbindung 
mit  dem  Gehirn  durch  die  dorsale  Commissur,  der 
untere  Rückennerv  wird  gebildet,  indem  Fasern  des 
oberen  die  Ringmuskulatur  durchdringen  und  unter 
dieser  über  dem  Rhynch  ocoelom  nach  hinten  ziehen. 
Aber  fortgesetzt  in  sehr  engen  Abständen  steigen  immer  wieder 
Fasern  vom  oberen  Rückennerven  zum  unteren  herab,  diesen  unab- 
lässig verstärkend. 

Oberer  und  unterer  Rückennerv  bilden  ein  Strickleitersystem. 
Mit  dem  oberen  Rückennerven  treten  die  „ Spinalnerven"  in  engste 
Beziehung.     Sämmtliche   Spinalnerven,    die   bei   Carinella, 

1)  Hubrecht,  The  peripheral  nervous  System  in  Palaeo-  and  Schizonemert 
etc.    Ou  Journ.  of  micr.  Sc.    Vol.  20. 


vorläufige  Mittheilungen  über  Untersuchungen  an  Nemertinen  von  Neapel.      295 

welche  ich  im  Auge  habe,  ziemlich  regellos  vom  Seitenstamm  ent- 
springen verflechten  sich  mit  dem  oberen  Rücken- 
nerven und  vermischen  sich  mit  seinen  stammeigenen  Fasern, 
die,  wie  gesagt ,  teils  der  dorsalen  Commissur  entspringen ,  teils 
aber  von  einem  sehr  spärlichen  eigenen  Belag  von  unipolaren 
Ganglienzellen  abstammen.  Es  ist  nachzuweisen,  daß  mindestens 
ein  Theil  der  „Spinalnervenfasern"  im  Rückennerven  fortzieht  und 
sich  auch  nunmehr  an  der  Bildung  des  kleinen  Rückennerven  be- 
teiligt ,  aber  es  ist  auch  zweifellos ,  daß  die  Fasern  der  „ Spinal- 
nerven u  teilweise  durch  den  großen  Rückennerven  hindurch  dringen 
und  mithin  Nervenfasern,  welche  vom  linken  Seiten  stamme  kommen 
bis  in  die  rechte  Körperhälfte  sich  fortsetzen. 

Der  große  Rückennerv  ist  also  ein  Längsstrang  nervöser  Fasern, 
die  teilweise  vom  Gehirn  herkommen ,  teilweise  eigenen  Ganglien- 
zellen entspringen ,  vor  allem  aber  von  den  Fasern  der  Nerven 
der  Seitenstämme  sich  herleiten.  Diese  drei  nach  dem  Ursprung 
verschiedenartigen  Nervenfasern  verflechten  sich  in  ihm. 

Ich  möchte  einAnalogon  heranziehen  und  glaube  ein  solches 
bei  den  Wirbeltieren  im  Grenzstrang  des  Sympathicus  zu 
finden. 

Leider  gelang  es  mir  nicht,  die  Nervenfasern,  welche  ich 
einerseits  wohl  zu  den  zugehörigen  Ganglienzellen  verfolgen  konnte, 
andererseits  bis  zu  den  Endigungen  hinzu  verfolgen,  und  zwar  weder 
bis  zu  Zellelementen  motorischer  noch  sensibler  Art. 

Darin  war  ich  glücklicher  bei  der  Untersuchung  des  Rüssels. 
Im  bewaffneten  Rüssel  befindet  sich  eine  wechselnde  für  die  Art 
constante  Anzahl  von  Nerven,  deren  jeder  mit  einem  Ganglienbelag 
ausgestattet  sind.  Die  Ganglienzellen  liegen  zwischen  den  im  Rüssel 
parallel  verlaufenden  Längsnerven  und  zwar  sind  die  einzig 
unipolaren  Ganglienzellen  fast  ausnahmslos  mit  den  aufgebauch- 
ten Enden  aneinander  gepreßt.  Immer  je  ein  Paar  Ganglien- 
zellen liegt  zusammen.  Wir  haben  Geschwisterzellen 
im  Rüssel  vor  uns.  Jede  Zelle  sendet  ihren  einzigen  Fortsatz 
in  einen  anderen  Nerven. 

Auch  der  Rüsselnerv  besteht  quantitativ  der  Hauptsache  nach 
aus  verfilztem  Bindegewebe.  In  jedem  Nerven,  wie  ich  diesen 
Strang  auch  in  seiner  Gesammtheit  trotzdem  nennen  will,  bilden 
die  Ganglienzellfortsätze  einen  sehr  feinen  Centralstrang.  Aus 
diesem  gehen  feine  Fibrillen  ab,  Nervenfasern,  welche  den  Muskel- 
schlauch  des  Rüssels  innervieren  und  deren  Endigungen  zwis< 
den  Muskelzellen  deutlich  zu  sehen  sind,  ferner  entspringen  dem 
Centralstrang  zugweise   auch  jene  Nervenfasern,   von  denen  man 

Nachrichten  von  der  E.  G.  d.  W.  zu  Göttingen.    1891.  No.  9.  22 


296  Otto  Bürger, 

jede  einzelne  an  eine  Zelle  der  Papillen  herantreten  sieht.  Doch 
nicht  direkt ;  zwischen  beiden,  zwischen  Nervenfibrille  und  Papillen- 
zelle  ist  noch  eine  Zelle,  eine  Nervenzelle  eingeschaltet. 

Was  bedeutet  aber  der  Reichtum  an  Ganglienzellen,  die  ich 
(was  die  physiologische  Bedeutung  anbetrifft)  in  scharfem  Gegen- 
satz zu  den  Nervenzellen  stelle,  für  den  Rüssel?  Nur  durch  den 
Besitz  von  Ganglienzellen ,  mit  denen  das  Rüsselnervensystem  in 
so  hohem  Maße  ausgezeichnet  ist,  kann  man  es  erklären ,  daß  der 
Rüssel  so  wenig  abhängig  vom  Centralnervensystem  ist,  so  wenig, 
daß  derselbe  vom  Körper  getrennt  nicht  leblos  erscheint,  sondern 
fast  alles  leistet,  was  er  leistete  als  er  mit  ihm  noch  eins  war: 
Er  stülpt  sich  ein  und  aus,  er  klebt  sich  vermöge  seiner  Papillen- 
zellen  fest  und  läßt  sich  wieder  los,  ja  er  kriecht;  er  zeigt  mit 
einem  Worte  die  bedeutendsten  Lebenserscheinungen.  Vermöchte 
er  das,  wenn  nicht  sein  eigener  nervöser  Apparat  ein  dem  centralen 
fast  gleichwertiger  wäre? 

Am  wichtigsten  von  vorn  herein  erschien  mir  die  Aufgabe, 
die  Art  der  Endigungen  des  Excretionsgefäßsystemes 
festzustellen. 

Den  Angaben  Oudemans1),  wonach  die  Canäle  des  Nephri- 
dialapparates  in  offner  Verbindung  mit  den  Blutgefäßen 
stehen  sollen,  vermochte  ich  nicht  Zutrauen  zu  schenken. 

An  stark  comprimirten  dünnen  Nemertinen  wie  Nemertes 
gracilis  und  einer  noch  unbeschriebenen  durch  den  Besitz  von 
4  Augen  ausgezeichneten  sehr  langen,  ziemlich  durchsichtigen 
Nemertine  beobachtete  ich  zuerst  Wimp  er  flammen  als  letzte 
Enden  der  verzweigten  Nephridialcanäle. 

Die  Nephridialcanäle  sind  bei  diesen  Formen  sehr  lang,  sie 
sind  vom  Gehirn  bis  in  die  hintere  Körperregion  zu  verfolgen,  wo 
sie  auch  noch  zwischen  den  Geschlechtsorganen  entlang  ziehen 
und  auch  die  Wimperkölbchen  überall  erkannt  werden  können. 

Das  Excretionsgefäßsystem  jener  Nemertinenarten  ist  mithin 
ganz  anders  als  das  eines  Amphiporus  oder  Drepanophorus ,  wo 
die  Nephridialcanäle  lediglich  in  der  Oesophagalregion  sich  aus- 
breiten ,  oder  richtiger  jederseits  mit  ihren  vielen  Aesten  ein 
Knäuel  bilden,  durch  das  die  seitlichen  Blutgefäße  hindurchgehen. 
Aber  auch  ihre  letzten  Enden  sind  Wimperkölbchen,  von  denen 
sich  unzählige  in  die  Wand  der  seitlichen  Blutgefäße  einbohren. 

Eine  Beziehung  zwischen  Blutgefäßsystem  und  Nephridial- 
apparat  besteht  mithin,  aber  sie  ist  ganz  anderer  Art  wie  die  von 


1)  Op.  cit. 


vorläufige  Mittheilungen  über  Untersuchungen  an  Nemertinen  von  Neapel.      297 

Oudemans  beschriebene:  Es  bohren  sieb  die  blindge- 
schlossenen Enden  der  Nephridialcanäle  in  die  Wan- 
dung derBlutgefäße  ein,  nicht  allein  bei  den  Hoplo- 
nemertinen,  von  denen  ich  soeben  einige  Vertreter  heranzog, 
sondern  auch  bei  Carinella  und  Carinoma.  Bei  diesen 
ursprünglicheren  Formen  hat  Oudemans  derartige  Enden,  wie 
ich  später  beweisen  werde,  für  offene  gehalten,  obwohl  dieselben 
immer  vom  Endothel  der  Blutgefäße  vollständig  bekleidet  sind. 

Auf  Grund  meiner  Nachuntersuchung  darf  ich  es  als  höchst- 
wahrscheinlich hinstellen,  daß  auch  in  dem  blindgeschlossenen,  in 
das  Blutgefäß  hineinragenden  Enden  der  Excretionsgefäße  von 
Carinoma  Armandi  Wimperflammen  sich  befinden.  Solcher  Enden 
finden  sich  bei  Carinoma  aber  nur  wenige,  kaum  in  und  an  jedem 
Blutgefäß  mehr  als  10. 

Das  Excretionsgefäßsystem  der  Nemertinen  weist  auf  das  der 
Turbellarien  hin. 

Der  histologische  Bau  freilich  beider  ist  sehr  verschieden. 
Die  Excretionscanäle  der  Nemertinen  haben  eine  zellige  Ausklei- 
dung, deren  einzelne  Elemente  hohe  Cylinderzellen  darstellen,  die 
denen  des  Körperepithels  sehr  ähnlich  sind.  Doch  trägt  jede  Zelle 
nur  eine  Wimper  oder  doch  nur  ein  Paar  Flimmern.  Auch  die 
Endkölbchen,  in  welchen  der  lange  dicke  Wimperschopf  schwingt, 
besitzen  ein  aus  sehr  vielen  kleinen ,  hier  freilich  etwas  flachen 
Zellen  sich  zusammensetzendes  Epithel. 

Bei  den  Turbellarien  aber  ist  das  Zellmaterial ,  aus  welchem 
die  Excretionscanäle  sich  aufbauen,  bekanntlich  ein  sehr  spärliches, 
es  sollen  die  Canäle  z.  B.  bei  den  Polycladen  nach  Lang  eine 
Durchbohrung  von  linearen  Zellreihen  darstellen.  Das  Endkölb- 
chen besteht  aus  einer  einzigen  Zelle. 

Auf  große  Schwierigkeiten  stieß  in  Neapel  die  Beschaffung 
von  Material  zwecks  entwicklungsgeschichtlicher  Studien. 

Obwohl  ich  ein  halbes  Jahr  lang  verschiedene  Arten,  teilweis 
sehr  massenhaft,  in  Aquarien  gehalten  habe,  welche  Geschlechts- 
produkte enthielten  und  Männchen  und  Weibchen  vorhanden  waren, 
war  ich  nicht  so  glücklich ,  je  einmal  Eier  zu  bekommen.  Die 
Thiere,  Lineus  lacteus,  Eupolia  delineata  und  curta  und  Nemertes 
gracilis  hielten  sich  Monate  lang  sehr  gut ,  aber  dann  begannen 
viele  Exemplare ,  besonders  von  Lineus  lacteus ,  zu  zerstückeln. 
Es  gelang  mir  nicht,  die  Ursachen  ihres  Unterganges  festzustellen. 

Die  Nemertinenarten,  welche  in  größeren  Tiefen  leben,  halten 
sich  überhaupt  nur  wenige  Tage  mit  Ausnahme  einiger  Amphi- 
porusarten    und  Drepanophorus  serraticollis ,   den  ich  außerordent- 

22* 


298  Otto  Bürger, 

lieh  lange  im  Aquarium  am  Leben  erhalten  konnte.  Merkwürdiger 
Weise  ganz  im  Gegensatz  zu  seinem  nahen  Verwandten  Drepano- 
phorus  rubrostriatus ,  der  die  Gefangenschaft  gar  nicht  erträgt. 
Auch  mit  den  großen  im  Schlamm  lebenden  Cerebratulusarten 
habe  ich  unglücklich  experimentirt.  Indes  war  ich  so  glücklich, 
von  draußen  einmal  ein  Thier ,  Nemertes  gracilis ,  zu  bekommen, 
das  sofort  Eier  ablegte ,  die  sich  ungemein  schnell  entwickelten. 
Die  Furchung  war  eine  totale  aequale,  und  noch  in  der  Eihülle 
entwickelte  sich  ein  Embryo,  der  ein  dichtes  Wimperkleid  besitzt, 
und  an  dessen  einem  Ende  —  er  hat  eine  länglich  ovale  Form 
angenommen  —  zwei  lange  Geißeln  schwingen.  Es  wurden  zwei 
Eichtungskörper,  welche  in  diesem  Entwicklimgsstadium  sich  noch 
vorfanden,  gebildet. 

Der  Embryo  wächst,  durchbricht  die  Eihülle  und  bewegt  sich 
mit  Hilfe  seiner  beiden^  Geißeln  im  Wasser  umher.  Seine  weitere 
Entwicklung  habe  ich  nicht  beobachten  können. 

Deshalb  war  es  mir  eine  außerordentlich  erwünschte  Hilfe, 
als  mir  Herr  Professor  Kor  otneff,  Director  der  Zoologischen 
Station  in  Villa  Franca,  seine  Unterstützung  zusicherte,  indem 
derselbe  mir  lebendes  und  conserviertes  Material  von  Prosoroch- 
mus  Claparedii  versprach  und  mir  auch  wiederholt  Sendungen 
dieser  lebendig  gebärenden  von  Claparede  an  der  Küste  der  Nor- 
man die  entdeckten  Nemertine  zukommen  ließ. 

Besonders  erfreulich  war  es  aber,  als  ich  diese  Nemertine 
auch  in  Neapel  zwischen  dem  Materiale,  das  die  Fischer  besorgen, 
mit  Nemertes  gracilis  vergesellschaftet  fand. 

Herrn  Professor  Korotneff  bin  ich  zu  großem  Danke  ver- 
pflichtet, ich  erlaube  mir  denselben  an  dieser  Stelle  auszusprechen. 

Obwohl  sich  die  Exemplare  von  Prosorochmus  Claparedii,  welche 
von  Villa  Franca  und  aus  dem  Neapler  Golf  stammen ,  in  Gestalt 
und  Färbung  gleichen ,  ist  doch  die  Bewaffnung  des  Rüssels  ein 
derartig  verschiedene ,  daß  man  in  Versuchung  kommt ,  zwei  Pro- 
sorochmusarten ,  zu  unterscheiden,  mindestens  aber  Varietäten  als 
Pr.  Claparedii  (Nizza)  und  Pr.  Claparedii  (Napoli). 

Nämlich  die  Prosorochmus-Individuen  von  Villa  Franca  zeigen  in 
jeder  Seitentasche  des  Eüssels  4Nebenstilette.  Das  untere  Ende 
derselben  bildet  einen  glatten  kugligen  Knau  f ,  diejenigen  aber 
des  Golfes  besitzen  stets  nur  je2Nebenstilette  in  jeder  Tasche  ; 
aber  der  Knauf  ist  fünfteilig,  er  bildet  eine  Rosette.  Dement- 
sprechend ist  natürlich  auch  der  Knauf  des  Hauptstilettes  gestaltet. 

Ein  Prosorochmus  enthält  oft  alle  Entwicklungsstadien.  Wäh- 
rend vorn  noch  Eier  sich  befinden,  sieht  man  im  hintersten  Ende 


vorläufige  Mittheilungen  über  Untersuchungen  an  Nemertinen  von  Neapel.      299 

des  Thieres  Embryonen,  in  welchen  man  bereits  die  Nebenstilette 
bemerkt.  Aus  Villa  Franca  bekam  icb  Thiere  mit  Embryonen  im 
Mai  und  Anfang  Juni,  in  Neapel  im  Juli. 

Die  Entwicklungsperiode  wird  aucb  wohl  in  Neapel  früher 
fallen  und  schon  lange  begonnen  haben,  ehe  ich  die  ersten  Proso- 
rochmen  dort  auffand,  immerhin  ist  zu  bedenken,  daß  sich  dieses 
Jahr  ein  ausnahmslos  ungünstiger  Frühling  in  Neapel  geltend  ge- 
macht hat,  sodaß  die  heurigen  klimatischen  Verhältnisse  an  der 
Riviera  vielleicht  günstiger  waren ,  als  bei  uns  am  soviel  weiter 
südlich  gelegenen  Golfe  Neapels.  Jedenfalls  wird  man  doch  min- 
destens auf  5 — 6  Wochen  rechnen  können  ,  während  welcher  man 
fortgesetzt  trächtige  Thiere  erwarten  darf. 

Wo  sind  die  Männchen  von  Prosorochmus  ?  Ich  habe  sie  bis- 
lang nicht  gefunden. 

Beim  Weibchen  sind  die  Grenitaltaschen  mit  Eier  prall  gefüllt. 
Dieselben  alterniren  mit  den  Darmtaschen.  Aber  nur  wenige, 
meist  nur  ein  einziges  Ei  kommt  von  einem  Haufen  von  Eiern  zur 
Entwicklung.  Das  sich  entwickelnde  nährt  sich  von  den  anderen 
Eiern.  Es  bildet  sich  eine  Hülle  um  das  in  die  Embryonalent- 
wicklung eintretende  Ei  und  in  dieser  liegen  anfangs  zahlreich 
andere  Eier  eingeschlossen.  Je  mehr  aber  die  Entwicklung  fort- 
schreitet ,  je  kleiner  werden  die  im  Follikel  eingeschlossenen  Eier 
und  schließlich,  wenn  sich  ein  Embryo  entwickelt  hat,  an  dem  der 
Kopf  sich  schon  formt,  sind  auch  die  letzten  Eireste  verschwunden. 

Von  der  Entwicklung  des  Embryo  will  ich  nichts  vorweg 
nehmen,  da  ich  die  nach  lebenden  Entwicklungsstadien  aufgezeich- 
neten Befunde  erst  noch  am  conservierten  Material,  das  mir  reich- 
lich zur  Verfügung  steht,  prüfen  und  weiter  verfolgen  möchte. 

Nur  über  die  Entwicklung  des  Stilettapparates  des  Rüssels 
will  ich  gleich  folgendes  bemerken.  Man  ist  sich  nicht  darüber 
einig ,  wo  das  Hauptstilett  herkommt.  Man  behauptet ,  es  werde 
aus  den  Seitenstiletttaschen  bezogen  und  nennt  dementsprechend 
die  Stilette,  welche  in  den  seitlichen  Taschen  enthalten  sind,  Reserve- 
stilette ,  man  behauptet  aber  dem  entgegengesetzt  auch ,  das 
Hauptstilett  habe  nichts  mit  den  sog.  Reservestiletten  zu  thun,  das 
Hauptstilett  entstehe  nicht  in  deren  Tasche,  sondern  an  Ort  und  Stelle. 

Die  Beweise,  welche  Max  Schultze1)  für  seine  Ansicht 
bringen  konnte ,  waren ,  wenn  auch  nicht  völlig  exacte ,  so  doch 
sehr  beachtenswerte.  Er  war  der  Meinung,  das  Hauptstilett  stamme 
aus  den  Seitentaschen. 


1)  Max  Schultze.    Beiträge  zur  Naturgeschichte  der  Turbellarien.   Greifs- 
wald 1851. 


300  0tt0  Bürger, 

In  dem  sich  entwickelnden  Rüssel  von  Pr.  Claparedii  treten  zu- 
erst die  Reservestilette  auf  und  zwar  sind  sie,  in  jeder  Tasche  ein 
Paar,  schon  ziemlich  fertig,  wenn  die  Basis  des  Hauptstilettes  erst 
im  Entstehen  begriffen  ist.  Diese  wird  geschaffen,  indem  sich  ein 
Sekret,  das  einem  Drüsenkranze  entstammt,  der  sich  in  der  Stilett- 
region sehr  frühzeitig  ausbildet  und  zeitlebens  erhält,  in  eine 
Form  ergießt,  die  von  der  inneren  Muskulatur  des  Rüssels  gebildet 
wird.  Die  Rüsselmuskulatur  bildet  nämlich  eine  trichterförmige 
Mulde  und  daher  hat  auch  die  Basis  des  Hauptstilettes  anfangs 
in  eine  pyramidale  Gestalt,  welche  sich  erst  später  ändert  und 
die  Form  eines  (nicht  mathematischen)  Kegels  annimmt. 

Man  kann  die  Bildung  der  Basis  in  allen  Stadien  verfolgen, 
man  wird  aber  nichts  von  einer  doch  gleichzeitig  notwendigen 
Bildung  des  Hauptstilettes  an  diesem  Orte  wahrnehmen,  obwohl 
schon  im  Embryo  die  Basis  ein  Stilett  erhält.  Man  macht  nun 
stets  die  Beobachtung,  daß,  sobald  die  Basis  bepflanzt  ist,  in  einer 
der  Seitentaschen  1  Stilett  fehlt. 

Wie  die  Stilette  aus  der  Reservetasche  zur  Basis  gelangen, 
ist  mir  nicht  klar  geworden.  Ich  habe  sie  nie  auf  halbem  Wege 
gesehen,  sondern  ich  constatierte  nur  stets  das  vollendete  Factum. 

Ich  war  aber  so  glücklich,  einmal  ein  Stilett  in  der  Basis 
eingeschlossen  zu  erblicken.  Die  Basis  war  in  dem  bereits  aus- 
geschlüpften Thier  aber  auch  bepflanzt  und  in  der  einen  Seiten- 
tasche waren  zwei,  in  der  anderen  nur  ein  Reservestilett  enthalten. 
Das  zeugte  davon,  daß  die  Basis  erst  kürzlich  besetzt  war,  denn 
die  Reservestilette  bilden  sich  ungemein  rasch,  um  die  übliche 
Zahl  in  den  Taschen  wieder  herzustellen.  Es  ist  dies  Bild  nicht 
anders  zu  deuten,  als  daß  das  Reservestillett  zu  früh  zur  Basis, 
ehe  sie  vollendet  war ,  gelangte  und  nunmehr  verschüttet  wurde. 
Man  findet  derartige  Bilder  auch  in  Mc.  Intosh's  Monographie 
gezeichnet.     Ich  deute  sie  nicht  anders. 

Um  die  Frage  nach  der  Herkunft  der  Hauptstilette  zu  studieren, 
habe  ich  mehreren  Exemplaren  von  Drepanophorus  serraticollis  die 
Rüssel  exstirpiert.  Dieselben  wurden  bald  regeneriert.  Und  in  jedem 
der  neuen  Rüssel  legten  sich  am  frühzeitigsten  die  Taschen  der  Re- 
ser-vestilette  an ,  welche  ja  hier  so  ungemein  zahlreich  sind.  Den 
20  Hauptstiletten  entsprechen  18  Taschen  mit  etwa  12  Reserve- 
stiletten. (Häufig  stimmt  sogar  die  Zahl  der  Hauptstilette  mit 
derjenigen  der  Reservestiletttaschen  genau  überein.)  Viel  später 
erst,  nachdem  sich  eine  größere  Anzahl  der  Nebenstiletttaschen 
gebildet  hatte,  begann  die  Basis  zu  entstehen,  mit  der  jede  Tasche 
durch    einen  Schlauch  in  Verbindung  gesetzt  ist.     Nie  sieht  man 


vorläufige  Mittheilungen  über  Untersuchungen  an  Nemertinen  von  Neapel.      301 

in  oder  an  der  Basis  kleine  Stilette,  die  Entstehungsherde  sind 
die  Seitentaschen.  Wohl  aber  habe  ich  vereinzelt  in  den  Schläu- 
chen Stilette  jedenfalls  auf  dem  "Wege  zur  Basis  begriffen,  con- 
statiert. 

Auch  diese  meine  Beobachtungen  stützen  mit  den  Befunden 
Schultzes,  die  sie  ergänzen  können,  nur  den  Satz  :  Die  Haupt- 
stilette kommen  aus  den  Seitentaschen.  Die  Stilette 
der  Seitentaschen  sind  Reservestilette  und  nicht  Gebilde,  die  im 
Lauf  der  Stammesgeschichte  der  Nemertinen  außer  Funktion  ge- 
setzt sind  und  nunmehr,  obwohl  zwecklos  geworden,  als  Ballast 
mitgeschleppt  werden. 

In  wenigen  Jahren  hoffe  ich  die  Neapler  Repräsentanten  der 
Nemertinen,  dieser  merkwürdigen  Thiergruppe,  von  welcher  H  a  1 1  e  r 
bei  Gelegenheit  seiner  Studien  über  die  Textur  des  Centralnerven- 
systems  höherer  Würmer  die  Anneliden,  Arthropoden,  Mollusken 
und  Vertebraten  ableitet,  den  Fachgenossen  in  Wort  und  Bild  vor- 
führen zu  können. 

Göttingen,  im  November  1891. 


Ueber  einige  neue  Kohlenwasserstoffe   mit  ring- 
förmiger Bindung  der  Kohlenstoffatome. 

Von 
Otto  Wallach. 

Die  Eigenschaften  der  Kohlenwasserstoffe  und  ihrer  Derivate 
sind  bekanntlich  in  hohem  Grade  abhängig  von  der  Art  der  Bin- 
dung der  in  ihnen  enthaltenen  Kohlenstoffatome.  Bei  den  organi- 
schen Verbindungen  mit  kettenförmiger  Anordnung  der  Atome 
sind  die  Eigenschaftsänderungen ,  welche  mit  dem  Vorhandensein 
mehrfacher  oder  bloß  einfacher  Kohlenstoffbindungen  Hand  in 
Hand  gehen,  bereits  sehr  eingehend  studirt.  Dasselbe  gilt  für  die 
Kohlenwasserstoffe  mit  ringförmiger  Kohlenstoffbindung  vom  Ty- 
pus des  Benzol ,  Naphtalin  u.  s.  w.  Weniger  gut  sind  diejenigen 
Substanzen  bekannt,  welche  durch  theilweise  oder  vollständige 
Hydrirung  von  Verbindungen  des  letztgenannten  Typus  entstehen. 
Neuere  Arbeiten,  vorzüglich  von  v.  Baeyer  und  von  Bamber- 
ger, haben  unsere  Kenntniß  auch  nach  dieser  Richtung  zwar  sehr 
erweitert,  doch  ist  es  bei  dem  großen  theoretischen  Interesse, 
welches   die  hier  ins  Spiel   kommenden  Verhältnisse   bieten,    er- 


302  0tt0  Wallach, 

wünscht,  die  diesbezügliche  Forschung  auch  nach  neuen  Richtun- 
gen hin  auszudehnen. 

Ich  bin  nun  gelegentlich  meiner  Arbeiten  über  die  Terpene, 
von  denen  einige  unzweifelhaft  als  hydrirte ,  jedoch  ungesättigte 
Kohlenwasserstoffe  mit  ringförmiger  Bindung  der  Atome  ange- 
sprochen werden  müssen,  auch  zu  gesättigten,  vollkommen  hydrir- 
ten  Kohlenwasserstoffen  mit  ringförmiger  Bindung  gelangt.  Die- 
selben dürften  z.  Th.  einem  neuen  Verbindungstypus  angehören. 
Ueber  diese  Substanzen  und  den  Weg  zu  ihrer  Darstellung 
möchte  ich  mir  erlauben  kurz  zu  berichten. 

Den  Campher  CioHieO  hat  man  in  eigenthümlicher  Weise  zu 
Verbindungen  mit  geringerem  Kohlenstoffgehalt  abzubauen  ge- 
lernt. Man  stellt  durch  Umsetzung  des  Camphers  mit  Hydro- 
xylamin  das  Campheroxim,  CioHiöNOH,  dar.  Es  gelingt  dann 
leicht  aus  dieser  Verbindung  1  Mol  Wasser  abzuspalten.  Der  so 
resultirende  Körper  Cio  H15  N  verhält  sich  wie  ein  Säurenitril,  also 
wie  C9  H15  .  CN.  Durch  Kochen  mit  Alkali  kann  man  aus  ihm 
das  dem  Campheroxim  isomere  Amid  C9  H15  .  CONH2  und  dann  die 
Campholensäure  C9  H15 .  COOH  erhalten.  Die  Campholensäure  ih- 
rerseits verliert  unter  geeigneten  Bedingungen  Kohlensäure  und 
verwandelt  sich  in  das  Campholen,   C9H16. 

Für  das  Campholen,  'dessen  Siedepunkt  von  Goldschmidt 
(Ber.  d.  ehem.  Gres.  XX,  484)  zu  130°  —  140°  angegeben  wird,  hat 
Bamberger  (1.  c.  XXI,  1131)  die  Formel  aufgestellt: 

C-C3H7 

H2C/^    ^CH2 

Ei 

\ 

CH-CHs 

Danach  wäre  also  das  Campholen  ein  Fettkohlenwasserstoff  mit 
zwei  Aethylenbindungen.  Diese  Annahme  hat  die  andere  zur 
Voraussetzung,  daß  bei  dem  Uebergang  von  Campheroxim  in  sein 
Anhydrid  eine  Sprengung  des  im  Campher  anzunehmenden  Koh- 
lenstoffringes eintritt.  Bamberger  denkt  sich  den  Vorgang  in 
folgender  Weise : 


über  einige  neue  Kohlenwasserstoffe  mit  ringförmiger  Bindung  etc.       303 
H      C3H7  C3H7 

c  c 


H2C  CH*  H2C  CH2 

|  =  H20  +  | 

HC  C  =  NOH  HC  CN 


i 


CH3  CH3 

Campheroxim  Nitril 

Die  sehr  merkwürdige  Reaction  kann  indeß ,  meiner  Ansicht  nach, 
auch  ganz  anders  aufgefaßt  werden.  Es  ist  allerdings  wahrschein- 
lich, daß  bei  dem  Uebergang  des  Campheroxims  in  das  Nitril  der 
durch  sechs  Kohlenstoffatome  gebildete  Ring  sich  vorübergehend 
öffnet.  Aber  in  demselben  Augenblick  könnte  [unter  Eintritt 
einer  Bindungs ver Schiebung ,  falls  man  die  Bredt'sche  Campher- 
formel der  Betrachtung  zu  Grunde  legt]  eine  erneute  Ringschlie- 
ßung zwischen  fünf  Kohlenstoffatomen  sich  vollziehen.  Es  würde 
dann  der  Nitril-artigen  Verbindung  etwa  die  Formel  zukommen : 


Auch  an  das  Vorhandensein  eines  Rings  von  vier  Kohlenstoff- 
atomen könnte  man  denken,  doch  soll  das  eben  außer  Betracht 
bleiben. 

Sonach  ergeben  sich  zwei  ganz  verschiedene  Auffassungen 
bezüglich  der  Natur  der  Campholensäure  und  des  Campholens. 
Nach  Bamberger  würde  der  Kohlenwasserstoff  zwei  Aethylen- 
bindungen  enthalten,  der  ihm  zugehörige  gesättigte  Kohlenwasser- 
stoff hätte   die  Formel   C9H20   und   wäre  nichts   anderes  als  ein 


304  Otto  Wallach, 

Nonylwasserstoff.  Meiner  Ansicht  nach  enthielte  indeß  das  Cam- 
pholen nur  eine  Aethylenbindung ,  sein  Hydrirungsproduct  hätte 
die  Formel  C9H18  und  ihm  zu  Grunde  würde  ein  Kohlenwasser- 
stoff von  eigenthümlichem  Typus  mit  ringförmiger  Bindung  von 
fünf  (oder  auch  von  vier)  Kohlenstoffatomen  liegen. 

Es  ist  mir  nun  in  sehr  einfacher  Weise  gelungen  durch  einen 
Versuch  die  Richtigkeit  der  letztentwickelten  Ansicht  wahrschein- 
lich zu  machen. 

Freie  Campholensäure  wurde  in  Portionen  von  je  5  Gr  mit 
6  G-r  Jodwasserstoffsäure  vom  spec.  Gew.  1,96  8  Stunden  auf  200° 
erhitzt.  Das  entstandene  Product  wurde  dann  mit  Wasserdampf 
abdestillirt,  mit  Natronlauge  gewaschen,  mit  festem  Kali  getrock- 
net und  fractionirt.  Die  Hauptmenge  des  erhaltenen  flüssigen 
Kohlenwasserstoffs  ging  zwischen  135°  — 140°  über.  Analysirt 
wurde  eine  Mittelfraction  vom  Siedepunkt  134° — 136°. 

0.1005  Grr  Substanz  gaben 

0.3150  CO2  =  85.48%  C 
0.1302  H2O  =  14.40  „    H 

Berechnet  für  Gefunden 

C9H20       C10H22       C9H18       C10H20 
C        84.34        84.47        85.68        85.72        .     .    .        85.48 
H        15.66        15.53        14.32        14.28        .     .     .        14.40 

Die  Dampfdichtebestimmung  ergab : 

0.0512  Gr  lieferten  9.8  ccm  V  bei  17°  und  751mm  B. 


sirt 


Berechnet  für  Gefunden 


C9  H20      C10  H22       C9  Hi8       C10  H20 

2 
D  =  4.43  4.91  4.36  4.84  4.45 

Die  analytisch  gefundenen  Daten  schließen  demnach  für  den  Koh- 
lenwasserstoff die  Formeln  C9  H20  und  C10H22  aus,  nach  den  Dampf- 
dichtebestimmungen wäre  weiter  die  Formel  C9H18  wahrscheinli- 
cher als  C10H20.  Für  die  Formel  C9H18  spricht  auch  der  niedrige 
Siedepunkt  der  Verbindung  (c.  135°)  und  das  specif.  Gewicht, 
das  bei  20°  ==  0.773  ermittelt  wurde. 

Der  Brechungsexponent  für  Natriumlicht  wurde  gefunden 

nD  =  1.42491 

Setzt  man  nun  in  die  bekannte  Lorenz' sehe  Formel 

("2-i)p 

(n2  +  2)d 


über  einige  neue  Kohlenwasserstoffe  mit  ringförmiger  Bindung  etc.      305 

den  eben  angegebenen  Wertli  von  nD  ein,  einmal  aber  p  =  126 
(CgHis),  das  andere  Mal  p  =  140  (C10H20),  so  ergiebt  sich  als 
Molecularrefraction  (M) 

für  C9  His  :  M  =  41.66 

für  C10H20  :  M  =  46.29 

Es  würde  aber  verlangen : 

C9  H,8     :  M  =  41.43 


ein  gesättigter  Kohlenwasserstoff 


IS 

C10H20 


'  (     C9  Hl8^ 

ein  ungesättigter  Kohlenwasserstoff  < 

/   Ciohbof 


M  m  46.03 

M  =  43.13 
M  =  47.74 


Der  gefundene  Werth  zeigt  demnach  an,  daß  eine  gesättigte  Ver- 
bindung vorliegt,  die  Bestimmung  des  Refractionswerthes  giebt 
aber  ebensowenig  wie  die  Analyse  sichere  Auskunft  darüber ,  ob 
der  vorliegende  Kohlenwasserstoff  die  Formel  C9H18  oder  C10H20 
besitzt. 

Die  wichtige  Thatsache,  daß  man  es  jedenfalls  mit  einer  völ- 
lig gesättigten  Verbindung  zu  thun  hat,  wird  durch  das  chemische 
Verhalten  des  Kohlenwasserstoffs  ganz  außer  Zweifel  gestellt.  Er 
ist  nicht  im  Stande  Brom  zu  entfärben,  dagegen  entwickelt  er  in 
Berührung  mit  dem  Halogen  alsbald  sehr  lebhaft  Bromwasserstoff- 
gas und  es  entsteht  ein  Substitutionsproduct. 

Diese  Thatsachen  genügen  nun,  um  die  Unrichtigkeit  der  von 
Bamberger  für  das  Campholen  und  die  Campholensäure  entwickel- 
ten Formeln  zu  erweisen.  Aus  Verbindungen,  denen  jene  Formeln 
zukommen,  könnten  als  gesättigte  Reductionsproducte  nur  Kohlen- 
wasserstoffe der  Formel  C9H20  oder  C10H22  entstehen.  Ist  hinge- 
gen im  Campholen  und  in  der  Campholensäure  eine  ringförmige 
Schließung  von  Kohlenstoffatomen  —  etwa  in  der  oben  von  mir 
angegebenen  Weise  —  enthalten ,  so  muß  bei  der  Reduction  der 
Campholensäure,  ganz  der  gemachten  Beobachtung  entsprechend, 
ein  Kohlenwasserstoff  C9H18  oder  C10H20  sich  bilden.  Das  letztere 
wird  der  Fall  sein ,  wenn  die  Carboxyl- Gruppe  der  Säure  bei  der 
Reduction  in  eine  Methylgruppe  CHs  übergeht ,  das  erstere ,  wenn 
die  Säure  bei  der  hohen  während  der  Reduction  herrschenden  Tem- 
peratur gleichzeitig  Kohlensäure  abspaltet. 

Ob  also  dem  neuen  Kohlenwasserstoff  die  Formel  eines  Bi- 
hydrocampholens,  C9  His ,  oder  eines  Bihydromethylcampholens, 
C10H20,  zukommt,  ist  für  die  theoretische  Frage,  die  hier  entschie- 
den werden  sollte,  ganz  gleichgültig.  Jedenfalls  liegt  eben  ein 
neuer  gesättigter  Kohlenwasserstoff  mit  ringförmiger  Bindung  vor, 


306  0tt0  "Wallach, 

dessen  weiteres  Studium  großes  Interesse  beanspruchen    und    auch 
Rückschlüsse  auf  die  Constitution  des  Camphers  erlauben  dürfte. 

Die  eben  beschriebenen  Versuche  sind  im  Gefolge  von  Erfah- 
rungen angestellt  worden,  welche  ich  gelegentlich  anderer  Unter- 
suchungen gesammelt  hatte. 

Vor  einiger  Zeit  habe  ich  den  Nachweis  geliefert ,  daß  eine 
im  Fenchelöl  vorkommende  Verbindung  Cio  Hi6  0 ,  das  Fenchon, 
mit  Campher  isomer  und  auch  in  Hinsicht  auf  fast  alle  ihre  R,e- 
actionen  jener  Verbindung  unmittelbar  an  die  Seite  zu  stellen  ist. 
Auch  aus  dem  Fenchon  läßt  sich  leicht  ein  Oxim  &o  Hi6  NOH  und 
aus  diesem  eine  Nitril-artige  Verbindung,  C9H15CN,  gewinnen. 
Letztere  verseift  sich  sehr  viel  schwerer  als  die  entsprechende 
Campherverbindung.  Es  entsteht  daraus  bei  mehrtägigem  Erwär- 
men mit  alkoholischem  Kali  nur  wenig  Säure  und  ganz  überwie- 
gend das  s.  g.  a-Isoxim  C9  H15  CONH2 ,  dessen  Schmelzpunkt  bei 
114°  liegt.  Nach  einer  neuerlich  gemachten  Beobachtung  verwan- 
delt sich  diese  Substanz  beim  Ermärmen  mit  verdünnter  Schwe- 
felsäure in  eine  isomere ,  schön  krystallisirende ,  erst  bei  137° 
schmelzende  Verbindung,  welche  als  ß-Isoxim  bezeichnet  werden 
soll.  Auch  durch  andere  Säuren  als  Schwefelsäure  kann  man  das 
a-Ixosim  in  das  ß-Ixosim  umwandeln.  Das  ß-Isoxim  krystallisirt 
besonders  gut  aus  Alkohol,  ist  aber  auch  in  Wasser  verhältniß- 
mäßig  löslich.  Er  hat  einen  ausgeprägt  basischen  Character.  Lei- 
tet man  in  seine  ätherische  Lösung  Salzsäuregas,  so  fällt  ein 
Chlorhydrat  aus,  welches  mit  Platinchlorid  ein  Doppelsalz  scheint 
geben  zu  können.  Beim  Kochen  mit  alkoholischem  Kali  oder  mit 
Säuren  wird  das  ß-Ixosim  nicht  leichter  angegriffen  als  das  a-Iso- 
xim.  Erwärmt  man  es  aber  mit  Phosphorsäure- Anhydrid,  so  wird 
Wasser  abgespalten  und  es  entsteht  ein  Oel  von  den  Eigenschaf- 
ten des  aus  dem  a-Oxim  unter  dem  Einfluß  selbst  verdünnter 
wäßriger  Säuren  sich  so  leicht  bildenden  nitrilartigen  Körpers. 

Von  Wichtigkeit  war  es  zu  wissen,  ob  bei  dem  Uebergang 
von  Fenchon  in  das  a-  und  ß-Isoxim  sich  vielleicht  eine  ganz 
durchgreifende  Aenderung  der  Atomconfiguration  im  Molecül  voll- 
zogen habe.  Um  darüber  Aufschluß  zu  erhalten,  wurde  das  ß-Iso- 
xim  in  schwefelsaurer  Lösung  mit  Kaliumpermanganat  oxydirt. 
Als  Oxydationsproduct  wurde  eine  reichliche  Menge  Dimethylma- 
lonsäure  gewonnen,  also  dieselbe  Säure,  welche  nach  früheren  Ver- 
suchen auch  bei  der  Oxydation  des  Fenchon  selbst  entsteht. 

Die  bezüglich  der  Umwandlungsfähigkeit  des  a-Fenchon-Iso- 
xims  in  die  ß- Verbindung  gemachten  Erfahrungen  haben  beiläufig 


über  einige  neue  Kohlenwasserstoffe  mit  ringförmiger  Bindung  etc.      307 

Veranlassung  gegeben ,  auch  das  Iso-Campheroxim  nach  dieser 
Richtung  zu  untersuchen.  Beim  Kochen  der  letztgenannten  Ver- 
bindung mit  verdünnter  Schwefelsäure  wurden  bisher  aber  nur 
ölförmige  Producte  erhalten. 

Wenn  es,  wie  erst  bemerkt,  auch  Schwierigkeiten  bietet,  das 
aus  dem  a-Oxim  des  Fenchons  entstehende  Anhydrid  C9H15CN  zu 
verseifen ,  so  gelingt  doch  immerhin  bei  tagelangem  Kochen  mit 
alkoholischem  Kali  eine  theilweise  Ueberführung  in  die  Fencholen- 
säure  C9H15COOH.  Der  Versuch,  aus  dieser  durch  Kohlensäure- 
Abspaltung  glatt  das  Fencholen  C9H16  darzustellen,  hat  bisher 
nicht  ganz  den  gewünschten  Erfolg  gehabt,  da  ein  Gemenge  zwi- 
schen weiten  Grenzen  siedender  Kohlenwasserstoffe  erhalten  wurde. 
Hingegen  ließ  sich  sehr  scharf  der  Nachweis  führen,  daß  die  Fen- 
cholensäure  eine  ungesättigte  Säure  ist.  Sie  addirt  nämlich  Ha- 
logenwasserstoffsäure und  geht  dabei  in  krystallisirte  Producte 
über.  Die  Hydrochlorfencholen  säure,  C10H16CICO2H,  schmilzt  bei 
97°  —  98°,  giebt  in  Berührung  mit  Alkali  aber  leicht  wieder  Salz- 
säure ab,  unter  Rückbildung  der  flüssigen  Fencholensäure. 

Beim  Erhitzen  mit  Jodwasserstoffsäure  und  Phosphor  wird 
die  Fencholensäure,  ebenso  wie  die  Campholensäure ,  leicht  redu- 
cirt  und  in  einen  Kohlenwasserstoff  übergeführt,  dessen  Haupt- 
menge zwischen  138°  — 145°  siedete.  Zur  näheren  Untersuchung 
gelangte  eine  zwischen  141° — 142°  siedende  Fraction,  deren  Ana- 
lyse folgende  Werthe  ergab  : 

0.1335  Gr  gaben  0.4191  C02  =  85.62  %  C 
0.1726  H2O  =  14.40  „    H 

0.1395     „      „       0.4368  C02  =  85.40  „    C 
0.1788  H2O  =  14.28  „   H 

0.1368    „      „       0.4284  C02  =  85.41  n    C. 

Bei  einer  Dampfdichtebestimmung  lieferten 

0.048  Gr  Substanz  9.4  cem  V  bei  18°  und  748mm  B, 
woraus  sich  ergiebt 

D  =  4.38. 

Das  speeif.  Gewicht  des  flüssigen  Kohlenwasserstoffs  wurde 
bei  20°  =  0.7900  gefunden,  als  Brechungsexponent 

nD  =  1.43146. 

Die  analytischen  Werthe  zeigen  eine  große  Uebereinstimmung 
mit  denjenigen,  welche  für  das  Reductionsproduct  aus  Campholen- 
säure ermittelt  wurden.     Auch  die  Siedepunkte  der  aus   den  ana- 


308  0tt0  Wallach, 

logen  Säuren  gewonnenen  Kohlenwasserstoffe  stimmen  überein. 
Nur  das  specifische  Gewicht  der  Verbindung  der  Fenchonreihe 
liegt  etwas  höher.  Daß  die  Ursache  dafür  in  zufälligen  Verun- 
reinigungen gesucht  werden  müßte,  ist  nicht  wahrscheinlich.  Eher 
wäre  wohl  anzunehmen,  daß  hier  ein  Gemenge  eines  Kohlenwas- 
serstoffs C9H18  mit  dem  höheren  Homologen  C10H20  vorliegt,  da, 
wie  erst  auseinander  gesetzt  wurde,  beide  Kohlenwasserstoffe  aus 
der  Säure  C9H15CO2H  sich  bilden  können.  Die  Entscheidung  die- 
ser Frage  muß  zukünftigen  Untersuchungen  überlassen  bleiben. 
Für  den  Augenblick  ist  noch  der  Versuch  angestellt  worden,  ob 
man  nicht,  direct  von  dem  Nitril  C9H15CN  ausgehend,  ebensogut 
zu  dem  Kohlenwasserstoff  gelangen  könne,  als  wenn  man  erst  das 
Nitril  in  die  schwerer  zugängliche  Säure  überführt.  Zu  dem 
Zweck  wurde  die  durch  "Wasserabspaltung  aus  dem  Fenchonoxim 
gewonnene  Verbindung  mit  Jodwasserstoffsäure  und  Phosphor  er- 
hitzt. Aus  dem  Reactionsproduct  konnte  leicht  ein  Kohlenwasser- 
stoff isolirt  werden,  der  dem  erst  beschriebenen,  aus  Fencholensäure 
erhaltenen,  sehr  ähnelt.  Die  Hauptmenge  siedete  von  135°— 145°. 
Von  Einzelfractionen  zeigte  die  von  136° — 138°  siedende  ein  spe- 
cif.  Gewicht  =  0.775  bei  18°,  die  vom  Siedepunkt  140°  — 142°  ein 
specif.  Gewicht  =  0.7785  bei  19°.  Auch  hier  könnte  also  ein  Ge- 
menge von  Kohlenwasserstoffen  vorliegen,  falls  die  Schwankungen 
im  specif.  Gewicht  nicht  einer  Verunreinigung  durch  Jod-haltige 
Verbindungen  zuzuschreiben  sind. 

