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Naturalismus
und
Materialismus in Griechenland
zu Platon's Zeit.
Rede
zur
Feier des Geburlslages Sr, Haj. des Deolscbeo Kaisets Köaigs ?od Ptenssei
Wilhelm I.
gehalten
an der Christian-Albrechts-Universität
am 22. März 1887
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von
Dr. Friedrich^Blass
y/ T ;
ordentlichem. Professor der classisclien Philologie.
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Kiel 1887.
Zu haben in der Universitäts-Buchhandlung.
Druck von Schmidt & Elaanig.
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StK 21 18ö8
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Hoehansehnliehe Versammlungl
_L)er wiederkehrende 22. März vereinigt uns zu einer Feier, welche,
je öfter sie wiederkehrt, desto mehr unser ganzes Gemüth ergreift.
Heute sind es volle neunzig Jahre, dass unser allverehrter und allgeliebter
Kaiser geboren wurde. Diese wenigen Worte regen eine solche über-
wältigende Fülle von Gedanken und Gefühlen an, dass derjenige,
welcher dazu berufen ist diesen Gedanken und Gefühlen Ausdruck zu
geben, sein Vermögen gegenüber dieser Aufgabe als ganz und gar
unzulänglich empfinden muss. Wohl niemand von uns ist im Stande,
auf eine solche Reihe von Jahren zurückzublicken ; denn das gewöhn-
liche Mass der menschlichen Lebenskraft ist erschöpft, wenn sie
siebenzig Jahre gewirkt hat, und ist dieselbe ungewöhnlich stark, so
wirkt sie achtzig Jahre; ein Leben, welches die Zahl von neunzig
Jahren erreicht, erscheint uns merkwürdig und staunenswerth, auch
wenn sich sonst nichts besonderes mit diesem Leben verknüpft. Hier
aber sehen wir ein Leben, welches, um für immer im Gedächtniss der
nachfolgenden Geschlechter zu bleiben, der neunzig Jahre gar nicht
einmal bedurft hätte. Man spricht von einem ehrwürdigen Alter,
auch wo sonst nichts an der Person ist, was zur Ehrfurcht stimmen
könnte ; in diesem Falle aber müssen wir finden, dass das ungewöhnlich
ehrwürdige Alter doch noch das wenigst Verehrungswürdige an der
Person unseres Herrschers ist Was dieser einzige Fürst, ich will
gar nicht sagen für Preussen, oder für Deutschland, sondern für Europa
und die ganze Welt ist, das glauben wir alle wenigstens zu fühlen,
wenn auch der entsprechende Ausdruck uns mangle; aber in der That
fühlen wir es nicht einmal entsprechend, der grossen Nähe wegen,
mit der wir begnadigt sind, und erst ein gewisser Abstand würde es
uns recht wahrnehmbar und fühlbar machen. Schon ein räumlicher
Abstand würde eine solche Wirkung haben; denn unsre Landsleute,
die im Auslande wohnen, nehmen besser wahr als wir, was bei uns
gross ist und was klein, und wie gross das Erstere. Aber besser
noch wird ein zeitlicher Abstand die Grösse des jetzt noch unter uns
lebenden Herrschers schätzen lehren. Dass König Wilhelm Preussen
als eine Grossmacht zwar, aber als die kleinste unter den fünf und
kaum als voll angesehen, Deutschland aber als einen ohnmächtigen
und nach allen Richtungen gespaltenen Staatenbund schlechtester Ver-
fassung überkam, dass er dann für Preussen in wenigen Jahren zuerst
Beachtung, dann Respekt und Furcht bei den andern Staaten Europas
hervorrief, dann das Kaiserthum im Westen Deutschlands stürzte und
dafür in Deutschland das alte Kaiserthum aufrichtete, in einer Einigkeit
und Herrlichkeit wie es sie nie zuvor gehabt : das alles und so vieles
Grosse ausserdem sind wir durch eignes Erleben und tägliches Hören
und Verkehren gewohnt geworden und schätzen es darum nicht recht ;
aber späteren Geschlechtern wird es in dem Abstände als etwas
ungeheuer Grosses, wie Sage und Dichtung Anmuthendes entgegen-
treten. Denn in der That, was hat denn die Dichtung und Sage
ehemaligen Herrschern beigelegt, was wir nicht an unserm Herrscher
mit Augen leibhaftig sähen? Oder was braucht in künftigen Zeiten
die Sage und Dichtung zu dieser Gestalt hinzuzuthun, damit sie
ideal und wahrhaft poetisch sei? Denn gerade das Hinausragen über
das gewöhnliche menschliche Mass, in welchem Hinausragen die poetische
Idealität besteht, ist hier in jeder Hinsicht real vorhanden, bei der
Person unsres Herrschers wie bei seinen Thaten und Schicksalen
während dieser neunzig Jahre. Die Königin Luise als Bittende vor
Napoleon dem Ersten — Napoleon der Dritte als Bittender vor dem
Sohne der Königin Luise: kein Dichter kann einen mächtigeren Con-
trast erfinden, als wie er in dieser „Wendung durch Gottes Fügung"
uns vor Augen gestanden hat. Und nicht am wenigsten ideal ist auch
das Bild des nach solchen Siegen den Frieden hütenden Herrschers,
wie das Kaiser Wilhelm nun schon sechzehn Jahre lang thut, und
damit zu der fast schwärmerischen Liebe seines Volkes die dankbare
Verehrung von ganz Europa hinzugewinnt; denn gewöhnlich und üblich
ist eine solche Entsagung nicht, und Napoleon wie andre frühere
Herrscher haben sich nicht dazu zu erheben vermocht. Aber uns war
auch dies vorbehalten zu sehen, und wenn man dies alles sieht, wird
man ernstlich zweifelhaft, ob derartiges denn schon jemals auf Erden
dagewesen, und ob der alte Spruch wirklich wahr ist, dass nichts
neues unter der Sonne geschieht.
Freilich diesem Spruche möchte unsere Zeit gern auch in andern
Hinsichten, und nicht ohne Grund, die allgemeine Gültigkeit bestreiten.
So viele grossartige Erfindungen sehen wir heutzutage gemacht, so
viele kühne menschliche Eingriffe in das von Natur Gewordene
geschehen, dass wir in Gefahr sind uns über alle früheren Geschlechter
zu erheben, als hätten wir wirklich Neues geschaffen, welches sich
ehedem niemand auch nur als möglich denken konnte. Dennoch
müssen wir bei genauerer Ueberlegung gestehen, dass auch durch uns
jener Spruch in seiner wesentlichen Bedeutung nicht umgestossen wird.
Wir beherrschen Raum und Zeit in einer nie dagewesenen Weise;
aber die Anfänge dazu sind vorlängst gemacht. Wir sind in die Ge-
heimnisse der Natur, ihres Werdens und Vergehens tief eingedrungen ;
aber weder stehen wir am Ziele, noch können wir bei vorlängst
gewesenen Geschlechtern und Völkern eben das Bestreben, welches
uns beseelt, verkennen. Und die Hauptsache ist geblieben wie sie
war: inmitten der Natur steht der Mensch, als Einzelwesen in dieser
seiner Existenz vergänglich und kraftlos, der Natur gleich allen andern
Geschöpfen unterworfen, als Gattung indes eben vermöge der Natur
sich gegen dieselbe behauptend und die Herrschaft über sie anstrebend.
Und das Verhalten der Einzelnen gegenüber der Natur war und ist in
gleicher Weise verschieden : der Eine giebt sich ihr hin und geht in ihr
auf, sei es ohne Bewusstsein, wie der rohe Naturmensch, sei es mit
Bewusstsein und in der Ueberzeugung, dass die Natur das Höchste sei ;
der Andre dagegen fühlt in sich etwas alle Natur weit Ueberragendes
und von ihr spezifisch Verschiedenes, und über sich etwas mit diesem
Verwandtes, Allumfassendes und Allmächtiges. Könnte nun die erstere
Richtung jemals allgemein bei der Menschheit zur Herrschaft gelangen,
so wäre die Folge eine Angleichung an die Natur und ihre Gesetze,
wie dieselben in dem sonstigen Naturleben, ausserhalb der menschlichen
Gesellschaft, ungehemmt sich auswirken. Darüber kann uns die Ver-
gangenheit belehren : nicht als wäre jene Herrschaft des Naturalismus,
wie wir die betreffende Richtung füglich benennen mögen, und jene
Angleichung jemals völlig eingetreten, aber weil die Anfänge dazu
in früheren Perioden geförderter und greifbarer vorliegen, während seit
der christlichen Zeit die entgegenstehende Richtung ganz ausserordentlich
erstarkt und noch fast in jedem Momente übermächtig gewesen ist.
Bei dem griechischen Volke, dem am meisten denkenden des
Alterthums, hat seit dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert eine
Naturphilosophie und Naturwissenschaft bestanden. Die Spekulation
über die Natur lässt sich noch viel weiter zurückverfolgen ; aber es
mangelte ehedem die wissenschaftliche Form, statt deren die mythische
gebraucht wurde. Seit jener Zeit aber Hess man z. B. aus dem Elemente
des Wassers die Dinge, nicht aus dem mythischen Okeanos die Götter
hervorgegangen sein. Das ist auch Spekulation, und wird somit als
Philosophie gerechnet; man darf indes dem Streben nach immerhin
auch von Natur Wissenschaft reden , zumal die Begleiterin und
sicherste Führerin derselben, die Mathematik, gleich von Anfang an
dabei erscheint. Ein Jahrhundert später war diese in lonien aufge-
kommene Naturphilosophie schon weit verbreitet und weit gefördert,
und hatte in Athen zu ihrem berühmtesten Vertreter den Anaxagoras,
den Freund des grossen Perikles. Zugleich aber war sie in zahlreichen
Richtungen auseinandergegangen. Es ist nämlich nicht unnatürlich,
dass ein jeder dieser Männer, auf Grund der noch so dürftigen Natur-
forschung, die ihm zu Gebote stand, alsbald eine Erkenntnis des Ganzen
auf spekulativem Wege anstrebte ; denn diese Erkenntnis ist stets das
Ziel der Forschung, und man meint immer wieder, mit gleichem Un-
recht, dieses Ziel wirklich erreichen zu können. Was nun an wissen-
schaftlicher Erkenntnis im einzelnen oder auch in allgemeinen Ge-
setzen gewonnen war, das blieb und mehrte sich ; die Spekulation aber
fiel immer wieder zu Boden, und ein Andrer nahm dann einen neuen
Aufschwung. Zu den gewonnenen allgemeinen Ergebnissen gehört
der Satz, dass nichts entstehe und nichts vergehe, sondern das soge-
nannte Entstehen nur eine Verbindung von vorher vorhandenen Stoffen,
und das sogenannte Vergehen nur eine Auflösung in bleibende Stoffe
sei. Im einzelnen lehrte Anaxagoras, dass die Luft ein Körper sei —
Beweis ihr Widerstand in einem geschlossenen leeren Schlauche, und
beim Eintauchen eines unten offenen, oben aber geschlossenen Behälters
in Wasser — , die Sonne aber eine glühende Masse, grösser als der Pelo-
ponnes, und der Mond eine Erde mit Bergen und Thälern und Woh-
nungen wie die unsrige. Dass er die Sonne für so gross erklärte,
ist eine grössere That des freien Denkens, als wenn Andre nach ihm
sie für beinahe so gross wie die ganze Erde, dann für grösser als die
Erde, dann für viele Male grösser erklärten; denn jener erste Schritt
über die sinnliche Wahrnehmung hinaus ist weitaus der bedeutendste
und schwerste, der gemacht wurde. Und nicht mit der sinnlichen
Wahrnehmung allein setzte sich Anaxagoras in Widerspruch, sondern
mit den altüberlieferten und heilig geachteten Volksvorstellungen, deren
Macht so gross war, dass selbst Piaton und Aristoteles und ihre Schüler
nach ihnen sich ihr nicht haben entziehen können. Denn der Himmel
und die Dinge am Himmel galten für unmittelbar göttlich, und nun
machten diese Naturforscher den Himmel von Göttern leer und dafür
von Erde und Steinmassen voll. Gleichwohl war Anaxagoras so wenig
und noch weniger Materialist, als es seine Vorgänger gewesen waren.