Ob  das  aus  der  Fencholensäure  durch  Reduction  dargestellte 
Product  die  Formel  C10H20  oder  C9H18  besitzt,  ist  noch  nicht 
sicher  zu  entscheiden  gewesen.  Man  mußte  aber  einen  gesättigten 
Kohlenwasserstoff  C10H20  aus  dem  Fenchon  jedenfalls  auch  in  an- 
derer Weise  herstellen  können,  durch  Reduction  nämlich  des  Fen- 
chylalkohols  oder  des  Fenchons  selbst.  Die  entsprechenden  Ver- 
suche hat  nun  auf  meine  Veranlassung  Hr.  Wicke  angestellt, 
Sie  sollen  hier  nicht  eingehender  beschrieben  und  nur  erwähnt 
werden,  daß  der  aus  dem  Fenchylalkohol  C10H17OH,  durch  Ee- 
duction  sehr  leicht  entstehende  gesättigte  Kohlenwasserstoff  C10H20 
folgende  Eigenschaften  hat : 

Siedepunkt  =  160°— 465°,    specif.  Gewicht  ==  0,7945  bei  22°, 

Brechungsexponent  nD  =  1.43701  bei  22°. 
Der  Siedepunkt  dieses  Kohlenwasserstoffs  liegt  also  um  etwa  25° 
höher  als  die  Siedepunkte  der  aus  der  Fencholensäure  und  Cam- 
pholensäure  gewonnenen  Verbindungen.  Entsprechend  höher  ist 
auch  das  specifische  Gewicht.  Man  hat  es  demnach  unzweifelhaft  mit 
ganz  verschiedenartigen  Producten  zu  thun.      Bei   directer  Reduc- 


über  einige  neue  Kohlenwasserstoffe  mit  ringförmiger  Bindung  ete.      309 

tion  des  Fenchons  entsteht  ein  Kohlenwasserstoff,  der  dieselben 
physikalischen  Eigenschaften  besitzt,  wie  der  zuletzt  beschriebene. 

Auf  einen  noch  anderen  Wege,  den  ich  in  Gemeinschaft  mit 
Herrn  A.  Berkenheim  aus  Moskau  eingeschlagen  habe ,  ist  es 
gelungen  zu  einem  weiteren  isomeren  gesättigten  Kohlenwasser- 
stoff C10H20  zu  gelangen. 

Pinenhydrochlorid ,  C10H17CI,  wurde  mit  Jodwasserstoff  und 
Phosphor  auf  200°  erhitzt,  das  Reactionsproduct  durch  Destillation 
mit  Wasserdampf,  Waschen  mit  Alkali  und  Trocknen  mit  metalli- 
schem Natrium  gereinigt  und  dann  sorgfältig  fractionirt.  Die 
Hauptmenge  siedete  von  162°  —  163Q.  Von  einem  genau  bei  162° 
übergehenden  Antheil  wurden  Analysen  ausgeführt  und  die  phy- 
sikalischen Constanten  bestimmt. 

0.1334  Gr  Substanz  lieferten  0.11397  C02  =  85.46%  C 

0.1740    H20  =  14.46  „  H 

0.2784    „  „  „        0.8579    C02  =  85.77  „    C 

0.3584    H20  =  14.30  „  H. 

Für  C10H20  berechnet  sich  C  =  85.72%,  H  =  14.28%. 

0.0547  Gr  lieferten  bei  der  Dichtebestimmung  9,6  ccm  V,  bei 
17°,2  und  751mm  B.  D  =  4.86,    berechnet  =  4,83. 

Das  specifische  Gewicht  ergab  sich  zu  0,795  bei  20°,  der 
Brechungsexponent  nD  --  1.43703  bei  20°;  berechnet  M  =  46,03, 
gefunden  =  46.13. 

Die  physicalischen  Eigenschaften  stimmen  demnach  für  die 
beiden  aus  dem  Fenchon  und  aus  dem  Pinen  erhaltenen  Kohlen- 
wasserstoffe C10H20  sehr  nahe  überein  und  beide  weichen,  na- 
mentlich in  den  Siedepunkten,  erheblich  von  den  aus  Fencholen- 
säure  und  Campholensäure  erhaltenen  ab. 

Alle  neu  beschriebenen  Kohlenwasserstoffe  sind  gesättigt  und 
müssen  daher  ihrer  Zusammensetzung  gemäß  eine  ringförmige  Ver- 
knüpfung von  Kohlenstoffatomen  enthalten.  Sie  sind  selbst  in  der 
Wärme  durch  Kaliumpermanganat  ganz  ungemein  schwer  oxydir- 
bar.  Brom  wirkt  substituirend.  Rauchende  Salpetersäure  ist  in 
der  Kälte  ohne  Wirkung,  erst  beim  Erhitzen  erfolgt  lebhafte 
Reaction. 

Eine  nähere  Erforschung  des  chemischen  Verhaltens  der  hier 
vorliegenden  neuen  Verbindungen  wird  den  Gegenstand  weiterer 
Arbeiten  bilden. 


310 


Bei  der  Kgl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  einge- 
gangene Druckschriften. 


Man  bittet  diese  Verzeichnisse  zugleich  als  Empfangsanzeigen  ansehen  zu  wollen. 


August,  September  und  Oktober  1890. 

(Fortsetzung.) 

Archivum  Räköczianum.     Sectio  1.    Tom.  X.    Ebd.  1889. 

Oväry  Lipöt:  A  törtenelmi  bizottsägänak  oklevel-mäsolatai.  (Abschriften  der 
Urkunden  der  historischen  Conimission  d.  Ungar.  Akad.).     Füz.  I.     Ebd.  1890. 

Archaeologiai  Ertesitö.  (Archäolog.  Anzeiger.  Neue  Folge).  IX.  Köt.  3.— 5.  Szäm. 
X.  Köt.    1.  2.  Szäm.     Ebd.  1889.  90. 

Termeszettudomänyi  l^rtekezesek.  (Naturwissenschaft!.  Abhandlungen).  XVIII. 
Köt.    6.  7.  Szäm.     XIX.  Köt.  1.— 10.  Szäm.     Ebd.  1889.  90. 

Mathematikai  jßrtekezesek.  (Mathematische  Abhandlungen).  XIV.  Köt.  2.  3.  Szäm. 
Ebd.  1889. 

Mathematikai  es  termeszettudomänyi  Ertesitö.  (Mathematischer  und  naturwis- 
senschaftl.  Anzeiger).  VII.  Köt.  4/5.  6/7.  8/9.  Szäm.  TOI.  Köt.  1.  2.  3/4/5. 
Szäm.     Ebd.  1889.  90. 

Mathematikai  es  termeszettudomänyi  Közlemenyek.  (Mathematische  und  natur- 
wissenschaftl.  Mittheilungen).    XXIII.  Köt.  4.  Szäm.     Eb  i.  1889. 

A  magyar.  Tud.  Akademia  kiadäsäban  megjelent  munkäk  es  folyöiratok  betö- 
rendes czim-  es  tartalomjegyzeke.  1830 — 1889.  (Alphabetische  Zusammenstel- 
lung der  Werke,  welche  im  Verlage  der  Ungar.  Akad.  der  Wissenschaften  er- 
schienen sind.    1830—1889).     Ebd.   1890. 

Mathematische  und  naturwissenschaftliche  Berichte  aus  Ungarn.  VII.  Bd.  Ber- 
lin u.  Budapest  1890. 

Aoyodociu  rwv  xcträ  tu  xd'  hoq  yivofiivoiv  (1888 — 1889)  vnb  2.  Mnakavov.  *Kv 
U^vcttg  1890. 

November  1890. 

Sitzungsberichte  der  Kön.  Pr.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin.    XLL  XLII 

u.  XL1II.  1890. 
Sitzungsberichte    der   philos.-philol.-  u.  historischen  Classe    d.  k.  B.  Akademie  d. 

Wissensch.  zu  München.  1890.  Bd.  II.  Heft  IL 
Berichte  über   die  Verhandlungen  d.  K.  Sachs.  Gesellsch.  d.  Wissensch.  zu  Leip- 
zig.    Philologisch  historische  Classe.  1890.  I.     Leipzig.  1890. 
Deutsches  Meteorologisches  Jahrbuch  für  1888.     Beobachtungssystem  des  Königr. 

Sachsen.      Bericht    über  die  Thätigkeit  im  K.  sächsischen    meteorol.  Institut  f. 

d.  J.  1888.    IL  Hälfte  oder  Abth.  III  des  Jahrbuches  des  König],  sächs.  meteo- 

rolog.  Inst.    VI.  Jahrg.  1888.    Chemnitz  1890. 
Zeitschrift   für    Naturwissenschaften.      63.  Band.     (5.  Folge    1.  Band).     4/5    Heft. 

Halle-Saale  1890. 
Mitteilungen  der  Pollichia.    XL VII.  Jahresbericht   1888.    Nr.  1/2.   XLVIII.  Jahres- 

ber.  1889/90.  Nr.  3.4.     Dürkheim  a/H. 
Leopoldina.   Heft  XXVI.  Nr.  19-20.     Oktober  1890.    Halle  a/S. 
Sitzungsberichte  der  Naturforschenden  Gesellschaft  zu  Leipzig.     15.  u.  16.  Jahrg. 

1888/1889  u.  1890.  (Bis  Febr.).     Leipzig  1890. 
(Fortsetzung  folgt.) 

Inhalt  von  Nr.  9. 
Frans  Meyer,  über  ein  Trägheitsgesetz  für  algebraische  Gleichungen.  —  Otto  Bürger,  vorläufige  Mitthei- 
lungen über  Untersuchungen  an  Nemertinen  von  Neapel.  —    Otto   Wallach,   üher  einige  neue  Kohlenwas- 
serstoffe mit  ringförmiger  Bindung  der  Kohlenstoffatome.    —  Eingegangene  Druckschriften. 

Für  die  Redaction  verantwortlich:  E   Sauppe,  Secretar  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 
Commissions-Verlag  der  Dieterich' sehen    Verlags- Buchhandlung. 
Druck  der  Dieterich' sehen  Univ.- Buchdrucker  ei  (W.  Fr.  Kaestnei). 


Nachrichten 

von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

imd  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu   Göttingen. 


23.  December.  Jfä  ]0.  1891 


Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  5.  December. 

Riecke   spricht  zum  Gedächtniß  von  Wilhelm  Weber. 

Wieseler  kündigt  einen  Aufsatz  „über  Stierdienst"  an. 

Voigt  legt    a.  einen  Aufsatz  von  den  Herrn  Prof.  W.  Nernst   und  Herrn  Pri- 

vatdocenten  Dr.  P.  Drude  vor :   „über  die  Fluorescenzwirkungen  stehender 

Lichtwellen". 

b.  einen  Aufsatz  von  Herrn  Dr.  A.  Sella   in   Rom    „Beitrag   zur   Kenntniß 

der  specifischen  Wärme  der  Mineralien". 
Klein  legt  vor  a.  eine  Mittheilung  von  Herrn  Prof.  Dr.  G.  Frobenius  in  Zü- 
rich, Korrespondenten  der  Math.  Klasse :  „über  Potentialfunctionen,  deren  Hes- 

sesche  Determinante  verschwindet". 

b.  einen  Aufsatz   von  Herrn  Privatdocenten  Dr.  Schönflies:    „Bemerkung 

zu  Huberts  Theorie  der  algebraischen  Formen". 
Bericht  des  Beständigen  Sekretärs  über  das  J.  1891. 


Beitrag  zur  Kenntniß  der  specifiscben  Wärme 
der  Mineralien. 

Von 
Alfonso  Sella  in  Rom. 

Einleitung.  —  Nur  gering  ist  die  Zahl  der  physikalischen 
Eigenschaften  der  Mineralien,  welche  mit  unseren  jetzigen  Beob- 
achtungsmitteln genauen  Messungen  unterworfen  werden  können. 
Obwohl  nun  die  Bestimmung  der  specifischenWärme  für  die 
meisten  Mineralien  durchführbar  ist,   liegen  doch  noch  verhältniß- 

NachrichUn  von  d.  K.  G.  d.  W.  in  Göttingen.    1891.    Nr.  10.  23 


312  Alfonso  Sella, 

mäßig  wenige  Beobachtungen  darüber  vor  und  die  bezüglichen 
Data  werden  in  der  Mehrzahl  der  Lehrbücher  der  Mineralogie 
nicht  einmal  angegeben;  so  geringes  Interesse  wurde  daran  ge- 
knüpft. 

Die  erste  und  größte  Schwierigkeit,  welche  bei  der  Bestim- 
mung der  spec.  Wärme  sich  darbietet,  liegt  in  der  Beschaffung 
eines  reinen  Materials.  Dabei  stellen  sich  als  bedenklich  heraus 
nicht  bloß  die  mikroskopischen  Einschlüsse,  welche  nicht  zu  ent- 
fernen sind  und  doch  niemals  fehlen,  sondern  auch  die  makrosko- 
pischen, deren  Nichtvorhandensein  in  opaken  Mineralien  schwer 
festzustellen  ist,  da  das  Untersuchungsmaterial  in  nicht  zu  kleinen 
Stücken  angewandt  werden  muß ,  damit  nicht  andrerseits  wegen 
der  Beobachtungsmethode  neue  Fehlerquellen  eintreten,  welche 
das  Resultat  noch  mehr  beeinflussen  könnten.  Bei  den  vielen  Mi- 
neralclassen,  bei  welchen  Isomorphismus  auftritt,  wäre  ferner  eine 
directe  chemische  Analyse  des  untersuchten  Materiales  sehr  er- 
wünscht. Die  chemische  Zusammensetzung  nämlich  ist  zweifellos 
in  erster  Linie  bestimmend  für  die  specifische  Wärme ,  da  die 
über  die  Aenderung  der  letzteren  mit  der  physikalischen  Beschaf- 
fenheit der  Mineralien  angestellten  Untersuchungen  diese  Aenderung 
als  ziemlich  gering  erweisen.  Ich  will  hierfür  nur  die  bekannten 
Beispiele  von  Pyrit  und  Strahlkies,  Kalkspath  und  Aragonit,  Rutil 
und  Brookit1)  anführen. 

Die  subtilen  Speculationen  von  Joly  (On  the  specific  heat  of 
Minerals.  Proc.  Royal  Soc.  Vol.  XLI,  1886)  über  einige  Variatio- 
nen der  spec.  Wärme  bei  chemisch  und  krystallographisch  durch- 
aus identischen  Mineralien  beziehen  sich  auf  zu  wenige  Fälle,  als 
daß  ihnen  eine  allgemeine  Bedeutung  beigelegt  werden  könnte; 
außerdem  würde  es  schwer  zu  erklären  sein,  wie  in  Körpern,  die 
in  den  übrigen  chemischen  und  physikalischen  Eigenschaften  über- 
einstimmen, die  Molekeln  eine  verschiedene  „ thermische  Freiheit" 
(nach  der  Joly' sehen  Ausdrucksweise)  besitzen  könnten. 

Großes  Interesse  würde  die  Bestimmung  der  speeifischen 
Wärme  bei  verschiedenen  Temperaturen  darbieten;  die  sehr  be- 
deutenden Aenderungen,  welche  in  dieser  Hinsicht  für  die  Ele- 
mente Kohlenstoff,  Bor,  Silicium  und  Beryllium  gefunden  worden 
sind ,  führen  uns  zur  Vermuthung ,  daß  etwas  ähnliches  auch  bei 
zusammengesetzten  Körpern  stattfinden  könnte.  Vielleicht  mag 
dadurch   ein  Theil   der  Abweichungen   der   von   verschiedenen  Be- 

1)  Ich  habe  mich  durch  besondere  Bestimmung  überzeugt,  daß  Anatas  (gelbe 
Krystalle  vom  Binnenthal)  denselben  Werth  wie  die  beiden  anderen  Modifikatio- 
nen von  TiO,  liefert. 


Beitrag  zur  Kenntniß  der  specifischen  Wärme  der  Mineralien.  313 

obachtern  angegebenen  Werthe  zn  erklären  sein.  Jedenfalls  ist 
es  zn  bedauern,  daß  so  wenige  Untersuchungen  in  dieser  Richtung 
vorliegen. 

Ich  habe  im  physikalischen  Institut  zu  Göttingen  während 
des  Winters  1889/90  die  specifische  Wärme  einer  Reihe  von  Mi- 
neralien aus  der  Classe  der  Sulfide  bestimmt  und  werde  die  er- 
haltenen Werthe  vom  Gesichtspunkt  des  Wo estyn' sehen  Ge- 
setzes discutiren.  Leider  hat  die  Bestimmung  der  spec.  Wärme 
als  Unterscheidungsmerkmal  für  die  hier  in  Betracht  kom- 
menden Mineralien  einen  geringen  Werth ,  da  die  Differenzen  zwi- 
schen den  den  verschiedenen  Mineralien  zukommenden  Werthen 
oft  so  gering  sind ,  daß  sie  bei  einer  approximativen  Bestimmung 
nicht  zu  Tage  treten,  und  andererseits  eine  Bestimmung  von  der 
erforderlichen  Genauigkeit  umständliche  Vorarbeiten   verlangt.  — 

Beschreibung    der  Beobachtungsmethode. 

Die  Bestimmungen  wurden  nach  der  Mischungsmethode  ausge- 
führt ;  ich  werde  hier  über  den  Apparat  und  die  Beobachtungsme- 
thode nur  dasjenige  berichten,  was  mir  als  neu  einiges  Interesse 
zu  haben  scheint. 

Der  angewandte  Erhitzungs- Apparat  ist  im  Wesentlichen  mit 
dem  ;;N e um ann' sehen  Hahn"  identisch,  von  welchem  er  sich  in- 
sofern unterscheidet,  daß  statt  des  inneren  Kegels  der  äußere 
Mantel  beweglich  ist.  Der  Raum,  in  welchen  der  zu  erwärmende 
Körper  hineingebracht  wird,  ist  von  einem  verticalen  Cylinder1) 
begrenzt,  welcher  den  inneren  Kegel  durchbricht.  Die  Einfüllung 
der  zu  untersuchenden  Stücke  geschieht  dadurch  leichter  als  bei 
der  alten  Einrichtung :  man  braucht  dazu  nur  den  äußeren  Mantel 
so  weit  zu  drehen,  bis  seine  Oeffnung  auf  die  obere  Oeffnung 
des  verticalen  Cylinders  zu  liegen  kommt.  Die  untere  Oeffnung 
des  Cylinders  ist  mit  einer  Klappe  versehen,  welche  den  Körper 
vor  dem  Fett  schützen  soll,  mit  welchem  man  die  zwei  Kegelflä- 
chen schmieren  muß,  damit  sie  dampfdicht  auf  einander  gleiten. 

Es  wurde  ferner  versucht,  eine  Fehlerquelle  zu  eliminiren, 
welche  in  der  That  ziemlich  bedeutend  erscheint.  Wenn  nämlich 
auch  die  Fallhöhe  des  Körpers  bis  ins  Calorimeter  gering  ist,  ist 
es  doch  nicht  gänzlich  zu  vermeiden,  daß  der  fallende  Körper  ein 
Ausspritzen  des  Wassers  bewirkt.     Nun  können  die  herausfallen- 


1)  Es  wäre  zu  empfehlen,  statt  eines  Cylinders  einen  nach  unten  sich  ver- 
breitenden Kegel  zu  gebrauchen,  da  sonst  manchmal  die  Stücke  durch  die  Wär- 
meausdehnung sich  klemmen  und  nicht  mehr  herausfallen. 

23'* 


314 


Alfonso   Sella, 


den  Wassertropfen  in  Berührung  mit  dem  Körper  gewesen  sein, 
daher  eine  hohe  Temperatur  angenommen  haben  und  dadurch  ei- 
nen merklichen  Wärmeverlust  verursachen,  welcher  nicht  abge- 
schätzt werden  kann.  Diesen  Nachtheil  zu  vermeiden,  wurde  in 
mancherlei  Weise  versucht.  Ein  Blatt  von  sehr  feinem  Papier 
auf  dem  Wasser  schwimmend  erwies  sich  als  nicht  dazu  geeignet. 
In  der  That  ist  das  Spritzen  meist  nicht  dem  Schlag  des  fallenden 
Körpers  auf  das  Wasser  zuzuschreiben:  die  Stücke  fallen  viel- 
mehr auf  das  Papier  und  sinken  wie  in  einem  Sack  unter;  das 
Wasser  stürzt  herum  um  den  hinterlassenen  Luftraum  zu  erfüllen 
und  an  der  Spitze  des  dabei  entstandenen  Wasserbergs  nimmt  es 
eine  sehr  große  Geschwindigkeit  an,  welche  das  Spritzen  verur- 
sacht. Aus  anderen  Gründen  erwies  es  sich  nicht  als  zweckmäßig, 
ein  feines  metallisches  Drahtnetz  dicht  auf  der  Oberfläche  durch 
Korkstücken  schwimmen  zu  lassen,  welches  durch  ein  geringes 
Uebergewicht  untersinken  sollte. 

Die    endgültig    angewandte    Einrichtung    war    die     folgende, 
welche  aus  der  beigegebenen  Figur  leicht   verständlich   sein  wird. 


<^ 


Die  Gabel  G  trägt  durch  die  3  Spitzen  A,  B,  C  ein  Körb- 
chen ,  dessen  Wand  aus  feinem  Kupferblech  und  dessen  Boden 
aus  Drahtnetz  besteht.  Die  Gabel  allein  stützt  sich  auf  den  Rand 
des  Calorimeters  und  das  Drahtnetz  liegt  dicht  über  der  Ober- 
fläche des  Wassers.  Sobald  nun  der  Körper  in's  Körbchen  ge- 
fallen ist,  wird  die  Gabel  in  der  Richtung  des  Pfeiles  zurückge- 
zogen. Das  frei  gewordene  Körbchen  sinkt  alsdann  mit  dem  Kör- 
per ins  Wasser. 

Freilich  bleibt  eine  gewisse  persönliche  Unsicherheit  bei  der 
Aufgabe,  die  Gabel  genau  in  dem  Augenblick  zu  verschieben,  in 
welchem  der  Körper  gefallen  ist;  und  es  entsteht  dadurch  in  der 
That  eine  Fehlerquelle  in  der  Operation,    da  eine  genaue  Correc- 


Beitrag  zur  Kenntniß  der  specifischen  Wärme  der  Mineralien.         315 

tion  nicht  möglich  ist.  Da  aber  die  verschiedenen  mit  derselben 
Substanz  erhaltenen  Werthe  untereinander  und  in  besonderen  dazu 
ausgewählten  Fällen  mit  den  von  anderen  Beobachtern  angegebe- 
nen in  befriedigender  "Weise  übereinstimmen,  so  scheint  ein  stö- 
render Einfluß  ausgeschlossen  zu  sein. 

Das  Calorimeter  wurde  mittelst  seitlich  befestigter  Seidenfa- 
den aufgehängt  und  mit  einer  metallischen  polirten  Hülle  umge- 
ben, welche  sich  als  vollkommen  genügend  erwies,  um  die  äußere 
Strahlung  abzuhalten. 

Ein  Vortheil  scheint  mir  auch  die  Einrichtung  zur  Umrührung 
des  Wassers  zu  sein,  welche  aus  einer  kleinen  im  Calorimeter  be- 
findlichen Turbine  besteht,  die  von  einer  anderen  durch  die  Wasser- 
leitung getriebenen  Turbine  mittelst  eines  Transmissionsfadens  in 
Bewegung  gesetzt  wird.  Der  Abstand  zwischen  den  beiden  Tur- 
binen betrug  etwa  2  m :  dadurch  war  ermöglicht ,  daß  die  Be- 
wegung auch  stattfinden  konnte,  während  das  Calorimeter  unter 
den  Hahn  und  zurück  gebracht  wurde.  Diese  Einrichtung  ermög- 
licht zweifellos  die  vollkommenste  Umrührung,  wie  durch  die  sehr 
regelmäßige  Wärmeabgabe  des  Körpers  an  die  Flüssigkeit  erwie- 
sen wurde;  es  zeigten  sich  dabei  nicht  jene  Temperaturschwan- 
kungen, welche  sonst  stattfinden,  je  nachdem  eine  Welle  von  hei- 
ßem oder  kaltem  Wasser  mit  dem  Thermometer  in  Berührung 
kommt.  Außerdem  bildet  sich  das  thermische  Gleichgewicht  zwi- 
schen Körper  und  Flüssigkeit  sehr  schnell  aus ;  dies  bewirkt,  daß 
die  Correctionen  wegen  des  Wärmeverlustes  nach  außen  äußerst 
gering  sind  (bei  günstigen  Verhältnissen  der  anfänglichen  Tempe- 
ratur des  Wassers  und  der  Zimmertemperatur  erreichten  diese 
kaum  0,02  Grad) ;  ferner  waren  dieselben  gleich ,  je  nachdem  die 
eine  oder  die  andere  der  dazu  vorgeschlagenen  Correctionsmetho- 
den  gebraucht  wurde. 

Es  sei  mir  gestattet,  an  dieser  Stelle  eine  Bemerkung  über 
diese  Correctionen  zu  machen.  Die  sämmtlichen  Correctionsmetho- 
den,  welche  man  nach  der  K^gnault' sehen  und  der  Neumann'- 
schen  classificiren  kann ,  beruhen  auf  der  Annahme ,  daß  die  Flüs- 
sigkeit überall  dieselbe  Temperatur  besitze,  d.  h.  daß  das  Ther- 
mometer genau  die  Temperatur  der  ausstrahlenden  Oberfläche 
zeige.  Da  dies  schwer  ohne  eine  sehr  vollkommene  Umrührung 
der  Fall  sein  kann,  so  folgt,  daß  die  Correctionen,  die  man  ange- 
bracht hat,  oft  illusorisch  gewesen  sein  müssen.  Ich  kann 
daher  nicht  genügend  die  Anwendung  der  Turbine  empfehlen. 

Das  oben  besprochene  Körbchen  konnte  nur  bis  etwa  auf  die 
Mitte  der  Höhe  des  Cnlorimeters  sinken,  da  dort  zwei  horizontale 


316  Alfonso  Sella, 

Kupferdrähte  von  einer  Seite  der  Wand  des  letzteren  zur  ande- 
ren gezogen  waren.  Das  Thermometer  lag  mit  seinem  Quecksil- 
bergefäß unmittelbar  darunter  und  war  mittelst  eines  Korkes  ho- 
rizontal befestigt,  Die  bewegte  Flüssigkeit  strömte  vom  Körper 
zum  Thermometer,  also  von  oben  nach  unten,  während  sie  im  Tur- 
binenrohr emporgehoben  wurde. 

Das  Thermometer  wurde  durch  ein  Fernrohr  abgelesen ,  und 
die  Zeit  der  Ablesungen  nach  einer  Uhr,  welche  15  Sekunden  schlug, 
notirt.  Das  Thermometer  (von  Müller  in  Bonn)  war  in  Zehntel 
Grade  getheilt  und  corrigirt. 

Während  sich  das  Calorimeter  unter  dem  Hahn  befand,  wurde 
es  vor  der  Strahlung  des  Hahnes  durch  einen  doppelwandigen 
kupfernen  Schirm  geschützt.  Der  Körper  wurde  mehrere  Stunden 
im  Hahn  gelassen ,  obwohl  ich  mich  durch  besondere  Versuche 
überzeugt  hatte ,  daß  >  der  Körper  eine  constante  Temperatur  viel 
früher  annahm.  Es  wurde  angenommen ,  daß  die  Mineralstücke, 
welche  ja  direct  in  Berührung  mit  den  allseitig  von  Wasserdampf 
umgebenen  Wänden  standen,  dann  die  Temperatur  des  Dampfes, 
also  die  dem  herrschenden  Luftdruck  entsprechende  Siedetempera- 
tur des  Wassers,  besaßen. 

Die  anfängliche  Temperatur  des  Calorimeters  war  ungefähr 
10°;  demnach  sind  die  gefundenen  specifischen  Wärmen  die  Mit- 
telwerthe  für  das  Intervall  von  10  bis  100°.  Das  Wasseräquiva- 
lent  des  gefüllten  Calorimeters  nebst  Körbchen ,  Turbine ,  sowie 
Thermometerkugel  betrug  durchschnittlich  circa  114  gr. 


Beobachtungsresultate. 

Manganblende  von  Nagyag,  Siebenbürgen.  Derbe  krystalli- 
nische  Stücke  von  unebenem  Bruch;  eisenschwarz.  Mittel  aus  4 
Versuchen  (angewandte  Menge  16  bis  36  Gramm) :  c  =  0,1392. 

Arsenhies  von  Freiberg  in  Sachsen.  Isolirte  Krystalle  [(HO), 
(014),  auch  Zwillinge]  lichtstahlgrau ,  mit  kleinen  fremden  Ein- 
schlüssen,  c  =  0,1030. 

Arseneisen  von  Breitenbrunnen  in  Sachsen.  Derbe,  etwas  stän- 
gelige  Stücke:  zinnweiß,  'von  Epidot  durchwachsen.  Mittel  aus  3 
Versuchen  (angew.  Menge  Gr.  51  bis  61) :  c  =  0,0864. 

Kobaltglans  von  Tunaberg  in  Schweden.  Isolirte  Krystalle 
[(111),  (110)].  Mittel  aus  4  Versuchen  (angew.  M.  Gr.  30  bis  32): 
c  =  0,0991. 

Speishobalt  von  Schneeberg  in  Sachsen,  Grube  Kurfürst  Wil- 
helm.    Derbe   Stücke,    zinnweiß  bis   blaugrau;    ursprünglich   mit 


Beitrag  zur  Kenntuiß  der  specitischen  Wärme  der  Mineralien.  317 

Kalkspatli  verunreinigt.  Mittel  aus  3  Versuchen  (angew.  M.  Gr. 
43  bis  57) :  c  =  0,0866. 

SpeisJcobalt  von  Frauenbreitungen  in  Sachsen -Meiningen.  Derbe 
krystallinische  zinnweiße  Stücke,  fast  frei  von  Einschlüssen.  Mittel 
aus  3  Versuchen  (angew.  M.  Gr.  34  bis  59):   c  =  0,0830. 

Silberglanz  von  Schneeberg  in  Sachsen,  Grube  Wolfgang  Mas- 
sen. Derbe  krystallinische  Stücke  von  hackigem  Bruch;  schwärz- 
lich blaugrau.  Mittel  aus  4  Versuchen  (angew.  M.  Gr.  15  bis  44) : 
c  =  0,0746. 

Antimonsilber  von  Andreasberg  im  Harz,  Grube  Samson.  Ziem- 
lich große,  prismatische,  längsgestreifte,  unregelmäßig  ausgebildete 
Krystalle ;  silberweiß ;  in  Kalkspath  eingewachsen,  mit  verdünnter 
warmer  Essigsäure  isolirt.  Mittel  aus  5  Versuchen  (angew.  M. 
Gr.  72) :  c  =  0,0558. 

ArsenJcupfer  vom  Loake  Superior,  Nordamerika.  Derbe  Stücke 
von  feinkörnigem  Gefüge,  auf  frischem  Bruch  zinnweiß,  Oberfläche 
leicht  und  stark  anlaufend.  Mittel  aus  3  Versuchen  (Gr.  57  bis 
61) :    c  =  0,0949. 

Bunthupfererz  von  Bristol,  Connecticut.  Derbe  Stücke  von 
der  charakteristischen  Farbe.  Mittel  aus  3  Versuchen  (angew.  M. 
Gr.  53  bis  55) :  c  =  0,1177. 

Boumonit  von  Neudorf  im  Harz.  Bruchstücke  von  großen  Kry- 
stallen  von  stahlgrauer  Farbe  und  muscheligem  stark  glänzendem 
Bruch.  Mittel  aus  3  Versuchen  (angew.  M.  Gr.  20  bis  97) :  c  = 
0,0730. 

Proustit  von  Joachimsthal  in  Böhmen.  Durchscheinende  rothe 
krystallinische  Aggregate.  Mittel  aus  3  Versuchen  (angew.  M. 
Gr.  17) :  c  =  0,0807. 

Pyrargyrit  von  Freiberg  in  Sachsen.  Krystallinische  Aggre- 
gate von  metallischem  Diamantglanz.  Mittel  aus  3  Versuchen 
(angew.  M.  Gr.  27) :   c  =  0,0757. 

id.  von  Andreasberg  im  Harz.  Krystallinische ,  röthlich  ei- 
sengraue Stücke ;  halb  metallischer  Glanz.  Mittel  aus  2  Versu- 
chen (angew.  M.  Gr.  47  bis  81):  c  =  0,0754. 

Fahlerz  von  Clausthal  im  Harz.  Auf  Eisen spath  aufgewach- 
sene Krystalle ,  ursprünglich  mit  Kupferkies  überzogen ,  Bruch 
muschelig ,  eisengrau ,  stark  glänzend.  Mittel  aus  3  Versuchen 
(angew.  M.  Gr.  47) :  c  =  0,0987. 

Enargit  von  Famatina,  Kioja,  Argentinische  Republik,  San 
Pedro  mina.  Krystallinische  stängelige  Aggregate,  bläulich  eisen- 
grau. Mittel  aus  3  Versuchen  (angew.  M.  Gr.  20  bis  31):  c  = 
0,1202. 


318 


Alfon  so   Sellft, 


Zinnkies  von  Whealrock  St.  Agnes.  Com  wall.  Derbe  Stücke, 
Bruch  stahlgrau  und  metallglänzend ;  geringe  Verunreinigungen 
aus  Kupferkies.  Mittel  aus  3  Versuchen  (angew.  M.  Gr.  27) :  c  = 
0,1088. 

Die  Dimensionen  der  angewandten  Stücke  betrugen  bei  den 
meisten  durchschnittlich  '/i  °is  2  Centimeter;  beim  Kobaltglanz 
und  Pyrargyrit  aus  Freiberg  waren  die  Stücke  etwas  kleiner. 

In  einem  einzigen  Falle  habe  ich  eine  freilich  sehr  geringe 
der  Temperatur  zuzuschreibenden  Zersetzung  des  Minerals  beob- 
tet,  und  zwar  beim  Mangansulfid,  welches  die  inneren  Wände  des 
Cy linders  schwarz  anlaufen  ließ. 


Discussion. 


Das  Woestyn'sche  Gesetz: 


Sa, 


oder    c 


2phCA 


drückt  die  spec.  Wärme  c  eines  zusammengesetzten  Körpers  durch 
die  spec.  Wärme  cA,  das  Atomgewicht  ah,  die  Zahl  der  vorhande- 
nen Atome  uh  der  einzelnen  Elemente,  oder  durch  ch  und  die  Pro- 
cente  pk  der  einzelnen  Bestandteile  aus. 

Zur  Berechnung  der  theoretischen  Werthe   nach  jener  Formel 
wurden  folgende  Werthe  zu  Grunde  gelegt. 


As 
Sb 

s 

Bi 

Mo 

Zn 

Mn 

Fe 

Co 

Ni 

Cu 

Pb 

Äg 
Hg 

Sn 

Nach  der  Wo estyn' sehen  Formel  wurde  für  die  obigen  Mi- 
neralien die  spec.  Wärme  berechnet.  Die  chemischen  Analysen 
wurden  aus  der  Mineralchemie  von  .Rammeisberg  entnommen; 
dabei  steht  der  Name  des  betreffenden  Analytikers. 


»» 

<V 

Temp. 

Beobachter. 

74.90 

0,0830 

2°— 68° 

Bettendorff  u.  Wüllner 

119,60 

0,0495 

0—10 

Bunsen 

31,98 

0,1764 

15—97 

Regnault 

207,50 

0,0298 

9—102 

Bede 

95,90 

0,0659 

5—15 

Delarive  u.  Marcet 

64,88 

0,0929 

50 

Naccari 

54,80 

0,1217 

14—97 

Regnault 

55,88 

0,1113 

50 

Naccari 

58,60 

0,1067 

» 

n 

58,60 

0,1090 

;; 

;? 

63,18 

0,0932 

n 

» 

206,39 

0,0304 

7} 

> 

107,66 

0,0556 

V 

;? 

199,80 

0,0331 

» 

7) 

117,35 

0,0545 

0—100 

Bunsen. 

Beitrag  zur  Kenntniß  dei  specifischen  Wärme  der  Mineralien.  319 


Arfvedson 


Stromeyer 

Behnke 

Arzruni 


Behnke 
M'Cay 


Jäckel 
Kobell 
M'Cay 

id/ 

id. 

id. 
Bull 


Grenth 

id. 

id. 
Frenzel 


Bodemann 


Analysen. 
Mang  anblende,  Nagyag. 

S         Mn 
137,9  |62,1  | 

Arsenkies,  Freiberg. 

S         As        Fe 

21,08:42,88136,04 

20,38144,83  34,32 

20,83:44,11135,06 

Arseneisen,  Breitenbrunnen. 
S         As        Sb        Fe 
1,10169,85!  1,0527,41! 
6,73:61,40j   —   31,20| 

Kobaltglanz ,    Tunaberg. 
CoAsS 


Speiskobalt,  Schneeberg. 


S         As        Co        Ni        Fe 
0,4966,06;21,21|    —   11,60 

—  72,08;  9,44  —  18,48 
1,38  71,5318,07  1,02  7,31 
0,73  75,40  3,42J11,90  7,50 
1,32  76,0012,61:  3,05  5,22 
1,80  74,35 13,80'  3,60   5,05 

—  75,85   3,3212,04   6,52 


Cu 

8,41 

0,01! 
0,39! 
0.60! 

1,20 
0,94 


Speiskobalt ,  Frauenbreitungen. 

Silber  glänz ,  Schneeberg. 
AgaS 

Antimonsilber,  Andreasberg. 
Ag8Sb 
Ag8Sb 

Arsenkupfer ,  Lake  Superior. 
As        Cu        Ag 


12,28 
16,72 
29,25 
28,39 


87,48 
82,35 
70,68 
72,02 


0,04 
0,30 


Spec. 
ber. 


Wärmen 
sef. 


0,1424|  0,1392 


0,1129 
0,1119 
0,1124 


0,0915 
0,0982 


0,1030 


0,0864 


0,1094|  0,0991 


0,0919 
0,0905 , 
0,0910 

0,0898^0,0866 
0,0896 1 
0,0905 ] 
0,0899 


—   0,0830 


0,0712|  0,0746 


0,0546 
0,0540 


0,0919 
0,0914 
0,0902 
0,0903 


0,0558 


0,0949 


Buntkupfererz ,   Bristol  (Connecticut) 

S        Cu       Fe 
|25,59|62,64jll,67(  0,1167|    0,1177 


320 


Alfonso  Sella^ 


Bournonil ,   Neudorf 


Rose 

Linding 

Bromeis 

id. 
Rammeisberg 


Rose 


Rethwisch 


Bonsdorff 
Petersen 
Rethwisch 
id. 


Sander 
Schindling 
Rose 
Kuhlemann 


Tschermak 


S 
20,31 
19,63 

18,99 
19,49 
20,15 


Sb  Pb 
26,2840,84 
25,68  41.38 
24,82  40,04 
24,6040,42 
24,54141,83 


Cu 
12,65 
12,68 
15,16 
13,06 
13,48 


Spec 

ber. 
0,0730 ) 
0,0722 
0,0728 
0,0728 
0,0730 ! 


Wärmen 
gef. 


0,0730 


Proustit ,   Joachimsthal. 

S         As        Sb        Ag 

|19,51|15,09|  0,69|64,67| 

Pyrargyrit ,   Freiberg. 

S        Sb        As        Ag 

|17,9B|18,58|  2,62|60,63| 

Pyrargyrit ,  Andreasberg. 


As 


0,0833|    0,0807 


0,0769|    0,0757 


0,0757 
0,07611  0Q754 
0,0756  (  U'U'°4 
0,0769 


0,0989 
0,1016  (00qo7 
0,0999 '    ' 
0,1032 


Enargit,   Sierra  Famatina. 
S         As        Sb       Cn      Fe      Zn     Pb 

|13,80|16,59|2,51|47,75|1,21|0,44|0,70|  0,1158|    0,1202 


S         Sb 
17,78123,26 
17,7022.35 
17,65  22J36 
17,99118,63 


1,01 
3,01 
Fahlere 


Ag 

58,96 

58,03 

59,73 

60,78 


Clausthal. 


s 

Sb 

Ag 

Cn 

Fe 

Zn 

24,10 
25,63 
24,73 
25,54 

26,80 
28,52 
28,24 
27,64 

8,90 
5,13 
4,97 
3,18 

35,70 
33,14 
34,48 
34,59 

4,50 
2,73 

2,27 
6,23 

0,90 
5,77 
5,55 
3,43 

Zinnkies ,    Whealrock  St.  Agnes. 


S 

Sn 

Cn 

Fe 

Cn 

Klaproth 
Kudernatsch 
Mallet 
Rammeisberg 

30,50 
29,95 
29,51 

29,83 

26,50 

25,81 
26,90 
27,34 

30,00 
29,69 
29,23 
29,83 

12,00 

12,57 

6,74 

5,08 

1,79 

7,271 

7,7l| 

0,1104 
0,1110 
0,1086 

0,1084 


0,1088 


Aus  der  vorstehenden  Tabelle  folgt,  daß  das  Woestyn'sche 
Gresetz  ziemlich  gut  der  "Wahrheit  entspricht,  wenigstens  mit  je- 
ner Annäherung,  mit  welcher  ähnliche  physikalische  Gesetze  als 
geltend  angesehen  werden.  In  den  Fällen,  wo  ein  größerer  Werth 
gefunden  worden  ist,    kann  man   wohl  eine   eventuelle  Unreinheit 


Beitrag  zur  Kenntniß  der  specifischen  Wärme  der  Mineralien.  321 

des  Materials  in  Betracht  ziehen,  welche  in  nnserem  Falle,  wo 
wir  es  mit  Sulfiden  .  zn  thun  haben ,  beinahe  stets  auf  eine  Zu- 
nahme des  Werthes  der  spec.  Wärme  führt  (z.  B.  wenn  Oxydation 
oder  Beimengung  von  Grangmineralien,  d.  h.  Silicaten ,  Kalkspath 
etc.  oder  noch  ein  kleiner  Wassergehalt  vorhanden  ist).  Auffal- 
lend kleiner  als  die  berechneten  sind  aber  die  gefundenen  Werthe 
für  Speiskobalt,  Kobaltglanz,  Arseneisen,  Arsenkies.  Stellt  man 
damit  zusammen  den  für  den  Pyrit  von  Jolly  gefundenen  Werth, 
welcher  dem  Regnault' sehen  sehr  nahe  kommt,  so  würde  man 
folgende  Reihe  erhalten: 

FeS2  0,131 

FeAs2  0,0864 

CoAsS  0,0991 

FeCoNi(As6)  0,0866 
FeAsS  0,103. 

Nimmt  man  aber  an ,  daß  dem  Eisen ,  Kobalt  und  Nickel  in  den 
Zusammensetzungen  dieselbe  speeifische  Wärme  wie  im  freiem 
Zustande  zukommt  und  berechnet  aus  den  gefundenen  specifischen 
Wärmen  von  Pyrit  und  Arseneisen  den  sozusagen  theoretischen 
Werth  der  spec.  Wärme  für  Schwefel  und  Arsen,  so  erhält  man 
für  die  übrigen  von  den  obigen  Verbindungen : 


her. 

gef. 

FeAsS 

0,1028 

0,103 

CoAsS 

0,1013 

0,0991 

FeCoNiAse 

0,0860 

0,0866 

Dadurch  wird  also  die  Uebereinstimmung  befriedigend;  dieses  Er- 
gebnis besagt  übrigens  nichts  anders  als  das  Neumann' sehe 
Gesetz. 

Zum  Schluß  theile  ich  eine  Tabelle  der  bisher  beobachteten 
spec.  Wärmen  der  zur  Classe  der  Sulfide  gehörenden  Körper  mit. 
Die  berechneten  Werthe  folgen  aus  den  den  Mineraliennamen  bei- 
gefügten Formeln,  außer  für  Geokronit,  Fahlerz,  Enargit,  für  wel- 
che die  Analysen  von  Nordenskiöld,  Rose,  Tschermak 
benutzt  worden  sind. 


322    Alfonso  Sella,  Beitrag  zur  Kenntniß  der  specifischen  Wärme  etc. 


Formel 

Bäg- 
nault 

Neu- 
mann 

Kopp 

Jolly 

Oe- 
berg 

Sella 

ber. 

Realgar 

AsS 

0,1111 

0,1109 

Auripigment 

Asa  S8 

0,1132 

0,1195 

Antimonit 

SbaS8 

0,0840 

0,0907 

0,0858 

Bisrautit 

Bi2S8 

0,0600 

0,0573 

Molybdaenit 

MoS2 

0,1233 

0,1067 

0,1101 

Sphalerit 

ZnS 

0,1230 

0,1145 

0,1200 

0.1154 

0,1205 

Manganblende 

MnS 

0,1392 

0,1419 

Troilit 

FeS 

0,1357 

0,1350 

Schwefelkobalt 

CoS 

0,1251 

0,1313 

Millerit 

NiS 

0,1281 

0,1328 

Magnetkies 

Fe7S8 

0,1602 

0,1533 

0,1370 

Eisenkies 

FeS2 

0,1301 

0,1275 

0,126 

0,1315 

0,1460 

Strahlkies 

FeSa 

0,1332 

0,1460 

Arsenkies 

Fe  AsS 

0,1012 

0,121 

0,103 

0,1111 

Arseneisen 

Fe  As2 

0,0864 

0,0907 

Kobaltglanz 

Co  AsS 

Fe  Co  As2  S2 

Co  As2 

0,107 
0,0920 

0,097 

0,0991 

0,1094 
0,1102 

0,0897 

Speiskobalt            J 

Ni  As2 
FeCoNiAs6 

0,0848 

0,0900 
0,0902 

Kupferglanz 

CuaS 

0,1212 

0,120 

0,1100 

Bleiglanz 

PbS 

0,0509 

0,053 

0,049 

0,0520 

0,0500 

Silberglanz 

Ag2S 

0,0746 

0,0746 

0,0712 

Antimonsilber 

Ag2Sb 

0,0558 

0,0534 

Arsenkupfer 

Cu3  As 

0,0919 

0,0903 

Zinnober 

HgS 

0,0512 

0,0520 

0,0517 

0,0529 

Kupferkies 

Cu  Fe  S2 

0,1289 

0,131 

0,1271 

0,1291 

0,1278 

Buntkupfererz 

Cu3FeS3 

0,1177 

0,1195 

Bournonit 

PbS3CuSb 

0,0730 

0,0722 

Proustit 

Ag3AsS3 

0,0807 

0,0832 

Pyrargurit 

Ag8SbS8 

SnS 

SnS2 

0,0837 
0,1793 

0,0755 

0,0758 
0,0806 
0,0975 

Geokronit 

0,066 

0,0660 

Fahlerz 

0,0987 

0,0999 

Enargit 

0,1202 

0,1158 

Zinnkies 

Cua  Fe  Sn  S4 

0,1088 

0,1086 

Es  sei  mir  zum  Schluß  gestattet,  Herrn  Prof.  Voigt,  welcher 
mich  mit  Rat  und  That  unterstüzt  hat,  und  Herrn  Prof.  Lie- 
bisch, welcher  mir  das  Material  für  die  Beobachtungen  freund- 
lichst zur  Verfügung  gestellt  hat,  meinen  innigsten  Dank  auszu- 
sprechen. 

Rom,    November  1891. 


G.  Frobenius,    Potentialfunctionen  etc.  323 

Ueber  Potentialfunctionen,   deren  Hesse'sche 
Determinante    verschwindet. 

Von 

G.  Frobenius  in  Zürich. 

(Vorgelegt  von   Herrn  F.  Klein). 

Sind  die  drei  partiellen  Ableitungen  erster  Ordnung  einer 
Potentialfunction  nicht  von  einander  unabhängig,  so  stellt  die 
zwischen  ihnen  bestehende  Gleichung,  falls  man  jene  Ableitungen 
selbst  als  Coordinaten  betrachtet,  eine  Minimalfläche  dar.  Für 
diesen  interessanten  Satz,  welchen  Herr  Weingarten  vor  kur- 
zem (1890)  in  diesen  Nachrichten  hergeleitet  hat,  will  ich  hier 
einen  anderen  Beweis  entwickeln  uud  zugleich  einige  weitere  mit 
dieser  Untersuchung  zusammenhängende  Ergebnisse  mittheilen. 

§  L 

Seien  xv  x„  x3  drei  von  einander  unabhängige  Veränderliche, 

s   eine  Function  derselben ,    sa  =  - —  und   sa*  =  s#a  =  -r — -^ — . 

oxa  oxa 0X$ 

Wenn  die  Hesse'sche  Determinante  von  5  verschwindet 

(1)  |  s.ß\  =  0,     (a,ß  =  1,2,3) 
so  besteht  zwischen  sv  s2,  s3  eine  Gleichung 

(2)  0(8»   S2,    8$)    =0. 

Betrachtet  man  dieselbe  als  die  Gleichung  einer  Fläche,  so  be- 
zeichne ich  die  Richtungscosinus  ihrer  Normale  im  Punkte  sv  s2,  ss 

dp 
mit   rv  rw  r3   und   setze   rap  =  -~-A     Da   die  Coordinaten  sa  der 

Punkte  dieser  Fläche  als  Funktionen  von  drei  unabhängigen  Va- 
riabein Xß  dargestellt  sind,  so  wird  die  Veränderlichkeit  der 
Größen  sa  im  allgemeinen  nicht  beschränkt,  wenn  man  zwischen  den 
Größen  Xp  eine  willkürliche  Gleichung  annimmt,  z.  B.  eine  dersel- 
ben als  constant  betrachtet.  Ist  nun  sa  -f-  ds«  der  unendlich  nahe 
Punkt  von  5«  auf  einer  Krümmungslinie  der  Fläche  (2) ,  und  ist 
q  der  zugehörige  Hauptkrümmungsradius,  so  bestehen  die  Glei- 
chungen 

(3)  gdr-ds*  =  0,     2  (q  ra*  -  8a(t)  dx?  =  0     («  =  1,  2,  3). 

Da  man   diesen    drei    homogenen    linearen   Gleichungen    zwischen 


324  G.  Frobenius, 

den  Differentialen  dxß  auch  dann  genügen  kann ,  wenn  das  Diffe- 
rential einer  willkürlichen  Function  der  Größen  Xß  verschwindet, 
so  müssen  in  dem  System  ihrer  Coefficienten  alle  Determinanten 
zweiten  Grades  Null  sein.  Es  muß  also  auch  die  Summe  der 
drei  Hauptunterdeterminanten  verschwinden 

{Qr2i-s22)(Qr33-s33)  -  (Qr28- s23)(Qr32- s32) 

+  {Qr33-s33)(Qrn-sn)  -  fcr^— «J.feiy-  s„) 

+  (Qrn-su)(Qr2*-s22)  -  (Qr12-s12)(Qr2l-s2l)  =  0. 

Bezeichnet  man  die  linke  Seite  dieser  Gleichung  mit 

(4)  ag*-c'Q  +  V  =  0,  . 
so  ist 

=  0  n  +  r22  +  rn)  (sn  +  s22  +  s33)  -  2Jraß  sßa. 
Setzt  man  also  zur  Abkürzung 

(5)  a  =  rn  +  r22  +  r33,     b  =  sn  +  s22  +  s33, 

so  ist 

(6)  2  r aß  $*„  =  äb~c. 

Differentiirt  man  aber  die  Gleichung 

(7)  Er  asaß  =  0 
nach  Xßy    so  erhält  man 

Zra(isaß  +  2rasaßß  =  0, 

a  a 

also  weil  saß  =  Sßa  ist, 


a,ß                                      a           U>ba 

und  mithin 

"  ÖXa                     ÖXa 

oder 

(8) 

c,_.E8Q>ra) 

Ist  nun  s  eine  Potentialfunction,  also  b  =  0,    so  ist  auch  c'  =  0, 
und   folglich  stellt  nach  Formel    (4)    die   Gleichung  0  =  0   eine 


Potentialfunctionen,  deren  Hesse'sche  Determinante  verschwindet.       325 

Minimalfläche  dar.     Es  können  nämlich  in  diesem  Falle  nicht  etwa 
alle  Coefficienten  der  Gleichung  (4)  verschwinden.     Denn  da 


(9)           a  =  rnru 

'  23'  32   "•     *3J  ^u            ^11^*13     l^*H  ^22            ^12  ^21  J 

&'=     «21*88 

S23        +   533  SU                S31        +  *H  522    ~~        512 

ist,  so  ist 

(10) 

V-2V  =  Zsl?. 

a,ß 

Ist  also  s  reell,  so  kann  b'  nicht  zugleich  mit  b  verschwinden. 

Damit  aber  die  Fläche   (2)    eine  Minimalfläche    sei,    ist   nicht 
nothwendig,  daß  b  =  0  ist,  sondern  wenn  man 

1    dl)  2*  =  *.% 

setzt,  nur  daß  b  der  partiellen  Differentialgleichung  Dcp  =  —  acp 
genügt.  Diese  kann  man  so  integriren:  Nach  Gleichung  (7)  sind, 
weil  saß  =  8ßa  ist,  die  Functionen  sp  drei  particuläre  Integrale 
der  Differentialgleichung  Dcp  =  0,  von  denen  zwei  unabhängig 
sind,  und  mithin  ist  ihr  allgemeines  Integral  eine  willkürliche 
Funktion  der  Größen  Sp  Z.  B.  ist,  da  r$  eine  Function  der  Coor- 
dinaten  sa  ist,  Dr^  =  0  oder 

(12)  Zrarßa  =  0. 

a 

Bezeichnet  man  die  Unterdeterminanten  der  Determinante  (1)  mit 
Saß,    so   ist   den  Gleichungen  (7)  zufolge   SUß  =  Jcrarß,    und  weil 

(13)  Sri  =  1 

« 

ist,    b'  =  ZSaa  =  k,    also 

(14)  Saft    =   VraVß. 

Nun  sind  aber  Sn,  Sn,  S31  die  drei  Determinanten,  welche  sich 
aus  den  partiellen  Ableitungen  erster  Ordnung  der  beiden  Func- 
tionen s2  und  s8  bilden  lassen,  und  mithin  besteht  zwischen  ihnen 

die  Gleichung  E  -^  =  0  oder  U    ^     "  —  =  0 ;    also  weil  nach 

ÖXa  ÖXa 

dr 
Gleichung  (12)  2>ß  — -1-  =  0  ist,   ergiebt  sich 

uxa 

2d-&ti  =  0,    BV  =  -aV. 

öXa 

Daher  ist 


326  G.  Frobenius, 

M  <v)    <    I  +  l 

**  r<*  ~ÄZ =    17    ~    ~T  +  ~7r 

öXa  0  Q  Q 

die  Summe   der   beiden  Hauptkrümmungen.     Soll   nun   b  der  Be- 
dingung c  =  0   oder  Db  =   —ab   genügen,    so   ist    D  f  y,J  =  0, 

und  mithin  ist  t?  eine   Function   der  Coordinaten   sa.     Setzt   man 
6 

also  eap  =  0  oder  1,  je  nachdem  a  =  ß  ist,  oder  nicht,  so  erhält 
man  den  Satz : 

Verschwindet  die  Hesse'sche  Determinante  |  saß  |  einer  Func- 
tion s  von 'drei  Parametern,  so  besteht  zwischen  ihren  partiellen 
Ableitungen  erster  Ordnung  sa  eine  Gleichung.  Damit  dieselbe 
eine  Minimalfläche  darstelle,  ist  nothwendig  und  hinreichend,  daß 
die  Summe  der  reciproken  Werthe  der  beiden  Wurzeln  der  Glei- 
chung —  |  saß  —  A  eaß  |  =  0  eine  Function  der  Coordinaten  sa  ist. 

Der  Coefficient  a  in  der  Gleichung  (4)  läßt  sich  in  ähnlicher 
Weise  darstellen,  wie  nach  Formel  (8)  der  Coefficient  c.  Mit 
Hülfe  der  Gleichung  (12)  erhält  man  nämlich 

Da  =  JBra%&  =  27rÄ  =  -Er^r^  =  -  ««  +  2a' 

a,ß         OXa  OXß  {      ' 

und  demnach 

ZdJfA  =  2a,    Da  =  2a'-»2. 

a      OXa 


Da  endlich  der  Gleichung  (4)   zufolge  -tt   und  jt  Functionen   der 

Coordinaten  stt  sind,  so  ist  D  (jj-j  =  0  und  D(-jt-)  =  0,  und 
mithin  ergeben  sich  die  Formeln 

(15)  Da'  =  -  aa',        Db'  =  -  ab',        De'  =  -  ac', 
Da  =  2a'—  a2,     Db   —  c'  —  ab,      De   =  —  ac. 

Die  letzte,  welche  ich  der  Vollständigkeit  wegen  mit  aufgeführt 
habe,  bezieht  sich  auf  eine  Größe  c,  die  ich  erst  später  benutzen 
werde,  und  die  so  definirt  ist:    Aus  der  Gleichung  (13)  folgt 

(16)  UraVap  -  0 

a 

und  daraus  in  Verbindung  mit  (12)  2ra(raß  —rßa)  =  0,*  also1) 
1)  Sind  die  Größen  ra  drei  beliebige  Functionen   der  Variabein  xSi    so    hat 


Potentialfunctionen,  deren  Hesse'sche  Determinante  verschwindet.       327 


'  ••         *  so  »oi         »  <•  13  21 


/■*  rj\  '  »8         '88     '  31  IS     __     '   1»         '  81     .  -     • 

ri  ' a  's 

so  daß 

(18)  c  =  r,  (rM  -  rM)  +  ra  (r81  -  r J  +  r3  (Vlf  -  r21) , 

ca  =  (r„  -  r,,)1  +  (rfl  -  r18)8  +  (rM  -  rw)' 

ist.     Aus  der  identischen  Gleichung 

dfca-O  ,  a(ysi~ris)  +  d(r„-r21)  ^  0 
öa?t  dx2  dxs 

ergiebt  sich  daher  die  Relation  De  =  —  ac.  Aus  den  Gleichun- 
gen (15)  leitet  man  die  wichtigen  Beziehungen  ab 

Der  nämlichen  Differentialgleichung  Dcp  =  1  genügt  auch  jede 
der  beiden  Wurzeln  der  Gleichung  a'Aa—  ak  +  1  =  0,  sowie  auch 
der  Ausdruck  2Jraxa. 


§  2. 

Da  man  aus  der  Gleichung  c'  =  0  nicht  schließen  kann,  daß 
&  =  0  ist,  so  genügt  der  entwickelte  Satz  noch  nicht  zur  Lösung 
der  Aufgabe,  alle  Potentialfunctionen  zu  finden,  deren  Hesse'sche 
Determinante  verschwindet.  Um  dies  Ziel  zu  erreichen,  stellt 
Herr  Weingarten  folgenden  weiteren  Satz  auf: 

Ist  Jcp  der  zweite  Differentialparameter  der  Function  q>(svsi,ss) 
für  die  Fläche  O  =  0,  so  ist 

(1)  t  =  27  s«  xa  —  s 

eine  Function  der  Coordinaten  s„,   welche  der  Gleichung    4t  =  0 
genügt. 

Für  den  zweiten  Differentialparameter  hat  Herr  Beltrami 
(Math.  Ann.  Bd.  1,  S.  581)  den  Ausdruck 

^  =  Z*3>  -  27r.r,/2-  -  (^  ♦  4)  »„  £ 
T  dsl  p  ds«  dsp        \q       q  /         ds„ 


der  Pfaffsche  Differentialausdruck  Zradxa  die  Klasse  1,  wenn  die  drei  Größen 
raß~rßa  verschwinden,  die  Klasse  2,  wenn  dies  nicht  der  Fall  ist,  aber  die  Größe 
ctzsr^rjg-fs^  +  r,^— r18)  +  r,(r18— r„)  =  0  ist,  und  die  Klasse  3,  wenn  c  von 
Null  verschieden  ist.  Der  Gleichung  (17)  zufolge  hat  der  oben  untersuchte  Aus- 
druck niemals  die  Klasse  2. 

Nachrichten  von  der  K.G.  d.  W.  m  (iftttingen.  1891.  Nr.  10.  24 


328  G-   Frobenius, 

angegeben.     Benutzt  man  die  drei  linearen  Differentialparameter 


(2) 


dm  _ 

OSa  ß      ' 


dq) 

ds/t 


so  kann  man  diese  Gleichung  auf  die  elegante  Form 

(3)  4<p  =  2J4l<p 

bringen ,  wie  ich  nächstens  in  einer  ausführlicheren  Arbeit  darle- 
gen werde.  Das  Zeichen  z/«g>  bedeutet  hier  z/tt(z/a<p),  d.h.  die 
Operation  Aa  soll  auf  den  Ausdruck  4a<p  angewendet  werden. 
Der  Beweis  des  oben  ausgesprochenen  Satzes  beruht  auf  der  fol- 
genden identischen  Gleichung  (vgl.  Borchardt,  Crelle's  Journ. 
Bd.  30,  Seite  44,(9)): 

Ist  |  Xeaß—  aap  |  =  A3—  aA2  +  a'A  —  a"  die  charakteristische  De- 
terminante der  bilinearen  Form  /"==  2Jaap  uaVß,  und  ist  f°  =  2Jmvx, 

/"'  =  E-J--J-.  so  ist  die  adiungirte  Form  von  f 


(4) 


f'-af+a? 


Wendet  man  diesen  Satz  auf  die  quadratische  Form  UsaßUaUß  an, 
deren  adjungirte  Form  2JS((ßUaUß  =  b'(Erctuc)2  ist,  und  setzt  man 

(5)  s'aß  =  27««i*/u'i 
so  erhält  man 

(6)  Zs'apUaUß  =  2J(Zsaßußy  =  b  2saßuau*-b'  Zul  +  V  [Sraua)\ 

a      ß 

oder  wenn  man  u„  durch  dxa  ersetzt, 


(7) 


Sdsl  —  b Edsadxa  -  b' Edxl  +  V  (Zra dxa)\ 


dt 


Setzt  man  nun  —  =  fe,    so   folgt   aus    dt  =  Zxadsa  =  2Jtadsc< 

und  £ruds«  =  0,    daß  xa—ta  —  pra  ist,   wo  p  ein  Proportionali- 
tätsfactor  ist.     Daher  ist 


also 

(8) 


Jat  =  ta  —  ruErßtß  =  xa—pra—raUrß(xß-prß), 


4at  =  xa  —  ra2ra$ß. 

ß 


Zu  demselben  Resultat  gelangt  man  mittelst  der  Formel 


Potentialfunctionen,  deren  Hesse'sche  Determinante  verschwindet.        329 

die  sich  aus  der  Gleichung  (6)  und  den  Relationen 

dw  ^        dop  dg 

dxu  i     '   dSj  '     *     '   dxi 


df    -Es.,*       S..,^-**.,^ 


Setzt  man  EraX*  =  r,  so  ist,  wie  oben  bemerkt  Dr  =  2?«-^ —  =  1- 

oxa 


ergiebt 
Set: 
Da  ferner  Uras((ß  =  0  ist,   so  ist 

¥M.  i  Sb'J.^.Q  =  i2*S£^J^&E£t±  = 

«        oxu  «,i    '        ax.i 

3b  — b  —  brZraa—  2Jsua  +  r  äs^  r((i  , 

also  nach  (5)  und  (6)  §  1 

(10)  VAt  =  b-c'  (Zraxa)  ,--£-  =  E~^r~' 

Ist  also  b  =  0   und  demnach  auch  c'  =  0,    so  ist  auch  d 1  =  0. 
Nunmehr  lassen  sich  die  Sätze  des  Herrn  Weingarten  um- 
kehren.   Seien  sv  s2,  s3  rechtwinklige  Coordinaten,  sei  0  (sv  s2,  ss)  =  0 
die    G-leichung   einer  Fläche    und    t   eine    beliebige   Function    der 
Coordinaten    5«.     Berechnet   man  dann  aus  den  vier  Gleichungen 
ta  +  pra  —  xu  und    &  =  0  die  vier  Größen  sa  und  p ,   und   setzt 
man  die  erhaltenen  Werthe  in  den  Ausdruck   5  =  Esaxa  —  t   ein, 
so  wird  5  eine  Function  der  Variabein  x((,    deren  partielle  Abiei- 
ds 
tungen  —  =  sa    sind,    und  der  Gleichung    <&  =  0    zufolge  ver- 
oxa 

schwindet  die  Determinante  \  sttß  |.  Stellt  nun  die  Gleichung 
0  =  0  eine  Minimalfläche  dar,  so  ist  c'  =  0 ,  und  genügt  ferner 
t  der  Differentialgleichung  Acp  =  0,  so  ist  nach  Formel  (10)  auch 
b  =  0,  also  ist  5  eine  Potentiaifunction. 

Will  man  allgemein  die  Transformation  des  zweiten  Differen- 
tialparameters durchführen,  so  ergiebt  sich  aus  der  Formel  (9) 

VA^^Zb^^-ZsJ^ 

K^J  a  äXa  0tß       '  äXfl 


weil 


Z—  (bJa(p  -- Es«?  Jfa)), 


dsa(i      _  düSqq  _      db_ 
dxa  dxp  dxp 

24 


330  G.   Frobeniu», 

st.    Nun  ist    aber 

also  nach  Formel  (6)  gleich 

v  dxa         ß     p  dxß 

Denn  weil  <p  eine  Function  der  Coordinaten  5«  ist,    so  ist 

*-£  -  »• 

Demnach  ergiebt  sich 


§  3. 

Die  Transformation  des  zweiten  Differentialparameters  läßt 
sich  auch  durch  einen  besonderen  Kunstgriff  auf  den  bekannten 
Satz  von  Jacobi  (Gesammelte  Werke,  Bd.  2,  Seite  196)  zurück- 
führen : 

Ist  2Jaaß  dxadXß  ein  quadratischer  Differentialausdruck,  dessen 
Determinante  A  =  |  aap  \  von  Null  verschieden  ist ,  und  ist  Aap 
der  Coefficient  von  aap  in  dieser  Determinante,  so  ist 

-4=-  2-L  \-L  ZA     ^2-1 

\JA  «  dxa  L  sJa  ß     aß  äxß  J 

eine  dem  Ausdruck  zugeordnete  Form,  welche  bei  jeder  Trans- 
formation desselben  invariant  bleibt. 

Da  die  Coordinaten  sa  der  Gleichung  0  =  0  genügen ,  so 
lassen  sie  sich  durch  zwei  unabhängige  Variabein  px  und  p2  aus- 
drücken, welche  Functionen  der  Größen  Xp  sind.  Sei  p3  eine  dritte 
von  jenen  unabhängige  Function  dieser  Großen  und 

(1)  2Jradxa  =  Zqadpa, 

Dann  ist,  weil  px  und  p9  Functionen  der  Coordinaten  sa  sind, 


?%  =  * 

Srar„     =  1, 

dxadps 

ZppL  =  o, 
dxa  dp, 

_     dxa 

mithin 

Potentialfun ctionen,  deren  Hesse'sche  Determinante  verschwindet. 

(2)  ^r  =  *.'«• 


331 


Daher  ist,  weil  ra  von  ps  unabhängig  ist, 


dp, 


dPi 


(*•©-<£(*£) 


öpx 


öjPx  dpt      *8       aPl 


also 

(3) 


a&  =  0^3    a?a  __  a?3 
öp,  " '  aPl '  ap, " "  ap, ' 

a&  =  a^\ 

dp*     '  dp/' 
noch  mehr  zu  vereinfachen,   wähle  ich  p3  so,    daß  Dp, 


(aber  nicht  nothwendig 


Um   aber  die  Darstellung 
1  ist1), 


setze  also  z.  B.  ps  =  5-7  (vgl.  (19)  §  1).     Dann  wird 


& 


2a 
dPs 


dp3  dxa        dp, 


a#a         a#«  ap,      a^3 

und  mithin  sind  den  Gleichungen  (3)  zufolge  qt  und  g2  von  p3  un- 
abhängig 2). 

Ist  nun  Edsa  =  au  dp]  -f  2a12  ^  dp,  4-  a22  dp2 ,  so  geht  der  ter- 
näre  quadratische  Differentialausdruck 

(4)  an  dp\  +  2a13  dpx  dp2  +  a82  d^J  +  (27  g«  djp«)1 
durch  Einführung  der  Variabein  Xß  in 

(5)  E  s'aß  dxa  dxß  -f-  (2J  ra  dxa)* 
über.    Die  Determinante  des  Ausdrucks  (4)  ist 

«u  +  ff!         a»  +  &  ft      ffi 

ihre  Unterdeterminanten  sind 


1)  Die  Größe  p,  ist  von  Herrn  Weingarten  mit  r,  von  mir  im  vorigen  § 
mit  p  bezeichnet  worden.    Durch  die  Annahme  pa  =  —7    wird   die  von  Herrn 

Weingarten,  S.  322,   aufgestellte  Bedingung  (16)  erfüllt. 

2)  Die  Klasse  des  Differentialausdrucks  2radxa  ist  also  gleich  1  oder  8, 
je  nachdem  qx  dp,  +  &  dp%  ein  vollständiges  Differential  ist,  oder  nicht,  und  kann 
folglich  nie  gleich  2  sein. 


332 


G.  Fr  ob  en  i'us, 


An     $22  >  ^12     ö12> 


^"22     #11 


man  nun 


As    =     «llft—  ÖM01>  ^23     =    «12&-an2V 

Demnach  sind  J.,  J.13  und  Ä23  von  #3  unabhängig      Setzt 

—  d     1    [       dq>  d<p~\   .     d      1    T  doo  öool 

(6)    V^^^^^haJ-^ä^J+^^L-^äK  +  ^äJ' 

so  ist  die  dem  Ausdruck  (4)  zugeordnete  Form  gleich 

^* + \jä  1*,  Vy/i  ep,; + aP,  v^  ^; r  ap3  v^  ap,;  j  + 

+  4L^'a^öÄ+^öAöp3J' 

also  weuu  <jp  von  ps  unabhängig  ist,  gleich  J<p. 

Um  die  Determinante  und  die  adjungirte  Form  des  Ausdrucks 
(5)  zu  berechnen,  bemerke  ich,  daß 


-1 


,2,     sa3    |2    =    |    Safl  +  rarri+  VuaUp 

Xut  lu2  lu3 

Xut    s'lt  +  rl  Ktf+f*  4  +  ^n 

lu2    s'21+r2r1  s'n4r\  s'23+r2r3 

au3    s3l  +  r3rx  s32  -f  f8  ^2  5'33  ~f~  ^'s 

Daher  ist  die  gesuchte  Determinante  das  constante  Glied  und  die 
adjungirte  Form  der  Coefficient  von  A2  in  diesem  Ausdruck.  Die 
Determinante  ist  folglich  die  Summe  der  Quadrate  von  4  Deter- 
minanten, von  denen  eine  |  $«*  |  =  0  ist.     Eine  der  drei  andern  ist 

|  ra,    sal,    sa2  |   =  2Sa*ru  =  b'r3Zrl 

und  die  Summe  ihrer  Quadrate  ist  b'2. 

Die  adjungirte  Form   aber  ist    die  Summe   der  Quadrate  von 
6  Determinanten.     Drei  derselben  haben  die  Form 

|  w«,  sal ,  sa2  |  =  2JSaSUa  =  b'rzSraua) 


die   Summe  ihrer  Quadrate  ist   b,2(Uraua)2. 
der  drei  übrigen  Determinanten  ist 


Das   Quadrat   einer 


«*1 

r, 

*ii 

2 

2:w2« 

2 

UaTa 

2uasal 

u2 

r2 

«21 

= 

Zuara 

1 

0 

Us 

r* 

531 

ZUaSax 

0 

£*£ 

und  ihre  Summe  ist  nach  (10)  §  1 


(fc2  -  26')  [Ä2  -  (Zxa  uuy]  -  2  (2$a9  ua)\ 

p    « 


Potentialfunctionen,  deren  Hesse'sche  Determinante  verschwindet.        333 

also  nach  Formel  (6)  §  2  gleich 

(62  -  V)  [Hui  -  (£ra  uay]  -  b  SfyUtUp 
Mithin  ist  die  Determinante  des  Ausdrucks  (5)  gleich  b"*  und  ihre 
Unterdeterminanten  sind  die  Coefficienten  der  Form 

(7)         (b*  -  b')  Ual  -  b  Zsafi  uu  Ui  +  (V*  +  b'  -  V)  {2ra  ua)\ 

Ist  nun  <p  von  ps  unabhängig,  so  ist  £ra  ^*-  =  0,  und  mithin  ist 

die  Form  (11)  §  2  die  dem  Ausdruck  (5)  zugehörige  Form. 


§4. 

Die  vorangehenden  Entwicklungen  hängen,  wie  schon  die 
Gleichung  (4)  §  2  zeigt,  aufs  engste  mit  der  Theorie  der  Ma- 
tricen  zusammen  oder  der  Formen,  wie  ich  sie  in  meiner 
Arbeit  Ueber  lineare  Substitutionen  und  bilineare 
Formen  (Crelle's  Journal  Bd.  84)  genannt  habe.     Ist 

|  XE-A  j  =  A3-  ak%  +  a'X  -  a"  =  <p(X) 
die  charakteristische  Function  einer  ternären  Form  A  =  Eattpiit<r-i. 
so  genügt  A  der  Gleichung 

(1)  <p(A)  =  0,     A3-aA2  +  a'A  -  a"E  =  0. 

Den  Coefficienten  a,  den  ich  im  Folgenden  oft  gebrauche,  will 
ich  nach  dem  Vorgange  des  Herrn  D  e  d  e  k  i  n  d  die  Spur  der 
Form  A  nennen.  Da  a"  die  Determinante  der  Form  A  ist,  so  ist 
o!'A~l  ihre  adjungirte  Form,  die  ich  mit  A  bezeichnen  will.  Aus 
der  Gleichung  (1)  ergiebt  sich  dann,  wenn  a'  von  Null  verschie- 
den ist, 

(2)  Ä  =  A2-aA  +  a'E. 

Da  aber  beide  Seiten  dieser  Gleichung,  welche  mit  der  Formel 
(4)  §2  übereinstimmt,  ganze  Functionen  der  Coefficienten  auH  sind, 
so  gilt  sie  auch,  wenn  a"  =  0  ist. 

Im  Folgenden  handelt  es  sich  nun  um  die  Beziehungen  zwi- 
schen den  drei  Formen 


R  = 


und  denen,  welche  durch  Zusammensetzung  aus  ihnen  entstehen. 
Von  diesen  Formen  ist  S  symmetrisch  und  T  alternirend. 
Bezeichnet  man  die  conjugirte  Form  von  R  mit  TT,  so  ist 
nach  (17)  §   1 


fll 

r* 

v 

'*u 

*tl 

V 

0 

r, 

-*% 

'« 

r~n 

'.. 

,  s  = 

*« 

*« 

^88 

,     t± 

-•"• 

ö 

rx 

r« 

's. 

^38, 

>»« 

*H 

*.s. 

r* 

-*l 

0 

334  Ö.  Frobeniug, 

(3)  R-Rf  =  cT. 

Nach  Satz  (1)  genügen  diese  Formen  den  Gleichungen 

(4)  R9-aR2  +  a'R  =  0,    S*-bS2  +  6'fif  =  0,     T3  +  T  =  0. 
Die  adjungirte  Form  von  T  ist 

'    r\    rxr%    rx 

(5)  E+  T2  =    rart     r\        r, 

Nach  den  Formeln  (7),  (12)  und  (16)  §  1  verschwinden  die  Pro- 
ducte  R(E+T2),  (E+T2)R,  S(E+F)  und  (E+T*)S.  Demnach 
ist 

(6)  RT2  =  TR  =  -.R,    £T8=  T8£  =  -S. 

Denselben  Gleichungen  zufolge  können  sich  die  Unterdeter- 
minanten der  Form  R  von  den  Elementen  (5)  nur  um  einen  ge- 
meinsamen Factor  h  unterscheiden,  und  mithin  ist  die  adjungirte 
Form  von  R 

R  =  R2-aR  +  a'E  =  k(E  +  T* 

Multiplicirt  man  diese  Gleichung  mit  E  -f  T2,  so  erhält  man  nach 
(4)  und  (6)  o!  =  Je.     Auf  diesem  Wege  findet  man  die  Gleichungen 

(7)  R*  =  aR  +  a'F,    S2  =  bS  +  VT2. 
Die  nämliche  Methode  kann  man  auch  auf  die  Form 

(8)  X  =  QR  +  eS+rT+öT* 

anwenden,  wo  q,  tf,  r,  &  willkürliche  Constanten  sind.  Ihre  Spur 
ist 

(9)  f  =  qo,  +  6b -2&. 
Mithin  ist 

(10)  X>  =  fX+gT>, 
und  ich  werde  zeigen  ,  daß 

(11)  g(g,  6,  t,  &)  =  a'Q*-\-V6*  +  x2  +  %<%+c'Q(>  +  CQT-~ a,Q&— be& 

ist.  Daß  in  dieser  quadratischen  Form  die  Coefficienten  von 
q2,  <52,  t2,  &2,  q&,  öd,  tfr  richtig  bestimmt  sind,  ergiebt  sich  aus 
den  Gleichungen  (6)  und  (7).  Es  ist  also  nur  noch  nachzuweisen, 
daß  in  den  Gleichungen 

RS+SR  =  aS  +  bR  +  c'T2 

(12)  RT+TR  =  aT+cT* 
ST  +  ST =  bT 


Potentialfunctionen,  deren  Hesse'sche  Determinante  verschwindet.        335 

die  Coefficienten  von  T2  die  angegebenen  Werthe  haben.  Dies 
folgt  für  die  letzte  daraus,  daß  ST  +  TS  eine  alternirende  Form 
ist,  weil  die  conjugirte  Form  von  AB  gleich  B'A'  ist,  und  für 
die  vorletzte  daraus,  daß  nach  (3)  BT  +  TR'  =  BT  +  TB-cF 
eine  alternirende  Form  ist.  Um  endlich  die  erste  Gleichung  dar- 
zuthun ,  genügt  die  Bemerkung,  daß  die  Spur  l)  von  BS  und  von 
SB  nach  (6)  §  1  gleich  2rapSpa  =  ctb  —  c'  und  die  von  T2  nach 
(5)  gleich  —  2  ist.  Ein  specieller  Fall  der  Formel  (10)  ist  die 
G-leichung 

(9B-Sy  =  (a<>->b)(QR-S)  +  (a'Q'-c'Q  +  V)T2, 

welche  die  Grundlage  des  in  §  1  geführten  Beweises  bildet. 

Nach  Gleichung  (10)  haben  sämmtliche  Formen  der  Schaar 
qB  -f-  öS  +  r T  +  frT2  (von  einem  scalaren  Factor  abgesehen)  die- 
selbe adjungirte  Form  E  +  T2,  und  eine  leichte  Abzahlung  zeigt, 
daß  umgekehrt  alle  Formen,  die  den  Bedingungen  X(E  +  T2)  = 
( E  -f-  T2)  X  =  0  genügen,  in  dieser  Schaar  enthalten  sind.  Die 
Unterdeterminanten  der  Derminante  dieser  Formenschaar  sind  alle 
durch  die  quadratische  Form  gfe,  6,  t,  fr)  theilbar,  und  unter- 
scheiden sich  von  einander  nur  durch  Factoren,  die  von  q,  6,  r,  -fr 
unabhängig  sind.  Da  aber  ein  Product  von  beliebig  vielen  der 
Formen  B,  S,  T  den  nämlichen  Bedingungen  genügt,  so  lassen 
sich  alle  diese  Producte  aus  vier  unter  ihnen  linear  zusammen- 
setzen.    Die  dazu  nöthigen  Formeln   kann  man  so  erhalten. 

Differentiirt  man  die  Gleichung  Z!sa?,rx  =  0  nach  xp,  so  er- 
hält man  SSgirxß  =  —£saßxrx.  Mithin  ist  die  Form  SB  sym- 
metrisch 

(13)  SB  =  BS 

Ebenso  ist  ST— TS  symmetrisch  und  auch  BT— TB,  weil  nach 
(3)  BT- TB  =  -TB  +  B'T  ist.    Nach  (12)  ist 

(ST-TSy  =  (2ST-bT)(-^2TS  +  bT)  =  4(S2-bS)-b2  T2, 
und  auf  diesem  Wege  findet  man   die  Gleichungen 

(14)  (ST-TS)2=  -(b2-4b')T2,    (BT-TB)2=  -(a8  +  c'-4a')r. 


1)  Die  Formen  AB  und  BA  haben  immer  dieselbe  Spur.  Sind  nämlich  zu- 
nächst die  Coefficienten  von  B  willkürliche  Größen,  so  sind  die  Formen  BA  und 
AB  =  B~l  (BA)B  ähnlich,  haben  also  beide  dieselbe  charakteristische  Function. 
Da  aber  deren  Coefficienten  ganze  Functionen  der  Coefficienten  von  B  sind ,  so 
haben  AB  und  BA  auch  dann  dieselbe  charakteristische  Function,  wenn  die  De- 
terminante von  B  verschwindet. 


336  G.  Frobenius, 

Da  die  Wurzeln  der  Gleichungen 

|  saß  -  leaß  |  =  0    und    |  raß  -f  rßa  —  Xeaß  |  =  0 

reell  sind,    so  sind  b2  —  4bf  und  a2  +  c2— 4a'  positiv.     Ferner  er 
giebt  sich  mittelst  der  Formeln  (12)  und  (13) 

(ET- TB) (ST- TS)  =  (2BT-aT-cT2)(-2TS  +  bT)  m 

2(2R-cT)S-2(aS  +  bR)  +  bcT-abT 

=  2(B  +  B')S-2(BS  +  SB-c'T2)  +  bcT-abT2  =  bcT-(ab-2c')T2 

und  mithin,  indem  man  auch  zu  den  conjugirten  Formen  übergeht, 

(15)  (BT-  TB)  (ST-  TS)  =      bcT-(ab-2c')T2 
(ST-TS)(BT-TB)  =  -bcT-(ab-2c')T2. 

Endlich  ist 

T(ST-T$)  =  T(-2TS  +  bT)  =  25  +  6T2, 

und  indem  man  auch  zu  den  conjugirten  Formen  übergeht,  erhält 
man  die  Relationen 

(16)  T(ST-TS)  =  -(ST-TS)T  =  2S +bT2 
T(BT-TB)  =  -(BT-TB)T  =  2B-cT+aT2. 

Multiplicirt  man  also  die  erste  der  Gleichungen    (15)   links  mit  T 
und  rechts  mit  ST— TS,  so  findet  man 

(17)  bc(ST-TS)=  -(b2-4b')(2B-cT+aT2)  +  (ab-2c)(2S+bT2). 

Multiplicirt  man  die   zweite  jener  Gleichungen   links   mit    T   und 
rechts  mit  BT— TB,  so  findet  man 

(18)  bc(BT-  TB)  =  -(ab-2c')(2B-cT+aT2)+(ai+c2--Aa^2S+bT2). 

Ferner  ist 

2SB  =  SB  +  B'S  =  (SB  +  RS)  -  cTS 

und  mithin  nach  (12)  und  (17) 

(19)  bSR  =  b'(2R-cT  +  aT2)  +  (ab-c')S. 

Endlich  ist  R'R  =  R2-cTR  und  folglich  nach  (7),  (12)  und  (18) 

(20)  IB'B  =  c'(2B-cT  +  aT2)  +  (a2  +  c2~±a')S-ba'T2. 
Aus  der  identischen  Gleichung 

(S2-bS)B'B  +  S\B2-aB)  =  S(SB'+ SB-aS-bB')B 

ergiebt  sich  mittelst  der  Formeln    (3),  (7),  (12)   und   (13)  ;die  Re- 
lation 

(21)  VB'B-c'SB  +  a'S2=  0. 


Potentialfunctioiien,    deren  Hesse'sche  Determinante  verschwindet.        337 
Da  die  Spur  von  TB  nach  (12)  gleich  —  c  ist,  so  ist  die  von 

R'B  =  B*-cTB  =  aB  +  a'T*-cTB  gleich  a*  +  c2-2a'. 

Die  Spur  von  S*  =  bS+b'T2  ist  b*-2V,  und  die  von  S£,  wie 
schon  oben  erwähnt,  gleich  ab—c'.  Daher  ergiebt  sich  aus  der 
letzten  Formel  die  merkwürdige  Relation 

(22)  c^-Aa'V  +  b2a'-bac'  +  (a*  +  c*)b'  =  0, 
(b2-4b'){a2  +  c2-Aa')  -  {ab-2c')2  =  b*c2. 

Betrachtet  man  die  symmetrischen  Formen  als  quadratische  For- 
men mit  den  Variabein  dxa,  so  erkennt  man  in  der  symbolischen 
Beziehung  (21)  die  für  die  Theorie  der  Flächen  wichtige  Glei- 
chung   (vgl.   Weingarten,     Sitzungsberichte    der    Berl.    Akad. 

1886,  S.83) 

(23)  V  Udrl-c'2JdrC(  dsa  +  a'  Udsl , 

in  welcher  die  Coefficienten  dieselben  sind,    wie  in  der  Gleichung 

(4)  §  1. 

Mit  Hülfe  der  entwickelten  Formeln  lassen  sich  nun  die  For- 
men B,  S,  T  und  die  Producte  von  beliebig  vielen  derselben  alle 
durch  vier  unter  ihnen  linear  ausdrücken.     Setzt  man 

(24)  U  =  2S  +  bT2,     V  =  ST-  TS,    k  =  63-  Ab', 

so  erhält  man  für  jene  Beziehungen  die  besonders  einfachen  For- 
meln 

(25)  U*  ==       V1    =  -IT,     UV  =  -  Vü  ==  IT, 
TV  =  -VT  =       U  ,     ÜT  =  -TU  =  V, 

oder  es  bestehen  zwischen  den  vier  Formen 

e/0  =   —  T  ,     Jl  =   T,     J j  =   77==  U,     J3  = 


dieselben  Relationen,  wie  zwischen  den  Einheiten  der  Quaternio- 
nen.    Da 

(26)      2S  =  U-bT2,    21cB  —  k{cT-aT%)  +  {ab-2c')U-bcV 

ist,  so  läßt  sich  die  quadratische  Form  (11)  durch  eine  reelle 
Substitution  in  eine  Summe  von  2  positiven  und  2  negativen  Qua- 
draten transformiren 


338  GK  Frobenius,   Potentialfunctionen,  etc. 

(27)  4^(9,^r^)=[a(>+^-2#]a+[cp+2T]*~i[(a6-2c>4-H2-^V^ 

oder  sie  hat  den  Trägheitsindex  2  (während  die  analoge  quadra- 
tische Form  in  der  Theorie  der  Quaternionen  eine  Summe  von  4 
Quadraten  ist).  Die  nämlichen  Formeln  (25)  erhält  man,  wenn 
man 

(28)  ü  =  2R-cT+aT2,     V=RT-TR,    h  =  a2  +  c2  -  4a' 

setzt.  Daß  die  4  Formen  T,  T2,  ü,  V  linear  unabhängig  sind, 
ist  leicht  zu  sehen.  Denn  ist  aT  +  ßT2  +  yU  -f  öV  =  0,  so  muß, 
weil  T  alternirend,  T2,  U  und  V  symmetrisch  sind,  a  =  0  sein. 
Multiplicirt  man  nun  die  Grleichung  mit  T,  V  oder  U,  so  erkennt 
man  durch  denselben  Schluß ,  daß  auch  ß,  y  und  d  verschwinden. 
Der  Relation  (10)    zufolge  genügt  die  Form  X  der  Gleichung 

(29)  X*-fX*  +  gX  =  0 
und  hat  demnach  die  charakteristische  Function 

(30)  |  qR  +  08  +  rT+  &T>  +  IE  |  —  A3  +  A2+#A  =  A^(p,tf,r,«— A). 

Bildet  man  daraus  die  Grleichung ,  der  die  Form  X  +  &E  genugt, 
so  findet  man  nach  (2)  für  ihre  adjungirte  Form  den  Ausdruck 


(31)  X  +  IE  =  g(E  +  T2)  -  X(X-fE)  +  A2J£. 

Z.  B.  hat  die  Form 

S2  +  E  +  T8  =  bS  +  (6'  +  1)2"  +  E 
die  Determinante  6'2  und  die  adjungirte  Form 
(V'  +  V-b^r-bS  +  V'E, 
wie  in  §  3  direct  durch  Eechnung  gezeigt  worden  ist. 


A.  Schönflies,   Theorie  der  algebraischen  Formen.  339 

Bemerkung  zu  Hilbert's  Theorie  der  algebrai- 
schen  Formen. 

Von 
A.  Schönflies. 

(Vorgelegt   von  F.  Klein). 

Die  folgende  Note  bezieht  sich  auf  die  unlängst  von  Herrn 
Hubert  aufgestellten  fundamentalen  Theoreme  über  Systeme 
algebraischer  Formen1).  Wie  Herr  Hubert  nachgewiesen  hat, 
führt  die  Aufgabe,  alle  linear  von  einander  unabhängigen  For- 
men einer  bestimmten  Ordnung  zu  finden ,  welche  in  Bezug  auf 
einen  gegebenen  Modul  (Fv  Ft  .  .  .  Fm)  der  Null  congruent  sind, 
d.  h.  also  der  Gleichung 

F1X1  +  F,X2  +  ...+FmXm  =  0 

genügen,  auf  eine  stets  endliche  Kette  von  ähnlich  gebildeten 
Gleichungssystemen ,  deren  Zahl  höchstens  gleich  der  Zahl  der  in 
den  homogenen  Formen  F1}  F2  .  .  .  Fm  auftretenden  Variabein 
Xt ,  x2  .  .  .  xm  ist.  Die  Gesammtheit  der  von  einander  linear  un- 
abhängigen Lösungen  eines  solchen  Gleichungssystems ,  durch 
welche  sich  jede  andere  Lösung  linear  so  ausdrücken  läßt,  daß 
die  Coefficienten  beliebige  Formen  von  x1  .  .  .  xn  sind,  heißt  ein 
volles  Lösungssystem.  Zur  Kennzeichnung  dieses  Satzes 
behandelt  Herr  Hubert  im  besondern  den  einfachen  Modul 
(xi,  x2  .  .  .  xn)  und  beweist  für  ihn  den  folgenden  Satz: 
Wird  für  die  Gleichung 

xtXt  +  x2X2  +  '.'+xnXn  =  0 

die  Kette  der  abgeleiteten  Gleichungssysteme  aufge- 
stellt, so  besteht  allgemein  das  ste  Gleichungssy- 
stem dieser  Kette  aus  (^  Gleichungen,  während  für 
dasselbe  die  Zahl  der  zu  bestimmenden  Formen  gleich 
(")  und  die  Zahl  der  Lösungen  des  vollen  Lösungssy- 
stems gleich  (,£,)  ist.  Die  Coefficienten  der  abgelei- 
teten Gleichungen  sind  sämmtlich  lineare  Formen. 

Der  Beweis  dieses  Satzes  wird  in  der  Hilbertschen  Arbeit 
unter  Benutzung  desselben  Gedankens  geführt,    welcher    für    den 

1)  Ueber   die   Theorie   der   algebraischen  Formen,   Math.  Annalen ,   Bd.  36, 
S.  473. 


340  A-  Scliönflies, 

Beweis  des  grundlegenden  Theorems  III,  das  sich  auf  einen  belie- 
bigen Modul  bezieht,  benutzt  worden  ist,  nämlich  durch  den  Schluß 
von  n— 1  auf  n.  Es  scheint  bisher  nicht  bemerkt  worden  zu  sein, 
daß  sich  in  diesem  Fall  die  gesammte  Kette  der  abgelei- 
teten Gleichungen  in  expliciter  Form  direct  ange- 
ben läßt.  Da  dieses  Beispiel  eine  gewisse  principielle  Bedeu- 
tung besitzt,  so  erscheint  es  ganz  erwünscht,  die  volle  Kette  der 
zugehörigen  abgeleiteten  Gleichungssysteme  unmittelbar  übersehen 
zu  können;  dieselbe  möge  daher  hier  mitgetheilt  werden.  Uebri- 
gens  unterscheiden  sich  diese  Grleichungssysteme  auch  insofern 
von  denjenigen,  welche  im  Hilbertschen  Beweis  auftreten,  als  die 
in  der  Aufgabe  liegende  Symmetrie  nach  den  Variabein  x1}  x2 .  . .  xn 
den  abgeleiteten  Gleichungssystemen  ausnahmslos  erhalten  bleibt. 
Die  Coefficienten  dieser  Gleichungssysteme,  welche  nach  obigem 
Satz  immer  lineare  Formen  sind ,  reduciren  sich  dabei  auf  die 
Variabein  xv  x2  .  .  .  xn  selber,  wie  dies  auch  in  dem  von  Herrn 
Hubert  behandelten  Beispiel  n  =  4  der  Fall  ist. 