Diese nämlich vermischten in naiver Weise das, was der Begründer
der neueren Philosophie so strenge geschieden, die denkende oder
geistige Substanz und die ausgedehnte oder materielle, und nahmen
gar keinen Anstand, z. B. das Feuer zugleich als materielles Prinzip
und als weltdurchwaltende höchste Vernunft zu bezeichnen. Sie
blieben damit innerhalb der nationalen Anschauung, welche das
Materielle vergöttlichte, und Sonne und Meer u. s. f., sei es unter ihren
üblichen Namen, sei es unter unverständlich gewordenen alten Bezeich-
nungen, als göttliche Wesen verehrte. Anaxagoras aber, der mit der
nationalen Anschauung brach, setzte den Geist ausserhalb der Materie,
als das einerseits denkende, andrerseits gemäss seinem Denken die
Materie bewegende und beherrschende Prinzip, und erschien mit dieser
Entdeckung einer immateriellen, bewegenden und nach Zwecken
gestaltenden Ursache , gegenüber den aus der Materie genommenen
Erklärungen Früherer, nach Aristoteles' Ausdruck wie ein Nüchterner
gegenüber Faselnden. Indem nun aber dieser grosse Denker auch
Naturforscher war, und nicht nur das Ganze, sondern auch das Einzelne
verstehen und erklären wollte, verzichtete er bei diesen Einzelerklärungen
auf die Zweckursache, und stellte den Geist, nachdem er durch ihn
den Anfang zur Bewegung und Gestaltung der Materie hatte geschehen
lassen, weiterhin ganz zurück, um sich lediglich mechanischer Er-
klärungsweisen zu bedienen. Und so ist es verständlich, dass die
Schule des Meisters, unfähig den grössten Gedanken desselben zu
begreifen und festzuhalten, die auch schon bei jenem im ganzen mehr
vertretenden mechanischen Erklärungen allein in sich einsog und
wiedergab, und damit allerdings, indem sie das Geistige weder in der
Materie noch ausserhalb derselben recht anerkannte, mehr und mehr
materialistisch wurde. Archelaos von Athen, Anaxagoras Schüler,
machte den Geist zu einem Elemente neben andern Elementen, mit
diesen überall ebenso gemischt vorkommend, wie nach des Lehrers
Theorie die übrigen Elemente, den Geist allein ausgenommen, sich
stets mit einander gemischt und niemals ganz rein vorfanden. „In
allem Andern ist von Allem ein Theil", hatte Anaxagoras gesagt,
„der Geist aber ist unbegrenzt und selbstherrlich und mit keinem
8
Dinge gemischt, sondern ist allein für sich." Wer diesen Satz aus
dem Systeme beseitigte, fiel noch hinter die alten, das Geistige und
das Materielle vermischenden Theorien zurück; denn er erkannte
überhaupt keine weltdurchwaltende höchste Vernunft an. Die Ent-
stehung lebender Wesen erklärte Archelaos, ähnlich wie schon Anaxa-
goras gethan, aus dem Zusammenwirken von Feuchtigkeit und Wärme
in dem Kessel, als welchen er sich die im Mittelpunkte der Welt
befindliche, gegen diese unendlich kleine Erde dachte. Aus dem Sumpfe
gingen sie hervor, und ihre erste Nahrung war der Schlamm; mit der
Zeit sonderten sich unter den verschiedenartigen Wesen die Menschen
aus, setzten sich Führer, gaben sich Gesetze, erfanden Künste, bauten
Städte. Und so ging diese Naturlehre nun noch weiter auf das moralische
Gebiet hinüber, weshalb spätere Geschichtschreiber der Philosophie
die Lehre des Archelaos zum Verbindungsgliede zwischen der des
Anaxagoras und der Moralphilosophie des Sokrates machen. In Bezug
auf das Objekt ist dies auch nicht falsch ; die Art der Behandlung
freilich und die Ergebnisse können nicht verschiedener sein.
Ueberhaupt begann die Philosophie und die Forschung damals,
um die Mitte des 5. Jahrhunderts, vom Himmel zur Erde, wie man
sich ausgedrückt hat, herunterzusteigen, d. h. das Grübeln über die
letzten Gründe mit menschlicheren und praktischeren Studien zu ver-
tauschen. In Bezug auf die höchsten Probleme der Philosophie trat
nämlich auch bei bedeutenden Köpfen eine ganz begreifliche Skepsis
ein. Die bisherigen Lösungen dieser Fragen waren möglichst verschieden
ausgefallen, und keins der Systeme konnte die Falschheit eines ent-
gegengesetzten überzeugend darthun; im Gegentheil heisst es in einer
Schrift klassischer Zeit, dass bei den Disputationen über den letzten
Urgrund niemals derselbe mit derselben Behauptung dreimal hinter-
einander — wie das im Ringkampf für den Sieg nöthig war — der
Ueberlegene bleibe, sondern bald des Einen Beredsamkeit die Zuhörer
für sich gewinne, bald die eines Andern. Nun aber erwachte auch in
der Nation, d. h. der wohlhabenden Jugend derselben, ein starker Trieb
zur Erweiterung und Vermehrung der Bildung, und die Philosophie und
Forschung, jemehr sie diesem Triebe ihrerseits entgegenkam und sich
praktischeren Gegenständen zuwandte, wurde um so mehr eine Macht
im öffentlichen Leben und dazu ein lohnendes Gewerbe. Anaxagoras
hatte um seiner Forschung willen seine ererbten Güter preisgegeben;
der Sophist — so nannte sich von jetzt an der seine Weisheit anpreisende
und feilbietende Gelehrte — fand in der kleinsten fremden Stadt, die
9
er besuchte, dankbare Käufer. Er lehrt^ nun in Bezug auf die bisher
behandelten höchsten Probleme nichts; im Gegentheil stellten gerade
die geistreichsten Sophisten Theorien auf, welche die Allgemeingültigkeit
der Erkenntnis oder gar die Möglichkeit derselben und selbst die Existenz
der Dinge aufhoben, woraus zu folgern war, dass man sich um das
Nichtexistirende auch nicht zu kümmern habe, und nicht tiefsinnig zu
forschen, sondern schön zu reden, oder geschickt zu disputiren. Diese
formalen Künste also wurden ausgebildet, und daneben eine zwar viel-
seitige, aber im allgemeinen sehr oberflächliche Kenntnis, ohne die ja
freilich weder zu disputiren noch Reden zu halten möglich war. Damit
verband sich endlich bei Vielen oder den Meisten eine allgemeine Welt-
anschauung, die auf dem Grunde der Naturforschung, statt auf dem
der Ueberlieferung und Volksreligion, beruhte, und die durchaus eine
naturalistische und materialistische zu nennen ist. Es ist auch kein
Anlass, sich über die Entstehung und Ausbreitung einer solchen Welt-
anschauung in jener Zeit zu wundern. Denn wiewohl die Summe der
dazumal erforschten Thatsachen und Gesetze aus den Reichen der
Natur sich zu den heutzutage aufgehäuften ungefähr ebenso verhält,
wie die von Anaxagoras geschätzte Grösse der Sonne zu der von uns
erkannten, so liegt doch die Versuchung zum Materialismus keineswegs
in der Fülle des Erkannten, sondern in der einseitigen Art des Er-
kennens und Forschens. Ob jemand unzählig viele Grundstoffe annahm,
oder, wie die Meisten, die bekannten vier, Luft, Feuer, Wasser und
Erde, oder ob er diese auflöst bezw. streicht und einige 70 andere
annimmt, oder mehr oder weniger : er glaubt doch jedenfalls an materielle
Grundstoffe, und wenn er ausser diesen an nichts anderes glaubt, weil
ihn die Art seiner Forschung nichts anderes kennen lehrt, so wird er
Materialist. Ebenso ist es in dieser Hinsicht ganz unerheblich, wie
viele und welche Naturkräfte jemand kennt, und wie genau er die
Thätigkeit derselben in den Vorgängen der Natur erforscht hat. Und
ferner : wie der aristotelische und mittelalterliche Himmel, der räumlich
alles umschliessende Sitz der Gottheit, von der Astronomie des Copernicus
und seiner Nachfolger zerstört wurde, so war damals der engbegrenzte
altgriechische Himmel mit seinen nahen Göttern von Anaxagoras zer-
stört, und mit der Stätte der Gottheit auch diese selbst den Menschen
entzogen. Nicht Helios lenkte seinen Wagen, sondern eine glühende
Masse bewegte sich durch Naturkraft; nicht Zeus donnerte und
blitzte, sondern das Warme und Kalte war da vernunftlos wirksam.
Der Mensch fing eben erst an, die Natur erkennend zu beherrschen,
10
und, wie durch Schicksal, fiel alsbald in ihren Knechtesdienst mehr
als zuvor zurück, indem er sich ihr angleichen zu müssen u*nd das,
was er in sich und nicht zugleich in der Natur vorfand, als Schein
und Trug verwerfen zu müssen meinte.
Archelaos erklärte, so lesen wir in einem dürftigen Auszuge seiner
Lehren, dass das Gerechte und das sittHch Hässliche nicht von Natur
sei, sondern durch Satzung. Den Commentar dazu liefert Piaton
an mehreren Stellen, wo er die Ethik der Naturalisten bekämpft, und
zwar offenbar ?iuf Grund ihm vorliegender Schriften, deren verderbliche
Wirkung auf unbefestigte Gemüther er mit Schmerz und Bitterkeit
beklagt. Namen nennt er nicht, doch scheint unter diesen Schriften
eine des Thrasymachos gewesen zu sein, eines namhaften und um die
Entwickelung der Beredsamkeit sehr verdienten Meisters derselben;
ferner kann man auf den Kritias rathen, Piatons eigenen älteren Ver-
wandten von Mutterseite, das Haupt der Zwingherrschaft der sog.
30 Tyrannen in Athen, einen Mann der als Laie unter den Philosophen,
als Philosoph unter den Laien bezeichnet wird. Protagoras, der Urheber
der gesammten Sophistik, bietet wohl Beziehungen zu dieser Ethik,
aber noch nicht diese selbst; erst die Jüngeren und Beschränkteren
sind es gewesen, welche die Wissenschaft und Philosophie so popu-
larisirten. Wo Piaton die naturalistische Lehre am ausführlichsten und
jedenfalls unmittelbar nach einer schriftlichen Vorlage wiedergiebt,
stellt er dieselbe folgendermassen dar.
Alles, was wird, oder geworden ist, oder werden wird, hat seine
Ursache entweder in der Natur oder im Zufall, oder in der Kunst.
Das Grösste und Schönste bringt die Natur und der Zufall hervor, das
Kleinere die Kunst, welche das von der Natur Geschaffene nimmt und
zu ihren Gebilden verwendet. Die Elemente: Feuer, Luft, Wasser,
Erde, sind von Natur und durch Zufall, ebenso sind die grossen Körper:
die Erde als Ganzes, Sonne, Mond, durch Natur und Zufall geworden,
indem die ehedem getrennten Grundstoffe sich so und so durch die
und die Kräfte zusammenfanden und verbanden ; Gottheit und Kunst
ist hierbei nicht betheiligt. Ebenso alle organischen Wesen. Die Kunst
ist hinterher gekommen, eine sterbliche Kraft in sterblichen Geschöpfen,
und bringt nun allerlei Tand und Scheinwesen hervor, oder höchstens
dann etwas Werthvolleres, wenn sie die Naturkraft benutzt, wie die
Kunst des Landbauers oder die des Arztes dies thut, zu einem kleinen
Theile auch die des Staatsmanns. Die gesammte Gesetzgebung des-
selben aber ist nichts in der Natur noch auf Wahrheit Beruhendes,
11
sondern durchaus ein Werk der Kunst., Somit sind auch die Götter
durch die Kunst, nämlich die des Gesetzgebers, und darum sind es
überall verschiedene, je nachdem eben die einzelnen Völker und Staaten
sich die diesbezüglichen Gesetze haben geben lassen. Die Bezeichnung
des Schönen ferner, das ist des Sittlichguten und Löblichen, ist durch
die Kunst ganz andern Dingen und Handlungen beigelegt, als die sind,
denen sie nach der Natur zukommt. Der Begriff des Gerechten aber
ist ganz und gar künstlich und hat in der Natur keinen Grund; eben
darum streitet man sich stets, was Recht sei, und ändert das Recht
fortwährend ; wie es dann geändert uud gestaltet ist, so hat es bei den
einzelnen Staaten als Gesetz seine Gültigkeit, ohne doch irgendwie
sich auf Natur zu stützen. Und so ist es das erstrebenswerthe Ziel,
zu dem richtigen, naturgemässen Leben zurückzukehren, d. h. die
natürlichen Fähigkeiten und Kräfte, die man hat, zur Herrschaft über
die Schwächeren zu benutzen, statt der Satzung gemäss ein Knecht
derselben zu sein.