Sind  X  und  \i  irgend  zwei  der  Zahlen  1,  2  ...  n  und  ist  A  <c  ft, 
so  können  die  sämmtlichen  (J)  linear  unabhängigen  Lösungen, 
welche  das  volle  Lösungssystem  von 

1)  xt  Xx  + *%  Xt  +  •<'*+*.  XB  =  0 

bilden,  durch  Gleichungen  von  der  Form 
X,  =  0,  X2  =  0,  .  .  .  XA  =  Xfi,  .  .  .  X,  =  -x,,  .  .  .  2.  =  0 

dargestellt  werden.  Daraus  folgt,  daß  sich  jede  Lösung  der 
Gleichung  1)  in  die  Gestalt 

Xx  =    0      +  aia  x2  +  •  •  •  -f  aln  xn 

2)  X2  =  an  xx  +    0      +  •  •  •  +  a2n  xn 


Xn  =  «.,»i  +  an2x2  +  •  ••  +0 

bringen  läßt,  mit  der  Maßgabe,  daß  die  Coefficienten  ailt  homogene 
ganze  Functionen  von  xt,  x2  .  .  .  xn  von  gleicher  Dimension  sind 
und  daß 

ist.  Jede  Lösung  ist  nämlich  aus  obigen  (2)  Lösungen  mittelst 
der  gleichen  (£)  Coefficienten  zu  bilden.  Nun  leuchtet  ein,  daß 
von  Null  verschiedene  Beiträge  in  jede  Form  Xt  nur  aus  solchen 
Lösungen  eingehen,  in  denen  Xt  nicht  Null  ist;  es  können  daher 
in  ihr  auch  nur  diejenigen  Coefficienten  aih  auftreten,  die  einen 
Index  l  enthalten. 


Theorie  der  algebraischen  Formen.  341 

Das  abgeleitete  Gleicbungssystem  nimmt  daher,  wenn  wir 
außer  den  in  dasselbe  eingehenden  ( J)  Formen  XAu  (A  <:  ft)  im  In- 
teresse der  Symmetrie  auch  die  Formen 

in  die  Gleichungen  aufnehmen,  folgende  Gestalt  an  : 

0      +  x2Xl2  +  ...  +  xHXln  =  0 

3)  xxXn+      0     +  ...+xnX2n  =  Q 


x1Xnl  +  x2Xna  +  ..-  +      0      =0. 

Diesem  Gleichungssystem  genügt  man  nun  in  allgemeinster  Weise 
durch  folgende  (J)  Gleichungen 

4)  3*  =  ««*i  +  «tt2^2  +  •  •  •  +  a^s, 

mit  der  Maßgabe,  daß  die  Coefficienten  von  xi  und  xk  Null  sind, 
und  daß  alle  Coefficienten  aikl,  welche  in  den  Indices  übereinstim- 
men ,  dem  absoluten  Werthe  nach  einander  gleich  sind ,  während 
das  Vorzeichen  in  bekannter  Weise  davon  abhängt,  ob  die  be- 
zügliche Permutation  der  Indices  eine  gerade  oder  eine  ungerade 
ist.  Um  dies  einzusehen,  betrachte  man  die  Ite  der  Gleichungen 
3),  also 

xx Xn  +  x2Xl2+.  •  •  +  xt_x  Xhl_x  +  xm  Xltl+l  +  •  •  •  +  xn  Xln  =  0, 

denke  sich  die  Werthe  4)  eingesetzt,  und  betrachte  diejenigen 
Glieder,  welche  explicite  den  Factor  x{xk  enthalten,  deren  Coeffi- 
cienten also ,  absolut  genommen ,  gleich  aiH  sind.  Diese  Glieder 
stammen  nur  aus  Xu  und  Xlk,   und  zwar  ist 

Xu  =  amxt  +  ali2x2  +  •  •  •  +  alikxk  +  •  •  •  +  alinxn 
Xlk  =  alkix,  +  alk2x2  +  •  •  •  +  alkix{  +  •  •  •  +  alknxt. 
Hieraus  folgt  nun,   daß  in  dem  Ausdruck 

xkXli-hxiXlk 

ein  Glied  mit  xtxk  nicht  auftreten  kann.  Denn  welches  auch  im- 
mer die  natürliche  Reihenfolge  der  Indices  i,  k,  l  ist,  so  haben 
die  Permutationen  lik  und  Iki  stets  verschiedenes  Vorzeichen. 
Damit  ist  die  obige  Behauptung  erwiesen. 

Die  Gleichungen  4)  geben  diejenige  Form  an ,  in  welche  sich 
jede  Lösung  des  Gleichungssystems  3)  bringen  läßt.  Diese  Lösung 
läßt  sich  nämlich,  wie  leicht  ersichtlich,  aus  ( J ) einfachen  Lösun- 
gen zusammensetzen,  von  denen  diejenige,  welcher  man  das  Sym- 
bol (X(iv)  ertheilen  kann,  durch 


342  A-  Schönflies, 

5)  Xuv  =  ±  xkJ    XvX  =  ±  x^,    X¥  =  ±  xv 

characterisirt  ist,  während  alle  übrigen  Größen  Xik  den  Werth 
Null  haben,  und  zwar  ist  das  Vorzeichen  wiederum  positiv  oder 
negativ,  je  nachdem  die  in  der  bezüglichen  Lösung  enthaltene 
Reihenfolge  der  Indices  einer  geraden  oder  ungeraden  Permutation 
entspricht.  In  der  That  können  ja  in  dem  Ausdruck  einer  jeden 
Lösung  Xik  von  Null  verschiedene  Beiträge  nur  aus  solchen  Lö- 
sungen 5)  stammen,  in  denen  X.k  nicht  selbst  Null  ist,  es  können 
daher  in  ihm  auch  nur  diejenigen  Coefficienten  a^v  auftreten, 
welche  die  Indices  ih  enthalten.  Was  endlich  das  Vorzeichen  die- 
ser Coefficienten  betrifft,  so  muß  es  infolge  der  vorstehenden  Be- 
stimmungen genau  dasjenige  sein,  welches  den  oben  getroffenen 
Festsetzungen  entspricht. 

In  dieser  Weise  können  die  weiteren  Grleichungs-  und  Lö- 
sungssysteme ebenfalls  direct  angegeben  werden.  Das  nächste 
Gleichungssystem  ist  durch  die  (J)  Gleichungen  von  der  Form 

6)  xxXikx  +  x2Xik2+...+xnXihn  =  0 

in  denen  xi  und  xk  fehlen,  dargestellt,  und  man  genügt  ihm  durch 
Lösungen,  welche  sich  in  analoger  Weise,  wie  oben,  aus  (£)  Lö- 
sungen 

Xpvq  =  ±xn     %vQ\  =  ±^i     XQhA  =  ±xv,     X^v  =  ±x9 

zusammensetzen ,  wo  die  Vorzeicheu  wieder  von  der  Art  der  be- 
züglichen Indicespermutation  abhängen  u.  s.  w.  Das  vorletzte  Glei- 
chungssystem ist,  wenn  wir  zur  Abkürzung  alle  Formen,  welche 
aus  X12...._v+1...n  durch  Permutation  der  Indices  entstehen,  durch 
X!  bezeichnen,  von  der  Form 

x,  X'k  +  xk  X'.  =  0 
und  zwar  ist  jedes  X[  wiederum  als  positiv  oder  negativ  zu  wäh- 
len, je  nachdem  die  bezügliche  Permutation  der  Indices  gerade 
oder  ungerade  ist.  Das  Gleichungssystem  besteht  aus  (J)  Glei- 
chungen, enthält  n  Formen,  und  läßt  nur  noch  eine  einzige  Haupt- 
lösung zu,  nämlich 

x;  -  *„  x>  =  Xl .  . .  xi  =  xn 

so  daß  jede  Lösung  derselben  in  die  Form 

x;  =  Axlt  x2  =  äx2  .  .  .  x'n  =  äxh 

gebracht  werden  kann.    Das  letzte  Gleichungssystem  ist 

xtX!  =  0,    x2  X'  =  0  .  .  .  xn  X'  =  0 
und  läßt  keine  Lösung  mehr  zu. 


Theorie  der  algebraischen  Formen.  343 

Beispielsweise    ergiebt    sich    für   n  =  4    folgende  Kette    von 
Gleichungen.     Der  Gleichung 

xx  Xx  +  x2  X2  +  x3  X8  +  Xt  X4  =  0 

genügen   sechs  linear  unabhängige   Lösungen,    so    daß   die   allge- 
meinste Lösung  folgende  Form  hat 

Xx  =     0     +  ax2  x2  +  aX3  x3  +  axl  z4 
X2  ■=  atl  xt  +     0    +  aM  i»,  +  «24  a?< 

X4  =  a41  xx  +  a42  #2  +  a43  #3  +    0. 

Diese  Lösung  führt  zu  folgendem  Gleichungssystem  für  die   sechs 

Formen  XAu 

0  +s2Xlf+3,XM+a;,X14  =  0 
0,  X21+  0  +#3  X23+  #4  X24  =  0 
xx  X31  +  x2  X82+  0  +  z4  X34  =  0 
xlXn+x%X„+x%XM+    0      ==0 

Die  allgemeinste  Lösung  dieses  Gleichungssystems  ist 

X12  =      0+0      +aX23xs  +  aX2,x, 

XX3  =      0     +  a132#2  +     0     +  a134#4 

X14  =      0    +  aI42  x2  +  a143  #3  +    0 

X2s  =  «281^1+     0+0    +  a234#4 

X24  =  a241^+     0     +a§tMx%+     0 

X84  =  «i«aJi+o>«*i+     0+0 

und  demgemäß  ergiebt   sich  für  die  Formen    X?,lv   folgendes  Glei- 
chungssystem 

X%  -A-128  ~^~  *^4  -^124    ==     0  #j  A231   +  X±  A234    =    U 

x,  X182  +  z4  X134  =  0        xx  Xul  +  #8  X248  =  0 
x2  X142  +  x3  X148  =  0        *,  X841  +  xt  X843  =  0. 

Diesem  System  genügt  man  nun  durch 

-^■128    ==    ^1234  ^4  5  X124     =     ^1248^8?         ^184     ==     ^1842  ^2  >         ^284    ==     Ö2M1  ^1 

so  daß  als  letztes  Gleichungssystem,   das   keine  Lösung  mehr  zu- 
läßt 

XiM4  3«—0>     XxmxB  =  0,     Xima,  —  0,     Z^ä.-bO 

resultirt. 

Kachrichten  von  der  E.  0.  d.  W.  in  Göttingen.   1891.  No.  10.  25 


344  A.  Schönflies,    Theorie  der  algebraischen  Formen. 

Hiermit  ist  die  oben  ausgesprochene  Behauptung  dargethan. 
Ich  bemerke  übrigens,  daß  man  auf  Grund  der  vorstehenden  Ent- 
wicklungen auch  den  im  Eingang  dieser  Note  angegebenen  Satz 
selbst  erweisen  kann.  Man  überzeugt  sich  nämlich  leicht,  daß 
die  (,+J  Lösungssysteme  des  sten  Gleichungssystems  in  allen  Fäl- 
len linear  unabhängig  sind ,  und  daß  weitere  von  einander  li- 
near unabhängige  Lösungen  nicht  existiren  können.  Zu  letzterem 
Behuf  könnte  man  übrigens  auch  die  von  Herrn  Hubert  für 
jeden  Modul  angegebene  characteristische  Function  %  (B)  benutzen. 
Da  nämlich  offenbar  jede  Form  der  Bten  Ordnung  nach  dem  Mo- 
dul (xt  .  .  .  xn)  der  Null  congruent  ist ,  so  ist  %  (B)  =  0 ;  ande- 
rerseits kann  der  allgemeinen  Gestalt  von  %  (B),  deren  Beschaffen- 
heit sich  auf  Grund  des  allgemeinen  Theorems  III  direct  angeben 
läßt,  nur  durch  diejenigen  Coefncienten  genügt  werden,  welche 
mit  den  im  obigen  &atz  figurirenden  Zahlen  identisch  sind.  Dies 
ist  auch  dann  noch  der  Fall,  wenn  der  Grad  B  der  bezüglichen 
Formen  kleiner  als  n  ist;  in  diesem  Fall  bricht  zwar  die  Kette 
der  abgeleiteten  Gleichungen  vor  dem  wten  Gleichungssystem  ab, 
die  auf  dasselbe  bezüglichen  Schlüsse  werden  aber  dadurch  in  kei- 
ner Weise  tangirt. 


Bemerkung  über  die  Auflösung  quadratischer 
Congruenzen. 

Von 

Alberto  Tonelli  in  Rom. 

(Vorgelegt  von  Ernst  Schering  am  7.  November.) 

Auszug  aus  Briefen  vom  18.  April  und  15.  Juni  1891. 

Das  bekannte  Verfahren  zur  allgemeinen  Auflösung  einer  qua- 
dratischen Congruenz  für  einen  Modul,  welcher  eine  von  der  Form 
4Ä  +  1  verschiedene  Primzahl  ist,  habe  ich  in  der  Weise  verall- 
gemeinert, daß  es  auch  auf  Primzahlen  dieser  letzteren  Form 
anwendbar  wird. 

Wenn  die  Congruenz 

xx  =  c  (mod.  p) 

zur  Auflösung  vorgegeben  ist  und  noch  ein  beliebiger  quadratischer 
Nichtrest  g  (mod.  p)  bekannt  ist,  so  besteht  dies  Verfahren  im 
Folgenden. 


Alberto  Toneil i,  Bemerkung  üb.  die  Auflösung  quadratischer  Congruenzen .    345 

Es  sei  p  =  a  2°  +  1 ,   worin  a  ungerade  s  >  1  ist,  dann  wird 
nach  dem  Eul er  sehen  Satze 

^a-'s  +  l,    g«2>->=E__1  (mod>  p)m 

Wenn   noch  s>2  ist,    folgt    aus   der  ersteren   dieser  beiden 
Congruenzen  die  neue 

ca2"l  =  ±l  (mod.  p). 

Es  sei  nun  s0  =  0  wenn  das  obere  (+)Zeichen,  et  =  1  wenn 
das  untere  ( — )Zeichen  stattfindet,    so  daß  immer 

0«.«2-V«^s  +  l  (mod.  p) 
wird.     Wenn  nun  noch  s  >  3  ist ,    so  folgt  hieraus 

gs0a2^ca2^=±1   (mod    py 

Gilt  hier  das  obere  (+)Zeichen,  so  setze  ich  £x  =  0,  gilt  das 
unter  ( — )Zeichen,    so  setze  ich  st  =  1,  so  daß  immer 

gel«2>->gs0u2-*ca2°-*-  +  1   (m0(L  p) 

wird.     Auf  diese  Weise  erhält  man  die  Congruenz 

g***{*9  +  sx2+  .  .  .  -f  *„&-*) c*2r*- »sl  (mod>  p) 
so  lange  noch  h  <  s  ist ;   also  für  h  =  s  —  1  wird 

gCc2(s0  +  812+  .  .  .  +±*r*>emmi  (m0(i.  p) 
und  demnach 

#=  ±#    v  °^  *    ^  ^  '  2      yc  *    (mod.  i>) 

gesetzt,  gibt  die  Wurzeln  der  Congruenz 

xx  =  c  (mod.  p). 
Aus  dieser  Lösung  erhält  man  durch 

fH     ^-2^4-1 
#,  =  #         c  2         "  (mod.  .p ) 

eine  allgemeine  Auflösung  der  Congruenz 

xx  xt  =  c  (mod.  #*), 

wie   man   sich  leicht  mit  Anwendung  des  verallgemeinerten  F er- 
matschen Satzes  und  des  Satzes  überzeugt,    daß  wenn 

a  =  6  (mod.  p)  ist,    auch  al>'~~'  =b^'1  (mod.  px) 

wird. 

25* 


346  p-  Drudi  und  W.  N ernst, 

Diese  Formeln  für  die  Wurzeln  sind  nicht  nur  theoretisch 
bemerkenswerth ,  sondern  sie  können  auch  in  Fällen,  wo  andere 
besondere  Methoden  ihren  Dienst  versagen,  von  praktischer  Be- 
deutung zur  Berechnung  der  Wurzel  der  quadratischen  Congru- 
enzen  sein. 


Ueber   die  Fluorescenzwirkungen  stehender 
Lichtwellen. 

Von 

P.  Drude  und  W.  Nernst. 

Es  bietet  ein  erhebliches  Interesse,  die  bekannten  Untersu- 
chungen Hrn.  Wien  er' s1)  über  die  photographische  Wirksamkeit 
stehender  Lichtwellen  auch  auf  andere  Erscheinungen,  durch  welche 
Lichtbewegung  objektiv  zur  Darstellung  gebracht  werden  kann, 
auszudehnen,  und  für  möglichst  verschiedene  Arten  derselben  fol- 
gende beiden  Fragen  zu  beantworten : 

1)  Griebt  es  bei  stehenden  Lichtwellen  Maxima  und  Minima 
der  Wirkungsweise? 

2)  Fallen  bei  ein  und  derselben  stehenden  Lichtwelle  die 
Maxima  der  Wirkung  für  die  verschiedenen ,  zur  Untersuchung 
gelangten  Erscheinungsklassen  zusammen  ? 

Wirkungen  des  Lichtes  sind  auf  vielen,  recht  verschieden- 
artigen Gebieten  beobachtet;  außer  der  durch  Belichtung  hervor- 
gebrachten Erwärmung ,  Fluorescenz ,  und  der  Erscheinung  der 
Hauchbilder ,  wie  von  Wiener  erwähnt  ist ,  möchten  wir  hier 
noch  die  durch  Belichtung  hervorgerufene  Entladung  negativ 
elektrisch  geladener  Körper,  die  Widerstandsänderungen  des  Selen's 
oder  Chlorsilbers 2),  den  Einfluß  des  Lichtes  auf  elektrische  Funken- 
entladung 8)  und  die  photoelektrischen  (Becquere l'schen4))  Ströme 
nennen. 

Die  Schwierigkeit  der  Untersuchung  stehender  Lichtwellen 
beruht  hauptsächlich  in  zwei  Punkten :  einmal  muß  der  Körper, 
durch  dessen  Verhalten  die  Wirkung  der  Bäuche  und  Knoten  der 
stehenden  Lichtwelle  untersucht  werden  soll,  dünn  sein  im  Vergleich 


1)  0.  Wiener,  Wied.  Ann.  40,  p.  203,  1890. 

2)  Sr.  Arrhenius,   Wiener  Ber.  96,  p.  831.  1887. 

3)  H.  Hertz,    Wied.  Ann.  31,  p.  983,  1887. 

4)  Ed.  Becquerel,  La  lumiere,  T.  2,  p.  121,  Paris  1868. 


über  die  Fluorescenzwirkungen  stehender  Lichtwellen.  347 

zur  Wellenlänge  des  angewandten  Lichtes,  damit  bei  dem  benutz- 
ten lichtempfindlichen  Körper  nicht  die  Wirkung  von  Schwingungs- 
bauch und  Schwingungsknoten  gleichzeitig  vorhanden  ist ;  eine 
andere  Schwierigkeit  wird  durch  die  Herstellungsart  stehender 
Lichtwellen  hervorgebracht.  Eine  stehende  Lichtwelle  wird  erzeugt 
durch  die  Interferenz  zweier  in  entgegengesetzter  Richtung  sich 
fortpflanzender  Wellenzüge  von  gleicher  Amplitude.  Dies  wird 
mit  großer  Annäherung  durch  Reflexion  des  Lichtes  an  einem 
Silberspiegel  erreicht ,  da  über  90  %  des  einfallenden  Lichtes  am 
Silber  reflectirt  werden.  Das  lichtempfindliche  Häutchen,  wie 
kurz  der  Körper  genannt  werden  möge,  an  welchem  irgend  eine 
Art  der  Wirkung  stehender  Lichtwellen  untersucht  werden  soll, 
muß  nun  nahezu  dem  Silberspiegel  parallel  liegen,  damit  sich  ge- 
nügend weit  räumlich  auf  dem  Häutchen  der  Wellenbauch  von 
dem  Wellenthal  trennt  und  zwar  in  einem  Abstand  von  dem  Spie- 
gel, welcher  um  so  kleiner  sein  muß,  je  weniger  homogen  die  zur 
Wirkung  gelangende  Lichtsorte  ist,  damit  nicht  der  Schwingungs- 
bauch und  Schwingungsknoten  für  zwei  Lichtstrahlen  verschie- 
dener Wellenlänge  auf  dem  lichtempfindlichen  Häutchen  zusammen- 
fallen und  dadurch  die  Wirkung  von  Bauch  und  Knoten  gar  nicht 
getrennt  werden  kann.  Man  wird  daher  das  einfallende  Licht 
spectral  zerlegen  müssen ,  falls  man  den  Abstand  des  Häutchens 
vom  Spiegel  nicht  beliebig  klein  machen  kann.  Enthält  jede  Stelle 
im  erzeugten  Spectrum  Licht  von  streng  einerlei  Wellenlänge  und 
Richtung  so  würde  man  den  Abstand  des  Häutchens  vom  Spiegel 
beliebig  groß  wählen  können.  Indeß  kann  man  ein  derartiges 
Spectrum  nicht  mit  genügender  Lichtintensität  herstellen ,  vor 
Allem  bei  Erscheinungen ,  welche  nicht ,  wie  die  photographische 
Wirkung,  durch  längere  Exposition  verstärkt  werden  können. 
Denn  bei  der  gewöhnlichen  Herstellungsart  des  Spectrums  durch 
Spalt,  Collimatorlinse,  Prisma  und  Sammellinse  ist  das  Spectrum 
nur  für  einen  sehr  schmalen  Spalt  hinreichend  rein.  Man  wird 
dem  Spalt  meist  eine  gewisse  Breite  geben,  um  überhaupt  deutliche 
Licht  Wirkung  zu  bekommen  und  daher  das  lichtempfindliche  Häut- 
chen in  sehr  kurzen  Abstand  vom  Silberspiegel  bringen  müssen. 
Die  große  Nähe  desselben  verursacht  experimentelle  Schwierigkeiten 
hauptsächlich  für  die  Beobachtung  der  elektrischen  Lichtwirkungen, 
während  die  Herstellung  eines  genügend  dünnen  lichtempfindlichen 
Körpers  auch  für  diese  Klasse  von  Erscheinungen  wohl  möglich 
zu  sein  scheint.  —  Man  könnte  ferner  stehende  Lichtwellen  er- 
zeugen durch  Reflexion  an  zwei  Spiegeln ,  (am  besten  totalreflec- 
tirenden   Prismen),    welche    unter   45°    gegen    einen    einfallenden 


348  P-  Drude  und  W.  N  ernst, 

Wellenzug  geneigt  sind  und  sich  einander  zuwenden.  In  dem 
Zwischenraum  zwischen  beiden  Spiegeln  würden  sich  stehende 
Lichtwellen  bilden.  Bringt  man  das  lichtempfindliche  Häutchen 
nahezu  in  die  Ebene,  zu  welcher  beide  Spiegel  symmetrisch  liegen, 
so  würden  auf  ihm  Schwingungsbauch  und  Schwingungknoten  ge- 
nügend weit  räumlich  getrennt  werden  können  und  zwar  wäre 
ihre  Lage  unabhängig  von  der  Wellenlänge  des  angewandten 
Lichtes.  Letzteres  brauchte  daher  nicht  homogen  zu  sein,  wohl 
aber  sehr  streng  von  einerlei  Richtung  und  daher  wird  auch  diese 
Methode  zunächst  auf  Schwierigkeiten  stoßen.  —  Eine  dritte  Un- 
tersuchungsmethode der  Wirkung  stehender  Wellen  bietet  sich 
in  der  Totalreflexion,  bei  der  man  die  Nähe  eines  Metallspiegels 
vermeidet ;   es  wird  davon  weiter  unten  näher  die  Rede  sein. 

Von  den  erwähnten  Lichtwirkungen  haben  wir  zunächst  nur 
bei  der  Fluorescenz  Resultate  erhalten,  welche  für  die  Beobachtung 
die  bequemste  ist  und  wobei  wir  uns  in  allen  wesentlichen  Punkten 
an  die  Wien  er' sehe  Versuchsanordnung  anschlössen.  Als  Licht- 
quelle diente  das  elektrische  Bogenlicht,  welches,  namentlich  wenn 
man  die  Kohlenspitzen  in  eine  größere  Distanz  (etwa  V«  cni)  von 
einander  bringt,  sodaß  ein  großer  Lichtbogen  entsteht,  die  kräftig- 
sten Fluorescenzwirkungen  der  zu  Gebote  stehenden  Lichtquellen 
besitzt.  Das  Bogenlicht  wurde  durch  eine  Dynamomaschine  ge- 
liefert, die  Stromstärke  auf  15  bis  20  Amp.  regulirt,  für  gro- 
ßen Abstand  der  Kohlenspitzen  war  durch  Veränderung  der 
Regulirgewichte  der  Lampe  Sorge  getragen.  Letztere  befand  sich 
in  einem  anderen  Zimmer,  als  der  Beobachtungsraum,  welcher  völ- 
lig verdunkelt  werden  konnte.  Das  Spaltrohr  eines  Spektrome- 
ters  war  lichtdicht  durch  ein  Loch  in  der  Thüre  des  Beobach- 
tungsraumes geschoben,  der  Spalt  empfing  die  Strahlen  der  Koh- 
lenspitzen meist  direkt,  ohne  dazwischen  geschaltete  Linse.  Es 
zeigte  sich,  daß  man  so  durch  Annäherung  der  Kohlenspitzen  an 
den  Spalt  eine  größere  Intensität  des  Fluorescenzlichtes  im  Beob- 
achtungsraum erhielt,  als  wenn  das  Bogenlicht  durch  ein  Grlas- 
linsensystem  auf  den  Spalt  concentrirt  wurde. 

In  dem  Spaltrohr  befand  sich  als  Collimaterlinse  eine  Quarz- 
linse, das  durch  diese  parallel  austretende  Licht  wurde  durch  ein 
auf  dem  Spektrometertischchen  im  Minimum  der  Ablenkung  auf- 
gestelltes Flintglasprisma  von  45°  brechenden  Winkel  spectral 
zerlegt,  und  fiel  dann  auf  die  ebenfalls  aus  Quarz  bestehende  Ob- 
jektivlinse  des  Spektrometerfernrohrs,  dessen  Ocular  herausgenom- 
men war.  In  der  Brennebene  der  Objektivlinse  entsteht  dann  ein 
Spektrum  des  Bogenlichtes,  und  durch  einen  in  der  Ebene  liegenden 


über  die  Fluorescenzwirkungen  stehender  Lichtwellen.  349 

Spalt  (Ocularspalt)  konnte  ein  beliebiger  Theil  des  Spektrums  ausge- 
blendet werden.  Das  zerlegende  Flintglasprisma  fluorescirte  unter 
der  Wirkung  des  Bogenlichtes  und  mußte  daher  die  wirksamen 
Strahlen  etwas  absorbiren.  Indeß  erwies  sich  durch  direkte  Ver- 
suche, indem  das  Glasprisma  durch  ein  Quarzprisma  ersetzt  wurde, 
die  Absorption  als  so  gering,  daß  ersterem  wegen  des  Fehlens 
der  Doppelbrechung  der  Vorzug  vor  letzterem  gegeben  wurde.  — 
Sehr  verschiedenartige  Substanzen  (auch  Papier,  Holz,  Gelatine) 
fluoresciren  mehr  oder  weniger  stark,  wenn  auf  sie  das  Spektrum 
des  Bogenlichtes  geworfen  wurde.  Für  alle  lag  das  Maximum 
des  Fluorescenzlichtes  in  zwei  breiteren  violetten  Banden,  welche 
ziemlich  nahe  an  der  Stelle,  wo  die  H-Linien  des  Sonnen  Spektrums 
auftreten,  sich  befinden  und  zwar  von  diesen  aus  nach  dem  brech- 
bareren Ende  des  Spektrums  hin.  Besonders  die  den  H-Linien  zu- 
nächst benachbarte  Bande  zeichnet  sich  durch  sehr  starke  Fluores- 
cenzwirkung  aus  und  wurde  daher  allein  bei  den  schließlichen  Ver- 
suchen benutzt.  Beide  Banden  liegen  noch  im  sichtbaren  Theil  des 
Spectrums,  wenn  auch  das  Licht  der  brechbareren  Bande  nur  noch 
wenig  intensiv  ist.  Die  mittlere  Wellenlänge  der  benutzten  Bande 
ergab  sich  mit  Hülfe  eines  Glasgitters  von  0,0045  mm  Strich- 
Abstand  zu  0.000386  mm.  Die  Messung  wurde  in  der  Weise  vor- 
genommen, daß  eine  Glasplatte,  auf  welcher  eine  gelatinöse  wäss- 
rige  Lösung  von  Fluorescein  zu  einer  etwa  1/100  mm  dicken  Haut 
eingetrocknet  war,  in  der  Brennebene  des  Objectivs  befestigt  wurde. 
Die  beiden  wirksamen  Banden  kennzeichnen  sich  durch  zwei  hell- 
glänzende grüne  Linien,  welche  man  bei  schiefer  Durchsicht  auf 
der  Glasplatte  wahr  nimmt.  Indem  man  das  Fernrohr  des  Spek- 
trometers  so  dreht,  daß  die  der  zu  untersuchenden  ersten  Bande 
angehörige  Linie  auf  eine  bestimmte  Marke  der  Glasplatte  fällt, 
erhält  man  den  durch  das  Gitter  erzeugten  Ablenkungswinkel  der 
Bande  und  daher  auch  ihre  Wellenlänge. 

Eine  nach  der  beschriebenen  Art  hergestellte  fluorescirende 
Platte  ist  für  alle  Versuche  über  Fluorescenz  sehr  bequem,  einer- 
seits der  Handlichkeit  wegen,  andrerseits  weil  wegen  der  geringen 
Dicke  der  fluorescirenden  Schicht  die  wirksamen  Banden  des  Spek- 
trums sich  scharf  auf  der  Platte  abzeichnen. 

Es  handelte  sich  nun  um  Herstellung  einer  Haut  von  der 
Dicke  eines  Bruchtheils  der  Wellenlänge,  welche  noch  deutliche 
Fluorescenz  aufwies.  Dazu  muß  eine  Sahstanz  gewählt  werden, 
welche  in  wässriger  Lösung  ein  starkes  FluorescenzvermögeiJ  aufweist 
und  welche  eine  hinreichend  große  Lößlichkeit  in  Wasser  besitzt, 
weil  die  in  wässriger  Lösung  wirksamen  Stoffe  im  krystallisirten 


350  p-  Drude  und  W.  Nernst, 

Zustande  nicht  fluoresciren.  —  Den  genannten  Anforderungen  ge- 
nügte in  ausreichenden  Maße  das  Natronsalz  des  Fluoresceins. 

Es  wurde  eine  Reihe  von  verschieden  concentrirten  wässrigen 
Losungen  dieser  Substanz  hergestellt ,  diesen  Lösungen  Gelatine 
im  Verhältniß  1 :  600  zugesetzt  und  Glasplatten  mit  ihnen  benetzt. 
Nach  dem  Eintrocknen  der  Lösung  blieb  auf  ihnen  eine  Haut 
zurück,  welche  ungefähr  den  GOOsten  Theil  der  Dicke  der  ursprüng- 
lichen Wasserhaut  besitzt.  Man  erhält  so  leicht  Häute  ,  welche 
im  reflectirten  weißen  Lichte  die  eisengraue  Farbe  der  New- 
ton'sehen  Skala  zeigen  und  welche  eine  Dicke  von  1/20  bis  1/30 
der  mittleren  Wellenlänge  des  weißen  Lichtes  besitzen.  Diese 
Dicke  wurde  auch  direkt  gemessen,  indem  auf  der  Glasplatte  mit 
der  Spitze  eines  Messers  eine  schmale  Partie  der  Haut  weggeschabt, 
und  dann  eine  andere  Glasplatte  fest  gegen  die  erste  angedrückt 
wurde.  Die  Dicke  der  Gelatine-Haut  bestimmt  sich  dann  leicht 
durch  die  Gestalt  der  Interferenzstreifen,  welche  bei  homogener 
Beleuchtung  an  der  zwischen  beiden  Platten  befindlichen  Luft- 
schicht erzeugt  werden  und  an  der  geschabten  Stelle  eine  Dis- 
continuität  zeigen. 

Gleichdicke  Stellen  der  verschiedenen  Häute,  welche  aus  den 
einzelnen  Lösungen  hergestellt  waren,  wurden  dann  auf  ihr  Fluores- 
cenzvermögen  hin  geprüft,  indem  man  sie  in  die  wirksame  Bande 
des  Bogenlicht-Spektrums  brachte.  Es  erwieß  sich  eine  Lösung, 
welche  das  Fluorescein  in  der  Concentration  1 :  500  ursprünglich 
(vor  dem  Eintrocknen)  enthalten  hatte,  am  günstigsten ;  mit  dieser 
sind  die  weiteren  Versuche  angestellt. 

Zum  Zweck  größerer  Lichtintensität  wurde  der  Spalt  des  Col- 
limatorrohrs  etwa  2  mm  breit  gemacht.  Das  Fluorescenzlicht 
erwieß  sich  dann  auf  einigen  Platten  so  stark,  daß  es  auch  im 
nicht  verdunkelten  Beobachtungszimmer  deutlich  wahrzunehmen 
war.  Die  erste  wirksame  Bande  im  Spectrum  des  Bogenlichtes 
zeichnete  sich  als  fast  3  mm  breites  grünes  Lichtband  auf  den 
fluorescirenden  Substanzen  ab.  Es  konnte  ein  Ocularspalt  von 
dieser  Breite  eingesetzt  werden ,  welcher  also  das  unwirksame 
Licht  abblendete. 

Auf  einer  ungefähr  3  mm  dicken  planparallel  geschliffenen  Glas- 
platte ,  welche  im  Bogenlicht  nicht  merklich  fluorescirte ,  wurde 
eine  fluorescirende  Haut  auf  die  beschriebene  Weise  hergestellt, 
und  diese  dann  auf  eine  andere  ebengeschliffene  chemisch  versil- 
berte Glasplatte  gelegt,  deren  Silberbelegung  durch  einen  weichen 
Lederlappen,  auf  welchem  sich  ein  wenig  Pariser  Roth  befand, 
gut  polirt  war.     Die  fluorescirende  Haut  war  dem   Silberspiegel 


über  die  Fluorescenzwirkungen  stehender  Lichtwellen.  351 

zugewandt.  Zunächst  rief  die  wirksame  Bande  des  Bogenlichtes 
nur  eine  gleichmäßige  Fluorescenz  in  der  Haut  hervor.  Dies  war 
eine  Folge  der  mangelnden  Homogenität  des  Spektrums,  welche 
•durch  die  beträchtliche  Breite  des  Collimatorspaltes  verursacht 
war.  Denn  als  durch  Hin-  und  Herschieben  der  Glasplatte  der 
Abstand  der  Haut  vom  Silberspiegel  so  verringert  wurde,  daß  im 
reflectirten  weißen  Lichte  die  Newton'  sehen  Farben  der  höheren 
Ordnungen  sichtbar  wurden ,  erschien  das  grüne  Lichtband  des 
Fluorescenzlichtes  deutlich  von  schwarzen  Minimis  durchzogen. 
Die  Lage  derselben  entsprach  der  Lage  der  im  weißen  reflectirten 
Lichte  auftretenden  Newton' sehen  Farben,  nur  war  der  Abstand 
ersterer  (entsprechend  der  kleineren  Wellenlänge  der  wirksamen 
Bande  des  Bogenlichtes)  kleiner,  als  der  der  letzteren.  Die 
Fluorescenz  -  Minima  wanderten  auf  der  Platte,  falls  man  durch 
Drücken  mit  dem  Finger  ihren  Abstand  vom  Silberspiegel  änderte, 
ein  Beweis  dafür,  daß  die  Streifung  nicht  durch  ungleichmäßige 
Dicke  der  fluorescirenden  Haut  hervorgebracht  sein  konnte.  Die 
Erscheinung  zeigte  sich  um  so  mehr  in  grüner  Farbe,  unter  je 
schieferem  Winkel  man  die  Platte  betrachtete.  Falls  sich  die 
Lage  des  Auges  dem  Reflexionswinkel  näherte,  schlug  die  Er- 
scheinung mehr  in  die  der  wirksamen  Bande  angehörige  violette 
Farbe  um,  offenbar,  weil  das  vom  Silberspiegel  diffus  reflec- 
tirte  violette  Licht  mit  ins  Auge  gelangte.  Daß  dieses  nicht 
etwa  allein  eine  Interferenzfigur  aufwies,  welche  scheinbar  auch 
die  Interferenzfigur  der  Fluorescenz  hervorgebracht  hätte,  konnte 
deutlich  durch  folgenden  Versuch  nachgewiesen  werden.  Die 
fluorescirende  Haut  war  in  einer  Breite  von  2  mm  auf  der  Glas- 
platte entfernt.  Dieser  Streifen  war  dem  Ocularspalt  parallel, 
während  die  Platte  auf  den  Silberspiegel  so  angedrückt  und  fest- 
gebunden wurde ,  daß  die  Interferenzstreifen  senkrecht  zu  dem 
Ocularspalt  und  dem  geschabten  Streifen  verliefen.  Sowie  nun 
bei  unveränderter  Stellung  des  Auges  des  Beobachters  die  Platten- 
kombination so  bewegt  wurde,  daß  der  Streifen,  auf  welchem  die 
fluorescirende  Haut  weggeschabt  war ,  in  den  belichteten  Theil 
trat ,  erschien  derselbe  in  gleichmäßigen  violetten  Lichte  ohne 
durchziehende  schwarze  Streifen,  während  die  unmittelbar  angren- 
zenden Stellen,  auf  welchem  sich  Fluorescein  befand,  dieselben 
deutlich  aufwiesen. 

Daß  schließlich  die  Erscheinung  wirklich  lediglich  durch  die 
Einwirkung  der  stehenden  Lichtwellen  auf  die  Fluorescenz  her- 
vorgebracht wurde ,  ergab  sich  auch  daraus,  daß,  wenn  man  den 
Ocularspalt  entfernte,    sodaß   ein   breiteres  Spektrum   des  Bogen- 


352 

lichtes  auf  die  Platten-Kombination  fiel,  das  grüne  von  schwarzen 
Streifen  durchzogene  Lichtband  nur  an  der  Stelle  der  wirksamen 
Bande  des  Spektrums  auftrat,  während  an  den  unmittelbar  anlie- 
genden Theilen  desselben,  welche  fluorescirend  nicht  wirken,  Dun- 
kelheit oder  gleichmäßig  diffuses  blaues  Licht  herrschte.  —  Zur 
weiteren  Controlle  wurde  auch  eine  Plattencombination  hergestellt, 
bei  der  die  hintere  Glasplatte  nicht  mit  Silber  belegt  war.  Es 
traten  im  reflectirten  Lichte  sehr  scharf  Newton' sehe  Ringe  auf, 
weit  deutlicher,  als  bei  der  vorigen  Plattencombination  mit  Silber- 
spiegel. Die  Lichterscheinung  der  fluorescirenden  dünnen  Haut 
der  vorderen  Glasplatte  war  aber  kaum  merklich  von  dunkleren 
Partieen  durchzogen,  welche  fast  ganz  verschwanden,  als  die  Platten- 
combination umgekehrt  wurde,  sodaß  die  fluorescirende  Haut  sich 
auf  der  hinteren  Glasplatte  befand.  Alles  dies  erklärt  sich  voll- 
ständig aus  der  geringen  Reflexion  des  Lichtes  am  Glase ,  welche 
nur  in  sehr  unvollkommender  Weise  stehende  Lichtwellen  zu  Stande 
kommen  läßt. 

Es  ist  also  durch  diese  Versuche  als  erwiesen  an- 
zusehen, daß  stehende  Lichtwellen  Maxima  und  Mi- 
nima der  Fluo  r  escenzwirkung  haben. 

Es  handelte  sich  nun  darum ,  die  zweite  der  oben  genannten 
Fragen  zu  entscheiden,  ob  nämlich  die  Maxima  der  Fluorescenz 
mit  den  Maximis  der  photographischen  Wirkung  zusammenfielen. 
Schon  durch  Betrachtung  der  Plattenkombination  unter  verschie- 
denen Einfallswinkeln  ließ  sich  diese  Frage  entscheiden.  Denn 
falls  man  die  Platten  so  gegen  die  Fernrohraxe  des  Spektrometers 
neigte,  daß  direkt  reflectirte  Strahlen  ins  Auge  des  Beobachters 
gelangten,  waren,  wenn  auch  nur  undeutlich,  Newton' sehe  In- 
terferenzfransen zu  sehen.  Die  Maxima  des  direkt  reflectirten 
Lichtes  fielen  zusammen  mit  den  Maximis  des  Fluorescenzlichtes, 
wie  sie  am  besten  bei  recht  schiefer  Betrachtung  der  Platten  ge- 
sehen wurden.  Dasselbe  Resultat  ergiebt  sich  aus  den  Wie- 
ner'sehen  Untersuchungen,  d.  h.  die  Maxima  der  Fluores- 
cenz Wirkungen  stehender  Lichtwellen  fallen  mit 
den  Maximis  ihrer  photographischen  Wirkung  zu- 
sammen. 

Um  dieses  Resultat  völlig  sicher  zu  erhalten,  wurden  Ver- 
suche mit  rechtwinklig  sich  schneidenden  Wellen  gemacht,  analog 
wie  sie  Wiener  für  die  photographische  Wirkung  angestellt  hat. 
Abweichend  von  der  Wien  er' sehen  Anordnung  war  nur,  daß 
erst  hinter  dem  (vertikalen)  Ocularspalt  ein  etwa  3  cm  dickes, 
wasserhelles  Kalkspath  -  Parallelepiped   mit    horizontal    liegendem 


über  die  Fluorescenzwirkungen  stehender  Lichtwellen.  353 

Hauptschnitt  aufgestellt  wurde.  Durch  eine  dahinter  befindliche 
Linse  von  kurzer  Brennweite  wurden  in  einer  Distanz  von  unge- 
fähr 20  cm  vom  Ocularspalt  zwei  nebeneinander  liegende  reelle 
Bilder  desselben  erzeugt,  deren  Polarisationsebene  bezw.  vertikal 
und  horizontal  lagen.  Es  wurde  dann  auf  die  zu  den  bisherigen 
Versuchen  benutzte  Plattencombination  ein  rechtwinkliges  Glas- 
prisma mit  seiner  Hypothenusenfläche  aufgesetzt,  dessen  eine  Ka- 
thetenfläche senkrecht  gegen  die  einfallenden  Lichtstrahlen  gestellt 
wurde.  Behufs  Vermeidung  von  Totalreflexion  ließen  wir  zwischen 
fluorescirender  Haut  und  Silberspiegel  einen  Tropfen  Benzol  ein- 
saugen (welches  die  Gelatine  -  Haut  nicht  auflößt1)),  und  etwas 
Wasser  zwischen  Prisma  und  vorderer  Glasplatte  (Kanadabalsam 
ist  nicht  anzuwenden  wegen  seiner  starken  Fluorescenz).  Von  den 
beiden  auf  der  Gelatinehaut  hervorgerufenen  Streifen  Fluorescenz- 
lichtes  erschien  nur  der  eine  von  schwarzen  Minimis  durchzogen, 
während  der  andere  gleichförmig  hell  war.  Dabei  wechselten  die 
beiden  vom  Ocularspalt  entworfenen  reellen  Bilder  ihre  Rollen,  wenn 
einmal  die  Einfallsebene  der  Gelatinehaut  horizontal,  und  wenn 
sie  ein  zweites  Mal  vertikal  lag,  und  zwar  rief  immer  das- 
jenige Bild  Streifung  im  Fluore  s  cenzlicht  hervor, 
dessen  Polarisations  e  b  ene  mit  der  Einfallsebene 
zusammmenfiel.  Diese  Erscheinung  ist  am  besten  zu  sehen 
bei  Betrachtung  der  Plattencombination  durch  die  dem  einfallenden 
Lichte  zugekehrte  Kathetenfläche  des  rechtwinkligen  Prismas,  da 
dadurch  alle  Spuren  diffus  vom  Silber  reflectirten  violetten  Lichtes 
vermieden  werden.  Die  Betrachtung  der  Platten  in  beiden  Lagen 
(mit  horizontaler  und  vertikaler  Einfallsebene)  geschah  deshalb, 
um  dadurch  den  Einwand  gegen  die  Beweiskraft  der  Versuche  zu 
vermeiden,  daß  die  beiden  reellen  Bilder  des  Ocularspaltes  infolge 
der  durch  Brechung  im  zerlegenden  Prisma  hervorgerufenen  Pola- 
risation des  Bogenlichtes  nicht  völlig  gleiche  Intensität  besitzen. 
Da  die  Fluorescenz  im  angewandten  rechtwinkligen  Glas- 
prisma die  Deutlichkeit  der  Erscheinung  beeinflußte,  haben  wir 
auf  einer  Seite  eines  gleichzeitigen  Quarzprismas,  dessen  brechende 
Kanten  der  optischen  Axe  parallel  lag,  eine  etwa  1/15  Wellen- 
länge dicke  fluorescirende  Haut  hergestellt,  und  diese  dicht  gegen 
einen  Silberspiegel  gedrückt,    sodaß   im  reflectirten  weißen  Lichte 

1)  Um  sicher  zu  sein,  daß  dies  Vorhandensein  des  Benzols  die  Fluorescenz 
nicht  modificirte,  wurde  auch  die  Plattencombination  ohne  rechtwinkliges  Glas- 
prisma mit  eingesogenem  Benzol  bei  senkrechter  Iucidenz  des  einfallenden  Lichtes 
untersucht.  Es  traten  ebenfalls  deutliche  schwarze  Minima  im  Streifen  des  Fluores- 
cenzlichtes  auf. 


354  p-  Drude  und  W.  Nernst, 

Newton' sehe  Farben  der  höheren  Ordnungen  auftraten.  Die 
Fluorescenz  dieser  Haut  ist  so  stark,  daß  sie  schon  im  diffusen 
Tageslichte  als  grüner  Schimmer  wahrnehmbar  ist.  Läßt  man 
zwischen  Silberspiegel  und  Quarzprisma  einen  Tropfen  Benzol 
einsaugen  und  bringt  eine  Fläche  des  Quarzprismas  in  eine  solche 
Lage  gegen  das  einfallende  Licht ,  daß  es  ungefähr  unter  45  ° 
gegen  die  Hinterfläche  des  Prismas  gebrochen  wird,  so  traten  die 
beschriebenen  Erscheinungen  sehr  deutlich  auf  und  sind  auch  im 
nicht  verdunkelten  Zimmer  gut  zu  beobachten1). 

Diese  Versuche  beweisen  vollständig,  daß  die  Maxima  der 
Fluorescenz  mit  den  Maximis  der  photographischen  Wirkung  zu- 
sammenfallen, da  für  letztere  Wiener  ganz  analoge  Resultate 
erhalten  hat. 