In diesem klaren, folgerichtigen und abgeschlossenen System,
dessen Stärke ausser in diesen Eigenschaften in der theilweise vor-
handenen einleuchtenden Wahrheit, und dessen Verderblichkeit in der
völligen Verkennung anderer wichtigerer Wahrheiten beruht, sind die
beherrschenden Begriffe, wie man sieht, die einander entgegengesetzten
der Natur und der Kunst, oder, wie es anderswo ausgedrückt ist,
der Natur und der Satzung. Und ferner wird für Natur auch
Wahrheit gesetzt; den Erzeugnissen der Kunst, abgesehen von den
doch auch hinfälligen und vergänglichen Bauwerken und Kunstwerken
von Menschenhand, kommt eine Wesenhaftigkeit und Wahrheit nicht
zu, sondern sie sind nur nach dem Scheine und vermöge der Meinung
der Menschen vorhanden. Der Natur, das ist der vernunftlosen und
seelenlosen Natur, wendet sich der Mensch anbetend zu, und gegenüber
der Grösse der Materie verschwindet in seinen Augen alles, was er
selber schaffen kann; eine gewisse Begeisterung für die Natur tritt so-
wohl in Piatons Auszuge zu Tage, als auch in einer bei einem Späteren
erhaltenen, vielfach ähnlichen Stelle, die sich auf den Kritias, als einen
Lieblingsschriftsteller des betreffenden späten Autors, füglich zurück-
führen lässt. Indem man sich der Verehrung dieser Natur knechtisch
hingiebt, macht man sich frei von allen ererbten Begriffen, wie Religion,
Recht, Gesetz, Sittlichkeit; die menschliche Civilisation selbst ist nur
ein werthloses Schein wesen. Die Götter erklärte Kritias in einer
Tragödie, freilich gewiss nicht einer zur Aufführung bestimmten, für
12
die Erfindung eines klugen Gesetzgebers der Vorzeit, welcher wohl
erkannte, wie mit allem, was er einrichten könne, die Befolgung seiner
Gesetze ganz ungenügend verbürgt sei, viel besser dagegen, wenn er
den Leuten einrede , dass überwachende Götter im Himmel vorhanden
seien, vor denen keine Unthat verborgen bleibe. Dass die Existenz
der einzelnen Götter, wie man sie sich dachte und darstellte, auf Satzung
und willkürlicher Festsetzung beruhe, war ja ein in jener Zeit, wo man
genug von fremden Völkern hörte und sah, ganz naheliegender Gedanke.
Auch bei einem gläubigen Gemüthe, wie dem des alten Herodot, des
Vaters der Geschichte, konnte in Bezug auf die Götterlehre der heimischen
Dichter eine Skepsis nicht ausbleiben, wenn er sah, wie viel ältere
Völker, die Aegypter z. B., ein ganz anderes Göttersystem besassen,
dessen Richtigkeit zu widerlegen er als ebenso unmöglich erkannte,
wie dieselbe zu beweisen. „Ich meine,** sagt er daher einmal, „dass
von den Göttern alle Menschen gleich wenig wissen." Er hält sich
also, in Ermangelung eines Besseren, an das .Allgemeine, worin alle
Völker übereinstimmten, und verfolgt ehrfurchtsvoll die Spuren der
göttlichen Vorsehung in der Natur und der göttlichen Weltregierung
in der Geschichte. Derselbe Standpunkt war auch später möglich;
aber dem oberflächlich Betrachtenden musste freilich die Lehre ein-
leuchten, dass bei solchen Verschiedenheiten nach Staaten und Völkern
von vornherein lediglich willkürliche Festsetzung sei, zumal da die
meisten Götter auch nach der Aussage ihrer Verehrer sich nicht sehen
Hessen, und die sichtbaren, Sonne und Mond, durch die Wissenschaft
als leblose Steine erwiesen waren. Und warum sollte Poseidon, d. i.
das Meer, ein wirkliches göttliches Wesen sein, wo es Helios nicht
war? Die Menschen der Vorzeit, so sagte man, haben eben alles, was
ihnen nützlich war, vergöttlicht, auch Brot und Wein in Demeter und
Dionysos; somit schien die griechische Naturreligion sich vollständig
mit aller Leichtigkeit in das eine ihrer Elemente, die Natur, aufzulösen.
Analog konnte nun auch mit Bezug auf das Recht argumentirt
werden, wie wir schon in Platon's Darstellung sahen. Es war ein be-
liebtes Thema der Disputationen, darzuthun, wie keinie einzige Handlung
an und für sich und damit unter allen Umständen gerecht oder un-
gerecht sei, sondern die Umstände eine jede bald so, bald so erscheinen
liessen. Dies, wie die Verschiedenheit und der Wechsel des geltenden
Rechtes, konnte eine gewisse Skepsis hervorbringen, und doch hatte
schon der alte Heraklit von Ephesos wahr und tief gesagt: „Alle mensch-
lichen Gesetze nähren sich aus dem einen göttlichen Gesetze," das
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heisst, die Idee und das Ideal ist in allen das gleiche. Der Sophist
aber suchte im Gegentheil darzuthun, dass in der Natur ein Recht,
wie man dasselbe gewöhnlich fasse, gar nicht vorhanden sei, und
ebenso wenig eine wirkliche Gerechtigkeit bei den Menschen, sondern
nur der Schein derselben. Von Thrasymachos stammt der jedenfalls
auch schriftlich von ihm behandelte Satz : Das Gerechte (d. i. was
man jedesmal so nennt) ist in Wahrheit der Nutzen des Stärkeren.
Der Beweis für den paradox klingenden Satz war einfach dieser.