Mit  den  gewonnenen  Resultaten  steht  ein  anderer,  einfacher 
Versuch  im  Einklang;  Eine  Quarzplatte  wurde  zum  Theil  ver- 
silbert und  dann  mit  einer  fluorescirenden  Haut  überzogen,  welche 
in  Richtungen,  die  senkrecht  zur  Trennungslinie  des  versilberten 
vom  un versilberten  Theil  lagen,  nahezu  gleiche  Dicke  besaß.  Es 
konnte  dies  erreicht  werden,  indem  beim  Eintrocknen  der  auf  die 
Quarzplatte  gebrachten  fluorescirenden  Lösung  erstere  schräg  ge- 
stellt wurde,  sodaß  obige  Trennungslinie  am  stärksten  gegen  den 
Horizont  geneigt  war.  Es  wurde  die  so  präparirte  Quarzplatte 
in  die  wirksame  Bande  des  Spektrums  des  Bogenlichtes  senkrecht 
zu  den  Lichtstrahlen  gebracht,  und  zwar  derart,  daß  die  Tren- 
nungslinie des  versilberten  Theiles  der  Quarzplatte  von  dem 
unversilberten  Theil  senkrecht  zum  Ocularspalt  verlief,  sodaß 
gleiche  dicke  Stellen  der  fluorescirenden  Haut  dem  Lichte  aus- 
gesetzt wurden,  welche  theils  auf  Silber,  theils  auf  Quarz  lagen ; 
unter  diesen  Bedingungen  fluorescirten  letztere  Stellen  deutlicher 
als  erstere,  solange  die  Haut  dünn  (kleiner  als  die  halbe  Wellen- 
länge) war.  An  Stellen  der  Haut,  welche  dicker  als  eine  halbe 
Wellenlänge  des  einfallenden  Lichtes  waren,  kehrte  sich  die  Er- 
scheinung um,  indem  die  Stellen  auf  der  Silberbelegung  stärker 
fluorescirten,  als  die  auf  der  Quarzfläche.  Dies  Phänomen  erklärt 
sich   vollständig   dadurch,    daß   die  Fluorescenz   einer  dünnen  auf 


1)  Diese  Fluorescenzerscheinung  bietet  so  ein  bequemeres  Mittel  zur  Demon- 
stration der  Wirkung  stehender  Wellen,  als  die  Photographie,  da  die  Plattencom- 
bination  für  alle  Zeit  brauehbar  bleibt.  Vielleicht  kann  sie  daher  zum  Vorle- 
sungsexperiment verwandt  werden.  Bei  geringer  Dicke  der  zwischenlagernden 
Luftschicht  sind  die  Erscheinungen  auch  bei  Beleuchtung  mit  nicht  spektral  zer- 
legten Bogenlicht  wahrnehmbar.  —  Auch  im  violetten  Theil  des  Sonnenspectrums 
war  eine  allerdings  undeutliche  Streifung   des  Fluorescenzlichtes  wahrzunehmen. 


über  die  Fluorescenzwirkuugen  stehender  Lichtwelleii.  355 

Silber  liegenden  Haut  durch  die  Wirkung  der  in  ihr  zu  Stande 
kommenden  stehenden  Lichtwelle  zerstört  wird,  da  nach  den  Ver- 
suchen am  Spiegel  selbst  ein  Minimum  der  Wirkung  liegt. 

Belegt  man  die  eine  Fläche  eines  Prismas  einer  durchsichtigen 
Substanz  (Glas,  oder  Quarz)  mit  einer  fluorescirenden  Haut,  welche 
dünn  im  Vergleich  zur  Wellenlänge  ist,  und  dreht  man  das  Prisma, 
indem  die  Seite  mit  der  überziehenden  Haut  den  einfallenden 
Lichtstrahlen  abgewandt  ist,  so  daß  man  allmählig  von  partieller 
Reflexion  derselben  an  der  Hinterfläche  des  Prismas  zur  Total- 
reflexion gelangt,  so  tritt  bei  letzteren  eine  bedeutende  Verstärkung 
der  Fluorescenz  der  Haut  gegenüber  der  bei  partieller  Reflexion 
der  einfallenden  Lichtstrahlen  hervorgerufenen  ein1). 

Läßt  man  auf  die  Vorderfläche  des  Prismas  die  beiden  senk- 
recht zu  einander  polarisirten  Bilder  fallen,  welche  man  nach  der 
beschriebenen  Anordnung  mit  Hülfe  des  Doppelspaths  erhält,  und 
wählt  die  Einfallsebene  der  Hinterfläche  des  Prismas  mit  der 
einen  der  Polarisationsebenen  der  beiden  Bilder  zusammenfallend, 
so  läßt  sich  aus  dem  Verhältniß  der  Intensität,  mit  welcher  in 
beiden  Bildern  bei  der  Totalreflexion  Fluorescenz  erregt  wird, 
auf  die  Wirkungsweise  der  stehenden  Wellen  schließen,  und  zwar 
nach  folgender  Ueberlegung: 

Nehmen  wir  der  Einfachheit  halber  an,  das  Licht  fiele  im 
Innern  des  Prismas  unter  45  °  auf  seine  Hinterfläche  und  es  wäre 
der  Brechungsexponent  der  dünnen  Gelatinehaut  dem  des  Prismas 
gleich,  sodaß  auch  in  dieser  durch  Reflexion  zwei  senkrecht  sich 
kreuzende  Wellenzüge  für  jeden  der  beiden  vom  Ocularspalt  ge- 
bildeten Lichtstreifen  sich  fortpflanzen.  Setzt  man  voraus ,  daß 
ein  Maximum  von  Fluorescenzwirkung  eintritt  im  Schwingungs- 
bauche einer  gewissen  Vectorgröße,  die  infolge  der  Lichtbewegung 
periodische  Aenderungen  erleidet,  so  wird  die  Intensität  der 
Fluorescenz  in  demjenigen  Lichtstreifen,  in  welchem  jener  Vector 
parallel  zur  Einfallsebene  gerichtet  ist,  proportional  der  doppelten 
Summe  des  Quadrates  der  Amplitude  des  betreffenden  Lichtvectors 
sein:  in  demjenigen  Lichtstreifen  indessen,  in  welchem  der  Vec- 
tor senkrecht  zur  Einfallsebene  schwingt,   ist  die  Intensität   der 


1)  Diese  Thatsache,  welche  auch  bei  dickeren  Häutchen  vorhanden  ist, 
kann  daher  zur  Konstruktion  eines  fluorescirenden  Oculars  benutzt  werden,  wenn 
man  mit  Hülfe  desselben  die  Fluorescenzwirkungen  verschiedener  Spektralbereiche 
bei  direkter  Durchsicht  studiren  will.  Abgesehen  von  der  Verstärkung  der 
Fluorescenz  durch  Totalreflexion  ist  die  letztere  noch  deshalb  nützlich,  weil  sie 
alles  Licht,  welches  nicht  Fluorescenz  hervorruft,  völlig  vom  Auge  des  Beobach- 
ters abschneidet. 


356  p-  Drude  und  W.  Nernst, 

Fluorescens  proportional  der  vierfachen  Amplitude  des  Vectors 
oder  gleich  Null,  je  nachdem  für  denselben  bei  der  Total- 
reflexion an  der  reflectirenden  Fläche  ein  Schwingungsbauch  oder 
Schwingungsknoten  liegt.  Dabei  ist  abgesehen  von  Phasenän- 
derungen, welche  durch  Totalreflexion  im  Allgemeinen  herbeige- 
führt werden,  welche  aber  beliebig  klein  gemacht  werden  können, 
wenn  man  den  Einfallswinkel  des  Lichtes  im  Prisma  genügend 
nahe  am  Grenzwinkel  der  Totalreflexion  wählt. 

Nun  liegt  aber  für  den  zuletzt  genannten  Lichtvector  an  der 
totalreflectirenden  Fläche  selbst  ein  Schwingungsbauch,  wie  dies 
sowohl  die  Reflexionsformeln  der  F  r  e  s  n  e  1'  sehen  als  auch  der  N  e  u- 
mann' sehen  Theorie  zeigen,  und  um  einen  der  in  jenen  Formeln 
auftretenden  Lichtvectoren  muß  es  sich  hier  handeln.  —  Es  folgt 
daher,  daß  wenn  der  Einfallswinkel  45  °  genügend  nahe  am  Grenz- 
winkel der  Totalreflexion  liegt,  einer  der  beiden  Fluorescenz- 
streifen  auf  der  Hypothenusenfläche  des  Prismas  die  doppelte 
Helligkeit  haben  muß,  als  der  andere,  und  zwar  derjenige,  dessen 
Lichtvector  (im  obigen  Sinne)  senkrecht  zur  Einfallsebene  schwingt. 

Dies  Resultat  haben  wir  durch  die  Beobachtung  bestätigen 
können.  Wenn  man  ein  Glasprisma,  welches  einen  niederen  Brech- 
ungsexponenten besaß ,  sodaß  der  Grenzwinkel  der  Totalreflexion 
nicht  sehr  von  45°  verschieden  war,  gegen  das  einfallende  Licht 
allmählich  so  drehte,  daß  an  der  Hypothenusenfläche  des  Prismas, 
welches  mit  einer  dünnen  fluorescirenden  Haut  überzogen  war, 
zunächst  keine  Totalreflexion  und  dann  solche  eintrat,  so  war  für 
letztere  Stellungen  des  Prismas  die  Fluorescenz  in  demjenigen 
der  beiden  Lichtstreifen  die  hellere,  für  welchen  die  Polarisations- 
ebene mit  der  Einfallsebene  zusammenfiel.  Dies  Resultat  wurde 
erhalten,  sowohl  wenn  die  Einfallsebene  der  Hypothenusenfläche 
horizontal,  wie  wenn  sie  vertikal  stand.  —  Vom  quantitativen 
Messungen  der  Helligkeit  der  Fluorescenz  konnte  bei  der  beschrie- 
benen Anordnung  nicht  die  Rede  sein.  Denn  das  einfallende  Licht 
war  nicht  genügend  parallel,  da  es  zuletzt  eine  Linse  von  kurzer 
Brennweite  passirt  hatte  und  die  absoluten  Phasenänderungen 
durch  Totalreflexion  variiren  sehr  schnell  mit  dem  Einfallswinkel. 
Auch  hätte,  weil  der  Einfallswinkel  nicht  genau  45°  war,  eine 
kleine  Korrektion  an  dem  Helligkeitsverhältniß  der  beiden  Fluores- 
cenzbilder  angebracht  werden  müssen. 

Jedenfalls  stand  aber  diese  Beobachtung  qualitativ  im  Ein- 
klang mit  den  bisherigen,  daß  nämlich  der  Lichtvector, 
in  dessem  Schwingungsbauche  das  Maximum  der 
Fluorescenz  liegt,  senkrecht  zur  Polarisationsebene 


über  die  Fluorescenzwirkuugen  stehender  Lichtwellen.  357 

schwingt.  Außerdem  bietet  letztere  Beobachtung  einen  Finger- 
zeig, wie  man  vielleicht  die  Wirkungsweise  stehender  Wellen  bei 
anderen  lichtempfindlichen  Phänomenen,  wie  z.B.  beim  Elektrici- 
tätsverlust  durch  Bestrahlung,  oder  bei  den  Becquerel'schen 
Strömen  untersuchen  kann. 

Was  übrigens  die  eingangs  erwähnten  anderen  zur  Unter- 
suchung der  Wirkung  stehender  Wellen  geeigneten  Phänomene 
anlangt,  so  haben  wir  bisher  betreffs  der  Becquerel'schen  Ströme 
nur  vorläufige  Messungen  gemacht,  welche  uns  bewiesen,  daß 
diese  Beobachtungen  mit  Schwierigkeiten  verknüpft  sein  werden, 
wenn  man  zu  zuverlässigen  Resultaten  gelangen  will.  Dieselben 
liegen  einerseits  daran ,  daß  die  kleinste  Erschütterung  schon 
merklich  die  elektromotorische  Kraft  einer  lichtempfindlichen  Zelle 
verändert,  und  andererseits  daran,  daß  das  Licht  in  gewissen  Be- 
reichen des  Spektrums,  welche  je  nach  der  Beschaffenheit  der 
angewandten  lichtempfindlichen  Elektroden  (Silber,  Jodsilber,  Chlor- 
silber, Bromsilber,  auch  je  nachdem  sie  einmal  auf  hohe  Tempe- 
ratur gebracht  sind,  oder  nicht)  verschieden  sind,  sensibilatorisch 
wirken  für  ein  gewisses  anderes  Spektralbereich,  daß  aber  nach 
einmaligen  Belichten  der  Elektrode  mit  letzterem  seine  Lichtem- 
pfindlichkeit wieder  verloren  geht,  sie  aber  durch  Bestrahlung 
mit  dem  sensibilatorischem  Theile  des  Spektrums  wieder  gewonnen 
werden  kann. 

Bei  Vorversuchen,  welche  wir  behufs  bolometrischer  Prüfung 
der  Wärmewirkungen  stehender  Lichtwellen  anstellten,  stießen 
wir  insofern  auf  Schwierigkeiten ,  als  dünnes  auf  Glas  niederge- 
schlagenes Silber  oder  auf  G-las  aufgeklebtes  Blattgold  ein  mit 
der  Temperatur  sehr  wenig  und  dabei  unregelmäßig  variirendes 
Leitungsvermögen  aufwiesen;  Grelatinhäute  von  der  erforderlichen 
Dünne  leiteten  auch  bei  reichlichem  Zusatz  guter  Elektrolyte 
überhaupt  nicht  nachweisbar,  sobald  sie  eingetrocknet  waren, 
während  sie  nach  schwachem  Anhauchen  infolge  rascher  Verdun- 
stung eine  sehr  inkonstante  Leitfähigkeit  besaßen.  Wegen  des 
unvergleichlich  viel  größeren  Temperaturkoefficienten  würden  sich 
natürlich  Leiter  zweiter  Klasse  besonders  empfehlen.  —  Es  ist 
in  gewisser  Weise  plausibel,  daß  die  Wärmewirkung  stehender 
Wellen  an  denselben  Stellen  liegt,  wie  ihre  Fluorescenzwirkung. 
Denn  man  kann  die  Erwärmung  eines  Körpers  durch  Lichtstrahlen 
als  eine  Art  Fluorescenz  auffassen ,  indem  die  Lichtstrahlen  ab- 
sorbirt  werden  und  der  Körper  Strahlen  größerer  Wellenlänge 
wieder  aussendet.  Bei  der  wirklichen  Fluorescenz  fallen  diese  in 
den  sichtbaren  Theil  des  Spektrums ,   bei   der  Erwärmung  in  den 


358  P.  D  r  u  d  e  u.  W.  N  e  r  n  s  t,  üb.  die  Fluorescenzwirkungen  stehender  Licht  wellen. 

unsichtbaren ,  ultrarotben.  Aus  dem  angeführten  Grunde 
halten  wir  es  für  wahrscheinlich,  daß  die  Wärme- 
wirkungen stehen  der  Lieh  twellen  mit  den  Fluores- 
wirkungen  (und  den  photographischen)  zusammen- 
fallen. 

Wir  versuchten  auch,  die  Erscheinung  der  Diffusion  des 
Lichtes  an  unregelmäßigen  Partikelchen  zum  Studium  stehender 
Wellen  zu  verwerthen.  Es  scheinen  aber  bei  diesem  Phänomen 
nicht  gegeneinander  gerichtete  Wellenzüge  in  gegenseitigen  Ein- 
fluß gesetzt  zu  werden,  sondern  sie  scheinen  durch  das  allei- 
nige Verhalten  eines  in  einer  Richtung  (und  zwar  ins  Auge  des 
Beobachters)  sich  fortpflanzenden  Wellenzuges  bestimmt  zu  sein, 
gerade  wie  z.B.  die  Newton' sehen  Einge  im  reflectirten  Licht.  — 
Man  kann  eine  Fläche,  welche  das  Licht  diffundirt,  durch  Be- 
hauchen einer  kalten  Glasplatte  herstellen.  Legt  man  eine  solche, 
sehr  dünn  behauchte ,  auf  eine  warme ,  so  setzen  sich  die  im 
direkten  Licht  gebildeten  Newton' sehen  Interferenzstreifen  (bei 
homogener  Beleuchtung)  weit  fort  in  den  Theil,  von  welchem 
direktes  Licht  nicht  mehr  ins  Auge  reflectirt  wird.  Dreht  man 
die  Plattencombination  um,  sodaß  nur  die  Hinterfläche  behaucht 
ist,  so  sind  Interferenzstreifen  im  diffusen  Licht  nicht  wahrnehm- 
bar, sondern  nur  eine  gleichmäßige  Helligkeit1).  —  Ersetzt 
man  die  hintere  (unbehauchte)  Glasplatte  durch  einen  angewärmten 
Silberspiegel,  so  werden  die  Interferenzstreifen  im  diffusen 
Licht  nicht  deutlicher,  sondern  undeutlicher  als  vordem;  dies 
zeigt  zur  Genüge,  daß  nicht  das  Verhalten  stehender  Wellen  bei 
dieser  Erscheinung  maßgebend  ist  und  daß  die  Lage  der  Inter- 
ferenzstreifen denselben  Gesetzen  unterworfen  ist,  wie  die  Lage 
der  im  direkt  reflectirten  Lichte  sichtbaren  New  ton' sehen  Streifen. 
Aus  letzterem  kann  man  ja  aber  bekanntlich  nicht  eine  Entschei- 
dung dafür  treffen,  welcher  Lichtvector  für  sie  maßgebend  ist, 
wenn  man  unter  dem  Worte  „maßgebend"  versteht,  daß  bei  ste- 
hender Wellenbewegung  der  betreffende  Lichtvector  im  Schwin- 
gungshauche ein  Maximum  der  Wirkung  besitzen  soll. 


1)  Diese  Erscheinungen  zeigen  sich  nur  bald  nach  dem  Aufeinanderlegen  der 
Platten,  da  nach  längerer  Zeit  sich  ihre  Temperaturen  ausgleichen  und  "Wasser- 
tröpfchen auf  beiden  Flächen  haften. 


Jahresbericht.  359 


Bericht    des  Beständigen  Sekretärs    der    Königl. 
Ges.  d.  Wiss.  über  das  Jahr  1891. 

Zur  Geschichte  unserer  Gesellschaft  geben  wir  zunächst  die 
wissenschaftlichen  Mittheilungen  an ,  welche  in  den  8  Sitzungen 
gemacht  worden  sind. 

Am  7.  Februar  1891.  ßiecke  legte  eine  Abhandlung  des 
Privatdocenten  Dr.  Nernst  vor:  „Ueber  das  Henrysche  Gesetz". 

Voigt  legt  „Beiträge  zur  Hydrodynamik"  vor. 

Klein  legt  die  Abhandlung  des  Herrn  Prof.  Fr  an z  Meyer 
in  Clausthal  vor  :  „Ueber  Discriminanten  und  Resultanten  von  Sin- 
gularitätengleichungen".   4.  Mittheilung. 

de  Lagarde  spricht  über  Inhalt  und  Bedeutung  seiner  Septua- 
gintastudien  II  und  III,  die  im  38.  Band  der  Abhandlungen  er- 
scheinen werden. 

Frensdorff  legt  einen  Aufsatz  vor:  „Eine  Krisis  in  der 
Königl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Am  7.  März:  Voigt  legt:  „Beiträge  zur  Hydrodynamik. 
2.  Theil."  vor. 

Klein  legt  vor:  Abhandlung  des  Herrn  Prof.  Franz  Meyer 
in  Clausthal:  „Realitäteneigenschaften  von  Raumcurven". 

Schering  legt  von  Dr.  Heim  in  Berlin  vor:  „Die  Schwin- 
gungsdauer des  Gaussschen  Bifilarpendels". 

Am  2.  Mai:  Schwarz  legt  einen  Aufsatz  des  Herrn  Julius 
Petersen  in  Kopenhagen  vor:  „Ueber  Normalformen  mehrfach 
zusammenhängender  Flächen". 

Voigt  legt  einen  Aufsatz  des  Herrn  Dr.  0.  Venske  vor: 
„Ueber  einen  neuen  Apparat  zur  Bestimmung  der  innern  Wärme- 
leitungsfähigkeit schlecht  leitender  Körper  in  absolutem  Maasse. 

de  Lagarde  kündigt  schriftlich  für  die  Nachrichten  an : 

a.  Thevenots  KafFarre. 

b.  Ueber  das  aramäische  Evangeliar  des  Vatikans. 

c.  Neue  Ausgabe  der  dtatd^ug  r(ov  a7to6t6lov  und  der  drei 
Gestalten  der  Clementinen. 

und  für  die  Abhandlungen  (Bd.  38) :  Septuagintastudien,  4.  Stück. 

Am  6.  Juni:  Klein  legt  eine  Arbeit  von  Dr.  Fr.  Schilling 
vor :  „Ueber  die  geometrische  Bedeutung  der  Formeln  der  sphäri- 
schen Trigonometrie  im  Falle  complexer  Argumente". 

Riecke  legt  a.  eine  eigne  Arbeit  vor:  „Zur  Theorie  der  pie- 
zoelectrischen  und  pyroelectrischen  Erscheinungen. 

Nachrichten  von  der  E.  0.  d.  W.  ru  Göttingen.    18dl.   üo.  10.  26 


360  Jahresbericht. 

b.  eine  Arbeit  des  Herrn  Dr.  Tammann:  „Ueber  die  Per- 
meabilität von  Niederschlags-Membranen. 

c.  eine  Arbeit  des  Herrn  Dr.  Tammann  nnd  des  Privatdo- 
centen  Dr.  N  e  rn  s  t :  „Ueber  die  Maximaltension,  mit  welcher  Was- 
serstoff aus  Losungen  durch  Metalle  in  Freiheit  gesetzt  wird". 

Kielhorn  legt  vor: 

a.  die  Vikrama-Aera. 

b.  die  Nitimanjari  des  Dyä  Dviveda. 

de  Lagarde:  1.  Arabes  mitrati.  2.  Samech.  3.  Ueber  den 
Inhalt  des  4.  Stücks  der  Septuagintastudien,  die  er  in  der  Sitzung 
vom  2.  Mai  angekündigt  hatte. 

"Weiland  legt  für  die  Abhandlungen  durch  den  beständigen 
Sekretär  vor:  „Die  Wiener  Handschrift  der  Chronik  des  Matthias 
von  Neuenburg".     (Gedruckt  im  37.  Band  der  Abhandlungen.) 

Am  4.  Juli.  Schering  legt  eine  neue  Lösung  der  Keppler- 
schen  Gleichung  vor. 

Schwarz  macht  eine  Mittheilung  über  ein  nächstens  zu  ver- 
öffentlichendes Verzeichniß  aller  (oder  wenigstens  der  Mehrzahl) 
derjenigen  Schriften,  welche  seit  dem  J.  1761  veröffentlicht  sind 
und  mit  der  Theorie  der  Flächen  kleinsten  Flächeninhalts  sich 
beschäftigen. 

Riecke  legt  eine  Abhandlung  vor:  „Ueber  eine  mit  den  elek- 
trischen Eigenschaften  des  Turmalins  zusammenhängende  Fläche 
4.  Ordnung". 

Klein  legt  eine  Arbeit  des  Herrn  Dr.  Hubert  in  Königs- 
berg vor:  „Ueber  die  Theorie  der  algebraischen  Invarianten". 

Wüstenfeld  legt  eine  Abhandlung  vor:  „Die  gelehrten 
Schäfi'iten  des  V.  Jahrhunderts  der  H.  (Gedruckt  im  37.  B.  der 
Abhandlungen.) 

de  Lagarde  legt  einen  Aufsatz  des  Herrn  Dr.  Rahlfs 
vor:  „Ueber  Lehrer  und  Schüler  bei  Junilius  Africanus". 

Am  1.  August.  Riecke  kündigt  eine  Arbeit  von  sich  und 
Voigt  an:  „Bestimmung  der  elektrischen  Konstanten  des  Tur- 
malins und  Quarzes". 

Voigt  kündigt  eine  Abhandlung  an:  „Bestimmung  der  Kon- 
stanten der  innern  Reibung  für  einige  Krystalle". 

Kielhorn  kündigt  „Tafeln  aus  indischen  Inschriften  und 
Handschriften"  an. 

Am   7.  November,     de   Lagarde    zeigte   schriftlich   Mitthei- 
lungen an:  1.  Worterklärungen:  Cicisbeo,  Caparra,  ZatQd7tr}g. 
2.  über  den  dritten  Brief  des  Paulus  an  -die  Korinther. 


Jahresbericht.  361 

Schering  theilt  eine  Notiz  von  Alberto  Tonelli  mit: 
„Ueber  die  Auflösung  quadratischer  Congruenzen6. 

Klein  legt  einen  Aufsatz  von  Herrn  Prof.  Franz  Meyer 
in  Clausthal  vor:  „Ueber  ein  Trägheitsgesetz  für  algebraische 
Gleichungen". 

Ehlers  legt  einen  Aufsatz  des  Herrn  Privatdocenten  Dr. 
Bürger  vor :  „Vorläufige  Mittheilungen  über  Untersuchung  an 
Nemertinen  von  Neapel6'. 

Wallach  legt  eine  Abhandlung  vor:  „Ueber  einige  neue 
Kohlenwasserstoffe  mit  ringförmiger  Bindung  der  Kohlenstoffatome6. 

Alle  diese  Arbeiten  sind  oder  werden,  wenn  nicht  Anderes 
ausdrücklich  angegeben  ist ,  in  den  Nachrichten  gedruckt.  Von 
diesen  sind ,  soweit  sie  bis  zum  15.  November  gedruckt  werden 
konnten,  7  Nummern  erschienen,  mit  246  Seiten. 

Außer  den  Nachrichten  und  Abhandlungen  haben  auch  die 
Gelehrten  Anzeigen  in  gewohnter  Weise  ihre  Fortsetzung 
gefunden. 

Auch  dies  Jahr  hat  das  Kön.  Staatsministerium  der  Geistlichen, 
Unterrichts-  und  Medizinalangelegenheiten  die  geringen  Mittel, 
über  die  wir  zur  Förderung  wissenschaftlicher  Zwecke  verfügen 
können ,  durch  eine  außerordentliche  Bewilligung  von  3000  Mk. 
(Reskr.  vom  1.  April)  vermehrt  und  uns  dadurch  zum  lebhaftesten 
Dank  verpflichtet. 

Von  dem,  was  sonst  in  den  Sitzungen  verhandelt  worden  ist, 
möge  ferner  erwähnt  werden: 

Die  Gesellschaft  fühlte  sich  verpflichtet,  die  Aufzeichnungen 
ihres  früh  verstorbenen  ordentlichen  Mitgliedes,  Karl  von  See- 
bach, Professors  der  Palaeontologie,  über  seine  wissenschaftliche 
Reise  in  Mittelamerika  zum  Druck  zu  bringen  und  beschloß  des- 
halb am  7.  Februar  sie  im  38.  Band  der  Abhandlungen  heraus- 
zugeben. 

Sie  betrachtet  es  ferner  als  eine  ehrenvolle  Pflicht ,  für  eine 
vollständige ,  mit  größter  Sorgfalt  vorbereitete ,  äußerlich  würdig 
ausgestattete  Ausgabe  der  Werke  ihres  großen  Genossen,  Wil- 
helm Weber,  zu  sorgen.  Dieselbe  wird  in  fünf  Bänden  unter 
der  Aufsicht  des  Herrn  Professor  Heinrich  Weber  in  Braunschweig 
und  Geheimen  Raths  Braune  in  Leipzig  erscheinen.  Dies  aber 
auszuführen,  würde  uns  nicht  möglich  gewesen  sein,  wenn  nicht 
die  Königlich  Sächsische  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Leipzig 
auf  unser  Ersuchen  sich  auch  bereit  erklärt  hätte ,  uns  die  in 
ihren  Veröffentlichungen  erschienenen  Abhandlungen  Webers  zum 

26* 


3(32  Jahresbericht. 

Abdruck  in  den  "Werken  zu  überlassen.  Wir  sind  überzeugt,  daß 
alle  Freunde  der  Wissenschaft  im  aufrichtigsten  Dank  für  dies 
Zugeständniß  mit  uns  übereinstimmen.  In  Folge  unseres  Beschlusses 
vom  7.  März  ist  über  den  Verlag  der  Ausgabe  ein  Kontrakt  mit 
der  Springerschen  Buchhandlung  in  Berlin  abgeschlossen  worden. 

Auf  den  Wunsch  des  Herrn  Professor  Dr.  Schur  hat  die 
Gesellschaft  am  7.  November  beschlossen ,  daß  der  2.  Theil  der 
astronomischen  Mittheilungen  der  Kon.  Sternwarte  zu  Göttingen 
„Sternkatalog  enthaltend  6900  Sternörter  für  1860.0.  Nach  den 
von  Professor  Klinkerfues  in  den  Jahren  1858  bis  1863  angestellten 
Zonen-Beobachtungen  abgeleitet  von  Professor  Dr.  Schur"  auf 
ihre  Kosten  gedruckt  werden  soll.  Die  Kosten  sind  von  der 
Druckerei  auf  808  Mark  angeschlagen  worden. 

Die  Gesellschaft  beschließt  am  7.  März  dem  Wunsch  der  K. 
Akad.  der  Wiss.  in  Berlin  und  der  Academie  des  Sciences  zu  Paris 
zu  entsprechen  und  ihnen  einige  Briefe  von  J  a  c  o  b  i  und  Lagrange 
an  Gauss  wissenschaftlichen  Inhaltes  aus  den  Gaussschen  Samm- 
lungen zum  Abdruck  in  den  bezüglichen  Gesammtausgaben  der 
genannten  Mathematiker  mitzutheilen. 

Die  Gesellschaft  beschließt  am  4.  Juli  gegen  die  von  Herrn 
Dr.  Rud.  Wackernagel  in  Basel  in  Nr.  9  der  G.  G.  Anz.  d.  J 
erschienene  Anzeige  des  zürcher  Urkundenbuches  eine  Erklä- 
rung zu  veröffentlichen,  die  in  Nr.  15  der  G.  G.  Anz.  gedruckt  ist. 

In  den  Tauschverein  ist  die  Gesellschaft  den  gegen  sie  aus- 
gesprochenen Wünschen  zufolge  eingetreten 

1)  mit  der  mathematischen  Gesellschaft  in  Moskau  (10.  Februar), 

2)  mit  der  Universität  Cincinnati,  IL  St.  A.,  Journal  of  com- 
parative  Neurologie  (4.  Juli). 

3)  mit  dem  naturwissenschaftlichen  Verein  für  Schleswig-Hol- 
stein (1.  August). 

4)  mit  der  Rassegna  delle  scienze  geologiche  in  Rom  (7.  Novbr.). 


Am  2.  Mai  beschloß  die  Gesellschaft,  daß  der  beständige 
Sekretär  Herrn  GRR.  H  a  n  s  s  e  n  am  13.  Mai  zu  seinem  sechzig- 
jährigen Doctorjubiläum  ihre  herzlichen  Glückwünsche  darbrin- 
gen solle. 

Am  9.  August  feierte  Herr  GRR.  A.  von  Hof  mann  in  Berlin, 
auswärtiges  Mitglied  in  der  Physikalischen  Klasse ,  sein  fünfzig- 
jähriges Professorenjubiläum.  Die  Gesellschaft  beschloß  ihm  ihre 
freudige  Theilnahme  und  lebhaften  Glückwünsche  in  einer  deut- 
schen Zuschrift  auszusprechen.  Herr  Wallach  übernahm  die 
Abfassung. 


Jahresbericht.  363 

Se.  Excellenz  Herr  Hermann  von  Helmholtz  wurde  am 
31.  September  70  Jahr  alt,  aber  die  Feier  war  auf  den  2.  November 
verlegt  worden.  Auch  unsere  Gesellschaft  beschloß  am  4.  Juli 
sich  durch  eine  deutsche  Zuschrift  an  dieser  Feier  zu  betheiligen 
und  ihre  tiefe  Verehrung  und  herzlichen  Glückwünsche  auszu- 
sprechen. Herr  Prof.  Ei  ecke  übernahm  die  Abfassung  und  über- 
reichte sie  dem  Jubilar  selbst. 


An  Stelle  des  Herrn  GRR.  Schering  trat  am  1.  Oktober 
der  Senior  der  Historisch-philologischen  Klasse,  Herr  Wüstenfeld, 
und  wurde  durch  das  Kuratorialreskript  vom  7.  Oktober  bestätigt. 


Für    dies    Jahr   hatte    die    Mathematische    Klasse    die 
Preisaufgabe  gestellt: 

Die  Aufgabe  der  conformen  Abbildung  eines  ebenen  Bereiches 
auf  ein  Stück  einer  krummen  Fläche,  deren  Krümmungsmaß  überall 
den  constanten  Werth  k  besitzt,  hängt  zusammen  mit  der  Aufgabe, 
die  partielle  Differentialgleichung 


d2u      d2u 


AU    U  U    11  Ä  - 

u  =  -^+-3-72  =  —2k-eu 


vorgeschriebenen    Grenz-    und    TJnstetigkeitsbedingungen  gemäß   zu 
integriren. 

Für  diese  Aufgabe  kommen  zunächst  die  von  Riemann  in 
seiner  Theorie  der  Abelschen  Functionen  angegebenen  Grenz-  und 
Unstetigkeitsbcdingungen  in  Betracht. 

Die  Königliche  Gesellschaft  wünscht  die  Frage,  ob  es  möglich 
ist,  die  angegebene  partielle  Differentialgleichung  für  einen  gege- 
benen Bereich  unter  vorgeschriebenen  Grenz-  und  Unstetigkeitsbc- 
dingungen der  angegebenen  Art  zu  integriren,  vorausgesetzt,  daß 
der  Constanten  k  negative  Werthe  beigelegt  werden,  vollständig 
beantwortet  zu  sehen. 

Insbesondere  wünscht  die  Königliche  Gesellschaft  den  Fall  der 
angeführten  Aufgabe  behandelt  zu  sehen,  in  welchem  der  betrachtete 
ebene   Bereich  eine  geschlossene  mehrfach   zusammenhängende 
Riemann  sehe  Fläche  ist,  während  die  Function  u  keine  anderen 
als  logarithmische  Unstetigkeiten  annehmen  soll. 
Zur  Bewerbung  um  den  Preis  der  Mathematischen  Klasse  für 
das  J.  1891  war  am  28.  September   eine  Arbeit  mit  dem  Spruche 
bezeichnet :  „Der  schönste  Lohn  der  Arbeit  ist  die  Arbeit  selbst"  ein- 
gegangen.   Nach  dem  Urtheil  der  mathematischen  Klasse  genügt  die 


364  Jahresbericht. 

eingereichte  Abhandlung  weder  hinsichtlich  ihrer  Form,  noch  hinsicht- 
lich ihres  Inhalts  den  an  eine  Preisbewerbungsschrift  zu  stellenden 
Anforderungen,  enthält  auch  überhaupt  keine  Lösung  der  gestellten 
Preisaufgabe.  Die  Gesellschaft  kann  also  der  Abhandlung  den 
Preis  nicht  zuerkennen. 

Die   Aufgabe    der   Historisch-philologischen  Klas  s  e 
für  1892  ist  folgende: 

Für  die  älteste  Geschichte  Athens  ist  es  von  außerordentlicher 
Bedeutung  zu  wissen,  an  welchen  Orten  sich  Heiligthümer  der 
verschiedenen  Götter  und  Heroen  fanden,  sowol  in  Athen  selbst, 
als  in  der  gesammten  Landschaft,  soweit  es  nach  dem  jetzigen 
Stande  der  topographischen,  epigraphischen,  genealogischen  For- 
schungen möglich  ist.  Die  Historisch-philologische  Klasse  stellt  da- 
her für  1892  die  Aufgabe,  daß  eine  sorgfältige  lieber  sieht  der 
Kultstätten  in  Attikg  nach  den  OertlichJceiten ,  in  denen  sie  sich 
fanden,  gegeben  und,  was  sich  daraus  für  die  älteste  Geschichte 
Attikas  folgern  lasse,  dargestellt  werde. 
Für  das  Jahr  1893  stellte  die  Gesellschaft  nach  dem  Vorschlag 
der  Physikalischen  Klasse  die  Aufgabe: 

Aus  den  Untersuchungen  von  W.  C.  Röntgen  und  A.  Kundt 
über  die  Aenderungen  der  optischen  Eigenschaften  des  Quarzes  im 
elektrischen  Felde  ergiebt  sich  ein  enger  Zusammenhang  zwischen 
den  elektrooptischen  Erscheinungen  und  den  elastischen  Deforma- 
tionen ,  ivelche  jene  piezoelektrische  Substanz  unter  der  Einwirkung 
elektrostatischer  Kräfte  erfährt.  Eine  Ausdehnung  dieser  For- 
schungen auf  eine  größere  Reihe  piezoelektrischer  Krystalle  von 
verschiedenen  Symmetrieeigenschaften  erscheint  in  hohem  Grade  er- 
wünscht. Gleichzeitig  würde  die  Untersuchung  darauf  zu  richten 
sein,  ob  die  elektrooptischen  Erscheinungen  in  piezoelektrischen 
Krystallen  ausschließlich  durch  die  im  elektrischen  Felde  eintre- 
tenden Deformationen  oder  außerdem  durch  eine  direkte  Einwir- 
kung der  elektrostatischen  Kräfte  auf  die  Lichtbewegung  hervorge- 
rufen werden. 

Für  das  Jahr  1894  stellt  die  Mathematische  Klasse  fol- 
gende neue  Aufgabe: 

„Zwischen  dem  Zustand  eines  harten  elastischen  Körpers  und 
dem  einer  Flüssigkeit  liegt  eine  Reihe  von  Zwischenzuständen; 
durch  geeignete  Mischung  von  festen  Körpern  mit  flüssigen  kann 
man  alle  möglichen  Grade  von  Weichheit  oder  Zähflüssigkeit,  einen 
ganz  allmähligen  Uebergang  von  einem  festen  Körper  zu  einem 
flüssigen  erzeugen.  Unsere  Kenntnisse  von  den  Eigenschaften  jenes 
Zwischenzustandes  sind  aber  noch  sehr  unvollständig  und  es  wird 


Jahresbericht.  365 

daher  verlangt,  dieselben  -durch  erneute  Experiment alunter suchungen 
zu  fördern.     Insbesondere  soll    ermittelt  werden ,    wie  sich  bei  zäh- 
flüssigen Körpern  die  Gesetze  solcher  Bewegungen  verändern,  welche 
bei   Flüssigkeiten    von    geringer    Viscosität    zur    Bestimmung   der 
innern  Beibung  verwandt  werden  können.1'1 
Die  zur  Bewerbung  um  einen  der  Preise  bestimmten  Arbeiten 
müssen ,    mit  einem  Spruch  versehen  ,    vor  Ablauf  des  Septembers 
des  bestimmten  Jahres  an  die  Kön.  Gesellschaft  der  Wissenschaften 
portofrei    eingesandt    werden    und   von    einem    versiegelten  Zettel 
begleitet  sein,    welcher   außen   den  Spruch  trägt,    der  die  Arbeit 
bezeichnet  und  innen  Namen  und  Wohnort  des  Verfassers  angiebt. 
'   Der  Preis  für  jede  Aufgabe  beträgt  500  Mk. 


Die  von  der  Wedekindschen  Preisstiftung  für  deutsche  Ge- 
schichte zur  Lösung  im  fünften  Verwaltungszeitraum,  der  am 
14.  März  1886  begonnen  hat,  gestellten  Aufgaben  sind  in  den 
Nachrichten  1887  S.  69  f.  bekannt  gemacht,  dann  1888  S.  134  ff., 
1889  S.  403  ff.,  1890  S.  217  ff.,  1891  S.  127  ff.  wiederholt  worden. 
Gern  erwähnen  wir,  daß  der  Verein  für  hansische  Geschichte 
in  dem  Vorwort  zum  Band  VI  der  Hansischen  Geschichtsquellen 
(Hansaakten  aus  England  1275  bis  1412)  Halle  1891  und  der 
Historische  Verein  für  Niedersachsen  im  Vorwort  seiner 
Ausgabe  der  ebstorferWeltkarte,  die  von  Ernst  Sommerbrodt 
besorgt  ist  (Hannover  1891),  der  Unterstützung  erwähnen,  durch 
welche  unsere  Gesellschaft  ihre  trefflichen  Bemühungen  zu  fördern 
im  Stande  gewesen  ist.  —  Die  Arbeiten  für  die  Herausgabe  der 
Kornerschen  Chronik  sind  regelmäßig  fortgesetzt  worden  und  sehen 
baldiger  Vollendung  entgegen. 


Durch  den  Tod  wurde  der  Gesellschaft  im  Laufe  des  Jahres 
am  23.  Juni  der  Mann  entrissen,  der  fast  zwei  Menschenalter  ihr 
Stolz  und  ihre  Zierde  gewesen  war  und  dessen  Andenken  sie  in 
Treue  bewahren  wird,  derWirkl.  Geheime  Eath  Wilhelm  Ernst 
Weber,  Excellenz,  geboren  am  24.  September  1804,  Ehrenmitglied 
seit  1887,  vorher  ordentliches  Mitglied  der  mathematischen  Klasse 
seit  1831. 

Ferner  sind  gestorben  die  auswärtigen  Mitglieder 

1.  der  Historisch-philologischen  Klasse : 

George  Bancroftin  Washington,  den  17.  Januar.  Geboren 
den  3.  Oktober  1800.    Ausw.  Mitglied  seit  1868. 

Franz  Miklosich  in  Wien,  den  7.  März.  Geboren  1813. 
Ausw.  Mitglied  seit  1868. 


366  Jahresbericht. 

2.     der  Physikalischen  Klasse: 

Karl  W.  von  Nägeli  in  München,    den  11.  Mai.     Geboren 
den  30.  März  1817.     Ausw.  Mitglied  seit  1877. 

Ferner  die  Korrespondenten 

1.  der  Historisch-philologischen  Klasse: 

Ludwig  Müller  in  Kopenhagen,  den  6.  Sept.,  Korrespondent 
seit  1871. 

Xavier  Heuschling  in  Brüssel,  Korrespondent  seit  1874, 
(Sein  Tod  ist  erst  seit  kurzem  zu  unserer  Kenntniß  gekommen.) 

An  die  erledigten  Stellen  wurden  am  4.  November  einstimmig 
gewählt :  L.  Duchesne  in  Paris,  Mitglied  des  Instituts, 
und 

Max  Müller,  Professor  in  Oxford,  seit  1861  Korrespondent, 
zu    auswärtigen  Mitgliedern    der  Historisch-Philologischen  Klasse. 

Dr.  Karl  Gegenbaur,  Professor,  Geh.  Hofrath,  in  Heidelberg, 
zum  auswärtigen  Mitglied  der  Physikalischen  Klasse, 
ferner 

Wilhelm  Fröhner  in  Paris, 
und 

Dr.  Charles  Groß  in  Cambridge  (Mass.  U.  St.  A.) 
zu  Korrespondenten  der  Philol.  Historischen  Klasse. 

F.  Fouque",  Mitglied  des  Instituts,  Professor  am  College  de 
France,  in  Paris, 
zum  Korrespondenten  in  der  Physikalischen,  und 

Dr.  Friedrich  Prym,  Professor  der  Universität  Würzburg, 
zum  Korrespondenten  in  der  Mathematischen  Klasse. 


Wilhelm  Fraatz    aus  Göttingen   ist   am    15.  Februar    als 
Diener  der  Gesellschaft  angenommen  und  verpflichtet  worden. 


Inhalt  von  Nr.  10. 
AI/onso  Sella ,  Beitrag  zur  Kenntniss  der  specifischen  Wärme  der  Mineralien.  —  0.  Frobenius ,  über  Po- 
tentialfunctionen,  deren  Hesse'sche  Determinante  verschwindet.  —  A.  Schönflies,  Bemerkung  zu  Hilbert's 
Theorie  der  algebraischen  Formen.  —  Alfcnso  Tonelli,  Bemerkung  über  die  Auflösung  quadratischer  Con- 
gruenzen.  —  P.  Drude  und  W.  Nernst,  über  die  Fluorescenzwirkungen  stehender  Lichtwellen.  —  Bericht 
des  Beständigen  Sekretärs  der  Königl.  Ges.  d.  Wiss.  über  das  Jahr  1891. 

Für   die  Redaction  verantwortlich:    H.  Sauppe,  Secretar  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 
Commissions-Verlag  der  Dieter  ich' sehen  Yei'lags- Buchhandlung. 
Druck  der  Dieterich' sehen  Univ.- Buchdruckerei  ( W.  Fr.  Kaestner). 


Nachrichten 

von  der 

Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

und  der 

Georg  -  Augusts  -  Universität 

zu   Göttingen. 


30.  December.  JK"  II-  1891< 


Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  5.  December. 
Ueber  den  Stierdionysos. 

Von 

Friedrich  Wieseler. 

Ueber  den  Stierdionysos  ist  mehrfach  im  Zusammenhange  ge- 
handelt, am  eingehendsten  von  Stephani  im  Compte  rendu  de 
la  commission  imp.  archeol.  pour  Fann.  1863,  p.  110  fg.,  und  R  o- 
bert  Schneider  „Ueber  zwei  Bronzebilder  des  gehörnten  Diony- 
sos u  in  den  Jahrb.  der  Kunstsammlungen  des  allerhöchsten  Kai- 
serhauses Bd.  II,  S.  41  fg. ,  zuletzt  von  A.  W.  C  u  r  t  i  u  s  „Der 
Stier  des  Dionysos"  Inaugural -Dissertation  der  phil.  Fac.  zu  Jena, 
1882,  und  Thraemer  „Dionysos  in  der  Kunst"  in  W.  H.  Ro- 
se h  e  r  s  Lexikon  der  Griech.  u.  Rom.  Mythologie,  von  beiden  ohne 
auf  Stephani  und  Schneider  Rücksicht  zu  nehmen. 

Dionysos  erscheint  nach  den  bisherigen  Annahmen  1)  als 
vollständiger  Stier,  2)  als  Stier  mit  Menschengesicht,  3)  in 
menschlicher  Gestalt  mit  Stierkopf,  4)  in  menschlicher  Gestalt 
mit  Stierhörnern  und  Stierohren .  und  5)  ganz  besonders  mit 
Stierhörnern  allein,  endlich  6)  auch  ohne  Hörner  mit  großen  Ohren 
oder  ohne  diese,  mit  anderen  Theilen  vom  Stiere  und  mit  ange- 
deuteten oder  verhüllten  Hörnern. 

Nachrichten  von  d.  K.  G.  d.  W.  zu.  Göttingen.    1891.    Nr.  11.  27 


368  Friedrich  Wieseler. 

1. 

Die  Auffassung  des  Gottes  in  der  Gestalt  eines  vollständigen 
Stieres  erhellt  deutlich  aus  Schriftstellen,  namentlich  aus  dem  Ge- 
bet der  Elischen  Frauen  bei  Plutarch  Quaest.  Gr.  36  und  de  Isid.  et 
Osir.  35.  Der  an  erster  Stelle  vorkommende  Umstand,  daß  Dionysos 
mit  den  Chariten  kommen  möge ,  macht  es  durchaas  wahrschein- 
lich, daß  der  Stier  auf  dem  schönen  geschnittenen  Steine  in  den 
Denkm.  d.  a.  Kunst  II,  33,  383,  den  Gott  selbst  darstellen  solle. 
Dieses  gilt  ebenfalls  wohl  von  dem  ebenda  unter  n.  382  wieder- 
holten geschnittenen  Steine  und  den  entsprechenden  von  Stephani 
a.  a.  0.  S.  123,  A.  1  angeführten.  Wenn  dann  Stephani  meint, 
daß  der  auf  Münzen  von  Kyzikos  „zwar  ohne  bakchische  Attri- 
bute, aber  doch  in  der  Stellung  des  vßQLötrjg"  angebrachte  Stier 
wohl  den  Dionysos  selbst  darstellen  könne ,  wie  Panofka  Ann. 
dell'  Inst.  T.  V,  p.  282  vermuthet ,  so  ist  diese  Beziehung  auch 
von  Thraemer  a.a.O.  S.  114  für  wahrscheinlich  gehalten,  und 
gewiß  mit  Recht.  Auch  auf  der  von  Head  Hist.  num.  p.  344  be- 
schriebenen Drachme  von  Phlius,  welche  von  ihm  ungefähr  zwi- 
schen 430 — 322  v.  Chr.  gesetzt  wird,  ist  der  ohne  ein  Bakchisches 
Attribut  dargestellte  Stier  mit  gesenktem  Haupte  sicherlich  als 
Dionysos  zu  fassen.  Der  Flußgott  Asopos,  an  den  Head  auch 
denkt,  kann  gegen  jenen  nicht  in  Betracht  kommen.  Münzen  von 
Phlius  aus  der  Kaiserzeit  zeigen  auf  der  Vorderseite  den  Kopf 
des  Dionysos  und  auf  der  Rückseite  einen  stoßenden  Stier  und 
den  Thyrsos  oder  auf  der  Vorderseite  einen  stoßenden  Stier  und 
auf  der  Rückseite  Epheu  und  Trauben  (Imhoof-Blumer  und  Percy 
Gardner  Numism.  commentary  on  Pausanias  reprinted  from  the 
Journal  ofHellenic  studies  I,  1885,  p.  32,  n.  5).  Für  den  letzteren 
Fall  scheint  es,  daß  der  Stier  als  der  Gott  selbst  zu  fassen  sei, 
hinsichtlich  des  ersten  wird  man  wohl  nicht  anstehen  den  Stier 
als  Attribut  des  Gottes  zu  fassen ,  wie  auch  den  stoßenden  Zebu 
auf  dem  Revers  der  Münze  den  Kibyraten  mit  der  Büste  des 
Dionysos  auf  dem  Avers  bei  Imhoof-Blumer  Griech.  Münzen ,  in 
den  Abhandlungen  der  philos.-philol.  Classe  der  K.  Bayer.  Akad. 
d.  Wissensch.,  München  1890,  n.  72.  Zu  den  Darstellungen  des 
Dionysos  in  vollständiger  Stiergestalt  hat  man  auch  den  bekann- 
ten ßovg  ftovQLog  auf  den  Münzen  von  Thurium  gerechnet  (auch 
Welcker  Griech.  Götterlehre  II,  S.  599).  Aber  die  gehörige  Auf- 
merksamkeit auf  die  Nebentypen  (vgl.  namentlich  das  in  Catal.  of 
the  Greek  coins  in  the  Brit.  Mus.,  Italy,  p.  293,  70  beschriebene 
Exemplar)  zeigt   deutlich,    daß   es   sich  um  den  Flußgott  Krathis 


über  den  Stierdionysos.  369 

handelt.  Vgl.  auch  Head  Hist.  num.  p.  72.  Als  vollständiger 
Stier  oder  als  Stier  mit  menschlichem  Gesichte  wurde  er  nach  Plu- 
tarch  de  Iside  et  Osir.  35  zu  urtheilen  noch  in  späterer  Zeit  von 
den  Hellenen  gebildet;  denn  wenn  es  hier  heißt  ravQ6^0Q(pa  zlio- 
vvöov  Ttoiovöi  äycck{iccTcc  7tokXol  tcov  'EXXtivcov,  so  läßt  sich  das 
erste  Wort  unmöglich  als  nur  „stierhörnige"  fassen,  wie  Thrae- 
mer  a.a.O.  S.  1151  will,  und  schon  Welcker  A.  Denkm.  V,  S.  37 
und  Griech.  Götterlehre  II,  S.  598  annahm,  dem  R.  Schneider 
im  Jahrb.  a.  a.  0.  S.  45,  6  sich  anschließt. 


Ueber  den  Stier  mit  dem  Menschengesichte  auf  den  Münzen 
von  Unteritalien  und  Sicilien  hat  in  neuerer  Zeit  besonders  ausführ- 
lich gesprochen  Streber  in  den  Abhandlungen  der  philos.-  philol. 
Classe  der  K.  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften  Bd.  II,  S. 
453  fg.,  und  später  kürzer  H.  Nissen  „DasTemplum",  1869,  S.  132  fg., 
A.  W.  Curtius  a.  a.  0.  S.  23  fg.  und  Andere  ;  vgl.  Thraemer  a.  a.  0. 
S.  1150.  Es  steht  fest,  daß  die  meisten  Darstellungen  dieser  Art 
sich  auf  Flußgottheiten  beziehen,  namentlich  die  auf  den  Münzen 
Unteritaliens.  So  urtheilte  schon  0.  Jahn  in  der  Arch.  Ztg. 
1862 ,  S.  313  fg.  und  nicht  anders  Stephani  a.  a.  0.  S.  115.  Den- 
noch hat  man  noch  in  neuester  Zeit  betreffs  der  Darstellungen 
auf  Münzen  Campaniens ,  namentlich  der  Stadt  Neapolis ,  an  den 
Bachus  Hebon  gedacht,  vgl.  Head  Hist.  num.  p.  331).  Selbst  Ste- 
phani, der  übrigens  die  in  Rede  stehende  Bildung  dem  Dionysos 
nur  als  Wassergott  zustehend  betrachtet,  ist  a.a.O.  S.  118  ge- 
neigt den  Averstypus  einer  Münze  von  Katane  auf  diesen  Gott  zu 
beziehen.  Die  Münze  ist  die  in  der  ersten  Ausgabe  der  Denkm.  d. 
a.  Kunst  II,  33,  380  nach  Streber  a.  a.  0.  wiederholte.  Der  Ty- 
pus  wurde   schon    von  Anderen    auf  den   Stierdionysos   bezogen, 


1)  Die  von  Head  gegebene  Deutung  bezieht  sich  zunächst  auf  die  von  ihm 
abbildlich  mitgetheilten  Darstellungen  des  schreitenden  Stiers  mit  Menschenge- 
sicht.  Aber  sollte  dieser  Stier  eine  andere  Beziehung  haben  wie  der  schwim- 
mende (Catal.  of  the  Gr.  coins  in  the  Brit.  Mus.,  Italy,  p.  95,  104,  109,  112, 
398),  der  einmal  nicht  bloß  schwimmend,  sondern  auch  Wasser  speiend  vor- 
kommt (Arch.  Ztg.  1862,  Taf.  CLXVIII,  n.  7)  und  ohne  Zweifel  als  Flußgott  zu 
betrachten  ist?  Der  Stern,  welehen  der  im  Catal.  p.  109  abgebildete  auf  den 
angegebenen  Wogen  schwimmende  Stier  am  Körper  trägt,  findet  sich  auch  über 
dem  p.  119  des  Catal.  abbildlich  mitgetheilten  schreiteudeu  Stier.  Daß  bei  He- 
bon Stierbildung  nicht  nachweisbar  ist,  hat  Jahn  in  der  Arch.  Ztg.  1862,  S.  326, 
A.  47  bemerkt.  Vgl.  über  denselben  auch  Welcker  Griech.  Götterl.  II,  S.  66, 
A. 135. 

27* 


370  Friedrich  Wieseler, 

von  Eckhel,  von  Streber,  znletzt  noch  von  Curtius  a.a.O.  S.27. 
Eine  ganz  ähnliche  Münze  beschreibt  Percy  Gardner  Cat.  of  the 
Greek  coins  in  the  Brit.  Museum ,  Italy,  p.  42,  n.  4,  der  p.41fg. 
auch  Abbildungen  von  entsprechenden  Münztypen  derselben  Stadt 
giebt,  vgl.  auch  Head  Hist.  num.  p.  114.  Ueber  dem  Stier  ge- 
wahrt man  den  knieenden  Silen,  unterhalb  des  Stieres  nach  Gard- 
ner eine  pistrix.  Andere  Nebentypen  bestehen  in  dem  Zweig 
einer  Flußpflanze,  einem  Flußfisch,  einem  Wasservogel.  Der  Si- 
len bezieht  sich  nicht  auf  einen  Stierdionysos ,  sondern  geht  nur 
das  Wasser  an.  Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  es  sich 
um  den  Flußgott  Amenanos  handelt,  wenn  auch  Head  diese  Be- 
ziehung nur  als  der  auf  den  taüriform  Dionysos  vielleicht  vorzu- 
ziehende betrachtet. 

Ein  anderes  Bildwerk ,  hinsichtlich  dessen  es  wahrscheinlich 
ist ,  daß  auf  ihm  ein  Stier  mit  Menschengesicht  dargestellt  sei, 
welcher  sich  auf  den  Wassergott  Dionysos  beziehe  ,  ist  das  Ge- 
mälde auf  der  aus  Nola  stammenden  Vase,  welche  aus  der  Samm- 
lung Blacas  in  das  Britische  Museum  übergegangen  ist.  Sie  ist 
in  Mus6*e  Blacas  pl.  32  abgebildet  und  von  Ch.  Newton  in  den 
Guide  to  the  second  vase  room  P.  I,  p.  8,  n.  46  so  beschrieben : 
A  female  figure  holding  a  hydria  and  sitting  on  a  bull  with  hu- 
man face,  which  approaches  a  large  marble  laver;  an  Androgy- 
nous  winged  figure  is  crowning  the  female  figure;  on  the  left, 
another  female  figure,  with  a  mirror  and  an  oinochoe;  in  the  Up- 
per right-hand  cornes,  a  veiled  female  figure  looking  through  a 
window.  Leider  hat  Stephani  nicht  gesagt ,  welche  Umstände  ihm 
die  Beziehung  des  Stieres  auf  Dionysos  wahrscheinlich  machten. 
Newton  läßt  dahingestellt  sein,  ob  man  den  Dionysos  oder  einen 
Flußgott  zu  erkennen  habe.  Es  kann  schwerlich  zur  Erklärung 
beitragen,  daß  der  Stier  mit  Menschengesicht  auch  auf  Nolanischen 
Münzen  vorkommt.  Auch  die  Beziehung  der  ganzen  Darstellung 
ist  schwer  zu  ergründen.  Daß  ein  gewöhnlicher  nicht  sagenbe- 
rühmter Flußgott  gemeint  sei,  ist  nicht  wohl  glaublich.  Unter 
den  Flußgottheiten  würde  nur  Acheloos  passen.  Der  Platz  der 
Handlung  ist  der  Vorplatz  eines  Palastes,  welcher  durch  das  Fen- 
ster mit  dem  herausschauenden  Weibe  angedeutet  wird.  Es 
scheint  sich  um  eine  Liebesgeschichte  zu  handeln.  Liebschaften 
hatte  Acheloos  mehrere. 

Ein  sicheres  Beispiel  des  Dionysos  als  Stier  mit  Menschenge- 
sicht erkennt  Stephani  S.  115  fg.  auf  einem  auch  von  Streber 
a.  a.  0.  S.  533  fg.  auf  Dionysos  als  Herrn  der  feuchten  Natur  be- 
zogenen Carneol   der  Florentiner  Sammlung,    der  mehrfach,    auch 


über  den  Stierdionysos.  371 

in  unsern  Denkm.  d.  a.  K.  II,  45,  578,  abgebildet  ist,  s.  Stepliani 
a.  a.  0.,  A.  8.  ,,Man  sieht  einen  Stier  mit  menschlichem  Antlitz 
in  wilder  Wuth  durch  die  Fluthen  galoppiren.  Eine  Maenade 
mit  flatterndem  Gewand  sitzt  auf  seinem  Rücken  und  sucht  ihn 
mit  der  Spitze  ihres  Thyrsos  zu  noch  größerer  Hast  aufzusta- 
cheln". Stephani  glaubt  diese  Darstellung  auf  den  Argivischen 
Cult  des  Dionysos  zurückfuhren  zu  müssen.  Es  ist  mir  aber  ge- 
radezu unglaublich,  daß  die  Mänade  den  Dionysos  so  behandeln 
solle ,  während  es  durchaus  nicht  unglaublich  ist ,  daß  sie  einen 
Flußdämon  so  behandeln  könne.  Diese  Dämonen  können  aber 
ebensowohl  als  zum  Bacchischen  Thiasos  gehörend  betrachtet  wer- 
den wie  Silen  und  die  Nymphen;  Man  vergleiche  auch  den  von 
einer  Mänade  zu  wilder  Eile  angetriebenen  Kentauren  in  den 
Denkm.  d.  a.  K.  II,  46,  594. 

Dagegen  könnte  man  recht  wohl  in  Betreff  des  Vordertheils 
eines  Stiers  mit  Menschenantlitz  auf  Münzen  von  Kyzikos  an  Dio- 
nysos denken,  welche  Darstellung  Head  Hist.  num.  p.  452  er- 
wähnt, indem  er  sie  mit  der  auf  Münzen  von  Gela  p.  121,  Fig.  75 
vergleicht.  Warum  auf  den  Münzen  von  Kyzikos  ein  Flußgott 
dargestellt  wurde,  ist  schwer  einzusehen.  Dagegen  paßt  Dionysos 
auf  diese  Münzen  vortrefflich,  s.  oben  S.  368.  Wenn  man  sich 
aber  daran  erinnert,  daß  auf  denselben  Münzen  manche  rein  At- 
tische Typen  vorkommen,  so  wird  man  es  nicht  für  unmöglich  hal- 
ten, daß  der  bei  den  Athenern  so  hoch  verehrte  Flußgott  Kephis- 
sos  oder  auch  der  dort  gleichfalls  einen  Cultus  habende  Ache- 
loos  gemeint  sein  könne. 

3. 

Stephani  meint,  daß  Dionysos  auch  als  Mensch  mit  Stierkopf 
gebildet  sei  und  führt  als  entscheidend  für  diese  Ansicht  zwei 
nur  durch  Beschreibung  bekannte  Bildwerke  an  S.  119  fg. :  1)  eine 
früher  im  Palazzo  Grimani  befindliche,  jetzt  verschollene  Marmor- 
basis ,  welche  von  Fr.  Thiersch  Reisen  in  Italien  S.  257  verzeich- 
net ist.  Man  gewahrte  an  der  einen  Nebenseite ,  umgeben  von 
vier  Frauen,  ein  Kind  mit  Stierhaupt.  Thiersch  bezeichnete  es  als 
Minotauros.  Dagegen  bemerkt  Stephani ,  daß  die  Geburt  und 
Pflege  des  Minotauros  von  der  Sage  nirgends  betont  werde.  Als 
n.  2  erwähnt  er  das  Gemälde  im  Inneren  einer  Kylix ,  welche 
sich  früher  im  Besitze  des  Duc  de  Luynes  befand,  jetzt  in  der 
Nationalbibliothek  zu  Paris  aufbewahrt  wird.  Das  Gemälde  ist 
beschrieben  von  E.  Braun  im  Bullett.  arch.  1847,  p.  121,  vgl.  Ger- 
hard's  Arch.  Anzeiger   1847,  S.  9*,    von   Panofka   ebenda    S.  22*, 


372  Friedrich  "Wieseler 


n.  15,  nach  welchem  die  Pasiphae  „mit  Strahlenkrone  geschmückt" 
ist,  und  nach  J.  de  Witte  in  der  Arch.  Zeitung  1850,  S.  213,  n.  9. 
Hier  heißt  es  über  das  Innenbild :  „Pasiphae  sitzend,  mit  dem  klei- 
nen stierköpfigen  Minotaur  auf  ihrem  Schoß ;  sie  ist  myrthen- 
bekränzt  und  langbekleidet  und  drückt  in  Gesicht  und  Bewegung 
ihr  Entsetzen  über  den  Neugeborenen  aus.  Aufgehängt  ist  eine 
Cista;  zu  Pasiphae's  Füßen  ein  Schwan".  Später  ist  das  Innen- 
bild abbildlich  mitgetheilt  und  ausführlich  besprochen  von  Fr.  Le- 
normant  in  der  Gazette  archeol.  cinq.  annee  1879,  pl.  3  als  nais- 
sance  de  Zagreus,  wo  auch  die  Außenbilder  der  Schale  mitge- 
theilt sind  auf  pl.  4  und  5  p.  18  fg.1).  Er  folgt  also  der  Deutung 
von  Stephani.  Dieser  findet  es  unbegreiflich,  daß  in  diesem  Bilde 
allgemein  die  Geburt  des  Minotauros  vorausgesetzt  sei,  nicht  die 
des  Dionysos;  „denn  nicht  nur  ist  dem  kleinen  Gott  eine  Gans 
oder  ein  Schwan  beigesellt ,  sondern  es  sind  auch  die  in  den  Bil- 
dern der  Außenseite  auftretenden  Personen  sämmtlich  vollkommen 
deutlich  bezeichnete  Satyrn  und  Maenaden ,  welche  Thyrsos-Stäbe 
und  Glieder  eines  Menschen  in  den  Händen  halten,  den  sie  in 
wilder  Raserei  zerrissen  haben".  Auch  Rob.  Schneider  äußert  im 
Jahrb.  a.  a.  0.  S.  45  in  Bezug  auf  das  Innenbild  der  Kylix :  „man 
gab  ihm  (dem  Dionysos)  vielleicht  auch  die  Form  des  Minotauros, 
auf  dem  Menschenleib  das  Stierhaupt".  Es  ist  allerdings  aus 
mehreren  Gründen  wahrscheinlich ,  daß  Dionysos  Zagreus ,  nicht 
der  Minotauros,  gemeint  sei.  Das  wesentlichste  Bedenken  gegen 
jenen  erregt  der  Stierkopf.  Doch  glaubt  Stephani  diesen  bei  Dio- 
nysos auch  durch  Schriftstellen  belegen  zu  können.  Er  bemerkt, 
daß  von  Dionysos  bei  Tzetzes  z.  Lykophr.  1237  gesagt  werde: 
tavQOKEcpccXog  cpavralsxai  Kai  ^ygacpEitm  xal  iv  EvQntCdri'  %al 
öd)  KeQutcc  xqcctI  TiQoöitscpvxhvat, ,  und  weiter:  tccvQÖXQavog  de  £oo- 
ygcccpelTcu  xccl  cpavtd&Tai,  rj  xsQaöcpoQog.  Aber  die  Worte  des  Eu- 
ripides  sind  ohne  Zweifel  von  menschlicher  Gestalt  mit  Stierhör- 
nern zu  verstehen   und    an    der   zweiten  Stelle   soll    das   §   gewiß 


1)  Außer  den  obigen  beiden  Darstellungen  giebt  es  noch  eine  dritte,  welche 
auf  den  Minotauros  als  Kind  bezogen  ist.  Dieselbe  befindet  sich  auf  einem  Etrus- 
kischen  Relief  von  einer  Todtenkiste,  über  welches  schon  0.  Jahn  Arch.  Beitr. 
S.  240  nach  der  Sammlung  von  Zeichnungen  im  Berliner  Museum  Mittheilung 
gemacht  hat.  Stephani  meint  aber  S.  120,  A.  4,  man  könne  sich  über  das  Re- 
lief gar  keine  Meinung  bilden,  so  lange  nicht  einmal  gewiß  sei,  ob  das  Kind  ei- 
nen Stierkopf  habe  oder  nicht.  Das  ist  sehr  verwunderlich,  da  Jahn  denselben 
ausdrücklich  bezeugt.  Auch  Gerhard  im  Arch.  Anz.  1847,  S.  9*  zweifelt  nicht 
an  dem  Stierkopfe  und  bemerkt,  daß  schon  Inghirami  das  Kind  auf  Minotauros 
gedeutet  habe. 


über  den  Stierdionysos.  373 

nicht  so  zu  fassen  sein  als  sei  xsQccecpÖQog  von  T<xvg6xQccvog  ver- 
schieden. Vgl.  auch  Tzetzes  zu  Lykophr.  209 :  Tavgcp '  rca  Aio- 
vv6cp  j  ort  x8Qaxo(poQOv  avrbv  ygäcpovöLV,  cjg  xal  EvQntCdr\g  nal  6a 
neQccza  u.  s.  w.  Die  Stellen  des  Nonnos  Dion.  VII,  321  u.  XVIII, 
95 ,  in  denen  Dionysos  ßovxQcuQog  genannt  wird ,  will  Stephani 
nicht  auch  veranschlagen,  obgleich  „man  meinen  sollte,  daß  Nonnos 
von  einem  vollständigen  Stierkopf  spreche",  weil  dieser  Dichter 
bei  der  Wahl  seiner  Ausdrücke  mit  so  wenig  Sorgfalt  zu  Werke 
gegangen  sei,  daß  man  nichts  daraus  schließen  könne  (was  doch 
gewiß  zu  viel  gesagt  ist).  Das  Wort  ßovxQaLQog  ist  ohne  Zweifel 
von  Stierhörnern  zu  verstehen  ,  vgl.  Nonn.  Dion.  XXVII,  24  faö- 
xQcciQog.  In  dem  Hymn.  Orph.  XLV  (44)  Herrn,  wird  Dionysos 
als  tavQoiisTG>7tog  bezeichnet.  Damit  ist  gewiß  nicht  gemeint,  daß 
der  Gott  einen  Stierkopf  habe,  sondern  nur,  daß  er  mit  Stierhör- 
nern an  der  Stirn  versehen  sei,  und  wesentlich  dasselbe  bedeutet 
auch  TccvQOKQccvog.  Inzwischen  steht  es  doch  fest,  daß  Zagreus 
mit  Hörnern  am  Kopfe  gedacht  wurde,  vgl.  Orph.  hymn.  XXX,  3, 
Nonn.  Dion.  VI,  165,  209.  Außerdem  heißt  er  tavQog  Clemens 
Alexandr.  Protrept.  II,  p.  14  Potter,  vgl.  auch  Lycophr.  AI.  209 
und  Nonn.  Dion.  V,  564,  und  ravQÖ^ioQcpog  Clem.  AI.  Prot.  II,  p.  14; 
vgl.  auch   Arnobius  adv.  gentes  V,  21. 

4. 

Außer  den  Hörnern  erscheinen  als  einziger  thierischer  Be- 
standteil am  menschlich  gebildeten  Kopfe  des  Dionysos  die  Ohren. 

Diese  finden  sich  nicht  bloß  bei  dem  bärtigen  Dionysos,  son- 
dern auch  bei  dem  unbärtigen. 

Bärtige  Köpfe  a)  in  Hermen:  Ammon  und  Dionysos  im  Ber- 
liner Mus.  (Conze  Verzeichn.  der  ant.  Skulpt.  n.  11),  abgebildet 
in  Mon.  inedit.  inst.  arch.  IV,  49  und  Ann.  1848,  tav.  J,  jetzt 
auch  in  der  Beschr.  der  ant.  Skulpt.  des  Kgl..  Mus.  zu  Berlin 
S.  9  zu  n.  11.  Archaistische  Herme  im  Lateranens.  Mus.  (vgl. 
Benndorf  u.  Schöne  S.  402,  n.  599).  b)  auf  Etruskischen  Bronze- 
schildern wie  dem  in  den  Denkm.  a.  Kunst  I,  60,  303,  in  Betreff 
deren  O.  Jahn  Ber.  d.  K.  Sachs.  Gres.  d.  Wissenschaften  1854  S. 
49  an  eine  Satyrmaske  denkt,  während  Stephani  a.  a.  0.  S.  114  fg. 
gewiß  wahrscheinlicher  eine  Dionysosmaske  annimmt,  sowie  an 
einem  Bronzekopf  bei  E.  v.  Sacken  die  ant.  Bronzen  des  K.  K. 
Münz-  und  Ant.-Cab.  in  Wien  Taf.  XXVI,  n.  6,  in  Betreff  dessen 
Thraemer  a.  a.  0.  die  Beziehung  auf  Dionysos  abweist.  Ein  ähn- 
licher Kopf  auf  einer  Münze  stellt  Acheloos  dar  (Arch.  Ztg. 
1862,    T.  CLXVI1I,  n.  10).     c)    in   Terracotten   wie    die  bei   Pa- 


374  Friedrich  Wieseler, 

nofka  Terracotten  des  Berl.  Mus.  Taf.  47  und  im  Bull.  arch. 
Napol.  T.  III,  t.  5,  vgl.  Stephani  a.  a.  0.  d)  auf  geschnittenen 
Steinen:  Raspe  Cat.  n.  4179,  Toelken  Erkl.  Verz.  III,  3,  927 
=  Denkm.  d.  a.  K.  II,  33,  379.  Diese  Köpfe  sind  von  Raspe  und 
Toelken  für  die  eines  Dionysos  gehalten.  Winckelmann  bezieht 
jedoch  den  Berliner  in  der  Descr.  d.  pierr.  grav.  de  Stosch.  p. 
327  zu  Cl.  III,  n.  75  auf  den  Minotauros  und  Stephani  bemerkt 
gegen  die  Deutung  auf  Dionysos  a.  a.  0.,  S.  114,  daß  man  wenig- 
stens mit  gleichem  Rechte  auch  an  einen  Flußgott  denken  könnte. 
Das  ist  allerdings  richtig.  Auch  H.  Blümner  erklärt  sich  gegen 
einen  Dionysos  zu  Lessing's  Laokoon  S.  121.  Er  ist  wegen  des 
Gesichtsausdruckes  und  des  struppigen  Bartes  eher  geneigt  ein 
„satyrhaftes  Wesen"  anzuerkennen,  was  minder  wahrscheinlich  ist. 
Desgleichen  lehnt  Thraemer  a.  a.  0.  S.  1150  die  Beziehung  auf 
Dionysos  ab,  weil  der  Kopf  rohen  Gesichtsausdruck  und  Stier  oh- 
ren  zeige,  die  seiues  Wissens  auf  Doppelköpfe  des  Dionysos  und 
Ammon  beschränkt  seien ,  von  welchen  beiden  Gründen  der  erste 
unzulänglich,  der  andere  irrig  ist.  Die  Möglichkeit  daß  es  sich 
um  einen  Dionysos  handele,  wird  ebenso  wenig  in  Abrede  gestellt 
werden  können  wie  die,  daß  ein  Flußgott  gemeint  sei.  —  Wir  er- 
wähnen schließlich  hier  eine  nur  etwas  bärtige  Bronzebüste  mit 
eigenthümlichem  wilden  Gesichtsausdruck  zu  Neapel  (Bronzi  d' 
Ercolano  T.  I,  t.  V)  mit  Stierhörnern  und  Stierohren.  Sie  wird 
von  Welcker  A.  Denkm.  V,  S.  38  fg.  ohne  Bedenken  auf  Diony- 
sos bezogen.  Nach  R.  Schneider,  Jahrb.  a.a.O.  S.  46,  ist  sie 
unter  allen  bekannten  Bildern  des  Dionysos  dasjenige ,  welches 
die  Charakteristik  desselben  nach  dem  Thierischen  hin  am  weite- 
sten durchführt.  „Der  Kopf,  welchem  das  mystische  Attribut  der 
um  Rücken  und  Schultern  sich  ringelnden,  von  der  erhobenen 
Rechten  gefaßten  Schlange  noch  phantastischeres  Aussehen  ver- 
leiht, ist  nach  rechts  geneigt,  heftig  zurückgeworfen  und  richtet 
den  Blick  in  die  Höhe.  Außer  den  aus  dem  struppigen  Haupt- 
haar hervorstehenden  Hörnern  und  den  schräg  abstehenden  Thier- 
ohren  erinnert  der  Hals  noch  weit  entschiedener  als  an  der  Maske 
aus  Gizeh  (s.  u.  S.  382  fg.)  an  die  Wamme  des  Stiers  ;  des  ungeachtet 
setzt  sich  ein  menschliches  Bruchstück  daran.  Haar  wächst  auf  der 
Stirn  über  der  dicken  Nasenwurzel,  als  kurzer  Backenbart  unter 
den  Ohren,  auf  der  Brust  und  um  den  Brustwarzen".  Stephani 
äußert  im  Compte  rend.  p.  1863,  p.  103,  minder  bestimmt,  man 
werde  die  Büste  in  Folge  der  als  Attribut  hinzugefügten  Schlange 
vielleicht  auf  den  jugendlichen  Dionysos  beziehen  können  J). 
1)  Daß  gerade  die  Schlange  für  diesen  beweiskräftig  sein  soll,    erscheint  be- 


über  den  Stierdionysos.  375 

Unbärtige  Kopfe.  a)  Doppelherme  des  Ammon  und  des 
jugendlichen  Stier-Bacchus  im  Palazzo  GJ-iustiniani  Orsato  Recanati 
sulle  Zattere  in  Venedig,  19  cm  hoch  („die  Hörner  des  Diony- 
sos liegen  in  dem  aufstehenden  mit  der  Corona  tortilis  geschmück- 
ten Haare  und  sind  gleich  den  Thierohren  abgestoßen",  wie  R. 
Schneider  „lieber  eine  Bacchische  Maske  aus  Cilli"  in  den  Mittei- 
lungen der  K.  K.  Central  -  Commission  zur  Erhaltung  und  Erfor- 
schung der  Kunst-  und  historischen  Denkmäler.  Jahrg.  1885,  S.  86, 
A.  2  bemerkt).  Doppelbüste  beider  Gottheiten  früher  im  Besitz 
des  Ritters  Azara ,  jetzt  unbekannten  Aufbewahrungsortes,  abge- 
bildet im  Mus.  Pio-Clem.  Vol.  V,  tav.  A,  n.  3.  Desgleichen  in 
Madrid,  s.  Overbeck  Griech.  Kunstmythol.  I,  S.  287  fg.  n.  37. 
Drei  Doppelhermenköpfe  im  Berliner  Mus.  (Conze  Verzeichn.  d. 
ant.  Skulpt.  n.  13.  14.  15).  Der  eine  bärtige  Kopf  stellt  ohne 
Zweifel  den  Ammon  dar,  der  andere  unbärtige  mit  thierischen 
Ohren  und  kurzen  Stierhörnern  nach  den  Meisten  Dionysos,  nach 
Einigen  den  Triton.  Diese  letztere  Deutung  wurde  von  K.  Böt- 
ticher  aufgestellt  im  Nachtrag  zum  Verz.  der  Bildhauerwerke  in 
Berlin  1867  n.  985  fg.  bes.  987.  Overbeck,  der  im  Atlas  zur  Kunst- 
myth.  III,  12  Abbildung  von  einem  Exemplare  gegeben  hat ,  be- 
merkt im  Texte  a.  a.  0.  S.  287,  wenngleich  für  diese  neue  Deu- 
tung auch  keine  zwingende  Notwendigkeit  vorzuliegen  scheine,  so 
lasse  sich  nicht  verkennen ,  daß  Manches  für  dieselbe  spreche. 
Auch  Conze  läßt  unbestimmt ,  ob  Dionysos  oder  Triton  gemeint 
sei.  AI.  Thiele  führt  in  dem  Verz.  der  Sammlung  Bergau  mit 
vertieft  geschnittenen  Steinen  die  „Doppelherme  des  unbärtigen 
jugendlichen  Ammon  und  des  unbärtigen  stiergehörnten  Triton 
an ,  von  welcher  er  auf  Tafel  I,  n.  1  eine  Abbildung  giebt.  Ver- 
muthlich  rührt  die  Benennung  „Triton"  von  den  drei  eben  erwähn- 


denklich,  wenn  Thraemer  a.a.O.  S.  1111  mit  Recht  behauptet,  daß  die  Schlange 
neben  der  Gestalt  des  Dionysos  keine  Rolle  spiele.  Aber  diese  Behauptung  ist 
irrig,  wenn  es  auch  wahr  ist,  daß  die  Schlange  als  Attribut  des  Gottes  nur  sel- 
ten vorkommt.  Als  solches  erscheint  sie  auf  Vasenbildern  (vgl.  Gerhard  Auserl. 
Vasenb.  I,  63  =  Denkm.  d.  a.  K.  II,  37,  433,  und  Fröhner  Les  muse'es  de  France 
pl.  6,  welches  in  der  zweiten  Ausgabe  der  Denkm.  II,  433  wiederholt  ist),  denn 
daß  es  sich  hier  um  eine  Andeutung  der  Verwandlung  des  Dionysos  handele 
(Thraemer  S.  1095  nach  Robert),  ist  gewiß  irrig.  Auf  einem  Berliner  geschnit- 
tenen Steine  richtet  sich  nach  Toelken  Erkl.  Verz.  Kl.  III,  3, 960  neben  dem 
Bacchus  am  Boden  eine  Schlange  auf.  Die  Marmorstatuette  des  Dionysos  mit  der 
Stierhaut  bei  Welcker  A.  Denkm.  V,  Taf.  II  hat  eiue  Schlange  neben  sich,  die 
sich  um  einen  Baumstamm  windet.  Ich  zweifle  nicht  daran ,  daß  die  Hercula- 
nensische  Bronze  sich  auf  Dionysos  bezieht;  an  einen  Sabazios  wird  schwer- 
lich zu  denken  sein. 


376  Friedrich  Wieseler, 

ten  Doppelhermenköpfen  her.  Für  die  Beziehung  der  Berliner 
Köpfe  auf  Dionysos  spricht  sich  aus  einleuchtenden  Gründen  auch 
R.  Schneider  Jahrb.  S.  47  aus.  Der  beste  der  Köpfe  n.  14  ist 
nach  Kekule*  Beschr.  S.  10  „von  edlem  Typus  pathetisch  erregt 
aufwärts  blickend".  Auch  die  Gemme  Bergau  stellt  nach  der 
Abbildung  zu  urtheilen  gewiß  nicht  den  Triton  sondern  den  Dio- 
nysos dar.  —  Desgleichen  in  der  Galler.  geogr.  des  Vatican ,  vgl. 
Gerhard  Beschr.  d.  Stadt  Rom  Th.  II,  2,  S.  281,  n.  33 ,  Stephani 
Compte  rend.  pour  1862,  p.  77  fg.,  Overbeck  a.a.O.,  S.  289  fg., 
ungenügende  Abbildung  bei  Pistolesi  II  Vaticano  descr.  ed  illustr. 
Vol.  VI,  t.  103.  Während  Gerhard  und  Stephani  an  dem  Dionysos 
nicht  zweifeln,  meint  Overbeck,  daß  die  Doppelbüste  ganz  aus  die- 
sem Kreise  zu  entfernen  sei,  gewiß  mit  Unrecht.  Der  stierge- 
hörnte Kopf  ist,  wie  R.  Schneider  Jahrb.  a.  a.  0.  S.  47  bemerkt, 
der  auch  an  der  Hiehergehörigkeit  der  Doppelherme  nicht  zwei- 
felt, sehr  breit,  mit  stark  hervortretenden  Backenknochen,  von 
finsterem  Ausdrucke;  seine  Ohren  stehen  aufrecht,  seine  Hörner 
sind  im  weiten  Abstände  von  einander  im  struppigen  Haare  an- 
gebracht, nach  vorne  gerichtet  und  etwas  gewunden;  die  Stirn- 
leiste zwischen  denselben  scheint  angedeutet  zu  sein,  b)  Bronze- 
kopf: „Kopf  des  sehr  jugendlichen  gehörnten  Dionysos  mit  Thier- 
ohren  und  mit  einem  Diadem  geschmückt,  oben  ein  Henkel",  (R. 
Gaedechens  die  Antiken  des  Fürstl.  Waldeck'schen  Museums  zu 
Arolsen  n.  113.  c)  Antefix  aus  Terracotta  aus  Tarent:  Journal 
of  Hellenic  studies  IV,  pl.  32.  d)  Geschnittener  Stein  und  Paste : 
Catal.  du  mus.  Fol,  Antiq.  P.  II.  Geneve  1875,  p.  156  fg.,  n.  1957 
u.  1960. 

5. 

Viel  häufiger  wird  Dionysos  nur  mit  Hörnern  versehen  auf 
den  Bildwerken  gefunden,  wenn  auch  lange  nicht  so  oft  als  man 
nach  den  Schriftstellern  erwarten  sollte,  und  zwar  namentlich  der 
unbärtige  und  jugendliche,  aber  auch  der  bärtige. 

Dieser  letztere  findet  sich  in  der  Doppelherme  des  Mus. 
Chiaramonti  des  Vaticans ,  welche  bei  Mbby  Mus.  Chiaram.  Vol. 
III,  t.  VIII  nicht  eben  getreu  abgebildet  ist  und  als  „Zagreo  e 
Dionysio"  gefaßt  wird. 

Man  findet  den  bärtigen  gehörnten  Dionysos  ferner  in  Dop- 
pelmasken auf  Gemmen.  So  auf  einer  Paste  und  einem  Iaspis  zu 
Göttingen ,  vgl.  G.  Hubo  Originalwerke  der  arch.  Abt.  d.  arch.- 
numism.   Instituts   der    Georg-Augusts-Universität  n.  1528   u.  396 


über  den  Stierdionysos.  377 

und  Bernhard  Müller  Dreizehn  Gemmen  der  Göttinger  Universi- 
tätssamml.,  Abbild,  n.  2  u.  1.  Von  AI.  Thiele  Die  Samml.  ßergau 
S.  11,  n.  206  wird  ein  „Doppelkopf  des  Silen  und  des  bärtigen 
gehörnten  Bacchus"  angeführt;  doch  nimmt  sich  der  letztere  Kopf 
in  der  Abbildung  auf  Taf.  III  eher  als  der  des  Pan  aus. 

Auch  Münztypen  gehören  hierher.  Freilich  hat  man  einige 
früher  mit  Unrecht  in  Anschlag  gebracht.  Wenn  Welcker  A. 
Denkm.  V,  S.  39,  A.  18  schrieb:  „der  bärtige  Dionysos  soll  ge- 
hörnt nur  auf  Münzen  von  Naxos  vorkommen",  so  irrte  er  zwie- 
fach. Bisher  ist  keine  derartige  Münze  von  Naxos  bekannt  ge- 
worden. S.  auch  Stephani  im  Compte  rend.  p.  1863,  p.  113.  A. 
W.  Curtius  nahm  an  dem  bärtigen  gehörnten  Dionysos  einer  Boeo- 
tischen  Münze,  die  nach  Pellerin  Rec.  T.  I,  pl.  24,  8  in  den  Denkm. 
d.  a.  K.  II,  33,  378  abgebildet  ist,  keinen  Anstoß.  Aber  schon 
Stephani  bemerkte  a.  a.  0.,  es  bleibe  sehr  ungewiß ,  in  wie  weit 
jener  Abbildung  Pellerin's  Glauben  beizumessen  sei.  Thraemer 
vermuthet  a.  a.  0.  S.  1150  mit  größter  Wahrscheinlichkeit,  daß 
man  das  Hörn  in  der  Abbildung  Pellerins  nur  für  ein  verkann- 
tes (weil  schlecht  erhaltenes)  Epheublatt  (resp.  Ranke)  halten 
kann.  Ohne  Zweifel  gehört  diese  Münze  nicht  hierher.  Erst  in 
neuester  Zeit  ist  der  bärtige  gehörnte  Dionysos  mit  Sicherheit 
auf  Münzen  nachgewiesen  worden  von  Imhoof-Blumer  „Griech. 
Münzen"  in  den  Abhandl.  der  K.  Bayer.  Akad.  der  Wissensch., 
München  1890 ,  der  S.  628  fg.  sein  Vorkommen  auf  Münzen  von 
Skepsis  dargethan  und  solche  auf  Taf.  VIII,  n.  6  fg.  abbildlich 
mitgetheilt  hat. 

Ungemein  viel  größer  ist  die  Zahl  der  Darstellungen  des  ge- 
hörnten unbärtigen  Dionysos  selbst  nach  Abzug  der  fälschlich 
oder  unsicher  hierhergezogenen  Beispiele.  Ueber  alle  ihm  bekann- 
ten Fälle ,  deren  Zahl  aber  von  uns  bedeutend  vermehrt  werden 
wird,  hat  Stephani  a.  a.  0.  p.  111  fg.  gesprochen.  Hier  sind  auch 
die  verdächtigen  oder  unsicheren  Beispiele  als  solche  bezeichnet, 
doch  hat  auch  er  manche  mit  Unrecht  hierhergezogen.  So  —  um 
hier  nur  ein  sicheres  anzuführen  —  p.  111,  A.  1  die  ithyphallische 
Herme  auf  dem  Vasenbilde  bei  Gerhard  Hermenbilder  Taf.  V,  n.  2 
=  Ges.  Abhandl.  LXXVII,  2,  in  welcher  Gattung  der  Kunstübung 
überall  kein  stiergehörnter  Dionysos  nachzuweisen  ist  (vgl.  auch 
Thraemer  S.  1151).  Die  betreffende  Herme  stellt  den  Hermes  dar, 
wie  ich  schon  vorlängst  einsah  und  nachher  auch  bei  Thraemer 
a.  a.  0.  S.  1122  u.  1151  bemerkt  fand.  Ueber  einige  andere  ver- 
muthlich  auch  nicht  hierhergehörende  Bildwerke  wird  besser  im 
Folgenden  gehandelt  werden  können. 


378  Friedrich  Wieseler, 

Wir  betrachten  zunächst  die  Werke  aus  Marmor  oder  anderem 
Stein.  Einen  Kopf,  „der  vermuthlich  einer  Statue  angehört  hat 
und  dessen  Züge  einen  dem  Apoxyomenos  verwandten  Typus  tra- 
gen", verzeichnen  Benndorf  und  Schöne  „Die  ant.  Bildw.  des  Late- 
ran. Mus."  S.  153,  n.  236*.  Eine  „Doppelherme  des  bärtigen  und  des 
gehörnten  unbärtigen  Dionysos  in  der  Galleria  dei  Candelabri  des 
Vatican  (n.  360)"  erwähnt  mit  dem  Zusätze  „das  Gesicht  des  Letz- 
teren ist  breit,  aber  nicht  satyresk;  vom  Haare  hängen  Lemnis- 
ken  auf  die  Brust  herab;  das  linke  Hörn  ist  ergänzt"  R.  Schneider 
Jahrb.  a.  a.  0.  S.  48.  Eine  Doppelherme  aus  Marmor  in  Pompeji 
wird  im  Bull.  delT  inst.  arch.  1847  p.  138  ==  Arch.  Ztg.  1847,  S.  148 
bezeichnet  als  „Bacchus  Hebon  und  der  jugendliche  mit  Stier- 
hörnern". Eine  Marmorherme  mit  Stierhörnern  zwischen  den  Haa- 
ren im  Vatican  ist  nach  Mus.  Pio-Clement.  T.  VI,  t.  6,  n.  1  abgebil- 
det in  den  Denkm.  d.  a.  K.  II,  33,  376  =  379  d.  zweit.  Ausg. 
Eine  andere  Abbildung  in  Hirt's  Bilderbuch  Taf.  X,  n.  3.  Durch 
R.  Schneider  Jahrb.  a.a.O.  S.  48  erfahren  wir:  ,,der  Mund  ist 
etwas  geöffnet,  so  daß  die  obere  Reihe  der  Zähne  sichtbar  wird". 
Schneider  äußert  ferner,  in  dem  freundlich  lächelnden  Gesicht  ver- 
möge er  nicht  ,,fast  satyrartige"  Züge  zu  erkennen  und  glaube, 
daß  E.  Q.  Visconti  a.  a.  0.  p.  10  das  Werk  im  Ganzen  genommen 
getreuer  charakterisiere ,  wenn  er  sage :  il  volto  del  dio  di  Nisa 
mantiene  la  sua  bellezza  e  la  sua  gioventü,  ma  le  sembianze  di 
lui  non  han  nulla  di  femminile  ed  una  maschia  venustä  si  diffonde 
sul  suo  volto  e  sulle  sue  forme,  quäl  conviene  a  quella  mesco- 
lanza  di  toro;  della  quäle  non  solo  ritiene  le  picciole  corna,  ma  i 
capelli  irti  in  mezzo  alla  fronte,  e'l  collo  toroso  e  largo  simigliante 
assai  a  quello  d'Ercole :  oltredicciö  le  labbra  tumide  alquanto,  e 
rilevate  piü  del  dovere ;  acorescono  anch'  esse ,  '  senza  altrarne 
gran  fatto  la  beltä,  quella  rassomiglianza  e  il  carattere  di  quel 
misto  si  artificioso.  Hirt  erwähnt  S.  79  nach  Visconti  eine  ganz 
ähnliche  Herme,  an  welcher  die  Hörner  ursprünglich  aus  ande- 
rem Material  eingesetzt  gewesen  zu  sein  scheinen.  Er  meint 
die  in  der  Descr.  de  la  Villa  Albani  aujourd'hui  Torlonia,  Rome 
1869,  p.  22,  n.  119  (vgl.  Beschr.  der  Stadt  Rom  III,  2,  460)  als 
die  d'un  personnage  inconnu  bezeichnete  Herme  von  „Griechi- 
schem Marmor".  Eine  andere  Wiederholung  sah  ich  im  Jahre 
1846  zu  Poggio  Imperiale,  über  welche  sich  bei  Dütschke  Ant. 
Bildw.  in  Oberitalien  II,  S.  47  fg.  keine  Auskunft  findet.  Ich  no- 
tirte  mir  „Büste  des  stiergehörnten  Bacchus  mit  der  Corona  tor- 
tilis,  Haar  vor  der  Stirn  ganz  gleich  wie  bei  der  in  den  Denkm. 
d.  a.  K.  II,  33,  376,    die  Neigung   des  Hauptes    nach  links   noch 


über  den  Stierdionysos.  379 

etwas    tiefer,    das  Gesicht    (mit    tief   ausgeführten   Augensternen) 
noch   finstrer,    die  Hörner  abgestoßen.     Eine  vierte  Wiederholung 
fand  ich  im  J.  1873   im  Varvakion   zu   Athen ,    vgl.  Fr.  "Wieseler 
Arch.  Bericht  über  seine  Reise    nach  Griechenland    S.  52 ,    welche 
im  Sybel'schen  Catalog   nicht  erwähnt  ist.     Auch  der  oben  an  er- 
ster Stelle  der  Marmor  werke  aufgeführte  Kopf  des  Lateran.  Mus. 
gehört  sicherlich  hierher.     Eine   anscheinend    ähnliche  Herme    des 
Lateran.    Mus.    beschr.    von   Benndorf  und  Schöne    S.  348,  n.  489* 
zeigt  über  der  Stirn  aus  dem  Haar   statt   der  Hörner  Epheutrau- 
ben  hervorstehend.      Auch   an    der  früher  als  Ariadne ,    jetzt    mit 
Recht    als  Dionysos    gefaßten   Büste    des  Capitolin.  Mus.  (Denkm. 
d.  a.  K.  II,  33,  375  =  377  d.  zw.  Ausg.)  aus  hellenistischer  Zeit 
wird  noch  jetzt  das  Vorhandensein  von  Hörnern  als   sicher    ange- 
nommen ,    obgleich    schon    C.  Friedrichs    an   dem  Berliner  Gipsab- 
güsse die  Hörner  vergebens    suchte,   vgl.  Bausteine  zur  Gesch.  d. 
Griech.-Röm.  Plastik  I,  n.  628.      In    der  Ausgabe   dieses   Werkes 
von  Wolters  wird  n.  1490   für   möglich,    wenn    auch   nicht    sicher 
gehalten ,     daß    der   Künstler  unter   dem   Haare    versteckt    kleine 
Stierhörner  angebracht  habe.     Eine  genaue  Untersuchung  des  Ori- 
ginals, die  ich  im  Anfang  des  J.  1846  in  Gemeinschaft  mit  einem 
Freunde  unternahm,  zeigte,    daß  von  Hörnern  keine  Spur  vorhan- 
den ist.     Die  Büste  eines  jugendlichen  Dionysos  mit  Hörnern,  die 
über  der  Stirn  hervorsprießen    (nicht  „am  Diadem  befestigt"  sind, 
wie  Blümner  Lessing's  Laokoon  S.  104  angiebt)  aus  grünem  Basalt 
im  Berliner  Mus.  (Conze  Verz.  d.  ant.  Skulpt.  S.  28  n.  120),  abgebil- 
det in  Beger's  Thes.  Brandenburgicus  III,  p.  240,  bei  Hirt  Bilder- 
buch S.  23,  Vign.  2  und  danach  in    der   zw.  Ausg.  der  Denkm.  d. 
a.  K.  IV,  33,  378,    so   wie   eben  in  der  Beschr.  d.  ant.  Skulpt.  des 
K.  Mus.  zu  Berlin  zu  n.  120,  ist  nach  Conze   „vielleicht  moderner 
Arbeit",    wie    auch  Puchstein    bei    R.  Schneider   Jahrb.  S.  48   sie 
als    „des   modernen   Ursprungs   nicht   ganz  unverdächtig"  bezeich- 
net,   und  Kekule*  als   „vielleicht  moderne  Arbeit".     Eine  Marmor- 
büste des   jugendlichen   gehörnten  Dionysos    befindet    sich   in    der 
Marciana  zu  Venedig,  vgl.  Nachrichten  von  der  K.  Ges.  d.  Wis.- 
sensch.  zu  Göttingen  1874,   S.  587.     Ein   kleiner    mit   Epheu  und 
Weintrauben    bekränzter ,    mit   Stierhörnern    versehener   Kopf   zu 
Turin  ist  in   denselben  Nachrichten  1877,    S.  671  verzeichnet,  [in 
dem  Dütschke'schen   Verzeichniß    habe   ich  ihn    aber  nicht   finden 
können. 