In einem jeden Staate wird der dem andern überlegene Theil, sei es
die grosse Masse, oder die wenigen Bevorzugten einer Oligarchie, oder
auch ein einzelner Tyrann, die Gresetze geben, und zwar selbstver-
ständlich zu dem Ziele, dass dieser gesetzgebende Theil in seiner
Herrschaft über den Rest der Bürgerschaft dauernd bleibe. Was nun
als Gesetz festgestellt ist, wird gerecht genannt, und die Uebertretung
dieser Gesetze heisst Unrecht und wird bestraft; in Wahrheit aber
handelt es sich dabei nur um den Vortheil, bezw. Nachtheil der Re-
gierenden. Mit einer ähnlichen Beweisführung, wie Xenophon erzählt,
suchte auch einmal der junge Alkibiades seinen Vormund Perikles zu
fangen; derselbe Hess sich auch ruhig fangen, fügte aber trocken
hinzu: „Auch ich verstand mich, als ich in deinem Alter war, sehr
gut auf diese Weisheit.'' Wenn man nun aber, sagten die Sophisten,
über die einzelne Staatsgemeinschaft hinaussieht, so findet man in den
Verhältnissen der Staaten und Völker zu einander kaum noch den
Schein eines Rechtes, sondern das Gegentheil, die Gewalt des Stärkeren,
und wenn man also von einem Naturrecht sprechen will, so ist dies
nur das Recht des Stärkeren. Auf dieses Recht und Gesetz der
Natur stützte sich Xerxes, als er gegen Griechenland zog; nach dem-
selben handeln alle Geschöpfe ausserhalb der Menschheit. Dies letztere
hatte freilich schon der alte Hesiod gewusst, wenn er sagt:
„Also hat ja den Menschen bestimmt der Kronide die Satzung:
Zwar den Fischen und Thieren des Felds und geflügelten Vögeln
Setzt' er einander zu fressen ; denn Recht ist nicht unter ihnen ;
Aber den Menschen verlieh er das Recht.**
Mit diesem unterscheidenden Scheinwesen bei den Menschen
sollte nun aber aufgeräumt werden. Hatte nicht auch der gefeierte
Dichter Pindar gesagt, dass das Gesetz, der König aller Sterblichen
und Unsterblichen, die grösste Gewalt mit seiner übermächtigen Hand
zum Rechte mache, und sich auf die That des Herakles berufen, der
dem Riesen Geryones seine Rinderheerde nicht etwa abkaufte, sondern
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mit Gewalt wegnahm? .Und ist dieses Gesetz, dieser allbeherrschende
König, ein anderes als das Naturgesetz des Stärkeren? Es hätte
sich hier erwidern lassen, dass Pindar ganz gewiss nicht dieses Gesetz
meine, sondern die Satzung der Menschen, welche ja diese That des
Herakles für gross und schön erklärte und auch den Dichter sie zu
preisen nöthigte, wiewohl er nicht umhin kann zu gestehen , dass
eigentlich der sein Eigenthum vertheidigende Geryones zu loben sei.
Mit der Berufung auf Gesetz und Satzung, die es einmal anders
wolle, hilft er sich über einen Skrupel weg, wie sie seiner geläuterten
Anschauung in der überlieferten Götter- und Heldensage öfter auf-
stiessen. Wie man nun hier Worte eines nationalen Dichters ver-
werthete, so ist auch wohl anzunehmen, dass Piaton die Geschichte
vom Ringe des Gyges, die er in einer Verfechtung des sophistischen
Standpunkts vorbringen lässt, weder erfunden, noch selbst erst so ver-
wandt habe. Es sollte damit klar gelegt werden, dass in der That niemand
um der Gerechtigkeit willen gerecht sei, sondern nur aus Unvermögen,
Unrecht zu thun, wozu der natürliche Trieb alle Menschen leite. Der
Vorfahr des lydischen Königs Gyges, lautet die Erzählung, war ein
Hirt in Diensten des damaligen Herrschers von Lydien. Einstmals
bemerkte er in der Gegend, wo er seine Heerde weidete, einen in
Folge von Regengüssen und Erderschütterungen entstandenen Schlund,
in den er neugierig hinabstieg. Unten fand er ein ehernes Pferd mit
Fensterlöchern darin ; drinnen lag ein übermenschlich grosser Leichnam,
mit einem goldnen Ringe am Finger. Diesen Ring zog der Hirt
ab und steckte ihn selbst an. Einige Zeit darauf fand eine Zusammen-
kunft der Hirten statt, damit dem Könige der monatliche Bericht über
die Heerden abgestattet würde; auch der Hirt mit dem Ringe fand
sich dazu ein, und drehte, wie er so da sass, zufällig spielend den
Stein nach einwärts. Plötzlich bemerkte er, wie die Andern ihn nicht
mehr sahen und von ihm sprachen als sei er fortgegangen, und er
dreht verwundert wieder den Stein nach auswärts, und wird wieder
sichtbar. Als er die Kraft des Ringes durch öfteres Probiren fest-
gestellt hat, fasst er alsbald seinen Plan : er lässt sich als Bote an den
König abordnen, tödtet denselben und wird selber König von Lydien.
Nun die Anwendung : wenn der sogenannte und anscheinende Gerechte
einen solchen Ring an den Finger bekäme, er würde alsbald dieselben
Wege wandeln wie der Ungerechte, und damit beweisen, dass er
vorher nicht aus eignem Triebe, sondern nur aus Noth gerecht war
und fremdes Eigenthum achtete.