Auch  in  Reliefs  kommt  der  jugendliche  Dionysos  gehörnt  vor, 
wenn  auch  nur  sehr  selten.  So,  wie  es  scheint,  auf  dem  Felsrelief 
von  Philippi  bei  Heuzey  et  Daumet  Mission  arch.  de  Mac^doine  pl. 


380  Friedrich  Wieseler, 

III,  2,  Rev.  arch.  nouv.ser..  Vol.  XI,  1865,  p.  450,  einer  spätem  Griechi- 
schen Arbeit,  vgl.  Mission  p.  79  fg.  =  Rev.  arch.  p.  449  fg. ,  Thrae- 
mer  a.  a.  0.  S.  1111  fg.;  vielleicht  auch  der  in  Hautrelief  ausgear- 
beitete Kopf  des  Lateran ens.  Mus.  bei  Benndorf  u.  Schöne  n.  240. 

Ferner  bringt  man  hierher  mehrere  Werke  aus  Thon.  Ste- 
phani  erwähnt  im  Compte  rend.  p.  1863,  p.  111  ein  Thongefäß, 
welches  die  Form  eines  jugendlichen  mit  Stierhörnern  versehenen 
Kopfes  habe,  und  bezieht  diesen  auf  Dionysos.  Es  handelt  sich 
um  das  in  der  Arch.  Ztg.  1851,  Taf.  32  abgebildete  Gefäß.  E. 
Gerhard  hielt  den  Kopf  für  entschieden  weiblich  und  war  beson- 
ders geneigt  ihn  auf  Kora  zu  beziehen  (Arch.  Ztg.  1851,  S.  369  fg.). 
Aber  wenn  auch  das  Gesicht  sich  ganz  weiblich  ausnimmt,  so  er- 
scheint doch  das  Haar  mehr  männlich  und  der  Kalathos  nebst 
anderem  Kopfschmuck  würde  wohl  zu  einem  Dionysos  passen.  Die 
Hauptsache  ist,  daß  bei  Annahme  eines  Weibes  keine  wahrschein- 
liche Deutung  möglich  ist.  Das  Gefäß  soll  nach  Gerhard  aus 
Unteritalien  stammen.  Dann  glaubt  Stephani  a.  a.  0.,  daß  die  an 
den  Voluten  der  unteritalischen  großen  Amphoren  so  häufig  wie- 
derkehrenden kleinen  Köpfe  mit  weißen  Stierhörnern  den  Dionysos 
darstellen ,  vgl.  Stephani  Vasensammlung  der  K.  Ermitage  Th.  I, 
n.  351,  S.  166,  n.  354,  S.  173,  n.423,  S.  223,  n.  778,  S.  306,  n.  787, 
S.316,  Th.II,  n.1286,  S.  116.  Die  Köpfe  sind  regelmäßig  dem 
Beschauer  zugewendet.  Uns  scheinen  Medusenköpfe  gemeint  zu 
sein,  die  in  jenen  späteren  Zeiten  auch  mit  Hörnern  dargestellt  wur- 
den. Endlich  nimmt  Stephani  im  Compte  rend.  a.  a.  0.  an,  daß  ein 
an  einem  kleinen  schwarzen  Thongefäße  der  Ermitage  in  flachem 
Relief  dargestellter  jugendlicher  mit  Weinlaub  bekränzter  und  mit 
Stierhörnern  versehener  Kopf  den  Dionysos  darstelle.  Aber  in  dem 
später  erschienenen  Verzeichn.  der  Vasensammlung  Th.  I,  n.  505 
heißt  es  „ein  jugendlicher  Kopf  mit  reichem  Haar ,  spitzen  Ohren 
und  kleinen  Hörnern  (Satyr) u.  Sicher  stehen  folgende  von  Ste- 
phani meist  nicht  erwähnten  Beispiele.  Auf  einer  Lampe  in  den 
Lucernae  fict.  Mus.  Passer.  II,  37  ist  die  Büste  des  unbärtigen  ge- 
hörnten Dionysos  mit  etwas  in  die  Stirn  herabfallendem  Haare 
und  finsterem  Gesichtsausdruck  dargestellt.  Ein  aus  Kleinasien 
stammendes  Terracottaköpfchen  des  jugendlichen  gehörnten  Diony- 
sos im  K.  Antiquarium  zu  Berlin  erwähnt  nach  Furtwängler  R. 
Schneider  a.  a.  0.  S.46,  Anm.  Eine  Terracottenstatuette  des  ge- 
hörnten jugendlichen  Dionysos  mit  Stierhörnern  ist  bei  J.  de  Witte 
Rec.  de  terres  cuites  de  Janze"  pl.  23  abgebildet. 

Mehr  ist  uns  von  hierhergehörenden  Bronzen  erhalten.  Ste- 
phani erwähnt   zwei  Statuen  Compte  rend.  p.    1863,    p.  111    nebst 


über  den  Stierdionysos.  381 

Anm.  4.  „Die  eine  ist  bei  Clarac  Mus.  de  sculpt.  pl.  684,  n.  1603" 
oder  vielmehr  1601,  „die  andere ,  an  welcher  sich  die  Hörner  fast 
der  Form  von  Ziegenhörnern  nähern ,  in  den  Bronzi  d'  Ercolan. 
T.  II,  p.  203  und  bei  Piroli  Ant.  <T  Hercul.  T.  V,  pl.  27,  Kayser 
Hercul.  und  Pomp.  Th.  V,  1,  Taf.  101,  Clarac  Mus.  de  sc.  pl.  770  A, 
n.  1919",  vielmehr  1909,  „D  abgebildet".  Aber  die  letztere  be- 
trachtet E.  Schneider  Jahrbuch  a.  a.  0.  S.  45  fg.  A.  5  als  ent- 
schieden nicht  hierhergehörig;  auch  die  andere  wagt  er  nicht  als 
sicher  auf  den  gehörnten  Dionysos  bezüglich  zu  betrachten,  „da 
in  den  beiden  andern  Abbildungen  Bronzi  di  Ercolano  Vol.  II, 
t.  XXXVI,  Roux  und  Bouchet  Herculanum  et  Pompei  T,  V,  Ser.  1, 
pl.  XL  VI  die  angeblichen  Hörner  wie  zwei  Haarlocken  aussehen". 
Dagegen  kommt  jedenfalls  die  Sitzfigur  in  der  K.  Ant.-Sammlung 
zu  Wien  aus  der  früheren  Diadochenzeit  in  Betracht,  welche  E.  v. 
Sacken  in  den  arch.-epigraph.  Mittheil,  aus  Oesterr.  Jahrg.  III,  S. 
128  fg.,  n.  2  auf  den  Stierdionysos  bezieht,  nachdem  sie  Furtwäng- 
ler  in  den  Mittheilungen  des  Deutschen  arch.  Instituts  in  Athen 
Bd.  III,  S.  294  Anm.  für  einen  Diadochenkönig  als  Dionysos  ge- 
halten hatte.  Die  von  Robert  Schneider  in  dem  Jahrb.  a.  a.  0. 
S.  42  u.  Taf.  IV  abbildlich  mitgetheilte  Figur  wurde  um  1877  im 
Peloponnes  gefunden.  „Sie  zeigt  uns  den  jugendlichen  Gott,  wie 
er  sich  auf  ein  Felsstück  niedergelassen  hat.  Er  ist  nackt.  Das 
um  den  linken  Vorderarm  gewickelte  Gewand  dient  als  weiche 
Unterlage  auf  dem  rauhen  Sitze  und  hängt  über  den  nackten 
Oberschenkel  herab.  Der  nach  rechts  gewendete  Kopf,  den  ge- 
wohnten Bildungen  des  Dionysos  wenig  ähnlich,  ist  von  breit  und 
kräftig  gebautem  Knochengerüste  und  düsterem  Ausdrucke.  Eine 
tiefe  von  Schläfe  zu  Schläfe  sich  hinziehende  Furche  theilt  die 
fleischige  Stirne  in  zwei  Hälften,  deren  untere  ungefähr  wie  an 
den  Köpfen  des  Zeus  über  der  Nasenwurzel  stark  ausgebaucht  ist. 
Die  Nase  ist  klein,  der  Mund  groß,  die  Lippen  dick.  Das  Haar, 
aus  dem  rechts  und  links  die  kleinen  Hörner  des  jungen  Stiers 
hervorragen ,  schmiegt  sich  dem  flachen ,  verhältnißmäßig  kleinen 
Hinterhaupte  an ,  umgiebt  dasselbe  mit  den  wirr  durcheinander 
geworfenen  Enden  gleich  einem  Kranze,  fließt  rechts  und  links 
vom  Gesichte  in  reicher  Fülle  über  den  starken  Nacken  herab 
und  verleiht  dem  Kopfe,  den  es  größer  erscheinen  läßt  als  er 
wirklich  ist,  ein  fast  majestätisches  Ansehen.  Blick  und  Wendung 
des  Kopfes  gelten  offenbar  der  Figur,  welche  auf  dem  nach  rechts 
sich  fortsetzenden  jetzt  leeren  Theile  der  Basis  angebracht  war. 
Am  nächsten  liegt  es  hier,  an  das  Lieblingsthier  des  Dionysos,  den 
Panther  zu  denken,    der  nach  dem  Becher  oder  nach  der  Traube 


382  Friedrich  Wieseler, 

aufschaut,  Dinge  die  vielleicht  mit  mehr  Wahrscheinlichkeit  in 
der  erhobenen  Rechten  des  Gottes  vorausgesetzt  werden  dürften 
als  Thyrsos  oder  Zepter".  Sehr  interessant  ist  das  auf  einem 
Throne  sitzende  Cultusbild  des  Dionysos  aus  vergoldeter  Bronze, 
mit  den  Ansätzen  (punte)  zweier  Hörner  auf  der  Stirne  (Sogliano 
Le  pitt.  murali  Campane  n.  241 ,  in  Pompei  e  la  regione  sotterra- 
ta  dal  Vesuvio  Napoli  1879,  P.  2,  p.  131.  Außerdem  führt  R. 
Schneider  S.  48  an  ein  „Brustbild  aus  Bronze  gefunden  bei  Es- 
sek  um  1870,  im  Besitze  des  Herrn  Julius  Herz,  24  cm  hoch 
und  26  cm  breit.  Es  gehört  der  derberen  Charakteristik  des 
Weingottes  nach  sichtlich  einer  späteren  Kunstepoche  an.  Der 
freundlichlächelnde  Kopf  ist  nach  rechts  geneigt.  Wangen  und 
Kinn  sowie  die  Brust  sind  von  fast  weiblicher  Fülle.  Das  in  der 
Mitte  gescheitelte  und  mit  einer  Corona  tortilis  geschmückte  Haar 
fällt  in  aufgelösten  Strähnen  auf  die  Schulter  und  ist  mit  Trau- 
ben schwer  behangen.  Winzige  Hörnchen  wachsen  aus  beiden 
Stirnhöckern  heraus,  und  über  dieselben  zieht  sich  eine  schmale 
Binde  hin,  welche  sich  jederseits  im  Haare  verbirgt.  Auf  der 
linken  Schulter  ist  das  quer  über  die  Brust  laufende,  mit  beson- 
derem Fleiß  ausgeführte  Ziegenfell  geknüpft.  Die  Bronze  ist 
vortrefflich  erhalten ,  mit  schöner  Patina  überzogen  und  obwohl 
nachhadrianischer  Zeit  angehörig,  von  guter,  freilich  etwas  trok- 
kener  Arbeit.  Sie  ist  hohl  und  war  als  Zierrath  in  senkrechter 
Lage  an  irgend  einem  Greräthe  befestigt".  Ein  halblebensgroßer 
Kopf  von  Bronze  mit  sehr  kleinen  Stierhörnchen  wird  in  dem  Jahrb. 
d.  K.  Deutschen  arch.  Inst.  Bd.  V,  Arch.  Anz.  1890,  3,  S.  91  er- 
wähnt und  abbildlich  mitgetheilt  von  Furtwängler ,  der  bemerkt, 
daß  der  Kopf  in  Kleinasien  gefunden  sei  und  eine  Arbeit  späte- 
rer hellenistischer  oder  frührömischer  Zeit  zu  sein  scheine.  Zwei 
schöne  Köpfchen  auf  einem  durch  die  Künstlerinschrift  interessan- 
ten Bronzeplättchen  erwähnt  Overbeck  Pompeji  S.  430  der  vier- 
ten Aufl.  Schönes  Köpfchen  aus  der  Gegend  von  Corneto  Bull, 
d.  inst.  arch.  1866,  p.  232.  Besonders  interessant  ist  der  von 
R.  Schneider  im  Jahrb.  a.  a.  0.  S.  44  abbildlich  mitgetheilte  und 
S.  43  fg.  besprochene  Bronzehenkel  eines  Gefäßes  aus  Aegypten 
im  K.  Mus.  zu  Wien :  „Auf  dem  massiv  gegossenen  und  trefflich 
erhaltenen ,  25,5  cm  hohen  Henkel ,  erhebt  sich  in  hohem  Relief 
als  ein  ursprünglich  in  dem  weichen  Stoffe  gesondert  modellirtes 
Stück  eine  9  cm  hohe  Maske  des  gehörnten  Dionysos.  Der  nach 
rechts  gewendete  Kopf,  dessen  Bedeutung  das  Weinblatt  außer 
Zweifel  setzt,  entnimmt  außer  den  beiden  Hörnern,  welche  spitzi- 
ger und  größer  als  an  der  peloponnesischen  Figur,    auch  morpho- 


über  den  Stierdionysos.  383 

logisch  richtiger  aus  den  Stirnhöckern  hervorsprießen,  dem  Stiere 
noch  die  freilich  nicht  naturalistisch  abstehenden,  sondern  mit  der 
Spitze  nach  aufwärts  gekehrten  Ohren.  Auch  der  Hals  ahmt  mit 
seiner  schlaffen  faltenreichen  Haut  entschieden  die  hängende 
Wamme  des  Stieres  nach.  In  vollem  Einklang  mit  der  weiterge- 
henden Aufnahme  thierischer  Formen  sind  auch  die  etwas  finste- 
ren Züge  der  Maske  weit  weniger  edel  als  an  dem  Kopfe  der 
Statuette.  Im  Gesichte  überwiegen  die  unteren  Theile,  die  Wan- 
gen sind  voll,  die  Nase  ist  stumpf  und  fleischig.  Die  niedere 
Stirne  ist  zwar  gleichfalls  über  Brauen  und  Nasenwurzel  stark 
angeschwollen,  giebt  aber  dem  Kopf  keineswegs  das  zeusartige 
Gepräge  der  peloponnesischen  Figur.  Das  Haar  ist  spärlich  und 
hinter  Hörnern  und  Ohren  unter  Epheublättern  verborgen  l).  „Mas- 
ken des  gehörnten  Bacchus,  wie  es  scheint"  am  Schlüsse  der  Hen- 
kel eines  eimerförmigen  Bronzegefäßes  nach  Friederichs  Berlins 
ant.  Bildw.  II,  S.  163,  n.  679. 

Von  den  hierher  gehörenden  Münzen  ist  sicher  und  belang- 
reich die  aus  Bronze  mit  dem  Brustbild  des  epheubekränzten  un- 
bärtigen Dionysos  mit  Stierhörnern  an  den  Schläfen  mit  eigen- 
thümlichem  an  die  Marmore  oben  S.  374  fg.  und  die  Lampendarstel- 
lung S.  380  erinnernden  Gesichtsausdruck  unter  Seleukos  I  von 
Syrien  geprägte ,  welche  Percy  Gardner  The  types  of  Gr.  coins 
pl.  XIV,  n.  11  und  Catal.  of  Gr.  coins  in  the  Brit.  Mus.,  Seleu- 
cid.  kings  of  Syria,  pl.  XXVIII,  n.  1  herausgegeben  hat  und  die 
zweite  Ausg.  d.  Denkm.  d.  a.  K.  II,  33,  380  wiedergeben  wird. 
Andere  hierhergezogene  Münztypen  hat  schon  Stephani  Compte 
rend.  p.  1863,  p.  112  fg.  als  nicht  hierher  gehörig  oder  unsicher 
bezeichnet.  Anlangend  die  hier  S.  113  erwähnten  Bruttischen 
Münzen,  so  sind  dieselben  noch  öfter  besprochen  oder  abgebildet 
als  er  angiebt ;  zuerst  von  Eckhel  Numi  anecd.  p.  41  u.  t.  III,  20, 
ferner  von  R.  Stuart  Poole  Catal.  of  Gr.  coins  in  the  Brit.  Mus., 
Italy,  p.  321 ,  welcher  der  betreffenden  Figur  in  der  Linken  eine 
lange  Fackel  zuschreibt,  von  Friedländer  und  Sallet  Münzkab.  zu 
Berlin  n.  548  =  752  d.  2.  Aufl.,  welche  angeben ,  daß  die  Figur 
in  der  Linken  ein  Scepter  halte ,  von  Garrucci ,  Mon.  dell'  Italia 
ant.  t.  CXXIV,  n.  13  u.  14.  Alle  schreiben  der  Figur  Hörn  er 
zu ,  Stephani  bemerkt  dagegen :  „einige  sehr  wohl  erhaltene 
Exemplare  der  kais.  Eremitage  lassen  die  vermeintlichen  Hör- 
ner   vielmehr   als    eine    Zackenkrone   erscheinen    und    so    sind   sie 


1)  Die  obigen   Beschreibungen  It.  Schneider's    zeigen,    daß   die  Angabe    bei 
Friedrichs  und  Wolters  a.  a.  0.  n.  1730  irrig  ist. 

Nachrichten  von  der  K.  G.  d.  W.  m  Göttingen.    1891.   No.  11.  28 


384  Friedrich  Wieseler, 

auch  in  den  von  Carelli  gegebenen  Abbildungen  aufgefaßt". 
Das  Attribut  in  der  Linken  ist  weder  als  Fackel  noch  als  Scep- 
ter  aufzufassen,  sondern  als  Speer.  Die  Figur  ist  früher  theils 
als  Dionysos  theils  als  Flußgott  aufgefaßt.  Wenn  Stephani  äu- 
ßert, es  erscheine  ihm  sehr  zweifelhaft,  ob  überhaupt  an  Dionysos 
zu  denken  sei ,  so  kann  ich  nur  zustimmen ;  vermuthlich  ist  Pan 
gemeint.  Außer  diesem  Münztypus  bezieht  A.  W.  Curtius  a.  a.  0. 
S.  20  den  auf  einer  Münze  von  Gela  (Streber  a.  a.  0.  S.  474.  477 
und  Kupfertaf.)  dargestellten  gehörnten  jugendlichen  Kopf,  den 
Streber  für  den  Flußgott  Gelas  ausgebe,  für  den  jugendlichen  Stier- 
dionysos, während  er  den  „Stiermenschen  auf  der  Aversseite" 
für  den  Fluß  Gelas  hält.  Aber  das  ist  durchaus  irrig,  auch  abge- 
sehen davon ,  daß  der  Kopf  gar  nicht  so  aussieht ,  wie  der  eines 
Dionysos.  Der  unbärtige  gehörnte  Kopf  kommt  mehrfach  auf  der 
Vorderseite  der  Silber-  und  Kupfermünzen  von  Gela  vor  und  ist 
als  der  Flußgott  durch  die  Attribute  und  selbst  durch  Inschrift 
als  Gelas  bezeichnet.  Der  Typus  auf  der  Rückseite  der  Kupfer- 
münzen ist  ausnahmsweise  ein  Stier  mit  menschlichem  Gesicht, 
während  sonst  ein  schreitender  Stier  vorkommt.  Die  Inschrift 
TEAZ  findet  sich  allerdings  einige  Male  auf  der  Rückseite  bei 
dem  Stiere,  aber  dennoch  ist  dieser  auch  als  der  Flußgott  Gelas 
zu  betrachten ,  der  also  zwei  Male ,  einmal  als  Mensch  mit  Stier- 
hörnern, das  andere  Mal  als  vollständiger  Stier  dargestellt  ist. 
Die  Bildung  als  vollständiger  Stier  bezeugt  Timäos  in  den  schol. 
Pindar.  Pyth.  I,  135  :  xbv  yäg  ev  rfj  Ttökst  dsLXVv^isvov  (tccvqov)  [iij 
slvcci  rov  <&cdccQLdog,  —  aAA'  sizöva  ttlu  rov  Ttoxa^ov. 

Von  hierher  gehörenden  geschnittenen  Steinen  giebt  es  kein 
sicheres  Beispiel.  Vgl.  Stephani  Compt.  rend.  1863,  p.  113  fg. 
Wenn  es  hier  p.  114,  A.  1  heißt:  „ein  roh  gearbeiteter  Sard  der 
Sammlung  in  Berlin  (Toelken  Verz.  p.  186,  n.  928)  stellt  vielleicht 
den  jugendlichen  Dionysos  dar,  allein  die  ihm  gegebenen  Hörner 
gleichen  mehr  den  Ziegenhörnern  als  denen  der  Stiere",  so  er- 
kannte schon  Winckelmann  Descr.  d.  pierr.  grav.  Stosch  Cl.  II, 
n.  1487,  p.  239  die  Ziegenhörner  und  bezog  deshalb  die  Darstel- 
lung auf  eine  tete  d'un  Faune.  Toelken,  der  von  der  Art  der  Hörner 
nichts  sagt,  zweifelt  nicht  an  einem  „Kopf  des  Bacchus".  Er  be- 
merkt indessen ,  daß  der  mit  Epheu  bekränzte  Kopf  einen  stren- 
gen ,  fremdartigen  Ausdruck  habe  und  über  der  einen  Schulter 
der  Thyrsos,  über  der  andern  das  Pedum  erscheine.  Dieses 
konnte  allerdings  auch  dem  Dionysos  gegeben  werden.  Die  Zie- 
genhörner sind  aber  unzweifelhaft.  Stephani  hat  die  oben  S.  381 
besprochene  Bronzestatue  aus  Herculaneum,  trotz  seiner  Wahrneh- 


über  den  Stierdionysos.  385 

mung,  „daß  sich  die  Hörner  fast  der  Form  von  Ziegenhörnern  nä- 
hern" unbedenklich  als  Dionysos  gefaßt.  Eine  prächtige  bärtige 
Bronzemaske  ans  Macedonien  mit  Ziegenohren  bei  Froehner  Col- 
lect. J.  Greau,  Catal.  des  bronzes  ant.  p.  36,  n.  167  wird  von  dem 
Heransgeber  p.  37  auf  Dionysos  bezogen.  Er  bemerkt,  daß  die 
Ziegenohren  ein  detail  peu  commun  sei.  Ich  kenne  es  bei  keinem 
anderen  sicheren  Dionysoskopf.  Freilich  hat  Head  Hist.  num.  p.457 
einen  auf  p.  456,  F.  282  abgebildeten  epheubekränzten  unbärtigen 
Kopf  mit  Ziegenohren  auf  den  jugendlichen  Dionysos  bezogen,  aber 
er  denkt  auch  an  eine  Bacchante  und  von  Percy  Gardner  Types  of 
Gr.  coins  zu  pl.  X,  40,  wo  derselbe  Typus  abgebildet  ist,  wird  er 
nur  auf  eine  Maenade  bezogen.  Man  hat  an  eine  Satyra  zu  den- 
ken ,  vgl.  Nachr.  der  Kgl.  Ges.  d.  Wissensch.  1890,  S.  388.  Die 
in  Rede  stehende  früher  im  Besitz  von  Gröau  befindliche  Maske 
hat  manche  Aehnlichkeit  mit  der  früher  Milanischen  und  der  von 
Cilli,  welche  R.  Schneider  zusammen  herausgegeben  hat.  Auch 
diese  haben  thierische  Ohren  und  sind  wegen  des  Gesichtsaus- 
drucks nicht  auf  Dionysos ,  sondern  zunächst  auf  den  Silen  zu 
beziehen  l).  —  Indessen  wird  im  Cat.  du  mus.  Fol.  Ant.,  P.  II,  n. 
1935  eine  Paste  als  mit  zwei  kleinen  Stierhörnern  versehen  be- 
zeichnet ,  mit  dem  Zusätze  la  figure  est  rieuse ,  und  n.  1941  das 
Fragment  eines  Onyx,  an  welchem  man  sur  les  tempes  deux  petites 
cornes  gewahre. 

Wie  Philostratos  Imag.  I,  15  in  der  Beschreibung  eines  Ge- 
mäldes mit  der  Darstellung  des  Dionysos  und  der  Ariadne  jenem 
als  sein  Kennzeichen  Hörner  ex  rav  xQotdcpcov  (gewiß  des  Stieres) 
beilegt,  so  sehen  wir  auf  einem  Wandgemälde  mit  demselben 
Gegenstande  (Bullett.  Napol.  nuov.  ser.  T.  II,  p.  67,  Heibig  Wand- 
gem.  d.  verschütt.  Städte  v.  1239)  den  jugendlichen  gehörnten 
Gott  dargestellt.  Ein  anderes  Pompejanisches  Wandgemälde, 
das  ihn  als  Cultusbild  zeigt,  ist  schon  oben  S.  382  erwähnt.  Auch 
Albricus  Phil,  de  deor.  imag.  CXIX  beschreibt  ein  Gemälde  des 
Dionysos  mit  gehörntem  Kopfe. 

Auch  ein  aus  Rom  stammendes  Mosaikbild  ist  bekannt  durch 
die  Abbildung  bei  Bartoli  Le  pitture  ant.  delle  grotte  di  Roma 
tav.  XX. 

Darstellungen  des  Dionysos  bloß  mit  Stierhörnern  werden  bei 
den  Schriftstellern  etwa  seit  der  Mitte  des  fünften  Jahrhunderts 
v.  Chr.  erwähnt.    In  Bildwerken  sind  sie  vor  der  Zeit  Alexanders  des 


1)  Mit  Unrecht  werden  diese  beiden  Masken  bei  Friedrichs-Wolters  n.  2032 
u.  2033  auf  Dionysos  bezogen. 

28* 


386  Friedrich  Wieseler, 

Großen  nicht  nachzuweisen.  Sie  scheinen  im  Peloponnesos  aufge- 
kommen und  namentlich  durch  Lysippos  und  dessen  Schule  aus- 
gebildet zu  sein ,  vgl.  R.  Schneider  Jahrb.  a.  a.  0.  S.  50  fg. ,  auch 
oben  S.  378  fg. 

In  der  Zeit  der  Diadochen  finden  wir  auch  diese  mit  Stier- 
hörnern dargestellt ,  ohne  Zweifel  um  sie  als  neue  Dionysen  zu 
bezeichnen.  So  zuerst  Seleukos  I  von  Syrien  ,  vgl.  die  Münze  in 
den  Denkm.  d.  a.  K.  I,  49,  220  m  =  Catal.  of  the  Gr.  coins  in 
the  Brit.  Mus. ,  Seleucid.  kings ,  pl.  I,  n.  6,  und  die  ebenda  n.  11 
u.  13,  die  erste  auch  bei  Head  Hist.  num.  p.  638,  F.  336.  Dann 
Demetrios  Poliorketes  auf  der  Münze  D.  a.  K.  I,  50  p.  221  b, 
Head  H.  num.  p.  202,  F.  144,  dem  geschnittenen  Steine  des  Brit. 
Mus.  (Murray  Cat.  of  engrav.  gems  pl.  I.  n.  1526,  vgl.  p.  171, 
und  in  der  Bronzestatuette  D.  d.  a.  K.  I,  50,  221  a,  wenn  dieselbe 
ihn  wirklich  darstellen  soll.  Ein  gewiß  nicht  mit  Recht  auf  Alex- 
ander bezogener  Hermenkopf  aus  Herculaneum ,  abgebildet  bei 
Comparetti  e  de  Petra  La  villa  dei  Pisoni  tav.  XX,  3,  stellt  je- 
denfalls das  heroisirte  Porträt  eines  DiadochenkÖnigs  dar.  Dazu 
kommt  noch  der  Marmorkopf  eines  gleichfalls  unbestimmbaren  Dia- 
dochen, zuletzt  besprochen  von  Heibig  „Die  öffentlichen  Samm- 
lungen klassischer  Alterthümer  in  Rom"  I,  S.  173  fg.,  n.  247. 

Von  besonderem  Interesse  ist  die  Tetradrachme  Seleukos'  I. 
Der  König  trägt  einen  Helm  von  Stierleder  mit  dem  Ohr  und 
dem  Hörn  eines  Stieres  daran  (also  auch  hier  wie  oben  S.  373  fg. 
die  Verbindung  von  Stierhörnern  und  Stierohren).  Wie  kam  der 
Künstler  dazu,  ihn  so  darzustellen?  Nicht  bloß  A.  W.  Curtius 
a.  a.  0.  S.  30,  sondern  ncch  Head  a.  a.  0.  S.  638  ist  der  Meinung, 
daß  es  geschehen  sei  in  Rücksicht  auf  die  Kraftprobe ,  welche 
Seleukos  einst  bei  einem  Opfer  Alexanders  ablegte ,  als  er  einen 
wilden  den  Fesseln  entsprungenen  Stier  ganz  allein  aufhielt  und 
mit  den  Händen  tödtete  (Appian.  Syr.  57).  Allerdings  giebt  Ap- 
pian  ausdrücklich  an,  daß  deshalb  der  Statue  des  Seleukos  Hörner 
beigegeben  seien.  Aber  wer  will  das  glauben  ?  Alexanders  sieg- 
reicher Zug  nach  Indien  hatte  die  Sage  von  Dionysos'  Siegen 
ebendort  in  Schwang  gebracht.  Dionysos  wurde  Kriegsgott  und 
Triumphator,  ein  Schützer  und  Vorbild  sieghafter  Herrscher.  Wie 
Alexander  hatte  auch  Seleukos  in  Indien  gesiegt.  Daß  er  den 
Stierdionysos  als  seinen  Schutzgott  betrachtete,  zeigt  die  oben 
S.  383  aufgeführte  Münze ,  deren  Revers  den  Seleukos  darstellt, 
wie  er  zu  Roß  sitzend  einen  Feind  niedergestoßen  hat.  Nun 
wurde  auch  Seleukos  selbst  als  neuer  Dionysos  dargestellt.  Auch 
Herrscher,  die  nicht  in  Indien  gesiegt  hatten,  erhielten  von  den 


über  den  Stierdienstdionysos.  387 

Künstlern    die   Dionysischen    Stierhörner.      War    doch    der    G-ott 
überall  siegreich  und  Verleiher  des  Sieges. 

6. 

E.  von  Sacken  glaubt  „Die  ant.  Bronzen  des  K.  K.  Münz-  u. 
Ant.-Cab."  in  Wien  S.  60  ,  daß  auch  das  Taf.  XXIX,  F.  14  ab- 
gebildete archaische  Bronzewerk,  welches  ein  Menschenantlitz  mit 
Stiernacken  zeigt,  außerdem  aufrechtstehende  Ohren,  aber  unge- 
hornt  ist,  den  Stierdionysos  angehe.  Ich  kann  unmöglich  bei- 
stimmen, sondern  bin  überzeugt,  daß  ein  Silen  mit  faxa  ueydka 
oq&lcc  gemeint  ist. 

Besonders  interessant  ist  eine  Münze  von  Skepsis,  beschrie- 
ben und  herausgegeben  von  Imhoof-Blumer  in  den  Griech.  Münzen, 
Abhandl.  d.  K.  Bayer.  Akad.  d.  Wissensch.  München  1890,  S.  629, 
n.  235  und  Taf.  VIII,  n.  9.  Während  sonst  auf  den  Münzen  die- 
ser Stadt  der  Kopf  des  bärtigen  Dionysos  gehörnt  erscheint,  trifft 
man  das. thronende  Cultbild  des  Gottes  dort  nicht  gehörnt,  aber 
von  zwei  Stieren  umgeben.  Die  Hörner  am  Kopfe  des  Gottes 
sind  doch  wohl  nur  deshalb  weggelassen ,  weil  die  Beigabe  der 
beiden  Stiere  auf  den  Stierdionysos  hinwies. 

Schon  vorlängst  ist  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  in  einer 
Berliner  Marmorstatuette  (Conze  Verz.  n.  93)  die  symbolische  Be- 
ziehung des  Stiers  zu  Dionysos  dadurch  bezeichnet  wird,  daß  dem 
Gott  als  Anzug  eine  Stierhaut  gegeben  wird,  vgl.  Welcker  Ann. 
d.  inst,  arch,  1857  p.  146  fg.  =  A.  Denkm.  V,  S.  36  fg.,  Mon.  ined. 
VI,  t.  VI,  1.  2  =  A.  Denkm.  a.  a.  0.  Taf.  IL 

Weiter  hat  man  auch  einen  mit  Wein  bekränzten  Kinderkopf 
aus  rothem  Marmor  im  Berliner  Museum,  der  hinten  in  einen  klei- 
nen Stierkopf  ausläuft,  hierhergezogen;  vgl.  Arch.  Ztg.  1851,  Taf. 
XXXII,  Welcker  A.  D.  a.  a.  0.,  S.  39,  Gaz.  archeol.  1879,  p.  27, 
Conze  Verz.  d.  ant.  Skulpturen  d.  Berl.  Mus.  n.  134,  Kekule*  Beschr. 
ders.  n.  134. 

Die  Veranschlagung  von  Bildern  des  Dionysos  mit  angedeu- 
teten oder  verhüllten  Hörnern  rührt  von  R.  Schneider  Jahrb.  a.  a.  0. 
S.  49  fg.  her.  Er  führt  unter  dieser  Kategorie  auf  die  oben  S.  379 
erwähnte  Herme  des  Lateranens.  Mus.  bei  Benndorf  und  Schöne 
n.  489*,  die  oben  S.  379  besprochene  Büste  des  Capitol.  Mus. x),  die 


1)  Schon  A.  W.  Curtius  bemerkte  a.a.O.  S.  20  gegen  Welcker's  Ansicht: 
„Mit  demselben  oder  mit  noch  mehr  Recht  könnte  man  dann  auch  den  gelager- 
ten Dionysos  im  Louvre  Bouillon  Mus.  III,  9  und  den  Dionysos  Mon.  delF  Inst. 
VI,  6  für  den  gehörnten  Dionysos  ausgeben". 


Friedrich  Wieseler,  über  den  Stierdionysos. 

Herme  des  Dionysos  Psilax  im  Berliner  Mus. :  „Die  Buckel  über 
der  Stirne  sollen  zwar  nach  der  Versicherung  E.  Brauns  Kunst- 
vorst.  des  gefl.  Dionysos  S.  3  nichts  Anderes  als  die  unter  dem 
Tuche  verborgenen  Trauben  des  Epheukranzes  sein,  haben  aber 
wie  derselbe  selbst  zugesteht,  fast  „das  Ansehen  von  Hörnern". 
Conze  spricht  in  den  ant.  Skulpt.  des  Berl.  Mus.  n.  119  von  Be- 
sten einer  Bekränzung  von  Epheu.  Auch  anderweitig  wird  die 
Braun' sehe  Angabe  nicht  bestätigt.  Endlich  veranschlagt  R.  Schnei- 
der das  oben  S.  379  fg.  erwähnte  Relief brustbild  an  der  Felswand 
von  Philippi,  in  welchem  es  sich  aber  um  ein  eigentliches  Ver- 
hüllen der  Hörner  nicht  handelt.  Warum  überall  das  Verhüllen 
der  Hörner  ? 

Die  Hörner  sind  nicht  stets  und  durchaus  nöthig,  sie  kön- 
nen  auch   durch   Gresichtsausdruck   und    sonstwie   ersetzt  werden. 

Schließlich  noch  die  Bemerkung,  daß  die  Darstellungen  des 
gehörnten  Dionysos  in  Betreff  des  Gresichtsausdruckes  und  auch 
der  Formen  mannigfach  wechseln.  Der  Ausdruck  ist  ein  aufge- 
regter und  mehr  noch  ein  finsterer,  aber  nicht  selten  auch  der 
gewöhnliche,  ja  auch  ein  freundlich  lächelnder  wie  an  dem  Bronze- 
brustbilde aus  der  Gegend  von  Essek  (oben  S.  382)  und  vielleicht 
auch  an  der  Paste  Fol  (oben  S.  385).  Vgl.  dazu  Schriftstellen, 
wie  namentlich  Ovid.  Fast.  III,  789 :  Mite  caput,  pater,  huc  placata 
que  cornua  vertas.  Beispiele  eigenthümlicher  Formen  oben  S.  374, 
378,  381,  382  fg. 


Bei  der  Kgl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  einge- 
gangene Druckschriften. 


Mau  bittet  diese  Verzeichnisse  zugleich  als  Empfangsanzeigen  ansehen  zu  wollen. 


November  1890. 

(Fortsetzung.) 

XV.  Bericht  der  Naturforschenden  Gesellschaft  in  Bamberg.     Bamberg  1890. 
Jahresbericht  des  Direktors   des  Kön.  Geodätischen  Instituts  für  April  1889    bis 

April  1890.     Berlin  1890. 
Sitzungsberichte   der  physikalisch-medicinischen  Societät  in  Erlangen.     22.  Heft. 

1890.     München  1890. 
Jahrbücher    der   K.  K.  Central -Anstalt    für    Meteorologie    und    Erdmagnetismus. 

Officiellc  Publication.     Jahrg.  1888.     Neue  Folge  XXV.  Bd.     Wien  1889. 
Die  Wahrheit.     Entwurf  zu  einer  transcendentalen  Logik  von  Anton  Ganser. 

Graz  1890. 
Skizzen  zu  einem  werthvollen  Luftschiff  von  J.  Fr.  Schön  le  Jeune  in  Wien. 

(2  Exempl.). 


389 

Anzeiger  der  Akademie  d.  Wissensch.  in  Krakau.  1890.  Oktober.    Krakau  1890. 
Ungarische  Revue.     IX.  Heft.     1890.  Nov.     10.  Jahrg.     Budapest    1890. 
Myriopoda  Regni  Hungariae.     Elabor.   Dr.  Eugenius    Daday    de    Dee'es. 

Budapest  1889. 
Adatok   a   bor  -  e's    mustelenize's   mödszere'hez    irta  Dr.  Ulbricht   Richard. 

Budapest  1889. 
Jahrbuch  für  Schweizerische  Geschichte.     Band  15.     Zürich  1890. 
Nature.     Vol.  43.     Nr.  1096.   1100.     (London  1890). 

Proceedings  of  the  London  Mathematical  Society   (vol.  XXI).     Nos  388—390. 
Collected  mathematical  papers  of  Arthur  Cayley.    Vol.  III.     Cambridge  1890. 
Monthly  notices  of  the  R.  Astronomical  Society 

a.  Vol.  L.  N.  9.     Supplementary  number. 

b.  Appendix  to  Vol.  L.     London  1890. 

Proceedings  of  the  Cumbridge  Philosophical  Society.  Vol.  VII.  Part.  II.  Cam- 
bridge 1890. 

Proceedings  ef  the  scientific  meetings  of  the  Zoological  Society  of  London.  Part. 
III.     Mai  and  June  1890.     October  1890. 

Natural  History  of  Victoria.  Prodromus  of  the  zoology  of  Victoria.  Decade 
XX.   by  Fr.  Mecoy.     Melbourne  &  London  1890. 

Academie  Imperiale  de  St.-Petersbourg.     St.-Petersbourg  1890. 

a.  Bulletin  Nouvelle  sdrie.  I   (XXXIII).  No.  4  et  dernier. 

b.  Memoires.     Tome  XXXVII.   No.  11,  12,  13.     Tome  XXXVIII.  No.  1. 
Bidrag  tili  kännedom  of  Finlands  natur  och  folk.     H.  48.     Helsingfors  1889. 
Öfversigt  af  Finska  Veteuskaps-Societetens  förhandlingar.     XXXI.     1888  —  1889. 

Helsingfors  1889. 
Bulletin  de  1' Academie  Royale  des   sciences,   des   lettres    et   des    beaux  -  arts   de 

Belgique  60»  annee,    3«  se'rie,   tome  20.    N.  9  —  10.     Bruxelles  1890. 
Tijdschrift  voor  Nederlandsche  Taal-   en   Letterkunde.     9.  deel.     Nieuwe  Reeks, 

1.  deel.    4.  Aflevering.    Leiden  1890. 
Jornal  de  sciencias  mathematicas  e  astronomicas.  Vol.  IX.  No.  6.    Coimbra  1889. 
Note   sur   deux  algues  de  la  Mediterannee  Fauchea  et  Zosterocarpus  par  M.  Ed. 

B  o  r  n  e  t.     (Extrait  de   Bulletin   de   la   Socie'te'   botanique    de  France.    Tome 

XXXVII,  seanee  du  28  mars  1890). 
Acta  mathematica  13:  1  ei.  2.     Stockholm  (Berlin,  Paris)    1890. 
Kongl.  Vitterhets    Historie   och    Antiquitets   Akademiens   Mänadsblad.     17  u.  18 

Argängen   1888  u.  1889.     Stockholm  1886  —  90. 
Bergens  Museums  Aarsberetning  for  1889.     Bergen  1890. 
Reale  Istituto  Lombardo  di  scienze  e  lettere.    Milano,  Napoli,  Pisa  1889.  90.j 

a.  Rendiconti.    Serie  II.   Vol.  XXII. 

b.  Memorie.  Classe  di  lettere  e  scienze  storiche  e  morali.  Vol.  XVII  —  VIII 
della  serie  III.    Fase.  II.    Vol.  XVIII  -  IX  della  serie  III.    Fase.  II. 

c.  Atti  della  Fondazione  scientifica  Cagnola  dalla;  sua  istituzione  in  poi.     Vol.  9. 

1889.  Milano  1890. 

Memorie  di  matematica  e  di  fisica  della  Soeietä  italiana  delle   scienze.     Serie  3. 

Tomo  VII.     Napoli  1890. 
Atti  della  Reale  Accademia  dei  Lincei.     Anno  CCLXXXVII.  1890.     Serie  quarta. 

Rendiconti.    Vol.  VI.    2.  semestre.   fasc.  5,  6.     Roma  1890. 
Biblioteca  Nazionale  Centrale  di  Firenze.    Bollettino  delle  pubblicazioni  italiane. 

1890.  N.  116.  118.    Nebst  Indice.     Bogen  7  u.  9.    Firenze  1890. 
Biblioteca  Nazionale  Centrale  Vittorio  Emanuele  di  Roma.    Bollettino  delle  opere 

moderne  straniere.     Vol.  V.    N.  2.    Febbr.  1890.     Roma  1890. 
Smithsonian  Institution : 

a.  Proceedings  of  the  United  States  National  Museum.  Vol.  12.  1889.  Wa- 
shington 1890. 

b.  Bulletin  of  the  U.  St.  National  Museum  N.  38.    Washington   1890. 

Bulletin  of  the  American  Geographical  Society.     Vol.  XXII.    N.  3.     Sept.  1890. 

New  York. 
Johns  Hopkins  Uuiversity  Circulars.    Vol.  X.    N.  83.    Baltimore  Nov.  1890. 
Resultados   del  Observatorio   national  Argentino   en  Cordoba.     Vol.  XII.     Obser- 

vaciones  del  ano  1879.    Buenos  Aires  1890. 


390 

Anales   de  la  Sociedad  Cientifica  Argentina.     Oct.  de  1890.    Entrega  IV.     Tomo 

XXX.    Buenos  Aires  1890. 
The  Journal  of  the  College  of  science,  Imp.  University,  Japan.    Vol.  III,  part.  IV. 

Tokyo  Japan  1890. 

Nachträge. 

Verhandlungen  der  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt.  Bericht  Nr.  10  —  13  vom 
31.  Juli,    31.  August,    30.  Sept.,    31.  Okt.  1890. 

Dezember  1890  und  Januar  1891. 

Sitzungsberichte  d.  K.  Preuß.  Akademie  d.  Wissensch.  zu  Berlin.     XLIX,  L   und 

Register  von  1899.    Berlin. 
Jacobi,  C.  G.  J.,  Gesammelte  Werke.     Herausgeg.  auf  Veranlassung  d.  K.  Preuß. 

Akad.  d.  Wissensch.     Band  5.     Herausgeg.  v.  K.  Weierstraß.     Berlin  1890. 
K.  Sachs.  Gesellsch.  d.  Wissensch.  zu  Leipzig : 

a.  Berichte  über  die  Verhandlungen.  Mathematisch -physische  Classe  1890.  IL 
Leipzig  1890. 

b.  Abhandlungen  der  philolog.  -  histor.  Classe.  Bd.  XII.  Nr.  1.  Causa  Nicolai 
Winter  v.  Friedr.  Zarncke.     Leipzig  1890. 

Vierteljahrsschrift  der  Astronomischen  Gesellschaft.  25.  Jahrg.  3.  Heft.  Leip- 
zig 1890. 

Leopoldina.  Heft  XXVI.  N.  21/22,  23/24  nebst  Titel  und  Register  zu  Heft  XXVI. 
Jahrg.  1890.     Halle  1890. 

Neues  Lausitzisches  Magazin.     66.  Bd.   2.  Heft.     Görlitz  1890. 

Mittheilungen  aus  dem  naturwissenschaftlichen  Verein  für  Neu- Vorpommern  und 
Rügen  in  Greifswald.     22.  Jahrg.  1890.     Berlin  1891. 

Jahrbuch  über  die  Fortschritte  der  Mathematik  begr.  v.  C.  Ohr t mann.  Band 
XX.  Jahrg.  1888.  Heft  1.  (Bog.  1—32).     Berlin  1890. 

Kölliker,  A. :  Zur  feineren  Anatomie  des  centralen  Nervensystems.  (Separat- 
abdruck aus:   Zeitschrift  für  wissenschaftl.  Zoologie.   LI,  1.    Leipzig  1890). 

Jahrbücher  d.  Nassauischen  Vereins  f.  Naturkunde.     Jahrg.  43.     Wiesbaden  1890. 

Schriften  der  Naturforschenden  Gesellschaft  in  Danzig.  Neue  Folge.  7.  Bd.  3. 
Heft.    Danzig  1890. 

Vorlesungen  über  Geometrie  unter  besond.  Benutzung  der  Vorträge  von  Alfred 
Clebsch.     Bearb.  v.  Dr.  F.  Lindemann.     2.  Bd.   l.Theil.     Leipzig  1891. 

Catalog  der  Astronomischen  Gesollschaft.  1.  Abth.  Catalog  der  Sterne  bis  zur 
neunten  Größe  zwischen  80°  nördl.  und  2°  südlicher  Declination  für  das  Aequi- 
noctium  1875.  3.  Stück.  Zone  +  65°  bis  +  70°.  Beob.  a.  d.  Sternwarte  in 
Christiania.    Leipzig  1890. 

Neue  Annalen  d.  K.  Sternwarte  in  Bogenhausen  bei  München.  Auf  Kosten  der 
K.  Bayer.  Akademie  d.  Wissensch.  herausgeg.  von  Hugo  Seeliger.  Bd.  I. 
München  1890. 

Acta  mathematica.  Hrsg.  von  G.  Mi  tt  a  g -Lef  f  1  er.  13,  3  u.  4.  Stockholm, 
Berlin,  Paris  1890. 

Verhandlungen   der   Naturforschenden   Gesellschaft   in  Basel.     Band  IX.    Heft  1. 

Brachiopoden  der  alpinen  Trias  von  A.  B  i  1 1  n  e  r.  Abhandlungen  der  K.  K.  Geo- 
logischen Reichsanstalt.     Band  XIV.    Wien  1899. 

Verhandlungen  der  K.  K.  zoologisch-botanischen  Gesellschaft  in  Wien.  Jahrg. 
1890.     XL.  Band.  III.  u.  IV.  Quartal.     Wien  1890. 

Lotos.  Jahrbuch  für  Naturwissenschaft.  Neue  Folge  XL  Bd.  (der  ganzen  Reihe 
39.  Bd.).     Prag,  Wien,  Leipzig  1891. 

Separatabdruck  aus  Tschermak's  Mineralogischen  und  Petrologischen  Mittheilun- 
gen.    Herausgeg.  v.  F.  B  e  c  k  e. 

M.  Hunt  er  und  H.  Rosenbusch:    Ueber  Monchiquit  .  .  .     Wien  (1890). 

Mittheilungen  d.  historischen  Vereines  f.  Steiermark.  XXXVIII.  Heft.   Graz  1890. 

ungarische  Revue.  1890  (X.  Jahrg.)  X.  Heft   Dez. 

1891  (XL  Jahrg.)   I.  Heft.  Jan.     Budapest  1890  u.  91. 

Ertesitö  ar  Erdölyi  Muzeum  -  Egylet  Orvos  -  termäszettudomänyi  szakosztälyäböl. 
1890.    XV.  Evfolyam. 


391 

a.  I.  Orvosi  szak.  IL  III.  Füzet. 

b.  IL  Termeszettudo  mänyi  szak.  III.  Füzet. 

c.  III.  Nepszerü  szak.  IL  Füzet.     Kolosvärt  1890. 

Das  Datum  auf  den  Philippinen.  Von  Jerolim  Freiherrn  v.  Benko.  Wien  1690. 
Seperatabdruck  des  32.  Capitels  aus  dem  auf  Befehl  des  k  u.  k.  Reichskriegsmi- 
nisteriums   verfaßten    Werke     „Die    Schiffsstation    der    Kuk.  Kriegsvereine    in 

Nature.     Vol.  43.  N.  1101-1109. 

Memoirs  and  proceedings  of  the  Manchester  literary  and  philosophical  Society. 
Fourth  Series.     Vol.  III.  XXXIII.    Old.     Manchester  1890. 

Monthly  notices  of  the  R.  Astronomical  Society.  Vol.  LI.  Nr.  1.  2.  Nov.  u.  Dez. 
1890.     (London  1890). 

Proceedings  of  the  Royal  Society  London.     Vol.  XL VIII.  N.  295.     (London  1891). 

Journal  of  the  R.  Microscopical  Society.  1890.  Part  6.  Dec.  London  and  Edin- 
burgh (1890). 

Records  of  the  Geological  Survey  of  India.     Vol.  XXIII.    Part  4.     Calcutta  1890. 

Proceedings  of  the  R.  Society  of  Victoria.  Vol.  II  (New  Series).  (Melbourne)  lö90. 

Maatschappij  der  Nederlandsche  Letterkunde  te  Leiden  : 

a.  Handelingen  en  mededeelingen  over  het  jaar  188« — 1889. 

b.  Levensberichten  der  afgestorvene  Medeledeu.  Bijlage  tot  de  Handelingen  van 
1889.    Leiden  1889. 

Annales  de  l'Ecole  Polytechnique  de  Delft.    Tome  VI.  1890.  l.Livr.   Leiden  1890. 

De  Badoej's  door  Jul.  Jacobs  en  J.  J.  M  e  i  j  e  r.  Uitgegeven  door  het  Kön. 
Instituut  voor  de  Taal-,  Land-  en  Volkenkunde  van  Nederlandsch-Indie.  'sGra- 
venhage  1891. 

Bijdragen  tot  de  Taal-,  Land-  en  Volkenkunde  van  Nederlandsch-Indie.  5.  Vol- 
greeks.     6.  Deel.  (Deel  40).     1.  Aflev.     'sGravenhage  1891. 

Annalen  der  Sternwarte  in  Leiden.  Herausgeg.  v.  H.  G.  van  de  Sande  Bak- 
huyzen      5.  u.  6.  Band.     Haag   1890. 

Verslag  van  den  Staat  der  Sternen  wacht  te  Leiden.  1886—88  u.  1888/89.  Lei- 
den  1888  u.  1889. 

Bataviaasch  Genootschap  van  Künsten  en  Wetenschappen  : 

a.  Tijdschrift  voor  Indische  Taal-,  Land-  en  Volkenkunde.  Deel  XXXIV.  Aflev.I. 
Batavia,   's  Hage  1890. 

b.  Notulen  van  de  algemeene  en  bestuars-vergaderingen.  Deel  XXVIII.  1890. 
Aflevering  I.     Batavia  lö90. 

Nederlandsch-indisch    Plakaatboch    1602—1811,    door    J.  A.  v  a  n    der    Chijs. 

7.  Deel.   1755 -- 1764.     Batavia,    's  Hage  1890. 
Acade'mie  Royale  de  Copenhague  : 

a.  Me'moires.  6me  seric.  Classe  des  lettres.  Vol.  I.  No.  1.  Classe  des  sciences. 
Vol.  V,  No.  3.  Vol.  VII,  No.  1.  2.     Copenhague  1890. 

b.  Oversigt  over  d.  Forhandiinger  og  dets  Medlemmers  Arbejdcr  i  Aaret  1890. 
Kobenhavn  (1890). 

Aktstykker  ag  Oplysninger  til  Rigsraadets  ag  Staendermadernes  Historie  i  Kri- 
stian  IV's  Tid  udgivne  ved  Kr.  Erslev  af  Selskabet  for  Udgivelse  af  Kilder  til 
dansk  Historie.  1.  Bind  1.  2.  Haefte.  2.  Bind  1.  2.  Haefte.  3.  Bind  1.  2. 
Hafte.     Kjobenhavn  1883-90. 

Repertorium  für  Meteorologie  herausgeg.  v.  d.  Kaiserl.  Akademie  der  Wissensch. 
Redigirt  von  Heinr.  Wild.     Band  XIII.     St.  Petersburg  1890. 

Bulletin  de  la  Socie'te'  irap.  des  naturaiistes  de  Moscou.  Annäe  1890.  N.  2. 
Moscou  1890. 

3anycKy  HOBOpoccincKaro  o^uieCMBa  ecMecMBoycybiMaMciebi.    Tomh 

XI,  XV,  1.  2.     04ecca  1890. 

Memoires  de  la  sociötä  des  naturaiistes    de    la  Nouvelle-Russie  (Odessa).     Tom. 

XI  (Section  mathem.),  XV,  1.  2.     Odessa  1890. 
Akademie  der  Wissenschaften  in  Krakau  : 

a.  Anzeiger.     1890.     November,  Dezember.     Krakau  1890. 

b.  Rozprawy  i  Sprawozdania  z  Posiedzen  wydziatu  matematyczno-przyrodniczego 
Akademii  Unniejeluoici.     Tom.  XV,  XVI.     W  Krakowie  1887. 


392 

c.  Acta  historica  res  gestas  Poloniae  illustrantia.  Tom.  IX.  Cardinalis  Hosii 
Epistolarum    Tom.  IL     1551  —  1558.     Pars  II.     W  Krakowie  1888. 

d.  Ibiör  Wiadomosci  do  Antropölogii  Krajowej  wydawany  staraniem  Komisyi  An- 
tropölogicznej  .  .  .     Tom.  XL     Krakow   1887. 

e.  Pamigtnik.  Wydziat  matematyczmo  -  przyrodiiiczy.  Tom.  XIII.  W  Krakowie 
1887. 

Memorie  della  R.  Accademia  delle  scieuze  di  Torino.     Serie  seconda.     Tomo  XL. 

Torino  1890. 
Atti  e  rendiconti  della  Accademia  medico-chirurgica   di  Perugia.     Vol.  IL    Fase. 

3°.     Perugia  1890. 
Rendiconti  del  Circolo    matematico    di   Palermo.    Tomo  IV.     Anno  1890.     Fase. 

VI.     Nov.  —  Dec.     Palermo. 
Atti  della  R.  Accademia   dei  Lincei.     Anno    CCLXXXV1L     1890.     Serie  Quarta. 

Rendiconti.    Vol.  VI0.    2°  Semestre.     Fase.  7  —  12.     Roma  1890. 
Biblioteca  Nazionale  Centrale  di  Firenze : 

a.  Bollettino  delle  pubblicazioni  italiane  ricevute  per  diritto  di  stampa.  1889. 
1.  Titel  und  Index,  2.  Tavola  sinottica,  3.  Indice  alfabetico.     Bogen  10. 

b.  1890.     N.  119,  120. 

c.  1891.     N.  121,  122.    Firenze. 

Biblioteca  Nazionale  Centrale  Vittorio  Emanuele  di  Roma.  Bollettino  delle  opere 
moderne  straniere  acquistate  dalle  biblioteche  pubbliche  governative  del  regno 
d'Italia.     Vol.  V.    N.  3,  4.     Roma  1890. 

Vicissitudes  onomastiques  de  la  globulaire  vulgaire  par  Saiut-Lager.     Paris  1889. 

La  priorite  des  noms  de  plantes  par  Saint-Lager.     Paris   1890. 

Acade'mie  Royale  de  Belgique : 

a.  Bulletin.    60e  annee,  3e  Serie,  tome  20.    N.  11.     Bruxelles  1890. 

b.  Annuaire.     1891.    Ibid.  1891. 
Academia  Real  des  sciencias  de  Lisboa: 

a.  Memorias.  1)  Classe  de  sciencias  mathematicas,  physicas  e  naturales.  Nova 
serie  tomo  VI,  parte  IL  2)  Classe  de  sciencias  moraes,  politicas  e  bellas- 
lettras.     Nova  Serie  tomo  V,  parte  II;    tomo  VI,  parte  1. 

b.  Jornal  de  sciencias  mathematicas,  physicas  e  naturaes.  Segunda  serie  tom.  I. 
No.  II -IV. 

c.  Elogio  historico  de  Sua  Magestade  El-Rei  o  Senhor  D.  Fernando  IL  recitado 
pelo  socio  Visconde  de  Benalcanfor.     Lisboa  1886. 

d.  Historia  dos  estabelecimentos  scientificos  Ktterarios. 

e.  artisticos  de  Portugal  por  Josä  Silvestre  Ribeiro.  Tomo  X  —  XVI.  'Lisboa 
1882-89. 

f.  A  electricidade.  Estudo  de  algumas  dastnas  prineipaes  applicacoes  por  Vir- 
gilio  Machado.     Lisboa  1887. 

g.  Estudos  sobre  as  provincias  ultramarinas  por  Joäo  de  Andrade  Corvo.  Vol. 
1-4.    Lisboa  1883-87. 

h.  Curso  de  silvicultura  por  Antonio  Xavier  Pereira  Coutinho.     Tomo  I  Botanica 

florestal.     Tomo  II  Esboco  de  uma  flora  lenhosa  Portugneza.     Lisboa  1886—87. 
i.   Licöes  de  pharmacologia   e  therapeutica   geraes   por  Eduardo  Augusto  Motta. 

Lisboa  1888. 
k.  Portugaliae   monumenta   historica.    Inquisitiones.     Volumen  I.     Fase.  1    e    2. 

Olisipone  1888.     Lisboa. 
U.  S.  Department  of  agriculture.     Division  of  ornithology  and  mammalogy.     North 

American  Fauna.     N.  3.  4.     Washington  1890. 
Astronomical  Papers.     Printed  by  authority   of  the   congress.     Vol.  IL    Part.  V. 

Discussion  of  transits  of  Venus  1761—69  u.  Vol.  IV.     Washington  1890. 
The  Boston  Society  of  Natural  History: 

a.  Memoirs.     Vol.  IV.     Number  VII -IX.     Boston  1890. 

b.  Proceedings.  Vol.  XXIV,  parts  III  and  IV.  Mai,  1889  -  April,  1890.  Bo- 
ston 1890. 

Museum  of  Comparative  Zoölogy  at  Harvard  College: 

a.  Bulletin.     Vol.  XX.  No.  3-6.     Cambridge  ü.  S.  A.     1890. 

b.  Annual  report  of  the  curator  for  1889—90.     Cambridge  U.  S.  A.  1890. 
Johns  Hophins  University  Circulars.     Vol.  X.    No.  84.    Baltimore.  Dec.  1890. 


393 

Bnlletin  of  the  scientific  laboratories  of  Denison  University  edited  by  W.  G. 
Tight.     M.  S.    Vol.  V.     Granville,  Ohio,  June  1890. 

Report  of  the  Superintendent  of  tue  U.  8.  Naval  Observatory  for  the  year  ending 
1890  June  30.     Washington  1890. 

Bulletin  of  the  American  Geographical  Society.  Vol.  XXII.  No.  4.  Dec.  31,  1890. 
New-York. 

Report  for  the  year  1889  —  90,  presented  by  the  board  of  managers  of  the  Ob- 
servatory of  Yaie  University  to  the  President  and  fellows      1890. 

Anales  de  la  Sociedad  cientinca  Argentina.  Tomo  XXX,  Entrega  V,  VI.  Buenos 
Aires  1890. 

Boletin  mensual  del  Museo  de  productos  Argentinos.  Afio  III.  No.  31.  Die.  1890. 
Buenos  Aires  1890. 

Februar  1891. 

Sitzungsberichte  der  Kön.  Preuss.  Akademie  der  Wissensch.  in  Berlin.     I,  II,  III, 

IV,  V,  VI,  VII,  VIII,  IX. 
Deutschlands  Leistungen    und  Aussichten    auf   technischem  Gebiete.      Rede    zum 

Geburtsfeste  S.  M.  Wilhelm  II.    in   der  K.  Technischen  Hochschule    zu    Berlin 

geh.  am  26    Jan.  1891  vou  F.  Reuleaux.     Berlin  1891. 
Königl.  Sächsische   Gesellschaft  der  Wissenschaften   zu  Leipzig.      Des    XII.  Ban- 
des der  Abhandlungen  der  philologisch-historischen  Classe  N.  II.     (Anganische 

Inschriften  von  F.  H.  W  e  i  s  s  b  a  c  h).     Leipzig  1891. 
K.  b.  Akademie   der  Wissenschaften   zu   München.     Sitzungsberichte   der    math.- 

physikal.  Classe  1890.  Heft  IV.     München  1891. 
Deutsches  meteorologisches  Jahrbuch  für  1889.     Beobachtungssystem  des  Königr. 

Sachsen.     1.  Hälfte,    Abtheilungen  1  u.  2.     VII.  Jahrg.  1889.     Herausgeg.  von 

Prof.  Dr.  Paul  Schreiber.     Chemnitz  1890. 
Leopoldina.     Heft  XXVII.    N.  1—2.     Januar  1891.     Halle  a.  S. 
Verhandlungen  des   naturhistorisch -medicinischen  Vereins    zu    Heidelberg.     Neue 

Folge.     4.  Bd.     4.  Heft.     Heidelberg  1891. 
Acta  Mathematica  14:  3.     Berlin,  Stockholm,  Paris  1891. 
Vierteljahrschrift    der  Naturforschenden    Gesellschaft    in    Zürich.     35.  Jahrgang. 

2.  Heft.     Zürich   1890. 
Kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien: 

a.  Denkschriften.  1)  Mathematisch-naturwissenschaftl.  Classe.  56.  Band.  2)  Phi- 
losophisch-historische Classe.   37.  Band. 

b.  Sitzungsberichte.  1)  Mathematisch  -  naturwissenschaftl.  Classe.  Abtheil.  I 
Band  XCVIII.  IV.— X.Heft.  1889.  April -Dezember.  Band  XC1X.  I-III.Heft. 
1890.  Jan.— März.  2.  Abtheilung  IIa.  XCVIII.  Band.  IV— X.  Heft.  1889.  April 
—Dezember.  XCIX.  Band.  I.— III.  Heft.  Jahrg.  1890.  Jan.— März.  3.  Abtheil. 
IIb.  Band  XCVIII.  IV.— X.Heft.  Jahrg.  1889.  April -December.  XCIX.  Band. 
I. -III.  Heft.  Jahrg.  1890.  Jan. -März.  4.  Abtheilung  III.  XCVIII.  Band.  V.— 
X.Heft.  Jahrg.  1889.  Mai— December.  XCIX.  Band.  I.— III.  Heft.  Jahrg.  1890. 
Jan. — März.  2)  Philosophisch-historische  Classe.  CXIX.  Bd.  CXX.  Bd.  Jahrg. 
1889.   CXXLBd.  1890. 

c.  Archiv  für  österreichische  Geschichte.     75.  Bd.     I.  u.  2.  Hälfte.     Wien   1889. 

d.  Fontes  rerum  austriacarum.  2.  Abth.  Diplomataria  et  acta.  XLV.  Band. 
1.  Hälfte.     Wien  1890. 

Verhandlungen  der  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt.  1890.  N.  14 — 18.  1891.  N.  1. 
Wien. 

Publicationen  für  die  internationale  Erdmessung.  Astronomische  Arbeiten  des 
k.  k.  Gradmessungs-Bureau.  II.  Bd.  Längenbestimmungen.  Prag,  Wien,  Leip- 
zig 1890. 

Anzeiger  der  Akademie  der  Wissenschaften  in  Krakau  1891.  Januar.  Krakau 
1891. 

Ungarische  Revue.   II.  Heft.    Februar.    1891.     11.  Jahrg.     Budapest  1891. 

Földtani  Közlöny.  XX  Kötet.  5  —  12  Fiizet.     Budapest  1890. 

Mittheilungen  aus  dem  Jahrbuche  der  Kön.  Ungarischen  geologischen  Anstalt : 

a.  Die  Pontische  Stufe  und  deren  Fauna  bei  Nagy  Mänyok  im  Comitate  Tolna 
v.  Dr.  E.  Lörenthoy.    Budapest  1890. 


394 

b.  Das  Delta  des  Nil  v.  Dr.  J.  Jankö.     Budapest  1890. 

Archives  Ne'erlandaises  des  sciences  exactes  et  naturelles.     Tome  XXIV.     4me  et 

5me  livraisons.     Harlem  1891. 
Tijdschrift   voor  Nederlandsche  Taal-  en  Letterkunde,    uitg.  van  wege  de  Maat- 

schappij  der  Nederlandsche  Letterkunde  te  Leiden.  10.  Deel.  Nieuwe  Reeks.  2. 

Deel.     1.  Aflever.     Leiden  1891. 
Programme   de    la  Socie'te'  Batave    de  Philosophie  expe>imentale    de  Rotterdam. 

1890. 
Annales  de  l'Ecole  polytechnique  de  Delft.     Tome  VI,  1890.     2.  livraison.    Leide 

1890. 
Academie  Royale  de  Belgique.    Bulletin.  60e  anne'e.  3e  serie.  tome  20.  N.  12,  616 

anne'e.  3<>  sene.  tome  21.   N.  1.     Bruxelles  1890.  91. 
Annales  de  la  Socie'te'  geologique  de  Belgique.    Tome  XVI.  2e  livr.    Tome  XVII. 

4e  livr.     Liege  1890. 
Den  Norske  Nordhavs-Expedition    1876—1878.    XX.  Zoologi.    Pycnogonidea  ved 

G.  0.  Sars.     Christiania  1891. 
Annalen  des   physikalischen  Central-Observatoriums  herausgegeben   v.  H.  Wild. 

Jahrgang  1889.    Theil   IL     St.  Petersburg  1890. 
Nature.     Vol.  43.    N.  1110—1114. 

Proceedings  of  the  London  mathematical  society.     N.  391  —  394. 
Monthly  notices  of  the  R.  astronomical  society.    Vol.  LI.   N.  3.     London  1891. 
Proceedings  of  the  Royal  society.     Vol.  XLIX.     N.  296.     London  1891. 
Journal    of  the  R.  microscopical   society   1891.     Part  1.  February.     London  and 

Edinburgh. 
Memoirs  and  proceedings  of   the  Manchester  literary   and  philosophical   society. 

Fourth  series.     Vol.  4.     N.  1,  2.     1890—91.    Manchester. 
Reports  from  the  laboratory  of  the  R.  College   of  physicians.    Edinburgh.     Vol. 

III.     Edinburgh  and  London  1891. 
Royal  Irish  Academy: 

a.  Proceedings.     Third  series.     Vol.  I.  N.  4.     Dublin  1891. 

b.  Transactions.     Vol.  XXIX.    Part  XIV.     Dublin  1891. 

Historia    do    Infante   D.  Duarte    Irmäo    de   El-rei    D.  Joäo  IV  por  Jose*  Ramos- 

Coelho.     Tomo  II.     Lisboa  1890. 
Annales  du  Muse'e  Guimet : 

Revue   de  l'histoire    des    religions.     llme  anne'e.     Tome  XXI.     N.  2,  3.     Tome 

XXII.    N.  1,  2.     Paris  1890. 
Travaux  et  mömoires  du  Bureau  international  des  poids  et  mesures.     Tome    VII. 

Paris  1890. 
Memoires  de  la  socie'te'  nationale    des    sciences    naturelles    et   mathematiques    de 

Cherbourg.    Tome  XXVI.  (Troisieme  se'rie.  Tome  VI).     Paris,  Cherbourg  1889. 
La  societe'  des  antiquaires  de  Picardie: 

a.  Me'moires.     Tome  XII.    Histoire   de    l'abbaye   de    Saint  -  Acheul  -  lez  -  Amiens. 
Amiens  1890. 

b.  Bulletin.     Anne'e  1889.  N.  4.    1890.  N.  1,  2.     Amiens  1890. 

Atti  della  R.  Accademia  dei  Lincei.     Anno  CCLXXXV1II.  1891.     Serie  IV.    Ren- 

diconti.    Vol.  VII.    1°  sem.  fasc.  1,  2.     Roma  1891. 
Atti  della   R.   Accademia  delle   scienze   di   Torino.     Vol.  XXVI.     Disp.  1,  2,  3. 

1890-91.     Torino. 
Revista  di  matematica  diretta  da  G.  Peano.     Fasc.  1.     Gennaio  1891.     Torino. 
Annuario  della  societä  R.  di  Napoli.   1891.     Napoli  1891. 
Biblioteca  nazionale  centrale  di  Firenze: 

a.  Bollettino  delle  pubblicazioni  italiane  ricevute  per  diritto   di   stampa.     N.  123 
—124.  1891. 

b.  Indici  del  Bollettino  1890.     I.     Indice  alfabetico  delle  opere.     Bogen  A — C. 
Biblioteca  nazionale  centrale  Vittorio  Emanuele  di  Roma.     Firenze  1891  : 

a.  Bollettino  delle  opere  moderne  straniere.     Vol.  VI.    N.  1.     Gen.  1891.      Roma 

1891. 
U.  S.  Geological  Survey : 

a.  Mineral  resources  of  the  United  States  by  David  T.  Day.  1888.     Washing- 
ton 1890. 

b.  Monographs.  Vol. I.  Lake  Bonneville  by  Grove  Karl  Gilbert.    Ebd.  1890. 


395 

c.  Ninth  annual  report.    1887—88  by  J.  W.  Powell.     Ebd.  1889. 

d.  Bulletin.     N.  5«,  59,  60,  61,  63,  64,  66.     Ebd.  1890. 

Proceedings   of  the   American    pharmaceutical   association.     38.  annual   meeting. 

Philadelphia  1890. 
Bulletin    of   the  Museum   of  comparative  zoölogy  at  Harvard  College.     Vol.  XX. 

N.  7.     Cambridge,  U.-S.-A.  1890. 
Transactions  of  the  Connectient  Academy  of  arts  and  sciences.  Vol.  VIII.  Part.  1. 

New  Haven  1890. 
Johns  Hopkins  University  circulars.     Vol.  X.   No.  85.     Baltimore  1891. 
Anales  de  la  sociedad  cientifica   argentina.     Enero   de   1891.     Entrega  1.     Tomo 

XXXI.     Buenos  Aires  1891. 

Nachträge. 

Bulletin  de  la  sodäte"   mathematique   de  France.     Tome  XVIII.     N.  5  et  6.     Pa- 
ris 1890. 
Physikalisch -medicinische  Gesellschaft  zu  Würzburg.     Würzburg  1880: 

a.  Sitzungsberichte.     Jahrg.  1890.     N.  8,  9,  10. 

b.  Verhandlungen.     N.  F.  XXIV.  Band.     N.  6. 

Journal  and  proceedings  of  the  Royal  society  of  New  South  Wales.     Vol.  XXIII. 

1889.  Part  II.    Sidney,  London. 

The  humming  bird.     Vol.  I.  N.  3.   March  1.    1891.     London. 

Geological  Survey  of  India : 

a.  Memoirs.     1)   Ser.  X11I.     Salt-range  fossils.     Vol.  IV.   Part.  1.     Geological  re- 

sults.     2)  Vol.  XXIV.  Part.  II.    Middemiss  :  Physical  Geology  of  the  Sub-Hima- 

laya  of  Garhwäl  and  Kumann.     Calcutta. 
Bataviaasch  Genootschap  van  Künsten  en  Wetenschappen : 

a.  Notulen  van  de  Algemeene  en  Bestuurs- Vergaderingen.  Deel  XXVIII.  1890. 
Aflever.  II.     Batavia  1890. 

b.  Tijdschrift  voor  Indische  Taal-,  Land-  en  Volkenkunde.  Deel  XXXIV.  Afle- 
vering  II.     Batavia,  s'Hage  1890. 

Königl.  böhmische  Gesellschaft  der  Wissenschaften: 

a.  Sitzungsberichte  1H90.  1)  Mathematisch  -  naturwissenschaftliche  Classe.  II. 
2)  Philos.-histor.-philolog.  Classe. 

b.  Jahresbericht  für  1890.     Prag  1891. 

März  und  April  1891. 

Sitzungsberichte  der  K.  Preuss.  Akademie   der    Wissenschaften  zu   Berlin.    X  — 

XVIII.     Berlin  1891. 
Separatabzüge  von  Aufsätzen  von  L.  Kronecker: 

a.  Ueber  eine  summatorische  Function.  (Aus  den  Sitzungsberichten  d.  K.  Pr. 
Ak.  d.  W.  zu  Berlin  1889.  XLII). 

b.  Zur  Theorie  der  elliptischen  Functionen  (Art.  XII— XXI).  (Ebendaher.  1889. 
VI.  X.  XIV.  XVIII.  XIX.     1890.   VI.  VII.  XIV.  XVI). 

c.  Die  Decomposition  der  Systeme  von  n2  Grössen  und  ihre  Anwendung  auf  die 
Theorie  der  Invarianten.  Ueber  orthogonale  Systeme.  Ueber  die  Composition 
der  Systeme  von  n2  Grössen  mit  sich  selbst.     (Ebendaher.    1889.  XXX.  XXXI. 

1890.  XXVI.  XXVIII.  XXX.  XXXVI.  XL). 

d.  Algebraische  Reduction  der  Schaaren  bilinearer  Formen.  Algebraische  Re- 
duction  der  Schaaren  quadratischer  Formen.     (Ebendaher.  1890.  XL VIII.  LIII. 

1891.  II.  III). 

e.  Ueber  die  arithmetischen  Sätze,  welche  Lejeune  Dirichlet  in  seiner  Bres- 
lauer Habilitationsschrift  entwickelt  hat.  Bemerkungen  über  Dirichlet's  letzte 
Arbeiten.     (Ebendaher.  1888.  XVI.  XVIII). 

f.  Ein  Fundamental satz  der  allgemeinen  Arithmetik.  Aus  dem  Journal  für  die 
reine  und  angewandte  Mathematik.     Bd.  100.  Heft  4 

g.  Premiere  partie  du  chapitre  XIII  de  la  Note  sur  la  tlidorie  des  rdsidus  qua- 
dratiques  par  A.  Genocchi. 

Beweis  des  Reciprocitätsgesetzes  für  die   quadratischen  Reste   von  L.  Kron- 
ecker, Paul   du  Bois-Reymond.     (Ebendaher.  Bd.  104.  Heft  4). 


396 

h.  Bemerkungen    über    die    Jacobischen    Thetaformeln.      (Ebendaher.    Bd.  102. 

Heft  3). 
i.   Ueber  den  Zahlbegriff.     (Ebendaher.   Bd.  101.  Heft  4). 
k.  Bemerkungen  über  die  Darstellung   von  Reihen   durch  Integrale.     (Ebendaher. 

Bd.  105.  Heft  2). 
Kgl.  Sächsische  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Leipzig  : 

a.  Mathematisch-physische  Classe : 

1.  Berichte  über  die  Verhandlungen.     1890.     III.  IV.     Leipzig  1891. 

2.  Abhandlungen.     Bd.  XVI.  N.  III.     Bd.  XVII.  N.  1  u.  2.     Ebd.  1891. 

b.  Philologisch-historische  Classe : 

Berichte  über  die  Verhandlungen.     1890.     II.  III.     Ebd.  1891. 
K.  b.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  München: 

Sitzungsberichte  der  philosophisch-philologischen   u.  historischen  Classe.    1890. 
Bd.  II.  Heft  III.     München  1891. 
Germanisches  Nationalmuseum  zu  Nürnberg. 

a.  Anzeiger.     Jahrg.  1890.     Nürnberg  1890. 

b.  Mitteilungen.    Jahrg.  1890.     Ebd.  1890. 

c.  Katalog  der  im  german.  Museum  befiudl.  Originalskulpturen.     Ebend.  1890. 
Festschrift    hrsg.  v.  d.  Mathematischen  Gesellschaft  in  Hamburg  anlässlich  ihres 

200jährigen  Jubelfestes  1890.  Sonderabzug:  Ueber  die  Dirichletsche  Methode 
der  Wertbestimmung  der  Gaussschen  Reihen.  Von  L.  Krön  eck  er.  Leip- 
zig  1890.  ( 

Mitteilungen  des  Vereins  für  Geschichte  der  Stadt  Meissen.  2.  Bd.  4.  Heft. 
Meissen  1890. 

Das  Ausland.  Wochenschrift  für  Erd-  und  Völkerkunde  von  Karl  v.  Steinen. 
1891.    N.  8.     Stuttgart. 

Leopoldina.     Heft  XXVII.  N.  3-4.  N.  5-6.     Halle  a.  S.   1891. 

Jahrbuch  über  die  Fortschritte  der  Mathematik.  Band  XX.  Jahrgang  1888. 
Heft  2.   Berlin  1891. 

Kriegsberichte  des  Königl.  Dänischen  General-Feldmarschalls  Ernst  Albrecht  von 
Eberstein  aus  dem  zweiten  schwedisch-dänischen  Kriege.  Herausgeg.  v.  L.  F. 
Freiherrn  von  Eberstein.     2.  Ausg.     Berlin  1891. 

Zeitschrift  der  Deutschen  Morgenländischen  Gesellschaft.  44.  Band.  IV.  Heft. 
Leipzig  1890. 

Societatum  litterae.     Hrsg.  v.  E.  Huth.     Jahrbuch  1890.     Berlin  1891. 

Monatliche  Mittheilungen  aus  dem  Gesammtgebiete  der  Naturwissenschaften.  Or- 
gan des  Naturwissenschaftl.  Veseins  desi:Reg.  Bez.  Frankfurt,  hrsg.  v.  E.  Huth. 
6.  Jahrg.  1888/89.     Berlin  1889. 

Reale  Accademia  dei  Lincei.     Roma: 

a.  Atti.  Anno  288.  1891.  Ser.  IV.  Rendiconti.  Vol.  VII.  1.  Semestre  fasc.  3,4,5,6. 
Roma  1891. 

b.  Atti.  Ser.  IV.  Classe  di  scienze  morali,  stör,  e  filologiche.  Anno  283.  1886. 
Vol.  II.  Anno  284.  1887.  Vol.  III.  Parte  I.  II.  Anno  2ö5.  1888.  Vol.  IV.  Parte 
II.     Memorie.  Anno  285.  1888.  Vol.  V.     Roma   1886—88. 

Reale  Accademia  delle  scienze  di  Torino  : 

a.  Atti.  Vol.  XXVI.  disp.  4»,  5a,  6»,  7»  e  8».  1890—91  u.  Elenco  degli  accademici 
al  1°  Marzo  1891.     Torino  1891. 

b.  Osservazioni  meteorologiche  fatte  nelP  anno  1890.  Calcolate  dal  Dott.  G.  B. 
Rizzo.     Torino  1891. 

Le  stazioni  sperimentali  agrarie  italiane.    Volume  XX,  fasc.  II.    Febbraio.    Asti 

1891. 
Rendiconti  del  Circolo  matematico  di  Palermo.     Tomo  V.  Anno  1891.     Fasc.  I  e 

II.     Palermo  1891. 
Accademia  delle  scienze  fisiche  e  matematiche  di  Napoli. 

Rendiconto.     Serie  2*.     Vol.  IV.    Anno  XXIX.    fasc.  1°— 12°.     Genn.  Die.  1890. 
Napoli  1890. 
Biblioteca  nazionale  centrale  di  Firenze. 

Bollettino  delle  pubblicazioni  italiane.  1891.     N.  125,  126,  127  u.  Indice  1890. 
Bog.  U.E.     Firenze   1891. 
Biblioteca  nazionale  centrale  Vittorio  Emanuele  di  Roma. 

Bollettino  delle  opere  moderne  straniere.    Vol.  VI.    N.  2.  3.  1891.    Roma  1891 


397 

Socie'te'  mathematique  de  France.    Bulletin.   Tome  XIX.    N.  1.2.    Paris  1891. 
Acade'mie  Royale  de  Belgique. 

a.  Bulletin.     61 «  annde,  3e  serie,  tome  21.     N.  2,  3.     Bruxelles   1891. 

b.  Classe  des  sciences.     Programme  de  concours  pour  1892.     (Ibid.  1891). 
Jornal  de  sciencias  matheinaticas  e  astronomicas.     Vol.  X.  No.  1.     Coimbra  1891. 
Society  Imperiale  des  naturalistes  de  Moscou: 

a.  Bulletin.     Annde  1890.     N.  3.    Moscou  1891. 

b.  Beilage :  Meteorologische  Beobachtungen  ausgef.  am  Meteorologischen  Obser- 
vatorium der  landwirtschaftlichen  Akademie  bei  Moskau.  (1890.  Erste  Hälfte). 
Moskau  1890. 

Memoires  de  l'Acade'mie  Imp.  des  sciences  de  St.  Pe'tersbourg.  Tab.  IV.  VI  e 
VII  zu  Maximowiczii  Diagnoses  plantarum  Asiatic.  VII.  1890. 

Proceedings  of  the  Royal  Society.     Vol.  XLIX.    N.  297,  298.     London  1891. 

Monthly  notices  of  the  R.  Astronomical  Society.     Vol.  LI.  N.4,5.     London  1891. 

Proceedings  of  the  London  Mathematical  Society.  No.  395  398,  No.  399—403. 
London  1891. 

Nature.     Vol.  43.     N.  1115-1121.     London  1891. 

Memoirs  and  proceedings  of  the  Manchester  Literary  and  Philosophical  Society. 
1890—91.     Manchester  1891. 

The  humming  bird.     Vol.  1.    No.  3.     London  1891. 

The  Cambridge  Philosophical  Society: 

a.  Proceedings.     Vol.  VII.    Part.  III.     1890.     Cambridge  1891. 

b.  Transactions.     Vol.  XV.    Part.  1.     Ibid.  1891. 

Journal  of  the  Royal  Microscopical  Society.  1891.  Part  2.  London  and  Edin- 
burgh 1891. 

Proceedings  of  the  Royal  Physical  Society.    Session  1889— 1890.     Edinburgh  1891. 

Transactions  of  the  Royal  Society  of  South  Australia.  Vol.  XIII.  Part  II. 
Adelaide  1890. 

Bijdragen  tot  de  Taal-,  Land-  en  Volkenkunde  van  Nederlandsch-Indie.  5de  Vol- 
greeks.     6de  Deel  (Deel  XL  der  geheele  Reeks).    2e  aflev.     s'Gravenhage  1891. 

Regenvaarnemingen  in  Nederiandsch-Indie.  1  lde  Jaargang  1889,  door  Dr.  J.  P. 
van  der  Stok.     Batavia  1890. 

Observations  made  at  the  magnetical  and  meteorological  observatory  at  Batavia. 
Published  by  order  of  the  government  of  Netherlands  India ,  under  the  direc- 
tum of  Dr.  J.  P.  van  der  Stok.     Vol.  XII.    1889.     Batavia  1890. 

Maatschappij  der  Nederlamlsche  Letterkunde  te  Leiden : 

a.  Handelingen  en  Mededeelingen.  1889  —  1890.     Leiden  1890. 

b.  Levensberichten.     Bijlage  tot  de  Handelingen  van  1890.     Ibid.  1890. 
Oeuvres  completes  de  Christiaan  Huygens  publikes  par  la  Societe'  hollandaise  des 

sciences.     Tome  III.     Correspondance  1660—1661.     La  Haye  1890. 
Flora  Batava  291.  292.     Aflev.     Leiden. 
Christiania  Videnskabs-Selskab  : 

a.  Forhandlinger   1889.    No.  1  —  12.     Christiania  1889. 

b.  Oversigt  over  Videnskabs-Selskabets  cli0der  i  1889.     Ibid.   1890. 

Acta  Universitatis  Lundensis.     Tom.  XXVI.  1889—90.     I.  II.  Afdelningen.    Lund 

1889-90. 
Norges  gamle  love  indtil  1387.    5te  Biuds.    lste  Hefte    ved   Gustav  Storm. 

Christiania  1890. 
U.  S.  Coast  and  Geodetic  Survey : 

a.  Report.    June  1888.     Part  I.    Text.    Part  II.    Sketches.      Washington  1889. 

b.  Bulletin.    No.  19.     March  1890.     Ibid.  1891. 
Pennsylvania  geological  survey : 

a.  Dictionary  of  Fossils  of  Pennsylvania.  Vol.  II.  N— R.  Vol.  III.  S— Z.  Har- 
risburg 1889.  90. 

b.  Atlas  Southerji  authracite  field.     Part  III.     A  A.  1-12.  1889. 

c.  Seveuth  report  on  the  oil  and  gas  h'elds  for  1887,  1888.     Ibid.  1890. 
The  California  Academy  of  Sciences. 

Occasional  papers  I.  II.     San  Francisco  1890. 
Proceedmgs    of   the    Academy    of   Natural    Sciences    of    Philadelphia.     Part.  II. 
April— Sept.  1890.     Philadelphia  1890. 


398 

Publications  of  the  Washburn  Observatory  of  the  University  of  Wisconsin.     Vol. 

VII.    Part.  1.     Madison,  Wis.   1890. 
Journal  of  Comparative  Neurology.    Vol.  1.    March  1891.     Cincinnati  Ohio.  1891. 
Bulletin  of  the  Museum  of  Comparative  Zöology    at  Harvard  College.      Vol.  XX. 

N.  8.     Cambridge  U-S.-A.   1891. 
Bulletin  of  the  American  Geographical  Society.     Vol.  XXII.     Supplement.    1890. 

Vol.  XXIII.     No.  1.     1891.     New-York. 
Proceedings    of    the   American   Philosophical    Society.     Vol.  XXVIII.     No.  134. 

Philadelphia. 
Johns  Hopkins  Circulars.     Vol.  X.     No.  86.     Baltimore  1891. 
Johns  Hopkins  University  studies  in  historical  and  political  science: 

a.  Eigth  series  V-  VI,  VII    VIII— IX.  X,  XI- XII.  Ibid.  1890.     [In  je  2  Exempl.] 

b.  Studies  from  the  Biological  Laboratory.     Vol.  IV.     No.  6.     Ibid.  1890. 

c.  American  Journal  of  mathematics.     Vol.  XIII.  No.  1.  2.     [In  2  Exempl.]    Bal- 
■  timore  1890.  91. 

Revista  Argentina  de  historia  natural.  Tomo  I.  Entrega  1,  2.  1891.  Buenos 
Aires  1891. 

Anales  de  la  Sociedad  cientifica  Argentina.  1891.  Tomo  XXXI.  Entrega  2.  3. 
Buenos  Aires  1891. 

Mittheilungen  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Natur-  und  Völkerkunde  Ostasiens 
in  Tokio.     45.  Heft.     Band  5.     Seite  191-234.     Yokohama  1891. 

Mitteilungen  aus  der  Medicinischen  Fucultät  der  Kaiserlich- Japanischen  Univer- 
sität.    Band  I.     No.  4.     Tokyo  1891. 

Nachträge. 

Astronomische  Mittheilungen  von  Rud.  Wolf.  Januar  1891.  S.  249  —  280. 
(Zürich  1891). 

„Fauna".  Verein  Luxemburger  Naturfreunde.  Mittheilungen  aus  den  Vereins- 
sitzungen.    Jahrg.  1891.     Heft  1.     Luxemburg. 

Bulletin  de  l'Academie  Imp.  des  sciences  de  St.  Pe'tersbourg.  Nouvelle  se'rie  II. 
(XXXIV).     No.  1.     Feuilles  1     12.     St.  Pe'tersbourg  1891. 

Tifliser  physikalisches  Observatorium: 

a.  Meteorologische  Beobachtungen  im  Jahre  1889.     Tiflis    1890. 

b.  Magnetische  Beobachtungen  im  Jahre  1888—89.     Ebd.  1890. 
Ungarische  Revue.     1891.     Elfter  Jahrgang.     Heft  III.  IV.     Budapest  1891. 
Anzeiger  der  Akademie  der  Wissenschaften  in  Krakau.     1891.     Februar.     März. 

Krakau  1891. 
Verhandlungen  der  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt.     1891.     No.  2,  3,  4.    (Wien 

1891). 
Verein  für  siebenbürgische  Landeskunde : 

a.  Archiv.     Neue  Folge.     23.  Bd.     2.  Heft.     Hermanstadt  1891. 

b.  Jahresbericht  für  1889/90.    Ebd.  1890. 

Die  Freiheit   des   Willens ,   die  Moral  und  das   Uebel    von    Anton    Ganser. 

Graz  1891. 
The  Canadian  Institute.     Transactions.     Oktober  1890.     Vol.  1.  Part  1.     Toronto 

1890. 

MauieManiHHecKiii  CftopHHKi»  Ha/jaBaeMtra  Mockobckui-bx  ManieMa- 
iinnecKiiitt  oÖHyecniBOMX. 

[Sammlung  mathemat.  Arbeiten  hrsg.  v.  d.  Moskauer  mathemat.  Gesellschaft.] 
Tom.  (1.)  2—14.  15.    No.  1—3.     MoCKBa  1866—91. 


Inhalt  von  Nr.  11. 
Friedrich  Wieseler,  Über  den  Stierdionysos.  —   Eingegangene  Druckschriften. 

Für  die  Kedaction  verantwortlich:  H.  Sauppe,  Secretar  d.  K.  Ges.  d.  Wiss. 
Commissions-Verlag  der  Bieterich' sehen    Verlags- Buchhandlung. 
Brück  der  Bieterich' sehen  Univ.- Buchdruckerei  (W.  Fr.  Kaestnm). 


3094   4 


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BJNDING  SECT.  MAY  2  8 1971 


AS 
182 
G834 
1890-91 


Akademie  der  Wissenschaften, 
Göttingen 

Nachrichten  von  der  K. 
Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der 
Georg-Augusts-Universität 


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