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Dass nun diese naturalistische Lehre von Recht und Unrecht
in Piatons Darstellung nicht geradezu gemein erscheint, dazu trägt
ausser der geistreichen Form und Begründung auch die aristokratische
Fassung bei. Erst Sokrates zieht im Disput die Folgerung, dass
demnach auch Taschendiebstahl nützlich und empfehlenswerth sei :
was der Gegner zugeben muss, aber mit dem Bemerken, dass diese
Aneignung fremden Eigenthums doch nicht der Rede werth sei, und
der rechte Mann in einem viel grossartigeren Masse nehmen müsse,
insbesondere, indem er sich zum Herrscher seiner Stadt mache und
so seinen schwächeren Mitbürgern alles auf einmal nehme. Die
Mehrzahl der griechischen Staaten wurde nämlich damals demokratisch
regiert, und die Gebildeten empfanden die Herrschaft der oft zügel-
losen Masse als einen unwürdigen und unerträglichen Druck; eben
daraus ging in Athen der zweimalige Umsturz der Demokratie
während und nach dem peloponnesischen Kriege hervor. Selbst-
verständlich aber ist die Lehre vom Naturrechte des Stärkeren sehr
leicht in eine demokratische Fassung umzusetzen. Denn dies Recht,
welches der einzelne Höherbegabte gegenüber dem einzelnen Minder-
begabten hat, besitzt ebenso die Masse der Minderbegabten gegen-
über dem einzelnen Höherbegabten; sie ist thatsächlich stärker, und
hat eben darin schon ihr Recht. Es kommt aber hinzu, dass die
aristokratische ufid oligarchische Bevorzugung eines Theiles der Staats-
angehörigen, auf Grund ererbten Rechtes oder zufälligen grösseren
Besitzes, als widernatürliche Satzung erschien; denn die Natur, sagte
man, hat alle Menschen wesentlich gleich geschaffen, und auch, dass
der eine Sklave ist, der andre dessen Herr, ist nicht Natur, sondern
Satzung und Willkür. So gab die Lehre von der Satzung als dem
Gegentheile der Natur nach beiden Seiten hin zur Revolution Anlass
und Vorwand.
In Kürze müssen wir, nach Darlegung der Lehre über die
Götter und über Recht und Gerechtigkeit, auch auf den Begriff des
Sittlich-Schönen und sein Gegentheil eingehen. Alles, was irgend als
Tugend und als Lob galt, bezeichnen die Griechen als das Schöne,
und das Entgegengesetzte als das Hässliche. Archelaos nun erklärte,
wie wir oben anführten, dass das Sittlich - Hässliche dies nicht von
Natur, sondern durch Satzung sei, und in Piatons Auszuge stand, dass
beide Bezeichnungen von Natur andern Dingen und Handlungen
zukämen, als wie die Kunst sie beilege. Das scheint Widerspruch,
ist aber kaum einer. Den Begriff des Schönen aus der Natur zu ver-
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bannen konnte nur dem in den Sinn kommen, der, wie der Atomi-
stiker Demokrit, alle Eigenschaften der Körper in den Bereich der
Satzung, d. i. bei ihm des nur subjektiv Vorhandenen, verwies ; wer
dagegen so tief nicht philosophirte, konnte schön und hässlich gelten
lassen und auch auf Handlungen anwenden, nur nicht auf die, welchen
die Menge diese Bezeichnungen beilegte, noch nach so willkürlicher
Beurtheilung. War doch leicht zu zeigen, wie nach Umständen die-
selbe Handlung bald als löblich gelte, bald als schimpflich, und
ferner, dass die verschiedenen Völker in ihrem Urtheil schlechterdings
nicht übereinstimmten. Z. B. die Skythen hielten es für löblich , aus
dem Schädel eines ermordeten Feindes sich einen Trinkbecher zu
verfertigen ; bei den Massageten oder, nach Herodot, bei einem Volks-
stamme Indiens galt ^es als die einzig rühmliche Bestattung, wenn die
Ueberlebenden den Todten aufzehrten, und so die Eltern in ihren
Kindern begraben wurden. Herodot erzählt, dass einstmals der König
Darius solche Inder gefragt habe, für wieviel Geld sie wohl ihre
Todten verbrennen würden, und darauf Hellenen, für wieviel [sie sich
entschliessen könnten ihre Todten aufzuessen, und dass beide auf das
entschiedenste betheuert hätten, dass es soviel Geld überhaupt nicht
gebe. Er nun wendet darauf den Spruch Pindars von dem allbe-
herrschenden Gesetze an, und schliesst, dass es thöricht sei, über
fremde Sitten zu lachen ; der naturalistisch Denkende dagegen schloss,
dass nicht die Natur diese oder jene Beurtheilung vorschreibe, sondern
Kunst und Satzung. Denn sowie die Natur in Frage kommt, ver-
schwindet das Vorrecht des Hellenen vor dem Barbaren, des civilisirten
Volkes vor dem rohesten Naturvolke, selbstverständlich auch des
Menschen vor den übrigen Geschöpfen. Beseitigt man nun dieses
Scheinwesen, so muss als das nach der Natur Schöne alles das
bezeichnet werden, was mit der Natur der Geschöpfe im Einklang
steht, als das von Natur HässUche alles, was mit derselben nicht über-
einstimmt. Während also die Menge in der Enthaltsamkeit und Selbst-
beherrschung etwas löbliches sah, und das griechische Volk sowohl
einen Hippolytos um seiner Keuschheit willen als Heros ehrte, als auch
die Athleten pries, die, um den Siegeskranz zu erringen, sich fort und
fort aller Dinge enthalten hatten, und in Athen ein Staatsmann nur dann
wirklichen Respekt genoss, wenn er strenge und abgehärtet und beinahe
asketisch lebte: so erklärt der Sophist solche Entsagung für wider-
natürlich und nur nach falscher Satzung schön, dagegen für wirklich
rühmlich, wenn jemand möglichst viele und starke Begierden hat und
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nährt, aber nun dieselben vermöge seiner Mannhaftigkeit und Intelligenz
auch zu befriedigen weiss. Das kann die Menge nicht; darum ver-
birgt sie ihre Schwäche unter einer angenommenen Selbstbeherrschung,
und macht aus der Noth eine Tugend. Ob diese Lehre so von irgend
jemandem schriftlich entwickelt war, ist zweifelhaft, und wird dies
noch mehr dadurch, dass auch Piaton, der sie gesprächsweise und
erst in Folge von Reizung entwickeln lässt, durch die Person seines
Sokrates die mannhafte Offenheit lobt: „jetzt sagst du deutlich heraus,
was die Andern zwar denken, aber nicht sagen wollen." Piaton ist
aber ohne Zweifel der berufenste Interpret der Denkungsart seiner
Zeitgenossen und nahen Verwandten, und auch ohne ihn würden wir
den Satz, dass das Sitthch-Hässliche nicht von Natur, sondern durch
Satzung sei, oder jenen andern, das nicht dasselbe von Natur und
nach Satzung schön und hässlich sei, gar nicht anders deuten können.
Jede Abschwächung würde dem Systeme den Vorzug schmälern,
den es ohne Frage hat: nämlich, dass es sich, von einfachen Prin-
cipien aus, klar und folgerichtig und eben damit auch einleuchtend
entwickelt. Der platonische Sokrates nun sieht sich dieser ab-
geschlossenen Weltanschauung gegenüber in der Lage jemandes,
der zwar selbst undurchdringlich gewappnet ist, aber in des Gegners
Rüstung ebenso keinen Spalt findet, durch den er eindringen könnte.
Er ist der Stärkere und beweist das, aber der Andere wird nicht über-
zeugt und nicht einmal beeinflusst Anlässlich des rastlosen Wechsels
von Befriedigung und neuer Begierde, wie er bei dem so der Natur
gemäss lebenden Manne sein muss, erinnert Sokrates an das sinnige
altgriechische Symbol von denen, die in der Unterwelt ewig Wasser
mit einem Siebe in ein durchlöchertes Fass schöpfen müssen: ein ins
Jenseits reflektirtes Abbild des diesseitigen Lebens derer, die in rast-
losem, aber auf das Eitle gerichteten Streben nie zur Befriedigung ge-
langen. Und dann fragt er nach längerer Darlegung seinen Wider-
part: „Bist du nun mehr überzeugt, dass ich Recht habe, oder ist es
so, dass wenn ich noch so viel derartige Geschichten dir vortrage, du
darum nicht im geringsten deine Meinung ändern wirst?" Und jener
antwortet: „das Letztere ist zutreffender, lieber Sokrates." Es war
in der That diesem Geschlechte nicht beizukommen, weder durch
Gründe, noch durch Gewalt, die übrigens gegen diese Lehren nur
schwach und vereinzelt versucht wurde. In den „Gesetzen", die Piaton
als älterer Mann jedenfalls für Dionysios den Zweiten von Syrakus
verfasste, in der Absicht, sie durch diesen einführen zu lassen, stellt
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er ein Repressivsystem gegen den Atheismus und sonstige Ketzereien
auf, mit Zuchthausstrafe und schliesslich Todesstrafe, übrigens mit
viel grösserer Schärfe gegen die Winkelpriester und religiösen Gaukler,
nach ihm versteckte Atheisten, als gegen die offenen Atheisten, unter
denen nach seiner Erklärung doch Mancher war, der von Natur Hin-
neigung zur Gerechtigkeit und Abscheu vor Unrecht hatte, und sich
demgemäss im Leben bewies. Es bedurfte aber der Todesstrafen und
Ketzergerichte nicht, denn dies Geschlecht rottete sich selber aus.
Kritias, Piatons Verwandter, als er zur Herrschaft in Athen gekommen
war, wirthschaftete mit Raub und Justizmord derartig, dass nach
8 Monaten die flüchtige demokratische Partei mit den Waffen wieder-
kehrte und ihm ein Gefecht lieferte, in dem er selbst den Tod fand.
Eine der letzten Thaten der Regierungsbehörde der Dreissig unter
seiner Führung war gewesen, dass sie, um sich in dem Flecken
Eleusis für den Fall, dass sie aus Athen weichen müsste, eine Zuflucht
zu sichern, die Bewohner des Ortes unter dem Vorwande einer Muste-
rung zusammenberufen, dann einzeln verhaften und nach Athen ab-
führen Hess, wo dieselben am folgenden Tage in einem scheinbaren
Gerichtsverfahren, in Anwesenheit der bewaffneten Macht und mit
offener Abstimmung, sämmtlich zum Tode verurtheilt wurden. Kritias
handelte dabei durchaus seinen Principien gemäss; denn er befand
sich, modern ausgedrückt, im Kampfe ums Dasein gegen die Demo-
kraten, und jedes Raubthier, welches ja der wahrhaftigen Stimme der
Natur folgt, würde mit der nöthigen Intelligenz ebenso gehandelt
haben. So ging in diesen inneren Kämpfen das durch die naturalistischen
Lehren infizirte Geschlecht Athens rasch und gewaltsam zu Grunde,
und im übrigen Griechenland waren die Katastrophen, die den ge-
bildeten Theil der Nation hinrafften, noch viel schrecklicher und an-
dauernder. Jede Stadt war in zwei Parteien gespalten, von denen die
eine die Freiheit und Gleichheit hochhielt, die andere eine aristo-
kratische Zucht nach Sparta's Vorbild, jede aber sich gegen die andere
das Aergste erlaubte, und in der Rache ihrerseits noch weiter schritt, bis
denn am Ende, was aus diesen Zeiten lebend hervorging, sich irgend
welcher Ordnung ermattet fügte. Damit ging aber auch die Lehre
von Natur und Satzung aus; Aristoteles citirt sie gelegentlich als die
„der Alten."
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Hochgeehrte Anwesende 1 Der Jammer einer entfernten Vergangen-
heit soll uns heute nicht allzusehr an den Jammer der Gegenwart
erinnern. Wohl sind ähnliche Anfänge auch bei uns, und daher Ge-
fahren anscheinend riesengross ; aber der Fortgang braucht nicht noth-
wendig dem damaligen entsprechend zu sein, und die Gefahren
können noch abgewandt werden. Eben der Herrscher, dessen Tag
wir heute feiern, weiss besser und empfindet tiefer, als irgend ein
Anderer, was die Schäden unseres Volkes und unserer Zustände sind :
er trägt dies auf landesväterlichem Herzen und sinnt und sorgt, wie
den Nöthen und Gefahren abgeholfen und begegnet werden könne.
Es ziemt, gerade an dieser Stelle jenes Wortes unseres kaiserlichen
Herrn zu gedenken: „Insbesondere kommt es darauf an, dass
dem Volke nicht die Religion verloren gehe," bei welchem Worte
es das schlimmste Missverständniss wäre, aus dem Volke die Ge-
bildeten als in dieser Hinsicht privilegirt auszunehmen. Die Gnade,
die uns diesen Herrscher gegeben und so beispiellos lange erhalten
hat, wird auch ferner, das hoffen und erflehen heute alle Deutschen,
zum Heile des Reiches und des Volkes und zum Frieden Europas
ihn stärken und alle Tage mit ihm sein. Vereinigen wir uns alle in
dem Rufe: Se. Majestät, unser allergnädigster Kaiser und
König und Herr, lebe hochl